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6^
m
LSoc3Zfe-S-
SITZUNGSBERICHTE
DEB KAISEBLIOHEN
AXADETffTE DEE WISSEIfSCHAPTEIf.
PHILOSOPHISCH -HISTOBISCBDE CLASSR
pOnfunosechziqster band.
*^*WIEN.
AUS DEB K. K. HOF- UND 8TAATSDRUCKEBEI.
IN COMlCIfiSION BKl KARI. QSR0LD*8 80R1I, BUCHIIXROLKR DXR KAISKRLICRBlf AKADRUTK
DRR WISSmSCHAFRN.
i
1870.
SrCZÜNGSBERIOHTE
\
DBB
PHILOSOPHISCH-HISTOEISCHEN CLASSE
OEB KAISEBLICHEN
AKADEMIE DER WISSENSCHAFTEN.
PONPUNOSECHaqSTER BAND.
Jahrgang 1870. — Heft I bis IV.
^WIEN.
AUS DBB K. K. HOF- UND 6TAAT6DBUCKBBEI.
Uf COaOf ISSIOV BEI KARL «IBOLD*! SOHH, BDCHHAUDLIB DBE KAUIRUCHEll AKADEMIE
DBB WISSnSCHAFTXH.
t870.
U^ö<lI%^S
INHALT.
Sfit«
ig Tom 6. April 1870 3
Sitevag Tom 20. April 1870 4
SitxiiBg; Tom 27. April 1870 4
Mmiier, ladogermanifcli und Semititcb. Ein Beitrag sur Würdigung
dieser beiden SprachtUniDe 5
Sekmltei Zar Geechichte der Literatur über das Dekret Gratians. Dritter
Beitrag 21
ITvt^«, Untersttchungen aaf dem Gebiete der Pronomina, besonders der
lateiBisehen 77
VgrznehmM der eingegangenen Druckschriften 157
foin 11. Hai 1870 163
rom 15. Mai 1870 164
PkilHpt^ Über das iberische Alphabet 16K '
Bewfmmnn^ Die Nominale der Miinsreform des Chalifen Abdnimelik . . 239
MSßert Abhandlungen aus dem Gebiete der alten Geschichte. IIL Unter-
suchung der Frage, ob Griechenland mit der Zerstörung Korinths
römische Provins geworden sei 267
311
377
391 V
Sil
Fßzwisier^ Die Lebensverlangeningen der Minner des Weges .
äCmrmjmmj Zu Seifried Heibling und Ottacker ron Steiermark .
Sekrier, Weitere Mittheilungen fiber die Mundart von Gotschee
YerteiehnisM der eingegangenen Druckschriften
11
Seit«
Sitzani; vom 1. Juni 1870 515
mtxung vom 15. Juni 1870 516
SKsan^ vom 22. Juni 1870 517
PhiUipt^ Die Eiowandeniog der Iberer in die pyreoiische Halbinsel . 519
Kart^an, Zu Seifried Helbling^ vnd OtUcker von Steiermark .... 565
Hofier^ Abhandlungen aus dem Gebiete der alten Gesehich le. IV. Über
die richtige Abgrensung der alten Geschichte gegen das Mittel-
alter 577
Müller^ Bemerkungen Aber swei armenische Keil-Inschriflen .... 589
Schulte^ Die Compilationen Gilberts uud Alanus 595
Saehau^ Zur iltesten Geschichte des muhammedanischen Rechts . . . 699
YerteiehnUM der eingegangenen Druckschriften 725
Sitsung vom 6. Juli 1870 729
Sitzang; vom 13. Juli 1870 729
Sitzung; vom 20. Juli 1870 730
PhUiip9^ Eine baskische Sprachprobe nebst Einleitung und Commentar 731
Pfiptmaier^ Die Anwendung und die Zufüligkeiten des Feuers in dem
alten China 767
Hoßery Anna von Luxemburg, Kaiser RarPa IV. Tochter, König Richard'a
II. GemahUn, Königin von England. 1382-1394 813
Hofmmmy Über den Verlobnngs- und den Tranring 825
Verxeiekniu der eingegangenen Dmckschrillen 865
SITZUNGSBERICHTE
DER
KAISERLICHEN AKADEMIE DER WISSENSCHAFTEN
PHILOSOPHISCH-HISTORISCHE CLASSE.
L\V. BAND. I. UFT.
JAHRGANG 1870. — APRIL.
1
(/Onimissionslitfrioht. j
SITZUNG VOM 6. AFRIL 1870.
Der prov. Secretär legt vor :
1) drei von Dr. Behriiauer in Dresden eingesendete Proben
aus dem Yon ihm vorbereiteten photolithographisehen orientaiischen
Album ;
2) ein Schreiben des Herrn Prof. Peters in Graz, womit
derselbe anzeigt, dass die Freunde des verstorbenen Hofrathes Dr.
Franz Unger demselben ein Denkmal in Graz zu errichten beab-
sichtigen, und die Mitglieder der Akademie zur Theilnahme daran
einladet;
3j eine von Herrn Prof. Dr. Friedrich Ritter v. Schulte in
Prag eingesendete Abhandlung: „Zur Geschichte der Literatur über
das Decret Gratians. Dritter Beitrag''.
Das w. M. Herr Hofrath Phillipps legt ^Eine baskisehe
Sprachprobe nebst Einleitung und Commentar^' vor.
Das c. M. Herr Prof. Dr. Theodor Gomperz legt eine für die
Sitzungsbesichte bestimmte Abhandlung vor: eine Bearbeitung des
l^ereulanensischen Papyrus Nr. 1021 (Collectio altera Vol. I Fase. 5)
nebst Einleitung und erklärenden sowie kritiscben Anmerkungen.
4 Commissionsbericht.
SITZUNG VOM 20. APRIL 1870,
Das w. M. Hr. Hofrath Ritter v. Miklosich legt eine
Abhandlung vor fiir die Denkschriften ^Albanische Forschungen. "^
I. ^Die slavischen Elemente im Albanischen.*'
Das w. M. Herr Prof. Dr. Friedrich Muller überreicht eine
für die Sitzungsberichte bestimmte Abhandlung: „Indogermanisch
und Semitisch. Ein Beitrag zur Würdigung dieser beiden Sprach-
stämme*".
Der prov. Secretar legt vor^
1) die von Dr. Kürschner, Adjunct im k. u. k. Reichsfinanz-
archiv, zur Aufnahme in die akademischen Druckschriften einge-
sendeten „Regesten zur Geschichte des Herzogthums Troppau
(1081 — 1064)** aus dem Nachlasse des Professors Kopetzky;
2) ein von dem k. k. Bezirkshauptmann in Jaroslau, Herrn
F. Chlebik, eingesendetes Manuscript: „Die Philosophie des
Bewussten und die Wahrheit des Unbewussten^ mit dem Gesuche
des Verfassers um Aufnahme desselben in die akademischen Schriften.
SITZUNG VOM 27. APRIL 1870.
Das c. M. Herr Prof. Ür. Kvfeala in Prag sendet zur Auf-
nahme in die Sitzungsberichte eine Abhandlung: ^Untersuchungen
auf dem Gebiete der Pronomina, besonders der lateinischen".
Das w. M. Herr Regierungsrath Birk legt vor: „Kaiser Rudolf
des II. Polizeiordnung für das Erzherzogthum Oesterreich. Von
Beda Piri nger".
Herr Dr. Franz Stark hält einen Vortrag über „die Irrthümer
in der heutigen Forschung über deutsche und keltische Personen-
namen *'.
Maller, iDdugermanitch und Semitisch.
Indogennanisch und Semitisch.
Ein Beitrag zur Würdigung dieser beiden Sprachstämme
von Dr. Friedrich Müller,
Proftwor an der Wiener UnNenitit.
Zu den Fragen you ganz besonderer Wichtigkeit und der
grossten Tragweite, mit welchen die höhere vergleichende Sprach-
wissenschaft noch lange sich wird beschäftigen müssen» gehört jene
über das Yerhältniss der beiden am meisten entwickelten Sprach-
stämme, des indogermanischen und des semitischen, zu einander.
Die Frage ist gar nicht so einfach als sie auf den ersten Anblick
erscheint» und ich glaube sogar, dass die Wissenschaft heutzutage
noch nicht auf dem Punkte steht, um sie vollkommen und unzweifeU
haß zu erledigen.
Die Tragweite dieser Frage bezieht sich nicht nur auf die
Sprachwissenschaft, sondern auch, und in noch grösserem Masse,
auf die Naturgeschichte des Menschen, die Anthropologie. Gelingt
es nämlich der Sprachwissenschaft den Beweis zu fuhren, dass
zwischen Indogermanisch und Semitisch eine unzweifelhafte Ver-
wandtschaft besteht, dass beide Sprachstämme , welche die Wissen-
schaft bisher geschieden hat, auf eine Einheit zurückweisen, aus
welcher sie sich durch einen langen und eigenthümlichen Process
herausdifferenzirt haben, so ist damit auch theilweise bewiesen, dass
Volksthum und Rasse sieh gegenseitig decken und dass auch die
fernere Möglichkeit vorhanden ist, Rassen-Entwicklung und Sprach-
Entwicklung in die genaueste Parallele zu bringen. Natürlich nwss
dieser Beweis methodisch gefuhrt werden und darf sich nicht
ohne vorhergegangene strenge Prüfung der Grundlagen auf die
Herrorhebung zufSUiger Ähnlichkeiten einlassen.
Sitsb. d. phU.^iit. Cl. LXV. Bd. I. Hfl. 2
6 Müller
Wenn ich, trotz der oben abgegebenen Erklärung, dass eine
entscheidende Losung dieser Frage heute noch nicht zur Reife ge-
diehen sein dfirfte, es dennoch unternehme, in dem vorliegenden Auf-
satze dieselbe zu behandeln, so bestimmt mich dazu einerseits der
Umstand, dass ich damit den noch immer auftretenden dilettantischen
Versuchen Indogermanisch und Semitisch für verwandt zu erklären,
ein Ziel setzen mochte, andererseits das Bedurfniss, diese Frage nach
dem gegenwärtigen Standpunkte der Sprachwissenschaft erwogen
zu sehen. Vom letzteren Gesichtspunkte aus muss ich freilich
gestehen, dass sich in mir die Überzeugung festgesetzt hat. Indo-
germanisch und Semitisch seien zwei grundverschiedene
Spracbstämme, deren jeder einen vom anderen unabhängigen Ursprung
voraussetzt und ich befinde mich in Betreff der Sprachschöpfung
im vollkommensten Einklänge mit einem der bedeutendsten modernen
Naturforscher, Ernst H ä c k e I, weicher Sprache und Rasse für zwei von
einander unabhängige Sphären betrachtet und den Ursprung der
Sprache nach bereits vollzogener Rassen-Diiferenzirung ansetzt.
Damit nun Jedermann über die Berechtigung einer solchen
Ansieht, womit leider Ober manche mit einem grossen Aufwände von
Scharfsinn und Gelehrsamkeit gelieferte Arbeiten der Stab gebrochen
ist, ein selbstständiges Urtheil sich bilden könne, werde ich beide
Sprachstämme einer vergleichenden Betrachtung unterziehen und
dabei so verfahren, dass auch der sprachwissenschaftlich nicht
Gebildete den von mir vorgebrachten Thatsachen mit Leichtigkeit
folgen kann.
indogenuanisch and Semitiacb.
A. Die Laute.
Die indogerrnaniache Ursprache hatte folgende Consonanten :
t d dh n y r s
p b(?J bh m V
Der Laut ht der in der späteren Epoche der indogermanischen
^pracheo auAritt, ist das Residuum des Aspirations- oder des
Assibilations-Processes, also entweder aus gh* dh^bh oder aus«
henrorgegangen.
Die semitische Ursprache dagegen hatte folgende Consonanten :
k h c
* A y g y
t B
t 88 d Z(?J U l
p f b V m
Wenu wir beide Lautsysteme mit einander vergleichen, so
ersehen wir daraus folgende tief eingreifende Unterschiede :
Während die indogermanischen Sprachen innerhalb der drei
Torhandenen Organreihen: Guttural, Dental und Labial die tönenden
Aspiraten gh» dh* bh (zu p, d, b gehörig) entwickelt haben, sind die
semitischen Sprachen in derselben Richtung innerhalb der Stumm-
laute Toi^egangen. — Wie in den indogermanischen Sprachen gh,
dht bh der Reihe g^ d» 6, gehen in den semitischen A, s, f der Reihe
kt /« p parallel. Und wie im Indogermanischen ght dh* bh schliesslich
in Tielen FSIIen in h aufgehen, so dass dieses nach Aufgeben des
festen Theiles als Residuum des Aspirationsprocesses übrigbleibt,
ebenso treffen wir im Semitischen aus k den Laut / und aus i den
liBot h (wabrseheinlieh durch die Mittelstufen ih* «) entwickelt.
Während in den indogermanischen Sprachen unzweifelhaft der
Laut r primitir ist, da er innerhalb der Consonantengruppen gegen-
über / Tiel häufiger auftritt, ist in den semitischen Sprachen umge-
kehrt der Laut / der ältere.
8 M u 1 1 e r
Das semitische Consonantensystem unterscheidet sich aber vom*
indogermanischen noch in einem wesentlichen, demselben eigen-
thumlichen Punkte, nämlich in der Entwicklung emphatischer Stumm-
laute innerhalb der Guttural- und der Dental-Reihe, welche auch in'
Betreff der Entwicklung den gewohnlichen Gutturalen und Dentalen
parallel gehen.
Neben dem gewöhnlichen k (hebräisch "|, arabisch ^) finden
wir nämlich noch ein zweites, welches wir mittelst k bezeichnen
(hebräisch p, arabisch J), welches im Gegensatze zum ersteren
ursprunglich durch eine grossere nach Innen gezogene Energie der
dabei betheili^en Organe erzeugt wird. In demselben Verhältnisse
wie k zw k steht auch f (hebräisch o» arabisch i^) zu t (hebräisch f\^
arabisch O).
Gleichwie nun A: zu A und /, ^ zu « und h sich entwickeln, ent-
wickeln sich auch k t\xh und c und t zvl 8 und c . Der Laut c
• • • •
(hebräisch ir, arabisch p und p) ist eben ein Residuum des Aspira-
tions- und Ässibilations-Processes der emphatischen Laute k und fv
er verhält sich also zu i (hebräisch n« arabisch t) ebenso wie k^ t zu
A:, f sich verhalten. — Das dies wirklich der Fall ist, beweisen der
Übergang des hebräisch-arabischen t^ « in c in den aramäischea
Dialekten und die Aussprache des k als c in einigen vulgärarabischen«
Idiomen, abgesehen davon, dass auch aus der älteren Sprache FUle»
worin c älterem k gleich ist, sich beibringen lassen.
Wenn wir diese Punkte überblicken, so stellen sich schon in
Betreff der Consonanten folgende Unterschiede zwischen Indoger»
manisch und Semitisch heraus:
I. Während Indogermanisch zn den tSnenden ^, d* b parallele
Aspiraten gh* dh, bh entwickelt hat, sind dieselben im Semitischen zu
den stummen it, t^ p als A, «, 8 und f vorhanden.
IL Während im Indogermanischen von den beiden flOssigen
Lauten /, r der letztere ursprQnglich ist, scheint im Semitischen /der
ursprUngliche zu sein.
HI. Im Semitisehen finden sich zu den Stommlauten der guttu»
ralen und dentalen Claase parallele emphatische Laute entwickelt,,
während dem Indogermanischen dergleichen Laute gaas abgehen.
Indof emaniach und Semitisch. 9
Die ursprfliigliche Vocalreihe des Semitischen ist folgende:
a i u
Dagegen stellt sicli die ursprüngliche Voeftlreihe des Indoger-
manischen folgendermassen dar:
a i u
ai au
Die Vocallängen sind in beiden Sprachstämmen etwas Secun-
däres und verdanken wahrscheinlich einerseits der Zusammenziehung»
andererseits dem Accente ihre Entstehung.
Was dagegen die Diphthonge aif au betrifitt so sind sie
ursprüngliGb nur dem Indogermanischen eigen und weichen später in
beiden Sprachstämmen, ihren Ursprung anlangend, von einander sehr
ab. Während au au im Semitischen stets ein Zusammensiehungs-
prodact aus a + 1, a + <<• respective a + 9» a -f- v sind , erseheinen
dieselben im Indogermanischen neben derselben Geltung als a-f>i\
a -|- tf auch als Steigerungen von t und u. An Stelle eines wurzel-
haflen t oder u treffen wir, ohne dass irgend ein lautliches Moment
dieser Veränderung namhaft gemacht werden konnte, die Laute ai
oder ati, eine Erscheinung, f3r welche aus der semitischen Ursprache
kein Beleg beigebracht werden kann.*
B. Die SUbe.
1. Aalaat
Im Indogermanischen ist sowohl consonantischer als auch
Tocaliaeber Anlaut der Silbe gestattet. Beim consonantischen Anlaut
ist die Sprache nicht auf einen einzelnen Consonanten beschränkt,
sondem kann auch mehrere Consonanten zu einer Gruppe ver-
einigen.
loi Semitischen muss jede Silbe mit einem Consonanten
beginnen; es sind sowohl vocalischer Anlaut als auch der Anlaut mit
mehr als einem Consonanten ausgeschlossen.
10 M ii I 1 • r
2. iisUil.
Was den Auslaut der Silbe betriflft, so sind im Semitischen nur
zwei Möglichkeiten vorhanden; die Sprache kann sie entweder mit
einem Vocal oder mit einem einfachen Consonanten schliessen
lassen. Das Indogermanische kennt eine solche Beschränkung nicht r
hier wird der Schluss der Silbe mit mehr als einem Consonanten.
gestattet.
C. Die Wurzel
In beiden Sprachen zerfallen jene Elemente, in welche sich der*
gesammte Sprachstoff auflösen lässt und welche, falls der an ihnen
haftende Sinn nicht zerstört werden soll, als untheilbar gelten
müssen, in zwei Kategorien, nämlich Objectiv* oder Stoffwurzeln^
(auch Verbalwurzeln genannt) und Subjectiv- oder Formwurzeln,
(auch Pronominalwurzeln genannt).
Während aber in Betreff des Baues der letzteren Indogermanisch^^
und Semitisch mit einander übereinstimmen , insofern als dieselben^
durchgehends einsilbig sind, weichen sie in Betreff der ersteren
von einander wesentlich ab.
Die Verbal Wurzel ist im Indogermanischen stets einsilbig*.
Im Semitischen dagegen 4st dasjenige Element, welches der indo-
germanischen Verbalwurzel parallel geht, durchgehends aus drei
Consonanten aufgebaut und wurde ursprunglich wahrscheinlich
auch dreisilbig gesprochen. In der That dürften diese dreiconso-
nantigen Formationen keine Wurzeln sein , sondern Bildungen, in
denen die Wurzeln bereits zu festen concreten Anschauungsausdrücken
verarbeitet vorliegen. Der Process, durch welchen diese Elemente aus
den einsilbigen Wurzeln sich entwickelt haben (und dies voraus-
zusetzen ist eine theoretische Nothwendigkeit) ist in völliges Dunkel
gehüllt. So lange dieses Dunkel nicht gelichtet ist, und zwar auf eine
sti*enge methodische Weise, sind die Wurzeln des Indogermanischen
und des Semitischen imVerhältniss zu einander irrationale Grossen,«
welche mit einander nie verglichen werden dürfen.
Indog^criuaniscb und S«miti«ob. 1 1
D. Das Wort.
Die Bildung des Wortes aus der Wurzel geht in beiden Sprach-
stammen sowohl durch äussere als auch durch innere Mittel
Tor sich.
Unter den ersteren« den Susseren Mitteln, begreifen wir die
Verbindung der Pronominalwurzeln mit den Verbalwurzeln. Im Indo-
germanischen wird stets die Pronominalwurzel an die Verbalwurzel
angehängt; das Indogermanische kennt also, was die Stellung der
formalen Elemente zu den stofflichen anbelangt» nur Suffiie.
Anders das Semitische. Dieses gestattet nicht nur wie im Indo-
germanischen, Anfügung der formalen Elemente an die stofflichen,
sondern auch Vorsetzen der ersteren vor die letzteren, d. h. es
kennt nicht nur Suffixe, sondern auch Prfifixe.
Unter den inneren Mitteln der Wortbildung begreifen wir die
Veränderung der Wurzelvocale. Das Indogermanische lässt
bekanntlich in Verbindung mit dem äusseren Mittel der Suffigirung
auch eineAffection desVocals der Wurzel eintreten, wodurch derselbe
gesteigert, d. h. a bald zu a, bald zu ä, i zu ai, u zu au erhoben
wird. Diese Steigerung bewegt sich stets innerhalb der Sphäre des
ursprönglichen Vocals; aus i kann nur ai, aus u kann nur au werden,
nicht aber kann ai aus u oder au aus i entstehen.
Anders das Semitische. Hier wird nicht auf die Sphäre des
ursprünglichen Vocals Rucksicht genommen, sondern jener Vocal,
der durch das Gesetz eines bestimmten Typus gefordert wird, muss
ohne Rücksicht auf den primitiven Vocal, wenn im Semitischen über-
haupt Ton einem solchen die Rede sein kann^ eintreten.
Während also das Indogermanische ans der Wurzel lik laik-a
(griecli. /o(n:-6-) bildet, aus der Wurzel buäh bauäh-a, bildet das
Semitische von J5 (katala) — . ,J-3 {katilun), von ijj>- (f^zina)
— v^J^ ^i^^iiitt»?, von ^jm^ (fyamnaj — Oj-^ (T^astnunJ, von
J3 (kaiala) — cjyi* (ma-ktülun), von Oj>- (T^zina) — ^jj^
(maizßnun).
12 M ä 1 1 « r
£. Die Wortkategorien.
In beiden Sprachstämmen gehen alle Redetheile, welche die
Sprache kennt, in den beiden Gruppen: Nomen (arab. x^l) undVerbum
(arab. Jji») auf. Jeder Redetheil, sofern er nichtNomen oderVerbum
ist, ist von einem oder dem andern derselben abgeleitet. Die alten,
sowohl indogermanischen als semitischen Grammatiker waren dieser
Erkenntniss sehr nahe; wäre ihnen das Wesen der vergleichenden
und historischen Grammatik aufgegangen, so hätten sie ohne Zweifel
das Richtige gefunden.
Was das Nomen betrifft, so kommt im Indogermanischen dem
Substantiv, dem Pronomen der dritten Person und auch dem Adjectiv,
sofern es mit dem Substantiv in Congruenz gesetzt wird, die Bezeich-
nung des grammatischen Geschlechtes (Genus) zu. Dieses ist im
Indogermanischen ein dreifaches, nämlich Masculinum, Femininum
und Neutrum; jedes derselben hat seinen ihm eigenthumlichen sprach-
lichen Exponenten.
Das Semitische kennt auch ein grammatisches Geschlecht, aber
einerseits nicht in demselben Umfange, indem nur zwei Kategorien
sich finden, welche dem Masculinum und Feminino-Neutrum ent-
sprechen, andererseits konunt die Bezeichnung des grammatischen
Geschlechtes nicht nur dem Substantivum, Adjectivum und Pronomen
der dritten Person, sondern auch dem Pronomen der zweiten Person
zu. — Aber auch im Verbum finden wir an den Formen der zweiten
und dritten Person das Genus bezeichnet, während im Indogerma-
nischen von einer Genusbezeichnung am Verbum keine Spur vor-
handen ist.
Beiden Sprachstämmen ist eine im Geiste flectirender Sprachen
gebildete Zablbezeichnung sowohl am Nomen als auch am Verbum
eigen; beide haben drei Kategorien der Zahl, nämlich Singular, Dual
und Plural entwickelt. In Betreff" der Casusformen findet sich
zwischen Indogermanisch und Semitisch eine grosse Abweichung.
Während die älteste Form des Indogermanischen, die uns bekannt
ist, acht grösstentheils von einander lautlich verschiedene Casus-
bildungen zeigt, lassen sich im Semitischen höchstens drei ver-
schiedene Casusformen, ich will nicht sagen nachweisen, aber doch,
aus den vorhandenen Spuren zu schliessen, annehmen.
Indogermiiiiisch und Semitisch. 1 3
Was das Verbum betrifft, so wird sein Bau im Semitischen, wie
im Indogermanischen von dem Gegensatze der momentanen, vollen-
deten and der sieh entwickelnden, dauernden Handlung beherrscht.
In der Ausführung weichen aber Indogermanisch und Semitisch von
einander ab. Das Semitische kennt nur zwei auf den eben berührten
Gegensatz basirte Formen, welche äusserlich durch die verschiedene
Weise der Verbindung der Formelemente (Pronominalelemente) mit
dem Stoffelemente (dem Verbalstamme) gekennzeichnet sind. Jene
Form, welche zum Ausdrucke der vollendeten Handlung dient, wird
dareh Suffixe, jene dagegen, welche zum Ausdrucke der sich ent-
wickelnden Handlung bestimmt ist, wird durch Präfixe gebildet.
Diesem einfachen Bau gegenüber, in welchem von einer nähereu
Bezeichnung der Zeit und Modalität der Handlung vollkommen Um-
gang genommen ist, bietet das Indogermanische einen reich ent-
wickelten Verbalausdriick dar. Neben den beiden den oben erwähnten
semitischen Formen entsprechenden Stämmen, dem Präsens- und
Aoriststamme, kommt noch ein aus dem Bereich des Präsens (HL Classe
im Sanskrit) sich herauslösender Perfectstamm in Anwendung und
werden Gegenwart, Vergangenheit und Zukunft, sowie Wunsch,
Hoglichkeit und andere der Handlung anklebende Accidentien inner-
halb der Verbalform durch lautliche Exponenten bezeichnet.
Das Verbum kann im Indogermanischen durch Vortritt gewisser
Partikeln determinirt werden. Diese Partikeln, obschon ein Theil
derselben aus flectirten Nominalformen besteht, deren Bedeutung
abgeblasst ist, sind meistens reine, auf bestimmte räumliche und
zeitliche Verhältnisse hinweisende Formelemente und in diesem Sinne
dem Indogermanischen eigenthümlich. Das Semitische entbehrt der-
selben und muss sie innerhalb des Satzes durch concreto Nominal-
formen und innerhalb des Verbums durch den Process der Wort-
bildung ersetzen.
F. Die Wortzasammensetzang.
Die Wortzusammensetzung (Composition) ist ein Übergriff des
Wortes in den Satz. Es gibt bekanntlich viele Sprachen, bei denen
die Sebeidong von Satz und Wort gar nicht durchgedrungen ist.
Das Indogermanische ist darin sehr massvoll, indem es nur jene
14 Müller
Abhäugigkeitsverhaltnisse , welche zwischen dem Nomen (auch Pro-
nomen) und Adjectivum stattfinden können, in den Bereich der Wort-
bildung aufnimmt Also nur Anschauungen wie „der Stadtbewohner^^
„mein Vater**, schöne Blume*', können in einem einzigen Aus-
druck vereinigt <) und kann dann dieser Ausdruck wie jedes
andere Wort behandelt werden. Diese Ausdrücke zeigen uns die
älteste Wortstellung der indogermanischen Sprachen, wornach der
bestimmende Ausdruck stets vor dem bestimmten Platz fand.
Etwas anders verbalt sich die Sache im Semitischen. Dem
Semitischen sind alle Wortzusammensetzungen des Indogermanischen,
bis auf jene, worin ein Substantivum durch ein Pronomen bestimmt
wird, unbekannt. — Hier ist nur Bestimmung eines Substantivums
durch ein persönliches Pronomen gestattet und zwar muss vermöge
der ganz umgekehrten Wortstellung des Semitischen, wonach der
bestimmende Ausdruck dem bestimmten stets falgen muss, das Pro-
nomen dem Substantivum suffigirt werden a).
Dass dieser Process in den semitischen Sprachen ein alter-
t h ü m I i c h e r ist, beweisen namentlich zwei Umstände :
1. Der Umstand, dass die Pronominalsuffiie stets in derselben
kurzen Gestalt wie bei der Verbalbildung auftreten, mithin ebenso
wenig wie hier etwa durch Verkürzung aus den vollen Formen ent-
standen sein können.
2. Der Umstand, dass die lautliche Form derselben von jener
der sowohl in den vollen Pronominalformen als auch im Verbum
auftretenden Elemente grösstentheils verschieden ist.
Neben diesem tiefgreifenden Unterschiede, welcher zwischen
Indogermanisch und Semitisch sich nachweisen iässt, findet sich
noch ein zweiter, der ein viel kühneres Eingreifen des semitischen
Wortes in den Satz als dies innerhalb des Indogermanischen nach-
gewiesen werden kann, offenbart.
Das Semitische nämlich ist im Stande das Object, sofern es
durch ein Pronomen ausgedrückt ist, mit dem Verbalausdruck un-
mittelbar zu verbinden.
0 Die DvftDdvR-Compositioii scheint dem Indo-Erdiiischen ganz eigenthurolich su Min
und das Bahuvnhi geht bekanntlich auf ein Karmadhäreyä zurfick.
*) Wenn von einigen Gelehrten SubatantivComposita (den indogermaniachen Tat-
purtuhas gleichbedeutend) angenommen wurden, so war dies ein grober Irrthnm.
iDdogermitiiiach und Semititch. i 5
Das Arabische kann dies sogar auf zwei Objecte, ein näheres
und ein entfernteres ausdehnen <).
Die Form der Pronominalsuffixe, welche dabei angewendet
werden» ist mit jener der Possessivsuffixe identisch, ein Beweis, dasa
auch dieser Process ein al t er th um lieber ist und nicht etwa
durch Zusammenrückung der einzelnen Elemente in spaterer Zeit
entstanden sein kann.
Cr. Die EntwicklirngsgescMclite beider Sprachstämme.
In der Entwicklung besteht zwischen Indogermanisch und
Semitisch ein Gegensatz, wie er tiefer und einschneidender kaum
gedacht werden kann.
Die semitischen Sprachen gleiciien eineib aus Granit auf-»
gefllhrten Bauwerke, das allen äusseren Einflüssen trotzt und sich
immerwährend unversehrt erhält. Durch die scharfe Articulation der
Sprachlaute und das Vorwalten gutturaler Consonanten, sowie des
den Gutturalen am meisten verwandten a-Vocales sind die semitischen
Formen schon in ihren Elementen mehr geschützt, als die der anderen
Sprachen. Dazu kommt noch der Bau der Silbe, welcher weder im
Anlaut noch im Auslaute Anhäufungen von Consonanten duldet, in
denen vornehmlich der Grund der Zersetzung, welche wir innerhalb
des Sprachlebens wahrnehmen, gesucht werden muss.
Der Umfang der Worte ist innerhalb der semitischen Sprachen
sehr massig; so langgedehnte Formen , wie wir ihnen innerhalb der
iDdogermanischen Sprachen gar nicht selten begegnen, sind hier nicht
zfilassig. Der Accent scheint so weit als möglich vom Ende sich
entfernt zu haben, d. h. er stsmd, da die meisten Formen der Sprache
dreisilbig waren, sofern er von einer langen vorletzten Silbe nicht
festgehalten wurde, auf der drittletzten Silbe.
Durch den massigen Umfang wurden die Formen, da im Geiste
einer flectirenden Sprache jedem Worte nur ein Hauptaccent
zokommt, wunderbar conservirt.
*) WeiiB die aittel- und neupenischen Oialekte verbile und nominüle ProDominal-
Sviize Mi^M, BO Itt diet anf denBiafliMt im erttoo Falle der armnAiscbeB Sprechen«
im leUteren de« ArebUcben lurüekzufjihren.
1 (( Müller
Die Summe aller Veränderungen . welche die semitische Ur-
sprache in Betreff der Formen durchgemacht hat und welche
zusammengenommen mit dem verschiedenen Wortsatze den Unter-
schied zwischen den einzelnen Sprachen des semitischen Stammes
begrOnden, kann, abgesehen von den sporadischen Erscheinungen
der Aspiration und der Assimilation, durchwegs auf den Accent
zuruckgefOhrt werden.
So lauge als der Accent seine Stelle auf der drittletzten Silbe
behauptete» war der Vocal der letzten Silbe durch den Gegenaccent,
welcher auf ihr ruhte , geschlitzt. So finden wir denn auch im Ara-
bischen, welches die eben beschriebene Accentuation zeigt, die voca-
tischen Ausgänge der Worte unversehrt erhalten.
Als aber der Accent, namentlich bei vocalisch schliessenden
Formen, von der drittletzten Silbe auf die vorletzte verrückt wurde,
ein Process, Melcher namentlich innerhalb der nordsemitischen
Sprachen frühzeitig eingetreten zu sein scheint, da zeigte sich eine
Reihe von Veränderungen innerhalb des Vocalismus, unter welchen
folgende als die wichtigsten betrachtet werden können.
1 . Wurde der Vocal der betonten Silbe häufig gelängt oder
gesteigert; t wurde bald zu i, bald zu t, u bald zu ü bald zu ö.
2. Der Vocal der letzten , auf die betonte vorletzte folgenden
Silbe wurde in den kurzen Vocal i geschwächt und schliesslich ganz
verflucht igt.
3. Der Vocal der drittletzten nun unbetonten Silbe wurde, wenn
sie geschlossen war, ebenfalls geschwächt und ging dabei a bald in ^,
bald in t Ober.
So lange man im Semitischen die Form ta-Uulu ndu todtest*^
mit dem Acceut auf der drittletzten Silbe aussprach, wie dies im
Arabischen der Fall istt konnte sie sich unversehrt behaupten.
Sobald aber der Accent auf die vorletzte Silbe übersprang, wie dies
im Nordsemitischen bald eingetreten zu sein scheint , entstanden die
Formen te-kful, ii-kföl, wie selbe die aramäischen Sprachen und das
Hebräische darbieten. Ebenso sind hebräisch kdfal» aramäisch kefal
y,er hat getodtet**, durch Veränderung des Accentes aus dem im Ara-
bischen erhaltenen ursemitischen kalala (auf der drittletzten Silbe
betont) hervorgegangen.
Die Hauptveränderung, welche die Formen des Semitischen im
Laufe der Zeit erlitten haben, besteht demnach in der Zerrüttung
lodogermaniach und Semitisch. 1 7
der Vocal Verhältnisse, d. h. in der Verkürzung, der Verlängerung»
dem Abfall und der Zasammenziehung der Voeaie. Diejenigen Ver-
änderungen, welche die Consonanten betreffen, kommen dagegen
beinahe gar nicht in Betracht; sie beschranken sich auf den Abfall
und die Assimilation des n an folgende consonantische Laute (nament-
lich im Nordsemitischen) und das grossere oder geringere Fort-
schreiten des Aspirations- und Assibilationsprocesses in den ein-
zelnen Dialekten. Dadurch aber sind auch die grösstentheils con-
sonantisehen Formeleroente, namentlich die Suffixe« einerseits ror der
Zersetzung und dem Abfall bewahrt , andererseits nicht der Gefahr
ausgesetzt, mit den Stoffelementen zusammengeschweisst und ihrer
lautlichen Selbstständigkeit beraubt zu werden. Eben diesem Um-
stände, dass nümlich das consonantische Gerippe der Formen mitten
im mannigfachen Wechsel der Vocale Tollkommen unversehrt bleibt«
haben die semitischen Sprachen jenem von uns oben genannten gra-
nitenen Bau zu verdanken. In Folge dessen weichen die semitischen
Sprachen, wenn man von dem einer jeden derselben eigenthumlichen
Wortschätze absieht, von einander viel weniger ab, als wir dies an
Sprachen anderer Stämme wahrnehmen können.
Einen von dem oben geschilderten ganz abweichenden Typus*
bieten die indogermanischen Sprachen dar. Hier tritt selbst in den
älteren Formationen derselben eine Reihe von zersetzenden Laut*
Processen auf, welche sich sowohl auf die Vocale als auf die
Consonanten beziehen 9* Der anfänglich auch mit Consonanten-
gnippen zulässige Anlaut wird später in den einzelnen Sprachen
einer grosseren oder geringeren Bescliränkung unterworfen, wo-
durch die Formen im Anlaute bedeutende Einbussen erleiden. Auch
der Auslaut wird eigenthflmlichen auf der Erschlaffung der Articu-
lationskraft beruhenden Lautgesetzen unterworfen, wodurch das
Wort in den Suffixelementen geschädigt wird. Nach und nach stellt
0 Die wJchtifatoD «of di« Vocale besOglichen LautgeaeUe Bind: Schwichung
SchwuDd, TrSbon^, (darch oagebende Conson»ten) Deliaung, (naD«nUicli
BrMtzdeliDOBg) und Umlaot (durch Baclifolgeode Vocale). Viel nannlgfaltiger aind
die auf die Conaonanten •iek beaieheDden Geaetse, deren wichtigate folgende aein
Bögen: Organwecbael (am aoagedehnteaten bei den Guttnralen, welche in Dental»
«Bd Labiale Bberapringen können), Palataliairnng der Gutturale (in den erAoiachen
«nd indiachen Sprachen nnd durch folgende e- vnd f-Vocale veruraacht in den
18 M u t I e r
sich eine gewisse Scheu von Lautgruppen im Inneren ein, die eben
auch in der Erschlaffung der Articulationskraft begründet ist, womit
das vollständige Zusammenschmelzen der Formelemente mit den
Stoffelementen eingeleitet wird , so dass die einzelnen Wortformen
in dieser Periode Lautcomplexe darstellen , die ohne Kenntniss des
nach und nach eingetretenen lautlichen Processes nicht mehr in ihre
ursprünglichen Elemente aufgelost werden können. Durcb diese Vor-
gänge können Wortformen, welche ursprünglich identisch waren,
ihre Gestalt derart verändern, dass selbst das geübteste Auge und
Ohr, nach den Formen selbst zu urtheilen, gar keine Verwandtscbaft
herauszufinden vermögen.
Wahrend Anfangs der Accent diesen Veränderungen ferne
steht, macht sich in der späteren Sprachperiode sein Einfluss immer
mehr und mehr geltend.
Diese soeben in Kurzem beschriebenen Processe bringen es mit
sich, dass mehrere Spracbformen, welcbe Anfangs lautlich strenge
geschieden waren, zusammenfallen, wodurch, da der Trieb
der Sprache nach Klarheit und Bestimmtheit immer derselbe bleibt,
die Herbeiziehung äussererHilfs mittel nothwendig erscheint.
Diese an die Form von aussen tretenden, aus Stoffelementen
gebildeten Formelemente suchen dann wieder wo möglich mit der-
selben zu verschmelzen, so dass sich der Process, wie er in der
Periode der Sprachbildung bestand, wenn auch zwischen zwei ver-
schiedenen Factoren, wiederholt. Die einzelnen Sprachen erhalten
auf diese Weise einen ganz eigenthümlichen Typus, in welchem sie,
gegenseitig mit einander verglichen, kaum den gemeinsamen Ur-
sprung aus einer Quelle ahnen lassen.
•laviachen SprachenJ und der Dentale (im Litauiachen), Aapiration vnd AaaibilaUon
(durch die umgebenden Cooaonanten oderVocale hervorgerufen), Zetaeiamua (d. h.
die Wandlung des y in « oder i und VersohmeUung deaaelben mit dem vorher-
gehenden Conaonanten, im Grieehiachen und Altala viachen) , Anihnliehung und
Angleichung (sowohl nach vorwXrta ala auch nach rfickwirta), ferner Ekthlipae.
Alle dieae Proceaae finden aich achon in den ilteren Formationen des Indoger-
maniacben ; in den jGngeren Sprachen nehmen aie in Verbindung mit noch anderen
ao aehr überhand, daas die alten Wortformen in den neuen faat gar nicht su
«rliennen aind.
Indogermanisch und Semitisch. 1 9
E Schlussbetrachtung.
Wir haben in dem bisher Vorgetragenen die Form der semi-
tischen und der indogermanischen Sprachen einer vergleichenden
Betrachtung unterzogen und gefunden, dass hierin zwischen beiden
gewaltige und tiefgreifende Unterschiede bestehen; den Stoff haben
wir absichtlich gar nicht berührt, da eine tiefere Untersuchung des-
selben uns hier zu weit fuhren wörde. Aber wir können in BetreiT
desselben doch eine Bemerkung nicht unterlassen, pämlich dass eine
sporadisch nachweisbare, begriffliche und lautliche Übereinstimmung
in den Form dementen (den sogenannten Pronominalwurzeln)
zwischen zwei Sprachen von keinem besonnenen Sprachforscher als
Zeichen gemeinsamen Ursprunges angeführt werden darf. Die
Pronominalwurzeln sind nämlich einsilbige, ursprünglich nur aus
Vocal oder aus Consonant und Vocal bestehende Lautcomplexe,
welche auf relative Verhaltnisse hinweisen. Üa nun weder in der
einen noch in der andern Bichtung grosse Variationen möglich sind,
80 kann entweder ein gewisses subjectives, überall gleichmassig
vorhandenes Sprachgefühl oder der hose Zufall an solchen Überein-
stimmungen Schuld tragen.
Wenn wir nun zwischen den beiden uns interessirendenSprach-
stäinmen verschiedene Anlagen in Betreff der Form und
eine diesem entsprechende verschiedene Entwicklungsge-
schichte wahrnehmen, so werden wir wohl keinen Fehlschluss
machen, wenn wir den Ursprung heider aus einer gemeinsamen
Quelle laugnen.
DenA wenn wir annehmen, dass beiden Sprachstämmen eine
nun nicht mehr existirende in ihnen aufgegangene Ursprache zu
Grunde liegt, so müssen wir dann ferner annehmen, dass die Anlagen
ihrer Form der Form des einen oder des anderen Sprachstammes
gleich gewesen sind, und mithin diese Ursprache entweder im Indo-
germanischen oder im Semitischen fortlebt. Dann waren aber auch
weiter die Gründe nachzuweisen und zu erklären , welche den einen
Spraehstamm zu einer von dem andern total verschiedenen Ent-
wicklung der Form gedrängt haben. Wenn man beide Sprachstämme
vom rein formalen Standpunkt betrachtet, so zeigt gewiss der
semitische eine viel grössere Alterthümlichkeit und UrsprOnglichkeit
20 Müller, ln<logermaaiach und Semitisch.
als der indogermanische. Demnach wfire die indogermanisch-semi-
tische Ursprache mehr dem Semitischen als dem Indogermanischen
nahe gestanden. Die Forschung hätte daher die Grunde zu ent-
wickeln» welche zu einer Abweichung des Indogermanischen von
dem ursprünglichen Typus gefuhrt haben und die Gesetze nach-
zuweisen, nach welchen dieselbe eingetreten ist.
Die über das supponirte Verwandtschaftsverhaltniss zwischen
Indogermanisch und Semitisch bisher angestellten Untersuchungen,
wenn man sie überhaupt also nennen kann, haben die ganze Sach-
lage umgekehrt und das Indogermanische für alterthumlicher als
das Semitische angenommen. Denn nur unter dieser Voraussetzung
begreift es sich, dass in den semitischen Verbal wurzeln der Eine
indogermanische Nominalbildungen, der Andere indogermanische mit
Präpositionen componirte Wurzeln wittert und ahnliche grundlose
Behauptungen, welche die Wissenschaft strenge zurückzuweisen
verpflichtet ist
T. Schulte, Zar Geschieht« der Ltteretur über das Dekret Gmliant. III. 2 1
Zur Geschichte der Literatur Ober das Dekret
Gratians.
Dritter Beitrag.
Von Dr. Job. Friedrich Ritter v. Schulte,
Erstes Capitel*).
Die Introductiones, Margaritae, Excerpta des Dekrets.
I. Mit dem Decrete Gratian's und seiner Behandlung durch die
Schule zu Bologna war für das canonische Recht eine vollständige
Umwandlung erfolgt. Bis zu diesem Zeitpunkte gah es keine einzelne
Sammlung, welcher die beiden Merkmale: Vollständigkeit hinsicht-
lich des Stoffes und uubezweifeltes allgemeines Ansehen zukamen.
Wohl genossen einzelne Sammlungen bedeutendes Ansehen, wie
das Decret Burchard^s, die Pannormie Jyo's; dies ergeben
schon allein die vielen Citate aus dem ersteren bei den Glossatoren
des zwölften Jahrhunderts und die ebenfalls erweisbare allgemeine
Bekanntschaft mit der letztern. Aber schon die geringe Zahl der
Handschriften vorgratianischer Sammlungen , welche auf uns ge-
kommen sind, durfte als Beweis gelten, dass die Verbreitung, min-
destens der tägliche Gebrauch derselben keine auch nur entfernt mit
*) Allen Handschriften, welche ich nicht selbst gesehen habe, setze ich ein * vor,
sofern ieh nicht atisdrficklich bereits angebe, worauf ich mich stütze. Die ange-
fahrten P r a g e r und franzdsiachen Handschriften habe ich beschrieben
in: CaaoniMische Handschriften der Bibliotheken ... in Prag. 1868. 4 (Abhandl.
der kön. bdkm. Gea. d. Wiss. VI. F. II. Bd. 1869), und Iter GaUicum (in diesen
Sitz. Ber. LIX. B. S. 355^496), Wien. 1868.
Sitzb. d. (»!iil.-hi8t. CI. LXV. Bd. I. Hft. 3
22 r. Schal t»
der Verbreitung des Decrets ähnliche Dimensionen angenommen hat.
Vielleicht wendet man ein : es mögen die meisten Handschriften ver-
loren gegangen sein. Ich gestehe aber, dass ich, ohne selbstver-
ständlich die Thatsache zu bestreiten, dass durch Brand, Verbrauch,
Vandalismus u. s. w. viele Manuscripte verloren gegangen sind, auf
jenen Einwand kein grosses Gewicht lege. Einmal nämlich glaube ich
überhaupt nicht an die traditionelle Erzählung von solchem Unter-
gange, weil die Menge der aufbewahrten Handschriften, so wie der
Umstand dagegen spricht, dass mit Sicherheit nicht behauptet werden
kann, es sei ein einziges Werk verloren gegangen 0. Sodann wäre
ein Verlust durch Brand u, s. w. doch immer nur in beschränktem
Umfange eingetreten. Finden sich also — und das ist der Fall —
von manchen Sammlungen in weiten Ländern keine Handschriften,
so darf man auf geringe Verbreitung schliessen. Der wirkliche Ge-
brauch der altern Sammlungen zeigt sich viel mehr durch Benutzen
für Anfertigung neuer Sammlungen zu besonderen Zwecken.
Hieraus erklärt sich die enorme Zahl von Sammlungen aus dem 10.,
il. und Anfange des 12. Jahrhunderte, welche noch ziemlich über
die allgemein bekannte hinausgeht. Für diese Sammlungen bilden
bald diese, bald jene älteren die Quelle. Mit einem Schlage nimmt
seit dem Auftauchen des Decrets dieser ganze Zweig der Lite-
ratur eine andere Gestalt an. Das Anfertigen von Sammlungen, die
das im Decrete aufgenommene Material enthielten, hörte gänzlich
auf; nur das Neue und das übersehene Alte sammelt man. Selbst
das Absehreiben der vorgratianischen Sammlungen wird selten <).
Die eigentliche Literatur concentrirt sich auf und um das Decret.
Hierin liegt zugleich der Beweis von dessen allgemeiner und unbe-
^) Bereits im 18. Jahrhundert lagen Schriften in Bibliotheken vergntbea, die Anser
Jahrhundert zu Tage gefördert hat; die g'röuten Literarhistoriker des 13. und 14.
Jahrhunderts haben manche Schrift nicht gekannt, die wir kennen. Welche
Hasse von Handschriften viel benutzter Werke es gab, beweisen die
zahlreichen von den Werken einzelner Vfiter z. B. mancher Sachen von Augustinus
Ilieronymus u. s. w.
*) Um ein Beispiel zu geben. Von den 67 Codd. ms., die H I n s e h i n s iu der
Praef. zur Ausg. der DeeretateM Fteudoitid. angibt, sind 17 jünger als du 12. Jahrb.
Dazu kommt nun fiir filtere und jüngere noch eine Anzahl, die er nicht kennt, das
Verhaltniss wird aber nicht alterirt. Und doch hatte man darin besonders eine
ziemlich vollstündige Sammlung der Canones der alten Concilien.
Zar Geschichte der Litemiar Aber das Dekret Gratiant. III. 23
^trittener Autorität. Einen weitern liefert die Art der Schriften» denen
<lies Capttel gewidmet ist
n. Der Umfang des Dekrets gestattete nieht, dass sich Jeder
ohne grosse Kosten in seinen Besitz setzen konnte <). Gleichwohl
n-Qrde dasselbe allenthalben in der kirchliehen Verwaltung unent-
bebrlieb, seitdem die Durchbildung der rechtlichen Verfassung der
Kirche aod die grosse Coinpetenz der Kirche in Rechtsangele-
genheiten nach der Mitte des 12. Jahrhunderts wohl nicht ohne
maassgebenden Einfluss des Decrets sich Tollzogen hatte. Es lag
somit Dahe, für das allgemeine Bedurfniss und die nächste Orienti-
rung Werke anzufertigen, welche den Inhalt der wich-
tigeren Gesetze wiedergaben*).
Unzweifelhaft trat aber dieses Bedurfniss für das Decret sofort
ein» weil die grösseren Werke (Apparätus^ LeciuraeJ sich regel-
mässig dem Texte anschlössen. Denn dadurch erreichten sie entweder
einen sehr grossen Umfang oder setzten doch die Kenntntss des
Textes, beziehungsweise den Vortrag eines Lehrers voraus. Aus diesem
Üedurfoisse erklärt sich zugleich» wesshalb neben dem Commentiren
des Textes schon bald Werke aufkommen, welche im Wesentlichen
Repertorien sind» wie die von Simon de Bisiniano, Sige-
•faardus von Cremona, oder im eigentlichen Sinne als Summen
sich nur an die Folge der Materien und die Ordnung des Decrets»
nicht aber an die einzelnen Capitel halten» folglich bereits einen
systematischen Charakter haben» wie die Summa ColomensM- Nicht
minder wird begreiflich, dass man froh für die praktisch wichtigsten
Gebiete des Rechts: Civilprocess» Strafrecht, Eherecht» Monogra-
phien Terfasste» wie deren in grosser Zahl aus dem 12. Jahrhundert
zwar bisher nicht allgemein bekannt waren» aber vorhanden sind.
Wenn ich dessbalb im Folgenden über eine Anzahl von Werken
dieser Art meines Wissens zum ersten Male berichte» so glaube ich
1) D i « t ergebeo die bei r. S n v i g n y Gesch. d. Rom. Rechts III. S. 593
»isaMaeogesteUtea Daten. Deun wenn z. B. 1104 in Pisa ein Dlgpestum iiovuni
32 Tkir. 12 ;r. kostete, so hat du Decret gewiss mehr gekostet. Diese Snmmij
iot al»«r f5r jene Zeit sehr hoch. Und anch das Miethen war nieht billig. Vergl.
daselbst S. 5S4 ff. mit dem Anhange.
S) EÄmt ibnlicbe Erscheinung haben wir auf dem Gebiete des deutschen Recht« i. B.
fir den Sachsenspiegel. .Mein Lehrb. der deutschen Reichs- und
Ac«llUgesek. t, Aufl. Seite 162.
3»
24 V* Schalte
für die Literatorgeschichte des canonischen Rechts keinen gans un-
Avichtigen Beitrag geliefert zu haben. Noch eine Benneriiung sei mir
zum Schlüsse gestattet.
m. Auf Bologfia hat sich die Behandlung des Decrets in Vor-
trägen auch im 12. Jahrhundert nicht heschränkt, eben so wenig^
auf Bologna und Paris. Immerhin gab es aber sicher wenige Orte^
wo über das Decret eigentliche Lehrvortrage gehalten wurden. Um
so grösser war an anderen Orten, in anderen Diocesen und Landern
das Bedflrfniss nach Schriften, welche leicht zugänglich und ohne
Lehrer und gelehrten Apparat verständlich waren. Dies erklärt denn
auch, wesshalb sich die Schritten dieser Art ganz besonders ausser-
halb Bologna und Paris, vorzuglich aber in Deutschland finden.
Die Erörterung der folgenden Werke durfte den Beweis liefern, dass
diese Bemerkungen das Resultat der genauen Untersuchung der
Schriften selbst und der Betrachtung der Literatur jener Zeit sind.
In dem Charakter solcher Schriften liegt es, dass sieh der Verfasser
fast nie, eben so deren Alter nur aus zufalligen äusseren Um-
ständen, endlich der Ort der Entstehung regelmässig nur schwer
bestimmen lässt. Das möge zur Entschuldigung dienen, wenn die
Folge der zu besprechenden Werke eine willkürliche zu sein scheint»
I. Introductiones.
§. 1. Mit dem Decrete in der Art verbunden, dass sie dem
Texte der Pars I. und II vorangeht, findet sich eine Einleitung^
welche anfängt: „In prima parte agitur de justitia naturali etpositiva
tam constituta, quam inconstituta quae cui proponatur. De iure civili et.
ecciesiastico, quod cui praeponatur. De auctoritate etiam canonicarum
scripturarum conciliorum tam generalium quam provincialium**. Sie
bietet lediglich eine kurze Inhaltsangabe der Distinctionen, ist
ausfQhrlicher bei den Causae und Quaest., behandelt in der C. 33.
auch den tract. de poenitentia, findet sich aber gerade in alten Hand-
schriften, besonders des 12. Jahrhunderts, so dass sie ohne Zweifel
in die früheste Zeit hinaufreicht. Dies scheint mir anzudeuten, dass
man dem Vortrage, was auch an sich leicht begreiflich ist, eine kurze
Übersicht des Inhalts vorausschickte. Bedenkt man, dass ziemlich
früh die Zahl der Capitel abwich und dadurch die älteste Methode,
auch nach Zahlen zu citiren, der ausschliesslichen, mit den Anfangs-
worten zu citiren, Platz machte: so steigt die Bedeutung einer
Zor Geschichte der Liieiiitiir fiher dM Dekret Gratiant. IH. 25
solchen Einleitung, weil sie im Ganzen den Anhalt bot zum Auf-
soeben der Stellen. Zu dieser Erwigüng führt mich ganz besonders
der Umstand, dass alphabetische Verzeichnisse der einzelnen Capitel,
ja aufh Capitelverzeichnisse überhaupt in alten Handschriften des
Decrets oder auch selbststSndig nur sehr selten Torkommen i).
Ich habe diese Einleitung gefundenen:
Cod. membr. saec. XII auf XflL' des b5hm. Museums zu Prag
sign. I.B: 1., — Num. 34 der Stadtbibl. zu Grenoble; — A. 28.,
der Stadtbibl. zu Toulouse, — Num. »06., der Stadtbibl. zu Trier
fol. mbr. saec. XIII. In dieser Handschrift füllt die Einleitung, die
aber defeet ist und mit C. XXXIII. mitten im Satze Hufhört, 8 Blätter
mit je zwei Columnen zu je 53 Zeilen«)» — Fulda D. 24. mbr. fol.
saee. XIV. Maassen Beitrage S. 12 gibt 5 Mflnchnar Hand-
schriften an mit der Bemerkung, dass dieselben entweder gar keine
Glossen haben oder in denselben keine Uecretalen citirt werden. Die-
selbe ist weiter enthalten in Nuip. 191, 192. 454 sa^c. XIII. von *
Saint-Omer mit der Glossa ordinaria.
Den Charakter eines lohaltsver^eicfinisses trägt eine häufig in
Handschriften vorkommende, bisweilen Distinctiones decretorum ge-
nannte Übersicht, welche die einzelnen Distihctionen und Quästionen
als Rubriken hinstellt und dadurch in Form von Schlagworten den
Inhalt angibt. Sie beginnt meistens ; „Dist. pHma de jure divino et
hnmano, de jure naturali, gentiom et civili. D. II. de diversis
speeiebus legum saecularium. D. IT. de legum Institutionen. Obwohl
hie iihd da abweichend, finden sich solche Verzeichnisse im Ganzen
S0 gleichmässig und aligemeia in Handschriften vom XIL .lahnbundert
aa, dass ihr Ursprung aus dem XII.. Jahrh. kaum eiaem Zweifel unter*^
werfen sein kann.
Mit dem Texte- des Decrets verbunden ist es enthalten
z. B. in der Handachrift:
*Saint-Omer Num. 452* s. XIII.
Ohne den Text des Decrata enthält es die Handschrift :
I) Mir ui kUber noch kein solches aus dem XII. Julirhandert vorgekommen.
*) Uicse Haadsckrifl, welr.be die Glosse des Johnniies Teutontcus hat, ist
dadveh interessaot, dass sie im ApVirAte* begannt: 'Coneordia discordantium
casoaem iazta detennioationem Gratiaoi epUcopi.* Diese vod Kobertns de
M««t#€r*n. ad a. 1180(PertK Mon. Vlll. p. 430. 'tiratinaus eprscopus
Clnsieus*) nit^etheilte Angabe findet sieh sehr selten in Handi»ehHft«n. ■
26 T. Schulte
Tours num. 347 saec. XIV.
Berlin kön. Bibl. ms lat. 4<». Num. 192. s. XIV.
II. Summae metricae.
§. 2. Denselben Charakter der blossen Einleitung und allge-
meinsten Orientirung tragen an sieh die unter dem Namen Summae-
versificatae^ Veram deeretorum u. s. w. vorkommenden kurzen In-
haltsangaben. Sie geben zurück bis in die älteste Zeit und biete»
eine grosse Mannigfaltigkeit. Die Methode Avird sich . aus einigeR»
Beispielen ergeben.
a^ eine anfangend :
Prima, sequens leges distinguit, tertia canon
Quid, cur lex; quarta qualis quoque debeat esse.
Ipsa jejunat clerus thelefore tecum.
Quinta dat ecciesiam parienti tempore quovis.
Nee Tu|t in culpam parienti yertere poenam.
Handschrift: Cod. ms. lat. fol. 231 der Berliner kon..
Bilil. saec. XII. auf XIII. fol. 119* — 121*.
b) eine zweite anfangend:
I. dulce quod humanum jus divinumque yocatur;
II. hie jus humanum per singula membra notatur;
III. tertia quare sonat lex ecclesiastica canon ;
IV. ecce quarta sonat cur condita Jura fuerunt
Handschrift: Num. K66 saec. Xllf. zu Tours Stadtbibl.
e) In Handschriften vom XIV. Jahrhundert ab werden sie um-
fangreicher, und in einzelnen Formen zugleich allgemein verbreitet»
Dahin gebort eine anfangend:
Tres partes habet iste liber. Distinctio primae
Nomina dat parti, cum per centum sit et unam
Parliculas distincta docens divisio quae sit
Juris, quae species, actus quis canonis et quod
OiHcium cleri . . .
Handschriften:^ Prager Univers. I. B. 28. saec. XV.»)
*BibL zu Troyes num. 1470.
<) Vorher geht noch eine in meinen Präger Hendschr. 8. 27. ebgedr. Einleitung-.
— Die Summe fnllt 41 Blitter kl. fol. mit gegen 1800 Versen.
Zur Geschichte der Literatur uher das Dekret Gratlaat. III. 27
Die vor den Ausgaben abgedruckte setze icb als bekannt ror-
aas. Die älteren sind regelmassig nicbt in Handschriften des Decrets
enthalten» sondern bald in den sogenannten modus legendi bald mit
andern Summen verbunden^ wie in den zwei unter cj genannten
Handschriften.
d} Gegen den Ausgang des XU. Jahrhunderts wurden solche
metrische Summen nicht bloss auf Grund des Textes verfasst» sondern
unter Zugrundelegung einzelner Summen Ober das Decret Zugleich
nahmen sie den Charakter metrischer Compendien an und er-
streekten sich auch wohl nur auf einzelne Materien. Zu den interessan-
teren dieser Art gebort die Handschrift der kaiserlichen Hof-
bibliothek zu Wien Nr. 2221 in 4«. Sie enthält Yon fol. 4S*
fünfte Zeile bis S$^ vierte Zeile von einer Hand des XUI. Jahrhunderts
eine Tersificirte Darstellung des Eherechts auf Grund des
Deeretum Gratian^s Causa XXVH — XXXVI. mit der Rubrik:
MeduUa matrimoniu
und beginnt:
Ardua temptantes sub metrica iura medullam
Legitimi nexus rauca licet usque cicuta
Taxamus, et acriptis intentes huguitionis
Materiamque damus si forte quis inclitus ista
Altisono pompare stilo relit ac pede digno.
Nam labor iste rüdes cum sit rudis, imbuit aures.
Auf diese Einleitung folgt aus Gratian die Einleitung, ' Quidam
votuniL zur Causa XXVH. Gerade so steht vor jeder der folgenden
Causae die Einleitung Gratian's wörtlich. Neben dem Texte ist immer
die Zahl der Causae angegeben» regelmässig auch die der Quaestio.
Die Behandlung selbst ist ungleich, da bald eine längere, bald
kürzere Darstellung gegeben wird. Um die Methode zu kennzeichnen,
mögen einige Stellen folgen :
C. XXVH. Q. I.
Legislatores tradunt jurisque periti.
Hie distinguendum: mentem canonumque sciendum.
Quippe superficie qui discordare videntur.
Sed rationis ppe mediante reconciliantur.
Scilicet est simpIex, est quod solemne vocamus
Votum, diverse sortitum nomen ab actu.
28 V. S c h u 1 t e
Nam solemne solet de praesenti profiteri.
Ut promitto deo quod semper virgo manebo,
Ast de venture simplex Tult uaqiie Toveri.
Ut me victurum spondebo coelebe vita.
Quidam distiguunt aliter, simplex referentes.
Quod Sit in oceulto, vel non soiemniter. At noo.
Veti naturam celebratior adiuvat actus.
Nee premit occultus; ergo quodcunque iiquebit
Constans eeclesiae iuste solemne tenendum est.
Quae nisi de notis per se vel teste probatis
Judicat, arbitrio domini seereta relinquens.
Cum Votum simplex nee non solemne notetur,
Copula legitima per simplex non dirimetur.
Verum solemni voto quiennque tenetur.
Sortiri tbalamum nulla ratione tenetur.
Quem si de facto tentabit» eo spolietur.
Quisquis ob annexa voto venerandus habetur
Censura caiionum sub idem punctum revocetur.
• •,»•■
Est diversarum varius mos ecclesiarum ;
De vita cleri. Conceditur uxor haberi
Eoo sub sole sitis, ubi presbyter omnis
Lege maritali fruitur; secus esse probatur.
Orbe sub occiduo, quia coniugium sacer ordo
Impedit et dirimit, sed quiitbet inferior!
Ordine eontentus, si vult, valet esse maritus.
Talis at officium clerique stipendia perdet.
Si tamen annexum regimen teiiet ecclesiarum
Nee personatum nee babens curas animarum
De pietate licet, ut ab ecclesia toleretur
Victum percipere, si'cui fuit adtitulatus.
Über den Verfasser ist nichts zu entnehmen» eben so wenig
über den Ort der Abfassung. Vl^as die Zeit betrifft, so fallt die Ab-
fassung wohl bald nach Huguccio, jedenfalls vor 121S, weil die
Verwandtschaft bis zum 7. Grade als Ehehinderniss und drei Arten
der Affinität aufgezahlt werden. Zu C. XXXV. q. 8. wird dem Papste
das Recht, im 1. und 2. Grade zu dispensiren, abgesprochen, für die
fernereu aber ihm allein beigelegt.
Zar Geachichto der Ufctnitar fiker das Dekret Gmtiaiu. III. 20
Die Qu. III. C. XXXUL wird gleiebfalls in rier Zeilen behandelt,
so dass hieraus wiederum auf deren Vorhandensein bei Haguceio
zu schliessen ist.
e} Unmittelbar an dieses Stück scUie&st sich fol. 5S^ von der
5. Zeile bis 60 zu Ende eine versificirte Inhaltsangabe der
Causa L bis XXVL, welche nach der Art der Bearbeitung den-
selben Verfasser zu haben scheint. Sie beginnt:
Q. I. C. L Gratia virtutes miracula signa salutes
Cum gratis dentur nisi gratis non retinentur.
Ordo datus pretio, nisi non sciat, accipientes
Commaculat, stringitque scelus par distribuentes,
Eeclesiae iura pretio si quaeris habere
De faoto sed non de iure potes retinere.
III. Alphabetische Breviaria, Margaritae.
§. 3. Am Nächsten kommen der voi*hergehendeu Classe jene
Werke, die kurz den Inhalt des Decrets in. alphabetischer Folge an-
geben. Sie dienen damit sowohl zum Auffinden der Canones als auch
zum Nachschlagen und Orientiren über das Recht selbst, ersetzen
daher für den ersten Gebrauch scheinbar ein Compendium. Hierin
liegt der Grund ihrer grossen Verbreitung. Da mir jedoch weder in
Handschriften, die über das 13. Jahrhundert hinabgehen, noch bei
ikeren SchriftsteUern solche vorgekommen sind, schliesse ich sie
TOD dieser Darstellung aus. Dagegen glaube ich wenigstens darauf
hinweisen zu dürfen , dass es ihrer verschiedene gibt, worunter das
verbreitetste t) ist das des 1277 verstorbenen Dominikaners Mar*
tinnsPolonus (^Margarita*), tabula Mai*tiniana genannt. Alter
ist des Johannes de Deo tabula decreti. Ein ähnliches machte der
am 24. Juni 1349 zu Avignou verstorbene Cardinal Petrus Her-
traadus*). Verschiedene anonyme existiren handschriftlich, z. B.
eines, welches anfängt:
'Abba$ ordinat lectionem: LXIX. d. quanquavu Item non po-
test cogere monachum ad illicita: XI. q. ult. siquis et tres ibique
0 Stintxing. Populfire Gesch. S. 127 fg. fuhrt 19 SeparaUus^aben bis iS13
auf; es steht hinter dei neteiea glossirten Ausg. de« Decrets.
') iaiiugz 'a. est primu literu latioomoi et ca est ultia« litem graecoruin*.
Hauds«hr. Tours num. 599.
30 T. 8 eh« It 0
sequentes. Item non potest absque liceatia episcopi presbyterum
in parochta instituere: XVI. q. II. §. p*. et secundo.*
Handschrift: Berliner kön. Bibl. Cod. ms. )at. 4^ membr.
Num. 209. saec. XIV. auf XV. jedoch defect am Ende, er hört auf in
*puerieia.*
Ein ferneres enthält der Cod. mbr. s. XV. in 4^ Fol. 89—150'
der Wiener Hof bibl., anfangend:
'Abbatis electio . . . Abbas in monasterio non per episcopum . . .*
endigend mit *Z€his\
IV. Decretum abbreviatum» Excerpta decretorum.
Diese Classe von Schriften hat einen wesentlich verschiedenen
Charakter. Sie geben kurz den Inhalt des Decrets in der Folge der
Canones in doppelter Weise. Die einen legen das alleinige oder
Hauptgewicht auf die kurze Wiedergabe der Rechtssätze, ohne auf
die Angabe der Quelle zu achten, die andern halten sich in der näher
darzulegenden Weise aiv das Decret noch genauer. Letztere halte
ich für älter, wesshalb ich si^ zuerst behandle.
a. Unter ihnen durfte den ersten Platz hinsichtlich des Alters
einnehmen das Excerpt, welches unter dem Namen
Liber aureus decretorum concordatorum
in einer Pergamenthandschr. des XII. Jahrh, Nr. 88 (181) der
Stiftsbibliothek zu Gottweig fol. 1 — 22» enthalten und von mir
nach derselben in einer kleinen Festschrift <) besprochen worden
ist. Es schliesst sich genau an die Folge des Decrets und gibt eine
Zusammenstellung der auf den kürzesten Ausdruck reducirten Rechts-
sätze, wie solche theils schon in 6ratian*s Summarien enthalten
sind, (heils erst aus den Canones selbst abstrahirt werden müssen.
Für das hohe Alter zeugt der Umstand, dass nicht eine einzige Palea
berücksichtigt ist, dann keine Erwähnung von Distinctionen ge-
schieht, vielmehr die Pars I. als ein Stück erscheint, während die
Causae äusserlich geschieden werden. Die Pars III. wird nicht er-
wähnt, wohl weil sie keine decreta eoncordata enthält.
1) DecretlsUrum jariapradentiae •peeiiiien. E liliro Gotwicenai 88 (18t) saeculo XII
mmiutcripto edidit Job. Frid. Schulte. GiasN«. 1868.4. (Ferd. Walter sum
SOjfihr. Doctorjnbilfiun dedicirt) pa;. Vlll— XII.
Zur GeAchichte der Literetar fiber dM Dekret Gratiaos. III. 3 f
Ganz ähnlich ist das in der Handschrift der kön. Bibliothek zu
Bamberg P. ü. 29., mbr.» 4. saec. XII. enthaltene.
6. Jflnger jedoch noch ziemlich tief ins XII. Jahrhundert
tiineinreichend, ist ein dreimal so grosses Werk <), das in dem citirten
Gottweiger Codex fol. 25 — 95^ gleichfalls von einer Hand des XII.
Ja&rh. geschrieben steht und den Titel hat:
Exeerpta et Summa Canonum $ive deeretorum sieut
apostoliea sanxit auctoritas.
Ihm geht voraus die Vorrede von Ivo*s Decret und Pan-
normie 'Exceptiones evangelicarum vel ecclesiasticarum regn^
larum . . . neeessarium quaerere debeat,^ Die Arbeit hat die ge-
wöhnliche Eintheilung des Decrets vor Augen, verbindet aber damit
eine zweite (Dist.l— 20,21— 49,80— 80, 81—101), hebt die Causa
XXVI — XXXVI. als ein Ganzes hervor, benennt den tract. de poeni-
ientia als solchen nicht. In der Methode trifft es mit der vorher
beschriebenen Arbeit insofern überein, als die Quelle des Canon
(z. B. Ex conc. Carth., Isidorus, August, u. dgl.) regelmässig ange-
fahrt wird. Dagegen weicht die Methode von jener dadurch ab, dass
nicht bloss ganz kurze Rechtssätze angeführt, sondern einzelne Sum-
marien abgeschrieben, ganze Canones gegeben werden und durch-
gehends die Excerpte wirkliche mit den Worten der Canones ge-
machte, mithin auf deren genauem Studium beruhende Auszüge ent-
halten. Auch die Methode Gratian*s hinsichtlich der conlrarietate9
ond ihrer aoluiiones ist beachtet. Keine Palea» keine nacbgra-
tiauische Decretale, wohl aber ein von Gratian übersehener Canon
des Concils von 109S zu Piacenza wird citirt.
Diese Schrift liefert somit ein auf das Decret gestütztes
kurzes Lehrbuch des canonischen Rechts. Dies und den
wirklichen Gebrauch beweisen auch verschiedene am Rande stehende
Glossen, von denen ich einzelne veröffentlicht habe. Ohne Bedenken
glaube ich die Abfassung der Entstehung des Decrets ziemlich nahe
setzen zu dürfen. Ein äusseres Moment dafür bildet der Umstand»
dass die alte Handschrift eine Copie ist; innere sind die neben der
0 Vo« mW ia 4er «ngefukrt«» Schrill UeilweiM beknoat genwcht und aaft Genauette
bcMTbrirbcn pag. XUI-XVUI.
32 ▼. Schulta
gewöhnlichem hei^ehend« Eintheilung des Decrets^}, die Nichtbe-
rücksichtigung von Pateen« von denen eiazdne doch eitte Excerpt
terdienen, die Glosseii, welche aus den ältesten Summen geschöpft
zu sein scheinen» endlich die Originalität und Frische der Methode.
Seither hahe ieh. dies Werk noch !n einer zweiten Handsclnriflt
gefunden, nämlich dem Cod. membr. num. 2221 [IX. E. 30» früfier
Jur. can, N. CXIX. Olim 87], in 4^ saec. XIII. ex. der kais. Hof-
bibliothek-xu Wien. Derselbe ist uncweifelhlift ;eine Abschrift des
Götlweiger«),
Aus diesem Werke scheint gemacht zu sein das Excerptum
decreii, welches sich mit demselben Anfange in anderen Hand-
schritten findet, z. B. dem Cod, ms. lat. membr. in 4^ Num. 209,
der kon. Bibliothek zu Berlin fol. 9 — 69.
Über den Ort der Abfassung ist es unmöglich^ aus den
Handschriften für das eine wie das andere Excerpt eine Vermuthung
aufzustellen. Bedenlt man aber, dass die zu Bologna herrschende
Methode gänzlich abweicht, keine einzige jener Schriften, deren
bolognesischer Ursprung sich mit Gewissheit darthun lässt, auch nur
entfernt an die in diesen Excerpten befolgte erinnert, dass für
Bologna 9 ja für Italien überhaupt im Hinblicke auf die Leichtigkeit,
in Bologna zu studiren oder sich doch mit dem Inhalte des Decrets
bekannt zu machen, kein Bedürfniss zur Abfassung solcher Schriften
vorlag, so scheint der Schluss gerechtfertigt zu sein, die Abfassung
ausserhalb Bologna*s oder doch zum Behufe der Benutzung ausserhalb
Italiens anzunehmen. Ist dies aber gerechtfertigt» so dürfte es
« »
^) Diese erinnert «o «Im, wm bei den filUaten tiloyseloreii erwfihnt wird. Ver^l.
meinen i weiten Beitrug xtir Gesch. der Literatur fiber das Decret
Seite 27, Job. Farentinus in der Einleitung (Schulte Rechtshandschr.
S. 5S5).
*> G t* 3 n d e : Die Abweiehangen bomne» nur auf Rechnusg de« Abacbreibera ;
der Zusetft nach C* XXVi. und in D. 1. d« orasecr.« die Ein^nitviig aiu ho, die
J>(ebeneintheilung des Decret« findet «ich) die Glossen de« Gdttweiger «iiid am
Rande augeschriebea ; unmittelbar «uf daaselbe Talgt der im Götlweiger Codex
ebenfalls sich anschliessende tractatus de matrimonio mit derselben Rubrik de
impedimento matrimonÜ. Ich will indessen die Möglichkeit nicht be-
streiten, dass beide Ton einer dritten Abschrift sein können ; für diese Möglich-
keit liegt aber um »o weniger ein Anhaitapunkt vor, als sich sehr leicht erkMK,
daa« rnuM in einem öalerr. Ki«ster sieb Abachrifteo aus einen andern au rer-
schaffen suchte.
Zar Getchiebie der Literalnr fib«r <l«a Dekret Gretians. Hl. 33
Ti'dleiebt nicht gewagt sein, die Abfassung in Deutschlanil»
speeieU in Salzburg oder durch einen deutschen, beziehungs-
weise Salzburger Cleriker anzunehmen. Darin bestfirkt mich der
Umstand, dass beide Handschriften sich in Deutschland finden,
wahrend ich weder ausserhalb Deutschlands bisher eine gefunden
habe, noch auch in den zahlreichen gedruckten Katalogen auf ein^
5olcbe geatossen bin, dass die Summa Coloniensis, welche ich in dem
zweiten Beitrage beschrieben habe, unverkennbar einen ahnlichen
Zweck yerfolgt und, obwohl in der Methode abweichend, den Text
des Decrets zu ersetzen bemuht ist, dass unter Eberhard von
Salibupg die innigste Verbindung mit Rom und Italien statt fand,
dsss sich in einer froheren Salzburger Handschrift [Num. 1180 saec.
Xn. der Wiener Uofbibliothek] ein ähnliches Excerpt aus Lib. IV.
dist. 26 — 42. der Sententiae des Petrus Lombardus vorfindet,
das offenbar t) in oder für Salzburg gemacht worden ist. Endlich
durfte auch der Umstand dafür sprechen, daß aus gleichen Gründen
bald nach dem Erscheinen des Decrets in Frankreich ähnliche
Arbeiten gemacht wurden, welche sich zufallig auch in Deutschland
erhalten haben. Dies führt mich von selbst zur folgenden Schrift.
e. Eine dritte, kaum jüngere Arbeit ist enthalten, geschrieben von
einer Hand des XIIL Jahrhunderts, ip dem Cod. ms. membr. J. LXXIV.
in 8* des Prag er Metropoiitancapitels und danach von mir beschrie-
ben in der Abhandlung :
Über drei in Prager Handschriften enthaltene
Canonen- Sammlungen. Wien 1868 (Sitz. Ber. Bd. LVH.)
Seite B. 221 ff.
Auch diese ^Exceptiones decreiorum Gratiani
schliessen sich ganz an den Text, geben sehr viele dicta Gratian*s und
fuhren regelmässig die Quelle an, sind übrigens trotz dieser Ähnlichkeit
Ton den vorher beschriebenen durchaus verschieden. Aus den von mir
dargelegten Gründen ergibt sich, dass das Werk, welches zugleich
0 Griyde : in dem Titel de CondiHone (Petrnt Lombardns IV. 36.) ist
eise Akschrifl der vom P. H a d r i a n IV. an Erzb. Eberhard «rlaiaenen
Decretnie Inter servot (Jaff^ Regesta Pontificum nnm. 7068; Compil. I. c. 1.
de eenj. aenror. rv. 9., c. t. X. IV. 9.) aufjpenommen ; auf dieses Excerpt folgt
lamittelbar der sicher nicht in Italien entstandene, bisher nur aus deutschen
Handsefariflen bekannte traetatus de eaerilegiia, den ich in den Sitzber. LVII. Bd.
S. 182 ff. poblicirt habe.
34 ▼.Schölte
die einzige bisher erwiesene Benutzung der Ejceeptiones legum Ro-
manorum von Petrus enthält, nicht gar lange nach dem Erscheirien
des Decrets im södliehen Frankreich gemacht worden ist. Wir
haben in ihm somit einen interessanten Beleg für das Rechtsstudium
in Frankreich» der höchst wahrscheinlich einen nicht in Bologna ge-
bildeten Verfasser hat.
Vergleicht man die bisher behandelten ^xcerpte mit den in
den Nummern I. II. III. beschriebenen, so tritt die grosse Verschie^
denheit darin auf» dass die letzteren offenbar eben so gut entstehen
konnten, als das Decret längst allgemein verbreitet war, weil sie bloss
die allgemeinste GKersicht, insbesondere f Qr den Lernenden, bezwecken
oder Register sind. Thatsächlich gehören denn auch die meisten
Werke jener Art der Zeit von der zweiten Hälfte des XIII. Jahrh.
aufwärts an. Ganz anders steht es mit diesen Excerpta. Sie hatten
nur im XII. Jahrh. einen Sinn. Mir sind auch jüngere nicht vorge-
kommen, obgleich ich selbstverständlich deren Existenz nicht läugnen
kann. Ausser den drei genannten kenne ich noch ein viertes höchst in-
teressantes, dem ich eine ausführlichere Beschreibung widmen darf,
weil es bisher nirgends genannt ist.
d. Codex membran. ms, laU quart. Nr. 192 der königlichen
Bibliothek zu Berlin, 181 Qlätter mit je 2 Columnen auf der
Seite zu 34 Zeilen umfassend, von einer Hand des XIV.. Jahrhunderts
sehr schön geschrieben, mit rothen Initialen und Rubriken, mit Tinte
gezogenen Linien für die Zeilen und den Raum der Spalten. Der
Codex ist neu gebunden; über seine früheren Besitzer geht nichts
aus ihm hervor «).
Derselbe enthält eine Abbreviatio Decreti folgender Ge-
stalt. Auf eine also lautende Vorrede:
Terbum abbreviatum ait propheta faciet dominus super ter-
ram. Ineffabilis abbreviatio, qua immensum fit modicum, aeternum
transitorium, incircumscriptibile circumscriptum. Si sie pro capaci-
täte humana dominus breviavit unicum verbum suum, quanto magis
multiplicia verba brevianda sunt hominuro; gaudentque siquidem non
immerito brevitate modemi. Hie igitur liber decretorum est velut
breviarium quoddam, quod studiosius suscipiat lector diligenter et
ij Möchte doch die Unsitte, beim Umbinden von Hundtchriften das zu Tertilgen,
was dem Forscher so wertbToU ist, endlich aufhören !
Zur Geacbichte der Literatar Aber das Dekret Gratiant. III. 35
abliter desudatum, in quo quae minas necessaria ridebantur sie inve-
oiet resecata, at serratis, quantum lex breviandi patitur» partium, di-
tiDetionum, eausarum, quaestionum, capüulorum, paragraforum, sen-
tentiarum, Terboruni, iniegritate, ordine ac ienore. Si quid in aliquo
dabitarerit, q. ad fontem de rivulo recurrat ad ipsum autenticum eon-
solendum. Huius enim Yoluminis corpus unum quasi quodam trinitatis
Testigio in tres partes : distinctionum seil., causarum, consecrationis,
considera distributum. In quo de ofßciis» de negotiis, de saeramentis
eeciesiasticis sufBciens ex dictis maiorum eapere valeas documentum.
Singulae vero partes sectione trifaria distinguuntur. Prima namque
pars praedietarum constitutionibus t ordinationibus , executionibus
immoratur. In constitutionibus juris peritiat in ordinationibus potestas
legitima, in executionibus administratio canonica continetur. Secunda
pars aceusationum, actionum, obligationum ecclesiasticarum continet
diseiplinam. In aecusationibus ordo iuditiorum, in actionibus regula
gerendonun, in obligationibus describitur copula nuptiarum. Pars ter-
tia sanctificationem prosequitur rerum, temporum, personarum. In
rebus locorum et hostiarum consecratio, in temporibus feriarum ieiu-
oiorumque observatio, in personis animarum per sacramentum et me«
ritum purificatio declaratur. Consummati vero deo gloria, actori meri-
tum, utilitas sit lectori'
folgt von Spalte 2 fol. 1. bis foi. 6* das oben besprochene In-
baltsTcrseichniss über das ganze Decret, welches jeder Distinc-
tion nnd QuSstion ehie eigene Rubrik gibt, z. B. Dist. prifna de
iure divino et humano, de jure naturali gencium et civili. D. II. de
diversis speciebus legum secularium. D. III. de divisione juris
canonici, de officio legum. D. lY. de legum institutione. D. V. deimmu-
tabilitate iuris naturalis et divin. Pars I. umfasst die Blatter 6 bis
42* Pars II. die fol. 42% bis 189\ darin der tract. de poen. von
144* bis 153*; Pars III. von 159"^ bis 174* 1. Spalte.
Vor jeder Distinction und Quästion steht die Rubrik mit rothen
Buchstaben, so wie die Zahl, welche ebenso stets am obern Rande (in
P. I. links d. rechts die Zahl; P. IL links r., rechts die Zahl; tract.
de poen. links de rechts pe. ; P. III. links de^ rechts con.) ausgedruckt
wird.
Die Excerpte umfassen ziemlich alle Kapitel, sdiliessen sich an
deren Worte an, geben stets das Anfangs- meist auch das Scfaluss-
vort, gewöhnlich auch den Namen seines Autors, jedoch durchweg
36 ▼• Schulte
ohne den Ort, wo das Capitel steht oder den Namen des Adressaten
bei Briefen.
Von den in der Richter*schen Ausgabe des Decrets als Palae
bezeichneten Capiteln sind nur folgende aufgenommen :
Pars L: c. 2. D. 6. — c.1. D. 9— c. 17. D. 32. — c. 8. D.
34. — c. ß. 6. 7. D. 35. — c. 7. D. 42. — c. 23. D. ÖO. — e. 12.
13. 14. D. 96.
Pars IL: c. 8. 9. C. IL q. 1. — c. 6. C. V. q, 6. — c. 31. C.
XIL q. 2. — c. 33. C. XXIL q. 8. -- c. 1. 2. 3. C. XXIIL q. 8. -
c. 38. C. XXVIL q. 1.
somit nur ein und zwanzig Stellen.
Gegenfiber dem späteren Texte kommen mehrfache Abwei-
chungen vor. So ist in Causa IL die qu. IV. bei Richter hier q. V.
Was bei Richter als q. IV. steht» ist hier als V. bezeichnet. — In
C. HL q. 9. e. 6. steht das bei Richter und sonst befindliche, c. 4.
€. IIL q. 3» welches eine Palea ist:
*Item Damasus papa. Induciae accusatis in criminalibus causis,
episcopis VI. mensium vel eo amplius» si necesse fuerit:
concedende sunt'
In C. VL q. 4. steht anstatt der Palea si meirop. der Richter*
sehen Ausgabe folg. Kapitel :
'Ex concilio Meld. Canonum statuta sine praeiudicio ab
omnibus custodiantur et nemo in accusationibus vel iu
iudiciis ecciesiasticis suo sensu sed eorum auctoritate du-
catur.
das im Dekret nicht Torkommt, aber aus Burchard oder Ito in
Comp. Lei. de const. übergegangen ist. — c. 2. C. VL q. 8. fSngt
an acior, nicht accuaaior. — In C. XVL ist die q. 6. bei Richter
hier q. 8., qu. 7. R. hier 6. — In C. XXIV. q. 3. steht c. 39. in
tabellarischer Form» und hat 68 Nummern.
Wo das InhaltsTerzeichniss mehrere Rubriken für eine Distinc-
tion oder Quästion hat ist dieselbe stets getheilt, so dass durch die
ausgeschriebenen Rubriken neue Abschnitte gemacht werden.
Nicht blos die Capitel sind aufgenommen» sondern auch die
wichtigeren Dicta Gratiani, sofern sie nämlich nicht blosse Über-
gSuge bilden, übrigens enthält das Werk keinerlei eigne theoretische
Erörterungen.
Zar Geschichte der Literatur fiher das Decret Gratiani. III. 37
Von fot. 174* fünfte Zeile bis zu Ende steht ein anderes
Inhaltsverzeichniss des Decrets, das offenbar als Register
über das grossere dienen soll.
Aus den früher dargelegten Gründen» sodann aus der geringen
Zahl der Paleae halte ich für höchst wahrseheinlieh, dass diese Arbeit
dem Ende des 12. Jahrb. angehört, jedenfalls vor die Glosse des
Johannes Teutonicus fällt.
Dem Anfange nach zu urtheilen scheint dies Werk auch, jedoch
unvollständig der *Cod. 737 fol. 18-^82 zu enthalten (Tabulae I.
pag. 123}. Ich habe den Gegenstand nicht für wichtig genug gehalten»
um mir die Handschrift zu erbitten.
Zweites Oapitel.
Die QuaestJones» Casus, Tractatus.
§ 1. Wie für das Civilrecht i) früh Sammlungen ron jenen Reehts-
ßllen angelegt wurden, über die man Disputati ones abhielt: so
lag offenbar auch für das canonische Recht die gleiche Veranlassung
aus gleichen Gründen vor. Ja das Decret selbst, dessen zweiter Theil
in einer Verarbeitung von Causae besteht, • musste unmittelbar darauf
fahren, weil sich kaum eine bessere Art, dasselbe für das praktische
Reehtsleben fruchtbar zu machen, denken Ifisst, als durch Anknöpfen
an unmittelbar dem Leben entnommene Fälle. Den Beweis dafür,
dass in der ersten Zeit nach Entstehung des Decrets dieser Zweig
zo Bologna gepflegt wurde, liefert eine zum Theil uns erhaltene
Sammlung von Quastionen«).
Sie steht in dem im ersten Beitrage S. 7 beschriebenen
Cod. ms. \r. 62. jur. der Stuttgarter kon. Handbibliothek fol. 57
M Verfl. T. Savi^ny V. S. Z58 ff.
') la dem Cod. P. II. 18. inbr. fol. der k5n. Bibliothek zu Bamberg steht auf
des 11 letzten Blättern eine Sammlung Ton Themata (zusammen 268) zu
Diapotatioaen ohne Lösung und Bearbeitung, die zwar sehr interessant sind, aber
deeb als blosse Aufgaben niebi weiter an dieser Stelle beriicksicbtigt zu werden
SItsb. d. pbil.-kist. Cl. LIV. Bd. I. Hft.
38 V. S c h u 1 t •
(nach der Summe des Rolandus zur P. II.) bis 70, 118—123, uiul
enthält im Ganzen 30, ist aber unvollständig, indem sie mit der Seite
mitten im Satze abbricht.
Um in die Art der Behandlung einen vollkommenen Einblick zu
ermöglichen, theile ich die folgenden 5 ganz mit
I. Quidam iuvenis nobilem quandam nrii/t^'^mGliuinexaliomatri-
monio habentem in matrimonio sibi coliocavit. Qua moriua aliam sibi
propter corporis incontinentiam in uxorem duxit, post aliquantulum
vero temporis humanae sorti exemtus eius privignus superstes muli-
erem, quam praefatus vitricus in coniugium duxerat atque septennio
carnali copula pro velle cognoverat, post eius obitum in m. clanculo
habere voluit. Quo comperto ecclesia eos penitus absque mora sepa-
ravit. Demum adolescens antedictus suam complexionem apud se
eonsiderans, ne corporis sui laesioi^em pro praedicta complexionis
observantia incurreret, quam absconse sibi desponsavit, nee non ipsani
voluntarie se allegat cognovisse. Transacto temporis aliquo intervallo,
quis habens filiam unicam iuvenem saepedictum lautam ad coenam
et delicatam in noctis crapusculo illum inVitat. Quod dum in mensae
refectione cibariis ac potibus diversis foret alteratus , ipsum coepit
commonere, quatenus suam filiam pulchritudine nimia decoratam in
uxorem duceret. Cuius verbis acquiescens ipsam statim desponsavit
atque in eadem nocte patre volente nee non ipsa consentiente asserit
se cognovisse. Audito hoc antecedens, quam sibi latenter desponsa-
verat,^ patri suo intimare placuit, ut ab illo m. studeret revocare. In
hoc autem themate Q. t. [quaestiones tres] videutur posse forinari.
Quaeritur I. utrum privignus uxorem vitrici post eius obitum m
ni. de iure possit accipere? S. q. est, an secundam, quam clanculo
desponsavit et carnali copula cognovit in coniugium habere deheat?
T. q. est. an assertioni duorum sit credendum?
§. In I. Q. de facili probare possumus, quod privignus mulierem
a vitrico cognitam in uxorem habere valeat. Nam fuit ibi consoiisus,
pactio coniugalis, idoneitas personarum, votum minime ibi exstitit
nee dissimilitudo fidei, nee error personae. Et sie de caeteris. Ergo
constat, quod eam habere potuit. Item alia ratione probari potest.
Iiiter matrem et filiam vel filium non est primum genus atBnitatis, et
hoc proho in coutinenti. J^imum enim genus afjfinitatia constittut
vir cum cousanguinitate tucoris suae^ et e converso» Sic ad commo-
duni causae tuae de secuudo genere affinitatis et ex transverso retor-
Zur Geftcbichttt der Liientur über das Dekret Gratians. III. 3tf
ffuere potes, ubi [I. utij reperiri polest in summa maqisiri rolandi <),
iibi tnictat de tribus geiieribas afBiiitatis.
^. Adüocati capitulis obiectia respondeant. Quo facto inducant
ilta, qoibus parteiii suam corroborare valeant. Causa XXXV. Q. III. et
Jioe quoque siatuium [e. 12. q. II. et III.] Causa XXXII. Q. VII. Siquis
tUimm [c. 20]. Siquis cum noverca aua [c. 24]. Adhuc ratione pro-
bari ptitest, quod nnn potuit privignus illam in m. accipere. Persona
addita per earfialem commixtionem mtUat genus in afjinitaie et
non gradum» addita vero per camalem propagationem mutat gra-
dum et non genus s). Et ita videtur sufBcientei* probatum, quia inter
illos probatur fore II. geiius affiriitatis, invicem iion posse copulari.
^. Diximus in I. Q. quod inter vitricum et privignum sit affinitatis
iL genus et invicem sibi attineat in primo gradu. Quod probari potest
^eereto Fabiani C. e. Q. HI. Ne propinquis [C. 3. C. 35. q. 2.
et 3]. In IL Q. diximus, quod iste praefatus illam, quam claiiculo sibi
despousavit, iion debeat de iure habere. Quod de faciii probari potest
auetoritatibus et rationibus. Id quod factum est in II. coniugio latenter,
exeeptis illis duobus, est ignotum eeclesiae, nee, quod ipsi asserunt,
potest probari testibus aliquibus. Constat ergo, quod illam secundam
Mcundum eeelesiae consilium nulla ratione valeat habere. Sed ista
u\or tertia, quam desponsavit in domo paterna, securam reddit eccte-
siani, onde nullatenus titubare potest. Auctoritate id videtur posse
probari Ca. XXX. Q. IUI. Incerta [est in dicto Grat. ad. c. 9. C. XXX.
q. V.] Ca. VI. Q. III. PUieuil [c. 4.], Ca. XVI. Q. t. Dilectio tua.
[c. 7. q. 3.].
§. Pars adversa soliio more ad commodum suae causae prae-
(iicta capitula determinare studeat. Quo facto sua quasi propria indu-
eat, qnibus partem suam defensare valeat: Ca. XV. Q. I. Inebria-
veruiä Loih, Non est qitod cuique [c. 9. 10.]. Ratione, videtur posse
probari. lii noctis crapusculo antedictus homo ad coenam eura frau-
*) Strom» liolandi AffiniUtis genem i. t. manerie tria wae dicun-
tar e. Frimom geaoa aflinttatia vir cum uzoria suae consangutneis
eooatitait et e converso. Secundam rero g-enua äff. est inter vJrum et uxurein coti-
aaBgvineorum cet.
^) Strom« Rolandi C. XXXV. q. 2. Ut antem faciliiis valeas praedirt» coni-
prekendere, aeqneatem regulam menti tiiae infige: Persona addita personae per
caroal«» eommiztionem mutat genna et non gradum in affinitate, addita vero per
propsfationem mutat graduin et non genni.'
4»
40 V. S c h u I t e
dulenter invitavit. Cui copulato post coenam expletam filiam suam
desponsavit et in ipsa nocte cius persuasione iuvenis dicitur eam
cognovisse.
Solutio Q. II. talis dicitur esse. Secundum m., quo puellam ipse
adolescens, patre, matre^ caeterisque amieis ignorantibus, sibi occuite
desponsayit, est ignotum ecclesiae, tertium vero oinnino manirestum.
Unde conjicirous» quod ecciesia uxorem tertiam beiie cognitam ei
concedere debeat, quia de oecultis iudieare non potest ecciesia. Quod
potest probari cap. Aug. Ca. XL Q. III. Quamvis verafuit [c. 75.]»
Tarnen dicit Petrus Baiolardus *), quod secundam potius debcat
habere quam tertiam, quandocunque ultimam cognoscit ei reddendo
debitum eius conseientia ipsum habet remordere nee non criminale com-
mitti peccatum. Constat ergo secundum magistri p. sententiam, quod
non debet debitum tertiae reddere sed secundae. Magister ergo
Hugo*) beatae recordationis videtur incontrarium allegare, videlicet
quod debitum tertiae reddat et non secundae. Dicit, illumposse excu-
sari per ecclesiae obedientiam. Quod videtur in simili capitulo Greg,
satis allegari Ca. XI. Q. HI. c. I. Non tamen reddat debitum oxori
tertiae non exactus.
II. Quidam sua tradidit canonicae regulari et induit se habitu
regulari, nee tamen expressit se ibi velle permanere, nee votnm
praestitit Mansit ibi per annum et mensem , postea vero claustrum
exivit et quandam sibi desponsavit coram uno viro honesto, aliis
duobus trans parietem extantibus, et, qualiter se pactione coniugali
obligaverunt, audientibus.
Ilic tria quaeruntur. Quorum primum est, an liceat illi mona-
sterium exire et nuptias contrahere?
Quod liceat contrahere ei m. exinde probatur, quia non praestitit
Votum. Unde et licet ei m. contrahere iuxta illud Nubendi licentia
Ca. XXVII. Q. I. [c. 20.]. Etiamsi votum praestitit et m. contraxit,.
dissolvendum non est m. iuxta iWviA Nos novimus etc. Ca. XVII. Q. II.
[c. 2.]. Ergo cum iste votum non praestitit, ex quo m. contraxit
multo m. matrimonium dissolvendum est. Item praeter formam ec-
i)P«tri Lombard! Sent. Lib. IV. diät. XXVU. Über die Sanction dieser
Ansicht siehe den ersteu Beitrag Seite 20.
>) H u g o de S. Victore de sacrAmeatis L. I. C 30 sqq. (edit. Venet. 158S>
fol. ni. fei. 163).
Zur Gescbichte der Literatur über A»» Dekret Gratinns. Ilf. 41
«lesiae babitum suscepit. Napn institutum est, ut, qui voluerit proposi-
toffi monaehale suscipere prius sit [in] probatione in ipso monasterio
per annum et postea qaaesito, an voluerit ibi manere, detur ei habitus
si voluerit, iuxta illud Monasteriü etc. Ca. XVIII. Q. (II. [e. 6.
C. XIX. q. 3.]. Hoc, cum contra canones factum sit, per canones dis-
5olvi tenetur iuxta illud Consaldua Ca. XVII. Q. II. [c. 1]. Quod pro-
batur a simili. Forma statuta est faciendi testamenti, et si test. factum
fuerit citra formam, nulius aliquid poterit petere ex illo test. Item si
sola süsceptio vestium astringit aliquem voto, cum multi clerici sola
bonestate sua utantur vestibus regularium, eo solo erunt tarn regu-
Jare$. Si item locum obiiciunt multi intrant monasterium bac de causa,
ut peragant ibi poenitentiam. Erubescunt enim poenitere in praesentia
omniom, qui in secreto enormiter deliqueruut nee tamen habeutur
monachi. Si diuturnam observationem obiiciunt cum taliter poeniten-
tes quandoque in claustro multo tempore maneant, iam eo solo erunt
monaehi, quod absit.
Nunc e contrario respondetur, quod tenetur quis voto solemni,
tenetur et voto annexo. Hie autem, etsi non teneatur voto solemni,
tarnen tenetur annexo, quare non potuit contrabere m. et si eontrax*
erit dirimendum est iuxta illud üt lea: coniinenüae et illud de viduis
Viduas Ca. XXVII. Q. I. et illud de subdiacono Diaconus di. XXVI.
et illud de illis, qui voluntarie semel suscipiunt babitum Proclim$
€. XX. Q. UI. illud etiam de voluntarie babitum sumentibus Proposi-
inm C. e. Q. e. [c. 1. C. XX. q. 3.]. Quod allegatum est de illo, qui
uarigaverat ad m., ille voluntatem suam ostenderat non tamen eam
ad effeetum perduxerat et pro uuda voluntate neminem sacri canones
astriugunt. Quod autem dictum est de forma recipiendi aliquos in
monasterio, dicimus, quod forma illa adhibenda est cum sunt ignoti,
quj cuptunt iutrare monasterium. Probatur etiam lege ftrt, quod iste
o. eantrahere non potest. Nam, ut dicit lex in aatentieis ingressi
m^nasierium , ipso ingressu se et sua deo dedieant. Cum ergo iste
If^ressas sit monasterium se deo dedicavit nee ultra licet ei ro. contra-
bere. Etiam quisquis eorum alterum vendit, sine quo nee alterum
pruvenit, neutrum invenditum delinquit ut Ca.L Q. III. Si quis [c. 2.].
A simili et iste, ex quo suscepit, qüod nuuquam sine voto suscipi*
«»dum est, perinde habetur ac si votum fecisset.
§. Soluiio in evidentu Ex quo enim quis se et sua dedit mona-
sterio, si babitum suscepit, licet votum non fecerit, tenetur voto au-»
42 ▼. S e h • I I c
neio, nee de fetero potest eontrabere m.. et si cootnihat dissol*
retiir. Si vero hae de eaasa, ut ibi peraigat poenitenttam, moDasteriiinr
intraviU Heet reeipiat Testes oon tarnen tenelar roto anneio. Qtiod
vero dieitiir, qaod priiis debeant esse ia probatioae, de boc notandum
est, qaod qnidani debent esse in probatione per triennium, alii Tero
per annoni, qood ob eansam necessitatis statatom est Certani ex ipsis
deeretis babetnr, qaia qnidam erant prorsus ignoti, qui volebant in-
trare monasteriam , quorom etiam conditio ignorabator. Ne postea
dominis petentibiis eos extraherentar a nnonasterio, ideo in^titatnm
est, ut hi tales essent in probatione per trieniiium iuita iliiid »SV ser-
VMS di. Lllli. [e. 20]. Sed qnia sunt alii, quorum conditio scitur, mores-
autem ignorantur, ipsi etiam nesciunt gravia praecepta regiilaris dis»
eiplinae, ideo statulum est a sanctis patribns, ut hi tales essent in
probatione per annum iuxta illud momuterÜM Ca. XXilll. Q. lli.»
[e. 6. C. XiX. q. 3.]. Et quod propter necessitatem statutum est, ea
cessante pariter debet cessare, quod urgebat Cum aliquis est, euius.
conditiii scitnr libera et mores eius approbati sunt bonesti et noti, et
ipse bene norit praecepta monachalis regulae, si petat statim silii
dari habitum, bene potest sibi dari, quod etiam qnandoque 6t et
ioste.
§. Secundo qnaeritur, an standum sit tesfimonio huius, qai
praesens audivit contraetum m. et horum duorum, qui trans parietent
positi illud contraetum andieront? Iste solus, qui praesens fuit, non
sufficit ad ferendum testimonium, quin unius tox tox nullius, alii vero^
duo super boc testi6cari non possunt iuxta illud Rdatum est Ca. V»
Q. IL [c. 3.] et illud Testes Ca. Hl. Q. X. [c. 15. q. 9.]. E contraria
respondetur, quod auctoritates illae intelligendae sunt in criminali
negotio, in quo domestici remoTontur a testimonio, sed in civili minime
ioxta \\\fi^ Super prudentia C XIIII. Q. IL [c. 1.]. In conficiendi»
instrumentis saecularium sacerdotes testi6cari non debent, si tamei»
fortuitn easu venerint et instrumentis canficiendis astiterint, si noD
sint aliqoi, per quos rei veritas declaretur, ipsi dicere debeiiL quod
astantes audierunt iuxta illud Qüanquam Ca. XIIII. Q. IL [c. 2.]. A
simili ergo et hie, ex quo non assunt alii, per quos rei veritas deela«*
retur, ilii, qui audierunt trans parietem, recipieudi sunt, ut per eo»
veritas facti declaretur, maxime cum sit alias testis, qui praesens af-
fuit facto. Item haec causa matrimonii est et in causa matrimonü
maxime iHi, per quos rei veritas clareat, recipiendi sunt Unde et ia
Zar Geschichte der Litcntar Aber dut Dekret Gmtiant. III. 43
causa consanguinitatis illi assumuntur ad testioiODium , qui melius
norant parentelam. Sed huic sie respondetur. Hi recipiuntur ad dis»
solTendum matrimoDium inter consaoguineos, non ad contraetom m.
probandiim. §. Ad hoc RoL, quod in erioiinali negotio soli testes sunt,
qui praesentes facto affuerunt, in aliis vero negotiis etiam «x auditu
testimoniom ferre possunt. Qui quandoqtie oportet, ut sint rogati ad
hoc» ut audiant, ut in testamento, et quando quis testificari debet,
aliqoem affinnasse, pecuniam sibi solutam. In bis autem contractibus,
quorum substantia ex soKs Terbis subsistit, ut in Stipulationen etiam
ilH, qui non fuerint rogati, ut audirent, ex auditu possont ferre testi-
oionium. In bis autem contractibus, quorum substantia non subsistit ex
soKs verbis, immo ex ipsius rei exsecutione, ex auditu nuUus ferre
potest testimonium, nisi fuit vocatus ad hoc, ut audiat. Contractus
m. non subsistit ex solis verbis, immo ex rei exsecutione. Solus enim
eoosensus per verba etiam de praesenti expressus m. non facit, nisi
subsequatur subarrhatio annuli vel iurisiurandi religio vel carnalis
eopala. Si quaeras sl Molando, utrum aliqua obligatio fiat bis solis
▼erbiA, dicit, quod nulla bis solis verbis fit obligatio , sed fit solum-
iDodo qnaedam voluntatis reseratio. Dicit quoque, quod non est
standnm assertioni horum trium tanquam testium, sed tarnen, quia
onus eorum praesenter affuit et alii sunt non testes, sed adminicula
probationis, praesumptio est, cui standum est, donec probetur contra-
lium. Si auiem cantrariwn probari non poierit, deferendum est
iummenium alieri partium.
§. Tertio quaeritur, utrum pactio coniugalis faeiat m. Quod
Tidetur iaxta ilind Cnmimtiaiftr, Caniuges CaXXVII. Q. I. [c. 5. 6. C. 27.
q. 2.]. ^. Sed e contra probatur, auctoritate Aug, dicentis Consengus.
Hoc tarnen deeretum non est in corpore deeretorum^,)
f. Ad boe RoL*) quod pactio coniugalis sola non focit m. Namsiego
dixero alicui: 'ego aecipiam in uxorem' nex sequatur sacramentum
nee aliquid aliud, non teneor illam accipere, Si affuerit pactio coniu-
galis cum consensu per verhia praesentis temporis expresso et affuerit
*) Gemeint iit aogenscheinlicb die Stelle in c. 3. C. XXVII. q. 2. Nucli der Ausse-
mnif des Textes moM dieselbe zum Dictum Grat, gehörig (^rechnet werden. Dies
bietet sber zof^leich einen interessenten Beleg für die Anflassung des Decrets in
der entM Zeil.
<) VcrgL Strom R o I a n dl ad C. XXX. q. S.
44 ir. Schalte
iaramenti religio Tel sobarrhatio annuli Tel carnalis copula, noa pote-
runt de caetero separari, nisi causa religionis. Si autem aliquis eorum
ad aiterios nuptias eonToIaTerit, reseiendum [1. rescindendainj est se-
cundum in. et primum tenendum. —
UI. Episeopu» Maniuanus Tillam babebat, cuius populns ^on
habens idoneam sibi eeciesiam ad Tillam JHutineim$ se transtulit ibi-
que per XL. annos divina officia percepit. Tandem presbyter villae
Mantuanae in proprio praedio ecelesiam fundavit, ad quam ecelesiam
populum revocarit Probibitns tamen a Mutinensi, qui asserebat, se
praescripsisse conventum. Praedictus autem presbyter muneris annui
statutione episeopum Mantuanum ecelesiam a se fundatam consecrare
fecit. Processu Tero temporis se et ecelesiam monasterio contulit.
Hie primum quaeritur: an ep. Mntin. praescriptione XL. annorum
conventum potuerit Tendicare?
Quod conTentus non possit praeseribi probatur auetoritate Toi.
concilii Sicui dioec. etc. C. XVl. Q. 111. §. Sed e contra probatur
auetoritate Gelasii pp. dicentis FacuUaies eccL etc. Ca. XIII. Q. 11.
§. Ad boc Hol, quod conventus potest praeseribi XL. annis*). Sed
notandum, quod quandoque quis possidet territorium et non conven*
tum, est tunc» quantocunque tempore quis possideal territorium con*
Tcntum praeseribere non potest. Territorium >) est eolleciio agrorum^
conventus est iu» Aap^t!sa9M^t\fuiierandi[apud RoL tumulandi], prae^
dicandi est disponendi populo spirituaiia , Tel maiorem partem
horum. Quandoque quis possidet territorium ita, quod et conventum,
et tunc praeseribendo territorium praescribit et conTentom. Quando-
que possidet conTentum ita quod non territorium, et tunc non minus
potest praeseribere conTcntum. Quod ergo dicitur Sicui dioee^t tunc
intelligitur, quando praescribitur territorium possessione ita, quod
non simol possidetur conTentus.
Secundo loeo quaeritur, an dedicatio pactione annui muneris
reddendi facta sit simoniaca? Quod sit sym. probatur auct illa: 'Con-
seeratio quae pactione fit potius execratio dici debet' C. 1. Q. Oll. c.
electio. §. Sed approbatur auct Gelasii dicentis Eleutherius
Ca XVlll. Q. IIL §. Ad boc BoL^ quod quandoque in consecratione
V So Rolaadi Stroma i« C. XVl. ^. Hl.
>) Dieser Satz Ut a«s R o I a n d i S t r • m a C. XVl. ^. 3.. die cwaiT fWniekten
Worte sind «■ mittelbar entnomoiea.
zur Geschichte der Literatur fiber dai Dekret Gratians. III. 45
paeiseontar iila, quae pacisci debent, et tuDC non est sj^monia, quando-
que paciseantur, quae non debent, vel plus quam debent, et tune est
STfflooia. Sym. enira trino munere committitur» ut cautum est in eanoni-
bos, seil, munere a manu, munere a lingua, munere ab obsequio, et
ut dicitor munus ab obsequio est C. L Q. (. e. Sicut nonnullh
»erviitt^ indebUe impenaa [c. 114]. Unde datur intelligi, quod
senritus debite impensa non est sym. auct. GeUmi seil. Eleutheritts
efe. Sic respondet: dicit, quod in potestate episeopi debent esse tres
partes oblationis, ut Ca XII. Q. II. c. Concessa, una sibi propria, altera
fabrieae reficiendae, tertia pauperum. Et ibi non plus stafutum est
fuodatione dari episcopo, quam debent.
^. Tertio loco quaeritur, an licuerit fundatori ecelesiam eonse-
cratam monasterio dare inconsulto episcopo? Quod licuerit, probatur
auet Greg. Quoniam quicquid etc. Ca. XVI. Q. I. [c. 68.]. §. Sed e
contra probatur auctoritate Bonifadi Si quü vuli etc. Ca. XVI. ().
alt e. aniepenult %. Ad hoc Rol. quod, ex quo quis accipit lapidem
benedictum ab episcopo ipsius dioecesis et fundat ecelesiam, haec
solo teneiur ab eodem fundari episcopo, ita quod non poterit ab alio
eonseerari nisi eo mortuo a suo successorie. Et antequam coiisecretiir
ecelesia inconsulto episcopo potest eam dare monasterio, sed ex quo
eoDsecrata est, alteri eam dare non potest. nisi consilio episeopi.
§. Sed probatur, quod nil ibi habeat fundator praeter processienis
aditum auct. Gelasii Frigerius etc. C. XVI. Q. IUI. §. Sed e contra
probatur ex Romana synodo Mona9terium etc. ^. Ad hoc RoL quod
eomro, qui faciunt eonseerari ecdesias a sc fundatas alii in consecra-
tione renuntiant omni iure suo et hi nihil habent praeter processionis
aditum, alii vero non renuntiant et herum assensus adhiberi debet in
institutione presbyterorum ecciesiarum a sc tactarum <).
IV. Quidam canonici cuiusdam eeclesiae in quadam capella cen-
sQm annuum faabebant. Mortuo capellano illius capellae alius ei sub-
stitutua est, qui diffitetur, statutum censum se debere canonicis.
CanoDici ergo vocant cum in ius coram episcopo. Epc. utraque parte
aadita adiudicat censum annuum canonicis, tali tarnen conditione,
seil, si infra annum et mensem probaverint, se iuste possidi^re. Can.
▼ero Statute tempore probationem nou adhibent.
<) aolaedae ad C. XVI. q. 7. Das Citat ist jedoch oicht (pana (^ena«. Ffir die Ge-
■ehichte der Baiwickluni; des Patronatsrechts ititeressaot.
46 ▼. S e k • I t •
§. Hic primum quaer., an Can. eogantor probare titalom suae
possessionis. Quod mm eogantur habetur in lege. §^ Sed quod
eogantor, probatur illo decreto Si gmie de elerieU etc. [e. 33.
40.] Item aoct Gelaeii DUeetio tva Ca. XVL Q. UL [c. 7.]. Item
auet. Greg. VolumuSp Aceedentem Ca. e. Q. IUI. [c. 2.]. Item Gela-
sius» Quiaresin liiigio XI. Ca. Q. I. [c. 50.] §. Ad bo^. Mol.
qaod nullus cogitur probare titulum suae possessionis nisi qoi possidet
pro berede Tel pro possesore et at generaliter dieatur, nullus probare
cogitur titulum suae possessionis» nisi excipiens. Verbi gratia : fratres
habeo» Tolunt meeum venire adaequale participium; excipio, patrem
mihi praeeipue aKquid pro hereditate reliquisse, teneor probare titulum
possessionis meae. Sed dicit Gelasiu» XI. Ca. Q. L e. uli, Quisquis
pufai qui perjriam annpeiere veridieo puhei examine. - Ergo cum
canonici putent, se iusto titulo possedisse, tenentur probare, sc iusto
titulo possedisse. §. Ad hoc RoL quod, ubi manifesta est possessio,
putans sibi competere, probare non debet, ubi vero putat nee est
manifestum, si actor est, tenetur probare.
Secunda qu. est, an sententia lata sub conditione teneat? Quod
non eil senteniiny lex proeiamai. Quod stare debet in acut sua pro-
batur ea ratione, quia ab ea appellandum est. ünde forma etc.
Ca. II. Q. VI. §• Ad hoc Hol, quod conditio quandoque adiungitur
facto, ut si apostolicus scripsisset alicui : toIo te condemnare istum,
si eognoTeris cum esse homicidam , et tunc non est sent., quandoque
conditio adjungitur eventoi rerum, ut si quis mihi promittat C, quod
postea negans ducitnr a me in causam et index, ut det mihi C. cum
yenerit rex, et tunc est sententia. Sed hic non clare videtur videre
Boland*. Non enim talis sententia est lata cum conditione, immo
absolute; non enim adjungitur conditio sententiae sed eventui
rerum. —
V. Qnaedam ecciesia Privilegium a summo pontifice impetravit,
ut praediorum totius dioec baberet decimas. Processu vero temporis
monachi cuiusdam monasterii quaedam praedia in illa dioec. emerunt,
privil. postea a summo pont impetraverunt, ut null! decimas solverent
Hic primum quaer., an canonici possint petere decimas priori priv.
muniti? Secundo quaer., an secundom priv. deroget priori? In
bis duobus quaest. hinc inde muita inveniuntur decreta in
XXV"' causa.
Zur Geschichte der Literatur fiber das Dekret Gmtiani. III. 4T
§. Ad quod RoL *), quod qiii habet potestcttemcondendicanone«^
habet inde et potest. interpretandi eos, et ideo dicit, quod sec. priv.
derogat priori. Si quaeras ab eo, an^^quia canonici habent priv., iit
habeant decimas suae dioecesis. possint petere quartam episcopi?
dicit, quod non, quia statuta apostolicae sedis benignius interpretanda
sunt. Sed si expresse det eis in privilegio quartam decimarum epis-
copi« tune possunt eam petere, vel, si exprimat in priv., se iis dare
ia integrum decimas totius dioecesis. Et notandum quod non dicit
BoL Afii dicunt, dari decimas intuitu praediorum, seil, ut cum assi-
gnantur certi limites dioecesi, ut omnia praedia infra limites assigna-
tos solvant dioccesi decimas, et tunc, ubicunque personae se muta-
Tertnt, semper ex cultis praediis illius dioecesis illi dioecesi persolvent
decimas. Alii vero decimas dandas dicunt intuitu personarum et tunc
obieunque ipsae personae excoluerint agros snos solvent decimas
eeelesiis, a quibus ecciesiastica officia audiunt. Si quaeras aiZo/. <),
qoae istanim sententiarum plus sibi placeat, dicit, quod plus siUl
placet, ut intuitu praediorum decimae dari debeant. Sed decretum
eootra de decimis etc. Ca. XVI. Q. I.
$. Tertia quaeHio est, an monachi debeant dare decimas. Quod
Dou debeantur probatur aoct. illa Questi autU [c. 46] et illa Decima»
Ca. XVI. Q. I. [c. 97.] §. Quod debeant dare decimas de omnibus
laboribus suis, praeterquam de novalibus — nee hoc dictum est
de omnibus novalibus, inimo de illis'tantum, quae excolunt propriis
manibus vel propriis sumtibus — uec etiam de illis decimas dabunt,
qoae excolunt propriis manibus servi ecciesia. Illa veni, (fuae rustici
monasterii excolunt, solvere debere decimas RoL dicit*) Notandum
quod, ut dicit Hetellus, decimae possunt praescribi non a laico.
Qnantocunque enim tempore laicus de proprio praedio non solvent
decimas, non poterit praescribere quin solvat. Nee per se possunt
praescribi, sed contemplatione eeclesiae. Si enim quis ecclesiasticus
praescribat eeclesiam, etiam praescribit sibi decimas illius eeclesiae.
Sed quid si episcopus habeat praedium in episcopatu alterius, de
quo non solvent decimas per XXX. annos? Dicunt quidäm, quod non
*) Der Sias dieses Citsts l»ei Rolandns sd C. XXV. ii. XVI.
*) Strom« Causa XVI. [Fol. 7* Cod. Stuttf^. I.] 'Dicimus ergo decimntiones
praediorum intuitu ».«.«lignatas. Ideoqne et parorhiae certis sunt fimitihus distinctai*,
nl «nineeiiiae^ne parochiae decimationea parochitauis minialrentur ecciesils. *
') Strona Causa XVI. und XXV. wird dem Sinne nach dies gesagt.
48 ^' Schulte
potent praescribere , nisi praescribendo ecclesiam, cui conipetunt
ipsae deeimae. Sed tarnen difficilis quaestio est apod magistros. Hute
autem» quod dixit, seil, quod pfaedia non pussunt praeseribi nisi con-
templattone ecclesiae, contrarium videtur illud in I. Ca. Q. IL
Quaesitum est. Sed dicimus, quod quidam sunt, qui redimunt honores
a subditis, et in odinm eorum introductum est, ut in boc casu, seil,
sub eis redemptoribus praeseribi possint deeimae in ecciesia et a tali-
bus personis seil, monaehis. Unde in eodem deereto dicitur 'sub
huiusmodi redeniptore*.
Als interessant für die genaue Auffassung des Verhältnisses von
geistlicher und weltlicher Gerichtsbarkeit tbeile ich noch eine Stelle
aus der Quaestio Quidam laicua fol. 12P mit
'Quando clericus impetit clericum, quod nulla causa eum nisi
sub episcopo debet convenire. Quando rero clericus impetit laicum^
aliquando impetit eum super ecciesiastica , aliquando super civili
causa. Item cum impetit eum super ecciesiastica, aliq. impetit super
eccies. criminali. aliq. super spirituali, aliq. super pecuniaria.
Ecciesiastica crimi^ialis est, quandu quis accusatur de incestu, et
ideo inter ipsum et uxorem suam petitur dirortium. Eccies. spiri^
tualis' est, quando tantum de spiritualibus quaestio agitatur, utpote
decimandi, funerandi et consecrandi. Eccies. pecuniaria est,
quando movetur quaestio de rebus ex iure decimationis, funerandi
seu consecrationis proyenientibus. Dicimus ergo, quoniam in omni
causa ecciesiastica laicus sub episcopo est conveniendus , sive fuerit
pecuniaria, *sive spiritualis, sive criminalis, dummodo in criminali
sanguis non petatur vel pecunii mnitatio, quod iudicium non epis-
copo exequitur nee in sacris ordinibus constituto licet exagitare, sed
tantummodo matrimonii impetatur separatio. Item cum impetit
eum super civili, aliquando super civili pecuniaria, aiiq. super civili
criminali. Civilis pecuniaria est, quando agitur de praediis vel de »liis
peeuniis.quarumcognitio tantum ad iudicem eivilem spectat. Criminalis
civilis est, quando agitur de criminalibus commissis, propter quae
vel sanguinis effussio vel pecuniae petitur multatio, quod iudicium
tantum ad eivilem et non ecciesiasticum debet fieri iudicem. In ciTili
ergo pecuniaria sacerdos sub episcopo, si valet, conveniat laicum,
alioquin per eivilem iudicem suum jus prosequatur. In civili criminali
nee sacerdos nee quilibet in sacris ordinibus constitutus laicum, nee
Inicus quemlibet eorum, nisi foret exauctoratus, valet impetere.
Zar Geschichte der Literatur über da« Dekret Gmttanc. III. 40
Item est, quando laieas impetit clericum, aliq. impetit eum super
eiv. pec, aliq. super, civ. crim. Quando impetit eum super civ.crim.»
debet eum produeere coram episcopo,qui debeteum^siconstiterit^eum
admisisse,exauetoritate [/. e,pauctorare}, etaiciudicis saectdaria cog~
miioni tradere. Si yero impetit super civ. pec.f similiter eum pro-
dueere coram episcopo [debet], et sub eo, si valet, jus suum con*
sequi« alioquin ad civäem iudicem est producendus.'
Die Methode dieser Quaestiones ist ganz jene, welche Rolandus
befolgt, bis auf die Ausdrucke. So z. B. fignrirt bei Rolandus in
Causa XXV. die pars adversa* werden hier wie oft die Argumente
pro et contra gegeben, dann die solutio.
Dem Verfasser sind die Zustände in der Lombardei genau
bekannt, ebenso nimmt er auf Bologna eine besondere Rucksicht.
Ja der ersten kommt *eptscopus Bononiensis' vor; in der 9. wird
berichtet, es werde das Privileg, zu taufen und zu beerdigen auch
anderen als Taufkirchen gegeben, 'ut est consuetudo in Lom-
bardia et in aliis regionibus.* Eine behandelt 'Quidam Apulus Bono-
niam veniens", eine beginnt *Nobilis quidam vasallus Archiepiscopi
domini Mediolanensis agens in extremis', eine * Quidam clericns
li'centia sui collegii Parisius causa studiorum pergens'.
Rolandus ist derjenige Schriftsteller, auf welchen sich der
Aator durchwegs stutzt. Er wird noch sehr oft in den übrigen citirt.
Häufig werden seine Worte ohne Citate benutzt, z. B. in num. 18 : 'talis
distinctio adhibenda est decretorum ; qnaedam sunt ex causa, quaedam
ex loco, q. ex tempore et ex persona. Ex causa, ut in hoc exemplo potest
rideri: Quidam miles offensam ecciesiae fecit.' So bei Rolandus
Causa XXVIL: 'Sed notandum^uod decretorum quaedam sunt intelli-
genda ex tempore, q. ex loco, q. ex causa.* die von Rolandus gege-
benen Regeln über die Widersprüche zwischen zwei Autoren werden
in num. 22. abgeschrieben.
Römisches Recht wird verhäitnissmässig selten, meist, wie
bereits das Mitgetheilte ergibt, allgemein angeführt; in num. 7. 8.
12. kommen Citate aus dem Codex vor.
Fasst man Alles ins Auge, so dürfte wohl keinem Zweifel unter-
liegen, dass sie in Bologna in der ersten Zeit nach Abfassung der
Summa des Rolandus gemacht worden sind.
Inder qu. 11. wird aus einem Beispiele klar, dass die Theilung
des Kapitelgotes unter die Canonici schon damals vorkam. Es heisst
oO ▼• Schulte
iiamlicli darin: 'Quaedain episcopalis ecciesia, quam canonici saecu-
lares iiihabttabant, plures habuit possessioiies, qiiae videlicet iiiii-
cuique illorum, prout cuiusque dignitas exigebat, ab exordio ipsius
«cclesiae fueraiit assignatae' . . .
In Nuin. 12 kommt noch folgende Stelle vor. 'Idempotestprobari
ad instar cuiusdam decreü, cuius summa talis est. Quidam pecuniam
certam statuta die se daturum iurayit. Termino vero adveniente rem
praefatam ei, cui iuravit» ipse praebens bona fide deferebat. Casu
Ibrtuito ineidit in latrones, eumque omnibus bonls expoliaverunt. De
isto quaerebatur, utrum tbret periurus nee ne? Sed dicitur absolutus
a iuramento, ut in quihnsdam deeretis reperitur, sed promissa cogi-
tur adimplere, ut f/uidam magintri asserunt.*
Die Casus des Richardus Anglicus, Damasus, Benen-
casa u. a. geboren theils der Deeretalenllteratur an, theils fallen sie
in eine Zeit, welche über die lur diese Mittheilungen gesetzte Grenze
hinaufreicht. Ich werde deren Schriften im Zusammenhange be-
sprechen.
§. 2. Traetatus.
Abgesehen von ganz kleinen Excursen sind besonders zwei
Materien monographisch sehr früh behandelt worden: Process
lind Ehe recht.
I. Process.
a. Zu den erstereii kann auch jene Schrift gerechnet werden,
>velche ich unter dein Namen Sutftma legum ausfiihrlich erörtert
habe i).
b. Ausschliesslich dem Processe ist aber gewidmet eine zweite
Arbeit, welche der Cod. ms. der kön. Bibliothek zu Bamberg
P. i. 11 von einer Hand des XIH. Jahrhunderts fol. 5Ü-63*' in 2 Col.
zu je 42 Zeilen enthält. Sie lallt nach 1179, da sie die Schlüsse des
^. Lateranensischen Concils berücksichtigt, aber vor die Compilatio
prima, gehört mithin unbedingt zu den ältesten auf dem canonischen
Rechte fnssenden Ordines judiciarii. Wegen dieser seiner Bedeutung
1) SJU. Ber. LVIl. Bd. S. 434—400 and Nicbtra; LXIII. S. VM ff.
Zar Gesehicbte der Literttnr flher das Dekret Gratinns. III. 51
werde ich das Werk ediren und begnüge mich an diesem Orte mit
dieser Andeutung.
c. Einen ganz eigentiiQmlichen Charaicter tragt an sich das
Juri» cammici speeulum des Petrus Blesensis jun., weiches aus
den rerschiedensteu Theilen des Rechts die allgemeinen Grundsätze
erörtert und um 1180 gemacht ist Da es edirt ist >), begnüge ich
iiiieh mit der Hinweisung auf dasselbe.
U. De matrimonio.
Es ist zuerst von Kunstmann ^j daraufhingewiesen worden,
dass bereits lauge vor der Summa de mairimonio Bernhardts
von Pavia^). welche älter ist, als die Tancreds, systematische
Darstellungen des Eherechts vorkommen. Kunstmann hat aus
einem Freisiuger Codex s. IX (cod. Fris. 42.) eine solche kurze Dar-
stellung edirt (a. a. 0. S. o. ff.)» welche 30 Capitel enthält ^). Derselbe
hebt auch schon hervor, dass das Eherecht als 4. Stuck des Dekrets
erscheine, irrt aber wohl, wenn er glaubt, diese Rücksicht habe
die Abschreiber geleitet*), in Wirklichkeit bildet aber das Ehe-
recht den 4. Theil. Denn der erste umfasst ausser der Lehre von den
Reehtsquellen Alles, was sich bezieht auf die Person der kirchlichen
Judiees (Dist. I — XX., bez. XXI — CI), der zweite umfasst den
Proeess und was mit ihm zusammenhängt (C. II — VI.), der dritte die
0 Siebe darüber und aber einen xweiten Codex die Bemerkung: im x «r e i t e b
Beitrage Seite 50.
<) AreblT f. ketb. Kirchenr. von Freih. v. Moy nnd Vering Vi. (1861)
S. 1 f.
') Edirt TOB R n n s t m 1 B n n «. ». O. 8. 217 &, nnd Lespeyres in seiner
Angabe der Snnima Decretal. Bernb. Pap., Ratisb. 1860 pag. 287 sqq.
^) Er fabrt nocb andere Handscbriften an, welcbe Tbeile des Tractats enthalten. Die
Be«n ersten Capitel stehen auch in der tob mir Iter GalHeum p. 410 besebrie-
benen CanoBensammlnng des Cod. H. 137 der bibl. de l^^eole de m^decine von
Montpellier. Dass regelmissig in den vorgratianiseben systematischen
SanmlBBgen das Ehereeht eine zusammenhiBgeade Darstellung gefunden hat, ist
bekaaaU
*) Br gibt die Stelle aus Stephan t. Tonrnay, welcbe ans Job. F a ▼ e b-
t i n a s aacb tob mir bekannt gemacht wurde in den Rechtsbandschr.
der osterr. StiAsbibl. Sitabr. LVII. S. $8S. Nur auf die Abschreiber fBhren aber
die GenaaBten die Bintbeilung lurflck.
52 ▼. 8 e h « 1 1 e
Stellung der einzelnen Kleriker (VII — ^XXVL), der vierte das Ebe-
recht (XXVIL — XXXVL). Bernhard von Pavia hat sich an
dies System angeschlossen, jedoch eine schärfere Sonderung u. s. w.
vorgenommen. Im Ganzen entspricht die Stellung der Materien in den
vier ersten Büchern der bei Gratian, wenn man vom Gegenstande
des fünften Buches absieht.
Fasst man nun die Literatur ins Auge, so erhellt fast ausnahms-
los, dass die Apparate zum Decrete, wie sie dies meist auch für den
Process thun, fast sämmllich für das Eherecht den Charakter form-
licher Monographien annehmen, jedenfalls mehr eigentliche
Summae werden. Am wenigsten ist dies der Fall bei Paucapalea.
»
Aber selbst er sendet eine verhältnissmassig lange Einleitung <) über
die Stellung des Eherechts im Rechtssysteme, die causae matrimonii,
den Begriff der Ehe. die Gründe der Ehehindernisse voraus und hat
noch mehrere solche Erörterungen. Rolandus«) widmet dem Ehe-
rechte die Hälfte seines Werkes. Stephun von Tour nay geht auf
die meisten Punkte in zusammenhängender Darstellung ein. Von
Rufinuss) dürfen wir dasselbe annehmen, da Johannes Fave n-
tinus* Summe kaum mehr ist als eine Zusammenstellung aus den
Summen von Ruf in und Stephan, im Eherechte aus Stephan sehr
viel enthält und es doch sonderbar wäre, dass gerade für dieses das
sonst stets befolgte Verfahren unterblieben wäre. Die Summe des
Johannes über das Eherecht bildet aber, wenn man die blossen
Erklärungen von Canones ausscheidet, eine ziemlich ausreichende
und theilweise sehr eingehende systematische Darstellung des Ehe-
rechts. Dieser Vorgang wurde beibehalten^ so dass alle Glossatoren,
selbst jene, w^ eiche abweichende Methoden haben, wie Simon do
Bisiniano und Sigehardus Cremonensis, für das Ebe-
recht viel ausführlicher sind und zusammenhängende Darstellungen
<) Die Verbindung des Clerus mit der Kirche als contugium tjnriiumte geht ihm
paraHeJ mit dem matrimomum eorporaU,
S) Erster Beitrag 8. 17.
') Die Mainzer Handschrift entbilt nur P. f., ebenso eine Gdttinger, die
Bamberger nar P. U. von C. I. bis XXIU. q. 6. Eine Handschrift der
Summa Rufins mit dessen Namen wird angegeben im Catalogu e
g ^ n. des manuscrits des bibl. des d^p. li. pag. 294 (num. 60S Ton Troyea),
aber auch nur vom Anfange bis C. XXI. q. I. Es ist sonderbar, das« alle vier
bis jetst bekannte Handschriften defect sind.
Zur Gesebichte der Literatur über das Decret Gr«tian8« III. 53
liefern. Und hierin liegt wohl auch ein Grund dafür, dass Bernhard
Ton Paria ihm ein ganzes Buch einräumte.
Die Wichtigkeit der Sätze Ober die Ehe, rücksichtlich deren
die Gesetzgebung und Gerichtsbarkeit zur Zeit des Erscheinens des
Dekrets unbestritten der Kirche zustand, macht begreiflich, dass
man sieh für diese Materie, deren Kenntniss jedem Geistlichen in der
Seelsorge und kirchlichen Verwaltung unentbehrlich war, nicht be-
gnügen konnte mit Excerpten, sondern zur Abfassung zusammen-
hängender Darstellungen schritt, die theils auf PetrusLpmbardus,
thefls auf der Literatur zum Dekret fussen. Petrus Lombardus
hat in seinen Sententiae Liber IV. dist. 26 — 42. dem Eherechte eine
auf dem wesentlichen Quellenmateriale Ton der ältesten Zeit an
ruhende Darstellung eingeräumt Das Verhältniss der Sententiae
des Petrus zum Dekrete Gratians ist noch nicht aufgeklärt. Sarti >)
deducirt, Petrus habe Gratianus nachgeahmt, ohne jedoch den
geringsten sachlichen Grund anzugeben. Andere nehmen an, Petrus*
Sententiae seien um 1140 erschienen*). Fest steht, dass Petrus,
als er Bisehof Ton Paris wurde, durch seine Sententiae ein be-
rühmter Mann war, ja seiner Berühmtheit die Wahl zu danken hatte,
dass er 11 64 starb. Aus der Eintheilung indts^tneho/t^sbeiGratianist
nichts zu folgern, weil diese von Paucapalea herrührt, das Dekret
also ursprünglich keine mit Petrus harmonirende Eintheilung hatte,
folglich Petrus sie auch nicht, wie Sarti meint, Gratian entlehnt
haben kann. Dass Gratians Dekret vor 1150 bekannt war, ist nicht
zu erweisen. An sich erscheint es nun höchst unwahrscheinlich, dass
in dem kurzen Zeiträume, der bleibt, zuerst das Dekret zu solchem
insehen gelangt ist, dass dieses Petrus veranlasste, in einer ähnlichen
Methode die Theologie zu behandeln, dass dieses Buch alsdann so
bald das Ansehen des Mannes hob, dass bei der Wahl selbst der von
einem Theile in Aussicht genommene Bruder des Königs die Candi-
datnr aufgab. Betrachtet man des Petrus Werk, das ein so einheit-
liches philosophisch durchdachtes Ganzes ist, so kann man kaum auf
0 ^ eUr. arch. Bon. prof. II. p. 3. sqq.
'j CsTe. Script, eecl. p. 581 (edit. Col. Alobr. an. 1720. fol.) Richter
■iont, weil er in den Noten kam Corp. jur. c«n. gewöhnlich Petrus anführt,
vcan eine SteUe bei ihm steht, offenbar stillschweigend an, Gratisns Dekret sei
jfnger.
aüah. d. phn.*hist. CI. LXV. Bd. I. HfL S
54 r. 8 c h a 1 1 e
die Idee kommen» es sei die blosse Copie eines fremden Systems oder
wenigstens durch ein solches hervorgerufen. Nimmt man nun roUends
das Eherecht, für welches eben in den Quellen die grosste Über-
einstimmung Ton beiden herrscht» so bietet Petrus ein streng syste*
matisches Werk, ganz nach derselben Weise, wie die anderen
Theile <), wahrend im Dekret Gratians von einer inneren Ordnung
irgendwelcher Art in dieser Materie kaum die Rede sein kann. Was
die Quellen betriiTt, so versteht sich bei einem Manne wie Petrus die
umfassendste Kenntniss der Schriften der Väter und Concilien von
selbst. Übrigens brauchte er nicht lange zu suchen. Schon die
Collectio trium partium» von der ihm sicherlich in Paris oder früher
in Rheims ein Exemplar zu Gebote stand» oder Ivos Werke boten
ihm die Belege der Quellen. Ich halte demnach die Selbstständigkeit
der Sententiae gegenüber dem Dekret für unzweifelhaft. Aber auch das
halte ich bei genauer Vergleichung beider für einleuchtend» dass
Gratian das Eherecht des Petrus vor sich hatte und dieses stark
benutzte» namentlich in seinen Dicta.
a. Der Codex, der Wiener Hofbibliothek membr. fol. max.
Nr. 1180» saec. XII [der gedruckte Katalog sagt irrig *XI1. — XIV/
Es sind alle Stücke aus dem XII.] enthält von fol. 167* vorletzte Zeile
der zweiten Spalte bis 177^ zur 28. Zeile der 2. Spalte ein Stück
überschrieben :
De duplici inatUutiane. Tracfatus de coniugio, cuius instiitäio
et causa ostendiiur.
Dasselbe ist ein Excerpt aus Petri Lombardi Liber Senten-
tiarum L. IV. dist 26. — 42. Theils werden die von Petrus mit-
getheilten Quellenbelege und dessen Deductionen wörtlich ganz
gegeben» theils nur die eine bez. mehrere Stellen» manche Para-
graphe ausgelassen. Letzteres macht ihn interessant Denn ist auch
noch nicht» wie in den späteren Tractatus de matrimonio das Theolo-
gische ausgeschieden und das Rechtliche allein massgebend» so
10) Zweck, Wesen, Form, Anfang, Gebrancb, VerlöbniM, ForniaUen, Hindernisse:
Willenaunfreibeit, Irrthuni, debituro coiuugale, Impotens, Geittenkrankbeit , afll*
nitas ex cop. illicitii, lYennnn^r wejren Bhebrucb ii. dgl., Ehebrueb, conditio eer^
▼llit, Alter, Ordo, Votum, mntr. bona 6de eootr. Tlro absente, disper culUis,
Lösung des m. in inlidelitate contr., Cognatio, aiHnltaa; foroicatio, aditlteriuni,
raptns.
Znr Geschichte der Litenitar fiUer du Decrrt Gnitiana. Ilf. 55
^▼aitet doeb Letzteres bereits vor, so dass ein Einfluss der Juris-
^inidenz unverkennbar zu Tage tritt. Die Abfassung ßllt nicht vor
.1154 bez. 1159 aus dem gleich anzuführenden Grunde» aber auch
tvohl kaum später. Denn 6ratian*s Dekret ist sicher dem Verfasser
-unbekannt. Wäre dem nicht so, so iiesse sich kaum begreifen, wie
Jemand auf die Idee gekommen wäre, ganz in der Reihenfolge der
Darstellung des Petrus und nur mit dessen Worten das Eherecht
darzustellen. Fiir das Eherecht fallt nicht Gratian sondern Petrus das
Verdienst der ersten umfassenden Behandlung zu; auch die als
Gratian^s Ansicht gewohnlich ausgegebene Auffassung über das
•imp. crimmis ex adulterio im dict. ad. c. 3. C. XXI. q. 1., die
später Gesetz wurde, gehört nicht Gratian an, sondern ist entnommen
^Qs Petrus IV. d. XXXV. §. 7. In unserem Tractate steht eine einzige
Stelle, die weder bei Petrus noch bei Gratian steht oder stehen
Jiconnte. In dem Titel de conditione [Petrus IV. 36.] wird nach
Anfahrung der Worte des Petrus: 'Petrus. Attende finem huius
«eapituii .... dominis ignorantibus' zugesetzt:
'ünde Adrianus papa Eberhardo archiepiscopo Juvavienai.
Inter serros non debent matrimonia nuilatenus prohiberi. Et si
dominis contradicentibus et invitis contracta fuerinl, nuila
ratione propter hoc sunt ecclesiastico iudicio dissoivenda.
Debita tarnen consueta oflßcia seryitia nön ex hoc minus sunt
propriis dominis exhibenda.'
Es ist diese Stelle genommen aus der Decretale Adrian*s IV.
4]Jaff^ Regesta Pont. Rom. num. 7068], welche in die Collectio
4^a$ufUana als Tit. LXV, mit dem Anfange 'Dignum est', [Boehmer
"Corp. jur. app. ü. col. 340], in die App. Conc* tat er. als P. XLV.
«. 7. [Mansi XXII. col. 411] aufgenommen ist, endlich Eingang
fand in das Breriar. Extrav. des Bernhard von Pavia also. 1.
de coniugio servorum IV. 9. und daraus in den Decret. Greg. IX.
{e. 1. X. de coniugio serv. IV. 9.]. Eberhard I. von Salzburg
regierte von 1147—1164, Papst Hadriau IV. von 1154—1159.
Welchem Jahre sie angehört, ist bisher nicht festgestellt.
Ohne Zweifel war des Petru^ Werk früh, sicher am Ende der
50ger Jahre in Deutschland bekannt und im Gebrauche. Sollte nicht
das Torliegende um diese Zeit in Deutschland gemacht sein? etwa in
'Äer Salzburger Provinz? bez. in einer für diese gemachten
-Abschrift aus der Decretale der Zusatz beigefugt worden sein?
3*
56 T. S c h n 1 1 e
Ausser den angeführten Gründen bewegt mich zu dieser Vermuthung^
noch der Umstand, dass sich unmittelbar an dieses Stuck schliesst
der von mir in den Sitz. Ber. der kais. Äkad. der Wiss. bist,
phil. Cl. LVII. Bd. Seite 182 fT. publicirte tractatus de sacrilegiis^
der in Italien kaum gemacht bisher nur aus deutschen Hand-
schriften bekannt ist. Am einfachsten stellt sich die Sache, wenn
man annimmt, ein in Paris studierender Kleriker habe den Auszug
gemacht. Ist meine Annahme über die Zeit der Abfassung richtig, so
dürfte daraus sich ergeben, dass man wohl im ersten Decennium
nach Gratian in Deutschland das Dekret noch nicht als massgebend
kannte. Rufin, Stephan, Johann von Faenza, erwähnen die
Extravagante nicht. Mir scheint auch, dies bildet ein Argument
dafür, dass ein Kleriker der Salzburger Kirche, dem sie sofort
bekannt wurde, Verfasser ist.
b. Ein andereraufdas Dekret sich stützenderTractat ist enthalten
in dem Cod. jur. Nr. 63. s. XII. der Stuttgarter kön. Hand*
b i b I i 0 1 h e k fol. 43 — SO, dessen Charakter die folgende Skizzi-
rung ergibt.
c De ortu coniugii et quare ait instittitum, et quae ibi con^
siderantur.
Sacramentum coniugii non ab homine, sed a deo in paradiso
institutum est, cum dixit: *Non est bonum esse hominem s. f. e. a.
s. s.* Immitit ergo deus soporem in a. t. q. v. d. c. e., et replevit
carnem pro ea i. e. affectum dilectionis, quo quisque uxorem suam
tanquam vas proprium diligere et custodire debet. Quam videns
Adam dixit: 'Hoc nunc os ex o. m. et c. d. c. mea, quae vocabitur
uxor Instüutum ergo fuit in paradiso coniugium. Cuius
triplex est institutio et quarta abusio, ut testatur I^idorus Ethymolog.
libro XI.
Prior est causa adiutorii . . . Secunda causa prolis . . . »^
Tertia causa incontinentiae i. e. vitandae fornicationis . . . Quarta
abusio est s. voluntas explendi libidinem.
In eligendo autem marito IUI. spectari solent: virtus, genus^
pulchritudo, sapientia . . .
Item in eligenda uxore IUI. res impellunt hominem ad amorem r
p ulchritudo, genus, diritiae, mores . .
Zur Geschiebte der Lileratur über das Decret Gratians. 111. 57
De sponsalibus.
De sp. tractaturi, quae sint sponsalia videamus. Sp. sunt mentio
et repromissio foturaram nuptiarum. Hie nomine nuptiarum non
affectam sed eflTectum nuptiarum intelligimus
Bene est* priusqaam ad explanationem cauaarum descendamus,
<ie emdugii sacrameniOf aliquatenus inquirere. Quod quidem saera-
ineatom sicut caetera sacramenta aliqood bonum non confert, sed
tarnen est mali remedium.
Est auiem coniugium maris et feminae foederatio legitima.
F. alia est de futuco coniugio contrahendo, de qua dicit Aug. Jura--
uunio • . •
Quid faciai conj. yideamus. C. cum sit bonae fidei tractatus,
coDseDSQ contrahitur. Sicut dicit Nico), pp. Suffieiai cet
Est adfanc et alius consensus, seil, camalis commereii ad
inTJcem exigendi et reddendi, similem inter y. et m. pactionem con-
stitoens
Cons. autem alius praecedit coitum alius subsequitur ....
Sed de furioso quaeritur, utrum m. contrahere possit
Distat autem a sponsalibus conj. duobus modis: ratione tem-
poris et efficacia sacramenti
Moitorum obscuram diligentiam agnorimus, novi testamenti
abominari coniugia et somnia, quae nocte plorando conceperant,
idiotis et pasilianimitate fluctuantibus pruriente lingua ne nihil
dieere yideantor intimare, ut suae inscitiae sub obtentu religionis
aliquos incorporare non desinant
Amodo, ut arbitror, inquirendum est, utrum in novo t. niiptiae
praecipiantur, an secundum consiiium concedantur, an permit-
taotar ....
De seeundis autem nuptiis dubitatur etiam apud quosdam
eeelesiasticos» utrum permissae essent quasi uf peccatum
«sseot ....
Nuptias ergo permissas dicimus non praeceptas ....
Notandam quoque est, quod eorum, qui ducunt uxores, alii
doeont solummodo causa prolis et spe liberorum alii causa vitandae
fornieationis principaliter
Rationibus ergo et auctoritatibus supra monstratum est, non
peccatum, cum uxore generandi causa eoire ....
do T. S c h u 1 t e
De verborum ioterpretatione aliqua annectenda esse idoneun»
diximus, ne, cum rerbis uti debemus» sera poenitudine dictionun»
signacula pertusa testa corrogemus. Unde ergo coniugiuin, matrimo*-
nium sive eonnubium, contubernium et nuptiae dicaDtur ....
(Folgen WorterUarungen ober Ehe, Ordensaasdrüeke.)
Nuptiarum bonum Teile nubere damnabile est ... .
Quaer. an C. sit inter sponsum et sp.? Secundo quo casu possin t
ab invicem discedere! Quod inter sp. et sp. c sit, definitione
coniugii facile probatur rationibus et auctoritatibus.
Est igitur H. coniunctio viri et mulieris ....
Sed quis consensus m. faciat non immerito quaeritur ....
Notandum quoque est, quod duo sunt in C. attendenda, seil, per
quid fit et ad quid fit.
Auctoritatibus quoque probatur, inter sp. esse eoniugium ....
His auct. probatur, coniugatos sine mutuo consensu non posser
continentiam profiteri ....
Item impossibilitas coeundi, si post carnalem copulam invent»
fuerit, non solyit C . . . . Alioquin, nisi ita soWatur, auetoritati praefati
concilii modis omnibus obviaret.'
Damit bort der canonistjsche Theil auf.
Exposuimus de spons. et de arrhis sponsalitiis in genere. Nune
audiamus in quadam speeie i. e. si rector provinciae vel ad eum perti*
nentea dederint arras sponsalitias. Sic enim verbum istud exponitur
C. si nuptiae, ex r. p. 1. L' Es folgt nun eine rein civilistische kurze
auf das römische Recht gestützte Auseinandersetzung Ober arrkae-
sponsalitiae» donatianes sponsalitiae und donatio propter nuptias^
Es kann keinem Zweifel unterliegen, dass dieser Tractat bald
nach dem Erscheinen des Dekrets abgefasst worden ist.
c. Ein dritter Tractat, dessen Anfang bereits in dem erste»
Beitrage Seite 8 mitgetheilt ist, steht ausser in dem Codex der
Berliner Bibl. Sar. 14. Fol. 63 — HO, wo er hinter des Rolandu»
Summe steht, im Cod. B. III. 21. der Bamberger Bibliothek, fol.r
mbr. s. XIV. hinter der Summe des Stephanus von Tournay»
Er ist ebenfalls bald nach dem Erscheinen des Dekrets gemacht^
da in ihm keine einzige nachgratianische Quelle citirt wird. Inhaltlich
ist er eben so wenig als die beiden vorhergehenden von besonderer
Bedeutung, da er weder Neues bietet, noch auch in der Behandlung-
neue Gesichtspunkte hat. Der Werth dieser Tractate liegt daher vor-
Zar Geschichte der Literatur fiher das Deeret Gratiaat. Ul. 59
xogsweise darin, dasa sie den Beweis bilden f&r die monographisehe
Behandlung dieser Materie. Am Rande der Bamberger Handacbrift
stehen ab und zu Glossen» welche vielfach kurs angeben, welches
das geltende Recht sei, mithin den Gebrauch der Schrift in späterer
Zeit lehren. In einer (toL2Si.)zuc.aliquando[c. 7. C. XXXII. q. 2.]
heisst es:
'M. R. coniuges non sunt, id est maritalem non habent affectum,
manet tarnen sacramentum'. In dieser Glosse haben wir also die
his jetzt nicht unerwünschte Bestätigung dafür, dass Ruf i n die ganze
Run n. glossirt hat An derselben Stelle citirt die Glosse auch
'm. p.' d. h. Petrus Lombardus.
d. Ein ganz kurzer Tractat ist der Ton mir in der dt. Schrift
Deeret. jurisprud. spec pag. XVDI. sqq. publicirte, welcher eine
höchst eompendiarische Darstellung der Ehehindernisse enthält. Ihn
gibt auch der Codex der Wiener Hofbibliothek 2221 s. XIII.
foLllS» — 119^
e. Die monographische Behandlung des Eherechts geht auch
«piter noch stets neben der exegetischen und systematischen Behand-
long der Quellen, wie die Summae de matrimonio von Bernhardus
Papiensis und Tancred zeigen. Am ^nde des 12. Jahrhunderts
bemächtigt sich ihrer die Jurisprudenz fQr das forum internum, als
deren Vater bis jetzt Robertus Flamesburiensis*) angesehen
werden kann. Ausser Tancred, der gleichzeitig ist, bietet die
Literatur des 13. Jahrhunderts nur Überarbeitungen, die Fortbildung
blieb den Summae auuum von der Raymunds an überlassen.
Summae anonymae zum Deeret').
I. Der Codex P. II. 16. membr. fol. der Bamberger
Bibliothek enthält fol. 100—107 (Anfang bis D. XXV.) 29—49
(Ende der Dist) 50—70 (C. I. — c. 42. c. VII. q. 1.) 71-100
(bis C. XVII. q. 4) 108— 11»» mit 2. Col zu je 70 Zeilen von einer
Hand des XIV. Jahrhunderts, welche aber unendlich klein und mit
0 lUiM Schrift: Roberti Flametbvrlenais... Summa de matrimonio
et im «avia. Giaa. 18S8. 4.
*) Ich mache 4ieae Mittheiloiig, obwohl ale atrengr genommen nicht in dieaen Za-
aammeahang p>a«t, weil Ich die Randichrift erst in jfin^ter Zeit genauerem
Stadinm nntenog and wohl nicht aobald mehr Veranlaaaung habe« sie an be-
60 r. S c b tt 1 1 e
masslosen Abkörzungen schreibt» eine Summe zum De er et Die
Vorrede lautet :
'Animal est substantia animata sensibus. linde homo habet com-
munem naturam cum quolibet animali» scilicet sensualitatem.
Unde hoino a sensualitate quoddam jus habet, quod etiam
commune est omnibus animalibus, scilicet jus naturale, quod
natura omnia animalia docuit. Et de hoc iure fit mentio
j. d. I. jus autem, et in Inst,, de jure naturali in princ. Et
est ius istud ordo et instinctus naturae et propter hoc etiam
naturale dicitur. Et secundum hoc jus nihil est iustum Tel
iniustum, quia istud ius nihil jubet, sed tantum impellit
hominem ex vi naturae. Non enim diceremuä, quod equus vel
asinus peccaret. Postmodum homo abundat a quolibet ani-
mall hac differentia substantiali rationale et ex hac sibi
contrahit quoddam ius naturale'.
Der ausFührliche Commentar zeichnet sich ganz besonders
dadurch aus, dass er in einem Umfange, wie keine vorhergehende
Arbeit, seine Belege aus den römischen Rechtsquellen hernimmt, so
dass wir in ihm eine durchgehende Construction des canonischen
Rechts im Geiste und mit den Sätzen des römischen haben. Alle
Theile der Rechtsquellen (Codex, Authentica, Inst., Pandectae) werden
unendlich oft citirt.
Seine Entstehung fällt wohl in das Ende des 12. Jahrhunderts.
Dies folgt:
1. Aus der Bekanntschaft mit Hugucci o. Zu c. 98. C.XI.q. 3.
sagt er: 'hug. sie exponit*. Das Erwähnte findet sich auch bei
Huguccio.
2. Aus der Bekanntschaft mit der Compäaiio prima. Obwohl
er, so viel ich bemerkt habe, diese nie mit irgend einem Namen
citirt, ergibt es sich aber aus den Citaten unverkennbar.
Zu C. III. princ. ist citirt: 'eartra de appeUai.t ex quorun-'
dam\ Dies ist das von Gregor IX. nicht aufgenommene
c. 14. Comp. I. de appell. II. 20; — 'extra de restit. spol. c. 11-,^
extra de restit. spol. super illa; zu C. XIII. q. 1. extra de
decimis, ad apost, [c. 29. h. t. Comp. I.], cum homines [c. 4-
ibid. Comp. I.]; — nach c. 7. C. XIII. q. 2. extra desepultura c. 1,,
*et ultima deeretalis eiusdem iituKt zu C. VII. q. 1. extra de eone.
Zar Geschichte der Literatur fiber dM Decret Gratians. III. 61
waeb. non vac. c. 1. Da einzelne dieser Titel nicht in den Samm-
Inogen yor Bernhard *s Breviarium stehen» so müssen sie schon
deshalb der Comp. I. entlehnt sein, fiir welche auch der Citirmodus
allein passt
Dass er aber die Compilatio IL nicht gekannt habe, ist kaum
fraglieh. Zu c. 7. C. XIII. q. 2. kommt das Citat vor: 'sed nova
deereialis dicit, quod attendendae sunt diversae consuetudines:
estra t. de sepult ceriificart. Diese Decretale ist c. 8. de sep.
DI. 15. Compil. II. von Clemens III. (27. Harz 1191). Es kann
DUD allerdings möglich sein, dass die neuen Decretalen unter den
betreffenden Titeln in Anhangen rermerkt wurden ^ mithin citirt
Verden konnten, wie es hier geschieht, weil keinem Zweifel unter-
liegt, dass mit der Reception des Breviarium die Titel als stehend
(authentisch) galten, wie dies von Glossatoren*) erklärt wird und
ans den Worten *sub competentibus titulis' in der Zusendungsbulle
Inooeenz UL zu seiner Sammlung hervorgeht; aber es kann auch
eioe der durch die Comp. IL antiquirten Sammlungen gemeint sein.
Dass aber der Autor die Compilatio II. nicht gekannt hat, scheint
mir anch daraus hervorzugehen, dass er, so viel ich bemerkt habe,
Qiefflals Decretalen der Comp. III. citirt. Da diese aber älter als die
D. ist und höchst wichtige enthält, Hesse sich das Schweigen kaum
erklären. Mag dem sein, wie ihm wolle, vor 1215 fallt sie unbedingt,
weil die Schlüsse des lateranensischen Concils dem Verfasser unbe-
kanot sind.
Zu c. 13. C. XIII. q. 2. wird gesagt: *secundum quod
magisier dicit in hiatoriis*. Entweder geht dies Citat auf ein
Werk unter dem Titel Bistoriae, dessen Verfasser alsdann vielleicht
ein Lehrer wäre, — oder er beruft sich auf einen Ausspru<ih eines
Magisters zu dieser Stelle in den darin vorkommenden historiae. Als
magigter schlechtweg wird meines Wissens in jener Zeit nur
Gratian beseichnet Dieser hat allerdings zu C. XIIL q. 1. mehrere
derartige Beispiele, für welche seit Paucapalea der Name
U über •!»•■ flolclMa Anhang aar Comp. I., den Cod. Ye SO. der kön. UnirersitSl^-
kibUotbefc ss II«1U entliilt, werde ich bei einer spateren Gelegenheit berichten.
Siebe vorlinfli^ L a • p e y r e » a. a. 0. pag. XXSi. seq.
') 80 fangen die Notabi] ia des Paulas Ungarns aar Comp. 111. an : 'Nota
^nod titali decretaiiam sunt antentici.^ (Cod. Lipa. UniT. 975.)
62 ▼. 6 c h u i t e
hütoriae technisch wurde. Eine eigene Schrift 'Bistariae' wird
zuerst Ton Damasus angeführt. Wann diese gemacht ist, lässt sich
insoweit bestimmen, dass sie, wenn sie überhaupt Damasus angehört,
wahrscheinlich um 1210 fallt, wie in einer späteren Abhandlung dar-
gethan werden soll. Unsere Summe citirt noch mehrmals historiae,
£. B. zu dist. y. Solche kommen aber aus den Siteren bei Hugucci o
u. s. w. auch vor. Ich will jedoch nicht unterlassen zu bemerken« dass
zu c. 1. D. V. es heisst: 'hunc pollut tangit hie iilud, quod legitur
in leritico . . .' Huguccio hat dies Citat insofern, als es bei ihm
heisst: Mevitico legitur . . .' Mit der in den historiae gebräuchlichen
Form iangü etc. steht es aber weder bei Paucapalea, noch
Stephan, noch Huguccio, wohl aber haben es die historiae in
der Überarbeitung von Bartholomäus Brixiensis, somit ohne
Zweifel auch die von Damasus. Eine Folgerung aber daraus zu
ziehen dörfte gewagt sein.
Zu C. III. q. 1. *quod si spoliatus in continenti velit probare,
quod spoliator nullum jus habet in re, nihilominus spoliatus est
restituendus, at dicit magisier pp, Alii dicunt, quod non. Ego
utrorumque opinioni concordo.'
Wer ist der mag. pp.? Paucapalea sagt nichts davon. Man
konnte an Rolandus denken; träfe dies zu, dann lieferte die Ab-
kürzung pp. für papa den Beweis fQr des Rolandus Autorschalt.
Leider heisst es aber in dessen Summe nur: 'Quidam episcopus. Hie
primo quaeritur, an restitutio sit danda quibuslibet expoliatis? Ad
quod notandum, quod expoliantur alii canonice, alii vero minim^.
Omnis expoliatio non canonice facta ante cuusae ventilationem est
rescindenda. Secundo, an induciae post restitutionem' etc. Ob viel-
leicht Gregor VIII. (Albertus Beneventanus) die Stelle angehört?
Bis jetzt kenne ich seine Summe nicht.
Nach c. 7. C. XIII. q. 2. wird citirt: 'Belatutn, Quidam non
habent caput istud et dicitur, quod palea est.* Ein c. Relatum steht
in den Ausgaben auch nicht als Palea in C. XIH. q. 2., woraus be-
wiesen ist, dass in einzelnen Stücken die Handschriften des Decrets
gänzlich von einander abweichen
Zu C. VII. q. 2. *de rectoribus tamen, si alicui promissa sit
ecclesia non vacans, vel etiam dominus papa scribat, quod ei con-
feratur ecclesia non vacans si ille pendente causa fiat leprosus, noQ
Zar Ge«chichU der Literatur ober du Oecret Gnitiana. ill. ß^
esset ei danda ecciesia, nisi iterum consuito domino papa: extra
t. wrboHi HI. ex transmiBsa.'
Eine solche Oecretale Urbans IIL enthalt keine der Comp, ant.»
ebensowenig steht eine solche in der Compilation Gregors IX.
Doch io Jaff£ Regesta Pontificum; auch finde ich überhaupt kein c.
ex transmisna dieses Inhalts. Gleichwohl lisst sich an der
Existenz desselben bei der Bestimmtheit des Citats nicht zweifeln.
Sollte es etwa in der Sammlung des Gilbertus oder Alanus vor*
gekommen sein?
Zu c. 2. C. II. q. 1. Judex. 'Lex ista non invenitur in legibus
Jostiniani verbo ad Yerhum.'
c. 2. D. VII. 'Et fit in hoc c. mentio de tribus codicibus seil,
de Herrn, et junioris Augusti et Theod. Sed isti Codices non tenent»
immo qui allegat aliquam legem contentäm in iliis punitur graviter,
qoia non licet nobis allegare leges, nisi illas, quae continentur in
libris domini Just. Co. de inst cod. conf. in fine.'
Schliesslich möge noch der Anfang von Causa II einen Platz
finden.
'Quidam episcopns. Hie intitulatur II. ca. Tractaturus magister
de causis, quia in singulis causis ordo judiciarius est observandus»
ideo in hac causa et in duobus sequentibus tracfat de ordine judi-
ciario, cum in praecedenti causa proponit de crimine simoniae» quia
niod erimen maius est omnibus criminibu's. Et hoc, ut magister com-
petentius faciat, more suo thema proponit'
Ich habe eine Anzahl Yon Citaten ietGlosaa ordinaria mit dem
Teite der Summe verglichen, aber nicht gefunden, dass einer der in
der Glossa Genannten der Verfasser ist.
IL Die zweite anonyme Summe enthilt der Codex miscelL
Te. 82. foL mbr. der k5n. Universitätsbibliothek zu Halle foL
1~9b in je drei Spalten mit je 83 Zeilen auf der Seite, mit unend-
lich kleiner aber zierlicher Schrift von einer Hand des XIII. Jahr-
handerts <)• S>^ ist defect und beginnt mit
* j Et iet diese Samme dieselbe, welche im sweiten Beitrage Seite 42 ff. nscb den»
Cod. Banberg. P. I. 11. !■ Kfirse beschrieben wurde. Da ich sie avf Grund
de« air frfiber iiBbekanBleD Hallenser Codex einem erneaeten Stadiam nnfer-
aof^n bftbe, hoff« ich fRr diese Bochmali|r« Besprechung' in den Mittheilnngen,
welche als SrgSazuog der frfiheren dienen, seihst die Entschaldignng au finden.
04 V. Schalte
Dist. III. also: 'Officiam tie.permütere. Permissio est providae
concessionis, ut matriraonü contrahendi causa Titandae for-
nicationis. Quaedam est recompensandae compensationis» ut
ab una religione migrandi ad aliam distinctiorem, ut j. c.XIX.
quaedam coactionis seil, ut fiant illicita, ne committantur
graviora, ut hie et j. C. XXIII. q. IIII. §. binc etiam, et
j. C. XXXH. q. III. <§. hoc dicit. Sed idem humilissimus.*
Die Arbeit weicht von den meisten total ab« indem sie weder
«ine die einzelnen Capitel commentirende ist, noch auch die ein-
zelnen Distinctionen u. s. w. sämmtlich berücksichtigt. Sie gibt viel-
mehr nur einen Commentar zu einer Anzahl von Capiteln der Pars
prima, z. B. D. III. dict ad c. 3., D. IV. c. 2. 3. 6., D. V. c. 4.^
D. VIII. c. 1. 2.. D. IX. c. 7. 11., X. c. 7. 1. 6. 8, XI. princ, XU.
c. 3. 4. 11., XIII. 2., XIV. princ, XV. c. 1. u. s. w. Für die Pars
secunda ist meistens der Ausgang genommen von den Einleitungen
Gratians, so dass an diese eine ganz kurze Auseinandersetzung der
Materie angeknüpft wird. So schliesst sich die Arbeit an und umfasst
allein in C L q. /. : princ. quod autentf capp. 6. 37. 70. 111. 22.
50. 114. 100. HS. 39. 108., dict post c. 97.; qu. 2. princ, c 6.
q. 3. princ. multorum, c. 2. 13.; q. 4. pr. de secunda, q. S- princ,
c. 3.; q. 7. princ. u. dicL necessitatis ad c 12. — Sie hört auf mit
C. XXXV. Angehängt sind in der Handschrift dann noch zu einigen
Capiteln aus verschiedenen Causae die Commentare. Auf dem fol-
genden Blatte beginnt eine neue Zusammenstellung von Erörterungen
zum Decret, die in fünf Spalten bis dist L. geht, der Rest fehlt.
Was die Zeit der Abfassung betriflft, so geben die fol-
genden Stellen darüber, über die Methode und Anderes Aufschluss.
1. c. Si peccaverit 19. C. II. q. 1.
*Si peccaverit etc. Magister d, concordans cum auctoritate
intelligit de occulto hoc ponendum dicens : Si pecc. in te f. t cor. e.
int te et ip. so. Si vero te non aud. adhibe duos vel tres t. et facias
eum moneri a duobus vel tribus, qui crimen Jion debent publicare, sed
tecum occultare, et hi tales non dicuntur testes commissi criminis»
sed testes castigationis et correptionis, et hoc dicitur posse probari
infra C. XI. q. III. praecipue gualduardus in fine. Ibi enim dicitur :
cave secundum domini praeceptum, adhibeas duos vel tres testes.
Non enim dixit: adhibiturum testes ad crimen convincendum, cum
manifestum est, ut supra q. e. Lotharius. Scelus, In manifesta.
Zur Geschichte der Lileratur über das Deeret GrnUans. ]ll. Q^
Sedsi etiam adhuc se corrigere noiunt, id ultimum dicas ecclesiae i. e.
sacerdoti vel alii praelato, et ita non dicitur proditio, sed correptio»
ut C. XXn. q. T. hoc videtur. Si vero nullum istorum valuerit, sit tibi
sicut etlnicus et publicanus i. e. abstineas ab eo ut ab haeretico et
publieano, priratim tarnen et non publice* ne ceteri scandalizentur,
sicut dicitur de episcopo, qui alterius peccatum solus novit, ut C. VI.
q. n. Si tantum epücopus. Sunt autem» qui dicunt, et bene» boc
Caput doobns loqui casibus» primo, quando ita tibi notum est, quod
Qttlli alii, quo casu si se ad ammonitionem tuam corrigere noluerit,
Don debes exhibere testes, sed suflTicit tibi, si ei non consentias, ut
j. XXini. q. Uli. c. VI. [Das Citat ist unrichtig]. Sed hie contrarius
estfinis huius capitis. Sed resp., quia non approbat Aug. proditionem
fflnlierum, sed potius inique agui\t. Item j. XXII. q. v. hoc videtur
ia fiae et j. V. q. t. Non vos. videtur contrarium. Sed ibi ioquitur
quando non solus seit, sed alii cum illo, per quos probari potest. In
seeundo casu Ioquitur, quando ^ibi et alii notum est crimen, hie
post commonitionem secretam adhibendi sunt testes, non ad con-
Tjocendum, set j. X. q. III. c. III., sed commonitionis habitae sunt
testes. Ad ultimum die ecclesiae, et si nee resipuerit, sit tibi sicut
ethoicos et pu., privatim tarnen, non publice, ut j. VI. q. II. 5t tarnen,
flaetut. Aliae sententiae sunt in summa magistri Johannis.^
Huguccio hat eine ahnliche Erörterung.
2. c. XVI. q. n. princ.
'§. De cappellis etc. Nota, quod si in territorio proprio alicuius
monasterii fuerit constructa basilica, tunc permanebit [apud] abbatem
eiusdem loci basilicae institutio, non quoad temporalia, sed quoad
tt^mporalia. Dlud idem est, si episcopus basilicam inmonasterium con-
tulerit simpliciter; si vero cum omni jure mo» tunc secundum
Gratianum^y et Jo. Faventinum et alioe pertinebit institutio
ad abbatem et quoad temporalia et quoad spiritualia. Quo casu
Ioquitur capituio I. Quidam tamen dicunt, hoc ita demum verum
esse, st apostolici intercesserit auctoritas, hac moti ratione, quia huius-
iQodi concessio Privilegium est, quod quidem soli papae concedere
licet Ad quod responderi potest, quod huiusmodi Privilegium formam
generalem accepit» ideoque etiam ab episcopo eoncedi potest. Si
▼ero laicns basilicam in monasterium contuierit nondum dedicatam»
<) BierdDreb bt aeiae frfihtr« CoBJectar in 2. Beitr. Seite 44 bestUigl.
66 T. 8 c b u 1 1 e
tunc ad abbatem pertinebit institutio qnantum ad temporalia tantum,
quia dominium intelligitur in monasterium translatum, quod laicus
habebat ante dedicatiouemy ut infra qu. VII. monasterium, Si vero
laicus basilicam dedicatam in monasterium contulerit, tunc non per-
tinebit ad abbatem institutio quantum ad temporalia, neque quantum
«d spiritualia, sed jus tantum praesentationis, quod tautum habebat
laicus, ut infra q. VII. pio frigentius'
3. Zu Dist. LIV. princ. aervi autem heisst es am Ende:
'Item notantur casus, in quibus sacerdos factus redigitur in ser-
>itutem Idem fortassis dicitur, si conditionem suam uoto
pontifici non indicayerit» ut C. XII. q. II. longinquüaie. Item si ad
«aecularem vitam redierint, forsan idem erit, ut C. de episc. aul.
si servtis [ad c. 36. I. 3.] Jo.^
4. ade. 20. 21. C. XIL q. 1.
'Ad solvendam contrarietatum herum cap.nota super illudverbum,
quod damnum incurret ecclesia, si ignoretur.quae res sintepiscopi»ut
in ilio c. sint manife8tae[o. 21.] et quia ecclesia ideo fuisset caritura
in perpetuum yel ad tempus cum occasione ignoratiae talis fuerit ad
alios devoluta eins possessio» neque sine dispendio litis ad eam redi-
tura. Vel damnum incurret ecclesia eo, quod non sit habitura com-
modum possessionis, si ignorantiae huius occasione ad alios devoluta
sit eins possessio. Quod tunc intelligendum est, cum certum est,
episcopum habuisse propria. Si autem certum est, episcopum noii
habuisse propria vel incertum est, praesumendum est pro ecclesia. Ar.
C. de donat. inter vir,, etiam et ff, e, Quintus, secundum Jo*
6. Auf fol. 9^ steht unter den noch angehängten, offenbar von
dem Verfasser herrührenden folgende:
'§. Hac auct. etc Sententia vero diflinitionis si fuerit
injusta ex ipso ordine, non est opus appellatione, si autem ex causa
et fuerit appellatum, infra XX. annos poterit revocari sententia lata
ex falsis instnimentis vel testibus. Hoc si causa civilis est, si vero
criminalis quandocunque vult poterit retractare. d,*
6. C. IL q. IL '§. Quod autem etc. Cum de restitutione cleri-
corum agitur, sciendum est, quod tria sunt, quae in ecclesia possi-
demus: beneficium, ofHcium, fraterna communio. Item quod sub
beneficio res etiam episcopi comprehendas, quas de ecclesia tenet.
Quidam tarnen noiunt res episcopi in beneflciis ecciesiae contineri,
sed tantum res clericorum. Cum ergo quis fuerit beneficio spoliatus
Zar Geachichle der Literatur über das Decret GratiaDs. III. 67
siqoidem praeter ordinem iudiciarium regulariter est restituendus
priasquam de causa, super qua impetiturt cognoscatur, ut in hac q.
in ofDDibus eap., nisi suspectus sit de crimine, uude scandalum ori-
retor, quod ei restitutionem impediret, ut supra q. L in primis et
j. q. T. mper causa. Si autem ordine judiciario aut juste vel injuste.
Joste enim, quia sententia damnatus est legitima sine objeetione,
quae sententiam retraetet, tum quia publice infamia gravatus est, tum
qoia eofitumacia rebellis, tum quia sie exigit casus Constitution is,
Teloti si dilapidator sit, ut j. C. III. q. IL quia- Talis ante Judicium
pnaeipale non restituitur. Si injuste, omnino restituendus est.*
§. Cuai autem officio spoliamur, similiter ante causae in-
gressum restituimur, nisi nos infamia urgeat, sicut in fine dicitur
huius düHnctionü, Si ante restituti non fuerimus, administrare
oSieium praesumere non debemus ut C. XVI. q. I. cwieiis- Cum vero
a fraterna coromunione separamur, tunc prius cognescatur de causa
nisi tone demum, cum post appellationem excommunicatio vel
^Qspeosio facta fuerit. In tali enim casu prius fiet absolutio, ut
C. XI. q. HL si episcopus forte» et infra e. f. V. ad Romanam.
f. Item nota, quod tribus modis dicitur ordo judiciarius servari:.
respeetu judicii, seil, quando legaliter fit expoliatio ante judicem,
respeettt causae, sicut in dilapidatione rerum ecciesiae non resti-
tutoitor, quocunque modo exspolietur, et cum ordo judiciarius in eo
dicitur serrari, quia talis causa talem exigit ordinem, respeetu etiam
eitrinsecae necessitatis, ut pro yitando scandalo ut j. q. v. preabyter»
ibi enim non restituitur propter scandalum,
%. Item distinguendum, utrum ordo judiciarius intercesserit, an
non. Si o. j., prius cognoscetur de causa quam restituatur, quia
propter infanniam suspendatur ante cognitionem causae, ut j. q. v.
preA. Si yero praeter ordinem judiciarium, prius restitui'debet per
iudieem superiorem. §. Item notandum est, quia exspoliatus, quando
restituitur ad causam et ad omnia, quae amiserat. quandoque ad
eaQsam tantum, aliquando yero ad uullum. Quod ut melius pateat,
sie distinguis. Cum quis exspoliatur et aut absens aut praesens est; si
praesens aut appellat aut non. Si appeliaverit et ad causam et ad
omnia restituendus est, priusquam de causa agatur, ut in hac q.
in Omnibus canonibus. Si autem non appeliaverit, forte de miseri-
cordia restituetar et ad causam tantum, veluti se dixerit falsis
testibuB yel instrumentis convictum. Hoc enim potest ex illo cap.
68 ▼• Schulte
q. I. in primis et C. YII. q. I. praeaentium. Quod male actum est
Tult sanctus apostolicus saepius etiam rimare, ut C. XXXV. q. IX.
senientiam et j. C. XI. q. VI. svper cau$a [ist c. 11. C. XI. q. 8,
die erstere Stelle c. 6. C. XXXV. q. 9]. Ibi etiim habes, quia
ille bis ad causam restitutus post condemnationem hie autem forte
semper ei indulgentia dabitur, ut in causa tantum audiatur nisi
talis fuerit qui convictus esset iudicio stare noiuerit. Hie enim non
audietur, nisi infra annum, anno vero transacto ad nullum resti-
tuitur, ut C. XI. q. III. rursus. Si vero absens fuerit, refert, au ex
justa causa. Si ex contumacia, in nullo audietur, immo damnabitur et
deponetur de crimine, si tarnen notum est aliquo modo, ut C. IX. q.
III. decretumf et j. XXIIII. q. III. deüliciia. Nee etiam Yocem appella-
tionis habebit ut ibidem dicitur. Si vero ex justa causa absens fuerit,
refert, utrum alius sit ei substitutus yel non. Si alius est substitutus
ad causam tantum restituitur ut supra q. I. in primis, et infra q. V.
mper causa et C. VII. q. I. praesentium, Si alius non est substi-
tutus ad omnia restituetur, ut hie dicitur C. e. q. V.
§. Item quaeritur, si aliquis ab aliquo est accusatus et ab
alio exspoliatus, an sit cogendus stare ante judicem, nisi prius resti-
tuatur. Et videtur, posse cogi ex illo c. in primis. Die enim Januarius
a Carniciolo exspoliatus accusatus a servis et principe nee tamen ante
causae cognitionem restitutus. Sed melius est» ut dicamus, a quo-
cunque fuerit exspoliatus prius esse restituendum, sicut haec
omnia dereta velle videntur in hae q., nisi forte eius negligentia fiat,
ut non restituatur, ut C. III. q. IL et III. cum ecclesiae. Ibi enim
aperte dicitur: si non sponte sua et in fraudem restitui non venit ut
alii accusare, ad illud quidem Januario ut diximus obiici potest. Resp.
quod tunc ille non restituebatur, quia erat si alius substitutus vel quia
sine scandalo fieri non poterat, vel quia non appellaverat. Hoc idem
etiam dicimus, si pro uno crimine fuerit iniuste exspoliatus et de illo
impetitus ut C. III. q. I. §. Alii sie distinguunt: Spoliatio alia 6t in
civili causa, alia in criminali. Si in civili» aut fit sententia» aut
yiolentia, aut contumaciam Si sententia, aut ordine lata et legum tra-
roite aut non. Si vero restituitur ordinem redarguendo, si ordine
restituitur ut in crimine; infra docebitur. Excipe tamen absenteiti.
Si violentia^ restituitur per interdicium; si contumacia,
distinguendum est per litis contest. Item si in criminali contingit spo-
liatio, alia fit per seutentiam, alia per violentiam, alia propter
Zw Geschichte der Literatar aber dt« Decret Gratiana. III. 69
suspieionem, alia proptercoDtumaciam^utinfra C. IIL q. IX. decretum.
§. Per senteDtiam exspoliatus pro crimine alias latum ordine, alias
noD. Si noD, aut excommunicatur aut non. ExcommuDicatus restitui-
tar, sed ante absolotionem; si non, potest restitui per appellationem,
si tarnen ante appellet Si post, ordine improbato. Si autem ordine,
tribos modis restituitur: per appellationem, per falsi redargutionem,
per sententiae improbationem. Et boc doobus modis: aut quia data
est contra iuris ordinem, at si spolietar et eondemnetur absens, yel
qnia contra ins constitutionis. Et haec de spoliatione, quae fit per
seDteotiam tantum, quando alias fit exeutione sententiae ubi resti-
toitar similiter omnibus modis praedictis. Sed aliter ibi restituitur
spoliatos Torbotenus seil, ad causam bic ad res ipsas. Si autem et
sententia et execntione spoliatus quis tandem appellet ad causam resti-
tuitur, non ad res.
§. Per Tiolentiam exspoliatus si Tult agere, non impeditur; con-
Teotus non respondebit nisi restitutus, seil, de illo crimine, pro quo
spoliatus est, de alio ante vel post conunisso et alii quam exspoliatori
cogitur respondere. Sed mihi non placet, ut de prius commisso
respondeat quam post exspoliationem boc in fraudem fieri potest de
post commisso concedo ad exemplum legati, ut ff. de iudic. 1. IL §. III.
§. Propter iustam suspicionem exspoliatus non restituitur ante
caosae cognitionem, ut infra q. y. super causa^ presbyter et infra
C. ni. q. n. quia, §. Item nota, quia, licet generaliter dicatur, quod
noQ debet fieri eondemnatio vel absolutio in judicio nisi ordine judi-
eiario obserrato et omnibus injuste spoliato restitutis, tamen certae
caosae sunt, quae inducunt ordinem judiciarium non observari et
injoste [spoliatum] non restitui. Sunt autem bac : criminis infamia ut
j* q. T. presb.9 C. VI. q. III. placuä, C. XXIIII. q. II. sane pro^
fertur et c, extrava. de symoniacis [damit kann nur gemeint
sein c. 3. de sym. V. 2. Comp. I.] ubi dicitur quod testimonium unius
aoditur; delicti detestatio ut j. q. ▼. super jacturae cautelam ut
j- C. m. q. U. quiai specialis ratio cohaerentiae ut C. XL q. IIL
tt epi$e. forte: militiae depressio ut in capitulo extravaganti
^ibi [abbati] Sancti Petri super dubia ad noatram noveris [ist
c. 3. de appell. Comp. L]; scandali vitatio, ut C. III. q. V. haec
pippe; Judicii defunctus [defectus], ut in summo pontifice ut C. III.
q. I. §. paiei; facti evidentia ut in notoriis; delinquentis contumacia
Qt C. XXini. q. m. de iUicita:
SiUb. d. phil.-hisi. Cl. LXV. Bd. I. Uft. 6
70 T. S c h al t e
7. C. XVI. q. ni. princ.
*§- Qtiod autem etc. In omni praescriptione haec potentissime
consideranda sunt Verum rei, de qua quaeritur, qualitas
eonsideratur. Si enim aliquod Spirituale fuerit, nullo temporis spatio
poterunt [poterit] vendicari, nisi fortassis ab eo, iu quo eiusdem
possessio poterit declinari, quia [adde quod] ab initio non valuit
traetatu temporis non conyalescit. Quibusdam quoque yeluti albert o,
rufo ^y Visum fuit» quod in omni ecclesiastica praescriptione iustus
titulus, bona fides initiOf in medio^ in fine, argum. infra C. XXXIIII.
si oirgo et supra C. XIIII. q. VI. si res et c. extra, vigilanti
etc. [c. 7. de praescr. IL 18. Comp. I.] Sed fortassis tutius haec
differentia propulsatur, ut e. per singulas [c. 1. 2. C. IX. q. 3.], illo
dilligentius observato, an possessio praebendae seu beneficii nomine
teneatur, an alio quoque titiilo ad possessorem devenerit. In primo
namque casu nulla praescriptione tollitur, ut c. clerici [c. 11.
C. XVI. q. 3.], in secundo quodlibet ius spirituale occupatur, ut c.
placuit [c. 15. C XVI. q. 3.].
§. Tres praescriptiones locum habent ex canone expresso, seil.
XXX., XL. et C. annorum; duae priores in minoribus ecciesiis,
tertia in Rom. ecclesia, ut o. Nemo [c. 17. C. cit.]. Sed domus
domini dupliciter accipitur: ecclesia et monasterium. Item ecciesia
vel praescribit contra ecciesiam, ubi opus est XXX. annorum
praescr., ut c. 1., aut contra monasterium simpliciter, per XXX.
annos yel XL. secundum quosdam; aut contra laicos itidem per
XXX. annos ut c. placuit, [c. 8. ibid.] Idem de monast. Aut enim
mon. praescribit contra mon. et tunc necesse est XL. annis-prae-
scriptionem compleri, ut yidetur quoniam contra ecclesiam minori
tempore praescribere iion potest, ut q. IUI. volumus [e. 2.]. Et hoc
^) Rnfinu« sagt zu dieser SteUe (Cod. Bamberg. P. I. 11.)^ 'Ad hoc
aotem, nt iura ecciesiae praescrtbantnr aire ab ecci. sire a privatia prina necesse
eat, ut haec dno mazime personae occurrant, acU. conHnua bona fidet^ fidei
conscieDtiae ut ex quo praescribere copit utque ad novissimam horam praescrip-
tionia in conscientia haberet, quod rem alienam non possideat, licet lex dicet,
b. f. non ad tractum nedii temporis sed initium possessionis scii., et credimus
districtios se habere in ecclesiasticarum rernm praescriptionibus, et boc propter
farorem ecciesiasticae imrounitatis, unde secundum canones aliquis tarn diu
judicatur m. f. prosseasor, donec habeat coDscientiam rei alienae' cet.
Zar Geschichte der Literatur über ans Decret Gratiana. III. 71
Greg, in registro suo stätuit. Contra laicos autem forte praescribere
potest sicut ecciesia.
§. Duo exiguntur, ut praescr. annorum XXX. et supra complea-
tnr seil, non interrupta possessio et possidere suo nomine. Aliud in
praescr. X. vel. XX. annorum« ubi bona fides ex utraque parte desi-
deratur» seil, tradentis et accipientis. §. Item rerum quaedam cor-
poreae quaedam mcorporeae, veluti vita. Quorum quaedam debentur
ecclesiae, quaedam debet ecciesia, quaedam habentur in ecciesia.
Qaae debentur, ut jus percipiendi et similia ab eo praescribi possunt,
eui et debentur ut in monasterio et clerico, laico non, quare nee
praescribere poterit, ut q. lY. ad haec. Item vero debet ecciesia ut
cathedraticum et similia, similiter ab alia ecciesia episcopali prae-
scribi possunt. Dubium est, an monasterio, a laico minime.
§. Quae habentur in ecciesia, quaedam habentur iure cleri,
de his crimen dictum est, quaedam iure laici, ut jus patronatus
Tel adTocationis, forte sie transmittitur ad posteros, eodem iure
et praescribi potest, maxime si tempus memoriam hominum ex-
cesserit. Constat enim, jus spirituale illod non esse, dum in
iilnd sueceditur, quod non est in spirituali, ut C. VIII. q. I. Moyses
§. Item eorporearum quaedam mobilia, quaedam immob. Hamm
tttrorumque quaedam consecratae, quaedam non. Cons. a nuUo laico
praescribi possunt, qui nee ab eo possideri. Et hoc legibus asseritur;
possunt a monasterio Tel ecciesia, quin et ipsa ecciesia praescribi
passet Non consecratae si immobiles sunt, XL. annis laico qtieruntur
unde in aut quas actiones etc. Bes vero mobiles non conse-
cratae forte decennio queruntur^ non ueucapione, quoniam res
fisci asucapiuntur, sed ubi res immobiles a laico praescribuntur,
si canon annuus inde debeatur, illae non praescribuntur ad simi-
litodiDem tributi et tributarii praedii. §. Effectus duplex est: in
retentione etiam contra dominum, si praescriptor possideat, in Ten-
dieatione, si de possessione ceciderit, si tamen bonam fidem et titu-
lum habuerit in principio. Sed quaestio est, an ecciesia mala fide
praescribere possit . . . .' Folgen die Fälle der interruptio posses-
sionis, darin auch die bereits mitgetheilte Stelle. Dazu sehe man die
im zTireiten Beitrage citirten Stellen.
Wollen wir nunmehr die Zeit der Abfassung genauer
untersuchen, so haben wir beweisende positiTc und negatiTc Argu-
mente. Erstens aus den unter num. 1. und 2. mitgetheilten Stellen
6»
72 T. 8 c b a 1 1 e
ergibt sich« dass der Verfasser Johannes Faventinus>), aus
num. 7., dass er Albertus und Rufinus kennt Rufinus ist älter
als Johannes. Huguccio citirt Gregor VIII. (Albertus Bene-
▼ entanus) mehrmals*), aber immer als Gregorius YIIl. mit dem Zu-
sätze 'aniequam esset papa.* Gregor regierte vom 2f. Oet bis
17. Dee. 1187. Dass ein nach dieser Zeit schreibender Schrift-
steller der päpstlichen Wurde nicht Erwähnung gethan hätte, ist
unwahrscheinlich. Gregor VIII. erscheint als Cardinal und
Kanzler in Urkunden Yom 22. Febr. 1178 bis 22. Juli 1181 unter
Alexander III. [Jaffa Regesta Pont pag. 679]»'Lucius III. Yon
1181 bis 1185 [ibid. p. 835] Urban III. bis zum Tage seiner Wahl
[ibid. pag. 855]. Jedenfalls durfte seine bisher unbekannte
Summe, da er schon am 15. Oct 1159 als Card. S. Laurentii
in Lucina erscheint (ibid. pag. 678) wohl noch vor 1159
oder doch um 1160 fallen. Da somit Albertus zu den ältesten
Glossatoren des Decrets gehört, da Johannes Fayentinus selbst
den Albertus citirt«), da Johannes* Summa selbst nicht über die
siebziger Jahre des XII. Jahrhunderts hinabgeht, so stände, was die
benutzten Schriftsteller betrifft, nichts entgegen, diese Disünctiones
auch in jene Zeit zu verlegen. Es käme nun noch darauf an» den D.
zu bestimmen, der in den Stellen 1. und 5. vorkommt. Mir ist
bisher ausser in einer Handschrift des Decrets, welche bei einer
späteren Abhandlung zur Sprache kommen wird, kein Glossator
dieses Namens vorgekommen; eben so wenig finde ich bei anderen einea
solchen citirt Sarti I. pag. 285. erwähnt einen D. Canonicus Lon*
dinensis, der, wie die dort Append. pag. 113 s^, mitgetheilten fünf
Briefe Alexanders III. von 1162, 1163 ergeben, in Bologna als
Magister thätig war und auch bei Alexander III. als Gesandter des
Königs von England fungirte. Ich glaube, zumal die Zeit und alle
sonstigen Umstände stimmen, keinen Anstand nehmen zu sollen, den
hier erwähnten Magister d. mit dem dieser Briefe für identisch zu
halten. — Andere Schriftsteller sind nicht citirt Zweitens von
nachgratianischen Decretalen bez. Extravaganten werden
citirt: 1) c. extr. de symoniacis (oben num. 6.)« Damit ist» wie der
') Derselbe wird auch noch citirt in C. XVI. q. 7, in 0. XI. q. 3. c. 16. Heui apoitoii»
') S a r 1 1 erwühnt ihn unter den Professoren xn Bologna und überhaupt nicht
<) Siehe meine Rechtahandschr. der öaterr. Stiftabibliotheken (Sitsber. LVII. B(i.>
Seite 587.
Zar Getchichte der Ltterator über dts Decret Gratians. III. 73
togegebeDe Inhalt lehrt c. 3. de sym. Comp. I. [c. 3. X. V. 3.] ge*
meinty das vor Gratian fallt 2) das daselbst genannte cap. ad
nwtram noveris ist c. 3. der appell. comp. I. und ibid. X. von Alex.
Di. — 3) in num. 7. ist eitirt e. vigilaniif das als c. 7. de praescr.
in der Comp. L und aIsc.5.X. de praescr. steht. — 4.) zu D. XLIV.
eitirt er i) : '§. cum auten. Ex hoc colligitur, quod prohibito uno
aliud prohibitum intelligitur» quod inducunt censurae similitudo» ut
eapitulom Alex, extravag^ [eine Lücke], generalis pronunciatio, ut
C. XiV. q. V. penaUf prohibiti occasio ut di. XXI. legitur, B. 1. II.
hüubendum.* Es ist gemeint die Decretale Alex. III. in c. 13. de
appell. comp. I. *sicut Romana et infr. Super eo vero' S) zu c.
efdentibuB 1. C. II. q. 5.: *c. extrav. Innoeetäii quoHens frater
no9ter,* ist das schon von Johann Faventinus [meine Rechts-
handschr. S. 589] citirte Cap. Innocenz IL, das als PaleamcAl,
C. II. q. 6. steht. — 6) zu q. 6 ib. 'c. Alex. UI. archiepiscopo Senon.
qvaegiium egt.' Dies ist c. 1. de rescr. und c. 12. de appell. Comp.
I., e. 1. X. de rescr. — 7) eitirt er als Fälle der Unterbrechung der
Ersitzung zu C. XVI. q. 3. a. E. : 'item vacante sede, contra quam
praescribitur: ut c. Alex. Salernitam archiep. Consuluisti,* Es ist
c. 6. de praescr. Comp. I. gemeint, das in der Comp, mit Licet
beginnt; coneulmsti beginnt aber auch ein Theil (vgl. c. 3. X. de
') Hsfaecio Ibid. * . . ar. ex ca. qaae simUen expotcuat censaram ainile
MMcasa T«l iBbibita iotelliguiit, nt I. q. i. aicat ChrUtus et di. 4. denique.
Qeataor enin eaat, qnae faclunt, ut nno concesso reliqvum concedatur et uno pro-
bibito reliqaam prohibeatnr, teil, eenanrae aimilltndot quae enim aimile jadiciuoi et
«inUem expoacerent cenauram aimile cooceaaa Telprobibitaiiitelligunt,utebrietaaet
▼eatria iof iuriea ot kic et ebrietaa et qnodlibet aliud nsortale peccatum nt dl. 4. deniquM
et in txtrm, aicut Romana. conanluit, «bi dieltnr, quod, ai probibetnr appeUatiu et
rccnaatio, paren ei et aimilen expoacunt cenanran. Secnndum eat generalia pro-
nandatio i. e. ampliatio rocabnli ad ^eneralitatem ut 14. q. 5. poenale et 22. q. 4«
meretriee» [iat c. 11. C. XXXII. q. 4.], idem aicut a^nncti ratio, acil. quia con-
juncta et aibi cobaerent ut I. q. I. aicut Cb. et I. q. 2. nullua priroaa epm. et io
cxtr. aicnt Rom Tertium fadt probibiti occaaio . . . .' Daa Citat aua
Burebard feblt. Yergleicbt man diese Stelle mit der obigen, ao iat offenbar, daaa
aie einander ror Augen hatten. Ans dea Job. F a t. Summe kann die EzpoaiUon
nickt geaebSpft aeln, well tie darin niebt rorkommt. Den Bindruck der Origina-
litit mncbt offenbar die Summa anonyma, deren Brklimng Hnguecio auafSbrt.
Dica iai nm ao planaibler, tia Huguceio die Stelle ao eitirt, wie man diea bei einer
allbeknnnten Sammlung tkut, die Sunima anonym« aber mit dem Namen dea
Papatea.
74 Y. 8 e k u I t e
sponsa duor. IV. 4.). — 8) zu C. XVI. q. 7. *rel secundum Alexan^
drum, si quaestio patronatus infra tres menses non fuerit sopita,
episcopus iDvitis patronis poterit ordinäre, ut . / (fehlt das Citat).
Das nach dem Lateranensischen Coneil erlassene cap. K. de aet. et
quäl. I. 8. Comp I. (c. 22. X. ID. 38.) passt nicht, weil es sechs
Monate hat» aber das c. 4. de jure patr. Comp. I. (c. 3. X. ib.) ent-
haltend den can. 17. des lateran. Concils von 1179 passt unbedingt ;
eine andere Decretale desselben Inhaltes kenne ich nicht. 8) Daza
die übrigen bereits in den abgedruckten Stellen befindlichen Citate.
Erwägt man, dass der Verfasser das 3. Lateraneusische Coneil
kennt, und halt damit die übrigen Momente zusammen, so durfte der
Schluss gerechtfertigt sein: Die Distintionen als zwischen
1179 und 1187 entstanden anzunehmen; ihre Abfassung
spSter zu setzen, dafür liegt nicht der geringste Anhaltspunkt yoi%
Die Art der Citate von Extravaganten scheint mir aber zu beweisen,
dass er die Comp. I. nicht kannte: 1) weil er bei allen Decretalen,
welche unzweifelhaft Alex. III. angehören, dessen Namen erwähnt ;
2) weil er einmal (bei Citirung der ad nostram noveris) die Inscrip-
tion zusetzt, offenbar um ihre Auffindung zu erleichtern, was nicht
nöthig war, wenn er eine streng systematische Sammlung vor sich
hatte; 3) weil er die nicht sicher Alex, angehörigen [denn c. 'üu/i*
lanit wird in der Append. Clemens Martyr zugeschrieben] bloss
mit dem Anfangsworte (vigilanti) oder so citirt, wie es für die
Comp. I. nicht passt, nämlich bei dem c. de symoniacis, da der Titel
jener de symonia lautet.
Neben dem Decrete und den Extravaganten ist ein verhältniss-
massig reicher Gebrauch vom romischen Rechte gemacht worden ; ich
habe gegen 20 Stellen aus den Pandacten, 15 aus dem Codex, 2 aus
denAuthentiken,l aus den Institutionen angemerkt. Von altern Quellen
^ird nur Burchard übar zwolfmal citirt.
Für einen Punkt ist die Summe nicht ohne Interesse. Die Citate
Jo. in num. 3 und 4«) sind nicht entnommen der Summa des Job.
') DtM Job. F a T. auch tuMcr seiner Samma Glosseh ^geschrieben, b»t ochoD
M a a i s e tt Beitrlpe S. t7 bemerkt und durch ein Citat ans H o g* n c c i o und
einem Minebner Codex nachgewiesen. Für die Stelle in nam. 3., welche genau
anch nicht in der Summe steht, finde ich im Cod. TreTir. 906. und im
Bamberg-er P. I. 16., der gleichfalls neben denen des Job. T e u t. Glossen toii
Job. F a T. enthilt, keinen Beleg. Auch H u g n c c i o citirt ihn nicht.
Znr Gacchichte der Literatur über das Decret Gratlant. III. 7S
FaT., sondern Glossen desselben. Glücklicherweise flndet sich
die in num. 4. bezogene im Cod. Nr. 906 der Stadthihliothek zu
Trier, mbr. fol. s. XIII., wo sie lautet:
'Hinc argue, quod omnes res, quas possidet episcopus, eccle-
siasticae intelligentur usque adeo, ut moriens episcopus in eis testari
noD possiU nisi faerint prius manifestae vel eyidenter probari possit»
eas prius fuisse episcopi. Ar. est C. de don. int. vir. et uxor. Biiam^
et ff. eodem Quinius. Quid ergo est, quod in proximo supra canone
dieitur, ut nee ecdtesia damnum incurrat, non enim ex confusione
damnum sustineat ecciesia, sed heredes duntaxat episcopi, si semper
pro ecclesia praesumentur? Solutio: damnum ecclesia pati potest non
iodieium exercendo, sed res ipsas, quas suas ignorat, petere negli-
gendo, Tel in sumptus judiciales, vel referre dicas, an certum sit,
episcopum habuisse propria, vel non. In primo casu quicunque in
possessione invenitur, seil, heres episcopi vel ecclesia, commodum
possessionis obtinehit, ut transferat onus probationis ad alterum.utin
superiori C. et iofra e. q. IV. quicunque, et q. IIL c. 1. Si vero non
foerit certum, cum habuisse propria, et post eins mortem de re aliqua
dubitatur,pro ecclesia indistincte praesumetur, ut hie dieitur etq. IIII.
c, 1. Jo.'
Dass diese Glosse wirklich von Job. Fav. herrühre, beweist
das Schweigep der Summa und folgende Worte von Hugucciozu
dieser Stelle (Cod. Bamb. P. II. 28.): c . . et est argum., quod,
ubi est incertitudo ex confusione rerum episcopi et ecclesiasticarum,
semper praesumitur pro ecclesia et ecclesiae intelliguntur omnes,
donee probetur in contrarium, sive ecclesia sit in possessione sive
episcopus vel ejus heres. Et sie onus probationis incumbit episcopo
Tel eius heredibus, alias autem, nisi ab eo probetur, eas esse vel
foisse episcopi, semper praesumitur, quod sint ecclesiae et ei adiu-
dieabuntur. Et hoc dicit /o. argumento legis seil. C. de dona. int.
rtr. ei ux. L ult et ff", de don. int. vir, et ux. Quintus Mucius.^
Dass unsere Summe die Glosse des Faventinus vor Augen
hatte, scheint mir aus den Worten hervorzugehen, die sich ihr genau
anschliessen.
Erwägt man die in der Arbeit zu Tage tretende Kenntniss der
Literatur, der Quellen, die Selbstständigkeit des Urtheils, so darf
man sie trotz des geringen Umfanges als werthvoll bezeichnen, wie
sie auch für die Dogmengeschichte von Interesse ist
76 T. SchttUe, Zur Geschichte der Litentur fiher das Deeret GratiM«. III.
Eine Stelle erlaube ich mir noch mitzutheilen, zu C. XXV. q. 1 ,
§. quod vero in princ. :
*. . . §. Cum autem aliqua priuilegia inter se inveniuntur con-
traria nova prioribus praejudicant hac ratione quia in multis cap.
videmus adjectum: ut saivum sit in omnibus Romanae ecclesiae
Privilegium licet alia ratione inspecta videantur priora posterioribus
praeponenda, ut C. XXXIII, q. IL hoc ipsum in fine. Sed quaeritur:
81 autem emanayerint statuta daiae senientiae seil, ut qui contra
venerit anathema sit» an in eam incidat ft^minua papop si
contra venerit? Ad quod potest responderi, quod si huiusmodi statuta
emanayerint a yeteri testamento yel scriptura evangeliorum yel ab
apostolis vel a supradictis IIII*' conciliis, dominus papa yeniens contra
eo ipso est excommunicatus. Si aliunde, poterit papa contra yenire
et ea immutare.*
Ich habe in diesen drei Beiträgen die Glossatoren im engsten
Sinne beziehungsweise die reinen Glossen nicht berücksichtigt. Es
scheint mir angemessen, darüber abgesondert zu handeln, weil
nur dadurch ein Einblick yerschaffl werden kann, dass man zugleich
nachweist, auf welchen Glossatoren die Glosaa ordinaria ruhet
Da ich nun hoffentlich in kurzer Zeit eine Abhandlung über die
Geschichte der Glosse des Dekrets auf Grund alter flandschriften
yollendet haben werde, habe ich unterlassen, um Wiederholungen
zu yermeiden, in diesen Abhandlungen sie zu berücksichtigen.
E TIC a 1 a , UatersaehungeB auf d. Gebiete d. Pronomioa, beaond. d. latein. 7 7
UntersuehuDgen auf dem Gebiete der Pronomina, he*
sonders der lateinischen.
Von dem c. H. Johann Kvfcala.
tWr das gegenseitige TerlilltBlss der IndietBltei} Interregatlfei mti
ftUArtu ledieitiBg des PreBenlnalstaMMes ka- (kl-).
L
Allgemein verbreitet sind gegenwärtig folgende Ansichten :
1. Die indefinite Geltung des Pronominalstammes jbi- (itt-) hat
sich aus der interrogativen entwickelt.
2. Ebenso ist die relative Geltung desselben Pronominalstammes
aar die interrogative zurflckzuführen.
3. Wahrscheinlich waren ursprunglich alle Pronomina demon-
strativy und somit auch ka- (vergleiche z. B. Curtius in Kuhn*s Zeit-
schrift VI, 93).
Ist diese letzte Ansicht richtig — und sie ist es wohl — so
könnte es auffallend erscheinen, dass man die relative Geltung des
lateinischen qui (und anderer von demselben Stamme herrührenden
Worter ioi Latein und in anderen Sprachen) aus der interrogativen
erklärt und dass man nicht vielmehr auf die demonstrative Func-
tion zoruckgeht» da doch die anderen in den indoeuropäischen Spra-
eben vorkommenden relativen Wörter (z. B. skr-jas, gr. 6g^ 6 in re-
lat Bed. bei Homer u. s. » altbulg. t-ie u. s. w.) auf Demoustrativa
zurückzuführen sind. Der Umstand» dass die Spuren der demonstra-
tiven Geltung des Stammes ka spärlich sind im Vergleiche zu dem
interrogativen Gebrauch, kann doch föglich nicht als Hinderniss be-
trachtet werden, da es ja Gberaus oft vorkommt, dass gerade die äl-
78 K T i' 5 a 1 •
testen Gebrauchsweisen später eingeschränkt wurden und zuweilen
ganz verschwanden , so dass sie nur noch durch die Forschung er-
schlossen werden können. Nichtsdestoweniger ist die Scheu , die re-
lative Geltung von ka aus der demonstrativen herzuleiten, erklärlich
und gerechtfertigt. Die Entwicklung des relativen Gebrauches von ka
ist ja V erhäl tnissm äs s ig jung, wahrend diedemonstrative Geltung
dieses Stammes lange vor der Entwicklung der relativen (die nur in ein-
zelnen Sprachen sich findet), sicherlich bereits vor der Sprachentren-
nung, dahinschwand und nur in dürftigen Resten sich erhielt. Diese
frühzeitig geschwundene und nur in Resten, und zwar in erstarrtem,
dem Sprachgefühle nicht mehr lebhaft bewusstem Zustande erhaltene
demonstrative Geltung von ka hatte gewiss nicht mehr die Kraft, um
aus sich heraus die in einigen Sprachen üppig gediehene relative Func-
tion zu entwickeln. Gesetzt z. B., dass der lat. Partikel ce wirklich
die demonstrative Geltung zu vindiciren ist (wie z. B. Corssen Aus-
spr. I, 271 annimmt), so ist es doch undenkbar, dass diese demon-
strative Geltung, die in Ate, sie u. s. w. so zu sagen in gebundenem
Zustande vorkommt, auf die Entwickelung des relat. Pronomen qui
und der übrigen zahlreichen relativen Worter einen Einfluss hätte
haben können.
So gerechtfertigt es nun aber auch ist, die relative Geltung von
ka nicht aus der demonstrativen zu erklären, so halte ich doch an-
derseits die Frage, ob der relative Gebrauch sich aus dem interroga-
tiven entwickelt habe , für eine offene. Auch in dem Falle , wenn die
indefinite Function von ka (ki, ku) wirklich aus der interrogativen
sich entwickelt haben sollte <) , würde ich es vorziehen, die relative
Geltung nicht unmittelbar aus der interrogativen, sondern vielmehr
aus der indefiniten zu erklären. Ich verkenne freilich nicht, dass die
gewohnliche Herleitung logisch möglich ist (vgl. Pott etymol. Forsch.
I, S. 361, 2. Aufl.). Scharfsinnig führt Miklosich (vgl. Gramm. IV. Bd.
S. 77, Nro. 3) als Analogie den Umstand an, dass die Relation im
Slavischen auch durch die Frageform des Satzes bezeichnet wird. Es
unterliegt nämlich keinem Zweifel, dass z. B. im Böhmischen die hy-
pothetische (also relative) Geltung der enklitischen Partikel /t secun-
där, die interrogative primär ist Das hypothetische Satzgefüge ^po^
<) Ich werde aber unten nachxaweiten tuchen, dass das Verbfiltnisa umg-ekehrt
werden muss.
ÜDlersocliangeu anf d. Gebiete derProDonina, besonders der lateioischen. 70
muxei'li mi , pochvältm ii** (wenn du mir helfen wirst, werde ich
dieh beloben} ist entstanden aus den zwei selbststandigen SStzen :
„Pomuiei-H mi? (wirst du mir helfen?) und npochvdUm ie,^ Die
Bedingung wird durch die Frage bezeichnet; die (in diesem Falle
bejabeode) Antwort wird nieht ausdrQcklich ausgesprochen, aber ror-
tasgesetzt, und daran die in diesem bejahenden Falle stattfindende
Folge durch den zweiten Satz angeknupfti). Ähnliche Beispiele aus
dem Griechischen und Lateinischen sind: Her. 4, 1 18 ovx eSv noi-hGtrg
Toöra; rifitXg jxiv ncs^ö/jicvoc yj ^ec^ofiicv riiv yißipriv, ^ fxivovrtg
C|ioXc7ff yi^yia6\k€äa = iav jin ?roei%a>3re raöra, lijxcT^ . . . tCkti'-
"^^ xrX. 5, 92, 7 fin. oOx cov nocüaeaät dX/ä ntip^ataät noLpä rd
CicTusc. 8, 24, 57«).
Es ist also die Erklärung der relatiren Geltung aus der interro-
gitiren möglich. Möglich ist aber auch die Erklärung aus der indefi-
Diten Geltung, z. B.: j^Qui non seriU is non metet^ ursprunglich <=
et iäet einer nicht; der wird nicht mähen. Die Einwendung, dass
das relatire Pronomen regelmässig an der Spitze des Satzes steht,
während das indefinite quiSy qui enklitisch ist, wäre nicht erheblich.
Hit demselben Rechte könnte man ja auch ein solches von der Stel*
loDg des Wortes entlehntes Argument gegen den Zusammenhang der
M Dietelbe Geltoag hal da« U in Jestiize, du gegenwirtig* Dur als eine hfpothetische
Co^joBctioA = wenn gefahlt wird, wXhrend es eigentlich bedeutet nettne, itf**.
Z. B. J€9tUze pfijdeSf uzfii ho (wenn du kommst, wirst du Ihn sehen) eigentlich
= J€9t-ti t€ pfijdeif uzfii ho = ettne ut venia* f eontpieieM eum,
*) Oft isfc es freilich xweifelhafl, ob man das Frageaeichen setaen oder ob man den
enten Satz fSr einen die Annahme beieichnenden Aussagesatz halten soll,
wobei natfirlieh das Fragezeichen nnatatthaft wire ; z. B. Dem. Ol. 3, 18 xaX vOv
ou X^ci TK tä ßikriffToi* avaffra^ oXXo; c^irdereo, fiii roOrov aludv^oi, srepog
\i^it rt( jScXricü- raOra irouirt 0^703$ ^^XV- ^^^ Heransgeber sjnd in solchen
Fillen bezüglich der Interpunction pft nneins, gegenwirtig entscheiden sich die
meisten gegen das Fragezeichen und für die durch einen Aussagesatz
auageaprochene Annahme. Dies Schwanken ist begreiflich, weil auch in dem Falle,
wenn man den ersten Satz als Aussagesatz nimmt «gesetzt dass", derselbe
doch am Schlüsse mit gehobener Stimme (also Shnlteh wie bei einer Frage) ge-
sprochen werden mnss, da er an und fSr sich nicht befriedigt, sondern die
folgende Erginzung erwarten lisst.
Znireilen lisst sich an eiuf^n Fragesatz gar nicht denken, z. B. bei xal d^
wie Eur. Med. 389 xal ^ re3va9t ■ rc; ya ii^tvai iroXc;,* Her. 7, 10, 2 n. s.
80 Kr{£al« .
interrogativen und indefiniten Geltung von quis, qui geltend machen»
mag nun die interrogative die primäre oder (wie ich glaube) die ae-
cundäre sein. Dass das relative qui in der Regel an der Spitze des
Satzes stehttistnaturlich und findet sich dies auch bei relatiren Wor-
tern, denen andere Pronominalstämme zu Grunde liegen. Eben so na-
türlich ist esy dass das indefinite quis, qui nicht an die Spitze des
Satzes gestellt ward, da die im Laufe der Zeiten sehr abgeschwächte
Bedeutung dieser Worter sich mit dieser nachdrücklich hervorheben-
den Stellung nicht vertrug. Dass ursprünglich auch ein indefinites
kast^kis, quisBu der Spitze des Satzes stehen konnte, ist nicht zu be-
zweifeln; so wie nun aber auch andere (zusammengesetzte) Indefinita
diese Stellung nicht lieben (aliquis, quidam» quispiam), so musste
bei dem schwächeren quis, qui diese Abneigung noch grösser sein.
Die Gründe nun für die Annahme der Entwicklung des relativen
Gebrauches aus dem indefiniten , und nicht aus dem interrogativen»
sind :
1. Hit der Thatsache» dass bei anderen Pronominalstämmen sich
die relative Geltung aus der demonstrativen entwickelt hat (skr. jas
gr. og, d» slav. ize, goth. säet), harmoniert besser die Erklärung der
relativen Geltung des Stammes ka aus der indefiniten» da bei dieser
Erklärung der relative Nebensatz als entstanden aus einem selbstständi-
gen Aussagesatz betrachtet wird» gerade so wie die Sätze» in denen das
relative Pronomen sich aus dem demonstrativen entwickelt hat» ur-
sprünglich selbstständige Aussagesätze und nicht Fragesätze
waren.
2. Für die andere Auffassung werden wohl hypothetische Perlo-
den» deren Protasis ursprünglich ein selbstständiger Fragesatz war» als
Analogie angeführt ; aber anderseits kann man auch viele Beispiele
anführen für die Entstehung der hypothetischen Protasis aus 'einem
die Annahme bezeichnenden Aussagesatze; vgl. oben S. 3. Bemer-
kenswerth ist hiebei besonders» dass die lateinische Sprache, deren
Relativa sämmtlich angeblich aus der interrogativen Geltung des Stam-
mes ka entstanden sind» gerade bei der Bezeichnung des hypotheti-
schen Verhältnisses» wo die Wahl der interrogativen Form am näch-
sten gelegen wäre» davon keinen Gebrauch gemacht hat; denn z. B.
in dem Satze „8t me adiuvabis, laudabo te^ wird man doch j^$i tne
adiuvabis'* nicht auf einen Fragesatz zurückführen können» da at («et,
8vei) ursprünglich demonstrativ ist. Auch ist zu beachten» dass zahl-
UntorsttchoD^a aof d. Gebiete der Pronomine, besondere der leteiaischea. 8 1
lose Relativsätze mit gut, og av der Wendung „tt quis, idv rtg"* ent-
sprechen, was för den Zusammenhang des indeflniten und relativen
Moments zeugt
3. Für quüque wird schwerlich jemand eine interrogative Be-
deutung als die ursprflngliche voraussetzen wollen ; Bopp sagt mehr-
mals, dass, sowie skr. eis, so auch lat. que als Fragetilger fungiere;
fitis soll seine ursprunglich interrogative Geltung durch HinzufOgung
ton que verloren haben ! Wie sonderbar ist doch diese Annahme, dass
ein eigentlich interrogatives Wort (das musste ja ca, que nach der
gewohnlichen Annahme sein) gerade die eigenthumliche Kraft haben
soll, den interrogativen Charakter des Wortes, mit dem es eine Ver-
bindung eingeht, zu zerstören I Dies quisque nun aber, bei dem keine
Spar der interrogativen Geltung sich findet, das vielmehr entschieden
indefinit ist, hat auch die relative Bedeutung; so z. B. Plaut. Asin. 2,
3, 24 quisque obviam huic occesserit irato, vapulabii (ursprünglich
nirgend einer wird diesem in den Wurf kommen, er wird Schlage
bekommen'* =ir«r tnim^diesem in den Wurf kommen wird u. s.w.).
Nil. gl. 2, 2, 5; 2, 8, SO; 4, 9, 14 u. s. Dasselbe gilt von quando-
que =: quandocumque.
4. Auch bei quisquis wird man wohl nicht an eine ursprilnglich
interrogative Geltung denken. Von der indefiniten Bedeutung finden
sich Spuren , die ich nicht durch Annahme der Auslassung des Ver-
buro substantivum erklären mochte; so CatoR.R. c.7 in eodem fundo
iuum quidquid conseri oportet, Cap. 48. suum quidquid geiius ta-
karum seriio; und namentlich unusquisquis = unusquisque, wie
Cato bei Fest« p. 234 qui unumquidquid mature transigit, is pro-
perat: — ego unumquidquid quod adortus er am transigebam.
Plaut. Trin. 4, 2, 39 si unumquidquid singillcUim et placide per-
contabere- — Aus der indefiniten Geltung hat sich die relative ent-
wickelt.
5. Wichtig sind ferner noch andere Worter, die als subordinie-
rende Conjunctionen relative Bedeutung angenommen haben und bei
denen dieselbe durchaus nicht aus der interrogativen Geltung erklärt
Verden kann , da sie eben diese niemals hatten. Hieher gehört vor
allen dum. mag nun diesem Worte ein Pronominalstamm da- (der
jedenfalls demonstrativ sein musste , eine Modification von ta-') zu
Grande Hegen oder mag es nach Corssen (Ausspr. lU 149. 284) ein
Aeeusativvon dius sein, so dass dum ^ursprüglich den Tag, dann
82 K T i £ • 1 •
der Weile, indessen'* bedeutete (Corssen a. 0. 284). Bezuglich der
Entwicklung der relativen Geltung des dum vgl. das deutsche weil
(auch temporal), derweil, während. Das griech. Ti<üg ist eig. demon-
strativ y,so lange**; aber die demonstrative Geltung tritt zuweilen
zurück, so dass es ,,eiue Weile, eine Zeit lang** bezeichnet, also in-
definit gebraucht wird, wie z. B. Plat Lys. 207 A ritag iktu ouv
iinopei re xai taxvit /xövo^ Kpo^tivar ineera xrX. Lach. 183 E ritag
fi.£v o5v 7t ocffiSet iv rß vtqi ayreypiievog roö iopaxog • inei Si $ii xrk.
Man sieht leicht, wie in diesem Contexte die Bedeutung von ri^g
„unterdessen, bis dahin** in die von „eine Zeit lang** übei^ehen
konnte. Titag findet sich nun aber auch als Conjunction, also relativ
(= ccü^) gebraucht, z. B. Plat. Symp. 191 E ritag av Tratdeg eütrc,
fiXoOai rcO^ ävSpag (vgl. Lexika und Buttmann, index zu Demosth.
Hid.)
n
Wie verhält sich nun die interrogative Function des Stammes
ka (ki) zu der indefiniten? Die angebliche Entwicklung der letzteren
aus jener stellt Pott (Etym. Forsch. I, 361) so dar: »Das Fragpro-
nomen wird häufig in den Sprachen, nur wenn zuvor durch Tonlosig-
keit abgeschwächt, als Indefinitum verwendet, z. B. si quis (aliquis).
Griech. isAug ue quis. Es kam wer (jemand); d. h. Gekommen ist
jemand, nur bleibt noch fraglich w^?^ Eine ähnliche Verbindung
zweier Momente (eines Aussagesatzes und einer Frage) kommt wirk-
lich vor, z. B. Eur. Hipp. 521 nrdvr* dev faßn^iXa lo^i- Stiiialvug 8i
ri; Or. 393 f^p^u) ii XOaarig ;r6re,* rig rii^ipa tot' riv; Solche Sätze
kann man, um Pott*s Worte zu gebrauchen, erklären: „Du fürchtest ;
nur bleibt noch fraglich, was.** Aber auf diese Weise ist gewiss die
indefinite Geltung historisch nicht entstanden , sondern das Verhält-
niss muss umgekehrt werden. Ich führe hiefur folgende Grunde an :
1. Die interrogative Function eines Wortes ist ohne Zw^eifel
ganz und gar abhängig von dem fragenden Tone, dessen man
sich bedient Es gab niemals absolute Fragewörter, d. i. solche,
denen die fragende Geltung wirklich innegewohnt hätte <)• sondern
*) Bentej (Kuhn*« Zt. 9, 123) tteUt swar einen solchen Versuch eof, indem er meint,
das interrogatiTe Pronomen, dessen organische Form nach seiner Ansicht kva ist,
könne in Verbindung gebracht werden mit dem skr. Verbum ku n^in Geschrei
erheben, rufen*.
t'ntersuchuii^eii aufd. Gebiete der Pronomina, besonders der lateini.fchen. o3
alle hatten ursprünglich eine andere Bedeutung, und nur dadurch,
dass sie in Fragesätzen oft verwendet wurden, geschah es, dass das
Sprachgefühl das fragende Moment, welches eigentlich durch den Ton
bezeichnet wurde, auf diese Worter selbst übertrug und sie dann als
Träger der interrogativen Function ansah (vgl. die Fragepartikeln
aoa, {, ne, nunif nonne u. s. w.). Die wirkliche Frage (im Gegen-
satze zu der rhetorischen) entspringt aus dem Nichtwissen und dem
Streben, das, was man nicht weiss, zu erfahren. Dieser Wunsch,
Aoskonft zu erhalten, wird zufolge einer natürlichen Symbolik da-
durch kundgegeben, dass man am Schlüsse des Satzes die Stimme
nieht (wie es bei einem Aussagesatze natürlich und angemessen ist)
fallen, sondern sich erheben lässt. Dadurch wird symbolisch ange-
zeigt, dass das Ausgesprochene nicht für sich einen befriedigenden
Abscbluss bietet, sondern dass man diesen Abschluss, die aufklärende
Ergänzung erst erwartet; diese Ergänzung ist die Antwort. Jedes
Wort kaunaher in einem solchen Satze als „Frage wo rt** fungieren;
wenn man es nämlich stark betont, so lenkt man die Aufmerksamkeit
anf dasselbe (wie es auch in einem Aussagesatze geschieht , vgl.
z. B. der Bruder kam heute opp. und nicht sonst jemand; der
Bruder kam heute opp. und nicht an einem andern Tage u. s. w.)
und gibt zu verstehen, dass die Antwort gerade auf dieses Wort
Bucksieht nehmen und sich beziehen soll; z. B. kam der Bruder
gestern hieher? kam der Bruder gestern hieher? kam der Bruder
gestern hieher? Mit Fug und Recht kann man also behaupten, dass
es ursprünglich gar kein eigentliches Fragewort gab und dass ander-
seits, wie jedes Wort, so auch das unbestimmte Pronomen Aros,
Kf in einem fragend ausgesprochenen Satze zu einem interrogativen
Pronomen werden konnte. Dass gerade das unbestimmte Pronomen
sieh zu einem Frageworte qualifieierte, ist begreiflich. Die Frage ver-
langt eine Antwort, und gerade das unbestimmte Wort ist eben
das unbekannte x, das durch die Antwort seine Auflosung erhalten
soll i). So wurde aus d ditkfog tlni re der Satz 6 disXfo^ eine ri ;
*) lalercsMBt itt die Erscheinung^, das« in der Conreraattou sehr oft de wo man
chras wanaeht, Aaaaagpeaitie mit dem nnbeatimmten Proaomen gebraacht werden,
die alao betuglich Ihrer Geltung auf einer Stufe mit Frafj^eaitzen stehen. So kann
a. B. jem^d, der etwaa fallen hfirt, aber nicht weiaa was, und darüber Auskunft
SB erhalten wtoechl, sagen: «etwaa ist heruntergefallen* und der Angeredete
entnimmt daran«, daas Anaknnft gewfinacht wird, ao dass also jener Saia dasselbe
84 K V 1 c a 1 a
(der Bruder hat was gesagt?). Dass nun dies Wort regelmässig
an die Spitze des Satzes gestellt wurde, ist natürlich; denn wenn
man schon auf ein Wort die Aufmerksamkeit lenken will, so erscheint
die Setzung desselhen an der ersten Stelle des Satzes als ein
geeignetes Mittel. Gerade so wird man z. B. wenn aus dem Aussage-
satze 6 dis\fd^ r 0 0 r* eiTze ein Fragesatz werden soll , in der Regel
lieber sagen roOr* ee/rcvö dieXfög; als 6 dieX^dgrovr eine; Ebenso
stellt man ja auch in Aussagesätzen ein besonders stark zu betonendes
Wort nach Möglichkeit gern an die Spitze.
2. Es gibt in den Sprachen eine grosse Anzahl ron indefinit
gebrauchten Wörtern, bei denen die Voraussetzung des interro-
gativen Gebrauches behufs der Erklärung der indefiniten Geltung
schlechterdings unzulässig ist. Vgl. z. B. lat. unuSf gr. 6 SeXva^ got
tnannahun , ainshuHp manna, sumii, deutsch man, einerp Mensch.
bohm. clovek, jeden. Wie wir nun in solchen Fällen die indefinite
Geltung so zu sagen vor unseren Aug^n sich entwickeln sehen —
und gewiss nicht aus dem interrogativen Gebrauche — so dürfen
wir auch ftir kos u. s. w. nicht die interrogative Function als die
nothwendige Vorstufe gelten lassen.
3. Wenn man die Ansicht, das indefinite Pronomen sei aus dem
interrogativen entstanden, aufgibt, so erklärt sich eine bedeutende
Reihe von Erscheinungen sofort auf naturliche Weise, während man
sonst bei ihrer Erklärung ein Mittel anwenden muss, dessen Berech-
tigung sich nicht anerkennen lässt. So sieht sich Bopp veranlasst
(Vgl. Gramm. §. 39S, 2. Aufl.) zu erklären, dass sich die Partikel
ca im Skr. und Zend (altpers. cd) ihrer Verwandtschaft mit dem In-
terrogativ nicht mehr bewusst ist und er nimmt an, (II, S. 177), dass
die fragende Bedeutung dem Worte kinca durch ca, dem quisque
durch que, dem hvazuh, hvarjizuh, hvatharuh (S. 213) durch uh.
dem kascitf kaddcit, kathaAcit, kvacit durch ctY genommen werde.
Wie sollen aber die Partikeln ca, Sit, que. uh, die doch selbst an-
geblich eigentlich interrogativer Natur sind, gerade dazu benutzt
worden sein, um anderen interrogativen Wortern, wie kirn, hvas, quis
u. s. w. ihre interrogative Geltung zu rauben? Vielmehr musste
enielt, wie ein Fragetett »was iet hernntergefellen''^ So hdrt man Jemand war
da" (wo sich freilieh leicht ein firagpender Ton, eine Hebung der Stimme beigeaellt)
nicht in dem Sinn« von »war jemand da", aondem vielmehr =9 „wer wnr da?**
Untersuchungen auf d. Gebiete der Pronomina, besonders der lateinischen. oH
doch aus einer solchen Vereinigung eine Kräftigung des interrogativen
Moments resultieren. Geht man aber von der indefiniten Geltung als
der ursprunglichen aus, so stellt sich hier eine wiederholte Bezeieh*
Dung des indefiniten Moments heraus ^ die in allen Sprachen eine
häufige Erscheinung ist; vgl. qui-cum-que (wer irgend wann irgend
wie), quiaquam (irgend einer irgend wo) u. A.
m.
Nun kann man freilich, wenn man der ursprünglichen Be-
deutung Ton ka (ki, ku) nachzugehen sucht» bei der indefiniten nicht
stehen bleiben. Zunächst muss man wohl als Vorstufe der unbe-
stimmten Bedeutung ,,irgend einer** die Function des bestimmten
Cardinalzahlwortes j^unus^ voraussetzen. Analogien für diesen Über-
gang finden sich in grosser Anzahl. So ist bei unus, ein^jeden^ ilq^
welche Worter auch in der Geltung eines unbestimmten Pronomen
vorkommen <), unzweifelhaft die Function des bestimmten Numerale
fiir die altere zu halten. Qu8üg steht dem oureg in der Bedeutung
gleich, und wenn man energisch „nicht ein einziger** sagen wollte,
so musste man ouii v.<; anwenden, da oOdcfg nicht mehr in dieser
starken, ursprunglichen Bedeutung gefühlt wurde. Wichtig ist ferner
uUuSf das doch wohl gewiss (obzwar auch andere Ableitungen ver-
sucht worden sind) eine Deminutivform VQn unu9 ist, wie das bilh-
vmc\i^ jedinky ein Diminutivum zujediny ist.
Wenn nun auch gar keine Beste des Numeralgebrauches von ka
sich fanden, so wäre man doch nach solchen Analogien berechtigt
die Bedeutung nunus"* als Vorstufe der unbestimmten Bedeutung
vorauszusetzen. Es scheinen aber noch Beste jener Bedeutung sich
erhalte« zu habeii. Zunächst in skr. äka. Denn da die Bedeutung
nirgend einet'^ so. oft die Bedeutung „unus*' voraussetzt, was ist
natüriieher als die Annahme, dass in ^^ka die Bezeichnung ^^eins^
nicht ausschliesslich, ja auch nicht einmal vorwiegend in dem ersten
Theile des Wortes, sondern vielmehr im zweiten zu suchen ist?
Femer scheint Bopp (II, 60) bezüglich des merkwürdigen lat. cocles
*) umu ist 90 gebraucht £. B. Plaut. Truc. 2, 1, 39 sed est huic unus servo« vio-
lentissumus. Cic. de or. 1, 29, 132 sicut unus paierfamilias de bis rebus loquor
und Tttcbs (Verhandinngen der 7. Versammlung der deutschen Philot. u. Schul-
miDoer S. 45). Für fi; Tgl. x. B. Arist. Vogel 1262; für jedinv. Miklosicb (a. a. C
S. 53).
Silzb. d. pbil.-hiat. Cl. LXV. Bd. I. Hft. 7
86 K V { c a I a
mit Recht zu bemerken, ,,dass der Begriff der Einheit hier ein-
leuchtend nur durch e vertreten ist". Wenn Corssen (krit. Nachtr.
263) die Herleitung von ika bestreitet, „weil der Abfall eines anlau-
tenden langen e im Latein durchaus ohne Beispiel ist", so ist zu be-
merken, dass in coclei eben nicht ein anlautendes ^abgefallen ist,
sondern dass der erste Bestandtheil ka ist, dem an und fQr sich die
Bedeutung „eins" zukommt. Benfey (Kuhn*s Ztschft. H, 222) erklärt
ähnlich coelebs. Wichtig und richtig scheint Bopp's Erklärung des
Femininstammes skr. cataaar^ zu sein, der, verglichen mit dem Fe-
mininstamm des Zahlwortes drei tiaar-, um ca reicher ist, so dass dies
ca die Bezeichnung der Einheit zu sein scheint, wie in ca-^tvar-, ca-tur-
(Vgl. Gramm. II, 68; Schleicher Comp. §.237). Ferner hat meiner Mei-
nung nach Ahrens (Kuhn*s Ztschft. 8, 331) genügend nachgewiesen,
dass das griech. -xt^ aus dem alten Zahlworte der Einheit verstümmelt
ist. — Diesen Resten glaube ich auch die Präposition cum anfügen
zu können, was ich in dem Excurs I. zu begründen suchen werde.
IV.
Aber auch bei dieser Geltung des in Rede stehenden Pronominal-
stammes kann man noch nicht stehen bleiben , sondern man ist ge-
zwungen, noch einen Schritt weiter zu gehen und entweder (mit
Benfey) eine Verbal wurzeL«) oder einen demonstrativen Prono-
minalstamm anzunehmen. Letzteres halte ich für das richtige, indem
ich überhaupt von der Richtigkeit der Ansicht überzeugt bin , dass
alle Pronominalwurzeln keine eigentliche Bedeutung hatten, sondern
ursprünglich nur eine lautliche Beigabe zu der Deixis, welche durch
die Handbewegung oder durch eine sonstige Gebärde des Körpers
erfolgte , bildeten. Die hiebei sich aufdrängenden Fragen „war die
Wahl dieses oder jenes lautlichen Ausdruckes, um die Deixis zu
unterstützen, gleichgiltig, oder bestand schon von Anfang an eine
gewisse Wahlverwandtschaft, der zufolge verschiedenen Modifica-
tionen der Deixis (z. B. mit Rücksicht auf die Nähe oder Ferne) be-
stimmte Lautkorper sich beigesellten? ferner, wenn die Wahl
gleichgiltig war, wie und auf welcher Grundlage fand die Differen-
zirung der Gebrauchsweisen statt?" diese und ähnliche Fragen
werden freilich wohl immer Fragen ohne Antwort (wenigstens ohne
eine ganz zufriedenstellende Antwort) bleiben.
0 B«nfe7 (Kabii*t ZeiUchr. 9, 123).
Untersnchnng^eo auf d. Gebiete der Pronomina, besonders der lateinischen. 8 7
All) lis. dvls.
Es ist eiae sehr verbreitete Ansicht, dass aliquh eigentlich alius
quii sei. Selbst Pott (Etym. Forsch. I*, S. 363) sagt: »Selbst aber
Lat. aliqais enthält versteckt eine Negation (Anderes) in sich. Nfim-
lieb von alius quis (M. Schmidt, Pron. p. ST) ausgehend, besagt es
augenscheinlich zunächst Lit. kit-koB (sonst wer, sonst was, etwas
Anderes} aus kiiias (ein anderer) Nesselm. S. 203 oder 'Jemand
Anderes' Grimm. IV. 486. Nur in aliquia mit der besonderen Ein-
schränkung: ein Anderer als der Redende, der, ausser sich, die
gaoxe Unendlichkeit der Individuen zur Heraushebung eines von
ihoen frei gibt; dann die Preisgabe einer Gattung zur Auswahl, jedoch
flicht schrankenlos; endlich ganz allgemein irgend ein.** Heines
Wissens war der erste, der diese Erklärung aufstellte, Stuerenburg
20 Cic. p. Arch. pag. 89; nach seiner Ansicht soll bei aliquis die
Bedeutung des alius in der Beziehung auf das logische Subjet zu
suchen sein, so dass es eigentlich das Nicht-Ich, das logische Object
bezeichne. Es werden ziemlich . viele Beispiele von den Erklärern
angeführt, in denen die angebliche Grundbedeutung von aliquis
^irgend ein anderer** noch ersichtlich sein soll, wie denn Goerenz
ztt Cic. Acad. II, 10 sogar behauptete, fiber 50 solcher Stellen aus
Cicero gesammelt zu haben. Sehr richtig beurtheilt aber diesen
Punkt Haase (zu Reisig's Vorles. Anm. 351), indem er bezweifelt, dass
irgendwo eine Nothigung vorliegen durfte, die Bedeutung alius quis
anzunehmen. In vollkommen angemessener Weise spricht sich über
diese Stellen auch Klotz aus , der (Wörterb. s. v. aliquis I, S. 296,
1. Aufl.) z. B. über Cic. 1, 7, 23 nam qui iniusie facii impetum in
qnempiamt facii aut ira auf aliqua perturbatione incüatus bemerkt:
awas nicht soviel ist als : oder wegen einer arideren leidenschaftlichen
Aufregung seines Geistes,** sondern nur „oder wegen irgend
einer u. s. w.,^ die sich aber natürlich von ira hier unterscheiden
mnss, weil Niemandem einfallen kann, das Gesagte noch einmal mit
eiozuschliessen , wenn er auch noch so allgemein sich ausdrücken
will." Als Beweis, dass aliquis an solchen Stellen nicht die Bedeutung
edims quis haben kann, föhrt Klotz mit Recht den Umstand an, dass
sehr oft alias aliquis und alius quis vorkommt. Die Erklärung
Aeisig's ist nicht zulässig: „Da aber aliquis durch die Abweichung
von der Etymologie so viel als irgend einer überhaupt zu bedeuten
88 K r I c a 1 ■
angefangen hatte» so wurde sogar beides verbunden, und man sagte
aliud aliquid** (Vorles. §. 201). Es ist nicht denkbar, dass zu einer
und derselben Zeit, dass bei demselben Schriftsteller aliquia noch
in der angeblich ui'sprünglichen Bedeutung „alius quis** vorkäme
und zugleich auch die Verbindung alius (üiquis (vgl. z. B. Cic. Brut.
90, 310 und divin. in Caec. 6, 22). Wenn z.B. bei Cicero das erstere
der Fall wäre, so hatte er sicher nie Veranlassung gehabt, alius o/i-
quis zu sagen. Bezüglich der scheinbaren Bedeutung ,, alius quis*^
weist Haase sehr gut auf andere Fälle hin, in denen aUus zu fehlen
scheint, z. B. Cic. Brut. 41, 152 sie enim exisiimOf iuris civilis
magnum usum el apud Scaevolwn et apud muUos fuisse ; und so
in der häufigen Wendung aut si quid, z. B. Catul. 19, 13 qui modo
seurra aut si quid hoc re tristius videbatur (zu Beis. Vorles»
§. 453, S. 797). Ich fuge eine Sammlung ähnlicher griechischer
Stellen hinzu: Hes. Theog. 381 f. i(aa(p6pov . . . oiarpa re XajXTrc-
röcüyra. Pind. Ol. 7, 102 ^-^öva iariovro ZeOg rcxac d^dvaroc (aber
Od. ^ 53 ZeO^ rot ioi-n, &^ve, xal d.&dvaroe J^goi aXkoi). Dem. 18»
285 ciü ZeO Kai Seol (eine häufig vorkommende Formel). Soph. Oed.
R. 1331 inaiaev 0L^r6y(tip vev o^n^ oikV kyC} rXdjjieiiv. Trach. 300
i^lkslg ii nrpotfjxfivwfiev ; ^ re -^-h irotciv; Oed. Col. 474 ^aXkoXatv tj
xpöxa((7cv ^ Ttoitp rpö;ra) ,* Phil. 860 oO X^P^^» ^^ nrod^o^, oO revo^ dp^^oiv.
Plat. Kriton p. 50 C. raöra % tI kpoOfksv ,• ib. 53 E ri noiQ'u % cOwj^oO-
fxevo^ iv SerraXiof.; Gorg. 480 B ri yäp iii ^cD/xsv, cS SeOxpare^;
Rep. I, 332 C. dXkd rc 0(£e ; Xen. Oec. 3, 3 dXXd rl o*jv roOroav iariv
aiTiov ^ ort xrX. Kyr. 1, 4, 13. Mem. 4, 3, 9 kyd) fiiv iiSri toöto axo-
n&f ei dpa vi i<JTt roXg ^eot^ ipyov ^ dv^p^inovg J^epaneOeiv *).
2. Nach Curtius' Vorgang (Gr. Et. I, n. 426, 524) bestreitet
Corssen (krit. Beitr. S. 295 ff.) mit Becht, dass alius und dXXo? dem
skr. anjds entspreche. Er nimmt an, dass der Pronominalstamm a zu
Grunde liege; aus demselben seien durch das Suffix li (wie in ta-li^Sr
qua-li-s^ die alten Formen a^li-Sf a-li^d entstanden; in d-X-Xo*^ für
d-A-jo-^ sei das X Rest desselben Suffixes, wie auch im got. a-l-ja.
*) Ähnliche« fiodet «ieh «uch ia neueren Sprachen, wie s. fi. aach im Deutschen
geaegt wird: j,niemand Het die« geUn aU er**, ohne daas e« jemandem einfallt, die
Ellipse „anderer* bei »niemand* anzunehmen. Hieher gehört auch die dialektisch
(in deutschen Gegenden Nordböhmens) im Volksmunde vorkommende Redewendung
noder was*, die den Zweifel an der Wahrheit des Gesagten beaeicknet und
eigentlich den Sinn hat «oder Tielmehr was (d. i. etwas) anderes*.
UoterBuchvn§^en unf <1. Gebtete der Pronomina, besonders der lateinischen. 89
Von a-li'S sei dann a-l-iu-s mit dem Suffix so weiter gebildet, wie
TOD edtdis edvlium^ von hogiiUs Bostüins <).
Dieser Auffassung steht aber wohl der Unterschied der Quantität
alis, alias, aliqnis opp. Ullis, qufilis, aequ&lis u. s. w. im Wege. Man
wird wohl yielmehr nicht nmhin'konnen, fQr Griech., Lat, Got, Slar.,
LiL einen Pronominalstamm aU loy ala (»: a 4- 1a oder a) -{- a), mit
ireichem freilich die Suffixe la (lo, li), ala (alo, olo u. s. w.) zu-
sammenhangen. Dieser Pronominalstamm scheint freilich kdn echter
Pronominalstamm zu sein, sondern von einer Verbal wurzel herzu-
rahren. Ansprechend ist nämlich die von Schleicher (Compend.
^. 146, Anm. 2, 2. Aufl.) beiläufig geäusserte Vermuthung, dass
Aao^, alius „eine Bildung von einer Wurzel urspr. ar^ sei >). Wenn
Corssen (a. a. 0. S. 297) dagegen bemerkt, dass es dunkel bleibe,
wie naeh den für Sanskr. Wz« ar angegebenen Bedeutungen sich
ans derselben die Bedeutung von aliu9 entwickeln konnte, so möchte
ich in dieser Beziehung folgenden Versuch aufstellen. Die Wurzel ar
bedeutet im Skr. gehen; dieselbe Wurzel findet sich in Spyipiiai =»
io^ayij'O^liat » ip-ax-o-yLai (Curt. Gr. Et I, 84; II, 134); und, was
bier besonders bemerkenswerth ist, diese Wurzel hat im Griechischen
auch die Gestalt iX angenommen, woraus durch weiterbildende Ele-
mente Ä-v, Ä-^, iX-v-5 (Curt. a. a. 0.); auch der ursprungliche
a-Voeal hat sich noch erhalten in idlXta (skr. ij-ar^mi; Kuhn,
Zeitschr. 5, 195 ff.? Curt. Et. 2, 128) *). So konnte denn a>lo<; und
'} Mas möMte wohl aach dieser AvffaMnag 6ber Mg«i, dMs a/i-w-t Tom SUmme «/t
dareli daa Saffiz o (orapr. a) weiter gebildet sei, wodurch das Wort in die a-De-
clioatioB iibertrat.
*) Und swar Terhllt sich aUuM tu alter wie skr. an-ji-s und an'-'taru-$)y wie der
SnperlatiT zum ComparatiT; man Tcrgleiche, daas ja aU superiatiTbUdendes Sufflx
auch bei den vierten Ordnungsaahlworte im Slcr. tur-ja erscheint.
^) HidMr ist TieUeiebt auch das Tielbesproebcne furaXXdMi zu stellen. Die ilteren
Ablcitangen, namlicb von fiiraXXov (Bastatbios zur II. 148, 8; zur Od. 1418, 55)
oder Ton fur' £^a „nach anderem d. i. nach nenem suchen" (Buttmann
Lezil. 1, 140) erscheinen gegenwirtig fast niemandem glaublich. Bfihler (Ruhn*s
Ztscb, 8, 388) erkürt es als |ura-Xaa» »nach etwas sehen", welche Er-
kliraag auch Araeis za Od. 7 243 aagenommen hat; noch anders Duntzer (ebend.
13, t f.), der aber seine Ansieht selbst zweifelnd Tortrigt. Dem Terbum f&trseXXacü
liegt (wie auch Dilalzer bemerkt) ein nicht Torkommendes Nomen furaXXi^ zu
finmde. Dies Nomen ist mit SufBz j a gebildet (tou VaXssaap), wie auch das
Terbum idtXXed und das naeh Analogie ron denraXXccv (Bekk. Anecd. p. 414 ^iraX-
90 ' Kvf^ila
fdius, wenn es von dieser Wurzel herrührt, den sieh entfer-
nenden, den entfernten bezeiehnen, woraus sich die Bedeutung
jener ergab, die meiner Ansicht nach diesem mit o//tM (ille) stamm-
verwandten Worte zukam und die alter ist, als die gewohnliche Be-
deutung. Die Ansicht, dass die Bedeutungen von aliuSf oUus auf
eine Verbalwurzel ar» al ^gehen, sich entfernen** zurGckgeht, wird
nicht auffallend erscheinen, wenn nran bedenkt, dass auch andere
Worter, deren Bedeutung verblasste und welche Raumverhaltnisse
bezeichnen, doch von Yerbalwurzeln herrühren, wie ds^t^c, it^iTtpiq,
dexter, axatö^ u. a. Ferner wird z. B. napdiVj TrapsareO^, dnoiv «=
odc, ixetvo^ gebraucht
Es fragt sich nun aber, ob alius und ollus verwandt ist. Pott
(Etym. Forsch. I, 299) und nach ihm Corssen (Krit. Beitr. S. 303)
sehen oUus für eine Deminutivform vom Pronominalstamme ana an >).
Aber die Annahme einer Deminutivform scheint, wo es sich um die
Xeic d. i. airoircfiffcic) nDzunehmende ficrdt).Xc(y. D«s VerhiltDitt der drei Wörter
piiraXXaco, *f&cra^Xi9, *fAfraXX(i> itt dasselbe, wie das von srctpftCü, irecpt}, «retpcd,
wobei Bttflrlich eine Ableitung des ntipti roQ dem PrSsensstarom des Verbs ftfipo*
von mir eben so wenig .angenommen wird, wie eine Ableitung des Noroens
*f&eraXX>3 Ton ^fAcrdXXeo ; Tielmebr haben Nomen and Verbum dasselbe Bildungs-
element ja gemeint. Für furdcXXciv, f&eraXXov nun nehme ich die Bedeutong-
»n ach eilen (eilen ist ja auch etymologisch mit 2aXXc(V verwandt), nach-
gehen" an, wie ^dXXciv wirklich bei Hes. Theog. 269 furoxpovtai 7«^ taXXov
noch die intransitive Bedeutung erhalten hat. Aus der Bedeutung ,,nachge-ben*
ergibt sich leicht die gewöhnliche Bedeutung von fitraXXatv „nachforschen,
nachfragen'* (wie bei lAcrip^iff^ac, furi^vou, furaduiixffiv eine ihnliche
Metapher stattfindet). Aber das Verbum hat noch eine andere Bedeutung, aimlicb
Odyss. o 23 ovxiri ^tipttTai rcJ^i^oroc oo$i picraXXqL. Find. Ol. 6. 62 fUTotX-
Xaah ri (acv, was der Schoiiast erklirt ^^iXofppov^ffdtro, intarpif^ oeOroO.
Diese Bedeutung „s ich kümmern, besorgt sein" kann man, wie Bühler mit
Recht bemerkt, ans der Bedeutung «nachfragen" nicht erküren, da dem Grie-
chischen eine solche Wendung, wie die deutsche „ich frage nicht darnach"
(d. i. ich kümmere mich nicht darum) fromd ist; wohl aber lisst sich dasselbe
leicht aus der Bedeutung „nachgehen" erküren, wie i. B. II. E 420 furipx'o
l/)7a 7af&oio bedeutet „nachgehen, sich kümmern, besorgen" oder wie
U. a 160 rwv ourc itirarpiK'g oW aXf7i2;i(^
*) Von ille sagt Pott, dass es vielmehr auf w xurfickiugehen scheint. Aber oUr, das
wirklich vorkommt, muss man doch für eine Mittelstufe xwischen oUu9 und ilie-
halten. Bezüglich der Wandlung der Endung U9 in e ist mit Corssen (»war nicht
ipsus — ipse, da ipae ilter ist, aber) neeewi und neceue lu vergleichen; für die
Schwichung vou 0 xü i vergleicht er poeiUum von foeolom.
UBtertuebungen «of d. Gehiete derPronominii, besonders der leteinischen. 9 t
BSdang eioes Demonstrativpronomen „jener** handelt» überhaupt
nicht angemessen zu sein; denn welchen Zweck sollte die Sprache
hiebet verfolgt haben? Die Beispiele uüus, taniulus, iantiUus u. a.
passen nicht, da hier der Grund der Deminutiyform klar ersichtlich
ist Dann ist aber auch oHm zu beachten , das doch unzweifelhaft
mit olhis zusammenhangt und so gebildet ist, wie ts/tm, him (in
hio-c), ülim (in illin-c), utrim-que von den Stammen üio-, ho^f
ilh-fUiro-. Dass ölim statt des erwarteten ollim erscheint, dafür
vergleiche das mit sollus identische sölus (s. Excurs IL); denn
ölim : oüus s. $öIu8 : sollus oder wie
S9um : essum u. dgl.
Wäre 9ber ollus eine Deminutivform vom Stamme ana, so
musste oUim erscheinen, da aus onlus nicht werden konnte ölus.
Ich stimme Mommsen's Vermuthung bei, dass ollus mit alius
verwandt sei: »Osk. allo » olla (illa), das stammverwandt mit
al-ter, al-ius scheint«* (Unterital. Dial. S. 247). Diese oskische
Form allo ist, da sie den ursprunglichen a-Vocal bewahrt hat, eine
willkommene Bestätigung tür die Annahme des Zusammenhanges
voQ oUu8 mit aliuB, Aus alius ward zunächst alhis (vgl. die Bei-
spiele für die Assimilation von Ij zu //, die Corssen Kr. B. 307 ff.
anfuhrt)«), dann ollus ^ wie das dem skr. särvas entsprechende
iolluM die Trübung des a-Lautes zeigt, während die nicht assimilierte
Form salvuB (wie alius) das a bewahrt hat. Das Vorkommen von
laotlich verschiedenen, im Grunde identischen Formen alius und
oUus neben einander ist wohl mit Schleicher als Spur der Mischung
verschiedener Dialecte aufzufassen und kann nicht Bedenken erregen ;
Tgl. salvus, sollus, sölus. Die Sprache fixierte dann, wie sie über-
haapt in solchen Fällen stets mit weiser Ökonomie verfTihrt, Unter-
schiede der Bedeutung.
Ich nehme also an, dass alius eine ältere Bedeutung „j e n e r**
hatte und dass es seine gewöhnliche Bedeutung „ein anderer^
nicht einer angeblichen Verwandtschaft mit anjds verdankt, sondern
dass sich diese Bedeutung auch auf dem Boden der lateinischen und
griechischen Sprache gerade so gut aus der Bed. „jener** ent-
') Wohl mit Ret*bt sagt Schleicher (Comp. S. 263): .In diesen Doppviformen (wUut:
«•tnu, peUo: aliua) haben vir wohl Sparen einer Mischung von Mundarten tu
erkcaaeB.
92 K V r 5 « 1 «
wickeln konnte, wie dies ja auch bei anjds (vom Stamme and) ge-
schehen ist und wie das altbulg. im» von der Bedeutung unus zu der
Bedeutung a/ttf« gelangte. Jenes ist nicht dieses, ist nicht das
vorliegende, den Redenden zunächst angehende, sondern ein an-
deres. Eine wichtige Analogie hiefur bietet das böhmische ona^»
compar. onacejSi oder onacii. Zu Grunde liegt der Pronominal-
stamm ana; on = is, onen = ille, onde »> illic; onehdy oder ondy
= illo tempore, nuper, onamo oder onam = illuc, onak =» illo
modo (opp. tak = hoc modo). Aber onuk^p das eigentlich (im Gegen-
satze zu takyi takowj = talis) die Bedeutung „illius modi** hat,
bedeutet auch „alius modu alius** und zwar in hervorhebendem
gutem Sinne im Gegensatze zu etwas Unansehnlichen^ , so dass es
die Bedeutung ^ansehnlich, anstandig, angesehen** hat<)
und deshalb auch einen Comparativ und Superlativ annimmt In
diesem Sinne ist es in der Volkssprache sehr häufig, während die
Schriftsprache es jetzt meidet, ehemals aber nicht mied. Aus den
Beispielen, die Jungmann (Wörterb. s. v. onaky) anfTihrt, hebe ich
zwei aus dem 16. Jahrhundert heraus, n&mlich Preffat von VIkanov:
pjinym potänikäm onacejsim (d. i. anderen angeseheneren Pilgern)
quardydn dal v klditefe komurky" und Harant von Polzic: ^nejo-
nacejii hospoda == das anständigste Gasthaus.** Auch onak (eig-
illo modo) wird im Sinne von aliter gebraucht.
Dem aliquis nun kann die kürzere Form ali-s, ali-d*) zu
Grunde liegen; aber unumgänglich noth wendig scheint die Annahme
nicht zu sein; es könnte die Grundlage dieses Wortes auch der
Stamm alio- sein (wie er sich unverkürzt in alioquin, freilich schon
') Auch dM von jiny Rbgeleilete jinaky (ei(^. => Rnders geartet) wird mit dem
Nebenbegriffe der grjtsseren Vollkommen heU gebraucht.
*) Ich glaube nicht, daas a/i«, aiid too aliut aliud aoabhlDgig gebildet vurdc,
•oBdem dass es aus diesem rerkflrzt ist. Die (spitere) Ansicht Corasen's (Krit.
B. 298), dass „die alten Bildungen «/i«, atid die ursprünglichen waren und die
spitereu Formen o/iu«, aliud aus ihnen durch Anfügung des Suffixes -io entstanden
sind, ist wegen der Identitit der Form aliuä mit oXXog und wohl auch mit got.
altt, alia^ all nicht wahrscheinlich. Dass a/t> spiter rerschwand, ist kein Beweis
für die Prioritit desselben; ebenso rerschwanden ja auch spiter wieder die
Formen fulvi'9, Aureli'9^ Clodi-t die erst aus fulvio-s n. s. w. entstanden sind.
Auch in der spileren Gricitit findet sich dieselbe Behandlung der /abstimme:
Ar.fji^r^iC, AiovOffic = Av^f&iQr^ioff (loser. 187. t84), Aiovuo'to;; fiaprvpiv.
Untertochniigeii «uf d. Gebiete der Pronomine, beiondera der lateinischen. 0 3
mit der Bedeutung „anders^ erhalten hat); Tgl. meridies == tne-
didiei, medUerranetu vom Stamme tnedio-, anxifeTf afixitudo vom
Stamme anxio^ u. a.
Als Grundbedeutung von aliquis ist nicht „irgend ein an-
derer"* anzunehmen, aus der steh erst „irgend einer" ergeben
hätte, sondern die Grundbedeutung war „jener einer", woraus
sich „irgend einer** ei^ab, indem nämlich der erste Bestandtheil
des Wortes selbst die aus der demonstrativen Bedeutung „jener**
leiebt sich entwickelnde indefinite Geltung annahm^ so dass das in-
definite Moment in aliquis doppelt ausgedruckt wird , wahrend ur-
sprünglich auch das einfache indefinite quis genügte, aber spSter
sehr zartjckgedrangt und auf einen bestimmten Kreis von Gebrauchs-
weisen eingeschränkt wurde. Diese Zuruckdrängung war zum Theile
▼enigstens die Folge des enklitischen Gebrauches von quis (der
natöriich mit der Abschwächung der Kraft zusammenhieng) , der
schon in grauer Vorzeit, wie aus der Übereinstimmung der Sprachen
in diesem Punkte (vgl. z. B. skr. kis, gr. rig) erhellt, vorherrschend
mirde; und so erhielt sich quis da, wo es eine enklitische Rolle
spielen konnte. Für andere Fälle war die Bildung kräftigerer inde-
finiter Pronomina nothwendig, zu welchem Behufe man das Mittel der
Verdoppelung des indefiniten Moments anwandte. So entstanden
üliquiSf quisquam^ quisque u. a.
Beznglieh der für den ersten Theil von ali^quis vorausgesetz-
ten indefiniten Bedeutung vergleiche man das wichtige o/tm, das von
der Grundbedeutung ^in jener Zeit*' (mag. sie in ferner Vergan-
genheit oder Zukunft liegen) zu der Bedeutung „einmal, einst^
(jTorc) gelangte.
Es fragt sich nun, ob man vielleicht auch noch für alius in eini-
gen Fällen zwar nicht die Bedeutung „jener**, aber doch die inde-
finite Bedeutung „einer", fBr a/ii die Bedeutung „einige' anzu-
nehmen habe. Es erscheint nämlich alius, alii häufig in Distributiv-
sitzen und zwar so, dass es nicht bloss im zweiten, dritten Gliede,
sondern aoch schon in dem ersten vorkommt. Leicht erklärlich ist
zwar noch anf Grund der gewohnlichen Bedeutung ein solcher Ge-
braaeh wie Cic. Coel. 3: aliud esi maledicere, aliud aceusarct da
hier auch im Deutschen „etwas anderes — etwas anderes*' gebraucht
vird; aber an solchen Stellen, wie Cic. Tusq. 1, 9, 18 qui discedere
tanmum censeni, alii statim disripari, alii diu permanere, alii
94 K T { c a U
semper. Verr. S, 56, 1 46 Uli ad deprecandum periculum profere'
batitt alii purpuram Tyriam, ius alii aique odores vestemque Uh"
team, gemmas alii et tnargaritas^ vina nonnulli graeca venalesque
asiaticos — an solchen Stellen, scheint alii im ersten Gliede auf-
fallend zu sein» wenn man an der gewohnlichen Bedeutung « andere"
festhält, wie z. B. im Deutschen „andere^ nicht so gebraucht wer-
den könnte. Und doch ist dies nur ein Schein. Durch „alii profere-
bant purpuram» tus alii u. s. w. wird bezeichnet, dass die Ter-
schiedenen Aussagen von verschiedenen Subjecten gelten.
Es ist eine Art von Anticipation. Wenn man das alii des ersten
Gliedes hört, erwartet man schon im voraus ein folgendes alii; es
bezieht sich das erste alii auf das im zweiten, dritten Gliede u. s. w.
folgende Subject, also: »»andere brachten Purpur als die im folgen-
den bezeichneten Subjecte'. Wie man z. B. statt der Construction
bei Caesar B. G. 3» 9 longe aliam esse navigationem in concluso
mari aique in vastissimo aique aperiissimo oceano perspiciebant
sagen kann ^aliam esse navigationem in mari concluso, aliam in
oceano*, so kann man umgekehrt die obige Stelle Cicero's para-
phrasieren: „alii proferebant purpuram atque ii, qui proferebant tus»
gemmas; alii proferebant tus atque ii, qui proferebant purpuram,
gemmas; alii prof. gemmas atque ii» qui prof. purpuram» tus* u. s. w.
Ein kürzerer Ausdruck für diese einzelnen Reihen ist die von Cicero
gewählte Construction, in welcher jedes einzelne alii im Gegensatze
steht zu sämmtlichen übrigen Subjecten. Im. Grunde genommen läuU
also doch dieser Ausdruck auf dasselbe Princip hinaus» wie die Stelle
bei Cic. Coel. 3.
Ein ähnliches Princip liegt auch der in den classischen Spra-
chen sehr beliebten Häufung verschiedener Casus von aliua so wie
von alius abgeleiteter Wörter in demselben Satze zu Grunde;
z. B. Sali. Cat. 6, 3 alius alio more vivenies = viventes, hie alio,
nie alio more. Mit der Verschiedenheit der Subjecte hängt die Ver-
schiedenheit der Aussage zusammen ; auch nicht von einem einzigen
Subjecle gilt dasselbe, wie von einem zweiten, was man im Deut-
schen au.sdrückt durch die Wendung „jeder nach einer anderen
Weise*. — Eben so ist zu erklären die Wendung bei Liv. 8» 23
incboata res aliis aique allis de causis dilata erat und die bei Sal-
lust vorkommende Ausdrucksweise Jug. 18, 7 saepe tentantes agros
alia^ deinde alia loca petiverant. S5, 8 aliis^ posi aliis minitari.
Ualersucbungen auf d. Gebiete df r Pronomine, hesondera der iRteinischen. 9 5
In der Stelle bei Livius s. B. ist das erste aliis mit gegensätzlicher
Beziehung auf die späteren Ursachen und das zweite aliis wie*
demm mit Beziehung auf die froheren Ursachen gesagt.
Die Richtigkeit dieser Erklärung wird durch viele AnaTogien be-
stätigt; so z. B. durch den Gehrauch von sitnul — simul Caes.
B. G. 4M3, S in castra venerunt, simul . . . sui purgandi causa . . .
rimul ut, si quid possent, de indutiis fallende impetrarent. Verg. Aen.
2, 220 ff. ille simul manibus tendit divellere nodos ...» clamores simul
horrendes ad sidera tollit. Das simul des ersten Gliedes ist an und
far sich unverständlich und gewinnt erst seinen Sinn und seine Be-
rechtigung dadurch, dass es auf das zweite stfitt// hinweist, wäh-
rend das zweite stmii/ auf das erste zurückweist. Eben so im Grie-
chischen afjLflc ficv — «(xflc Si. Auf demselben Princip beruht Theokr.
8, 19 C90V xarcx), Ttjov avci)3^ev, die Phrase Xaa dvre tacov dnoioißvai
^e par pari referre. Gleiches mit Gleichem vergelten; oder Plat.
Prot- 3i9 D ijzsiSav i( t( ntpi rf^g n6Xeu)g Jtotxnaccüj Äiip /3ouXc6-
^au^ai. (TuyißoiiiXtOii aijroXg . . . 6iJLolu)g fiiv r£xrei>v, d/xoeco^ $t
yiahteOg xrX. Nicht anders ist die Wiederholung des xat zu beur-
theilen z. B. II. C 476 f. Zeö aXkoi tc ^cot, Äör« (Jrj x a t^ rovSe yeviaSai
TtalS* iiJLOv, tag xai iytb ntp^ dptnptnia Tpcosaatv. Xen. Anab. 2, 1, 22
datdtjyiXks roivvv xai nepi rouroiv, ort xai i^juirv ravrä ioxii, aztp
xal ßafjiXeL In beiden Gliedern bedeutet xal „auch''; xai ifiyiXv sc.
oi^Tzsp ßadiXeX; x a i ßaatXel sc. danep i^/xlv. Diese reciproke Bezie-
hung, nämlich das Vorwartsweisen und Zurückweisen ist, obzwar
sich ähnliche Erscheinungen auch in anderen Sprachen finden, doch
eine besonders charakteristische Eigenheit der beiden classischen
Sprachen.
Die Einschränkung des Gebrauches des einfachen und ältesten
Pronomen indefinitum qui, quis ist ein lehrreicher Beweis für die oft
hervorgehobene Thatsache, dass auch in dem Sprachgebrauche das
Alte dem Neuen weicht. Wie alles in der Weit, so nutzt sich auch das
Material der Sprache durch den Gebrauch ah ; es erleidet eine Ab-
sehwächong und Abschleifung nicht bloss in formeller Hinsicht, son-
dern auch in lexikalischer und syntaktischer Beziehung. Die ursprüng-
lich kräftigere Bedeutung schwächt sich ab und die Sprache muss
auf neue, kräftigere Mittel sinnen, um das zu bezeichnen, was die
06 K V l' C R 1 B
alte einfache Form ursprunglieh ausreichend beseiehnete, später
aber nicht mehr genügend zu bezeichnen yennochte i).
Dies Schicksal traf auch das ursprOnglicbe Pronomen indefinitum
quij gui^ Es ist nicht bloss auf den enklitischen Gehrauch be-
schrankt (eine Beschrankung, die über die lat. Sprache hinausreicht),
sondern auch innerhalb der Grenzen dieses Gebrauches erlitt es all-
mSiig eine sehr bedeutende Einbusse, so dass es im Latein schliess-
lich nur noch in den mit siy nisi, ne, num^ quo, quanto eingeleiteten
Nebensätzen sich behauptete. Hand in Hand mit dieser Beschran-
kung gieng die Bildung neuer indefiniter Pronomina, wie aliquiSf
quisquanif quiaque. Die Tochtersprachen giengen weiter; auch
aliqnis genügte nicht mehr, und so entstand z.B. alcuno, aucun =
aliquia unus.
Bezuglicli der Beschränkung des quis hauptsachlich auf gewisse
Nebensätze bietet das Slavische eine bemerkenswerthe Überein-
stimmung dar. In hypothetischen, temporalen, comparativen, finalen
NebensStzen behauptet sich das alte einfache Pronomen indefinitum
khtOy sowie die anderen entsprechenden einfachen indefiniten Worter,
während dem aliqnis im Sprachgebrauche n'bk'bto (höhm. nikdo) *}
<) So bedürfen die Catiufonneo, die in illerer Zeit stark genog waren, «m an und
für sich Tertchiedene Momente xn beteichnen, im Laufe der Sprachentwicklung
einer Stutse, die ihnen dnrch PrSpotitionen sn Theil wird, wie s. B. der Accnsatir
des Zieles Im Griechischen nnd Latein spiter nur ausnahmsweise ohne die Stutse
einer PrSposition erseheint. Einer der schlagendsten Beweise biefSr ist be-
kanntlich das ital. medetimo, das frans, mime^ das ans temet ipiUtimum (Dies,
Lex. i. V.) entstanden Ist. Welcher Aufwand von Mitteln xur Erreichung eioen
Zweckes, den die Muttersprache so einfsch erreicht!
*) Kopitar hat ti%lnto aus ne vimh k%to (d. i. ne§cio guis, bfthm. nevim kdo) ge-
deutet, welcher Deutung Grimm beietimmte. Als Analogie könnte man dafür ausser
dem lat. ne*eio qttU^ des auch die Rolle eines indefiniten Pronomen spielt
(^ quidam), noch lit. kiwzko*, gewöhnlieh kaii koM anführen, das „irgend
jemand* bedeutet nnd aus ka» Uno ka» (= wer weiss wer) susammeng-e-
sogen ist (Schleicher, lit. Gr. p. 200). Doch glaube ich, dass sich Miklosicb
(Vergl. Gramm. 4. Bd. S. 88) mit Recht gegen diese Anfassung erklirt. Potl, der
Et. F. 1, 362 ausser den sIsTiseben Wörtern, deren erster Bestandtheil nf ist«
auch die lit. nev^tu (mancher), nekurg Oeniand) n. a. bespricht, sagti „Des
Rfitbselhafte dieser Erscheinung löst sich meines Bedfinkens dahin auf, dass,
wihrend in den negativen Formen wie nikdo = nemo) begrifdich das grössere
Gewicht auf die Negation nnd ein schwlicheres auf das ziemlich gleichgriltig und
daher indeßnit gehaltene Pronomen su fallen scheint, das Umgekebrte bei den
ÜBtenncbnogea auf d. Gebiete der Pronomina, besonders der lateinischen. 0 T
entsprieht; z.B. bohin. citn vice kdo md. Um vice iddd »» quo quis
plora habet, eo plura expetit. Aus dem Altbulgarischen fuhrt
Miklosich Beispiele ao. (Gr. IV, S. 86).
tber die TerhlBdug der CardbaliahlwCrter nit nvig, allf ai.
Dieser interessante Sprachgebrauch verdient eine eingehende
Untersuchung. Bei der Erörterung desselben gilt es vor allem, die
Beispiele, welche die Verbindung des unbestimmten Pronomen mit
einem Cardinalzahlworte aufweisen, in zwei Classen zu scheiden,
welche Scheidung von den Grammatikern und Lexikographen nicht
immer gehörig vorgenommen worden ist. Nicht immer besagt näm«
lieh das unbestimmte Pronomen in dieser Verbindung, dass man für
die Genauigkeit der durch das Zahlwort bezeichneten Zahl nicht
bürge und nur die runde Summe angebe, sondern zuweilen ist
die Zahl genau zu nehmen und das unbestimmte Pronomen bezeich-
oet nur, dass man auf die nähere Bezeichnung der Personen oder
Sachen sich nicht einlassen könne oder wolle. Im ersten Falle hat das
Pronomen die quantitative, im zweiten die qualitati veGeltung.
Zur zweiten Classe geboren z. B. folgende Stellen: Thuk. 8,100, 5
Jrapr/ivovrö rvjzg oOo v^eg. Plat. Rep. 10,60 t D nepi ixdaTOv raOrag
rtväg TpeXg riyiyag sivai, )Q3T9ao|xiv>3v, jrotf^aouaav, /jLt/xTjao/xivifjv;
Dicht richtig von KQhner angeführt Gramm. § 633. 5) Dem. Lept
Indefimüformen stattfinden dfirfte. Bei diesen scheint mir das Pronomen ^nx
eigenUicJi nie bOerrogativurn (?) fest ^halten; jedoch so, dass, indem man
keineswegs den Inhalt des einfachen Pronomens gegenständlich in Abrede
stellt, Tielmehr nur, ihn concret zu fiziren sieb unfUhig bekennt,
oder doch, es nicht zn können, die Maske vornimmt Es wSre, als spräche ich:
nieht-wcr? (n^-kas} kommt, d. h. es kommt wir (rtg, quis), sber nicht
bealimint ist, w^r? ri^; (nescio quis). Ich glaube nicht, dass an der wirklich
■egatiTen Natur des Beginnes auch in den Indefin. Pron. gerechter Zweifel ob-
walte." Doch darf diese Erklärung in der That wenigstens bezweifelt werden. —
Man musa wohl als ersten Bestandtheil sowohl der sla%'ischen als auch der litaui-
schen W5rler, welche eine positive Bedeutung haben, aber den negativen ihnlich
sehen, den Pronominabtamm na annehmen, so dass die Verwandtschaft s. B. von
nik4» mit nikdo nur eine mittelbare ist, insofern nämlich auch die Negation mit
dem Proocminalaiamm na zusammenhingt. — Doch Tgl. jetst Miklosich Negat.
S. 3 f., wo Kopitar*s Erklärung vertheidigt wird, mit dem Untersehiede, dass Miklo-
sich nicht die 1« Person, sondern die 3. vb (= v^stB), wie j e =s jestb) zur
Gnndlage aimmt, also nekito = neve (in passiven Sinne) kito = nescitur quis.
98 K V i' c a I «
<§. 148 xacrce xai roOro axoOoD a Xiyuv^ ct)^ dpa rpil^ ai rcve^
7paT{/a^€voc Trpörcjsoc rou^£ o'jx i/rc|i|iX<&ov, wozu Westerinanii gut
bemerkt : y^rptlg nve^, nicht, wie sonst häufig, zui* Bezeichnung des
Ungefähren der Zahl, sondern um das nähere Eingehen auf die Per-
sönlichkeit dieser Leute abzulehnen; so 23, 142 £v AajULtpdxef) rcvi^
«v^pcü/roi yiyvovTai ä6o** ; *) Cic. Att. 4, 4 v^/tm mihi mittaa de tuis
librariolia duoa aliquos und eben so die zwei von Forcellini aus
Appuleius angeführten Stellen, wo quidam steht : iniroductis qui-
buadam Septem testibm und trea quidam vegetia corporibua.
Dagegen gehören zur ersten Classe Thuk. 3,1 1 1 , 4 i^ dtaxcacov;
rivag auTcijv a7r«xT£tv«v. 7, 87, 3 ifiixipag ißioiirixovrd rtvag oötoi
Si-gTri^ri<jav. 8, 21, 1 6 di^fJio^ 6 Safieoav ig diaxoaiovg ^kiv riva^ roO^
;ravrag ruv ^uvarcuv dnixTziviv, Cato R. R. 156 ai volea in convivio
multum bibere coenareque libenterj ante coenam eato crudam quau"
tum volea ex aceto; et item ubi coetiaveria, comeato aliqua quinqtie
folia. Varro R. R. 1, 2 fin. ai velia in convivio maltum bibere coe^
nareque libenteVi ante eaae oportet braaaicam crudam ex aceto et
poat aliqua folia quinque. Cato bei Gell. 3, 7, 6 maturum cenaeo,
ai rem aervare via, faciundum, nt quadringentoa aliquoa militea ad
veiTUcam illam ire iubeaa, Plaut. Men. 5, 5, 47 helleborum potabia
faxo aliquoa viginti diea.
Es fragt sich nun, wie dieser Gebrauch zu erklären sei. Soll
man vielleicht aliquoa viginti diea, ^iiipag ijSdofxy^xovrde nvag nach
Analogie der deutschen Ausdrucksweise ^einige zwanzig Tag e^
erklären. Darüber sagt Grimm Wörterb. III, 209: „wird einige
anderen Zahlen beigefügt, so meint es 2, 3, 4 darüber: einige
und zwanzig Jahre sind verstrichen d. i. 20 und einige
mehr, wenn sich nicht bestimmen lässt, der Kürze halber oder um zu
mildern unausgedrückt bleiben soll, wie viel einzelne den zwanzigen
noch hinzu .... Auch mit ausbleibendem und: einige 20 Jahre,
einige 40 Trauben. Die grossere Zahl lässt sich ebensowohl voraus,
die unbestimmte nachstellen; dann aber wird das und unerlässlich:
zwanzig und einige Jahre.** Grimm scheint die lateinischen Beispiele
0 Vgl. die ?on Zikmnnd (Skladba f. 190 A. 1. b. Posn. 2) »nt den »knihj eTedomi"
»ngeführte Stelle: „A nikdo dta (wörtlich =^ irgend wer swei sb irgend welche
zwei Personen =as duo rivi$) m nim biitll honfce ho, aU Ja nevini, kdv jmm h^lü*
(aber ich wei»« nicht, wer sie waren).
UntersucbuB^en aufd. Gebiete der Pronnmimi, besonders der lateinischen. 99
eben so aufgefasst zu haben» da er hierauf fortfahrt: „Im Latein
sehen vir aliqui gerade so verwandt'', worauf die obigen Stellen
angeführt werden.
Derselbe Spraehgebraueh findet im Böhmischen statt, <) z. B.
nekolik a dvacet lidi >= einige und zwanzig Leute; für
nelUer^ ffibrt Jungmann zwei Beispiele an: Stelcar (geb. 1530):
pfed 14 a nekterym leiern (vor 1 ^ und einigen Jahren); Velesl.
Pol. S09 : dobfe po nekiertfm a iedesäti leiech od prvni vdlky (nach
einigen und 60 Jahren). Ferner gehört hieher auch das b5hm.
fiikoUkondcte (entstanden aus nekoliko na deset = eig. einige
Inf zehn, also eben so gebildet wie dvandct(e) u.s. w. = altbulg.
ita na desfte = dOo im dtna^ wie sieb solche Constructionen wirk-*
lieh im Griechischen finden) = einige zehn. — Aber wenn man
auch daron absehen wollte» dass man vielmehr Iveoe und aliquot er-
«rarten wurde» wenn die griechische und lateinische Wendung auf
demselben Principe beruhen sollte: so muss man doch einwenden»
dass sich in diesem Falle doch wohl Spuren eines Siteren £/3$cjuLf^xGvra
xfltt nvc^, aliqui et viginti erhalten haben würden.
Soll man nun vielleicht annehmen, dass das Pronomen statt des
Adverbs (<7X^oöv, 6irö re, fere) stehe wie im Griechischen sehr oft,
im Latein manchmal statt der vom Standpunkte anderer Sprachen
erwarteten Adverbia Adjectiva und auch Pronomina gesetzt wer-
den?*) Aber dieser Gebrauch ist auf das prädicative Verhältniss
besehrfiukt und bei dem Pronomen auf das demonstrative Pronomen.
Nach unserer Ansicht ist rev^^, aliqui in diesem Falle weder
pradieatir, noch war es jemals durch -^ai et mit dem Zahlworte ver-
banden (wie im Deutschen und Böhmischen), sondern es war von An-
fang an und immer eine attributive Bestimmung des Zahlwortes. —
Eine sehr wichtige Stelle, die zur Erklärung dieser Construction bei-
tragt» ist bei Thuk. 3, 68» 3: r^v Sk TröXev ivcauröv {xiv reva
Onßaloi Mtyapitav äydpdai xarä Trdaev ixni7:ru}x6ai . . . iSoaav
^exciv SS ungefähr ein Jahr, was entweder „etwas mehr als
0 Kv wird dia CoBJnncUoD a ^ie insgelasaen.
*) Z. B. Hom. Od. fp 146 l^t jxvxoiraro; oiUi, oder temporii! (ü. « 423 ZcO;
X3c^d( eßiQ xoTOi datra, oder modal Soph. Phil. 807 f. rjdt (vdao;) fAOi o^tla,
f^irq. xai vax^i* anip'xeTai, Und bei denonttr. Pron. x. B. Plato Rep. init.
ispoftiTv, oirou fiv}. Ovro(, rpnj, ^iriaJ^cv irpoa^p^srai.
100 RT{£al»
ein Jahr^ oder «etwas weniger als ein Jahr** sein kann. Wie Iviaxtrog
Tig d. i. eig. «irgend ein Jahr*' zu dieser Bedeutung gelangte» ist
leicht einzusehen. Nicht bloss gerade die Zeit von 354 Tagen konnte
iviCLXjTog genannt werden» sondern neben diesem ivcavrö; im streng-
sten Sinne konnte auch ein Zeitabschnitt» der 1» 2» 3» 4 u. s. w.
Tage mehr oder auch 1» 2» 3» 4 u. s. w. Tage Weniger zahlte,
als iytauTog betrachtet werden. Das war bei den Alten eben so
natürlich» wie auch wir dergleichen nicht genau nehmen und den
Gebrauch des Wortes „Jahr*" nicht auf die Zeit Ton 365 Tagen
beschränken, sondern unzähli^^emal auch einen Zeitraum von 366,
367, 368 u. s. w. Tagen und anderseits einen Zeitraum von 364,
363, 362 u. s. w. Tagen »ein Jahr*< nennen. Die Grenze» bis zu
welcher der Gebrauch des Wortes «»Jahr*' bei einem Plus oder
Minus zulassig ist» Iftsst sich nicht genau bestimmen» aber natürlich
darf das Plus oder Minus nicht zu bedeutend sein. Wenn das-
selbe z. B. ein halbes Jahr oder fast so viel beträgt» so wird man
nicht mehr von einem Jahre, sondern von anderthalb Jahren oder
einem halben Jahre sprechen. — Da nun also mehrere Zeitab-
schnitte bei ungenauem Sprachgebrauche, wie es eben sehr üblich
war und ist, mit iviaiirog bezeichnet werden können, da es also so
zusagen mehrere ^veauroc gibt, nämlich ausserdem normalen
auch mehrere ungenaue, so war es möglich iviavrdg ng (d. i. eig.
irgend eines dieser mehreren Jahre) in dem Sinne „ungeßhr ein
Jahr^ zu sagen, d. i. «etwas mehr als ein Jahr** oder «etwas weni-
ger als ein Jahr** oder «möglicherweise auch gerade ein Jahr*' ;
denn unter diesen mehreren iviccurol befindet sich natürlich auch der
normale ivtauTog; es kann ein Zeitabschnitt, den der Schriftsteller
genau zu kennen und zu bezeichnen nicht in der Lage war und den
er desshalb als iviavTog rig bezeichnet, in Wirklichkeit zufallig ge-
rade ein Jahr» nichts mehr und nichts weniger, sein. Wenn man nun»
um eine Einwendung gegen diese Erklärung zu erheben» tragen
würde» warum der Schriftsteller nicht bloss ivcaurov gesagt hat» da
doch dies Wort nicht in strengem Sinne gebraucht werden musste:
so ist zu erwidern, dass dies allerdings ganz gut möglich war» dass
es aber trotzdem dem Schriftsteller unbenommen blieb» rig hinzuzu-
fügen» wenn er eben das Ungefähre ausdrücklich bezeichnen
wollte.
Untersuchungen auf d. Gebiete der Prononiin«, besonders der lateinischen. 101
Auf dieselbe Weise wird im Böhmischen in ^der Volkssprache
QQzahligemal ikdky (d. i. nejaky) rok (eig. irgend ein Jahr =■ unge-
fähr ein Jahr), ndky mesic *) (ungefähr ein Monat) und ebenso
üdkS dva, tri roky (ungeßhr zwei» drei Jahre) gesagt, wie man im
Deutschen in der Umgangssprache «so ein Jahr, so einen
JUoQat war ich dort, so zwei oder drei Jahre** sagt.
Genau so, wie ivtauröv rcva, ist nun auch die Verbindung von
nvcV, aliqui mit einem Cardinalzahlworte zu beurtheilen. Man kann
ja auch, um die Erklärung anschaulicher zu machen, z. B. dix.a rivig^
nvfTTtxovrd Tivsg gleichsetzen dem Ausdrucke Sexdg rt^, TtivrrixoarOg
71^, der dann genau dem ivia\jT6g rig entspricht; rig musste sich
aber im Numerus und Genus (ßUa rivlg dvopeg, dixa rcvd fOXkoi)
dem dUoLj TrevnQxovra anschliessen 2). Unter neyrhMVTd revc^
(iTr/nQxoa76^ rtg) ist auch die Zahl elg xat nevrhxovTCf^ d6o xoee
irn^xcvra u. s. w. einbegriffen, kurz die Zahlen, bei denen nevTYixovra,
einen der beiden Summanden bildet, der immer wiederkehrt >). Dass
man aber Zahlen, die der nächsten Dekade sehr nahe stehen (z. B.
58, S9) nicht mehr mit jrevi^xcvrd rcv€^ bezeichnen mochte, ist
natürlich, weil hier bereits i^^xovrd riveg näher lag. Dass nämlich
itsvTTixoyrd rivsg, i^i^xcvrd rivtg auch Zahlen unter der Grenze
dieser Dekaden bezeichnen konnte (im Gegensatze zu der von Grimm
erörterten deutschen Fügung »einige fünfzig**), halte ich für unzwei-
felhaft. Auch z. B. 48 ist eine KevT-nnoorOg rig^ freilich eine nsvTr^xoaTijg
iivj^cL oitdoog; wählte man doch wirklich im Griechischen und La-
teinischen nicht selten zur Bezeichnung der zwei zunächst unter der
Grenze der Dekaden stehenden Zahlen die betreffende Dekade als
Ausgangspunkt, also z. B. ivdg Siovreg oder ^uolv dioyreg
7:vf7yixoyra ävSpeg = undequinquaginta, dqodequinquaginta viri ^).
0 KbcBso: pfijd' zu nakou dtort hodiwy (komm in beiliufi^ V4 Stunde). FreUich
kann MJfcy rok n. ». aucli bedenten : manches Jahr.
^) So auch £xarGV Tivsg statt Ixarov ri, wa« aber merkwürdiger Weise bei Arrian
lod. 7 sich findet
') Auf einem fibnlicben Principe beruht die Ausdrucksweise «in den dreissiger, rier-
aiger Jahren" und böhm. »r l^tech tricatych, ctjficatych" aur Bexeichnung der
Jahre zwischen Atr 3. und 4., 4. oder 8. Dekade des Jahrhunderts.
M Dass Ttvig bei Zahlwörtern riel hiufiger aur Bezeichnung des Ungefähren steht,
ab bei aolchen Wörtern wie ^viaurd;, ist begreiflich ; bei den Zahlwörtern war
ebea, weBB der Schriftsteller fSr die Genauigkeit der Zahl nicht bürgen konnte,
Sttab. d. phil.-hist Cl. LXV. Bd. I. Hft. 8
102 Kv/^alii
Eine wichtige Analogie für die gegebene Erklärung erblicke
ich in dem Gebrauch des um$s bei Zahlwortern in den romanischen
Sprachen zur Bezeichnung der ungefähren Angabe. Diesen Gebrauch
erwähnt Diez (Gramm. III. 74, 1. Aufl.) : ^Vor Zahlbegriffe gestellt
bezeichnet unua diese als unsicher» wie it un cento fiorini, sp. unas
dos cabnu^. Beliebt ist dies namentlich im Italienischen. Valentini
(Diziouario S. 1178): „Fürcirca, intorno, ein» ungefähr, gegen»
an: Erano radi coloro» i corpi de* quali fosser piii, che da un dieci
0 dodici de* suoi vicini*'; ferner „un otto [di] fiorini, etwa acht Gul-
den; un quattordici. un trenta» gegen 14» etliche dreissig» dreissig
und einige. ** Grimm» indem er denselben Gebrauch des „ein** im
Deutschen bespricht» sagt (Wörterb. III, Sp. 137): „Ein vor Zahlen
bei Namhaftmachung oder Bestimmung einer Grösse oder Vielheit :
das kann leicht noch ein drei öder vier Jahre dauern; es mag leicht
ein zehen Thaler mehr kosten. Dieser Redegebrauch mahnt an den
Sp. 114 erörterten und es scheint beinahe gleichviel zu sagen ein
Jahr oder drei warten und ein drei Jahre warten 0 * - -
Sagen liesse sich vielleicht» dass durch das ein ausgedruckt werde
ungefähre Annäherung an die gemeinte Zahl; es soll noch ein acht
Tage damit anstehe*n, d. h. ungeflihr 8 Tage** <).
Die Erklärung des romanischen und deutschen Sprachgebrauches
ist dieselbe» wie die bezuglich ijS^cjuif/xcvrd revcg, quadringenti aliqui
gegebene. In un dieci ^ un cento hat uno nicht die Bedeutung des
Zahlwortes (^in Zehner» ein Hundert)» sondern die Geltung des un-
bestimmten Pronomen; es ist also == ein Zehner» irgend ein Zehner,
ein Hundert» irgend ein Hundert. Unter dem Ausdruck diech cento
wird hiebe! auch eine Zahl subsumiert, die nicht gerade genau 10,100
beträgt» sondern auch etwas darüber oder darunter; auch 12 z. B.
ist un diecit Sexdg rtg, auch 102» 103 u. s. w. ist un cento» £xaTÖv
re (Arrian Ind. 7). Natürlich entwickelte sich dieser Sprachgebrauch
hier» wie beim lat. aliqui und beim griech. rivig zuerst bei runden
Zahlen (10» 20» 30, 100 u. s. w.); sobald sich aber derselbe hier
die »iisdrucklicbe Bezeichnnug des UngefihreD Wel mehr geboten als bei
ivixvTOi und Shnliehen Wörtern, die schon an und fflr sich oft ungennu
gebraucht werden.
^) Diese AulTassnng ist nicht richtig.
2) Nur diese Auffassung ist richtig.
üntenuchnngen »uf d. Gebiete der Pronomina, besondert der latelniscben. 108
festgesetzt hatte und man in uno nur das Moment der approximati-
ven Angabe filhlte» blieb der Gebrauch nicht mehr auf runde Zahlen
beschrankt.
Olbu ist, obzwar auch eine andere Erklärung yersucht worden
isti), unzweifelhaft das Deminutiyum von unus und es bietet in dieser
Hiosieht eine zutreffende Analogie das hohmisdhe jedinky (Demin.
'fon jediny^ unus) dar; ja es wird, um den Begriff des Einzigen,
Alleinigen recht energisch auszudrucken, auch jedinink^ (in SIterer
l6x\Mt\k jedinicky)^ so zu sagen eine Potenzierung der Deminutiv-
form gebraucht; YgL jediny, jedinky » jedininky Qedinicky) mit
wdy (parvus), malinkj oder malick^ (parvulus), malininky (valde
posillus). Die Bedeutung „ein einziger, nur ein einziger**
tritt auch noch im wirklichen Sprachgebrauch zuweilen bestimmt
henror und kann dem Sprachgefühl der Römer niemals ganz abhanden
gekommen sein. Vgl. z. B. Cic. Brut. <§. 301 prima causa publica
pro S. Roscio djcta tantum commendationis habuit, ut non ulla
(a oudi fua, während nulla »■ o*jde|x(a) esset, quae non digna
ooatro patroeinio rideretur. Daraus erklärt sich auch der Gebrauch
Too nuUus^ ferner der Torherrschende Gebrauch des uUu» in nega-
tiven Sätzen oder in Fragen , auf welche eine negative Antwort er-
wartet wird; unter den verschiedenen Mitteln*) nämlich, deren sich
4ie Sprachen bedienen , um das Nichtrorhandensein von etwas , um
das Gegentheil Ton MJeniand" oder „etwas** energisch zu be-
zeichnen, ist die Verbindung der Negation mit der Einheit und die
^durch bewirkte Aufhebung der Einheit ein sehr naheliegendes und
desshalb oft gebrauchtes Mittel; vgl. non (aus noenom)» o^Stig^ lit.
fievin$ (ne unus quidem), ahd. nihein. Desselben Mittels bediente
man sich freilich auch anderseits zur Bezeichnung der Vielheit , wie
^ B. skr. naika (mehrere), ovj^ cI;, bohm. nejeden (d. i. nicht bloss
einer, riele), da der Gegensatz der Einheit die Nullität , aber auch •
die Hehrheit sein kann.
*) Bopp (I, 33) «teUt uUut (nl-tra, ul-terior, ul-tinut) sowie anch iüe mit a/nw,
Sk\9i (welche Wörter den Mr. »ig4t eitsprecben tollen) zusamineii.
') Kiae iateretsante ZMamineDttellong dieser Mittel gibt Miklosioh, die Negation in
den slaT. Sprachen. Wien 1860, S. 28.
104 Kvf£«|«
Dass ii//ti« von der Grundbedeutung »ein einziger*' zu der
Bedeutung «irgend einer** gelangen konnte» so dass der Begriff
der Einheit zurücktrat» der der Unbestimmtheit herrortrat, zeigt
unus, das ja auch (wie ein) als indefinites Pronomen fungiert, z. B.
Plaut. Pseud. 4, 1» 38 ibi vna aderit mulier lepida. Cic. de or. 1»
29, 132 sicui unua paterfamilias his de rebus loquor.
Da nun quisquam in seinem Gebrauche so sehr mit ullus über-
einstimmt (wie dieses wird es auch vorzugsweise in negativen Sätzen
und in Fragen mit negativem Charakter» dann in hypothetischen
Vordersätzen und nur selten in positiven Sätzen gebraucht) , so ist
man berechtigt» auch für quisquam die Bedeutung »^iner*< voraus-
zusetzen, aus der sich erst „irgend einer** ergab. Quisquam ent-
stand wohl zu der Zeit» als das einfache quis bereits zu schwach
war» um den Begriff der Einheit (vgl. oben S. 9 f.) kräftig auszu-
drücken. Durch die Verdoppelung (quisquam bedeutete urspr.
diner an einem Orte» da quam urspr. local war; vgl. usquam,.
nusquam» nequam) >) gewann dies Wort Kraft, um die Bedeutung
tragen zu können» die quis nicht mehr festhalten konnte.
Dass wirklich auch in verhältnissmässig später Zeit noch quis^
quamin der Bedeutung „^in er» ein einziger** gefühlt und ge-
braucht werden konnte» dafür zeugt wohl genügend der Spruch des
Publius Syrus bei Sen. de tranq. an. c. 1 1 : cuivis accidere potest»
quod cuiquam potest; denn der hier zwischen cuivis und cuiquam
stattfindende Gegensatz nothigt uns, cuiquam in der Bedeutung
»Einern** aufzufassen. Vgl. Cic. de fato 12 confectum negotium» si-
quidem' tibi concedendum est aut fato omnia fieri aut quidquam
posse fieri sine causa.
Sehr nahe liegt es auch» die Bedeutung „einer** als thatsäch-
lieh vorhanden anzunehmen in solchen Beispielen» wie Cic. fam.
15» 4» 13 si quisquam fuit unquam remotus ab inani laude y ego
profecto is sum (einen anderen Sinn gäbe si quis und si aliquis^^
Lael. 2» 9 aut nemo aut, si quisquam (wenn nur ein einziger), ille-
sapiens fuit. — Eine ähnliche Ansicht von der Bedeutung des ullus
und quisquam hatte Haase» wenn er (S. 349, Anm. 361) Juv. 13,.
209 nam scelus intra se iacitum qui cogitat uUum, facti crimen
1) ZeitscbriA f. d. österr. Gymn. 1864, S. 317.
Untersuchungen auf d. Gebiete der Pronomina, besonders der lateinischen. 105
habet erklärt, „seelus ullum heisst offenbar irgend eins« wäre es
auch nur ein einziges, oder wäre es auch nur gering. ** Nur ist ge-
rade an dieser Stelle die Bedeutung von tdlus abgeschwächt und es
ist diese Erklärung für diese Stelle nicht richtig.
Es mag nun noch in Betreff des quisquam die Frage erörtert
werden, ob man für dies Pronomen auch die Entwicklung der nega-
tiien Bedeutung anzunehmen habe. Veranlassung dazu gibt Ter.
Andr. 2, 6, 3: Quid Dare narrat? Da. aeque quicquam nunc qui-
dem. Sitno. Nilne? hem! Da. nil prorsus. Da die Antwort des Davus
aegiie quicquam nunc quidem offenbar einen negativen Sinn hat, so
fragt es sich , welche Erklärung zum richtigen Verständniss dieser
negatiren Geltung fBhrt. Dass die Erklärung Ton Perizonius ad
Sanet p. 91 «) unmöglich ist«, uf^terliegt heutzutage keinem Zweifel.
Soll man also Ritter*s Auffassung beipflichten? „Quicquam quum
nonnisis) in enunciatis negantibus adhibentur, indidem ipsi negandi
Tis quasi adbaesit.** Absolut unmöglich wäre dies nicht. In verschie-
denen Sprachen findet sich die Erscheinung» dass Wörter, die ur-
sprünglich positiv sind, in Folge ihres häufigen Gebrauches in nega-
tiven Sätzen selbst die negative Bedeutung angenommen haben. Vgl.
über dehein Grimm HI, 170, Ober personne ^ rien^ paSf jamais.
Diez in, 40S ff. Eine interessante Erscheinung bietet in dieser Hin-
sicht das böhm. iddnj dar^ das von der Bedeutung „exoptatuSf
exspectatus** zu der Bedeutung nu/Zü« gelangte <). Unmöglich
lire also jene Annahme nicht; aber höchst u nwahrscheinlich
ist sie, weil, wenn man von der in Rede stehenden Stelle absieht,
kein einziges Beispiel im Latein für diese Bedeutung vorliegt,
vShrend die aus anderen Sprachen anzuführenden Analogien zeigen^
dass, wo überhaupt Wörter von ursprünglich positiver Bedeutung
aoch die negative erlangten, dieser negative Gebrauch sehr ver-
breitet ist, ja zuweilen den positiven zurückgedrängt hat, wie dies
^) Und« T«ro exlorquebimus iam vi Nihil in rerbie DiTi primis, in quibus nnU» neg«-
UoBit speciee ▼«! mioioia inest? Nempe ipsa ria reaponai non ex iUia rerbis, aed
ex loaf^a «Hipal est petenda, quasi dictum esaet a Davo «Nunc quidem aeque quic-
qam irnrro, ae narro tone, quando nihil narro.''
'} Vielaaehr plerumqug.
^) Zor Vertheidigung dieser Aoffassung gegtn eine andere, die nicht nm^ngen wer-
den kann (Miklosich, Negat. S. 7), iat der Excnra III. hinxugefiigt.
106 KT{^«Ia
z. B. bei dem sfm. jamas der Fall ist, das „die Bedeutung von nvnca
vollständig in sich aufgenommen hat, indem es vor dem Verbum
stehend absolut verneint** (Diez III, 390); das bohm. zddn^ hat
gegenwärtig die ursprQngliche positive Bedeutung ganz eingebfisst.
Ferner ist aber auch zu erwägen , dass die lateinische Sprache auch
bei keinem anderen Werte ein Beispiel der Entwicklung der nega--
tiven Bedeutung aus der positiven darbietet 9. Und so rouss man
wohl die Stelle des Terentius erklären „aeque quicquam nunc qui-
dem atque antea** d. i. eben in diesem Falle Mnihil' (Holtze, synt»
prisc. Script, tat p. 401). Neuerdings hat Umpfenbach nach quidem
das Fragezeichen gesetzt, worüber er (P.Ter<comoediae, Berl. 1870,.
pag. LXXVI) sagt: „Interrogationis signo addito Andr. II, 6, 3 Aeque
quicquam nunc quidem? id certe assecuti sumus, ut iam quicquam
ferri queat" Aber dies ist wegen aeque nicht zulässig.
Man könnte nun vielleicht sagen, dass aus dem Vorkommen der
Construction nescio (haud scio) an quiaquam, an uUtis, an unquam
in negativem Sinne statt der regelmässigen nescio an nemo, an
nullus, an nunquam hervorzugehen scheine , dass diesen Wörtern
wegen ihres vorherrschenden Gebrauches in negativen Sätzen , um
mit Bitter zu reden, „negandi vis quasi adhaesit;** z. B. Cic. Lael»
6, 20 qua (amicitia) quidem haud acio an excepta eapientia quid-
quam melius homini sit a dis immortalibus datum *). Aber diese
Erscheinung ist nicht daraus zu erklären, dass quisquam, ullus, un^
quam geradezu jemals für die negativen Wörter hätte eintreten
können, sondern der Grund liegt in der schwankenden Bedeutung-
von nescio {haud scioj an, das zwar gewöhnlich die Hinneigung zur
*} Naueas, floccus, hilnm und der^l. Wörter tmteo oiemilt ijreradecu io die Spbfire
der Ne^tlon über, toodem bedeuteten immer eine Kleinigkeit, etwas Gering'(ugi(fef .
Ich sehe hier natürlich daron ab, dass die Negation selbst, als deren lautlicber
Ausdruck der Nasalconsonant auftritt, aus einem positiven Element herrorgcgan-
gen ist. Der Pronominalstamm na, auf den die negatiren Wörter zurückgehen,
beseicbnet ijenes, das entfernte". Das Negieren ist das Entfernen, Trennen
einer Eigenschaft oder Handlung Ton dem Subjecte, sowie die positire Aussage
eine Verbindung: ist. Dieser Gebrauch ist aber Ton allen Sprachen unseres Sprach-
Stammes aus der Ursprache hernbergenommen worden.
*) Gefpenfiber jenen, die dergleichen Stellen bei besseren Schriftstellern durch Con-
jectur auf die regelmissige Construction zurfickfShren su sollen glauben, urtheili
besonnen Klotz, Lex. s. t. an.
(Jatenochungeo «uf d. Gebiete der.Pronomin«, besonders der lateinischen. 107
positiyen Vermuthung bezeichnet , woraus jedoch nicht folgt, dass
das Gegentheil unmöglich gewesen wäre.
(lisfte.
Man inuss meiner Meinung nach festhalten an folgenden
Punkten :
1. Das gue in quüque» uierque, ubique u. s. w. ist identisch
mit der enklitischen Conjunction qne, wie im Griechischen Identität
stattfindet zwischen dem re in oare, inilrt u. a.. ferner der Conjunc-
tion ri und dem zur Bildung Ton o-ts, rö-re, n6^T£ (dor. o-xa u* s. w.)
angewandten rc. «
2. Aach sind identisch que und re (urspr. xa).
3. Qne ist pronominalen Ursprungs und hängt mit dem inde-
finiten Pronomen quis zusammen, wie ri mit rig.
4. Die Function sowohl des que in quisque und ähnlichen
Wortern als auch der copulativen Conjunction que hat sich aus der
indefiniten Geltung ergeben, wie im Griechischen dasselbe von
den Terschiedenen Functionen des vi gilt.
Zur Begründung und Erläuterung mag hier <) Folgendes ange-
führt werden:
Die Bedentuiig von que war (wie die von ri) die indefinite und
zwar je nach Umstanden die locale «irgendwo^ (wohl die ur-
sprünglichste) oder die temporale „irgend wann" oder die modale
»irgend wie**. (Vgl. in dieser Hinsicht 7ro6, das local und modal
ist; oKov ist local» temporal, causal; tM hat neben der localen auch
die temporale Geltung u. s. w.). Gehen wir nun einige Wörter
doreh, in denen die indefinite Bedeutung Ton giie ersichtlich ist :
a) Quisque ist eigentlich „einer irgendwo** oder „irgend
einer*'. Aus dieser indefiniten Bedeutung entwickelt sich (Curt.
Etym. II, 54) die allgemeine Bedeutung „jeder, all^ und zwar
doreh die Mittelstufe „irgend ein beliebiger, irgend einer
wo immer oder wann immer**. Vgl. quicunque, dessen erster
Theil freilich relativ ist. Mit dem Begriffe der Unbestimmtheit
»irgend einer** verträgt es sich sehr wohl, dass die Beschränkung
1) Ausfuhrlieh^r habe ich dies erörtert in der Abhendlua^ Aber W (Zeitschr. f. d.
dslerr. 67010. 1S64. S. 393 IT.)
1 08 K T f ; « I «
auf ^ ine Person aufgehoben werden, dass von einer Mehrheit jeder
(aber immer je einer) gemeint sein kann, wenn eben die erforderliche
Bedingung bei ihm erfüllt wird. Lehrreich ist hinsichtlich dieser
Bedeutungsentwicklung der Gebrauch des Artikels. Nehmen wir z. B.
den Satz „ein Weiser furchtet das Unglück nicht**» so bedeutete «ein
Weiser** urspranglich die stricte Einzahl; sobald sich aber die Be-
deutung M^in" in die unbestimmte Geltung «ein*' verwandelt hatte,
konnte irgend ein beliebiges oder jedes Subject, wenn ihm nur
das Prädicat „Weiser'^ zukam, mit „ein Weiser^ bezeichnet werden.
Auch der Gebrauch des bestimmten Artikels bietet eine Analogie für
den Übergang von der Einheit zur Allgemeinheit. „Der Weise** ist
ja ursprunglich ^d^r Weise"* d. i. dieser bestimmte Weise» Sie 6
aof6g; aber aus der specialisierenden Geltung des Artikels, die
mit der demonstrativen unmittelbar zusammenhangt , ergab sich der
generische Gebrauch des Artikels.
bj übique ist ebenfalls eine Zusammensetzung zweier indefiniter
Wörter, also „wo irgend, irgend wo**, was in die Bedeutung
^ w 0 i m m e r** überging. Aus dieser Bedeutung nun konnte sich auch
geradezu die Bedeutung „überall** entwickeln und sie hat sieh
auch entwickelt, z. B. Quint 10, 7, 26 studendum est semper et
ubique. Verg. Aen. 2, 368, crudelis ubique luctus, ubique pavor et
plurima mortis imago. Aber in älterer Zeit war bekanntlich die ge*
wohnliche Bedeutung die indefinite „wo immer **, so dass es in re-
lativen Sätzen gebraucht wurde, wie in der bei Cicero beliebten
Redensart omnes qui ubique sunt (alle, die irgendwo, wo immer
sind); vgl. Plaut. Bacch. S, 1, 1 quicumque ubique sunt, qui fuere
quique futuri sunt posthac st$dtu Caes. b. g. 3, 16 tum navium
quod ubique fuerat^ in nnum locum coegerant,
cji Quandoque indefinit «= einmal irgend wann, irgend
einmal; z. B. Liv. 21, 3, 6 isium invenem domi tenendum . . .
censeOf ne quandoque parvus hie ignis incendium ingens exsuscitet.
Cic. fam. 6, 19 ego me Astur ae diutius arbitror commoraturum^
quoad ille quandoque veniat, Tac. Ann. 4, 28; 6, 20. Sen. Ep. 21
med. Suet. Tit. 9. — Die Bedeutung „immer** (die der Bedeutung
„überall** von ubique entsprechen würde) hat sich nicht entwickelt»
aber doch eine in beschränkterer Weise verallgemeinernde, nämlich
„manchmal, dann und wann***) die sich freilich erst nach
*) Vgl. aliguandoj da« ancb «manchmal'' bedeatet; ebenso iat daa entsprechende
b5bm. nikd^ =s 1. irgend einmal 2. bisweilen.
UBtersttchao^^en »of d. Gebiete der PronomiDA, besondert der lateinischen. 109
Aogostos zeigt. Cels. 6, 6 nonnumquam per duos mensex durat;
gnandoqne (f^rev on) bretim finiiur. Sen. Q. N. 1,1 fin. quandoque
funi irabeSy quandoque clipei. — Dagegen zeigt sich die unbe-
sehränkt Terallgemeinernde Bedeutung bei diesem Worte, wenn der
erste Theil desselben die relative Geltung annimmt. (Tor. Pis. 389
indiffnor, quandoque (wann immer» jedesmal wann) bonns dormitat
Homerui. Cic. Vcrr. 2, 3, 80.
Eigenthümlich aber ist quandoque gebraucht z. B. Liv. 8, 7,
15 quandoque tu, T. Manli, adver Bus edictum nostrum ertra or-
dinem in hosiem pugnasti . . . nos potius nosfro delicto plectemur»
juamreg publica tanto suo damno nostra peccaia lüat; ebenso
Liv. 9, 10, 9. Dies, wie Weissenborn richtig bemerkt, alterthQm-
liche quandoque (== quandoquidem) bedeutet „^ann einmal**
ond eaosal „da einmal, sintemal und ist mit inetTs zu ver-
gleichen 1).
d) Ulique. Wie ist das Wort zu der Bedeutung „schlechter-
dings, jedenfalls, ganz und gar** gelangt? Offenbar ist ti/t
hier indefinit aufzufassen und es entwickelte sich aus der Be-
deotnng „irgendwie, wie nur immer' die Bedeutung „ganz
und gar*«).
In derselben Weise lassen sich auch alle übrigen Wörter, deren
zweiter Theil que ist, erklären. *
Wenn man nun aber fragen würde, warum sich die Bedeutung
Jeder" bei quisquam, aliquist quis nicht entwickelte, wo sie sich
doch auch entwickeln konnte, wenn quisque und andere aus zwei in-
definiten Elementen zusammengesetzten Worter zu dieser allgemeinen
Bedeutung gelangten : so konnte diese Frage nicht als eine erheb-
fiehe Einwendung gegen die vorgetragene Erklärung betrachtet
Verden. Nicht alles, was an und f&r sich möglich war, hat sich auch
virklieh entwickelt. Dieser Satz, der unzähligemal seine Anwendung
findet, gilt auch hier. Auch das einfache quis konnte ohne Zweifel
die Bedeutung ^jeder« erlangen, wie das lit. käs (Schleicher, Lit.
Gr. S. 300) diese Bedeutung wirklich hat und wie im Latein das
erste Element von qnotidie (quoH die zwei liocative wie pridie^ die
quinte u. a.), quotannis die Bedeutung ,J^der*' hat, wahrend sich
0 ZciUcbr. r. d. Ssterr. Gjmn. 1S64, S. 404 f.
') ZtiU^^. r. d. 5sCeiT. Gymn. 1864, 8. 408.
110 K T 1 c » 1 •
dieselbe bei dem selbstständigen quoiiUy quoi nicht findet i). Wie
quot annüf so findet sich auch quot mensibtis, quot calendiSf quot
diebusp z. B. Plaut. Stich. 1 , 2, 3 vos meminisiü quoi calendis fe-
iere demenaum cibum. Cato R. R. 43 quoi mensibus; Ulp. Dig. 36»
2| 12 quot diebus. Über ixaarog^ Udrtpog^ nag (das meiner Mei-
nung nach nicht auf ein vorauszusetzendes fragendes kd-vani
y,wie viel? wie gross?", sondern auf ein indefinites «irgend wie
Tiel» irgend wie gross ^ zurückgeht) vgl. Curtius 6r. Etym. IL S4.
Wie hat sich nun aber bei que aus der indefiniten Bedeutung
die copulative entwickelt? Meiner Ansicht nach muss bei der Er-
klärung dieser Function der corresponsire (partitire) Gebrauch
que-que vorausgesetzt werden (wie dem copulativen Gebrauche des
einfachen ri der corresponsive Gebrauch ri-ri vorausgieng; vgl.
Zeitschr. f. d. ost. Gymn. XV, 421), wie Att. bei Prise. 10, p. 887
languentque senenique. Sali. Cat. 9, 3 seqtte remque publicum.
Hör. Pis. 11 peiimusque damusque. Verg. G. 3, 344 iectumque
^) Im Griechischen findet «ich in demselben Sinne oaai «Sftspai (offijfif pai) , off&i
fi^vcg, ZrfCL iro (oainj), s. B. Dem. 24, 142 oi ^Toptq o^oi ^^c; fAixpoO ^iouac
yo|xo3fr(iy ra auroi^ ovyLfipovzot. (aUmonfitlich). Hiebei ist natürlich cio'i zu
ergSnsen, wie es wirlilich Hom. Od. $ 03 heisst 099ou ^ap vOxre^ rs xal ijpipoti
ex Ai6; ciffiv, ov no^ fv ipfuouff*, ovdi du* oToj. Wollte man nun darnach auch
im Latein quot annit als Relatirnm auffassen, so musste man roraussetsen die
ursprüngliche Constmction quot anni »unt, dann quot anni; hieraus wllre quot annis
geworden, indem man die relative Geltung Tergass, den Ausdruck quotannü als
einen einheitlichen in der Bedeutung „aUjibrlich" fühlte und dann ihn in den
AblatiT setzte, ebenso wie hoe anno , hit annig als temporaler AblatiT Torkomnot.
Aber obzwar sich wirklich bei Appul. Met. 11, p. 800 Ond. findet sedulum quoi
die» ohibam eulturae facrorum mimgterium (wo quot dies wohl der Nominativ ist)«
so wird man doch die indefinite Geltung von quot vorziehen, da es nicht glaublich
ist, dass gerade Appuleius den Mteren Sprachgebrauch erhalten bStte (es knnn
vielmehr ein Gracismus sein) und da quotidie für diese Auffassung spricht :
den» quotidie und quot diehus wird doch gleichförmig erkllrt werden müssen. Die
Erklirnng Holtze*s (a. a. 0. p. 887) „mensibus quot sunt", woraus dann durch
Attraction quotmenn^t durch welche die relative Geltung gerettet werden soll,
ist sicherlich nicht zu billigen. Als Analogie könnte man auch die von Mikloeich
(Sjnt. S. 87 e) angeführten slavischen Redewendungen (z. B. bdhm. eo rok =
alljShrlich, poln. co niedziela =b jeden Sonntag, eo dtie^ = böhm. eo de* =
alltSglich u. a.) vergleichen, wenn hier nicht vielmehr eo als Relativum aufzufns^
sen wfire, woxu das Verbum snbstantivum zu erginzen ist; also „eo den** :s=a yßrua
ein Tag ist; cf. oaai >S,uepae.
Untersucbuiigeii auf d. Gebiete derProDomin«, besonders der lateinischen. 111
laremque armaque Amyelaetimque canem Cressamque pharetram*
Äos der ursprünglichen Bedeutung von que-que «irgend einmal
— irgend einmal, einmal — einmal, einerseits — einer-
seits** entwickelte sich» indem man den Begriff, der eigentlich in
dem Verhaltniss beider Glieder zu einander liegt, auf que-que selbst
übertrug, die Bedeutung „einerseits — anderseits, sowol —
als auch ''. Eine passende Analogie bietet qua^qua, das ohne Zweifel
als indefinites Wort aufzufassen ist; somit bedeutete diese Ver-
bindung eigentlich »einerseits — einerseits» einestheils —
einestheils'', gelangte aber auch zu der Bedeutung „sowol —
als auch^. Plaut. MiL 4, 3, 20 qui consectare qua mores qua fe-
minaa, 4, 9, 15 quem amnes oderuni qua viri qua mulieres. Trin.
4, 3, 37 mores auiem rapere properant qua sacrum qua publicum.
Eben so bohm. jednak — jednak :=» sowol — als auch. Interessante
Beispiele des corresponsiven partitiyen Gebrauches der Indefinita
fuhrt Hiklosich (Synt S. 87) aus den slavischen Sprachen an.
Nachdem nun durch den corresponsiven Gebrauch que — que
die Bedeutung „sowol — als auch" erlangt hatte, gieng die
Sprache weiter. Das erste que wurde ausgelassen und das im zweiten
Gliede stehende in der hinzufügenden und verbindenden Bedeutung
«auch, und" gebraucht. Es ist dies eine Bedeutung, die sich nicht
aas der indefiniten Grundbedeutung von innen heraus entwickelt hat,
sondern die man aus der yorgestellten Beziehung der beiden Glieder
auf ^if^ seihst übertrug <). Die passendste Analogie bietet re dar;
aber es finden sich auch andere Analogien, die da zeigen , dass eine
Partikel in Folge eines vorauszusetzenden corresponsiven Ge-
brauches Trägerin einer Bedeutung wurde, die sich nicht innerlich
aus der Grundbedeutung entwickelte. So verhält es sich z. B. mit
der Bedeutung „oder*" von i9. Die ursprüngliche Bedeutung war aller
Wahrscheinlichkeit nach „so", woraus sich die relative „wie" ent-
wickelte, die sich noch nachweisen lässt (Ztschr. f. d. öst. Gymn.
XV, 314). Die disjunctive Bedeutung „oder" ging nun weder aus
der Bedeutung „so", noch aus der Bedeutung „wie" hervor, son-
dern das mittlere Stadium, durch welches ^ hindurch gieng, bevor es
0 Amden Pott, der (Et. Forsch. II, 865) noch den Zusammenhang von que mit skr.
y ei (sammeln) festhSIt Corssen (Ausspr. I, 336) fasst que relativ auf und ent-
wickelt nund" aus „wie*.
112 K V I c n I a
die Bedeutung „oder** erhielt» war der corresponsive Gebrauch
1$ — rj, das ursprunglich „so — so** bedeutete, dann (indem noan
die in dem Verhältniss beider Glieder gedachte Beziehung auf die
Partikeln selbst übertrug) die Bedeutung „so — anders, ent-
weder — oder*' erhielt. Man liess dann, nachdem man die ur-
sprüngliche Bedeutung von i^ nicht mehr fQhlte, das erste ^ weg und
legte dem zweiten i^ dieselbe Bedeutung „oder** bei, die man schon
in der corresponsiven Verbindung i? — i^ fGhlte.
Kehren wir nun zu quisque zurück. Es ist also eigentlich ein
indefinites Pronomen und bezeichnet „einen beliebigen ein-
zelnen", aber jeden, auf den ein gewisses Pradicat passt. Es unter-
scheidet sich von omnes und anderen Wortern, welche die Allheit,
Gesammtheit bezeichnen, eben dadurch, dass jedes Individuum ein-
zeln zu nehmen ist. Die Vereinzelung und Selbstständigkeit wird
zuweilen noch durch |iro se hervorgehoben, wie Plaut. Amph. 1, 1,
76. Ter. Heaut. 1, 1, 74. Man kann desshalb dem quisque einen
distributiven Sinn beilegen, wie es denn wirklich durch singuli
vertreten werden kann , so wie umgekehrt. So konnte z. B. bei Cic.
Verr. 2, 2, S3 describebat censores binos in singulas civitaies oder
bei Varro L. L. 9, 1 , 1 27 ut rationi obtemperare debet gnbernataf\
gubernatori unusquisque in navi, sie populus rationi f nos singuli
populo auch in quamque civitatem, nostrum quisque stehen, und
umgekehrt bei Cic. fam. 1, 9 ego quid ad te tuorum quisque ne^
cessariorum scribat^ nescio auch singuli^).
Ferner steht quisque in proportionalen Sätzen, in denen die in-
definite Bedeutung besonders deutlich hervortritt, mit quis ziemlich
auf einer Stufe. Nehmen wir z. B. einerseits Sätze, wie Tac. Ann.
2, 26 quantum quis damni professus erat. Hist. 3, S8 amicorum eius
quanto quis clarior, minus fidus — und anderseits Sätze, wie Cic.
Rose. com. 11 quo quisque est solertior, hoc docet Idboriosius. de
or. 1, 28 ut, in quo quisque artificio excelleret, is in suo genere
Roscius diceretur — so ist klar, dass im ersten Falle auch quisque,
im zweiten auch quis stehen konnte.
^) Dagegen iat zwischen quoiidie und in tingulot dies ein Unterschied, der bei Cic
Att. 5, 7 klar su Tage tritt: quotidie vel potius in die» eingulo» breviores ad te
fiter ae mitio, Cicero corrigiert den Ausdruck quotidie (da dieser „Tm^ ffir
Tag" bedeutet) durch tu die» eingulos d. i. an jedem einzelnen Ta^e, mb
dem ich überhaupt einen Brief absende.
UntersttcbuDgen auf d. Gebiete derPronomin«, besonders der lateinischen. 113
Die distributive Bedeutung von quisqae ist besonders klar an
solchen Stellen, wie Plaut. Capt. 4, 2, 17 tum genu, ut quemqtw
ieero (einen nach dem andern), ad terram dabo oder Amph. 2, 1, 4d
ordine omnia ut ^la^?^^ (eines nach dem anderen) actum est, disser-
tavit. Sehr gut vergleicht Haase (Anm. 362) damit den Gebrauch
700 äeij 6 det; einen ahnlichen Dienst wie du leistet im Deutschen
«immer**. Im Böhm. — kolivek (kdo-koli-velc; vek =a aevum).
Die Verbindung von quisque mit dem Superlativ (z. B. Cic.
Tasc. 1, 31 doctissimus quisque; Lael. 10, 34; Phil 1, 12, 29; 14,
12, 32) muss wol unter Zugrundelegung der proportionalen Sätze
mit ut — üa erklart werden. Es sind hier folgende Stadien zn
unterscheiden :
a) Cic. Qu. fr. 1, 1, 4, §. 12 ut quisque est vir optimus, ita
difficillime esse alios improbos suspicatur. Die beiden Superlative
correspondieren mit einander; nach dem Grade der bonitaa richtet
sich auch der Grad der difßcuüas suspicandi Die Superlative
setzen voraus auch die Möglichkeit niedrigerer Grade; ist der Grad
im ersten Gliede niedriger, so ergibt sich auch für das zweite Glied
ein niedrigerer Grad. Es ist also das Verhältniss dasselbe wie bei
quo {quantoj quisque est melior. eo (tanto) difficilius suspicatur.
Hit den Superlativen vgl. z. B. Thuk. 2, 47 a-Jro^ jULdXeara l^dvnjoxov,
offo) itai /jiaXeara npocriieoav. 8, 84 cffcp juia^i^a xal IXeuJ^ipoi ^aav
vovrac, roaouttji xai ^paoOrara npocnea6vTeg töv yua^ov d;npTOuv.
— Auch ist quam — tarn mit dem Superlativ möglich. Sali. Jug. 31, 14
quam quisque pessume fecit, tarn maxume tutus est.
Abweichungen vom gewöhnlichen Sprachgebt*auche:
a) Es steht im Hauptsatze der Comparativ. Cic. Lael. S, 19
sie enim mihi perspicere videor, ita natos esse nos, ut inter omnes
esset societas quaedam : maior autem, ut quisque proxime accederet >).
^) WestermaDo ood Rebdaotz führen diese SteUe als Analogie für Dem. Ol. Z, 12 «n :
09VI *ioLp iroiftorar' aur^i doxoGfACv x^yj^^vii, ro^ovr^ f«,aXXov oLKiaToOvi
rovTc; aur^. Aber irocfAoroera und fiöcXXov stehen hier gar nicht in Wechsel-
beuehung; za sroifAoraToc ist zu ergänzen nrayroav (unter aUen Menschen), zu
fdcXXov aber ergänze man „als es sonst der Fall wäre, nämlich wenn wir nicht
sebeioen würden iroifiorara iravrcüv X6*y^ yji^a^cu** ; oatfi aber hat eine causai«
nrbuag (Krüger f. 51, 10 A. 5). Aus dieser ErkISrung ergibt sich auch, dass
der Verdieht, den Westermann und Rebdantz gegen die Echtheit der Überlieferung
zn hegen scheinen, unbegründet ist.
114 KTicala
ß) Es steht im Nebensatze der Superlativ» im Hauptsatze aber
weder der Superlativ noch der Comparativ; Cic. Fin. 5, 20, S7 ut
quisque optime institutus est, esse omnino noiit in vita; aber hier
vertritt wohl omnino den Superlativ. Eine andere scheinbare Aus*
nähme ist bei Liv. 9, 6, 1 ut quisque gradu proximus erat, ita igno-
miniae obiectus, wo Weissenborn richtig bemerkt: „der Begriff pro-
^mu8 ist auch zum Hauptsatze zu ziehen**.
bj Ein solches proportionale Satzgel'Qge kann aber in einen ein-
zigen Satz zusammengezogen werden. Sali. Cat. 8, S prudentissu-
mus quisque maxume negotiosus erat. Cic. Tusc. 1, IS, 35 optimus
quisque maxime posteritali servit. Acad. 1, 4 recentissima quaeque
sunt correcta et emendata maxime. Fin. 2, 25 Optimum quidque ra-
rissimum est. Die Proportionalität ist hier aufrecht erhalten. Vgl.
Xen. Mem. 4, 1, 3 at äpiarat SoTLoOaai sivai fOcstg ixakiara naiddAg
cj Endlich aber gebrauchte man auch quisque mit dem Super-
lativ ohne einen zweiten entsprechenden Superlativ. Gewiss wurde,
als diese Construclion aufkam , der Begriff des Superlativs noch
gefühlt, er verlor sich aber mit der Zeit (wohl durch Vermischung des
relativen Superlativs mit dem absoluten). Übrigens scheint diese Con-
«truction verhältnissmässig spät entstanden zu sein, da sich in älterem
Latein vielleicht kein Beispiel findet; denn bei Plaut. Most. 1, 2, 7S
dQrfte wohl zu lesen sein : parsimonia et duritia disciplinae aliis eram;
optimi quoque {(ür quique) expetebant a me doctrinam. Für a) findet
sich in der älteren Sprache eine Analogie , wenn auch nicht mit
ut — ita: Cato R. R. 34 ubi (was nicht in uti zu ändern ist) quisque
locus frigidissimus erit, ibi primum serito.
In der Verbindung prudentissimus quisque nun hat, wie in
manchen anderen Fällen, quisque geradezu die Bedeutung „jeder**
angenommen <). Vgl. Haase (a. a. 0.), der nach der Aufstellung der
eigentlichen Bedeutung hinzufQgt: «Indessen lässt es sich nicht leug-
nen, dass diese Bedeutung nicht überall vorhanden ist; es gibt Bei-
0 Das entsprechende auf die Zweliahl beiugliche uierque hat bereits die Bedeutung
»Irgend einer von beiden, jeder beliebige ron beiden* aufgegeben und heisat nur
^»beide,* was der Bedeutung von quisque «jeder" enispricht. Die urspran^li^be
indefinite Bedeutung wird durch uter (als Pron. indef. =» jrorspo^) bezeichnet ;
Cic. Verr. 3, 14, 35 si uter votet cf. Plat. Lach. 189 D rt o^v Xi^ti ir^rcpoc
ÜDtenaehaogeo anf d. Gebiete der Pronomin«, besoodert der Inteiuisctien. 115
spiele, wo qutsque schlechtweg jeder heisst, z. B. cuiusque modi,
coiosqae generis. Sali. Cat.39t K. Cie. Rep. 3, 9.0ffic. 1. 39. 139.**
Wenn Yon der Mehrheit der genera irgend eines, jedes beliebige
gedacht werden kann, so ist eben keines ausgeschlossen, sondern an
alle za denken ist gestattet. So hat auch quivia die Bed. ^tAtr ohne
Unterschied*, uterin$ a0ch=ti/^fii^. Auch alteruier hat neben der
gewöhnlichen Bedeutung die von uterque erlaugt.
Vielfach ist die Frage erörtert worden, ob und in wiefern quis^
que mit dem Plural des Superlativs sich verbinde. Haase, der
diesen Punkt (a. a. 0.) ausfuhrlich bespricht, gelangt zu folgendem
Resultate: »Es gilt aber für die gute LattnitSt die Regel, dass von
quisque mit dem Superlativ überhaupt nur das Neutrum im Plural
gebraucht wird, nicht das niasc. und fem. ; der Grund ist aber ein-
leuchtend, da theils der höchste Grad einer Eigenschaft genau genom-
men immer nor ^inem Individuum zukommt, theils durch quisque im
Singular schon eine Mehrheit, nämlich der einzelne in dem betreffen-
dem Falle allemal, bezeichnet wird; beim Neutrum dagegen werden
die sachlichen Begriffe ihrer Natur nach nicht so individuell geschie-
den, wesshalb der Plural davon oft gebraucht wird, um nur ^inen
einzelnen Begriff, wenn er nicht ganz handgreiflich concreter Art ist,
mit Allem, was ihn angeht (ra nepl re) zu bezeichnen, und die
Lateiner haben daher, wie schon oben §. 195 bemerkt ist, eine
besondere Vorliebe ffir den Plural des Neutrum .... Wenn demnach
der häufige Gebrauch von nobilissima quaeque vollkommen begrün-
det erseheint, so ist es doch nicht ebenso mit nobilUsimi quique und
nobilisgimae quaeque; dass hier der Singular nothwendig sei, haben
die Lateiner aller Zeiten gefühlt, und wenn sich daher auch, beson-
ders später, Belege für den Plural finden, so können diese gegen die
aogeheare Mehrheit für den Singular kaum in Betracht kommen.^
Heiner Ansieht nach ist es aber nicht angemessen, die Frage so zu
stellen, ob und wann quisque mit dem Plural des Superlativs ver-
bunden werde, sondern man muss die allgemeine Frage aufwerfen, ob
und inwiefern flberhaupt der Plural von quisque zulässig ist; mit der
Beantwortung dieser principiellen Frage ergibt sich die Beantwortung
jener speciellen Frage von selbst. Wann quisque im Plural gebraucht
werden konnte, darüber gibt besonders die Verbindung desselben mit
den pluralia tantum Aufschluss, z. B. Cic. fam. 7, 33 fin. sie statuas,
tua$ mihi literas longissimas quasque groHssamas fore. Der Plural
116 Rv{£al«
lUerae, der eigentlich die Mehrheit der durch den Singular bezeich-
neten Schriftzeichen bedeutet, ist der Ausdruck für eine zur Einheit
verbundene Mehrheit, für das aus seinen Theilen bestehende Ganze.
Sowie nun dieser Plural dem Sinne nach ein Singular ist, so konnte
quüque beim Vorhandensein desselben Grundes auch sonst mit
einem Plural verbunden oder auch ohne einen solchen selbst im Plu-
ral gebraucht werden, wenn Mehrheiten bezeichnet werden sollten,
deren jede als Einheit anzusehen ist Die Bedeutung von quisque wird
dadurch natürlich nicht alterirt ; an die Stelle einzelner Individuen
oder Sachen treten hier einzelne Complexe von Individuen oder
Sachen <). Belehrend ist in dieser Hinsicht z. B. Pliu. H. N. 18, 8, 20,
n. 1 gravüsima quaeque grana serere. Gravissimum quodque gra-
num wäre hier sogar falsch, weil es besagen würde, dass einzeln e
grana ausgesucht und gesäet werden» während die Rede ist von ein-
zelnen Mehrheiten, von Haufen, deren jeder viele grana umfasst.
Ebenso klar ist der Grund für den Plural bei Cic. Lael. <§. 34 (welche
Stelle Haase übersehen hat) : pesietn enim maiorem esse nulluni ami-
citiist quam in plerisque pecuniae cupiditatem, in opiimis quibus-
que honoris certamen et gloriae. In optimo quoque war nicht zuläs*
sig» weil hier immer an ein Freundes paar zu denken ist; alle diese
Freundespaare, denen das Attribut optimi zukommt, werden durch
in optimis quibusque, bezeichnet. Liv. 1, 9, multi mortales conve-
nere maxlme proximiquiqiWf CaeninenseSf Crustumini, Antemnates,
wo nicht von einzelnen Individuen, sondern von Mehrheiten der Indivi-
duen (Gemeinden) die Rede ist. Dessgleichen bei Flor. 1, 9 poptdus
Romanus proximis quibusque correptis toiam Ilaliam sub se
redegiL
Dass bei weitem am häufigsten der Plural des Neutrums eines
Superlativs mit quisqtie verbunden wird , hat , wie Haase selbst
bemerkt, darin seinen Grund, dass gerade das Neutrum des Plurals
0 Wichtig ist die Analogie ron uterque, diis auch im Plural gekraucht wird, wenn
auf beiden Seiten eine als Einheit lu denkende Mehrheit ist. SaU. Jug. 6S, 2 sed
Marius Imptgre prudenterque suorum et hostium res pariter attendere, cognoacere
quid botti utrisque aut contra esset. Cic. Off. 1, 1» 2 sed tarnen nostra legens non
multuin a Peripateticis dissidentia, quoniam utrique et Socratici et Platonici esae
Tolttmus cet. Vgl. auch den Plural von nnus, x. B. Verg. Aen. 2, 642. satis uoh
superque Tidlmus excidia; ähnlich evsg, die einen, bdhm. jedni, ferner nulli
ovdivti.
Untersachan^ii «nf d. Gebiete der Pronomina, besonders der lateinischen. 1 1 T
SO häufig zur Zusammenfassung mehrerer Momente zu einem Ganzen,
£0 einer Einheit gebraucht wird ; so Cic. Acad. i, 4 recentissima
fuaeque sunt eorreeta et emendaia nuunme, wo der aligemeine Aus-
druck recentissima passend ist, während recentissimum quodque nur
einzelne Punkte bezeichnen wörde. Aber wenn bei dem Masculinum
oder Femininum dieselbe Bedingung eintritt, so ist auch die
Folge dieselbe, d. i. die Anwendung des Superlativs im Plural
mit quisque. Wenn also Haase sagt: „Wenn demnach der häufige
Gebranch von nobiUssima quaeque*^ u. s. w. — so ist zu bemerken,
dass, sobald ein Schriftsteller von angesehenen Gemeinden, Volkern,
Corporationen u. s. w. hätte reden wollen, nichts ihn hinderte, nobi^
lissimi quique zu gebrauchen. Wenn ferner Haase fQr proximi qui-
fie und optumi quique (Plaut. Most. 1, 2, 7S, wo aber wohl quoque
za lesen ist) eine Entschuldigung darin sucht, dass „mehrere der
onregelmässig gebildeten Superlatire in ihrer Form nicht den nothi-
gen Schutz fanden, um die Superlativbedeutung streng festzuhalten*'
— so ist diese Bemerkung hier überflüssig und schwerlich zutref-
fend , da proximus, optimus doch zu allen Zeiten regelmässig als
SuperlatiTe gefühlt wurden. Man konnte höchstens sagen, dass
proximi sich ganz besonders dazu eignete, eine zu einer Einheit ver-
bundene Mehrheit zu bezeichnen.
Dass im Ganzen der Gebrauch des Superlativs im Plural mit
quisque mit Ausnahme des Neutrums (und überhaupt der Gebrauch
des Masc. und Fem. von quisque im Plural) verhältnissmässig selten
ist, kann nicht Wunder nehmen. Es liegt ja überhaupt beim Gebrauch
äes quisque naturgemäss seltener die Veranlassung vor, von einheit-
lich za denkenden Mehrheiten zu sprechen. Es ist derselbe Fall, wie
bei uterque, dessen Plural ja auch ungemein seltener ist als der Sin-
gular. Femer vergleiche man z. B. die Abneigung der böhmischen
ond deutsehen Sprache gegen den Plural von kaid^,' jeder.
Anzuerkennen ist übrigens Haasens Beobachtung, dass später
(und zwar von Seneca an) der Gebrauch des Plurals von quisque
freier wurde; es finden sich manche Beispiele, in denen flQr den Plu-
ral von quisque sich nicht ein solcher Grund anführen lässt, wie für
Cic. Lael. ^. 34 und die anderen oben besprochenen Stellen. Man
kann nicht umhin zuzugeben, dass später der Plural von quisque
missbraneUich für amnes vorkommt. Dieselbe Erscheinung findet man
bei uterque schon in älterer Zeit; es wird nämlich auch in guter
Sitxb. d. pbil.-hitt. ct. LXV. Bd. I. Hfl. 9
118 Kt 1 ca 1 R
Latinität der Plural von uterque auch von zwei einzelnen Personen
oder Sachen gebraucht; so Sali. Cat. 30, 4 hi tärique ad urbem impe-
raiores erani (Q. Marcius und Q. Metellus) ; doch konnte man hier
einen Grund des Plurals noch darin finden, dass die Feldherrn sammt
ihrem Heere zu denken sind. Aber z. B. für Caes. B. 6. 1, S3 duae
fueruni Ariomsti uxores . . . täraeque in ea fuga perieruni lässt
sich absolut kein ähnlicher Erklärungsgrund ausfindig machen.
Anm. Was quisque betrifft, so fiodet sich in filterer Zeit wohl nur ein ein-
iges Beispiel, in welchem der Plural nicht so begrfindet ist, wie an den übrigen
Stellen, so dass man nicht umhin kann zuzugeben, dass hier bereits ein „freierer
Gebrauch" des Plurals Torliegt, wie er eben spfiter um sich griff und wie er bei
uterque schon in filterer Zeit vorkam. Diese Stelle ist bei Cic Off. 2, 21, 75 of
vero postea tot legee et proximae quaeque duriares; tot rei, tot damnati cet.
Die Verbindung des quisque mit Ordinalzahlwortern (z. B. Plaut.
Pseud. 4, 2. 17 vix decumus quisque est, qui ipsus sc noverit. Cic.
Rah. Post. 12 tertio quoque verbo excitabatur. Plin. H. N. 17, 22,
35 n. 7 quinto quoque palo) ist eigentlich keine von der Verbindung
mit dem Superlativ verschiedene Gebrauchsweise, da die Ordinalia
(mit Ausnahme von secundus) nach Form und Begriff eigentlich
Superlative sind (vgl. Sehleijßher Comp. S. S07 ff. 2. Aufl.). Es zeigt
sich in dieser Verbindung die Bedeutung von quisque Ungemein
klar. In dem Satze decimum imperator interßci iussii ist mit deci-
mus ein einziger aus irgend einer Anzahl, die nicht unter zehn ist»
bezeichnet; decimum quemque dagegen besagt , dass z. B. von
100 Menschen je einer, der der zehnte in der Reihe war, getodtet
werden sollte, je der zehnte, jeder zehnte. Dass diese decitni
nicht 6inen Complex bilden, sondern aus je einer Dekade einer her-
ausgenommen wird, das wird eben durch quisque bezeichnet. Dies
zeigt uns nun auch, wie eigentlich fortissimum quemque elegit und
ähnliches zu verstehen ist. Aus einer Reihe oder Menge wird je
einer, der nach mehreren weniger /orf^« wiederum fortissimus ist,
ausgewählt; da diese fortissimi nicht zusammen einen Haufen bil-
deten, sondern getrennt waren durch andere, denen das PrSldicat
^fortissimi nicht zukommt, so ist quisque der geeignete Ausdruck zur
Bezeichnung dieser Vereinzelung. Folgerichtig sollte daher auch,
wenn immer zwei oder mehrere solcher fortissimi unmittelbar bei
einander wären, fortissimi quique gesagt werden und bei dieser
Auffassung zeigt sich, dass nicht alle von Haase (a. a. 0.) aus spa-
Uotcrsachangen aaf d. Gebiete der Pronomin«, besonders der iRteinischen. 119
teren Schriftstellern angeführten Beispiele eine missbrSuchliche
^Dwendung des Plorals von quisque enthalten. So hatte z. B. Justi-
iias(5, 6) Grund zu ssLgen fortisaimis quibusque amisais, da der
SJOD hier nicht sein soll, dass auf mehrere andere immer nur ein ein-
ziger/br/Mnintf« folgte» sondern es waren immer mehre /br^iMtmi
bei einander.
Eine besondere Besprechung verdient die Verbindung pritAui
quuque^ welche drei verschiedene Bedeutungen hat :
a) Liv« 23, 15, 6 cum ferme triginta senatores ac ferme primus
qoisqae Capuam petissent, exciusi inde... Cumas se contulerunt.
Tae. Ann. 13» 48. Dieser Gebrauch ist gerade so zu beurtheilen, wie
die Verbindung der anderen Ordinalzahlwörter oder der Superlative
mit quüque. itAer primus hat eine Reihe anderer, denen dies Prä-
dieat nicht zukommt, neben oder hinter sich.
ß) Cic. N. D. 3» 3» 7 Et ille (Cotta) : Quadripartita» inquit» fuit
diyisio tua : primum ut velles docere deos esse» deinde quales essent»
tum ab bis mundum regi» postremo consulere eos rebus humanis.
flaee, si recte memini» partitio fuit. Rectissime» inquit Baibus; sed
exspecto, quid requiras. Tum Cotta: Primum quidque videamus»
ioquit Hier hat» wie nach Haase*s Bemerkung zuerst Wyttenbach
gezeigt hat» primum quidque die Bedeutung „eines nach dem anderen,
50 aber dass jedes an die Reihe kommt** xa^' iv ixaarov). Ebenso de
inr. 1, 23» 33 prima quaeque pars. Diese Gebrauchsweise zeigt auch
sehr deutlich den distributiven Sinn des quisque und sie kann nur
50 erklart werden» dass nach Erledigung je eines Punktes der
Däehste (2. 3. u. s. w.) zum ersten wird» der nun in Be-
tracht kommt.
7) kher primo quoque tempore (z. B. Cic. fam. 13, 57), primo
qnoque die (J?h\\. 8» 11) unterscheidet sich von den ersten zwei Fäl-
len nnd fiberbaupt von der gesammten Gebrauchsweise des quisque
mit einem Ordinalzahlworte oder mit dem Superlativ. Da nämlich
diese Redensarten „so bald als möglich" bedeuten, so ist hier nicht
daran zu denken» dass etwas an mehreren Tagen stattfinden soll»
5oadem nur an ^inemTage, der überhaupt nach den Verhältnissen
der erste sein kann. Es muss aber doch wohl diese Gebrauchsweise
mit der unter ß erwähnten vermittelt werden. Es wird nämlich hier
bezeichnet» dass» wenn etwas am allerersten Tage nicht stattfindet» es
i^nn am unmittelbar folgenden Tage» der jetzt zum ersten wird»
9»
120 Kvi'^ala
stattfinden solle oder könne, und wenn nicht an diesem, dann wieder
am unmittelbar folgenden Tage u. s. w. Eine Analogie hiefur kann
man im Gebrauch des deutschen „jeden Tag" u. ähul. Verbindungen
finden. nEr kann jeden Tag kommen** muss nicht bedeuten „^1* kann
£u wiederholtenmalen, sowohl heute als auch morgen als auch über-
morgen u. s. w. kommen", sondern es kann auch mit Rucksicht auf
ein bloss einmaliges Kommen bedeuten „es ist möglich, dass er
heute kommt, oder wenn nicht heute, so morgen oder übermorgen
u. s. w.
Die relative Geltung von quisque (= quicumque) ist bei Plautus
nicht selten. Asin. 2, 3, 24 quisque obviam huic occesserit irato»
vapulabit. Andere Beispiele, die Holtze (I, 408) anfuhrt, sind Mil. 2»
2, t ; 8; 2, S, 50; 4, 9, 14; ebenso Asin. 1, 3, 47. In späterer Zeit
tauchte dies wieder auf, wie bei Sidon. Ep. 4, 11. Hartel (Zt. f. d.
Ost. Gymn. 1868 S. 31) sagt, er sei dem relativen quisque in den
ältesten Cyprianhandschriften auf Schritt und Tritt begegnet. Schon
Lindemann hat auf die Analogie quandoque ^^^qa^jidoeumque hinge-
wiesen. Es hat in diesem Falle der erste Theil von quüque aus der
indefiniten Bedeutung die relative entwickelt, wie nach der oben ent-
wickelten Ansicht das lateinische Relativum überhaupt auf das Inde-
finitum zurückgeht. Bei quisquis und quicumque ist die ursprüngliche
indefinite Bedeutung im Gebrauche zurückgedrängt worden; doch
findet sie sich bei quisquis bei Cato R. R. 7. 48 und in der Verbin-
dung unum quidquid.
diicm^ie.
Dies Pronomen besteht aus drei indefiniten Elementen, toii
denen die zwei letzten jedoch als eine bereits fertige Verbindung
(cumque) an qui sich anschlössen. Cum (quom) ist ein temporales
Adverb und identisch mit der Conjunction cum (quom); beide unter-
scheiden sich nur durch den Gebrauch, wie das indefinite und rela-
tive qui^y Passend vergleicht MikFosich mit dem temporalen Elemente
von quicumque die slavische Zeitpartikel koli , die zu demselben
Behüte dem indefiniten Pronomen angehängt wird; und das tempo-
') CorMeo sieht diese Form für einen Aecusativ an, wie tum u. «. Ich stimme mit
Aufrecht überein, der (Kuhn's Zt. 1, S5) diese Formen fBr Locatire hüt und mit
dem nmbrischen LoeatiTSufliz vergleicht.
UnUrssehQo^en aaf d. Gebiete der Pronomina, besonders der lateinischen. 121
nie Moment kann noch durch Hinzufugung von rivi» (temporaler
AeeusatiT des Zeitraumes aaevuin = per aeTum) verstärkt werden.
Dass eumque noch ziemlich lebhaft als selbststand iges Wort gefühlt
«urde» wird durch die nicht seltene sogenannte Tmesis bewiesen,
Doeb mehr aber durch Beispiele, wie Hör. Carm. 1, 32, 15 o laborum
dulce lenimen , mihi eumque salve rite vocanti^ was richtig erklärt
wird „quoties te vocavero**, also ^ wann immer, immer vorkommen-
den Falls**.
Die indefinite Bedeutung von quicumque ist gegenüber der
herrschenden relativen selten; als Beispiele fuhrt man an Cic. Cat.
2, 5 qaae sanari poterunt, qnacumque ratione sanabo. Prop. 1, 8, 34
et quocumque modo maluit esse mea. Liv. 45 , 23 de quacumque
Cjiosa. Man erklärt diese indefinite Bedeutung gewöhnlich aus der
relativen (mit Annahme der Ellipse von esse, fieri oder sonst eines
dem betreffenden Contexte entsprechenden Verbs) — und wo! mit
Recht Denn obzwar die ursprüngliche Bedeutung von quicumque die
iadefinite war und somit die Annahme, dass sich dieselbe in einzelnen
Fäiien auch in späterer Zeit erhielt, nicht widersinnig wäre, so
seheiot doch die Ansicht den Vorzug zu verdienen, dass die indefi-
nite Bedeutung hier ganz erlosch und sich erst später wieder in Folge
eines Voi^angs, den man in den Sprachen öfter antrifft, entwickelte.
So wäre die obige Stelle. Cicero*s etwa => quae sanari poterunt,
sanabo, quacumque ratione sanabo. Eine Analogie bietet der indefi-
nite Gebrauch von oarig (z. B. Plat. Hipp. mai. 282 D roOrtav S"
Umpcg TiXiov dpyOpio\/ dno aofiag etpyaTrai % aXkog dtiixioupydg ay'
r,77nrj^ riy^vTog^j häufig dariaoOv. Ahnliches im Slavischen und Deut-
schen. — Auch bei
^■ifis, fnüibet
ist die indefinite Bedeutung aus der relativen zu erklären. Es ist anzu-
nehmen, dass das relative qui in diesen Verbindungen ursprunglich
in dem entsprechenden Abhängigkeitsverhältnisse zu vis, lubet stand,
wie man z. B. noch erklären kann mittam ad te quemvi8=^miHam
ed ie» quem m$ mitti oder mittam cuiusvis generis homines^^mit"
tarn hamines^ cuius vis generis homines mitti oder quolibet tempore
temam = veniam^ quo (mihi) libet tempore venire oder =» veniam
quo (tibi) libet tempore me venire Vgl. Cato R. R. 52 quod genus
1 22 K r { e • I •
tis propagabtB. Aber nachdem man sich gewöhnt hatte, in zahlrei»
eben FSIlen quem vis, quos vis, quae vis, cuius vis, quem übet, quo
libet u. s. w. als zusammenhängende Ausdrucke zu mhlen und zir
gebrauchen, wobei die eigentliche Bedeutung von vis, lubei sich ver-
dunkelte, wurde dann auch der Nominativ quivis quilibet gebrauchtr
eine Construction , die mit Rücksicht darauf, dass sie eine streng
grammatische Erklärung nicht zulässt , als eine missbräuchiiche
bezeichnet werden kann, z. B. quivis haec perspicit statt perspicii
haec, quem rw, sc. haec perspicere. Vgl. das ganz entsprechende
8^ ßoOXei z. B. Plat Gorg. Sil A ipya roeaöra, ola To6rcüv 6g ßoOXct
€lpya(jrai, Krat. 432 A tol iUa n oaxiq ßo6Xce äXkog dpi^iLog. Man
könnte zwar auf die Annahme verfallen, dass quivis haec perspicit
zurukzufuhren ist auf die vollständige Construction perspicit haeCy
qui (ut) haec perspiciat vis, wobei die Ansdrucksweise auch in
diesem Falle als eine streng grammatische sich herausstellen würde.
Dafür konnte angeführt werden z. B. bohm. to ti prinese sluha ktery
(qui) chces (vis) « hoc tibi aflferet servus quivis, wo wirklich die
Annahme .der vollständigen Construction n^ery chces aby pfinesl"^
=^qui vis ut afferat natürlicher ist. Aber im Böhmischen hat das
Verbum „chttti** in diesem Falle immer seine eigentliche Bedeutung
des Begehrens beibehalten und ist nicht zu , der Bedeutung einer
blossen der Willkür eines Subjects anheimgestellten Annahme herab-
gesunken.
Ferner muss doch bei den lateinischen Wörtern ohnehin in
einem Falle, nämlich bezuglich der Bildung der Formen quidris^
quidilhet eine Verdunkelung des ursprünglichen Sprachgebrauches
und eine missbräuchiiche Anwendung zugegeben werden. Diese For-
men entstanden nämlich, indem man sich der ursprünglichen relativen
Bedeutung des ersten Elements nicht mehr bewusst war und behufs
des substantivischen Gebrauches dann die Form quid wählte, an
deren substantivische Geltung man sich bei dem indefiniten und
interrogativen Pronomen gewöhnt hatte.
Auf einer anderen Grundlage beruht der Gebrauch von 6 ßcu-
X6jUL£vo^ (=s 8g ßoOXerai), was aber nie zu der blossen Geltung eines
indefiniten Pronomen wie quivis abgeschwächt wurde. Über umbr.
pisher vgl. Umbr. Spr. I, 138: „Pisher, welches nurTaf. VP 41 vor-
kommt, hat wahrscheinlich die Bedeutung quilibet und besteht, ahn-
UBtertnchttiigeii «af d. Gebiete der Pronomina, besonders der lateinischen. 123
lieh diesem letzteren, aus dem Frageworte«) verbunden mit der
3. sg. praes. ind. der Wurzel her (velle), heisst also wörtlich:
Ober dem PreHemiHiktamii sti«
Man sieht diesen Pronominalstamm für einen ursprünglich
releiiren an; aber dass dieser Stamm ursprQoglich eine demonstra-
tiTe Geltung hatte» lässt sich nicht bloss a priori Yoraussetzen» son-
dern auch mit Gründen nachweisen.
Bei der Untersuchung über die ursprüngliche Function dieses
Stammes ist der Gebrauch des griech. ov, ot» i Toranzustellen, das
io der Sprache des alten Epos ungemein häufig in der Bedeutung
Deiuis ei, eum** u. s. w. vorkommt, z. B. 11. j3 196 ^cXci 8ii (den
Konig) iLtiTUTa ZeO^, und so erscheint i (nach Krüger s Angabe Dial.
§. 51, 1 A. 9) etwa an sechs Dutzend Stellen, häufig auch die Formen
10, I5ev, £v, oc, seltener io^ ^eius (z. B. Od. 6 618 o^' id^ ioiko^
d}LftxaXvr^€9 neXai |uic vcarf^aavra). S^i kommt bei Homer und Herodot
in der Bedeutung arjvoXg vor, afiatv bei Homer meist demonstrativ,
seltener reflexiv, bei Herodot stets reflexiv (was eine spatere Ein-
schränkung ist). Vgl. Krüger Gramm. §. 51, 1 ^. 1--19.
Ich halte es nun für unzweifelhaft, dass hier nicht « ein Umschlagen
der reflexiven Bedeutung in die demonstrative angenommen werden
kann, sondern dass umgekehrt eine Umwandlung der Bedeutung „is**
in die Bedeutung „«tii^ anzunehmen ist *).
'J Dem fi9 nisste, wenn die Bedeatang von pisker die oben angegebene ist, die
relatiTe Geltoog beigelegt werden, wie sie püi bat in : |»ift punipe fust.
*) |)iese deoBODStratiTe Bedeotong war f^eilicb im Griecbischen in der Zeit, bis zn
welcher wir bei der Verfolgung des Sprachgebrauches sorfichgehen können, nie
die starke Function, welche s. B. der Demonstratirstamm te hat, der in vielen
Fillen zur Bezeichnung einer Hinweisung auf etwas noch nicht Brwlhntes, noch
nicht Bekanntes gebraucht werden kann, sondern er hatte aur die Kraft, auf etwas
schon friiher Erwihntes hinzuweisen; eine solehe Hinweisung ist aber eine Ruck-
weiaang. Nie hat z. B., so weit wir zurückblicken können. Jemand, der einen
anderen anf eine erst ankommende, früher noch nicht gesehene oder erwihnte
Person anlmerksam machen wollte, hinweisend auf diese Person gesagt d(Ci>xe i,
wohl aber s. B. ditaxt rdvdc ; dagegen war in der alten Zeit ganz gelSufig z. B.
wy oLuri i ^oj 'AxiXXcv; . , . dicoxic (II. x 17»), weft Rektor schon früher
gcnaABt wurde.
124 KvUiii«
Wenn die orsprOngliche Geltung die reflexive (sei es nun eine
speciell reflexive der 3. Person oder eine ailgemeiu reflexive) gewesen
wäre, 80 begreift man nicht» wie aus dieser Beschränkung heraus
sich die Bezeichnung der 3. Person ohde Reflexion hätte entwickeln
können. Durch welchen Vorgang hätte z. B. fikiei Si i juiv^rfera ZsOg
von der angeblich ui*sprünglichen Bedeutung „er liebt sich"* zu der
Bedeutung ,,er lieht ihn** gelangen sollen? Ferner wäre doch wol
(wenn man auch einen solchen Vorgang per inconcessum annehmen
wollte) die Entwicklung der Bedeutung „er^ aus «sich" überflussig
gewesen , da die Sprache für die nichtreflexive Bezeichnung der
3. Person eine Menge von Formen hatte. Wohl aber begreift man
leicht, dass sich mit dem fortschreitenden Denken» mit der genaueren
Wahrnehmung des Verhältnisses aus der Function „is*' die reflexive
entwickeln konnte. Während man bei der entgegengesetzten Erklä-
rung annehmen muss» dass ursprünglich oi\ ot, i nur in Sätzen
gebraucht ward, deren Subject dieselbe 3. Person ist, z. B. inhi^tv k
^er schlug sich** oder nach der allgemein reflexiven Auffassung auch
in Sätzen, wie nhioaca ^/xi, n}Aaast^ ai: nehmen wir an, dass der
Gebrauch unbeschränkt war, z. B. inhi^d i, inlvi^dg i, 6 narrip
SnXri^iv i. Wer dieser j^er'' ist, der z. B. in dem Satze 6 nariip
inhi^ev i als das Object des nX-haanv bezeichnet wird, das ist sprach-
lich unbestimmt <) ; es konnte eine andere Person als das Subject n-arr^p
sein „der Vater schlug ihn" (die bereits erwähnte oder bekannte
Person); es konnte aber i auch auf die durch narrsp bezeichnete Per-
son sich beziehen »der Vater schlug ihn, d. i. den Vater d. i.
sich.^ Bezüglich der Zeit, in welcher das reflexive Moment noch
nicht gefühlt und doch 6 narr^p inkr^sv i in der Bedeutung f ».
röv noLTipa gesagt wurde, ist zu bemerken, dass da i vom Stand-
punkte des Sprechenden aus gesagt wurde, während man
später, als die reflexive Beziehung bereits gefühlt wurde, £ vom
Standpunkte des handelnden Subjects {narrtp) ansah; die Aussage
^) Nur der Accent diente spiter zor Unterscheidung, da das reflexire e orthotoDirt
war, wShreiid es im entgegengesetzten Falle enklitisch behandelt wurde. Es war
aber gewiss anfangs das ursprunglich nichtreflexiTe e auch orthotnnirt uad
schwichte sich erst spiter ab,TielIeicbt gerade xu der Zeit, als der reflexive Gebrauch
aufkam; es unterliegt keinem Zweifel, dass die Unterscheidung des reflexiven €,
als des energischeren Wortes, in der Betonung sehr angemessen und na-
ifirlich ist.
UDtersuchiiiigeD aaf d. GebieU der PronomiuH, besonders der lateinischen. 125
bt also IQ diesem Falle ein subjectives, innerliebes Gepräge, sie
geht durch das Medium eines fremden Standpunkts hindurch.
Bekanotlich kommen auch in späterer Zeit Reste des ersten Stadium
nach vor; aurog und lat ia erscheint zuweilen da, wo man iauroO
und nu erwartet; vgl. z. B. Cic. Att. 10, 4, 5 cum haec scripsissem,
aCarione mihi nunciatum est, eum ad me venire. De Orat. 1, 54,
232.Caes. b. g. 1, 5; 11; 14.
Für die Erklärung der reflexiven Geltung aus der demonstra-
ÜTen ist ferner jiev auszufuhren, das unzweifelhaft ursprunglich eum,
com bedeutete^ wie es diese Bedeutung auch regelmäasig aufweist.
Weao nun daneben sich auch der reflexive Gebrauch findet, so ent-
stand eben dieser ans jenem. So Herod. 1, 4S imxaraafd^ai julcv
uktJWf t4> vexpt^. 1, 1 1 Uiretje ^irj ynv dvayxaii^ ivSiXv ^).
Ein anderer Beweis liegt in dem Gebrauche von aOrö^, das bei
Homer in reflexivem Sinne vorkommt ; so aOroO im Sinne des spä-
teren iavTGö oder auroö Od. f 51; avr^ = sibi Od. ß 125; aCrdv
= iavTov Od. S 247; auch «Otoö = ^fxavroö Od. y 249; aürwv==
^fUüv aÖTcüv II. Yi 338, Od. x 27. Hier ist es doch unzweirelhaft, dass
aus der demonstrativen Geltung die reflexive sich ergab.
Die demonstrative Geltung des Stammes sva hat sich in ein-
zelnen Fällen auch in späterer Zeit noch erhalten; so z. B. <jfi bei
Herodot und den Tragikern = aüroOg , aürag, bei den Tragikern
aaeh = «urov, aCrfiVj ferner ayt, ofiv bei den Tragg. u. s. w.
Das Latein bestätigt unsere Ansicht. In der älteren Sprache
existirte ein demonstrativer Pronominalstamm «o-, wovon Ennius
ium^Momy soB^ sa8=^ewn u. s. w. gebrauchte. Von diesem Stamme
kommt auch «i {sei), ai-c. Aller Wahrscheinlichkeit nach haben
diese Formen ein v eingebüsst, wie sibi = svi-bi » se =» sve = atfi ;
sie sind also ihrem Ursprünge nach identisch mit sui aibi se. Es fin-
det sich femer das altlat suad mit der Bedeutung «ic, wie aus Ver-
rins Flaccus Erklärung erhellt: ^auad ted idem ait esse sie te"*
(Festus 351). Auf dieselbe Weise, wie im Griechischen, ergab sich
aoeb im Latein für sva- die reflexive Geltung.
*) Die bom. Formel rw fAtv ^«ffafuvoff irpoajywvee (U. ß W), In der maoche
(UV SS iaurfv nehmen, gehört nicht hleher, da ^h (= «vrov) mit jcpoffif wve
n TMrhiaden ist.
126 RTfaula
Es fragt sich nun, ob im Latein auch für 9ui» sibu se, suus noch
in einzelnen Fällen jene ursprungliche Function angenommen werden
darf. Es gibt bekanntlich eine Anzahl von Stellen, an denen man statt
des Yorkortimenden auu suus erwarten wurde is^ eius. An vielen dieser
Stellen kann man nun freilich bei genauerer Erwägung die reflexive
Geltung wahrnehmen und den Grund der Anwendung von sui, suus
mehr oder minder klar nachweisen. So ist z. B. bei Naev. fr. ine. bei
Gell. 6, 8 eum 8UU8 paier cum pallio uno ab amica abduxit ent-
weder s{itts = sein eigener, oder es steht desshalb , weileine
Beziehung auf das (zwar nicht grammatische, aber) logische Subject
stattGndet, wie es ja in der passiven Construction lauten wurde : is a
8U0 patre abductus est. Ebenso lässt sich Plaut Mil. gl. 2, t, 34
erklären: nam is illius filiam conicit in navem miles dam matrem
mam. Cic.Jnv. 1, 33 Epaminondas Thebanorumimperatorei, guisibi
ex lege praetor successerat, exercitnm non tradidit =■ successori
suo, Cic. Rose. Am. 2, G Chrysogonus hunc sibi ex animo scrupulum^
qui se dies noctesque stimulat ac pungit, ut evellatis, postulat, wo
man eum pungit oder se pungat erwartet. Annehmbar ist Halmes
Erklärung, dass der Relativsatz hier als ein inhaerir ender
Theil des Hauptsatzes erscheine {== se pungentem). Es ist die Con-
struction „se pungiV" die Mittelstufe zwischen y,eum pungit** und
se pungat; sie bezeichnet schon einigermassen die innerliche
Abhängigkeit des Relativsatzes vom Hauptsatze, aber noch nicht so
kräftig, wie die Construction ^se punga/**, bei weicherauch der Modus
zu Hilfe genommen wird. Ebenso ist Verr. 6, §. 128 zu beurtheilen:
Dexo hie non quae privatim sibi eripuisti, sedunicum miser abs te
filium flagitat. Halm bemerkt übrigens, dass solche Beispiele bei
Cicero selten sind und sich mehr in seinen älteren Schriften finden.
Sonst finden sie sich aber ziemlich oft; vgl. z. B. noch Plaut. Poen. S, 1,
ZZeumfecisse aiunt, sibi quodfaciundumfuit(=T6 iauroj jrpaxreov).
Ovid. Fast. 6, 601 ipse sub Esquiliis^ ubi erat sua regia, caesus
(wenn man nicht hier die prägnante Bedeutung „seine eigene**
annehmen will). Vell. Pat. 2, 56, 1 Caesar omnibus, qui contra se
arma tulerant, ignovit, Suet. Caes. 74 Et quamqudm obsidione
Massiliaef quae sibi in itinere portas clauserat, summaque frumen-
tariae rei inopiu retardante, brevi tarnen omnia subegit. Hör. Ep.
2, 1, 78. Com. Nep. Cim. 3. 1.
UntennebangeD auf d. Gebiete der Pronomina, beiondera der lateiniacben. l 2 7
Aber diesen mehr oder minder leicht erklärlichen Beispielen
stehen andere aus der älteren Zeit gegenüber, auf die sich diese
Erkiärüng nicht ausdehnen lässt, wie Nae?. fr. ine. bell. Pun. p. 18
Vahlen : plerique omnes suKgutäur sub suum iudicium, Plaut. Capt.
3, 4, 48 nam is est servos ipse neque praeter se umquam ei servos
ftdL Cato R. R. 37 vitis si macra erit^ sarmenta sua conddito. Ich
bin bezuglich solcher Stellen geneigt anzunehmen , dass dieser
Gebrauch, für den im Griechischen so zahlreiche Beispiele vorliegen
ond der anch im Deutschen bei dem possessiven sein sich findet,
noch die ältere Sprachstufe repräsentiert. — Dass der Gebrauch von
iuu8=eius nie ganz verschwand, dafür bürgt derselbe Gebrauch in
den romanischen Sprachen, wicital. suo, franz. son. Dass im mittel-
alterlichen Latein so oft suus = eins vorkommt und auch suL sibi,
9e=^eius, ei* eum u. s. w. (z. B. in einem Briefe Poggio*s an Leo-
nardas Aretinus : Vera sunt, quae sibi objiciuntur d. i. ei, nämlich
dem Hieronymus von Prag), ist jedenfalls bemerkenswerth.
tbtt das griechische te!ativpron«nen.
Gegen die gewöhnliche Ansicht, dass o^ dem skr. jas entspre-
che, polemisiert Savelsberg (Kühnes Ztschft. 8, 401ff. vgl. 10, 75).
Mit dem negativen Resultate dieser Abhandlung bin ich jetzt ganz
einverstanden, obzwar ich frQher auf Grundlage der gewöhnlichen
Ansicht -^ure zu erklären versuchte (Ztschft. f. d. öst. Gymn. 1863,
S. 314). Savelsberg gelangt zunächst durch Vergleichung zahlrei-
cher homerischen Stellen und mit Berücksichtigung der von Boss im
J. 1854 veroflTentlichten lokrischen Inschrift, auf welcher Z. 6 fort
steht, sowie mit Benutzung der Notiz des Hesychios: BaXcxc<A>rv3^,
wvifYißog ' Kpr,Teg zu dem Resultat, dass 6^ aus pog entstanden sei.
Auch diese Form sei nicht ursprunglich; man müsse neben dem
ionischen Interrogativstamm xo eine zweite Gestalt xpo (vgl. lat*
quo-) annehmen, woraus d;r7röre = öxfoTe; durch gänzlichen Weg-
fall des X sei aus xpog geworden fo^ (vgl. wer= hver), dann 6g, In
höherer Instanz hänge freilich auch das Relativum ^ö^, og mit skr»
jas zusammen, da dieses wiederum aus kjas entstanden sei. Was die
Entwicklang der Bedeutung betrifft, so nimmt er an, dass im Grie-
ehisehen, sowie im Lateinischen und Deutschen, die interrogative
Geltung die ursprungliche war, aus der sich die relative entwickelte»
wobei auf Pott (Etym. Forsch. I, 361 2. Aufl.) verwiesen wird.
128 . Kvi'c'.l«
Wenn das positive Resultat der Untersuchung Sarelsberg's rich-
tig wäre, so müsste man meiner Ansicht nach die relative Geltung
aus der indefiniten erklären (vgl. oben). Aber die Ansicht von
der Entstehung des 6g aus xf o^ hat Curtius (Grundz. d. gr. Etym.
n, 178) widerlegt. Zwar konnte Savelsberg auf Curtius' Einwen-
dung: „Die demonstrative Bedeutung des gr. o^ in xa( 8g ifn
spricht gegen diese Herleitung** erwidern, dass er am Schlüsse seiner
Abhandlung ausdrücklich zugegeben habe (nach Curtius* Vorgang in
Kuhn*s Ztschft. 6, 93), dass vor der fragenden Bedeutung dem
Stamme xa, kva die hinweisende zukam und dass xoci og ifri
(sowie auch der demonstrative Gebrauch von &g oder cü^) von diesem
Standpunkte erklärt werden Jcönne; aber der andere von Curtius
angeführte Grund ist entscheidend: nWie unwahrscheinlich ist es.
dass das Griechische von den beiden Consonanten den ihm ganz
geläufigen zu Gunsten des so wenig festen, von Anfang an schwan-
kenden F aufgegeben haben sollte !*< Es lässt sich aus dem Griechi-
schen kein Beispiel eines Abfalls des k in der Lautgruppe xF anfuhren.
Aus xFog konnte nur werden *x\jg (wie xO<av, x\jv6g aus kvan-, skr.
^van) oder *;ro^ aus ^Tzizog (wie 6nn6re aus öxf 0«), oder ,*xo^, nie-
mals aber Fog-
Aber dass Savelsberg die gewohnliche Ansicht, 0^ sei jaa»
erschüttert hat, scheint anerkannt werden zu müssen. Curtius, indem
er an der Ansicht ög sei =^jast festhält, macht geltend^ dass der con-
ventionelle Gebrauch der epischen Sängerschulen selbst nach dem
Verschwinden des Lautes Jod den Hiatus und die Dehnung vor solchen
Wörtern in gewissen häufigen Wendungen aufrecht halten konnte«
ähnlich wie die späteren Epiker es mit den digammirten Wortern
machen, nachdem längst der Spirant selbst verhaucht war (II, 178).
Wenn man dies aber auch für „gewisse häufige Wendungen^ zugeben
wollte (wie z. B. J^eög u}g und ähnl.), so ist doch anderseits zu beach-
ten, dass Hiatus und Dehnung sehr 0 ft in Fällen vorkommen, die offen-
bar nicht als häufige Wendungen angesehen werden können. Ferner
zeigen sich bei den Wörtern, in denen unzweifelhaft der Spiritus
asper aus j entstanden ist, jene Erscheinungen nicht (z. B. bei OikeXg^
Freilich wird fori von manchen für verdächtig gehalten (vg^.
Curt I, 364; II, 36); aber die Glosse des Hesychios ßaXixidiTiog
kommt dem f ore wirksam zu Hilfe. Jedenfalls kann man sagen, dass
Untereuchungen auf d. Gebiete der ProDominii, besonders der lateiniscben. 129
a priori eine Erklärung, die das f in fort für ein wirkliches f. und
nicht für ein unrichtiges graphisches Zeichen hält, grössere Wahr-
scheinlichkeit fQr sich hat.
Ich halte Lottner's Vermuthung (Kuhn*s Z. 9, 320) für richtig,
nämlich die Zurückführung von 6g auf den Stamm 8vaj welche auch
Cartius als „eher denkbar'^ bezeichnet, wobei er jedoch hinzufügt^
dass dieser Annahme von Seiten der Bedeutung erhebliche Schwie-
rigkeiten entgegenstehen. Aber diese Schwierigkeiten yerschwinden,
wenn man TOn der reflexiven Bedeutung abstrahiert und zugibt, dass
wa im Griechischen ursprünglich ein demonstratives Pronomen
(oder, wenn man will, das persönliche Pronomen der 3. Person) war,
aus welcher Geltung sich die relative ebenso entwickeln konnte, wie
bei Jas, 6f ize, deri» lauter ursprünglich demonstrativen Wortern.
Nach Lottner's Auffassung erklärt sich sofort leicht irjg II. n 208
(yrjk6mdog l^'i'yoL ipyov^ irig t6 rcpiv y* lpdaa^£)<f das Savelsberg
(a. 0. S. 406) durch, irig d. i. iprig ersetzt wissen wollte. Es ist ir^g
ganz richtig und zwar = (jeFiog- Es zeigt sich eben hier dieselbe
Erscheinung, wie bei den von demselben Stamme herrührenden
Wörtern U «aefc, iog^atpog und lat. sovos, suus, lit. sävas (Curt.
II, 157; Schleicher Comp, f 40 b. 2. Anm. 2 und § 145. 2. b. Anm..
Corssen Ausspr. I, 175). Darnach stellt sich auch die bestrittene, an
zwei Stellen bei Homer vorkommende Form oou (II. |3 325 ripag . . .
oou TLkiog oÖTTOT okiirai *) und Od. a, 70 IIoXO^y^fiLOv, oou xparo^ iari
tkirfiOTov) als richtig heraus ; es ist oou=(7cf cu, und man hat nicht
nothig, das bedenkliche co (mit Buttmann, Ahrens Rhein. Mus. N. F. II,
161^ Savelsberg a. a. 0. S. 406 Anm.) anzunehmen. Was den
Wechsel von € und o betrifft (?>?^, aber (ffou), so findet sich dieselbe
Erscheinung bei demselben Stamme im Slavischen; altbulg. loc. sehe
gen. sehe, (wie tebe, tebe), aber instr. sobojj (wie toboj?) ; im Böh-
mischen loc. dat. sobe (tobe), instr. sebou (tebou). Die Verschieden-
heit des Accents hig^ oou opp. kng^ ioO ist wol so zu erklären, dass
die ursprüngliche Betonung iog verdrängt wurde, indem das posses-
«irc Pronomen i6g in der Betonung der Analogie der Pronomina iaö^,
TBog folgte; vielleicht ergab sich auch das Bedürfniss, die Verschie-
denheit der Bedeutung durch Verschiedenheit in der Betonung kund-
Xttgeben; vgl. ofjL«^ opp. öfxw^, arc^vcöc, opp. driyytag, dXkd opp.
1) Dieselbe Formel kehrt im Hymn. Apoll. 1S6 wieder.
130 Kvt'a«Ia
aXka u. a. — So wie nun das possessive iö^ und das relative ii^q in
der Form (mit Ausnahme der Betonung) fibereinstimmen, so ist nach
unserer Auffassung auch die Gleichheit des possessiven oq und de$
relativen 6<; keine zufallige, sondern beruht auf Identität der beiden
von demselben Stamme 9va herrührenden Wörter.
Leicht erklärt sich ferner auch das homerische i^Ore <) » y^
npore; daraus ward zunächst "haxjTt (wie z. B. önvog d. i. aunvo^ aus
svapnas), dann la^Ore (wie iiOg aus i^au^) ; aus i^Ote aber ward €&r€,
wie eu aus i^O, iO.
Das homerische fh ist ein wichtiger Beweis für Lottner*s An-
sicht. Da es nämlich für c^to steht (Curtius in Kuhn*s Zt. 3. 76), wie
lakon. fiv für cftv, und dem got. 8vS entspricht, da es ferner die
unzweifelhaft relative Geltung n wie** hat, so unterstützt es die Ansicht
vom Zusammenhang des griech. Relativs mit dem Stamme sva
wesentlich; die relative Geltung entwickelte sich aus der demonstra-
tiven, die sich in xae Sg f^iQ, ri S'Sg, seltener ^ i' rj bis in späte
Zeiten erhalten hat, wie sich denn auch noch später vereinzelte
Spuren des Gebrauches von ci, ol, i = eius, eu eum linden (z. B.
Soph. Trach. 650 a ii oi (pCXa Sdikap= eius tixor; vgl. Krüger
Gramm. II, §. Bl.l).
Auch in den italischen Sprachen entwickelte der Stamm sva
aus der demonstrativen Geltung (die z. B. in dem altlat. 8uad=8ic
vorliegt) die relative, nämlich in der Conjunction lat. sei (aus svei),
^1, osk. sval oder suae, umbr. sve. Desselben Ursprungs ist wohl a^,
£i (für svaif svei); dass hier sv spurlos verschwinden konnte, wird
durch i6itf}==aFi$ioi bestätigt.
Die Ansicht, dass Sanskrit und Griechisch in der Entwicklung
des Relativpronomens nicht übereinstimmen, kann um so weniger
überraschen, wenn man bedenkt, wie gering die Übereinstimmung
der indoeuropäischen Sprachen in dieser Hinsicht ist. Nur das Sans-
krit und Zend haben ein Relativpronomen ja^), das Altpersische
1) Ich habe früher (Z«chft. f. d. öst. GyioD. 1863. S. 314) i;ur< irrig aus ^ jorv
durch Annahme des fiol. v = o, wie üol. rurc = rorc, erklSrt; aber dieursprfing-
liche Bedeutung „wie wann" glaube ich für y^xjts a. a. 0. genfigend nachgewiesen
zu haben.
*) Bemerkenswerth ist, dass im Sanskrit und Zend die demoostratire Geltung de»
Stammes j a , die naturiich vorausxusetzen ist, spurlos verschwunden ist. Im Zend
nahm zwar Bopp W* §. 383 S. 198 es an: aber rergl. 1* S. 484.
Untcnvchnngeii auf d. Gebiete der Pronomina, beaonders der lateinischen. 1 3 1
kennt den Relativstamm ja nicht (Bopp. Gram. (< S. 484); das Latein
entwiekelte sein Relativpronomen aus dem inde6niten Pronominal-
stamm quo-p das Slavische gebraucht zwar zur Bezeichnung der
Relation auch den Stamm ja- ^ber in Verbindung mit der enklit.
Partikel ie, oder es gebraucht wb in relativer Geltung, das Griechische
bedient sich auch des Stammes ro in relativem Sinne u. s. w. Offen-
bar gab es vor der Sprachentrennung kein eigentlich ausgeprägtes
Relativum.
Isle.
Dass iste das Pronomen demonstrativum der zweiten Person ist,
wird allgemein anerkannt Es liegt auch wirklich bei iste, sowie bei
den Adverbien istic, ütuc^ istinc diese Beziehung in unzähligen
Fällen so klar zu Tage, dass sie nicht verkannt werden kann. Indes-
sen fugt man hinzu, dass schon in älterer Zeit iste zuweilen als all-
gemeines Demonstrativpronomen außrete und die Beziehung auf die
zweite Person aufgegeben habe. Aber wenn man die betreffenden
Stellen genau in ihrem Zusammenhange erwägt, so findet man, dass
in der Zeit vor dem Beginne des Sprachverfalls diese Ausnahmen
sehr selten sind. Die Bedeutung von iste ist freilich nicht immer so
stark und klar, dass durch iste bloss Gegenstände bezeichnet wür-
den, die der zweiten Person angehören, Eigenschaften, welche sie
besitzt. Handlungen, die von ihr ausgehen: sondern, wie Grysar (The-
orie d. lat. St. S. 74) richtig bemerkt, „es wird durch iste auch auf
Dinge hingewiesen, welche die zweite Person, mit der einer redend
eingeführt wird, in ihrer Rede oder auch in blossen Andeutungen
bereits berührt haf*. Diese schwächere Beziehung, die aber doch
eben eine Beziehung auf die zweite Person ist und bleibt, wird sich f
(wo eben iste nicht die stärkere Bedeutung hat) für die ältere und
für die gute Zeit des Lat,eins mit sehr wenigen Ausnahmen an allen
Stellen, die kritisch gesichert sind, nachweisen lassen «). Auffallend
ist es, dass Grysar, der sonst der dem iste zukommenden Beziehung
auf die zweite Person eifrig nachspürt, es doch zweckmässig fand.
von dieser Beziehung an ziemlich vielen Stellen, wo es nicht nothig
war, zu abstrahieren und dafür folgende Erklärung aufzustellen: ^Da
1) Von den hieher gehörigen FfiUen ist besonders beachtenswerth die h8u6ge Formel
mnU uf ^ee ist, wie du sagst".
\/
132 Kvf^.la
wir uns die zweite Person, insofern sie angeredet wird, gegenüber-
stehend denken: so ist es natGrlich, dass wir auch die Gegenstände,
/Welche uns in einer ähnlichen Nähcg /erscheinen, mit diesem
Pronomen bezeichnen. . . .Wenn daher Terent. Add|ph. V- 2, 8 sagti
Etiam tu hoc responde, quid tibi istic negotii est? so bedenke man,
dass er auf den unmittelbar vor ihm liegenden Platz hinweist''. (S.
75 f.) Aber an dieser Stelle steht i%tic lediglich desshalb, weil es
eben bedeutet „da, wo du bist**. Ebenso ist an den übrigen Stellen,
die Grysar S. 76 anfuhrt, nie leicht zu erklären, ohne dass man die
ihm eigentlich zukommende Beziehung preisgibt. Cic. Cat. 1, 7 quid
quod adventu tuo ista subsellia vacuefacta sunt? Cicero meint hier
nicht alle subsellia, sondern offenbar nur jenen Theil der Sitze, die
sich in der Nähe desjenigen Platzes befanden, den Catilina einzu-
nehmen pflegte ; in Catilina's Nähe mochte niemand sitzen ; wozu
wären aber alle Bänke geräumt worden? Vgl. die unmittelbar fol-
genden Worte : quod omnes consulares, qui tibi persaepe ad caedem
constituti fuerunt, simul atque adsedisti, partem istam mbselliorum
(diesen Theil, wo du zu sitzen pflegst) nudam atque inanem relique-
runt. Cic. Sen. 17. Lysandro quemdam agrum diligenter consitum
admiranti ferunt Cyrum respondisse: Atqui ego omnia ista sum dimen-
sus ; mei sunt ordines, mea descriptio, multae etiam istarum arborum
mea manu sunt satae, d. i. alles, was du da siehst und bewunderst. —
Liy. 1, 40, 10 ergo vos prius in me strinxeritis ferri;im quam in vos
ego; istinm (d. i. von dem Orte her, wo ihr steht, aus euerer Mitte)
Signa canent, istinc clamor prius incipiet atque impetus, si dimican-
dum est Ebenso leicht ist die Beziehen? auf die zweite Person bei
Liv. 7, 40, 13, Ter. Heaut. 3, 3^27, Hec^ 3, 2j_4 jiachzuweisen.
S. 78 weist Grysar richtig bei Cic. Font. 4 für isti munütoni
die Beziehung auf die zweite Person (die Ankläger) nach, aber von
drei anderen Stellen, nämlich Cic. Lael. 2. Catil. 3, 12, Tusc. 5, 28
sagt er „dass sich hier die allen genugenden Gründe, warum Cicero
das Pronomen isie den anderen vorgezogen habe, schwerlich angeben
lassen**. Die zweite dieser Stellen ist zu beseitigen (quod mihi cum
bis vivendum sit, quos vici atque subegi : isti hostes aut interfectos
aut oppressos reliquerunt), hier wird jetzt statt des unmöglichen isti
mit Recht illi gelesen. Aber an der ersten Stelle nam qui septem
appellantur, eos, qui iaia subtilius quaerunt, in numero sapientium
non habent ist die Beziehung des ista auf Laelius, der unmittelbar
Untannchungen aaf d. Gebiete der Pronomina, besonders der lateinischen. 133
vorher Yon Fannius angeredet wurde, unrerkennbar; ista weist darauf
hin, dass solche Untersuchungen und Studien dem Laelius nicht
fremd waren (te autem alio quodam modo, non solum natura et mori-
bus, Terum etiam studio et doctrina esse sapientem), es bezeichnet
also „dei^leichen in euer (nämlich der Theoretiker) Fach einschla«
geode Punkte**. An der dritten Stelle „transeat idem iste sapiens ad
rempablicam tuendam*' ist dies » eben derselbe Weise, den ich
euch (cf. 1, 4, 7 cum essent plures mecum familiäres) eben (5, 24
bis 25) geschildert habe, der euch bereits bekannte. Dieselbe Ver-
bindung idem iste findet sich Cic. Man. 7, 19 deinde, quod nos eadem
Asia atque idem iste Mithridates initio belli Asiatici docuit, id quidem
certe calamitate docti memoria retinere deberaus. Es ist auch hier
igte Mithr. «= der euch (Quiriten) geschilderte Mithridates, gegen
den ihr Beschlüsse zu fassen habet.
Es mögen nun noch einige Stellen angeführt werden, an denen
iste seine regelmässige Bedeutung aufgegeben zu haben scheint, aber
eben nur scheint. Cic. Brut. 33, 12S sed ecce in manibus vir et
praestantissimo ingenio et flagranti studio et doctus a puero 6. Grac*
ehus; noli enim putare quemquam. Brüte, pleniorem aut überiorem
ad dicendum fuisse. Et ille, Sic prorsus, iqquit, existumo atque istum
(den Yon dir eben erwähnten) de superioribus paene solum lego. De
or. 2, 56, 227 f. Quare tibi, Antoni, utrumque assentier, et multum
faeetias in dicendo prodesse saepe et eas arte nuUo modo posse tradi.
niud quidem admiror, te nobis in eo genere tribuisse tantum et non
huius rei quoque palmam, ut ceterarum, Crasso detulisse. Tum Anto-
nius, Eg^ vero ita fecissem, inquit, nisi interdum in hoc Crasso paul-
lum inviderem. Nam esse quamvis facetum atque salsum non nimis
est per se ipsum inyidendum : sed, cum omnium sis yenustissimus et
urbanissimus, omnium gravissimuni et severissimum et esse et rideri,
quod i»ti contigit uni, id mihi vix ferendum videbatur. Hie cum arri-
sisset ipse Crassus cet. Die hier vorkommende Neckerei, von der
Grysar sagt (S. 78), dass sie, da sie von Crassus mit Lächeln auf-
genommen ward, von uns nicht unbemerkt bleiben kann, liegt nicht
in i$ii^ sondern in der ganzen Äusserung des Antonius, in seinem
humoristisch aufrichtigen Geständniss neidischer Gesinnung gegen
Crassus« Hit iste konnte Crassus nur desshalb bezeichnet werden,
weil Antonius zu Caesar gewendet von Crassus als einem von Caesar
erwähnten und gelobten Manne spricht. Antonius hatte dem Caesar
SiUb. d. phiL-hist. Cl. LXY. Bd. I. Hft. 10
134 KTicala
die Palme witziger Beredsamkeit zuerkannt (S4, 216 in quibus ta
longe aliis mea sententia, Caesar, excellis), Caesar dagegen diese
abgelehnt (§. 220 nam id, quod tu mihi tribuis, Antoni, Crasso est
omnium sententia concedendum, wobei der Gegensatz omnium seu'-
tentia und mea sententia beachtenswerth ist) : in Übereinstimmung
damit spricht dann Caesar §. 227 seine Verwunderung über das
Urtheil des Antonius aus. Caesar nimmt sich also des Crassus an und
man kann »isti^ paraphrasieren „diesem deinem Crassus, dessen du
dich annimmst, diesem deinem Schützling"*. — Bei Cic. in Cat. 2, 8,
18 (tu agris, tu aedificiis, tu argento, tu familia, tu rebus omnibus
ornatus et copiosus sis, et dubites de possessione detrahere, adqui-
rere ad fidem? Quid enim exspectas? bellum?. . . An tabulas novas?
Errant qui istas a Catilina exspectant: meo beneficio tabulae novae
proferentur, verum auctionariae; neque enim isti, qui possessiones
habent, alia ratione ulla saivi esse possunt) ist es auch klar, dass
iste mit Rücksicht auf die zweite Person (tu), die als Repräsentant
einer ganzen Classe gedacht und angeredet wird, steht; man kann
also qui iatas exspectant erklären „welche, wie du, diese von Cat.
erwarten**, eben so isti „diese Leute, wie eben du**. — Wenn Hein-
dorf zu Hör. Sat. 1, 2, 73 als Beweis dafür, dass iste zuweilen für
hie oder ille stehe, Ep. 1, 6, 67 anfuhrt, so ist dies Beispiel nicht
gut gewählt (si quid novisti rectius istis^ candidus imperti); hier
erklärt Kroger istis richtig „das, was d u hier von mir ausgesprochen
siehst**.
m
/ Wir koi^men nun zur Erklärung des Begriffes der Vorachtung,
der durch i^ so oft bezeichnet wird. Dies Moment der Gering-
schätzung ist aber durchaus nicht eine besondere und ausschliessliche
Eigenthümlichkeit dieses Pronomen. Auch andere Pronomina können,
wenn der Context darnach angethan ist und wenn sie mit spöttischem
Ton und geringschätziger Geberde ausgesprochen wer,den, dieselbe
y Geltung haben. So ist j^huius non faciam** bei Ter. Ad. 2, 1, 9 =
nicht so viel (was man sich von einer entsprechenden Geberde und
Handbewegung begleitet zu denken hat) d. i. nicht ein bischen werde
ich darauf Rücksicht nehmen**. Cic. in Cat. 1, 1, 2 hie tamen vivit,
mit Verachtung und Unwillen gesagt. Ebenso ille z. B. Cic. Rep. 1, 1
ad summam senectutem maluit iactari quam in illa tranquillitate atque
otio iucundissime vivere. Ferner bezeichnet ille häufig eine bekannte,
oft erwähnte Person oder Sache, die nicht immer berühmt sein muss
Uotersachungen auf d. Gebiete der ProDominn, besonders der lateinischen. 135
(was freilich gewohnlich der Fall ist), sondern auch berüchtigt
$em kann. Erwähnt mag werden, dass auch tantus im Gegensatze
ZQ der henrorhebenden Bedeutung zuweilen bezeichnet ^nur so gross,
so klein*', wie Cic. Man. 6, 14 ceterarum provinciarum vectigalia
tanta sunt, ut iis ad ipsas provincias tutandas vis content! esse possi-
iDos. Dass tanttis ebenso „so gross** wie auch „so klein*' bedeuten
kann, ist natürlich nur desshalb möglich, weil die Bedeutung dieses
Wortes eigentlich eine indifferente ist, die erst durch den Context,
dareh Ton und Geberde ihre bestimmte Färbung einhält,
Dass nun iste viel häufiger als hie und ille mit dem Nebenbe-
griff der Verachtung gebraucht wird, das hat seinen Grund in nichts
anderem als dass isie das Pronomen demonstr. der zweiten Person
ist. Da nämlich die zweite, uns gegenüberstehende Person gar oftx
nnser Gegner ist, da ferner in einem Streit das, was der Gegner i)
thut oder sagt, unzahligemale mit isie bezeichnet wird und da es
naturlich ist, dass bei einem Streite der Gegner mit Ironie, Spott,
Verachtung behandelt wird, so liegt die Veranlassung, iate in jener
Weise zu gebrauchen, zu Tage; es wird eben, was in dem natur-^
liehen Verhältnisse der streitenden Parteien liegt, auf iste selbst
abertragen; z. B. Cic. N. D. 1, 44, 122 quam (amicitiam) si ad
fractum nostrum referemus, non ad illius commoda, quem diligimus:
non erit hta amicitia sed mercatura quaedam utilitatum suarum. Deut-
lich ist hier ista „das, was ihr (Epikureer) in consequenter Anwen-
dung eurer Theorie als Freundschaft bezeichnen müsstet**, da gegen
die Epikureer polemisirt wird, die direct angeredet werden, z. B.
^. 121 quanto Stoici melius, qui a vobh reprehenduntur?. . .Vos
antem quid mali tfah'^?...ne homines quidem censetis, nisi imbe-
eilli essent, futuros beneficos et benignos fuisse?
Für die richtige Auffassung dieses Gebrauches von iste ist der
Umstand von Gewicht, dass ja auch iuus, vester mit Ironie oder
Geringschätzung gebraucht wird, wo dies eben durch das gegen-
seitige Verhältniss der mit einander sprechenden, resp. streitenden
Personen bedingt oder begünstigt wird, z. B. Cic. N. D. 1, ^. 110
deus vester («»quem vos animo fingitis, aber zugleich mit Gering-
') Der Geg-ner selbst wird freilich, wenn er direct ang^eredet wird, mit tu und nicht
mit Ute bezeichnet, da eben Ute «war ein demonstratives Pronomen der
1. Person, aber nicht das pertönliche Pronomen der 2. Person ist.
10*
136 Kvicalu
Schätzung gesagt) nihil agens. ib. §. 104 quaero igitur, vester deus
primum ubi habitet. ib. %. 61 Epicurus yero tuus. . .quid dicit» quod
non modo philosophia dignum sit, sed mediocri prudentia? ib. ^. 99
tuus autem deus non digito uno redundät, sed capite, collo cet. Vgl.
den Gebrauch von aog, z. B. Soph. Ant. 673 a'^av 7c Xrjnilg xolL at>
xae t6 adv A^x^;. Phil. 12S1 ^itv r^ fex^iai rdv adv 06 rapßCi fößov.
Eur. Hipp. ii3 rr^v aijv Si K6n:|9(v k6}X i^th X'^^p^^^ X^eo. Herakl.
284 t6 aov yäp 'Ap7o? oi> diSoix iy6}» Rhes. 866 cüx oida, rovg aoh^
Von dem oben erwähnten Gebrauche des üte ist aber der Fall
zu unterscheiden, wenn mit iste nicht auf etwas der zweiten Person»
die man direct anredet, Ängehöriges hingewiesen wird, sondern wenn
sich iste auf jene Person bezieht, von welcher man in der an die
zweite Person gerichteten Rede spricht. Dies findet am häufigsten in
gerichtlichen Reden statt, wenn der zu den Richtern sprechende Red-
ner seinen Gegner als dritte Person mit iste bezeichnet. Dass iste
auch hier seine Beziehung auf die zweite Person nicht aufgibt, ist
sicher. Wenn z. B. Verres von Cicero mit iste bezeichnet wird, so
ist es eigentlich n dieser Mensch, den ihr da sehet, über den ihr ein
Urtheil zu fallen habet, der ein Object euerer Wirkungssphäre ist**.
Dass sich hier leicht der Begriff der Verachtung beimischen konnte^
ist begreiflich. Ähnlich ist Ter. Andr. prol. IS id isti vituperant fac-
tum und V. 21 istorum obscuram diligentiam zu erklären; das Pu-
blicum ist der Gerichtshof, an den der Dichter dem Tadel der Feinde
gegenüber appellirt.
Die von Grysar gegebene Erklärung kann nicht richtig sein.
nWoher dies Pronomen zu solcher Function gekommen, ist leicht zu
begreifen. Da wir nämlich die zweite von uns angeredete Person mit
tu, die um dieselbe herum befindlichen Dinge mit iste bezeichnen :
so liegt allerdings ein bitterer Hohn darin, wenn wir, gleichsam yoq
der Person absehend, von ihr, wie von einem in der Nähe befindlichen
Dinge redend, uns des iste bedienen**. (S. 76 f.) Nach dieser
Erklärung müsste sich ja dasselbe in demselben Maasse auch für hie
ergeben. Der Unterschied, den die Redner im Gebrauche von hie und
iste machen, kann nur darin liegen, dass hie als Pronomen demonstr»
der ersten Person (wie o$e) die in die Sphäre des Redners gehörige
Person, den dienten, bezeichnet, von welchem naturlich der Redner
achtungsvoll und sympathisch sprechen muss, während für iste das
UBtersncbungcn auf d. Gebiete derPronomina, beaonders der lateinischen. 1 3 T
oben Gesagte gilt. Noch weniger annehmbar ist Herzog's von Grysar
mit Recht verworfene Erklärung (zu Caes. B. G. 3, 11), dass der
genngsehätzigen Bedeutung von igte ein „Herunterschauen'', das in
iäe liegen soll, zu Grunde liegt.
Zu dem Gesagten mögen noch folgende Bemerkungen hinzu-
gefügt werden :
aj Auch da, wo iste mit Ate oder ille gleichbedeutend zu sein
scheint, wird sich meist eine Beziehung auf die zweite Person,
uamlich auf den Leser, annehmen lassen, wie Hör. Ep. 1, 6, 67
oder 2, 2, 90. Es muss auch nicht ein bestimmter Leser sein, an
den die Schrift gerichtet ist, sondern es kann irgend ein beliebiger
Leser gedacht werden. Dieser Gebrauch beruht auf demselben
Priocip wie die Anwendung der zweiten Person des Verbs in dem
Sinne von „man**. Bei schlechthin objectiver Erzählung oder Dar-
stellung, wo eine Beziehung auf die zweite Person nicht zulässig ist, ^
irird sich in älterer Zeit Ute wol nirgends finden.
bj Oft kann man iste passend durch den ethischen Dativ tibiy
vobis erklären und ersetzen. Wenn z. B. Livius 22, 60, 28 sagt
„haec vobis ipsorum per biduum militia fuit^, so könnte auch
gesagt werden „ista (die euch eben geschilderte) fuit militia.''
c) Nach gutem Sprachgebrauche kann man nicht ohne weiters
iste anwenden^ um irgend eine Person mit Geringschätzung zu
bezeichnen. Wenn ein neuerer Schriftsteller z. B. den Catilina, um
seine Verachtung gegen denselben an den Tag zu legen, in einer
Erzählung mit iaie bezeichnen wollte, wäre dies ein Verstoss gegen «
die gute Latinität. Nur dann konnte iste Catilina in diesem Falle
gesagt werden, wenn der Schriftsteller gegen Jemand, der sich des
Catilina annimmt, direct polemisieren würde „dieser dein Catilina**.
Wenn nun diese Beziehung auf die zweite Person ein so wich-
tiges, dem iste zukommendes Moment ist, so dfirfte wol die gewöhn-
liche Ansiebt, dass der zweite Bestandtheil von i«^^ dem Demonstrativ-
stamm der dritten Person ta angehört, nicht die richtige sein,
sondern man wird vielmehr annehmen mtlssen, dass te mit dem
Pronomen der zweiten Person tu zusammenhängt. Dasselbe mit tu
zusammenhängende te findet sich in tute, Dass das te von tute nicht
von dem Demonstrativstamm ta herrührt, sondern dem Pronomen tu
entnommen ist, wird von Pott u. a. mit Recht behauptet, da tute^ tete
offenbar eine solche Verdoppelung ist, wie meme^ sese, emem skr.
138 RT/^al«
Gen. müma, red. Abi. mamai. Für die Trennung des ie in iste ron
te in tuie kann man aber keinen anderen Grund anfuhren, als den»
dass der zweite Theil von iste decliniert wird, so dass deshalb dies
ie «nicht starrer Anhang, sondern eine specieil dem Nom. Sing.
Masc. eigene Abschwächung der Endsyibe des deelinabeln Stammes
M^o-" zu sein scheine (Merguet S. 148). Aber ungeachtet dieses
äusserlichen Unterschiedes kann der zweite Theil von tuie und isie
identisch sein; man braucht eben nur anzunehmen, dass bei iste
dasselbe eingetreten ist, wofür sich viele Beispiele in den Sprachen
finden, nämlich Declinierung eines ursprünglich indeclinablen Elements.
Die wichtigste Analogie ist die zunäcbstliegende, nämlich ipse <)> das
in der späteren Zeit die ursprüngliche Indeclinabilität des zweiten
Theils auch lediglich im Nom. Sing. Masc. zeigt und sonst (mit Ausnahme
von ipsum opp. istud) ganz dem isie gleicht; aber die erhaltenen
Formen eumpsey eampae, eopse, eapse zeigen noch die ältere
Sprachstufe. Wollte man aber einwenden, dass die Annahme ur-
sprünglicher Flexionslosigkeit des zweiten Theiles von isie
unwahrscheinlich sei, weil sich gegenüber den Formen eumpse,
eampse nicht Formen, wie eumie^ eamie erhalten haben : so würde
man mit demselben Recht gegen die gewöhnliche Erklärung,
isie sei aus isios, istus entstanden, einwenden können, dass sich
isius nicht findet; und darüber könnte man sich wohl mit mehr
9 Andere Analoj^ten sind z. B. die Formen roio-cTco-i Od. f 93, TüXv^tWi Od. ß 47,
röjvdecüv Ton Alkaios gebraucht (nach Anecd. Gz. 1. 253, 19), das afghanisehe
hagha, fem. haghiy plur. haghd (Bopp 2, 102 Anm.). Vergl. weiter «libnl^.
klldaago, kildomu, texdech'b, wosu Miklosich (111, 64) bemerkt: .Man vergleiche
das altcech. k tobe sim (ad semet ipsos) fQr Ar »M «i, ferners oni-zim^ otu^xek^
0Hi-zimi bei ragvsaniscben Sehriftsellem fOr oh«k% sh, oa»x% sa, obmui sk.** ^
dann altbulg. onMica (Miklosich III, 6S), serb. tizijehj titijem, tvojizih a« n.
(Hikl. 111, 253 und IV, 118), das altböhm onsoA, oneek (a. B. Genet. od oaseha
Jindficha; vergl. Jnngm. Lex.), das bdhm. poss. Pron. jcji (eins, «ur^O« de*
jetat durchweg declinirt wird, wihrend diese Form als poss. Gen. fem. in der
alteren Sprache undeclinirt blieb. Gegenwirtig hört man in der gemeinen Sprache
auch einen von dem possessiven Gen. plur. jejieh (eorum, earum) gebildeteii
Accus, jejieh'ho und Dat. jejiek-mu. — Erinnern kann man auch daran, das»
X. B. tempert (ein Locativ) den Comparativ temperiue annimmt, dass nequ^nt
(eig. = nullo loco, dann attributiv hämo neguam =s homo qui nnllo loco habetur)
einen Compar. neginor und Superl. nequioHmm» bildet, als gibe ea einen
PosiUv * nequuo. (Vergl. Zeitschr. f. d. dst. Gymn. 1864 S. 317.)
Untenuchanpen unf d. Gebiete der Pronomina, besonders der lateinischen. 1 39
Recht wundern , da nicht bloss oUus sich erhalten hat, sondern ipse
sogar die ihm eigentlich nicht zukommende Form ipaus annahm.
Es fragt sich nun aber, welcher Casus te in tute, Ute sei. Ich
glaube, der Abiatiy, sei es dass die ursprQngliche Länge fe (d) sich
gekürzt hat (vergl. sed in seditio und die Conj. sSd, beides der Abi.
des Reflexivpronomens, Corssen Ausspr. I, 334), oder dass tid
ursprQnglich kurz war (vergl. die Ablative im Skr. mdt, tvät) und
nach Analogie der Nomina eine Dehnung erfuhr (Merguet S. 143).
Für die Annahme der Ablativform dieses te spricht met^ das wol
aueh der Ablativ von ama ist (Bopp II, 114; Pott I, 838). Über
sma urtheilt Pott (I, 837) richtig, dass es sich kaum anders denn als
ein steigerndes Moment auflassen ISsst, ungefähr im Sinne von ip9e.
Demnach wäre egomet „ich von (mir) selbst, ich von meiner Seite
selbst, vosmet ^ihr von euerer Seite selbst". Ist diese Auflassung
richtig, so wird auch te in tute (und iste) nichts anderes als der
Ablativ sein, zumal da tutemet vorkommt, bei welcher Form doch
die Annahme, dass te derselbe Casus wie met sei, sehr wahrschein-
lich ist. Darnach fasse ich auch iste in der ursprünglichen Bedeu-
tung 18 ex tua parte auf.
Wer den Zusammenhang des te in Ute mit dem Pron. tu nicht
anerkennt, zugleich aber erwägt, dass dem Sprachgebrauch zufolge
iste wirklich das Pronomen demonstrativum der zweiten Person ist,
der musste annehmen, dass das Sprachgefühl durch den Gleichlaut
irregeleitet das te von üte für dasselbe Element wie in tute hielt und
demgemäss dem i$te die Bedeutung zuwies, die es hat. Man wird
aber wol zugeben, dass eine Erklärung, die eine solche Verirrung
des Sprachgebrauchs nicht voraussetzen muss, ceteris par'ibus von
vornherein den Vorzug verdient.
Meiner Meinung nach hängt auch ourog mit dem Pron. pers. rO
(Stamm tva«) zusammen. Auf diese Weise erklärt sich wol die
Entstehung des ouro^ wahrscheinlicher, als wenn man mit Benfey
(Wurzellex. I, 281) die vedische Partikel u zu Hilfe nimmt (die im
Griechischen nicht nachweisbar ist) und ouro^, aCirif?» rovro aus
•a-^-^as, sä-^'tä, ta-u-tad entstehen lässt <). Ich nehme an, dass
*) Dieser Krkllmng Beafey^s pflichtet auch Sonne (Kuhn's Zt. 12, 270 ff.) bei ; denn
obswar er den Hergang bei der Entstehung der griechischen Formen anders auf-
fsMt ak Benfey, so nimmt er doch dieselben constitnirenden Elemente an. Hoppes
Erklärung ({. 344), dass ouro^ = 6 avrog sei, und M. SchmidVe Auffassung, dasa
140 Rrf^al«
oirog, roOro aus den Elementen sa (ta) und tva entstand, also oOrog
aus der Grundform satvas^ durch Metathese des v (u) sautas.
Bezuglich dieser Metathese vergleiche z. B. oxikoq == '^okfog =
"^dXpog = sl^t. sarvas. Das erste Element von oirog (d = sa,
ro- = ta-) blieb undecliniert, da beide Elemente innig verschmolzen.
Auch raOra bildet wohl nicht (wie Sonne annimmt) eine Ausnahme
davon, sondern es zeigt diese Form den ersten Theil nur scheinbar
decliniert; in Wirklichkeit hatte wol auf diese Form das einfache
Pronomen rd nur insofern einen Einfluss, dass raOra der Analogie
von rd folgte und sich dieser Form* nach Möglichkeit assimilierte.
Der Einfluss dieser Analogie von 6 zeigt sich ja auch in den Formen
ouTog, aÖTTfj, ToöTo, O'jroc, aurat, dagegen dorisch tovtoi (wie auch
rot), raörat (wie auch raf). — Diese Erklärung des Ursprungs von
oOrog wird durch den Sprachgebrauch bestätigt. Vielfach haben
bereits Erklärer und Lexikographen auf den analogen Gebrauch von
ouro^ und igte aufmerksam gemacht. Besonders beachtenswerth aber
ist, dass oCrog in der Anrede oft = heus tu^ du da gebraucht wird,
wie Aisch. Suppl. 889 ourog, ri nocetg; Soph. Ai. 71 ouro^, (je
jrpofffJLoXstv xald. i047 outo^, ai ywvw. Plat. Symp. init. 6 ^odripevg
ouTo^ ^Ano\\6Sü}pog, oO nepiiiivetg; Prot. 310 B. 'Innoxparng ouro^,
fjLT^ Ti v£WT£pov dyyi'kXetg; dagegen wurde oös (wie hie) sehr oft mit
Bezug auf die erste Person gebraucht.
Ipse.
Bopp*s Erklärung (II, 131), dass /i«^ aus dem Pronominalstamm
sva durch Umstellung entstanden sei, wie syrak. ^iv = afiv = afjv,
wird allgemein für unzulässig gehalten. Gewohnlich nimmt man, und
wohl mit Recht, an, dass -pae mit -pte identisch ist. Für diese An-
sicht spricht die ähnliche Verwendung beider Partikeln (beide werden
nur an Pronomina angehängt : fnepte, mihipte, Cato*s vopte^ meopie,
suopte und ebenso i(s)p8e und auch aepse) und die gleiche Bedeu-
tung derselben; so sagt Fest, p.379 nvopte pro vos ipsi Cato posuit.""
Das 8 von ia ist in ipae eben so geschwunden wie in vopie, idem.
Die Veränderung von pte in pae könnte freilich auffallend erscheinen,
da pt im Latein im Inlaut nicht unbeliebt war,- aber vergl. capaa,
ovTog eigentlich o-Tog, a-n^, rö-ro, das u aber der Euphonie halber eingeachoben
sei, finden keinen Anklang.
Unieniicbiingen auf d. Gebiete der Pronomina, besonders der lateinischen. 141
eap9U8, lapsus neben scriptus (Corssen, krit. Beitr. S. 420); zudem
kann in der Toraosziisetzenden Form *ispte das «, das freilich selbst
rerschwand, die Änderung des t veranlasst haben.
Pte nun wird in Zusammenhang gebracht mit skr. patis. Trofft^, lat-
poHs; namentlich aber verweist man auf das lit päis, fem. pati^
das neben der Bedeutung „Gatte, Gattin*« auch die Bedeutung
^selbst*« hat. Ich halte die Zusammenstellung von pte, älterem poie
mit dem Stamme pati- für richtig, glaube jedoch nicht an die Rich-
tigkeit der unmittelbaren Vergleichung des lateinischen und litauischen
Sprachgebrauchs. Im Litauischen hat sich wirklich aus der Bedeu-
tung ,,H err*, die man neben der wirklich vorkommenden Bedeutung
^.Gatte" annehmen muss, die Bedeutung „selbst" entwickelt, wah-
rend für das Latein eine solche Annahme schon durch die ursprüng-
liche Indeclinabilität des -pse (und darin liegt ein wichtiger Unter-
schied vom Litauischen) unwahrscheinlich wird. Dass das Substantiv
päts geradezu die Geltung des Pron. „selbst annahm, ist eine
specifiseh litauische Erscheinung, tlie auf das Latein auszudehnen
mau nicht berechtigt ist, wenn sich in dieser Sprache keine that-
sächlichen Belege oder beweiskraftigen Analogien dafür 6nden. Und
sie finden sich nicht; denn dass umgekehrt im Latein ipse (wie im
Griech. aOrö() den Herren im Gegensatz zum Gesinde, den Meister
im Gegensatz zu den Schulern bezeichnet i)> kann ja nicht als
Beweis dafür gelten , dass hier auch die Umkehrung dessen einmal
möglich war, und dies um so weniger, da auch die anderen ver-
wandten Sprachen keine ganz zutreffende Analogie aufweisen, so dass
man es wie gesagt, hier nur mit einer speciell litauischen Entwick-
langsphase zu thun hat.
Das alte in täpote erhaltene pote, woraus durch Synkope pte
ward, ist das regelrechte Neutrum des Positivs potia. Aber freilich
dringt sich hier die Frage auf, ob diese Auffassung zulässig ist. Von
nanehen Gelehrten wird Corssen*s in Kuhn*s Ztsch. 3,279 aus-
gesprochene Ansicht gebilligt: „Auch pot-is, das ffir alle drei Ge-
schlechter, ftir Einzahl und Mehrzahl stets dieselbe Form behält, kann
') Z. B. Plant. Ca«. 4, 2, 11 eo, quo me ipsa miait. Ter. Andr. 2, 2, 23 ipntM triatia
PUC Prot. 314 D ou ^XoKii aur^ Gorg. 511 D. Ariat. Nub. 219 and daa bekannte
adrig ei^o, tod Cic. N. D. 1, 5, 10 „ipae dixit'' überaetxt. Über einen ibnlicben
Gebraneh dea alar. aaml verf^l. Miklosicb IV, 98 und die Ton Zikmand (Skladba.
f. ist, 3, Anm. 3. S. 345) angeführten SteUen.
142 KTi'c.ia
ich nur als Comparativbildung erklären, und pot-iua ist eine Erneue-
rung des Comparativs, wie sai^ius neben sat-is^ sec-ius neben
seC'Us^. Aber hiebei ist die wichtige Stelle Varro's L. L. 5, 10, 58
übersehen worden: ,.et hi quos augurum libri scriptos habent sie:
diüi qui poies pro illo, quod Samothraces ^£o^ duvderoc*'. Ferner
spricht der thatsächliche Gebrauch von poti8,pote gegen die Ansicht,
dass diese Formen Comparative sind und zu Gunsten der Annahme
des Positivs, z. B. Ennius bei Diom. 381 quis potis ingentes oras
evolvere belli » rc; duvarög. Lucr. 3, 1092 nee devitari letam
pote s= ojjSi duvaröv. Der von Corssen hervorgehobene Grund, dass
potis unverändert bleibt (aber, wie die Stelle Varro's zeigt, nicht
immer!) lässt sich entkräften.
Die lateinische Sprache behandelte das als gemeinschaftliches
Erbgut Qberkommene potis (es ist nämlich nicht zu bezweifeln, dass
dies Wort mit skr. patis, n6atg, lit. päts identisch ist) als ein Adjec-
tivum (siehe Varro*s Stelle) und zwar zunächst wohl als ein Adjee-
tivum einer Endung für alle Geschlechter, ebenso wie dives^audax^
ienax u. s. w. ungeachtet des geschlechtigen s doch auch für das
Neutrum gelten (Merguet S. 119 f.) Daneben machte sich freilich
auch, da potis sum gewiss ungemein häu&g gehraucht wurde und
da man, mochte das Geschlecht welches immer sein, stets nur die
Form potis hörte, der adverbielle Gebrauch des potis im Sprach-
gefühle geltend (vgl. semis, das auch indeclinabel gebraucht wird),
und daraus erklärt sich die Verbindung des potis mit dem Plural,
z. B. Plaut. Poen. 1, 2, 17 duae plus satis dare potis sunt. Gewiss ist
hier jio^ts esse nach Analogie solcher Verbindungen aufzufassen wie
Plaut. Amph. 2, 1, 87 sie sum ut vides. Liv. 2, 28, 1 frustra id
inceptum Volscis fuit. Cic. Rose. Am. 5, 11 omnes hanc quaestionem
haud remissius sperant futuram. Tac. Ann. 1, 72 dicfa impune eraiit,
wo esse nicht die Geltung der blossen Copula hat, sondern die starke
Bedeutung „stattfinden oder sich verhalten*'. Ähnlieh sank damnatus
(damnatos)y als es zu damnas verstümmelt ward und dadurch die
Unterscheidung der Geschlechter im Singular einbüsste, im Sprach-
gefühl zu einem Adverb herab und es wurde sodann auch die Formel
damnas sunto gebraucht.
Neben dem adjectivischen potis entwickelte sich aber nach
Analogie der im Latein sehr beliebten Adjectiva zweier Endungen
auf -M, -e auch die Form des Neutrums pote^ da hier dieser Bildung
l'otersacbangen auf d. Gebiete der Proqomina, beaoDdera der lateinUcben. 1 4 $
iüehts im Wege stand, während bei audax und ähnlichen Adjectiren
eine Unterscheidung des Neutrums, die auf der älteren Sprach-
stufe — *audacisf *audace — möglich war, nicht mehr Platz greifen
konnte. — Eine Analogie bietet dia (aus ditis zunächst entstanden)
dar» neben welchem auch das Neutrum diie (solum Val. Fl. 2, 296}
sich findet; man kann sagen potis (^iner Endung) : poti8, e ==> divesr
dit, diie.
Die Möglichkeit der. Unterscheidung des Neutrums vom Masc-
und Fem. hörte auf in der Form pos (com-pos, im-pos) <), die au»
potU durch Unterdrückung des Vocals sich entwickelte, wie nostrasr
Arpinas, Tihura aus noslratis u. s. w. Neben den noch wirklich
erhaltenen Formen noatratisp Atpinaiisp Ardeatis darf man auch ein
Neutrum Arpinate u. s. w. annehmen, wie sich solche Beispiele wirk-
lieh in Teate Beate erhalten haben; denn diese Stadtnamen sind
nichts anderes als Neutra der Adjectira Reatü (über deren Ursprung
Tgl. Corssen in Kuhns Ztsch. 10, 19), TeatU,
PotiSf pote hatte ursprünglich die Bedeutung „mächtig" (die
z. B. Verg. Aen. 11, 148 vorliegt «at non Euandrum potis est vis
uUa teuere**); es nahm aber auch die passive Bedeutung „möglich*^
an, wie man im Griechischen sowohl duvaröc siixi (potis sum) als
auch iwaröv iari (pote est =» es ist möglich) Ondet; derselbe
Wechsel findet sich bei ddOvaro^. So Lucr. 5, 718 nee potis est
cemi (eig. es ist nicht machtig, vermögend gesehen zu werden** ;
diese Bedeutung hat die Form pote gewohnlich.
Den Weg zu vollständiger Erkenntuiss der eigentlichen Geltung
von pte bahnt uns pote, da diese Form in einer ähnlichen Function
in der Verbindung utpoie vorkommt Die eigentliche Bedeutung von
utpote »wie es möglich ist"* ist noch erkennbar bei Varro bei
Nonius 2, 876 viget veget utpote plurimum. Daraus ergab sich die
Bedeutung „so viel es nur immer möglich ist, ganz und gar wie, äre,
&07e (in compar. Sinne)^; vgl. Ztschr. f. d. öst. Gymn. 1864 S. 407.
Pte nun nehme ich als adverbiellen Accusativ in der Ursprung-
liehen Bedeutung „mächtig**, voraus sich die Geltung „sehr, wahr-
') ?lock eine andere Umgestaltung erfuhr potU^ indtfm ea zu * pea. Gen. * pitia
wnrde, welche Form aich nach Coraaen'a scharfsinniger Erklfirunj; (Krit. Nachtr.
S. 250) in ho»^es, sos-pes findet. Mit der hier eingetretenen Abschwfichung de»
•rapränglichen a der Wurzel pa au t (im Nom. e) rergl. dieselbe Abschwiehung
in IHespUer^ Jupiter, skr. pitä.
144 Rri^.I
«
lieh» gewisw^, gerade** entwickeln konnte, so dass mihipte (mir gar
sehr, mir gerade), ipse (er gar sehr, er gerade, er eben) in herror-
hebendem, restrietiven and eben dadurch einen Gegensatz zu andern
Personen anzeigenden Sinne gebraucht ward. Von den zahlreichen
Analogien, die sich hiefur anfuhren lassen, ist besonders der ahnliehe
Gebrauch von potissimum hervorzuheben«); tp^ekannmanfQglichmit
is potiasimum vergleichen oder auch mit maxime^ das den Wortern
nunc, tum, quum in der hervorhebenden Bedeutung „gerade, eben"
beigegeben wird. Vgl. z. B. Plaut. Men. S, 9. 68 ut nunc maxime
memini und Cic. Att. 7, 3 quin nunc ipsum non dubitabo rem
tantam abiicere, oder tum maxime mit tum ipsum. Ferner ist der
heiTorhebende Gebrauch von |idXa und |idXi(7ra zu nennen (z. B.
Tt yidhdTa; quid potissimum?) so wie der von xdpra.
*
Ezcurs I
iber die Präposition com ond verwandtes.
Es hat hat bereits Ahrens (Kühnes Zt. 8, 337 Anm.) cum auf
skr. ika zurückgeführt. In dieser Fassung ist freilich diese Ansicht
nicht richtig, ebenso wie Ahrens irrthümlich (S. 336) lat. quia (rig)
durch Aphärese des anlautenden Diphthongs aus aequ-isp got. hvaa
aus iihv-as erklsirt. Es ist vielmehr cum bloss auf den Stamm ka
(der eben den zweiten Theil von eka bildet) zuruckzuführen*und dem
Stamme ka die Bedeutung des Zahlwortes unus zu vindicieren, wie
auch für das inde6nite quis, qui als Vorstufe die Bedeutung ^iner
anzunehmen ist. Ich wage nicht zu entscheiden, ob com, cum eine
verstümmelte Locativform (Benfey in Kuhn's Zt. 7. 127) oder der
Accusativ neut. oder der Nominativ neutr. sei. Im ersten Falle wurde
als Grundbedeutung von cum sich ergeben „\n i inem, in Verbin-
dung (vgl. lat unä, d^xcO, öfxfi), im zweiten ^in ^ins, zusammen (in
unum, ccV fv), im dritten ^^ins**. Die zweite Auffassung scheint mir
die beste zu sein.
Was nun die nicht zu umgehende Frage über das gegenseitige
Verhaltniss von skr. sam, ouv, slav. si>, fuv, cum betrifft, so bietet
hier das von Bopp zur Vergleichung herbeigezogene vedische sakdm
^) An den Gebranch von potissimum und maxime hat schon Ebel in geiner Erklärung
des ipse (Kuhn*« Zt. 6, 209) erinnert, der eher pote für das Neutrum des Compa»
rattTS hilt.
Uotenuchnngen auf d. Gebiete der Pronomiot, besonders der laieioiscbeo. 1 4 S
eine wesentliche Hilfe. Freilich darf man nicht mit Bopp (3, SOS)
am aus säkdm durch Unterdrückung der ersten Sylbe entstehen
lassen (was auch Schweizer in Kuhn*s Zt 9, 70 thut, indem er com
ans iiom erklärt, und ebenso L. Meyer 1, 189).
Pott äussert sich (I, S. 849) zweifelnd: „Es ist bereits der
Schwierigkeit gedacht, welche Lat. cum (in Comp, com-) und die
so eben besprochenen keltischen Wörter in Bezug auf ihren Ursprung
darbieten. Wir wollen annehmen, ^6v entspreche dem Skr. adkamw
dagegen a6v .... etwa dem einfachen sam-. Dann mussten xocvj;,
Lat. cum u. s. w. sich des Zischlautes entledigt haben» und wir hätten
es in ihnen eigentlich nur mit dem unwesentlichen (?) Theile des
Wortes, nämlich nur mit dem Suffixe (?) ohne den athroistischen
Kern zu thun**, und S. 8S8 : »Eine gewisse Zusammengehörigkeit
Ton Lat cum» com-, Kelt. com, Germ, i^a- (nur untrennbar) und
SlaWseh ko» k (nur getrennt) wird sich kaum in Abrede stellen lassen.
Auehdrängt sich xotvög heran, und C6v, (76v lassen sich nicht ohne Wei-
teres abweisen. Wir haben gesehen, dass sich letztere mit Skr. sdkam
vermitteln lassen, und auch für die Reihen ohne Zischlaut liegt im All-
gemeinen dazu die Möglichkeit vor. Das Befremdende hiebei wäre f&r
mich nur hauptsächlich die einmüthige Stetigkeit in dem Fortlassen
der ersten Sylbe in sogar vier Sprachkreisen''. Corssen (Krit. Beitr.
S. 457) hält den Abfall des anlautenden s bei cum für wenig erwiesen :
Diese Bedenken werden gegenstandslos, wenn man folgende
Gleichungen annimmt;
1. Nur ?6v a« säkam (|6v steht für *(jxüv, vgl. fiyo^ — axifog
Curt Etym. 2, 268 f.)
2. com (cum), kelt. com, slav. ki», germ. ga» ge ist auf die
Grundform kam zurückzuführen. Dies kam hatte, wie oben erwähnt,
die Bedeutung ^in eins, zusammen*' und demnach schon an und fllr
sich einen athroistischen Kern. Skr. säkdm ist eine energische Wie-
derholung des Moments der Zusammenfassung, wie dies nicht selten
ist; vergl. mitsammt, dt/xa a6v, una cum, lit. drangi sü (Schlei-
eher, Lit. Gr. S. 290), böhm. spolu 8 nim, Koivö^, zunächst aus
*%9vcc^, fuhrt auf eine Grundform kamjas zurück; die Bedeutung ist
»in eins zusammengefasst, in unum collatus«, daher „gemeinschaft-
lich", wie |uv6^ mit f6v zusammenhängt *)•
') Ob 4m» ResulUt von Ahrens* Untersochaag (Kahn*« Zt. 3, 164), d«M dem Grtech.
racb die Fom xvv lo Tindiciren sei, richtig ist, moss dahingestellt bleiben. Es
146 Kvf^ala
3. 9UV, s'B, lit. s& = sam.
Die Schwächung eines ursprungliehen oc zu u in ^Ov^ (jOv findet
Pott (I, 841) bedenklich, weil kein Beispiel vorhanden sei, wo der
Wechsel von u statt o eine Flexionsendung der 2. Declination träfe.
Aber das Bewusstsein, dass es Casusformen sind, war längst
geschwunden, und demnach darf man solche Analogien wie 5vuC
(vergl Curl. 2, 287) und äolische Formen wie rOre (= rörs) für
hinreichend halten.
Mit dem Stamme ka parallel geht Stamm sa sowol bezuglich der
Bildung der Präposition sam, si>, <jOv, lit. sh, wie auch bezuglich der
fiir sam anzunehmenden Grundbedeutung, ein Umstand, der der eben
dargestellten Ansicht ober die Entstehung und Grundbedeutung von
4:um zur Bestätigung dient. Die Grundbedeutung der Einheit, resp.
des Zusamn\^nfassens zu einer Einheit, des Vereinigens zeigt sich in
dem Präfix skt. «a-, griech. a (z. B. anag), d d^poiarixov (z. B.
d'ieXfet6g).
Vom Stamme sa ist der Xccns. sam gebildet, mit welchem tjv
für identisch gehalten werden muss, da die Übereinstimmung in
den Functionen (nach Benfey erscheint sam auch als Präposition
mit dem Instrumental) zwischen sam, tjv, si». sik eine gar zu ein-
leuchtende ist. Sobald nun sam nicht mehr als Casus, sondern als
Adverb in der Bedeutung „in eins, zusammen^ gefühlt wurde, diente
es selbst als Grundlage zur Bildung neiier Worter, in denen die
Bedeutung der Einheit vorhanden ist, wie z. B. sim-plex, sin-guU,
sig = iv^ = ijjL-^ (nach Pott und Meyer, Kuhn's Zt. 5, lÄl). Ferner
diente sam als Grundlage zur Bildung eines neuen Stammes sama-.
Das m wurde hier gerade so herubergenommen, wie dars für m ste-
hende V von ^6v in fuvö^ (und ebenso in xoiv6g = xov-jog) er-
scheint, oder wie das fertige Wort UsX (Locativ) zur Bildung von
ixslvcg verwandt wurde, eine überhaupt nicht seltene Erscheinung.
Auch diesem Stamme sama- ist die Bedeutung der Einheit bei-
zulegen, die z. B. offen vorliegt im slav. sanrB (urspr. ^in, allein,
ist mSglich, dass Kuvoupta richtig «Is Mconfioium Lncooiciie et Argolidis* ge-
deutet wird; ober sicherg^estellt ist dies nicht, dt in Ortsnamen hiufig xvcdv vor<-
kommt; Terg^l. Kuvoprcov, Kuvä; xf^aXai, Kuv^ffoupa, Kvvö; T^fxa and
namentlich Kuvoffoupia, durch welche Form die von Ahrens gegebene Deutung
sehr fraglich wird. Aach xuva^x^ hat nicht zwingende Beweiskraft. Annehmbarer
•durfte die Ton Ahrens ebend. eruirte kyprische Form xiv sein.
UBteniiclioBgen »nf d. Gebiete il«r Pronomina, besonders der lateinischen. 1 4 T
dann selbst; vergl. Miklosich IV, 96 IT,) Es liegt ferner dieser
Begriff ^ins zu Grunde den indefiniten Wörtern afxoj^, dtjuiö^ev got.
8um (irgend einer), suman (einst, einmal); vgl. Curtius Et. 1, 361.
Der Begriff der Vereinigung (früher getrennter Theile) ist in
2|Aa, C^ACV, 6fXC3^ U. S. W.
Aus dem Begriffe der Einheit ergibt sich der der Iden-
tität, Gleichheit« Ähnlichkeit; vgl. z. B. das ist alles ^ins i)
(= gleich) ; Gleichheit ist die Einheit an mehreren Gegenstanden :
so Hör. Canii. 1, 28, IS, omnes una manet nox. Cie. Flacc. 26, 63
onis moribus et numquam mutatis legibus vivunt Hom. II. 7 238 rd)
Als selbstständiges Adverbium hat sich cum nicht erhalten ;
es ist aber diese Function anzunehmen, da com als adverbielles
Präfix erscheint, und da das griechische a6v die adverbielle Geltung
noeh aufweist, nämlich in aitv $i und in der fälschlich so genannten
Tmesis.
Als Präfix bei Verbis und Nominibus zeigt com, con^ co den
Begriff der Vereinigung sehr deutlich, z. B. coalescere in eins ver •
wachsen, coire, cogere, colligere^ coUegium. Oft wird dieser Begriff
noeh durch in unwn oder eine ähnliche Ausdrucksweise wiederholt,
z. B. Caes. B. G. 2, S cogere copias in unum locum Sali. Jug. 80
eogere multitudinem in unum. Liv. 8, 11 conglobare sc in unum.
Zuweilen bezeichnet com in der Composition eine vollkommen
zu Stande gebrachte Thätigkeit; so z. B. coacescere »durch und
durch sauer werden", collusirare »ganz auf allen Puncten be-
leuchten*, collaudare, conficerct comedere (vergl. bohm. snfsti für
s-f j^5ti=s zosammenessen) >). Das Mittelglied ist hier das Zusammen-
fassen aller einzelnen Theile des der Thätigkeit unterworfenen Objects
oder auch das Zusammenfassen aller Momente der Thätigkeit selbst.
Id letzterer Hinsicht hat nun die Sprache, die keine besondere
Aoristform ausgeprägt hat, zuweilen getrachtet, das Moment des
effectiven Aorists (so bezeichnet Curtius passend z. B. /reiaat im
Gegensatze zu nsläsiv) durch com auzsudrücken, wie conßcere.
0 Bbcaso frans. cV«# uji, itaJ. mi i tutto uno.
*} Zaweileo schwicht «ich dies Moment so «b, dsss dieHsndlvng nur als eine inten-
■ ire im Ge^ensatse xn der durch das einfache Verburo bexeichneten Handlung hinge-
tteUt wird, wie z. B. conclamare (das aach die Bedeutung „'i^ut, heftig rufen"
hat).
148 Kr/^alt
conspicere. Zu ähnlichem Zwecke werden auch andere Präfixe ge-
braucht, Mie per (pervenire), ob (obstupui) u. s. w. Den ausgedehn-
testen derartigen Gebrauch von den Präpositionen macht bekanntlich
das Slavische, dem freilich auch noch andere Mittel zur Erreichung
dieses Zweckes zu Gebote stehen. So gelangen z. B. im Böhmischen
Praesentia durativa durch Verbindung mit zahlreichen Präpositionen
im Indicativ zur Geltung eines Futurs» d. h. es wird auf diese Weise
dasjenige Stadium bezeichnet, in welchem die durch das einfache
Verbum bezeichnete dauernde Handlung das angestrebte Ziel erreicht ;
so pfijdu (ich werde ankommen), dojdu (ich werde hinkommen}
vejdu (ich werde eintreten), sejdeme se (wir werden zusammen-
kommen), opp. jdu, ich gehe. In den anderen Modis, sowie im In-
finitiv und Participium, tritt das aoristische Moment hervor; z. B.
pfijd' SS npofjeTJ^i, vejdi «=» daeX^e^ gejiti se =» frjvtkätlv. Soll in
der Zusammensetzung mit diesen Präfixen das praesentische (durative
oder iterative) Moment aufrecht erhalten werden, so müssen andere
Formen des Verbs gewählt werden, wie prichdzim = npofsipyipikOLi^
»chdzime ««(durativ oder iterativ) =» ayvepypiii^a (wir sind darin be-
griffen, uns zu versammeln oder wir pflegen zusammenzukommen),
Bchdzivdme se (nur iterativ) kaiddho dne (wir pflegen täglich zusam-
menzukommen).
Wenn die lateinische Sprache zuweilen com- in ähnlicher Ab-
sicht verwandte, so wollte sie dadurch das Zusammenfassen der ein-
zelnen Momente zu einem Resultate, den von Erfolg begleiteten Ab-
schluss einer dauernden Handlung bezeichnen (conficio opp. facio),
und das dazu gewählte Mittel ist ohne Zweifel ein sinniges.
Die Bedeutung der Gleichheit und Übereinstimmung, die manche
Composita mit com" haben, hägt mit dem Begriff der Einheit zu-
sammen (vgl. dfjid)^, GjULoeo^, similis u. a.). So concolor »was ^ine
Farbe mit etwas anderem, dieselbe Farbe hat), Concors einmuthig.
Auch in condignus liegt wol nicht eigentlich der Begriff ^sehr würdig**
(wie Freund im Lex. angibt), sondern con bezeichnet ngchmals den
durch das einfache dignus bereits ausgedrückten Begriff der Über-
einstimmung mit der Sachlage, der Angemessenheit; freilich ist es
wahr, dass auf diese Weise auch eine Verstärkung des Begriffes von
dignus erzielt wird. Sehr lehrreich ist commodus, welches Wort die
Übereinstimmung mit dem gehörigen Masse, also das entsprechende
Mass bezeichnet, z. B. commoda statura (Plaut. Asin. 2, 3 21),
UaterfrurhuDgen auf d. Gebiete der Pronomina, besonders der leteinUchen. 149
conunodas viginti minas argenti (Plaut. Asin. 3, 3, 134 d. h. die
Zahl der Minen stimmt mit der Angabe viginti ganz überein, also
ToUe 20 Minen) ; vergl. als passende Analogie aOjui/xcrpog. Das adver-
bielle eommodum bezeichnet, dass eine Handlung in einem dem
Interesse der betreffenden Person entsprechenden» dienlichen Augen-
blicke stattfindet, also z. B. ecce autem eommodum aperitur foris
(Plaot. Mil. gl. 4, 4, 61 gerade zu rechter Zeit, iv xaepo)); es kann
aber eommodum auch bloss ^just, eben*' bedeuten ohne jenen Neben-
griff. Die Bedeutung des Adj. commodQs »bequem*' und des Subst.
eommodum „Vortheil** ergibt sich sehr leicht.
Das Slayische hat von der Präposition ätb, die mit cum etymo-
io^sch fibereinstimmt, einen anderen Gebrauch gemacht, indem kh
nur „ad** bedeutet. Auch diese Function ergibt sich aus dem Begriffe
der (angestrebten) Einheit, der Vereinigung.
Eine wichtige Bestätigung für den Zusammenhang des cum mit
dem Zahlwort der Einheit (d. i. mit der betreffenden Function des
Pronominalstammes ka) bietet das entgegengesetzte din-^ Sid, ahd.
2flr-, ««•-, skr. ri-, das mit dem Zahlwort der Zweiheit zusammen-
bängt. So viele Hauptfunctionen com- in der Zusammensetzung hat,
so viele Gegensätze dazu bietet die- dar.
1. Dem Begriffe der Vereinigung zu einem Ganzen ist die
Trennung eines Ganzen in seine Theile entgegengesetzt; so digero
opp. amgerot discumbo opp. concumbo u. s. w.
2. Während com- Vollständigkeit der Handlung oder wenigstens
die Intensität anzeigt, bezeichnet die- nicht selten, dass die durch
das Simplex angegebene Handlung oder Eigenschaft gar nicht statt-
fiodet, sondern das Gegentheil; so di/pdo opp. confido^ difßcilis,
opp. faciiiSj discalceatus opp. calceatus, dissimilis opp. similis.
Freilich bezeichnet dis- auch zuweilen eine Verstärkung; aber
dazu gelangt dw- auf einem ganz anderen Wege als com-. So ist
zvar discupio durch seine energische Bedeutung dem concupisco
äbnlieh; aber es ist eigentlich „vor Sehnsucht gleichsam sich auf-
lösen« (sich zerwünschen, wie Freund passend sagt; vergl. dirumpi
dolore (Cic. Att. 7, 12, 3). Distaedet ist in seiner Bedeutung dem
pertaedet ähnlich, aber es ist gleichsam = dirumpi taedio.
3. Dem Begriffe der Gleichheit, Übereinstimmung steht ent-
gegen der der Ungleichheit, Disharmonie. So discolor (was in der
Farbe von etwas anderem sich unterscheidet, wie z. B. Ov. Trist.
SHife. d. phU.-Uftt. Gl. LXV. Bd. I. Hft. 11
150 KT^^ala
K, K, 8; 2, 477 oder auch was selbst verschiedene Farben hat»
z. B. Plin. 10, 2, 2) opp. concolor; discors opp. Concors, concinere
opp. dUcrepare (Cic. N. D. 1, 7, 16 Antiocho Stoici cum Peripa-
teticis re concinere videntur, verbis discrepare).
Ezcurs n.
iber Stils, sollis.
Für den Zusammenhang der Begriffe der Einheit, Ganzheit, All-
heit bietet einen sehr lehrreichen Beleg sollus im Verlialtniss zu
Bolus dar. Dass solm und sollus dasselbe Wort ist, behauptet
Lottner (Kuhn*s Zt. 5, 155) mit Recht. So wie sich sollus zu einem
anzunehmenden altgriechischen ^oXkoi; (Curt. Et. II, 128) verhält
{okoqi oXXoc = [kiaoq: jui^affo^), so verhält sich sdlus zum ion.
Qxikoq^ abgesehen von der Einbusse des Spiritus asper. Als Vorstufe
von *oXXo^ ist *öXfo^ (= skt. särvas, lat.salvus) anzunehmen, woraus
durch Metathesis *öfAog, *ouXo^, oVko^ wurde. Für das Latein ist
*solvus anzunehmen, woraus einerseits sollus wurde, anderseits
durch dieselbe Metathesis *sovlus sölus (wie motum =3 movtum»
fömentum = fovmentum).
Als Grundbedeutung nehme ich die Einheit an, obzwar sie
sie sich im skr. sirvas nicht findet. Von dem Begriffe der Einheit
gelangt man vermittelst des Begriffes der Vereinigung zu dem
der Ganzheit; das, was seine Theile in sich vereinigt, so dass kein
Theil ausserhalb derselben ist, ist ganz (diese Bedeutung hat «oZ/u«).
Ist das Eine zusammengesetzt, so ist eben diese zusammengesetzte
Einheit eine Ganzheit, und die Ganzheit ist eine Allheit (skr. s&rvas;
das lat. omnis vereinigt wie das griech. näg die Bedeutungen ganz
und all in sich), da kein Theil fehlen darf, wenn das Ganze zu
Stande kommen soll. Diese Vermittlung der Bedeutungen erscheint
mir angemessener als die von Lottner (a. a. 0.) aufgestellte : »Die
gewöhnliche Bedeutung allein (solus) entwickelt sich aus der Ur-
bedeutung ng^nz** gerade umgekehrt wie die von salvus. Denn salvus
ist: „ganz, so dass nichts fehlte, solus: „ganz, so dass nichts
hinzukommt**.
Unttrsnchuigen auf d. Gebiete der Prooomioe, besonders der liiteinMcken. 151
»
EzcüTS m.
•ber das bohnisehe Mmf.
Jungmana (Lex. s. r. iidny) nimmt Identität des böhmischen
idden, iddny in der Bedeutung exoptatua (welche gegenwartig ver-
schollen ist) und des iddny (z&den ist nicht mehr gebräuchlich) in der
Bedeatui^ nuUus an. Die erste Bedeutung findet sich in der älteren
Sprache oft; Jungmann fahrt, f&r dieselbe vierzehn Stellen an.
Daneben fand sich in älterer Zeit auch die active Bedeutung eupidus»
für die Jungmann acht Stellen anfuhrt. BezGglich des Überganges
der Bedeutung bemerkt Jungmann: »t iddny quasi: et optatus» quem
relis, ttlius; niiddny nee optatus, ne ullus quidem, nullus» modo
iddny". Gegen diese Ansicht nun macht MiUosich in der trefflichen
HoDographie „Die Negation in den slavischen Sprachen, Wien 1869'
(Separatabdruck aus dem XVIII. Bande der Denkschriften der phil.
bist. G. der kais. Akad. d. Wiss.) zwei Grönde geltend : »Die bei
Juogroann Tcrzeichnete . . . Ansicht ... ist abgesehen von der
Schwierigkeit von dem BegrilT „et optatus** zu dem BegriiT „nullus**
zu gelangen, aus lautlichen Gründen zu yerwerfen, da in diesem
Falle das Wort im pol. ^ ^^n Nasal haben musste, wie in der That
dem cech. iddny cupidus» exoptatus pol. iadny acceptus gegenüber-
steht, von asl. z^dati, cech. zädati und pol. i^dad'. (S. 7.)
Aber die Schwierigkeit, von derBedeutung«a;op^a/iMZu nuUus
tu gelangen, ist doch nicht grösser, als die bei der Erklärung der
negativen Function der eigentlich positiven Worter personne» rien,
paSf jamais^ kein u. s. w. Die negative Geltung hat sich eben nicht
ans der Bedeutung Mcxoptatiis** innerlich entwickelt, sondern ur-*
sprunglich wurde iddnj in der ihm eigentlich zukommenden Bedeu-
timg gebraucht und die Negation wurde anderweitig bezeichnet; dann
aber übertrug das Sprachgefühl das negative Moment,auf iddnj selbst,
wie ein solcher Vorgang eben auch bei den romanischen Wörtern
stattfand und wie ja auch Semenovic*s scharfsinnige, aber unserer
Ansicht nach nicht richtige Erklärung (die Miklosich a. 0. anfuhrt)
dieselbe Grundlage hat, nämlich dass in dem vorausgesetzten nize
jedsni» (ne unus quidem) die Negation ni wegfiel und der Best doch
^) p*L. imden, vtreltet itdoy, kl. rutt. zadnffj^ oberserb. lad^«, niederaerb. zeden»
II*
die negative Geltung beibehielt. Zu genauerer Begründung Ton Jung-
mann's Ansieht bemerke ich folgendes :
Die Bedeutung esopiatus, carus darf nicht urgiert werden; es
ist vielmehr anzunehmen (was sich auch beweisen lasst; vergl. die
unten angeführten Stellen), dass die Bedeutung „lieb*^ in die Bedeu-
tung »»beliebige übergieng, so dass züden, zddny so ziemlich dem
lat. quilibet, quivis gleichkam (in welchen Wörtern ja auch der
zweite Bestandtheil nicht zu urgieren ist, da die Bedeutung von vis^
libet sich hier abschwächte zu der einer beliebigen Annahme).
So nahm also zddny zunächst die Geltung eines indefiniten posi-
tiven Pronomens an. Die Negation wurde anderweitig ausge-
drückt, nämlich bei dem Verbum. Es wurde also „zidny neprisel^
gebraucht in dem Sinne quivis non venu d. i. wen du dir auch immer
denken willst, er ist nicht gekommen =» irgend ein beliebig ange-
nommener, sei es welcher immer, ist nicht gekommen «> non venit
quisquam i). Man sieht daraus, wie richtig Jungmann in seiner Er-
klärung sich des lat. uUus bediente. Die Übertragung des negativen
Moments im Sprachgefühl auf zddny blieb aber stets auf Sätze, die
<) Mtn kdonle annehmen, dau nrsprfinglich TieUeicht nicht bloss beim Verbnm die
Neg^ation in solchen SSUen rorkam, sondern dass auch dem zmäny noch die
Negation vorgesetzt ward, also mzadtty, woraus erst durch AbfaU Ton ni da«
negative zadny entstanden wfire. Möglich ist dies, aber nicht nothwendlg, da sabl-
reiche Spuren darauf hinweisen, dass ursprünglich die spfiter freilich aur Regel
gewordene Hiufung der Negation nicht noth wendig war, sondern dass jine Nega-
gation im Satae genügte ; vergl. die von Miklosich (Negat §. 20) unter den für
die Hfiufnng der Neg. angerührten Beispielen vorkommenden Ausnahmen ; nament-
lich ist zu beachten, dass nach Miklosich im Altbulg. „ne in einer Unzahl
von Fallen nach nUcT» fehlt". Ich möchte hier nicht mit Miklosich annehmen, dmss
der Grund der Abweichung in dem Bestreben der Übersetz(*r liegt, sich dem
griech. Teite so genau als möglich aniuschliessen ; ich erblicke darin einen be»
recbtigten Sprachgebranch (der freilich aurückgedringt wurde), da sich ÄhnUchea
auch da findet, wo an eine Nachahmung einer fremden Sprache nicht gedacht
werden kann. Namentlich ist wichtig, dass im Böhmischen in copulativen nega-
tiven Sätzen, wenn statt ani-ani gebraucht wird ant-anti, im aweiten Satze daon
regelmfissig keine Negation mehr vor dem Verbum gesetzt wird. (Zikmund,
skladba S. SSI). Wichtig ist auch das volksthflmliche «to je na nie* (das ist xu
nichts, wofür nicht „to nen{ na nie**). So wie nun in diesen Füllen «ine Negation
ausreichte und beim Verbum die Negation nicht unumgünglich nothwendig ^rnr«
so nehme ich umgekehrt an , dass für zadny neprisel' nicht die Constniction
„niHdnj nepfisel" als iltere Gebrauchsweise vorausgesetzt werden muss, ireii
die eine beim Verbum stehende Negation ausreichte. Ich nehme dies an, da die
UntenacbaBgen auf d. Gebiete der ProDomiot, beaoodert der lateinischen. 153
schon an sich negativ sind» beschränkt; auch jetzt ist es unmöglich
zu sagen „zadny pfisel*', sondern man muss eben sagen „zädny
Depnsel*'. Nur in Antworten kann scheinbar zddny absolut
negierend stehen z. B. „Videl jsi nekoho? Zadn^ho (hast du Jemand
gesehen? Niemand). Nur scheinbar ist dies, weil in der Antwort
zu „zadn^ho'' nicht das positive „videl jsem** zu ergänzen ist, sondern
das negative „nevidel jsem**.
Für die angenommene indefinite Bedeutung des zddny sind
viehtige Belege unter den von Jungmann angeführten Stellen
folgende: Syr. 29, 14 poklad ten lepsf bude nezli zädn£ zlato=:the-
sanrns hie melior erit quam*quodvis aurum (quivis gebraucht auch
JuDgmann hier zur Erklärung). Stele, cir. z. 6. pronikavejsi jest (f ec)
neili z4dny mec z obou stran ostry = acrior est (sermo) quam qui-
Hbet gladius anceps. VIk. 16S a to stojf vice nezli z&dne malovänf
= hoc pluris est quam quaevis pictura. Diese Stellen zeigen alle
eine Construction (neili nach dem Comparativ), die der deutlichen Er-
haltung der indefiniten Geltung von zddny gnx\sX\% war. Wichtigist auch
die ahe (jetzt ungebräuchliche) Verbindung t zddny (jetzt sagt man
. ani üdny =» ne ullus quidem) ; i ist hier steigernd =» etiam; also z. B.
die YonJungmann angeführte Stelle (aus der Übers, von Cato*sdist. de
mov.}„izddnAnu se neposmevaj** wörtlich =: etiam quemh'bet ne irri-
deas (auch wen immer verlache nicht), d. i. also = ne ullum quidem
irrideas. Ebenso „aby jedenacte dn&v i zddn^o pokrmu nedävali**
wörtlich s» ut per undecim dies etiam quemvis cibum ne darent
d. L =s ne vel minimum cibi darent. *
Was den zweiten von Miklosich gegen diese Auffassung her-
Torgehobenen Grund betriflty dass das Wort im Polnischen igden
lauten musste, wie wirklich zqdny acceptus bedeutet, so ist zu
bemerken, dass zwischen den reinen und den mit dem Rhinesmus ver-
sehenen Vocalen nicht selten ein Schwanken stattfindet. Vergl. die
von Miklosich (I, S. 53) aus der „ksi^zecka do naboz. jwi^t^j Jadw."*
(welche Schrift „dem vierzehnten, wb nicht dem dreizehnten Jahr-
hundert zuzuschreibeYi ist*<) angeführten Beispiele, ferner Mikl.
I, S. 454. Von entscheidendem Gewicht aber ist in dieser FragjS der
Erklimng 4er EnUtehonp von „xitdny nepfisel*' aas „n'izJkduj nepfisel^ durch
WegfaU de« ni deeshelb nicht wahrscheinlich isi, weil nizidny sich in Sllerer Zeit
▼erhiltaissoiässig gegenüber tiänj selten findet
154 K ▼ f c • I a
Umstand, dass im Altbulgarischen neben ifdaii auch die Form
iadati sich 6ndet. Man darf auch flir das Polnische iqdaö eine
Nebenform zadaö annehmen, Yon welcher eben pol. zaden herstammt.
Das ' Streben, die verschiedenen Bedeutungen auch lautlich aus-
einanderzuhalten — ein Streben, das in den Sprachen so oft sich
manifestiert — trug dazu bei, dass zaden (nullus) diese Form stets
festhielt und nicht zu zaden wurde.
Es fragt sich nun noch, wie das polnische zadny „hässlich**,
(auch z^dny, das nach Troiaäski in dieser Bedeutung veraltet ist)
Adverbium zadnie, Subst. zadnoiö „Hässlichkeit** zu erklären ist.
Denken liesse sich, dass diese Bedeutung sich aus Mnullus** ent-
wickelte, wie z. B. im Latein nuUus zuweilen » tnlis^ levUf so Ter.
Hec. 5, 3, 2, qui ob rem nuUam (geringfügig) misit. So wird im
Griechischen bekanntlich oudce^, july^^cc; von einem unbedeutenden
(f aOXo^) Menschen^ einer Null gesagt, cüd^y Xiyeev nichts sagen,
so gut wie nichts sagen, etwas Unbedeutendes oder Unrichtiges,
Thörichtes sagen, cüdevCa Nichtigkeit, auch Nichtsnutzigkeit, Nichts-
würdigkeit, oüredavö; nichtsnutzig, geringfügig, schlecht, bohm.
nicemny nichtsnutzig, armselig, dann besonders in ethischem Sinne
= novnpoq; für nijaky (eig. » nullius modi) citiert Jungmann Ryt.
kr. 275 nijakä vec = res nullius momenti, vilis. Da jedoch die
negative Bedeutung von zaden an das Vorkommen in einem schon
an und für sich negativen Satze gebunden ist, so ziehe ich dieser
Erklärung die andere vor, dass die Bedeutung Mhässlich" mit der
oben erwähnten indefiniten Geltung „quilibef zuzammenhängt.
Gerade so bedeutet eben auch gtUlibei zuweilen „der erste beste**
mit verächtlichem Nebenbegriffe, z. B. Plin. 7, 28, 29 neque cum
quolibet hoste res fuit (== unbedeuteud, (paOlog^ 6 ru)^cüv); 6ai.
Dig. 2, 8, 5 quaelibet. Gerade so werden im Böhmischen die mit
leda- lec- zusammengesetzten indefiniten Worter gebraucht; z. B.
ledajak (eig. quolibet modo) = schleuderhaft, schlecht, ledajaky
(eig. qualislibet) = gemein, schlecht, nicht viel werth, ebenso
ledakdo, ledakdos, ledaktery (vergl. Zikm. skl. S. 375). Im Gegen*
satze dazu werden in verschiedenen Sprachen Wörter, die im
Gegensatze zum ersten besten etwas Ausgewähltes, Auserlesenes
bezeichnen, in der Bedeutung „trefflich'' gebraucht, wie eximitts^
egregius böhm. vyborny (v. vy-brati). Bemerkenswerth ist, dass «las
pol. zadny auf die körperliche Beschaffenheit beschränkt wurde
Untertvclittngeii aaf d. Gebietoder Pronomina, beBond ers der Uteiniecben. 155
= juäibei corporis specie, also opp. specioam^ daher » der körper-
licbeD Beschaffenheit nach unansehnlich, dann mit einer Steigerung
geradezu hässlich.
Auch aus dem Litauischen fuhrt Schleicher (Glossar S. 340)
iidnas mit der Bedeutung „schlecht, hässlich** an, wozu er gewiss
richtig bemerkt „wahrscheinlich das polnische zadny**. Sehr bemer-
kenswertb ist aber die ebenfalls Ton Schleicher angeführte Bedeutung
•iSdnas = kdznas jeder**. Mielke (Wörterb.) bemerkt, dass diese
Bedeutung ziemlich obsolet sei. Diese Bedeutung muss mit der oben
erörterten quilibet zusammenhängen. Da igdnas kein einheimisches
IVort im Litauischen ist (weil sich hier kein Wort findet, an das es
sieh etymologisch und begrifflich anschliessen könnte), so bleibt nur
übrig anzunehmen, dass das polnische iadny, als die Litauer es Qber-
nabmen, noch die Bedeutung quäibet hatte.
Verztfichnisa der eingegangenen Druckschrinen, 157
TERZRICHNI8S
DER EINGEGANGENEN DRUCKSCHRIFTEN.
(APRIL 1870.)
Aceademia delle Scienze deiristituto di Bologna: Memorie. Seriell.
Tomo IX, faac. 2. Bologna» 1870; 4«.
Akademie, Südslavische, der Wissenschaften und Künste: Rad.
KDJiga X. U Zagrebs 1870, 1870; 8o. — Arkiy. Knjiga VI.
u. VII. nebst Supplement. U Zagrebu, 1862 & 1863; 8«.
Anzeigerfur Kunde der deutschen Vorzeit. N. F. XVI. Jahrgang.
Nr. 1—12. Nürnberg, 1869; 4«.
Bibliotheque de TEcole des Chartes. Tome XXXI. Annäe 1870,
P. Liyraison. Paris; 8«.
Central-Commission, k. k. statistische: Statistisches Jahr-
buch für 1868. Wien, 1870; 4«.
Damast, P. 6. de. De la s^riculture, abusivement nommtfe sdrici-
culture. Nancy, 1870; 8*.
Gesellschaft der Wissenschaften, Oberlausitzische : Neues
Lausitzisches Magazin. XLVII.Band, 1. Heft. Görlitz, 1870; 8«.
— geographische, in Wien: Mittheilungen. N. F. 3, Nr. 8. Wien,
1870; 8*.
— k. k. mähr.-schles., zur Beförderung des Ackerbaues, der
Natur- und Landeskunde: Mittheilungen. 1869. Brunn; 4^ —
Notizenblatt der hist.-statist. Section. Weitere Folge vom
Jahre 186S bis zu Ende des Jahres 1869. Brunn, 1869; 4«.
Hamelitz. X. Jahrgang. Nr. 8—12. Odessa, 1870; 4^
Harz-Verein für Geschichte und Alterthumskunde : Zeitschrift.
m. Jahrgang, 1. Heft. Wernigerode, 1870; 8«.
Sitob. 4. phn.-hut. Ol. LXV, Bd. I. Hfl. 12 .
1 58 Verzeichoiii der eingegtngenen Drncksehrifteii.
Ist i tut 0» R., Veneto di Scienze, Lettere ad Arti : Atti. Tomo XV^
Serie ffl% disp. 3' — 4'. Venczia, 1869—70; 8«. — Memoire.
Vol. XIV, Parte UI. Veneria, 1870; 4«.
Kern» F. , Beiträge zur Kritik der hisioria eucuigelica des
Juuencus. I. Die Handschriften der hwt eu. in Danzig, Rom
* und Wolfenbuttel. (Programm des städt. Gymnasiums zuDanzig.
1870.) Danzig; 4«.
Kreis-Verein, historischer, im Regierungsbezirke von Schwaben
und Neuburg: XXXIV. Jahres-Bericht. (für das Jahr 1868.)
Augsburg, 1869; 8«.
L^T^que, 6., Recherches sur lorigine des Gaulois. Paris,
1869; 8^
Mittheilungen aus J. Perthes' geographischer Anstalt. 16. Band.
:! 870, Heft. IV. Gotha; 4o.
Museum Carolino-Augusteum zu Salzburg: Jahres-Bericht für 1869.
4o. — Katalog fiber die in der Museums-Bibliothek vorhan-
denen Salisburigensia. Salzburg, 1870; kl. 4o.
Peapody Institute: Adress of the President to the Board of
Trustees on the Organization and Government of the Insti-
tute. 1870; 8«.
Revue des cours scientifiques et litteraires de la France et de
r^tranger. VII* Ann^e, Nrs. 17 — 21. Paris & Bruxelles,
1870; 4o.
Santiago de Chile, Universidad: Anales de los Anos 1867 —
1868. Santiago de Chile; 8^. — Anuario estadfstico de la
Republica de Chile. Entrega IX\ Ano 1867. Santiago de
Chile, 1868; 4«. — Cuenta jeneral de las entradas i gastos
fiscales de la Republica de Chile en 1867. S. d. Ch., 1868 ;
4«. — Memorias de los Ministerios del Interior, Relaciones
exteriores, Instruccion publica, Hacienda, Guerra i Marina,
correspondientes al ano 1868. S. d. Ch. ; 8o. — Lei de pre-
supuestos de los gastos jenerales para el auo de 1869. S. d.
Ch.,1868; 4«. — B. Vicuna Mackenna, La guerra amuerte.
Memoria sobre las ultimas campaiias de la independencia de
Chile, 1819—1824. S. d. Ch. 1868; gr. 8». — J. L V e r-
gara, Observaciones meteorolojicas hechas en el observatorio
Verseichoitf der ein^e^ogeiien DnickschrifleD. 159
aströnomico de Santiago i en el faro de Valparaiso en el ano de
1868. S. d. Ch., 1869; 80. — Domeyko, Ignacio, Datos
recojidos sobre el terremoto i las ajitaciones del mar del 1 3 de
Agosto de 1868. 80.
Schochardt, Hugo, über einige Fälle bedingten Lautwandels
im Churwalsehen. Gotha, 1870; 8^
Scientific Opinion. Part. XVII, Vol. III. London, 1870; 4«.
Soci^tä d*histoire et d'arch^ologie de Gen^'e: Memoires etdocu-
ments. Tome XVII, Livraison 1^. Gen^Te, Paris, 1870; 8^
Society, The Asiatic, of Bengal: Journal. Part. I, Nr. 3. 1869.
Caleutta; 8«. — Proeeedings. 1869, Nrs. VIII— X.CaIcutta; 8«.
Verein, histor., für Steiermark: Mittheilungen. XVII. Heft. Graz,
1869; 8^ — Beiträge zur Kunde steiermarkischer Geschichts-
quellen. 6. Jahrgang. Graz, 1869; 8«.
— historischer, der Pfalz: Mittheilungen. I. Speier, 1870; 8«.
— siebenbürgischer, für romanische Literatur und Cultur des
romanischen Volkes: Transilvania. Anulu III, Nr. 6—7. Kron-
stadt, 1870; 4«.
12 •
SITZUNGSBERICHTE
DRR
KAISERLICHEN AKADEMIE DER WISSENSCHAFTEN.
PHILOSOPHISCH-HISTORISCHE GLASSE.
IIY. BAND. II. MIT.
JÄHRGANG 1870. — MAI.
13
CommiMiontbaricht 163
SITZUNG VOM 11. MAI 1870.
Der proT. Secretar legt vor:
1) den durch das k. und k. Ministerium des Äussern Gber-
nittelten Entwurf einer Universalsprache von Herrn Boucher de
Boucherville aus Quebec in Canada.
2) die durch das k. u. k. Handelsministerium übermittelte
Einladung zu dem im August d. J, in Antwerpen stattfindenden
Congress zur Beförderung der geographischen, kosmographischen
«nd commerciellen Wissenschaften.
3) die von der anthropologischen Gesellschaft in Wien
gesendeten ersten Nummern der von der Gesellschaft herausgege-
benen Mittheilungen.
4) ein von dem c. M. Herrn K. R. D u d i k eingesendetes
Manascript unter dem Titel: „J. G. Browne's Expedition des Feld-
marsehalls Khevenhfiller gegen Ober-Österreich und Baiern im
Winter des Jahres 1741— 1 742-.
5) den von dem Chorherrn und Professor Herrn Theod.
Mairhofer in Brixen eingesendeten Codex diplomaticus Neo-
celteDsis, dessen Aufnahme in das Archiv für österreichische Ge-
schichte gewünscht wird.
6) das Gesuch des Herrn Prof. Dr. Carl Gross in Innsbruck
om eine Subvention zur Drucklegung des von ihm handschriftlich
vorgelegten Werkes: „Incerti auctoris ordo indiciarius**.
Das w. H. Freiherr von Sacken legt vor: „Die antiken
Bronzen des k. k. Münz- und Antikencabinetes^ mit dem Gesuche um
«ioe Sobrention zum Zwecke der Drucklegung.
Das w. H. Herr Hofrath Phillips legt eine für die Sitzungs-
berichte bestimmte Abhandlung vor ^über das baskische Alphabet**.
13
•i •
164 Comnistionsbericht.
Der Custos am k. k. Münz- und Antikencabinete Herr Dr.
£. V. Bergmann legt eine Abhandlung vor „Die Nominale der
Mfinzreform des Chalifen Abdulmelik.**
SITZUNG VOM 15. MAI 1870.
Das w. M. Herr Regierungsrath Höfler übersendet von
den „Abhandlungen aus dem Gebiete der alten Geschichte** die
dritte: „Untersuchung der Frage, ob Griechenland mit der Zer-
störung Korinths römische Provinz geworden sei** zum Abdrucke ia
den Sitzungsberichten.
Das w. M. Herr Dr. A. Pfizmaier legt eine für die Sitzungs-
berichte bestimmte Abhandlung: „Die Lebensverlängerungen der
Männer des Weges^ vor.
Das w. M. Ritter V. Karajan beginnt die Lesung einer aus
zwei Theilen bestehenden Abhandlung: „Zu Seifried Helbling und
Ottacker von Steiermark^.
Der prov. Secretär legt vor eine Abhandlung von Herrn Prof.
Schröer „Weitere Mittheilungen über die Gottscheewer Mundart**.
Herr Richard Trampler ersucht um Aufnahme der von ihia
im Manuscript vorgelegten „Correspondenz des Cardinais Franz.
V. Dietrichstein (von 1609 — 161 1)*" in die Schriften der kaiser-
lichen Akademie.
Herr Dr. Julius Grossmann bietet der kais. Akademie zur
Aufnahme in ihre Schriften eine Anzahl bisher unbekannter Briefe
des berühmten Reichspublicisten, kais. Reichshofraths und hessen-
darmstädtischen Ministers, des Freiherrn Friedrich Karl von Moser an.
P li i 1 1 i p • , Ober das iberische Alphebet. 1 6S
Über das iberische Alphabet*).
Voo dem w. M. Hofrath Phillips.
Veranlaflsung zu dieser Abhaudlang.
Auf einer Reise, welche der Verfasser dieser Abhandlung vor
dritthalb Jahren durch das südliche Frankreich machte, spielte ihm
der Zufall, wenn es überhaupt einen solchen gibt, zu Biarritz ein
baskisches Gebetbuch in die Hand; dasselbe führte den Titel:
«Exereitio ispirituala bere salbamendua eguin nahi duten Guiristino-
ent^at lagunt^a handitacoa; edicione berria. Bayonan. IBBTi)**- Ein
fluchtiger Blick auf die darin enthaltene lauretanische Litanei lehrte
*) Der Abdmck der fiof Abbendlongen fiber die iberische und bsskische Sprache,
weiche der Yerfeeeer in den Moneten Januar, Februar, April, Mai und JnU d. J. der
k. Akademie ror^elegt hat, ist durch die erforderUehe tjpographisehe Ausstattung
Bit iberieeheu Buchstaben Tersö^ert worden. Unterdessen sind aber jene Ge^n-
sttede in Frankreich mehrere hierauf besugliche Werke und Abhandlunf^ en erschienen,
welche eotwederyar nicht oder doch nur theilweise haben benutzt werden kfinnen. Es
^ehöreu dahin insbesondere Gerat, Originesdes Basqoes de France et d*Espag^e,
Bladd, tftudcs snr rorigiue des Basqnes, Cordier, de Torganisation de la
fauMlJe eheslee Besques, Fahre, Dictionuaire fran^ais-basque und Torachiedene
Aufsitze Ton Yinson in der Rerue de Linguistique et de philologie eompar^e.
Man muee es eich daher ▼orbehaiten, bei anderer Gelegenheit huf diese Schriften
«ngeheader aarfiekanfconimen (4^ August).
*) D. b.: Zur grossen Hilfe für Christen, welche das Yeriangen haben, ihr Heil su
wii^ea ; neue Ausgabe, Bejonne 1667. Was den Neuen dieser Stadt anbetrilFt, so
ist Imi «in baekischee Wort, welcbee in riele andere Sprachen, aunichst in daa
Spnniecbe in der Form hükU fibergegangen ist Auch Dies, Wdrierbuch 8. 38.
168 Phillips
An die BeschSftigung mit der merkwGrdigen Sprache des durch
Beine Eigenthfimlichkeiten sehr ausgezeichneten Volkes knflpfte sich
für den Verfasser bald eine ganze Reihenfolge historischer, ethno-
graphischer und linguistischer Fragen an. Wann und woher ist
dieser Volksstamm, dessen Physiognomie fast ein semitisches Geprfige
hat, in die pyrenfiische Halbinsel eingewandert? Sind die heutigen
Basken wirklich, wie seit W. v. Humboldt ziemlich allgemein
angenommen wird, die Nachkommen der alten Iberer, die för die
Ureinwohner Hispaniens gelten? Lftsst sich ein solcher Zusammenhang
durch die Vergieichung der iberischen und der baskischen Sprache
erweisen? Zu welchem grösseren Volksstamme geboren als Zweig
die Iberer? Welches ist insbesondere ihr Verhältniss zu den Kelten,
zu den Phöniziern oder zu irgend einem derjenigen Volker , die man
mit Recht oder Unrecht unter der gemeinsamen Bezeichnung des
turanischen Stammes zusammengefasst hat? u. s. w. Die Versuche,
auf diese verschiedeaen Fragen wenigstens einigermassen ent-
sprechende Antworten zu geben, machten wiederum ganz andere
Forschungen nothig, welche über das Gebiet der baskischen Sprache
als solcher weit hinausgehen mussten; insbesondere war es erforder-
lich, auch die Numismatik wenigstens insoferne zu Rathe zu ziehen,
als hier die Legenden altiberischer Münzen Aufschlüsse geben
konnten. So waren zugleich Urzeit und Gegenwart neben einander
ins Auge zu fassen. Um aber das, was, wie die alten Iberer und die
Basken, durch eine so grosse Kluft der Zeit geschieden ist, nicht zu
Termengen und auch , um jede vorgefasste Meinung möglichst fern
zu halten, haben wir uns bei der wissenschaftlichen Bearbeitung der
hier in Betracht kommenden Gegenstände durch das Prinzip leiten
lassen, einstweilen Iberisch und Baskisch, so viel es irgend statthaft
ist, in den nachfolgenden Abhandlungen gänzlich von einander zu
trennen und Jedes für sich zu behandeln.
Es ist demgemäss die Absicht des Verfassers, hier zunächst eine
Abhandlung über einen völlig isolirten Gegenstand vorzulegen, nSm*
lieh über das iberische Alphabet und auf diese dann späterhin andere
folgen zu lassen. Mit diesen wissenschaftlichen Versuchen verbindet
er die Absicht, das Interesse, welches in Deutschland weder an
dem Iberischen noch an dem Baskischen bisher ein sehr lebhaftes
gewesen ist, anzuregen, ja gewissermassen die Sprachforscher vom
Fache durch Herbeischaffung von Material zu der gehörigen Lösung
über das iberische Alpbebet. 169
der in Rede stehenden Fragen aufzufordern. Diese werden leichter
und besser durch Kenntnisse auf den yerschiedensten Gebieten der
Spracbe in den Stand gesetzt» Vieles zu erkennen, was unseren
Blicken Terschlossen blieb. Wir bescheiden uns daher gern, der
Wissenschaft nur diese ganz untergeordneten Dienste zu leisten und
venn wir uns erlauben, unsere eigenen Ansichten über verschiedene
Punkte auszusprechen, so geschieht es mit dem aufrichtigen Wunsche,
Ton Kundigeren eines Besseren belehrt zu werden. Ehe wir jedoch
10 dem eigentlichen Gegenstande unserer Abhandlung Qbergehen,
dfirfte es zur Orientining nicht unzweckmässig sein, noch zwei
Punkte besonders hervorzuheben, aus denen gerade die Nothwendigkeit
auf das Iberische, nicht wie es uns in den von den Römern corrum«-
pirten Namen, sondern in echten Monumenten vorliegt, zurQck-
zugeben, erhellen durfte. Demgemass mögen hier einige vorläufige
Andeutungen in Betreff des Verhältnisses des Iberischen zum Bas-
kisehen und Gber jene Namenscorruption vorangestellt werden.
IL
Vorläufige AndeutoBgen in Betreff des Verhältnisses
zwischen der iberischen und der .baskischen Sprache.
Die Ansicht , dass die Iberer sich bis auf den heutigen Tag in
den Basken des nordlichen Spaniens und des südwestlichen Frank-
reichs erhalten haben, ist nicht neu, sondern wurde schon vor län-
gerer Zeit aufgestellt. Nach dem Vorgänge einiger minder bedeu-
tenden Schriftsteller <), bezeichnete Mariana*) in seiner Geschichte
Spaoiens die Basken als die eigentliche Urbevölkerung der pyre-
näischen Halbinsel und nahm daher an, dass die Sprache derselben
in dem ganzen Umfange Hispaniens verbreitet gewesen sei. Diese
Ansicht erfuhr theils manchen Widerspruch >), theils einzelne Modi-
GeatJoneu *), bis um die Mitte des vorigen Jahrhunderts der Jesuit
<) MtrittensSical. Res. Uispan. LIb. IV.cap. alt. uod Andere, welcbe OTheDart,
NoUtla Btrinsqae Va^coniae (Paris. 1688. 4.) Lib I. cap. 11. p. 36. oad cap. 12.
p. S7. nambafl inacbt.
*) Mariaoa, Bist. Hisp. Lib. II. cap. 5
') Morales, Bist. Hisp. Lib. IX. cap. 3.
*J Oibeaart, I. c. cap. 13. p. 44.
1 70 Phillips
Larramendis)und sodanu in neuerer Zeit Yornehmlich Astarloa«)
ihr wiederum allgemeines Ansehen verschafften. Das grosse Waguiss,
aus der heutigen baskisehen Sprache den Beweis für diese Ansicht
zu führen, konnte nur ein Mann von dem Wissen und dem Scharfsinn,
wie Humboldt diese Eigenschaften in seltenem Grade vereinigte,
unternehmen 7). Dieser grosse und vortreffliche Mann bedarf nicht
erst unserer Lobpreisungen » aber wir halten uns auch davpa über-
zeugt, dass, lebte er noch, er mit Güte und Nachsicht sogar die Ein-
wendungen aufnehmen wurde, die Jemand, der den speciellen Beruf
des Sprachforschers nicht theilt, gegen manche Resultate seiner
Forschungen *) zu machen sich erlaubt. Insbesondere hat Humboldt
auf die geistvollste Weise ein grosses sprachliches Material zusam-
mengestellt, um aus diesem, vornehmlich aus einer Masse von
Namen der Berge und Flusse, der Völker, Städte und Personen,
welche bei den Iberern zur Römerzeit vorkamen, die Übereinstimmung
der baskischen und iberischen Sprache*) und eben als Corollar
daraus, die Identität der Basken und Iberer darzuthun versucht <«)
^) Larramendi, Diccionario trilingue. Proleg. P. U. cap. 7. p. LXIX. (El baa-
coeose es lengua primitiTa de Bapaiia).
*) Aatarloa, Apologia de la lengua Baacongada. Madr. 1808.
7j Vergl. 8. F. W. Hoffmano, die Iberer im Weaten nnd Osten. S. 95.
®j Es ist in der That zu bedauern*, dasa der Naclilaaa Humboldra, der un-
streitig noch ein reichhaltiges Material fQr das basliische Sprachatadium enthalten
muss, bisher noch gar nicht zugfinglich geworden ist.
*) Die Ansicht HumboldTs hat in neuester Zeit fast allgemeine Anerkennang'
gefunden. Francisque-Michel, Le pays Basque (Paris, 1857) p. 9. rertritt
im Gegensatze dazu die Meinung, die baskische Sprache sei von jeher nur in des
sieben Provinzen (Labourd , Soule , Nieder- und Ober-NaTarra , Alava , Guipuxcoa
und Biscaja), wo es noch heute die Landessprache ist, geredet worden. Wenn er
sich dabei aber auf Oihenart (Note 1) beruft, so dehnt dieser Schriftsteller das
frühere Sprachgebiet des Baskischen doch auf Asturien , Galizieu und Lusitanien
aus und nimmt auch für das übrige Hispanien ein jenem ihnliches Idiom an. Jener
Ansicht ist in neuester Zeit auch Garlt, Origines des Basques de France et
d'Espagne (Paris, 1869) betgetreten.
!<*) Froher glaubte Humboldt viel Griechisches in der baskisehen Sprache au finden.
Vergl. Gesammelte Werke. Bd. 5. S. 240 (Brief an Aug. Fried. Wolf. 1801).
Worte, wie eolera^ eteota , aingeru (angelut)^ mendeeoile (penteeoate) kann H a m-
b o Idt damit nicht gemeint haben ; eher Hesse sich noch arto (icp70(, Brod) anfSh-
ren; vergl. L^cl nse, Grammaire basque. p. 32); aber auch darauf ist kein
Gewicht zu legen, um so mehr als Brod im eigentlichen Sinne 05K heiast und mit
jenem Ausdrucke nur das Maisbrod bezeichnet wird.
über das iberische Alphsbet. 171
Aber es lasst sieh nicht leugnen» dass Humboldt doch noch etwas
XU riel unter dem Einflüsse jenes gelehrten Astarloa stand <>), der
xwar besonnerer als die meisten seiner Vorgänger und als einzelne
oeuere baskische Schriftsteller, sich doch zu manchen weit hergeholten
und nicht ganz zutreffenden Namenserklarungen bewegen Hess.
Wir wissen eben von dem Iberischen blutwenig und von dem Weni-
gen das Meiste nur durch romische Überlieferung» um nicht zu sagen
durch romische Verunstaltung. Es war daher auch nicht möglich»
irgend welche feste Prinzipien über das Verhältniss des iberischen
Lautsystems zu dem romischen aufzustellen. So kann es auch leicht
kommen» dass zu einer romischen Wortform eines iberischen Namens
ein modernes baskisches Wort zu passen scheint» wahrend» wenn
man wirklich einmal einen richtigen iberischen Namen, z. B. durch
eine Münze kennen lernt» dieser sich unter jene baskische Erklärung
durchaus nicht fugen will. Allerdings kann solchen Erklärungs-
Tersuchen hin und wieder auch der Umstand zu Gute kommen » dass
die baskische Sprache sicherlich selbst das Schicksal gehabt hat»
sieh unter romischem und dann unter dem in gleicher Weise wir-
kenden romanischen Einflüsse in ihrem Lautsystem vielfach zu
ändern; dennoch konnte auch» wenn ihr das Iberische zum Grunde
liegt» die Erscheinung leicht eintreten , dass im heutigen Baskischen
ein Wort ganz anders als ursprünglich lauten und desshalb schwer
erkennbar sein wQrde. Im heutigen Baskischen trifft man eine nicht
gerade unangenehm klingende Gruppirung der Laute an» wahrend die
iberische Sprache mit ihrem ganz alterthümlichen Vocalismus <*)
uns wohl eben so wenig» als den Römern angenehm lauten durfte.
Was aber jenen Einfluss fremder Sprachen auf das Baskische betrifft»
so mQssen wir uns schon bei dieser Gelegenheit ganz entschieden
gegen die Ansicht erklaren, als ob das Baskische eine durchaus reine
und ungetrübte Sprache sei <>). So rein sie in ihrem Organismus
ist, so bunt gemischt ist sie in ihrem Wortschatz, so zwar, dass man
'') Vericl. E. Hfibner, Epigniphische Reisemittheilungeo in den Monatsberichten der
k. preoM. Akademie der Wltsenschaften. 1861. S. 755.
*') Ver^l. Coraaen, Über Aoasprache, Vocalisoiua und Betonang der iateiniachen
Sprache. 2. Anfl. S. 347.
"j Vergl. Vioson, Notea aar la d^clinaiaon basque (Revu^ de linguistiqae. Tom. III.
p. 5).
172 Phillips
keine Seite in einem baskischen Buche aufschlagen kann, ohne latei-
nischen Worten zu begegnen. Wenn es z. B. in einem irrthQmlich
in die Zeiten Hannibals versetzten Liede^^) fa^isst:
Choris cantagale ejerra
Vogel, schöner Sänger
und bald darauf:
ez oreniCf ez mementic
weder Stunde, noch Augenblick,
80 braucht man dazu keine Stunde, sondern kann augenblicklich das
Lateinische darin erkennen, man müsste denn wie Larramendi und
andere baskische Philologen thun, annehmen, die Römer hätten
derartige Worte aus dem Ibero-baskischen erborgt. So leicht es
nun auch ist, die lateinischen Worte in ihrer baskischen Verpuppung
(z. B. berihute: virius, gorphutz: corpus , borondate: voluntas') zu
erkennen, so wird es noch eine schwere Aufgabe der Wissenschaft
bleiben , in dieser Sprache wie in dem noch so wenig erforschten
Iberischen, die keltischen Einflüsse auszusondern.
Doch um zu Humboldt zurückzukehren, so werden dessen
unsterbliche Verdienste nicht beeinträchtigt <>), wenn man trotz einer
Menge der geistvollsten Combinationen doch so manchen seiner ein-
zelnen Erklärungen nicht beistimmen kann, freilich oft genug mit
dem aufrichtigen Geständnisse, dass man eine bessere Deutung auch
nicht zu geben vermöge. Es ist eben, wie Hübner gegen das Ver-
fahren Boudard's sich ausdrückt, eine schwierige Sache «auf dem
dunkeln Gebiete des Iberischen mit dem Baskischen h^rum zu
operiren** <<). Die Fälle, wo man wirklich mit voller Überzeugung
sagen könnte, dies oder jenes baskische Wort sei ganz unzweifelhaft
einem iberischen verwandt, sind nicht gar zu häufig, während andrer-
seits sich nicht verkennen lässt, dass viele iberische Namen, auch in
ihrer romischen Form, doch im Allgemeinen den Eindruck einer
gewissen Übereinstimmung mit dem Baskischen machen. Mau ist
<^) Vergi. Garat, a. a. O. p. 257.
^^) Diese gering su schfitzen war M. A. Montel, Histolre de la lang'ue et de la
literature gauloises (bei Gerat a. a. 0. p. 257.) ood Blad^ (S. t. Note ^}
aufbehalten.
1«) E. Hübner, a. a. 0. S. 755.
Ober dM ibericch« Alphabet. t 73
daher um so mehr berechtigt gerade auf diesen Punkt ein gewisses
Gewicht zu legen, als allerdings einzelne .Wurzeln auch in den von
deaRomern riberlieferten Städtenamen — wir machen auf K-; Wasser,
aormerksam -^ sich auch im Baskischen wiederfinden. Alles aber,
was Tom Echt-Iberischen auf die Nachwelt gekommen ist, besteht,
einige bisher unentzifferte Inschriften abgerechnet, nur in Eigen-
oameo; Ton Conjugation wie überhaupt yon irgend welchen gram«
matischen Formen ist kaum Etwas daraus zu entnehmen, höchstens
einmal in einigen Munzlegenden eine Andeutung eines Genitivs oder
ein Suflix, welches sich nicht jeder Erklärung entzieht. So findet
z. B. — ihn oder — t^n oder auch — g'm, selbst in Mitten von
Legenden, welche zwei Namen enthalten (Leg. 166. 168), seinen
Anklang in dem baskischen Suffix -kin; dasselbe bezeichnet den
Begriff einer Gemeinschaft oder Genossenschaft und kommt im Bas-
ischen als Postposition in der Bedeutung von ^^mit^ vor«?).
Die Veranlassung zu diesen Bemerkungen wird uns durch die
Bedeutung jener Munzlegenden geboten ; eine wichtige Quelle, deren
Humboldt zwar auch, aber doch nur gelegentlich und anhangsweise
gedenkt is). Mag auch rielleicht die eine oder andere dieser iberischen
Munzlegenden corrumpirt sein , so liefern sie doch ein Verhältnisse
missig reichhaltiges Material, dessen Humboldt sich noch gar
nicht bedienen konnte; hier treten entschieden echte iberische
Formen auf <•), während Humboldt eben lediglich auf die durch die
Römer corrumpirten Namen angewiesen war; ein Gegenstand, der
noch einer näheren Beleuchtung bedarf.
IIT.
Die iberischen Namen in der Schriftsprache der Römer.
Das Interesse, welches die beiden gebildetsten Völker des Alter-
tbnms an den Lebensverhältnissen der von ihnen als » Barbaren "*
bezeichneten Volksstämme nahmen , war ein nur sehr geringes. Sie
^^) Wir eatlialtc« iiiia jeder SpreehTergleichnng, obscboii sieh das griecb. 9uv (ky-
prieeli Irin a. 6. Curtios, Grandsiige S. 477. Pott, Etymologische Forschongen,
Bd. I. S. 840. a. ff.) ond das lat. cum aufdringen an woUen scheinen.
<') Hanboldt, a. a. O. 8. 58. 8. 180. a. ff.
**) In Betreff dieeer ist hauptalchlieh auf P. A. Bondard, Numismatiqne Ib^rienne
(Paria. 1857. 4.) su Terweisen.
174 Phillips
erachteten es wohl der MQhe werth, die Länder fremder Volker sieh
zu unterwerfen und deren Schätze sich anzueignen, nicht aber irgend-
wie gründlich und genau Ober die früheren Geschicke, Ober den
Culturzustand , Aber Sitten und Gebräuche der Besiegten , ja nicht
einmal Ober die Namen der einzelnen Stämme sich zu unterrichten.
Ausser dem Namen , welchen sich ein Volk selbst gab , horten sie
auch die verschiedenen Bezeichnungen, die demselben von andern
Volkern beigelegt wurden und brachten bei ihren nur sehr allmShlig
zunehmenden Kenntnissen in Geographie und Ethnographie, alle
solche Namen, ohne recht zu wissen, wie sie eigentlich angewendet
werden sollten, neben einander zur Geltung. Dabei schrieben sie
diese Namen nicht etwa phonetisch, sondern , wenn sie ihnen Ober-
haupt die Ehre anthaten, sie zu erwähnen, verunstalteten sie die-
selben, um sie sich eben mundgerecht zu machen. In welchem Umfange
haben dies schon die Griechen mit den indischen Namen gethan <) !
Aus dem pfeilgeschwinden Vitasta wurde ihnen der Hydaspes, aus
dem fessellosen VipisAd er Hyphasis und um dem Alexander-fressenden
Sandrophagos , wozu sie die ^MondesgabC Chandrabhl|jA gemacht
hatten, zu entgehen, nannten sie diesen FIuss Akesines. Nicht anders
machten es die Romer mit den Namen der meisten Völker; z. B. mit
denen der Karthager und Numidier: aus Abdmilcart entstand Hamil-
car, aus Magsibal : Micipsa, aus Mezetbal : Hezetulus, aus Hacamsbal :
Hiempsal«). Man darf sich daher Ober die Äusserung des Plinius
nicht wundern, wenn er gerade in Beziehung auf die iberischen
Namen ohne allen Ruckhalt eingesteht *), dass er nur solcher Städte
Namen anzugeben beabsichtige , welche ganz besonders erwähnens-
werth oder von seinen Landsleuten leicht auszusprechen seien; in
gleicher Weise sagt er an einer anderen Stelle: er wolle nur die-
jenigen Hülfsvölker aufzählen, welche zu nennen nicht widerwärtig
1) Vgl. Bohlen, das alte Indleo. 8. 17.
*) Vgl. Oesenios, Serlpturae lingiiaei|oe Phoeoictae MoBonenU. p. 119. 107. 202.
AU eines Ton Tielen Beispielen, wie die Oriecben panische Namen rerdrehten,
kann 'Iinrou Jfxp« oder 'I;nra*ypi3r« dienen, wodurch sie Ifpo aekoret^ d. h. das
andere Hippe, wiedergaben. S. Schröder, die phönisiaehe Spreche. S. 41.
') PI in. Second. Bist, natur. Lib. 111. cap. S:Ez hia digna raemoratn aut Latiali
aermone dietu facilia — Ossonoba etc.
Ober dM iberifche Alphabet. 1 7S
sei*). Dem ähnlich bemerkt Pomponius Mela'), dass es bei
den Cantabrern verschiedene Völker gehe, deren unverständliche
Namen ein römisches Ohr nicht in sich aufnehmen könne.
Eigentlich darf man sich über ein solches Verfahren doch nicht
garzQ sehr verwundern; spatere Zeiten haben es darin nicht besser
gemacht Wer erkennt noch in Grenoble: Gratianopolis , in
Passau: Batava castra« in Wels: Ovilabis, in Sarragossa:
Caesaraugosta?! Und wie werden noch beut zu Tage neu bekannt
werdende Namen in der Schrift wiedergegeben, der Aussprache der-
selben gar nicht zu gedenken « die sich jedes Volk eben nach seinen
Spraebwerkzeugen zurecht macht; ein Verfahren, worin bekannt*
lieh die Engländer alle anderen Volker fibertreffen •).
Um aber nunmehr der Schicksale zu gedenken« welche die
iberischen Namen erfuhren, so muss man in der That doch ein
billiges Urtheil über die Aussprache derselben durch die Römer
fallen. Denn» man wird anerkennen müssen, dass so manche dieser
Namen gerade wegen ihres Vocalismus den Romern ganz unfiber-
windliche Schwierigkeiten boten. Auch Humboldt bat dies, ob-
schon er solcher echt iberischer Namen nur wenige kannte, ganz
richtig geahnt; in der That, es gab Namen, welche den römischen
Ohren noch viel widerwärtiger klingen mussten?), als die in dieser
Bexiehung von Strabo hervorgehobenen. Dieser Schriftsteller
beendet seine Aufzählung iberischer Volksnamen mit den Worten >):
^) Fl IB. I. c. Lib. IV. cap. 11 : qoos Bominare noo pigeat.
*) PoBpoB. Mein Geogr. Lib. UI. eap. 15. Äholich wie diese Autoren drfickt sieb
der Rbetor MaziniM aus Madauni fiber die pnuische Spracbe aus , too weleber er
sagt, das« die Namen der puDiscben Bekenner n^ltt honiioibnsque odiosa
•oainn^ Mieo. 8. August. Epist. 16. p. 2.
') Den Ifaaen eines bekannten deutschen Gelehrten b6rte man in Bng-Iand aus-
sprechen : Sklfhijutel und den des berfihmten Fürsten ron Wahlstatt :
Bljjtecber.
') Wir flnaben Humboldt darin nicht beipSiehten xu dürfen, wenn er (Unter-
sncbungttB S. 35. Note 31) annimmt, dass den Römern die iberischen Namen doch
leichter nuasnsprechen gewesen seien, als die keltischen.
*> Strabo, Geograph. Lib. UI. eap. 3. n. 8. (edlL Paris. 1858. p. 29.) — Lucian,
wenn er anders der Autor der Nekromantie ist, tadelt die Bedeutunglosigkeit und
Vidsxlbigkeit der barbarischen Namen. Vgl. Humboldt, Untersuchungen S. 5.
der nach Zusammenstellung dieser Äusserungen bemerkt: ,)S0 mAren sie (die
alten SchriltsteUer) wohl manche Ton ihnen aufgenommene (Namen) abgekfirst und
nicht blos dem griechischen oder römischen Organ, sondern aueb wirklich Wörtern
ihrer Sprache gemiss gebeugt haben*'.
176 Phillips
«noch mehr Namen hinzuzufügen, widert an; ich scheue mich Tor
der Langweile neuer unerquicklicher Schreiberei , es sei denn» dass
Jemand ein Vergnllgen daran fände, die Namen Pleutauren,
Bardyeten, Allotriger und andere noch hftsslichere und Ter-
worrenere zu vernehmen *).
Doch hören wir nunmehr einige dieser echten iberischen Namen,
wie sie uns durch Münzlegenden geboten und von Boudard gelesen
werden io): Aoraq*tz, Q^noor^bp Bortze; aus dem ersten machten die
Romer Arevad; der zweite wandelte sich in ConirMa; aus B&rize
wurde Bursao. In gleicher Weise gaben die Römer Eoatia durch
FJaha, B^zom durch üxama, OoaqHz durch Vaccaeit Ooioot
durch Autelani wieder 1 9- Was sollten sie aber wohl mit Meq*
pioikhip Ohaoq% Q^noi^tz^ mit Tzaiz und Tzooh anfangen?
Vergleichen wir damit einige der Erklärungen Humboldfs,
so ist ersichtlich, dass z. B. Arevaci nicht ron dem bask. area und ba
(was „tiefe Ausdehnung*' bedeuten soll) herkommen kann i*). Auch
der Name der Stadt Biatia lässt sich nicht durch bask. bi (zwei)
und atia (eigentlich atea, Thure) erklären is). Eben so wenig
ist es zulässig die Autetani als die Bewohner eines „ Landes des
Staubes, der Trockenheit** anzusehen, weil au^sa im bask. „Staub*'
heisst **) ; davon ist in Ooioot keine Spur. Auch kann Contrebia
nicht als ein Beispiel einer iberischen Consonautengruppe y^tr** ange-
fQhrt werden 1^), da es ursprünglich Qonoorib heisst, auch Gianda-
*) Vgl. nach Laeian. Necyoo. (Angnat. Opp. 11. t6). — Vgl. Sehr Ader, a.a.O.
S. 87. Note 4.
^9) Wir behalten einatweUen Bondard^a (NuoilaiBatiqne IbdrleBBe) DeotQngen bei,
ohachon, wie alch weiter nuten heranaatellen wird , wir keineawega in elleii Bin-
aelaheiten denaelben auatimmen können. Inabeaendere gilt diea aneh na dem
iberiachen Bnchateben 4^* deaaen Bedentang erat weiter nnteo erörtert werden
kann.
1*) Vgl. noch Chaho, Hiatoire primitiTe dea Baakariena-Baaqaea. Tom. I. p. 4.
S. Boudard, ^tndea aur TAlphabet Ib^rien. p. 89. S. aueh deaaen Nnmianatique
Ib^rienne. p. 3tS.
1*) Hnmboldt, Unteranehungen. S. 105. Note 90.
IS) Humboldt,«, n. 0. S. 67.
f^) Hnmboldt, a. a. 0. 8. 63«
<*) Humboldt, a. a. O. S. S7«
Ober das iberisehe Alpliabet. ITT
merium <•) nicht für die Zusammenstellung von g und /, weil durch
die Hunzlegende Kaniamir die Variante Favdö/xipGv bei PtolomSus
und Gandomerium beim Anonymus Ravennas unterstfitzt wird.
Dagegen lässt sich nicht in Abrede stellen» dass Bortz (Bursoo^
dessen Humboldt nicht gedenkt} einen Wiederhall in dem bas-
liscben Zahlworte bortz, welches „fünf** bedeutet» findet.
Die Römer trafen demnach in den Iberern auf ein Volk» welches
in seiner Sprache noch einen ziemlich „unverwelkten*' Vocalismus
bewahrt batte «?). Es mochte daher derselbe an Volltonigkeit nicht
viel der «Sprache der arischen Inder in jenen Zeiten^ nachgestanden
haben, «als sie zuerst im Pendschab dem Indra ihre Hymnen sangen'';
ob er sich zu der ,, weichen Tielstimmigen Harmonie" ausgebildet
habe» „wie diese in der griechischen Sprache in dem Zeitalter sich
eotwiekelt hatte» als die Hellenen mit ihren Pflanzstatten die Küsten
Kleinasiens bedeckten« die Seeherrschaft der Phönizier brachen und
ihre Lieder sangen von Troja's Fall upd der Heimfahrt der Helden*'»
mag dahingestellt bleiben. Unter allen Umständen befand sich die
iberische Sprache damals als die Römer nach Hispanien kamen»
Doch in einem Stadium» welches den Sprachformen im Zeitalter der
Sprachenseheidung noch sehr viel näher stand» als dies bei anderen
Sprachen» mit welchen die Römer in Berührung kamen» der Fall war»
ein Umstand» der auf eine gewisse Isolirung der Iberer hinzuweisen
seheint «»).
Dadurch» dass die Römer in der rorhin geschilderten Weise die
Originalität der iberischen Namen der Unzulänglichkeit ihrer Sprach-
werkzeuge oder ihrer Bequemlichkeit zum Opfer brachten, haben sie
das Eindringen in die wenigen noch erhaltenen iberischen Sprach -
reste sehr erschwert. Um so mehr verdienen daher die alten Münz-
legenden Aufmerksamkeit, als sie vorzüglich zur Kenntniss des
iberischea Alphabetes verhelfen.
f<> H«mboldt» a. a. 0. S. 1%,
*') V|^I. Co rasen, (S. II. Note 12); aus dieaem Werke aind die im Texte nachfol-
feiiden mit Aofabnu^ptaeiehen jy *^ rerseheoea Worte entnommen.
**) Ifodi Tacit. Annal. IV. 45. bezeiehnet die Iberer als barhüri.
Sitab. d. pkiL-biat. CL LXV. Bd. II. Hft. 14
1 78 Phillips
IT.
HerstelluBg eines iberischen Alphabets.
Unseres Wissens hat sieh noch Niemand in Deutschland ein-
gehend mit dem iberischen Alphabete befasst. Was Gesenius
darOber mittheilt i), enthält Tiele Unrichtigkeiten; er führt Th als
einen iberischen Buchstaben an und doch fehlt derselbe in jenem
Alphabet ganz und gar; er bezeichnet ferner das Q durchaus unrich-
tig mit dem Zeichen?, M'elches das Iberische als Okennt, während jener
Buchstabe in der Gestalt Z erscheint; er berücksichtigt endlich den
häufig vorkommenden Buchstaben H' gar nicht, und gibt statt seiner
ganz andere Zeichen als dem phonizischen Schin entsprechend an. Nach
seiner Classification, beziehungsweise Genealogie der aus dem phoni-
zischen entsprungenen Alphabete, scheint Gesenius das der Iberer
dem altgriechischen und dessen Tochteralphabeten (etruskisch,
umbrisch, osklsch und sabinisch) unterordnen zu wollen«), was doch
keineswegs zuzugeben* sein dürfte*).
Das Verdienst ein iberisches Alphabet und zwar mit Hülfe der
Numismatik hergestellt zu haben, gebührt dem Franzosen B o u d a r d ;
eine viel geringere Ausbeute als die apgegebene Wissenschaft hat
bisher die Epigraphik geliefert. Die in Aussicht gestellten viel ver-
heissenden Arbeiten des Spaniers Delgado^) sind noch nicht
erschienen; auch Boudard ist in seinen verdienstlichen Unter-
suchungen unterbrochen worden &). Die Arbeiten des zuletzt
genannten Autors haben indessen bereits zu so günstigen Resultaten
in dieser Beziehung geführt, dass man von diesen, was das
Alphabet betrifil, als von einem ziemlich sicheren Fundamente
1) Gesenius, Scriptarae lingaseque phoeniceae Monumentii Tab. 2.
*) Gesenius, I. c. p. 64.
*> Über GrotefondtS. unten S. 20.
*) E. Hfibner, Epigraphisehe Reiseberichte in den Monatsberichten der k. prens.
Akad. der Wissenschaften. 1861. S. 755. Nach einer giitigen Mittheilung desselben
Gelehrten ist eine baldige Publication leider nicht lu hoffen.
') S. unten Note 12.
Ober dM iberische Alphabet. 179
«lugehen darf •)» wenn auch so manche einzelne Frage noch nicht
genügend gelöst worden ist. Zu jenem Ziele zu gelangen war in der
Thatum so wunschenswerther, als bisher hiecin eine grosse Unsicher*
hat herrschte und es rorkommen konnte, dass eine und dieselbe
Hfinxlegende Rinthiris und Gentug^ gelesen werden konnte, yon
velcber. Boudard festgestellt hat; dass sie Khonooriba zu
lesen sei').
Boudard hat das iberische Alphabet in zwei verschiedenen
Werken behandelt, nämlich in seinen „Etudes sur TAIphabet
Iberien et sur quelques monnaies autonomes d^Espagne"* (Paris et
fi^xiers. 18S2.8^} und in dem »Essai surlaNumismatique Ibdrienne,
pr^^d^ de recherches sur l'Alphabet de la langue des Ib^res*'
(Paris. 1859. 4^). Freilich können wir nicht umhin zu bemerken,
dass Boudard in diesem neueren Werke manche frühere Ansicht
aofgegeben hat, die uns wenigstens richtiger erschienen ist als das-
jenige, was er an die Stelle gesetzt hat. Wir werden mehrmals
Gelegenheit finden, dies hervorzuheben und naher zu begründen.
Was die frühere Literatur dieses Gegenstandes anbetrifll, so'
hat Boudard allerdings mehrere verdienstvolle Vorgänger gehabt;
dazu gehören aus neuerer Zeit vornehmlich folgende Schriftsteller:
Domenico Sestini, Descrizione delle Medaglie Ispane. Firenze,
1818. 4.; Fr. de Satilcy, Essai de Classification des monnaies
autonomes d'Espagne. Metz. 1840 ; J. J. Akerman, Ancient Coins
of eitles and'Princes. London. 1846. 8 und G. Dan. de Lorichs,
Recherches Numismatiques concernant principalement les Monnaies
Celtib^riennes, Paris. 1882. 4. Wegen der Abbildungen iberischer
Münzen wäre auch noch Sabatier, Iconographie de cinq mille
medailles Romaines, Byzantines et Celtiberiennes. St. Petersb. 1849.
fol., ein Werk, welches Boudard unbekannt geblieben zu sein
^beint« zu erwähnen, wi>bei nur zu bedauern ist, dass es hier selbst
*) Die TOB demselben Tertachten Nameneerklirungen aus dem Baskiacbeii halten wir
■eifliene nicht für g^liickt.
^) ▼fi- Bo«dard. Ifamiamatiqne Ib^r. p. 167. Anf jenem Standpunkte steht man
■och in Betreff deetnrdeianisehen Alphabetes. Für eine Legende, welche A c k e rm an,
Aacieiii. coins p. 47 Aetitboe liest , scheint man eben so wohl Josilam als Josilas
▼orachlagen su dfirfen.
14»
180 Phillip«
an einem Versuche der Erklärung gänzlich mangelt. Jene Arbeiten
sind sämmtlich mit grossem Fleiss und rieler Sorgfalt gefertigt^), wenn
auch der strebsame schwedische Gesandtschaftssecretär am Hofe zu
Madrid» v. Lorichs» bei der Entzifferung der Hunzlegenden von
einer sehr unglücklichen Torgefassten Meinung» die allenfalls ffir
spätere Zeiten einigen entfernten Grund hätte haben können» aus-
gegangen ist*). So viele Anerkennung diese Arbeiten also auch yer-
dienen» so hat doch Boudard einen yiel richtigeren Weg» als seine
Vorgänger» in der Vergleichung der verschiedenen Münzlegenden
eingeschlagen.
Bis zu diesen neueren Untersuchungen figurirten noch immer
in allen betreffenden Werken» namentlich bei Florez in seinen
Medallas de las Colonias» Municipios y Pueblos antiguos de Espana
(Madr. 1757—1773. 3. Vol. 4.) eine beträchtliche Anzahl soge-
nannter Letras desconocidas; ein Ausdruck» mit welchem man eben
die noch nicht enträthselten iberischen Buchstaben bezeichnete.
Schon Velasquez (Ensayo sobre los Alphabetos de las letras des-
conocidas. Madr. 1752. 4} wollte auf Grund althispanischer Münzen
drei Alphabete von einander unterscheiden und zwar das kelt-
i her i sehe» das tu r de tan is che unddas bastulo-phöuizische.
Von diesen sollte das zuerst Genannte vorzugsweise in Keltiberien
und in dem grossten Theile der Provincia Tarraconensis gebräuchlich
gewesen sein, das zweite bei den Turdetanern und überhaupt in
Baetica» das dritte in den phönizischen und puniscben Colonien An-
wendung gefunden haben. Wir glauben dem ersteren dieser Alphabete
unbedingt den Namen des iberischen schlechthin beilegen zu dürfen,
denn bei den Stämmen» welche gewohnlich als Keltiberer bezeichnet
werden» war doch das iberische Element sicherlich das vorherr-
schende. Die bisher von Boudard veröffentlichten Untersuchungen
erstrecken sich auch nur auf dieses und noch nicht auf eine genauere
Erörterung der turdetanischen und phönizischen Legenden; wohl
aber hat derselbe versprochen, auch über sie eine Abhandlung her-
^) V^l. die höchst lehrreiche Kritik über Seulcy von A. de Longperricr,
in der RcTue nmnismatiqne. 1841.
<*) Der taleotvoUe Verfeseer ist mit der, osen könnte fsst eigen fixen Idee beheftet,
die MGnzlegenden bezögen steh sinunUieh nur auf römische Verweltnngagegen-
stände und interpretirt sie, um ein Beispiel anzufttbren, in folgender Weise: Di«
Legende H4I= (HedeJ, die er fSIschlich HOE li««^ erUirt er eU OcUre (weil
über du iberisch« Alphabet 181
aimugeben i<^); allein bisher ist weder diese noch eine andere, welche
ethnographische Untersuchungen in Betreff des alten Hispaniens ent-
halten sollte «>}, Yollendet worden«). Es liegen daher für den
solchen Forschungen ferner Stehenden noch nicht die hinlänglichen
Materialien vor und somit mnss auch unsere Erörterung sich auf das
eigentlich iberische Alphabet beschrSnken; vielleicht liefern fSr die
Zukunft altiberische Inschriften, welche bisher keineswegs in grosser
Anzahl aufgefunden worden sind, noch mancherlei Ausbeute.
Der Weg nun, welchen Boudard eingeschlagen hat, um zu dem
erwünschtem Ziele zu gelangen, war der, dass er mitsorgflÜltigerAus*
Scheidung aller irgendwie zweifelhaften Münzlegenden, zuerst die-
jeoigen ins Auge fasste , welche , mit lateinischen Buchstaben
geschrieben , nur den einen oder den andern iberischen Buchstaben
enthielten, der dann auf diese Weise erkannt werden konnte. So
worden z. B. ermittelt <=sC, r«=-P, F = JE und h = S. Solche
ibero-latinische Legenden boten, sobald leicht erkennbare iberische
sich ihnen an die Seite stellten, wie ACINIPO und A<IMirO. den
Schlüssel zur Entzifferung rieler andern und so wurde es möglich
durch vierundTierzig Legenden siebzehn iberische Buchstaben Töllig
sicher zu stellen. Schon hieraus ergab sich, dass yiele dieser Buch-
staben in sehr verschiedenen Formen vorkommen und es Hessen sich
diese dann um so besser erkennen, als nicht selten der nämliche
Nanie in verschiedenen Legenden mit mehr oder minder von eiri-
ander abweichenden Buchstaben geschrieben wird. Dieses Ver*
fahren, consequent verfolgt, Hess einen Buchstaben nach dem andern
aus seiner Dunkelheit heraustreten, obschon das sonst so wichtige
HOlfsmittel zur Erkenntniss solcher unbekannten Buchstaben, wir
meinen die Legendae bilingues» hier beinahe ganz unergiebig war.
H i« Latein wehen der «ehto Buchetabe int) Officiaa Ezterioria (HUpsniae). —
K. Bib ner, Inacriptiunes Hiapaniae Latinae p.528, aapt Ton Loricba, daaa er In
aeifteaa B«ebe, in Beziehong auf die Znaammenatellnng der Mfiozen aehr riel Nutz-
liebea f^eiatet habe, n^lioae rero in iia explicandia adhiblta Inaolalaaima rel potioa
nnlln oninhio.
**) Bovdnrd, a. a. 0. p. 28. 138.
^*) Bondnrd, a. a. 0. p. 2. Note 4.
**} Vgl. rmu Eyaa, Baaai de Gramnaire de la langne basqae. p.8. — Auf eine Anfrage
hicrib«r habe ieh jedoch in Erfahrung gebracU, daa Boudard binnen Kunem die
Rcwllnte aeiner weitem Stndien in Tier Qnartbindan TeröffentUehen werde.
182 Phillipt
Demgemäss stellte nun Boudard ein iberisches Alphabet auf^
welches aus folgenden Buchstaben zusammengesetzt ist:
A, ►, <. <, l=. <i. H, ft K, K M, K O. P, h H, T. H. Z, Y,
a, b, c, d, e, g, A, t\ A, /, m, n, o, p, r, «, ^ u, », y^
Ä. X. X. 4*.
ha, ch, khf iz.
Die erste Abtheilung enthält zwanzig Buchstaben, sechs Vocalet
a» e, if 0» u, i/f einen spiritus-asper h und dreizehn Consonanten
6, c, A ^» k, l, tn, n, p, r, «, ^f «.
Die zweite Abtheilung besteht aus vier Zeichen, welche Bou-
dard Lettres a son mixte nennt.
Ausserdem fuhrt er noch einige zusammengesetzte Buchstaben
an, nämlich:
fc. -M. M, M«, r, ic. *, y».
CO, im, rd» ne^ nU ke, sae, knl; (s. unten S. 209.}
andere Beispiele finden sich unter n. 46. 83. 144. 169. 206 und
270 der Münzlegenden. Zu diesen verschiedenen Zeichen kommt
aber noch eines hinzu, nämlich ein Punkt, durch welchen die
Auslassung eines Vocals, kenntlich gemacht wird. Darnach ist e»
nicht etwa blos der ausgebliebene Vocal t, sondern es trifft dies
auch bei andern zu, z. B. in der nachfolgenden Obersicht der Münz*
legenden :
a in n. 74.
« in n. 118.
tinn. 31, 206 und 307.
o in n. 110.
Bisweilen ist es auch ein Consonant, dessen Wegbleiben in
dieser Weise kenntlich gemacht wird; z. B. ist in n. 233 das t fort-
gelassen.
Ganz regelmässig sind die Namen von links nach rechts zu
lesen, nur ausnahmsweise sind sie rückläufig geschrieben; z. B.
Munzlegende n. 9. 3t. 43. 66. 70. 110. 117. 121. 188. 282.
283. 284.
Um jedoch wiederum zu dem Ton Boudard festgestellten
Alphabet zurückzukehren, so bemerken wir, dass wir nicht gans mit
über da« iberiMhe Alphabet. 1 83
deouelben ans eiaverstaoden erklären können. Unserer Meinung nach
fddt dem iberischen Alphabete nicht blos das F, sondern auch das &i
es durfte ferner der Buchstabe X als Q und nicht minder H' und ü
dem Alphabete unmittelbar einzureihen sein , wahrend wir b C^J
jpraicbtf&r einen besonderen Buchstaben halten; femer ist H mitY
' ideotiseb und somit wurden wir zu dem noch weiter festzustellenden
Resoltate gelangen, dass das iberische Alphabet überhaupt nur
21 Buchstaben zahlt, nimlich S Vocale, einen spiritus-asper und
IS Consonanten.
Wir bleiben indessen yor der Hand bei den Ton Boudard
enielten Bluttaten und legen dieselben bei den nachfolgenden
Erörterungen zu Grunde. Zum Zwecke dieser hier aufzustellenden
Uotersuchungen erscheint es geeignet zuerst durch Vorlage des
gesammten uns zu Gebote stehenden Materials eine genauere An-
schauung des iberischen Alphabetes zu yermitteln. Dieses Material
besteht theils in Munzlegenden, theils in einigen nicht zahlreichen
hschriften; wir müssen freilich darauf yerzichten. Alles hinlänglich
zu erklären.
V.
Zosammezistelluxig des Materials*.
A.
Die iWrIsckeo MQnilegeoden.
Zu den iberischen Münzlegenden, welche hier fast saromtlich aus
Boudard entnommen werden, zählen wir auch solche, die zum grös-
seren Theiie aus lateinischen und nur aus einem oder wenigen iberischen
Buchstaben bestehen. Es sind diese Legenden in der nachfolgenden
Zusammenstellung unter 307 Nummern yertheilt und darunter, um
einstweilen nicht yon Boudard abzuweichen auch zwei, „Libeco**
(n. 38) und „Ptop'' (n. 80), aufgenommen worden, die wohl nicht
hieher gehören, ja überhaupt von jenem Autor missverständlich
* Dtm B«itpielc Gesenio« in seineB MonameDta folgend, geben wir die ein>
leloeB Formen in möglichster VoUatindigkeit an.
184 Phillips
aufgefasst worden siod <). Wir halten uns auch bei dSr weiteren
Darstellung um der leichteren Anordnung willen an die von Boudard
angenommene Reihenfolge und somit auch an die von ihm festgestellte
Buchstabenzahl, nicht minder auch an die Bedeutung und Aussprache,
welche er den einzelnen Buchstaben beigelegt hat und werden unsere
Einwendungen und Bedenken erst an den uns geeignet scheinenden
Stellen geltend machen. Obschon unsere Untersuchungen wesentlich
auf den Resultaten beruhen, welche die Wissenschaft der Numis-
matik zu Tag gefordert hat , so vermögen wir naturlich doch nicht
uns auf eigentliche Fragen der Münzkunde einzulassen; nur so viel
sei bemerkt, dass ein grosser Theil der iberischen Münzen in die
') Wm hier lunichat Libeco aDbetrifll, welche Lefg. Boudard (Numiamatique Ib^rienne
p. 290) mit Sauaaaye einem ao einer Mündung der Rhone anfreaiedelten Volke,
Lybicl, snachreibt, ao ist sie »war ohne Zweifel echt, aber sie ist nicht iberisch.
Die Exemplare, welche Boudard und aeinen Verengern zu Gesiebt ge-
kommen sind, und deren Fundorte nicht niher angegeben sind, rfihren aUer
Wahrscheinlichkeit nach tou dem MSnzftande zu Burwein in GraubSnden her. V^^l.
Mommsen, die nordetruskischen Alphabete auf Inachriften und Münzen (Mit-
theilungen der antiquarischen Gesellschaft in Zfirich. Bd. 7. S. 203. u. ff.) Unter
dieaer Vorauaaetzung ist die Legende als nordetmakisch anzusehen und siebt
uLibeko", sondern ''Pimko(s)'' zu lesen. Moromaen, a. a. 0. S. 205. Noch
bedenklicher möchte es mit dem Iberianismus der Legende nPtop^ stehen, bei
welcher Boudard (a. a. 0. p. 267) an eine Ton dem Anonym. Rarenn. erwähnte
Stadt Petavium gedacht hat, die in der Nihe Ton Telo Martins (Toulouse) gele^n
war. Ea waltet kein Zweifel ob, dasa die Legende der Vorderseite der betreffenden
Mfinze durchaua keltisch ist; je nach Verschiedenheit der Exemplare finden sieb
mehrere keltische Manneanamen BIIIRIOC TLegende 6) AOVROTIOG (B o u d e r d
a. a. 0. p.269) oderROTIRVNOV, fir welche sich riele Analogien auf Mfinzen und
Inachriften finden. S. Mommsen a. a. 0. — Becker, die inschriftlicben
Oberrette der keltischen Sprache, N. 2 (bei Ruho und Schleicher, Beiträge
zur rergleichenden Sprachforschung. Bd. 1. S. 162). N. 18. S. 170. Vgl. ebend.
8. 191. u. ff. S. lOS. Ffir unsem Zweck ist die Ruckseite wichtiger. Das IWort
,)Ptop'' findet sich nicht auf allen Exemplaren , wohl aber die mehr oder minder
ToUaUndIge griechische Legende: AOrrOCTA -AHTcaN (Leg. 30). Das Wort
nPtop* geht dfeaer entweder voran, oder ist, als eine besondere Zeile bildend« ror
AHTotiN gestellt. Letzteres erinnert an MAIIAAIHTfiN auf maaaaliotiacben
Mfinzen. 8. Mommaen a. a. 0. S. 231. Note 24. 8. 208. N. 38. Die weitere
Deutung jenes Wortes muss den Numismatiken) fiberlassen bleiben. Was aber
yyPtop'^ anbetrifft, so bitten wir darfiber zwei Vermuthungen , von denen wir die
eratere kaum auazusprechen wagen. Boudard bringt a. a. 0. p> 247 folgende
Inschrift :
Ober dat iberi«ehe Alphabet. 1 85
Zeit der Republik, die jüngsten in die Caligula's gehören <).
Dass Phönizier und Römer das PrSgen der Münzen Oberhaupt erst
Ton den Iberern erlernt hätten , gehört zu den Träumereien hyper-
patriotischer Basken •).
Eben so wenig als von numismatischen Fragen kann jetzt schon
Too einer Erklärung der MQnzlegenden die Rede sein; wir behandeln
hier dieselben lediglieh und aliein ron dem Standpunkte aus« dass
sie dazu dienen sollen« um das iberische Alphabet zu constatiren;
ihre Bedeutung für Geographie und Ethnographie wird Gegenstand
einer besonderen Untersuchung werden.
Das interessante Material « welches wir in den nachfolgenden
Mäozlegendeu den Sprachforschern zugänglicher machen« als es
ihnen bisher gewesen ist« mögen sie zum Nutzen und Frommen der
Wissenschaft besser als wir es können« ausbeuten und ver-
werthen !
Wir folgen darin dem Beispiele des jüngeren Grotefend«
veleher auch ein grosses Verzeichniss iberischer Legenden mit der
Aufforderung an alle Gelehrte zur EntziflTerung TeroflTentlicbte. Leider
haben wir uns diese im Jahre 1837 erschienene Arbeit bis jetzt nicht
Tersehaffen können *).
CwTAAOr
MOVEATHC
PHTwP
APTEMlAcdPo»
Ted AAEAf CO
PHTOPI
Mit diMem griecbiacben P(H)Ta>P würde ein iberisches P. TOP in der iusseren
Eneheinang viel Ähnlichkeit haben. Mehr WahrschelnUehkeit hat eine swelte
Veraethnng, niinlich die, daaa dieses „Ptop*' jenen IlTnO enbprfebe, welches
sieh öfters anf keltischen Münzen des südlichen GaUiens findet S. Mommsen
a. a. 0. S. 2U. 8. 253.
') MoBiniseo, römisches Hfinzwesen, S. 669.
*) Vgl. Bondard, Tfumismatiqne Iber. p. 145.
*) Tgl. de Sani cy, Essai de elassification. p. 3.
186
Phillip*
Iker*-Utiil8ehe und einige andere nicht '^ iberische Mfinzlegenden,
welche in diesen Untersuchungen zu berücksichtigen sind *).
1. ABOERA
2. A<ir<ino
3. AIPORA (S.)
4. BAILO (A)
K. BiLBILIS
6. BiliKiOC
7. G\LLET (A)
8. CARIS
9. »RA)
10. <ARMO
11. CAnmo^^;
12. <ARMo (A)
13. <ARTEIA
14. <A$<t
18. CASTVLOSOCED C^)
16. CERE
17. CERET
18. (VrCARIA (A)
19. E>VSiTANV (S.)
20. EMPOP
21. EMPor
22. IsMPoR
23. EMnOAEITQN (S.)
24. ILERDA (A)
25. ILIPEHSE
26. ILITVRQ (S.)
27. ILOITVRGENSE (St)
28. ILVRCON
29. IPACRO (St.)
30. IRiPPO
31. J^IPPO
32. Omm (S.)
33. ITVCI
34. KAP
35. KAnMO
36. LAS 60
37. LASTCI C^)
38. 0>l^aM
39. AOrrOCTAHTwr
40. MVNrh
41. MKPT
42. 0DIL(05
43 OBVLCIN
44. OBVLCO
45. OHVBA
46. 0-WBA (S.)
47. ORiPPO (S.)
48. OSSET (A)
49. OSSHT (S.)
50. M^^P
5t. SACAISCER (A)
52. HAESAPO
53. VbSAP^
54. SAETABI
55. SEARo CA)
56. SILBiS (A)
*) Die Legenden, welche eue Akernan entnooiinen sind, werden mit A, die »n»
Lumieret (Memories de le Aeed. Tom. VUl) mit L.» die ens Siulcy mit 8., »u«
Sestini mit St. nnd endlich ans Zobel (Rerne «rcheologiqoe. Tom. XIV) mit Z.
beteichnet; alle ihrigen hat Bond ard, wobei wir nicht weiter daranf Rnckfticbt
nehmen, ob er sie aus Mionnet, Description des roedailies antiqnes, grecques
et Romaines. Tom. I. Recueil des planches. pl. XVI — XVIII. n. 1 — 98. Sappl.
pl. III. IV. n. 1 — 104. oder Lorichs Recherchea oder Andern entlehnt hat.
über das iberiich« Alphnbet.
187
87. tOLE (St.)
88. TVRIASO (A)
59. HLVRCON
60. VEKinO
Iberische legeadea.
61. (xm) AT
«2. ATMAX
«3. ATMAX
«t ATMAX .
68. ATMIsQh
66. Ah^Z^XM
67. Ar»I9h* C^J
68. A9Vi>S^
69. AOI^M^^
70. AOMMDHi^
7i. AOI«IM^
72. ^9PA
73. A9PA
74. A9P«XH'
76. AfPXf
76. Af PXH*
77. A^M^l!^
78. APA
79. A^I«|:M<M
80. AP^M^H
81. BHTAPPA
82. >\on
83. >h>-<M4
84. nvi^
8«. >OAl«M«XM
86. >OA'l«NMXM
87. ►^CA^t
88. >^^4'ZM
89. P'^hH'XM
90. >^^4'{
91. Mil>H2
92. ?fl S >HS
93. >RH>HS
94. Vfl^>HS
98. ^^^^Hl
96. ^f»>»<i
97. >fll^H^
98. ►'hM»:^^^
99. V^M\sS<t*
100. <A^t!
101. <AS¥
102. <Am»
103. <|:^^t!
104. <M«M
105. <AS\F
106. iA'rt
107. <AhK
108. <^is
109. <«^|:
HO. <'^t:
111. <^|s
112. ^f»!
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166. l«A4'^XM^ftl«0<N
167. l«h4'^<^<N
168. ftAH'OXMTAfM*
169. I«AY^<^<^
170. IMONN^
171. I^MOHIs^
172. I^MONE^
173. IhTCWO (St.)
174. raOXAlsM
178. Kll^r'h
176. AW'NM^N
177. hM«|:M<r*
178. A^'MH
179. hyhVH
180. m'M'H'MXM
181. hW«M
182. A^AX
183. h>AZ
184. hFAH*
188. ArW¥
186. A^ZMN
187. Mfeni*
188. MAr<S>
189. MPAr^V
190. MEAr^>
191. M|sAh«^Xy
192. Mfcnrs^
193. MEAl^HP
194. Mi^fWfSP'
iHbia. M^I^^P
198. MHM
196. MWh'^l^ti
197. MlsXr^l«k5
198. MNXT^W^
199. MI^XH*«
über dis iberiaeb« Alpb«b«t.
189
200. MKMW««HM
201. MW««H'
202. M^I«Y
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207. rqi-M
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209. HMHI^I-IMI
210. N|iAI>'M<H
211. Mii^uipf
212. NMY
213. KMY
214. a
215. O^hl^HZM
216. AN^K^
217. OHA^Xr«
218. fth>I«MXT
21». Oiir'Y
220. 5^hi*tH
221. fthl«lHy
222. nrxx
223. «HXX
224. nrH'w^
225. D^AXY
226. ♦^AXT
227. ÄOW
228. .n.OS<
229. a^zp^^
230. OO^^-f
231. O-O^^^-t
232. nZTVP
233. m.VP
234. PHTAPPAC
235. ri^AP
235 6i>. P^AP^Ii
236. nhPM«H
237. PJ^AfH
238. r^lMAI^H^
239. XI^I«AAA
240. xr><eixr
241. xr*eixY
242. xHeixv
243, XM^IXT
244. XXT'^XT
248. Xr'09^h
246. xr'e^p^
247. XT'Xl^ui
247 bis. Xll^f-f
248. XN'hMJ«^
248 6m. XH'M^I^'h
249. ifkS
249 W». XW
250. X9MFMH (S.)
281. XWNMXH
282. )(hMAN
283. )Ö^MAK
284. r<^}p
255. M^|s
286. M^K
287. r<S|:
288. M^N
289. M^>XSHH
260. x^Nxa
261. DaSIs^QH
262. >^2R2^IVa
263. ^A^X<
264. OQHHX^l
268. [XQ^Sar
266. M^»HX<
267. ^♦^X♦^X
268. POÖO^X
269. ^^^OX^^X
270. f^O^XOAf
271. ^^NI«IX^>4'
i90
Phil I ipi
272. ►♦ÖV^XH
273. ^^bZ^PXX
274. P^tX^^XJ
278. ►♦tX^>XX
276. S^AATl!
277. Hls^/y^^
278. S|!0l«S<N
«79. WMI
280. |«^<||
«80 6m. S(.nr<i
«81. SKP
282. ^f*^H
283. 'M^^H'M«»^
284. >^MDY'^7
288. ^tAY\f*OA.P'
286. 'hMViro/n (st.)
287. irH'<s<r'
288. 'hK4'<H</n
289. 'hO^OVH'T
290. T^^XM
291. 'hT^K>0
292. ^Slf«^
293. lAAiH ('y*^
294. 'hIAA'IH C^^
298. AiAA<H ('il^
296. PPICiKM
297. H^K*Kr><
298. fAf
299 4'^A^I«HAT
300. VA^>
301. T'hrM
302. TfWM
303. tWDl^h (S.)
304. ^WP
308. ^wr
306. MI"
307. M«
Die Ikerlsckeii hschrifteo.
Das hoffentlich recht bald Ton Andern zu ergänzende Material,
/«reiches die Epigraphik bietet, lässt sich in drei Ciassen rertheilen:
1. Inschriften in iberischer Sprache mit iberischen Buchstaben; 2. in
griechischer Sprache mit iberischen Buchstaben und 3. in iberischer
Sprache mit lateinischen Buchstaben. Die letzte Classe kann freilich
zur Aufhellung des iberischen Alphabetes Nichts beitragen , um so
"weniger, als es bei mehreren dieser Inschriften doch noch nicht
unbedingt feststeht, ob sie wirklich iberisch sind oder nicht; wir
haben sie aber dessenungeachtet der Vollständigkeit wegen auf-
genommen, weil sie doch rielleicht einmal irgend einen interessanten
Vergleichungspunkt darbieten konnten.
Bei der Sammlung dieser Inschriften haben uns Torzüglich
folgende Werke zu Gebote gestanden:
1. Eine Abhandlung über das Theater von Sagunt in den
Transactions of the royal Irish Academy MDCCCLXXXIX, Dublin
über das ib«ritclie Alphabet. 191
1790. (third Vol.) 4. Sie fuhrt den Titel „Obseryations on the de-
seriptioD of the theatre of Saguntum as given byEmanuelAntonio
Felix Zoodadario. By the right hon. William Conyngham*'.
Die ersten sechs unter den mitgetheilten Inschriften sind von Perez
Bajrer abgeschrieben.
2. Alex. Comte de Laborde, Voyage pittoresque en
Espagne. 1806; auch hier mehrere der Inschriften» welche in dem
zaror angegebenen Werke mitgetheilt sind, und Ton dem Stadthause
laMarviedro herrühren. Labor de bemerkt daiu: „II faudrait se
laisser entratner ä beaucoup de conjectures pour essayer d'en donner
une explicatioa**.
3. Villanueya, Viaje literario. Vol. 20.
4. Memorias de la real Academia de la Historia. Tom. VIII.
Madrid 1852 und swar ein Aufsatz unter folgendem Titel : ^Inscrip-
eiones y antigii€dades del reino de Valencia: recogidas y ordenadas
p<Mr D. Antonio Valcareel Pio de Saboya (Lumiares) e
ilostradas por D. Antonio Delgado**.
5. E. Hfibner, Inscriptiones Hispaniae Latinae. Berol. 1870.
Was sonst noch an Aufsätzen benutzt wurde; ist an geeigneter
Stelle angegeben.
a) Inschriften in iberischer Sprache und in iberi-
scher Schrift.
a. Fundort Tarragona.
1.
IRMI
^OMO
La bor de, Voyage pittoresque. Tom. I. P. I. pl. 88. n. 12. —
Villanoeya, Viaje literano Tom. XX. p. 98. n. 1. — Boudard,
Nomisihatique p. 18S, wo die zweite Zeile l=OMO gelesen wird.
Durch Villanueva (IJOMO) wird der erste Buchstabe als ein E
siehergestellt
2.
tM, M, ui. Y. K H, U.
Hüb n er, Hermes Bd. 1. S. 89: einzelne Buchstaben auf der
ioneren Seite der südwestliehen Stadtmauern von Tarragona.
192
Phillip«
3.
FVLVIA LINTEARIA
Laborde, a. a. 0. n. 30. — VillanueTa, p. 98. n. 2. —
Hub n er, loscript Hisp. d. 4318. a. Bei dem Ersteren fehlt in der
zweiten Zeile der erste auf den Punkt folgende Buchstabe ^; bei
Villanueva bat der drittletzte Buchstabe eben dieser Zeile die
Gestalt 6- Diese Inschrift befand sich früher im Garten der Kapuziner»
kam nach Madrid und scheint abhanden gekommen zu sein: der
Name der Kahnschifferin Fulvia, steckt nicht in den iberischen
Worten und bietet somit keinen Schlüssel ; es wäre interessant ge-
wesen zu wissen, wie man etwa im Iberischen das lateinische F aus-
gedrückt hätte. In dem Stadtnamen Labitolosa =« FlaWtolosa ist es
fortgeworfen. (Vgl. Hübner, a. a. 0. p. 408.) Wegen der ersten
Zeile s. unten n. £•
4.
«EIC EST SIT//////
^^fe///t><
4>A^I^AI///////
Laborde, a. a. 0. n. 2S. — Vilianueva, a. a. 0. n. 3. —
Hüb n er, a. a. 0. n. 4424a. — Bei Villanueva werden die in der
zweiten Zeile auf die Lficke folgenden Buchstaben also angegeben :
D^NXC 'rfKAA
/VHV\H:HV<
|!/{^AAA<:
Lumiares, p. SS.
n. 120.
ß. Fundort Murviedro.
S.
DOVXC.Na
NNt!N:NV
MSAAN
Laborde, Tom. I. P. II.
pl. 143. n. 10.
>OVX(:SI««(Ah
|!/eAAN:l
Transactions»
p. 46. n. 11.
über diB iberitcke AIpbabet. 1 93
Diese Inschrift wurde in der Hauer der Citadelle, rechts unter*
halb des Tburmes des Hercules gefunden. In ihr» wie in den beiden
Torigen kehrt das Wort ^OI?X< » DOI^XC wieder; sollte dasselbe
eifle^sepolcrale Beziehnung haben? Siehe auch die HQnzlegenden
n. 267. u. ff.
#
6.
//////ts^A^A
Lumiares, p. KS. tab. 11. d. 107.
7.
AI^AV
AI
Lumiares, p. S8. tab. 13. n.. 121.
8.
H:A'VXV'>X >1^^XA>X
M.><Vr«XAHX MMVNXAX
Y /V'rYMl \f/Vhi/if<r
Traosactions, p. 4S. u. 9. Lumiares, a. a. 0. n. 117.
Diese Inschrift befiand sich damals, als sie, wie die fibrigen,
welche die Traosactions aus Murniedro bringen, Ton Perez Bayer
abgezeichnet wurde , an dem Hause der Witwe Michaele Serben in
der Calle r^al in der N£he des Gartens Armengol.
9.
Ms^^lsP'H'l^ h'W^H^H'H r^ls^^k^YH
IA<P'H'r*»! lAOH'HXIs IA<^Mr)fls
Traosactions, p. 4K. Transactions, Lumiares, p. 68.
n. 8. p. 4S. Q. 12. n. 118.
Von neuerer Hand ist dem zweiten Exemplar der Inschrift bei-
f^efogt: „Ano40K des pues de Roma ySOO anos antes deCristo". Das
erste Exemplar befindet sich in der Calle Ramos am Hause des
Sitib. i. pbil.-ki«t. Cl. LXV. Bd. II. Hft. 16
194
Pb i U i p t
Michael Cambra und davon ist auch die Zeichnung bei Lumiares
entnommen; das zweite hingegen in der Mauer des Eremitenklosters
vom Blute Christi. Ist nun eine dieser beiden Inschriften der andern
nachgebildet oder drückt jede selbststandig den nSmlichen Gedanken
aus?
10,
Laborde.
iN>MVA^T>M^
Transactions, p. 45. Lumiares, p. SS.
n. 7. tab. 73. n. 119.
Die Inschrift befindet sich auf einem Pfeiler im Kloster der
beschuhten Trinitarier.
11.
V/VAAAL:
Transactions, p. 45. n. 10.
7. Fundort Alcala de Chisnert.
12.
riVOSA^OM"!^
Lumiares, p. 10. tab. 1. n. 12.; der unmittelbare Fundort
heisst Corral del Royo. Lumiares macht den Versuch die Inschrift
durch NIXO SAGO MINI wiederzugeben; der dritte Buchstabe ist
wahrscheinlich ein U, der siebente aber gewiss kein G, er konnte
B auch R sein.
13.
OAVVX
Lumiares, p. 10. n. 13.
14.
IA>»ZIM>I
Transactions, p. 44. n. 6.
Lumiares, p. 10. n. 15.
über dM ibftriache Alphiibet. 195
Diese Inschrift wurde zu Polpis auf dem Gute des Joseph
YmcentPuig gefunden. Luniiares will sie erklfiren durch ILDOK-
COMNL ILDOOOOMNI oder ILDOGAOMI; die sich streng an
die Form der Buchstaben des ersten Exemplars anschliessende
Lesung wftre ILROGURi* die des zweiten ILDOQMEI. dem nach
Analogie von n. 16 noch ein N beizufügen wäre.
i. Fundort Iglesuela.
18.
riAAftAlJMl5|M rMAAÄAfcMWM
Transactions, p. 44. n. 4. Velasquez, Ensayo p. 127.
In der Eremitage unserer Frau vom Cid, im Bezirke Ton Iglesuela»
am linken Flügel der Thüre eines an die Kirche anstossenden
fiebaudes, welches den Namen la Tenada führt.
16.
>///////////////oYr
Transactions, p. 44. n. 2.
17.
^ /////// m////
Transactions, p. 44. n. S.
€. Fundort Cazlona.
18.
Velasquez, Ensayo p. 123. — Mommsen, Repostigli sco-
perti nella Spagna (Annali dell* istituto di corrispondenza archeo*
logica. Tom. XXXV. p. 12). Diese Inschrift befindet sich auf einem
silbernen Gefasse, welches im Jahre 1618 zu Torres, einem in der
Xähe von Cazlona (Castulo) gelegenen Gute des Marquis von Cama-
rosa gefunden wurde. Das Geföss, welches 12 Unzen wog und
24 Unzen Wasser fasste , hat nach einer Abbildung bei Velasquez
196 phiiiipt
die Gestalt eines zur Hälfte durchschnittenen Eies oder einer Ulysses-
kappe und läuft bei einer Hohe von 0*105 und einem Diameter voa
0'137 Meter in eine Spitse aus. Das Geffiss ist von Aussete ganz,
glatt» innen hat es zu oberst einen schmalen Reif» der mit kleinen
Halbmonden geziert ist; die Inschrift befindet sich auf der Aussen*
Seite nicht fern vom Rande und scheint aus zwei Worten, Yielleicht
einem Spruche zu bestehen. Die erste Nachricht von diesem mit
MQnzen angefüllten Gefasse gab der Marquis de la Aula; es gelang
demselben aber nicht die iberischen Buchstaben richtig zu erklären ;
eben so wenig ist dies von Velasquez geschehen; in lateinischen
Lettern wiedergegeben lautet die Inschrift :
Änenik zoreoen
19.
«XeZKOK
Transactions, p. 43. n. 1. Auch diese Inschrift gehört nach
Cazlona, dem alten Castulo» der Heimath» wie geglaubt wird» der
Himilka» derGemalinHannibals(?). Der Stein» auf welchem die Inschrift
sich befand» soll nebst anderen solchen Blocken» die ebenfalls mit
Inschriften versehen waren» zum Mühlstein für eine Mühle am Flusse
Guadelimar verwendet worden sein.
Da einige Buchstaben in dieser Inschrift zweifelhaft sind» so
kann eine Entzifferung derselben nur sehr mangelhaft ausfallen : als
Versuch diene :
oeoi
cakhmiorturio
auesisok
kacizuaruiec
euetus
aneo
über dM ib«ritcbe Alphabet.
197
{;. Fundort Alvala del Rio.
20.
Transactions. p. 44. n. 3. Der Stein, welcher diese im
Jahre 1782 von Perez Bayer sorgfaltig abgeschriebene Inschrift
trägt, befand sich am genannten unfern von Sevilla gelegenen Orte,
am Hao.se des D. Mathias Felix Perega. Wir wurden die Inschrift
freilich mit manchem Zweifel lesen :
Mauarahoanfiheaanersaeoapaiconoairaealamoqana
Hlbarebqerd ra.
198
P b il n pt
b) Griechische Inschrift mit iberischen Buchstaben.
21.
Boudard, Numismatique. p. 184. Diese Steininschrift soll
sich zu Tarragona in der Collect. Hernandez befinden. Die Buch-
staben sind echt iberisch; welches Kallipolis und welcher Polemon
damit gemeint ist» wissen wir nicht anzugeben. Avienus (Ora
marit. 514) erwähnt allerdings einer Stadt jenes Namens in der
Nähe Yon Tarragona. An den pontischen König Polemon, der zur
Zeit yon Christi Geburt starb oder an seinen Enkel Polemon (38 bis
63 n. Chr.) ist wohl nicht zu denken •).
c^Muth masslich iberische Inschriften mit lateinischen
Buchstaben.
Hühner theilt in seinen Inscriptiones HispaniaeLatinae mehrere
derartige Inschriften mit und zwar unter n, 416. 738. 739. 2S65.
3294. 3302. Sie sind folgende :
22. (1)
RFKET
TROSCRP
SFRNT.
VEAMNIGRI
DOENTI
.ANC . OM
LAMATieiM
CR0VGEAIMA6A
REAI6 . PETRNI.rr
ADOM . P.ReMI.VEA
caEdbrig.i.
RVFINVS EST
TIRO SCRIP
SERVNT
VIAE . AMICO . RI
DOENTI
ANCO . M
C.R..V.C.EAIMAG
REAICO .1. PETRA VIO . LI
ADOM. PORCOMIO. V. EA. I
CALELOBRICO. I.
■) V(l. MoBiii*eB, • t. O. S. 711.
über dM iberiaehe Alphibet 1 99
23. (2)
ABATVS
scRirsi
CARLAE PRAISOM
SECIAS • ERBA MVITIE
AS • ARIMO > PRAESO
NEO • SINGEIEIO
VN . INDI . y EDAGA
ROM. TEVCAE • IIP
VDE /EC RVRSEI ICO
AMPILVA
INDI
24. (3)
LOEMINA . INDI . ENV
PETANIM. INDI • AR
IMOM • SINTAMO
M. INDI. TEVCOM
SINTAMO.
25. (4)
CROVGIN
TOVDA
DI60E
RVFONIA
SEVER
26. (8)
P. CORNIILIVS . P. L
OIPHILVS
CASTLOSAIC
27. (6)
M . FOLVI. 6AR0S
\.VNINAVNINVE
SAG . MARC . LA . L
VNININIT
SIEROVCIV
200 Phillips
In der ersten und vierten erregt das öfters vorkommende -ov-
als eine mehr keltische denn iberische Vocalgruppe ^) Bedenken , in
der ersten um so mehr » als am Schlüsse ein entschieden keltischer
Name sich findet. Wir müssen uns die Erörteriing dieser Inschriften
für eine andere Gelegenheit vorbehalten und beschranken uns auf
ein Paar Bemerkungen über die fünfte und sechste derselben. Dort
findet sich der Name Casilosaic^ der sicher unromisch ist und wohl
auf die Stadt Castulo Bezug hat •). In der sechsten Inschrift (n. 27)
trist man (Zeile S) einen Namen Sier^ov^civ, in welchem wieder
das av hervortritt; dagegen hat die zweite und vierte Zeile mehr
einen iberischen Charakter. Es ist diese Inschrift schon anderweitig
besprochen worden«); mit ihr ist eine andere (Hüb ner, a.a.O.
n. 33S2) zu vergleichen:
M. PVBLICIVS. STEPHAnus
PVBLICIA . L. ARBySCula
FABIA.L.L.VNINIta
Wenn man die zweite Zeile der iberischen Inschrift n. 5 be-
trachtet, so hat diese in der äusseren Erscheinung einige Ähnlich-
keit mit dem lat. VNINAYNIN; freilich lautet das Iberische anders»
nämlich INEIN:NE. aber ein des Iberischen Unkundiger konnte
leicht aus N und V ein V machen. Ein ähnlich lautendes Wort
findet sich im Ponulus des Plautus, worauf wir jedoch keinen weitern
Werth legen» sondern eben blos die Zufälligkeit anfuhren wollen.
Es Jieisst daselbst Act. V. Sc. 1. v. 10: ynnynnu^ was die Bedeutung
ecce hunc hat «o).
VI.
Die verschiedenen Formen der iberischen Bachstaben.
Das iberische Alphabet hat eine grosse Mannigfaltigkeit Ton
Formen für seine einzelnen Buchstaben, für manche, namentlich
A, E und 0 mehr als zwanzig. Das Verfahren Boudards, um alle
diese Verschiedenheiten zu erkennen und sicher zu stellen , war ein
7) S. oben S. 21.
^) Yfl. Castlosoced in Leg. IS.
*) Becker, a. a. 0. S. 213.
^®) Getenina, Script, linguaeque plioen. monum. p. 869. 437. — Vgl. aneb
SekrAder, die phönitiache Sprache. S. 290. 314.
über dM iberitehe AIpbibet. 2(M
sehrfflfiheToUes; es wurde hauptsächlich dadurch erleichtert dass
es so yiele verschiedene MGnzlegenden für einen und denselben
Namen gab. Aus diesem Grunde sind auch in die vorstehende Über-
sieht des Materials alle solche Verschiedenheiten aufgenommen
worden. Jene Mannigfaltigkeit der Formen hat aber wiederum eine
besondere Schwierigkeit in ihrem Gefolge. Es kommt nimlich öfters
vor, dass eine Form des einen Buchstabens sich von dessen als normal
aosQsehender Gestalt so weit entfernt» dass sie sich mit der eines
andern, wo das Nämliche stattfindet» begegnet und ihr sum Ver^
wechseln ähnlieh sieht«); z. B. A und L in Leg. 71 und 178» B und
R in Leg. 83 und 288» L und P in Leg. 136 und 160» P und R in
Leg.. 20 und 22. Im Allgemeinen hat sich indessen doch die Unter-
scheidung in derartigen Fällen durchfuhren lassen» während jedoch
andererseits manche einzelne Buchstaben, z. B. in der Leg. 121 und
in mehreren Inschriften sich nicht zur Genüge haben entziffern lassen.
Unter den verschiedenen Formen der nämlichen Buchstaben» welche
wir ntinmehr folgen lassen » haben wohl im Allgemeinen die gerad-
linigen den Anspruch f&r älter als die abgerundeten zu gelten *).
Für diesen Vocal lassen sich nicht weniger als sechs und zwanzig
Terschiedene Formen angeben. Boudard verzeichnet in seinem
Alphabete deren achtzehn, doch will eine derselben A sich als A
nicht wiederfinden lassen >); Saulcy gibt dieselbe als eine Form
filr D und R an ^). Im Einzelnen kommen folgende Formen vor :
1. A
8. A
18. A
22. 0
2. A
9. Ak
16. ^
23. n
3. A
10. A
17. A
24. n
4. A
11. A
18. A
25. n
8. A
12. A>
19. (\
26. R
6. A
13. A
20. H
7. A
14. A
21. N
') Vgl. damit 8ekröder,die phöniEische Sprache. 8. 7S.
*) Vgl. Getenins, Monum. p. ZO, S. tuch Schrdder, «. a. O. S. 77.
*) Boadard, Nmnismatiqae pl. IX.
^) la lauterer Bedeutung findet es eich allerdings in Leg. 23, aber unter lauter
griachiaeken Buckstaben.
202 Phillips
Diese mannigfaltigen Formen für den Buchstaben A lassen sich,
abgesehen davon, je nachdem sie geradlinig oder abgerundet sind,
nach verschiedenen Gesichtspunkten gruppiren. Ein unterscheidendes
Merkmal bietet der Umstand , ob die beiden Schenke) mit einander
durch eine Linie verbunden sind oder nicht; dieser Querstrich findet
sich nicht immer in gleicher Höhe. Bisweilen treten an die Stelle des
Querstrichs zwei kleinere im rechten Winkel mit einander verbundene
Linien, bald oben bald unten. Ist der Querstrich ganz an der Basis
angebracht, so entstehen die verschiedenen Deltaformen des A.
Häufig ist gar kein solcher Querstrich da, wodurch sich die Lambda-
formen bilden ; bisweilen geht an dem einen Schenkel eine mit der
andern parallel laufende Linie aus, entweder rechts oder links, die
bald die Basis erreicht, bald nicht; in zwei Fällen der Art (n. 9
und 12) erhalt das A durch Verkürzung des einen Schenkels fast
die Gestalt eines lateinischen F oder T
B.
1. > 3. y 8. 7 7. D
2. ^ 4. V 6. ^
Die Form B kommt auch in einigen Legenden vor, doch nur in
ibero - latinischen (Leg. 4. 6. 43). Velasquez gibt noch in
seinem Alphabete ^ als eine turdetanische Form an; Gesenius
kennt gar keine iberische Form für dasselbe.
O.
1. <
5. C
9. <c
13. C
2. <
6. 1-
10. «
U. C
3. <
7. <
11. <
IK. >
4. >
8. t
12. C
Von sehr eckigen Formen anfangend, hat das iberische Alphabet
endlich auch das Clunatum in sich aufgenommen. Drei dieser Formen
und zwar die unter n. 7 — 9 angegebenen machen eine eingehendere
Erörterung und zwar im Gegensatze zu Boudards Numismatique
nothweiidig. Der genannte Schriftsteller hat die Ansicht aufgestellt»
über da« iberische Alphabet. 203
i und jene beiden anderen Formen bezeichneten einen beson-
deren Buchstaben , dem er die Bedeutaug von Co gibt^); erstellt
daher jene Zeichen in die Reihe seiner Lettres ä son miste. Man
sieht in der That nicht ein, wie der gelehrte und scharfsinnige
Boudard auf diesen Gedanken hat kommen und dadurch mit sich
selbst in Widerspruch treten können. In seinem früheren Werke •)
hat er die Meinung yertreten , dass das Suffix it^ mit <f^ als <lt^
(spr. ib'it) zu gelten habe und übereinstimmend damit erklärt er auch
das Suffix ZH' für qiiz, oder wie er es schreibt khitz ''). Jenes Suffix
-iiR findet man selbst in der latinisirten Legende Obulcin. Die
beiden Suffixe -<f^ und -<f^ wechseln ganz regelmSssig mit einander
ab 8) und consequenter Weise müssen sie auch gleichbedeutend
genommen werden. Da nun Boudard sie auch wirklich als gleich-
bedeutend auffasst*) und räthselhafter Weise sich ein oe auch
zwischen XM eingeschaltet denkt ^^) , (während er, wie so eben
bemerkt, ZH' durch khitz erklärt, so müsste darnach auch < eben
so gut für CO gelten als i und es fällt jeder Grund zu der Annahme
hinweg, durch den Doppelstrich in i komme das o hinzu. Es wird
Boudards Vorstellung von diesem -oe um so unwahrsobeinlicher,
als es nicht üblich ist, dass die zu supplirenden Vocale einmal
nach und das anderemal vor dem Vocal zu setzen sind, wie dies
der Fall sein würde, wenn it^ als co^n gelesen werden müsste.
Boudard fühlt offenbar selbst, dass er diese Meinung nicht halten
kann und hat daher an anderen Stellen seiner Numismatique wiederum
eingelenkt und gesteht — ohne es ausdrücklich zu sagen — dass er
sich hierin geirrt habe^^). Es versteht sich von selbst, dass, wenn
inr diesen Irrthum releviren zu müssen glaubten, wir dadurch
Boudards Verdienste durchaus nicht schmälern wollten. Für
die Folge aber werden wir das Zeichen < nebst den beiden
anderen ihm analogen nicht mehr für einen besonderen Buchstaben
^) Nsmismatiqve. p. 50.
*) &o4e9 «ur l*Alphabet IberieD. pl. VI. N. 42 bis. n. 18—22.
"*) Früher (iiuäea. a. a. O. n. 16. 17.) beseichnet er dieses Suffix «Is (kjitch.
') V^l. Leg. 79. u. 80. 98. u. 99.
*) KomisiMlique. p. 55. 188. 177.
**) Homismatique. p. 191.
'<) Nomiemtiqae. p. 188.
204 Pbiiiip«
gelten lassen, sondern dasselbe einfach als eine Nebenform unter
die Rubrik des C stellen, wodurch also das Boudard*sche Alphabet
zunächst um diesen Buchstaben ärmer wird.
i. < 3. 4 K. a
2. A 4. 1
Der Buchstabe D ist in den vorhandenen Quellen überhaupt
nicht häufig und kommt in denselben im Anlaute niemals vor.
E.
1. 1
6. k
11. F
16. i
21. *
2. ¥
7. \f
12. |!
17. *
22. *
3. ¥
8. K
13. C
18. t
23. t
4. ^
9. K. ^
14. E
19. f
24. *
5. K
10. V
IK. E
20. =
28. t
In Boudard*s alphabetischer Übersicht fehlt mehr als die
Hälfte dieser Formen. Auffallend ist hier der Gegensatz zwischen
Munzlegenden und Inschriften, indem die Form V nur in diesen vor-
kommt. In der sehr eigenthömlichen, dem griechischen H nahe vor-
kommenden Form = fehlt der senkrechte Verbindungsstrich.
P.
Dieser Buchstabe fehlt gänzlich; s. oben S. 19 u. 28.
a.
Für G gibtBoudard zwei Formen an; nämlich:
<;und{
Es scheint hier jedoch ein Irrthum zu Grunde zu liegen, und
vielmehr anzunehmen zu sein, dass dieser Buchstabe der iberisclien
Sprache ebenfalls unbekannt war. Die Beispiele, welche Boudard für
die Existenz des C anführt, sind Leg. 227, 228, 306 und 307, während
derselbe Autor in seinen l^tudes die Existenz eines iberischen Cr
über da« iberische Alphabet. 205
gändich in Abrede gestellt hattet*). Zunächst waltet einmal ein
folgereicher Druckfehler in der bei Boudard gegebenen Zusammen-
stellung der iberischen Namen i») ob. Es heisst hier auf der vierten
Tafel unter n. 66:
Ua nun diese Bemerkung auf die verschiedenen Formen, in
welchen SEOIS und SEOISKN zu den Leg. 277, 278 geschrieben
wird, folgt, so muss es in jener Gleichung statt G offenbar S heissen
und man wird sich in der That leicht fiberzeugen , dass gerade der
Buchstabe S in der ersten und dritten jener Formen vorkommt;
das mittlere jener beiden Zeichen i$t aber in der Legende etwas
anders gestaltet: 5 (vgl. Leg. 121), ist aber doch jedenfalls ein S
und kein G; hierauf lasst dann Boudard unter n. 78 und 79 mit
dem einmal gewonnenen (7 den Namen OOGV folgen <«); dieser muss
aber OOSV heissen, wie man sich auch leicht durch den Anblick
der Munzlegenden 227 und 228 überzeugen kann <>). Ausserdem
kommt allerdings auf dem Revers einer Münze von Obulco das Wort
NIG vor; auch findet sich das 6 in mehreren iberischen Städtenamen,
wie sie uns von den Römern überliefert worden sind, wie Ipagro^
Igabrot Lasiigi und Andere. Indessen, wenn Boudard jenes NIG
mitLorichs durch Niger odev Ntgranus erklärt <•), so wird es
dadurch gänzlich aus dem Bereiche der iberischen Sprache heraus-
gezogen. Wenn also dies Nig zu Gunsten eines iberischen G ver-
werthet werden soll, so müsste man wohl annehmen, dass es von der
Rechten zur Linken zu lesen sei. In diesem Falle konnte es der auf
dem Avers befindlichen Inschrift OBVLCIN (Leg. 43 ) und somit dem
bereits mehrfach erwähnten iberischen Suflfix <f^ entsprechen; dem
steht nicht entgegen, dass hier nur ein C angetroffen wird, da
bekanntlich die Consonantenverdoppelung auf den altern Münzen
gern vermieden wird. Unter dieser Voraussetzung wurde man
jenes ff, da es sonst nirgends im Iberischen angetroffen wird, einem
i«> Stallet, f. 28: On 0*7 trouTe poiot de P, de V, de 6, ni de X. V^l. PI. IX.
<*> IfamiMBaiiqve. PI. IV.
'^> Tpl. aach IViiailaiDatique. p. 41.
>»> YgU Leff. 92. 98. 96.
**) 2fami«aatiqae. p. 28.
206 Phillips
romanisirenden Einflüsse zuzuschreiben sein, wie dasselbe auch ron
den oben erwähten Stadtenamen gilt i^). Schh'esslich muss aber auch
noch mit ein Paar Worten der oben erwähnten Leg. 306 und 307
gedacht werden; diese lauten: ZLI und ZL. oder SLI und SL. und
sind wohl Zili oder Sili zu lesen. Dies gibt Boudard zu,
nimmt aber mit Saulcy an, dass diesem Zili ein lateinisches 61LI
auf einer Mönze entispreche i«), die er aber leider nicht mittheilt.
Allein schon Sa ulcy erklarte <•), dieses G dürfe nicht lateinisch aus-
gesprochen werden, sondern „wie ein arabisches djim^^ Dann
scheidet aber dieses vermeintliche G wenigstens aus der Classe der
Gutturalen aus und dürfte nach Obigem überhaupt dem iberischen
Alphabet entfallen, welches wir demnach abermals um einen Buch-
staben verkürzen.
H.
Dieser Buchstabe kommt in den Münzlegenden nur in den beiden
Formen
H (Leg. 134 u. ff.) und
M(Leg. 142, 151)
vor.
Ob auch das H der Inschrift 20 und nach Analogie griechischer
Monumente das B der Inschrift 19 hieher zu zahlen seien, lassen wir
einstweilen unentschieden.
I.
1. 1
3. r
8. H
7. f^
2. l
4. 1«
6. IH
8. /*
1. K 2. K 3. K 4. K (S. X)
^7j Bei dieser Gelep cDheit mö^e noch bemerkt werden, dass des Zeichen, welcbea in
einzelnen Isteinischen Inschriften den conventus juridicus ausdrucken soll (^), bei
Hühner in seinem Aufsatse aber Tarrap ona auch eine auifallende Ähnlichkeit mit
einem G hat. In seinen Inscript. Hispan. Latin, ist die Gestalt eine eturas andere,
M in n. 4200 ; V in n. 4236 und V in n. 4252.
)8) Nuroismatique. PI. V. litt. Z. PI. IX. n. 97. und p. 296.
<•) Essai p. 23.
über das iberische Alphnbet. 20T
L.
1. h 2. A 3. L
Iff.
1. Ä
4. M
7. /H
2. M
5. M
8. M
3. M
6. n
Boudard nimmt das zuletzt erwähnte Zeichen für eine
Zasammensetzung aus > Cr) und A (d)^^)l indessen in den Munz-
legenden, in welchen diese beiden Buchstaben zusammentreffen
(Leg. 254 u. ff.), sind sie niemals in dieser Weise in Eines zusammen-
gezogen, was erkennen zu geben scheint, dass ein dazwischen
lautender Vocal dies auch für die Schrift verhinderte.
N.
1. Y*
3. y\
K. k
7. H
2. H
4. VI
6. r
8. N
Bei der vierten Form könnte man wohl an ein if denken, dessen
Anfang nicht mehr zu erkennen ist.
o.
Dieser Buchstabe übertrifft an Zahl der Formen selbst das A\
die einzelnen derselben gruppiren sich, je nachdem sie geradlinig
und zwar meistens viereckig oder rund sind und die ersteren dar-
nach, je nachdem sie auf ihrer Spitze oder ihrer Grundlinie stehen,
die Einen wie die Andern auch noch darnach, je nachdem ihr eigent-
licher Körper in einer gewissen Entfernung über der Basis steht und
mit dieser durch einen besonderen Strich verbunden ist.
^) S. oBtes bei 4en Gutturalen.
208
Phillip«
1. D
8. ♦
IK. ^
22. 0
29. 9
2. a
9. A
16. ^
23. 0
30. 9
3. 0
10. St
17. B
24. e
3i. 9
4. ♦
11. ^
18. DD
ZU. (D
32. «
«. ♦
12. ft
19. ^
26. e
33. n
6. ^
13. ^
20. O
27. 9
34. Ä
7. ♦
14. ^
21. 0
28. fi
35. V
1. p
2. P
P.
3. P
4. P
5. r
6. P
B.
1. ►
s. ►
9. P
13. fl
2. A
6. r
10. p
14. n
3. ^
7. p
11. D
IS. P
4. r
8. p
12. i\
1. 1
2. I
S.
3. r
8. h
7. S
9. S
4. h.-V
6. ^
8. S
10, f
1. T
2. T
T.
3. «t
4. ^
1. H
2. P
ü.
3. U
4. V
S. Y
Y.
1. Y
2. r
3. y?
Ober du OteriMh* Alphabet. 209
z.
i. X 3.x K. ^^
2. Z 4. ^ 6. J
Ho.
Boa dar d nimmt einen Buchstaben Ho an, fOr welchen er die
Oformen 9 — 12 und 34 yindicirt; in seinem früheren Werke hatte
er diese Unterscheidung nicht gezogen ; es ist auch in der That nicht
abzusehen, woher die Aspirata kommen sollte <<). Eher liesse es sich
noch hören, dass der Buchstabe etwa dem griechischen Q entspreche
oad es liessen sich dafür als Gegensatz die Oformen 4 und 22 in so
fem herbeiziehen, als in ihnen das 0 wirklich als ein o /lexpöv er-
selieint Allein etwas Bestimmtes lasst sich darüber nicht aufstellen.
Gh.
1. X 2. X
Eh.
1. Z 2. X 3. X 4. X
Tk.
1. H*
4. ¥
7. «P
2. T
K. ui
8. y»
3. Y
6. Y
Was endlich die yerbundenen Buchstaben bei Boudard anbe-
triflfl, so ist Ton zweien derselben Co und Bd bereits oben die Bede
gewesen; fi, t^ und W^ sind als Dn, Ne und Sae leicht ericenn-
bar, )^t als Knt nicht jKpi/, wie Boudard angibt. H für ke zu
lialten, scheint kein Grund vorhanden und f^ sieht nicht darnach
aas, um flir Ne » sondern vielmehr f&r Nt angesehen zu werden ; es
*i) HidMteBs lieue rieh du bei Lit. ZXVin. 13. erwShnte Honost, dem die Leg. 224
esteprecliaii wftrde, defBr engebeB. Vgl. Boudird, Nuaisia. p. 261.
SiUb. d. pbil.-bi«t. Cl. LXV. Rd. II. Hfl. 16
210 Phillips
ist uns nicht begegnet. Es sind jedoch noch einige andere beiza-
fQgen. M (Leg. 137) scheint me oder em sein zu sollen; M
(Leg. 144) ist vermuthlich Jama zu lesen und <^ (Leg. 169) ist aller
Wahrscheinlichkeit nach <K; ferner ist, wenn auch nicht sehr deut-
lich, r'Q (Leg. 207) för KMHK zu halten und A (Leg. 270) AX.
Diese verbundenen Buchstaben haben für die Bestimmung des
Alphabetes keinen besonderen Werth und sind hier auch blos der
Vollständigkeit wegen berücksichtigt worden.
Als Resultat der bisherigen Zusammenstellung ergibt sich nun-
mehr, dass das Boudard*sche Alphabet, welches mit Inbegriff der
von ihm Co und Ho genannten Buchstaben aus fünf und zwanzig
Buchstaben besteht, auf ein und zwanzig reducirt werden muss,
nämlich :
1. < und i sind 6m Buchstabe.
2. G entfSllt gSnzlich.
3. H und Y sind mit grosster Wahrscheinlichkeit für änen
Buchstaben zu halten.
^ 4. A lasst sich wenigstens nicht mit Gewissheit von 0 trennen.
8. )( ist kein selbstständiger Buchstabe.
Mit einstweiliger Beibehaltung der von Boudard gewählten
Reihenfolge, würde das Alphabet also zu stehen kommen :
A, >. <, <, K H, r. K. K M. N, O, P, X, K 4, [1].
T. H. Z, 4*.
vn.
Vergleich des iberischen mit anderen Alphabetem.
Es sind bisher nur die Formen der iberischen Buchstaben unter
einander verglichen worden ; es ist jedoch nicht unwichtig, den Ver-
gleich auch auf andere Alphabete auszudehnen und damit die Frage
zu verbinden, woher denn die Iberer das Ihrige erhalten haben. I>as
Nationalgefühl gelehrter Basken hat sich darin Wohlgefallen, den
Iberern als ihren Vorfahren, ein ihnen selbst ureigenes, von nirgend-
über daa ibertoche Alphabet. 211
her erborgtes Alphabet zuzusehreiben i). Dem gegenöber steht eine
andere kühne Behauptung, dass das iberische Alphabet aus dem
«hodinaTischenRunenalphabet herzuleiten sei*); diejenigen, welche
den Iberern ältere Wohnsitze in den Polarländern anweisen *), werden
begreiflicher Weise gern geneigt sein, dies anzunehmen. Allerdings
finden sich einige Runen Tor, welche mit iberischen Schriftzeichen
«ine gewisse Ähnlichkeit haben , aber wo eine solche vorhanden ist,
haben diese doch meistens eine andere Bedeutung als jene «).
Von diesen Erscheinungen nehmen wir Umgang und gehen auch
jeder Versuchung aus dem Wege, von einem gemeinsamen Ur-Alphabet
aller Volker zu sprechen, fQr welches neuerdings eine nicht sehr
glQckiiche Erklärung in dem Tättowiren gesucht worden ist»),
sondern halten uns vielmehr an die positiven Resultate der Wissen*
^ehafl, um von diesen auf das iberische Alphabet Anwendung zu
macben. Es gilt nunmehr fQr eine ausgemachte Thatsache, dass die
5ammtliehen griechischen und italischen Alphabete, die letzteren nur
mittelbar, aus dem Phonizischen entnommen sind <). Beröcksiehtigt
man nun die ethnographischen Verhältnisse der pyrenäischen Halb-
insel, die auf einander folgenden Colonisationen der Phönizier
imd der Griechen, so wie die Eroberungen seitens der Karthager
and der Romer, so ist es naheliegend, dass phönizische und
ponisebe, griechische und römische Einflüsse sich wie im ganzen
Leben der bisherigen Bewohner Hispaniens , so auch in Beziehung
auf Wort und Schrift geltend machen mussten. Schon eine bloss
oberflächliche Betrachtung der in den obigen Verzeichnissen mit-
getbeilten Schriftzeichen Iftsst deutlich griechischen und einen jüngeren
römiseben Einfluss in dieser Richtung erkennen; noch viel bedeu-
tender ist aber unstreitig phönizische Einwirkung gewesen, ja man
darf wohl behaupten, das phönizische Alphabet bilde die eigentliche
Grundlage des iberischen, auf welches dann in späterer Zeit das
') Erro, Alfabeto de U len|pia primiUm de Espan«. Madr. 1S06.
') Olans Wormaiaa, Dao. Liter, antiqua. Amst. 1036.
') Baadrimont, Histoire de« Basquea. S. 7. V^l. m. Abhanülaog' fiber die Einwan-
dcriui; der Iberer. S. 19.
^) UbereinstimiDend aind x. B. M« H und St'
*) Geiger, Über die Eotstebung^ der Schrift (Zeitächrift der deutechen morgen'
limdiselieii Geeellaehaft. Bd. 23. 8. 169. n. ff.)-
^ VgL Corsaeo, Alphabet bei Pauli, ReaieDcylclopodie. B. I. Abth. 2. 8 709.
16'
212 Phillip«
griechische und römische Einfluss gewonnen hat. Ofienbar hat dieser
sich auch darin gezeigt» dass* wie schon oben bemerkt wurde, bei
den Iberern die Schreibung Ton rechts nach links zu den seltenen
Ausnahmen gehört. Eine andere und zwar sehr auffallende Erschein
nung ist aber die aus der obigen Zusammenstellung her?orgehende
ausserordentliche Mannigfaltigkeit von verschiedenen Formen fQr ein»
zelne Buchstaben. Darf man daraus den. für die Ethnographie nicht
unwichtigen Schluss ziehen y dass bei den Iberern eine grosse Zer»
splitterung in einzelne Gentilitaten stattgefunden habe 7) ? Doch die
Untersuchung über ethnographische Verhältnisse behalten wir un»
fSr eine andere Gelegenheit ror, wahrend wir hier nur die rein
äusserliche Form der Buchstaben zu betrachten haben, was .aber
auch fQr die Feststellung von Bedeutung und Aussprache der ein-
zelnen Schriftzeichen von einigem Vortheil sein dflrfte. Die in dieser
Hinsicht zu ziehende Parallele soll sich jedoch nicht über das Gebiet
des phonizischen, der griechischen und italischen Alphabete hinaus-
erstrecken und ausserdem sollen nur noch die in neuerer Zeit voa
Mommsen ermittelten nordetruskischen Alphabete mit zu Rathe
gezogen werden. Als Hulfsmittel zu dieser Vergleichung dienen theil»
die Arbeiten von Gesenius*) und S c h r ö d e r •) für das phönizische »
vonFranz^o^ und Mo mm sen^i) für die griechischen, beziehungsweise
italischen und nordetruskischen Alphabete i*), für das lateinische ins-
besondere noch Corssen^s). Jedenfalls hat das iberische Alphabet
mehr von seinem Ursprünge bewahrt, als die übrigen und hat sicher
auch, wie in ältester Zeit das griechische, die vier Zischlaute des
phonizischen in sich aufgenommen, wenn sich freilich dort ebenfalls
die Neigung kund gibt, dieselben möglichst mit einander auszu-
gleichen. In der nachfolgenden Tabelle stellen wir das iberische
Alphabet in die Mitte zwischen das phönizische und jene übrigen ^
7) Vgl. Strabo, Geograph. Lib. UI. cap. 4, S. 8.
*) Scriptarae lingnaeqae Pboeniciae Monumeota. Lib. I. cap. 8. p. IS. 117.
*) Die pböniaiache Sprache. Tbf> A. aod B. 8. 78. u. ff.
^^) Elementa Epigraphices Graecae. Introd. UI. p. 17. sqq. P. I. g. 1. cap. 1. p.39. »qq »
^1) Die unteritalischen Dialekte. Taf. I. — Monataberichte der Akademie der Wissen—
Schäften xa Berlin. 1860. 8. 481.
^*) Die nordetruskischen Alphabete. (Mittheilnngen der antiquarischen Gesellschnf% ii^
Zfirieh. B. 7. 8. 197. o. ff. Taf. 111.)
^') Ober Aussprache, Yocalismus and Betonung der lateinischen Sprache. 2. Aull,
Leipzig. iSei. Bd. I. 8. 8.
über das iberische Alphabet. 2 1 S
auf diese Weise wird am leichtesten Ursprung und VerSnderang ein-
zelner Schriftzeiehen ersichtlich werden. Die Mannigfaltigkeit und
wenn man so sagen darf, dieQuasi-Originalitat der iberischen Schrift-
zeiehen ist aber so gross» dass verhältnissmässig nur ein sehr
gerii^er Theil derselben als völlig mit fremden Zeichen fiberein-
stimmend in diese Parallele hineinbezogen werden kann. Wir wieder-
holen nur noeh zu allem Überflusse» dass hier einstweilen nur
— _
auf die Übereinstimmung der äusseren Form Rücksicht genommen
wird. Die den phonizischen Buchstaben beigefügte Zahl ist diejenige«
«nter welcher Gesenius sie auff&hrt.
J14
Pb i il ip*
4
PMnisUch
Ibwriicb
Archaittiscbe Alph. Griechea-
landt a. lUlient.
■ordttniskiicli
Aleph
t
A
theriißcb, dor., ttt, Utein.
messap.
A
mMftftp«
A
eleiteh.
A
latein.
Schweiz
A
A
Ittein.
latein.
Tyrol. Steier-
mark
N
oskiacb
14
umbrisch
Beth
^
D
Gimel
V
<
corcyr.9 doriseb. Utein.
D"
C
>
oakiscb
latein.
t
c
eoreyr., dorisch, latein.,
fiüisk.
falisk., etrask.
»
Daleth
•
41
^8
<
<J8
a
A
faiiskiseh
tberftiscb u. s. w.
<
doriscb
•
He
^
^
F
dorisch
Todi, Scbweia
u. s. w.
über da« iberische Alpbabet.
215
PhSnisifch
DtariMh
Archa||Usche Alpb. Griecben-
landa ud ItaUens.
nordetmskiscb
He
E
aohfiiscb, der. u. s. w.
etruskisch, latein.
salaas.
%
1
latein.
Vn
7
r
X
z
1
latein. measap.
Chet
^
H
M
ther.y dor., att latein.,
messap.
mesaap., latein.
)^Stei«rm.
Verona
B?
ther** ionisch, eoreyr.,
dor., attisch u. s. w.
Este
Tet
ß)
fehlt
Mehrere der in ffriech., ital.
und nordetrusk. Sprach-
sweigen Torkommenden
Zeichen des Tet dienen im
Iberischen f&r das Q ; <ben
so die nordetruskiscben
Ztiehen <>, 9, ^ u»^ 0.
Jod
rH»
H*
A/«
/v
1
ionisch n. s. w., latein.
salass.u.s.w.
]1>i
U. 8. w.
Ktpb
K. K
ionisch, lat u. s. w.
Salass, Todi,
>|8
>|Qndfthnlieh
in anderen
Umed
ther., achlisch
•
1^10
h
/.»
A
eleiseh. mesaap.
216
Pbi II i p«
PhSnisUch
Iberiich
Ar^ftlfltifehe Alph. Griechen-
Und« oad Italiens.
nordetnukisch
Mem
V
»
»^11
Mete.
mit wenigen Modificationen
fibereinstimmend
y^ Scbweiz
Nun
1
mit wenigen Modifieationen
übereinstimmend
sal., Todi
Samech
*^
i
1
z
dor., arg., el., cfir., etrosk.,
nol.
der.
ion-y messap.
Ain
o, 0
0.0
corcyr., achfiiscb, messap.
saL, Todi,
Conegliano
0
doriscb, u. s. w. messap.
Schweia
♦
latein.
Este
Phe
n
P
P
ion. IL s. w. latein.» messap.
latein.
Zade
r
h
latein.
salass.
1^)9
h,^
dorisch, eleisch, nolan :
messap.
Conegliano
\
Koph
1^
z
Sebweim,
Tyrol
Resch
<1
t
ther., argiy., eleiscb
A
>
ther., corcyr.
achiisch
über da« iberueh« Alphabet.
217
Pbftaisbeb
Iberisch
Arehaiatiaebe AIpb. Griechen-
laoda and Italiena.
nordetmakiscb
Reseb
p
ioD., aohftiscb» att., cirit.
fl
messap., latein.
n
R
D
etnitk., Q nmbr ., oak.
Sehin
41
LJJ
Ul
dorisch Ar Xi, dann das
Zeichtn fi3r den Doppel-
consonanten izvi
e&rit.
Tan
f
T
Fast durehweg in allen
t
T
archaistischen Alphabeten
1
ü
Gemäss dieser Übersicht kann es keinem Zweifel unterliegen,
dass das iberische Alphabet ganz unmittelbar mit dem phonizischen
xosammenhängt» und dass die allerdings unverkennbare Über-
einstimmang mit griechischen und italischen Schriftzeichen einem
spätem Einflüsse zuzuschreiben ist. Ursprunglich hat das ibe-
ruehe Alphabet mit einziger Ausnahme des Tei • die übrigen
ein and zwanzig Zeichen des phonizischen gehabt. Hierbei ist
xweieriei auffallend» zunächst dieser Mangel des Tei, worin das
iberische AlpbabH mit dem lateinischen übereinstimmt» ohne dass
man berechtigt wSre» dies durch eine Einwirkung der lateini-
schen Sprache zu erklären; sodann der Umstand» dass die
meisten Zeichen, welche im Phonizischen und Griechischen für diese
A^irata, so wie hier fQr die andere, ^, gebraucht werden, im
Iberisehen fDr das O wiederkehren. Die Zahl der phonizischen Buch-
staben scheint dadurch hier wieder voll zu werden, indem das Laut-
218 Phillips
zeichen 9( hinzutritt, für welches sich unter jenen, der Form nach,
keine hinlänglich« Analogie bietet. Allein dieses Zeichen durfte kein
fbr sich bestehendes sein, sondern in eine andere Kategorie gehören»
wovon weiter unten noch die Rede sein wird. Es lässt sich somit
das iberische Alphabet in folgender Weise aufstellen :
A, >, <, <, N. H, Z. H, IM, K, K M, M. t O. P, h. X. K 4*, T.
VIIL
einzelnen Buchstaben des iberischen Alphabets.
Es ist eine sehr schwierige Aufgabe, die Bedeutung der ein-
zelnen Buchstaben einer todten Sprache zu bestimmen. Treten in
dieser Beziehung sogar beim Griechischen und Lateinischen grosse
Hindernisse entgegen, während doch die reichhaltige Literatur dieser
Sprachen ab und zu die verklungenen Laute verräth und, wenn auch
grosse Veränderungen eingetreten sind, die romanischen Sprachen hin
und wieder zu Hölfe kommen. Wie ganz anders steht aber die Sache
bei der Sprache der alten Iberer I Hier gibt es nur ein, Mfcnngleich
unzuTcrlässliches HQlfsmittel, welches die Namengebung in Sprachen
bietet, die selbst schon todt sind. Wir verweisen in dieser Hin-
sicht auf die obigen in Betreff dieses Punktes gemachten Bemer-
kungen«). Die Feststellung der Zusammengehörigkeit eines rein
erhaltenen und eines romanisirten oder gräcisirten iberischen Namens
ist ausserordentlich schwer zu ermitteln und ist nach dem gegen-
wärtigen Stande der Wissenschaft noch ron anderweitigen theils
linguistischen, theils ethnographischen Untersuchungen abhängig.
Noch ist nämlich die nothwendig scharfe Scheidung des keltischen
und des iberischen Elements in den althispanischen Namen nicht
vollzogen und es fehlt noch viel daran, dass jeder einzelnen Münz-
legende die richtige Heimath zugesichert wäre; gerade auf diesem
Gebiete muss heut zu Tage noch gar zu viel herumgerathen werden.
Jede, auch noch so plausibel erscheinende Erklärung aus dem
heutigen Baskischen weisen wir einstweilen prinzipiell zurück , weil
wir in solcher Beimischung leicht einen grossen Irrthum begehen
9 S. ob«n III.
über da« iberische Alphebet. 219
IdiuteD; wir wollen erst einmal das Iberische» so weit es möglich ist»,
Töllig rein darstellen ; bietet sich nachmals aus dem Baskischen eine
▼ahriiafte Bestfitigung, um so besser.
Eine andere Schwierigkeit in der Feststellung der iberischen
Namen liegt sodann noch in der rerschiedenen Weise » in welcher
dieselben geschrieben werden. Es herrscht in Beziehung auf die
Sehreibung der Vocale keine Gleichmässigkeit; bald wird ein Name
mit allen , bald mit einzelnen » bald mit gar keinen Vocalen wieder-
gegeben und dafür bietet auch das classische Gewand, in welches die
rOmiseben und griechischen Schriftsteller die Namen gekleidet haben,
leioe genugende Ergänzung.
Es muss daher die Erörterung in Betreff der Aussprache der
Baehstaben in so fern eine unrollkommene bleiben, als es sich nicht
mit Tolliger Gewissheit bestimmen lasst, welcher Vocal zwischen
xwei Consonanten zu setzen ist, obschon man darin wohl nicht irre
gehen wird, wenn man annimmt, dass es nur in den seltensten
Fällen im Iberischen Consonantengruppen gegeben hat ; ein Schluss,
wozu die grosse Anhäufung von Vocalen in vielen Namen zu berech-
tigen scheint Eine Sprache , welche Namen wie Eoatia, SeoU und
ähnliche aufzuweisen hat, wird schwerlich Lrst Qn oder Rds ohne
Toealische Dazwischenkunft vertragen haben. Manches wird auch
deshalb nicht mit Sicherheit festgestellt werden können, weil es noch
eine Menge mit den Namen im Zusammenhange stehender geogra-
phischer Controversen gibt, denen zwar nicht aus dem Wege
gegangen werden darf, für welche es aber in dieser Erörterung keine
Stelle geben kann, weil man sich sonst in ganz andere Regionen
hegeben mfisste. Bei diesem Stande der Sache haben wir uns daher
einstweilen darauf beschränken müssen, diejenigen Bestimmungen
als normgebend beizubehalten, welche von Boudard gegeben
worden sind; es haben dieselben auch in der That einen Anspruch
darauf im Allgemeinen als Norm zu gelten, denn Boudard hat in
der Erklärung der Namen , wie oben bereits bemerkt wurde *), alle
»eine Vorgänger, den sorgfaltigen de Saulcy nicht ausgenommen,
Veit hinter sich gelassen ; man kann das Verhältniss in der That
dabin bestimmen, dass, wenn Boudard von zehn Erklärungen viel-
h 8. ohen III.
220 Phillips
leicht eine nicht gelungen ist, bei de Saulcy von funfen kaum eine
richtig ist. Wir stellen in unserer Erörterung die Consonanten auch
schon desshalb voran, weil mit diesen die Griechen und Römer sich
doch einigermassen surecht zu finden wussten, wShrend ihnen und
zwar den letzteren in noch höherem Grade als den ersteren der
iberische Vocalismus fast unfibersteigliche Hindernisse geboten
haben rouss; ein Grund, warum wir der Meinung Humboldfs nicht
beistimmen können, dass den Römern die Aussprache des Keltischen
noch weniger geläufig als die des Iberischen gewesen sei *).
I. Die CoDSODanten.
1. Pie eittiralen.
Zur Classe der Gutturalen gehören die Buchstaben <, <, K» X
und Z» also fünf verschiedene Schriftzeichen. Schon diese Zahl
l§sst vermuthen , dass nicht jedes derselben einen besonderen Laut
ausgedrückt habe, sondern einige von ihnen mit anderen gleich-
bedeutend waren. Es ist dies bereits in Betreff der beiden Zeichen <
und < dargethan worden^). Wenn man indessen die Legenden
genauer mit einander vergleicht, so nimmt man wahr, dass dieselben
auch zwischen diesen beiden Zeichen einerseits und K andererseits
keinen strengen Unterschied beobachten. Als Beispiel dafür kann
zunächst das oben besprochene SufiFix s) dienen, welches bald -<t^,
bald -<r, bald KK geschrieben wird (vgl. Leg. 79. 80. 160); eben
so wechselt auch in den grösstentheils aus römischen Buchstaben
bestehenden Legenden Carmo und Carteia, das C mit dem K ab
(vgl. Leg. 10 — 12 mit Leg. 35. 13 und 34); dasselbe gilt von
dem ür(ijc€kn, in welchem der erste Guttural einmal als C
(Leg. 296), das andere Mal als K erscheint (Leg. 297).
Schreitet man in der Vergleichung der hieher gehörigen Le-
genden noch weiter fort, so findet man^ dass JT wiederum überein*
stimmend mit X gebraucht wird; z. B. Kinü (Leg. 17S) und Xinii
') T. Humboldt, Untersuchungen fiber die Urbewobuer Hisptniens. 8. 35. Note ZS.
^) S. oben VI. S. 89.
^) S. oben UI. S. 89. •- SoUte in Leg. Z34 du Q an SchJuaee de« Namens nus den
Suffix ^f^ henroi^egangen sein und die Stelle eine« Plurals rertreten ?
Üb«r das iberiicbe Alpbab«t. 221
(Leg. 247 bis). Aber man darf auch noch einen Sehritt weitergehen:
mit diesem X wechselt auch Z in seinen verschiedenen Gestaltungen
X,Z.X ab; z. B. Leg. 74 und UiAaraTi^ und^oraXH', Leg. 128
ood 129: Eobb-Xm und EoblZn, Leg. 267 und 268, 270 und 271 :
BoeXo und RoeXo, RoeXo und RoeXo» Es hat daher nahezu den
Ansciiein, aber doch wohl nur den Anschein, als ob <s=:<»K»X»Zi
i h. jedes der fünf Gutturalzeicben gleichbedeutend mit dem andern
sei Dem ist nun wohl sicherlich nicht so gewesen.
Die lateinische, beziehungsweise griechische Schreibweise
gewährt über diese Punkte keine Aufschlfisse, Im Lateinischen tritt
fast immer das C und zwar als JT gesprochen ein; auf den Münzen ist
aberdas,f z. B. in JTamto» sicherlich nicht aus dem alten lateinischen,
soodera aus dem iberischen Alphabete hervorgegangen. Die Römer
schreiben also das < in K.armo und ^Ise Celse^ das K in Ktnt^ und
TrKtf, so wie das Z in Znoorft, was sie durch Conh'ebia wieder-
geben, ohne Unterschied mit C, während die Griechen statt dessen
das fTerwenden, wie sich dieZnosZH' in den griechischen Kovfaxoe
oderKäivioxce, wie Strabo die Volkerschaft nennt*), wieder er-
keDoen lassen. Auffallend ist es, wie verhältnissmässig selten die
Römer bei iberischen Namen das G anwenden 7); Beispiele der Art
bietet der durch die Leg. 248 bekannte Name Qnt^mir^ der nach
der Schreibweise der Romer sich in Grandamerium verwan-
delt«) und Leg. 2i8 (bisj ffH^mitp welches sie Quaquetmi*)^ die
Griechen Kouoxcpvoe ^®) schreiben. Auch i$i Lastigi*^) ursprünglich
Lutiki gewesen, wie auch die Leg. 37 Lasfei zu lesen und Lastiki
auszusprechen ist Für die dort erwähnten Städtenamen Ipagro und
Igabro haben wir keine entsprechenden iberischen Münzlegenden;
allerdings bringt Sestini das sehr zweifelhafte JhA^^O; Saulcy
9 strabo, Geognphia. Lib. HL 155. 162.
') VjLVLS.41.
^)So im Hin. Ant«, «och Grandinuro oder GUndonmnun; Ptolem. II. 5. (ed.
Wilb«rf. KMeod. 1S3S. p. 121. 15) hat HavS^fAfpov oder roeyd6fa/>ov , der
Rom. Baveno: GlaDdimarium und GandooMriani. Vgl. Boudard, Numismatique.
p.l20.
*) Itia. Ant: Aqoae Qaacemomm. Hubner, Inacr. Hisp. n. 2477(Aqaae Flafienses,
ChsTce) : Qoarquenii.
<*) Ptolem. II. 5. p. 123. 20.30.
^0 Pub. Hist.Dat III. 3.
222 Phillips
übernimmt keine Garantie für diese Legende und auch B o u d ard i>),
dem dieselbe zur gewünschten Unterstützung der Annahme eines
iberischen G dienen würde, will sie nicht anerkennen *<).
Es ist uro so weniger«zu wundem, dass die Romer und Griechen
sich die Aussprache der iberischen Gutturalen vereinfachten, als
4iuch auf den einheimischen Münzen in der Anwendung der Zeichen
bei der Schrift gar nicht sorgfSItig unterschieden wurde. Es ist dies
eine Erscheinung, wie sie in analogen Verhältnissen auch bei den
Phöniziern yorkommt«^). Dessenungeachtet ist gewiss nicht anzu-
nehmen , dass es in der That keinen Unterschied in der Aussprache
gegeben haben sollte; es haben gewiss auch hier feine Nuancirungen
bestanden und zwar dieselben wie zwischen den phonizischen Buch-
staben Gimelf Kaph und Koph^ aus welchem C K und Z heryor-
gegangen sind. Wir halten aber auch dafür, dass nicht blos X, X
und X Nebenformen von Z sind, sondern dass dies auch yon X gilt ;
in X und X ist der untere, in X der obere Verbindungsstrich, in X
der obere und untere hinweggefallen.
Bisher war nur von fünf iberischen Gutturalzeichen die Rede ;
gab es- noch ein sechstes? Diese schwierige Frage klar zu losen»
fühlen wir uns wegen mancher in der Untersuchung auftauchenden
Widersprüche bisher noch nicht in der Lage; doch möge zusammen-
gestellt werden, was sich etwa darüber sagen oder vermuthen lässt. Es
ist das Schriftzeichen )( oder X^ welches hier in Betracht zu ziehen ist;
Boudardi») gibt noch zwei andere Formen )K und X dafür an, die
man aber in den von ihm mitgetheilten Legenden nicht antrifft.
^ findet sich bei Saulcy. Wir glauben nicht, dass dasselbe darauf
Anspruch machen kann, der Ausdruck eines für sich bestehenden Lautes
zu sein. Im phonizischen Alphabete findet sich keine Analogie dafür,
höchstens ähneln ein paar Formen des Aleph oder Tau^^); allein
12) Boiidard. a. a. 0. p. 21. 2S.
^') Andere Beispiele dea Vorkommena des 6 in latiniairten hiapaniachen Namen
laaaen sieh aus Hfibner I. e. so manche luaamnienstellen ; s. B. Argraeli (a. 2907),
Aatigi (n. 1443; vgl. oben Lastigi), Caiagorria (n. 2989), Gigorraa (u. 2610),
Gillo (n. 3437), Igabrum (n. 1610), Igaeditani (n. 460), Hugo (n. 3239), Ossigi
(n. 2101), Tamagari (n. 2477), Urgavo (n. 2111) u. s. w.
1^) Gesenius, Monwnenta. p. 433. Schröder, die phöniiiache Sprache. S. 79.
i&) Boudard, a. a. 0. PI. V.
**) Gesenius, 1. c. p. 20. 47.
über dM iberische Alphabet. 223
diese Baebstaben liegen ganz fern von dem Gebrauche ab, in welchem
dasXim Iberischen angewendet wird. Es mösste also dieses Zeichen,
weDDnieht einheimisch, aus dem Griechischen oder Lateinischen her-
übergekommen sein; dort wäre allenfalls auf das Xi, hier auf das Ex
oder /^ zu yermuthen; das Erstere ist wenig, das Letztere durchaus
nicht wahrscheinlich. Es sind im Ganzen sechs Munzlegenden, in
welchen jener Buchstabe vorkommt: Leg. 249: Uez, Leg. 2S2, 253:
Wman^ Leg. 249 bü: Xon, Leg. 251: Xonemqn und Leg. 247:
QiäHV. Hier fragt sich ob X sich in ganz unbedingte Parallele zu
X stellen lasse ; nSher scheint die von X zu liegen und in der That
Codet man bei Saulcy, welcher in Betreff der Wiedergabe der
Schriftzeichen wohl als durchaus gewissenhaft anzusehen ist, folgende
Varianten: ^Kofi zweimal und Xon dreimal. Wenn es nun richtig
sein sollte p dass Xonemqn =» Canama wäre i^^, so träte auch hier
der JT-Laut aufs deutlichste hervor und somit schienen )K, X und X
wirklieh = X = Z zu sein. Es bleibt also nur das Zeichen H übrig
uod nach dem Vorhergehenden durfte man nicht zu kflhn erscheinen,
wenn maa es in die nämliche Kategorie stellt. Unzweifelhaft gebort
dies Zeichen nur den Legenden Wman und Uez an; wäre es also
jeoen anderen gleichzustellen, so würde man lateinisch Clman und
Cez (spr. Kez) zu vermuthen haben. Für das Letztere will sieh in
der ganzen althispanischen Geographie kein Name finden lassen, der
aoch nur im Entferntesten damit in Einklang zu bringen wilre; man
mochte daher vermuthen, dass )( hier gar nicht im Anlaute stunde,
sondern nur den Anfang einer Schi usssylbe bilde. Die Leg. )(e« wird
nämlich durch eine über ihr laufende gerade Linie von dem Worte
BUbt getrennt «•), womit zusammen der volle Name Hübiüez hiesse;
stillte das Letztere hier dem so häufig vorkommenden Suffixe XH'
entsprechen, da Z allerdings bisweilen gleichbedeutend mit H'
gebraucht wird, wie der Vergleich der Leg. 182 und 184: Lraz und
LraH* es zeigt. Doch hier ist die Grenze unserer Vermuthungen in
Betreff des iiez. Was nun Wman anbelangt, so betreten wir damit
das Gebiet einer nicht unwichtigen Controverse.
Saulcy hält in der Legende )(hMAM das erste Zeichen für
ein J7 gleich dem griechischen Eta, das dritte für ein 2, wie eben für
^') Boodard, ■. a. 0. p. 295.
^') Bo«d«rd, ■. a. 0. PI. XX. n. 0.
224 Pbiiiip.
diesen Zischlaut in den archaistischen Alphabeten das Jf angewendet
wird; er liest demnach EUan oder« wie schon vor ihm Velasquez
und er sich verbessernd JEZman <*). Von da war der Weg zu dem Stadt-
namen 'EXfAavrtxi^ desPolybiuss<^) und Helmantica des Li?ius*i) nicht
weit. Das Zeichen )( kann daher nicht direct gleich dem griechischen
Eia sein, aber mDglicherweise konnte es ein zusammengezogenes
H darstellen. Boudard, welcher eine Menge von Mfinzen mit dieser
Legende mittheilt, hält das IceX/xavrm^ des Ptolomäus ») filr iden-
tisch mit jenem 'EX/xccvrexr} und fiberweist daher alle jene Münzen
der berühmten Stadt Salamanca*«). Auch Hfibner hat sich zwar für
die Identität vonEXfAavrix^ und Salmantiau jedoch dagegen erklart,
dass die sehr häufig mit iberischen Legenden vorkommenden Münzen
nin guibus Elmaniicae nomen legi aomniatum e$t a muUis^ dieser
Stadt angehören *^). Bei dem Widerspruche einer so grossen
Autorität in dieser Materie wird es um so mehr darauf ankommen,
wie der Buchstabe )( zu deuten sei. Boudard gibt ihm den Laut
des französischen Ch >»), was freilich mehr dem phönizischen Schm
entsprechen würde, das wiederum die Romer durch ein S wieder-
zugeben liebten *•). Wäre es für ein /f, d. h. fllr einen Spiritus
asper zu nehmen, so würde also dasselbe die Stelle eines S ver-
treten sf). Ist es aber ein eigentlicher Guttural, gleich Z, so konnte
keiner jener Namen zur Deutung gebraucht werden und man müsste
sich noch um andere Ortsbezeichnungen umsehen. Ohne damit einen
Vorschlag machen zu wollen, da die spätere Berühmtheit eines
Namens nicht einer in alter Zeit sehr kleinen Ortschaft zu Gute
kommen kann, möge nur auf die Stadt der CaUaici hingewiesen
werden, welche von Sallustss) und in Antonins Itinerarium «•)
<*) EiMi de claMificatioD. p. 143.
«0) Polyb. m. 14. 1.
<i) Liv. XXL 5.
<*) Ptolom. H. 4. p. 117. 19.
><) Buudard, I. c. p. 294.
S^) Habner, 1. c. p. 109.
*') B o tt d ■ r d , I. e. p. 48.
*') S. unten t. .
S7) Vgl. Curtiiis, S. 351.
<S) Stllnst. fr. bei Serr. ad Virgil. Aen. VII. 728.
s») Itin. Anton, p. 421.
über das iberische Alphabet. 225
erwähnt wird. Es ist dies Cale an der Mundung des Douro>o))
welches der Legende Ulman dadurch näher kommt, dass es auch
Calem genannt wird.
Jedenfalls dQrfte aus diesen Erörterungen so viel heryorgehen»
dass X kein für sich bestehender Buchstabe ist; wir halten ihn
ml mehr fOr einen Gutturalen, dessen Ähnlichkeit mit X in der
Form X und mit Z» X und X darin hervortritt» dass der Quer-
strich nicht oben und nicht unten, sondern durch die Mitte ge-
logen ist
2. Die Sibilanteii.
Wenn den Romern der Stridor punicus^ d. h. der häufige
Gebrauch von Zischlauten, bei den Karthagern zuwider war<<)> ^^
haben sie in Hispanien nicht minder Gelegenheit gehabt» diesen
Ohrenschmauss zu geniessen. Die Iberer hatten gleich den Phöni-
ziern vier Sibilanten Z, I, h und H'. Bekanntlich fanden in der
ältesten Zeit diese vier phonizischen Zeichen sich auch im griechi-
schen Alphabete vor<a); sie schmolzen hier aber zusammen und
«haben zum Theil Namen und Platz im Alphabete gewechselt, zum
Theil sind sie ausser Brauch gekommen''; wie das geschehen,
»darüber ist die Forschung noch nicht zum sicheren Abschluss
gelangt *'. Gesenius erklärt die Sache so^s): die Griechen haben
das pbonizische Samech unter dem Namen Sigma, das Schin als San
recipirt , jenem das Zeichen 2> diesem M oder K gegeben ; der
rauhe Ton des San sei ihnen nachmals immer mehr zuwider
geworden und endlich ganz ausser Gebrauch gekommen; seither
seien jene beiden Namen und Zeichen zu einem Buchstaben ge-
worden, der im Alphabete die Stelle des Schin erhielt, während der
oeue Buchstabe Z den Platz erhielt, welchen bisher das Samech ein-
genommen hatte; was sodann die beiden anderen Sibilanten anbe-
^) llacli dieiaiD Orte hat dM Königreich Portugtl ddn Namen erhalien. Vgl. For-
kiger, Alte Geographie. Bd. 8. S. S7.
*') HieroB. Epist.97.
'*) Corssen, Alphabete bei Paali, Realencyklopidie. Bd. 1. Abth. 1. S. 799.
**) Oeseaiv«, I. e. p. 66.
Sitcb. d. phiL-hist. Ol. LXV. Bd. 11. Hft. 17
226 Phillips
trifft« 80 konnte Gesenius kein dem Zade entsprechendes Zeichen
auflinden, wogegen Zain durch Z^a wiedergegeben wird. Nur in
Beziehung auf den letzteren Punkt weicht Franz von Gesenius ab,
indem er>^} das Z für Zain und Z für Zade hält. Mommsen*»)
dagegen hat sich für Gesenius erklärt, halt aber S für die eigent-
liche , H für die jüngere Gestalt des Schin im Gegensatz zu
Sigmot M, und erklärt dasselbe als eine Art ach, dessen Verwandlung
in 5 man sich ungef&hr wie dasVerhältuiss des deutschen Mschlagen**
zum englischen „to slay** zu denken habe.
Wie dem nun auch in Griechenland gewesen sein mag, in Iberien
scheint Z=Zain, i, I oder 2= Samech, H= Zade und H^ = Schin
gewesen zu sein.
Was oben in Betreff der Gutturalen bemerkt wurde, kommt
auch hinsichtlich der Sibilanten in Betracht. Da die Punier diese oft
mit einander nicht bloss in der äusseren Gestalt rerwechselten, son-
dern auch in der Aussprache *•), so geschah wohl dasselbe bei den
Iberern ; hinsichtlich der Zeichen ist dies gewiss, und es lässt sich
dasselbe in Betreff der Aussprache vermuthen, ohne dass damit eine
allgemeine Corruption anzunehmen wäre, die jeden Unterschied hin-
weggewischt hätte. Die Legenden bieten daher allerdings den
Ansehein, als ob alle Zischlaute gleichzustellen seien; in Leg. 182,
183 und 184 findet sich £ra4', ZraZ und Lrai; dass aber auch
das h gleich dem Z genommen wurde, beweisen die Leg. 91 — 97.
Übrigens ist bei derartigen Legenden , wenn neben einem stärkeren
Zischlaute ein minderer gebraucht wird, wie in den oben erwähnten
Beispielen, wohl für die Originalität des ersteren zu rermuthen.
Was nun die einzelnen Sibilanten anbetrifft, so war wohl H* als
dem phönizischen Schin entsprechend, der seiner Aussprache nach
rauheste. Boudard gibt ihm die Bedeutung von TZ <^). Es mag
zugestanden werden, dass die Leg. 149: JtH'/A, einen in der Nähe
des Cap Palafrugel (Celebandicum) gelegenen Ort bezeichnet habe.
'^) FmDE, Elementa Epigraphices Graecae. p. 16. Vgl noch Lepaias, de Ubali
Eogttbinia. p. 73, der daa Zain io ^, daa Sameeh in X ^^^ ^** ^^^ '^^ S nieder»
findet.
'^) Mommaen, UnteritaUache Oialekte. S. 5.
'*) Schröder, a. a. 0. 8. 110.
'7) Boudard, a. a. 0. p. 49.
über das iberische Alphabet. 227
<ier ehedem Cypsela *s), nachmals im zehnten Jahrhundert Jecsalis
«nd später 5. Felia; de Guuvols genannt worden ist<»); jedenfalls
ist es aus der Übereinstimmung Ton Lrca und Lra}¥ sicher, dass H'
ein dem S verwandter Ijaut gewesen ist, indessen der Sprung von
da bis TZ ist doch etwas zu schnell; ehen so wenig kann hiebei in
Anschlag gebracht werden, dass, weil der Name Tsekedo (Leg. 292)
mit Tm geschrieben worden sei^<>), dessh^lb H' nicht für Ts» sondern
fnr 7z zu halten sei, auch das nicht, dass viele Ortsnamen auf H'
•endigeo. Wir glauben daher jene von Hommsen in Betreff des
dorischen 5an gemachte Äusserung hier ebenfalls * zur Anwendung
bringen zu dürfen, wonach H' =>fi?A gewesen sein mochte. Der eigent-
liche Grund, warum Boudard, der noch in seinem frühern Werke
(rAlphabet Ib^rien) ^^^Schin annahm^«), dafür das TZ lieber
angewendet wissen wollte, scheint in der Meinung, das Iberische
aoeh in dieser Hinsicht aus dem Baskischen erklären zu können, zu
liegen; allerdings findet sich die Endung ^üz sehr häufig im Bas-
kisehen vor.
Merkwürdig bleibt immer die vollkommene Übereinstimmung in
der Gestalt zwischen dem griechischen Psi und unserem H', welches
dem pbönizischen Schin viel näher steht als das archaistische M.
Eben so ist es auffallend, dass es den Anschein hat, als ob die Form
des Samech ? (iber. ( und I) sich in dem griechischen ^ erhalten
Habens). Wir führen diese beiden Erscheinungen nur als solche an
ohne weitere Consequenzen daraus ziehen zu wollen.
Wenn indessen einem der iberischen Consonanten die Bedeu-
tung von TZ beizulegen ist, so kann dies nur Zade sein, wie ja auch
dieser punische Buchstabe in der nämlichen Weise von den Puniern
umschrieben wird^s); Tzade bildet offenbar den Gegensatz zu dem
etwas sanfteren Dzain, so wie Samech als weicheres 4$ gegen den
rauhen Laut Schin.
Die Romer machten mit allen diesen Sibilanten einen kurzen
Process; mit wenigen Ausnahmen gaben sie dieselben durch ihr S
*<) ATiea. Ort oierit. v. 527.
**) Petr. d. Marc«, Maria Hiap. p. 164.
^) Daa «weite Zeichen ^ dieser Legende iit übrigens gewiss ein 2*
^0 Bottdard,i£tudes. PI. V. n. 35.
^*) Vgl. Monmsen, a. a. 0. S. 11.
^) Vgl. Schröder, a. a. 0. III. Anin.
228 Phillips
wieder; Dz, Tz und Seh mussten ihnen unerträglich sein. Aber auch
das Z war den Römern nicht mehr so ganz mundgerecht; besass
früher ihr Alphabet dasselbe, so hatte man es doch aufgegeben und
erst allmahlig recipirte man es wieder aus dem Griechischen, ohne
ihm einen sehr umfangreichen Gebrauch zuzugestehen m); es ist
daher begreiflich , dass auch an die Stelle des iberischen Zain das
S trat; hatte man ja doch auch das griechische Zeta in dieser Weise
ausgedruckt, z. B. aus Zoxvv^'og Saguntum gemacht? Um nunmehr
einige Beispiele anzufBhren» so erscheint als S 1. das Z der Leg. &
und 9 in Cariz, der Leg. 232 in Oztur, 2. das i der Leg. 279
und 280 in X^elrds, 3. das h der Leg. 105 in Celaa, der Leg. 109
u. f. in CoBe(tani) und 4. das H' der Leg. 88 in Bursao, der
Leg. 201 und 202 in Murgis, Der nämliche Wandel tritt aber auch
dann ein, wenn das Iberische ein T und ein S zusammenkommen
Ifisst, z. B. : Leg. 292 TSekedo, wenn dieser Name wirklich in
Segeda fortlebt*»). Übrigens scheint uns gerade diese Ijegendc,.
welche Boudard zur Argumentation für die Aussprache des H' als
Tz gedient, dagegen angeführt werden zu dürfen. Denn S ist nicht
Samech, wie er annimmt, sondern Zain; wäre nun 4^ = Tz» 5o
würde der Name aller Wahrscheinlichkeit nach H^ekedo geschrieben
worden sein.
Jene allgemeine Verwandlung der iberischen Zischlaute in i9
hat aber auch ihre Ausnahmen. Ist nämlich die Umdeutung von
I^AH'OX in Il'^o (q), so wie die Erklärung durch „Stadt P¥o^
(hcho) richtig, dann scheint das 4^, welches hier in allen Exem-
plaren (Leg. 162u.ff.)constantvorkommtyin4$5übergegangenzusein,.
da vermuthlich dies der Ort ist, den die Bömer Jesao nannten *•).
Eine andere Ausnahme mochte die Leg. 143 HuJi^M<M> mit Hin-
weglassung des Suffixes: Wi^om Hoschöm machen; unter den
heutigen Stadtnamen mochte dem am meisten entsprechen Os'mfaJ,
welchen Ort die Römer üxama, die Griechen Oif^ap.oi nannten.
Wäre dieses x normgebend , so musste man fast glauben , dass das
H' ein für die Romer unangenehmer Laut des seh gewesen sei, eine
dialektische mit einem Guttural versetzte Variation desselben, wie
^^) Cor««en, Ansiprache, Vocalismas. S. 11. 12. 295.
^fi) Boadard, a. a. 0. p. 290.
^^) Boadard, a. a. 0. p. 215. Vgl. Hahner, 1. c. p. 593.
über das iberische Alphabet. 220
in westpbälischefi Dialekten das seh nicht bloss wie S — x (z. B<
S—cUnken)t sondern auch ach — x (Seh — chinken) ausge-
sprochen wird. Es wäre dies freilich« wenn sich die Sache so Ter-
Uelte, eine ganz singulare Ausnahme, die, wenn sie — ■ was kaum zu
glauben — etwa gar ursprunglich Regel gewesen sein sollte , dazu
dienen würde die Rathlosigkeit der Römer in der Wiedergabe der
iberischen Laute sehr zu entschuldigen.
Bei dieser Gelegenheit bildet sich wie von selbst die Frage, ob
die Iberer nicht vielleicht diese Zusammensetzung des Gutturals mit
einem Zischlaut kannten, wenn sie auch kein eigens dafür beste-
hendes Zeichen» wie das | und das x es waren, besassen? Die Frage
ist nicht auf den ersten Blick zu beantworten, weil es an bestimmten
Regeln fehlt, um zu ermitteln , ob zwischen zweien Consonanten ein
Vocal zu suppiiren sei oder nicht. Ein ca* qs auch qz findet sich aller-
dings in mehreren Legenden; z. B. Leg. 165: IP¥oc8, Leg. 274
BoeqocXa und 275: RoeqocXz; allein diese durften wohl durchaus
nicht dem lateinischen Xzu vergleichen, vielmehr durch Einschiebung
des Vocales e oder i zu vervollständigen sein. In dieser Bedeutung
babeo wir die erwähnten Gruppirungen alsSufiixe schon oben kennen
gelernt *»)-
3. Die Dentalen.
Aus den uns zu Gebote stehenden Quellen sind nur die beiden
Dentalen < (^2)^ und T ersichtlich. Auffallend ist es, dass sich hier kein
Beispiel davon findet, dass 2) im Anlaute stunde; auch unter den von
den Romern überlieferten hispanischen Namen finden sich verhält-
nissmässig nur wenige, welche mit einem D anfangen und unter
diesen mehrere, welche keltisch sein durften**). Auch die Legenden,
▼eiche T im Anlaute haben , sind gering an Zahl und wurden im
Lateinischen wohl ebenfalls durch 7 wiedergegeben ; z. B, Leg. 291
Itmbo seheint mit lat. Turamana zu' deuten zu sein**). Leg. 284
TmbhH^iz durch Tabucci so), so wie Leg. 28K TlmH'ttoar an die Tempai
*^) Ä.59.
^') Z. B. Dcobrig« ond DcMobriga.
**) Boadard, m, «. 0. p. ZOO.
^) Boodard, a. a. 0. p. 2S5.
230 P b i 1 I t H a
des Avienus»^ erinnert >*). Bisweilen finden sieb hispanische Namen
in ihrer römischen Gestalt auch mit einem TU gesehrieben ror;
z. B. 7%tar'>) oder auch das griechische Seai/a^^'); entspricht
Letzteres, was vermuthet wird >») der Leg. 282 Tioh oder eher viel-
leicht noch Thiar der Leg. 285 Tiohtir, so scheinen Romer und
Griechen zu dieser Schreibweise durch die iberische Aussprache
des T vor einem Vocal veranlasst zu sein. Häufig findet sich T im
Auslaut und scheint mit dem Yorangehenden Vocal eine Ableitungs*
sylbe zu bilden, an welche sich dann noch das Suffix ^an anreiht.
Beispiele bieten daffir eine Menge iberischer Stammesnamen, wie
Ed-et-ani, Lns-ü-ani^ von denen bei anderer Gelegenheit gehandelt
werden soll. Dieses auslautende T findet sich aber auch in vieleu
Legenden vor; z. B. Leg. 7: Call-ei; Leg. i7: Cer^; Leg. 68
u. ff.; AoibS'i; Leg. 77: Aor-t-es; Leg. 83: Blb-t-n (BUb-ii-an-i);
Leg. 118: CoB-et; Leg. 178: Kinii; Leg. 229: Oozr-i; Leg. 231 :
OotO'Oi u. s. w.
4. Die Labialei.
Das Iberische hat, wie oben bemerkt, aller Wahrscheinlichkeit
nach keinFgehabt; die Labialen beschranken sich daher auf > und K
B und P. Wenn auch nicht in den Zeichen dieselben mit einander
wechseln, so scheint es doch mit der Aussprache öfters so gegan-
gen zu sein, wofür die beiden Legenden 83 Blbtn und 236 Plplis
das Beispiel bieten; die Bömer zogen das B vor sie schrieben £tY-
bitani und Bilbüis *•) (Leg. 5).
i. Die lifiiden.
Auch das Iberische hat die vier Liquiden h, M. Kt P. Die
Münzlegenden bieten in Betreff ihrer zu keiner besonderen Bemer-
kung Veranlassung; ein Wechsel findet nur bei dem mehrfach
erwähnten Suffixe -<M, -KM; -XM statt, welches oft auch <K und
Zr^ lautet.
*^) ATienu«, I. e. v. 255.
^S) Boodard, a. •. 0. p. 294.
ft>) Hin. Anton, p. 401.
»4) Ptolem. U. 5. p. 129.28.
&*) Boudard, a. a. 0. p. 290.
*«) S. auch Leg. 81 und Leg. 234.
Ober dM iberitehe AIpbabet. 231
(. Spiritu asper.
Die Zeichen H ' und H nehmen im Iberischen die Bedeutung
eines Spiritus asper ein. Man konnte in manchen Fällen versucht
sein, bei diesem H an ein griechisches Eia zu denken »v); wie
L B. Leg. 135 H>N jedenfalls die Stadt Edeta bezeichnet. Allein,
weoo es richtig sein sollte» dass der Name Sedetani den nämlichen
Namen bezeichnet, so wurden wir hier einen auch sonst vorkommenden
Zosammenhang zwischen dem Spiritus asper und dem S wiederfin-
den »•). Sehr deutlich erscheint dieser Spiritus in der Leg. 134:
Balb^, welchen iberischen Namen die Römer mit Alabanenses
wiedergeben. Überhaupt haben die Römer regelmässig den Spiritus
asper weggelassen und die Griechen ihn öfters durch einen Spiritus
lenis ersetzt So hat es z. B. den Anschein, als ob das OOafxa
des Ptolomäus '») die Leg. 140: Hohmi wiedergebe «o^ , was im
Lateinischen dann widerum als Vama^^) also doch mit einem Hauch-
laute erschien. Das iberische H kommt auch öfters im Inlaut vor und
hat dann zur Aspiration des vorangehenden Consonanten gedient.
7. lalbvtcal.
Ob das Iberische in dem I einen Halbvocal gehabt hat, muss
dahingestellt bleiben. Die Leg. 149: JtH'/A, kann vielleicht nach
dem späteren routhmasslichen Namen dieses Ortes Jecsalis**) als
ein solcher Zwitter gedacht und ihm der lateinische Stammname
Jaccetam an die Seite gesetzt werden zu dürfen. Wie es damit im
Inlaut gestanden hat, ist nicht mit Sicherheit zu bestimmen; ein Bei-
spiel gibt die Leg. 285 : Tmmioar.
Bevor wir zu den Vocaleh übergehen, ist noch mit ein paar
Worten auf die im Iberischen vorkommenden Consonantengruppen
*^ S. de Saulcy, EsmK p. 103.
^) VgL G. Cartiu«, •. •. 0. S. 351. V^l. oben S. 60.
**J Ptolea. n. 3. p. 114. 18.
^ Boudard, ■. ». 0. p. 199.
*^) l^gt Bfi bner, I. c. D. 989.
^) S. Note 39.
282 Phiiiipi
aufmerksam zu machen. Es hat wegen der häufigen Auslassung der
Vocale seine Schwierigkeit, solche Gruppen zu bestimmen , denn da
konnte man Gruppen von sechs Consonanten aufzahlen; z.B. Leg. 91 :
Brabhz. Es ist wohl anzunehmen, dass es sehr wenige Consonanten-
gruppen gab, weil die iberische Sprache ausserordentlich demVoca-
Hsmus zugeneigt war. Auch darf man aus der romischen Namens-
gebung keine Schlüsse ziehen, wie z. B. Conirebia in seinem Ori-
ginal Leg. 246: Qnoarb nicht als Beispiel einer iberischen Con-
sonantengruppe ir angeführt werden kann. In jenem Beisfiele Brsbhz
bleibt höchstens die Consonantengruppe ra übrig, denn es ist ent-
weder Boraabhez oder Bursabhez zu lesen. — Eben so ist im
Iberischen eine fonsonantenverdoppelung ausserordentlich selten;
Beispiele sind Leg. 103: Ceaset Leg. 234: Petarrac. Bisweilen
erscheint der anlautende Consonant rerdoppelt; wenn dies nicht ein
blosser Fehler desjenigen ist, der die Legende gefertigt hat, so würde
man doch an einen noch einzuschiebenden Vocal denken. Es findet
sich dies in der Leg. 244: Qqno^ und Leg. 291 : Timbo.
Wir stellen in Kürze die in den iberischen Münzlegenden nach
muthmasslich richtiger Vocalisiruiig Torkommenden Consonanten-
gruppen zusammen.
er in Leg. 89. vgl. 178.
C8 und qa in Leg. 165 und 272; s. jedoch oben S. 229.
Ib in Leg. 66, 83 und 236.
Ic in Leg. 42, 43, 44.
U in Leg. 7.
pp'm Leg. 30, 31, 47.
rc in Leg. 26, 28.
ra in Leg. 91.
rr in Leg. 234.
ff in Leg. 13.
rH' in Leg. 88, 89, 90.
sp in Leg. 276.
aa in Leg. 48, 49.
at in Leg. 37.
über da« iberische Alphabet. 233
IL DieVooale.
Die iberische Sprache hat fünf Vocale:
A. E, I, O. H.
Die Römer geben den Buchstaben A. sobald er im Anlaut vor
einem und im Inlaut zwischen zweien Consonanten steht, ziemlich
regelmässig durch ihr A wieder, z. B. Acinipo (Leg. 2) , Albocela
(Leg. 66), Ära (Leg. 78), Amaci (Leg. 62. 63. 64), Wman
(Sa?)lman-tica; ausnahmsweise geht er auch in e über, so Iliberris
(nr Ilbar (Leg. 157), Beterrae für Phtarrac (Leg. 234); hin und
vieder lassen sie ihn auch ganz fort, z. B. Ildum für Iladh (Leg. 151
uod 152). über die Stellung des A neben anderen Vocalen wird bei
den Diphthongen die Rede sein.
Bisweilen wird andererseits ein in der iberischen Schrift nicht
ausgedrücktes A von den Romern eingeschaltet, so Beiameaa in
Leg. 98.
Auch ^ wird von den Romern meistens als £ ausgedrückt, so
Etamesa (Leg. 132), wie auch das kurz zuvor hervorgehobene
Betamesa^ welches zugleich ein Beispiel der Aussprache des £ im
Inlaute gibt. Bisweilen wird 1= römisch als / gegeben • so in Cissa
fiir Ceise (Leg. 103), Sisapo für Sesapo (Leg. 279), bisweilen auch
Saesapo (Leg. 52. 53) als Ergänzung in CUe lat. Celsa (Leg. 104).
Der Buchstabe |^ wird im Anlaut auch im Lateinischen durch /
bezeichnet, z. B. Iba (Leg. 145. 146), Ilipa (Leg. 158), was auch
ZDgleich fQr den Inlaut als Beispiel dienen kann. Drei Silben mit /
folgen auf einander in Plplis (Leg. 5), wie es romisch in Bilbilis
(Leg. 5) erscheint. Bisweilen aber geht das IM auch in E über, wofür
Emonaei sprechen würde, w^enn es sich als gleichbedeutend mit
Inume$ oder lamones (Leg. 170 — 172) erweisen würde <*); sicher
aber gebort hieher das obige Iliberrist in so fern als es auch in der
Form Eiibetiris vorkommt; in beiden Formen ist das zweite / ergän-
zend , sicher auch der wirklichen Aussprache hinzugefugt. Wichtig
wird auch das I in dem Suffixe <l^, wie es in Obulcin (Leg. 43)
erscheint; darnach wäre es überall bei dem genannten häufig vor-
kommenden Suffix zu ergänzen. Weggelassen wird das / des Namens
*S) Bovdard, ■. a. 0.p.2t7.
zu Phillips
ürice (Leg. 296), wofür im Lateinischen ürei eintritt, dem die
Sehreibweise ürke (Leg. 297) zur Seite steht
Auch 0 wird im Anlaut und zwischen zwei Cönsonanten latei-
nisch durch 0 ausgedruckt, z. B. Leg. 218: Olbim^, Cose*^)
(-Uani) in Leg. 109. Bisweilen tritt aber auch ü an seine Stelle,
z. B. Buraao für BorH* (Leg. 90); ungeschrieben wurde es auf den
Mön/Jegenden gelassen in Rodose (Leg. 284. u. ff.).
Am Seltensten kommt unter den Vocalen H vor; die Gestalt ist
durchaus ' die des phunizischen Fav, der sich aber auch die des
romischen Fan die Seite gestellt hat. Die Römer drucken es im
Anlaut durch ihr C^aus; z. B. ürd für ürke oder ürike (Leg. 293
296). Im Inlaute findet es sich in dem wohl mehr griechischen
Namen Myrt (ilis; Leg. i41), im Auslaute in Nmu (Leg. 212. 213),
das die Romer wohl nach keltischer Aussprache Nemausus nennen.
Ganz anders aber und viel schwieriger gestalten sich die Dinge
in Betreff der Vocalgruppen , die sich sehr weit, ja sogar bis zu
einem Tetraphthongen erstrecken.
a. Diphthongen.
Ai^; die Romer gestalteten diesen Diphthong auf verschiedene
Weise um: in ein einfaches il, in £ und in A mit darauffolgendem
verdoppelten Cönsonanten. So Aimak (Leg. 62), in Amaci^ Äi
(Leg. 65), vermuthlich ^*A \i\Ebum8, Aimeos (Leg. 68) Ammienses.
AO in Aora (Leg. 72, 73) und AoraqH* (Leg. 74—76),
woraus das hiiimslrte Areva-ci entstand«»); Aoret- (Leg. 77) ging in
Oret- Ober; die beiden Legenden Bocaoz (Leg. 87) und Ohaoqn
(Leg. 217) machen einige geographische Schwierigkeiten. Ohao
scheint der Name einer Stadt der Vaccaei gewesen zu sein, welchen
Ptolomaus in der Form Woma ersdieinen lüsst««); Bocaoz bleibt
ungewiss; Boudard will darin Boccaioi finden <?), die er von den
Vaccaei unterscheidet •»).
«^) HSbner, Tarrago und seine Oenkmller. (Herrn es. Bd. I. 8. 84. Note 3) ist der
Ansicht, dass die betreffenden Munzlegenden nicht Co§gj sondern Ce9*€ gelesen
werden miitsen.
*^) Boudard, a. a. O. p. 15H. 158. 160.
«•) Ptolem. 111. 5. p. VU, 13.
97) Boudard, a. a. O. p. 256. s. auch p. 176.
über das iberische Alphabet. 2 SS
EA findet sich in I^eg. 271 : H^earinaH^, fGr die sich auch
«ieder schwer die Heimath finden lasst. Sollte in diesem Falle das
^ ?on den Römern in ein T yerwandelt worden sein » so wörde sich
diese Lautgruppe in TVort««) wenn in 7%, dann in Iliiar**) erhalten
haben. B o u d a r d deutet es durch Carinense» '^*), was doch sehr zwei*
feibaft ist: wäre es richtig, so bewiese es den Übergang von ea in a,
EO. Beispiele f8r diesen Diphthong bieten die Leg. 130 und
131: Eodod und Leg. 127 — 129: Boblrqm. Bei letzterem ist bei
Ptolomäus das E fortgeworfen, indem er Obila als eine Stadt der
Vettonen nannte ^O* Der lateinische Name fOr Eodod ist noch nicht
gefanden; nach obiger Art musste es ein Ort gewesen sein, der in
römischer Aussprache mit Od begonnen hat.
1^; Leg. 79, 80: Ariemcn; Boudard*s Erklärung durch ilWir
scheint zutreffend zu sein f*).
n^; Leg. 149: ItH'/A; dieser Diphthong scheint in le Gber-
zogehen, da Jecsalis als die spätere Bezeichnung dieses Ortes
erseheint '»).
10; Leg. 171, 172: lomones; schon im Iberischen fiel hier
das 0 aus, indem dieser Name auch unter der Bezeichnung Imone»
((jeg. 170) erscheint. Ob ihm die iSmonact entsprechen, muss dahin-
gestellt bleiben 7*); in diesem Falle wörde sich lo einfach in E ver*
wandeln '*).
O^s; Leg. 216: Oeühqmt vermuthlich das OrjtXtia des Ptolo-
mäas?*), YeUia bei den Römern ^7); dem entsprechend geht auch
Oeske (Leg. 12o) in Vesei uber'^). bt Coe (Leg, 108) Catim^O*
&o wurde dies freilich eine sehr bedeutende und auffallende Laut-
reraoderung sein, während in Leg. 267 — 275 der Name Boeqork
*0 S. ob«« P I i B. H. N. HI. 3. 4.
**) S. oben S. 68.
'*) Boadard, «. a. 0. p. 29S.
^0 Ptolen. H. 4. p. 117. Z6. Vgl. Boudard, a. a. 0. p. 191.
^) Boadard, a. a. O. p. 16S.
'*) S. oben S. B3.
^^) Boadard, a. a. O. p. 227.
'M Wc^ea Tiob s. oben 66.
^*) Ptolen. II. 5. p. 130. 9.
^'') Forbiger, Handbuch der alten Geogr. Bd. 3. 6. 83.
'^) Bondard, a. a. 0. p. 211.
''*> Bondard, a. a. 0. p. 186.
236 Phillips
durch den späterhin bei Isid or^o^ yoAommenitn Buccones wieder-
gegeben erscheint >.'). ^
01^; Leg. 66: Albqoiqm wird mAlbocela latinisirt, umgekehrt
von dem, wie man in Altbayern aus JcaU^ ^koit** macht. Leg. 196
u. ff. 162 Meqpoiea muss» wenn man Miaeum nicht zulassen will «*),
unerklärt bleiben , während Leg. 240 — 244 Qnoi^ sich in dem
Kovioxoe des Strabo 8<) wiedererkennen lässt <»*).
00; Leg. 231 : Ooiooi, woraus die Romer Atäeiani gemacht
haben >»); Leg. 227. 228: Oom^^)» yielleicht i^ti^a, wie ja auch
jene bisweilen „Ausetani** genannt werden. Leg. 229. 230: Oaxrt^
wohl in Ooserit aufzulösen, wofür dann Boudard Onsaron vor-
schlägt 87) ; für Leg. 245, 246 Qnoorb ist schon früher die Erklä-
rung Contrebia gegeben worden ^s); für Leg. 299: H'ooft müssen
wir die Deutung schuldig bleiben &•).
Hl; Leg. 138: HU. biuiqm; etwa die Balivtg des Pt o le-
rn ä u s •o).
b. Triphthongen.
AIE; Leg. 276: Splaie^ wohl die Spatetuies des Plinius^^i)»
wonach der Triphthong einfach in die romische Endung ^enses
umgewandelt wäre.
AOI; Leg. 68 — 71 : AoibBi, was sich am Leichtesten in ^lotAist^-
^-aii^ auflosen wQrde. Unter den latinisirten iberischen Namen bietet
kein anderer eine Analogie, als Aebisoci*^'), der allenfalls (vgl. Are-
vaci) auf Aotbis- (oj ^ zuruckschliessen lassen wurde.
9«) I«id. Hispiil. Hist. d. rep.Goth. c.6i (Mipne, Patrol. Tom. LXXXIII. col. 107S).
8^) Boadard, «. «. 0. p. 2S1.
M) Boudard, a. a. 0. p. 232.
«*) S. oben 8. 57.
6h) Bondard, a. a. 0. p. 168.
65) Bondard, a. a. 0. p. 258.
8<) Nicht Oogn. 8. oben. 8. 41.
87j Bondard, a. a. 0. p. 265.
88) 8. obon 8. 68.
^*) B ondard, a. a. 0. p. 289 schiigt nicht daran zweifelnd Saoi« vor, weichet bei
Ptolem. II. 8. p. 125. 25. Xaovia (genannt wird.
*0) Ptolem. II. 5. p. 122. 1. Vgl. Bondard, a. a. 0. p. 169.
Ol) Plin. lU. 3. Vgl. Bondard, a. a. 0. p. 283.
•*) Hfibner, I. c. 2477. ~ Bou*dard, a. a. 0. p. 162.
Ober dM iberische Alphabet. 237
EAI; Leg. 187 u. ff.: Medisr; (Meansr in Leg. 188 ist ein
Fehler); die Deutung Boodard*s durch Mavitani**) scheint doch
etwas zu fern abzuliegen; freilich würde Massia nicht viel näher
sein; eine andere gibt es bisher nicht.
EOA; Leg. 125, 126: Eoaüa. Ea unterliegt kaum einem
Zweifel, dass dies das römische Viaiia und griechische Bidrea sei»*).
EOl; Leg. 277, 278: Seoi$9 Seoiscin; Tielleicht die nur von
Livius*») erwfihnten Suesseiani^*)^
lOA ; Leg. 285 : lW¥ioar, eigentlich TmH'itoar. Durch die
ErklSning dieses Namens mit Tempsi*''^ erfShrt man Nichts Ober die
Umgestaltung des Triphthongs.
101; Leg. 82: Bioi; yielieicht VUnenses? Leg. 239 Qioila:
CoeU ...
OAI; Leg. 85, 86: Boailiqm. Boudard sieht darin die
BeffotM); mehr scheint fflr Bailo (s. Leg. 4) zu sprechen.
OIA; Leg. 238: P&ianH'n ••)?
OOA; Leg. 225 und 226: Ooa^ sind wohl ffir die Vnccaei
20 halten «•<»).
c. Tetraphthong.
AOlO; Leg. 121 : Euios? Leg. 154: Ilaoio: Ileates i««)?
Schliesslich möge noch darauf hingewiesen werden, dass ein
rocaiischer Gleichklang mehrerer auf einander folgender Sylben hin
Qod wieder, aber doch nicht sehr häufig bei den Iberern vorkommt.
Als Beispiele gehören dahin: Astapa ^ Bracara» Bilbilisy Canaca^
Canama, Caraccot Kesse, Kilin, Kiiiit, Laraz, Ooiooty Ossonoba^
SilbiSf Singüis.
**) Boodard, a. a. 0. p. 230.
^) Boodard, a. a. 0. p. 190.
»*) LiT. XXXIV. 19.
*f) Boudard, a. a. O. p. 282.
*^ Aviea. Ora marit. ▼. 258. — S. Boodard, a. a. 0. p. 292.
*«) S. Boodard, a. a. O. p. 175.
^) Boodard, a. a. 0. p. 265.
^) Boodard, a. a. 0. p. 155.
^*0 Boodard, a. a. 0. p. 206.
238 Phillips, über «Ins iberische AIpbsbet.
Durch die vorausgehende Zusammenstellung der iberischen
Buchstaben wird yielleieht der freilich schwere Versuch ermöglicht,
mit HQIfe der für einzelne Beziehungen ermittelten Lautverhältnisse,
wie sie zwischen dem Iberischen und dem Lateinischen und Grie-
chischen bestehen, latinisirte iberische Namen in ihre Ursprache zu-
rück zu Qbersetzen. Man darf sich hier dadurch nicht irre machen
lassen, wenn ein Name auch ganz so klingt, als ob er romisch wäre.
So lässt sich nach der Analogie von Alboqoia «s Alhocela oder Albu^
cela wohl mit Gewissheit annehmen, dass der Name Araceli
nicht den Himmelsaltar bedeutet , sondern mit Arecillum wohl auf
Araqoia zurückzuführen wäre. So mochte sich gegen den römischen
Ursprung mancher anderer Namen einiges Bedenken erheben; ob
CastellanU welcher Stammname an die £tadt Castulo in Baetica
•erinnert, nebst diesem Namen von dem römischen Castellum, ob der
Flussname il/6a nicht 9insAlaba abzuleiten sei; ob in Oleaatrum nicht
«in /^tipAomcumdenTriphthongOeahat beseitigen sollen, wie er in
Oeaso fortbestand; ob bei Tenebrium neben Tonozco8eein{h^%. 287),
Tonobrica und Terebrica noch an eine lateinische Ableitung ge-
dacht werden dürfe, scheint doch etwas zweifelhaft zu sein. Auch
der römische Ursprung des sehr römisch lautenden Flussnamens
Hubricaius (jetzt Llobregat bei Barcellona) ist nicht unbedenk-
lich «os); doch hier werden wir auf einen andern Weg geleitet; in
Numidien gibt es nämlich einen Fluss desselben Namens, welcher als
flumen benedictionis erklärt wird «o»).
Wenn sie auch nicht von uns gelöst worden sind, so glauben
wii' doch viele wissenschaftliche Fragen angeregt zu haben und
.scUliessen daher diese Abhandlung mit der Wiederholung unseres
Wunsches, dass Kundigere, als wir, durch eingehendere Bearbeitung
-des gebotenen Materials zu grossen wissenschaniichen Resultaten
geführt werden mögen.
10«) Ffir römisch hilt ihn Humboldt, UntersachuDgeo. S. 20.
^01) Gesenius, Monamenta. p. 426.
Bergmann. Die Nominnle der Mfiiizreform des Chalifen Abdulmelik. 239
Die Nominale der MQnzreform des Chalifen Abdul-
melik.
Von Dr. E. v. Bergmann.
So zahlreiche und vortreflfliehe Arbeiten auf dem Gebiete der
rnnhammedanischen MQnzkunde erschienen sind , so geringe BerGck-
sichtiguttg fand ein wichtiger Theil derselben, die Metrologie.
. Man beschränkte sich und beschränkt sich noch gegenwärtig
auf die blosse Beschreibung der Münzen und den Gewinn der histori-
schen und geographischen Daten, welche sie in reicher Fülle bieten.
VoQ diesem Gesichtspunkte aus wurde bisher die muhammedanische
Jfamismatik behandelt, und er ist gewiss zunächst auch der richtige ;
deon die Bestimmung und Sichtung des Munzmateriales bildet die
Grundlage für jede weitere Forschung , zumal für die Metrologie.
Erst wenn diese Basis gegeben, kann letztere ihre Ansprüche auf Be-
achtung erheben und zur Geltung bringen, nur dann ist sie im Stande
io den scheinbar oft regellosen und unzusammenhängenden Erschei-
BODgen der Geldpräge ein bestimmtes Gesetz zu erkennen und nach-
zoveisen. Es ist daher keineswegs Sache des Zufalls , dass die Auf-
merksamkeit der Bearbeiter der antiken Numismatik sich ver-
biltnissmässig spät der Metrologie zuwandte und dieselbe in ihre
Rechte einsetzte. Die muhammedanische MQnzkunde , eine Tochter
des 19. Jahrhunderts, ist eben noch nicht so weit vorgeschritten;
vill sie aber Anspruch darauf erheben, ebenbfirtig an der Seite ihrer
ilteren Schwester zu stehen, so muss sie vor allem der Metrologie
die ihr gebQhrende Beachtung zu theil werden lassen. Denn Schrot
und Kom sind bei der Werthmünze ebenso wichtige Eigenschaften
vie Schrift oder Bild , und nur bei Berücksichtigung beider ist es
240 Bergmann
möglich einen Einblick in die Geldrerhältnisse einer bestimmten
Zeit zu erhalten und ein Urtheil über die Münzen als Verkehrsmittel»
über ihre Umlaufsbedingungen etc. zu fallen.
Zu einer umfassenden Bearbeitung der muhammedanischen
Metrologie ist gegenwärtig der Zeitpunkt noch nicht gekommen. Von
den beiden hiezu unumgänglich nöthigen Vorbedingnissen ist nur das
eine» die sichere Zutheilung des Münzmateriales gegeben; das andere
von ebenso wesentlicher Bedeutung, die Einzel wagungen und Pro-
birungen der Münzen» welche die richtigste Basis jeder metrologi-
schen Untersuchung sind, fehlt nahezu gänzlich. Kann man doch
dicke Bände von MünzbeschreibiHigen durchblättern» ohne nur eine
einzige Gewichtsangabe zu finden» ein um so empfindlicheres Ver-
säumniss, als die einschlägigen Nachrichten der arabischen Quellen»
gering an Zahl und scbwe» zugänglich» sich widersprechen und wenig
zuverlässig sind. Erst wenn man sich einmal entschliessen wird bei
Edirung mühammedanischer Münzen auch deren Wägungen zu ver-
zeichnen» in der Erkenntniss» dass hier jeder Beitrag von Werth ist
und sich als einzelnes Glied der Kette einreiht» welche zusammen-
zufügen Aufgabe der Metrologie ist, wird eine durchgreifende Be«
handlung derselben ermöglicht sein.
Unter den obwaltenden Verhältnissen ist beim Versuche dieses
Gebiet zu betreten , die Beschränkung auf ein engbegpränztes Feld
geboten» für dessen Bearbeitung sich in genügender Zahl Wägungen
und historische Nachrichten herbeischaifen lassen » welche die Ge-
winnung einiger Resultate in Aussicht stellen. Hiezu bietet sich am
geeignetsten die Münzorganisation Abdulmelik*8 des 6. omaijadischen
Chalifen dar » welche wie überhaupt so auch in metrologischer Be-
ziehung von einschneidender Bedeutung für das arabische HQnz-
wesen war und demselben einen bestimmten Charakter bleibend
aufgeprägt hat. Die folgenden Zeilen setzen sich demnach die Auf-
gabe » das Wesen dieser Münzreform und die durch dieselbe herbei-
geführten Veränderungen» soweit sie metrologischer Natur sind, in
Kürze darzulegen und jene Nominale aufzufinden» welche seither
die herrschenden und wichtigsten der arabischen Geldpräge gewor-
den sind.
Die Münzreform Abdulmelik's fallt in eine bedeutungsvolle Zeit
des Chalifats. Das arabische Weltreich» welches seit Jahren eine
Beute verschiedener religiöser und politischer Parteien gevrorden
Die Nominale der Muureform des Chalifen Abdulmelik. 241
war und io Folge dieser inneren Spaltungen und Kampfe aus seinen
•
Fttgeo zu gehen drohte, war durch die kräftige Hand Abdalmelik*s
wieder Tereinigt worden. Arabien ward nach dem Sturze Abdal*
Wb ben Zubeir unterworfen» Jrak und Ägypten wurden von zwei
Brüdern des Chalifen verwaltet i) » der Osten durch Muhalleb im
Zanm gehalten. Allerdings waren durch diese Erfolge die Empörungen
Dicht dauernd beseitigt, auch erschienen die Grenzen des Reiches
Doeh an manchen Punkten bedroht, aber das neugekräftigte Chalifat
war im Stande die vereinzelt auflodernden Aufstände niederzutreten
oad die auswärtigen Feinde siegreich zurückzuweisen.
Abdulmelik*s Bestreben richtete sich unter solchen Verhältnissen
Daturgemäss dahin, diese Wiedervereinigung des arabischen Reiches
durch entsprechende Massregeln einerseits zu stärken, andererseits
xum Aasdruck zu bringen. Wie in dieser Zeit die arabische Sprache
au die Stelle der bisher üblichen persischen in allen Verwaitungs-
zweigen trat, so wurde damals aus verwandten Beweggründen sowohl
als darch das unmittelbare Bedürfniss selbst hervoi^erufen, die Münz*
reform ins Werk gesetzt
Die reichsten und wichtigsten Länder des Chalifates hatten
bisher ihre besondere und ihnen eigenthümliche Präge behalten.
Wir finden in Syrien und Ägypten die romischen Solidi, im
westliehen Afrika die vandalischen Siliquen, in Persien die dege-
oerirte sasanidische Drachme. Diese Münzsorten cursirten neben und
dareheinander und die oft nothige Reducirung der einen auf die an-
dere musste vielfache Unbequemlichkeit und Irrung mit sich bringen.
Die Araber hatten allerdings nach den ersten glücklichen Kriegen
^Ihst zu münzen begonnen; sie schlugen Silberstücke mit dem
T?puü der Drachmen Chosroes II. *) auf den etwas reducirten MUnz-
fnss der letzten Sasanideu, aber sie dachten nicht daran, diese Silber-
präge zur ausschliesslichen Münze zu machen. Bei der Ungenauigkeit
and Regellosigkeit, mit welcher dieselbe ausgebracht wurde, war sie
hiezu auch nicht geeignet Der Staat übte auf ihre Emittirung in
keiner Weise eine Controle aus, vielmehr münzten die arabischen
') Jnk ^Bg un Jahre 75 la die Venraltnng al-Heddschadseh fiber.
') StS^e mit dem Typus der Drachmen Jezdegird lY. Bind sehr selten. — Die
Kepferprige, welehe nar proriociale und loc«le Bedeatuog hatte, kommt hier
«iehl ia Betrieht, eben so wenig: als die spirlicbe Goldprig^e.
Sitib. d. phil.-Ust. Cl. LXV. Bd. U. HfL 18
242 Ber^DBon
•
Statthalter und Generale in vollkommener Selbständigkeit und be-
gnügten sich auf die Stempel nur den eigenen Namen, nicht auch den
des Chalifen zu setzen. In naturlicher Folge konnte dieses Curant in
keiner Weise dispositive sondern blos enunttative Geltung haben.
Bei einer SilbermGnze, welche bis zu 0*6 Gr. unter dem Normal-
gewichte ausgebracht wurde, musste und konnte nur der Gebrauch
der Waage als des allgemeinen Exponenten massgebend sein. Dass
femer auch der Fälschung und dem Betrüge bezQglich des Feinge-
haltes Thür und Thor geöffnet waren , braucht nicht erst durch Ibn
Chaldun ausdrücklich bezeugt zu werden.
Das Bedurfniss einer Regelung dieser ungeordneten Geldver-
hältnisse musste sich daher lebhaft geltend machen. Die Ausdehnung
des Chalifafs über die entlegensten und verschiedenartigsten Länder
Asiens und Afrikas, die Anknüpfung und die Wiederbelebung alter
Handelsverbindungen, der erhöhte Austausch der Produete und
Waaren eines ungeheuren Gebietes erforderten ein allgemein gültiges
und bekanntes Verkehrsmittel. Hiezu kamen noch Motive politischer
Natur. Seit jeher war in Asien die Geldpräge ein dem Staate oder
vielmehr dem Herrscher allein zustehendes Vorrecht gewesen und Ab-
dulmelik war daher bedacht nach Herstellung des Chalifafs dasselbe
der Krone zurückzugeben. Ausserdem mussten die bereits von Omar
geregelten Steuerzahlungen die Nothwendigkeit eines gesetzlichen
und einheitlichen MOnzsystemes hervortreten lassen.
Diese Momente bewogen hauptsächlich Abdulmelik zur Inangriff-
nahme seiner Münzorganisation, welche im Jahre 77 (696 n. Ch. G.)
der Flucht ihren endgiltigen Abschluss fand. Wenn die arabischen
und byzantinischen Quellen i) über die Veranlassung dieser Münz-
reform berichten, dass Abdulmelik ein Schreiben an den Kaiser
Justinian U. mit den Worten begann „Sprich* Gott ist Einer**
und den Namen des Propheten hinzusetzte, der Kaiser aber im
Wiederholungsfalle auf seinen Münzen, deren die Araber sich
nothgedrungen bedienen mussten» des Propheten in unehrerbietiger
Weise zu gedenken drohte, und dann der Chalife, um dieser
') Abal mabasin ed. Jaynboll I. p. 195. Sojuti Tarich al Cbalafa M. S. der k. k.
Hofbibl. BI. 101. Makrisi, traite des moBBaies Masvlmaoea ed. S. de Saey p. 19,
rergleiohe dagegea Theophaaes ChroBogr. snm T. VI. des Joftiniao, und Zoaar««
ciUrt iB Eckhel Addeada ad doctriBam Bunonim veteniin. EIb Biheres Biia^rekea
auf diese Datea liegt hier la ferae.
Die Nomioale der MSosreform dea Chalifen Abdulmelik. 243
Drohung zu begegnen, eigene Münzen mit arabischen Aufschriften
iabe schlagen lassen, so mag dieses Ereigniss die Organisation eines
nationalen MQnzwesens zunächst hervorgerufen haben; sie war aber
jedenfalls langst unabweisbar und dringend geworden, und es wäre
ganz nnzureichend , dieselbe von dem erwähnten Vorfalle allein her-
leiten zu wollen.
Für die metrologisehe Untersuchung der Nominale der Munz-
reform Abdulmelik's ist es Tor allem nothig, einen gesicherten Ausgangs-
punkt zu finden. Einen solchen bietet in erwunschterWeise der Dinar
Abdalmelik's und seiner Nachfolger dar, indem dessen Normalgewicht
bei seiner ungemein genauen Ausmunzung mit der nothigen Sicherheit
bestimmt werden kann. Wir geben in der nachstehenden Ta-
belle eine Zusammenstellung Ton Wägungen dieser Dinare bis zum
Jahre 99 <).
AUlilneUk.
11.78— 4.28 Gr. a. 82— 4.225
Ä. 78-4. 262 „ «.82—4.238
a. 78— 4-15 „ (Stickel Handb. p. 10) a. 83— 4.225
41.79—4.23 „ kais. Kab. a. 86— 4.245
Welid. 1.
«.86—4.260 „ a. 92— 4.266
41.86—4.360 „ o. 93—4.036
tf.87— 4.260 r, «.96— 3.925 (schl.e.)
Ä.89-4.228 ^ a. 96-4. 260
41.91-4.20 „ (kais. Kab.) a. 96— 4-266
«.91_4.309 „ (Castiglioni) «) «.96—4.265
S^Uaai.
a. 96— 4.260 „ «.98—4.230
rf.96— 4.270 , «.98-4.240
4.96—4.288 „ «.98—4.250
«.96-4.288 „ «.98—4.265
0 Dm nieht aiher beseickDeten Stacke sind wb den Tabellen Qaeipo« : Eaui «nr les
■yetMiee m^lri^ee et mon^tairei dea anciena pevplea t. HI p. 608 entnommen,
'i M«Mte c«ficbe dell* I. R. Mnaeo di MUano p. LXIV.
18*
244 Berg^mano
a. 96— 4.290 Gr. a. 98— 4.265
a. 97— 3.930 « a. 98— 4.268
a. 97— 4.180 , a. 98-426-8
a. 97— 4.280 , a. 98— 4.270
a. 97 -4.260 « ^ a. 98—4.278
a. 97—4.268 , a. 98—4.278
a. 97-4. 270 « a. 99— 4.290
Die 9 StQeke Abdulmelik*s ergeben im Durchschnitte ein Gewicht
Ton 4-22 Gr., die 11 Stücke Walid*s von 4*21 Gr., die 22 Stucke
So]iman*8, bei welchen die Genauigkeit der Ausmünzung am deut-
lichsten hervortritt, von 4*26 Gr. für den Dinar. Hiermit treffen
die von Castigh'oni <) beigebrachten Wagungen von drei Glas-
stücken , welche nach ihren Aufschriften das Gewicht eines Dinares
darstellen, zusammen. Das erste derselben mit den Namen Asamah*s
ben Zeid, also aus der Zeit Walid's und Soliman*s wiegt 4*18 Gr.,
das zweite von Haian ben Seridsch 42*3 Gr., das dritte endlich aus
dem J. 414 4-28 Gr., im Durchschnitte also 4*23 Gr. Wir be-
stimmen demnach das Normalgewicht des Dinars Abdulmelik's
oder den >Ü^U*^ in runder Zahl auf 4*28 Gr. Wenn wir nun
der Herkunft dieses Nominals nachforschen, so fallt sofort seine ge-
naue Übereinstimmung mit dem Eifectivgewichte des römischen So-
lidus oder Goldstückes dieser Zeit auf, von welchem Kosmas sagt,
dass er bei allen Völkern sich finde, und an jedem Orte von
einem Ende der Erde bis zum andern gangbar sei und überall be-
wundert werde. Es ist daher nicht zu bezweifeln, dass Abdulmelik
bei Normirung des Dinars den Solidus zum Muster nahm, der bereits
in den Zeiten des Heidenthums bei den Arabern cursirte *). Das
byzantinische Gold war aber in den ehemals römischen Provinzen auch
nach ihrer Eroberung durch die Muslim in Umlauf geblieben , wie
denn positiv gemeldet wird, dass Omar Jrak seine Dirheme , Syrien
und Ägypten aber ihren Dinar beliess, unter welchem nichts anderes
als der Solidus verstanden werden kann. So leistete Ägypten nach
1) Dell* nso cot erano destiiiati i retri coo epigraphi. cafiche Milano 1647 p. 15.
*) Makrisi 1. c. p. 7. Die Heracia oder die Solldi des Kaiaers Heraclias werden tot«
den Arabiicken QueUen speeieH erwihnt r. traetatus de legallbaa Arabttm ponde«
ribua ed. Tychaea p. 19.
Die Nominale der Möoireforo de« Chalifeo Abdolnelik. 245
seiner Unterwerfung den Tribut in Solidis ; wenn ferner aus gleicher
Zeit Tabary berichtet «), dass die Einwohner der Stadt Tiberias in
Galiläa den Arabern eine jährliche Kopfsteuer von einem Dinar lo
fotriehten hatten , wahrend die persischen Häuptlinge Furruch und
Faruadad die nämliche Steuer in Dirhemen an Abu Obeid erlegten» so
leigt dies ebenfalls, dass Gold das Haaptcurant in dem früher romi-
sehen Syrien und Ägypten • Silber hingegen in Jrak war. Aus diesem
Grunde ist die Herleitung des Dinars aus dem sasanidischen Münz-
«ysteme wenig plausibel, wenn sie gleich metrologisch möglich ist;
denn Goldmünzen scheinen von den Sasaniden nur dann geschlagen
worden zu sein , ,,wenn in dem Kampfe zwischen Byzantinern und
Persem die Schale jener tief gesunken war >)*'. Das persische Gold-
stuek, welches unter Ardeschir I. ursprünglich als attisches Didrach-
moa ?on 8*48 Gr. ausgebracht wurde, schloss sich alsbald dem
Aureus der spateren Kaiserzeit und schliesslich im 4. Jahrhunderte
dem eonstaatinischen Solidus an. Mit Chusray I. scheint die Goldprftge
gänzlich aufgehört zu haben. Der geringe Umfang der letzteren und
der Mangel ihrer Continnitat bis zur Zeit der arabischen Eroberung
herab wie auch das bezeichnende Schweigen der arabischen Quellen
über dieselbe lassen es als durchaus unwahrscheinlich erscheinen,
dass dem Dinar als Muster das sasanidische Goldstück vorgelegen habe.
Wenn nun Makrizi«) sagt, dass Abdulmelik dem Ursprünge
des Dinars nachforschte, und hierbei fand, dass derselbe seit undenk-
liehen Zeiten im Gebrauche stand , so bedeutet dies wohl nichts an-
deres, als dass der Chalife wusste, dass das Effectivgewicht des da-
naligen Solidus oder seines Dinars mit dem Gewichte der späteren
attischen Drachme von 4*25 Gr. übereinstimmte. Letztere musste den
Arabern nm so bekannter sein , als sie auf dieselbe in vorislamiti-
seher Zeit selbst gemünzt hatten , wie die Silberstücke der nabathäi-
sehen Konige zeigen, und als auf den attischen Münzfuss auch die
sasanidische Siiberprage basirt war.
Das Gewicht des Dinars wird vonMakrizi*) auf 22 Karat weniger
1 Habba nach syrischem Fusse bestimmt, oder, da dieser Karat zu
') Aaaa^e, ed. KoMgartea p. II. p. 175 ti. p. 187.
') MoBmeea Geecbichte dea rdmUchen Mfinsweaena p. 749.
'J I. c. p. Zt.
*) 1. e. p. 9.
246 Berg'iniBD
4 Habba gerechnet wurde auf 21*78 Karat. Hieraua ergibt sich die
Gleichsetzung von 4*25 Gr. als dem nachgewiesenen Gewichte des
Dinars mit 21*75 Karat.
Derselbe Schriftsteller fBgf jedoch noch bei» dass Abdulmelik
die Fabrikation seiner Dinare nach dem sogenannten syrischen
Mithkal mayarregelte, ^^Ton welchem 100 Dinare gleich sind 102
Dinaren des andern Gewichtes i}*. Letzteres wird jedoch nicht nfiher
bezeichnet und seine Bestimmung wird erst durch die Berechnung
des Mithkals roajal ermöglicht. Dieser muss» da er als Gewichtsein-
heit dem Dinare zu Grunde gelegt wurde» schwerer als letzterer sein.
Wenn nun berflcksichtigt wird, dass das Duodecimalsystem das herr-
schende war, und der romische Solidus ebenso wie der sogenannte
mekkanische Mithkal, welcher übrigens mit dem Dinar identisch ist, zu
24 Karat gerechnet wurde, so kann man kein Bedenken tragen, den
syrischen Mithkal mayal zu 24 (schwereren) Karat anzusetzen. Wir
erhalten hiernach durch die Proportion 24 : 21*75 «bj?: 4-25, als
Gewicht des in Rede stehenden Mithkal 4*69 Gr.
Es hält schwer den Ursprung desselben zu ermitteln, immer-
hin dQrfte seine Herleitung als sechster Theil der Unze eines
ägyptisch-römischen Pfundes von 339*84 Gr., welches aus 96 ptole-
mSischen Drachmen gebildet wurde *), am richtigsten sein. Die Rech-
nung nach Drachmen, Obolen und Chalkus erhielt sich bis lange
nach Diokletian in Ägypten <) und bei defii steten und engen Ver-
kehre dieses Landes mit Syrien liegt es nahe, dass obiges Pfund auch
daselbst Eingang und allgemeine Verbreitung gefunden, und bis auf
die byzantinische Zeit herab sich im Gebrauche erhalten habe. Hiemit
stimmt auch die Nachricht *}, dass man damals zwei Pfunde kannte,
welche im Verhaltnisse yon 72:75 zu einander standen, eine Rela-
tion, die genau mit den zwischen dem römischen Pfunde tob
0 I. c. p. 19.
*) Hieranf bat Qneipo 1. e. Bd. II. p. 115 saerit aafmerksam gemacht. Die Formiriing
nener Pftande lo 06 Drachmen durch die Römer hatte ihren Grend darin, dnae der
römiache Denar der ipiteren Zeit la y§e dea römischen Pfandes aueg'ebracht
wurde.
') So blieb auch die Artabe,ein igyptiaches Oetreidemasa, bis auf die Zeil der Amber
im Gebmuche.
*) Pancton, Metrologie p. 2S4.
Die Nominale der Mfinxrefonn des Cbalifen Abdulnelik. 247
327*434 Gr. und dem ägyptisch-römischen von 339-84«) Gr. beste-
heodeo zasammenfallt. Sie entspricht aber auch in merkwürdiger Weise
jener Ton 100: 102, welche Makrizi zwischen dem Mithkal majal und
dem anderen nicht näher bezeichneten Mithkal aufstellt. Indem wir nun
die Proportion ansetzen: 100 : 102 s»j7: 4*69» so erhalten wir als Ge-
wicht des zweiten Mithkals 4*59 Gr. Dieser Mithkal yon 4*59 Gr.
stimmt aber mit dem bekannten Exagium solidi Romani von
% Pfd. oder 4*55 Gr. sehr genau uberein und der geringe Gewichts-
unterschied von 0*04 Gr. kommt um so weniger in Betracht, als die
anbischen Metrologen derartige Differenzen überhaupt nicht berück-
sichtigen» vielmehr die verschiedenen Relationen mit Vorliebe in
randen Zahlen ausdrucken >}. Wir sehen hieraus, dass Abdulmelik
das romische Gewichtssyslem seiner Munzorganisation als Basis gab.
Er nahm aus demselben den Mithkal mayal von 4*69 Gr., und gleich-
zeitig einen andern Mithkal von 4*59 Gr. oder das Exagium Solidi
herüber, und zwar nicht blos als Gewichtseinheit, sondern auch als effec-
tires Nominal. Das kaiserliche Cabinet verwahrt nämlich ein Goldstück
ans dem Jahre 92 von 4*76 Gr., welches in Berücksichtigung der damals
ungemein genauen Präge in Gold unmöglich ein Dinar sein kann, da
in diesem Falle die Übermünzung 0*5 Gr. betragen würde. Es muss
daher dasselbe den Mithkal mayal darstellen, welcher überdiess nach
dem Verhältnisse von 21-75:24» 9: 10 sich auf 4*72 Gr. stellt.
Eine andere von Castiglioni >) publicirte Goldmünze vom Jahre 77
wiegt 4*539 Gr. und ist daher nichts anderes als das Exagium solidi
Romani. Es finden sich also in der arabischen Goldpräge drei Nomi-
nale römischen Ursprunges vor, der Dinar von .4*25 Gr. welcher dem
Effeetivgewichte des Solidus entspricht, der Mithkal mayal von
4*69 Gr. oder ^73 des ägyptisch-romischen Pfundes, und ein
zweiter Mithkal von 4-55 Gr. oder das Exagium Solidi Romani von
V?» des römischen Pfundes.
Die arabischen Schriftsteller pflegen gewöhnlich den Mithkal
mayal und das Exagium solidi unter einander und mit dem Dinar zu
verwechseln und nur vereinzelt findet sich eine versteckte Angabe,
0 Zwei SiUicrstficke des Kaisers Heradiiis von 4'66 Gr. scheinen auf eben dieses
Pf«nd gesehlagcD %u sein, Tergl. V\n\uj on Roman and Bjs. money p. 11.
') 80 wird der Dinar tob 21*7S Karat zum Dirhem too 18 Karat stets in das Verhilt-
nise TOB 10:7 (pesetxt, wlhrend dasselbe ^nau sicJi aof 10:6*89 steUt.
*) MoBete cufiche dell* I. R. Museo di Milano. Milano 1S19 p. LXIV.
248 B . r r
a n n
welche den Unterschied derselben hervortreten lässt. So sagt einmal
Makrizi 1)9 dass der Dirhem, der Dinar und derMithkal verschiedene
Nominale seien und bemerkt am anderen Orte*), dass letzterer ly»
Dirhem und 3 Habba enthalte, eine Bestimmung» die auf ein Gewicht
von 4'S3 Gr. führt und entschieden das Exagium Solidi im Auge hat.
Ferner finden sich bei Beruard <) folgende Angaben nach arabischen
Quellen: M^enim mithcalum quod vocatur Solidus, nummus aureus,
pondus habet «/^ unciss**, wonach unter dem Mithkal das Exagium zu
verstehen ist, und ^mithcalum quod est pondus eximium, Italis
Mittigala atque denarius aureus Arabum sequat 20 ceratia» Mith-
calum vero graecanicum, Jl<^) Jli^l aut drachma attix>7 duobus
cenitiis minor sentitur Mithcalo Arabico^*' Da unter der attischen
Drachme zu 18 Karat das Gewicht des Dinars von 4-2S Gr. gemeint ist,
80 ergibt sich für den erstgenannten Mithkal von 20 Karat, welcher
im Verhältnisse von 10:9 zur attischen Drachme oder dem Dinar
steht, ein Gewicht von 4*72 Gr. und fallt derselbe somit mit dem
Mithkal mayal zusammen.
Von letzterem ist jedoch streng zu scheiden der sogenannte
mekkanische Mithkal, der auch zu 24 Karat — aber 1 Karat zu 3 Habba
also 72 Habba — gerechnet wurde; dieser mekkanische Mithkal ist nur
ein anderer Ansatz des legalen Dinars von 21 '7S Karat syr. Diess
zeigt sich mit Evidenz bei Berücksichtigung des Verhältnisses von
10:7, in welches dieselbe zum legalen Dirhem von BOYs Habba
nach mekkanischem Gewichte gesetzt wird. Weil nun dieser legale
Dirhem mit dem von Abdulmelik auf IS Karat syrisch normirten
Dirhem ausdrücklich identificirt wird^), der zum Dinare von 21*75
Karat in gleicher Relation von 7: 10 steht, so erhalten wir aus den
Proportionen 72:50V5 = 10:7, und 21*75:15« 10:7, die Gleich-
setzung von 21*75 Karat syr. mit 24 Karat mekkanischen Ge-
wichtes. Der Dinar von 4*25 ist daher mit dem sogenannten mekka-
nischen Mithkal identisch. Die häufige Verwechslung des Mithkals
mayal und des Dinars erklärt sich aus der allgemeinen Bedeutung des
0 De ponderibus p. 6.
*) 1. c. p. 40, Tgl. dagegea p. 44 A>^ pU»! i^^^ ^J^ J^^^
*) De menaaris et ponderlbua aotiqata libri trea. Oxoniae p. 110.
^) Makrizi 1. c. p. 28.
Die Nominale der MÜMreform des Chalifen Abdnlmelik. 249
Wortes HithkaU welches ein Gewicht überhaupt bezeichnet; da-
durch wird auch die Nachricht verstandlich» dass in der Zeit des
Heidenthumes der Dinar oder die Goldmünze eben so wie der Dirhem
oder die Silbermunze Mithkal genannt wurden. Gewohnlich ist unter
dem Hithkal der Dinar als die häufigste Goldmünze zu Ycrstehen,
und wird derselbe auch genauer als Mithkal-el-Dhahab bezeichnet Q.
Der Mithkal mayal enthielt nach syrischem Gewichte 24 Karat
und Tier Habba oder 96 Habba» der Dinar dagegen 21 -TS Karat oder
87 Habba. Die letztere Zahl ist so irrationell, dass sie sich für Be-
rechnongen und Theilbeträge sehr unbequem darstellen musste.
Es lassen sich auch in der Th;it mehrfache rationelle Ansätze für den
Dinar nachweisen, die sich daher erklären, dass das Gewicht des zu
Grunde gelegten Getreidekornes in den verschiedenen Ländern
wechselte. Während, wie bereits erwähnt, der Dinar zu Mekka zu
24 Karat oder 72 Habba gerechnet wurde, findet sich auch ein An-
satz desselben zu 24 Karat ä 4 Habba, oder zu 96 Habba leichteren
Gewichtes, denn bei Bernard werden 3S arabische Dinare 3360 Granis
hordei gleichgesetzt, was für den Dinar genau 96 Gran ergibt «).
Ebendaselbt wird auch gesagt (p. 110), dass in Sicilien der Aureus
oder Dinar 90 Gran gleichstand <).
am
Übereinstimmend wird in den arabischen Quellen ^) berichtet,
dass das Verhältniss des Dinars zum Dirhem oder der Silbermunze
bezuglieh ihres Gewiehtes auf 10:7 fixirt wurde. Wendet man
diese Relation auf den Dinar an, so erhält man als Gewicht des
Dirkems 4*25 :a?= 10:7,0? = 2-97 Gr. Stucke von diesem Nor-
malgewichte finden sich oft genug in der Silberpräge Abdulmeliks
und seiner Nachfolger; es ist jedoch nicht zu verkennen, dass der
Dirhem bereits in erster Zeit weniger sorgfältig als der Dinar aus-
gebracht wurde. Die vorstehend gegebene Bestimmung des Normal-
<) Herbcloi, orientaliMhe BibUothek unter dem Worte Mithkal, rergl. auch Dachaa-
km itt der KonatantiBopler Aoagabe Bd. U. p. 161. wJ^jJl J^U« J^lj JUullj
• ••
In Penieo wurde sogar die Hilfte des Oirhems Mithkal genannt, t. Ibn Hankal
cd. Ooeeley p. 135.
«) L c. p. 141.
') Das Gcwickt des Dinars blieb, wie die Mfinsen zeigen, in allen LXndern dasselbe.
Wean derselbe I. c. % Dirhemen gleichgesetst wird, so erUirt sich diess aas der
spit«rea leiebteren Ansnunsang des Dirhems.
^) AbnlMnliastn I. p. 196 ; Ibn Chaldnn in der Chrestomathie Arabe Ton Sacy p. 282
■ad ZM etc.
2S50 Ber^minn
gewichtes des Dirhems wird auf das Glücklichste durch ein von
Hofrath Sticke) publicirtes KupferstQck i) bestätigt, welches die Auf-
schrift L>Ui^P aUI Jiytj x^ trägt und demnach das Exagium eines
Doppeldirhenis darstellt. Dasselbe wiegt 5*93 Gr. und ergibt sich
daraus als Gewicht des Dirhems 2*96 Gr.
über den Ursprung des letzteren finden sich in den arabischen
Quellen zwei verschiedene Versionen. Die eine» welche von Makrizi
und auch von Ibn Chaldun beigebracht wird, sagt, es sei der Dirhem
bagli zu 8 Danek und der sogenannte alte Dirhem tabari zu 4 Danek,
welche bisher unter den Arabern coursirten, summirt und auf das
Mittel dieser Summe der legale Dirhem von 6 Danek geschlagen
2-97
worden. Das Gewicht des Danek stellt sich demnach auf =«
o
0-49 Gr. Der Dirhem bagli muss also 8.0*49 » 3*92 Gr. der alte
Dirhem tabari 1*96 Gr. gewogen haben. Die andere Version wird von
Ibn Chaldun und Abulmahasin gegeben; da jedoch beide dem Vl^ort«
laute nach differiren, so setze ich die betreffenden Stellen her.
Ibn Chaldun schreibt:
Die Stelle bei Abulmahasin*) lautet:
^) ZeiUchrift der deutschea morgenl. Geiellschaft Bd. XI. p. 4S9. Der daselbet
benen Dentnng dee in Rede stehenden KnpferaCflckes als Doppelstfick einer
rÖmisch-atUschen Rechnungsdrachme kann ich daher nicht beistioinien.
*) ed. Juynboli I. p. 213. Terpl. p. 196.
*) Der Text hat Äjjü^, was nichts bedeutet; es muss wohl Äj3u^ heisaen, das sich
Übrigens auch in einer Handschrift findet. Diese Correotur ist pallographiach
vollkommen gerechtfertigt; an öajKio su denken geht nicht an.
Di« Nominale der Mfiazreforn äea Cbiüifen Abdnimelik. 251
Aos Ibn Cbaldun ergibt sich folgender Ansatz:
1 Dirhem im Gew. des Mithkals 9 od. Dinars » 4-25 Gr. » 20 Kar.
V, „ n n von% „ „ ^ «2-12 « «10 ,
f » » M Vi© »• « » SÄ 2*oo M =12 M
8-92 Gr. ^ 42 Kar.
Als Mittel dieser Summe Yon 8*92 Gr. erhält man für den
Dirbem 2*97 Gr. oder 14 Karat.
Nach Abalmahasin dagegen gab es folgende Dirheme:
1 Dirhem wafi zu 1 Mithkal oder Dinar » 4*2S Gr.
1 » bagli «V. ^ ^ ^ « 2-12 «
1 n Zijadi , Vio n n n = 2'8S .,
8-92 Gr.
Beroerkenswerth sind hier die Benennungen der yerschiedenen
Arten ron Dirhemen. Der Dirhem wafi entspricht dem Dirhem Ton
20 Karat bei Ibn Cbaldun und ist das alte sasanidische SilberstGck,
dessen Normalgewicht der späteren attischen Drachme ?on 4*26 Gr.
gleichstand. Das HalbstQck von 212 Gr. oder 10 Karat wird ferner
TOD Abalmahasin als Dirhem bagli bezeichnet. Dies ist aber ent-
schieden falsch. Der letztere wird vielmehr in allen anderen Quellen
hoher normirt Anderseits gibt die Unterscheidung, welche hier
zwischen dem Dirhem wafi und dem Dirhem bagli gemacht wird,
einen Fingerzeig, dass zwischen beiden eine Differenz besteht, wenn
sie gleich gewöhnlich mit einander yermengt und ihre Bezeich-
QQDgen wafi und bagli als identische gebraucht werden. In der That
findet sich bei Hakrizi sowohl als bei Ibn Cbaldun ein doppelter Au-
satz far den Dirhem wafi oder aswad und für den Dirhem bagli,
iodem der erstere einmal auf 1 Mithkal*)» der andere aber auf
8 Danek bestimmt wird. Vielleicht gelingt es mir im Folgenden, eine
Erklärung dieses scheinbaren Widerspruches beizubringen. Die
Araber legten ihrem ersten Silberpräge den Munzfuss der letzten
Sasaniden zu Grunde, ja verringerten diesen um ein Geringes. Ich
stelle in der folgenden Tabelle die mir bekannten Wägungen dieser
') Uater den Mithkal kaon hier nar das Gewicht des Dioars Teratanden werden, da die
•aeaaidiache Prif^e den syriaehen Mithkai mayal nickt kennt.
*) Makrni 1. c. p. 6 u. p. S. Der Dirhem wafi wird Ton Makrizi am ersteren Orte
aack kagU geanBBt.
252
Berf^miiiin
arabisch-sasanidischen Silberstucke in chronologischer Ordnung
zusammen <).
Jtkr
Oewiehl
Prl^art
Mlislicrr
20
3-72
—
—
a.26 -
3-748
Adterbeidschan
Obeidallah ben Zijad
a.26
3-952
Andmeseh
Selim ben Zijad
Ä.26 -
4005
fr. 10 St.)
Herat
ft n ft
41.27 -
. 1-97
Nitchapur
Obeidallah ben Zgad
a.35
3-796
R^
—
a.45
3-913
Darabdschird
Obeidallah ben Zijad
a 53
3-941
Basa
Zijad ben Abu Sofian
a.53
2 018
Nisa
»!»»••
a.54
3-748
Basa
19 n f» ff
0.54
3-70
Darabdschird
» » 1» 9»
aM
3-845
n
Abdallah ben Zobeir
aM
4 133
Adierbeidseban
Obeidallah ben Z^ad
a.56
3-268
Basa
N 1» «•
6.56 •
3-796
Sikaschtan
Selim ben Zijad
a.59
4-181
Basra
Obeidallah ben Zijad
a.60
3-845
Darabdschird
Abdallah ben Zubeir
a.62
4-085
Ledan
Obeidallah ben Zijad
11.63?
3-700
Cbttbna
Abdallah ben Hlisiiii
0.63
3*641
Merw
Selim ben Zijad
0.63
3-304
Kirman
Abdallah ben Zubeir
0.63
3-364
Stachr
Abdallah ben Hazim
0.63
4 056
(5 St)
Merw Rud
Selim ben Zijad
0.63
3.855
(29 St)
Merw
Abdallah ben Haztm
0.66
4-085
Sedseheatan
Abdalasis ben Abdallah
0.66 —
3-977
—
—
m ff f»
0.67
3-933
(8 St) —
Baba
Abdallah ben Hazim
0.67
4-049 (4 St.) —
?
n n M
0.67
4146
Herat
?
0.67
3-724
f»
Selim ben Ztjad
0.67
3-674
(12 St)
9
•
» » M
0.68
4-069
(7 St)
Baaa
Omar ben Obeidallah
0.68
3-933
(4 St)
Andmeseh
—
0.69
3-941
n
—
0.69
4049
Merwrud
Abdallah ben Hasioi
0.69
3-208
Stacht
Omar ben Obeidallah
0.70
3-989
w
1» » It
0.72
3-434
Andmeseh
?
0-72
3-861
Kirman ?
?
1) Ver^l. MordtmiDD, Erkliruog der Münzen mit Pehlri-Legeaden.
Die Nominale der Mfinsreform des Chalifen Abdulmelik. 253
Jtkr
Gcwickt
Prfigrcurt
Mlaihcrr
a.n
3-86
Kirmiin
?
a.73
4*336
Schadscha
Numeir ben Muhalleb
a.73
3-998
— ?
?
8.73
4-133
Sikadsehtan
Omeije ben Abdallah
a.73
4'Ä77
9
n n n
a.n
3-724
Choracan ,
n n n
a.74-
- 3-821
Baia
Chalid ben Abdullah
«.75
3-652
»
Muhalleb ben Abu Sufra
a.7S
3-821
Merw
Abdolmehk ben Merwan
0.76
3-49
Baaa
Muhalleb ben Ahn Sufra
a.76
3*628
Darabdachird
n n n t$
a.78
3-891
Andmesch
Heddschadsch ben Juauf
8.79
3-70
Baaa
» » »
a.80
3-62
n
tt tt tt
e*80
3-869
n
19 n »
a.83
3-941
Die Ungenauigkeit der Ausmunzung dieses arabiseh-sasanidi-
sehen Silberstuckes fallt sogleich in die Augen ; das EffectiTgewicht
desselben schwankt von 4-3 — 3*3 Gr., sein Normalgewicht kann aber
aaf 3'9 Gr. angesetzt werden. Neben diesem Ganzstücke findet sich
aach dessen Hälfle. Ein solches Stück von Obeidailah ben Zijad aus
dem J. 27 wiegt 1-97 Gr., ein anderes von Zijad Abu Sofian aus
dem J. 53 2-018 Gr. Wenn wir uns nun des Gewichtes des Dirhems
bagli von 8 Danek oder 3-92 Gr., ferner des Gewichtes des soge-
nannten alten Dirhems tabari zu 4 Danek erinnern, so bemerken wir
sofort die Obereinstimmung derselben mit diesem arabisch-sasani-
dischen Silberstucke und die Zulässigkeit der Identifizirung der-
selben dürfte kaum mehr zweifelhaft erscheinen. Die anscheinend
widersprechende Angabe bei Makrizi und Ibn Chaldun, dass der auch
bagli genannte Dirhem wafi einen Mithkal oder 4-25 Gr. wog ist leicht
za erklaren. Dieselbe zielt auf das Norinaigewicht des sasanidischen
Dirhem von 4-25 Gr., und bezeichnet in mehr theoretischer Weise
den Hunzfuss, auf welchen letzterer geschlagen wurde. Der Dirhem
wafi im Gewichte eines Mithkal war die normale alte sasanidische
Silbermünze, der Dirhem bagli zu 8 Danek, welcher wegen seines
leichteren Gewichtes auch Zajif *JSj genannt wird *), das Silber-
stuck der arabisch-sasanidischen Präge ; beide konnten um so
') Makrizi de pooderibnt p. 7.
254 Bergmann
leichter verwechselt oder identificirt werden, als sie gleichen Typus
hatten i).
Gegen die vorstehend gemachte Identificirung des sogenannten
alten Dirhems tabari mit dem Halbstöcke des arabisch-sasanidischen
Dirhem spricht ausser dessen Namen noch die vereinzelt stehende
Bemerkung Makrizi's in seiner Abhandlung Ober die arabischen Ge-
wichte s), dass derselbe römische Aufschrieen hatte. Sie hat die Ver-
anlassung zur Conjectur Schulten*s gegeben, dass der alte Dirhem
tabari seinen Namen von der Stadt Tiberias in Galilaea erhalten
habe, indem vielleicht an diesem Orte der Handelsverkehr zwischen
Byzantinern und Arabern am lebhaftesten gewesen und eine in die
Hände der letzteren gelangende byzantinische Münzsorte in Folge
davon Tabari genannt worden sei. Eine andere Hypothese stellte
viel später Castiglioni auf. Er bestimmt in ziemlich richtiger Weise
das Gewicht des Dirhems tabari auf 41 Gran mailändisch oder
2*091 Gr., will aber die Benennung tabari von den Kaisern Tiberius
Mauritius oder Tiberius Constantin, die keineswegs eine bedeutende
Rolle spielten, herleiten. Castiglioni sieht sich jedoch zu dem Geständ-
nisse genöthigt, dass das Gewicht des Dirhems tabari mit einer der
romischen Präge angehörenden Nominale nicht übereinstimme <) Es
existirt auch in der That kein römisches oder byzantinisches Nominale,
das auch nur mit einigem Grunde mit dem Dirhem tabari identificirt
werden könnte, und wird daher diese Erklärung, die sprachlich aller-
dings möglich, hinfallig. Überdiess ist es wenig plausibel, dass die Araber
den in Rede stehenden Dirhem nach der Stadt Tiberias oder nach
einem Kaiser Tiberius genannt haben sollten, da weder die erstere
noch eine der letztern in besondere Berührung mit ihnen kam. Da-
gegen dürfte wohl folgender Erwägung Raum zu geben sein. Ais die
Araber geraumere Zeit später Taberistan eroberten, schlugen ihre
1) So durften nnch unter der MilUon schwerer Dirbeme, welche Chalid von den
Hirensern beim Friedensschlüsse erhielt (^'Jb cjül ou| ip ^»^V«^i^ Tabari
Annales II. p. 47) die ilteren Silberstücke au verstehen sein.
^) 1. c. p. 87; weder in der Abbatidluag über die muhamed. Münsen noeb Imi n>B
Chaldnn wird etwas davon gemeldet
^) Deir uso cui erano destinati i Tetri p. 19. Die Herleitnng des Namen« tabari von
der Stadt Tiberias findet sich auch noch in der Zeitschr. der morgenl. GeaelUeh.
Bd. XI. p. 451.
Di* Nominale der Mftnsreform dee . Chelifea Abdalmelik. 2o5
Stattbalter daselbst Silberstucke mit dem sasanidischen Typus; diese
Udänglieh bekannten Münzen wurden auf den späteren sasanidisch-
arabiseben Fuss gesehlagen und wiegen 2*2 Gr 1*4 Gr., stimmen
also im Uurohsehnitte vollkommen mit dem sogenannten alten Dirhem
tabari von 1*96 Gr. überein. Die arabischen Schriftsteller» welche
diesen in Tabaristan geschlagenen Dirhem Torxugsweise kannten,
Daanten nun das im Gewicht und Typus gleiche Halbstack des
Dirbems bagli ebenfalls Dirhem tabari, obgleich dasselbe keineswegs
in Taberistan geprägt worden war* und unterschieden es von
dem späteren eigentlichen Dirhem tabari durch die Benennung J^
oder alt
Nur in diesem Falle hat dessen Bezeichnung als „ alter Dirhem
tabari** einen Sinn, während sie sonst bei Bezeichung auf eine byzan-
tinische Mfinzsorte gegenstandslos und unverständlich wäre. Die Nach-
richt Hakrizi's, dass der alte Dirhem tabari römische Aufschriften
trag, beruht auf einer Confusion, wie sich deren bei ihm nicht selten
finden.
Ausser dem Dirhem wafi und dem Dirhem bagli wird in der
citirten Stelle Abulmahasin*s noch ein drittes Nominal, der Dirhem
Ton 2-55 Gr. oder </io Mithkal genannt. Während aber Ihn Chaldun
dasselbe zu einer sasanidischen Münzsorte macht, nennt ihn Abul*
mabasin, Dirhem Zijadi, eine Bezeichnung, die nur auf Zijad ben Abu
SoGan zurückgeführt werden kann. Thatsächlich findet sich weder
in byzantinischen noch in der sasanidischen Präge ein gleiches No-
minal, das daher arabischen Ursprunges sein muss. Wir kommen
noch später darauf zurück <). Welche der beiden Darstellungen über
das Entstehen des legalen Dirbems von 2*97 Gr. ist nun die richtigere.
*) Bei Mekrizi werden noch 8 tndere Arten Ton Dirhemen genannt, welche in vor-
islaaitiischer Zeit bei den Arabern coursirten, nimlich der Dirhem jement
▼o« i Danek oder 0*49 Gr., der Dirhem Magrebi ron 3 Danek oder 1*47 Gr. und
der Oirkem dachnvareki von 4*4 Danek oder 2*20 Gr. Der Dirhem mBg:rebi iit
wokl die Siliqna dea Raieers Jnstinian^s und der Vandalen, woiu auch der Name
trcffliek atammt, von eben diesem Gewichte. Der ietztgenannte Dirhem ist schwer
tm. ideatüeiren, es mag wohl in der Tereinzelten Angabe Makriais ein Fehler
stecfcta ; die Ton Hofrath Sticke! gegebene Erklimng seines Namens als ans graecas
verdorben scheint noch am plansib eisten ; Tielleicht steckt das Halbstfick der
syrisek-^eltiaclien Drachme dahinter.
256 Berg
■ DD
jene die denselben aus der Summirung der Dirheme bagli oder tabari,
oder die andere, welche ihn ans der Summirung der besprochenen drei
Münzsorten herleitet? Die Entscheidung rouss wohl zu Gunsten der
ersteren lauten; die Dirheme bagli und tabari wurden von den Ara-
bern im Gegensatze zu dem älteren sasanidischen Silberstucke von
4.25 Gr. selbst geschlagen und waren das bekannteste und allge*
meinste Silbercourant. Es, lag nahe durch die besprochene Operation
aus denselben ein neues Nominal zu schaffen, welches den doppelten
Vortheil einer 'sehr einfachen und praktischen Relation sowohl zur
häufigsten Goldmünze, dem Solidus oder dem spätem Dinar (7: 10)
als auch zu den älteren Dirhemen bagli und tabari (6:8 oder 6:4)
bot, die nicht plötzlich aus dem Verkehr gezogen werden konnten.
Der Dirhem von Vio Mithkal, der in der zweiten Version genannt
wird, wurde entschieden in geringer Menge und nur vorübergehend
geschlagen und es sind mir nur ein Paar Stücke bekannt, welche auf
ihn gedeutet werden können 9* Die Wahrscheinlichkeit, dass er
überhaupt in Rechnung gebracht worden, ist daher sehr gering. —
Der legale Dirhem von 2*97 Gr. ist also das Mittel der summirten
Dirheme bagli und tabari. In Betreff des Zeitpunktes seiner Creirung
differiren jedoch die Quellen. So werden bei Makrizi und Ihn Chal-
dun verschiedene Zeugnisse gegen einander aufgeführt, welche
Abdulmelik die Priorität für die Normirung des legalen Dirhem*s theils
zu- theils absprechen. Nach den Angaben Makrizi*s und IbnChaldun^s
selbst kann nur das letztere das richtige sein, denn es wird aus-
drücklich gesagt, dass Zijad Abu Sofian (4- SZ) Dirheme auf den
Fuss von 7:10 bezüglich des Dinares schlug, gleicherweise wie
Musab ben Zobeir, der dem sasanidischen Stempel seiner Dirheme
noch die Worte „Segen von Gott*« beisetzte«).
Wenn ferner gemeldet wird >), dass Al-Heddschadsch bei der
Übernahme der Verwaltung der Provinz Jrak im Jahre 7S diese
Münze Musab's änderte, so beschränkte sich diese Änderung nach
^) Diese •ind:
a.4S . 2'25S Gr — BebisUn —
a.55 . 2*258 „ — Bast — Z^jad ben Abu Sofian
a.(M) . 2*523 „ — Basra — Oheidallah ben Zyad
a.65 . 2 '656 „ — Adierbeidscbau — Abdallab ben?
') Ver^I. die Bemerkang^ Stickers hiexu in der Zeitscbr. der deaUch-mors«iil.
Gesellschaft, Bd. XX. p. 344.
3M. c. p. 17.
Die Nominale der Monsreforin dea Chalifen Abdalnuelik. 2S7
dem Zeugnisse desselben Makrizi «) bloss auf die Umscbrifty indem
der froheren bereits angeführten Legende die Worte 9,\m Namen
Gottes Heddsehadsch" substituirt wurden *).
Diese Nachrichten werden in überraschender Weise von den
Mflozen selbst bestätigt, da sich Dirheme aus der Zeit Yor Abdul-
oelik's Reform finden, deren Gewicht keine andere Deutung derselben
ab auf den sogenannten legalen Dirhem zulässt. Ich stelle sie hier
zusammen nnd bemerke, dass bei der damaligen ungenauen Präge
Gewichtsdifferenzen bis zu 0*2 Gr. nichts Auffallendes oder Bedenk-
liches haben.
— Obeidallah ben Zijad
— Zijad ben Abu Sofian
d
.63.
2-991
—
?
a
.43
2-907
Darabgird
a
. 2
2-85
?
a.
.54
2-835
Schadscha
a.
,61
2.80
—
?
a
•67
^—
2-787
—
Zadrakarta
a.
.51
o...
2-715
Basra
— Obeidallah ben Zijad
?
~ Zijad ben Abu Sofian.
Diese Wägungen genügen, um die Existenz des legalen
Dirhems Tor Abdulmeliks Reform festzustellen, und die Richtigkeit
der Angabe arabischer Quellen über die Präge Zijad*s ben Abu Sofian
darzuthun. Abdulmelik fand demnach bei seiner Münzorganisation
den legalen Dirhem als effectiTes Nominal vor, und beschränkte sich
diesen mit Beseitigung der älteren ungenau ausgebrachten Münz-
sorten zur alleinigen Geltung zu bringen. Wenn nun Abdulmelik die
PHorität derCreirung des Dirhems von 2*97 Gr. abzusprechen ist, so
drangt sich die Frage nach der Zeit, in welcher dieselbe stattfand,
auf Wir sind hier zu einem schwierigen Punkte dieser Erörterung,
olmlich zum Dirhem Omar*s gelangt.
Nach Makrizi*s Angabe schlug Omar Dirheme auf das Verhält-
niss von 6:10 bezüglich des Mithkals. Die Stelle lautet: „Damals
0 4c ponderibas p. 87.
*) Dms Beddschadsch mehrere Sorten Ton Dirbemeo schlagen liess, wird antdrücklieh
gesagt (1. c. p. Z5). Gleiches xeigen die tod Abalmabasin etc. beigebmcbten
Terscliiedenen Aufschriften seiner Silbermfinsen. Dieselben sind: >>l^) aU) ^
J»A AUljJb Jj , nnd J^l aUI JoA aUI Die leUtere gehört wohl in die Zeit
der Manxrefom Abdulmellk^s. .
Sitsb. d. pba.-bist. a. LZY. Bd. IL Hft. 19
258 BcrgmtBn
(im Jahre 18) Hess Omar Dirheme mit denselben Typen, wie sie zu
den Zeiten des Chosroen im Gebrauche waren, und in gleicher Form
prägen, nur dass er auf die einen die Worte ,,Lob sei Gott*«, auf
andere „Muhammed ist der Gesandte Gottes«*, auf andere wieder
^Es gibt keinen Gott ausser Einen Gott.«« oder auch seinen Namen
„Omar^ hinzusetzte ^y Er regelte ihr Gewicht nach dem Verhältnisse
von 10 Dirhemen fQr 6 Mithkals. — Bevor wir die Hichtigkeit dieser
Nachricht untersuchen, ist es vor Allem n5thig, in Klarheit darüber
zu kommen, wie der Schlusssatz der angezogenen Stelle aufzufassen
sei, ob nämlich unter dem Worte Mithkal der Dinar oder der eigent-
liche Mithkal mayal zu verstehen sein durfte. Zu Gunsten der letz-
teren Deutung lässt sich allerdings geltend machen, dass der Dinar
oft mit dem Mithkal mayal verwechselt wurde. In diesem Falle
würde sieh der Dirhem Omar*s nach der Proportion 4*72: d? =
10:6, auf 2-83 Gr. stellen und in nicht sehr bedeutender Weise von
dem legalen Dirheme von 2*97 Gr. diflferiren. Andererseits, und diese
Erwägung ist hier wohl entscheidend, wird in den arabischen Quellen
durchgehends die Darstellung der verschiedenen MQnzfusse durch
eine zwischen dem legalen Dirhem und dem Dinar gezogene Relation
gegeben. An dieser wurden die Schwankungen der Präge in einfacher
und zugleich vollkommen deutlicher Weise autgezeigt. Es ist daher
kein Grund abzusehen, dass Makrizi in der angezogenen Stelle mit
dem Worte Mithkal nicht den Dinar, sondern den Mithkal mayal
gemeint oder selbst eine von ihm benützte Quelle, in welcher er diese
Angabe fand, missverstanden habe. Unter der Bezeichnung Mithkal
kann also nur der Dinar gemeint sein und es wurde sich, die Rich-
tigkeit der gegebenen Relation von 6: 10 vorausgesetzt, das Gewicht
des Omarischen Dirhems auf 2*5S Gr. stellen und mit dem bereits
erwähnten Dirhem von </io Mithkal zusammenfallen. In diesem Falle
aber gerathen wir in unlösliche Widerspruche mit den weiteren
Nachrichten über den Dirhem Moawias. Dieser Chalife verringerte
nach letzteren wegen einer finanziellen Verlegenheit den Omar*sehen
Dirhem in der Weise, dass derselbe nicht mehr 6 Danek sondern
') Hintichtlich der Typen und Aufeehriften liegt hier wohl eine Verwech8lnn|r mi| ^^n
Mflnien des SUttknlters Onar ben Ubeidallah ror ; das gleiche gilt aber nicht für
die Gewichtsbestininiung, die fiir unteren Zweck massgebend ist, da die Dirh«me
des eben genannten Omar mit dem arab.-sasan. Silberstücke ron circa 3*9 Gr. Nor-
malgewicht fibereinstimmen.
Die Nominale der Munzreform des ChalifeD Abdulmelik. 259
veniger 1 oder 2 Habba also circa 2*87 Gr. wog ^). Der Dirhcm Omar's
inass also 6 Daiiek gewogen haben oder auf das Verhältniss von
7:10 geschlagen worden sein. Damit trifft die Angabe Ihn Chalduns
2usammen, dass Mosab ben Zubeir und al Heddschadsch, welche, wie
wir aus Makrizi wissen, Dirheme auf die Relation von 7:10 be-
lüglich des Dinar's schlugen, hiebei dem Beispiele Omars folgten«).
Die Bestimmung des omarischen Dirhems im jetzigen Texte
Makrizis ist daher unrichtig und der Fehler wahrscheinlich auf Rech-
noog eines späteren Copisten zu setzen. Die Existenz eines Dirhems
Ton */,^ Mithkals oder Dinars wird hiemit nicht in Abrede gestellt,
oar war er eben nicht das Nominal Omar's, in welchem Falle sich
doch auch in anderen Quellen hicTon eine Nachricht finden würde. Dieser
Dirhem von 2'S8 Gr., der der sasanidischen und der bizantinischen
Präge fremd ist, durfte eine, sei es durch Zijad, sei es durch Jemand
anderen eingeführte Münzsorte sein, welche vielleicht in Folge einer
IfOozreduction geschlagen wurde'). Eine endgiltige Entscheidung
hierüber wird erst möglich sein, wenn einmal eine grossere Anzahl
Wägangen vorliegen wird.
Die Herleitung des legalen Dirhems von einer durch Omar ins
Werk gesetzten Operation, nämlich der Summirung der Dirheme
bagli und tabari, ist am plausibelsten. Keine fremde Präge bietet ein
Nominal dar, das dem Dirhem Omars entspräche; mag man ihn zu
2 97 oder 2*83 oder 2*SS Gr. ansetzen, immer bleibt der Nachweis
meines ausländischen Ursprunges gleich misslich, selbst wenn man bis
dof den Dinar der Republik oder den Antoninian zurückgeht. Noch
weniger gerechtfertigt erscheint seine Deutung als Halbstück des
Ififiaresion's, welches nicht, wie irrig behauptet worden, auf </eof
sondern vielmehr nach der überzeugenden Darlegung Mommsens^) auf
') We«a darauf greaagt wird, das« Zijad ben Abn aach Dirheme auf den Pute von
7:10 beajigjich des Dinare« geschlagen, obwohl doch Moawia seinen Dirhem
etwaa leichter anabrachte, so ist das eine nicht in Betrscht kommende Ungenauig-
k^t, da es sich um mioimaie Gewichtsunterschiede handelt, v. Makrizi p. 10.
'^) So achreibt auch Muradgea nach türkischen Quellen Omar die Creirung des lega-
len Dvliema au ; rergl. auch die Bemerkung Flflgels in der Geschichte der Araber
Leipsig 1867 p. 157.
*} Die Avgabe bei Makriai (p. 9), dass die Dirheme des Heidenthumes Vio Mithkal
wogen, widerspricht nicht nur andern Daten desselben Schriftstellers, sondern
auch den bisher bekannt gewordenen Münzen.
^) Geschichte des römischen Mfinxwesens p. 787.
19»
260 Bergmann
1/7^ des römischen Pfundes geschlagen wurde. Dasselbe hatte also
ein Normalgewicht von 4*K5 Gr. und seine Hälfte oder die Siliqua
wog nicht ^lao sondern ^144 Pfund. Wir wissen jetzt ferner, das»
das sogenante Lepton von ls/4 siliqua nur ein anderer minder ge-
nauer Ansatz für das Miliaresion von i/i« des römischen Pfundes war
und in der wechselnden und schwankenden Relation des letzteren
zum Solidus seinen Grund hatte. Es könnte hier nur das Silberstuck
von Veo Pfund herangezogen werden» das in der noch constan-
tinischen Zeit bis auf Magpius Maximus herab sich findet, und dessen
Halbstück etwas leichter war als der legale Dirhem. Dieses Nominal
jedoch wurde nur in geringer Menge und vorzugsweise als Festmfinze
ausgebracht und verschwand im 4. Jahrhunderte; es ist daher wenig
wahrscheinlich weder dass es bei den Arabern vorzugsweise cour*
sirte» noch dass es zum Muster fiir ihre neue Silberpräge wurde t}.
Der legale Dirhem also war ein den Arabern eigenthiimliches
und von ihnen selbst aus der sasanidischen Silbermunze geschaffenes
Nominal und kein arabischer Schriftsteller berichtet etwas von dem
ausländischen Ursprünge desselben, der sich doch in der Tradition
erhalten hätte. Er existirte aber» wie auch die Münzen zeigen, bereits
vor Abdulmelik^s Münzrefornr und wurde durch Omar ins Leben ge-
rufen. Dieser war der erste Chalife, welcher das arabische Staats-
wesen begründete und ihm eine finanzielle und judicielle Organi-
sation gab. Er systemisirte die Abgaben und fixirte zuerst die Grund-
steuer. Bei diesen Reformen erkannte er, dass den mannigfachen
und in keiner Relation zu einander stehenden Münzsorten, welche
nebeneinander coursirten, die Creirung einer ofHciellen und gesetzlich
normirten Münzeinheit nöthig sei. Er schuf daher ein neues NominaU
welches auf den spätem sasanidischen Münzfuss basirt war, sich
jedoch eigenthümlich darstellte und den officiellen Finanzoperationen
zu Grunde gelegt wurde. Omar blieb aber hiebei auf halbem Wege
stehen und anstatt diese neue Münze zur Geltung zu bringen, wurde im
Gegentheile die Hauptmasse des Silbergeldes noch fortwährend auf den
Dirhem bagli und tabari ausgebracht So behielt der legale Dirhem
bis auf Abdulmelik*s Zeit herab, mehr den Charakter einer fictiven Rech-
1) Das Vorkommen ^anz rereinxelter Termfinzter Silberstucke, wie a. B. eine« Ton
Joftinian I. zu 2*9 Gr. bedeutet nicbta; eben so wenig können die viel tpSter aiaf
den arabischen Dirhems geschlagenen Silbermunzen des Basilius Macedo Kier in
Betracht kommen.
Die Nomintle der Mfiuzreform des Chalifen Abdulmelik. 261
nuogsrounze als eines effectiven Nominales. Erst Abdulmelik machte
ihn zur ausschliesslichen Basis seiner Silberprage und gab ihm ara-
bische Aufschriften. Dieser Sachverhalt schimmert auch in der Dar-
stellong Ibn Chaldun*s über das älteste arabische Münzwesen durch»
wenn er gleich seine Meinung nicht in so bestimmter Form ausdrückt.
Fassen wir nun das Wesen der Munzorganisation Abdulmeliks
xusammön, so stellt sich dieselbe als aus der Verbindung romischer
üod sasanidischer Nominale herrorgegangen dar. Abdulmelik schuf
kein neues Nominal weder für die Gold- noch für die Silberprage,
sondern beschrankte sich auf die Herübernahme gewisser Nominale
aus dem römischen Hünzsysteme, und auf die Behaltung des von
Omar creirten und aus der persischen Silberpräge entsprungenen
legalen Dirhems. Diese traten an die Stelle der bisher coursirenden
mannigfachen Münzsorten und wurden nunmehr allein in den ara-
bischen Münzstätten geschlagen. Als Münzeinheit wurde das Exagium
solidi Romani zu Grunde gelegt und auch effectiv wenngleich In
erster Zeit nur in geringer Menge ausgebracht <). Für die gewühn-
iiche Goldmünze oder den Dinar ward der romische Solidus dieser
Zeit zum Muster genommen, für die Silbermünze der legale Dirhem,
so dass beide im Verhältnisse von 10:7 bezüglich ihres Gewichtes
sa einander standen. Indem Abdulmelik in solcher Weise an die
Stelle der bisherigen Regellosigkeit, des arabischen Geldwesens ein
f^^^glicdertes Münzsystem setzte, und demselben zugleich einen
nationalen Münztypus verlieh, erschien er in den Augen der Araber
und ihrer Historiker als Begründer und Urheber des arabischen
Mönzwesens und in der That blieben die von ihm in die arabische
Gddprage eingeführten Nominale für Jahrhunderte die herrschenden
Qad nahezu aasschliesslichen in den Ländern des Islams.
Es bleibt noch die Erörterung eines wichtigen Punktes übrig,
nämlich der Metallwährung, welche Abdulmelik für sein neues Münz-
STstem adoptirte. Um hierüber ins Klare zu kommen, ist es nothig,
die verschiedenen Theilstücke der Gold- und Silberpräge, den Fein-
gehalt des Metalles und das Werthverhältniss des Goldes zum Silber
zo kennen.
0 Biae «iirenthüniliGhe BrscUiniiiig ist m, dass der MiUiktl mayal siek ia tpiterer
Zeil so uter Al-Moktadir «od Al-Nacer hHvAg als Goidmuoie findet, jedoch,
weai^tess bisher, niemais in Silber, wohl in Folge daron dasa die Arabische
Silbcrprlge ans dem sesanidischen Mfinzsysteme entsprangen war, das den genann*
tcn Mitkknl nicht kinnte.
262 Bergmann
Mit dem Solidus warden aus dem byzantinischen MQnzsystem
auch der Semis oder das Halbstuck und der Tremissis oder Triens
herübergenommen. Das erstere findet sich bereits in der Präge
Walid*s I. aus dem Jahre 91 zu 2*035 Gr., zwei andere halbe Dinare
aus dem Jahre 100 wiegen je 2-04 Gr. i) und 2*01 Gr. Der Trien»
tritt gleichfalls unter Walid schon auf; zwei hiehei^ehörige StQcke
aus den Jahren 94 und 96 wiegen 1-400 Gr. und 1-405 Gr.« Viertel-
Stöcke des Dinars aus so früher Zeit sind noch nicht publicirt
worden; das älteste mir bekannte zu 1*040 Gr. ?om Jahre 174 datirt
aus der Zeit Harun*s. Eben so gehören die Multipla des Dinars nach
den vorliegenden Münzen alle einer spateren Zeit an und finden
sich die Nominale von 1 </% 0» * V« 0» ^®" ^ *)• ^ % 0 ^ Dinaren •).
Grossere Goldstücke oder Goldmedaillons wurden bisher noch nicht
edirt, obwohl solche unzweifelhaft geschlagen wurden. Medaillons
von 10 Dinaren werden bei den Historikern öfter erwähnt, ja Mirehond
erzählt gar von Riesenmedaillons zu 1.000 Dinaren 7). Derlei Multipla
waren zu Geschenken bestimmt.
1) CMtig:lioni dell^aso cni erano destinati i Tetri p. 82 mit der Aufachrift aUI jem>
Am« a1»i cJmJi AJJ^ Sm>tr^ Ein 1. c. beigebracbtaa Glaaatfick mit ouAi Juil»
sjf\^ Ton Obeidallah ben Ghabcbab wiegt 2 142 Gr. Die nicht niber beseichneie»
Stficke aind aoa Qaeipo*a Tabellen entnommen.
*) äolcbe Sticke sind ron den Abbaaiden An-Naatr und Al-Muatanair ans dem J. Wt
und 651 BO 5*135 Gr. und 5*33 Gr. femer aynbidiscben Uraprnngea : Ton Salah-cd*dtB
a.58S SU 5*120 Gr., von Al-RaroU a.615 u. 626 beide zu 5*280 Gr. etc.
*) Normalgewicht 6*37 Gr. 2 Stucke vom Aijubiden Al-Kamil a.630 zu 6-060 und
6*350 Gr. Goldstücke wie vom Abbaaiden AI-Mustanair ' aus dem Jahre 640 so.
7*210 und 7*395 Gr. und zwei weitere von Al-Rarail a.607 und a.S.ii sa 7*63^
und 7*240 Gr. sind wohl vennilnit. Der Gebrauch der Wage mnaa 8berha«pt bei
den edlen Metallen aUgemein gewesen sein.
4) Normalgewicbt 8'50 Gr. vom Chalifen Al-Must«nsir : a.623 zu S*075 Gr., «.643
zu S'335 Gr. und S'540 Gr. vom Chalifen Al-Wathik billah a.281 zu 8-»05 Gr.
*) Normalgewicbt 10*12 Gr. Goldstücke Tom Chalifen AI-Mustansir zu 9*680 o.
9*84 Gr. aus den Jahren 642 und 658, Tom Chalifen An-Nasir zu 10*260 Gr. an»
dem Jahre 601.
<) Normalgewicbt 12*75 Gr. Vom Chalifen Al-MusUnsir zu 12*420 und 12-849 Gr.
aus den Jahren 646 u. 654. Stücke wie zu 11*98 Gr. oder 11*21 Gr. sind wobi
rerprigt.
^) Über ein Goldmedaillon von 10 Dinaren vergl. die Stelle des Ralhan-al-nlbnb in
Journal Asiatique 4. S^rie t. XII. p. 515. — Die Angabe Mircbonds findet «ich
in seiner Geschichte der Bivjiden ed. Wilken p. 115. Im Jahre 378 laens Ibn Ibnd
Die Nominale der MÖnxreronn des Chalifen Abdulmelik. 263
Nebea dem Dinar und seinen TheilstQcken wurden, wie bereits
oachgewiesen, aueh der Mithkal mayal und das Exagium solidi Ro-
numi effectiv ausgebracht, in älterer Zeit jedoch in sehr geringer
Menge. Dass jedoch der Mithkal mayal als Münzeinheit beständig bei-
behalten wurde, ergibt sich aas einer Stelle Makrizi*s, welche ich
nach der Ton Sacy gegebenen Correctur <) wiedergebe : »Unter dem
abbasidiscben Chalifen Abu Dschafar Al-Mansur kamen die Dirheme
haschemi in Umlauf, welche nach dem Fusse des Mithkals Ton
Basra >) geschlagen wurden. Man bediente sich zur Regelung ihres
Gewichtes der Mithkal mayal vom Vollgewichte. Demgemäss hatten
die Dirheme haschemi genaues und dem Mithkale entsprechendes
Gewicht, während die älteren Dirheme um */4 Karat Verminderung
erlitten hatten. ** (Die letztere Angabe bezieht sich auf eine angeb-
liebe Reduction des Dirhems durch Al-Mansur). Die citirte etwas
daoUe Stelle Makrizi*8 will wohl besagen, dass bei den Dirhemen
haschemi der Mithkal mayal als Münzeinheit zu Grunde gelegt wurde
nicht dass die in Rede stehende Munzsorte ein Gewicht Ton 4*72 Gr.
hatte, da ein solches Silberstück unter den vielen Dirhemen AI-
Hansor^s noch nicht zum Vorschein gekommen. Häufiger tritt der
Mithkal mayal als effectives Nominal vom 4. Jahrhundert an auf und
unter An-Nasir lidin allah wurde er fast für grosserer Menge als der
Dinar geschlagen *). Die gleichzeitigen Münzreihen der Dynastien
der Ikschididen, Fatimiden und Aijubiden weisen alle gleichfalls den
Mithkal mayal auf. Ja, die Al-Mohaden machten letzteren zum aus-
schliesslichen Nominale ihrer Goldprage. Diese Verbreitung des Mith-
kals über die westlichen Länder des Islams, also über ehemalige
Provinzen des romischen Reiches, wo er von Alters her bekannt war,
ist besonders bemerkenswerth.
Dieser Mannigfaltigkeit der Nominale, Welche in Gold ausgebracht
wurden, steht die Silberpräge sehr ärmlich gegenüber. Aus der
ersten Zeit nach der Münzorganisation Abdulmelik's ist meines
genaaat As-8ahib (der Oeaenschafter) solche 1000 DiDar-Stucke anfertigen, deren
Aalachrlflen Mirchond anfuhrt.
*) In Magaxin Sneydopidiqne 1799 V. anne^. t l. p. 210.
*} Dieter Hitlkkal ron Beert wird eben eo wie der Mithkal Ton Bagdad noch hen-
tigen Tages tu 4*665 Gr. gerechnet
*) Von AI-MnkUdir folgende Stficke:^ a.29S — 4.675 Gr., e.302 — 4*585 Gr.,
«.318 ~ 4-86 Gr. Von Ah-Nasir: a.590 — 4*575 Gr. ete.
2tf4 Bergmann
Wissens noch kein Theilstuck des Dirhems bisher publicirt worden,
obwohl solche geschlagen worden sein mögen. Erst aus der Zeit
Harun*s finden sich drei Silberstucke Tom Jahre 193 zu 1-680, 1*82
und 1*96 Gr.» Ton denen die beiden ersten wohl ungenau ausgemünzt
sind und wie das letzte Vier-Danekstucke oder »/i Dirheme sein
durften i).
Ein 1 i/s-DirbemstGck ist die von mir publicirte Bfldmunze des
Chalifen Al-Mntawakkil ; ein untermünzter Doppeldirhem ferner
scheint ein in die Tabellen Queipo*s aufgenommenes SilberstOck Tom
Jahre 319 zu 5*300 6r. zusein. Die späteren Änderungen und Wechsel
der Silberpräge, von welchen dieselbe zu viel höherem Grade als die
Goldpräge berührt wurde, fallen über den Rahmen dieser Erörterung
hinaus. Wie aber bereits bemerkt worden ist, war die Ausmünzung
des Dirhems im Gegensatze zum Dinar vom Anfange an schwankend
und ungenau *) und musste zu allen Zeiten den Gebrauch der Wage
erfordern. So hatte der Dirhem bereits zur ersten Zeit entschieden
die Richtung früher, oder später Creditmünze zu werden.
^) Die Theüstocke worden wohl pewöhnlick Buch Danelu gerechnet. Zam Erweise,
data die Rechottog nach Daneka, namentlich anch für dieKupfermunsen gebrfiuchlieh
war, fahre ich hier swei Stellen an. Im Tarich Gusideh heiaat ea, dasa der Kndi
Abdul DachebbAr, obgleich er lehrte, daaa jeder welcher nngerechterweise 1%
Danek nehme, ewig in der Hdlle bleiben mfiaae, doch aU aein Vermögen ala Be-
atecbnng erhalten hatte. Eine andere Angabe findet aieb in Ihn ChalUknii ed.
SUne I. p. 404, wo Al-Heddachadach einem abgeatraften Diebe eine ti^llche
Unteratütiang ron t Rnpferdaneka Terapriebt O^U my ,J<^^ «^ *^.^r\^)
(L»yLd Vergl. über den Danek die SteUe bei Suidaa.
S) So aagt Abdimahaain: Jyb :^\ ÄJuijJlj JüjJliLl^ Lj<^\ ^\jji\ %lUl$^
^M s^ u^ ^1^1 J > j^i >^^l jC ^^ iu\ j-
und weiter: ^n.UT »^ «LI iSau] ij^^^ ^Jy^ •*' ^i "^ O* *-0 \5
Daaa daa Yerhiltniaa tob 7: 10 besfiglich dea Dinare für den normalen Dir
conatant blieb, seigt die atehende Redenaart: A««m» !Jj^ jTj^ AiU aL» vJI#.AbH
nümlich wJ^jJt JJU«
Die Nominale der MGnsrefonn des Chalifen Abdulmellk. 265
lo Betreff des Feiugehaltes der Münzen zumal der frühesten Zeit
liegen fast keine Untersuchungen Tor und das betreffende Münz-
material des kaiserliehen Cabinetes ist so gering, dass ein voll*
tofflinea sicheres Resultat hiefür nicht gewonnen werden kann. Doch
darf als Durchschnitt festgehalten werden, dass die beiden edlen
Metalle in gleicher Weise mit möglichst genauem Feingehalte zu
0-87 Perceut ausgemünzt wurden ; dass auch hierin Schwankungen
Torkamen, zumal beim Dirhem, zeigt die angezogene Stelle Abul-
mahasin's.
Das Verhältniss des Goldes zum Silber stellt sich für die erste
Uit auf 14: 1, da nach dem Zeugnisse Dschauhari*s der Dinar damals
xwanzig Dirheme galt <). Der Ansatz de Sacy's, der den Werth des
Dinars auf 1 0 Dirheme bestimmte, kann dagegen nicht bestehen, und
die Berechnung, durch welche er zu diesem Resultate kam, ist nach-
weisbar falsch. Er ging von der Nachricht aus, dass für die Summe
TOD 200 Dirhemen eine Steuer von 8 Dirhemen, dagegen für 20 Dinare
eine Steuer von </, Dinar zu entrichten war, und schloss hieraus, dass
äBs Werthyerhältniss des Goldes zum Silber sich auf 10: 1 stelle und
1 Dinar 10 Dirheme galt. Hierbei ist aber der Gewichtsunterschied
des Dinars und des Dirhems unberücksichtigt geblieben, welche nach
der Saey*schen Bestimmung gleiches Gewicht haben müssten, wäh-
rend thatsächlich 20 Dinare nicht so viel wie 20 Dirheme, sondern
vielmehr nur wie *^/^ Dirheme wiegen. Wenn ferner 1 Dinar lODir-
keme galt, so würde sich, da der erstere 4*25 Gr., der letztere
2*97 X 10
2-97 Gr. wog. eine Relation von j-zr^^ = 7:1 zwischen Gold
4"25
ond Silber ergeben, die offenbar zu tief gegriffen ist. Die Angabe
Dschaahari*8, dass der Dinar 20 Dirheme galt, ist um so glaub-
vördiger, als damit das damalige Werthverhältniss von 4:1 zwischen
Gold und Silber im byzantinischen Münzwesen zusammentrifft.
Wenn wir nun uns der ungemein genauen Ausmünzung des
Dmars und dagegen des schwankenden Gewichtes des Dirhems
so wie der Mannigfaltigkeit der in Gold geschlageneu Nominale
ennnern, so kann es nicht zweifelhaft erscheinen, dass das Gold
bereits in erster Zeit als primäres Metall bezeichnet werden darf.
') r. Goilu» t. T. ^j^
266 Bergmann, Die Nomiunle der MÜDireforin des Chalifen Abdulmelik.
Bei dem anfänglich ziemlich gleichen Feingehalte des Goldes und
Silbers, tritt das Vorschlagen des ersteren Metalles allerdings bis auf
die abbasidische Zeit herab nicht mit so grosser Scharfe hervor als
später, vielmehr gleichen die Geldverhältnisse jenen der ersten romi«
sehen Kaiserseit, wo anfänglich beide Metalle nahezu coordinirt
waren, jedoch die zukünftige Goldwährung aus einzelnen ludiciea
sich bereits erkennen lässt. Die constant zunehmende Ungenauigkeit
der Silherpräge und die von den arabischen Quellen berichteten
Devalvirungen des Dirhems zeigen aber, dass letzterer immer mehr
und mehr Creditmünze wurde <). Der Dinar blieb von diesen finan-
ziellen Katastrophen gewohnlich unberührt, und nur der Dirhem
stieg und fiel häufig in Folge seiner schlechten Ausmunzung. Dies
ist aber das Charakteristische der Creditmünze oder des secundären
Metalles, dass es im Verhältnisse zum primären zu hoch ausgebracht,
der plötzlichen Entwerthung und dem Discredite preisgegeben ist.
In der schwankenden Silberpräge Abdulmelik's und seiner Nach-
folger, die anfänglich jedoch noch den möglichst besten Feingehalt
hatte, liegt bereits der Keim des späteren Verfalles des arabischen
Munzwesens, und die noch zu schreibende Geschichte desselben
wird zeigen, dass es auch in dieser Beziehung in der Bahn blieb,
welche ihm durch seinen Gründer vorgezeichnet worden war.
0 Eine ZasammenBtellung dieser »ehr zerstreuten Nachrichten wurde hierober
interessante Aufschlüsse geben. Zum Erweise der Richtigkeit der oben gemnchten
Bemerkung will ich nur ein Paar Daten anfQhren. Wenn Abulfeda unter dem J. 330
sagt, dass der Dinar in dieser Zeit 13 Dirheme galt, so xeigt dies, das« das Ver^
hültniss des Goldes zum Silber auf 9 ; 1 herabgesunken war und das Silber über
seinen Werth und als Creditmünze Conrs hatte. So galt der Dinar Mneaxi, toa
Nominalgewichte zu 4*25 Gr., 15 V^ DIrfaeme, wihrend spiter unter Al-Haktm das
schlechte Silbergeld so rerrufen war, dass schliesslich für einen Dinar bin zn
34 Dirheme gegeben wurden. — In viel spiterer Zeit setzte der Mamlukea-
Sultan An-Nasir den Werth des Dinars, der bisher 20 Dirheme galt, auf 25 fc«t. —
Dass der Dinar auch bisweilen Verschlechterungen, wie z. B. unter dem ChsilifeD
Ar-Radhi erlitt, ist begreiflich.
Höfler, Untersuchao^ der Frage, ob Griechenland elc. 267
Abhandlungen
aus dem Gebiete der alten Geschichte.
in.
Uatersuchung der Frage, ob Griechenland mit der Zer*
Störung Korinths römische Provinz geworden sei.
Von C. Höfler.
§• *•
Zerstörung Griechenlands durch die Hellenen.
So gross auch das Unglück war, welches der unbesonnene, ja
tollkühne Kampf der Achäer gegen Born im Jahre 146 vor Christus
über Griechenland brachte, er hätte sich für hellenische Freiheit,
Staatsleben und den hellenischen Volksstamm selbst nicht so entsetz-
lieh gestaltet, wenn nicht einerseits die Katastrophe von Grossgrie-
ehenland und Sicilien, andererseits die systematische Vernichtung der
Hellenen durch Hellenen im Mutterlande ihm vorausgegangen wären.
Es war ein zweischneidendes Schwert, was Perikles auf der Höhe
athenischer Macht und Herrlichkeit als Princip des von ihm gelei-
leteo Staates aussprach, dass Athen über Griechen herrsche <) und der
frühere Wettkaropf der Athener mit den Barbaren somit in einen grossen
hellenischen Burgerkrieg umgeschlagen war. Es bedurfte nur mehr des
peloponnesischen Krieges, um die schnöden Thaten der Hellenen gegen
Hellenen, den Untergang ganzer Städte, die Sciaverei oder Vernichtung
ihrer Bevölkerung zu erblicken.
Das Schicksal, welches die Spartaner frühe den Heloten und
3fesseniern bereitet, rückte auch andern griechischen Völkern
0 'EXXiQVoiv Tt ort "EXXiQve^ nXtivvfav ^^ {p^afACV. Thakydides II. c. 64.
268 Hßfler
immer näher, bis endlich der peloponnesische Krieg in einen Ver-
nichtungskampf der Hellenen überging. Ohne Rücksicht auf die
grossen Thaten ihrer Ahnen bei Salamis wurden die Ägineten von
den Athensern aus ihrer Insel vertrieben, weil sie im saronisehen
Meerbusen in nächster Nfihe von Salamis keine Feinde dulden
konnten. Die gefangenen Thyreaten wurden in Athen ermordet. Als
im fünften Kriegsjahre die Athenseer den Aufstand der Lesbier nieder-
geworfen, beschlossen sie alle mannbaren Methymnaeer zu todten,
Weiber und Kinder als Sciaven zu verkaufen. Dieser Beschluss ward
zwar wieder zurückgenommen, aber doch wurden mehr als 1000 Ein-
wohner als Haupturheber des Abfalles getödtet, was Thukydides ohne
jede weitere Bemerkung erzählt «). Als die Lakedämonier in Verbin-
dung mit den Thebäern Platää eingenommen hatten, von welchem
nur 212 Einwohner nach Athen entronnen waren*), mordeten sie die
übrigen, welche die Hungersnoth und Belagerung übrig gelassen
hatten, machten Frauen und Kinder zu Sciaven und zerstörten die
Stadt, unbekümmert um ihre hohen Verdienste um die gemeinsame
Sache Griechenlands*). Die kerkyi*Sischen Demokraten mordeten alle
diejenigen, welche angeblich die Volksherrschaft stürzen wollten,
ohne Rücksicht auf das Heiligthum der Hera, in welches sich die
Unglücklichen geflüchtet. Und jede Todesart, sagt Thukydides*).
wurde angewendet: der Vater tödtete den Sohn, sie wurden aus
dem Heiligthume geschleppt, bei demselben getödtet, einige im
Tempel des Dionys eingemauert, wo sie auch starben. Was so be-
gonnen worden war, wurde im siebenten Kriegsjahre auch auf dieje-
nigen Kerkyräer ausgedehnt, welche sich auf dem Berge Istone ver-
schanzt hatten &), aber von den Athenaeern gefangen genommen und
an die Kerkyräer ausgeliefert worden waren.
Als die Gegenpartei vernichtet worden war, horte freilieh der
innere Kampf auf*). Er war in einen Vertilgungskrieg ausgeartet. In
dieser Art und Weise nahm der Krieg eine immer blutigere Wendung.
Als sich die Einwohner von Melos 416 den Athenern ergaben,
tödteten diese alle mannlichen Einwohner und machten Weiber und
1) HI. 60.
*) III. u.
*) in. 6s.
*) lll. 81.
») p.4«.
Unten, d. Frage, oh GrieeheDl. m. d. ZertMr. Korinths rdm. ProT. geword. 2 69
Kinder zu Sclayen 9. Eben so geschah es mit Skione. Als das grosse
athenische Heer in Sicilien von 40---60.000 Mann auf etwa 7000
herabgesunken war» wurden auch diese, in wie ferne sie nicht der
Misshandlung erlagen, als Sdaven verkauft <). 3000 athenische
Gefangene Hess Lysander nach der Schlacht an den Ziegenflflssen
(40S), hinrichten *). Die Samier mordeten ihre angesehensten Ein*
wobner. Nur der Widerspruch der Spartaner hinderte, dass die Athenieer
nicht nach einem gemeinsamen Beschlüsse der siegenden Hellenen
aosgerottet wurden. Aber Pest, Krieg und Hunger hatten das Ihrige
gethan. Die Kekropiden starben aus. Es bildete sich ein Neu-Athen
aof altem Grund und Boden.
Die Beendigung des peleponnesischen Krieges braehte nicht
Mos die äusserste SchwSche Athens hervor; sie setzte an die Stelle
des offenen Kampfes die Ausrottung der demokratischen Fraction, wie
in Nelos durch Lysander, in Korinth, Megara, Phlius, Elis, Mantineia.
In Afgos wurden 12 — 1800 angesehene Burger erschlagen.
Eine Zeit des Verrathes, brutaler Gewalt, der Hinterlist und des
Mordens war über Griechenland gekommen, die man sich nicht ärger
Torstellen kann, als sich glucklich noch durch die thebaeisch lakeda*
monischen Kriege eine Ableitung des Einzelmordens in zwei grosse
StrGnmngen bildete, die die kleineren in sich aufnahmen. Nach der
Schlacht von Mantineia wurde es noch arger. Plünderten die Arkader
die Schätze zu Olympia, so begann jetzt die grosse Plünderung des
delphischen Schatzes durch die Phokäer*}. Dann gesellte sich der
grosse phokäische Krieg dazu, nach dessen Beendigung 23 Städte wüste
lagen; Greise^ Weiber und Kinder durften in der Heimath bleiben»
die Reste des Volksstammes wurden nach Philippopolis und Kabyla
verpflanzt Die grosse Schlacht bei Chäroneia, 7. August 338,.
brach die Macht der Thebäer wie die der Athenäer. Dann erfolgte
aber erst noch die grosse Niederlage der Thebäer durch Alexander.
6000 Mann worden erschlagen, 30.000 alsScIaven verkauft, nur die
Kadmeia verschont, in diese aber eine macedonische Besatzung
gelegt. Die Misshandlung Platää's durch die Thebäer diente jetzt als
0 Thaaet V. 16.
«) VI. 86. S7.
*) Xenophon, Hell U, 1.
^) \m der oacedonitchen Zelt plünderte Teleephoros den Tempel Ton Oljrmpia und
nahm 500 Talente Silber, die aber Ptolemios wieder ertetste. Diodor. XIX, 119.
270 HAfler
Vorwand Theben das gleiche Schicksal zu bereiten i). Wenige Jahre
später erlitt der spartanische Konig Agis IL durch Kassander die
grosse Niederlage bei Megalopolis, wo mit 6000 der Seinigen der
Konig fiel. Im lamischen Kriege erlitten die Athenaeer nicht bloss eine
grosse Niederlage, sondern den Verlust von 12.000 Burgern, die aus-
wandern mussten. Bekannt ist, wie rasch die spartanische Bevölke-
rung sank, das Grundeigenthum in die Hände der Frauen kam, der
innere Kampf sich im dritten Jahrhunderte auch dahin verpflanzte.
Der durchgangige Mangel an Einheit in der griechischen
Geschichte hatte sich auf ihrem Höhepunkte schon recht empfind-
lich bemerkbar gemacht; er bewirkte, dass zum inneren Verfalle
sich die Angriffe von Aus9en gesellten, dass die verschiedenen
Theile der griechischen Welt sich völlig von einander lösten und
einer nach dem andern der Fremdherrschaft verfiel. Da war das
grosse Sybaris von Hellenen selbst zerstört, das wichtige Cumä
samnitisch, Selinus, Akragas, Himera von den Punierp zerstört
worden, von welchen es heisst, dass sie einen Theil ihrer Ge-
fangenen zu kreuzigen ; den anderen auf das Schändlichste zu
misshandeln pflegten •). Auf Messapier, Lukaner, Bruttier folgten in
Grossgriechenland die Römer Wie in Sicilien auf die Punier. Als
Pyrrhos vergeblich in Italien wie in Griechenland gegen Romer wie
gegen die Punier die griechische Sache zu retten gesucht, sank diese
in beiden Ländern für immer.
Zur punischen Zerstörung hellenischer Städte hatte Dionys eine
griechische hinzugefugt, als er die Butler von Naxos und Katania als
Sclaven verkaufte, die Mauern und Häuser zerstörte, das Land der Naxier
den Sikelern, also Nichtgrieehen, zuwandte, die Leontiner nach Syrakus
übersiedeln mussten *), er Messane«), Kaulonia»),Hipponion zerstörte.
Dann setzten sich campanische Soldaten in den Besitz von Rhegion,
wo sie die Männer erschlugen, Weiber und Kinder sich aneigneten,
Mamertiner sich in den Besitz von Messane. Hierauf kamen erst noch die
schlimmen Zeiten des zweiten punischen Krieges, die Eroberung von
J) Doch erstand e« wieder, so diisa es 315 als grosse Stadt (Polysperckon*«) galt.
Grauert S. 317.
«) Diodor XIV. 3.
') Diodo.->XIV. 14. 20.
*J 1. c. XIV. 58.
») 1. c. XIV. i06. 107.
Unten, d. Fngt, ob Griechen!, m. d. ZersMr. Korintha röm. Prov. geword. 271
Syrakos darch Marcellus» die Leiden Grossgriechenlands durch Hanni-
kal, der Thurii plündern Hess, 3S00 Einwohner nach Kroton yerpflanzte,
dann von Stadt zu Stadt zog, die Bewohner zwang ihre Heimath zu
rer)as5eo, worauf diese dem Hasdruhal zur Plünderung überlassen
wurde. Als der punische Feldherr endlich Italien, dessen Geissei er
50 lange Zeit gewesen, verliess, befahl er noch alle Italer, die unter
ihm gedient hatten, entweder zu Sciaven zu machen oder geradezu
mitWurfspiessen niederzuschiessen i). Als der zweite punische Krieg
zu Eqde ging» um durch den zweiten macedonischen abgelöst zu
werden, hatten Messane, Syrakus a) und die übrigen Griechenstadte
Sieiliens an dem jährlich wechselnden PrStor ihren Herrn gefunden,
drohten in Italien griechischen Rücken die Ruthen, dem Nacken das
röffliscbe Beil*), waren Rhegium und Tarent dahin gekommen,
dass von ihnen gesagt wurde, es sei Rom durch ihre Ruinen gross
geworden *).
Im Mutterlande war es während dieser Zeit nicht viel besser
zugegangen. Nur eine Neuorganisation des spartanischen Staates,
io welchem s/5 des Grundbesitzes in den Händen der Frauen waren,
konnte diesem noch aufhelfen. Als Agis III. sie durch Vernichtung
der Scbuldbueher, durch eine Neuvertheilung von Grund und Boden
doreh eine Dictatur und eine Revolution von Oben nach Unten ver-
soehte, scheiterte sein Bemühen am Widerstände der Ephnren,
wdehe schon seit Langem der Hammer des Königthums geworden
waren. Agis wurde im GefSngnisse ermordet. Aber dem Sturze des
Königthums folgte schon unter Kleomenes 226 der Sturz des Ephorates
und die anfanglich siegreiche Entfaltung der spartanischen Macht
iiaeb. Da wurde Megalopolis geplündert und verwüstet. Gemälde
ond Statuen nach Sparta geschleppt, die Einwohner retteten kaum
das nackte Leben. 300 Talente löste Kleomenes vom Verkaufe ge-
<) Apptan. TU. 57. S8. 59.
*) Crbeai Sjncnsas maximam es«e Graecamgi urbium pulcherimamqae omiiium
•aepe andUtis. Cicero. MeBsaniiiD et Syracusaa et totam Siclliam ipsi habent
veetiffmi€mqiie protineiam 9eeuribu9 et fiucibus tubiecerunt (Romaai). Liv. XXXI.
c 29).
') Virgae ter^, aecures cerTiciboa imminent. Liv. XXXI. 29.
^) Rhegivn-Tareiitoni lapanm — qnoniin ruinia crerit urba Romana I. c Magna
Graecia , heiast m bei Cicero de amidtia c. 3. quae nunc quidem deteta est, tum
iorebnl, etc.
272 HSrier
fangener Megalopoliten. Daon kam das Verhängniss über ihn. Er
wurde 222 bei Sellasiä geschlagen, Terlor seinen Bruder und Mit-
konig, 6000 Lacedemonier, 6000 Miethsoldaten. Mit 100 Spartiatea
rettete er sich; aber die Heiroath musste er aufgeben und verlor
dann, der letzte Herakleide, sein Leben in Alexandrien. Die schreck-
lichsten Zeiten kamen über Sparta die systematische Ausrottung der
Spartaner durch Nabis *), ein Elend ohne Gleichen, zugleich ein blei-
bender Zwiespalt zwischen denLaconiern und dem achäischen Bunde,
der endlich zur Vernichtung des letzteren fQhrte. Ätolier schleppten
SO.OOO Menschen aus dem Vaterlande des Agesilaos weg. Aber auch
Arkadien ward in das allgemeine Elend hineingezogen, da die Mace-
donier Orchomenos plünderten, Mantineia zerstörten, die Einwohner
als Sciaven yerkauflen. In Messene fand die anttiXiioi aviptav^ ein
grosses Blutbad durch die Macedonier statt. Nur wenige Städte
hatten sich Tor dem Einbrüche der römischen Periode von den nach-
haltigsten Wehen des äusseren oder inneren Kampfes frei erhalten.
Hand in Hand damit ging die allgemeine Verarinung. Schon als
die Athener im Vereine mit den Tbebanern den Krieg mit Sparta
unternehmen wollten und zu diesem Ende der Kriegssteuer wegen
ganz Attika und allen Privatbesitz abschätzen Hessen, betrug der
Werth des ganzen Besitzthums vonAttika nur 6758 Talente*). In den
Tagen des Polybios, welche dieser selbst als die des grossten Wohl-
standes bezeichnete, konnte seiner Berechnung nach aus dem ganzen
Peloponnes an beweglichem Eigenthum und mit Ausschluss der Per-
sonen — nicht die Summe von 6000 Talenten gezogen werden.
So viel betrug aber der Schatz, welchen die Römer bei dem
Umstürze des makedonischen Konigthums in Samothrake erbeu-
teten*), beinahe so viel bezogen die römischen Kaiser an jähr li-
ehen Einnahmen aus Ägypten^)* Den grossten Gewinn brachte
der Verkauf Freier als Sklaven. Dadurch ward es dem König Kleo-
menes möglich seine Kriege zu führen; Sciaven zu erhalten war das
Hauptziel der ätolischen Räuberpolitik. Als Eumenes, König von Per-
gamos mit König Philipp von Macedonien im Vereine mit den Römern
9 über die Ausrottung^ der Spartaner durch Nabia : Polyb. XUI. 6.
2) Polb. 11. 62.
') Polyb. XVin. 14.
♦) Diodor. XV». 2.
Doten. d. Frage.» ob Griechenl. m. d. Zerstör. Rorinths röm. Prov. geword. 2T 3
Krieg führte, wurde bestimmt, dass jenem die Städte, diesen die
Eiowqhner gehorten <}.
Der ärgste Schlag gegen die griechische Race erfolgte aber aus
ihrer eigenen Mitte. Wenn in Sparta drei oder vier Bruder eine
Frau hatten *), so hatte letztere drei oder ^ier kräftige Männer, diese
aber nur Eine Frau, und die Bevölkerung nahm bei dieser abscheu-
lichen Unsitte nur ah, nicht zu. Auch wenn die Spartanerinnen
Heloten den Spartiaten Torzogen, ward es nicht besser. In unseren
Zeiten schreibt Polybios, ist ganz Griechenland von einer Kinder-
losigkeit und überhaupt Ton einer Abnahme der Bevölkerung«) be-
troffen worden, in Folge deren sowohl die Städte entvölkert sind, als
auch Unfruchtbarkeit eingetreten ist, obgleich wir weder von un-
ODterbrochenen Kriegen noch von ansteckenden Krankheiten heim-
gesucht wurden. Da nämlich die Menschen in Grossthuerei, Hab-
sneht und Vergnügungssucht verfallen sind und sich weder verhei-
rathen, noch, wenn sie sich verheirathen, die ihnen gebornen Kinder
aufziehen mögen, sondern die Meisten höchstens eines oder zwei
aufziehen, um diese als reich zurückzulassen und sie in Üppigkeit
aofurachsen lassen zu können, so ist das Übel unbemerkt binnen
Kurzem so hoch gestiegen*}. In Boötien lebte man für Schmau-
sereien und Trinkgelage 5) und ging die Bevölkerung geistig und
körperlich zu Grunde. Es war Sitte, dass die Kinderlosen ihr
Vermögen zu Schmausereien vermachten; selbst viele von denen,
die Nachkommenschaft hatten, bestimmten wenigstens einen Theil
zu Syssitien, so dass es viele gab, die in einem Monate mehr Gast-
mähler hatten als es Tage gab«). In 2S Jahren wurde kein Privat- oder
öffentlicher Process zu Ende gefuhrt. Wie es mit der Heiligkeit der
Eide war, wie mit der Haltung von Verträgen , ist nach Polybios
oft hervorgehoben worden. Aber auch physisch hatte sich die Race
^erschleehtert. Die griechischen Soldaten konnten die Lasten der
Römer nicht tragen. Das Leben mit Hetären und Sclavinen, die
Päderastie, das Überwiegen so vieler socialer Gebrechen hatten ihre
0 tJrbs regi, capttT» corpora Romftnis cetsere. Liv. XXXI. 46.
<) Polyb. XII. 6. •
•} aKoidix xal — oXcyavJ&poAiria. Poljrb. XXXVII.
*) Exe. üb. XXXVII.
>) Polyb. XX. 4.
'3 L e. c. 6.
Snb. der pbfl.-hift Gl. LXV. Bd. II. Hft. 20
274 Höfler
Frfichte getragen. Schon auf ihrem Höhepunkte voll Eigennutz und
Selbstsucht erlaubten sich die Hellenen jetzt Alles was zur Befriedigung
ihrer Sinne diente. Wer sie unbefangen und durch ihre hohen Geistes-
gaben unbestochen betrachtete, sehrieb schon vor Jahren einer der
grössten Kenner des hellenischen Lebens» findet, wenn er eines
sittlichen U^lheiles fähig ist, ein losgebundenes und wüstes Privat-
leben, im Staate ein Gewebe verworrener Leidenschaften und
schlechter Neigungen und was das Schlimmste ist, in der Volks-
gesinnung Härte und Rohheit oder Mangel an sittlichem Gefühle in
hdhe<*em Grade als in der christlichen Welt. Die Romer hatten
wenigstens eine alte Zeit, in welcher Treue und Redlichkeit galten,
bei den Hellenen wird man diese vergeblich suchen i).
Wie Polybios von den Achäern sagte *y, sie hätten Niemanden
bei ihrer Katastrophe anzuklagen als sich selbst, hat er auch den
Ätoliern eine eigene Grabschrift gesetzt. Sie pflegten ihren Lebens-
unterhalt durch Räuberei und derartige Verbrechen zu gewinnen.
Solange es ihnen nun frei stand, unter den Griechen zu rauben und
zu plündern, lebten sie davon, indem sie jedes Land ab Feindesland
ansahen. Als aber die Römer die Herrschaft erlangten, sahen sie sich
von den Hilfsquellen nach Aussen abgeschnitten und auf sich selbst
angewiesen. Und hatten sie schon früher alle Scheussl ichkeiten
verübt, so wurden sie jetzt völlig zu wilden Thieren und zu Allem
bereit, so dass diejenigen, welche an der Spitze standen, nicht ein-
mal auf Mittel zur Abhilfe denken konnten. Es war daher in Afolien
alles voll von Verwirrung, Verbrechen und Mord. Von allem was mit
Überlegung und Berechnung unternommen werden muss, kam nichts
zur Ausführung: alles wurde aufs Geradewohl und in wilder Hast
unternommen , wie wenn ein Sturmwind unter sie gefahren wäre *).
Volksstämme dieser Art sind wandelnde Ruinen, haben aber
keine Zukunft, sondern nur ein Grab vor sich. Man kann ihnen, wenn
sie endlich untergehen, keine andere Grabschrift setzen, als: sie hätten
nur sich selbst anzuklagen.
<j Böckh, SUatshaiuhalt der Athener H. S. %04.
*) 8. 204.
*> Polyb. Exe. Vales. Lib. XXX.
Uniers. d. Frage, ob Griechen!, m. d. Zerstör. Korinth« röro. ProT. geword. 4 75
Die Romer in Griechenland.
Der Eintritt der macedonischen Periode in Griechenland hatte
5ich durch die successive Niederwerfung der Phokäer, der Lokreer,
der Thessalier, der Thehaner und Athener bemerklich gemacht. Der
Versuch, das macedonische Joch abzuschütteln, hatte zur Zerstörung
Thebens, zur Niederwerfung der Spartaner, zur Niederlage der
Athener und der Besetzung ihrer Stadt gefuhrt.
Die Begründung des achäischen Bundes vermochte das mace«-
donisehe Übergewicht nur vorübergehend zu beseitigen. Als im
Kampfe mit Kleomenes um die Herrschaft des Peloponneses die
Aehäer sich statt auf die Seite der Spartaner auf die der Macedo-
nier stellten, brach wohl der Sieg bei Sellasia die Macht der Herak-
liden für immer, aber der achaische Bund wurde den Macedoniern
tiQterthan. Die Herrschaft König Philipps über Griechenland brach
erst der Sieg der Römer bei Kynoskephalä, der die Befreiung aller
Griechen, die macedonisch geworden waren, herbeiführte 197.
Der Friede des Proconsul Flamininus war das Gegenstück zum
Frieden des Antalkidas (387), welcher die Erklärung des persischen
Grosskonigs enthielt, dass alle griechischen Städte autonom sein
sollten. Den einen dictirten die Römer, den anderen die Perser, nur
löste der antalkidische die Confoderationen auf, der des Flamininus
beliess sie, jedoch unter römischer Tutel und mit dem Rathe an die
Aehäer, sich, wie eine Schildkröte zu benehmen, welche den Kopf
nicht aus dem Gehäuse herausstrecken dürfe.
Jahrhunderte hatte es gedauert, bis die Römer sich zu Herren
Italiens gemacht. Der erste punische Krieg führte sie nach Sicilien,
^er zweite nach Griechenland, wo sie sich auf die Atelier stützten,
um den macedonischen König zu bekämpfen. Als diese sodann den
König von Syrien Antiochos nach Europa beriefen, urtheilte man
bereits im römischen Lager, von diesem Kriege hänge der Besitz der
Weltherrschaft *) ah. Von Gades bis zum rothen Meere werde sie aus-
gebreitet, durch den Ocean beschlossen werden und das ganze
Meoschengeschlecht nach den Göttern den römischen Namen ehren.
Allein dieser Kampf wurde zum grossen Theile in Europa geführt, bis
M Uvtns XXXVI. c. 17.
20 •
276 Hdfler
er sich endlich in den atolischen Krieg aufloste. Da wurde Herakleia
am Ota von den Romern erstürmt» nachdem zuerst der Krieg mit
Antiochos um Phera, Skotussa» Kranon» Kypära, Metropolis» Phar-
salos, Larissa und Gonni sich bewegte. Die Macedonier besetzten
um die Wette Stolische Städte» während die Achäer den Romern
Zakynthos abtreten mussten; dann wurde mit Hilfe der Epiroten der
Kampf um Ambrakia geführt» endlich 22 Jahre» ehe die Residenz
macedonischer Konige ifi die Hände der Römer fiel, die alte Haupt-
stadt des Königs Pyrrhos mit ihren Kostbarkeiten erobert. Die Äto-
lier mussten das Imperium und die Majestät des römischen Volkes-
anerkennen und SOO euboische Talente zahlen (189) i).
Der Kreis unabhängiger ' griechischer Staaten Tcrengte sich
immer mehr.
Man hat so oft gesagt» der Krieg mit Perseus habe das^
Schicksal Griechenlands entschieden. Der Ausgang des syrischen
Krieges machte die Romer zu Beherrschern der Welt. Als Hannibal
die Konige von Syrien und Macedonien nicht zur Bekämpfung Roms
vereinigen konnte» nicht einmal Prusias von Bithynien sich an
Antiochos anschloss» als die Römer nach Asien drangen» Pleuratos,
Konig der Illyrier» Philipp von Macedonien und die Achäer an der Be-
wältigung der Atolier Antheil nahmen. Konig Eumenes durch einea
ReiterangrifT bei Magnesia das Trefien zu Gunsten. der Romer ent-
schied» wie früher die atolischen Reiter zu Gunsten der Romer gegen
Philipp von Macedonien entschieden hatten» die griechische Welt so
getheilt war» dass die Lacedaemonier» um nicht achäisch zu werden»,
sich den Römern ergaben» bedurfte es bei dieser Verkennung aller
natürlichen Interessen nur noch eines inneren Haders» und das
Schicksal Griechenlands entschied sich von selbst.
Da erfolgte die Hinrichtung Philopömen*s» des achäischen Stra-
tegen, durch die Messenier» deren Gefangener er geworden war«),.
der Tod König Philipps mitten unter den Vorbereitungen zu einer
neuen Schilderhebung gegen die Römer, das Königthum des Perseus»
und im Momente, als nur das Aufgebot der gesammten Macht grie-
<) Livius XXXVni. C. 9. C. 11. die Sache Ist in Bexug auf dns Verfahren der R5iner
gepen Hellenen sehr bezeichnend. Von der Umwandlung Ätoliens in eine Provims isf
keine Rede. Libertatem amiserunt, aa^ Justinua XXXII. 1.
2) nXfftouc, sagt fil>rigen8 Plntarch. von ihm, vita c. 20, ''EXXvjvaC ^^cXosrotf&Y^v -r,
Maxedova^ Tirog "EXk^o^i ßor^Bw dcvetXe.
Doters. d. Fn^e, ob Griechenl. m. d. Zerstör. Rorinths rdm. ProT. geword. 2 7 T
chischer» halb hellenischer und barbarischer Volker vielleicht noch den
Romern die im Osten gewonnenen ungeheueren Vortheile entreissen
tonnte, eine Reihe von halben Massregeln, die nur erbitterten, die
Kaüistraphe schliesslich beschleunigten, sie aber nicht aufhalten
konnten. Als Ämilius Paallus mit einer Schnelligkeit ohne Gleichen
ith Sieg Ober Perseus, den Umsturz der Monarchie, die Gefangen-
nahme des Hauses der Antigoniden vollendete, lag die griechische
Welt zu den FGssen der Romer, flehten die heimlichen Anhänger
des gestürzten Königs das Erbarmen der Sieger an. Der ganze
Zustand im Osten ward von Grund aus verändert (167). Scheinbar
am wenigsten verlor Macedonien, als es zwar das Konigthum ein-
bOsste, aber nur mehr die Hälfte des königlichen Tributes an Rom
zahlte, in vier Districte getheilt wurde und connubium und commercium
iwisehen diesen aufhörten <). Es war das alte System, welches Rom
oaebBeendigung des latiniscben Krieges auf die latinischen Städte au-
fwendet hatte. Man schuf einen Zustand nicht blos ungewohnter,
sondern unerträglicher Freiheit, der über kurz oder lang zum Auf-
stände fuhren, einen Verzweiflungskampf erzeugen musste. Eben
so wurden die Illyrier för frei erklärt, d. h. ihres Konigthums
beraubt und in drei Districte getheilt, im Ganzen ein ähnlicher Zu-
^nd wie in Macedonien geschaffen <). Vielleicht hat auch die Re-
reebnong einen Einfluss ausgeübt, dass man Volker schonen müsse,
welche gegen den von Perseus aufgewühlten Norden als Vormauern
dienen konnten. H5ren denn doch seit dem Untergsinge des macedoni*
«eben Königreiches die thracischen Kriege nicht mehr auf und zwar mit
luehts weniger als immer günstigem Erfolge. Denn es genügte nicht den
Sehatz der macedonischen Könige, die Kostbarkeiten ihrer Residenz,
was sieh von Philipps des Amyntas Sohnes ruhmvollen Zeiten an
diigesaromelt hatte, in den bodenlosen Schlund Roms zu werfen,
man musste die Erbschaft der macedonischen Konige
aach im Schlimmen antreten. Auch die Epiroten, welche
sieh an Perseus angeschlossen hatten, hiess es, sollten frei sein. Als
aber die Cohorten in die einzelnen Städte verlegt worden waren,
mossten die Einwohner zuerst all ihr Gold und Silber ausliefern,
dann wurden an* einem Tage und zur selben Stunde alle Städte
geplündert, ihre Mauern zerstört, 1S0,000 Menschen weggeschleppt
') OnniaiD primom libero* ease placebat Macedonas atqae 1 1 1 7 r i o •. LIt.XLV. 18.
«) Ut. XLV. 26.
Z78 Hdfler.
So geseliah es mit 70 Städten <). Da brauchte man keine Provinr
Epiru8 2U schaffen. Die Politik des Senates hatte sich von Grund au»
geändert. Laut rühmten sieh die romischen Legaten Harcius und
Atilius, als sie von Perseus nach Rom surfiekgekehrt waren, wie sie
den KSnig umgangen hfitten, so dass durch ihre List Perseus auf-
gehalten worden» während es ihm sonst ein Leichtes gewesen wäre^
alle günstigen Orte Griechenlands zu besetzen, ehe ein römisches
Heer hätte hinüber gebracht werden können. Ein grosser Theil de»
Senates zürnte über diese Rede» nannte das Verfahren punische Hinter-
list» griechische Schlauheit und erklärte darin romische Art nicht er-
blicken zu können. Es siegte jedoch jener Theil des Senates» weichem
das Nützliche mehrals das Erhabene zusagte*). Als der Krieg ausbrach»,
führte ihn der Consul P. Licinius Crassus mehr gegen die Griechen*
Städte, die er grausam zerstörte» als gegen Perseus» und behandelte
der romische Oberbefehlshaber die Bundesgenossen nicht viel
besser *). Als Flamininus den Griechen bei den isthmischen Spielen
* die Freiheit verkündete» meinten die leicht erregbaren Hellenen, es
gebe auf Erden ein Volk» welches auf eigene Gefahr hin übernehme^
für die Freiheit Anderer Krieg zu führen und welches fiberall die
Herrschaft des Rechtes» die Billigkeit des Gesetzes aufzurichten ge-
denke^). Dreissig Jahre hatten eine gründliche Enttäuschung zu
Wege gebracht» und diese Verkehrung der ursprünglich überschwäng-
lichen Anschauung von der Gerechtigkeitsliebe der Römer und ihrem
gänzlichen llangel an persönlichem Interesse in die leidenschaftlichste
Erbitterung» in einen gesteigerten ohnmächtigen Zorn entschied das
Schicksal Griechenlands >). Zu spät erkannte man auch in Pergamos^
0 LIt. XLV. 34. Wie gant ■ndan hatte Flamininu« gehandelt, der tob dem Strebe»
beseelt war: oullam gentem liberatae a se Graedae funditua efertl. Lir.
XXXVI. U.
' Veteres et morU antiqai memorea negrahant se in ea legatione Ronanae agnoscere
artes. — Vioit tarnen ea pars aenatua, cui potior utilla quam honeati cur« enU
LiT. XLII. c. 47.
') Mylae captae direptae dimtae magna ex parte et Inoenane. Conanl HaUoeam cepHet
diripait. Ptelenm desertun-diruit a fundamentis. Numiden besogee Winierqviur^
tiere In Thessalien. Die achiischen Contingente bestanden aus einem Minimum.
Die Xtolier konnten nur mehr eine ala equitum aufbringen. Lir. XLII. 54. 55. 67.
*) LiT. XXXm. c. 33.
^) Anxie omnes prudentiores sensere circumagi orbem liberommqne popnlorum forta-
nam eo certamine diaeemi. LIt. XLII. 80.
(JoUn. d. Frage, ob Griechenl. m. d. Zerstör. Rorinlbs röm. Prov. geword. 279
Ton WO man den Römern die Pforten zum Osten geöffnet hatte, Konig-
tham and Republik befänden sich von Natur aus im Zustande unver-
sohalicher Feindschaft <). Überall hatte die Treue gewankt; die Be'stra-
foog folgte nach. Im Jahre 178 mussten Atolier, Epiroten, Böotier,
Akamanen, Athener und Achäer ihre Verbannten zurückrufen, damit Rom
an ihoen eine Partei gewinne. Jetzt wurden 5K0 angesehene (Prin-
cipes) Atelier getödtet *), die Städte Aginium, Agassa, Aenion der
Verniebtung preisgegeben. Alle angeseheneuMänner und wer immer dem
Koiu'gePerseus nahe gestanden, Aei dem Heere oder sonst ein höheres
Amt begleitet *)' mussten sammt den über 15 Jahre alten Söhnen Mace-
donien yerlassen und nach Italien wandern. Die politische Reinigung
des achäischen Bundes folgte nach. Hatte Philopomen sieh als Strateg
auf das demokratische Element gestützt, so wurde dieses nun von
Kallikrates als das den Romern feindlichste, unversöhnlichste Element
dargestellt Es war das wirksamste Mittel die Achäer zu schwächen
Qod zu schrecken, als ein Tausend yon ihnen nach Italien gerufen
worden. Alba, Spoletium, die etrurischen Städte» Carseoli, Igiturnium
wandelten sich in Gefangnisse für Kriegsgefangene und griechische
Patrioten um. Die Kerker Roms eröffneten ihre unheilvollen Zwinger,
welche nur Leichen wiedergaben. Italien ward das Gelangniss des
freien Griechenlands; der Triumph über die Welt Alexanders des
Grossen war vollständig. Von allen Seiten kameu die Gesandten von
Königen und Völkern nach Rom Glück zu wünschen, abzubitten, Ver-
zeihung zu erflehen. Man sah die rhodischen Gesandten mit Ölzweigen
iü den Händen in der Curie auf dem Boden liegen und um Gnade
bitten. Es wurde dem Konige von Pergamos nicht gestattet, nach
Rom zu kommen. Prusias, welcher sich einen Freigelassenen des
rümischen Volkes nannte und die Tracht derselben begehrte,
durfte nach Rom kommen. Er warf sich an dem Eingange der Curie
bin, küsste die Schwelle, nannte die Romer seine rettenden Götter^).
Es durfte bei dem blutigen Drama auch der Possenreisser nicht
fehlen.
h Natura inimica inter ae esae liberam civitatem et regem. Lir. XLIV, 24.
^ Lir. XLV. c. 2S. — alios ia euiliam actoa eise.
') Oanea qoi in aliqaibos ministeriis regiis, etiam qui in minimis legationibua fuerant,
naai ia Italiam — ire; qai non paruisaet imperio» mora denuaciat«. Liv. XLV. c. 32.
^) Deoa aerratorea auoa.
280 Höfler
Ein ganz unsäglicher Jammer war über Griechenland gekom-
men. Römischen Berichten nach machte Macedonien eine Ausnahme, da
es so Tortreifliche Gesetze erhalten, dass es schien, man hahe sie
nicht besiegten Feinden, sondern wohlverdienten Bundesgenossen
gegeben i). Aber den Jammer derjenigen, welche von Vätern und
Geschwistern, von Weib und Kind getrennt worden waren, die zahl-
losen Seufzer der in dem entsetzlichen Dunkel romischer Gefangnisse
Schmachtenden hat freilich Niemand aufgezeichnet. Systematisch
wurde die Verarmung von Rhodos Airch die Römer betrieben, die
Dolos zum Freihafen machten. Die Athener plünderten aus Ver-
zweiflung Oropus und mussten dafür 500 Talente bezahlen, so viel als
die Atelier, weil sie den Antiochos nach Europa beriefen. Bereits
war alles erlaubt, was die Gewalt gestattete. Man erkannte der Stadt
Cauca in Spanien Gnade zu und zerstörte sie sodann. Die Lusitanier
behandelten Sulpicius Galba in ähnlicher Weise. Mit äusserster Con-
Sequenz steuerte die echtromische Partei dahin, jeden Widerstand un-
möglich zu machen; es gab nur mehr Siegende und Besiegte, und das
eiserne Zeitalter hatte seinen rechten Ausdruck gefunden. Mehr und
mehr gestaltete sich die übrige Welt zum grossen römischen Sclaven-
zwinger.
Und dennoch, wer kann es sagen, ob nicht der letzte tollste
Kampf der Achäer mit Rom schon früher ausgebrochen wäre, wenn
Milde Yorgeherrscht und nicht erst nach 16 Jahren der traurigsten
Verbannung den noch übrigen exilirten Achäern — 700 waren in Italien
dem Kummer und Elende erlegen — die Rückkehr gestattet worden
wäre. Bald gestaltete sich alles so, als sollte die Strenge der Romer
durch das Benehmen der Achäer gerechtfertigt werden.
Nur völlige Passivität, ein sich Fügen in das Unvermeidliche,
konnte sie noch retten. Gerade das Gegentheil geschah, als der
Leidensgefährte des Polybios, Diäos nach seiner Rückkehr Strateg
wurde; der Kampf zwischen dem achäischen Bunde, zu welchem da-
mals noch Korinth, Sparta, Argos, Herakleia am öta und Orchomenos
gehörten, und den Spartanern brach aus. Als Sparta auf dem Punkt
stand der Übermacht zu erliegen, nahm der Senat die Angelegenheit
in seine Hand und verfügte die Auflösung des Bundes ausserhalb
«) Lir. XLV, c. 32.
Unters, d. Frage, ob Griechen!, m. d. Zerstör« Korinths rdm. Prov. geword. 281
Aehajasi), darüber der wilde Ausbruch tobender Leidenschaft, die Er-
mordung der Spartaner in Korinth» die Rüstung zum Kriege und die
Misshandlong römischer Gesandten, welche in Korinth zum Frieden
redeten, der Ausbruch des Kampfes gegen Rom, an dem sich in
fiehliminer Stunde Chaicis und Theben betheiligten, die cruenta
Aehaeorum seditio *). Auch war die Zeit selbst nicht (ibel gewählt, da
Rom im Kriege mit Karthago wie mit dem Pseudophilippus begriffen,
ein Heer unter dem Prätor P. Juventius verloren hatte , das letzte
Aofathmen freier Volker erfolgreich zu sein schien. Allein Karthago
ward erobert und zerstört, der Pseudophilippus geschlagen und ge-
gangen, die Thermopylen von dem Sieger Q. Cftcilius Metellus erstürmt,
die griechischen Heeresabtheilungen bei Skarphia, bei Chaeroneia ge-
irorfeo, an den Isthmus gedrängt, wo sie Mummius erreichte und die
ober einen kleinen Vortheil Siegestrunkenen schlug, den Aufstand
durch Capitulation der Besiegten beendete, das Strafgericht ver-
hängte.
§. 3.
Wodurch sich das Verfahren der Romer gegen die
Aebäer von dem gegen andere Völker unterschied.
Die Antwort auf diese Frage besteht im Allgemeinen darin, in
dem, wodurch sich das Benehmen der Achäer gegen die Romer von
dem anderer Volker unterschieden hatte.
Die Romer hatten, als die Spartaner sich ihnen ergeben hatten,
sie nicht vom achäischen Bunde getrennt; als der Streit mit den
Spartanern bis zum äussersten Punkte gekommen, sich begnügt,
den achäischen Bund auf «ich selbst zu beschränken, nur das
Bondesverhältniss, nicht aber die Freiheit der einzelnen Städte ange-
tastet. Es war somit ihr Ausgangspunkt eine RectiBcirung ihres
Verfahrens unter T. Quintius Flamininus, hart für diejenigen, welche
eicentrische Ansichten in die Zukunft des achäischen Bundes setzten.
') Lcg«ti-misti ut eaa dritate« quae sob ditione PhiUppi fuerant ab Acbaico con-
cilio seceniereBtiir. Liv. epit. LI. Was die Römer, welche den Anlaaa zum bewalT-
■cto« EiBaebreUen jetzt avchten, thaten, war nor die Annahme dea Gnradsatzea des
aBteOu^iMbeii Friedens nnd seine Übertragung auf den tichfiiachen Bond. Ezpedlre
oaaibma dieuat ut singulae ciTitatea sna jura et auaslegeahabeant. Just. XXXI V.c. 1.
^) inet. ZXXIV. c. 1.
282 Höfler
sehr unangenehm fQr Diäos und seine Freunde, welche für die lange
Verbannung auf Rache gebrütet hatten.
Da erfolgte die Verhöhnung ^ der romischen Gesandten, ein
Schimpf, welcher der MajestSt des römischen Volkes zu einer Zeit
angethan war, als der Legat Cajus Popillius den syrischen König
zwang, ehe er aus dem im Sande gezogenen Kreüie heraustrat, in
die Forderungen Roms einzuwilligen. Dieses Vorgehen, ein Bruch
des Völkerrechtes, stellte die Korinthier Ton selbst ausserhalb des
gewöhnlichen Verfahrens, und gab dem Senate, abgesehen von seiner
sonstigen Politik in Betreff Korinths den rechtlichen Anlass, nicht nur
den Befehl zur Zerstörung der Stadt, sondern auch zum Verkaufe
der Einwohner auszusprechen. Der Act in Bezug auf Korinth steht
also ausserhalb des ge wohnlichen Verfahrens, wie das Benehmen der
Korinthier gegen den romischen Gesandten ausserhalb des Volker-
rechtes gestanden war.
Anders war wieder das Verhalten der Thebaner (Boötier) und
Chalkidenser. Es scheint die Absicht des macedonischen Prätenden-
ten gewesen zu sein, sich durch Thessalien mit den Nordgriechen
in Verbindung zu setzen. Die Treue der Boötier hatte schon in
den Tagen der Perseus stark gewankt *). Der Untergang des Prator
Juventius mag ihnen vollständig die Köpfe verruckt haben. Ihr Be-
nehmen erschien den Römern als Treu- und Friedensbruch, und
war bei Gelegenheit des perseischen Krieges schwere Ahndung über
Einzelne gekommen, so musste mau jetzt sich auf noch Schlimmeres
gefasst machen. Das Schicksal der Epiroten war ein deutlicher Wink,
was von den Römern zu erwarten war.
Die Zuruckwerfung des Pseudopbilippus aus Tliessalien nach
Macedonien durch Metellus brachte Uneinigkeit in die Gemüther der
Griechen. Die Herakleioten hatten schon einmal erfahren, was römi-
sche Waffen vermochten. Dass sie gehorchten, sich von den AchSeru
lossagten, öffnete den Römern die Thore von Griechenland. Aber
auch unter den übrigen Hellenen war durch die Wendung des Krieges
^) Legatos qooque RomaBoniin violaMent nui audito tttrovltn tr«pi Je fugisaenl . 1. c.
2) Der Thebaner Neo, einer ron des dreien, welche den Peneo» anf der Flneht you
Pydna naeb Pella begleitet, Liv. XL1V. c. 43., war alt Urheber dea bo5U»chea
Bündniaaea mit Peraeua enthauptet, die Beftünatiger deaaelhen nach Rom snr Recht-
fertigung geachickt worden. Lir. XLV. c. 31.
DnUrs. d. Fnge, ob Griechenl. m. d Zerstör. Koriuths r5m. Fror, geword. 283
IQ Uaeedonien Spaltung eingetreten und das Vordringen des Metellus
in Griechenland brachte dann von selbst mit sich, dass, als Kritolaos
geschlagen war und nicht mehr zum Vorschein kam, der Aufstand
sich umDiSos und amkthmus concentrirte, ehe der neue Consul — dem
fibrigens nicht Macedonien sondern der achaische Krieg zugewiesen
worden war 1} — L. Mummius denselben mit einem Schlage beendete»
Griechenland» d. h. diejenigen, welche wirklich die Waffen ergriffen»
uotervarf. Angst und Verzweiflung waren an die Stelle der fru-
beren Zuversicht getreten» die Berge des Peloponneses wimmel-
ten von FlQchtlingeu» Theben war verlassen wie Korintb, die Seestädte
fürchteten Landungen römischer Truppen» Plünderung mit allen
Gräoeln im Gefolge. Der Verlust der politischen Freiheit, so hart sie
war, war das Mindeste, das man besorgte; ein grosses Blutbad und
SklaTerei standen in Aussicht. Diäos wusste, wesshalb er — auf dem
Istbmus geschlagen — sich und die Seinen in Megalopolis t5dtete. Wie
in Grossgriechenland und Sicilien drohte der romische Stock dem
griechischen Rucken, das romische Beil dem griechischen Nacken.
Die Schuld war verschieden, die Strafe natürlich auch. Aber
nicht an dem Proconsul war es, wenn er nicht im Voraus den Be-
fehl des Senates erhalten hatte, Korinth zu zerstören und die Ein-
wohner zu verkaufen, definitiv Ober das jGeschick der Stftdte zu ent-
scheiden» die die Waffen gegen Rom ergi'iffen hatten. Nach romischem
Branche wurden unter derartigen Verhältnissen Gesandte abgeordnet»
die Angelegenheiten auf das Genaueste zu untersuchen und ihre Sen-
teoz auszusprechen, worauf der Consul sie in Übereinstimmung mit
Senat und Legaten verkündete und vollstreckte. Was die nothweu-
digen militärischen Massregein» Entwaffnung der Einwohner, Nieder-
reissnng der Mapern, Brandschatzung einzelner Städte, Wegfuhrung
ood Hinrichtung der Urheber des Krieges betraf, so stand diess, wie
natOrlicb, ganz in der Willkur des Siegers. Er hatte dafür zu sorgen»
dass,.der Aufstand** niedergeschlagen werde, dass er sich nicht,
wieder erneuere. Was dann im Grossen und Ganzen zu geschehen
babe, würde nach weiterer Berathung festgestellt. Nun inuss be-
meritt werden» dass selbst nach Besiegung der Atelier das Land nicht
in eine romische Provinz umgewandelt worden war» obwohl diese —
^) ScfwloB MamiDio coosnli bellam Ackaicum decernit. Jnatio.
284 Höfler
mit Ausnahme der Korinthier — sich ganz andere Dinge hatten zu
Schulden kommen lassen als die Achäer; dass, als Hacedonien <) nach
dem Sturze des Konigthums eingerichtet worden war, ausdrucklich
der Grundsatz galt, man mQsse eine der wichtigsten romischen
Einrichtungen, das Pachtsystem und die Publicanen, ferne halten >),
damit nicht das öfTentliche Recht der Bundesgenossen ver-
nichtet werde; man hielt es der Würde des romischen Staates ange-
messen, an den einmal ausgesprochenen Bestimmungen festzuhalten,
auch wenn man sich denselben widersetzte und es war ja auch den
Achaern frühzeitig der Rath gegeben worden, freiwillig das zu thun,
was man von ihnen verlangte, damit sie nicht zuletzt gezwungen es
doch thun mussten. Es war ferner Rom nur mit einem Theile Grie-
chenlands in Streit gerathen *), so dass gar kein Grund vorhanden
war, Griechenland zur Provinz zu machen ; was aber den besiegten
Theil betraf, so war wieder kein Grund vorhanden es zu thun, da
die eigentlich Schuldigen eine ganz andere Bestrafung verdienten,
die übrigen aber hinlänglich bestraft waren, wenn die Auflosung des
achfiischen Bundes nach Aussen erfolgte, nach Innen aber jene Ver-
fassung eingeführt wurde, welche die Menge in Zaum hielt und eine
politische Action nur mehr im Sinne der Romer zuliess. So geschah
es denn auch. Wie einst bei den Isthmischen Spielen die Freiheit der
Griechen von Flamininus verkündigt wurde, verkündigte jetzt Mummius
den Achaern die Freiheit im Allgemeinen, die Einführung einer
gleichmassigen aristokratischen Verfassung, dann Hess er sogleich die
Korinthier, welche der Wohlthat unwürdig erklärt wurden, ergreifen,
die Stadt rein ausplündern, wie es Ämilius Paullus mit denn Schatze
der macedonischeh Konige, Fulvius mit Ambrackia gemacht hatte,
sie anzünden und zerstören, die Einwohner als Sciaven verkaufen«);
Chalkis und Theben traf ein fthnliches Loos. Die übrigen blieben
was sie früher waren. Freunde und Bundesgenossen des romischen
^) Die «pitom« libri XLV sagptSbrigens: IffacedonU in provinciae fonnain redaeU est.
3) UbI pttbIi«*enoa est, Ibi tut jus pttMicuin vaium «vt libertatem sociis nuMan ese«. LIt.
XLV. c. 10.
*) Floros, Justin, bezeichnen ganz richtig den Kampf nicht als beUum gmecum, aon-
dern Achaicnm*
^) Populus omnis sab corona renditur nt hoc exemplo ceteris civltatibos netna nora'
rum renim imponeretitr. Justin.
Uotera. d. Frage, ob Griechenl. m. d. Zerstör. Korinths rAm. Fror, geword. 285
Volkes, vereinselt, entwaffnet, gedemötbigt , gebrochen, Griechen-
had seines einen Auges, Korinths beraubt; der achSische Bund war
auf seine ursprunglichen Bestandtheile reducirt. Griechenland be-
stand aus einem Conglomerate' sich selbst verwaltender kleiner
Staaten, deren Blicke fortwährend nur auf Rom und seine Wünsche
gerichtet sein mussten.
§• 4.
Die Nachrichten der Quellenschriftsteller.
Hören wir zuerst die romischen Historiker.
1. T. LiTÜ epit. LI. und LH.
Belli Achaici semina referuntur haec, quod legati populi Romani
ab Achaicis pulsati sint Corinthi, missi ut eas civitates quae sub
ditione Pbilippi fuerant, ab Achaico concilio secernerent.
Cum Achaeis qui in auxilio Boötos et Chalcidenses habebant,
Q. Caecilius Metellus ad Thermopylas hello conflixit, — Diaeus — ad
Isthmum a L. Mummio consule Tictusest qui omniAchaja in deditionem
aceepta Corinthum ex senatus consulto diruit, quia ibi legati Romani
Tiolati erant Thebae quoque et Chalcis quae auxilio fuerant dirutae.
— Hummios de Achaeis triumphavit.
Hier ist nun zuerst aufiällig, dass Lirius nichts davon erwähnt,
dass Achaja oder Griechenland römische Provinz geworden sei. Allein
dieses Stillschweigen beweist nichts, weil in den Summarien auch
TOQ anderen Ländern, die notorisch Provinzen wurden, wie
Asien u. a., diese Umwandlung nicht angegeben ist. Was aber
von Wichtigkeit für die erwähnte Frage ist, besteht in der Thatsache,
dass der Krieg der Römer nicht statt fand mit Griechenland, sondern
mit den Achäern, mit Theben und Chalkis. Somit ist auch klar, dass
Griechenland schon deshalb nicht römische Provinz werden konnte,
weil dasselbe nicht in Krieg mit Rom verwickelt war. Wohl aber
ergab sich nach der Einnahme von Korinth ganz Achaja und wurden
3 Städte nach Livius zerstört. Welches Schicksal sonst Griechen-
land erfuhr, erfahrt man aus Livius erst wieder bei Gelegenheit des
mithridatischen Krieges.
2. Velieji Paterculi bist.
L c 12. Universa deinde-instructa in bellum Achaja e. 13. L.
Xammius Corinthum funditus eruit.
286 Hsrier
Aus* diesem Berichte lasst sich nur folgern, dass er auch nichts
von einer Provinz Achaja erwähnt, wohl aber von einem Kriege mit
Achaja.
3. Lucius Jul. Florus (epitome rerum romanarum) hat dem bellum
Achaicum ein ganzes Capitel geliefert, das sich aber fast nur mit der
Zerstörung von Korinth beschäftigt und fGr unsere Frage gar keine
Bedeutung hat.
4. Seneca de beneficio V 16.
Achaeis Rhodiis et plerisque urbibus claris jus integrum liberta*
temque cum immunitate reddidisse; — ein schweres vollgültiges
Zeugniss gegen die Anschauung, dass Griechenland 146 Provinz ge-
worden sei.
5. SextusAurelius Victordeviris illustribus c. 60 erwähnt gleich-
falls in seiner kurzen Lebensbeschreibung des L. Mummius nichts als
«einen Sieg über die Ach[ier und die Zerstörung Korinths, sowie die
Enthaltsamkeit des Consuls.
6. Pompejus Trogus (Justinus) erwähnt zuerst des Schicksales
von Macedonien, und dass es noch jetzt unter den Gesetzen lebe, die
Aemilius Paulus gegeben (Lib. XXXIII c. 2.) «), dann wird im XXXIV.
Buche das Schicksal Achajas erzählt. Das beschränkt der Verfasser
c. 2 auf das Schicksal von Korinth, die Zerstörung der Stadt, den
Verkauf der Einwohner. Es handelt sich bei ihm um die Nieder-
werfung eines Aufstandes, den eigentlich Rom angezettelt.
7. Rufi breviarium VIL
Libera diu sub amicitiis nostris Achaja fuit, ad extremum — per
L. Mummium procons. capta Corintho omnis obtenta est.
Diese Stelle eines späten Schriftstellers beweist weder für noch
wider, indem ob Achaja Provinz geworden ist oder nicht, es jeden-
falls von den Romern in Bezitz genommen wurde, das omnis Achaja
obtenta *) sagt also nicht mehr noch weniger als das possessa Achaja
Asiaque des Tacitus ann. XIV. 21 , wo man, was Asien betriflPt, sich an die
Stelle des Livius epit. LIX erinnern mag: Aristonicus-Asiam occupavit
cum — legata populo Romano libera esse deberet.
*) Libera fiicU «st egeaqa« quibiis adhuc atitur • Paulo accepit.
*) Das« dieser Ausdraek nicht heisst Prorinx xu werdeo, hat Hermann hinlin^ch
bewiesen. Defensio p. 17.
Datan. d. Frage, ob GriecheDl. m. d. Zerstör. Korinths röm. Pror. geword. 28 T
8. Endlich gehört hieher die Inschrift Ober den Triumph des
Proeonsal L. Mommius
L. MVMMI. L. F. COS. DVCTI. AVSPICIO.
' IMPERIOQVE. EIVS. AXAIA. CAPT. CO.
RINTO. DELETO. ROMAM. REDIEIT.
TRIVMPHANS.
Wenn man auch ober das consequente StillschweigeD der obener-
wähnten Schriftsteller, welche über den Gegenstand ex officio be-
richteten and, wenn Grreehenland zur Provinz gemacht worden war,
es sagen moasten, hinweggehen wollte, weil in der That aus dem
StHlsebweigen von Schriftstellern nur bei Vorbedacht Schlösse ge-
zogen werden dürfen, so möchte ich denn doch glauben, dass, wenn
Griechenland durch Mummius wirklich Provinz geworden wäre, sich
auch kein vernunftiger Grund denken Hesse, warum Mummius in einer
Inschrift, die seine Bewältigung Achaja*s öffentlich aussprach, damit
hatte hinter dem Berge halten sollen. Umgekehrt kann man gewiss
sein, dass, wenn Mummius in der Dedicationsinschrift hätte sagen
lönoen, er habe Achaja zur Provinz gemacht, die romischen Schrift-
steller, welche darüber berichteten, es gleichfalls in ihre «Darstellung
aufgenommen haben wurden.
Hier ist also der Schluss ex silentio auf das Nichtvorhandensein
des Ereignisses ein vollständig gegründeter <). Mummius hat eben
nur den Befehl des Senates vollzogen, die Achäer und ihre Verbün-
deten niedergeworfen, Korinth zerstört, den achäischen Krieg be-
endigt.
Gehen wir nun von den Lateinern zu den griechischen Ge-
schiehtschreibern über, so treten vor Allem die Angaben des Polybios
lib. XL massgebend hervor.
Die Darstellung des Polybios unterscheidet zuerst die eigent-
liehe Katastrophe nach der Niederlage des Diäos und das erste
Strafgericht, welches Korinth, Theben und Chalkis betraf, iron dem,
was naehher für Einrichtungen getroffen wurden, als in ähnlicher
Weise wie die Romer nach Besiegung des Perseus zehn Legaten nach
0 Als mut Befehl des Cons. Tiberia« Gnicehas ein« luchrifl fiber die Uoterwerfang
Sardiniens geseUi wurde (tabalam donum Jovi dedit), so hiess es tuerat : Sardiniam
fabelt, dann in eaproTincia ec. Hier konnte aucb ron einer Provinz die Rede
: Vcrgl. aaofa : Prima proTineiarum Sidlia facta est. Rufi Feiti breyiarinm c. 8.
288 H d f 1 e r.
Macedonien sandten, (quorum de sententia imperatores L. Paul-
lus, L. Anicius — letzterer für ülyrien, wohin fünf Legaten geschickt
worden waren — coroponerent res Liv. XLV c. 17) nun auch zehn Le-
gaten nach Achaja kamen. Wie es von Paullus heisst: quae senahii
quae sibi ex consilii sententia visa sunt pronuntiavit, Liv. XL 29» so
wurde denn wohl auch hier in ähnlicher Weise verfahren. Es war
gar nicht gegen die Art und Weise der Römer, wenn sie anfSnglich
die (jvveipia (conventus) aufhoben, die früheren Staaten isolirten,
apx^? ^^^ rcfA>9jxara)v einführten. Das Alles hatte Flamininus Dach
Freigebung der Thessaler eingeführt (T. Quintius a censu maxime
senatum et judices legit potentioremque eam partem civitatuni fecit,
cuisalvatranquillaque omnia magis esse impendebat.)Liv.XXXlV,
c. Sl, ebenso Paullus, als er verkündete, dass alle Hacedonier frei sein
sollten. Liv. XLV. c. 29.
Wenn dann ferner Polybios von den zehn Gesandten beauftragt
wurde die Städte (Achaja*s) zu bereisen und die Streitigkeiten zu
entscheiden, bis sich die Hellenen an die neue Verfassung, welche
er ausdrücklich als eine gegebene dedo/xivv? nohriia bezeichnete,
gewöhnt hätten, so steht dieses ganz im Einklänge mit den Ansichten,
welche die Römer vom Charakter der Hellenen gewonnen hatten;
inquieto ingenio gentis nee comitia nee conventum nee concilium
ullum, non per seditionem ac tumultum jam inde a principio ad
nostram usque aetatem traducentes. Liv. XXXIV. 81, und nur Valesius
hat sich geiri*t und Andere in seinen Irrthum verwickelt, als er das
juie^e TÖ (pjvriSsiav iyj^di ttJ jzohreia xod rolg vöfxot^ übersetzte:
donec constitutioni provincta^ legibusque datis adsuevissent.
Es ist seitdem viel auf diese Provinz Achaja gesündigt wor-
den, fast soviel wie auf den angeblichen Untergang des weströmischen
Reiches im J. 476.
Die Darstellung des Polybios bietet somit weder einen- Anhalts-
punkt für die Meinung, dass Griechenland im Jahre 146 rön^ische
Provinz geworden sei, noch für die Hypothese, dass es als Provinz
dem Proconsul von Macedonien untergestellt war. Dass vollends
Polybios von Römern verwendet worden wäre, Achaja zur romischen
Provinz umzuwandeln, wäre zu absurd; als dass diess im Ernste auf-
gestellt werden könnte. Wenn spater Plutarch in der bekannten
Unters, d. Frage, ob Griechanl. m. d. Zerstör. Korinths rdm. Prov. geword. 2o9
Stelle bei Cimon % sagt t), es seien bis Lucuilus Zeit keine Propra-
toren (jjrpa'ni'^oi) nacb Griecbenland geschickt worden, so ist diese
ganz richtige Stelle in voller Übereinstimmung mit den Angaben des
Polybios.
Aber auch Strabon*) stimmt damit überein, indem er aus-
eioandersetzt» dass die Römer nach der Zerstörung von Korinth nicht
in einerlei Weise mit den Hellenen yerfuhren; es bezieht sich
dieses nicht auf die gleiche politische Einrichtung, sondern Strabon
erläutert selbst, dass sie die Einen zu erhalten, die Andern zu ver.
nichten beabsichtigten. Nur in soferne war eine Gleichheit, dass die
Mauern der Städte, welche den Römern den Krieg erklärt hatten,
niedergerissen, die Waffen ausgeliefert, die Bündnisse aufgelöst, die
Städte auch social isoiirt, endlich alle frei erklärt wurden.
Diodoros hat in den Fragmenten (Buch XXXII, 26) nur eine
pathetische Erörterung der Ursachen des achaischeii Krieges, näm-
lich dass Kritolaos wohl die Römer zu Freunden, aber nicht zu Herren
haben wollte, so wie dass die Achaer die bisherigen Leiden ab-
schütteln wollten, durch die Zerstörung Korinths aber noch Schlim-
meres ämdeten.
Von grössterWichtigkeit sind die Berichte des späteren? a u s a n i a s.
Ihm zufolge haben die griechischen (achäischen) Städte sich
bei den Römern den Polybios erbeten, dass er ihnen ihre Yerfassun*
gen und Gesetze gebe — eine Darstellung, welche nicht blos höchst
iiowahrscheinlich ist^ sondern auch dem Polybios widerspricht, der
aus der sichersten Quelle meldete, dass die Legaten ihm den oben
erwähnten Auftrag gegeben hatten.
Pausanias fuhrt weiter an, dass bis auf seinerzeit ein Präfect,
jedoch nicht von Griechenland, sondern von Achaja abgesendet
wurde» weil die Hellenen, an deren Spitze damals die Achäer ge-
standen, durch Besiegung der letzteren den Römern unterworfen
wurden, was in mehr als einer Beziehung falsch ist, denn die Reihen-
folge der Prafecten Ton Achaja, die bis Pausanias Zeit reichte, (k^
iyii) rührt nicht von 146 vor Chr., sondern von Vespasian her, der
das durch Nero aus dem Provinzialverbande genommene Achaja wieder
«) VIII. 7, 3. Vergl. damit Herni«on defensto p.9.n.2S. — oi 'Ax«'o^-^"^^^^*^*"^'
9X170», ^»3 •PwfWtiwv ixovztüv T^v "EXXada aufjijraffttv xal ou röv aOrdv rpofföv
ixiffTOii ^»ft^vciw, oXXa xobg fß^ auvrf^wv. roug d< xoraXuciv ßouXofxivwv.
Sitxb. d. phiL-hut. Ol. LXV. Bd. II. Hfl. *ii
290 H ö f 1 e r
zur Provinz machte. Was aber ganz richtig ist, ist der Bericht des-
selben Schriftstellers, dass die Römer nicht viele Jahre nach der
Katastrophe von Korinth mit den Achäern Mitleid hatten, die alten
Versammlungen, welche sie den Achäern, Phokäern, Boötiern und
sonst noch verboten hatten, wieder erlaubten, sowie den Besitz von
Lfindereien ausserhalb der einzelnen StSdte und diesen die von
Mummius auferlegten Geldstrafen erliess^n.
Er verhehlt aber nicht, dass Griechenland seit der Katastrophe
in den Zustand Susserster Schwäche verfiel (s^^ äitav di da^evstoLg
rare iiäXiara xarijX^ev >5 ''EX)»«^. VII, 17).
Naturlicher Weise blieb, was die Romer von Griechenland im
Korinthischen, im Thebanischen, auf Euböa, eingezogen und zu den
romischen Staatslandereien geschlagen hatten, unter römische Ver-
waltung gestellt worden war, von dieser Restauration unberührt» sei
es zur directen Verfugung des Senates und des romischen Volkes,
sei es, was fQr den romischen Theil Griechenlands immer möglich
ist, unter der des Statthalters der zunächst liegenden Provinz Mace-
donien.
Ich fuge endlich noch die sehr bezeichnende Stelle des Z o n a r a s
IXy 31 hinzu: Mummius habe, nachdem er Rache an den Korinthiern
genommen, die Qbrigen Hellenen freigelassen {iAsvJ^ipovg ndcvrag tb
y,ai aCTOv6ii.o\jg n^riv TöivKoptväifüv a^vjxe), was, wie ich schon oben
angedeutet habe, auf das Verfahren des Paullus Macedoniea gegen-
über (omnium primum liberosesse jubere Macedones, habentes urbes
easdem agrosque utentes legibus suis, annuos creantes magistratus.
Liv. XLV, 29) hinweist, jedoch mit dem Unterschiede, dass diese die
Hälfte des königlichen Tributes jetzt für Rom erlegten.
Wenn im Jahre 167 Aemilius Paullus hinzufQgte: neque con-
nubium neque commercium agrorum aedificiorumque inter se placere
cuiquam extra fines regionis suae esse, so wurde diese Massregel,
welche wir auch von der Besiegung der Lateiner her kennen, wie
Pausanias sagt, nach einigen Jahren wieder, was die besiegten
Achäer betraf, aufgehoben ; den Macedoniern waren gleich anlSnglich
conciJia in vier Städten erlaubt worden; den Achäern wurden diese
erst verboten, dann gestattet. Nicht unter Macedonien wurde Grie-
chenland gestellt, wohl aber wurde dasselbe ziemlich ähnlich behan-
delt, wie 21 Jahre früher Macedonien behandelt worden war. — Wie
sich nun an die lateinischen Zeugnisse, welche von einer ProvinziaU
Uaten. d. Fnge, ob Griechenl. m. d. Zerstör. Korioths röoi. Fror, geword. 201
Verfassung Griechenlands nichts wissen, die Votivinschrift des
L. Hummios naturgemäss anschliesst, so reiht sich an die griechi-
Khen Zeugnisse die Inschrift von Dyme an i), dieses wie Hermann
so richtig sagt, unwiderlegliche Zeugniss nicht für die Provinzial-
Terfassung, sondern dafQr, dass die Römer den Griechen die Freiheit
gegeben hatten (rtg aTrode^ofxevy;^ Tiara xoevöv roXg *EXXi7<ycv iXeu^-e-
fia^). Wie herrlich für die Vertheidiger der Provinzialverfassung
Griechenlands, wenn statt D^evJ^epia^ das Entgegengesetzte stünde!
Allein, in welche Zeit ist diese zu. setzen? Die Beantwortung
dieser Frage hängt nicht blos von dem in der Inschrift erwähnten
K^AVTcg <^dßiog Ma^tiiog dv^narog 'Pw/xafwv — aber nicht dv^uTra-
rogrfigMaKiiov'Kxgl — ab, sondern auch von der darin erwähn-
ten, den Griechen im Allgemeinen ertheiiten Freiheit Stfitzt man
«ich auf letzteren Punkt, der doch von dem Proconsul so sehr be-
tont wurde, so ist es gar nicht nothwendig, an jene Aufhebung des
Zirangszustandes zu denken, welcher einige Zeit nach der Verban-
gung des letzteren im J. 146 eintrat. Unwillkürlich erinnert man sich
rielmehr an T. Quinctius Flamininus und die Verkündigung bei den
isthmischen Spielen: omnes Graecorum civitates libertatem ac suas
leges habent Da noch dazu Liv. XXXII, 23 uns von den Dymäern
erzählt: Dimaeis captis uuper direptisc[ue ab exercitu Romano — Philip-
pus non libertatem sed etiam patriam reddiderat — werden wir auch
in frühe Zerwürfnisse der Romer mit den Dymäern geführt. Nur
«teht der Annahme einer so frühen Periode für die Inschrift der
andere Ausdruck derselben entgegen, wo von den Gesetzen die Rede
ist, welche Sosos schrieb und die der Proconsul als 6nevavriovg rp
dnoSoSeifr^ roTg ^Ayjxioig 6nd Twfxaewv /roXerseqc bezeichnete.
Die Inschrift gibt also uns selbst 2 sehr bedeutende Anhaltspunkte :
1. Die den Hellenen xarä xoevöv, also insgesammt von den
Romern ertheilte Freiheit.
2. Die den Achäern von den Römern ertheilte Verfassung
— oänilich die Timokratie, wie wir schon oben bemerkten.
Beide Tfaatsachen können nicht gut vor 146/7 gesetzt werden,
4iüsgenommen man wollte unter letzterer die Zeit von 167 an be-
greifen, in welcher ja nach Wegschleppung der 1000 Achäer bereits
die Timokratie eingerichtet worden war!?
*) BöcWs corpus injeriptionum graecarum I. p. 712.
21
202 H ö f 1 e r
Freilich bietet sieh noch eine weitere Möglichkeit dar, die In-
Schrift in die Zeit des Imp. Trajan zu setzen, als Maximus zur Beloh-
nung für seine Verdienste in Bithynien in ausserordentlicher Mission,,
zweifelsohne mit Proconsularcharakter, ad Achajam ordinandum-ordi-
nare statum liberarum civitatum quibus reliquam umbram et residuum
libertatis nomen eripere durum ferum barbarumque est, aber in die
promncia Ächaja abgeschickt wurde. (C. Plinius Secund. epist. IIb.
VIII 24). Schon die Erwähnung des letzteren Umstandes schliesst
daher die Annahme aus, dass der Inhalt der Inschrift auf eine so spate
Zeit Bezug haben könne, abgesehen von dem Umstände, dass der
Charakter der Schrift wohl ein so junges Datum nicht zulässt.
Man mag nun mit Recht darüber streiten, ob der Quintus Fabius
Maximus in der Inschrift der Sohn des Aemilius Paullus oder ein
späterer (Eburnus 116a. Chr.) war. Ersterer hatte den macedoni-
sehen Krieg unter seinem Vater mitgemacht, war von diesem zur
Verheerung Illyriens abgesandt worden, vereinigte sich mit Scipio
Nasica und seinem Vater in Oricum und machte von da die gemein-
same Überfahrt nach Italien (Liv. XLV c. 33, 34). Niemand war mit
den griechischen Verhältnissen so bekannt wie er, der als Prätor
Siciliens die karthagischen Geissein aus den Händen der Consuln
empfing (149); nachdem er Consul (145) geworden, mit Viriathus^
kämpfte und mit diesem Frieden schloss (Rebus in Hispania prospere
gestis labern imposuit pace cum Viriatho aequis conditionibus facta
Liv. epit. LIV). Der Proconsul erscheint auch wie oben bemerkt nicht
als Proconsul Macedoniens ; er übergibt, worauf bereits Hermann
mit Recht aufmerksam machte, <) den Einen der Schuldigen dem
praetor peregrinus in Rom. Das Verbrechen aber besteht nicht darin,
dass die Schuldigen sich gegen den Proconsul aufgelehnt hatten,
sondern gegen die Freiheit, welche die Romer allen Hellenen und
gegen die Verfassung, die sie allen Achäern ertheilt I
Wie man daraus auf einen Proyincialzustand schliessen kann,,
wo es sich doch nur um ein vereinzeltes Factum und um eine ausser-
ordentliche Mission handeln konnte, ist und bleibt mir unbegreiflich.
Ich habe davon keine Vorstellung.
') Defensio dispututionis p. 8.
Uatfn. d. Frage, ob Griechenl. m. d. Zerstör. Rorinths röm. Prov. geword. 293
Mit Recht wird auch hervorgehoben, 9 ^^^s, wo ron der Pro-
rioz Haeedonien in nächster Zeit die Rede ist, wie von D. Silanus
(^'aler. Masimus Hb. V. c. 8. 3.), wohl ron Macedonien, aber absolut
nicht ron Griechen oder Achäern gesprochen wird. Dagegen wird
uan freilich behauptet, dass Q. Fabius Maximus Eburnus im J. 116
Macedonien und Achaja verwaltet habe. Es zwingt uns jedoch gar
aichts dazu, und am allerwenigsten dazu, in dem Fabius der In-
schrift den Eburnus zu erblicken, nachdem Zumpt gegen Hermann
des letzteren Bedenken, Fabius Aemilianus habe nicht zwei Verwaltung
gen nach einander übernehmen können, selbst weggeräumt >), Mace-
dooieo bisher von Prätoxen verwaltet worden war, wie Zumptselbst
nachwiest) und der Proconsul nur als solcher ohne Provinz
aaflritt. Man kann nicht laugnen, dass nach Zumpt's gelehrter
Auseinandersetzung Gründe dafGr sprechen, dass unter den uns be-
kannten Fabiern Eburnus der in der Inschrift erwähnte sein
könne; aber eben so sehr sind auch so viele dagegen und sprechen
solche für Fabius Aemilianus um so mehr, als der ganze Inhalt der In-
schrift eher auf eine der korinthischen Katastrophe nahe als ferne
Zeit hinweist und es sich hier um eine Begebenheit handelte, zu
deren Ordnung nicht mehr ein Polybios hinreichte, sondern eine dem
Griechen selbst freundliche Magistratsperson des romischen Staates
erfordert wurde. Auf keinen Fall aber reichen die angeführten GrGnde
zum Beweise für die Behauptung hin, dass Eburnus Macedonien und
Achaja als Provinzen regierte, während der Aufstand der Dymäer und
ihr Versuch des Umsturzes der von den Römern gegebenen Verfas-
sung wohl das Einschreiten eines Proconsuls in specieller Mission
begreiflich macht. Ist es denkbar, dass wenn damals Achaja Provinz
und jener Fabius Statthalter war, er erst noch einen der Schuldigen
au den praetor peregrinus nach Rom gewiesen hätte?
Man kann wohl sagen, alle nur immer denkbaren Argumente
wurden erschöpft, um zu beweisen, dass Griechenland seit Metellus
and Mnmmius unter die Provinz Macedonien gestellt worden war.
Allein gerade diese Beweisführung ist meiner Oberzeugung nach
^) Zvmpt. ComnenUtioo. epij^raphicae. p. 165.
*j p. taa.
*) p. 165.
294 Hdfler
•
Zumpt minder gelungen. Dass Metellus sich bei Beendigung des
inacedoni9chen Krieges nach dem griechischen Süden wandte, be-
weist für diese Frage gar nichts, sondern nur, dass, nachdem sein
macedonischer Gegner sich auf den hellenischen Süden zu stutzen
gesucht, der romische Consul, um den Krieg völlig zu beenden, das-
selbe thun musste. Nicht mehr und auch nicht weniger. Vor Allem
aber wäre wOnschenswerth, dass ein genauer Nachweis geliefert
würde, wann Macedonien Provinz <), seit wann es regelmassig von
Prätoren verwaltet wurde, während der gewöhnlichen Annahme und
der, dass Metellus und Mummius es verwaltet, die sehr bezeichnende
Stelle Cicero*s de provinciis consularibus c. 3 in höchst auffälliger
Weise entgegentritt: hanc Macedoniam domitis jam gentibus finitimis
barbariaque compressa pacatam ipsam per se et quietam tenui
praesidio atque exigua manu etiam sine imperio per legatos nomine
ipso populi Romani tuebamur, quae nunc consulari imperio atque
exercitu ita vexata est etc.
Ich weiss sehr wohl, dass man dagegen einwenden kann, es
seien eben Ende des zweiten Jahrhunderts vor Christus jene Völker
nicht völlig unterworfen, die Barbarei nicht niedergedrückt worden,
sondern dieses erst im Zuge gewesen, wie ja auch Cicero in Pisonem
16. 38 sagt: exMacedonia aliquot praetorio imperio, consulari quidem
nemo rediit, qui incolumis fuerit, qui non triumpharit. Ich mochte
daraus nur folgern, dass die oratorischen Stellen Cicero*s im Allge-
meinen mit grosser Vorsicht als historische Belege zu gebrau-
chen sind, im vorliegenden Falle aber besser die Sache im Unge-
wissen zu belassen ist, als, da das Factum von Dyme ganz isolirt da-
steht, nicht blos nach Fabius Eburnus zu greifen» sondern auch die
eine Hypothese zur Grundlage der Behauptung oder gar eines Be-
weises zu machen, dass Achaja unter Macedonien stand, nachdem
vorher siegend nachgewiesen wurde, dass es für sich selbst keine
Provinz war und aus der Inschrift selbst die Freiheit der Griechen
unbestreitbar hervorgeht.
Für mich gestaltet sich die Sache so. Die R5mer wollten so-
wenig als in Italien, Afrika oder anders wo, eine Macht in Griechen-
') Die epitome des LItius XLV. ngt, wie obeo bemerkt, aber im Gegen taUe
zum Texte: Macedonia in provinciae formam redacta est, keine epitonae er-
wfihnt aber dieses ffir Griechenland, nocb dass es an Macedonien geschlagen wurde.
Uiters. d. Frage, ob Griechenl. m. d. Zürstör. Korintha rdm. ProY. geword. 205
laod dolden. Diese musste gebrochen, grundlich beseitigt werden,
damit nicht irgendwo noch freie Völker sich verbanden, nachdem
die Macht der Könige gebrochen war. War Griechenlands Macht
gebrochen, so war gar kein Grund vorhanden, ihm die Freiheit zu
Debneo, um so weniger als ein Theil der Griechen sich ohnehin
sehoD gefugt hatte, und ein halb freiwilliges halb gezwungenes Ver-
zichtleisten auf Souveränitätsrechte — Krieg oder Frieden — schon seit
197 im Zuge war. Es erging Griechenland wie den 300 Griechen,
welche man ruhig absterben Hess, wenn sie selbst Ruhe gaben.
Dass letzteres geschah, dafür sorgte das Schicksal von Korinth.
Drei Städte, meinte Cicero, seien dem Senate so mftchtig er^
schienen, dass beschlossen wurde, sie sollten keinen Staat bilden, in-
dem sie die Wucht und den Namen eines vollgewichtigen Staates
aaszuhalten im Stande gewesen waren: Karthago, Korinth, Capua.
Karthago sei zerstört worden, weil es durch seine Menschenmenge,
seine Lage und örtliche Beschaffenheit, mit seinen Häfen und
Mauern aus Afrika Ausfälle machen und die fruchtbarsten Inseln
des römischen Staates fortwährend bedrohen konnte. Von Korinth
hätte man kaum eine Spur zurückgelassen, weil die Stadt an den
Engen Griechenlands so gelegen war, dass sie ebenso das feste Land
sehloss, als 2 Meere, welche der Schifffahrt entgegengesetzte Rich-
tangen boten, verbinde, indem sie nur durch eine sehr schmale
Strecke von einander getrennt würden. Beide Städte, welche von
dem Sitze des Reiches ferne lagen, hätten die Römer nicht nur be-
drangt, sondern damit sie ja nicht wieder neugeschaffen erstünden
und sich aufrichten könnten, von Grund aus zerstört. In Capua sei
aber auch der Schein eines staatlichen Lebens vernichtet worden,
damit Rom vor Capua nichts mehr zu furchten habe i).
Somit stellt sich denn als Thatsache heraus:
1. Die Annahme, dass Griechenland im J. 146 in die Provinz
Achaja umgewandelt wurde, entbehrt jedes genügenden historischen
Beweises.
2. Sie wird weder von einem römischen noch von einem grie-
chischen Schriftsteller ausgesprochen und erhärtet.
3. Es ist ebenso wenig durch Nachrichten classischer Autoren
ZQ beweisen, dass Griechenland zur Provinz Achaja wurde, als dass
CS zur Provinz Macedonien geschlagen wurde.
0 De lege agraria contri RaUnm H. 32.
296 Hdfler
4. Wohl aber sind zwei Periodeo auseinander zu halten : die
der ersten feindlichen Occupation, welcher Korinth, Chalkis, Theben
erlagen und die ein Strafgericht auch Ober die anderen StSdte ver-
hin^e» welche die Römer angegriffen hatten, und die Periode der
Einrichtung aristokratischer Verfassungen und der Freigebung der
Besiegten« die seitdem als amici et socii populi Romani erscheinen.
5. Wie sich Athen von dem Kriege frei erhielt, die Lacedärao-
nier die geschworenen Feinde der Achäer waren, hatten auch andere
griechische Staaten an dem Kampfe der Achäer und ihrer Bundes-
genossen gegen Rom keinen Antheil genommen ; es ist eben deshalb
in der Natur der Dinge begrQndet, dass die Strafmassregeln Roms
die Rom befreundeten Griechen gar nicht treffen konnten. Es ist
eben desshalb geradezu absurd von einer Provincialisirung Griechen-
lands zu sprechen.
6. Als die Zeit der Verzeihung kam, wurden die von den
Romern bestraften aber nicht gleich anfänglich vernichteten Griechen
(^Achäer) den andern gleichgesetzt, die sich im Zustande jener Frei-
heit befanden, welche ihnen T. Quintius Flamininus gewährte.
7. Das Verfahren der Römer gegen die Achäer wird durch das
gegen Macedonien beleuchtet, nur wurde letzteres in Folge des
«
vierten macedonischen Krieges zur Provinz herabgedruckt, die
Achäer gleich anfanglich unbarmherzig bestraft^ dann aber, unschäd-
lich gemacht wie sie waren, in jene Freiheit gesetzt, welche verarm-
ten und machtlosen Freunden und Bundesgenossen eines Obermäch-
tigen Gross- und Weltstaates noch zukommen konnte. Da auf den
Krieg mit dem ersten Pseudophilippos , den Metellus beendigte,
ein Krieg mit einem zweiten Pseudophilippos (Pseudoalexander)
folgte, den der Quästor L. Tremellius siegreich beendete «}, die
Kämpfe mit den Scordiskern in Thracien begannen, war es sehr
natürlich, dass Macedonien theils unter Prätoren, *) theils unter den-
jenigen stand die in Thracien befehligten; ebenso natürlich als dass
Achaja, das nach dem Grundsatze der Römer es Frieden zu nennen,
wo sie eine Einöde machten, durch die Zerstörung Korinths, Thebens
und von Chalkis befriedigt (pacata) worden war — keines Prätors
0 LtT. epit. Uli.
*) M. Cotconios praetor in Thracia cum Scordiscis prospere pu^oartt Epit. LVI.
Ueten. d. Frage, ob GriecheDl. m. d. Zerstör. Rorinths röm, Prot, geword. 297
hedarfte und in der Furcht der gewaltigen Republik sich selbst
regierte. Seit der Zerstörung Thebens durch Alexander d. G. hatte
Griechenland eine so entsetzliche Katastrophe nicht erlebt. Sie
wäre das schrecklichste Ereigniss derselben, wenn nicht die Zerstörung
Ton Selinus, Akragas, Gela, die Eroberung von Syrakus und Tarent
roraosgegangen wären«).
Die Ansichten neuerer Schriftsteller.
Nach Mommsen läuft die Frage, ob Griechenland im Jahre 608
a. 0. römische Provinz geworden sei odernicht, in der Hauptsache auf
einen Wortstreit hinaus. Er sagt :
i. Dass die griechischen Gemeinden durchgängig frei blieben
(Corp. I. Gr. 1B43. 15. Caesar bell, civile III. 4. Appian. Milhr. 88.
Zonar. IX 931), sei ausgemacht; aber nicht minder sei ausgemacht,
dass:
2. Griechenland damals von den Römern in Besitz genommen
ward (Tac. ann. XIV, 21. Maccab. 8. 9. 10.); dass:
3. von da jede Gemeinde einen festen Zins nach Rom eut-
riehtere. (Paus. VII. IC, vergl. Cicero de prov. consul. III. S), die
kleine Insel Gyaros z. B. gab jährlich IS 0 Drachmen (Strabon,X 485);
dass:
4. die Ruthen und Beile des römischen Statthalters fortan auch
in Griechenland schalteten (Polyb. XXXVIII, vgl. Cic. Verr. I, 21.
55) und derselbe die Oberaufsicht über die Stadtverfassungen (C.
loser. Graec. 1S43) sowie in gewissen Fällen die Criminaljurisdiction
(C- J. 6. 1S43. Plut. Cimon 2) fortan so übte wie bisher der
römische Senat; dass :
5. endlich die macedonische Provincialäre auch in Griechen-
land im Gebrauche war.
0 WeoD Zampt io seiner gelehrten Abhandlung sagt: quod si quis latius extendet
Hbertatem et ubicnnque liberam ctritatem nominari ridebit, ibt provinciam esse
•egabit, diaaolret bercle totum imperium Romannm neque allam provindam reliu-
qnet; onUa enim est in qua non Itberae sint civitates. p. 156, so wire
dieses ebenso irrig als wenn man die gleich unten angeführte Stelle aus Cicero
ad Attic. VI. 1 auf Ach^a anwenden woUte, wShrend sie sich auf die asiati-
seben Griechen besieht, und daraus einen Schluss auf das Vorhandensein einer Pro-
tIbs Aeb^a sieben wfirde!
208 H ö n e r.
Zwischen diesen Tfaatsachen ist, wie Mommsen fortfahrt, keines-
wegs ein Widerspruch^ oder doch kein anderer als derjenige, welcher
überhaupt in der Stellung der freien Städte liegt^ welche bald als
ausserhalb der Provinz stehend (Suet Caes. 25 Colum. XI 3, 26), bald
als der Provinz zugetheilt (z. B. Joseph ant. lud. XIV, 4, 4) bezeich-
net werden.
6. Der römische Domanialbesitz in Griechenland beschränkt
sich zwar' auf den korinthischen und einige Stucke von Euböa
(C. I. Gr. 5879} i), und eigentliche Unterthanen gab es dort gar nicht,
allein darum konnte dennoch, wenn man auf das thatsächlich
zwischen den griechischen Gemeinden und dem macedonischen
Statthalter bestehende Verhältniss sieht, ebenso wie Massalia zur
Provinz Narbo, Dyrrhachion zur Provinz Macedonien, auch Griechen-
land zur macedonischen Provinz gerechnet werden.
7. Der gelehrte Verfasser kommt endlich zu dem Resultate:
Es muss zugestanden werden, dass durch die Ereignisse des J. 608
Griechenlands Stellung staatsrechtlich sich nicht änderte; es waren
mehr factische als rechtliche Verschiedenheiten, dass statt der
achäischen Eidgenossenschaft jetzt die einzelnen Gemeinden Achajas
oder tributäre Clientelstaaten neben Rom standen und dass seit Ein-
richtung der römischen Sonderverwaltung in Macedonien diese an-
statt der hauptstädtischen Behörden die Oberaufsicht über die grie-
chischen Clientelstaaten übernahm.
8. Man kann demnach, je nachdem die thatsächliche oder die
formelle Auffassung überwiegt, Griechenland als Theil des Com-
mandos von Macedonien ansehen oder auch nicht : indess wird der
ersteren Auffassung mit Recht das Übergewicht eingeräumt^).
S. 307. war bereits der Satz ausgesprochen, dass die Schutz-
herrlichkeit, die Rom über das eigentliche Griechenland in Anspruch
nahm, von selbst dem neuen Statthalter von Macedonien zufiel.
Diese durchaus nicht bewiesene Annahme Mommsens verwirrt aber
0 Es handelt sich nur um den ehrenvoUen Abschied dreier Griechen, eines Klaxo-
meniers, eines Ksrystters, eines Milesiers, die den italischen Krieg mitgemacht,
wobei es heisst: «px^vrifi ^^ikivtpoi otnvsc av ;rorc Affcaev, Evßotov yma^v^
fftv ^ Kpoaidovg 'Affia, Eußoiet svri^wffiv, yvXa^wvrai, xtq n ouroi doOvot
dfiCkwatv. (V. J. 78 V. Chr.)
2) Rdm. Gesch. Vierte Auflage. Band 11. S. 4S. n. **.
Unters, d. Frage, ob Griechenl. m. d. Zerstör. Korintht r5m. ProT. geword. 299
•
die ganze Erörterung und verwickelt ihn wie n, 8 hinlänglich zeigt
in einen Widerspruch mit sich selbst. Es handelt sich nicht darum»
wie die Sache nach formeller oder thatsachlicher Auffassung er-
seheint, sondern wie sie war; die Besitzergreifung Griechenlands —
mit Hinweisung auf die Stelle des TacitusXIV,21 — beweist nichts als
das Vorhandensein eines Factums» das übrigens sich nicht auf
Graeeia, sondern auf Achaja und Asien bezieht. So wie Tacitus davon
nar im Vorübergehen spricht, kann die Stelle selbst keine Beweis-
kraft haben. Was aber nun die behauptete Tributpflichtigkeit der
Gemeinden betrifft, von welcher jede Gemeinde einen festen Zins
oaeh Rom entrichtete, so behauptet der von Mommsen angeführte
Pausanias VII, 16 nur: Kai fopog rs ird^^ t^ 'E AXaJt«) xal oi ra
Xf^^/xara i^ovrsg IjfwXOovro Iv t^ {iizifoplq. xrcca^at, d. h. Pausanias
stellt hier zwei vorübergehende Massregeln des Mummius zusammen»
iit eben bei der Occupatiou und Dedition erfolgten; dass aber die
Ton Mummius einzelnen Städten, die im Kriege mit Rom gewesen
waren, auferlegte Steuer eine bleibende gewesen sei, behauptet
Niemand, su wenig als dass der Erwerb von Gütern ausserhalb der
einzelnen Stadt dauernd verboten worden sei. Die Hinweisung auf
Kso, und dass ihm und nicht dem romischen Staate achäische
Städte jährlich eine grosse Summe Geldes bezahlten, beweist für die
Zeit des Mummius wieder nichts, sondern nur, dass gegen das Ende
der Republik L. Piso die achäischen Städte in dieser Art bedrücken
dorfte und bedrückt hatte; das ist ein vereinzelter Fall. Das Beispiel
der Fischer von Gyaros gebort endlich gar nicht daher, da in Stra-
bo'sZeit es unzweifelhaft eine Provinz Achaja gab. Was aber die Stelle
beiden Macchabäern beweisen soll, die voll orientalischen Schwulstes
ist and behauptet, dass die Römer den Konig Antiochus lebend gefangen
batten (I. 8), während dann trotz der angeblichen Sclaverei der
Griechen die Juden doch sich an die Spartaner wenden, ist mir völlig
unklar. Sie erwähnt Gerüchte , die nach Judäa drangen, aber nicht
mehr.
Aber die Ruthen und Beile des römischen Statthalters schalteten
fortan auch in Griechenland ! (Mommsen a. a. Ort). Hier kommt es
nnn auf die bestimmten Fälle an, in welchen sich eine Einmischung
*) Was d«nn doch in dieser AUgemeinheit so unwahr ist, als dass Priitoren nach
Grieeheoland geachlekt worden.
300 Höfler
römischer Magistrate in die inneren Angelegenheiten Achajas und
Griechenlands in jenen Zeiten nachweisen lässt. Der erste Fall, den
Momrasen anfuhrt, ist der in der Inschrift von Dyroe erwähnte. Dieser
gehört aber der Übergangsperiode an und bezieht sich auf den Ver-
such, die von den Römern gegebene Verfassung abzuschaffen, was
Sosos von Taormina that, der noch dazu kein Achäer sondern ein
Provinciale aus Sicilien war. Dieser wurde zum Tode verurtbeilt
ini xoLTokvaet rrig dnodo^siarii jroXtrecÄ^) so wie Phonniskos, welcher
die Archive verbrannt hatte; Timotheos Nikia aber, als weniger schul-
dig, wurde nach Rom gebracht und vor den Prätor peregrinus ge-
stellt. Nirgends steht aber, dass derQuintus Fabius Proconsul Achajas
und Macedoniens war, wohl aber das, dass die Kyllanier und andere
Römerfreunde «) Ursache waren, warum ein Proconsul mit einer Un-
tersuchung betraut wurde, welche sich auf das Verbrechen des Um-
sturzes der von den Römern gegebenen Verfassung bezog. Dass die
Römer sich dieser Sache ernstlich annahmen, lag dann auf flacher
Hand; gefolgert kann aber daraus gar nichts werden, was sich irgend
wie auf ein Provincialverhaltniss bezöge. Auf die Anzeige, welche
nnch Rom gelangte, erfolgte auch das weitere Verfahren. Der zweite
Fall bezog sich auf eine spätere Zeit, nämlich auf den Krieg desMithri-
dates, betraf somit nicht eine regelmässige friedliche Zeit, sondern
die der ernsthaftesten Kriegsgefahr, als der König von Pontos be-
reits die massenhafte Niedermetzlung von Römern durch die asiati-
schen Griechen veranlasst hatte, der Kampf mit ihm auf griechischem
Boden durch Sulla beendigt, die Gefahr eines neuen Einbruches aber
nichts weniger als verzogen war. Damals war es, dass ein gewisser
Dämon in Chäroneia einen römischen Centurio getödtet hatte und des-
halb nicht etwa von dem Prätor Macedoniens oder Achajas, wie man
aus Mommsens Darstellung folgern sollte, sondern von der ßoitlr, von
Chäroneia zum Tode veruiiheilt wurde. Nun tödtete Dämon mit
seinem Anhange die Archonten der Stadt. Diese Angelegenheit, ganx
geeignet auch im Frieden Aufsehen zu machen, geschweige im
Kriege, wurde an den Prätor von Macedonien gebracht, wie es
scheint unter der Darstellung, als wenn die Chäroneier sich gegen
Rom vergangen hätten. Lucullus aber, welcher sich damals anf dem
^) rcüv Tzepl KuXXdviov cvvidprai/ iß^ocviaivTtav fiioi, •chreibt der Proeonsnl.
Uotrra. d. Frage, ob Grtechenl. m. d. Ze ratfir. Korinthsröm. Prov. ^eword. 301
Feldzoge gegen Mithridates befand, nahm sich der Unschuldigen an,
und bei dieser Gelegenheit sagt Plutarch, der diess erzahlt, dass
nach Griechenland £^; rf/v '*EXXa^o( keine romischen Statthalter ge-
scbiekt wurden.
Das sind also zwei ausserordentliche Falle, welche aber weder
bevreisen, dass Griechenland unter dem Prätor von Macedonien stand,
Qoch dass überhaupt ein Prätor im Lande war, und hier die Provincial-
Terfassung galt ; ja der erste beweist entschieden die Freiheit der
Hellenen und die zweite den Mangel einer Provincialverlassung.
Die Berufung auf Cicero Actio ( in Verrem scheint sich auf den
.^cbaicus inquisitor zu beziehen. Ist dieses der Fall, so ist sie gänz-
lich unstatthaft, da dieser Inquisitor nur, wie Cicero in Sicilien y,in-
qüirirte**, so den Unthaten des Verres in Achaja nachspQrte. Dieses
hat aber mit der vorliegenden Frage gar nichts zu thun.
Wird ferner als ein Beweis for die Provincialverfassung Grie-
cheolands angeführt, dass die macedonische Provincialära in Grie-
chenland im Gebrauche war, so wurde dieses von Marquardt in Be-
treffeinzelner Städte behauptet. Was soll aber die etwaige Tbat-
sacbe, dass ein Paar Städte, die dem Schicksale Korinths entgangen
waren, froh darüber und aus Servilität gegen die Romer, welche allen
Hellenen die Freiheit gaben, das Jahr 146 als Anfang einer neuen Ära,
der von den Römern gegebenen Freiheit annahmen, beweisen? Her-
mann hat übrigens den Einwurf, welcher auf der angeblichen Zeit-
rechnung der Megarer, Hermioner, Messenier, Aegineten und Eieu-
therolacsonen <) beruht; bereits auf das richtige Mass zurückgeführt «),
so dass es nicht nothwendig ist, hierauf zurückzukommen. Die Flam-
men von Korinth leuchteten so gewaltig auf, dass man an Macedo-
nien, Ober dessen Einrichtung als Provinz im J, 146 uns die näheren
Berichte abgehen s), gar nicht zu denken braucht. Für alle diejenigen,
welche nur gezwungen dem achäischen Bunde beigetreten waren,
galtdas Jahr als Zeichen der Befreiung von lästiger Herrschat t
der Griechen über Griechen : kein Wunder wenn, nachdem einmiil
') d. h. eine TieHeicht elentbero^lakonitcbe Stadt!
<) Defentio p. 9.
*) Wo fleht denn, dass Maeedonien gerade i. J. 140 «in forniflin proTinclao* gebraclit
worden sei?
302 UöfJer
eine Stadt damit vorangegangen war, auch andere nicht zurück-
bleiben woiUen.
Durchgeht man die ganze Argumentation Mommsens, so macht
sie bei ihren grossen Zugeständnissen in Betreff der Freiheit der
griechischen Gemeinden, der Beschränkung des romischen Domanial-
besitzes auf den korinthischen Boden und einige Stücke von Euböa
ohne eigentliche Unterthanen, den Eindruck, dass die alte Valesische
Ansicht um jeden Preis festgehalten werden sollte, die Beweisführung
aber nicht stichhaltig ist und eben deshalb zQ dem Satze Zuflucht
genommen wird, es laufe hier auf ein Wortgefecht hinaus. Das ist
aber eben nicht der Fall, sondern es handelt sich um Rectificiruog
von Thatsachen, um Beseitigung von Irrthumern, an welchen mau
sich mit ungemeiner Zähigkeit festklammert, um Feststellung eines
richtigen historischen Factums, das für die Geschichte Roms wie
Griechenlands gleich wichtig ist.
Bleibe man doch endlich bei der Thatsache stehen, dass die-
jenigen Griechen, welche an dem achäischen Kriege keinen Antheil
genommen hatten, frei blieben «) und diejenigen, welche die Waffen
ergriffen und dann sich ergeben hatten, frei wurden, socii et amici
populi Romani» nur unter der Bedingungt dass sie au der ihnen von
den Römern gegebenen Verfassung — der Timokratie — festhielten,
d. h. dass derjenige politische Zustand, welchen T. Quinctius Flami-
tiinus bei der Befreiung der Griechen von macedonischem Joche, so
weit er konnte, schon 197 eingeführt hatte, seit 146 ein allgemeiner
werde.
In der aus Polybios angeführten Stelle, welche Mommsen auf
die spätere Zeit deutet, so dass man meinen sollte, Ruthenbündel und
Beile seien ständig in Griechenland zu sehen gewesen, ist davon die
Rede, dass in einer gewissen Zeit*) (xara rcO^ CnoKsiiiivovg xaipoOg)
Peloponuesier, Boötier, Phoker weniger Verluste an eigenem Ver-
1) Hutten aich doch von den römischen Legaten nach dem irgerlicheu Auftritte xu
Korinth nur ein Tbeil nach Rom begeben ; die anderen gingen theila nach Maupak-
tos, theils nach Athen, theils nach Lacedimon. Ganz abgesehen von den übrigen
Städten, welche sich an dem Kriege mit Rom nicht hetheiligten, wurden diese
drei wichtigen Punkte ausserhalb de^ Streites gehalten.
^) der macedonischen I
Unten, d. Frage, ob Griechenl. oi. d. Zerstör. Koriutht röm Prov. geword. 303
mögen erlitten, als Schande i). Dann heisst es in dem sehr lueken-
bafteo Fragment : „indem sie aller Ehre verlustig gingen, nahmen
die einen um Gnade flehend, die anderen mit festlichem Empfang,
damals Ruthenbundel und Beile freiwillig in ihre Stadt auf. Denn ein
schwerer Druck lastete auf ihnen wegen des Obermasses ihrer eige-
nen Verschuldung*'« Jedermann sieht, dass sich dieses eben nur auf
die Zeit der Occupation bezieht, nicht aber auf jene, von welcher
derselbe Polybios im 40. Buche schreibt, die 10 Gesandten hatten
den Griechen ein schönes Denkmal der Gesinnung der Romer hinter-
lassen; nicht von der Zeit der geschehenen Einrichtung, SeSoiiivri
mmia und der Timokratie, sondern des Einrflckens römischer
Legionen und Strafcommissionen, die man nicht mit Festlichkeit,
sondern mit Anstand und Zurückhaltung hätte empfangen sollen. —
Können wir uns mit der Auffassung des Gegenstandes durch Momm-
sen nicht einverstanden erklären, da fort und fort die Absicht hervor-
tritt, eine unhaltbare Meinung durch Zusammentragung von Beweis-
mitteln zu stQtzen, deren Mangel an innerem Gehalte kaum dem stren-
gen Forscher selbst unklar sein konnte, so ist es nothwendfg, sich
Ton der Geschichte Roms zu der Geschichte Griechenlands unter der
Herrschaft der Romer von Hertzberg zu wenden«).
Ihm zufolge stützt sich die Ansicht, dass Griechenland auch
nach 146 von einem Provincialverhältnisse nicht berührt wurde
a) auf das Schweigen der alten Schriftsteller über diesen Ge-
genstand ;
bj auf die Unnachweislichkeit der Existenz von römischen Statt-
kaltem für Achaja vor der Zeit der Cäsaren,
^) Hier brechea4ieTaticttiischeDFngineiiteah,aDigleichauf du 4. Capitel des XXXVHI.
BaeliM vizkp oSv ov dti^ffci Gbenugehen. Auch die Bekker*sche Autgabe des Poljbiot
p. 1153, hat die von Momoiten angefahrte Stelle nicht. Eine jüngere steht mir
nicht an Gebote. Ich citire daher die Stelle nach Osiander. Wohl aber wird sie
coameatirt dorch Diod. XXXVII, 26, welche Stelle sich doch olTenbar auf die
Kriega«reignisse des J. 146, nicht aber auf spStere Zeiten bezieht, sowie auf Vor^
ginge aeit 167; 6i 9i iv o^^aXf&oic id6vTt^ a\j*f^tv&v xal ^Ckfav fff^oc^ai xal
j;(Xcxi9fioii( xal frorptdojv iikfiifftii xal itpira^OL^ — das kann sich ja nur auf
167—146 beairhen — ira^ irovdi^fxou» fA<5 ^{jßpeuii avdpairodiffpiou^ xai rd
ffvvoAov n^ A(u5(f>(av xoi nijv na^^ri^iocv oiKoßaLkWctg, fA<7iOTei)v a7a3d»v
likXaL^anTQ vag iayar^i avu/^opag,
<) I. S. 284. not.
304 Höfler
c) auf die zahlreichen Zeugnisse alter Schriftsteller über die
fortdauernde Freiheit der griechischen Volker.
Ad a) bemerkt Hertzberg, dass die Unterwerfung Griechenlandä
im J. 146 eine vollständige war, wenn auch freilich nicht mit
ausdrücklichen Worten erzahlt wird, dass Griechenland zur Provinz
gemacht wurde.
Gegen diese Fassung ist wohl mit Recht einzuwenden, dass
Übergabe und Provinz zweierlei waren, hier es sich nur darum han-
delt: berichten die alten Schriftsteller, dass Griechenland 146 Pro-
vinz wurde? und darauf gibt es nur Eine Meinung, wie es auch nur
Eine Meinung darüber geben kann, dass Übergabe (Capitulation —
deditio) und Provins^ nicht identisch waren; die alten Schriftsteller
unbedingt nichts davon berichten.
Ad bj berichtet Hertzberg, wie siegreich Hermann und Zumpt
die angeblichen Statthalter Achajas als Trug zurückwiesen, dass aber
die Frage wegen dieser Männer immer nur als ein Punkt von unter-
geordneter Bedeutung erschien. Hingegen verweist er auf eine Reihe
von Momenten (namentlich von Marquardt und Mommsen mit grosser
Sorgfalt zusammengestellt), die bestimmt zeigen, dass Griechenland
nach dem letzten Achäerkriege allerdings in ein Provincialverhältniss
zu den Romern trat.
Hertzberg gibt freilich im nächsten Augenblicke wieder zu,
dass die Massregeln d. J. 146 (Pausanias VH, 16. 9) noch nicht
nothig machen, an ein Provincialverhältniss der Griechen zu
denken, wohl aber eine Reihe anderer wichtiger Momente. Fragt man
sich nun, welcher Art diese seien, so heisst es erstens, dass seitdem
der Name Achaja an der Stelle von Graecia mehr und mehr in Ge-
brauch kommt. Allein wenn auch, was soll das beweisen, und ist etwa
der Name Achaja auch fiir Laconia, Athen — ehe Achaja gegen den
Untergang der römischen Republik wirklich Provinz wurde — ge-
braucht worden?
Schon die erste aus Cicero augeführte Stelle quod et Achaja
prope esset plena audacissimorum inimicorum <)• »^g^ in dieser Bezie-
hung nichts. Ad fam. IV, 1 ist nur von einem nicht näher bekannten
Achaicum negotium die Rede ; ebenso ad fam. XHL 26 : negotia quae sunt
0 Ad Att in. 8.
ÜBten. d. Frage, ob Griechen!, m. d. Zeretdr. Korintht röm. Fror, geword. 305
io Achaja. welche noch dazu durch die gleich darauffolgende Erwah*
nuDg Ton Elia sich als achaisch im engeren Sinne des Wortes er-
weisen. <) Wie oft gebraucht aber nicht Cicero Graecia neben Achaja
oder für das Ganze ! Zum Beweise hiefur einige Stellen aus Cicero :
Quemtu locum Graeciae non direptum iri putas. Ad Attic 1X9.
Oiiuiistibi erat Achaja, Thessalia, Athenae» cuncta Graecia ad-
dieta. In Pisonem c. 16. Achaja exhausta, Thessalia vexata,
lacerataeAthenae, Epirus excisa,LocriyPhoci,Boeotii exusti»
Acamama, Amphilochia, Perhaebia Athamanumque gens vendita»
Maeedonia condonata barbaris. 1. c. u. 40. Da ist doch gewiss
Achaja nicht Griechenland gleichgestellt und ebenso sicher nicht als
eio Bestandtheil von Macedonien erwähnt. Nulia unquam civitas in
totaAsia et Graecia signum ullum vendidit. Warum heisst es
denn hier nicht Achaja (in Verrem IV, c. 59.)? Totam denique Asiam ,
Aeliajam, Graeciam, Siciliam in paucis yillis indusas esse
Tideatis (1. c V. 48). Wenn aber in Verrem I. 32 erwähnt wird: le-
gati ex Asia atque Achaja plurimi Romae tunc fuerunt, so folgt so-
gleich darauf sociorum et amicorum, diese aber werden (de frumento
89)den Provinzen entgegen gestellt: lugent omnesproyinciae^querun-
tor omnes liberipopuli. Dieses Moment Hertzbergs ist somit von gar
keinem Belange für das Jahr 146, sondern höchstens dafür, dass der
spatere Sprachgebrauch möglicher Weise öfter sich des Aus-
druekes Achaja statt Graecia bediente. Das musste aber erst durch
eine hinreichende Menge von Stellen nachgewiesen werden. Die
unseren beweisen das Gegentheü. Cäsar unterscheidet Achaja sehr
genau von dem übrigen Griechenland und beschränkte ersteres auf
das eigentliche Achaja* wie de hello civili III c. S5 — 57 unwider-
sprechlich beweist» wie er auch genaa die Grenze zwischen Mace-
donien, Epiros und Thessalien angibt III, c. 36, 41.
Das zweite Hauptmoment findet Hertzberg darin, dass Megara,
Aegina,Hennione,Messene und eine wahrscheinlich zu dejiEleutherolaco-
nen gehörige Stadt mit 146 eine neue Ära begannen. Was dieses für die
Einführung der Provinzialverfassung beweisen solle» namentlich wenn
eine Elentherolaconische Stadt und dann Städte, welche gar nicht oder
nnr gezwungen zum achäischen Bunde gehört hatten» ihre Ära mit
0 Vergi. aaeh ad dir. XV, 15.
SiUb. d. pliil.-kist CI. LXV. Bd. II. HfL %2
306 Höfler
der Erinnerung an das denkwürdigste Ereigniss ihres Jahrhunderts,
der Zerstörung von Korinth, Theben und Chalkis, der Auflosung des
achaischen Bundes in Verbindung brachten^ ist mir Tollig unklar, und
nur so viel kommt mir dabei in den Sinn : dass wer zu viel beweisen
will, nichts beweist.
Das dritte Moment besteht darin, dass, da man nun einmal
absolut nicht läugnen kann, dass Diodor, Zonaras, Appian, Cicero,
die Inscriptionen, von den Griechen als freien Völkern sprechen, so
soll diese „Freiheit" nichts beweisen. Aber heisst denn das nicht
den Gegenstand der Erörterung verwischen, weil man die Sache
selbst nicht widerlegen kann? Nicht darum handelt es sich, wie viel
oder wie wenig im Laufe der Zeit die Fi*eiheit der Völker galt,
welche Rom anerkannt hatte, sondern ob sie frei waren oder nicht?
Welch herrlicher Beweis doch für die Gegenseite, wenn überall, wo
von den freien Völkern Griechenlands die Rede war, das Gegentheil
stunde, von ihrer Unfreiheit die Rede wäre! Da wäre freilich der
Streit beendigt Da aber nicht von der Unfreiheit, sondern erstens
absolut bei keinem Schriftsteller die Rede von einer Provinz Achaja
und dann positiv die Rede ist, dass die Griechen frei waren — so hat
— alles dieses das Gegentheil von dem zu gelten, was es ist und
heisst ! Diese Logik ist jedenfalls eine mehr als seitsame i}.
Ob die Römer aus Grossmuth die Griechen befreiten, oder weil
sie glaubten, sie seien so ihren Zwecken am dienstbarsten (Hertzberg
nach Marquardt S. 293), ist eine andere Frage, die nicht zu dieser
Sache gehört Möge man uns doch nicht blos das Verzeichniss der
nachweisbar freien Städte Griechenlands, sondern auch das der zu-
verlässig unfreien geben. Man wei^e nach, wo der Prätor ron Achaja
residirte, welche Städte zu seiner Provinz gehörten, welches die
eigentlichen Provincialen in Griechenland waren, und wie es denn
kommen konnte, dass sich in mehr als 100 Jahren von den Prä-
toren Griechenlands oder Achajas so ganz und gar keine zuverlässige
Spur vorfand, als jene negative des Plutarch, dass eben keine nach
Griechenland geschickt wurden.
Übrigens kann man nicht sagen, dass der eigentliche Gegen-
stand der Controverse dadurch wissenschaftlich gefordert werde.
M Sie erinnert an das berühmte Wort: der Bien mnas.
Unten, d. Frage, ob Griechenl. m. d. Zerttör. Korinth« röm. ProY. geword. 307
ilass Ereignisse und Verhältnisse einer späteren Zeit auf das J. 146
übergetragen wurden; denn das steht denn doch ausser allen Streites,
dass spätere Einmischungen des Statthalters von Macedonien» als des
looaehst stehenden in Streitigkeiten in Griechenland» welche Rdmer
4>der römische Staatsverhältnisse betrafen, in den aufgeregten Zeiten
eines mithridatischen und anderer Kriege sehr wohl stattfinden
koDDteo, oiine dass deshalb Griechenland unter Macedonien stand,
DDd ohne dass aus diesen Einmischungen ein Schluss auf eine Unter-
<)rdouog Griechenlands als Provinz unter den Statthalter gezogen
werden durfte. Hier müsste Fall für Fall auf das Genaueste durch-
gegangen werden, um zu sehen, ob die fortwährenden Zeugnisse von
der Freiheit der Griechen dadurch irgendwie eine Beeinträchtigung
eriittea. Nun ist aber eines der wichtigsten Zeugnisse f&r äk Frei-
heit der Socii, wie wir oben sahen, die Fernehaltung der Publicaner
vie die Romer selbst gestanden. Es ist ein weiteres und nichts weni-
ger als yeräehtliches Zeugniss, dass Sulla weder Athen, das er mit
Sttirm nahm, noch Griechenland, das er factisch beherrschte, zur
Proviiiz machte und als Provinz behandelte, sondern im Gegentheile
die Bfinduisse herstellte und die griechischen Hülfstruppen mit sich
Jiacb Italien nahm.
Als in Rom selbst das öffentliche wie das Privatrecht der Fac-
tionswuth erlag, die Bedruckung der Bundesgenossen zur Regel
vurde, der Senat taub war, wenn Magistrate ihre Gewalt missbrauch-
tea, oder selbst Private, auf ihr Ansehen gestützt, die Bundesge-
nossen beraubten, ging freilich die Freiheit der letzteren, aber zu-
gleich mit der Roms unter. Es ist eine bekannte Tbatsache, dass
PojDpejus QberAchaja im Piratenkriege verfügte; dass später er und
Cäsar sich in den Besitz desselben zu setzen suchten, ist gleichfalls
bekannt, wie dass es unter die Herrschaft Mark Antons, dann des
Seitas Pompejus kam und endlich den Provinzen einverleibt wurde.
Aber alles dieses beweist niclit, dass es nach Beendigung des achäi-
«chen Krieges zur Provinz wurde. Wenn daher Hertzberg als Resul-
tat seiner Forschungen sagt: ganz Griechenland mit Ausnahme kaum
Ton Athen, trat zu Rom^ wenn auch noch nicht formell theoretisch
slaatsreehtiich, so doch thatsächlich in das Verhätniss einer Pro-
Tioz; dann wieder anfflhrt : eine selbststfindige Provincialverwaltung
erhielt damals Griechenland noch nicht, vielmehr bildeten die
griechisehen Gemeinden, denen man noch immer ihre Freiheit und
22*
308 Höfler
ihre nominelle Souveränität freilich nur den Schatten eines Schatten
liesSy Theile der neuen macedonischen Provinz» so erscheint mir im
ersteren ein Widerspruch» im letzteren aber eine Willkür. Da nach
Hertzbergs eigenem und sehr richtigem Geständniss (I S. 260) diese
Thatsache nur sehr spärliche, ausdrficUiche Erwähnungen findet, so
darf bei dem grossen Schweigen der Schriftsteller , die eigentlich
davon hätten reden müssen» nicht zu Annahmen gegriffen werden,
um selbst eine derartige Annahme zu beweisen. Das geschieht aber,
wenn Hertzberg unter dem Q. Fabius Maximus der Inschrift von
Dyme den Fabius Max» Eburnus (Consul d. J. 116) versteht» der
wahrscheinlich inMacedonien kämpfte» wo er dann 116 als Pro-
consul fungirte» I. S. 317. n. Hierauf weiter einzugehen» halte ich
für überflüssig» da die Frage» wer dieser Fabius gewesen, dadurch
sicher nicht beantwortet wird» dass er selbst erst noch dazu dienen
muss» eine andere Hypothese zu erhärten.
Wohl aber möchte ich denn doch an diejenigen» weiche wie es
mir scheint mit mehr Hartnäckigkeit als Gründen daran festhalten»
dass Griechenland romische Provinz schon damals geworden sei» die
Frage richten : wenn es so gewesen wäre» wie hätten sich denn doch
wohl die Schriftsteller ausgedrückt? Ist es denkbar» dass alle darüber»
wie auf gemeinsame Verabredung, Griechen und Romer» Zeitgenossen,
und spätere ein erhabenes Stillschweigen beobachtet hätten? Zwar
rechnet der gelehrteste Vertheidiger der Hypothese» dass Griechen-
land zur Provinz Macedonien geschlagen worden sei» gerade hierauf,
und gibt zu verstehen wenn wir die verlorenen Bücher des Livius
besässen» so würde die Sache sich in seinem Sinne günstiger gestal-
ten!? Also soll wohl der Beweis des einstimmigen Stillschweigens
nichts gelten und von gar keiner Bedeutung sein? Ist aber auch an-
zunehmen, dass im umgekehrten Falle» im Falle» dass alle die Schrift-
steller, welche durch ihr Schweigen zu erkennen geben» dass die an-
gebliche Thatsache eben nicht zu berichten war» diese zu berichten
vermocht hätten» denkbar» dass sie sie nicht berichtet hätten? Ich
glaube nicht, dass es viele Gelehrte gibt» welche» wenn sie auf diese
Frage nur mit Ja oder Nein zu antworten hätten, mit Ja antworten
würden? Nachdem Zumpt in so überzeugender Weise dargethan,
dass Achaja für sich keine Provinz war; nachdem» wie zugestanden
wird» das charakteristische Moment der Publicaner Griechenland
fehlte» nachdem die Freiheit der Hellenen selbst durch ein Monument
(Joters. d. Frage, ob Griechen!, m. d. Zen(5r. Korinths röm. ProT. geword. 309
verbürgt ist, das man nicht beseitigen kann und das allein schon hin-
reicht die ProTincialhypothese zu vernichten; nachdem alle Schrift-
steUer, welche- daTon berichten konnten und berichten mussten,
seWeigen, nachdem die Hypothese Ton der Aera des Jahres 146 sich
am leichtesten durch die den Hellenen im Allgemeinen gewährte Frei-
heit, die Auflösung des BundesverhSItnisses, die Herstellung der
Autonomie erklären lasst, mochte ich denn doch den Ausspruch mir
erlauben, die Sache sei abgethan und Sigonius, Valesius und andere
ehrenwertbe Persönlichkeiten , denen wir die Hypothese verdanken»
io ähnlicher Weise zu bescheiden, wie diejenigen, welche uns noch
immer glauben machen wollen, es sei im J. 476 nicht blos das west-
römische Reich untergegangen, sondern auch das Ende der alten
Welt eingetreten, was, wie Jedermann weiss, auch eine sehr beliebte
und doch gänzlich unwahre Hypothese ist.
Wenn aber gesagt wurde, es liege an dem ganzen Streite wenig,
wenir zu Ycrstehen gegeben wurdet es sei gleichsam ein Wortgefecht, so
kann ich diesem nicht beistimmen. Nicht blos aus dem oben ange-
führten Grunde, weil jede Feststellung einer Thatsache kein Wort-
gefecht ist, sondern aus einem ganz anderen Grunde. Wenn sich
Gr/echenland selbst in denjenigen Zeiten, die nur mehr ein Schatten
seiner früheren Bedeutung waren, doch erhielt und selbst einen ge-
w'issen Einflusfl,wenn auch nicht auf die politischen Angelegenheiten,
aber doch selbst auf die nationale Scheidung, den grossen Dualis-
mus im romischen Reiche — lateinische und griechische Welt — er-
langte, so liegt der Grund darin, dass das Mutterland nicht wie die
ProTinz Asien und die Provinz Sicilien seine Selbstständigkeit völlig
v^erlor. Dicht dem Schicksale von Grossgriechenland verfiel. Die
reichste Provinz des römischen Reiches, das griechische Asien verfie 1
ganz den Poblicanern, den Speculationen der römischen Ritter u nd
Geldmensehen. Dort bereitete sich jener entsetzliche Ingrimm vor,
deo Mitbridat zu dem beispiellosen Blutbade benutzte, der Vesper
Asiens, wenn man die gleichzeitige Ermordung von mindestens
S0,000 Römern, die selbst an den Altären nicht Rettung fanden, nach
einem bekannten Ereignisse aus der Höhe des Mittelalters benennen
dard Von den Folgen dieser That hat sich Asien fast nicht mehr er-
holt, und vrenn auch die Lucullischen Gesetze einige Erleichterung
vor dem Drucke des römischen Wucherthums brachten, kamen nicht
lange darauf noch schlimmere Zeiten.
310 Hsfler, Unten, d. Frage, ob Griecheol. m. d. Zerstör. Koriaths etc.
Aber auch vor dem Schicksale der ProTinz Siciliens bewahrte
der Umstand Griechenland» dass es nicht Provinz wurde. Dort nahm
der nationale Dualismus einen eigenen Charakter an, als der Römer
sich fBr die Latifundien mit ihrer 8clavenbev5lkerung aussprach, der
Grieche aber fOr den Ackerbau «). Zum nationalen Dualismus, zu
dem des Siegers und des Besiegten, des Herrschenden und Be*
herrschten war ein socialer gekommen. Freilich ward Sicilien die
Kornkammer Roms, aber wodurch? dass der freie Arbeiter durch den
fremden Sclaven verdrängt wurde. Die Streitigkeiten hellenischer
Stftdte horten auf und die grossen Sclavenkriege begannen. Gewiss
war die Freiheit der Hellenen keine grosse, da ihnen das wichtige
Recht der Bestimmung Qber Krieg und Friede fehlte und die frühere
Gleichberechtigung zwischen Griechen und Römer geschwunden war.
Allein konnte denn, seit das Missverhfiltniss der Macht so grell her»
vorgetreten war, was lange vor 146 der Fall war, von den drei Fal-
len, die einst Menippus in Bezug auf BOndnisse angefOhrt hatte
(193 n. Chr.), der je für die Griechen und Romerpassen, cum pares
hello aequo foedere in pacematque amicitiam venirent? Ebensowenig
wie jener; welchen der Gesandte des Antiochus fllr das Verhältnis»
zwischen seinem Herrn und den Römern in Anspruch nahm, cum qui
hostes nunqoam fuerint ad amicitiam sociali foedere interse jungendam
coeant. Eos neque dicere neque accipere leges. Id enim victoris et victi
esse. Es blieb also consequent nur derjenige übrig, welchen Menip-
pus«) unter den drei Möglichkeiten als die erste anführte : Unum cum
hello victis dicerentur leges. Ubi enim omnia ei, qui armis plusposset»
dedita essent,quae ex iis habere victos, quibus mulctari cos velit, ipsius
jus atque arbitrium esse.
Das war das Schicksal Griechenlands geworden, als es sich
unter Diäos und Kritolaos vermass, mit den romischen Wolfen , den
RSubern des Erdkreises, den ungleichen Kampf einzugehen, und nun
von der Gnade des Siegers abhängig, die Freiheit noch einmal nl»
Geschenk, diessmal aber auf Ruf und Widerruf erlangte. 146.
^) inimiciiB est (Siculos), heisst es bei Verres (U 49) propterea qnod wator e«i.
«) Liy. XXav. c. 57.
Pfixmaier, Die LebenaverlSogeruDgen der Minner des Weges. 311
Die Lebensyerlängerungen der MSnner des Weges.
Vom w. M. Dr. A. Pfizmaier.
Die Verlängerung des Lebens steht mit der in China verbrei*
teten Lehre des Weges in so ferne im Zusammenhange» als sie, nach
der Meinung der Bekenner dieser Lehre» eine nothwendige Folge der
Erlangung des Weges ist. Der Weg wird in erster Reihe ohne
äussere Mittel, durch das Gute allein, ferner durch geistige Ruhe,
Abgeschlossenheit, Beschäftigung mit dem Lautlosen und Stillen, Ver-
körperung des Nichts und Denken an die gottlichen Wesen zu Stande
gebracht.
Die Lebensverlängerung wurde aber auch als Selbstzweck be-
trachtet, zu dessen Erreichung theils allgemeine Mittel, wie eine
geregelte Lebensweise, Fernhalten der Leidenschaften, das Licht der
Himmelskörper, atmosphärische Luft, theils eigentliche Arzneimittel
und sogenannte Lockspeisen angewendet werden.
Dass die Bestrebungen, das Leben zu Terlängern, so häufig
fehlschlugen, wird dem Umstände zugeschrieben, dass die Menschen
gewohnlich nur mit der Spitze, d. i. den lebensverlängernden
Arzneien, weniger jedoch mit dem Stamme, d. i. der Lehre des
Weges, sich befassen. Namentlich wird von Anrufung der Gotter und
Gehet so wie von Opfern keine Wirkung erwartet. Die Kaiser der
Dynastien Thsin und Han yerausgabten für Gebet und Opfer, durch
welche sie ihr Leben zu yerlängern hofften, hunderttausend Zehn-»
tansende, ohne davon den geringsten Nutzen zu haben.
Man macht daher einen Unterschied zwischen dem Nähren des
Lebens, welches durch die genannten allgemeinen Mittel bedingt
wird, und dem Gebrauche der Lockspeisen, die in wirklichen oder
312 ^ P f i s m a i e r
vermeintlichen Arzneimitteln bestehen. Die gewohnlichsten unter
diesen oft sehr eigenthumlichen Arzneimitteln sind: Mennig» Gold-
saft» Wolkenmutter, Stechwinde» Hanfsaamen» Bergdistel» süsse
Pflanze» Goldblumen» Rabenreis» Unsterblichkeitspflanzen. Viele der-
selben sind ganzlich unbekannt und werden durch Namen wie Nacht-
glanz» Pflanze der Tiefen, Mennig der neun Blumen, gehäuftes Grün,
grünes Geistiges» gelbes Geistiges» das Gehirn des Paradiesvogels in
neun Hüllen, das Erblühen des Regenbogens der purpurnen Blumen,
die grüne Kupfermünze des Thsang-lang» fliegende Wurzeln aus-
gedrückt, oder es sind unfassbare Dinge wie Nebel, rother Wolken-
dunst, Mondschatten» Sonnenfrucht» mennigrother Schatten der
Sonne.
In Übereinstimmung mit dem Gesagten werden in der vorlie-
genden Arbeit zwei Gegenstände: „das Nähren des Lebens^ und
„der Gebrauch der Lockspeisen**, unter Anführung einiger bezüg-
licher» bis zu den Zeiten des Hauses Tsin sich erstreckender Nach-
richten von Männern des Weges, behandelt.
Das N&hren des Lebens.
Das Buch des grossen Friedens sagt:
Der Weg des Nährens des Lebens ist die Beruhigung des
Leibes» das Nähren der Luft» die Abwesenseit von Begierde» Freude
und Zorn. Es gibt keinen Kummer» desswegen besitzt man das lange
Leben.
Eins ist der Anfang der Zahlen, der Weg des Lebens, das-
jenige, von dem die ursprüngliche Luft sich erhebt. Es ist das ur-
sprüngliche grosse Zugseil des Himmels. Desswegen bewahrt man und
ersehnt das Einzige. Willst du das Alter nähren» das Einzige be-
wahren» sehr langlebig sein» die Luft zufrieden stellen» gemächlich
liegen, so hast du das Einzige in Bewahrung. Wenn die Luft die
Quelle ist» wie sollte der Leib ins Verderben gerathen? Dieses nennt
man die wahre Kostbarkeit, das Weggehen des Alters und des
Schwindens.
In dem Alterthum, zu den Zeiten der drei Erhabenen war die Luft
der Menschen klar und tief. Sie kannten die innerste Beschaflfenheit
Die Lebensrerlingeruogeii der Mfinner des Weges. 313
des Himmels und der Erde, desswegen erlernten sie vollständig den Weg
des Wahren. Sie erlangten dann wieder das öffentliche des Himmels
und der Erde. Bei der Weise des Suchens des Weges ist die Ruhe
das Fassgestell und das Erste. Wenn das Herz und der Geist er-
leachtet worden, sind sie mit dem Wege ein Einziges. Bei der
Eröffaung and Aneignung des Tiefen und Offenkundigen hat es die-
selbe Bewandtniss wie bei dem hellen Tage. Wenn man nicht den
Weg erlernt, ist es, als ob man in einem finsteren inneren Hause
wohnte und in den Gegenden sich irrte. Desswegen entsetzten sich
die flochstweisen und Weisen vor dem Mussiggange.
Das Buch des grossen Höchsten sagt:
Bewahrt man das Einzige, so untersucht man und bestimmt die
Quelle des Herzens. Bewahrt man die Ruhe, so gibt man Fortbestand
dem Geiste, vergisst die Gestalt. Man bestimmt die Luß, verkehrt
mit dem Nichts. Der Weg wird vollendet; die Wahren steigen
hernieder.
Das Buch des wahren Einzigen der drei Ursprunglichen sagt :
Verkörpert man die hundert Gotter, so sind die Ohren das
Fenster und das Thor des Kaisers und Gebieters. Die Augen sind die
Sonne und der Mond des grossen Einzigen. Die Nase ist die Anhuhe
uod der Berg der drei Unsprunglichen. Der Mund ist die meimig-
rothe Wassertiefe des hochrothen Palastes. Die Augenbrauen sind
der Biumendeckel des weissen Ursprünglichen. Das Haupthaar ist das
Geistige des Waldes der glänzenden Halle. Die Zunge ist der
dracheuformige Schwangbaum der ursprünglichen Bluthen. Die
Zähne sind die Macht und Stärke des Palastes des Magens. Die
Hände sind die äusseren Hebel des Gallengottes. Die Füsse sind der
reingeistige Engpass des Ursprunglichen der Nieren. Die verborgene
Gipfelung ist das wsihre Triebwerk der Gemächer der Tiefen.
Kiuen-tse übergab Su-Iin den Weg des Bewahrens der drei
wahren Einzigen. Später sagte Su-Iin wieder zu Kiuen-tse, dass er in
das innere Haus der Stille des Schlafgemaches nicht mehr zurückkehren
werde. Er Hess auf einem Papiere eine Schrift zurück, legte sie in
iie Sehlafstätte und gab sie Lin. Diese Schrift lautete: Die drei Ein-
igen der fünf Nössel sind dasjenige, was der grosse Kaiser geheim
hält. Ich sehnte mich nach ihnen mit reinem Geiste durch zwölf
314 Pf i z m ai er
Jahre. Die drei Einzigen besuchten und sahen mich. Ich übergebe
dir eine Schrift. Wo nur die drei Einzigen sind, wird das lauge
Leben nicht vernichtet. Um wie viel mehr ist dieses der Fall, wenn
man sie wieder bewahrt ! Wer fähig ist» die drei Einzigen zu be-
wahren , dessen Name wird eingeritzt in die Edelsteintafeln. Um wie
Tiel mehr ist dieses der Fall, wenn man mit den drei Einzigen eine
Zusammenkuntt hat! Die sonach yerbleiben in den Gemächern der
Tiefen, sind die Fürsten des höchsten Reinen. Die hinzugeben die drei
Ursprunglichen, sind die Gebieter, die fünf Kaiser. Dass später der
Gebieter, der Kaiser der goldenen Thorwarte bestieg die Schatten,
die schnellen Wolken, umherwandelte in den zehn Himmeln, geschah
wirklich durch die drei Ursprünglichen der Gemächer der Tiefen.
Es ist der Weg des wahren Einzigen.
Die Lernenden des Zeitalters ehren und bewahren das Einzige.
Sie sollen bewirken, dass ihr Herz gediegen, ihr Geist gefroren, ihr
Leib ausschliesslich durch ein Einziges und wahrhaft angeregt ist.
Hierdurch werden die hundert Nachsinnungen nicht erzeugt, die
reingeistigen Gedanken sind nicht zerstreut. Man hat bloss die
innere Betrachtung durch drei Monate, wendet sich zu in dem Herzen,
einigt den Geist, bindet die Gedanken, damit sie sich nicht zerstreuen,
befasst sich ausschliesslich mit der Luft, damit sie im Einklang sei.
Dies ist das Ziel der Benützung des Gediegenen, die Schnelligkeit
des Erlangens. Sobald das Gediegene sich zerstreut, das Wahre
sich trennt, erheben sich die Blumen gegenseitig mit Lugen, sie
streiten, und Unordnung entsteht. Desswegen wird das Einzige nicht
plötzlich angeregt, der Geist gibt nicht sogleich Antwort. Es ist
nicht der Fall, dass man nicht hinweggehen will. Dasjenige, dem
man Fortbestand gibt, ist nicht ausschliesslich, was man ersehnt,
wird nicht erforscht. Desswegen begründet man die Verdienste der
gehäuften Jahre, und das Vorherrschende ist nur das Ungewisse.
Die Weise der drei Einzigen ist das Hauptheft des Buches der
Wahren des höchsten Reinen, der erreichte Weg des erhabenen
Höchsten, die Überfahrt und die Strasse der göttlichen Unsterblichen,
die wundervolle Entscheidung sämmtlicher Wahren. Du bist lahig,
das Einzige zu bewahren. Das Einzige bewahrt auch Dich. Du bist
fähig, das Einzige zu sehen. Das Einzige sieht auch Dich. Das Ein-
zige wartet auf den Leib und erhebt sich. Der Leib wartet auf das
Einzige und entsteht. Bei den Warnungen der Bewahrung des Ein-
Die LebensrerIXngerongea der Minoer des Weges. 3 1 «>
«
xigen warnt man» dass man nicht ausschliesslieh ist. Ist man aus-
sebliesslieh, so hat man spater nicht die lange Dauer. Hat man die
lange Dauer, so ist man nicht iShig zur Geistigkeit. Ist man geistig,
so ist man nicht fihig zur Festigkeit. Ist man fest und nicht
bestSndig, so entfernen sich die drei Einzigen, der Leib ist ein leere&
Wohnhaus.
Das Buch der fönf Beglauhigungsmarken sagt:
Wer das Einzige kennt, fQr den gibt es keine einzige Sache,
die er nicht wGsste. Wer das Einzige nicht kennt, ffir den gibt es
keine einzige Sache, die er wissen könnte. Das Einzige ist die
Beoeonung des Vornehmsten, dasjenige, das seines Gleichen nicht
bat Will man gewiss das Leben TerlSngern, mGssen die Einzigen in
das Licht gesetzt werden. Sehnt man sich nach dem Einzigen und
ist sehr hungrig, so gibt das Einzige Mundvorrath. Ist man sehr
dorstig, so gibt das Einzige sauren Trank. Das Einzige ist fähig,
das Tin zu vollenden, das Yang hervorzubringen. Es breitet aus-
einander nnd bringt in Gang Hitze und Kälte. Seine Grosse kann
doreh die sechs Vereinigungen nicht verborgen werden. Seine Klein-
heit kann durch die Haarspitzen und Ährenspitzen nicht umschrieben
werden. Es ist fShig zu Müsse, es ist fähig zu Vorbereitungen. Das
Einzige entfernt sich dann nicht. Man gibt Fortbestand dem Einzigen
mit grosser Sorgfalt, das Einzige ist flihig, den Geist zu durchdrin-
gen. Man trinkt wenig, isst spfirlich. Das Einzige hftit sich dann auf
und ruht. Das Einzige kenneu, ist nicht schwer, die Schwierigkeit
liegt in dem Ende. Das Wahre kennen und nicht üben, ist so viäl
als ob man es nicht kennte. Man sucht es ohne Aufhören und steigt
zo jenem Reinen der Edelsteine.
Die Luft nfthren, hierdurch erhält man den Leib unversehrt.
Wer die Luft verzehrt, nimmt immer wenig in sich auf.
Das Buch Lao-tse sagt:
Der Weg ist unscheinbar und tief. Du bist noch nicht fähig,
ihn zu unterscheiden. Man fasst zusammen seine Umschränkung und
KQrzong, man hütet sich, dass man ihn nicht verliert. Man beein-
trächtigt früher die Begierden, heisst nicht die Gedanken mussig sein.
.Van wohnt abgeschlossen an einem stiDen Orte, in einem geistigen
316 P f izm aier
und kleinen Hause des Gebetes. Zehntausend Rollen mennigrother
BQeher gelten nicht so yiel wie die Bewahrung des Einzigen. Man
soll das Sinnen zurecht bringen und dadurch den Vorsatz bestimmen.
Man beruhigt den Leib und sichert dadurch den Geist. Man legt
Werth auf die Luft und gibt dadurch Fortbestand dem Blute. Sehnen
und Sinnen werden zugleich vergessen. Man soll nachdenken und
innerlich betrachten» dann sind der Leib und der Geist ein Einziges.
Man sehnt sich in der Stille und bestimmt die Zeitden Wahren, dann
sind sämmtliche wundervollen Dinge angeregt und treffen zusammen.
Man befasst sich ausschliesslich mit dem Geistigen, sammelt den
Geist und vermengt sich nicht mit den Wesen. Dieses nennt man
das klare Zurücktreten. Der Geist unterwirft sich, die Luft wird
ruhig und bewegt sich nicht. Dieses nennt man den W^eg.
Wer gut das Leben leitet, wandelt auf trockenem Boden und
begegnet nicht den Nashurnern und Tigern. Er tritt in das Ki?egs-
heer und wird nicht bedeckt von Panzern und Angriffswaffen. Die
Nashorner haben nichts, wohin sie werfen konnten ihre Horner. Die
Tiger haben nichts, wohin sie setzen konnten ihre Klauen. Die An-
griffswaffen haben nichts, das in sich fassen könnte ihre Schneide.
Das Buch des Wahren des grossen Höchsten sagt:
Das Einzige hat keine Gestalt. Sucht man es, so ist es schwer
zu erlangen. Bewahrt man es, so ist es leicht zu verlieren. Dass man
es leicht verliert, ist von der Mangelhaftigkeit der Erkenntniss.
Begierden und Wünsche bewerkstelligen Stockung in dem Herzen.
Dieses ist leer und unthätig. Es handelt sich um die Bewahrung des
Einzigen. Wenn es sich häuft und noch nicht gipfelt, so ist dieses
durch das allmälige Steigen. Es soll auf die drei Ursprunglichen
ankommen. Man erforscht und erkennt die göttliche Luft, die Gestalt,
das Aussehen, die Namen und die JSnglingsnamen. Man tritt aus und
tritt ein bei dem Sein und Nichtsein. Im Leben hSIt man nieder
die drei Paläste, das Gitl der Leichname entfernt sich. Die Bucher
der hochstweisen Wahren und Unsterblichen, man folgt und über-
gibt sie bei diesem Anlasse.
Das Buch der acht Ungeschmückten sagt:
Wer den äussersten Weg erlernt, untersucht und bestimmt sein
HerZy entfernt die Sorge, klärt den Leib. Er kennt die Veränderungen
und Abwechslungen. Ist das Denken richtig, der Leib klar, dann erst
Die LebensverUngerongen der Mäaner des Wege«. 3 1 T
ist das Herz beatimmt. Ist das Herz bestimmt, so wird der Weg
ToUeDdet Ist der Weg vollendet, so steigen die Wahren herab. Wer
bei dem Einzigen verbleibt, das Göttliche bewahrt, macht zum
Gegenstande der Forschung die richtigen Verwandlungen. Die rich-
tigen Verwandlungen haben ihren Ausgang von der Bestimmung des
Henens. Ist das Herz bestimmt, so ist die Erkenntniss klar. Ist die
Erkenntniss klar, so vereinigt man sieh mit dem Wege.
Die wahren Menschen der grossen Gipfelung sagen :
Die Menschern des Alterthums, welche den Weg übten,
waren ursprunglich still und ruhig. Ihr Geist gedachte der Wahren,
sie gaben Fortbestand dem Ursprünglichen, zeigten, dass sie all-
mälig herbeiführten, was sich noch nicht zuwandte. Sie erkannten
die Quelle, ihr Geist war verstandig und fähig zu sehen. Sie sahen
und waren fähig zu folgen. Sie folgten und waren fShig sich zu
Gben. Sie übten sich und waren fähig sich zu befestigen. Sie
befestigten sich und waren fähig zu vollenden. Wer vollendet hat
Qod sich nicht befreundet mit den höchstweisen Menschen, befindet
sieh in der Welt gleich der Rohrpfeife des Sackes. Es ist nicht der
Fall, dass er mit den zehntausend Dingen sich verbindet Er streitet
mit ihnen um die Tugend und wendet sich ihnen immer zu. Weil
er bescheiden und nachsichtig ist, hat er nichts zu wünschen. Die
Wünsche sind die Wurzel des Unheils und des Verderbens. Das
Nichts ist das Ursprüngliche des Himmels und der Erde. Niemand
kennt die Wurzel, Niemand kennt die Quelle. Die hochstweisen
Menschen entfernen sich von den Wünschen, treten in das Nichts
und stützen dadurch ihren Leib.
Das Buch der ursprünglichen Wahren der Tiefen des grossen
Einzigen sagt :
Die beiden Ohren heissen mit Namen die hohen Fenster der
sechs Vereinigungen. Es sagt ferner: In Tsi nennt man sie mit
Namen die Paläste des höchsten Befehles.
Bei dem Wege des Nahrens des Lebens sind das Ohr und das
Auge die Vorgesetzten. Blickt man auf die Dinge ohne Unterschied,
so wird das . Auge verdunkelt Gibt man Gebor in grosser Ausdeh-
nung, 90 wird das Ohr verschlössen.
31.8 P fix maier
Die inneren Überlieferungen von dem Gebieter des Geschlechtes
Pei sagen:
Wer den Weg sucht, trachtet vorher, dass das Auge klar, das
Ohr scharfhorig sei und macht sie zu Vorgesetzten. Auch sind Ohren
und Augen die Leitern und die Stufen des Aufsuchens der Wahren,
die Thore und die Thüren sämmtlicher reingeistiger Wesen. Gelingen
und Fehlschlagen ist an sie gebunden. Das Buch der Unsterblichen
sagt: Bei dem Nähren des Lebens macht man das Nichtverletzeii zur
Grundlage. — Dieses ist ein nothwendiges Wort.
Das Buch der Wahren des grossen Klaren sagt:
' Unter den Dingen» die mit Entschiedenheit die Luft auf-
genommen haben, legt alles ohne Ausnahme Werth auf das Leben. Das
Leben ist die grosse Tugend des Himmels und der Erde. Unter den
Tugenden geht nichts über das lange Leben. Was lange lebt, ist gewiss
der aussen befindliche Leib. Man verdirbt nicht mit dem eigenen
Leibe die Wesen. Man lässt es nicht dabei bewenden, dass man sie nicht
verdirbt, man steht auch den Wesen bei und vergisst dcQ eigenen
Leib. Man vergisst den eigenen Leib, und der eigene Leib wird nicht
vergessen. Dieses ist es, was gut das Leben leitet. Den Weg der
Wahren nährt den Geist, der Geist ist im Stande, zu fliegen und
sich zu verwandeln.
Das Buch der drei Ursprunglichen des grossen Höchsten sagt:
Bei dem Wege des Nährens des Lebens muss man die Luft
schonen, dem Geiste Fortbestand geben. Man darf nicht zu viel
reden, nicht laut schreien. Man bewirkt dadurch, dass der Geist
belästigt, die Luft beschädigt wird. Desswegen nehmen die wahren
Menschen und die Männer des Weges immer aus dem Munde, nehmen
auf und bringen dadurch zu Übereinstimmung die sechs Arten
der Säfte.
Das Buch des ursprünglichen Zeigens sagt:
Die Gestalt und der Stoff sind die Werkzeuge des Erfassens
des Lebens. Sie sind es nicht, durch welche das Leben zum Leben
geweckt wird. Das zum Leben Geweckte macht das Ungesehmückte
und Rohe zum Stoffe. Es macht die Luft zum Ursprunglichen, den
Geist macht es zur Gestalt. Dieses ist die Vorhalle des Palastes des
Lebens. Es macht das Nichts zum Auferzogenen. Der Geist breitet
sich und wird auseinandergelegt an den Thoren des ursprünglichen
Wundervollen, er kommt und geht in den Zwischenräumen des
Die LebensTerlingerungen der Mfinner des Weges. 319
Gestaltlosen, er ruht und schöpft Athem bei dem Nachbarlosen.
Dies ist, was man nennt: die Quelle des Lebens des Ursprung-
liehen Lichtes erlangen. Es sagt ferner: Nach aussen denkt man an
das, was zerreissen soll, nach innen erklärt man das ursprfingliche
Wahre, dann erst kann das lange Leben bewahrt werden.
Das Buch des wunderyollen Wahren sagt:
Die Ueuschen des Weges entwerfen das Leben, sie entwerfen
nicht den Namen. Die Mitte ihrer Brust ist überaus weiss. In ihren
Gedanken ist nichts, das sich zur Seite neigte. Ihre Vorsätze sind
gleich dem fliessenden Wasser. Wo dieses weilt» sind leere Stadt-
mauern, mit Anhäufen und Bewachen hat es nichts zu thun. Sie
sind dann fähig zu dem langen Leben.
Die Hutung sämmtlicher Wahren sagt :
Heftigkeit und Ungestüm der Gemfithsart sind der grösste Mörder
des ganzen Leibes, die dazwischen gestellte Leiter» auf der man sich
zaröckzttzieheD sucht. Wer von ihr Gebrauch macht, von dem ent-
fernen sich die Wahren. Verbessert man es, so kommen sie auf dem
Wege. In allen Dingen, bei denen man mit seines Gleichen zusammen-
triflft, soll man sanft und bedachtig sein und die Ordnung der
Geistigen und Reinen erschöpfen. Thut mau dieses, so ist man dem
Wege nahe. Der Geist ist dasjenige, zu dem Himmel und Erde jagen.
Man nährt den Geist, pflegt die Gemüthsart, yerbringt das Leben,
leitet die Luft, und ermisst dadurch die Schwierigkeijten. Dieses ist
das Durchdringen und die Erkenntniss der obersten Hochstweisen
und wahren Menschen. Diejenigen, welche den Weg üben, sollen
dieses thun und dadurch aufladen lassen ihren Leib.
Das Buch des Gebieters, des Kaisers des grossen Einzigen sagt:
bt man im Stande, beständig zu Oben die Weise der die
Gemächer der Tiefen beleuchtenden neun frühen Morgen, der Kugeln
von Schlamm, so umschlägt man die Seele, bringt zurecht das zehn-
taosendfache Unrecht. Man öbt es klar und still, bewirkt, dass die
Luft der reingeistigen Unsterblichen herabsteigt zu dem Schlaf-
gemache. Dies ist es, was man nennt: fuhren die drei Lichter, die
neun Sterne und dadurch beleuchten die hundert Gotter.
Die Darlegungen des höchsten Klaren sagen :
Ist die Leibesfrucht verschlossen und athmet still, bewahrt man
im Inneren die hundert Gotter, verschluckt den Schatten, schlingt
den Saft, so isst und trinkt man von selbst. Der Leib hat gewiss die
320 Pfismaier
Langjährigkeit» man kann es dahin bringen, zu den Unsterblichen
emporzusteigen.
Die geheimen Nothwendigkeiten der wahren Henscheii des
grossen Höchsten sagen:
Die Luft ist das Werjueug des Lichtes der Götter, der Inbegriff
des Klaren und Tröben. Weilt sie bei dem Ursprünglichen, so ist der
Himmel klar. Befindet sie sich in dem Menschen, so hat der Leib den
Fortbestand. Leben und Tod, Schwinden und FQlle richtet sich
nämlich nach den Zwischenräumen der Leitung.
Das Buch der Edelsteine der grossen Tiefen sagt:
Indem man die Luft der ursprünglichen Wurzeln verzehrt,
bewirkt man, dass die Mitte der Gliedmassen des Menschen klar und
leuchtend, der Geist hell und von achtfacher Schärfe ist Der Leib
hat den Wiederschein der Sonne, das Angesicht hat den feuchten
Glanz der Edelsteine. Man gebraucht als Lockspeise den Saft des
Morgens, hängt die Wurzeln auf, setzt über alles die Reiskörner.
Der Weg ist nothwendiger als Gold und süsser Wein» die Sache ist
wundervoller als Eis und Edelsteine. Dies ist« was man nennt : aas
dem Munde nehmen und aufnehmen die grosse Übereinstimmung des
Selbstthätigen, leiten die reingeistige Luft der neun Geistigen.
Das Buch Pao-p5-tse sagt:
Die Erfordernisse des langen Lebens bestehen in dem Wege
der zurückkehrenden Jahre. Die Jahre in die Länge ziehen, die
Krankheiten entfernen, folgt diesem zunächst. Es geschieht, dass
man sich desswegen nicht selbst rühmt. Ist man von Jahren noch
jung, ist man kräftig und kennt die zurückkehrenden Jahre, so
bessert man mit dem verborgenen Mennig das Gehirn aus. Die-
jenigen, welche die sieben Vortheile in dem langen Thale pflücken,
gebrauchen nicht als Lockspeise die Arzneien. Sie verfehlen ebenfalls
nicht ein bis zweihundert Jahre.
Der Wege des Verletzens gibt es viele. Wohin die Begabung
sich nicht erstreckt, mühselig ersehnen, was die Kraft nicht über-
windet, mit Gewalt beginnen, tiefe Kümmerniss, heftiger Hass, Leid
und Traurigkeit, Lust und Freude, was man leidenschaftlich begehrt,
worüber man tief sich kränkt, bei Schlaf und Ruhe die Zeit ausser
Acht lassen, stark sich berauschen und sich erbrechen, nachdem
man satt gegessen, sich sofort niederlegen, springen, laufen und dabei
keuchen, voll Freude laut rufen, wehklagen und weinen. Nicht-
Die LebensverlingeniDgeD der SUnner des Weges. 321
Tereinigung des Yin und Yang, hierbei kommen gehSufte Verletzun-
geo heran, es sind Mittel, die dem Nähren der angeborenen Beschaffen-
heit widerstreben.
Mit dem Ohre bort man nicht bis zum Überdrusse. Mit dem
Aoge blickt man nicht lange Zeit. Man sitzt nicht bis zur Ermüdung.
Man empfindet früher Kalte und bekleidet sich. Man empfindet früher
HiUe and lost die Kleider. Man will nicht, dass man äusserst hungrig
ist und dann Speise verzehrt Man verzehrt Speise nicht mehr, als
nur Sättigung genügt Man ist äusserst durstig und trinkt Man trinkt
nicht zu viel. Man will nicht, dass man sehr angestrengt ist Man
Till nicht dass man viel schwitiSt und riel ausspuckt» die Wagen
laofen, die Pferde rennen lässt, mit der äussersten Schärfe des Auges
io die Ferne blickt. Vieles Essen erzeugt Kälte. Im Winter mtiII man
nieht, dass es äusserst warm ist. Im Sommer will man nicht, dass es
äusserst kühl ist. Grosse Kälte, grosse Hitze, grossen Sturmwind,
grossen Nebel will man nicht ertragen. Die fünf Arten des Ge-
schmacks dürfen nicht einseitig und in Menge Yorhanden sein. Wo
von Verletzungen die Rede ist, werden sie ebenfalls nicht sogleich
bemerkt. Wenn sie lange einwirken, beeinträchtigen sie nur die
Lebensdauer.
DesswBgen hat derjenige, der gut das Leben leitet, bei Nieder*
legen und Aufstehen das Frühzeitige und Späte der vier Jahreszei-
ten. Bei Aufbrechen und Verweilen hat er die beständige Einrich-
tong der äussersten Übereinstimmung. Bei Zurechtstellung und
Schärfung der Sehnen und Knochen hat er die Mittel des Darnieder-
iiegens und des Emporblickens. Bei Verschliessung der Krankheiten,
Absperrung des Unrechts, hat er die Kunst des Verschluckens und
des Auswerfens. Bei dem Flüssigmachen der Durchgänge, dem Auf-
bau des Magens hat er die Weise des Ausbesserns und des Abführens.
Bei dem Einschränken und Ausbreiten, der Anstrengung und der
Müsse hat er die Erfordernisse des Gebens und Entreissens. Er be-
wältigt den Zorn und erhält dadurch unversehrt das Yin. Er unter-
drückt die Freude und nährt dadurch das Yang. Dann wird er früher
gebrauchen die Pflanzen und Bäume, um zu Hilfe zu kommen dem
Schwindenden und Lückenhaften. Später gebraucht er das Gold und
den Mennig, uro zu bestimmen das Unendliche. Die Ordnung des
bngen Lebens ist gänzlich hier inbegriffen. Wenn Jemand wäre, der
über die Gedanken entscheiden, was jcr in dem Busen trägt» anYcr-
Sitek. 4. p1in.-bist. Ol. LXV. Bd. U. Hft. 23
322 Pfizmaier
traueu wollte, der sagt, dass er durchdringt, verstebti den hochsteu
Befehl kennt und nicht Ton Schlamm bedeckt ist, bei dem an einem
verschiedenen Ende die äusserste Leidenschaft nicht aufgebaut ist
und der lange lebt, wie könnte man von diesem sagen, dass er das
Leben nährt?
Die verborgenen Entscheidungen der aufsteigenden Wahren
sagen :
Der grQne Jungling des Fang-tschü' sagte: Der Mensch, der
den Weg lernt, hat ebenfalls Mühsal. Der ihn nicht lernt, hat eben-
falls Mühsal. Der Anfang der beiden Mühsale ist derselbe, das Ende
•
der Mühsale ist aber verschieden. Wer den Weg übt, erlangt durch
Mühsal die Freude. Wer den Weg nicht übt, hat bloss Ungemach
und Mühsal, nichts weiter. Dadurch, dass der Mensch geboren wird,
gelangt er zu dem Alter. Indem er alt wird, gelangt er zu Krank-
heiten. Er wird des Leibes theilhattig und gelangt zu dem Tode.
Diese Mühsale sind sehr gross. In Herz und Gehirn häufen sich Ver-
brechen, Leben und Tod werden nicht durchschnitten. Dieses ist
schwer auszusprechen, um wie viel mehr ist es der Fall bei dem-
jenigen, der seine Himmelsjahre nicht vollendet? Dies sind die
Mühsale desjenigen, der den Weg nicht übt.
Wer den Weg übt und ebenfalls Mühsal hat, gibt klar und rein
Fortbestand den Wahren, bewacht das Ursprüngliche , gedenkt des
Reingeistigen, sucht den Lehrer, müht sich ab, versucht abwechselnd
mehrere hundert Dinge, was sein Vorhaben ist, lässt er nicht fallen,
und er hat ebenfalls die äusserste Mühsal. Dieses sind die Mühsale
desjenigen, der den Weg übt. Wenn er durch etliche zehn Jahre
sich mit dem Anordnen der Mühsale befasst, hat er deren grossere
als Jener. An dem Tage, wo er den Weg erlangt, vergisst er augen-
blicklich diese Mühsale, als ob er nach einem Hungern von hundert
Tagen eines Morgens gesättigt wäre. Wie sollte er wieder bemerken
den Hunger und den Mangel, den er unlängst gelitten? Hat er nicht
den Weg, so kann es nicht sein.
Der wahre Mensch der Blüthen der Rechten sagte :
Im Inneren sich befassen mit den Angelegenheiten des Hauses,
um sich an der Halfter zu fuhren, nach aussen zusammenfassen die
Geschäfte der Könige, um ohne Unterschied Dienste zu verrichten,
dieses ist ebenfalls das nicht Ausschliessliche des Weges. Den Weg
in den Armen halten und ihn nicht ausüben, ist so viel als keinen
Die LebeDSY«rliD|ferungen der MfinDer des We^es. 323
Weg besitsen. In den Händen Kostbarkeiten halten und sie nicht
Terwenden, ist so viel als keine Kostbarkeiten besitzen.
Der arsprQngliehe Gebieter des purpurnen Unscheinbaren sagte :
Wodurch Krankheit entsteht? Sie entsteht durch vieles Nach-
deoken. Wodurch Unrecht henrorgebracht wird? Es wird hervor«
gebracht durch die Zerstreuung des Herzens. Ist vieles Nachdenken,
^ sind die Sachen weitläufig. Sind die Sachen weitläufig, so sind
jie zusammengesetzt und mannichfach. Schwimmen und Fluthen hat
keine Einschränkung, Verwirrung und Streit bort nicht auf. Was im
Inneren kocht, sind zehntausend Gedanken. Womit man nach aussen
sieh abmfiht, sind hundert Dienstleistungen. Gestalt und Geist wer-
den abgenutzt, wie sollten die Krankheiten nicht aufkommen können?
Bei hohen Hauern, doppelten Riegeln furchtet man noch immer, dass
die Ränber herannahen. Um wie viel mehr ist dieses der Fall, wenn
man die ThQrflfigel öffnet, die Schutzwehr entfernt, wenn durch uns
die Räuber zur Stelle gebracht werden! Weil die Vorsätze ohne
Ufer, verlässt man die angeborne Eigenschaft und das Herz. Weil
man Böses thut, erschüttert man das Wahre. Die Gestalt kommt und
befindet sich in dem Auge. Der Ton kommt hervor und dringt zu
dem Gehör. Oberdeckt es die Säulen des Willens und hängt sich an
die Gedanken, so ist in Wirklichkeit Vermehrung und Überströmung.
Die Seele des Lichtes ist der richtige Geist. Der Geist ist vornehm,
erieuehtet und wahrhaftig. Die Seele der Finsterniss ist der Dämon
des Unrechts. Der Dämon ist noch immer wahnsinnig und unordent*
lieh. Wenn bei den Gedanken an die fliegenden Unsterblichen man
mit diesen zusammenstösst und sie sieht, so denkt man gewiss nach.
Wenn bei der GemOthsstimmung des Wohlwollens und des Schutzes
man den Wesen begegnet, so ist dieses die Gipfelung. Hiernach
richtet man sein Herz ein. Das Herz ist der Weg.
Das Buch der neun Blumen sagt:
Das Auge ist der Spiegel des Leibes. Das Ohr ist das Fenster
des Leibes. Blickt man viel, so ist der Spiegel verdunkelt. Hört man
alles, so ist das Fenster verschlossen. Glättet man den Spiegel,
durehschneidet das Fenster, so ist man fähig, zu durchdringen die
j Tiefen, die zehntausend leeren Räume, genau zu erforschen den ab-
/ gerissenen Wiederhall. Das Angesicht ist die Vorhalle des Geistes.
i Das Haupthaar ist die Blume des Gehirns. Ist das Herz traurig , so
I ist das Angesicht verdorrt. Nimmt das Gehirn ab, so ist das Haupt-
23*
I
B24 Pf ix ma i er
haar gebleicht. Hierdurch gehen das Geistige und die Luft im Inneren
verloren, die mennigrothe Furt wird beschädigt und versiegt. Das
Geistige ist der Geist des Leibes. Das Licht ist die Kostbarkeit des>
Leibes. Bei vieler Anstrengung wird das Geistige zerstreut. Bei Her*
beiführung von Streit wird das Licht verloscht. Hierdurch erfolgt
das Alter, die Luft fallt, und das hohe Alter ist bereits erreicht
Die Meldungen des Wahren sagen :
Reichthum und vornehmer Stand sind die das Gebein zerstören*
den Äxte und Sagen, die das Verbrechen aufnehmenden Schüfe und
Wagen. Erlangen das Hinreichende, belehren Aber die IrrthQmer^
beschrSnken die Schande, führen die das Schicksal angreifendea
Waffen, sind keine guten Dinge. Desswegen wussten die erhabenen
Menschen des Alterthums, welche das Übel der Schuld und der Ver*
brechen fiberblickten, im Voraus, dass Reichthum und vornehmer
Stand nicht dargeboten werden dfirfen. Fei entwich zuletzt aus
Tschang-lin, setzte sich in den Schatten auf den berühmten Bergen
und wollte sich entfernen von diesen Fussspuren. Er ist es, der be*
gehrte vielen Segen, der bewahrte und unversehrt erhielt das äusserst
Ungeschmfickte.
Der Gebieter von dem Geschlechte Pei sagte :
Die drei Durchgänge seien beständig hergerichtet, sie sind der
Weg des langen Lebens. Der Mund ist der Durchgang des Herzens.
Die Hände sind der Durchgang des Menschen. Die FQsse sind der
Durchgang der Erde. Sind die Durchgänge hergerichtet, so sind die
fünf Eingeweide beruhigt. Sind diese beruhigt, so gibt es keine
Krankheiten. Man gibt ferner Fortbestand den fünf Göttlichen^
welche der Leib sind. Man meint die beiden Hände, die beiden Füsse
und das Haupt. Wenn das Haupt denkt und fortwährend grün ist,,
wenn die beiden Hände rotb, die beiden Füsse beständig weiss sind,
so kommen die sich entfernenden Unsterblichen nahe.
»
Einst lernte Siü-ki-tao die Unsterblichkeit in dem Gebirge des.
Gesanges der Schwäne. Er kam auch von Zeit zu Zeit hervor. Auf
dem Wege des Marktes sah er plötzlich einen Menschen. Derselbe
trug ein ledernes Reitkleid und schwang einen Stock, auf den er sich
stützte. Ki-tao verbeugte sich vor ihm. Jener sprach bei diesem An-
lasse zu Ki-tao : Wer den Weg lernen will, muss treffen das Grün
des Himmels, hersagen das grosse Abwechselnde, auftreten mit den
beiden Weissen, drehen die zwei Rothen. «
Die LebensTerliDgeruDgeo der Mfinner des Weges. 32S
Das Buch des gelben Alters sagt:
Ist der Mann fähig, zurückzulassen die Wesen» so kann er zu
Rathe gehen über das Leben. Das Leben ist ursprünglich ohne Un-
recht Es wird von den Wesen umwunden, und nach sehr langer Zeit
vechseln die Vorsätze. Wenn in den Vorsätzen und dem Begehren
lüsserlich nichts ist, ist man iahig zu bewachen. Durch den Weg
legt man Werth auf das Leben.
Die Classen des grossen Wahren des grossen Höchsten sagen :
Das Einzige befindet sich in dem Leibe des Menschen, es hält
nieder und bestimmt die drei Orte. Ist man im Stande, die drei Ein-
zigen zu bewachen, so werden Bewegung und Aufhören nicht yergessen.
Die drei Leichname entfernen sich von selbst, die neun Thiere wer-
den Yon selbst getilgt. Man entlehnt nicht Arzneimittel und Lock-
speisen, man braucht keine Verbote und Hindernisse. Unter den Er-
fordernissen des langen Sehens geht die Bewachung des Einzigen
voran. Das nächste ist handeln nach der Lehre des Lehrers, über-
geben die Obliegenheit, sich richten nach der Begabung, sich stutzen
auf die Verdienste» vorschreiten zu der Rangstufe, häufen die Tugen-
deo, Tcrweilen in ehrenvoller Stellung, ausbreiten die wundervolle
Lufl, aufklären und führen die später Gehörnen.
Das Buch. der drei Erhabenen sagt:
Der Himmel ist fähig, das Einzige zu bewachen, er fiberdeckt
and hebt nicht empor. Die Erde ist fähig, das Einzige zu bewachen,
sie ist still und fähig zu weilen. Die Berghohen sind fähig, das Ein-
zige za bewachen, sie yermeiden nicht Hitze und Kälte. Das Meer
ist fahigp das Einzige zu bewachen, es fliesst und kehrt nicht zurücL
Der Mensch ist fähig, das Einzige zu bewachen, er erfasst gewiss
die wahren Unsterblichen.
Das Buch des emporsteigenden Ursprünglichen sagt:
Für den Weg gibt es grosse Vorschriften. Wer ihn erlangt, er-
'aogt ihn auf der Stelle. Dieses nennt man den Weg der drei Einzi-
gen. Es soll ein Heerführer sein, der die Streitmacht wechselt und
den Weg des Bösen abschneidet.
Das Erhabene der Edelsteine des höchsten Klaren sagt:
Die drei Wahren sind nach ihrer Bestimmung die Kaiser und
Gebieter des einzigen Leibes, der innere Anfang der hundert Götter.
Veränderung und Verwandlung, Trennung und Vereinigung richtet
sich nach den Tiefen und leeren Räumen der Wahren. Wie dunkel !
o26 P f i z m a i e r
Es ist schwer zu sagen. Wenn es nicht Unsterbliche sind, wird e»
ihnen nicht überliefert.
Das Buch des ungeschmfickten Leeren des grossen Höchsten
sagt:
Die drei Einzigen sind das leere Stammhaus des einzigen Lei*
bes» die Wurzel des Befehles der hundert Gotter, die Bergquelle des
Saftes der Furt, das Edelsteinhaus der lichten Seele und des Geisti-
gen. Desswegen ist der Teich des Magens von Gestalt viereckig und
empfangt die Dinge. Der Palast des Gehirns ist ein runder leerer
Raum und begegnet den Wahren.
Das grosse Höchste sagt: Dasjenige, um dessen willen die
wahren Menschen Werth darauflegen. Wahre zu sein, ist das Ein*
zige , sonst nichts.* Dasjenige , wovon das Einzige umschränkt ist,^
sind die VerwiEindlungen der ursprSnglichen Luft. Die Veränderung
gen und der Verkehr des Einzigen sind die dunklen Vereinigungen
des Himmels und der Erde. Desswegen ist das obere Einzige der
Himmelskaiser des Leibes. Das mittlere Einzige ist das mennigrothe
Erhabene des hochrothen Palastes. Das untere Einzige ist der ur-
sprüngliche Vorgesetzte der gelben Vorhalle. Allein die drei einzigen
Wahren leiten die vierundzwanzig Lüfte in dem Inneren des Leibes
und übergeben dadurch das Leben. Das Leben begründet das Ein-
zige in dem Leibe und entspricht den vierundzwanzig wahren Lüften
des grossen Unscheinbaren. Die wahren Lüfte wandeln umher in
Übereinstimmung. Die Dinge der Ordnungen ziehen weiter mit der
Gestalt. Der Geist des Ursprünglichen theilt sich gleichmässig. Die
purpurnen Gemächer sind dämmerig und dunkel.
Das obere Einzige ist die Gipfelung des wahren Kaisers. Das
mittlere Einzige ist der Vorgesetzte des wahren Erhabenen. Das
untere Einzige ist das Wundervolle des wahren Königs. Das Er-
habene des Himmels erlangt die Gipfelung, desswegen bringt es
nach oben zu Stande die erhabene Gipfelung. Das Erhabene der
Erde erlangt das Vorgesetzte, desswegen bringt es nach oben zu
Stande das richtige Einzige. Das Erhabene des Menschen erlangt
das Wundervolle, desswegen bringt es nach oben zu Stande die
wundervollen Dinge. Die drei Erhabenen, verkörpern das Wahre und
bewachen das Einzige, sie sind die wahre Gipfelung. Sie erlangen
das Einzige» sonst nichts.
Die Tafeln der sich sammelnden Unsterblichen sagen:
Die LebeDSTerlSn^roDgen der Minner des Weget. 327
Bei allen Unternehmungen, bei Sehen, Athem schöpfen, Essen,
Trinken^ Sprechen, bei Gutem und Bösem, bei Recht und Unrecht
hat jeder Mensch die Jahre, Monate, Tage und Stunden. Er folgt,
vohin er gehört und bestimmt seinen Antheil. Dieses ist die ge-
wöhnliche Zahl der Anordnung der Dinge. Der Leih hat die Soi^e
des entsprechenden Verderbens. Der Geist hat die bestimmte Zeit
der entsprechenden Verflüchtigung. Das Lebenslos hat die Eigen-
schaft des nothwendigen Ablaufens. Wenn der Geist innewohnt,
ist man ein Mensch. Wenn der Geist wegzieht, ist man ein Leich-
nam. Wo man nämlich durch Gelöste und Begierden das Herz auf-
regt, ist man nicht im Stande, die Zufälligkeiten der Farbe und des
Geschmacks zu meiden. Wer seinen Weg ordnet, befindet sich bei
Zofalligkeiten und ist ohne Fesseln. Er stimmt uberein und ist fort-
während im Verkehr. Sowohl das Gute als das Böse besteht in der
.Anordnung des Vergeltens und Entsprechens. Man yerfehlt sich hier
nicht im Geringsten.
Was den Grund des langen Lebens betrifft, so ist das Gute
allein das Fussgestell. Der Mensch lebt zwischen Himmel und Erde,
ein jeder bringt zu Stande seine Eigenschaft. Wessen Luft klar ist,
der ist scharfsinnig, erleuchtet, weise und yerständig. Wessen Luft
trüb ist, der ist heillos, grausam, irrsinnig und unwissend. Wessen
Luft hart ist, der ist hochfahrend, streng, rüstig und heftig. Wessen
Lnft weich ist, der ist wohlwollend, menschlich, offen und aufrichtig.
Der Erieuchtete unterwirft sich seine angebome Eigenschaft und
zieht dadurch in die Länge das Lebenslos. Der Verfinsterte folgt
eigenwillig seinen Wünschen und verletzt die angebome Eigenschaft.
Die angebome Eigenschaft ist die Quelle des Lebensloses. Das
Lebenslos ist die Wurzel des Lebens. Man gibt sich Mühe und ordnet
es. Hierdurch baut man das Leben und nährt dapn seine angebome
Eigenschaft. Man bewacht den Geist und nährt dadurch sein
Lehenslos.
Das Lehen des Menschen hat seinen Ausgang Ton dem Geiste,
bt der Geist beruhigt, so lebt man. Ist der Geist abgeschnitten, so
stirbt man. Auf diese Weise häuft man die Luft und macht sie zu
Geistigem. Man häuft das Geistige und macht es zu Geist Dess-
wegen verschliessen die Unsterblichen in sich das Trachten, sie Ter*
sehliessen in sich das Geheime, und sie kommen dann auf dem Wege.
328 Pfizmaier
Die Wahren ordnen das Lautlose, sie ordnen das Stille, und sie rer-
einigen sich mit den Wahren.
«
Der Geist muss sich häufen und angeregt sein, dann verkehrt
er mit dem leeren Räume. Ist er fortwährend ßhig, das Einzige zu
bewachen, so kommen die Unsterblichen nahe. Er vertraut sich dann
mit Himmel und Erde zugleich der Afitte des grossen Nichts. Ist er
ferner im Stande, in den Tiefen und in dem leeren Räume zu ver*
korpern das Nichts, so vertraut sich das grosse Nichts mit ihm zu-
gleich der Mitte des Lautlosen und Stillen. Ist man fähig zu der
Stille der Tiefen, so horcht und blickt man, ohne zu hören und zu
sehen. Man ist mit dem Wege im Dunklen.
Der Weg ist das äusserste Wahre des Verkehres des Leeren.
Die Kunst ist das begabte Ursprüngliche der Veränderungen und
Verwandlungen. Der Weg ist ohne Gestalt, durch die Kunst steht er
den Menschen bei. Wenn der Mensch das Leere besitzt, umschränkt
er durch das Ordnen den Weg. Die Erfordernisse des Weges be»
stehen in dem Aufsuchen der Schreibtafeln, in dem Wechseln der
Verdienste. Die Geheimnisse der Kunst sind bloss Arzneien und Luft.
Wenn die obersten Männer davon Gebrauch machen, steigen sie
empor und werden Obrigkeiten der Unsterblichen. Wenn die mitt*
leren Männer davon Gebrauch machen, lassen sie sich nieder und
sammeln sich auf dem Kueu-Iun. Wenn die untersten Männer davon
Gebrauch machen, leben sie laiige unter den Menschen. Hierauf gibt
der ursprungliche Gebieter des grossen Einzigen das Erforderliche
des zurückkehrenden Mennigs und des Goldsattes bekannt. Er lasst
es ausüben in dem Zeitolter.
Der Fürst des.Holzes, die goldene Mutter, ist der Ahnherr und
das Stammhaus der zwei Lüfte, die Quelle und der Stamm des Tin
und Yang, der Vorgesetzte und Vorsteher der Unsterblichen und
Wahren, der ursprüngliche Ursprung des Bewerkstelligens der Ver-
wandlungen. Die gefrorene Luft, welche die Wahren zu Stande
bringt, vereinigt mit dem Wege den Stoff. Auch umwindet die Luft
immer mehr das Gebäude des Himmels und der Erde. Bewegt sie
sich und ist gepflanzt in den Menschen, so ist sie der Mensch. Ist es
in ein lebendiges Wesen, so ist sie ein lebendiges Wesen. Sie
kommt hervor aus der grossen Häufung, zerstreut sich ohne Ende.
Die LebensverlfiD^ernngen der Hfinner des We^ea. 3 i9
Die iDgeborne Eigenschaft kommt aus dem Himmel hervor, und das
Lebenslos wird vollendet in dem Menschen. Der es begründet, ist
der Himmel. Der es in Gang bringt, ist der Weg. Die ursprunglichen
Greisesagen: Wenn man bewerkstelligt den leeren Raum und die
Gipfelung, bewacht das Stille und Auifrichtige, so werden die zehn-
tausend Dinge surfickkommen. Zurückkommen bedeutet : dem Wege
sich zuwenden und fortwährend bestehen. Bei den Erfordernissen
der langen Dauer bewahrt der Himmel sein Ursprüngliches. Die Erde
bewaeht ihre lebendigen Wesen. Der Mensch nährt seine Luft.
Der Konig der Schang horte, dass Peng-tsu den Weg besitze.
Er ernannte ihn zu einem Grossen des Reiches. Jener meldete sich
immer krank, wohnte abgeschlossen und besorgte nicht die Sachen
der Lenkung. Er gebrauchte das Mehl der Wolkenmutter, Büffel* und
Hirschhorn, Wasserzimmt. Er hatte fortwährend das Aussehen der
Jugend, seine Beschaffenheit war tief und still. Er sagte nicht, dass
er den Weg besitze. Der König begab sich zu ihm und fragte ihn.
Jener sagte ihm nichts. Der Konig errichtete in der Vorhalle des
Seitenflügels ein blumiges Dach, einen purpurnen Söller und liess Tsu
daselbst wohnen. Er fragte ihn um den Weg der Verlängerung der
Jabre, der Vermehrung der Langjährigkeit.
Jener antwortete: Will man aufsteigen zu der Hohe des Him-
mels und aushelfen bei den Ämtern der Unsterblichen, muss man
gebrauchen das Gold und den Mennig des ursprünglichen Gebieters,
des grossen Einzigen. Dieser Weg ist der grosste. Bei dem nächsten
muss man das Geistige sparen, den Geist nähren, gebrauchen und
verzehren Pflanzen und Arzneien. Man kann hierdurch das Leben
verlängern. Bei dem zunächst folgenden wird die im Kreise sich
drehende Luft des Yin und Yang genährt, sie beugt sich und streckt
sieh. Man bewirkt, dass die Luft der hundert Abschnitte in Gang
kommt, dass sie ausgeht von den Triebwerken, ohne zu stocken.
Hierdurch kann es geschehen, dass man nirgends Krankheiten an-
.dringen lässt. Sich sehnen nach dem Göttlichen, gedenken des Wah-
ren, sitzend vergessen, die Säfte läutern, hierdurch kann man be-
wirken, dass der Mensch das lange Leben hat. Was die Erforder-
nisse des Schwimmens gegen den Strom, der Ausbesserung des Ge-
hirns betrifft, 50 ist dieses sehr schwer auszuüben. Es gibt dabei die
330 Pfiimiier
Gefahr des Tragens von Dornen in dem Busen, des Tretens auf die
Schneide der Schwerter. Auch ist es keineswegs etwas, das Könige
thun.
Die seichten und dünnen Wege, von denen ich gehört habe,
sind hier zu Ende. Sie verdienen nicht, dass man sie yerbreitet und
überliefert. Der Mensch» der in dem Zeitalter geboren wird, nSbrt
sie bloss. Er erlangt das Angemessene bis zu hundert Jahren. Alles,
wobei man dieses nicht erreicht, ist schädlich. Grosse Trunkenheit,
grosse Heiterkeit, grosser Zorn, grosse Warme, grosse Kälte, grosse
Anstrengung, grosse Erschöpfung sind schädlich. Grosse Freude,
grosser Kummer, grosse Scheu, grosse Bangigkeit, grosse Verwir-
rung, grosse Hast, grosser Hochmuth, grosse Ausschreitung sind
schädlich. Starker Hunger, starker Durst, heftiges Sehnen, tiefes
Nachdenken sind schädlich. Lange sitzen, lange stehen, lange liegen,
lange gehen ist schädlich. Wenn Kälte und Wärme das Mass ein-
halten, Hunger und Sättigung das Angemessene erreichen, wenn
kein Sehnen, kein Verrichten, bloss Klarheit, bloss Stille, hier lässt
sich sagen, dass man den Leib nur ordnet. Hat man seine Langjährig-
keit erlangt, so ordnet man ihn nochmals. Erlangt man das Ange-
messene, so hat man das lange Leben. Es ist nur erforderlich, dass
man nicht schadet. Hat man im Winter warm, im Sommer kühl,
lässt man nicht ausser Acht die Obereinstimmung der vier Jahres-
zeiten , so gelangt man dadurch an den Leib. Hat man eine schöne
Farbe, ein leichtes Benehmen, treibt man nicht auf das Äusserste die
Anregung des Sehnens und Begehrens, so verkehrt man dadurch mit
dem Geiste. Kennt man bei Wagen und Kleidern, bei der Weise
des Ansehens die Genügsamkeit , ohne nach etwas zu streben , so
bringt man dadurch zur Einheit seine Vorsätze. Gelangt man bei den
acht Tonen, bei den fünf Farben nicht bis zu Leidenschaft und Ver-
sunkensein, so führt man dadurch zurecht sein Herz.
Mit allen diesen Dingen nährt man eigentlich den Menschen.
Der Mensch ist nicht fähig, sie zu schöpfen, einzugiessen und die
Mitte zu erlangen. Er bereitet sich im Gegentheil dadurch Sorge.
Desswegen Hessen die Hochstweisen und Weisen hernieder Warnun«^
gen, sie fürchteten die Unruhe der Strömung, zu der man herabsteigt
und in der die Begabung ertrinkt, das Verfehlen des Ortes, wobei
man vergisst, zu der Anwendung zurückzukehren. Desswegen hiessea
die den Weg ordnenden Männer es verbieten, sie wollten dadurch
Die LebeasrerliageruDgen der Mlnoer das We|^s. 33 1
nmsdirankea die Leichtigkeit der Einrichtungen. Es ist auch wie
bei Wasser and Feuer. Gebraucht man sie öbermSssig, so wird man
IraGegentheil nur Verderben bewirken. Der Mensch» der die Fäden und
Adern nicht kennt, beeinträchtigt und yerletzt das Blut und die Luft.
Es genügt nicht, inneriieh das Leere und Weite zu ordnen. Sind
das Mark und das Gehirn nicht fest, so ist der Leib schon froher
erkrankt Desswegen wird er von äusseren Dingen beleidigt. Sie
bedieoen sich des Windes, der Kälte, des Weines , der Begierden,
nm gegen ihn loszubrechen. Wenn der Stamm roll und fest ist, wie
sollte es da Krankheiten geben?
Weitreichendes Sehnen, übermässiges Wünschen schadet dem
Menschen. Kummer, Unwille, Leid, Traurigkeit, unter den mensch-
liehen Leidenschaften zu viel Freude, Entrüstung, Zorn, der sich
nicht löst, alles, was man unablässig liebt, um dessen willen man
schmerzlich besorgt ist, wenn Kälte und Wärme das Mass verfehlen,
das Tin und Yang sich nicht vereinigen, hierdurch erleidet er
Schaden. Männer und Weiber bringen gegenseitig zu Stande, gleich-
wie Himmel und Erde gegenseitig hervorbringen. Hierdurch leitet
man das Nähren von Geist und Luft, bewirkt, dass der Mensch seiner
Übereinstimmung nicht verlustig wird.
Himmel und Erde trennen sich am Tage und vereinigen sich in
der Nacht In einem Jahre sind dreihundert sechzig Vereinigungen.
Desswegen sind die vier Zeiten gleichförmig, und die zehntausend
Dinge entstehen. Hervorbringen und Vollenden kennen kein Ende
und keine Erschöpfung. Hierdurch wird der Himmel nicht verlustig
seiner Bewegung. Die Erde wird nicht verlustig ihrer Übereinstim-
mung. Die Dinge werden nicht verlustig ihres Entstehens und sind
fähig zu langer Dauer. Wenn der Mensch nicht fähig ist, sich zu
richten nach Himmel und Erde, sondern schmälert die Kleidung,
übertrieben ist in Speise und sich zuzieht todtliche Krankheiten, so
ist dieses die grosste Thorheit. Richtet man sich nach diesem , ord-
net und leitet, beschränkt und verbreitet es nach aussen, so gebraucht
man die Luft der ursprünglichen Übereinstimmung. Erlangt man
seinen Weg, so ist das Unrecht nicht im Stande, einzutreten. Dieses
ist die Grandlage der Anordnung des Leibes.
Die übrigen Dinge, wie das Aufnehmen des Schattens, das
Sehnen nach dem Geiste, die vorübergehenden Jahre, das Leiten
and Fuhren, das Verschlingen der Lockspeisen, das Kleiden und
33z Pfiimaier
Fahren sind eintausend siebenhundert Abzweigungen. Durch die
Vorschriften für die Zurechtweisung seiner selbst in den ersten
Monaten der vier Jahreszeiten, fOr die Entschuldigungen wegen der
Fehler, für das Niederlegen und Aufstehen in der Frühe und am
Abend kann man belehren die das Lernen beginnenden Mfiuner, sie
führen und Torschreiten lassen zu dem gegen das Gute gerichteten
Thore, allmälig gerade stellen ihr Herz und langsam aufh5ren lassen
ihre Verbrechen und ihre Schuld. Man kann es nicht sofurt dahin
bringen, dass die Mensehen den Weg erlangen. Wenn das Blut in
den Adern vertrocknet und stockt, Geist und Luft verschrumpfen und
sich zerschlagen, wie sollten da die Geister an das Wahre denken
und fähig sein, es zu bewachen? Man kennt gewiss nicht dessen
Nutzen. Dieses kommt daher, dass die Menschen bei der Übung des
Weges nach der Spitze trachten, aber sich keine MQhe mit dem
Stamme geben.
Nährt man nach innen nicht den Geist, mfiht man nach aussen
ab seine Gestalt, so wird das ursprüngliche Geistige allmSlig leer,
Geist und Luft werden erschöpft und stocken. Gebraucht man aber
Tag und Nacht Arzneien und befleissigt sich, liest man und sagt her
die Bücher und Entscheidungen, so ist dieses ebenfalls ohne Nutzen.
Die Bücher sind dreizehntausend Hauptstficke. Sie zeigen bloss das
Thor und die Vorhalle, zu denen man anfänglich hinübersetzt. Der
Konig der Schang empfing als Darreichung die Erfordernisse und
übte die immerwährende Langjährigkeit Peng-tsu*s. Nur war er nicht
fthig, sich vor seinen Ausschreitungen und Begierden zu hüten.
Niö-ki war ein Weinweib auf dem Markte von Tschin. Sie be«
reitete den besten Wein. Ein unsterblicher Mensch ging an ihreai
Hause vorbei und trank Wein. Er gab fünf Rollen ungescbmuckter
Bücher für den Wein. Ki öffnete sie und blickte in sie. Sie enthiel*
ten die Mittel der Unsterblichen, die Kunst, die angeborne Eigen-
schaft zu nähren, das Leben zu verlängern. Ki schrieb heimlich diese
Erfordernisse und Entscheidungen ab und übte sie. In drei Jahren
waren die Züge ihres Angesichts nochmals jugendlich. Sie verkaufte
Wein durch mehrere Jahre. Der unsterbliche Mensch kam wieder
Die LebeosTeriSngeruogen der Hinner des Weges. 333
und sprach zu ihr lachend : Wer den Weg stiehlt, ohne einen Lehrer
zu besitzen, besitzt Flügel und fliegt nicht. — Niu-ki folgte dem un-
sterblichen Menschen und entfernte sich. Man weiss nicht, wohin
sie gelangt war.
Niu-tschu-yi Ton Tai-yang erlangte den Weg des Auswerfeus
und Aufnehmens. Die Sache war überaus tief und entschieden. Li-
sieu-ki veröffentlichte ein Buch in vierzig Heften. Er nannte es ; die
Quelle des Weges. Auf dem Wege, den man bestfindig übt, siegt
das Weiche über das Harte, das Schwache bringt zurecht das
Starke. Es ist als ob man herabhiickte auf ein tiefes Wasser, träte
auf den Rand eines Abgrundes , als Wagenlenker führte das Ent-
laufende, bestiege das Verfaulte. Der Unterschied Ist ein sehr gerin-
ger. Die viereckigen Tafeln des Verlusttragens, wenn man sich be-
fleissigt und nach ihnen handelt, kann man die lange Lebensdauer
haben.
Niü-lu-kin von dem grossen Verborgenen lernte den Weg und
hatte ihn noch nicht zu Stande gebracht. Er verkaufte auf dem
Wege Wein und fragte insgeheim seinen Lehrer um Rath. Wenn
Gäste herbeikamen, hiess er ihn sich erkundigen, wie viele Männer
des Weges unter den Gasten seien. Er that dieses durch ein Jahr»
und es waren im Süden nur drei, im Norden f&nf, im Osten neun,
im Nordwesten ein Einziger. Er kehrte zurück und meldete: Der
grosste Weise unter den Gästen ist ein Mensch, der den Weg voll-
kommen erlang^ hat. Ich fragte ihn um ein Einziges und erfuhr fünf
Dinge. — Hierauf fragte er diesen um den Weg des langen Lebens.
Er erlangte die Erfordernisse des Ausbesserns und Föhrens, das
Heilmittel des dampfenden Mennigs.
Niü-tschuen-ho von dem grossen Ursprunglichen sagte bestän-
dig: Wenn der Mensch, in dem Zeitalter weilend, einmal etwas ver-
liert, kann er es nicht wieder finden. Wenn er einmal stirbt, kann
er nicht wieder leben. Um wie viel mehr ist dieses der Fall bei der
Beschränktheit der Grenze der Langjährigkeit I Ohne dass man den
Weg ordnet, kann man sie nicht ausdehnen. — Hierauf wusch er
sein Herz, suchte den Weg und erlangte dessen Kunst.
334 Pfi z Ol « i er
Der Gebrauch der Lockspeisen.
Das Buch (des Kaisers) des göttlichen Ackerbaues sagt :
Die höchsten Arzneimittel bewirken, dass der Leib des Men«>
sehen beruhigt, sein Leben verlängert wird. Es sagt ferner: Macht
man zur Lockspeise die fQnf Unsterblichkeitspflanzen, den Mennig-
sand, das mehrfache Grün, die Wolkenmutter, den Mundvorrath der
Übrigen Yu*s von dem grossen Einzigen und wendet ein jedes ein-
zeln an, so bewirkt man, dass der Mensch lange lebt. Die mittleren
Arzneimittel nähren die angeborene Beschaffenheit. Die niedrigsten
Arzneimittel entfernen die Krankheiten. Dieses sind die zutreffenden
Worte der obersten Höchstweisen, die wirklichen Entwürfe der Arznei-
kunst. Die höchste der Arzneien der Unsterblichen ist der Mennig-
saud. Die nächstfolgenden sind gelbes Gold, weisses Silber, sämmt-
liche Unsterblichkeitspflanzen, die fünf Edelsteine, die glänzenden
Perlen der fünf Wolken. Das gelbe Geistige und die Bergdistel,
wenn man sie zur Lockspeise macht, so wirft man die Reiskörner
zurück. Erlebt man ein unglückliches Jahr, so kann man durch sie
die Reiskörner entbehren. Man nennt sie den Reis und das Dorr-
fleich.
Die glänzende Classe der westlichen Gipfelung sagt :
Die mennigrothen Bücher des Goldsaftes des grossen Reinen»
die göttlichen Abbildungen der neun Dreifüsse, das grosse Mennig-
roth der neun Umdrehungen des grossen Einzigen und andere Bücher
sind im Ganzen einhundert vierzig Rollen.
Das Buch der fünf Beglaubigungsmarken sagt:
Der Hanf wächst ursprünglich in dem grossen Wan. Er heisst
auch : das grosse Übertreffende. Gebraucht man ihn ohne Aufhören»
80 hat man ein Dasein von der Länge der Zeitalter. Er ist der Älteste
der fünf Getreidearten. Gebraucht man ihn, so kann man dadurch
die zehntausend Dinge erkennen, verkehren mit dem Lichte der
Götter.
Die wahren Menschen sagen, dass das gelbe Geistige den
echten Geist des Himmels und der Erde erhalten hat. Es ist das-
jenige, das an die Berge sich lehnt, auf die Wohnungen sich stützt
und göttlich sich verwandelt. Die Unsterblichen geben ihm den
Die LebeDsTerlin(ferungen der Minner des Wege«. 335
Namen: die Unsterblichkeitspflanze Meu-khi (das in Blatterfulle sich
Erbebende).
Das Buch der Entscheidung der Edelsteine sagt:
Die Luft der fünf Beständigkeiten des ersten Anfangs zerstreut
sich bei dem ersten Glänze des Lichtes des Yang. Der Feuerglanz
des ersten Anfangs» die wahren Menschen rerzehren seinen Schatten
und sind unendlich.
Das Buch der drei Lichter sagt :
Die drei Lichter sind die Kunst der geläuterten Leibesfrucht des
Weges der Unsterblichen. Die Schlammkugeln sind der höchste
Geist des Leibes und der Gestalt.
Das Buch des Herausgebens und Aufnehmens sagt:
Die acht Fürsten haben ein Sprüchwort, welches lautet: Wer
Pflanzen Terzehrt, ist kräftig. Wer Fleisch Terzehri, ist muthig.
Wer Brodfruchl verzehrt, ist verständig. Wer Luft verzehrt, ist
gottlich.
Das Buch der Unsterblichen sagt:
Der Hennig ist Gold. Wer ihn gebraucht, ist ein oberer Mann
des Weges. Wer die Unsterblichkeitspflanze verzehrt und die Luft
der Kehle leitet, ist ein mittlerer Mann des Weges. Wer Pflanzen und
Bänme als Lockspeise verzehrt, ist ein niederer Mann des Weges.
Wer die grosse Arznei des Goldes verzehrt, entfernt sich zwar noch
nicht von dem Zeitalter, allein die hundert unrechten Dinge nahen
ihm nicht Wenn man bloss Pflanzen und Bäume gebraucht und zur
Lockspeise die acht Steine macht, so kann man zufallig nur bewirken,
dass die Krankheiten hinweggenommen werden, das Lebenslos sich
mehrt. Es genügt nicht, das äussere Unglück zurückzuwerfen. Man
bewahrt bloss das wahre Einzige, dann verstärkt man die angebome
Eigenschaft und macht sich keines Vergehens schuldig. Einst ge-
brauchte jeder Fürst der Unsterblichen einen einzigen Gegenstand
und erlangte dadurch mehrere hundert Jahre. Sie vereinten nämlich
göttlichen Hennig und Goldsaft Han-tschung gebrauchte Magen-
wnrz durch dreizehn Jahre. An seinem Leibe wuchsen Federn, er
blickte täglich auf zehntausend Worte in Büchern und sagte sie laut
her. Im Winter hatte er entblosste Schultern, und es fror ihn nicht
Aach wächst Magenwurz auf moosigen Steinen. Es hat bei der
Länge eines Zolles neun Knoten und darüber. Dasjenige, welches
porpume Blüthen besitzt, ist das beste.
336 Pfizmiier
Die Heilmittel der gerosteten Steine wurden durch den linken
Reiehsminister des ostlichen Versammlungshauses, den Fruhgebornen
des weissen Steines verfertigt Sie wurden von wahren Menschen
übergeben, aber man sah noch nicht den wahren Text. In dem Zeit-
alter gibt es zwei Texte. Man hält den gekOrzten für den besseren.
Dasjenige, was die wahren Menschen der östlichen Blumen
beim Verzehren der Steine zum Muster nehmen, ist das ostliche Ver-
sammlungshaus. Es ist auch das grosse Klare.
Die vornehme Frau des purpurnen Unscheinbaren wählte die
Bergdistel und sagte in dec kurzen Darlegung: Ich habe in Gemein-
schaft untersucht das Überwinden und das Unterliegen der Pflanzen
und der Gewässer. VTo es sich darum handelte, dass sie mir schnell
nützten, erreichten sie nicht die vielen Erprobungen der Bergdistel.
Hierdurch lebte ich lange, blickte lange Zeit auf das Ferne und
wechselte das Leere. Ich sage nicht, dass sämmtliche Dinge weniger
als die Bergdistel geachtet werden sollten. Das Wahre wird durch
den Gebrauch der Bergdistel in der Gegenwart umschränkt In den
letzten Zeitaltem gibt es viele Krankheiten, es ist angemessen,
Lockspeisen zu gebrauchen. Bei dem Wege hat man Zufriedenstel-
lung nach innen und fürchtet noch immer das Unglück durch
äussere Ereignisse. Hat man die Zufriedenstellung nach aussen, wird
man ebenfalls bisweilen von der Verderblichkeit des Sturzes betrof-
fen. Ich habe Solche gesehen, die in den Gebirgswäldern verborgen
und unbeschäftigt waren und denen es möglich ward, die Berg-
distel zu gebrauchen. In eintausend einhundert, in eintausend acht-
hundert Jahren gesellen sie sich zu den fünf Berghöhen. Gegen-
wärtig wählt man die Bergdistel, mehrere Heilmittel und überliefert
das Treffliche und Schätzbare. Werden sie mit Entschiedenlieit und
wahrhaftig gebraucht, so ist man ziemlich von dazwischen tretenden
plötzlichen Unglücksfällen verschont
Die LebeosTerliogerangen der Minoer des Weges. 33T
In dem Gebirge des Distrietes Li ia Nan-yang befindet sich das
süsse Thalwasser. Dasselbe ist desswegen sQss, weil die Berge des
Thaies zur Linken und Rechten süsse Goldblumen hervorbringen.
Die Bluthen der Goldblumen fallen hinein» und dieses geschieht die
▼ecbselnden Geschlechtsalter hindurch immer länger. Die Menschen
des Volkes, die an diesem Thale und in demselben wohnen, graben
keine Brunnen» sie trinken das süsse Thalwasser. Unter denen, die es
triokeo, ist keiner, der nicht die Langjährigkeit erlangt. Die das
höchste Alter erreichen» werden einhundert vierzig bis einhundert
fünfzig Jahre alt Die das niedrigste Alter erreichen, ermangeln nicht,
aehtzig bis neunzig Jahre alt zu werden. Desswegen Hessen der den
Raomen Vorstehende Wang-tschang, der grosse Beruhiger Lieu-kuan
ood der grosse Zugesellte Yuen-wei» als sie Statthalter von Nan-yang
varen, bei der Ankunft an dem Sitze ihres Amtes immer durch den
District Li monatlich vierzig Kufen süsses Thalwasser bringen. Sie
gebrauchten es als Getränk und zu Speisen. Diese Männer waren
stark von Gicht und Lähmungen gequält und wurden wieder her-
gestellt Sie konnten aber des Vortheils nicht im Grossen theilhaftig
werden gleich den Menschen, die an dem süssen Thale wohnen und
TOD Jugend auf sogleich dieses Wasser trinken und zu Speisen
gebrauchen.
Die BIGthen der Goldblume haben ferner mit den Blüthen der
Wasserlinsen Ähnlichkeit Man unterscheidet sie eben nur auf Grund-
lage der Süsse und Bitterkeit Die Goldblume ist süss» jedoch die
Wasserlinsen sind bitter. Gegenwärtig gibt es nur sehr wenige echte
Goldblumen. Sie wachsen verhältnissmässig zahlreich an den Flössen.
Auf dem Berge Keu-schi und in dem Districte Li gibt es die meisten.
Von ihnen wird in den Heilmitteln der Unsterblichen gesagt, dass
das Geistige der Sonne wieder zum Leben kommt. Sie sind rings
voll und überall ein Einziges. Es sind Goldblumen» aber Wurzeln»
Stengel» Blüthen und Früchte haben verschiedene Namen. Die Ausein-
andersetzung über sie ist sehr schön. Dass aber in jüngster Zeit die-
jenigen, welche sie gebraueben, durchaus nichts ausrichten» ist eben
desswegen, weil man die echten nicht erlangt
Das Buch der acht Ungeschmückten sagt : Das grosse Höchste
sagt: Durch die Weise des fliegenden Geläuterten lassen sich die
Thore und Thüren der wahren Menschen nicht erreichen. — Ferner
heisst es in den erleuchteten Classen der vier Gipfelungen: Das Buch
SiUb. li. phU.-bi8t. Ol. LXV. Bd. U. Hft. 24
340 Pflsmaier.
Die inneren Oberlieferungen von der vornehmen Frau des Ge-
schlechtes Wei von der sudlichen Berghöhe sagen :
Die vornehme Fraq führte den Namen Hoa*tsfin, den Madchen-
namen Hien-ngan. Sie stammte aus Jin-tsching. Zu den Zeiten des
Kaisers Tsching von Tsin gebrauchte sie Goldpulver und erlangte
den Weg.
Die inneren Überlieferungen von dem wahren Menschen Miao*
ying von Tai-yuen sagen:
Der höchstweise Gebieter der goldenen Thorwarte erliess einen
höchsten Befehl an die wahren Menschen der grossen Gipfelung
und hiess die Leibwftchter der Edelsteine des richtigen Ursprung-
lichen, Wang-tschung, Pao-khieu und Andere Miao*ying geben die
vier Abschnitte, die Leibesfrucht der Schwalbe» das fliessende Licht»
die gottliche Unsterblichkeitspfianze, das lange Sonnenlicht, die
beiden Fliegenden, den Nachtglanz, die Pflanze der Tiefen. Er hiess
sie sich vor ihm verbeugen und ihn damit speisen. Sie behängten
den Gürtel mit Siegeln, legten die Kleider an, richteten die Mützen,
kehrten sich mit den Häuptern nach Norden, umgurteten die Be-
glaubigungsmarken, hielten in den Händen kleine Glocken. Zuletzt
verkündeten die vier Abgesandten Ting folgendes: Wer die vier Ab-
schnitte der grossen Gipfelung, die verborgene Unsterblichkeitspflanze
verzehrt, dessen Rangstufe ist diejenige eines Reichsministers der
Wahren. Wer die Leibesfrucht der Schwalbe von der goldenen
Thorwarte, die Unsterblichkeitspflanze der Edelsteine verzehrt, dessen
Rangstufe ist diejenige eines Vorstehers des Lebensloses. Wer das
fliessende Licht des ostlichen Palastes, den goldenen BlQthenschmuck
verzehrt, dessen Rangstufe ist diejenige eines Vorstehers des Ge-
haltes. Wer das lange Sonnenlicht, die beiden Fliegenden venehrt,
dessen Rangstufe ist diejenige eines Oberherrn der Wahren. Wer
den Nachtglanz, die Pflanze der Tiefen verzehrt, dessen Rangstufe
ist diejenige eines Vorgesetzten und allgemeinen Leiters. Die Men-
schen seiner Umgebung sind betraut mit der Stelle kaiserlicher Ver-
merker. Du hast jetzt alles dieses verzehrt. Deine Langjährigkeit
erschöpft Himmel und Erde. Deine Rangstufe soll sein diejenige eines
Vorgesetzten des Lebensloses, eines höchsten Wahren, eines Reichs-
ministers und Gebieters der südlichen Berghöhe. In deiner Haupt-
stadt wirst du lenken die göttlichen Unsterblichen von U und Tue.
Die LebeosTerliogeniii^en der Minner des Weges. 34 t
Die inneren Überlieferungen ton dem wahren Menschen, dem
Gebieter Ton dem Geschlechte Tscheu sagen :
Tscheu-I-schan, der wahre Mensch des purpurnen Yang» führte
deo Junglingsnamen Ki-thung und stammte aus jQ-yin. Derselbe war
eiD dem siebenten Geschlechtsalter angehoriger Enkel Tscheu-pS's,
Reichsgehilfen von Han. Sein Vater Tsiün brachte es im Amte bis
IQ einem inneren Vermerker von Tschtn-lieu. Der Gebieter, sechzehn
Jahre alt» folgte Tsiün in die Provinz. Er war ein tiefsinniger» ernster
Heosch» bei dem Freude und Zorn nieht zum Ausdrucke gelangten.
Er gass gerne allein an einem stillen Orte und dachte im Geiste an
das Unsichtbare, und Verschloissene. Bei Tagesanbruch» wenn die
Sonne eben aufging» sog er gewöhnlich, das Angesicht nach Osten
gekehrt» die Sonne und gebrauchte als Arznei die Luft. Er that dieses
jeden Hoi^en.
Die Verkundungen der Wahren sagen:
Tschang-tsching-li von Heng-schan empfing gegen das Ende
der Han den Schatten des Regenbogens und das Heilmittel des gott-
lichen Mennigs des Gebieters der westlichen Feste. Es verdross ihn»
dass der Mennigsand schwer zu erlangen war. Er zog nach Kuang-
tseheu und wurde ein Mann des Weges. Er entfernte sich als Unsterb-
lieher und wurde in dem Sturmwindhause ein höchster Unsterblicher.
Tschang-yuen-pin stammte aus Ting-siang. Zu den Zeiten des
Kaisers Wu von Wei ragte er durch vielfache Begabung hervor. Er
kehrte in seinen Bezirk und seine Gasse zurück und diente dem
Forsten des Geschlechtes Ki von Si-ho als seinem Lehrer. Von diesem
empfing er den Gebrauch des Heilmittels der Bergdistel als Lock-
speise. Später begegnete er dem wahren Menschen Puan-tse-ming.
Dieser übergab ihm in einem kleinen inneren Hause den Weg des
Zoröckziehens» des Veranderns und der verborgenen Schatten. Yuen-
pin befand sich ehemals in dem Gebirge der Himmelpfeiler. Gegen-
wärtig verrichtet er im Inneren der Tiefen des Hoa-yang das Amt
eines Oberherrn der Ordnungen und Verbote.
Es beisst ferner : In dem Gebirge Tsien in Liü-kiang lebten
Tsehing-king-schi und Tschang-tschung-hoa» Beflissene des Weges.
Beide empfingen im Anfange der Zeiten von Tsin die möndlichen
Entscheidungen des unsterblichen Menschen Meng-te-jen und traten
342 Pfizraaier.
in (Ids Gebirge. Sie Qbten die Weise des Bewachens der fflnf Auf-
bewahrungen, des ZurQckbehaltens der Sonne. Zugleich gebrauchten
sie als Arznei Hanfsamen. Sie gebrauchten ferner den ursprfinglichen
Mennig.
Ping-tschung-tsiS stammte aus Ho-tung. Bei dem Aufruhr Lieu»
tsung^s <) übersetzte Tschung-tsie im Sommer den Strom und trat
in das Gebirge Ko-thsang. Sein Leib besass die Luft des Wahren^
er gebrauchte Lockspeisen und verschwand als Unsterblicher.
Tschao-kuang-sin war ein Eingeborner von Yang-tsching»
Gegen das Ende der Wei übersetzte er den Strom und trat in das
kleine weisse Gebirge von Jen. Er empfing die Weise des Mannes
von dem Geschlechte Li und gebrauchte als Arznei die Luft. Er
empfing ferner den dem Gebieter von dem Geschlechte Tso eigenen
Weg des Bewachens der ursprunglichen Mitte. Dergestalt verbrachte
er die Jahre. Bisweilen verkaufte er Arzneimittel unter den Menscheo.
Er kam häufig zu der Hauptstadt und erhandelte Mennigsand.. Er
verfertigte den Mennig der neun Blumen und verschwand als Un*
sterblicher.
Tu-ung-seng stammte aus Kuei-ki. Er empfing die dem unsterb*
liehen Menschen, dem Gebieter von dem Geschlechte Kiai eigene
Weise, das Geistige der Sonne zu verzehren. Zu den Zeiten von U
kam er und verbarg sich in dem Gebirge von Lang-U. Zugleich übte
er den Weg der Wolkenluft und der sich drehenden Gestalt. Er
dachte im Geiste nach, verbrachte lange Zeit und verschwand als
Unsterblicher.
Tschu-jü-tse trat gegen das Ende der U in das Gebirge des
m
rothen Wassers und gebrauchte als Arznei die Bluthen der Gold-
blume und die Bergdistel. Später begegnete er Si-kuei-tse. Er folgte
diesem und bat ihn um das Bemessen des Zeitalters. Si-kuei-tse
übergab ihm die nothwendigen Worte. Ju-tse verschwand als Un*
sterblicher.
1) Lieu-tsuDg vernichtete im Werten J«bre des Zeitraumes Kien-hing (316 n. Chr.)
das Reich der westlichen Tsin.
Die LebentrerliDgernDgen der Mlnner dea Weges. 343
Die Tochter der Edelsteine der glansenden Sterne weilte auf
dem blumigen Berge und gebrauchte den sauren Trank der Edel-
steine. Auf dem Gipfel in der Mitte des Gebirges befindet sich eine
steinerne Schildkröte. Dieselbe ist mehrere Morgen breit und gegen
drei Klafter hoch. Zu ihrer Seite befinden sich Leitern und steinerne
Treppen. Wenn man zn dem Rücken der Schildkröte emporsteigt,
sieht man den Tempel der Tochter der Edelsteine. An der Vorder-
seite befinden sich fünf steinerne Mörser. Man nennt diese die
Becken» in welchen die Tochter der Edelsteine das Haupt wSscht.
Das Wasser in denselben ist lasurblau» gröngelb und klar. Bei
Regenwetter strömt es nicht Ober, bei Trockenheit nimmt es nicht
ab. In dem Inneren der Schildkröte befindet sich ein Pferd der
Tochter der Edelsteine.
In dem Gebilde Hoa-yin befanden sich Yün-scheu-tse, Tschang-
sehf-seng und Li-fang-hoei» Beflissene des Weges. Dieselben waren
Zeitgenossen des Kaisers Wu von Tsin. Sie empfingen den dampfen-
den Mennig des unsterblichen Menschen Kuan-tsching-tse und dessen
Weise, die Bergdistel als Lockspeise zu gebrauchen. Dieser übergab
ihnen femer die Vorschriften Tscheu-scheu*ling's von Su«>men für
den Gebrauch des Mennigs und des Nebels.
Fan-yeu-tschung stammte aus Liao-si. Er gebrauchte bestfin-
dig die drei Lüfte. Nach der Vorschrift sind die grüne, weisse und
rothe Luft gleich dem Speichel. Er gebrauchte sie durch drei Jahre
und erlangte hierauf die Unsterblichen. Dieses ist die Weise des
Gebieters des hohen Ursprünglichen» der inneren Schatten des grossen
Ungeschmfickten. Man übt sie jeden Morgen. Blickt man in die
Sonne» so ist sie noch vortrefflicher. Diese Weise ist durchforscht,
die Sache ist erprobt.
Kiang-pe-tschin befand sich in dem grossen schrägen Gebirge,
Er gebrauchte als Arznei das Steinhirn. Das Steinhirn ist gleich
einem Steine» klein» buntfarbig und weich. Ausserdem findet es sich
noch im Osten des Berges Mino. Es ist daselbst wahrhaft klein, gleich
344 P f i I n • i er.
dem gehäuften Gron. Seine Farbe hat Ähnlichkeit mit derjenigen des
Tropfsteines. Fan-yang-tse gebrauchte einst auch dieses.
Die inneren Uberheferungen von dem Gebieter des Geschlechtes
Pei sagen:
Tschi-tse-yuen, dem Menschen des Weges mit dem Angesichte
Fo*s, übergab der Gebieter von dem Geschlechte Pei die innere
Kunst des langen Lebens. Er sagte ferner: Nach Arzneimitteln
trachten und mit den Gedanken rerweilen, dieses bringt man zwar
in dem nämlichen Fahrwasser zu Stande« allein der Durchgang und
die Quelle haben yerschiedene Fadenenden. Indem man Arzneimittel
gebraucht, bewahrt man die Gestalt Ist die Gestalt ruhig» so ist der
Geist zufrieden. Indem man mit den Gedanken yerweilt, stellt man
den Geist zufrieden. Dringt der Geist durch, so wird die Gestalt
bewahrt. Die beiden Ordnungen werden vollendet, sie brauchen sich
gegenseitig und sind vorhanden.
Die Überlieferungen von dem Lernen des Weges sagen :
Hiu-mai diente Scho-yuen. In seiner Jugend führte er den
Namen Yang. Später veränderte er den Namen und nannte sich Yuen-
yeu (in die Feme lustwandelnd). Er ging mit Wang-hi-tschi und
dessen Sohne eine ausserhalb des Zeitalters bestehende Verbindung
ein. Hi-tschi verzichtete ebenfalls auf Ehrenstellen und nährte das
Leben. So oft sie sich in die Ferne begaben und die Tage immer
mehr verstrichen, vergassen sie heimzukehren. Gedichte und Bucher
gingen hin und zurück, und sie erörterten häufig den Gebrauch der
Lockspeisen.
Hoang-kuan-tse, der linke Reichsminister von dem grossen
Klaren, lernte den Weg. Er gebrauchte Gold und Mennig, las das
Buch der grossen Tiefen und erlangte den Weg. Pe-yo-seng, der
linke Reichsminister des ostlichen Versammlungshauses, besass das
Heilmittel der gerosteten Steine. Tschang-schö-yin, der Aufseher
der Unsterblichen der Rechten von Wen-te, empfing das Heilmittel
des grünen Geistigen. Li-pao-tsu, der Fürst der Rechten von dem
grossen Klaren, war ein Mensch des Berges Min. Er empfing die Heil-
mittel des grünen Geistigen und des Rabenreises.
Die Überlieferungen von dem göttlichen Unsterblichen Ko-hung
sagen :
Die LebeoaTerlingernngen der Minner des Weges. 345
Lieu-kiag schloss sich an den aus Han-tan stammenden Gebieter
roQ dem Geschlecbte Tschang und empfing als Lockspeise die
Wolkenkugeln.
Fong-kiun-t& stammte aus Lung-si. Derselbe trat in das Gebirge
der Vogel und Mftuse, gebrauchte Lockspeisen und wurde über
kondert Jahre alt. Er ritt gewöhnlich auf einem grünen Rinde. Es
keisst ferner: Wei*8eho-king stammte aus Tschung-schan. Derselbe
gebrauchte die Wolkenmutter.
Khung-yuen war ein Mensch von Tschung-schan. Er gebrauchte
gewöhnlich Fichtenharc und Stechwinde.
Tsiao-sien führte den Jünglingsnamen Hiao-jen und stammte
aas Ho-tung. Derselbe Terzehrte gewöhnlich weisse Steine und
betheilte damit die Menschen. Der Gegenstand, wenn gar gekocht,
var gleich gerosteten Tamwurzeln.
IliO-scheu-kuang stammte aus Fu-fung. Siebenzig Jahre alt,
erlangte er das Heilmittel der Kugeln yon Wi-yaug. Er gebrauchte
es und lebte über zweihundert Jahre, ohne zu altern.
Der mittlere Lehensfürst, der höhere Unsterbliche Fan-I führte
den jQnglingsoamen Tö-schi (das Zeitalter ermessend). Sein alter
Name ist Ping (Eis). Er gebrauchte den Schatten des Regenbogens
samrot dem Mennig und erlangte den Weg. Er wählte die Uberliefe-
ruQgen der Tomehmen Frau von dem Geschlechte Wei.
Wang-pao, der wahre Mensch des klaren Leeren, führte den
Junglingsnamen Tse-teng. Er war ein dem siebenten Geschlechts-
titer angehörender Enkel des zu den Zeiten der früheren Han leben-
den Wang-Iing, LehensfOrsten von Ngan-kuS. Der dem Wege der
Uosterblichen vorgesetzte Gebieter bestimmte Wolkenlasur, Yang-
wasser, das Fliegende des frühen Morgens und zwei Nössel Mennig-
fett zum Geschenk für Pao. Dieser gebrauchte es und sah sehr weit
346 P r i X m a i e r.
in die Ferne. An seinem Aufenthaltsorte sitzend, versehwand er auf
der Stelle und widmete seine Dienste den Gotterschaaren.
Die Verkündungen der Wahren sagen :
In der Nacht des fünfzehnten Tages des siebenten Monates des
Jahres sprach der wahre Mensch des klaren Leereu mit Hiü-yö-fu und
sagte: Der Stein der fünf Fürsten, das Steinfett ist es, von dem
jene Körper Vortheii erlangen. Es hat Eile und ist angemessen» dass
man es gebraucht. Man kann dadurch sein Angesicht jugendlich
machen. Das Pulver der Bergdistel entfernt die Krankheiten. Dieses
ist für dich angemessen. Diesem zunächst gebraucht man den Raben-
reis. Zugleich möge die Brodfrucht nicht zuwider sein.
Die in den grossen Tiefen des Lichtes das Amt yon Reichs-
ministern der Unsterblichen verwalten, gebrauchen Gold und Mennig.
Die das Amt von Grossen verwalten, gebrauchen sämmtliche Unsterb-
lichkeitspdanzen. Diejenigen, welche das Amt von kaiserlichen Ver-
merkern verwalten, wenn sie die verborgene Unsterblichkeitspflanze
der grossen Gipfeluug erlangen, so werden sie sogleich Fürsten der
Unsterblichen zur Linken.
Die angebome Eigenschatl ist nahe dem Vl^ege. Macht man
davon Gebrauch, so kommen die wahren Menschen. Der wahre Mensch
des purpurnen Yang sagt: Man kann Hiü-yo-fu heissen mehrmals
das Haupt waschen und sich baden, ihn abspulen heissen die Luft
seiner Krankheit des Wassers, tilgen die Flecken seines gehäuften
Alters. Dieses sind die Stufen des Zustandekommens des Wahren. —
Wer den Weg des Nährens des Lebens lernt, darf nicht Thrfinen
und Feuchtigkeit vergiessen, nicht ausspucken. Was hierdurch
Schaden leidet, ist sehr vieles. Desswegen geben die wahren Meosehen
und die Männer des Weges immer von sich und nehmen auf. Sie
verschlucken den Speichel und bringen dadurch zu Übereinstimmung
die sechs Säfte.
Einst befand sich Kaiser Tsching von Han auf der Jagd in dem
södlichen Gebirge. Man sah einen Menschen, der unbekleidet war.
Auf seinem Leibe wuchsen Federn, er entlief im Fluge und konnte
Die LebensverlSogeniogen der MSoner det Weges. 347
nicht erreicht werden. Man umzingelte ihn und fing ihn. Als mau ihu
fragte, war es ein Bewohner des Palastes von Thsin. Er erzählte,
was sich mit Tse-ying, Konige yon Thsin, an dem Wege Tschi-tao
zugetragen«). Als der Palast und die Häuser verbrannt wurden*)»
floh er voll Schrecken in das Gebirge. Daselbst hungerte ihn und er
hatte nichts zu essen. Er sank nieder und wollte Hungers sterben. Da
erschien ein Greis, der ihn Fichtenlaub und Fichtenzapfen verzehren
hiess. Die Jäger, im Begriffe heimzukehren, speisten ihn mit Brod-
fraeht. Er erbrach sich und erholte sich erst nach vielen Tagen. In
einem Jahre starb er. Vordem war er kein Mensch, man hatte einen
Unsterblichen gefangen.
Lung-scho fQhrte den jQnglingsnamen Pe-kao und stammte aus
dem Kreise der Mutterstadt. Später schloss er sich an den unsterb-
lichen Menschen Tao-tao-lin und empfing von diesem die Weise der
Luft der Leibesfrucht. Er empfing ferner das Heilmittel des Raben-
reises. Er vertraute die Gestalt, verschwand trunken und wohnte in
Verborgenheit.
Tai-meng, ein Mann des Weges von dem Gebirge Wu-tang,
fobrte ursprunglich den Geschlechtsnamen Ten. Sein Name war Thsi,
sein Jünglingsname Tschung-wei. Er war ein Zeitgenosse des Kaisers
Ming von Han. In seiner Jugend ordnete er den Weg und die Tugend.
Indem er nicht diente, trat er in das blumige Gebirge und gebrauchte
als Lockspeise die Unsterblichkeitspflanze, die Bergdistel, das gelbe
Geistige, die Wolkenmutter und den Mennigsand. Er empfing die
Vorschrift von dem wahren Menschen des wahren Leeren, dem
Gebieter des Geschlechtes Wang. Er erlangte den Weg des langen
Lebens. Ferner Qbergab ihm der wahre Mensch von dem Geschlechte
Pei die Bacher des Gurtelgehänges von Eddstein und der goldenen
Ohi^ehange. Hierzu gesellte er die Begiaubigungsmarke des steiner-
Den Geistigen und des Goldglanxes.
') T«e-jiog ergab sich an dem Wege Ttchi-tao dem Könige von Han.
^) Spiter Terbrannte Hiang-yu die HaupUtadt Tschang-ngan.
348 Pfismiiier.
Verzehrt man die Arzneistoffe der Pflanzen und Baume und
versteht es nicht, die Luft in Gang zu bringen, bei dem Gebrauche
der Arzneistoffe zu fuhren und zu leiten, so ist es ohne Nutzen. Man
erlangt niemals den Weg. Wenn die Vorsätze angeregt werden von
dem Reingeistigen und dasjenige, wobei man verweilt, kommen muss,
so braucht man auch nicht den Nutzen der Arzneistoffe der Pflanzen.
Versteht man es bloss, die Luft in Gang zu bringen, versteht aber
nicht die Vorschriften fQr den gottlichen Hennig, so wird man eben-
falls kein Unsterblicher. Erlangt man den Goldsaft und den gottlichen
Mennig, so braucht man keine andere Kunst. Hat man das wahre
Buch der grossen Tiefen, so braucht man nicht den Weg des Goldes
und des Mennigs zu erlangen, um ein Unsterblicher zu werden. Wenn
der Mensch geboren wird, besitzt er die Grundrisse der Knochen, er
hat gewiss aufrichtige Vorsatze. Der Weg bringt es so mit sich.
Desswegen lernt man nicht, und der Weg der Unsterblichen konomt
von selbst. Bis hierher und weiter abwärts bedarf man der aufrich-
tigen Vorsätze.
Die Konigin der Blumen der Edelsteine von dem östlichen Meere
ist die jüngere Schwester des Gebieters, des grünen jQnglings. Sie
stieg herab und übergab Tschang-wei-tse die Weise des Gebrauches
des Nebels.
Das Buch der dreimal fünf willfahrigen Handlungen sagt:
Der wahre Mensch von Kuang-ping trägt auf dem Scheitel einen
runden Feuerglanz. Er hält in der Hand eine Blumenfahne vor dem
höchsten Kaiser. Er fragt nach der Weise des Ordnens und Läuterns.
Auf der Erdstufe der Tiefen des Berges Ta-ho in Lo-kiang Gndet
sich die fünffarbige verborgene Unsterblichkeitspflanze. Auf den
Bergen von Hoa-yang finden sich auch fünf Arten der in der Nacht
leuchtenden Unsterblichkeitspflanze. Auf dem Berge Liang-tschang
findet sich die Unsterblichkeitspflanze des Feuerfliegenfeuers. Ihre
Früchte haben Ähnlichkeit mit denjenigen der Pflanzen. Auf der Erde
gleichen sie von Gestalt den Feuerfliegen. Sie sind von der Grosse
der Bohnen und gleich purpurnen Blumen. Wenn man sie in der
Nacht sieht, leuchten sie. Wer sie verzehren kann, dessen Herz ist
Die LebensTerliogernngen der Minoer des Wege«. 349
erieuchtet Er ist im Stande, in der Nacht zu schreiben und zu
rechnen. Wer sieben und yierzig StOcbe verzehren kann, erhfilt die
Langjihrigkeit.
Auf dem Berge Pao wächst die weisse Unsterblichkeitspflanze.
Ferner findet man daselbst die verborgene Quelle. Die Farbe der-
selben ist purpurroth. Auf dem Berge Lui-ping in Hoa-yang befindet
sieh die Quelle des Forsten des Feldes. Es ist das fliessende Fahr-
wasser des EdelsteiDsandes. Man wäscht mit ihm vortrefflich Kleider.
Wer die Blume der Sonne und des Mondes der neun Rein-
geisljgen als Arznei gebraucht, erlangt das Herabsteigen zu dem Hause
der grossen Gipfelung, die Weise der ursprunglichen Wahren.
Lang-tsung führte den Junglingsnamen Tschung-nui und stammte
aus Ngan-khieu in Pe-hai. In seiner Jugend trat er aus dem Amte.
Er lebte zu dea Zeiten der spateren Han. Er wurde Befehlshaber von
U und lernte die Kunst des geistigen Weges. Indem er wahrsagte,
erspähte er Wind und Luft. Später erhob sich an einem Morgen ein
heftiger Sturm. Er schritt in der Vorhalle zur Wahrsagung und
wusste, dass in Lo-yang ein grosses Feuer ausgebrochen und das
Thor des langen Sommers verbrannt sei. Man ging hin, erkundigte
sich, und es verhielt sich wirklich so. Als man dieses in der Vorhalle
des Hofes erfuhr, berief man Tsung als vielseitigen Gelehrten. Tsung
schämte sich, dass er der Kunst der Wahrsagung willen berufen
worden. Er loste in der Nacht das Siegel sammt dem breiten Bande,
nahm den Bucherkorb auf den Rücken und entlief. Er wohnte am
Fasse des blumigen Gebirges, gebrauchte Hanfsamen und erlangte
den Weg. Gegenwärtig befindet er sich in den Tiefen.
Fa-li-ho ist Fu-kien-ngan, von mütterlicher Seite ein Enkel des
Kaisers Hoan von Han. Er gebrauchte gewohnlich als Arznei die
Luft der fünf Sterne und erlangte den Weg. Er ist der Vorgesetzte
der die Wahren in sich fassenden Erdstufe.
350 Pfismaier.
Das Buch Pao-po-tse sagt:
Tu-tsu>hung-liu war in seiner Jagend Befehlshaber von Lin-
yuen. Derselbe sagte : Die in diesem Districte lebenden Menschen
des Volkes hatten die Langjährigkeit und das hohe Alter. Später
wanderten sie aus. Die Sohne und Enkel, die ihnen folgten, starben
häufig eines frühzeitigen Todes. Andere Menschen, die deren alte
Hfiuser bewohnten, hatten ebenfalls durch mehrere Geschlechtsalter
die LangjShrigkeit der Augenbrauen. Ich vermuthe, dass das Wasser
ihrer Brunnen durchaus roth ist. — Er Hess versuchsweise einen
Brunnen graben. Man fand zur Rechten und Linken desselben etliche
zehn Scheffel Mennigsand, den die Menschen des Alterthums ver-
graben hatten. Wie ist es erst bei denen, welche Hennigsand als
Lockspeise gebrauchen !
Tschao-kiu von Schang-thang war an dem Aussatze erkrankt.
Keine Behandlungsart bewirkte Heilung, und er war dem Tode nahe.
Seine Angehörigen setzten ihn in eine Sänfte und verstiessen ihn.
Sie besorgten Mundvorräthe, die sie in einem Gebirgsthale nieder-
legten. Kiä nahm sich sein Unglück zu Herzen. Tag und Nacht seufzte
er traurig und weinte. Nach einem Monate ging ein Unsterblicher an
dem Ausgange der Hohle vorbei. Derselbe erblickte Ihn und erbarmte
sich seiner. Zugleich fragte er ihn aus. Kiu erkannte, dass es ein
unsterblicher Mensch, sei. Er schlug das Haupt an den Boden,
erklärte sich und bat, dass er sich erbarme. Der unsterbliche Mensch
schenkte ihm jetzt einen Sack ArzneistofTe und belehrte ihn über
deren Gebrauch. Kiu genas von seiner Krankheit. Sein Angesicht war
blühend und freudevoll, seine Haut frischglänzend wie Edelstein. Der
unsterbliche Mensch ging nochmals vorbei, um ihn zu sehen. Kiu
bedankte sich und bat um das Heilmittel. Der unsterbliche Mensch
sagte ihm : Dieses ist bloss Fichtenharz. In diesem Gebirge findet es
sich häufig. Wenn du es läuterst, kannst du damit das Leben ver-
längern. — Kifi kehrte jetzt in sein Haus zurück. Man war daselbst sehr
erschrocken. Man fragte ihn und erfuhr, wie er geheilt worden. Kiu
war einhundert und siebzig Jahre alt, aber seine Zähne und sein
. Haupthaar waren noch fest und kräftig. Er lebte unter den Menschen
zweihundert Jahre, dann trat er in das Gebirge des umfassten Kalbes
und verschwand.
Die LebentTerllogerungen der Minner des Weges. 351
Wo man das lange Leben begehrt« richten sich Fortgehen und
Zaruckbleiben nur nach der Neigung. Man hat den zurückkehrenden
Heonig and den Goldsaft gebraucht. Will man dann noch in dem Zeit-
alter yerweilent 60 gebraucht man bloss die Hälfte. Trachtet man» als
Unsterblicher sich zu entfernen, so soll man es ganz gebrauchen.
Einst waren es der Fruhgeborne von Ngan-khi, der FQrst Niug von
Lnng-roei, der Fürst Sieu-yang und Yin-tsehang-seng, die bei Gold
and Mennig halbe Gaben gebrauchten. Sie weilten unter den Menschen,
Einige nahezu tausend Jahre, dann erst yerschwanden sie.
Das mittlere Heft des Erfassens des Edelsteinschaftes sagt: Die
Verdienste begründen, ist das Höchste. Die Fehler wegbringen, kommt
diesem zunächst. Wer den Weg übt, hält die Rettung der Menschen
ans Gefahr f&r das höchste Verdienst. Will man nach den Erforder-
nissen der Unsterblichen trachten , so soll man Redlichkeit, Eltern-
liebe, Verträglichkeit, Menschlichkeit und Glauben zur Grundlage
machen. Wird der Wandel der Tugend nicht geordnet und befnsst
man sich bloss mit der Kunst der Heilmittel, so wird man niemals
das lange Lebe^ erreichen. Verrichtet man hose Dinge, so entreisst
dieses, wenn es etwas Grosses ist, die Darlegung. Kleine Fehler ent-
reissen die Rechnung. Häuft man das Gute und ist das Mass noch
nicht voll, so mag man die Arzneimittel der Unsterblichen gebrauchen,
es ist ebenfalls nutzlos.
Ich habe die Bficher des Nährens des Lehens überblickt. Unter
ihnen ist keines, in welchem nicht der zurückkehrende Mennig und
der Goldsaft für das grosse Erforderniss gehalten würden. Dieselben
sind nämlich die Gipfelung des Weges der Unsterblichen. Einst
dachte Tso-thse, dessen Jünglingsname Yuen-faug, in dem Gebirge des
Himmelpfeilers geistig nach. Er verbrachte lange Zeit, als ein gott-
licher Mensch ihm das Unsterblichkeitsbuch des Goldes und Mennigs
übergab. Gegen das Ende der Han entstanden große Unordnungen,
ihm blieb nicht Zeit zur Ordnung der Läuterungen, und er mied das
Land. Er kam und setzte zu dem Osten des Stromes hinüber. Er
wollte sich in die berühmten Berge werfen und dadurch den Weg
ordnen. Der Grossoheim, ein Fürst der Unsterblichen, schloss sich
ebenfalls an Yuen-fang und empfing den Weg. Er empfing im Ganzen
drei Rollen des mennigrothen Buches des grossen Klaren, ferner eine
352 Pfiimaier.
Rolle des mennigrothen Buches der neon Dreifösse, eine Rolle des
Buches des Goldsafts.
Der Gebieter von dem Geschlechte Tsching, den ich zum Leh-
rer genommen, ist der Schuler des Forsten der Unsterblichen. Ich
habe es ferner von dem Großoheim empfangen. Mein Haas war
jedoch arm, ich hatte nicht die Mittel, um ArzneistoflTe kaufen zu
können. Ich diente ihm in eigener Person, besprengte und fegte.
Nachdem ich lange Zeit verbracht, errichtete ich in dem Gebirge des
Anhäufens der Pferde einen Altar, beschwor den Vertrag und empfing
den Weg. Zugleich hatte ich in Bereitschaft alles, was er mündlich
entschied und nicht niedergeschreiben hatte. Diese Bücher, welche im
Osten des Stromes früher nicht vorhanden waren, stammen von Tso-
thse. Thse übergab sie dem Großoheim, dem Fürsten der Unsterblichen.
Der Fürst der Unsterblichen übergab sie dem Gebieter von dem Ge-
schlechte Tsching. Der Gebieter von dem Geschlechte Tsching über-
gab sie mir. Desswegen ist unter den anderen Mftnnern des Weges
durchaus keiner, der davon weiss. Hier entlehnt und erstrebt man
nämlich äussere Dinge, um sich zu befestigen.
Es gibt wieder den göttlichen Mennig des großen Klaren. Die
Vorschriften für denselben stammen von dem ursprünglichen Gebieter.
Der ursprüngliche Gebieter ist der Lehrer Lao-tse*s. Das von dem
grossen Klaren handelnde Buch der Betrachtung des Himmels hat neun
Hefte. Es heisst, nach den oberen drei Heften k^nne nicht gelehrt
werden. Die mittleren drei Hefte haben für das Zeitalter nichts, das
der Überlieferung werth wäre. Man solle sie versenken in die drei
Quellen. Die unteren drei Hefte sind eben das Buch des Mennigs. Dieses
Buch sagt: Die obersten Männer, welche den Weg erlangen, steigen
empor und werden Obrigkeiten des Himmels. Die mittleren Männer,
welche den Weg erlangen, lassen sich nieder und sammeln sich an
dem Fusse des Kuen-lün. Die unteren Mfinner, welche den Weg
erlangen, leben lange in dem Zeitalter.
In jüngster Zeit, gegen das Ende der späteren Han vereinigte
der Gebieter des Geschlechtes Tin von Sin-ye diesen Mennig des
grossen Klaren. Dieser Mensch hatte die Luft der Begabung. Er ver-
öffentlichte Gedichte und das Lob des Buches des Mennigs. In der
Einleitung zu diesem sagt er: Diejenigen, welche den Weg zu lernen
begannen , dem Lehrer folgten, in der Heihe des Stammes und der
Spitze standen und meines Wissens den Weg erlangten, sind vierzig
Die LebentTerliiiigeraiifeD der Minner de« Weges. 353
Mensehen. Sie waren sehr scharfsinnig und erleuchtet. Es gibt ferner
Terschiedene Weisen» diejenige des Mennigs der nenn Lichter und
diejenige der neun Umschwünge. Es gibt ferner eine Weise des Men*
oigs des Berges Min. Tschang-hö-tS, der Mann des Weges, dachte
geistig nach in einem Felsenhause des Berges Min und erlangte dieses
Heilmittel. Was die Vorschriften fftr den Mennig betrifft, so ist jede
einzelne von der anderen verschieden. Der Goldsaft ist dasjenige,
das die grosse Gipfelang gebrauchte und wodurch sie unsterblich
wurde.
Bei der Herstellung des langen Lebens handelt es sich um die
grossen Arzneimittel, sie wird nicht durch die Opfer bestimmt Die
beiden Herrscherhäuser Thsin und Han betrieben im grossen Mass-
stabe Gebet und Anrufung. Dem sie opferten, waren Wesen wie die
fonf Kaiser des grossen Einzigen, die acht Gotter der dargelegten
Kostbarkeiten. In ihrem Unternehmen verausgabten sie hunderttausend
Zehntausende. Sie hatten davon durchaus keinen Nutzen. Wie erst
der gemeine Mann, der, ohne Tugend, wollte mit drei Opferthieren
vergeblich die Gotter anrufen und flehen um die verlängerten Jahre !
Dieser Irrthum wäre auch ein sehr grosser.
Bei der Vereinigung der grossen Arzneistoffe des Goldes und
Mennigs, der Läuterung der Luft der acht Steine wird der Ruhm am
meisten vermieden. Wenn etwas im gewöhnlichen Leben gehört oder
gesehen wird, so kommt die Unsterblichkeit nicht zu Stande. Einige
^gen: Die obersten Männer erlangen den Weg in den Schaaren des
Krt^heeres. Die mittleren Männer erlangen den Weg auf den
Märkten der Hauptstädte. Die unteren Männer erlangen den Weg in
den Wäldern der Gebirge. Dieses hat die Bedeutung : Die Arznei-
stoffe der Unsterblichen sind bereits vollendet, und sie wollen es nicht
leichthin unternehmen. Sind es auch drei Kriegsheere, die Schneiden
der Angriffswaffen können sie nicht verletzen. Das Unheilvolle und
Unglückliche der Märkte der Hauptstädte kann ihnen nichts anhaben.
Die unteren Männer haben es noch nicht so weit gebracht, desswegen
halten sie in den Wäldern der Gebirge.
Die Wegmänner des Alterthums, die im Fluge die gottlichen
Arzneistoffe läuterten, mussten in die berühmten Gebirge treten. Sie
Sitek. d. phiL-hUt. Ol. LXV. Bd. II. Hft. 25
354 Pfii maier.
untersuchten ferner die Bucher des Tretens in die Gebirge, sie
konnten dadurch geistig denken und die Lockspeisen ordnen. Diese
Arzneistoffe finden sich auf dem grossen blumigen Berge, dem Heng,
dem Sung% auf dem kleinen inneren Hause , dem Tai-pe • dem
Tchung-nan, der Mädchenbank, der Erdlunge, dem Konigsdache,
dem unfassten Kalbe, dem ruhigen Erdhügel, dem Hung, dem Tsien,
der grünen Feste, demNgo-mei, der Erdstufe der Wolken, demLo-feu,
dem Yang-kia, dem gelben Golde, dem grossen und kleinen Thien-tai,
dem Hö, dem Bambus, dem zusammengeschnürten Grasgrünen. Wenn
man von den vier Gegenden nach den Gebirgen blickt, so befinden
sich in ihnen die richtigen Gotter. Auf ihren Hohen wächst die Un-
sterblichkeitspflanze. Man kann dadurch ausweichen der großen
Kriegsnoth, den grossen Wasserfiuthen. Man vereinigt nicht bloss in
ihnen die Arzneistoffe. Wenn die den Weg Besitzenden sie ersteigen,
so leisten die Götter dieser Berge ihnen gewiss Beistand und bringen
Segen. Die .Arzneimittel kommen gewiss zu Stande. Gleichwie auf
diesen Bergen kann man auf den in dem Meere befindlichen grossen
Inseln die Arzneistoffe vereinigen.
Mein Lehrer, der Gebieter von dem Geschlechte Tsching, hatte
das achtzigste Jahr überschritten. Früher waren sein Schopf und
sein Haupthaar gestreift und weiss. In einigen Jahren wurden sie
wieder schwarz. Überdies war sein Angesicht voll und frisch-
glänzend. Er konnte starke Armbrüste spannen und täglich mehrere
Weglängen wandeln. Er trank zwei Nossel Wein, ohne berauscht zu
werden. Er bestieg Berge, und was seine Korperkraft betrifft, so war
er leicht und hurtig. Die Jüngeren, die ihm nachfolgten, erreichten
ihn nicht. Im Essen und Trinken zeigte er sich von den übrigen
Menschen nicht verschieden. Man sah auch nicht, dass er die Brod-
frucht verschmähte.
Ich fragte einen dem Frühgebomen folgenden Schüler, Namens
Hoang-tschang. Dieser sagte: Der Gebieter von dem Geschlechte
Tsching kehrt gewöhnlich über Yü-tschang zurück. In dem Fluss-
arme erlebt er unausgesetzt Stürme und begegnet Räubern. Der Ge*
bieter weist den Mundvorrath von sich und beschenkt damit die
Menschen. Er selbst verzehrt auch keine Speise mehr und ist in
fünfzig Tagen auch nicht hungrig. Man sieht ferner nicht, was er als
Die LebeotTerlingeniogeo der Hioner des Weges. 355
Gabe rertheilt und weiss nicht, was sich dabei zugetragen. Unter
der Lampe schreibt er eine kleinere Schrift als junge Leute. Ver-
möge seiner angebornen Eigenschaft erklärt er die Tone und Musik-
Qoteo. In stiller Nacht schlägt er die Cither. Mehrere Menschen, die
aufwartend sitzen, antworten ihm laut auf Fragen. Im Sprechen lässt
er die Klänge nicht Terstummen, und sein Ohr bort noch feiner. Die
Leute seiner Umgebung, welche die Saiten festhalten, werden mehr-
mals wegen Länge und Kurze zur Rede gestellt. Sie können nicht im
Geringsten entkommen.
Ich wurde spät ein Mensch des Thores des Gebieters von dem
Geschlechte Tsching. Ich bat, die Bücher der Heilmittel sehen zu
dürfen. Er sagte zu mir : Der nothwendige Weg ist nicht länger als
einen Schuh. Der ungeschmückte obere Theil genügt, das Zeitalter
zu bemessen. — Er sagt ferner: Was du weisst, ist zwar vieles, aber es
ist noch nicht geistig. Wenn ferner die Gedanken bei dem Auswär-
tigen verweilen, ist man nicht fähig, sich ausschliesslich mit dem Ein-
zigen zu befassen. Du kannst noch nicht schreiten zu dem Tiefen,
Unubersetzen zu deni Fernen. Ich werde dir die vortreflflichen
Schriften zeigen. — Nach langer Zeit war es mir nach und nach
vergönnt, die kurzen Schriften, die er in ungeschmückter Weise auf
Atlas abgeschrieben hatte, zu sehen. Das im Verlaufe der Jahre Ge-
sammelte, das ich gesehen habe, mussten über zweihundert Rollen
sein. Die vorschriftmässigen Bücher konnte ich augenblicklich nicht
beurtheilen.
Er (der Gebieter von dem Geschlechte Tsching) sagte zu mir
im Gespräche : Die Rollen der neuen Schriften enthalten vortreffliche
Dinge. Man soll bloss vergleichen ihr Geistiges und Grobes, wählen,
was man gebraucht und ausübt. Ist das Gold und der Mennig einmal
zu Stande gebracht, so sind diese Schriften durchaus unbrauchbar.
Man soll auch bisweilen haben, was man lehrt und übergibt. Es ist
angemessen, den Stamm und die Spitze zu erlangen. Man beginnt
früher von dem Seichten, um zu ermuntern und vorwärts zu führen
die Lernenden. Es gibt keine Treppen und Mittel, die verliehen und
geebnet würden. — Der Gebieter von dem Geschlechte Tsching
mochte auch nicht durchaus die Menschen veranlassen, seine Schriften
abzosehreiben. Man sollte überall ihren Sinn beurtheilen. Wenn er
25«
356 Pfismaier.
auch lange lieh, war doch Niemand, der es gewagt hätte, ein Wort
yerstohlener Weise abzuschreiben.
Der Gebieter von dem Geschlechte Tschiug war ursprunglich
ein grosser Gelehrter und liebte erst spfit den Weg. Er hielt sich an
die Erwähnungen der Gebräuche und das Buch der Schang, die er
ohne Unterbrechung lehrte und Gbei*gab. Was sein Äusseres betrifft,
so war sein Blick edel und verti*auensvoll, sein Benehmen äusserst
gerade und regelmässig. Wer mit ihm zusammentraf und ihn sah,
war von Ehrfurcht erfüllt. So oft er um etwas fragte, waftete man
immer auf seine freundliche Miene und wagte es nicht, sich schlecht-
weg zu entziehen. Unter den fünfzig Menschen seines Thores habe
bloss ich die yorschriftmässigen Bücher des Goldes und Mennigs so
wie den inneren Schriftschmuck der drei Erhabenen, das Innere des
Kopfkissens, die Erwähnungen der fünf Grundstoff^e gesehen und in
Empfang genommen. Die übrigen Menschen durften nicht ein einziges
Mal die Titel dieser Bücher betrachten.
Die Verzeichnisse der sich sammelnden Unsterblichen sagen:
Die reichlichen Früchte sind die glänzenden Perlen des sich
erhebenden Frühlings. Das grosse Überwindende ist das yersinkende
Reingeistige des ursprünglichen Herbstes. Die mennigrothen Kreuz-
dornfrüchte sind die Unsterblichkeitspflanze der Wolken des yoll-
kommenen Yang. Die Stechwinde ist die yersteckte Leibesfrucht des
hochrothen Göttlichen. Die fünf Blumen enthalten Rauch. Die zwei
Lüfte bringen zurecht das Geistige, ordnen das Ruhige. Die sechs
Lüfte nähren die dunkle Seele, beschützen das Göttliche.
Die Edelsteintochter des grossen Ursprünglichen lebte zu den
Zeiten des als Kaiser herrschenden Schao-hao. Sie wohnte auf dem
Berge der langen Fichten in Scho und ordnete den Weg des langen
Lebens. Sie begegnete einem Menschen des Berges, der ihr deu ver-
borgenen Schriftschmuck der acht Himmel übergab. Er hiess sie
damit den Gürtel behängen und sagte zu ihr: Was die Erfordernisse
des Weges betrifft, so macht man das Nichtsthun zur Grundlage.
Die Schrift der acht Himmel ist das wahre Nichtsthun, aber der Weg
kommt von selbst zu Stande. — Gleichwohl hiess er sie den Saft des
gekrümmten frühen Morgens des Edelsteines Lang-kan, deu Meanig
der acht Rubinen und neun Blumen läutern und als Lockspeise ge-
Die LebentTarliogerangen der Minner des Weges. 357
brauchen. Dieselben werden Ton der grossen Gipfelung geheim
gehalten und man kann dadurch eintreten und aufwarten unter dem
Dachrande des Kaisers, uberbh'cken die zehntausend Verwandlungen.
Er übergab ihr das Heilmittel der neun Blumen. An den Ufern des
Stromes läuterte sie den Mennig. Die Quelle des Goldsandes, die sich
an den Harken des Stromes befindet, ist davon zurückgeblieben.
Zn den Zeiten des Kaisers Kao-sin <) lebte ein unsterblicher
Mensch, dessen Name : Fürst von Tschen-khieu (Fürst der gedehnten
Erdhohe). Derselbe erzählte immer, dass er sich einst an dem Fusse
des Hoa-yang befunden habe. Daselbst verzehrte er weisse Birnen
Too ungewöhnlicher Schönheit. Wie er sich erinnerte, war dieses
noch nicht lange her. Es waren aber plötzlich dreitausend Jahre.
Li-to wohnte auf dem Berge der goldenen Halle in Scho, an
dem Fusse des Gipfels der Drachenbrucke. Er ordnete den Weg. Die
Mensehen von Scho sahen ihn die wechselnden Zeitalter hindurch
und berechneten, dass er seit achthundert Jahren komme und gehe.
Sie nannten ihn daher Li-p&-pe (Achthundert von dem Geschlechte
Li). Zu den Zeiten des Königs Mo von Tscheu war er gekommen
und wohnte auf dem Berge Si-yuen in Kuang-han. Daselbst vereinigte
er den Hennig der neun Blumen. Als er diesen zu Stande gebracht
hatte, entfernte er sich und lust^yandelte in den zwölf Tiefen der
fünf Berghöhen zweihundert Jahre. An den Ufern des Heeres begeg-
nete er dem Gebieter des purpurnen Yang» der ihm den Weg des
Wasseredelsteines übergab. Er kam ferner zu dem Gipfel derDrachen-
hrücke. Daselbst verfertigte er goldene Dreifusse und läuterte den
neunfachen Mennig. Als der Mennig vollendet war, lernte er dreimal
auf diesem Berge den Weg. Desswegen gab man in dem Zeitalter
diesem Berge den Namen: Berg des dreimaligen Lernens. Man
nannte ihn auch : den sich niederlassenden Weisen.
Es heisst ferner: Das Geschlecht Wen von Nan-yang erzählte,
dass sein Ahnherr gegen das Ende der Han grossen Aufruhr erlebt
habe. Er floh in das Gebirge Hu und wollte vor Hunger und Er-
war der Vater des Kaiiert Yao.
358 P f i s m • i e r.
Schöpfung vergehen. Da erschien ein Mensch, auf dessen Rath er die
weisse Distel verzehrte. Hierauf hungerte ihn nicht mehr. Nach zehn
Jahren kam er und kehrte in seinen Bezirk und seine Gasse zurGck.
Sein Angesicht war wieder jung geworden, sein Leib war leicht und
wollte fliegen. Er trat auf unwegsame Stellen, ohne zu ermüden. Er
wandelte durch Eis und Schnee, ohne im Geringsten Frost zu empfin-
den. Die weisse Distel heisst auch die Bergdistel. Sie heisst auch
das Geistige des Gebirges.
Es wird femer gesagt: Der Geburtsort der wahren Frau Tun
dem Geschlechte SiS ist unbekannt. Zur Zeit des Aufruhrs in dem
Hause der Tsin trennte sie sich von den Menschen. Sie Hess sich
häufig nieder und suchte Schutz in den Wäldern und Dickichten.
Sie gebrauchte Lockspeisen und mied das Zeitalter. Sie wohnte
dabei auf dem Berge Heng, ausserhalb der Bergstufe des Suchens
des Wahren. Wenn sie ausging, folgten ihr immer ein gelber Vogel,
ein weisser Affe und ein weisser Leopard. Man weiss nicht, was fQr
einen Weg sie ordnete.
Yo-kiang ist das gefiederte Mädchen. Sie wohnte auf dem
blumigen Berge und sagte, sie sei eine Eingeborne von Thsin. Als
sie zu lernen anfing, verzehrte sie Fichtenlaub und empfand keinen
Hunger. Bei Kälte weilte sie in einer Felsenwand. Sie wandelte als
ob sie flöge. Jetzt nennt man diesen Ort: Berggipfel des gefiederten
Mädchens.
Kiuen-tse war ein Eingeborner von Tsi. Er gebrauchte als
Lockspeise die Bergdistel und veröffentlichte das vorschriftmässige
Buch der drei Begabungen. Lieu-ngan, König von Hoai-nan, erlangte
dessen Text, konnte aber den Sinn nicht erklären. Jener veröffent-
lichte ferner das Buch der Cither in zwei Heften. Dasselbe enthalt
sehr viele Abzweigungen und Ordnungen.
Tschang-wei-tse war die Tochter Tschang-king's, eines als
grosser Zimmermann auftretenden Anführers zu den Zeiten des
Kaisers Tschao von Han. Wei-tse liebte den Weg. Sie gebrauchte
Die LebentTerliDgenmgen der Mlnner de« Weges. 359
gewohnlich die Luft des Nebels und sagte: Der Nebel ist das Geistige
des Wassers uod Feuers der Bergsfimpfe» die volle Luft des Metalls
und der Steine. Wenn man ihn lange Zeit gebraucht, ist man im
Stande, die Gestalt zu verflGchtigen» in das Leere zu treten und mit
der Laft den Leib zu vereinigen. Wei-tse sagte selbst, dass sie diese
Weise von der Königin der Edelsteine der östlichen Blumen aas
Tnang-hai, der jfingeren Schwester des Gebieters, des grünen Jfing-
iings erhalten habe. Wei-tse lehrte diese Weise des Nebels auch die
Lernenden.
«
Die Königin der neun wahren Blumen sagt:
Die Sonne ist die Frucht des rothen Wolkendunstes. Der rothe
Wolkendunst ist das Geistige der Sonne. Der Mensch hört bloss von
der Weise der Anwendung der Sonnenfrucht, man hat noch nicht
gesehen, dass er das Geistige des rothen Woikendunstes gekannt hätte.
Das vorschriftmftssige Buch der Zehrung des rothen Woikendunstes
ist sehr geheimnissvoll. Der Weg des Zustandebringens des rothen
Wolkendunstes ist sehr leicht. Dieses bedeutet die Weise der Her-
Torbringung des Edelsteinglanzes durch den Leib, des höchsten
Klaren des Sonnenlichtes des rothen Wolkendunstes.
Die verborgenen Entscheidungen der steigenden Wahren sagen :
Der wahre Mensch der grossen Gipfelung fiberlieferte einst ein
ffaoptstuck der gottlichen Heilmittel dem Frahgebornen Tschang-Ii.
Der FrQhgeborne war von dem Geschlechte SiS und nannte sich
Tsehang-li (die lange Gasse). Er lebte zu den Zeiten des Königs
Wo von Tscheu. Der FrQhgeborne überlieferte es dem die Wahren
leitenden Gebieter des Geschlechtes Wang von der westlichen Feste.
Derselbe ist der höchste Vorstehende des höchstweisen Gebieters
Ton der goldenen Thorwarte. Er bestimmte das Heilmittel des Raben-
reises und empfing, was der wahre Mensch des westlichen Liang
überlieferte. Er befand sich um die Zeit in dem nördlichen Thale des
grossen Wan. Dass aber Tschang-Ii die neun Umwälzungen fiber-
lieferte, geschah im Anfange der Zeiten der Tscheu. Sie sind die An-
wendung des Rabenreises. Drei bis vierhundert Jahre spfiter vereinigte
er diesen Mennig. In der Einleitung zu dem vorschriftmSssigen Buche
des Schwertes des Vorstehers des Lebensloses überliefert es nämlich
der die Wahren leitende Gebieter des Geschlechtes Wang dem
wahren Menschen des grossen Ursprunglichen. Dieser ist der Reichs-
minister des Ostens und Vorsteher des Lebensloses, der grosse
360 Pfiimaier
Gebieter TOn dem Geschlechte Miao. Zu den Zeiten des Kaisers Wu
Ton Han» im dritten Jahre des Zeitraumes Tsien-han (98 t. Chr.)
empfing er es. Er war damals achtundTierzig Jahre alt. Spater fiber-
mitteite er es auch den zwei jüngeren Brüdern und schenkte zugleich
einem Jeden eine Gabe des vollendeten Mennigs. Der Vorsteher des
Lebensloses hatte es den zwei jüngeren Brüdern überliefert, aber es ist
hier nicht eingetragen. Er muss durch einen Befehl des Gebieters Ton
dem Geschlechte Yang den Auftrag erhalten haben, es zu übermitteln,
es ist keine richtige , nach der Reihe erfolgende Überlieferung und
Übergabe.
Seit den zwei Gebietern wurden bloss die bestimmenden Ver-
zeichnisse dem Gebieter von dem Geschlechte Yang gegeben. Man
ertheilte den Auttrag, sie Hiü-tschang-sse zu zeigen und ihn zum
Zugesellten zu machen. So geschah es bis zu der gegenwartigen Zeit
Desswegen sagten in dem Zeitalter der Han und Tsin die den Weg
lernenden Menschen allgemein, dass sie den Goldsaft Tcreinigen,
denselben als Arznei gebrauchen und zu den Unsterblichen empor-
steigen. Wenn sie nichts von den neun Umwälzungen sagen, so
ist es desswegen, weil dieses ein Heilmittel der wahren Menschen
ist. Seit sie es herabgesendet und übergeben haben, war noch Nie-
mand, der es verfertigt hätte.
Wenn man die vorschriftmässigen Bücher empfangt, besteigt
man immer einen Altar, schliesst einen Vertrag und schwört. Man
schneidet ein Tuch ab, kniet vor dem Golde. Wer sie nimmt und sie
verbreitet, erhalt sie, er nimmt sie oder nimmt sie nicht In früherer
Zeit hatte man bei dem Vertrage goldene Drachen und Fische von
Edelstein. In den späteren Zeitaltern Hess man es bei Leinwand und
Tuch bewenden. Wer dem Vertrage zuwiderhandelt, die Treue bricht,
den erfassen die drei Ahnherren und befragen ihn bei den Obrig-
keiten des Wassers. Man meint die unbedachte Überlieferung an un-
rechte Menschen.
Bei Überlieferung und Übergabe muss man beten. Bei dem Ver-
trage gebraucht man liegende Ringe von Gold und Edelstein als-
Ersatz für den Schwur, bei dem man das Haupthaar schert und
durch Einstiche Blut hervordringen macht Will man die neun Um-
wälzungen vereinigen, so verfertigt man früher einen gottlichen
Kessel. Man soll einen Erdkessel von Yung-yang, Tschang-scha oder
Yü-tschang, d. i. einen irdenen Kessel verwenden. Einst heizte der
Die LebeDsverliDgeniogeD der Minner des Wegee. 361
gelbe Kaiser die neun Dreitiisse auf dem Berge King. In dem mitt-
leren Buche des grossen Klaren findet sich ebenfalls eine Weise des
MeDDigs der neun Dreifüsse. Diese sind die Kessel des Mennigs, und
mao nennt sie seit der Zeit allgemein Dreifüsse. Man brennt sie mit
Kleien Ton Brodfrucht. Sie sollen sich in einem berühmten Gebirge,
an einem tiefen, seitwartsliegenden Orte, an dem Rande eines
Flusses befi&den. In der Hohe erbaut man das Dach eines Herdes.
Das Dach ist Tier Klafter lang, zwei Klafter breit. Man öffnet im
Soden, Osten und Westen drei Thuren. Früher betet man und hütet
sich durch hundert Tage, dann Tcrfertigt man aus Lehm den gott-
lichen Kessel. Wenn der Kessel fertig ist, stampft man die Arznei-
stoffe und lässt rechnen bis zu dem neunten Tage des neunten
Monats. Man zündet dann bei Tagesanbruch Feuer an* Bei der Ver-
einigung des Mennigs nimmt man keine Rücksicht auf die gute oder
schlechte Eigenschaft des Jahres. Bloss in den Tagen und Monaten
ist die bestimmte Zeit so wie gluckliche und unglückliche Vorbedeu-
tung enthalten. Für den Edelstein Lang-kan zündet man in der mitt-
leren Decade des yierten, siebenten und zw&lften Monats das Feuer
an. Für den gekrümmten frühen Morgen zündet man im fünften Monate
das Feuer an. Für das grosse Klare zündet man im neunten Monate
das Feuer an. Man hat zwar keinen bestimmten Monat, allein man
sagt, dass für die Verfertigung der sechs Einzigen der fünfte,
siebente und neunte Monat gut sind.
Wenn man zu beten angefangen hat,, unterbricht man sogleich
die menschlichen Beschäftigungen und heisst auf die Vollendung des
Mennigs warten. Wenn man den Mennig vereinigt, kann man vier
bis fünf gleiehgesinnte und herzhafte Menschen hinzuziehen. Die-
selben sollen in Gemeinschaft beten und sich hüten. An dem Tage,
wo man zu beten beginnt, wirft man früher fünf SchefTel ursprüng-
liches Wasser in das fliessende Wasser, bei welchem man hält. Gibt
es in der Gegend kein fliessendes Wasser, so muss man einen guten
Brunnen graben und ebenfalls Wein in den Brunnen werfen, um die
Luft der Erde niederzudrücken. Man heisst die Betenden dieses
Wasser trinken und zu Speise verwenden. Nach den Vorschriften
fSr die Vereinigung des Mennigs heisst man auch in einen Umschlag
von grünem Steine zehn Pfund gute Drachenknochen füllen und sie
in ein nach Osten fliessendes Wasser versenken. Man nennt dieses
den Saft des grünen Drachen, man trinkt es und verwendet es zu
362 P f i zm Hier
Speise, um mit dem Reingeistigen des Wassers zu verkehren. Man
nimmt den nach links zurückblickenden männlichen Schleifstein des
ostlichen Meeres, das weisse Steinfett der Provinz U, Pulver der
Wolkenmutter, Erde des Regenwurms, schlüpferigen Stein und
Alaun, im Ganzen sechs Gegenstände, und vertheilt sie gleichmässig.
Die wahren Menschen der grossen Gipfelung ritzen das von dem
Niederhalten und Beleben der fünf Eingeweide handelnde höchste
Buch des Gebieters, des Himmelskaisers des grossen Höchsten in die
zu dem purpurnen Unscheinbaren der grossen Gipfelung gehörende
Vorhalle des Edelsteines Lin, über die Wand der ostlichen Vorhalle.
Dieses ist die grosse Schrift der acht Drachen des höchsten Klaren,
es ist nicht der Fall, dass die Lernenden des Zeitalters darauf auf-
merksam werden und es verstehen können. Tschl-sung-tse von der
südlichen Berghohe empfing es und wendete die Mittel an. Er
begehrte die Erklärung von den wahren Menschen der grossen
Gipfelung.
Der Gebieter, der grüne Jüngling sagt: Durch das den fünf
Fürsten gehörende Fett, das die fBnf Eingeweide Niederhaltende und
Belebende, das geläuterte Weiss, den wechselnden Leib kann man
das Angesicht verjungen. Man muss beten, sich hüten und auf einem
Herde von Lehm ordnen und läutern. Der Geschmack des Wolken-
fettes ist gewürzhaft, süss und ungewöhnlich angenehm« Es kräftigt
das Blut, bessert die Knochen aus, bewacht die Luft, macht die Säfte
gerinnen. Das die fünf Eingeweide Niederhaltende und Belebende
nährt die lichte und dunkle Seele. Es ist das höchste Arzneimittel
der Wahren. Die wahren Menschen sagen, es sei vorzüglicher als
die geläuterten acht Steine und die als Lockspeise gebrauchte
Wolkenmutter. Dass die wahren Menschen die Gestalt läutern bei
dem grossen Yang, das Aussehen wechseln bei den drei Obrigkeiten,
wird in eben diesem Sinne gesagt.
Es heisst ferner: Hinsichtlich des Heilmittels des Rabenreises
des grünen Geistigen der wahren Mensehen der grossen Gipfelung
wird in den Überlieferungen von Peng-tsu gesagt, dass es in dem
grossen Wan einen Frühgebornen des grünen Geistigen gegeben
habe. Derselbe war ßhig, in einem Tage neunmal zu essen. Er konnte
aber auch ein ganzes Jahr verbringen, ohne hungeng zu werden. Es
war dieses Heilmittel. Dasselbe ist das wundervolle Heilmittel der
Die LebensverlfinperuDgen der Minner des Weges. 363
Wahren und höchsten Unsterblichen, das die Kornfrucbt entbehrlich
machende geheimnissrolle Reingeistige.
Der wahre Mensch des klaren Leeren erzählte, dass in dem
Gebirge Ho Lernende des Weges, Namens Teng-pe-yuen und Wang-
yuen-fo sich befunden haben. Dieselben empfingen die Vorschriften
für den Gebrauch der Speise des Steines des grünen Geistigen;
(3r das Verschlingen des Schattens der Sonne. Sie waren föhig, in
der Naeht zu schreiben. Ferner empfing der unsterbliche Mensch
LuDg-pe-kao den Gebrauch des Heilmittels des grfinen Rabenreises.
Er zog in Trunkenheit fort und wohnte yerborgen auf der Erdstufe
der Heilmittel. Ferner verkfindete der die Verseichnisse bestim-
mende Gebieter durch einen höchsten Befehl dem Zugesellten
Folgendes : Wenn man in der Ordnung den Rabenreis und zugleich
die Brodfrucht gebraucht, so ist nichts dagegen einzuwenden. Es
Tennehrt das Mark, entfernt die Leiden, die äusseren Bedeckungen
werden voll und fett. Ferner meldete der Zugesellte durch ein
Sehreiben dem ältesten Vermerker, dass er den ArzneistofT des
Reises suchen und in das Gebirge kommen möge. Er solle ihn ein-
weichen und Speise verfertigen, denn es sei zu furchten, dass die
Pflanzen durch die Gluth verdorren. Ferner gab der älteste Ver-
merker dem grossen Zugesellten ein Schreiben und hiess ihn dem
kleinen Zugesellten weissen Reis als Speise reichen. Er hiess ihn ein-
weichen und Speise verfertigen. Dieses sind sechs Vorgänge, bei
welchen ein Schreiben vorhanden war.
Zehn Steine Rabenreis des grünen Geistigen des wahren
Menschen der grossen Gipfelung, das reingeistige Heilmittel der
höchsten Unsterblichen hat der Gebieter von dem Geschlechte Wang
erklärt Die späteren grossen Schriften sind das vorschrrftmässige
Textbuch des grossen Ungeschmückten und die mundlichen Ent-
scheidungen des westlichen Liang. Das mit Tinte Dargelegte wurde
durch den Gebieter des Geschlechtes Wang von dem klaren Leeren
erklärt. Die vornehme Frau des Geschlechtes Wei von der südlichen
Berghöhe wählte es für die Verbreitung und Hess es durch den Vor-
steher des Lebensloses, den Gebieter von dem Geschlechte Tang,
niederschreiben. Die fSnf Wahren vollendeten gemeinschatHlich eine
Vorschrift, die man als reingeistig und wundervoll pries.
Das Buch der Kostbarkeit des höchsten Unsterblichen sagt:.
Du verzehrst die Edelsteinluft der Pflanzen und Bäume. Du verzehrst
864 P f i s m a i e r.
das Feuchte der grünen Kerze. Dieses wird in demselben Sinne
gesagt. Es wird von dem grossen UngeschmQckten überliefert, von
der grossen Gipfelung erwählt, es ist das äusserste Erforderniss der
höchsten Wahren, der reingeistigen Unsterblichen, es ist mit den
übrigen Künsten nicht gleichbedeutend. Gebraucht man den Rabenreis,
so können die hundert Schädlichkeiten uns nichts anhaben, Krank-
heiten und Seuchen können uns nicht entgegentreten. Es entfernt
alles Sehnen und Denken, es zerreisst und zerstört drei Leichname.
Das Ohr ist scharfhörig, das Auge hell. Der Gang und die Schritte
sind leicht und hurtig. Man ist im Stande, sich zu verbergen, sich
zu verwandeln, sich zurückzuziehen und sich zu verändern. Wenn
man es lange gebraucht, vermehrt es die Langjährigkeit.
Der Gebieter des Himmels, der Vorsteher des Lebensloses von
dem Geschlechte Miao sagte zu den zwei jüngeren Brüdern: Ihr
solltet das Pulver der vier Fächer gebrauchen. Einst übergab der
gelbe Kaiser dem Herrscher von Fung den Weg des Zurückwerfens
des Alters und des Zurückkehrens zu der Jugend. Ich übergab
ihn einst dem Frühgebornen von Kao-khieu. Jetzt mache ich euch
dessen theilhaftig. — Er sagte ferner zu dem kleinen jüngeren
Bruder, dem das Lebenslos bewahrenden Gebieter: Du solltest das
Pulver der vier Jünglinge der Königsmutter gebrauchen. Dieses ist
der geheime Weg des Wiederkehrens zu dem Kindesalter. Wenn
das Innere des Laibes ein wenig verletzt ist, soll man dieses Heil-
mittel gebrauchen und dadurch das Gehirn ausbessern. — Als der
Gebieter von dem kleinen Geschlechte Miao es gebrauchte, war er
bereits einhundertzwanzig Jahre alt. Diese zwei Heilmittel sind nach
einer wundervollen Vorschrift. Man soll beten, sich hüten, ordnen
und ausfertigen.
Der Gebieter von dem Geschlechte Pei empfing die Vor-
schriften Tschi-tse-yuen's für den Gebrauch und das Verzehren der
Stechwinde. Dieselben wurden von dem Menschen der Berge Tsiao
und Tsiang überliefert. Man kann dadurch lange leben, lange Zeit
sehen. In dem Zeitpunkt, wo man ordnet und vereinigt, muss man
eifrig und still beten und sich hüten. Ferner empfing er die Vor-
schriften Tschi-tse-yuen*s für den Hanf. Der Frühgeborne von dem
Geschlechte Tsiang gebrauchte bloss diese zwei Heilmittel. Seine
Rangstufe war diejenige eines Unsterblichen und Wahren. Die
Die LebensverlSogerungen der Minner des Weges. 365
Schriften über diese zwei Heilmittel sind von denjenigen des Zeit-
alters wenig verschieden. Was der Gebieter von dem Geschlechte
Pei im Geheimen gebrauchte, ist bestätigt, und man hat etwas Wirk-
liches. Die Anwendung der Stechwinde und des Hanfes kommt sehr
häufig vor. Da diese Weise von den wahren Menschen in den vor-
sehriftmässigen Büchern angewendet, von den wahren Menschen
eigenhändig niedergeschrieben und verzeichnet worden, muss das
Geheimniss dessen sehr gottKch sein. Es ubertrtSt sämmtliche
Weisen. Ist man im Stande, es beständig anzuwenden, so lässt sich
die Zeit des Weges der Unsterblichen bestimmen. Es ist nur zu
farehten, dass die Menschen bei der Anwendung nicht den grossen
Nutzen bemerken und dass sie es sofort nicht anwenden. Desswegen
haben Wenige das Verdienst, dass sie es zu Ende fOhren konnten.
Wenn der Leib früher nicht leer und beschädigt ist, eben so in
den Jahren der Jugend, soll man die Stechwinde gebrauchen. Der
Frähgeborne von dem Geschlechte Tsiang sagt: Diese zwei Heil-
mittel sind die nothwendige Weise des grossen Vorhandenseins, die
geheime Kostbarkeit des langen Lebens, der gottlichen Unsterblichen.
Das grosse Vorhandensein bedeutet die Weise des Buches der Mitte
des Palastes des grossen Vorhandenseins in dem Himmel der Tiefen
des Berges der herabgelassenen Flügel. Es sind jene Menschen, die
es anwenden sollen.
In dem Buche des kostbaren Ursprunglichen heisst es: Die
Stechwinde regelt die Jugend. Der Hanf regelt das Alter. Man ver-
hindet es mit Gebet und Hütung, gebraucht es am Morgen frühzeitig.
Der süsse Wein der Pflanzen, das Fett der Blumen, das Geistige des
Feuers «}, die Kostbarkeit des Wassers >) sind in Übereinstimmung
und bilden ein Einziges. Sie bewegen das Geistige zur Rückkehr, die
Kostbarkeit zur Heimkehr. Dieses ist hiermit gemeint.
Der Gebieter von dem Geschlechte Pei richtete sich in seinen
jungen Jahren nach diesen Vorschriften. Er gebrauchte daher die
Stechwinde. Der wahre Mensch des klaren Leeren empfing schon in
0 Das Geistige des Feuers Ist die Stechwinde. Dieselbe ist von Eigenschaft helss und
Tcrbindet sich mit dem Feuer, dessen Geistiges somit die Steckwinde ist.
*) Die Kostbarkeit des Wassers ist der Hanf. Derselbe ist von Eigenschaft kalt, von
Farbe seliwara und enthllt geistige glaniende Feuchtigkeit. Man nennt ihn daher
die Koetbnrkeit des Wassers.
366 P f i s m a i e r
seinem zwölften Jahre diese Vorschriften. Er war um die Zeit gewiss
noch nicht erschöpft und beschädigt. Dess wegen sagte er: Wer die
Stechwinde gebraucht, sieht in der Nacht und hat Licht. — Die
zwei Heilmittel sind nur ein und dasselbe. Sie sind wunderbare Heil-
mittel der langen Jahre, Wenn man die zwei Gegenstande vereinigt,
ist es gut, doppelt so viel Honig zu gebrauchen. Man siedet sie zu-
gleich, zerstösst sie und bildet daraus Kugeln« Bei dem Heilmittel
des grünen Geistigen und bei der Stechwinde darf man nichts
Saueres essen. Gebraucht man aber nichts anderes als Stechwinde,
so ist das Sauere eben nicht verboten.
Der zu dem klaren Leeren gehörende wahre Mensch von dem
Geschlechte Wang übergab der vornehmen Frau des Geschlechtes Wei
von der südlichen Berghohe das Heilmittel der Kugeln der Unsterb-
lichkeit der Brodfrucht, der süssen Pflanze. Die vornehme Frau voq
dem Geschlechte Wei wurde in ihrer Jugend hSufig von Krankheiten
befallen. Der Gebieter von dem Geschlechte Wang sagte zu ihr in
dem Districte Sieu-wu : Wer den Weg erlernt, soll die Krankheiten
entfernen. Er bewirkt früher, dass die fQnf Eingeweide fest und voll,
Ohr und Auge scharf und hell sind. Man kann dann mit den Ge-
danken verweilen, sich kleiden und den Wagen lenken.
Dass der Gebieter von dem Geschlechte Wang die Wahren
herabsteigen liess, geschah im Winter des neunten Jahres des Zeit-
raumes Yuen-khang von Tsin (299 n. Chr.), in dem öffentlichen Ge-
bäude des Districtes Sieu-wu in der Provinz KI. Die vornehme Frau
war um die Zeit achtundvierzig Jahre alt. Sie gebrauchte demnach
das Heilmittel. Als Yin-king sich aus dem Zeitalter entfernte, war
sie dreiundachtzfg Jahre alt. Dieses war zu den Zeiten des Kaisers
Tsching von Tsin, im achten Jahre des Zeitraumes Hien-ho, dem
Jahre Kia-wu <). Es waren damals fünfunddreissig Jahre vergangen,
seit die vornehme Frau sich ihm angeschlossen und Arzneimittel
gebraucht hatte. In der Zwischenzeit mochte sie es vielleicht nicht
lange fortgesetzt haben. Sie hatte durchaus keine anderen Leidea
mehr. Ihre früheren Krankheiten waren sämmtlich geheilt, ihr Haupt-
haar war nicht weiss, ihre Zähne fielen nicht aus, ihr Ohr war
1) Dm Jahr Kit-wu (31) ist dbrigeng das neante Jahr dM Zeikraumei Hiea-ko
(334 n. Chr.)
Pie Lebensverlfiogeriingeii der Minner des Wegee. 367
scharfli5rig, ihr Auge hell. Sie schrieb gewöhnlieh in einem Monate
die Satze und Beglaubigungsmarken des Hauses des Weges. Weil
die Tornehroe Frau eine weibliche Obrigkeit gewesen und Wein
geopfert hatte, wies sie noch immer durch die Satze und Beglau-
biguogsmarken auf ihre Vergangenheit hin. Sie verweilte mit
den Gedanken und trat in das innere Haus. Durch hundert Tage
tbatig, bemerkte sie nach etlichen zehn Tagen durchaus nicht,
dass sie sich anstrengte. Da sie sich im Getriebe des gewöhn-
liehen Lebens befand, war sie durch die Geschäfte des Hauses
gestört. Wenn sie das Gebet ordnen, etwas erforschen und BGcher
bot hersagen wollte, bewerkstelligte sie dieses, indem sie in das
ionere Haus trat.
Isst und trinkt man ganz herzhaft, sind die vier Gliedmassen
fest und voll, so haben sich die Kugeln der süssen Pflanze erprobt.
Man nennt sie das Heilmittel der Unsterblichkeit der Brodfrucht.
Sind Hilz und Magen zu Übereinstimmung gelangt, so ist man im
Stande, Speise zu sich zu nehmen und wird nicht zu Grunde ge-
richtet Die äusseren Bedeckungen sind voll, und der Geist besitzt
Urtheilskraft. Beim Aufbrechen und Weilen ist Ordnung und
Massbalten, man hat nicht die Leiden der Rauhigkeit und Schärfe.
Weil man die Brodfrucht verzehrt und zu Unsterblichkeit gelangt,
nennt man das Heilmittel die Unsterblichkeit der Brodfrucht.
Was die hier enthaltene Angabe betrifft, dass Ko-schao-kin,
der zur Rechten befindliche wahre Fürst der neun Paläste ursprüng-
lich dieses Heilmittel gewählt und gesammelt habe, so haben es
sämmtliche Paläste längst besessen. Endlich w«ahlte und sammelte
es der Mann von dem Geschlechte Ko nochmals, Anordnung und die
Worte der Einleitung wurden durch ihn hergestellt. Es ist gleichsam
wie bei der Weise des grünen Geistigen und des grossen Unge-
schmückten, die man jetzt nach dem wahren Menschen der grossen
Gipfelung benennt. Wer den Weg der Unsterblichen lernt, sollte
es früher gebrauchen. »
Einst übergab Schao-kin dieses Heilmittel an Kiai-siang. Er
nbergab es femer Lieu-ken, Tschang-ling und Anderen, im Ganzen
etlichen zehn Menschen. Man gibt auch diese Kugeln für die
Kugeln Schao-kin's aus. Man soll beten, sich hüten, sie ordnen und
vereinigen. Sie sind giftfrei und durch nichts verboten. Wenn man
sie durch ein Jahr verzehrt, so hat man grossen Nutzen. Man hat
368 P f i X Ol • i e r
sich nichts Torzawerfen, wenn man sich am Morgen und am Abend
Muhe gibt. Die gewohnlichen Menschen können sie ebenfalls ge-
brauchen.
Bei der BiQthe der Unsterblichkeitspflanze der Wolken wählt
man nicht die Tage» um zu ordnen und zu vereinigen. Sie bringt
zurecht drei Leichname , wirft zu Boden die Krankheit. Ge-
braucht und verzehrt man eine Gabe, so sterben die Insekten der
Brodfrucht. Bei zwei Gaben verdorren drei Leichname. Die Männer
des Weges, die allen Ernstes Brodfrucht verzehren» sollten sie ge-
brauchen. Wenn die Insekten der Brodfrucht vernichtet sind» iässt
man die Menschen Brodfrucht verzehren» und sie bleiben von Krank-
heit verschont. Man ist übersatt und wird nicht beschädigt Arznei-
mittel, welche die Insekten der Leichname entfernen» gibt es sehr
viele, aber keines geht über dieses. Einst gebrauchten Sieu-yang-
kung, Tsl-khieu-tse , Tung-fang-so » Thsui-wen-tse und Schang-
khieu-tse bloss dieses Arzneimittel. Sie verbanden damit die Brod-
frucht und erlangten die Unsterblichkeit Die Kaiser King und Wu
von Hau trachteten nach den geheimen Heilmitteln Tung-fang-so*s
und Sieu-yang-kuug*s. Es wurde schliesslich nicht überliefert
Der Geschlechtsname und der Name Kiuen-tse's» des Fürsten
des nördlichen Meeres, sind unbekannt. Er war der Schüler des
Gebieters» des grünen Jünglings und der Lehrmeister Su-lin*s. In
seiner Jugend gebrauchte er als Lockspeise die Bergdistel und das
gelbe Geistige. Er übergab den Weg des das Einzige bewachenden
ursprünglichen Mennigs. Er lebte in dem Zeitalter zweitausend acht-
hundert Jahre.
King-lin von Schang-su in Yuen-tscheu führte den Jünglings-
uamen Tse-yuen. Derselbe war der Schüler Kiuen-tse*s. Er war dem
Lehrmeister des purpurnen Yang, einem Menschen von Khio-schui in
Pö-yang, gleich. Dreissig bis vierzig Jahre alt, verabschiedete er
sich von dem Hause und lernte den Weg. Später übergab er das
wahre Einzige der drei Ursprünglichen und wanderte rings unter
den Menschen umher.
Die LebensTerlSngerungen der Minner det Weges. 369
Tsehang-tao-ling, der wahre Mensch des richtigen Einzigen
des großen Klaren» stammte aus dem Reiche Pei. Er war ursprünglich
ein großer Gelehrter. Im vierten Jahre des Zeitraumes Yen-kuang
roQ Han (125 n. Chr.) begann er, den Weg zu lernen. Gegen das
Ende der Han kamen auf dem Berge des singenden Schwanes die
Obrigkeiten der Unsterblichen herabgestiegen und Obergaben ihm
die Lehre der Macht des beschworenen Vertrages des richtigen
Einzigen, die Weise des Verleihens der Verwandlung, der Leitung
des Volkes. Man nannte ihn den Lehrmeister des Himmels. Dies
ist es, wovon es in den Verkündungen des Wahren heisst: Man
überreichte Tschang -tao-ling die friedliche Luft des richtigen
Einzigen. — In der Einleitung zu den fünf Beglaubigungsmarken
der reingeistigen Kostbarkeiten des Lehrmeisters des Himmels,
ferner in der Einleitung zu dem Goldsafte und Mennig des grossen
klaren kommt in vortrefflicher Schreibart eine besondere Überlie-
ferung vor. Dieselbe ist in dem Zeitalter bereits in Umlauf gesetzt.
Wer die fünf Steine als Arznei gebraucht, ist auch im Stande,
in einem Tage neunmal Speise zu verzehren. Bei dem fliessenden
Stofflichen der hundert Engwege ist man auch im Stande, ein ganzes
Jahr keinen Hunger zu leiden. Wenn man bei der Zurückgabe des
Alters, der Wiederkehr zu der Kindheit zufällig Speise erhält, so
verzehrt man sie. Verzehrt man sie nicht, so ist man ebenfalls unbe-
helligt. Das wundervolle Heilmittel der Wahren und höchsten Un-
sterblichen ist das geheimnissvolle Reingeistige, das die Brodfrucht
entbehrlich macht. Die Erklärungen Tao-yin-kiü*s sagen: Obgleich
man in einem Tage neunmal Speise verzehrt, fliesst doch das herange-
zogene Dargereichte weiter, verändert sich und bildet keinen Boden-
satz. Obgleich man ein. ganzes Jahr keine Speise verzehrt, ist doch
das Aussehen wieder frisch. — Sie sagen ferner: Bei der wechseln-
den Anregung des Einathmens und Herbeiziehens ist nichts vor-
nehmer als die sieben Sonnenstrahlen. Bei dem frühzeitigen Voll-
enden des Ordnens des Wandels geht nichts über die neun Wege.
Bei der Festigkeit und Sicherheit des Bewahrens und Erwachens
übertriflFt nichts das Niederhalten des Lebens. Bei der Hastigkeit
und den Hindernissen der Verwendung der Schutzwache erhebt sich
nichts über das gleichförmige Gottliche. Wie könnte die Wirkung
Sitsb. d. phil.-hUt. Cl. LXV. Bd. U. Hft. 26
370 Pf i z m a i er
der Arzneistoffe und Steine übertreffen das grüne Geistige, die An
regung des Anrufens uud Verehrens mehr Weisheit bekunden
die Entschuldigung an dem Hofe?
Wer die fünf Steine als Arznei gebraucht, hält die fünf Ein
geweide nieder und hat keinen Einsturz.
Das Gehirn des Paradiesvogels in neun Hüllen, die verborgene
Unsterblichkeitspflanze der grossen Gipfelung, der Goidsaft des
Mennigofens, das Erblühen des Regenbogens der purpurnen Blumen,
die neun Umwälzungen des grossen Klaren, der saure Trank der
fünf Wolken, der weisse Wohlgeruch des Östlichen Heeres, die
grüne Kupfermünze des Flusses Thsang-lang, das übrige Geistige
des hohen Erdhügels, das fliegende Feld der Steinhaufen, hierdurch
kann man bewirken, dass der Mensch das lange Leben hat. Der
Frühgeborne von Kin-kao empfing den Weg des Niederhaltens der
Luft, der Vermehrung des Lebensloses. Ferner übte er die Weise der
Ausbesserung des Gehirns, des zurückkehrenden Mennigs.
Das obere Buch des kostbaren Schwertes sagt : Die Kugeln der
acht Schatten des gekrümmten frühen Morgens der grossen Gipfelung,
wer sie als Arznei gebraucht, ist im Stande, fliegend zu wandeln
in dem grossen Leeren.
Die wahren Menschen der grossen Gipfelung gebrauchen als
Arznei den Wolkenzahn der vier Gipfelungen.
Das Heilmittel des Wolkenfettes des fliegenden Drachen, das
Geschmeidige der Blumen der geläuterten fünf Farben, der Leib
erhält durch sie den Glanz des Edelsteines, und man ist im Stande,
in der Nacht zu schreiben. Diese Arzneimittel sind vorzüglicher als
die Lockspeise der acht Steine.
Wer die Blumen der Sonne und des Mondes als Arznei gebraucht,
möchte, dass es ihm immer möglich wäre, Bambussprossen zu ver-
Die Lebeosverlängi^riiDgeD der Männer des Weges. 371
2ebrea. Die Bambussprossen sind die Leibesfrucht der Blumen der
SoQne. Sie heissen auch das grosse Licht. Ferner mochte er immer
Fiehtenlaub rerzehren. Die Fichte ist die Zierde der Bäume. Wer
die Sonne und den Mond als Arznei gebrauchen will, sollte diese
Gegenstande verzehren. Die Luft wird durch sie zum Kreislaufe
angeregt.
Der wahre Mensch des grossen Leeren sagte: Fichten und
Cypressen sind die Zierde der Bäume.
Die wahren Menschen schenken in die Gefasse das Sonnenlicht
des ursprfingh'chen frühen Morgens der fünf Heilmittel, verzehren
das Geistige der neun rothen Wolkendünste.
Das Buch des gelben Ungeschmuckten des grossen Höchsten
sagt :
Wenn die Männer des Weges Speise zu sich nehmen wollen,
reicht man ihnen gewohnlich zum Festmahl grosse Eintracht.
Das Buch des grossen Friedens sagt:
Der Gebieter, der grüne Jüngling zieht fliegende Wurzeln aus,
verzehrt den Mondschatten. In den reingeistigen Sätzen der hohlen
Tiefen heisst es: Am Morgen verzehrt er die Luft der fünf Wolken,
am Abend athmet er den Glanz der drei frühen Morgen. — Es heisst
ferner: Er verzehrt den gesottenen Beis der gelben ßundtafeln, des
purpurnen Wahren.
Die Yerkündungen des Wahren sagen:
Auf dem Kuen-Iün findet sich das Steinmark des hochrothen
Berges, die Frucht des Edelsteinbaumes.
Den purpurnen Schriftsehmuck des reingeistigen Buches der
goldenen Thorwarte des höchsten Klaren, die Weise des Pflückens
und des Gebrauches der verborgenen Blumen, des Geistigen des
Mondes, man übergab dieses einst dem Gebieter, dem Himmelskaiser
des grossen Unscheinbaren. Das Buch heisst auch das Vorschrift-
massige Buch des versteckten Mondes des bergenden Himmels des
zu dem Yang gehörenden Geistigen der gelben Luft.
•i6*
372 Plizmaier
«
Für diejenigeo, welche den Weg ausüben, sind Wein und Fleisch
Gegenstände sehr grossen Absehens. Der Wein ist eine Sache, die
bewirken kann, dass Erkenntniss und Denken des Menschen dunkel
und verwirrt sind, seine angeborne Eigenschaft Unordnung und Schiefe
in sich trägt Betrachtet man die Beimengungen zu den Arzneimitteln,
so heisst es bloss bei den Kugeln der vier Fächer und vier Jünglinge:
Man bedient sich des Weines, man kann aber auch Wasser beimengen.
Die Kugeln von Bergdisteln siedet man gleichmässig mit Wein. —
Bei den übrigen Gegenständen wird nicht gesagt, dass man Wein als
Arznei oder Lockspeise gebrauchen solle.
Zu den Zeiten der späteren Han begab sich Tso-thse zu dem
Vorsteher des Lebensloses und bat um Mennigsand. Er erhielt zwölf
Pfund. Er vereinigte damit den Mennig der neun Blumen.
Tschi-ming-khi befand sich mit Tschang-tsching-li, einem Men-
schen aus den letzten Zeiten der späteren Han, in dem Gebirge Heng.
Er empfing und gebrauchte als Arznei den Mennig des Regenbogen«
Schattens des Gebieters von dem Geschlechte Wang. Er verbrachte
auf diese W^eise dreissig Jahre.
Tschao-kuang-sin stammte aus Yang-tsching. Gegen das Ende
der Wei kam er in das Gebirge von Jen und empfing die Weise des
Gebrauches der Luft, den Weg des Bewachens der ursprünglichen
Mitte. Später gebrauchte er als Arznei den Mennig der neun Blumen.
Tschü-jü-tse lebte gegen das Ende der Zeiten der ü. Er trat
in das Gebirge des rothen Wassers und gebrauchte als Arznei die
Blüthen der Goldblume, als Lockspeise die Bergdistel. Er empfing
ferner die Vorschriften für die beim Eintritte in das innere Haus am
Leben erhaltenden Schlammkugeln Si-kue i-tse*s in drei und dreissig
Sätzen.
Die LebensrerlSngerangen der Mioner des Weges. 373
Tsching-king-tschi lebte gleichwie Tschang-tschung-hoa im
Anfange der Zeiten der Tsin. Er befand sich auf dem Berge Tsien.
Er empfing und übte die Weise des Bewachen» der fünf Eingeweide,
des Haltens der Sonne in dem Munde. Er gebrauchte als Arznei Hanf
und den ursprünglichen Mennig.
Ma*ming-seng stammte aus Lin-thse. Er war ein Angestellter
des Districtes und wurde bei der Verfolgung eines Räubers verwun-
det. Die Fornehme Frau des grossen Wahren kam ihm zu Hilfe mit
reingeistigen Kugein, und er wurde geheilt. Später nahm er Ngan-
khi-seng zu seinem Lehrer. Er empfing und gebrauchte als Arznei
den Mennig des grossen Klaren.
Wang^yuen-fu stammte aus Pei. Er befand sich mit Teng-pe-
yaen zugleich in dem Gebirge Ho. Daselbst empfing er den Gebrauch
der Speise des Steines des grünen Geistigen, die Weise des Ver-
«chluckens des mennigrothen Schattens der Sonne.
In den Entscheidungen des gelben Gebieters der Unsterblichen
heisst es : Wenn man die angeborne Beschaflfenheit nährt, Arznei-
mittel gebraucht und als Speise verzehrt, mag man keinen Knoblauch
and keine Granatäpfel verzehren. Die Männer des Weges selbst
können es nicht essen.
Die Überlieferungen von Unsterblichen sagen :
Tschi-tsiang-tse-yü lebte zu den Zeiten des gelben Kaisers. Er
Terzehrte nicht die fünf Getreidearten, er verzehrte die Blüthen der
hundert Pflanzen.
Ngo-tsiuen, der Unsterbliche des Himmels, war ein Einsammler
von Arzneien auf dem Berge Hoai. Er verzehrte gerne Fichtenzapfen.
Auf seioem Leibe wuchsen Federn, seine Augen wurden viereckig.
Er war im Stande, fliegend zu wandeln und erreichte laufende Pferde.
o74 P f i X m a i e r.
Wu-kuang lebte zu den Zeiten der Hia. Seine Ohren waren
sieben Zoll lang. Er liebte die Cither und gebrauchte als Arznei
*
Magenwurz und Zwiebelwurzeln.
Kiuen-tse war ein Eingeborner von Tsi. Er gebrauchte gern
als Lockspeise die Bergdistel. Er veröffentlichte das richtschnur-
massige Buch des Himmels in acht und dreissig Heften. Später angelte
er in einem Sumpfe und fand eine Beglaubigungsmarke in dem
Bauche eines Karpfen. Er verbarg sich auf dem Berge Tang. Er war
im Stande, Wind und Regen herbeizufuhren. Er empfing die Weise
der neun Unsterblichen von Pe-yang. Ngan, König von Hoai-nan,
erlangte in seiner Jugend die Schriften Kiuen-tse*s und war nicht
im Stande, sie zu erklären. Das von Kiuen-tse verfasste Herz der
Cither in drei Heften enthält Abzweigungen und Ordnungen.
Lieu-king lebte zu den Zeiten der früheren Han. Er schloss
sich an den Gebieter des Geschlechtes Tschang von Han-tan und
empfing den Gebrauch der Wolkenmutter als Lockspeise. Er wusste,
was dabei glückbringend oder unglückbringend.
Das Buch Pao-pö-tse sagt:
Diejenigen, welche den Weg ordnen, Arzneimittel als Lockspeise
gebrauchen, so wie diejenigen, welche in Verborgenheit wohnen, in
die Gebirge treten und zu den kleinen Vorschriften nicht gelangen
können, werden häufig von dem Verderben ereilt. Die Alten unter
den zehntausend Dingen sind sämmtlich im Stande, als Ungethume
aufzutreten. Sie führen die Menschen beständig in Versuchung. Sie
sind aber nicht im Stande, in einem Spiegel ihre wahre Gestalt zu
wechseln. Desswegen hängten die Wegmänner des Alterthums, die
in das Gebirge traten, einen hellen Spiegel, der im Durchmesser
neun Zoll und darüber hatte, hinter ihren Rücken. Die alten Unholde
wagten es dann nicht, sich den Menschen zu nähern. Sollte es
geschehen, dass sie kommen und die Menschen in Versuchung fuhren,
so soll man nach rückwärts in den Spiegel blicken. Sind es Unsterb-
liche oder Gotter des Berges, so sind sie gestaltet wie Menschen.
Sind es Vogel, wilde Tliiere, böswillige Dämonen, so sieht man sie
ebenfalls.
Die LebensverlüDgerangeo der MSnner des Weges. 375
Einst lebte ein Mensch in einem Felsenhause des Berges der
Erdstufe der Wolken in Scho. Plötzlich erschien ein Mensch, der mit
einem einfachen Kleide von gelbem Atlas und mit einem Flachstuche
aogethan war. Derselbe trat vor ihn. Hierauf blickte jener Mensch
zurück in den Spiegel, und es war ein Birsch. Er schrie ihn dabei
ao. Der Ankömmling wurde ein Hirsch und entfernte sich auf der
Stelle.
Ferner befand sich an dem Fusse des Berges Lin-Iiü ein Block-
haus. So oft Leute daselbst übernachteten, starben sie entweder,
oder sie wurden krank. Gewöhnlich erschienen in der Nacht etliche
zehn Menschen, von denen einige weiss, andere schwarz gekleidet
waren. Einige waren Weiber, einige waren Männer. Später kam
Tscbi-pe-I an dem Orte vorbei und ubei^nachtete daselbst. Er sass
bei einer hellen Kerze. Um Mitternacht sah er diese Menschen wirk-
lieh. Er beleuchtete sie ganz nahe mit dem Spiegel, und es war ein
Rodel Hunde. Pe-I ergriff jetzt die Kerze, erhob sich und Hess
rerstellter Weise eine Schnuppe der Kerze auf ihre Kleider fallen.
Er spürte den Geruch von versengten Haaren. Hierauf erstach er
mit dem Schwerte einen Hund. Die Übrigen erschracken und ent-
fernten sich.
So oft man in das Gebirge tritt, muss man einen glückbringen-
den Tag wählen.
Die Beschaffenheit der Neigungen des Himmels und der Erde,
die glücklichen und unglücklichen Vorbedeutungen des Yin und Yang,
wie vielfach sind sie! Es ist auch schwer, sie zu erklären. Ich sage
aaeh nicht mit Gewissheit von ihnen, dass sie sind. Ferner wage ich
es auch nicht, zu behaupten, dass sie nicht sind. Gleichwohl sind sie
es, an die der gelbe Kaiser und Liü-wang glaubten und denen sie
sich unterwarfen. In den nahen Zeitaltern wurden sie durch Yen-
kiun-ping und Sse-ma-tsien hastig zum Gebrauche herangezogen,
und in den vorschriftmässigen Büchern und Überlieferungen gibt es
vorbeigehende Tage, die glücklichen Tage kommen von selbst. Wenn
die königlichen Herrscher erhoben die Obrigkeiten der grossen Ver-
merker, belehnten, ernannten, einsetzten und begründeten, wenn es
Angelegenheiten gab in den Stammhäusern und Ahnentempeln, bei
den Landesguttern, wenn sie in den Vorwerken opferten dem Himmel
376 Pfizmaier, Die Leheii»rerltogeruDgen der Minner de< Weges..
und der Erde, so wählten sie dazu immer den Tag. Das Vorschrift-
massige Buch des Edelsteinschaftes sagt: Wenn man in das Gebirge
treten will, kann man nicht umhin, die geheime Kunst der Kia des
Verbergens ^ 'u kennen. Man handelt aber nicht als verkommener
und verkrummter Mensch. — Mit diesen Worten bespricht es die
Sache.
*) Die in dem Bache der spiteren Hen enthtltenen Überlieferungen von der Heil-
kunst sagen : Man schiigt surück das Yin der sechs Kii (des Zeitkreiaes) und rer-
birgt sich.
Karajan. Zu Seifried Helbliog' und Ottacker von Steiermark. 37T
Zu Seifried Helbling und Ottaeker von Steiermark.
Vom w. M. Theodor Ritter ?. Karajan.
Noch im Spätherbste meines Lebens wird mir die Freude zu
Tbeil für die Textkritik zweier österreichischen Dichter des Mittel-
alters, die zudem mit Recht für wichtige Quellen der Geschichte
ibrerZeit und Heimath gelten, willkommene Beitrage liefern zu können.
Mit den Schriften beider hab ich mich vor langen Jahren eingehend
beschäftigt und bei beiden mit Grund über den Mangel gleichzeitiger
Überlieferung zu klagen gehabt. Da nämlich beide noch in die zweite
flüfle des dreizehnten Jahrhunderts hinaufreichen , der eine bisher
nor in Handsebriflen des fünfzehnten » der andere gar nur in einer
einzigen des beginnenden siebzehnten Jahrhunderts überliefert war,
»0 konnte meine Klage nur als vollberechtigt erscheinen. Und den-
noch hätte man erwarten sollen, dass von den Werken beider, die
80 treu und frisch das Leben ihrer Zeit und Heimath schildern, sich
m unserer wenigstens ältere Überlieferungen vorgefunden hätten,
am so eher als die Reimchronik Ottackers zum ersten Mahle voll-
stiindig schon vor hundertfünfundzwanzig Jahren in einem stark
verbreiteten Werke ans Tageslicht trat <), ein Auszug der Satyren
Seifrieds durch mich schon vor vierunddreissig Jahren*), endlich
eine vollständige kritische Ausgabe des Textes derselben vor sechs-
nndzwanzig Jahren gleichfalls durch mich geliefert wurde *).
M Dvreh Hier. Pei. in den Script, rer. Austr. Tomas III. Regensburg 1745. fol.
*) In Haupt und Hoffmann's altdeutschen Blittem. %, t bis 17. d. d. Wien
20. Dec. 1836.
') In Hanpt's ZeiUchrift f. deutsch. Alterthnm. 4, 1 bis 2S4.
378 K a r a J • n
All diese Veröffentlichungen aber förderten dennoch ältere
Quellen ausser den bis dahin bekannten nicht zu Tage, wenn auch für
Ottacker ein günstigeres Geschick waltete, als für Seiiried, der ganz
leer ausgieng, während für den ersteren aus Handschriften zu Jena*)
und Stockholms), sowie aus der schon yor Pez herausgegebenen
Wolffenböttler •) wenigstens Theile seiner Chronik in anderen Nieder-
schriften, aber auch nur des fünfzehnten Jahrhunderts, bekannt
wurden; die Bruchstücke aus der Wolffenbüttler und Jenaer aber
nicht unter Ottackers Namen.
Für beide Dichter nun treten hiemit zum ersten Mahle gleich-
zeitige Quellen, wenn auch nur in sehr bescheidenem Maasse, zu
Tage.
Bevor ich zur näheren Betrachtung derselben, zur Angabe ihrer
Beschaffenheit, ihrer Auffindungs- und Aufbewahrungs-Orte über-
gehe, will ich ein paar Worte sagen über die Bedeutung dieser
Funde im Allgemeinen und über die Bereicherung, die unsere
bisherige Kenntniss durch den Hinzutritt dieser neuen Quellen
erlangt hat.
Als Hauptergebniss stellt sich heraus, dass beide als gleichzei-
tige Überlieferungen die bisher bekannten viel jüngeren, an die Zeit
der Dichter nicht im entferntesten hinanreichenden Handschriften im
Ganzen als viel bessere erkennen lassen, als nach ihrem Alter allein
zu vermuthen war, dass somit die bisherige Überlieferung, vergli-
chen mit der neuen, um Jahrhunderte älteren, so weit sich diess aus
den leider nicht sehr umfangreichen Stücken erkennen lässt, eine
nichts weniger als verwerfliche zu nennen ist. Was dadurch schein-
bar an Ausbeute den neuen Entdeckungen entgeht, ersetzt sich
reichlich durch die Beglaubigung, dadurch Festigung der bisherigen
Texte.
*) Durch B. C. B. Wiedeburg in dessen : Ausführliche Nachricht von einigen alten
teuUchen poetischen Msnuscripten der Jenaischen Bibliothek. Jena 1754. 4*. S. 76
bis 118.
^) Durch mich in den Sitsung'benchten der philos. hist. Claase der k. Akad. 4er
Wissenschaften zu Wien. Jahrgg. 1S52. Bd. S. iSZ bis 4S3. Von der Stockboloier
Handschrift warde an der k. k. Hofbibllothek eine Abschrift surfickbehalten, jetzt
unter der Nr. 14,978 rerwahrt.
*) Durch J. G. Eccard in dessen Corpus historicum medii aevi. Lipiae 1723. fol.
und zwar im Bd. 2, 1349 bis 1576.
Za Seifried Helbllng und OtUcker too Steiermark. 379
BeiSeifried zudem hat die neue Quelle noch'zwei kleine, bis jetzt
völlig unbekannte Gedichte in den Kauf gegeben, die, wenn sie nicht
von ihm selbst herrühren, was mir höchst wahrscheinlich ist, doch
seinem Wesen, seiner Sprache und Anschauungsweise auffallend nahe
stehen.
Ich gehe nun zu den Bruchstucken selbst über:
I.
Zu Seifried
Ich nenne Seifried auch jetzt noch so und als den Dichter der
unter seinem Namen vekröiTentlichten Satyren, nicht etwa aus Eigen-
sinn, sondern weil mir die Bedenken, die man gegen diesen Namen
vorgebracht hat. bis jetzt wenigstens, noch nicht yollig stichhältig
erscheinen. Ich will, ohne mich in lange Auseinandersetzungen einzu-
fassen, die hier nicht an ihrem Platze wären, nur mit wenig Worten
sagen, was mir an dem Einwände bedenklich scheint.
Als einen Dichter, das lässt sich nun einmal nicht läugnen,
bezeichnet der Verfasser des dreizehnten Büchleins den 'hovegum-
pelman', der es geschrieben haben soll, ganz entschieden, und nennt
ihn einfach Seifried Helbling, also mit einem Namen, hinter dem
nicht, wie bei anderen, die er vorbringt, irgend etwas satyrisches zu
«'ittern ist Dass er ihn schelmisch todt sein lässt und diess beklagt,
dazu mag er seine Gründe gehabt haben, und ist am Ende eine
Fiction, wie so vieles in seinen kühnen Gedichten, in denen er den
am schärfsten Gerügten gerne er/undene oder auf irgend eine Weise
verdrehte, kurz entstellte Namen beilegt. Nur die Namen des Herzogs
und der Herzogin nennt er nicht, tadelt sie aber nichts desto weniger
schonungslos. Nun aber wird als Verfasser eines oder des anderen
der Buchlein, ausser an dieser Stelle kein anderer Dichter genannt,
der hier genannte aber durchaus nicht getadelt, sondern als Ehren-
mann in Schulz genommen, und kehren die diesem Dichter in den
Mund gelegten Klagen allenthalben in den einzelnen Gedichten
wieder. Liegt es da nicht nahe, dem Dichter des dreizehnten Büchleins
auch die übrigen zuzuweisen? um so mehr als sich im Ganzen alle,
bezuglieh dieser Klagen, wie ein Ei dem anderen ähnlich sehen? Und
das .soll man nur desshalb nicht dürfen, weil der Dichter des drei-
380 K • r a j a 0
zehnten sich dort zu den bereits Todten zählt? War ers denn
nicht auch in gewissem Sinne? Er der sich als alt und überlebt, mit
der Gegenwart zerfallen, ihr kaum mehr angehörig schildert?
Wäre übrigens die 'hovegumpelmänner'-Fiction, wie der vorge-
schütze Tod des einen derselben, wirklich nur eine vereinzelte in
Seifrieds Satyren, so wollt ich noch eher Ernst Martin ?) Recht geben,
da diess aber nicht der Fall ist, da die Namen der Gerügten sowohl,
wie alle Verhältnisse, dieScenerie des Ganzen, wie jene durchgeführte
des Herrn zum Knechte, die Zusammenkunft der Verschworenen, jene
der Tugenden und Laster am Oetscher, kurz alles mögliche erfunden
ist, so kann ich die jedenfalls noch strittige Frage um den Namen des
Dichters durchaus noch nicht für entschieden halten. Hat nun Martin
Recht oder nicht, so wird man mir am Ende doch erlauben müssen,
die Sammlung von Satyren, die ich meine, vor der Hand wenigstens
noch, mit dem herkömmlichen Namen zu bezeichnen.
Schon am Anfange der vierziger Jahre, als ich am Texte Seifrieds
arbeitete, fielen mir die der einzigen damals bekannten Handschrift
der Wiener Hofbibliothek desselben. Cod. 2887. ol. Phil. 50., ange-
hängten Anmerkungen auf, deren Blattzahlen zu jenen der jungen
Handschrift durchaus nicht stimmten, also wohl aus der Vorlage her-
übergenommen waren. Ich glaubte in ihrem Styl und ihrer Behand-
lungsart solcher Dinge unwillkürlich die Art des österreichischen
Geschichtsforschers Freiherrn Reicharts Strein von Schwarzenau zu
erkennen, der noch zu Anfang des siebzehnten Jahrhunderts lebte.
Diese meine Vermuthung wurde nach der Hand als richtig bestätigt
durch lange Auszüge aus Seifrieds Satyren mit ganz ähnlichen
Bemerkungen und Überschriften Streins in einer Handschrift des Ar-
chives der niederösterreichischen Stände. Sie führt den Titel: 'Nota-
bilia Ausz H. Reicharten Streinss H. zu Schwarzenau seeligen
manuscriptis abgezeichnet'.
Wer war nun dieser Abzeichner, d. i. Benutzer der Aufzeich-
nungen Streins, die bis zur Stunde noch in nicht weniger als eilf
Folianten im Archive der niederösterreichischen Stände verwahrt
werden? Niemand anderer, als sein geistiger Nachfolger in dieser
Thätigkeit, der Freiherr Job Hartmann von Ennenkel, Herr zu
Albrechtsberg an der Bielach, zu Hoheneck, Goldeck, Liechteneek und
7) In Htupr« ZeiUchrift f. d. Alterth. 13, 464.
Zu Seifried Helbling uod Ottacker von Steiermark. 381
Seisseneek in Österreich unter der Enns , aus dessen reichen
gadchiehtlichen Sammlungen das ständische Archiv noch zwei starke
Foliobände verwahrt zur Geschichte der Adelsgeschlechter des Landes
mit der Aufschrift : 'Aufzeichbuch von Job Hartmann Eunenkl Frey-
herrn, was er etlich Jahr hin und wider in alten Briefen, Urkunden
and Verzeichnissen befunden, kürzlich ausgezogen und hierinnen ver-
merkt hat Annis a nato Christo 1602 ad 1608 8)/
Nach dem Tode Ennenkels, welcher Dinstags den 9. Februar 1 627
zu Wien erfolgt war, kamen dessen reiche handschriftliche Samm-
ittugen in verschiedenen Besitz. Ein Theil derselben gelangte, wie
wir schon oben sahen in jenen der Stände Österreichs unter der
Eons; ein zweiter noch beträchtlicherer in die Sammlungen des Gra-
fen Johann Joachim von Wiudhag, der sie nachmals mit seiner
ganzen Bibliothek durch sein Testament vom 31. October 1670 den
Prediger-Mönchen zu Wien vermachte, mit der Verpflichtung, sie in
ihrem Hause der allgemeinen Benützung der Gelehrten offen zu hal-
ten. Hier blieb sie bis zum Jahre 1784, in welchem Kaiser Joseph IL
dieselbe sammt ihrem Fonde jener der Hochschule Wiens einverleibte.
Spätber wurde dieser Theil der Ennenkerschen Verlassenschaft, da
er Handschriften enthielt und bereits vor Jahren alle Handschriften
der Universitätsbibliothek wegen Mangel an geeignetem Räume, auch
der besseren Verwahrung und bequemeren Benützbarkeit wegen, der
Hofbibliothek des Kaisers waren eingereiht worden, gleichfalls dahin
abgegeben. Dort findet sich dieser Theil noch bis zur Stunde und es
»lammen aus ihm unter anderen auch folgende altdeutsche poetische
Handschriften: Cod. 2788. Enenkeis Fürstenbuch; Cod. 2779. die
Kaiserchrouik, Hartmanns Iwein, Otnit, die Rabenschlacht, der Aven-
tiure Krone Heinrichs von Turlin enthaltend; Cod. 2959. Latirin;
Cod. 2881 mit dem Schwabenspiegel und Hartmanns Gregor; end-
iich Cod. 2757. mit allerlei Asceticis •).
Ein dritter Theil schlüsslich der Ennenkerschen Handschriften
wurde erworben durch Karl Ludwig Fernberger zu Egenberg, Mes-
^cnbach u. s. w. Herrn der Herrschaften Sitzenberg und Fahrafeld in
*) Siehe WiMgrilPs SchaupUU d. oied. dst. Adels. 2, 414 und Tergl. ChmeU
GewhichUforscber I, 2, 369. unter 202 c).
*> Hoffnann^t VeneicbaiM der altd. Htndachriften der Wiener Hofbibliothek unter
des Zahlen CXCl. X. XXXIX. CLXI. und CCCXV.
382 K a r a j a ■
Österreich unter der Enns, Landreehts-Beisitzer und Landmann alten
Herrenstandes. Dieser starb gleichfalls zu Wien Freitags den 5. Jän-
ner 163S. Nach seinem Tode gelangten auch diese Ennenkerschen
Handschriften an die Hofbibliothek, wo sie unter den Zahlen 10095
bis 1 Ol 00, zum Theile aus übermässig starken Folianten bestehend, ver-
wahrt wurden. Sie waren kenntlich an einem mit weisser öhlfarbe auf
die grünen Alla-Rustica- Pergament-Bände gemahlten Anker, einem
vom Herzschilde herabhängenden, eigenthQmlichen Theile des Fern-
bergerschen Familien-Wappens «•).
All diese Nachweise, die zu dem Zwecke hier eingereiht sind,
um die Überlieferung unserer Bruchstücke erkennen zu lassen, legen,
abgesehen davon, ehrendes Zeugniss ab von der Liebe und Sorgfalt
für Geschichte, wie von den wissenschaftlichen Bestrebungen der alten
Adelsgeschlechter Österreichs im sechzehnten und siebzehnten Jahr-
hundert, die leider in neuerer Zeit wenig Nachahmung finden. Doch
zurück zu unseren Bruchstücken.
Als bei der jüngsten, eingehenderen Beschreibung der abend-
ländischen Handschriften der Hofbibliothek auch diese ungefügen,
dabei hastig zusammengerafften, nur lose gehefteten Bände an die
Reihe kamen, wurde beschlossen den wüst durcheinander geworfenen
Inhalt derselben nach Sachen möglichst zu ordnen und die schlotte-
rigen Bände in feste, dabei handsamere umzugestalten.
Bei dieser Arbeit nun , welche mein College Joseph Haupt
begann, bemerkte er auf dem Rücken des Bandes 10095 vier sechs
Zolle breite und einen Zoll hohe Pergamentstreifen, als Haftbänder
aufgeleimt, welche deutsche Verse in einer zierlichen Schrift aus der
zweiten Hälfte des dreizehnten Jahrhunderts erkennen liessen. Nach-
dem er sie vom Bande herabgelöst hatte, zeigte er mir dieselben^ und
ich traute meinen Augen kaum, als ich die beiden Verse las: 'Wie
hoert man pvllen daz mer Von dem Sturmwinden' die mich sofort an
Seifrieds fünfzehntes Büchlein und den Aufbruch des Heeres daselbM
erinnerten. Es waren auch in der That die Zeilen 788 und 7S9 in
ihm. Als ich nun alles übrige genauer untersuchte, stellten sich im
Ganzen, mit Unterbrechungen durch den Ausfall zweier ganzer Blät-
ter, dann durch das Fehlen der .unteren zwei Drittheile anderer zwei,
sechs und sechzig Zeilen des fünfzehnten Büchleins als gerettet her-
<•) Vergl. WisigriU 1. c. 3, 36.
Zu Seifried Helblin^ und OttMCker .von Steiermark. 383
aus, und zwar von einer alten, guten, leider aber durch Wurmfrass
und die Seheere des Buchbinders arg mitgenommenen Handschrift.
Was die Streifen sonst noch enthielten, zwei kleine strophische
Gedichte, war mir völlig neu.
Ich hatte also mit einem Mahle Bruchstucke einer bei meiner
Bearbeitung Seifrieds aus den wiederkehrenden Lücken nach je zwei-
uDddreissig Zeilen als Vorlage vermutheten kleinen Handschrift wirklich
vor mir. Jene des ersten Büchleins, in welchem die Lucken begegnen,
enthielt allerdings nur auf der Seite sechzehn Zeilen, während die vor-
Hegende des fünfzehnten deren zwanzig zeigt, auf dem letzten Blatte
stehen aber auch hier nur sechzehn Zeilen bedingt durch den Schluss
der beiden kleineren Gedichte, so dass sich denken lässt, dass auch
die vorangegangenen Theile der Handschrift nach Bedarf zwischen
sechzehn und zwanzig Zeilen mochten gewechselt haben.
Diess wird zudem bestätigt, wenn man die Blattzahlen berück-
sichtigt, auf welche die Anmerkungen Streins am Ende meiner Aus-
gabe Seifrieds sich beziehen, und welche durchaus nicht jene der
uns bis jetzt erhalten gewesenen einzigen Handschrift sind.
Diese Anmerkungen weisen nämlich auf eine Handschrift hin,
welche 231 Blätter enthielt. Würde nun jedes dieser Blätter auf je
40 Zeilen angeschlagen, so ergäbe diess eine Gesammtzahl von Ver-
sen für Helbling, die dessen wirkliche Verszahl um beiläufig sechs-
Hundert überträfe. Es ist daher mit vieler Wahrscheinlichkeit anzu-
nehmen, dass die vorausgegangenen Theile der alten kleinen Handschrift
wirklich etwa Büchleinweise weniger Zellen auf den einzelnen Seiten
enthielten.
Dass übrigens die vom Freiherrn von Strein zu seiner Samm-
lung der Gedichte Seifrieds benützte Handschrift und die jetzt in
BraehstGcken neu aufgefundene ein und dieselbe war, wird nicht nur
aas der Herstammung dieser Bruchstücke sehr wahrscheinlich, son-
dern lässt sich auch, wenigstens für das fünfzehnte Büchlein, ganz
hübsch nachweisen.
Man braucht nämlich nur die von mir in meiner Ausgabe theils
io die Lesarten verwiesenen, theils schonend beibehaltenen Formen
mit jenen des neuen Textes zu vergleichen, um sich bald genügend
£0 überzeugen. Man beachte z. B. zu XV, 688 die von mir verworfene
Lesart anter dem Texte : 'alters so ein' mit jener unseres Bruchstückes
und man wird sie gleichlautend finden. Man vergleiche fei*ner zu
384 K a r a j a n
703 'tratt* mit der Form des neuen Textes^ 'trahf ; zu 7S0 und 774
die Lesart ' Wolddan mit der genau an denselben Stellen wieder-
kehrenden der neuen Handschrift; endlich zu Zeile 798 meines Tex-
tes die unrichtige, deshalb verworfene Form 'Hainwurch» die genau
so in der Handschrift Streins sich wieder&ndet u. s. w.
Wir lernen aus all diesen Betrachtungen zusammengenommen
einmal, dass Strein beim fünfzehnten Büchlein höchst wahrscheinlich
keine andere Handschrift vor sich hatte, als die uns jetzt leider nur
mehr bruchstückweise vorliegende , damals natürlich ohne die
Ennenkelsche Seitenzählung (siehe weiter unten), und zweitens, dass
unseren Bruchstücken ganz gewiss eine lange Reihe von eben so
kleinen, weiter und enger beschriebenen Blättern vorausgieng.
Wenden wir nun unseren Blick noch eingehender auf die äussere
und innere Beschaffenheit unserer Bruchstücke» so muss folgendes
hervorgehoben werden. Die einzelnen Seiten der Blätter sind mit
arabischen Ziffern einer Hand des beginnenden siebzehnten Jahrhun*
derts etwa, in der Mitte des oberen Randes der einzelnen Seiten
bezeichnet, und zwar auf folgende Weise: 35. 36. 39. 40. 41.42.45.
46. Man sieht, dass nach dem ersten erhaltenen Blatte, das zweite mit
37. und 38. bezeichnete fehlt, gleichwie nach dem dritten Blatte das
vierte mit 43. und 44. überschriebene, was auch ganz genau mit der
Verszahl stimmt, welche diese dem Räume nach und im Einklänge
. mit meiner Ausgabe zu füllen hatten.
Diese Seitenzahlen können aber auch noch folgenden Schlüssen
als feste Unterlage dienen. Da nämlich von Seite 42. nur die ober-
sten 6 Zeilen erhalten sind, somit dieser Seite sowohl wie den beiden
gleichfalls verstümmelten 35. und 36. je 14 Zeilen fehlen, so gelangt
man zum Schlüsse, dass diese Seite vor der Verstümmlung bis zur
Zeile 832 gereicht habe, folglich auf der nächsten, jetzt fehlenden
Seite 43. die Zeilen 833 bis 852, endlich auf der letzten Seite 44.
nur mehr 2 Zeilen oder das Ende des ganzen Büchleins, die Verse
853 und 854 gestanden haben konnten.
Es zeigen sich nirgends Reimpuncte, die Zeilen sind aber durch-
wegs richtig abgetheilt und die gleichmässige schöne Schrift, hie und
da mit rothen Anfangsbuchstaben verziert, erinnert an die besten
Handschriften aus der zweiten Hälfte des dreizehnten Jahrhunderts.
Die Blätter haben eine Höhe von etwas über 4 Wiener Zollen, eine
Zu Seifried Uelbling und OtUcker von Steiermaik. 38S
Breite von zwei drei Vierteln und sind mit Columnen von zwei einem
halben Zoll Höhe beschrieben.
Anders verhält es sich mit den auf den Schluss der Buchlein fol*
genden beiden kleinen Gedichten, deren Verse onabgesetzt, grösser
und offenbar zu verschiedener Zeit geschrieben sind.
Die neue Handschrift röhrt übrigens , gleich der Abschrift
Riehard Streins, ganz entschieden von einem österreichischen Schrei-
ber her. Dafür sprechen vor Allem das häuOge Vorkommen von o für
d und a, so in grof 686, 77 1 und 778 ; in mk 77S, noher 711, rot
694, 701, 7o3» in rotent 704, gor 675 ; Formen wie mier 712, 79S,
ier 813; bücholf 685, 699, und das alles schon auf so engem Räume
bei einander. Ausserdem begegnen noch eine Menge in österreichischen
Handschriften besonders geläufige Abweichungen von der streng mit-
telhochdeutschen Schreibweise, So o f. oe mh&rt 686; aei f. ei in
er$ckaein 756; ev f. in in levt: prevtM9. 690. 796. Bedev. 709,
Dev 815; 17« f. tio in gveten 696, tvet, vnmvetes 700, zve 702, 704»
gvet; mvei 815. 816; ov f. ü in 01/757, 813, tovseni 795. Die i
zeigen sieh schon häufig aufgelöst, so in mein 681, 814, scheinen
m, sein 707, meiner 708, Sei 793, aeviem 797; ja ei tritt sogar
an die Stelle von i, so in reit 691.
Der Consonantismus zeigt sich, wie so häufig in Handschriften
österreichischer Schreiber , zur Wahl älterer , härterer Formen
geneigt, so in verterben 689. prechen 757, pvllen 758, prcuU 774,
während er im Auslaute manchmal nach althochdeutscher Weise die
mildere Form verwendet, so h f. ch in aprah: tmgemah 705, nah 773.
Im Ganzen ist zu bedauern, dass die neuentdeckten Bruchstücke
nicht den ersteren Buchlein Seifrieds angehören, da in diesen die
Streinische Abschrift gar manche kaum je zu heilende Gebrechen
zeigt, welche die liegend gedruckten Worte und die Lücken meiner
Ausgabe erkennen lassen und die nur zum geringsten Theile durch
Coojecturen und Deutungen zu beseitigen glücken wollte, wie tüch-
tige Kräfte sich auch daran versucht haben.
Die übrigen fünf Bände aus der Fernbergerschen Sammlung lies-
^ü trotz der sorgfaltigsten Untersuchung weitere Theile unserer
Handschrift leider nicht entdecken.
Die Bruchstücke sind jetzt, unter der Nummer Supplement 2792
der Hofbibliothek, eingereiht.
»itib. d. phil.-hitt. Gl. LXV. Bd. II. Hft. 27
3oO K a r « j a n
Ich lasse nun zuerst die Bruchstücke selbst folgen und zwar in
getreuer Wiedergabe der Handschrift, das ist mit allen Fehlern.
Daran reih* ich zunächst das in der Handschrift folgende erste
der beiden strophischen Gedichte, voraus in getreuem Abdrucke,
dann metrisch abgetheilt in gewöhnlicher mittelhochdeutscher Schreib-
weise.
Man könnte dieses erste Gedicht Smirz woF überschreiben. Es
geisselt ganz und gar in der Weise Seifrieds einen Hofmann, der die
Gunst seines nach der Ansicht des Dichters gedankenlosen Herrn,
wohl Herzog Albrechts I., auf alle mögliche hinterlistige Weise xu
erschleichen versteht und dadurch Ehre und Würden erlangt.
An den Schluss endlich stell* ich das auf der Rückseite dessel-
ben letzten Blattes uns erhaltene zweite strophische Gedicht« das
man am natürlichsten 'Sonne und Menschenleben überschreiben
könnte, und zwar auch hier voraus zuerst einen getreuen Abdruck
desselben, darnach eine metrisch abgetheilte Fassung.
Es schildert diess Gedicht auf geschickte Weise die Ähnlichkeit
des Aufgehens und Niedergehens der Sonne mit den gleichen Phasen
des Menschenlebens. Auch dieses Gedicht erinnert sehr an ähnliche
der fünfzehn Büchlein Seifrieds.
35.
Bl. 1^ /er herren ier habt wol Gnomen XV. 673.
das mein rat ist w ... r eh. m. n.
Go . an allez ende 675
swan ich im m . . noh . e . . .
So hazae mich all . . d. z sei
do was doh nih* . . . nden bei
Wand ich niht en . . . . te
an daz aih verwUt. 680.
Mein volch an de
do lie ich d. / scheinen
Z>az ich ein rechte' Christen bin
vnd . . nde meine poten hin
Zu Seifried Helbling und OtUcker rou Steiermark. 3^7
Do sprach der pischolf ron gpmn 685
Tnd hdrt dax g^rof yban
Der ahte des tÜ clila . n
moht er alters . o ein
Kerterben lant rnde I . rt
im wer sam er mit ein* prevt 690.
Kroeleichen haim reit
also stet des mannes sit 69%.
36.
Bl. 1^ .0 sprach der run Vetzprem XV. 693.
mein herr an seinen rot nem
Den wilden grofen miszen 695.
nimmer gveten piszen
Gmei der herzog mit im
orsz mein ampt ich das nim
Do sprach der pischolf von rab
herr tvet er Tnmretes ab 700.
. ier STllen ron dem rot sten
haizzet die layen zve er gen
. wa man traht gen reinde haz
da zre rotent layen paz
. er von romf chirchen sprah 705.
mein phaflieit wer mir rngenah
E mein herr liez sein lant
ich slaeg £ mit mein* hant
Bedeyf weib rnde chind
an mich ril phafTen sind 710.
. Rof yban hin noher trat
mier ist rerporgen ewer rat 7 1 2*
39.
BL 2' DEr rot geriel in all . . XV. 753.
si worden ane schallen
7er geraertes do enein 755
des morgens do d* tach ersehaein
3oo R a r a j a n
^egrnd otF prechen daz her
wie hoert man prllen das mer
Ton den staren winden XV. 7S9.
40.
Bl. 2^ iVah vnserm schaden daz lant XV. 773.
der wolddan d' Tor wienne prant
Chom . rh vngestriten d*an 775
hin noh do legen sih began
/>az her in der rizze
do sprach der grof mizze
tfer her kvnec sent hin ab XV. 779.
41.
Bl. 3* 5ei ez ewer wille XV. 793.
ligt mit dem her stille
£at mier zehen tOTsent man 795.
da han ich levt enrollen an
Der hersog mit seinem rat
Yuor ze haimwurch in die st • • XV. 798
42.
Bl S*' /er herren trabtet orf rnd nider XV. 813.
mein herr hab sein lant wider
Der schidung wiert nimm' gvet 815.
daz nemt rehtt in erren mret
Do sprach des herzogen rat
h rozzen schaden hat. XV. 818*
45.
Bl. 4' E in herre gewalticb ane sin . sein
werdes hofgesinde habent einen
Tnder in . smirz wol ich den nene .
er geht dem herren nach an aller
stat. Smirs wol der chan liste y\\
swenn der herr ze rate . mit den
Zu Seifried Helbling und OttACker Ton Steiemrark. 389
besten sitzen wil. sminwol gel
tvensheWnde er niTes ie chomen.
an des herren ruu Smirzwol
cban sein red wol dar gestiere.
Waffen sminwol veber dich ge
schrieren • wie du den hVen vmb
die oren Tiselst • als ein haber
gans . der terfel rar dir in
den grans . smirzwol in gotes
zorn wirt zeinem vrien.
In metrischer Abtheilung und gewohnlicher mhd. Schreibweise
Ein her was gewaltic ine sin ;
sin werdez hofgesinde
habent einen vnder in,
Smirzwol ich den nenne:
Er g^t dem herren nach an aller stat.
Smirzwol der kan liste vil.
swenn der her ze rftte
mit den besten sitzen wil ,
Smirzwol g£t tüschelunde :
Er mnoz ie komen an dez herren riU
Smirzwol kan sfn red wol dar gestieren.
Wlffen, Smirzwol, Ober dich geschrieren !
wie du den herren umb diu ören riselst,
also ein habergans !
der tiufel rar dir in den grans !
Smirzwol in gotes zorn wirt z*einem rWen !
46.
Bl. 4^ Dir svnn get orf ton Orient • vnz a.
den mitten t . . . so seiget si gein oeci
dent . also ist d . . menschen . dacz
mit gots helfen an sin alter chvmt.
390 Kur» Jan, Zu Seifried Helbling and Ottacker ron Steiermark.
Der steiget ovf rmb lieriich iar . so
begint er seigen . gein dem abent
daz ist war . chTmt er mit gvetem
ende czt sein . st.... naht . wie im
daz vrumt . hat geworben her
¥on orie . de . e daz er mit eren chumt
gein oeeid^nde . so im sein leben
vnd* seiget . ob er hie geschaffen
hat. daz der sei mach werden
rat schon s le vf mit
der svnne steiget
Diu svnn gdt üf ron Orient,
Unz an den mitten tac, so sfget si gein occident ;
Als ist dem menschen, daz mit gotes helfen an sfn alter kumt.
Der stieget Af umb rierzic jär,
Sd begint er s^gen gein dem übent, daz ist wir.
Kamt er mit guotem end ziio sfnes tddes naht, wie im daz vramt,
Hit geworben her ron oriende, .
daz er mit dren kumt gein occidende,
Sd im sin leben rnder siget;
ob er hie geschaffen hit,
daz der s^l mac werden rlt,
Schdn si'n s^l üf mit der sunne stieget.
Sehr der. Weitere Mittheüungen aber die MondarC ran Gotttcbee. 391
0
Weitere Mittheilungen Ober die Mundart von
Gottschee.
AbicbloA des Wörterbuches mit NachtrSgen und Berichtigimgen su: Ein Aus-
flog naeh Gottschee (im Octoberhefte 1868 der Siuungsberichte der
philos.-hist. Cissse der kais. Akademie der Wissenschaften)
yoTi K. J. Schröer.
Vorwort.
Indem mit dem Abschlüsse des vorliegenden kleinen Wörter-
buches zugleich auch meine Untersuchungen über die weniger
bekannten Mundarten der deutschen Sporaden in Oster-
reich überhaupt, einen Abschluss finden <), mindestens vorläufig»
»0 entsteht der Gedanke, auf dieselben in ihrer Gesammtheit einen
Terweilenden Blick zu werfen, ihren Zusammenhang mit dem
'J Mein Wörterbuch der deuUchen Mundarten des ungrischen Berglandee 185S
Nachtrag dazu 1859. Darstellung dieser Mundarten 1864. LauUehre derselben 1864.
Alles in den Sitiungsberichten der kais. Akad. der Wisseusch. s. oben Seite 123.
Mein Wörterbuch der Heanaenmundart, bei Frommann 1859. VI, %1. 179. 330. ~
Die Mundarten der Siebanbürger Sachsen sind in Tielen bedeutenden Publi-
eationen sur Anachanang: {gebracht; ich hebe nur harTor ila]trich*a Plan su einem
Idiotikon RronaUdt 1665. — Über die „Cimbh"' haben wir die bekannten treff-
lichen Schriften Bergmannes und Schmeller*s. Von den großen deutschen Sprach-
inseln im Sfiden Ungarns ist freilich nur Eine kleine Mittheilung au nennen:
G. Zcfneck^s Beitrag zur Sammlung des Volksthümlicben im Temescher Banat
(aeaes Laasitx. Magaain Bd. At. S. 302 — 350 von 1865); diese Mundarten sind aber
veniger wichtig, da sie, als neuere Anaiedelungen, wenig Bigenthüm liebes
bieten. — Ein Inaemisches Wörterbuch von J. V. Zingerle ist 1869 erschienen. —
Vortrefflich sind die Beitrige aar Kenntnis der deutschen Mundarten Nord-
bÖhmens tob Ignas Petters bei Frommann und in drei Programmen Ton Leit-
merita.
392 S c h r 5 e r
deutschea Elemente der Monarchie und ihre Bedeutung für dieselbe
ins Auge zu fassen , ein Oedanke , dem ich bereits in der Einleitung
zu meiner ersten Mittheilung über Gottsehee Raum gegeben , sowie
er mir von Anfang an bei meinen hieher zu beziehenden Unter-
suchungen vorgeschwebt und den ich noch dereinst ausführlicher
zur Darstellung zu bringen hoffe.
Dabei erscheint es mir nun als ein eigenes Geschick, das
diese Studien in Österreich trifft, dass dieselben in letzterer Zeit
so viele ihrer Pfleger und Stützen verloren haben.
Sc hm eil er, der. auch abgesehen von seinem bairi sehen
Wörterbuch und seiner Grammatik , die fiir uns so wichtig sind,
schon durch das Muster das er gegeben hat in seinen Unter-
suchungen über die Mcimbrischen** Sporaden, hieher gehört, ist nicht
mehr. Der durch ihn angeregte brave Tiroler Schöpf ist zu früh
gestorben. Weinhold, der einst, vielseitig Leben weckend, in
Graz wirkte, ist längst fort und auch sein rüstiger Schüler L exe r
hat bei uns kein Bleibens gefunden. Pfeiffer, der gründliche
Kenner unserer älteren Mundarten, hat uns jüngst in kraftigem
Mannesalter verlassen. Seine letzten Studien bezogen sich auf
Weinhold*s bairische und alemannische Grammatik. Als er
eine Preisfrage zu stellen hatte, kurz vor seinem Ende, dachte er
bekanntlich an eine Darstellung der österreichischen Mundart.
Die Augen des Meisters J. Grimm, dessen Theilnahme, auf die
wir immer rechnen durften, uns alle einst ermuntert, haben sich
geschlossen. Neben so vielen und grofSen Verlusten für die Wissen-
schaft überhaupt und insbesondere für diesen Zweig derselben,
namentlich bei uns in Österreich, ist nun auch das Eingehen der vor-
trefflichen Zeitschrift Frommanns zu beklagen, durch die der
belebende Sonnenstrahl sinnvoller Betrachtung bis in das „fernste
tiefste Thal^ zu dringen und Lieben hervorzurufen schien.
Unter solchen Umständen wird es begreiflich erscheinen , dass
man sich bei einer Arbeit , wie die vorliegende, ziemlich vereinsamt
fühlen muss. In mehr als Einer Hinsicht schien mir mein Ausflug
nach Gottsehee ein Eintreten in einen noch unbetretenea Ur-
wald. Nicht nur weil die Mundart dieses Ländchens, auf die es mir
dabei ankam, außerhalb desselben noch beinahe unbekannt, d. h. nur
in unverbürgten undeutlichen Umrissen bekannt war, sondern auch
weil mir nun mein Streben, mehr noch alsje vorher, als abseits von dem
Weitere. MittheiluDgeo über die Mundart von Gottachee. 393
tbeilnebmenden Verkehre mit Audereii gelegen scheinen musste. —
Eine unverhoffte Freude bereitete mir die anregende Schrift
Chr. Schneller*s: die romanischen Volksmundarten in
Sudtiroit^yera 1870, auf die bereits meine erste Mittheilung über
Gottschee Rucksicht nehmen konnte, so wie sie in dem Vorliegenden
nieder von mir vielfach benutzt wird.
Die vielen Berührungspunkte mit den Kreisen eines anderen
Sprachgebietes^ die sich hier zeigen, bestätigten mir reichlich eine
eigene Wahrnehmung, worauf ich schon in meinem Ausflug nach
Gottschee S. 7 f. 23 f. hingedeutet; dass nämlich gewisse Zuge
TOD Familienähnlichkeit der Sprachen, über ein weites Gebiet, das
TOD Deutschen , Romanen und Slaven bewohnt ist, an der Grenze
zwischen diesen Sprachstammen, sich ausbreiten, so dass hier die
merkwürdige Erscheinung einer gegenseitigen Sprachannäherung
zwischen so Terschiedenzfingigen Völkern zu beobachten ist.
Von anderer Seite scheint aber nun doch auch der nationalen
Tendenz, die den Mittheilungen über alle diese deutschen Sporaden
zu Grunde liegt, das Interesse sich zuzuwenden.
Wattenbach^s Vortrag: die Siebenbürger Sachsen
(Heidelberg 1 870) und R. B 5 c k h*s Untersuchung :derDeutschen
Volkszahl und Sprachgebiet (Berlin 1870) sind von einem
Geiste getragen, wie ihn die auf verlorenen Posten vergessenen
dcDtsehen Sprachinseln bisher bei ihren Brüdern „im Reich draußen**
nur schmerzlich vermissten.
Dieß mahnte mich das lähmende Gefühl der Vereinsamung, das
mich bei Ausarbeitung des Vorliegenden überkommen wollte, zu
oberwinden und denn auch den Rest des gesammelten Stofles zu
verarbeiten.
Die Hundart von Gottschee ist wol eine ganz eigenthümliche
Erscheinung, indem sie als Mundart keinem größeren, weder dem
bairischen noch dem alemannischen, noch dem fränkischen Dialekte
ganz angehört, sondern einem jeden derselben nur zum TheiU
indem sie aber auch in ihrer Abgeschiedenheit ihre eigenen Wege
der Entwickelung, oder, wenn man will, der Entartung gegangen ist.
leb war bemüht, so treu und sorgfältig als möglich davon darzu-
stellen und zu erklären, was ich auf meinem Ausfluge dahin gesam-
melt hatte.
394 Sebröer
Die auffallendsten Lautwandlungen der Mundart habe ich bei
jedem Buchstaben besonders besprochen. Den mundartlichen Aus-
drücken habe ich auch die gesammelten Orts- und Personennamen i)
eingereiht mit Angabe der Zeit und des Ortes ihres Vorkommens.
Von allgemeinerem Interesse werden die eingestreuten Proben
der Volksdichtung, Sage und Mythe sein. Von den mitgethcilten
Volksliedern gebe ich am Schlüsse ein Verzeichniss. Balladen, wie
oben S. 7 t die Todtenbraut, schon wegen der Beziehung z\i
Bär^er*s Lenore, und unter mer: die Schöne am Meer, deren Bezie-
hung zur Gudrun ich in der Germania XIV, 327 (in dem Aufsatze:
das Fortleben der Kudrunsage von K. Bartsch und
K. J. Schröer) gezeigt habe, verdienen gewiss Beachtung. Sagen»
Mythen und Brauche finden sich eingetragen unter: alp, pfira»
<) Das Vorkommen derselben Namen im ungarischen Berglande, so weit ich dieC
bezeugen konnte, habe ich angemerkt, vgl. oben Seite 29. Wie dieser Zusammen-
hang zu erklären ist, mögen uns die Geschichtschreiber aufklären. Bemerkens-
werth ist, dass die Rrickerhaner im ungrrschen Berglande nach Ipolyi in Wolfs
mythol. Zeitsch. f, 260 von sich aussagen soUen: hir nnd bindisek. Wenn ich
auch selbst in Krickerhäu diese Angabe (mein Nachlr. s. Wtb. d. ungr. Bergi.
S. 17) nicht mehr bestätigt fand, so kann dieselbe doch eine friibere, jVrzt
erloschene Erinnerung an die windische Mark beurkunden. Der Ausdruck meerauge
fiir Bergsee, der sich im ungriscben Bergland wie bei den Siebenburger Sachsen
findet, ist auch im Drauthale bekannt, s. Leser 12, vgl. gaHgerie oben S. 89 und
unten: wergel, berget u. A. Hierbei werden auch zu erwägen sein, die madja-
rischen Wörter im Slovenischen. Für manchen Begriff wird das slovenische Wort
einmal durch ein deutsches, das anderemal durch ein mndjarisches ersetzt:
tausend (slorenisch eigentlich tisuc) beisst einmal tauzint, das anderemal jezer
(madj. ezer) ; Opfer: bald ofer, bald wieder aidov (vom madj. aldo); Gevatter
nach dem deutschen: boter oder nach dem ma4j. (koma) küm u. v. A. Diese
Erscheinungen bezeugen alte Besiehungen, die uns jetzt nicht mehr klar sind. —
Eine gemeinsame Abstammung der Siebenbfirger und der Sachsen des ungr. Bergl.
mit den Gott^cheewern wird Niemand behaupten , da wir ja dem verschiedenen
Ursprung dieser Colonien bis auf den Grund sehen; aber eine Verwandtschaft
durch Zuwandemigen, vielleicht durch die Familie der Cillier veranlasst, ist noau*
nehmen. Zwischen Gottschee und den Cimbri ist eine Verwandtschaft ganz deutlich
'vorhanden, obwol such diese Ansiedelungen, wie wir nun wissen, za ver-
schiedenen Zeiten stattgefunden haben. Bedeutsam siqd die ans italienisch-
deutschen Vocabularien des 13. Jahrb. von mir betgebrachten Belege für das Tor-
kommen einzelner seltenerer Wörter, die sowol bei den Cimbri als in Gott-
schee noch erhalten sind. Näher bezeichnet sind diese Vocabulare unten unter
den Abkürzungen; interessant ist auch, dass das älteste eine Sprachersckeiuong
erklärt, die weiter nirgends nachzuweisen ist, unten S. 429.
Weitere .Mittheilungen über die Mundart ron Gottschee. 39a
pilick. pljea, pewalitie, w»rnifti§« (unter f) g^U (wo zu ergänzen
ist, daß jenes tu gMe gekn doch auch schon in der älteren Sprache
nachzuweisen ist; s. Schm. unter g^tl neue Ausgabe) heiraten, keila^
h«chieit, kese, kleldang, nariag, •stera, jidelsUia^ jImS«, ^omitten,
bahs (unter w), Uli (wild). — Diese Beigaben werden Zeugnis
geben dafiir. dassGottschee auch in dieser Hinsicht noch eine reiche
Fundgrube ist , so wie sich ja auch in der Sprache so viel alter»
thumliche Worter und Formen erhalten haben.
Erschöpfendes wird man von mir nicht verlangen und bei
Beurtheilung der mit dem Vorliegenden abgeschlossenen Ausbeute
billig in Anschlag bringen, dass ich in dem mir bis dahin wildfremden
Landchen nicht einmal einen rollen Monat weilen konnte. Nur wer
Ähnliches unternommen, vermag die Schwierigkeiten zu ermessen,
die man zu überwinden hat, um unbeirrt von möglicherweise schiefen
und falschen Belehrungen, die eher herandringen als das verborgene
Echte, zu dem letzteren Zugang zu gewinnen. Und so mag die vor-
liegende Schrift, die nun auch die letzte der weniger bekannten
deutschen Sporaden Österreichs in Bezug auf ihre Mundart in
helleres Licht zu stellen bemuht ist, einer freundlichen Aufnahme
empfohlen sein.
Pur das Ländchen Gottschee aber und seine achtungswerthen
Bewohner, die ich als Deutsche, nicht nur was ihre Sprache anlangt,
sondern auch in ihrer treuen, ehrlichen, wahrhaften Natur und
Sittlichkeit lieb gewonnen, möge sie beitragen das deutsche Selbst-
gefühl zu heben, vielleicht auch Anregung geben die hiermit begon-
nene Sammlung weiter fortzusetzen, zu berichtigen und zu vervoll-
ständigen !
Wien, am Karfreitage 1870.
396 Schröer
I. J.
/ wird Ein bert wird; keakpire Himbere; keat sind; wemwc fünf
(ursprünglich flmf)) hieher gehört auch das E für U in: sietile
Stutzen; pesckle Buschlein u. dgl. m., siehe auch Uiki iur aus
/gekürztes / in At (nnhd. -Hb) das in der Mehrzahl -lala wird,
ein Beweis, dass dem -le ein -llii zu Grunde liegt» s. darüber
unter -le i liedle, kirtkgle u. a. m. und endlich in -e für -I in der
Kleinform von Namen : Taae (=!•■!) von Tai (Anton), ftr^atf
(«fireti, Gretchen) von Artet« («fireta, Grete) etc. Vgl. uber-
dieß E für / im ungr. Bergland LaiUekre etc. unter J, 1 .
1 wird Cl in : fiekanae; Johannes ; ebenso ungr. Bergl. Lautlehre
unter J, 2. Jeslel s. d. jetzt Clestel.
Vorsetzung des 1 — Präjutierung — in dem Namen Jelseaiapf s. d.,
auch zuweilen in Jttalck für tttaick Attich. Vgl. das. unter J, 1.
JAel, Name in Krapflern 1700.
Jigen, Jttgen läufig sein: dei killia Jttgat sik, die Hündin ist läutig;
vgl. kämt, der back Jkgg der Bock geht der Ziege nach.
Jager, Name in Gottschee 1700.
Jagkke, Name in Riegel 1700.
Jiglitsck s. Jaklitock.
Jalfe 8. Jeise.
Jayseniapln ex Hoheneckl684. JeUeniapf in Sele» Hoheneck 1614.
JayseMapf Hoheneck, Linfeld 1750. Jayseafapf Malgern, Sele,
Schalkendorf.N. Mosel 17S0~ 1780. Jetzt gewöhnlich llaeBsapf
geschrieben, oft aber noch Jaljeaikpf gesprochen.
Jaklltsck, Jaaiaes — plebanus in Grosslositsch 1512; der Name
häufig in Gottschee, Oberlosin, Oberern, Altbacher, Kerndorf,
Kleindorf, Hasenfeld, Sele, Moswald, Deutschau, Schalkendorf.
Seh warzenbach , Zwislern, Mitterdorf, Krapflern etc. 1750 bis
1867. JAglllscb 0. Deutschau 1700.
Janker m. die Jacke. In Baiern JAaker, sckanker, 0. Pfalz Jiakes,
gaakes Schmell. 11, 270. Schweiz Janken Stald. I, 73. kämt.
Jaiggar Lex. 150. Tirol Schopf 291.
Jaaaesck, Name in Neuwinkel 1750.
Weitere Mittbeilungen aber die Mundart von Gottschee. 397
Jimirfcl m. und kiiligle n. s. d. sind in Gottschee gleichbedeutend.
Ji^ei jesen, garen, mhd. JSseii. Stahl I, 74. JAsen. Die Form scheint
sich mehr auf alem. Gebiet zu halten, s. Schopf 283, Schm. II. 79.
Jitei jäten, mhd. jäten. Wie in JAjeii steht k für mhd. h. kamt. Jetn
Lex. 151. cimbr. Jetan CWb. 133. Schöpf 293.
jatn. das Unkraut, was zu jäten ist; das Jäten. Entspricht nicht dem
Jat Schra. II. 272, wol aber mhd. Jat (gAl) mhd.Wtb. I. 538.
Jtier,Name in Morobitz 17S0, vgl. oben S. 34.
jiik m. der Södwind; der Nordwind heisst bedeutsam derUr (pAr ^
oben S. 45) ; der abere Jaik der Ostwind ; der latere Jaik der
Westwind ; vgl. kirnt Lex. 150. slov. Jtg was Bopp Glossar 178
zu sanskr. daksina stellt.
Juth, Name in 6. 1750.
Ueiltsch, Name in G. 1750.
ierde f. Erde; asf lerdan auf Erden im Vaterunser oben S. 89.
Jeilei, JeleB, Name in Moscbe, Schlechtbuche], Meierle, Stockendorf,
Winkel. Nesselthal 1750—1780. Slovenisiert aus lirlss s. d.
Jestel, Name in Deutschau 1560. fiistel daselbst 1614. Jetzt fiestel s. d
Jei^e f. das Mittagsmal; kUlaJeoje f. Vesperbrot; nkekmM n. Nacht-
mahl, vgl. auch wamais S. 86. Sonst österreichisch Jassen f.
sloven. jHilaa. Etwa zu sanskr. jttsA, lat. Jtts. slav. Jncha Suppe.
Vgl. übrigens Jaik.
ib ich; maiBdar, alr^mlk; da; ar; biri Ir (nie bairisch Is, As, As); ;eo.
(imbiss) 'mal» s. wamais S. 86. Vgl. siebenburg. sächs. Ammes.
iaaa ihm: ;! raickat imaa a pesckle, sie reicht ihm einen Strauss.
Vgl. 'ma, dazu ahd. ima und im nngr, Bergl. noch 'na für dema,
^naa für laan, weaen ahd. kweaaa. Darst. S. 16 (266) und 95
(345).
iaiar herein; mhd. ker la; laala hinein; mhd. kla la.
iidert irgend, irgendwo, kämt, ieadert; mhd.iender s. darüber Gr.
Gr. III, 220. im ungr. Bergl. Darst. 361.
inlaof. Ort bei Morobitz 1750, mit 13 Häusern.
') !>€r Bar nbd. bir heiMt in 6. pAr (wie uberhuupt mhd. t A wird) und so auch der
Nordwind. Den Zoehteber nennt der GoUschewer pear (mhd. bIr). — Obwol diese
Beseichnnng dea Nordwindes an ital. bfrea, sloven. burja erinnert, so denkt sich
der Gottscheewer anter pAr doch nar einen Bären, was an das Bargestirn und an
dcB aythiselicn Winterbiren erinnert. Vgl. denAufsatx Zaimoliis Germania XIH.
398 S c h r ö e r
J«ke, Name in Altbacher 1614. Das ist schweizerisch : J«|;|[i. Rochbolz
b. Frommann IV, 459 aus Jacob,
Jobaanhtag. An demselben werden Johannisiiraut, Pappeiweide und
Wucherblume in die Acker gesteckt; Sträuße davon in die
Fenster, s. §imiUeB r4a§e. Abends lodern Feuer aufs, kreaweaer.
J4ken weinen, slovenisch Jokatl se.
Jonke, Name in Hornberg 1614. Oberlosin» Kletsch, Sele, Hoheneek,
Hornberg, Mosel, Durnbach, Verdreng, Deutschau, Oberern 17S0
bis 1867.
Joppe f. der lange, um dieHül'ten eng anliegendo weiße Tickroek %küt
Brmel, Hauptbestandtheil der Kleidung der Gottscheewerin. Die
Weiber von Berchtesgaden sollen durch Stoif und Schnitt ihrer
weißwolleiea Joppen an ihre einstige Heimath an der Loisach
und Ammer erinnern. Schmell. II, 270.
Jirgel des Mal sin und Jirgel des lorkko sia beide in Schwarzen-
bach 1614.
IrcklrkolUaex Schalkendorf 1780 ; Ireher d. i. Weissgerber Schm. 1,97.
ir ihr; so wie der „Cimbro** hat auch der Gottscheewer das ^ss der
bairisch-österr. Mundart für Ikr nicht. Dieß ^ss — wenn es
auch immer noch aus älterer Zeit nicht nachgewiesen und daher
als uralte Dualform nicht über jeden Zweifel klar ist — war in
der Zeit als Gottschee bevölkert wurde, um 1360 — 1360 in
der österr.-bair. Mundart üblich; s. Weinhold bair. Gr. S. 367;
die EiuM anderer kannten es nitht; sie waren Alemannen und
vielleicht auch Franken. So viel sie auch vom österreichischen
angenommen haben s. ertac, §imiiUtea ; das charakteristische
^ss ist nicht eingedrungen. Auch die Endung der II. Person
Plur. in -eis nicht.
f rde ihre ; lario irde lekerlaiii im Liede s. larta.
i}t ist, hat auch die Bedeutung von „wird** als Hilfszeitwort des Pas-
sivums: der Teig wird gemacht: dar loig i§t genaeket s. oben
Seite 58.
Ijleriaeh n. Estrich, ungedielter Boden im Flur oder Zimmer. Cimbr.
eslerach, mhd. esterik m. datier slov. j^dlerljch
-llie in powalitie s. d. Upitie s. d. -iUln in kelUUii s. d. Vgl. Gr.
Gr. III, 339 und lampltie unter lample.
Joehatsoa juchetzen s. Schmell. II, 263, Lex. 152.
Jidedarn, JAdeschda» auch Agendara, hAgeadara Hagedorn.
Weitere Mittheilungen über die Mundurt von (iottscbee. 399
Jueheirre m. Junggeselle, mhd. Joach^rre 8. das Lied unter palliar.
Jirti und Jirlaa, Name in Kletsch, Stockendorf 1700 — 1780.
Jiratiaa, Name in Ribnik 1680. Ort, Krapflern, 0. Tapelwerch»
Rick 17 SO.
f steht für Tin keakpare s. d. Itkea s. d. Tgl. auehZ) nnd?; S. 63;
laekel, seektla s. d. für latlel zetteln.
Gequetschtzu Isek erscheint das i in wllscke Wicke, kUsckar
Kicker, vielleicht auch in Isekarbe Korb. Wandlung eines alten
TWm B, kaum zu vergleichen mit dem altlat. B i'ixvDV CbU=
dvifi) wie Schneller S. 99 meint, siehe unten unter W.
FGr ck (auf niederdeutschen Biinfluss weisend) in ;l-kia
das Sie-ehen» Weibchen, §aa-ke Sau, laakera s. d. merke f.
Möhre. Auffallend ist k auch in mtkea s. d. mikea.
Für (r 1) steht i etwa in krealand, klaekke, kamper, kaaiSi
kaffe, kackaliea. Das i wird nicht nur vor der Stammsilbe,
sondern auch vor dem Vocai einer Endsilbe aspiriert: kackken.
Ihiekerle, Name in Rick 1614. Vgl. üggel.
kaifBaasckati m. Waare. ich teil auz fnren gen teutzen landen mit
kaufmanschatz voc. ital. tod. Münchner cod. it. 362 f. 76.
klfakss n. „laafness (Elze)^ ein halber Metzen, Getreidemass,
auch mirlinc s. d.
kkib, kkib n. Kalb. Das vocab. 1423 hat schon die RA. die ehelber
sckenea ick glaib et wal regaea f. 61^. — bkssar kkaUe n. Fisch-
otter; Molch. kelUliia f. stierföhiges Kalb, vgl — llie und lample
n. kämt, kelbalie f. Lexer 1S3.
kkleh m. Kalk; kMckgraad m. zum Kalkbrennen bestimmter Grund.
Die oberdeutsche Form mit ek Schmell. II, 292, die auch
cimbrisch, kärntisch u. s. w. erscheint, entspricht der Lautver-
schiebung (y^dh^^ -^dhx'og ahd. ckaick).
*) Uater € S. 89 f. i»! nacbtutragea : g für ge atebt vorgeaetst in kaater a. d., gnn-
■acketeia. d., grlessel a. d. (=rfieilel) — keiket(?) a. d. (vgl. aucb kunken [viel-
leicbigkan-Jir«!!]). — g«l gelb: glliac Goldamael. — gatieo der alte Vogel gatiet die
juifta. — geprtft Limi. — gerkibar m. Vormund. — Ctr Gregor. — gUHl
Gaaaeii. — galn -prugelo. ~ goet d. (nieht f/uot S. 96) Viebatand , beaondert
Riad Vieh; vgl. wicke Scbafe.
400 S c h r ö er
Ulei, k«ilei bellen; mhd. kalles^ bair. kämt Schm. 11» 288.
Lex. 154* etc.
kUder, käider m. Behältniss» Schrank. Die in dem S. 114 mit-
getheilten A b s c h i e d der Braut enthaltene Form kamllar ist
dasselbe. Lexer und Schopf kennen es nur in der Bedeutung
Fischbehälter. Pur Wandschrank erseheint kalter im XVI. Jahrb.
auch bei H. Sachs» s. Schmell. II» 189, der es aus Gehalter
ableitet. Das vocal. ital. tod. von 1460 hat f. iV: eis kalter,
una credenza; das von 1423: behalter, der — Falmaro IT.
kaldar, kaidar m. Keller» cimbr. keldar CWtb. 135: daher
slov. kivder. Dies mit reinem a gesprochene Wort ist von dem
vorigen, in Bezug auf den Vocal, geschieden, wie waM, Feld
von bkid, Wald. Das reine a verlangt mhd. I kUler (nicht wie
das mhd. Wtb. schreibt keller).
laltejsea« Name in Sehwarzenbach 1614.
kam gekommen. Hier steht a für uraltes % (quSman), da schon im
IX. Jahrb. fiaaiaB auftritt.
lame, Name in Schwarzenbach 1614, laaime 1684, 1783. Maigern,
Hasenfeld, Linfeld 17S0. In Neusol im ungr. Bergiande finde
ich 1390 den Namen: Caaias.
kamaat n. Kummet mhd. kamati kmat u. dgl. russ. chaaiaata. Der
Nasal» der im sloven. kamit nicht zu hören ist» fallt auf.
kamesale f. die Weste, franz. camkale C Leonh. Frisch schreibt auch
die Camisale.
kampei m. Halsring des Ochsen , vgl. kamp bei Schopf 300, was
eins ist mit lamm crinia ahd. champ.
kamper lustig» wacker. lamprei dierae lustige Dirne; schwelierlsck
gimperlsck lustig» geckisch» Stald. I, 420» bair. gamper bequem,
von Kleidern; lagamper steif <); gampera springen. Schmell. II,
148, 8. Schöpf 172. Ahd. gambar strenuus Graff IV, 207 f.
scheint nicht zu stimmen» indem jedoch cambri sagacilas
GrafTIV» 208 heisst. ist vielleicht für gambar strenuus auch die
Bedeutung sagax anzunehmen und die wahrsagende Frau,
Gambara» bei Paul. Diac. hiess dann die weise, weissagende.
0 Kirntisch ist nur die Form ungamper; scbleaisch ungun^rn^ mhd. ungtanper «Be-
schickt, steif erhalten. Lexer 107. Weinhold 26. Das mhd. Beispiel, das Weiahold
anfuhrt: uiigtiii|ier und« herte rfodes hlute Renner 12. 516, stimmt sur bair. Be-
den tung von gaiii|ier.
Weitere Mittheilungen üb«r die Mundurt von Gottschee. 401
Der Übergang von weise zu sehUa und von sehlai zu listig ist
denkbar. Das von Graff angeführte nord. gamra blaterare wäre
so zu vereinigen mit gambar, wenn dies als: weissagend auf-
gefasst würde» da fianbara eine Weissagende hiess; wahrsagen
kann zum plaudern im Begriff herabsinken. — Auch die Form
gaaaii n. Freude; gamanllh ridiculus Graff IV, 207 kann zu
ganperlieh lustig verglichen werden und mhd. gimpen bedeutet
hupten, dennoch scheint die Vereinigung mit den obigen Formen
schwer (vielleicht, dass ihre Bedeutungen auf die jener Formen
eingewirkt hüben, mhd. gimpea auf obiges gaaperi springen)
und die Heranziehung dieser ist nicht nöthig, um die Deutschheit
der ersteren anzunehmen. Schneller die rom. Mundarten
Tirols I. 262, 238 leitet gamper von ladinisch !■ e^nper und
dies von ital. iag^mbr« ab. Dies ital. Substantiv lag^mbr« fr.
eae^Mbre, Hinderniss, woraus unser Inmner mhd. kimber
s. Diez I, 134, hat doch kaum etwas zu thun mit kanper, gäm-
periseh lustig, gampem hüpfen. Vgl. das folgende Wort.
Uapem tanzen. Kärntisch ganpera, nminagainpern hüpfen, umher-
hüpfen. Vgl. kanper.
kiit kkie;t, käa kann, kannst; selten im Gebrauch, häufiger mflgens. d.
Uigel f. kleine Kanne, mhd. kaaael, kämt., bair. kandl ; slovenisch
kaagla. Der Wechsel ad mit iig ist alemann. Weinh. al. gr.
§. 180; im ungr. Bergl. Wörterb. 22, Laute der deutschen
Hundart des ungr. Bergl. S. 198.
lapseh, Name in Pockstein, Stockendorf, Mittenwald 1750. Vgl. den
siebeabürg. Namen Kappes Marienburg 351.
kar n. Getass, ahd. char. So noch in Gottschee in peehar Bienenkar,
oben S. 49. flai-kar n. Butterfass s. d. und Darst. S. 171.
kanche f. Kirsche; stimmt zu mhd. kl^rse; karschpAm mhd. klrsbau.
kante m. Kleiderschrank; wol aus kajte s. d. mit eingeschobenem r.
iasar, Name in Katzendorf, Sele 1750. Im kärnt. ist kasar =» geidar
Lex. 155.
listel, Name in U. Mosel 1750.
kajpea scharren. Vgl. etwa tirolisch kespa necken. Schöpf 305.
kafle m. Sehrank, mhd. kaste^ ahd. ckasta, sloven. kadtin.
klstaer» Name in Zwisleru, Katzendorf, Altiaag, Hasenfeld 1750 bis
1800. Vgl. Kestner. — Victor Kästner hiess der mund-
artliche Dichter der SiebenbQrger Sachsen.
SiUb. d. phil.-hist. Gl. LXV. Bd. II. Hfl. 28
402 Schrot!!-
katscke f. Schlange, sonst jUsge s. d.; sloven. kaia.
kaifreehtlich 1757: die bei der Graffschaft Gottschee bestand'
lichefi Dorfrchaften und deren Unterthanen besitzen ihre
Hueben nicht mntweis, aopidern kaufrechtlich i).
latiead^rf, Ortschaft 1770 mit 18 Häusern. V'gl. auch •berkatiei-
darf.
k&wer m. Käfer. kAwerle u. plur. kAwerlaln. Ahd. chi^rar, mhd. kl^?er.
— Daraus slov. kiber.
keekarle n. Mehrzahl , kekarlaia das Sonnenwendrädlein , Feuerrad,
s. jimmittea rMle n. Auffallend stimmt hierzu im ungr. Berg-
lande keckerchcD, keckisck Lichtelein in der Kindersprache:
s, mein Wörterb. 69.
kedei sagen; gewöhnlich nur in der Rede eingeschaltet; kid ih sage
ich, auch nur: kl) katt er sagt er. Von dem Prät. fuhrt Elze 54
die Formen auf: er käat und kaite. Die erstere Form steht viel-
leicht für kät mhd. qiat, kat, die zweite für ein schwaches ktte
statt kidete, kedete.
Im cimbr., wo noch alle Formen erhalten sind, ist das
Prät. kat, aber auch kit (woraus das gottscheewische klat^ d. i.
k^at, wie r^asle für rSsle sich erklärt). Es ist der Umlaut des
Conjunctiys (der hier falschlich ö für w steht) in den Indicatir
Torgedrungen und kiat steht daher eigentlich für ket Auch in
Tirol finden sich Spuren dieses Zeitwortes. Schöpf 308.
keiket in wekaiket lecker, heikel. Wenn hier der Stamm von heik-el
enthalten ist (über dießWort s. Gr.Wtb. III, 394. IV, 2.101),
so ist das Tcrgeheiket.
(ktaea=) kam kommen, infin. Schon oben unter kan^ kam gekommen.
Iirle kam übel bekommen; sijt mir harte kam; harte s. oben
S. 106.
keisckef. Hütte. leisehlar m. Besitzereiner halben Hube. s. Fromm. V,
265. late und kaite, auch kau mhd. kti Gr. Wtb. V, 364.
kiei 699 werden ähnlich gebraucht. In Baiern ist hiosel
hiisler im Gebrauch f. keische, kensehler. Ahd. gahtsa do-
megticust daher ghaisseakaas. Schmell. II, 248. SloTenisch U^
ist yielleicht doch von mhd. bis, hais und kaiia von ghiase,
woraus zurückentlehnt keisekef
') Rectificatorittn de anno 1757.
Weitere MUUieilungen Ober di« Mundart von Gottschee. 403
Icida, Name in Neuwinkel 1750.
keioe, keiii«;t kenne, kennst. ^
kerkiseh m. Kehrwisch, Besen, auch kämt. Lex. 268.
ItnUff bei Mitterdorf 1770 mit 28 Häusern.
kenine f. Kornelkirsche , it. e«ml«la, sIot. dreialja; in Tseherm.
tschemille sonst tttrsach, besser tiraach S. 76.
kertitseke f. Bürste, ital. eardass«; vgl. Fromm. III, 332, slor. ker-
lene, Name in Nesselthal.
leself, Khesele, Name in Iniauf 18 60, in Schwarzenbach 1614.
kesse f. Tornister; vgl. Urbe; ahd. cheiiis, mhd. keiil (sdabi Lieders. I,
314); alemann. Kessel ohne Fusse, Stalder II, 96.
kefte f. Kastanie. Allgemein osterr. keste, mhd. keste.
le^taer, Name in Schwarzenbach, Steinw. 1 700 ; vgl. lästier.
int f. das Maul, ahd. ehiowa. Die Thiere haben eine keae (jbaine-
keie f. ein beliebtes Essen der Gottscheewer), der Mensch ein
maul n. s. d. Die Korpertheile haben in 6. vielfach die Namen
gewechselt. Vgl. legle n. Finger; schnale f. Nagel ; Utie f. Fuss ;
kreiie n. Rucken; prist f. Herz; httfe und schinkpain f. Schen-
kel; k«fe f. Hafte; pr&te m. Wade; krilge Hals; warschangkeve
f. Larve, Faschingsmaul; ArspUtte Hinterbacke, vgl. auch
kmieB. — leiebterkeae f. Lichtspahnkluft; vgl. leichter. r«lw-
stilkene f. s. d. Das Maul, die Zwinge der Schnitzbank.
Ilekatiei stottern; tirol. gigketiei Schopf 190.
U oder kfd fh s. ktdei.
Ulf gel, Name in Gottschee 1614. Chiekbel Kofiern 1680. Ilckel
Oberlosin, Mosche, Nesselthal, Koflern, Weissenstein, Alt- und
Neulaag 1700—1800.
illllAii, Name in Deutschau 1700.
kn^o husten vgl. kllsteri, keliei Gr. Wtb. V, 621. 704.
Ifad n. Kind. Nomin. s klid, Gen. kisde;, Dat. 'na klnde, Accus.
skiBd.
kltgh«f, Name in Langenton, Oberwarmberg 1750. ilinkapf Neu-
laag, Unterwarmberg 1750.
kfpfe f. Stemmleiste, Runge; auch kipf m. wie kämt. Lex. 158.
Schopf neutr. 3 1 6, vgl. Gr. Wtb. V, 780.
ibirta, Name in Nesselthal 1 680.
2S*
404 Sc h r d e r
kirtäe m. der Kirchtag; die bair. Form f. alem. eUlbe (ekilekwihe),
frank, kirbe (Kirchweihe). Das Vocab. 1423 hat noch dl eUrick-
bey 40'; nl. kernig (Kirchmesse) s. ungr. Bergl. Nachtrag 36.
kIrUgle n. gewöhnlich in der Bedeutung Jahrmarkt und so
schon 1471. im Privilegium der Stadt Gottschee.
kitschar (das Geschlecht ist mir nicht bekannt). Mehrz. Utockare
eine Bohnenart. jNebenform von Ucker f. ahd. chicherA, lat. cicer
s. darüber Gr. Wtb. V, 659, vgl oben I.
Clabaisters erben in Untertappelwerch 1S60. Ein Name, der an das
dunkle Wort nd. Uabiistera grübeln und klapaistera klopfen,
Gr. Wtb. V, 888 erinnert und wol in md. Gegenden weist.
Mampfe f. Klammer, vgl. Schmell. II, 356. Gr. Wtb. V, 943.
kl^a f. Klee. Gen. kitobef, Dat. kUabe. Das weibl. Geschlecht weist
nach dem Norden. In Aachen: die klie Müll. Weitz 112,
Gr. Wtb. V, 1060 fuhrt das Fem. aus Rist an; kamt., cimbr.
ist es m. n.
kl^aie f., Uiätiei Schrot zum Schiessen, mhd. Iü4f pila, sphaera
Schm. II, 366, vgl. Gr. Wtb. V, 1246 unter klasi 4, Kugel
zum Schiessen und kUti 1252: Geschützkugel, 1256: kUti-
bagel. — Es steht kitaie demnach für klaeie.
kliaie f. Name einer Pflanze, Klüze, s. das vorige W.
kleckkea gelingen, gedeihen, in dem Sprichwort: bkriaia, taaber;
kleckket et waintlain! Wahrlich, allein gedeiht nicht gut! mhd.
kleeken.
Meidang s. Jappe, ka6a;f , gflrtel, hflderle, w&tscbe, bkatel(unter w), pfait
klemmen im Scherz, für sehlenmea viel essen ; klemnea oad tiekkea
fressen und saufen. Kämt, klemmea geizen Lex. 160; ebenso
tirol. Schöpf 323. Hier scheint die Bedeutung tüchtig zugreifen,
(Gr. Wtb. V, 1139 b), zu Grunde zu liegen.
Uepeti, Name in Weissenbach 1700.
Metseh, Dorf bei Altlaag 1 770 mit 23 Häusern.
Metscb bei Stockendorf 1770 mit 11 Häusern.
kliekke f. Stock mit einem Querholz oder Haken oben , der durch
ein Heubündel oder eine Garbe gesteckt wird , um sie so zu
tragen; ftarbeastaek, vgl. Gr. Wtb. V, 1158: klick, klieke 4.
„ein kleines Holz über dem Schaufelblatt des Spatens, das
äusserste Stück des Steuers, Beschlag eines Kolbens etc.**
nl. Ulk der Handgriff am Steuer. Doch ist auch zu erwägen
Weitere Mittbeilungen über die Mundart von Gottscbee. 405
sluvenisch k^ika der Haken; näher noch der nl.' Form* und
Bedeutung steht slovakiseh kle6, klika Kipfe am Schiffe, Kurbel
zum Drehen, Palkowitsch 538, 827.
Uiekei spalten, illep dih k«l$bäriei erde spalte dich kohlschwarze
Erde, in dem Liede oben S. 71 f. vgl. kUbe. Hieben spalten
ist cimbr., kämt, und tirol. gleichmäßig im Gebrauche. Vocab.
1479: lerklieben sfendere; eUben fetto; dl klift sfendatura.
Voc. 1423: der behalter (s. kklder) ist lecUbei (fesso) an
iweiea entei ond dn pist sein sieht Idd bürden f. 11".
Iilid«rrbei Gottschee 1770 mit 33 Häusern.
Utbe f. gespaltener Stock; als Schleuder gebraucht, fand ich einen
solchen nur bei Kindern. Elze, S. 13 findet solche kUben als
Waffe des Hirten; „doch siehe dort unter dem Gebüsch den
Hirten ! Holzschuhe (kMjpen) bedecken seine Fusse, an welche
sie mit Lindenbast befestigt sind , ein weiter Mantel , ebenfalls
Ton Lindenbast verfertigt, hüllt ihn ein; ein breitkrämpiger
alter Filzhut, dessen Stoff* kaum noch erkennbar ist, bedeckt
den Kopf; in der Hand hält er eine Schleuder (klabe) und
ein grosses Rinderhorn**. klaben moraie vocab. ital. tod. 1460
f. 24* mein: vocab. von 1420, 2021 pedica vAilsea vel clabe.
iLltekhe f. Glocke, cimbr. Uacka f. CWtb. 137* nl. kl«k f.
Uaekhea klopfen ; Anklackbea anklopfen, am Thore ; ber klackbet tu
sa griilala wer klopfet an so fürchterlich? — Tirolisch
Schopf 325, kämt. Lex. 161. Alemann. Stald. H, 109, cimbr.
klackbea CWtb. 137'.
klaia klein, klain jei;e f. Nachmittagsimbiss s. Jeije f. klaiahappelela
Kleinhäuptlein d. i. Schafe.
kiaakatoe f- Schaukel, kliakatien herum schlendern.
kJaakatiar m. Mehrz. klnnkiktiare der Vagabund. Das Wort ist eins
mit dem in Gr. Wtb. V, 1299 von 1K88 aufgeführten: der
Bauch glaagkitft d. i. schlottert. Zu klaak, kinaker s. Gr.
Wtb. V, 1297.
klapf m. der Schreck, Ih bia darklapfel ich bin erschrocken ; mhd.
klopf) eben so bei alemannischen Dichtern. „Es ist wesentlich
schweizerisch« Gr. Wtb. V, 1302; aber auch kämt» , tirol.,
cimbr. t daselbst.
kaab garzon. vocab. 1423 f. 36; vgl. knackt.
406 S c h r d e r
kiackt m. Jüngling, im Gegensatz zur diene, wie cimbr.CWtb. 137^
kseckt, im Kuhlälidchen « ungr. Bergl. Siebenburgen s. meiu
Wtb. 7l\ Nachtr. 36. Gr. Wtb. 1382, wo letztere Angaben
fehlen. L^aakieckt m. der in einem Bauernhause dienende
Lohnknecht; vgl. Uaadiernle. Das vocab. 1423 hat kaab
garzon, kaeekt fante f. 36^ di dleni la fante» dirleia fantina,
Biait fantenha, maidleia fantuza 36\
ilknäpfe, la^pHe, Name in Reinthal bei Mosel 1614.
Iknaas und Kaeass, Name in Gottschee 1700. Bei den Cimbri fiudet
sich der Name fiaaas. -— laaaa ^ist ein alemann. Wort«* s. Gr.
Wtb. V, 1371.
ka6a;e f. Mehrz. kaiajea Strümpfe in Mosche. Ein seltenes Wort
und wol nichts anderes als ahd. eka^kasa caiza» d. i. Strumpf
Graff. IV, 1050. Sonst nennt die Strümpfe kaiekasei Golius
Gr. Wtb. V, 1428.
kaewel m. Knöchel. Deminut. kaewale n. Mehrz. kaewaiaia. — Diese
Form entspricht am nächsten nl. kaeyel, siebenb. kaiwel
(cimbr. kaibel Model?) s. mein Wtb. ungr. Bei-gland 71. —
voc. 1479 f. 12*^ dl kaaeflea li peruli. — *« kaewIpaMe Knöchel.
laewela §ik sich aufreiben, schinden ; sra; kaewelt jlk das Boss
reibt sich auf, ganz wie nl. kae? elea knebeln, martern, aber auch
schinden. Es ist dies Wort hier in Gottschee um so beaehtens-
werther, als es steirisch, tiroliseh, cimbrisch nicht nach-
gewiesen ist. Über das Wort ist zu vergleichen Gr. Wtb. V,
1376 untar kaebel 10. 11 (wo aber die nl. Bedeutung von
kaefel: »das Gelenk am Pferde, wo der Sattel drückt** nicht
hervorgehoben ist) und kaobel 1514, kaibel 1448.
kala n. Gen. kalabej Knie; ka^aje f. Kniehose s. d. Gotisch kala«
Gen. kaiflsi ahd. kala, kaiwes.
kaalle f. Erdscholle. Altlaag. Daher das Deminutiv:
kallle n. Mehrz. kadllala eine Mehlspeise von runder Form , sowul
Klöße als Strudel; alemann. kallleU von kaalle Semmelkloße,
Stald. II, 1 15 ; vgl. Gr. Wtb. V. 1468: kaHlelela. Kämt, bedeutet
kallle nur Knollen, Lex. 102. Die Mehlspeise aber kaadel, eia
Wort das in Gottschee fehlt; eben so tirol. Schöpf 329. —
Vgl. üler das Wort Gr. Wtb. V. 1464.
ftaapf, Name in Kofiern 1700.
Inipfle s. ilhaipfe.
Weitere Mittbeilangen iiher die Muodftrt roii Gottschee. 40 T
kit$pe m. Holzschuh, ital. e«8p«. Ducaiige. cispos sandalium,
x90<7;rc^ £xtX6no\j^ etc. s. Schneller S. 13S. In den bair. Alpen
kMspe Schmell. II, 376, tirol. knatp Schöpf 330.
liMpler, Name in Reichenau» Schalkendorf, Mrauen, Niedermösel,
Skrili. Fliegendorr 1750.
ki«w«l m. Knoblauch, kämt. kiiMfel, cimbr. ka«Tel«eh, schwäb.,
österr. ki^fel, Schmid 320. Castelli 145, Gr. Wtb. V, 1449.
Mbe, Gottscheewer Familienname bei Elze, S. 40. €«bb« ist ein
altsächs. Name des IX. Jahrh. s. Stark Kosenamen 1 1 7.
Metitsch, Name in Deutschau, Schöflein 1750.
Militief. Kuh, die nicht zugeht; vgl. etwa k#bel Stute, Gr. Wtb. V,
1540, im ungr. Bergl., Wtb. 72, und -ilie. Im Sloyeniscbeii ist
k«billea die Heuschrecke.
ktekkde f. n. zum Kochen bestimmter Vorratb an Rüben, Kraut etc.
im Keller. k«chkdle n. Mehrz. k^chadUii die Tracht Speisen,
was auf einmal aufgetragen wird, alemano. k^ckete f. Stald. II,
118, kämt. k«ckade in der Bedeutung; wie hier k^chadle
Lex. 163. Hingegen für die Bedeutung in erster Form erscheint
sonst der Umlaut k«chet s. Gr. Wtb. V, 1561. Vgl. Maebkde^
^albkde, fmirbkde. Diese Bildungen treten in Masse in der
Schweiz und in Franken auf, s. darüber Gr. Wtb. V, 1561,
kaehet c).
Ik«daf kh, Name in Mitterdorf 1 700.
k«wel m. Mehrz. kiwle Hügel» Steinhaufe , steinichter Grund ; kafel
in den bair. Alpen. Tirol, Kärnten, Gr. Wtb. V, 1574, cimbr.
katel Höhle, Rinne, ital. caya, cavile) Wälschtirol. cael (zwei-
silbig) m. im Cod. Wangianus covalum s. Schneller, S. 103.
k«ffe f. die Hüfte. Daher kafea in aaskafea, aasgekaflt verrenken,
verrenkt. Ein seltenes Wort; ahd. gafk dunes Grafflll, 176,
mhd. gafe, gafe f. Hinterbacke, mhd. Wtb. I, 552. Wie es
scheint in md., zum Theil auch in alemann. Gegenden, ver-
breitet. Ober die Bezeichnung der Korpertheile in Gottschee s.
keoe. Die Hinterbacken heissen in G. krsplktte s. d.
kafler, Name in Klindorf, Verdreng 175.0. Der Name lautet bei den
Cimbern, wo er auch vorkömmt Caveler im Cod. Wang. Caval»
larios, Schneller, S. 103 und oben kawel.
I«flera, Ort bei Mitterdorf 1770 mit 39 Häusern, vgl. kawel»
lafler.
408 S c h r ö e r
k«ckalien 1. stottern, 2. krähen. Lex. schreibt gäggatiei S. 106;
vgl. Gr. Wtb, \\ 16, wo auch die Bedeutung Krächzen der
Elstern aufgeführt wird. Sonst findet^ sich die Bedeutung:
stottern bei klcketien, s. Gr. Wtb. V, 662; vgl. Gerland Inten-
siva und Iterativn S. 12.
kalataehe f. kranzPörmiger Osterkuchen mit einer Fülle aus Hanf
mit Eiern oder Hanf mit Honig. Über das Wort vgl.
C«leteheB, CaUatsche G. Wtb. U, 629.
kallar m. Halskragen; in Tirol (Sarnthal) Halskragen von Linnen.
Schöpf 199; eben so im ungr. Berglande, mein Wtb. 55
Nachtr. g41a n. S. 29. Über das Wort s. Gr. Wtb. V, 1614.
iallitsek, Name in Neuwinkel um 1800.
CalaiaDB, Name in Malgern 1680. lallmaM Altlaag, Windischdorf,
Hoheneck, Krapflern 1780. — InPresburg finde ich anno 1379:
GkalnaiiBis und CaUaiaiBis, in Neusol 1390 CkalaiaBB und
CalaaiaBB, in Schemnitz 1888 lailmaBB. Ebenso in Marburg
1478 und KalaiaBB Pfarrer zu Gämbs 1480.
nkameradeB Kohlrabi**.
iamaieB kleines Dorf 1770 mit 10 Häusern. Ich finde es 1614 auch
ftaaiflk und ftanatiea geschrieben.
kaaa f. (=kaDk) das Eheweib, mhd. kaue, ahd. ^nHkj got. qtai. lala
ergtei k9nk pist da geb&a, meine erste Gemahlin bist du ge-
wesen, in dem LiedeS. 46. Daher: kaeiMaa« kaeaweibTOc. 1479.
kaae f. Trauung; le kaae gAaa heirathen. S. oben S. 112. — kaa-
leite Eheleute. „Die Kon und Ehewirthin**» „Kon und Haus-
wirthin«* kommt wiederholt vor in „Brautsprfiche und Lieder
auf dem Heideboden in Ungern. Wien 1867. Braumüller*'. Über
das Worts.Gr. Wtb. V, 1689. kaisehaft matrimonio. voc. 1479.
IMg, Name in Sele 1680. Iniauf, Mrauen» Weissenstein, Winkel,
Hohenberg» Rothenstein, Malgern, Schalkendorf, Altbacher,
Neubacher, Altlaag, Kuntschen 1780. Bei den Cimbri: Ihaaich.
Chonich. In Marburg liiick, Chailg 1321—1394.
iapriaa, Name in Gottschee 1760.
karb m. Ruckenkorb, wie in Kärnten ; vgl. tocharbe.
lasar, Name in Sele, Katzendorf 1780; vgl. lasar.
kiasel f. Harfe zum Getreidetrocknen, kirnt, klsn, kahea. Lex. 168,
tirolisch k«se und kass, Schöpf 338; wird in Gr. Wtb. Y, 1842
zu norwegisch kas, schwed. kas, altnord. kis f. aufgeschichteter
Weitere Mittlieilun^en über die .Mundart von Gottschee. 409
Haufe Hol%, Heu u. dgl. kasa aufhäufen, gestellt (daselbst ist
auch gottscheewisch kiasel angegeben). Slovenisch kiielc,
kaue und kailec bezeichnen denselben Gegenstand, der in
Gottschee aber auch karpfe genannt wird, was S. 106 nachzu-
tragen ist, woraus auch slovenisch: harfa^ karpa.
kitjela speien; vgl. aiemann. gisela Stald. I, 501 und kasela sudeln
u. dgl. Stald. II, 124; vgl. Gr. Wtb. V, 1842. doch auch slo-
venisch: kaiUti speien.
kt}itie f. Reine, Dreifuß. Vgl. ralne.
iMler, Casler, Name in Gottschee, Rick 1614, 1 ti84.
ItMler, Name in Hoheneck, Tiefenthal 17S0.
Itssar, Name in Sele 1780, vgl. lasar.
lifsi, Name in Setsch, Morobitz, Mrauen 1750.
ktjtea kosten, ahd. castin, mhd. kastea, dah. slov. ka^tatl.
iMtel, ein Ort, der schon in der Urkunde von 1363 oben S. 13
genannt wird, hieß ehedem auch ftrafeawart; so in der Auf-
zählung der Cillischen Guter im Codex 2967 des Gräzer
Joanneuros (XV. Jahrb.) „firafenwart ader fiasstel*'. Daselbst
Codex 243 f. 39 (circa 1436) „li den Gastet gelegen«', ,.drei
iiikea ia lastel lader der kiriehea*'.
kiit n. der Kot; vocab. ital. tod. 1479: kaat fange, —klatl, k^atl n.
ein Dreckklumpchen. ; maran; rtat, ; abaad; kfot! Sprichwort.
ktatic, kiati, kotig; dar kiatia der Kotige.
lalsckea bei Rick, 1614 auch fiätscbea geschrieben, zählte 1770
vier und zwanzig Hauser.
kattel m. Baum zwischen den Hausern, vgl. Gr. Wtb. V, 1899:
kalter) so auch bei Schöpf 366. Lexer 1 65.
»ikattl spalten, z. B. Lichtspäne**.
kalte, Name in Moos 1750.
I«wltoch, Name in Weissenbach um 1700; vgl. slov. kavi6 Schmid.
kri f. Krabe; mhd. krk, Sanskr. kArava» lat. earvas, ahd. ekrawa, wo-
bei die Lautverschiebung stockt; s.Hildebr. inGr. Wtb. V, 1968.
frabalk, Name in Morobitz um 1700.
krabs ro. Krebs. Im Kuhlandchen und im ungr. Bergland krkbeß,
Nachtr. 37, mhd. krCbei.
krage, krigen m. Hals, vgl. keae.
krAgerie n. kleiner Spund, vgl. pall.
irlgger, Name in Gottschee 1614.
410 Sehröer
krAaken lärmen; ^ verkleinert** krleken, kr^aken ein wenig lärmen,
durcheinander schreien; keUln kr^ak^ii} i;t geb&i, solch ein
Lärmens ist gewesen ! Es ist hier anzunehmen ein kraikes für
krAkea, das enthalten ist in kraikfltien glucken Gr. Wtb. V,
2088. DieO kr&ken mahnt an die Form krAke neben kracke
Krähe Gr. Wtb. V, 1927. Davon abgeleitet wäre die Bildung
kreken, wenn ein Fall nachweisbar ist, daß ein «, wie das e
und oe, in Gottschee auch ^a, ie gesprochen wird. Deshalb
dürfte hier immerhin zunächst das slov. kr^gati schelten, sowie
zu kraikea slov. krikati krächzen,' krikar Rabe, lett. kraoklls,
poln. krak zu erwägen sein; da bei diesem Worte in den urver-
wandten Sprachen die Lautverschiebung stockt, s. kri, ist es
schwer zu entscheiden, auf welcher Seite Entlehnung stattfand.
Ganz zu trennen ist wol von diesen Formen : kreekea s. d.
Crakkar^ Name in Krapfenfeld, Stockendorf, Craker, Nesselthal, Iraker,
Schalkendorf, Altlaag, Komutzen, Nesseithai, Krapflern etc.
1800, vgl. irägger 1614, nl. kraker Nussbrecher.
krackhe f. 1. das Kernhaus im Obst, 2. Unreinigkeit im Augenwinkel.
Letztere Bedeutung hat auch cimbr. kreka Wtb. 138, tirol.
gregken Schöpf 210 vielleicht ahd. kriftckaf^ sie steckt in dem
kämt, greggaiget Lex. 123. Schmell. fQhrt an die Foi*men
grieka, gralkn, graika II, 107, wozu von Hildebrand das
Schweiz, grlegel, griengel, mrh. kranke! verglichen wird (aus
Presburg kenne ich fQr die zweite Bedeutung den Ausdruck
ranakerl n. vgl. kämt, raaagga Lex. 205) Qr. Wtb. V, 1929.
krackje f. Ruckenkorb, TragrefT, cimbr. kraka$a, tirol., kämt, kraxa,
kraxe, vgl. Hildebr. in Gr. Wtb. V, 1925. Wälschtirol crichesa;
Schneller 135. Im ungr. Bergl. kräckse, s. m. Nachtr. 37\
Iraiaer, Cralaer, Ireiaer als Name in N. Losin 1560. 0. Losin,
N. Losin 1614, 1680. Kofiern, Sele, Gotenitz 1750.
kranalgela prickeln. Der erste Theil des Wortes ist wol kma m.
Krampf Schmell. II, 385; der zweite aigela, kämt, fgeia trans-
ponirt aus ilgera s. Leonh. Frisch I, 487 ; vgl. ellea Gr. Wtb. IIU
108; aus ahd. ilgi fames vel Stridor dentium Graff I, 245 zu
lithauisch : alkster fame uri , das Bopp zu sanskr. Alpa stellt
glossar. compar. 24.
ilraner, ftraner, Name in Gottschee 1669. Malgern, Kletsch, Idorobitz.
Altbacher, Ebenthal 1780.
weitere Mittheilungeii üher die Mundart von GotUcbee. 41 1
kriiei krähen ; bie schdane krdnent di huänder,
bie schöane ^ingent $eu!
Jäckhel, bec deu Mtne!
(Jacob, weck Marieeheo)
Mtne bär sehon auw.
bec dar ändar ä deu $aine I — Bie scböane etc.
Weeklied aus Mitterdorf; vgl. iMche. Es liegt diesen Weck-
liedern wol der liebliche Brauch zu Grunde, daß die jungen
Bursehe des Morgens durch den Ort ziehen und neckend mit
ihrem Gesang die Mädchen wecken.
km Kranich; s. daröber Hildebr. in Gr. Wtb. V, 2018. krti 3. b)
nl. kraai nd. krai. Dieß Wort ist enthalten in : krUiablde f.
Wachholder, ahd. kranawit, cimbr. kraiablta, kämt. kr«M-
wctta, tirol. kraiewit. — kr&iwigle n. Drossel; vgl. nl. kraai-
f#gel Kranich und das folgende Wort.
kraip«Ue f. Wachholderbeere ; polle f. Bolle; vgl. S. 57: pllbele. —
Eigenthumlich der Gottsefa. Mundart ist, daß in kranvlgleli,
wie im nl. und krUipolle: brau allein, ohne -wit zur Zusammen-
setzung dient. Docb kann erstcres, mit Verschiebung des Be-
griffs, auf n). kraattfogel zurückgehen, letzteres dann als kra-
■lehkttfelcheii verstanden werden (an kr& Krähe s. d. ist nicht
zu denken, weil die Mundart hier k spricht).
knailaii piitei n. das Kranzbindeu vor der Hochzeit ist ausfuhrlich
besprochen^ oben S. 113; vgl. das kmiitgebeii im ungr. Berg-
lande mein Wtb. 73.
Irapf und Kropf, Familienname in Krapfenfeld 1684. In Marburg
1468 Kraph.
krapfeafeld bei Gottschee zählte 1770 82 Häuser. Der krapfe
heißt in Nürnberg ein Waldbaum, der nicht in die Hohe wächst.
Ob der Name daraus, oder aus krapfe Pfannkuchen, zu erklären
ist, so steht doch fest, daß die Ableitung von firafeafeM, die
die Krainer Wortforscher aufgebracht haben, falsch ist. In
Fällen wo die Urkunden nicht sprechen, ist die Aussprache des
Volkes noch immer ein besserer Anhalt, als alle Klügeleien der
Willkür. Der Gottscheewer spricht hier nicht griweawald,
sondern kräpfenwald. Wahrscheinlich hat die Familie Irapf, die
sieh jetzt Krapf schreibt, einem Felde den Namen gegeben,
danach der Ort genannt ist.
412 Sehr ö er
KrAsch^witi, Name in Neu winket 1750.
krAjela kriebeln, kitzeln, Wimmeln; vgl. mhd. krisela krauen und
'Hildebr. Gr. Wtb. V, 2068 unter kragen. Zunächst aleman.
kraselo wimmeln, fourmiller Stalder II, 130.
krecken knacken, z. B. Nüsse, wie kämt. Lex. 167; tirol. kreekei
verrenken. Schöpf 242; vgl. Hildebr. Gr.' Wtb. V, 1931.
kreiif, krelsie f. Geflecht, besonders darakralBie f. das Gitter, auf
welchem in der darre Obst gedörrt wird. Mosche. Der Vocal
ist nicht auf mhd., ahd. ei zurückzuführen, sonst musste er
österreichisch d und oa, in Gottschee aber oi lauten: es bleibt
nur übrig älteres { oder in (nhd. eü) anzunehmen, wodurch die
Formkreinie) Hildebr. Gr. Wtb. V, 2144 gerechtfertigt würde.
MkreUfener, kreitfeoer oder krenifeier n.** Signal feuer auf den Bergen,
schreibt Elze S. 18 statt kreidfeier aus ital. grida Kreide d. i.
Schlachtruf; s. Hildebr. Gr. Wtb. V, 2137. kreMeifeier,
Sehmeiler II 381. Schöpf 343, Gr. Wtb. V, 2124.
kresweier n. Johaunisfeuer; vgl. jiMitlei von slov. kr^s Sonnen-
wende, Johannisfeuer; kresatl Feuer schlagen; vgl. darüber
Grimm. Myth. 690. Daher:
krdssei, kr^assen, krUssett Johannisfeuer machen ; s. kresweoer.
krdtschat hinfällig. Etwa lerkrltscht s. krätsehea Gr. Wtb. V, 2069.
Kren, Kkren, Name in Malgern, Taubenbrunn 1860. In demselben
Jahre 1560 ist geboren zu Laibach Tham. Chr#ii (f 1630)
s. oben S. 18. Er konnte wol aus Gottschee stammen. Ich finde
den Namen noch in Orth 1614; ftreen in Linfeld 1684. Irii
in Mitterdorf, Orth, Oberern 1750. Irenn Oberern 1780 etc. In
Marburg Chren 1399.
Iresse, ir#88e, Iresse, Name inG., Klindorf, Schalkendorf 1 684 — 1750.
Ireiland, Name in Windischdorf, Mitterdorf 1750.
kreiie n. der Rücken; vgl. keie. — krenielifen sehAgen schielen.
krlllen hinken, auf einem Fuße hüpfen.
CrlMail, Name in Reichenau 1614. kronail Reichenau, Nesselthal
1700-1750.
krippe f. Krippe.
Irisch, Name in Hinterberg, Otterbach, Pröse, Kotsehen, Malgern,
Morobitz 1750.
Crise, Krise, Name in Hoheneck 1614. Chrise Katzendorf, Kotschen
1614. In der Schweiz ist Chris (mit dem deminut. i Ckrisi, was
Weitere Mittheilungen über die Mundart von Gottscliee. 413
in Gottschee Chrise lauten muß) die Koseform von Zacharias
Rocholz bei Fromm. VI» 457. Vgl. das folgende Wort.
Iriieke, die Aussprache dieses Namens ist krije (mit weichem ;);
daher ich die Schreibungen Krise, Crise, Chrise für die richtigeren
halte obwo) ich Crisehe schon 1614 einmal in Kotschen antreffe
(Crise dreimal). Sonst erscheint das seh zuerst 1684: irisehiBB
ei cifitole (wo Krisch, vielleicht ein anderer Name, zu Grunde
liegen kann). Erst im XVIII. Jahrh. wird seh allgemein und
finde ich nun Krisehe, in Nenfriesach, Sichei vormals bei Brunn»
Prose, Moos» Wretzen, Tiefenthal, Pogorelz, Weissenbach,
Rusbach, Rossen, Obertappelwerch, Gotenitz, Kotschen 1750.
Hingegen 1783 noch einmal Krisse ex Hohenegg. Der wackere
Pfarrer Johannes in Morobitz hat seinen Namen daher nicht
Kriie schreiben zu lassen, wie der Schematismus der Laibacher
Diöcese, der gerne slovenisiert, schreibt, sondern Krise, was ale-
mann. Ckrisl, von Chris Zacharias oder kriesi Kirsche und nicht
von slov. krii Kreuz abzuleiten^ist Von letzterem stammt vielleicht
der Name Krisch s. d. Daß ein deutsches srh in dem Namen nicht
enthalten ist, sondern s, beweist die Aussprache, die das deutsche
seh nie weich spricht; vgl. wische (Fische) und bije (Wiese).
UschntBO, Ortschaft 1770 mit 5 Häusern.
krijp, kraus, krijpen in Falten legen; vgl. ital. iicrespare
von tat. crispare. Ehemals trugen die Männer in Gottschee,
erzählte man mir: knnei gekri$pate ha$ei mit wAtsehea kurze
gefältelte Hosen mit Gürteln, witsche f. der breite, gezierte
Ledergttrtel, wie noch die Tiroler tragen; s. Schmell. I, 578:
die fätschen 2. ist nachzutragen oben S. 81.
krtekatiea rülpsen, ahd. crtekefan crocitare, mein Vocab. von 1420
hat cocinare eraekeiia.
krtialAid Krain, s. das Lied S. 47.
krideUde f. Viburnum; auch kadebide hörte ich in Mosche. Da der
2. Theil des Wortes bide so genau zu ahd. wita stimmt (vgl.
kriaa-bide unter kraa), so erscheint hier eine zweite Zusammen-
setzung mit diesem seltenen Worte vorhanden zu sein, was um
$0 merkwürdiger ist, als weder im mhd. noch ahd. eine andere
Zusammensetzung als jene (kraaawita) nachgewiesen ist; —
krude-, kude — ist mir nicht klar. Älemann. luratte-beere
Frucht des Faulbaumes wäre zu vgl. s. Stald. II, 135.
414 Sehr ö er
kriiUscIi ütarr; in Altlaag krickUch. Gehort wol zu krackke s.
dieses, vgl. auch tirolisch: gnigkei Fettgraupen, Schöpf 218.
Irnliti, Name in Weissenbach 1700.
knli grunzen, slov. krülitl. Vgl. kriBies. Wieder eine Verschiebung
der Begriffe; vgl. keoe. Ijexer fiihrt an : frolUr Übername, kennt
aber ein verb. gnlo nicht S. 125.
Irub, Name in Rusbach 1750.
ftnnail vgl. Criuil.
krauen greinen, grinsen; ahd. granten hat ähnliche Bedeutung,
caperare Graff IV, 329; vgl. krnla.
Irflsche, Name in Katzendorf, Hoheneck 1750; vgl. Crise.
krifpei knirschen ; vgl. haekhei« krajpare (Mehrzahlform) Knorpel-
kirschen.
kflckltrii f. Wöchnerin; wol zu: es eiaem kttecUea ihn pflegen.
Schmeller II, 279. Stald. II, 139. Schöpf 357.
kiekhe m. der Kuckuck, cimbr. kick« CWtb. 139, vocab., ital. toil.
1460: chiek« gigk«ch 29\ Tirol, gigker Schöpf 222. In dem
Liede der kickke: M seh^ane kiekhet dar kiekhe erscheint
kiekhen auch als Zeitwort für den Ruf des Kuckuk; schon ahd.
gneein, mhd. gvekei, tirol., kämt, gigkei, giggei« Lex. 126.
cimbr. kieken, CWtb. 139.
Der Kuckuck (kuckhe). <)
Bie wrue ijt auw der kuckhe !
ar st^annot § m6aron§ gär wrüe auw; kucku!
ar beckot auf deu mueter $ain: kucku!
„steat auw, steat auw o mueter main, kucku !
g^at, kochet mir dan wöarmais, kucku !
i hän es beute bait ze ff^an, kucku!
bait^ ze g^an ins Niderländ, kucku !
in*s Niderland und zar lieben main!** kucku! .
auw ift gesteanen de mueter jain,
§i kochet imon dan wöarmais schean, kucku !
dan wöarmais schean, de jeu§en &, kucku !
ar wlichot ahin in's Niderland,
<) Da mit diefem Theil das Wörterbuch vollstündig in den Hunden des Lesers ist, se
ist die Beigabe der Übersetzung der Spracbproben wol nicht mehr nöthig SberaU
und wird z. B. Obiges auch ohne Beihilfe Tprstandeo werden.
Weitere Mittheilangeii fiber die Mundart toii Gottschee. 41 S
\na Niderland zar lieben ^ain.
benn ar &wer hin i§t kam,
kloekhet ar pain wan^ter an :
«i^t main deu liebe a hoime?*<
deu liebe dain \§t et a hoime,
§i i^t in ruasengärten,
§i prichot ir de röe§ geliecht !
Zabeu hent ir de röe^ geliecht?
§i bert heint de kranzlain pinten,
^i geat dir moafn ze kone
mit ir dam näeh§ten dan lieben,
^ber i§t ir dar nächst dar liebe?*«
dar nächni^te gemoinar! —
bie loidic barot dar kuckhe !
ar wiichot bider hinter^ih.
pain bäge da i§t a heuschober,
ar ^itzot hin awn heuschober.
bie loidic barot dar kuckhe:
„0 liehen, lieben, lieben main \**
und töat da barot dar kuckhe.
Gewöhnlicher Zusatz: und sait dar zait kucket koin kucke mer,
bie ar an ersten heuschober sichot.
Der Kuckuck, der Frühlingsbote des Volksliedes sonst s. Uhlands
Schriften III, 23 ff., zuweilen auch Symbol des Undankes, s. V'ilmar,
Handbuehlein des Volksliedes S. 187, wol auch noch der Treulose,
erscheint hier, als der betrogene Liebhaber, rührend in seinem
Sehmerze, der ihm das Herz bricht. Die mir bekannten Kuckuckslieder,
z. B. Uhland S. 43, 387, 679, weichen ganz ab.
Iickher« Name in Gottschee bei Elze 40; vgl. Vllek.
kllei bellen, kämt, kili, tiroL, bair. Lexer 164, Schöpf. Ahd. ekalUi,
mhd. kalleD schwatzen. Vgl. Schmell. II, 288.
kiflt f , d. 1. kafli die Zauke; killfi f. meretrix, de« kaflfn Jag^t
}fk die Hundin jagt sich, d. i. ist läufig; vgl. k^llel Hunds-
name; tuet de koUal allwal belln etc., schottisch etllie ein
Schäferhund, Schmell. II, 290, tirol. gole Hund, Fromm. III,
325 fehlt bei Schopf. Weder ital. eagDA noch slov. kas^a
stimmen. Elze 55: „küll«, kaUln Hündin'*. Das daselbst ver-
glichene gifla, lakel Graff IV. 183 gehört nicht hieher.
416 Schröer
kanneraie f. das Elend, die Kümmerlichkeit; vgl. slovenisch kiHeri
mager, knmeriiast iMagerkeit. Aus Roman, cambre s. kampar.
^^kannerle elender Menseh**, Elze SS; vgl. kflnerle, Sehmell. IhW.
kflmerliai^ Stalder II, 140. Vgl. kammeraie, kamper.
tanmerdarf bei Nesselthal, hatte 1770 dreizehn Häuser.
Camp, Kanp, Kampf, Name in Krapflern 1S60.
ILamb, Name in Schwarzenbach, Mosel, Mosche, etc. 17S0, Stocken-
dorf 1867.
Kampe, Name in Krapflern 1614.
kämpf n. und kamp Wetzsteinbehalter, so auch cimbr. CWtb. 140,
kämt., tirol. Lex. 169, Schöpf 3S% bair. Schm. II. 302. Im
ungr. ßergl. gebraucht man dafür das md. Wort kiti f., die
Kütze, sekUtekiti Nachtr. 37\
kaakea glotzen, mit Begier dem Essenden zusehen. Das Wort stimmt
in der Bedeutung auffallend zu got. kai^aa begehrlich nach
etwas trachten. Marc. 10, 24, englisch haae schmachten Gr.
Gr. IV, 841, alemann, „haagea wird von Bäumen gesagt, deren
Blütenknospen vor Trockenheit nicht ausgehn können**. Stald. II,
63. 6e- vorzusetzen, das mit h zusammen k wird, ist der G.
Mundart zuzutrauen, s. 6. und oben S. 132 [297].
taatsehea^ Ort bei Altlaag, hatte 1770 drei Häuser.
tapb, Name in Otterbach 1700; vgl. Camp«
„kapitie, papttie Nabelschnur. **
Urehlera, Ort 1770 mit vier Häusern.
karle n. kleines Messer.
taschel bei Struschnitza, Ortsname.
tasele, Kassel, Name in Eben, Götenitz 1800.
Casolt, ILasalt, Name in Kletseh 1S60, in Schalkendorf 1614, in
Reichenau, Untersteinwand 17S0. Vgl. den trank. Namen Cas-
wald, Paul. Diac, I, 2i.
Kaff, Name in Mosche 17S0.
L wird R in priajiaieh Blindschieiche; rearkeUe Lerche s. d.
Im In- und Auslaut neigt es sich zum i und u: bkM, bkad, hli}
Hals u. A. ; vgl. oben S. 24.
laai^, Altlaag, Pfarrort, zählte 1770 sieben und sechzig Hauser;
Neulaag 17. Gewöhnlich Liag, Lkag ) der Laagar, Mebrz. lat-
gare, dl Laagarla. — later-Lag zählte 1867: 1000 Deutsche,
Weitere MittbeilnDgen über die Mundart tob Gottecbee. 417
640 Slovenen. Alt-LMgblehel, Ort 1770 mit vier Häusern;
Nei-Laagbiekel mit drei Häusern.
liek leck, gesprungen, vom Holzgeschirr. Die Form Ueh nd. Uck ist
auch durch die kämt. Form leek Lex; 174 verbürgt. Daher:
lickatMM lechzen, zerspringen, Uck s. d., sein, ebenso kämt, leekat-
lei Lex. 174. Im ungr. Bergl. noch leckes , erleekt, derleekt; s.
darübermeinWtb.S.76''(188). So auch alemann. Sta]d.U,162.
Jiche f. Schlangenhaut**. Dem Vocal nach stimmt nur etwa kämt. lAekele
penis; liek gruen Lex. 176. Zu mhd. lefck stimmt der Vocal nicht.
UcbkAwar m. Maikäfer.
LuUia, Ortschaft 1770 mit zwei Häusern. In Suchen bei Nesselthai
erscheint Lachina als Personen-Name 1750.
Ufireaer n. Lauffeuer, Nesselausschlag.
lifele n. Mehrz. lagelaiM über 20 Maafi haltendes Faß. Kleinform
ligele n. — Ein pitriek m. hält 20 Maafi; ein patsekale u. etwa
2 Maafi. Vgl. Schm. II, 447. Schopf 359. Weinhold 359; im
ungr. Bergl. Wtb. 75.
lal nur, gleichsam, eben; auch kämt .'Lex. 170, tirol. Schöpf 380.
Dazu ist zu vergleichen Jac. Grimm in Pfeiffers Germ. III, 48,
wo abd. le, IIa Graff II, 31, 33 verglichen wird (die Stelle bei
Notker: waz muost tu mih IIa* tageliches mit ttnen chlagon?
kann ins Gottscheewische in der That tibersetzt werden: waß
mfie§t tu mih la! mit tainen tagelainen chlagen?); wenn es von
mhd. liek abgeleitet werden soll , ist auch der Wegfall des ch
auffallend. — lal kar! nur her! s. oben S. 118; — lal ak4
nur so! wenn man auf die-Frage warum? keine bestimmte Ant-
wort zu geben weifi oder zu geben Lust hat, wie im ungr.
Bergland ije a sagen, in Schlesien und in der Lausitz : si g&ra ^
s. meinen Nachtrag zum Wtb. der Mundart d. ungr. Qergl.
S. 28\ Weinh. 27, Anton VIU, 12; — lal nlsek! nichts! — lal
Mler, lal b^Ie, lal bte der, welcher, e, es ; — lal bi dort, wo. —
In letzteren beiden Fällen (lal bUer, lal bi) hat das lal hin-
weisende Bedeutung; latb&r, latkar gleichwahr, gleichwol, wahr-
lich, dennoch; näek dalner iln Ik mlk lalbar et! über dich
enEÜme ich mich gleichwol nicht; sekiaiie dlemle l§t lalbar et
kaa schönes Dirnlain ist gleichwol nicht gekommen; seklaae
4ianlf Ift lalbar A kaa schönes Dirnlein ist wirklich auch ge-
kommen; so in dem Liede oben S. 101 — 108. Dazu ist zu
SiUb. d. phU.-hitt. Ol. LXV. Bd. II. Hft. 29
418 8 c h r ö e r
vergleichen tirol.» karnt. leisiMar, Uk^Mar Lexer 186. Schopf
384 ; aus dem oben besprochenen lei und mhd. &• maret bair.
^eisanar SchmelL II, 426. Fromm. III, 311, neben dem auch
^in kürzeres lelmar enthalten scheint in dem tirol. ietaerst,
Schopf 384; das dieser kaum richtig auflost, in lel-aB-trst
Laibaser, Laybiaser, Name in Mitterdorf um 1700— 1750.
laleke f. der Leichnam und das Leichenbegängnis. Bei letzterem waren
ehedem Wiadliekter üblich; jetzt werden bei Seelenmessen in
den Kirchen breaaeade WaehsUehter vertheilt. Vgl. jlbeate,
blldeskrait, leicke.
laieh -lala scheint aus mhd. -liehea hervorgegangen, indem, wie oben
bei lai (wenn es aus Itek entstanden ist), das ch ausgefallen ist
und die Flexion angehängt wurde ; vgl. walatlaia, kämt. feiatU«
mhd. Ttatltehea ) mhd. aaser tegellckes br4t heißt im Vaterunser
in Gottschee : Ba§er taglalaes prAat, s. oben S. 89. So : grialeii
mhd. griiweltekea, birlaia mhd. wArltchea, biaderlafa, mhd.
wiaderltekea. Das Adjectiv ist nicht z. B. baaderlatekea robd.
wiaderllekii, sondern: biaderlalaea, gleichsam mhd. waader-
Ueheaia s. das Lied oben S. 101 — 105: bks Ift dks wir alie
biaderlaiaei laichet
laiderle n. der Schlußriegel am Halsring des Ochsen, auch tttscke
f. genannl; vgl. altsächs., angels. hltdaa schließeti.
lainit, laiaiat, laaiaU f. Leinwand. „Die Vermoglicheren handeln mit
Leinwad''. Valvasor XI, 197 f. Cimbr. lalMt CWtb. 141*:
kämt, leiawet, ielwat Lex. 176. mhd. ItawAt.
laltgab m. Schenkwirt, laitgabea ausschenken, mhd. Ittgftbe. Vgl.
Leltgak.
Lakaer, Familienname in Gotenitz 1660. Nesselthal 1614. Elie
findet denselben noch 1860. Im ungr. Bergland kenne ich ihn
aus Neusol, von wo er nach Wien und Presburg gekommen ist.
Lakaera, kleiner Ort, zählte 1770 drei Häuser.
laaiparter, Name in Hornberg 1K60; in Schwarzwald, Skrill 1750:
in Mosel 1867. — Mhd. Lamparter der Lombarde, Langobarde;
leh wil ais fara gea teitiea laadea aüt kaafaiaasckata : Ich pla
vaa Laaiparlei) cod. ital. tod. mon.1460. 3^ Der Name bezeugt
eine Zuwanderung aus der Lombardei.
Laaipelt Name in Wretzen, Tappelwerch 1 750, 1 858 ; auch im ungr.
Bergland (Schemnitz).
Weitere MittheiluDgen fiber die Mandart tob Gottschee. 419
\wmflt n. Lämmlein ; auch jHges wihe, denn Vieh gilt vornehmlich
Tom Schaf. laMpitse f. weibliches Schaf; eine Bildung wie
mhd. luie die Löwin aus lewiue, lewalie und slov. •§!!€€
Eselin, aus asel u. dgl; s. Gr. Gr. III, 339. — Die Bildung
kommt auch kämt vor laBpiien f. lamperle n. Lex. 171; Tgl.
ptwalitie, Upitie, kelhitiin) das -in steht hier gegenüber dem
kämt «n in laapiii wie die kämt. Form kelbatie obigem
laBpitse.
LaigeDth»! (etwa von mhd. ton m.), slov. Smwk genannt, hatte 1770
sechs und zwanzig Häuser.
Uigis m. Lenz, FrQhling, mhd. laagei, cimbr. laagei, kärnt
laiges Lex. 174; tirol. laagas auch JkrUig, Schopf 366 f.;
vgl. Gr. GDS. S. 73. — D^r Ausdruck ist besonders in Mitter-
dorf heimisch, indem man sonst in Gottschee den Frühlings-
namen aiskart s. d. hört.
Uat n. 1. Land. Der Gottscheewer nennt seine Heimat sein Unt und
Krain ist ihm ein anderes Land, IrtipUit, was schon Valvasor XI.,
195 f. anmerkt indem er attsdrQcklich sagt daß sie ihre Heimat
„das Land nennen, gleich, als ob es wegen Unterscheids der
Sprache oder des Volkes ein anderes besonderes Land wäre*'.
2. Die Gegend zwischen Mitterdorf, Gottschee, Mosel; daher
lintnar m. Mehrz. Uitaare Bewohner dieser Gegend, dieses
Thaies, denn Itat bedeutet hier Thal. Ganz so wie kärnt lant,
lantier Lex. 172; das westliche Seitenthal mit den Orten
Gotenitz, Riek etc. ist das kinterlint, daher der Uiterltetnar.
Die in den hochgelegenen Wäldern (in Milden) wohnenden
heißen bkidnare (Waldner); vgl. auch cimbr. laat, laitener
CWtb. 141\ EinHlderUnt begegnet imLiede, das unter knekhe
mitgetheilt ist.
lanlie lebendig, cimbr. lenleg CWtb. 142 in Passeier lempic Schöpf
376; schon mhd. Umttt s. mhd. Wtb. und Schmell. II, 412.
Inlikrj lichel hkt ib^an Untige hi$en ind a dnehf gawiehen
(so etwa hätte Elze S. 44 schreiben sollen) Pfeifers Michel hat
zween lebendige Hasen und einen Dachs gefahen.
Up o. Laub. Upitie f. Grfinzeug, große Blätter von Kraut, Meer-
rettich ; vgl. laaple*
JLaaarat, Familienname in Komuzen 1 760.
Uns Läse, slov. Loz, Ortsname bei Tschernembel.
19*
420 * SebrAer
lAfei lesen, in der Bedeutung von aussuchen , sammein ; arbatten
aislAjea Bohnen auslesen; Tgl. l^fei.
Lasen, Name in Riek 1614.
Laske, auch Laske, Name in Deutschau.
liftei, laften lassen; Impr. lil 2. Pers. PI. lit; m$M liftet man lässt.
iMkeri in aiftar laikera herauslocken ; ;1 hit m%m ais aassar gelu-
kerC, sie hat ihm alles herausgelockt« Vgl. tirol. leaklen Schöpf
394 , wo ich aber den Vocal ea, der ein ^ oder langes ae vor-
aussetzt, ebenso wenig mit liekeln aus laekea, liekea, ahd.
lacehin zu vereinbaren weiß, als hier aa; am ehesten wäre
denkbar, daß hier eine Intensivbildung von ahd. likhaa, got.
lakan anzunehmen ist. liekea ist vielleicht erhalten in kämt.
bUiek schüchtern, übel vor Hunger und behacken sich erholen.
Lex. 173 f. obwol die ursprüngliche Bedeutung schliessen hier
nicht mehr klar wird. Doch scheint aus got. nsinkan erschließen
und ahd. laa lihkan zuschließen ein nhd. Innkem mit der Be-
deutung nach und nach zum Vorschein bringen , kernas Uakera
hervorlocken, vollständig klar. Doch vgl. auch slovenisch Ist-
katt Nachlese halten und laichen.
Unten, nnsUnten zu Grabe läuten: es Untet aiman ans es läutet
einem aus, d. i. man läutet einem aus. — Bt klaekhen mih beat
anslenten oben S. 48.
ianterkrant n. sonst gerader Ziest, stachys recta Linn^, in Gottschee
auch we;per und wescher r4a§e was auf eine Form fisperrase
zurückfuhrt, da die Pflanze sonst Aisperkrant (beim Volke ge-
sprochen Aisekperkrant, daher nicht Vnssbeerkrant zu schreiben)
heißt ; s. über den Namen und Gebrauch im ungr. Bergland und
bei den Botanikern meinen Nachtr. z. Wtb. S. 27. Der erste
Theil des Wortes ist zu vergleichen mit tspem. Sehmell. U
673, das dort mit dem Adject. bnsper, mnsper und wnsper
zusammengestellt wird; vgl. Schm. II, 642; firänk. gilt dafür
mnstern Fromm. III, 214 (Goethe gebraucht nnainstern, »da
ich mich, wo nicht krank doch nnainstern fühlte*', Dichtung und
Wahrheit 8 B.). Wenn letzteres an lat. ainstns in Form und
Bedeutung anklingt, so sind damit die andern Formen, nament-
lich visperl f. behendes, lebensvolles Wesen, Schm. I, 573, das
auch mir in diesem Sinne aus der lebenden Mundart 'bekannt
ist, noch nicht aufgeklärt.
Weitere MittbeüungeD über die Mundart voo Gottachee. 421
«le, Hehrz. -Uta, mhd. Üb, cimbr. le, Mebrz. -len CWtb. 142. —
lo Stockendorf lautet es wie kämt. -U, -Iad. ^Die Verkieine-
nmg durch -I, -erl ist für den heutigen bair.-österr. Dialekt
ebenso charakteristisch» als für den alemannischen die durch
-11, für den sehwäb.» die durch -le** sagt Weinh, bair. Gr.
S. 244. Aus der Gottsdheewer Sprachprobe, Fromm, VI» 521,
wo die Formen negle, pralle vorkommen» war dies unbairische
•le bereits ersichtlich; vgl. oben S. 20. Es steht für •!!, wie
die Koseform -i in Gottschee auch -e lautet (T«d, Anton» Tone, «
Toni). Das schweizer. -11 hat im Plur. leil, wobei Gr. Gr. III»
674; vgl. P, 631 Einscbiebung von -ei annimmt Die Gott-
scheewer Pluralform -Uln weist auf ein früheres -Üb zurück»
ob dies nun als Klclnform -Um gefaßt wird oder nicht» es
erscheint als eine Nachbildung der schwachen Declination der
Stamme auf -ela, -la, die bei Notker einen Plural -tni bilden»
so daß» durch den vocalischen Ausgang geschützt, sich noch
AM gehalten hat» indem es im Singular zu -le gekürzt
worden ist. Sowie diese Form altalemannisch ist » so fällt sie
doch auf durch alterthümliche Wahrung des -al (für -1). —
Wie die Wahrung des st. Genitivs s. unter kator^) S. 102, die
Bildungen in -ade s. k^ehade» trägt auch diese Form bei zu dem
eigenthfimlichen Karakter der Mundart von Gottschee gegen-
über den bairischen Mundarten.
Itei Magdalena ; Uane Lenchen.
Jttf, di-labri vocab. 1479 f. 10*.
l^a loaen, sich laskaufen. L6af tlh, Uaf tlh etc. in dem Liedchen
beim plfea s. S. S4. Das unerklärte Wort pisea, plsnen : mit der
Osterrute schlagen, konnte aus einem früheren bisBei (mhd.
bteeBen mit Ruten züchtigen» bei Heinr. v. Krolewitz mhd.
Wtb. 1, 108» bei dem wir schon einmal oben S. 23 ein sonst
nicht vorkommendes Gottscheewer Wort fanden) abzuleiten
sein ; in Tirol heißt piseii mit dem Besen einrühren» Schöpf 42.
Ici- s. lal- und M-.
0 ■• ist die seltene Fora »M. hertire in Tirol li^rder, harter, Schöpf 260. Kirnt.
beffdcr ud harter Lex. 139 , wie ich oiio gewiss bin, d« mir Herr Pf. Krise selbst
4ie Vorm kartir Terbfir^ wonseb 8. 101 so berichtigen ist.
422 S c b r d « r
lelehe f. Leichenbegängnis. «Wenn man einen Tudten zu Grabe trägt
so tragen alle mit der Leiche gehende Männer eine brennende
Kerze'; Valyasor VI, 301. Wachskerzchen werden auch jetzt
noch bei einem Todlenamt in den Kirchen vertheilt und bren-
nend in Händen gehalten. Das Wort lalcke in diesem Sinne
steht schon in dem Liede s. oben S. 104.
leitgab, Name in Gottschee 1760; s. ialtgab.
lefea im Buche lesen. Daß das Lesen in Gottschee eine neuere
Kunst ist 9 bezeugt diese Wortform; es ist in dieser Bedeutung
ein Fremdwort und bewahrt das ursprflngliche I, während das-
selbe Wort in der Bedeutung sammeln Ujei s. d. gesprochen
wird. So heifit im ungr. Bergl. die Schrift Ms f. meine Darst
S. 186 [436]» lesen im Buche: h^ten^ daselbst und Nachtr. z.
Wtb. 17; hingegen beten: spreeheii wie in G. sprachen s. d. und
sprechen : kaisen, Udeng s. Nachtr. 36*.
Lesekltsek, Name in Moswald 1760.
leicklar m. der Ständer für Lichtspäne ; leiektarkeie f. die Kluppe in
die der Lichtspan eingeklemmt wird; im ungr. Bergl. klift
Wtb. 71'; Tirl. auch keie f.
liebe f. die Geliebte. Nach dem unbestimmten Geschlechtsworte a
Uebei, auch mit dem Pronomen di liebei d. i. mhd. lieUi) so im
Liede : es hatte alnder a sekteanei, a llebei) hingegen den liebe.
Immer in der Bedeutung: Geliebte. Es ist anstoßig zu einem
Mädchen zu sagen : di llehea, wenn es nicht die Geliebte ist.
Und so wird der Geliebte auch der Hebe genannt, angesprochen
dl lieber, was sehr herzlich klingt ; s. das Lied S. 57 f. Ich
stelle hieher die Balladen f •■ der lieben und treie liebe, dazu
einige Bruchstücke Ton Liebesliedern.
Von dar liaben (gelöster Flneh).
Deu Habe, deu g^anot in gdrte
und pintot dam liabon a peschle.
der wflr dort raitot dar Habe,
der wur dort raitot dar Habe.
»hämon pintojt, du Habeu, dks peschle ?**
*ieh pint dks» liabar direl'
„ich hkn schon oin bndreu oin Heben
Weitere MittbetlnDgen ober die Mnadart too GoiUchec. 423
bele pain häpitschen fitzot."*
'Hiijt du schon an andreu, a liebeu
bele pain h^pifschen jitzot?'
■
'I bünschen der taujent gelfickbe
daß du j6r und tdg kronkar ligojt:
*Daß der s wloisch won poinder beewaulot»
de j^ale won laib et mecht scboidenl'
Der krankhot b^ot dar Habe
daß mon sVloiseh won poindem i^t gewaulot
und di §^ale won iaib et mecht schoiden
und di j^ale won laib et mecht schoiden.
Ar schikhot nar fim deu liebe :
9e gi$if $e g^a, du liebeu»
der liebe hat um dich geschickhot»
der liebe hat um dich gescbickhot.
»Ar hat schon an andreu a liebeu»
bela pain hdpitschen jitzot!**
Ar schickhot nar deu andre hört:
}e g^a» je g^a» du liebeu»
dar liebe hat flm dich gescbickhot»
dar lifebe hit um dieh gescbickhot.
Ar schickhot nar deu dritte h6rt
ar schickhot nar deu dritte h6rt.
Se g^a» fc g^a» du liebeu,
dar liebe hat um dich gescbickhot.
Geg^annan bärot deu liebe:
'Se hilf» je hilf» du liebeu;'
i lig in jbärar kronkheit !*
„l kän der, i mu der et halfen»
deu liebe deu birt der schon halfen
bela pain häpitaehen jitsot!**
Gestoaben birot dar liebe,
aus ijt gewlügen a baißeu taube. Gottsehee.
Bruchstacke von Liebesliedern, die an bekannte in ganz
Oeutschhind verbreitete Lieder erinnern , bort man überall und viele
424 S c h r Ö e r
mögen von den maiiderD (Männern) aus der Fremde heimgebracht
sein. Eigenthumlieh sind die noch reimlosen in monotoner Weise
Torgetragenen Balladen, die, wenn auch dem Inhalte nach gleichfalls
verwandt mit allgemein deutschen Balladen (Neues weist das echte
Volkslied selten auQ, doch nicht wie jene lyrischen Gesänge eine
Übereinstimmung bis auf den Versbau und den Wortlaut zeigen.
Reime der ersten Art, die zum Theil den Karakter Ton Schnader-
hupfeln annehmen:
A liedle bil ih fingen,
iedreu (jede) diern bert $ih grimen.
'lieber main pue
ih hän koin rue!*
kaum pin ih aut ächzen jdr
main pue gait mir koin rue ;
lieber main pue
bäs gaijt koin rue?
pueben hent hurte ze lieben
bail 90 lai diernle petrüebent ;
pis ins grub
i$t koin rue.
das erjte bär a ringalain
das zbaite bär a hüderlain
pue lebebol
wer gifi mih et!
Maine bangelain hent röa^enröa
ich lieb dich bis in den ttfad !
maine zandelain hent baiß hie poin ;
lieb ich dich ganz allein,
meine augelain hent koule^barz ;
ich lieb dich main tau^entschatz
flAre^t oder bächejt du?
i 9lüf et ih pin scho krank,
i birt et laben lank.
Weitere Mittheiluogen nb«r bie Mundart von Gottschee. 425
schick es mir oin priejter gejbind
lai bert ich besser jaiii.
das gr&b i; schon ausgebaut
hkb scho hinain geschaut
drain lig^ oin groafier stoin
drauf mueß geschrieben $ain
daß bir zboi liebe §ain.
Liederanfänge.
1. Es bäroten zboi liebeu :
ei liebeu, §o laß mi mit dire gean!
2. Es bäroten liabeu, zboi herzigeu
3. Im gurten st^anot oin lindlein.
4. Dort st^anot oin scbeaner gürten
mit röajen angetanen (angesäet)
atinne spaziert oin juncfra
oin jungen sch^aneu juncfra,
ze ire kamot dar liebe,
dar liebe, dar einzige.
$1 reichet imon a pesehle
won roin§ten rojmarin
ar tets allen änschägeii
in deu bände namot ers :
ich hän ach a scheaneu a liebeu
in boißer Karlstadt !
'ei lieber, bann kome^t du bider
und daß du mih ber§t nam?'
«atiden im Etlicher (?) pdaden
do st^anot a lindlein grfien.
„und benu deu alle geno§te
zenander roichen bernt,
„dann d& kirn i bider
und daß ih dih bert nam.
«ich hin auch a scheaneu a liebeu
pai dar boißen Karlstat.
426 Schröer
„deu ijt mir ja wil lieber
denn §ilber und das gold !"
Treue Liebe.
Dortinne st^at oin lindle htfaeh
doben an bipfoin blüet §e seh^an.
unte d& jt^at oin schaiblain (runder) tisch
pai dam §itzont zboi liebeu.
das pfieble mächot a rechlunge: <)
„ich muefi es ziehn in das griaße hör*
a§o da jprichot das diernle:
,benn, lieber komjt du hinter sib?«"
' über jibn jor und 3 tage,
dannor kirn ih bidar !
*dennor zieh di äugen in das lindle h<Sach:
schau du hin» über Reifnitzer podem.
' 90 birjt du jächen (sehen) a röaten fln,
d6 birt ich noch im laben ^in.
'90 birst du sächen a sböarzeu (küf
dd birt ich schon ge§torben $ain/
ummer hent kam §ibn gänzeu j&r
}ibn ganzeu jär und drei läge.
}i ziehot d*augn in das lindle höach,
^i schagot (schauet) hinüber in Raifnitzer podem
91 hit gejjichen (gesehen) oin rdaten f&n.
fi hat geglaubt s ijt oin ^boarzer f&n.
}i ziehot bider hinterjih,
§i ziehot außen in roajein gurte.
§i §etzot }i nider auv gr&ben jtoin»
}i boinot au $0 bitterlich.
won baiteu jichot 9*an raitar ziehen:
nborum boinojt du §0 bitterlich?*'
'bi $ol i nit bitterlich boinen
0 Om Wort i«t mir «onti nicht Torfekonneo. SoU hier MSchet t rechlange be-
deoteit: hilt eine Ansprache (an die Geliebte), ao ist etwa an ahd. rtd^ail aagea
XU denken. V^l. ahd. errachellcli eiplicabilia.
Weitere Blittbeilniigeii über die Mundart von Gottscbee. 42 T
benn main dar liebe gestorben ijt/
^lai gefter pin i worbai geriten»
bu daiD dar Habe gehöachzaitot hat!
bäs wor a gelücke bünsche^t du imon ?
oio p^ajes oder oin guetes?**
M bunschen imon koin p^ajes gelücke
M bunschen imon tausend guates gelücke,
bis im mere gändstoinlain i}!'
ar namot aufie oin hüderle :
^nim hin, sch^anes mädichlain !
,,trücken aus daine augelain
»es kin und mag et anders jain:
:,:,,bir boideu müeßent painänder ^ain !**:,:
Dies ist das Lied das Uhland in einem Texte von 1892 (S. 263,.
Nr. 116) mittheilt: es stet ein lind in jenem tai. Schlesisch bei
Hoffinann 41. Anton Petter Volkstümliches aus ostr. Schles. S. 179^
Kuhländchen Meinert S. 243. Wunderhorn I, S. 61. Schwab. Meier
S.287. Kedler S. 147. Frank. Ditfurt H, S. 22 u. A. — Obwol
inhaltlich übereinstimmend , fehlt hier der Reim und ist wörtliche
Übereinstimmung» die zwischen den angeführten Fassungen überall
nachzuweisen ist» nicht vorhanden. Vgl. oben S.422, ein Seitenstück
zu diesem Liede.
lieble 0. Lied : a het •!■ Uedle Ue f i !■ itm laide tient fiigen in dem
Liede unter ritlerfBiii.
Uecht n. welcherlei Kerzen in Gottscbee noch üblich sind, erhellt
oben aus der Bedeutung leicktar) so heißt denn auch lieeht
anzünden, den Span anzünden.
Uekteibaeh spr. Uaeheipieh bei Nesselthal hatte 1770 17 Häuser,
liefe f. der Zwickel ; nl. lis f. die Litze. Vgl. das folgende liefine»
was eine Weiterbildung davon scheint.
iie}lac m. Mehrz. lief äuge Tasche; vgl. iiiefiDe.
Ugei liegen; Mgen legen; geleite mhd. gelett, gelegt.
Uie f. Giebelfenster, Erkerfenster. Ein heut zu Tage seltenes Wort»
das noch Ulr. v. Liechtenstein häufig gebrauchte; mhd. Une f.
Mhd. Wtb. I, 964; ahd. hlini GrafflV» 109K. — Daher sloven.
Una Dachfenster. In dem liede unter Waiwerle.
Uifeld bei Gottscbee zählte 1770 49 Hauser.
428 8 c h r ö e r
lia§e f. Linse.
Lippe, Name in Mosel, Kotscbeu 1750. Riek: 1800, kamt. Lex. 180
und Schweiz. Roehholz bei Fromm. VI, 459 ist Lfppe: Philippus.
lippel m. Lümmel; aus Uppe d. i. Philipp.
Uppiseh, Name in Gottschee 1684, 1760.
lippttseh, ebenso 1750.
L^bbe, Name in Koflern, Windischdorf, Altlaag, Neulaag, Nesselthal
1760—1800; vgl. den Namen Ubbia in den VII. Com. nd.
lobbe hängende Lippe, Fromm. Vi, 353.
Übe, Name in Malgern, Kletsch 1684, 1700; vgl Ubbe.
L«i, L«y, Name in Gottschee 1783, 1867. Lay ist in Baiern die Kose-
form von Eh'gius, Schmell. II, 463.
laiebea, laikes verlocken, teuschen, locken, mhd. leteheii, cimbr.
tirol., kamt. Uaebeii) -e sun sta in ganato leb pla geleiebt wardei
vöc. 1479.
Uidlc schmerzvoll, traurig. Ue laidte ;Iogat der knckbe wie schmerz-
voll singt der Kuckuck, in dem Liede wo dem Kuckuck das Herz
bricht wegen Untreue der Geliebten. Siehe kickbe.
latnei lehnen; iiUinen anlehnen; mhd. leiien.
lalp n. Brotlaib; mhd. leip.
Uitei, leiten, am Zfigel führen; Uiteii U sra; af dei raebte sirifte
(leite das Boss auf die rechte Straße) leiten thu d. R. a. d.
r. Str. ; mhd. leltea. — Uitfatl n. Leitseil, Zügel.
iatter f. Leiter; abd. lelirA, daher slov. lajint) »Mterjpaiikei =
wlaterliUe'' handschr. Mitth., etwa Schmetterling? s. oben S.84.
Uandterae f. Iteadlemle n. Lehndieme. Im Liede: die brart
stiehiitter, s. stiefnieter, heiratet das Lohndiernlein den
Hauswirt.
Laseblli, Ort bei Ossiunitz 1770, 4 Häuser.
Lttar, Name in G., Morobitz 1756, auch Luser.
UsIb, Neu- 1770 mit 9 Häusern.
Ilsen s. l6a§eB.
llekbea decken, iiellckheB) liekar p. Deckel, lickaseklrbe f. Topf-
deckel, Deckscberbe; bair. Inckei decken, Schmell. II, 433,
kämt lickei decken; Iiek Deckel, auch cimbr., tirol. Schöpf
400. Vgl. lankem.
Iibat lau, d. i. mhd. lAweit lauend; vgl. Fromm. III, 104, 452.
Iibats bksser laues Wasser.
Weitere Mittbeilungen über die Mundart von Gott«cbee. 429
he« Jergel larCe 8«d^ Name in Schwarzenbach 1680.
Iillei saugen; auch tirol. Schopf 402. Kämt. Lex. 182, zu nl. lal f.
Röhre.
Ilfei boreben; ebenso cimbr. Wtb. 144, tirol. Schopf 393; kämt.
Lex. 182. Lexer findet, daA es zu got. blaasjaa stimmt, eine
Form, die auch Fromm. Zeitschr. II, 9S8 angegeben wird. Ein
Stamm blas, Grundspr. kris (altnord. Mist f. das Ohr; sanskr.
fnshtl f. Gehör, ahd. hlit, gr. xkitrog; altsl. slati) sanskr. (rata
etc.) muß wol angenommen werden, zu dem ahd. Uasta losen
gehört, aber die got. Form fehlt uns und auch ahd., mhd. ist
lisei nicht überliefert.
M steht für w in gemiehei gewesen, s. oben S. 91. Umgekehrt
steht 6==to für m in biatel (Mantel).
m steht für n in midel) s. d.
■Ichei. — Das Wort machen hat einen sehr ausgedehnten
Gebrauch, wie in den j^cimbrischen'* Mundarten, wo es sogar
stark biegend ist. CWtb. 148*. Ähnlich im ungrischen Berg-
land Wtb. 78^. Nachtrag 40. Die Moccheni haben davon
ihren Namen, CWtb. 147; vgl. die Bewohner von Gaidel im
ungr. Bergl. Nachtr. 28. — katzelmkcher m. der Italiener, weil er
Katzen ißt; vgl. ferUemieher m. der Zipser, weil er gerne
Spanferkel ißt; ungr. Bei^l.* Wtb. 50\ — es mkcht sieh es ge-
sehieht, wie im ungr. Bergi. Nachtr. 40; in Tirol es macht
kmlt u. dgl. Schöpf 407; vgl. Stalder II, 189. — wernkeheii
iibschmalzen, wie in Schlesien: gemachtes essen abge-
schmalzte Speise. So wie man sonst sagt kalk auBaehei, teig
aBMiehea d, i. durch flussige Zuthat zubereiten. Schiesisch ent-
steht daraus das Subst die mache oder das miehsel d. i. Fett,
Butter» Weinhold 59*; in Gottschee: maehkde f. maehadja f.
Schweinschmalz, s. oben S. 59 statt smklie (d. i. Butter)
mM€käit. In Tirol mkchete n. Fett als Zuthat Schöpf 408; in
Kärnten mkchade n. Hackfleisch in der Wassersuppe u. dgl.
Lex. 183; auch anderes durch Zuthaten Angemachte, wie
Maatfutter, Fromm. III, 364; in der Schweiz machete Maeherei,
Stald. II, 190; im Fränkischen maehetla in der Bedeutung wie
oben k^ehadle s. d. Fromm. II, 246. Aüfi'allend ist hier die
Übereinstimmung mit Schlesien und erinnert an den freisin-
430 Schröer
gischen lelssier ron 1316 oben S. 33.. Bei Thomasin bedeutet
■■demaekei überwältigen, subigere 1196, 2818, 3335, 3337,
3368, 3378, f. 7388, 96911 f. 11000, was immer anzumerkea
ist, da Tbomasin diesen Gegenden angehört. — aiseliiider
■aekei theilen; s. oben S. 38.
a&dar m. 1. Mfthder 2. Wachtelkönig.
Bidiglali n. Midchen, im Liede.
■iderl, Name, s. lederl.
sag Bie ich kann, vigeft, nie, blr Bagea, Ir Baget, $1 Bigeat.
lagretitile 0 n. Margarete.
Bie wröe ijt auf Mkgretitzle
Wie frOh ist auf Margreteben
$i stengait | moraij g&r wrüe auf
sie stand des Morgens gar frühe auf
fi legait jih gär sch^aneu kn
sie legete sich gar schön an
$i zieht ahin an bage proit
sie zieht hin am Wege breit
K. an bage proit in sdckheln roin
am Wege breit am steilen Rain
in Stickhein roin ins hejiach kloin
am steilen Rain ins HaselgebOsch klein
^ §etzet $ih nider auf grobe stein
sie setzet sich nieder auf grobe Steine
;i herait kn, $i finget sch^an:
sie hebet an, singet schön:
<) Nach Sefaottk7*t Vonelt oad OegeawartlSlS 1. 17%; t. oben 8.9 und aaten mt\«.
Indem iob die Schreibvag thualichst berichtige, Ismc ich die Endsilben in stes-.
galt, wisselt, fnsralf unberührt, tla ZengniMC Ar die Unbestimmtheit desVoctU
dieser Endungen : steogslt gerlgslte, legalt, hef alt, heckalt, llesialt neben wiftelt,
hiteit, wileit) neben fltiet, yetiet, i&hlet, masset, reitet, rticket, finget tbtr
«och slngait, ja selbst slagsit, Stndiosvs J. JagUtsch (s. S. 11) will beobMibtet
haben, daA dieser Vocal bei llteren Personen o gesprochen wird (so hörte aieb
ich dienen, fingst u. a.), das bei manchen beinahe wie ö klingt. Jüngere, die i>
4er Schule die Schriftsprache gelernt haben, sprechen dafQr al. — Dies • ist x«
erfcliren aus «k llterem a. Das Tocab. it. tod. ron 1423 hat noch oder schon fol-
gende Indien tiTformen priteriti: ich sehenkat, du schenkatst, der (so) schea-
kat, bir schenkateo, ir schenkst (so), die schenkaten, f. SO^ ; ebenso leerst 77*,
lenat 76^, re Jat 65S u. t. a. Vgl. die nichste Anmerkung.
Weitere Mittheilungea über die Mundart von Goltachee. 43 1
„ji maines glaichen im land et.ijt
^ woU meines Gleichen im Land nicht ist .
10. a1$ oinder junger Eisbargar!
•Is ein junger Eisberger (?)
Auf Laibacher brunle da fitzet ar
auf Laibacher Brflnnlein da sitset er
das ^ilber und gold das zahlet ar
das Silber und Gold das sfthlet er
das edle tuech das masset ar. **
das edle Tuch des misset er. —
Si fingait bider deu indre w&rt :
sie singet wieder die andere Fahrt (das zweitemal)
IK. »j& maines glaichen im länd et ijt
wol meines Gleichen im Land nicht ist
als oinder junger etc.*"
als ein junger etc.
Si jingait bider deu dritte w&rt :
sie singt wieder das drittemal :
„jS maines glaichen etc.*"
wol meines Gleichen etc.
Und das derhort dar Eisbargar
sobald das erhört der Eisberger
20. ar beckait ouf di knachte ^ain :
er wecket auf die Knechte sein
»96 ahtieli mir main hengi^tle!^
so sattelt mir mein Uengstlein
Ar jetzet ^ih auf $ain henge^tle,
er setzet sich auf sein Uengstleio
Ar raitet ahin in stickheln roin
er reitet hin den steilen Rain
in stickheln roin ins he^lach kloin.
den steilen Rain ins Haselgebfisch
2S. nu da ijt kam dar Eisbargar:
nun da ist gekommen der Eisberger
^Magretitzle» du liebes main.
Margretlein, du liebes, mein
$0 roich mir har dain baisze hiind!"
so reich mir her deine weiße Hand
wich roich es et main baißeu band,
ich reiche nicht meine weiße Hand
432 S ch r ö e r
di herren hent betriegarisch,
die Herren sind betrügerisch 4
30. betriegarisch, verwaerarisch!"
betrügerisch, verführerisch.
Ar bäteit^ $i deu andre w&rt;
er bat sie das anderema)
„$o roich mir bar dain baißeu händ!**
so reich mir her deine weiAe Hand
'ich roich es et etc.
ich reiche nicht etc.
Ar ließait O wällen fain traibrfietle
er ließ fallen seine Reitgerte
3K. 4S0 roich mir bar das traibrOatle!"
so reich mir her die Reitgerte
Si roichet imon das traibrüetle, .
sie reichet ihm die Reitgerte
ar wäßeit %\ pai baißer band,
er fasste sie bei weißer Hand
ar pollet $i auf $ain bengejtle,
er wirft sie auf sein Hengstiein
Ar raitet bider hinter^ib,
er reitet wieder zuröek
40. ja hintersih, in Türkailänd
wol surfick in die Türkei.
Seu jetzend $ifa nider zu schaiblaiu tisch,
sie setzen sich nieder an dem runden Tisch
^eu assent und trinkbent a kurzeu zait,
aie essen und trinken kurxe Zeit
ar schickhet um di spilleute :
er schicket um die Spielleute
„wrisch auf, wrisch auf ir spilleute!"
frisch auf, ihr Spielleute
46. Mägretitzle hat durch gejung:
Margretlein hat immer gesungen :
'jS malnes glaichen etc.**
wol meines Gleichen etc.
0 Ein Rest des Prit., das der dsterr.-bsir. Maadsrt fehlt, ist in GotUekee ia»«r
noch erhalten, doch wird an den Stanm mit dem Ablavt der starken Verha das t
der schwachen Biegung angehingt.
Weitere Mittheilungen aber die Mundart von Gottcchee. 433
§\ bateit in deu ^r^te wärt :
sie bat ihn das erstemal
„hör auf, hör auf du El$bar|^ar,
hör auf da Eisberger
zerbroften hent di spitz par schueh \**
serborsten sind die spitzen paar Schuhe
80. Si piteit in deu andre wlkri :
sie bat ihn das anderemal
„hör auf, hör auf, du Eisbargar!
hör auf etc.
zerbro^ten ist main proun gürtele ]**
zerborsten ist mein brauner Gürtel !
Si päteit in deu dritte wSrt :
sie bat ihn das drittemal
„hör auf etc.
hör auf etc.
S5. zerbrojten i$t main gerigaite pfoit!"*
zerborsten ist mein geftlteltes Hemd
und benn ^i das hat ausgeroit
und wie sie das hatte ausgeredet
si fiileit nider und blaibet töad.
sie fiel nieder und blieb todt.
Iiy, Name. Mrgel dies lay iii und des Barlbu; kalbe kaebe
Seh warzenbach 1614; vgl. BartlBl. Ein frank. Henneberg Name,
Spieß 197.
■aiUaBe, die den 1. Mai aufgerichtet werden, bleiben den ganzen
xMonat stehen.
lalebci, Name in Durnbach 1614. Nesseithai, Skrill etc. 1760.
leikeilne Altlaag 1614.
lilerle, Geschlechtsname in Durnbach, Eben, Fliegendorf, Warm-
berg 17S0.
laierle, Ortsname bei Nesselthal.
■iii, wenn es flectirt wird, erhält es ein d, so daß es mit der, die,
das zusammengesetzt scheint: ■alidei Agei, mhd. mIbIi •■gern,
■alAdaa kalter, meinen Schrank ; aali de kkit, ■»!■ de legle,
■all de jalte etc. aber: ■&!■ dar liebe mein Lieber; auii dan
liebem meinen Geliebten, Fromm. VI, .521, wo wirklich der
Artikel dem Possessivum in alterthumlicher Weise nachgesetzt
SiUb. d. phil.-but. Cl. LXV. Bd. II. HfL 30
434 S c h r ö e r
wird, wie ahnliches im ungr. Bergland s. meine Bemerkung it\
Frommanns Zeitschrift VI, S. 249.
■ajr, Name in Stockendorf, Schwarzenbach 1700, 1867. Im ungr.
Bergl. erseheint der Name in dieser Schreibung schon in Neu-
so] 1390. In Marburg ebenso 16. Jahrh. Reichel, S. II.
layßely Name in Iniauf 1860, Fliegendorf 1614, Gottschee, Mraueu,
Rick, WeiOenbach 1750. Im ungr. Bergl. leisel in der Zips
Wtb. 83.
■al, vai n. Mehl ; Genitiv ■anbej, mhd. mtt^ BMires.
■atckei melken, Imp. ■ilek, mhd. ■liehen,
lalgen gesprochen ■angrari, slov. aala g«ra deutscher Ort bei
Mitterdorf, zählte 1770 vierzig Häuser,
lalhar Name in Gottschee 1684.
■alleritsek, Name in Lachina 1750.
lallinseek, lalliisehegg, Ort, zählte 1770 sieben Häuser.
lallner, Name in Rick, Morobitz, Hinterberg 1750.
■ai m. Mann; Mehrz. naideri ebenso tirol., kärnt.^ ■aiiUck beherzt,
mannhaft; vgl. Schöpf 419'der ■aiMbeh um Linz findet; kämt.
vgl. Frommann III, 467, Cimbr. Beines adject. CWtb. 146.
■&ie, viie m. Mond, wraft ■&nftag m. Freßmontag, der Montag vor
Aschermittwoch, s. praikeli, Uc.
■Inat, ■*■•! m. Monat, praGalnatn. März, «das seilt diesaieti ieaer.
der kariug, der ven, der apfiU, der aey, der prmchBeadi der
heiaaid, der aigest, der kerbst, der webiBaid, der wiiCerBeii
decembre: der leieiBeid** vocab. ital. cod. mon. von 1459.
■aik, Name in Schwarzenbach 1614, Unterlosin 1684, Staliern,
Linfeld, Mosel 1750.
lantel, Name Tiefenthal, Mosel, Römergrund, GraflindeD etc. 1750.
aare f. Erzählung, BArle n. Mehrzahl BArlaii Märchen; mirtn
melden, erzählen; vgl. tirol. nArei Schöpf 421, Lex. 186.
Margarete ) die Form Cfretel faule Gretel, im Liede oben S. 95 unter
firtete, in Tschermoschn. fir^ata, sonst Sreato, Deminut. Mate.
Im Liede: Ikgr^titile, s. oben S. 430.
■artiisle n. Eidechse, auch egedaek; s. d.
■arik, larfe im Liede: der keiiei kkt geaehessei, ■arlot unteo
S. 436; vgl. auch Btia. Femer in folgenden Marienliedern:
Weitere Mittheiluni^en ober die Mundert tob GotUchee. 435
1. In gänzer barlt i$t koin böikle et
won liimbel wällot a küelder tä;
8 bärot et a küelder ii,
8 i^t Maria irde zaherlain !
2. Marta st^anot smoro; wrue auf
§i legot $i gar sch^aneu &n
91 ziehot außen an proiten big
von proiten biig auf dan $nnfllen staig.
3. In gänzer barlt i§t koin böikle et etc. wie 1.
4. Dar staig wuerot $i auf dan htfachen perg
$i ziehot in den röa^aingurt,
$i prachot nar di rea^lain geliecht
9! wlachtot nar die kränze geliecht,
5. Bu bil $i hin mit dan kränzen geliecht?
fi hangot §i auf das heilige kreuz,
bu bil §\ hin mit dam heil, kreuz?
ins himbelraich ins puradai^I
as her alle §älic harten I
Maria § möarä^ wrüe aufst^at, Maria, Maria Maria o königin !
$i legait ^ih gar sch^aneo un» Maria etc.
91 gäat hinaus in röa^aingurt. Maria etc.
bas bellet §i tuen in r6a§auigurt? Maria etc.
di r^ajlain geliacbteu bellot §i prachen. Maria etc.
ba bellot ji hin mit dan r^a§lain geliecht? Biaria etc.
a kranzle geliechtes bellot $i wlachten. Maria etc.
bu bellot ;i hin mit dam kranzle geliecht? Maria etc.
aufs heilige kreuze bellot $is hengan. Maria etc.
bu bellot ji hin mit dam heiligen kreuz? Maria etc. i)
ins himelreich, in*s Paradaij. Maria etc.
gott hilf Gn§ allen ins himelreich I Maria etc.
ins himelreich ins Paradei;. —
Maria, Maria, o Maria, kdnigin !
Vgl. Elze S. 36. Fromm. II, 86 und das Lied unter Urje.
') EiB Aaklaag an den cimbrifcheo Oster^esang CWtb. 79 ist hier uorerkeanban
ba trigar shalge krafise t
ear triges auf den perg etc.
30 •
436 Schröer.
Der boizen hat geschossen, Mario !
mit seinen röatguldain stangelain, Mario !
rdatguldain i$t das stangele, Mario !
röatfilbrain i$t die aher, Mario! S. oben S. 112.
Jesus und Maria.
Maria hat bekommen a zederie
darauf i$t geschrieben ir oinziger $un.
§i hat werioren ir lieben $un
^ie ziehet gen Jerusalem.
Bol in der «tat auf mitten platz
da st^at oin gröaßes kreuze.
drauf i$ gesligen ir guetes kind
$i boinet au jo pitterlich.
;o spricht der hear: ^barum bainojt du?
barum bainojt du $o pitterlich?**
'bie sol ich nicht bainen pitterlich?
bu ich ^tch wließen Je§us pluet!'
benn Je$us hat gezogen ober stickein roin
ar hiit lin waln oin pluetstrepfle.
-/.daraus ist gebächjen oin bainrable*/.
benn Je^ us hat gezogen fiber ebens wald (ebenes Feld)
ar hat lin waln oin milchtrepfle.
-/. und drauß if t gebäch^en oin boizstamlain*/.
und koin messe kän gelejet $ain
dabai mueß $ain : das boizene pröat und dar kOelebain«.
Jesus und Maria.
1. Der tag ij wue, de nacht ijt kirn
main Je§us ijt et kdm !
2. Umme i^ kam di neuneu und di nacht,
wer klockhet an $o graulaio?
3. ,,Mach auv, mueter» lieben main!
mach auY, mueter. Heben main!**
4. Mit getankher band machet $'imon auv
mit gerachter hiind empfdchot s*in.
5. „Lii^bes main kind, wo pi$t du gebin?
ich und dain woter juechont dich mit fm^arzen.
Weitere Mittheilnngen über die Mundart ron Gottschee. 437
6. Bir hobn gUbet di Juden haben dich schon gewüchen.
ich pin jo gebin pai den jungem main.
7. Seu hont ausge^etzot di pSnkhe und jtüele
und das hoilige sacrament.
8. Di §onne und der mone werlie§ent den schain
main kind hat koin ra$t un koin rue.
9. Di glockhen stellen das läuten ein —
Hier sei nun auch angereihet das folgende Pauluslied
Faulaa.
Der hoilige Paulus hart im grQenen bald.
bas birt dain de ko$te nar ^ain?
'fpai^e nar $ain de burzelain.
trinken nar dar ragen birt $ain.
haschen nar dar b&rme ragen.
trucken nar $ain birt deu härme $unn.
ra^te nar ^ain birt auf lauter feigen und §toinen
sterben nar $ain pai Jesus und Marta
do birt main sterben nar $ain.'
Maria und Johannes.
Bol durt aw grüener htm
g^at dar möargenstern aw :
atunten ^itzot Marta
bol unsere liabe wrä.
fi ziehet a boiniges wurhin
und wörhin wur das hau;.
Johanne; schäget poin wanjter eraus,
'Johannes, du heiliger man
häft du et gemachen Je$um main ^nnV
Mb hinem bol gewichen» herrn Je;um dain jun.
mit strickhen hiint $eu 'n gepunten
mit goijeln h&nt feu *n gegeißelt !
^u hiint en angeflogen an's hoilige kreuz
zb^an niglain in de hende ein in di wfiesz 1-
dar das liedle fingen kän
dar fing es alle tug amil»
438 S c h r d e r
dem bil ih gaben
das £big laben.
Schon bei Elze S. 38 aber unvoIlstSndiger.
lariMl, Name in Schwarzenbach 1614, Unterlosin 1684, Stalzern»
Lienfeld. M5sel 1750.
■ariftoli m. Marmor in dem Liede S. 71 ff.
■arscker, Name in Laag 1614; vgl. larsebe.
lartli, Familienname in Eben 1750; Tgl. lerl.
lartine, Koseform von lartii im Liede:
Martine.
1. Bie wrüe ist auw seh^an Hartine
ar raitot hin an bage proit — tahoit !
der heilige sch^an Martine !
2. An bage ii ;itzot an iilter man —
an bage da sitzot an älter man — dahon !
0 heiliger sch^an Martine !
3. §0 toilot mir bis in gottes num,
so toilot mir bäs in gottes num ! — dahum !
0 heiliger sch^an Martine !
4. Bäs bil ich eu teilen in gottes num?
bäs bil ich eu toilen in gottes nom — dahum !
$0 }6get dar sch^an Martine*
6. Ar $naidet dan bontel an der mitten anzbai
ar ^naidet dan bontel an der mitten anzboi — dahoi !
dar hoilige schdan Martine. —
6. „Nim hin du alter min
nim hin du alter man — dah^n !^
0 heiliger sch^an Martine !
7. Ich pin es et a alter man !
ich pin es nar dar liebe gott — dahott !
du heiliger sch^an Martine.
lasekel s. lesehe«
latekeM s. lesehe.
laserebei, gespr. aafer ^bei, bei lasen hatte 1770 neun Häuser.
lasen, bei Gottschee hatte 1770 acht und dreißig Hauser.
■äset yaroloxo voc. 1479. Vgl. Schmell. U, 623: aaset) mhd. Wör-
terb. II» 86 : unvermausgot» unvermasget.
Weitere Mittheilungen aber die Mundart von Gottichee. 439
■issei messen; lieeh aassen Tuch abmessen; mhd. ■Iiiea.
■itle 0. Seitel, d. i. der vierte Theil einer Maß, vgl. Schmell. II, 62S.
mktit geschmacklos, fade, thoricht, wol zu matt, ital. Batta.
lalkiltocUtsch, Name in Kotschen 1 7K0.
htte, Name in TieFenthal 1700.
■itUü desposente vocab. 1479, im ungr. Bergland ■atteleas^ vgl.
darüber meinen Nachtr. 40^* uud Germania XIV, 251 meine
Besprechung der neuen Ausgabe von Schmell. bair. Worterb.
M n. (Maed) Genit. M^de;, Dat. miie Wiese, Wismat, eigentlich
Mahd, das ift nadd, das Ijt baigrnid das ist Wiese, das ist
Baugrund; ik birt der pis als B«dd — !■ Bnede bert ik der
iielci ich warte dir bis zur Mahdzeit; in der Mahd werde ich
dir zahlen. '
■«lief. 1. Metzen, 2. Schachtel, Holzgefaß, ursprünglich din ■fttie,
a wie gewöhnlich für g; im Kuhländchen das vatile Holzgefaß,
in Franken die Beti Meinert 407, Schmell. II, 662. In Schlesien
■este, im ungr. Bergl. aesse Wtb. Sl*". — In Tirol ist ■atiele
eine kleine Butte, Schöpf 428. — Batile n. Mehrzahl, ■atileli
Dose, kleines Gefafl; tabak Batile n. Tabakdose; blllck aatile n.
Bilchfalle zum Bilchfange; pAcktmatile a. Kehrichtfaß, vgl. pickt.
■11 s. nai.
■aiehei s. Batckea.
■lai n. der Mund; für Baal bei Thieren gilt: keae s. d.
liirer, Name in Windischdorf, Suchenreuter 1750. Im ungr. Berg-
land: 1362 Schemnitz, 1649 Krickerhau, 1686Kasmark, 1734
Trexelhäu, 18S8 Kaschau.
liaria, Name in Pröse, Deutschau, Neuwinkl, Stalzern 17S0.
llasel, leasely Name in Deutschau 1750. — In Schemnitz 1362:
lavsUaas.
■U) wigle n. Mehrzahl ■■■§ wiglala das Maus voglein, der Zaunkönig.
laatser, Name in Kuntsehen, Kletseh 1560, Kuntschen 1614,
Schwarzenbach 1669, Altlaag, Komutzen, Rothenstein 1750.
Auch bei Elze.
luelf^ Name in Reichenau 1614. Auch bei Elze. — Im ungr. Berg-
land in Käsmark 1605,1840: lata, ebenso 1627 in Dopschau,
1645 in Krickerhäu. Vgl. auch latidarf in der Zips.
■^aka, ariakB vom Heckern des Hasen cf. jutr^xoco/uiaft blocke sanskr.
■eka der Bock.
440 S c h r ö e r
lederl, liderl, Name in Otterbach 1614. — Im ungr. Berglaad
■eder, Metzenseifen 18S8, in Siebenbürgen lederat.
ledei, ledlti, Name in Skrill, Nesselthal, Mosel etc. 17K0. Krapflero
1700. — Im ungr. Bergland ledeli, Lorenzen 1785.
■eler, ■•irar m. ■•irarii f. der Oberknecht, die Oberdirne, der
Meier y bekanntlich vom lat. major, fr. maire etc. ; in Kärnten
■Ar m. Lexer 184. Tirol naar Schöpf 414. In „Vorzeit und
Gegenwart Ton Jul. M. Schottky, Posen bei J. A. Hunk 1823*"
Seite 276 ist folgende Ballade mitgetheilt, die ich in berich-
tigter Schreibung gebe:
Di moirarin. Ein Wiegenlied i).
1. Bie wrüe i§t auf di moirarin
Wie frfih ist auf die Meierin
^i stiangeit $ morai; gur wrueje auf,
sie stund des Morgens gar frühe auf,
§! ;ingoit zu ir jungen $un :
sie sang zu ihrem jungen Sohn :
di gruwns d gueter bernd alle dain }ain
des Grafen Gfiter werden alle dein sein ;
S. prutai ninai, prutai ninai!
(S. darüber oben S. 61 unter prite.)
Und das di höret di griwin junc.
Sobald das da hfiret die Grflfin jung,
bie zornic bär ^i drauf!
wie zornig war sie darauf!
un ruefet ^i di loandirn :
an rufet sie die Lohndirne :
n bring umme, bring umme der moirarin ^un,
bring um der Meierin Sohn,
10. ih bil dir gaben a jaidain rockh
ich werde dir geben einen seidenen Rock
beider mih koftet fünfhundert gülden**,
welcher mich kostet 500 Gulden.
Und bie di diern ehin i$t kam,
und wie die Dirne hin ist kommen,
') „Der folgende Gesang iat ein Wiegenlied und wahrscheinlich Ton hohem Alter, da
ihn auch die benachbarten Relfnitterinen als solches in slavischer Sprache aU*
gemein and seit nndenUichen Zeiten singen.**
Weitere lliUheilungen über die Muodart von Gottschee. 441
do sprichet di diern:.Mhoi moirarin,
da spricht die Dirne: ei Meierin,
giet«. 9uechet mir küeles prunnbässer,
geht, suchet mir kühles Brunn wasser,
15. ih bil eu biegen eur jungen fun!**
ich werde euch (indess) wiegen euren jungen Sohn!
Und außar hat §i genom ir messerle
und heraus hat sie genommen ihr Messerlein
und steckoit *s im in kindisch harzle
und steckte es ih m in das kindische Hers
und s biegle i$t wurt wolles pluet.
und das Wiegeiein wurde sogleich roll Blut.
Di diern, deu giangait pehend au9
die Dirne, die gieng schnell hinaus
20. and innin ift kam di moirarin
and herein ist gekommen die Meierin
ir junger $un bär schone töad
ihr junger Sohn war schon todt
der dierne messerle §tackoit in ;ainem harzle
der Dirne Messer stak in seinem Herten.
Bie hoifte boinet deu moirarin !
wie heiß weinet- die Meier in !
un das derhöreit der gruwe junc:
Sobald das erhörte der junge Graf
25. „boi, torbatl, du lieber main !
ei Thorwftrtel, du lieber mein!
gia uhin zer moirarin
geh hinab zur Meierin
un frug, bäs ir waleu tuet
und frage» was ihr fehlen thut
giat ir üb deu wocbitzin
geht ihr ab das Kuchenbrot '
oder der rdate bain?**
oder der rothe Wein?
30. 'Mir giat et üb deu wochitzin
mir geht nicht ab das Kuchenbrot
mir giat et üb dar rdate bain !
mir geht nicht ab der rothe Wein!
mein junger $un, dar i^t schon toad
mein junger Sohn, der ist schon todt
442 S c h rö e r
der dierne messer im harzle stackoit!'
der Dirne Messer im Herzlein stak!
Und auhin i^t kam der torbati
und hinauf ist kommen der Thorwartl,
35. 896 do sprichet der torbati:
so da sprichet der Thorwart]:
^hoi, gruwe, du lieber main!
ei, Graf, du lieber mein !
der moirarin jun, dar i^t schon töad,
der Meierin Sohn, der ist schon todt,
und umme hht in pr6cht di diern däin f*
und umgebracht hat ihn die Dirne dein!
Und hin i^t kam der gruwe junc :
und hin ist kommen der junge Graf:
40. »hoi diern, hoi dierne liebeu main
ei Dirne, ei liebe Dirne mein
beu hi;t du umme prdcht der moirarin sun?**
warum hast du umgebracht der Meierin Sohn?
*hiet et» biet et, herr lieber main,
hätte nicht, lieber Herr mein,
deu wrauge hat mir werhoißen a $aidain rockh!'
die Frau hat mir verheißen einen seidenen Rock!
„hoi wrauge, hoi wrauge» du liebeu main!
ei Fraue, du liebe Fraue mein
4S. beleu ratze dersehießen bir beut?^
welche Enten erschiessen wir heute?
*ho herr» ho herr» deu beleu du bil^t!'
0 Herr, welche du willst.
darschossen hat er jaine baiße wrä
erschossen hat er seine weisse Frau
gehairätet hat ar di moirarin
geheiratet hat er die Meierin. —
■M s. mü.
■Ilehei s. ■atehei.
■eiheh m. Mensch. So auch kämt. Lex. 189. Cimbr. BeBieeeh
CWtb. 146^ Im Cimbrischen gilt ■ennesch auch noch adjecti-
visch für menschlich a. a.O. ; vgl. oben Bao) in Gottschee finde
ich in der Ballade di prAwe stiehineter (s. stiehiieter) : »Ms
gietlick vnd bäs ■enschHek Ijt!" — dai ■ensch la persona; di
■eiss le persone vocab. ital. 1423.
Weitere Slittheilungen über die Mundart ron Goltschee. 443
■er f. Neuigkeit, che novelle e adesso in Allemagna wai mer Ist ietf vid
li deitiei landeif vocab. 1423, 84^; — jetzt aare s. d.; im ungr.
Bergl mJkr f. unglaubliche Geschichte Wtb. 79, Nachtr. 40 ; mhd.
■»re.
■er, M^r u. Meer. Die mSrarlB die am Meere wohnende. War schon
das Aufßnden des Liedes : Die Brait des tadten Kellers in Gott-
sehee ein überraschender Fund; s. darüber oben Seite 71 , so
ist dieß noch mehr die Ballade ? •■ der schSnev am leer (waa
dar sek^aaa ai^rarfn), die in verschiedenen Fassungen gesungen
wird, indem sie in zweien mit anderen deutschen und slove-
nischen Balladen verflochten, in der Einen aber nur als ein
Nachklang der 2K. äventiure derKudrun verständlich ist; siehe
darüber den Aufsatz in der Germania: XIV, 323 — 337 das
Fortleben der Kudrunisage von K. Bartsch und K. J. Scfaroer.
Ich habe, seitdem ich jene Mittheilung machte, noch eine Ab-
schrift der Ballade erhalten und zwar von Herrn Johann
Erker in Altlaagi). Sie enthält nichts wesentlich Neues. Ich
beschranke mich daher darauf nur den Eingang mitzutheilen
(wobei ich nur die Schreibung etwas gleichmäßiger durch-
fiihre, als die Hs.).
Du soheaneu jongeu mörarin.
Bi wrue bar auf deu scheane, deu junge morarin
si richtet un sneabaiszeu hasche,
si geat haschen zum proiten mör,
zum proiten mör zum tiefen s^ab.
Won halten dort sahot si a schifTlain sbim
zbean junge herrn atinne drin.
„guet möarn, guet möarn scheaneu morarin !**
'sch^an dank ir herrn jung scheanen dank;
wil guete möarn hän ih a b^ancl' etc.
Das Weitere stimmt zu der III. Fassung, a. a. 0., die dem Stoff
nach einer slovenischen Ballade verwandt ist. Merkwürdig ist nur,
daß hier, was zur slov. Ballade nicht passt, iw^i kerrei in der Barke
sitzen, so wie in der II. und I. Fassung (in meiner Mittheilung a. a.O.
waren es in der III. Fassung drei). Diese zween Herren, die auch
naeh der zweiten Fassung: der Bruder und der Geliebte sind, Ortwin
0 Eine früher scboD benutzte hatte ich Ton Herrn R. Braune in Gotttchee.
444 6 c h r 5 6 r
und Herwig, laseen erkennen, daß dieser Eingang ursprünglich nicht
der zu dieser, mit der slovenischen verwandten, Ballade war. Daß
auch dieser Eingang die Worte geete B^an kai Ih a Mane (wenig)
(vgl. Kudr. 1220 gnaten margei geatei Abeat was den ■lueellcken
■eldea tiire) treu bewahrt, spricht ebenso deutlich dafür. Es kömmt
in der slovenischen Ballade nicht vor.
■ergela brummen, schmälen; vgl. Scbmell. II, 616; „2. Bergeli
Einen, ihm zusetzen, ihn in Anspruch nehmen, plagen^. Äbniicb
auch tirolisch, s. Schöpf 434. — Vielleicht ein anderes Wort
als Bergeln in abvergebi, ansvergeli von Hark, ahd. Barag.
■erke f. eine Rflbenart. Vielleicht Nebenform von Birle s. d. mit
nd. ke für le.
■erle s. nMe.
lertflasraatk, besser Mörleinsraute s. Blrle, ein Ort bei Sacke s. d.,
der 1770 drei und zwanzig Häuser zählte.
meralae m. Getreidemaß, «ela BeralMg speltea*' 1757. S. aufweise
vgl. slo venisch at^nik der Halbmetzen.
Bier re, ailrre f. die Brombeere ; vgl. aiarrc. dl riate wlikalrre horte
ich nennen, konnte aber nicht erfahren , welche Beere damit
gemeint sei. Die Himbeere heißt keak bire s. d.
Biert m. oder aierteBkiate n. der Zaunkönig, auch aiaof wigle s. d.
periw^gle s. d.
lert, lertle Martin; „lertlelB" labet den Mnrtinsabend mit einem
Mahle, wenn es sein kann, mit einem Gänsebraten feiern S.
Elze Seite 2K.
Biertle n. Rothkelchen.
lertaai, Ort bei Ossiunitz, hatte 1770 acht Häuser,
■en m. der gewöhnliche Name des Monates März ist prassMla^t
s. d. — der aieri sei gnt ader pas er treibt dea acbsea ai das gras
and den kiat ai den sckaten cod. ital. mon. von 1459.
f. iS\
llgntsck, lickitsck, laekltsck, llckltsek, Name in Gotenitz, Moswald
u. s. um 1700.
Ilkkei, Name in Altlaag 1780.
lille, Name in Nesselthal um 1700. Illlli Gottschee 1669.
Billlck f. Milck. ailllekralber m. Butterfaß, Röhrkubel, s. jlaikar.
Bitnie Johannis minne trinken: trlickt saidt lais aili tole vn san
Zoanel vocab. 1423, 9i\
Weitere Mitth^ilniigeii über die Mundert ron Gotttchee. 445
lli«, Uimkf in Tschermoschnitz: Um Marie; liie Mariechen; über
diese Verkleinerung s. oben Seite 35 und 77. In Altlaag lautet
der Name lii«, liie.
■Ifkaliem schreien wie ein Bock; slov. nerkM Bock; vgl. ■^ikem.
■fr}le n. Mehrzahl ■Irflaim eine weiAe Pflaumenart. Gf. ■irtell qui-
dam eibus Schmell. II, 620.
■IseUck n. Gemisch.
■ifci blinzeln; vgl. Schweiz, ■■sei, ■isei kalmäusern, 'kopfhängen,
ins Stocken gerathen, Stalder II, 223; doch kann hier Entleh-
nung angenommen werden, wenn slov. mMM die Augen ver-
schlossen halten, ein slavisches Wort ist.
■1^ m. DQnger; MlfthMfe m. Düngerhaufe, mhd. Mlstkife.
■Ittoeh m. Mitwoch. Cimbr. ■ittoek oder Mlttak CWtb. 176 unter
Tag. Meitochei u. a. Formen im ungr. Bergland, s. Nachtr. 21.
IltteiWAM bei Stockendorf hatte 1770 acht Hauser.
litlerdorf oder Alte llrehei bei Gottschee, hatte 1770 drei und
dreißig Hauser. Es ist seit 1788 ein selbständiger Pfarrort, mit
den Dorfern Oberlosin, Koflem, Malgern, Kerndorf, Windisch-
dorf, mit denen die Pfarre 1867 2256 Seelen zählte. Eine
Glocke in der Pfarrkirche daselbst wird als diejenige bezeichnet,
die die Gottscheewer aus ihrer Urheimat mitbrachten. Die Um-
schrift ist eben so unleserlich, wie so viele Giockenumschriften
des 14. und 15. Jahrhunderts, deren Buchstaben, theils wegen
Ungeschicklichkeit der Verfertiger, theils vielleicht auch, weil sie
wirkliche absichtliche Häthsel enthalten, nicht zu entziffern sind.
lllterdorf bei Tschermoschnitz zählte 1770 ein und dreißig Häuser.
■Ittergns, gesprochen llttergrif, bei Suchen, hatte 1770 acht und
zwanzig Häuser. 6bergras ein und dreißig.
■•dd n. s. mU.
■•imem meinen, ik ■•!■, da ■•liest, ftr Moliet. — ■•liiige f. Mei-
nung, bereits angefShrt S. 21.
lolea, Name in Zwislem 1614.
„■•■sekdi vielleicht R. Dieß scheint ein Schreib- oder Druck-
fehler fQr Big ^b mag sein.
Ims, gesprochen Mo;, bei Riek, hatte 1770 zwei und zwanzig Häuser.
■ir, Birarii s. ner.
■äre f. Mohre, ahd. ■•rakä, mhd. ■•rhe. Der Umlaut, den die
Schriftsprache hier unorganisch eintreten läßt, fallt in der
446 S c h r ö e r
Mundart doppelt auf. — Gebräuchlicher ist die Form ■•rie n.
Hehrzahl Mriafi Möhre. — MirUlijaMe m. Mohrröbensaroe. —
Herleiasraatk (für ■IrUfasraate) s. d. heißt ein Ort. Auch die
Kamt. Mundart hat mk^fl n. Möhre; mit dem Umlaut Lex. 191.
■•rgea, fMaraof auch marai; des Morgens. Kämt. tsckMtrgais
Lex. 192, tirol. dscknargest Schöpf 443; im cimbr. Katechismus
von 1842 steht sehnar^eiei, schlesisch sckMarchsta, Wein-
hold 85. — V^gl. jahaj Abends.
HarUia. Jlrgel des larkh« sii, Schwarzenhach 1614. — Im ungr.
Bergl. Harka Kremnitz 18S0. Mark, Harkas Neusol, Schemnitz
1360—1390.
■art, Maat m. Mörtel; nd. mmtt. Ich finde auch aufgezeichnet „Baal
Mörteh, was entweder ein Schreibfehler oder auf got. MiiMa
Molte pulvis zurückzuführen ist; vgl. kämt, malta Lex. 185. u.a.
HaraUts hatte 1770 fünf und zwanzig Häuser. Als Caplanei losgelöst
von der Pfarre Riek seit 1792. Es gehören zu dieser Kirche die
Orte Bbea, Nledertiefeibaek und Iilaar, Man erzählt, daft an
der Stelle, der jetzigen schonen Kirche, die, sowie die schöne
Pfarce und das schöne Schuihaus, durch des ausgezeichneten
Pfarrers Job. Krise Thatkraft erbaut worden ist, eine uralte
Kirche gestanden habe. Pfarrer Krise bewahrt die im Grund-
stein jener alten Kirche in einem Trinkglase gefundenen Reli-
quien, die die Jahrzahl 1580 tragen. Derart sind die Alter-
thumer von Gottschee !
■Irre s. Merre«
■arjar, Mijar m. Mörser. Kämt. Measer Lex. 192 (d. i. » airser).
tirol. Mersel, ■earsckl Schöpf 435, cimbr. narlear und süMif
CWtb. 148, 173. lat. MrtorloM, ahd. narUri, narsiri, mhd.
■arsaere; neben ahd. Marsall, mhd. Marsel. Die dem ahd. mar-
sirl nahekommende obige Form ist frei vom Umlaut der anderen
Mundarten. — MijarstreMpfel n. Stößel. So auch cimbr. stremp-
fei Stößel CWtb. 175. Dieß streHpfel tur stUipfel ist schwäbisch
Schmoll. III, 685. Im ungr. Bergl. besIreMpell abgestumpft.
Käsmark vgl. ferner Wtb. 100, Darstellung 166, Lautlehre 221.
larseker, Name in Altlaag, Weißenstein, Langenthon 1750; vgl.
Harseker.
■aseke f. eigentlich wol laseke, lasckei, wie ich 1750 geschrieben
finde, heißt jetzt amtlich TsekerBasekiitsslov.iersamice obwol
Weitere Mittheilungen über die Mundart von Gottscliee. 447
der Gottscheewer nur die lesche sagt. Es hatte dieser Ort
1770 ein und zwanzig Häuser» wovon eine Gruppe von fünf
Häusern Hasckel, die andere Gruppe von ffinfsehn Häusern
■asekem hieß. — Die Tracht der Frauen nähert sich hier der
sloYenischen. — iMehaar m. Mehrzahl ■•schiare der Be-
wohner der lasche.
boiauer, bolauer, geiiechter täc!
beraua, licht«r Tag!
alle di klockhelain läutent schdau,
alle die Gldclclein Ifiuten schön,
und Moschnar diernlain jjäfent noch alle sehean
und die Moeebner Mftdciien schlafen noch alle sch5n.
Hoschner Wecklied. Vgl. ein anderes Wecklied aus Mitterdorf
oben unter krAoea.
Als Pfarre erscheint Tschermoschnitz seit 1509.
llsel, ein bedeutender Pfarrort mit den Dorfern: Dornback, Reiatkal,
Terdremg, •tterbaek, iatsckam (= Niedermosel). Die Pfarre
wurde errichtet 1509» „die Pfarrkirche St. Leonhardi zu Mosel
ist 1520 gebaut-. Valvasor VUI, 774. Im Jahre 1770 zählte
tbernlsel zwei und fünfzig, NiederBlsel sechs und zwanzig
Häuser.
Itswald bei Gottschee hatte 1770 neun und dreißig Häuser. Vgl.
oben S. 12.
Iraoei gesprochen Hrige, bei Rick hatte 1770 ein und dreißig Häuser.
■teke f. Fliege; gewöhnlicher wliage. SIov. Bika.
mdel f. Nudel. — Bodel pUck m. Teigbrett, d. i. in Presburg,
Wien, Insbruck nadelbrett. — ■odelbeigar m. Walgerholz;
österr. Walger; die fränkische Form welger auch im ungr.
Bergi. Wtb. 103.
■adlgea coire; vgl. etwa kämt, ■adeli misten. Lexerl92; im ungr.
Bergl. midel Hode; Wtb. 82\
■ic ich kann, mag. Migef t, nie. ir ■oget §1 et regieren ihr könnt sie
nicht verwalten. Schon 1423:^MDg posso vocab. 85\
■lescke, Name in Krapflern 1700, s. Hisekee.
■Aeftei) ikniß, dinttfl, ar mtH] kirHfleßen, IrnAeßet, jeinAßeiit.
■Akem muhen, von Kühen; vgl. ■oeiea, ■ogelien, Schöpf 445 und 1.
■Al«i M kaekcB werden 1770 zwanzig angegeben.
■Alle, Name in Nesselthal 1750, s. llUe, Male Nesselthal 1700.
448 S c h r ö « r
■flIjDDC m. der Wassersturz, ursprünglich Verdammung einer Holz-»
riese, tirolisch ■•Isei, ■■!«€, Schopf 442, 450, bair. ■•bei,
Schmell. II. S74.
■ike, lilci, Name in Hoheneck 1614, Durnbach 17K0; vgl. ■•lei.
Im ungr. Bergl. I«lcier, Neusoll390, Kuneshau 1649. ■■Icier,
Sebemnitz 1362, lolciier 136K.
■iie m. Mond. s. niie.
■■■kfttiea leise sprechen, munkeln, ebenso tirol. ■■■gheien Schopf
451, kämt. Lex. 193, bair. Schmell. ü, 600.
■■•■e f. Muhme auch MieMe S. 117 im Reim aufplieHO.
■■•} n. Mus, Brei, mhd., ahd. mim n.
■■•t m. Absicht, Ih haa ■■•! ich beabsichtige. So auch kämt.
Lex. 194. Das vocab. 1479 schreibt: Biet ital. muodo; laeh
■elae (■) MDett a mio modo.
■oeter f. Mutter, wird selten gebraucht; gen. dat. der ■■eter^ accus,
dl BDeter) gewohnlich dafür &■• s. d. — nfleterle n. die Gicht.
■irke f. Gurke, kämt, rnrnffgü Lex. 194. Schmell. II, 66: aMrkem*
österr. ■■arkea Loriza 136. Castelli 260, madjar. iberka, poln.
•g4rek, dSn. agirke, nl. aprkje, spatgr. dyyüptov aus arab. alchij jir.
^Markel Nabeh Tschermoschnitz.
■irre f. Maulbeere, cimbr. ■■rra ital. Mera CWtb. 148.
■Affe f. eine Pflaumenart; vgl. nlrfle.
Iflsshee, Name in Langenton, Steinwand, Oberwarmberg 1750; vgl.
loesche, Hische.
■«sei m. Schafbock.
■Atsen, dar teig hIss s. MAeftea.
MBtatwels** in „die bei der grafschaft Gottschee bestendlichen Ort-
schaften und unterthanen besitzen ire hueben nicht atalweis,
sondern kaufrechtlich''. Rectificatorium de anno 1775. Ist hier
Biat aus BiBtti der Scheffel, aU Abgabe verstanden und hat
BiBlweis abgabenpflichtig zu bedeuten, so daß eine Entstellung
aus fliletwels nicht angenommen zu werden braucht?
fliatsela scherzen.
Bialiea sich zieren, trippeln, zögern; vgl. kärnt. Biatiea put/.en, tirol.
zaudern Lex. 194, Schöpf 454, Schmell. II, 664.
N fällt im Anlaute ab: a§t Nest, S. 41. Idea nieden; et nicht und
wird vorgesetzt: akbastackhea Abendstficken S. 38, HAkar,
Weitere Mittheilungen über die Mundart von Gottscbee. 449
Erker. £ingeschaltet wird es in plfleiei, »iiei blühen, säen
u. a.
Mit m wechselt n in Bidel s. d.
iiM m. Nebe], mhd. nMel ^ läbel m. Nabel, mhd. EAbal ) vgl. ^»■vkel'' .
iikisticUem s. «mestieUei S. 38.
lieliijle der nächste» der lächiijte geaeiiftr der Nachbar, vgl.
lehaer näher« Schopf 4S6. Es wird daher läckiifte auch eine
Form sein, in der die Adverbform näehi , mhd. likei die En-
dungen der Steigerung erhalt : laeheBer für näher; vgl. mhd.
Wtb. II, 1, 285"* und sodann läehiljt fQr liheiht, nihlst.
lukMal n. Nachtmal ; vgl. ammestucken S. 38.
ittktei nachten, verflossene Nacht; eri sera: leehtei vocab. 1423,
84*; vgl. Meiei nächsten Abend S. 109.
iiekatsen neigen; s. Fromm. IV, 396.
KaMe, als Gottscheewer Familienname bei Elze S. 40 aufgeführt.
ÜUIer, Name in Mitterdorf 17B0. Im ungr. Bergl. Nadler, Ntdler,
Kascbau 1399.
ligir m. Bohrer, piraagele u. plroigarle kleiner Bohrer, ahd. naba-
g^r. Vgl. cimbr. ninger, näbgar, im ungr. Bergland lekber
Wtb. 84. — der negber la verigola vocab. 1423, l^^
ligel m. der Nagel, aber nicht der am Finger; vgl. aegle.
^afiltock, Name in Obermosel 17S0.
^akraig. Die Leckerbissen der Gottscheewer lernten wir schon unter
piiick, pawalitee, wackllie und kalitscke kennen. Noch gehören
hieher die Artikel pr4at, saHIe, roebe, stranbe, kirje, keide,
arbalfte. Valvasor nennt II, S. 103 Bohnen als „bestes Tracte-
■elf der Krainer. Zweimalige Ernten, sagt er weiter, werden
überall angestrebt, nach der Weizen- oder Bohnenernte wird
umgeackert und Heiden gesaet, nach dem Hanf oder Flachs,
Hirse. „Zu diesem Ende hat man im Lande überall die soge-
nannten Harpffen gemacht, da man das Getreide hineinlegt,
damit es truckne, weil, es auf dem Feld trucknen zu lassen, die
Zeit nicht verstattet. ** — Dazu eine Abbildung einer larpfe,
ganz so, wie sie heute noch sind, s. S. 105.
Mäkmr m. Erker, Dachfenster; vgl. kämt, aker Erker Lex. 86.
Kak«iia, Name in Gottscbee 17S0.
'«■€■« Tanfnamen in Gottscbee um 1614: Aadre, Hase, Bisa, Cfregor,
6«re^ linsel, Ikas, Jaeab, Jarae, Jeioe, Lienkard, lareas, Lieas,
SiUh, d. phU.-hitt. Ol. LXV. Bd. II. Hft. 31
450 8 c h r ö e r
■atkes, fiel, Hickael, Niel Springer 1S60. 1614. PM^m, Pul,
PriMMi, Steffi, Vrbfti, WistI (Sebastian). Von 1787: Aiaai,
Andre, Aitei, Bart, lArtel, fietrg, fiere, fireger, laas, Ipai,
Jaekel, Jergel, Jekaines, Jesepk, Jirl, lasper, Lnkas, latai,
■atkel, lert, Hrasek (Ambrosius), Pail, Peter, Pkilipp, Steti,
Stepkaa, Tkenas. — Bei Elze 1860: Ander, Änderte, DmiUi,
Iruf , ftregl, Innj, Jäkel, Jej (Joseph), Jnre, Martin, lattei,
■iekel, Pal, Panlle, Hekard, Tela, Tenel) Anne, Blfe, Aere, fierl,
firette, late, Uine, Hina, Ilne, linkele, llrje, Ursel. -> Ich fand
häufig (1867): Bljk, Blje, Gerk, fiere, firiatk, firiate, Srtotte,
Jkkel, Je$e, lattk, latte, Leank, Ltone, Lnik, Lnie, link, line.
in Tschermoschnitz : llna, in Altlaag : link, line, llnkk, linke,
lertle, Nie§k, Nie§e (Agnes), Pkl, Pille, Vrjk, Vrje, Ten, Tene. —
In Mosel: Nea},IIr§. Daneben die Formen: fierate, Jnrate, lanjate,
Leanate, llrjate. — In Tschermosehn. ist die Endung noch — a,
die sonst zu &, o herabsinkt, das Deminutiv ist immer — ^(=s t).
nanal s. ninnai.
»nanar m. Raum vor dem Fenster" R. Vgl. analek«
nanne f. Wiege : nannen wiegen s. ninnal.
nkpfatien schlummern, ahd. naffeien.
nelgle^ neigte n. die Neige, der Rest im Glase ; österreichisch : nkgerl,
tirol. neagl Schöpf 4B8, mhd. neige ist in dieser Bedeutung
noch nicht nachgewiesen ; vgl. nergle.
negle n. Plur. neglaln der Finger; vgl. S. 83. winger und keae. Der
Nagel am Finger heißt sekile s. d. Eine Verschiebung der Be-
deutungen die zu den unerhörten Eigenheiten der Sprache von
Gottschee gehört.
Neja, N^ajk, Demin. N6a§e, in Mosel Nea§ Agnes.
Nesseltkal, großer Pfarrort, hatte 1770 sieben und fünfzig Hfiuser.
Die Pfarre besteht seit 1400. Es gehören zu derselben Alt-
und Neufriesach, Lichtenbach, Tanzbüchel, BOchel, Mitterbuch-
berg, AltlaagbQchel, Reichenau, Kummerdorf, Taubendorf,
Untersteinwand.
net nicht s. et.
Nenbaeker, bei Altlaag, zählte 1770 acht Hauser; vgl. Altpacber.
Nenkmek, kleiner Ort bei Neufriesach, der 1770 ohne HausersabI
angeführt wird.
HenMesaek s. Frlesaek.
Weitere Mittheilungen über die Mondurt von Oottschee. 451
leilatg s. laaf .
Reilaagbichel s. iMgbflckel.
ReolMim s. Niederlosli.
RciBau, Ober-Mösel 17K0, 1867 wird auch Neymann geschrieben.
Im ungr. Bergl. Neumann Leutschau 1660.
Heittbar hatte 1770 acht Hfinser, Alttabor neun.
Heiwtaikel bei Suchen hatte 1771 neun und zwanzig Häuser. Alt-
wiikel ebenda zwei und dreißig. Vgl. Wiikel.
Rlek, Htck Fächer 1614. Schalkendorf, Töplitzl 1780.
ütederlMim bei Mitterdorf hatte 1770 zw5lf HSuser, •berUsin, ebenda,
zwanzig» Neaksli, ebenda, neun.
Riedenulsel s. llsel.
RIederliefeibach bei Morobitz hatte 1770 dreißig Häuser, •bertiefen-
bach, ebenda, dreizehn.
Hlel Sprbiger, Schwarzenbach 1614. Hier ist NIel wolTaufhame; Nico-
laus? — Im ungr. Bergl. finde ich den Namen Rill in Käsmark 1644.
ite|aliei9 mle$ei niesen, mhd. Elesen s. -atiei.
iieschaik, Uesehtnk, nasckar Sacktasche, Rudesh S. 267. „Escarius
etiam est bursa in qua ponitur esca pro via : eio leser^ Dien-
fenb. gl. 111; Tgl. eser, mhd. Wtb. I. 448. Schmell. L 116-
im vocab. 1423, 49^: et chamier der eser^ mhd. Aaer loculus
vocab. 1445, entspricht einer gottschee wischen Form ikfar,
iijarf bei der n vorgesetzt wird, wie bei lAkar s. d. u. a. —
Ich hörte selbst in Gottschee nur die Form ntjar. Die beiden
anderen Formen scheinen entstellt, ilesckaic etwa aus iiAsekkie
von mhd. iflsekei mit einer nflscke schließen.
ilidert nirgend. So auch schles. Fromm. IV, 173, lidert, im ungr.
Bergl., Wtb. 66: iidert. Tirol. Mildert Schöpf 470. Cimbr.
■imdart CWtb. 150.
■iiiall liial mmII im Wiegenlied, s. die ■•Irirli. Die Endung ai
in miiiai, ■anal, protal sieht wie eine Imperativform aus. Vgl.
Diez I, 290 unter liaiia. Hoffmann hat Gesch. d. Kirchl.
S. 420 das sMailaie und saiseiiiiie aus sisAI ■inie erklärt;
Tgl. Megenberg: warn al sinseid Mm Maeheit slAfeBt, daran
•iaseid dl tmmtn In kiidera pei der wiegen, sisa! ist Inter-
jection geworden und MiBie Liebchen, liia ist in Aachen die
Wiege, ■iaaiei schlafen in der Kindersprache. Mfill. Waitz 1 64.
So in Gottschee, laiia Wiege, aauaei schlafen.
31-
452 S c h r ö e r
Eisck nichts, ti nicht. Das erstere steht dem cinibr., kämt, tirol.
Eicht nix CWtb. ISl. Lex. 197, Schopf 46S ferner, nähet dem
Eisehd nichts, im ungr. Bergl. ; s. darüber Wtb. 84 unter leck.
Das sudostschwäbiscbe et nicht, das auch kämt, ist, s. Lex. 147»
erscheint in der Frage auch in Tirol als it» s. Schopf 467,
weiteres über nichts alekt und it et s. Gr. Gr. III, 67, 738.
■•c m. Berg, Gipfel, nl. B«k f. First, Spitze, kämt. n%tk m. Kuppe»
Lex. 198, tirol. Schöpf 471. Weder ital. E^eca Knöchel, das
Diez II, 48 von mhd. knacke ableitet, noch nocekl» nucleus gibt
hier einen befriedigenden Anhaltspunkt. Auch gn«cco Nocke,
Mehlspeise, ist aus dem romanischen nicht zu erklären, Diez 11,33.
B«pfEtieE schlummern. Vgl. napffttsen.
ntffgle n. die Neige**; vgl. aeigle.
N«8cke, N«8ekee, Name in Neulosin, Niederlosin 1700.
NAek s. NIek.
MiEdtsekar später"*. In der ersten Silbe kann ai == nach enthalten
sein. Vgl. n^dde^ aadlsck Stalder II, 241, das derselbe aus
noch, doch erklärt.
■ae nun. In der lebenden österr. Mundart ist mir das Wort nicht ?or-
gekommen, cimbr. eee, kämt, no, o«. Oben S.68 lesen wir; eu
i§t der Mg genkeket — eec kaneat dfl tflglaia afs madelpUck.
BB«8ck m. Dachrinne, Rinne; ahd. BE^sk etc., ein allbekanntes Wort:
beachtenswert ist nur die Bedeutung, die es überall in den
Mundarten hat; cimbrisch, kärntisch stimmt näher zu gottschee-
wisch, im ungr. Bergl. und der Ileanzei waltet die Bedeutung
Freßtrog vor; s. Wtb. 102: ursch. Fromm. VI, 339.
BflsckkEC die Tasche, nehme ich an statt MBiesekMk^ s. d. Dazu ist
noch zu bemerken, daß mhd. BflsckeB zuschnüren, noch in der
Schweiz erhalten ist Stalder II, 247.
EifEf m. die Tasche, mit vorgesetztem n aus einem mhd. iser s.
„Blesck^Bk''.
0. — volle Vocale hört man oft auch in Bildungssilben: spricktt,
klr«t, dieB^B, aifleß^Bt, was wie ein Nachklang des Ableitungs-
Vocals der zweiten schw. Conj. aussieht; aber auch kaaitr.
lalb«r etc. So schreibt das vocab. von 1479: erlis^r^ wMi*
g«8teB u. dgl. Das o in beek«t weckte ist aus älterem a ent-
standen ; s. die Anmerkung unter Margretitzle.
Weitere Mittheilungen über die Mundart von Gottschee. 453
Das kurze n wird ä, o, das lange u. Langes 6 wird öa:
iwenäek Ak«fi, «wia abbin, binab, get4E getban, iajtem etc.
Merkwürdig ist die Endung weiblicber Hauptworter und
der sebwaeben Adjectiva fem. in o, was an die gotisebe weibl.
Endung 6 erinnert. Es ist ein zu o gesunkenes abd. d s. a■i^ das
sieb, merkwürdig genug, aueb im Adjectiv gebalten bat, indem
. das kurze o des Masculin in e übergieng. Also gotiscb: mase.
blinda fem., blindd; abd.: mase. plinto fem. plintä; gottscbee-
wiscb : mase. plinte fem. plinto. S, jl^abe.
tberbieckberg batte 1770 fünf Häuser, Viiterbieehkerg neun. S.
Buebberg.
tberdentocbai 1770 mit secbs, ViterdeiUeban mit sieben und
dreißig Häusern. S. Deutscbau.
•berliegend^rf s. Iliegeiid«rf.
tbergras hatte 1770 ein und dreißig Häuser, s. littergras.
tkerkaUeid«rf 1770 mit drei Häusern, s. auch lalievd^rf.
tberlMin batte 1770 zwanzig Häuser, s. NiederUsia.
•benütierd^rf 1770 mit fünf Häusern.
tbenulsel s. HIael.
•berskrill s. Skrlil.
fberstein 1770 mit zwei Häusern,
tbertappelwerck s. Tappelwerek.
f berMefenbaek s. Tlefeibaek.
tbertsckatsckitaek s. TtekalsckKsek«
f berwaraberg s. Wamberg .
f berwclieibacb s. Wetaeabacb.
fberwUlbaeb batte 1770 drei Häuser.
tberen, gesprochen •brara, bei Hitterdorf batte 1770 zwanzig
Häuser.
•beriaaer, Name in Riek 1616; vgl. •blaser.
aber« m. nämlich Wind, der Ostwind, Jaik m. der Südwind, pir
(=s Bär) m. der Nordwind.
tberieger m. Wiesbaum in Tschermoschnitz.
4berllac m. Ermel. d •berliage keit af a placke we$t lidergeflagea
nd gekrifpat die Ermel (des Hemdes) werden auf einem Brette
fest niedergeschlagen und gefältelt.
454 S c h r ö e r
tberaiMiii, Name in Nesjseitbal 1700, Krapflern» Gottschee, Böchel
1750.
•Maser, Name in Riek 1616.
•fei, eweikeraek n. Ofenkericht, eweiikerer m. Ofenkehrer, twei
spMge f. Ofenblech.
•ffe f. der Frosch, cimbrisch iffa, hiffft f. Kröte CWtb. 127\ Vgl.
klpplB Kröte Schmell. 11, 221. — Mhd. Mehe, tirol. uke
Grimm Wtb. I, 817, Schöpf 23; im ungr. Bergl. erdhaiek, s.
Nachtrag 24.
•gniUeh, Name in Buchberg 1614, in Nesselthal 1614: lagiitsck.
Die Sltere Form, die auch oben S. 36 nachzutragen ist, ist
Agnitseh 1560, so auch in Mosel, Prörübel, Deutschau, Buchberg.
•g} m. der Ochse; schon 1423 : der «gseh, dl •gschen vocab. 36*, vgl.
oben S. 23.
•i steht gewöhnlich fQr mhd. ei, wird zuweilen zu 4 zusammengezo-
gen; z. B. biß weiß, s. S. 21. Zu ahd. leltrA, slovenisch Itjtrt
konnte noch angeführt werden mhd.Metster, slov. ■ijster. — iii
ein. a het »In lledle s. liedle. — •taon einem; 's l&itet timti
ai8. — «lEder einer etc.
•■■estaekkei s. teestoekkeD.
•■•I n. „•■•Uen Spreu^; tirol. itakl f. Spreu, Schöpf 476.
Schneller leitet es ab von anlKa S. 271. Vgf. jedoch Schm. \l
564: Mallea und ahd. anaMkU.
•■plati s. kaplatie«
dplaniUeh, Name in Gottschee 1 669.
-•r als Endung der Wörter: laibar gleichwoK kaaar kaum, deantr
darnach , beiaar wenn , ist beachtenswert. Laibar scheint zu-
sammengesetzt aus lai (»lieh) und mmrt wie kamt, lelsimar
Lex. 156, bair. gleleksawal, gleleksanar Schmell. II, 425;
deaaar erinnert an cimbr. deajar darnach, CWtb. 115. — bei*
aar ist vielleicht aus dem altsächs. koaa^r quando primum?
Gr. Gr. III, 182 nl. wanaeer, nd. waaa^r, weia^r zu erklären
und kamor scheint die Comparativform, mhd. ktaer; vgl. Gr.
Gr. m, 600, 619.
arbalße s. arbaiße.
Orlaaltsek, Name in Gottschee 1750.
ar§Ufer m. forficula, OhrschlOpfer, der zweite Theil des Wortes aber
gebildet aus dem Plur. prat. von sltfe, sieif, sllffea.
Weitere Mittheiloogen ober die Mooilart von GotUcbee. 455
•rt, iiii n. das Ende, er Ijt tm 4irt Voc. 1423 : du eekt eder Unekel
•der ert el chanton 11^
^f, ij n. Aas, ahd. is,
Isiiniti, hafte 1770 neunzehn Häuser. Die Pfarre soll 1509 ge-
gründet sein.
IstenaiB in Hitterdorf 1700, Koflern, Ort, Altlaag, Zwislern, Kern-
dorf, Rein, Mos, Moswald, Schalkendorf, Graflinden etc. 17S0.
In Kerndorf 1684: •sterHM.
Menen s. •sternain.
Mten, haften Ostern« Die Osterkuchen werden gefüllt mit zwei
Arten Fülle (so wie anderwärts theils mit lahii, theils mit
Nässen) und jede dieser Fällen besteht aus zwei Ingredienzien,
aus laBlg Mit lauf (sie) oder Bi ■!! lanf (6stra stellt chlide
b«iae egir saaiio! ließe sieh hier anführen, wenn man an Zap-
perts Schlummerlied glauben könnte!). — j^Vorn Fasching-
dienstag aufbewahrtes Brot wird in die •sterspeisen gethan.
Die bei den Gottscheewern übliche •sterpatae^ welche zwei
Zoll dick ist und am Palmsonntage in der Kirche geweiht wird,
besteht aus Zweigen der frühen Weide, scdix prciecox ^ welche
oben mit Epheu umwunden, unterhalb mit rothen und ander-
farbigen Bändern zusammengebunden sind. Diese geweihten
Zweige werden in Kreuzform geschnitten und an die Stall- und
Kellerthüren gehängt, damit die Hexen nicht in die Stallungen
eindringen und dem Vieh Schaden zufügen können. Auch
werden bei herannahenden Gewitterwolken einzelne dieser
Weidenruthen in die Felder gesteckt, damit der Hagel nicht
schaden könne.*' Elze.
tswaldy tsw«!!, Name in Schalkendorf, Neuwinkel 1700, Deutschau
1750; im ungr. Bergl. dswalt, »iwald, Schemn. 1362, 1858,
Piben 1785. «swald Neusoi 1390. Unterturz, Oberturz 1858,
Käsmark 1605, Osbald Kaschau 1645, Oswald 1829, Ostwald
Käsm. 1627, Oßwald Kremn. Käsm. 1850. In Presburg 1379'
•twaldis hawer.
ttter hernach s. älter.
ttterbach bei Mosel hatte 1770 achtzehn Häuser,
••t häufig im Yocab. 1479: glaeiat, nakat, spreelat, Hasat; in dem
Tocab. Ton 1423 noch -at, spreeklat fleckig 61% llereckat 47^;
ebenso noch in Gottschee vgl. stackat, ränelat etc.
456 S c h r u e r
•werMek n. AliorngebQsch s. äweriäeh.
•wIb hinab, aus ab-kio; man hört aber aach Alm s. k ab S. 36 und
Ue S. 109. — df }DBEe g^at «wIe die Sonne geht unter. In
Aitlaag horte ich aber: es sei nicht recht zu sagen die Sonne
gehe hinab, die Sonne geht Gott folgen, s. darüber S. 93.
Für Meinerts Ausdruck die Sonne geht zu Golde, den ich a. a.
0. bezweifelte, finde ich ein Zeugnis aus Cod. germ. mon. 714,
f. 65^: die seee ging s« g«ld.
P. s. B.
Nachzutragen ist daselbst: päaie m. Wanst, Mehrzahl
paifei Gedärme. — piike f. Trommel, S. 47, vocab 1423: ker-
pank f. tamurlo; der paacker pankei 24^. — pam spr. pEm m.
Mehrz. pArne Abtheilung im Getreidekasten (was mehr zu ahd.
paran parasi sinus, als zu pars« stimmt). — pätschei vom
knisternden Feuer, vom geknickten Floh. — p^ar m., mhd. htr
Eber. — Fera Verona vocab. 1423, 38**, PereE Verona cod. it 1 460.
f. 4' — peraer bagatin denaro voc. 1423, 18% 89', 1460 f. 22'
— a p^$e ein wenig. — plgsade der Raum unterm Dach für Heu.
Es ist vielleicht zu schreiben: Ugaade (=wignade) und geht
auf ein Zeitwort wigBaa zurück, in der Bedeutung wellern;
vgl. Schweiz, wigglete Wellerarbeit Stald. II, 4B0. — pilieh
S. 53; vocab. 1423; pilicheiE choneB fodra di giri 8^ — Der
Infinitiv von ih pit ich bitte ist pitea (patteBi beten). — plisseB
blocken. — 9? plAdat es weht der Sturm. — pllede unwol. —
plIckatieB blitzen. — pane Buche.
R für L in r^arkchle s. d. ahd. MrahhA Lerche.
Raab, Rab, Name in Schwarzenbach , Lienfeld, Prörübl 17S0; vgl.
Raflib, Raflib. Im ungr. Bergl. Petrus de Rab Neusol 1390.
Raab Käsm. 1610. Rab Leutsch 1660.
rabhieale n. Rebhuhn; mhd. rllbhEaB.
räche m. Rechen, mhd. fliehe m.
Rächer, Recher, Rieher, Name in Oberlosin, Niederlosin, Mitterdorf»
Gottschee, Schalkendorf, Zwislern 17S0, s. auch Recher.
rächt recht, rächt wll balBperlaiB draaf recht viel Korinthen drauf ;
s. powalitae.
Wettere Mi tt Heilungen fiber die Mundart von Gottscbee. 457
fkktl s. r^ekkel.
rille s. jialtleirAdle.
rifgaic m. Rauchfang; vocab. 1423: raiekkais el cbamiQo 11\
rAAikke f. Haken an der Raufe.
rikea räuspern. Vgl. Stald. 11, 263 : raiei.
rAf s. rlw.
nibei reiben, zerbröckeln, stückweise reibend iosbröckeln, ^yrebeln** s.
Pfeiffers Germ. XI, 237. — gerlkeis pr4at geriebenes Brot ; MiUek-
rtiker s. d. Butterfaß; Tgl. reikerkis Schmeli. 111,7, daher sIot.
ribati reiben, rlkelim Reibeisen. Mais abralbeii sagt man in
Gottschee fQr abkornen.
nibeade n. das Fieber; die Ruhr. Vgl. sekittel.
«rateef. das Schaffe. Ich bezweifle die Richtigkeit der Aufzeichnung.
Vgl ralme f.
lili s. leim,
raiae f. Hilchschussel, auch von Holz, ebenso kämt Lex. 206.
Eigentlich das deutsche, aufter Österreich langst verschollene
Wort für casserale ahd. riiia Graff. II, S22. Vgl. Schmeller HI,
101 : rlia cacabus (12. Jahrh.),
Das Wort ist in Schades Wörterb. übersehen und fehlt
im mhd. Wtb. ; im ungr. Bergl. rettepf Milchtopf; raia f. irdene
dreifuftige Pfanne; im raiickei werden Speisen aufbewahrt und
versendet Wtb. 87.
nüAei zwicken,
rui m. Mehrzahl rinae der Rabe Vgl. RöBergniid. Ebenso cimbr.
res reMMeWtb. 221. Schon ahd. kran neben krabai Rabe; im
16. Jahrh. in Marb. schon taa.
Hm m. Rahm, jäefter rtm\ mhd. raiH.
laab Name in Gottschee, Prelibel 1750 Vgl. Ronk. Es ist der Name
ahd. Irabai, t$m vgl. rte, Rabe.
Raaar, Name in Gottschee. Reichenau,^ Götenitz 17S0 u. f. Vgl.
liMor.
laaitfca, Name in Gottschee 1780.
laattriegel, kleiner Ort, der im Jahre 1770 vier Häuser zählte. Die
Mundart spricht IaB§rigel, das wäre ein Riegel d. i. Bergabsatz,
der von einem gewissen Ran (s. oben Raab) den Namen
hat Demnach wäre obige amtliche Schreibung unrichtig und
dafür zu schreiben Rantrigel.
458 S c h r ö • r
räaUe, mkhel f. der Bohnenstecken. ronkkelarbAifte oder r«Bkljitc
ärb. rankende Bohnen. Vgl. tirol. rkigge Holzstange Sebopf 533
Schmell. lU, 111. Lexer 204.
tankel» Name in Gottschee, Altlaag, Windischdorr, Kiindorf, Malgern,
Hoheneck, Hasenfeld. 1750 vgl R«nkkel.
Rankeli Name in Schwanenbach 1614 Rankhele, Klindorf 1614.
rkjte f. 1. die Strecke Weges bis zum Ruheplatz, 2. der Ruheplatz,
die Lagerstätte» Name für Gegenden in Kärnten Lexer 205,
ebenso in Tirol Schöpf 536. In Krain bei Zarz der Berg Rast,
gesprochen R«sekt slovenisch: P^UtaU (von ptÜTall ruhen,
rasten). S. oben Seite 30. rkftea ausruhen ; auch vom Teig ge-
braucht: dl wlftr UigUU Mflefteat a wlertelstande rkstea s. oben
S. 58.
RMeh, Name in Gottschee, Graflinden, Lienfeld, Hinterberg, Reinthal
1750. Im iingr. Bergland in Leutsch. Rank 1660 in Schemnitz«
Stooß 1858: Raiek. Auch im fränk. henneberg. Spieß 201.
rantef. eine Reute, Rodung. Die mit Steinen oder Hecken eingefaßten,
mit Gemüse oder Flachs bebauten „Gröblein*' nennt man auch
Rantea. Vocab. 1423 : die raat la ruda 35**. Dieselbe Form mit aa
für en (mhd. iu: riate) mit verschiedenem Ge,schlecht, auch als
Ortsname kämt, tirol., cimbr. Lex. 205 . Schöpf 540, C Wtb. 1 59 :
„raat m. — Gareut — der deutsche Name für Frassilongo. Der
Familienname Roncari wird durch Renteiar gegeben. '^ Im Lehen-
buch der Grafschaft Cilli Codex 243 fol. 39. circa anno 1436:«^
' CbristoiF Rewier hat ze leben enphangen vnd sein erben . . .
die hernach geschriben gueter der ersten fünf hüben in dem
Gostel gelegen, zu dem aigeiisekea gerewt vier, vnd die fumft
zu band oberhalb am Padaw. Item drei hüben im Koste! vnder
der kyrichen gelegen mit ir zu gehörung, da Peter auf ainer (sie)
und Tome auf ainem (sie) karnig(?) gesessen sind, und sulleii
zu dem aagrisehei gerewt ader anders wo in unser herscbafl
hewslich gesessen sein und auz der herschatl nicht ziehen. **
Schrift!. Mittheilg. von Prof. Zahn in Graz. — Vgl. oben S. 92 :
gereat Beachtenswerth sind die Orte in deren Namen die Form
r«de für reate vorkömmt, was auf eine Einwanderung aus Mittel-
oder Niederdeutschland hinweist. So Edelschrot, von 1270 bis
1300 noch fielesckrade und Cfeleasehrode, Leonrod von 1218 bis
1300: Leoar«de, Lewearodc und lewear«dla. Zahn.
Weitere Mittheiliingen über die Mundart von Gottschee. 459
riwe» Hmt m. Balken, der das Dach stQtzt; mhd. rufe ahd. rufe.
Kämt, rtf Lex. 202 tirol. rUfen Schöpf S26.
ntie f. Ente. Slorenisch rsea. Die Ente muß den Gottscheewern
lange Zeit ein unerschwinglicher Braten gewesen sein, so daß
selbst die Erinnerung daran mit der deutschen Benennung aus-
gestorben ist. Das Deminutiv ratete n. begegnet in dem Kinder-
reim oben Seite 68 :
das ratzle
st^at of proitem tatzle.
Cimbrisch scheint ähnliches der Fall gewesen zu sein. Dort
heißt die Ente: anera f. nach dem italienischen aittra.
r^aftaeh n. Haidekraut sl. r^sa.
lekiue, Name in Pöchi 1750.
leeher, Ricker, R4eher, Name in Gottschee, Oberlosin, Niederlosiu,
Mitterdorf, Schalkendorf, Zwislern 1750. Diesen Namen fuhrt
auch Bergmann auf aus Genta im CWtb. S. 1 3. „Recher, Lam-
ber, Tonezzer.'' vgl. Reker. In Marb. schon 1367: Phil. Recker.
Hk^ rteek n. Reh; mhd. r^ck.
reckt n. in karrekt, so hieß 1316 eine Flachssteuer in Krain, die nicht
nur in Flachs gezahlt wurde: quicunque nutrit apes solvit
karrekt et steuram — pro jure quod vocatur karrekt, quaelibet
bubarum solvit duo mez arenae 3 denarios veteres, lini 3 zech-
ling. — rackt recht, vestärkend: rackt wil kainperleli draaf
recht viel Korintchen drauf s. powalitze.
reckluge f. der Vortrag die Aussprache, Erklärung« vgl. mbd. er-
rackellck explicabilis zu ahd. rakkii) im Liede trene Ueke unter
liep.
reckel s. r^ekken.
redei reden; part. pass. gerait geredet. Mhd. sind die Formen gereit
for geredet, sowie du reist, er reit häufig s. mhd. Wtb. U, 601.
leker, Name Jn Hoheneck 1614. Oberlosin 1684. Im ungr. Bergland
Paulisch 1858. Rekar. Vgl. oben Reeker, zu bemerken ist, daß
Rekar slov. auch für firegor vorkömmt.
legiaa im Liede.
Regina.
1 . Wan dort da jtSt oin gartle mit röa^en i;ts angetan
Darain spaziert oin juncfrau mit oin jnöbaißen kloid.
460 S c h r ö e r
2. §i tuot di röajen precheii mit gruenen majoran:
„guot morn du Jüngling du allerschöujter noain!''
3. Si roichot imon oin peschle mit grüenen majorin.
4. ^Sch^an dank, du juncfrau, du allerschön^te main;
Bü bi;t du aingekömen in main rdajengurt?
5. Maine türen hent worjlosssen, meine mauern hent zu höach!"
'Mir hent keine turn worjlossen, mir hent keine mauern zu hoachT
6. „Bi hoißot junefrau dain name, dain name?**
'Main name der heißet R^tnä.'
7. 'Bi heißet jungHng dein name, dein name?'
,,mein name heißet: herr Jesus heißet main nam.
8. * Benn dein namen heißet herr Jesus, ;o pijt du gottij ;un !'
reiehei reiehei reichen, reich mtr dar dei btißei hliid im Liede:
mhd. reiehei. Das Wort scheint sonst in Osten*, nur in der
Zusammensetzung hin- zu- etc. reaehei üblich.
Reiehenai bei Nesselthal zählte 1770 sechs und vierzig Häuser.
reif reiwstil m. die Schnitzbank, relwstilkäie f. gleichsam Schnitt-
bankmaul, der obere Theil derselben.
reii reli m. der Rain, die Ackergränze, das Gestade; det Berg^eg.
Im Liede ist eine typische Formel der breite weg; und der steile
taii (darstickle reii)| cimbr reai, rlile Wtb. 161. mhd. reia.
Reii gewöhnlich geschrieben laii gesprochen Reiif, ein kleiner Ort
der 1770 sieben Häuser zählte.
Reiierle, Name, den Elze aus Gottschee anfuhrt. Im ungr. Bergl.
Reiner Kaschau, Käsmark, Pilsen 1600—1840.
Reinthal bei Mosel zählte 1770 acht und dreißig Häuser. In der
Kirche die Inschrift: ^hoc altare erectum est sub parocho Joanne
Hess Herbipolensi 1648."
Reisehei Reyschel, Name in Lienfeld 1780.
reiten reiten rechnen, cimbr, reaten, tirol. reaten, Kämt, ritea Wtb.
161. Schöpf 829. Lex. 207. mhd. reiten. Daher: reitiage f.
Rechnung. Die Slorenen haben das Wort entlehnt und zwar
reiten in der Form: r^tati rechnen; reltnnge: ri^tinga Rech-
nung, ganz wie fti^fa, nii^ninga s. oben S. 21.
Renischall, Name in Morobitz, Weißenbach um 1700.
Renllewitsch, RennlUwit8eh,Rainilenit8eh, Name um 1780 in Gottschee.
r^rachle n. riaräehle n. riäräehle die Lerche. Das / wird im Anlaut r,
wodurch eine Form entsteht die wie eine Reduplication aussieht
Weitere MiUheilungen über die Mundurt von GoUschee« 461
ahd. MrahkA. cimbr. lebereka im Spruch: kickoz kackoz, de
leberchen geiit parvoz. Wtb. 1 42.
leser. Reiser» Name in Niederlosin 1614.
letel. Mtkel, Rittel, Name in Schernbrunn» Neufriesach, Nesselthal,
ProribeK Koflern, Niederlosin, Windischdorf um 17S0. Im ungr.
Bergl. Ritel Schemm. 1367 Nensol 1390: R«tel «Mit. Röthel
Leutschau 1660.
Icwter Christianus anno 1436. s. Raute. Dieser Name stammt vom
Rheine her. Im ungr. Bergl. finde ich den Namen Rettter 1660
in Leutschau. Das Wort reiter ist keine Nebenform von reiter
sondern ganz andern Ursprungs. Alemannisch riter, nl. riiter
geht auf miat. ruterus ruptarius zurück s. Weigand II 491,
jedoch kann der Name auch mhd. rintaere Urbarmacher sein;
der dem ital. Roncari entsprechende Name lautet freilich cimbr.
Reoteiar s. raite und Schneller S. 169.
ribalfenle n. Reibeisen. Daher slovenisch : ribati reiben, ribeftta Reib-
eisen. — Mais abraibei sagt man in G. fOr abkornen.
riUtsel n. Johannisbeere. Allgemeine ostr. riblsei. Schmell. verzeich-
net auch die Form rlbiiel III, 8.
likaik. Ribilg, so 1770 geschrieben, hatte damals zehn Häuser.
Meke, Rieg f. hatte 1770 ein und sechzig Häuser. Hier war um 1407
Joannes leng al. Kiik Pfarrer s. Seite 18; vom Jahre 1664 wird
Vitus Math. Rin«r s. d. als Pfarrer bezeichnet. Der slov. Name
des Ortes R^ka der Fluß (daher auch Fiume slov. R^k heißt),
paßt hier nicht. Vgl. kämt. Riegge, Name einer Wiose. Lex. 209.
liekeras plebanus in Zirklach (Cerklje) sei als deutscher Name
in Krain vom Jahre 1186 angeführt, als Gottschee noch eine
Wildnis war. In Marb. 1 144, 1202: Rieker.
riektei in inricktei anrichten sagt man auch vom Waschen der
Wäsche s. ner.
riekel m. Runkelrübe. Vgl. etwa Rigriebei Schmeller III, 66.
rMel m. Kopfring um Lasten auf dem Kopf zu tragen, zu mhd. rlde
reit ridei drehe etc. Ebenso Kämt. Lex. 208. Schopf 583, vgl.
rigerle. Cimbr. ridel Reifrock, rideli wickeln.
rife n. der Faltenschoß des Kleides unter dem Gürtel; daher rigei in
Falten legen; gerig«tei pMt gefälteltes Hemd.
Das Wort gebort zu rlke r^ck rlgen und ist alem. S. Stalder
rigi r. rigenei II, 878. In Gottschee ist es schon im Erleschen.
462 S ch rö e r
rigel m. der Bergabsatz, Hügel. S. Weinhold bei Fromm IV, 201, im
ungr. Bergl. und Siebenbürg, r^g regel ngikal s. Wtb. 34 unter
berg und Darstellg. S. 409, 2.
rigerle n. hört man zuweilen für ridel s. d.
Rigel, Name in Fächer 1614. Im ungr. Bergl. Rigeliis KSsmark 1610.
Rigel Schemm. 1858.
Rigel ein Dorflein, das 1770 sechs Häuser zählte.
rikei, di — la fubia vocab. 1479. 12^
riikale n. die Schnalle ygl. Stald. 11, 278 = ringgen.
Rliser s. Rinser.
rlje m. der Riese. — Die RIesei waren große, starke Leute, so groß,
daß neben ihnen der größte Mann wie ein Zwerg aussah. Die
letzten Riesen aber wohnten in NesBeKhal, wo noch ein Brunnen
ist, den sie erbaut haben. Als nun die Menschen auch bis dabin
vordrangen und das Feld bebauten, da sagte ein Riesen-
mädchen; „was thun diese Ameisen?** Ein altes Riesenweib
aber antwortete; „diese Ameisen werden uns alle noch ver-
treiben!'' Mundlich aus Mitterdorf.
rije f. rljel f. Holzriese, mhd. rise f. Ebenso kämt. etc.
rl$el m. Hagel, rijeln von kleinkörnigem Hagel. Lexer verzeichnet das
Wort in dieser Bedeutung nicht. Es ist alemann. Stald. IL
27$, tirol. bair. Schöpf 8S8, Schm. III, 133.
rltlarjMäi m. Ritter; in der Ballade:
(Blaubart).
Bie wrüe i§t auv der ritter§män
ar hevot a neues liedle an.
a liedle mit dreuderloie ;timlain
a liedle mit dreuderloie ;timlain.
Dhs derhuret kloins mediglain
kloins mediglain in jläfkamerlain :
„benn ih dan rittar kennet,
laib^ller das liedle §ingen tuet!
das liedle mit dreuderloie §timlain
diis liedle mit dreuderloie $timlain !
Dar bärot main dar liebe,
dar bdrot main dar liebe !**
Weitere Mittheiluugen über die Mundart von Gottschee. 463
Awdr dk märot i) ;ih der rittar junc :
„ih pin es, dain dar liebe !
i kiiD dks liedle guet jingen,
$0 kirn za mir prav mediglain.*'
un auv Ol mächet prav mediglain,
ar nimot §eu bai jneabüißer häiit
a ^bingot §eu af §ain hengijtlaiii
9eu raitent ahin an bage.
bi ^eu a §tüekhle hent geritten
raitent §eu wur wor a he$elstaude
Lei bü do eilf turteltauben tuent §itzen.
, §eu singent a neues liedle :
^^6 l&ß dih juncfra, werwüeren et»
der rittar tuet di werwGeren.*'
»Bir $aiben schon un;er elfe
deu zwelfte deu ber§t du ;ainen !^
*So würcht di et, du juncfra sch^an,
de turteltauben $ingent a het oin liedle.
De turteltauben ^ingent a het oin liedle
bie 9eu in dam lante tuent fingen >).
bie ;eu a stückle geritten hent
$eu raitent wür wor a prunne sch^an
bu Ak pluet und biisser tuet rinnen
bu ii pluet und bässer tuet rinnen.
A§b da ;prichet deu juncfra sch^an :
„0 rittar junc, du lieber main,
bäs rinnet da wor a prunne,
bu da pluet und bässer tuet rinnen ?<*
'So wfircbt ti et du juncfra sch^an
*8 ischt in dam länte a hett ein prunne
LaibA da pluet un bässer tuet rinnen,
laibfl da pluet un bässer tuet rinnen.
') Ht. ■•ret, d. h. meldet.
') Tgl. Gdthet Faust Kerkerseene : sie siog^en Lieder auf mich , es ist bös von den
Leutra, 0iD altes Mfirchen endet so.
464 S c b r d e r
Un bie $e a stückhie geritten hent
jeu raitent in a win^tern bald.
Ar pruitet aus kol^bkrzen bontel»
ar f etzot deu schwane juncfra draf.
Si schdget mon freundlich in di ägen,
as iren ilglain wließent zahern.
mSo boine;t du um dain wüter§ guet?
boder boine§t du um dain §tolzic mueter?
Boder boinejt du öm dain Sre,
laibSs in bklde tuet plaiben?**
' I boin es et um main wAter§ guet
i boin es et öm main stolzic mueter.
I boin es lai um deu hallige tände,
bü di elf junefrin tuent hängen/
„Es hängent schon elf juncfrän drauf,
deu zwelfte, deu berjt du ^ainen.
Es kän gir et ändere §ainen
es kän gkr et änder§ Rainen !**
„So werlAb mir ritter drai schroige ze tuen,
90 werläb mir rittar drei schroige ze tuen.*'
'So schrai biwH as du bil§t,
's i$t niemand ze hören in biilde!'
Den ersten schrei si m&chen tuet,
§i machet en zen wüter ir.
„So kim mir ze hilfe main wüter,
main laben das plaibet in bälde !^
Dan sboiten schroi gi mächen tuet,
§i mächet en zer mueter ir:
„So kim mir ze hilfe, main mueter,
main laben das plaibet in bäldef*
Dan dritten schroi §i mächen tuet,
^i mächet en zen prueder ir:
„So kim mir prueder ze hilfe,
main laben das plaibet in bälde!**
Der prueder dar birot a jager^män
der prueder dar bärot a jager$män.
Ar höret das hundlain koulen
ar höret §ain §be§terlain schraien.
Weitere Mittbeiluiigen über die Mundart von Gottscbee. 465
'Hält auf, hält auf» du rittar june,
hält auf, hält auf, du rittar junc!
1. So schenk mainder jbejter das laben.
$0 schenk mainder ^be^ter das laben !
— — — — — (Mitterdorf).
1 . al. de jbejter deu gehöret main.
HUckit adj. kraus ; tirol. rilsehelet in derselben Bedeutung, Schöpf
S72, ital. rieei« kraus; vgl. darüber Diez I, 348. Schneller
S. 277, vergleicht zu der tirol. Form riseUIaU.
rtckke m. Rocken, rtekel m. zum Heutrocknen eingepfählter Ast mit
Nebenästen, räekhele n. dQrrer Ast, Mehrzahl rteklaii: Sporn
an der Heugabel ; Rudesh schreibt statt dessen Mreckel**, kämt,
rtfge, figgl Lex. 209» mhd. raeke. Lexer trennt davon, ich
weiß nicht ob mit Recht, rkggel f. Stange, S. 203 , was , wenn
es von racke verschiedenen Stammes ist» zu ital. raccalta Ernte,
racogliere aufraffen etc. zu halten ist.
rtcklate m. der Teufel.
fit m. der Faßreif, mhd. reif s. reif.
Umhn Name in Nesselthal 1684, tarn in Altlaag, Nesselthal, libiik,
Staekeidarf etc. 17S0, Mosel 1867; vgl. ttMb und rkn. Es ist
die mundartliche Form für labe. Im ungr. Bergland tab Petrus,
Neusol 1391, Käsmark 1610, Leutschau 1660.
Uaer^rend, wahrscheinlich fSr liMegrliid d. i. Rabengrund, s. rkM,
kleiner Ort, 1770 mit acht Häusern.
laikkel, Name in Lienfeld 1684, Zwislern 1750. Vgl. Raikel. Im
ungr. Bergl. laitkl Schemnitz 18S8.
laiaer, Name in Skrill 17S0. Vgl. Roner in den VII communi, auch
im ungr. Bergland Wagendrüßel 1888. Näher steht aber viel-
leicht Reiier Käsmark 1840, Hochwies 1868.
Ft; n. Roß, heigljtle Hengstlein, s. S. 107. Das Fremdwort Pferd ist
noch nicht eingedrungen, wie auch im ungr. Bergl. Wtb. 88.
Vocab. 1423 : dai pfart rass heigst el chavallo 30^
risckea frizere vocab. 1479.
r#fe. riaje f. Rose, gewöhnlich Blume, überhaupt riejie, riegle n. Röslein.
rtafeagirle m. Rosengarten, Blumengarten im Liede in Gottscbee
sehr beliebt, s. laria. Auch im ungr. Bergl. Wtb. 88. Ob nicht
der risengarte der Heldensage noch nachklingt, ließe sich wol
SiUfc. d. phiL-hitt. CI. LXV. Bd. II. Hfl. 32
466 8 c h r ö e r.
erst aus einer vollständigeren Sammlung der Gottscheewer
Balladen erkennen. gvrtr4a§e f. die Rose. Die Slovenen machten
daraus girifktu Im vocab. 1423: ein resenkreniel trag ich auf
dem haubt, durch dein billen 33*. — jiMeMa§e f. Sonnwend-
rose, Chrysanthemum leucanthemum ; we§perr^a§e f. Lauter-
kraut s. d.
lasUsek, Name in Lachina 1614, Mosel, Nesseltha! 1867, RasektUek
Neuwinkel um 1800.
r«jt m, Eisenrost; r«;tec rostig, mhd. rMt, rtstee, cimbr. rttt, restt^,
r«Bteg. venez. rtsteg«.
riajt m. der Rost, darauf zu ristei, mhd. risl^ cimbr. rtast.
l«6bichel, ein Ort, der 1770 fünf Hauser zahlte.
Riften, gesprochen R^aftei, hatte 1770 vier Häuser.
r4t riat rot, rotgelb. Der Dotter heißt cimbr. riates wim m Rothes vom
Ei; so in Gottschee: r^at («Mail rotgOlden, vom Weizenhalm,
wie auch mhd. ritgiMlie spellen vorkommen Wernh. Maria 37,
aber selbst: r^^tfilbrtin rotsilbem heißt es, sehr mahlerisch, in
einem. Gottscheewer Marienbilde: der bellen hat geseh^saeB alt
§aiiei fi$t galdati stangelain Maria ! r^atgildain ist das aUagelc
— r4at jiibrain ift dl aber Maria !
Rilke! s. Relel. Im ungr« Bergl. finde ich die Form Röthel 1 660 in
Leutschau, Rotel in Schemnitz 1362 — 1365. Rate! skII Neusol
1390.
Rathisel, Name in Mitterdor^ um 1 700.
Rafleisteio bei Altlaag gesprochen RiatenjMi hatte 1770 neun
Hauser.
r4we s. r&we.
Ribnlg s. Ribnlk.
nebe f. Rübe. ge;iltelte nebei saure Rüben mit Hirse ! Beim Ruben-
einstampfen sowie beim Haferdreschen verbringt m&n in Gott-
schee die Nacht mit Erzählungen und Gesängen« Die Arbeit
geht von Haus zu Haus; vocab. 1423: der ratich dl pUer rieb
el ravanella 19\
nebaijlile n. das Rübenmesser Vgl. sMaften. ,
Rid^IfsWerl, der ursprüngliche, nun wieder amtliche Name des Haupt»
pfarrortes, der auch Reistadll slov. nava mwU geaanat wkd,
dem nun auch einige Gottscheewer Orte namentlich Maseben
(Tschermoschnitz) zugetheilt sind. Es soll schon vor 1438
Weitere MittheiluDgen über die Mundari von GotUchee. 46 T
einen Pfarer gehabt haben und hat eine alte gotische
Kirche.
riefea rufen. Bairisch, alemannisch, pfalzisch, auch im ungr. Bergl.
erscheint die schw. Form ri^n (ahd. hraoQai nofta got.
hrApjaa), indem sonst die st. Form rife^ef (ahd. hriofan, hrUf)
erhalten ist. s. darüber Nachtr. 45*.
Iiaar, Name in TaubenbruBn um 1700. So hieA aber auch der
Pfarrer von Rieke um 16S4. VgL ttMor.
Iliser, linseher, Name in Handlern; Unser in Rieke 1614. s. d. folg.
riife f. das Wasser bei Gottschee s. oben Seite 14. f. ahd. rusa f.
mhd. rmse f- bei Schüler im Teil die Mehrzahl: „den Durst
mir stillend mit der Gletscher Milch die in den liMen schäumend
niederquillt. ** Tirolisch: ms rinsi f. Schöpf S71 , kämt.
riMse f. Lex. 211, Schweiz ms m. Stald. IL 293.
Iippe, Name in Altbacher, Reichenau, Obermosel, Graflinden 1750.
— Im ungr. Bergland lip, liyp in Kaschau 1600 — 1700.
Iqpf Schmölnitz.
lift fuhrt Elze als Gottschee^rer Familiennamen an.
Ii&bach, gesprochen Bieftplieh bei Maschen, zählte 1770 einund-
zwanzig Häuser. ^
rieft m. der Ruß ; ahd. nei got. hr4t
neftee ruAig, schmutzig überhaupt; ahd. rieiae.
rifei (nsehen!) Mais abschneiden. Vgl. etwa rasehei Wildheu
schneiden. Berner Oberland s. Stalder II, 289. Den Maiskolben
abkornen heißt : abraibei.
&, wechselt mit E: h4, ahi so; halle, dar — selbe; halUge selbige;
heiter hettenar sothaner; heit sind; gebiehea gewesen.
Der Sauselaut ist sonst durchaus zu §, einem gelinden,
tönenden seh geworden, wie auch im „Cimbrischen** s. darüber
oben Seite 22 — 24, das jedoch scharf von dem echten ur-
sprünglichen 8ch in der Aussprache unterschieden ist. Daß an
der deutschitalischen Sprachgrenze diese Erscheinung schon
früh aufgetreten, dafür bietet das vocab. von 1423 bemerkens-
werthe Belege: egsch Ochse 30% bagsehei wachsen 34% pigsek
Buchs Zi\ seUIbreln silbern 19% seheleht seicht 41% Umge-
kehrt, aber indirect für dieselbe Aussprache sprechend, erscheint
^ für 8ch: neiss Mensch S^; silteri Schultern 5**, 6% sertlgt
sehartig 43% Mhd sl, sm, «b, sw klingt in Gottschee |I , ;nt
32*
468 S c h r ö e r
$n, |b nicht wie neuhochdeutsch sehl, sckn, 8ckii, sehw) ein
Beweis, daß die Verwandlung des s \n § nichts gemein hat mit
dieser Verwandlung des mhd. s in nhd. ach, sowie daß diese
Verwandlung in der Sprache von Gottschee eigentlich noch gar
nicht eingetreten ist '). — Das aus älterem z hervorgegangene
nhd. 8 bleibt scharfes a und 'wird nie zu §, z. B. s kiod (daz kint)
aber ; kiideg (des kindes) oder kiidej.
Der starke Genitiv mit s (in Gottschee §), der in der öster-
reichisch-bairischen Mundart fehlt, ist noch erhalten z. B.
klidej, gigag oder siba; des abends, ; »«rMis etc. Selbst den
starken Genitiv des Infin. wie in: viel Lärmens, Weinens, Jam-
merns hört man noch z. B. wli kr^akkij tür gr^ftes krfkei
jammern u. dgl.
;acke f. Sache ; der Viehstand. Die Schafe sind das wlke, das Rind-
vieh : ' 9 gvet.
Sageo. Von geschichtlichen Sagen wird in Gottschee nicht viel zu
erwarten sein. Erinnerungen an die Einfalle der Türken leben
noch fort. Am bekanntesten ist im ganzen wol die Sage von
Ter«nlca v«b Desliie , die sich an die Ruinen des Friedrichsteins
knüpft. Graf Friedrich von Cilli soll seine Gemahlin 1422 im
Bett erstickt und 1424 seine Geliebte, jene Veronika, geheiratet
haben. Sein Vater Hermann ließ den Sohn ins Gefängnis bringen
und sein neuerbautes Schlößchen Friedrichstein niederreißen.
Veronica irrte in Wäldern herum und wurde endlich auch fest-
gesetzt und der Zauberei angeklagt. Das Gericht sprach sie frei,
Graf Hermann ließ sie jedoch durch zwei Ritter in einer Bade-
wanne ertränken. Alles dieß wird ausführlich nach der Cillier
Chronik erzählt von Valvasor XI, 200. Vgl. rije, jldelsteii, baiß.
fägei fogei part. ges^it sagen, gesagt.
|AfeB saugen. sAgarii f. Amme; mhd. 8«igei von sAgei dem eio
gottscheewisches jaigei entspräche.
j&gen fAgei sägen; daher slov. iigati) $Age f. Sagemühle, Säge; slov.
iaga; |ibäeb sigllch n. Sägespäne; ahd. saga die Säge;
sagAa sägen.
fagenaise f. Sense; ahd. si^aasa f.; cimbrisch segeiaei kärntisch
seigase etc. Das a der ersten Silbe entspricht dem ahd.
<) st und fp spricht der Cottscheewer sckt, »cbp, oicht ft, f p , weU das töaende f
vor der tenuis in das entsprechende schärfere sch übergeht.
Weitere Mittheilungen über die Mundart von Gottschee. 469
S, es darr obige Form daher nicht auf sagises gleichsam
Sägeeisen Gr. II, 345 zuruckgeftihrt werden, was hier
figaifen lauten mußte , wenn auch der Gedanke an Eisen den
zweiten Theil des Wortes beeinfluAt haben mag.
Sager, Name in Gottschee.
;ikeo sehen , wol zu unterscheiden von sehigeii schauen und jAbcb
säen; Ifc ;leh ich sehe; gejAchei gesehen.
{aibet s. jaiieo.
}ilde f. Seide; mhd. stde^ faidatn seiden; mhd. stdtu.
jaiieB sein, nicht sektiiei scheinen; lh pln, di pijt, ar \^X\ bir laibs
(vgl. got. sIJim), ir §ail, $ei heut) ih baret ich war, bir barttei
wir waren, ihbert etc., s. werden ) gebin gewesen, im Hinter-
land geMiehen und gebichei. Vgl. fAnei und N.
fiitUfen schief; alemannisch Stalder II, 369: sellliageii, seit-
ilngs, Schmeller III, 291: seiUlBgei: oblique; mhd. slteltagci.
Saker, Name in Windischd. 1614.
Sattler, Name in Gottschee 1700. Im ungr. Bergl. laltler Neusol 1492.
Daß das Z für 5 gilt ergibt meine Bemerkung PfeifT. Germ. IX, 482.
f4lbe }kibe f. Salbe; ahd. «alba, mhd. salbe, slov. entlehnt: ftarba.
ftibade f. Pomade, Schmiere. Vgl. abd. salbida f. Gr. Gr.
II. 234; daneben die Neutrumform salbide (» salbMi,
salbMJa) Weinh. bair. gr. Seite 205 und das Femin. gesalbade
daselbst.
salber;t selbst, gaii sanlbajt ganz selbst. Derselbe lautet in Gottschee :
dar halle s. S. 101. Vgl. S. 97. wie kämt, der seil. In aalb^rjt
zeigt sich eine Bildung wie cimbr. selbert wo-/ angetreten ist,
wie an das ^genitivische selbes -^ das zuerst im Passional (md.)
erscheint. Jac. Grimm war geneigt das st als Superlativ aufzu-
fassen Gr. III, 647. IV. 3K9. Vgl. jedoch Seite 3K8 die Anmer-
kung und Weigand II, 687.
fah n. Salz; bigajau (wagensalz?) Rieselregen. Krise.
MMer m. statt der Wagen bediente man sich in Gottschee bis in unser
Jahrbund, der Saumrosse und die Lasten wurden durch soge-
nannte saMer, Saurorossbesitzer befordert; s. Vakasor 11, 112.
Saside, Name in Gottschee 1700. Malgern, Langendorf, Krapflern,
Stein wand etc. 177S. in Krapfenfeld, Altbacher 1784.
}Aiea sähen; got. salai, ahd. säjai. Vgl. saliea.
fiifttic m. Samstag, s. tac.
470 S c b r ö e r.
^atteln satteln. Auch in dem übertragenen Sinne: das Gemüse satteln»
Braten auflegen. Der in seiner Armut erfinderische Gottscheewer
nennt treiKch auch saure Rüben schon gejattelt» wenn er Itne
statt des Bratens auflegt.
fai f. Sau. ftidierae f. Schweinemagd« saike, m. Schwein! als
Schimpfwort für einen Mann, saika, f. ebenso fttr ein Weib.
In Bezug auf die Geschlechtsbezeichnung mit -e, «o s. unter 0.
$aier sauer, verdrießlich; ar habet sih jaier er ist b&se, gebSrdet
sich verdrießlich.
aehaffei vermachen d. i. erblich übertragen ; biMan sehafaji di daiie
gietar? s. Steff*an.
Schaffer, Name in Hornberg, Dranbank, Otterbach, Altsaagetc. 1775.
Im ungr. Bergl. Sehaffer Schemn. 1362. Neu9ol 1482, Kremn.
1528. Kasm. 1626. In Marb. 1329.
Schiffer, Name in Gottschee um 1780.
Sehager, Name in Neuwinkel, Eben 1775. Vgl. Sager.
fichAgei schauen. Vgl. jAhea sehen.
schalbe f. Scheibe. In Kärnthen und Tirol heißen so auch die brennen-
den Harzscheiben die bei den Johannisfeuern gerollt werden;
Gottschee: janMtteirAdie — n. sehalUaia rund, vocab. 1423:
tchetbllgl tordo 77\ Vgl. -lain, ebenso in Tirol und Kärnthen.
acheiblf , schelUet, im ungr. Bergl. schlbelllche und taehaibel
rund., s. Darst. 72 (322), Wörtb. 46.
„sehaikaar der erste Brantwein"* Rudesh S. 267^.
letnriaeii scheinen, wol zu unterscheiden von jaiaea s. d.
schaiftertäe m. Faschingdienstag s. praakela S. 60.
sehale s. sehtile.
Sehalk evdarf hatte 1770 acht und vierzig Häuser.
sehliU f. Erdscholle, mhd. sehaile.
schapel n. Stirnband, Kranz mhd. schapel, slovenisch äapel.
„seharal krummbeinig** Tschermoschnitz.
sehare f. Scheere; ahd. sel^ra, mhd. schirre; in kSrnt. sehAre f.»
ebenso tirolisch, entsprechen der ahd. Nebenform scAra seAri:
cimbr. aeheara f. scheara kann für beides stehen ; sloven. jkarje.
scharte! m. Kuchen, Gugelhupf, vgl. ahd. scarta v. rosta, craticnla,
scartisani clibanum, craticula; bair. schart Kupfertiegel auf Fußen
um Gogelhopfen zu backen. Schmell III, 404. Die Slovenen
nennen den Scharte! : jarte^.
Weitere Mittheilungen ober die Mundart voa Gotttcbee. 471
sfhätUr, m. Plural sehättare Sonnenschirm. Scheint sieh leicht aus
Sehalten abzuleiten (wo die Mundart jedoch sehältebar gebildet
hätte), steht aber näher dem sloven, i4t«r, magyar. stier Zelt.
Sekaaer» Name in Kuntschen, Tiefenreuter, Unterwarmberg etc. 177K.
U. tapelwerch 1560. Kotscheu 1614.
sektabe f. eine Art Pelzmantel : mhd. schAbe» daher slovenisch tot ba.
schd s. auch sebai sehai.
Sebeia, Name in Gottschee.
Scbeitaa, Name in Gottschee.
Scbeattseb, Name in Gottschee.
Scherabnii zählte 1770 vier Häuser.
Sehener, Name in Weißenbach 1614.
sebiekben senden; zu unterscheiden von : scbleUei glotzen; kämt.
sebleggei etwas schief thun. Lex. 217. Vgl. Schmoll. III, 320.
scUeften sprossen, der baliei bbl gesebassea , der Weizen hat ge*
schössen, für : ist aufgeschossen s. unter rat r^at.
Sebtetti, Name in Gottschee.
seUakpala n. der Schenkel: vgl. mhd. scblaebela^ cimbr. seUiepaaa.
seklalleb schenari (schiniera?) vocab. ital. tod. 1460. 21 \
icki. s. auch sl.
Seklaid, Name in Sele 1775.
Seklaaa« Name in Altlaag, Maschen, Mitterdorf, Pölandl 1775.
Seklebaig, Seblebaik, Name in Gottschee 1775.
Seyeehtbiehel bei Nesselthal zählte 1770 drei Häuser
Seblel, Name in Gottschee.
SeUeiMer, Name in Altlaag, Nesselthal, Mosel etc. 1775.
Sekletlerer, Name in Gottschee 1775.
«ekn. 8. auch ;■•
SckaüUiel, Sebaalael Homberg 1775. Einen Vrledel SMeleiel finde ich
in Presburg 1379.
Scbatd, SebMll, Name in Gottschee in U. Warmbg. , Rick, Komutzen
1775.
Scbaiak, Name in Stockendorf, Lachina, Ribnik U. Taplwerch. 1750.
lebi. s. auch ji.
Sebaeeperger, Name in Gottschee. 1700.
Sebadder, Name in Moos, Prese, Klindorf, Krapflern etc. 1775. Im
ungr. Berg], häufig, zuerst Käsm. 1521.
Sebieller, Name in Nesselthal 1775. Im ungr. Bergl. Wd. 1613.
4 72 S eh rd e r.
Schaber, SeUber. Name in Handlern» Altlaag» Masern, Oberstein, Göte-
nitz 1775. Auch trank. Henneberg, Seb^ber, nicht selten
Spieß 204.
Seh«berle, SehöberlalB, Name in Deutschau 1775. •
ScbMeiB, Ort bei Nesselthal, der 1770 eilf Häuser zählte.
schrtin m. Schrein; auch cimbr. sebraift, sebraindar) mhd. scbriB.
Bcbria m. Umschwung, Sprung. Das Reh vom Blei getroffen, hat noch
einen sehrAi gethan. Vgl. sebriBlIeb. Vgl. alemann, sehraaif
sehrävie Ber^lücke, Felsenritze Stald. II, 350, was Schnneller
UI, 516 von schraid aus scbrlsdeii ableitet. Es laßt sich noch
mhd. gebrege f. die Quere, Schragheit, sowie scbrehM schräg
vergleichen (Gr. l^ 132) ohne sicheres Ergebnis. Vielleicht ge-
hört hieher scbrA f. bei Nithart 76, 24 : ougen unde brä vor der
widerraezen sebrA sult ir wol behüeten. Vgl. das folgende Wort.
scbrAiUeb schief, sebrAaHeh sebigei schielen. Vgl. sebrAn. — «ebru-
ÜBgar m. der Schielende. Vgl. schrAn.
sehrol m. Plural schreige Schrei, cf. cimbr. schraigen« Schon ahd.
zuweilen sehreigen und serigei schreien.
sebreat m. das Schrot, Geschrotene; sebrAat bilekbe f. Sehröthaeke,
wie kämt Lex. 226. mhd. sebrit.
sebritel sebr^alel m. Stemmeisen. Das bei Schmoll. III, 522 unter
sebriter angeführte sebretell ceraster gehört nicht hieber ; ce-
rastes im vocab. von 1420: homeht slaige hieß vielleicht auch
sebratel sebretel. [m Vocab. 1423: der scbratel el mazarol?
49\
Sebranitsch, Name in Gottschee.
sebMe schiale f* der Fingernagel vgl. negle. Um dieser Wunderlich-
keit der Gottscheewer Mundart (s. weiteres unter keie) eine
zweite hinzuzufügen, sei erwähnt, daß sebale, got. ska^A als
Übersetzung von xipaikog (Ziegel) Luc. 5, 19 gebraucht wird,
welches xipaikog an magyar. kirln Fingernagel, erinnert, vgl.
auch ital. seaglU Schuppe.
sebippel m. Stöpsel, östen'eichisch sebippel m. Schopf; scbippeU
bei den Haaren ziehn. Vgl. Lex. 227.
scbirjbebn. Scheermesser; elrasorOydersebarsaeb voc. ven. tod. 1424.
f. 14. Schm. HI, 385. ebenso das vocab. von Lapi 1479 f. 20\
mhd. bei Heinr. v. Turlin seharsaeh Tristan 2706 ebenso. Konr.
V. W. scbarsaebs, Herbort scbarsas, ahd. searasahs.
Weitere Mittheilungen über die Mun<1art von Gottschee. 473
Sckiester, Name in G. 1700, Moswald, Hasenfeld, Verdräng, Stalzern,
PGchl , Prdrübel etc. 1 775. Im ungr. Bergl. zuerst Neusol 1 390 :
Schiester, dann sehr häufig.
Sekift Name in Gottsehee.
Sehisteritseh Name in M5sel, Moswald, Puehl, Rein, Zwislern 1775.
sfhittel m. Fieber. So auch mhd. schtttel m. Fieberfrost, mhd. Wtb.
II, 231, s. auch Schmell. 420. Im ungr. Bergland das sehiUel-
dengft (d. i. das sehlttelidige) das Fieber s. Nachtr. 47, 19.
Vgl. dazu den Fluch im ungr. Bergland: dl Ab seidleh sehittels,
schMtlsen, warfei^ breeh hals aad gehaiil Darstell. 40 (290).
Sekw s. auch ;b = sw.
Sckwarsehiig, Sehwersehnlg Sehwirschiiig, Name in Neufriesach, Gö-
tenitz, Masern etc. 1775.
Sehwaneabaeh, Ort bei Gottsehee 1770 neunundzwanzig Häuser;
Sehwanenbich bei Ossiunitz 1770 dreizehn Häuser.
Schweiger, Name inWetzenbach 1775, in Handlern 1560, Riek 1614.
Im ungr. Bergl. in Kaschau 1858.
Sehwelitseh, Name in Lienfeld, Krapflern 1775.
Schwarschtag s. SehwarsehBig»
)l {te da hast du; }ial da habt ihr ; auch jja jjal gesprochen. Elze
sehreibt dache. Der uralte Imperativ eines verlorenen Zeit-
wortes (?), der schon gotisch (sal) vorhanden war und sich von
dem Imp. von sehen (saihv) unterschied, wie ahd. s^ von sih,
hält sieh noch unerschuttert. Voeab. 1423: se to; bIm «der sei
■eaipt «der seet! 61\ s. Kämt. Lex. 230; cimbr. Wtb. 168.,
tirol. Schopf 663, Stald. II, 296. Schmell. III, 180.
fd}te m. }tab, Dativ |tabe See, Meer; mhd. s^; ahd. s^i; got. stivs m.
»feaeh sehafle n. Holzgefiß.*" Vgl. seehtar.
s^le j^ale f. die Seele; mhd. s^Ie*
fUf f. Tasche ; im ungr. Bergl. sehebb und sehebbs, siebenb. sächs.
•ehipp, wozu ich nd. sehapp Schrank magyar. iseb verglich.
Wtb. 91*.
ftere f. die Wundheit. Neugeborne bekommen zwischen den Füßen
leicht di j^arei BBhljlire f. (Nabelsehre?) faulnisartige Entzün-
dung der Ochsen. Krise. Mhd. s^re f. der Schmerz etc.
}eehe solche; so auch im ungr. Bergl. s. darüber Darstellung S. 93
[343]. Vgl. hettcBtr oben S. 108 und unten SBlIeieh.
jeehjeB jekjes sechse. Vgl. oben S. 76 unter fi.
474 Schröer.
seehte f. Lauge, vocab. 1479: di teekt «der di iaigen. Dazu vgl.
SchmelL III, 194: geehteli, cimbr. seckta Lauge. CWtb. 168.
Dazu Stalder II, 366. Lexer 230. Schöpf 664.
geehtar m. MelkfaA; ahd. sUtari, slovakiscb: iaebUr zu sextarius.
Seiti, Name in Gottschee.
Sele Seele bei Gottschee zählte 1770 sechsund vierzig Häuser.
Sella hatte 1770 eilf Häuser.
SeeMani, Name in Gottschee 1700. Krapflern, Rick, Rotschen 1775.
Im ungr. Bergl. in Kremnitz 18S8.
Setsch bei Ebenthal 1770 mit neunzehn Häusern.
§ea M s. gl.
Seter, Name in Gottschee 1700, Weißenstein, Kiek 177&.
Sgedl, Name in Gottschee 1700.
fi ;l jei sie; ohne Unterschied des Geschlechtes wird jei (=» nbd.
siu), jal zuweilen im Nom. und auch im Acevs. Sing. fem. und
PI. nicht nur neutr. gebraucht. — jlUn f. das Weibchen z. B.
des Bären, der Katze, aber auch Flachsfemmel. Me Sie (ur
das Weibchen ist ein uralter allgemein verbreiteter Ausdruck
Gr. Wtb. III, 690 f., aber die Form mit -hin hier in Gott-
schee, die an nd. seekei erinnert, ist auffallend. Doch hat schon
das ital. deutsche Vocab. von Lapi (1479): dt slgii la putta
13*. das vocab. von 1423: st ader di femena, er ader der
maschale 3i^
jibei gaifea jAr lad drai tige kömmt formelhaft vor im Liede die
schtae an leer. S. dar. Germania XIV, 332. — fibaei siebeae.
glbite f. die Siebente, das Todtenfest; wie mhd. der slbeade der
siebente Tag nach dem Tode. Feste währen überhaupt sieben
Tage. Nib. 41. Gudr. 219. u. s.
SIbrer, Name in Schwarzenbach 1S60.
fieherle n. Sichel, vgl. jagaaije,
}idel}taii m. der mythische Siegesstein; „es gibt Sehlangen, die eine
irane nit elien Bdehtela tragen , das ist der ;ldel;taii. Eine
solche Schlange ist weift und wohnt an einem Innaei, wo sie
durch Wälder streicht, verbrennt Alles. Wenn man sich ihr naht,
thut sie einen Pfiff, worauf von allen Seiten die Schlangen
kommen zu ihrer Hilfe. In Unterluog hat einer dennoch gesiegt
und den jidelstaii gewonnen. Er wurde reich dadurch und das
Gluck wohnte seit der Zeit bei ihm.''
Weitere Mittheilungen über die Mundart von üottsehee. 475
Dieß schrieb mir 1867, nach mOüdiicher Erzählung, Herr
Caplan Parapat in Mitterdorf nieder. Weiter heißt es in Gott-
schee: „der §MelsUiii macht unbesieglich. Wenn man an den-
selben leckt, so löscht er Hunger und Durst. "^ Es ist also ein
sfgestelii wie der Stricker ihn beschreibt: 'ich hoere ron den
steinen sagen, die nitern unde kroten tragen, daz sd grdz tu-
gentdar an lige, swer si ha1)e der gesige; möchten daz sigesteine
wesen« sd solt ein wurm vil wol genesen , der si in stnem libe
truege*; weitere Stellen mhd. Wtb. H, 616. Einen solchen Stein
trägt der schlafende Sigurdhr der Vilkinasaga (cap. 96, 97) in
der Tasche und auch Konig Nidung (cap. IS) besaß einen
solchen. „Invictum reddit lapis hie quemcunque gereutem, ex-
tinguitqne sitim patientis in ore receptus.^
Marbod bei Grimm Hythol. 1169 Tgl. Haupt HI, 42.
Durch Anlehnung an sigel sigillum wurde aus slgestelm
sigelsleiii s. mhd. Wtb. H, 616. In ;ideljt«iii steht aber «^ für
g Wie in badraieh, Wegerich, walde, Felge s. oben S. 89.
Andere Erzählungen davon aus Gottschee, die mir stud.
Jaklitsch aus Mitterdorf mittheilt, mögen noch hier folgen :
Ein Wanderer verirrte sich im Walde und fiel nach langem
Irren in eine tiefe Grube, wie im Steingeklüft von Gottschee so
viele sind. Er hatte sich nicht verletzt, denn er fiel weich auf;
eine gewaltige Menge von Schlangen deckte den Boden. Unter
ihnen erhob sieh die gr^fte weifte SeUange mit dem jidelstdii
auf dem Kopfe und befahl den übrigen des Wanderers zu
schonen. Diese leckten viel an dem jidelsl^liie. Da er hungrig
und durstig war wagte er es auch zu lecken nad langer und
Bnrst sehwand. Und der Wanderer blieb viele Jahre bei den
Schlangen. Da versprach ihm die grafte weifte Sehlange ihn
wieder an das Tageslicht zu bringen, wenn er über seinen Auf-
enthalt bei den Schlangen schweigen wolle. Dieft versprach er
und sie nahm ihn auf den Rücken. Sie trug ihn aus der Grube,
aus dem Walde, durch die Lfltte bis vor eine Stadt, wo er
wieder zu Menschen kam. Man erzählt auch, in der Grube seien
auch Bilche gewesen , denen er rate Fäden um den Hals band,
und man habe später viele so gezeichnete Thiere gefangen.
Ein anderes. Ein Paar Konleute s. d. waren reich an
Gütern, aber kinderlos. Da beteten sie um ein Kind, wenn auch
476 8 c h r ö e r.
nur ein Hündchen; vergebens I Sie beteten um ein Kind wenn
auch nur ein Kätzchen; vergebens! Da beteten sie um eine
Schlange und ihre Bitte ward erfüllt. Als der Schlangensohn 20
Jahre war, wählten sie ihm das schönste Mädchen zum Weibe.
Die wollte aber der Schlange sich nicht vermählen. Da sollte
sie zur Strafe einen Balken von schurjach (Scheermessern)
emporklettern. Sie versuchte es, da aber der Schmerz so groß
war, gab sie nach und ward das Weib der Schlange. Da sie in
der Brautnacht weinte, sagte die Schlange „Du wirst mich
erlösen.*" Da wurde sie still und redete mit der Schlange. Am
Morgen aber krachte das Haus und der Schlange pra§l (brast:
brach) die Lache (Haut) , ein schöner Jüngling stund vor ihr
und sie küssten sich. Er aber sprach: die lache bewahre wol; es
ist zu unserem Glück. Sie aber haßte diesen Schlangenbalg und
als er einst aus war verbrannte sie ihn. Als er heimkehrte und
dieß vernahm, verließ er sie. Sie war aber schwanger und
konnte nun nicht gebären siebeii Jahre lang. Da zog sie aus
nach ihrem Manne. Auf dem Wege begegnete sie eine weiße Frau.
Die sagte ihr: „Dein Mann lebt mit einer Zauberin in ihrem
Schloß; da nimm drei Spielzeuge!*' Sie nahm die Spielzeuge
und gab zwei der Zauberin, damit sie mit ihrem Manne reden
könne. Als sie aber zu ihm kam schlief er von einem Zaubertrank.
Da gab sie das letzte Spielzeug hin. Da vermied er den Zauber-
trank, sprach zu seinem Weibe; sie gebar einen Sohn. Die
Zauberin aber ward vertrieben und sie lebten nun glücklich.
SM«r, Name in G. 1700, Hinterberg 1775.
jifelB wetzen; dar «kje ;ifelt sik aa dar apfaller; sifela: wetzen,
schleifen. Kämt. Lex. 233; mhd. sifela sifela scharpfend gehn,
vgl. ahd. snflli snflla sorbitiuncula etc. Graff. VI, 172.
Signud, Name in Gottschee 1700 Setsch, Tiefenthal, Ebenthal 1775.
Im ungr. Bergl. in Kremnitz 1628, Kismark 1610. In Marb. 1504.
Sigel, Name in Gottschee. In Marb. 1 452.
fikiii f. das Siechen, ital. deutsch, vocab. von 1479 f. 13*. disigia
la putta s. 8l.
Singen, Name in Schwarzenbach 1614.
;iag«ftle n. Glöcklein, Schelle; mhd. slBgMiel. cimbr. siagai Wtb.
1 69. siBgesIe Schöpf 675. siagese Lex. 233. Wird von Wacker-
nagel auf ital. segnuzzo zurückgeführt. Mhd. Wtb. II, •. 305-
Weitere Mittbeiluogen über die Mundtrt von Gotlschee. 477
gipHie m. siebgroßes Brot. Von jlp n. mhd. nif das Sieb.
Sirge, Name in Goitschee,
SkeM, Name in GotUchee. Mitterdort', Wretzen. 0. tapelwech 1775
Mitterdorf 1614.
Skilir, Name in Gottschee.
Skrill bei Stockeadort' 1770 mit sieben Häusern. S. •berskrill.
Skiktr. Name in Gottschee.
sitf jMfro. Schlaf, »sl&f priderlaiii Hagebutten.«'
sli|[€i schlagen. Die bäeklel ;Iigel: die Wachtel schlägt.
sligektr sielkar ;Ulkar m. und n. Ruhrkübel, kämt, scklacker m.
Lei. 218. Die Gottscheewer Form wirft Licht auf das Wort; •!
ist immer mhd. ei, es ist demnach mhd. sieikar anzunehmen
(vgl. sieibal: slagebal), und kar wieder jenes alte kar in
kisekar, peehar m. Seite 49. im nngr. Bergland kArleln. Darst.
171.
fikage f. Schlange. Vocab. 1423: die slaiig serpente 31*.
Vor alten Zeiten gab es Schlangen im Waid, die thaten
▼iel Schaden. Da sprach ein Mann zu den andern: so ihr mein
Weib und meine Kinder versorgen wollt, wenn ich umkomme,
so will ich alle Schlangen vertilgen. Die andern versprachen
dieß und er gieng in den Wald. Da machte er einen Kreis und
ein Feuer in die Mitte und stieg auf einen Baum. Da kamen
alle Schlangen zum Feuer und verbrannten. Doch zuletzt kam
eine grafte, weifte Sehlaage, die schlug mit ihrem Ungeheuern
Schwänze so um sich, daß sie alle Bäume niederwarf, auch den
worauf der Mann saß. Und er fiel herab und schlug sich todt. —
So kann man die Schlangen vertreiben, aber Einer muß sich
opfern. — Vorjahren kam einer in die Stadt (= Gottschee),
da begegnet ihm eine Dirne; das war die grtfte, weifte Scklaage.
Die sagte ihm, er könne sie erlosen , dazu miiße er aber ein
einjährig Haselrätlein aus dem Walde holen. Auf dem Rück-
wege werde sie ihm als weifte Schlange begegnen und werde
SchlQßel in 4er i&iea (im Maute) tragen. Die solle er ihr mit
der Haselrute aus der Käuen schlagen, da werde alles vom
Himmel fallen, Hagel und Regen, Blitz und Donner; er dürfe
äich aber nicht furchten. Und er that wie sie verlangte. Aber
auf seinem Rückwege aus dem Walde überfiel ihn ein schreck-
liches Ungewitter und da wo eine kleine Ta§e (Tanne) stund.
478 S c li r ö e r
begegnete ihm die große weiße Schlange. Er aber fürchtete
sieh und wagte es nicht ihr die Schlößel aus der Käueu zu
schlagen, denn er war noch sehr jung. Da gieng die Schlange
an ihm vorüber und sagte : „Du hättest mich erlösen können,
und konntest selbst glücklich werden; nun muß ich Schlange
bleiben. Wenn aus dieser Tasen einst ein großer Bauro ge-
worden und aus dessen Holz eine Wiege gemacht ist» so kann
mich das Kind erlösen, das darin gewiegt wird*". So verschwand
die große weiße Schlange. Und das ist wahr, das hat mein lae
(Großvater) erzählt, der hat lange auf dem Fried richsteiu
oben gewohnt. — S. Elze S. 31 f. Vgl. ;Mel$l«iii.
slappe cerveliere» vocab. 21\ cimbr. siepa im ungr. Bergl. seUepal,
Wtb. 93; vgl. Schmell. in. 4S4: SeUappe.
;iei s. jl«L
jUabät, fliAbat ungesalzen ; vgl. jiiabe.
jUabe der, jleab« die: geschmacklos, fade; mhd. sMwe, engl. sUw.
Cber die Endung -o s. unter 0.
flifsUin m. Schleifstein; jllfstoiBtr«« Wasserbehälter für den Schleif-
stein; vocab. 1423: slifstaiii.
jUlfe f. Schleife, gebundene Schlinge, verschieden von pigle s. d.
und iirl^ft.
fUlkar s. slag ekar.
$■ s. auch Schm.
jm&l, jmil schmal, jmile stale m. formelhaft im Liede neben dem
prtileii bag e und dem stiekkela reia.
smali, ;naii n. Butter; riachas jmaii rohe Butter. Daher venezian.
smalto; vocab. 1423: dai snali lonto sotille 19^ Vgl. maehUe.
smirben schmieren. Da be;mirba;l dir dl aeglaia du beschmierst dir
die Finger, mhd. sHlrwen. — smirbade f. Schmiere, Pomade:
vgl. §aabJUle.
Smaja, Name in Gottschee.
fnaraaj Morgens; auch jmaraij:
fmarta; r4at
fibaad; Uät\
jibaid} r4at
jMarta; dar peliti atet.
M$Bi4iperle n. Viburnum.^
Weitere Mittheiliingeii über die Mundart von Gottschee. 479
Sil s. auch Sehn,
)i6 m. Schnee. Dativ §i^abe< §Baibeii, gefiibei schneien, mhd.
ulwea.
fi«4ir m. Rotz; cimbr. siedar CWtb. 172, kämt, schaidler, tirol
sfhivilel, mhd. siider.
fiipfatieii schluchzen. Ebenso tirol. Schöpf 642, cimbr. CWtb. 172.
}«iehei mingere; mhd. seichea, cimbr., kämt. »«aeheBf voc. 1479 : sai-
ckei, gesaichl pisa, seichel la puza 1 0*. — jeiehplätter f. Harnblase.
Stnide s. SaMide.
fiirgei in wergitrgea pflegen; Ijis giel wers4argetf hat das Rind zu
fressen bekommen? vgl, giet.
«ttleieh tal vocab. 1423: zu setleieker frag gebort setleich antbort
13**. zu setleieher stat sein selleicke siten tal terra tal usenza
46'. Sieh oben S. 108 hettenar und ungr. Bergl. Wörtb. 97.
Speck, Name in Koflern, Ort, 1684.
Speekfc, Name in Gottschee 1700.
tpackk m. Speck; vgl. pkekei.
tpllklad n. Kebskind. Im ungr. Bergl. gilt spalea für buhlen, s.
Wtb. 98, doch wird der erste Theil des Wortes ganz einfach
aufspielen zurückzufuhren sein; vgl. abd. splllwlbea (dat. pl.)
scortis GrafT I, 663.
spttleate Musikanten. Im Liede S. 432.
SpiUer, Name in Gottschee 1700, Pölandl 1775.
spite par schabe ein Paar spitze Schuhe noch im Liede S. 433.
Sp«rebea bei Nesselthal 1770, mit zwölf Häusern.
tperbar m. Sperber, gewöhnlich kaecks. d. Vocab. 1423: dersparber
32\
sprachea beten, sonst pattea (piten heißt bitten). Spreckea auch im
ungr. Bergland für beten; s. Nachtr. 48, Darst. 186.
Spreiiar, Name in Gottschee 1700, Roßbuchel 1867, Stockendorf,
Rusbach, Fliegendorf etc. 1778.
Spreaier, Name in Gottschee 1701, Dirabach 1614.
fpreailiae m. der Zaunpfahl, das Gestelle für die Lichtspähne, die in
Gottschee noch vielfach die Kerzen vertreten, s. leachter; das
Holz mit einem Spalt, in welchen man den Spahn steckt, nennt
man le achterkeae oder sprelsllac.
Spilagfr, Name in Gottschee 1700, Fliegendorf, Rotzen 1776, in
Tiefenthal 1660. Im ungr. Bergl. in Käsmark 1627.
480 S c h r ö e r
«priniat sommersprossig; vgl. Schöpf 693, Schmell. S92, mhd.
spiiiii m. Wtb. 2,^ 548^ und spreaiei sprengen, im ungr. Bergl.
Sehroer 98*, kämt, spriaieii Lex, 238, vocab. 1479 «preis-
wadel el sporsorio.
«pr«ti m. 1. der Sproß, cimbr. sproz CWtb. 173. 2. das Aufspringen
der Knospe, des Auges. Sieh Hansel jung S. 104.
srakitie f. Elster, sl. sraka.
Sr«b«liiik bei Wosail 1770 mit eilf Häusern.
Srttseli 1770 mit vier Häusern.
staehaller f. Stecheiche; aUer steht etwa für ahd. elira, was freih'cb
die Erle bezeichnet,
stackh m. Zaunpfahl; wo) zunächst aus ital. steeea, was in Gottschee
als Fremdwort sUckh (d. i. steck) gesprochen wurde, denn das
deutsche, mhd. stecke, muß in Gottschee stocke werden.
stakar m. die Ratte.
stackbea stecken finde ich zuweilen neben steikhea, sMkhea ge-
schrieben und vermuthe, daß dieß im intransitiven Sinne etwa
für Stichen eingetreten ist.
Stalldarf 1770 mit sieben Häusern.
Stalier, Name in Stockendorf, Mosel 1867, Graflinden, Remergrund,
Altfrisach, Reinthal, Kummerdorf 1775.
Staliem beiRieck 1771 mit vier und zwanzig Häusern.
Stiaipfeh Stampfel, Name in Gottschee, Hirißgruben, Weißenstein,
Durnbach, Morobitz, Rick, Gotenitz 1775, Mosel 1867.
»SlAmphi, BartIme in Morobitz müeßent auch die Holzfur aufs
schloß Friedrichstein fueren*'. 1684. Es wird behauptet, daß
Stinpfel derselbe Name sei und nur in Tschermoschnitz mit i
gesprochen werde.
Stangel, Name in Gottschee 1700, Mitterdorf 1778. Im ungr. Bergl.
Pilsen 1785.
staagele n. der Halm; auch stamle n. rialglMaia staagelain die rot-
güldnen Halme der Feldfrucht, im Liede.
Stanitseh, Name in Nesselthal um 1684.
stap m. der Stab , als Maß für Schnittwauren scheint zwei Ellen zu
betragen, denn ein pissle s. d. hat 60 Ellen oder 30 stabe Vgl
Ähnliches an der Oberisar Schmell. III, 601 und Adelung unter
Stab.
Slaadaeher, Name in Mosel 1867, Mosel, Verdreng, Krapflern 1775.
Weitere Mittheiluiigeu über die Mundart von Gottschee. 481
itlidle n. Staude elpAM st&idle Eibengebfiseh ; im gaaiea fitu Ul
•ii eibuB steidle aliue in biael iär irtamiige Mad. Aus einem
Liede.
»teckea n. ein besonderer Gebrauch, s. Seite 116,117; vgl. slaekea^
im transitiven Sinne, aueh sllekhea d. i. ahd. steeehaa»
it^Ueh, stilUiehes h&r struppig. Vgl. sMaUieh.
Stdawand bei Mosche hatte- 1770 neun Häuser.
Stelrer, Steyrer, Name in Kleinhäusel 1683, Orth 1784. Im ungr.
Bergl., Neusol 1390, Kreronitz 1628. In Marb. schon 1460.
st^i, st^aieii, sMaa stehn, stiaigeit, sMaagat stund.
Steak, Name in Gottschee 1700.
Stephan. In einem Liede von dtm sierbeiden Stephan , das in Gott-
schee gesungen wird, scheint Stephan der Märtirer mit dem
ungrischen Konig Stcphaa verschmolzen.
Stephan.
Seu hänt stoinder gepdlet avn Stefflin , dan lieben main !
ar ruckhot $i et, ar ruerot $i et.
feu haut mon oungepdlet» di ^toinder;
ar h2tt auber nisch gespuret dar Stefßkn, lieber main ;
derkrankot i^t der Steffiin, dar Steffän junc
ze imon kamen dar wdter, ze saindam lieben §un.
„bamon schaffo§t du die gQeter, o Steffäu main?"* .
'Ich bil §1 euch et schaffen, o wdter main!
Ir muget $1 et regieren, ir jait ze alt darzu !*
§0 sprach ze jainem wdter der Stefißn junc.
derkränkhot i^t der Steißn, der Steffeln junc :
ze imon trit die mueter, die mueter §ain :
»ouber du Steffän, du lieber main
ich pin doch deu mueter dain !
„}o ber^t du mir wersehaffen de güeter dain
so berjt du mir wersehaffen de güeter dain!*'
*ich bil $i eu et schaffen, o mueter main!
ir muget $i et regieren, ir jait ze a)t darzu ! '
derkrankhot i^t dar Steffim, dar SteffJ^n junc
ze imon trit der prueder, der prueder §ain :
„baroon schäffo^t du de gfieter, o prueder main?
bamon schaffb$t du de gfieter, o Steffanlain main?
SiUb. d. phU.-lii8t. Ol. LXV. Bd. II. Hft. 3B
482 S c h r ö e r
*ich bil 8i dir et schaffen, o prueder main,
du mugejt 91 et regieren, du pift ze junef*
derkrankhet i$t dar Stefßin, dar Steffanlain,
ze imoii trit deu liebe, deu liebejte ;ain.
«0 Steffiin, ligojt du in $b&ren krankhoiten,
0 Steffen, ligojt du in todejbetten?
,,0 Steffan, bele bunden tuent dir mSr bte,
deu gestochenen oder deu gehackhoten?**
*benn nicht deu gehackoten harten, 0 liebeu main,
fim deu gestochenen barot mirs et!'
'bamon bil ich geben deu güeter main?
ich bil ;i geben Maria und der lieben main.
'oin toil bil ich gaben der lieben main,
deu hat et gewrAget um di güeter main.
deu liebe hat gewrAget um di bunden main
um deu gehackhoten und deu gestochenen.
'Harta bil ich schaffen oin stiglain proit
oin stigelain won gold uud marmel^toin.
und her auv dks stigelain birt treten
birt auT mich gedenkheu, gott §oI mon barmherzig sain !'
Sterk, Name in Gottschee 1700.
Sterben, Name in Mosel, Stockendorf 1867.
Sieirer, Pfarrer in Mitterdorf 1867, Neulosin, Mitterdorf 1775. lo
Kremn. 1868 Stenerer.
stlebei, «teipl laufen, laufe! Tschermoschnitz. Vgl. Schöpf 710.
sliemiieter f. die Stiefmutter. Im Gegensatz zu den blsea Stfef-
mitten des Märchens und Volksliedes verherrlicht eine Gott*
scheewer Ballade in rührender Weise eine prftwe Stiefmutter;
8. die Anmerkung zu beijle n.
Deu prkwe stiefmaeter.
Bie wrüe ist auw kloin löandiernle,
es ziehot ahin zer haujbirtin.
«oi haujbirtin ir liebeu main
bks wor a bunderlain trftm i^t mir worgeg^an !
./'her mir den träm auslegen kennot?./*
mir alle möam drai ;unn auwg^ant;
wor euer wan^ter i$t a wanle gest^an.**
Weitere Mittbeilungen über die Muniiart von Gottsebee 483
„kloin löandiernle, liebes main,
dan träm leg ih dir §auber}t aus :
ih bert dir graalain derkrankhen tuen,
derkrankhen tuen und starben tuen.
du berft es heiraten maiu jungen birt,
./'ih bert werlaßen niain de boi^lain kloin ./-
}d mkch mit den boijlain hks gfietlich ijt,
bis güetlich und bis mensehlich i^t.
benn du an dain berjt gaben as baiße pröat.
}i gib an main as $b&rze prdat!
benn du an dain ber^t gaben dann rdaten bain,
(6 gib an main dis kQele bisser.
benn du an dain berjt petten 's wederpettlain
$d pett an main ivr en strdabe olnsl**
der kränket i^t deu hau^birtin,
gestöarbn ijt deu haujbirtin.
./*ens hit gebairitet dan jungen haujbirt./*
es hkt getan bis guetlieli i$t,
bis gfietlich und bis menschlieh i$t.
dan boi^lain hit ;i gäben das baifte pröat,
an ir hit ;i gäben dis sb&rze prdat;
dan boiflain hit 9i gäben an röaten bain,
an ir hit ^i gäben äs kQele bisser.
dan boijlain hit $i gepettet dis wederpettlain,
an ir hit $i gepettet äw en strdabe oins.
a$d dö spriehot ir seh^ander hau$birt:
^main haujbirtin, du liebeu main!
./*beu gaift du dan kindern et allen glaich?./-
Mai asd main junger, main lieber haufbirt,
dain ersten wrä hit mir zewiar gejoit:
ih fol aus tuen bis gfietlich i;t,
bas gfietlich if t, biis menschlich i;t ! *
Sdapfel in Tschermoschnitz, Hohenegg 1614; vgl. Sluipfel in Gott-
schee und Katzendorf 1684, Moswald, Altfriesach, Hasenfeld
etc. 1775. Im ungr. Bergl. Neusol 1493: Stiapel, Dobschau
1 626 : SMMpel, Sieapel, 1 786 : Slenpel.
itickar m. das Auge im Scherz.
33*
484 8 c b r ö 6 r
I
stiekel steil. Der sliekle rein der steile Weg. Formelhaft im Liede
neben dem preitea hkgt, Mhd. stiekel. Ebenso kamt. Lex. 241.
Stine, Slliie, Name in Altbacher, Reinlhal, Reichenau 1614, 1783,
Nesselthal 1 770, d. i. Aigistlii ; vgl. Lexer 242.
stinkkeh n. Alpenwegdorn.
stfbel m. Pfahl zum 'Stützen einer Rflanze, alemannisch stigel Stald.ll,
398. Stufe im Zaun zum übersteigen, was auch sonst stigl
heißt; cimbr. stlvala CWtb. 174. Beide Formen in Tirol und
Kärnten, Schöpf 711, Lexer 241 1 Grimm in der Vorrede zu
Schutzes got. Glossar VIII, mochte selbst afad. stvisti aus
stiuwizän erklären, was durch das got. stifiti denkbar wird,
wozu er iiderstibel fulcium u.' a. vergleicht. ^— iastibelii an
Pfahle binden ; ygl. mhd. mterstlweli, mhd. Wtb. 11, t, G54.
steekhat einen Stock, in dem Sinne wie in Blumenstock, bildend, z. B.
steekhate arbeiftei, s. oben S. 41 . — Wie die Endungen -keh
(s. ;ugäch), = ade (s. kochade) bei Substantifen, sind -at, -laii
bei AdjectiTen in der Gottscheewer Mundart häufig; s. lala. Zur
Endung -at und -at, s. d., vgl. Weinh. bair. Gr. ^. 206 und Gr.
Gr. II, 380, 386.
Staekeadarf zählte 1770 sechs und zwanzig Häuser.
staiawCgel m. Elster.
staekhea 1. gerinnen von der Mildi. 2. aber auch erstarren: da jalft
bestaekhea aad bestalal in dem Liede unter barbar unter W.
Stalier, Name in Nesselthal 1984, s. Stalier. Auch im ungr. »Bergl.
MOnichwies 18S8. ' > * .
Slaaltseh, Name in Mosel.
staft, staaft m. am Hemd, sonst Stock; auch tirol. bair. Schöpf 716,
Schraell. lU, 661.
staaftea stoßen; sUaftea di raeba awa rai^baifeate Ruhen stoften: s.
darüber Schmeller III, 661.
stöftl straftet m. Zwickel am Hemd. So auch in Tirol, Schröpf 716.
kehl stCftlate pfalt f. das Hemd mit acht Zwickeln.
straichen streichen. Di kasitie l$t niil saiaas Aagestrlehea.
8traag m. Bifang. Vgl. Schm^ell. III, 687.
straabe f. ^in Backwerk, das durch einen Trichter in heißes SchmaU
geträuft, oder durch eine Spritze gepreßt und dadurch geformt
ist (spritastraabe). Wenn^^es sich aus de^ Schweiz nach 'Tirol
herüber u. s. w. ausgebreitet hat, so wäre die Erklänrng dort
Weitere Mittheilougeii fiber die Mundart von GotUchee. 485
ZU suchen. Da bedeutet nämlich sMbe f* 1- Schraube und
2. gewundenes Backwerk, Spritzkuchen; also von der Gestalt.
Stalder II, 410. r
Strtift, Name in Wiudischdorf 1614. Strais, HitterdorC 1669. In
Marb. schon 1462.
slr^aklleh struppig. Vielleicht zunächst steif; vgl. strieklleh siriete
Schmell. III, 680.
stfCBpfe! ro. Stößel, Stempel; MO§ar strempfel m. Mörserstößel.. Schon
im vocab. von 1423: strenpfel der — la maza del morter 21^;
vgl. die Formen strenpekei etc. im ungr. Berg]., Wtb^ 100,
Darst. 166 [416], Schm. III, 685 : sMapfelformarium voc 1419.
streweii^ strebei -streuen; mmm strebet sacker dratf. Die mhd. Form
strewcD, ahd. strewjai, die vielleicht eine mundartliche Abgren-
zung hat, neben stWhrei, streu, waltet hier vor. Ltex. und
Schöpf schreiben str<wen, cimbr. streben CWtb. 175.
Stritiely Name in Stockendorf: 1867^ Tnubenbrunn 1570. ^Im ungr.
Bergl. Strits Kremnitz 1628, Stuben 1868.
Sirebeiiti, Name in Hornberg 1684, Deutschau 1614.
stnekke! f. Strudel, Hehlspeise, s. Schmell.. üh 682, er nennt das
Wort schwäbisch und ffthrt an kftrntische hkrieltstrtggeli
Schöpf 722, Lexer 244: stmgget f.
sMtie f. Wecke; vgl. beeke^ahd. stneel) Ober die Ausbreitung des
Wortes s..' Weinhold schles. Wtb. 95, im ungr. Ber;gl, inein
Wtb. 100^ Die Conjecturen J. Grimms bei Haupt VIII,. 419 f.
laß ich unerörtert. Wfilschtiroliscb heißt stritiel: strasel und
stniekeix stnehel Schneller 200. £rsteres scheint mit mhd.
8tr«lie Gurgel zu striue, strena, struiem zu gehören, indem
ttniekel in anderer Weise zu erklären sein wird. $lovenisch
itnca scheint entlehnt, i das deutsche stritte; cimbr. strickela
ist biaden; daher könnten slov. strAk Hülse oder strigatl drech-
seln auf das seltenere deutsche striekel zu. beziehen sein.
StnilBely Name in Gottschee 1700, s. Stritael.
Stibar, Name in Gottscheei 1700.
•(■•l m. Stuhl In Deutschpilsen, im uagr. Bergland ist, ^ie in Gott-
schee, nur slal fiblich und sessel nicht, indem im österreichischen
wieder sessel den stil verdrfittgthat; wie in Gottßchee finde
ich auch cimbr. und tirol. nur stnel; vgl. mein Wtb. S. 100^
und Nachtr. 48', Schöpf 724.
48y S c b r ö e r
stielte n. Schemel, so auch tiroliscb, Schopf 724.
SlnrUD, ex Ort 1684; rgl. Stinib.
Stiirab, Name um 1614. Stürm in Nesselthal 1684. Im ungr. Bergt,
in Leutschau 1660: Stanüi ebenso Schemnitz 1858.
Sttoe s. Stine.
stille und stritie langes Brot» Wecke, cf. beeke unter W, Vgl. stiBf (
und stmapf, strite und stnte, im ungr. Bergl. Lautl. 221.
stitile n. Stutzen, stMile, ein Holzgefaß.
$ibäeh f&r siigkeh s. d.
;iiba( auch jiga} des Abends, s. ;a4areB§.
SaekeD 1770, ein Ort, mit vierunddreißig Häusern, sloven. Draga.
Siehea bei Eben, 1770, mit zwei Hfiusern. Siehea bei Nesselthal
1 770, mit vier HSusern. Vgl. jiieehe.
;iieehe f. Furche, lange Grube, enges Thal; vgl. Siekea, althochd. siiahi
f. Furche, sieUll (suoli ags. silh) Graff VI, 143, KSrnt. aieehe
Bett eines Bächleins, Lex. 246; derselbe verweist auf gaaehe
und dort' auf sl. sika trocken. Es entgieng ihm die angeführte
ahd. Form, so wie das schwäbische Sieek, Schmid 519 und
Grimm Gramm. III. 414, f. 416.
Siekeareiter 1770, ein Ort mit fünf Häusern.
Sicher, ein Ort bei Oberskrill.
füge f. Säge, ahd. sag«, mhd. sage, sege.
;iigäek n. Sägespäne, wie äwem-ich, ttmäek, ilaaek gebildet
faamer m. Sommer; ahd. snmar, mhd. snaer.
jimmittea die (Mehrzahl von sasHitte f.) Johannisfest; Sonnwend-
zeit , die Lieblingszeit des Gottscheewers ; mhd. siiaeweB^cii
tirol., kämt. snanaweDdeD, Schöpf 730, Lexer 234. Den Über-
gang von sinaeweidei zu sinKtei zeigt schon das vocab. von
i 423 : Sant lau tagt ii sibeatei el di de San Zane de Zugno
f. 5*. Um diese Zeit kehren die aaider (Männer) in die Heimat
zurück, um bei der Ernte zu helfen; um diese Zeit werden die
Ehen geschlossen, s. hiaehielt und Leben verbreitet sich Ober
das Land. — Mit gröster Innigkeit bort man ausrufen: • 41
llebea ^amnltteal wo die ^lamittei wie personificiert ange*
sprechen werden. Das ursprünglich bairisch-osterr. Wort
haben die Gottscheewer wol kaum mitgebracht; im CWtb. finde
ich es nicht Personificiert erscheint die Summitten auch im
Liede, das auf diese Johanniszeit gesungen wird :
Weitere Mittheilungeo fiber die Mundart von Gottecbee. 487
da bar hent kamen di i^ummitten
dther »ind kommea die Sonnwcnden
di lieben heiligen §ummitten !
Johanne^, du lieber guldaindar man
bist du getSfet Jejus dain ;un !
0 di lieben schwanen Summitten !
Johanne; hat en getifet in Jordanvluß
ar hkt en ungenum wor ;ain s heilige kind.
won dort har hent kam die Summitten,
di lieben heiligen ^ummitten !
ih bunsehet noch ah6rt (einmal) de ^ummitten!
benn §eu hent wersloufen deu ^ummitten,
di lieben sch^an §ummitten.
nu pehuet eu gott ir ^ummitten»
ir lieben schwanen l^ummitten !
baint hän ih da gej jiten das körn aus ;
möarn bert ih et m^ar d^ jainen !
di lieben schwanen ^ummitten !
Mau sieht, es sind lauter Ausrufe der Freude und des
Heimatsgefuhls und der Gedanke an den Abschied steht schmerz-
lich im Hintergrunde. — jiMMitteikiwerle n. Johanniskäfer. —
{■■Itteiridle n. Räder und Scheiben, die brennend bergab gerollt
werden während der nächtlichen Johannisfeuer; s. Schopf 696»
Leier 21 5, Sehmelier III, 308, Gr. mythol. 682, Germania I, 64.
}iiBiitT4a)e f. Johanniskraut, hypericum perforatum. Sträuße
daraus mfissen so Tiel Rosen enthalten , als das Haus Bewohner
zählt. Dessen Blume zuerst welkt, der stirbt zuerst.
SiBperer, Name in Götenitz, Kotschen 1775, Krapflern 1670, unter
den Steir. freis. 1316 (s. oben S. 33): Siaprer.
fUM iil dar mint f erlief eit Iren sekaii in einem Liede oben unter
lari«.
(UBltte s. ;uimltten.
futie Sonntag s. Uc« Wozu ich noch nachtrage: siatag) moitag^
erltag) Bittweeken, plnilag, doaerstag, freitagt, saaitafttVocab.
1423 f. A\
Sirge, Name in Ribnik, Masche etc. 1776.
Sirgera bei Ossiunitz, hatte 1770 vierzehn Häuser.
488 S c b r ö e r
$iipaD m. der Schuldheifi, slov. iipäa. »Der Supan oder Schulthaiß
zu Kotnitz (Götenitz) hatte seine Tochter einem N. Eppich zu
Laibach versprochen.^ VaWasor VUi, 796.
fiSlea sonst; auch kämt, sista Lex. 246, tirol. Schöpf 731. cimbr.
sis, CWtb. 176, mhd. sag, snst. etc.
fbankel ra. der Glocken Schwengel, kämt, sehwiikel Lex. 229. —
Diesem sbankel scheint im mhd. swiakel zu Grunde zu liegen;
das reine a deutet auf e; vgl. mhd. sweakett sekinkel Parz.
212, IS; mhd. haben sweagel und swaakel ziemlich gleiche
Bedeutung, s. mhd. Wtb. II, », 806, 808. Eine mundartliche
Scheidewand ist in älterer Zeit noch nicht wahrzunehmen.
Jeroschin reimt sckweagel auf eagel 149^. Denselben Reim hat
der oberdeutsche CGM. 714, f. 24:
auf dem lilgenstengel
da sitzt der frewdensuengel
das ist der swann.
I^baai m. Schwanz, z. B. vom Pferde.
}baakerle n. Schwälblein; ahd. swalwi.
;baige Schweige f. AlpenhQtte , kämt, sehwaag Lex. 229. Schneller,
roman. Volksmundarten S. 278, mochte dieß alte Wort von
roman. sibvieea ableiten , doch vermag ich mich nicht dafür zu
entscheiden, da fremdes t zunächst ahd., mhd. / nicht ei wird;
unser }baige lautet aber ahd. sweiga^ vgl. Gr. GDS. 1014.
sbiae m. der Dreschflegel; drisekelfblak, cimbr. sbiaka« kämt.
sehwiakel Lex. 229.
jbiagaa slk aws rt; sich aufs Roß schwingen. Im Liede.
}balwe f. Seife; so in Tschermoschnitz; mhd. seife, müßte correct
falwe lauten. Das b (^^ w) ist eingeschoben. Die Slovenen ent-
lehnten das Wort in der Form iajfa.
jbaiber speiwer „schwoiveh Rudesh: Speichel. Der vocal. ot ver-
langt mhd. ei, wie mhd. spelehel, got. spalskuldrs und stimmt
nicht zu mhd. spie f. kämt, speibe f. Lex. 236. Hingegen ent-
spricht cimbr. gaspabelacb CWtb 172, denn mhd. ei wird
cimbr; oa oder 0: kon, ston, onigkot (kein Stein, Einigkeit) etc.
T unter D.
Nachzutragen ist daselbst: Tabar, AU- 1770 mit neun
Häusern, Neitabar mit acht Häusern. — Zu S. 64, taader vocab.
Weitere Mittheilungen über die Mundart von GotUcbee. |89
1460, teier palroa. — Zu Ulde S. 70: die richtige Form ist
teile Traube, baiiMle , wie mir Pf. Kr. schreibt. Vgl.. Gr. Wtb.
11, 1224. — dmessel la gola voc. 1460, 10^ vgl. grieftel.
— tseUekcD zwitschern, — Mreh immer; vgl. durchan, schwäb.
durane Gr. Wtb. 11, 1682. — dttsche f. Sehlag. Stott; vgl.
Sf hroell. 1, 407 : ditsehei, sloven. ÜUtt.
l' steht fQround a: Bwerabher, nrbaifte, s. oben S. 41 ibend Abend etc.
ü (um: tag, inser, ilae, %mmt etc. Ebenso im ungr. Bergi. Nachtr.
49*.
Das vocab. 1460 hat: steund, geunt stehend, gehend;
halt und hit aber Mehrz. biet (häute); hAs, hieser. Für uo
gewöhnlich ue, einmal Meeier^ für üe einmal oe : keei.
i an ap ab in: teiehea anziehen, ipg^aa abgehn; aber auch fiir ab
steht zuweilen i s. ihiv hinab.
iktid m. abend s. jnba}.
Iktrilie m. Spinnrockenstab.
ibrich m. Quelle der Räije s. d. Vgl. etwa nrbarig, leberimg plötzlich
abd. niwaringin Schmell. I, 185^).
üalt halt, wie im österreichischen Gr. III, 234. Graff. I, 912.
lUi hinab, ihar herab; genauer abUii, abker^ vgl. kämt, eahar ab-
her; eaeka abbin Lex. 1.
ibae f. Ulme, daher ilMkek n. Ulmengebüsch,
teikl die Mistel, sl. omdla. Vgl. •■•!•
laalleD der Dinkel; vgl. aaelkera Schmell. I, 51.
taettef. Ameise, ahd. Aaeiii, mhd. äMeiie, tirol, Ameft Schöpf 781,
Kämt nasse Lex. 6.
!■■€, aHBie um. iBse briagea umbringen.
lad quam primum, sobald als; aaehdea oad aan es versieht vocab.
1460.
»ndral schuldig; in der Hosche.*'
laebartie straiichig. Wahrscheinlich ursprünglich von Grundstücken,
die nicht abgeholzt werden dürfen. Wie baaibartie s. d. für
weilwartig, scheint inebartie für ein älteres lawl&rtle zu stehen;
*) leb finde das Wort auch in Ofner Stadtrecbt in dem Sinoe plfttUich S. 145
trkelDg und s. <69: frberlBf.
490 S e h r d e r.
Vgl. mhd. iiwiri ei|;cM »quod foresta sine consensu domiui
nequeant extirpari nee feoda nee proprietates» (in) wartes eigen
dietae** so 12S4, s. Schmeller IV, 161 f. Gr. Reehtsalterth.
562.
ÜMgerle, Name in Gottschee. 1700.
■■piegei planieren, anebnen. Schon oben S. 53. Wenn das Wort auf
aiUegeM zurückzuführen ist, so Tgl. cimbr. pigeM^ ital. piegare.
CWtb. 158. vgl. jedoch wiga.
Viterbiehkerg 1770: nenn Häuser.
ÜMierdeatsehM 1 770 : siebenunddreißig Häuser.
Iiterf iegeadtrf 1 770 : acht Häuser.
Viterskrlll (bei Mosel) 1770: siebzehn Hauser.
CiterstelMwaid (bei Nesselthal) 1 770 : eilf Häuser.
Vitertoppelwereh bei Tschermoschnitz 1770: fünfzehn Häuser.
IlMiertschatschiii 1 770 : zwei Häuser.
Viterwarmberg 1770: vierzehn Häuser.
rMterweteeakaeh 1770: neun Häuser.
iMterlak zählte 1867 tausend Deutsehe, 640 Slovenen.
■nterj^asse m. oder htflitltter m. der GemeindegrQnde bebaut, mhd.
nderslue (bei Jeroschin u. a. mhd. Wtb. H, 2, 338) m.
Unterthan.
»iersteekhare pl. Strümpfe, in der Mosche. Die Strümpfe sind ge-
fältelt und heißen daher wol steekare vgl. ehedem gesteckte
haikea, steekhaikei: gefältelte Hauben. S. Sehmell. HI, 609.
■rkaifte f. Erbse, Bohne. 8. oben Seite 41. vocab. ital. tod. von 1460.
arbelssei bixi.
■rktt m. Sauerteig, kämt, irl Lex. 248, ebenso tirol. Schopf 785;
schwäbisch urb (zusammengezogen aus arhab) Schmid 527;
daraus adjectivisch : irbtt vgl. jllekät u. dgl. Siehe das folgende
Wort.
arhik m. Sauerteig; ahd. mhd. arhap, daher auch irb, irb-at
arlasse f. Hornisse. Bei dem häuBgen Wegfall des h im Anlaut s. oben
Seite 22 und 97 f. ist hier harMsse anzunehmen, das zu kämt,
hirlassei Lex. 146 stimmt. Leonh. Frisch I, 469 führt an aus
einem vet. voc. 1482: hirnaseh horlitze, und Adelung nennt
unter Hornisse die Form horlitze: oberdeutsch; ein späteres
htrliti crabro von 1618 Sehmell. I, 237 ahd. mhd. btraAst
Frommann VI, 347: die Form wiiiaaftea.
Weitere Mittheilangen über die Mandurt von Gottscbee. 491
■fliebtCM piur. variolae; in der Schweiz AisseUeehte Ausschlag und
dircbsf hllchte , Pocken Stalder II, 321 Gr. Wtb. I, 9KS; ahd.
■rsUbti die Narbe, cicatrix, varix. Schöpf 785 cf. direhseUtehit
Gr. Wtb. II, 1667 GrafT VI, 778 urschlScht durchschlachten»
yariolae Schmell. IIl, 428, schw8b. dirseUeehteM Schmidt 149,
cimbr. dirsIechteM Bregenz: irschlei CWtb. 170. irsehleehte^
kämt, tirol. Lex. 248.
r «. F
Daselbst ist nachzutragen: fasBacht voc. 1460 f. 8^
wischaae auch warsehMe s. ktae. — watsehe f. Gürtel der
Männer. — Terkelket s. kelk. — wih6 n. das Schafvieh, wlklseh
bArlAr Schafhirt — wladeni prfigeln. — wter awAar hervor.
IT wird B wie im „Cimbrischen*' und ungr. Bergl. s. Laute S. 227
(221) f. Auch im Vocab. 1423: gekaadelt) eUeh) iigeUter)
kinner wärmer; basser) keteri blit^ bee^ gebesei u. a. und W
findet sich im Anlaut nur wo F stehen sollte.
Merkwürdig : beeU , bergl ^ derbagei , wo £ für H^ steht»
und ein vorausgegangenes T abgeworfen zu haben scheint.
Dazu stimmt altlateinisch ivb «s bis , ja selbst P für fF in roni.
Mondarten, s. darüber Schneller S. 99 , worüber freilich noch
gerechte Bedenken schweben. —
Für M steht ß (» W) in btatel, jimitten. Vgl. Wein-
hold bair. Gramm. §. 136. 139.
Für J7 steht W in wtlftei s. Seite 499 unten. Ein ähnlicher Wechsel
von JGTmit W ist im alemann, bemerkbar in: wastea husten;
wlsteln Stald. 11 , 46. heanzisch: wilnaiften für hmaafteit
Hornisse s. oben unter iriasse.
Waber Wlber Weber, Name in Gottschee, Morobitz, Mosel. 1614 in
Schalkendorf; 1860 in Gdtenitz. Im ungr. Bergl. 1360, Schem-
nltz, dann häufig.
wAber fciber m. Plur. bAbare Weber. Der bAbar praaebet ateh pAwl
der Weber brauchet noch Baumwolle. Krise.
bu m. Weg. Der breite Weg: prtite bat steht im Liede oft im Gegen-
satz zu dem steilen Rain stiekela rtla. — ei bAge hinweg: ;l
492
S c h r ö e r.
ralUnt ad bAge sie reiten weg; ebenso auch im vocab. 1423:
er ist langst en bege gegangen 48^
kAeUetee% 1.» f&eheln zu bair wteheln Sehmell. IV, 9.
Nach der Form in Gottschee ist ein mhd. wlhelea anzu-
nehmen zu wihe waeh wAhen gewthei s. mhd. Wtb. III, 650.
Denn die Gottscheewer Mundart hat a nur für g, nie für 0.-2.,
watscheln, wie eine Ente gehn.
waeehel baechel m. Tischtuch s. bechel.
wad—badralch m. Wegrich; ahd. wlftgarlh, mhd. wigerlh. Vocab.
1423: wegrelehwasser laqua de piantazano 21 ^
wahen bigei , derbi|;eii gewaschen, got. thTahan, mhd. Iwahe twitc
twitgei getwagei. Nur das Particip, aber statt -twagei : *bi^n,
ist erhalten, wo wahrscheinlich ü für. langgewordenes a anzu-
nehmen ist, also derbtgeafür derwagen. Über den Wegfall des
t vgl. bechel und W.
Wachtel bäehiel f. Wachtel. Im Liede : dl biiehtei flaget !■ Andern
walde s. S. 110.
bainAchten Weihnachten. Zu diesen Festtagen werden in Gottschee
TAgel, besonders Taibei aus Brotteig gebacken.
baibtB s. baip.
batle f. Weile, Zeit. Ih häi et der bail ich habe nicht Zeit,
bain m. dar balfte, riate und sbbne b. weifier, rother und schwarzer
Wein, wie in Italien. ^ bainrabe f. Weinrebe,
balnparc m. Weinberg. Die Weinberge im Süden des Ländchens
sind das Paradies des Gottseheewers.
balMtalle f. auch ttlde Weintraube. Vgl. Gr. Wtb. II, 1227.
baip n. Weib, balbti ein Weib nehmen. S. darüber oben S. 25.
Vocab. 1423: ein beipt (sie) nemen: tore moier 36^
bal;el m. Weisel, Bienenkönigin mhd. wlsel.
bai§e f. baijel n. Weise, Singweise mhd. wlse. — Die baijea der
echten Gottscheewer. Lieder sind sehr eintönig; s. Ausflug o-
Gottschee S. 112.
Benn de pau-khe dih aus bert
peu-
kheh
de
h
t
S-
IS.
^
kloekben mih bent aus
Jfiu - ten.
Weitere Mittheilungen fiber die Mondart voo Gottschee. 493
Diese einfache Weise, nach der das Ausflug nach Gottschee
S. 47. mitgetheiite Lied gesungen wird , hat mir Herr R. B ra u n e
in Gottschee freundlichst aufgesehrieben, so daß ich sie hier
nachtragen kann. Vgl. auch die Bemerkungen unter Urje.
hüt weiß. Di baifte wrA. In Pölandi bei Maschen kömmt zu Zeiten
nach dem Schnitt die weiße Frau mit ihren iwei (fespielei
singend herab ins Thal und holt sich eil Paar Garbei, mit denen
sie wieder in*s Gebirge verschwindet. Ihr Erscheinen erweckt
Freude weit und breit , denn es deutet auf Fruchtbarkeit und
Segen; dei batfte wrA zeigt sich auch auf dem FrledriehstelM^
s. d. — dei kaifta jliinge im Märchen s. jlAige.
kaUen kneten) sich ringeln. Frommann VI, 621.
tilgen kMgea (-wßlgen) rollen; walken, walzen; vocab. 1460:
wtlgeM Tolzere voltare; hat nichts gemein mit balgei, sondern
gehört zu mhd. wilge, walc, walgei, gewtlgen; int ahar bälgen,
■■ekaigei: sich umherwSlzen, umhertreiben; th kert Mtch
pai aideni leitei ■mebaigen ich werde noch zum Bettler. Krise,
vgl. kelgei.
balgitsen wackeln. Vgl. bälgen.
b4M m. der Wald; in bäUen im Waldland; bMdnare die Wald-
bewohner. —
biit oder barit f. s. d. Welt, hingegen: waid: Feld.
-wiltsehiar wischtnar m. Maulwurf. ** R. Die Formen sind wol nicht
genau überliefert und ist hier Tielleicht bälinar Walzner, Wälzer
anzunehmen. Vgl. wisehtaer.
kampe f. Wampe, Bauch, vocab. 1479: die wanpen panza; wampea-
lek calduine.
baakat wankend. Ein verborgenes Rad lauft bankat.
baatef. das Röckenschaff, Wanne, auch bainke (^ Wannchen? vgl.
■erke).
hkättl m. Mantel. S. oben unter W.
bapfe f. Wepse: «a kap§e bat mlh gesttehen.*' Elze. Wahrscheinlich
Wipfe (denn a steht nur fQr ^, was hier nicht zu Grunde liegt,
sondern ahd. wafsA aus sanskr. vap weben, litthauisch vapsk;
die mhd. Form webte, in der also der Umlaut schon eingetreten
ist, würde in Gottschee bl(p§e lauten).
bar wahr, leb&rftgen wahrsagen.
barbar m. plural barbare Werber.
494 S c h r ö e r.
Ein Lied iMaa karkare , das in Gottschee viel gesungen
wird, scheint auf die Rivalität zweier Gegenden hinzudeuten:
un ziehot a mueter a töchteriain
unos töchterlain fraien zb^an barbare.
«So gebet mih mueter in Schimitscher parg
in S. parge gaits gueten bain;
gueten bain und ^lachtes pröat.^
anders:
mSo l&t mih mueter in Rodinar parg
in Rodinar parge gaits baißes prdat
baiAes prdat und slachten bain!**
tu itvuiiiat irai|jv |^«i«.o vn
baiAes prdat und flachten
So zieh du hin tochter bu du biljt
in Sehimitzer parg oder Rodinar parg;
Bir fachen uns heut und nimmer mear!**
„Ich gib die tochter in Rudiger parg
in Rudiger parg i^t pitter dar bain.
I^t pitter dar bain und ^barzes prdat ;**
unt inner hent kam zb£n barbarlain.
„So l&t mih mueter in Schimmitscher parg
in Schimmitscher parg ift gueter bain
In Schimmitscher parg ist gueter bain
gueter bain und baiAes prdat !^
mSo buifech ich dir in Schimmitsch^ parg*"
ahddre f oget di stiefmueter
„In acht tugen» ;o bfinsch ich dire
du ;olft bestocken und bestoin!"
bestocket und bestoinet i^t deu sch^an tochter.
kirUh wahrlich, aber; Mriaia, jaikerjt kleeket et walBtlali wahrlich,
allein» gedeiht nicht gut, Tgl. iaia.
karlt f. die Welt. 1b gaaier karli Ijt kein kiikle et im Liede unter
Maria, s. oben S. 438; Tocab. von 1423: Rom haubtstat aller
kerlt 39^ mhd. wftrit, ahd. wlftralt.
Ifannkerg s. Viterwamkerg, Wamkerg im Nesselthal 1770 eilf Hauser.
Wettere Hittbeilnagen ober die Huadart ron GotUcbee. 495
kuft war 8. f alaei.
Mm f. werre am Aug» ahd. werrt, weraa, kämt, wtrre.
Uiurn. Wasser; UsserkiiiUe n. Fischotter; Molch; Msserwei^el in.
Storch. '
totei (» wltea) binden; ih Ut, im Ute^t, wir baten; gte Ut 4 tkfen!
ahd. wUnn^ kämt, weten.
ktilfiir n. Maulwurf s. bieljMr unter fcnele.
kiilkartie kindisch ; schon Schmeil. führt die Form als gottseheeisch
an IV, 57. kämt, weilwarlig unstät. Lex. 254. Vgl. got.
kreilahTairbs npdoKatpo^» ahd. hwlUwerbl volubilitas. Das kämt.
weilwartig steht also für weilwarbig (vgl. ahd. warblth) und die
kämt Aussprache wAlwartig wurde in Gottschee MI »» baulbartig.
Wlifirte laibarie Barbara» im Liede :
Barbara.
Schwanes Bauberle, sch^anes töchterle,
fo tue dih Bauberle werhairotenl
werhairoten bil ih mih, mueter» nimmer mftr,
herr Je;u Krijt i; t main präutigam,
mueter Marta i;t main wüerarin.
Seu pitet ^eu das zboit und dritte wuert.
mSO tue dih Bauberle werhairoten.
Bir bollen paun ain turn tief
wir pdlen dih in turn hinain.
bir bollen paun ain turn proit
swelf klafter proit und zwelf klafter tief !^
Seu pdlen Bauberle in turn tief
es hevet un und finget sch^an :
Mmflter» Je^u Krist i^t main präutigam
mueter Marta i^t main wüerarin!**
fo bittet schlaues Bauberle.
;o pauet mire linen (Giebelfenster) drai.
die erjte line bu di fonn auTgftt
di zboite bu jeu ze mittage st^t
deu dritte, bu fcu Gott wolgen g^at
deu dritte» bu ^eu Gott wolgen gtet,
hinauf i;t gewlügen a jnebaifteu taube
pis in den himmel höach !
496 S c h r ö e r.
b^ weh; MtbcM biUen wehklagen dar kranke hü dea gtaie alMibt
gebUbet, mhd. wAwen auch kämt, tirol. eimbr. Krise,
hecke f. Keil, keilförmiges GebSck; ahd. weg|[i mhd. wecke; kfimt*
wecke m., vgl. strAtie.
beekel b^aekel f. ttsekbiaekel Tischtuch. Ahd. dfakiiya, mhd. twehele.
Voc. 1423: iwehell daz hantuch oder — la troaia da man 9^
kämt, weekel Lex. 252. Vgl. waken.
beder welcher, zuweilen fQr beldar s. d., nicht zu verwechseln mit btder.
weil, btii, bttie m. Weizen; bttistamle n. plural: baliataBliii
Weizenhatm; tArktsck bali m. Mais; btiiaia weizen; Miali
pr^at weizenes Brot ; btliala mal weizenes Mehl.
Weifteabaek 1770 sieben Häuser.
Weifteastein bei Altlaag 1770 vierzehn Häuser,
bele beldar welche, welcher. Nicht oberdeutsch s. Fromm VI,
527. ebenso cimbr. CWth. 55. In der Mosche auch keder
welcher.
bellten, käl|;en walken, factitiv von balgen s. d., zu dem es sich verhält
wie schwemmen zu schwimmen. — kelgar m. Walgerholz,
bellen wollen , ik MI auch in der Bedeutung : ich werde. Voc. 1 423 :
iek wll) kir wällen 64. 65.
b^nc b^anc wenig. Vgl. mhd. w^nc. Auch tirol. weank wenggal. Schopf
511 , kämt, weank. Lex. 255. — ktlntger geringer. Vgl. mhd.
weiniger gewöhnlich : weniger,
bene f. Köder, vgl. kärntisch wtne Lexer 259.
beppe f. der Webstuhl, ahd. weppl, mhd. weppe n. Gewebe. Vgl.
cimbr. beppaspiana f. beppagaspnnst CWth. 110^.
wer ber wer ; be; in besck bi§t dnt wessen bist du? Antwort: lappan$
des Rupp. Eine solche Anwendung des Genitiv, sowie die II.
Pers. Plur. (ir kert ihr werdet) unterscheidet Gottscheewiscb
von den österr. bair. Mundarten. Dativ: banitn wem.
bergel n. kleines Kind; vgl. mhd. twergeltn und oben wahen, kechel.
Siebenb. sächs. gttlsbirg, gtttsbirgel. Schulier 24; gtttsb4iiek
Haltr. 12, d. i. vielleicht nichts anders als geiwerg, mhd. getwerc ;
ist aber gttts (<» goz) zu trennen, so haben wir denselben
Wegfall des Anlauts wie in Gottschee.
werden ik bert ich werde, dn berjt, ar keri^ bir baba wir werden;
Irbert) jen bemt, kent. Vgl. im ungr. Bergland eck barr ich
werde; kir ban wir werden. Schröer Nachtr. 49.
Weitere Mittbeilungen über die Mundart von Gottochee. 497
werkelket lecker, ekel, heikel. Vgl. Schweiz. Uktm etwas zum Ekel
widerholen. Stald. I, 93. vgl. keiket.
berlt f. Welt s. oben barlt.
ben f. klafterianges, trichterförmiges Netz. Altlaag.
berjtie unwirsch, Majtic bibei ar §ih unwirsch gehabt er sich. Von
kirjte Superlat. von birs, ahd. wirs s. C^b. 1 1 2, kämt, warsch
aufgebracht. Lex. 280, wirseh Schopf. 818. — Miiwirseh gehört
kaum hieher, sondern zu mhd. nwirdigch. Vielleicht ist sieh
Mrstea im ungr. Bergland Wtb. 38^. hieher zu ziehen,
kftsea (= wezzen) wissen. Ih btft, in bt§t, der btft, bir bessen, ir
kesset, §ei bessent.
bei warum? wie ibei s. d.
Weggtfitie hatte 1770 sieben Häuser.
Weti^ Name in Gottschee 1 700.
Wetieabaeh, •berwetienbAeh 1770 sieben Häuser; Vnterwetieiibaeh
neun Häuser.
Mea Widem, Kirchengut, mhd. wMeae.
WMenic, Ort bei Mosche.
WMner, Name in Gottschee 1700. Vgl. biden Widem.
Ulken wehklagen s. b^a.
bie kletaier wiethaner, welcher, was für einer.
kietelnder qualis. Vgl. die Formen im ungr. Bergl. Darst. 18 (268) :
wielAier, bitter, Utteier, bitter, gtekeUttener etc.
Wieterich, Name in Malgern, Sehalkendorf 1684. Ort 1614.
wiga, bign, ■■bign bedeutet vielleicht wellern und dann ist S. K3 da-
nach zu bessern ; bigiade heißt nämlich: der Raum unterm Dach
und wiggeli wellern Stald. H, 480.
^'ilt kflt, wild ist die Natur im Gegensatz nicht nur zur Cultur, sondern
auch zum Christenthum. Überirdische auf heidnischen Vorstel-
lungen beruhende Erscheinungen heißen insofern wild : blMes
weier leuchtendes Holz. — krait Buchsbaum «). — bilde wrAgen
wilde Frauen, worunter man gute Geisterwesen versteht. Die
Uldei wrAgei leben in Grotten, die man wr^enUeher nennt.
Sie kommen oft zu den Menschen ihnen zu helfen in Noth und Be-
drängnis ; aueh Feldarbeit verrichten sie ; vgl. baifte wrA unter baiß.
Wfldpaeb, Ort bei Unterlack.
V BaehsIiaanikriDse «chmficken die Todten, die unverheiratet gestorben sind.
Sitzb. d. phil.-hiat. Cl. LXV. Bd. lY. Hft. 34
498 S c h r ö e r.
Winpfta, Name in Gottschee 1700.
WindiseMtrf bei Mitterdorf zählte 1770 siebenund vierzig Häuser.
WindtseiiBaM, Name in Stockendorf 1800. Im ungr. Berg), ist der
Name Wlndiseh seit 1360(Schemnitz) 1450(Neusol) sehr häufig.
Wiikel bei Altlaag 1770 sieben Häuser, s. Allwiikel.
kfamie, Undie wGtend: mhd. ahd. irlnnie, tirol. winnig, kämt, wiadig«
Lex. 2S8.
TiMtl, Name in Gottschee 1700.
Mite f. Windung: ahd. wlitA.
btitjie winzig; das bintjle widerle Schraubenmutter. Conf. cimbr.
binse, minse wenig CWtb. HO'. 147\
Auffallend ist, daß hier nicht % sondern i§ ('s) an den
Stamm wii angehängt erscheint; vgl. nordböhm. kliitsehieh.
siebenbürg, sächs. kltaiig, im ungr. Bergl. kitien, mein Wtb.
69 ; Seite 70 unter kleta aber geradezu kli-biitsekek, wo obiges
bintjle enthalten ist. Beachtenswert sind daselbst auch noch die
Formen: minkel und wiDklkalt wenig, daselbst 81, sogar müAt
miakel. Darst. 124. Weiteres unter kitiei Nachtrag 36.
Urchen garnweben, wirken; die Form wirehen auch bei Schmeil. IV.
148. Schopf 817.
Wirt Uri m. der Hausherr, Gemahl Vgl. CWtb. 112. Lex. 248. Vocab
von 1 423 : dl haistraa ind Urtia la donna de chasa 36*.
„wischtaar m. Maulwurf. ** Wahrscheinlich Meftaar von mhd. wiestea
wüst machen; vgl. ahd. watstarl extirpator Graif. I, 1084. Vgl.
waltsehaar und katljaar.
ki}e Ufa f. Liebling, g^a, htl mir das, Mter M}t da a U§a geh« hol
mir das, dann bist du mein liebes Kind. Ober die Endung e und
— a s. t vgl. das folgende,
blfaa liebkosen. Vgl. bi;e. Bar att bljet §alB kiad der Vater liebkost
sein Kind. Die Form Uje fallt völlig zusammen mit kljc pratum.
die Wiese.
WIesgani, Ort bei Ossiunitz.
Wieteriek, Name in Ort 1614.
btjpela pfeifen; in diesem Sinne auch bezeugt durch wispelE mit dem
Munde pfeifen. Tirol. Schöpf 818, kämt, wlsekph. Lex. 258.
Vgl. Schmeil. IV, 481 ; ahd. kwlspalia.
Wittiae 1560 in Suchen, Reuter. Wittiae, Name in Mosel 1770.
Mosche 1870. Der Ort Feuchting heißt slov. liliae, daher der
Weitere Mittheilungen über die Mundart von Gottschee. 499
Name sein wird; Valvasoi* nennt den Ort halbteutseh, aber
Weißenfels „recht u. lauter teutsch*' II, 110.
Wlithlse, Name in Setsch 1 757.
„Ullken unbestimmtes Schreien". Krise, soll wol heißen pUaken
blocken (an got. f ^kan wage ich nicht zu denken) aiemann.
Uäif^geM, Stald. I, 177, tirol. blekern Schöpf 45.
Wttaer, Name in Gottschee 1770. 1660. Untertapelwerch 1614.
Mer 1. nter, welcher von beiden, dann 2. zur Bedeutung von tder
abgeschwächt: jai lantle btder t^ater^ ktder tieft da liebei
bkeheit im Liede S. 71, got. kvatkar, abd. mhd. kwMar wMer.
WtgriM s. Ttgrin S. 85.
wtiften heißen; man sagt es ktlßet und es weiftet mit gleicher
Bedeutung. Vgl. Weinh. bair. Gr. 137.
Mfle n. Plural btljlaii die Waise.
Eine Ballade: die iwei Waislein, die in Gottschee gesungen
wird» konnte ich nicht erhalten. Ich weiß davon nur, daß die
Waisen an der Mutter Grab kommen , weil sie nicht Holz und
Wasser haben. Da ruft es aus dem Grabe:
g^at hoim ir boijlain main
ahoime bert ir winden das houz un bosser sch^an I
Bin ähnliches siebenbü(*g. sächs. Lied theilt mit Haltrich :
Stiefmutter etc. S. 27.
Wester, Name in Gottschee 1700, 1684.
Wtstiai, Name in Gottschee 1700. Als Taufname tür Sebastian auch
W»stl 1770.
wrA f. plural. wrAgen und wrAkei Frau. Bilde wrAgea bewohnen die
wrAgei lieber (Grotten) ; sie helfen freundlich den Menschen
oft bei der Feldarbeit. S. waiß baift und UM.
Wreli, Name in Gottschee 1770.
WreicB spr. Uasen, zählte 1770 ffinfzehn Häuser.
Wriiakele, Name in Skrill 1614 und Gottschee, vgl. Briaskelle.
kide, b«del m. 1. Widder, im Lockruf der Hirten; 2. Tölpel. Vgl.
wsdiler m. Schafname, Lexer 260.
Wieehtc, Name „bei der alten Saag^ 1614 (Altsaag s. d.).
kiele f. der Rosset. -— kielen wühlen. — kieljnar m. Maulwurf;
fcaafiar m. in Mitterdorf. In Tirol wielseker, kämt, wtelsehger
Schopf 821, Lex. 260. Cimbr. kialer CWtb. Wüeler, Schm.
IV, 61. Vgl. wisektnar.
34*
500 S c h r ö e r
bnen wohnen, weilen „In ganien ptden lai An elpAmstäadle —
atinne du kmet dar grimmige Mat.'' Lied.
binderlaia wunderbar, seltsam, s. oben das Lied laagel Jane S. 10?
und -lain.
barp m. Sensenstiel, kämt, wtrp m. steirisch wtaf. Lexer 260, tirol.
wtrp in Schopf 820, bair. warb f. Schmell IV, 139, alemann.
warb n. Stalder II, 298, mhd., ahd. warp m. Im ungr. Bergl.
warf, barf Schroer Wörterb. lOS. bjafa, baalk, waaAi Nach-
trag 18, baefen Darst. 242. Mein vocab. 1420 unter warf.
wariiela auf dem Eise gleiten. Vgl. wargela rollen Schm. IV, 153. —
bajlLen gleiten. Altlaag" ftitsehea gleiten, Stald. I, 408. Vgl. walsehea,
wasehen Lex. 26 1 , entschlupfen , alemann, witsch schnelU
Stald. II, 461, tirol. witsch Augenblick Schöpf 818. Wol Neben-
form von ahd. wIsIl, wiskea Wisch, wischen; vgl. mein vocab.
von 1420, wo S. 25' zweimal wasehs für wisch (arswuschs) zu
lesen ist.
Watt, Name in Gottschee 1700.
batiea stechen; Kindersprache; Das wäre Schriftdeutsch watiea oder
(u für a) watiea (ahd. hwaiian wetzen?). Slov. heißt bilitka
Stecknadel.
Z.
lAbera zaubern. Ebenso kämt. Lex. 263. — lAbrar m. Plur. lAbrare
Zauberer. Wie tirol. s. Schöpf 833.
labea wozu s. ibea (= zweu).
laehe f. Baumbock, eine Art Laus, Zecke; mhd. iMe; vgl. Schm.
IV, 222.
ikeUäch n. Lumpen, Fetzen, s. lackel. Die Form ikckel stimmt in
der Bedeutung hier mehr zu mhd. late, ahd. laU, so daß ein
Wechsel von t mit ck anzunehmen ist; lagel^ das in Kärnten,
Tirol ähnlich klingt, weicht hier völlig ab. Vgl. leekebi.
lagel m. Kolben, z. B. Maiskolben; mhd. bedeutet lagel m. Schwanz
(got. tagl Haar), aber auch schon Baumwipfel, s. mhd. Wtb. UI,.
839\ 4.
lagea jammern; 3. Person er lait; Partie, geiatt. Die Form stimme
zu mhd. lagea, geieit^ die Bedeutung ist auffallend.
liglLhl s. lekele. Im ungr. Bergl. lekel, in Kaschau 1399, in Siebenb.
lekeli.
Weitere Hitiheilungen Ober die Mandart von Gottschee. 501
saker W Thräne, mhd. laher, kämt, lahar, tirol. laeher, in Göln. im
angr. Bergl. noch i^a, s. Darst. 99.
Mitle n. kleines Laib, laitle pr^at s. pfaiiatle und h&;e) mhd. lelte
etc. In den übrigen Mundarten für gewisse Kuchen ; hier auch
für Brot.
lulit gezackt, eigentlich geiahnt.
Zipe, Name in Riek 1614.
Mirmatto» vocab. 1460.
ttufltewerle n. Zaunkönig, s. nert, mhd. itnsllpfel; fltewerle steht
fnr slieferllii aus sliifaere. Zu demselben Stamme gehört wol :
der sekUfer (schloufa) Schmetterling in Metzenseifen im ungr.
Bergl.» Darst. 140, wozu ich daselbst das verschollene ahd.
sltphari, sltpUiari, sltiar circumcellio (Schwärmer ?) GrafT VI,
807 vei^lichen habe.
se zu in le bäar (oder le w4ar zuvor) s&gei wahrsagen. Als Präp.,
wie ahd., mhd. li, le auch in le nachbam! ruft der Gemeinde-
diener mit der Trommel, le lander zusammen, tenander
rtllea. fenicht, vgl. intcht. — ler UaMdlem nehmen, als Lohn-
dirne aufnehmen.
i^acbe, i6ahe f. Zehe; mhd. i^he, kämt, leahe Lex. 263. Im ungi-.
Bergl. in Krickerhäu i^ga in Käsm. leip; s. darüber Nachtr. S. SO**.
lechnei zehne; vgl. die bair. Formen Weinh. bair. Gr. S. 261, 10,
mhd. il^hea. Auffallend wird hier e, nicht a. Die flectierte Form
sehr gewöhnlich wie ikelwei s. d. u. s. f.
leekein schlendern. So wie läckel für itte Zottel, steht leekeln für
letteh schlendern u. dgl., s. Schm. IV, 291, was zu ahd. laija
(vgl. latA Zote) zu stellen ist; vgl. ikekUick. — beieckeln ver-
unreinigen, bezetteln.
lederie n. Zettel. larla kat kekan a lederle s. Maria.
S«S|tl s. lekele^ Ugkl.
lefai s. i#fai.
lelae, Name 1700.
Xekele, lektl, Name 1600 in Gottschee, Tschermoschitz, Hinterberg
1614. Vgl. Xigkkl.
ie«;e f. Kleie ; ahd. lenisa Graff Vi 668. Das Wort scheint selten.
Es fehlt im mhd. Wtb., bei Stalder, Schöpf, Lexer; Schade hat
es übersehen und Schmeller sagt dazu: „die lemssen (Kitz-
bfihel, aiek bei den fitUsckeewern), die Kleien**.
502 S c b r ö e r.
Itprin civis ex civitate 1783.
lerkraftcn zerbrechen» intransitiv, partie. lerbrtften) lerbre^tei tran-
sitiv; mhd. brCstei auch noch in Tirol Schöpf K7.
MieftrAieh n. Bärlappe. **
liglfst Paul in Moswald 1860, Name in Orth 1614. 1684. Lienhart
Ileglfesst auch Leonhard llglfest, ital. Leonario di llgefest ist
um 1593 als des Lutherthums verdächtiger Priester in Gott-
schee abgesetzt und erscheint in Urkunden von 1613 — 1615
als begüterter Gottseheewer sammt seinem Sohne Hans iu A.
Dimitz Urkunden zur Reformationsgeschichte Krains. Laibach
1868, S, 74»» fff.
elMBen MiMe cinamoni voc. von 1460. 29^.
iiMnerstiel m. Schnitzbank; Stuhl um darauf zu zimmern.
Xinperg, Name in Gottschee 1800.
Ilne, Name 1700; vgl. Stiae.
liik, echt schwäbisch, schwankt der Name zwischen i und «.
J. Zeng war PfaiTcr ad der Uegg von 1377 oder 1395 bis
1415, Seines Bruders Sohn war B. Zink; s. die Chroniken der
deutschen Städte vom 14. bis ins 16. Jahrhundert, Leipzig 1866,
V. Band: Chronik des Burkhard Zink 1368—1468. Er ist ge-
boren zu Memmingen 1396, wo sein Vater ein gewerbig mmm
war, der durch Handel nach Steiermark ^r ind g«et erworben. —
Burkhard verließ 1407 die Heimat und kam zu seines Vaters
Bruder J. Zeng oder Zink, Pfarrer zu Rick in Gottschee. Von
da aus besuchte er die Schule zu Reifnitz. Er erzählt: 'als man
zalt 1407 jar, dd war ich ain jQngling, bei ailf jAren schied ich
auß'von Memmingen, von vater und von allen meinen freunden
und gieng mit ainem schueler, ich war auch ein schueler und
was bei 4 jären in die schuel gangen, undgiengen alsd mit ein-
ander in Krainland gen windischen landen in ainen markt haiflt
Reifnitz — leit in Krainland hinter Ldbach 6 meil gegen Kroa-
tien, in dem land belib ich 7 jär und gieng ii gen schuel.
Dann mein vater hett ainen leiplichen brueder, der was pfarrer
in ainem dorf, genant ab der Megg, das ist ain grdß schon dorf
und gehSren wol fünf ander dörfer darzu, die haißen: Gottenitz,
Pausenprunnen etc. (letzterer Name fehlt der Hs! B.). Da was
derselb mein herr bei 30 jdren pfarrer gewesen und was mit
gräf Fridrichs weih von Ortenburg in das land hinein kommen.
Weitere Mittheilungen aber die Mundart von Gottschee. 503
die hett in zu priester gemacht , dann er was ir schreiber ge-
wesen; sie was eine von Tegg (Margareta, Tochter Herzogs
Friedrich von Teck, Schwester Ludwigs, 1410, Patriarchen
von Aquileja). — Derselb mein herr, meins vatern brueder, der
ließ mich gen schuel gän in die Reifnitz und dinget mich in die
kost zu ainem biderben man, genant Hans Schwab, der was
gräf. Friedrichs paumaister zu Ortenburg und pauet auf das selb
mal das nider haus zu Ortenburg hie niden an dem perg. «- Er
kehrte nach Memmingen zurück 1414, da war aber sein niemant
M und so gieng er 1415 wieder nach Gottschee, wo aber sein
Oheim schon gestorben war\ S. 104 heißt es:
'Gottenitz an der Riegg, das ist ain grdß dorf und ain guete
pfarr/ — 'Darnach (zog ich) gen Götze (Gottschee?), Feistritz
Cilii etc.* Er starb als angesehener Mann 1474 zu Augsburg. In
Marb. Ciaehe Zink 1295: 1300—1326.
liike ro. Zacken ahd. sinkt mhd. sinke.
liikat einäugig. Vgl. aiemann. der ilnggen Rebschoß mit einem Auge,
Stalder H, 475.
liikel Name in Zwislern 1669, Tgl. TseUnkel. Marb. 1295: Fridreich
der Clnehe.
il}te f. Wäschkorb, Schwinge, vgl. itine, k^arb. Tirolisch ilst f.
steirisch kamt, ilgtl, mhd. ilstel Schmell. IV, 290, anno 1475:
teste f. 1 392 : ilstel.
iltrich m. „Pappel.** Zitterpappel.
(icel, Name in Gottschee 1700.
nicht nichtig, cimbr. itnlehte, so auch .kämt. Tirol. Schöpf 467.
Lex. 197. — mlehläeUe n. nichtiges Wesen. In dem vocabulario
ital. tod. von 1479 (von Lapi gedruckt zu Bologna) wiederholt:
tristo iieiileht, mlchtlg, inlehUkeyi tristeza, vgl. zonichtekot.
Cimbr. Wörterb. 150.
itekel f. der Fetzen, vgl. cimbr. itekela f. Zapfen CWtb. 181, vocab.
von 1423: der i#ebel el zocholo 9\ Karat, tirol. laggl, was jedoch
eher zu lagel zu steilen und von diesem itekel zu trennen ist,
vgl. fäckläeh leckeln. — itekelmau m. wie Fetzpoppel, eine
Vogelscheuche. — itekeUt lumpicht. Vgl. lüekläeh.
itli m. Zeine, Stab, Rute; got. tains, mhd. sein daher.
ttln« f. Zeine, Handkorb, ital. lelnt, got. tali^i ahd. selnA, vgl. k^arb.
— Mlidle n. Handkorbchen.
504 S c h r ö e r
ItUnern Ort bei Fara.
itr|;e f. (d. i. liiri^e) das Innere des Siebes, ahd. larga» mhd. itrge
Ring, Einfassung; die itrg Schmeli. IVt 284. Schopf 89K. lärge,
Särge Lexer 263.
ksehe, Name in Gottschee» Altbacher 1700 — 1800.
beherne IscUnkel s. Tseh.
lac s. WMersii;.
»iichtpeakel n. Setznageh; „inehpeikel Gewicht bei der Wage.
Tschermoschnitz.*' Ein in Form und Bedeutung nicht ganz klares
Wort. Die Formen keehel, kergel, ilerkigen, wo mhd. t abge-
fallen ist , lassen die Vermuthung zu, daA der zweite Theil des
Wortes als tweigel (tbeikel, ^keikel) aufzufassen sei, vgl. ahd.
dwengil, dwang frenum, gMwang habena etc. Graff. 5, 276 f.
iiemies n. Käse und Schotten 1316, vgl. Schm. H, 626.
iieweib, das — druga, vocab. von 1479; vgl. latwtp, mhd. Wtb. III,
720.
lagl^ Name in Gottschee.
itlie f. Kahn, mhd. illle, iille, sloven. itla ieln, vgl. Schmeller IV,
253 ff. Die Ableitung von MavleeUa Schneller 281 ist, solange
weitere Übergangsformen nicht nachgewiesen sind, gewagt.
iinander, lenaader steht für zusammen; lenandergertllet: zusammen
gerollt s. powalitie. „af der stelle leaanderl*' ruft der Geroein-
dediener von Nesselthal , der mit der peikhe • (Trommel) , die
Männer zu einer Gemeindearbeit zusammenruft S. Elze 17,
derselbe ruft a. a. o. auch: nie ■kekpen!*' d. i. „Nachbarn,
kommt zusammen!** was umsomehr auffallt als der Nachbar in
Gottschee gemtinar heißt.
lare f. Langwid, Langbaum, der das hintere mit dem vordem Wagen-
gestell verbindet.
lorkel, Name in Gottschee, Fliegendorf 1700—1800.
Iirl, Name in Gottschee, in Buchberg 1614. Im ungr. Bergt, in Neusol
1390: larinne eidam.
inriar m. inguen, vgl. pissar und sekirlen, sekallei, tsekaUtU, tsekllea
im ungr. Bergl. Nachtr. 23. Darst. 408. In Wirzburg die Rose
an der Gießkanne iirl m. Schmeli. IV, 28S; vgl. kämt. tiroL
tsekarea pissen Lexer 227. Schöpf 770.
larltfl f. die Schlinge zum Aufziehn der Unterhose u. a. Etwa ein
mhd. zarlouft; Zerrlauf, wobei -laaf in dem Sinne: Hülse,
Weitere Mittheiliir^en über die Mundart ron Gottschee. oOS
Schmell. II, 445. zu nehmen wäre: eine Hülse durch die ein
Band gezerrt wird; mhd. der lar der Riß s. mhd. Wtb. III» 903.
liraei s. lalb^r. Ein im Österreichischen eben nicht übliches Verb.»
wofür gewohnlich sieh giftei gebräuchlich ist, erscheint im Volks-
Hede in Gottsche n&ek dainer liri ih nik laibar et) vgl. mhd.
iek itrae nick Gr. IV, 35.
iwelfe ifcelwea zwelfe; mhd. iwella iwelfea Weinh. bair. Gr.
S. 162. Die flectierte Form in -ia ohne Unterschied des Ge-
schlechtes, ist sehr gebräuchlich.
iMaa ifc^ane zween zweene, iki ibie zwo, ibai zwei. In Rick immer
ifc^ne ibaite zweite. Vgl. Weinhold bair. Gr. S. 258 f.
ibea warum, wozu s. wea bea; mhd. ze wiu (Instrument, von waz)
auch cinbr« ibea wozu Wtb. 181. im ungr. Bergl. iw^ Nachtr.
50\ ahd. liwia Graff. IV, 1184.
iberewCgele n. = penwCgele s. d. und mert.
Iwislen, lbl§lara, Ort bei Gottschee, der 1770 zwei und dreißig
Häuser zählte.
lUwall m. Zwiebel. Vocab. 1422: iwifol, die- ziuola 17% 34% Ital.
eipalla umgedeutet in ahd. iwibollo, mhd. iwiboUe, erscheint
auch z.B. im Brünner Stadtr. in der Form iwival, die der obigen
nahekömmt.
fliUebar n. das Fieber"; ahd. fieber, mhd. fieber, biever. Es scheint
hier nur der Artikel misverstanden in z verwandelt (ds wiebar)
und das «?, als ob es ein ursprüngliches, kein für f stehendes w
wäre, zu h geworden.
Nachträge.
Zu Seite 35 :
Altes a in §aaidar, fiaMare, zeigt auch das vocab. 1479: di
laabrar li incandatori; dar der. Im vocab. 1423: der Floreaier aber
difloreaiaria 39% der ekeiier, dl ekelnariill', der ofner, di oftiaria
13% aber auch der besckimar 46^; vgl. o.
Zu Seite 36:
Igaitsch, Name, s. •giitsek.
Zu Seite 38 :
aaaft Beispiele: srAgat aaA;t es regnet jetzt; ih kin ana$t ich
komme sogleich.
506 S c h r ö e r
Zu Seite 39:
lies &De f. statt aoe. Das vocab. 1460, f. 36 di aeadel oder aie,
dl araeadel) der en, aren^ toü den ein and tätem f. 13*.
Zu Seite 40 :
anheTen, das vocab. 1460 sehreibt anheben. Zingerle lusern.
Wörterb. II, bemerkt »/"tur b: hefen heben**! dazu s. oben S. 40.—
apper etwa, wie kämt epper; vgl. Gr. Wtb. III, 679.
Zu Seite 41 :
ar — her: innar inher, d. i. herein.
arbalfte vocab. 1460: arbalssen bixi.
Zu Seite 42 :
ätter: ib kiai oter kar ich komme dann her.
Die Nachträge zu B, P, siehe an der alphabetischen Stelle
von P; die zu D, Tan der alphabetischen Stelle von T; die zu F an
der alphabetischen Stelle von V; die zu G vor K; die zu E und H
lasse ich hier folgen.
Die beiden e (ä und e) gehen im Gottscheewischen weit aus-
einander; ä (e und ä) wird häufig ö: mir bor; e wird a, S. 76.
elbaek n. Eibengebüsch. Zu sprechen albkeh und eine Bildung wie
oben S. 43 awenkeh s. d. oder ahd. domahi spinetum, elkabi
quercetum etc. Gr. Gr. II. 312. — Die ahd. Form wäre iwaki
von Iwa Eibe. Auffallend ist das folgende Compositum :
eiban m. Eibenbaum , in Tirol eabam Epheu Schöpf; eibanst&idle n.
die Eibenstaude. Nach nihd. iwlabaan, Iwenbonm wSre zu erwar-
ten: aibaiapAn, aibeapAm. Ich entnehme diese Form, so wie das
vorhergehende eiback einem Briefe des Herrn Pfarrers Krise in
Morobitz, der mir unter anderm folgende interessante Hittheilung
macht: „ich erinnere mich von meiner seligen Mutter ein Lied
gehört zu haben, in welchem die Stelle vorkam: \m gäaiea
paden lai (nur) aa eibanstaldle^ aliaae da banet dar grinmige
tiat*«
eaa, ene m. auch iae m. Großvater; areoe m. Urgroßvater. Im
vocab. 1460: der ean, aren; van den eni (dat. plur.);di an^
aeadel, araendel.
eaer jener; auch im vocab. 1460; wie keiilt eaesf
erd der maschio; di sigia la putta vocab. 1460, f. 13; vgl. oben
;iUn.
lagaitsek, Name, s. Ogaltsch.
Weitere Mittheiluogen aber die Mundart von Gottshee.^ 50 T
bitar m. Huter, Hirte. Das Wort ist bestimmt zurückzuführen auf
ahd. kMAre <1er Hirte. Herr Pfarrer Krise theilt mir mit» daß in
Morobitz hartar gesprochen wird, wihiseh hariar der Schafhirt,
Schäfer, denn wiehe ist das Schafvieh, was zu wiche S. 83
nachzutragen ist.
»keekatfCD Choral singen."*
betk s. keik.
less Joannes aus Wirzhurg, Pfarrer zu Reinthal 1648.
btikea rufen, wie die Eule; bei der Nacht ist es nicht gut beim
Namen zu rufen, darum kolket man, sagt der Gottscheewer.
Das heißt wol: mau ruft hol hei! (mhd. hei!). — Wozu die
ahd. Bildungen mit -akin, -ak^a, -ikin, igia zu vergleichen
sind. Ungewöhnliche, auch über das oberdeutsche Gebiet hin-
aus reichende Formen sind hier nicht ausgeschlossen. Vgl. auch
das auffallende jlkln.
kirre. Hieher wird doch wol auch cimbr. arren, orren CWtb. 180
gehören in arrea-beter garstig Wetter u. dgl.
katsch I Scheuehruf für Sehweine.
Abkürzungen. Zu den S. 123 angegebenen Abkürzungen ist hier
noch nachzntragen : M a r b u r g. Alle Namen aus Marburg verdanke ich Reicheis
verdienstlicher Schrift, s. Reichel. — Reiche! Rudolf: Marburger Namen-
büehlein. Marb. (Steierm.). Druck ron Ed. J a ns ch i tz 1870 (Schulprogramm).
— Schneller, s. oben S. 3. — Spieß Balthasar: Yoiksthümliches aus dem
Fränkisch -Hennebergischen. — Wien 1869. — Vocab. 1420, d. i. lat. deut-
sches Voeab. Tonl420, herausgegeben von K. J. Schröer, Presburg 1859. —
Voeab. 1423, d. i. ital. deutsches Vocab., vollendet den 16. Feh. 1423 (eine um
ein Jahr jüngere, ziemlich gleichlautende Münchener Abschrift davon benutzte
hin und wieder schon Schmoll, zu seinem baier. Wdrterb.). Cod. der Wiener
flofbibl. 12, 514. — Voeab. 1459, 1460, d. i. der Münchener Cod. ital. 362,
gleichfalls ein ital. deutsches Yocabular, das Schroeller schon theilweise benutzt
hat. Es ist abgeschlossen vor 1460. — Yocab. 1479. Ein ital. deutsches
Voeabnlar «volpracht durch roaister Dominien von Lapi**. Am Schlüsse: „in la
sapientia de Bologna fui stampada d'aprile 1479 per D. Lapi. in dar wisheit zuo
BoIoDia ist es gedrucket des aprellen 1479. finis laus deo^. S. Panzer Annalen
der ältesten deutschen Lit. Suppl. p. 42.
508 S c h r ö e r
Verzeichnis der mitgetheilten Lieder und Balladen:
Der Bettler (Möringer), unter patilar.
Rekrutenlied , unter paakiie.
Ballade (Lenore)» unter Uat.
Heiratlied, unter hair&ien.
Ballade vom Hansel jung, unter lans.
Beim Hirsejäten, unter hirje.
Kranzbinden , unter hAachielt.
Abschied, ebenda.
Geigerlied , ebenda.
Beim „Stecken*', ebenda.
Die abgeschiedene Seele, ebenda.
Die Verstorbenen, ebenda.
Der Kuckuck , unter kackhe.
Von der Lieben: unter liebe.
Liebeslieder, unter liebe.
Treue Liebe , unter liebe.
Magretitzle, Ballade , an alphabetischer Stelle.
Marienlieder, unter Maria.
Paulas, unter Maria.
Martin, an der alphabetischen Stelle.
Die Meierin , Ballade , unter meier.
Die Schone am Meer [Gudrun) s. ner.
Regina, an der alphabetischen Stelle.
Der Ritter (Blaubartballade) unter rltterjmai.
Stephan , an der alphabetischen Stelle.
Die brave Stiefmutter , unter stiewniieter.
Sonnwendenlied , unter jnmniiteii.
Z ween Werber , unter warbar, barbar.
Barbara , unter HAwarle.
Anmerkung. Schriftdeutsch und unvollständig werden von
Elze S. 34 if. noch folgende bekannte Volkslieder als Lieder aus
Gottschee angeführt:
1. Die Rosen die blähen im Garten.
Soldaten marschieren ins Heer etc.
Weitere Mittheüangen über die Mundart tob Gottochee. 509
Das Lied wird auch (mit anderem Anfang: Nichts schöners kann
mich erfreuen oder: Es blühen drei Röslein im Garten) im Kuhländ-
eben und im ungr. Bergland, so wie überall in Deutschland, s.
darüber weiteres meine Darst. S. 114 [346], 77, gesungen.
2. Das Lied vom Wein und vom Wasser.
Dasselbe wird auch im ungr. Berglande und auf dem ungr.
Heideboden so wie überall in Deutschland seit dem 1 6. Jahrb. ge-
sangen; s. weiteres darüber mein Worterb. S. 120.
3. Die faule Grete. Darüber sieh oben S. 9S.
Die bei Frommann 11, 86 und 181 mitgetheilten Lieder sind von
Klun nicht aus der besten Quelle mitgetheilt und in dem Obigen
besser enthalten. Sprachlich genau und richtig ist die Übersetzung
des finnischen Volksliedes in Gottscheewer Mundart von Richter bei
Frommann VI, S21 : 0 benn main dar liebe kameiti
Hervorgehoben zu werden verdienen aber zwei Gottscheewer
Lieder bei Frommann IV, 393 ff. :
t. Kri^t i^t erstanda
won jain dar märtar ^llen etc.
Dieß alte Lied (über sein Alter s. Hoffmann Gesch. d. d.
Kirchenliedes S. 64, 499; jenes ältere aus dem 13. Jahrb. hat wol
auf die späteren Abfassungen Einfluß gehabt) ist nämlich bei den
Cimbri gleichfalls bekannt und bis zum Jahre IS 19 hinauf als da
bekannt nachzuweisen; vgl. CWtb. 66.
2. pim in dar aum (Alm) ! in dar aum i;t a pirpäm ; pirpäm
traget läp etc. Dazu ist zu vergleichen Ditfurt frank. Volksl. S. 297 :
was wuchs in selbiger erd? Fiedler Volksreime und Volkslieder
S. 34: dorten auf grüner beide, steht ein birnbaum etc., wo auch
ein ähnliches aus England, Halliwell Nr. 21, nachgewiesen ist.
diu Schröer, Weitere Mittheiluo^en über die Nundtrt von Gotlachee.
INHALT.
I. Theil.
Ein Ausflug nach Gottschee. (Sitzungsber.* October 1868. LX. Bd. S. 165.)*)
Seite.
Einleitung i
t. Allgemeines über die deutschen Sporaden in Oesterreieh . i— 8
2. Die Ansiedlung in Gottscbee 9~ 20
3. Eigenthfimlichkeit der Gottseheewer Mundart 20— 29
4. Die deutsche Sprachinsel Zarz (Sorica) in Krain .... 30— 34
Wörterbuch CA—H) 35-122
Abkürzungen 123
Inhalt zum ersten Theil 124
II. Theil.
Weitere Mittheilungen fiber die Mundart Yon Gottschee. (Sitzungsber.
Mai 1870. LXY. Bd. S. 391.)
Vorwort 391-3W
Wörterbuch (I—ZJ 396—505
Nachträge 505
Abkürzungen 507
Verzeichnis der mitgetheilten Lieder und Balladen 508
Anmerkung 508
*) Die im zweiten Theil citierten Seitensablen des ersten Theiles geben meiiteas n«r
die Seitensahl des Sonderabdruckes; die Seitensahl der Sitsangsberichte eat-
steht, wenn %n dieser die Zahl 164 hinsugerechnet wird.
Veneichnisa der eingegiingenen Druckschriften. 511
VRttZEICHNISS
DEH (EINGEGANGENEN DRUCKSCHRIFTEN.
(MAI 1870.)
Academia, Real, de la Historia zu Madrid: Memorial histörico
Espanol. TomoXV— XIX. Madrid, 1862—1868; 80. — Espana
Sagrada. Tome XLVIII--L. Madrid, 1862, 1865 & 1866; 8«.
— Notieia de las aetas..29 de Juaio de 1862 & 7 de Junio de
1868; 8^. — Coleccion de obras aräbieas. Tomo I. Madrid,
1867; 4^ — Cortes de los antiguos Reines de Leon y Castilla.
Tomo 11— m. Madrid, 1863 & 1866; Folio. — D. Jos^ Oliver
y Hurtado. Munda Pomeyana. Madrid, 1866; 8«. — D. V.
de la Fuente, Elogio del Arzobispo D. Rodrigo Jimenez de
Rada. Madrid, 1 862 ; 8<>. — D. A. B e n a v i d e s , Discurso leido
al terminar el trienio de su direccion en 1867. Madrid, 1868;
8^ — D. Carlos RamonFort, Discurso en elogio de D. Jos^
Comide de Saayedra. Madrid, 1868; 8«. — D. J. Godoy Al-
cäntara, Historia crftica de los falsos cronicones. Madrid,
1868; 8<^. — D. Dem. de los Rios, Memoria arqueolögieo-
descriptiva del anfiteatro de Itälica. Madrid, 1862: 4^ —
D. J. Rizzo yRamirez, Juicio erftico y significacion polftica
de DonÄlvaro deLuna. Madrid, 1866; 4«. — D. Fr. Fernan-
dez y Gonzalez, Estado social y polftico de los Mudejares
de Castilla etc. Madrid, 1866; 4«.
Akademie der Wissenschaften, Konigl. Preuss., zu Berlin: Monats-
bericht. Januar & Februar 1870. Berlin; 8^
Berlin, Universität: Akademische Gelegenheitsschriften aus dem
Jahre 1869/70. 4«.
512 Verzeichniss der eingegangenen Drackschriften.
Farr, William, Report to the International Statistical Congress
held at the Hague in 1869. London» 1870; 8«.
Fassel, Hirsch B., Das mosaisch-rabbinische Strafgesetz und straf-
rechtliche Gerichts- Verfahren. Gross-Kanizsa, 1870; 8o.
Gesellschaft, Anthropologische, in Wien: Mittheilungen. I. Bd.,
Nr. 1—2. Wien, 1870; 8«.
— Geographische, in Wien: Mittheilungen. N. F. 3, Nr. 6—7.
Wien, 1870; 8«.
— k. k. m.-schl., zur Beförderung des Ackerbaues, der Natur- und
Landeskunde: Schriften der histor.-statist. Section. XIX. Bd.
Brunn, 1870; gr. 8».
— Fürst!. Jablonowskische, zu Leipzig: Gekrönte Preisschriften.
XIV— XVL Leipzig. 1869—1870; 4o.
Hamelitz. X. Jahrgang, Nr. 13—16. Odessa, 1870; 4«.
Heidelberg, Universität: Akademische Gelegenheitsschriften aus
dem Jahre 1869/70. 4« & 8«.
Hruschko, Martin, Die Stadt Pilsen zur Zeit der Belagerung durch
Ernst Grafen von Mansfeld 1618, und Pilsen im Jahre 1761.
(Zwei Lithographien in Folio.)
Jahresbericht der Lese- und Redehalle der deutschen Studenten
zu Prag (1869—1870). Prag; 8«.
Peabody Institute: Discourse on the Life and Character of Georg
Peabody. Baltimore. 1870; 8^.
Revue des cours scientifiques et litt^raires de la France et de
r^tranger. VII* Ann^e, Nrs. 22-24. Paris & Bruxelles,
1870; 4o.
Scientific Opinion. Part. XVUI, Vol. III. London, 1870; 4».
Society, The Asiatic, ofBengal: Journal. Part. II, Nr. 4. 1869.
Caicutta; 8«.
SITZUNGSBERICHTE
DER
KAISERLICHEN AKADEMIE DER WISSENSCHAFTEN
PHILOSOPHISCH -HISTORISCBE CLASSE.
UV. BAKD. III. Hsrr.
JAHRGANG 1870. — JUNI.
35
CooimissJonabericki. d I D
SITZUNG VOM L JUNI 1870.
Das w. M. Kitter von Karajan setzt die Lesung seiner in der
Sitzang Tom 18. Mai 1870 begonnenen Abhandlung fort unter der
Überschrift: «II. Zu Ottacker von Steiermark.*'
Das w. M. Hr. Regierungsrath Höfler sendet ron den Abhand-
lungen aas dem Gebiete der alten Geschichte die yierte. Sie be-
sebaftigt sich mit der Frage Ober die richtige Abgränzung der alten
Geschichte gegen das Hittelalter.
35
516 Commitsiontbertcht.
SITZUNG VOM 15. JUNI 1870.
Der Vicepräsident gibt Kunde von dem am 2. Juni d. J. er-
folgten Ableben des w. M. der k. Akademie Herrn Karl Alexander
Reichsfreiherrn v. Hügel.
Die Mitglieder erheben sich zum Zeichen des Beileids Ton ihren
Sitzen.
Das Kepler-Denkmals-Comit^ in Weilderstadt ladet mit Schreiben
vom 1. Juni 1870 die k. Akademie zur Theilnahme an dem am
24. Juni d. J. stattfindenden Feste der Enthüllung des Kepler-Denk-
males ein.
Das w. M. Ritter von Karajan macht der Classe Mittheilung
Ober die Herkunft der Handschrift, aus welcher die von Herrn
Richard Trampler in der Sitzung vom 18. Mai besprochenen Briefe
des Cardinais Franz von Dietrichstein genommen sind.
Das w. M. Herr Prof. Fried. Müller legt vor eine für die
Sitzungsberichte bestimmte Abhandlung: „Bemerkungen über zwei
armenische Keilinschriften".
CommiMioDtbericht. 517
Herr Prof. Dr. Fricdr. Ritter v. Schulte io Prag sendet eine
ibbandlung: „Die Compilationen Gilberts und Alauus**, mit dem
Gesuche um Aufnahme derselben in die Sitzungsberichte.
Herr Prof. Dr. J. Caro in Breslau sendet ein Manuscript:
»Liber canceHariae Stanislai Ciolek. Ein Formelbuch der polnischen
Konigskanzlei aus der Zeit der Hussitischen Bewegung**, mit der Bitte
um Aufnahme desselben in das Archiv für österreichische Geschichte.
Herr Prof. Bernhard Grueber in Prag ersucht um eine Sub-
vention zum Zwecke der Drucklegung seines im Manuscript vorge-
legten Werkes: ^Die Kunst des Mittelalters in Böhmen nach den
bestehenden Denkmalen geschildert«*.
SITZUNG VOM 22. JUNI 1870.
Herr Oberlandesgerichtsrath von Jabornegg-Altenfels legt
sein mit Unterstützung der k. Akademie herausgegebenes Werk:
^.Kärntens römische Alterthümer** vor.
Der Concipist im k. k. Haus-» Hof- und Staatsarchiv Herr Con-
stantin Edler v. Böhm ersucht um eine Subvention zum Zwecke der
Drucklegung seines Kataloges der Handschriften des k. k. Archives'.
SIS Commissionsbericht.
Das w. M. Herr Hofrath Ritter v. Mikiosich legt tror: ,, Alba-
nische Forschungen**. Abhandlung II. und III.
Das w. M. Herr Hofrath Phillips legt eine Abhandlung „über
das lateinische Element in dem Wortschatze der baskiscben
Sprache" vor.
Herr Prof. Ed. Sachau legt vor eine Abhandlung: „Zur ältesten
Geschichte des muhammedanischen Rechtes'^ und ersucht um deren
Aufnahme in die Sitzungsberichte.
Phillips. Die Einwanderoog der Iberer in die pyreniieche HalbiMel. 5 1 9
Die Einwanderung der Iberer in die pyrenäisehe
Halbinsel.
Vom w. M. Hofrath Dr. 6. Phillips.
I.
Allgemeine Bemerkungen über die Nachrichten der
Griechen und Römer von den Wanderangen der
Völker.
In unserer Abhandlung über das iberische Alphabet ist auf die
Erscheinung nähere Rücksicht genommen worden, dass die Romer
and Griechen, die für sie barbarisch klingenden Eigennamen in den
von ihnen eroberten Ländern meistens umgeändert und ihren Sprach-
werkzeugen oder ihrem Gehöre anpassender gemacht haben. Es
^teht aber diese Erscheinung nicht isolirt da, sondern es tritt auch
die grosse Mangelhaftigkeit ihrer historischen Kenntnisse häufig ge-
nug hervor. Durch ihre falsche Auffassung haben sie es der Nach-
welt, in so weit sie auf die Kunde der Römer und Griechen aus-
)ichliesslich angewiesen ist, oft fast unmöglich gemacht, in die älteste
Geschichte der Völker eine klare Einsicht zu gewinnen. Insbeson-
dere gilt dies von den auf die älteren Wohnsitze und Wanderungen
der Volker bezuglichen Nachrichten bei den griechischen und römi-
v^chen Autoren i)* ^^ können in der That einander völlig entgegenge-
setzte Nachrichten über die Völkergeschichte des Alterthums durch
^) Vergl. Dierenbach, Origioes Buropaeae. S. IS u. ff. . — Sehr richtig bemerkt
Frtedr. Mfiller, bei Kahn und Sehleicher Beitrlge Bd. 3. S. 217 „Be-
kamillich tind die Alten keine genaveo Bthnographeo vnd man kann ihren Ifaeh-
ricbten nor einen untergeordneten Werth beilegen, in eo fern eie daa. waa die
Foracbnng an'a Tageslicht f5rdert, beatstigen."
520 Phillip»
Belegstellen aus jenen Sehriilstelleru begründet werden. Griechen
und Römer waren aber, wie allgemein anerkannt werden rouss,
eben sehr schlechte Ethnographen ; es fehlte ihnen auf diesem Gebiete,
wie auf dem der Philologie an jedwedem leitenden Princip*) und die
Wissenschaft, welche ihnen ein solches hätte bieten können, gab es
damals noch nicht. Wir dürfen sie desshalb nicht anklagen, aber eben
darum sihd auch ihre Nachrichten in dieser Beziehung nur mit
grossem Misstrauen aufzunehmen, so lange nicht unlaugbare That-
sachen für ihre Richtigkeit sprechen. Man muss sich daher nach
anderen Leitsternen umsehen und die Bahnen zu erkennen streben,
auf welchen die Volker in alter Zeit gewandert sind. Geschieht dies
hier nicht mit Glück, so geschieht es doch mit dem aufrichtigen
Wunsche, dass Andere hierin glücklicher sein mögen.
Man bat sich daran gewöhnt bei der Darstellung der Geschichte
von der Völkerwanderung als einem bestimmten grossen histo-
rischen Ereignisse zu sprechen, welches in die ersten Jahrhunderte
nach Christi Geburt falle und etwa mit dem Untergange des west-
römischen Kaiserthums seinen Abschluss gefunden habe. Allein man
thäte wohl daran, es hiebei nicht aus dem Auge zu verlieren, dass die
damalige Völkerwanderung nur ein einzelner Abschnitt in der Wan-
derung der Völker war, welche ununterbrochen bereits seit rielen Jahr-
hunderten fortdauerte. Allerdings ist, wenn auch nicht der Anfang,
so doch der weitere Verlauf dieser Völkerwanderung in ein fast un-
durchdringliches Dunkel gehüllt. Damals aber, in den ersten Jahr-
hunderten christlicher Zeitrechnung, rollte sich der Vorhang, welcher
bis dahin noch eine Monge von Völkern verdeckt hatte, immer mehr
auf. Da wurde man des Schauspieles ansichtig, wie Völker, den
Meereswogen vergleichbar, deren eine vor der andern flieht, nach
fruchtlosem Kampfe gegen andere, die in ihrem Rücken herandrängen,
ihre Wohnsitze verlassen müssen , um sich dann mit den Waffen
in der Hand neue zu erringen 3).
') Vergl. Curtio«, Gnindzug'e der ^riechitcheo Etymologie 2. Aafl. S. 5 o. 7.
*) Beredter uU wir et vermögen, schildert Jakob Grimm, Geachiehte der deetackei
Sprache 8. 162. diese« Drfingen der Völker auf ihrer Wandenmg aus Asien: •Alle
Völker Europa '• und voraw jene urverwandten, denen es beschieden war, darck
Wechsel und Gefahr emporzuringeo, sind in femer Zeit aas Asien «ingewandert.
Die Einwanderung der Iberer in die pirrenitisclic Hnlbinsel. d21
Die Veranlassungen zu diesen Wanderungen der Völker waren
verschiedener Art. Schon Seneca hat in dem an seine Mutter Helvia
geschriebenen Briefe gerade hierauf aufmerksam gemacht *). Als die
erste und wichtigste unter diesen Ursachen ist wohl die gewaltige
Vennehrung des Menschengeschlechtes €u bezeichnen; eine Ver-
aolassung, die ja noch in unseren Zeiten zur Auswanderung
Dothigt. Und wenn heute zu Tage Regierungen aus diesem Grunde
die Auswanderungen befördern, so ist dies auch nichts Anderes, als
was man von den Normannen erzählt, dass bei ihnen der ein-
telne Vater wegen der zu grossen Zahl seiner Kinder seine erwach-
senen Söhne bis auf Einen, den er als seinen £rben zurückbehielt,
Ton sich getrieben habe»). Ähnliches berichtet auch Paul Warne-
Ton Osten nach Westen seUte sie ein unhemmbiirer Trieb, dessen eigentHcbe Ur-
sache nns verborgen liegt, in Bewegung. Der Zug scheint aber stets zu Lande und
um die Küsten des Meeres ergangen, ausser wenn blosse Meerengen zu über-
fahren, Inseln tu erreichen waren. Je weiter gegen Abend wir ein Volk ge-
dningen finden, desto früher hat es seinen Auslauf begonnen, desto tiefere
Spar kann es «nterwegs hinterlassen haben. Klein im Anfange, wilzte sich der
Hanfe zu immer grösserer Masse fort; beinahe alle Völker, wo sie zuerst er-
scheinen, sind schon zu solcher Breite und Fülle emporgewachsen, dass Zwischen-
rinme der Ruhe und des Stillstandes ihre Ankunft verdecken, aber hinten nach-
rückende Schwirme rühren sie vom Neuen auf. Dieser Drang muss in der Mitte
und In Herzen Enropa's am stärksten walten; einzelne Völker, die seitwirts
nach Sfiden schmale Halbinaein erreichen, gedeihen auf ihnen schnell zo mSchtiger
Entfaltung und erliegen erst spfit, nachdem ihre Geaehicke erfüllt sind, den unab-
wendbaren Einflüssen der Mitte. Unbcgfinstigte können sinken in Vergessenheit,
die aber am langsamsten zur edleren Bildung reiften, »cheinen der grössten
Lehensdauer fähig und wenn die Sage den Menschen der Vorzeit höheres Alter
beimiaet, halten die apfiteren Völker desto fester aus. Der urverwandten Völker
zu weitem Auslaufe entschiedener Beruf und vorragende Tüchtigkeit offenbart sieh
eben darin, dass Ihnen fast allein die europiische Geschichte angehört." —
^) Seneca, Consol. ed Helviam. cap. 6> Nee omnibns eadem causa relinquendi
qnaercndiqne patriam tuii. Alios ezcidia urbium suanim, hostilibus amiis elapsos,
in aliena, spoliatos sui, ezpnlerunt; alios domestica seditio subroovit; aUos
aimia superfluentis populi fh*quentia ad exonerandas vires emisit; alios pestilentia
ant freqnens terraruro hiatus, aut aliqua Intoleranda infelicis soIi vitl« ejecerunt;
qnosdam fertilis orae et in majus laudalae fama corripuit. — Vergl. Movers,
Geschichte der Phönizier. Bd. 2. Th. 2. S. .*i u. ff.
^i Gull. Gemet. Histor. Normanor. C. 4. Quae gens idcirco sie multiplicabatur
quoBian nimium dedita luzui mulieribns jungebatur multis. Nam pater adultos fitios
cnnctos a se pellebat. praeter unnm, quem heredem juris sui relinquebat. —
Vergl. noch meine deutsche Geschichte. Bd. 1. S. 142. S. 894.
522 Phillip«
fried yon den Völkern Skandinaviens «). Es geschah daher zum
grossen Theil aus Zwang, dass solche Auswanderer sieh auf andere
Völker stürzten.
Schon Julius Capitolinus gibt davon ein anschauliches Bild,
wennererzählt?), wie die Markomannen und Qua den zurZeitdes
Marcus Aurelins nicht t\*eiwillig in das Römerreich einbrachen, son-
dern vielmehr von den Juthungen, denen wiederum andere Völker
nachdrangten, aus ihren Wohnsitzen vertrieben worden waren. Es
gilt daher ein Ausspruch, den ein neuerer Schriftsteiler in Betreff
der Magyaren thut >), von einer grossen Zahl von Völkern : „sie wurden
aus asiatischen Flüchtlingen europäische Eroberer**. Diese Wande-
rungen haben aber, wie zuvor bemerkt wurde, nicht erst in jenen
Zeiten begonnen, von denen wir die ersten Nachrichten über die ein-
zelnen Völker haben, sondern sie dauerten schon seit vielen Jahr-
hunderten fort und nahmen nur darin in späterer Zeit einen gewalt-
thätigeren Charakter an, als die Nachwandernden auf immer grössere
Hindernisse stiessen.
Zu dem Zwange zur Auswanderung gesellte sich aber oft auch
wirkliche Wanderlust und Freude an Kampf und Krieg, wie sie so
mancher Volksstamm, in unbekannt gebliebenen Sehlachten geübt,
kund gab. Da bot dann kein noch so hohes Gebirge ein unübersteig-
liches Hinderniss, kein Strom und kein Meer stellte nicht zu bewäl-
tigende Schwierigkeiten entgegen. Über die steilsten Alpen stiegen
Kimbern und Teutonen und fuhren auf ihren Schilden in die
Thäler hinab; über den Ocean setzten auf leichten SehifTen Nor-
mannen hinüber nach Amerika *). Und wie viele Gebirge und Ströme
hatten die Vorfahren der Einen wie der Andern überschritten, bevor
sie, die Söhne, bis zu den Alpen und bis zur westeuropäischen
Meeresküste gelangt waren.
Aber auch noch manche andere Ursache «>), als die angegebenen,
mochte hinzutreten, um das eine oder andere Volk zum Auszuge
aus der seit lange oder kurz erworbenen Heimath zu bewegen. So
') Paul Oiac. d. gest. Langob. I. Z.
^) Jul. Ca pi toi in. Marc. Aurel. cap. 14. Quadis et Marcomanis cuneta tariMD-
tibus; aliia enim gentibus, quae polsae a superioribua barbaris fug'erant, nlsi
reciperentur, bellum Inferenfibut.
') Dfinimler, Pilgrim von Passau. S. 149. Note 14.
*) Über die Fahrten der Normannen «. noch unten. S. 552.
J«) S. Note 4.
Die Einwanderung der Iberer in die pyreniische Halbinsel. 523
erzählt die Sage von den nach Indien eingewanderten Ariern, dass
sie schon vierzehn Male zuvor aus verschiedener Veranlassung ge-
nöthigt gewesen seien, ihre Heimath aufzugehen, und weiter zu
ziehen, um eine neue zu suchen 1 1).
Es kommt nun in der That sehr viel darauf an, dass man sich
eine möglichst klare Anschauung von den Wanderungen der Völker
in der alten Zeit macht und in Beziehung hierauf zu einigen bestimm-
ten Grundsätzen gelangt. Die Kenntniss der Schicksale eines einzel-
nen Volkes reicht in dieser Hinsicht nicht aus, sondern es tritt überall
in der Geschichte, so viel sie auch von den Kämpfen der verschiede-
nen Volker zu berichten weiss, doch eine gewisse Zusammengehörig-
keit einzelner mit andern hervor; dass diese Zusammengehörigkeit
öfters auf Blutsverwandtschaft beruht, haben auch die Alten schon
erkannt«). So ist es auch merkwürdig, dass die alte Stammsage
der Germanen auf Einen gemeinsamen Stammvater hinweist is).
Diese Erscheinung hatte den ernsten Tacitus, wenn Sagen über-
haupt vor seinen Augen einen Werth gehabt hätten, leicht zu einem
tieferen Nachdenken veranlassen können. Jene Sage hätte ihn m
ihrem Fortgange, wo sie von Mannus und seinen drei Söhnen er-
zählt (*), im Vergleiche mit dem griechischen Mythus von den drei
Söhnen des Deukalion noch nähere Anhaltspunkte geboten. Aber
man darf auch nicht zu viel von ihm verlangen, da ihm die jüdischen
Urtraditionen unbekannt geblieben waren; er^ würde diese bei den
verschiedensten Völkern wiederkehrende Tradition von dem Stamm-
vater und seinen drei Söhnen <») um so weniger verstanden haben,
als auch er der bei den Alten sehr verbreiteten Idee von der Autoch-
thonie der Völker huldigte i<).
So viel nämlich die alten Autoren von den Wanderungen der
Völker berichten, so macht sich doch otl genug bei ihnen der Ge-
danke geltend , dass das eine oder andere Volk in dem Lande, in
^') Vergl. Leo, Vorlesungen iiber die deutsche Geschichte. Bd. I. S. 19.
^') Tacit. (term. e«p. 4.
**) Tacit I. c. cap. 3.
*^) ^^i^l* ober diesen Mythus noch J. Grimm u. a. 0. S. S24.
^^> Vergl. meine deutsche Reichs- und Rechtegeschichte. 4. Aufl. |. 14. Note 14 ii.
IS. S. :»6 u. f.
^^ S. unten Note I«.
524 Phillips
welchem sie es sesshaft finden, im eigentlichen Sinne des Wortes
aiitochthon sei, d. h. ursprünglich gerade diesem Lande angehöre,
mithin nicht eingewandert sei. Bedienen sich griechische Schrift-
steller eben des Wortes Aürö^^^ov«^, so drücken die Rümer densel-
ben Begriff durch die Bezeichnungen Aboriglnes und Indigenae aus i^^,
während die Erstere nach neuesten Forschungen als Voiksaamen
und zwar Aborigiues lautend, einem einzelnen Italischen Volksstamme
zugewiesen wird i^). Eben jener Anschauung folgend, konnte also
selbst ein Tacitus vor anderen Meinungen in Betreff der Germanen
deijenigen den Vorzug geben, nach welcher diese für die eingehor-
neu Urbewohner des Landes, in welchem die Römer sie antrafen,
zu halten seien <*). Den Alten fehlte aber jede Ahnung auch nur tod
der Möglichkeit einer Einheit des menschlichen Geschlechtes; man
fragte immer nur nach dem Ursprünge jedes einzelnen Volkes, war
aber um die Lösung dieser Frage auch nicht sehr bekümmert. In
Folge der Zersplitterung und Spaltung standen sich die Völker feind-
lich, jedes das andere missachtend, einander gegenüber; ja das Loos
der Sklaverei, welches überall die Ueberwundenen traf, zeigt, dass
die Sieger jenen gar nicht einmal den menschlich persönlichen Werth
beilegten, sondern sie als Sachen behandelten. Die Feindschaft der
Völker war aber zugleich auch eine durch die Religionsverschieden-
heit begründete, jedes Volk hielt seine Religion für die wahre, seine
Götter für die allein zu verehrenden. So erachtete sich jedes Volk
für das Volk und in so fern für das eigentliche Menschenge-
schlecht und sah mit Verachtung auf alle Andern, die zu ihm nicht
gehörten, herab. Auf das religiöse Gebiet übertragen hatte dies die
Bedeutung, dass analog mit den hierzu berechtigten Juden, sich
^^) Serv. ad Vii^il. AeD. VIU. 328: Indig^enae inde geniti, quos rocaot aboriginei
Latini, Graeci aOr9x<^ovec.
IS) 8. Riibino, Beitrage zur Vorgeschichte Italiens (Leipz. 1868.) S. 29. 42. 47. -
Vergl. a«ch Steph Byzant v. *Aj3o^i*]fiv6; (ed. Westermann p. 5).
'^) Tacit. Germ. cap. 2. Diese Stelle ist überhaupt für die Auffassungsweif e des
Tacitus merkwfirdig; er sigt: Ipsos Gerroanos indigenas crediderim nioi-
meque aiiaram gentium adventibns et hospitiis miitos, quia nee terra oHin sed
classibus adrehebantur, qui sedes mutare quaerebant et inmensus ultra otq««
sie dixeriro adversus Oceanus raria ab orbe nostro narihus aditur. Quis praeter
pericttlum horridi et ignoti mris, Asia aut Afrira aut Italia retieta GemaRim
peteret.
Die Einwanderung der Iberer in die pyrcnSi^che HMibinsel. d25
tur das «Volk Guttes** zu halten, jedes einzelne der in der Reli-
gimi getrennten heidnischen Völker sieh für das Volk der wahren
Gotter hielt.
IL
Emwanderong der europäischen Bevölkerung aus
Asien.
Indem wir von den Nachrichten, welche die heilige Schrift über
den Ursprung des Menschengeschlechtes und somit auch über den
der einzelnen Völker gibt, einstweilen absehen, soll nur darauf hin-
gewiesen werden, wie ganz unabhängig von jenen die heutige Wis-
senschaft und zwar vornehmlich die Linguistik eine jener Idee von
der Autoehthonie ganz entgegengesetzte Ansicht zur Geltung ge-
bracht hat ^). Sie hat es festgestellt, dass ein grosser Theil der Bevöl-
kerung Buropa's, namentlich die Griechen, Italer, Kelten, Germanen,
Slaven und Lithauer mit jener von Armenien, Persien und Vorder-
indien Einen grossen Volksstamm bildet. Dieser wird bald als Jap he-
titischer, bald als Arischer, Indo-Germanischer oder auch
I n d 0 • E u ro p S i s c h e r bezeichnet *) und demselben als Heimath Asien
uudzwarspecieller die iranische Hochebene überwiesen. Nur darüber
hat man sieh noch nicht geeinigt^ ob das ganze Menschengeschlecht
von Einem Paare abstamme und somit dort auch die ursprüngliche
*) Vergi. über dia Bedeutung des Linguistik in dieser Richtung untev Andern anoh
Jfom Olsen, Römische Geschichte. Bd. 1. S. 14.
') Gegen jede dieser Bezeichnungen lassen sich Einwendungen erheben; die
letzte derselben nIndo-Enropliscfi" darf man aber doch kaum in der Weise
festhalten, dass man, wie Dwight Whitnej (On language and the study
of language p. 201) die Indo-Enropier in Indien einwandern lisst; auch
klinge ea hefremdlich: «die Indo-Germanen haben Griechenland und Italien
in Besitz genommen*, da weder Inder noch Germanen dorthin gekommen sind.
Da der Ifame Japhetiten sich desshalb nicht als ganz passend erweist, weil wohl
manche ron ihnen eine Sprache reden, die zu einem anderen Stamme gehört, so
sfheint der Ansdniek: .irischer Volksstamm* fast der geeignetste zu sein. Es ist
dnher wohl zu bnilgeft, wenn W. Scherer (Zur Geschichte der deutschen
Sprache. S. 2) die «Ost-Arier" und die, West-Arier'', die Letzteren als die in
Boropa eingewanderten unterscheidet, ohne auf die Frage einzugehen, ob diese in
Betreff der Sprache eine besondere Einheit gebildet haben.
526 P h i 1 1 i |i s
Heimath alier Völker zu suchen sei *). Auf jeden Fall ist man» wenn
gleich Stammes- und Sprachen-Einheit sich nicht völlig decken, mit
der offenbaren Zusammengehörigkeit und Blutsverwandschaft so vieler
Vi)lker hypothetisch jener Idee um einen bedeutenden Schritt näher
gekommen. Der Schluss aus dem durch die Wissenschaft Erwiesenen
auf jene ursprungliche Einheit ^) ist jetzt wenigstens nicht mehr so
kühn, als es etwa vor sechzig Jahren kühn gewesen wäre»), die Be-
hauptung aufzustellen: Slavisch und Römisch seien nur zwei Toch-
tersprachen einer und derselben ^«Indogermanischen Grundsprache"
für welche in neuester Zeit sogar schon ein Wörterbuch verfasst *)
und worin schon als Sprachübung eine kleine Fabel gedichtet wor-
den ist ').
In Betreif der Heimath des Arischen Volksstammes sind aber
in neuerer Zeit im Gegensatze zu derjenigen Meinung, welche jene
in Asien sucht, andere Ansichten aufgestellt worden. Zu dem eben
erwähnten Wörterbuche hat Theodor Benfey auf Bitte des Ver
fassers eine Vorrede geschrieben, in welcher er sich also vernehmen
lässt^): ,,Die Bemerkung möge man mir hier verstatten, dass seitdem
es durch die geologischen Untersuchungen feststeht, dass Europa
seit undenkbaren Zeiten der Wohnsitz von Menschen war, alle
Gründe, welche man bisher für die Einwanderung der Indoger-
manen von Asien aus geltend gemacht hat und die wesentlich auf
den mit unserer frühesten Bildung uns eingeprägten Vorurtheilen
beruhen, in ihr Nichts zerfallen.^ Demnach darf man sieh nicht
*) Vergi. Schöaiaan griechische Alterthnmer. Bd. 1. S.2 — Mahn, Denkmiler der
batkischen Sprache. Einleitung S. XLI. —
^) Eine solche nimmt wenigstens als möglich Max M filier, Vorlesungen. Bd 1.
S. 294 an.
^) Dwight Whitney a. a. 0. p. 1. u. ff. — Alex. r. Humboldt sagt in seines
Kosmos Bd. 1. S. t34: „das Christenthum hat hauptsachlich dasu beigetragea, den
Begriff der Einheit des Menschengeschlechtes hervorxunifen, es hat dadureh aof
die Vermenschlichung der Volker in ihren Sitten und Einrichtungen Tortheilhall
gewirkt.*
") Aug. Fick, Wörterbuch der Indogermanischen Grundsprache. GötUngen. 1S6S. —
A. Schleicher« Indogermanische Chrestomathie. 8. Sit. sagt davon „ist nur mh
Kritik tu beniitxen''.
^) S. Kuhn und Schleicher, Beiträge. Bd. 5. S. 206 u. f.
») Seite IX.
Ilitf Ein«-«nderun|r der Ilierer in die iiyreniiscke Halbinsel. Oi i
wundem, weuii in einer noch später erschienenen Schrift*) für Afrika
die Ehre die Urheimath des menschlichen Geschlechtes zu sein, in
Anspruch genommen wird. Indessen wir wollen diese neuesten An-
sichten annoch auf sich beruhen lassen und die Darlegung der
Gründe abwarten, welche Benfey zu seiner, wie er selbst sie nennt,
»heterodoxeii*' Ansicht hingeführt haben. Wir bleiben einstweilen
mit vielen Andern bei der Meinung, dass Asien die Urheimath des
Arischen Volksstammes und mit einer geringeren Anzahl dieser
Andern bei dem „eingeprägten Vori^rtheil**, dass es auch die Wiege
des ganzen und zwar von Einem Paare abstammenden Menschen-
geschlechtes gewesen sei. Dies mag jetzt von dem Standpunkte
jener geologischen Untersuchungen, auf welche sich Benfey beruft
oder überhaupt von dem der Naturwissenschaften, so wie von dem der
Linguistik nach ihrem heutigen Stande, noch als eine Petitio principii
erscheinen, da es auf wissenschaftlichem Wege, besonders auf
jenem, der zu der Entdeckung der Arischen Spracheinheit gefuhrt
hat, bisher noch nicht hat erwiesen werden können <o). Indessen die
Wissenschaft hat — wenn gleich Manche es glauben — das Gegen-
theil auch noch nicht erweisen können und somit hat mau freie
Wahl, der einen oder andern Ansicht zu folgen. Wer daher nicht von
jenem ^Vorurtheih eingenommen, aber auch nicht in eine dem-
selben entgegenstehende wissenschaftliche Richtung hineingezogen
ist, der tbut am Besten, unbefangen und ruhig die weitere Entwick-
lung der Wissenschan abzuwarten 1 1). Ohne ihre Absicht ist sie zu
') Rob. Schweicbel, Über den gegeowfirtigen Stand der Spraebe und Natur-
forscbuDg in Bezug auf die Urgetcbichte des Menseben (Leipzig 1S6S) S. 16. —
S. nacb Noe, die TorgeschicbtUcben Zeiten Europa^t und der europliscben Völ-
beracbaften. (Leoben. 1S6S). S. 14 ateUt die beiden Vennutbungen sowohl die der
Herkunft aus Asien als ancb aus Afrika alt glelcbberecbtigt neben einander.
i*j Pott, Antikaulen. S. tll. Note, bemerkt in dieser Hinsicht: „Und überhaupt
hat, wer Lösung eines solchen Problems nachhangt, kaum ein glQcklicheres
ReaulUit in Aussicht, als die Sucher von der Quadratur des Zirkels oder Ton einem
Perpetuum mobile.*
^0 So sagt z. B. C. Schirren, die Wandersagen der Neuseelfinder (Riga 1S56.)
S. 46, der sich gegen eine Binwandemug derselben aus Asien erkifirt, S. 47: „es
wird Untersuchungen, welehe der Beschreibung des Organischen auf der Erd-
obeHIScbe nachgehen, gestattet sein, verschiedene Schöpfungscentren so lange
▼oranssosctsMi, bis ein Centrnm nach dem andern wissenschaftlich aufgehoben und
die SebÖpfungskreise allmXblig zurfickgefilhrt bis auf einen. ^
52.8 Phillips
der fruhei* unerhörten Thatsache der Existenz eines Indogermanischen
Urvolkes und einer Indogermanischen Grundsprache gelangt; jetzt
aber ruft sie» wie es scheint, doch etwas zu Toreilig: „Bis hieher
und nicht weiter!** ><) Mag auch die Arbeit des grossen Meisters
Bopp über die Verwandtschaft der malayisch-polynesischen Spra-
chen <*) diese nicht erwiesen haben und unter seinen Werken das
schwächste sein, so darf darum doch nicht jeder Versuch diese Bahn
zu betreten als völlig unberechtigt zurückgewiesen werden, insbe-
sondere die zunächst liegende Frage nicht, ob eine Verwandtschaft
zwischen den Arischen und Semitischen Sprachen stattflnde <*).
Sobald man sich für die ursprflngliche Einheit des Menschen-
geschlechtes und zugleich dafür entscheidet, Asien als dessen Ur-
heimath zu betrachten i»), wird man zu dem Schlüsse genothigt,
dass die Vorgeschichte der Volker bis zu dem Zeitpunkte, wo dann
endlich die historischen Nachrichten, hier froher, dort später be»
ginnen, hauptsächlich in ihren Veränderungen aus der asiatischen
Urheimath und in einer Reihe von Kämpfen, die sie auf ihren Wegen
zu streiten gehabt, bestanden hat. Da demnach anzunehmen ist, dass
alle europaischen Völker aus Asien gekommen sind, so konate
die Hauptrichtung ihrer Wanderungen keine andere,
als die von Osten nach Westen sein <•). Diese einfache
Wahrheit darf man bei der Beurtheilung der Geschichte jener Volker
nie aus den Augen verlieren. Gemäss der oben gemachten Bemer-
kungen Ober die Unzuverlässigkeit der ethnographischen .Auffassun-
gen der Alten i?^, verdient daher eine Nachricht derselben, welche
von Wanderungen der einmal nach Europa 'vorgedrungenen Völker
<2) Vergl. noch Schleicher in den Beiträgen sur engl. Sprachforschung Bd. t.
S. 236 u. r
*9) Berlin. 1841. S. Th. Benfey, ßeschichte der Spmchwissenschaft. Mfinehen
1869. S. SU.
<^) Wir verweisen hier auf den Streit zwischen R. v. Räumer and Schleicher
über die Verwandtschaft der semitischen und indoearopiischen Sprachen.
*^) Eine recht fassliche Zusammenstellung der über den Erdkreis Tcrbreiteten Völker nnd
Menschen liefert Jfilg, fiber Wirken und Aufgabe der Sprachwissenschaft. Inns-
bruck 1868.
U) Vergl. A. V. Humboldt, Kritische Untersuchungen über die historische Ent-
wicklung der geographischen Kenntnisse ron der neuen Welt; fibers. ».
Ideler , Bd. 2. S. 3 u. f. — tirimm a. a. O. S. 162.
«▼) S. oben S. 520.
Die Ein Wanderung der Iberer in die pyrenüische Halbinsel. 529
>on Westen nach Osten erzählt, so lange keinen Glauben, als sie
nicht durch anderweitige Thatsaehen unumstösslich bewiesen wird.
Demnach halten wir uns mit unmittelbarer Anwendung dieses Satzes
aaf die Iberer fQr berechtigt, die Nachricht des Strabo für falsch
zu erklaren, wenn er erzählt, die zu seiner Zeit im Kaukasus leben-
den Iberer seien dorthin aus Hispanien eingewandert i»).
Jene westliche Hauptrichtung der Wanderung aller europäi-
schen Volker konnte sich nach Verschiedenheit der Verhältnisse
dahin modificiren, dass sie bei manchen derselben eine südwestliche,
bei andern eine nordwestliche wurde. Auch sind dabei Wanderungen
ron Süden nach Norden und ron Norden nach Süden nicht ausge-
schlossen; sie konnten leicht durch neue von Asien herandringende
Volker veranlasst werden i«), wie z. B. wohl anzunehmen ist, dass
der finnisch-magyarische Volksstamm durch den Andrang der Ari-
schen Volker nach Norden und nach Süden aus einander gesprengt
worden ist 3®). Das Letzte aber, was unter derartigen Verhältnissen
geschehen konnte, war die Wanderung eines europäischen Volkes
von Westen nach Osten. Eine solche Rückwanderung, dem einmal
gegebenen Impulse und dem Völkerahdrange entgegen, Hesse sich in
der That beinahe einem aufwärtsfliessenden Strome vergleichen.
Dem entsprechend sagt Jakob Grimm ai): ^Alexanders Siegeszug,
die Kriege mit Troja und Persien bezeugen des griechischen Volkes
alten Zusammenhang mit Asien, konnten aber auf die Dauer keine
Eroberung im Osten wider den Grundtrieb des Völkerzuges gewäh-
ren''. Es begreift sich aber, wie bei den Alten, denen jeder Leit-
faden in dieser Beziehung fehlte, eine grosse Verwirrung in die
xVachrichten über die Wanderungen der Völker kommen musste;
ihnen war jede Richtung derselben vollkommen gleichberechtigt und
5ie liessen nach Belieben jedes Volk nach allen Weltgegenden, also
auch nach Osten wandern, sobald sie dadurch irgend eine historische
Erscheinung erklären zu können glaubten.
*^) st rabo, Geograph. I. cap. 3. n. 21. p. 51. 'IjBYjpodv fuv tmv igittpitay tig rov$
"jistp roO n^vrov xed r^; Kokyi^og voizovg fxera>xc(>p.evei)v.
**) Vergleiche noch Diefenbaeb^ a. a. 0. S. 52.
^^1 Wegen der Verdrängung der Finnen durch die Germanen s. Diefen bach a. a. 0.
S. 189.
2^1 Grimn a. a. O. S. 163.
SiUb. d. pbU.-hitt. Gl. LXV. Bd. Hl. Hfl. 36
530 Phillips.
IIL
Asien als die Urheimath der Iberer.
Nachdem nunmehr einige allgemeine Prinzipien über die Ein-
Wanderung der europäischen Volker in ihre Wohnsitze festgestellt
worden sind» kann jetzt speciell auf die Iberer eingegangen wer-
den, die man bei dem Beginne der historischen Zeit als die Bewoh-
ner der Pyrenäischen Halbinsel antrifft. Sie werden schon von den
Alten nicht als Autochthonen dieses Landes, sondern als Einwande-
rer bezeichnet. Insbesondere hat Plinius eine Stelle aus V^arro
aufbewahrt, wonach Iberer, Perser, Phönizier, Kelten und
Punier nach der Halbinsel gekommen sind^). Die Angabe de$
genannten Schriftstellers ist zwar nicht ganz genau, insbesondere
möchte es nicht mit der Chronologie zusammenstimmen, wenn die
Perser und Phönizier vor den Kelten genannt werden und sehr
zweifelhaft dürfte überhaupt die Ansiedelung der Perser <) in His-
panien erscheinen. Da aber die Iberer in dieser Aufzählung ganz an
der Spitze stehen, so ist doch wohl anzunehmen, dass Varro sie für
die ersten Einwanderer gehalten hat. Von woher sie aber nach His-
panien gekommen seien, sagt er nicht, und überhaupt eigentlich
Keiner unter den alten Schriftstellern, obschon ihr Name öfters ge-
meinsam mit andern auf der Wanderung begriffenen Volkern ge-
nannt wird. Nur einmal begegnet man der Vermuthung, sie könnten
aus Asien gekommen sein *) was auch wohl Varro angenommen
haben mag, da er sie in Verbindung mit den Persern und den Phö-
niziern nennt. Viel häufiger vernimmt man die oben erwähnte Notit,
die Iberer seien aus Hispanien nach dem Kaukasus gewandert ^).
Hierüber seien noch einige Bemerkungen gestattet.
9 PI in. Rist, natur. IM. 1. n. 8. In unirersam Hispaniam M. Varro perTeniaa« lb«ro«
et Peraat »t Phoenicea Celtasque et Poenoa tradit.
') E* lie^t auch nieht nahe geuug, die vermeintliche Einwanderung der Pen#r asf
eine alte IVadition hinsichtlich der Oat-Iberer au deuten, deren Wohnaitae unter
die Herrschaft der Perser gekommen waren. Vergl. noch die in Note 7 m^t-
fahrte Stelle aus Ste ph. Bys.
S) Appian. Mithrid. cap. 101.
4) S. oben If. Note 18. S. 11.
Die Einwanderung der Iberer in die pjrrenSiscbe Halbinsel. SSI
Wenn wirklich ein Zusammenhang zwischen den hispanischen
Iberern und denen des Kaukasus bestanden hat &), so wäre doch
jedenfalls jene Nachricht, der sich auch neuere Schriftsteller ange-
schlossen haben •)» umzukehren und zwar dahin, dass nur ein Theil
der Iberer die asiatischen Wohnsitze verlassen und von dort nach
dem äussersten Westen Europa*s gewandert sei. Soviel ist gewiss,
dass die Alten zwischen den „beiden Iberien*', wie Stephan von
Byzanz sich ausdrückt ''), einen Zusammenhang angenommen haben;
das eine Land hiess die nach Sonnenuntergang bei den Säulen
der Hercules oder nahe den Pyrenäen belegene Iberia (ij durcxi^
'Ißtipia) s), das andere wurde als Iberien in der Nachbarschaft der
Perser bezeichnet. Es ist wohl möglich, dass die kaukasischen Iberer,
die iu den ersten Jahrhunderten christlicher Zeitrechnung eine nicht
unbedeutende Rolle in der Kirchengeschichte gespielt haben »), dann
aber unter den Georgiern verschwunden sind, mit denen in Hispanien
in einer näheren Verwandtschaft gestanden sind. Es zu zeigen, dass
dem wirklich so war, ist vornehmlich die Aufgabe, welche sich
S. F. W. Hoffmann in seinem Buche: „die Iberer im Westen und
Osten** i<») gestellt hat; auch er gelangt dabei zu der Ansicht, dass
die Iberer im Westen aus dem Osten eingewandert sind *i). So sehr
vir auch in diesem letzteren Punkte einverstanden sind und so sehr
wir auch jene fleissige Zusammenstellung aller vorhandenen Nach-
richten Ober Ost- und West -Iberer anerkennen, so scheinen uns
diese, so gerne wir uns auch überzeugen Hessen, doch dazu noch
^) S. Hoff mann in der weiter unten angeführten Schrift.
*) Nach Weit«, Unirersalgeachichte Bd. 1. S. 127. wanderten sie zuerst nach
Spanien und dann zurück.
^) Steph. Byzant. r. 'Ißispiai. p. 142, 'lj3>7piai$uo, >i fACv npoiraXi 'HpoLxXtiaii
TriiXoLiq . . . . ij ^'inpa ^Ißrjpia rzpog liioaas iazL Die weiteren Bemerkungen
des Steph. Byzantinus beafebrünken sieb jedoch auf das hispanische Iberien, $o wie
anch bei anderen Angaben ron Stidten in Iberien immer nur Hispanien gemeint
ist, z. B. p. 146 : 'lXoup7Cia, iroXtg M/^piocf — 'Ivdix^, izoXig ^Ißtipiai
xXi^aiov Hitpyivrjg.
') Steph. Byz. v. AiivTctTco. p. 184.
*) S.Schrödl im Freibnrger Rircheulezikon. Bd. 5. S. 508.
<*i Leipzig. 1838.
'0 Zv dieser Ansicht bekennen sich mehrere Schriftsteller, z. B. Fr er et in den M^-
Bioires de TAcad^mie des inscriptions et des heiles lettres P. 1. Vol. XVIII. p. 78. ^
Petit-Radel ebend. P. 11. Vol. VI. p. S40. — Walckenaar. Encyclo-
pMlie dea gena du monde. Vol. III. Art. Basques.
36 •
532 Phillips
nicht zu genügen, am die Stammes-Identität zu beweisen. Cur welche
allerdings aus dem Namen eine starke Präsumtion entspringt. Die
aus jenen Nachrichten zu entnehmenden Vergleichungspunkte «*) sind
doch zu allgemein, als dass sich nicht auch bei vielen andern Stäm-
men des Alterthums Ähnliches antreffen liesse. Wohl würde es etwas
weiter greifen, wenn ein solcher Zug bei den West-Iberern nach-
weisbar wäre, wie ihn Tacitus in Betreff des Friedensbundnisses
berichtet i*), welches der ost-iberische Königssohn Radamistus
mit seinem Oheim Mithridates, dem die Römer zu dem Besitze
von Armenien verholfen hatten, in einem Götterhaine schloss. Beide
Fürsten trieben sich das. Blut kunstlich in die Fingerspitzen hinauf,
ritzten diese auf und leckten dann gegenseitig an ihrem Blute ; aber
selbst dieses wäre nicht einmal völlig entscheidend, da auch der
skandinavische Bluttrank eine ähnliche Idee ausdrückt ^*). Leider
sind überhaupt die Nachrichten über den ost-iberischen Stamm sehr
dürftig, so wie auch nur wenig Namen aus ihrer frühern Zeit aufbe-
halten sind. Der Vater jenes Radamistus hiess Pharasmanes;
diese beiden Namen nebst dem oben erwähnten Mithridates weisen
sehr in das arische Sprachgebiet hinein, von welchem die Sprache
der West-Iberer fernab zu liegen scheint. Die Gattin des Radamistus
hiess Zenobia; ein Name, der für semitisch gehalten wird i»).
Nicht bessere Anhaltspunkte bieten die ost-iberischen Städtenamen
Harmozika (Hermastus), Seusamora und Neoris <«), von
denen der erstere allenfalls an Ormuzd t^), der zweite an Susa-
mithres ^s) erinnern dürfte. Zwischen Neoris und Neotza *•), einer
Stadt im Lande der west-iberischen Aoraqitz ^^), welche nachmals
den Namen Nova Augusta erhalten hat, ist kein Zusammenbang
12) H o f f m a n n a. ;). O. S. 10t.
<») Tacit. Annal. XII. 47.
14) S. meine deutsche Geschichte. Bd. 1. S. 176. u. ff.
1*) Der Name Zenobia wird für semitisch (Zainab oder Zeinab) gehaltM. S. H a-
m a k e r , Orat. de Graecis Latinisque historicis.
*•) S t r a b o, J. c. XI. cap. 3 u. 5. p. 429. — P I i n. I. c. Vf. %9. SO. Jener rtr-
schweigt Neoris, dieser Seusamora.
'7) Ritter, Erdkunde. Bd. Z. S. 810. — Vergl. F orbiger, Handbuch 4er alten
Geographie. Bd. 2. S. 448. Note 53.
<*) Pott, Etymologische Forschungen 1. Aufl. Bd. 1. S. Uli.
^*) S. Boudard, Numismatique Iberienne. p. 96. p. 236.
><^) S. die Abhandlung: Über das iberische Alphabet. S. 12.
Die Einwanderung der Iberer in die pyrenSische Halbinsel. 533
anzuDeliinen «>). Am Bedeutendsten dürfte noch immer der Umstand
sein, dass nach dem Zeugnisse des Plinius ><) in dem östlichen
Iberien, ein Nebenfiuss des Cyrus den Namen Iberus gehabt haben
$oli. Es lässt sich doch kaum glauben, dass dieser asiatische Ebro
bloss eine Schöpfung des Plinius sei <>). Hierbei möge noch bemerkt
werden, dass Avienus s^), wenn anders seine Vorstellung über
jene Gegenden nicht eine irrige ist, auch noch von einem andern
Iberus im südlichen Hispanien wissen will. Wir erwähnen bei dieser
(lelegenbeit, dass im heutigen Baskischen ibai oder bibai die Bedeu-
tung „Fluss«< hat *9.
Wenn wir demnach diese hier aufgeführten Umstände noch
nicht für ausreichend erklären, um damit die unmittelbare Zusammen-
gehörigkeit der Ost- und West-Iberer darxuthun, so sind wir dess-
halb doch eben so wenig geneigt, dieselbe Yollig in Abrede zu stellen
oder gar die Annahme einer solchen Verwandtschaft geradezu für
eine ^blosse Träumerei'' zu erklären <•). Der Umstand, dass die Ibe-^
rer im Kaukasus oifenbar schon im sechsten Jahrhundert ror Christus
unter Persischer Herrschaft standen und ihre Hauptflüsse nach den
Perserkönigen Kyrus und Kambyses genannt wurden, dass jene
Stadt Hermastus hiess, so wie endlich, dass bei Einführung des
Christenthums bei ihnen ein Tempel des Ormuzd zerstört wurde,
wQrde immer noch nicht beweisen, dass sie für ursprünglich nahe
Stammverwandte der Perser zu halten seien.
Indessen wir wollen auf die unmittelbare Verwandtschaft der
Ost- und der W*est-Iberer kein besonderes Gewicht legen, da unsere
Ansicht von der Einwanderung der hispanischen Iberer von Osten
und von Asien her gar nicht auf diesem Fundamente beruht ; um so
mehr können diejenigen Iberer, welche ihre Wohnsitze in Vorder-
indien gefunden haben sollen s^), unberücksichtigt bleiben *«).
*0 Plia I. c. III. 27.
*«) P I i n I. c. VI. 29.
'*) M a n n e r t , alte Geographie. Bd. 4. 8. 403 halt diesen Iberus für den Araius. —
S. Boch F o r b i g e r a. a. 0. Note 49.
^^) A T i e n. Ora marifc. r. 254.
'*) S. anten V. S. 39.
**) So F o r b i g e r bei P a n 1 i , Real-EncyklopSdie. Bd. 4. S. 40.
*7) F o r b i g e r , Handbach. Bd. 2. 8. SOO.
^') Noeh weniger kommen hier die Iberingi in Betracht. For biger bei Pauli
a. a. O. S. 41.
534 Phillips
Waren jene Ost-Iberer wirklieh ein Bruderstamm der West-Iberer,
so wurden sie doch jedenfalls im Laufe der Zeit nicht bloss raumlich
weit von ihnen geschieden, sondern auch in ihrer Sprache und in
ihren Staatseinrichtungen. Ob sie einen Stamm mit den Georgiern
bildeten ist schwer zu bestimmen; auch sind sie nicht zu den Osseten»
deren Sprache zu dem eränischen Sprachkreise gebort, zu zählen'*);
die schroffe Kasteneintheilung, welche sich bei den Iberern findet ><^)»
erinnert freilich an die Zustände der arischen Stämme Indiens.
Wir verlassen daher die Ost-Iberer, deren wir unten noch ein-
mal zu gedenken haben werden si) und wollen zunächst noch auf
den Umstand aufmerksam machen, dass einige Kirchenväter, nament-
lich Hieronymus >*) und Isidorus *>) die hispanischen Iberer
für Nachkommen des Tubal erklären. Hierin sind ihnen neuere
Forscher gefolgt *^) und haben hiermit zugleich den Namen jener
Tibareni *») in Verbindung gebracht, welche ihre Wohnsitze auf
, der Südseite des schwarzen Meeres in Pontus hatten. Auf die Frage,
ob die Iberer unter Tubal in die Geschlechtstafel der Genesis ein-
gereiht werden ^ürfen, wollen wir uns hier nicht einlassen, sondern
nur auf die andere, ob jene Ansicht durch etymologische Grunde un-
terstutzt werde. Den Uebergang von Tubal in Tibar konnte man
sich zur Noth noch gefallen lassen; wenn aber jene neueren Schrift-
steller weiter gehen und das anlautende T in Tibareni für einen Ar-
tikel erklären >*), um auf diesem Wege von T-ibar-eni zu Iberi zu
gelangen, so scheinen sie nicht bemerkt zu haben, dass sie dann
consequenter Weise auch das T in Tubal für einen Artikel halten und
dann jenen Stammvater der Iberer „Ubal*' nennen mussten. Die Ana-
logieUy welche in dieser Beziehung für das Hinwegbleiben eines Ar-
tikels T angeführt werden, können hier nicht entscheidend sein.
>*) S. Friedr. Maller. Über die SteUung des Osaetiscben im ^rAoiscfaen Spraeb-
kreise (Siti. Ber. Bd. 36. S. 3).
^0) S t r a b o 1. c. XI. cap. 3. |. 5. p. 429.
*i) S. unten 8. 38.
*') H i e r o n y m. Qaaest. in Genes. X. 2.
<>) 1 • i d o r. Etymolog. IX 2. 29.
*^) R n o b e 1 , die VöUiertafel der Genesis. S. 111 u. f. — Gfrorer, Urfs-
schichte des menschlichen Geschlechts. Bd. 1. S. 70.
3») F o r b i g e r bei Pauli a. a. 0. Bd. 6. 8. 1925.
S«) R n o b e 1 a. t. 0. S. 114.
Die Einwanderung der Iberer in die pyrenäische Halbinsel* d3o
Was nun im Übrigen die Ansichten der. neueren Ethnographen
anbetrifft, so nehmen Viele unter ihnen die Einwanderung der Iberer»
wie überhaupt aller europäischen Völker, aus Asien an» ja Diefen-
bach erklärt diess für ein Postulat <?); in früherer Zeit hat, ohne
es zu postuliren. Niemand daran gezweifelt. Insbesondere hebt aber
Jakob Grimm in seiner Geschichte der deutschen Sprache <») die
Einwanderung aller europäischen Völker, einschliesslich der Iberer, aus
Asien hervor. Ob es auf diese Yornehmlich anwendbar sei, wenn er sagt :
nie weiter gegen Abend wir ein Volk gedrungen finden, desto früher
hat es seinen Auslauf begonnen, desto tiefere Spuren kann es unter-
wegs hinterlassen haben^, werden wir noch erst näher zu unter-
suchen haben. Grimm stellt die Iberer nach den Griechen, Italern,
Kelten, Germanen, Litthauern, Slaven und Finnen als den achten
Hauptstamm hin <»), der nach Europa eingewandert sei ; eine chro-
nologische Reihenfolge ist jedoch mit jener Anordnung gewiss
keineswegs beabsichtigt Auch W. v. Humboldt weist jene Ansicht
nicht Töliig von der Hand, indem er, freilich zögernd, es als ein
Scblussresultat seiner Untersuchungen in dieser Hinsicht hin-
stellt 4<^): „wenn ich dasjenige, was mir bis jetzt darüber bekannt
ist, mit den hier angestellten Untersuchungen zusammennehme, so
wurde ich die Muthmassung wagen, dass die Iberer in früherer Zeit
auch über Italien und die Inseln des Mittelmeeres als Autochthonen
verbreitet gewesen sind, oder, wenn man einmal alle Völker von
Osten nach Westen wandern lässt , die Iberer sich von der großen
Völkerstrasse Thrakiens südwärts, die Kelten nordwärts geschlagen
haben*'. Wir werden alsbald Gelegenheit finden, auf diese Worte
Humboldts zurückzukommen.
'') Oiefenbach, Origines Enropaeae. S. 77 ; über die asiatische Heimath der
Iberer insbesondere. S. 110.
^^) Grimm a. a. 0. S. 162 (s. oben I. Note 2).
'*) Grimm a. a. 0. 8. 174.
**) W. T. Humboldt, Untersnchnngen. S. 171.
536 Phillips.
IV.
Untersuchung der Frage, auf welchem Wege die Iberer
in die pyrenäische Halbinsel eingewandert sind.
A.
Einwanderung der Iberer aus Asien auf dem Landwege.
Über den Weg, welchen die Iberer auf ihrer Wanderung nach
Westen eingeschlagen haben, sind mancherlei verschiedene An-
sichten aufgestellt worden. Auch von denen, welchen Asien als der
Ausgangspunkt der Wanderungen jenes Stammes gilt, wird die
Sache nicht gerade so angesehen, wie Humboldt andeutet, der sie unter
seiner hypothetischen Clause! von der grossen Völkerstrasse Thra-
kiens sich südlich wenden lässt. Es wird vielmehr von den Meisten
dafür gehalten, dass die Iberer ihren Weg durch Illyrien, Venetien,
Lombardei, Piemont und durch das südliche Frankreich, namentlich
Aquitanien, über die Pyrenäen nach Hispanien genommen haben 9-
Es wird dabei vermuthet, dass die Ligurer, von den Kelten ge-
drängt, die Iberer vor sich hergetrieben hätten, wodurch die Ver-
anlassung gegeben worden sei, dass ein Theil der Iberer sich vod
dem Hauptstock getrennt und seinen Weg nach der apenninischen
Halbinsel eingeschlagen hätte >). Die zu diesem Zweige gehörenden
Siculer seien dann wiederum, von den. naehwandemden Italern
getrieben, auf die nach ihnen benannte Insel Sicilien hinüber-
gegangen; ausserdem hätten aber die Inseln des Mittelmeeres später-
hin von Hispanien aus eine iberische Bevölkerung erhalten, nament-
lich seien von dort aus die Sicaner nach Sicilien gekommen <). In
dieser Weise fasst Diefenbach die Züge der Iberer auf ; aber auch
er, der bescheidene Forscher, wird seine Ansicht nicht für unum-
stösslich halten: es muss eben Jeder, so gut es geht, versuchen aus
dem Wirrwarr der hierin confusen alten Autoren herauszukommen und
sich ein Bild von der Wanderung des einzelnen Stammes zu machen.
Es bleibt hier für die Phantasie ein grosser Spielraum und es hat
1) Diefenbach, OrigiDes Europteae. S. HO.
2) Diefenbach a. a. 0. S. 99.
<) Diefenbach a. a. 0. S. 94, 99, 112.
Die Einwanderung der Iberer in die pyrenüiscbe Halbinsel. K37
daher auch daran nicht gefehlt, dass man die Iberer zuerst noch eine
weite Wanderung nach den Polarländern hat unternehmen lassen.
Es ist dies insbesondere die Ansicht eines neueren französi-
schen Schriftstellers, Namens Baudrimont^), der seine Argumen-
tation zugleich auf das Princip der Identität der Basken mit den alten
Iberern stutzt. Insbesondere beruft er sich darauf» dass die Basken
den Januar als den „schwarzen Monat** (belixilla oder ilbaUxa) be-
zeichnen und dass sie nur zwei Jahreszeiten in ihrer Sprache unter-
scheiden, Sommer (udaj nämlich und Winter (negua)^ während sie
den FrQhling ,,den neuen Sommer** (uda herria) und den Herbst
„Sommers Ende*' (udazkena) nannten. Diess Alles könne, bemerkt
jener Autor weiter, überhaupt nur entweder auf die Polargegenden,
wo man eine Jahreszeit des Eises und eine des flussig werdenden
Wassers habe, oder auf die tropischen Länder passen, wo man eine
Jahreszeit des Regens und eine der gänzlichen Trockenheit unter-
scheide. Da nun die Iberer sicherlich nicht aus den Tropenländern
gekommen seien, so müssten sie darnach, bevor sie nach dem Süden
wanderten, in den arktischen Gegenden ansässig gewesen sein ^).
^) Baudriroont, Histoire des Basques ou Escualdunais primtUfs. (Paris 1854).
p. 72 et aaW. p. 164 et sair. Die t weite Auflage rom Jahre 1S6S ist nur ein Abdruck
der erstereD.
*) Im Einseloen stützt sich der Verfasser aaf folgende Punkt«: ne^ttc bedeute „mehr
WMser* und uda^ wofür sich keine l^ursel Boden lasse, scheine su bedeuten: „das
Geschenk des W^assers, die Jahresseit des Wassers** ; beides sei aber mehr auf die
Polarg^egenden als auf die Tropen anwendbar. Eigentlich unterscheidet der Ver-
fasser vier Wandemngsepochen der Iberer. Anflnglich wohnten sie in einer nicht
nfiher sa bestimmenden Gegend (vielleicht Indien), wo sie die Orangutans und den
Elephanten kennen lernten. Alsdann sogen sie nach dem Norden und wohnten
etwa im funfsigaten Grade nördlicher Breite bis zu den fiussersten Polargegenden und
zwischtB 65 — 107 Grade östlicher Linge. Hier lernten sie den schwarzen Monat
kennen, ausserdem das Rennthier (Olena) and das kryptogame GewSchs liehen
woTOB das Rennthier lebt. Der Name dieser Bezeichnung habe sich in legen^ einer
Bezeichnung rieler Hautkrankheiten, erhalten (z. B. legenarra der Aussatz, legen-
helttü die Elephantiasis). Auch hatten sie dort Sehlitten, narra genannt, wie auch
bei dei^ Ramptschadalen narta; nicht minder hatten sie den Hund Cpottüa), der
bei den Russen pes^ pestin, bei den Polen pie» und pieti heisst. Auf dem Baikalsee
fischten sie den russischen Solomanha, von welchem sie das Öl (iinntf, das Wasser
des Fevers) bereiteten. In der dritten Periode zogen sie nach dem mittleren Asien
und nahmen ihren Weg zwischen dem Aralsee und den Gebirgen an der chine-
sisehen Grenze; hier kamen sie in Berührung mit den Mongolen u. s. w. u. s. w..
538 Phillips.
Aus den Gründen des Verfassers scheint sich eher das Gegen-
theil folgern zu lassen. Jene Art der Eintheilung des Jahres in zwei
Zeiten möchte doch offenbar darauf hinweisen, dass die Ibero-Basken
den Sommer für eine lange, den Winter hingegen für eine kurze
Zeit gehalten haben, denn sonst wurden sie Frühling und Herbst
nicht nach dem Sommer, sondern nach dem Winter benannt haben.
Und wenn denn auch in der Bezeichnung des Winters ein Hinweis
auf Schneefall liegen sollte, so ist zu bemerken, dass die Iberer
nicht er^st nach den Polarkreis zu wandern nothig hatten, um den
Schnee kennen zu lernen, sondern dass sich ihnen dazu in
Hispanien selbst Gelegenheit bot, die ihnen demnach den Winter als
Schneezeit erscheinen lassen konnte <); dazu kommt, dass im Baski-
schen für -Schnee und Regen dasselbe Wort gebräuchlich ist. Auch
Griechen und Romer haben den Schnee nicht bloss auf den Höhen
des Oeta und Apennin gesehen, sondern ihn auch zur Genüge in
der Ebene kennen gelernt und doch bezeichneten sie den Winter als
Regenzeit ()(c//xeüv, hiema). Es wäre daher auch nicht so auflallend,
wenn der baskische Winternamen negua''}^ der einen Anklang an
indogermanische Sprachen verräth^), sich auf Schnee bezöge. Die
Bezeichnung des Januar *) als schwarzer oder dunkler Monat kann
aber doch unmöglich eine Beziehung auf frühere Wohnsitze des
Volksstammes in den Polargegenden enthalten; jedenfalls participirt
der December mehr an der arktischen Dunkelheit als der Januar, der
•
wegen der zunehmenden Tageslänge eher als der Monat des koro-
bis iie dann vor ihrem Antzuge nn« Asien noch im Kaukasus wohnten. Hau
sieht, der Verfasser bat gerade in seinem arktischen Norden die Tramontaae
verloren.
*) Dafür geben schon viele Stellen der Classiker Zeugniss. 8. Plin. H. N. XXXVIil.
77. — Liv. XXXI. 61. — Straho I. c. III. 61. — Vergl auch Pauli, Real-
encyklopadie. Bd. 3. S. 1394.
^) Negua beiMt aber eigentlich geradezu , Winter", während für den Schnee imBis-
klschen das Wort elhurra dient. Das Wasser heisst ura\ ein merkwürdiges Wort,
über welches gelegentlich noch ausfBhrlicher zn sprechen ist. S. Note 12.
^) Vergl. C u r t i u s , Grund zfige. S. 284. nr. 440. (vi^) ; das kirchenslav. »nept
kommt jenem negu-a sehr nahe. — Dasselbe gilt von wda; S. ebendas. S. tiS.
u. f. nr. 300. (vduip),
*) Eine andere Bezeichnung für den Januar Ist : ürtariUa ; diess könnte WassMmonat,
Regenmonat heissen oder aber, wohl besser, Jahresmonat, d. h. derjenige Monat
filla)^ mit welchem das Jahr Curtea) beginnt.
Die EinwandeniDg der Iberer in die pyreniiscbe Halbinsel. 539
menden Lichtes hätte bezeichnet werden können. So lange als keine
besseren Grunde für die frühere arktische Heimath der Iberer beige-
bracht werden, möchte dieselbe doch im höchsten Grade proble-
matisch bleiben «^). Wird hiermit zwar die Herkunft der Iberer aus
dem hohen Norden zurückgewiesen« so thut dies doch der Ansicht,
sie seien vom Norden her über die Pyrenäen nach Hispanien einge-
wandert noch keinen Eintrag.
Während man, wie oben gezeigt, aus der heutigen Sprache
der Basken hat folgern wollen, die Iberer seien aus den Gegenden
des Eises gekommen, so hat eben diese Sprache auch dazu gedient,
um zu beweisen, sie seien aus Ägypten nach Hispanien eingewan-
dert h). Man hat diess geschlossen aus dem Worte „tirtea** womit
im Baskischen ^das Jahr** bezeichnet wird, ürtea aber, so argu-
mentirt man weiter, kommt her von tfra« 2), d. i. „Wasser" und diess
weise auf die jährlich wiederkehrenden Überschwemmungen des Nils
hin. Auch in dem im heutigen Baskischen vorkommenden Basoa-
Jaan hat man eine Andeutung früherer Wohnsitze der Iberer in
Afrika erkennen wollen, indem man diesen „wilden Herrn*' für den
Orang-Utang erklärte <*). Indessen dann könnte man auch die Wohn-
sitze der Germanen, bei denen bekanntlich „der wilde Mann** eine
grosse Rolle spielt 1*), so wie nach ihren Wappen die Heimath ein-
zelner Fürstenhäuser nach Afrika rerlegen. Es sei damit nicht be-
hauptet, dass die Iberer nicht vielleicht ehedem in Afrika gewohnt
hätten, sondern nur so viel, dass diess auf dem betretenen etymo-
logischen Wege sich nicht erweisen lasse.
**) In Vorübergehen möge auch einer Anaicht erwibnt werden, welche R a d 1 o f
In Liter. Verkfindiger. 1813. Nr. 24 in Betreff der Basken aafsteilte, nimlich, man
dürfe rermathen, die Basken seien in jener Urzeit, als das alte Paradies Sibi-
riens mit seinen grossen und reichen Schöpfungen vererdbebnet und vereiswfistet
wurde, auswandernd die Einen seewfirts nach Amerika, die Anderen landwfirts nach
Spanien geflohen.
* ') ^^rgl. C h a h o , Dictlonaire basque etc. Preface. p. 54.
*') Auch dieses Wort erinnert stark an das Indogermanische. Vergl. C u r t i n s
a. a. 0. 8. 213 inf. n. 510; besonders merkwürdig ist hierbei das in den Digesten
(XIV. 2 im Titel de lege Rhodia de jactn. I. 4.) vorkommende Wort urinator, das
einen Taveber beseichnet.
*') Ch a h o , Histoire primitive des Euskariens-Basques. Tom. 5. prtff. p. XL. et suiv.
^*) Grimm, deutsche Mythologie. S. 454.
540 Phillips.
Einwanderung der Iberer aus Asien auf dem Seewege.
Mit dem Hinweis auf eine frühere Heimath der Iberer im Süden,
wird der Blick auf ganz andere Gegenden hingewendet und so kann
wohl der Gedanke sich einstellen, dass die Einwanderung dieses
Volksstammes in Hispanien gar nicht vom Norden ber über die
Pyrenäen» sondern etwa von der Seeseite erfolgt sei. Aus den Alten
lässt sich in dieser Beziehung keine irgendwie directe Angabe ent-
nehmen, denn die ganz allgemeine Nachricht des Varro, welcher
von Phöniziern und Karthagern, die zur See, und von Kelten redet,
die über die Pyrenäen gekommen sind, bietet in BetreflT der Iberer
in dieser Beziehung keinen Anhaltspunkt. Die Nachricht ferner, dass
die Inseln des Mittelmeeres von Hispanien aus eine iberische Bevöl-
kerung erhalten haben sollen «), wie namentlich Ephorus beiStrabo die
Iberer für die zuerst Gekommenen unter den barbarischen Völkern
Siciliens bezeichnet*), ist nicht entscheidend, denn eine solche Be-
völkerung konnte auch von Italien oder sonst seewärts von Osten her
sich daselbst angesiedelt haben.
Auch die Äusserung des Hispaniers Seneca in einem Briefe,
den er aus seinem Exil auf Corsika an seine Mutter Hei via schrieb,
bietet keinen gegründeten Einwand. Er sagt<), es seien auch
Hispanier dort eingewandert, was sich darin zeige, dass die Corsikaner
ganz verwandte Sitten und Kleidung mit denen der Cantabrer
hätten, so wie auch in der Sprache einige Worte übereinstimmten,
im Ganzen aber sei die Sprache durch Einfluss des Griechischen und
Ligurischen sehr von der vaterländischen abgewichen. Diese Stelle
könnte vielleicht von Manchem in der Weise erklärt werden, dass
die in die pyrenäische Halbinsel eingewanderten Iberer wiederum
vor dem Andränge der Kelten hätten weichen müssen. Indessen wir
1) Vergl. D i e f e n b a c h t. a. 0. S. 100 u. f.
2) S t r a b o , Geograph. Lib. M. cap. 2. 1. 4. p. tU.
*) Seneca Epiat. 8. ad Helv. Transierant et Hispaoi (nach Coraica), qaod et Btmi-
litudine ritua apparet. Eadem enim tegumenta capitum idemqne genoa cilceaneatü
quod Cantabria eat ; nam totiis sermo et converaatione Graeconim Lignramqie *
patrio descirit. Vergl. D i e f e n b a c h a. a. 0. S. 101.
Die Eiownnderung der Iberer in die pjrrentiische Hiilbinsei. S41
giaaben unser in Betreif der Wanderungen der Völker oben auf-
gestelltes Grundprineip auch hier zur Anwendung bringen zu dürfen,
das Prineip nämlich, dass jene nicht die Richtung von Westen nach
Osten sondern von Osten nach Westen genommen habend). Diess
führt hier zu dem Satze, dass — abgesehen von dem früheren Aufent-
halte der Iberer — die Ansiedelungen dieses Stammes auf den Inseln
des Mittelmeeres nicht von Hispanien aus stattgefunden haben, son-
dern der Einwanderung der Iberer in diese Halbinsel vorausgegangen
sind. Wir würden daher unter Annahme des von den Iberern einge-
schlagenen Seeweges dafür halten, dass, wenn anders die etwas
zweifelhaften Spuren einer früheren iberischen Bevölkerung Ita-
liens i) sicher wären, dieser Stamm, nachdem er durch den Andrang
anderer Volker, die vom Norden her in die apenninische Halbinsel
herabkamen, genöthigt worden sei, Italien zu verlassen und zur See
weiter zu ziehen. Damit Hesse sich Humboldts freilich nur hin-
geworfener Gedanke, die Iberer hätten sich von der grossen Völ-
kerstrasse Thrakiens südlich gewendet <), vereinigen. Wäre es
nicht zu bedenklich, aus der Übereinstimmung von ein paar Namen
gleich Schlüsse zu ziehen, so konnte man daraus auch einen Finger-
zeig für einen froheren Aufenthalt der Iberer in Italien entnehmen ?);
doch das lassen wir bei Seite.
Wer also geneigt ist anzunehmen, die Iberer seien über das
Mittelmeer nach Hispanien gelangt, hätte dann noch die Wahl, ob er
He über Thrakien und Illyrien nach Italien ziehen oder direct von
den Ostküsten jenes Meeres, unbestimmt freilich von welchem Punkte
aijs^), dieses befahren und endlich die pyrenäische Halbinsel er-
reichen lassen wollte. In dem einen, wie in dem anderen Falle würden
die Iberer gleichsam als die Vorläufer der Phönizier und der Griechen
anzusehen sein und gleich diesen Volkern Italien und die benach-
*) Vergl. oben II. S. 10.
^) ^c*^!* Humboldt, PnifaDg der Untersucbaogen. S. 111. — Mabn, Denk-
niler der* baakiscben Spracbe, S. VII., ist sogar der Meinung, dass das nicht-indo-
earopiische Element im Lateiniscben iberisch sei, was sieb aus den früheren
Wohnsitzen der Iberer leicht erkläre.
*) S. oben H. S. 17.
^) Vergl. ▼. H u m b o 1 d t a. a. 0. S. 118.
*) Allenfalls aneh von Kleinasien aus.
542 Phillips
harten Inseln, vielleicht auch afrikanische Küstenländer, Hispanien
und das sudliche Gallien, theils vorübergehend, theils dauernd in
Besitz genommen haben. Jedenfalls fanden aber die Kelten, als sie
über die Pyrenäen in die Halbinsel hinabstiegen, die Iberer hier
schon in festen Wohnsitzen vor *). Das hätte freilich auch dann ein-
treten können, wenn die Iberer vor den Kelten auf dem Landwege
vorausgezogen wären, indessen der Seeweg war, wenn es auch auf
demselben viel Aufenthalt gab, offenbar der viel kürzere, wenigstens
für ein Volk, welches auf seiner Wanderung schon bis in die Nähe
der Ostküste des Mittelmeeres gelangt war. Aus diesem Grunde wäre
es unter jenen Voraussetzungen sehr wohl möglich, dass der Auf-
bruch der Kelten aus der asiatischen Urheimath früher erfolgt war.
als der der Iberer, diese aber dennoch um Vieles früher nach
Hispanien gelangten, als jene; es würde demnach die oben erwähnte
Äusserung Jacob Grimm's über die Chronologie in der Wanderung
der Völker eine Modification erfahren.
Es haben denn auch in der That bereits in früherer Zeit mehrere
Gelehrte die Ansicht aufgestellt, die Iberer seien zu Schiffe nach
Hispanien gekommen. Schon L e i b n i t z <<>) war der Meinung, sie seien
aus Afrika dahin gelangt und auch Niebuhr führt sie den Weg über
das Mittelmeer, steht aber mit seiner Ansicht, die Kelten seien
bereits vor den Iberern in die pyrenäische Halbinsel eingewandert *<).
allein. In neuester Zeit haben auch französische Gelehrte, namentlich
€hahoi>) und Boudard<*) diese Ansicht von der Ankunft der
Iberer über*s Meer aufgestellt, sie sehen diess eigentlich bereits als
eine ausgemachte Sache an i^). Boudard hat sogar den Versuch
*) 8. unten S. U.
^®) L e t b n i t z. Opera philosophica (edid. E r d m « n n.) An dicemu«, Hiap«-
ntam ante Celtorum adventum ab A-frorum- propagine habitatam, atque inde Vas-
cones auperfuisse.
11) N i e b a h f. Rom. Gescbicbte. Bd. 2. S. M)3. u. ff.
1') Vergl. C b a b o , Histoire primitive des Euakariena-Basqaes. p. 163.
1') Boudard, Numiamatique Ib^rienue. p. 2. Der Verfasser beabaicbtlgte (s. ebeod.
Note 4) diese Frage in einem besonderen Werke zu behandein, welches tbsr bis
jetzt noch nicht erschienen ist.
i*> Auch Broca bei Vogt, Vorlesungen Bd. 2. S. 828 entscheidet sieh ws
kraneologischen Grfinden dafür, allein diese scheinen denn doch nicht viel Sicher-
heit zu bieten.
Die Einwanderung der Iberer in die pyreniiscbe Halbinsel. 543
gemacht, fast in der Weise der alten Autoren hierbei die entschie-
densten Gegensätze mit einander zu vereinigen. Auch er hält dafür,
dass Afrika eine Zeit lang der Wohnsitz der Iberer gewesen sei, von
wo aas sie dann sich in Hispanien niederliessen. Dann aber lässt er
sie von da aus zunächst eine Wanderung bis zur Loire und über die
Alpen machen und sich hierauf über Italien und die Inseln des Mittel-
meeres ausbreiten. Nur in Hispanien haben sie sich, wie Boudard
weiter bemerkt, gegen die Kelten als herrschende Nation behauptet,
während sie in allen jenen übrigen Gegenden andern Völkern unter-
legen sind. — Der neueste franzosische Schriftsteller Garat,
dessen Buch : Origines des Basques de France et d*Espagne so eben
die Presse verlassen hat, sieht die heutigen Basken als die Nach-
kommen der Cantabrer für eine phönizische Colonie an, ohne sich auf
die Frage, woher die Iberer stammen, einzulassen. Da wir die Frage
nach der Zusammengehörigkeit der Basken mit den Iberern hier gar
nicht behandeln, sondern nur die: auf welchem Wege die Iberer
nach Hispanien gekommen sind? so bemerken wir Ober jene Ansicht
Garat's nur ein paar Worte. Der genannte Schriftsteller ist auch der
Meinung: die Cantabrer, auf welche dann der Name der ihnen be-
naehbarteD Vascones übergegangen sein soll, seien zur See gekommen
und zwar habe diese Ansiedlung aus Phöniziern mit ihren semitischen
Hilfstruppen aus Baktriana und Sogdiana bestanden i»); diese letz-
teren hätten hier den eigentlichen Kern der Bevölkerung gebildet
unter denen nach und nach die Phönizier verschwunden seien; eben
darum sei auch die baskische Sprache eine semitische. Die Ansied-
lung selbst sei aber in so fern nicht von Osten her erfolgt, als die
Phönizier vom atlantischen Ocean aus sich in Biscaya niedergelas-
sen hätten.
Indem wir also die oben berührte Frage gänzlich bei Seite
lassen» wird dennoch die andere: von woher und wie die Iberer auf
dem Seewege nach der pyrenäischen Halbinsel gekommen? um so
mehr nahe gerückt; ihrer Lösung stehen aber in vielen Einzeln-
heiten nicht unbeträchtliche Schwierigkeiten hindernd entgegen, die
wohl nur durch tiefgehende linguistische Studien beseitigt werden
können. Insbesondere kommt hier die weitere Frage in Betracht,
welchen Antheil eine zuvor in Nordafrika sesshafte Bevölkerung an
^) Garat a. a. O. p. 92 u. f.
544 Phillips
der Occupation Hispaniens gehabt habe? Die Stammeseinheit mit
dieser würde dadurch an sieh nicht ausgeschlossen, wenn auch ein
Theil der Einwanderer in jenem Lande nicht von Afrika, wenigstens
nicht von dem nachmals Zeugitana genannten Lande her gekommen
wäre, sondern sich auf seinen Fahrten gleich Anfangs mehr nordlicher
gehalten und sich zuYor auf den Inseln des Mittelmeeres nieder-
gelassen hätte.
Es unterliegt keinem Zweifel, dass längst vor den Phöniziern
grosse Schaaren von Völkern von dem Orient aus das mittelländische
Meer, an dessen Küste sie von nachwandernden Stämmen, vielleicht
zum Theile von den Phöniziern gedrängt worden waren, durchzogen
haben und bereits vor den Agyptiern auch die ersten Ansiedler in
Nordafrika gewurden sind («). Diese Einwanderung ist eben darum
14) Vergl. Qaatremere »ur les Numides bei 1 u d a • ^tude denonatnlive de
la lantfue pheoicieiine et de la langve libjrque. p. 214: II est certain qae
longtemps avant retablissement des colonies pheniciennes aar les cdtes da nord
de TAfrique les provioces septentrionales de ce continent etaient occup^es par
une populatton indig^oe (?) et oomade, parlant une langue i part, qui probable-
ment,n*aTait aucaii rapport avev la ph^nicien. L*arrivee lesTyrienStdesSidontensfor
les riva^es de rAfriqae,les rapports qu*ils eurent avee leura sauvag«s vol8iDa,diireat
faire connattre ä ces derniers des nooTeaux besoina ei par suite, iotroduire dans lear
idione des terroes qui leur etaient etran^ers. Mais & coupsAr,ce8 causesoepasassei
puissants pour eneager ces nomades A qtiitter leur idiome maternel pour adopter
celui de ces marchands asiatiques qui venaient leur demander des terres et
deTsient bientdt s* eriger en conquerants et en despotes. Un peuple pastenr ae
change janais ni son laogage ni sea faabitudea; c^eat ainai que lea cooqneraats
arabes o'oiit pu reussir a naturaliser leur langue au niilieu des ces peupladea qoi
ocGupent encore aujourd*hui le nord de l'Afrique. Or il a eziste et il existe
encore, de nos jours, un laogage qui est parle arec tres peu de dilTerence dani
uoe immense etendue des pays depuis TJ^gypte jusqu" aux ri?ages de fOc^an aUaa-
tique. Cet idiome, que dous d^signons, k Pexemple des Arabes, par le nom de
berbere, mais qoi cbex lea naturels des paya, porte le nom de a e h i 1 a b oa
tamazigt, ne reasemble & aucun autre ; tont atteste aoa antiquit^: tl aiaBqBe
de beauGoup de mots, que des peuples etrangers ä la vie paatorale auraient iofailli-
blement connus ; il n*a ete dans cette contr^e par aucun des peuples qui en on fait
ou tente la conquite. On peut donc croire, aTec toute apparence de y^rite, qae
cette langue etait parl^e, des les temps les plus anciens par les peuples nomades
repandus sur le continent de TAfirique aeptentrionale. Probablement lea Naoiidee,
c'est h dire les Massyliens et les Mass^yliens employaient le mdne Idiome, qai,
malgr^ tant de re?olutions et des conquetes, s^est maintenu jusqu'i nos jowrs a?ec
une admirable pers^verance. — S. nocb M o ? e r s , Geschichte der Phönizier
Th. 2. Bd. 368. u. ff. Schröder, die pbdnizische Sprache. S. 39.
Die Einwanderaii(f der Iberer in die pyreniische HalbiDsel. 545
Dicht erst in die Zeit Josua's zu setzen, wenn es auch richtig ist^dass
die Besitznahme Kanaanes durch die Israeliten und durch ihren Ver-
Qichtungskampf gegen die bisherigen Bewohner jener Gegenden
Veranlassung zu neuen Auswanderungen geworden ist, wovon sich
Traditionen bis in yiel spätere Zeiten erhalten habe^ <7). So mag denn
auch Hispanien bald nach jenen ersten Auswanderungen im weiteren
Fortschreiten solcher Schaarenyon den Inseln oder von Afrika her er-
reicht und in Besitz genommen worden sein. Dass nun ein, sei es un-
mittelbarer oder mittelbarer Zusammenhang zwischen Nordafrika und
Hispaniea und zwar ein solcher stattgefunden habe, der in eine vor-
phönizischeZeit zurückreicht, lässt sich in derThat aus verschiedenen
umständen entnehmen. Es kommen hierbei vornamlich diejenigen
nordafrikanischen Stämme in Betracht, welche, am meisten westlich
wohnend, vorzugsweise mit dem Namen der Libyer bezeichnet wer-
den, obschon dieser Name im weiteren Sinne die gesammte Bevölke-
rung Nordafrikas von Aegypten bis zu den Säulen des Hercules be-
teiehnet <«). Diese waren, wenn man von den südlicher wohnenden
ihnen stammverwandten Völkern absieht, nicht bloss Nomaden, sondern
grösstentheils Ackerbauer und befanden sich überhaupt in einem nicht
QogOnstigen Culturzustande <*). Auch besassen sie eine Schriftsprache
welche Verwandtschaft mit der phönizischen hat; sie trägt auch einen
älteren Typus an sich, ob sie aber von letzterer unabhängig und
nur mit ihr aus einer gemeinsamen Quelle entsprungen ist, *<^) müssen
wir dahin gestellt sein lassen.
Auffallend ist es, dass die Römer diejenigen Cülturgegenstände,
die ihnen aus Afrika zukamen, mit Ausdrücken bezeichneten, welche
der libyschen Sprache entlehnt zu sein scheinen at^. In wiefern
diese Sprache, von der nur sehr wenige Kunde aus dem Alterthum
auf unsere Zeit gekommen ist, mit der heutigen Berbersprache, na-
mentlich mit dem sogenannten Schilach oder Tamazight oder
Tamachek' zusammenstimme, muss unsererseits freilich dahingestellt
*^ MoTere. , «. a. 0. S. 413. u. ff. S. 429.
S e h r Ö d e r a. •. 0.
'^ II o ▼ e r a a. a. 0. S. 863 u. ff.
^*) Movere a. a. 0. 8. 401 n. ff.
'<»> II o T e r a a. a. 0. 8. 407.
'0 MoTera •. a. 0. 8. 410.
SiUb. d. phil.-hiat. Ol. LXV. Bd. Wh Hll. 37
546 Pb i 1 li pa
bleiben, doch scheint es vermuthet werden zu dürfen <«). Kenner
wollen auch in diesen eine Erinnerung an semitische Sprachen fin-
den *<). Eine gewisse Ähnlichkeit einzelner Buchstaben auf der
Tuggensis bilinguis **) mit solchen aus dem Alphabete des Tamazight
kann man kaum in Abrede stellen >»).
Wir müssen uns daher darauf beschränken, auf eine große
Ähnlichkeit und theilweise wirkliche Übereinstimmung zwischen
nordafrikanischen und althispanischen Namen hinzuweisen. Wir
legen darauf kein grosses Gewicht, dass Ptolomäus einen Stamm in
Tingitana unter dem Namen Nect-iberes erwähnt <«) und dass ande-
rerseits in Hispanien Namen vorkommen, welche an Libyen zu er-
innern scheinen. Dahin gehört: Julia Libyca bei Ptolomäus *7) und
Libia zwischen Caesaraugusta und Legio VII *') ; diesem Orte, im
Lande der Autrigonen belegen, ist auch wohl die Münzlegende
Lbiemkn <*) (Libiemekin) zuzuschreiben; der Vollständigkeit wegen
möge auch Libisosia «<') erwähnt werden. Doch wie gesagt, hierauf
scheint kein Gewicht zu legen zu sein; auffallender ist die Über-
einstimmung libyscher und hispanischer Namen in dem Gleichlaut
mehrerer auf einander folgender Sylben. Hispanien hat sein Bil-
bilis'i), Singilis's), Illicis«<) und Intibilis*^); dem steht gegenüber
S. Quatreinere in Note 16.
*') Fr. M u 1 1 e r , linguistischer Thetl der Reise der dsterreichischen Fregatt«
Norara. S. 51.
^^) G e 8 e n i tt s , Scrtpturae linguaeque phöniciae Monumenta. p. 183. sqq. Tab. 19.
20. 46. I u d a s a. a. 0. p. 205. pl. 51. ~ Sc h r 5 d e r a. a. O. S. 257. Taf. 4.
^^) So entspricht z. B. das fl 0), \\ (l) und ^ (t) der Tuggensis gans diesen Bnch>
Stäben in dem Alphabete des Tamazight. Vergl. Hanoteaui Essai de Grammaire
de la langue TamiTthek (Paris. 1860). p. 8 u. 4.
>•) Ptolem. Geograph (ed. Wildberg. Essend. 1888). Lib. IV. cap. 1. p. 251, 21.
*7) Ptolem. a. a. 0. Lib. II. cap. 5. p. 13 bis 18.
'B) 1 1 i n e r. A n t o n. p. 394. — Vergl. Hühner, Inscr. Hisp. Lat n. 439.
<*) S. Leg. 176. 177. indem Verzeichnisse in derAbhandlung Ober das iber. Alphabet S.188.
'<0) Plin. H. N. IIL 4. — Ptolem I.e. p. 128, 3 (Libisoca). 1 1 i n e r. An ton.
p. 446. — Vergl. Hühner 1. c. p. 434 a. n. 323%. n. 4254. — Noch
Hessen sich hinzufügen: Libnnca (Ptolem. L c. p. 121, 21), Libora (p. 126,
26), Libana (p. 127, 23).
<1) Leg. 236.
*>) P I i n. 1. c. Vergl. H üb n e r 1. c. p. 272.
**) P 1 0 1 e m. 1. c. p. 129. 7.
<^) Liv. XXIII. 29. VergL auch Forbiger, Handbuch der alten Geographie. Bd. 3.
S. 67 und 71.
Dif fiinwaDderang der lber«r in die pjrreniiacbe Ualbtosel. 547
Tibilis >*) in Numidien. Tingis <•) nebst Igilgilis *?) in Mauretanien:
dahin ist ferner zu zählen Trisidis «s) in Tingitana, Tigis •*)
Githis**). Thilinis*!). Nigitimi*«), Sitiphi*«) Timici**)und der Berg
Thizibi «») iu Mauretanien, während dort wieder ein Silbis *«) und
Limici «f) aufgewiesen werden kann. Manche Namen ?on Orten in
Nordafrika kehren aber geradezu in Hispanien wieder; kennen jene
Gegenden drei Städte mit Namen Hippo, so hat auch Hispanien eine
im Gebiete der Carpetaner belegene Stadt dieses Namens. Dass diese
Hippo nora heisst und demnach der Name als Femininum gebraucht
wird, während die nachmalige Bischofsstadt in Afrika Hippo regius
sich nennt, macht in dieser Hinsicht keinen Unterschied ; erseheint
ja auch der Name Saguntum bald als Femininum bald als Neutrum *«).
An Hippo reiht sich aber eine ganze Menge althispanischer Städte-
namen an, welche sämmtlich das Suffix -ipo oder 'ippo haben, z. B.
Acinipo, Baesippo, Basilippo, ColHppo, Irippo, Lacippo, Oiisipo,
Ostippo, Serippo, Ventipo, in Betreff deren Humboldt die Bemerkung
macht, dass er dafür keine irgend wahrscheinliche Erklärung aus
dem Baskischen kenne *•). Auch er weist auf die auffallende Erschei-
nung, dass mit Ausschluss von Hippo nova, alle diese Städte in der
Nahe des Meeres und zwar vorzugsweise in Bätica belegen sind. —
Eine in beiden Ländern ebenfalls wiederkehrende Endung und zwar
TOD Stammesnamen ist — uli; in Hispanien z. B. Barduli, Bartuli,
Torduli und MaaauXot »<»), in Afrika: Gaetuli, Edulii; dort wäre noch
*^) P t o 1 e m. 1. c. IV. 2.
'•) P t o 1 e B. I. c. p. 250, 14. p. 259, 14.
'^)P tote Ol. 1. c. p. 25$, 11.
'«) P t o 1 « n. 1. c. p. 252, 27.
^*j P t o 1 e ■. I c. p. 259, 14.
^) P t o 1 e m. 1. c. p. 263, 3.
^t) Ptolen. 1. c. p. 259, 6.
♦«> P t o 1 e m. 1. c. p. 260, 7.
^•) P t o 1 e m. 1. e. p. 260, 7.
^M P t o 1 e m. I. c. p. 257, 17.
^^) P t o 1 e m. 1. c. p. 265, 2.
*•> 8. Ug. 56.
*^i Ptoiem. I. c. U. 5. p. 123, 24. — PI in. H. N. IV. 20. 34. — Verg
H i b o e r 1. c. p. 350. n. 2516 sq.
^*) Vergl. H ii b II e r , 1. c. p. 511.
^*) Hainboldt, Untenucbmigen. S. 64.
^) Diese enrihot S t e p h. B y s. als eio libjsches Volk.
37»
54S Phillips
der Name der Stadt Baetulo und der des Berges Edulius beizufugeo.
Nicht minder ^ind auffallend die hier wie dort häufig wiederkehrenden
Ableitungssylben -et und -it, woran sich gewöhnlich noch das
Suffix anschliesst. Beispiele dafür bieten Aoibis-it »<) « Aor-et »s),
Bet-ut»<), Bastetanit Carpetani, Edetani« Contestani, Cosetani,
Lusitani u. s. w. in Hispanien, Tingitani, Mauretani« Zeugitani ia
Afrika. Völlig übereinstimmend finden sich in beiden Ländern die
Namen Leptis ^) , Oleastrum >») , Rubricatus <*) , Subur »^ ^^^
Urci &«) vor; an das libysche Cretes erinnert Chretima» an Collope:
Collippo, an Cotes: Cotinissa, anPintuaria: Pintia» anSisara: Sisaraea,
an Taladusii: Talamina» an Tingis: Tingentera, an Vacca: Vaccaei»
Zilia : Zili >•). Eine so vielfache Übereinstimmung von Namen kann
doch nicht auf blossem Zufalle beruhen, sondern sie nothigt dazu,
dass man entweder annehmen muss, derselbe Stamm habe sieh
gleichzeitig in Nordafrika und in Hispanien niedergelassen oder er
sei von dort nach der pyrenäischen Halbinsel herübergekommen.
C.
Excurs über die iberische Bevölkerung des südlichen
Galliens.
Auf dem Gange unserer Betrachtungen gesellt sich nunmehr aucb
das südliche Gallien hinzu ; dass auch hier die Iberer ihre Wohn sitze und
^1) Le^. es. a. ff.
*a) Leg. 77.
*«) L«g. 206. 297.
^^) Das afrikaoiscbe LepUs iat bekannt; das bispaniscbe lag an recbten Ufer 4t9-
Baetis. Vergl. H i r t i u s Bell. Alei. 571.
&^) S. Ptolem. 1. c. 4. 14. — ein anderes Ol. im Ikin. Anton, p. 399. -- VcrgL
Ptolem. Lib. iV. cap. 1. p. 250, 24.
^^ S. Ptolem. Lib. IL 6. IS. — VergL Oesenios, 1. c. p. 426.
'^ SUdt und Flass in TIngitana (S. P t o 1 e m. Lib. IV. cap. 1. p. 249, 12 p. 252^ 16)
nnd Stadt in Hispanien im Lande der Laetaner. (Ptolem. Lib. H. cap. 6.)
^*) Wegen Hispanien s. Leg. 296 ; wegen Afrika S. Ptolem. I. c. IV. 3. p. 261,
24 ; Steph. B y i a n t. flibrt nocb eine libyscbe Stadt Namens *lrv7nj (Iclntere
als tyrische Colonie) an; der Name erinnert an den iberiscben Volfcsstnmm der
Itnci* Femer sind sn vergleicben der Ucubis In Baetica (Bell. Hisp. c 7) mit
Ucibi in Numidien. S. Ptolem. 1. c. IV. 3. p. 267, 18.
&*) Leg. 306. 307.
Die Einwanderung der Iberer in die pjrreniitche Halbinsel. 049
zwar vom sudöstlichen Winkel am Oeean bis zur Rhone gehabt
haben, unterliegt keinem Zweifel. Schon Herodot^) kennt die
Rhone hier als die Grenze und Skylax <) lässt in Gallien bis
zu diesem Flusse Iberer und Ligurer vermischt wohnen, von da
an nach Osten nur die letzteren. Dem entsprechend bezeichnet
Arien US die Rhone als die Grenzscheide zwischen Iberern und
Liguren s) und daher konnte auch Aesehylus die Rhone (als
Eridanus) fiir einen in Iberien fliessenden Strom halten^), so wie
man auch eben desshalb das Land im Westen der Rhone Ibe-
nen nannte &). Di« Erscheinung, dass das südliche Gallien eine
iberische Revolkerung hatte •), llsst sich mit jeder der verschiedenen
Annahmen in Betreff des Weges, den dieser Stamm auf seiner Wan-
derung eingeschlagen, vereinigen. Zogen die Iberer vor den Kelten
einher, so hätten die in Gallien Wohnenden die letzten Schaaren auf
der Wanderung gebildet ; waren jene auf dem Seewege gekommen,
so lasst sich jene Erscheinung auch noch auf doppelte Weise erkia*
ren. Die Besitznahme des sudlichen Galliens durch Iberer konnte ent-
weder so vor sich gehen, dass sie auch hieher gleichzeitig mit denen
welche Hispanien bevölkerten, zu Schiffe dorthin kamen oder dass sie
Ton der Halbinsel aus über die Pyrenäen zogen, oder es konnte auch
allenfalls Beides geschehen. Man hat aber in dieser Hinsicht auch
eine ganz entgegengesetzte Ansicht aufgestellt, die nämlich, dass
erst im sechsten Jahrhunderte christlicher Zeitrechnung das südliche
Frankreich einen Theil seiner Bevölkerung von jenseits der Pyrenäen
her erhalten habe ; es seien damals die Basken in das Frankenreich
eingebrochen und hätten sich hier Wohnsitze erkämpft ^). Allein ab-
gesehen von jenen Nachrichten der Alten» lässt sich noch ein anderer
wichtiger Umstand dafür hervorheben, dass es schon sehr frühzeitig
0 H e r o d. I. 168.
*) Scjl«c. Caryand. Peripl. Z, u. 8. (edid. K 1 a o « e n. Berol. 1S31) p. 164.
*) A T i e D. Ora marik. v. 609.
Higus (Rhodanl) alreo
Ibera tellus atque Ligarea aaperi
Interaecantur.
1) P I i B. fliat. Bat. XXXVII. 2.
*) S t r a b 0 , Geogr. Lib. III. cap. 4. f. 19. p. 138.
<) Auch H « in b o I d t , Unttrauehuogen S. 92 beseiebnet Aquitanieii ala eine Fort-
aeUiiBg ib«ria«ker Wobnaitse.
^) Hiaftoire g^n^rale de Languedoc. Tom I. p. 821.
550 ' Phillips
im südlichen Gallien eine iberische Bevölkerung gab. Ganz ähnlieh,
wie es in dem in Hispanien unfern von den Pyrenäen belegenen
Emporium ausser der griechischen Colonie auch noch eine einhei-
mische Gemeinde gab» welche hier den Namen Tonizocose s) fahrte,
finden sich auch in gallischen Städten solche Doppelgemeinden,
was insbesondere von Narbo und Nemausus gilt. Wie wir aus narbo*
^lensischen Münzen wissen^ hiess die iberische Gemeinde Nedhena*),
in dem heutigen Nismes hiess sie Nemu ^^y Im Übrigen können wir
in Betreff der Unrichtigkeit der Ansicht, die Basken hätten sich erst
im sechsten Jahrhundert nach Christus in Gallien und zwar specieil
in Aquitanien niedergelassen, auf Fauriel» Histoire de la Gaule
meridionale ^i) verweisen, wo jene vollständig widerlegt wird.
Damit soll jedoch keineswegs in Abrede gestellt werden, dass nicht
damals und später viele Basken von jenseits der Pyrenäen mit Waffen-
gewalt in Frankreich eingebrochen seien; machten ja doch die vor
den Mauren flüchtigen sogenannten Hispani auch noch den Karolin-
gern viel zu schaffen. Übrigens findet sich unter den in der betref-
fenden Verordnung KarKs des Grossen angegebenen Namen, ausser
Wasco kaum einer, etwa Zate ausgenommen, der einen baskischen
Anklang hätte und auch bei diesem könnte man, um so mehr da neben
ihm auch ein Zoleimam genannt wird, auf arabischen Ursprung
schliessen i«).
B.
Einwanderung der Iberer aus Amerika.
Die beiden bisher entwickelten Ansichten über die Einwande-
rung der Iberer in Hispanien und Gallien Hessen Asien als die Ur-
heimath dieses Stammes erscheinen und somit denselben von dorther
^) Boudard, Numismatique IberlenDC« p. 2S5. u. ff.
*) Boudard, a. a. 0. p. 237.
10) Boudard, a. a. 0. p. 151.
<0 Paris 1836. 4 Vol. 8. Über dieaen Gegenstand bandelt Tornebmlicb VoL II.
pag^. 238 Q. ff.
<^) Vergl. K a r o I i M. , Praeceptum pro Hispanis. ann. 812. (Walter, Corp, jar .
gern. Tom. 11. p. 255). — L u d o r. P. Prae«. pro Hisp. ann. 815. (ebesd.
p. 290.)
Die Einwanderung der Iberer in die pyrenaieche Halbinsel. 551
aus nach Westen hin seinen Zug nach dem Abendlande beginnen.
Hierbei konnte es einstweilen ausser Anschlag bleiben, ob die Iberer
vielleicht auch noch in dem Asien und Europa benachbarten Welt-
theile Afrika vorübergehend Wohnsitze aufgeschlagen haben. Eine
dritte Ansicht schliesst zwar Asien als . ursprüngliche Heimath des
Stammes nicht aus» lässt aber die Basken und damit voraus*
setzlich die Iberer aus einem ganz andern Welttheile, nämlich aus
Amerika nach Hispanien und somit von Westen nach Osten ein-
wandern.
Gegen das Herüberkommen eines Volksstammes aus Amerika
oach Europa liesse sich von vornherein ein scheinbar unbedingt zu-
treffender Einwand erheben» der nämlich» dass es in jenen Urzeiten»
in welchen sich das Ereigniss zugetragen haben müsste, noch gänz-
lich an der erforderlichen Schifffahrtskunde gebrach » um die Aus-
wanderung von Amerika nach Europa überhaupt nur möglich zu
machen. Dieser Einwand ist von Denjenigen leicht zu beseitigen»
welche dafür halten» dass in alten Zeiten zwischen Europa und
Amerika noch ein grosses Zwischenland dagewesen sei; man hat
demselben den Namen Atlantis gegeben. Dieses Land» von welchem
auch die Alten namentlich Solon und Plato Kunde gehabt» habe
sich» so wird angenommen, von den Azorischen Inseln bis weit hinauf
nach dem Norden erstreckt und zum Übergänge vieler Pflanzen-
gattungen von Amerika nach Europa gedient; erst später sei dann
der Untergang dieser Atlantis erfolgt. Uns steht über diese Frage
kein Urtheil zu ; Alexander von Humboldt <) und in neuester
Zeit Friedrich Unger s) haben sich für die ehemalige Existenz
dieses Zwischenlandes ausgesprochen. Allein auch abgesehen von
der Existenz oder Nichtexistenz dieser Atlantis scheint die Sache
mit der'vermeintlichen Unkenntniss der Schifffahrtskunde allein doch
nicht so ohne Weiteres abgethan zusein. Diefenbach» der die
Ansicht von der amerikanischen Einwanderung nach Europa nicht
theilt» lenkt indessen doch die Aufmerksamkeit auf diese ihm nicht
') Alex, de Homboldt, Histoire de la Geof^raphieda nouTeau continent. Ton. I.
p. IST. Deutecbe Übers. Tb. US. 155. u. f. S. 163. S. 424.
') F. Unger, die Terichwiindene Intel AUantit. Wien 1860. — S. auch noch
P a a ] i , Realencyklopfidie. Bd. 1 . Abth. 2. S. 2034.
552 Phillips
ganz unbedeutsam scheinende Frage hin «). Auch Karl Vogt in
seinen Vorlesungen über den Menschen, erklart sich gar nicht abge-
neigt an eine solche Einwanderung zu glauben ^) und traut also sei-
nen Aifensprösslingen in ihrem damaligen Entwicklungsstadiuro doch
schon genügenden Verstand zu einem solchen Unternehmen zu. Es
mag seine Richtigkeit haben, dass in alten Zeiten bei den uns be-
kannten Völkern sich anfanglich nur eine KQstenschifiTahrt ausge-
bildet hat, aber daraus folgt noch nicht, dass sie bloss eine solche
geblieben sei. Die Seefahrten der Phönizier beweisen das Gegenthei)
und der Verkehr, welchen Salamon mit Ophir angeknöpft hatte,
konnte keine blosse Küstenschifffahrt sein »). Als solche können
auch nicht die Fahrten von Hispanien nach Irland gelten, wohin der
Sage nach auch die Iberer gekommen sein sollten •), und von ihrer
grünen Insel gelangten die Iren bis nach Island v). Wer hat femer
den Normannen den Weg nach Amerika gezeigt? und doch fuhren
schon im neunten und zehnten Jahrhunderte die kühnen Söhne des
Nordens nach dem erst späterhin von Columbus neu entdeckten
Welttheile hinüber, wie denn auch weite Strecken der Ostköste
Amerikas mit Reihen von Grabhügeln bedeckt waren, welche nur
normannische Inschriften trugen «). — Auch aus einem allgemeinen
Mangel an Cultur bei den amerikanischen Volkern lässt sieh kein
') D i e f e n b « G h, a. a. 0. 8. 110. Hier wird Fol^eodet bemerkt: «Die Annabine
einer BinwaodeniDg ans Amerika über den Oeean wire, wenn auch Mehr, als jene
djnamische und nicht alliunahe Ähnlichkeit der Sprache (s. unten) dorthin wiese,
wohl auch nur durch eine Überbruckung des atlantischen Meeres rermitteUt der
platonischen Atlantis möglich, auch wenn diese nur in einer Ansahl tob
Inseln Stationen fSr die Ranoes der seitdem gebleichten Rothhiute abge^ehea
haben würde. Übrigens bietet die polynesisclle BeTöIkemng in der sSdliebea
Wasserwelt noch viel grössere Wunder.**
^) Vogt, Vorlesungen Bd. 2. S. 171.
^) Vorausgesetzt dass Ophir in Indien zu suchen ist und nicht in Arabien. Es ist di«9
eine Controrerse ; für Indien erklfirt sich Ritter, Erdkunde Asiens. I. S. 116.
202. für Arabien F o r b i g e r , Handbuch. Bd. 2. S. 7S3.
•) S. Nenn ins, Histor. Briton C. 13. (edld. San Marte. p. 34). — Ver^l
P i c t e t . Iran und Arier bei Kuhn und Schleicher, Beitrfige. Bd. 1-
8. 95.
7) Vergl. Diefenbach a. a. 0. 8. 193. — 8. auch K. Maurer, die Bekeh-
rung des norwegischen Stammes zum Christenthume. Bd. 1. 8. 43 u. f.
') Vergl. über diesen Gegenstand : Kunstmann, die Entdeckung Amerika*»
(München 1859.) 8. 25 u. f.
Die EtnwandeniDg der Iberer in ^die pyrenfiische Halbiosel. So3
genügender Einwand hernehmen ; der Zustand freilich^ in welchem
Colambus sie zu Ausgang des fünfzehnten Jahrhunderts antraf, würde
Jenes bestätigen; aber dieser Zustand war, wie bei vielen ins Hei-
denthum versunkenen Volkern, der des Verfalles aus besserer Zeit *),
Ton welcher allein schon die grossen mexikanischen Bauten Zeugniss
geben <«). Nicht bloss bei den Griechen ging dem ehernen Zeitalter
ein silbernes und diesem ein goldenes voran, sondern hierin spiegelt
sieb die Geschichte des ganzen Menschengeschlechtes ab. Wie muss
mam staunen über die Kunstfertigkeiten .der Chinesen in frühester
Zeit und wenn wir diese oder jene Erfindung mit Stolz in die Annalen
unserer Geschichte eintragen, siehe da! die Chinesen haben dieselbe
schon vor Jahrhunderten gemacht ! Zieht man diese verschiedenen
Gesichtspunkte in Erwägung, so wäre an sich eine Überfahrt, selbst
eine Übersiedlung eines ganzen Stammes, auch noch anders als
durch eine Atlantis oder durch ein blosses Wunder zu erklären.
Wir bemerkten schon oben, dass wir uns auf jene Seite der
Sache, so weit sie sich auf die grossen auch noch postdiluvianischen
Veränderungen bezieht, welche unser Erdball erfahren haben mag ^i),
aus Hangel an Kenntnissen nicht einlassen können. Uns kam es nur
darauf an, den Gedanken an die gänzliche Unmöglichkeit einer Ein-
wanderung aus Amerika zurückzuweisen, ohne zu behaupten, sie sei
geschehen. Im Gegentheile scheint uns der Umstand entschieden da-
gegen zu sprechen, dass sich bei keinem andern Lande Europas
auch nur die leiseste Veranlassung findet, eine solche Behauptung
zu unterstützen. Dass man aber in Betreff Hispaniens auf diese Fährte
— wenn man sich so ausdrücken darf-— gekommen ist i<}, hat seinen
Grund vornehmlich in der Ähnlichkeit, welche man zwischen dem
Baskischen und den amerikanischen Sprachen entdeckt haben will i») :
auch diese sind wie jene agglutinirende Sprachen und beobachten
in ihrer Conjugation das Princip der Einverleibung. Wir sind der
amerikanischen Sprachen nicht kundig und können daher nicht be-
urtheilen wie weit diese Übereinstimmung reicht. Wilhelm von
*) Ver^l. meine: Vermischte Schrifteo. Bd. 1. S. SS u. ff.
<®) Verf i. Le D o i r , Antiquität Mezicnines.
^<) Vergl. r, Humboldt, Untertoehungren. 8. 174, 175.
•*) S. Job. S e T. Vater, Untersucbungeo über Amerika*« Berdlkerung. Leipig,
1810. 8. 210.
554 Phillips
Humboldt i') erkennt allerdings auch eine gewisse Ähnlichkeit an,
hält sie aber doch nicht für so gross, als dass daraus auf eine wirk-
liche gemeinsame Abstammung des Baskischen und der amerikani-
schen Sprachen geschlossen werden dürfte. Auch Steinthal t«) hält
dafür» dass diese Übereinstimmung eine bloss äusserliche und daher
über die Frage nicht entscheidend sei. Eben so erklärt sich Pott
gegen eine solche Verwandtschaft, indem er sagt: is) ^Anders frei-
lich läge der Fall, wenn das Baskische und irgend eine der amerika-
nischen Sprachen eine solche Übereinkunft nicht bloss in Wortbil-
dung und grammatischer Umbildung überhaupt, nach der rein gei-
stigen Seite hin, sondern auch zugleich in deren hörbarem Ausdrucke,
in den Lauten, solchergestalt offenbarten^ dass man hierdurch der
Annahme eines etymologischen, d. h. auch genealogischen Bandes
zwischen ihnen auszuweichen in die Unmöglichkeit versetzt würde.
Dieses Demonstrandum harrt aber noch des Beweises und so weit
ich beim jetzigen Stande der Wissenschaft glaube urtheilen zu
müssen, auf immer vergebens*'. Damit wird freilich viel gefordert,
vornehmlich wenn man berücksichtigt, dass es gerade bei den ame-
rikanischen Stämmen so häufig vorkommt; dass die sich von einan-
der absondernden Zweige von Familien sich nach zwei Generationen
nicht mehr recht mit einander verständigen können >*) und da
sollte noch Übereinstimmung im hörbaren Ausdruck und im Laute
zwischen Basken und Amerikanern, die sich vor Jahrtausenden ge-
trennt haben müssten, gefordert werden können? Indessen, es kommt
uns nicht darauf an, eine Übereinstimmung zwischen diesen Sprachen
ZU vertreten und bemerken nur noch, dass, wenn eine solche Über-
einstimmung wirklich bestünde, sie nicht nothwendig durch eine Ein-
wanderung amerikanischer Stämme nach Hispanien erklärt werden
müsste, sondern möglicherweise auch darin ihren Ursprung haben
könnte, dass aus der ursprünglichen Heimath Asien von verwandten
Stämmen sich die Einen nach Westen gewendet haben und bis zum
äussersten Abendlande gewandert, die Andern den Weg nach
Osten eingeschlagen haben und nach Amerika gekommen sind.
<S) Humboldt, a. a. 0. S. 175.
1^) 8 t e i 0 t h a I , Clasaification der Sprachen. S. 90.
*^) Pott, die Ungleichheit der menschlichen Rassen (Leipa. u. Detmold. 1S5S)
S. 261.
1«) Max M u 1 1 e r , Vorlesungen. Bd. 1. S. 49 u. f.
Die EinwanderuDg der Iberer in die pyreniiaclie Halbinael. uSS
Ausserdem hat man noch aus einem andern Umstände eine Ver-
wandtschaft der Iberer mit amerikanischen Stämmen ' entnehmen
«ollen, daraus nämlich» dass, wieStraho ^0 berichtet» auch bei ihnen
wie bei diesen der Gebrauch vorkommt» nach welchem nach einer
Eotbindung statt der Frau der Mann sich ins Bett legt und die Glück-
wunsche der Verwandten empfängt <s).
Schliesslich mag bei dieser Gelegenheit erwähnt werden , dass
man» auf die nämlichen Grunde gestützt» der Meinung von einer Ein-
wanderung der Ibero-Basken aus Amerika die andere gegenüberge-
stellt hat, die Bevölkerung Amerikas sei von den europäischen Ibe-
rern ausgegangen i*). Der vorhin erwähnte neueste Schriftsteller
über Ale Basken» Garat» scheint dieser Meinung ebenfalls zu
huldigen 20).
V.
Namen der ältesten Bevölkerung Hispaniens«
Die Frage nach dem Namen des Volksstammes, welcher zuerst
vor allen andern in die pyrenäische Halbinsel eingewandert, scheint
eine durchaus verspätete zu sein, da derselbe bisher stets ohne alle
weitere Bemerkung als der Iberische bezeichnet worden ist.
Dessenungeachtet ist diese Frage keineswegs zu einer müssigen ge-
worden» als es sich auch um die Erklärung dieses Namens handelt.
Mit Rücksicht auf die ursprüngliche Heimath des Stammes wird man
zunächst darauf hingewiesen» auch den Ursprung des Namens dort
zu suchen und sobald wirklich eine Zusammengehörigkeit der Ost-
und West-Iberer anzunehmen ist, so konnte er auch in der That nur
dort gefunden werden ; alsdann hätte der Stamm den Namen schon
aus Asien mitgebracht und in die neuen Wohnsitze verpflanzt >).
In dieser Hinsicht ist schon die Gleichstellung des Namens Iberer
I ') S t r a b o , I. c. lU. c. 4. f. 17. p. 137.
'^) Vergl. Eug. Cordier, Snr rorganimtion de la famiUe che» leaBasques p. 12.
**) ▼ergl. darüber : Dlefenbach, Celtica. ü. 2. S. 14.
'*) Garat, Origine de§ Basquea. >- Baadrimont 1. c. p. 175.
0 Eine etymologiache Gleichstellung^ der beiden Iberien und zwar durch eine Ver-
mitteJong mit dem alten Volke der Iren veriucht P i c t e t , Iren nnd Arier bei
Kahn o. Schleicher, BeitrSge Bd. 1. S. 94 n. i. f.
556 P h i I t i ps
und Hebräer in Vorschlag gebracht ii^orden <). Auf Heber *) als den
gemeinsamen Stammvater der Iberer und Juden hat vornehmlich
Ewald in seiner Geschichte der Juden hingewiesen *). Er geht
davon aus, dass der Name Hebräer im Alterthume weit mehr Stämme
als bloss das Volk Israel umfasst habe. „Und hier drängt sich", be-
merkt er» „der Name der noch etwas nordlicher wohnenden Iberer
so unwillkürlich auf» dass wir nicht umhin können, bei ihnen an
einen solchen Zusammenhang zu denken. Ewald bringt damit dann
noch weiter den Namen Abraham*s und der Araber (?) in Verbindung
und erklärt demgemäss die Iberer und ihre Sprache für semitisch :
es möge hei dieser Gelegenheit noch bemerkt werden, dass im Kau-
kasus der Name Ihr auch noch in neuerer Zeit eitlen Juden bezeich-
net 5). Sollte zwischen den Ost- und West-Iberern kein ethnologi-
scher Zusammenhang stattfinden, so würde natürlich diese Ansicht
Ewald's um so weniger sich auf die West-Iberer beziehen.
So lange nun aber dieser Zusammenhang nicht feststeht, ist man
natürlich auch berechtigt, sich nach anderen Erklärungen des Namens
Iberer umzusehen. Brachte der Stamm seinen Namen nicht aus der Hei-
math mit, so hat er denselben unterwegs oder in Folge seiner Ansied-
lung auf der pyrenäischen Halbinsel erhalten, in welcher Hinsicht die
weitere Frage entstehen könnte, ob er sich den Namen selbst gege-
ben habe oder ob ihm derselbe von andern Völkern beigelegt worden sei ?
eben so möchte es fraglich sein, ob „Iberer** ein gemeinsamer
Stammname gewesen sei, oder ob vielleicht der besondere Name
eines kleineren Stammes sich allmählig zum allgemeinen ausgedehnt
habe. Dafür, dass der Name dem Stamme von andern Völkern bei-
gelegt worden sei, spräche die Analogie mancher anderer Völker-
namen, wie z. B. die Bezeichnung Germani wohl kaum für eine
deutsche gelten kann, sondern Rir eine keltische anzusehen ist *).
Wenn dies aber auch bei den Iberern zutreffen sollte ?), so sehliesst
2) S. oben IV.
8) Genes., X. 21. 24. 25; XI. 16. 17.
^) Bd. 1. S. 3ai u. f.
^) S. Eich wald, Alte Geographie des casptschen Meeres. Berlin 1S38.
*) Grimm, Geschichte der deutschen Sprache. S. 707. — S. auch, wenn gleich in
der Erklärung abweichend, Z e u s s , Grammatica celtica. p. 785. Note **.
"^y Dies nimmt Pott, Etymologische Forschungen. 1. Aufl. Th. 2. S. 137. 2. AuS.
H. 2. S. S72 an ; ebenso D i e f e n b a c h , Celtica. II. S. 5, indem beide dea
Namen für keltisch halten.
Die Einwanderung der Iberer in die pyreniiiche Hutbinsel. 557
dies doch nicht aus, dass der Name nicht aus deren eigener Sprache
entlehnt sein konnte. Was die Ausdehnung eines Einzelnnamens auf
den ganzen Stamm anbetrifft^ so bietet auch dafür die Geschichte
manehe nahe liegende Beispiele. Tacitus behauptet auch dies von
dem Namen Germani, die Franzosen bezeichnen die Deutschen noch
jetzt als Aliemands, in Ungarn heissen die Deutschen Schwaben» in
der Türkei : Franken.
Als ersten Anhaltspunkt zur Erklärung des Namens Iberer bietet
sich jener grösste Fluss der Halbinsel: Iberus oder Hiberus; hat der
eiawandernde Stamm ihm seinen Namen gegeben oder ist der Name
des Flusses die Veranlassung zur Bezeichnung des Stammes ge-
wesen? Zunächst Humboldt erklärte sich fQr das Erstere. Sollte
sich aus entscheidenden Gründen der Zusammenhang des Baskischen
mit dem Iberischen bewähren» so hätte es allerdings den Anschein,
als ob jene Sprache mit Erfolg zur Erklärung des Namens Iberer
benutzt werden könne. Im Baskischen nämlich heisst ibai oder
kibai „Fluss**, mit dem sufiigirten Artikel a: ibaya „der Fluss**; es
wäre dies also der Fluss xar* i^o^nv, wie auf Sicilien der Aetna
il monte heisst. Humboldt ^) zieht zum Vergleiche noch den Namen
des Ibia •), eines im Nordwesten Hispaniens in den Ocean sich er-
^iessenden Flusses und die beiden Städtenamen Ibylla i*) und Iba<i)
herbei; letzterer findet sich auch auf Münzlegenden i^). Ausserdem
gedenkt derselbe Autor der baskischen Worter: ibarra „das Thal"*
und ihilU: „sich fortbewegen» gehen**. Demnach wurde man — um
uns noch für einen Augenblick auf dem baskischen Sprachgebiete
aufzuhalten — in der Wurzel t6, auch ohne sie mit der deutschen
ah gleichzustellen»), den Begriff „des abwärts sich Neigenden** er-
kennen dürfen und ibaya wäre der abwärts, thalwärts hinab sich be-
wegende Fluss. Man braucht, wollte man den Flussnamen Iberus aus
dem Baskischeu erklären, nicht mit Astarloa zu dem Worte ibaya
*> Verf I. H a m b o I d t , Onteriachoagea S. 60 u. f.
*) Pomp. Heia, HI. 1. 9. •- W«§ et für ein Bewandtnies mit dem Iberus australia
hat (s. oben 8. 533), mäsaen wir auf eich beruhen laaaeo.
<•) Stepb. Bya. Ethnic. p. 143.
<0 LiT. xivni. tl.
'') Bondard, Nomiamatiquo Ib^rienne. p. 202.
<*) VergL Z 7 r o in Knhn*a Zeilaehrift für vergleiehende Sprachkunde. Bd. 2.
9. 439. n. ff.
558 Phillips
(Fluss) noch eroa (schäumend) hinzuzufügen i^) oder es als
nothwendig anzunehmen, die Griechen hätten zur Vermeidung des
Triphthongen ein euphonisches r eingeschaltet. Das Wort ibar bedeutet
MThal**» denn im obigen ibarra ist a der Artikel, vor welchem das r
regelmässig verdoppelt wird i«). Es wäre daher möglich, dass die
Griechen, als sie die Urbewohner Hispauiens kennen lernten und die
Worte ibar und ibai vernahmen, jene als ''Ißiop^sg oder auch ''Ißr^p-ot
und das Thalland, in welchem sie dieselben antrafen, 'I/3np*ea und
darnach auch den Fluss 'Ißi^p nannten i*). Diesen Namen 'Ißr^fie^
kennt schon Hekatäus <?) ums Jahr 500 vor Christi Geburt, aber wir
wüssten damit doch nur so viel, wie die Griechen den Stamm ge-
nannt haben, nicht aber mit Bestimmtheit ob dieser sich nicht selbst
mit einem andern Namen bezeichnete. Es werden nun im Laufe der
Zeit eine grosse Menge einzelner Stammes- und Gemeindenamen
von den alten Autoren erwähnt und da wäre es denkbar, dass auch der
der Iberer anfänglich nur ein solcher einzelner Stammname gewesen
sei, der erst allmählig seine Ausdehnung auf das ganze Land erhal-
ten habe. Dahin scheint eine Bemerkung des Strabo zu zielen, welcher
sagt, dass eigentlich nur das Land zwischen dem Ebro und Pyrenäen
Iberien genannt worden sei i«). Allein derselbe Schriftsteller <*) ge-
braucht nicht nur selbst den Ausdruck 'Ißnpea fortwährend für die
ganze pyrenäische Halbinsel , sondern erzählt auch noch obendrein
dass mit diesem Namen einstmals alles Land im Westen des Rhodanus
bezeichnet und erst später darunter nur das Land im Süden der
Pyrenäen verstanden worden sei ><>). Die Römer gebrauchten die Be-
zeichnungen Iberia und Hispania abwechselnd *9* ^^^ Sache hat
sich indessen allmählig dahin gestaltet, dass, während die Griechen
1^) Vergl. Humboldt,«, a.0.
'*) Vergl. T » o E 7 § § , Ems! d*anc granmaire de U Ungue basque. p. S.
**) Aucb möge bemerkt werden, daes e§ in den baekiachen Provinaen mehrere hieber
gehörige Peraonennamen gibt, s. B. lbürrüf^lb*rrondo von ibär und ontfe(daafraaz.
touehe) oder ondocn, (aupreti) and IbMtabäi (Thal-offen, Thal-flach).
17) H e e a t. , 11—18 (ed. K I a u a e n. Berl. 1831.) p. 44 sqq.
1«) Strabo, 1. c. Lib. III. cap. 4. |. 19. p. 188.
'*) S. oben 8. 5tl. p. 164. Vergl. 8 c y 1 a c. Periplus. n. 2.
SO) Vergleiche A r t e m i d o r bei Stepb. B 7 1 a n t. t. *lßi9ptot. p. liS. —
Vergl. aoch Humboldt, a. a. 0. 8. 61. — Banmatark, Hiapaai« bti
Pauli, Roalencyklopidie. Bd. 8. S. 1892.
««) Horat. , Od. IV. «. 27.
Die Einwanderung der Iberer in die pyrenaische Halbinsel. 559
Ton den beiden Iberien sprechen, die Romer deren abendländiscbes
Iberien lieber Hispania nannten ><).
Beror wir uns jedoch mit letzterem Namen des Näheren be-
schäftigen, ist es noch erforderlich auf eine Bezeichnung der pyre-
Däisehen Halbinsel oder eines bedeutenden Theiles derselben auf-
merksam machen, die riel früher als selbst ^Ißr^pia gebraucht wird.
Die Phönizier nämlich scheinen dem Stamme, beziehungsweise dem
Lande, Tielleicht auch dem Flusse, weicher nachmals Baetis hiess,
den Namen Tharsis gegeben zu haben **), denn gerade ihre Fahrten
naich Tharsis waren unbedingt nach Hispanien gerichtet. Das öfters
in der heiligen Schrift vorkommende Tharsis >^) ist jedenfalls keine
Stadt, sondern ein Land; die Tharsis-Fahrten der Juden unter
Salamon und seinen Nachfolgern weisen bald nach dem Osten, bald
Dach dem Westen hin >») ; Tharsis war aber eines der Hauptländer,
nach welchen die Phönizier ihren Handel trieben und nur mit deren
Hilfe konnten auch die Juden dahin gelangen. Wenn also bisweilen auch
eine Fahrt nach Osten — Ophir sei in Indien oder Arabien zu
suchen >•) — Tharsisfahrt genannt wird, so kann dies nur uneigentlich
geschehen, indem sie eben auf grossen phönizischen TharsisschifTen
unternommen wurden s?). Ist nun mit dem Ausdrucke Tharsis nicht
ganz Hispanien, sondern nur ein Theil davon gemeint, so ist dies
Turdetania, das nachmalige Baetica. Indem wir hierauf bei anderer
Gelegenheit zu sprechen kommen werden, möge hier nur auf den^
Umstand noch aufmerksam gemacht werden, dass Tharsis auch einer
derjenigen Namen ist, welcher sich auf der Völkertafel der Genesis
vorfindet >«). Man hat diesen Tharsis als den Stammvater der »Tyr-
senen, Etrusker oder Tusker** gedeutet und damit den etruskischen
Heros eponymus, Tarko oder Tareso, die etruskische Stadt
*^) So Mmeatlich Tacitus. 8. Annal. VI. 89. sqq. XU. 4.
'*) S. M o T e r • , Geschichte der Phöniiier. Bd. 2. Th. 2. S. 592 n. ff.
*^> 3. R c ;. X. 22. — 2. P • r a I i p. IX. 21 ; XX. 36. 37. J n d i t h. II. 13. —
Psalm. XLVn. 8; LXXI. 10. Isai II. 16. — J e r e m. X. 9. —Stech.
XXXVIII. 13. — Jon. 1. 3; IV. 2.
**) Ver^l. Weite im Freiburger KirchenlexUlon. Bd. 4. 8. 854. (Handel der
Hebrier.)
**) 8. oben 8. 552.
*') M 0 ▼ e r • , a. a. 0. Bd. 3. Th. 1. 8. 164. a. ff.
**) Genes., X. 4. — 1 P a r a I i p., I. 7.
560 Phillips
Tarconia und Tarquinii» so wie die bispanische Tarrago in Ver-
bindung gebracht ^v). Wir fugen noch hinzu', dass die Namen Tar-
cinus, Targellius, vielleicht auch Tarquinius sich auf hispanischen
Inschriften finden *<») und lassen im Übrigen die Richtigkeit jener
Annahmen, die auf einen Zusammenhang der Iberer mit den Etrus-
kern hindeuten würden, mit allen ihren übrigen Consequenzen einst-
weilen auf sich beruhen.
Was nun den Namen Hispania anbetrifft» so kommt derselbe
nicht Yor dem zweiten punischen Kriege vor. Es fragt sich, weicher
Sprache dieser Name angehört. Humboldt führt die ihm selbst wenig
zusagende Erklärung Ästarloa*s durch das baskische „ezpana** an<<),
welches so viel als «Lippe'', «Saum** bedeute und es wäre dem-
nach das Land so genannt worden, weil es gleichsam der Saum
Europas sei. Eher konnte noch ein Hinweis auf die imBaskischen
häufig vorkommenden Sylben -asp ^esp -isp und ^osp" statthaft
seinss), worin man etwas „Dahinter, Fernliegendes'* erkennen will;
allein man würde sich bei diesen in eine Menge nutzloser Ver-
muthungen verlieren; doch möge es bemerkt werden, dass diese
Sylben sich auch sonst noch in Namen aus romisQher Zeit
in Hispanien vorfinden z. B. A9palnca <<), Corentispo <^), Hüpalü,
Bospo *»), Orospeda, Auch hat man wohl die Erklärung des Namens
Hispaniens aus dem phönizischen oder punischen Worte Span ent-
nehmen zu können geglaubt; dasselbe bedeutet nämlich ^^Kanin-
chen*', an welchen Thieren insbesondere Südspanien und die Balearen
einen solchen Oberfluss hatten, dass derselbe allerdings den Kartha-
gern auffallen konnte ><). Vielleicht Hesse sich noch ein anderer
*•) K n o h e 1 , 4i« Völkertafel der Geneiis. 8. 56 a. f.
S<») H a b n e r , Inscript. Hi§p. Lat. o. 3964. o. 336. n. 2227. n. 2430.
**) Humboldt, a. a. 0. 8. 60. — F o r b i ^ e r , Handbuch der alten Geographie
Bd. 3. 8. 5. Note 15 legt unrichtig dieee Ableituig Homboldt aelbat bei.
*B) Vergl. F a u r i e 1 , Hiatoire de In Gaale m^ridionale. VoU. 1. App. 11. p. 50^
511. 514. 515. 518 u. ff. Unter den hier angefahrten fieiepielen findet aieh
keinea tod — oap.
*') Auf der Strasse Ton CSsaraugoata nach Behearnum. S. 1 1 i n e r An t o n. ed WeaeeL
p. 453.
s^) H a b n e r , I. c. n. 3528.
<») Hühner, 1. c. 4970, 89.
**) Vergl. Her od. 1. 192. — Strabo, 1. c. Üb. III. cap. 2. {. 6. p. 119:
cap. 5. |. 2. p. 140.
Die CinwAiiderung der Iberer in die pjreoiitche Halbinael. o61
Umstand zur Worterklarung benutzen. Auch Uispanien wird gleich
Italien mit dem Namen H-e^p-eria bezeichnet *?), ja es wird» freilich
rou einem spätem Schrittsteller, als die «^cra Hesperia** charakteri-
sirts^. Darnach wäre es das am meisten nach Abend gelegene
Laad. Sollte H-isp^ania selbst schon den Begriff des^ nach Westen
hin liegenden Landes enthalten und eben darnach ganz ähnlich
wie in Amerika' „the far west** bezeichnet worden sein? hiermit
begegnet sich auch eine Deutung sogar des Namens Iberia als West-
iaod oder Abendland, wie sie insbesondere Pott gegeben hat**);
es wurde dann auch der oben gegebene Begriff ib nicht wider-
sprechen .*•).
VI.
Mnthmassliche Art und Weise der Niederlassung der
Iberer apf der pyrenäischen
Man wird sich den Hergang der Ansiedelung dei' Iberer in dem
Lande, welches seither ihre Heimath wurde, verschieden zu denken
haben» je nachdem mau annimmt, sie seien zu Lande und zwar zuerst
nach dem südlichen Gallien, dann uach Hispanien gekommen, oder
zur See daselbst angelangt Im ersteren Falle würde man diese
Occupation mit den Ansiedelungen der Kelten in Gallien oder der
Germanen im heutigen Deutschland in Parallele zu stellen haben. Es
ist nämlich wohl mit Bestimmtheit anzunehmen, dass die zu Lande
einwandernden Völker stets viel planmässiger zu Werke gegangen
sind, auch besser organisirt waren, und mehr ein zusammen-
hangendes Ganzes gebildet haben» als dies bei denen der Fall war,
welche zur See gekommen und hier und dort in einzelnen Scharen
an den Küsten landeten.
Wir glauben nun aus den oben angeführten Gründen uns hiefür
erklären zu müssen, dass die Iberer zu Schiffe nach ihrem neuen Vater-
>0 Horat. Od. I. 36.
^^> Hob. Mauri, de UaiTerso. Üb. XU. cap. 4 (bei M i g^o e , Putrologie.
Tob. CXI. col. 350) ; Hispani» prioa ab Ibero amne Iberia noneapata est. Postea
ab HiapaJo Uiapaoia cogBominaU ett. Ipta e§t rcra Heaperia ab Heapero ateHa
occideotali dicta.
"*> Pott, Etymologjiche Forachnngen. firate Aufl. Th. 2. S. 187. Zweite Aofl.
Tb. i. 8. 515. Tb. 2. 8. S79 o. ff.
««) S. oben S. 557.
Sitxb. d. pbil.-bist. Gl. LXV. Bd. 111. Hfl. 38
562 Phillips'
lande gelangt sind <)• Sieht man sich hier nach einer Parallele um, so
scheint sich eine solche in der Eroberung Britanniens durch die
Angeisachsen zu bieten. In so fern waren die Verhältnisse ver-
schieden, als die rasch aufeinanderfolgenden ^.Schiffsheere'* der
Angelsachsen >) dort eine bereits ansässige Bevölkerung vorfanden,
während die Iberer, als die ersten Ansiedler der pyrenäischen Halb-
insel, diese noch unbewohnt antrafen und daher bei ihrer Besitzes-
ergreifung keine anderen Hindernisse zu überwinden fanden, als die-
jenigen, welche ihnen die natürliche Beschaflienheit des Landes ent-
gegenstellte. So lange es also unter den Eingewanderten selbst nicht
zu Streitigkeiten kam, war die nLandnahme** — ein guter germa-
nischer Ausdruck für Occupation >) — eine ganz friedliche.
Jener Vergleich mit den Angelsachsen lässt sich auch wohl
hier ganz passend ziehen» als wahrscheinlich verschiedene iberische
Scharen auch auf verschiedenen Punkten der Halbinsel landeten. Es
ist nicht zu bezweifeln, dass manche derselben auch über die
Säulen des Hercules hinausgefahren sind und sich dann auf der
Westküste Hispaniens niedergelassen haben. Hiebei versteht es sich
gewissermasseu von selbst, dass die Mündungen der Flüsse in
dieser Hinsicht am einladendsten waren, wie ja auch nachmals die
Normannen gewöhnlich mit der Einfahrt in die grosseren Ströme
ihre verheerenden Kämpfe gegen das Frankenreich begannen^).
Man scheint es nicht in Zweifel ziehen zu dürfen , dass
der iberische Volksstamm sich über die ganze pyrenäische Halbinsel
verbreitet hat, d. h. dass auf den verschiedensten Punkten derselben
Niederlassungen stattgefunden haben und dass von diesen aus
bei Zunahme der Bevölkerung, d. h. beim Anwachsen der ein-
zelnen ansässig gewordenen Geschlechter (gentilitates) eine wei-
tere Verbreitung stattgefunden hat. Ob aber dies so zu verstehen ist,
als ob wirklich das altcHispanien ganz und gar von Iberern bevölkert
worden ist, mochte doch nicht mit Bestimmtheit anzugeben sein. Es
hat in der That den Anschein, als ob die Iberer verhältnissmässig nicht
sehr zahlreich gewesen seien und daher auch noch für andere später
1) 8. ob«n IV. B. 8. 540.
*) Chrono 1. Sazonica, ann. 477. 496. 501.
') sie gehört dem Ulindiechen an und ist suerat von B I nn t a c h 1 i , Kritisehe
Überschau. Bd. 2. S. 312. in die deutsche Rechtaaprache eingeführt
^) ^^cgl* meine englische Reichs- und Rechtsgeschichte. Bd. 1. S. 14^-29.
Die Eiowanderuog der Iberer in die pfreniische Halbinsel. 563
einwandernde Stamine — wir meinen hier ganz eigentlich die Kelten
— Platz gelassen hätten. Wir finden nachmals die keltische Bevöl-
kerung Hispaniens in einem sehr eigenthumlichen Verhältnisse zu der
iberischen, indem beide streckenweise durch- und nebeneinander
wohnen. Es kann dies allerdings auch Folge einer kriegerischen Erobe-
rang sein, bei welcher die Kelten die Iberer in einzelnen Gegenden
Hispaniens als die Besiegten unterwarfen oder sie ausrotteten, allein
dennoch bleibt die Art und Weise der Vertheilung der Kelten über
die pyrenaische Halbinsel sehr merkwürdig; sie wohnen im Norden
und wohnen im Süden und wohnen in der Mitte Hispaniens, die
Iberer aber auch. Dass aber diese wirklich in der vorhin bezeich-
neten Weise über das ganze Land verbreitet waren, dafür hat Hum-
boldt in seinen Untersuchungen den vollständigen Beweis geliefert,
denn so sehr auch die Romer die iberischen Namen corrumpirt haben,
so haben sie ihnen doch ihren eigenthumlichen Charakter nicht ge-
nommen. Man ist daher im Stande von vielen dieser Namen, eben
wegen ihrer EigenthQmlichkeit, zu sagen, dass sie sicherlich nicht
keltisch sind, eben so wenig als sie dem Phönizischen und Griechischen
zugeschrieben werden können. Darf man also nach dieser Richtung
bin den Beweis Humboldts als durchaus gelungen ansehen, so findet
derselbe noch eine kräftige Bestätigung durch die iberischen Münz-
legenden, die in dem Verzeichnisse, welches in der Abhandlung
über das iberische Alphabet mitgetheilt worden ist, enthalten sind.
Auch unter ihnen befinden sich etliche, die man als keltisch anspre-
chen durfte, wie überhaupt so sicher man auch für viele Namen den
iberischen Charakter heraus erkennen kann, für manche Fälle man keine
solche Gewissheit haben kann. In dieser Beziehung haben wir schon
früher als auf eine besondere Aufgabe der Wissenschaft hingewiesen,
die Scheidung zwischen dem keltischen und iberischen Element in
den verschiedenen Eigennamen des alten Hispaniens nach bestimmten
Grundsätzen zu vollziehen. So wenig wir uns dieser Aufgabe ge-
wachsen fühlen, so wollen wir doch das uns zu Gebote stehende
Material zu diesem Zwecke gelegentlich zusammenstellen, um wenig-
stens in solcher Weise zur Lösung jener Aufgabe vorbereitend mit-
zuwirken.
38
564 Phillip«, Die Einwandernng der Iberer in die pyrenüische Halbineel.
NACHTRAG
(5. October).
Gegenstand weiterer Darstellung wird nunmehr insbesondere
die Einwanderuug der Kelten in die pyren|[ische Halbinsel sein. In
Betreif derselben ist oben(S. 842) bemerkt worden, dass Niebu hr
mit seiner Ansicht, die Kelten seien früher in Hispanien eingewan-
dert als die Iberer, aliein stehe. Hätte er Recht so würde sich die
Erscheinung der vielfältigen Vereinzelung der Kelten in Hispanien
fast leichter erklären lassen, als diess auf S. 563 versucht ist —
Schliesslich sei es noch erlaubt auf zwei Entgegnungen aufmerksam
zu machen, welche das Werk von Blad^, £tudes sur Torigine
des Basques hervorgerufen hat (s. Iber. Alphabet. S. 165. Note*),
nämlich die eine in der Revue critique d'histoire et de la litt^rature.
N. 12. u. 13. (19. 26 Mars 1870), die andere von Boudard, Note
sur les ^tudes de Mr. Blad^. Beziers 1870.
K Ji ra j a n. Zu Seifried Helhlin^ und Ottacker von Steiermark. ODd
Zu Seifried Heibiing und Ottacker von Steiermark,
Vom w. M. Theodor Ritter v. Karajan.
IL
Zu Ottacker von Steiermark.
Das einzige Blatt einer zierlichen Pergamenthandschrift der
österreichischen Reimchronik dieses Dichters, welches dem ausge-
henden dreizehnten, höchstens beginnenden vierzehnten Jahrhundert
angehört, hab ich vor längerer Zeit durch gutige Vermittelung eines
damals in Graz weilenden Collegen erworben. Es stammt aus Klagen-
fnrt, wo es einst in dem noch bestehenden Capuciner-Kloster, das im
Jahre 1649 gegründet wurde, einem Klein -Octav-Bande als Decke
diente. Die Sparen dieser Verwendung sind auf der Rückseite des
Blattes leider nur zu deutlich sichtbar. In der Mitte desselben zeigt
sich nämlich querüber ein dunkler Streifen, der 1 1/4'' breit einst den
Rücken des Klein-Octav-Bandes umkleidete, und wahrend er selbst
den Band schützte, dafür der Einwirkung von Staub, Rauch und
Unbilden aller Art schonungslos während einer langen Reihe von
Jahren preisgegeben war. Der übrige Theil des Blattes, welcher die
Seitenwande des Bandes nach Aussen zu schützen hatte, wurde durch
den häufigen Gebrauch des Buches arg mitgenommen. Trotzdem sind
die auf ihm erhaltenen Schriftzüge bis auf wenige kleine Stellen noch
lesbar* während jene des Rückens mit Ausnahme einzelner Buchstaben
es nicht mehr sind. Die aufgeleimt gewesene Stirnseite des Blattes
566 R a r a j a n
dagegen hat sich, bis aufsein paar kleine Lücken, welche die vortre*
tenden Rückenbünde veranlassten, ganz gut erhalten.
Die auf starkes Pergament geschriebene Handschrift hatte
ursprünglich bei 10%'' Höhe und bei 7%" Breite. Jede der beiden
Spalten der Seiten bestand aus 47 Zeilen. Die Anfangsbuchstaben der
einzelnen sind wie gewöhnlich roth durchstrichen, nur bei Vers 122
zeigt sich eine grössere Initiale; am unteren Rande der Stirnseite des
Blattes aber gegen die rechte Ecke hin von alter Hand in römischen
Ziffern geschrieben die Bezeichnung der Lage,* welcher unser Blatt
einst angehörte. Es bildete darnach das erste Blatt der 'XXVHL' Lage
der Handschrift.
Diese Wahrnehmung ist lehrreich. Nimmt man nämlich für die
Handschrift eine Eintheilung nach Quinternionen an, also nach Lagen
von fünf Doppelblättern, eine bei Quarthandschriften jener Zeit häufig
vorkommende, so ergibt diess, bei vier Spalten von je 47 Zeilen auf
dem Blatte, für jedes derselben eine Verszahl von 188 als Regel,
denn zuweilen stehen auch zwei kürzere Verse auf einer Zeile, för
die Lage also beiläufig 1880 Verse, eher mehr als weniger. Die
27 Lagen also» die unserem Bruchstücke ursprünglich vorangieugen
enthielten also etwa 50,760 Verse , von denen man aber etwa
3000 Zeilen wird abziehen müssen für die 436 Capitel-Überschriftea,
welche der Pezische Druck, nach der ^inen der Wiener Handschriften,
wie die Admonter und die Jenaer enthalten. Es bleiben somit rund
47,700 Zeilen übrig, die unserem Bruchstücke einst, wie zu ver-
muthen ist, vorangiengen.
Vergleicht man nun diese annähernde Ziffer mit der Zahl der
Verse die im Pezischen Drucke der Eintrittsstelle unseres Bruch-
stückes wirklich vorangehen und erwägt man, dass grössere leere
Zwischenräume vor und nach der Eingangsrede der Chronik die
Gesammtziffer leicht um ein paar 100 Verse vermindern konnten, so
stellt sich ein lehrreiches Ergebniss heraus. Man kommt übrigens
beim Pezischen Druck auf die annähernd richtige Ziffer, weaa man
nach Abzug der Seiten 1 bis 14, welche Pez's Vorrede und ein
zweiter Titel einnehmen, die übrig bleibenden 408 Seiten des Textes
bis zu unserem Bruchstücke, mit den 124 Versen jeder Seite raulti-
pliciert und von der Gesammtsumme die 436 Capitel-Uberschriften
von je 7 Zeilen abzieht. Also 408x124 gibt 80,592. Davon ab
436x7 das ist 3052, ergibt eine Verszahl von rund 47,540, welche
Zu Seifried Helbling und Ottacker von Stetermark. 567
za obigen 47,700 gehalten schliessen lässt, dass die Tollständige
Haudschrift» was ihre vordere Hältlte betrifft, beiläufig dasselbe ent*
hielt, was uns in der einen Wiener ganz, in der zweiten wie der
Admonter, Jenaer, Wolfenbüttler und Stockholmer zum Theile er-
halten ist.
Was aber wissenschaftlich ungleich wichtiger erscheint, abge-
sehen Yon der inneren und äusseren Beschaffenheit der neuen Hand-
schrift, ist Folgendes. Diese lehrt nämlich durch ihr Alter und die
Beachtung der Lagen-Nummer am unteren Rande des Blattes, dass
schon zur Zeit des Dichters jene beliebte Erzählung von der Belage-
rung von Accon, bei 8000 Zeilen füllend, welche später wiederholt
einzeln in Handschriflten zu Jena, Wolfenböttel und S. Gallen <)
begegnet, und möglicherweise auch später in das grössere Reimwerk
eingeschoben sein könnte, schon damals einen Bestandtheil von
Ottackers Chronik bildete.
Ich schreite nun zur näheren Betrachtung der sprachlichen
Eigenthumlichkeiten des neu gewonnenen Klagenfurter Bruch-
stückes, das ich mit K bezeichnen werde, will dessen Verhältniss zu
W, das ist der Wiener Handschrift Nr. 3047 erörtern, der einen
nämlich , welche den Inhalt von K bietet, zugleich aber auch die
Abweichungen der Wolfenbüttler, die ich mit G (Guelferbitanus)
bezeichne, einreihen. Ich schildere zuerst die Verhältnisse des
Vocalismus in der neuen Handschrift in seinem Verhalten zu den
anderen, lasse den Consonantismus folgen, verzeichne darnach vom
Schreiber mit Vorliebe gebrauchte Formen einiger Wörter, sowie
bedeutendere Abweichungen von den übrigen Handschriften, betrachte
femer das Verhalten dieser Niederschrift in metrischer Beziehung,
und schliesse endlich mit der Bezeichnung einiger Abgänge und
Zusätze von K im Verhältnisse zu W und G.
Die Abweichungen von K\n der Stockholmer und Jenaer Hand-
schrift konnten aus folgenden Gründen nicht hinzugefügt werden.
Die Stockholmer Handschrift nämlich, welche sich jetzt in vollstän-
diger Abschrift auch an der Wiener Hofbibliothek unter der
Nummer 14,978 vorfindet, umfasst von Ottackers Chronik nach dem
Pezischen Druck nur das Stück von Capitel 652, Spalte a. Zeile 26
*) 6. Scherer S. Galieache HS6. 8. 36 ff. Die Handschrift ist mir leider im Augen-
blicke nicht sugSngltch.
Öno K « r « j s n
»
an bis Capitel 829 Sp. a. Zeile 16. Das zu vergleichende Stuck jf
fehlt also in ihr.
Die Jenaer Handschrift aber ist von Wiedeburg i) nur in Bezug
auf jene Stellen von G ausgezogen worden, welche in dieser letzteren
nicht enthalten sind. Es fehlt also auch in dieser Quelle der Inhalt
von JT» da er im Abdnicke von G*) vorhanden ist. Eine vollständige
Abschrift der Jenaer HS. steht mir aber dermal nicht zu Gebote.
K verwendet zuweilen a f. o, so in warhti varht 106. 107
gegen W und G; d f. o und zwar mit vollem Rechte in warheit 164.
gegen das mundartliche worhait von C was auch ebenda als ohende*
für das richtige ahents in JTTl wiederkehrt.
K verwendet ganz richtig ae f. e in Venediaer 53, spitlaer 88.
Jenvaer 54. Akersaer 58, waem 56, chaem 84, templaer 89. wo
TFund G Gberall e zeigen, an ein paar Stellen, 56 und 84, sogar völlig
unentschuldbar.
Gegen das entschieden dialektische o f. e, das G in tposten f
Westen 91 zeigt und in der wiederkehrenden Verwendung der Anlaut-
partikel ver- als vor- in vorlos 178, vormiten 92, vorzofft 97 beibe-
halt, hat K ganz richtig überall e f. o.
In f zeigen sich ferner ei f. t in geleich 47, leidn: vermeid»
28 und 29; streit: zeit 30 und 31; reiten: streiten 76 und 77
abwechselnd gegen W und G, obwohl allenthalben es auch nicht an
zahlreichen Beispielen der richtigen Beibehaltung von t als t fehlt.
Dagegen ganz richtig ei f. ai in ein 60. W. und in der Regel gegen
G. ; daneben aber auch ai f. ei in maister 68. haidn 90 und zwar
gegen W. ; so auch ciei f. ei in gneistlichen 80 und zwar gegen
geistlichen der Handschrift W.
eu f. au der Handschrift G. hat ^^ in meul f. maul 131. und zwar
auf das im Plural erforderliche miule hinweisend.
I f. ie bietet K allenthalben richtig an den Stellen, wo der weit
mehr dialektisch schreibende Copist von G. vorwiegend ie verwendet.
So in vih 138. vihe 149. wir statt wier. 14. 20. 22. 27. 45. Dane-
<) In den oben ang^effihrten Nachrichten von einigen alten teutachen poetiacken
Mannacrtpten auf 8. 05 bia 116.
^) Bei Eccard Corpus hiat. med. nevi verg'i. oben, und «war auf de« Spcilea
1503 bis 1506.
Zu Seifried Helblin^ und Ottacker von Steiermark 569
ben begegnen aber auch vereinzelte mer 17.44. wieri 34. in K
gegen mr, wirf in G.
Die Verwendung Ton y f. ie und ye f. ie, die bei G. in dy 112,
dij,8y 113 tyer 138oQdl51 begegnen, remoeidet JT allenthalben, wie
es auch das richtige tr. f. y. verwendet in div 81 und 138.
0 f. au oder aw zeigt K in mowr f. mawr 1 27 TT. Schoteen f.
Schauwen 72 und getrowen f. getrauwen 73 gegen 6. Ebenso
gebraucht JiTofi f. au gegen TT. und Gin oficA 2 j^r^foiiAeralOl. /or-
ten/ 152 douht 162. Letztere beiden Formen für mhd. tüsetü und
(/«A^^ begegnen in österreichischen Denkmahlern häufig.
Das richtige tio f. tte zeigt K in hmodet* 3 gegen TT.; guot 114
gegen (?. Ebenso auch das richtige uo f. u \fi fuorn: swuom 14
und 15 gegen W,; dar zuo 135 truogn 153 gegen dnrtzu und /rii^n
der Handschrift (7.
Besondere Vorliebe hat K fär die Hinweglassung stummer e.
So begegnen: ersehn: geachehn 34 und 35. lehn: strebn 62 und
(13 ^oÄn 128. t9tf«7i 160. redn 164. «a^n 175. /ein: ehn 178 und ^
179. und zwar gegen W. ; regl 16. hahn 38. /«/>/t 61. jrraAii 155.
161. //i^it: «a^n 174 und 175 gegen G.
Tonlose e erscheinen in K des Metrums wegen hie und da aus-
geworfen, so in fuom: amiorn 14 und 15. leidn: meidn 28 und 29
und zwar gegen W und 6.; in erfundn: oherwundn 117, getoinn
132 gegen G. Andere Mahle aus demselben Grunde beibehalten. So
in telde 64, hete 69, misshelung 82. groze guete 113 tnohte 132,
Starehe 134 gegen W.; in hafide 13, TF4?/2& 28, dikche 47, r^M^
^4, A^« 69, groze aise 103. starche 134 gegen (?.
Nichts desto weniger zeigen sich in K auch Verstösse gegen
diese dem Metrum dienende mhd. Regel, indem tonlose e gegen das-
selbe ausgeworfen erscheinen. So z. B. in em: verkern 18 und 19,
in gevellt: gesellt 38 und 39, begundn 63, liezn 72, haidn 90, troMit
95, verwazn 105 und zwar gegen TF; mselhnZ^ Sprachn 4, hertzn
^,dunchi 31, AntV/it 42, 58, 65. volchs 60, michll^, ernst 90.
voldn 95, verwazn 105, dehainn 115, gemainchlichn 130, holtzs
140, gewundn 145, toerdn 181, gegen 6.
Zur Betrachtung des Consonantismus übergehend bemerke ich
im Allgemeinen, dass JT Consonanzhsiufungen meidet, wie sie so wohl
in W wie in G. begegnen. So in dinkch 7. W. tzagheit 33. 106
vortzagt 97. dartzv 135. to/ rehten. 59. (? wo in Ä' überall die
570 K a r a j a u
einfachen Consonanten begegaea. Einmahl nur findet sich emptzichlich
f. entzichleich 153» gegen G, enczichleich W.
Dem ähnlich liebt K auch sonst die Verwendung milderer Con-
sonanten an der Stelle schärferer. So hat sie bruoderschaft 80 gegen
pruederschaft G. bewag 12, wogegen 6. pewag» pereit bietet, und
nur hie und da begegnen geschärfte Anlaute wie pekag ^, pereit
32 und pringen 101 gegen G.
Auch h f. cht also auch der mildere Consonant gegen den schär-
feren inlautend nach streng mhd. Regel findet sich allenthalben in
K gegen W und G* So in furht 6. fehlen: gerehten 58 und 59.
niht 20. 92. 181. geschiht 21, sieht 176 chneht 177, hohvart 94,
hohvertiger 188, vorihten 81, moA/ 99 rtA« 149.
Auch 9. f. z. wird nach mhd. Regel in K. gerne gesetzt. So in
was 61. 161. Z)^s 66 des 31, tros 61 gegen W. und C, die an all
diesen Stellen fehlerhaftes z verwenden. Dagegen gebraucht K z
wohlweislich da wo G fehlerhaftes s hat. So in Swaz 1, dar ouz 144.
tr. f. b und j9. und zwar gegen G hat K in Olwendin 131 für
olbentifif und gevmnden f. gepunden in 145.
Von Formen die von j' mit Vorliebe verwendet werden merke
ich an: dehein f. chain 115 und 33 gegen W und G; ez f. »« 57
und 66. gegen G; der grabe (.graben 163, 176, 179. 183 gegen
W. und 6. ; iemen f. yeman gegen W temant gegen G. ; wand i
wan 99. 111, 161 gegen G; endlich allenthalben ze f. %uo und zu 3.
7. 40. 58. 84. 91 und 142 gegen TT und G.
Gänzlich abweichend erscheinen nur wenige Worte und Stellen
in JiT. von den bisherigen Handschriften. So hat ^'in z. 133. Chama-
iober für chembel W und Chemmel G. ; auf z. 59 gerehten f. tzu reh-
ten G. emptzichlich 153; vnlang f. niht lang 158. gegen G., daz
lebn f. sein leben 178. G.
Zu den Zeilen 48 und 1 59 haben W sowohl wie G den Zusati
des Viertes tool der in der ersteren Zeile nach dem eingefügt, in der
zweiten nach halt dem Verse dient. In der Zeile 68 dagegen hat
sowohl W wie G nach Maister den Artikel der eingeschaltet, der das
Metrum stört und mit allem Rechte in K fehlt, wo teatscher Herren
zu schreiben sein wird. Endlich ergänzt noch die neue Handschrift
eine Zeile, welche in W. fehlt, in G. aber nicht, nämlich die Zeile 89
* Vnd ottch die tem piaer.'
Za Seifried Belbling und Ottacker von Steiermark. 57 t
Ich habe das'Pergameatbiatt» dessen Erörterung ich hiermit
schliesse, so eben der hiesigen Hofbibliothek verehrt, die von nun an
unter den reichen Schätzen altdeutscher Literatur» die sie verwart,
neben den Bruchstücken der einzigen gleiehzeitigen Handschrift
Helblings auch dieses leider einzige Blatt Ottackers kommenden Jahr-
hunderten erhalten möge. Ich werde es daselbst unter Nr.Suppl. 279ä
einreihen. Es folgt nun das Bruchstuck getreu nach der Handschrift
wiedergegeben :
Sp. a. ^waz man dort rernam. Pez. SS. eap. CCCCXXXfj.
Ihz wart in euch chont. sp. 422^ z. 1 6. t. u.
Die selbn brueder sa zestant
iSprachn ich sag e? wie.
/st iemen so getaner hie. 5.
Dev sich furht so hart.
Der hab ander dinch ze wart
5waz wir mugen rol enden.
Mit hertzn und mit henden.
Des gel an tds niht ab. iO.
Des leibs md der hab.
Do bewag wir yns gar.
An allerhande rar.
Do wir in disen orden fuorn.
Tnd die gehorsam swuom. 1^.
Z^es selbn ordens regl sait.
Wier schulten die phaffhait.
ifit gehorsam em.
wil ms daz iemen rerehem.
DvLT Tmb laz wir sein niht. 20.
waz halt ms da Ton geschiht
H^r werden nimmer gram.
Dem pabst noch yngehorsam.
Svrem daz niht pehag.
Der selbe seinen orden trag. 25.
S wie so im . elust.
Gewin ynd vlust.
^elle wir mit er leidn.
Fnd wellen niht vermeidn.
Ö9^ Knrftjan
ilfrt den haiden ainen streit. 30.
iS'wenn ev des duncht zeit.
So sei wir pereit
Dehzln zaghait.
Wievt an Tns ersehn.
1^ z ist ^ gesehehn. 35.
/>az wir mit chlainer chraft.
^roezeT her der haidensehaft.
/Tabn oft geTellt.
^0 sich got hat gesellt.
Ze Tns mit seiner helf. 40.
iSwie gar in Traidiger gelf.
Die baidn da Tor wueten.
Si cbnnnen sich des niht behreten.
Wiev gewinnen in an ein spiL
Z>az wir fr slaben ril. 45.
^I Tns got bei gestan.
ills er dikche bat getan.
Sp. b. Si reten dem geleich.
Do 8 . . 80 maennlich.
Si sahen geparn. 50.
Di dar cbomen warn.
Durch got her Tber mer.
Fnd der Tcne . . . aer her.
Fnd daz dez JenTaer.
Si manten di Akersa^r. 55.
D21 si waern berait.
•Z>es morgens so ez tait.
ifit den haidn ze Tchten.
Nf begandn sich gerehten.
Des Tolchs ein michl tail. 60.
Vhd der lebn nu was Tail.
Fmb daz ewige lebn.
Die begunden dar nach strebn.
Alz man ze Tclde rit
Fnd mit den haidn strit. 65.
Des moergens do ez tagt,
als ich I. sagt.
Zu Seifried Uelblio; und OtUcker von Steiermurk. 573
Der maister teutschen herren. (so)
Hit den seinen hete gern,
(reriten in den toet. 70.
Dexk man des abents gepoet.
Dvi si sich liezn schowen.
wes man mobt getrowen
Z>a man ouf seilen solt.
Der selbn ain michl tail wolt 75.
fVr die stat nindert reiten.
/>Qrch dehain streiten.
El ward ^ ain ainunge.
Zwischen der samnunge.
Der gaestiichn bruederschaft 80.
S\ vorhten ward div haidnschaft.
Der missehelung inne.
Z>ie 81 beten dort inne.
/^z ehaem in ze ynstaten.
Etlicb die sich berait baten. 85.
Die cherten do wider
/>och sagt man vns sider.
Htitn die Spitlaer.
Vnd euch die tempiaer.
/)er haidn ernst gewest. 90.
^ts si ez Westen 7em lest
S\ beten belf niht vermiten.
/>az Ton in wart gepiten.
/>Trcb ein bohvart daz ergie
S\ woldn warten wie. 95.
Sp. c. . an ir belf chlagt.
Do daz Toleh so yerzagt
D . . . eraw . . siv sere
^and man mobt e: .
Z>az Tol . . mit neu dingen. 100.
Ah dem gelorben pringen.
/r belf wart mit gnntervait.
So groeze aise man in sait.
Von der groezn fberchraft
Der Terwazn baidenscbaft. 105.
S74 K a r a j R n
/>ew zaghait do wahrt
Au den üvten solhe rarbt ^
/>az 61 furbaz beten niht
Cbain ander zwTersiht
Wie 81 sieb ernerten 1 10.
toand ob si erwerten.
Den baiden vor die stat.
Der groese gvete die si hat.
Dey t'Ios in ere vnd grot
Si enheten des decbainn moot. 115.
Db% die baiden niht des erfundn.
D^L mit si rber wundn.
S
N.
D
•
120. Pez. eap.
CCCCXXX>'Ij
125.
^e man die mow* nider stiez.
Fnd in den andern grabn liez
Do biez der soldan vil Yrro
^emainehlicbn greifen zvo 130.
E , , \ meul rnd Oiwendin.
£iwa . man d . . mobte gewinn
/^romedaris ehamaiob'Tn m' rind'. (so)
5tarehe lert yu nicht ebinder.
/>ar zTo geschaffen worden. 135.
Die mit groezen purden.
Anoden ril schier.
Dm Tib vn dir tier.
Dey ich ban genant.
5waz man holtzs vant 140'
iStro wasen rnd gras
Sp. d. Dbz ze fuem gvet was.
Zu Seifiried Helbltng ond OtUcker Ton Steiermark. 575
Malier ror rnd laub
Dw ouz manich groeser sohawb.
/)a gewundn wart sa 145.
▼nd an derselbn stat da.
^art in den grabn gelegt
^roezer schal sich erwegt.
Do leTt Tnd rihe ouf.
chomen . . . ouf 150.
Der tyer was an der zal.
Woi dreizzich tOTSent rber al.
Die da traogn emptzichlich.
T9ig Ynd naht geleich.
Zy den Grabn den last. 155.
Ynd swelhero geprast.
Der chraft von dem gedrang.
/>az ertzent man Tnlang.
Daz halt wol waer genesen.
Duz mvost des toedes wesn. ' 160.
Wund man ez in den grabn stiez.
Sey donht ein groezer geniez.
Ob da mit wart der grabe vol.
5o man die warheit redn sol.
S 165.
•
170.
/n Tierzehn tagn.
^ort ich do sagn. 175.
ITart der Grabe siecht.
ifanich heidennischer chneht.
Ferloes dar vnder daz lehn.
E der Grabe wart ebn.
^0 gemacht mit der erden. 180.
57tf Karajun, Zu S«ifried UelbJing und Ottacker von Steiermark.
Ez moht niht laider werdn.
D en Christen in der stat.
Do der Gabe so drat.
i^art gefüllt Ton de . . . idn.
illler erst begund laiden. 185.
illten tH iungen.
Der bruod' missbellüge
Knd ir bobrertiger sit
Der in het gewont mit. 189. Pes., cap.
CCCCXXXVll. sp. 424' z.. 17 t. a.
U ö f I e r. Über die richti'^'e Abgreozuii^ der alteo Geschichte etc. O T T
Abhandlungen
ans dem Oebiete der alten Oeschichte.
IV.
Iber die richtige Abgrenzung der alten Geschichte gegen
das Mittelalter.
Von C. Höfler.
Die Frage über den richtigen Sehluss der alten Geschichte ist
nichts weniger denn mössig. Schliesst eine der massgebendsten
Perioden der Entwicklung der Weltgeschichte mit gieichgiltigen
Ereignissen ab, die vielleicht nur auf einen geringen Theil der dama-
ligen Welt einen selbst auch nur vorfibergehenden Einfluss aus-
übten oder geht die Sonne nach einem prachtvollen Tage majestä-
tisch unter, wie sie am Himmel flammte, unwillkürlich wird sich der
Gedanke bilden, der Sehluss muss mit der Entwicklung des Ganzen
in Harmonie stehen. Ein grosses Drama darf nicht in ein Lustspiel
ausgehen, das grosse Epos nicht damit enden, dass der Dulder Odys-
seus schlafend nach Ithaka kommt und, als er erwacht, seine Heimath
nicht erkennt. Man hat selbst ein Recht von dem Ende auf die
innere Harmonie des Ganzen einen Rückschluss zu ziehen und zu
sagen, dass, wenn das Ende nicht der Mitte, der Höhepunkt nicht
dem Anfange entspricht, ein Fehler in der Anordnung stattgefunden
haben muss.
Eine der geläufigsten Annahmen über die Scheidung des Alter-
thums ?om Hittelalter besteht darin, das Jahr 476, in welchem
angeblich der letzte romische Kaiser Romulus Augustulus Momyllus
Ton Odoaker entthront wurde, als den natürlichen Sehluss des Alter-
SiUb. d. phiL-hist. Ol. LXV. Bd. HI. Hft. 39
578 HÄfler
thuras zu betrachten <). So oft aber auch diese Annahme ausgespro-
chen und ich möchte sagen gedankenlos nachgeschrieben wurde, so
wenig bewahrt sie sich bei näherer Prüfung. Sie setzt voraus, dass
das römische Reich von dem Besitze Italiens abhängig war, der Herr
Italiens auch der rechtmässige Besitzer des römischen Reiches war.
während seit Constantin I. Italien Tom Stammlande römischer Herr-
schaft zum Nebenlande herabgesunken war, das römische Reich seine
naturliche Fortsetzung in Constantinopel gefunden hatte, und das-
selbe fortdauerte, nicht als oströmisches, sondern als römisches
Reich , auch wenn im Westen , in Gallien und Italien , zeitweise Ent-
thronungen stattfanden oder die erst seit 395 bestende Reihenfolge
abendländischer Kaiser zeitweilig ganz aufhörte. Seit das Haus des
Theodosius erloschen, Italien die Beute germanischer Heerführer ge-
worden war, gab es im Abendlande factisehe Kaiser (Usurpatoren)
und rechtmässige. Zu den letzteren gehörten Avitus (455), den
Marcian, Gemahl der Pulcheria, der Enkelin des Theodosius, be-
stätigte, Majorian (ermordet 461), Anthemius, welchen K. Leo
bestätigte (ermordet 472) , und JuHus Nepos, der gleichfisills voro
kaiserlichen Hofe die Bestätigung erlangte, nicht aber Libius Sererus
die Creatur des Sueven Ricimer (461 — 465); ob Olybrius, den der
Vandalen-König Geiserich dem Anthemius entgegenstellte, kann mit
Recht bezweifelt werden. Gewiss nicht Glycerius, den nach des Oly-
brius Tode 472 Gundobald Ricimers Neffe erhob ; gewiss nicht der
Gothe Orestes und ebensowenig dessen Söhnlein Romulus, von dem
es heisst, Odoacer deposuit Augustulum de regno (Excerpta de
Odoacro). Der rechtmässige Kaiser des Imperium Italicum Juliu»
Nepos wurde in Dalmatien 480 ermordet , die Insignien des west-
römischen Kaiserthums wurden Kaiser Zeno zurückgeschickt, welcher
somit das doppelte Kaiserthum wieder einigte. Auf die formelle Eini-
gung folgte unter Justinian die factisehe, als erst durch eine prag-
matische Sanction Theodorich dem Ostgothen Italien zugewiesen
worden war» dann der Bruch der Erbfolgeordnung, die Ermordung
der Königin Amalasuntha, Theodorichs Tochter, dem römischen ond
nicht oströmischen Kaiser Veranlassung gegeben hatte, sich in die
0 Sie beruht eigentlich auf einer miuTerttandenen Stelle bei Panl Diecoaos IVI.
der nach der Abdication des Romulus sagt .* ita Romanorum apud Ronam ti
1S98 a. a. 0. 475 a Christo periit.
über die richtif^e Abgrenzung der ilteo Geschichte etc. 579
Angelegenheiten des ostgothischen Reiches mit WafTengewalt einzu-
mischen.
Nun hatte aber das Ereigniss des Jahres 476 gar keine univer-
sal-historische Bedeutung, selbst für Italien nur eine vorübergehende,
da die Herrschaft Odoakers zu kurze Zeit dauerte und von der der
Ostgothen ebenso nach 17 Jahren (493) beseitigt wurde, wie die
letzter 554 von der römischen, worauf erst die Wiederherstellung
des römischen Reiches erfolgte. Ist es doch höchst bezeichnend, daß
Zonaras von diesem welthistorischen Factum des Jahres 476 gar
nichts berichtet!
Man kann sich nicht der Hoffnung Raum geben , dass Andere,
welche als Scheidepunkt den Tod des Theodosius und die Theilung
des römischen Reiches in zwei Hälften , eine östliche und eine west-
liche, annahmen, von dem Gedanken erfallt waren, die Periodisirung
nach dem Jahre 476 biete zu wenige Anhaltspunkte dar; denn welche
die nach dem Jahre 395 oder gar 408 bieten solle, vermag Niemand
eiozuseheri. Es mfisste nur sein, dass man dem Wahne huldigte, erst
damals sei eine derartige Scheidung erfolgt, wShrend dieselbe doch
bis auf Marc Anton den Triumviren zurückgeht und abgesehen von
den Zeiten der Antonine und des Diocietian sich bei den Flaviern
und der pannonischeu Dynastie vorfindet, ja Regel ist.
Es ist auch vollständig begreiflich, dass tiefer Denkende von
solchen äusseren Veranlassungen und vorübergehenden Thatsachen
abstrahirten und auf wichtigere Momente, welche ein wahrhaft welt-
historisches Gepräge an sich trugen, die Scheidung der Welten zu
begründen suchten. Dass unter diesen die Völkerwanderung eine
hervorragende Redeutung einnehme, wird Niemand Ifiugnen wollen.
Dass dem verderbten Geschlechte, welchem selbst das Christen-
thum in seiner Jugendblüthe nicht mehr Rettung brachte , ein wenn
auch rohes , doch besseres an die Seite gesetzt , es von diesem ver-
drangt werden müsse, wenn es sich nicht bessere, ist nicht blos die
Ansicht neuerer Geschichtschreiber und Philosophen, sondern durch-
dringt auch jene Zeit selbst» wenngleich sicher ist, dass ein plötz-
licher Rruch mit der Vergangenheit , eine Zerstörung jener Cultur-
elemente, welche das römische Reich aus den beiden Welten des
Alterthums, der hellenisch-polytheistischen und der hebräisch-mono-
theistischen mit herübergebracht hat » das sicherste Mittel gewesen
39 •
580 HöfUr
wäre, den neuen Völkern alle Cuiturelemente zu entziehen, nicht
aber sie mit diesen zu befruchten.
Allein die Völkerwanderung war ja selbst nur ein Moment unter
vielen, welche eine neue Zeit herbeiführten, wenngleich ein sehr
wesentliches. Sie war nicht blos eine germanische, noch eine blos
hunnische, sie war eine slavisch-avarische, eine arabische, zuletzt
eine mongolische und türkische (seldschukische und osmanischej
wie eine berberische. Es ist nicht nur aqsserordentlich schwer zu
sagen, wann die Völkerwanderung aufhörte, da sie sich stossweise
durch das ganze Mittelalter hindurchzieht, sondern ebenso schwer
zu sagen» wann sie beginnt. Mit welchem Rechte da zum Jahre 37S
gegriffen wird, dem Hunnensturme, wahrend nicht die Hunnen,
sondern die Germanen den Sturz des römischen Reiches entschieden
und die Hunnen, nachdem sie die Gothenreiche zertrümmert, 60
Jahre lang sich ruhig verhalten, ist schwer auszumitteln. Die ger-
manische Völkerwanderung, d. h. der Einbruch der Germanen in das
römische Reich, beginnt aber nicht nur früher, lange vor 375 und
dauert bis 669; er findet nicht blos an der Donau, sondern auch am
Rhein und von der Maas her statt, indem die Franken nach Gallien
dringen und ein Reich begründen, mit welchem sich später die Wieder-
herstellung des römischen Reiches verknüpft. Will man die Gi*enz-
scheide zwischen Alterthum und Mittelalter mit einem Jahre be-
zeichnen, das den Eintritt der Völkerwanderung als massgebendes
Ereigniss darstellen soll, so hat man den wilden Hunnen mit ihren
Schildgesichtern und Beinen wie Brückenpfählen zu viel Ehre er-
wiesen, als man ihren Einbruch auf die Gothen als Ausgangspunkt
von Ereignissen nahm , die vor ihnen schon im vollsten Kommen be-
gritfen waren, nach ihnen und unabhängig von ihnen noch Jahr-
hunderte erfüllten. Was hat denn etwa der Hunnensturm für einen
Einfluss auf den Verlust Britanniens, auf die Eroberung Afrika'.^
durch die Vandalen, Spaniens durch die WestgotJien, Galliens durch
Burgunder, Westgothen und Franken ausgeübt? Handelt es sich am
einen universalhistorischeu Abschnitt, um die Begründung einer
neuen Ära, so darf nicht ein Ereigniss dazu verwendet werden, das
selbst dem Wellenschlage zu vergleichen ist, der ruhelos hin und
herwogt.
Es ist nun kein Grund vorhanden, warum dazu nicht Ereignisse
dienen sollten, welche aut das römische Reich einen nachhaltigen
über die richtige Abgrenzung: der alten Geschichte etc. 58t
Eiiifluss ausgeübt haben, nachdem dieses sich mit dem Bestände
<ier ciTilisirten Welt identificirt hatte und selbst den Chinesen,
welehe im aussersten Osten Asiens das Gesicht dem grossten aller
Oceane zugewendet, ihre Jahrtausende zählende Cultur wahrten,
Ehrerbietung einftosste. Nur muss, wie Stoddart richtig bemerkte,
mIs Eintheilungsgrund eine Thatsache^ genommen werden , die für
die orientalische Welt eine ebenso grosse Bedeutung gewann , als
für die occidentale. Sie muss, mochte ich hinzusetzen, auT den
grossen Weltenkampf zwischen Orient und Occident, der sich in der
alten Geschichte vollzieht, einen ebenso grossen Einfluss gewinnen,
als sie andererseits einen Gegensatz zu der ganzen bisherigen
Entwicklung bezeichnen muss, an welc,hen sich naturgemäss die
neue Entwicklung ebenso anschliesst als die altere davon nichts
wissen wollte.
Das erste Moment nun, auf den Orient gleichmassig wie auf den
Occident eingewirkt zu haben und zugleich auch im innei*sten
Zusammenhange mit der romischen Geschichte gestanden zu sein,
kommt vor Allem der Verlegung der Residenz romischer
Kaiser von Rom und Italien, von der Nahe der Küste von Kar-
thago, von dem Sudabhange der Alpen nach der Schwelle von
Europa und Asien, nach Konstantinopel zu, das im Angesichte des
Orientes an den Ausläufern des schwarzen und des mittelländischen
Meeres gebaut eine fortwährende Drohunsr für den Orient und dessen
bedeutendstes Reich der damaligen Zeit, da» neupersische war <)•
Konstantinopel setzte zu seinem Bestände einen Wall asiatischer
Provinzen voraus. Es war unschwer einzusehen, dass ein Reich, dessen
Hauptstadt auf dem Grunde von Byzantion gebaut war und ringsum
griechische Städte zu Nachbarn hatte, nicht im lateinischen, sondern
im griechischen Theile des Reiches lag und eine vorzugsweise griechi-
sche Bevölkerung erlangte, auch diesem Element des römischen Reiches
eine Stärkung verschaffen werde, wenn auch die Gründung von
Konstantinopel noch nicht unmittelbar voraussetzte, dass das Reich
selbst ein griechisches werden würde. Dazu war damals das lateini-
sche' Element noch zu sehr überwiegend und es bedurfte dazu Er-
eignisse, welche sich im Jahre 330, dem Gründungsjahre von Kon-
0 Ver^l. Lesire de Phere bist. d^Arm^nie. V. Lun^iois collection des historiens ancient
et modernet de TAroi^nie. T. 11. p. 261.
582 Hdfler
stantinopel, noch gar nicht ahnen Hessen, um diese neue Kaiser-
stadt, Roma uova, zur Hauptstadt eines griechischen Reiches zu
machen. Wie bedeutend aber diese That für den Orient seihst war,
hat das Auttreten desselben in mehr als eilfhundert Jahren sattsam
bewiesen. Weicher Pfahl im Fleische damit gegeben war, haben die
Perser, die Araber, die Seldschuken, die Osmanen durch ihre unab-
lässigen Angriffe auf Konstantinopel gezeigt, während eine gleiche
Feindschaft der Hunnen, der Avaren, der Bulgaren, der Gräco-
slaven, der Normanen die ungeheure Bedeutung dieser Stadt fQr das
Abendland bewies. Sie war ein Wellenbrecher morgen- und abend-
ländischer Völlierwanderung. Als der Untergang Alt-Roms „durch
Erdbeben und Blitzstrahlen** bestimmt zu sein schien, erhielt
sich Neu-Rom und wurde es die prachtvollste Stadt nicht blos
Europa*s, von wo dem staunenden Auge das Wunder moderner Bau-
kunst, die Hagia Sophia, entgegenleuchtete. Es hatte im weite»
Westen nicht seines Gleichen; nur die Kalifenstädte, die aber ferne
vom Zauber des Meeres sich in unermesslichem Schimmer ausbreite-
ten, konnten an Ausdehnung, orientalischer Pracht, wenn auch nicht
an Schönheit der landschaftlichen Umgebung, an Festigkeit und
Stärke mit Konstantinopel wetteifern. Keine sah Jahrhundert für
Jahrhundert die Völker vor ihren Mauern sich zum Kampfe rüsten,
die See mit ihren Flotten bedecken und eben so oft Land und Heer
in ein weites Leichentuch ihrer Dränger und Bedrücker umgewandelt.
Alles dieses aber reicht nicht aus, die Gründung von Konstantinopel
als ein weltgeschichtliches Ereigniss zu kennzeichnen , stark genug,
als Marksäule zwischen Alterthum und neuer Zeit bleibend aufge-
richtet zu werden.
Die alte Geschichte trägt den Charakter eines zweifachen
Dualismus an sich. Der eine, der Kampf zwischen Orient und
Occident, ist seit den Tagen von Marathon, Salamis und Platäa,
seit dem Auftreten der Römermacht zu Gun.sten des Occideutes
entschieden, obwohl die Macht des Orientes selbst den macedoni-
schen Sieger in ihren geheimnissvollen Zauberkreis zu ziehen ver-
mochte und der König, welcher Persepolis den Flammen übergab,
doch von Babylon aus die Welt zu regieren gedachte. Gegen das
Ende der alten Welt war das neupersische Reich , die Sassaniden-
herrschaft mit all den Traditionen von Weltherrschaft, die das
frühere Achämenidenreich besass, mit der Feindschaft gegen den
über die ricbtigt; Abgreniung der alten ßescbichte etc. 583
hellenischen Polytheismus, mit dem GefOhle entstanden, die besiegte
Welt an dem römischen Sieger zu rächen, gegen welche einst
Mithradates Könige und Völker Asiens zu den Waffen gerufen hatte.
Hatten die Parther den Triumvir Crassus gefangen und getödtet,
so kam jetzt der Kaiser Gailienus in die Gefangenschaft der Perser
und diente sein Rücken dem siegreichen Könige als Steigbügel
sein Schlachtross zu besteigen. In diesem Kampfe, welcher den
alten Dualismus erneute, war die Begründung von Konstantinopel
ein Moment, so wichtig wie einer der glänzendsten Feldzüge Tra-
jaas oder des Eroberers von Palmyra. Sie verlegte den Schwer-
punkt des römischen Erdkreises von der Mitte nach dem Osten,
erhöhte in dieser Beziehung die VertheidigungsKhigkeit desselben
ganz ausserordentlich, machte das Heer zwischen Europa und Klein-
asien zum römischen Kriegshafen und letzteres selbst zum Glacis
einer der stärksten Festungen der Welt, zur weiten Ausfallbröcke
an den Kaukasus und die Höhen von Iran, nach Ungarn und Italien.
Allein das Wichtigste folgte erst nach. Von den mythologischen
Religionen, in welche sich die' Völker des Alterthums getheilt, waren
die wenigsten ihrer Natur nach geeignet, Propaganda zu machen
and auf andere Völker einzuwirken. Der Polytheismus Ägyptens
war so verschwistert mit dem Nilthale, dem grossen Strome,
den Felsengräbern, und Bergen zu vergleichenden Grabstätten
in der Ebene» dass ausserhalb Ägyptens für seine Götter kein Platz
war. Sie fanden nirgends die rechte Lebensluft, die Götter nicht
ihre Wohnungen, die Menschen nicht ihre Gräber, die Thiere nicht
ihre Pflege und Tempel. In ähnlicher Art war es mit dem Pantheis-
mas der Inder, welcher des Ganges, seiner Blumen, Wälder, seiner
Sonne, seiner Thierwelt bedurfte, für Menschen ausserhalb der
indischen Welt war er nicht geschaffen. Erst der Buddhismus,
weicher sich von der Brahminenlehre losgerissen und einen allge-
meinen Charakter angenommen hatte, drang auch ausserhalb Indiens
und nahm einen welterobemden, welthistorischen Charakter an..
Das Gleiche that der Hellenismus mit seinen mehr humanen , allge-
mein menschlichen Satzungen , indem er seit Alexander d. G. wilder
orientalischer Sitte ebenso entgegen trat, wie das Römerthum die
blutigen Altäre gallischer Celten umwarf. In dem grossen Kampfe»
der sich zwischen Monotheismus, den die Semiten vertraten, und dem
Polytheismus , dem Erbe der Chamiten und Japhetiden hinzog und
584 Höfler
die alte Welt umtasste, war ab«r der erste erlegen. Der Poly-
theismus triumphirte, seit die Burg des Monotheismus, Jerusalem,
durch Titas niedergeworfen wurde und die heiligen Gefässe des
Tempels von dem Sieger nach der Weltstadt Rom gebracht worden
waren. Seitdem war aber im Polytheismus selbst eine Veränderuag
hervorgegangen. Er hatte keinen Nebenbuhler, vermochte aber ia
seiner einsamen Siegesgrosse mit der überwundenen Welt nichts
anzufangen. Er schuf sich selbst eine künstliche Einheit; er wurde
grausam und blutdürstig gegen diejenigen, welche ohne ihn, ja
vor ihm und gegen ihn zu einer Einheit gekommen waren; er hatte
das Gefühl seines Ungenügenden, empfand den Mangel, die Ud-
möglichkeit die Geister zu befriedigen und erfüllte die Welt mit
sinnlosen und abergläubischen Ceremonien, die er borgte, wo es
möglich war, und je mehr er nach dieser Seite hin that, desto
mehr entfremdete er sich diejenigen, welche sich von seiner inneren
Leere abgestossen fühlten, die Empfindung des Ekels über sein
hohles nichtiges Wesen nicht von sich stossen konnten. Er fühlte,
dass eine grossartige Veränderung von unberechenbarer Tragweite
im Zuge sei, ohne den unsichtbaren Feind bewältigen zu können.
Er fand sich bald an allen Orten angegriffen, im Hause, im öffent-
lichen Cultus und Leben, in Kunst und Wissenschaft und konnte
sich doch seines Feindes nicht erwehren. Er entfaltete das gauze
Gepränge materieller Waffen, qualvoller Hinrichtungen, ausge-
suchter Verfolgungen und das Übel wurde nur noch ärger. Es war
ein Kampf im romischen Reiche, länger, beharrlicher, gefährlicher
als jeder vorhergehende und er war auch zugleich kein römischer,
da er an allen Orten auftauchte , von den Wüsteneien Afrika*s bis
zu den Wäldern und Sümpfen Germaniens, von Indien bis zu den
Säulen des Herkules. Die jüdischen Gemeinden, welche über alle
Welt zerstreut waren , hatten dem Feinde den Weg bereitet ; als
sie sich gegen die neue Bewegung erklärten, bedurfte sie ihrer
nicht mehr und ergriff sie die Heiden. Als diese sie verfolgten«
flüchtete sie in die Katakomben und barg Cultus und Dogma in den
Eiugeweiden der Erde. Da ward bald kein Ausgleich mehr möglieh,
keine Versöhnung; es hiess siegen oder untergehen. Eine Vital-
frage war an das römische Reich, an die ganze Menschheit heran-
getreten; man musste sich für oder wider entscheiden und toq der
Entscheidung hing die Zukunft ab. Wer es zuerst mit Erfolg that.
Cher die richtige Abgreniung der alten Geschichte etc. 585
blieb Sieger, Römer oder Nicbtromer. Brachte aber das Zaudern wie
das Verfolgungssystem der Romer hervor , dass das Christentbum,
denn darum bandelte es sich » auch von anderen Völkern und viel-
leicht noch früher als von den Römern angenommen wurde, nun
so gehorte die Zukunft nicht mehr den Römern aliein und es mnsste
sieh dann nur mehr herausstellen, wie sich die christlich römische
Welt zur christlichen Nicht -Römerwelt verhalten werde. Das
vierte Jahrhundert, welches im Anfange noch die härteste Christen-
Verfolgung sah, fruchtlos sah, musste diese Entscheidung bringen.
Länger konnte und durfte sie nicht hinausgeschoben werden.
Allein die Frage war für das römische Reich bei seiner eigen-
thürolichen Vergangenheit und der innigen Verbindung seines poly-
theistischen Cultus mit Staat und Reich nichts weniger als leicht
oder einfach zu lösen. Auf welche Seite sollte sich ein Kaiser mit
dem ganzen Gewichte seines Ansehens und seiner Macht werfen?
Brach er mit den alten Göttern, wer stand dafür, dass die von
ihm getroffene Wahl eine glückliche war, nachdem unter den
Gottern, die er jetzt verschmähte, Rom gegründet, Roms Macht
sieh erhoben, zur Weltmacht gediehen war? That er es nicht, so
hatte er es eben mit einer unsichtbaren Macht zu thun, welche
sich nicht mehr bewältigen, nicht mehr berechnen liess. Die Resul-
tate einer welthistorischen Bewegung, die bis in die Wurzeln und
Anfange der Geschichte hinaufreichten, drängten aber auch ihn
gewaltsam zu einer Entscheidung. Sie bestimmte nicht blos die
Zukunft Roms, sondern der ganzen Welt.
Das Edict von Mailand hatte die politische Gleichstellung der
beiden Culte, dieser unversöhnlichen Gegensätze ausgesprochen,
somit war vor dem Staate die Gleichheit des innerlich abgestorbenen
Polytheismus, welcher nothgedrungen seine Verfolgungen einstellen
musste, und des lebensfrischen Christenthums ausgesprochen, das
in seinem Gegner, seinem ohnmächtigen Verfolger, in dem Poly-
theismus nur mehr „ein Werk des Teufels*« gewahrte und jetzt
sah, dass der Staat die Lüge der Wahrheit, „Christus dem Belial"*
gleichberechtigt zur Seite stelle. Was hatten die Christen bisher von
dem Staate gehabt? Entziehung der einfachsten , der natürlichen
Gerechtigkeit. Der Staat selbst aber war ein Mechanismus der
eomplicirtesten Art geworden , der sich und Anderen zur Last war
und dessen Leitung selbst ein Diocietian, der verkörperte Gott Roms,
586 Hxöfler
nicht mehr fortzufahren den Muth hatte. Dieser Zustand der Dinge
liess sich in die Länge nicht mehr ertragen. Aufstrebendes und
Niederstürzendes lässt sich nicht an denselben Wagen spannen.
Siebenzehn Jahre schleppte sich dieser Zustand noch fort . bis Con-
stantin als Alleinherrscher , fünf Jahre nach dem grossen Concil von
Nicäa, das alle Vorstände der christlichen Welt um den Kaiser ver-
sammelt sah, den Entschluss fasste und ausführte, eine neue Haupt-
stadt des romischen Erdkreises aufzurichten und mit allen seinen
polytheistischen Traditionen und mit alledem, viras sich, seit dem
Zwillingspaare die einweihenden Adler erschienen waren • begeben
hatte, offen zu brechen.
Es war einer der feierlichsten Augenblicke der Weltgeschichte,
als die christliche Stadt des Erdkreises 330 begründet vmrde und
nun von den verlassenen Tempeln und Culturstätten die antiken
Götterbilder Gefangenen gleich und zur Verherrlichung des Sieges
des Kreuzes nach Konstantinopel gebracht wurden >). Mochte Con-
stantin selbst auf seinen Münzen noch der heidnischen Hälfte der Be-
völkerung zu Liebe, deren Cäsar et pontifex er war, den sol invictus
bewahren, sie zeigten ebenso auch das Labarum, das Symbol des zum
Siege gekommenen Christenthumes, neben welchem für den
Polytheismus keine Stätte war. Er hatte seitdem nur mehr
zu sterben, der Grundcharakter des Alterthums war überwunden,
der Zauber der Mythologie gelost. Sie stand da wie ein entblätterter
Baum, wie ein lebloses Nichts, das keine Zukunft vor sich und nur
eine grossartige Täuschung der Welt hinter sich hatte. Was seit 300
Jahren im Stillen sich vorbereitet hatte, war jetzt zum Durchbruebe
gekommen, eine neue Ära eingetreten, die Welt ward seitdem eine
andere. Die Brücke zum Verständnisse mit den grimmigen Feinden
Rom*s, mit den barbarischen Volkern war geschlagen und es lag
nur mehr an den christlich römischen Kaisern, wenn sie wollten,
den Umbau ihres Reiches mit neuen Ideen, neuen Institutionen,
neuen Völkern in Ausführung zu bringen; was zum Absterben be-
stimmt war. was den Tod im Herzen trug zu beseitigen und die
Erneueruifg der Welt im grossartigsten Maassstabe durchzuführen.
<) E» war das welthistorische Gegeostuck zu dem was Eusebius io der Kirchen^«-
schichte H. U von dem hl. Petrus sagte: ^fxjropiov toö voijrou ywrof d
dtvaroXuy rot; xara duffcv cxofjii^cv.
über die richtige Ahgreniuiig der Riten Geschichte etc. 587
Das Alterthum war zu Ende gekommeu. Es erwies sich als eine für
sich abgeschlossene Periode, deren Ideenkreis Niemand zu erwecken
vermag, die selbst nur an einen geringen Kreis von Völkern ge-
bunden war, von welchen die einen in völliger Isolirung von ein-
ander tbeilnamslos um das Geschick anderer und ohne einen Trieb,
aul' diese einzuwirken , Jahrtausende lang ihr Einsiedlerleben fort-
führten, die anderen nur vorhanden zu sein schienen, um vorausge-
gangene Existenzen zu zertrümmern und auf ihren Grabern die eigene
Grösse zu begründen. Diesem Zustande der Herrschaft der Gewalt,
der successiven Entwicklung einzelner Volker ohne Rücksieht auf ein
geroeinsames Ganzes musste ein Ende bereitet werden. Der Gedanke
einer gemeinsamen Aufgabe Aller, des Zusammenwirkens der ver-
schiedensten Volker zu einem Ziele musste an die Stelle der bisherigen
Isolirtheit treten ; die Einheit der rohen Gewalt einer höheren , mehr
idealen Macht Platz machen; eine so viel als mdgUch gleichmässige
Cultur Aller auf gemeinsamer Grundlage gewonnen werden und,
während bisher die NationalitSt alles war, zum Besondern und Tren-
nenden, sich das Allen gemeinsame, das Alle vereinigende Moment
hinzugesellen« Gelang es dem von Konstantinopel aus neuorganisirten
römischen Reiche diese fruchtbaren Ideen sich eigen zu machen, die
nationale Scheidewand niederzureissen, die bisherigen Barbaren durch
das Band des gemeinsamen Cultus an sich zu knüpfen, so geborte
dem Römerreiche auf*s Neue die Welt; und war das Reich
vor 330 der langsame Tod der alten Welt gewesen, so feierte jetzt
das Römerreich, verjüngt durch neue Völker, durchgeistet von neuen
Ideen eine Palingenesie ohne Gleichen. Reichte aber dazu das Maass
der Einsicht nicht hin oder war der Tod schon zu weit gedi*ungen, der
Verwesungsprocess unaufhaltsam , so musste sich freilich über kurz
oder laug eine Scheidung zwischen den alten und den neuen christ-
iicben Völkern bilden, abgesehen von dem Umstände, dass ja die
antike Welt noch eine Anzahl lange behüteter Völker in ihrem
Schosse geborgen hatte, deren Stunde auch schlug, die auch einen
Antheil an der Weltgeschichte nehmen wollten^ so gut wie jene
Hunnen, Avaren, PetschenegeU; Tataren und Mongolen, welche von
der Mitte Asiens nach dem Westen stürmten. Die Franken nannten
sich gens autore Deo condita. Auch die Söhne Ismaels glaubten an
eine Verheissung, und hatte die alte Welt die Hebräer politisch ver-
nichtet, so konnte es die neue und diristliche Ära treffen, sich mit
OOO HÖH er, n>er flie riclitig^e Ai>gren7.iiii|^ der »Heu Geschii-hte etc.
der isinaelitisch-arabisvheu Welt ku messen und einen Kampf zu
bestehen, der an die Tage von Salamis und Gaugamela eriunem
musste. Die Gestaltung des ersten grossen Zeitabschnittes der christ-
lichen Ära hing wesentlich davon ab, wie man im Kaiserpalaste zu
Konstantinopel die Weltaufgabe erfasste. Hier ruhten die Würfel,
die ober das Geschick von Jahrhunderten entschieden. Als die ger-
manischen Volker von der unteren Donau aus sich gegen das romiscbr
Reich in Bewegung setzten, konnten sie von der Hauptstadt abge-
leitet werden; man gab theilweise den Westen preis, um ihn bei ge-
legener Zeit wieder zu holen. Als die Hunnen zum zweiten Maie herein-
brachen • wurden sie von Kanstantinopel weg und nach dem Westen
getrieben, der bereits die Vereinigung von Römern und Germanen sah
und dadurch Attila von sich abwehrte. Als die Avaren, die Bulgaren,
die Slaven kamen , der Westen bereits seine Herren hatte und die
neuen Angriffe der illyrischen Präfectur galten, wurde all ihr Be-
ginnen dadurch vereitelt, dass keines von diesen Völkern Konstanti-
nopei gewinnen konnte; als die Perser, die Araber losstürmten,
hing die Herrschaft der Welt vom Besitze von Konstantinopel ab.
Als sie es nicht erlangten , zerschellten die Einen , zersplitterte sich
die Macht der Andern und rettete dieser Felsen, den Constantin aut-
gethürmt, die übrige Welt, das christliche Europa, nachdem die
asiatische und afrikanische Christenheit schon in die Hände der
Moslim gefallen war. Er schützte , ob mit ob gegen seinen Willen,
die Wiege abendiftndischer Cultur, welche hinter ihm erstarkte und
den endlichen Untergang Konstantinopels mit seinem Herzblute be-
zahlen musste. Damit, mit der Losreissung des Zauberringes vom
christlichen Europa begann dann auch die zweite Ära der neueren
Zeit, in welcher die Riegel der alten Welt, in deren Verschluss sich
noch das Mittelalter bewegt hatte, völlig gesprengt wurden.
f
Müller. Bemerkungen über zwei armenische KeiMn-tchriften. 589
Bemerkungen Ober zwei armenische Keil-Inschriften.
Von Dl*. Friedrich MQller,
ProfnMr aa der Wiener Uaiverfitlt.
Die armenische, im Kloster Ed8chiniailsin(^£ir^Mf^^lEr) gedruckte
Moaatschrift Ararat (uipoiputa, atJuut^p) theilt im October-Novem-
ber-Hefte 1869. pag. 138 und im Februar-Hefte 1870, pag. 248
zwei Keil-In3chriften (p&i^a.mjf,fip^) mit , von denen die erstere in
den Trümmern der alten Stadt Armavir {utpiTmuffp vide Leon Ali-
sehanean at&qui^p ^tf^S «^^«^^ f^E- ^^> §• ^^9)' ^'^ zweite in
der Stadt Zolakert (^o^j^&pm}, dem heutigen Tasch-burun gefunden
worden ist. Da diese Inschriften der armenischen Keilscbriftengattuug
angehören, von welcher bisher wenige Denkmäler genau publicirt
worden sind und deren Erklärung, so viel mir bekannt, noch von
Niemandem mit Erfolg versucht worden ist, so erlaube ich mir diese
beiden Texte hier zu reproduciren , in der festen Überzeugung, dass
die oben erwähnte Monatschrift ohnedies wenigen Gelehrten zugäng-
iieh sein durfte und ich einige nicht unwesentliche Punkte gefunden
zu haben glaube, welche die Entzifferung der in Rede stehenden
Denkmäler fordern könnten.
Die erste der beiden Inschritlen, aus dreizehn Zeilen bestehend.
Von denen auf jede zehn bis zwölf Zeichen kommen, beflndet sich
gegenwärtig, wie der Entdecker derselben, Dr. Mesrob Sembateanz
(iT&upn^^ tfmpt^atlhm uJpmuibmltß) berichtet, im Muscum des
Klosters Edsclimiadsin; die zweite, welche aus nur zwei Zeilen
besteht, reprasentirt blos den Anfang und das Ende einer aus vier
und zwanzig Zeilen bestehenden Inschrift, von welcher sehr zu
wünschen ist, dass sie auch gleich der ersten in sichere Hände
gelangen und publicirt werden möge.
J
590 Mnller
Zunächst einige Bemerkungen über einzelne Zeichen.
A. X. 8 ist mit A. XI. 8 und A. VI. 8 identisch: der links-
stehende Horizontal-Keii ist nur etwas mehr aus einander gezogen.
A. XI. II ist dasselbe Zeichen wie A. X. 10 und A. VI. 10.
Daher muss auch A. VI. 9 mit A. X. 9 und A. XI. 9 identisch sein.
A. XI. hat iin vorletzten Zeichen (XI. 10) mehr gegenüber X
und VI. welche Zeichen, VI. 7 — 10. X. 7 — 10, XI. 7— 11. eine
Wortform bilden müssen; daher kann A. XI. 10 nur ein Vocal-
z eichen zu der vorhergehenden Sylbe sein.
Auf gleiche Weise finden wir in A. V. das letzte Zeichen (V. 10)
gegenüber den beiden Parallelen A. X. 1 und A. XI. 1 überschussig:
es kann also A. V. 5 nur als Vocalzeicheu zu dem vorhergehenden
Sylbenzeichen aufgefasst werden. In derselben Bedeutung finden wir
dasselbe Zeichen in A. XII. als XII. 4 gegenüber Z. 11, indem in
beiden Inschriften A. XII. 2^-6 und Z. 11. 2 — 5 ein und dasselbe
Wort bilden.
Wenn wir ferner A. VI. gegenüber von A. X. und A. XI. be-
trachten, so erscheint in dem ersteren das Zeichen VT. 6 gegenüber
den beiden Parallelen überschüssig; es scheint also auch als Vocal-
zeichen aufgefasst werden zu müssen. Somit hätten wir drei Vor-
zeichen, nämlich VI, »yT*- und ^^ aus der Reihe der Keilfiguren
ausgesondert.
Über die Bedeutung der einzelnen Zeichen sich auszusprechen,
ist ziemlich schwer; man kann nur sagen, das zweite Zeichen müsse
einen unter den Vocalen am häufigsten in der Sprache vorkom-
menden Vocal bezeichnen (s. d. Verzeichniss), das letzte Zeichen
dagegen einen Vocal , der in der Sprache nur selten zur Anwendung
kommt.
Wir geben nun einige Bemerkungen über einzelne in den
Inschriften vorkommende Worte.
Das Wichtigste derselben scheint mir in A. XII. 2 — 6 zu stecken,
da es auch in Z. 11. 2 — 6 wiederkehrt. — In A. XII. finden wir den
Vocal der zweiten Sylbe vollständig ausgedrückt, während er in
Z. II. nur durch das betreffende Sylbenzeichen wiedergegeben wird.
Das betreffende Wort muss denselben Consonanten sowohl im
An- als auch im Auslaut besitzen.
Ob A. XII. 7 — 8 ein Wort bildet, ist mir etwas zweifelhaft:
wenn es aber der Fall ist» so ist es mit Z. I. 1 — 2 identisch und
Bemerkungen über zwei nrnienische KeiUlnachrifteo. 59 I
könnte vielleicht, vorausgesetzt dass Z. in ihrem Anfange nicht ver-
stümmelt ist, das Pronomen der ersten Person singul. (arm. ^i/?)
darstellen.
Das Zeichen Z. ü. 6 kann nur ein Partikel oder Flexionsendung
repräsentiren, da wir es A. XII. 1 zwischen den beiden Wortformen
A. XI. i Bnde und A. XII. 2—6 wiederfinden.
Eine sehr wichtige Wortreihe, welche sich in A. dreimal
wiederholt, steckt in A. 6 und in den Parallelen A. X. 2—10 und
A. XI. 2 — 11. Dass dies wenigstens zwei Worte sein müssen, dies
ist mehr als sicher; wo aber das eine Wort aufbort und das
andere beginnt, vermag ich nicht zu entscheiden.
Was nun den Charakter der armenischen Keilschrift anlangt,
so ist sie eine Sylbenschrift i) und steht als solche der Quelle
näher als die altpersische. Sie hat mit der letzteren keine Ver-
wandtschaft; wie sie mit den anderen Keilschriften, der assyri-
schen, babylonischen, der sogenannten scythischen und der susischen
zusammenhängt, kann vor der Hand nicht entschieden werden.
Cbersieht der in beiden Inschriften vorkonnenden Keichen.
I. Zeichen, welche aus einem Keile bestehen :
I A. I. 5, A. XII. 8. Z. I. 2.
3- A. VI. 6.
( A. III. 2.
II. Zeichen, welche aus zwei Keilen bestehen :
^ A. XIII. 3.
^~ Z. I. o, Z. I. 9,
J A. ü. 5, A. IV. 3.
f^ A. V. 6.
<) Dies f eht «u der »latUicheo Anuhl tod Terachiedenen Zeichen Iterror , welche
«ckOB die heidea tarnen ratchriften liefern.
S92 Mfliler
III. Zeichen, welche aus drei Keilen hestehen:
Y A. II. 1.
^ A. II. 9, A. III. 3. A. V. 5, A. VI. 1 , A. VIII. 4, A. X. 2.
A. XI. 2. A. XI. 10. Z. II. 1.
fffZ. I. II.
4 Z. I. 6.
^ A. I. 9.
£:y A. I. 1, Z. I. 8.
^]f> A. III. 6. A. XI. 8.
>^]f.< A. XIII. 4.
^^^ A VI. 8, A. VIII. 9, A. XII. 9.
-cjl^ A. XII. 10.
=5^ A. VIII. 3.
>.)( A. I. 2.
^^ A. X. 8.
IV. Zeichen, welche aus vier Keilen bestehen :
n A. I. 7, A. III. 6.
£:ff A. IV. 9, A. VII. 9. A. XIII. 1, Z. I. 7.
^K-cy A. IV. 2.
,— .(y A. II. 7.
^y A. I. 4.
Hjl A. VIII. 8.
öf Z. I. 6.
S: :3 A. VI. 3, A. X. 4. A. XI. 4.
^ ^ A. IX. 1.
)^ A. xni. 8.
^^ A. I. 3, A. VIII. 7.
V. Zeichen, welche aus ffinf Keilen bestehen:
S:yi A. IV. 8, A. V. 1, A. VII. 8, A. VIII. 2, A. K. 2, A. X. U.
A. Xil. 5. A. XII. 12, A. Xin. 12.
Bemerkangen fibcr zwei «rnenUche ReiHotchriften. 593
^^ A. I. 8. A. I. 10. A- n. 4. A. II. 10, A. III. 4, A. III. 7.
A. IV. 6, A. IV. 7, A. IV. 10, A. V. 10, A. VII. 2,
A. VII. 7, A. IX. 3. A. XII. 4. A. XIII. 2. A. XIII. II.
Z. [. 1 1 Z* !• o.
^^ k. IV. 8.
y^l»: Z. I. 1 2.
^■Q A. V. 3,
i^-*\ A. VII. o.
^ ^y A. VII. 3, A. XI. 9.
(^]f A. VI. 9.
>^:3 Z. II. 8.
^^ A. VII. 1, A. VII. 10, A. VHI. 8. A. IX. 8. A. XII. 3.
"^ A. Xni. 10. Z. II. 3.
^15 A. IX. 7.
VI. Zeichen, welche aus sechs Keilen bestehen:
^llfl A. II. 2.
Üjrr-c A. VII. 4.
ty 1^ A. XIII. 7.
^|f^ A. IX. 9.
j5f^ A. IX. S.
^^ A. V. 2.
VII. Zeichen, welche aus sieben Keilen bestehen:
^^(^ A. IL 3, A. U. 6. A. Vin. 1, A. VIII. 6, A. IX. 3, A. XII. 2,
A. XII. 6, Z. II. 2, Z. IL 8.
^*^^ A. IV. 4.
^iJjf A. VL 7. A. X. 7. A. XI. 7, Z. I. 3.
I^yjf A. XII. 1, A. XIIL 9, Z. IL tf.
jj^ry^; A. III. 10.
<fS:fS: A. VI. 4, A. X. 8. A. XL 8.
SiUb. d. phU.-hitt. Cl. LXV. Bd. III. Hft. 40
594 Müller, Bemerkongeo über iwei armenisdie KeiHnschriften.
:,^£y\*A. ni. 1.
^If Af A. vin. 10.
)tf Af A. V. 4, A. VII. 6.
,rbf,-y A. VI. 2, Z. II. 7.
,-^y-cy A. V. 7, A. VI. 10. A. X. 1, A. X. 3. A. X. 10. A. XI 1.
'^ A. XI. 8, A. XII. 11.
)^y-.y A. XI. 11.
.Tjy^^ A. III. 8.
^*:fl A. II. 8.
^K^ A. VI. 8, A. X. 6. A XI. «.
VIII. Zeichen, welche aus acht Keilen bestehen :
y^^yjfjf A. III. 9,
^<»^y,> A. I. 6.
j:^^^-c A. IV. 1.
IX. Zeichen, welches aus eilf Keilen besteht, oder swei Zeichen,
oder Ligatur (?) :
ftfSrSr^f A. XIII. 5, 6.
138).
10
11
12
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in H'
(2a Seite 594.)
T. Schulte. Die Compilutionen Gilberts und AUnus. 595
Die CompilatioDeD Gilberts und Alanus.
Von Dr. Job. Friedrich Ritter v. Schulte.
Erstes Capitel,
•ie StMMliigen des frilbertis iid Altnis.
I. Stand der Sache.
I. Bisher ist keine dieser beiden Sammlungen mit Sicherheit
bekannt gemacht oder doch so beschrieben worden, daß man daraus
-einen genugenden Einblick in deren Beschaffenheit einerseits und
deren YerbSltniss 2u der s. g. Campilatio Becunda^ tertia und
quarta andererseits gewinnen kann. Augustin Theineri) be-
haoptet im Brüsseler Cod. nr. 433 die Sammlung des Gilbertus
aufgefunden zu haben *). Sein einziger Beweisgrund besteht darin»
daß Tan c red die Decretale quodquidam [c. 1. de poen. et remiss.
V. 17. Comp. IL] aus der Sammlung von Alanus anführe« die Comp.
11. aber aus der von Gilbert und Alanus gemacht sei, die Decretale
quod quidam aber nicht im Brüsseler Codex stehe. Das wurde freilich
beweisen, wenn es überhaupt feststände, dass 1. es nur zwei Samm-
lungen gäbe, 2. Johannes Galensis nur aus diesen beiden geschöpft
hätte. Bevor dieser Beweis erbracht ist, erscheint jener Schluß be-
weislos. Thei ner hat nun ihn annehmend eine kurze Schilderung
•dessen gegeben, wodurch die Comp. 11. sich von der des Codei
M Disqojtitiones criticae in pniecipuM canonum et deGretaliam colleetioae« cet.
Ronue 1836. 4*. pag. 17 m^. 113 tqq.
^1 I, c: p«g. iZe. *6ilbertiiiii itaqoe haiiu, de qua quaeriaua, collectioais auctoren
esse, extra onnem controvertiam collocaBdum eat\
40»
596 V. Schulte
Bruxellanus unterscheidet. Unter derUnsicherheit der Annahme leidet
auch die Richtigkeit der Schilderung. Er hat zugleich eine synop-
tische Tabelle beigefugt 9> welche den Ort der einzelnen Capitel des
Cod. Brux. in der Comp. II. u. s. w. darthut, aber leider fast wertb-
los ist a) und deshalb auch nicht einmal ein volles Urtheil über den
Codex Brux. gestattet. Der innere Grund für Theiner*s Annahme
war offenbar dieser: der Cod. Brux. bietet so viele Ähnlichkeit mit der
Comp. II., hat die Mehrzahl von deren Capiteln, daß man schließen
darf, er enthält die Collection Gilberts. Ob der Cod. Brux. nicht eine
der überarbeiteten Form» wie sie der Cod. Fuldensis D. 5. hat, ganz
gleiche Sammlung enthält, kann ich aus den leider ungenauen An-
gaben nicht feststellen. Daß sie nicht bedeutend von einander ab-
weichen, lehrt der Augenschein.
Meine Darstellung selbst wird die Gründe für diese Behauptun-
gen bieten. Ich habe, um nicht unterbrechen zu müssen, geglaubt,
diese Kritik voranschicken zu sollen. Aus dem gleichen Grunde muss
ich eine zweite Annahme Theiner*s abweisen <).
II. Derselbe glaubt nemlich das Inhaltsverzeichniss von
desAlanus Sammlung in einem Codex der Universitätsbibliothek
zu Halle entdeckt zu haben und theilt es mit^). Hierfür hat er als
Anhalt: das Verzeichniss schliesse sich bald mehr an Johannes
Galensis, bald mehr an Beruh. Compost. an, bald an Gilbert, sei
junger als letzterer, aber älter als Bernhard, der einige Rub-
i) I. c. pag. 123 sqq. NoU 9.
^) Um diet zo xeigea, gebe ich in der Beilage H. eil Stück derselben, welches ick
genau in tabellarischer Form nach ihr xasamnengeetellt habe. Wie soll
nun z. B. das eap. 1. de eo qui milt. H. 8. Comp. II. als cap. 7. [ia dem Coi.
Brux.] de aeL et quäl, praeficiendorum I. 0. kommen ?, da nach der Tabelle T!t 9«
dem Tit. 8. des 1. Buchs der Comp. U. entspricht? Was nfitst eine TabeOe, dit
über capp. 4. 8. im Tit. 2, cap. 7. 8 im III., 5 in IV., 1. 2. in VU., 6 in IX.. 4. ^
in X., den Titel XUI., 1 in XIV., 2. 5. 6. in XV. u. s. w. nichts sagt? Dtna
wimmelt sie von offenbaren Druckfehlern.
^) Was bisher anaser von The in er über diesen Gegenstand geechrieb«B wurde,
stfitzt sich lediglich auf die wenigen Zeilen, welche Johannes Andreae retp.
Gull. Durantis und Tancredus enthalten; deshalb ist es nnndthig, Htera*
rische Angaben zu machen.
^) 1. c. pag. 126. Nota 14. Den Codex gibt er nieht an. Ich habe sowobi daa Ye 52
als Ye 80 im Hanse gehabt, aber unterlassen, zu notiren, in welche« ron beid«a
es steht (in einem sicher).
bie Compilationea Gitkerts und Alanus. 597
riken daher entlehnt habei)* Ks braucht wohl nicht weiter
gesagt zu werden, dass diese Momente gar zu wag sind. Theiuer's
Annahroe ist unzweifelhaft grundlos. Mir scheint, die einfache
Erwägung, dass es für einen Titel de summa triniiate vor der
Comp. IV. nach dem J. 1190 doch kein eigentliches Material gab,
hätte ihn von seiner Ansicht abbringen müssen.
UI. Ich werde nunmehr zunächst kurz angeben, was man bisher
über diese Sammlungen wusste. Tan c red sagt in der Einleitung
zum Apparate über die Comp. III., der, wie ich an einem anderen
Orte beweisen Merde, bald nach 1216, etwa 1217 gemacht ist, über
die Abfassung der Compitationes antiquae, wörtlich Folgendes»):
'Et post illam compilationem [B. Pap.] quaedam aliae deeretales a
diversis apostolicis emanarunt,quas mag. Gilbe rtus ad instar primae
compil. sub titulis collocavit. Post illum vero mag. Alanus suam
siffliliter compilationem effecit, tandem' mag. BernardusCompost.
archidiaconos in Rom. curia, in qua curia moram faciens aliquantum
de regestis domini Innocentii papae unam fecit decretalium compil.,
quam Bononiae studentes Rom. Compil. aliquanto tempore vocare-
ruDt. Verum quia in ipsa compil. quaedam reperiebantur deeretales,
quas Rom. curia refutabat» sicut hodie quaedam sunt in secundis,
quas curia ipsa non recipit, idcirco fei. record. dom. Inn. III. suas
deeretales usque ad annum XII. editas per mag. F. Benevent.
Dotar. suum in praesenti opere compilatas Bononiae studentibus des-
tiuavit. Post illarum receptionem mag. Johannes Galensis deere-
tales omnium apostolicorum, qui praecesserant Innocentium, de dictis
compilationibus Gilberti et Alani extrahens quandam compil. ordinavit,
quae hodie mediae sive secundae deeretales dicuntur.'
Tancred hat die Compilatio II. III. und IV. wohl fast werden
sehen, stand den übrigen so nahe, dass seinem Zeugnisse gegenüber
daraus, dass Johann ps Andreae vom historischen Gesichtspunkte
'I Solche Rvbrikea ttnd sam TheU tehr alt, den de primmtu »edit apott bat schon
Raynerin* Pompot. Tit. 111. — pag. 131 folgert Th ein er f&r die Annahme
▼on Gilberti Sammlnng aui den Citaten bei Bernh. Compost. Nur vermag er
anch hier wieder Ton 7 Citaten bloss drei nachzuweisen.
^) Nach Cod. Bamberg. P. 11.6. Die Abwetchnngen (ich habe xehn Handschriften
genan Tcrglichen) sind unbedeutend und ohne Einfluss auf den Sinn.
598 ▼• Schulte •
ans die Sache ungenau darstellt, nichts zu folgern ist <)• Halten wir
uns an Tancfed, so dürfen wir annehmen :
1. Johannes Galen sis hat im Wesientlichen so sehr aus
Gilbert und Alanus geschöpft, dass seine Sammlung sich als ein
AusEugaus beiden darstellt.
2. Gilbert und Alanus haben nach dem Vorbilde Bernhards
('ad instar primae compilationis', 'similiter') die ihrigen gemacht, so
dass die Eintheilung in Bucher, Titel und Capitel dadurch feststeht.
3. Johannes zog die Decretalen aller Papste vor Innocenz HL
aus den Sammlungen von Gilbert und Alanus.
4. Über das Verhältniss der Sammlung Gilberts zu der des
Alanus erfahren wir nur, dass letztere später gemacht ist.
Dies lässt vermuthen;
Gilbert habe zahlreichere Decretalen der Päpste vor Inno*
cenz III. und Alanus mehr eine Nachlese gehalten.
5. Ob Johann nur aus den beiden Sammlungen geschöpft hat,
wird nicht gesagt. Diese Frage hatte für den Zeitgenossen, welchem
beide zu Gebote standen, keine Wichtigkeit.
6. Über die Hülfsmittel beider erfahren wir nichts.
Es soll nun im Folgenden ausschliesslich auf Handschriften ge-
stützt geliefert werden eine Beschreibung der Sammlungen beider,
der allmäligen Erweiterungen, des Verhältnisses beider zu der
Comp. IL, KL, IV., sodann der Entstehung derselben. Daran mag sich
noch eine kurze Erörterung über die sonstigen Quellen der Comp. IIL
und IV. schliessen. Damit darf ich die Geschichte der Compilationes
antiquae, soweit sie hier berühi*t wird, bis zum gewissen Grade als
abgeschlossen betrachten, da die Darstellung selbst ergeben dürfte»
dass, was man etwa Neues noch auffinden werde, nicht von wesent-
licher Bedeutung sein kann.
*) Pmk tisch aber genügend, d« er nur die 5 Comp, totique ntch einander be*
sprieht, wodurch der Schein enUteht, als habe Job. Galensis vor Petras ron Be-
nevent seine Sammlung gemacht. Dadurch hat sich Antonius Augustinus ver-
Jeiten lassen. Diesen Punkt hat schon Theiner p. 25 sqq. hinliegliGh beleuchtet.
Die Compilationen Gilberts und Ahn». 599
11. Gilbertus.
Die Fulda er Handschrift der ehemaligen Benedictinerabtei
Weingarten^), mbr., 8^ aus dem Anfange des XIII. Jahrhunderts»
signirt D. 14» [ältere H. 78.] enthält auf den ersten 31 Blattern die
sehr zierlich geschriebene und gut corrigirte Sammlung von Gilbert
nebst einem sich unmittelbar an dieselbe anschliessenden Anhange
?oa Extravaganten. Soll deren Gestalt klar werden und tlber-
haupt meine Mittheilung jedem die Möglichkeit geben, die Richtigkeit
meiner Angaben zu prQfen und das Gebotene selbst zu benutzen, so
muss die Angabe sämmtlicher Capitel erfolgen. Um aber die Qbrigen
Fragen auch äusserlich sofort zu lösen, gebe ich hier und ffir die an-
deren Sammlungen in synoptischen Tabellen die Vergleichung der
einzelnen Sammlungen. Mit Rucksicht auf diese, wie der mit solchen
Studien Vertraute weiss, äusserst zeitraubende und mühevolle Arbeit
darf ich hier um so kurzer sein, weil die blosse Vergleichung mit der
Ausgabe der CompilaHones antiquae *) über jeden Punkt sofort Auf-
sehluss gibt. Dass diese Handschrift wirklich des Gil-
bertus Sammlung enthält, wird bewiesen durch folgende Um-
stände.
1. Die ausdrückliche Angabe der Handschrift. Der Name Gili-
bertus ist vom Rubrikator geschrieben. Er steht, wie die Tabelle A.
zeigt, am Anfange von Buch I. und III. An sich muss eine solche An-
gabe einer Handschrift, welche gewiss aus dem ersten Drittel des
*) WeiBgarten warde im f. U des ReichadepuUtioiitbaaptachl. v. 1808 dem Ffir-
•ten TOD Nttsau- Dillenburg gegeben. Dieser lies« die BibUothek nacb dem
ibm im selben f. gegebenen Fulda bringen. Die Fnldaer Bibliothek hat nun aueh
noch die meisten Handachr. Wie es kommt, dass einielne sich in der kdnigl. Hand-
bibliotlMk au Stuttgart befinden. Termag ich nicht an sagen.
Abnr wo sind die Handschriften der alten Fuldaer Bibliothek? Nach dem
Catolog ron 1561 hatte sie 783 filanuscripte, tum Theite sehr werthTolle. In Fulda
(die 3 Codd. Bonifaciani sind Bigenthum der Cathedrale und nur dauernd an die
Bibl. abgegeben) sind sie nicht, in Cassel, Göttingen, HannoTer, Wolfenbfittel,
Leipsig ist nichts davon.
2) Ich benntse meist das mir selbst gehörige und tob mir sorgfiltig corrigirte Exem-
plnr der Ausgabe Antiquae Collectiones Decretalium. Cum Anton ii Augustini
Epaacopi llerdenais notis. Barcinone 1592. kl. fol. Cbrigena habe ich in der Regel
auch die Ton 1621. Paris, fol. verglichen. Ausserdem stehen mir fBr Jede der
Comp. ant. meine Notate von mindestena sehn Handschriften au Gebote; mehrere
Haadachriften liegen andern auf meinem flache.
600 V. Schulte
XIK. Jahrb. stammt, allein genügen, wofern nicht innere Grunde vor-
liegen, welche die Angabe als irrig erkennen lassen. Hier bestätigt
Alles deren Richtigkeit.
2. In dem Buche ID. werden zwischen den Titeln de decimu
und de regtäaribus einige Stucke eingeschaltet, vor denen am
Randevon der Hand des Correctors geschrieben ist fol. 13**: 'tn
secundo libro in compilatione alant. Dieselbe Hand schrieb an den
Schluss dieses Einschiebsels: ^haec perimetU ad eompilationem
tdant . Der Grund von diesen Bemerkungen liegt dai*in, dass nach
dem letzten Titel des Einschiebsels: ^de eonfirtnatione utili vel
itmtilV die trotz der Rasuren nicht ganz verwischte Rubrik steht :
^alani de confirmatione utili vel inuiilL Inno. IH\ Weil man somit
die voraufgehende dem Gilbertus beilegen konnte, schrieb er nach
derselben an den Rand : *atf audientiam et c. ex parte hie deesf und
nach dieser Notiz die so eben mitgetheilte. Aus demselben Grunde
steht auch noch fol. 14* im Anfange als Rubrik: 'alani. in secundo
libro, quod i* d' e £d. h. quod ibidem est] hie ponitur*. Es ist also
evident, dass die Abschrift gemacht wurde aus einem Codex der
nach der Comp. Gilbert! die des Alanus enthielt. Weil er beide bei
diesem Passus verwechselt hatte, folgt die sorgfSltige Correctur, die
zugleich bürgt für die Genauigkeit des Textes.
3. Von den 331 Capiteln der Compilatio secunda des Johannes
Galensis stehen 162 in dieser Sammlung, also beinahe die Hälfte.
4. Zu dieser Sammlung verhalten sich, wie die Tabellen auf den
ersten Blick lehren, die späteren bis auf Johannes Galensis le-
diglich ergänzend.
III. Anhang zur Comp. Gilberti.
Zur Sammlung Gilberts ist ein Anhang gemacht, der in der
Tab. B. beschrieben ist. Ich nehme an, derselbe röhre von Gilbert
selbst her.
Bei dieser Annahme leiten mich folgende Umstände. Der Anhang
folgt auf die Sammlung ohne jede Unterbrechung mit Angabe der
Titel, so dass die Einfügung bez. Benutzung ohne Schwierigkeit war.
Er ist geradeso in der vermehrten Sammlung (Tabula C.) beibehalten
und nur vermehrt worden. Dass diese letztere am Ende unvollständig
ist, thut der Beweisführung keiten Eintrag. Alanus hat die darin be-
Die Coropilütioneii Gilberts uod AUnu«. BO 1
Südlichen Extravaganten nicht aufzunehmen für nothwendig befunden»
wodurch dieseihen offenbar als Theile einer recipirten Sammlung er-
scheinen.
Endlich spricht mit voller Beweiskraft dafür der Umstand, dass
dieser Anhang gleich der Hauptsammlung in der vermehrten Gestalt
^lossirt worden ist. In diesem Anhange sind vier weitere Capitel
der Comp. II. des Johannes enthalten.
IV. Die vermehrte Sammlung des Gilbertus.
(. Sie ist enthalten in dem ehemals We ingart n er, jetzt der
Fulda er Bibliothek gehörigen Codex in fol., membr.^ saec. XIIL
ioeip., signirt D. 5. [H. 24. alte Signatur, 137 Catalogsnummer],
foL84' - 132*1)-
Wie sich aus der synoptischen Tabelle sofort ergibt, hat sie die
ganze Sammlung Gilberts aufgenommen, eine Anzahl von neuen
iStücken hinzugefugt, so dass sie von den Capiteln der Compilatio II.
bereits 198 umfasst, ungerechnet die im Anhange enthaltenen.
Diese Sammlung ist, wie ich schon angedeutet habe und sich auch
aus der in Tabula H. enthaltenen Vergleichung des ersten Buches
ergibt, mit der von Tbeiner im Brüsseler Codex aufgefundenen ziem-
lich identisch ; letztere hat noch weitere Zusätze.
Man könnte nun möglicherweise versucht sein, diese Sammlung
für die des Gilbertus, die des Cod. Fuldensis D. 14. für einen Aus-
zug aus der Sammlung Gilberts zu halten. Mir scheint eine Wider-
legung dessen nicht nöthig, weil sich gar keine Methode und Absieht
erkennen lässt. Ein Andres wäre es, wenn die Decretalen eines
Papstes zusammengefOgt würden, wie in der Comp. IIL Ausserdem
konnte man unmöglich darauf ausgehen, abzusehneiden, sondern man
musste vervollständigen.
*) Vorher geht die ComfUatio prima mit der unteo fortliafeadeD Sunme Berohurd's
voa Paria oad alter 6l0Ma. Die Handschrift ist dem Herausgeber der Snmma
(Lagptfret) Mbst einer AnaaU anderer in devtachen BiMiotheken bewahrter
Ha»4achriflen unbekannt geblieben.
Im Deckel steht die interessante Notit : ^Aono donini millesimo trecentesimo
tricenimo octavo iigatus est iste Über, qaem fecit ligari dominus Johannes de
Nerapnrg ordinis sancti Benedieti custos in Wingarte'.
602 V. Schulte
Endlich trägt die Sammlung schon deshalb nicht den Charakter
eines Auszugs» weil in beiden Inscriptionen und Umfang durchweg
übereinstimmen. Es liegt somit die Compilation Gilberts in erwei-
terter Gestalt vor.
II. Die Vermehrung fällt vor Abfassung der Compilation des
Alanus» wie sich daraus unzweifelhaft ergibt» dass die in der ver-
mehrten Gestalt sammt ihrem Anhange enthaltenen spater in die
Comp. II. Qbergegangenen Decretalen bez. Stocke derselben bei
Alanus nicht vorkommen ').
Dieses lässt sich mit Rücksicht auf die zahlreichen sicher zum
Theil allgemein bekannten Decretalen nur dadurch erklären» dass
Alanus jene vor Augen hatte. Zugleich durfte aus diesem Umstände
sich als höchst wahrscheinlich ergeben, dass Gil her l selbst die Um-
arbeitung später vorgenommen hat. Für diese Annahme sprechen
noch zwei Momente. Erstens fiele es auf» dass Tancred nur des
Gilbertus gedenkt» aber keines Fortsetzers ; nimmt man die Überar-
beitung als Werk Gilberts» so ist nichts Auffallendes vorhanden.
Zweitens ist diese erweiterte Sammlung glossirt» dies beweist einen
ständigen Gebrauch» welcher nur auf Gilbert deutet
Was die Vermehrung selbst betrifft» so besteht sie in einer An-
zahl von Decretalen der Päpste vor innocenz III.» sodann von Decre-
talen des letzteren.
III. Wie mit der Hauptsammlung verhält es sich hier mit dem
fol. 132^ — 139^ befindlichen ohne jeden Zwischenraum sich an-
schliessenden und am oberen Rande der Handschrift mit Extra
Titulos bezeichneten Anhange (Tabula D.). Wähi*end alle im An-
hange zur ersten Gestalt befindlichen Decretalen aufgenommen
worden sind» ist bereits in dem vorhandenen Stucke die Vermehrung
bedeutend; 31 kommen auf 23 in dem ersten. Der Anhang ist leider
*) Dies erleidet gering Autnabneo. Wie die Tebellen ergebeu, komoil bei A lanas
in der Form £. mis Gilbert <X Ton den in der Conpiintio II. des Job. 6«l. ent-
baltenen Decretolen vor: I. II. 2., I. 12. 2.» II. 18. 4., V. I. 1.. V. 19. 8.« in G.
eilt Alenus; II. 1. 1., II. 0. 2., II. 19. 6. n. 7., n. de c»nee ilia onde (de priTÜ.)»
ans den in der Comp. III. entbaltenen hat AUnna von bereit« bei Gilbert Toründ-
lieben in Form £.: I. 18. 2., I. 18. 5. u. 6., I. 24. 3., I. 25. 2., II. 12. 6., 11. 18.
S., III. 2. 1., ans D, nnm. 12. F, : I. 23. 1., V. 4. 1., G aber: I. 18. S., I. SO. 4.«
III. 5. 1., V. 18. 1. Die meisten davon sind aber ans den Anhingen.
Die Compiliitionen Gilberts und Alanus. d03
unvollständig» weshalb nicht mit Gewissheit behauptet werden kann,
ob er nicht vielleicht auch die wenigen in der Comp. 11. enthaltenen
Capitel enthalten habe, welche sich aus Gilbert und Alanus nicht
nachweisen lassen.
•
V. Alanus.
In demselben Codex Fnldensis D. S. steht fol. 140' bis 198^
die in der synoptischen Tabula E. beschriebene Sammlung, welche
von demselben Schreiber geschrieben ist, der die vorhergehende
Sammlangund das Breviarium des Bernhard von Pavia schrieb. Diese
Sammlung darf unbedenklich als die Compilatio Alani bezeichnet
werden aus folgenden Gründen.
1. Die im Cod. Fuld. D. 14. fol. 13^ bis 14^ eingeschalteten und
dort (siehe dieses Capitels nun. II.) als dem Alanus gehörig ange-
gebenen Capitel \^Quia nos elegiU Ex conquesiione b. clerici, Ap^
peliationis inhibitioj Cortstitutus in praes. n.» Tua nuper, Adhaect
Ex parte tua fuü propos., Conquerente «/. presb.^ Ad aud. n.. Ex
parte'^ stehen sämmtlich in gleicher Reihenfolge hier. Am Schlüsse
derselben steht im Cod. D. 14. die Notiz, im Texte:
'§. hie sequitur tertius quaternus, qui sie incipit: Inn. III. t't*
sei laurent. in lucina presbytero card. apostolicae sedis legato. Quod
translaiionem\
Gerade so fahrt in Cod. D. 5. der Text fort. Zufällig ist auch in
unserem Codex D. o. dieser Quaternio, auf dessen erster Seite die
Rubrik de transL eprm. und das eben bezeichnete Capital steht,
unten mit HI. bezeichnet *). Dass dieser äussere Umstand sehr ins
*) Die« ist aacb gins richtig. Fol. 1 — 139 maeheii •in Stück mit, dcuei»
Lagen nnten mit Zahlen nicht bexeichnet aind. Fol. 140 beginnt einnenes; am
Eade Ton f. 147^ steht richtig I., anf der ersten Seite Ton 148* unten II., so dass
Fol. 154' auch III. beginnen muss. Damach unterliegt es auch keinen Zweifel«
dass D. 14. Abschrift eines Codex ist, aus dem auch D. 5. geflossen ist. Denn D.
14« ist nicht Abschrift Ton D. 5., i. weil die Handschrift In D. 14. ilter ist,
2. weil der Qnnternio III. inD. 5. nicht anf das eop. ex p^rie Um folgt,
sondern schon anf denselben ein Stück Ton ed owi. steht, dann ex parte nnd noch
de emuem mile, hierauf erst de traneUt, ep, Innoe. 111. u. s. w.
Bs ergibt sich aus der Tibelle B, sofort, dass eine kleine Versetiung des
Titels de mppettüi. bei der Abschrift stattgefunden hat Vielleicht hatte auch der
zur Abschrift gebrauchte Codex bereits eine solche.
604 V. Schulte
Gewicht fällt für die Autorschaft von Alanus, unterliegt keinem
Zweifel.
2. Aus der vorhin als Comp. Gilbert! nachgewiesenen und dieser
Sammlung lässt sieh, zunächst abgesehen von den Anhangen, fast die
ganze Compilation des Johannes Galensis construiren. Die hier be-
sprochene Sammlung enthält 88 in der Comp. IL enthaltene Capitei.
Die Tabula J. zeigt genan, wie die Compilation von Johannes Ga-
lensis sich aus Gilbertus und Alanus zusammenstellt; sie weist eben-
falls die allmälige Vermehrung der Hauptsammlungen nach.
Hat Alanus* Sammlung somit für die Compilation des Johannes
ihre grosse Bedeutung, so hat sie gleichfalls eine solche furdieCom-
pilatio tertia des Petrus von Benevent. Ich komme hierauf zurück.
VI. Anhang zur Compilatio Alani.
Im Cod. Fuld. D. 5. steht i) von Fol. 199^ an der in Tabula F.
genau beschriebene Anhang. Leider ist derselbe nicht vollständig;
das hat jedoch für meine Untersuchung keinen Nachtheil, weil sich
aus dem Codex Fuld. D. 14. das Fehlende erganzen lässt.
Was die erste mit L. VI. bezeichnete Partie betrifft, so ent-
hielt sie noch mindestens die acht von mir aus Cod. Fuld. D. 3* zu-
gefügten, durch den Druck unterschiedenen Decretalen, Solches ist
auch dadurch wahrscheinlich, dass Codex Fuld. I>. 14. dieselben hat.
Der übrige Theil des Anhangs enthält wie der erste eine oCTen-
bare Ergänzung aus Innocenz III. Decretalen; er ist besonders inter-
essant dadurch, dass er die große Decretale Paataralis zum Elrsten-
male unter die Titel vertheilt. Wiederholungen von Stücken, die
schon in früheren stehen, sind kaum erwähnenswerth. Auch hierin
zeigt sich von Neuem, dass die Abfassung der späteren mit steter Be-
rücksichtigung der früheren geschah.
0 net AUotts Samnlung schliesst ohne Explicit auf dem 7. BUUe de« 8. Qnetermio
des Denen mit f. 140 beginnenden TheUes; das echte Blatt ist aosgeecluiltCen.
Dies muss beim Einbinden geaebchen sein, da am Schlüsse des Codex atcht FoU»
ZiS mit arabischen Ziffern. Aber Fol. 199 ff. haben früher dasn gehftrt, weil aaf
Fol. 199' unten richtig Villi, steht Die Schrift tob Fol. 199 bis an Kode iaft eine
ron der früheren Tersehiedene, gans stehend und scharf, wahrend die frühere mehr
*
abgerundet ist.
Die Compilationen Gilberts und Alanits. 60S
VII. Die vermehrte Sammlung des Alanus.
Codex Fuldensis D. 14. bietet die Sammlung des Alanus in
einer vermehrten Gestalt dar: die Zusätze sind sämmtiich in Tabula
6. nachgewiesen.
Eine selbst nur oberflächliche Betrachtung dieser synoptischen
Tabelle ergibt, dass die Sammlung in D. 14. eine Überarbeitung der
von D. 5. ist, weil sie zwischen dieselbe die neuen Stucke dergestalt
einschiebt, daß sie die erste Form ganz hat und auch genau ihre
Reihenfolge einhält. Für den Anhang gilt ganz dasselbe. Er ist ganz
aufgenommen und liefert genau den Faden der Sammlung. Dass die
Capitel 44 bis S3 in die in D. 8.* offenbar im Vergleiche zu den
Titeln der Compilaiio prima unvollständige Sammlung eingefögt
worden und die Capitel 54. 56. nicht in der Reihenfolge der ersten
Form stehen, thut nichts zur Sache, weil solche geringe Abweichun-
gen auf mannigfachen Gründen beruhen können.
Mir scheint, es verhalte sich mit dieser Überarbeitung wie mit
der Gilberts, sie könne mit Fug Alanus selbst zugeschrieben werden.
Die erstere Form für einen Auszug zu halten geht nicht an, weil dann
geradezu unbegreiflich wäre, weshalb einzelne Materien ganz ausge-
lassen worden sind, wie es thatsächlich der Fall ist. Auch lag für
eine solche Umarbeitung bei der Fruchtbarkeit der Gesetzgebung
innoeenz' III. schon nach wenigen Jahren ein dringendes Bedurfniss
vor. Dass der Anhang hingegen allmälig vermehrt wurde, lehrt die
Wiederholung derselben Titel. Dies zeigt zugleich, wie man damals
sofort jede neu bekannt gewordene Deeretale unter den stehenden
Titel einfugte. Man braucht, um diese Art der Ergänzung zu be-
greifen, sieh nur daran zu erinnern, dass noch später Bonifaz VIU.
in der Bulle Saeroiandae Rom. EccL als Zweck der Abfassung
einer eignen Sammlung angibt: er wolle nicht, dass die zahllose
Menge von Exemplaren der Gregorianischen zerstört oder der Ankauf
allzusehr vertheuert werde. Deshalb fand ja auch die Zufügung der
spätem Decretalen in die Gregorianische Sammlung nur so selten
statt 1).
*) Meine Abhendlnng: Die DecreUlen swischenden Decret. Greg. IX. a. I.ib. VI.
Wien 1S67 (diese Berielite LV. Bd.) 8. 759 tt, leb kenne jetzt gegen 50 Hend-
srkriltcn, welebe die Decretiilen Innocens IV. enthalten, darunter etwa 10, die sie
in die Snainlong Gregor**« IX. einfilgen.
606 V- Schulte
Ich brauche wohl dem Einwaode kaum zu begegnen, als könne
man die vermehrte Form als eine Compilation aus der Comp. IL und
III. ansehen. Die Comp. IH. erschien früher als die II. und war
offiziell. Ihr ganzer Zweck bestand darin, die ächten Decretalen
Innocenz' HI. bis zum 12. Regierungsjahre authentisch zu publizireu.
Die Comp. II. schied danach die der früheren zu einer eigenen Samm-
lung aus. Wie nun Jemand dazu hatte kommen sollen trotzdem die
apocryphen Decretalen aufzunehmen«), dann die sofort von der Schule
recipirte Sammlung des Johannes Galensis wieder zu ignoriren, ist
geradezu unbegreiflich. A I a n u s hat die Comp. II. und III. glossirt;
er hätte sicherlich keine Ergänzung seiner Compilation aus denselben
vorgenommen. Als ein rein äusseres Moment für die Autorschaft von
Alanus mag noch bemerkt werden, dass, wie Th einer angibt,
Tancred die Decretale quod quidam aus Alanus citirt <), diese aber
in der That in unserer Saihmlung V. 14. 4. steht.
Zweites Capitel.
Vefh<ilss iir C^MplltlU seeiidt des J^htnies dtlensls iid tertb
des Petns Beieventtnis.
I. Es ist meine Absicht nicht, an diesem Orte dieBeschafFeoheit
dieser Sammlungen an sich, ihr Verhältnlss zu der Gregorianischen
und noch ausfuhrlicher das zu Gilbert und Alanus darzustellen. Da
meine Tabellen aufs genaueste letzteres ersichtlich machen, darf ich
diesen Punkt als erschöpft ansehen. Was die beiden anderen Punkte
betrifft, so hat Th einer darüber bereits ausführlich gesprochen;
auch braucht man nur die Rubriken zu vergleichen, um einen ge-
nauen Einblick zu erhalten. Hier soll nur ein Beitrag geliefert
<) nie am Ende der Comp. HI. als wahrscheinlich von Tancred herrührende Notis
über dfMelben bei Antonios Augnstinus weist 7 aaf, Ton denen ich die mit
Sicherheit als gemeint festsustellenden beseichnet habe.
^) Woher diese Notia stammt, weiss ich nicht. Die vor mir liegendon glosairten
Handschr. der Comp. U. haben die Notis hiebt, ebensowenig die der Comp. 1. «nd
HI. SU diesem Titel. Natfirlich kann ich nieht bestreiten, daee sie niciit doc^
anderwirts in der Glosse oder in Handschriften vorkomme. MisaUch ist es aber,
die Quelle nicht ansugeben bei Notisen, die man als Beweise beontxt.
Die Compiliitionen Gilberte und Alanu«. 607
werdeu su derBeui'theilung des Verdieustes, welches die beiden Com-
piiatoren haben.
II. Gilbert und Alanus enthaken, wie die Tabelle J. zeigt, das
Material der Compilatio II. so vollständig, dass hinsiehtlieh dessen
Johannes keine Arbeit übrig blieb. Denn die Zuf&gung der 12. Ca-
pitel könnte kaum eine solche genannt werden, wenn wirklich diese
Deeretalen Gilbert und Alanus fremd wären. Nun sind aber yerschie-
dene [e. 3. I. 2., c. 2. II. I., c. S. II 12., c. 3. IL Iß., c. 2. II. 19..
c. un. V. 20.] davon Stucke anderer, welche jene haben. Wie es
nun in den von mir benutzten Handschriflen sehr häufig der Fall ist,
dass die Decretale ganz unter einem Titel steht, wohin nur ein
Theil gehört, oder dass einzelne Theile mehrroalen vorkommen,
oder dass auch nur das bereits zugestutzte StQck sich findet, wo
Johannes in der Ansgabe mehr hat«): ebensogut kann er diese De-
eretalen aus den ihm vorliegenden Handschriften haben. Die wenigen,
welche nicht auf solche Art nachgewiesen sind, können sehr gut in
einigen Handschriften stehen. Es bliebe mithin für Johannes noch
«J In den Notae der Tabellen eind Teracbiedene Fälle nach^wieaen worden, in
denen das eine oder andere sutrifll. Intereasante Fille abgekürzter Deeretalen
•ind a. B. in der Termehrten Form Gilberte (C)** tx tenore de teatam; venien$.
Ute ibid.; cum olim, cum dii. de fide inatrum., pro iUor. prov, de praeb., iiUeroi
ve»trmt ibid. u. s. w., andere aind linger, s. B. mitdiHi de praeacript., pr&posuit
de praeb.. ut n0$trMm de aeenaat. Die letite iat rollatindiger ala in allen anderen
Samnlnngen. — Bemerkt aei noeb: 1. daaa die Inacriptionen der Fnidaer Hand-
scbriflen wiederholt abweicben, ancb Varianten baben, die nirgenda notirt aind,
s. B. in C: e. düeret. de eo qni cognorit, wo Ant. Angoatinua lieat Magde-
bnrgenai. Ich habe deahalb die volle Inacription oft mitgetheilt; % dass die
Anfinge hiufig abweichen, z. B. (in C.) licet fro tUMC . . . pbatalaati de apons. Dm
ich eelbatrentindlicb genau Terglichen habe, darf dieser Ümatand nicht stören.
Paast ein Citat nicht, ao liegt ein Druckfehler Tor; ich hoffe jedoch solche an Tcr-
meiden. Freilich kann bei aolchen Maasen auch ein Schreibfehler Torkommen.
Obrigeaa gibt die MittheUung der AnAnge achlieaalich daa Mittel der Prüfung.
S. Die Namen weichen mebrfiich ah. 8o haben die Fuldaer Codices in dem c. Ve-
nUnt üd M. ü. de apona. Witmanaua.
Im Hinblicke auf alle diese Umstlnde und darauf, daSs die Ausgabe der Com-
pflalioBea antiquae Ton Agostino aich nur auf wenige Handschriften stfltit, dass ich
in alten Handschriften der Comp. ant. aehr bedeutende Abweichungen in jeder Be-
xichong geftinden habe, darf Ich wohl wünschen, daas beieinerallfillige.i
neuen Ausgabe der Compilationes antiquae oder der Deereta-
len Gregor*a IX. die Codices Fuldenses benutxt werden mögen.
608 V. Schulte
eine dreifache Arbeit. Erstens das Zusammenstellender Decretalen
der Päpste vor Innocenz III. Dieses ist eine ziemlieh mechanische
Arbeit» deren Verdienst nicht hoch anzuschlagen wSre. Zweitens
die Untersuchung : ob die bestimmte Decretale dem Papste wirklieh
angehört» welchem sie beigelegt wnrde. Ich habe die Fälle, wo die
Comp. II. einen anderen Papst hat i), ziemlich genau bemerkt; ebenso
ergeben die Tabelleii lie wenigen Fälle» in denen angeblich vor In-
nocenz fallende Decretalen ausgeschieden sind» weil sie Innocenz an-
gehören *)» wie umgekehrt angeblich Innocenz angehörende aufge-
nommen wurden, weil sie altern zustehen >). Diese Thätigkeit ist an
sieh verdienstlich, übrigens bei der im Ganzen herrschenden Über-
einstimmung nicht sehr ausgedehnt. Drittens nach dem Vorgange
der älteren Sammlungen und Bernhards von Pavia das Zerlegen der
Decretalen in die unter die Rubriken passenden Stöcke. Hierffir war
im Ganzen, wie der Augenschein lehrt, wenig zu thun. Übrigens
findet sich überhaupt seit dem Ausgange des XII. Jahrhunderts die
Sitte» neue ausführliche Decretalen sofort unter die Rubriken zu ver-
theilen. Die Fuldaer Handschriften enthalten einzelne Decretalen in
einer Weise präparirt, dass es scheint, Raymund von Penna-
forte habe auch die Compilation von Gilbert und Alanus zu Rathe
gezogen ^).
0 Seibstrcdend habe ich mich an die Ausgabe gehaUen. Da die HandichrifteB der
Conip. ant in diesem Punkte auch biiweilen abweichen, da die Angaben bei J a f fe
Reg. Pont, bisweilen auch nur auf denen gedruckter Werke ruhen, da die Origi-
nalregesten nicht sftmmtlich mehr vorhanden sind, so wird für einzelne Falle der
Zweifel stets bleiben.
2) Siehe in GUbert Tab. C: c. 4. I. 5., c. 6. Hl. 17., c. 3. 4. III. 20., c. t. iV. 1.,
c. 15. 16. V. 14.
3) Siebe in Tab. C: c. 3. I. 2., c. 3. I. 7., c. 1. I. S., c. 4. 111. la» c. 3. 4. V. 1.
^) Ich weise nur hin auf cum olim de renim permut. [c. un III. 11. in B.], e^nttümiMs
de spons. [c. 5. iV. 1. ibid.], per tUM Uti, de condit. appos. [c. un. iV. 3. ibid.],
die fast g«nau $o in den Gregorianischen Decretalen stehen. Um jedoch diese
Vermnthung zur Gewissheit zu erheben, mvlsste festgestellt werden, dass die alten
Handschriften der Comp. li. durchgehende die Tollere Form haben. Da ich diese
aber in vielen fand, so darf ich mindestens eine Vermuthnng aussprechen, velche
die WahrscheinUchkeit für sich hat. Vielleicht bietet auch das in 6. Anhang 4t.
iUf autem qui [e- 7. X. I. 21. vide notam Ricbteri] , ferner das in E. II. Üi. 14.
c. 4. [c. 29. X. II. 24.] Enthaltene ein Argument. Vergl. die Note dazu.
Die Compilationen Gilbert« und Alaoua. 609
II. Zu dieser Tbätigkeit gesellt sich noch die hioflichüich der
Rubriken nach einer zweifachen Richtung. Wie die Tabellen er*
geben ; haben die Compilationen Gilberts und Alanus* einzelne
Rubriken» welche von der Comp. IL und den späteren aufgegeben
worden sind. Dahin gehört bei Gilbert die Rubrik de snpplenda
negligeniia clericorum^), de senienüa inierdidi, de eo gut
gerit rieem aUerius [lib. I. tit. 18.], bei Alanus die Rubrik: de pe^
titmibue Papae offerendi^ [lib. I. tit. 2. in E.]. de jure doiiumt de
ifirituali redemiione [L. V. tit. 2. in E.], de violenüa clericis
iltata [in F.J. Andere Rubriken hat Johannes Galensis aufgenommen,
während sie später yerlassen wurden : de officio advocaiorum, de
coHversione infideliumf de bapHsmo pUeromm. Noch andere Ru-
briken lauten anders. So — abgesehen Ton kleineren Abweichungen
— de falsariis [in Comp. II. et III. aufgenommen], ufocoiM^cra^toit«
eucharUiiae cet, de translatione episcoporum [in Comp. III. u.
Greg. IX. aufgenommen], de peregrinationibus [bei A I a n u s], ife con-
iugio infideliwn ad fidem convertefUium. Im Zusammenhange mit
dieseoÄuderungen steht, obwohl die meisten Capitel, wie die Tabellen
ausweisen, denselben Platz in der Comp. II. behalten haben, die Ver-
setzung mancher Capitel unter andere Titel. Was diesen Punkt be-
triflt, so lässt sich nicht bestreiten, dass eine Anzahl derselben zweck-
mässiger gestellt worden sind. Da die Ordnung der Comp. II. mit
sehr wenigen Ausnahmen von Raymund von Pennaforte in den
Gregorianischen Deeretalen beibehalten wurde, ist Johannes
Galensis auch hierdurch für letztere von Bedeutung geworden,
zumal einzeln mit der veränderten Stellung auch der Sinn vielleicht
gegen den ursprünglichen alterirt wurde.
Endlich mdge noch hervorgehoben werden, dass Jobannes
Galensis sich an die Methode seiner Vorgänger haltend regelmässig
Ort und Datum des Schreibens auslässt. Da dieses dieSammlungen
einzelner Deeretalen vor Gilbert so consequent nicht thun, scheint
mir hierin ein neuer Beweis dafür zu liegen, dass Johannes sich
lediglich an Gilbert und Alanus gehalten hat.
*) Wir haben es nicht mit einem Schreibfehler zu thun für praelatorum, weil Capitel,
die QBter letzteren gehören wurden, vielfach unter anderen Titeln atchen.
Silzb. d. phil.-hiat. Gl. LXV. Bd.UI. Hfl. M
61 U V. S c h u It e
Ob Johannes unmittelbar aus Alanus uud Gilbert geschöpft« oder
eine vermittelnde Sammlung zwischen liegt, ist Gegenstand der
Erörterung des vierten Capitels.
lU. In der Bulle DevoHoni vestrae* womit P. Innocenz lll. die
s. g. Compilatio III. der Universität zu Bologna übersandte, wird
gesagt: *Die von Petrus getreu compilirteu und unter die gehörigen
Rubriken gestellten Deeretalen seien enthalten in den Regesten bis
zum Xü. Regierungsjahre', d. h. da Innocenz am 8. oder 9. Jan. 1198
gewählt worden ist, bis zum Anfange des Jahres 1210. Ob
Petrus sie aus den Regesten selbst oder anders woher genommen
habe, wird nicht gesagt. Fest steht, dass Sammlungen päpstlicher
Deeretalen je nach dem Bedürfnisse fortwährend gemacht wurden,
dass dadurch gewisse als in der Schule recipirt erschienen, hierdurch
ihren particulären Charakter verlierend allgemeine Geltung erlangten.
Zugleich war durch diese Sammlungen ihnen der Ort im Systeme
angewiesen. Die grössten derartigen Sammlungen liefern für Innocenz
Deeretalen Gilbert, besonders Alanus.
Die Sammlung des Petrus enthält 482 Capitel. Die Tabellen er-
geben davon fast 300 als in den verschiedenen Formen der bisher
besprochenen Sammlungen befindlich. Wenn Petrus die im 4. Ca-
pitel zu besprechende Fuldaer Sammlung kannte, waren von dort
wiederum verschiedene zu holen. Indessen ist es viel wahrschein-
licher, dass er nicht aus Gilbert und Alanus, sondern aus Bernarduü
Compostellanus bis zum 10. Regierungsjahre, für die vom 10. bis
zum 12. aus den Regesten gesammelt hat, wofern nicht auch letztere
schon in den Sammlungen meist beigefügt waren. Indirect aber ist
denn doch wieder Gilbert und Alanus Quelle, weil ausser Frage
steht, dass Bernardus Compostellanus beide Sammlungen kennt und
benutzt.
Theineri), welcher Bernhards Sammlung genau beschrieben
hat, gibt als darin befindlich folgende Citate an :
1. L. I. t. 6. c. 9. Idem archiepiscopo cantuariensi. hiiotuit
nobis olim et inf. In secunda compilatione tit. Defiliis pre^byterorum
libro primo quaere decretalem istam'.
1) DUqaUiUooM pig. 129—136, die CiUte stehen 181 NoU 6, eioe «inoptiscik«
Tabelle der Comp. Bernardi und Petri BeneT., aber leider wieder nicbt in tabella-
riacher Form, p. 135 Note 13, endlich eine Nachweisnng aus den Re^itea biasvm
10. Jahr p. 136.
Die Compilatiooen Gilberts and AUour. 611
Wie die Tab. C. ergibt, passt dies Citat genau auf die ver-
mehrte Comp. Gilberti» aber auch auf die im nächsten Cap.
zu besprechende des Cod. Fuld. D. 3\ In der Comp. III. des
Petrus Benev. steht das Capitel im tit. De eleeiione.
2. L. L t 7. c. 2. 'Idem midrosiensi archiep. Qnod in dubiis et
ifif. supra in secunda compilatione titulo De renuniiaiione quaere de-
eretalem istam'.
Steht genau so in C. und Cod. Fuld. D. 3% nicht bei Job.
6al., wohl in der Comp, tertia.
3. L. 1. 1. 7. e. 11. 'IdemMutinensiepiscopo» iitteras vestrae et inf.
Quaere decretalem istam in sec. comp. tit. De film presbyteramm.
Steht genau so i) in C. und D. 3\ Die Compilatio tertia des
Petrus Beney. hat diesen Titel gar nicht.
4. L. L t. 7. c. 3. *Idem turonensi archpiscopo. Duo ^mul et
IqL Hanc decr. quaere in tit. De offi ei potjud. ord,\
So in C. undD. 3*.
5. L. I. t. 7. c. 4. 'Idem, idem. Quod s. apostolica et inf. Quaere
haoc dec. tit. de eo qui agit vieea aUerius' .
Genau so in C. I. tit. 18. undD. 3\ Dieser Titel ist nicht
in die Comp. IL, III., IV. aufgenommen. Er hat nur dies eine Capitel
in beiden Sammlungen <).
6. L. I. t. 17. c. 10. 'Idem arch. et archid. tiberiensi. Expec-
tans expectavi. Istam decret. quaere in sec. comp. tit. de deposiiione
episcoporum\
Diese Decretale nebst der Titelrubrik steht nicht in den beiden
Fuldaer Handschriften «).
7. L. 1. 1 14. c. un. ^). *Idem cancellario et mag. L. parisiensi. Di-
lecti filii et inf. Quaere istam decretalem in sec. comp. tit. de arbüris\
Fehlt in den beiden Codices. Erwägt man nun, dass von diesen
7 Citaten 5 genau passen, dass sie nur auf diese Compilationen passen.
^) Nach Thei Der*s Angabe steht ea oicht in der Ton ihm lU die Sammlung Gilbert«
angenommenen Brüsseler Handscbr., wo die zwei vorhergehenden stehen, ebenso
das folgende.
*) Steht nach Th einer im Cod. Bruxell. nicht.
*> Nach*Theiner in einem späteren Zusätze am Ende des Brüsseler Codex. Er
•ehliesst daraus, Bernard habe diese Sammlung vor Augen gehabt.
*J Fehlt im Brüsseler Codex. Es ist von The in er nicht gesagt, ob die 7 Citate die
einzigen sind.
4l»
612 V. Schul tc
dass Bernhard vor Petrus Beneyentanus und noch mehr vor Johannes
Galensis die seinige machte, dass die Erweiterung der Compilationen
durch Anhäoge und Ergänzungen feststeht, dass die Unvollständigkeit
des Anhanges gerade der Fuldaer Handschriften ersichtlich ist <), so
glaube ich berechtigt su sein, folgende Schlösse tn ziehen :
a) Bernhard hat die Sammlung Gilberts in der erweiterten Ge-
stalt C, oder die des Cod. Fuld. D. 3% was auf Eins hinausifiuft, vor
Augen gehabt, jedoch enthielt die von ihm benutzte Handschrift noch
Erweiterungen, sei es im Haupttheile oder in Anhängen.
bj Diese Sammlung nannte man vor dem Erscheinen der
des Johannes Galensis Compilatio seeunda. Nach dem Erschei-
nen der Sammlung desJoh.Gal. übertrug man auf sie jenen Aasdruck.
Da nun unzweifelhaft Petrus Beneventanus aus Bernhard schöpft,
die Samjoilung des letztern mir selbst nicht vorliegt, so darf ich mit
den obigen Andeutungen mich begnügen.
Schliesslich möge noch hervorgehoben werden, dass eine .An-
zahl von Decretalen Innocenz III., welche besonders Alanus hat, nicht
in die Comp. HL und IV. übergegangen sind. Da mir nicht alle Hfilfs*
mittel >) zu Gebote stehen, konnte ich den vollständigen Nachweis
über die Quelle derselben nicht liefern.
Drittes Capitel.
Sntstehangsieit and taellei der CaMpilatianes Mlbertl iid AlaaK
Masse der Camp. CMfterll.
I. Aus den Nachweisen der Tab. A. bis D. ergibt sich> dass
Gilbert auch in der erweiterten Form keine jüngere Decretalen auf-
genommen hat, als jene, die in der Sammlung des Rainer Ton
Pomp OS i stehen «). Auf die vier nicht genauer nachgewiesenen kann
kaum etwas ankommen. Mit Ausschluss einer einzigen des Anhanges
^) Diea«r Punkt wird aus dem in Cup. III. snb num. II. Angefahrten bewiesen
werden.
2) So ist s. B. Brequigny et La Forte du 7%m7 Diplomat«, ehnrtae, epiat cet. Par. 1791.
fol., wo die bei Baluae fehlenden Regesten stehen, weder auf der Prager noch
der Wiener UniTersititabibliothek vorhanden. So weit nicht Citate bei andere«
(a. B. Richter Corp. jur. can.) stehen, war ich also verlassen.
2) Abgedruckt in Steph. Baluze Epistolamm Innocentii ül. R. P. Libri aadecim.
Paris. 16S2 fol. 2 voll. T. I. pag. S43— 606. Citirt in den Notae der Tabellen
Rayn.
Die Compilationen Gilberts und Alanus. 6 1 S
D. cum tibi de benignitate^ welche in das 8. Jahr (Anfang 1204 bis
1205) fallt, gehören alle dem 1. 2. 3. Jahre an. Rainer sagt in der
Vorrede ausdrücklich, dass er Decretalen aus den drei ersten Jahren
xusammenstelle. Es kann daher wohl keinem ZweifeT unterliegen, dass
Gilbert seine Sammlung im Jahre 1201 oder 1202 zuerst gemacht,
imJ. 1204 oder 1^05 erweitert hat. Damit stimmt vortrefflich, dass
Bernardus Compostellanus antiquus, der in seine Comp.
Romana Decretalen bis ins 11. Reg^erungsjahr (aus dem eilften eine)
aufnahm «)» sie benutzt und als Cotnpilatio iecunda bezeichnet. Es
setzt dieses offenbar eine gewisse Reception voraus a).
II. Dass eine solche erfolgt ist, beweist die im Cod. Puld. D. 8.
zur vermehrten Sammlung des Gilbert vorfindliche Glosse').
Die Glosse erstreckt sich auf die Hauptsammlung (Tab. C.)
und deren Anhang (Tab. D.), ist im ganzen nicht sehr reichlich,
besteht meistens in Citaten ans dem romischen Rechte, Verweisungen
aaf das Decret und die Compilatio prima. Letztere sind dadurch für
uns von Bedeutung, dass sie den Beweis liefern, dass der Glossator
die Comp. Bern. Pap. als prima ansieht, woraus von selbst folgt, dass
er die glossirte als secunda betrachtet. So lautet gleich die zweite
Glosse, die erste zu c. 1. de rescr.:
>> The in er Dinquieitiones p. 18Z.
*) leb erlaube mir bier auf einen Punkt die Aufmerksamkeit Jener tu lenken, depen
etwa Handackriften der Comp. I. in die Hand kommen, welche mit Sicherheit
Tor dem Jahre 1210 g-eschrieben aind. Denn aus den Gloaaen aolcher Hesse
•ich Gewisaheit heratellen. Preilich dfirften aolcbe Randscbriften luaserst selten
sein, md^licberwetae nicht -mehr exiaiiren.
') Von einer aolchen hat man biaher nichta ^ewuaat. Tan er ad apricht nicht aus-
dnicklich daTon, aber aus den Worten: ^superquarum [diea besieht aich aU^emein
auf alle Torgenannten Sammlungen des Gilbertus, Alanua, Bemardus, Petrus,
Johannes] expositionibus plures doctores Bononiae studentes glosas plurimas, va-
rias et diveraas poanerunt et appantus super eia acripaerunt* kann man seine
Befcanntachaft damit folgern. Br hatte, nachdem die Coli. Oilb. u. Alani antiqntrt
waren, keinen Grond, niher darauf einsngehen. Johannes Andrei deutet nichta
daron an. Es ist sehr wahracheinlich, daaa er es nicht wusste, keine solche Hand-
ackriflen kannte. Ich schliesse dies daraus, daaa er sonst sehr genau intereasante
NoUsen mittheilt. Dass er mehrere Werke nicht kennt, ist bekannt
Geachrleben ist die Glosse sehr klein aber unendlich zierUch und aicher
fr€lMr ala der Ton einer gintlich Terachiedenen und apiteren Hand geschriebene
Test. Die Glosse der Comp. I. teigt dieselbe Hand, der Text dieselbe mit den
fol^nden Sammlungen. —
Auaaer den Nachweisen, welche folgen, bieten die mitgetheilten Stellen für
jo4ea Punkt hinlingliche Belege.
614 V. Schulte
'Adverte Privilegium Cistrensium in decimis laborum suoram
non praestandis, ut $upra L L t de decimis ex parie\ d. h. c. 10.
de decimis III. 26. Comp. L
Die zweite Glosse zu demselben Capitel v. ardinis ift:
'nam nominis suppressio suspitionem inducit, nt supra de rei-
criptis, ad aures 1. I.» supra de dolo et contumacia c. II., \. V.
Ebenso citirt die 4. 7. 8. Glosse zu demselben Titel und un-
zählige andere.
Consequent wird dann auch häufig diese Sammlung mit liber
idem, abgekflrzt 1. e.» bezeichnet, z. B. Gloss. ad c. 2. de off. et pol
sud. del. 'ut s. [supra] de filiis presb. c. ult /. e.\ zu c. un. de eo qui
yices gerit alterius : c s. de elect Si archiep. I. I. [d. h. c. 9. de
elect. I. 4. Compil. I.]» s. de elect. Suffraganeis L «/ d. h. c. 1. de
elect. I. 4. bei Gilbert.
Dass der Glossator diese Sammlung als eine zur Comp. I. hinzu*
tretende» mithin gewissermassen als verbunden betrachtet, ergibt
schon die Citirart supra und infra ; wo kein Zweifel entsteht, findet
sich daher auch wohl blos supra. So z. B. Gl. zu c. 2. de off. et
pot. iud. del. 'ut supra de test. quamvis simus' [c. 13. II. 29. Comp.
L] und 'ut s. de off. iud. del. praeterea 1. I.' Letzteres Citat war
nbthig, weil man ja dasselbe möglicherweise auf Gilbert beziehen
konnte, was beim ersten unmöglich war, da der Titel de testibus ein
späterer ist , folglich supra nur auf eine andere Sammlung gehen
kann. Er ist darin so genau, dass, wo er mit Zahlen oder unbestimmt
citirt, er sogar für diese Sammlung die genaue Bezeichnung wählt,
z. B. zu c. 2. de off. et pot jud. del. 'ut«. de filiis presb. /. e!^ nicht
zu c. 2. de bigamis: 'ut infra de conversioneinfidelium, Gaudemus'.
da infra nur auf sie gehen kann.
Dieses letzte Citat passt ausschliesslich auf diese Compilation,
da die Comp. III. das Capitel im tit de divortiis hat Sie liefert also
zugleich den Beweis, d a s s die Glosse zu dieser Sammlung
gemacht, nicht etwa von anderwärtsher zugesetzt ist. Ganz das-
selbe folgt aus der letzten Glossa zum 1. Cap. des Anhangs: *ut
infra de eo qui vices gerit alterius\ denn dieser Titel existirt über-
haupt nur in ihr <).
*) Nebenbei lei bemerkt, daM CiUte blosser Titel, wenn diese nur ein Capitel
in unserer Ssmrolnn^haben, mebrfach vorkomnen, s. B. auch m c. 14. des
Die Compilationen Gilberts uad Alanus. 615
Mit diesem Citate ist nun auch der Beweis geliefert, dass
Hauptsammliing und Anhang als ein Ganzes erscheinen.
Denn wenn beide mit infra und 9upra bezeichnet werden» wie es
hier geschehen konnte, weil der Titel de elect früher steht als der
de eo qui vicesgerü alt. und der letztere Titel in der Hauptsammlung,
die Glosse aber zum erstem im Anhange vorkommt: so müssen sie
als Einheit gelten. Solcher Belege lassen sich sehr viele beibringen,
einige mögen noch Platz finden. Gl. ad c. 7. Anhang, 'ut in eüptra,
de testibus j^orro et infra de except. detiique. Erstere Stelle kommt
nicht vor, letztere steht in der Hauptsamfnlung als c. 2 de except. IL
12., fn c. 10. 'sed contra supra e, t. [eodem titulo] gnod ad
comtiltationeni d. h. c. 3. de sent. et re jud. IL 17. Ebenso wird
für den Anhang selbst das frühere mit supra, das spätere mit iih-
fra citirt. Um vollends jeden Zweifel auszuschliessen , sei noch
hervorgehoben, dass auch die Comp. L im Anhange einfach mit
mfMra citirt wird, mithin als das einfache Prius ihm gegenüber
erscheint, z. B. zu c. 6. 'ut 8upra de homic. $icut dignum §. casus
vero\ [c. 7. V. 10. Comp. L].
Dem Verfasser lag zur Zeit der Abfassung der Glosse schon
eine reiche und in Titel eingetheilte Extravagantensammlung vor, da
er über 50 citirt. Sie ist aber nicht die Sammlung des Alanus, weil
sehr viele derselben sich dort nicht finden, kh halte es aber nicht
für meine Aufgabe, hier diesen Punkt weiter zu verfolgen.
Folgende Schriftsteller werden in der Glosse citirt :
aj zu c. 3. Cum non ab hom. de jurej. IL 1 6. Clem. IIL verbo absol^
verunt: 'et tarnen mortaliter peccant, si juramentum non servent, sed
ideo non ita graviter puniuntur, ne pena illorum incentivum delin-
quendi pariat malefactoribus, cum propter hoc essent ad inferendum
violentias promtiores. Bazianus tamen dicebat, extortum juramen-
tum non esse Obligatorium, nee aliquem peccare, si veniat in contra-
rium. Quod in juramentis promissionis locum habet , secus in asser-
toriis, ad qaae facienda nulla conditione debet quis duci' <).
Aabangea: *ut X. de aacceitionibus ab inteatato', waa aof die UoToilaifindigkeit dea
Anbaaga deutet Daa zeigen auch andere s. B. die zweite Gl. zum 1. Cap. dea An-
haaga: *at infra de capeUia luooachor. vobi^t infra de elect. Qtm ex utHusgue'.
Letalere SteUe hat unaer Codex, eratere nicht.
<) Zu deaaelben Worte ateht vorher folg. intereaaante Gloaae: *i. e. abaoiutoa i. e.non
lif^toa oatenderunt : et hoc verum eat de hia, qui inviti jaraverunt, le daturos rea
eccieaiaaticaa. Simile supra de appell. ad praetentiam [Comp. I.]. Sed quid, ai rea
1
616 V. S ch u 1 t e
b) Tax c. 9. quia reqniaivisti de appell. 11. 18. Coel, III. v. dies
'suprade off. jud. del. ad haec 1. 1.» s. de appell. adhaec. Magister
WiV i) intelligit illud c. de pluribus eleetis tali modo: *elegimus p.
et si ille aliquo casu intenreniente non potest esse, eligimus M. et ita
de ceteris'. Quod bene fieri potest et istis acquiritur jus ex tali no-
minatione: * Argumentum infra LXXXV. Archidiaconum et LXI.
Studiivestri\
Zu c. 15. a nobis est de sent. exe. V. 14. CoeL III. v. abso-
lutio a sedeap. requiratur: \sed hoc habet locum in mortuis tan-
tum, illud autem in mortis articulo eonstitutis, qui, ex quo penitent,
reconciliandi sunt» ut viatico non prirentur, ut d. L. Penitentes. Ma-
gister GwiL dieit» quod urgente mortis articulo ille» qui incidit in
canonem late sententie, etiam a laico instante ultima neeessitate,
reconciliari et absolvi possit ita quod« etiamsi supervixerit postmodum
et convaluerit, non egeat absolutione summi pontificis, debet tarnen
modum penitentie et satisfactionis a papa suscipere et hoc argumen-
tum illius c. de con. di. III. Sanctum est baptisma\
c) Zu c. 1. Vestra de cohab. der. et mul. III. 1. Luc. lU.
verbo eondempnatur: 'Insufficiens est ista descriptio, cum non
omne notorium sit tale; nam ante sententiam potest esse notorium, ut
s. de divortiis Porro, s. de fiiiis presb. c. ult. I. Die ergo, ut notavit
R. s. de sortilegio Ea^ tuaruwt *).
d) c. fraiemitatis un. Qui cler. vel voventes IV. 4. v. lotigi"
^tiifo: 'Similiter I. I. t. e. [libro I. titulo eodem] consuluit contra.
propriu •« datoros jurarerunt? Videtur, quod tenentor ut ZV. q. I. Merito^ npr*
de Jur^. «tvero; ZXU. q. III. tt siiqitidi et peccet mortaliter, qui cootra jarameatiiD
Tenit, lieet peoam non soetineat debitam pro mortali. SiinUe XXVII. di. «i vir.
Haec eat communis opiaio theologorum.
Tancred hatin dem Apparate xur Comp. II. die Glosse vor Au^en gehabt bei
beiden Stellen, da er Einzelnes wörtlich daraus entnimmt.
0 Welcher Wilhelm dies ist, lisst sich schwer skgen. Sarti nennt mehrere dieses
Namens (vgl. mein Lehrbuch S. KK Note 40). Meines Wissens sind bisher nirgends
Glossen ron einem solchen mitgetheilt worden.
*} Apparat Tancrediad Comp. II. ^ . . Patet autem quod non omne tale compre-
henditnr snb hac diffinitione, nam multa sunt ante sententiam notoria: II. q. I- de
manife., s. de flliis presb. c. ult. I. (., s. de divor. porro., s. de sorti. c. ult. 1. 1
Nach Cod. Bamb. P. II. 6. Dies selgt die Benutsung deutlich.
R. Ist wohl unzweifelhaft RichardusAnglicus, dessen Glosse also in den
Anfang des XHI. oder das Ende des ZU. Jahrh. flillt.
Über R o d o 1 c u s mein Lehrb. S. 49.
Die Compilationen Gilberts und Aianus. .6 1 7
eadem est solutio, yel, ut dicit Ro. ratioue temporis et filiorum ibi
Toluit dispensare, vel ibi sine questione manserunt, hie secus. Et
oota,quod quandoque favor filiorum et temporis dispensationem faeit,
uts. XXXV. q. VIII. c. 1., C. de ritu nuptiar. qni in pravincia^ «.
de eo, qui duxit in matrimonium c. 1.» infra de cognatione apirituali,
Lmdabilem, s, de symonia Non satu* s. qui matr. aecusare non
possunt Ex litteris contra. Sed ibi repelKtur aecusator tanquam
suspectus» quia tanto tempore tacuit, nee fuit illud matrimonii appro-
batio, sed accusatoris suspitio'.
Zu c. 4. De regulär, de sym. V. 2. Clem. III. verbo adeant:
'oumquid propria auctoritate transire poterit? Videtur, quod non, nisi
crimen publicum fuit ut X Villi, q. UI. Mandamus ; Statuimns. Abbas
ergo episcopi auctoritate hoc faciat. Ro. dicit, propria auctoritate
hoc posse fieri: arg. s. de regularibus et transeuntibus ad religionem
Sane 1. L, s. XVIIIl. q. u. Due:
An zwei Stellen citirt er Seneca (fol. 137' und 138*). Als in-
teressant und cur Feststellung für die Glosse der Comp, antiquae mögen
ooch einige Glossen Platz finden.
Zu c. ad aures un. de bis. quae vi. I. 19. Coelest, lU. v. jura-
menio: 'S. de rest. exspol. c. I. I. I. Contra ibih. nonrecipitur jura-
mentom ab exspoliato prestitum, sed ibiinprestationejuramentiiliata
fuit violentia, hie post illatam violentiam spontanee juravit, et ideo
secus, ut C. de bis que vi metusve causa fiunt i. IL Vel ibi agitur de
jure jam acquisito, hie autem de acquirendo. Et facilius repellitur
promovendus quam deitiatur promotus ut XV. q. I. %. ult i). Hie non
fuit exspoliatus« cum nunquam fuisset institutus. §. s. de jurejurando
Sivero» XV. q. VI. c. 1. contra infra de jurejur. verum contra. Sed
hie metus non fuit tantus, qui excusationem induceret, ut ibi, et hie
non in ipso metu fuit juratum, sed postea. Tarnen opinio est theo-
logorum, ut quantumcunque invitus aliquis juravit« obligetur ut XV. q.
I. merito\
Zu c. directae 10. de appell. IL 18. Clem. IIL v. secunda
iurisd^ S. e. t. proximo contra., s. de appell. personas contra, s. de
1) Soweit steht die GloMe fast wörtlich bes. so das« man siebt, sie war die Quelle,
im eiaer mit n. ^eseichnetea des Cod. B am b. P. I(. 6. cur Comp. (f.
618 T. S eh u I t e
oif. ju. or. ad haec contra I. I. Solutio: Hoc locum habet, quando non
prosequens appeliationem suam nihilominus admittitur ad causam
suam peragendam. Nam elapso termino appellationis de jure suo
judex, appellatione remota, posset procedere, ut patet ex contrariis et
j. e. sepe contingit Vel dicas, quod, si elapso termino appellationis
iterum appelletur, ne judex procedat, non vaiet hujusmodi appellatio,
ut ex contrariis patet. Si vero post primam appeliationem elapsam in
processu negotii vel in sententia gravamen aliquod parti immineat,
audietur appellans, ut hie, nisi contra absentem per contumaciam fuerit
sententiatum ut i [nfra] e. [ödem] t. [ituloj.
Zu c. Tertio 6. de spons. IV. 1. Clemens HL v. credere: 'Sed
videtur, quod sufficiens non erit hoc testimonium, cum secundum
conscientiam, non secundum credulitatem debeant confiteri et testi-
ficari ut HI. q. IX. Testes* nisi ubi de consanguinitate probanda agi-
tur, ut s. de prole suseepta ex secundis nuptiis c. II. Sed dico ubi
agitur ad separationem matrimonii sufficit per rerisimiles probationes
et praesuroptiones fornicationem probari ut s. XXXII. q. I. Dixii
dominus^ .
C. un. cum sis de cland. desp. IV. 10. Clem. III. v. tenuerit:
'Si quaeras, quamdiu daret interdictum, respondeo, quamdiu durat
causa, propter quam specialiter datum est interdictum ut d. XXXI.
5t laicus, alioquin ubi causa non ad haec et Vitium non imputatur, ut
s. d. LXI. Neophiius. Non tenuerit ipso iure et hoc impediente inter-
dicto ecciesiastico tam publice et tarn sollempniter facto ut s. de
sponsa duor. c. ult. 1. I. Refert ergo, an fuerit sollempne interdictum
vel privatum. In primo casu non erit matrimonium, nisi ex consensu
novo contrahatur, in secundo secus. Et sie solve contraria signata.
ut s. de sponsal. I. I. de muliere* de matr. contr. contra interd. ecci.
c. 1. et ult. 1. I. Alii dicunt, quod non tenuerit quantum ad ecclesie
presumptionem et si teneat ipso iure nisi alia causa perpetue probi-
bitionis subsit, et sie soivunt contraria'.
Zu c. 1. de const. I. 1. praeterea Clem. III. v. respondere:
'Sed nonne precise potuit respondere, quod, qui tamdiu, non solum a
possessione cadat cum sufBciat in rebus ecclesiasticis si quis non
solvent per biennium ut X. q. H. hoc ins. por, Qui res iam. In rebus
privatorum per biennium ut C. de jure emph. 1. II. Resp. hoc forte
ideo dicit, quia possessor ignoravit possessionem fuisse censualero.
Die Compilationen Gilberts und Alanut. 619
et ideo non solum excusatur. Justam autem ignorantie causam habere
potuit, si in locuiQ alterius successit» ut d. de regulis juris, vel quia
ignorabat prescriptionem juris ut C. de prescr. XXX. vel XL. anno-
rum; sed hoc non valet, cum tantum XL annorum preseriptio currat
ecclesie ut s. de prescript. ; vel propter scandalum vitandum dili-
genter prius voluit veritatem exagitare quam sententiare*.
Wer Verfasser der Glosse sei, ISsst sich schwer sagen.
Bedenkt man aber, dass Bernhard von Pavia selbst die Comp. L
glossirt hat, dass nirgends eine Sigle sich vorfindet, dass die Glosse
nur die auf die Comp. L sich beziehende älteste Literatur berück-
sichtigt, in ihrem Charakter der überwiegenden Citate von Stellen
des canonischen und römischen Rechts sich als ersten Versuch zu er-
kennen gibt: so braucht man wohl keinen Anstand zu nehmen,
Gilbert US selbst für den Verfasser zu halten. Ui dem so, dann hat
er das Verdienst, für einen grossen Theil derDecretalen derComp.IL
die Grundlage der Glosse geliefert zu haben <).
IIL Fasst man des Alanus Sammlung ins Auge, so zeigt sich,
dass ihr jüngstes Stuck dem Jahre 1208 angehört. Damit dürfte die
Zeit der Entstehung wohl ziemlich zusammenfallen. Da Petrus von
Benevent seine Compilation wohl im zwölften Jahre, also etwa
1210 gemacht hat, blieb für die Bearbeitung jener kaum die erforder-
liche Zeit übrig. Von einer solchen findet sich dann auch in unserem
Codex keine Spur.
IV^. Was die Quellen der Compilation Gilberts betrifft,
so lasst sich von vornherein annehmen, dass nach der Comp. L eben-
solche Sammlungen angelegt wurden, als dies nach dem Dekrete der
Fall war*). Von derartigen Sammlungen mögen zwei in Kürze ange-
geben werden.
0 Der Glossator hat sich zu Rom aufgehalten, er sagt in der letzten Glosse (zu c. 38.
des Anhangs. Darauf folgen nur noch 2 Citate) ; 'huius falsitatis auctor in data
comprehendi potest, et hoc vidi aliquando fieri rome^*
Eine Erwfihnung mftge noch finden, dass fol. 124a snr Decretale vergentiM
steht: ^dM lant und sorchint dasselbe hindan*. Fol. 126b am Rand neben dem Ein-
gänge von deelerico maUdieo. Fnnoiuit steht: *das lant*.
S) Meine Quellen des Rirchenrechts S. 332. fg. Eine andere in meinem 2. Beitr.
zur Gesch. der Literatur Qber das Dekret Gratians S. 46 ff. (Sitz.-Ber. LIV.
8. 93 S,),
620
Y. Schulte
1. Cod. bibl. Universit. HaUefiHs. Ye 80. fol. mbr.saec. XllP)-
Nach dem ^Expüeiuni decretales inflra titulos' fplgt auf die Com-
pilatio prima mit der Überschrift:' Incipiunt decretalea exira titu-
lo9' Eine Sammlung von 88 Decretalen , welche wohl uater (Titel)
Rubriken gebracht sind, aber nicht in der Ordnung Bernhards. Die
Rubriken sind oft sehr ausführlich. Ich stelle sie in der folgenden
Tabelle in Vergleichung mit der Coliectio Gilbert! unter Angabe des
Ortes, wo sie aufgenommen sind, falls sie in der Coli. Gilbert! sich
nicht finden.
•
6
a
•
Cod. Fald.
•
mm
Cod. Fald.
Cod. Fttld.
•
Ol
i
Cod. Fold.
"3
aa
D. 14.
vS
»
D. 14.
B
0. 14.
B
D. 14.
o
o
•
5
1
1
in. 11. un.
11
V. 14.' 5.
23
IV. 1. 4.
35
•)
2
II. 3. 1.
12
IV. 8. 1.
24
»)
36
♦)
2
11. 18. 11.
13
IV. 3. DD.
25
II. 1. 1.
37
»)
2
L 13. 2-
14
IV. 1. 4.
26
IV. 10. UD.
38
•)
3
III. 22. 2.
15
III. 3. UD.
27
V. 14. 1.
39
V. 14. 11. 1
4
. V. 2. 4.
16
V. 14. 4.
28
I. 9. 4.
40
V. 8. 1.
5
V. 5. 4.
17
V. 10. 2.
29
n. 18.6.
41
»)
6
V. S. 2.
18
IV- 12. 3.
30
in. 18. 1.
42
•) ;
7
III. 12. 2.
19
V. 13. 3.
31
IV. 6. 2.
43
II. 2. UD.
8
IV. 2. un.
20
n. 5. uo.
32
V. 14. 10.
U
IV. i. 2.
9
V. 13. 2.
21
IL 17. 1.
33
IV. 7. 2.
45
V. 13. 1.
10
ni. 20. 1.
22
IV. 1. 5.
34
n. 18. 11. .
46
V. 1. 2. 1
^) Donselbeo beacbreibt tchon Latpojrres Bernard i Pap. Summa decretalinm. RaCisb.
1S60 pag. XXXII. sqq. Er gibt die Zabl der Decretalen im Anbange mit S5 an, weil
ibm die LQcke awiachen 7. und S. entgangen iat and er swei Capitel äbersehen
bat In diesen SS aind nocb 15, welcbe in der Comp. II. und HI. Stöcke aolclier
sind; folglicb kommen als Quelle jener. Comp. 108 beraus. Die Sammlung ist na-
▼ollstindig, es fiel eine Lage aus. Die letste Seite jener, wo die 7. Decretale en-
digt, bat die alte Nnmmer Xl\, was stimmt, die folgende aber XHI. Sie nmfasat
jettt 17 Blitter, ein Drittel durfte somit feblen.
*) Ist c. i. de purg. rulg. V. 16. Comp. U. — ') c. 2. de spons. IV. i.ibid. —
*) Stebt in Tab. E. IV. 7. 1. ~ •) Stebt in Tab. F. num. 22. — <) Clein. III.
Cassibn. srcb. Cum ad sed. ap. et j. Super boc itaque tua p. — 7) c. 1. de fil. preab.
1. 9. Comp. II. — 8) c. 0. de jud. II. 1. Comp, primae.
Die Compil«tloo6ii Gilberta und Alanus.
621
•
e
3
z
■
3
Cod. Fuld.
D. 14.
•
B
Cod. Fnld.
D. 14.
•
Tb
s
Cod. Fuld.
D. 14.
t
Cod. Fuld.
D. 14.
•
m
o
l
47
0
57
II. 12.1.
68
•)
79
")
48
U. 19. UD.
58
IIL 20. 4.
69
11. 8. 1.
80
")
49
V. 7. 3.
59
III. 20. 3.
70
1«)
81
'*)
50
V. 14. 13.
60
V. 14. 5.
71
")
82
V. 14. 16.
50
n. 18. 8.
61
I. 13. 5.
72
I. 7. 2.
82
L 12. %.
51
»)
62
in. 24. 4.
73
III. 16. UD.
83
V. 2. 3.
52
•)
63
V. 15. 1.
74
IV. 1. 7.
84
»)
53
*)
64
«)
75
II. 7. un.
85
ü. Ift. 7,
54
II. 18. 9.
65
IV. 1. 2.
76
V. 14. 9.
86
«•)
55
III. 17. 1.
66
')
77
V. 16. 2.
87
V. 7. 5.
56
*)
67
«^3
78
II. 18. 10.
88
")
2. Eine Sammlang von Decretalen dieser Art ist edirt von
Mansi in Steph. Baluzii Tutelensi.s Miscellanea . . . opera ac
studio Jo. Dam. Mansi Lucensis. Tom. tertius foU Lucae MDCCLXII.
pag. 368—391. In der ersten Ausgabe steht; sie nicht. Sie hat die
meisten Decretalen mit der eben beschriebenen gemein» auch ein-
zelne, welche in derCoDectio Alani stehen, nicht aber in der Comp. II.
oder in. ««)
Ich habe noch in einigen Handschriften als Anhänge zur Comp. I.
(ebenso zu den folgenden) derartige Extravagantensammlungen ge-
funden, aber leider sie genauer zu notiren vergessen.
^) c. 15 de »eilt. exe. V. 19. und c. 2. de big. I* 11. Comp. II. — ') c. 3. de pr. II.
15. ihid. — >> c. 1. de immun. III. 27. ibid. — *) e. 2. de procur. II. 18. ihid,
^) c. 1. de sepult. fll. 15. ihid, — ^) c. 1. de his q. conc. III. 11. Comp. III. —
^ fnn. III. Martscan. epo. Signif. nob. p. t. lit. quod cum B. — ^) Id. Ad «od. n. te
eigralf. — ^) c. 1. de viU et hon. III. 1. Comp. III. — ^^) c. un. de puriflcftt. Hl.
36. Comp. ni. — ^'> €. 2. de praeb. III. 5. iltid. — ^^) Coel. lil. Raven. arcb.
Ex lit. d.f. n. capitoli ecd.Cremon. — <*) c. 4. de resr. II. I. Comp. II. — ^*) Inn.
III. Officii oostri deb. et »oll. — ^^) c. 3- de excess. prael. V. 13. Comp. II. —
f •) e. 4. de regulär, ni. 18. Comp. II. — ^7) In eollectione Raynerii tit. 24. Licet
is «ttt. — 19) Citirt in den Tabellen mit Mi ac eil.
622 V. Schulte
Viertes Capitel.
Bie Cmpilati«! des C^d. Vald. D. 3\
Diese Handschrift, mbr. fol. saec. XIII. sehr schön mit der ge-
wissen dünnen und stehenden Schrift, gehörte ebenfalls dem Kloster
Weingarten, ist mit dessen Bibliothek in die von Fulda gekom-
men. Sie hat 86 Blätter mit breiten Rändern, je 2 Col. mit 71 Zeilen,
ist sowohl im Texte als in den Rubriken sehr gut ausgeführt.
Sie enthält eine Sammlung, die zusammengesetzt ist aus der
Compilation des Gilbertus und Alanus, jedoch vermehrt mit einigen
nicht darin (wenigstens nicht im Cod. Fuld. D. S. bez. D. 14.) be-
findlichen Stücken. Die Zusammenstellung hat regelmässig folgende
Gestalt. Unter der Titelrubrik, welche häufig vor jeder Decretale
wieder steht, namentlich aber dann, wenn die Stücke aus der zweiten
Sammlung beginnen, folgen zuerst die Capitel aus A., dann B., C.
u. s. w. Sie nimmt mit einer Ausnahme alle Rubriken der beiden auf;
z. B. nach verschiedenen Capiteln unter der Rubrik de sent. excomm.
hat sie die Rubrik de violeniia clericis iHaiOf worauf sie mit der de
sent. exe. fortführt; auch de sent. ifiterdicH schiebt sie ein. Sie hat
die Titel : de fahcUoribus, de falsariist de crimine falsh auch schon
de novi operis mint. Das Stück Müsurus steht im tit. de haereiicis.
Es kann mithin gar keinem Zweifel unterligen, dass sie aus den ge-
nannten Sammlungen gemacht wurde. Die nicht darin stehenden
Stücke hat sie vielleicht aus demselben Anhange, den die Glosse zu
C. und D. vor sich hatte. Manche sind dort citii*t.
Um einen vollen Einblick zu gestatten, theile ich die Zusammen-
setzung von Buch I. und 4 mit, die Sammlungen der Kürze halber
mit den den Tabellen vorgesetzten Buchstaben bezeichnend, als erste
Zahl die des Buches, als zweite Zahl die des Titels, darauf die der
Capitel setzend. Für den Anhang zu G. setze ich die blossen Ziffern,
im 4. Buche lasse ich die Buchzahl fort, weit alle demselben ange-
hören.
*Incipit Liber I. De Coustitntionibus. E. I. 1. cap. 2. 3 De
rescr, C. I. 2. 1—3. E. I. 3. 1—10, F. 38\ porrecta [Comp. III. I.
2. 1], cum dilecta [ibid. 10.], G. \. De petit. Papae off". E. I. 2.
un. De consuet. E. I. 4. 1 — 4. De postuL et translat, E. I. 5. 1 — 5.
Die Compilatiooen Gilbert« und Alanus. 623
Tit. II. c. 1 — 5. De tranalat, praeL C. I. 6. c. 1. 2., Comp. III.
L. I. 5. 3. 4. De elect. C. I. 2. c. 1—8, D. 1. 2., E. I. 6. 1—10,
G. I. 6. 11—13, Comp. III. I. 6. c. 1., 10. 11. 14. 18. De renun-
tiat, C. I. 5. 1 — 6; nisi cum pridem; post translat. t. Raven. De usu
falü C. I. 6. c. 1. 2. D. 27.; nisi speeiaiis; ad honor. dei; ex t.
teoore lit. accep. q. cum f. in c. p. De suppL negL praeL C. I. 7.
1—3, G. hoc titulo 1—3 und Anh. 54. 55. De temp. ordin. C. I. 8.
1—3, G. I. 8. 1.2.; dil. f. W. Ymol. can.; ex p. t. f. cor.nob. prop.
q. q. p.; E. I. 14. 1.; a multis multoties. De aetaie et quäl. C. I. 9.
1—7, D. 28. 41. De sacra unct. cum ven. ad a. p. v. f. n. brand.
epc. Defiliüpresb, C. I. 10. 1 — 4 G. ibid. c. 1. 2. De eervis non
ord, E. I. 8. un. ; eo libentius. adjecisti. De clericis ab abbatibus
toHiurandis. Comp. lY. L. I. 12. 3. De corp. viiiaHs. C. 1. 1 1. 1., E.
9. 1 — 3, F. 24. De bigamis C. I. 13. 1. 2.; quia circa min. et max.
De clericis peregr. F» 30., Inter quatuor animalia et j. Consuluit nos
nup. t. f. ; Tuae f. discr. post. De off*, arch. Ad hoc nos dominus etc.
Sane consuluit; Significasti et j. Interdicas. De off, et pol. jud, del.
C. I. 13. und I. 14. D. 1. 2. E. 1. 10. 1. 2. F, 31—33. 38% c, 1.;
Cum sup. abb. mon.; Cum in jure; Cum olim d. f. abbas et conv.,
Nisi spec. lila dilectio quae; Cum olim quaestio quae int. dil. f. Arch.,
Cum R. can. Launensis causam pecuniariam; Cum contingat int. quod
laici etc. Insuper requis. sumus; Const in n. p. d. f. V. der.; Quanto
de votis religiosor. ; Licet in corrig. excessibus. De maj et obed. C.
l 15. 1 — 4. E. I. 15. 1 — 5. Solitae benignit. affectus recepimus litt.
De procurat. C. I. 17. 1 — 4. In n. p. const v. f. n. Tüllen, epc.
lacrimabiliter. De eo qui gerit mcem alterius C. I. 18. un. De his
quae vi C. I. 19. un. D. 3. 4. F. 34. De arbitris D. 5.; cum dil. etc.
unde utr. coram arbitr. reconv. Der tit. de transactionibus
fehlt.
Liber IV. De sporn. C. 1. c. 1—8 D. 21. E. 1. 1—6; dil. fil.
milea Alex.; Tuae f. post. ins. edoc. ; T. n. exhib. litt, cont.; Sicut
ex litt t. f. accepimus; T. n. duxit frat. Consequenter; cum in.t. dioec.
et j. Saoe quia. De desp. imp. C. un„ E. un. De clandestina des-
ponsai. C. tit 3. c. un. tit 10. un. E. 9. 1. 2. De cond. appos. E.
tit 3. un. Qui cier. Tel vot. C. un. E. un. De eo qui duxit C. tit. 5.
1 — 3. De cone. serv. E. un. De cogn, spir. C. tit 6. 1 — 3. E. tit. 7.
1 — 2. Ven. ad p. n. E. Angl. nat. De eo qui cognov. C. tit 7. 1.
4. E. t 10. 1 — 4. F. 22. Frat t. sup. trib. cap.; Ex litt, t f. accep.
624 ▼. S eh u 1 te
et 6. lator earund. De cohs. et off, C. tit. 8. un. E. c. 1 — 3; Ex ten. lit.
t. accep. q. cum Petras et M. ; Tua n. d. f. consulendos atrum ill. suff.
teat. De frig. et nudef. C. 1 — 3. h. t.. De impotentia coeundi. f. t.
litt. reo. contin. [Comp. III. c. un. h. t. IV. 11.]. Qui fil sint legit.
C. h. t. 1. 2. E. h. t. 1—6. Qui matr. accus. C. h. t. 1—4. E. h. t.
1 — 4.; Cum in tua dioec. et j. Si rero p. contr. De dhort. C. h. t.
1 — 4. D. 22. 23. Desecund, nupt C. h. t. un. E. h.t. un.
Mir scheint, dass eine genaue Betrachtung der Sammlung zu
folgenden Resultaten fuhrt:
1. Die Sammlung ruhet auf den von Gilbert und Alanus.
Hiefür glaube ich weitere Grönde nicht anführen zu sollen, da der
Augenschein zu deutlich spricht.
2. Die Abfassung fallt vor die der Compilation des Petrus ron
Benevent und Johannes Galensis. Dass Jemand nach diesen Samm-
lungen wieder in solcher Art sollte eine Zusammenstellung gemacht
haben, ist ganz undenkbar.
Noch genauer die Zeit zu bestimmen, wann sie gemacht ist, ist
unmöglich. Bedenkt man aber, dass die nicht bei Gilbert und Alanus
vorkommenden Stucke sehr wenig zahlreich sind, dass sich derCom-
pilator so sehr an jene beiden hielt, dass er die Verbindung der
verschiedenen Rubriken für dieselbe Sache nicht scheute, so dürfte
die Abfassung wohl bald nach Alanus zu setzen sein.
Ich glaube der Sammler hat den Cod. Fuld. D. 5. selbst vor
Augen gehabt, wobei ich gerade nicht an das mir vorliegende Exem-
plar, sondern an ein solches denke, von welchem jenes sich als ge-
naue Abschrift darstellt. Das gar nicht daher gehörende Stuck Mis-
8uru8f welches eine Einleitung zum Decret Gratians enthält, steht
in D. 8. nach den Decretalen de haereticis in der Abtheilung extra
tituloB (nach der Decretale Vergentis) und schliesst dies Stück ab,
das offenbar unvollständig ist. Der Sammler von D.*" hat nun das-
selbe mit in den Titel de haereticis aufgenommen, darauf die übri-
gen folgen lassen. Ein zweites Moment ist, dass er die in D. 5. unter
L. VI. stehenden Decretalen auch mit L. VI. an den Schluss hängt i^ ;
er hat noch einige mehr <), weil er unzweifelhaft die fehlenden
Blätter noch vor sich hatte, die in dem vor mir liegenden Exemplare
^ Dum in D. 5. der Buchbinder im J. 133S verkehrt gebunden hat, ergibt sich yoi
selbst.
Die Compiiationen Gilberte und Alanus. 025
scheinbar schon zur Zeit des Einbandes von 1338 fehlten. Fasse
ich diese Momente ins Auge, so dürfte es vielleicht auch nicht ge-
wagt sein, anzunehmen, die Anhänge seien ursprünglich grSsser
gewesen. Ob nun Petrus fieneventanus und Johannes Galensis diese
Sammlung vor Augen hatten, das möge dahingestellt bleiben.
Der Vollständigkeit halber sei mitgetheilt, dass im Codex D. 6.
aof die Colectio Alani und nach dem Stücke JUisaurus auf dem
folgenden Blatte eineSammlungbeginnt, welche einen Aus-
zug aus der Compüaiio iertia des Petrus von Benevent ent-
hält. Voran geht die Bulle Innocenz III. Devotiani, In dem Aus-
zuge fehlen:
Liber I. Die Titel bez. Capitel: I.; H. c. 3—9,11,12; ID. IV.;
V. c. 1. 2; VI. c. 2.-9, 12, 13, 16—17; Vffl. 1. 2.; IX. 2. 4. 5.
7; X. Xn. XHL XIV. 1. XVII. XVIII. 1. 3—9; XIX.2— S;XX.2-Ö;
XXI. 1. 3—5. XXII. 2. XXIII. XXIV. XXV. 1. 2. 4. XXVI.
Liber IL I. 3, IL 1. 3. 5.,ra.-XIV., XV. 1. 2. 4—10. XVL
XVÜ., XVIIL 1—7. 9—11. 13, XK. 1. 2. 8—7. 10. 11. XX. 2.
Liber IIL I. 1.' 2., U. bis XVIIL XIX. 1. 2. XX. XXL 1. 3.
XXII. XXIIL XXIV. 1-3. 8. 7. XXV. 2. XXVL 1. 4. 8. XXVU.
XXVIII. 2. XXK. XXX.. XXXL 2., XXXIL, XXXIIL 1—8. XXXIV.
1. 3., XXXV— xxxvü. xxxvm. 3.
Liber IV. L 1-3, H. 1, III- VIL, VIIL 2., K. 1. 4., X. XIL
bis XVI.
Liber V. I. 1. 3. [In diesem Capitel bri6ht die Seite ab und
fehlen zwei Blätter (die Art des Einbandes lässt aber auch die An-
nahme zu, dass nur eins fehlt); auf dem folgenden setzt der Codex
fort mit ^utroque consüiai' in c. 1. de adult V. 8.], IX. bis XL XIII.
XIV. 1. 2. 4. XVL 1—4. 6. 8. 9. XVIL 2. XVIIL XIX. XX. 2., XXI.
2_10. 14. 18. XXIIL 1—4. 6.
Hieraufsteht ohne jeden Zwischenraum, oben wieder mit Extra
tii, bezeichnet, eine Extravagantensammlung, enthaltend die folgenden
f} leb halte lie in E. tat D. 3^ tufgenommeD.
Sitsb. d. pbU.-lii8t. Cl. LXV. Bd. Hl. Hfl. 42
626 ▼• Schulte
ia der Comp. III. befiadlichea und io dieser Reihenfolge im Codex
vorkommenden Oecretalen :
I. 2. 12; L 4. 1.; L 6. 17. [aber ganz abgekürzt]. IL 8. 1., III.
8. 4 und K; III. 28. 2.; III. 30. 3.; IV. L 1., in welcher die leUte
Seite des Codex abbricht.
Welche Absicht diesem Excerpte zu Grunde liegt, kann ich nicht
eruiren. Es liesse sich nur die eine annehmen, er habe die nicht in
der Coli. Gilberti und Alani enthaltenen Oecretalen aus der Comp. UL
exöerpiren wollen, um seinen Codex zu yervollständigen. Aber im
trifft nicht zu, weil, wie die einfachste Vergleichung mit der Tabelle
J. lehrt, viele nicht aufgenommen sind, die auch nicht in jenen
stehen, umgekehrt einige aufgenommen sind, welche auch in jenen
stehen. Oder sollte eine Sammlung vorliegen, welcher der Abschreiber,
der nach dem Erscheinen der Comp. III. schrieb, die Bulle Innocenz
III. vorgesetzt hat?
Im Cod. Fuld. D. 14. endlich stehen in einem zugebundenen
Stücke von gänzlich verschiedener Hand die Schlüsse des 4. Latera-
nensischen Concils von 121 K.
Die CompUatioaea Gllberta und Alaaus.
627
Tabula A.
GilibUi. l. L I. De rescriptis.
Lucios in. Ad haee etc. Sumus
II. De elect. et eleeti pot
i. Alex. III. Suffraganeis
2. Clem. IILCttin te
3. Idem. Transmisean
4. Ion. DI. Cum ad nostram
5. Ion. III. QuoDiam electus
6. Ido. in. Cum ex utriusque
111. [De ustt pallii].
Item Celest. Ad haec quaes
IV. [De reauntiatione].
1. Clem. in. Ex ine. t. nob. innot
2. Clem. in. Super eo quod
3. Idem Quod in dubiis
V. De translat. praelat.
Innoc Intcr corporalia
VI. De suppl. negl. clericorum.
1. loD. in. Quatnam diversit ...
2. Idd. in. Sicut nobis tut
VII. De temporibus ordinationum.
1. Idem. Tua quidem
2. hm, in. Lttteras v. recep .
YIII. De aetate et quäl, praef.
1. Clem. ni. Ad eures
2. Idem. Ex t. f. percep
3. Idem. Cum saeros. Ro. ecd
4. Coel. in. Cum. bon. mem. Cl
5. Inn. in. Petrus diacoDus
6. Coel. III. iDsinnatum
7. Ion. m. Ex litt dil. 6lior
Codei FvUeatft D. 5.
CoU. A.
1. 2. 2.
L 3. 1.
I. 3. 2.
1. 3. 5.
I. 3. 6.
I. 3. 7.
I. 3. 8.
I. 4. 2.
I. 5. 2.
I. 5. 3.
I. 5. 4.
I. 6. 1.
I.
7.
1.
I.
7.
3.
1.
8.
1.
1.
8.
3.
I.
9.
1.
I.
9.
2.
I.
9.
3.
I.
9.
4.
I.
9.
5.
I.
9.
6.
I.
.9.
7.
42-
628
T. Schulte
Collectio CodieU Fnldeoait D. 14.
IX. De filiis presb. ordinandis Tel non.
1. Clemens Dl. Ad haee ex t p
2. Idem. Litt v. di]. ace
X. De bigamis.
Idd. III. Tertios
XL De off. et pot iad. del.
I.Alex. III. Cum te cont
2.. Coel. ni. Pnidentiam t
XU. De tranaactionibut.
1. Alex. ni. Super hoe quod
2. Coe). m. p. e. b. m. Praeterea
Xm. De procoratoribus.
Clem. in. Si matrim. causa
XIV. De bis quae y\ metus?e c. f.
Coel. ni. Ad eures nostras
Seeundus Über. I. D e i u d i c i s.
1. Clem. m. Cum non ab b
2. Inu. IIL Cum ab omni
n. De mutuis petitionib.
Coel. III. Prud. t debiU
III. De dilationibus.
Coel. in. p. e. pler. Praet
IV. De causa propriet.
Clem. ni. p. c. b. m. Ad ult
V. De restit. expol.
Coel. in. Gravis
VI. De eo qui mitt in poss.
Clem. in. Cum sicut
Vn. Ut lite pendt nib. inn.
Coel. m. Landab. Qnaeris
Codei Fuldentia D. 6.
CoU. A.
I. 10. 1.
1.10. 2.
I. f2. 2.
I. 13. 1.
I. 18. 2.
1.14. 2.
I. 14. 4.
I. 16. 2.
L 18. un.
n. 1. 1.
H. 1. 2.
U. 3. un.
n. 4. un.
U. 6. un.
n. 7. un.
n. 9. un.
n. 10. 2.
Di« CompiUtioaen Gilbertf and AUniu.
629
Vni. De probationibut.
1. Claa. III. Joravit quidam
2. Ibd. III. De testibos qai
3. Coel. in. p. c. Laud. Deniqoe
4. lan. in. FiDem litib
5. Coel. in. p. c. Laud. Praet. e, q
6. Id. p. c. sign. Praet. si t
7. Clem. III. Perventt
IX. De testibus cogendts.
Id. p. e. sign. Cetenim
X. De praesertpt.
1. Alex. ni. Penrenit a. a. n
lld. Litteris t. f.
XI. De iureiurando.
1. Greg. y. Ex adoiinistrat
2. Id. p. e. Cum non ab h. Verum
3. Coel. ni. p. c. eignif. Item Si quis
4. Urb. in. Sieut ex litterö
5. loD. in. Brevi sed. ap
Xn. De sententiis et re iud.
1. Clem. m. Tenor litt
2. Id. Consangninei E. latr.
3. Inn. ni. Quid ad eons. etc. Adid
Xin.be appellationibus.
1. Alex. III. De priore qui non
2. Id. Super co quod a nobis
3. Id. Cum in eccieaia
4. Id. Licet appellat
5. Coel. in. p. c. a nob. fuit Praet req. . • .
6. Coel. m. p. c. Quia requis
7. Clem. in. Directae nobis
8. Coel. in. p. c. Secundo req
9. Coel. An sit deferendum ap
10. Inn in. Saepe contingit
XIV. De confirm. utili Tel inutili.
Coel. UL Bon. mem. Alanus
Codei Foldens/i D. 5.
Coli. A.
11.11. t.
IL 12. 1.
n. 12. 2.
IL 12. S.
n. 13 2.
n. 18. 3.
n. 13. 4.
11. 14. un.
11.15. 2.
n. 15. 3.
n.16. 2.
n. 16. 3.
U. 16. 4.
n. 16. 5.
n. 16. 6.
n. 17. 1.
IL 17. 2.
n. 17. 3.
IL 18. 2.
n.18. 3.
n. 18. 6.
IL 18. 7.
n. 18. 8.
n. 18. 9.
n. 18. 10.
IL 18. 11.
IL 18. 12.
n. 18. 18.
n. 19. un.
630
r. Schölte
Colleetio Codieii Fnldentis D. 14.
I. ßiiib*ti de inctitutionibas über HI.
Non amplius
II. De coneess. praeb. non. vac.
1. Luc. IIL Ad aures nottras
2. Coel. m. Ea noseitur. Ex taa
in. De bis q. f . a prael. t. eone. der.
CoeL in. Ea noseitur. Ext s. n. e. p
IV. De bis q. f. a maiori parte cap.
Coel. m. Praternitatis t prud
V. De rerum permutatione.
Clem. ni. Ad quaeat aol?
VI. De sepulturis.
Alex. ni. Certi6eari
Vn« Ce deeirois.
1. Non est in potestate
2. Idem. Ex iranemissa 9
Vni. De regulär, et trans. ad rel.
1. Cum Tirum te pnid
2.*Coe]. III. Cum eimua . . . Snne
3. Inn. m. Ad ap. sed . . . Ex p. t
4. bn. DI. Referente
5. Ion. III. Ex p. t. noatro
IX. De conversione eoniagatorum.
1. Contnluit nos 6. aacerdoa
2. Coel. m. Placet nobta
X. De eonTeraaone infidelinm.
1. Coel. in. Interrogatum est
2. Id. Laudabilem etc. Quid enim
3. Id. Quanfo te magis • . Sane
4. Id. De infidelibas
5. Inn. in. Gaudemus
I Codti Fnldeiiufl D. 5.
Coli. A.
ni. 5. 1.
ni 6. 1.
UL 6. 2.
in. 7. un.
HI. 8. 1.
in. 12. 2.
ni. 15. un.
ffl. 17. 1.
III. 17. 5.
m. 18. 1.
111.18. 2.
m. 18. 3.
III. 18. 6.
III. 18. 7.
ni. 19. 2.
in. 19. 3.
m. 20. 1.
in. 20. 2.
m. 20. 3.
m. 20. 4.
m. 20. 5.
0 Bie imeruntur decretüiei guaedam de gitihui mipra pag. 6. Oetum est.
Die Compilationeo Gilbert« ond Alann«.
631
Colleetio Codicie Fuldensie D. 14.
Codei Faldeoaia D. 5.
CoU. A.
XI. De Toto et Toti redemt
1. Clem. m. Perpendimuf
2. Alei. in. Si cum aliquo
Xn. De statu regalariom.
Clem. in. Super qoed. ctnon
XIII. De cappellia monachor.
Coel. in. De minori possemus
XIV. De iure patronatua.
1. Alex. in. Dil. f. n. Transmisaa
2. Clem« m. Nobis fuit Praet
3. Ion. Per nostras lit
4. Id. Cum propter diaeord
XV. De cenaibua.
Clem. in. Gravia admodum
XVI. De eccieaiia aedificandis.
Alex. m. Si boapiUle
I. De eponaaliboa et roatr. Uh\IllL
1. Alex. in. Veniena ad noa
2. Clem. in. Inter opera
3. Id. Nobta ex
4. Id. Ad id quod
5. Gem,ni. p. c. Nartinoe B. . Teiüo . . . .
6. Idd. ni. Alioq. . . A nobia inq
n. De eo q. d. in matr. quam p. p. ad.
1. Clem. ni. Ex Htterarum
2. Ion. m. SignilicMtia
in. De cognatione apir.
1. Clem. ni. Mertinua Bertam
2. Id. CoDtracto roatr
3. Id. Coel. m. Laudabilem
rv. De eo qui cogn. cons. ux. suae.
i. Coel. in. Tranamiasae nobis
2. Id. p. c. M. B. Super alio vero
m. 21. un.
in. 22. I.
nL22. 2.
HL 23. un.
in. 24. 1.
in. 24. %
m. 24. 8.
III. 24. 4.
ni. 25. im.
DL 26. un.
IV. 1. i.
ly. 1. 3.
IV. 1. 4.
IV. 1. 5.
IV. 1. 5.
IV. 5. 1.
IV. 6. 1.
IV. 6. 2.
IV. 6. 3.
IV. 7. 1.
IV. 7. 2.
632
r. Schulte
Collectio Codicis Foldensit D. 14.
3. Alex. Super eo quod
4. Id. De illo aatem qui se
V. De frig. et malef. etimp. coeundt.
Coel. ni. Laudabilem . . Sollicite
VI. Qui matr. accus, poss.
1. CJem. DI. El litt, t f
2. Id. Dil. f. D. arehip
3. » Praeterea quia (p. c. A nobis)
4. 0 Sicut ei litteris ,
VII. De dtvorttis.
1. Alex. ni. Ad auret
2. Clem. III. Cornea W
3. Coel. ni. Plerumque
Liber V. Deaymonia.
1. Alex« III. Venieua ad n. T. aimpl
2. Coel. in. Super eo vero quod
3. Inn. III. Quamvis ad abol.
4. Alex. III. Ex tuae f.
5. Coel. in. Nobia fuit ex p
II. De haereticis. '
Idd. in. Vergentia
in. De bomicidio.
Id, Cum monaaterium
IV. De elericii pugnant. in duello.
1. Coel. UI. Ulricua preab
2. Id. Cura
3. Inn. HL Quod in dubiis . . Quia
V. De falaariia.
Inn. m. Ad falaariorum
VI. De clericis pugnantibua.
Coel. in. Continentia litt
VII. De clerico maledico.
Id. Innotuit nobia . . Ad ult
Codex Fnldenais D. 5.
CoU. A.
IV. 7. 3.
IV. 7. 4.
IV. 9. 1.
IV. 11. 2.
IV. 12. 1.
IV. 12, 3.
IV. 12. 4.
IV. 13. 1.
IV. 13. 2.
IV. 13. 3.
V. 2. I.
V. 2- 2.
V. 2. 3.
V. 2. 5.
V. 2. 6.
V. 4. un.
V. 5. 2.
V. 6. 1.
V. 6. 2.
V. «. 3.
V. 7. fi.
V. 8. an.
V. 9. US.
Die Compilationen Gilberts und Alanus.
633
Collectio Codiei« Faldenais D. 14.
VIII. De eo qui fartive ord. suscepit
1. Id. Cuin H. lator praet
i. Id. loDotuit Dobit
IX. De excess. prael. in aubditos.
Ina. in. Com ad quonindam
X. De privilegtit.
Idb. m. De causa illa unde
XI. De poenit. et remtaaionibua.
1. Alex. III. De nraltere quae.
2. Clem. III. Quaeaitum est . .
3. Coel. III. Perpendimua . .
XD. De sent. eicom. et absol.
1. Clem. ni. Ea noacitur . . Quod itaque
2. Clem. Inspectis litterts
3. Clem. DI. Cum non ab bomtne . . .
4. Id. Cum desideres
5. „ Veoieus ad ap. aed
6. » Penrenit
7. jp SifnificaTit
8. . Tua
9. „ Sicut autem (p. c. Ad em.)
10. Coel. III. UniTersitatia . . .
11. Coei. ni. In audientia .....
12. Coel. m. Quod de bis ... .
13. Clem. m. A nobia fuit . . .
14. Inn. DI. Cum illorum . . . .
15. Inn. in. A nobia est saepe • .
De sent. excommunicationia.
16. Idem. Nuper a nobis
17. Id. [Quod in dubia] Nee exe. Iteet quod stet . .
XIII. De sententia tnterdicti.
lan. Com in parttbua
Codex Fuldensis D. 5.
Coli. A.
V. 10. 1.
V. 10. 2.
V. 11. un.
V. 12. UD.
V. 13. 1.
V. 13. 2.
V. 18. 3.
V. 14. 1.
V. 14. 2.
V.U. 3.
V. 14. 4.
V. 14. 6.
V. 14. 6.
V.U. 7.
V. 14. 8.
V. 14. 9.
V. 14. 10.
V. 14. 11.
V. 14. 12.
V. 14. 13.
V. 14. 14.
V. U. 15.
V. 14. 16.
V. 14. 17.
V. 15. 1.
634
y. Schulte
Collectio Codic» Foldentit D. 14.
Codm FaldeBsU D. 5.
Coli. A.
XIV. De baptismo puerorum.
1. Idd. in. Da qatbus dubium
2. Idem Si quis sane ^)
V. 16. 1.
V. 16. 2.
Tabula B.
Collectio Codicie FaldeaiU D. 14.
De off. et pot iod del.
1. Ion. III. Coram dilecto
De bis q..Ti metusve e. f.
2. Ion. Ad audientiam
De reetitut. extpol.
3. Id. Olim nobis
4. Id. Dil. f. n. abbas de F
De sent et re iod.
5. Ion. III. Sicut nobit
6. Id. In nostra praea ^ . . . .
De appelltt.
7. Id. DU. fil. J. et H
8. Id. Com tibi de benign
De diTortiia.
9. Id. Discretionemtuam
10. Id Accedena ad p. n
De usuris.
11. Id.Dnduro ei parte
12. Id. Post miaerab . . Judeoa ....
Fttldeaais D. 5.
Appendix.
1
10
12
13
14
23
24
27
28
0 Hoc Caput nt in Codice Foldeosi D. 5. ante cap. *de quibus^ poiitom est, aed m
utrogue eodiee aiteritcus monstrat, poat illnd esse ponettdam.
Die CompilatioMD Gilbert« und Alaous.
63 S
Collectio Codicia Fnldeniis D. 14.
De sent. excorom.
13. Id. loter ea quae . •
De ser?it non ordinandis.
14. Ion. in registro. Hiraroor n. m
De corpore vitiatis.
11 Ion. Expotuiati nobia
16. Ins. Tarn litt, veatria q. depos. Quia vero . . •
17. Coel. HL p. e. Quod de hia. De bigamia presbyt
De off. et pot. iud. del.
18.inn. DL Qnaerenti quid
19. Lttciua III. Qoaea. eat a nobia
De appeDationibua.
20. Inn. m. Super quaeationum
21. Lac. III. Super eo autem qnod aententiam • . .
22. Inn. III. Quia tarnen iudicia animus
23. Inn. Cum dil. et j. Quia nobia conatitit evidenter.
Ende fol. 31^
Fuldeaiia D. 5.
Appendix.
31
Tabula C.
Codei Foldenala D. 5.
CooDpil.
II.
ConapU.
UI.
Compil.
IV.
N 0 t a e
I. De eonatitutionibua
über primua.
Clem. DI. Praeterea ....
I. l.un.
—
—
II. De reacriptia.
. 1. AI. ni. Cum ordinem . .
1. 2. 1.
— .
—
2. Lac. III. Ad haec . . .
I. 2. 4.
—
—
3. Inaoe. IV. Ad aud. n. . •
1
I. 2. 5.
-■"
^—
In Comp. II.
Lue. III.
IIL De elect. et electi
poteatate.
•
1. Alex. III. Suffiraganeia . .
4
L 3. 1.
—
—
636
r. Schulte
Codei PoldeMis D. 5.
2. Clem. m. Cum ie . . .
3. Coelest. III. Cum monatt.
4. M Cum terra • .
5. Idem. TraDcmiasam . . .
6. Iddoc. ni. Cum ad no-
stram
7. Innoc. UI. Quon. eleetus a
Tobis
8. Iddoc. IH. Com ex utriua-
que
rV. De usu pallii.
1. Clem. III. Cum super . .
2. Coelest Ad haec ....
V. De reouDtiatione.
1. Alex. in. De multa . . .
2. Clem. III. Ex iotiDuat. .
3. „ in. Super eo quod
4. Idem. Quod in dubiis . .
5. Iddoc. IU. Cum ex illo .
VI. De translatioDc
praelatorum.
1. Innoc. iDter corporalia .
2. Id. pars e. Id dub. Hi
praet
VII. De suppl. neglig.
c 1 e r i c 0 r.
1. Innoc. III. QttOD. dirers.
corp
2. Idem. Audivimus. . • •
CompiL
n.
I. 3. 4.
I. 3. 5.
I. 3. 6.
I. 3. 7.
Compil.
ni.
I.
4. 1.
I.
4. 2.
I.
5. 1.
I.
5. 2.
I.
5. 3.
Compil.
IV.
I. 6. 4.
I. 8. 1.
I. 5. i.
I. 5. 2.
I. 8. 1.
m. 8. 2.
I. 3. 3.
N o t a e
Apud Aot Aug.
Clem.
Bai. I. 523.
AnniineertL
RtynerU
Coli. IV.
Bai. n. 277.
Anni primi
Innoc. in. est.
Anni primi.
'Quin' in edi-
tione.
AnniII.Bia.a60.
Bai. Miseell.
pag. 389.
Die CompUationen Gilberts und Alaniu.
Ö37
Codex Fnldeasit D. 5.
3. Idooc. in. Sicot nobia t f.
?ni. De temporibus or-
dinaHonum.
1. Idem. Tua quid, signif. .
2. dem. Com see. eceles. .
3. iDDoe. in. Lit V. recepi-
mu8
IX.. De aetate et qua],
praefic.
i. Clem. ni. Ad eures n. t. s.
2. „ III. Ex tuae f. perc.
3. Clem. in. Cum sacros.
eeel
4. Coelest. in. Cum bonae
mem
5. Innoe. III. Petrus diac. .
6. Coel. m. Intimatum est .
7. Lmoe. ni. Ex 1. d. f. cap.
eeel. Evon
Compil.
11.
I. 6. 2.
f I. 7. 2.
I. 7. I.
I. 8. 2.
I. 8. 3.
I. 8. 4.
I. 8. 5.
I. 8. 6.
X. De filiis presb. ordi-
nandis Yel non.
1. Clem. m.'Ad baee . . .
2. Coei. in. Miebael presb. .
3. Id. Lit T. d. accep. . . .
4. Iddoc. III. Innot. nobis
olim
XI. De eorpore Titiatis.
1. CoeL ni. Ex parte Bar. .
Xn. De bigamis.
1. Idem. Ex lit t f. aecep. .
2. Innoe. in. p. nuper a nob.
Tertius
I. 9. 3.
I. 9. 4.
I. 9. 5.
1. 10. un.
I. II. 1.
Compil.
111.
Compil.
IV.
I. 9. 5.
V. 6. 1.
I. 6. 5.
L 14. 1.
N 0 t t e
Clem. ni.
Clem. III.
Coelest ni.
Anni incerti.
Bai. I. 323.
Apoerypha ex
nota in fine
Comp. in. edit.
Ant Aug.
Clem. in.
« m.
Coli. Rayn. t 4.
Clem. III.
Bai. II. 66.
638
V. Schalte
Codex Faldeaut D. S.
CompU.
II.
Xni. De off. et pot iad.
deleg.
1. Alex. ni. Com te eonsul.
2. Coel. in. PrudeDfiam . •
3. Innoe. III. Licet is cui can-
MC
XIV. De off. lud. ord.
1. Coel. in. Signif. nobis 1. 1
2. lanoe. DL Duo simul. . •
XV. De majoritate et
obedientia.
1. Coel. in. Sane d. f. n.
Jord. ...
De traoMCtioubiis.
2. Alex. in. Super hoc quod
3. Id. Veniena ad p. n. . •
4. Coel. III. ps c. bon. mem.
Praeterea
XVI. De off. ad?ocato-
rum.
1. Coel. III. Ut in ciTitde .
XVII. De proeuratioDi-
bus.
1. Alex. in. Querelam . . •
2. Clem. ni. Si matrim.
causa
3. Clem. III. Ex insinuat .
4. Innoc. HI. Com pro causa
XVni. De eo qui gerit
?ieem alterios.
I. Innoc. III. Quod. sed. ap.
eons
I. 12. i.
I. 12. 3.
1. 14. 2.
1. 15. oa
I. 16. 1.
I. 16. 2.
I. le. 5.
1. 17. un.
I. 18. 1.
1. 18. 2.
1. 18. 3.
CompU.
III.
I. 20. 3.
I. 20. 4.
CompU.
IV.
N o t • e
Raynerii Coli.
T. XXI.
Bai. I. S15.
I. 16. 1.
Biaa pars ia
Rayn. t 31.
Bai. n. 77.
Die Compilatiooeo Gilbert« und Alunos.
639
Codex FuldensU D. 5.
XIX. De bis quae ?i me-
tusve eausa fiant.
1. Coel. HI. Ad aures n. te s.
De indieiis lib*. IL
1. Clem. IIL Cum ab homine
2. Innoe. IIL Cum ab omni
IL De foro competenti.
Alex. in. Licet uoir. . . .
IIL De mutttis petitioni-
bu8.
Coel. in. Prud. t. debita . .
IV. De dilatioDibus.
Coel. IIL Praet in tuo proc.
V. De ferits.
Clem. in. CapelL tuus . . .
VL De causa poss. et
propriet.
Clem. IIL Ad ultimum • . .
VIL De restitutione
ezspoi.
Coel. III. Gravis dos querela
Vni. De dolo et contu-
macia.
1. Inn. in. Ad haec. deus .
2. Id. Veritatis est verb. . .
EL De 60 qui mitt. in
posfl. c. r. 8.
Clem. in. Cum. sicut aecep.
X. Ut lite pend. nibil.
innoT.
1. Alex. in. A mem. n. exe.
Z. CoeL ni. Laudabilem . •
Compil.
II.
Compil.
IIL
L 19. un.
U. 1. 8.
n. 2. 1.
IL 3. 1.
IL. 4. un.
IL 5. 4.
n. 6. un.
IL 7. 5.
UL 1. 1.
Compil.
IV.
n. 3.1.
U. 8. 2.
IL 9. 1.
IL 9. 2.
IL 6. 1.
No ta e
Clem. in.
Bai. I. 376.
Coel. in.
Bai. L 362.
Differt a capite
in edita.
Annt incertL
Plura continet
640
V. Schulte
Codex FuIdeasJs D. 5.
Compil.
II.
Compil.
III.
Compil.
IV.
Notae
XL De probationi bus.
1. Clem. IIL Tertio quip-
po s n« •••••••
2. Clem. III. luravit qai-
dam , .
XII. De eieeptiODibus.
1. Idd. HL De testibus qui .
2. Clem. lil. Denique . . .
3. Inn. m. Finem litibas . •
XIII. De lest et attestat.
1. Clem. III. Series tui scripti
2. CoeL III. Praet com . .
3. y, ni. Praet si testes
4. Clem. ni. Pervenit ad nos
XIV. De testibus cogeD*
dis.
Id. Ceterum quod snp. cons.
XV. De fide instrumen-
torum.
1. Alex. in. El lit. quas no-
bis
2. Alex. III. Pervenit ad n.
a. quod
3. Alex. 111. Litteris t. f. re-
ceptis
XVI. De iureiurando.
1. Clem. ni. Veritatis amica
2. Greg. V. Ex administra
tioois
3. Id. pars c. Cum non ab b
— Verum
4. Coel. III. Item si quis .
5. Urban. ID. Sicut ex litte-
6. Inn. in. Brevi sed. ap.
II. 10. 3.
n 10. 4.
IL 11. un.
IL 12. 3.
n. 12. 4.
n. 13. 3.
II. 13. 1.
IL 12. 2.
U. 7. 1.
BaL L 513.
Plura coni'net
CoeL ni.
Ray. t 28.
n. 13. 2
U. 14. 1.
n. 15. 1.
n. 15. 2.
n. 16. 5.
IL 16. 4.
0. 16. 6.
n. 16. 7.
n. 16. 3.
IL 15. 2.
Clem. UL
BaL I. 389.
Die Compilationen Gilberts ood Alanus.
641
Codex FuldeDAis D. 5.
Compil.
II.
7. Inn. III. Ad o. n. aud. penr.
iVn. De sententiis et
re iudicata.
1. Clem. m. Tenor litter.
tuar . •
2. Clem. IIL CoDsaaguinei
E. latricis
3. loDoe. in. Quod ad con-
soltat
XVin. De appellationi-
bu8.
1. Alex. DI. Consnluit nos
».■.•....••••
2. Alex. ni. De Priore qui
non def.
3. Alex. in. Super eo quod
4. Clem. m. Significayit .
5. n m. Tenor lit t.
apoat
6. Clem. ni. Cum in ecele-
7. Clem. in. Licet appell.
remed« .
8. Coel.ni.Praeirequisssti
9. Qttia requisstti ....
10. Clem. Ul. Directae tuae
D0DI8 ••......
il. Coel. ni. Seenndo in-
quiris
12. Coel. m. An sit deferen-
dnm
13. hin. IIL Saepe contingit
XK. De eonfirmatione
utili vel inut.
Coel. UL Bonae roemoriae •
Compil.
III.
Compil.
IV.
IL 18. 5.
n. 18. 6.
IL 19. 1.
n. 19. 3.
E 19. 4.
IL 19. 9.
n. 19. 10.
IL 19. 11.
U. 19. 12.
IL 19. 14.
IL 19. IS.
IL 19.13.
n.19.16.
n. 19. 17.
U. 21. UD.
IL 15. 8.
n. 18. 5.
n. 19. 2.
N*o t R e
Bai. L 415.
Dat Ut XVIIL
Kai. Dec.
Ray. t. 24.
Coel. in.
Clem. m.
Anni incerti.
Sitsb. d. pbil.-hist. Cl. LXV. Bd. III. Hft.
43
642
T. Schulte
Codex Faldenais D. 5.
Compil.
II.
Compil.
III.
Compil.
IV.
N o t • e
T
Liber Hl. De cohabit
cleric et mal.
1. Laciut in. Vestra dnxlt
deyotio
%. Ion. HI. Tua not duzit
frtt
IL De elertcis cotiu-
gatis.
Coel. in. Ea est sedis ap. .
n. De praebendis.
Coel. in. Ad aud. n. perv.
cogo
IV. De clerico aegro-
tante.
i. Clem. in. Signif. nobis
re?. arehip
2, Coel. in. Tua n. d. f. con-
V. De institutionibus.
1. NoD amplius snaeipian-
tur
2. In cQngregandis clericis
3. In eeelesia vestra . . .
4. Idem. Ea noseitur . . .
.?I. De concess. praeb.
non vac.
1. Lue. in. Ad aures n. C.
clerico
2. Coel. in. Ea notcttur. Ex
tua .«•«..•.•
Vn. De bis q. f. a prael.
sine cons. cleric.
Coel. m. Ea nose. Ex tua sig.
nob
Vm. De bis q. £ a majore
parte cap.
1. Coel. ni. F. i pruden-
tiaro . . .
....
in. 1. un.
HL 2. 2.
HI. 4. 3.
III. S. 1.
III. 5. 2.
ni. 6. 1.
ni. 6. 2.
m. 6. 3.
m. 6. 4.
ni. 7. 2.
III. 7. 3.
ni. 8. an.
ni. 9. 1.
UI. 2. 1.
Balui. n. 6S.
Clem. in.
Cone. Arel.
Aug.
Aug.
Clem. m.
Clem. m.
Die Compiliktlonen Gilberts und Alenus.
643
Codex Fnldeneis D. 5.
2. Coel. m. Quaes. a nob. t.
dUig.
IX. Derebufi eecLalien.
vel. non.
Iden. Ut super aliqna . . .
IL De emtione et ven-
ditione.
Coel. III. Penr. ad dos ex in-
XL De loeatione et con-
duct
CoeL ni. Ex reser. litterar.
XII. De rerum permuta-
tione.
1. Urb. in. Quaes. est ex par-
te t
2. Clem. ni. Ad questiones
soiir« ■•..••••
3. Ion. in. Com unirersor.
fidel
Xni. De pignoribus.
Inn. III. Signifieante dil. f. P.
XIV. De testamentis.
Alex. DI. Ad. aud. apostolatus
XV. De sepolturis.
Clem. ni. Certifieari Toloisti
XVI. De paroeh. et alie-
nis parochian.
Coel. m. Significant nobis .
XVIL De decimis.
4
1. Non est in potestate . • .
2. Coel. in. Ex parte dil.
ulior. >••.....
3b Alex. m. Qaamvis sit
IC ■ ■ * O .■••*•■•■
Compii.
11.
m. 9. 2.
in. 10. 1.
III. 11. 2.
Compil.
UI.
Compil.
IV.
III.i2.on.
m. 13. 1.
m. 13. 2.
in. 14. 1
in. 15. 3.
in. 5. t
N 0 t ee
in. 7. un.
ni. 16. un.
in. 17. 4.
in. 17. 5.
ni. 17. 2.
Clem. in.
Baloi. I. 84.
Bai. I. 35.
Clem. III.
Coel. in.
43
644
▼. Schalte
Codex Faldensis D. 5.
4. Coel. III. Perv. ad aud. n.
5. Coel, in. Ex trantmissa
querela
6. Alex. m. Cum apostolici
• . . Sane sicot
XVm. De regulär, et
trans. ad relig.
1. dem. III. Cum Tirum te
prud. •..••.•..
2. Coel. m. Cum simus . . .
98ue ••••••••
3. Inn. in. Ad ap. aed . . .
Ex parte siq
4. Idem. Porrectum uobis
5. Idem. Sicnt nobia est
6. Inn. in. Referente d. f.
fratre Bern
7. Idem. Ex parte t nostro '
fuit ap
8. Id. Sicut tenor lit tuar.
XIX. De conversione
contugator.
i. in. Karisa. in Ch. f. n. .
2. Conauluit noa 6. aacef-
doa
3. Coel. in. Plaeet nobia t p.
XX. De conversione in-
fidel ium.
1. Coel. in. Interrogatum eat
2. Id. Laudabilem ....
3. Id« Qoanto te magis . .
Sane
4. Id. De infidel, ad fid.conv.
5. Inn. in. Gaudemua iu dorn.
Covpil. Cooipil.
II.
m. 17. 6.
m. 17. 7.
IIL 18. 3.
III. 18. 5.
m. 18. 4.
ni. 19. 3.
ni. 19. 2.
m 19. 4.
Ul. 20. 1.
III. 20. 2.
III.
Compil.
IV.
N o ta e
ni. 24. t.
m. 24. 3.
III. 24. 1
IV. 14. 1
IV. 10. 1.
IV. 14w 2.
Inn. in. In coli.
RaynerüT.XL
BaL I. 45S.
Clem. m.
Bai. I. 517.
Raynerii Coli
T. XXXVffl.
Bai. I. 36.
Coel. ni.
Clem. HI.
Bai. n. 50.
Innoe. lü.
Bai. I. 514.
Rayn. t 40.
Die CompiUtioneB 6ilb«rt8 und Alaniu.
645
Code^ FuldenaU D. 5.
XXI. De Toto et voti re-
^emt.
Clem. in. Perpehdirous . . .
Ceterum
XXn. De statu regula-
rium.
1. Alex. HL Si cum aliquo
Teatnim
2. Clem. III. Super quodam
XUL De capellis mo-
naehorum.
CoeL III. De miaori posse-
XXIY. De iure patrona-
tU8.
1. Alex. DL Dil. f. n. S.
tranam
2. Clem. III. Nobis fuit ...
Praeterea
3. Innoe. Per aostras lii
post, .
4. Idem. Cum propter dts^
eord
XXV. De censibus.
Clem. Ol. Gravis admodum.
XXYL De eeclesils aedi-
ficandis.
Alex. IB. Si hospitale ia . .
Lib. iUL De spODsall-
bus.
1. Alex. III. Veniens ad nos
W. lator •
2. Clem. in. Sieut ex lii t f.
3. Id. later opera caritat. .
Compil.
II.
Compil.
III.
Compil.
IV.
ni. 21. 4.
ni. 22. 1.
in. 22. 6.
UI. 23. 2.
m. 24. 1.
m. 24. 2.
m.25. 4.
nL26. 1.
IV. i. 2.
IV. 1. 5.
IR. 30. 1.
HL 30. 2.
IV. 1, 1.
N o t • e
Clem. IIL
Alex. m.
Bai. I. 264.
Bai. I. l»i.
Bai. I. 29.
Idd. HL
646
▼. Schalte
Codex Fuldenais D. S.
Compil.
Compil.
Compil.
If 0 t a e
II.
lil.
IV.
4. Id. Nob, ex tuar* ianot .
IV. i. 6.
„.v
, 1,
5. „ Ad id quod nobis per
m
lit
IV. 1. 8.
—
—
6. Id Tertio loeo quaes. . .
IV. 1. 8.
—
—
7. Innoc. III, Com apud sed.
BD
IV. i. 3.
Bai. I. 333.
"r* ••«
8. Idooc. III. Alioqain etc.
M w 9 9 9 W#
■ >€ai« •• mrW*
A nob. inquir
^■"
^■^
^^
Rayner.T.
XXXIX.
11. De desponsatioD e
impab.
•
Clem. III. Duo pueri W. et .
IV. t. i.
—
—
ni. De claDdestina
desp.
Id. El lit. tiiit aecep. . . .
IV. 3. 3.
—
—
y
IV. Qui der. vel vo?.
matr. cont. u. p.
Coel. III. F. t. ree. litteris .
IV. 4. 1.
—
V. De eoq. dux. in matr.
q. p. p. a.
1. Clem. III. Ex lit t. iDsi*
nuat
IV. S. i.
—
—
2, Coel. ni. Cum haberet .
IV. 5. 2.
_
—
3. Ina. III. Signifieastia no-
bis
—
IV. 6. 1.
—
Bai. 1. 102.
VI. De eognatione spi-
1
rit.
1. Clem. III. Martinua Ber*
tum
IV. 6. i.
i.—
—
2. Id. Contraeto matrim. .
IV. 6. 2.
—
—
3. Coel.ni.Laudabilempont.
off.
IV. 6. 8.
—
—
VlLDe eo qui eogn. eons.
UX. 8.
1. Coel. 111. Tranamisaae
nob. 1 1
IV. 7. 3.
...
'—
2. Id. Super alio yero . . .
IV. 7. 4.
• —
—
Die Compilationen Gilberts und Alanns.
647
Codex Fnldensie D. 5.
Compil.
U.
Compil.
III.
Compil.
IV.
N o t a e
3. Alex. III. Saper eo <iuod
soll, t .
4. Id. De illo aatem qui 8e .
Yin. De eoDsang. et
affin.
Coel. IIL Qnod dil. . t. Quae-
sisti
IV. 7. 1
IV. 7. 2.
IV. 8. 2.
IX. De frig. et malefic.
et impot.
i. Coel. in. Laudabilem • .
Sollieite
2. Alex. III. Ex lit t aeeep.
3. Loc. in. CoDsiilt. i qua nos
X. De claDdestioa
deap. 0 • ■ • •
Clem. ni. Cum sis praeditve
XL Qoi filii sint legi-
tim i.
1. Ion. ni. Per tuas nob. lit.
2. Clem. m. Ex lit t f. acc.
XIL Qai matr. aceut.
poss.
1. Clem. in. Dil. f. n. arehip.
2. Coel. UI. Inanper adie-
eiati
3. Idem. A nobia est exp. .
4. Idem Sieot ex lit tnis
Xni. De diTortiis.
1. Alex. III. Ad am^a . . F.
I. p. s. ...•..••
2. Clem. ni. Comes W. de
Romere
IV. 9. 3.
IV. 9. 1.
IV. 9. 2.
De matr. eontra
interd. eeei cont
IV. 10. an.
IV. 12. 1.
IV. 12. 1.
Bai. I. 322.
Rubrica.
IV. 12. 2.
iV. 12. 3.
IV. 12. 4.
IV. 12. B.
Clem. ni.
. ni.
IV. 13. i.
IV. 13. 2.
0 reetios: dr nuttrim, eontraeto eontru interdietum eeeletiäe.
648
▼. Schult«
Codex Fttldensit D. H.
3. Coel. m. Plerumqoe acci-
dit
4. Ido. in. De pnid. v. valde
Conpil.
II.
XIV. De aecundis nup-
t» •
118.
Alei. III. Capell. nihilom. .
Liber F. De accusatio-
Dibus.
Alex. ID. Meminimus. . . .
II. De symonia.
1. Alex. ni. Veniens ad
no8 F
2. Coel. m. Super eo vero
quod
3. Ion. ni. Quamvia ad abol.
4. Id. De regulär, canon. .
5. Alex. m. Ex t f. litteria .
6. Coel. m. Nob. fiiit ex
parte
7. Clem. in. Veo. ad elem.
sed. ap
8. Inn. in. pars e. quamvia
ad abolendam. Signtfi-
castil— conc. faeult. . •
ni. De iudeia et sarra-
cenia.
1. Alex. m. Conauluit . . «
ludeoa
2. Clem. m. Quam aitland. ..
Tuis
3. niiquoque
IV. 14. 2.
IV. 14. 1.
IV. IK.un.
Compii.
III.
V. 1. a.
V. 2. 1
V. 2. 5.
V. 2. 6.
V. 2. 7.
V. 2. 2.
V. 2. 9.
V. 2. 8.
IV. De baereticie.
Innoc. in. Vergentia ....
V, 4. 1
V. 4. 4.
V. 4. S.
V. 4. 1.
Compii.
IV.
N o t • e
De dote post
divort Riibr.
vide notam ia
fine Comp. HI.
editae ab Ant
Aoguatino.
Clem. m.
Clem. ni.
Id.
Clem. m.
Bai. n. 1.
Die Compilfetionen Gilberts und Alanua.
649
Co4ax FnldeMis D. 5.
Conpil.
II.
V. De homic. ciisuali Tel
vol.
1. Clein.III.Ad aud.Bpo8t D.
2. Id. Cum monast. . . Super
3. . Scripsisfi nobis . . .
4. « Suggestam est aur.
5t 9 lospectia
VI. De elericia pugn.
in daello.
1. Coel. DI. Ulricna presb. .
2. Id. Cara auacepti reg. .
3. Inn. III. Quod in dab . .
Qoia Tero
Vn. De falaariis.
1. Lac. III. Improba peatia .
2. Urb. m. Ad aad. n. te
sign. .
3. Coel. in. Per falsarioa .
4. Ina. OL Dura aaepe man-
data . . . Accidit ....
5. Idd. DI. Ad falsariorum
malit.
Vin. De clerieis png-
oantibna. . . .
Coei. III. Cpntinentia litter .
IX. De clerico male-
dico.
Id. Inoot. nobis .... Ad ult.
I. ••••■*.••••
X. De eo qui furtive
ord. suscepit.
1. Id. Cum H. lator praes. .
2. Id. Innot. nob. ex tenore
XL De ezceaa. prael. in
subdiios.
Ina. m. Cum ad quonindam
mal
Oonpil.
HI.
Compii,
IV.
V. 6. i.
V. 6. 2.
V. 6. 3.
V. 6. 4.
V. 6. 5.
V. 8. i.
V. 8. 2.
V. 9. 1.
V. 9. 2,
V. 9. 3,
V. 10. ua.
V. ll.un.
V. 19. un.
V. 11. 4.
•
V. 12. 1.
V. 12. 2.
N o t • e
Henricua presb.
Quia suse. reg.
Bai. I. 381.
Bai. I. 235.
Raya. t. 14.
De clerico per-
cuasore.
Clem. III.
Clem. in.
Idem.
Raynerii Coli.
T. IX.
6S0
T. Schalte
Codex Fttldenaia D. 5.
Compil.
II.
ConpU.
III.
CoBpil.
IV.
N 0 1 1 e
XII. De privilegiia.
Inn. III. De causa illa unde
XIII. De poenitentiis
et remissionibas.
1 . Alex. ni. De maliere «piae
2. Clem. III. Quaea. eat a
nobis
3. Coe). HL Perpendimaa ex
lit
XIV. De aent. excom.
abaolutionia.
i. Clem. III. Ba Doaeitur . .
Quod utique
2. Clem. DI. Inapectia • .
3. „ III. Cum Don ab
homine
4. Clem. in. Cum deaiderea
5. Clem. in. Veniena ad ap.
aed
6—9. Penrenit Signif. Tua.
Ad em.
10—12. Coei. in. UniT. la-
aud. Quod de hia . . .
13. Clem. in. A nobia fuit .
14. Inn. IIK Cum illor. ait
absei .
15. Coel. III. A nobia eat
aaepe quaes
16. Id. Nuper a nobia . . .
17. Id Nee exe. licet quod
stet
18. Inn. abb. et conv. 8.
Germ. Graria
V. 17. 3.
V. 17. 2.
V.18.12.
V. 18. 1.
V. 18. 2.
V. 18. 3.
V. 18. 4.
V. 18. 5.
V. la. 6—9.
V.18.1S.15.
V. 18. 10.
...
XV. De aenteatia inter-
dicti.
1. Inn. ni. Cum in part yea-
tria
V. 21. 5.
V. 21. 2.
V. 21. 3.
V. 21. 9.
V. 23. 1.
Alex. m.
— Rayn. t 32. i
I
I
Innoe. HI. Bai. n.;
61.
Idem. Bai. IL 66.
Ex c. Quod in
dub. Bai. L S8f .
Rayn er. Coli.
T. XXXL
Bai. I. SS4.
Die Compilttionen Gilberts und Alanus.
651
Codex Fnldensia D. 5.
Compil.
II.
2. Inn« in. Officii D08tri de-
bitum
lYI. De baptisroo pue-
ror.
1. Alex. ID. De qoibus dn-
biniD ........
2. Alex. III. Si qüiB sane
V. 19. i.
V. 19. 2.
Compil.
ni.
Compil.
IV.
If o t • e
NoD est c. 15.
de seilt, exe. in
«
eomp. III. neque
Bai. XI. 262.
Tabula D.
EXTRA TITULOS:
Codex Fttldeosis D. 5.
DeeUctiooe et eleeti po-
testafe.
1. Idd. DI. epo et can. Sntri-
Dis. Dil. fil. der
De off. et pot. indieis de-
legati.
2. las. ID. Coram dil. etc. Item
De bis qoae vi meta8?e
cansa fiunt
3. Ins. III. Ad aud. n. dU. fil.
«Mgwif« * •
4. lan. III. Com dil. fil. abbas
de Flor.
DearHtn'9, 5. Ina.^IlI. Com. t. b.
Qu« . . /
De resi. ex^poL 6. Ion. ID. Olim
vobis dedisse
m. 22. un.
1.23. 1.
1.23. 2.
1.25. 2.
RaynerüCoMT.XVn,
Anni iaeerti.
n. 3. 1
Bai. U. 282.
Bai. II. 91.
Bai. I. 317.
Bai. I. 239.
«52
V. Schulte
Co4ex Foldensia D. 5.
Compil.
111.
Compil.
IV.
7. Inn. HL Dil. fil. n. abbas de
Flor. conq. — n.babentur.
De iitrei. 8. Inn. III. Ex ten. lit.
t. D. innot
De sent. et re iudicatt,
9. Inn. III. Sicut nobis v. lit
intimastis
10. Inn. III. Cuminter. . .Quan-
tum — celebrata ....
11. Inn. p. etc. Licet igitur ind.
impon
De appetlationibus.
12. Inn. III. Dil. fi). I. et H.
nuntii ecci. ......
13. Inn. III. Cum dil. fll. . . Si
Tobis constit
14. Inn. III. Cum tibi de benign,
sed. ap. . . *
De deeimie. 15. Inn. IIL Expo-
suisti tu nobis
16. Inn. in. Tua nob. f. inti-
roa?it quod
17. Inn. IIL A nobis tua frat.
requisirit
De reg. et trans. ad rel. 18. Inn.
in. Quod dei
De centib. 19. Inn. in. Quanto.
— Cum inst
De emun, ecd. 20. IIL Inter alia
Despotie. 21. Inn. IIL Exp. t.
recepimus
IL 18. 6.
n. 18. 3.
Dedivori. 22. Inn. ni. Diseret.
t. in domino
23. Inn. m. Jan. arehiepo. Ac-
cedens ad p. n. D. mul. .
QuifU 9. leg. 24. Inn. IH. Ad n.
nov. a. perv.
. • . • «
IL 19. 10.
V. 23. 2.
IIL 23. 2.
in.23. 1.
IIL 27. 1.
in. 37. 1.2.
ni. 32. an.
IV. 3. 1.
IV. 9. 1.
N 0 ta e
itayiKT. CoILT.IVIII
Raynerii CoMT.Wi.
IIL 13. 2.
Bai. \l 48.
Rayn. t. 30.
Comp. IL 1.5. 4.
Bai. I. 351.
Anniincftrti.
Bai. V. 39.
Ragneriue T. XI.
BaJ. IL242.DiffertiB
fine.
Bat. n. 229.
Rayn. t. 37.
Bai. L 135.
Ray. t. 35.
Rayn. t. 40. In prin-
cipio diflert.
Rayn. t. 40.
Rogner, Coli. T. XL.
A^fier.CoU.T.XLI.
Die Compilationes Gilbert« und Alanua.
633
Codex Fnldensis D. 8.
De hom. eas, 25. Inn. III. Dil fll.
ei capell
De tuura. 26. Inn. III. IdDodum.
— 27. Pos* miserab. . .
De faUar. 28. Inn. III. Licet ad
regimen
DepriviL 29. Inn. III.Taar. nos
literar
De %ent, exe. 30. Inn. III. Inter
et. — 31. Cum pro causa
Compil.
III.
V. 7. i.
V. 10.3.2.
V.U. 2.
V. 16. 1,
V, 21.4.1.
Compil.
IV.
N o t a e
Rayn. t. 34.
Rayn. i. 26.
Bai. I. 349. Cod. am-
pliorem habet
Bat. I. 450.
Rayn. t. 31.
Tabula E.
Codex Fnldensis D. 8.
Compil.
Compil.
N 0 t a e
11.
III.
LIBER PRIMUS.
Incipit Liber 1. De conatitu-
tionibus.
1. Inn. m. in regiatro W. Re>
1 menai arch. Olim nobis re-
1 galis magnificentia . . .
—
—
Robrica capituli ex
cod. Puld. D. 14.
2. InnocIII. in reg.Cenethen.
ep. Quae in
—
I. 2. 2.
Bai. II. 7.
3. Innoe. III. in reg. Cum
oranes
—
I. 2. 1.
Bai. I. 192.
II. De petitionibus papae
offerendia.
Id in reg. Nullua notarius.
III. De reaeriptis.
1. Cbm. III. Ex parte S.preab.
I. 2. 8.
—
2. Inn. in. Apost. sed. con-
BU6V
—
I. 2. 4.
Br^q. VI. 190.
654
r. Schölte
Codei Fiildeiifis D. 5.
3. Inn. in. in reg. Cum adeo
scripta
4. Ion. III. in reg. Causam
qaae inter
5. Greg. VIII. Quoniam ad
epise
6. Coel. III. Sciseitatus es . .
7. Alex. III. Accepta conquest
8. Lue. ni. R. de Colump-
nellis
9. Inn. IIL in reg. Ex tenore
litter
10. Inn. ni. in reg. Cant arch.
Ex multa
IV. De consuetudine.
i. Inn. in. in reg. Ad n. no-
▼eris aud
2. Inn. ni. in reg. pars c. litte-
ras. Proposuisti praet . .
consuetudo inolefitvUtlec-
tisternia
3. Inn. in. in reg. Astorie.
deeano. Dil. f. cap. Ast .
4. Inn. in. in reg. Ex litteris
quas
V. De postulatione et
translat.
1. Inn. m. in reg. Gratum
gerimus
2. Inn. Ol. in reg. Bonae mem.
CoBpil.
II.
I. 2. 7.
I. 2. 9.
I. 2. 2.
I. 2. 6.
C. arch. . .
• • • • •
3. Inn. in. in reg. In causis
quae ad ap
4. Inn. III. Bonae mem. W.
archiep
Compil.
III.
1. 2. 7.
1. 2. 8.
I. 2. 5.
III. 26. 5.
I. 3. 2.
I. 3. 1.
I. 4. 2.
I. 6. 8.
I. 6. 15.
I. 4. 3.
No tae
Bai. I. 279.
Bai. I. 62.
Br^q. VI. 120.
Anni incerti. usqae
ad Secundo.
Bai. I. 571.
Bol. I. 422.
A. 1200. cf. Richter
ad c. 2. X. I. 5.
Br^. XI. 14. ttsque
^app, obst, canf\
Anni incerti. ^d'dee.
pen. irrii*.
A. 1202. Breq. V. 6.
Die Compilationea GUberU und Alanut.
655
Codex Fnldeiuis D. 5.
5. lim. in. in reg. Ad hoc in
beato Petro
• • ■ •
VI. De electione et electi
polest.
1. Ino. ni. Cum int. dil. . .
Postquam
2. Inn. m. in reg. Vic. tp.
Conet. In etusis ....
3. Inn. in. in reg. de eellt sei
Petri et moreo. Abbatibua
et praeb. Udin. Cum inter-
dictum etc. Quia vero
constitit
4. lanoc. III. in reg. Ex ore
sedentis
5. Ciem. III. Super eo vero
qnod
6. Alex. m. Quia requisistis •
7. Inn. III. in reg. Aquilej.
patr. Inn. p. const. . . .
8. Inn. m. in reg. Quod sicut
ex litt. . . .
CoaipU.
II.
CompU.
III,
I. 4. 1.
I. 6. 6.
N o ta e
A. 1200. Richter
ad c 1. X. I. 5.
I. 3.
I. 3.
3.
2.
• • •
9. Inn. UL in reg. Cum cau-
sam q. i
10. Ina. in. in reg. Qualiterarch.
VU. [De filiis presbyte-
rorum].
Lue. in. Quon. ex plenit potest
Vm. De serTis non ordi-
nandis.
Inn. DI. in reg. Miramar nonmod.
I. 0. 2.
n. 18. 9.
in. 12. un.
I. 6. 13.
I. 6. 12.
ni. 4. 1.
Anni iaeerli. Jam in
Comp. I.
Solum inithim.
Bai. I. 290. In codiee
brerior.
Breq. V. 83. ad tum
mod. ine, detr.
Breq. VI. 112.
Brdq. y. 17. fol. Bnit
V. uiira q, adest in
cod lacuna.
Init utrum s, de
sacerd.
Apocrypha ex nota
apud. Ani. AuguttAn
6ne Comp. in.
656
V. Schalte
Codex Foldensis D. 5.
CoBpil.
11.
Compil.
UI.
Notae
IX. De corpore vitiatie.
1. Inn. in. Ezposuisti nobie .
2. Inn. in. in reg. Tarn litt. . .
Qui»
3. Coel. in. pars c. quod de
bis. De big
X. De off. et pot iud.
d e 1 e g.
i, Inn. III. Quaerenti quid
per cens
2. Luc. III. Quaeeitnin est a
nob
f. 13. 2.
n. 12. 6.
Bai. I. 307.
Br6q. VI. S8. _ In
cod. asque ad perhü.
verüati
I. 11. 2.
I. 18. 5.
1.12. 2.
XI. De appellationibua.
1. Inn.in.inreg.Superquae8t.
art. • .
2. Id. Cum tudici de communi
con8> . .......
3. Id. Quoniam quidem H,can.
4. Inn. III. CoTentr. ep. et
priori de Cb* Causa . . .
5. Lac. m. Super eo autem .
6. Inn. in. abbat! et conv. s.
Zen. Com inter
7. In», ni. in reg. Caunam quae
inter
8. Ion. IILAeeedena et j. Cum
igitor nobis pleb
9. Inn. HL Ad probandum q.
proc. d. etc. Vos aut. . .
10. Inn. in. Inter monaat. etc.
His igitur <)
11. Inn. in. Ex lii diL f. abb.
deCal
I. 18. 6.
n. 18. 2.
n. 18. 3.
IL 18. 4.
IL 18. 3.
n. f8. 4.
IL 18. 10.
L24. 3.
Anni incerti.
Breq. VII. 29.
Alex. III.
Alex. HL
Rayn. tit. 30.
Bai. I. 4$1.
Bai. IL 81.
Anni incerti.
^) Patet unan foliam excidisse propter titvlomm diTertitatem.
Die Compilationen Gilberts and Alanus.
657
Codex Fuldeiuis D. 5.
De appellationibus.
12. Alex. m. Quia dos elegit .
13. Lue. DI. ßx conqaett B.
der,
14. Coel. IIL AppellatioDis in-
hib. ...
15. lDii.in. Lucensi ep. et abb.
Emelon. Cum dil. et j. Nos
igitar sup. praed
16. lau. ni. filyensi ep. pars e.
paatoralis off, Postulasti
pneterea
17. Inn. IIL in reg. Coostit.
Nos ig
18. Ihd. in. Metensi arcbid.
Tua Duper et j. Ad haec
• ex parte taa fuit nostris
aur. quaest.diffie. reservan-
tur
Compil.
II.
II. 19. 5.
11.19. 8.
IL 19. 18.
Coapil.
III.
N 0 t a e
19. Inn. ID. Ex parte tua fuit
Prop
20.1no. in. in reg. Cabil. et
SÜT. Ep. et abbati triam
fontium. Yen. ad ap* s
diLt
XIL DeperegrinatioDibus
1. Coel. in. Abiensi ep. Conq
J. presb
, 2. Idd. m. Cum olim 0. der .
Ceter. eod. d
3. Idd. m. DiL fiL prior et
moD. eeel. Caoi ....
Xni. De eonfirmatione ut.
Tel inuL
I. Ion. in. Cum M. Ferar.
Qoi«
SiUb. d. phil.-hist CL LXV. Bd. III. Hft.
IL 20. un.
L 18. 7.
n. 18. 4.
U. 18. 5.
IL 7. 3.
IL 19. 10.
n. 1. 5.
In codiee pars:/V>-
Mtulatti, — discuasa.
Anni ineerti.
Huiua capitis alia
pars est Comp. ni.
L. m. 10. 2. Est anni
ineerti.
Bai. V. 22.
Bai. I. 364.
Bai. L 351.
Bai. I. 98.
44
658
T, Schulte
Codex Faldensi« D. 5.
Compil.
Compil.
N ot ae '
II.
III.
2. Inn. Ad aud. n. dil. f. N.
__
n. 20. 2.
Anni iacerti.
3. Inn. Ep. Auson. Eip. t. f.
1
q. a. n. utnim
—
—
1
4. Eugen. Mediol.ep.Deeaun
unda >••.•.•■■
"
XIV. De translatione epi-
■
scopor.
1. Inn. III. Quod iranslat
pont. ..•••....
_
I. 19. 2.
A. 1200. Richter ad i
c. 11. X.MI.
2. Inn. in reir. Colloe. ep. Me-
1
diator dei
—
—
1
t
3. Inn. Pars c. quod aup. bis.
1
SimiUet. abb
"■^
*"•
Ex Bai. n. 261. Vi.
Comp. L 14 1.
4. Luc. m. Cum te consulente
L 14. 1.
—
i
5. Inn. m. Ad reprim. malit. .
—
1.20. 2.
Bai. I. 228.
XV. De inaiorii et obedi-
1
entia.
1. Inn.in.Norit qui nil ignorat
—
IL 1. 3.
Breq. VII. 42.
2. Inn. ni. Cum in eecl. St.
'
1
1
Viet,
Anni incerti. Comp.
IV. I. 14. 2.
T V^«W • ■■ ■•*••■
3. Inn. III. in reg. praepositino
,
magn. acol. Credebamus
i
hactenus quod aapientia .
—
—
4. Inn. in reg. Dil. fil. n. syn-
dieua ecci. ▼. .....
—
m. 29. un.
Anni incerU.
5. Inn. in. in reg. Si terrar.
prine. et j. flinc est. . . .
—
—
XVI. De tranaactionibuä.
1
1* Alex. m. Veniena ad ap.
; 1
aed. dem
L 16. 3.
—
1
2. Luc. III. Praeterea quando
L16. 4.
—
1
3. Innoc. III. i. r. Pars c. Past.
—
—
Veniena ad a s. dil. f. n. G.
i
arcbid. Claromontanus . .
4. Inn. in. Insinuante V. nobile
—
IV. 5. un.
Bai. n. 232.
XVII. De arbitris.
1. Alex. HL Non sine multa .
L20. 1.
—
Die CompUationen GilberU ond Alanus.
6S9
Codex Foldensb D. 5.
2. Alex. III. Pervenit ad nos .
3. Coel. m. Quia V. qui viol. .
4. Inn. in. Cum illius etc. Nos
igitur
II.Liberde foro competenti.
I. Alex. in. Ex transmissa
t. Ina. in. p. c. Quod aap.
bis. Capell. praet ....
3. Alex. in. Verum quoniam .
4. Luc. III. Cum sit generale
a. Coel. ni. Quod clerici . .
Nullua epiac
6. Inn. ni. in reg. . Licet q.
legalia
Compil.
II.
L20. 2.
n. 1. 4.
n. 2. 2.
n. Ut certum petatur.
Ion. III. SigDi6cantibtt8 T. et R.
m. De feriis.
1. Alex. in. Signif. nobis v. r.
2. Alfix« nL Quoniam i. p. . .
Vestram
3. Alex. ni. Licet tarn veteris
rv. Decausapoaa. etpropr.
in eodem iud. mota.
1. Inn. III in reg. Cumqu. sup.
elect
2. Inn. II!. Signißcaverunt . .
3. Ion. i. r. Ferrar. epo. Refe-
rentihua dil. in Ch. filiabus.
Sane moniales — faciens
abbat! Bsam etc
V. De reatitutione expoli-
atorom.
1. Alex. ni. Conq. nobis R.
derico
U. 2. 3.
n. 2. 4.
n. 2. 5.
Compil.
in.
11.18. 1.
N o t B e
n. 19. 7.
n. 5. 1.
u.
n.
5. 2.
5. 3.
n. 5. 2.
n. 12. 9.
Bai. I. 109.
Bai. IL 261
Anni incerti. Comp.
IV. II. 2. 4. differt in
6ne.
Anni incerti.
Rayn. t. 27. Differt
in princ.
Breq. VI. 77. a 1203.
n. 7. 1. —
U
660
T. Schölte
Codex Foldeatis D. 5.
2. Alex. III. Conquestus . .
3. Alex« nU Ex trantmissa
4. Inn. in. 1. r. Litterat . . .
VI. De acquirenda. vel
aminittenda poaaeaa.
i. Alex, in« Exonenai epo et
abbat! de Ferd. (cum ven-
issent ad nos) Destinatua .
a cap. s. triD. 6. can. . .
2. [Ion. HL] Olin inter te pro
abbatia tua
3. Inn. HI. Machomon. epo.
Accedena
4. Inn. in. Olim cauaam . . .
Cum autem — excesa. . .
VII. [De eo qui mitt. in posa.
c. r. aer?.]
1. Alex. III. Prior et monachi
silvae
2. Inn. III. Cum renissent . .
Noa igitur
VIIL De dolo et cont. alte-
rius partia punienda.
1. Inn. III. p. e. ex parte tuae.
Super eo aut .....
2. Inn. IIL Brixien. ep. P. c.
licet. Conauluiati p. . . .
IX. De probationibua.
1. Alex. HI. Sicut conauetudo
2. Greg. VIH. Propoauiati nobia
3. Inn. in. i. r. areh. Cefald.
Cum causa
4. Inn. in. p. c. pastoralis ^),
Cum ecel. et j. Ceteria . .
Compil.
11.
Compil.
III.
H.
n.
7.
7.
2.
3.
n. 7. 4.
U. 8. 1.
IL 10.
H. 10.
1.
2.
U. 6. 3.
V. 9. un.
n. 6. 2.
n. 8. 2.
L18. 1.
n. 16. 2.
No ta e
Anni ineerCi.
Anni incerti Comp.
IV. 0. 3. 2. aed,
differt ab edita.
Anni incerti.
Anni incerti
Anni incerti.
Bai. L 231.
Apud Baluxe l 39.
minima pars alias esü
0 HIc eseidit caput guomam autem et mbrict •eqaentis : Jnn. III. c«t.
Die Compilationen Gilhcrto und Alanut.
»61
Codex Fuldenets D. 5.
CbmpU.
H.
5. Ion. DI. in reg. Praenestino
epo ap. 8ed. legato. Aece-
«lentes td p. n. dil. f. n. R.
et mag. H. aeol.
• • • •
X. De testibus et attesta-
tionibus
1. Ex cone. Maticen. Placuit
2. Alex. in. Saper eo . . .
3. Inn. in. Ex tenore lit Verum
4. Inn. UI. Magdeb. et Salisb.
areh. et praep. s. Crueis.
Constitutus in p. n. dil. f. n.
procurator
5. Inn. in. ep. Bon. Ad aud. n.
Graidanoeive
6. Inn. in. Braear. arch. Per
t n. lit. int. te ptur. . . .
7. Inn. III. in reg. decano J. et
N. etc. Cum boni iud. . .
8. Inn. in. in reg. p. e. veniens
Lite igitur
XI. [De fide instruroen-
torum].
1. Inii.III.Eborac. arch.Acce-
pimus
2. Inn. ni. Cum olim ....
3. Inn. ni. Cum dil. fil. abbas
4. Inn. in. Cum a nobis pe-
titur
5. Inn. ni. Coro temp. bonae
mem
Xn. De iureiurando.
1. Alex. ID. p. c. eommanis.
Bind
2. Loe. in. Toa noe ....
3. Coel. ni. Constitutis . . .
0. 12. 1.
n. 12. 2.
n. 14. 2.
n. 16. 1.
11.16. 2.
n. 16. 8.
Compil.
III.
n. 12. 8.
V. 2. 4.
II. 12. 11.
V. 16. 2.
in. 18. 3.
n. 12. 1.
1.25. 2.
N 0 t a e
A. 1203. Differt mul-
tum.
Breq. VI. 2U.
a. 1204.
Est Alex. in.
a. 1199. Brevier,
a. 1204. Brevier.
a. 1198.
a. 1198. Multum
diflfert.
»62
V. Schulte
Codex Fuldensii 0. 5.
CompU.
II.
CompU.
Hl.
N otae
4. Inn. III« Sicut oblatus dil.'
fil
5. Ino. 111. Herbipol. ep. Offi-
cium creditae
6. Inn. III. in reg. AreUt epo.
Qttintavall
7. Inn. ni. Super consulatione
quam
8. Inn. lU. Veniens ad p. n. .
9. Inn. m. iudici Turnt. Ad n.
noTeris aud per?, iuraaae te
olim ad inatantiam Pisa-
norum — aeqaanimiter to-
lerare
10. Inn. m. in reg. Dilig. pii
patria . . Ad praeatundum
vero iuramentum
IUI. DepraeacriptionibuB.
1. Alex. III. p.cCumaintbom.
— Diud
2. Id. Quia indieante ....
3. Luc. m. Significavit . . .
4. Inn.lII.i.r. Cum non licent
5. Inn. ni. Auditia etintellectia
6. Alex. III. Dil. fil. n. abbas
et fr
Liber UI. I. De honeatate
elerieorum.
1. Inn. III. Deus qui . . .
2. Inn. in. Signfficaati . .
n. 15. 9.
n. 1$. 1.
n. 17. 1,
n. 17. 2.
n. 17. 8.
n. 17. 2.
11.17. 5.
IL 18. 1.
IIL 1. 2.
Alibi, ut aciam, non
exUtit 1).
1204.
Apnorypba ex nota
apud. Ant, Augutt in
fine Comp. III.
1198.
a. 1199.
a. 1205. Longior.
Rayn. t 40.
a. 1199. Para ultima
cap. eat in Comp. IV.
I. 11. 2.
0 Biehief%9 in edit. corp. jnr. can. ad c. 19. X. de inreisr. II. 24. ex cod. Fil-
denai, commanicante BikeüOt reatituit.
Die CompiUtioDea Gilberts und AI«DOt.
663
Codex Fvldenfis D. 5.
Compii.
Compii.
N 0 t ae
u.
III.
II. De clericis eoniugatis
1. Alex. ni. Sane sacerdotes .
ni.
2. 1.
—
2. Iimoc. in. Norrie, ep. Diver-
818 faJUciis
—
in. 2. 1.
a. 1203.
•
lU. De clericis non resid.
iO' ecci. praeb.
1. Alex. ni. PratermUti . .
m.
3. 1.
—
2. Coe). ni. Ex parte . . .
m.
3. 3.
—
3. Alex. 111. Conquerente . .
•
m.
3. 2.
—
IV. De praebendis.
1. Alex. 111. p. c. Veniena.
Cetenim
m.
4. 2.
2. Inn. ni. Proposuit . Lieet
—
m. 8. 1.
a. 1198.
3. Alex.. III. Cum non ignores
m.
4. 1.
—
4. Innoc lU. Inter cetera . .
—
m. 5. 3.
a. 1198. .
5. Innoc. HI. Cum sec doc-
trinam
—
m. 5. 4.
cf. notamBaiui.
I. p. 57. — a. 1198.
6. Innoc. Ol. Pro illomm pro-
•
-
'
Tisione
—
m. s. 9.
Anni incerti. Brevior.
in cod.
7. Innoc« arch. Senon. et F. s.
'
Mariae in vialatadiae. card.
•
a. s. 1. — Constitutua in p.
dil. f. nri 6. s. Angeli diac.
8. Inn. 111. Lit. ▼. accepimus .
—
m. 8. 6.
a. 1205.
9. Inn. III. Eugenio ean. Vastin.
Cum auper praeb
—
—
V. De clerico aegrotante.
•
Inn. m. abbat! de N. Acced.
.
ad p. n. 6 .
—
—
\
VI. De institutionibut.
^
i. Inn. UL abbatiss. et man.
Rabarien. Occurrere debet
np. 8. — dCTolvatur. . . .
—
—
/
2. Luc m. Veniena. . Interim
m.
6. 5.
—
3. Ion. HI. Cum veni88ent . .
—
DI. 7. 3.
664
V. Schalt
e
4. Inn. III. Brixien. ep. pars
c. Licet. Praeterea quae-
si?isti.Ciim saepe cootingat
Vn. De concess. ecci. non
vacaatis.
1. Alex. IIL Ex transmissa . .
2. Inn. III. Accedens ad p. n.
d. f. n. G
3. Inn. in. Cum. nostris . . .
4. Inn. in. Cum. pro quae-
stione
5. Inn. ni. Constitutns . . .
6. Coel. III. Insinuavit . . .
7. Inn. III. Dil. fil. 6. clerieus
8. Inn. in. i. r. Ap. sed. beni-
gnitas iIlo8
9. Inn. ni. Ex p. dil. f. H. dia-
coni nostris
10. Inn. in. i. r. Tua nuper et
j. Adieciati
fl 1. Inn. ni. Ep. Veron. Cum
olim quaeatio
Vni. Dehia quaefiunta
maiore parte eap.
Inn. m. Ex p. t. frater arch. .
ni. 7. 1.
m. 7. 4.
m. 8. 3.
m. 8. 5.
m. 8. 8.
Comp. IV. m. 3. 3.
Lon^or in eod.
a. 1202. — Longior.
a.l204.
Comp. IV. ffl. 3. 4.
W.U. 2.
IX. De rebua eccl. non
alienandia.
1. Coel. III. Ad aud. n. noveria
2. Inn.in.abbatib. et abbatiaa.
et aliia ecciea. praelatia
eccl. Neapel. Cum aaeria
canonibua eaveatur. . . .
X. De emtione et vendi-
tione.
Alex. ni. Conatitutua. . . .
1804. — C. IV. ffl.
I. 12. 1.
m.io. 2.
ni. 11. 1.
1198. - c. IV. in.
. 4. on.
Die CompiiaÜoaen Gilbert« und Altinu«.
665
Codex Fuldenait D. 5,
Compil.
H.
Compil.
III.
XI. De reruin permuta-
tione.
Inn. III. Cum olim ad n. a. . .
Xn. De testamentis.
1. Ino. III. Cuin. dil. fil. abbat
de baxia ........
2. Inn. in. pars c. OfBcii. Se-
eundo qoaeaiv
3. Inn. in. in r. abb. et frat
s. Mar. foris portam favent.
Proposuiati nobis fili abbas
4. Inn. in. t. r. illustri Anglo-
rani regi. Super negotio
carias. in Ch. fil. nepotis
tili regia Ottoois in Ro. imp.
eleeti antic. v
XIII. De aepulturis.
i. Alex. III. Ex parte. — Cum
liberum
2. Inn. m. i. r. epo civitatis
caateilanae. Honestatem ci-
atrensis ord. et j. Litis ma-
teria intelleeta
XIV. De decimis.
i. Alex. in. Cum. sintbominea
2. Inn. in. Ex. p. d. f. capell.
Albun. •
3. Clem. III. Ad aud. n. te
sign
4. Hier. Deeimam partem . .
5. Inn. IIL Non sine multa ad-
mirat auditur et ereditur
— quod feeerunt. ....
6. Inn. ni. in r. unir. babitator.
terrae Jeroaol. Licet quis-
que teneatur voturo dorn ino
7. hm, praep. et conr. Hootis
aereni. Exposuisti nobis
fili p. i. n. p. c. quod . .
ffl. 15.i.2
UL17. 3.
ni. 17. 8.
ni. 17. 1.
in. 15. un.
in. 20. un.
nL19. 2.
N o t a e
1202.
1198.
Baluxe V. 10.
666
V. Schulte
Codex Fuldensis D. 5.
Compil. CompiL
II.
8. Alei. m. Recolentes . . .
9. Alex. m. Dil fil. n
10. Inn. ID. i. r. Cum nobis li*
cet immeritis
11. Inn. in. Cum ad mon. Sub-
lacense
XV. De capellis mona-
chorum.
Luc. III. Ex transroissa . . .
XVI. De iure patronatua.
Inn. III. 8. N. et a. Leonia abba-
tibua. Dllectua fil. R. Me-
tenais can. nobis bura. . .
XVII. De cena. et exact et
procurat.
1. Luc. III. SignificaYit . . .
2. (Jrb. III. Querelam . . .
3. Inn. III. Cum ex officii aui
debito
4. Luc. III. Sopitae iudicio .
XVin. De aedifieandia
eccleaiis.
Alex. III. Litteraa tuae f. . .
XIX. De emunitate eccle-
aiarum.
i. Coel. lU. Tua noa duxit f.
2. Luc. III. Cum ecdesiaadei
3. Turon. conc. Quoniam au-
perren
XX. Ne clerici imroiaceant
ae aaecular. negotiia.
Inn. in. Ex p. t. fuit propositum
Liber rV. I. De aponaal. et
matrimonio.
1. Inn. III. Ad diasolvendum .
2. Inn. III. Quam ait grave . .
nL22. 2.
m.22. 3.
in. 23. 1.
III.
in. 27. 2.
N o ta e
m. 25. 1.
in. 25. 3.
ni.25. 2.
m. 26. 2.
UI.26. 5
ni.27. 2.
III. 27. 1,
n. 17. 6.
a. 1202. Longior est
in Cod.
nL38. 3.
IV. 2. 1.
V. 14. 2.
Brevier in cod.
1198w
Die Compilationen Gilberts und Alanu«.
667
Codex Fuldeasis D. 5.
Compil.
II.
3. EzconcTribur. DeFrancia
4. Inn. III. Liber. — Postu-
last! iDsuper
$. Coiwtitutus in n. p.B.mon-
stravit
6. Ina. ni. i. r. Biturie. arcb.
Veniena ad a. a. dil, f. n.
Witmaonoa — sit agendam.
il. De deaponaatione im-
poberum.
Ion. UI. Postulavit a nobia dil,
f. n.V.priDcepBNorwag. at
IIL De eoDdit.appoait.vel
appon.
Inn. DI. Per tuas litteraa . .
IV. Qai eier. vel vov. matr.
eont. p.
Coei. III. p. e. laudabiJe. Rur-
aua
V. De eoniugio aervorum.
Inn. III. Ad noatram nov. . •
VI. De coDJ. infidel, ad
fidem yenient
Inn. Hl. p. c. Deua qui . . Quia
VII. De cognatione spiri-
tuali.
1. Inn. ni. Papieiisi elvi. Per
taaa nob.iii indleaBti quod ei
2. Inn. m. Tua not doxit frat.
Vm. De frigidia et male-
fieiatis.
Inn. HL Sicut ex litteria tuis
nobia praeaent aceep. cum
IV. i. 1.
IV. 4. 2.
Compil.
lU.
IV. 1. 6.
m. 25. 2.
IV. 13. 1.
IV. 4.un.
IV. 7. an.
IV. 14. 3.
N o t a e
1206 t).
Differt.
Bah V. 51.— A. 1202.
A. 1203.
Brevior eat in cod.
IV. 8. 2.
1202. Differt in in-
acript.
0 in Conp. III. et In Reg. incipit Taae fraterniUti.
668
T. Schult«
IX. De claodesti Jiis des-
poos.
1. Alex 111. Coosuluit . . . .
2. Alex. in. Null US
X. De eo qui cogo. consang.
uxor. s.
1. Inn. III. io reg. priori de
Osin. Per tuas nob. lii in-
timasti q. W. lator . . .
2. Iqo. III. iudici SaUmitano.
Veniens
XI. De consang. et affi-
nitate.
1 . Urb. ni. Super eo quod . .
2. Idd. in. Quod super . . .
3. Ino. in. Sup. coDsult —
Quod vero in fine consult
annectere stud
IV. 3. 1.
IV. 3. 2.
XII. Qui filii sint legitimi
1. Coel. HI. Referente . .
2. Inn. III. Per vener. fir. arch
3. Inn. ni. Ex tenore . . .
4. Coel. IIL Pervenit . . .
5. Inn. in. Sane quin eontingit
6. Inn. in. illustri regi Fran-
eorum. Ap. s. quae dispon.
domino
XUL Qui matr. accusare
poss. vel testif.
1. Innoe. lU. Signilicante . •
2. Innoc. HL p. c. Licet Con-
suluit insuper
3. Innoc. lU. Per t. nobis 1.
intimastt
4. Innoc. IIL Tua nos daidt
fraf
IV. 9. 4.
IV. 8. 1.
IV. 10. 2.
1203.
IV. 11. 1.
IV. 11. 2.
IV. 12. 2.
IV. 12. 3.
Brevier in cod. —
Esta. 1190. (H. Kai.
Jan. a. H.)
A. 1205.
IV. 13. 3.
L22. 2.
IV. 13. 2.
n. 15. 10.
Baluze T.Lp. 684.
Est anni 1201.
A. 1204.
A. 1206.
A. 1203.
Die Comptlationen Gilberts und Alanus.
669
Codex Fuldenaia D. 5.
De iure dotiuro.
5. Innoc. DI. arcbid. s. Andr.
de Seotia. Super hoc quod
a nobis tua deTOtio requis.
N o t a e
UV. De secondis nuptiis.
6. Innoc. 111. Com secundum
1
apostolum
—
loetpit 1. V. de aecusatio-
albus denunciat. et inqui-
sitionibut.
i. Idd. III. Si coDstiterit . .
V.
1.
1.
2. Ion. DL Licet in beato Petro
^^^^
3. Inn. in. Dil. f. n. mag. A. .
.^
4. Inn. III. Super Nis . . . .
—
5. Inn. IIL Veniens ad s. a. d.
f. A. • rag[
—
6. Inn. III. Asinali-ep. et abb.
8. PetriPerusini. Cum civit.
Perusin. inter alias • . .
.^
7. Inn. in. Cum dil. 61. etc.
loquiratis
— .
8. Ion. ni. Mediol. areb. Ut
noatrum procedat ....
^-
9. Inn. III. In tantom peccatia
—
10. Inn. in. Sicut nobis . . .
—
n. De spirituali redem-
tione.
1. Alex. in. Ad nostram no-
▼cris
V.
2.
3.
2. Luc. ni. Ad eures ....
V.
2.
4.
3. Coel. ni. Dil. 61. n. R. . .
V.
2.
10.
IV. 15. 2.
IV. 16. un.
V. 1. 1.
V. 2. 2.
V. 1. 3.
V. 1. 2.
III. 10. un.
V.U. 1.
V. 2. 5.
Princ. et titulus in
Comp. in. diflfert
Immo Coel. lU. al.
Alei. ni.
M98.
A. 1202. Plenior in
cod.
A. 1202.
Comp. IV. V. 1. i
A. 1198 >)•
1199.
A. 1 199.
') la Boatro Cod. decretalia eontiDet qoae habentor in Comp. III. et in IV. L. 1.
T. XI. e. 8. et flnem.
670
r Schulte
Codex Fuldenait D. 5.
No ta e
m. Demagistrisetnealiq.
oxig. p. 1. d.
Alex. in. Pervenit
IV. De ludeis et sarra-
c e n i 8.
1. Alex. III. Ad haec . . . .
2. Clem. m. Quod olim . . .
3. Inn. ni. Stcut lud ei . . .
V. De scbisroaticia.
1. Ino. DI. Priorem. (p. c.
Fratern.)
2. Ion. m. ludorsien. areb.
Nee tu nobis absque . . .
VI. De homieidio casuali.
1. Inn. m. Significasti nobis .
2. Inn. in. Ex parte tua noatris
VII. De torneameutis.
Alex. in. Ad a. n. noveris.
Vni. De usurariia.
1. Inn. ni. Quam perniciosum
2. Inn. m. Ad n. a. n. p. p.
c. R
3. Inn. in. Illo V08 credimus .
4. Inn. in. Ad n. n. a. p. q.
c. J
5 Inn. m. p. c. Licet. Ceterum
quaesiv. p. a. ap. edoceri
ai debitor proprio. . . .
IX. De falsariis.
1. Inn. in. Accedens ad p. n. P.
2. Inn. m. Ex eonscientia . .
V. 3. 1
V. 4. 2.
V. 4. 6.
V. 4. 3.
V. 5. un.
V. 7. un.
V.
V.
7. 4.
7. 5.
V. 10. 1.
ni. 14. 1.
ni. 17. 1.
II. 15. 6.
Decretalis codicis
eatCIem. in.<).
A. 1203.
A. 1198.
A. 1203.
A. 1203.
A. 1205.
Comp. nr. V. 8. 1
ibid. c. 2.
1) Inn. in. eain denao eonfirmaTit. Vide Balus e Bp. II. Wl.
Di« Compilationen GilberU und Alu» 119.
671
Codex Fttldensis D. 5.
X. De elerico eicom. mi-
ni st r.
1. loD. ni. Veniens ad ap. s. d.
f. P
2. Ion. [Q. p. c. frat. Preab.
autem. . . '.
XI. De excesa. prael. in
aubditos.
i. Luc ni. Retulit
2. Alex. m. Sane ai ep. . . .
3. Ino. ni. p. c. lo nooDioe
NoUus reetp. ecci. . . .
Xn. De privile^iia.
1 Si gratis tibi factam . . .
2. Ino. in. i. r. Colobrioo epo.
Prafrum
3. Ino. m. ep. Floreot. Per
1. 1. intimasti
Xin. De purgatiooe caoo-
oica.
Clem. IH. Veniens ad nos R.
can
Compil.
U.
V. 13. 2.
V. 13. 1.
V. 15. UD.
Compil.
III.
V. 12. 2.
1.21. 3.
Tabula F.
Codex Foldentia D. 5.
L. VI.
De sacranieo«to baptismi.
iooo. m. in regtstro libri VI. .
i. Maiores ecciesiae ....
De eonsecr. eid*e eueha-
ristie.
2. Inn. DI. Logd. arch. Cum
Marthe ........
Conpil.
n.
Compil.
III.
m. 34. 1.
111.33. 5.
N o t a e
A. 1203.
A. 1206.
N 0 t a e
In comp. m. deest 'io
r. I. Vr. A. 1204.
A. 1202.
672
V. Schulte
Codex FuJdensU D. 5.
3. Inn. m. p. c. Ex parte. In-
super postul
4. Inn. in. Non ut apponeres .
5. Inn. HI. Quanto de benign. .
Pervenit
6. Inn. III. p. e.. Ex parte.
Post. pr. edoc <)
7. Inn. DI. p. c. Sieut ex litt
Super eo aut. *) ....
8. Inn. 1II./I. c. Exp. U Quaea,
praeL
9. Inn. 10. Cum ven. ad p, n.
p. /. n, B,' a. 8» leg, . . .
10. Inn. III. Ex p. v. f, quae^
süum
An in omnibus apostol.sit ieium.
11. Inn. in. CoMÜlum nostrum
sab, quib
12. Alex. in. Audwimus . .
13. Inn. ni. De homine . .
Quaeaiv
14. Inn. III. In quadam na^
atra ep
15. Inn. in. Debüum paat, of,
Bitra lltilts.
Id. [Inn. in. Officii veairi
laud de] fensari et
consilio quorundnm — ma-
lignorum
17. Inn. in. Cum oliro ad n. p.
a. q. can
18. De cone, Inn. in. Dil. abbas
19. Inn. in. Per tuas litt. Lat.
Xn. Kai. MartPone. n.a.V.
V. 21. an.
in. 33. 4.
in. 34. 3.
I. 3. 3.
in. 33. 3.
III. 3S. 1.
ni. 35. 2.
111.33. 6.
ni. 33. 7.
111.34. 2.
A. 1204.
A. 1206.
A. 1199.
Finit'orare ae*.
A. 1204.
A. 1206.
A. 1208.
—
Comp. IV. I. 3. 4
III. 3. 2.
A. 1203.
1.25. 1.
A. 1202.
V. 21. 14.
A. 1203.
') Duo folia teguentia exciderunt.
') Haec epittola et teptem »equentes deaumtae aont es alio Codice FaldeMi D. 3*
prioa 1 58. Cf. sopra pag. 10.
Die Compilationen Gilberts and Ahnua.
673
Codex Fuldentia D. 5.
20. Inn. riL Pastoralis off. de-
bitom
21. De Spans. Inn. Ol. Signifi-
easti
22. De eo qui cogn. Cleiii. HI.
Ex lit toae discr. aec. quod
cum 6. a te
Liber seeundus de
accusat
23. Inn. IIL Licet Hely . . .
24. De hom. Id. Exposuit nob.
d.f. M
25. De harn. Ex lit. t f. acce-
pimua
26. De faieariü. Id. Quam
gravi
27. De U9U paUii. Colest HI.
Com 818
28. De quäl, ard. IniuOLQuae-
ris a nobis
29. De eorp. vüiatis. Alex. IH.
Ex parte
30. De der. peregr, Coel. III.
Petitorio nob. por. . . .
31. De of. jud. deL Coel. ID.
Studoisti
32. De of. jud. deL Coel. Ol.
Sicnt
33. De of, jud. del. Miramur
oon modicum
34. De hü q. vi metueve c. f.
Coei. Com olim. . Foleo .
35. De causa poss. et propr.
Coel. Com r. f. n. a. Medic.
36. De deemus. Adrian. Ex p.
d. f. n. 1. lator
Compil.
II.
— I. 13. un.
SiUb. d. phiU hitt. Cl. LXV. Bd. III. Hft.
Compil.
III.
IL 5. 3.
IV. i. 2.
N 0 ta e
— V. 2. 3.
Miscell. p. 378.
A. 1199.
— V. 7. 2.
— V. 11. 3.
In boe cap. Cod. babet
defectum.
Comp. IV. L 4. on.
Alex. m. in Comp. IL
Sed non est Innoe. III.
ex nota apud Anton.
August in fine
Comp. m.
Inn. 1198.
Miscell. p. 391.
45
674
T. Schalte
Codex Fnldentis D. 5.
ConpiL
II.
Compil.
ni.
No tae
37. De fxtto et voH red. Inn. ÜI.
P. i Bei Blareelli pretb. C.
Qoaes. sane de h. . . . .
38. Inn. ÜI. Eliensi epitcopo.
Pastoralit ofBeii diligentia.
aj De of, wd. deh Fast. Dia-
cuasa
h) De reecr. Fast Praeterea
req
cj De of, lud. dei. Fast Quia
Tero aaepe
dj De oppeiL Paat Quaes. —
denegaTerit
ej De iure pair. Fast. Cum
autem
f) De prw. et exe, p. Fast
Interrog. praet.
gj De hü q. f. ab ep. Fast Solli-
cite praet
h) De (^eeimw. Fast Explicari
i) De eanetitut. Fast. Qoaes.
eiiam
kj De except. Fast. Quoniam
autem
IJ De of. iud. dei. Fast Sta-
tuimus — prorogari. . . •
mj Denan ord. mmietr. Fast
Propterea noa
39. DetcmrwInn.ni.Quiafrustra
40. De excom. Id. Quantae
praesumt
41. De aet. et quäl, ord. Id.
Tollet arch. et abbati s.
Leocadiae. Aceedens ad p.
n. d. f. N, d. Fanp. sac. sua
nobis . .
4!ft, De eonf. ut. velima. Id. Ad
hoc unxit
1. 18. 7. 5.
I. 20. 5.
I. t. 3.
I. 18. 7.
II. 19. 11.
m. SO. 4.
V. 16. 9.
ni. 11. 3.
IL 18. 4.
ÜL 28. S.
n. 13. 3.
n. 16. a
V. 10. 4.
A. It04.
Comp. IV. V. IS. )•
n. 9. un.
1198. In e»diee toti
ep. adest
Die Coinpilattonen Gilberte und Alaaot.
d7S
Codei Foldenait i>. 5.
Compil.
Compil.
N 0 t a e
II.
III.
43. De viöl. dericis iU. Id. Ut
fanuie
—
V. Äl. -8.
A. 1203.
44. Dejnirg, can, Inn. IIl. Cum
dil. fil
— ~
V. 17. 2.
In eodtce tota.
45. De furg, can, Vnti. IH. St
beoe (yere)
—
V.21. 7.
Longior in cod.
46l De purg, etm. Inn. IU. Sftcris
•
.
est Cfto
^■^
m.21. 3.
I. 23. 1.
^ ^m V ^^^» ■• ••••»••p*
47. De purg. can. Ex parte dil.
in Christo
—
V.23. 7.
In cod. brerior.
48. Inn. Ol. Arch. Toll, insiau-
arunt n. fr
•
—
49. Inn. III. i. r. B. mag. scohur.
et N. CSD. Dar. Super eo
qnod nos v. discr. requi-
sirit
—
—
V. 18. 11.
—
Sl. Inn. IU. De monialibus . .
—
V.21. 6.
52. Inn. HI. Saepe contingit .
—
V. 21. 10.
A. 1207.
53. Inn. IU. Tuae diaeretionia
—
III. 1. 3.
IV. 10. 4.
Insuper in cod.
longior.
54. De haerei. Inn. IU. Ei in-
ianeto nobis
—
V. 4. 3.
A. 1199.
55. Id. ep. et eap. Metensi.
Siqitesol. prael
—
—
56. Id. Vergentts — mercena-
rio eomparemur
•"^
V. 4. 1.
Unmittelbar daran eine Jf t't
§uru9 in f
nundum hi
»ginnende Vorrede um
Dekret Gratian«.
"
45
676
▼. Schölte
Tabula 6.
Nachweis über die Entstehung der vermehrten Com-
pilation des Alanus.
Codex Foldensia
D. 14. Vermehrte
Cod. Fold. D. 5.
Compil.
Joh. Oal.
CompU.
Petri Ben.
ConpU.
Notae
Sammlong dee Cod.
Fuld. D. 5.
Haupt-
aammlnng
Anhang
n.
III.
IV.
L. I. Tit I.-VI. 10.
I. I— VI.
^^
^^
^^
1
Cep. 11.
—
—
—
I. 19. 3.
—
12.
—
•
—
I. 6. 3.
13.
—
—
I. 8. 3.
^-
De suppl. neg.
prael. e. 1.
—
—
I. 6. i.
—
—
2.
—
—
—
ni. 8 7.
—
Inn. ni. i. r. 3..
—
-^
— .
-^
I. 6. 2.
l.[Deterop.or-
diir.JPertuas
Dob. lit int
quod V. can.
—
—-
—
•—
-'
2. Inn. Bracar.
arch. Aece-
pirnnt . . .
—
—
—
—
I. 8. 3.
De filiis presby-
terorum . . .
—
—
—
—
—
1. Alex. m. Ad
extirpandas .
—
—
I. 9. 1.
—
2.
I. Vn. un.
—
—
—
—
De trantlati-
oneepisco-
pibis n. Tit.
VI
I. XIV.
^—
_ .
— .
De dolo et cont.
bis II. VI.
•—
—
—.
— .
alterius pari
puD. ....
I. Inn. i. r. Dulro.
epo. Cum. d. f.
G. arch. . .
—
—
— .
—
—
2. 3.
—
■
in.8.1.2.
—
—
Die CompiUtionen Gilberts und Alanut.
677
Codex FaldenfU
D. i4. Vermehrte
SanBlvigdesCod.
Fiild. D. 5.
Cod. Fttld. D. 5.
Heupt-
•enmlung
tt-l— 3. . .
4.
5.
6.
X. 1—7.
8.
XI. XU. 1—5.
6. Inn. ni. ep. et
ean. s. Y. Ex
teoore litterar.
fritris n. epi et
ex p. y. . . .
7—11.
m. Ht I— VII.
1-9. . . .
Anhang
n.9.1— 8.
IL 9. S.
X. 10. 1.7.
X.10.8.
XI. XU.
1—5.
38. k.
Compil.
Joh. Gel.
II.
XII. 6 bis
10.
II. I— m
1—9.
10.
vn.li— xiv.1.2.
3.
4.
5.
6— a
XV. De regul. et
tr«iij.adrel.l.
2.
VU.10bis
XIV.1.2.
XIV. 3. 5.
Compil.
Petri Ben.
III.
U. 16. 2.
Compil.
IV.
UI. 18. 2.
UI. 18. 6.
III. 11. 3.
UI. 23. 1.
UI. 23. 2.
IIL 23. 5.
Notae
Id margine
Cod. Va-
cat*.
la margine
Codicis ad
Tit VU: 'l
I. lit de
praebendis
maiori-
bus*.
Taeat.
'yacat*.
Id marg.
Cod.
•vaeaf.
Vacaf.
678
T. Schulte
•
:
Codex Fuldenaia
D. 14. Vermehrte
Sammlui^l^ deaCod.
Fold. D. 5.
Cod. Fold. D. 5.
Compil.
Job. Gal.
II.
Compil.
PetriBon.
III.
ConpU.
IV.
Notae
Haopt-
•anralong
Anhang
3.
.^
__
m. 24. 7.
^.^
Coel.m.[Inn.]4.
—
—
lU. 27. 1.
—
▼aeit.
5. Ion. III. i. r.
■bb. et conv.
eiise mar. . .
—
—
— .
—
—
In praes. d. f. n.
6. 8. Adriani
diac
—
—
-~
—
—
6.
—
—
ni. 19. 1.
—
—
7.
—
—
—
—
ni. 11. 1.
XVI. De voto et
Toti redemt.
4-3.
—
—
m. 21. 1
bis 3.
4. 5. 6.
-^
—
—
in. 26.1.
K.4.
7.
—
—
—
IL 13. 2.
-~.
8.9.
III. 14.
6. 7.
—
—
—
—
IVIL De statu
monac. 1. 2. .
ni. 14.
S. 9.
—
—
—
—
3. Inn. III. Lieet
multitudini
—
._
-i.
—
.—
4. 5. XVIIL un.
XIX. 1. . . .
10. 11.
»
XV. XVI.
—
—
—
2.
— -
—
—
m. 30. 4.
— .
XX. 1-4. . . .
in. 17.
—
-^
"
~.
5. 6. 7.
—
—
— *
in. 87. s.
1.2.
Wicaf.
8.
—
—
-.•
m. 28. 2.
—
•vaeaf.
XXI. 1
in. 18. 1.
—
-~
—
— .
2.
—
—
UI. 26. i.
—
—
'vaeat*.
3.
m. 19. 1.
—
—
—
—
Lueias HI.
(Idd.) 4.
—
—
ni. 26. s.
—
—
•vacit.
XXn. De emu-
nitate eecl. .
—
— '
—
—
—
Die ConpiUtioneD Gilberts and AUnot.
679
Codex Fnldensis
D. 14. Verniebrte
SaBmlaagdeeCod.
Fnid. D. 5.
Cod. FoM. D. 5.
CompU.
Job. Gel.
II.
Conpil.
PetriBeo.
III.
Compil.
IV.
Notae
Haopt-
•aauBlmii^
AnbaBg
i.A]ex.ni.(Inn.)
Inter alia . .
—
—
-.
ni.32.un.
..
. 2.3.
ni.19.23.
mm.
.i^
-..
— .
XXni. un.
nL20.un.
,m^
.1.
...
...
L IV. Tit 1. eap.
!■ S* • . • •
IV. 1.1.2.
._
_
—
— .
e
3. Ion. epo. Cum
•
omaia orU. .
—
—
^mm
—
.—
'vaeat*.
4^6. bis Tit
Xlll. UD. . .
3— 6 bis
XID. S.
..
_
^-.
.•
XIV.Dedotepost
diTort . .
—
«— .
«^
_
w^
Ion. m. Compost.
ftreh. Cum ti
neceMe . . .
—
_
— »
.-
-^
*yaear.
XY. on.
IV. 13. un.
—
.—
.—
..
L. V. Tit I. i. 2.
V. i. 1. 2.
._ .
..»
.-
..
S.IniLlII.Neapol.
■
areh. . . Nihil
p«De eat quod
magit debeat
—
—
—
—
—
'yaeai*.
4—6.
V.l. 3-5.
7.
—
«^
—
V. 2. 5.
^^^
Vacaf.
8—12. IL 1—8.
6-10. n.
1—3.
•.
„^
—-
.»
Ibd. BD. Expoau-
isti nob. d. f.
abbat. 4. . .
—
.«-.
—
— >
..-..
Tteat
in. IV. 1—3.
in.iv. 1
bis 3.
.—.
—
.—
.«
V. De baeretieis.
un
—
S6
...
—
.m^
VI— IX
V.-VIIl.
.—.
_
— .
-^
IX. De ialaariis.
1. Inn. III. . .
—
_
...
<—
~^
DitfiliiB. eantor
•
H. et R« • .
—
—
—
▼aeat
2.
—
—
— '
V. 11. 2.
•^
yacat
i
680
V. Schalte
Codex FttIdeDaia
D. 14. Vennehrta
Sammlung dea Cod.
FdM. D. 5.
Cod. Fald. D. 5.
3. 4.
5. Inn. in. illustri
regi ÜDg. , .
InaudiUm hae-
tenus tpeciem
X. 1. 2. XI. 1. 2.
3.
XI. 4. xn. 1.
X. 1. 2.
XI. 1. 2.
XI. 3.
xn. 1.
2. 3.
V. 13. un.
2.
8. 4.
5.
Xni. De purgat
can. 1.
2.
3. Inn. III. Si Ae-
des ap . . Cum
aui 8up. his . I —
s.
XIV. De poenit.
et remissioni-
bus 1.
2.
3.Inn.in.Archad.
epo. Ex litt t.
f. acceptmus
quod I. laieus
lator ....
4. Alex. m. Bel-
Tae. epo. Quod
guuUun . . ,
ö. Inn. m. Ad ap.
sed. elemen-
tiam
XY. De sententia
ezcDmm. 1.
44
Coopil.
Petri Bea.
ni.
Compil.
IV.
Notae
V. 15. UQ.
V. 16. ij
ni. 37. 6.
V. 17. 2.
▼aeaL
yaeat.
?aeat
V. 18. un.
y. 20. 2. —
V. 13. 1.
V.U. 3.
V. 17. 1.
— V. 15. 2.
raeat
Die Compilatioaen Gilbert« und Aliinua.
681
Codex Fuldenais
D. 14w Vermehrte
Cod. Fnld. D. 5.
Compil.
Compil.
Compil.
lY.
Saamluo^ dea Cod.
Fuld. D. 5.
Haupt-
aammlong
Job. Gel.
Aahang ''■
PetriBea.
III.
No t ae
2. 3.
— .
—
—
V. 21. 13
15.
1 ■
4.
—
—
-i—
..
V. 15. 4.
5. loD. III i. r.
de lucellar.et
de caritate
.
abbat Aece-
dens ad a. s. d.
f. n. nob. vir.
W. de monie
beilegarde
—
—
.^
_
«.«
6.
—
45
^»
,1,^
■^^■^
7. Ido. m. i. r.
LezoT.ep.Sicut
ea qaae paeem
. . Cetenim ut
tu ipse . . .
-r
—
.»
— .
~.
vaeat.
8. 15.
46-53
_
...
Ineipit Hb, VI
•
de eaeram.
haptiamu
1.
—
—
...
._
..
II. De conaeera-
tione eocbar.'
1-4.
2-6
...
^_
„„^
S. Qoidam etiam
6—10.
—
..
V. 22. 2.
....
,^—
vaeat.
m. An 10 omni-
■
bua apoat. rigil.
aitiei. 1.2. .
-^
11.12
..
.^
.^
3. Inn. ni. Cum
dil. f. coneaoo-
aiena ....
—
—
—
'—
—
vacai
De rescriptis et
0
Interpret, eo-
•
nim
—
—
—
-.
1.
—
S. 23. 3.
...
2. Id.Conqaerente
dil. fil.P. Comp.
—
—
—
—
—
1
682
▼. Schulte
Codex Faldenaia
Cod. Fttid. D. 5.
Conpil.
Compil.
D. 14. Vennebrte
Joh. Gal.
PetriBen.
Compil.
Notae
Sammloog dea Cod.
Fold. D. 5.
Haopt*
aammlnng
Anhang
11.
III.
IV.
3.
-
1. 1. 1.
^^
▼aeat
4.
—
—
V. 2. 5.
—
vacat
5.
_
.^-
— >
n. 16. t.
—
Taeat
6.
-^
.—
—
exm.5.3.
—
vacat.
7.
•— >
.—
—
in. 5. 9.
—
Taeat
8. Id. epo etc.
Laiid. Consti»
-
tutus i. p. n. d.
f. n.H.8ubd. V.
ecd
.— .
—
—
—
—
9. Alei. III. Re-
cepimus .
—
—
V. 14. 1.
—
^^^M
10.Inn.III. Super
eo q. ditcr. t.
«
req. Tide), quid
fac. tit. de hie
qai captioDi
b. m
.—
—
^-
—
—
Taeat
11.
— .
—
»
V. 21. 15.
—
Taeat
12. Id. Päd. epo.
Intel), ex 1. t
quod cam N.
moDachus s.
Stephan! . .
—
tm^^
—
—
—
13.
ID. 9. 2.
—
—
—
Taeat
j De consuetudine
14—17.
-.
ift-19
..—
—
—
18.
mm^
-~
—.
V. 1. 3.
—
Taeat
19.
.—
20
— >
—
—
20.
— .
— —
—
11. 17. 6.
—
21.
_ .
21
-*
-^
—
22.
— .
—
—
m. 25. 2.
—
Tacit
23.
IV. 2. an.
—
—
—
—
Taeit
24.
IV. I. 1.
—
—
—
—
Taeat
25.
IV. XI. 2.
—
—
—
—
Tacit
De eo qni eogn.
#
cont. uxor. 26.
22
Die CompilalioDen Gilberts ond Alanut.
683
Codex Fuldeotis
D. 14. Vermehrte
SammJvDirdesCod.
Fold. D. 5.
Cod. Fnld. D. 5.
Gompil.
Joh. Gal.
II.
Compil.
PetriBen.
III.
Compil.
lY.
N 0 t a e
Haupt-
BammluBg
Aohang
De matr. eontra
iDteeel.contr.
CoeLIIL Insin.
nobis q. quid,
paroeh. 27.
—
—
—
—
—
Bfiteell.
p.373.
Liber tecundus
-
de acensatt
28.
—
23
-«
—
—
29.
V. 1. 4.
—
— .
—
—
Taeat
30.Id.Sen.QiiOD.
ex dictie tet-
tiatn . . • *
.-
—
—
—
—
▼ aeat.
31.
—
...
—
V. 1. 1.
—
▼aeat.
De tymonia. 32.
Id. Neapol. .
—
—
—
—
^
—
areh. et e. S.
Laur. in Lq-
eina
—
—
—
—
—
—
p. e. Ap. 8. le.
Dil.f.in.Andr.
prop. t. . . .
—
—
—
—
—
vaeat.
De iadeia. 33.
Alex. 111. p. e.
adhoeuniTer-
sor. Autt. ap.
inhib. ne qnis
—
—
—
—
—
vaeat.
De baereticis.
34. 35.
—
54. 55.
—
V. 4. 3.
—
Tacat.
De bomieidio.
36. De Infant
—
—
V. 5. un.
—
—
raeat.
37. 38.
—
24. 25.
^^■^
—
—
39. Id. Cum in-
punitaa teele-
mm
—
—
—
—
—
▼aeat.
De aduHerii84a
^^^
—
—
V-14. 2,
^"^
▼ aeat.
De falsariis. 41.
—
26
—
—
—
De eler. non
ord« ministr. 42.
—
•^
•^
— —
■^
)
004
F. S
ich Ol t«
1
Codei Fttldentit
D. 14. Vermehrte
Sammlong des Cod.
Fuld. D. 5.
Cod. Fold. D. 5.
Compil.
Joh. Gal.
II.
Compil.
Petri Ben.
HI.
Compil.
IV.
Notae
Haopt-
aammlong
Anhang
Id. ep. Lemovic.
A nob. f. ex
•
t. p. qaaes.
quid tibi ftci-
endum erit de
quod. u. darin
nie autem
qui [c. 7. X.
1.21.] . . .
—
—
—
—
—
De eo qui fürt
ord. suscepit
43.
—
—
—
—
—
Id. epo 8. Andr.
Signißcantev.
f. n. Andeg. .
—
—
— —
—
De priTilegiis.
44.'€ontiDgit.
Coel
—
—
n. 14. 3.
_
— .
Alex. m. Patent.
litt. 45.
—
—
V. 14. 2.
^^_
-—
46.
—
_
.—
I. 2. 5.
...
vaeat
De senf. exconi.
et interdieto.
47.
—
—
_.
.—
_•
Coel. ni. abba-
tistae de Apia.
ComproeaiMa
quae int. dil.
fil. et infra.
Reete agis . .
Qaaeris autem
per quem. 48.
Inn. III. Ex in-
sin. T.f.n.Co-
limbric. . . .
—
~
—.
—
i— ~
49.
—
— .
y. 21. 9.
...
50.
—
—
~.-
[n.36.an.
...
51.
—
—
—
m. 16. 1.
—
52.
^—
—
_ 1
V. 15. t.
raeai
Dia CompibtioneB Gilberts und Alanut.
685
Codex Fitldentis
D. 14. Vennelirte
Sammlang des Cod.
Fnld. D. 5.
Cod. Fnld
. D. 5.
Compil.
Joh. Oal.
11.
Compil.
Petri Ben.
III.
Haopt*
Sammlung
Anhang
53.
.^_
ai^i.
,
1.18. 3.
De supplenda
negl. praei. • '
—
—
—
Idd. III. Elieen.
Det LiDt arcb.
Dorfa. Lieet d.
f.mag.H.arch.
Richem. et R.
54.
55.
....
^^V
,
ni. 5. 1.
Deretcripti8.56.
Ne promoti-
m
onis ....
^-
—
De eoDSuetadine.
,
56.
—
—
.m—
I. 3. 3.
Deelectione. 57.
— >
nL12.un.
58.
"^"^
.._
1.20. 4.
De usu pallii 59.
27
..^
—
De qua! it. ordi*
■
nandor. 60.
28
—
—
De eorpore ti-
tiatis 61.
—
29
.—
—
De clerieia pe-
regrin. 62.
—
30
—
—
De offieio iadi-
*
eis delegati. .
—
—
—
63—66.
1. 3. c.
3—6.
— -
—
—
Lac. lU. Noten.
ep. Quaes. est
ex p.t,si index
Ordinarius vel
euimd.del.67.
—
—
—
—
68. 69.
31. 32.
^^^^
CoeLAntiq.Ebo-
racecel.dign.
70.71.
1
—
^^
Notae
▼acat
vaeat.
Taeat.
Taeat.
▼ aeat
vaeat
mise. p.
375.
686
r. 8 0 h « 1 t e
Codei Fuldensis
D. 14. Vermehrte
Sammlang des Cod.
FuM. D. 5.
Cod. Fnld. D. 5.
Compil.
Job. Gal.
n.
Compil.
PetriBen.
ni.
Compil.
IV.
PCotae
Haapt-
sammlang
Anhang
De his qute v. m.
c. f. 72.
—
33. 34.
-;—
_
_.
Deiudiciis.Älex.
III. Auct »post.
73.
—
—
n. 1. 1.
—
—
vacat
De causa possei.
etpropriet74.
—
35
—
—
—
75.
n. 4. 1.
—
— >
_
^
De tesUmentis.
Id. Cantuar.
areh. etep.Ci-
strensi. Retulit
D.A.presb.7^.
—
—
_
_^
._
De restit. spoli-
ttor. J. in. ep.
Mtttin. et mag.
Amaneo. Ex 1.
d. f. arehid.
Bon. 77.
—
—
..
^.^
_
De iureiarando
78.
11.12. 7.
—
^-
—
•—
Tacat.
79.
—
—
—
I. 1. 3.
—
De sent. et re
iud. Coel. HL
In his 80.
^
— -
V. 23. an.
.— .
De appellat. Coel.
m. Licet Sit
•P
—
—
n. 19. 19.
.M
.^
Honor.RsT.areh.
Qoerim. P. du-
cis. 81.
—-
_
M—
^^
_^
Alex. III. Ad au-
res 81
—
„.^
11.19. 6.
_
_
Alex. in. Ad
and. 88.
_»
—
n. 19. 7.
«.
mm^
De eonf. tttili ?el
inut. 84.
I. 13. 4.
^^^^^
—
—
—
Tide A.
de pritil. 1
i
Die CompiUtioneo Gilberts ond Alanut.
887
Codex Foldenais
D. 14. Vennebrte
Sinmhuig de« Cod.
Fuld. D. 5.
Cod. Fold. D. 5.
CompU.
Job. Gal.
11.
eompii.
Petri ^B.
III.
Conpil.
IV.
Notae
Haopi-
•unmlung
Aabang
De bis q. f. eb
epo eine cons.
eap. 85.
—
—
n. 9. 2.
—
—
Id cod.
InD. m.
Aquil. p.
•
Id. Ex parte
canonicor.
Btigubinae.
86.
ni.i5. 1.
De decimis. 87.
Ion. III. Ex p. dil.
filior. cap.alb*i
88.
36
vacat.
De eooversioDe
eoniugat Urb.
in. priori s.
crucis.Exp.d.
f. n. abb. s.
Petri 89.
Mise. p.
876.
De TOto et voti
redemt ....
90—93.
—
37-40
—
—
—
De praebendis.
94.
fl^^»
•»
_
^^^
in. 3. 4.
Tacat.
De aet. et qoal.
praef. 9S.
De eonf. uK Tel
iiiiit 96.97.
—
41
42. 43
^■^
—
—
De rescriptis.
98.
OTB^
^^^
I. 2. 4
•
Tscat.
De ioreturando
99.
_
1
^^
>.■»
in. 7. un
▼ acat
Id. Nihil est pene
qnod magis deb.
form.O 100.
—
—
—
▼ aeai
*> Itai rapra ia
Q. V. 1. ad
eft.
688
T. Schult
Codex Fnldensis
D. 14. Vermehrte
Sammlong dea Cod.
FQld. D. 8.
Cod. Fold. D. 5.
De test. et at-
test 101.
De reguJaribut.
102.
Inn. Cum licet
et j. Ei p. t
quaes.estquod
cum N. antf-
cessor tuus
moo. 103.
De rescr. Alex.
IIL Cum cau-
sam . . Si vero.
104.
Alex. in. Sup,
consult. et j.
Qood enim
105.
106.
Inn. m. Quam
periculosum .
Inde 107.
Mit 9 ur US in
mundum.
HaupU
samnBlung
Anhang
CoQpil.
Joh. Gal.
II.
Compil.
PetriBen.
III.
n. 12. 4.
m. 24. 7.
pars, c.
I. 2. 5.
pari c. V.
10. 1.
Conpil.
IV.
Natae
raeai
vacat
vacaL
vacat.
vacat
vacat
vacat
Die Coapilationto Gilberte vnd Alanoe.
689
Tabula H.
Cod. Bruellamu
bei Theiaer
Eatspridht oach Tbeiner den Capitela der
Die Capp. M»
Comp». 11., UI.,
•
IV. tteben Im
Cod. FoId.D. 5.
Compil. 11.
-- ■■ ■ - ■ ^
Compil. 111.
•
CoapU. IV.
Buehl.
•
•
Tit i. e. an. .
I. 1. un.
. "■"
— '
I. i. un.
, n.1. •
I. 2.1
•
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*
I. 2. 1
II. 2. .
2.4
•
•
2. 2
n. 3. .
2.8
•
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4. .
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—
—
•
5 . .
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•
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Tit m. 1 . .
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1. 3. 5 «)
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11 • .
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1.5. 4
-:— '
-
Tit IV. 1 .. .
I. 4.1.
—
I. 4.1
2. .
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• *
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. V.l. .
I. 5. 1
—
• —
I. 5.1
V.2. .
5.2
•
—
1. 5.2 .
3. .
3
—
■ —
I. 5. 3 .
4. .
•
1.7. 1
■ • —
•
5. .
-^
•
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4
6. .
—
1.5. 1
•
I. 5. 5
Vi. UD. .
—
1.5. 2
'
6.1
Vll. 4 . .
—
—
^^^^—
■
2. .
1
•
0 YieUeiebt
1
Dmekfebler anati
itt 8., die Cod. 1
^M, als 1. a. 6.
bat
•
SiUb. d. phil.-bitt Cl. LXV. Bd. Hl. Hft.
46
«90
V. 8 c h H 1 1 e
Cod. Bnaelliuttt
bei Theiner
• •
Entepriclit nach Theiaer den Capiteln der -
1
Die Capp. su
Compil. 11., Hl.,
IV. stehen in
Cod. Fvld. D. 5.
Coinpil. U.
Compil. ni.
Compil. IV.
Bach 1.
•
TitVn. 3. •
I. 6.2
—
—
7.3
Vffl. 1 . .
I. 7.2
—
—
ai
2. .
7.1
—
—
8.2
3. .
—
1. 9.5
—
8.3
IX. 1 . .
I. 8.2
—
*
9.1
2. .
8.3
—1-
•
9.2
3. .
, 8.4
—
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4. .
8.5
—
9.4
5. .
—
^-
V. 6.1
9.5
6. .
—
—
—
7. .
—
II. 8. 1 «)
—
X. 1 . .
I. 9.3
—
—
1. 10. 1
•
2. .
9.4
—
—
10.2
. 3. .
9.5
— .
—
10.3
4. .
—
■ —
—
5. .
HI.. 4.3
—
—
in. 2.00.
6. .
—
"^"^ .
—
7, .
I. 9.1
—
—
XL un. .
1. 10. an.
—
—
Xn. UD. •
I. 11. 1
—
—
1. 12. an.
xm. UD. .
—
—
—
XIV. 1 . .
—
—
—
2. .
—
—
1.23.8
•
XV. 1 . .
U. 18. 1
_ —
.
2. .
—
—
—
8. .
U. 2.7
• ^^
—^
4. .
I. 12. 3
—
•
L1S.2
5. .
—
—
—
6. .
—
—
—
7. .
V. 18. 9
—
—
XVI. 1 . .
L14.2
—
—
I. 14. 1
2. .
—
1.20.3
—
14.2
XVII. an. .
1. 15. un.
I. 15. 1
^) VieUeicht Druckfehler fOr 1.
»
, 8. 1., das Cod. Fttid. als I. 6. 2.
1
hat Anf gleidi«
Weise m«
g wegen Druckfei
ilem EUnaelnes n
icht stiOMMo.
Die Compilationen Gilbert« und Alanus.
691
Cod. BmzelUniu
bei Theiner
Entspricht nach Theiner den Capiteln der
Die Gap. ans
Compil. 11., III.,
IV. stehen im
Cod. Fuld. D. 5.
Compil. II.
Compil. III.
Compil. IV.
Buehl.
TitXVffl. 1 . .
I. 16. 4
—
—
2 . .
16.2
—
—
15.3
3. .
16.5
—
—
15.4
XIX. UQ. .
1. 17. un.
—
—
16. un.
XX. 1 . .
I. 18. 1
—
-i
17. 1
2. .
18.3
—
—
17.3
3 . .
V. 21. 1
—
Anh. 31.
4 . .
—
I. 20. 4
—
1. 18. un.
XXI. 1 . .
I. 19. un.
—
—
19. un.
2 . .
—
I. 23. 1
—
: 3. .
—
I. 23. 3
—
1 xxn. 1 . .
—
I. 25. 2
—
2. .
1
1
I. 20. 2
—
—-
Tabula I.
Zasammenseteung der Comp. IL aus Gilbert und Alanus.
Der
Comp.
11.
4
Capitel stehen zuerst in der CompUatio
Gilbertus
Gilbertus
Alanus
Alanus C.
Nicht nach-
gewiesen
sind
2
•
Tab. A.
ß.
Tab. C.
Tab. E.
F.
Haupt-
Sammlung
Anhang
I.
1
_„^
-,
cap. un.
^^^
^M^M
^>^
2
4
—
cap. 1. 5
2. ^-9
—
—
3
3
4
5
6
1. 4. 7
2
2. 3.
2
^
5. 6
1
1
2. 3
—
—
4
—
1
—
7
8
2
2-6
—
1
-^
1
—
9
3.5
—
4
2
1
—
46*
692
ni.
19
»0
21
3.4.11-17
-
1. 9. 10
2
3
1.2
S. 8. 18
an.
1
1—3
1.2
-
-
8.7.18
Die CompilatioDen Gilbert« und Alanue.
693
Der
Conp.
II.
Capitel ateheo snerat in der Coapilatio
Gilbertns
Alanua
Nicht nach-
gewieaen
aind
«
in.
•
6
Tab. A.
Tab. C.
Tab. E.
F.
G. Haapt-
aammlung
Anhang
1
2—4
5
_
^^^
7
8
9
2.3
—
1.4
—
—
110.
1
2
^.^
__
„^
.^
10
1
2
—
—
—
11
—
2
1
—
—
—
1
12
—
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—
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—
13
2
1
—
—
—
—
14
—
1
—
«^—v
—
—
2
IS
3
—
1.2
—
—
16
—
un.
—
—
—
17
4.7
2. 5. 6
1.3.8
—
—
—
18
3.5
4
— .
—
2.6
—
1
19
2.4
3
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1
—
20
1.2
—
— .
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—
—
21
4
—
«_
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1—3
—
22
1.6
—
2.3
__
—
—
4.5
23
2
—
1
__
—
—
24
1.2
—
— .
•_
—
—
25
4
—
1— S
_
—
—
26
1
—
2.5
— ^
—
3.4
27
—
—
1.2
_
—
•—
IV.
1
2.5—8
—
1
—
—
3.4
2
—
an.
—
—
—
—
3
—
8
1.2
—
—
—
4
—
1
2
—
—
5
1
2
—
—
—
6
1—3
.—
.i..
_-
—
—
7
1—4
— >
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—
—
8
—
2
1
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9
3
1.2
—
—
—
10
—
vn.
-^-B
—^
—
—
11
—
—
1.2
—
—
—
12
1.2.4.5
3
-—
_
—
—
13
1.2
—
—
—
—
14
2
1
—
—
15
"^^
un.
^■~
■^~
"^
^■^
694
T. Schalte
Der
Comp.
U.
- Capitel etehen soerst io 4er CorapUatio
Gilbertot
Alanoa
Nicht nach-
gewietea
sind
%m
1
n3
i
Tab. A.
Tab. 0.
Tab. B.
F.
G. Hanpf-
•ammluBg
Anhang
V.
1
2
3
4
5
6
7
8
9
10
11
12'
13
14
15
16
17
18
19
20
21
22
23
1.2.5.6.9
2
1.2
uo.
un.
1.2
31)
[un.«]
3.2
i— 10. 12-15
1.2
1.2
7.8
1.4.5
l.a-5
1—3
3. 4. 10
un.
2.3.6
un.
1.2
un.
4
11
un.
1
2
un.
•
1.2
un.
un.
1
»)
Hoc
ria
Hoe
pUa
cap. in CoB^. U
m exstaty ad rer
capvt ideal est q
tione ir. bia habe
. ■•eribitnr Clem. III., in Cod. Ion. 111. Qaod apud Rnyne-
bora consonat. Ino. 111. fortaaae Clem. decretalem iBBOTtfit
aod in V. 8. 2. habetur, qaare repeti non opoKebat ; in com-
tar.
Die Coropilationeo Gilberts nnd Alanua.
695
Tabula K.
Zusammensetzung der Compil. III. aus Gilbert
und Alanus.
Der
Covp.
Capitel kommen bereits (saerst)
• 1
Tor In GoIlecUooe
m.
Oilberti
'
Alaot
HatiD
d. Com-
•
3
Tab. A.
B.
Tab. C.
D.
Tab. E.
Tab. F.
Tab. 6.
1
pil. III.
•j
H
^
Capitel
I.
i
^>^
^^^
H^H*
1
3
5
2
—
—
^
—
1.24.5.7.8
—
—
—
13
•
3
—
—
—
_
1.2
3
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—
7
4
— .
—
—
—
1.2.3
—
—
5
5
—
—
1.2
—
. 12. 13
—
—
4
6
4
—
6
-i-
6. 8. 16
—^
3
—
19
7
—
—
—
—
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—
—
3
8
1.2
—
—
—
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3
—
3
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—
—
—
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—
6
10
—
—
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—
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11
—
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—
2
—
—
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—
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—
—
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—
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8
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—
—
4
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—
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2
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—
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2
—
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—
—
—
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4
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3
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m.
_
2
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X
1
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t
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3
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6
_
3
_
vn.
~
3
Die Compilationen GilberU und Alanot.
697
Der
Comp.
III.
Capitel kommen bereits (tuerst)
Tor in Collectione
Gilbert!
Alani
Hat in
d. Com-
•
ja
"3
ni.
•
22
Teb, A.
B.
Tab. C.
D.
Tab. E.
Tab. F.
Tab. 6.
0
<
6
pil IIK
Capitel
UD.
„_„
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„_
un.
23
0
—
—
1.2
—
5
—
—
5
24
2
—
1.3
—
—
—
7
—
7
25
— .
—
—
2
—
—
—
3
26
—
—
—
—
5
1.4
—
—
5
27
—
—
—
1
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▼or iD Collectione
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Tab. A.
B.
Tab. C.
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Tab. E.
Tab. F.
Tab. 0.
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10
S a c h a Q , Zur fiUesten Geacbichte dea muhammedanischen Rechts. 609
Zur ältesten Geschichte des muhammedanischen
Rechts.
Von Ed. Sachau.
Alles muhammedanische Recht ist in letzter Instanz auf zwei
Grundlagen zurückzufuhren: auf geschriebenes Gesetz und Prä-
cedenz. Das erstere ist der Koran, d. h. nach muhammedanischer
Auffassung «die durch Mul^ammad geoffenbarte göttliche Welt-
ordnuDg**» das zweite ist das Leben des Propheten, die Richtschnur»
der Weg (SunnaJ für alle seine Anhänger» oder genauer definirt:
seine sämmtlichen mundlichen wie schriftlichen Ausspruche und
Verordnungen («JyiSI)» alle Acte seines öffentlichen wie privaten Le-
bens (^JmÄII); alle diejenigen Fälle» in denen er weder durch einen
Ausspruch noch durch ein actives Eingreifen ein Präcedenz schuf»
sondern durch ^Stillschweigen* seine Übereinstimmung und Sanc-
tion ertheilte (jf^ull). Durch die Reihenfolge dieser drei Bestand-
theile der Sunna — l^aulj fi*ly takrtr — ist zugleich die graduelle
Verschiedenheit in der Beweiskraft derselben für die Rechtsdeduc-
tion {^j^\) angezeigt «).
<) Dictionaiy of TeehnietI Terms , S. V*r , erUIrt Sunni i#d Vlil ^^ J J^^ ^
j,j:^\ J-i^l ^jJ.\ J^^ Jy ^ Ji^^j^ 1-5 aJc aUIj
ITiMÜCi begreift im Gegensats za Sonni nur den 4ratf/i. i. 0., S. V*l, Z. 8 J^^
i i-jj.1 . y jlJI . jyiij >üi g,u ^jJLi -^ pl (.c. iui)
JLiill 1) Jj^- Ober J»yt3l in dleaer Bedeutang Tergl. Seleebqry, On
• ••
the aelence of MntUm tradition in Joamal of the American Oriental Society VH, 86:
700 Sachau
Hit dem Koran, der kurz nach Huhammad*s Tode gesammelt,
dann aber A. H. 30 (651) in einer kanonischen Redaction für alle
Zeiten festgestellt wurde, und mit einer grösseren oder geringeren
Anzahl von Traditionen im Gedaehtniss » zogen die ältesten Anhinger
der neuen Lehre, die welche Muhammad persönlich gekannt ^die
Genossen** <) noch zu seinen Lebzeiten und unter seinen Nachfolgern
über die Grenzen Arabiens hinaus, um innerhalb eines Jahrhunderts
Asien und Afrika vom Oxus und Indus bis Marokko zu überfluthen
und überall den Islam als allein herrschendes Gesetz zur Aner-
kennung zu bringen. Die kleine Theokratie in Medina , die man sich
etwa wie das Wahhabiten-Reich um die Mitte des vorigen Jahrhun-
derts zu denken hat, war zu einem Weltreich geworden. Wer nickt
zum neuen Glauben vom einigen Gott und seinem letzten Propheten
übertrat, konnte sich durch freiwillige Unterwerfung eine Art Meto-
kenthum erkaufen, das ihm Sicherheit der Person und des Eigen»
thums garantirte; that er keins von beiden, so musste das Schwert
zwischen Tod oder Leben, Freiheit oder Sklaverei entscheiden.
Nach dem Koran und der Sunna wurde über jeden streitigen Fall
zwischen den Gläubigen, wie zwischen Gläubigen und Ungläubigen
abgeurtheilt.
Slaoe, Ibn Rhald(kn*8 Prolegomenen , Obertetiany HI, S. 7 aad 477; Die-
tionary of Technical Termt S. ffA u. d. W. &U>Jil wird Sanna umschrieben
djirch^yiZlI^O^CJlji JUsil ^i Jlyi^l Cber die rertchiedeoe Beveit-
kran der drei TbeUe t. Dictionary 8. V*1: J^ ^^-^1^ kS^ Jj*^^^
.Das »Wort* hat ttirkere Beweiskraft fflr die Rechtsdednction nls die .Thal«.
weil die «That* sich immerhin als ein ausschliesslich dem Propheten eigentkSndiches
darstetten kann; die j^That" ist stirker in dieser Besiehnng als die lyStacUoB dorcb
Stillschweigen* , weil bei dieser MögUchkeiten (der Dentnng) sich ergeben, die
bei der „That* nicht Torkommen können.* Deshalb sei anch von einigen die
Beweiskraft des Takrtr im allgemeinen bestritten.
*) Die technische Erktirung Ton «Genoase'' ist 1p OU^ ^ \^y* 2^ «^ ü^
A jL»jl „wer mit dem Propheten snsammengetroffen und swar glaubend sn iha
(d. h. seine göttliche Mission), und im Islam gestorben ist*. Dictionary of Teehnicil
Terms 8. A»V.
Zur iltesten Geschichte des mubammedanischeii Rechts. 70 i
Die Generation der MGenossen**» der einzigen Auetoritäten der
zweiten Quelle des muslimischen Rechtes , starben aus mit dem
Jahre 100 d. Fl. i) Die nächste Generation derer, die die Genossen
kannten — „die Nachfolger** — nahmen in den zahilosen Rechts-
tallen, für die ia Koran und Sunna nicht vorgesehen war und
naturgemäss nicht vorgesehen sein konnte» ihre Zuflucht zu solchen
Ansichten und Verordnungen der Genossen , die von diesen einhellig
getheilt und bei ähnlichen Anlässen verordnet waren (L\tC^\ 9\^ <}.
Die Verehrung gegen den Propheten wurde auf die, die ihm nahe
gestanden, ausgedehnt und dasjenige, was sie gesprochen und
gethan, als von seinem Geiste gefragten aufgefasst und zum
Gesetz erhoben. Diese ^Übereinstimmung der Genossen** ist ein
ergänzender und commentirender Nachtrag zu Koran und Sunna,
der von den Muhammedanern als dritte Rechtsquelle bezeichnet zu
werden pflegt. Shahristjint >) und Ihn Khaldün suchen die Gesetzes-
kraft derselben durch die „Infallibilität der Gemeinde der Gläu-
bigen** (apI^I Ac^^p, IZ^ il»\i\ Ä^^l Prolegomenen , ed.
Quatrem^re III, 17. 19) zu erhärten, wogegen aber einzuwenden
*) AIm den xnietzt gestorbenen Ton den Genossen bexeichnet Ihn Katsib«, c^w
KJfj\A\ S. IVr den *Ab(k-'ltufai] ; er starb nach 100 d. Fl.; das Jahr ist nicht
bekennt.
<) ^dr-atoharfat ('Ubaid-allAh b. Mas' Ad Almahb&br Albuhlrf, gest. 747) erkürt den
'Ifcmi' als Jj^ r^=^ J^X^^ J X^l^ ^ J'J^' J^"l
0 Übereinstimmung der Mugtahids unter der Gemeinde Mu^ammad*s in einem
Zeitalter über eine rechUiche Bestimmung*' Dictionary of Technical Terms, S. XTK
Von besonderer Bedeutung sind hier die Entscheidungen der ersten Wer Chalifen,
die bei aUen wichtigen Angelegenheiten die Genossen zu Rathe zogen, z. B.*AbA Bakr
über die Bekfimpfnng der dJ^I ,J>1 (DamM, c>[^i ^l«>^ « U S. 4.) , 'Omar
bei der Vertheilung der Dotation aus dem Staatsschatz und der zu diesem Behuf
anzulegenden Register aUer derer, die darauf Anspruch hatten (BalAjurt
^jliiil i^Uj , ed. de Goeje 8. ii^).
<) Shnhristilnr (J^^^ J^' ^^^ ^^' ^^i^^^on S. SoV) stutzt seinen Beweis auf
eine Tradition Äl^UJI ^ ^1 M^ 1. Bine Tradition ihnlichen Inhalts
citirt Muhammad b. Alhasan (Sprenger, Zeitschrift der Deutschen MorgenlSn-
dinchen Gesellschaft X, 6) ^^^«»- aUI ^ y^ \^m^ Ü^iUI ^Ij ^-
702 Sachau
ist, dass die Genossen nicht ,,die Gemeinde^, sondern nur ein
kleiner Bruchtheil derselben waren.
In diesem Jahrhundert der Genossen, Sem ersten der Flucht
sehen wir die frühesten Keime sprossen, aus denen sich später die
Wissenschaften der Muhammedaner entwickelt haben. Im allge-
meinen war dies Zeitalter des unausgesetzten Kampfes gegen die
Ungläubigen, des Umsturzes alter und der Begründung neuer
Reiche, sowie der heftigsten ParteikSmpfe dem Aufkommen von
Bestrebungen geistiger Art durchaus feindselig. Auch waren die
meisten der Genossen nach dem Muster des Propheten selbst des
Lesens und Schreibens unkundig; und dazu kommt noch, dass bei
vielen die Religion nur Aushängeschild , dagegen Selbstbereicherung
um jeden Preis der wahre Zweck aller Bemühungen gewesen zu
sein scheint. „Ihr Hauptgeschäft war ausschliesslich die Bekämpfung
der Griechen und Perser. Und Gott Hess die Gläubigen viele Ero-
berungen machen, und gi*oss wurde die Zahl der Gefangenen und
die Masse der Beute**. Shahrist&nf S. \T
Dieselben Ursachen aber, iii dem Aufblühen von Wissen-
schaften im allgemeinen ungünstig waren , liessen frühzeitig ein Ein-
gehen auf Rechtsfragen , die Entwickelung der in Koran und Sunna
vorhandenen rechtlichen Elemente, kurz die Begründung einer
Rechtswissenschaft als praktisches Bedürfniss empfinden. Unermess-
liche Reichthümer strömten aus den eroberten Provinzen nach
Medina^} und später nach Damaskus. Wenn ein Muslim im
Kampfe fiel, in welchen Quoten war die Erbmasse unter die oft sehr
zahlreichen Mitglieder seiner Familie, die Ascendenten und Descen-
denten der verschiedenen Frauen zu vertheilen? Konnte eine schwan-
gere Frau für ihr noch ungebornes Kind einen Erbtheil bean-
spruchen? und welchen? u. s. w. In der That ist das Erbrecht, das
späterhin wegen der dazu erforderlichen Fertigkeit und Kenntniss
der Rechnenkunst (i^Lj.) Iß) als eine besondere Wissenschaft
betrachtet wurde»), früher als irgend ein anderes von den Huham-
medanern ausgebildet. Von Zaid b. Täbit, dem Secretär Muhammad*«;
0 Einen annähernden Begriff davon g-ibt das Capitel fiber den 'AfA' bei BnlAd«rw
^^1 ^\^ S. ÜA ff.
*) Vgl. n>n RbaldAn, Prolegomenen , Übertetzung III, S. 21. ISS.
Zur filtesteo Geschiebte des mohsinroedaDischen Rechts. 703
und der ersten drei Chalifen, heisstes, dass er unter den Genossen
der beste Kenner des Erbrechts (pf*^^) gewesen sei; auch dem
Vetter des Propheten Ihn 'AbbAs wird ein gleiches nachgesagt 0-
^Und wir sehen , mit welchem Bemuhen die Genossen durch Analo-
gien Rechtsnormen zu eruiren suchten, speciell in erbrechtlichen
Fragen, z. B. Ober das Erbrecht der Bruder mit dem Grossrater und
über das Erbrecht der ferneren .Verwandten**. So Shahristänt 11
und derselbe S. \ T „Zur Zeit Omar 's kamen viele Differenzen auf
Ober Fragen der Erbschaft des Grossvaters, der Brüder und der
ferneren Verwandten; Ober die für Verwundung der Finger, für
ausgeschlagene Zähne zu leistende Sühne und über einige andere
Punkte des Strafrechts , Ober die kein Text (in Koran und Sunna)
Torkam'*. — Ausser dem Erbrecht waren es die Verhältnisse zu den
Unterworfenen, die sich auf Grund eines Vertrages (U^) ergeben
hatten oder mit Gewalt (^^) bezwungen waren, Verträge zwischen
Muslims und solche zwischen Muslims und Fremden, überhaupt die
tausendfachen Beziehungen einer Familie nebst Sklaven und dienten
(Jl^), eines sich constituirenden Staates bestehend aus den Herren
des Landes .und Metöken (f^ j) — sämmtlich Dinge, über die in Koran
undTradition sich mehr oder weniger ausfuhrliche Vorschriften finden,
die mSchtigsten Triebfedern für den Ausbau der gesamroten Juris-
prudenz. Die Unzulänglichkeit der beiden Rechtsquellen Koran und
Sunna nebst der Übereinstimmung der Genossen wurde allgemein
empfunden, und man bemühte sich nach bestem Wissen und Gewissen
aus den vorhandenen Textstellen (^^y^) für diejenigen Fälle,
Ober die kein Text vorhanden war, rechtliche Bestimmungen abzu-
leiten. Und hiermit sind wir an dem Punkte angelangt , wo sich die
Rechtskunde als ein selbstständiges Moment von der blossen Kenntniss
des Korans und der Tradition ausscheidet.
Bevor wir nun bis zur Ausbildung der ersten Systeme des ge-
sammten Rechts in der ersten Hälfte des zweiten Jahrhunderts diesen
Faden weiter verfolgen, wird es forderlich sein, den Zustand der
0 Nawewt »UwÜ wuj^ c^llTs. Xö\ und ö\. , Z. 10; S. TOl
704 Süchau
praktischen Rechtspflege während dieses Zeitraoms in die Unter-
suchong hineinzuziehen.
Justiz und Administration scheinen ursprunglich bis zu einem
gewissen Grade. getrennt gewesen zu sein ; schon in der ältesten Zeit
wurden Richter neben den Gouverneuren in die Provinzen ge-
schickt. So erzahlt ShahristAnt S. too, dasr Muhammad seioen
Schwiegersohn 'Alt als Richter — - Kidt — nach Jemen gesandt
habe<). Lehrreich ist die durch die beiden Sal^t|i verbürgte Nach-
richt (Nawawt olt Z. 1. ShahristAnt a. a. 0.*)» dass der Prophet
den Hu*2d b. Gabal nach Jemen sandte und ihm die richteriiche
Instruction ertheilte : in allen streitigen Fällen in erster Instanz nach
dem Koran, in zweiter nach der Sunna, in dritter nach eigenem
besten Wissen und Gewissen zu entscheiden. Mit Recht bemerkt
Ihn KhaldOn (Slane*s Übersetzung S. 2), dass nicht alle Genossen
eine solche Kenntniss der Offenbarung und der Sunna besassen , die
sie zur Lösung von Rechtsfragen befähigte, sondern dass dies le-
diglich denen zufiel, die den Koran wussten, den sogenannten
^Lesern**. Einige von ihnen werden als besonders geschickt in der
Unterscheidung zwischen Recht und Unrecht bezeichnet; unter
diesen der eben erwähnte Mu'idb. Gabal, von dem Nawawt o*V*
Z. 9 sagt: J^ ^ jU, ^1^1^ J^l (sc. iljll) -«U^^. ond o"V» .
z. 1 : *111 J^— y a»ft Je ö^ lylT j,jJI j».| *:* M j^^ JL*.^
„Und Mu'id war einer von denen , die zur Zeit des Propheten Rechts-
bescheide ertheilten." M. kämpfte für den Islam schon bei Badr und
wurde im Jordanlande hinweggerafft von der grossen Pest A. H. 18,
die sich von 'Amawis zwischen Jerusalem und Ramla über ganz
Syrien ausbreitete, und der so viele der Genossen zum Opfer fielen
(Ihn Kutaiba \X . und \\\ \ JAkAt Vl^). Mu'äd starb in einem
Alter von 33, nach andrer Angabe (WäVidt) von 38 Jahren.
Als rechtskundige Männer werden ferner angeführt von den
Muhä^irs: 'Omar, 'Otmän, 'Alt, von den 'Ansär: 'Ubai b. Ka^b und
1) MAwardt 8. III.
*) Vgl. BalAdnHS.1^Z. 5. 4. t.u.; MlwirdtS. 1 1 . Über die lostnictioii , die 'Omar de«
*Abft MAsA Arub'artflber denselbcD Gegenstand ertbeilte, s. J. t. Hamnier, Ober die
Lindenrerwaltnng unter dem Cbalifate , S. 206.
Zur ältesten Geschichte des mahammedRaischen Rechts. 705
Zaid b. Täbit (Nawawf olt). Der Überlieferer Masrük (gest. 64)
lässt 'Otmiu aus und fügt hinzu: „*AbdallJih (b. Mas'äd) und *Abä
Msi Al^ash'ari (Nawawt U I Z. 3 v. u.). 'Abdallah (gest. 32)
verwaltete das Riehteramt und den Staatsschatz Ton Küfa för 'Omar
und zu Anfang der Regierung *OtmJin*s (Ibn Kutaiba \ TA). 'Ali b.
Almadfnt (gest. 258) hebt besonders die drei: 'Abdallah b. Mis'Qd,
Zaid b. Tibit und Ibn 'Abbäs hervor t).** Von dem letzteren heisst es
(Nawawl Tof) , dass er „gut bewandert war in den Entschei-
dungen des 'Abä Bakr^ 'Omar und 'Otmin** , und dass er mehr als
irgend ein anderer der Genossen Rechtsbescheide ertheilte (Nawawt
ToT). Dass Ibn Abbäs, besonders aber Zaid b. Täbit die Auetori-
täten für erbrechtliche Fragen waren, ist bereits oben erwähnt.
Die Verdienste 'Omar*s um die Entwickelung des muhammeda-
nischen Staates harren noch einer eingehenden Darstellung und
Würdigung. Sowie er die Finanzen des stets «anwachsenden Staats-
kolosses ordnete und das Steuerwesen aller Provinzen organisirte^
wandte er auch seine Sorgfalt der Rechtspflege zu. In alle Städte
von einiger Bedeutung sandte er nebst den Statthaltern Richter;
auch den einzelnen Heerhaufen wurden Richter beigegeben. Die
Awä'il - Literatur hat uns eine Notiz über die ersten Richter des
Islams erhalten (Ihn Kutaiba TVl). Danach war der erste in Medina
Abdalldb b. Naufal, in 'IrJik und zwar in Madä*in Salmän b. Rabt*a
(Ibn Kutaiba TTI); unter den Stämmen, die Käfa gründeten (Ende
16 d. Fl.) 'Abu Karra Alkindt, nach ihm Shuraih b. Alhirit Alkindl
(gest. 79 — Ibn K:utaiba a. a. 0. ; <J>U1 J^ ed. de Jong S. At) ;
in Ba^ra Ka'b b. Suwär Al'azdt (Ibn Kut. XWy Ka'bfielin der
1) Damlri, i>\j^\ 11^ (ed. BaJak. 1284) I, S. 1^: J^ ^ sS^ O^ O^ S^
SiUb. d. phiL-hist. Ol. LXV. Bd. 111. Hit. 47
706 Sachau
j^Kameelsschlacht*" Ä. H. 36; das Recht der vierten Nacht (s. Tor-
nauWy das moslemische Recht S. 72) durfte auf ihn zurOckzofuhren
sein. *AbA MAsä AKash^art fungirte für 'Omar als Richter, später
als Statthalter; sein Sohn *Abü Burda (gest. 103) war Richter Ton
Küfa und dessen Sohn Biläl h. *Abt Burda Richter von Ba^ra (Ibn
Kutaiba TAY und Ifl; Latä*if-almalrif 1). Als ein instnictives'
Beispiel eines Richters dieser Zeit» der an der Spitze eines Heeres
die Ungläubigen bekämpfte » zur Zeit der Ruhe ftir streitende Par-
teien zu Gericht sass und daneben noch Zeit fand , über juridische
Oistinctionen nachzudenken, fuhren wir den obengenannten Salinen
b. Rabf a Albähilt oder Salmän Alhail an. Als gegen Ende der Re-
gierung *AbA Bakr*s die Armee in Mesopotamien unter dem Oberbefehl
des *Abü 'Ubaid vernichtet war, sandte *Omar den Sa'd b. *Abt Wakküs
dahin (A. H- 1^) und befahl, dass von der syrischen Armee ihm ein
Hülfscorps zugesendet werde. Unter diesem Corps befand sich
Salmän, der sich vordem an der Eroberung Syrien's betheiligt hatte.
Er kämpfte in der siegreichen Schlacht «bei Kädesia (A. H. 16),
wo er eine persische Standarte nahm, zog dann mit in Madd*in ein
und verwaltete hier das Richteramt. Madä*in wurde nach kurzem
Aufenthalt wieder geräumt und Salmän als Richter nach Kflfa ge-
sandt (vermuthlich Anfang 17 d. FL). Hier blieb er aber nur
40 Tage und kein einziger Streit kam vor sein Forum. Nun veriieren
wir Salm&n für einige Jahre aus den Augen. Als dann späterhin
Habtb b. Maslama Alfihrt gegen die Armenier und ihre Verbündeten
von 'Otm&n Hülfe verlangte , bekam SalmAn in KAfa den Befehl, an
der Spitze von 6000 Kufensern nach Armenien zu marschiren. In
der Zwischenzeit änderte sich aber Ij[abtb*s Lage der Art, dass er
Salmän*s Hülfe nicht mehr bedurfte. Dieser zog nun allein nordwärts
und drang vor gegen den südlichen Kaukasus über den Kur in Shir-
wän hinein. Zuerst ergaben sich ihm einige Städte und Fürsten;
dann aber (A.H. 29, 30 oder 31 — Nawawl XM.) von dem Ha-
kan der Hazaren auf allen Seiten eingeschlossen, wurde er mit-
sammt seinen 4000 Mann erschlagen. ^Und da horte man auf
ihrem Schlachtfelde rufen: *Alläh 'akbar (Gott ist gross)** fugt der
Chronist hinzu (BaUduri X.t, \ l^, Xo\; Ibn Kutaiba XX \ ; J4küt
Vf^). Von seiner juristischen Bedeutung bemerkt Ibn Kutaiba a. a.O..
Zur filtesten Geschichte des niohrnnmedanischeo Rechts. 707
dass er zuerst den Unterschied zwischen jllp (Verhältniss eines
Freigelassenen) und ,yi^ (VerhSItniss eines Ton einem freien Vater
mit einer Sklavin erzeugten Individuums) festgestellt habe.
Grossen Rufes ferner erfreuten sich die sieben Medinensischen
Juristen: Sa'td b. Almusajjab (gest. 93 oder 94), 'Urwa b. Alzubair
(gest. 94 oder 99) , 'Ubaidalläh b. 'Abdallah (gest 98 oder 99),
'Utba b. Mas'üd (gest. unter Omar), Häri^a b. Zaid (gest. 100)
Sulaimln b. Jasär (gest. 109 oder 103) und der letzte derselben
Kdsim b. Muhammad, der A. H. 112 starb <). Unter den berühmtesten
Vertretern der Rechtspflege dieser Epoche sind schliesslich zu
nennen: *Abd*ldardA* (gest. 32), Richter von Damaskus unter
'Otmän (Nawawt V\rs) und *Abü*raswad Aldu*alt in Ba^ra (gest.
69 — Nawawt \o\).
Es war nicht unsere Absicht über die praktische Rechtspflege
und ihre Vertreter während des ersten Jahrhunderts der Flucht
erschöpfendes zu geben *) ; nur das war zu zeigen , dass in dieser
Zeit» wo das Recht noch nicht selbstständig entwickelt und zu einem
System ausgebildet, wo die Jurisprudenz lediglich angewandte
Koran - und Sunna-Kenntniss war, für die praktische Rechtspflege
immerhin eine grosse Sorgfalt entwickelt wurde und dass viele Män-
ner speciell in diesem Fach zu grosser Berühmtheit gelangten. —
Kehren wir zurück zur Entwickelung der Rechtskunde als Wissen-
schaft. Wir haben bereits oben gesehen, dass durch die systema-
1) Ab SteUe des SulaimlD b. Jasir werden «nch drei «ndei^ gensoDt — SAliin b.
*AbdaUlh b. 'Omar oder *Abft Salima b. 'Abd-alrabmAn (gest. 94) oder 'AbA Bakr
b. 'Abd-alrabmin b. Alhlrit b. Hishlm (gest. «4 Ntwawt 8. XXT), Damlrf
(i>l^l 4^ I, S. 1^) ia einer Notii ^ J^yjJl m^\ J^l ^y^ ^
XI^jIL J^ajÜI Utst 'utba b. Has*Ad aus, nnd nennt an seiner Stelle *Ab4 Bakr
* « *• •
b. 'Abd-alrahmän. Nach dem Fihrist (Handschrift der HofbibUothek N. F. 412 Bl. 5S b
schrieb 'Abd - alrahmän b. *Abf-*liin(id (gest 174) ein Werk i\^\ ^^J i^UT
*> Ibn Kbald&n (Übersetzung B. 19, 1 , 448) Usst ihn den ersten Richter von Me-
dinn unter *Omar sein , wShrend Ibn ^utaiba fVl 'Abdallah b. Naufal als solchen
b«seichnet. Grössere Stidte haben Termuthlich sehr frfih mehrere Richter gehabt.
^y Vgl. benondcrs Ibn Qa^r^Äil^^l i^llT (Calcntta 18M) 8. W
47*
708 Sachau
tische Behandlung der Confrontation der Thatsachen mit den Be*
Stimmungen des Korans und der Sunna die Jurisprudenz sich als
eine selbststandige Wissenschaft gegenQber der Kenntniss dieser
beiden Urquellen des gesammten Islams constituirte. In der Ge-
schichte einer Wissenschaft repräsentiren die Termini technici
Hauptmomente der Entwickelung» wie im Geweih und im Rohr die
Knoten ; ein solcher Knotenpunkt ist in der Geschichte der arabischen
Jurisprudenz das Wort ra't (c5'J')«
Nach dem Ableben der Genossen folgte die Zeit des Sammelns
der Traditionen und späterhin die des Sichtens ; gesammelt wurde
in der Weise, dass für jede Tradition eine ununterbrochene Reihe
von Gewährsmännern von dem Erzählenden bis auf den Augenzeugen
zurück hergestellt wurde. Späterhin war es dann die Aufgabe sich-
tender Kritik» die Authentie dieser Überlieferungsketten zu prüfen
und die Welt vor Irrthümern und absichtlichen Fälschungen, zu
denen die dynastischen Verhältnisse der ersten zwei Jahrhunderte
so viel Veranlassung boten, zu bewahren <). Zu dem Studium der
Traditionen drängten sich besonders die Freigelassenen heran, die
als homines novi sich hierdurch den Weg zu einflussreichen Stel-
lungen und grossen Reichthümern bahnten <). Sie wurden bezeichnet
'asj^b-nlhadit; diejenigen aber, die sich Tornehmlich mit der
Anwendung der Traditionen (und des Korans) auf rechtliche Ver-
hältnisse beschäftigten und hierin andere unterrichteten, wurden
''a8hdb-alra^ji(jj[^\ c-»U^l) genannt.
Da in der späteren Geschichte der Jurisprudenz der Ausdruck
t^yi fast antiquirt und zum Theil in Parteiinteresse seiner ursprüng-
lichen allgemeinen Bedeutung entkleidet wurde, so scheint es zweck-
dienlich, hier näher auf denselben einzugehen, «^yi ist weder
identisch mit jI^Ü noch mit aaäII; es bedeutet seinem Inhalte nach
«
nicht Jurisprudenz, sondern diejenige geistige Thätigkeit resp. Fer-
tigkeit, durch die sich der Jurist von dem Käri^ und dem Sihib-al-
badtt unterscheidet, die späterhin unter dem Namen ^Liil als vierte
1) Vgl. 0. Loth, Ursprung und Bedeutong der TabaUt in Z. d. D. M. G. XXIU,
594 ff.
') Vgl. Slane, IbaRhallikln, Übersetzung B. H , Einleitung S. VUl — X.
Zur ilte«ten Geschichte dse muhAmmedanischen Rechts. 709
und letzte Quelle des gesammten muhammedanisehen Rechtes be-
trachtet wurde und wird. Die arabischen Lexikographen, deren
Werke mir zur Verfügung stehen, fuhren meistens das Wort in
dieser technischen Bedeutung gar nicht an; in dem Speciallexikon
fär Terminologie oblOl von Alkalfawt (Handschrift der Hof-
bibliothek Mixt. 40) ist es nur sehi* mangelhaft erklärt und in dem
Dictionary of technical terms (Bibliotheca Indica, Caicutta 1862) fehlt
es ganzlich. ,^^1 heisst das Sehen; das Für-gut-befinden,
und passivisch gewandt: das was gesehen, für gut befunden
worden ist — wird — werden wird. Alkaffawt erklärt es El. 244:
J^l Üp jc jCaux}] j^\ ^^\ ^Itpl J\J\. ^^ßj\ bedeutet, dass
der Verstand einen von zwei Gegensätzen als richtig annimmt, je
nachdem sich das individuelle Dafürhalten für das eine oder andere
entscheidet«* (Ansicht). Für diese allgemeine Bedeutung, die
durchaus nicht selten vorkommt, vergleiche man Koran 11, 29; Ihn
Kutaiba X.. 1. Z.; Balftdurt T.l Z. 12; TTo I. Z.; X%\ Z. 2,
tlA Z. 5; XX Z. 2; Damtrl's OUL| X^>. ed. Bulak. I S. 1\
Z. 1 2, Muhammad b. ishsik Alnadtm nennt im Fihrist (Handschrift
der Hofbibliothek N. F. 412 Bl, 41 b.) unter den Werken AbA
Jüsuf's ^J \.\£ iff^J^ Jip ^^ jJU ^ ^ aJI ^^ ^uT
^ '^\^ c^ll^ ^Ull J3li^l aJ „Kitäb-al^wftmi*. Er verfasste
es für Ja^jä b. Hälid (den Barmekiden) in 40 Büchern, in denen
er die Meinungsverschiedenheit der Leute (über juridische Fragen)
und die Ansicht, an der man festhält, auseinandersetzt^. Ibn
Khaldäns Prolegomenen , ed. Quatrem^re III, 12. Z. 12. 13: pÄll^
jjidl o^j % LiU JlTol^ :^\ Jjbl ^ünd die Leute waren In-
haber eines, obschon begi-änzten 'l^häd, die den Takltd nicht für
angemessen erachteten"!).
Für die technische Bedeutung die folgenden Beweisstellen:
Ibn Kutaiba (gest. 276) führt in seinem JjUI sJd^ S. TIA ff. die
oamhaflesten der ältesten Juristen unter dem Titel ^JJl <^l.tf^^l auf:
xar* ii^yyi^ heisst 'Abd Hantfa J\Ji ^^.aXe> „der Jurist«' a. a. 0.
«) V|5l. 8 1 a n e* 8 OberseUnnp HI, 8. 19 : sie waren ^1^1 J>1 , nicht ^1^*1 J>1
710 Sacbau
Z.19 undS. r« l Z. 13; Alhattb (gest. 463) nennt ihn bei Nawawt
S. WK i^J\ c-»U^^l »U. Ferner ^^yi^i „Jurist** in einem Verse aus
der Zeit MamAn*s, Ihn Kutaiba ^l^ Z. 7 <); derselbe Gebrauch vou
j]j\ l^W^^I bei Alnadtm» der seinen Fihrist vom J.377datirt, Bi.40a
^yi l^Wi^^ JOl^l i»lcA^ Ü:>. J^->^' J wnJ «»t'rt bei Ibu
l^utlAbugä ^\ji^\ ^ ed. Flügel Nr. 80. Von Ihn 'Abt Laild
(gest. 148) sagt Ihn Kutaiba TIA: JJ\j Uju — o^^ und Fihrist
Bl. 41a ii^ Ji J-5 ^Jl Jji* o^ w«»* pflegte auf Grund des
ra'i Rechtsbescheide zu ertheilen schon vor *AbA Hantfa.«
^J\ im Gegensatz zu JujJLI: Ihn Kutaiba Xo\ Z. 5. 10
„*Abü YAsuf beschäftigte sich mit der Traditionskunde, dano
aber zog ihn grossere Neigung zu ^ßj\ und er wurde Richter von
Bagdad*'. Dasselbe war der Fall mit Zufar b. Alhudail (a. a. 0. Xi\
Z. 1 6 und Fihrist Bl. 41 a >) und Muhammad b. Alhasau Alshaibint
(Ihn Kut. toi); von diesem heisst es: „er ging nach Bagdad und
man hörte bei ihm Tradition und ißj\*' d. h. Tradition und die An-
wendung derselben (und des Korans) auf Rechtsfragen , also Juris-
prudenz, soweit die Methode, nicht der Inhalt betroffen ist. Ihn
Mu'tn (gest. 233) bei Ihn Kutlübugä S. 41 Z. 1. 2: J>l o^J
l»\^ ip ^Wenn die Cberlieferer in der Tradition so redlich wären
wie Muhammad b. Simd'a im Jus , so würden sie darin das Höchste
leisten** und ebendas. Z. 6: 'Ahmad b. Hanbai unterscheidet bei
Nawawt ofl Z. 2. 3 den hadtt und den ra'i des Mälik b. 'Anas.
j;\J\ im Gegensatz zu jl^;»^^!: Muhammad b. Alhasan (gest 189)
Fihrist Bl. 42 b und 'U& b. *Abdn (gest. 200) schrieben jeder ein
0 Diese Vene MusAwir's finden sich auch im Fihrist Bl. 40« ^^....»^i^^Uil Jl»)
AaJ>- Li >-^3yyiJjU-«*).,^^Z. 5 verstösst gegen das Metram; in der
Handschrift der'Hofl»ibliothek (Wfittenfeld, Vorwort 8. IV) Mixt. 188 kann
das Wort mehj^ (j'^) gelesen werden; der Pihrist hat jrdi (,/ÜC).
» -^
2) Hier hat die sehr ansorerlissige Handschrift J;\^\ aJIc «.JLP. aLu^ — Ter-
» * ** *
motblieh verschrieben f&r fJU) aJp wJlP^ c1>J»£ •
Zur ältesten Geschichte des iDuhammedanischen Rechts. 7 1*1
Ji)\ :\^\ ^\^ Im Dictionary of Technical Terms S. \ \h wird
jl^l erklärt als ^^1 ^^/^^ ,*die Erschöpfung der ganzen Kraft**
(Ä»iyi ^Ic Jjü aUji4^) bis zu dem Grade, dass man das GefQhl hau
hierüber» d. h. über den erreichten Grad der Anstrengung und das
dadurch erzielte Resultat nicht hinauszukonnen <); die Erklärung
'Äffiidrs specialisirt das Objeet dieser Bemühung als die rechtlichen
Satzungen der Religion a. a. 0. Z. 12. 13: «-JJ» i «w^l ^\/u>A
aJIp. Während ^J\ die Thätigkeit des betrachtenden und unter-
scheidenden Verstandes bezeichnet, drückt ^J\ :\^\ den höchsten
Grad ihrer Intensivität aus. — Aus dem gesagten dürfte sich die
allgemeine wie technische Bedeutung von ij[)\ in seinem engeren
und weiteren Gebrauch zur Genüge darthun; es ist inhaltlich nicht
identisch mit Rechtswissenschaft » wurde aber in freierem Sprach-
gebrauch als Hauptkriterium oder als pars pro toto auch allgemein für'
„Jurisprudenz** gebraucht; daher ^Si^\sJ^^ u. s. w. „Juristen'».
Der classische Ausdruck für die gesammte Jurisprudenz mit
Ausschluss des Erbrechts — istAiutl\. Es heisst ursprünglich „das
Erkennen*'; ob dies auf analytischem oder synthetischem Wege
geschieht , ist nicht indicirt *), während sich in ,^yi dieselbe Thä-
tigkeit durch Analyse Tollzieht; passivisch gewandt „das was er-
kannt wordenist — wird — werden wird**. Zamahs)iart führt in
Asäs-albaliga (Handschrift der Hofbibliothek) BI. 379 b folgende
Tradition an: j*jJ\ j Ayiil [rji. A* aUI jj) ^ J^-xJLl j^ „Wem
Gott wohl will, dem gibt er Einsicht in Sachen der Religion.*' Bevor
aber der Ausdruck sich in dieser seiner Domäne festgesetzt hat ,
scheint er wesentlichen Schwankungen unterworfen gewesen zu
sein; es ist sogar wahrscheinlich, dass er in der ältesten Periode
etwa bis 200 d. Fl. nicht „Jurisprudenz** , sondern „Glaubenslehre**
bezeichnete , also mit Kalim identisch war. Es findet sich nämlich
<) über den weiteren Gebranch Ton JIy<>>i in den W^ul^alflkh Tgl. Kizem-Beg,
Nottee tor la merche et les progris de la jarisprudence parmi let sectes ortho-
dozea Mnaolmanea im Journal Aaiatiqne IV. Bit. tom ZV 8. 158 ff.
*) Trots der Grundbedeutung dea „Spaltena'' , die der Wurzel /|r in aUen aemitiachen
Dialekten inhSrirt.
712 S sc hau
folgende Noti7. Gazzälfs (gest. &06) bei Kaffawt Bl. 360 b; Higi
Haltfa IV, 457 und Oietionary of Technical Terms S. r\: ^\^
m
üi\\ ^\ J ^Ü\ JJ^ f \^j\\ lj\iL^ l/ä\ Jjl Jp ^\\^
^1 ^jUJJI ijKi h^i^a:^ „Der Name iiiil\ bedeutete in der ältesten Zeit
allgemein die Kenntniss vom Jenseits und das minutiöse Wissen tod
den Gebresten der Seele , die Erkenntniss von der Erhabenheit des
Jenseits und von der Niedrigkeit dieser Welt. Dann aber beschrank-
te man den Namen AJuiSl willkürlich auf die Wissenschaft der
Rechtsbescheide^ u. s. w. Nicht unwahrscheinlich beruht diese Notiz
Gazzälfs auf einer Definition , die allgemein auf *Abd Hantfa selbst
zurückgeführt wird; er soll nämlich den Kalam^;^! aäaII genannt
und AJuill \s> auf folgende Weise erklärt haben : ^^j^ i^^^^ ajuJI Ip
L-yJLp U^ l^ U „Die Erkenntniss der Seele mit Bezug auf das, was
ihr zukommt und was ihr obliegt"*; Dictionary of Technical Terms
S. l loV; XX und T* (hier mit ausßlhrlichem Commentar). Diese
Definition passt genau zu dem Inhalt der *AbA Hantfa beigelegten
Schrift ^il AJull , die wir als eine regula fidei Muslimieae bezeichnen
können. Mag sie nun acht d. h. von *Abü Hantfa selbst verfasst sein
oder nicht , jedenfalls gehört sie der ältesten Periode der arabischen
Litteratur an, da sie schon im Fihrist unter seinen Schriften auf-
geführt wird (N. F. 412 Bl. 40 bi).
1) Vgl. A. V. Kremer, Geschichte der herrschenden Ideen des IsUms S. 89 Anm. 2.
Die Ächtheit der Schrift wird zwar ron Hagf Haltfs nicht bezweifelt . wolil aber
die der gleichninigen Schrift ron AlshAfi't (IV , 459). Die Torhin angefihrt« Tn-
ditton f.\ fj-i^\ ^^^/^^ ^^^ (^ fi»^«^ »ich ni^^ht i« dertelben. wohl aber die
▼on Shahristant (I »0 Z.ll)angrefahrte Erkifiranpdes Glavbens ^i Ju^l yb ij\ci\
joiuj i^ JnJ« i yb^ wJLilli (Handschrift der Hofbibliothek ff. F. S15
Bl. 104 Z. 3 V. u.) Der Protest gegen die Margiten, auf den Herr t. Kremer seine
Ansicht ron derUniehtheit stfitit, findet sich Bl. 103b. UiL^i» Ol 1^1 ^^)yü 1^
<ll il^^l JylTdjyüa« UTbLj Äi^. Als RAwf der Schrift wird \Aba
Mu|r Alhakam b/Abdalllh , Richter ron Balh (gest 197) angeführt ron Ibn Knflö-
Zur ilteaten Geschichte des muhammediinisGhen Rechts. 713
Bei Ibu Kutaiba tTA, Z. 2 v. u.; WX 1. Z. kann unter ^t
möglicherweise MGlaubenslehre** verstanden werden; jedoch scheint
zu dieser Zeit, d. h. im dritten Jahrhundert, die jetzige Bedeutung
schon allgemein üblich gewesen zu sein; davon dliu „Becht stu-
dieren** Ibn Kutaiba ToV, Z. 14. Gauhari (gest. 393) erwähnt
unter aäaII nur die Bedeutung „Jurisprudenz". Ob demnach die
Bemerkung Gazzäifs dem Sachverhalt entspricht oder nicht, muss
einstweilen dahingestellt bleiben; jedenfalls ist das Schweigen der
späteren Lexikographen and Literaturhistoriker kein sehr starker
Gegenbeweis , da diese in vielen Fällen die zu ihrer Zeit üblichen
Termini ohne Unterschied auf die ältesten Zeiten übertrugen. Einen
Fall dieser Art bietet Ibn Khalddn (SIane*s Übersetzung, III, S. 24,
139): In der von 'Abu Huraira überlieferten Tradition JJ>* (j^J/^il
ijJt hatten einige nach dem späteren Sprachgebrauch ^^I^aII als
„Erbrecht" erklärt, während Ibn Khaldün ihm gewiss mit Becht
seine ursprüngliche allgemeine Bedeutung „prescriptions legales"
vindicirt
Indem wir in al-ra'i den Faden der Entwickelung wieder auf-
nehmen, haben wir zunächst eine Unterscheidung Shahristänt*s zu
betrachten, nach der es scheinen konnte, als ob ^J\ nicht die
Jurisprudenz im allgemeinen, sondern eine besondere Bichtung
derselben^ und zwar die hanefitische bezeichnete. Shahristänt
(gest. 548} theilt in dem Capitel über die Origines der Jurisprudenz
die ältesten Juristen in zwei Classen ein, die Higäzener oder ^Akl^
alhadit und die 'Irälcaner oder ''Ahl-alraji. Er rechnet zu den erste-
ren Mälik b. 'Anas, Shäfi't, Sufjän Altaurt, 'Ahmad b. Hanbai und
bfi^l Nr. 269. Bei Beuriheilang der literarischen Thfttigkeit *Abtk Hiintrii*8 ist
JedenfaUs naher auf seinen Enkel ^smA tl b. HammAd, Richter von Basra und Rakka
Cgest. 212) einzugehen , da er die meisten Schriften seines Orossvaters redigirt
haben soU (Ibn ^oflAbugA Nr. 46). Ein schwer wiegender Umstand gegen die
Äehtbeit der Schrift scheint mir übrigens der zu sein, dass die iltesten
Commentare, die H. g. anzufßhren weiss, erst aus den Jahren 91S, 939, 953« 1016
stammen. WSre das Werk wirklich von dem Grunder der hanefitischen Lehre rer-
t
tuBst, SO bitten viele seiner Schüler es von ihm überliefert, und die folgenden
Jahrhunderte hStten Commentare zu Dutzenden und Hunderten producirt; von
dem allen ist aber keine Spur vorhanden.
714 Sachau
Di'üd b. 'Alt Arisfahint sammt ihren ADhängern, und den Nameu
J^jjLl Jjbl erklärt er daraus, dass sie vorzüglich Tniditiouen zu
erlangen suchten, um hierauf die Entscheidung eines streitigen
Falles zu basiren , dass sie aber zum Kijfts nur dann ihre Zuflucht
nahmen, wenn Koran und Sunna nicht den gewünschten Anhalts-
punkt gewährten. Als Vertreter der zweiten Classe nennt er 'Ab4
^anffa, Muhammad b. Alhasan, 'Abu Jüsuf, Zufar b. Alhudail,
Hasan b. Zijäd AlluMu't, Ihn Simä'a, 'Äfija Al^ädt, 'Abu Mutr
Aibaiht und Bishr Almartst sammt Anhangern. Zur Rechtfertigung
des Namens «jyl J>l behauptet er, dass sie bemuht gewesen seieo,
durch den Kijäs und aus dem allgemeinen Princip, das sich in den
einzelnen Satzungen zu erkennen gibt, einen Entscheidungsgrund
zu gewinnen, um hierauf die Traditionen (d. h. die Interpretatiou
derselben) zu basiren — und dass sie oft den Kijäs solchen Tradi-
tionen, die nur durch einen Genossen verbürgt waren» also mit
einigem Recht kritisch beanstandet werden konnten, vorgezogen
hätten.
Diese die Geschichte der Rechtswissenschaft mehr verwirrende
denn entwirrende Distinction hat merkwürdigerweise einen Verbrei-
ter gefunden in keinem geringern als Ihn Khaldün (Slane^s Über-
setzung III, S. 2) i). Zunächst ist zu bemerken , dass von der erste-
ren Classe nur ein einziger, nämlich Mälik b. 'Anas passend als
Hi^izener bezeichnet werden kann; bei allen andern macht Geburts-
wie Vk^ohnort eine solche Bezeichnung geradezu widersinnig. Ein
principieller Unterschied — ferner — ergibt sich nicht aus Sbah-
ristinfs Erklärung; beide gebrauchen Hadtt wie Kij4s (oder Ra'i),
wo der Koran nicht ausreicht, die letzteren — wie es scheint — mit
mehr Geist und Kritik. Dass aber diese Distinction nicht eine schon
in alter Zeit allgemein recipirte war, dass nicht etwa rai nur auf
die Hanefiten Anwendung findet (vgl. S. 12, Z: 23), lässt sich
daraus beweisen, dass Ihn Klutaiba unter den fJ[)\.sJ>^^\ neben
'AbA Hanffa auch gerade Milik b.'Anas und Sutjän Altauri nennt,
und dass Vorgänger von 'Abu Hantfa schon als «JJl s^\^^\ bezeich-
net werden, so Rabt'at-alra'ji (gest. 136) und Ibn 'Abi Laila
0 Vpl. ferner Slane, Ibn KhalliUo, Übersetzung:, Einleitung, S. XXV, XXVI.
Zur filtesten Geschichte des muhammedanischen Rechts 715
gest. 148) i). Wollte Shahristinl uns lehren, dass die grössere Be-
deutung der ersteren auf dem Gebiet der Traditionswissenscbaft zu
suchen sei — man denke an die Sammlungen von M^lik, Shifil und
*Ahmad b. Hanbai — so gehörte dies nicht in die Geschichte der
Jurisprudenz. Wollte er dagegen auf den freieren Gebrauch der
Vierten Rechtsquelle von Seiten der Hanefiten im Gegensatz zu den
anderen Schulen aufmerksam machen , so war der Ausdruck s^W^^l
j^l schlecht gewählt , weil in diesem Namen beide Classen in glei-
cher Weise inbegriffen sind. — Correct dagegen ist das Verfahren
des Muhammad b. 'Isl]i4l|: im Fihrist» der die Juristen (»Iv^l) im
allgemeinen bespricht und dann ein besonderes Kapitel gibt jl»^! ^
J^ jüJi v^k^^ X^ (Bl. 58 a) »über diejenigen von den Juristen» die
zugleich Traditionatoren waren**. SuQän und Milik waren gross auf
beiden Gebieten , während *Abfl Hantfa und seine nächsten Anhänger
tür die Tradition nichts wesentliches geleistet haben.
Dieser Sprachgebrauch der ältesten Zeit hat dann aber in spä-
teren Jahrhunderten eine Änderung erfahren ; ^yi Jjbl (und JaI
j^Jt) bezeichnet besonders bei nicht hanefitischen Schriftstellern,
soweit der Ausdruck überhaupt noch gebraucht wurde , die Anhänger
Wbü Hanifa*s. Wie es geschah, dass «^yi ausser Gebrauch kam,
erklärt sich unschwer; das Wort war eben — weil ein gewisses
Mass von Selbstständigkeit oder individueller Willkür gegenüber
dem Gebote Gottes und seines Propheten einschliessend — sehr leicht
orthodoxer Missdeutung und Verdrehung ausgesetzt. Nach dem
Täg-arards bei Lane werden unter ^yi Jj^l sogar die Häretiker des
Islams , die Hawäri^ bezeichnet. ^^ ist völlig ersetzt und antiquirt
durch Alkijds, das inhaltlich genau dasselbe bezeichnet; der tür-
kische K4müs erklärt fj\j\ ^Wr^l durch ^U v^W^l Mit einer
einzigen Ausnahme >) stimmen die juristischen Schulen aller Zeiten
0 Vgl. S. 710, z. 6.
S) Da*Ad b. 'All Al'itfahilot (gest. 270 in Bngdiid) ; der Fihrist Bl. 51 b segt Ton ihm :
^Ull^ c5y' O* ^^ cSr* ^ J^J ^^^ sJtSX jßi.1^ über die
Zweitbeilnng der ^Uül aUj* vgl. Mflwardf S. 111 Z. 5. Folgender, gegen den
KgAs gerichteter Ausaproch wird foo einigen dem SuJ^jAn b. 'Uyiina (gest. 198)
716 Stichau
und Länder in diesem Princip d. h. in der Annahme des Kij&s als
vierte Rechtsquelle uberein, die Schulen Ton *Abü Hantfa, Mälik,
SuQ4n Altaurt, Shäfi't, Ahmad b. Hanbai, Tabart, Sunniten wie
Schiiten i); nur in der häufigeren oder selteneren Anwendung des-
selben weichen sie von einander ab. Von den vier Doctrinen • die den
orthodoxen Islam beherrschen, ist die hanefitische die freisinnigste
in der Handhabung des Kij4s» die sklavischeste Anhängerin von Ko-
ran und Sunna die (lanbalitische ; jenen nähern sich die Schafiiten,
diesen die Milikiten.
Wie nun aus diesen vier Rechtsquellen — Koran, Sunna, Über-
einstimmung der Genossen und Kijäs — von den „Nachfolgern*"
(Cjyü^l) und den «Nachfolgern der Nachfolger" (u^^^^^) bis
zur Zeit 'Abä Hantfa*s ein ganzes Rechtssystem aufgebaut wurde,
lässt sich aus den vorhandenen Nachrichten noch theilweise er-
kennen. Der künftige Historiker des muhammedanischen Rechts wird,
um zu einer exacten Würdigung desselben zu gelangen, zunächst
retrospectiv eine vollgültige Antwort auf die Frage «Was hat Mu-
hammad aus dem Heidenthum entnommen?*' zu geben haben; und
hierüber gibt es mancherlei Anbaltspuncte und positive Nachrichten,
die nur gesammelt und gesichtet sein wollen a). Wie Muhammad
beigelegt (». OjUll cjitUal ed. de Jong S. 1*): ^ JJI ül* ^Lill j i^W
„Hütet euch Tor dem ^i^ä (Analogieschlass) , denn der erste, der ihn anweodete.
wnr Satan, als er sprach (su Gott): ^Ich bin besser als er (Adam); mich hast du
aus Feuer geschaffen , ihn aber nur aus Thon*.
^) Zu dieseu Schulen sind noch swel hinsuxn fügen : die eine , eine Absweignog ron der
shafiitischen , begründet durch *AbtkTaar (*lbrAhlm b. HAUd b. AljamAn Alfakth Alkatbi)
einen Schiller Shafi*ia; er starb 240. Die meisten der Bewohner von Adnritatgan
und Armenten folgten setner Lehre. Als seine Schuler, die sein System weiter rer^
breiteten, werden genannt: Ihn Algunaid, AI'ijAlt nnd Man^&r b. *fsmA*U Almi^ri.
Vgl. Fihrist Bl. 49 a ; Nawawt S. 1V^
Ein besonderes System haben nach Fihrist Bl. 65 b auch die „Juristen der Shu-
rAf* (d. c. HawArig) l\j^\ »l^üd ausgebildet; es war rerbreitet in 'OmAn, Si-
gistAn, Adarbaig'An und swischen dem Tigris, dem unteren Zab und den medischen
Gebirgen in den Gegenden ron Alsinn, Albam-Astg, Karb GuddAn,Tall 'Ukharl.
Haxia nnd ShahrazAr.
I 2) SbahristAni S. ff. — YW berichtet fiber einige Dinge aus dem Ehereeht. roa
I den im Mekkantschen Tempel üblichen Ceremonien , von der Reinigung, Ton der
Zur ältesten Geschichte des mahammedanischen Rechts. 717
nachweislich vieles von seinen dogmatischen Ansichten und von sei-
nen Legenden den Juden und Christen entlehnte, so scheint et* be-
sonders, was religiöse Gebrauche und die weltliche Gesetzgebung
betrifft, aus dem Heidenthum geschoptit zu haben. Für die älteste
Entwicklung im Islam \^erden die biographischen Werke über die
Genossen und Nachfolger zu consultiren sein , in denen sich viel-
fache kurze Notizen des Inhalts finden , dass dieser oder jener eine
juristische Ansicht oder Distinction zuerst gelehrt habe; es liegt
nahe anzunehmen , dass hier nur von solchen Ansichten die Rede ist,
Behandlung der Todten u. s. w. , die schon im Heidenthum in der Art bestanden,
wie sie im Islam zum Gesets erhoben wurden.*
Nach Ihn fLutaiba S. fVT wurde snerst fon *AbA SiüJAra AI'adwAnf, nach an-
deren Ton 'Abd-ninntfniib die Diya (die Sfihne für Mord oder absiehtUcfae Ver-
letsuttg) anf 100 Kameeiinnen bestimmt. Zuerst nahmen die Knraischiten und nach
ihnen aU« Araber diesen Rechtsbraucb an; Muhammad behielt ihn bei.
A. a. 0. wird weiter berichtet, dass Alwalid b. Mugtra suerst die KasAma (Eid)
zuerkannte; d. h. wenn eine Leiche mit sichtlichen Spuren gewaltsamer Tödtung
gefunden wurde, der Thiter aber unbekannt war, so konnte der, der das Blut-
geld IM fordern hatte, 50 Mann von den Bewohnern jener Gegend oder jenes
Orte«, wo die Leiche gefnnden war, auswihlen und sie schwören lassen , dass
sie die That nicht begnngen und nichts ron dem Thiter wussten ; war dies ge-
schehen , so qiusste die Gesammtheit der Bewohner solidarisch die Sühne leisten.
Maltnkl - al*nbhnr (Constantinopel A. H. 1271) S. \\\: 3 JC^ J>^ b\
Derselbe Walld soll snerst die Strafe des Hand-Abhauens für Diebstahl ein-
geführt haben — Ihn Kataiba a. a. 0.
Ihn Kataiba S. rVf : 'Amir b. Alzarib AradwAu! bestimmte suerst, dass die
Frage, ob ein Hermaphrodit als Mann oder als Weib su betrachten sei (also s. B.
ob er den Erbtheil eines Sohnes oder einer Tochter su bekommen habe) danach
ealsebiedea werden solle, ans welchem GUede er nrinire {^^^S^ 3 ^j^-
jUjl cUu). N. ▼. Tornanw, das Moslemische Recht S. 211. Diese Bestim-
muBgen oder Rechtsg^brluche sind alle von Muhammad in den Islam herii her-
genommen.
7lO Sachau
die zu einer grösseren Verbreitung, vielleicht zu allgemeiner Aner-
kennung gelangten.
Drei Männer sind es vorzüglich, welche das seit der Gründung
des Islams bis in die Mitte der ersten Hälfte des zweiten Jahrhunderts
angesammelte Material zuerst zu vollständigen Rechtssystemen ver-
arbeiteten und vereinigten, wie sie noch zu unserer Zeit mit ver-
hältnissmässig geringfügigen Modificationen die Rechtsbasis in dem
Leben aller muhammedanischen Nationen bilden; ihre Lehren haben
sich zuerst — getragen durch eine zahlreiche Schülerzahl über ganze
Provinzen des Chalifenreichs ausgebreitet und sind zuerst mit kano-
nischem Ansehen ausgestattet Diese drei Männer sind: *Abü Hanffa
in Irak (gest. ISO) AlauzA^ in Syrien (gest. 1S7)0 und Mälik b.
'Anas im Hi^äz (gest. 179). Das ganze Rechtsgebäude ruht auf ihren
Schultern. Die Bestimmungen über die practischen Glaubeuswerke,
die für alle Muslims gleich verbindlich den einzelnen in seinen Be-
ziehungen zu Gott und zur Gemeinde der Gläubigen darstellen; das
gesammte bürgerliche Recht, Erbrecht, Process, Strafrecht, das
jus inter cives Muslimos et peregrinos, das Kriegsrecht, das Staats-
recht, sowie die rechtlichen Grundlagen der Administration — alle
diese Gegenstände sind von ihnen in extenso behandelt, und nach
einem feststehenden Princip für alle zweifelhaften Fälle rechtliche
Bestimmungen eruirt und begründet. Während die Lehren 'Abu
Hantfa's Mesopotamien und den Osten eroberten, verbreitete sich
das System 'Auzä*t*s, des Imäm's von Syrien, über sein Heimatland
und über den ganzen Westen bis Marokko und Andalusien. Es
scheint sich aber keines langen Bestehens erfreut zu haben; zunächst
wurde es bedrängt von dem hanefitischen, das besonders unter den
1) Von dieMD ist 'AniA't am wenigsten bekannt. Sein roUer Name iat 'Abft ' Aar
'Abdalrahmln b. *Amr b. Tuhmid Al*ansA't Alsha^mf Aldimish^ ; er ist geboren im
Ba*albak A. H. 85 od. 88, lebte in Damaskus vnd darauf in Bairftt, wo er 1S7 starb.
Nawawt S. TAf sagt ron ibm: J-i AJbjL, J^ ^-i/^^^ f^' sJ^' ^^
aUI A^^-j JlIU w^ju j1 ^Ulil und 'Abnlmahlsin 8. fTV: J^\ aJI»
\cji i:JP\jA\ aJI ^.^ Jji\ jjyS w^öll wO^U»^ Nnben *AbA
HanfA, 'AnsAI und MAiik ist Ton gr«sster Bedeutung SuQAn Altaurt (geaL 161);
icb finde aber nicht» dass sein System su irgend einer Zeit von eimem ganaen
Lande oder einer Prof ins angenommen worden ist.
Zur filtesteo Geschichte des mahaniinedaniachen Rechts. 719
Regierungen von Mahdt, Hädt und Ma mün durch den persönlichen
Einfluss *Abü JAsuFs sich weit ausbreitete; dann aber wurde dieses
wie jenes von dem malikitischen überwuchert <) , und diesem wieder
von dem späteren schafiitischen der Boden streitig gemacht. Wie die
Schichten der Erde haben sich die Hauptrechtssysteme der Muham-
medaner zu verschiedenen Zeiten verschieden zu einander gelagert;
in der Gegenwart herrscht die Lehre ShäfiTs in Ägjpten und im
holländischen Indien, die Mälik's dagegen in Tunis, Algier und
Marokko.
Von rein juridischen Werken dieser drei Manner, denen sich
später Shäfi't und *Ahmad b. Hanbai zugesellten — soweit sie über-
haupt solche schrieben — ist unseres Wissens nichts erhalten ; da-
gegen bildet die mündliche wie schriftliche Überlieferung, die Ci-
tate ihrer Ansichten die Grundlage der gesammten muhammeda-
nischen Rechtsliteratur von der ältesten Zeit bis auf die Gegenwart.
Die Frage nach der Art der Fortpflanzung juridischer Kennt-
nisse ist auf das engste mit der über die älteste Aufzeichnung ver-
bunden. Es ist bereits oben erwähnt, dass die kanonische Koranre-
daction im Jahre d. Fl. 3(' niedergeschrieben wurde; bei mehreren
der Genossen wird ausdrücklich bemerkt , dass sie auch schon vor
der Zeit des Islams geschrieben haben, so dass Muhammad b. Al-
hasan die Schreibekunst mit Recht als eine unter den Arabern
übliche, von den Vorvätern ererbte bezeichnen konnte*). Balädurt
(^^^1 1^1:5^ tVt) hat uns eine Nachricht von Ihn Sa'd und Wä-
kidf aufbewahrt, nach welcher zur Zeit der Gründung des Islam
unter den Kuraishiten 17 Männer') des Schreibens kundig gewesen
sein sollen. Wäf^idt berichtet ferner a. a. 0. S. IVf, dass unter den
^) Dies geschah unter dem dritten omigjadischen Beherrscher Spaniens, Alhakam h.
HishAm; erster Apostel der maUkitischen Lehre war ein Schüler MAlik*s, Zljid b.
'Abd-alrahroan Allahmt (gest. A. H. 204 oder 193, 192, 199). Vgl. Makkarl 1,
t<^« und 11,8. IOt<
S) Z d. D. M. G. X. S. 6
*) Diese sind 'Omar, 'Alt, 'Otmln, 'AbA 'Ubaida b. Al^rrAh, T«l^>> ^^^^^ >>• 'Abt
SaQAn, 'Ab6 Ha^aifa b. 'Utba , HAfib b. 'Amr, 'Ab& Salima b. 'Abdafasad Almah-
sAmt, 'AbAn b. Said, Hfllid b. Sa'td, 'Abd-aUAh b. Sa'd b. ^bl Sar^ Al'Amtrt,
Huwaiflb b. 'Abd-alSixz« Al'Amirt , AbA SufjAn b. Harb , Mu'lwija b. 'Abt SnQAn,
Gahaim b. Al^alt. Al'aU' b. Al^adramt.
720 SAchau
Stämmen *Aus und Hazrag das Schreiben des Arabischen Yon den
Juden erlernt wurde, und dass sich unter diesen, also in Medina, als
Muhammad dorthin flüchtete , eine Anzahl des Schreibens kundiger
Männer vorfand <). Ibn Kutaiba erwähnt unter den Genossen beson-
ders Sa'd b. 'Üb4da (gest. 16 S. »ff), 'übai b. Ka'b (gest. 22 od.
30 S. trr) und *Abd ^Absb. Gabr(gest. 34 S. Hl) als solche, die
schon vor dem Islam schrieben, über Hanzala Alkätib (gest. unter
Mu'äwiya) und 'Abdallah b. Sa'd b. *Abt Sarh den Eroberer Afrika*$
(gest. 36) vgl. a. a. 0. lot Damtrt (Jl^l Ij^ I S. ^\) gibt ein
Verzeichniss von den Schreibern Mu(iammad*s s).
Was nun das Aufschreiben von Traditionen in der ältesten Zeit
des Islaips betrifil ') , so herrschte bei sehr vielen ein Zweifel dar-
über» ob eine geschriebene Tradition auf kanonische Gültigkeit
Anspruch machen könne, was noch z. B. Mälik b. *Anas in Abrede
gestellt zu haben scheint (Sprenger, a. a. 0. X S. 2). Dieselbe
Sache wiederholte sich unter anderen Verhältnissen in den zwan-
ziger Jahren des vorigen Jahrhunderts in Constantinopel , als Sa'id
Efendi, der Sohn des Gesandten in Paris, und Ibrähtm Efendt die
Buchdruckerei von Paris aus einführten*); die Ulemas erklärten sie
für eine religionswidrige Neuerung im Vergleich zu der üblichen
Fortpflanzung der Wissenschaften durch Abschreiben. Wenn sie es
auch nicht verhindern konnten, dass Bücher weltlichen Inhalts ge-
druckt wurden, so ist es doch ihrem Einfluss zuzuschreiben, dass
der Koran in Constantinopel nicht gedruckt werden durfte. Schliess-
lich ist mit Bezug auf den Fortschritt der Wissenschaften in dieser
ältesten Periode noch in Betracht zu ziehen , dass sie sich von Seiten
1) Er nennt Sa'd b. 'UbAda, Almundir b. 'Amr, 'Ubai b. Ra'b, Zatd b. T^bit, Rifi'
b. MAHk. 'Uaaid b. ^ndair, Ma'n b. 'Adt Albalawf , Baabtr b. Sa'd, Sa'd b. AI-
rabf , 'Aus b. Hawailt, 'AbdallAh b. JUbai AJmundfik.
^^* sy, ^j^ ^ r^cT J/y^^ r^of S-^^^ J^^ ^^^
J^IU*j i^^Juwil f^-^J>\ ^j» aIIiäj ijLiut ^\ ^ Ai^l«M j 3^^^^^
S) Vgl. den Aofaatx von A. Sprenger, Über das Traditionsweaen bei den Arabern.
in der Z. d. D. M. 6. X. 8. IIT.
*) Vgl. Meninsky (ed. seeunda 1780), Einleitung S. 84 — 87.
Zur ilUtten tieschichta des nnhammedanitclien Rechte 721
der Omajjadischen Chaiifen keinerlei Protection eu erfreuen hatten.
Hiervon macht allerdings 'Omar b. 'Abd-al'aztz (A. H. 98>-101
od. 717 — 720) eine Ausnahme; aber seine Regierung war zu kurz*
als dass sie von nachhaltigem Einfluss in dieser Richtung hfttte sein
können. Trotzdem scheint schon im dritten Decennium des 2. Jahr-
hunderts die Aufzeichnung grosserer Quantitäten von Traditionen
begonnen und dies sich zwischen den Jahren 120 — 150 als allge-
meine, weniger als gesetzlich denn nothwendig anerkannte Art der
Fortpflanzung durchgekämpft zu hftben, obgleich wohl zu bemerken
ist, dass noch für lange Zeit bis zum Ende des zweiten Jahrhunderts
and 'später die mundliche Überlieferung als die klassische , dem
Geist des Islam mehr conforme angesehen wurde , und dass man
selbst in der schriftlichen Überlieferung die Formen der mundlichen
nachahmte.
Als denjenigen, der zuerst Traditionen niederschrieb, be-
zeichnen die Araber den Muhammad b. Muslim Alzuhrt in Medina,
gewohnlich Ihn Shihib Alzuhrt genannt <)^ der zu den Chaiifen 'Abd-
aimalik b« Marwän und Hishäm b. 'Abd-almalik in Beziehung stand
and unter Jaztd b. 'Abd-alfnalik als Richter fungirte; er starb 124
(742). Damals scheint die verbreitetste Methode des Unterrichts die
gewesen zu sein » dass der Muhaddit aus dem Gedächtniss recitirte
oder aas seinen Heften dictirte, und seine Zuhörer niederschrieben»
um dann das Geschriebene ihm vorzulesen , damit er etwaige Fehler
corrigire. Durch einen Schritt weiter kam man dahin, dass auch solche
Traditionen als gültig betrachtet wurden, die nicht dem Lehrer
vorgelesen resp. von ihm corrigirt waren, z. B. brieflich mitge-
theilte. Folgendes ist ein instructiver Nachtrag zu Sprenger (a. a.
0. 8. 8. 9): Ihn |(utaiba erzahlt (S. ril), dass Ihn 6urai| in
Mekka (geot. 154 = 771), der erste der wirkliche Bucher ge-
schrieben haben solK zu Hishäm b. 'Urwa gesagt habe: „0 *AbA
Mundir, ist das Blatt, das du dem N. N. gegeben hast, deine Tradi-
tion?** Er erwiedert »Ja»*. Wä^idf. der dies überliefert, fugt
hinzu: Seit der Zeit hörte ich den Ibn Guraig sagen: „Hishäm b.
Urwa hat mir überliefert*' in unzähligen Fällen*'. Ich fragte ihn
über das Vorlesen einer Tradition vor dem Muhaddit; er erwiderte:
^) ibn Kutaiba 8. IT^; Sprenger a. a. 0. S. 7.
SJUb. d. phil-hist. Ol. LXV. Bd. Ui. Hfl. 48
722 Sachatt
„Ein Mann wie du fragt noch danach? Man streitet sich nur Ober
ein Blatt (eine schriftlich mitgetheilte Tradition), das man bekommt
iind spricht: „ich überliefere was darin steht** ohne es (dem Muhaddit)
vorgelesen zu haben. Wenn er es aber vorliest, so ist dies (die
schriftliche) und die mündliche Mittheilung ganz gleich."* — Nach
Ahmad b. Hanbai (Nawawt S. YAY) waren Ihn Gurai^ und der bas-
rensische, IS6 gestorbene Oberlieferer Sa'td b. 'Abt 'ArAba die
ersten, die Bücher verfassten. Eine auf Aldahabt (gest 748) zu-
rückgehende, ans *Abulmah4sin S. TAA entnommene Notiz über die-
jenigen, die zuerst in den verschiedenen Städten des Islams Bücher
verfassten, ist von Slane (Ibn Khallikän, Einleitung S. XXIV) mit-
getheilt. Einen Bericht aus älterer Quelle (Alhatfb Albagdädt gest.
463) über denselben Gegenstand gibt Hägt Haltfa I S. 80. 81. Nach
diesem schrieben zuerst Ibn Guraig (so ist zu lesen für Ibn Garih)
und Said b. 'Abt 'Arüba; dagegen Rabfa b. Sabth (!) (gest. 160)
nach 'Abu .Muhammad b. Rämahurmuzt.
•
Diesen schliessen sich an:
Suljän b. 'üjaina (gest. 198) ) . „ „
Mälikb/Anas (gest. 179) '}""««*''"»
'Abdallah b. Wahb (gest 197) in Aegypten
Ma'mar (gest. 183) )
'Abd-alrazzäk (gest. 211) ) "^ "
Sufjän Altaur (gest. 161) i ' Kif
Muhammad b. Fudail b. Gazwän (gest. 195) )
Hammdd b. Salima (gest. 1 67) \
Röh b. Xfbäda (gest. 205) } "* ^^^^^
Hushalm (gest. 183) in Wäsit
'Abdallah b. Mubarak (gest. 181) in Hurftsan.
Hiermit ist der Bericht des Fihrist über eine in Hadtta gefun-
dene Bibliothek zu vergleichen, in der sich auch Autographen son
Sutjän b. 'üyaina, Sufjän AUaurt und 'Auzä't befunden haben solleo
(Flügel, Grammatische Schulen der Araber S. 26). Nach dem
Fihrist sollen ferner schon Mugfra b. Miksam (gest. 136) und Mu-
hammad b. 'Abt Lailä (gest. 148) über Erbrecht (ein Ji£lji\ ^i
geschrieben haben (N. F. 412 Bl. 41a). Obgleich der Inhalt dieser
Aufzeichnungen wohl zum griissten Theil aus Traditionen bestand,
so ist doch zu berücksichtigen, dass sich in diesem Verxeiehnissr
Zur ilieaten Geschichte des mahammedaBiscfaeii Rechts. 723
mehrere Männer befinden, deren grösste Verdienste auf dem Gebiet
der Jurisprudenz zu suchen sind, z. B. Rabfat-alra ji » 'Auzd1, *Abü
Hanifa und *Abü Jüsuf. — Was die Art dieser Aufzeichnungen der äl-
testen Zeit anbetrifil, so darf man schwerlich an vollständige; ge-
ordnete Bucher denken (Sprenger a. a. 0. S. 8); von einer sy-
stematischen Eintheilung des Stoffes war sicherlich noch nicht die
Rede. Vor 143 trug man vor aus dem Gedäcbtniss ^und man über-
lieferte die Wissenschaft aus correcten, aber ungeordneten Blät-
tern''>). Nach einer Bemerkung Slane*s (Ihn Khaldün» Über-
setzung III. S. 5 Note 3) war es auf muhammedanischen Schulen
Sitte, die Schriften erst dann einzubinden, wenn sie nicht mehr ge-
braucht wurden. Zwischen den Jahren 140 — ISO begann eine ge-
ordnete Aufzeichnung und eine Eintheilung der einzelnen Wissen-
schaften. Der characteristische Name dieser Literatur ist p^\
^.Uictat**; der Lehrer dictirte ein Heft, und von diesem schrieben
wieder andere ab — oder der Schüler machte sich eine Abschrift
von dem Heft des Lehrers und las sie ihm vor; dieser corrigirte dann
selbst oder Hess sie durch einen andern nach seinem Heft corrigir^n.
(Sprenger a. a. 0. S. 12). Diese letztere war die Lehrmethode
Abä Hantfa's. Weder dieser noch sein geistiger Erbe *Abd Jusuf
haben ihr juristisches System in einem eigentlichen Buche deponirt ;
nur in Collegien- Heften und im Gedäcbtniss ihrer Schüler kam es
auf die Nachwelt. *Abü JAsuf scheint sogar ein Gegner schriftlicher
Abfassung gewesen zu sein, wenn wir der von *Abü-Mlait Alsamar-
kandf im Bustin erzählten Nachricht, dass er Muhammad b. Alhasan
desshalb getadelt habe, Glauben schenken dürfen (Sprenger S. 6).
Der eigentliche Begründer der hanefitischen und mittelbar der
gesammten muhammedanischen Bechtsliteratur ist Muhammad b.
Alhasan Alshaibini, au dessen Grösse sich die Juristen aller fol-
genden Generationen wie am Eichbaum der Epheu emporgearbeitet
haben.
.c^^
ff >»
^) 'Abolmaliinn S. TAA: Den Qeg^ensats sn dieaea A«^ j^ i^A^ bildea ^«%0
t\'tCi-^^ d. h. in ^jiß^ oder ^y^^ (Kapitel, Abschnitte) eingetheUte , fiberhaapt
nach den Gegenttllnden geordnete und ausgearbeitete Werke. Die Grundbedeutung
der Wnrael Mt «ausaounenwickeln-winden^, daher ilDJX „Kniuel** , DDJXD
«Turban^.
48
VerMtckaiM dtr «isi^egaiigeiieB Druck«p|iriflaB. 7 2b
VBRZEICINISS
DER EINGEGANGENEN DRUCKSCHRIFTEN.
(JttBi 1870.)
Acad^mie Imperiale des Sciences de St. P^terisbourg: Memoires.
Tome XVI, Part 2. St. P^tersbourg, 1870; 8«. (Russisch.)
Academy, The Royal Irish: Transactions. Vol. XXIV. Science:
Parts IX— XV; Antiquities: Part VIII; Polite Literature : Part IV.
Dublin, 1867-1870; 4«.
Accademia delle Scienze deli* Istituto di Bologna: Memorie.
Serie II. Tomo IX, Fase. 3. Bologna, 1870; 4».
Akademie der Wissenschaften und Künste, südslavische : Arbeiten.
Band XI. Agram, 1870; 8«.
— der Wissenschaften , Konigl. Bayer. , zu Mönchen : Sitzungsbe-
richte. 1869. IL Heft 3— 4; 1870. I. Heft 1. München; 8».
— der Wissenschaften, Konigl. Preuss., zu Berlin: Monatsbericht.
Män-April 1870. Berlin; 8».
Bihlioiheca manuacripta ad S. Mord Veneiiarum. Codices nus.
latini Tom. I. et IL Venetiis, MDCCCLXX; 8«.
Central-Commission,k.k. statistische : Mittheilangen. XVII. Jahr-
gang, 2. u. 3. Heft. Wien, 1870; 4».
Gesellschaft, Anthropologische, in Wien: Mittheilungen. I. Bd.,
Nr. 3. Wien, 1870; 8«.
— geographische, in Wien: Mittheilungen. N. F. 3., Nr. 8.
Wien. 1870; 9P,
H a m e I i t z. X. Jahrgang, Nr. 17 — 19. Odessa, 1 870 ; 4«.
Institute di corrispondenza archeologica : Annali. Vol. XLI. Roma,
1869; 8«. — Bullettino per Tanno 1869. Roma; 8». — Monu-
menti inediti. Vol. IX, Tay. 1 — 12. gr. Folio.
T26 VencichMiM d«r eingvgangeiicA Dincksdiriften.
•
instituut, Koninkl., voor de Taal-, Land- eii Volkenkunde van
Nederlaiidsch iiidie: Bijdragen. III. Volgreeks', IV. Deel,
4' Stuk. *S Gravenhage, 1870; 8«. — Bloemlezing uitMa-
laische Geschriften. I. Stuk. Door G. K. Nie mann. *SGra-
venhage, 1870; 8«.
Istituto, Reale, Veneto di Scienze, Lettere ed Arti: Atti. Tomo
XV". Serie 111% Disp. 5'-6*. Venezia, 1869-70; 8^
Jabornegg-Altenfels, Mich. F. v., Kärntens römische .4lter-
thumer. (Herausgegeben mit Unterstützung der kais. Akademie
der Wissenschaften in Wien.) Klagenfurt, 1870; 4».
Janärdan Sakhäram Gadgil, A complet Collection of the
Poems ot'Tukirama. Vol. I. Bombay, 1869; 8«.
Mittheilungen der k. k. Central-Commission zur Ertoi-schung und
Erhaltung der Baudenkraale. XV. Jahrg. Mai^Juni 1870. Wien; 4«.
— aus J. Perthes* geographischer Anstalt. 16. Bd., 1870, Heft 5.
Gotha; 4o.
Revue des cours scientifiques et litteraires de la France et de
Tetranger, VII* Aunee, Nrs. 25—29; Paris & Bruielles,
1870; 4o.
Scientific Opinion. Part XIX. Vol. Uli London, 1870; 4».
Society, The Asiatic of Bengal: Proceedings. 1869, Nrs. 2—3.
Caicutta; 8«.
Verein, histor., für Niederbayeru : Verbandlungen. XIV. Band,
1.— 4. Heft. Landshut, 1869; 8«.
— siebenburgischer, für romanische Literatur und Cultur des roma-
nischen Volkes: Transilvania. Anulu UI, Nr. 8— 11. KroosUdt
1870; 4o,
— histor., von Unterfrauken und Aschaffenburg: Archiv. XX. Bd..
3. Heft. Würzburg, 1870; 8o.
Weinhold, Karl, Die gothische Sprache im Dienste des Kristen-
thums. Halle, 1870; 8«. — G. F. E. Schoenborns Auf-
zeichnungen über Erlebtes. Mit Einleitung und Beigaben voa
K. W. Kiel; 8«.
SITZUNGSBERICHTE
DRR
KAISERLICHEN AKADEMIE DER WISSENSCHAFTEN.
PHILOSOPHISGH-HISTORISCBE CLASSE.
LIV. BAND. IV. HKIT.
JAHRGANG 1870. — JULI.
49
Commissionsbericht. 729
SITZUNG VOM 6. JULI 1870.
Herr Dr. Franz Kürschner ersucht um eine Subvention zur
Drucklegung seiner Schrift: „Eger und Böhmen. Die sUato-
rechilichen Verhältnisse in ihrer historischen Entwicklung"*.
SITZUNG VOM 18. JULI 18T0.
Der Leiter des k. und k. Handelsministeriums zeigt mit Note
vom 7. Juli c. an, dass der geographisch-commercielle Congress in
der Zeit vom 14. bis 21. August in Antwerpen stattfindet.
Der wissenschaftliche Leiter der ostasiatischen Expedition» Herr
Hofrath Ritter v. Scherzer, sendet ein ihm von einem französischen
Missionar in Peking übermitteltes Wörterverzeichniss der mongoli-
schen Sprache.
Herr Prof. Dr. Bippart in Prag sendet eine Abhandlung: ,,Uber
Bau- und Gliedenuig des Hexameters**, mit dem Gesuche um Aufnahme
derselben in die Sitzungsberichte.
49
730 Conmittiontherichl.
Herr Prof. Dr. Ritter t. Schulte in Prag sendet eine Abhand-
lung: „Literaturgeschichte der Compilationes antiquae, besonders der
drei ersten **, mit dem Gesuche um Aufnahme derselben in die Sitzungs-
berichte.
SITZUNG VOM 20. JULI 1870.
Der prov. Seeretir legt vor eine Einladung zum Beitritt eu dem
Congres international d'arch^ologie pr^historique zu Kopenhagen.
Das w. M. Herr Dr. Pf iz maier legt eine für die Sitzungs-
berichte bestimmte Abhandlung vor unter dem Titel: «Die Anwen-
dung und die Zufälligkeiten des Feuers in dem alten China^.
Das w. M. Herr Regierungsrath Hofler sendet eine ffirdie
Denkschriften bestimmte Abhandlung, betitelt: „Anna von Luxem-
burg, Kaiser Karl's IV. Tochter, K. Richard*s II. Gemalin, Konigin
von England. 1382—1394*«.
Der Privatdocent Herr Dr. F. Hof mann in Wien ersucht uro
Aufnahme seiner im Manuscript vorgelegten Abhandlung »»Über den
Verlobungs- und den Trauring*« in die Sitzungsberichte.
Der proT. Secretär legt Tor eine yon Dr^ Alois Goldbacher.
Professor am Gymnasium in Graz, fibersendete Abhandlung: »Bei-
träge zur Kritik und Erklärung von Apuleius de dogmate Piatonis«*.
Phillips, Eine btskiscbe Spmcbprobe nebst Einleitung u. Comroentar. 731
Eine baskisehe Sprachprobe nebst Einleitung* und
Commentar.
Vom w. M. Hofrath Dr. 6. Phillips.
Einleitung.
I.
Stadium der baskischen Sprache in Deutschland.
Wilhelm von Humboldt *s berühmtes Werk: „Prüfung der
Untersuchungen über die Urbewohner Hispaniens vermittelst der vas-
kischeu Sprache** erschien im Jahre 1821. Schon neun Jahre früher
(1812) hatte derselbe Gelehrte durch die Ankündigung einer leider
niemals erschienenen Schrift „über die yaskische Sprache und Na-
tion**^), und sodann in seinen „Berichtigungen und Zusätzen zum
Hithridates** <), welche im Jahre 1817 von Job. Nep. Vater heraus-
gegeben wurden, auf die grosse wissenschaftliche Bedeutung und auf
die merkwürdigen Eigenthümlichkeiten der baskischen Sprache die
allgemeine Aufmerksamkeit hingelenkt. Seine Berichtigungen und
*) «Aüknndi^uBg einer Schrift Qber die basliische Spreche und Netion nebet Angabe
dae Geeichtsponlites undlnheltee dereelben" (Fr. Schjegel, deuteches MutevB.
Bd. 2. — each im Königsberger Archir für Philoaopkie, Theologie, Sprachknnde und
Geschichte. 1812.) — Da diese Ankündigangv die selbst eine schöne Abhandlung ist,
in die gesamoielten Werke Humboldts keine Auftiahme geftinden hat, so ist es ein
bosoBderes Verdienst, welches sich Mahn erworben hat, dass er dieselbe in seinen
DenkmSIem der baskischen Sprache S. X — XIX hat wieder abdrucken lassen.
<) Hithridates oder allgemeine Sprachenkunde ron Job. Chr. Adelung fortgeführt
▼on Job. Se?. Vater. Bd. 4. 8. 273—360.
732 Phillips
Zusätze enthielten aber viel mehr» als man aus dem Titel sehliessen
konnte, nämlich eine „ Auswahl vaskischer Wörter in alphabetischer
Ordnung**, dann vieles Ober den Bau der Sprache, vomehmlieh über
deren merkwürdige Conjugatlon, ferner eine Übersicht der auf die-
selbe bezüglichen Literatur und endlich einige interessante Sprach-
proben.
Seit jener Zeit ist mehr als ein halbes Jahrhundert yerflossen
und gegen alles Erwarten haben die Arbeiten Humboldt's auf diesem
Gebiete bei uns lange gar keine Nachfolge gehabt; man begnügte
sich mit dem von Humboldt Geleisteten und hielt den Beweis, dass
die Basken die Nachkommen der alten Iberer seien, für so vollständig
erbracht, dass man auch dem leisesten Zweifel dagegen keinen Raum
gab. Auch jetzt sind nicht gar viele Namen deutscher Gelehrten an-
zugeben, welche sich eingehend mit dem Baskischen beschäftigt
haben. Di ez hat oft Gelegenheit gefunden in seinem ^Etymologischen
Wörterbuche der romanischen Sprachen** auch das Baskische zu be-
rücksichtigen, und gibt in der Vorrede seines Werkes manche in
dieser Beziehung sehr brauchbare Fingerzeige*). Namentlich ist
aber C. A. F. Mahn zu nennen, der sowohl in der Einleitung za
seiner Schrift: „Denkmäler der baskischen Sprache** (Berlin. 1857)»
als auch in seinen »Etymologischen Untersuchungen auf dem Ge-
biete der romanischen Sprachen** (Berlin, 1863) so wichtige und
dankenswerthe Beiträge für das Studium des Baskischen geliefert
hat, dass man nur wünschen kann, es möge dem tüchtigen Forseber
gegönnt sein, diese Arbeiten fortzusetzen und die Wissenschaft mit
dem von ihm verheissenen Wörterbuche der baskischen Sprache zu
bereichern *).
Ausser diesen beiden Gelehrten hat sich seit Humboldt Niemand
in Deutschland ») ex professo mit der baskischen Sprache abgegeben,
wenigstens ist — unseres Wissens — keine irgendwie bedeutende
») Vorrede S. X— XIV. '
^) Aach röhrt der Artikel .-BttkenbeiBIaDtechli, deotsebee StaaUvörterbacb,
Bd. '2. S. 659 — 673 ron Mahn her ; in demaelben finden lich «ehr braaefabarc lfo>
tiaeh 6ber jenen Volkastamm anaammengeatellt
^) Wir haben aber einatweilen nur Deutschland im Auge; anf die Arbeitea flranxd-
siacber Gelehrten über die baakische Sprache wird spiterhin in eiaer besonde-
ren Abhandlang über die Literatur derselben eingegangen werden.
Eine bnskische Spracbprobe nebtt Einteilung und Commentar. 733
Schrift«) darüber erschienen ?)• Es hat jedoch Pott an verschiede-
neo Stellen seiner Werke diese Sprache , namentlich deren Zahlen-
system berflcksichtigt s) und auch Theodor Benfey hat ihr i^
seinem neuesten Werke einige Aufmerksamkeit geschenkt*). Wir
sind weit eutfemt, der deutschen Wissenschaft aus dieser nicht sehr
lebhaften Theilnahme für das Baskische einen Vorwurf zu machen;
aber dass diese Erscheinung auffallend ist, kann nicht in Abrede ge«
stellt werden, wie dies aus einigen Gegensfttsen leicht erhellen wird :
Ein Castr^n bereiste in seinem Eifer fSr die Erforschung unbc'»
kannter Sprachen Jahre lang und unter lebensgefShrlichen Anstren-
gungen «die Sehneefelder Sibiriens und die Küsten des Polarmeeres,
brachte ganze Winter in Höhlen von Eis und in den rauchigen Hütten
fettschmutziger Samojeden zu, arbeitete sieh dann durch mongolische
Sandsteppen durch, fuhr über den Baikalsee und kehrte von den
*> Es kann una freilich leicht eine Schrift der Art entgangen sein, nnd wir werden,
darüber belehrt, die Gelegenheit nicht vorfibergehen lassen, nnsem Irrtham zu be-
richtigen. Eben so wenig sind wir in der Lage sn wissen, ob nicht irgend ein
tftchtiger Sprachforscher sich eingehend mit der btskischen Sprache beschifUgt
hat, ohne dass er bisher sich geneigt fand, seine Studien su Teröffantlichen. —
Noch nag einer etwas filteren Schrift auch hier gedacht werden, welche schon im
Jahre 1S07 erschien, aber anch den Anfordemngen, welche dsmals gemacht worden,
nicht ganx entsprechen soll ; es ist diess : Georg. Ang. Fried. G o I d m a n n , Commen-
tatio, qua trinarum Linguamm Yasconnm, Belgamm et Celtamm, qnamm Reliqniae
in Unguis Tasconica, Cymry et Oeelica snpersnnt, diserimen et dirersa e^josqae
indoles docetar, in certamlne literario eirinm Academiae Oeorgiae Augnstae 1S07
praenio omata. Götting 4. — Es ist uns nicht gelnngen, diese Schrift su Gesicht
zu bekommen. Vergl. über sie W. v. Humboldt, Berichtigungen. S. 337.
"0 Unser rerstorbener Freund Dr. Guido Gör res hat im Jahre IStS mit rier Andern
in einer ungedruckt gebliebenen lateinischen Abhandlung (Structura grammaticae
lingnae Hbpanorum Teterum indigenae id est Yasconicae phQosophice eiplicata nee
oon comptrata rariis tam Orientis quam Occidentis Unguis, mit dem Motto : L'es
diulectes vtrl^ du langage hnmain sont autant de nyons par lesquels se refleehit le
soieil, qui edaire notre intelligence) um den Volney VPreis concurrirt. Darrigol
(8. Seite 736) trug den Sieg dsTon. Durch die Gefifligkeit des Herrn Mohl
wurde uns eine Einsicht in jene Abhandlung gestattet, in welcher der damals noch
sehr junge Gelehrte sein grosses und entschiedenes Talent für dergleichen sprach-
forschlicbe Untenuchungen bekundet hat.
*) S. insbesondere Pott, die Spnchrertchiedenheit in Buropa an den EahlwSrtem
nachgewiesen. (HaUe 1S6S.) S. 9 a. f.
*) Benfey, Geschichte der Sprachwissenschaft und orientalischen Philologie in
Deutschland. (Minchen 1S69.) 8. 76S. u. f.
734 Phillip«
GräDzen Chiua*s heim, um — bald darauf zu sterben^ i«) ! EId
Sjögren brachte aU Lohn für seine Studien der Sprache der Osse-
ten im Kaukasus ein erblindetes Auge und erfrorene Glieder mit"),
und wer die Bauernwirthschaften Litthauens kennt» wird »Unge-
mach und Entbehrung** zu würdigen wissen, welche der leider zu
frfih verstorbene Schleicher auf seiner wissenschaftlichen Reise
zur Erforschung der Sprache jenes Landes hat erdulden müssen «>).
Keiner unserer Landsleute ist aber dem Beispiele Humboldt*s dariD
gefolgt, dass er dem biederen Volke der Basken in den schonen Ge-
birgen Ton Guipuzcoa und Biscaya einen längeren Besuch abgestat-
tet <*) oder auch nur an dem herrlichen Meeresstrand von St. Jean
de Luz oder in Cambo t*) zu dem Zweck sich aufgehalten hätte, um
tiefer in den Geist der Euskuara, wie die Basken ihre Sprache nennen,
einzudringen!
Wie lässt sich das erklären? Ist man etwa zu der Überzeugung
gelangt, dass die baskische Sprache für die Linguistik nicht die hohe
Bedeutung habe, wie man sie ihr früher beilegen zu müssen glaubte?
Keineswegs, es wird die Wichtigkeit dieser Sprache nach wie vor
allgemein anerkannt, einer Sprache, von welcher Humboldt es rühmt,
dass sie in ihrem Wortbau und in ihrer RedefOgung eine ganz be-
sondere Kühnheit des Ausdruckes besitze <0- Nur eine auf dem Ge-
biete der Linguistik sehr geschätzte Auetorität scheint etwas weniger
günstig über den Werth dieses merkwürdigen Idioms zu urtheilen.
In einer Anzeige des oben an erster Stelle erwähnten Buches vou
10) Vergl. Max Mfiller, Ust ResulU of the Turanian Reaearches. p. 274 (b«i
Bunaen, Chriatiaaity and Mankiod. Vol. III.). — S. aach Schiefner in der Vor-
rede M Caakrjn'a Samojedischer Grammatik.
1*) S. Sjögren, Oaaetttche Sprachlehre. Vorrede S. IX.
<*) Schleicher, Briefe über die Erfolgte einer wiaaenaohafUichen Reiae nach
Litauen. 8. S. (Sitznngaberichte der kaia. Akademie der Wiaaenachaften. J%hrg. 1SS2.
Bd. 9. S. 529).
l>) Eine Ausnahme macht W. v. Lademann (Zuge durch die Hochgebirge mad
Thaler der Pyrenäen im Jahre 1822. Berlin 182$), allein seine Untemichuagen in
Betreff der Sprache und die darüber gemachten Mittheilungen (S. 313 — S27) sind
doch nur etwas oberflichlich auagefallen
1^) S. C. Duvoisin, Cambo et ses alentours. Bayonne 1858; eine in rieler Beaiehing
inleressante Schrift.
t5) W. V. Humboldt. Über die Kawi-Sprache auf der Insel Java. Bd. 1. Kinleitang
S. CCVI.
Eine baskische Spruchprohe nebst Kinleituog und Comiiienlar. 735
Hahn sagt St eint halt«) von den Kelten und Iberern, weich letz-
tere auch er för die Vorfahren der Basken ansieht, dass sie ,, Volker
von schwachem Geiste, ohne historisches Bewusstsein, mehr Wilde
als Barbaren gewesen, und erst durch Mischung mit germanischem
Klut und Geist fähig geworden seien, thätigen Antheil an der Ge-
schichte zu nehmen*'. In wie weit dieses Urtheil in Betreff der Iberer
sich rechtfertigen lässt oder nicht, kommt hier nicht in Betracht,
was aber die Basken angeht, denen wohl ausserordentlich wenig
germanisches Blut beigemischt worden sein möchte, so scheint man
um so weniger auf eine dem entsprechende Ansicht jenes Gelehrten
in Beziehung auf die Sprache derselben schliessen zu sollen, als
Steinthal hinsichtlich ihrer von Mahn's Buch den freilich sehr allge-
mein lautenden Ausdruck gebraucht: „es gebe dem Sprachforscher
viel zu denken**. Indessen berechtigt vielleicht ein anderer Umstand
zu dem Schlüsse, dass Steinthal doch nur einen verhältnissmässig
geringen Werth auf die baskische Sprache legt oder wenigstens
früher ihr eine grossere Bedeutung zugesprochen hat. In seiner im
Jahre 1850 erschienenen Schrift: „Die Classification der Sprachen,
dargestellt als die Entwicklung der Spracbidee** hat Steinthal die
baskische Sprache in die höhere Kategorie der „Stoff und Form
scheidenden Sprachen** und unter diesen wiederum in die Classe
derjenigen gestellt, welche „Nomen und Verbum scheiden**, so dass
dieselbe in seiner von unten aufsteigenden Classification unter drei-
zehn Sprachfamilien die zehnte Stelle einnimmt i?). Dagegen hat
derselbe Gelehrte in seiner „Charakteristik der hauptsächlichsten
Typen des Sprachbaues**, welche die zweite Auflage jener andern
Schrift bildet <»), die baskische Sprache gänzlich mit Stillschweigen
übergangen. Da nun, wenn anders die obige Auffassung von Stein-
thal's Ansicht die richtige ist, dieser mit seiner Beurtheilung der
baskischen Sprache in einen Gegensatz zu andern, und zwar gerade
auch sehr angesehenen Sprachforschern treten würde, so liegt hierin
eine um so stärkere Aufforderung dazu, die Geschicke und den Geist
des baskischen Volkes, insbesondere aber dessen Sprache mehr als
^<) Kuhn und Schleicheff Beitrige zur vergleichenden Sprachkunde. Bd. 1.
S. 300.
<7)s. Steinthfil, Classification, S. 90.
<S) BerUn 1S60.
736 Phillips
bisher geschehen» zu erforschen. Denn, man muss sich allerdings
verwundern, dass die baskische Sprache so oft als äasserst merk-
würdig erwähnt und dennoch von unsern deutschen Gelehrten nur
so ganz nebenher berücksichtigt wird. Hält doch Max Muller,
den wir mit Fug und Recht zu diesen zählen, die baskische Sprache
för so ausserordentlich wichtig,, dass er sie in Beziehung auf die be-
stimmte Bedeutung der Wurzeln in ihr, als ^the very type and per-
fedion of a Turanian language** bezeichnet i*) , was hier um so
mehr sagen will, als Müller die Dreitheilung der Sprachen in Arische,
Semitische und Turanische vorzugsweise vertritt. Und dennoch ist
dieser ausgezeichnete Gelehrte in seinen Mittheilungen über die bas-
kische Sprache sehr karg, indem er sich fast nur damit begnügt,
eine Stelle aus der im Jahre 1828 mit dem Vnlney 'sehen Preise ge-
krönten «Dissertation critique et apolog^tique sur la langue Basque*'
des noch vor dem Erscheinen seiner Schrift verstorbenen Abb^ Dar-
rigol wiederzugeben <<»).
Wenn nun die Erscheinung, dass das Baskische seit Humboldt
bis jetzt in Deutschland keine verhältnissmässig grosse Cultur gefun-
den hat, sich nicht aus der Unterschätzung dieses Idioms erklärt,
so wäre es nunmehr doch an der Zeit, dass unsere deutschen Lin-
guisten sich nicht gänzlich von dem Anbau dieses Gebietes entfernt
halten wollten. Von Spanien ist in Beziehung hierauf freilich gar
nichts €u erwarten, denn bis dorthin ist die Linguistik noch
gar nicht vorgedrungen, aber ganz anders stehen die Dinge in Frank-
reich, wo es in der That eine nicht geringe Anzahl von Männern gibt,
die sich mit grossem Ernst und Eifer auf das wissenschaftliche Stu-
dium der baskischen Sprache verlegt haben. Wir nennen in dieser
Hinsicht ausser dem bereits erwähnten Darrigol, vomämlich Du-
voisin und Jnchauspe, Charencey, Vinson und Blad^<i);
auch hat das Studium der baskischen Sprache einen sich lebhaft
für sie interessirenden Protector in der Person des Prinzen Louis
1») Max MuIJer I. c. p. 289.
*^) Vorletaigen fiber die Wissenschaft der Sprache. Bd. 2. S. 17 und dasu die Note 30.
S. 536.
29 ^*i>* werden auf die Arbeiten dieser französischen Gelehrten bei anderer Gelegen-
heit au sprechen kommen.
Eine haskische Sprachprohe nebat EiDleitang: und CommenUr. 737
Liician Bonaparte gefunden <<). Der Grund, warum eine gleiche
Theilnahme für das interessante Idiom in Deutschland noch nicht
so rege geworden ist» liegt wohl hauptsächlich darin» dass, seitdem
Bopp die neue Bahn der Linguistik gebrochen bat» die Kräfte zu*
nächst und vorzugsweise l'Or den Ausbau der Arischen und der den
historischen Studien nahe liegenden Semitischen Sprachen verwen*
4et werden mussten ; das Baskische lag aber davon zu fern ab» ja
stand noch viel vereinzelter da» als das Etruskische. Oder hat man
sich etwa auf der von Humboldt gelegten und in jeder Beziehung als
unwiderlegbar erachteten Basis nicht so ganz sicher gefühlt» so dass
man weder festen Fusses sie zu betreten» noch einen andern Weg
einzuschlagen wagte? Für einen Linguisten ist auch in der That das
Geständniss viel schwerer» dass man aus einem Idiom nicht viel
herausbringen könne» als fQr Jemand» der in dieser Beziehung an
seinem Rufe Nichts zu verlieren hat; dadurch wird ein Versuch
auch eines Unberufenen » so viel als bei schwachen Kräften möglich
ist herauszubringen» einigermassen entschuldigt erscheinen. Zu die-
sem Zweck soll hier eine Sprachprobe und zwar jene Lauretanische
Litanei mitgetheilt werden » die uns als der erste Schlüssel dazu
diente» um uns einige Bekanntschaft mit dem Baskischen zu ver-
schaiTen. Ks erscheint aber geeignet zunächst noch einige Bemer-
kungen über das Sprachgebiet des Baskischen» so wie über einzelne
Eigenthumlichkeiten dieser Sprache voranzustellen» wodurch der die
Litanei begleitende Commentar an Verständlichkeit gewinnen durfte;
wir beschränken uns indessen hier nur auf eine ganz fluchtige Über-
schau.
II.
Das Sprachgebiet des Baskischen.
Wie das Volk der Basken ein ethnologisches, so ist seine
Sprache ein linguistisches Räthsel. Es kann keinem gegründeten
*^) Um aoch eioeo transatlantischen Gelehrten su erwibnen, ao möge auf Dwight
Whitney» Language and tbe Stndj of languag« hingewiesen werden. Er spricht
an Terschiedenen Stellen seines Buches auch von den Baaken, deren Sprache er
«a whollj-isolated and probleraatic Langue" nennt (p. 101); er hilt sie (p. 353)
für „n sole surriring remnant of the speech of an aboriginal race^ und macht
dann anf ihren poljsynthetischen Charakter und ihre Ähnlichkeit mit amerikanischen
Sprachen aufmerksam.
738 Phillips
Zweifel unterliegen, dass die heutigen Basken in einein historisehen
Zusammenhange mit den den Romern bekannten Vascones — ein
Name, der vieileieht nur einer römischen Corruption des Eask in
Euskara seinen Ursprung verdankt <) — stehen, die ihre Wohn-
sitze zwischen dem oberen Ebro und dem südwestlichen Abhänge der
Pyrenäen hatten. Allein nicht nur diese, sondern auch andere ihnen
benachbarte Stamme haben mit ihnen wohl eine und dieselbe Sprache
geredet, wenigstens ist das Gebiet, in weichem heut zu Tage bas-
kiseh gesprochen wird, ein viel grosseres als das jener Vasconen.
Im Übrigen wollen wir der Frage über den Ursprung der Basken
einstweilen aus dem Wege gehen und unsern Blick auf das jetzt
lebende Volk und seine Sprache werfen.
Das Volk der Basken hat zwar keine so gewaltsame Unter-
drückung und Zerreissung erfahren, wie die Polen, dennoeh aber
ist sein ihm angestammtes Land durch eine politische 'Grenze zer-
trennt; ein Theil desselben steht unter der Herrschaft Spaniens,
der andere gehört zu Frankreich. Es sind nämlich die spanischen
Provinzen Biscaya, Guipuzcoa, Alava und Ober-Navarra
und die französischen Cantone Nieder-Navarra, Souie unü
Labourd, im „Departement des Basses-Pyren^es**, in denen noch
heut zu Tage eine baskische Bevölkerung angetroffen und die bas-
kische Sprache gesprochen wird. Beides Sllt nicht ganz zusammeu,
indem auch in jenen Gegenden ein Theil der Basken sich dem An-
drängen der spanischen und französischen Sprache, beziehungsweise
dem Patois, nicht hat erwehren können und sein eigenes Idiom auf-
gegeben hat. Insbesondere hat in Ober-Navarra und in Alava das
Baskische sehr viel an Terrain verloren <), und es nimmt dasselbe
auch in dem französischen Theile des Baskenlandes immer mehr ab.
Eine Sprachgrenze lässt sich in dieser Hinsicht nicht ziehen, indem
die einheimische Sprache vorzugsweise in den wenigen nicht in den
allgemeinen Verkehr hineingezogenen Ortschaften » namentlich in dea
hochgelegenen, sich erhält, während es in dem Flachlande immer
*) Vergl. Humboldt, (jBtertucbungen. S. 54.
*) HieTon gibt sogtr die Prinumerationsliste der von Zaasua besorgten Beu«ii Anagab«
von Lammendre Diccionario trilingae ein Zeugnis», welches wohl kann auf
einem blossen Zufall beruht. Die Zahl der Subscribenten betrigt in Guipuzcoa 46S,
in Biscaja 144, in Nnvarra S4 und in Alava gar nor 11.
Eine buskische Spnicbprobe nebst Einleitunfr und ConineDUr. 730
<
mehr sieh verliert. Ja, es kommt vor, dass in manchen Gemeinden
die angeborene Sprache von einzelnen Familien bewahrt, von andern
aufgegeben wird >). Es gibt daher heut zu Tage manche Orte mit
baskischem Namen, wo, ausser den aus der Umgebung hereingekom-
menen Dienstboten, fast Niemand mehr baskisch spricht; Bayonne
und Biarritz bieten daför das Beispiel.
Die baskische Sprache theilt sich in mehrere Dialekte; die
Einen nehmen drei, das Biscayi'sche, das Guipuzcoanische und La-
bourdinische, als Hauptdialekte an ^); Andere zählen dad Souletini-
sche als einen besonderen vierten >), noch Andere auch das Nieder-
Navarrische als einen fünften <) und Andere das Ober-Navarrische
als einen sechsten f) Dialekt hinzu; noch weiter darf man hierin aber
wohl nicht gehen, denn zuletzt Hessen sich auch die beiden Hauptdia-
lekte des spanischen Baskenlandes noch in eine Menge Nebendialekte
zerspalten. Die Eintheilung in bloss zwei Sprachgebiete» je nachdem
das eine den Spiritus asper h besitzt , das andere nicht , die aller-
dings in anderer Beziehung viel für sich hat, da sie so ziemlich mit
der Pyrenäengrenze zusammentrifft, dürfte darum doch nicht ganz
zutreffend sein, weil in der Tliat zwischen der Sprache von Gui-
puzcoa und der von Biscaya, denen beiden der Spiritus asper fehlt,
ganz andere und so grosse Verschiedenheiten obwalten , dass die
Bewohner jenes Landes sich mit denen des Senoirio^s — so wird
Biscaya genannt ~ oft nicht recht verständigen können s).
Von ganz besonders nachtheiligem Einflüsse auf die Sprache
ist gerade jene Zertheilung der Basken unter zwei verschiedene
Regierungen gewesen, wenn gleich das Volk trotz der verschieden-
farbigen Schlagbaume sich doch noch immer als Eines betrachtet.
Ein schöner, wohlgebildeter Volkstamm*) hat ihn der Kampf mit
') Rheins in dw uotan (S. Note 13) ang^ebenen Abhandlung 8. 5.
^) Lnrramcndi, ]. c. Prolog. P. 1. cap. 14. p. XXIVrhier tin^ die Dialeete von Bis-
caja Gntpoicoa nnd Navarra pnterscbieden und diesem letaleren auch das fran-
sosiaehe Baskenland äberwiesen. — S. auch Humboldt Berichtigungen. S. 8.
Vergl. L Jcluae, Grammaire basque. p. 30. u. s. w.
*> So Chabo. Vgl. Sa Über ri, Vocabnlaire de mota Basqnes Bas-NaTarTa*8 p. XVn.
*) L. L. Bonaparte, bei Blad^, jftudes aur l'origine dea Basqnes. p. SOS note 1.
''I RIdc Beiiehung darauf: Bonaparte a. a. 0. p. 304.
^) Lecluse a. a. 0. p. 80.
*) Dieaa soll jedoch nach Rheins in der unten angeführten Abhandlung p. 17 weniger
gelten Ton der baakiacben Bevölkerung dea Thaies vonS. Bngrace und einiger anderen
Gegenden der PyrennSen.
740 Phillips
den Elementen gestählt; Meer und Gebirge haben ihm Kraft und Ge-
wandtheit verliehen. Ausdauernd im Kampfe für ihre angestammteu
Rechte haben die Basken selbst «dem grossen Capitan** Gonsalvo de
Cordova das Wort entlockt : „Lieber wollte ich Löwen bändigen als
Basken ** «<»). Und dennoch sind die Basken ein gutmfithiges und fröh-
liches Volk, und Nichts ist anmuthiger zu schauen, als ihr Spiel h)
und ihr Tanz «) ; daher charakterisirte Voltaire die Basken durch den
Ausspruch: ^ce petit peuple, qui saute et danse au haut des Pyre-
n^es**.
Leider ist die baskiscbe Bevölkerung in progressiver Abnahme
begriffen und noch mehr verliert, wie schon angedeutet wurde, ihre
Sprache von Jahr zu Jahr an ihrem Gebiete ; eine Erscheinung, über
welche eine interessante Abhandlung von Elistfe R^clus in der
Revue des deux mondes nachgelesen zu werden verdient, welche die
nur zu wahre Überschrift fQhrt: „Les Basques, un peuple qui s'en
va^ i>). Es sind jetzt im Ganzen kaum mehr 600,000 Menschen,
welche die baskische Sprache reden i^), von denen etwa 120,000 auf
das franzosische Baskenland kommen <»). Einen grossen Antheil a»
i<») Vergl. Bf ahn bei Blutschli (s. oben I. Notoi).
*^) Vorifiglicb geecbickt find die Basken im Ballspiel (PiloU), auch ist die bei ibnes
flbliche Jagd auf Ringeltauben sebr merkwfirdig, 8. darüber C. Duroisin Caabo
et »t» alentours. (Bayonne ISSS). p. 153 u. s. w. — S. aucb v. LudeoBann, Zift
dorcb die Hochgebirge und die Thiler der Pjrenien im Jahre 182t. (Berlin 1825)
S. 307. u. f.
1^) An dem Tanse nehmen aber die Franenummer in der Regel nicht, wohl aber bit-
weilen die Priester Theil. So berichtet Garat, Origines des Basques de France
et d*Bspagne. p. 32. — Die Musikbegleitung besteht in dem Tamboorin and in 4«r
Chirola, einer Flöte mit drei Löchern.
>') Revue des deux mondes. Tome. LXVHI. p. 313 — 340. (Hieraus schöpfen aaek
mehrere kleinere Anfsftxe in deutschen Zeitschriften s. B. Globus. Bd. 11.(1867)
8. 367.
1^) Einen recht hflbschen Artikel über die Basken entbfilt auch der Jahrgang ISST
der Augsb. Allg. Zeitung. Beilage Nr. 280. Nr. 283; ebenso Norddeutsche
allg. Zeitung ▼. 23. Februar 1868. Zur Kenntniss der Basken dient auch die kleine
Schrift : Dasconaguerre« Les Behos du Pas de Rolaad. Paris 1868. — Vergl.
noch Lfidemann a. a. O. 8. 279. u. ff. so wie den mehrfach erwihnten Artikel
von Mahn.
1^) Mit Rficksicht auf die Abhandlang von Rheins scheinen die Zahlen bei Ma bn n
hoch gegriffen au sein. Dieser gibt S. 661 die BevÖlkening des frunöaische«
Baskenlandes auf (90 Q Meilen) 130.000 Seelen an ; das spanische K6ugreirk
Eine baskUche SpfHchprobe nebst Einleitung und Commentar. 741
dieser Minderung haben die Auswanderungen nach SQdamerika«*),
wo sich die Basken eben sehr bald unter der dortigen Bevölkerung
Terlieren. In der Heimath tragen zur Verminderung des Gebrauches
der baskischeu Sprache yerschiedene Umstände bei ; in Frankreich
findet beinahe kein Schulunterricht in der eigentlichen Landessprache
statt, müssen alle Processe bei den Gerichten in französischer Sprache
gef&hrt werden i^), sodass der Bevölkerung ausserdem Verkehre inner-
halb seiner selbst, nur noch der Katechismus und die Predigt in der
Landessprache fibrig bleibt i^). Nicht viel besser ist es in Spanien ; hier
soll — wenn anders die Sache Glauben verdient — vor nicht gar
langer Zeit in den Schulen ein wunderliches Mittel angewendet worden
sein, um den baskischen Kindern ihre Muttersprache auszutreiben «»).
Derjenige Knabe nämlich, welcher der Erste in einer Woche sich darin
verfehlte, dass er baskisch sprach, bekam eine Marke; diese musste
er baldmögliehst wieder anzubringen versuchen, indem er sie sofort
demjenigen seiner Mitschüler gab, welcher sich unvorsichtiger Weise
m baskischer Sprache hatte vernehmen lassen. Dieser musste nun zu-
sehen, in gleicher Weise die Marke loszuwerden; bei wem sie aber
am Samstag gefunden wurde, der bekam die Strafe für Alle.
Die baskische Sprache wird von den Eingebornen Euskuara
genannt; diejenigen, welche sie sprechen, heissen Euskaldunak, im
Gegensatze zu den Erdaldunak, welche die allgemeine Landessprache
(Romance), nfimlich dasCastilianische oder Französische reden s«). Die
Sprache selbst ist wegen ihres eigenthümlichen Baues ganz beson-
NammiHirde danach auf 145 QMeilen 281.000. Biscaya auf 60 QMeilen 150.000,
Gnipvseoa anf 20 QMeUen 14.200, Alava endlich auf 51 QMeilen 80.000 Einwohner
sihlen; dieaa gäbe die Geaammtanninie von 763.000 Basken, allein diese aprechen
nicht mehr alle baakiseh.
^*) Niherta bei R^clua t. ii.0.p. 3SZ. Es «ollen sich schon mindestens 50.000 Basken
•B Rio de la Plata angesiedelt haben ; aUein ans Bajonne und Bordeaux gingen
in Jahre 1865 nicht weniger als 50 Schiffe mit 2.609 baskiachen Auswanderern nach
Baeno« Ajres.
^7) 8o geschah es schon seit lingerer Zeit bei den Gerichten tu Bajonne und Ais;
indessen es nnsste doch dafBr Sorge getragen werden, dass bei den einaelnen Ge-
richten Notare angestellt wnrden, welche der baskischen Sprache mirhtig waren,
8. Francisqne Michel, Le pays basqne. p. 9.
*^} Aneb der grSsste Theil der Literatur besteht in Erbauungsbfiohern.
<*) So hericbtet Van Byss a. a. 0. p. 1. —
>^> Vergl. Humboldt a. a. O. S. 54. S. 58.
742 Philips
ders merkwürdig; man hat in Betreff ihrer auf manche Analogien
mit dem Magyarischen und dem Finnischen, andererseits auch mit
den amerikanischen Sprachen hingewiesen und sie mit diesen in die
Reihe der aggiutinirenden Sprachen gestellt. Alle diese Fragen bei
Seite lassend, wollen wir hier nur mit wenigen Worten der Begeiste-
rung gedenken, zu welcher sich manche Basken für ihre Sprache
haben hinreissen lassen. Mehrere haben sich nicht damit begnügt,
die vielen und in der That anzuerkennenden Vorzüge des Baskiscben
vor andern Sprachen hervorzuheben, sondern haben sich zu einer
wahrhaft schwindelnden Höhe in dieser Hinsicht emporgeschwungen;
alle andern übertrifft hierin Chaho, obschon auch vor ihm
Larramendi viel in dieser Beziehung geleistet hatte. In der Vor-
rede zu seinem Dictionnairesi) führt letzterer aus, dass schon die
Griechen und Römer, um so mehr die Franzosen,. Italiener und
Spanier ihren Wortschatz aus dem Baskischen bereichert hätten, ins-
besondere will Larramendi im Castilianischen nicht minder als 1951
baskische Worter neben 538S lateinischen zählen. Astarloa
rechnete zu den grossen Vorzügen des Baskischen auch seinen
Reichthum an Wörtern «>), die er — die mehr als drei Sylben zählenden
ausgeschlossen — auf nicht minder als auf 4 Billionen nebst 126
und einer halben Million berechnete. Am Begeistersten ist aberChatao,
der unter Anderm von der Vollkommenheit der baskischen Conjuga-
tionen so durchdrungeif ist. dass er von ihr sagt: ^sie könne nicht
noch weiter gehen und Gott selbst würde, wenn er mit den Men-
schen sprechen wollte, kein feenhafteres Verbum anwenden kön-
nen** <>). Dagegen ist die Meinung der Spanier in dieser Hinsicht
«1) p. ex.
**) Astarloa, ApoIogU. p. 57. — Vergl, darfiber Lecluae a. a. O. p. 174, wo aork
ein hieraof bsauglicbea baakischn Epigramm in franaöaiaeher Übersetsang ait-
getheit wird ; das Original folgt p. 216.
S8) Wir theilen die betreffende Stelle im Originale mit: Abbadie et Cb ah o, ilades
grammaticales sur la leugne Bnskarienne: p. 84: „Si la coqjngaiaoB de In foroe
verbale N i z etale une profoaion de richesaes inconnues li tontea les autren kiga^s
humaines, celle de la forme Dut est plus roerreillense encore; eile oaarqae les
diverse« relations des personnes avec la m^me ezactitude et la m^me regvlarite.
que la premiere,et combine en autre dans sa contezture syllakique jeaqii^A U espr«*-
sion de denx r^gimes; la perfection ideale, sp^culative ne pent aller %«-deii: Oie«
lui-m^me, parlant aux hommea, ne saurait emplojer nn verbe plua fe«ri^«e.* —
Äbniiche Äusserungen finden sieb ancb in anderen Werken Chabo^s nameBtlicb is
Eine baskische Sprachprobe nebst Einleitung und Commentar. 743
längst eine andere geworden; ganz im Gegensatz zu Scariger*^),
welcher den „Cantabrismus*', wie er das Baskische nannte, als eine
«lingua lenissima et suavissima** bezeichnete, will Mariana nicht
viel von ihr wissen, indem er sie als „rudis et barbara** und Mcultum
abhorrens** auf eine sehr niedere Stufe stellt »). Aus diesem Wider-
willen der Spanier gegen die baskische Sprache rührt auch die
Volkssage von der Verzweiflung des Teufels in der Erlernung des
Baskischen her a«). Es ist daher begreiflich, wie die spanische Aka-
demie in ihrem Dictionnaire dem Worte MVascuencC die metaphorische
Bedeutung beilegt: „lo que esti tan confuso y oscuro que no ne
puede entender** ").
Ganz anders wiederum als die Spanier urtheilen unsere Sprach-
forscher Humboldt, Mahn und Max Müller über das Baskische, ohne
sich zu den Phantasien einzelner Eingebornen zu versteigen, welche
sogar ihre Sprache zur etymologischen Grundlage des Latein machen
wollen**). Es sei uns vergönnt in mehreren spSter nachfolgenden
Abhandlungen das baskische Alphabet und einzelne andere Bestand-
theile der baskischen Grammatik zu besprechen, hier aber nur ein-
dem ersten Bande der von Belsunce fortgesetzten Histoire desBasques. Damit ist
zn Tergleichen, was Chaho a. a. 0. p. 3. von der baskiscben Sprache überhaupt
sagt: „La langne euskarienne date des premiers si^cles de notre temps historiqne ;
eile naqoit, durant le premier Ige, dans le midi ; sa vocalisation vierge est divine,
sa n'^menclatnre est originale et sans aelange; Tarchitectare merveilleusement r^-
guliire et sbnple de son Systeme grammatical acbeve d'en faire le dialecte le plus
ybilosopbiqne, le plus complete du verbe humain.'Conservee jnsqn*an milien deTAge
ancien, par les Aphotbomites, les Anberrites, les Cbnrites, les Muthnrgores et autres
peaplades de la Mauritanie primitive, cette langue fleurit en Bspagne pendaut trois
rnille ans avec les Iberes-Euskariens , JQSqu*ä rinvasion des Celtes ou Tartares (1),
dont lea dialectes grossiers et tenebrenx enfanterent dans nos contr^es m^ridionales
In eonfnsion de Babel. II est donc vrai de dire en aUegorie,q«e la langue Euskuara
bien anterienre k T eUblissemeut des Barbares dans le midi,tire son origine d' Adam
poiaque cette mytbe gen^sique repr^sente l'humanit^ des Premiers Ages "
«♦) Scaliger, Tract. de Enropaeorum Unguis. — Vergl. Gib enart, Notitia ntri-
luqne Vasconiae. Tom. I. cap. 11. p. 36.
s^l Mariana, Hiat Hitp. Lib. 1. cap. 8.
2«> M abn, Denkmiler der haakiscben Sprache. S. VI.
27) DiecioBario de la Academia Espanola; adicion abbreviada por D. Vincento Gonsalea
Arnao (Paris 1S26) P. II. p. 1479.
2*> 8. ob«n Seite 742.
SiUb. d. phil.-hist. Ol. LXV. Bd. IV. Rft. SO
744 Phillips
zelne besonders charakteristische Eigeiithümlichkeiten >*) dieser
Sprache hervorzuheben.
Es findet sich in dem heutigen Baskischen ein harmonisches
VerhSltniss zwischen Vokalen und Consonanten. Die Sprache, deren
Pronunciation Deutschen freilich einige Schwierigkeit bietet, h5rt
sich im Vortrage und Gesprach ganz gut an; nur der häufig vorkom-
mende Laut üz ist fbr unsere Ohren nicht angenehm, und wer das
spanische ch nicht liebt, wird dessen Übertragung ins Baskische auch
nicht erfreuen. Mit vielen andern Sprachen hat das Baskische es
gemein, statt der Präpositionen nur Postpositionen zu gebrauchen
und ist überhaupt sehr reich an Suffixen. Mehrere dieser Suffixe sind
noch jetzt als Substantive zu erkennen »<»); so heisst gäbe so viel
als ^MangeH, ^Entbehrung^, und hat daher, wenn es als Suffix zu
einem andern Substantiv gesetzt wird, die Bedeutung: Mohne''.
Z. B. ogigabe heisst wörtlich „Brod-Mangel'', dann: „ohne Brod^.
„brodlos^. Es mögen daher ihrem ersten nicht mehr erkennbarem
Ursprünge nach manche andere Suffixe auch in diese Kategorie zu
stellen sein. Überhaupt aber gehört das Suffigirungsprinzip so sehr
zum Wesen der baskischen Sprache, dass man oft einen zweizeiligen
Satz, wenn man ihn in eine unserer Sprachen übersetzen will, ganz
getrost bei der letzten Sylbe des letzten Wortes der zweiten Zeile
anfangen, dann von rechts nach links Sylbe für Sylbe oder Wort für
Wort in gleicher Weise anreihen und bei dem ersten W^orte der
ersten Zeile schliessen kann. Als Beispiel mögen die Worte dienen:
„mir scheint einer der besten Wege , um die Thüren gegen
die Bosheit der Menschen zu schliessen'' u. s. m\
Diese würden in baskischer Aufeinanderfolge also lauten:
„Menschen der Bosheit die gegen Thüren die schliessen um
Wege besten der einer, scheint mir**
Der baskische Text dazu ist: ^
gizonaren gaiztoqueriari aieak isteko, bide onotietatik bat.
diriizat^^y
3') Mfthn, a. a. 0. zihtt drei ond swansig solcher Ei^nthfimlichkeitea aaf.
'®) Vergl. V in 8011 In der Rerue de lingroiatiqiie Tom. III.* p. 13.
'0 nie Forteetsttng des Saties lautet: Das ist das Wissen, was Gott für den Menschfo
gethfett hat**, in baskischer Wortfolge : „Gott, Mensch der fSr gethnn hat das «at
Wissen das ist,'* baskisch: ^Janngaikoak gizonagathk egain dneo«.
. jaquitea da la*. Vergl. van Ejrss a. a. 0. p. 129.
Eine haakische Spnichprobe nehst Einleitung und Commentar. 745
Die baskisehe Sprache hat zwar einen bestimmten und einen
unbestimmten Artikel, a und bai, aber sie unterscheidet kein Ge-
schlecht; nur für die weibliehen Thiere bedient sie sich des Surro-
gates, dass sie zu dem Namen des Thieres das Wort, welches
„Weib** bedeutet, nämlich ema, hinzufügt. So heisst z. B. karza >«):
der Bär, harza ema: die Barin <>). Dem entsprechend wird auch
in der Bibelübersetzung von Duvoisin mrago durch giz~ema wieder-
gegeben <^). Der Artikel dient aber wesentlich auch zur Formation
neuer Substantira , wozu eben jedes Wort im Baskischen fähig ist.
So heisst aüa Vater, aita-a contr. aita: der Vater, aitareiu des
Vaters, aitaren^a, das des Vaters. Ganz dem ähnlich ist es, dass
man durch Hinzufugung der Sylbe -tu^ jedes Wort zu einem Verbum
machen kann, z. B. aus dem oben erwähnten aitarena wird dadurch
aitarenatu: ^zu dem des Vaters machen'', d. h. Etwas zu des Vaters
Eigenthum machen <»); eine Bildsamkeit der Sprache, die man aber
nicht missbrauchen und durch längere Fortsetzung dieses Verfahrens
lächerlich und abgeschmackt machen darf <<).
Für die Zahlen dient als Grundlage ein combinirtes Decimal-
ünd Vigesimalsystem s?) und zwar in der Vk^eise, dass jede der Zah-
*') Die hier gevihlten Beispiele gehören, wenn nicht etwiis anderes dabei bemerkt wird,
den laburdinischen Dialekte an, der cwar nicht von den meisten Basken gesprochen
wird, aber die meiste Literatur aufzuweisen hat; es werden demgemass mehrere
Wörter mit einem anlautenden h angeführt, welches in dem spanischen Baskenlande
. nicht gebrauchlich ist (s. S. 739), so auch harta^ gnipug. arta,
*') Dem entsprechend wird im Ossetischen das den ,,Mann'' beaelchnende Wort eben-
falls bei dem Namen der minnlichen Thiere hinzugefugt; hier heisst arss Bir,
n a 1 - a r 8 8 ; der (minnliche) Bir, s u 1 - a r s : die Bärin. Vergl. S j ö g r e n . Ossetische
Sprachlehre. S. 4SI. — Es möge noch hinzugeffigt werden, dass wir hier von der
etwsigen Verwandtschaft der baskischen mit anderen Sprachen nicht handeln
wollen, auch wenn hier, wie in anderen Füllen, eine gewisse Süssere Ähnlichkeit
berantrite.
*^) Genes. 11. 23: hau deithuko da gizema: Diese ist genannt zu werden
MSnnin.
*^) Tergl. Mahn, Denkmaler S. XXIV.
'*) Aristophanes konnte es als einem Komiker freilich ifcstattet sein, ein W^ort Ton
77 Sjlben zu fabriciren. Vergl. Leclnse a. a. 0. p. 42. — S. auch ran Eyss
a. a. 0. p. 16.
'^) Vergl. Pott, die Sprachrerscbiedenheit in Europa an den Zahlwörtern nachge-
wiesen. Halle 1868.
50'
746 p h i 1 1 i p •
len von 1 bis 10 ihreu eigenen Namen hat««) und dass die Zahlen
Yon 11 bis 19 durch Hinzurechnung von 1, 2 u. s. w. zu 10 bezeich-
net werden««); 20 hat wieder seinen eigenen Namen, der aber zu
10 in keiner Beziehung steht; 10 nämlich heisst hamar» 20: hogoü
Alsdann werden die Zahlen von 21 bis 39 durch Hinzuzählen von
1 bis 19 zu 20 bestimmt, worauf dann 40 als 2mal 20, nämlich
berrogei folgt; 41 ist 2mal 20 -|- 1 u. s. w.; 60 ist 3mal 20, kirurth'
geiy 80 wie im französischen, 4mal 20: laurogei; 100 hat seine
eigene Benennung, nämlich eun ^<^).
Eine der wichtigsten Fragen in BetreiF des Baskischen ist aber
die, ob diese Sprache eine Flexion habe, und ob nicht vielleicht
gerade der Mangel einer solchen ein besonderes unterscheidendes
Merkmal derselben sei. In dieser Beziehung besteht nicht eine
Grundverschiedenheit zwischen dem Baskischen und den arischen
Sprachen; ursprünglich entbehrten auch diese jeder Declination und
auch in ihnen dienten die SuflTixe zum Ausdrucke der verschiedenen
Verhältnisse, in welchen ein Gegenstand zu denken war^«). Diese
Suffixe haben sich in Endungen verwandelt» die an sich nicht mehr
eine selbststandige Bedeutung behielten, und auch diese haben sich
in mancher dieser Sprachen gänzlich abgeschlüFen, was doch wohl
nur mit Unrecht für eine sprachliche Schönheit zu halten sein möchte.
««) Nimlich:
bat eins
bi Ewei
hiru drei
iaur vier
bortz fünf
tei sechs
zazpi sieben
xorzi acht
bederatzi neun
hamar zehn.
Unter diesen Zahlen hat 6t' eine Ähnlichkeit mit lat. bis, #et mit lat. sei, x%zfi mit
lat. Septem ; hiru (3) mit magjar. harom^ hatnar mit meraou (10) in der Sprache
der Tamaschek, auch mit griech. yLitpiai.
^^) Mit Ausnahme von 11, welches hamaika statt hamabat heisst.
^0) im Ossetischen, wo sich dieses System ebenfalls vorfindet, wird auch 100 aU 5mal tO
bezeichnet; fonz = ü, taez = 20, fonzii taeziij s» 100. Vergl. Sjögren
a. a. 0. S. 102.
^0 Vergl. Vinson a. a. 0. p. 6.
Eine baskische Sprachprobe nebst EinleituDj^ and Commentar. 747
Mahn bemerkt in dieser Beziehung sehr richtig» man möge doch
ja ^die Flexion, die, abgesehen von dem inneren Lautwandel, nur ein
Kind der Agglutination ist, nicht zu hoch» und die Agglutination nicht
zu niedrig anschlagen**» und kommt zu dem Resultate, dass eigent-
lich der Unterschied zwischen Flexion und Agglutination keinen be-
sondern Werth habe^*). Hat nun das Baskische die Flexion im Sinne
der arischen Sprachen, die zum Theil auch noch erkennbare Reste
der Agglutination aufbewahrt haben, nicht entwickeU, so hat es denn
doch auch schon diesen Weg betreten, indem es verschiedene Casus
sowohl im Singular als auch im Plural ausdrükt ^<), wobei weiter zu
bemerken ist, dass, wenn der bestimmte Artikel hinzutritt, nur dieser,
nicht das Substantiv declinirt wird.
Am allereigenthümlichsten ist aber die Conjugation; diese hat
nicht bloss eine Flexion mittelst der suflTigirten Fürwörter und zwar
als Subjecten» sondern sie druckt auch die objectiven Verbält-
nisse durch Präfigirung oder SufHgirung solcher Fürwörter aus;
man hat daher diese Art der Conjugation auch wohl mit dem Kunst-
ausdrucke „einverleibend'' bezeichnet. Auf den ersten Anblick könnte
man freilich erschrecken» wenn man auf auxiliäre Verbalformen, wie
gttzaikenielakoz^) stösst und dazu vernimmt» dass das Baskische
nicht weniger als 206 Conjugationen habe^s). Indessen die Sache
sieht gefahrlicher aus, als sie ist; es herrscht in dem ganzen Con-
jugationssystem eine solche Einfachheit, dass man auch wohl hat
sagen können: das Baskische habe nur Eine Conjugation ^<). Jene
Mannigfaltigkeit liegt in der Verschiedenheit der Einverleibung. So
ist z. B. die Conjugation von det: tf^eh habe es** eine andere, als
die von dutut: „ich habe sie" (Plural; franz. je les ai); eben so
eine andere, wenn «ich habe es Ihnen^ {duzut), als wenn: ^ich habe
es ihm" (dioi) conjugirt werden soll. Eine andere Merkwürdigkeit ist
hierbei noch die, dass die Form bei der nämlichen Person eine andere
wird, je nach der Person» zu welcher sie spricht. So ist z. B. ni%
^2) Hahn a. a. 0. S.
^^) Wir werden anf dieaen Gegenstand apSter zurfickkommen und rerwoisen einatweilen
avf DoToisin, Etode aur la d^clinaison basque. Baronne 1S06.
^^> D. b. weÜ wir dir (o Fran!) sein werden.
^^} Dies war noch die Meinung von Aatarloa, a. a. 0. p. 151. — Vergl. Hnmboldt,
Berichtigungen und Znsitze inm Mitfaridates. S. 52.
^^) Inchauape, Le rerb« baaqne. p. 1. — Cbaho, Etudes grammaticalea p. S2.
748 Phillips
„ich biu'' ganz im Allgemeinen gesprochen; wenn man aber »ich
bin" zu einer Person sagen will, der man Ehrfurcht schuldet ^7), so
heisst es nuzu; steht man jedoch mit der anzuredenden Person auf
vertraulichem Fusse und ist sie weiblichen Geschlechts, so sagt man
nun, wenn mSnnlichen: nuk. Dem ähnlich ist es, dass ein Bruder
seine Schwester arreba, eine Schwester aber dieselbe ahizpa nennt.
Wenn manche jener Verbalformen auch recht lang sind, so
lasst sich doch die Kürze des Ausdruckes im Baskischen rühmen, die
insbesondere dadurch befördert i/vird, dass die Hinzufugung eines
einzelnen Buchstabens erkennen lässt, ob der Gegenstand, von wel-
chem die Rede ist, thfitig oder leidend gedacht werden soll. So
heisst gizon schlechthin: Mensch, gizona: der Mensch, gizonak:
der Mensch als handelnd gedacht. Dem entsprechend hat man im
Baskischen ein von Humboldt ^s) mitgetheiltes Sprichwort, welches
hergenommen ist von jenen grossrädrigen speichenlosen widerwärtig
knarrenden mit Ochsen bespannten Wagen, denen man dort so oft
begegnet. Dasselbe will sagen : ^eigentlich sollte sich der Ochs be-
klagen, aber der Wagen thut es statt seiner*. Diess wird ganz kurz
durch die Worte: idiak erassi beharrean gtirdiak, d. h.: der Ochs
sollte klagen, der Wagen^. Diese Kürze des Ausdruckes, durch
welche ein Verbum erspart wird» bewirkt das bei dem Worte
gurdia hinzugefügte Ar.
Diese, wenn auch kurzen, nur andeutungsweise gemachten Be-
merkungen werden doch schon genügen , um die ISigenthümlichkeit
des baskischen Sprache zu kennzeichnen. Wir wenden uns nunmehr
zu der oben erwähnten Sprachprobe selbst.
*7) Chaho a. t. 0. p. 5tK. — van EjrsB a. a. 0. p. 64. — Ver^. Humboldt
a. a. 0. 8. 55. — Welchen Einflusa die Ehrfurcht auf die Sprachform iiusert,
davon liefern dfe Sprachen einiger australiacher Völker merkwürdige Beweise, na>
* nentHch den, daaa wenigttena eine S/lbe dea Namena dea regierenden HiupUüigt
fSr die Zeit aeiner Herrachafl ans der gewÖhnUchen Sprache verbaniit wird. So
geachah es auch bei der bekannten Königin Pomare; das Wort »Po*« welches
„Nacht" bedeutet, durfte nicht mehr gebraucht werden und ea wurde ein uideres
Mi, an die Stelle gesetzt. Vergl. Max Müller, Vorlesungen über Sprachwiaaea-
Schaft. Bd. 2. i$. 29.
^^) Humboldt, Reiseskiaien aus Biscaya. (GesammeUe Werke. Bd. 3. S. Z33.
Note.)
749
1 3. Guipuzkoanischer Dialect.
j^Eacu-Liburua. Tolosan. 1864. p. 274.)
Aioa Vtrglnarea LeUnla. Easqverrai *).
Kirie elel^ erruqui zaitc.
Christe e^ erruqui zäite.
Kyrie ela erruqui zaite. 5
Christe a, adigaitzatzu.
Christe e^^ entzun gaitzatzu.
Pater de ^q xHa Jaungoicoa, erruqui zaite guzaz.
■
Uli rede^apen Redentore Seme Jaungoicoa, erruqui
Spiritus ^u Sant u Jaungoicoa» err. z. g. lo
Sancta T|ade Santu, Jaungoico bat cerana, err. -z. g.
Sancta Ii^ Santa, erregu ezazu gugatic.
Sancta IHieoaren Ama Santa»
Sancta VL^ Virgina Santa,
Mater ChLen Ama,
Mater dim| Jangoicozcoaren Ama,
Mater puiuztiz garbia,
Mater ca»uztiz castoa.
Mater intja ceralarie Ama,
Mater intkcharic gabea,
iortzetic garbia *),
Mater am^aita-garria,
Mater ad^iragarria,
Mater CHallearen Ama.
Mater Safeallearen Ama,
Virgo pria gustiz beguiratua,
Vii^o ve^ veneragarria,
Virgo pr4a alabagarria.
15
'S
S 20
oq
e
'S
2S
H
j
i) Wir g kdBBen. Eine besondere Abhandlong Ober da« baskische
Alpba «nische mit B bexeicbnet.
S) In bei4 Q^Q^r^Q Litaniae, in dem anderen: Maria San-
tiss<
utter Gottes, wenn aoch in etwas anderer Form, ang^
e
9»
}
ititutfu
Jauna.
b- bar,
bekh.
Escu andico Virgina,
Virgina biotz berea,
Virgina leyala,
Virtute guztien ispillua,
Jaquinduriaren eserlecua,
Gure poz emaliea,
Ontzi espirituala,
Ontzi errespetagarria,
Devocioaren ontzi andia,
Arrosa misteriosoa,
Daviden torrea,
Marfillezco torrea,
Urrezco Echea,
Battasunaren Cucha,
Cerueo Atea,
Egun sentico Izarra,
Erien Osasuna,
Pecatarien Igues lecua,
Estuasunen Consueloa,
Cristauen Lagunizallea,
Aingueruen Erreguiiia,
Patriarquen Erreguina,
Profeten Erreguiiia,
Apostoluen Erreguina,
Martinen Erreguina,
Confesoreen Erreguiiia,
Virginen Erreguina,
Santa guzien Erreguina,
o
OQ
CR
CA
99
Jaungoicoaren bildots munduco pecatuec quentzen
dituzuna, barca eiguzn, Jauna.
Jaungoicoaren bildots mund. pec. quentz. dit.»
enzun gaitzazu Jauna.
Jaungoicoaren bildots mnnd. pec« quentz dit. enru-
qui zaite guzaz.
Eine baskische Sprnchprobe nehst Einleitung nnd Coromentar.
751
Gommentar.
Andredena. Schon das erste Wort macht einige Schwierig- a. i.
keit. L^cluse in seinem baskisch-franzosischen Wörterbuche giebt
Andrea durch Dame und Demoiselle, dann Andredqna Maria durch
Vierge Marie und in dem französisch-baskischen Theile vierge
durch birgina und dana, endlich vierge Marie durch andredana
Maria wieder. Wir wissen nicht, ob die beiden Ausdrücke Andre»
dena, wie auch Larramendi (Dicc. y. Maria) schreibt, und Andredana
abwechselnd gebraucht werden, doch ist es auffallend, dass der zu-
erst genannte Autor in dem ersten Theile seines Wörterbuches gar
kein <faiia=: vierge angiebt; dieser Umstand erregt allerdings eini-
ges Bedenken. Man sollte glauben, dass man die beste Auskunft über
diese Frage in der baskischen Bibelübersetzung finden würde, allein
diess ist nicht der Fall. Wir geben einige Stellen der heiligen Schrift,
an welchen die Vulgata die Worte virgo und virginitas gebraucht:
Genes, XXIV. 16: virgo pulcher- =» dontzella osoki ederra.
rima
43 : yirgo quae egredieb'a-
' tur ad hauriendam aquam
Deuter. XXII. 14. non inreni vir-
ginem
— 15: Signa virginitatis
XXXII. 25 : juvenem simul
ac virginem
Judic. 3[X. 24: habeo filiam vir-
ginem
XXI. 11. virgines autem
reserrate
3 Heg, I. 2: adolescentuiam vir-
ginem
4 Beg. XIX 21. virgo filia Sion
Tob- VI. 22 : accipies virginem
E^ih. I. 2: puellae virgines et
speciosae :
— 3. puellas speciosas ac
virgines :
Is. VII. 14. ecee virgo concipiet
et pariet filium
=» dontzella urketara athera-
tuko dena.
»= ez dut dontzella aurkitu.
=» dotäzellatuauneko haizak.
=^ gizon^gaztea eta nenkatcha,
= badnt alaba bat dontzella.
SS bairan birjinak begira.
SS neskatcha gazte dontzella.
=s Siongo alaba garbia.
=s neskatcha hartako duzu.
neskatcha dontzella eta ederrak.
neskatcha eder eta dontzellak.
SS hune Birgina bat amatuko
eta seme batez erdiko da.
7o2 Phillips
i- Ä. Math. I. 23: ecce virgo in utero » hune birjina baten sabelean
habebit et pariet filium izenen duela seme bat,
Luc, I. 27: ad virginem despou- = birjina baten gana» zeina
satam viro eskontzaz emana baitzen.
et nomen virginis Maria »> eta Maria zen birjinaren
izena.
Durch diese ZusammeDstellung wird man enttäuscht, wenn man
glaubte ein echt baskisches Wort für virgo und virginitas zu finden;
garbia (17. 80) hat die allgemeine Bedeutung von Mkettsch** und
Mrein**, während neskatcha ein junges Mädchen überhaupt bezeich-
net Das Wort andrea oder andredena findet sich gar nicht vor,
sondern der eigentliche Ausdruck für ^Jungfrau** ist dontzeUa,
wie auch die „Jungfrauschaft** dontzellatasuna genannt wird;
Larramendi hat dafür auch die Ausdrücke: ponizeltasuna und
batsaitasuna; pontzela (Jungfrau)» woTon das Erstere abzuleiten, ist
das romanische pulcella, batsaya in gleicher Bedeutung bleibt, wenn
nicht durch bat etwa Unversehrtheit ausgedrückt werden soll , un-
verständlich. Für die heilige Jungfrau, auf die sich das Andredena
unserer Litanei bezieht, wird aber wie in der Prophezie des Isaias,
der Ausdruck birjina angewendet» während derselbe sonst viel selte-
ner vorkommt. Man kann es offenbar nicht für eine Verschönerung
der Sprache halten, wenn das einheimische Wort für Jungfrau dem
lateinischen dondceUa, französisch demoiselle, hat weichen müssen.
Was bedeutet nun aber das dena in Andredena? Liegt darin
etwa Dona» wie man nach Larramendi glauben sollte» welcher Dana
Maria 6 Dena Maria «» Sancta Maria als gleichbedeutend neben
einander stellt? Ist ja doch Don oder Dane die gewöhnliche Be-
zeichnung der Heiligen; z. B. Donoatia: Sanct Sebastian, Done
Juane: Sanct Johann» auch Jaundone Josepe, d. h. Seuor San Jose <).
Wir wagen» da es an den erforderlichen Hilfsmitteln fehlt, keine Ent-
scheidung, können aber doch nicht die Bemerkung unterdrücken, dass
dieser Zusammenhang uns nicht ganz wahrscheinlich vorkommt. Auch
ist es auffallend, dass im Spanischen die Bezeichnung der Heiligen
nicht durch Don, sondern durch San geschieht und aus dem Spani-
schen jenes Don» wenn es mit dem lateinischen Dominus zusammen-
hängt» ins Baskische hinübergekommen sein muss. Allerdings sagt
') Larramendi, Oice. •. v. Senor.
Eine hnskisclie Sprachprobe neh«t Einleitung und Commentar. 753
Larramendi (v. Don) : „titulo honorifico que empezö ä darse anti- A. i,
quamente ä los que per su dignidad habien de ser venerables y san-
tos y asi no viene de) „Dominus" latino, sino don» done baseongado,
que hoy ha quedado en la significacion de Santo'' ; indessen der Um-
stand, die Heiligen seien« ausser der Dona xar* i^fy^v^ imSpani-
schen allgemein mit Don bezeichnet worden, ist wohl nur darum her-
vorgehoben worden, um das spanische Don von einem don^ done abzu-
leiten, was doch baskisch zu sein und «»heilig*' zu bedeuten scheint. Die
Worter: donentsi (sacrilegium)« donede (religio), daneffui (sancti-
ficare), doneguiUe (sacerdos) und andere finden sich auch in dem
Dictionnaire basque, franf ais, espagnol et latin von Chaho >), wo sie
aber sämmtlich auf Dominus zurückgeflihrt werden.
Unter diesen Umstanden möge es erlaubt sein, in Betreff des
dena in Andredena eine andere Vermuthung aufzustellen, aufweiche
sich auch bei Chaho <) eine Hinweisung findet, wenn er sie auch aus
einem Missrerstandnisse herleitet. Das Wort dena bedeutet auch
so viel als „die (da) ist, die seiende**^); eben diess gilt auch von
dana &), daher aei dana » erescens qui est, adolescens (sp. adulto) ;
hiernach wäre Andredena zu erklären: die (da) ist Jungfrau. Chaho
meint nur, das baskisehe Volk habe das spanische dona als dena
(quae est) anfgefasst*).
') Leider ist diaM fleisnge Arbeit sieht su Ende gefuhrt ; der Verfasser starb, OMh-
deiD dieselbe bis tor seehsundfünfsigsteii Lieferung (Bajonne 1856) bis inm Worte
Letora fortgefBhrt war. Unfrluelilicherweise hatte Chaho sein Werk damit ange-
fangen, vor allen Übrigen diejenigen WArter cusaroroenanstellen, welche er aus dem
Lateinischen oder Romanischen sbleiten au müssen gisobte und somit ist das Buch
fir das eigentlich Baskische gar nicht zu gebrauchen.
*) Chaho a. a. O. r. Dona. p. tSS,
*) 8. oben im Text: Genes. XXIV. 48»
') Vergl. L^cluse, Grammaire basque. p. 58< p. 97.
* ) Eine nachträglich hierüber durch die Güte Herrn D u r o i s i n *s (zu Bsyonne) erhaltene
Auskunft darf nicht vorenthalten werden : sie lautet : AndredenaMaria ou dana
constitae nne alteration, tont comme j o n d o n i , mot qui pr^c^de ches nous les
nonia de quelques saints. On disait anciennement j a u n dona Paulo (saint Paul),
andre dona Maria (sainte Marie). Plus tard on a dit jondoni, andredena.
Les Basques d'Espagne nnt laiss^ tombar cas nota, sauf dans les noms de liaux, et
les ont remplüc^s par san, santa. IVous, nous employons san, saota tont en
conservant jondoni pour quelques saints du 1er aieele. C*est une habitade qui
s^est perpetn^e. Jaun done Paule, Andre dona Maria signifialent seignear
•sint Paul, dame sainte Marie.
7S4 Phillips
^* ^- Mariaren \ eigentlich Maria-en mit Einschaltung des euphoni-
schen r.
Litaniac \ könnte auch Litania heissen; das c {K) wird dann hin-
zugefügt, wenn dasSubject als handelnd gedacht wird; in dem Texte
B lautet die Überschrift Ama <) Virgiharen Leiania, d. h. die Litanei
der ^»Jungfrau*' Mutter. Auch die beiden andern Überschriften
[s. oben Sprachpr. Note 2) verdienen Berücksichtigung; zunacht ist
zu benierken, dass, wie in Biryina Sainduaren LH- es hervortritt, von
zweien zusammengehörenden Worten das erste unverSndert bleibt
und nur das zweite die von einem nachfolgenden Subjecte bestimmte
Genitivform annimmt, also nicht: bir3finaren Sainduaren; sodann ist
es merkwürdig, wie man das lateinische Wort: sanctus auch in
der Form des Superlativs hinübergenommen hat und diese dann bas-
kisch declinirt: Maria Saniissimaren Litania.
2, A.B. Jatina \ heisst der Herr. Baskische Gelehrte erklären das Wort
aus Jao^on^a^ welches dahin ausgelegt wird : Jao bedeute Wesen,
on : gut und a ist der Artikel ?). Chafao insbesondere will in dem Joo
den Ausruf der Bewunderung erkennen, mit welchem der Mensch un-
mittelbar nach seiner ErschaiFung den ^Ewigen** begrüsst habe»).
Wir müssen diese Ideen auf sich beruhen lassen und verweisen
nur noch auf die Bemerkungen, welche weiter unten in Betreff des
Wortes Jaincoa (Z. 8) zu machen sind *). Für eben jene Gelehrte
liegt in der Bezeichnung Gottes mit einem ^längst vor dem
Christenthum vorhandenen Worte^ ein Grund zu der Annahme,
für die man auch eine Stelle aus Strabo herbeizieht i«), dass die Vor-
fahren der Basken, für welche ihnen die Iberer gelten, sich von
jeher nur zu einem Einigen Gotte bekannt hätten. Dieses Argu-
ment würde wohl eben so gut auf die meisten heidnischen Volker,
z. B. auf die Germanen passen, deren Wort „Gott* auch Slter ist
als das Christenthum, und würde höchstens so viel beweisen, dass
alle Vielgötterei von einem ursprünglichen Monotheismus auigegau-
*) S. unten Commenttr tu Z. 13.
7) Vergl. Chaho, Diottonnaire. Introd. p. 66.
^) Chaho, Etndea ^rammat. p. 14. — Erwihnt mag dabei werden, dnaa Diod. Sic.
Lib. i. cap. 94 berichtet, die Jnden bitten ihren Gott loc^ genannt.
») 8. 756.
i<^) Strabo, Geograph. Lib. Hl. cap. 4. f. 16.
Eine baskiache Sprachprobe nebst Einleituog ond Conimentar. 755
gen ist. Abgesehen von jener Äusserung Strabo*s, die mit anderen ^.^.2<
Stellen desselben Schriftstellers gar nicht im Einklänge steht, wird
die Yermeintliche Gotteseinheit, zu welcher sich die alten Iberer be-
kannt haben sollen, doch eigentlich nur durch Hinzufugung des Ar-
tikels gebildet, wie auch wir von Gott sagen: „der Herr", oder wie
weiter erklart wird Jaincoa: „der Herr in der Höhe**. Nach diesem Ar-
tikel wäre Jaincoa doch immer nur — vorausgesetzt die Richtigkeit
jener Interpretation — ein Wesen in der Hohe, und mit dieser Anrede
konnte man jeden Gott, der nicht zum Reiche Poseidons oder des
Hades, oder in die Classe der Dryaden und Oreaden gehörte, be-
grossen.
unncal \ ist ein verbales Substantiv, welches „Mitleiden, Mitleid"* a. 2.
bedeutet; davon auch urrikalpena: misericordia (Psalm. XX. 8).
gakizkägu \ Über dieses Wort kann man sich um so eher
weidlich den köpf zerbrechen, als es falsch ist. Die Stelle bei
Tob. VIII. 10. wo Sara sagt: Miserere nobis. Domine, miserere
nobis übersetzt Duvoisin: urrical zakizkigu, Jatma, urrikal za^
kizkigu, und da der Anfang des fünfzigsten Busspsalms mit urrical
zakizkit (miserere mei) wiedergegeben wird, auch in dem Buche,
dem die Litanei entnommen ist, an einer andern Stelle ausdrücklich das
Miserere nobis als urrical gdkUzkigu erscheint, so unterliegt der
Irrthum keinem Zweifel. In diesem gakitzkigu steckt nun aber in Ab-
leitung von euki das „Haben** (it), sodann sind darin, und zwar
durch pa und gu ausgedrückt, die persönlichen Fürworter „Du** und
„uns** enthalten i<).
erruqui \ gehört zum nSmlicben Wortstamm wie urrical und b. 2.
hat auch die nSmIiche Bedeutung.
zaite I enthält keine solche Relation wie sie in gakUzkigu sich
findet; es ist die erste Person des Imperativs im Plural von izaüea:
sein; daher: sei (im) Mitleid.
JesU'Cristo \ Es ist auffallend, wie der Name des Heilands nacb^d.
Verschiedenheit der Dialekte verschieden ausgesprochen wird ; im
Souletinischen nacb französischer, im Labourd nach deutscher Art
und in Guipuzkoa lautet er ungefähr wie mit einem deutschen, aber
nicht zu harten ch gesprochen i*).
^*) Vergl. Inchautpe) Le verbe basque. p. 468.
^*) L^clute, Grammaire basque. p. 15.
756 Phillips
6. A.B. adi gaitgatgu; \ nicht /i^i ist ist für den Imperativ za halten*
obschon es einen solchen gibt, der im Labourdinischen auch in der
' Form hadi vorkommt und zu dem Verbum izan gehört <<). Obiges
■
adi ist ein Fremdwort, das lat. audire, und der Imperativ ist in
gaitgatgu enthalten und zwar in itga ; ga ist das persönliche Fürwort
erster Person im Plural, gu ist Du; es heisst also das Ganze: (im)
„Hören uns sei Du**.
7.A,B. entzun gaägatgu; \ das erste Wort hat wie adi die Bedeutung
von M hören''; es wird z. B. gesagt: meza entzuni Messe hören.
S. A. B. Ceruco \ ; ceru ist das lateinische Wort coelum. Alle Ortsnamen
so wie die Bezeichnungen von Sachen, werden mit wenigen Ausnahmen
anders declinirt, als die der Personen. Während der Genitiv von
Maria Mariaren lautet, beugt sich Bayona nicht Bayonaren ab.
sondern Bayonaco; dem entsprechend iat ceruco: des Himmels.
Aita I Vater; ein Wort, für welches sich in verschiedenen
anderen Sprachen Anklänge finden, z. B. im Griech. und Lat. atia^
altir. alte (Pflegvater) mag. atya^ läpp. aJttje u. s. w. h). S. unten
Ama. Z. 13.
S, A. ceina \ cein ist das Pronomen relativum , welches aber regel-
mässig mit dem bestimmten Artikel verbunden wird.
baitgare | ist eine Verbindung des Verbums izan (zare: Du bist)
mit der Affirmation bai: Ja"; baiigare heisst also, ja, wahrlieh,
wirklich bist Du <&). Dem ähnlich in anderen Gebeten: zeren egia bere
baitzare der Du der wirklich (allein) Wahre bist; zeren baitzare
osoki maithagarria „der Du ganz und gar liebenswürdig isf. Jenes
6ai erhält in dergleichen Compositionen die Bedeutung von Mweil":
parceque vous £tes.
Jaincoa j Es ist oben (Z. 2) die Erklärung mitgetheilt worden,
welche von mehreren baskischen Gelehrten dem Worte Jauna ge-
geben wird. Chaho, welcher einer der Vertreter der dort
ausgesprochenen Ansicht ist, stellt Jain in Jaincoa mit Jawi gleich
und lässt Jaincoa aus Jaingoica entstehen, in welchem Worte noch
*') Vergl. Lecluse a. a. 0. p. 57. — raa Eysa a. a. 0. p. 89. p. 90.
*^} Vergl. Grimm, Geschichte der deuUcben Sprache. S. 267.
*') Vergl. Abbadie et Chaho, ^tade« grarom. p. 16S. — Vergl. Mch L^clsse
a. a. 0. p. 56. — ran Eyas a. a. 0. p. 46.
Eine baskiBche Sprachprobe oebst Einleitung ond Commentar. 757
der Begriff »hoch** in dem — goi — hinzugetreten sein soll; demnach a, 8.
wäre Jaingoicoa und Jaineoa „das gute Wesen in der Höhe** oder
schlechthin «das höchste Wesen** auch im idealen Sinne. Wir haben
einige Zweifel an dieser Identität von Jaun und Jaineoa : das Erstere
hat durchaus nur die Bedeutung von „^evr^, das Letztere nur die
voü „Gotf. Es ist, ganz abgesehen von der baskischen Sprache,
auffallend, dass in dem ersten Capitel der Genesis, welches die Schöp-
fungsgeschichte darstellt, nur das Wort Deus gebraucht wird, im
zweiten aber, welches die bis zur Erschaffung des Menschen voll-
endete Schöpfung voraussetzt, tritt zuerst der Ausdruck Dominus
Deus hervor. Dem entsprechend findet sich in der Du voisin* sehen
Bibelübersetzung in dem ersten Capitel der Genesis niemals das Wort
Jauna, sondern Jainko und zwar mit dem Thätigkeitsartikel — ak»
Jamkoakt erst im zweiten Jainko Jauna d. i. Gott der Herr. Was
nun das goi in der Bedeutung von Mhoch"* anbetrifft, so ist diese
nicht zu bestreiten, wie denn auch goitücea, goititu sich erheben»
aufstehen heisst, womit vielleicht goiza der Morgen zusammenhangt.
Sonst aber findet sich in jener Bedeutung gewöhnlich gora, so auch
in der Bibel fibersetzung z. B. Exod. XXV. 28: lau erdi gora: vier
Finger hoch. Es scheint ein erheblicher Unterschied zwischen beiden
zu bestehen, indem goiti auf das Erheben, gora auf das Oben-
sein sich bezieht. So wird ^otVt Judic. XX. 38 von dem aufstei-
genden Rauch, Job. XXXIX. 18 von dem Flügelschlag des Strausses
mi goitUaeak xoi V ^. XCII. 4 von dem Wellenschlag des Meeres
gebraucht. Deutlich zeigt sich der Gegensatz in Proverb. XXX. 13,
wo der Text der Vulgata: generatlo, cujus excelsi sunt oculi (begi)
et palpebrae (bekhoki) ejus in alta surrectae wiedergegeben wird
durch eihorki bcUek begi gorak eta bekhoki goUituak daduzka*
l^m noch andere Beispiele anzuführen, so wird Ps. XCII. 4. mirabilis
in altis Dominus durch ederesgarria da Jauna lekhua goretan,
Ps. CXIL fi. qui in altis habitat durch : zeinak hergoretan baitu bere
egoitza und Ps. CXXXVII. 7. quoniam excelsus Dominus durch:
Jauna gora dela wiedergegeben. Dem entsprechend tritt für das
lat. Altissimus im Baskischen Guciz-Gora oder Gudz-gorenak (der
Allcr-Höehste) ein (vergl. Num. XXIV. 16. Deut, XXXII. 8. Psalm.
IX. 3}. Aus dieser Begriffsverschiedenheit durfte es fast bedenklich
erscheinen da^ goi in Jaingoicoa als ^in der Höhe befindlich" zu er-
klären, es sei denn, das» beide Worte in sofern zusammengehörten,
758 pb iu i p»
^. ^. als das r in gora fCiv goia stünde; nach bisheriger Schreibweise
müsste es heissen goya-
urrical gakizkitgu \ s. Z. 2.
erruqui zaite | s. Z. 2.
S, B. guzaz \ gu mit dexaSutfix zaz^^). Während fokizkigu bereits die
Relation in sich aufnimmt, ist diess bei zaite nicht der Fall ; sie folgt
hier in guzaz nach.
^'^ Semea: \ dev Sohn: Genitiv mit declinirtem Artikel und eu-
phonischem r: Semearen. Man darf bei diesem Worte sieh nicht ins
Etymologisiren einlassen und nach Analogien in andern Sprachen
suchen, so sehr man auch dazu verlockt werden könnte.
munduaren bedarf keiner Erklärung.
Salbatgaüea \ eine hybride Composition: das ^ailea bedeutet
„Derjenige der etwas thut** und entspricht der Bedeutung nach dem
lat. — ator in Salvator. Unten Z. 24 folgt ein ähnliches Wort
Creatgailea.
iO,A.B. Ispiritu; Espiritu | Über den vokalischen Vorschlag vor dem
8 impurum, der wohl aus dem Spanischen und französischen ins Bas-
kische hinübergekommen ist, wird an einem andern Orte gehandelt
werden ").
Saindua, Santu; \ es genügt auf diese Verschiedenheit der
beiden Dialekte aufmerksam gemacht zu haben.
^1' ^' backhoch bat | backhoch bedeutet s. a. a. ^ Jeder, chacun, cada:
bat ist hier nicht der unbestimmte Artikel, sondern das Zahlwort Ein.
Die Anrufung lautet: Dreifaltigkeit heilige, welche du Gott bist.
Jeder Einer, erbarme dich unser**. Etwas anderes im guipuicoa-
nischen Texte.
ii. //. Jaungoico bat cerana; \ cera heisst du hhUcerana der du bist;
also hier: heilige Dreifaltigkeit, die du bist Ein Gott.
1Z,A, othoitz I gehört zu othoithcea: beten, bitten; es bedeute:
Gebet.
eguitzu \ von eguitea, machen, thun.
guretzat: \ der Suffix tzat bedeutet „für^, guretzat «für un<*:
die ganze Construction ist: „mache Gebet für uns**. Auch bei diesem
Suffix möchte man, wie bei gäbe (s. oben H. S. 744), an eine ur-
'^) S. van E yss, a. a. 0. p. 48.
*?) In einer bald nachfolg^enden Abhandlung^ über da» lateinische ElemeBt in der ha«-
kischen Sprache.
Eine baskisehe Spnicbprobe neb«t Einleitung und CoromenUr. 759
sprunglich subjective bedeutuug denken ; zatia (zathia) heisst pars, .4. 12.
partis und könnte daher soviel als: ^Zutheilung**, ^zukommender An-
theih bedeuten.
erregu \ ist das lat. rogare ^^), B. i2,
ezazu I ist der Imperativ : habe i»).
gugatic \ gu (wir, uns) mit dem Sufßx gatik, weiches unserem
Deutschen „um*" „wegen** entspricht. Die Worte etregu ezazu
gugatic bedeuten also: „Gebet habe unsertwegen **, wo wir das
„wegen*', welches unbedenklich auf das Substantiv „Weg'' hinweist,
auch als Suffix gebrauchen.
Jaincoaren Ama \ : Gottes Mutter. Diez^o) ist der Meinung, ^4.^.yd.
das W^ort ama sei aus dem Baskischen in das Spanische hinüber
gekommen; es bezeichnet vornehmlich die „Herrin des Hauses**,
wovon dann amo, der Hausherr, abgeleitet sei. Weib im Allgemeinen
wird im Baskischen durch ema ausgedruckt (s. oben H. S. 745) ; das
Verbum emeatcea heisst „besänftigen, calmer, adoueir**, emea auch
„angenehm*', emaztea und emacumea die verheirathete Frau. Das
emeatcea in der Bedeutung „besänftigen" durfte dem deutschen
„stillen** in dem Sinne entsprechen: „ein schreiendes Kind durch
Geben der Brust beruhigen**. Es ist schwer zu widerstehen, hier auf
einige Ähnlichkeiten hinzuweisen. Im Finnischen heisst die Mutter
äiti (vergl. oben Z. 8) und emäf im Esthnischen emma, im Lappi-
schen ednef im Magyarischen anya, im Tungusischen, wo der Vater
ama genannt wird, änä- Im Jakutischen bedeutet ämii Brust, Zitze,
im Tartarischen emei die Brustwarze; auch im Jenisei-Ostjakischen
wird die Mutter am^ ama und im Deutschen speciell die Säugerin :
„Amme*' genannt. Wir lassen es dahingestellt, wie viel in diesen
Worten sich Naturlaute, die bei allen Völkern wiederkehren können,
kund geben.
Biryinen Biryina Saindua \ : Der Jungfrauen Jungfrau heilige. A.B.14.
S. oben Zeile 1. Biryinen ist der regelmässige Genitiv im Plural.
Gracia Jaingoicozcoaren Ama \ . Auch diese Invocation möge B- i^»
zum Beispiel dafür dienen, wie immer von zwei zusammengehörenden
Worten nur das letzte declinirt wird. Jangoicozcoaren hat offenbar
IS) Vergh Chaho, Dictionn. p. 311.
1*) Vergl. Abbadie et Chnho a. a. 0. p. 146. ^ ran Eyss a. a. 0. p. 65.
20) Wörterboch der ronaniachen Sprachen. S. 45S.
760 Ph ill i p •
i6, B. eine adjectiyisehe Bedeutung» indem es dem dibinoaren in dem
labourdinisehen Texte entspricht. Das eingeschobene coz scheint con-
trahirt zu sein aus co, und tzai^^) bedeutet so viel als das franz. bien
que, pour, wofQr man im Deutschen etwa sagen wurde: „dafür,
dass**, z. B. „dafür dass er ein Fürst ist, ist er sehr herablassend**.
Ein baskisches Beispiel ist : ain aberatz izatekoiz eskua laJbur d. h.
so reich sein für Hand kurz =s dafQr dass er so reich ist, hat er eine
«
kurze Hand. Es kommt dieses koz in der Bedeutung von „weil'' oder
„da"* auch bei den Zeitwortern vor» z. B. nizala: que je suis, niza"
lakoz: parceque je suis»). Ob jene Deutung richtig sei, wagen
wir nicht zu entscheiden.
i7.Ä,B. guciz |; analog mit dem „aller*', wie wir es vor dem Superlativ
zu setzen pflegen ; auch die Wortbedeutung ist dieselbe, gud oder
gtizi heisst „ganz und gar*'. Im Baskischen verstärkt es aber nicht den
Superlativ, sondern bildet denselben, wie sonst auch das Wort ckü.
chahua \ steht hier wohl an unrechter Stelle und gehört wie im
Texte B. castoa in die Z. 18.
iS.A, B. garbia heisst rein, sauber und ist auch vermuthlich das eigent-
lich baskische Wort för „keusch*^.
i9. A, hoguen gabea \ scheint nicht ganz den Begrifr„inviolata'' wieder-
zugeben, denn hoguen bezeichnet „Schuld** im Allgemeinen und mit
gabe-a (s. I. S. 14) zusammengesetzt: die „Schuldlose*'. Der Teil
B. hat auch nicht das dort gebrauchliche Wort oguen gebraucht» son-
dern sagt:
^- Virgina ceralaric Ätna \ eine eigenthümliche Umschreibung,
durch welche das Wort Virgo auch schon in die Reihe der Invoca-
tionen, die sich auf die Mutterschaft Mariens beziehen, hineintritt.
Ceralaric hat eine participiale Bedeutung ••) : cera (zera, ziraj
heisst „Du bist**, ceralaric: „Du seiende**, also: „Jungfrau Du
seiende Mutter*' oder wenn man es umkehren will : „Mutter Du seiende
Jungfrau", womit dann allerdings Mater inviolata vollkommen wieder-
gegeben wird.
20,A.B, tatcharic gabea | tatcha ist das franz. tache, hier mit dem
Sufßx -ic und dem euphonischen r. Das Suffix hat die Bedeutung
*0 Vergl. van Eyss a. a. 0. p. 46.
>3) Abbadie et Chabo a. a. 0. p. 52.
>^) Abbadie et Cbaboa. a. 0. p. $4.
24) s. Ob ah o, Dict. p. 399.
'Eine baakische Sprachprobe nebst Einleitung and Commentar. 761
^Yon**, näher: „etwas davon**, daher ^afcAariV; „Etwas von einem^4.i7.2(7.
Flecken**; dazu ^a6^a, heisst dann: „Die ohne (irgend) Etwas von
einem Flecken**.
sortzetic garbia | aofizea heisst: „EmpfSngniss**, dann auch b. 2/.
„Geburt** ;^ar6ta (s. Z. 18): «»rein**, also: von Empfangniss her rein.
Diese Invocation findet sich in dem Labourdinischen Texte Z. 57.
maühagarria |; maithatcea heisst „lieben**, das Wort — garriaA.B,22.
druckt ganz das aus, was das lat. — (i)bilis, maithagarria ist daher
ganz das Nämliche mit amabilis. L^cluse erklärt garria als „zu Etwas
verhelfend** und fuhrt edergafTta (qui aide ä embellir) handigarria
(qui aide k agrandir) und onetagarria (qui aide ä aimer) als Bei-
spiele an. Dadurch scheint denn doch der eigentliche Begriff
nicht ausgedruckt zu werden, bei welchem die deutsche Sprache
sich bis zum „(liebens)würdig** emporhebt und damit also sagt, dass
der Gegenstand verdiene geliebt oder geehrt zu werden. Das lat.
Suffix scheint eine gerundiale Bedeutung zu haben und amabilis ist
so viel als amandus, was zu lieben ist. Es scheint demgemäss in dem
garria mehr der Gedanke des Veranlassens, des Erregens zu liegen,
denn sonst wurde das Wort edergarria oder ederesgarria, welches
im Baskischen zur Bezeichnung des lat. admirabilis dient, zuletzt
noch ein Beiwort der Schminke werden. — An einem weiteren An-
haltspunkte für die etymologische Erklärung des Wortes garria fehlt
es. und wir entschlagen uns aller Hypothesen.
miragarria \ wieder eine hybride Zusammensetzung wie auch^i.B.^^.
Creatgaüearen und Salbatzaliearen Äma, \ S. oben Z. 9. A.B.24,2^.
guciz |. Z. 17.
^hurra { bedeutet: weise; daher Zuhurtzia: Weisheit, wie a, 26.
auch das Buch Salamons jene Überschrift fuhrt.
beguiratua \ ein interessantes Wort; es stammt her von begiaB.26.
das Auge, beguiratua heisst daher wörtlich: „die mit Augen ver-
sehene**; unser „vorsichtig** entspricht zwar dem franz. prudent,
aber nicht dem lat. prudens.
oharagarria und veneragarria \ Wegen garria s. Z. 21; diese a.B, 27,
ebenfalls hybride Composita sind leicht zu erkennen; das lat. honor
ist in verschiedenen Formen in das Baskische aufgenommen: honra^
ohare^ uhura u. s. w.
SiUb. d. pbii.-bist. Cl. LXV. Bd. IV. Hfl. 51
762 Phillip«
28.A,B. laudagarria und alabagarria \ Das Letztere ist aus dem Spani-
schen aiabar entnommen» was Diez*») aus dem nur bei Plautus
Yorkommendeii allaudare, Chaho*«) aus elevare ableitet.
29. A. puchanta. | Wenn man sich an das französische puissant erin-*
nert, wird man leichter geneigt sein, jenes Wt)rt als ein baskisirtes
potens anzuerkennen. Immerhin ist es auffallend, dass man hier nicht
eine andere Form, die ebenfalls mit potens zusammenhängt, antrifft, da
dieselbe sonst im Baskischen gebräuchlich ist, nämlich botheretsua,
von botharea s. u. a. Macht Übrigens hat das Baskische auch eio
einheimisches Wort für denselben Begriff bewahrt; das Können und
Vermögen wird auch durch ahala ausgedruckt In der Bibelüber-
setzung werden beide Bezeichnungen neben einander gebraucht; z. B.
Sapient VIII. 11: et in conspecta potentium admirabilis ero:
ederesgarri (s. S. 31) izanen naiz botheretauen aitzinean; Psalm.
XXII. 8: Dominus fortis et potens, iDominus potens in proelio: Jawia
haakar eta ahalduna» Jaun guduetan^'') ahalduna; so auch für
omnipotens: Genes. XVII. 1 : ego Dens omnipotens: Ni fiaizJainio
guziz boiheretsua und XXXV. 1 1 : Ni naiz Jainko guziz akatdima^
Merkwürdig ist aber insbesondere, wie der guipuzkoanische Text
den Begriff Virgo potens wiedergibt, nämlich durch :
Zd,B. ^^^ andico Virgifka \ wörtlich: „Hand grosser Jungfrau",
also: M Jungfrau (von) grosser Hand**. Wegen der Declination Ton
andi s. Z. 8.
SO,A. amulisua \ Dies Wort bedeutet: »zart, sanft**. Das Suffix '4sua
drückt regelmässig eine Fülle aus.
30, B, bioiz beraa \ ; biotz (labourd. bihotz) heisst das Herz ; bera
oder vielmehr beraii ist dasjenige Wort, welches auch in der Bibel-
übersetzung für „Clemens" gebraucht wird, z. B. Ex od. xXJÜil. 19:
Clemens ero: bertUi izanen naiz. XXXIV. 6: misericors et Clemens:
urrtkalmendetfma eta beratia>
3i.A.B, leyala \ firanz, loyale.
32, A, miraüa \ prov. miraihe, franz. miroir«^). Der guipuzkoanische
Text hat dafür:
*ft) Dies, a. a. 0. S. 400.
*6) Chahoa. a. 0. p. 102.
27) Gudua: Kampf erinnert an ^oth. gund. Vgl. Grimm, Deutsche Gmmmatik. Bd. 2.
S. 467.
SS) Vergl. Dies a. a. 0. 8. 689.
Eine baskiscbe Spracbprobe nebst Einleitung und Commentsr. 763
ispiUua I Span, espejo *»). B. 82.
virtute guxiien | Tugenden aller; wieder eine Umschreibung. B. 32.
Quhariciaren alkhia \ Wegen dea ersteren Wortes s. oben^i. d^.
Z. 26. Wegen alkhia^ welches Wort „Sitz** bedeutet, yergl. Matth.
XIX. 28. in sede majestatis suae : bere ospezko alkhian. Ganz ver-
schieden davon der andere Text :
Jaquinduriaren eserlecua \ . üas Wort jaquitea heisst „wissen^* ^. SS.
davon jaquiniasuna: Wissenschaft In eserlecuüf welches auch
Larramendi als Übersetzung von asiento bringt» ist eser wohl durch
das souiet. ezar: mettre, placer zu erklären; lecua bedeutet s. a. a
Ort. S. unten Z. 46.
Gure hozearioarea {• Bazkaria heisst die Freude, bozteax sich A. 34.
erfreuen «<»). Vergl. Deut. XV. 16: erisque in laetitia: eta bozkario-
tan iutneu zare; gure ist j^unsrer**.
ühurburua \ ein bildlicher Ausdruck für causa; ühurri heisst*
„Quelle*', buru: Haupt, mithin das Ganze: „Hauptquelle unserer
Freude''. Übrigens hangt das Wort ithurria mit eitorrcea zusam-
men» welches „entspringen, herkommen, kommen" bedeutet; daher
3. Reg. XI. 27 haec est causa rebellionis: eta huntarrik ethori zen
hären bihurritza d. h. und von daher (im) Kommen war seiner Auf-
lehnung die (die Auflehnung seiner).
poz \ guipuzc. für bozy wo poztu »erfreuen*' heisst. B. 34.
emallea \ muss wohl die Bedeutung causa haben; indessen war
<)as Wort in keinem Dictionnaire aufzufinden. Dasselbe scheint eigentlich
die Bedeutung von MGeberin** zu haben; Larramendi fibersetzt
abrazador durch laztan (amplecti) emaUea; ist dies von eman
(geben) herzuleiten? in diesem Falle wäre paz emallea: die Freude-
Verleiherin.
untci und ontzi | GefSss. Vergl. Genes. XXIV. 83: prolatisque i4.£rO
vasis argenteis et aureis; gero (nachdem) atheraturia zillarrezko
eta urhezko*^) untziak. Auch j, Schiff, vaisseau** wird durch untzi
übersetzt. S. Genes. XLIX. 13.
oharagarria | s. Z. 27. 4. s6.
>•) Vergl. Dies a. a. 0. S. 327.
'^) Vergl. Larramendi, Die«, s. ▼. alegria.
^ *) S. anten Z. 41. Das io der citirten Stelle TorkomiDeodeZUlaria erinnert unwUlkuhrlich
an das deutsche »Silber".
51 •
764 Phil n p •
34, B. errespetagarria \ d. h. respectabilis; vergl. oben. S. 31.
57.-4. debocionearen untci miresgarria | bedarf keiner weiteren Er-
klärung.
S7. B, andia \ : gross.
SS,A,B. Arroaa \ » wie oben errespetagarria. Im Baskisehen fSngt kein
Wort mit r an; das r wird verdoppelt und erhält einen vocalisehen
Vorsehlag.
S9. A, Dabiten \ ist der Genitiv.
40. A, distiania I . Das Zeitwort distiäatcea heisst »glänzen^ (briller)
oder wie Salaberri es wiedergibt : „eclater de lumiere*, was freilich
auf Elfenbein nur uneigentlieh angewendet werden kann. Die bas-
kische Sprache hat kein einheimisches Wort fQr ^Blephant und
Elfenbein^. Das Thier selbst wird regelmässig »elefanf* genannt,
z^B. 3 Reg. X. 22; 1. Marc. 1. 18. Für das Elfenbein wird »o/m
gebraucht, welches aus dem Lat. ebur gebildet ist, wie fulia aus
furia. Vergl. 3 Reg. X. 18. Paralip. IX. 21. c. auch 3 Reg. XXU.
18: Domus eburnea: boliazko etchea. Der zweite Text sagt:
40. B, Marfillaxco torrea \ ; marfil oder yielmebr nabfil ist ein arabi-
sches ins Spanische übergegangenes Wort; nab heisst Zahn, fiU
Elephant <«).
41. A.B. Urhezco etchea \ .Haus von Gold; urrea heisst das Gold,
urraida: Kupfer (urre^ahaideot dem Golde verwandt), welches Larra-
mendi auch als urregorria, rothes Gold, bezeichnet. Kommt urrea
von aurum her oder besteht hier eine collaterale Verwandtschaft?
42. A. Alientciaco arkha \ erklärt sich von selbst.
42. B. Battasunarefi cucha \ . Bat bedeutet «Ein*«, davon nbaita^una'*
Vereinigung. Cucha ist „der Kasten**, das baskische Wort für arca.
4S.A.B. Ceruco athea \ Wegen ceruco s. Z. 8; athea heisst die Thure:
davon atheratcea: „zur Thure hinausgehen*', sortir.
44, A. Goizeco igarra i geiz heisst der „Morgen*«, ein Wort, welches
sich gleich zu Anfang der heiligen Schrift häufig wiederholt, z. B.
Genes. I. 13. Et factum est vespere et mane tertius dies: Eta
arratsetik etagoizetik egin izan zen hirugarren eguna: igarra: der
Stern. ,
44. B. Egun sentico \ seniico, welches etwaz romanisch klingt und
sich in den Wörterbüchern nicht antreffen lässt, muss irgend weiche
") Verg^l. DioE a. a. 0. S. 311.
Eine batkische Sprachprobe nebal Einleitung und Commentar. 765
Beziehung auf den Tagesanbruch haben. Larramendi gibt als bas- R- ^^^
kisehe Bezeichnung für aurora: egunttentia und fdr span. sentir
(z. B. padecer dolor) im bask. sentitu an. Stella matutina wird sonst
auch z. B. Apoe. IL 28 durch artizarra und Apoc. XXII. 16 durch
izar goizekoa übersetzt.
Erten 08agarria\. Erien ist der gen. piur. von ^rta krank; ^•'^^*
Osagarria hat mit :
Osasuna \ die nämliche Bedeutung, es heisst: Gesundheit; ver-i'-'^^-
muthlich von oao: ganz» entier. Die oft im Baskischen vorkomiuende
Endung -suna (vergl. Z. 42)- erinnert an die griechische -(jOvtj,
Bekhatareen ikea^lekhua \ ^- ^^'
Pecatarien iguea leoua | . Während das erste Wort seinen ß-
römischen Ursprung deutlich verräth, dQrfte auch lekhu oder leku
gleich dem lateinischen locus sein: da nun ihes »Flucht ** bedeutet,
so ist ihes^lekhu: j^Zufluchtsstätte".
Aisecabeiuen gogoa |; atsekhabea heisst Bedrängniss» afilictio, A.47.
und gogoa Freude, Genuss, jouissance; der Text B hat dafür
Esiuaaunen \ ; Larramendi gibt unter afligir neben ataecabetu ^* ^7.
auch estuiu an. Atse heisst eigentlich soviel als »Aufathmisn, Respira-
tion, Vergnügen"*, das gäbe bedeutet „ohne", also atsegabe: „ohne
Freude; Trauer, Trübsal**. Vergl. Hahn, Etymologische Unter-
suchungen. S. 145. Nro. CXV.
Consueloa \ , das dem lat. consolatrix entspricht
Guiristinoen laguntga |; das letztere Wort bedeutet nHülfe''; '^•4^-
im Texte B.
Christauen Laguntzallea \ d. h. die Hilfebringerin, die Helfe- B. 48.
rin. Christauen ist natürlich nur eine andere Form *>) als die des
Textes A.
Aingueren Erreguinä \ Ainguera ist, wie leicht zu ersehen, das A.B.49.
lat. angelus, erreguinä das lat regina mit Verdopplung des r und
Toealischem Vorschlag. Über diese und die nächstfolgenden Invoca-
tionen ist nichts weiter zu bemerken.
notharic gäbe j ist mit taicharic gäbe zu vergleichen; nothaA,S7.
ist das lat nota in der Bedeutung von Makel.
Jaincoaren' bildoisa 1: Gottes Lamm. A.B.S8.
"> Vergl. darüber C h a h o ». a. O. p. 146.
7Ö6 Phillips, Eine baskische Sprachprobe nebst Einleitung n. Commentar.
iS8. A, ceinac \ s. Z. 8. Hier ist noch das c als Thätigkeitsartikel hin-
zugefügt.
khentcen \ ; khencea oder khen-tu hat die Bedeutung von «hin-
wegnehroen**, franz. 6ter.
baiitttägu \ muss heissen baiditucu; dituzu (soul. duhtzu)» hat
auf französisch die Bedeutung: vous les avez; dessen ungeachtet ist
dies das Präsens; so wie z. B. bilcen dat: «todten ich habe^ nicht
heisst: „ich habe getödtet", sondern „ich todte**. so heisst auch
khencen dittizu nicht: „Du hast htnweggenoromen"» sondern Du
nimmst hinweg**, eigentlich: Du hast im Hinwegnehmen. Hierzu
tritt dann noch die Bekräftigung bai (s. oben Z. 8).
SS. B. dituzuna \ ; hierbei ist nur auf das Suffix na aufmerksam zu
machen, welches auch sonst nicht selten vorkommt und eine kaum
merkliche Modification bildet; wie nSmIich für da ist, dena (s. oben
Z. 1) und duena gebraucht wird, so steht dUuzuna ftlr diiuzu.
manduaren bekhatuac |: Der Welt Sünden.
$S. A, barkha degagugu \ . Im ersteren Worte erkennt man leicht da»
latparcere; das zweite ist ein Optativ: dezadan heisst: dass ich
\\9AX%^'dezagun dass wir hätten, dezaguxu: dass du hättest (für)
uns, nämlich : das Verschonen.
öS, B. eiffuzu \ In diesem Worte scheint sich ein Druckfehler zu befin*
den; die beiden letzten Sylben stimmen mit jenem Optativ degagugu
Qberein; es soll wohl diguzu heissen, und barca diguzu bedeutete:
„habe du uns Verschonen**.
ii9* A, entzum gaitgafu \ s. Z. 7.
60. A. urrical gakizkttzu \ s. Z. 2.
60, B. errugui zaite guzaz s. Z. 8.
6i, A. cuii gaitgagu \ s. Z. 6.
Pfizmaier, Die Anwend. u. d. Zofälligk. d. Feuer« in d. alt. China. 767
Die Anwendung* und die Zufölligkeiten des Feuers
in dem alten China.
Vom w. M. Dr. A. PfiEinaier.
Die vorliegende Abhandlung enthält, mit Ausschluss des in den
nicht mehr unbekannten Werken Tscheu-li und Li-ki Vorkommen-
»
den, eine Reihe in alten Schriftstellern, vorzüglich Geschichtschrei*
beni vorhandener Nachrichten von der Anwendung des Feuers, so
wie Ton den zur Hervorbringung desselben dienenden Gegenstanden
in dem früheren China.. Nebstdem werden einige auf das Feuer be-
zügliche Ereignisse, öffentliche und häusliche Verhältnisse erwähnt,
und auch auf das natürliche Feuer, wie es beispielsweise in den
sogenannten »Feuerbrunnen** beobachtet wird, und gewisse Pro-
ducte desselben Rucksicht genommen. In letzterer Hinsicht ward
selbst manches Fabelhafte oder Ungewisse, wie die Angaben über
die ehemals als seltene Kostbarkeit betrachteten, „im Feuer gewa-
schenen Tücher'', der Mittheilung nicht unwerth gehalten.
Die einzelnen Abtheilungen der Abhandlung sind : Denkwürdiges
ober das Feuer im Allgemeinen. Denkwürdiges über Lampen. Denk-
würdiges über Kerzen. Denkwürdiges über Fackeln. Denkwürdiges
aber die Leuchtfeuer des Vorhofes. Denkwürdiges über den Rauch*
Denkwürdiges über Kohlen. Denkwürdiges über Asche.
Denkwürdiges über das Feuer im Allgemeinen.
Die Konigin (Kaiser) Hiao^ping's, die Tochter Wang-mang*s,
beharrte fest bei ihren Vorsätzen. Als die Streitkräfte von Han über
Wang-mang Strafe verhängten und den Palast Wi-yang verbrannten,
sprach die Königin : Mit welchem Angesicht kann ich das Haus der
Han sehen? — Hiermit stürzte sie sich in das Feuer und starb <).
<} Ans dem Bache der Han.
768 Pfisnaier
Die Streitkräfte von Hau hattea Waog-mang eiogesehlosseo.
Die JÖDglinge in der Feste, Fang-t8chu, Tschang-yö und Andere
fürchteten Gefangennahme und PlGnderung. Sie verbrannten eigen-
mächtig ein von ihnen errichtetes inneres Haus und riefen an dem
Thore: Wir werden gefangen! Warum kommt Wang-mang nicht
hervor? — Als das Feuer die Seitenflügel erreichte, ging Mang dem
Feuer aus dem Wege. Er umwandelte die Halle vor dem innereD
Hause. Das Feuer folgte ihm alsbald auf dem Fusse <).
Auf dem fernen Feuerberge des V'ersamnüungshauses von Lieo-
hoen befindet sich der Feuerbrunnen. Derselbe ist so tief, daß um
seinen Bod^n nicht sehen kann. Der feurige Dunst erhebt sich immer
gleich kleinen Blitzen. Wirft man als Brennstoff Gräser hinzu, so
steigt Rauch auf und Feuer bricht hervor. Der Berg hat dann das
Aussehen, als ob das Feuer aus der Erde hervorkäme. Desswegen
nennt man ihn mit Namen: die beleuchtete Erdstufe *).
Liang-hung hütete die Schweine im Thiergarten von Schang-
ün in Tschang-ngan. Er Hess Feuer auskommen, das die Häuser der
Menschen ergriff. Er erkundigte sich, was für Werthgegenstande
verbrannt seien, und gab zum Ersätze alle Schweine hin. Sein Herr
sagte, dass dieses zu wenig sei. Hung äusserte den Wunsch, mit
seinem Leibe thätig sein zu können, und er verrichtete eigenhändig
die nöthigen Arbeiten«}.
In Tschang-scha lebte ein gerechter Mann, Namens Ku-thsc.
Derselbe hatte die Trauer um den Vater. Ehe das Begräbniss statt-
gefunden, entstand bei dem Nachbar Feuer, welches das Haus Thsas
erreichte. Der Sarg konnte nicht fortgeschafft werden. Thsu ver-
deckte das Feuer und legte sich über den Sarg. Das Feuer wurde
hierauf geloscht«).
Lien-fan führte den Junglingsnamen Scho-t5 und war Statt-
halter der Provinz Scho. Der Boden der Hauptstadt Tsching-tu war
beengt, die Häuser schmal. Die hundert Geschlechter waren in der
Nacht thätig und verschafften sich auf diese Weise Kleider und
Speise. Zudem war es verboten, Feuer anzuzünden. Das Volk ver-
deckte es und schlug es nieder. Dass man Feuer auskommen liess.
1) Aus dem Buche der Han.
') Die Denkwürdigkeiten der Provinzen und Reiche.
'J Die Geschichte der Han von der ösUichen Warte.
^) Die Geschichte der Han von der östlichen Warte.
i
Die Aiiweiiilung and die Zufiillig keifen des Feuers in dem alten China. T69
ereignete sich täglich. Fan befahl jetzt, dass mau bei nächtlichen
Arbeiten bloss Wasser vorräthig haben solle. Die hundert Geschlech-
ter freuten sich darüber und sangen das folgende Lied : Lien-schö-to,
warum ist er gekommen? Am Abend verbietet man nicht das' Feuer,
das Volk ist zufrieden. In früheren Tagen hatte es kein Hemd, jetzt
hat es fünf Beinkleider i).
Der Fürst von Thsin zog auf die Jagd. Als er nach Hien-yang
gelangte, strömte Feuer herab und verwandelte sich in weisse Sper-
linge. Dieselben hielten in den Schnabeln^ Verzeichnisse und mennig-
rotbe Schriften. Sie sammelten sich auf dem Wagen des Fürsten >).
Tsehang-tschao führte den Jünglingsnamen Tse-pu. Weil Kung-
sün-yuen sich fllr das Gehege ausgab, schickte Sün-kiuen die Abge-
sandten Tschnng-ni und Hiü-yen nach Liao-tung und ernannte Yuen
zum Könige von Yen. Tschao machte Kiuen dagegen Vorstellungen.
Dieser befolgte es nicht. Tschao wurde unwillig, er schützte eine
Krankheit vor und erschien nicht an dem Hofe. Kiuen war dieses
zuwider, und er versperrte mit Erde dessen Thor. Tschao Verschloss
es auch nach innen durch einen Erdwall. Yuen tödtete wirklich Ni
und Yen. Kiuen brachte mehrmals besänftigende Worte und. Ent-
schuldigungen vor. Tschao erhob sich schlechterdings nicht. Kiuen
zog aus und kam zu dessen Thore hinüber. Er rief Tschao. Dieser
entschuldigte sich wegen ernstlicher Krankheit. Kiuen verbrannte
dessen Thor und wollte ihm dadurch Furcht einflössen. Tschao ver-
schloss nochmals die Thüre. Kiuen hiess Leute das Feuer löschen.
Er ging hin und erkundigte sich. Nach längerer Zeit hielten die
Söhne Tschao*s ihren Vater mit den Händen fest und erhoben sich.
Kiuen setzte ihn in den Wagei; und kehrte mit ihm in den Palast
zurück s).
Hin, der zum Nachfolger Hoai's bestimmte Sohn Y5, tlQhrte den
Jünglingsnamen Hi-tsu. Er war der älteste Sohn des Kaisers Hoei.
In dem Palaste hatte man einst in der Nacht Feuer auskommen las-
sen. Kaiser Wu bestieg das Stockwerk und betrachtete das Feuer.
Der Nachfolger war um die Zeit fünf Jahre alt. Er zog den Kaiser
an der Schleppe des Kleides und hiess ihn in die Dunkelheit treten.
^) Die Geschichte der Baa yon der östlichen Warte.
*) Die ksrsgefassten Denkwärdig^keiten Ton Wei.
^) Die Denkwürdigkeiten ron U.
770 Pfizmaier
Der Kaiser fragte uro die Ursache. Der Nachfolger sprach : In der
Nacht ist man voll Bestürzung. Es siemt sich, gegen das Ungewöhn-
liche Vorkehrungen zu treffen. Es ziemt sich nicht, dass man sich
beleuchten lässt und von den Menschen gesehen wird. — Man hielt
ihn desswegen für ein wunderbares Wesen <}.
Tschang-hoa führte den Jungiingsnamen Meo-sien. In der Rüst-
kammer des Krieges brach Feuer aus. Hoa fürchtete, dass hierdurch
Veränderungen entstehen konnten. Er stellte die Krieger in Reihen
und setzte alles in guten Vertheidigungsstand. Dann erst brachte er
Hilfe. Die Kostbarkeiten mehrerer Geschlechtsalter, so wie das
Schwert, mit welchem Kao-tsu von Han die Schlange zerhaaen hatte,
das Haupt Wang-mang*s, die Schuhe Khung-tse*s und andere Gegen-
stünde wurden gSnzlich von dem Feuer verzehrt*).
Das Haus Han-khang-pe*s war arm und dürftig. Pe war einige
Jahre alt, und man hatte die Zeit der grossen Kfilte. Seine Mutter
verfertigte eben ffir ihn ein Hemd. Sie hiess Pe das Bfigeleisen weg-
werfen und sagte zu ihm : Ziehe einstweilen das Hemd an. Ich werde
dir sogleich doppelte Beinkleider verfertigen. — Pe sprach : Es ist
nicht mehr nothig. — Die Mutter fragte um die Ursache. Er ant-
wortete: Das Feuer befindet sich in dem Bügeleisen, und der Stiel
ist noch heiss. Wenn ich jetzt das Hemd angezogen habe» muss der
untere Theil auch warm sein. — Die Mutter war über diese Worte
sehr erstaunt*).
Wang«-hien-tschi befand sich mit seinem älteren Bruder Hoei-
tschi gemeinschaftlich in einem inneren Hause. Plötzlich kam Feuer
zum Ausbruch. Hoei-tschi lief hastig hinaus und hatte nicht Zeit»
seine Schuhe zu nehmen. Hien-tschi zeigte eine geistvolle Miene und
blieb ruhig. Er rief bedächtig die Leute der Umgebung, stutite sieh
auf sie und trat hinaus ^).
Ko-po führte den Junglingsnamen King-schOn. Ein Mensch
seines Thores, Namens Tschao-tai hatte ihm die in einem g^nen
Sacke enthaltenen Bücher gestohlen. Derselbe hatte sie noch nicht
gelesen, al^ die Bücher von dem Feuer verzehrt wurden »).
<) Das Bach der TsId.
*) Dm Buch der Ttin.
*) Das Buch der Tiin.
*) Das Buch der Tsin»
^) Das Buch der Tsin.
Di« Anweoiluoft und die Zuf51Ii|rkeiten de« Feuers in dem ülten China. 771
Yu-liang hielt Wu-tschang nieder und blickte um Mitternacht
auf die Stadt. Er sah innerhalb der Stadtmauern mehrere Fackel-
lichter, die Yon der Hohe der Stadtmauern austraten. Gegenstände
gleich grossen Wagen mit Vorhängen und Dachern von weissem
Tuche traten mit den Feuern zugleich aus und zogen im Nordosten
der Stadtmauern weiter. Als die Feuer zu dem Strome gelangten,
verlöschten sie i).
Fö-thu-tsching bestieg einst mit Schf-ki-lung die mittlere Erd-
stufe. Tsching erschrack plötzlich, war verändert und sprach: In
Yeu-tseheu ist eben eine Feuersbrunst ausgebrochen. — Er nahm
Wein und sprudelte ihn von sich. Nach längerer Zeit lachte er und
sprach : Die Hilfe ist bereits zu Theil geworden. — Ki-Iung schickte
Leute nach Yeu«-tscheu, um sich zu überzeugen. Man sagte: An dem-*
selben Tage entstand eine Feuersbrunst an allen vier Thoren. Da
erschien im Sudwesten eine schwarze Wolke, sie kam herbei und
ein Platzregen löschte das Feuer. Der Regen hatte auch etwas
Weingeruch «).
Ki-khang folgte Sün-teng auf dessen Wanderungen. Nach drei
Jahren fragte Khang, wie es sich mit ihm verhalte. Jener gab durch-
aus keine Antwort. Khang stiess jedesmal Seufzer aus. Er nahm ihn
bei Seite und sagte zu ihm besonders: Hast du, o FrGhgeborner,
denn gar keine Worte? — Teng sagte jetzt: Kennst du wohl das
Feuer? Es entsteht und besitztLicht, es bandelt sich wirklich darum,
daas man das Licht verwendet. Ein Mensch besitzt Gaben, man ver-
wendet nicht die Gaben, aber es bandelt sich wirklich um die Ver-
wendung der Gaben. Desswegen besteht die Verwendung des Lich-
tes darin, dass man Brennholz erlangt. Hierdurch bewahrt man sein
glänzendes Licht. Die Verwendung der Gaben besteht darin, dass
man das Wahre erkennt. Hierdurch erhält man unversehrt seine
Jahre. Jetzt sind deiner Gaben viele, aber deiner Kenntnisse sind
wenige. Es ist schwer, dass du dem gegenwärtigen Zeitalter ent-
kommst. Mögest du nicht darnach trachten. — Khang war nicht
fähig, diesen Rath zu befolgen. Er erfuhr wirklich ein unrechtes
Lebenslooss).
*} Dm Bach der Tain.
<) Das Boch der Tsin.
*) Das Bach der Tain.
7 I 2 P f i K III ft i e r
Uu-mu-fu-tschi kam unter das Thor des Statthalters von Ho-
nan und wollte daselbst Wein trinken. Er hiess Wang-tse-p&, einen
der Leute des Thores» Feuer holen. Tse-po sprach: Mir, als einem
der Leute des Thores, ist es bloss darum zu thun, dass ieh es in
meinen Geschäften an nichts fehlen lasse. Wie wäre ich im Stande, für
Menschen Auftrage zu übernehmen? — Fu-tschi sprach mit ihm und
setzte seufzend hinzu: Ich habe es nicht so weit gebi*acht. — Er
sprach hierauf mit dem Statthalter von Ho-nan , und dieser ernannte
Tse-po zu einem verdienstvollen Richter i).
Yin-hao unternahm im Norden den Eroberangszug *). Kiang-yeu
war ältester Vermerker. Derselbe nahm einige hundert Huhner.
umwickelte ihre Ffisse mit langen Schnüren und band an jedes Uuho
einen Feuerbrand. Er scheuchte sie und liess sie mit einem Male
los. Sie setzten über die Gräben und sammelten sich in dem Lager.
Sie steckten daselbst alles in Brand *). •
Tscbeu-lang war innerer Vermerker von LiQ-ling. Später ver-
ödete die Provinz, und es gab ziemlich viele wilde Thiere. Seine
Mutter von dem Geschlechte Sie wflnschte eine Jagd zu sehen. Lang
umzingelte die zusammengetriebenen Thiere, legte Feuer an und
hiess die Mutter es sehen. Das Feuer ergriff in Folge von Nach-
lässigkeit öffentliche Gebäude. Lang verwendete den ganzen Reis
seines Amtes zum Aufbau der Dächer und ersetzte, was von dem
Feuer verbrannt worden*). .
Das Haus Yuen-hiao-tschü's war arm, und er hatte nichts, um
den Kessel zu heizen. Sein Mädchen stahl das Reisig des Nachbars
und unterhielt damit das Feuer. Hiao-tschü erfuhr dieses, und er
ass desswegen nichts. Er Hess das Dach durchbrechen und noch-
mals kochen >).
Tsu-ying liebte das Lernen ond setzte dieses Tag und Nacht
fort. Seine Eltern fbrchteten, dass er sich eine Krankheit suzieheu
^) Die Ton T«ng^-Uan rerfaute Oeachichte der Han.
*) Yin-hao, ein HeerfGlirer dea Raiaera Md aoa dem Hauae der GaUichca Tsin, ••t«r-
nahm im neunten Jahre dea Zeitraumea Yung-ho (353 n. Chr.) einen Eroberuop-
tag im Norden. Yao-aiang , der Sohn Yao-yT-tachong^a, Heerführern der apaterea
Tachao, rerlegte ihm den Weg und achlug ihn.
') Daa Buch der mittleren Erhebung ron Tain.
^) Das Buch der Sung.
^) Das Buch der Liang.
Die Anwendung und die Zufälligkeiten des Feuert in dem «t.ten China. 773
könne und verboten es ihm. Später zündete er ein Feuer an und las
Bücher. Er verhüllte und verstopfte das Fenster und die Thüre mit
Kleidern und Decken, indem er fürchtete, dass er von den Haus-
genossen bemerkt werden könnte <).
Siao-luan entsandte Lu-khang-tsu mit dem Auftrage, in die '
Ausgange von Taitbsang zu dringen«). Fu-yung hielt sich an den
Umstand, dass, wenn die Räuber in der Nacht ankommen, sie sich
an den Ausgängen, wo der Übergang über den Hoai stattfindet, ins
Einvernehmen setzen und an den Feuern die seiefiten Stellen erken-
nen können. Nachdem er einen Hinterhalt gelegt, gab er Leuten
insgeheim den Auftrag, Körbisse mit Feuerstoffen zu fölleii, zu der
südlichen Uferbank des Hoai hinQber zu setzen und die Gegenstände
an einer tiefen Stelle niederzulegen. Dabei ertheilte er ihnen die
Weisung, dass, sobald Feuer auflodern wurde, sie ebenfalls die
Feuer anzünden mögen. In derselben Nacht stellten sich Khang-tsu
und Andere wirklich an die Spitze ihrer Schaaren und kamen zu
einem plötzlichen Angriff herbei. Die beiden östlich und westlich von
dem Lager Yuiig*s im Hinterhalte liegenden Heeresabtheilungen fass«
ten sie von zwei Seiten und griffen sie ungestüm an. Khang-tsu und
dessen Genossen ergriffen ohne Weiteres die Flucht. Da die Feuer
an dem Flusse Hoai bereits um die Wette aufloderten, konnten sie
die Stelle, wo der eigentliche Übergang war, nicht erkennen. Sie
erblickten sofort die von Yung aufgestellten Feuer und versuchten
wetteifernd den Obergang. Da das Wasser daselbst tief war, ertran-
ken sie. Man schlug mehrere tausend Häupter ab s).
Tschang-Iiang bewachte Ho-tscheu. Kaiser Wen von Tscheu
liess in der oberen Strömung Feuerschiffe los und wollte die Brücke
über den Fluss verbrennen. Liang hielt hundert kleine Nachen in
Bereitschaft, die er mit langen Ketten belud. Die Enden der Ketten
versah er mit Nägeln. Als die Feuerschiffe ankommen sollten,
sprengte man sofort zu den kleinen Nachen hin, schlug die Nägel
in die Feuerschiffe und zog die Ketten gegen die Uferbank. DieFeuer-
<) Das Buch der spateren Wei.
2) Slao-luan ist Kaiser Ming von Tsi. Derselbe drang im vierten Jnhre des Zeit-
raumes Kien-wa (497 n. Chr.) in die Ausginge von Tai-thsang iu Wei und
wurde durch Wei geschlagen.
^) Das Buch der spateren Wei.
774r Pficinaier
schiffe konnten nicht herankommen. Dass die Brücke unversehrt
blieb, war eine Folge der Berechnung Liang*s i).
Scbl-Il verbot das Feuer. Die hundert Geschlechter waren
dadurch gequält. Wer Feuer anzündete, erhielt hundert Peitschen-
hiebe. Wenn das Feuer sich verbreitete und ein Haus ergriff, liesj»
er den Aufseher für die Hauptstadt der fünf Abtheilungen eut-
haupten«).
Kö-hien, von der südlichen Vorstadt ausgehend, nahm Wein in
den Mund und sprudelte ihn dreimal in nordostlicher Richtung aus.
Er sagte, in Tsi sei Feuer ausgekommen, und er unterdrücke es
dadurch. Später meldete Tsi wirklich eine Feuersbrunst >).
Tsai-kiün-tschung hatte ein äusserst elterniiebeudes Herz. Als
seine Mutter starb, befand sich der Sarg in der Halle. In dem west-
lichen Hause kam Feuer aus. Als das Feuer herannahte, warf sieh
Kiün-tschung über den Leichnam, rief mit lauter Stimme und klagte.
Das Feuer übersprang das Haus und wandte sieh zu dem ostlicheu
Hause ^).
Yuen war siebzehn Jahre alt und befand sich in dem Hause. Er
sah, dass ein grosser Sturmwind sich erhob. Er begab sich zu dem
Districte nnd sprach : Zu einer gewissen Stunde wird eine Feuers-
brunst entstehen. Man soll den Vorfahren des Feuers opfern, das
Böse bannen, in grosser Ausdehnung Verbote erlassen und Vorkeh-
rungen treffen. — Um die Zeit brach das Feuer wirklich aus, aber
es verursachte keinen Schaden &).
Ying lebte verborgen in dem Gebirge von Yuen. Einst erhob
sich ein schwarzer Sturmwind aus der Gegend des Westens. Ying
sagte zu den Lernenden : Auf dem Markte von Tsching-tu ist Feuer
ausgebrochen, und zwar in grosser Ausdehnung. — Dabei nahm er
W^asser in den Mund, wandte sich gegen Westen und sprudelte e^
aus. Hierauf hiess er diesen Tag verzeichnen. Später hatte man
Gäste, die aus Schö angekommen waren. Dieselben sagten, dass au
jenem Tage ein grosses Feuer gewesen. Eine schwarze Wolke habe
<) Das Buch der nördlichen Tsi.
^) Die Verseichnisse des spiteren Tschao.
') Die Überliefening^en von früheren W^eisen aus Ho-nan.
^) Die Oberiiefoningen Ton früheren Weisen aus Ho-nan.
^) Die besonderen Überlieferungen ron Tsching-yuen.
Die Anwendung uud die Zuffilllgkeiten des Feuers in dem Hiten China. 775
sich bei Tagesanbruch aus Osten erhoben und es sei alsbald ein
starker Regen gefallen. Das Feuer sei hierauf gelöscht worden i).
Der Fürst der Unsterblichen befand sich im Gespräche mit
Gästen. Um die Zeit war das Wetter kalt. Der Fürst sagte zu den
Gasten : Ich lebe in Armuth und bin nicht ini Stande, das Feuer des
Ofens zu erlangen. Ich bitte, ein grosses Feuer anmachen zu dürfen.
— Der Fürst hauchte mit dem Munde, das Feuer trat rothglühend
aus dem Munde heraus. Nach einer Weile erfüllte Feuer das innere
Haus. Den sitzenden Gästen wurde warm, und sie zogen die Klei-
der aus s).
Luan-pa war der Richtige des obersten Buchfuhrers. Als er
einmal Wein erhielt, wandte er sich nach Westen und sprudelte ihn
aus. Er sagte, dass in Tsching-tu Feuer ausgekommen sei. Durch
das Aussprudeln bringe er Regen hervor. — Als die Post ankam,
war es wirklich so, wie er gesagt hatte »).
In dem inneren Hause der Muhme von dem Geschlechte TsiS in
Liang kam Feuer aus. Der Sohn ihres älteren Bruders und ihr
eigener Sohn befanden sich in dem Inneren. Sie wollte den Sohn
ihres älteren Bruders mit sich nehmen, erfasste aber unversehens
den eigenen Sohn. Das Feuer nahm überhand, und man konnte
nicht mehr eintreten. Das Weib sprach : Wie könnte man in dem
Reiche Liang von Thüre zu Thüre den Menschen die Meldung brin-
gen, damit sie es wissen? Mit dem Namen der Ungerechtigkeit be-
zeichnet, mit welchem Angesicht, mit welchem Auge könnte ich die
Menschen des Hauses meiner älteren und jüngeren Brüder sehen? —
Hierauf lief sie zu dem Feuer und fand den Tod «).
Mi'tscho kehrte einst aus Lö heim. Er hatte sein Haus noch
nicht erreicht und war von diesem etliche zehn Weglängen entfernt,
als er an einer Stelle des Weges eine schöne Braut erblickte. Die-
selbe folgte ihm und verlangte, dass er sie in den Wagen nehme.
Nachdem er zwanzig Weglängen fortgezogen, bedairicte sich die
Braut und sprach: Ich bin eine Abgesandte des Himmels. Ich soll
') Die besonderen OberUeferuniron %'on Puan-jing.
*) Die besonderen Oberlieferungen von dem unsterblichen Fürsten voq dem Ge-
sclilecbte Kö.
') Die Überlieferungen von Unsterblichen.
^) Die Überlieferangen von Weibern der Reihe.
776 . P f i » m a i e r
ausziehen und das Haus des Geschlechtes Mi in Tung-hai vPTbren-
nen. Es hat mich gerührt, dass ich durch dich in den Wagen ge-
nommen wurde. Desswegen sagte ich es dir. — Tschö wandte sich
bei dieser Gelegenheit an sie mit Bitten. Sie sprach: Ich kann nicht
anders als es verbrennen. Wenn du hurtig dich entfernst, werde ieh
langsam gehen. Wenn ieh gehe, muss das Feuer um Mittag aas-
hrechen. — Tscho zog jetzt schleunig weiter. Er Ycrständigte das
Haus und liess die kostbaren Gegenstände herausschaffen. Um Mit-
tag kam ein grosses Feuer zum Ausbruch i).
In den südlichen Gegenden befindet sich der Flammenberg. Der-
selbe liegt im Süden des Reiches Fu-uan, im Norden des Kia-jing. im
Westen des Reiches Tschü-pö. Von dem vierten Monate des Jahres an-
gefangen, entsteht das Feuer. Im zwölften Monate des Jahres erlischt
das Feuer. Im ersten, zweiten und dritten Monate .des Jahres entzündet
es sich nicht. Die Hohe des Berges entwickelt bloss Wolkenduast,
und an Pflanzen und Bäume wachsen Äste und Zweige. Bis zu dem
vierten Monate des Jahres entzündet sich das Feuer. Die Blätter
der Pflanzen und Bäume fallen, gleichwie in dem mittleren Reiche
zur Zeit der Kälte die Blätter der Pflanzen und Bäume fallen. Im
ersten, zweiten und dritten Monate des Jahres wandern die wan-
dernden Menschen an den Fuss dieses Berges, nehmen diese Bäume
und gebrauchen sie als Brennholz. Sie lassen es nicht ausbrennen,
nehmen dann die Rinde, spinnen sie und bereiten daraus „im Feuer
gewaschene Tücher** ').
Die Flammeninsel liegt in dem südlichen Meere. Ihr Boden hat
im Cmt'ange zweitausend Weglängen. Sie ist von den Uferbänken
neunmal zehntausend Weglängen entfernt. Auf der Höhe derselben
lebt ein Thier, das aus dem Winde entsteht. Dasselbe hat Ahaiicb-
keit mit einem Leoparden, ist von grüner Farbe und so gross wie ein
Dachs. Man nimmt es mit Gewalt, häuft mehrere Wagen Brennhoii
und verbrennt es damit. Wenn das Brennholz zu Ende ist, be6udet
sich dieses Thier in dem Feuer und ist nicht verbrannt. Man stamptl
mit einer eisernen Mörserkeule zehnmal auf sein Haupt, worauf es
stirbt. Kehrt man seinen Mund gegen den Wind , so wird es wieder
lebendig und steht auf. Man verschliesst ihm mit dem auf Felsen
*) Die Geschichte des Sachens der Götter.
3) Die Geschichte von Yuen-tschung.
Die AoweDdnn^ und die Zuf8Ih'gkeiten des Feuers in dem alten China. 777
wachsenden Magenwurz den Mund, und es ist todt. Man nimmt sein
Hirn und gebraucht es mit den Blüthen der Goldblume als Arznei.
Wenn man zehn Pfund verbraucht, bringt man es dahin» dass man
fünfhundert Jahre lebt.
Femer befindet sich daselbst das Gebirge des Feuerwaldes. In
diesem Gebirge lebt das Feuerthier. Dasselbe ist so gross wie eine
Ratte. Sein Haar ist drei bis vier Zoll lang, zumTheileroth, zum Theile
weiß. Das Gebirge mag zweihundert Weglängen im Umfange haben.
Bei Dunkelheit sieht man in der Ferne die Wälder des Gebirges,
und das Licht dieses Thieres leuchtet den Menschen wie ein Feuer.
Man nimmt das Haar des Thieres, spinnt und bereitet daraus Tücher,
die mit dem Namen »ini Feuer gewaschene Tücher** bezeichnet
werden. Die Menschen des Reiches tragen sie. Wenn diese Tücher
schmutzig werden, brennt man sie bloss im Feuer. Nachdem die
Tücher zweimal verzehrt worden, nimmt man sie heraus und
schüttelt sie. Der Schmutz ist dann verschwunden, und sie sind rein
weiss wie Schnee *).
Tscheu-yü hielt Kiang-hia nieder. Tsao-tsao wollte von der
rothen Wand nach Kiang-nan übersetzen und hatte keine Schiffe.
Er bestieg Fähren und schiffte auf den W^assern des Han abwärts.
An der Mündung des Pu angekommen, setzte er nicht sogleich über.
Yü entsandte in der Nacht heimlich hundert leichte Boote und lau-
fende grosse Schiffe. Bei jedem Schiffe befanden sich fünfzig
Menschen, die es fortzogen und in Bewegung setzten. Die Leute
hielten in den Händen brennende Fackeln. Mehrere tausend Menschen,
die in den Händen Feuerbrände hielten, standen auf den Schiffen
und sammelten sich vor den Fähren, welche ankamen. Sie legten
jetzt Feuer an. Als das Feuer angezündet war , drehten sie die
Schiffe und entflohen. In kurzer Zeit hatten sie mehrere tausend
Fähren verbrannt. Das Licht des auflodernden Feuers erhellte den
Himmel. Tsao zog noch in der Nacht ab «).
Im siebenten Jahre des Kaisers Hoei (188 v. Chr.), zur Zeit
des Sommers, brach auf dem Berge Tschin-nan Feuer aus. Mehrere
tausend Stämme des Waldes wurden bis zu den Spitzen in Brand
gesteckt. Am Fusse desselben, auf einer Fläche von mehreren zehn
^y Die Gettthichte der zehn Inseln.
*} Die Geschichte de« Ruhmes und der Männlichkeit
Sitsb. d. phil.-hist. Cl. LXY. Bd. IV. Hft. 52
778 P f i z in a i e r
Morgen, waren die Pflanzen versengt und gelb. Hundert Tage später
begaben sieh die Hausgenossen an die Stelle und fanden eine Vor-
richtung Drachenknochen, zwei Vorrichtungen Rochenknochen «).
Kuai, der Heerführer von dem Geschlechte Puan, stellte an
Lö-ku die Frage: Seit dem Alterthum sagen die Gebieter der
Menschen, dass sie den Befehl Ton dem Himmel empfangen. Sie
sagen, dass es das Entsprechende glücklicher Zeichen gebe. Sollte
sich dieses so verhalten? — Ku sprach: Es verhält sich so. Drehen
sich die Augen, so erlangt man Wein und Speise. Erblüht das Feuer,
so erlangt man Gold und Kostbarkeiten. Wenn daher die Augen
sich drehen, so beschwört man sie. Wenn das Feuer erblüht, so
verehrt man es. Um wie viel mehr ist diess der Fall bei den grossen
Kostbarkeiten der Welt, bei der wichtigen Rangstufe eines Gebieters
der Menschen! Wenn nicht durch den Befehl des Himmels, wie
könnte man sie erlangen >)?
Im Osten des Berges Tai liegen tausend Weglängen mit Ab-
gründen der Wasser. In dem ersten Monate des Sommers sprudelt
das Wasser empor. Wenn man Metalle oder Steine hineinwirtl, so
zerfallen sie wie Erde. Im ersten Monate des Winters versiegt es
allmälig und vertrocknet. In der Mitte desselben erscheint ein gelber
Rauch, der aus der Erde hervorkommt Nachdem er einige Klafter
hoch aufgestiegen, zeigt die Farbe des Rauches zehntausend Ab-
wechslungen. Die Bewohner des Berges graben die Stelle auf.
Wenn sie einige Schuh tief in die Erde eingedrungen sind, finden
sie verbrannte Steine, die den Kohlen gleichen. Einige derselben
sind zermalmt. Das Feuer ist wie ein gewöhnliches Feuer. Daselbst
wächst eine Pflanze, deren Name Mang-hoang (das Pflanzenlicht).
Die Blätter derselben sind rund gleich denjenigen der Wasserlilie.
In einer Entternung von zehn Schritten röstet sie die Kleider der
Menschen, so dass sie verbrannt werden. Die Vögel und wilden
Thiere getrauen sich nicht, ihr zu nahen. Man schneidet sie ab und
bereitet aus ihr Matten, die im Winter wärmer sind. Reibt man ihre
Zweige gegen einander, so kommt Feuer hervor >).
^) Die vermiachten Berichte Ton der weetiichen MuttersUdt.
*) Die vermischten Berichte von der westlichen Matterstadt.
^) Die Geschichte des AuileseM des Hinterlassenen von Wangr-tse-nien.
Die Anwendung und die ZuflUigkoiten de« Feuers in dem alten China. 779
Einst folgte Pe-yö den tiefen Rinnsälen der Berge, bewerk-
stelligte seinen Auszug von den Steinhaufen, meisselte das Drachen-
tbor und gelangte zu der verschlossenenHöhle. Als er in die verschlossene
Hohle trat, betrug deren Öffnung acht Schuh. Er trat allmälig ein,
aber es war finster, und er konnte nicht weiter gehen. Yü trug jetzt
Feuer herbei und trat ein. Es befand sich daselbst eine schwarze
Schlange, die zehn Klafter lang war. Dieselbe hatte auf ihrem
Haupte ein Hörn. Sie hielt in dem Munde eine in der Nacht leuch-
tende Perle und zeigte Yü den Wegi).
Der Berg der gezählten Bergspitzen heisst mit Namen: die
Anhohe des Ringes. Daselbst befinden sich Wolkensteine, die fünf**
hundert Weglängen breit sind. Einige messen vierzig bis fünfzig,
Weglängen. Zerschlägt man sie in Stücke, so kommen dichte
Wolken hervor, die sich mit Schnelligkeit rings umher verbreiten
und die Welt befeuchten. Daselbst ist ein Baum, dessen Name:
der Maulbeerbaum der Lehne. Ferner findet man Seidenraupen des
Eises. Dieselben sind sieben Zoll lang, besitzen Homer von schwarzer
Farbe und sind geschuppt. Erst wenn man sie mit Reif und Schnee
überdeckt, verfertigen sie Gespinnste. Diese sind einen Schuh lang
und von fünferlei Farbe. Man webt aus ihnen goldgestickte Seiden-
stoffe mit Streifen. Wenn man sie in das Wasser taucht, so werden
sie nicht benetzt. Ihr Stoff ist leicht, weich und geschmeidig. Wirft
man sie in das Feuer, so zündet man die ganze Nacht kein Leucht-
feuer an. In dem Zeitalter von Thang-yao brachten die Menschen
des Meeres sie zum Geschenk <).
Der Kaiser des Anfangs liebte die Sache der göttlichen Un-
sterblichen. Er suchte die ausserordentlichen Künste der Welt.
Menschen des Volkes von Yuen-khiü bestiegen ein Kürbissschiff,
schwammen auf dem schwarzen Wasser und gelangten zu den Ab-
theilungen von ,Yung. Der Kaiser des Anfangs sprach mit ihnen.
Als die Rede von den Zeiten war, in welchen Himmel und Erde noch
nicht erschlossen waren, sprachen sie davon mit einer Lebhaftigkeit,
als ob sie es selbst gesehen hätten. Der Kaiser fragte sie: Ich habe
gehört, dass ihr deutlich das Ferne sehet Ich möchte diese Kunst
*) Die Getchichte des Auflosens des Hintorlassenon.
*) Die Geschichte des Auflesens des Hinterlasseaen.
52'
780 P f i X m a i e r
hören. — Sie antworteten: Unser Reich ist von dem Teiche Hien,
dem Orte, wo die Sonne versinkt, neunmal zehntausend Weglängen
entfernt. Es wird von der Sonne und dem Monde nicht beleuchtet,
und seine Nächte dauern zehntausend Jahre. Wenn es in ihm Tag
ist, öffnet sich der Himmel in der Mitte weit in einer Aasdehnung
von mehreren hundert Klaftern. Nach zehntausend Jahren schliesst
er sich wieder, und dieses ist ein einziger Tag. Wenn es Nacht ist,
bearbeitet man Zundsteine und ersetzt dadurch das Licht der Sonne.
Diese Steine kommen von dem zündenden Berge. Die Steine auf
dessen Boden leuchten von selbst. Man schlägt davon Stifte ab, aus
denen Feuer hervorkommt. Dasselbe ist von der Grösse der Hirse-
körner und erleuchtet das ganze innere Haus. Zu den Zeiten des
Flammenkaisers machten einst die Menschen des Reiches Ta-schi
diese Steine zum Geschenk <)«
Das Reich Schin-mi ist von der Provinz zehntausend Weg-
längen entfernt. In dem Reiche des Lichtes des Feuerzeuges kennt
man nicht die vier Jahreszeiten, nicht den Tag und die Nacht. Die
Bewohner desselben sterben nicht. Wenn sie des Zeitalters fiber^
drüssig sind, steigen sie zu dem Himmel empor. In dem Reiche
findet man den Feuerbaum. Derselbe heisst mit Namen : der Baum
des Feuerzeuges. Er krQmmt sich in einer Ausdehnung von zehn-
tausend Klaftern. Wolken und Nebel kommen aus seiner Mitte her-
vor. Wenn man die Aste bricht und gegen einander reibt, so kommt
Feuer hervor. Die höchstweisen Menschen der späteren Zeitalter ver-
änderten den Geschmack des rohen Fleisches, sie wanderten in die
Gegenden jenseits der Sonne und des Mondes, sie versahen dadurch
mit Speise und retteten die zehntausend Wesen. Sie gelangten jetzt
zum . Süden und Hessen die Augen herab auf die Wunder dieses
Baumes. Daselbst ist ein Vogel, der einem Sperber gleicht Wenn
dieser mit dem Schnabel in den Baum pickt, kommt vielfach Feuer
hervor. Die höchstweisen Menschen entstanden. Sie nahmen bei
diesem Anlasse kleine Äste und rieben damit Feuer. Man nannte sie
das Geschlecht der Menschen des Feuerzeuges. Dieselben lebten
vor Fö*hi, und es ist seitdem Sitte, mit Feuer zubereitete Speisen
zu gemessen »}.
^) Die Geschichte des Aufleaens de« HinUrlMsaaen.
2j Die Geschichte de« Auflesen« de« HiDterlMsenen.
Bie Anwendung und die Zuffilligkeiten des Feuert in dem alten China. 781
Tschl-ki führte den Jünglingsnamen KiQn-tschin. Derselbe hatte
die Trauer um einen Angehörigen und erschöpfte die Gebräuche.
Er wohnte yon dem Grabe einhundert Weglängen entfernt, und
machte sich jede Nacht auf den Weg. Es waren Vögel, die in den
Schnäbeln Feuer hielten und ihn in die Mitte nahlmen i).
Tschao-siang-tse stellte sich an die Spitze von zehnmal zehn-
tausend Menschen und hielt eine Winterjagd in Tschung-schan. Er
trat auf das hohe Gras und steckte die Wälder in Brand. Er fachte
die Gluth auf einer Strecke von hundert Weglängen. Es war ein
Mensch, der von einer Felsenwand dem verglimmenden Feuer auf
Höhen und in Tiefen nachfolgte. Alle glaubten, dass es ein dämon-
artiges Wesen sei. Als das Feuer hinüberzog, ging er langsam und
kam hervor, als ob er nirgends hindurch gegangen wäre. Siang-tse
staunte und hielt ihn zurück. Er durchforschte ihn mit Müsse. Nach
Gestalt und Aussehen war es ein Mensch mit sieben Öffnungen.
Nach Luft und Athem war es ein Mensch des Lautes und der Stimme.
Er fragte ihn, auf welchem Wege er in das Feuer getreten sei.
Jener Mensch sprach : Welchen Gegenstand nennst du die Felsen?
Welchen Gegenstand nennst du das Feuer? — Siang-tse sprach:
In der Richtung, wo du beim Kommen hervortratest, sind die Felsen.
In der Richtung jedoch, wo du hindurch gingst, ist das Feuer. —
Jener Mensch sprach : Ich weiss es nicht <).
Lu verbrannte die gehäuften Sümpfe. An dem Himmel erhob
sich ein Nordwind, das Feuer -drängte sich nach Süden. Man
fürchtete, dass es das Reich ergreifen werde. Fürst Ngai gerieth
in Angst. Er eilte in eigener Person an der Spitze der Menge
hinzu und brachte Hilfe. Von den Leuten seiner Umgebung war
keiner zugegen. Sie alle verfolgten die wilden Thiere und kamen nicht
zu Hilfe. Der Fürst berief Tschung-ni zu sich und fragte ihn.
Tschong-ni sprach : Die wilden Thiere verfolgen, ist ein Vergnügen,
und man erleidet keine Strafe. Bei dem Feuer zu Hilfe kommen,
ist beschwerlich, und man erhält keine Belohnung. Aus diesem Grunde
kommen sie bei dem Feuer nicht zu Hilfe. Da die Sache dringend
ist, so werden sie durch die Strafe nicht erreicht. Wollte man sie
^) Die Geschichte des Auflesens des Hinterlassen en.
<) Das Buch Lij^-tse.
782 Pfisoiaier
alle belohnen, so wurde das ganze Reich zur Belohnung nicht
geniigen. Man bringe bei den Mensehen des Volkes und den Ge-
nossen der Scharen die Strafe in Anwendung. — Man Hess jetzt
einen Befehl herabgelangen, worin es hiess: Wer bei dem Feuer
nicht zu Hilfe kommt, macht sich eines so grossen Verbrechens
schuldig, als wenn er sich dem Norden ergäbe. — Der Befehl war
noch nicht allerwftrts herab gelangt, als das Feuer bereits gelöscht
war «).
In dem sudlichen Meere, auf der Anhöhe von Siao befindet sich
ein von selbst entstehendes Feuer. Dasselbe erhebt sich im FrQhlinge
und erlischt im Herbste. Die Anhohe hat im Umfange eintausend
Weglängen. Zur Zeit, wo das Feuer sich erhebt, erfüllt es diese
Anhöhe. Der Boden bringt überall einen gewissen Baum hervor.
Wenn das Feuer sich erhebt, legt es sich gerade an diesen Baum.
Obgleich dieser Baum von Feuer umlagert ist, wird er nur ein wenig
verbrannt und ist schwarz. Die Menschen erlangen ihn bisweilen
und gebrauchen ihn als Brennholz. Er fangt Feuer wie gewohnliches
Brennholz, nur mit dem Unterschiede, dass er keine Kohlen gibt.
Wenn man gekocht hat, übergiesst man ihn mit Wasser und loscht
ihn aus. Später gebraucht man ihn nochmals und verfahrt so ohne
Aufhören. Ferner nehmen die Menschen der Fremdgebiete die Blätben
dieses Baumes und weben daraus »im Feuer gewaschene TOcher".
Die Binde des Baumes wird ebenfalls abgeschält, mit Asche geröstet
und daraus TQeher bereitet. Dieselben sind aber nicht so fein und
gut wie diejenigen, die aus den Bluthen bereitet werden. Gross-
schweifige Batten, die mehrere Pfunde schwer und deren Haar drei
Zoll lang ist, leben in den hohlen Bäumen. Aus deren Haar kann
man ebenfalls Tucher weben. Desswegen gibt es drei Gattungen „im
Feuer gewaschener Tucher«* «).
In den Tagen des begründeten Sommers gebraucht man die
Beglaubigungsmarke der sechs Zeichen Jin, der sechs Zeichen Koei.
Man gebraucht auch das Pulver des fliegenden Beiffrostes, und man
hat dann nicht heiss. Yeu-pe-tse und Seng-tschung-tu, diese zwei
Menschen bekleidete man mit schweren Pelzen, man setzte sie der
1) Dm Boch Han-U«.
*) Das Buch Pao-pö-Ue.
Die Anwendung^ und die Zufüliifrkeiten des Feuers in dem alten China. 783
Sonne aus an einem Sommertage, man umgab sie mit dem Feuer
von zehn Öfen. Ihr Mund klagte nicht über Hitze» ihr Leib vergoss
keinen Schweiss. Sie hatten nämlich dieses Heilmittel gebraucht <).
Kuan-ning zog nach Liao-tung und kehrte zurück. Auf dem
Meere überfiel ihn ein heftiger Sturm. Die übrigen Schiffe scheiter-
ten, und nur das Schiff Ning's blieb unversehrt. Da die Nacht
dunkel war, geriethen alle Menschen des Schiffes in Verwirrung,
und keiner wusste einen Ankerplatz. Plötzlich erblickten sie in der
Feme den Glanz eines Feuers. Sie eilten diesem zu und fanden
eine Insel. Dieselbe hatte keine Bewohner und auch keine Feuer-
öfen. Die Reisenden staunten hierüber und meinten, dass dieses die
Hilfe des göttlichen Lichtes sei. Hoang-fu sprach: Es ist das Ent-
sprechende des gehäuften Guten >).
In Lin-khiung befand sich ein Feuerbrunnen. Derselbe mochte
fünf Schuh breit und zwei bis drei Klafter tief sein. Er befand sich
einhundert Weglängen südlich von dem Hauptorte des Districtes.
Ehemals warfen die Menschen Bambusstäbe und Hölzer hinein und
verschafften sich dadurch Feuer. Die Reichsgehilfe von dem Ge-
schlechte Tschü-ko ging hin und besichtigte ihn. Später nahm das
Feuer überhand. Man stellte Schüsseln über den Brunnen und
röstete Salz. Man erlangte gekochtes Salz. Die späteren Menschen
warfen Hauskerzen und Feuer in den Brunnen. Das Feuer erlosch
sogleich und hat sich bis zu dem heutigen Tage nicht mehr ent-
zündet *).
In Lin-khiung befindet sich ein Feuerbrunnen, der sechzig
Klafter tief ist. Das Licht des Feuers kommt nach oben zum Vor-
schein. Die Menschen füllen das Feuer in Röhren. Wenn sie hundert
Weglängen weit gehen, lässt es sich noch immer entzünden «).
Wenn man Oel in Mengen von zehntausend Centnern anhäuft,
so macht es von selbst Feuer entstehen. In dem Zeiträume Tai-schi
von Tsin (265 bis 274 n. Chr.) brach in der Rüstkammer des
Krieges Feuer aus. Es war durch angehäuftes Oel veranlasst »).
1) Das Bach Pao-pö-tse.
>) Pas Buch Fu-tse.
') Die Denkwfirdigkeiten vielseitiger Dioge.
*> Die Denkwürdigkeiten Tielseitiger Dinge.
^) Die Denkwürdigkeiten yielseitiger Dinge.
784 P f i z m « i e r
In Kuang-tscheu findet map einen grossen Baum, durch den
man sieh vor dem Feuer schützen kann. In Schan-pe nennt man ihn
den über das Feuer Wachenden. Die Menschen häufen die Bäume
der Dächer. In Kuang-nan gibt es keinen Reif und Schnee. Des-
wegen bringt das Land die Bäume zur Vollendung <)•
An dem Thore der Feste kam Feuer aus. Das Unglück erreichte
die Fische des Teiches. Nach den Büchern der hundert Häuser kam
an dem Thore der Feste von Sung Feuer aus. Man schöpfte das
Wasser in dem Teiche aus und begoss es damit. Die Fische kamen
sämmtlich zum Vorschein. Man ging blos hin und fing sie *).
Jenseits der Wüste des Südens liegt der Feuerberg. Derselbe
ist vierzig Weglängen lang und vier bis fünf Weglängen breit. Die
Bäume, die auf ihm wachsen, brennen Tag und Nacht als Feuer.
Wird ihnen Sturm und Regen zu Theil, so wird das Feuer nicht ge-
löscht. In dem Feuer findet man Ratten, die hundert Pfund schwer
sind. Ihr Haar ist sieben Schuh lang und fein wie Seide. Man kann
daraus Tücher verfertigen »).
Kaiser Yuen von Han suchte weit und breit Männer der Arznei-
kunst. Wang-tsChung-tu, ein Mensch des Weges aus Han-tschung,
sagte, dass er blos Hitze und Kälte ertragen könne. Im strengen
Winter, an dem Ufer des Teiches Kuen-ming in Schang*lin blieb
sein Aussehen unverändert. Im Sommer, bei heisser Witterung liess
man ihn in der Sonne sitzen und umringte ihn mit dem Feuer von
zehn Öfen. Er vergoss keinen Schweiss*).
Der Kaiser des Anfangs aus dem Hause Thsin wurde auf dem
Berge Li begraben. Binnen sechs Jahren wurde das Grab durch
Hiang-tsI geöffnet. Ein Schafhirt liess ein Schaf in den Grabhügel
fallen. Er zündete ein Feuer an und suchte das Schaf. Dabei ver-
brannte er den Sarg und die aufbewahrten Gegenstände s).
<) Die Denkwürdii^keiten des sudlichen Yue.
^) Das Durchdringen der Gewohnheiten. Der Garten des Gespriches sagt: DerBe-
ruhiger des Vorstehers des Thores führte den Geschlechtsnamen Tsehi (Teicii) »d
den Namen Yfi (Fisch). An dem Thore der Feste entstand Feuer. Er kam so Uütt
und yerbrannte. Daher diese Sage.
*) Das Buch der göttlichen Merkwürdigkeiten.
^) Die neuen Erörtemngen.
^) Die gelben Abbildungen der drei stätienden Prorinsen.
Die Anwendung und die ZufSlligkeiten des Feuere in dem alten Chint. 785
Kaiser Wu von Wei sagte in einem Erla&se: Ich habe gehört,
dass man in Tai-yuen, Schang-thang» Si-ho und Yen-men nach der
Ankunft des Winters durch hundert und fünf Tage das Feuer ver-
bietet und die Speisen kalt verzehrt. Man sagt, es sei wegen
Kiai-tse-tui 9. Tse-siü versank in dem Strome, und die Menschen
von U wurden noch nicht des Wassers beraubt. Erst wegen
Tui verzehrt man die Speisen kalt. Sollte dieses nicht parteilich
sein«)?
Als Tschi-pe geschlagen war, wollte er aus dem Lande fliehen.
Er träumte, dass in der Gegend des Westens ein Feuer erschien.
Als er nach Thsin geflohen war, träumte er wieder, dass in
der Gegend des Südens ein Feuer erschien. Er floh sofort nach
Tsu «).
Zu den Zeiten des Kaisers Siuen, im ersten Jahre des Zeit-
raumes Ti-tsiS (69 V. Chr.), zeigte sich in der oberen Provinz im
Sande nächtlich ein Feuer. Dasselbe kam gleich Hirsekörnern hervor
und war nicht heiss ^).
Das Feuerzeug des Yang verfertigt man aus Kupfer. Dasselbe
ist wie ein Spiegel gestaltet Kehrt man es gegen die Sonne, so
entsteht Feuer. Wenn man es mit einem Dochte aus Beifuss aufhängt,
so erhält man Feuer &).
Ein gewisser Kiä wurde in der Nacht plötzlich unpass. Die
Menschen des Thores rieben Feuer. Die Nacht war finster, und
sie hatten noch kein Feuer. Jener trieb sie zur Eile an. Ein Mensch
des Thores wurde unwillig und sprach: Dass du die Menschen
schiltst» ist auch eine grosse Unzukömmlichkeit. Die Nacht ist jetzt
schwarz wie Pech. Warum ergreifst du nicht das Feuer und
leuchtest uns, damit wir das Geräthe zum Reiben des Feuers suchen
können *)?
*) Kiai-tse-tui venchmihte es, von dem Ffirsten Wen von Tsin einen Gehalt su
Terlangen und starb an einem unbekannten Orte in der Verborgenheit.
2) Der Erlas« des Kaisers Wu tou Wei fiber die leichten Strafen.
') Die Worte dos Edelsteines Tsao.
^) Die weiteren Brklirnngen des Alterthnms und der Gegenwart.
^) Die weiteren ErUirungen des Alterthums und der Gegenwart.
^) Der Wald des Lachens.
786 P f i z m « i e r
Denkwürdiges über Lampen.
Wang-mang liebte die Veränderungen. Er wechselte mit den
Einrichtungen, mit den Erlässen der Lenkung, und es gab viele
Belästigungen. Er unterhielt immer kaiserliches Lampenlicht bis zum
Tagesanbruch <).
Kaiser Kuang-wu kehrte von Tschang-ngan heim. Er zog
durch Kien und besuchte das Lager Tsi-tsün*s. Die Menge der
Kriegsmänner ftthrte die kriegerische Musik des gelben Thores auf.
Als die Nacht kam, unterhielten sie kaiserliches Lampenlicht <).
Wen-kiao umkreiste Wu-tschang und gelangte zu den Stauuo-
gen des Flussarmes der Rinder. Das Wasser war unermesslich tief-
In dem Zeitalter sagte man, dass es in der Tiefe viele wunderbare
Wesen gebe. Kiao zündete sofort eine Lampe von Rhinoceroshom
an und beleuchtete die Stelle. Alsbald sah er seltsame Gestalten uod
ungewöhnliche Gattungen der Wassergeschlechter. Unter ihoen
waren einige, die Wagen bestiegen, auf Pferden ritten und rothe
Kleider trugen. Kiao träumte in dieser Nacht, dass ein Mensch zu
ihm sagte: Wir waren von dir durch die Wege der Dunkelheit und
des Lichtes geschieden. Warum hast du uns beleuchtet? — Dieses
war ihm in seinem Gemüthe sehr zuwider. Er kam dazu, die Stadt
niederzuhalten. Es waren noch nicht zehn Tage vergangen, als er
starb »).
Hoang-fu-wu-yl war ältester Vermerker von Tl-tscheu. Er
übernachtete einst in dem Hause eines Menschen, als der Docht der
Lampe zu Ende ging. Der Wirth wollte ihn verlängern. Wu-yi zog
das Messer des Gurtelgehänges, schnitt den Gürtel seines Kleides
durch und verfertigte einen Docht. Seine Uneigennützigkeit und sein
Eigensinn waren derart^).
Kaiser Jui-tsung liebte die Musik. Rei ihrem Anhören vergass
er auf die Müdigkeit. Kaiser Yuen-tsung&) war ebenfalls in deo
0 Daa Buch der Han.
^) Die Geschichte der Han Ton der östlichen Warte.
*) Das Buch der Tsin.
*) Das Bach der Thang.
^) Ynen-tsung^ war der Sohn Jui-tsung*s und folgte seinem Vater noch bei dessM
LebKeiten.
Die Anwendung und die ZufiUlgkeiten ^es Feuers in dem alten China. 787
Abschnitten der Töne bewandert. Im ersten Monate des zweiten
Jahres des Zeitraumes Sien-thien (713 n. Chr.) bat So-to-po, der
nach der Sonne blickende Bonze von Hu, dass man in der Nacht das
Thor öffne und einhundert tausend Lampen anzünde. Jui-tsung
begab sich zu dem Thore der verlängerten Freude und hörte die
Musik. Wenn vier Tage vorüber waren, schlosp er sich an das
grosse Weiufest. Jui-tsung begab sich zu dem Stockwerke des
Thores des ruhigen Glückes und sah das Weinfest der hundert
Vorsteher. Er verbrachte so einen Monat hindurch Tag und Nacht i).
Die Königsmutter des Westens schickte einen Gesandten und
liess dem Kaiser Wu von Han sagen: Am siebenten Tage des sieben-
ten Monats werde ich sofort kommen. — Der Kaiser sprach: Man
fege und reinige das Innere des Palastes und zünde Lampen des
neunfachen Lichtes an«).
Siün-tsai» die Tochter Schuang's, war die Gattin Yin-yü's, jedoch
ihr Mann starb frühzeitig. Sie wurde gedrängt, sich mit Kö-y! von
Tai-yuen zu vermalen. Tsai trat in das innere Haus des Geschlechtes
K5. Als es Abend wurde, entfernte sie die Vorhänge, stellte vier
Lampen auf, sammelte sich und setzte sich genau in der Mitte
nieder. Der Mann von dem Geschlechte K5 getraute sich nicht, sie
zu drangen»).
In dem Grabe des Kaisers des Anfangs brannte man Lampen,
die mit Wallfischfett gefüllt waren*).
Als Schi -hu eine Versammlung der Richtigen veranstaltete,
stellte er vor die Vorhalle einhundert zwanzig Lampen. Dieselben
waren aus Eisen verfertigt »). .
Ting-hoan, ein Künstler von Tschang-ngan, verfertigte das
Wunder beständig gefüllter Lampen. Es waren sieben Drachen,
fünf Paradiesvögel, gemengt mit den Blüthen und Wurzeln der
Wasserlilie «).
0 Dm Bach der Than;.
t) D
*) D
*)D
e inneren Überlieferungen von Wu von Han.
e Überlieferungen von Sifin-tsai.
e Oesehichte der drei Thsio.
e Geaehichte der Begebenheiten in Nie.
e Termtschten ErsShlungen der Mutterstadt.
788 P f i 2 m a i e r
Als Kao-tsu zum ersten Male in den Palast von Hien-yang trat,
wandelte er in den Versammlungshausern und Rüstkammern umher.
Das Gold, die Edelsteine und seltenen Kostbarkeiten waren nicht zu
beschreiben. Das Merkwürdigste war eine Lampe von grünem Edel-
stein. Dieselbe war sieben Schuh fünf Zoll hoch. An dem unteren
Theile war ein gekrümmter gelber Drache angebracht, der die Lampe
in dem Munde hielt. Wenn die Lampe angezündet wurde, regten
sich die Schuppen, und Feuerglanz wie von Sternen erfüllte das
innere Haus 9*
Mark des mennigrothen Leoparden, Fett des weissen Paradies-
vogels und geschliffenes grünes Zinn werden zerrieben und mit
echtem Basilicumöl versetzt. Dieses beleuchtet den göttlichen Erd-
altar. Wenn in der Nacht Platzregen flllt, wird das Licht der
Lampe nicht ausgelöscht «).
In Han gab es, immervolle Lampen. Ohne dass man etwas hin-
zugab, waren sie immer voll, und ihr Licht erlosch nicht*).
Im Osten des Weges des geistigen Hauses in dem Reiche Sche-
wei befindet sich das Himmelskloster des äusseren Weges. Dasselbe
heisst : Die Uberdeckung des Schattens. Es liegt dem Orte der Er-
örterungen und Berathungen Fo*s, dem zu beiden Seiten einschlies-
senden Wege des geistigen Hauses gegenüber und ist ebenfalls sechs
Klafter hoch. Die Ursache, weswegen es die Überdeckung des
Schattens heisst, ist folgende : Wenn die Sonne im Westen steht,
verdunkelt der Schatten des geistigen Hauses F8*s das Himmels-
kloster des äusseren Weges. Wenn die Sonne im Osten steht, fallt
der Schatten des Himmelsklosters des äusseren Weges nach Norden
und kann das geistige Haus Fo*s nicfat verdunkeln. Der äussere Weg
schickte immer Menschen, welche das Himmelskloster bewachten,
sprengten, fegten, Weihrauch brannten, eine Lampe anzündeten und
das Opfer darbrachten. Am nächsten Morgen war die Lampe ohne
weiteres fortgeschafft und befand sich in dem geistigen Hause Fo's.
Der So-lo-men sagte unwillig: Die Schamanen nehmen unsere
Lampe und bringen Fo das Opfer. — Der So-lo-men war in der Nacht
selbst auf der Lauer. Er sah, dass ein Gott des Himmels die Lampe
^) Die Termitchten Enfiblongen der MattenUdt.
*) Die Oetchichte der Donkelbeit der Tiefen.
') Die Geichlcbte dei Berges des Sehifheuptes.
Die Anwendung und die ZofiUigkeiten des Feuers in dem alten China. T 80
ergriff, das geistige Haus Fö*s dreimal umkreiste und Fo das Opfer
brachte. Als er dies gethan, war er plötzlich unsichtbar. Der
So-lo-men erkannte jetzt, dass dei' Geist Fo's das Haus zurückgesetzt
und den Weg betreten habe i)*
Tung-yen legte sieh gewöhnlich in dem inneren Hause nieder.
Er hatte ein Bett von gemalten Steinen. Dasselbe war drei Schuh
hoch und sechs Schuh breit. Der Stoff der Steine war sehr leicht,
es waren die Steine, die das Reich Tschl*tschi zum Geschenk ge-
macht hatte. An dem oberen Ende stellte er einen Windschirm von
purpurnem Bergkrystall und eine Reihe goldener Hanrdilampen auf.
Die Lampen hatten die Gestalt gekrümmter Drachen und waren aus
verschiedenen Kostbarkeiten verfertigt. Die aufwartenden Menschen
sahen blos das Lampenlicht und meinten, dass ihnen nichts im
Wege stehe. Sie fächelten ihm daher ausserhalb des Wiudschirmes
Luft zu. Yen sprach : Wie könnte ich, wenn den Edelsteinen Luft
zugefächelt wird, reine Kühle haben? — Die aufwartenden Menschen
griffen jetzt mit den Händen hin und erkannten, dass ihnen der
Wiiidschirm im Wege stehe »).
Konig Mo gelangte im Osten zu dem Thale von Ta-ki. Daselbst
erbaute er den Palast der Frühlingsschlossen. Er versammelte die
Männer der Heilmittel und fi*agte sie nach dem Wege und den Vor-
schritten Fö*s. Um die Zeit wollte es bereits Nacht werden. Man
hörte den rollenden Ton des Donners, und dfe versteckten Wesen
geriethen in- Bewegung. Alsbald zeigte sich ein strömender Glanz,
der das Innere des Palastes erleuchtete. Der Konig stellte wieder
die Lampen des immerwährenden Lebens auf. Dieselben heissen
auch das beständige Licht. Ausserdem hatte man noch Lampen des
Hirnes des Paradiesvogels. Blumen von eisigem Seidenflor mit ein-
genähten Wasserlilien waren oben von den Lampen sieben bis acht
Schuh entfernt. Man wollte keinen Rauch entstehen lassen, und das
Licht sollte nicht in die Ferne leuchten. Die Königsmutter des
Westens kam auf einem Handwagen des Eisvogels und Paradiesvogels.
Sie nahm an dem Trinkgelage des Königs Theil >).
*} Die Geschiehte der Offenkundigkeit der Vorschrift.
2> Die Geschichte des Aoflesens des Hinterlassenen von Wang-tse*nien.
*) Die Geschichte des Auflesens des Hinterlassenen.
790 Pf i z m « i e r
Zu den Zeiten des Königs Tschao von Yen bestiegen Menschen
des Meeres ein Schiff des rothen Wolkendunstes, föllten gemeisselte
Töpfe mit dem Fette des aufsteigenden Drachen und reichten es
dem Könige Tschao als ein Geschenk. Der König sass in der Halle
der verkehrenden Wolken. Dieselbe heisst auch die Erdstufe des
verkehrenden rothen W^olkendunstes. Er verwendete das Lampenfett
zu Larapen, die auf einer Strecke von hundert Weglängen leuchteten.
Die Farbe des Rauches war mennigroth und purpurn. Die Mensehen
des Reiches, die es sahen, sagten insgesammt, dass der Glanz eines
glucklichen Zeichens sich von ferne angelegt habe , und sie ver-
ehrten es. Man verfertigte angeschlungene Dochte von ^im Feuer
gewaschenem Tuche**. Das Licht erfüllte das Innere des Palastes i)*
Was den Baum der Lampe der fünf Blumen betrifft, so stellte
man ihn in dem ersten Monate des Jahres, an dem ersten Tage des
Neumondes, wenn man an dem Hofe Gluck wünschte, auf den Boden
vor die drei Stufen. Der Mond leuchtete, die Sterne glänzten, und
obgleich es Nacht war, hatte man noch immer Tag<).
Wenn man Eidechsenfett nimmt, dasselbe zu Lampen ver-
wendet und etwas in das Feuer stellt, so sieht man sofort die Dinge <).
Ki-tschung-san spielte die Cither unter der Lampe. Piötzlieb
erschien vor ihm ein Mensch, der sehr klein war. Nach einer Weile
wurde er grösser und war alsbald eine Klafter hoch. Er trug ein
einfaches Kleid und einen ledernen Gürtel. Der Mann yon dem Ge-
schlechte Ki betrachtete ihn. Nachdem er ihn genau gesehen, blies
er die Lampe aus und sprach : Ich schäme mich, mit einem Dämon
und Unhold um das Licht zu streiten ^).
Fu-tse sagt : Wer mit seinem dunklen Dasein nicht zufrieden
ist, sondern Freude hat an dem Glänze, ist gleichsam ein Nacht-
schmetterling, der die Finsterniss verlässt, sich auf die Lampe
stürzt und stirbt »).
Thsin-tse sagt: Ist viel Verstand und Einsicht vorhanden, $o
ziehen sie an sich Blut und Luft gleichwie das Feuer der Lampe das
1) Die Oeachicbte des Aufletens des Hinterlasseoeu.
^) Wanp-laog*s Alterthöroer tob Tbsin.
') Die simmüichen sehnUnsend Rdnste tou Hosi-ntn.
^) Der Wald der Worte.
^) Da» Buch Fa-tse.
Die Anwendung und die ZufSlligkeiten des Feuers in dem alten China. 791
Fett der Finsterniss verzehrt. Der Docht ist gross und leuchtend. Ist
er leuchtend, so wird das Fett verzehrt. Der Docht ist klein und
dunkel. Ist er dunkel» so bleibt er ruhig. Das Fett dauert dann
lange <).
Konig Tschuang von Tsu beschenkte seine Diener mit Wein.
Am Abend, als die Lampen und Kerzen bereits ausgelöscht waren,
zog Einer von ihnen eine Schöne an dem Kleide. Die Schöne zerrte
und zerriss die Schnure seiner Mütze *).
Die neuen Erörterungen sagen : Ich sass mit Lieu-pe-sse in der
Nacht beisammen. Der Fettdocht in der Lampe brannte aus und
wollte erloschen. Ich sagte zu Pe-sse : Wenn der Mensch hinfällig
und alt ist, gleicht er ebenfalls diesem ausbrennenden Dochte. — Pe-
sse sprach : Wenn der Mensch hinfallig und alt ist, ziemt es sich,
dass er sich verlängert. — Ich sprach: Wenn man die angeborne
Eigenschaft vermehrt, kann man bewirken, dass das weisse Haupt*
haar wieder schwarz wird. Zu der Gipfelung des langen Lebens ge-
langt, stirbt man ebenfalls >).
Denkwflrdiges über Kerzen.
Kan-meu entfernte sich aus Thsin und begab sich nach Tsi.
Er trat aus dem Grenzpasse und begegnete Su-tse, zu dem er
sprach : Hast du von den Na6htmädchen an den Ufern des Stromes
gehört? Unter den Nachtmftdchen an den Ufern des Stromes war
eines, dessen Haus arm war und das keine Kerze besass. Die Nacht-
mädchen kamen gegenseitig überein und wollten es entfernen. Das-
jenige, das keine Kerze besass, sprach: Weil ein Mädchen keine
Kerze besitzt, kommt es gewohnlich früher, fegt das innere Haus
und breitet den Teppich. Warum spart man das überflüssige Licht
an der östlichen Mauer, das die westliche Mauer beleuclitet? Es ist
ein Gluck, wenn ihr damit das Mädchen beschenket. Warum solltet
ihr euch entfernen? — Die Mädchen hielten dies für richtig und
1) Da« Bnch Thsin-tse.
*) Der Garten der Gespriche.
*} Die neuen Erftrtemnpen Ton Boan-tan.
792 P f i z ni a i e r
behielten es. Jetzt werde ich zurückgesetzt» vertrieben aus Tfasin
und trete aus dem Grenzpasse. Ich fege för dich das innere Haus
und breite den Teppich. Es ist ein GlQck« wenn du mich nicht ?er-
treibst. — Su-tse sprach : Vortrefflich «) !
Pa-tschi war stechender Verroerker von Yang- tscheu. Er sass
mit den Gästen im Finstern und zündete keine obrigkeitlichen
Kerzen an *).
Sung, der jüngere Bruder Tscheu-Fs, riss einst in Folge des
Weines zornig die Augen auf und sagte zu I: Deine Begabung
erreicht nicht diejenige des jüngeren Bruders. Warum hast du da
durch Querzüge einen bedeutenden Namen erlangt? — Er warf nach
ihm eine Wachskerze, die er mit der Hand erfasst hatte. I zeigte
eine geistvolle Miene und widerstrebte nicht. Er sprach gelasseo:
Die 0-nu bewerkstelligen einen Überfall mit Feuer. Man muss ernste
lieh ausrücken und die Tafeln herabsenden >).
Liang, der Sohn des Königs von King-Iing, versammelte ge-
wöhnlich die Männer des Lernens. Er schnitt in Kerzen Gedichte
ein. Vier Endlaute, Z)igleich eingeschnitten, betrugen einen Zoll.
Er hielt dieses für etwas Ausserordentliches. Siao-wen-yin sprach:
Wenn man einen Zoll von der Kerze verbrennt, so ist dieses ein
Gedicht mit vier Endlauten. W^elche Schwierigkeit könnte es dabei
geben? — Er schlug jetzt in Gemeinschaft mit Khieu-kiai und
Kiang-hung kupferne Becken, auf denen Gedichte mit fünf Endlauten
angefertigt waren. Wenn der Ton verklungen war, konnte man die
Gedichte sehend).
Kao-tsu besuchte einst die Halle der reinen Fahnen. Er befahl
Thsui-kü<ing, dem Leibwächter des gelben Thores, ferner K&-]rd von
Yf, Thsui-hieu von Hing-luan und Anderen, ein bilderloses Gedieht
zu verfassen. Er sagte dabei dessen Gedanken. Als die Kerzen
kamen, nahmen die Fürsten und Reichsminister Abschied und zogen
sich zurück. Kao-tsu sprach: Bei der Ankunft der Kerzen Abschied
nehmen und sich zurückziehen, ist Brauch der fremden Geschlechter.
Derselbe hat den Sinn, dass man bei Nacht die Weise der Seiten-
^) Die Tafeln der kimpfendeo Reiche.
^) Drs von Sie-sching rerfasate Buch der spiteren Hao.
') Das Buch der Tsio.
^) Das Buch der Tai.
Die Anwendung und die Zufliiii^keiten des Feuers in dem alten China. 793
geschlechter des Stammhauses untersucht. Moget ihr einstweilen
zurückkehren. Ich, der Kaiser, will mit den Königen, den Stamm-
häusern und inneren Häusern das Trinkfest dieser fifacht zu Stande
bringen i).
Als Lang-meu fünfzehn Jahre alt war, diente er als seinem
Lehrer einem der Söhne des Reiches, dem vielseitigen Gelehrten
Kiuen-hoei von Ho-kien. Er lernte von diesem die Gedichte, die Ver-
wandlungen, die dreierlei Gebräuche, die Namen der ursprünglichen
Gestalten und der Strafen, so dass er zuletzt auf den Schlaf und das
Essen vergass. Die Menschen des Hauses fürchteten, er könne
erkranken. Sie verkürzten ihm bestfindig die Kerzen *).
Lieu-mien war ein kleiner Hiao der Redlichkeit und des Kriegs-
muthes. Er folgte Li-kuang-yen auf dessen strafendem Zuge nach
dem Westen des Hoai in der Eigenschaft eines gefangen nehmenden
Anführecs. Er stiess zu verschiedenen Zeiten auf die Räuber, mit
denen er sich in blutige Kämpfe einliess. Dass er durch die Spitze
und die Schneide des Schwertes verwundet wurde und beinahe
gestorben wäre, ereignete sich viermal. Er lag einst schwer ver-
wundet in den Gräsern. Der Mond war lichtlos, und er kannte nicht
den Weg, der ihn heimführte. Betäubt schlief er ein. Da träumte
ihnQ, dass ein Mensch ihm ein Paar Kerzen übergab und sprach : Du
bist eben sehr vornehm. Wenn du hier gehst, hast du nichts zu
besorgen. Du kannst sie in den Händen halten und zurückkehren. —
Als er sich aufgemacht hatte, erschienen vor ihm ein Paar Lichter.
Seit dieser Zeit schlug er die Hiung-nu's und bestand Gefahren. So
oft er auszog, hatten sich vor ihm diese Lichter befunden. Als er
es aufgeben musste, niederzuhalten, war das Paar Lichter sofort
erloschen*).
Der Han-lin Kiuen-tschung, Fürst von Lieu, die bei den
BQcbem Aufwartenden und die Männer des Lernens wurden an
jedem Neumonde und Vollmonde berufen. Die gegenüber fortbren-
^) Dm Bach der späteren Wei.
2) Da« Buch der nördlichen Tai.
*) Da« Buch der Thang. Dieselbe Ersihinng findet sich mit eigenen Kiirsangeii in der
Abhendlong: „Aus dem Tranmleben der Chinesen", in dem Abschnitte Ton den
g^lnckllchen Triumen. Eine daselbst vorkommende Unrichtigkeit ist hier ver-
heasert.
Sitxb. d. phil.-bist. Cl. LXV. Bd. IV. Hft. 53
794 P f i X m a i er
iienden Kerzen zeigten das untere Ende. Das Gespräch borle noch
immer nicht auf, und man wollte keine anderen nehmen. Die
Menschen des Palastes drehten mit Wacbsthranen Papier und
machten sie fortbrennen <).
Sching-ke wurde zum Beruhiger des Vorhofes ernannt. In
seiner Gemfithsart war viel Menschlichkeit und Güte. Sein Streben
bestand in Grossmuth und Erbarmen. In dem Monate des ankont-
menden Winters sollte immer über die M'cgen eines Verbrechens
eingekerkerten Menschen das Urtheil geßllt werden. Seine Gattin
erfasste eine Kerze, Ke hielt in der Hand den mennigrothen Pinsel.
Mann und Weib standen einander gegenüber und vergossen
Thränen «).
Tschin-sieu führte den Junglingsnamen Fung-tsieii und war
ein Eingeborner von U^schang. Er wurde Statthalter von Yu-tschaag.
Die Gemüthsart Sieu's war rein und lauter. Er betrat die W^ege der
Umschränkung» Ehrfurcht und Sparsamkeit. In zehn Tagen kochte
er ein einziges Mal. Er zündete keine obrigkeitlichen Kerzen
ans).
Kaiser Tschang von Hau wandte sich an Lieu-ping mit der
Frage: An dem Fusse der Vorhalle befindet sich ein wundervolles
Wesen. Es war mit einem hellrothen Kleide angethan, von seinem
Haupthaar bedeckt und hielt in der Hand eine Kerze. Es folgte mir
nach und entlief. Kann man es bezwingen oder nicht? — Ping
sprach : Man kann es. — Der Kaiser hiess jetzt Leute falschlich als
wundervolles Wiesen auftreten. Ping schleuderte gegen sie eine
Beglaubigungsmarke, und mehrere Menschen stürzten zu Boden.
Der Kaiser rief erschrocken : Ich habe dich blos auf die Probe ge-
stellt! — Hierauf erklärte er es«).
Der König von Min-yue machte dem Kaiser Kao fünf SeheiTel
Steinhonig und zweihundert Stück Honigkerzen zum Geschenk &).
Khuang-heng lernte mit Eifer, aber er besass keine Kerzen. Im
benachbarten Hause besass man Kerzen. Er durchbohrte die Mauer,
1) Das Buch der Than;.
*) Die Veneichniase der VorbUder Ton Kuei-ki.
*) Die Verseichniaae der Vorbilder tod Koei-ki.
«) Die Überlieferungen ron göttlichen Unaterblichen.
^) Die rermiachten Ertfihlungen der weatlichen MuUersladt.
Die Anwendung und die ZnfSIligkeiten dea Feuers in dem alten China. T 95
leitete das Licht herüber und schrieb. Bei dem verborgenen Lichte
las er i).
Im Westen von Yung-kao findet man die das Licht schntelzende
Pflanze. Dieselbe wächst in Büschen und besitzt tausend Blätter.
Sie beschattet ein Gebiet von mehreren Morgen. In der Nacht ge-
wahrt sie einen Anblick wie Reihen von Kerzen. Am Tage ist alles
erloschen «).
Der Kuen-lün ist der Berg Pe-mi der westlichen Gegenden.
Derselbe liegt gegenüber der Stelle, wo die sieben Sterne herab-
steigen und in dem lasurblauen Meere zum Vorschein kommen. Wenn
man in der Nacht auf das Wasser blickt, so leuchtet es auf der
Oberfläche hell wie Kerzen >).
Pao-po-tse sagt: Wer das Böse bewundert, ist gleichsam ein
Ndchtinsekt, das sich in die glänzende Kerze stürzt.
Wenn die glänzende Kerze in der Nacht angezündet wird, so
erheben sich die fliegenden Insekten in Scharen.
Das Sein entsteht aus dem Nichtsein. Die Gestalt wartet auf
den Geist und wird begründet. Das Sein ist der Palast des Nicht-
seins. Die Gestalt ist das Wohnhaus des Geistes. Desshalb ver-
gleicht man dieses mit einem Graben. Wird der Graben zerstört,
so fliesst kein Wasser. Man vergleicht es mit einer Kerze. Wenn
die Kerze zu Ende ist, so hat das Feuer keinen Wohnplatz ^).
Wen-tse sagt:^ Die tönende grosse Glocke zerstört sich
selbst durch Tönen. Die Fettkerze verzehrt sich selbst durch
Leuchten »).
Unter den Menschen von Ying war einer, der an den Reichs-
gehilfen von Yen ein Schreiben schickte. Er schrieb es in der Nacht,
und das Feuer brannte nicht hell. Er sagte desshalb zu demjenigen,
der die Kerze hielt : Man zündet eine Kerze an und schreibt fehler-
haft. Eine Kerze anzünden, hat nicht den Sinn des Schreibens. —
Der Reichsgehilfe von Yen empfing das Schreiben und fand daran
Gefallen. Er sprach: Diejenigen, die eine Kerze anzünden, sind
*} Die TArmiachten Erzfihlnngen der «reaUichen Mntteratadt.
*y Die Geachichte dea Aulleaena dea Hinterlaaaenen Ton Wanfr-tae-nien.
*> Die Geachichte dea Anfleaena des Hinterlaaaenen.
*) Daa Buch Pao-pÖ-tae.
^) Daa Buch Wen-tae.
53 •
796 Pfizmaier
erleuchtet. Die Hohen und Erleuchteten erbeben die Weisen und be*
trauen sie. Das Reich wird dadurch verwaltet 9.
Hdai-nan-tse sagt : In der Welt hat man uro die Zeit die Sorge»
dass roan blind und unüberlegt sich selbst ausser Acht lisst Dieses
ist etwas von der Art der Fettkerze. Je mehr das Feuer sieh ent*
zündet, um so schneller wird sie verzehrt >).
Fing, Fürst von Tsin, befragte den Lehrmeister Khuang und
sprach : Ich bin siebzig Jahre alt und möchte gerne lernen. Ich
fürchte, es ist bereits Abend. — Der Lehrmeister Khuang sprach:
In der Jugend lernen, ist gleich dem Glänze des Sonnenaufgangs.
In reifen Jahren lernen, ist gleich dem Glänze des Mittags. Im Alter
lernen, ist gleich dem Lichte der Handkerze. Im Alter nicht lernen,
ist Finsterniss und gleich dem Wandeln in Nacht Was ist wohl
besser: das Licht der Handkerze, oder das Wandeln in Nacht? —
Der Fürst sprach : VortrelTlich ») !
Wang-I, dessen Jfinglingsname Kidn-fu, erhitzte die Kessel
mit Grütze. Schl-ki-lun briet und kochte mit Kerzenfeuer ^).
Der Frühling und Herbst von Yueri-ngan sagt: Ich las die
Überlieferungen von den Hiung-nu's in dem Buche der Han. Ich
verstand nicht die Worte Tscheng-li-ku-tu. Ich hatte einen Sclaven
von Hu, der die Kerze hielt. Ich kehrte mich nach ihm um uad
fragte ihn. Der Sciave sprach : Tscheng-Ii ist der Himmelssohn. Es
besagt, dass die Hiong-nu's den Schen-yu so benennen, gleichsam
wie die Menschen von Han einen Himmelssohn haben. — Hierdurch
ging mir ein helles Licht auf.
Die Erörterungen von Tsien-fu sagen:
Die Kerzen des Winkels spenden Licht in dem dunklen inneren
Hause. Die vorderen Kerzen beleuchten es gänzlich. Die rückwärts
brennenden Kerzen vermehren das Licht. Beide benützen einander
und bringen ein grosses Feuer zu Wege.
Die klaren Erörterungen der Verwandlungen von Tsai-schi
sagen : Der Drache FÖ-hi*s ist nicht mein Pferd. Die weisse Sonne
') Das Buch Han-tte.
2) Das Bach Hoai-nan-tse.
*) Der Garten der Gespriche.
^) Die Gespriche des Zeitalters. Das hier Angegebene wird als denkwird%e Ter^
schwendangssacht betrachtet.
i
Die Anwenduog und die ZufilligkeUen des Feuers io dem iilten China. 797
ist nicht meine Kerze. Wenn ich es verberge, wenn ich es verbeim-
liebe, so bewahre ich diesen Rohstoff.
Ein altes Gedicht sagt: Der Mensch lebt nicht volle hundert
Jahre. Er trägt beständig in dem Busen den Kummer von tausend
Jahren. Der Tag ist kurz und mühselig, die Nacht lang. Warum
wandelt er nicht mit einer Handkerze umher?
Ein Gedicht Lieu-tsching's sagt: Himmel und Erde haben kein
Ende, das im voraus bestimmt wäre. Das Leben des Volkes ist sehr
gekrümmt und beengt. Nennt man als Lebensdauer hundert Jahre,
wer ist im Stande, dieser Verzeichnung zu entsprechen? Sich sen-
kend und sich erhebend, flackert es, entfernt sich plötzlich. Das
Licht ist gleich der Kerze in dem Winde.
Die Inschrift der Kerzen von Fu-yuen lautet: Hellglänzend die
menaigrothe Kerze! Flammend ein fliBgendes Licht! Nimmt man sie,
so ist sie der Drachenscbatten. Vergleicht man sie, so ist sie ge-
bildet gleich dem Fu-sang. Sie erleuchtet jene ursprüngliche Nacht,
glühend wie der Lichtstoff des Morgens. Verbrennt man ihre Gestalt,
80 beaufsichtigt sie das Zeitalter. Ohne Dunkelheit hat sie keinen
Schimmer.
Denkwürdiges über Fackeln.
Kuang-wu beruhigte Ho-pe. Jin-kuang und Pe-king drangen
am Abend in Thang-yang. Die dahinschwebenden Reiter trugen
brennende Fackeln, Himmel und Erde erglühten überall in rothem
Lichte. Thang-yang erschrack und ward von Furcht ergriffen. Es
ergab sich in der Nacht >).
Muan-tschung führte den Jünglingsnamen Pe-ning. Derselbe
diente mit den von dem froheren Heerführer und dem Beruhiger der
Hauptstadt befehligten Kriegsheeren von Yang-tscheu. Sun-kiuen
befehligte eine Menge von angeblich zehnmal zehntausend Kriegern
und gelangte zu Ho-fei und Sin-tsching^). Tschung eilte sogleiqh
herbei. Er Hess an etliche zehn starke Kriegsmänner die Aufforde-
1) Die Geschichte der Han Ton der östlichen Warte.
^) Im xweiten Jahre des Zeitraames Kia-ho Ton U (233 n. Chr.) überfiel Sun-kitten,
Kaiser tod U, in eigener Person die Feste Sin-tsching in Wei, richtet« aber nichts
ans. In gleicher Weise inisslang ein im nächsten Jahre unternommener Angriff auf
Ho-fei in Wei.
798 Pfizmaier
rung ergehen, Fichten abzubrechen und daraus fackeln zu ver-
fertigen. Man begoss diese mit Hanföl» legte in der Richtung des
Windes Feuer und verbrannte die zum Angriffe dienenden Geräth-
Schäften der Rauber. Man erschoss Tai, den jüngeren Bruder KiuenV
Die Räuber traten hierauf den Rückzug an i).
Wang-I führte den Jünglingsnamen Tschung-te und stammte
aus Tai-yuen. Zur Zeit der Niederlage des Geschlechtes Fu war
Tschung-te siebzehn Jahre alt. Er griff zugleich mit seinem alteren
Bruder Jui zu den gerechten Waffen, kämpfte mit Mu-yung-tschui
und wurde geschlagen. Tschung-te wurde verwundet, entfloh auf^s
Gerathewohl und gelangte zu der glatten Erdstufe. Daselbst wurde
er wieder durch Tl-Iiao aufgehalten. Dieser wollte ihn bewegen, als
Anführer aufzutreten. Allein Tschung-te war gesonnen, nach Süden
zurückzukehren. Er verliess Liao und floh zu dem Tai-schan. Die
ihn verfolgenden Reiter Liao^s kamen in grosser Eile, und er gerieth
bei seinem nächtlichen Wandern in Bedrangniss. Da erblickte er
vor sich hellbrennende Fackeln, die ihm den Weg zeigten. Es ward
ihm dadurch möglich, dem Unheil zu entkommen^).
' Hiü-kia führte den Jünglingsnamen Te-tschin. Er diente dem
verdienstvollcQ Richter der Provinz als kleiner Angestellter. Er hielt
beständig ein Schwert, indess er aufwartete. Bei dem Hofe, den der
verdienstvolle Richter an dem ersten Tage des Monats um sich ver-
sammelte, hielt er zugleich eine Fackel. Kia ward jetzt zornig und
rief: Ich, der männliche Diener, bin ein Angestellter. Ich entkomme
nicht den niedrigen Dienstleistungen. — Er warf das Feuer in den
Teich, gürtete das Schwert um einen Sophorabaum und begab sich
schnellen Schrittes zu dem Thore des Versammlungshauses. Der
Vorgesetzte fragte ihn um die Ursache. Er antwortete : Ich entfernte
mich ursprünglich von den Futterschneidern und Hirten, kam hierher
und trat an den grossen Hof, um zu sehen die Verwandlungen der
Schule. Jetzt halte ich in der rechten Hand ein Schwert, mit der
linken Hand erfasse ich eine Fackel. Unter solchen Umständen bitte
ich, dass es mir vergönnt sei , Strafe zu empfangen und nach Hause
zurückzukehren >).
1) Die Denkwürdigkeiten von Wei.
*) Dai Buch der Sunp.
^) Die Überlieferungen von früheren Weisen aus Jii-n«n.
Die Anwendung und die Zufälligkeiten de« Feuers in dem alten China. 799
Wang-yao führte den Jünglingsnamen Pe-Iiao. Wenn in der
Nacht starker Regen fiel und Finsterniss herrschte, trat er aus dem
Hause und wandelte umher, ohne benetzt zu werden. Es waren zwei
Faekellichter, die sich immer vor ihm befanden <).
Die sechs Köcher sagen: Wenn drei Kriegsheere ausziehen,
leitet man die Kriegsmänner und die Menge. Am Morgen hat man
die Fernsicht der Wolkenleitern. In der Nacht stellt man zehn-
tausend Fackeln des Wolkenfeuers.
Hoai-nan-tse sagt: Der Flüchtling wagt es nicht, in der Nacht
eine Fackel zu erheben.
DenkwtLrdiges über die Leuchtfeuer des Vorhofes.
Das Schuo-wen sagt: Das Leuchtfeuer des Vorhofes ist eine
grosse Kerze.
Die Gebräuche sagen: Hundert Leuchtfeuer des Vorhofes sind
durch den Fürsten Hoan von Tsi in Gebrauch gekommen <).
Zu den Zeiten des Kaisers Ngai, im ersten Jahre des Zeitraumes
Hing-ning (363 n. Chr.), erging eine höchste Verkündung, der zu
Folge das Leuchtfeuer des Vorhofes innerhalb des äussersten Thores
gestellt werden sollte >).
Zu den Zeiten des Kaisers Tsching, im zwölften Monate des
achten Jahres des Zeitraumes Hien-ho (333 n. Chr.), meldeten die
Inhaber der Vorsteheramter an dem Hofe : Das Leuchtfeuer des Vor-
hofes befindet sich ansserhalh des Thores der öffentlichen Wagen.
Nach den Berathungen, die jetzt wieder gesammelt sind, befindet
es sich innerhalb des äussersten Thores. Man halte sich daran, dass
es innerhalb des alten Thores sei. — Eine erlassene höchste Ver-
kündung sagte: Der oberste Buchführer brachte an dem Hofe eine
Meldung, der zu Folge im neunten Jahre das Leuchtfeuer des Vor-
0 nie ÜberUeferangen ?on göttlichen Unsterblichen.
*) Ffirst Honn Ton Tsi masste sich die Rechte des Himoielssohnes sn. Was den Unter-
schied der Lenchtfeoer des Vorhofes betrifft, so hat ein Lehensfilrst erster Classe
deren ffinfslg, die LehensfSrsten zweiter, dritter, rierter und fSnfler Classe
dreissig.
^) Das Bnch der Erhebung Ton Tsin.
800 P f i z m a i e r
hofes sich innerhalb des äussersteu Thores befinden solle. Zu dea
Zeiten des Kaisers Ming befand es sich innerhalb des Thores der
öffentlichen Wagen. Mau kann sich an die alte Bequemlichkeit
halten f).
Schl-ll liess Leuchtfeuer yerfertigen, die zehn Klafter hoch
waren. Auf die obere * Schüssel stellte man das Leuchtfeuer. Die
untere Schüssel fasste bequem einen Menschen. Man umwickelte
den oberen und den unteren Theil mit dem Zugseile des Leucht-
feuers «).
SchT-hu stellte in den Vorhof der Vorhalle der Zusammenkunft
der Richtigen, ausserhalb des äussersten Thores und vor das Him-
melsthor Leuchtfeuer des Vorhofes, je zu zweien an sechs Orte.
Dieselben waren sechs Klafter hoch >).
Hoan, Fürst von Tsi, errichtete ein Leuchtfeuer des Vorhofes.
Es war um der Torzöglichen Männer willen, denen er entgegengehen
und die er empfangen wollte. Nach einem Jahre waren die vorzug-
lichen Männer nicht angekommen. Es war der Mensch einer Laad-
Stadt des östlichen freien Feldes, der sich wegen der Rechenkunst
vorstellte. Fürst Hoau sprach : Ist die Rechenkunst werth, dass man
ihretwegen sich vorstellt? — Jener antwortete: Ich stelle mich nickt
vor, weil die Rechenkunst es werth ist. leh habe gehört, dass der
Vorgesetzte und Gebieter ein Leuchtfeuer des Vorhofes errichtet
hat und auf die vorzüglichen Männer wartet. Nach einem Jahre sind
sie noch nicht angekommen. Dass die vorzüglichen Männer nicht an-
kommen, ist desswegen, weil der Gebieter der weiseste Gebieter
der Welt ist. Die vorzüglichen Männer der vier Gegenden meinen«
dass sie den Gebieter nicht erreichen. Aus diesem Grunde kommen
sie nicht. Der Rechner besitzt nur unbedeutende Fähigkeit, und der
Gebieter ehrt ihn noch immer. Um wie viel mehr wird er dieses bei
denjenigen thun, die weiser sind als der Rechner? — Fürst Hoan
fand dieses gut und ehrte ihn. Nach einem Monate kamen die vor-
züglichen Männer^).
0 Die weiteren Erkliniigea der Untemehmungeii toü Tsia.
2) Dm Baeh der Tschao.
^) Die Getchtchte Scht-hu*« in Y2.
^) Der Garten der Gesprfiche.
Die Anwendung und die Zufälligkeiten des Feuers in dem alten China. 801
Denkwürdiges über den Bauch.
Zu den Zeiten des Kaisers Yueii sangen die Junglinge das fol-
gende Lied : Das Wasser des Brunnens überströmt und löscht den
Rauch des Herdes. Es ergiesst sich in die Edelsteinhalle und fliesst
zu dem goldenen Thor <).
Siu-siang aus derProvinzU war Statthalter von Tschang-scha.
Er ass immer trockenen Reis und Hess keinen Rauch und kein Kessel-
feuer zum Vorschein kommen <).
Hoan-yuen hiess Hoan-kien an den Ausgängen von Tung-ling
die Streitmacht sammeln. Pien-fan-tschi sammelte die Streitmacht
im Westen des Berges des umgestürzten Schiffes. Kao-tsu ging in
eigener Person voran, die Anführer und Kriegsmänner liefen ihm zu.
Der Nordwestwind wehte heftig. Kao-tsu gab den Befehl, Feuer an-
zulegen. Der Rauch umspannte jetzt den Himmel <).
Mai führte in seiner Jugend den Namen Ying. Yen-king von
Kao-ping und Andere begaben sich zu ihm und empfingen ihre Voll-
endung. Ying sprach : Der Gebieter von dem Geschlechte Yen kann
die Luft gebrauchen und die Brodfrucht abtrennen. Der Gebieter
Ton dem Geschlechte Peng soll Arzneien als Lockspeise gebrauchen
und die Luft vermehren. — Als King und die Anderen sich entfernen
wollten, verbrannte Ying Wohlgerüche und trat in einem fünfiarbi-
gen Rauche hinaus. Ying entfernte sich ebenfalls, und Niemand
wusste, wo er sich befand ^).
Ning-fung-tse lebte zu den Zeiten des gelben Kaisers und war
bei dem Kaiser der Richtige der Töpfergeschirre. Er begegnete
einem göttlichen Menschen. Er handhabte jetzt das Feuer und war
im Stande, fünffarbigen Rauch hervorzubringen »).
Der Kaiser des Anfangs aus dem Hause Thsin ward auf dem
Berge Li begraben. Ein junger Schafhirt liess Feuer auskommen und
<> Dm Buch der Han.
^y Das Ton Sie^scbing verfasste Buch der späteren Han.
^ Das TOB Tschin-y5 ver&sste Buch der Sung.
^> Die besonderen Überlieferungen von Hiu-mai.
*y Die Überlieferungen von Unsterblichen.
802 P f i z in a i e r
steckte die Steile in Brand. Durch drei Monate 'qualmte der Rauch
ohne Unterbrechung <).
Aus der Wand des Gemaches Sung-hiifs , kaiserlichen Ver-
merkers zu den Zeiten des früheren Liang, drang Rauch hervor. Als
man die Stelle aufgrub und nachsah, war ein besonderer Pfeileria
Brand gerathen. Hiu sagte zu seinem jüngeren Bruder Tsebing:
Bei dem Pfeiler als Schriftzeichen befindet sieh zur Rechten des
Holzes der Vorgesetztes). Das Wort Sung enthält Holz'). Das Holz
ist in Brand gerathen. Das Geschlecht Sung wird zerstört» jedoch
der Vol'gesetzte bleibt am Leben. Diess ist das grösste der unheil-
vollen Ereignisse. Man sollte daran denken, wie es abzuwehren ist.
— Später Hess Tschang-hu die Genossen Sung-hoen*s hinrichten^).
Vierhundert Weglängen von dem Berge der gezählten Ber^-
spitzen befindet sich ein Teich, der eintausend Weglängen im Um-
fange hat. Die Farbe desselben verändert sich nach den vier Jahres-
zeiten. In ihm findet man eine gottliche Schildkröte mit acht Füsseo
und sechs Augen. Auf dem Rücken trägt sie die Abbildungen der
sieben Sterne, der Sonne, des Mondes und der acht Gegenden. Fer-
ner sind daselbst vier Kerzen, die zu Zeiten über glühenden Steinen
hervorkommen. Erblickt man sie in der Höhe, so glänzen sie wie
Reihen von Sternen. In der Dunkelheit und wenn es regnet, ist ihr
Glanz noch heller. Diese Steine schwimmen immer an dem Rande
des Wassers in einer Ausdehnung von mehreren hundert Weglän-
gen. Sie sind von Farbe stark rothweiss. Wenn man sie brennt, so
entsteht Rauch auf einer Strecke von mehreren hundert W^eglängen
und steigt zu dem Himmel. Er bildet dann wohlriechende Wolken.
Wenn die wohlriechenden Wolken ringsumher befeuchten, so bilden
sie wohlriechenden Regen ^).
Wen, Fürst von Tsin, verbrannte den Wald, um Kiai-tui aufzu-
suchen. Es erschienen weisse Krähen, die den Rauch umkreisten und
1) Die Geschichte der drei Theln.
*) Das Wort It Tschu „Pfeiler" ist aus "^ Mo „Hola* und zt Tschi .Vor-
gesetzter* zusammengesetzt.
3) '-TJn Song, hier ein Geschlechtsname, zeigt unter einem Dache das Wort ^^
Mo »Holi".
*) Die erweiterte Geschichte der fünf Grundstoffe in der alten und gcgeavirfifen
Zeit.
^) Das Auflesen des Hinterlassenen Ton Wang- tse-nien.
Die Anwendung und die Zuflilligkeiken des Feuers in dem alten China. 803
schrien. Einige sammelten sieh neben Kiai-tse, und das Feuer konnte
ihn nicht verbrennen. Die Menschen von Tsin hielten dieses für ein
gutes Zeichen. Sie errichteten für ihn eine Erdstufe und nannten
sie : den unterdrückten Rauch i)-
Im Westen von Thsin liegt ein Reich, Namens I-khiü, Wenn
daselbst nahe Verwandte sterben, so sammelt man Brennholz, häuft
es und verbrennt sie. W^enn der Rauch sich erhebt, so nennt man
dieses: in die Ferne steigen. Dann erst ist man ein elternliebender
Sohn geworden «).
Hoai-nan-tse sagt: Bei der Ankunft des Winters, an dem Tage
Kiä-tse (1), wenn man die Einrichtungen erhält und das Holz zu
den Geschäften gebraucht wird, ist der Rauch des Feuers grün.
Nach zwei und siebzig Tagen, an dem Tage Ping-tse (13), wenn
man die Einrichtungen erhalt und das Feuer zu den Geschäften ge-
braucht wird, ist der Rauch des Feuers roth. Nach zwei und siebzig
Tagen, an dem Tage Meu-tse (25), wenn man die Einrichtungen
erhält und die Erde zu den Geschäften gebraucht wird, ist der Rauch
des Feuers gelb. Nach zwei und siebzig Tagen, an dem Tage Keiig-
tse (37), wenn man die Einrichtungen erhält und das Metall zu den
Geschäften gebraucht wird, ist der Rauch des Feuers weiss. Nach
zwei und siebzig Tagen, an dem Tage Jin-tse (49), wenn man die
Einrichtungen erhält und das Wasser zu den Geschäften gebraucht
wird, ist der Rauch des Feuers schwarz >).
In dem Reiche Khio-thse liegt ein Berg. In der Nacht zeigt
sich auf ihm ein glänzendes Feuer. Am Tage steigt fortwährend
Rauch auf«).
Die richtigen Verkundungen von Yen-yen sagen : Das Feuer
enthält Rauch, aber der Rauch steht dem Feuer im Wege. Der
Zimmtbaum birgt in sich Holzwurmer, aber die Holzwürmer zerstören
den Zimmtbaum. Wenn die Holzwürmer gross sind, ist der Zimmt-
baum gebrochen.
1) Da« Anflesen des Hinierlassenen.
2) Das Buch Lie-tse.
^) Dse Bach Hoai-nan-tse.
*) Die Denkwürdigkeiten von den Reichen der westlichen Grenzen.
804 P f i E m a i e r.
Denkwürdiges über Kohlen.
Die Gebräuche sagen: In dem letzten Monate des Herbstes
werden Pflanzen und Baume gelb, und die BiStter fallen. Man fallt
jetzt Brennholz und erzeugt Kohlen.
Der Fürst von Tschu befand sieh auf der Erdstufe des Thores
und blickte auf den Vorhof herab. Der Pfortner begoss mit dem
Wasser eines Kruges den Vorhof. Der Fürst von Tschu sah dieses
und gerieth in Zorn. Der Pförtner sprach: I-yNku hat Wasser ge-
lassen. — Der Fürst gab Befehl, Yl-ku zu ergreifen. Man fand ihn
nicht, und der Fürst zürnte immer mehr. Er warf sich auf das
Bett, fiel in die Kohlen des Ofens und verbrannte sich. Hierauf
starb er*).
Bei dem Tode des Fürsten Wen von Sung machte man deo
Anfang mit der prunkvollen Bestattung. Man verwendete rerkoblte
Austern «).
Yuen, Fürst von Sung, fasste den kleinen Diener Lieu und
wollte ihn tödten. Als der Fürst die Trauer hatte, erhitzte Lieu Koh-
len unter dem fursth'chen Sitze *). Wenn der Fürst kommen sollte,
entfernte er sie ^). Zur Zeit der Bestattung ward er Gberdiess der
Gunst theilhaftig ft).
Schao-kiüii, die jüngere Schwester der Kaiserin von dem Ge-
schlechte Tu, ward durch Menschen abgemachter Weise verrathen.
Sie trat für die Gebieterin des Hauses in das Gebirge und bereitete
Kohlen. Die Uferbank, auf der sie sich am Abend niederlegte, stürzte.
Über hundert Menschen wurden erdrückt. Schao-kiün allein entkam
dem Tode »).
Das Buch der Han sagt : Früher als um die Zeit der Ankunft
des Winters und des Sommers hängt man Eisen und Kohlen je an
ein Ende des Wagebalkens und bewirkt, dass sie ins Gleichgewicht
kommen. Wenn im Winter die Luft des Yang ankommt, so steigen
>) Die Überlieferungen Tso 's.
*) Die Überliererungen Tso^s. Man verbrannte Austern su Koblen and opferte damit
an der ölTkiung des Grabes.
*) Er woUte dadurch den Boden erwirmen.
^) Er bewerksteUigte, dass der Fürst sieb an dem Orte niedersetzen konnte.
^) Fürst Ynen liebte und hasste auf ungewöhnliche Weise.
«) Das Sse-ki.
Die ADweodung und die Zufilligkeiten des Feuers in dem nlien China. 805
die Kohlen nach aufwärts, jedoch da« Eisen sinkt abwärts. Wenn
im Sommer die Luft des Yin ankommt, so sinken die Kohlen nach
abwärts, jedoch das Eisen steigt aufwärts. Man beobachtet hierdurch
die zwei Ankünfte.
Wang-tschin war stechender Vermerker von Yö-tschang. Er
Hess eine Aufforderung herab gelangen, ihn darüber zu belehren, wie '
er geraderedende Männer suchen könne. TsehtVlio-yin, der Voi^
gesetzte der Register, erwog dieses und sprach: Dass Yao» Schün
und der Fürst von Tscheu veranlassen konnten redliche Vorstellun«
gen, ist desswegen, weil ihr wahrhaftiges Herz offenkundig war. Eis
und Kohle sprechen nicht, dass aber ihre kalte und heisse Wesen-
heit sich ins Licht stellt, ist desawegen, weil sie die Wirklichkeit
haben. Liebt man Redlichkeit und Geradheit gleichwie Eis und
Kohle von selbst sind, was sie sind, so werden die geraderedenden
Diener in grossen Mengen die Vorhalle erfüllen. Die dem Ohre zu-
wideren Worte werden, ohne dass man sie sucht, von selbst her-
beikommen <)•
Sün-teng weilte auf den Bergen von I-yang. Ein Köhler sah
ihn und erkannte, dass Jener ein ungewöhnlicher Mensch sei. Er
redete ihn an. Teng antwortete ihm nicht s).
Als Kao-thsung starb, hatte er zehn Buhlerinnen. Einige von
ihnen hatten Kinder, andere waren kinderlos. Er hiess sie die Finger
verbrennen, Kohlen verschlucken, aus dem Hause treten und Nonnen
werden •).
Schaortsching führte den Jünglingsnamen Te-fang und stammte
aus Scban-ytn. Er war von Gemüthsart bedächtig. Als man zu der
Bestattung des Mannes von dem Geschlechte Tschang eilte, liess
Jemand glühende Kohlen in den Schuh des Gebieters fallen. Die
sitzenden Menschen glaubten, dass der Gebieter es nicht gesehen
habe. Sie riefen ihm schnell zu. Der Gebieter kehrte sich nicht ein-
mal um^).
Yen-tsing war ein Eingebomer von Kuei-ki. Er brannte in
dem Gebirge Kohlen. Plötzlich erschien ein Mensch, der ihm ein
0 Das Buch der Tain.
2) Das Bach der Tsin.
') Da« B«ch der spfiteren Wei.
*) Die Überlieferungen von dem Hause des Geschlechtes Schao.
o06 P f i z iti a i e r
aus einer Rolle bestehendes ungeschmucktes Buch gab und dabei
sprach : Deine Knochen sind derart, dass du den Weg erlangst und
lange lebst. Desswegen übergebe ich dir ein gottliches Buch i).
An dem im Sudosten von Tsi befindlichen Flusse Lu trifft mau
zur Seite des Wassers den das Feuer überwindenden Baum. Die
* Menschen der Gegend bezeichnen ihn gemeiniglich durch die Laute
Ting-mö (der ausgezogene Baum). Wenn man über das freie Feld
geht ui>d ihn verbrennt, so stirbt er nicht ab. Die Kohle erlischt auch
nicht. In den östlichen Gegenden gibt es einen aschenlosen BsHim').
In dem Districte Fung-tsching, Bezirk Kö, findet man Stein-
kohlen auf einer Strecke von zweihundert Hundertmorgen Landes.
Man kann sie anzönden, mit ihnen kochen und die Kessel heizen*).
Auf dem Berge Tsao-teu (dem Berge des Herdhauptes)» an der
Stelle, wo die Mensc|ien von Yue kochen und die Kessel heizen,
gräbt man die Erde auf und findet Kohlen «).
Hoai-nan-tse sagt: Es lässt sich vergleichen mit Eis und Kohle,
mit dem Hakigen und Schuurgleichen. Wann können sich diese ver-
einigen &)?
Man hängt Flögelfedern mit Kohlen auf und kennt die troekeoe
und die feuchte Luft <).
Wenn die Feuchtigkeit ankommt, sieht Niemand deren Gestalt,
aber die Kohlen sind bereits schwer. Wenn der Wind ankommt, sieht
Niemand dessen Bild, aber die Bäume bewegen sich durch ihn ?).
In der Welt ist nichts, das sich gegenseitig mehr hasst, als
Leim und Pech>), und nichts, das sich gegenseitig mehr liebt, als
1) Die ÜberliefernDgen von göttlichen Unsterblichen.
^) Die Geschichte des Landes von Tsi.
') Die Geschichte Ton Yü-tschang.
^) Die Geschichte ron Kiao-tscheu.
*) Das Buch Hoai-nan-tse. Das Eis ist kalt, die Kohle heiss. Sie können sich ^«tch>
wie das JCnimme und Gerade niemals rereinig^en.
*) Das Buch Hoai-nan-tse. Durch Trockenheit werden die Kohlen leicht, dnrck
Feuchtigkeit werden sie schwer.
'^) Das Buch Hoai-nan-tse.
®) Leim und Pech halten einander fest und lösen sich nicht. Desswegen heisst e>:
Sie hassen sich. Einige sagen: Wenn Leim in das Pech dringt, so rcrdirbl er.
Wenn Pech in den Leim dringt, so Tcrdirbt er ebenfaUs. Leim und Pech, sam es
grosse oder kleine Mengen, hfilt man ron einander fem. Desswegen engt oms :
Sie hassen einander.
Die Anwendung und die Zufälligkeiten des Feuers in dem alten ChiuM. 80 T
Eis und Kohlen >). Leim und Pech morden einander. Eis und Kohlen
beleben einander«).
Pao-po-tse sagt: Das Weidenholz ist ein Gegenstand, der
schnell verfault. Brennt man aber daraus Kohlen» so sind diese in
hundert tausend Jahren nicht verdorben *).
Yü-jang wollte sich an Siang-tse rächen. Er zerstörte seinen
Haarschopf, entfernte die Augenbrauen und veränderte seine Gestalt.
Er trat als Bettler auf, ging hin und bettelte bei seiner Gattin. Diese
sprach : Diess ist Jemand, dessen Äusseres keine Ähnlichkeit mit
demjenigen meines Mannes hat. Warum hat seine Stimme mit der-
jenigen meines Mannes so grosse Ähnlichkeit? — Siang verschluckte
jetzt Kohlen und veränderte seine Stimme*).
Als Tsching-hoei von Sin-ngan jung war, stieg er zu der vor-
deren Brücke und ging auf und ab. Er sah einen Greis, der ihm
einen kleinen Beutel gab und sagte: Dieses ist dein Lebensloos.
Hute dich, dass du es nicht fallen lassest. Wenn es zersprengt oder
zerbröckelt wird, so ist dieses ein Zeichen sofortigen Unheils. —
Als der Greis ausgeredet hatte, war dessen Spur verloren. Hoei
öffnete heimlich den Beutel und sah hinein. Es war darin ein Stück
Kohle. Er beschloss jetzt, es zu verlieimlichen, und selbst seine
Hausgenossen wussten davon nichts. Im dritten Jahre des Zeitraumes
Yuiig-thsu (109 n. Chr.), als er sechzig Jahre alt war, erkrankte
er ernstlich. Er sagte zu seinen Schülern : Meine Jahre sind zu
Ende. Ihr könnet versuchsweise diesen Beutel öffnen. — Man sah,
dass die Kohle zerbröckelt war. Bald hierauf starb er^).
Die Erörterungen über Salz und Eisen sagen : Eis und Kohlen
können nicht in einem gemeinschaftlichen Geßsse sich befinden.
Die Kohlen der Bäume des kleinen Waldes unter dem Flusse
Lü sind nur gleich Hirsekörnern. Yang-sieu war stolz und gewaltig.
Er zerstiess die kleinen Kohlen zu Pulver, versetzte dieses mit eini-
gen Gegenständen und verfertigte daraus Thiergestalten. Später
waren die Genossen, die er unter einem Vorwande zu sich berief.
^) Wenn das Eis Kohlen erhfilt, so löst es sich. Wenn es sieh löst, so wird es sn
Wasser und erlangt seine ursprfingliche Eigenschaft wiederv Wenn die Kohlen Eis
erhalten, so bewahren sie sich als Kohlen. Desswegen sagt mau: Sie lieben einander.
S| Das Buch Hoai-nan-tse.
*) Das Buch Pao-pö-tse.
*) Der Frühling und Herbst des Geschlechtes Liü.
^) Der Garten der Merkwürdigkeiten.
808 Pfiimaier
versammelt. Er zündete diese Gestalten bei dem Feuer des warmen
Weines an. Sobald dieses gescheh^en war, öffneten die wilden Thiere
den Mund, wendeten sich gegen die Menschen und erglühten. Die
gewaltigen Männer schätzten ihn hoch. Sie unterwarten sich und
richteten sich nach ihm i).
Das Ton Ku*I Terfasste bilderlose Gedicht auf den Nachtvogel
sagt: Himmel und Erde sind ein Ofen» die schaffenden Verwandlun-
gen sind der Kunstler. Das Yin und Yang sind die Kohlen, die zehn-
tausend Wesen sind das Kupfer.
Denkwürdiges über Asche.
Schang-yang von Thsin gab qualerische Gesetze! Wer Asche
auf den Weg warf, wurde gestraft«).
Han-ngan-kuö ward in Anklagestand versetzt, und man ging
seinem Verbrechen gemäss vor. Tien-kiä, ein Angestellter des Ge-
fängnisses, beschimpfte ihn. Ngan-kuo sprach : Wird die todte Asche
allein nicht wieder entzündet? — Kiä sprach: Wenn sie sich ent-
zündet, lässt man auf sie sogleich Wasser *).
Kaiser Wu grub den Teich von Kuen-ming und fand schwarze
Asche. Ein Mensch des auswärtigen Reiches Hu sagte : Dieses ist
das Überbleibsel der bedrohenden Asche des Himmels und der Erde.
— Man fragte Tung-fang-so. Dieser hielt es für glaubwürdig*).
Yang-yo war Statthalter von Ling-ling. Um die Zeit machten
die Räuber von Thsang-wu Gbert^älle und bedrohten. Yo verfertigte
etliche zehn Wagen und belud sie mit Asche. Er streute die Asche
in der Richtung des Windes aus. Die Rauber konnten nicht sehen»
und durch dieses Mittel schlug er sie s).
Wen-kin war Statthalter von Liü-kiang. Er wurde von Wang-
ling, dem Beruhiger der Hauptstadt, zum Gegenstande einer Meldung
an dem Hofe gemacht. Kin beklagte sich bei Tschao-schuaiig.
Schuang sprach: Ling nimmt es dir übel, dass du zwei Schiffe mit
Asche beladen hast. Doch was hat dieses zu bedeuten? Ich habe ge-
1) Der Waid der Gesprilche.
*) DMSse-ki.
^) Das Buch der Han.
^) Das Buch der Han.
^) Das Buch der späteren Han.
Die Anwendung und die ZufSUigkeiten des Feuers in dem alten China. 800
hurt, dass du ein Färbehaus errichtet hast, und aus diesem Grunde
brennst du Asche i).
Tsehang-khiü führte den Jönglingsnamen Tse-tsing und war
Statthalter von Keu-tschang. Daselbst war ein Weib, welches ihren
Mann tödtete. Sie zündete dabei das Haus an und sagte, dass er ver*
brannt sei. Sein jüngerer Bruder schöpfte Verdacht und klagte sie
an. Khiü untersuchte den Leichnam, öffnete dessen Mund und be-
trachtete ihn. Es fand sich in ihm keine Asche. Er hiess Leute zwei
Schweine nehmen, das eine tödten und das andere lebendig zugleich
mit diesem verbrennen. Er öffnete und betrachtete deren Mund. Bei
demjem'gen, das man getödtet hatte, fand mau keine Asche. Bei dem-
jenigen, das lebendig gewesen, fand man Asche. Es war jetzt offen*
bar, dass das Weib den Mann früher getödtet und dann verbrannt
hatte. Hierauf gestand erst das Weib ^).
Kieu-mo-io-schl war ein Mensch von Thien-tschö. Tschang*
thse, der Aufseher der Bucher der Mitte, erkrankte. Liü-kuang, der
Heerführer der kühnen Reiter, bemühte sich auf alle Weise um des-
sen Herstellung. Lo-tscha, ein Mensch des Weges aus den auswär-
tigen Reichen , sagte , dass er die Krankheit Thse*s heilen könne.
Kuang freute sich und beschenkte ihn sehr reichlich. Lo-schi mel-
dete Thse, dass Jener gelogen habe und sprach : Tscha kann keinen
Nutzen bringen. Er verursacht bloss Ungelegenheit und Auslagen.
Die dunklen Kreisläufe sind zwar verborgen , allein man kann es
durch etwas versuchen. — Er verfertigte jetzt aus fünfiärbiger
Seide eine Schnur, knüpfte sie und verbrannte sie zu Asche. Das
Pulver warf er in das Wasser. Wenn die Asche aus dem Wasser
herauskommen und wieder zur Schnur werden sollte, so würde die
Krankheit unheilbar sein. In wenigen Augenblicken sammelte sich
die Asche, schwamm heraus und ward wieder zur Schnur. Die Hei-
lung durch Tscha fand sich wirklich nicht bestätigt. Nach wenigen
Tagen starb Thse <).
Sitt-tu-fang aus Schin-wu, zu den Zeiten der Tsi Richter von
Pa— fu-tien und dritter Zugetheilter des Kriegsheeres, hatte sinnreiche
Gedanken. Er war im Stande, mit einem Rohre die Luft zu erspähen
uod emporblickend die Farbe der Wolken zu beobachten. Er befand
<3 ^*^ abgekfinten Denkwürdigkeiten von Wei.
*y Die Yeneichnitfe ron U.
^y Dm Bach der Ttin.
Sitxb. d. phU -bist. Cl. LXV. Bd. IV. Hft. 54
810 Pfizmaier
sieh einst Mensciien gegenüber im Gespräche. Er blickte empor,
zeigte zu dem Himmel und sprach: Die Luft des ersten Monates
des Frühlings ist angekommen. — Die Menschen gingen hin, überzeug-
ten sich durch das Rohr, und die fliegende Asche hatte bereits ent-
sprochen. Indem er sagte, was er allmonatlich erspähte, befand er
sich niemals im Irrthum. Er verfertigte ferner vier und zwanzig
Radfacher, vergrub sie in die Erde und ergründete dadurch die vier-
und zwanzig Lüfte. So oft eine Luft angeregt ward, bewegte sieh
ein Fächer, jedoch ilie anderen Fächer lagen still. Dieses entsprach
der Asche des Rohres gleich einer Beglaubigungsmarke <).
Im neunten Jahre des Zeitraumes Khai-hoaug (S89 o. Chr.),
nachdem man Tschin beruhigt hatte, entsandte Kao-tsu die Männer
Mao-schuangy Tsai-tse-yuen, Yü-pu-ming und Andere, damit sie die
Abschnitte der Luft erspähen. Dieselben hielten sich an das Alter-
thum. In dem dreifachen versteckten inneren Hause verfertigten sie
aus Holz zwölf Bänke. Sie nahmen regelmässig die Rohre der Musik-
tone, legten sie nach den Rangstufen der zwölf Sternbilder auf die
Bänke und bargen sie mit Erde. Nach oben machte man sie mit der
Erde gleich. In der Mitte füllte man sie mit Asche von Binsenhaut.
Mit leichter rothgelber Leinwand überdeckte man einfach die Mun-
dung des Stimmrohres. So oft die Luft des Monates ankam und sieb
mit' dem Stimmrohr dunkel in Verbindung setzte , flog die Asche
ungestüm auf, zerstob einfach nach aussen, und die Luft entsprach.
Man hatte die Unterschiede der frühen und späten Zeit. Die Asehe
flog in grossen und kleinen Mengen auf. Bisweilen geschah dieses,
sobald man in den Monat trat, und die Luft entsprach sogleich. Bis-
weilen erreignete es sich, dass in der mittleren und unteren Decade
die Luft erst entsprach. Bisweilen flog die Asche drei bis fünf Nächte
und war dann zu Ende. Bisweilen flog sie einen ganzen Monat in
kleinen Mengen. Kao-tsu wunderte sich darüber, und er fragte dess-
halb Nieu-hung. Hung antwortete : Wenn die Asche zur Hälfte her-
ausfliegt, so ist dieses die einmüthige Luft. Wenn es die ganze Asehe
herausbläst, so ist dieses die rasende Luft. Wenn es die Asche nickt
herausblasen kann, so ist dieses die schwindende Luft W^enn die ein-
müthige Lutt entspricht, so ist die Lenkung friedlich. Weon die
rasende Luft entspricht, so sind die Diener fahrlässig. Wenn die
0 Das Buch der Sui.
Die Anweodung und die ZufiilUgkeitan des Feuers in dem «Iten Chioa. 811
schwindende Luft eutsprieht, so ist der Gebieter ein Bedrücker. —
Kao-tsu bestritt dieses und sprach : Wenn die Diener fahrlässig sind,
der Gebieter ein Bedrücker und die Lenkung nicht friedlich» so ist
dieses nicht nach Monaten getrennt und verschieden. Jetzt sind die
Entsprechungen der Stimmrohre der zwölf Monate binnen einem
Jahre nicht die nämlichen. Wie wäre es möglich, dass es mit dem
bedrückenden Gebieter, den fahrlässigen Dienern so arg ist? — Hung
konnte nicht antworten <).
In Tsching lebte ein Zauberer, Namens Ki-hien. Derselbe
bannte Leben und Tod, Fortbestand und Untergang, Glück und Un-
glück, das lange und das kurze Leben der Menschen. Er bestimmte
die Zeit nach Jahren, Monaten, Decaden und Tagen gleich einem
Gotte. Die Menschen von Tsehing, die ihn sahen, verliessen ihn und
entliefen. Lie-tse sah ihn, und sein Herz war trunken. Er kehrte
heim und erzählte es Uu-tse. Dieser sprach: Ich werde es ver-
suchen und mit dir hinkommen. Mögest du mich ihm zeigen. — Den
nächsten Tag erschien LiS-tse mit ihm zum Besuche. Hu-tse trat
hinaas, undUien sagte zu Lie-tse : Dein Frühgeborner ist leider todt, er
ist nicht lebendig. Man kann es nicht nach Decaden zählen. Ich habe
etwas Wunderbares gesehen. Ich habe feuchte Asche gesehen <).
Nan-kö-tse sass auf einer mit Seide gestickten verborgenen
Bank. Er blickte zu dem Himmel und blies die Luft von sich. Er
war ganz aufgelöst, als ob er seine Gefährten verloren hätte. Yen-
tse brachte seine Wanderung zu Stande. Er stand aufwartend vor
ihm und sprach: Warum ist dieses? Ist die Gestalt in Sicherheit, so
kann man bewirken, dass man gleich dem dürren Baume ist. Ist aber
das Herz in Sicherheit, so kann man bewirken, dass man gleich der
todten Asche ist <).
In dem Zeitalter von U besasa Yao-kuang die Kunst des Feuers.
Der Vorgesetzte von U stellte ihn auf die Probe. Er häufte mehrere
tausend Bündel Binsen, wickelte ihn in sie und verbrannte sie bei
einem heftigen Feuer. Als die Binsen gänzlich verbrannt waren,
glaubte man, dass Kuang bereits in Rauch und Brandreste verwan-
delt sein müs$e. Allein Kuang sass mitten in der Asche, schüttelte
0 Da« Bach der Sui.
*) Daa Bnch Tscbaang^-tse. Feuchte Asche bewerkstelligt die VenraDdlang der stiUea
dunklen Seele. Es Ist um die Zeit, wo der Mensch ohne Anre^ng ist.
*) Daa Buch Tschuang-ts«. „Dfirrer Baam** und „todte Asche* beieichnet die Ruhe
und das Freisein run Leidenschaft.
54*
812 PrisiDiier,Die Anwead. a. d. Zafilligk. d. Fevers in d. alt. Cbiaa.
die Kleider und stand auf. Er hielt in der Hand eine Rolle Schriften.
Der Vorgesetzte von U nahm die Schriften und blickte in sie. Er
war nicht im Stande, sie zu entziffern i}.
König Wu richtete den Angriff gegen Yin. Er fand zwei Grosse
und fragte sie: Wird das Reich der Yin zu Grunde gehen, und hat
es auch Ungeheuerlichkeiten? — Der Eine dieser Manner antwor-
tete : In dem Reiche der Yin regnet es beständig Blut. Es regnet
Asche und blutige Steine. — König Wu sprach : Grosse Unwetter
sind eine Ungeheuerlichkeit. — Der andere Mann sprach : Dieses ist
keine grosse Ungeheuerlichkeit Die grossen Ungeheuerlichkeitea
des Reiches der Yin füllen sieben und dreissig Abschnitte, aber das
Regnen von Asche, das Regnen von Blut und Steinen mochte ich nicht
für Ungeheuerlichkeiten und Unwetter halten. — König Wu war in
die Enge gebracht und fragte nach den Ungeheuerlichkeiten in
sieben und dreissig Abschnitten. Jener antwortete: Der Gebieter
der Yin liebt es, nach den Menschen zu schiessen. Er hat Freude
daran, mit Menschen die Tiger zu speisen. Er hat Freude daran, die
Herzen der Menschen zu zerschneiden. Er hat Freude daran,
Weiber zu tödten. Er hat Freude daran, die Väter der Menschen zu
tödten und die Söhne der Menschen zu Waisen zu machen *).
Tschang-pe von Tsching-to in der Provinz Scho trat in einem
Alter von zehn Jahren als Mann des Weges auf. Er verkehrte mit
dem Reingeistigen und hatte ferne Spiegelung. Er trank um die Zeit
zehn Gantang dicker Lauge. Er sagte, dass er damit die Eingeweide
wasche und Krankheiten heile *).
Die Geschichte des Anschlusses an den Eroberungszug sagt:
Die naturliche Asche hat das Aussehen von gelber Asche. Sie ent-
steht an dem Ufer des Meeres. Man wirft sie in das Wasser
und wäscht Kleider. Man braucht diese nicht mit Wasser zu be-
giessen.
Die Erörterungen der Ordnung der Dinge sagen: Aus dem
Bambus des Berges des goldenen Thores in dem Districte I-yang
verfertigt man Stimmröhre. Aus der Binsenhaut von Ho-nei brennt
man A^che. Man kann durch diese die Lufl erspähen.
0 Das Buch Pao-pd-Ue.
') Die »ecke Röcker.
*) Die Geschickle der eraihltea Merkwärdigkeitea.
H'örier« Ano« von Luieroburg etc. 813
Anna von Luxemburg,
Kaiser Earrs IV. Tochter, König Richard's IL Gemahlin,
Königin von England. 1382—1394.
4
(Abhandlung für die Dtnk»ekritlen der k. k. Akademie der Witeenechaften.J
Von C. Höflcr.
Dem aufmerksamen Forscher der Geschichte des Mittelalters
kann es nicht entgehen, dass mit dem Ende der Siebeuziger Jahre
des XIV. Jahrhundertes eine Veränderung sich bemerkbar macht, wie
man sie bis dahin nicht beobachtete. Alle früheren Krisen lassen auf
eine Besserung der Zustände hoffen; die mit dem Jahre 1377/8 ein-
getretene trägt die Worte jener Grabschrift an sich:
spes et fortuna valete.
Es ist nicht blos das rasche Absterben massgebender Persön-
lichkeiten, welche wie auf gemeinsame Verabredung beinahe gleich-
zeitig den Schauplatz ihrer Thaten verlassen. Erst Papst Gregor *s XI.
des Besten unter den avignonesischen Päpsten, welcher, überzeugt,
dass ein lang gefibtes Unrecht gut gemacht werden müsse, und deshalb
entschlossen, nach Rom zurückzukehren, über die eigene Mutter hin-
wegschritt, als diese in übertriebener Zärtlichkeit ihren Sohn von
dem entscheidenden Schritte zurückhalten wollte, der aber nach Rom
zurückgekehrt unter den trübsten Vorahnungen einer schlimmen Zu-
kunft 27. März 1378 stirbt. Nicht blos der um neun Monate früher
fallende Tod Konig Eduards III. von England, der den eigenen
Sohn, den Sieger von Poitiefs, wie die eigene Grösse überlebend am
21. Juni 1377 starb. Nicht blos der verhältnissmässig frühe Tod Kaiser
814 H ö f 1 er
Kar]*s IV. (1378), weichet* mit grosser Vorsicht Alles aufgeboten
hatte, den Übergang seiner Regierung zu der des Knaben Wenzel s IV.
so unmerklich als möglich zu machen. Auch nicht der Umstand, dass
in Frankreich 1382 König Karl V., in Ungarn 1382 Konig Ludwig
der Grosse starben, das deutsche Reich, England, Frankreich fast
gleichzeitig in die Hände dreier Unmündigen, — Wenzel, Richard und
Karl VI. — Ungarn, Polen, Neapel in den Besitz dreier Frauen aus dem
Hause Anjou kamen — Maria, Hedwig und Johanna- — reicht hin zu
erklären, warum nur Ein Getuhl den Beobachter beschleicht, das,
dass unaufhaltsam Alles in Trümmer gehe^ keine Rettung
mehr möglich sei. Selbst darin liegt nicht das volle Übel , dass für
lange lange Zeit sich keine überwältigende Persönlichkeit, ju über-
haupt keine wahrhaft bedeutende auf den Thronen vorfand, oder
wenn diess der Fall war, sich zu kurze Zeit erhielt, als dass s\e
einen nachhaltigen Einfluss gewinnen konnte. Als es nach längerer
Pause wieder zu eigentlichen Königscharakteren kommt, tragen
sie wie Georg von Podiebrad, Ludwig XL von Frankreich, ein
anderes Gepräge an sich. Das Mittelalter ist unterdessen zu Ende
gekommen.
Was aber die Katastrophe herbeiführte, war die unwiederbring-
liche Einbusse an aller und jeder inneren Einheit, seit im Jahre 1378
die letzte y welche sich eigentlich zum Stutzpunkte des Mittelalters
gemacht hatte, das Papstthum gespalten, das grosse Schisma der
Päpste entstanden war. So weit sie konnten, hatten letztere alle Macht
und alle Herrlichkeit an sich gezogen und in sich vereinigt. Sie hatten
nicht blos ein eigenes Staatensystem begründet, zu welchem noch
Papst Clemens VI. 1344 das Förstenthum der glGcklichen Inseln
ausserhalb der Grenzen der alten Continente hinzufugte <). Sie hatten
sich feierlich alle Macht der Erde beigelegt und die Vereinigung der
höchsten geistlichen und irdischen Gewalt in ihrer Person als Glaa-
benssatz bezeichnet, ja die Nichtanerkennung desselben mit dem
Anathem belegt. Das Kaiserthum war nur mehr in der Art wieder
hergestellt worden, wie die Päpste es in ihrem Interesse für gut
fanden. Da sie es so schwach wie möglich gemacht, war es auch
^) Siehe die luk^e Rede des Papstes im Codex sermonum P. Clementis. Bibl. PiUt.
Vindob. o. 4195. f. i50.
Anna von Luiemburg etc. 8 I 5
kein Wunder, wenn sie daran keine Stütze fanden , als sie sich um
diese umzusehen gezwungen sahen. Als sie aber nun selbst unter
einander haderten, sich gegenseitig bekriegten und nicht blos die
Kirche, sondern auch die gesammte christliehe Weit spalteten , sie
statt zu einigen nur trennten, wurden sie selbst die Urheber der Auf-
lösung jenes grossen mittelalterlichen Gebäudes» zu dessen Auffiih-
rung sie Jahrhunderte voll unermesslicher Anstrengung benöthigt, zu
dessen Wahrung sie (1245) das alte Kaiserthum in den Staub ge-
stürzt hatten und über dessen Fortführung sie nun in Betreff der
•
Frage haderten, ob sie in Rom oder in Avignon, durch einen Italiener
oder einen Franzosen stattzufinden habe. Als sich nun zum Kriege
der Päpste ein Krieg des Clerus gegen sie, zum Schisma der Häupter
die „hussitische'' Bewegung unter den Geistlichen gesellte, und es
langer Zeit, schwerer Erfahrungen bedurfte, bis endlich sich unter den
gewaltigen Schlägen der Zeit so viele Gemeinsamkeit bildete , dass
iij den Coneilien das Heilmittel für den Schaden gefunden wurde,
den die Päpste in der Kirche angerichtet hatten, und auch dieses
Mittel sich zuletzt der Grösse des Übels nicht gewachsen zeigte,
so trat der Untergang der alten Ordnung der Dinge mit reissenden
Schritten ein.
Das ist mit wenigen Worten gesagt der äussere Rahmen, von
welchem sich das nachfolgende Bild abhebt. Ganz abgesehen von
den Persönlichkeiten, weiche darin eine Rolle finden, handelt es sich
um ein Stück Weltgeschichte , weiches im äussersten nordwestlichen
Winkel von Europa sich abspielt und die Häuser Plantagenet, Luxem-
burg und Valois in seinen Bereich zieht Es wäre ein Leichtes gewesen,
auch die spanischen Wirren jeuer Tage in den Kreis hineinzuziehen;
ich fiirchtete aber, es möchte dieses auf Kosten der Deutlichkeit
geschehen und unterliess es, Johann von Gaunt, Herzog von Lan-
cester auf seinen Fahrten nach Castilien das Geleit zu geben. Wohl
hielt ich es aber für angemessen, die Darstellung der particularen
Verhältnisse Englands möglichst im Zusammenhange mit dem allge-
meinen Gange der Dinge zu halten. Ein merkwürdiges Geschick
hatte das Reich der Angelsachsen wider seinen Willen in eine Ver-
bindung mit dem Continente gebracht, die einer Kette glich, von
welcher sich England nicht mehr zu lösen vermochte. Nicht blos,
daas es von da an eine französische Dynastie, die König Wilhelm*s er-
hielt, auch Stephan Graf von Blois, der Nachfolger König Heinrich*s I.
816 H ö ri e r
aus dem Stamme Wilhelm des Eroberers, war Franzose und ebenso der
Begründer des Hauses Plantagenet, aus welchem die nachdrücklich-
sten Feinde der franzosischen Krone herrorgingen. Ja hätte nicht
der Besitz eines fremden Thrones die Franzosen in Gegner ihres
Vaterlandes umgewandelt, wer hfttte im Mittelalter französischer
Umstrickung entgehen können? Gab es doch seit Alfons VIII. in Casti-
lien ein Burgundisches (französisches) Königshaus, in Portugal nicht
minder, in Sicilien seit Karl von Anjou, in Ungarn seit Karl Robert,
Morea wurde in ein Neufrankreich umgewandelt Es fehlte nur noch das
gemeinsame französische Interesse, welches die französischen Pipste
im Xni. und XIV. Jahrhunderte nicht TcrlSugneten , und die christ-
liehe Welt ward den Franzosen eigen. Um so bedeutender war es,
dass gerade England den Zauberring zu zerschlagen sich bemühte,
welchen Frankreich um jene geschmiedet, und, wie erst der Besitz der
Normandie, dann auch der der Guyenne den Engländern Anlass gab,
sich in die französischen Verhältnisse einzumischen, ja geradezu
einen Hebel, das Reich selbst aus seinen Fugen zu bringen.
So viel im Allgemeinen.
Die gegenwärtige Schrift hat es mit nicht weniger als drei
bedeutenden Persönlichkeiten zu thun , ihnen den gebührenden Platz
in der Geschichte festzustellen. Zuerst mit Anna von Luxemburg,
der Tochter Kaiser Karl's IV. und Gemahlin König Richard*s II.
von England, mit welchem die Primogeniturlinie des grossen könig-
lichen Helden Eduard's III. im Jahre 1400 unglücklich endete.
Anna ist in der englischen Geschichte und in England überhaupt
besser bekannt als in Deutschland. Nicht blos Vaughan (the life and
opinions of John de WycliiTe. Zweite Ausgabe Bd. II. 1831. S. 130)
sondern überhaupt die englischen Schriftsteller, welche über
Wycliffe schrieben, machen die luxemburgische Kaisertochter zu
einer Gönnerin und Gesinnungsgenossin des berühmten Lehrer?
von Oxford und weisen ihr somit eine hervorragende Stellung
unter den König^nen Englands» ja unter denjenigen Personen an«
die sich ein Denkmal in der Reformationsgeschichte setzten, wie
denn auch Miss Strickland in ihren Lebensbeschreibungen der Köni-
ginen von England dieses gethan hat. Dass durch Anna Böhmen in
eine verhängnissvolle Verbindung mit England gesetzt wurde» die
nicht ohne grossen und mannigfaltigen Einfluß auf die Entstehung
der hussitischen Bewegung geblieben sei, ist so oft wiederholt
Anna von Luiemburg etc. 817
worden, dass man schon aus diesem Grunde gewillt ist, die Sache
ffir wahr anzunehmen. Welehe Rolle aber umgekehrt unter Anna
die Böhmen in England spielten und welch* denkwürdige und weit-
tragende Revolution auf englischem Boden durch die mit der Königin
herübergekommenen Böhmen veranlasst wurde, ist freilich noch nicht
hervorgehoben worde%; sowenig als welchen Einfluss die harten
Leiden der Königin und ihr früher Tod auf Richard IL und die wech-
selvolle Entwicklung seiner Regierung ausübten.
Die zweite Persönlichkeit ist Richard selbst.
Diese ist dem. deutschen Publikum durch Shakespeare's gleich-
namiges Drama hinlänglich bekannt. Allein der englische Dichter
beschäftigte sich nicht damit, das erschütternde Drama des früheren
Lebens dieses unglücklichen Fürsten vorzufuhren , . wie es hier ge-
schieht, sondern nur mit seinem Sturz und Untergang. Es ist aber sehr
wohl möglich, neben Shakespeare*s Richard IL auf das reiche Mate-
rial so acht dramatischen Inhaltes, wie es das ganze Leben des früh
gemordeten Königs darbietet, noch einen andern Richard II. zu
dichten, und zwar von ergreifendster Wirkung. Fast möchte es selbst
leichter sein , einen Richard II. zu dichten, als ihn historisch zu be-
handeln. Sein Vetter Heinrich IV. , der Begründer der unheilvollen
Königslinie Lancaster, hat ihn nicht blos einmal, er hat ihn zweifach
gemordet. Denn um die Usurpation des Thrones und den Sturz der
Primogeniturlinie zu beschönigen, wurde Alles aufgeboten, diejenigen
zu gewinnen, welche für Richard zeugen konnten. Natürlich, je
düsterer er selbst dastand, desto heller trat Heinrich Bolingbroke
hervur und desto gerechtfertigter war es, den rechtmässigen Erben
Eduard 's III. vom Throne gestossen zu haben. In Richard*s Zeit
wurzelt der Streit der weissen und der rothen Rose. Dem Hause
Lancaster geschah nur, wie es selbst dem Sohne des schwarzen
Prinzen gethan. Da ist es leicht über Richard s Falschheit zu decla-
roiren, wie es Erzb. Arundel gethan. Aber wer hat denn ihn,
den fröhlichen unbefangenen jungen Fürsten zum falschen Hanne
gemaeht?, wer ihn gezwungen sich zu verstellen, seine wahren
Gefühle zu verbergen und endlich Jahre lang auf den Sturz der-
jenigen zu sinnen, welche ihm das grösste Leid zugefügt hatten»
eines Gloeester, Warwik und Arundel? Es ist doch Zeit sich auf einen
anderen Standpunkt bei BeurtheilungRichard*s zu stellen, als auf den
seiner Gegner, des zu seinem Sturze früh verschworenen hohen Adels!
818 H ö n er
Es darf uns selbst nicht wundern, wenn die englischen Schrtfl-
steller, welche unter Heinrich IV. lebten, auf Seite des Hauses Lan-
caster standen . da , für Richard Partei zu nehmen , mit der Goefahr
verbunden war, geschleift, gehangt, ausgeweidet, geköpft und dann
noch geviertheilt zu werden, das gewohnliche Schicksal, welches in
England die Gegner des siegenden KönigsstatRmes traf. Diesem Loose
aber sich auszusetzen, musste Jeder gerechtes Bedenken tragen.
Darin hatten Thomas Walsingham und Thomas Holgill von Richard
ein Geschenk von Lfindereien erhalten, welches sie verloren, wenn
sie sich unter seinem siegreichen Gegner dankbar erwiesen. Die
Klugheit lehrte Walsingham Partei gegen seinen Wohlthater zu
nehmen , als er nicht mehr lebte , und für Heinrich zu sein , der ihm
schaden konnte. Der englische Dichter Chaucer hatte eine Schwester
der Katharina Swynford geheirathet, welche erst Geliebte Johann's
von Gaunt, dann dessen Gemahlin und somit Stiefmutter des Königs
Heinrich*s IV. wurde. Letzterer bedachte seinen neuen Verwandten
freigebig. Kein Wunder, dass er auf seine Seite trat. Auch Gower
hat sich der aufgehenden Sonne angeschlossen. Richard moderte im
Grabe , von ihm war nichts zu befurchten. Als der Konig zur Zeit
einer Hungersnoth täglich 10000 Menschen aus der kuniglicbeo
Köche zu essen gab , ward ihm von Holinshed daraus ein Vorwurf
gemacht und die Sache als Verschwendung des Hofhaltes hingestellt.
Es ist daher ganz begreiflich , dass wir zeitweise auch zu franzosi-
schen Quellen unsere Zuflucht nehmen müssen, da die einheimischen
sich als nichts weniger denn unparteiisch erweisen. Nur musste
Froissart mit der gr5ssten Vorsicht benutzt werden.
Wie die Quellen sich gegenseitig ergänzen , sind es auch die
einschlägigen Thatsachen.
Nicht die religiöse Bewegung in den Tagen König Richard's IL
steht allein und für sich abgesondert da, nicht die sociale, nicht die
politische. Die deutschen Forsten hatten das Kaisertbum von sich
abhängig gemacht und der Sohn Kaiser KarPs IV. sah sich trotz
goldener Bulle wiederholt mit Absetzung bedroht. Der Kampf zwi-
schen dem Konigthum und dem Adel war in allen Ländern ausge-
brochen , drängte überall zu gleicher Entscheidung. Wenn aber die
höheren Ordnungen mit einander im Streite befangen waren, darf
man sich nicht wundern, dass die niederen gleichfalls sich regten.
Nicht blos in England , in Frankreich wie in Flandern röhrten sich
Anna von Luiemburg etc. O I 9
<Jie unteren Massen. Es fehite, um das Bild der Auflosung dessen,
was das Mittelalter gesehaffen, zu vollenden, nur noch, dass der
allgemeine Krieg auch auf dem geistlichen Gebiete entbrannte, auch
hier, unter dem Clerus, welcher mehr als jeder andere Stand das
Princip der Einheit und inneren Abgeschlossenheit reprSsentirt , der
Bürgerkrieg entbrannte und der allgemeine Umsturz der mittelalter-
lichen Ordnung war fertig, dann näherte sich das Mittelalter mit
Biesenschritten seinem Ende und eine neue Zeit, welche dasselbe
abzulösen bestimmt war, war nothwendig geworden. Nicht blos die
Keime der Auflosung zeigten sich. Das Geftige des Mittelalters war
derart, dass, nachdem das Kaiserthum bereits zur Formalitat gewor-
den war, nur noch an die Stelle der Einheit des Papstthums die
Zweiheit, das Schisma treten durfte und der Bau, welcher von
Gregor VII. und seinen Nachfolgern mit aller Consequenz aufgeführt
worden war, erlitt einen ßiss von Oben nach Unten, den Niemand
wieder herstellen konnte.
Die dritte hervorragende Persönlichkeit in dem Drama, welches
sich hier abspielt, ist John de Wycliffe (Wyclif), der Beformator,
der Prophet, wie ihn noch Pauli auffasst, der scblimmste aller Häre-
tiker, wie ihn seine kirchlichen Gegner uns überlieferten, eine von
jenen Gestalten des spateren Mittelalters, welche beinahe weniger
ihrer Zeit als derjenigen angeboren, in welcher ihre Ideen zum
Durchbrnche kamen, ein Professor und Prediger, welcher es mit dem
Zauber von Schrift und Bede seiner Umgebung wie magisch angethan
hat, und nicht nach dem gewöhnlichen Massstabe gemessen werden
darf. Mich selbst hat Wyclifle in so hohem Grade interessirt, dass
ich lange Zeit erwog, solle ich nicht den Titel der Schrift dahin
ändern : Königin Anna und John de Wyclifle, und nur das Bedenken,
dass unser Leserkreis fOr die theologischen Streitigkeiten des Mittel-
alters wenig Empfänglichkeit und noch weniger Geduld besitzt, hielt
mich davon ab. Dazu kam, dass, wenn auch jetzt Shirley das Ver-
zeichniss der Schriften WycliiTe's zusammenstellte und Lechler sich
durch Herausgabe des Trialogus und Pastorale*s Wycliffe*s grosse
Verdienste erwarb, doch, so lange nicht seine höchst zahlreichen
Schriften in chronologischer Folge vor uns liegen , die inneren Ent-
wickluiigsstadien des merkwürdigen Mannes , seine geistige Genesis
nicht .so klar hervortritt, dass der Historiker mit einiger Befriedigung
auf das Besultat seiner Forschungen blicken kann. Ich habe aus dem
820 Höfler
ersten Grunde eine genaue Erörterung der 18 Punkte Wyeliffe*s aus
dem Texte verwiesen , obwohl ich sie der Darstellung Böhringer*s i)
gegenüber für nothwendig hielt. Ich habe aus dem zweiten Grunde
mich darauf beschräukt , so weit ich es Termochte, die innere Berech-
tigung des Auftretens Wycliffe*s nachzuweisen. Die Behandlung des
so merkwürdigen Gegenstandes durch die Engländer bewirkte neue
Schwierigkeiten. Da müssen alle Gönner und Freunde Wycliffe's«
welche von dem Geiste» dem Patriotismus, der Gelehrsamkeit und
Brauchbarkeit des Mannes sich angezogen fühlten und keine Lust
hatten, ihn ausserhalb Englands schaffen und dort verurtheilen zo
lassen, Wycliffiten , Anhänger seiner Lehre gewesen sein , oder wie
man dieses hinstellte, Zeugen evangelischer Wahrheit eines Zeitalter
der Finsterniss. Wycliffe*s religiöses System entwickelte sich nicht
mit einem Male; der Trialogus wurde nicht bei seinem ersten Auf-
treten, sondern am Abende seines bewegten Lebens geschriebeo.
Gar viele von seinen wichtigsten Sätzen sind gewiss nur von gelehr-
ten aber nicht von seinen ritterlichen oder fürstlichen Freunden ver-
standen worden und die Eucharistie zum Hohne der katholischeD
Kirche mit Austern zu essen, wie es einer der ersten that, ist jeden-
falls noch kein Beweis evangelischer Gesinnung. Wenn ferner die
Cardinäle das Recht hatten • das unheilvolle Schisma der Päpste za
erzeugen, zuerst der Welt anzukündigen, sie hatten auf Antrieb des
heiligen Geistes Papst Urban VI. gewählt, um dann wieder auf Antrieb
des heiligen Geistes Urban VI. abzusetzen , Clemens Vli. zu wählen
und aus Italien, dessen Weine den französischen Cardinälen nicht
mundeten, dessen Fische französischen Mägen nicht behagten und
dessen Luft ihren Respirationsorganen schädlich war, nach den
Fleischtopfen von Avignon zurückzukehren, so hatte Wycliffe ein
Recht und nicht er sondern auch wir Alle, dieses Treiben (ur sehr
unrecht zu erklären und die vermeintliche „Impeccabilität** der Päpste
als lächerlich zu bekämpfen. Wie er auch ganz Recht hatte , weun
er den thörichten Kreuzzug des Bischofs von Norvich gegen Cle-
mens VII. als das darstellt, als welches er sich erwies, als ein
kopfloses Unternehmen. Überhaupt muss Wycliffe anders aufgefosst
werden als bisher, er wie Huss müssen von der PastorenanschauoDg
0 Die Vorrerormatoren de$ XIV. und XV. Jahrhunderts. Bd. IV, f.
Anna von Luiemburg^ etc. 82 1
emancipirt werden. Wycliff tritt auch in der That ganz anders her-
vur, seit sicher ist, dass die Schrift: the last age of the world nicht
von ihm ist, er kein sentimentaler Schwärmer war, sondern ein
höchst klarer, scharfsinniger und berechnender Kopf. Wenn sich nun
zeigt, dass sein Ausgangspunkt in dem Nachhalle des grossen Streites
der Verbündeten Kaiser Ludwig des Baiern gegen Johann XXII., der
Minoriten^ zu suchen ist, seine reformatorischen Principien sehr stark
an die Francesco^s d'Assisi erinnern; dass nach jedem noch so hefti-
gem Angriffe gegen die Kirche, ihre Lehre und Einrichtungen, regel-
massig eine Unterwerfungsformel folgte, — er unterwerfe sich nicht
nur der Autorität sondern auch der Besserung (correctioni) der
Kirche; — dass sein nöchterner Sinn bis gegen das Ende seiner Tage
regelmässig vorzog, sich in Conflicten mit der Kirche durch zeit-
gemfisse Unterwerfung zu retten, als durch das Entgegengesetzte dem
Kerker oder gar dem Tode zu verfallen, so mag er dadurch etwas an
dem Nimbus seiner Heiligkeit verlieren, aber wie ich glaube an histo-
rischer Wahrheit um so mehr gewinnen. Die Frage , ob er das Bis*
tbum Worcester zu erlangen strebte und die Verweigerung desselben
auf seine Handlungsweise einen Einfluss gewann, habe ich nicht
weiter erörtert. Dass er hundertfach würdiger gewesen wäre, als so
mancher englische Bischof jener Zeit, von welchen Einer nicht einmal
die lateinischen Formeln bei seiner Inthronisation nachbeten konnte,
wird wohl Niemand leugnen wollen. Möglich auch dass, wenn er
Bischof geworden wäre „vom erhabenen Pfuhle** die kirchliche Welt
sich ihm vielfach anders dargestellt hätte, als von der Ebene aus,
von der er zu den Bergen hinanblicken musste. Mir seihst ist noch
niemals -die Tragweite der geistigen Bewegung unter Kaiser Ludwig
so klar geworden als bei diesen Studien. Frfih oder später musste,
als die Kirche auf dem Punkte stand , den Staat im Allgemeinen zu
verschlingen, wie sie das Imperium verschlungen hatte , jedes katho-
lische Land, fast jeder Einzelne eine Stellung zu der Hauptfrage der
Zeit, die Berechtigung des kirchlichen Besitzstandes und ob der
wahre Christ nicht in Armnth zu verweilen habe, nehmen, wie wir in
unseren Tagen plötzlich eine Frage auftauchen sahen, der gegenOber
auch jeder Denkende eine eigene Überzeugung gewinnen muss.
England hatte unter den Wirren in den Tagen Eduard*s II. und in
den Kriegen Eduard*s III.» welche die Nation ganz in den Racenkampf
mit Frankreich hineinzogen , verabsäumt, an den grossen geistigen
822 Uöfler
Kämpfen den ihm gebührenden Antheil zu nehmen. Es war selbst
durch die noch immer niclit gelöste Abhängigkeit seiner Krone vom
päpstlichen Stuhle ein Zwitter geworden. Der Tag musste kommen,
an welchem der lang aufgehäufte Stoff von Zerwürfnissen jeder Art
seine Bewältigung gebieterisch verlangte. Freilich war die Ausein-
andersetzung dann um so schwieriger, je länger sie verschobeu
worden war.
Unter diesen Verhältnissen tritt die WyclifB'sche Bewegung als
eine echt englische hervor; ihr Urheber wusste ihr aber eine allge-
meine Bedeutung zu geben, während sein cechischer Nacheiferer
aus der allgemeinen eine cechisch -nationale machte und da-
durch ihren Wirkungskreis selbst verengte. Hat sich mit letzterem
der eigenthümliche Nimbus des Martyriums verbunden, der bis zum
heutigen Tage die nationale Feindschaft vergessen machte, deren
Träger er war, so übertraf ihnWyclifle bei weitem an Genialität, Wissen
und Eloquenz. Diese Eigenschaften bewirkten auch, dass die Anhänger
des Huss ihn, den Teutonicus, wie man ihn seiner Abkunft nach als
Angelsachsen bezeichnete, als fünften Evangelisten verehrten, in seinen
Bahnen die Führer des cechischen Volkes sich bewegten. Mau konnle
sagen, die grossen Erfolge des Einen knüpfen sich an seinen Tod,
die des Andern an sein Leben und seine geistige Thätigkeit au. Nur
ist es im hohen Grade auffallend , dass über die geistige Bedeutung
Wyciiffe's auch seine entschiedensten Gegner Nichts sagen können,
was sie zu beeinträchtigen vermöchte. Man hasste ihn, aber sein
Scharfsinn, seine Kühnheit, seine Gelehrsamkeit imponirten. Hau
konnte seine Gebeine verbrennen , aber es blieb das Andenken einer
bedeutenden Persönlichkeit zurück und der höbe Clerus beeilte sich
unter Heinrich V. England aufs Neue in den französischen Krieg zu
stürzen, um dadurch der noch immer drohenden Bewegung zu ent-
gehen. Nur diejenigen enthoben sich Wycliffe zu achten, welche au
die Aufrichtigkeit seiner Unterwerfungen nicht glaubten! Anders «ar
es mit Huss , welcher wie durch einen Zauber festgebannt , sich in
Wycliffe*s Bahnen als Nachtreter bewegte. Die Achtung vor ihm
schwand auf der Versammlung der gelehrtesten und ausgezeichnetsten
Persönlichkeiten Europas immer mehr. Ich erinnere mich nicht, d-dss
Jemand gegen Wycliffe den Vorwurf schleuderte, wie es gegen Johann
von Hussinetz und Hieronymus von Prag in Constanz geschah, dass
wenn der Eine auch nicht dem Trünke noch fleischlichen Ausscbwei-
AniiM Viin Luxttinburg etc. o23
fungeil ergeben war, der Andere Kenntnisse kesass (sciolus war), sie
denn doeh Bauern (oder bäuerisch) seien und zu Mordthaten Ver^
anlassung gegeben hatten i). Selbst bei Gelegenheit des Bauernauf-
standes im Jahre 1381 wagte man es nicht, solche Dinge gegen
W ycliffe vorzubringen, wie sie am 30. Mai 1416 in Constanz ausge-
sprochen wurden. Sie bewiesen, dass der Eindruck, welchen diese
Männer auf dem Concil machten, ein anderer war, als man uns
glauben machen mochte und dass die Anschauung Foggio's von
Hieronymus nicht von Allen getheilt wurde.
Die drei Persönlichkeiten, König, Königin und Johann von
Wycliffe in das richtige Licht zu stellen und die Schatten zu ver-
theilen, wie das strenge Gesetz historischer Forschung es gebietet,
war an und für sich Aufgabe genug und ich bin froh, wenn ich sie
würdig löse. Dazu kamen nun die schweren Verwicklungen der Zeit,
der Bauernaufstand und die nahe bevorstehende Umwandlung des
Fundamentes der englischen Verfassung, endlich der grosse innere
Kampf, welchen die böhmische Helena veranlasste und der zur Ge-
rangennahme des Königs und der Königin, zur Hinrichtung ihrer
Getreuen, zur Sprengung des königlichen Hofstaates führte — ein
tragisch-ergreifender Vorgang, welcher zwischen der glücklichen
Jugend und einer kummervollen Zukunft einen breiten Blutgraben
Zug. Dann der Ernst der nächsten Jahre , die weitreichenden staats-
rechtlichen Erklärungen, welche dem päpstlichen Staatensysteme, in
wie ferne es auf England ausgedehnt war, ein Ende bereiteten, der
neue Aufschwung friedlichen Glücks und sein plötzliches Erlöschen
durch den unvermutheten Tod der Königin , welcher den Eintritt der
unheilvollen Periode Richard 's II. bezeichnet, ein reicher Wechsel
fröhlicher und kummervoller Tage, wilder, grausamer Scenen und
glänzender Feste, kirchlicher und socialer Zerwürfnisse, parlamenta-
rischer Kämpfe, roher Ausbrüche des Faustrechts, grossartiger Pläne
und schwer getragener Ernüchterung, in wenigen Jahrzehnten ein
O qvanti mali fuit radix horum duoniin ratticorum priie»uintio — viles plebi^i
infimi ortiuque igaoti. LeUterei galt natfirlich Tor AUem Hum, wihrend der Vorwurf
homicidia procoraM« vor Allem dem Hieronymus, aber auch Hiisdrücklich dem Huss
galt.
Jacobi epUcopi Laudenais publica oratio is supplicium Hieronjrmi. Ap. Van der
Uardt rerum coBcilil Oeciimenici Contt. II, p. S9.
824 Höfler, Anna Ton Laxemburg.
Stuck Weltgeschichte voll. Spannung, Leben und Interesse. So drin-
gen sich mit einem Maie die Fäden merkwürdiger Begebenheiten an
dem Hofe des kinderlosen Königs zusammen. So bricht» weniger
unter der Schwere eigener Schuld als der von Aussen hereingetra-
genen die Primogeniturlinie Eduards III. in sich selbst zusammen.
So bildet sich unter Richard 11. der Anfang jener blutigen Zerwürf-
nisse, die das XV. Jahrhundert hindurch England zu keiner Ruhe
mehr kommen lassen und das Haus Plantagenet seinem Untergange
zuführten.
H o f m • n n , Über den Verlobangs- ond den Trauring. 825
Über den Verlobiings- und den Trauring.
Von Dr. F. Hofmann,
Privatdocenten in Wien.
f i.
Das Problem.
Seit Jahrhunderten ist bei allen germanischen Völkern Ring-
wechsel das feierliche Zeichen des geschlossenen Eheverlöbnisses, i)
Heute gehört der Ringwechsel zum feststehenden Ceremoniell einer
jeden Trauung, während bezüglich der Verlobung eine so all-
gemeine Sitte nicht herrscht. Mit diesem feierlichen Akte verbinden
wir die Vorstellung, dass der ernstliche Wille der Betheiiigten , ein-
ander anzugehören, mit einander verbunden zu sein, symbolisch mani-
festirt werden soll. In diesem Sinne tauschen sie Ringe aus; und
zwar in der Regel goldeneRinge, — nicht des Schmuckes wegen,
sondern weil der Ring das Zeichen eines feierlichen Gelöbnisses,
der verpfändeten Treue ist, und auch das Gold Treue und Wahr-
haftigkeit bedeutet. Auf goldene Ringe legte der alte Skandinavier
den feierlichsten Eid ab <) ; auf goldene Tafeln schreibt die Asynie
Var die Eide der Menschen, namentlich die Versprechungen der
Treue, welche Mann und W^eib einander machen s); „rein und echt
<) Grimm, R. A., S. 177.
') Grimm, R. A., II. HSIfle, 8. 895 fg. Der Schwörende fasste ^in SkandinaTi'en
.... einen im Tempel bewahrten, vom godi dargebotenen, mit Opferblnt geröthe-
ten Ring, der dem Gotte Ullr geweiht war; daher schwören «at hringi Ullar"
. . . ." (Folgen Belegstellen.)
') Damm ruft FVithiof, als er ron Ingeborg sieh betrogen glaubt:
»Da höga Var,
som med din grilTel kring jorden far
och $krif»er eder pS gyÜne tkifvü^
lit bli det narrspei, lit bli at skrifva.
SiUb. d. phil.-hist Cl. LXV. Bd. IV. Hft. 55
o20 H o f m a n n
wie Gold** nennt der Volksmund einen zuverlässigen Charakter. So
vereinigen sich beim Goldring Stoff und Form zu einer symboli-
schen Bedeutung, die sich ebenso mit der Wahrhaftigkeit des feier-
lichen Versprechens, als mit der Treue der Neigung in VerbinduDg
bringen Idsst.
So allgemein nun jene Sitte, so naheliegend diese Deutung ist,
so ist doch jene keine einheimische, und diese nicht die ur-
sprüngliche. Vielmehr ist die Beringung mit dem Christenthume
nach Mittel-Europa gedrungen, und die Erklärung für die ursprung-
liche Bedeutung des Ringes ist nicht in dem ethischen Gehalte der
Ehe, sondern in der Form des Frauenkaufes zu suchen. Beides
zu erweisen, ist die Aufgabe dieser Untersuchung.
§.2.
Der Frauenkauf.
»Die eheliche Gewalt ist auf niederen Reehtsstufen
nur die auf eine Rechtsregel gebrachte Übermacht des stärkeren
Theiles'' <). Das Weib ist ^die Magd» das Lastthier des Mannes und
sein Eigenthum^ *). Entweder wird es einem fremden Stamme durch
Eroberung oder Raub entrissen«), oder es wird innerhalb dts
eigenen Stammes gegen Entgelt^) erworben. Die Erinnerung an
diese Urzustände erhielt sich lange in Sagen ^) und in dem Ceremo-
niell der Eheschliessung«).
Med Idgner rittiir da skifvan füll,
det skada Ir pa det trogna guiit'
(TegD^r '• Frithiof Saga, XU, v. 127^182.)
<) TreBdelenburg, Natorrecht auf dem Gninde der Bthik, 8. 258.
«) 6. Rlemm, Allgen. Culturgeschichte der Mestchheit, I, S. 2ä5.
') So heute noch bei maschen Stimmen Neuhoilanda: Klemm III, S. 288.
^) Dem Vater werden fSr die Tochter Werthgegenatinde , DtenatleiatuBfen , «piter
Geldsummen gewihrt.
*) Z. B. Raub der Sabinerinnen. Herodot*» Geschichtswerk beg^innt mitSa^en iber
Weiberraab (1, c 1 — 6). — Auf wirklichem Raub beruht die Raxasa-Ehe der la-
der (Rossbach Unters, üb. d. röm. Ehe, 8.207 fg) (Kalthoff Jos matr. ▼«(.
Indor. p. 29).
^) Scheinranb findet sich unter den Hochseitgebriuchen der Römer (Roaabach.
Unters, fib. d. röm. Ehe, 8. 328 fg.), der Spartaner (SchÖmann, griech.
Altert. 2. Aufl. I, S. 274), der alten Slaren (Maciejowski, slarisehe Reeht»-
gesch. 11, f. 189) und der Beduinen (Klemm IV, S. 148). Noch riel bSsiger
ist der Schein kauf als Form der Eheschliessung (s. Text).
über den Verlobung^- und den Trauring. 827
Während der Frauen raub dem erwachenden sittlichen Be-
DTusstaein weichen muss, erhält sich der Braut kauf?) sehr lange,
weil seine Bedeutung sich der steigenden Gesittung anzupassen ver-
mag. Anfangs vom Sclavenkauf wenig verschieden ^ ergreift er das
Weib als willenloses Objecto das dem Vater vom Hanne abgekauft
wird, der es seinerseits wieder verkaufen kann 8). Hier geht die
Verehelichung im Kaufe auf. Sobald aber eine würdigere Auffassung
der Ehe sich geltend macht, erscheint der Kauf als etwas Neben-
sächliches, Äusserliches, das auf die Wahl der Verbindung keinen
Einfluss haben kann. Anfangs eine Art Entschädigung, welche dem
Vater für den Verlust geleistet wird, den er in wirthscbaftlicher*)
und gemüthlicher Beziehung erleidet, wird der Kaufpreis später zum
blossen Zeichen, dass die Gewalt über die Braut vom Vater auf
den Mann übergehe: aus dem wirklichen Kaufe wird ein Schein-
kauf, eine Soleonität von juristischer Bedeutung.
Das Weib wird vom Manne ihrem Vater abgekauft. Mit grosser
Wahrscheinlichkeit kann man behaupten, dass dies die ursprüngliche
Art der Eheschliessung war bei allen Völkern aller Rassen.
Noch heute finden wir diesen Kauf in ganz sächlicher Auffas-
sung bei den verschiedensten Stämmen Nord- ^o) und.SOd- Ameri-
kas ^i), Afrikas«') und Polynesiens i>). Nach der vorange-
j>cfiickten Bemerkung kann es nicht befremden, dass auch in der
alten Heimat der Cultur iex Brautkauf ganz allgemein ist oder doch
war. Noch heute kennt ihn das ganze mohamedanische Mor-
^) So nenne ich der Körae wegen den Erwerb der Braut gegen Entgelt (s. Mr. 4).
®) Dieses Verkaofsrecht bestand bei den Chinesen (Unger, die Ehe in ihrer
welthistorischen Entwicklng, S. 16), bei den Rassen, welche noch 1024 bei
einer Hnngersnoth in Sosdal dayon Gebrauch gemacht luben (E wers Studien fiber
die Voneit Russlands, S. 11), bei den Germanen (Wein hold, die deutschen
*- Frauen, S. 209, Nr. 3). Eine Spur daron ist ,Jener bei dem gewöhnlichen Volke
(in England) noch immer nicht ausgetriebene Glaube, ^»» der Mann seine Frau
rerfcaufen kdnne**. (Priedberg, das Recht der Eheschliessung, S. 45, Nr. 4.)
Vgl. Globus, IUI. Jahrg. S. 32.
*) So lange jeder Hausgenosse eine Arbeitskraft darstellt.
^•) Klemm, U., S. 79. Vgl. Globus (Ztschft. f. Linder- und VöUerkunde) XIV,
S. i«S.
ti) Klemm, I. S. 235, II. S. 75.
<S) Klemm, in. S. 260.
1') Klemm, IV. 8. 300.
55-
828 H o f m • n 0
genlandi«) und die hinterasiatische Welt, namentlich China i&)
und Japan 1«). Auch bei den Juden wurde die Ehe durch einen
Kauf hegründet, der später zu einem symboh'schen Akte ward «''). Im
Hebräischen und Syrischen bedeutet dasselbe Wort (machar)
verkaufen und verheiraten, weil dem Brautvater ein Preis, eine Gabe
(hehr., syrisch und arab. mohar =» l^vov) gegeben wurde. Bei
den Indern war dieser Kauf einst ganz allgemein; später kam er,
zuerst bei den Brahmanen, ab. Von den acht Formen indischer Ehe-
schliessung ist die Asura-Ehe ein wirklicher, die Arscha*Ehe ein
symbolischer Kaufes). Von den Babylon iern berichtet H^odot
(l, 196) und von den Assyriern Alian (var. bist. IV, 1), die Mäd-
chen seien in öffentlicher Versteigerung zu Hausfrauen verkauft wor-
den. Bei den Griechen wurde „in der Urzeit die Frau gekauft,
später wird dieser Kauf zum Symbole, endlich erlischt er völlig'' <*).
„Dass die Braut vom Vater oder }L(jpiog erkauft wurde, war gewiss
im alten Italien ebenso Sitte, wie in Griechenland und fast Qber^
alh*<»). Dieselbe Erscheinung kehrt bei den alten Germanen
wieder. „Die Skandinavier, die Angelsachsen, die Friesen, die Nieder-
Sachsen stimmen hierin mit den Alemannen, Franken und Lango-
barden überein. Sie unterscheiden sich nur dadurch, dass, während
der Kauf bei dem einen Volke noch ein wirkliches Geldgeschäft ist
<^) Pert«r, Türken u. ». w. (Rlemni) VII. 109 f|^.)
1^) Ed. Reich, Gesch. des ehe]. Lebens, S. 190; Klemm, VI, S. 106, 107. Eia
eigentlicher Kaufpreis wird heute nur unter Personen niederen Randes ge-
zahlt ; in den höheren Schichten der Gesellschaft ist der Rauf nur eine ForaanlitXt.
!•) Klemm, VI, S. 515.
^7) Genesis 34, v. 11, 12; Exodus 21, r. 7; 22, v. 16, 17t da« Entgelt konnte
auch in Dienstleistungen bestehen: Genesis 29, v. 15 — 29; I, Sannel. IS*
T. 25 — 27. — Über das heutige Recht s. Mendelssohn, Ritualgesetse der Jndea
(Ausg. T. lt78) S. 93 fg.; Friedberg S. 20, Nr. 1.
^S) Rossbach, 8. 199 fg., 8.206, 210. Vgl. Kalthoff, Jus matrimonii Tetenm
Indoruro (1829) p. 29 (die |,Rishia formula* und die »Asnria fonnnln*). Seia
Widerspruch auf p. 54 erkürt sich daraus , dass er dabei an einen sehimpflieh««
Handel mit den eigenen Töchtern denkt.
1») Rossbaeh, 8. 212. — Aristot. Polit. II, 5, 11: rort ol "EkXfrn^ xod rig
l^jvalxag ieovoOvro irop' aXXi^Xojv. In der homerischen Zeit waren di« i^a oft
sehr bedeutend, der Preis also noch nicht symbolisch: Rossbaeb, S. 220;
Schömann, grieoh. Alterth. (2. Aufl.) I, S. 52 ; Hermann, griech. P. A. $. 30,
20) 0. Müller, Etrusker I, S. 386.
über den Yerlobnng^s- und den Trauring. 8 2! 9
«r bei dem anderen zum Symbole geworden^ **). Dasselbe wieder-
holt sich bei den Galliern ») und den alten Slaven «a).
Diese Daten gentigen zur Begründung der obigen Behauptung.
Sie zeigen» wie bei den minderbegabten Stammen heutiger Zustand
ist, was bei den langlebigen Culturvölkern langst der Vorzeit an-
gehört. So wird uns hier das Nacheinander der Geschichte durch
das Nebeneinander der Ethnographie yeranschanlicht.
§. 3.
Der römische Frauenkauf.
In patriarchalischen Zuständen erscheint jedes Hauswesen als
ein kleines Reich, in welchem der Hausherr unbeschränkter Uerr^
scher ist. So gab es gewiss auch in Rom eine Zeit, in der familia
and bona, potestas und dominium noch nicht unterschiedene Begriffe
waren, vielmehr alle zu einer Wirthschaft gehörigen Personen und
Sachen gleichmSssig der manus des pater familias unterlagen t).
Wenn eine Person oder Sache aus der Herrschaft des Einen in die
des Anderen gelangen soll, so giebt der Letztere dem Ersteren,
dessen Machtgebiet dadurch geschmälert wird, einen Ersatz. Von
diesem Standpunkt aus erscheint der Brautkauf als etwas Selbstver-
ständliches, und unbedenklich dürfen wir annehmen, dass er auch bei
den ältesten Römern bestanden habe <). ^Was' in den Priyatkreis
eines Römers eintrat, wusste der einfache und ungelenke Rechtssinn
der alten Zeit nicht anders rechtlich zu stellen, als dass er es als
Rechtsobject verstand : auch die Gattin, so würdig ihr Walten im
Haus und am Heerd nach ehrwürdiger Vätersitte war, erschien
rechtlich als Object der Gewalt eines Anderen ..."*). Eine schiefe
Anschauung ist es, welche obige Annahme, als der Römer unwürdig,
mit einer gewissen Entrüstung zurückweist. Selbst für eine gemüth-
<M Uoaabach, S. 19%.
<<) Klemm V1H,S. 2S.
^') Ewert, das lltaste Recht der Rnaaen, S. 226 tg; Ewers, Stadien sur Kennt*
niaa der Vorseit RuaaUnda, 8. 9; M aci ejowski H. S. 225 und 8 193,1)1. 235.
Sparen des Braatkavfea in kleinrnaaiachen llochxeitaachenen; Friedber^,
8. 20, N. 1.
)> y^L Knntze, Cursoa §f. 56, 57, 83, 89 und Excurae, 8. 91.
*) S. auch Roaabach, 8. 87 fg^., 8. 251 fg.
*) Kuntxe, Cnrana 8. 609.
o30 fl o f m « n n
liehe Betrachtung kann es nichts Verietzendes haben, dass der Mann
ein Geldopfer bringt; dass er, der sieh als den Gewinnenden ßhlt»
dem verlierenden Vater eine Art Entschädigung «) leistet Sollen wir
Vergleichungen ansteilen mit dem umgekehrten Verhältnisse, das
bei so mancher modernen Ehe stattfindet »)?
Während also dieser Einwand sehr leicht zu widerlegen ist,
sprechen für jene Annahme die gewichtigsten GrQnde. Es ist an
sich unglaublich, dass die Römer allein eine Ausnahme gemacht
hätten, während die anderen Völker, insbesondere alle indogermani-
schen Völker, bezüglich des Brautkaufes eine so grosse Übereinstim-
mung zeigen «). Um so weniger kann man dies annehmen, als die
coämtio auf eine Zeit hindeutet^ wo dieser Akt noch kein blosser
Scheinkauf war. Ist doch auch bei den Griechen, Germanen
und Slaven, bei den Juden, und theilweise auch bei den Chi-
nesen und Indern aus dem wirklichen Brautkaufe im Verlaufe
der Zeit ein symbolischer Akt geworden« Endlieh stimmen auch
die Nachrichten über die Sponsalien zu jener Annahme.
Die Sponsalien.
Die Mancipation war das Kaufgeschäft in der ursprQngliehen
Einfachheit. An den Tausch sieh anlehnend, wird es sofort Zug um
^) Vgl. Rostbaeh, S. 145.
^) Rotsbach widmet jener Ansicht eine aMrfihrliche Widerlegnng (S. 89—91), ie
der er auch auf die Germanen hinweist, bei denen die Fraaen gewist aidit
weniger geachtet waren, als bei den Römern. Man kann hincafSgen : ?Cock beste
besteht emstlieher Braatkaaf bei denTscherkessen, obwohl sie das wetblieh«
Geschlecht nicht uBwflrdIg behandeln (Klemm IV, S. 21 fg.); ebenso bei des
Beduinen, trots ihren bekannten romantiachen UebesTerhiltniasen (Kleas
IV, S. 146). — Was das moderne Gefahl wirklich verletst, ist die Tdllig«
Gleichgfiltigkeit gegen die Wfinsche und Neigvngen der Tochter; und geraie
diese willenlose PassiWtit der Brsat tritt noch Im Justinianischen Geaetxbaeh
(in der I. IZ D. ZXIU, 1) in so frappanter Weise hervor. — Dass aber die Eiters
ihre Kinder, ohne diese zu fragen, Terbeirateten, schien den alten Völken so
natürlich, dass Diodor. SieuL (XIX, 33) es als etwas ganx besonderes ersihlt:
bei den Indern heirateten die Leute nach eigener Wahl anstatt «des T^ tw
«yov^eov xpienta^ ntmXa^ai rdv ^afiov". — Über die Voraussetrangeo. unter
denen die indischen MIdchen das Recht freier Gattenwahl (sTayamvara) bsttes
8. R althoff, p. 60 sq.
«) Rossbach, S. 192.
über den VerlobungS' und den Trauring. 831
Zug vollzogen i). Das dingliche und obligatorische Element liegen
hier noch ununterschieden beisammen >). Als das obligatorische
Element in andere Formen sich zurückzog» wurde die Mancipation
zu einem sachenrechtlichen Formalact. Sie konnte nunmehr als so*
lenne Übereignongsform auch zur Erfüllung der Verbindlichkeit des
Verkäufers verwendet werden. Wo auf diese Weise obligatio und
solutio zeitlieh auseinander fallert sollten» konnte die obligatio des
Verkäufers und die des Käufers auch in der Form der alten
feierlichen sponam sowie später durch Stipulationen, begründet
werden »).
Vergleichen wir nun damit die Nachricht des Gellius (N. A. IV, 4)
über die Sponsalien der alten Latiner«):
Sponsalia in ea parte Italiae, quae Latium appellatur, hoc more
atque iure solita fieri, scripsit Servius Sulpicius in libro, quem (in)-
scripsit de doHbusi „Qui uxorem**, inquit» „ducturus erat, ab eo»
unde ducenda erat, stibulabatur, eam in matrimonium daturum;
(ductum) iri, qui ducturus erat» itidem spondebat »). Is contractus
stipulationum sponsionumque dicebatur 'sponsalia'. Tum, quae pro*
missa erat» 'sponsa' appellabatur» qui spoponderat ducturum 'spon-
sus\ Sed si post eas stipulationes uxor non dabatur aut non duce-*
batur, qui stipulabatur» ex sponsu agebat. ludices cognoscebant
Iudex» qnamobrem data acceptave non esset uxor» quaerebat. Si nihil
iustae causae videbatur» litem pecunia aestimabat, quantique inter-
fuerat eam uxorem accipi aut dari» eum qui spoponderat [ei, qui
stipulatus erat] condemnabat^. — Hoc ius sponsaliorum observatum
dicit Servius ad id tempus, quo civitas universo Latio lege Julia
^> KoBtse, Excursa, S. 127.
^) Malier IntUtut. 949, N. 10; Kar Iowa, die Formen der römischen Ebe und
Maaus, S. 46 tf;,
^) Übrigena Itoaae aicb auch für ein« Zeit, wo bei der mancipatio noch wirklich fir&
züg^wogtn wurde, eine aolehe Obligation als TorangeheDd denken. Dann wSre die
MaDoipation die gleichzeitige ErfSUnng der beiderseitigen Verbindlichkeiten (dea
RSnfers and des VerkSttflers) gewesen.
^) Diea« Notiz ist um so werthToiler, als Gellius seinen Gewährsmann Servins
S n I p i c i n s , den berühmten Zeit^enoasen C i c e r o's , wörtlich anfuhrt.
*) Anagnbe von M. Herta (v. I p. 142) Hnschke restitnirt: „ipsi (ipse ei), qui
daturns erat, spondebat ducturum" (Ztschft. f. gesch. R. W. X, S. 318) ; wieder
anders Lachmann (s. ebd. S. 317).
832 H o f m a n n
data est. Haec eadem Neratius scripsit iu eo libro, quem de nuptiis
composuit •).
Die Sponsalien bestanden hienach in dem Versprechen des
Brautvaters , die Tochter dem Promissar zur Gattin zu geben, und
in dem Versprechen des Letzteren, sie zur Gattin zu nehmen. Wenn
man annehmen darf, dass es eine Zeit gab, wo der Vater die Hingabe
der Tochter für einen (in Rindern, Erz. u. dgl. bestehenden) Preis,
der Freier die Zahlung dieses Preises ftlr sie spondirte, so wäre die
actio ex sponsu und die Geldcondemnation eine Reminisceoz an jenen
Zustand.
Den Römern muss, nach obiger Stelle, ein solches Sponsalien-
recht zur Zeit der lex Julia (a. u. 664) fremd gewesen sein. Doch
darf man daraus keinen voreiligen Schluss für die Vorzeit ziehen.
Dass auch in Rom in alter Zeit die Sponsalien klagbar waren (a. ex
sponsu), beweist eine Stelle aus Plutarch (Cato minor cap. 7) ?),
zusammengehalten mit Varro de L. L. VI, §. 70 sq. s) („non enim
si nolebat non dahat »), quod yponsu erat alligaiusf quod tum et
praetorium ins ad legem et censorium iudicium ad aequom existima-
batur**). Offenbar spricht Varro von einer uralten Sitte; denn schon
zu seiner Zeit (116 — 27 vor Chr.) war sie lang ausser Gebrauch,
da er von ihr als einer Antiquität seinen Zeitgenossen erzählt:
„Spondebatur pecunia aut filia nuptiarum causa, nam et comoediis
vides dici :
<) Üher die ganze Stelle: Huschke a. a. 0. S. 315-326. — »Stipolatio* unä
^sponsio'' hezeichnen in unserer Stelle nicht Terachiedene Formen, aonder« die
beiden Seiten eines und desselben Alites. Promittent Ist ^is, qni spopondent*,
Promissar „is, qui stipuUtus erat* (Huschke 8. 318). — Höchst wafamckeialicb
wird dieser I a t i n i s c h e Akt Anfangs auch eine sacrale Bedeutong gehabt haben,
gleich der alten römischen sponsio. Gerade bei BheTerlöbnissen U^ dies nabe.
Dass die Römer jeden, der nicht römischer Bürger war, für unfShIg an ihrer
sponsio erkürten, hindert nicht die Annahme, dass die Latiner im Verkehr« viiter
einander eine gans gleiche Vertragsform gekannt bitten. (A. M. Haachke.
S. 324—326). Bei der nationalen Verwandtschaft der Latiner and Römer iat dies
nicht unwahrscheinlich. Vgl. auch Puchta, Gewohnheitsrecht I, S. 27.
') C. R. Sontag de sponsalibvs apud Romanos (dlss. inang. Halae 1860) p. 21 aq.
Rudorff in PnchWs Institut III f. 258 N. n.
^) Ausgabe von Mfiller, p. 100 sq. Daxu Huschke in d. ZtschCl. a. gesch. R. W.
X, 327—339 und Sontag p. 19. sq.
^) Andere lesen: «non enim, ii volebat"; der Sinn bleibt derselbe.
über den Verlobung«* und den Trauring. 833
Spouden* tuam gnatam filio uxorem meu?
Appellabatur et pecunia et quae desponsa erat, spoma; quae
pecunia intei* se contra sponsum rogata erat, dicta sponsio .... ^^)^
Selbst wenn es wahr ist, dass das „nuptiarum causa" sich nur auf
fih'a, nicht auf pecunia bezieht ii); wenn wirklich Varro von ganz
heterogenen Dingen in einem Athemzug spricht und nicht von
einem Geschäft, wo von einer Seite die filia, von der anderen Seite
die pecunia versprochen wurde; — selbst dann noch liegt in dieser
Stelle wenigstens eine deutliche Hinweisung auf die a. ex sponsu
(„sponsu alligatus") und die Geldcondemnation („ad legem** sc.
sponsionis; „quae pecunia . . . contra sponsum rogata erat**) <*). Und
auch diese Spur deutet wieder auf eine Zeit hin, wo es auch in Rom
wirklichen Brautkauf gegeben hat. Sehr frühzeitig verschwand der
wirkliche Entgelt, Während die alten Rechtsformen beibehalten wurden.
Diese Sitte, die Töchter zu spondiren, ist auch sonst vielfach
bezeugt: Plautus, Aul. II. 2; III, 5, 2; Curcul. V, 2, 74; Poen.
V. 4, fin; Trin. IL 4,98; V, 2, 33 fg.*»); insbesondere 1. 2, 3 D.
de spons. XXIII, 1 (Ulp. und Florent.) Dabei waren Anfangs die
beiderseitigen Väter dieContrahenten*^) (wie schon die obige Stelle
zeigt, vergl. Terent. Afer, Andria I, 1, 72 — 78)«*). Später war
der Bräutigam selbst der Promissar.
Allerdings hätte die Mancipation hingereicht, den Übergang
der Bi*aut aus der Hand des Vaters in die des Mannes zu bewirken.
Doch mochte ein so unvorbereitetes Hingeben der Tochter den Römern
ebenso unwürdig erscheinen, wie den Griechen, welche eine Ehe
ohne vorausgegangene Verlobung für eine Barbarenehe, unwürdig
^*) M Contra sponsam rogaU videtnr ea pecunia, quam alter ab altero stlpolatiis est, si
spoDsam Ule sibi non traderet . . . .* (Anmerk. ron M G 1 1 e r p. 100).
1 0 H n s c h k e a. a. 0. 8. 381 ; beistimmend S o n t a g p. 20.
<*) A. M. H u s c h k e. Das Resultat xu welchem er gelangt (S. 835 fg.) scheint mir
an sich unwahrscheinlich und mit der Stelle unrerelnbar. -— Vgl. auch S o n t a g
p. 14. sq.
IS) Diese Stellen sind sttsammengestellt bei Becker Gallus (2. Ausg.) II, 8. 83.
1^) S. So n tag p. 0 sq., auch Bachofen, das Mntterrecht 8. 93, insbes. N. *)
fanders Huscbke S. 384 fg.)
'i^) Damus erklirt sich auch der Sprachgebrauch, das« nicht nur rom künftigen
Schwiegerrater, sondern auch Tom Vater des Bräutigams gesagt wird: .despondity
ei Tirginem" (Terent. Hecyra I, 2, 49, cf. Adelphi IV, 6, 16—17: Hlcio ist
ZiebYater des Brintigams.)
834 H o f m « & n
eines Helleneu, erklärten, ja die iyyOnaig für die Voraussetzung
einer rechtmässigen Eheschliessung ansahen *•).
Parallele zwischen Kauf und Eheschliessung.
Nicht der materiellen Bedeutung und Behandlung <), wohl aber
der Form nach gehen Kauf einer res mancipi und Eheschliessung
ganz parallel. Eheschliessung war eben (Anfangs wirklicher, spater
symbolischer) Brautkauf.
I. Nimmt man eine ältere Gestalt der Mancipation an
(mit wirklichem pretium, s. Kuntze, Excurse S. 127), so enthielt
diese die gleichzeitige Erfüllung der beiderseitigen Verbindlichkeiten.
Beim Brautkauf wurde sie vorbereitet durch eine feierliche
Sponsin*), und auch beim Sachenkauf konnte dies geschehen.
Sponsion und Mancipation, Verlobung und Hingabe der Tochter zum
Weibe verhielten sich wie obligatio und solutio s).
IL An die Stelle der sacralen sponsio tritt die profane stipulatio
(Kuntze Exe. S. 474); durch die Mancipation in ihrer späteren
Gestalt (mit blossem raudusculum) erf&Ilt der Verkäufer, bez. der
<•) Klemm VUl, 84; Bekker a. a. 0.; Sontag p. 26; Rosaback
S. 21S, 228; Scbdmanii, Oriech. AlterUifin. li. S. AW, — Bei dea Bornen
gebot nicht da« Recht, wohl aber die Sitte die Sponialiea (P u c h t a Inatit. Ul.
f. 290.)
1) Denn in historischer Zeit wird bei der Rheschliessung kein Preis gesablt, dock
das raudttscnlum vertritt foraeU die Stelle des pretiam. Ein fernerer Unterschied
liegt in dem frfihieitig aufgekommenen Rechtssats, data aua Sponsalion nicht ge^
klagt werden kann (Rossbach, S. 394 ; über die Wandinngen, die dat
rSmische Recht in dieser Beziehung dnrcbgeroacbt hat* s. S o n t a g p« 74 — 76.) —
Wenn es wahr ist, dass die Braut selbst das raudnscnlom entgegennahm, so lige
darin auch ein formaler Unterschied. Doch könnte dies jedenfalls erst in spiter
Zeit anfgekommen sein (a. M. K a r I o w a , S. 5S — 57, wo die rerschledansa
Ansichten zusammengestellt sind ; dagegen s. über die allerdinga anfaUende Stell«
ans Nonius Mareellus anch Rossbacb, S. 75 und S. 376.)
>) Ein sacraler Ritus : s. K u n t s e , Cursus f. 649.
') Dass sponsalia und coemtio Irgendwie susammenhingen, hat anch schon G ö 1 1-
1 i n g (Gesch. d. röm. Staatsverf. 8. 91) angedeutet. Indem er die Sponsalica
«ein kleines Vorbild der Coemptio" nennt. Der Ausdruck ist doppelsinnig aad
Göttling hat keine klare Vorstellung über das Verhiltniss gehabt (irie denn sciac
«
nbrigen Bemerkungen über die coemtio, 8. 90->92y unhaltbar sind); es kann
über den Verlobungs- und den Tranriog. 83 S
Brautvater, seine Verbindlichkeit ^). Der Käufer erwirbt das
dominium, der Bräutigam die manus.
III. Die Maneipation bleibt das Mittel, um das Eigenthum an
der Sache (Gaius, II, §. 22) bez. die Gewalt über die Braut
(Gaius, I, §. 113) zu Übertragen. Die Verpflichtung aber zur
Maneipation (venditio — sponsalia) wird durch formloses Verspre-
chen begründet (yergL einerseits pr.. §. 1 Inst. III, 22 und 1. 1 §. 2
D. XVIil, i, andererseits I. 4 D. XXIII, 1).
Doch nicht nur in diesem geschichtlichen Entwicklungsgange,
auch in manchen Einzelheiten tritt dieser Parallelismus hervor. Der
praeses provineiae darf während seines Amtes, der miies, so lange
er in der Provinz stationirt ist, keine Provinoialin heiraten; beide
sind in dieser Zeit auch im Rechte Käufe in der Provinz abzu-
sehliessen, beschrankt. (Vergl. I. 38- pr. D, XXill, 2, 1. un. Cod. V, 2
mit 1. 6 §. 3 D. I., 16; I. 46 f 2 D. XLIX, 14; dann I. 63
D. XXIII» 2 mit 1. 62 pr. D. XVIII, 1). Doch dies sei nur nebenbei
erwähnt, da es nicht die formelle Seite betrifft, und auch das legis-
lative Motiv in beiden Fällen leicht einzusehen ist. Wichtiger ist die
folgende Übereinstimmung.
Bekanntlich wird die arrha fast nur beim Kaufe &) und bei den
Sponsalien«) erwähnt. Die Römer, welche diesen Gebrauch im
griechischen Unteritalien mochten kennen gelernt haben ^), machten
zwar die Perfection des Kaufes nicht von der Übergabe der arrha
daher nicht noffiiUen, dasi Rossbaoh (S. 181 f^.) da« Richtige in jener Be-
merliang fibersehen hat. — Einen Zuaammenhanp gibt in unbeitimmtem Ausdruck
ala möglich zu K a r 1 o w a die Form der röm. Ehe S. 3.
^) B«fm wirklichen (Sacben-)Kanf muM nun der KinflBr daneben ein Pretinm lahlen ;
** beim symbAliacben Braut kanf genSgt das raudnaculnm.
^) In einer griechischen oft wiederholten Definition des ap|»aj3cby ist nur rom Kauf
die Rede s. 8 n i d ■ e Lexicon (Aosg. t. Gaisford und Bemhardy) I, 683 ; Tgl.
den Thesaurus ron Stephanns (in der Bearbeitung ron Dindorf u. A.) I, 2,
eol. 2087.
<) Cod. V, tit. 1 ! de sponsslibus et arrhis sponsalitiis ... — Die Sponsalien selbst
werden ron den Spitgriechen snweilen appaj3ätivi( genannt: „fAv^orpov 6 roO
7d(iov ippatßw^ (Hesjch.) und Tiele Andere bei 8 1 e p k a n u s I. c. zusammen-
getragene stellen.
7) Darauf deutet auch derOmstand hin, dass die Xlteren Schriftsteller (s. B. PI an tu s)
durchweg den griechischen Ausdruck Marrabo* gebrauchen; die Spiteren sogen
das kfinere „arra** vor (6 e II i u s N. A. XVII, 2, 21). Über die Rolle des
appaßdtv im griechischen RechtsTcrkehrs. H o f m a n n , Beitrige 8. 104 f|^.
836 H 0 f in a n n
abhängig (daan wäre der Kaufcontraet kein formloser Vertrag mehr
gewesen), aber sie bedienten sieh ihrer gerne (Msaepe" 1. 35D.XV1I1,
1) als eines „argumentum emtionis et venditionis eontraetae*'
(Gaius UI, ^. 139, pr. Inst. III, 23), damit der ernstliche Vertrags-
Wille „evidentius probari possit«' (1. 35 D. cit); und zwar thaten sie
dies um so lieber, als eben bei formlosen Verträgen das Bedürfniss
nach einer sinnenfälligen Harkiruug des entscheidenden Zeitpunktes
sich oft fühlbar macht. Diesem genügt offenbar jede noch so kleine
Münze, jeder noch so geringe 'Gegenstand. Soll freilich die arrha
zugleich eine factische Garantie der Vertragstreue sein, dann muss
sie einen Werth haben, dessen Verlust in Betracht kommen kann 9.
Dass ein ungenauer Sprachgebrauch arrha uud pignus •} Ter-
wechselt <<»), erklärt sich daraus, dass auch die arrha ihren Zw^eck
nicht in sich trägt, sondern zur Garantie für eine Verbindlichkeit
gegeben wird, bei deren Aufhören sie zurückzugeben ist * 0- ^^^^ ^^^
in Geld bestehende arrha, wenn es zur Erfüllung des Vertrages
kommt, nicht zurückgegeben, sondern eingerechnet (als Anzahluog
behandelt) wird, ist nur ein abgekürztes Verfahren. Der Contractu
brüchige dagegen kann die arrha so wenig zurückverlangen, wie ein
pignus.
Auch bei den Sponsalien begegnen wir der arrha (a. spon-
salitia). Nicht von beiden Seiten, nur vom Bräutigam wird sie in der
Regel gegeben **), gleichwie beim Kaufe nur von Seite des Käufers.
*) Ver^l. H o f m ■ 0 n a. a. 0. S. B5 u. S. 105. — Mao kdonle diesen Untereehied
vieUeicht mit dea Ausdrücken «formelle und materielle Fnnetioa
der Arrha" bezeichnen.
*) Auch beim pignns war der ursprfingliche Gedanke nicht: dem Gläubiger eia
Befriedigungsmittel su gewXbren, sondern: einen Dmck auf den Willen dt*
Schuldners anssnfiben (K u n 1 1 e , Cursus f. 5$0). Auch heutsutage tritt dieser
Gedanke noch hervor, wenn Sachen ohne Verkanfswerth (s. B. Doctordiplome) «ver-
setzt" werden, wo ron einem Pfandrecht im teckn. Sinne keine Rede sein
kann. Vergl. damit H e r o d o t II. 13tf, wo crziblt wird, der ägyptiseke Konig
Asychis habe zur Zeit einer Geldkrisis gestattet, dass der Schuldner den Leichnan
seines Vaters rerpAnde.
'®) Ober den Unterschied ron arrha und pignus s. Dernburg, Pfuidrecht 1.
8. 99 fg.
'0 Am reinsten tritt die Natur der arrha gerade in den seltenen Pillen herror, wo sie
in einer Sache besteht.
<*) S 0 n t a g p. 50 sq. — Eben so war es im Mittelalter; zahlreiche BelegsteUen bei
W o 1 f f a. (f. 11, N. 3) a. 0., p. S sq.
über den Verlohnnga- uod den Tmiiringf 837
Auch dort konnte sie denselben Zwecken dienen d. h. bald nur ein
äusseres Zeichen des gereiften Entschlusses, sich zu binden, sein
{». <§. 6), bald zugleich eine Pression auf den Promittenten bezwecken,
in letzterem Falle galten för sie die nämlichen Vorschriften, wie für
die arrha emtionis. Vergi. I. 3 Cod. de sponsalibus V, 1 : ,,Arrhis
sponsaliorum nomine datis, si interea sponsus Tel sponsa decesserit,
quae data sunt iubemus restitni** mit i. 11 §. 6 D. de act. emti et
rend. XIX» 1 und I. 2 Cod. quando lic. ab emt. disced. IV, 45 ; dann
1. 5 Cod. V. 1 : ,»Mulier iuris sui constituta arrharum sponsalium
nomine usque ad duplum teneatur, id est in id, quod accepit et aliud
tantumdem . . .** mit I. 17. Cod de fide instrum. IV, 21 ^. . . si quae
arrhae super facienda emtione . . . data sunt , venditionem
recusans in duplum eas reddere cogatur . . .**; ebenso pr.
Inst. Ill, 23. «»).
Dass die arrha sponsalitia, wenn die Ehe zu Stande kam» nicht
zurückgefordert, sondern der Frau als Geschenk belassen wurde, ist
eine in der Natur des Verhältnisses begründete Modificatioh, welche
den Begriff der arrha keineswegs aufhebt i^). Dass sie später der
Braut selbst gegeben wurde und deshalb gewöhnlich in Schmuck-
sachen bestand, darf uns so wenig beirren, als die Bemerkung des
Gloss. Cavense »*), die „meta** werde der „uxor" gegeben, über den
germanischen Brautkauf Jemanden irre führen wird. Gewiss wurde
ursprünglich jene arrha und diese meta dem Brautvater gegeben <<<).
Dass die arrha sponsalitia später bei jeder Ehe Anwendung finden
konnte, nicht bloss bei einer durch sponsio Torbereiteten co^mtio,
kann nicht eingewendet werden gegen eine Untersuchung, die sich
mit dem Ursprünge der arrha sponsalitia beschäftigt.
Zur Stützung der hier vorgetragenen Ansicht kann auch der
Sprachgebrauch angeführt werden. Für sponsa kommt nämlich
zuweilen der Ausdruck deatinaia vor; destinare sibi aliquid aber
wird von demjenigen gesagt, der etwas kaufweise zu erwerben beah*
1') Vergl. noch I. 1 fin. Cod. V, 8; 1. 16 Cod. T, 4; 1. S Cod. V, 1. — Über die Wand-
langen des röm. Rechte hinsichtlich der arrha eponsaUtia s. 8 o n t a g , p. 40 sq.
(Tgl. hier f. 5, N. 1).
'^) Dien gegen 8 o n t a g , p. 48.
i^j Bmi Z ö p f 1 Deutsche Reehtsgescb. (3. Aufl.) f. 81a, N. 5.
'*) Die Meta war Anfangs Muntsohatz (Schröder I, S. 26 »g.yf und wurde spiter
XU einer Znwendung an die Braut (i, 8. 40 fg).
838 H o f m « n n
sichtigt (s. K. B. Cicero ad Div. Vil, 23, 3; Plautus Mostel III,
1,113), sohin auch Yon demjenigen, der in solcher Absicht eine
arrha gibt (Plaut. Rudens, proi. v. 4S, Persa IV, 4, 115).
Die Gaben eines Bräutigams können sehr rerschiedener recht-
licher Natur sei. Man muss unterscheiden: 1. die arrha sp. als
blosses Zeichen des Willens, sich zu binden; 2. die arrha sp., die
durch ihren Vermögenswerth dem Bräutigam den Rucktritt er-
schweren soll <7) : diese erscheint vom Standpunkt einer verfeinerten
Gesittung anstössig; 3. die donatio sponsalitia oder don. ante nup-
tias, eine Schenkung unter Verlobten, mit Rücksicht auf die beab^
sichtigte Ehe gemacht (1. 7 Cod. V, 3). Bei der arrha (2) erscheint
es als eine Modification (s. vorne), dass sie oft nicht zurückgegeben
wild; bei dieser donatio erklärt sich die Bestimniung, dass sie bei
Auflösung des Verlöbnisses zurückzugeben ist, aus der L^hre tob
der Voraussetzung; 4. eine einfache gewöhnliche Schenkung, ohne
jene Rücksichtnahme (1. 11 Cod. V, 3); 5. die nur des Namens
wegen hier zu erwähnende donatio propter nuptias (Arndts
§■ 413).
§. 6.
Der anulus arrhae und der anulus pronubus.
Bei der Verlobung gab der Bräutigam der Braut einen Finger-
ring. Schmucksachen der Braut zu schenken, ist wohl in aller Welt
Sitte; aber so darf diese Gabe nicht aufgefasst werden. Denn der
anulus pronubus war ein schmuckloser Eisenreif, und zwar nicht
bloss in der guten alten Zeit (denn damals trugen die Römer, gleich
den Spartanern, überhaupt keine anderen als eiserne Ringe *), son-
dern selbst noch zur Zeit eines unmässigen Luxus. Noch Pli ii ius >j
sagt: „etiamnunc sponsae muneris vice ferreus anulus mittitur, isque
sine gemma" '). Also nicht um einen Schmuckgegenstand handelt
es sich hier, sondern um ein Symbol. Dieses aber kann nicht die
Bedeutung gehabt haben, die wir heute mit den Verlobungs- und den
^"f) Zugleich kann si« aber aneh den unter 1. angegebenen Zweck erfiliea.
<) Plinius bUt. nat. XZXUI, 1, 4; Macrob. SaUrnai. VK, c. 13.
<) Plinius 1. c. (in der Anag. y. SilUg rol. V p. 64).
') Auch unser Trauring ist ohne Edelstein und Zierrat.
über den VerlobvDga- nnH den TrMurin^. 839
TrauriDgen verbiaden. Denn sonst waren Ringe gewechselt
worden, während in Wirklichkeit nur der Bräutigam einen Ring
gab. Vielmehr war der Ring eine arrha sponsalitia in der ersten
Bedeutung (s. oben) d. h. die Markiruug des Augenblickes, in wel-
chem man sich gegenseitig durch ernstes Versprechen bindet. Ju ve-
nalis (sat. VI. v. 25 sq.):
Conventum tarnen et pactum et sponsalia nostra
Tempestate paras, iamque a tonsore magistro
Pecteris et digito pignus fortasse dedisti:
Certe sanus eras? uxorem Posthume ducis?. . .
Tertuiiianus (Apolog. cap. 6) hält seinen entarteten Zeit-
genossen die Sittenreinheit und Einfachheit ihrer Ahnen Tor, ron
deren Frauen er sagt: „aurum ^) nulla norat, praeter unico digito,
quemsfonsusoppignor aaset annulo pronubo**. Vgl. noch 1.36
§ 1 D. de donat. int. vir. et uxor. XXIV, 1 (Paulus) und Isidor.
Orig. XIX. 32, 5.
Also eine Arrha war ursprünglich der Ring und zwar eine
Arrha des symbolischen Brautkaufes s). Es ist die Krönung
des oben nachgewiesenen Parallelismus, dass sogar dieses formelle
Detail, das auf den ersten Blick dem Verlobungsritus eigenthümlich
zu sein scheint, auch beim ge wohnlichen Kaufe sich nachweisen
lässt *).
Bemerkenswerth ist es, dass wir auch diese Art von Arrha
zuerst bei einem griechischen ?) Schriftsteller erwähnt finden.
Aus einer Stelle des Theophrast^) ersieht man nämlich, dass einen
^} Richtiger wäre : aanulum nnlla norat" (Tgl. N. 1 und 2).
*y Vgl. GdttlingS. 91: .... i^Die römischen Sponsaüen, durch welche rorlfiafig
ein Monn ror der Ehe dadnrch sich einer Frau rersprtch, daa« er ihr oder ihrem
Vater Oder Tutor eine Arrha gab, bestehend in einem Geldstficli
oder einem anderen Geechenke, t, B. einem Ringe, weicher auch bei anderen
Veripreehnngen in Gebrauch war* . . .
*) Aneh schon Sontag (1. c. p. 48, 75) hat auf diesen Zusammenhang kura hinge-
wiesen. Mir war seine fleissig gearbeitete Dissertations-Scbrift, deren Resultaten
ich übrigens nicht überall beiiustimmen vermag, unbekannt, als ich an die Aus-
arbeHnng dieser Abhandlung gieog.
7) Vgl. hier f S, N. 6.
9) Bei Stobfius Florileg. XLIV, 22 (in der Ausgabe Ton Meineke rol. 11, p. 167,
Z. 31).
84Q H o f m ■ o n
Fingerring als Arrha beim Kaufe zu verwenden nichts Seltenes
gewesen sein kann •). Dazu kommen zwei Stellen aus Ulpian: die
I. 5 § 15 D. de instit. act XIV, 3 (aus üb. 28 ad Edictum): „Item
si institor, quum oleum yendidisset, anulum arrhae nomine aceeperit,
neque eum reddat» dominum institoria teneri, . . . .quare si pignut
institor ob pretium aeeeperit, institoriae locus erit" i®); — dann
I. 11 ^. 6. D. de act. emt et rend. XIX, 1 (aus 1. 32 ad Edict):
nis, qui vina emit, arrhae nomine certam summam dedit, si
anulus datus sit arrhae nominCf ....'' Wahrscheinlich gehört
hierher auch die Notiz bei Plinius n), dass hinter Scipionem
(Caepionem?) quoqiie et Drusum ex anulo in auetione venali ini'^
micitiae coepere, unde origo socialis belli . . . " : denn dass der
Fingerring Obj ect der Versteigerung gewesen sei, hat für jene Zeit
(um das J. 90 vor Chr.) sehr wenig Wahrscheinlichkeit. — Vielleicht
lasst sich hieraus auch die räthselhafte Stelle cap. 11 X. de praesum.
II. 23 erklären, in welcher verschiedene ,»adminicula* erörtert
werden, „quibus probatur matrimonium^. A behauptet mit der B
Tcrheirathet zu sein; sie läugnet es. Nachdem verschiedenes für und
gegen die Behauptung des A vorgebracht wurde „y'w. . . . quibusdam
testibus, qui viderant eam annidos deferentem, ipsam probavit uxo-
rem*' <•); wogegen die Frau der nicht wegzulaugnenden Thatsaehe
eine andere Deutung zu geben sucht: „sed ipulier de more illarum«
quae panes vendunU sc anulos detulisse dicebat^.
Von entschiedener Wichtigkeit aber ist folgende, m. W. bisher
noch nicht benutzte Stelle aus Plinius«): „Celebratior quidem
usus cum foenore eoepisse debet; argumento est consuetudu volgi.
*) Hofmano, B«itripe S. 106.
^®) Diese ZittammensteUaiig tod arrha uod pignii« bestlUgt das oben (f 8) Gesagt«.
<0 H. N. XXXIII, cap. I, s. 6.
^') Nach kanonischem R. „le don de rannean etablissait une presomption de ■Bariafr^'^
und swar: »livre dam la tnaison par T^poos, c'eUit une preure de fiaafaiJlea, et
dan§ Cigliae par le pritre, nn indice de mariage". (Abbe Texier, dietioBBair^
d'orf^rrerie, de gravnre et de ciselure chr^tiennes« col. 13S; 27. Bd. der S. Serie
▼on des Abb^ Migne Encyclop^die Theotogique).
1*) L. c. fin. (in der Ansg. t. Sillig v. V, p. 72). Plinins giebi dort niaUcli eine
Geschichte der Sitte des Ringtragens bei den Römern and scbUeest sie mit des
obigen Satxe.
über den Verlobnogs- uod den Trauring. 841
ad sponsiones etiam nunc antilo exsiliente ^^'), tracta ab eo
tempore, quo nondum erat arra velocior, ut plane adfirmare possi-
mus nummos ante apud nos, mox anulos coepisse**. Mit »sponsiones''
sind hier nar Wetten, nicht andere Geschäfte in Stipulationsform,
gemeint (sonst wäre der Ausdruck „volgi** unmotivirt), wie die Ver-
gleichung mit 1. 17 <§. 5 D. de praesc. rerb. XIX, 5 (abermals aus
Ulpian^s I. 28 ad Edictum) zeigt: „Si quis sponsionia causa
anulos acceperit, nee reddit victori*'. . Die Stelle aus Piinius liesse
sieb so erklären, dass die anuli nicht der Wetteinsatz waren, sondern
ihre Übergabe dasselbe sagen wollte, was h. z. T. in gleichem Falle
der Handschlag sagt — : »Top! es gilt^. Hiefür spricht nicht nur
die symbolische Bedeutung des Ringes (ßdes anuli, s. unten), son-
dern der ganze Zusammenhang, da ja Piinius von einer allgemeinen
Verwendung des Ringes als einer Arrha spricht und die Volkssitte
bei Wetten nur als einen schwachen « Rest zur Illustration anführt.
Dagegen scheint die 1. 17 § 5 cit. am leichtesten so erklärt werden
zu können, dass von beiden Seiten einem Dritten (iudex sponsionis)
je ein Ring gegeben wurde; der Sieger konnte dann beide (d. h.
seinen und den fremden Ring) dem Dritten abfordern ; lag aber der
Wette eine inhonesta causa zu Grunde, nur den seinen ( „«ut anuli
duntaxat repetitio erit*) i'). Dann hätte Piinius sein Beispiel nicht
glücklich gewählt; es würde ihm dabei folgende Verwechslung
unterlaufen sein: „pignus*' bedeutet „Pfand"*, aber auch „Wett-
einsatz*« ^•); die „arrha *« wird bildlich auch ein „pignus** genannt
(s. oben); möglicher Weise kam eine solche Verwechslung auch
in umgekehrter Weise vor, so dass auch der Wetteinsatz „arrha**
genannt w^orden wäre. Dass wir hier in der That an einen Wettein-
satz zu denken haben, dafür spricht auch eine Stelle aus PI au tu s
(Cureu). II, 3, 76 fg.), wo Jemand, von einem Würfelspiel erzählend,
sagt:
„Pono pallium;
nie suom anulum opposivif* ....
''*) SoU ea nicht rielleicht heissen: »consuetudo volgi ad iponsiones etiamnunc anulos
exigenti$ ? . . .
^^) Vgl. VaDgerow, Hl, { 673, Anm. 2.
^^3 Dernborg, Pfandrecht!. 8.49.
SiUb. d. phU.-hist. CI. LXV. Bd. IV. Hft. 56
842 H o f m « n n
PI iiiius würde hienach erst von der Arrha im technischen Sinne
reden, dann aber ein Beispiel anfuhren, wo der Ring auch als „arrha"*,
aber in einem nicht-technischen Sinne Torkäme.
Doch dies ist nebensächlich. Wie immer man darüber denken
mag, aus jener an Belehrung reichen Stelle geht ganz klar folgendes
hervor: 1. Der Gebrauch des „anulus arrhae nomine datus*' ist ein
sehr alter, er ist nicht etwa erst zu Ulpian*s Zeiten in Aufnahme
gekommen. Jene Volkssitte wird als eine Spur bezeichnet, die 8ieh
noch (etiamnunc) erhalten hat („tracta ab eo tempore ....**).
Dies kann nicht auffallen, da in Griechenland derselbe Gebrauch für
die Zeit des Aristoteles bezeugt ist (s. oben). Plinius sagt, die
Sitte sei in Rom nicht viel jüngeren Datums, als der Gebrauch aus-
gemünzten Metalls. 2. Diese Art, den Ring zu verwenden, mass
früher in Rom sehr gewöhnlich gewesen sein, sonst hätte Pli-
nius die grossere Verbreitung des Ringtragens nicht mit der Auf-
nahme der Geldgeschäfte in ursächlichen Zusammenhang bringeo
können (^nCelebrcUior — . usus cum foenore <?) coepisse debet*").
3. Daraus folgt von selbst, dass die Arrha überhaupt bei den Römern
in häufigem Gebrauche war. Für die Geld-Arrha folgt es
überdies arg. a contr. aus den Worten: „eo tempore, quo wmdum
erat arra i^) velocior*'. Damit stimmt überein die häufige Erwäh-
nung des arrabo in den Comödien des Plautus; und für eine viel
spätere Zeit wird es bestätigt durch das ausdrückliche Zeugniss des
Gajus in I. 35 pr. D. XVIII, 1: „Quod 9aepe arrhae nomine pro
emtione datur^ .... Dies wurde hier desshalb ausdrücklich hervor-
gehoben, weil noch neuerdings das Gegentheil in einem vorzüglichem
Werke behauptet wird *•).
^'') „Cum foenore^ ist hier in der weitesten Bedeutung gebraucht, m Bes«ichB«iif
einer Periode, in welcher da« Geld anfieng ein gestaltender Factor in der Volkt-
wirthschaft zu werden, in welcher also namentlich der Tausch durch den Kaiaf ii
den Hintergrund gedringt wurde.
*^) Darunter ist hier speciell die Geld -Arrha, im Gegensatae lur Rin^Arrha, n
verstehen.
^^) Kuntxe, Ezcurse, S. 491 : »Es scheint nicht, dass diese Sitte de« Bömera
sehr geläufig gewesen sei ; denn nur von Gigus . • . . , dem ProHniia(|iiriatea, wiri
bemerkt, dass das Handgeld hfiufig sei." — Woxu dann die wiederholte Versiche-
rung, die Arrha sei nicht ünerlisslich sur Perfection des Kaufgeeckfiftes ? Bm
1. 35 oit. könnte man noch allenfalls sagen, sie sei ja dem Connentar xaa
Provinzial-Edict entnommen. Dass aber im Lehrbuche des Gaius (ill, f. XW
über deu Verlobung«* «od den Trauriog. 843
Hiemit ist der Beweis erbracht, dass die ursprüngliche
Bedeutung des römischen anuius pronubus nicht in dem ethischen
Gehalte der Ehe, sondern in der uralten Form des Frauenkaufes
zu suchen ist. Dass in der Zeit des sinkenden Römerthums aus dem
schmucklosen Eisenreife ein Goldring wurde» der zuweilen einen
grossen Werth repräsentirte, kann nicht auffallen. Der Ring wurde
ein Theil jener Geschenke, in welchen sich die „sponsalitia largitas^
seit jeher gefällt *<>). Schon viel früher dürfte die nüchterne juris-
tische Bedeutung des Ringes meistens dem Bewusstsein der Bethei-
ligten durch eine mehr zum Gemüthe sprechende Deutung verhüllt
gewesen sein. Bei einem Liebeshandel nennt Plautus (Miles glor.
IV, 1, 11) den von einer Frau gesendeten Ring „arrhabo primus
amoris"; eine ähnliche Vorstellung mochte ^ich allmählig auch
bezüglich des Verlobungsringes geltend gemacht haben.
§. 7.
Der Ring als Symbol.
Hiemit ist aber die Frage nach der ursprünglichen Bedeutung
des Ringes nicht gelöst, sondern nur weiter zurückgelegt. Es ent-
steht eben die andere Frage: was soll der Ring beim Kaufe?
Thatsaehe ist: die Arrha mit formeller Function (§ 8, Nr. 7) konnte
in einer oder einigen Münzen bestehen oder auch in einem Ringe.
Dies gilt sowohl vom griechischen und rön|ischen Kaufe, als
von den römischen Sponsalien (^6, N. 5); und derselben Erscheinung
begegnen wir beim symbolischen Brautkauf der Israeliten «und
der germanischen Völker i).
uod ebenso io den Juatioiiinisehen Institutioneo (pr. Inst. HI, 23) diese Bemerkang
an die Spitze der Lehre rom Raafe gestellt ist, bliebe bei der gegeatbeiligen
Annahme geradezu unbegreiflich.
*^) Die kostbaren Scbmueksachea, die Maziminus Junior seiner Braut schenkte,
nennt Capitolinus (c. 1) „arrhae regiae* und hebt es beeonders benror, dass
sie, obgleich sich das Verhültniss zerschlug, der Beschenkten gelassen wurden.
*) Mendelssohn, Ritnalgesetze der Juden (Ausg. r. 177S) S. 93 fg. Der
Scheinpreis besteht in einem Gelde (einer Münze) oder Geldes werth ; «man
pflegt dazu einen Ring Ton Gold oder Silber ohne Stein zu nehmen, den drr
Bräutigam der Braut an den Finger steckt". — ,ln den Niederlanden und in
F r i e s 1 a n d gab der BriuUgam der Braut entweder einen Tmu-Pfenaig oder
56 •
844 H o f in ■ n n.
Dabei ist zunächst auf die Thatsache autroerksam zu machen,
dass Münzen und Ringe nicht bloss die Kreisgestalt mit ein-
ander gemein haben. Zu verschiedenen Zeiten wurden bei verschie-
denen Volkern neben den Münzen Ringbarren als Tauschmittel
verwendet. „Bei den Ägyptern vertraten goldene und sil-
berne Ringe die Stelle des Geldes; sie wurden abgewogen'' *). Im
Arabischen wird gemünztes Gold metonynisch »Ring Gottes''
genannt >). Schröder ^) spricht von der »im früheren Mittel-
alter so allgemein gebräuchlichen Bezeichnung des Geldes mit
»Ringe**, sei es nun, dass ursprünglich wirklich Ringe die Stelle
von Münzen vertraten s), oder dass dies ein blosser Sprachgebrauch
war".
Dürfte es sich nun schon hieraus erklären, warum zur Arrha
alternativ Münze oder Ring gefordert wurde, so sprach noch für
letzteren seine symbolische Beziehung zur Treue und
Wahrhaftigkeit, vermöge welcher er als feierliche Bekräftigung
eines Versprechens erscheint Und daraus wieder erklärt sich,
warum der Verlobuugs- (und später der Trau-) Ring die Verwen-
dung des Ringes bei Kaufgeschäften überlebte, bis eine naheliegende
rmdeutung den geschichtlichen Zusammenhang vergessen liess.
einen Trau-R i n g (^trowen op den penning", „trowen op den ring"): Fried-
berg, S. S6, N. 2. — Aus dieser Übereinstimmung erkUri sich wohl RicL
S c h r d d e r*s Vermuthung, dass die Deutschen den Trtnring aua dem jüdjicbf«
Rechte überkommen hfitten (Gesch. d. ebel. Güterrechts I, S. 58). Er fibersah die
ganz analoge römische Erscheinung. Vgl. übrigens hier |« 10.
*) Dr. Friedrich Kenner, die Anfinge des Geldes imAlterthum (Wien 1864), S.97.
— ^Ferner werden Ohrringe «vuria geradezu ffi*yXai genannt, was also dartsf
leitet, dass man in Ägypten Ringbarren im Gewichte des Shekels batte" u. s. v.
(S. 98).
*) Ztschft. d. Deutsch, morgenl. Gesellscb. V, S. 180 (Auszug Hammer-Porg-
stalTs aus einem Buche Saalebi*s.)
^) A. a. 0. 1. S. 57 fg. Damit will er den Namen j^reipas** erkliren. Die rorfaer all-
gemeine Bezeichnung sei «Tielleicht io Folge des aus dem jüdischen Rechte
überkommenen Trauringes bei dem Verlohn issgelde festgehalten* worden. .Mas
spraeh tou „Ringen**, als nur noch bestimmte Geldstücke gegeben wurden*: —
eine m. E. unrichtige Verknüpfung an sich richtiger Tbatsachen.
*) HiefQr werden freilich als Belege missTerstindlich SteUeo angeführt, wo nm wirt-
lieben Verlobungf- und Tranringen die Rede ist.
über deo Verlobuogs- und den Trauriog. 84 S
Wie die Ki-eislinie seit jeher die Phantasie der Völker beschäf-
tigt hat, so ist auch der Ring ein Symbol mythischen Ursprungs •);
und damit hängt es wohl zusammen» wenn Pingerringen zuweilen
mystische Kräfte zugeschrieben wurden ?). Es ist natürlich hier nicht
der Ort, eine Zusammenstellung der hier einschlägigen religiösen
Ahnungen, abergläubischen Gebräuche und sinnbildlichen Deutungen ^)
zu geben. Nur zwei der letzteren verdienen hier hervorgehoben zu
werden, weil sie sich in den Schriften des classischen Alterthums oft
erwähnt finden und noch heut zu Tage allbekannten Sitten und
Ceremonien zu Grunde liegen. Der Ring bedeutet nämlich einmal
Herrschermacht und dann Wahrhaftigkeit.
Die erste Bedeutung, die schon dem orientalischen Alterthum
angehört «), ist für das classische vielfach bezeugt. Der sterbende
Alexander gibt seinen Fingerring dem Perdikkas, „ex quo omnes
coniecerant, cum regnum ei commisisse^ (Cornel. Nep. Eumenes
cap. 2); der sterbende Tiberius zog den Ring vom Finger, als ob
er ihn Jemandem übergeben wollte, dann aber, sich anders besinnend,
steckte er ihn wieder an und schloss fest die linke Hand (Sueton.
Tiber. 73). Wie Regenten ihrem designirten Nachfolger, so fiber-
gaben auch Private dem disignirten Erben ihren Siegelring ^o) (Flav.
Vopisc, Aurelianus c. SO; Val. Max. VII, cap. 8 § 5 und § 9.).
Dabei konnte dieser Akt zugleich denselben factischen Zweck
0) 8. Globvs, XIII, S. 833.
7> Die Zanberringe in alten und neuen Sagen (a. B. Gjges, Salomon). — Über Ring-
weiisagnngen bei den Griecben, Scb5niann Griech. Alterth. (2. Auil.) H,
S. 260. — Der Siegelring in dem von Pansanias (I. c. 17) erzfihlten Gottes-
nrtbeil ist wohl aacb nicht gana infSlUg. — Unter den gottesdienatlicben Gerith-
•chaften der Paraen wird auch ein Ring genannt; doch über seine Verwendung
weiss Spiegel (Avesta II, S. LXIX) keinen Aufschinas lu geben.
S) 8. z. B. Bachofen, Mntterrecht S. 894 fg.
*) Der Ring der Weltherrschaft (s. N. 6). Der Ring Salomon^s wird ron Saalebi
(s. N. 3) als das Sjmbol der Herrscher macht beseichnet, weil demselbeA alle
Menschen und Dschinnen gehorchten ; Ton demselben stammen die Ringe der
Könige als Symbole der Herrschaft. — Als Pharao den Joseph fiber gans Ägypten
•«tat, steckt er ihm seinen eigenen Ring an den Finger (I Moses, 41, t. 41, 42).
Als Ahasver dem Haman die Vollmacht gibt, alle Juden vertilgen an lassen, thut
er dasselbe (Esther 3, r. 10), was freilich auch noch den Sinn hatte, dass mit
dem Ring des Königs die Befehlschreiben gesiegelt wurden (v. 12).
10) Minner trugen in der guten Zeit keinen anderen Ring, da Schmuck (lu welchem
der Siegelring nicht gerechnet wird, 1. 74 D. L, 16) nur Frauen ziemt.
846 H o f m a n 0
haben, wie bei uns die Einbändigung der Schlüssel, da bei Grie-
chen i<) und Römern <«) das Versiegeln häufig die Stelle des
Verschliessens vertrat; ja die Übergabe konnte auch lediglich
diesen Zweck haben ohne jene symbolische Bedeutung. Hieraus
erklärt sich nun vollständig I. 77 ^21 D. XXXI (Papiuiau.): Pater
pluribus filiis heredibus institntis moriens clave» et annlum cuBta-
diae causa, maiori natu filiae tradidit, et libertum eidem 61iae,
qui praesens erat» res, quas sub cura sua habuit, assignare iussit;
commune filiorum negotium gestum intelligebatur, nee ob eam rem
apud arbitrum divisionis praeeipuam causam fiUae fore**.
Unter den lahlreichen Spuren dieser Bedeutung im Mittelalter
soll nur an die Verwendung des Fingerringes bei Übergabe grosser
Domänen <>) und an die damit zusammenhängende Belehnung „mit
Ring und Stab" erinnert werden"*. ,,Anulus est signum investiturae
et investitura est signum traditae potestatis*' i*).
Was die andere Bedeutung, d. h. die symbolische Beziehung
des Ringes zu Treue und Glauben betrifll, so kann auch hier
zuerst auf den Orient, auf die Schwurringe der arischen
Volker undauf dicThatsache verwiesen werden, dass Ringe von der
jenen eigenthumlichen auffallenden Gestalt in dem weiten Räume -vom
iranischen Hochland bis zum skandinavischen Norden an sehr vielen
Stellen ausgegraben wurden i^).
Für den römischen Verkehr ist diese Bedeutung vielfach
bezeugt; und da ist vor allem als classischer Zeuge AteiusCapito
anzuführen, der nponüficii iuris interprimos peritus" war (M aerob.
**) Hermano, Oriech. AlterUiamer, % 22, N. 88 t%,
**) PI ID. hiat nat. 33, cap. I, s. 6. Val. M az. L c. Taeit annal II, % (,ae TiU«ta*
utansilittin «nda eUmsa^)»
**) 8. die Belegstellen bei Da Gange a. ▼. inTeatitara.
1^) Taxier, dict. d'orf^Trerie, eol. 144; rgl. cap. 12 X de aeat. et re Ind. IL 27;
cap. 3 X de bis, qnae flont a mai. III, 11 ; cap. 4. X de cone. praeb. II, 8.
^*) »lobaa, Bd. Xlll. 8. 329 fg.; Bd. XIV, S. 176^180. — Klenm apriekt la
xwei stellen (Ciilturgeacbichte, IX, 8. 32 und »die Frauen« U, 8. 152) die Clcr-
leugung aua, daaa ein groaaer Theil der der ▼aterlindiachen Erde eathob^a«*
Bronieringe ala Tranringe gedient haben mag. Das ist ein Irrtbam, der aar
dadurch begreiilioh wird, dasa Klemm der Ursprung und die Gesehiekte d«
Trauringes unbekannt war. Vielmehr dSrften viele dieser Ringe — nimliek di«
grossen, nicht geschlossenen, mit Wülsten und scharf herroriretenden Reifea rsr-
zierten — eben Schwnrringe gewesen sein.
über den Verlobung«- und den Trauring. 84 i
Saturn. VII. c. 13). »Veteres'* sagt er (I. c.) „non ornatus, sed sig-
oaDcli causa (cf. 1. 74 D. L. 16) anulum secum circumferebant.
Unde nee plus habere quam unum licebat, nee cuiquam nisi libero:
(fios so\os fi des decereif quae signaculo continetur; ideo ius
anulorum famuli uon babebant** «•).
Auch noch im Mittelalter finden sich Spuren dieser Bedeutung i^).
Darum dient 1. der Ring^zur Bekräftigung eines Versprechens, und
2. das beigedruekte Siegel zu gleichem Zwecke und auch zur
Solennisirung eines Zeugnisses. Darum sollen Testamentszeugeu nicht
mit einem beliebigen Petschaft, sondern mit einem Ringe siegeln:
1. 22, ^ 5 D. qui testam. XXVIII, 1 (Ulpian.) „Signum autem utrum
annulo tantum impressum adhibemus, an vero et si non annulo, verum
alio quodam impresso? — varie enim homines signant. Et magis
esip ut tantum antüo quia possit aignare^ dum tamen habeat
yapaKTrjpa, [signum]**. Vgl. Seneca, epist. I, 8: „tabulis testa-
menti anulum imprimere*'. Auch bei anderen Urkunden (namentlich
den zur Beglaubigung dienenden) war diese Art zu siegeln gebräuch-
lich, s. z. B. Plaut US, Curcul. II, 3, 67:
^ . . . ei mandavi, qui anulo
Meo tabellas obsignatas attulisset**
vgl. Tacit annal XVI, 19; wie denn die römischen principes nicht
anders siegelten, als mit einem Ringe i»). Die Beziehung zur
fides erhieltalso nicht etwa der Siegelring durch das
Siegeln, sondern umgekehrt dieses durch den Ring.
— Die „signata iura" bei Lucanus (III, 301) werden bei Faccio^
lati'Forcellini (totius latinitatis lex. IV, p. HO) mit „foedera sancita
et quasi sigillo impresso utrinque firmata** erklärt <»).
**) BedentMm ist, daM Macrobius die fides »ignaeuli und das pontifieium tu*
dadurch in ZueammenhaBg bringt,dass er unmittelbar Tordem Citat aus A t. Ca p i t o
ausdrücklich herrorhebt, sein Gewihrsmann sei im pontificischen Recht vorzüglich
unterrichtet gewesen. Dass alle derartigen symbolischen Deutungen im letzten
Grunde mit religiösen Ahnungen zusammenhängen, ist nicht zu bezweifeln.
*^) Dem neuen Bischof wird nach dem römischen Pontificale bei der Übergabe des
Ringes gesagt : „Accipe anulum fidei signaculum * (Tezierdict.
d'orfevr. col. 143).
^^) Daher vom Siegelbewahrer gesagt wird: w<ini«/i curam habere" {Jftstinus, bist.
phil. 43, c. 5 in f.).
**) Pnchta (Gew. R. II, 72) irrt also, wenn er — auf den Unterschied
zwischen der modernen und der römischen Testamentsiegelung hinweisend
848 H 0 f m a o n
Beide Bedeutungen (Ringübergabe zur Bezeichnung des Erben
und zugleich als Bekräftigung eines Versprechens) erscheineo
verschmolzen bei Val. Max. VII. c. 8 §. K, wo er' mit Entrüstung
von einem Romer erzählt, der Jemandem wiederholt Tersprochen
hatte, ihn zum Erben einzusetzen und „nioriens eiiam anulos ei suos
tradidisset**, und doch sein Vermögen einem Andern zuwendete; das
erbitterte Volk habe .»fallacis et insidiosi cadaver*' durch die Gassen
geschleift. — Zu diesen beiden tritt auch noch die dritte oben er-
wähnte Bedeutung (Ringübergabe = Schlüsselübergabe) hinzu in
§. 9 cit. : ein Senator habe noch sterbend sich den frivolen Sehen
erlaubt. Jemanden mit der Versicherung, er habe ihn zum Erben
eingesetzt, zum Besten zu haben ; ^insuperque antUoa quoque suos
ei tradidit, videlicet ne quid ex ea hereditate, quam non erat aditiirus,
amitteret**. Dass aber Val. Max. bei der Ringübergabe zugleich an
eine feierliche Bekräftigung des Versprechens denkt» zeigt die Er-
zählung von der ungewöhnlichen Erbitterung des Volkes und seine
eigene Entrüstung.
In d i e s e r Bedeutung nun, in dieser symbolischen Beziehung des
Ringes zu Treue und Glauben liegt der tiefere Grund, warum man in alter
Zeit zur Arrha bei Kaufgeschäften gerne einen Ring wäUte.
Die Münze war nur ein „argumentum** des Willens, nicht
mehr zurückzutreten ; der Ring enthielt zugleich eine solenne Be-
kräftigung des darauf abzielenden V^ersprechens.
Um so mehr musste sich der Ring als Arrha bei den Spo n sa-
li en empfehlen; und da konnte es nicht ausbleiben, dass in dem
Masse, als die Erinnerung an die Form des symbolischen Brautkaufes
zurücktrat, die Beziehung auf die Treue der Neigung geläufiger
wurde. In der romischen Zeit vorbereitet, geht die Entwicklung im
Mittelalter dahin, dass allmählig der Gedanke an die Vertragstreae,
an die Unverbrüchlichkeit des gegebenen Wortes durch den Gedanken
an die Treue und Unverbrüchlichkeit der vorbereiteten oder geschlos-
senen , alle Lebensbeziehungen umfassenden Einigung verdrängt
wird. Nicht mehr „anuli fides**, sondern „fidei anulus*' <«) ist der
Ausdruck für diese veränderte Anschauung.
20
— aUgemein behauptet: das „BegUttbigungsaieifel'' sei deo Römern uibektaat
gewesen.
> Nicolaus PP., epist. ad. Bulgaros: „Postquam orrhiM sponsam sibi sponsos per
digitum fidei anulo insignitum desponderit" .... (^Du Cangt, glMSarisB
über den Verlobung^a- uod den Truiiring. o49
§.8.
Ursprung der germanischen Sitte.
Auch, bei den Germanen kaufte ursprünglich der Mann dem
Vater die Tochter ab. Dieser Kauf, durch den die M u n 1 1) vom Vater
auf den Mann überging, findet sich bei allen germanischen Völker-
schaften: bei den Gothen, Skandinaviern, Sachsen, Angelsachsen
und den hochdeutschen Stammen, Franken, Burgundern, Lango-
barden. Dass er einst ein wirklicher Kauf gewesen, leidet keinen
Zweifel*). Bei den Ditmarsen erhielt er sich bis ins IS. Jahrhun-
dert s), während er bei den meisten Stämmen frühzeitig zu einem
blossen Scheinkauf wurde«). Langobardische Quellen geden-
ken nicht blos der Preiszahlung, sondern auch einer formlichen Tra-
dition der Braut an den Mann 0. Allmälig erlosch ^ber nicht nur der
wirkliche, sondern auch der symbolische Brautkauf, doch nicht ohne
Spuren in der Sprache und in den die Eheschliessungen betreffenden
Gebräuchen zurückzulassen. In der Sprache: bis ins späte Mittelalter
erhielt sich die Redensart „ein Weib kaufen**«); in gewissen Ge-
bräuchen: dahin gehören namentlich, wie unten dargethan werden
wird, der Verlobangs- und der Trauri ng.
mediae et infimae ]atin., Aua^. v. 1840, I, p. 266). Der Nonne wird bei der Ein-
weihung nach dem römiachen Pontificale gesagt: „Accipe ergo amtlMm fidei. . . .,
nt tporua Dei Toceria**. (Texter, dict d^orf^yrerie, goI. 144).
<) Kravt, Vornundechaft I, $. t. — Über dasselbe VerhSItoiss im indischen
Recht a. Kalthoff p. 53: «Pater . . . poatquam nuptui conaenait, filiam collo-
cabat atque in poteatatero tradebat ei, cuiua sponsa erat" (unter Berufung auf
Manu IX, 99).
^} Roasbach, S. 230; Schröder l, 82; Friedberg, daa Recht der Eheschiies-
•ttBg (1865), 8. 18 u. ebd. N. 2, 4, 5; 8. 33 fg.; S. 71 ; S. 75.
s> Friedberg S. .19, N. 6.
^> Friedberg, S. 19 fg.; Grimm, D. R. A. I, S. 420 fg. ; Zöpfl, f. 8U. —
Diese Umwandlung wurde von der Kirche gewünscht und befördert : S c h r ö d e r 1, 79.
^> «Nam aliter sine traditione nuUam rerum dicimua subsistere firmitatem* s. bei
ZÖpfl §. 81a, N. 16; rgl. Schröder, I, 179. Gleichwohl trat gerade bsi den
Langobarden fi^hzeitig die auffallende Modification ein, dass daf Kaufgeld an die
freigeborene Frau selbst gegeben wurde. Zöpfl, a. a. 0., N. 5.
€) Grimm R. A. S. 421; Unger, die Ehe, S. 112, N. 5: »In Niedersaehsen nennt
man noch jetzt die Verlobung „Brudkop'', d. i. Brautkauf"; Tgl. Schröder.
U S. 79 insb. N. 10.
850 H o f m a n n
Diesen Zusammenbang der Beringung mit dem Brautkauf vor-
ausgesetzt, konnte man um so mehr geneigt sein, jene Sitte für eine
ursprungliche zu halten; denn in der That lässt sich gerade hier aus
der blossen Übereinstimmung nicht auf eine Entlehnung schliessen.
Der Brautkauf ist sicherlich nicht entlehnt und ebenso wenig brauchte
es der Brautring zu sein. Dennoch darf man als erwiesen ansehen,
dass dieser letztere » undeutsch und erst seit dem Christenthuine
eingeführt ist** 7^. Dafür sprechen folgende Gründe:
1. «Die alten Gesetze schweigen ihrer** (nämlich der Sitte, der
Braut einen Ring zu geben) „init Ausnahme der langobardischen
und westgothischen, in welchen fremder Einfluss leicht erklärlich
wäre** >). Ihre Verbreitung geht der des Christenthums parallel.
2. Die Form des Brautkaufs hatten die Germanen allerdings mit
den Römern gemein; in BetreiT des Ringtragens aber stimmten ihre
Sitten nicht überein. Dem alten Römer galt der anulus ferreus als
ein Ehrenzeichen, das er nicht Jedem gönnte (Macrob. Saturn.
VII. c. 13); dem alten Germanen war er schimpflich; wenn ein
Tapferer ihn ansteckte, so war dies eine Art Gelübde: die freiwillig
übernommene Demüthigung sollte ihn anspornen, sich bald durch
eine Kriegsthat ihrer zu entledigen (Tacitus Germ. c. 31).
3. Spricht für diese Annahme auch der Umstand, dass der
Brautring bei den christlich-germanischen Volkern von Anfang an
auf dem noch heut zu Tage sog. Ringfinger, und zwar regel-
massig an der dem Herzen näheren linken Hand •), getragen wurde.
Auf dem nämlichen Finger derselben Hand trugen aber auch die Alten
(Ägypter, Griechen, Romer) den Ring ; und, was das wichtigste ist
— die mittelalterliche Sitte wird gerade so motivirt, wie es bei den
alten Schriftstellern bezüglich der ihren geschieht:
c. 7 §. 3 C. XXX, qu. 5 : ,»Item, quod in primis negotiis anulu»
a sponso sponsae datur» fit hoc nimirum vel propter mutuae fidei
Signum, vel propter id magis, ut eodem pignore eorum eorda iungan-
tur. Unde etinquarto digito anulus idem inseritur, qtiod üi eo
Vena quaedam, ut fertur^ sanguinis ad cor usque perveniat".
7) Grimm, S. 178.
^) GrI mm, «. a. 0.
*) S. die kölnische Verlobungaformel aus dem 14. Jahrb. bei Friedber^, S. 29.
über den Verlohungs- and den Trauring^. 85 t
Damit Tgl. Macrob. Saturn. VII, c. 13: In einer Gesellschaft
wird die FVage aufgeworfen, warum man allgemein den Ring auf der
linken Hand 19 in digito, qui minimo vicinus est** trage; worauf
Einer die Ansicht der Ägypter anfuhrt: n^ervuin quendam de corde
natum priorsum pergere usque ad digitum manus »inistrae minimo
proximum et ideo visum veteribus, ut ille digitus anulo,
tanquam Corona, circumdaretur" «®). — Gellius N. A. X, 10
berichtet: ^Veteres Graecos anulum habuisse in digito aceepimus
sinistrae manus, qui minimo est proximus. Romanos
quoque homines aiunt sie plerumque anulis usitatos. Causam esse
hui4is rei Apion in I ibris Aegy ptiacis banc dicit. . . .: nervum
quendam tenuissimum ab eo tino digito . , . ad cor hominis pergere
et pervenire**. Vgl. auch Isidor. Orig. XIX, 32, 3 und PI in ins,
H. N. 33. cap. I, 4.
Diese Erwägungen nun schliessen den Gedanken an ein zufälliges
Zusammentreffen aus und begründen die Behauptung, dass der
Brautring««)» gleich dem Kranz««) und dem Schleier «») der
«®) Daniaf bemerkt ein Zweiter, er habe eine andere Brklirung gelesen »de hac eadem
causa apad Ateiiim Capitonem, pontiflcii iuris inter primoa peritum*'. Als die
Römer statt der ursprünglichen Eisenringe kostbare Goldringe zu tragen begannen,
hütten sie die weniger beschiftigte Unke Hand dasu gewfihlt, um die Ringe nicht
so sehnen abzunutxen. Aus demselben Grunde habe man den Daumen, den kleinen
«nd den Zeigefini^er Termieden, von den beiden fibrigen Fingern aber dem kleineren
(rierten) den Vorzug gegeben. »Hae sunt, quae lectio pontifiealis habet; unus-
quisque, ut volet, rel Etruscam vel Aegyptiacam opinionem sequatur". — Da jene
anatomische Fabel von den Ärzten schon vor Jahrhunderten als solche erkannt
wurde, bUligt Cyprius (tract. de spons.) die nüchterne Erklirung des Römers
(s. Wolff a. f. 11. N. 3 a. 0.. p. 17). Als ob eine Sitte nicht ebensogut auf
einer irrigen, wie auf einer richtigen Meinung beruhen könnte !
1 *) Mit Absicht ist dieser Ausdruck gewihlt, der ebenso auf den Verlobungs-, wie auf
den Trauring passt. — FGr die obige Ansicht auch Friedberg, 8. 26, N. 3:
M Der Trauring ist kein ursprfinglich deutsches Symbol, vielmehr der anulus pro-
nubus, den die Kirche adoptirt und auch in Deutschland eingeführt hat*. Dabei ist
nur zu bemerken, dass der anulus pronubus zunickst nur Verlobungs- und
nicht Trauring war. Über die Entwicklung des letzteren aus dem ersteren
s. unten*
IS) Vgl. Friedberg, S. 97, N. 2 mit Rossbach, S. 292 fg.
1*) Klemm (die Frauen H. Bd.) sagt, dass der Ring beiden Römern wie bei den Ger-
manen Symbol ehelicher Verlobung war (8. 150) ; dass er am Finger nicbst dem
kleinen Finger getragen wurde (8. 151); dass auch die griechischen und römi-
852 H 0 f iD a n o
Braut, von Italien aus sich mit dem Christenthume nordwärts ver-
breitete. Bei dieser Verpflanzung erhielt sich nicht nur die alte Be-
deutung des anulus pronubus, sondern sie wurde aufgefrischt
bei Völkern, bei denen der symbolische Brautkaufdie einzige Form
der Eheschliessung war; bei Stammen, die selbst erst kürzlich das
Stadium des wirklichen Brautkaufes überwunden hatten, und die bei
ihren Nachharn ihn noch immer in lebendiger Übung sahen.
Gewiss nimmt ein Volk eine derartige Sitte nicht oft und leicht
von einem anderen an. Wo auch sollte das Volksthum seine Trieb-
kraft und Eigenthümlichkeit erweisen, wenn nicht in den Gebrauchen,
mit welchen der Mensch die drei ernsten Marksteine des irdischen
Daseins: Geburt, Heirat, Tod — zu umgeben liebt? Hier heischen
Forderungen des Gemüthes Genüge — und das Gemüth ist ja doch vor-
zugsweise das Individuaiisirende bei Volkern wie hei Einzelnen — ; hier
findet die symbolisirende Phantasie ein weites Feld und einen dank-
baren StoiT. Und in der That sind Hochzeitsgebräuche meistens
ursprünglich. Anders bei Trauungsfei>erlichkeiten. Hier kann
die Verpflanzung einer Sitte nicht auflallen, die gleichsam im Gefolge
des sich verbreitenden Christenthums ins Land drang. Denn die
Kirche suchte begreiflicherweise dort, wo sie nicht mehr räumlich
vorwärts zu dringen brauchte, mit ihrem Einfluss tiefer und tiefer
in die Lebensverhaltnisse ihrer Bekenner zu dringen; ebenso natür-
lich ist es, dass ihr Absehn hierbei vor allem auf jene drei Momente
gerichtet war. Und da rcKgiöse Überzeugungen und Bedürfnisse mit
den Vorgängen im Familienleben viel näher zusammenhängen, als
mit den Geschäften des profanen Verkehrs, so kann es uns nicht
wundern, dass die Kirche an der Ehesc]iliessung frühzeitig Antheil
nahm, wenn gleich diesem an sich keine juristische Bedeutung bei-
zulegen ist 1*).
§9.
Der Verlobungsring.
Um so weniger kann das Eindringen des anulus pronubus in die
germanischen Länder auffallen, als er dort auf .Verhältnisse traf, die
sehen Braute am Traoongsta^e Kraoa and Schleier trugen (S. 16t); ron itm
geschichtlichen Zusammenhange war ihm nichts hekannt
1*) Denn dieNothwendigkeit kirchlicher Einsegnung, die kirchliche Bheschlieüni-
ist Tiei spSteren Datums. Vgl. Kraut Vormundschaft I, S. 176. Ein reiches Material
über deD Verlobung«- und den Trauring. ^ 853
in allem Wesentlichen mit denjenigen übereinstimmten, denen er
seine Entstehung verdankt. Hier wie dort der Braut kauf (ob wirk-
licher oder symbolischer, ist zunächst gleichgiltig) ; hier wie dort ein
obligatorischer Act, der die von beiden Seiten beabsichtigten Wir-
kungen Torbereiteti). „Der Vormund willigt bei der Verlobung^)
in die Übertragung der Braut und seiner vormundschaftlichen
Rechte an den Bräutigam .... Der letztere verspricht bei der Ver-
lobung die Zahlung des Muntschatzes und die Aufnahme der
ist zusumoiengesteUt bei Fried berg im I. Buch, 5. Absehn.: „die Reception der
kirchlicben Trauung in den einzelnen Ländern^.
M Vgl. z. B. Die langobardische Formel bei Sc bröder I, 179roit Gellius,
N. A. IV, 4.
^) Wenn dieses Wort in der «Ugemein gebrfiuchUcheo Bedeutung zu nehmen ist,
dann ist der vorhergehende Satz: aDarum ist für jede rechte Ehe die Verlobung
ein unumgängliches Erforderniss ; denn sie enthfilt eben die Anerkennung des
Tormundschaftlichen Rechtes'* — , wenigstens was die Schlüssigkeit seiner Begrün«-
dung betrifft, nicht recht einleuchtend. Wird denn etwa bei einem sofort Zug um
Zug Tollzogenen Kauf das Verf&gnngsrecht des Verkäufers weniger anerkannt, als
sonst? Die obige Äusserung Schröder 's (S. S) hat nur dann einen Sinn, wenn
man annimmt, dass bei der Eheschliessung andere Personen die eigentlichen
Contrahenten sind, als bei ^er Verlobung; nSralich dort: Bräutigam und Braut;
hier: Bräutigam und Vormund der Braut (im weitesten Sinne). Aus Schröder 's
eigener Darstellung aber geht hervor, dass die Eheschliessung ursprünglich nichts
andei'es war, als die Erfüllung jenes, „Verlobung" genannten, Kaufcontractes.
Die Braut war also, juristisch betrachtet, hier wie dort Ohject. Des Wort
«Trauung** selbst bedeutet ursprünglich wohl nichts anderes, als „die Übergabe
der Braut an den Bräutigam durch ihren Vormund . . . , indem die Braut hierbei
von diesem jenem anvertraut wird**. (Kraut, Vormundschuft I, S. 176.) — Es
widerspricht daher nicht dem Wesen des Muntkaufes, wenn Zöpfl (S. 587) in
B«zug auf die Franken behauptet, „Verlobung und Ehe wurden . . . in juristi-
•eher Beziehung nicht unterzcbieden". Nur darum ist der Satz zu beanstanden,
weil zur Vollziehung der Ehe das Beilager noUiwendig war. Setzt man aber anstatt
„Ebe", „VermShlung", und denkt bei den Worten: „in juristischer BeEiehung**
an die materiellen Wirkungen, so ist gegen den Satz kaum etwas einzuwenden.
Denkt man freilich an die Form (an den Kauf), dann verhalten sich Verlobung
und Vermfihlung wie obligatio und solutio; sie konnten aber (wie beim wirk-
lichen Kaufe) der Zeit nach zusammenfallen, d. b. ausserlicb als e i n Act erscheinen.
Insofern i«t diese und die allgemein lautende Behauptung Friedberg's (S. 21)
uBgeuan; doeh geht wieder aueh Ilinschius' Kritik gegen Letzteren (Krit.
V. J. Schft. IX, S. 6 fg.) zu weit, da bei „VermShlung* nicht an das Beilager,
•oodem nur an die WiUenaerkIfimngen am Hochzeitstage zu denken ist, welche
zur Perfection der Ehe so weuig genfigen, als die Verlobung.
854 H o f ai II D D
Braut, und umgekehrt verpflichtet der Vormund sich, ihm die Braut
mit sammt ihrem Vermögen zu übertragen. So wird ein beiderseits
durch Burgen befestigtes obligatorisches Verhältniss begründet''*).
Dieser Conlract wird erfüllt von Seiten des Bräutigams durch Zahlung
des (wirklichen oder symbolischen) Muntschatzes, von Seiten des
Vormundes durch Übergabe der Braut (Trauung)^) und die damit
vollzogene Übertragung der Munt. Die Verlobung entspricht also
den altrömischen Sponsalien, die .Trauung der mancipatio bei der
cogmtio.
Wie in der primitivsten Form des Kaufes obligatorische und
sachenrechtliche Momente ununterschieden beisammenliegen, wie auch
heut zu Tage im Kleinverkehr Schliessung und Eiföllung des Kauf-
vertrages äusserlich zu einem Acte verschmelzen, — so erforderte
auch die Form des Brautkaufes nicht nothwendig die Vorbereitung
der Trauung durch eine Verlobung (s. Note 1). Da war es eben die
Kirche, welche auf die vorherige Abschliessung von Verlöbnissen
drang &). Nicht als ob die Kirche damit eine Neuerung eingeführt
hätte; aber unter kirchlichem Einfluss verbreitete und befestigte sich
die Überzeugung, dass eine solche Vorbereitung zu einer würdigen
Eheschliessung unerlässlich sei.
Nach all dem Gesagten hat es nun gar nichts Auffallendes an
sich, dass unter solchen Umständen der anulus pronubus auch
in Deutschland eingebürgert wurde. Nun findet sich in germani-
schen Quellen wirklich die oben vorgetragene Auffassung dieses
Ringes wieder, und da kann man denn bei dem eben erwähnten Ent-
lehnungsverhältnisse sagen, dass die oben beigebrachten Quellen-
belege und die nun hier anzuführenden einander gegenseitig unter-
stützen. Hier aber tritt die ursprüngliche Bedeutung um so schärfer
hervor, da die Germanen es mit der Verlobung viel ernster nahmen.
als die Römer«). Wie beim Kaufe war auch bei der Verlobung die
') Schröder Bd. 1. 8. 9.
^) S. d. Note 2.
^) Schröder S. 9, N. 42.
«) Mit deren Anffatsang auch die moderne ubereiDsHmint. Vgl. Hioschins ia i
krit. i. Schft. IX. Bd., 8. 6. — Bei den Parsen besteht die YerloboBg eUfeek
darin, data die Binde der lo Verlobenden xvsammengelegt werden, wodlvrcb eis
Mithra (Vertrag) entsteht, der nicht mehr gebrochen werden kann, adbet wena
die Verlobten noch Kinder sind (Spiegel, Avesta U, 8. XXX).
Ober den Verlobmigs- und den Trauring. 855
arrha das Zeichen der Perfektion des Vertrags. Dies ist mit klaren
Worten gesagt in der lex Wisignthorum III, tit. I, 3: „, , .cum
inter eos, qiü äispondandi sunt» sive eoram parentes . . . pro filiorum
nuptiis coram testibus praecesserit definitio, et anulus arrarum
nomine datus fuerit Tel acceptus, quamvis scripturae non inter-
currant, nullatenus promissio violetur, cum qua datus est anulus et
definitio facta coram testibus. Non liceat uni parti suam immutare . . .
voluntatem, si pars altera praebere consensum noluerit** ... 7^.
Damit ist zu vergleichen Liutprand 30 (= V, 1): Eine Frauens-
person zu beirathen, die Nonne werden wollte, ist verboten, sobald
sie Nonnentracht angelegt hat, wenngleich sie noch nicht zur Nonne
geweiht ist. Dabei wird die Einweihung der Trauung, das Gelübde
und die Anlegung der Nonnentracht der Verlobung verglichen.
Wenix ein Mann ein Mädchen nSponsaUcum solo anulo eam subarrhai
et suam facit, et si postea aliam uxorem duxerit, culpabilis invenitur
solid. D. Quanto magis debet causa Dei . . . amplior esse, ut quae
ipsum velamen vel habitum in se suscipiunt, in eodem debeant per-
manere^^). Bei der Verlobung einer salischen Witwe ») heisst es : »Quo
facto tunc Fabius eam subarret anulo ...** Viel später noch bedeutet
das Wort Treuschatz oder Trauschatz sowohl die Verkaufs-
arrha, als die Verlobungsarrha ^o). Hierher gehört wohl auch das
langobardiscbe LaunechLldii); Urkunde von 770: „suscipi in
persona vostra launechild. . .anulo aureo uno. . . ** 1*). Von Kaiser
Otto IV. Verlobung (1209) heisst es in des Arnold von Lübeck
Chron. Slav. VII, 19: »Proferens anulum eam coram omnibus
subarrha vit et in osculo recepit** i<J. Vgl. auch cap. 10 X de sent.
et re iud. II, 27 («desponsationis anulu subarrhare*").
^) In Waiter'a Corpu« iuris germ. antiqui I, p. 466, 467.
B> A. a. 0. I, p. 770 sq.
*) Die Urkunde stellt bei CanciaBi v. II, p. 477 col. 1 und bei Schröder I,
S. 181.
^^) Haltans, Gloas. German. : „Treaschatz , Trauschatx arrha, .sponsaiitia in
•pecie, . . . i. e., qnod datur pro certitudine alicuios contractos, cum seilicet
«liquid Tenditur vel emitur . . "
ii> Schröder I, S. 39: ». . . auch bei der VerlobuBfc • • . (erhielt) der Vormund
. . • Ton dem Brintigam ein Launechild'*.
t<) Bei Schröder 1," 8. 58, N. 13.
13) Grimm R. A., S. 432 und Friedber^, S. t8, N. 1.
OdO II o f OB a o n
Hieraus erklärt es sich, warum damals nicht wie heute, Ringe
gewechselt wurden, sondern (wie in Rom) nur der Bräutigam
der Braut einen Ring gab, — ein Umstand, der schon Grimm auf-
gefallen ist <*).
f 10.
Der Trauring.
Als der Brautkaut' ein symbolischer Act, der Muntschatz
also ein Scheinpreis geworden war, konnte die arrha um so
leichter mit diesem verwechselt werden, als der Eheschliessung nicht
nothwendig ein Verlobniss voranzugehen brauchte. In Rom, wo eine
Vorbereitung der Ehe durch Sponsalien von der Sitte immer gefordert
war, konnte eine solche Verwechslung nicht Platz greifen; um so
weniger, als bei der strengen Einhaltung juristischer Formen keinem
Römer je einfallen konnte, bei der mancipatio an die Stelle des
raudusculum etwas anderes zu setzen. Bei den germanischen Völkern
hingegen (namentlich von den Franken gilt dies) wurden nachdem
Verschwinden des wirklichen Kaufpreises Verlobung und Ver-
mälung nicht immer auseinandergehalten <), was sich in dem Sprach-
gebrauche abspiegelt. Mit denselben Ausdrucken und Wendungen
wird von der Trauung, wie von der Verlobung gesprochen ; beispiels-
weise wird mit „despondere (dispondare)** sowohl die Übergabe der
Arrha, «nis die des Scheinpreises bezeichnet «). Und so wird in ger-
manischen (namentlich in fränkischen) Quellen der Schein-
preis beim Brautkauf geradezu „arrha** oder „arrhabo** genannt s).
Da man aber als Arrha Ringe oder Münzen verwenden konnte, so ist
es nicht auffallend, dass man später auch beim Scheinpreis Ringe
an die Stelle der Münzen treten Hess oder neben diesen in Verwen-
dung brachte. Daneben kamen zuweilen noch andere kleine V^^erth-
gegenstände sowohl als Arrha, wie als Scheinpreis vor.
**) R. A., 8. 177.
1) Vgl. f. 9, N. 1.
*) Daraus erkifirt sich folgende incongnienx in den romaniaehen Sprachen: das
frans, epoux und daa apan. und portug. etpoto bedeuten nicht (wie die Ab-
stammung vom latein. tpofuus erwarten liesse) den Bräutigam, aonderv dea
Gatten; während das italien. tpoto und das e n g 1. «peiwtf beide Bedeata»g«a
Haben.
*) Schröder I, S. 85; Zöpfl i. 81a, N. 7.
über den VerlobuogB- und den Trauring. 'KoT
So "«^arde allmSlig aus dem Verlobungsring ein Tranring
ujid auch dem letzteren blieben die Namen» die eigentlich nur auf
den ersteren passten. Als im Laufe der Jahrhunderte auch die
Form des symbolischen Brautkaufes in Vergessenheit gerieth» erhielt
sich der Trauring als wesentlicher Bestandtheil des stehenden
Ceremoniels; während der Verlobungsriug, in das Gebiet des
individuellen Beliebens gestellt, zum blossen Geschenke wurde, bei
dem jede Spur einer juristischen Bedeutung verschwunden ist*).
Dass auch diese Verwandlung unter dem Einflüsse der Kirche erfolgte»
Terateht sich Yon selbst, und da mag wohl der Umstand mit-
gewirkt haben, dass auch bei der jüdischen Trauung
der Ring vorkommt^).
Der Ring wird in den Quellen wiederholt „maehelscaz*'
„gemahelschatz" genannt •) und der Mahlschatz selbst wieder n^rrha
sponsionis** 7). Später findet sich wohl auch geradezu der Ausdruck
„anulus pretii"^).
Bei den Franken musste der Bräutigam einer Witwe an die
nächsten Erben des verstorbenen Mannes derselben einen »^reipus**
entrichten. J. Grimm erklärt das Wort (identisch mit unserem
„Reif*') mit Fingerring«) und vermuthet, dass Anfangs drei Ringe
gegeben wurden, an deren Stelle später die drei solidi (und 1 Denar)
getreten wären. Sonach hätten wir auch da einen Scheinpreis in
Ringen bestehend «<>).
^) „Seit dem 16. Jahrh. gestalteten sich die Verlobungsringe oft zu niedlichen
Kanstwerken" (Klemm, die Frauen II, S. 152); der Trfturing dagegen blieb
bi« naf den heutigen Tag ein schlichter Goldreif. Wolff (1670) bebt ausdrficUich
dieaen Unterschied hervor: der Verlobungsring «plurimum solet esse pretiosus
variisqoe ezpolitns gemmis", der Trauring dagegen nS<iepios gemro« caret* (a.
f. 11, N. 8, a. 0. p. 16). — Nach einem alten Pariser Rituale musste der Trauring
von Silber sein »sans gravure et sans pierreries" (A. Tezier, Dicttonnaire d^orf^-
rrerie . • . col. 136).
»> S. hier f. 7, M. i.
*) erimm R. A., 8. 4S2.
7) Zöpfl, f. S1«,N. 13.
») J. Merkel, Fragm. iuris SicuU (Hai. 1856) c. XXVII.
*) Vorrede xn MerkePs Lex Salica, p. LIII fg. Diese Erklining dfirfle riehtiger
•eis» •<• die mit .QfirleU»and* (Zöpfl, f. 81a, M. 35, 86).
1«^ Vgl. Schröder I, 8. 56—58.
Sitsit. «1. phil.-hist. Ol. LXV. Bd. IV. Hfl. $7
858 H o f m « ■ n
So viel Aber steht fest: dass durch das ganze Mittelalter hin-
durch bei den christlich germanischen Stammen als Trauungssymbole
▼orkommen: 1. Gold- oder Silbermunsen <<), 2. goldene Ringe,
3. andere kleine Werthgegenstfinde «*). Dieser Umstand selbst und
die Art, wie in den Quellen hierüber geredet wird, passen völlig zu
der hier versuchten Erklärung der ursprQnglichen Bedeutung des
Trauringes.
Beispiele 1. »Cum bis petiis argenti iearrho... in com-
municationem bonorum spiritualium et temporalium*'. Formel bei de
Vert, Tract. de cerimon. p. 231 (citirt bei Du Gange, neueste
Aufl. l 414).
2. In französischen Ritualien spricht der Bräutigam zur Braut:
»de isto anulo te sponso, et de isto auro te honoro, et de ista dote
te doto^ oder: »de cet anneau t'espouse*' (»de cest annel je
t*espouse) etc. (Fried berg S. 61, 62, 95.)
3. Rituale Sarisbur. »Interrogat sacerdos dotem mulieris, vide-
licet arras sponsales; et dicuntur arro«: anuli vel pecunia vel
aliae res dandae sponsae*'. (Schröder, I, S. 58, Nr. 13.) Alle
diese drei Arten von Symbolen finden wir cumulirt im Parochiale des
Ezb. Ernst V. Köln fQr die Diöcese Löwen (v. J. 1592); »deinde
anulum sibi dari a sponso petet (sc. sacerdos), simul . • . chiro-
thecas's), quibus insint tres nummuli argentei, loco arrhae
sponsae dandae**. . . (bei Friedberg, S. 94).
Es Hessen sich diese Belegstellen leicht sehr vermehren. Doch
dürften schon die mitgetheilten für unseren Zweck genügen; wer
reicheres Material verlangt, der findet esin Friedberg*s mit grossem
Fleiss geschriebenem Werke: »Das Recht der Eheschliessung*'» und
zwar an folgenden Stellen:
1. Für die skandinavischen Länder, S. 31 fg. („anuli
impositio**);
2. für England: S. 36, 38, insbes. N. 3, N. 4; S. 41 fg:
46 fg. (»a ring and other tokens of spousage, as gold or silver");
'^} lo Frankreich gtb es zo diesem Zweck eigene, in den Kirchen anfbewahrteMtnse«
(abgebildet bei Friedber|f , 8. 96).
1*) Vgl. Orim m a. znletzf a. 0. ; zu p. LIV (,nezt, nexti* safibnla) Tgl. B «-eh o f«a,
Mntterrecht, S. 75 fg.
^') Dieses Sjmbols bediente man sieh bekanntlich nach bei der Anflaaavng:
Schulte Reichs- und Rechtsgesch. $. 148, N. 6, 8, 24.
über den Verlobung«- und den Trauring. 8o9
3. für Frankreich: S. 61, 62, 94—96;
4. fflr die Niederlande und Friesland: S. 66, N. 2;
5. für das übrige Deutschland: S. 81, 97 ««).
§. il.
Die Meinungen über den Ring.
Gewohnlich betrachtet man den Ring als ein der Eheschliessung
eigentbümliches Symbol, dessen Bedeutung man aus dem Wesen der
Ehe zu erklären sucht. Die gewechselten Ringe sollen bald ein Zeichen
des geschlossenen Bundes, bald ein Sinnbild der ehelichen Treue
sein i) ; und insoferne diese Erklärungen nur die Meinung bezeichnen
wollen, in welcher heut zu Tage die Ringe gewechselt werden , sind
sie auch richtig.
Die Phantasie findet hier einen weiten Spielraum. So heisst es
in einem Gedicht Frischlings:
„Darnach Tom Bräutigam hegert
Den Fingerring und das erklärt
Wie der Ring sei von guttem Gold,
So solle sein der Mann gar hold.
Die Liebe soll auch sein rotund
Gleichwie der Ring ••»).
Die letzte wunderliche Wendung will nichts anderes sagen,
als: der kreisrunde Ring diene „ad ostendendum, quod amor ille
debet habere perpetuitatem, quod nunquam finiatur nisi per mortem*'
(Herolt)»).
t*) Vgl. dMU Schröder II, 1. Abth., S. 1, N. 3.
^) Aach Tesier (dict. d*orferr. coL 137 an it.) weiss Aber den «anneau ouptiat*'
nur SU eageo, dass er ein «symbole de la fidelite coigugale^ sei, von der Kirche
geweiht wurde und in das frohe Mittelalter luruckreiche. Das beigebrachte Material
ist aoffailend spirlich, die Behandlnog oberflüchllch. Die richtigere Bemerkung
§i»er den rdnuschen an« pronubtts (coK 137) wird oicht rerwerthet.
2) Bei Friedberg 8. 97.
*) Bei Friedberg 8. 97, N.4.
87 •
800 H 0 f m a D a
Ahnlich erklärt Bon finius die Beringung, „({uod duo animi
hoc vinculo constringantur perpetuo et indissolubiliter; forma quippe
rotunda perpetuam coniunctionero et fine carentem significat* ^).
In c. 7 §.3 C. XXX. qu. 5 werden zwei Deutungen zur Aus-
wahl neben einander gestellt: der Ring werde gegeben als niutuae
fidei Signum, oder als pignus, quo „eorum corda iungantur"*.
Auch wird gewohnlich geglaubt, die Beringung sei eine ursprüng-
lich einheimische Volkssitte. J. Grimm (R. A., S. 178) schien dies
zweifelhaft; Schröder (I, 88) glaubt, der Trauring sei aus dem
jüdischen Recht eingedrungen; Friedberg erkannte in dem ver-
meintlichen deutsehen Symbol richtig den römischen anulus pronubas
(S. 26, N. 3), spricht auch von einer „Verwandtschaft mit dem
Scheinpreise^ (S. 27, Nr. 3), und hebt mit Recht den Umstand her-
vor, dass im Mittelalter nur e i n Ring gegeben wurde und zwar vom
Bräutigam an die Brdut (S. 38). Ware ihm die ursprungliche Be-
deutung des römischen anulus pronubus bekannt gewesen, so wäre
ihm der ganze geschichtliche Zusammenhang klar geworden. — Die
meisten Schriftsteller gehen aber stillschweigend über diese Frage
hinweg.
Und doch hat schon ein Schriftsteller des 16. Jahrb. im Wesent-
lichen dieselbe Ansicht aufgestellt, die hier dargelegt wurde. Der
gelehrte Baron ius bemerkt in seinen Annales Ecciesiastici zum
J. 57 unter n. 52»): „testatur Clemens Alexandrinus, consuevisse
Christianas mulieres anulos aureos gestare: dari vero eos solitos
a sponsis arrhae nomine usus docet Quod autem non tantum in
nuptiis contrahendis, sed in qualibet pactione loco arrhae
anulus traderetur, testatur Plinius . . . Porro . . . non tantum
olim apud Romanos, sed antiquissimos Hebraeorum dari solitum anu-
^) Bei Justin 08 W^olff, de arrhis spoMtUUis, 1670 (wieder abgedruckt 1738)
p. 16. Diese Differtatioo ist zwar fleissig geschrieben, e&tbtlt aber aber ansere
Frage fast nichts brauchbares. Folgende Probe wird genügen: Hahlsehatz wird
fp. 5, 6) erklart als «ein Zeichen oder Mahl, baue Tel illan hnios rel UUas fere
Sponsam oder SchatBl" (»amlclssima vocabula, qua spoiisi . . . soas sotoat bland«
Tocitare sponsas . . .*). — Gar nichts zur Sache enthiit, trotz den Titel, Pdeh.
Wolf, disp. de ritu et solemnibus nuptiarum (1727). — J. A. Meyer, die hoch-
zeitlichen Symbole (1818) konnte ich mir leider! nirgends
^) In der Ausg. v. 1612 (Antwerpen), p. 45B sq.
Ober den Verloboogi- iind den Tranring. OUJ
tum loco arrhae •) . . .Ex eiusmodi igitur usu fluxisse Tidetur, ut
cum spondentur nuptiae, sponsus loco arrhae sponsae det anulum*'.
Darauf ßhrt er fort (an sieh ganz richtiges in ungehöriger Weise
verquickend) : der Ring sei ursprünglich von Eisen gewesen und hahe
nicht als Schmuck, sondern zum Verschliessen gedient; es sei also
dasselbe gewesen, als wenn der Mann der Frau die Schlüssel über-
geben hatte. Diese praktische Bedeutung habe zugleich der Ring
gehabt 7), der juristisch als „loco arrhae datus anulus** anzu-
sehen sei.
lu n. K3 I. c. handelt er von den verschiedenen auf Ringen ein-
gegrabenen Zeichen, und sagt u.a.: „- • • apud Christianos anti-
quus obtinuit usus, ut sponsalis anulus signo fidei, quod est
hieroglyphicum mutui foederis atque concordiae,, sculperetur» id
enim prae se fenint coniunctae simul dexterae^), oec apud
Christianos tantum, sed Judaeos, Romanos, aliasque cemplures
barbaras etiam nationes*^ •).
') Folgt eine unpasaende Berufung auf Genesis 38. Dort ist nicht von einer Arrha,
sondern Ton einem Pfände die Rede; unter anderen Gegenständen wird auch ein
Ring versetzt ; Thamar begehrt aber (v. 18) solche Sachen, die ihr am geeignetsten
scheinen, dereinst als Beweismitl«! und Erkennungszeichen zu dienen (v. Vi},
''> Abgesehen davon, dass eine so schillernde Deutung keine ursprfingliche sein konnte,
hnHcht nur daran erinnert zn werden : 1. dass der anulus pronubus bei der Ver-
lobung, und nicht hei der Vermihlnng der Braut gegeben wnrde , und 2. duiis
dieser Ring ilteren Ursprungs ist, als die Sitte, die Schrünke zu versiegeln,
welche PI in ins (h. n. 83, e. 1, s. 6) aU ein Zeichen von Sittenverd<*rbniss
anführt.
*j Ohne die Richtigkeit dieser Deutung In Abrede zu stellen, darf man doch darauf
hinweisen, data auch dieses Symbol einer doppelten Deutung fihig ist: es kann
ebenso auf die Vertragstreue, wie auf die T r e u « der ehelichen Ver-
ein ig ung, ebenso auf den Abschluss des Vertrages, wie auf die Eingehuog der
innigsten Verbindung (Ehe = Bund !) bezogen werden. Denn mit dem Handschlag
hekrSfligt man sein Versprechen; verschlungene Hunde versinnlichen die ernstliche
Willenteinignng. 8. Haltaus, Glos«. Germ. v. „Treue"; vgl. hier f. 9, N. 6.
') Bei den Parsen werden nicht nur bei der Trauung (Spiegel, Avesta II,
S. XXVI fg.), sondern auch bei der Verlobung (8. XXX) die HSnde der Ver-
lobten vereinigt (s. hier $.9, N. 6). Bfi den ladern wurden die ineinander
getoftea Hinde mit heiligen Grate nmwmden (Rosshach,8. 208). UawUlkQr-
lieh wird man daran erinuert durch den Mannlus de tnaco" in der eonat. Ricardi
Ep. Sarisbur. bei Du Can^e I, 207.
862 H o f m a n o
f 12.
S c h ] u s 8.
Aus dem Verlobungsring war ein Trauring geworden,
aus dem „anulus arrhae** ein „anulus pretii**. Aber dabei blieb die Um-
wandlung nicht stehn. Die ursprüngliche Bedeutung des Ringes er-
fuhr eine vollständige Umdeutung in der Art, die schon obeo
(§. 11) angegeben wurde. Die ursprungliche Symbolik bezog sich
auf die formelle Seite der Verehelichung (den Brautkauf), sie war
juristisch, nüchtern; die moderne Deutung bringt den Ring in Zu-
sammenhang mit dem roaterielJen, sittlichen Gehalte der ehelichen
Verbindung; sie ist poetisch, gemüthlich. Auch hier mag die Ver-
änderung keine plötzliche gewesen sein. An die juristische Deutung
schloss sich die ethisch-symbolisirende, bis nach und nach der pro-
saische Kern von der poetischen Umhüllung für das Bewusstsein des
Volkes völlig verdeckt wurde. Dabei dürfte auch die kirchliche Lehre
von der sakramentalen Natur der Ehe mitgewirkt haben.
Ermöglicht wurde diese Umdeutung durch das Verschwinden
des symbolischen Brautkaufs. Wie der Übergang vom wirklichen
zum Scheinkaufe, so vollzog sich auch diese Änderung in verschiede-
nen Ländern zu verschiedenen Zeiten. In England wird noch 1608
in einer Kirchbuch-Eiutragung auf die Dahingabe von Geldstücken
ein besonderes Gewicht gelegt >) ; während in vielen Gegenden
Deutschi and*s schon yie\ früher jene Erinnerung erloschen war;
sonst hätte es nicht vorkommen können, dass der Verlobungsring von
Seiten des Verlobers, also von Seiten der Braut, gegeben wurde*).
Ein sicheres Zeichen der im modernen Sinne vollzogenen Umdeu-
tung») ist es überall, wenn an die Stelle des einen vom Bräutigam
zu gebenden Ringes der Ringwechsel getreten ist*).
Doch länger als des Volkes Erinnerung an den Brautkauf,
erhielten sich dessen Spuren &). Es „mag . . • daran erinnert wer-
0 Friedbergr S. 45.
>) Wein hold, die deutschen Frauen im Mittelalter, 8. Z12, N. 4 uad S. t25.
') Klar apricht diese aich ana in der Formel bei Weinhold, 8. 226.
4) In Frankreich sind zwei Ring« beseufrt für das J. 1596 (Friedberg S. 61,
N. 2); — über Deutschland s. Weinhold, 8. 226.
^) Wegen Frankreich s. Fr iedberg 8. 96, N. 3.
über den Verlobiings- uod den Tniaring. 863
den, dass auch in Deutschland selbst am Ende des 16. Jahrhunderts
zuweilen bei der Trauung nur ein Ring vom Bräutigam an die
Braut gegeben wurde. Freih'ch war man sich der wahren Bedeutung
dieses Actes nicht mehr bewusst, ja suchte ihn im Gegentheil durch
eine kunstliche Symbolik zu erklären, aber man bewahrte doch so
unwillkürlich die Continuität des alten Rechts** •). Die Sprache
bewahrt noch manches Wort und manche Wendung, die aus der
Zeit des Brautkaufes stammen. Und heute noch kennt jeder Rechts*
kundige das Sprüchwort, in das wir schliesslich wie in ein Motto
diese Ansicht von der ursprünglichen rechtlichen Bedeutung des
Brautringes zusammenfassen können : „Ist der Finger beringt, so ist
die Jungfer bedingt**.
So bildet sich in der Sprache, im Rechtsleben, in den Volks-
gebräuchen eine Ablagerung von Formen , welche einer früheren
Cultur-Epoche angeboren und aus denen das Leben entwichen ist.
Aus dem Zusammenhange der ursprünglichen Umgebung gerissen,
werden sie unverständlich dem Volke, das den anfanglichen Sinn
derselben vergessen hat, und nun keinen oder einen ganz anderen
mit ihnen verbindet. Aber vor den Augen des Forschenden beleben
sich diese todten Rückstände wieder, um Zeugniss zu geben von ver-
gangenen Zuständen. Im Sprachschatze, in Sprüchwortem, Liedern
und Gebräuchen geht die Wissenschaft der Geschichte — hierin der
Geologie vergleichbar — unscheinbaren Spuren nach, aus denen
sie das Bild einer vergangenen Zeit wiederherzustellen sich bemüht
*) Fri ed herp, S. 97. Wegen England s. ebd. S. 38.
VeneieliniM der eiogegangenea Dnicluclirifton. 86ff
VKftZEICHNISS
DER EINGEGANGENEN DRUCKSCHRIFTEN.
(JULI 1870.)
Acad^mie Royale de Belgique: Bulletin. 38* Ann^e, 2* S^rie,
Tomes XXVU & XXVHI (1869). Bruxelles; 8«- - M^moires
couronn^s in 4». Tome XXXIV. 1867—1870. Bruxelles, 1870.
— M^moires couronn^s in 8®. Tome XXI. Bruxelles» 1870. 7-
Annuaire. 1870. kl. 8^ — Compte rendu des s^ances de la
Commission Royale d'histoire. 3* SMe, Tome XI", l*"" — 4* et
6* Bulletins. Bruxelles, 1869; 8^ — Table g^n^rale des No-
tices eoncernant Thistoire de Belgique dans les revues beiges»
de 1830 ä 1865. Par M. Ernest van Bruyssel. Bruxelles»
1869; 80. — Snellaert» F. A.» Nederlandsche Gedichten
Yan Jan Boendale, Hein van Aken en anderen. Brüssel»
1869; gr. 8«.
— Imperiale des Sciences de St. P^tersbnurg: M^moires. Vll'S^rie»
Tome Xin, Nr. 8 (1869); Tome XIV, Nrs; 1 — 14 (1869);
Tome XV, Nrs. 1—4 (1869—1870). St. Petersbourg; 4«. —
H^moires in 80. Tome XIV, 2; Tome XVI, 1 (1869). — Bulle-
tin. Tome XIV, Nrs. 1-6. St. Petersbourg, 1870; 4<».
Accademia delle Scienze di Torino: Atti. Vol. IV, Disp. 1' — 7*.
Torino, 1869; 8^ — Sunti dei lavori scientific! letti e dis-
cussi nella classe di Scienze morali, storiche e filo^ogiche dal
18K9 al 1865, da Gasp. Garresio. Torino, 1868; 8«.
Akademie der Wissenschaften, Königl. Preuss., zu Berlin: Monats-
bericht. Mai 1870. Berlin; 8^
Association, The British, Tor the Adrancement of Science : Report
of the 39"* Meeting held at Exeter in August 1869. London,
1870; 8«. •
Sitzb. d. |iliil.-hist. Cl. LXV. Bd. IV. Hft. ' 58
8 DD Veneiehniss der einge^ang^enen Drackiohriften.
d^Avezac, Relation authentique du voyage du Capitaine de Gonne-
ville ^s nouvelles terres des Indes. Paris, 1869; 8^
Basel, Universität: Akademische Gelegenheitsschriften aus dem
Jahre 1869. 4«.
Erlangen, Universität: Akademische Gelegenheitsschriften aus
dem Jahre 1869. 4« & 8o.
Gagliardi, Ferdinande, Saggio storico - critico suUa dottrina di
Malthus. Firenze, 1870; 8o.
Gesellschaft der Wissenschaften, Königl. Böhm., in Prag: Ab-
handlungen. Sechste Folge. III. Band. Prag, 1870; 4^ —
Sitzungsberichte. Jahrgang 1869. Prag; 8^ — Repertorium
sämmtlicher Schriften der k. b. Ges. d. Wiss. 1869; 8». —
Codex jttris Bohemi^L Tomi IL pars 2. Edidit Hermenegü-
du8 Jirecek- Pragae^ 1870. 8«.
— — Königl., zu Gottingen: Abhandlungen. XIV. Band. Got-
tingen, 1869; 4«. — Gelehrte Anzeigen. 1869. L & U. Bd. 8«.
— Nachrichten aus d. J. 1869. Guttingen; 8®. — Astro-
nomische Hittheilungen von der k. Sternwarte zu Göttingeo.
I. Theil. Göttingen, 1869; 4«.
— — Königl. Dänische: Skrifter. S Raekke, naturvidensk. og
mathem. Afd. VIII. Bd., Nr. 3—8. Kj»benhavn, 1869; 4«. -
Oversigt. Aaret 1868, Nr. 5; Aaret 1869, Nr. 2. Kj«ben-
havn; 8<>.
— Geographische, in Wien: Mittheiiungen. N. F. 3. Nr. 9. Wien,
1870; 8o.
— Provinzial Utrecht*sche, für Kunst und Wissenschaft : Verslag.
1869. Utrecht; 8o. — Aaoteckeningen. 1869. Utrecht; 8«.
— Haeckel, Ernst, Zur Entwickelungsgeschichte der Sipho-
nophoren. Gekrönte Preisschrift« Utrecht, 1869; 4^.
Gottingen, Universität: Akademische Gelegenheitsschrtfteo aus
dem Jahre 1868/9. 4o & 8o.
Greifswald, Universität: Akademische Gelegenheitsschriften aus
dem Jahre 1869. 4^ & 8».
Halle, Universität: Akademische Gelegenheitsschriften aus dem
Jahi-e 1869. 4<' & 8«.
Hamburg, Stadtbibliothek: Gelegenheitsschriften aus dem Jahre
1869. 40.
Verzeiclinisa der eingegangenen Drvekscbriften. 867
Hamelitz. X. Jahrgang, Nr. 2Q— 23. Odessa, 1870; 4«.
Haug, Martin, An old Pahlavi-PaKand Glossary byDesturHos-
hangji Jamaspji Asa. Bombay & London, 1870; gr. 8^
Institution, The Royal, of Great Britain: Proeeedings. Vol. V,
Parts g— 7. London, 1869; 8«. — List of the Members etc.
1868. 80.
Institute, R., Lombarde di Scienze e Lettere: Memorie. Classe
di Lettere e Scienze morali e politiche. Vol. XI. (II. della serie
III.) Fase. 1 — 2; Classe di Scienze mathemat. e naturali.
Vol. XI. (II. della serie III.) Fase. 1--2. Milane, 1868 & 1869;
4o. _ Rendiconti. Serie II. Vol. I, Fase. 11—20. (1868);
Vol. II, Fase. 1—16. (1869.) Milano; 8«. — Annuario. 1868.
Hilauo; 12o. — Solenpi adunanze. 1864, 1865, 1868. Mi-
lano; 8o. — Atti della fondazione scientifica Cagnola. Vol. V,
Parte 1. 1867—1869; 8o.
L e y d e n , Universität : Annales academici , MDCCCLXIV —
MDCCCLXV. Lugduni-Batavorum, 1869 ; 4o.
Mission scientifiqiie au Mexique et dans TAmerique Centrale.
OuTrage publik par ordre de S. M. TEmpereur et par les soins
du ministre de Tinstruction publique. Linguistique. Manuscrit
Troano. Par M. Brasseur de Bourbourg. Tome I. Paris,
1869; Folio.
Peabody Institute: III"^ Annual Report of the Provust. Baltimore,
1870; 8o.
Quetelet, Ad., Physique sociale ou essai sur le developpement
des facultas de l'homme. Tome IL BruxelieSt Paris, St. P^ters-
bourg, 1869; gr. 8«. — Notice sur le Congi*&s statistique de
Florence en 1867. 4».
Rausch, Friedlieb, Geschichte der Literatur des Rhäto- Romani-
schen Volkes. Frankfurt a. M., 1870; 8».
Reumont, Alfred v., Geschichte der Stadt Rom. lU. Bd., 2. Abth.
Berlin, 1870; gr. 8«. — Manfredini und Carletti. Eine Episode
der Revolutionszeit. 8«.
Revue des cours scientifiques et litteraires de la France et de
rftranger. VII* Annee,Nrs. 30—33. Paris &BruxeIles, 1870; 4«.
Scientific Opinion. Part XX, Vol. Hl. London, 1870; 4o.
Societas, Regia ^ scientianim Upsalensis: Nova acta, Seriei IIL
Vol. VII fasc. L 1869. üpaaliae; 4».
08 •
868 Verseicbnist der eingegangenen Druckicbriftea.
Soci6t^, R. » des antiquaires du Nord: M^moires. N. S. 1867.
Copenhague; 8». — Aarb^ger.- 1868, 3. & 4. Hefte & Tiilaag.
8^ — Renseignements sur les premiers habitants de la cdte
occidentfile du Groenland. Par Carl Cbristian Rafn, tradoits
eil Groenlandais par S. Kleinscbmidt. 4^
Society, The Royal, of London: Philosophical Transactions for
the Year 1869. VoK 159, ParU 1 &2. London, 1869 & 1870;
4a. _ Proceedings. Vol. XVII, Nrs. 109—113; Vol. XVDI, '
Nrs. 114—118. London, 1869 & 1870; 8«.
— The Anthropological : Anthropological Review. Nrs. 27—29.
London, 1869 & 1870; 8o. — Memoirs. 1867-^8—9. VoLffl.
London, 1870; 8^
— of Antiquaries of London: Archaeologia. Vol. XLII. Loodon,
1869; 4^ — Proceedings. Seeond Series. Vol. IV, Nrs. 3-6.
London, 1868 & 1869; 8o.
— The Cambridge Philosophical: Transactions. Vol. XI, Part 2.
Cambridge, 1869; 4«. — Proceedings. Parts III— VI. 8«.
— The Royal, of Edinburgh: Transactions. Vol. XXV. Part 2.
1868—69. 4«. — Proceedings. Vol. VI, Nrs. 77—79. 1868
—1869; 8o.
— The Asiatic, of Bengal: Bibliotheca Indien. N. S. Nrs. 164—
171, 174-176. Caleutta, 1869; 4» & 8o.
Sundby, Thor., Brünette Latinos lernet og skrifter. KjehenhaiD,
1869; 8<».
Tübingen, Universität: Akademische Gelegenbeitsschrifteo ans
d. J. 1869. 4» & 8o.
Verein, histor., fOr Niedersachsen: Zeitschrift. Jahi^ang 1868.
Hannover, 1869; 8o. — XXXL Nachricht. Hannover, 1869; 8*.
Waltuch, Marco, Psicografia con figure analogiche. Napoli,
1870; 80.
SITZ UNGSBERICHTE
HEB KAISiSKLICilEN
AKAIEMIE DEE WISSEJfSCHAFTEU.
PHILOSOPHISCH -HISTORISCHE CUSSE
8ECH8UN08ECHZIQSTER BAND.
WIEN.
AUS DER K. K. UOF- UND STAATSDRUCKEREI.
l(f COMMlSilON BKl KARL OBROLD'S 60HN, BDCHHiNDLKR DIR KAISKRUCHElf ▲KA.DBHtB
ORR WISSENSCHAFTKM.
1871.
SITZUNGSBERICHTE
DER
PHILOSOPHISCH-HISTOEISCHEN CLASSE
DER KAISERLICHEN
AKADEMIE DER WISSENSCHAFTEN.
8ECH8UN0SECH2IQ8TER BAND.
Jahrgang 1870. — Heft I bis III.
WIEN.
AUS DER K. K. HOF- UND STAATSDRUCKEREI.
in COMMISflOR BBl KARL OKHOLD*8 SOHN, BUCHHÄIVDLKR DICH KAI8RRLICHBK AKADKMIR
DBR WIS8E1V8CHAFTBR.
1871.
INHALT.
SriU
Sitamig; vom 5. October 1870 3
9itean§; vom 12. October 1870 5
Siteang vom 19. October 1870 5
FhüHp», Über das baskische Alphabet 7
Sekuite^ Literaturgescbichte der Compilationes antiqnae, besoadera der
drei ersten 51
Goldbteher, Zur Kritik und ErklSnisg von L. Apoleius de dogmate Pla-
tonis 1. I. und II 159
Müller, Zur SuflSzlehre des indogermaiiischen Verbaais. IL .... . 193
— Die Vocalsteigerang der iDdogermaiiischeii Sprachen .... 213
— Ober das lateinische Perfectum 225
VerteiehnUs der eingegangenen Dmckschriflen 229
vom 2. November 1870 235
vom 9. November 1870 235
Mtsanff vom 16. November 1870 236
vom 30. November 1870 237
FhiU^t Ober das lateinische nnd romanische Element in der baskischen
Sprache , 239
MüUer^ Armeniaca. 111 261
ZingerU, Beitrige inr ilteren tirolisehen Literatur. IL Hans Vintler . 279
Verxeiehnitg der eingegangenen Drockschriflen 353
II
Seil«
SitKung Tom 7. December 1870 359
SStKung vom 14. December 1870 380
Müller, ErAuic« 361
Verteiekniä» der eiog^egaBgenen Dnickschrifleii 373
SITZUNGSBERICHTE
DER
KAISERLICHEN AKADEMIE DER WISSENSCHAFTEN
PHILOSOPHISCH-HISTORISCHE CLASSE.
LIVI. BAND. I. lErr.
JAHRGANG 1870. — OCTOBER.
Commisslonaheri cht.
SITZUNG VOM 5. OCTOBER 1870.
Der Vicepräsident begrOsst die neu eingetretenen Mitglieder
der Akademie und gibt sodann Nachrieht von dem Ableben zweier
auswärtiger correspondirender Mitglieder, des Professor Dr. Gustav
Fluge] in Dresden und des Conte Giovanni Antonio Luigi Cibra-
rio in Turin. Die Mitglieder erheben sich zum Zeichen des Beilei-
des von den Sitzen.
Der Secretär legt vor:
1. Ein Dankschreiben des Herrn Dr. Franz Kürschner fSr die
ihm gewährte Subvention;
2. Dankschreiben von den Herren Professoren Dr. Theodor
Benfey in Gottingen, Dr. Theod. Mommsen in Berlin, Dr. Gin-
dely in Prag für ihre Wahl zu Mitgliedern der kais. Akademie.
3. Eine Mittheilung des k. k. Handelsministeriums, dass der auf
August 1870 angesetzt gewesene internationale geographisch-com-
mercielle Congress in Antwerpen auf Mitte August 1871 vertagt
worden ist
Die k. k. Landesregierung in Salzburg theilt mit, dass im dor-
tigen Central archive neuerdings acht altsalzburgische Weisthumer
aufgefunden wurden.
1
wurden
TOD Herrn Albin Ciernj» r^nl. Chorherm Ton St FloriaD
ond Kbliothekar» drei Briefimaiinliingen des XV. Jahrhunderts aas
den Manaseripten der Bibliothek and des Archirs St Florian ;
Ton Herrn Theod. Majr hofer. Chorherm ond Professor io
Stift Neostift, der iweiteTheQ seines Codex diplomatieosNeoeelleiutt;
Ton dem eorr. MitgL Herrn Prof. Dr. A. Haber in Innsbruck
eine Abhandlni^ «Gber die MSnxgesehichte österreiehs im XUI. ood
XIV. Jahrb.«
Die k. k. Central -Commissioa xnr Erforsehnng and Erhaitong
der Bandenkmaie in Wien übermittelt den Bericht des Pforrers Fram
Oberleitner Ober die Aosgrabugen in Windisehgarsten.
Der kais. Rath Herr Dr. Lodwig Ritter ron Köehel ersaeht
am eine SnbTention snro Zwecke der Dnieklcgang seines Werkes:
Johann Joseph Fax , Hof-Compositor and Capellmeister tod
1698—1740«.
Herr Dr. A. Kohnt, Ober -Rabbiner in Stahl weissenbnrg er-
sacht am eine Subrention snr Heraasgabe seines Werkes: «Kritisclie
Beleochtong der persischen Ptentateach-Übersetxang von Jacob beo
Josef Tawns«.
Das w. M. Herr Prof. Fried. Maller legt für die Sitsangs-
berichte xwei Abbandlangen Tor:
1. Zur Soffixlebre des indogermanischen Verboms D.
2. Ober das lateinische PeKectnm.
Commissionsberieht.
SITZUNG VOM 12. OCTOBER 1870.
Der Secretar legt Dankschreiben vor von den Herren Profes-
soren Dr. Bernhard J u I g in Innsbruck und Dr. Adam W o I f in Graz
fär ihre Wahl su correspondirenden Mitgliedern der kais. Akademie.
SITZUNG VOM 19. OCTOBER 1870.
Der Secretar legt vor:
1) ein Dankschreiben des Bibliothekars Ton San Marco in
Venedig Herrn Valentine lli für die der dortigen Bibliothek ge-
währte fortgesetzte Zusendung der akademischen Publicationen;
2) ein Gesuch des Herrn Dr. Ernst Trumpp in Reutlingen um
Bewilligung einer Subvention zur Herausgabe seines Werkes: ^Gram-
matik der afghanischen Sprache**.
Das w. M. Herr Dr. Pfizroaier legt eine für die Denkschrif-
ten bestimmte Abhandlung: MÜber den Text eines japanischen
Drama's. II. Abtheilung** (Schluss) vor.
6 CommitsioMbericht.
Das w. M. Herr kais, Rath Fiedler legt vor: MActeostöcke
zui* Geschichte Franz Räköczy's und seiner Verbindungen mit den
Auslande*.
Das w. M. Herr Prof. Dr. Friedrich M filier legt eine für die
Sitzungsberichte bestimmte Abhandlung vor: „Die Vocalsteigeraog
der indogermanischen Sprachen".
Phillips, Üh(>r dNS bnsk lache Alphabet.
Über das baskisehe Alphabet"^).
Von dem w. M. Hofrath PhiHips.
I.
Einleitang.
Die baskisehe Sprache bietet in sich selbst einen sehr merk-
würdigen Gegensatz dar, in welchem sich die Geschicke des vortreff-
lichen Volkes • dem sie eigenthumlich ist, abspiegeln. Unberührt in
ihrem Organismus und ihrem Baue, steht diese wunderbare Sprache
gleich einem alten, aber noch bewohnten Felsenschlosse da. Allen
Zeitsturmen hat es getrotzt, seine Mauern, Zinnen, Thürme sind noch
die alten, wie vor grauen Jahrhunderten, aber der Hausrath darinnen
ist im Laufe der Jahrhunderte, je nach den Zeiten modernisirt
worden; viel Altes ist auch hier noch vorhanden. Vieles davon is:
hinausgeworfen und durch minder Dauerhaftes, minder Schönes und
Gutes und weniger zum Ganzen Passendes ersetzt worden. Da sieht
es denn freilich etwas bunt darin aus; dort noch eine Menge ehrwür-
diger Reliquien aus den Zeiten der Kriege der Ahnen der Basken mit den
Römern und aus den Tagen der Kämpfe der tapferen Vasconen, welche
im Thal von Roncevaux die Franken besiegten und Karls Palatin, den
Roland, erschlugen; hier die Spuren römischer Einquartirung, die
sich wohnlich nach ihrer Weise in dem Schlosse eingerichtet hatte;
*) Ifacb der Vorlage dieser AbhandloDg sind dem Verfasser noch manche wichtige
Fingerseige in Beireff des Gegenstandes derselben von dem gründlichen Kenner
der baskiscben Sprache, Herni CMpitin Duvoisin (s. die Abhandlung fiber das
iberische Alphabet, S. 3) zugegangen ; soviel wie möglich sind diese Fingerseige
an geeigneter Stelle benötzt und durch das Zeichen e kenntlich gemacht worden.
8 Phillips
dort wiederum ist die Burg auf spanische, hier auf frausösiscbe
Manier ausgestattet worden. Soll man historisch ergrunden, wohio
das Eine und wohin das Andere gehört« so ist oft die Sichtung ia
diesem wirren Durcheinander schwer; gleicher Staub des Alterthmns
deckt Urbaskisches und Romisches und man muss yiel fegen uod
poliren um zu erkennen, was an dem Geräth echt einheimisch ist und
was fremd'). Wie die Sprache, so auch das Volk; noch steht dasselbe
mit einer mehr als zweitausendjShrigen Geschichte hinter sich da,
noch hat es einen grossen Theil seiner Eigenthumlichkeit bewahrt,
aber Iftngst schon hat sich Fremdes, so vielen Widerstand es aueb
fand, nach und nach eingedrängt und Schritt für Schritt wird dem
Volke sein Boden abgewonnen , bis es zuletzt doch noch dahia
kommen wird , dass man in der Sprache den Basken jenseits der
Pyrenften nicht mehr Ton dem Spanier und diesseits nicht mehr tob
dem Franzosen wird unterscheiden können, wenn gleich das edle
Blut seiner Ahnen in seinen Adern rollt. Un peuple, qtd s^en va!*).
Doch zur Sache selbst t Man kann sich keine deutlichere Vor-
stellung Ton dem Zustande der Verwirrung machen, in welchen die
baski^che Sprache durch den Einfluss fremder Elemente — nnier
denen auch noch das Keltische herauszusuchen wäre — gerathen ist,
als wenn man das baskische Alphabet betrachtet. Die einst reine
und unvermischte baskische Sprache hat nothwendig und naturiieb
auch ihr den ihr angehörenden Lauten entsprechendes Alphabet
gehabt. Zu der Zeit aber wo eine baskische Literatur ihren Anfang
nimmt, war jenes Alphabet nicht mehr vorhanden. In Betreff des
Beginnens dieser Literatur waltet ein grosser Irrthum ob, indem maD
dasselbe in eine viel zu frühe Zeit setzt. Alles, was man von Helden-
liedern aus der Zeit des Hannibal und des Augustus entdeckt haben
will, ist nichts als Fabel *); insbesondere gilt dies auch von dem Klag-
liede Ober den Tod jenes Leio, eines cantabrischen Agamemnon,
') Geviss wird auf den ersten Blick Jedermann geneigt sein, des Wort izetm, veleke»
n Namen" bedeutet, fQr ein echt baskische« au halten. Wir wagen nicht la
widersprechen, wenn es dnrch das lateinische signnm mit vorgescMagenem • ci^
kllrt wird. S. Bla de Etudea (Note 3), p. 275. Note t.
*) S. die Abhandinog: Eine baskische Sprachprobe. S. 10.
a) Vgl. darfiber Blad^. Dissertation sur lea ehants hdroiqnes des Basqnes. PariSf
1SS6 und neuerdings: ^tudes sur rorigine des Basqnes (Parle. t8$9X P- M- ■• '-
Ober dM bMkitche Alphiibet. 9
der seine Klytemnestra und seinen Agysthos im eigenen Weibe und
deren Buhlen fand« Hamboldt bat dieses Lied nach einem Hanus-
cripte herausgegeben*); der darin stets wiederkehrende Refrain:
nLelOt Letol"* hat dasselbe in ungunstiger Weise berflhmt, ja sprueh-
wortlieh gemacht, indem man die Langeweile mit dem Aosdrucke :
nbäico Ldo** *), .»der ewige Lelo^ bezeichnet. Das Lied ist keines-
wegs sehr all und reicht kaum Ober die sonstigen Auffinge der bas*
kischen Literatur hinaus, die in keine frühere Zeit als in das Ende
des fünfzehnten Jahrhunderts gesetzt werden dürfen •).
Damals also und schon längst zuTor gab es kein einheimisches
Alphabet mehr, sondern dieses war onter dem octroyirten lateinischen
erstorben; damit waren aber die baskischen Laute nicht ertddtet.
Sie dauerten fort trotz dem fremdartigen Alphabete, welches auf die
Sprache selbst so wenig passte, wie — man rerzeihe den höchst
trivialen Ausdruck ^ wie die Faust aufs Auge.
Die einheimischen Sprachforscher, namentlich im französischen
Baskenlande, haben schon seit längerer Zeit sieh damit beschäftigt,
Alphabete für ihre Muttersprache aufzustellen; wegen der Ver-
schiedenheit der Dialecte kann man eben die Mehrzahl nicht rer-
meiden. Wenn man mit diesen Versuchen noch diejenigen Alphabete
vergleicht, deren man sich in den gewöhnlichen Druckschriften be-
dient, so tritt eine ausserordentliche Verschiedenheit hervor. Man
mag bei dem Widerstreit der Meinungen es als einen etwas zu weit
getriebenen Scherz bezeichnen, wenn Chaho sein Dietionnaire baaque^
frangaü, espagnol et latin'') (Bayonne 18K6) mit einem Artikel
unter der Überschrift: „La guerre des alphabets** eröffnet und hier
die einzelnen Buchstaben in einer parlamentarischen Sitzung sich so
sehr gegen einander erhitzen lässt, dass sie öfters zu einem Glase
*) W. V. Hnnboldt legi« Boch eiaea hoben Wertb auf dieeea Lelolied uid bat
daeeelbe io aeinen BericbUgungeB oad ZaaXUeii snn Mitbridatee (Bd. 2^ Abacbn. I,
8. es a< ff.) nach einen ihm mitgeUieilten Maniiacript heranagegeben. Eben «o iat
der Geaang ?on Altabiacar und daa Lied anf Haanibal uneebt.
*) Salaberri, Voeabolaire p. 117 gibt daa Wort Leio dwcb uiuge^ käbitude
*) 8. Biadd, Btndea, p. MO.
') Daa Werk iat leider anvollendet geblieben, ea reicht bia snm Worte ^Letitra'' in
der Reihe der aua dem Lateiniaehen reripirten Wörter ; die eigentlich baakiachen
waren einem apiteren Bande aufbehalten.
10 Phillips
Wasser ihre Zuflucht nehmen müssen; indessen, in. der Haup
saebe hat er Recht, als in dieser Hinsicht wirklich alles durch ein-
ander geht
Als dem Sprachgebiete des Baskischen entrückt, können wir
nur das Torhandene Material vorlegen und beginnen mit einer Zu-
sammenstellung der auf dem vorher bezeichneten Wege entstandenen
verschiedenen baskischen Alphabete.
IL
Zusammexistellung verschiedener baakisoher Alphabete.
Eine Zusammenstellung der einzelnen Alphabete, wie sie theils
im spanischen, theils im franzosischen Baskenlande gebrauchlich
sind« wird dazu dienen, um einstweilen zu zeigen, wie weit diese
auseinander gehen; eine Prüfung derselben soll erst nachher
stattfinden. Für das spanische Baskenland kommen hier zunächst
die Alphabete von Larramendi^» Lardizabal*) und van
Eyss«) in Betracht, sodann eine zu San Sebastian im Jahre 1847
gedruckte Schrift von Yztueta^), nebst mehreren zu Tolosa*) und
Vitoria •) herausgegebenen Andachtsbüchern, die mit einander ziem-
lich übereinstimmen. Hinsichtlich des französischen Baskenlaades
sind es vornehmlich ein unter dem Namen Tresora zu Bayonne sre-
drucktes Vocabularium''),0Thenart8), L^cluse»), Darrigol «•).
') In seinein Diccioatrio trilingue.
^) GmmmaUoa VatieoDgadii.
*) Essai d'une Grammaire hasque 2. edition.
*) Der Titel lautet: Ouipuzeoaeo Frovindarett Condaira edo Hüterin. Ihn^HU, 1847.
*) BtcU'Idburua ceiiean dauden eritaharen eguneroco ßjereieioae. ToUnan, 1894.
*) Guia-'Manual det Ungute para uto de Im vUjero» en et paie vaeeo. Vitoria 1868.
^) Der vollatindi^ Titel lautet : Treeora Mraur letiffuaietagma^ p-aneeea^ etpmgwim eu
hmeguara, Obra ena eU neeetearia nore deeiraeen bayton eranden Lenfuii horrmfoi.
Batfonan, Franee» Baurdöt^ Lib&ureu BguitUrea eehiatt. 1642. Die kaiaerlickc
Bibliothek beai^t dies Bocli (73. M. 117) und es ist darin mit Bleistift Limrig als
der Verfaistr beseichnet Vgl. v. Humboldt, Berichtiguogeii und Zoaitxe, S. €3.
8. noch Prancisque Michel in der Introduction xu seiner Ansgabr roo OiheBart.
Proverbes basques p. XXVI.
*) Oihenart, Proverbes basqoes. Preface.
') Leeluse^ Grammaire hasque, p. 13.
*®) (Darrigol), DIssertMtion critique et apologeliquf sur la langue basque. p 8.
über dM ba«£isehe Alphabet. 1 1
ChahoK), DuYoisinis), Inchauspe <•) , Francisque-
Micheh*), Salaberriis) undPruner-Bey<*), deren Arbeiten das
Material su diesem Zwecke liefern, womit dann die Alphabete einiger
Druckschriften zu vergleichen sind, namentlich Axular, Gueroco
guero (oder de non procrastinanda poetiitenHat woi*tlich des Nach-
herigen Nachher oder des Zukunftigen Zukunftiges), welches Buch
zuerst 1642 und dann in zweiter Auflage 1864 zu Bayonne er-
schien 17). Die interessante Zusammenstellung des Gesanges der
drei Männer im feurigen Ofen, welche der Prinz Bonaparte gemacht
hat 18), kann leider für diesen Zweck nicht benutzt werden, da bei
der steten Wiederholung des benedicite und laudaie unter Hinzu-
fugung einzelner Substantiva kein^ Sicherheit geboten wird, ob
säromtliche Buchstaben des Alphabets darin vorkommen, wie denn
namentlich das f vermisst wird i*).
Wir lassen nunmehr eine tabellarische Übersicht dieser ver-
schiedenen Alphabete folgen:
*t) Chslio, DictiooDaire (s. I. 8. 8); latroduction philolofrique p. 8.
*') MeMoger de Bajonne, 1856. Vgl. Boodard, Nomiamatiqve Ib^rienne, p. 63.
I*) iDchaaspcLe verbe besque (Ptris. I850), p. Xi. XII.
^*) FraBCisque-Miehel, Le paya batqae. p. 19.
*^) Salaberri (d'Ibarrol le), Vocabnlaire de Mola buques-oavarraia tradoiia en
laagroo fhiDfalae. Bayoune. 1856.
'*) Proner-Bey. Lecture aar la langue esscaara im Bulletio de la soci^t^ d'aothro-
pologie de Paria. Noov. S^r. Vol. II (1867). p. 39. 46.
^') 8. über den Verfaaaer Francisque-Miehel a. a. 0. p. 477.
1^) Canticum triam pueroram io XI Vaaconiae lioguae dialectos ab varietatea veraum.
Coilegii et oorae ortbographiae aecommodavit LodoTlcua Lucianua Booaparte.
EdiUo altera. Londini. 1858. 4.
'*) Die Arbeiten dea Abb^ Jaurretche, welcher oaeb einer mir angegangenen NoUs
•«sfBhrlieber über daa baakiacbe Alphabet geachrieben und aehr geeignete Pria-
cipien ffir daaaelbe aufgeseiehnet haben aoll, waren mir nicht suginglicht Ina-
benoadere aoU deraelbe in einem Anhange an einem nicht mehr im Buchhandel ror-
hniidenen Andachtabuche dieaen Oegenatand dargeatellt haben.
12
Phillips
Spftalseheo lMkeiilfli4.
Irauioloohos
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T. 1864.
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Ober das baskiache Alphabet.
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Duvoisin 1856.
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StUb. d. phil.-hist. Cl. LXVI. Bd. I. Hft.
18 Phillip«
Wenn man nun diese Alphabete zunächst nur in Betreff der
Zahl der Buchstaben, die zu jedem einzelnen gehören» mit einander
vergleicht, so wird man gewahr, wie dieselben im allgemeinen bei
denen des spanischen Baskenlandes eine geringere ist, als bei
denen, welche auf französischem Boden Geltung gewonnen haben.
Während dort keines bis zu dreissig Buchstaben emporsteigt, unter
denen sich auch das in diesen Gegenden kaum hörbare h befindet,
so überschreiten hier mehrere die genannte Zahl.
Eine andere sogleich in die Augen fallende Verschiedenheit
zwischen den franzosischen und den spanischen Alphabeten ist die,
dass dort weit mehr die Aspiraten beliebt sind als hier, wo ohne-
dies das h mehr geschrieben als gesprochen wird.
Ein weiterer Vergleich zeigt, dass neunzehn Buchstaben in allen
sechzehn Alphabeten sich finden, nämlich a, b, d* e, /*• g* h, >• /» tn,
n, », Op p, r, 8, U u und z. Dagegen andere : d\ fh, l\ l\ r\ rr, sh und
S8, jedes nur einmal vorkommt; r fehlt in den franzosischen Alpha-
beten fast ganz und ist auch in den spanischen nicht häufig; sein Laut
wird durrh b vertreten. Dagegen haben jene ausschliesslich die
Buchstaben: g, kh^ ph, ich und tt, obschon sich ich der Aussprache
nach auch in Spanien findet, wo ch diese Bedeutung hat. Die beiden
Buchstaben c und q haben so ziemlich das gleiche Schicksal gehabt;
im französischen Baskenlande herrscht das Bestreben, sie zu rer-
bannen; nur vier der aus dieser Gegend mitgetheilten Alphabete
haben noch das c, nur zwei das q beibehalten; van Eyss verwirft aus-
nahmsweise auch für Guipuzcoa beide. Dagegen gewährt eben dieser
Schriftsteller in dem von ihm aufgestellten Alphabete dem k eine
Stelle, welches sonst jenseits der Pyrenäen nicht beliebt ist, während
es diesseits allgemein anerkannt wird. Sieht man Ton diesem der
französischen Sprache völlig fremden Buchstaben ab, so macht ein
erster flüchtiger Blick auf diese Alphabete mit ihrem p, U und n den
Eindruck, als habe man es hier nur mit Dialekten des Französischen oder
Spanischen zu thun. Dieser Eindruck wird freilich bei näherer Ein-
sicht völlig verwischt; es kann daher keinen grosseren Inrthum
geben, als den, in welchen Pierquin verfallen ist, der in einem
Artikel der France littiraire vom Jahre 183S die Behauptung auf-
stellt s<^), dass die baskische Sprache, die nur eine Species des
'®) ^?l* Fraocisqu e-M i c h e I in der Einleitung sn seiner Avsgabe Ton OTkennrt,
Prorerbee Baaqnes. p. XXI. XXU.
über daa baakitche Alphabet. 1 9
romanischen Patoia sei, ihren Ursprung nicht weiter als höchstens
bisEum zehnten Jahrhundert zuruckdatiren könne; welch ein Gegen-
sats zu der excentrischen Ansicht, Gott habe schon im Paradiese zu
Adam und Era in der baskischen Sprache geredet»)!
III.
Das bei Feststellung des baskischen Alphabets zu
beobachtende Verfahren*).
Bei der Feststellung des baskischen Alphabets muss man von
der Thatsache ausgehen, dass die Euskuara durch den Hinzutritt
fremder Elemente grossen Eintrag erlitten und dass demgemäss auch
das Alphabet seine Gestaltung gewonnen hat. Das lateinische
Alphabet passte auf die baskische Sprache nicht und passt auch heut
zu Tage nicht, wovon das Leben selbst Zeugniss gibt, indem die
gesprochene Sprache vielfältig von der geschriebenen sich unter-
scheidet und zwar nicht etwa in der Weise, wie ein Dialekt sich zur
Schriftsprache verhält, sondern weil jene so manche Laute hat,
welche die Schrift nicht zur Genüge wiederzugeben vermag. Es be-
greift sich aber, dass man bei dieser Unzulänglichkeit des lateinischen
Alphabets darnach strebte , die Lücken in dem aufgedrungenen Ge-
schenk möglichst zu ergänzen. Da es hiebei aber an leitenden
Principien fehlte und in Folge dessen manche Willkur waltete , so
hat dies eine ziemliche Verwilderung des baskischen Alphabetes zur
Folge gehabt. Waren mit den fremden Worten auch fremde Laute
in das Baskische hineingekommen und hatten sich diese hier einge-
bürgert, so waren sie dadurch auch berechtigt worden, in dem
Alphabete reprSsentirt zu werden. Aber um so mehr verstand es sich
von selbst, dass die einheimischen Laute, denen das lateinische
Alphabet keinen Ausdruck zu geben vermochte, doch in einem für
die baskische Sprache bestimmten Alphabete ihre Stelle haben
<t) Vpl. Blia. Reelnaein der ReTue dea denz mondea. Tom. LXVUI. p. StZ.
*) Wir haben bei dei nacbatehenden Bemerkungen Torau^weiae die ciapjrreniiacben
Dialekte im Aage; die dea apaniaehen BHakenlandea werden ateta aaadrficklioli
M-wilint.
20 Phillips
musiiteii ,' aber gerade dieser Proeess' konnte kaum anders als in
vieler Beziehung unglücklich ausfallen, da durch die Verschiedenheit
der Dialekte die Aussprache sehr schwankend geworden war.
Es fragt sich demnach, worin nach dem gegenwartigen Stande
der Dinge die Aufgabe des Sprachforschers zu bestehen habe » um
ein wirklich entsprechendes Alphabet för die baskische Sprache
festzustellen. An eine historische Construction eines solchen Alpha-
betes ist wohl kaum mehr zu denken; einestheils ist dazu die bas-
kische Literatur zu jung» anderntheils sind auch fast alle Fäden des
Zusammenhanges mit einer früheren Vergangenheit abgerissen. Ja
sogar, wenn es gelänge darzuthun. dass das baskische Alphabet
seinem Ursprünge nach mit dem iberischen und dadurch mittelbar dem
phonizischen zusammengehöre, so wflrde damit doch für die einzelnen
Lautnüancirungen wenig gewonnen sein, da diese in dem Baskischen
in einer solchen Fülle dastehen, wie sie aus jenen Alphabeten wenig-
stens nicht erkennbar ist. Für die Zeit des siebzehnten Jahrhunderts
gibt Olhenart einige Anhaltspunkte <), allein diese wollen doch um
so weniger genügen, als des genannten Schriftstellers leitendes Prin-
cip das ist: ne pas trop choquer Fusage des langues voisinea*).
Zudem gebort Oihenart, wie auch diese Äusserung hinlänglich be-
zeugt, einer Zeit an, wo das baskische Alphabet bereits eine starke
Corruption erfahren hatte. Dessenungeachtet muss anerkannt werden,
dass dieser Schriftsteller eine sehr klare Anschauung von dem Be-
dürfnisse seiner Muttersprache, mit einem wohlgeordneten Alphabete
versehen zu werden hat, und man darf sagen» dass die meisten seiner
Vorschläge, die er zu diesem Zwecke macht, auch fQr die Gegenwart
keineswegs von der Hand zu weisen sind.
Während nun die Geschichte keine Aushülfe bietet, so kann
man eben nur auf den unmittelbar vorliegenden siattu quo RQcksicht
nehmen und muss hauptsächlich darnach streben, den wirklich prak-
tischen Bedürfnissen gerecht zu werden. Hält man diesen Gesichts-
punkt fest, so zerfällt jene Aufgabe in zwei Bestandtheile : erstens
Entfernung aller überflüssigen Buchstaben aus dem Alphabete und
zweitens sichere Feststellung der wirklich noch im spraehlieben
*) Olhenart, Prorerbes basqaes. Preface.
') OTbeiart, a. a. 0. p. 6.
über dM hMkiAcbe Alphiibel. 'i I
Leben exiatirenden Laute durch geeignete Zeichen. Dieser letztere
Bestandtheil der Aufgabe ist natürlicher Weise der bei Weitem
schwierigere.
1. Entfernung der uberflQssigen Buchstaben aus dem
baskischen Alphabete.
Schon OThenart hat darauf aufmerksam gemacht, dass mehrere
Buchstaben in dem baskischen Alphabete entbehrt werden könnten
Er geht von dem Gesichtspunkte aus» dass die Basken ihre eigene
gchrift vor alten Zeiten gehabt, sie aber unter römischem Einflüsse
mit der lateinischen umgetauscht hätten » demnach stimme das latei-
nische Alphabet mit der baskischen Sprache nicht überein*). Die Zahl
der Buchstaben jedoch, die er fQr entbehrlich erklärt, wäre grosser,
wenn er es nicht fQr angemessen hielte, die an sich ihm überflüssig
erscheinenden anderweitig zu yerwenden. Er erklärt demnach k und
qj V, X und y für entbehrlich, verwirn jedoch Yon diesen nur v und
y, weil ihm zweckdienlich erscheint, k und q vor e und t statt des c,
und X statt des eh zu gebrauchen.
In neuerer Zeit haben insbesondere Darrigol und Duvoisin,
$ü wie Inchauspe eine Purification des Alphabets vorgenommen.
Der zuerst Genannte hat die Buchstaben c, 9, v und y gänzlich ver-
worfen und zugleich die französische Aussprache des g^ j und % ganz
oder theilweise lur unzulässig erklärt Auffallend ist es, dass Darrigol
das (! beibehalten hat, denn auf diesen ganz franzosischen Buch-
staben dürfte gewiss der von ihm angezogene Satz des Picinus
passen: „quod primum non esU non est gimplex'*^}. Der genannte
Schriftsteller hat in seiner apologetischen Dissertation nicht eigent-
lich das baskische Alphabet festgestellt, sondern hat sich nur mit
einigen sehr treffenden Bemerkungen darüber begnügt. Erst aus den
sprachlichen Beispielen und Schematen, die er in seine Abhandlung
einflicht, muss man sich das von ihm angenommene Alphabet zusam-
menstellen, ohne dadurch zu der wünschenswerthen Sicherheit
darüber zu gelangen, welche Laute Darrigol als nothwendig in das
Alphabet gehörend erscheinen.
*^ Ofhenart, a, a. O. p. 3-
^) Dar rigol, DisserUtioa apolog^tiqu« de la lang«« basqiu*. |>. U.
22 Phillip»
Mit Fug und Recht hat denn auch Duvoisiu*). nicht minder
Incbauspe«), das {; aus dem baakischen Alphabete hinaasgewiesen;
ausserdem hält Jener das c» q, v und a: tür überflGssig^). Auch
Chaho ist der Meinung, dass das c gut entbehrt werden konnte und
nur aus Respect vor dem etymologischen Ursprünge, insbesondere
von Namen, wie Caesar, mochte er es beibehalten^); dasc ist aber
eben deshalb überflüssig, weil es ja nach der Verschiedenheit seiner
Aussprache, die vor e und i sicherlich nicht genuin baskisch ist, durch
einen andern Buchstaben ersetzt wird, durch k nämlich and durchs;
statt ca, CO und cu hat man ka, ko, ku, statt ce und ci, ze und zi za
schreiben.
Sehr epuristisch ist in Betreff des Alphabetes die Verfahningsweise
in dem angeführten Werke von Yztueta und die des Herausgebers des
Axular*). Beide schliessen, mit Ausnahme des f, diejenigen Buchstabeo
a\is, die Oihenart zum Theil für andere Zwecke beibehält» nämlich
kt V und X und ausserdem noch j und U; allerdings wird auf dem Titel-
blatt des Gueroco Guero der Name des Verfassers Axular geschrieben,
aber es kommt sonst im ganzen Buche kein j; vor. Auffallend ist es, dass
das g auch hier beibehalten ist, so wie jenes u, welches blos als
Sicherungsmittel der richtigen baskischen, gegen die französische
Aussprache des g vor e und t dient, wofür Chaho italianisirend das k
in Vorschlag gebracht hatte ^o). Es hat nämlich im Baskischen das
g ganz gleichmässig vor allen Vokalen zu lauten; daher dort das g in
gero (nachmals) und gizon (Mensch), gerade so wie in garbi und es
ist durchaus nicht nöthig guero und guizon zu schreiben. Duvoisio
hat dieses ti aus dem baskischen Alphabete ausgewiesen <<}. Pruner«
B ey ist der Meinung, dass auch das f zu beseitigen sei ><), da es nor
in Fremdwörtern vorkomme; allein dieser Grund, der allerdings seine
B) MeMtger de Bayonac. 25 Mars. 185S. n. 7S0.
*) Incbauspe, La Terbe baaqoe. p. XI.
^) I n c b a n a p c (p. XII) nimmt to« diea«Q Bucbataben iiir daa «, jedoch mchl ala kt
aondero rIb ts an.
^) Cbabo, Dictionnaire. C. p. 167.
*) 8. oben II. 8. 11.
<<^) Cbabo, a a. O. p. 11.
^0 So ancb Oarrigol I. c. p. IK.
12) Bulletin de la Soei^t^ d'antbropolofpie, Nouv.-S^rie. Tom. II. >. 37.
über daA baskitche Alphabet. 23
historische Berechtigung hat, kann für die Gegenwart wohl nicht
mehr geltend gemacht werden «).
Demgemäss erscheinen von dem lateinischen Alphabet neunzehn
Bachstaben» wenn auch nicht durchwegs in unveränderter Aus-
sprache» anwendbar, nämlich : a, b, d» e, /*» g* A, f» k, l, m, n, o, p,
r, 8, iy u und z.
Schliesslich entsteht noch die Frage, ob die mit der Aspiratron
h versehenen Buchstaben, wie kh» ph* ih^ als besondere Zeichen
nicht vielleicht entbehrlich wären, da im Baskischen die Aussprache
des h auch bei ihnen eine ganz selbständige bleibt <*) und daher
z. B. apheza (der Priester) nicht afeza, sondern ap-heza lautet.
Wenn dies eine absolute Wahrheit ist, wie Darrigol sie hinstellt <»),
so könnte man in der That alle diese mit h componirten, oder wie
jener sich ausdruckt, mit h vermählten Buchstaben als selbständig
aufzofflhrende Lautzeichen entbehren, da die blosse Zusammen-
stellung in der Schrift schon dasselbe Besultat liefert.
2. Vervollständigung des latino-baskischen Alphabets»
Das sehr naturliche Streben nach Vereinfachung und Abkür-
zung des Alphabetes hat aber auch seine Bedenklichkeiten , denn es
bringt die Gefahr milt sich, dass im Laufe der Zeit die Lauteigen-
thumlichkeiten der baskischen Sprache unterdrQckt und beseitigt
werden durften. Eben darin würde nun der zweite Theil der vorhin
bezeichneten Aufgabe des Sprachforschers bestehen, den echt natio-
nalen Lauten auch in dem Alphabete zu einer Repräsentanz zu verhel-
fen. Es treten aber auch hier Schwierigkeiten eigener Art entgegen,
denn eigentlich musste diese Arbeit für jeden Dialekt besonders ge-
macht werden, da ein für sie alle passendes Alphabet sich nicht her-
stellen lässt ; es würde für den einen Dialekt icu viel, für den andern
zu wenig bieten. Es bleibt daher nichts anders übrig , als die vor-
handenen Laute, so weit möglich zusammenzustellen und bei jedem
tl) 8. oben 8. 19.
<*) So sagt auch Schleieher, Conpendium der rcrglefchenden GraminaUk. 2. Aufl.
S. 11. §• !• Adr). 2.a. G. »Die Aspiranten sind Doppellaute; beide Laute, aus denen
sie bestehen, der Torausgehende momentane Consunant nnd der nachfolgende
Hnuch miisspn bei der Aussprache gehört werden".
1*} Dar rigol, a. a. 0. p. 9.
24 Phillip«
ZU bemerken, was daran gemeinsam ist und was einem einzelneo
Dialekte angehört; zunächst hat man also seine Aufmerksamkeit dahiu
zu wenden, dass man jedem Laute seine Stellung in dem Alphabete
anweist. Man kann sich daher nur wundern, dass Chaho, welcher
ein baskisches Alphabet von 26 Buchstaben aufstellte, sich dieser
Aufgabe zwar nicht entzog, aber doch solche Laute, yon denen er
bemerkt, sie würden, wenn man ein eigentlich nationales Alphabet
besässe, durch besondere Zeichen ausgedruckt werden müssen^*), nur
ausnahmsweise behandelt i?) und nicht in das Alphabet selbst aufge-
nommen hat Derartige Laute sind in nicht geringer Zahl Torhandeo,
wie denn auch Duvoisin sagt: * »Das lateinische Alphabet ist für uns
in hohem Grade ungenügend ; um allein das Baskische im Labourd
nach einer wissenschaftlichen Theorie zu schreiben, bedurfte man
nicht weniger als fünfzig Buchstaben und dann müssten diese Docb
mit Zeichen versehen werden, durch welche VerschiedenheiteD
kenntlich gemacht würden*"*. Es wäre also wissenschaftlich voll-
kommen gerechtfertigt, wenn man für solche Laute neue Buchstaben
erfände. In derThat, schon allein vom theoretischen Standpunkte aus
betrachtet, mflsste ein solcher Versuch gemacht werden; er würde
freilich ins Leben nicht übergehen, denn es mochte fast unmoglieh
sein, für solche neu erfundene Zeichen conventionell eine Anerken-
nung zu finden.
Bereits Oihenart hatte einige Versuche der Art gemacht Indem
er darauf hinwies, dass dem lateinischen Alphabete mehrere Buch-
staben fehlten, die im Baskischen gebräuchlich seien, fuhrt er zu-
nächst die nachstehenden, von ihm zur Unterscheidung mit einem
Punkte versehenen an^s), nämlich: d\ l\ n' und i\ Damit soll ange-
deutet werden, dass ihre Aussprache von der lateinischen abweiche,
und zwar hat diese Differenz noch diirin ihre besondere Bedeutung,
dass dadurch eine Deminutivirung im Begriffe ausgedrückt werden
soll. Er gibt in dieser Beziehung an, dass sein /' mit dem italieni-
schen gl in doglia oder dem französischen iU in faülir, beziehungs-
weise dem spanischen // in haUar übereinstimme, eben so das n
mit dem italienischen uud franzosischen gn in bisogno und gagner
1*) Chuho, a. a. 0. p. 3.
1?) Chiiho, a. a. O. p. 7.
1^) OThena rt, a. a. O. p. 3.
Oher daa baskiache A!phsbet« 2S
und dem spanischen n in taner. Darnach ist OYhenart offenbai' der
Meinung» dass die Laute» welche gegenwartig durch // und h aus-
gedrückt werden, schon ihrem Ursprünge nach baskisch und nicht
erst aus fremden Sprachen recipirt worden seien; es wäre dies aller-
dings nicht unmöglich. Besondere Aufmerksamkeit wendet der ge-
dachte Schriftsteller dem d' und dem t' zu. Es sind dies nach ihm die
beiden Dentalen d und i, deren Eigenthumlichkeit in der Deminutiv-
form darin bestehe, dass sie einen weichen und gebrochenen Klang
hätten ; in Betreff des d' bemerkt er insbesondere » dass dieser Laut
dadurch gebildet werde, dass man die Zunge gegen die Zähne stosse,
ohne sie auch nur im Geringsten zu erheben ; als Beispiel dafür gibt
er amand% welches einen kleinen „Zaunkönig'', und t'ipi* welches
überhaupt „klein^ bedeutet. Wie bei den genapnten Buchstaben
hebt Oihenart auch eine Deminutivform des S hervor und befolgt in
der Schreibart die Verschiedenheit, dass f für die Primitivform, s
für die Deminutive angewendet wird. Wir erlauben uns hinsichtlich
dieser Deminutivirung Duvoisin sprechen zu lassen: * «Dies Ver-
fahren erstreckt sich auch auf g und auf z, welche zu ch werden. In
der Conversation, besonders mit Kindern i*), werden diese Ver-
änderungen sehr häufig angewendet, sie kommen jedoch in den
Buchern nicht vor. Wie aber das Baskische aus dem s und z eine
Deminutive in ch bilden kann, so aber auch aus dem ch eine Aug-
mentative in s und z. Daher wird aus chichia (Nadelstich) : sisto,
welches mehr besagt; eben so wird aus churia (weiss): «urta, aus
chakhurra (Hund): zakhurra; es hängt die Anwendung der
Deminutive und der Augmentative von einer Regel des Geschmackes
und der Situation ab, weshalb ich den Hund des Tobias *<>) chak-
hurra und die Hunde , welche die nichtswürdige Jezabel auffras-
sen*^} zaUiurrak genannt habe'' *. Wir fügen dem noch einige andere
Beispiele hinzu: chabal hat die Bedeutung von „flsich'* für einen
Gegenstand von nicht grosser Ausdehnung, zabal, wenn derselbe
grosseren Umfang hat; chahar heisst »alt'*, wenn die Sache klein,
zahar, wenn sie gross ist; denselben Gegensatz bilden chikhin
I*) Ansfäbrlich und «nmutbig httndelt bierTon Cbiibo r. a. O. In guerre des alphabets
p. 15. col. 1.
20) Tob. VI. i,Xl. 9.
2<) Reff. XXI. 23.
26 j> h i 1 1 i p 8
(schmutzig) und »ikhin^ chirchil (nachlässig, unordentlich) und
zirziU gaicho (bemitleidenswerth) und gaizo* gichon (ein kleiner
Mensch) und gizon, gocho (von gutem Geschmack) und gozo^ goichko
(ein wenig zu früh) und goiz (früh), guiichko (sehr wenig) und
gtitiz (wenig), kichkü ein Ausdruck der Verachtung gegen eine
kleine und kizkil gegen eine grosse Person, muleho eine kleine und
mulzo eine grosse Gruppe.
Zu den Buchstaben, welche dem lateinischen Alphabete* fehlen,
rechnet dann Oihenart weiter die Aspiraten, die er lieber geradem
durch den beigefügten griechischen Spiritus asper, als durch h be-
zeichnet wissen will**). Er zählt dahin c\ l\ n\ p\ r* und t\ wo-
für er aK4 Beispiele ic'ara (zitternd), eCe (Gespräch), un'e (müde),
ep'e (Aufschub), ero (dumm) und aVe (Thüre) anführt G^en die
Sehreibweise icAara erklärt sich OThenart deshalb, weil die Beifügung
des h zum c, diesem Buchstaben eine andere Bedeutung Terieihe;
dies wird freilich rermieden, wenn man das c ganz aus dem Alpha-
bete yerbannt.
Da der Laut» welchen das deutsche seh ausdrückt, dem lateini-
nischen Alphabete, aber nicht der baskischen Sprache fremd ist, so
bedarf auch er eines besonderen Zeichens. Oihenart bringt dafür das
ihm sonst unbrauchbar erscheinende x in Vorschlag») und will diesen
Buchstaben dann mit einem Punkt rersehen und x* schreiben, wenn
der Laut noch mit einem voraufgehenden t ausgesprochen werden
soll. OVhenart ist hier von dem ganz richtigen Gefühle durchdrungen,
wie ungeeignet hier das französische ch, so wie auch fSr den zweiten
Fall das spanische ch sei; ein Gegenstand, der noch weiter unten zu
berücksichtigen sein wird.
Aus allen diesen bisher gemachten Bemerkungen geht zur
Genüge hervor, welche grossen Schwierigkeiten der sicheren Fest-
stellung eines baskischen Alphabetes im Wege stehen. Und dennoch
ist es die Aufgabe der Wissenschaft, hier abzuhelfen. Dies scheint
wenigstens minder schwierig für die Dialekte des französischen Bas-
kenlandes zu*sein, als für die des spanischen. In Frankreich gibt es
gründlich gebildete Kenner der baskischen Sprache, die dem Volke
nicht erst die Laute abzulauschen brauchen, um sie dann in ein
*') OiheDnr t, «. n. O. p. 5.
*') Oiheiiart, n* a. 0. p. S.
über dns bflakitch« Alphabet. 27
wissenschaftliches System zu bringen» während es in Spanien doch
an eigentlicher Sprachkunde fehlt. Man muss es daher dem Hollander
vanEyss Dank wissen, dass er sein eifrigstes Bestreben auf die
Constatirung der Laute selbst, vornehmlich im Guipuzcoanischen. ge-
richtet hat; ob es ihm gelungen ist, das Ziel in dieser Hinsicht voll-
ständig zu erreichen, vermögen wir nicht zu beurtheilen. So lange wir
nicht selbst unser Ohr in Beziehung auf die baskischen Laute ge-
hörig geübt und gebildet haben, wäre es unsererseits sehr vermessen,
wenn wir den einheimischen Sprachforschern in der Organisation
ihrer Lautlehre vorgreifen wollten. Wir können daher nicht dringend
genug an die Sprachforscher des cispyrenäischen Baskenlandes die
Aufforderung aussprechen» doch recht bald die Wissenschaft mit
einer umfassenden baskischen Lautlehre zu bereichern. Solche,
wenn auch kurze Verzeichnisse» wie z. B. Tnchauspe in seinem Werke
aber das baskische Zeitwort deren eines gibt, sind zwar dankbar
anzunehmen, aber sie genügen nicht. Was aber insbesondere die
Bezeichnung der Laute anbetriflFt, wodurch eben die feineren Nuan-
cirungen derselben anzugeben wären, so ist hier freilich schwer der
richtige Weg zu finden. Neu erfundene Zeichen würden, als völlig
ungewöhnlich, gar zu sehr gegen den allgemeinen Gebrauch Ver-
stössen. Fast mochte es noch scheinen, als ob der von OThenart ein-
geschlagene Weg weitaus der geignetste sei. Er fand es gerathen,
einzelne Buchstaben des lateinischen Alphabetes, sobald sie einen
andern aber verwandten Laut ausdrücken sollten, mit einem Punkte
zu versehen. Ein solcher Punkt oberhalb oder unterhalb eines Buch-
stabens, ein Strich über, unter oder durch denselben ersetzt, wenn
man sich einmal dber die beabsichtigte Wirkung geeinigt hat, hin-
länglich die völlig neuen Zeichen und bewahrt auch vor mancherlei
Inconsequenz; von einer solchen bietet der weiter unten noch aus-
fuhrlicher zu berOcksichtigende fatale Eindringling ch ein sehr auf-
fallendes Beispiel. In neuester Zeit hat Prinz Louis Lucian Bonaparte
einen ähnlichen Weg wie Oihenart eingeschlagen <*), indem er theils
durch einen Punkt über dem Buchstaben, theils durch ein an dem-
selben angebrachtes Ringelehen die Nuancirung des Lautes ange-
deutet hat, z. B. 8 und ^, z und z^.
^} CaBticum Krium pucrorum (s. I. Note 18). AdiioUttiinciilii.
28 P h i 1 M p R
IV.
Die eilizelzien Buchstaben und ihre AuBsprache.
Das Wort Buchstabe wird im Baskischen durch bechi wieder-
gegebeui)'' der Vokal heisst becliaoa, wortlich „Hundbuebstabe'',
der Consonant otzkidea, von oisa «der Laut, das Geräusch* und
kide „von gleicher Beschaffenheit** >).
Die Vokale.
1.
Einfache Vokale.
Die baskische Sprache hat fQnf einfache Vokale :
Was die Aussprache derselben anbetrifft» so stimmt sie mit der
deutschen, so weit diese nicht in einzelnen Dialekten eine ab-
weichende wird, fast mehr fiberein, als mit der der Nachbar-
sprachen. Demnach hat das Baskische weder das franzosische
e in der Aussprache eines dumpfen ö» noch das französische
u; nur in Soule*) und in einem Theile Ton Nieder-Navarra (pajft
de Mixe *) , Amikuxe &) im Baskischen) wird ü gesprochen *)•
weshalb der Prinz Bonaparte auch die Schreibweise ü fQr diese
0 Vgl. hierüber Boodard, NainUaiatiqne Ib^rieone. p. 65.
') 8. Salaberri, Vocabulaire, h. ▼. : pareil, aeoiblable, de coodition efpale.
*) Vgl. Inchau8pe,le Verbe baaque. p. XII.
^J Dieaes Dennt L. L. Bonaparte ala die Gegend des nennten Dialektes.
^) Salaberri, Vocabulaire h. r.
') Salaberri nennt in dieser Bealebang Sonle nnd den Canton 8. Paiain. -* Man
ateUt In Betreff dea Lantea ti binfig die Kranaoaen mit den Türken aoaammeB (x. B.
Leclnse, Orammaire pag. 6. Chaho, Dtctionnaire pag. 5); ikre Vorlisfer
waren hierin die Griechen, unter deren Einflnas indessen schon CSsar wid Cicero
den kursen tf-Laut sehr nahe dem griechischen u aussprachen. Vgl. Corssea,
Über Aussprache. Vokalismas und Betonung der lateinischen Sprache, 2. Aal.
Bd. I. S. 339.
über daa batkische Alphabet. 29
Gegenden anwendet. Eine Zeit lang hat man, gerade um den Gegen-
satz zum Franzosischen hervorzuheben, diesen Vokal auch ou ge-
schrieben, doch ist dies neuerdings und mit Recht wieder
aufgegeben ''), Es darf aber nicht ausser Acht gelassen
werden, dass auch o öfters wie u ausgesprochen wird und zwar
nicht blos, wenn ein Vokal, sondern auch, wenn ein Consonant
darauf folgte); z. B. Javikoa (der Herr), gaistoen (gen. plur. von
geisioa schlecht), noii; (wann), iion(wo), nor (wer?) tauten: Jainkua
gaistnen, nutz» nun, nur.
Ausserdem ist aber noch eine Besonderheit in Betreff des i zu
bemerken» die sich im guipuzcoanischen Dialekt findet. Vi^eun näm-
lich auf dasselbe ein Vokal folgt»), so verändert sich dessen Aus-
sprache in die eines deutschen j, ähnlich wie es im französischen
Dieu oder wie das y im Magyarischen (z. B. nagy) ausgesprochen
wird. So heisst andu gross, mit dem bestimmten Artikel a: andia.
Dies lautet aber nicht an-dini, sondern andd-ja. Kommt t zwischen
zwei Vocale zu stehen, so wird statt seiner ein y geschrieben ; z. B.
zaip welches einen „ Aufseher, Hater** bedeutet, wird , wenn der be-
stimmte Artikel a hinzutritt, nicht zaia, sondern zaya geschrieben.
Auf die Entbehrlichkeit des y hatten schon Etcheberri (1630) und
Oihenart hingewiesen ^^') und in der That erscheint es im allge-
meinen eben so überflüssig, wie in der deutschen Sehreib weise
„seyen** für „seien''. Das Guipuzcoanische <i) behandelt das y auch
in der Beziehung gleich dem t, dass es, wo es (an Stelle des t) zwi-
schen zweien Vokalen steht, in ein (deutsches) j' oder wenn man will
in ein erweichtes d übergeht; z. B. turmoi „Donner^, turmoia (ge-
schrieben turmoya) »der Donner** lautet turmodja. Nur im labour-
diuischen Dialekt lautet das y im Anlaute gleich einem doppelten i;
Prinz Bonaparte will <•) daher zwei verwandte Buchstaben y und y
unterscheiden, von denen der erstere dem y im französischen payer
gleichkommen, der letztere ein härterer Gaumenlaut sein soll.
7> D«rrigol, Diaaertation. p. 15.
') I n c b a II « p « , a. a. O. p. XII.
*) S. V. Bvaa, Baaai d*uoe Orammair« de de la lan^ue baaque. p. 6.
<0j S. obea 111. S. 21.
ii> Tau Bys«, a. a. O. p. 13.
IS) Caaticam (Ui. Noi« 13) AdnotaliauiuU.
30 Pb illipa
Im Allgemeinen haben die Vokale eine, wenn man so sagen
darf, mittlere Aussprache, weder sehr lang, noch sehr kurz; dast
vor einem Vokale ist zu dehnen; z. B. argia *» argi-ia ^*).
2.
Diphthonge.
Nimmt mau den Ausdruck „Diphthonge** in dem beschrankten
Sinne, dass zwei neben einander stehende Vokale so mit einander
verschmelzen, dass sie zusammen nur Einen Laut geben, so sind
deren imBaskiscben nicht viele anzutreffen; es walten aber auch hier
Dialektsverschiedenheiten ob» wie wir sie ja auch im Deutseben
haben, z. B. in Schwaben der Diphthong ei als e-i gebort
wird. Nach den Beispielen, wie sie Inchauspe angibt«*), durfte es
doch fast als die Regel anzusehen sein, dass die beiden nebenein-
ander stehenden Vokale nicht als Diphthonge anzusehen sind. Dem-
gemäss wird ai als a-t ausgesprochen, wie in dem franzosischen
Addlatde^ au: a-u, wie im italienischen ba-tUa» eu: e-ti, wie im
italienischen £-tirofia, oe: o-e, nicht ö» etwa so wie das westphäiische
Soest nicht Söst, sondern SoUt auszusprechen ist; endlich lautet ot
gleich o-t, wie im französischen ovoide» epherolde; ein Beispiel hie-
für ist auch der oft erwähnte Name Oihenart. Es mag sein, dass
Inchauspe hier vorzugsweise den souletinischen Dialekt vor Augen
gehabt hat«»); van Eyss gibt über diesen Punkt keine Auskunft,
eben so wenig Lecluse. Je weniger Diphthonge, desto mehr hat das
Baskische Vokalgruppen aufzuweisen.
3.
?§ kalgrnppen ^*).
Über diese gibt nachstehende, wohl noch zu vervollständigende
Übersicht Auskunft :
«>) S. Chaho, a. a. O. p. 7.
«*) Inchauspe, a. a. O. p. XH.
«») In wie weit die Abweichungen hei Pruner-B«y (8. 5), der aieb \m ÜWi^oi an
das Alphabet von Inchauspe anschliesst, richtig seien, «nee dakia gcstent
bleiben.
^*) Eine solche Zusammenstellung gibt auch Bondard, Nvaitmatiqn« Ibfrinaan ^JS.
Ob«r da* baskische Alphabet. 31
a) Gruppen von zwei Vokalen.
aa: Laaban (bibl. Name)").
ae: galbaetu <s) (sieben, als Zeitwort).
ai: aita (Vater).
ao: ao/2t (Schnabel).
au: auizo (Nachbar).
ea: emea (die Frau).
ee: abereen (Vieh, gen. plur.).
ei: neitu (aufboren), sei (sechs), zein (welcher).
eoi eo (mahlen auf der MQhle), beorra (die Stute)..
eu : deu8 (etwas), neurria .(das Mass).
ia: erdian (in der Mitte), ja (die Binse), idia (der Ochs).
ie: darabilazie (Sie machen ihn gehen, vou$ le faites aller),
bethiere (immer).
ü: lAtW« «•) (Thau).
io: biotza (das Herz).
tu: biucundia (die Bekehrung).
oa: a$toa (der Esel).
oe: loegitea (schlaffen).
oi: oilhar (Hahn), osoa (gesund, heil).
oo: prootchu*^) (Vortheil, Geminn).
ou: s. oua.
ua: ab&ztua (Augustmonat).
ue: eguerdi (Mittag).
ui: ahuina (Zickel), muina (Gehirn).
*7) Boedard, a. a.O. p. 65 fuhrt egaOf Flügel, als Beispiel auf, was gniapnacoaDiscb
richtig sein mag; ▼. Humboldt, Beriehtigingea S. 21, bat die drei Formen egna,
egmla und egoa; unter diesen ist egaU oder kegalOt wenigstens diesseits der Pjrre-
■fien, die fibliche.
*^ 8. Larramendi, Diccionario trllingne. ▼. eribar. Boudard, a. a. O. p. 65
hat bähe (crible), was im Labourdinischen bahia lautet.
<*) In Ermangelung eines anderen Wortes mnss hier dies gewfihlt werden, obscbon die
beiden t durch ein h getrennt sind, was ft'eilich für den transpjreniiscb-baskischen
Dialekt keine Bedeutung hat. Verbannt man das y aus dem Alphabete, so böte
sich linkoa (Gott), jin (kommen).
**) Diese Form gibt Boudard, a. a. O. p. 65 an; die regelmissige \»t progoUehu.
32 Phillips
uo: diruostea {GMmmiua).
tm: chuHT'^) (sparsam).
bj Gruppen von drei Vokalen.
Auch diese Gruppen sind, besonders in den Zeitwörtern, sehr
haußg; wir begnügen uns mit einigen Beispielen, bei denen wir uns
für die Conjugationsformen der grosseren Deutlichkeit wegen der
französischen Übersetzung bedienen.
aea: galbaea (das Sieb).
aia : ibaia (der Fluss), batsaia (die Jungfrau).
aie: zeikadaien (ils me Favaieni eu)^
aio: bizaio (ayez lui),
aoa : aoa (der Mund), azcMa (die Garbe).
aua: gaua (die Nacht).
aue: diraueno (während), gauerdi (Mitternacht).
eia: zizeia (il le leur avaitj» beia (die Kuh).
eie: Tuenden (vous le leur aviezj.
eio: leiorra (Obdach, Schutz).
ioa: amodioa (die Liebe).
ioe: zioen (ü le lui avaitj,
ioi: indioiloa (Indian, Puterhahn).
oea : oea (das Bett).
oia: doidoia (sogleich), goia (hoch), lezoia (die Grube).
oua: dizoua (que tu le lui aiesj,
uea : guea (der Rauch).
Uta : suia (der Eidam), echnia (das Niesen).
c) Gruppen von vier und fünf Vokalen.
ieia: zieia {il le leur avaü).
iüia: zioia (il le lui avaitj.
itiai: iuaitea (entwischen).
eioue: zeikeiouen (ils le lui auraienl euj.
'<) Auch hier (t^I. Note 19) g^ewöbiilich mit dem treimendeo h: ekukur s. B. 2. C«r.
IX. G.
über das batkitche Alphabet. 33
HalbYokale.
Als Halbvokale pflegen verzeichnet zu werden
Jund K
Wir erlauben uns, diese Erörterung mit einigen Worten
Schlei ehe r*s zu beginnen. Derselbe sagt <) in Betreff der indo-
germanischen Sprachen: ^Der häufigste Vokal, a, bildet eine Classe
für sich; i und u sind sich in ihrem Wesen sehr ähnlich und stehen
dem a als grundverschieden gegenüber. Beide haben die ihnen nahe
stehenden Consonanten j, v zur Seite, während das a in keinen
consonantischen Laut übergehen kann und demnach die vokalische
Natur in höherem Grade an sich Irägt, als i und u, weTche den Con-
sonanten näher stehen. ** Diese Bemerkung findet in gewissem Masse
auch auf das Baskische ihre Anwendung; a ist der bei weitem
häufigste Vokal, während die selteneren i und u ebenfalls eine ge-
wisse Neigung zum Consonantismus zeigen. Diese Neigung ist jedoch
eigentlich in Betreff des i nur im labourdinischeu Dialekt vorherr-
schend, aber selbst in Büchern, die in Bayonne gedruckt sind,
namentlich in der zweiten Aufgabe des Axnlar^^^ hat man es für
zweckmässig gefunden, das j gänzlich zu beseitigen und den
eigentlichen Vokal i wieder eintreten zu lassen*). Auch Chaho
würde, sobald es sich um die Aufstellung eines mustergiltigen
Alphabetes für die gesammte baskische Sprache handelte, das j
gern vermieden wissen^). Prinz Bonaparte aber, welcher der von dem t
abweichenden Aussprache des j gerecht werden will, hat zu diesem
Zwecke folgende drei Zeichen gewählt >):j ohne Punkt für die fran-
zosische und j mit dem Punkte für die spanische und / mit dem
Punkte und mit einer kleiner Ringelung für die mehr nationale Aus*
*) In aeiDein^ Compendium der vergleicbeoden Grammatik der iodoj^ermaiiischen
Spmcben. 2. Aufl. S. 12.
«) S. obei I. S. 11.
^) Nur !■ fremden Namen hat man e« beibehalten ; z. B. Jacob, Joaeph ; dag^e^en /o/n-
eomc und londone.
^) Chaho, Dietionnaire p. 7.
*) Canticiim (I. Note IS) Adiiot.
9itxb. d. phil.-hiat. Ol. LXVl. Bd. 1, H ft. 3
34 phiii'ipi
Sprache; allein sowohl die spanische, als auch die franzosische Aus-
sprache sind dem Genius der baskischen Sprache fremd und die
labourdinische neigt sich am meisten zu einem erweichten dhin*).
Was sodann das
^
anhetrifft» so ist dies ein dem Baskischen fremder Buchstabe und
kann daher in jeder Hinsicht entbehrt werden. Als Consonant nimmt
das weich auszusprechende b selbst da die Stelle des v ein, wo aus
etymologischen Gründen bei fremden Namen und Wörtern in der
Schreibweise das v beibehalten worden ist 7); als Vokal ist v nur
eine arfdere Form für u. Im transpyrenäiscÜen Baskenlande hat sieh
das V, wohl unter dem Einflüsse des Spanischen» als ein ffalbyokal
erhalten. In denjenigen Fällen nämlich, v^o das u zwischen zwei
anderen Voka]^n zu stehen kommt, tritt v an seine Stelle; z. B in
dem Grusse gau on »tgute Nacht" schreibt man gav on^)\ hier
verwandelt sich u Termuthlich auf Grund des Hiatus, obschon das
Baskische nicht sehr empfintllich gegen diesen ist, in einen halb-
^okaUschen Laut, der in der Aussprache wohl auch dem weicheu 6
nahekommt.
f.
Der Spiritus asper H.
Der Buchstabe h hat im Baskischen durchaus die Bedeutung
des Spiritus asper. Er findet sieh vorzüglich nur in den frawLosiscb*
baskisehen Dialekten; in den spanischen fehlt er zwar nicht guiz,
wird aber doch meistens nicht ausgesprochen <) ; dieser Umstaud
verleibt hier der Sprache, besonders im Mnnde der Fraueo» eine
besondere Sanftheit *). Diesseits der Pyrenäen kommt dieser Spiritus
asper nicht blos im Aulaute, sondern auch im Inlaute vor; es wird
daher nicht blos hatsa gleich araa gesprochen, sondern auch pkazfv
(Ostern) lautet ;r-äCxo, sinhestea (Glaube) (7ev-£<7r£a. Das h aucii
«) V|^1. oben 8. t9.
7) Chafao, a. t. O. p. 4. 8.
•) van Eysa, Eaaai p. 11. — Chaho. a. a. O. p. 11. 12.
<) van Eyss, Raaai p. 5.
*) Chaho, R. a. 0. p. 11.
Ober dM bnakiacbe Alpbtibet. 3S
noch anderweitig zu Terwenden^, namentlich um dem g die Aus
spräche Tor dem c und t zu sichern *) oder durch Verbindung mit
c ein Zeichen für einen Zischlaut zu machen^ muss man demnach
doch als sehr inconsequent hezeichnen, letzteres um so mehr» wenn
man das c aus dem haskischen Alphabete verbannt^). — Ober den
Ursprung des baskischen A, insbesondere ob dieser Buchstabe aus
einem Guttural heryorgegangen sei, lässt sich schwer Etwas ermit-
teln. Für einen solchen gutturalen Ursprung Hessen sich etwa die
Composita mit dem Worte htane (Kind» Junges) anfuhren» indem
sich hier das A in ifc verwandelt»); z. B. ari (Schaf), arkume
(Lamm), zar (alt, gebrechlich), zarkume (ein schwächliches Kind);
van Eyss bringt damit emakume (Frau) in Verbindung und leitet es
von eman (geben) und hume (Kind) ab^ so dass es „die Kinder
Gebende** bedeuten würde.
ü.
Die Consonauten.
1.
Me eliielne« C««M«a«le«.
Die iuUuraleo.
Die Buchstaben, welche je nach verschiedenen Gebrauche in
diese Classe gestellt werden oder den Anschein haben, hieher ge-
zahlt werden zu sollen, sind :
C, Ch, G, (Gh, GuJ, K, Kh, Q und X
Es ist hier jedoch ein Pnrificationsprocess vorzunehmen, der
insbesondere gleich die beiden ersten der genannten Laatzeichen
betrifft
') S. obeD 8. 1%.
^> S, unten 8. 36.
*} S. Tan E jft, a. a. 0. p. 7.
3ä Phillip«
c.
Schon oben wurde darauf aufmerksam gemacht*), dass dieser
Buchstabe» wenigstens nach der gegenwartigen Beschaffenheit der
baskischen Sprache, gänzlich überflössig sei, indem dieselbe zwei
andere Lautzeichen besitze, welche seine Stelle vertreten: vor a, o
und u: k, vor e und t; z. Offenbar ist die Aussprache des c gleich
z , Tor e und t im Baskischen nicht ursprunglich , sondern
hängt vielmehr mit den Schicksalen der lateinischen Sprache
zusammen. Bekanntlich kam die ältere Aussprache des c, als der
Media, der Tenuis k im Lateinischen sehr nahe, und hat jene die^e
fast ganz verdrängt*). Die Vorfahren der Basken haben aber ge-
wiss eben so wenig, wie die Germanen, von den Romern Zaesar,
carzer, zella, zerasus und glozio aussprechen gehört, sondern
kaesatf karker^ kellot kerams und glokio. Wie die Germanen
daraus Kaiser, Kerker, Keller und Kirsche gemacht haben und wie
bei allen Völkern die Hühner nicht gloz, gloz geschrieen haben,
sondern in dem dies Geschrei bezeichnenden Worte der Naturlaut
durch gluk^ gluk wiedergegeben wird, so werden auch wohl die Vas-
konen an jener Entartung der lateinischen Sprache keine Schuld
tragen. Erst seit dem siebenten Jahrhunderte nach Christus ist diese
bei den romanischen Völkern eingetreten >) und hat demgemäss von
daher auch ihren verderblichen fiinfluss auf das Baskische geübt;
darum ist auch hier aus dem lateinischen coelum (spr. koetum)i
zeru geworden. Es ist dies jedoch nicht allgemein durchgeführt,
denn pox, pacis ist pake oder bakheat VincetUius: Vtkenti ^e-
blieben*).
CA
ist in der heutigen baskischen Sprache gar kein Guttural, sondern
ein Sibilant; dieses, freilich eingebürgerte, Zeichen müsste eigent-
lich völlig vertilgt werden, wenn überhaupt eine Consequenz in das
*) S. oben S. 22.
*) ^?1* Coriien. Über Aussprache, Vokaliamu« und Betonung der lateiataclieB
Sprache. I. Bd. 2. Aufl. S. 43 u. ff.
«) Vgl. Corsaen, a. a. 0. S. 277.
*) Vgl. OThenart, Hroverbe« baaques. Pref. p. ß.
über das baskiscbe AlphiihH. 37
baskische Alphabet kommen soll. Es wird von demselben weiter
unten bei den Sibilanten die Rede sein s).
G.
Schon im Lateinischen hatte das neu entstandene g allmählig
die Stelle der Media übernommen •). Es möchte wohl kaum einem
Zweifel zu unterziehen sein , dass g ohne Rucksicht auf den nach-
folgenden Vokal stets die gleiche Aussprache mit dem deutschen g^
so weit dies nicht in einzelnen Dialekten zu einem j oder ch (z. B.
Jott in Berlin, Chott '\i\ Gottingen) gemacht wird, gehabt habe. Es
ist daher, wie schon oben bemerkt wurde, nichts weiter, als eine
sehr zu misshilligende Convenienz gegen die spanische und franzö-
sische Aussprache des g gewesen, dass man demselben Tor e und t
ein h oder u beigefügt hat?). Darrigol, Duvoisin und Inchauspe
haben diese beiden letzteren Buchstaben gänzlich eliminirt. Hiermit
sind jedoch diejenigen Fälle nicht zu verwechseln, wo das u nach
dem g keinen solchen fremdartigen Ursprung hat, sondern' echt bas-
kisch ist; alsdann ist es durchaus selbstständig auszusprechen. So
lautet z. B. eguerdi (Mittag) nicht egerdU sondern egu-erdi; das
Wort kommt her von egun (Tag) und ei'di (halb). Es ist dies
jedoch eine Ausnahme; im allgemeinen mag man in den Worten, in
welchen auf ein g ein u folgt, sie seien fremden Ursprunges oder
nicht, das u getrost ausstreichen. So in dem seinem Ursprünge nach
romanischen alequitzea = alleguer und in dem baskischen aguerzea
(erscheinen), aguinza (Versprechen), argui (Licht), harguin
(Maurer), iguel (Frosch), ieguia (Aufenthaltsort). Hierauf hat
schon Darrigol aufmerksam gemacht und Duvoisin hat dies prak-
tisch durchgeführt
K und Q.
Wenn vielleicht in älterer Zeit ein Unterschied in der Aus-
sprache des k und des q stattgefunden haben mag, so ist dieser in
der jetzigen Sprache gänzlich verwischt. Eine wirkliche Verschieden-
heit hat sich bisher auch nicht entdecken lassen und so möchte das
*) S. obeo 8. ZI,
') 8. Comten, a. a. 0. 8 77.
') Daa A hatte vornehmlich Ohaho» a. a. 0. p. 11 eingeführt, war damit aber nicht
dorcbgedrangen.
38 p h i IM p ■ /
• ♦
q, so vielfach es auch gebraucht wird » überflussig geworden sein «).
Die Aussprache des k ist ganz mit der deutsehen übereinstimmeiid.
Van Eyss, der sich entschieden für die Aufnahme des k in das bas*
kische Alphabet mit -Beseitigung des c und g ausgesprochen hat,
trägt nur ein Bedenken dagegen'). Das Baskische nämlich kennt
ausser dem rr keine Consonantenverdoppelung; diese würde aber
auch bei dem k entstehen, wenn die Postposition kin mit einem
Worte Tcrbunden wird, welches auf -it endet; indessen dies Bedenken
dürfte doch irrelevant sein und es mochte keine Schwierigkeit haben,
das erstere k zu eliminiren.
£h.
Von der Aussprache des kh, welches sowohl von Lecluse, als
auch von Darrigol, Duvoisin und Inchauspe als auch von andern
Neuern (jedoch nicht von Chaho} für die französisch-baskischen
Dialekte anerkannt wird, gilt dasselbe, was bereits oben in Betreff
der Aspiration überhaupt bemerkt worden ist <o). Darrigol macht mit
Recht darauf aufmerksam, dass die Aspiration eines Buchstabens
nicht den Zweck habe, aus ihm einen andern zu machen, sondern
der aspirirte Buchstabe soll trotz der Aspiration in seiner ursprüng-
lichen Natur erkannt werden <<); daher sei das aspirirte k nicht aus-
zusprechen, wie das deutsche cA, sondern als ein i, an welches sich
ein Hauch anschliesst, wie denn auch Oihenart für diesen Zweck ge-
radezu den griechischen Spiritus asper zur Anwendung gebracht hat «>).
Indem wir dieser Ansicht, die auch Duvoisin vertritt, beistimmen,
glauben wir bemerken zu dürfen, dass man vielleicht in so fern in
dem baskischen Alphabet ein Ersparniss machen könnte, als man
diese componirten Buchstaben, wie kh, in ihre beiden Bestandtheile
aufloste. Soll aber jeder von beiden ausgesprochen werden, so be*
darf es in der alphabetiscbea Aufzählung gar nicht eines besoaderen
Buchstabens kh, beziehungsweise /%, ph und th und wie Otheiiart
9) Chaho, a. a. 0. p. 11.
°) van fiysf, a. a. 0. p. 3.
10) S. ohen S. 23.
11) 8. Schleicher, Compeiidium der vergleichenden Grammatik. S. lt. («. o1»ea
111. Note 14.
12) Oihenart, m. m. U. p. ä.
r
über di8 baskisehi* Al|»habet. 39
will Ih und itA. Sobald einmal t'e&tsteht» dass h auch im Inlaut die
Aspiration ausdrückt, so braucht man eben auch in der Schreibweise
nur den mit h bezeichneten Hauch auf k folgen lassen« wenn man es
nicht i?oraiebt, tfur solche aspirirle Buchstaben nach Analogie des
griechischen ^, f und y^ heBOwdene Zeichen zu wählen. Chaho
wünscht dies in Betreff des ih i<), warom nicht auch fftr ih und p/i?
X.
Das or als As T^ dem 'Baskisdien ganz und gar fremd ; 'bei Ter-
sehiedenen Namen des classisrchen Altherfhums wie Kenaphan, Xeno^
cratesj Xir/üfi/Tp« möchte Chaho «s^beibehalteii wissen*^). Dies mag
man thun, wie man ja auch allenfalls Washington «nd Wellington
im Baskischeu mit TF schreiben dDrfte, obgleich dies kein baskischer
Bac'hsta^be t^tt beMH man alier Qbcnrhaupt dastund zwar als is oder
statt des th bei , so wäre jene Schreibart durchaus zu misAilligen.
07henart nfamlrdh will das x zur 13ezeidnnmg d*es ZIscMaoftes ge-
brauchen» *wiäleher sonst durch dh wiedergegeben wird und ihm, mit
einem Punkte Tersdien , stlso x^ die 'Bedeutung des Zischlautes ich
beilegen 1»); sfllerdings wäre jener Laut eines besonderen Zeichens
hedtirftig und es i^ zu bedanern» dass '07henai1-s Beispiel keine
Nachahmung gefunden hat, wie wir überhaupt nicht getmg hervor-
heben können, dass gerade er Tor allen andern Gelehrten bis auf die
Neuzeit die ricfhtigsten Anschauungen Aber das basische Alphabet
gehabt hat. Regelmässig wird x im BaAisdien ts ausgesprochen «•).
Fasst man nun in Kurze die hier Ober die einzelnen Guttural-
zeichen gemacbten Bemerkungen zusammen, so ergibt sich, dass
jene sich auf eine viel geringere Zahl zurückführen lassen. Es
scheiden aus: c, ch {gh, gu), q und x und es bleiben übrig: g, k
undkh; selbst letzteres könnte, wenn die oben gezogene Consequenz
nicht irrthümlich ist, als besonderes Zeichen entbehrt oder sollte
durcTi ein besonderes Zeichen ersetzt werden.
iS) C k aho, a. 1. O. p. 3. 13.
IS) C k aho, a. ■. O. p. 3. 13.
'*) C habo a. a. O. p. 4 und ebd. L« jcuerre des AlpliMbeia. p. 3.
1^) Ol haiiart, a. a. 0. p. 5.
"} Darrig'ol, Dissertation, p. 15. — Inehuuspf . m. a. O. p. XII.
4U Phillip«
b.
Die Labialeo«
Als in diese Kategorie gehörig erseheinen die Buchstaben:
P, PK A F, Fh,
Über die Aussprache des
P
ist nichts Besonderes zu bemerken; auch Ober
Ph
ist bereits oben das Erforderliche mitgetheilt worden 1 7), nur ist nock
hinzuzufügen, dass Oihenart allein» aber hierin wohl irrthumlich
im Gegensatze zu allen übrigen Schriftstellern, dem ph die Aus-
sprache des f geben will »).
B
hat die Aussprache eines sanften o, und es dürfte kein entscheideoder
Grund vorhanden sein, durch v das b zu ersetzen ; es ist aber daher
auch inconsequenty wenn man in einzelnen aus dem Latein recipirten
Wörtern das v beibehalten und z. B. virgina statt birgina schreiben
will 1*), Wollte man sich in der Schreibweise durchaus an die oben
angegebene Aussprache des b accomodiren, so hätte man nach dem
Beispiele Humboldts» dem auch Pott folgt, „Vasken' und .»vaskisch**
zu schreiben.
F
ist eigentlich kein baskischer Buchstabe, sondern wird meistens und
eigentlich nur in Fremdwörtern gebraucht, wesshalb Pruner-Bey ihn
ganz beseitigen will *^) ; man thate wenigstens wohl daran, das f aus
den Wörtern baskischen Ursprunges, wenn noch möglich» zu Ter-
bannen. Vermuthlich ist f hier an die Stelle eines, vielleicht aspirirten,
p getreten. Aber selbst bei den Fremdwörtern wird f öfters fort-
geworfen; man schreibt daher z. B. irina (ürfarina» lama für flamma,
loria für /2o«. Bisweilen tritt /'auch an die Stelle des lateinischen v,
so ist z. B. ferde das lateinische viridua, öfters wechselt /*auch mit
b ab; z. B lautet das baskische Wort für .»lachen'*: farra und
<') S. oben S. 23.
1^) üihenairt, a. a. 0. p. 9.
1*) S. Chaho, a. a. 0. p. S.
20) S. obeo S. 22.
über diis baskinche Alphabet. .4 1
barra^^^t aber auch pharra »*). Bisweilen» wenn auch selten, wird
f aspirirt und dann
Fh
geschrieben. So erscheint bei Duvoisin in seiner Bibelübersetzung
als das baskische Wort für rapHm, mit sich fortreissend (von einem
Strom): fharraata**), welches auch yon dem Auskehren mit dem
Besen, in der heiligen Schrift bildlich Yon der Zerstörung Babylons,
gebraucht wird a^). In einzelnen Dialekten wird an Stelle des f
gleich die Aspiration A, bisweilen auch p gesetzt, wofür Chaho als
Beispiele angibt: auher^ alper ^ a^er (trage) und auharh aiharU
afdri (Nachtessen) angibt *&). Unter den Labialen würden also 6, f
und p in das Alphabet aufzunehmen sein.
c.
Die Denttleo.
in diese Classe sind folgende Buchstaben zu stellen:
D. Ä. r. T, und Th.
In Betreff der Aussprache des d ist nur die Verschiedenheit des
d' Ton dem gewöhnlichen d hervorzuheben. Hiervon, als von einer
Deminutivform, war schon oben die Bede««) und es ist nur noch zu
bemerken, dass dieses d' in der Aussprache fast ganz dem j gleich-
kommt. SoiAtdeuB: »»Etwas'', deminutivisch «{'mi«, in der Aussprache
ungefähr jeus*''). Eben so hat das Baskische ein erweichtes ^
welches man consequenter Weise nach dem Vorgange Oihenarts <>)
lieber i' als tt schreiben sollte. Das
Th
bat man sich nicht gleich dem englischen th zu denken »*), vielmehr
sind auch hier i und h zu trennen; man sagt daher z. B. ai-^hea ^die
Thur-.
*0 8. Till ^J»^, I. i. O. p. 7.
23} S. Fabre, DietioDn. finnpait-btsque. y. rire.
a«> Job. vi. 15.
s«) 1s. XIV. 23. — Salaberri, Vocabulaire, acbreibl das Wort farratte.
**} Chaho, a. a. 0. p. 11.
*•) S. oben S. 2A.
^"0 Chaho, a. a. 0. p. U.
99y Oihenart, a. a. 0. p. 4.
**} O a r r i g o I , a. a. 0. p. 9.
42 Phillips
Weeo man in diese« iK «k einefli Compositum, / und k von
einander trennt, so stellen sieb zu dem baskischen Alpkdbet die vier
Dentalen : d^ d, t und i.
d.
Die LI^uMm:
L. L\ LI M, K N. A Är,
denen nach Oihenartso} noch
IX Nk. und Rk oder vietechr L\ N". und R
beizufügen wären. In Betreff dieser Aspiratioa ist iMreits oben das
Erforderliche bemerkt worden, 12 uid ai konunen hin und wieder
auch als Deminutivtbrmen vor; in der Aussprache tritt aber aueh eio
dem deutschen j ahnlich tönender Laut hinzu, wie in den französi-
schen Worten bouiUon (wenn es nicht zu sehr und falschlich«)
nach dem j hin gesprochen wird) und miguard. Es wäre am zweck-
mässigsten, weni) man auch hier V und n* statt // und n schriebe, die
zu sehr an die Nachharsprachen erinnern. Während in Betreff des m
keine Besonderheit hervorzuheben ist, hat hinsichtlich des
R
die baskisehe Sprache die Eigeoibfimliehkeit, dass sie kein Wort iwl
diesem Buohatabea anfangea läsatM). Es haben sieh daher alte
Fremdwoirter, die ek r ini Anlaute habea, bei ihrer BeeeptiMi 9mr
jiahmslos enar UmwandJimg unterwerfen müssea und wenn Larra-
mendi in seinem Dictionnaire das Wort Babima aafihrt, so ist dies
sichei'lich ein blosses Versehen. Das Verfahren, welches mit jenen
Fremdwörtern eingescUagen worden ist, war ein versohiedenes;
bald lausehte man eiD&efa*den auf das r folgeaden Vokal mit diesen
um und machte z. B. aus dem lateinischen rector: ertora^^), bald
veränderte man den Vokal, wenn er nicht schon a war, in diesen,
z. B. reinette wurde amet (aber auch emet), renegaius: amegat.
Am häufigsten aber verdoppelte man das anlautende r und schlug
*0) Oihenart, «. «. O. p. 5.
*') Littrc, Dictionntire. Pref.
'2) Chaho» a. a. 0. p. 12. — va n Eyss, a. a. 0. p. S.
<*) Vgl. Chaho, a. a. 0. p. 13.
über das basische Alphpbet. 43
diesem dann noch einen Vokal und zwar a oder e vor. Dass sich ein
Unterschied dahin hestimmen lasse , dass diesseits der Pyrenäen das
a, jenseits das e als Vorschlag üblich sei, darf nicht angenommen
werden, vielmehr wird der Vorschlag regelmässig durch den auf das
r folgenden Vokal bestimmt; ist dies ein e oder t» so ist auch der
vorsoschlagende Vokal ein e; z. B. errege (rex), erremedio (reme-
dium), erriza (Reiss), auch erret&ra^ sonst meistens ein a; daher
arraxa (fr. race), arroda (rota), arrosa (rosa); doch finden sich
auch Ausnahmen von Beidem vor; z. B. errahia (rabies) VLXkAErroma
(Roma). Zweifelhaft möchte es sein, ob auch t als vorschlagender
Vokal in dergieicben Fällen verwendet werde; allerdings scheint
irria das lat. ridere zu sein, m&chte aber doch wohl eher dem lat
irridere entsprecheji ; dagegen darf man in hirrieetia (Gefahr) doch
wohl das französische risque, das ital. risico erkennen.
Es ist schwer zu bestimmen, woher sich diese ganze Erschei-
nung schreibt. Sie geht durchaus nicht Hand in Hand mit jener
andern, dass im Baskischen auch kein Wort mit einem s impurum im
Anlaute geduldet wird, sondern auch ein solches einen vokalischen
Vorschlag, der bald ein e bald ein t ist, fordert Diese Eigenschaft
hat das Baskische mit mehreren anderen Sprachen, namentlich mit
dem Spanischen und Französischen gemein. Dagegen den oben
beschriebenen Gebrauch in Betreff des r, theilt das Baskische nur
mit den Idiomen seiner unmittelbaren französischen Nachbarn,
namentlich mit den Bewohnern der Gascogne **). Haben nun diese die
erwähnte EigenthQmlichkeit von den Basken angenommen, oder
haben sie sie ihnen mitgetheilt? Da aber auch die spanischen Basken
das Princip des vokalischen Vorschlages vor dem r durchaus fest-
halten, so ist wohl eher anzunehmen, dass dieser Gebrauch bas-
kischen Ursprunges sei. Nimmt man hierzu den Umstand, dass heut '
zu Tage die baskische Sprache immer mehr an Terrain verliert <>)
ond wie es jetzt schon viele dem Blute und der Abstammung nach
echte Basken gibt, welche nicht mehr baskisch reden, so tritt wohl
die Möglichkeit nahe, dass ehedem diese Sprache auch über jene
Gegenden verbreitet war und dass sich in jener Sitte des voka-
lischen Vorschlages vor dem r sich auch dort ein Rest der alten
*^) VgrI. Blade, EUdes sur Toriifine des Bitques. p. Z71. 270.
9^) S. die Abhandlunfir: Eine büskische Spriicbprobe. 8. 10
44 F h i 1 I t pa
Sprache erhalten habe; trifft Letzteres nicht zu, so ist doch jeden-
falls die Entlehnung dieser Sitte in der noch den Namen der Baskea
tragenden Gascogne aus dem Baskischen anzunehmen.
Was im Übrigen die Aussprache des r anbetrifft, so ist es
stets weich zwischen zweien Vokalen *•) z. B. in bataren (Gen. von
bai^ ein), dagegen hart in allen andern Fällen. Tritt zu einem
auslautenden r der bestimmte Artikel hinzu, so wird jenes verdoppelt,
z. B. /fir, Erde, /tirra, die Erde» gar^ Flamme, garra, die Flaniiue.
Dieses Doppel jB ist hart auszusprechen. Ist es als ein von dem ein-
fachen harten r verschiedener Laut zu betrachten? Inchauspe und
Duvoisin nehmen dies an; je nachdem mau dieser Ansicht ist oder
nicht» wird man sieben oder sechs liquide Consonanten zu unter-
scheiden haben» nämlich /, /*, ni, it, n' und r, beziehungsweise rr.
e.
Die SlbÜtnteo.
In den verschiedenen baskischen Alphabeten sind viele Sibi-
lanten verzeichnet, namentlich :
Ä Sh, S«, CA, Tch, (7, Z, Ts, X Tz, X,
Wenn man zuerst
S, Sh und Ss
ins Auge fasst, so kommt hier eine Äusserung OThenart*s in Betracht,
welcher von der Definitivform des S bemerkt, dass sie in der Aus-
sprache dem französischen z^ beziehungsweise dem f gleichkomme^?),
er bedient sich des kleinen runden «, um eben diese Deminutirform
und des langen /*, um den gewöhnlichen Laut des lateinischen S aus-
zudrücken. Es hat aber überhaupt dieser Buchstabe im Baskischen
einen volleren Laut als im Franzosischen und wird, wie Inchauspe
hervorhebt, ohne Mitwirken der Zähne ausgesprochen m^ ; nur im
Souletinischen hat das S in einigen Worten, z. B. in Jegua eineo
weicheren Ton. Für das Guipuzcoanische gibt van Eyss die Regel**);
**) Chiho, I. I. O. p. 12. — ran fijss, a. a. O. p. 6
*7j Oihenart, a. a. 0. p. 4.
*S) Inchauspe, a. a. O. p. XI.
**) vnn EjBt, a. a. 0. p. 5.
rber das btskisch« Alphnbet. 4S
dass das s dem es im Französischen nahe komme, jedenfalls näher
als dem französischen chy so dass man sicherer gehe 8 als eh aus-
zusprechen, man werde leichter verstanden, wenn man nagarra^ als
wenn man chagarra sage. Es ist demnach ikusi (sehen), so aus-
zusprechen, als wenn es ikusai geschrieben wäre. Nach der Schreib-
weise des freilich nicht sehr zuverlässigen Tresara^^^ findet sich
der Gegensatz zwischen'^dem Oihenartschen s und f durch ß und g
ausgedrückt, z. B. ic-hußidie (ils ont tm) und biaaya (visage).
Auch Chaho kommt auf die Aussprache des s zu reden und be-
merkt ^i), dass die Franzosen diesen Laut fast immer schlecht aus-
sprächen; für es sagten sie iche und für sa: cha. Er gibt zugleich
eine Methode, um es richtig auszusprechen, an, die darin besteht, dass
man die Zungenspitze vom oberen Zahnkiefer her gegen den Gaumen
bewegt und dann einen Zischlaut ausstösst «»). Duvoisin weicht darin
von Inchauspe und Anderen ab, dass er nach dem Beispiele älterer
Schriftsteller ss als besonderen Buchstaben in das Alphabet auf-
genommen hat, während Pruner-Bey und vor ihm Francisque-Hichel
dem 8 noch ein h beiordnet und davon bemerkt, dass gerade dies
ein dem Baskischen ganz eigenthumlicher Laut sei^s), der sich
zwischen dem franzosischen s und ch bewege. Dies kommt aber
wieder auf die oben angegebene Angabe von van Eyss heraus und es
möchte sein, dass dem s in derThat sich ein leiser Hauch anschlösse,
der dann das h rechtfertigen würde. Oihenart hat für diesen eigen-
thümlichen Laut das Zeichen s schlechthin und fiir den gewöhnlichen
Laut f empfohlen.
CA. Tch, X X\
Die Bezeichnung eines Zischlautes mit ch ist eine doppelte
Inconsequenz, sobald man das c aus dem baskischen Alphabete ver*
bannt und das A für das eigentliche Aspirationszeichen erklärt hat. Es ist
dies eine, freilich schon inveterirte, Concession an das Französische,
mit der man aber fQr die spanisch -baskischen Dialekte deshalb
nicht ausreicht, weil in diesen das ch nicht auf französische , son-
dern auf spanische Weise ausgesprochen wird. Gerade in solchen
«O) Tresora (a. II. Note 7).
^<) Chiho, a. a. 0. p. 13.
^^) Cbabo, a. a. 0. p. 13 handelt hienilier aunführJirli.
^*) Pruner-Bey (i. n. Note 16).
46 Phillip
Verhaltnissen zeigt sich die Verworrenheit in der baskischen Ortho-
graphie, daher auch ran Eyss bemerkt *«), dass dies dem Umstand*
dass das französische eh in Spanien unbekannt ist, za verdanken sei,
daher schreibe der Eine sA, der Andere s, ein dritter a? oder gar fA,
z. B. arise oder arixe, orUhe^ oHche. För dies eh sollte man in der
Tbat ein anderes Zeichen haben und es war daher gar kein übler
Voraehhig OThenarts«»)» wenn er daf&r das Zeichen a^ und für tfk
das Zeichen x- empfahl, was dann freilieh keine Naehabmung fand.
Auch
ist ein des Exils würdiger blos französischer Buchstabe» dessen
Stelle durch
Z
vollständig ersetzt wird. Dieses z hat aber einen etwas sanfteren
Laut als das franzosische und entspricht mehr dem c in de/^*)-
Will man aus
Ts und Tz
besondere Buchstaben machen, so ^ird man doch anerkennen
müssen, dass in jeder dieser Vereinigungen der einzelne Buchstabe
selbständig ausgesprochen wird^^j. Heut zu Tage wird nun all-
gemein angenommen, dass
X
als ts auszusprechen sei ^s^. Dies ist in der That eine reine Willkur.
für die man freilich in der Pronunciation, die die Italiener dem latei-
nischen j?angedeihen lassen, eine Analogie finden könnte. Für dasei,
durch welches unter dem Schutze des h für das verbannte c ein unge-
rechtes Postliminium erwirkt wird, wäre das x nach dem erwähnten
Vorschlage Oilienart's viel mehr an seinem Platze.
Demgemäss wurde es uns am meisten zusagen, die Sibilanten
auf folgende zurückzuführen: /*, s, x, x und «» oder wenn nao
durchaus das ch nicht mehr hinausweisen kann : /*, «, dk, IcA« und z.
*^) Tan Eysf, a. a. 0. p. 2.
4&) OThenart, a. a. O. p. 5.
**) Inohanipe, a. a. 0. p. XII.
^f) Inchauape, a. a. 0. p. XII. — ran Kf^ a. a. O. p. 6.
^«) S. obeo S. 16.
über dts baskisehe Alphabet. 47
— Es erübrigt in Betreff der Consonanten noch ehir^ Regeln
hinzuzufügen. Gleichwie das Bsskiscbe kern Wort ntit einem r
anfangen lässt, so gibt es mehrere C<m»enanten, welehe niemals
ihre Stelle im Auslaut haben können. Es sind dies die Buchstaben ft»
d, /*» g und nt. So wenig empfindlich im Ganzen die baskische
Sprache gegen einen Hiatus ist *•), ab und zu aber einen
euphonischen Consonanten einschaltet •<>), so vermeidet sie doch
gern eine Anhäufung von Consonanten durch Einschiehung eines
Vokales; z. B. lan (Arbeit) mit dem Suffix -ian (in) wird taneian;
diesem Verfahren haben sieb auch öfters die Fremdwörter fugen
müssen; z. B. Aprüü, bask. ApirilU parogatcea (probctre) ^^').
Im Allgemeinen darf es als eine Regel angesehen werden, dass
in einer Sylbe nicht zwei Consonanten auf einander folgen. Aus-
nahmen finden sich meistens in Fremdwortern: agradarria (ange-
nehm), ftrtima (Nebel), «E^ftrtin (diabohis) , froga (?rohe) , globa
(Gedicht), progatchua (profit). Dagegen entstehen durch Zusammen-
stossen zweier Sylben hin und wieder aber auch durch Hinwegfallen
eines Vokals (z. B. cdrrea für abered) Consonantengruppen. Als Bei-
spiele dafQr mögen ausser den vorhin angeführten Fremdwörtern
noch folgende dienen :
Id: büdotsa (Lamm), ildoa (Furche), zaldia (Pferd).
lg: odolgia (Blutwurst).
Ik: alkhia (Sitz), ibükunza (Spaziergang).
Ip: tdporchak (Quersack).
U: ichiltawna (Stillschweigen).
Iz: afalzea (zu Nacht essen), güza (Schlüssel).
mp: sutumpa^^ (Kanone).
nch: urchaincha (Eichhörnchen).
**) Vgl. oben IV. A. 3. S. S. 23.
^*) Z. B. der GeniUr des Artikels Isuiete eigenttlcfa aen, doch tritt hier ein euphooi-
scbes r dazwischen.
&') Vgl. vsn Byss, s. s. 0. p. 7.
^S) Dies Wort hst Termuthlich Larraaeadi gemacht (vgl. Chaho, a. a. 0. La guerre
des alphabets p. 11); es ist xusammengesetst ans tu Mpener** und ftifi^a, welches
Wort Sa \aberri,Vocabnlaire, in folgender Weise wiedergibt: rtCoup peu violent
mais fMant un eertain bruit".
48' Phillips
nd: abendoa (December, Advent), ondoan (darauf).
ndr: andrea für anderen (Jungfrau).
ng: gangaila (Zäpfchen), maingtia (lahm).
nk: Boinkidea (Genosse), tinkhazea (knebeln).
nl: gonlekhia (Heimat).
ns: adinsua (alt).
nt: minta9una (Verdruss), iontoa (dumm).
nz: hainzvrra (Spaten), ibenzea (auflegen), umia (Schiff}.
rb: berbera (allein), garbia (keusch).
rch: cliirchila (Quai-ksalber), urchaincha (Eichhörnchen).
rd: berdanza (Förster), gauerdi (Mitternacht).
rg: bizargilea (Barbier), gargara (schon).
rk: abarka (Sandale), hirurkakoa (Dreizack).
rl: erlea (Biene), gurloa (Kranich).
rm : bermea (Versprechen), lauma (der je Vierte).
rp: harpia (Grotte).
rs: uraoa (Taube).
rt: agortasuna (Unfruchtbarkeit), utihe (Jahr).
rtz: bortz (fünf).
rz: zahartzea (alt werden).
sk: adiskidea (Freund), peskiza (Hoffnung).
skl: esklaboa (Sklave).
8l: eroalea (Käufer).
sn: gaana (Käse).
ap : erospena (Kauf).
8t : abostoa (August), ustaäa (Jahreszeit).
ich: baratchuria (Knoblauch), eichen (Haus).
tr: trebatua (gewöhnt), trebesia (Widerwärtigkeit).
i8 : itsuaia (bässlich), harrabotaa (Glockenspiel).
tz: goaetzea (hungern), ^a/«a (Salz).
zd: ikuzdura (Waschung).
zg: tazgarria (erschrecklich).
zk: chitezkoa (vertraut), hizkunza (Sprache), izkila (Glocke).
zm: zizmina (Beleidigung).
zp: ezpela (Buchsbaum), zazpi (sieben).
zt: boztea (sich erfreuen), ireztea (kämmen).
über das baskiache Alphabet. 49
3.
Schluss.
Fasst man das Resultat dieser Untersuchungen zusammen, so
liesse sich ein baskisches Alphabet, ohne dass man ndthig hatte
ganz neue Zeichen zu erfinden, in folgender Weise zusammen-
stellen :
a, e, I, 0, u
9
3
h
g, *, (kh),
^- P^ (Ph). /; (fh)
rf, d\ i, r (th)
l\ /', wi, », n\ r, (rr)
/; «, X (ch). z
oder nach gewöhnlicher Reihenfolge :
a, 6, A d\ «, /; ^, A. t, j, Ar, /, /', iw, «, «', o, p, r, /; «, o?, /,
Vy U, Zp
Demnach hätte das baskische Alphabet 26 Buchstaben zu zählen;
rechnet man noch die aspirirten und zusammengesetzten Buch-
staben :
khf /Ä, ph, th, rr^ x' (ich)^ ts und tz
hinzu, so steigt die Zahl auf 34.
Über den im Baskischen nicht gerade sehr häufigen Consonanten-
wechsel und den Consonantenschwund behält man sich Yor, bei
anderer Gelegenheit zu handeln und erlaubt sich nur noch einen
fluchtigen Blick in eine ferne Vergangenheit zu werfen, nämlich auf
das iberische Alphabet. Es lässt sich freilich nicht der Werth der
einzelnen iberischen Buchstaben mit YÖlliger Genauigkeit be-
stimmen. Eine Parallele zwischen jenem und dem baskischen Alpha-
bet findet in dem Mangel des f statt, denn dieser Buchstabe ist auch
letzterem fremd, was in gewisser Weise auch von dem v gilt. Es hat
ferner das Iberische ebenfalls vier Sibilanten; dem Zade durften;
dem Zain: 8, dem Samech: f und dem Schin: x (d. h. ch) ent-
sprechen 5>). Dagegen fehlt dem Iberischen das g\ auch ist ihm
»*) S. die Abhandlung: Über das iberische Alphabet. S. 61.
SUzb. d. phil.-hist. Ol. LXVI. Bd. i. Uft.
50 Phillips, Über dM batkiache Alphabet.
der Yokaliscbe Vorschlag vor dem r unbekannt, wie mehrere Namen,
z. B. Roekho, zu erkennen geben »^); sollte also das Baskische in
irgend einem Zusammenhange stehen, so müsste sich dieser Vor-
schlag wie der andere vor dem s impurum erst in späterer Zeit ge-
bildet haben.
>^) S. ebend. S. 25. Leg. 267. u. IT.
▼. Schulte, Literaturg«scliicbie der Coniiiil-.itiones antiquae etc. 5 1
Literaturgeschichte der Compilationes antiquae,
besonders der drei ersten.
Von Dr. Joh. Friedrich Ritter v. Schulte.
Erstes Capitel.
Die monographische Literatur zu den Compilationes
antiquae.
Die Schriften der Glossatorenzeit zu den Compilationes an-
tiquae tragen denselben Charakter, wenn man die äussere Form
in Betracht zieht, als die über das Decret, welche wiederum die
Methode der Legisten befolgten <). Wir besitzen Schriften dieser
verschiedenen Arten, zu denen sich wie beim Decret die Excerpta
oder Noiabilia gesellen, Yon denen zuerst gehandelt werden soll.
I. Notabilia.
1. Unter diesem Titel besitzen wir handschriftlich eine Menge
von Schriften, deren Zweck ahnlich als bei den Excerpta Decretorum
u. s. w. darin besteht: den hauptsächlichsten Inhalt der einzelnen
Decretalcn auf den kürzesten Ausdruck gebracht allgemein zugäng-
lich zu machen. Sie bilden mithin einerseits quellenmässige, ganz
kurze Lehrbücher über den Inhalt der Decretalensammlung,
1) Den specifiaeheo Charakter des Apparatus bei y. Sarigny Gesch. d. röm.
RechU UI. S. 565 f., Leetara das. 8. 539, Summa S. 552, Casus, Quae-
• tiones, Brocarda das. — Allen Handschriften, die ich nicht
selbst benutzt habe, ist ein Sternchen Torgesetzt worden.
4*
I>2 V. Seil tt I tc
>
andererseits Repertorien Über diese seihst. Jedoch ist mir ein
derartiges Werk in alphabetischer Form bisher nicht vorgekommen;
es erklart sich dies leicht aus dem ungleich geringeren Umfange der
einzelnen Sammlung sowie daraus, dass, nachdem die Gesammtmasse
gross geworden war, die neu erschienene Coropilation Gregors IX.
die altern Sammlungen der Geschichte fiberwies. Den praktischen
Grund solcher Schriften sehe ich wie bei denen Gber das Decret
in dem Bestreben, das so wichtige neue Material auf die billigste
Art allgemein zugänglich zu machen. Die Methode ist bei allen diesen
Schriften dieselbe, so dass die Kenntniss einer einzigen vollkommen
genügt, um sie zu verstehen.
Es finden sich Schriften dieser Art in doppelter Gestalt: über
eine einzelne Compilation und über mehrere zusammen in einem
Werke. Aus unmittelbarer Kenntniss von Handschriften sind mir
folgende Werke bekannt geworden.
1. Notabilia ad Comp. I. sive Apostillae.
2. Am häufigsten kommt ein Werk vor, das beginnt :
*Ju8te iudicate (Vorrede des Breviarium Extra vaganti um Bern-
hardi Papiensis). Nota, quod istud proemiuro compositum est t\
diversis auctoritatibus. Prima est prophetae dicentis juste . . .
Canonea (cap. i. Tit. I. L. L). Nota, canones ab omnihus custo-
diri dehent et in suo sensu duci debent?
Handschriften i):
Angers Stadtb. num. 361. s. XIII.
•Königsberg Univ. num. 37«).
<) Die Röni^abe r|? er Handschriften ciUre ich nich: SteffenhiigeD Cttologiis
codicum manntcriptor. bibl. reg. et univ. Regiomoni. faac. I. codd. ad jarispmd.
pert. cct. Regim. 1861. 4., — die von mir eing-etehenen französisehen nach'
Srhiilte leer gallicum Wien 1868 (Sitz.-Ber. d. kais. Akad. d. Wisa. hiat phil.
Cl. LIX. S. 355 IT.); dazu meine Abb. Die Recbtahandacbr. der Stiftsbibl. etc.
Wien 1868 (das. LVII. 8. 559 IT.); fSr Italien: BUhme Bibl. libror. as
italica. «ölt. 1834.
2) s'te ffen ha gen gibt unter XXXVÜ. num. 2. dies, num. 5. dera. Handschr. ein
aweites Werk als verschieden an. Nach der Mittheilung seheint aber üb 2.
bloR der Anfang zu fehlen, da die nota au cap. 1. wesentlich gleich ist, ninlieh:
^Canones dehent ab omnibns observari et eornm aucloritate in iadiciis debel
procedi.'
Llteratargeschichte der Compilattones anliquie etc. Do
*GratÄ *V»i 0-
*Paris lat. 3922, Compiegne 95.
Leipzig Univ. Bibl. 975 fol. 154—159 s. XIV. ex. Anfang
wie die Konigsberger.
3. Ganz verschieden ist, obwohl gleichen Charakters, ein Werk
mit dem Anfange:
'Jusfe. Nota mulierihus non esse concessum officium iudicandi
HI. q. VII. §. tria [dict. Grat. post. c. 1.]. Motus judicis in reritate
tanturo, non in superficie postulantis subsistit, ut I. q. I. Marcion.
Item qui exercet justitiam, deum sc ostendit diligere, et sie per
exteriora intelliguntur interiora: infra de sent excom, a nobis .*
ilL, XLI. Di. §. ult. Item qui alterum iadicat, deum iudicem suum
prae oculis habeat: C. de jud, rem non novam. Item qua men-
sura mensi fueritis, remetietur vobis. Item de officio et potestate
nostra deo sumus rationem reddituri.*
Handschrift :
Wien, Hofbibl. num. 2080. fol. mbr. s. XIV, fol. 134*— 138*
(hört auf in c. 27. de jurepatr. III. 33.).
2. Notabilia Pauli Ungari ad IL et IlL Comp.
4. Der Cod. ms. 975 miscell.*) der Leipziger Universitäts-
bibliothek enthält fol. 209'— 216' mit der Überschrift der gleichzeiti-
gen Hand des XIV. Jahrb. 'Incipiunt notabilia secundarum* und dem
*) Dieser und die beiden folg. (ron Laspeyreep. LH. nota 106 nach einer Mit-
theilung Ton Ma aasen angeführt) haben den Anfang dea Königaberger in der
vorbei^. Anmerkung.
*) Derselbe, ans dem A. L. Richter (de inedlta decretaUum colleetione Lipaiensi.
Lipa. 1836) die ^eoUectio IdpHtntU^ beachrieben hat.
Dieaer Codex enthält auch, wie Richter achon p. 2. nota 6 angab, fol. 79^ —
96' von einer Hand des XIV. Jahrb. die ditt, Lambertini de Bampouihns sum Dig.
vetus, deren Exiatens r. Sarigny auch in der 2. Aufl. nicht kennt. Der Codex
beginnt: 'incipinnt diatinctionea ff. veteris per iambertum. U e vivi in ti. ff. de
ioati. et lur. uumquid sit licitum judici deaistere, dist.^ an iudex infert sibi Tiden-
tiam iuate, an iniuate,' 'expiiciunt diatinctionea ff. yeteria.^ — fol. 96* — 115^
a. XIV. die diet. Codieit deaaelben. ^Incipiunt diatinctionea codicia de Summ» t.
0t fi. c — a. Si quaeratnr ai fiat aliquod statntum in civitate iata, an adTcnae ligen-
tut hoc atatuto.^ *expliciunt diatinctionia codicia domini lamberti.' Dasselbe Werk
habe ich (Iter Gallicum p. 475) im Cod. 329 der Stadtb. von Chart res mit dea
LambertuB Namen gefunden, so duss wohl k«*in Zweifel mehr obwalten kann.
54 T. S c ii II I l e
Schlüsse 'Expliciunt notabilia /lafi/r ein Werk dieser Art über die
2. und 3. Compilatio antiqua. Da aus Johannes Andreaei) die
Zusammenstellung von Notabilia durch Paulus Ungarns zur
Comp. II. und III. bekundet wird, diese selben Notabilia uns auch io
anderen älteren Handschriften begegnen, so darf wohl die Autor-
schaft des Paulus mit Sicherheit angenommen werden.
Die zur Comp. II. fangen an: 'De reacriptis. Praeierea.
Nota, quod non possumus iudicare de facto nisi plene intelligamus.
Et est contra iudices, qui repente procedunt. Item nee respondere
quaestioni, nisi totam audiamus: Et est contra scolares, qui prius
respondent, quam eis opponatur. Item nee respondere legi vel canoni,
nisi prius inspiciamus. Et est contra magistros, qui r^spoi^dent, ante-
quam inspiciant vel sciant. Cum ord. Nota, quod non valet rescriptum,
si non fiat ibi mentio ordinis yel dignitatis. Accepta. Nota, quod noo
(lebet causa remitti ad cum, a quo est appellatum, nisi.utraque pars
consentiat.'
K. Anfang der Notabilia III.
'Devotioni etc. Nota, quod tituli decretalium sunt autentici.
Item bulla vel sigillum praestat auctoritatem. Cum omnes etc. Nota,
contra malos campsores, qui maius pondus habent ad accipiendum,
et minus ad dandum. Item constitutio in praeiudicium absentium et
futurorum non potest Oeri. Item in praebendis percipiendis aequaliter
vel inaequaliter, totaliter vel particulariter consuetudo ecciesiaede-
bet observari. Item duae regulae: quod quisque etc. et patere le.
etc. Item si fuerit consuetudo, quod omnes pariter et aequaliter habe-
ant praebendas, et si est immutatum, debet reformari.'
Diese Notab. zur Comp. II. stehen noch in der Handschrift von :
Angers, Stadtbibl. 361.
Die Notab. zur Comp. III, hat auch die Handschrift:
Angers, Stadtbibl. 361.
Ob eine der anderen Formen zur Comp. I. und IL, und welche,
Bernardus Comp. ant. angehört, vermag ich nicht zu sagen, da ieh
bisher in keiner Handschrift seinen Namen bei ihnen gefunden habe.
1) Adtlitio ad Goil. Dur»iiCis Speculum, Prooeiiiittm : 'quin Panlum Unf^aruai.q«
iiotahilia secuodae et tertiae coropilHtionis Ordinate collegerat, non expretsi. . . •
Bernardus Compostelinniia, quia uon diu vig^uit sua compilatio, noa
halienius *|Uüd illam glossMvitf .led iegerat duas prlmas compilatioaea et aposfa'Uai
dedei'ttt super illis.^
Literatargeschichte der Compilationes antiquae etc. 55
6. Andere Notabilia zur Comp. IL
Praeterea. QuaesiTit Anconitanus episcopus, quid esset facien-
dum de lege, quam ciyes sibi statuerunt, seil, ui siquis etc. Cum lex
illa juri communi contradicat» dicit papa, quod respondere non potest,
donec illam legem yideat, vel aliter probetur, eos ita statuisse/
Leipzig, Univ. 975 fol. 159'— 164' s. XIV.
Fulda, 0. 10. fol. mbr. s. XIII. auf XIV. ebemals Wein-
garten, neuntes Stuck.
Praeterea. Cires incomtam [inconsuetam?] constitutionem edi-
derunt
^Königsberg num. 37.
3. Zur Comp. III.
7. Devotioni. Scribit magistris papa et scolaribus, ut utantur
istis decretalibus tarn in scolis, quam in iudiciis. Cum omnes.
Trecenses canonici duas constitutiones fecerunt.'
Leipzig, üniY. 975. fol. 164'— 170' s. XIV. ('Incipiunt casus
tertiarum').
8. Eine andere Form beginnt:
*Cum omnes» In prima parte istius capituli reprobatur invidia
et commendatur aequalitas.'
FuldB cit. Cod. D. 10. zehntes StücL
4. Zur Comp. IV.
9. 'Firmiter. In prima parte dicitur, quod credere debemus et
confiteri unum deum incommutabilem.'
*Königsberg num. 37.
10. *Firmüer. Primo dicitur, quod debemus credere, quod
unus est deus et tres personae et unus creator omnium' etc.
Leipzig, Univ. 975. fol 170' — 172' ('Incipiunt casus quartae
compilationis').
11. Ähnlich eine etwas anders beginnende Form: 'Firmiter.
Dividitur c. in tres partes/
Fulda, cit. Cod. 0. 10. eilftes Stück.
5. Zu mehreren.
12. Solche gibt es zu den drei ersten in der Handschrift:
Berlin Staatsbibl. cod. ms. lat. fol. 231 s. XIIL ine. fol.
122' — 195' (nach dem Breviarium Extra vagantium). Bald enthält sie
S6 ▼• Schulte
unter dem betreflfenden Titel Excerpte nur einer, bald von zwei, bald
der drei. Sie ist defect und beginnt im Tit. de electionibus. Am
Rande stehen Glossen bis fol. 1 33', weiche meist mit Jud>' bezeich-
net eine kurze Darstellung des Falles (Casus) enthalten. Von fol«
1 33" ab stehen nur einzelne Glossen zu Kapiteln der Comp. OL mit
den Sigeln Jo. (Johannes Galensis). F. 196 fg. enthalten zwei
Titel als Nachtrage.
Lyon Stadtbibl. num. 271 (411) s. Xin.
Diese fangt an : *In nomine s. trinitatis incifiunt eacceptionei
decretalium trium compilationum , quarum prima incipit jutie*
secunda praeterea, tertia devotioni. anno pontificatus domini Inno-
centii IIL XIII. Ex concilio Heldensi. Ex const Canones ab omnünu
letzte : de privil. simili modo.
13. Über die Verfasser dieser Notabilia oder Apostillae ist es
schwer ein bestimmtes Urtheil zu fällen. Da Johannes Andreae den
Anfang bei keinem mittheilt, dies auch nicht von andern geschieht,
so viel mir bekannt geworden, so war es lediglich dem Zufalle zu
danken, dassbei Paulus eine Handschrift dessen Namen hat, diesen
als Verfasser zu bestimmen. Die Namen der übrigen zu eruiren ist
mir auch aus Glossen nicht gelungen, da diese nach der Natnr der
Sache nicht diese Apostillae, sondern die Glossen zum reinen Texte
benutzen. Soviel aber geht aus jener Mittheilung hervor, dass diese
Art von Schriften zu der ältesteten Decretalenliteratur geboren. Das
beweist auch der Berliner Codex, welcher unzweifelhaft den ersten
Decennien des XIII. Jahrhunderts angehört.
n. Casus.
Diese Sammlungen treffen zum Theile mit den vorhin beschrie-
benen zusammen und gehen zurück auf den Verfasser des Breriarium
Extravagantium Bernhard YOn Paria.
1 . Casus Bernhardt Papiensis ')•
14. Diese Casus bestehen nicht blos in der Aufstellung von
Rechtsfallen bez. Angabe des Casus der Decretale, sondern auch in
*) Laspeyrea Bemaudi Papiensis . . Summa Decretalium. Ratisb. 1S60 pag. XLIX.
sqq. beweist die Autorschaft Bernhardts und theilt p. 827 sqq. eine AasahJ aül
unter synoptischer M ittheilung der entsprechenden des RichardusAnglicns.
Literaturgeschichte der Compilaiinne» aniiquae etc. 57
Aufstellung vou Rechtsfragen, Hervorhebung einzelner praktischer
Anwendungen der ausgesprochenen Sätze u. dgl. m. Für die prakti-
sche Gestaltung des Rechts sind sie von grossem Werthe gewesen.
Handschriften:
^Frankfurt a. M. vol. 43. (Laspeyres pag. XLIX.).
Berlin cod. ms. lat. fol. 350 s. XHI i).
Leipzig» Universitätsbibl. Cod. 984., mbr. fol. s. XHI.
d ritt es Stück fol. 67 — 89'. Zum Schlüsse genau wie im Berliner
Haec vobü etc., dann dieselben Verse.
Fulda ÖfTentl. Bibl. D. 5. (unten §. 40,)
2. Casus Ricardi Anglici,
15. Sie haben zum Theil mit der ersteren eine grosse Ähnlich-
keit, sind jedoch kurzer und selbstständig, ja auch älter, als die
Bernhards, der sie vor Augen hatte «).
Handschriften :
*H uneben num. 16083 (S. Nico!. Pat. num. 83. Laspeyres
L c. pag. XLIX.).
>) Dieser Laspeyres unbekannte Codex enthält die Summe Bernhards Ton
Pavia rerbnnden mit den Caaas. RegelmS^sig (nur als ttt. 3. I. I. stehen blos
die casus, ebenso als 4. de eieet., darauf nach dem tit de elect. kommt die summa
de eonM. und de eleeu, so dass wohl ein Versehen des Abschreibers rorliegt) steht
erst die Snmme, dann folgt ohne jeden Übergang der eow«. Der Codex ist sehr
werthvoU und hat oft entschieden bessere Lesarten als die Ausgabe. Nach der
Vorrede steht die Einleitung der Casus: ^fioret apparuerunt-pottuiata,^ Tit 1.
heisst es: ^Aux. deo de const. ecclesiasticis tractaturi.^ Der Schluss lautet: ^Haec
vobis, dilectissimi, a nostra insufficientia in mensa vestrae propositionts post pri-
innm decretalium et secundum summae, tertium ferculum hilari Tultu de proterva
nostrae paupertatis oblatum solita benignitate snmatis ut et tos nohiscum divinae
bonitati de unirersis beneflciis suis gratias indesinenter agamua.
Flavia cepit opus consummaTitque Papia,
Contulit auxilium de coelo summa aophia,
Corrigat haec dicta nee sit dilectio ficta.
Ob tres res gestas tibi gloria trina potestas/
Die tres res sind : Breviariutn, «irmma, easu». Sicher ist die Hanilscbrift eine
der interessantesten aller bekannten.
^) Dies beweist die von Laspeyres p. LI. nota 99. mitgetheilte Stelle Bern-
hards, worin dieser (Glossa ad c. 2 Legebatur de miy. et ob. I. 25.) sagt: Ma-
feister B. sie ponit casum. ^ Im herrlichen Codex Fuld l>. 5. steht dazu eine nicht
«ignirte Glosse, die dna inhaltlich, iiteht wortlieh, enthalt, was als Rirbards Fall
angegeben wird.
S8
T. Schulte
•Venedig St. Markus num. 2S. (Bluhme pag. 14.).
16. Die Zeit der Entstehung lässt sich fQr diese Casus
bis zu einem gewissen Grade feststellen. Ich habe in der Abhand-
lung Ober 'die Compilationen Gilberts und Alanus' [Sitz. -Berichte
LXV. Bd., Seite 22] gezeigt, dass Richardus bereits citirt wird
in einer Glosse zur Comp. Gilbert!, welche gewiss dem Anfange
des XIII. Jahrhunderts angehört. Da nun diese Glosse die der
Comp. I. kennt, letzere aber wohl bald von Bernhard selbst glossirt
wurde, Bernhard 1213 starb, so dürften die Casus des Richardus
zu dessen früheren Werken zählen und noch dem XII. Jahrhundert
angehören.
m Quaestiones.
17. Von solchen finden sich mehrfache. Eine Sammlung ent-
halten folgende Handschriften :
Bamberg er kön. Bibl. mbr. fol. P. II. 4. saec. XIII von fol.
23—39 in 2 Col. zu je 70 Zeilen.
Leipzig Universitätsbibi. 984. von fol. 90 an, s. XIII. mit dem
Anfange 'Incipiunt Quaestiones.*
♦Königsberg Univ. Bibl. num. XXXVI.
Da ich vom letzteren Codex nur den genau mit den anderen
timmenden Anfang kenne. Cod. Bamb. sehr vollständig ist, lege ieh
diesen der Beschreibung zu Grunde.
Anfang: 'Sancti spiritus assit nobis gratia.* 'De quaestiombm
decretalibva tr^ci^tUTi ad cursum loquentis expeditiorem etaudientium
intelligentiam faciliorem eas utile duximus 8ub tripartita coUigere
distincHone: prima continet quaestiones ad ordinem judiciarium
pertinentes, 11* decretales meras ad ministros altaris et roinisteria
spectantes, HP matrimoniales. In prima igitur distinctione, quae
ordinem judiciarium tangit, eo ordine quaestiones quaestionibiis
eontinuemus, quo in quotidianis judiciis successive de facto solent
proponi. Sed quia in omni negotio instituendo qui adversarium vuit
convenire ad maiorem cautelam lescripto summi pontificis partem
8uam consuevit munire, ideo de rescripto praemittimus, fingentes
aliquem spoliatum , qui ad postulandam restitutiouem reseriptum
summi pont. ad judicem delegatum deportavit. Sciendum ergo est,
quod multa sunt, quae reseriptum summi pontificis impediuiit: quia
Literator^eschichtA der CompilaUoiies »ntiquae etc. o9
falnitatis obiectio, veritatis suppressio, si iuri communi sit contrarium,
*
si in eo sit erratum, si circa personam sire ofßcium sive circa rem,
sive circa causam, Tel si posterius fuerit impetratum non habita men-
tione prioris, si non fuerit bullatum. De singulis ei^o capitulis yidea-
mus. §• De primo quaeriiur^ si adjectum sit sen. an eo probato
exspiret judicis iurisdictio, et videtur, quia sub hac couditione:
si preces veritate nitantur» committitur Jurisdiction ut XXV. q. IL
universa » immo semper subintelligitur , etiam si non apponatur,
ut extra de reacriptis ex parte, Sed bic non subest conditio,
ergo exspirat jurisdictio. . . .*
Die Sammlung enthält äusserlich keine Abtbeilong nacb den
drei Tbeilen ; die einzelnen Erörterungen werden mit dem Yorher-
gehenden verbunden durch Übergänge als:
*Praemisimus de rescripto; si ergo in r. nullum praedictorum
impedimentorum invenitur, eius auctoritate restitutio efBcaciter
potest peti. Sed quoniam multa sunt, quae restitutionem possunt
impedire, videamus, quae sint illa, ut sie perpendatur, an iure restitui
debeat'; 'Restituta possessione potest is, qui spoliator fuit, a quo vis
aceusari. Sed quoniam criminum quaedam sunt occulta, quaedam
manifesta, item q. raantf. q notoria, q. non adeo nota vel certa,
de Dotoriis primo yidearaus'; *praemisimus de not, videamus de
uccultis\ Ich gebe im Folgenden die behandelten Materien nach den
Abtheilungen der Einleitung an nach selbst gemachten der Sache
und dem Werke entlehnten Rubriken.
I. Quaestiones judiciales.
I. de rescriptis. 2. de restitutione spoliatorum. 3. de crimini-
bus notoriis. 4. de occultis; S. de manifestis non notoriis. 6. de
excominunicatione. 7. de transactione. 8. de sacramento calumniae.
9. de iuramentis. 10. de accusationis forma. 11. de infamia et infa-
mibus. 12. de purgatione. 13. de testibus. 14.
II. Quaest. ad ministros et ministeria spect.
1. de symoniace ordinatis. 2. de haereticis. 3. de sacramento
eucharistiae ab haereticis miiiistr. 4. utrum haeretici habeant potes-
tatem ligandi et solvendi. 5. de clavium potestate. S. de episco-
pali eleetione et ordinatione. 6. de continentia. 7. de reguiis aposto»
licis oportet episcopum esse sine criniine. de criminosis non ord.
8. de bigamis non ordinandis. 9. u. 10. 11. de vita et honest, cleri-
corum. als Theil des tract. de irregularitate: 12. de servis non ordi-
60 V- Schulte
DHndis. 13. de electione. 14. de iure patronatus. 15. de conseera-
tione episcoporum et ordinatione clerieorum.
III. Quaestiones matrimoniales.
1. Dejurenaturali. 2. deprohibitionibus. 3. desponsalibiis. 4. De
matrimonio: quid sit, quae de substantia sint m., quae impediant m.
K. de matr. rato. 6. quaestiones speciales. 7. de di?ortio. 8. de im-
pedimentis matrimonii. 9. de eagnatione spirituali. 10. de cogna-
tione legali. 11. de consanguinitate et affiuitate. 12. dedispari eahu.
13. de errore. 14. de errore conditionis. Darin bort das Werk auf
ohne Schlussvermerk mit den Worten: 'Nobis autem videtur» com-
munes esse debere.'
Als Beleg der Methode gebe ich eine der kürzeren, die de jure
patronatus.
Traemisimus de electione episcopi, cuius electionis libera citri
est, cum in episcopali ecclesia neceasario habeat ius patronatus.
Ceterum cum in monasterium jus patronus habeatur, poterit patnv-
niis vacante abbatia cum fratribus eligere, ut XVUI. q. II. abbatest
In ecclesia vero parochiali patronus solus eligit ut XVI. q. VIL
decrevimus. De hoc jure patronatus quaeritur, ulrum sit spirituaie
vel corporale vel mixtum. Spirituaie non videtur, quia per succes-
sionem transfertur ad heredes sanguinis, ut XVI. q. ult. quieunque
filiis, at spiritualia non sunt successiva ut Vlil. q. I. Moyses, aposto-
lici licet sig*. Item corporale non videtur, quia patronatus ius ad quoslibet
potest trausferri, quod non contingit de jure patr. Mixtum non Tide-
tur, quia si, patronatus jus posset vendi sicut cetera jura ecelesiastira
utpote praedia et huiusmodi, quae sunt corporalia et ecciesiastica.
Item si esset mixtum i. e. seculare et ecclesiasticum, possent prin-
cipes statuerCf ne laici de cetero in ecclesiis baberent jus patnma-
tus, sicut potest statuere, ne praescriberet contra ecciesiam, et jw
praescriptionis similiter jus mixtum dicitur. Quid ergo? Solatio^
Dicatur, quod est mixtum ecclesiasticum, seil, quod de ecclesia
habetur et peudet, unde non transit ad extraneas personas sicat et
privatum , quia privilegiatae personae competit. Unde transit ad
successores sanguinis, ergo cerporale. Sed nee aliquando ad omnes
patronatus jus transfertur. Est et spirituaie, sed non de [offenbar eine
Lücke], alioquin ad nullos omnino trnnsiret nee est simile de praediis».
cum illa licet sint ecciesiastica proprie tamen corporalia et passiin
subjacent venditioni, quod de jure patronatus non contingit. N<hi
Literaturgeachichle der compilntionet antiquae etc. 0 1
est simile de praescriptione, quiie licet circa spiritualia nonnumquam
versetur. nunquam jus spirituaie licet ecciesiasticum potest censeri,
et cum ju9 praescriptionis originem traxerit a jure forensi jus patro-
natus a mero sacro, unde, licet princeps circa praescriptionem aliquid
possit immutare, non tarnen circa jus p. aliquid potest statuere vel
secuDdum seil, jus patro. Et verum est spirituaie nee de mero pate.
sed dontaxat ex dispeusatione canonum est, quod defertur per suc-
cessionem. Quicquid ergo de jure p. quoad laicos in canonibus
reperitur dispensaiione indultum ex grafia canonum dieatur. ut
XVI. q. y. c. 1. Casus ergo in canonibus reperti teneantur; novi non
introducantur cum ex dispeusatione regula fieri non debeat, nee dis-
pensatio ad consequeutiam trahenda ut XXIII. q. II. in adolesceniia.
Ar. di. XXXnn. lector.
Item quaeritur, utrum j. p. yendatur? Quod si universitas venda-
tur et j. p. transit, ut in esira- de jure patro. cum saeculum. Ergo
ex vendito potest possideri» ergo potest vendi. Econtra res est spiri-
tualia vel spirituali annexa, ergo non subjacet venditioni ut I. q. III.
si quis obiecerüf in esrira. de j. p. ad aures. Solutio: licet transeat
occasione rei venditae, non tarnen vendi potest per se instar fiindi
dotalis.
Item filio patroni instituto ad praesentationem patroni» quod
licitum sit ar. IIL q. II. quisquis, di LXXXVI. nonsaiis; quaer. si ad
ipsum devolvaturj.p.patre mortuo cumbonishereditariis? utrum possit
retiiiere et videtur, quia eeclesia juste adepta non potest privari utXVI.
q. VI. imminentem. Item hereditate privari non potest. Item non est
novum quod semei utiliter etc. ut C. de reg. jur. non esi novum;
ar. di LV. praecepia. E contra hoc solum religiosis conceditur, ut
uti possint temporalibus et habere j. p. ut in extra^ de j. p. pat.
[muss heissen de cetero, nämlich c. 23.]. Item isti sutlficiant bona
hereditaria, unde si percipiat ecclesiastica, sacrilegium incurrit, ut
XVI. q. I. c* ultimo in fiiie, I. q. III. clericus pastor. Sed posito ipsum
dum esset in minoribus ordinibus de legitimo patrimonio vivente
patrem suscepisse filium et maxime vel uxore mortua ut dictum est
ad praesentationem patris fuisse institutum et mortuo patre ipsum
habere bona hereditaria cum jure p. et ecclesiam, quaer. utrum
assignata eeclesia possit episcopus fieri, immo dignuro et inhibitum
ad eius praesentationem instituere, et utrum cum sit de legitimo matr.
uatus, et digiius quare repellitur. Contra videtur quod repelli debeat.
62 V. S r h n I t e
tarnen ne iterum fiat confusio patroni et et ecciesiae taineo quia
edietum de filiis sacerdotum post patres instituendis videtoresse
generale tarn de filiis natis ex legitima conjunctione quam de si»-
ceptis ex fornicatione. Solutio. Ad primum diei potest, eam ecciesiam
de consilio resignare debere, licet de stricto jure ad hoc cogi dod
possit. Ad secundum dici potest, esse repellendum, ne videaotur ec-
ctcsiastica esse successoria, ut VIII. q. I. apostolica nam generale
videtur illud edietum« ut in extreu de ordinat «t so.
Item quaer. si duo ditayerint, utrura alter plus juris quam alter
in j. p. habere possit. Et videtur posito quod alter in majori abuo-
dantia contulit qoam reliquus, uterque tarnen ad sufficientiam. Ecce
utrique est acquisitum j. p. ditatione, alter magis ditavitquam reliquos
ergo plus juris habet. E contra res est spiritualis ergo sectionem oon
ajdmittit ut XX'. q. L quia si alter, ergo plus juris habere potest quam
reliquus. Solutio. dici potest neutrum plus altero juris habere et ita
j. p. ab istis habetur quod a neutro licet non obstet dici ab utroque
haberi in solidum neutrum tamen per sc posse praesentare. Similiter
ilicatur de eo quod quaer. si civitas ecclesiam fundet, quod ibi nuilus
ei vis est patronus, sed tota unitersitas, ar. XII. q. II. quae manundt-
tnntur. Item quaer. utrum j. p. inter heredes possit dividi, puta si
plures sint ecciesiae ut singuli singularum sint ecclesiarum patroni.
Et videtur, quia fiat distributio praediorum, simul cum praediis trao-
sibit j. p.» persimile eius quod dicitur de universitate vendita ita et
hoc satis potest concedi. Sed numquid jus simplex potest dividi noa
facta divisione praediorum ? Non videtur nam jus privatae persooae
conferri non potest ut XVI. q. VII. nemini. In monasterio jus simplex
conferri potest ut in extra de j. p. illud. Sed nonne patronus praedi-
um retento sibi patronatu potest alienare I Resp. j. p. simplex ab
aliquo private haberi potest, fieri autem non potest sicut mancipium
christiaiium in dominio gentili esse potest. Item quaer. utrum clericus
de manu laici beneficium adipisci possit ecciesiasticum? Non videtur
ut XVI. q. VII. quomam, ubi excommunic»tur talis, c. si quidem
episcopus, ibi deponitur talis. E contra videtur quod talis se tuen
possit si longa fuerit praescriptione munitus ut in extra de j. p-
cum pastorali, sed directo videtur nulla praescriptione se posse
tueri. Coustat enim in hoc casu iniuste fuisse praescriptionis exor-
dium. Nulla ergo praescriptio in hoc casu locum habet ut XIU. di.
xc. III. di. illud et di (:. contra morem XXXII. q. V. quidam. Solutio.
Literftturgesebichte der compiUtiones antiquae etc. 68
dici potest quod se tueri possit non momento longae praescriptionis
sed praetextu diuturnae episcopalis taciturnitatis, qua episcopus
videbatur consensisse et negotium ratum habuisse. Vel legatur illud
.vel in eadem deeretali sequitur prout et planum erit.
Item quaer. si unus in sua possessione ecclesiam fundaverit et
alius eam ditaverit, quis eorum patronus censeri debeat? Et videtur
quod dominus possidens, ut XVIII. q. II. abbatem. cum j. p. hoc modo
quidem substantialiter acquiritur quia possessioni cohaeret per dita-
tionem vero accidentaliter utpote per extrinseca adminicula. Contra
per ditationem' potius videtur acquiri, cum nisi sufiicienter esset
ditata, consecrari minime deberet ut XVI. q. VI. piae, cum etiam nisi
ministris suflficere possit alii ecclesiae supponetur ut X. q. III. vivo
et ita fieret cappella et ancilla quae modo est per eum qui ditavit
mater et libera. Quid ergo? Solutio; dici potest, dominum posses-
sionis esse patronum quoad jus praesentandi. Numquid aliquid iuris
alii est acquisitum? Resp. est licet enim nil habeat honoris habet
tarnen aliquid commodi honoris ut XVI. q. VII. cuicunque Gliis I. q. I.
constituerunt quod etiam habet et reliquus.
Item posito quod ecclesia ad alium locum transferatur, quaer.
utrum esse debeat patronus novae qui fuit patronus veteris? Ei
videtur quod sie praesertim si ex ditatione j. p. fuit acquisitum» eum
divinaepossessionescum his, quae ecclesiae erantconcollata simul tran-
seant, cum id juris simul esse debeat in accessorio, quod est in pi in-
cipali. Sed contra videtur quod is cuius possessione constituitur ec-
clesia patronus esse debeat cum is ceteris in jure praesentandi prae-
ferri debeat secundum praemissam rationem. Quod quidem verum
est. Nam possessionis dominus erit patronus quoad jus praesentandi,
alius vero quoad alia.
Sed quid si haereticus excommunicatus praesentet, numquid
tenetur admittere? Resp. nequaquam ar. XVI. q. VII. Frugentius.
Quid ergo faciet episcopus elapsis duobus vel tribus mensibus vel
secundum quod ei melius visum fuerit? Poterit eam ordinäre ut in
eartra. de jure p. quon.
Item quaer. si dominus non praesentet et episcopus constituat
aiitequam ex post facto comperto quod supra patronus non fuerit
possit amoveri? videtur quod non, nam sola episcopalis institutio
absque omni praeiudicio praevalet, unde in extra de j. p. dilecti
longe magis cum autem praecesserit ut in extra t. e. de cetero.
64 V. Schulte
E contra qiiod fit in huiusmodi praesentatione patroni, ratum non
habetur ut XIII. q. VII. deorevimus. Item expressum ar. in extra, de
j. p. dilectus. Solutio. Si is, qui praesentat, in possessione sit patm-
nus et eredatur patronus non irritatur institutio, licet alius j. p. evi-
cerit, sit patronatus postmodum ei, in quo casu loquitur idem capi-
tulum d^ ceterOf secus qiiando is praesentat, qui non est in posses-
sione vel saltem non creditur esse patronus, quo casu loquitur capi-
tulum dilectu9» Item ibi sufficit sola institutio episcopi ubi nullum
praesentat patronus vel ex injusta causa praeseutationein differt iit
in illo c. dilectu uti nulla est institutio, ubi spreto patrono instituitur
ut in illo c. decrevimu8\
über den Verfasser lässt sich weder aus dem Werke selbst
noch aus anderweitigen Nachrichten eine Vermuthung aufsteilen, da-
gegen die Zeit der Abfassung ziemlich genau bestimmen. Die
Compilatio prima wird in jeder Quästion citirt, dagegen keine der
anderen, auch nicht einzelne darin enthaltene Decretalen. Solches
war aber nur möglich, wenn die Schrift im Anfange der 90ger Jahre
des XII. Jahrhunderts gemacht wurde, da sich bei der Wichtigkeit
vieler für fast jede behandelte Materie ein Übergehen nicht denken
lässt, eine Unbekanntschaft mit denselben aber vollends bei einem
Autor nicht angenommen werden kann, der, wie sein Werk beweist,
eine umfassende Rechtsbilduiig besitzt. Die Schrill ist werthvoll
und bietet jedenfalls die umfassendsten Erörterungen aus jener
Zeit zu den betreffenden Materien. Schriftsteller, ausser Johannes,
womit nur Job. Faventinus gemeint ist, werden nicht citirt, dagegen
oft von den verschiedenen Ansichten gehandelt.
18. Eine zweite Sammlung enthält derselbe Bamberger
Codex fol. 41 — 56. Sie ist von einem anderen Verfasser, wie die
durchaus verschiedene Methode lehrt, aber aus gleichen Gründen
in dieselbe Zeit zu verlegen. Ob sie voltständig ist, kann ich nicht
behaupten. Sie umfasst 100 Stuck. Jn auch durch Absätze genau
geschiedenen Abtheilungen wird jedesmal der Fall dai^estellt, darauf
folgt die Auseinandersetzung der bejahenden, dann der verneinenden
Grunde, endlich die stets ganz decidirte Solutio. Sie erstrecken sieh
ziemlich auf alle Hauptmaterien der Decretalen. Die ersten sind:
An potestas invita civitate post monachatus possit revoeari?
Veniens quidam ad regnum civitatis juravit se bona fide rectaram
civitatem usque ad annum. Medio vero tempore sui regiminis nuUiu5
Literaturgeschichte der coinpilatiooes anliquae etc. OO
requisita licentia intravit monasterium . . . 2. de praescriptione. 3. de
privilegiis, in quibus aliorum fit mentio. 4. de presbytero peregri-
nante invito episcopo. 5. an episc. possit indicere bellum. 6. an ee-
clesia in laicos compromittere possit in spiritualibus. 7. de negotio
pluribus commisso et in unius absentia finito. 8. an electus teneatur
solvere sumptus factos in definitione electionis. 9. an clerici cappel-
larom debeant interesse electioni archipresbyteri. 10. an sacerdos
compelli possit ad purgationem, qui voTit, se non juraturum. 11. an
cauponibus danda sit eueharistia. 12. an revocari possit quod a ficto
berede datur eeclesiae. 13^ de praescriptione. 14. de hereditate filio
in contentione positi. 15. de jure patronatus et praescriptione mixta.
16. de eo qui fecit sibi relinqui, quod ille volebat eeclesiae relin-
quere. Letzte: Quidam intravit monasterium ea conditione inter-
posita, ut usumfructum praedii unius sibi reservaret.
Alle Qttästionen behandeln einzelne durchaus praktische Fragen.
Diese Sammlungen unter Hinzunahme der altern beweisen, dass die
späteren im Wesentlichen nur Wiederholungen Qber die bereits
früher behandelten Materien sind. Was in den Quästionen des
XIII. Jahrhunderts Neues sich vorfindet, besteht vielfach lediglich
in dem Ergänzen der rationes pro und contra aus den neuen Dekre-
talen und diesen entsprechend ab und zu in anderen Entscheidungen;
auch sind die späteren oft viel ausführlicher. Dagegen kann man
nicht behaupten, dass sie durchgehends geistvoller behandelt sind
und von unbefangener juristischer Auffassung zeugen.
19. Quaestiones Damasi. Über sie werde ich bei dessen
Schriften ausführlicher reden.
IV. Sumxnae.
20. Mit diesem Namen bezeichnet man jeneClasse von Schriften,
welche sich nicht an die einzelnen Capitel anlehnen» sondern die in
den einzelnen Titeln behandelte Materie lediglich in der Reihenfolge
der Titel, daher auch Summae titulorfim genannt, nach selbst ge-
wählter Ordnung darstellen. Sie bilden mithin De kr etalenl ehr-
bü eher im eigentlichen Sinne, welche sich von den späteren syste-
matischen lediglich durch die äussere Ordnung unterscheiden. Es
sind folgende bekannt.
Sttb. d. phil.-hist. Ol. LXVI. Bd. I. Hfl. 5
66 Y. S c b u 1 t e
1. Summa iitularum Bemliardi Papiensis.
Handschriften: 7 sind angeführt in der gleich zu nennenden
Ausgabe i). Dazu kommen die dem Herausgeber unbekannten :
Berlin Kon. Bibl. num. SSO. (bereits naher beschrieben).
Bamberg P. IL 4. fol. 8—23, saec. XIV. Cberschrift 'Inäpit
summa bemardi episcopi faventint , Schlussverse wie in der Aus-
gabe.
Fulda öffentl. Bibliothek D. 5., mbr. fol. s. XIÜ. Sie läuft
in demselben wie im Casseler am unteren Rande des Breriars fort
untl hat regelmässig bei jedem Absatz trotz der Rubrik im Anfange
B. neben sich.
♦Trier Stadtbibl. num. 908, fol. B, XV. (nach dem mir voi^
liegenden Kataloge *)
Ausgabe: Bemardi Papiensis Faventini Episcopi Summa
Decretalium. Ad librorum manuscriptorum fidem cum aliis eiusdem
scriptis edidit Ern. Ad. The od. Laspeyres. Ratisb. 1860.
Die Ausgabe erörtert die in Betracht kommenden Punkte ein-
gehend, weshalb ich mich des Weiteren nicht darauf einzulassen
brauche. Soweit ich mit einzelnen Punkten nicht übereinstimme,
wird sich die Gelegenheit ergeben, dies hervorzuheben.
2. Summa titulorum Damast.
Über sie soll unten im Zusammenhange seiner Schriften ge-
handelt werden.
V. Die Tractatas.
21. Zu diesen dürfen gerechnet werden :
1. Summa de matrimomo des Bernhard von Paria. In der
Ausgabe von Laspeyres p. XLVII. sqq. besprochen und p. 287 bi^
306 edirt. Fast gleichzeitig edirt von Kunstmann in: v. Moy
0 Im Cataloi^« gininl des maniucriU de« bUküotheques pobUqoM des d^prtewi'ih'
Vol. IL (Par. 1855) pag. 59 und 174 werden Codd. als Swamm Benib. de jm
can. bezeichnet; nach den dort mitgetheilten AnAngen au sclüieasen sind sie niete
die Summe, sondern das Breriarium.
*) Da dieser aber, wie ich bei anderen selbst eing-esehenen Handschriften fiiAd. aic^t
rerlissUch, muss ich die Richtigkeit der Angabe dahingestellt sein lassen.
Literaturgeschichte der conipilatioues aottquae etc. D i
uud Vering Archiv f. kath. Kirchenrecht Bd. VI. (1861) S. 223 bis
262 mit vorautgehender Einleitung.
2. Bernhards Summa de electione, besprochen bei Las-
peyres I. c. und gedruckt pag. 307—323.
3. Tancredus Summa de matrimonio. Letzte Ausgabe:
Tancredi Summa de matrimonio edidit Agathon Wunderlich. Gott.
1841. Diese bespricht die einzelnen Punkte. Weitere Handschriften
zu nennen ist unnöthig.
Übrigens tussen diese Schriften» wie die Ordines judiciarii
aus dieser Periode, nicht blos auf den Compilationes antiquae, sind
aber sicher durch die massenhaften Decretalen hervorgerufen worden.
Deshalb habe ich sie erwähnen zu sollen geglaubt, obwohl meine
Absicht nur darauf ausgeht, in diesen Abhandlungen aus Handschrif-
ten Neues zu bieten.
VL Brocarda.
Mir sind nur die des Damasus bekannt geworden, die ich unter
dessen Schriften besprechen werde.
Zweites Capital.
Die eigentliche Glossenliteratur. Apparatus, leeturae,
glossae i).
I. Emleitong.
22. Um das, was ich biete, richtig beurtheilen zu können, muss
man sich daran erinnern, was bisher über diesen Gegenstand ge-
schrieben wurde. Dies ist sehr wenig. Tancred in der Einleitung
'^) über diesen Gegenstand spricht Sar ti gelegenUich bei den einselnen Glossatoren
Wie ich mich vielfach zu uberzengen Gelegenheit fand, hat Sartis verdienstvolles
Werk nur selbststindigen Werth für die Lebensgeschichte der Glossatoren, für
welche es meist aus Urkunden schöpft ; in die Schriften selbst hat er bei den nicht
allbekannten oft kaum einen Blick getban, eine Prüfung der Glossen ist nicht
in seinem Plane gelegen, auch standen ihm, nach seinen Citaten xu schliessen,
wenige Handschriften zu Gebote. DiphvatäeeiuSi Pttmirohu, DotijMt u. A. gehen
auf die Glosse als solche ebensowenig ein. Von Neuem gibt Phillips Kirchen«
recht Bd. 4. einige Notizen, ebenso mein Lehrbuch die bis dahin ausführlichsten
68 V. S c h u I t e
zum Apparate der Compilatio III, die sich in vielen Handschriflen
findet, sagt blos. Verschiedene hätten die genannten Compilatiooen
glossirt oder mit Apparaten versehen.
Johannes Andreae^) gibt folgende Mittheilung über die
CompUationes antiquae: 'Antiquarum eniro compilationum habuimus
recolendae memoriae notatores; Ber. Papi., Jo. Galensem ValtSranum.
antiquum B. Compo.» Rufinum, Silvestrum, Ricardum, Rodoyearo,
Petrum hispanum, Bertran., Dama., Ala., Lau.» Vin., Jo. theutonicum.
Tan., 6. Naso., Jac. de Alben., de quorum apparatUms^ scriptü et
reportationibuB^ aliquibus. additis, Bernardus Parmensis, canonieos
Bo., super hac compilatione apparatum, quo nunc utimur, compila-
vit*. Diese Notizen ergänzt er noch dahin <): 'Bazianum et Gan-
dulphum, .... quorum scripta super compilationibus illis non
habemus, ... praetermisi' <). Bernardus Papiensis, Johan*
Nachweise. Die Abhandlung Laurin's im Archiv f. kath. Kirchenr. too Mo 7 nad
Vering XU. S. 361 ff. ist nur eine ZuaammrnsteUung fremder Aaaa|iräche; der-
selbe hat keine einaige Handschrift vor Augen gehabt Ich darf daher sagen, dats,
abgesehen von der Angabe von ?(amen, eigentlich bisher nichts geschriebea ist.
^) Novella in decret. proem. : oddit, ad Guii. Dur, Speeui. proem. Daaa die m
proem. der NoveUa genannten als Glossatoren der Compilationes anti-
quae aufgeführt werden, sagt er am sweiten Orte mit den Worten: 'Non mireris.
si omnes supra scriptos in prooemio Novellae non descripsi: cum ibi in versic.
aniiquarum solum de bis, qui scripserant super quinque antiqnis compilaUonibos.
vel altera illarum, facerem mentionem^.
*) Addit. ad Speeui, Prooem. Er corrigirt hier IrrthQmer von Durantis. vdcbe
beweisen, dass schon damals selbst solchen Gelehrten ezacte Renntniss der Lite-
ratur fehlte.
') Diese Bemerkung hiitte Laspeyres p. XXXVII. n. 74. veranlassen soUen, t«
prüfen, ob wirklich derselbe als Glossator der Comp. I. erscheinen kann. Lauria
S. 364. fuhrt ihn nach Lasp. ohne Bedenken auf, wagt nur nicht Gandnlphes
bestimmt anzunehmen. Sonderbarerwelse wird von diesem die Stelle ans der IfpteUa
gar nicht citirt! Savigny freilich hatte keinen Grund, sie im 3. Bande abdrackra
zu lassen, wie er es mit der anderen that, die sich auf die Proxessnalistea besof.
Bei Laur in ist auch Johann es Fa ve ntlnus [von dem aber sogar Ja. Am^^eat
in der von Laurin citirten SteUe sagt, er citire keine Decretale, was
objectiv bekannUich nicht ganx richtig ist], Rufinus [nur wird die IdeBtitit mit
dem Verfasser der Summe des Decrets ungewiss gelassen], Sylvester, Jo-
hannes Hispanus [die beide nach Job. Andr. keine Decretalen citirea, aoa-
dem nur nach einem on dit 'certas compilationes' gelesen haben J, Buge,
[den nicht einmal Andrefi als Glossator der Comp, nennt, sondern nar als aie ge-
sehen habend anfuhrt], als Glossator der Comp. 1. genannt
Literaturgeschichte der compilatioiies antiqiiae etc. 69
nes Gaiensis et antiquus Bernardus Comp, waren 'compila-
tores non solum glossarum, sed textuum', desshalb habe er sie vor
RuSdus und Silvester gesetzt. Bern . . . fecit summam . . . fecit
etiam super illa (compilatione) paucas glosaellas. Job. Gal
aliquns glossaa fecit Bern. Comp. ... legerat duas priroas com-
f\\9MovLQ% ei apostillaa dederat super Ulis. 'Rufinus (de quo in
9. quaest. 1. in summa, 3. qu. 4. in summa de poen.» dist. I. c. quis
aliquando §. illud autem, de bigamis cap. 2. in 4. glossa) et Syl~
vesier^emns fuerant duae primae glossae decretalis ad nostram
de consuet.) et Joannes Hispanus fecerunt leeturas super
Decreto, in quibus nullam decretalem allegant. Idem dico de Joanne
Faventino. . . Praevenerunt enim compilationes, de quibus supra.
Dicuntur tarnen primi duo superrixis^e, et certas compilationes
legisse, et sie reportatas post eos aliquas apostillas. Hugo certum
est, quod vidit primam et secundam compilationem; in sua tamen
summa rarissime decretales allegat , , . Richardi Anglici videtur
fuisse glossa ultima decr. ea? lit et infra, de spons. Rodoicus
habuit cognomen Modicipassus ... sibi etiam multae glossae
signantur . . . (er sagt dann R. könne auf ihn. Ruf. und Rod.
gehen).
De Meten do not. 19. d. e. seeundum, 27. q. I. e. virg., et de
serv. non ord. c. nullus, et de accus, veniens in 1. gl.
De Petro Hispano de appel. c. pastoralis, in gl. haec ratio, et
50. d. in summa, 11, q. III. c. nemo cond., 33. q. I. c. siquis accep.,
. . .Bertrandi glossae fuerunt. . .
Damasus fecit summam super primam comp, et librum Quaest.
super multis Decretalibus et Brocarda; et hunc allegat gl. 2. in
decr. ad haeCt de rescriptis.
Älanit Laure?itiif Vincentii, Johannis Teut., et
Tancr» glossas abundanter habemus.
Vinc. autem, qui scripserat super quarta comp., facta comp.
Gregorii glossavit illam. Tancr. autem in ant. comp, allegat Vincen-
tium et ipse Vinc. in comp. Greg, allegat Tancredum. Bazianum
miror per auctorem omissum : de quo multae glossae loquuntur ....
De Gandulpho idem dico ... GuiL Nasonis reportationes
TMiUas habuimus, et de ipso loquitur glossa decr. ad hoc quon., de
appiU. Jac. de AI, magister Hostiensis, ^/oMavtV Jlonortana«.'
70 Y. S c h o 1 1 e
23. Verbindet man diese Stellen mit einander und prüft sie
genau, so ergibt sich einmal, dass Johannes Andrea in der That io
mancher Beziehung sehr exact ist, sodann die volle Unstichhaltigkeit
der gewohnlichen Aufzählungen schon aus Johannes Andreas Worten.
Werden dann die wirklichen thatsächlichen Angaben von Johannes
durch die Handschriften unterstützt, so durfte soweit ein unbedingt
sicheres Resultat vorliegen. Um aber hier nicht fehl zu gehen, muss
der Zweck der doppelten Notiz ins Auge gefasst werden. Er sagt
in der Novella ausdrücklich i), aus den 'apparatus^ scripta, repor-
tatiofiea' der von ihm Genannten und einigen Zusätzen habe Beroard
von Parma seinen Apparat gemacht. Also sind alle apparaim, dann
Schriften jeder Art, reporiaiionea d. h. Comment^re, Noten <) Ton
Schriftstellern gemeint, die Bernard von den älteren benutzt.
Diejenigen, welche nach Abfassung der Gregorianischen Dekretalen
geschrieben haben, zählt er nachher auf; unter diesen kommen auch
nicht blos Glossatoren der Comp. Greg. vor. In den Addit. ad Spec*
corrigirt und ergänzt er Duraniisp der überhaupt die Canonisten
aufzählt. Johannes hat also hier gar nicht die Absicht, etwa die
Glossatoren der Comp, antiquae aufzuzählen. Folglich ist es verkehrt.
Einen zu den Glossatoren der Comp. ant. zu rechnen, weil ihn Job.
Andrea an der einen oder anderen Stelle nennt.
24. Prüfen wir nunmehr seine sachlichen Angaben. Als Glossa-
toren der Comp. ant. ohne weitere Bestimmung nennt
er ausdrücklich: Johannes Galensis, Rodoicus Modici-Passus,
Bertrandus, Alanus, Laurentius, Vincentius, Job. Teutonicus, Tanc-
redus.
Glossen zur Comp. I. schreibt er zu: Bernardus Pap.
' Glossen zur Comp. V. schreibt er zu : Jac. de Albenga.
Mit keinem Worte sagt er, dass die Comp. ant.
glossirt hätten: Rufinus <), Sylvester, Johannes Hispanus, Joh.
*) In der additio ad spec. druckt er sich ungenaa aus, weon er angibt, er habe in der
Novella jene erwlhnt, welche über die comp. ant. geschrieben bitten.
^) Siehe Ducangre sub. h. r. u. Katalog der Stationarien, wo für ^reprobatioae»
Gaidonis de znzarici super ff. vetus^ offenbar rfportaftbnM tu lesen ist.
^) Er fShrt nur an (d e quo), wo derselbe erwähnt sei. Untersucht man bei dies«
und den folgenden genauer, so findet man, dass die betreffenden Bfittheflanfea
überall auf deren Summen tum Dekret sich stutzen. Für Rafinus, Hugo, Joh. Ftv.
kann dies leicht erwiesen werden. Ich unterlasse indessen die Stellen der Glosse
und die besüglicben der Summen herznsetcen, um nicht aUzu ausführlich tu werd««-
Literaturgeschichte der CompiUtiones antiquae etc. 7 1
Fayentinus i) , Huguccio, Melendus, Petrus Hispanus, Damasus,
Bazianus« Gandulphus.
Unbestimmt ist, was er sagt über: Guil. Naso'), Ri-
eardus Anglicus, bei welchem letzteren er übrigens ebenso gut an
dessen casus denken kann.
25. Hat sich auf diese Weise der Kreis der wirklichen Bear-
beiter der Glossatoren der alten Compilationen bei ihm verengt, so
sind andererseits die bis jetzt mitgetheilten Angaben von Johannes
Andrea noch nicht erschöpfend. Es fehlt Laborans<), Gratia
Aretinus*), Lanfrancus Cremensis») (f 1229).
Einen nennt er, den Paulus Ungarns«) aber nicht als selbst-
standigen Schriftsteller, sondern als blossen Sammler Ton notabilia
zur Comp. II. et III.
Mit diesen Angaben von Johannes Andrea stimmen meine handr
schriftlichen Studien überein; jedoch werden jene bedeutend zu
ergänzen sein. Auch ist zu bedenken, dass ihm die Glossen nicht
nach ihrer literarhistorischen Seite Interesse einflossten, noch wegen
der Dogmengeschichte, sondern nur wegen ihrer Bedeutung für das
geltende Recht, das man allein damals im Auge hatte.
Hieraus dürfte sich auch wohl zur Genüge schliessen lassen,
dass man kaum damals die Handschriften genau prüfte.
26. Aus Handschriften lässt sich aber wohl einzig und allein
feststellen, wer eine Compilatio glossirt hat. Denn die Anführung der
1) Sa|(t er noch obendrein, sie seien Slter als die Comp, ant., eitirten keine
Dekretalen — was freilich nicht wörtlich zu nehmen ist — so ist für Joh.
H i s p. u. J o h. F a V. gar kein Zweifel. Die Einschränkung bes&glich R n f i n n s
und Sylvester fnsst auf einem soll und enthilt soletst nur, dass einige
apostillae nach ihnen abgeschrieben wfirden. Folgt aber daraus, dass man
Z us2tae aus deren Summen machte, etwas f&r ihre Autorschaft Ton Glossen?
2) Ihm legt er viele reportationes bei, aber keine Glossen au den Comp. ant.
Wahrscheinlich hat er einxelne Dekretalen commentirt. Dies scheint mir auch
aus seiner Lectura, über die ich später berichten werde, hervorsugehen, weil diese
eine Zusammenstellung von solchen Erörterungen ist.
') Sar t i I. p. 314 und Append. pag. 191 gibt den Cod. Vatic. num. 1378 ab dessen
Glossen enthaltend zur Comp. HI. in einer MTeise an, dass kein Zweifel bleibt.
^) Sarti 11. pag. 28, der die Citate von Durantis Spec. tit. de pro cur. f. nt
antem n. 15., de teste f. 1. opponitipr n. 73 anfuhrt.
*) Sarti 1. p. 317.
') Vgl. das oben Cap. 1. num. 1. 2. angefahrte Citat.
72 V. S e h u 1 t e
Glossa ordinaria beweist nur dann, wenn sie zugleich sagt, dass das
Citat eine Glosse zu einer der Comp, antiquae enthält
und wir nicht den Irrthunv nachweisen können. Dass die blosse An-
fuhrung nicht genfigt, ergibt sich einfach aus der Erwägung, dass
sehr viele Dekretalen über Gegenstande handeln, die auch im Dekret
vorkommen. Wenn nun bei solchen die Meinung aus einer Glossa oder
Summe zum Dekret angeführt wird, so ist deren Autor damit nicht
zum Glossator der Comp. ant. erhoben worden i). Weiter kommt in
Betracht, dass die Glossa ordinaria zu den Dekretalen Gregors IX.
in der Gestalt, wie wir sie durchweg in Handschriften besitzen <).
überhaupt kein sicherer Führer ist. Zwischen ihr und den meisten
Schriften über die Comp. ant. liegen oO Jahre. Dass Bernhard seine
Glossen nicht sämmtlich aus Glossen im eigentlichen Sinne, d. h.
aus Zusätzen von Handschriften entnommen, ist gewiss; er hat sie
vielfach entnommen aus Summen n. dgL Wie leicht aber bei der
Verarbeitung, bei häufigem Abschreiben sich Irrthümer einschleichen
ist Jedem bekannt, der solche Studien gemacht hat.
Auch möge hervorgehoben werden, dass Bernhard die Meinung
eines Schriftstellers zu irgend einer in einer der Compilationes anti-
quae enthaltenen Dekretale anführen kann, ohne dass daraus im Ent-
ferntesten folgt, derselbe habe die Comp. ant. glossirt
Endlich ist nicht zu übersehen, dass die Chronologie mit zu den
schwächsten Punkten der älteren Literatur gehört, wie die einzige
Thatsache zur Genüge beweist, dass man schon im 12. Jahrhundert,
noch mehr im 13. über die Zeit der Entstehung des Dekretes nicht
im Reinen war. Aus diesen Gründen haben die meisten bisherigeu
*) Man darf also nicht jene für Glossatoren ansehen, die in der Glosse genannt
den, sondern denen die Glosse zugeschrieben wird. Aber auch in die-
sem Falle muss man noch untersuchen , ob nicht etwa die Dekretale nnd die «b«r
sie ausgesprochene Ansicht sich rorfindet in einer Arbeit über das Dekret. Dieses
aber trifft in bei verschiedenen spSter in die Comp. I. aufgenommenen Dekretalen.
*) Es ist bisher mit Sicherheit keine Handschrift nachgewiesen, welche die Glosse
etwa in der ihr suerst von Bernhard de Botone gegebenen Gestalt enthilt. Uwu
er aber sehr lange daran gearbeitet bes. sie umgearbeitet hat, steht fest. Die
Ausgaben der Glossa ordinaria sind durchweg grSulich. Aus dem Wüste tob
Zusfitzen des Guido de Baysio, Jo. Andr. u. s. w. ISsst sich kaum zurechtfindea.
Man muss sich auch im 19. Jahrhundert einfach an Handschriften des XIII. Jahr-
hunderts halten, wenn man nur entfernt sicher gehen will.
Literaturgeschichte der Compilatioues antiquae etc. 73
bald nur auf fremde Mittheilungen desselben Charakters bald höch-
stens auf die eine oder andere Handschrift gestützten Untersuchun-
gen für die Literaturgeschichte nur einen sehr untergeordneten
Werth i). Es kommt mir nicht in den Sinn, meine Untersuchung für
abschliessend zu halten; immerhin aher glaube ich, dass dieselbe,
gestützt auf eine Anzahl alter Handschriften der verschiedensten
Lander und Bibliotheken über die aus diesen gezogenen Resultate
entscheidend ist.
Bei dieser Untersuchung berücksichtige ich nicht diejenigen
Namen, welche nur in Glossen citirt werden, weil dies
nach dem Obigen keine Gewähr bietet, sondern lediglich jene, mit
deren Namen die Glossen gezeichnet sind und zwar bloss
dann, wenn diese Glossen in Handschriften der Comp,
antiquae sich vorfinden. Für diesen Fall hat man einen festen
Boden, weil die Abschreiber von Profession wohl Schreibfehler
machten, aber nichts zuthaten. Stimmt mit den also gewonnenen
Resultaten die Angabe von Alteren uberein, so hat man wohl Sicher-
heit. Wir sind dabei in keiner ungünstigeren, vielleicht in einer
günstigeren Lage als Johannes Andrea. Denn es ist sehr zu bezwei-
feln, dass dieser nur sehr alte Handschriften gehabt habe, vielmehr
wahrscheinlich, dass die alten ausser Cours kamen, die neuen be-
liebter waren. Ein Beweis dafür dürfte darin liegen, dass Johannes
Andrea mehr als ein älteres Werk nicht kennt, das noch jetzt in deut-
sehen Bibliotheken liegt, wohin es offenbar früh aus Italien ge-
*) Ant. Aujfustinus Prooem. nennt für die Comp. 1.: Bern., Vinc, Alan.. Tancr.,
Lanr., Rogerius, Ruf., 8ilv., Joh. Hisp., Joh. Far , gibt aber an, er habe die
Schriften der 4 letzteren nicht geaehen, fuhrt auch nicht an, wie bei den anderen,
dass mit ihrem Nansen bezeichnete Scholien rorkommen. Zur Comp. II. gibt er
an: Joh. Gal., Hugo Ferrar. Episc, Bern. Comp., sagt dann aher ausdrucklich:
geseichnete Scholien habe er nur gesehen von Vinc, Tan., Alan., I^Jiur. und
manche ohne Siglen, die er Joh. Gal. zuschreibe. Zur Comp. III. habe er nur die-
selben Namen gesehen, Joh. Andr. nenne aber auch als interpres den Paulus
Hungarus (dies ist ungenau). Zur Comp. IV. habe er nur Joh., Jacob., Roh. oder
Rog. gelesen, es werde aber auch Vinc. angegeben. Die Comp. V. habe Jaeobus
Albanus glossirt. Somit stimmen des A n t. Aug. auf eigene Renntniss gestützte
Angaben mit meinen Forschungen, die auf Joh. Andr. und Durantts gestutz-
ten sind Folge einer ungenauen Leetüre.
74 V. Schulte
bracht wurde, j^ dass gerade die Bibliotheken zu Bologna sehr
wenige i) alte Handschriften besitzen.
Ein Umstand ist bei dieser Untersuchung von Bedeutung. In
den meisten Handschriften kehren dieselben Glossen mit denselben
Siglen wieder. Das deutet offenbar darauf hin, dass sich allmälig
vor Entstehung der Compilation Gregors IX. ein stehender Apparat
zu den einzelnen Comp. ant. bildete. Denn dass nach Entstehung
der Gregoriana eine Comp. ant. noch bearbeitet worden wäre,' ist
gegen positive Nachrichten <) und widerspricht der Natur der Sache.
Alle Handschriften sind also offenbar Abschriften von solchen aus
der Zeit vor 1234, oder sind, was bei verschiedenen zutrifft, älter.
Auf Angaben dritter nach Handschriften nehme ich nur insoweit
Rücksicht, als die Art und der Zweck der Mittheilung eine Gewahr
bietet für eine wirkliche Untersuchung der Handschriß.
Selbstverständlich beweist eine nicht signirte Glosse, sobald
ihr Inhalt als solcher genau durch sichere Glossen anderer Verfasser
einer bestimmten Person zugeschrieben wird. Damit habe ich die
Grundsätze für meine Untersuchung dargelegt.
n. Die Handschriften 0*
27. Handschriften der Compilatio prima mit
Glossen:
0 nies ergibt z. B. der Katalog von B 1 u h m e. Et erhellet daaselhe an« dem bei
Sarti App. pag. 214 tqq. ond r. Stvi gny MI. S. 649 ff. abgedmckten Veneie^
nias der Stationarien, worin nicht viele alte Werke vorkommen.
2) Job. Andreae.
3j Bei den von Bluhme Bibl., — im Catalogne gen. des manoscriU des d«p.
(mit der spfiter hervorgehobenen Ausnahme), Hinel Catalogus, — Bandini
Catal. Codd. Laur. u. a. aufgeführten Handschriften ist jede B«angiiahBe aaf
Glossen nnterblieben, oder doch so ungenav, dass es überflüssig ist, darauf Rick-
sieht tu nehmen. Eine grosse Zahl von Handschriften der Comp. I. und auch der
anderen haben keine Glossen. Sarti gibt mehrmals (s. B. bei Vinceati os 1.
p. 344) an, er habe Handschriften mit der Glosse dieses oder jenes im Yatican
u. dgl. gesehen, ohne die Handschrift au beaeichnen. Ich beabsichtige hier nicht,
die mir bekannten Handschriften mit Glossen aufousiihlen, sondern nur jene, irelche
ich zum Theiie einem sehr eingehenden Studium unterzogen habe ; genas hahe
ich alle eingesehen. Es möge hier noch die Bemerkung Platz finden, daas g^g^m-
über der Ausgabe manche Handschriften z. B. die Trier, Fuldaer u. s. v. Ver^
«ohiedenheiten in der Zahl, Stellung der Capitel, Inscriptionen u. s. w. darbiete«.
LiteratargeschiGhte der Compilutiones antiquae etc. 7S
1. Berlin i)y Staatsbibl. num. 231. (unzweifelhaft aus dem ersten
Anfange des XIII. Jahrh.) fol. 1 — 119 b.
2. Melk, Stiftsbihl. F. 33. mbr. fol. s. XIU.
3. Toulouse, Stadtbibl. B. 36. mbr. fol. s. XIII.
4. Angers, Stadtbibl. num. 362. mbr. fol. s. XIII.
K. Chartres, Stadtbibl. num. 356. mbr. fol. s. XIII.
6. Chartres num. 462. mbr. fol. s. XIII. ex.
7. Bamberg P. II. 7. fol. mbr. s. XIV.
8. Bamberg P. IL 10. fol. mbr. s. XIII.
9. Bamberg P. II. 6. fol. mbr. s. XIII.
10. Bonn (Bibl. B5cking*s). fol. mbr. saec. XIII.
11. Trier, Stadtbibl. Nr. 864. mbr. fol. saec. XIII.
12. Halle, Universitätsbibl. Te 80., fol. mbr. saec. XIII.
13; Halle, Uniy. Bibl. Cod. mbr. fol. Ye 62. saec. XIV. DemBre-
Tiarium gehen vor und folgen nach allerhand andere Stücke.
14. Leipzig, Universitätsbibliothek Nr. 983., fol., mbr.
saec. XIII auf XIV.
16, Dieselbe Bibl. Num. 968. fol. mbr. s. XIV.
16. Fulda, öffentl. Bibl., D. 6., mbr. fol., saec. XIII. auf XIV.
(ehemals Weingarten gehörig).
17. Fulda, D. 6., in 4^ mbr. s. XIII. (ehemals Weingarten
gehörig).
.*
28. Um nun zunächst den allgemeinen Überblick zu verschaf-
fen, stelle ich die vorkommenden Siglen zusammen mit Angabe der
Handschriften, in denen sie vorkommen, nach den obigen Nummern.
A. a. al ala. alanus: 1. 3. 4. 6. 6. 8. 9. 10. 11. 12. 13. 17.
B.: b. b\ be (8): 2. 3. 4. 7. 8. 11. 12. 13. 17.
Jo.: 1. 10.
L. L: 1. 2. 3.4. 8. 9. 10. 11.
La. la. Fa.: 6. 9. 10. 11. 15.
Lau. law.: 2. 4. 6. 6. 8. 10. 11. 17.
/>.: 1. 3. 11. 17.
R.: 1. 2. 4. 6. 6. 8. 9. 10. 11. 12. 13. 17.
^) Vergl. diis oben Cap. I. S. 85 tieaa^te. Ich füge hinzu, data die Folge der Capitel
gegenfiber dem Abdrucke TOn Aiit Anguatlnna mehrfach abweicht. Z. B. im
Tit. 36. L. V. fehlen c. 13, 14; im Tit. 37 folgen sie also: c. 8, 4, 8, 6, 7, 9—
12; 13. 14 fehlen.
76 * V. 8 c h tt 1 t e
F. ri. mnc. vn.: 1. 2. 3. 4. 5. 6. 8. 9. 10. 11. 12. 13. 17.
71 tan. tancr.: 1. 2. 3. 4. 5. 6. 8. 9. 10. 11. 15. 17.
«r. 8.
Den Apparat des Tancred enthalten mit Sicherheit:
1. 3. 4. 5. 6. 8. 9. 10. Iß. 17.
Den Apparat des Vincentius enthält 14.
Über jene, die des Alanus Apparat bieten, spreche ich dem-
nächst besonders.
29. Handschriften der Compilatio secunda mit
Glossen.
1. Toulouse (sub 27. num. 3).
2. Chartres 3K5 (num. 5).
3. Chartres 462 (num. 6).
4. Bamberg (num. 7).
5. Bamberg (num. 8).
6. Bamberg (num. 9).
7. Bonn (num. 10).
8. Leipzig 968 (num. 15).
9. Fulda D. 6. (num. 17).
10. Chartres 364, mbr. fbl. saec. XUI.
11. Marburg, Universitatsbibl. C.2., fol. mbr. s. XIII. fol. 1—71.
30. Die vorher angegebenen Siglen fähren folgende Hand-
schriften.
A. 1. 2. 3.4. 6. 7. 10. 11.
B. 2. 5.
Jo. 7. 11.
L. 1. 2. 3.4. 5. 7. 9. 11.
La. 3. 5. 6. 9.
Lau, 5. 6. 11.
G. 3. 6. 9. 10.
Ä. 3.
V. 3.
T. 1. 2. 3. 4. 5. 6. 7. 8. 9.
ac. 9.
Den Apparat Tancreds enthalten die Nummern: 2. 4. 5. 6. 7.
8. 9. 11.
31. Handschriften der Compilatio tertiamit
Glossen.
Literaturgeschichte der Compilationes antiqnae etc. 77
1. Melk (sub 27. num. 2).
2. Toulouse (num. 3).
3. Chart res 3SS (num. S).
4. Chartres 462 (num. 6).
8. Bamberg P. II. 7 (num, 7).
6. Bamberg P. II. 6. (num. 9).
7. Leipzig 983 (num. 14).
8. Leipzig 968 (num. 16).
9. Fulda D. 6. (num. 17).
10. Chartres 364.
Siglen stehen in folgenden Glossen und zwar von :
Jo. 2. 4. 6. 8. 9.
L. 1. 4.
La. 2. 4. 6. 8. 9.
Lau. 1. 2. 9.
F: 1. 2. 3. 4. B. 6. 8. 9.
T. 1. 2. 3. 4. 6. 9.
siL 4. 6.
Den Apparat Tancreds enthalten 3. 6. 8. 9., den des Lau-
rentius 2, des Vincentius 3. 7.
32. Handschriften der Compilatio quarta mit der
Glosse des Johannes Teutonieus.
1. Chartres 385 (sub 27. num. 8).
2. Bamberg (num. 9).
3. Bonn (num. 10).
4. Leipzig (num. 18).
8. Fulda (num, 17).
6. Marburg C. 2.
Dahin ist auch zu rechnen der Abdruck nach einem Codex von
Palermo und Collationen solcher von Tarragona und Barcelona in
der Ausgabe von Antonius Augustinus <).
33. Handschriften der Compilatio quinta mit der
Glosse 3): Chartres 462. Sie hat die Siglen Ja. Jac. la\ ac.
<) Ausg. BarcinoDe 1592 am Ende, ofaoe Foliiruog; edit Paris. 1621 pag. 797 sqq.
Vgl. daselbst p. 733.
*) CIronios lo seioer Ausgabe Prtef. sagt, er habe keine Handschrifl mit der
Glosse des *Joh. Albanus^ gesehen, dem Joh. Andreae sie saschreibe. Dass die-
ser Job. Albanus nur ein Schreib- oder Dmekfehler für Jacobus de Albenga oder
Albing. sein kann, scheint ihm entgangen zu sein.
78 V. Schulte
m. Die Apparate und Glossen der Compilatio prima.
Wir besitzen die Glosse der Compilatio prima in einer Weise
in alten Handschriften aufbewahrt, dass wir kaum einen Punkt der
Literaturgeschichte deutlicher verfolgen können. Da nun die Be-
trachtung der ältesten nothwendig bedingt ist durch eine genaue
Kenntniss der sie enthaltenden Handschritlen, und da es sich hier
um ein gänzlich unkultivirtes Feld handelt, so muss ich mir eriauben«
auf einige Codices und damit zugleich auf die verschiedenen Formen
der Apparate genau einzugehen «).
A. Codex Hallensis Ye. 80.
34. Der Codex der kön. Universitätsbibliothek zu Halle Ye 80..
mbr. fol. saec. XIII., enthält die Compilatio prima in einer eigen-
thümlichen Gestalt. Auf dem unteren Rande läuft nämlich in Gestalt
eines Commeutars die Summa des Bernhard von Pavia, andern
oberen und den Seitenrändern sind Glossen zugeschrieben *). Letz-
tere haben nur die Siglen: b. 6*., welche offenbar Bernardus
bedeuten, oder gar keine; dieses ist bei den meisten der Fall. Es ist
gewiss kein Grund, die signirten Glossen nicht Bernhard von
Pavia zuzuschreiben, zumal der Codex gerade dessen Summe zu-
gleich enthält. Dafür spricht auch, was Laspeyres bereits hervor-
hebt, dass in den Glossen keine Decretalen von Innocenz ID.,
sondern nur von Clemens HI. und Cölestin IIL. aber fast nur
mit dem Namen des Papstes, nicht als Citate einer Sammlung ange-
führt werden. Denn daraus darf wohl mit Sicherheit geschlossen
werden, dass das Original dieser Handschrift vor 1198 bez. vor
Abfassung der Comp. III. und IL, d. h. vor das Ende von 1210 föllt.
Ersteres, dass es vor 1198 oder doch in die ersten Regierungsjahre
^) Mit Rücksicht «of die im Laufe der DarsteUuog nöthigen Venreisangen fruker
▼orkommender Stellen nnmerire ich dieselben fär jeden Codex fortlaafeod.
*) Laspeyres in «einer Ausgabe pag. XXXH. sqq. hat diesen Codex gena« be-
schrieben und pag. 3^ — 326 die mit b signirten Glossen abdrucken lasnen. Sr
fuhrt auch die Citate der Glossen an, spricht fiber den Anhang und gibt den Cba-
rakter der Glossen an. Mit Unrecht sagt er aber p. XTYV., die Siegle b. f»»*
nur auf Bemb. Pap., da sie auch auf Bern. Compostell. sen. passen kdnnte. — leb
habe den Codex einem eingehenden Studium unterzogen.
Literaturgeschichte der compilMtiones Hntiquae etc. i u
Innoceuz III. fallt, ist aus dem Grunde wahrscheinlich, weil bei
der Wichtigkeit mancher Decretalen desselben deren Nichtbeaehten
kaum erklärlich wäre. Übrigens ist immerhin möglich, dass bei Ab-
fassung bez. Zusammenstellung der Glossen schon eine Sammlung
Yon Extra>'^ganten, ähnlich dem Appendix dieses Codex, vorhanden
war. Denn ein Citat ohne den Namen des späteren Papstes steht
z. B. c. 1. qui clerici vel voventes mit den Worten: *ut extra per^
venif, d. h. c. 6. de seut. excom. Compil IL zu c. 3. de eo qui
cognov.: 'extra super eo quod 8ollicitudo\ d. h. c. 1. I. IV. 7.
Comp, IL, zu c. 2. de cons. v. quaestionem: Hn novella, a nobis
ex parte%A. contra', d.h. c.4. qui matr. accus. IV. 12. Comp. IL
Gewiss aber existirte die bei Tancred, Laurentius u. s. w. vorkom-
mende technische Bezeichnung Liber IL, III, noch nicht. Ja ich
glaube auch daraus, dass nur extra nicht aber zugleich eine
Rubrik citirt wird, im Hinblicke auf die sonst regelmässig befolgte
Methode schliesseu zu dürfen, dass die Glosse mindestens vor eine
irgendwie angenommene Sammlung, d. h. vor Gilbert fällt. Man
darf sie also immerhin dem XII. Jahrhundert zuschreiben. Mit dieser
Annahme stimmen die Citate, von Canonisten: Huguccio, Job.
Faventinus^f Bazianus, Legisten: Bulgarus, Job. Bassia-
nus, Alberieus, Aldricus, Martinus, da diese sämmtlicb vor
das Ende des 12. Jahrhunderts fallen.
35. Dass von den nichtsignirten Glossen manche Bernh. Pap.
nicht angeboren, hat Laspeyres bereits daraus bewiesen, dass sie
denselben tadeln, ergänzen, geradezu anführen. Wem sie aber ange-
hören, lässt er unentschieden. Gewiss ist nun, dass verschiedene
Glossen angehören R, (Ricardus Anglicus). Dies beweist:
1. dass eine Anzahl derselben in anderen Handschriften die
Sigle R. haben. So die aus dem Trierer Cod. 864. mitge-
theilten zu c. 3. de rescr. v. in expensis ar. victum etc., die
wörtlich bis auf einige Varianten steht, zu c. in cunctis de elect. v.
^) Lispeyres lästt unenUchieden, ob Job. Fiv. oder Teut. gemeint oei, vermuthet
aber dis Erstere. Dies ist gewiss, weil die Stellen in der Thst in des Fiventinus
Summe stehen. Laspeyres begebt unsShIigemalen den Fehler, Vermuthungen
anftttstellen, t. B. selbst aus den Angaben in HaeneFs Catalogus, der ja nur eine
erste Orientimng besweekt. Treffen auch solche sufillig su, so sind sie doch
absolut werthlos, wenn keine inneren Grunde dafür sprechen.
80
T. Schulte
titputa factus est etc. Dies stimmt bei einer ganzen Menge. Nicht
blos die Autorität des Trier*schen Codex bürgt dafür, sondern auch
der Codex Ye 82. der Hallenser Universitätsbibl. hat einige, welche
sowohl in ihm als in dem von Trier die Sigln R. haben, im Cod. Ye 80.
aber ohne Sigle sind, z. B. zu e. ex multvpliei 17. de deeimis IH.
26. V. quietat^: 'Ar. quod rebus nondumhabitis possit quis renuntiare:
if. de acquir. he., ü quL Contra if. de regulis juris, qui pot. Solutio,
non potest quis renuntiare juri suo, antequam sibi competat, ut ibi,
pacisei tamen potest, ut hie et if. de pactis, et heredi §. filia [1. 21.
§. 3. Dig. H. 14. Das Citat ist nur in Ye 80. richtig geschrieben].
R" Auch im Cod. Bamb. P. 0. 6. hat diese Glosse die Sigie A
Im Cod. Fuld. D. 5. ist die Glosse nicht signirt, das Digesten-
citat fehlt.
2. Das« der Glossator in verschiedenen Stellen ein Werk von
sich citirt, dies aber auCRichardus passt, wie die neben einander
gestellten Citate beweisen :
Glossa zu c. de peregrin. 1. de
voto et voti red. v accepta :
a) 'Nota hie compensationem voti
ad melius admittendam, quod
\n di. plene notavi. quando
admittatur compensatio, di.
LV. si eoangelica-
b) Zu c. 2. de accus, v. exilium:
exilium distingue, ut in summa
distinctionum scripsi 11. q. I.
xnprimiB.
Di LV. c.
uU, com-
pensatio
habetur
Richardi^) Distinctiones super
decretis (Cod. Musei bohemiei
Pragae I. B. 4).
( minoris mali ad maias
malub. haec in di-
yersis personis pro-
hibetur . . , in eadeni
permittitur u. s. w.
retrusionis , qoando
eertus locus ascribitur
XVI. q. I. probrum
et omnis alius negatur
latae fugae quando
eertus locus interdiei-
tur et omnis alius eon-
cediturevagationis. . .
circumscript.
II. q. in
primis di-
citur exi-
lium
1) Es genügt hier der Beweis der Autorschaft, wesh«rb ich die DitÜDctioBen seihst
nur andeute.
Litenitargeschicbte der Compilatioaes antiquiie etc.
81
c) Zu c. 3. de usuris v. prohib. :
'Solatio nunquam praetextu
boni est malum faciendum, et
sie intelligo primum generale.
Non poteat autem dici malum
quod fit canonis auctoritate
tune autem locus est coinpen-
sationi, sicut patet per haec
contraria. Cum locus est dis-
pensationi dispensandum est
aut cum suadet pietas, cum
publica necessitas» cum blan-
ditur atilitas, quod verum est,
nisi , dissuaserit enormitas
eommissoruro, vel cautela fu-
lurorum, ut plenius distinxi
I. q. VIL §. muliorum' [in
dicto post c. 5].
I. q. VU.
multorum
no. di-
spensa-
tionem
factam
contra apostolum, qui
dicit» decet omnem
episcopum monoga-
mum esse in arcbie-
piseopo panormitano.
contra jus naturale,
ttbi dicitur: Tovete et
reddite etc., XXXIII.
q. V. manifestum,
exira de roto et vo.
red. magnae.
contra statutum uni-
versalis eccL, ut in
spiritualibus probibe-
tur successoris de-
signatio VIII. q. . I.
apostolica, sed con-
tra VII. q. I. petisti.
contra canones apo-
stoiorum, quibus de-
ponitur'presbyter for-
nicatus , sed contra
prbr si for.
contra evangelium et
ius natur., quae prae-
cip. decimas dare etc.
contra IUI. principalia
concilia . . .
36. Bei einer ganzen Zahl Ton Stellen lässt sieh zeigen, dass
der Autor der Glossen und Distinctionen derselbe Richardus ist
Das angeführte Citat in der Distinction zu C. I. q. VII. ist c. magnae
3. de voto et Toti red. III. 26. der CompilaHo ierüa. Hieraus folgt,
ÖBS» Richardus bei Abfassung der Distinctionen schon eine Sammlung
vor sich hatte, in welcher dieses Kapitel unter den Titel de voto
eingefügt war. Er citirt übrigens auch in seinem Ordo judidarius
SIellaii der Comp. II. nach Titeln (z. B. c. 1. de fide iustrum. ex
literis quae nobis (Witte Programm v. 1851 Halle p. 33). Aber
nirgends hat er den Ausdruck Liber IL oder III.
Siixl»- d- pbil -bist. Cl. LXVI. Bd. I. aft
6
82 V. S c h u I t e
Andere Glossen ausser den mit seiner Siegle versehenen und
von Laspe} res abgedruckten gehören an AlanuSf wie folgende Daten
beweisen :
aj Im Cod. Ye 52 Halle steht zu c. 3. de jad.:
'Hie eipresse habetur, quod judex Ordinarius potest reeusari.
Quod verum est secundum canones, ut HI. q. V. quod suspecH, II.
q. VI. placuüf et etiam secundum leges videtur, ut C. de jurisd.
G. 1. Ar. contra. HI. q. IHI. §. offeratur, C. Imper. inter 1. 1. [C.
quando imp. int. pup. HI. 14.] A.' [in Bamb. P. II. €. ist sie ge-
ändert und t, signirt].
bj Im Cod. Ye 80. heisst es dazu :
'Ar. judicem ordinarium reeusari posse: UI. q. V. quodsuspeetif
J. de appell.c. si in una (?), C. de jud.» apertissimi [I. 16. CHI. 1.],
J. de foro c. V., J. 11. q. VI. placuit« C; de jurisd. c. 1. nemo.
§. Ar. contra. AT. ad munic. I. 1., (T. de legat. III. si quando^ C. si
quac. praed. pot. I. 1., C. quando imp. int. pup. I. 1., ff. de liberali
causa si pariter, Solutio: dico cum Martino, ordinarium reeusari
posse, et mecum dicunt canones* <)•
c) zu c. IS. de apellat. v. injectionem:
Cod. Ye 52. 'supra XVII. q. IUI. si quis suadente. Ar. contra.
hoc quod dielt g (gratianus) XI. q. III. §. evidenter et contra Jo. et
bnr.9 qui dicunt, quod vapulator cljsricorum tantum communione
sacramentorum privatur ipso jure, sed non communione 6delium. et
similiter contra eos est ar. infra c. proximum et c. proposuit A'
Gerade so ist es in Ye 80 aufgenommen.
d) zu c. 19. ibid. v. deferendum:
Cod. Ye 52. Cod. Ye 80.
'Quam sie non admisit, secun- 'Quam si non adniiserit depo-
dum canones depouitur, ut II. nitur, ut II. q. V. decreto, aut in
q. VI. decreto, secundum leges bannis efficitur, ut C. de appelL
XXX. pon. auri mulctatur, ut C. I. a proeonstäibus [i. 19 ibid.].
A^Bpfe\\,,qfioniamjudices[\.2\. aut L. libris punitur, ul C. de
C. Vil. 62.], nisi sit casus, ubi episcop. aud. I. IL. nisisit casus.
') Ich halte nach der Art des Cttirens für nnsweifelhaft, daM hier nithU ^'
Laapeyres p. XXXVIll. meint, ein Canonist M.« sondern der bekamte liCfist
gemeint ist.
Liternfurßfeschichte der Compiiationes antiquae etc.
83
appellatio vel a principe vel a
lege vel canone appellare pro-
hibeatur; qui notari so-
lent II q. VI, in prineipio; in
quibus casibus judex appellationi
non deferens non punitur, appel-
latio tarnen quandoque tenet
quantum ad appellantem, ut infra
inyenies e. t. in eminenii. A.'
In Bamb. P. IL 6. verändert
mit t.
ej Zu c. 21. ibid. v. sua maliiia:
ubi lege vel canone appellare
prohibeatur, ut in distinctione,
quam posui^ II. q. VI.; inhibetur
appellatio et quae etc.' Dies passt
wieder genau auf Richard's
Distinctionen [Cod. Prag. fol.
280"].
Cod. Ye 52.
*Nota quod non tenet appel-
latio hiterposita ad fovendam ma-
litiam manifestam. A. 8. e cum
Bit Romana, consuluit A'
Cod. Ye 80. [Bamb. P. IL 6.]
'Nota quod appellatio non
tenet ad fovendam malitiam mani-
festam interposita s. e. cum sit,
consuluit et c. [/ervenit, c. prae-
terea, qui ex quaerimoniis'. Im
Trierer Codex 864 ist diese
Glosse gez. R,
Dass viele Glossen der beiden Codices sich zu einander so ver-
balten, dass der eine aus dem anderen geschöpft hat, ist unzweifel-
haft, wie die folgenden Beispiele ergeben :
f) Zu c. literas 2. de renunt. I. 5. v. absque nostra permiss.
Cod. Ye 82. Cod. Ye 80.
'Hinc videtur, quod episcopus
non possit transire ad religionem
sine licentia papae: ar. VII. q. L
mutafiones. Quod quidam conce-
dunt. Similiter nee canonicus
regularis ad districtiorem religio-
nem sine licentia praelati sui:
ar. XIX. q. IIL c. I. et IL Alii
dicunt, quod licet: ar XIX. q. II.
dfiae^ infra de trans. ad rel. c. I.
et c. 9ane^ et secundum eos hoc
'§. Ar. quod non posMt in-
gredi monasterium sine licentia
papae: VII. q. I. mutationes.
Quod multi simpliciter fatentur.
At ego credo, quod possit: ar.
XIX. q. IL duae^ q. VII. petnis
poiestatem^ infra de regulär, hinc
c. quia consilium est, quod probo
per verba hie posita rogandum
et monendum etc. per verhum
quietis et nq relaxari, infra de
6*
84 T. S c h a 1 1 •
c. ioquttur de consilio; vel iioluit regulär, trans. ad reLßanein fine,
iste transire ad religionem, sicut VII. q. I. mne.'
nee ille> de quo loquitur praece-
dens c. Similiier secundum eos
illa c. XIX. q. III. c. I. et 11. in-
telligunturdetranseuntibus cauBa
leyitatis.'
gj Zu c. 6. de judaeis V. 5. v. servos.
Ye 80. Ye 62.
'Nota Servituten! de jure natu- 'Nota noYum genus senritutis
rali introduetam: di. XXXV. sexto a eanonibus introductum infra ti-
§. item de jure gentium, ut infra tulo proximo de imbUionibus
di. I. ius gent. §. item de jure [Brabanxonibus], supra XX. q.
civili ff. a quib. ad libert. proel. ult. cum multum.*
non po8. I. 1. §. item de jure
canonico XV. q. VI. cum muUum.
§• item jure decreiali ut hie» in-
fra t. I. de braiban [c. 7. de
Brabamonibus]'
Im Trierer Codex u. a. steht diese Steile wie in Ye 80,
aber noch vermehrt und am Schlüsse mit der Siegle Tancreds. In
Bamb. P. II. 6. hat sie die Sieglet.
Vi^örtlich steht in beiden Handschriften gleichlautend unter
anderen Stellen:
h) Tax c. 43. de appellat. v. suapectum. (nach Ye S2).
'§. Ar. iudicem ordinarium posse recusari, ut supra de iad.
c. in., III. q. V. quod suspecH. Quod verum est, et debet fieri in
scriptis haec recusatio» ut II. q. VI. H guis in quacunque Hie, et si
absens fuerit iudex, qui recusatur, coram majori judice civitatis re-
cusetur, ut C. de jud., cum speCt et potest fieri post acceptain
libeUum conventionaliter infra XX. dies, ut IUI. q. III. efferaiur, sed
infra triduum post recusationem compellitur» arbitros eligere, ut C.
de jud cum apec.f aperiissimi. Ä. Im Trierer Codex trägt diese
Stelle die Siegle A, ebenso Bamb. P. II. 6.
ij Zu c. 2. de der. pugn. in duello V. 12. v. depreeb.:
*Hec Caput positum est et expositum supra de corpore vitiatis*.
Diese Bemerkung hat ebenso der Trierer.
Literatorgeachichte der GonipiUUones antiquae eic. 85
Dass auch ausser den mit 6. sigoirten manche andere Bern-
hardusPapiensis angehören» halte ich nach der gleichen Methode
für unzweifelhaft.
übrigens deuten darauf noch genauere Anzeichen. So heisst es
zu c. 3. de institut. :
kj *s. de officio archid. in summa^
was doch nur auf Bernhards Summe gehen kann. GehSren einzelne
Glossen Bernhard nicht direct an» so 'sind sie doch nach sotchen
gemacht. So steht im Cod. Ye S2. zu c. 4. de dericis conjug. y.
eeeles. benef. folgende :
l) 's. di. XXXil. si quis vero. Sed illud locum habet, ubi eadem
est consuetttdo, ut in minoribus ordinibus conjugati eoclesiae deser-
viant» hoc autem locum habet, ubi non est illa consuetudo. A*.'
m) Im Cod. Ye 80. heisst es zur selben Stelle:
'Solutio (nach den Citaten), hoc distinguendum est seoundum
diversarum ecclesiarum consuetudinem'.
nj Zu c. 3. de cond. appos. ist eine Glosse am Ende gezeichnet
*it. «T, was auf Richardus und Job. Galensis gehen kann.
37. Einige wenige Glossen mögen noch als interessant Platz
finden.
a) Zu c. 1. de sponsa duorum:
*Nisi mala consuetudo bononiae istud inducat, quae permittit,
eum cum secunda manere, si primam non cognovit, sed secundam'.
Hieraus ersehen wir also, dass die schlechte Gewohnheit, über
welche Huguedo ad. c. 45. C. XXVII. q. 2. dict Grat, klagt [diese
Stelle ist abgedruckt inHaassen Paucapalea S. 22] sich auch noch
am Ende des XIL Jahrhunderts erhalten hatte.
b) Zu c. tenieiu (ult.) qui clerici vel Toventes matr. contr.
n. p. :
*Nota, quod Yotum simplex multoties reperitur ut hie et supra
G. prox. et di. XXVII. §. ult. Sed haec yerba votnm solenne nusquam
in auctoritatibus reperiuntur^ unde pro Gratiani yerbo ab Alexandre
▼ocatum est. simplex Totum quod si per verba de futuro. Verba autem
Dostra referuntur ad usum : ut XXVII. q. II. genuit
c) Zu c. iania est vis, qui fil. sint legit.:
' . . . Solutio. Magister Hugo dieit et bene, quod a solo deo habet
potestatem in temporaHbus et papa in spirituaiibus, et sie divisa est
88 r< 8 e b o I t •
f} C. 10. ex parte de dedmis v. fere: 'pro quibas dieatnr»
ignoro, vel est philosophicum temperamentum. A\ [In Bann b. P.D. 6.
▼erindert mit #.].
gj C. 11. licet de benign^ de decimis: 'quibus loquatur papa,
debuit compilator expressiase. Si eaim albis moDacbisvel boapitalariis
vel templariia loquitur generaliter, est verom, quod hie dicitar; si
aliis, restringendum est circa uoTalia et hortos et foetus animaUum,
si proximum caput tenere dixerit. Ä. Benutzt in einer Glosse T.,
die Cod. Bamb. P. II. 6. hat.
hj c. sane labar. 12 ibid. *. . .sed quaerit an possit similiter
iaico saeculari concedere (decimas)? Resp. utique. Sed numquid
Omnibus? Nequaquam, nisi forte ad tempus ex causa, ut fiiit con-
cessum gallicis. A\
i) Zu c. 10. ibid. v. indtaii. 'Supra c. fraiemitaiem contra.
Solutio: primo Alexander omnibus religiosis laborum saorom decimai
concessit secundum quod lequitur illud cap., et ideo ibi Adrianua
notavit, postmodum haec immutavit et Adrianum iniitatus est seciji-
dum quod bic dicitar. et secundum tempus illud loquitur caput si|in
dilecti et c. suggeatum et continet hoc caput hodie ius commuie et
derogat isti A\
k) Zu c. repreh. cit. de appell. v. nki: 'in hoc casu ncn est
necessaria praecedens ammonitio. Quod Tcrum est, ubicunque sen-
tentia fertur a jure» sed ubi a judice est ferenda, debet praeisedere,
illud autem minus quam nihil fuit, quod dixerant plurimi, qvod mo-
nentur a canone, ubi canon est datae sententiae. Ä .
l) Zu c. si her ed. 11. de testam. : 'ergo causa testamentaria ad
episcopalem pertinet audientiam : ar. infra c. prox. et FU. et hoc
verum est, licet quandoque pertinet ad judicem saecuTarem, sicut
matrimonialis causa. Secus est de causa successionis ab intestato ut
infra qui fil. sint leg., quae inter. R. posset tarnen dici, quod illa
causa testamentaria solum spectat ad ecclesiam, ubi quid ad pias
causas est relictum. A\
m) Zu c. mon. 1. de sepult. 'per confratemitatem, quam quis
saecularis habet in domo religiosa a iure prorinciali non eximitor,
ut infra de priv. et excess. priv., cum et plantare', [in B a m b. P. II. 6. f.j.
n) Zu c. in lit. super illa 5. de restit spol. v. prins:
'ff, de judi. si dem., C, de appell. I. 1 . contra hoc ordinatum est.
Sunt autem casus, in quibus aute restitutionem de principali causa
Literituri^eschicht« der C^mpiUlioBes mtiqiiae etc. 80
cognoftcitur» ubi crimen enorme commissum dicitur, ut IL q. V. 9uper
eamOt ubi propter dilapidationem spoliatur» ut IIL q. 11. quia ea, ubi
ex restitutione scandalum generatur, ut II. q. i. in primis, III. q. VI.
ho€ quippe» ubi crimen, pro quo est spoliatum, est notorium, ut IL
q.L manifettuim. Ulud tarnen quidam dicunt'specialein papa, utXXIIL
di in nomine. Sunt praeterae duae exceptiones, quae petenti restitu-
tionem cum effectu obviantur: exceptio rei iudicatae super posses-
sione: ar. supra eod. audUa, et recusatio, ut s. e. c. II. A\
o) ibid. ▼. can. instiiuiione. 'si tarnen de jure institutionis
iudici liqueat» de utroque insimul potest pronuntiare, ut extra diledi
fUU et yidetur, quod de boc potentem restitutione possit reconvenire :
ut extra bo. mem. §. ult. §. hie tarnen habetur contra Ä.
p) Zu c. si duobtts 7. de appellat. y. juris entwickelt er fol-
gende staatsrechtliche Theorie «), welche später sehr prakisch
wurde : "Supple ad hoc gtahUi. §. Ar. quod Imperator gladium non
habeat a papa : XCVI. di. st imperaiou XXIII. legimus, XXIII. q. IIIL
quaesiium. Ar. contra XXIII. di. c. IL, XCVL duae^ XV. q. VI. alius.
Ad haec dicunt quidam, quod potestatem et gladium habet tantum
a principibus, quorum est imperatorem eligere ex jure cpnsuetudi-
nario; sub papa consentientibus principibus accusari potest et etiam
deponi, subest tarnen papae quoad spiritualia. Verum tamen papa
imperatori non subest nee quoad spiritualia nee quoad temporalia.
Ecclesia enim et (mknen res eins a laica potedtate sunt exemtae, ut
XXVI. benet X. q. I. noverit, licet eas defendere teneatur, ut XXIIl.
q. V. tä principest XI. q. IIL noliict Verius est quod gladium habeat
a papa. Est enim corpus unum ecciesiae, ergo unum solum caput
habere debet. Item dominus utroque gladio usus est ut XCVI cum
ad verum, L q. III. ex multis. Sed Petrum vicarinm suum in terris in
solidum constituit, ergo utrumque gladium ei reliquit. Item si domi«
nus materialem gladium habuit, dicas, quem principem sibi vicarium
in hoc constituit. Item Moyses utrumque habuit, cuius successor est
papa in novo testamento. Item ipse Petrus dixit domino : Ecce duo
gladiihic; ergo ilK gladii aput Petrum tunc fuenmt. Itemsi quoad tem-
poralia Imperator sub papa non fuisset, ergo de eis sub papa respon-
^) Die Autorschaft des Atanut ist durch das frühere Citat von Tancred auaser Zweifel
f^es teilt.
/
90 ' ^. V. S c h H 1 t e
dere non teneretur, at in iieutra princeps a papa depositos ut XV.
q. VI. alius. Propter hoc dicatur, quod gladium materialem habet
a papa. Canonica tarnen canoniconim electio sibi tribuit. Si ei^
papa iudex Ordinarius est et quoad spiritualia et quoad temporalia,
potest ab eo deponi imperator et eodem modo quilibet laicus habens
potestatem yel dignitatem aliquam sub imperatore, si plenitudinem
potestatis siiae uti vellet. Sed numquid pro omni crimine potast
deponi imperator? Respondeo: immo pro nuUo, nisi persistere in
illo eontenderit. Sed nee tune forte pro omni, sed soium pro taii,
qood scandalum inducit, ut est haeresis, symonia, diseorJßa canünua
et si qua sunt similia. Sub ipso tamen principe s constituti pro minori
causa deponi possunt. Sed numquid papa materialem gladium sibi
posset retinere? Resp. non, dominus enim gladios dirisit, ut XCVl.
di. cum ad verum^ et praeterea ecciesia ex hoc plurimum turbaretur.
Et quod dictum est de imperatore, dictum babeatur de quoUbet rege
vel principe» qui nulli eubeet. Unusquisque enim tantum juris habet
in regno suo, quantum imperator in imperio. Divisio enim regnorum
de jure gentium introductum (a) a papa approbatur, licet antiquo
jure gentium imperator unus in orbe esse deberet. A\ Es zeigt sieh,
dass die Vorgange der Zeit (1198 ff.) wirkten, dass Alanus eine
Theorie entwickelt, welche die von Bonifaciue VUI. in der Bolle
Vnam sanctam bis auf die Grunde nur als eine Copie erscheinen
ISsst, die zum Theile in ihren Argumenten noch schwächer ist
q) Zu c. ut nullus 1. de praeb. y. jure\ 'Quid de militibas
Galliae, qui jure hereditario decimas percipiunt? Resp. speciali
gaudent consuetudine» quam papa seit et tolerat. Habent hoc ex
jure patronatus nimis pingui A.^ Diese Stelle ist interessant für die
Auffassung der Consuetudo und des Patronats. Ich habe sie citirt
gefunden in der bisher nicht bekannten Summa titulorum des Jo-
hannes Hispanus (nicht Joh. de Deo), über welche ich in einer
spätem Abhandlung berichten werde, die eine Anzahl von Schrift-
stellern über die Dekretalen Gregors IX. bespricht.
Die nicht signirten Glossen gehören Alanus wohl auch zum
Theile an, einige aber Bernhardus. So z. B. ist die Gl. ad e. 1*
de commodato.
rj 'haec et alia, quae de textu pentateuci huic inserui volu-
mini, ad hoc apposui, ut sciatur, quid de talibus fuerit in veteri
LiUriturgeschichte der Compilationes antiquae etc. 9 1
lege statutum, non quod omnia credam ad literam esse servanda, ut
supra di VI. §. his ita'
im Trierer Codex 864 und Bamb. P. IL 6 mi b. gezeichnet, was
schon der Inhalt als richtig ergibt.
Einige Glossen haben Bernhards Sigle, z. B.
8} ZU c. 2. de clericis pugn. in duello V, 12. (die Rubrik ist
ausgeblieben) V. gravis iu/mo£/tim ; *Ad hunc t. pertinet s. XXXII.
nullus praeter, ad haec vero et di. LXXXI. tantis» si quis clericus
romanus si qui sunt, si q. amodo. si q. sacer., et supra di. L. si quis
diaconus et supra XXXII. q, I. in plerisque c. et q. et qu. VII. quae
sunt info etc usque §. his quae aucto A.'
t) Zu c. 2. de concess. praeb. in auten. De scis epis §. V.
supra IX. q. 3. cum simus contra. Solutio : ea, quae per canonicos
expediri possunt, per eos expedientur ut hie, quae non possunt per
metropolitanum expedientur ut ibi. b\'
u) C. meminimu8 6. de clericis conjug. 'Hoc c. et sequens de
eadem materia loguuntur et ex dispensatione secundum 6., qui dicit,
se camilium et auxilium hoc impetranti praeatitiMe. A.* Diese
Notiz ist auch im TVierer Codex aufgenommen mit der Variante per"
Mona anstatt materia und mit der Sigle ala yerbunden mit dessen
nächster Glosse dazu.
Eine Unzahl der Glossen Alanus* stehen auch im Cod. Tre-
vir. 864 und in anderen mit seiner Sigle, wie jeder auf den ersten
Blick selbst sehen kann. Für die Geschichte der Glosse zur Comp. I.
und damit der zu den Dekretalen Gregorys IX. , ja für eine Ausgabe
der Compilatio prima selbst, wie sie den heutigen Anforderungen
entsprechend sein sollte, sind die beiden Hallenser Codices so wich-
tig, dass ich ihnen kaum andere vorziehen mochte i).
C. Cod. Hallensis Ye. 52. alia pars.
39. Derselbe Codex Te S2, der Universitätsbibl. zu Halle ent-
hält als drittletztes Stock einen Apparat zu den Dekretalen
der Comp. I. auf OVs Seiten mit zwei Col. zu je. 114 Zeilen. So
kurz derselbe regelmässig ist, so bietet er sehr viel Interessantes.
^) Es ist eigenthumlich, das« gerade iollalberatadt, wo früher diese Handschrif-
ten waren, »ich diese SUesten OloSvsea erhielten. Sollten sie hier etwa nach
solchen copirl sein, die Johannes Teutonicus als Propst dorthin brachte?
92 V. S e h u 1 t e
Er setzt das vierte Buch zuerst und begiunt ohne gleichzeitige
Überschrift :
* Ad audieniiam, desponsabatur. Haec aiectio nulla ftiit; nam
ex quo desponsabatur ad hopus unius fratrum» alter eam
abere non potest
An das vierte Buch schliesst sich unmittelbar das zweite, daran
das dritte ('Incipit liber secundus de judiciis.' 'Inc. über tertios de
Tita et honestate clericorum"), in dessen Titel de testamentis in e.
no8 quidem leider dies Stück abbricht. Da derselbe nur die Comp. I.
citirt, auch nur einige der unzweifelhaft Sltesten Glossatoren dersel-
ben : 80 darf man ihn kühn in das Ende des XII. oder den Anfang
des XIII. Jahrhunderts setzen. Ich werde nun aus dem Texte und
aus einigen Zusfitzen am Rande jene Stellen mittheilen» die für die
Literaturgeschichte Werth * haben. Zugleich ist damit die Methode
beleuchtet. Vorher sei noch erwähnt, dass sehr oft nach einer Er-
örterung die Siglen stehen, am häufigsten p. ys., ich habe ausser in
den mitzutheilenden Stellen sie noch in gegen 20 anderen gefunden,
mag aber auch die eine oder andere anzumerken unterlassen haben;
danach findet sich sehr oft die Bernhards von Pavia b. auch Rich-
ards R. oder Hi., weiter p. (in 6 Stellen, wenn ich richtig gezahlt
habe).
1. Zu c. 2. de despons. imp. v. debet: 'debito honestatis, non
necessitatis. 6.'
2. Zusatz am Rande zu de eondit appos.: *§. Super
rubrica. Est conditio, sine qua matrimonium contrahi non potest, ut
XXVIII. q. I. non oportet. Est conditio» cum qua nullatenus esse
valet, ut XXXn. q. II. solet. Est conditio indifferens» quae apponitur
aut in matrimonio aut in desponsatione. Si in matrimonio nulla, ui
hiCf si in desponsatione aut licite aut illicite. Si licita vel honesta
observetur, si illicita vel inhonesta frangatur. p. ye.*
3. Zu c. 4. qui der. IV. 6. 'M. Ugug. intelligit ^ capitulara
de laico promoto in subdiaconum de facto, quia in veritate non
0 HogQCCio in Snmmi [Cod. Bamb. P. U. tS.] id c. Heut D. XL. *Si ergo bic««
de facto in aacro nihil ordinia accipit: ar. in extrm cum inttiiiaaet et ar. hie,
ita enim argumentatur a aimili aiciit conaenaoa dnonim facit nntriBoninn, dtrie»^
tna et aacerdotiam faeiunt preabjteniin "* PSr daa Folgende Tgl. noeii dena. ad c.
tüUieiiudö diät. LH. Er aetat anch die abweichende Anaieht der mtü amaeinaader.
Literaturi^sehichte der Gompilationes aotiquae etc. 93
potest suseipi aliqais sacer ordo» nisi habuerit aliquem de minoribus
(nam sacri ordines, qualiter voeentur, averte supra de cokab, der,
si quispiam}» ad quorum collationem necessarium est aliquem de
minoribus adesse» ut di. XL. sicuiviri. ^. nimU enormiter, quia
noadum baptiz^tus erat vel etiam per inordinatos saltus ad subdia-
conatum ascenderat» amissis aliis ordinibus vel de illiterato penitus.
hug. p. yspa. dieit, quia se ingesserat» sed nunquam aceepit ordi-
Des vel ordinem aceepit ab eo, qui dare non poterat : co. di. LXVIII.
presbyteri . . .' «).
4. Zu e. 1. de eo qui dux. IV. 7. 'Quaeritur, an matrimonium
esset inter istos. Si dieas, quod matr. erat, ergo ab invicem separari
non poterant, nisi causa fornicationis interveniente; ut XXXII. q. I.
dixit. Si dicas, quod matr. non erat« ergo aeque ad petitionem viri
otpote ad mulieris intercessionem divortium celebrari poterat. Dice-
bat bati,t quod nunquam fuit dekretalis. Si placet hoc dicere auc-
toremque suumque tueatur habet; ego autem dico, quod matr. non
erat inter istos, et inde ad viri petitionem minime separabuntur nee
indedici potest, quod invitus eogitur matr. contrahere, quoniam»
quaecunque sibi acciderunt ex delicto suo, sibi contingunt. Et sie
dico, quod per sequentem consensum poterat dici matr., etiamsi non
consentiat, praesumitur ibi consensus praesumtivus : ar. CL si aliena
res pignori data sit,i. cum res,'
5. Am Rande zu c. 3. de cogn. spir. IV. 11. v. consuetudi'
nem, *§. Dicit /{., *) quod consuetudo bene facit, quod matr. inter
<) Im Cod. Fald. D. S steht: 'U^accio dieit, quod pape circa Totum non poaait dis-
ponaaro et hoc. c. intelligit de eo, qnl earacterem in ordinatione bob recepenC,
Tel quia praeter forman eodeaie ordinatnr, Tel qui» nalliim de minoribua ordini-
bof priiia receperat, et ideo aecundnm eum nullam maiorem recipere potoit.
p. jftpmnua dicit, se andiTisse ab illo, cni credere potnit, qui qualiter istod fac-
ton processerat, noTcrat, quod hoc c. de papae conscientia non emanarit Vel,
•i placet, dicator, quod ordinem receperat, sed papa com eo nt axorem duceret
dispensavit. Qnod facere potuit mazime aecundnm opinionem, qne aseerit, qnod
derlei solum per ecdesiasticam constitntionem sunt astricti continentie, non per
Totum aliquod prescriptum, nisi expresse TOTeatur. ^
*) Im Codex Halentii Ye 80 tarntet die nichtsii^ nirte Glosse an dieser Stelle:
'Consnetndo enim, qnae Teint canon specialis iUius loci eat, potest facere, nt
ietae personae legitioMe Tel iUegitimae, de qnibus nihil praeeepit canon: di. Xl.
emikoliem, äi X\l. mt eontuemäinem.* Bin nener Beweis, dasaVeSO. den
Apparat des Richardns enthSIt. Im Cod. Ye 62 (dem friiher behandelten
und AI an US angesprochenen Apparate steht die nicht signirte Glosse dazu:)
94 T. S c h o 1 t e
istos non est. Hug, autein dicit <), hanc non esse decretalem, yel si
est, loeutus est ut magister non ut papa, vel alio modo dicere possu-
mus ; ubi dicitur, quod separari debent, si consuetudo obstat Yenim
est ad tempus et hoc propter scandalum; dignum est enim, at in eo
puniantur, in quo deliquerunt. Et nota, quia hie reprehendit Ug.
Alexandrum, quia consuetudo validum impedimentum non est ad
roatr. reseindendum. Sed dico, quod bic loquitur de contrahendo,
quo casu non miror, sed contraria consuetudo et scandalum impedi-
unt contrahendum. p. §. Aut dices: matr. fuisse inter istos aut non;
si fuit, ergo nullatenus separandi erant, nisi ob causam fomicationis,
ut j. de conj. leprosi c. IL Male igitur dicit papa, quod tUe intrarit
locum. Re. et ipsam nubere potest. Si dicas, non fuisse, quoniam
roatrimonium praecessit, hoc planum est. Sed id quod dicitur. quod
propter naturalem frigiditatem Romana ecclesia nullos separare con-
suevit, intelligas secundum glosam ibi positam. Vel potes dicere,
matr. fuisse inter illos, sed sie quomodo per yerba tantum contrac-
tum, et non per carnalem copulam consummatum, intrarit igitor
u. m. qm. a canone sibi erat concessum et lepra intenreniente. p. ys'
6. Am Rande zu c. 1. de frig. et malef. 'et in exir. nava
laudabilem [c. 3. IV. 9. Comp. II. von Coelestin III], ubi dici-
tur, quod usque ad tres annos debent mauere insimul'. Ein Beweis,
dass der Commentar Tor Innocenz III. fallt, ja wohl in die ersten
90ger Jahre, da man mit diesem Worte nur eine kurz vorher er-
schienene Dekretale bezeichnen kann.
7. Ibidem im Texte, 'vel melius secundum hug^ cum hoc
capitulum non habeat auctorem non est autbenticum.*
8. Zu c. tanta 6. qui fiL sini. legü. IV. 18. 'Dicit tarnen hug.*
quia proles haec est legitima ad successionem , sed non ad promo-
tionem, sed ego nou distinguo, quia nee canon.*
9. Zu c. 1. de divort. IV. 20. 'derogatum est huic capitulo
secundum m. p ys*"
'Nota, consaetudinem ficere legitlmM peraonat ad cootrahendam miava lefriÜmii,
ut aeqnenti c. et «c. et j. de fk-ig:. et malet. $uper eo., qood aedem, quod consae-
tado, licet qaidam, ut I3g, in hoc articulo Alexandniin reprehendaiit\ Blaa darC
wohl ata Quelle dieaer Gloaae den hier beaprochenen Apparat anaehen.
') Ich hnbe diesea Citat von Ho^nccio in den beiden citirten Distinction«i aiehC
gefunden. Daa beweilt naturlich nicht, daaa es nicht anderwärts ateht.
Literaturfi^ejichichte der Compilntiones antiquae etc. 95
10. Zu c. accepta 2. de restit. spoliat. II. q, 'spontanea. Hoc
intelligo, quando non erat exspoliatus. alias semper invitus reputare-
tur. ut extra de renuntiatione per totum. p. ps/
11. Zu c. 4: super eo de lest. cog. II. 14. * humaniiurü, C.
de test siquando. Hoc refertur quoad personas non quoad cau-
sas, nam in civili eompelli possunt, verum in criminali non seeundum
dominum pilium, p» ys."
12. Zu e.< 1, de fide instrum. 'sola sigilla testium testamento
apponuntur non ad fidem, sed ad solemnitatem, bulla vero apponitur
ad fidem imponendam. 6/
13. Zu c. S. de praesumt. *9ibL Nota sibi, nam causa purga-
tionis servandae religionis ipsum cogere potest, sed sibi non potest
praelatus, nisi sit prout bic dicitur. p, ys.'
14. Zu c. qua fronte 41. de appellat. ' interponat. ar. quia non
tenet appellatio in bis, quae dilationem non capiunt, ut II. q. VI. §.
de posse. [vide §. 18. in dicto Grat, ad c. 41.], ff. de feriis 1. I.
§. IL» ). seiet, decons. di. Uli. quando quis [c. 128]; ar. I. e. c. px.
c. 80. i. [solutionibus ibi]. reguläre est, ut pendente appeil. nil inno-
vetur et quid recipiatur, nisi in casibus, in quibus non admittitur
app., et inter cos est seil., ubi res dilationem non capit. §. vero
sequens consuevit legi de usurariis vel, quod verius credo, illius
regni tangit consuetudinem, vel aliter, licet jus strictum prohibeat
aliquid innovari pendente app., tarnen praeponderet aequitas in con-
trarium, ut C. de judic, placuü, et maxiroe in hac causa, ut ff. de
relig. sunt personae. §. C. de sepulcro violato 1. ult. contra. Refert,
an sit religiosa persona au non. Si rel. pers., quae debitum petit,
tunc habet locum, quod hie dicitur; sin autem aliter est non credi-
mus locum habere. Nam hie in favorem religiosarum personarum
dictum esse credimus, et hoc notata litera religiosae personae. Vel
refert, utrum debitum sit publicum aut non. Si publ. locum habet,
quod hie dicitur, si occultum quod ibi. Vel distinguas: aut heredes
sunt vagipalantes et de quibus suspicio habetur, ne solvere debeant
utputa cum sunt potentes et tunc habet locum quod hie dicitur. Vel
dicas quod si haec decretalis legi non contradicit, quoniam lex de
app. non loquitur, quoniam in tali casu lex appeil.* non admitteret,
cum nondum sit lis coutestata, canon autem bene admittit, ut II. q.
\l. non ita. Vel dicamus quia canon praejudicat legi, bacianus
06 T. S c h II 1 1 e
tarnen totum dicebat contra et clamabiit hanc nunquam fuisse decre-
talem. p. jf«.*
Von wem diese LectHra gemacht sei, ist schwer tu sagen, zu
den ftltesten gehört sie sicher. G. kann der in der Glosaa m Gilbert*»
Compilation gemeinte Guil. sein, oder Gilbert selbst, oder Ger*
ardus [Sarti I. p. 287), an spätere ist nicht lu denken. P., der
Ton p. y8. sehr genau, auch in derselben Glosse, gesehieden wird,
ist wohl der nicht weiter bekannte Petras magister, der Canonieus
zu Bologna war und 1189 in Urkunden Torkommt [Sarti 1. c.].
D. Codex Fuldensis D. 5.
40. Es ist die Handschrift, aus der ich die Collectio Gilberts
in der zweiten, Alanus' in der ersten 'Gestalt bekannt gemacht habe.
Die Handschrift gehört auch ftir den Text der Compilatio prima
zu den interessantesten. So fehlen jene 6 Kapitel «), welche die erste
Ausgabe Ton Antonius Augustinus nach den Scholien zur
Comp. I. unter der Rubrik Praetermissa nachtragt. Sie dürften
mithin in manchen der ältesten gefehlt haben.
Geschrieben ist der ganze Apparat Tiel früher als der Text
Daher war es oft unmöglich zu sorgen, dass der Text neben die be-
treffende Glosse kam. Um nun das Auffinden zu erleichtern, ist
unzählige Male durch Kapitalbuchstaben neben dem Texte und am
Kopfe der betreffenden Glosse geholfen. Dazu wählt er willkOrlieh
bald diesen, bald jenen ausser B aus dem gleich ersichtlich zu ma-
chenden Grunde. Man muss sich also böten, diese Kapitalbuch-
staben, auch wenn sie am Schlüsse der Glosse scheinbar als Siglen
stehen, ftlr solche anzusehen. Mit Siglen am Ende sind nur
einige wenige Glossen Tersehen, die die Sigle R. tragen >).
Als Glosse läuft nun erstens am untern Rande die Summa
Bernhardi Papiensis durch. Sie beginnt mit dem Prooemian
<) Nlmlich L. I. Tit. 9. c. 9. dignnm Tit. 12. e. 2. dilect««, T. 16. c 4. prae
cipinas, T. 19. c. 1. •tadeant, L. IV. T. 4. e. 4. aolet, e. S. de iis.
*) Si siad SU «. 3. de eoMtitnt der unter des Berakerdas Papu ■fohaeJr
Caaua Sacerdotiam, der sa c. tt. ib., c. 7. ibid. Aber dieee drei liabaa
sugleicb am Kopfe eio B. Da inib aea enderee Hendaehrifteii featatelit, daaa di«i*
gleichlaateod bei Bernhard nnd Riehardu« aind [rgl. Laapejrei
I. c. pag. St9], ao wird dadurch die ungemeine Genauigkeit dea Codex bewiesea,
Mglejcb B. als S i g 1 e fiir Bernhard ansaer Zweifel geatellt.
Literaturgeschichte der Compiiationea antiqnae etc. 97
(In Christi nomine') oben links neben dem Texte ; es ist offenbar
für sie die Rubrik ausgeblieben. Mit Ausnahme der ersten Seite, fSr
weiche die fehlende Rubrik Ersatz bot, steht stets bei jedem Ab-
schnitte an dessen Kopfe B. Sie schliesst nach 'gratias referamus'
mit 'EjFplicit summa magiatti b^nardL' Das beweist offenbar das
Fehlen der Rubrik im Anfange. Zweitens bietet der Codex in Form
der Glosse die Casus Bernhardi Papiensis, jedoch nicht ganz
Tollständig, was wohl durchgehends dem Mangel an Raum zuzu-
schreiben ist i). Vor einem jeden steht am Kopfe links B.
Neben diesen Stücken» die allein einem doppelten Apparate
gleichkommen, hat der Codex den vollständigen Apparat des
Alan US, der jedoch niemals eine Sigle tragt Dass wir einen vollen
Apparatus haben, beweist die der letzten Glosse angehängte Schluss-
klausel 'benedicamus domino. alleluja\ Den Beweis für die Autor-
schaft des Alanus liefern folgende Daten:
1. Es fehlen die im §. 36. als Richardus angehörigen a» A, c,
die im ^. 36. sub b, g, k (welche Bernard bez.' Vinc. angehört), I.
(die Bernard gehört), die aber Grundlage einer vorfindlichen wurde ;
ferner aus §. 37. die Alanus nicht angehörigen a> A, c, aus §. 38.
num. r, «, ^ welche Bernard gehören s).
2. Der Codex enthält die unzweifelhaft Alanus angehörigisn
im ^. 36. num. a, c, — ft h, u die Alanus angehörigen des §. 38.
sub num. a. bis q. und ti., die im §. 39. num. 5. Note mitgetheilte
Glosse des Alanus.
3. Die in der Glossa ord, zu c. 1. de rescr. v. ut libere mit den
Worten Jii^a vidulgentia^ dann die bei.Tancred in allen Hand-
schriften mit den Worten 'Ate derogat secundum primo' beginnende
1) Es fehlt di« fiiiil«itang, fiir die kein PUtz anf der ersten Seile wer, denn [um
den Vergleich jedem so ermöglichen, halte ich mich hieran, nicht an die Leipziger
Handschrift] die Casus zu c. 1. 2. de consUtnt., c. 2 — 6. de rescr., de consnet.,
de restit spoliat., de test c. 1^0, 8 — 11., de despous. impab. c. 4. 6., de homic.
c. 1. 6., meist die Vermerke patet per u und ihnliche, nebst einer Anzahl andrer.
Die weitaas meisten und insbesondere die zum VerstSndniss beitragenden hat er.
Die Anfinge sind bisweilen abgekiirst, die Lesarten gut. So schliesst der zu e. 7.
de testam., den Laspeyres p. 3S9 am Ende defect hat: ^personas; unde rersus:
presbyter, ecciesia, coivianzit honor, nnus et uns, ut Di. LXZXVini. HngulA.
') Von allen beiLaspeyres pag. 323—326 abgedruckten Glossen mit der Sigle 6
hat der Codex nur num. i. mit Citat erweitert.
SiUb. d. phU.-hist. Gl. LXVL Bd. I. Hft. 7
98 ▼• Schulte
sind bei Tancred mit ala, gezeichnet; sie stehen in unserem Codex,
ebenso gl. hoc ideo mandai zu c. 2. das., infra de o/f*. et pot jud,
del. cei, das., ergo in aliguo casu etc. zu c. ult. ibid., die bei
Tancred ala. haben. Ich habe Dutzende Ton grossen und kleinen
Glossen, welche bei Tancred mit o., ala. gezeichnet sind, verglicheD
und sie gefunden. Mit Toller Zuversicht darf ich behaupten: Der
Codex bietet den reinen und vollen Apparat Alanus'.
Wie alle Nachfolger hat er fremde Glossen bald nur erweitert,
bald umgeändert zu den seinigen gemacht. Einige Beispiele genügen.
Die im §. 39. num. 1. befindliche lautet ^}:
'debet. non debito necessitatis sed debito honestatis; ei ita
non contradicii s. XX. F77. Q> 1» §* i.* Zu num. 3. das. ist bereits
die Stelle mitgetheilt in der Note. Die Stelle zu Num. 8. daselbst in
der Note ist ein weiterer Beleg >).
Die bei Laspeyres p. 324. num. 12. abgedruckte Glosse
lautet:
'Ergo a sensu contrario, si stipendtis ecclene non Busieniantwr^
possunt coramjudiee aeculari advocare; quod coneedo, non tarnen
in causa criminali .... SoluHo : per hoc c. puio saeerdoiei ei
episcopoa escipiendoB. Sed numquid coram ecclesiasHco posmmi^
Certum enU guod epieeopus non ut V. q. HL quia sacerdotis; de
presbytero heeito *).
a) Zu c. 31. de appeli. steht folgendes, bei dem das bei Las-
peyres num. 13. ihm auch vorlag:
's. c. prox. contra« Solutio: ibi juravit stare mandato eeclesie,
hie vero specialiter ipsius episcopi; vel ibi erat excommunicatas ex
incerta ^) causa, hie ex certa, secundum A. Vel. hie expone: iiaüm
i. e. post XL dies, ut hoc ab illo determinationem recipiat secundum
p. Vel hie appellavit, ne aliquid ab ecciesia sibi iniungatur, ibi ne
ab illa persona, quam forte suspectum habuit secundum r. Vel hoc c
*) leb lasse die Zasitxe bez. Äaderunf^ea cutsIt dnieken. Von der in Cod. slekeB^ca
(la c. 2. de desp. imp.) ergo fuberta» etc. bat TaDcred die 2. Hüft» ^tnd m
eippareät mit A, gOEelebnet.
*) Diese bat Tancrred niebt, aber die andre Glosse iVe. qu/od Ueet cet ndt JL,
') Bei Tancred (s. B. im Cod. Bamb. P. II. 6.) stebt wieder die Glosse gcmnm vie
sie Laspeyres bat, mit einem Citat rermebrt und la. geseicbnet.
^) Laspeyres löst ineU nnglficklicb in ittitm auf; unser Codex bat icta»
keinen Zweifel lisst, an Eweiter Stelle certa ausffescbrieben.
Literaturgeschichte der CompiUtiones «ntiquae etc. 99
preiudicat illi secundum ug. St\ hie cum appellat, ne faciat id, quod
se faeturum juravit, iilud est ob aliud. Quid ergo juravit. attendatur
et super quo appellet» et secundum hoc appellatio recipiatur Tel
non. Haec solutio colligitur ex verbo huius capitis que iuramenio.
Vel hie cum frustratorie appellat, ibi cum ex iusta causa. Hanc magis
approbo' *).
b) c. 42. ib. Repreh. v. recompensationem : 'antequam in
negotio procedatur, ut extra t, Innoc. III. aepe contingit et ar. C.
dejudi. s]ancimus\
' ' Zu c. 4. de sponsa duorum erwähnt er die schlechte Gewohn-
heit der banonienaeUf die Ehe mit der zweiten erkannten, wenn die
erste blos per spons. de praesenti genommen und nicht erkannt war,
aufrecht zu halten.
Für die folgende Ui)tersuchung sind noch wichtig die Citate.
Wie in der so eben zu c. 42. de appell. mitgetheilten Stelle steht
auch in der §. 38. num. a. mitgetheilten im Codex 'extra t. cum
causam', in einer zu c. 1. de institut. *extra t. tua nos', in der §. 38.
num. 0. auch 'extra t. dil. fil.\ *extra t. hon. mem.'
Es ist wohl unzweifelhaft, dass damit angedeutet werden soll,
dis Extravagante stehe unter dem gleichen Titel. Es
ist damit also jedenfalls eine Sammlung gemeint. Die Dekretale
Innocenz III. saepe contingit steht nicht in der Sammlung Rainers,
dagegen stehen alle citirten Extravaganten in der Sammlung Gilberts
bez. des Alanus selbst. Ich halte daher für ausgemacht, dass diese,
wahrscheinlich Gilbert gemeint ist. Dass die Comp. n. oder III. nicht
gemeint ist, bedarf kaum der Erwähnung, übrigens stehen die
citirten Dekretalen in denselben, wie bereits bemerkt wurde, nicht
alle unter dem gleichen Titel.
E. Die späteren Glossatoren und Apparate, ins-
besondere der Tancreds.
41. Ausser den Siglen der bisher behandelten Glossatoren ent-
halten die Handschriften noch einige wenige, mindestens im Ver-
gleiche zur Gesammtmasse nicht zahlreiche, von Jo. oder J. Da in
1} Laspeyres nam. 15. steht auch, aber mit i2. ala Sigle am Ende, so daas es
Richard wohl von B. entlehnt hat.
Nam. 16. ist bedeutend erweitert; num 18. 19. 21. sind verarbeitet worden.
Zu c. non tatii de sym. steht eine der wenigen Glossen mit M.
100 . V. S c h u 1 t e
die Zeit des beginnenden dreizehnten Jahrhunderts kein anderer
Kanonist dieses Namens fallt, da Johannes Andrea seine Autorschaft
ausdrucklich bekundet, da endlich — und dies Ai^ument ist schlagend
— in den Apparaten derselbe mit vollem Natnen vorkommt: so ist nicht
daran zu zweifeln, dass die also gezeichneten Glossen Johannes
Galen sis angeboren. Keinenfalls hat er aber einen formlichen
Apparat dazu gemacht, sondern nur einzelne Glossen zugefugt. Be-
weisen lässt sich diese Negation allerdings nicht. Es wäre aber
mit Rucksicht darauf, dass wir die Apparate der anderen haben und
von ihm nur so. wenige Glossen, sonderbar, dass gerade nur sein
Apparat etwa verloren gegangen wäre. Allerdings könnte er noch in
irgend welchen Handschritten verborgen liegen. Aber wie käme es
dann, dass der Zeitgenosse Tancred ihn fast gar nicht citirt?
42. Einen vollständigen Apparat fertigte an der Lehrer Tan-
M*eds Laurentius Hispanus. Enthält auch keine der mir bekann-
ten Handschriften seinen Apparat ungemischt, so lässt sich nicht blos
aus den massenhaften mit seinem Namen gezeichneten Glossen in
den Handschriften folgern, dass er einen solchen gemacht hat, son-
dern dies ergibt auch der Charakter seiner Glossen selbst, welche
die Gestalt deduzirender und regelmässig in einander greifender
Erklärungen angenommen haben. Neben ihm darf Vincentius
Hispanus als derjenige bezeichnet werden, der vor Tancred einen
Apparat gemacht hat. Dieser ist es, der mit den Zusätzen und Um-
änderungen Tancreds in den meisten Handschriften vorkommt
Ihm gehört an der Eingang 'Formavit dem hominem' u. s. w. Diese
zuletzt Genannten haben für die Bearbeitung der Compilatio prima
wesentlich folgende Thätigkeit entwickelt: Erstens ergangen sie
die Citate der altern, tragen die in Folge neuerer Dekretalen
stattfindenden Abweichungen vor und machen an den Glossen selbst,
welche sie beibehalten, die nothw«ndigen Abänderungen. Zwei-
tens ändern sie die Citate der Extravaganten um. Wenn man daher
jetzt in Handschriften der Comp. I. Glossen von B. R. P. mit Citaten
wie Über IL IIL extra findet, so darf dies nicht beirren. Man
machte es eben damals, wie es auch heute noch Herausgeber ge-
macht haben, indem sie die Citate der Comp, einfach in die der
Gregorianischen SamTnlung übersetzen. Die eigentliche Arbeit war
vor den letzten Apparaten gethan. Ich gestehe, dass ich nicht finde,
dass sie ihre Vorgänger ausstechen. Aber an Breite haben die Appa-
rate gewonnen.
Literaturgeftchichte der Compilaliones «ntiquie etc. IUI
43. Einige Punkte müssen noch erledigt werden, bevor ich die
Erörterung über die Connpilatio prima mit Tancreds Apparat und der
Frage nach der Zeit der Abfassung schliessen kann. In verschiedenen
Glossen wird, wie sieh gezeigt hat, Huguccio, Jo. (Faventinus),
Basianusu. a. citirt. Haben diese sie glossirt? Nein. Bezuglich
des Job. Fav. bedarf dies keiner Erwähnung, da er die Compilatio
prima gar nicht mehr erlebt hat, es aber überflüssig ist, wegen der
corrupten Lesarten der Ausgaben und einzelner Handschriften der
Glossa ord. auf die Widerlegung von einem anderen einzugehen.
Ebensowenig ist es nothig, für Rufinus, Silvester weiter zu
widerlegen. Von Huguccio, Bazianus, Gandulphus, Melen-
dus, Rodoicus u. a. finden sich keine Siglen vor. Wenn Johnnnes
Andreae meint, R. könne auf Richardus, Rufinus und Rodoicus gehen,
so begeht er einen Verstoss. Man war nicht so ungenau. Ich habe
stets Ro. R. und Ru. bei Citaten sehr gut unterschieden gefunden
und glaube daher absolut das Vorkommen anderer Siglen als der auf
Richardus passenden bestreiten zu dürfen. Man setzt dem vielleicht
entgegen : splche konnten in anderen Handschriften als den von mir
eingesehenen stehen. Das ist möglich; aber wenn 17 Handschriften,
welche die Glosse in allen Gestalten von der ältesten bis zur jüngsten
aufweisen, eine Ansicht bestärken, geht sie wohl von der Behaupfaing
zur ziemlichen Gewissheit über. Dazu kommt, wie ich bereits früher
angedeutet habe, dass die citirten Stellen sich auf Materien oder
Capitel beziehen, die im Dekrete stehen. In der That lassen sich
denn auch die Citate Ton Huguccio u. s. w. aus seiner Summe er-
weisem). Was Bazianus, Gandulphus, Melendus u. A. be-
trifft, so liegt die Schwierigkeit darin, dass man bisher weder ihre
Summen kennt, noch ausgiebige Kenntniss von ihren Glossen zum
Dekrete besitzt. Ich werde in einer späteren Abhandlung bis zu einem
gewissen Grade dem abhelfen und dann auch für manche Citate die
Nachweise liefern.
<) Habe ich dM nicht hei aUen fethan, so liegt der Grnnd darin, data ein aolches
Citat aich an den Terachiedenaten Stellen finden kann; man kann aich nnn wohl
bei der planroSaai^n Lectfire alle SteUen anmerken, aber nicht, wenn man eine
Stelle ancht, ein Bnch ton 474 Blittem groaa fol., das unendlich abgekfirit ge-
schrieben ist (ao Tiel enthilt-aie in der mir gerade vorliegenden Bamb. Handschr.
P. 11. 2S.), jedesmal durchlesen.
102 V. Sc hu 11 e
44. Wie die Zusammenstellung des %. 28 lehrt, kommen in den
meisten Handschriften die Siglen I. la. lau. laur. vor; ein Blick in
irgend eine Handschrift mit solchen lehrt, dass dies nicht etwa das
eine oder andere mal and somit vielleicht aus Liebhaberei des Ab-
schreibers geschieht, sondern stehend ist, dass auf derselben Seite
diese Siglen variiren. Jedoch sei erwähnt, dass die Sigle la. in der
Comp. I. zahlreicher ist als lau.» was sich auch aus dem Folgenden
erklärt. Ich habe lange darüber geschwankt, ob die Siglen sämmt-
lieh auf Laurent ius gehen oder nicht, bin aber jetzt im Reinen
darüber, dass dies nicht der Fall ist, aus folgenden Gründen:
1. Jede Sigle setzt voraus, dass der allgemeine Usus sie auf
eine bestimmte Person beziehe. Wäre dem nicht so, entstände lauter
Verwirrung. In der That finden wir dies auch im römischen wie im
canonischen Rechte. Nun kann aber 1. la. an sich auf Lanfrancus,
Laborans, Laurentius gehen, I a u. nur auf letzteren. Es wäre also in
der That sonderbar, für diesen eine andere Sigle zu gebrauchen, als
die ihn unzweifelhaft bezeichnende lau. laur.
2. lau. und laur. kommt so häufig vor, dass man kaum an-
nehmen kann, man habe zur Abwechslung auch 1. und la. geschrieben.
3. la. lan. ist eine hergebrachte Abkürzung für Lanfran-
cus/). Es ist nun ausser Zweifel, dass gerade Lanfrancus zu-
gleich Civilist und Canonist war*). Ich werde dies aus der dem-
nächst bekannt zu machenden Summa des Johannes Hispanus noch
näher darthun. Dieser citirt ihii als Civilisten stets mit dominus
la. oder 1 a n., als Canonisten schlechtweg la. oder lan. auf gegen
50 Seiten, den lau. auf 33 Seiten stets constant, und setzt wieder-
holt in derselben Stelle la. und lau. in Gegensatz zu einander. Zu-
gleich ist daraus der Beweis zu liefern, dass I. und la. identisch
sind. Es bedarf keines Wortes darüber, dass dieser Schriftsteller»
der 1236 schrieb, nur herkömmliche Zeichen gebrauchte. Wenn
man nun für den Canonisten Lanfrancus dieselbe Sigle I. la. lan. ge-
brauchte, die dem Civilisten Lanfrancus, d. h. derselben Person zu-
kam, so verstand sich das wohl von selbst. Ich stelle nun zum Be-
weise des Gesagten ein paar entscheidende Stellen nebeneinandt^.
0 T. Savigay 6e«cb. V. 8. 78 ff. b«8. Note e. f. g.
*) Surigikj «. a. 0.
r
Litenturgescbichle der ComptUtiones antiqnae etc.
103
Apparatus Tancredi. Cod.
Bamb. P. IL 6.
ad Tit. de in iniegr, resüt
'semper i. e. in quolibet
contractu ubicumque enormiter
leditur et istud semper. Non no-
tat tempus, sed humerum et mo-
dum. Quo modo ecciesia resti-
tuenda est? infra quadriennium
a die celebrati contractus et non
post» quia omnis restitutio fisci
vel privati infra quadriennium
terminatur, ut C. de tempor. in
integr. rest I. ult, C. de sacros.
ecci. ut inter divinum. Et hoc
dictum approbat la. et vin. sed
ala. dixit, quod in infinitum resti-
tuenda est sine temporis prefini-
tione. Alii dixerunt, quod usque
ad XXVIIII. annos, ponentes ec-
clesiam in primo die minoris eta-
tis; alii usque ad XV. an. ponen-
tes eam in anno XIIII. Sed prios
dictum prevalet.'
Summa Johannis HispanL
Tit. de in integr. restit,
l{estituitur cum est minor
at factus maioi" infra tantum tem-
pus» quanto est lesus, ... et hoc
secundum azo et dominumJo. plac'
et alii dixemni^ eam semper
usque ad quadriennium posse.
Hanc credo veriorem. ut C. de
tempo.» invite restit. Numquid
ultra quadriennium a tempore
lesionis? L et t. et vin. dixerunt,
quod non, quia amnis restitutio
infra quadriennium termmaturs
ut in lege praeallegata. Sed
obstat eis infra eodem c. 1 . Sed
ipsi dicunt, eam uti jure minoris
facti majoris, et exponitur: sem-
per t. e. ubicunque enormiter
leditur. alati sine prefinitione
temporis dixit ecciesiam restitu-
endam» quandocunque probaret
se lesam; alii ponunt ecciesiam
in priiAo anni minoris et dicunt,
eam posse restitui usque ad
XXIX annos; alii dicunt, eam
restitui usque ad XV* annum po-
nentes in XIIII. anno. Memini me
vidisse decretalem domini 6re-
gorii confirmantem sententiam
la. et suorum sequacium» sed
quia non fuit in eompilatione
posita, presumo» eam cum rero-
casse. Et ideo adherens prime
decretali istius tituli dico cum
/ati., ecciesiam sine temporis
prefinitione posse restitui' cet.
104
▼. Schulte
Dass Johannes den Tanered vor Augen hat, erhellt sofort, nur
hat er nicht blos diesen vor Augen, sondern die Glossen unmittel-
bar. Wenn er nun 1. und la. für identisch nimmt, la. die Mei-
nung hatte, die Restitution sei hinsichtlieh der Zeit beschränkt auf
das quadriennium, lau. hingegen sie unbeschränkt zugesteht, wenn
endlich la. ihm den Ciyilisten und Canonisten Lanfrancus bedeutet:
so ist die Identität von I. und la. sowie die Verschiedenheit beider
von lau. ausser Zweifel.
Dasselbe Resultat ergibt folgende Stelle:
Tancredus: ad c. de rector. 3. de
der. aegrot. Comp. I.
'Nou ergo prirabitur prae-
latus, quia non sunt ecclesiastica
beneficia temporalia LV. di. pre*
cepta, ff. de adopt siti. .ff. de
hered. insti. hereditas, ff. de reg.
jur. actus legit., ff. de ma. testa.
libertas, ff. de pec. si peculium
§. n. Quod verum est. kt^
gumentum contra: ff. de offi.
pres. si forte, VII. Q. I. pastora-
lis» XII. Q. II. vobis, infra de
cterico egrotante, tua
libri 11 i contra: infra de
concess. preb, ex irans^
miasa contra /. //. Solutio:
Hug.^y dixit, quod nunquam
substituitur alius vivo, nisi eo re-
nunciante. baz.*) distinxit, utrum
Johannes Hispanus.
'Quod supra dictum est, non
'esse aliquem propter egritudinem
sine culpa sua proveniente remo-
yendum, sed dando [dandum] ei
coadjutorem, verum est secun-
dum nos in omni egritudine in-
distincte, et in hac sententia fuit
h> et lan. Alii sicut ala, et t
exceperunt leprosum, inducentes
pro se infra e. tua, sed expresse
eos confundit infra e. de rectori"
bus, nee illa decretalis, quam
pro se inducunt, eos juvat. Nam
secundum quod dicit lau. [Dies
ist offenbarer Schreibfehler for
lan., da das Folgende wortlich
die Gründe enthält, die für des
laq. Ansicht sprechen und die
^) Die hier H«g. beigelegte Meinung steht in deeaen Samme ad c. robis XTI. q* 2,
wo auch die Worte ^n« afflictio adderetur afflicto' Torkommen.
<) Im Cod. Trerir. 906 des Decr. Grat, steht au c. 4. C. VU. q. 1. folgende Gloaae:
V. abjieiendii ^Vacst p'oQ(. traditio aaaerentiuoi incurabillter egrotanten ad re-
nuntiandum ecdeaie poaae compelll et eo potente rel non petente aliam poaie
atitui. cum nnlli ante peccatnm pena ait infligenda . . . Bar.^ Zo dem Worte
eipiendutn ateht ron deraeiben Hand : *ar. qnod, cnm dicitnr, aljnm in locaai riren-
tia epiacopi non poaae aubatitui, inteUigi debet de cnrabiU egritudine.^
Literaturgeschichte der Compilationes aotiquae etc.
105
bei Tancred die mit 1. gezeich-
nete Glosse entwickelt], si pre-
cipitur, quod remoYeatur lepro-
sus ab administratione, que in
jus resonat tale enim retinebat,
sed remoTetur ab illa, que con-
sistit in actu' cet.
morbus sit curabilis nee ne, ?ios
dicimus, quod, quamdiu po-
test remanere in suo collegio»
non substituitur ei alius» ut hie;
si vero non poterit, suhstituitur
ut ibi. Sic etiam mutatur judex»
si operam iudicio dare non potest
infirmitate vel alia causa, ut ff.
de judic. si longius. De hac ma-
teria plene notavi infra eodem
tiiulo libri II. t."
Ad c. tua de der. aegrot.
Comp. II. Tidetur ergo, quod
debeat amoveri a dignitate prop-
ter lepram. Quod in lepra dicunt
quidam esse speciale ut bic; in-
fra de concess. praeb. et ec. non
va. ex transmissa. Ego potius
dicerem, ne addatur afflicto
aÜDictio, eum adhuc remanere
prelatum, et quod dicit hie:
'adminkiraiionis officio etc,\
die, quod seil, est in actu, officium
autem administrationis, quod in
ius resonat, retinebit, et dabitur
ei coadjutor: infra e. t. c. uno
libri III. /. §. Sed prima
opinio mihi melior vide-
tur, ut pro lepra removeatur ah
administratione et alius substi-
tuatur, sicut nuper factum vidi-
mus de cappellano sancte iuste
bon., quod approbatum fuit, sicut
accepimusy per dominum papam^
et pro Visum fuit in victu [?] de
rebus ecclesie donec vixit • . . //
Tancred (Cod. Bamb. P. II. 6.) zu c. quaestioni de appell.
Comp. I. V. reducendis: 'cum ist! redigantur in priorem sententiam;
106 V. Schul te
numquid iterum exigetur ab eis juramentum standi judicio ecclesie,
cum semel dejeraverit? lau. dicit quod ita. Ar. contra XXII. Q. V.
parvuli, sed ibi non admittuntur ad commodum suum. Item ar.
contra II. Q. VII. non poterit, sed illud autequam peniteant. la. Mihi
videtur, quod aliam cautionera pignoratitiam Tel fidejussoriam pre-
stabit» quoniam decretalis» que in hoc eodem easu loquitur, dicit quod
ydoneam et sufficientem eautionem prestare debet; infra e. t. signi"
ficavit I. IL, et nomine ydonee cautionis pignoratia vel fidejussoria
intelligatur . . . t*
Nach diesen Beweisen halte ich für ausgemacht, dass Lan-
francus und Laurentius Glossen ^gemacht haben.
45. In den Handschriften kommen Siglen vor mit P., p. und es
fragt sich, ob diese auf Petrus Hispanus, einen älteren oder auf
Petrus Collivacinus gehen? Im Hinblicke darauf, dass im §. 39 dar-
gethan ist, dass Petrus Hispanus selbst einen Petrus citirt, auch
sonst der erstere mit dem Beiworte Hispanus bezeichnet wird (§. 39.
num. 3. Note), dass an Petrus Colliyacinus nicht zu denken ist, da
Alanus den P. citirt. darf man die Sigle P. unbedenklich auf den
altern Petrus beziehen.
46. Zum Schlüsse soll noch in Kurze eine Beschreibung des
Apparates von Tancred folgen. In vielen Handschriften, z. B. den
unter 3., 4.9. genannten, hat der Apparat die Schlussworte : ^ExpUeit
9umma TancredV Obwohl andere (Trierer Codex 864. Bamb.
P. IL 6.) diese nicht haben, ist ihnen dieselbe Einleitung gemeinsam
und enthalten sie unzweifelhaft Tancreds Apparat. Die von Vincen-
tius herrührende Einleitung lautet :
Juste htdicate filii. Formavit deus hominem ad imaginem et
similitudinem suam, ut XXXIII. q. V. haec imago, Fuit autem crea-
tus in prefecta aetate seil, virili, ut de pe. di. IL §. Romanos, in
illo versiculo nemo. Fuit ergo necessarium, ut haberet jura, per
quae regeretur, et ideo creatum fuit ius naturale in principio, ut d.
h. §. 1 . h. et. plura erant negotia quam Tocabula ideo constitutiones
necessariae erant. Habuerunt enim initium a Moyse, ut d. VII.
Moy ses, deinde a sanctis patribus, ut XV. d. c. L et quia non omnia
poterant comprehendi in decretorum corpore, ut d. XIX. n roma-
norum», ideo magister B. Papiensis praepositus hoc opus comp!-
lavit, cuius intentio est extravagantia Romanorum pontificum et aueto-
ritates novi et veteris testamenti compilare sub titulis. Materia sunt
Literaturgeschichte der CompiUtionea antiquae etc. 107
istae constitukiones seu decretales; utüiias^ ut sciamus discernere
inter aequum et iniquum. Modus agendi talis est: diridit opus in
quinque partes, in prima tractat de constitutionibus et rescriptis et
judicibus et offieiis eorum» in secunda de judieiis et cooperationibus
ad judicia, seil, testibus et instramentis, in tertia de vita et honestate
clericorum et rebus eorum» in quarta de spons. et inatrim. et impedi-
mentis eorum, in quinta de aceusationibus clericorum et criminibus
6t poenis eorum. Dicit ergo juste jud» etc. Vin,* Auf diese Einlei-
tung beginnt der Apparat also : §. casus in prima parte ponit aucto-
ritatem evangelicam, in secunda officium jurisperiti, in tertia inten-
tionem suam. Vin. fadem, i. e. superficiem. Sed cuncta rimari
debet, ut XXX. q. V. judicantem [c. 11.], vel litigantium, ut ff. de
officio praesidis, obserrandum [I. 19. Dig. I. 18.] et XXIIL q. Uli.
est iniusta [c. 33], yel faciem alterius partis, paritas enim obser-
vanda est in iudiciis IUI. q. IUI.' c. 1., extra lU. de iud. novit [cap.
3. de jud. IL 1. CompUaiumis tertiae^. C. de praepositissacrorum
scriniorum in sacris 1. XII. [ist 1. 12. C. XII. 19.]. £/ Folgen noch
Glossen zum Eingange von £. und Vin.
§. Canonum non abrogatorum; abrogati enim non sunt ser-
vandi, qualis est ille XXYI. d. c. 1. et XXXVI. q. ult. c. ult. et §.
ult., j. de purgatione vulgari c. ult t. ab omnibus subditis, nam
Imperator et papa legibus non sunt ligati, ut C. de legibus, digna
Tox p. 4. C. I. 14.], VIII. d. quae contra [c. 2.]. t.*
Zu c. 3. de rescr. yerbo in expensis, ar. victum rictori in ex-
pensis condemnandum, ut lU. q. I. in primis [c. 1.] UI. q. III. quod
tieri non debet, j. de appell. reprehensibile, C. de judic. pro^
perandum §. sive alter. [1. 13. §. 6. C. III. 1.], ar. contrarium
a sensu contrario ff. dejud., eum qui temere» C. de fructibus et
litis expensis, non ignoramus. Solutto: cum utraque pars bona fide
litiget, neutra pars alteri reficit expeusas, secus cum altera pars
temere litigaverit, ut innuitur in aut, de judieiis* %> oportet. [Not.
82. c. 10.]. In hac opinione sunt hodie multi, bona enim fides
praesumiter ex quo iurarit de calumnia, donec probetur con-
trarium. /{.'
Zu c. Cum ineunctis 16. de elect [c. 7. x. I. 6.] rerbo remo'
ceantur <): 'supra LXXIIII. d. consuluit contra. Solutio: cum iste
*) Auch in die Gloasa ordinaria auf^eaomnen.
108 T. Schulte
susceperit alterum connexorum, tenetur ad reliquum, in aliis autem
clericis secus. R canones ut puta factus est irregularis sine
culpa sua post investituram. R.
Zu c. 2. Sane super eo, de iemp. erd. [c. 2. x. I. 11.]. verbo
mtUtUudo 9> 'ftr* quod. multitudo dispensationem inducit d. L. ut
constitueretur, I. q. VII. quotiens, v. ob populum multum crimen
transibit inultum ut XLUI. [recte XLIV. c. 1.] d. comessaiiones. In
multitudine tarnen illis non parcetur, quos magis causam delicti esse
constiterit, j. de clerico excom. ministrante» latores. i. §. ecce, quod
ob scaudalum aiiquid omittitur impunitunit quod alias omittendum
non erat , quod ita deinde recte fit, ut veritas non offendatur, quae
triplex est, seil, iustitiae, doctrinae et bonae yitae; iustitiae quoad
judicem, doctrinae ad praelatum, bonae vitae ad quemlibet pertinet,
quum utilius scandaluni nasci permittatur, quam veritas reiinquatur:
j. de reguiis juris» qui scandalizaverit. p.
Was die Glossa ord. zu c. 7. x. de fil. presb. I. 17, v. media
von 'nota* bis 'sunt specialia' hat, ist mit R. gezeichnet. Dieselbe
Sigle (R.) ti*ägt das in der Glossa ord. ad c. 4. de causis X. de off.
et pct. jud. de), verbo eandem infligas, zu c. 1. de maj. et obed. t.
fuerii 'ar. qui potior* cet., zu c. 3. X. de pactis u. s. w. Mit p. ist
gezeichnet die in der Glossa ord. zu c. 1. X. de frig. et matef. sub
V. probari enthaltene. Die in der Glossa ord. mit Bern, gezeichnete
Glosse zu c. significasti 5. X. de adult. et stupro \, 16. v. imponens
ist auch hier mit b* gezeichnet.
Einige grössere Glossen werden die Methode Tancreds noch
besser veranschaulichen.
Zu c. 1. de restitut. spoliat.
'SoUicite. Spoliattant Eo ipso quod spoliatus renuntiavit, prae-
sumitur, quod invitus et coactus renuntiavit et ideo, quia praesumtio
est pro eo, ideo prius sunt audiendi testes iilius« quam partis ad-
versae. Si vero non erat spoliatus, non est praes. pro eo, etillo casu
adversae partis prius audiuntur, ut dicetur in eontr. j. e. t. si per
hoc I. [libri] IL t Si pluribus forte videtur esse aliud si pluribus
vicibus renuntiavit ar. VI. q. I. imitdtae; sed idem est ac si s^el:
ff. de verb» oblig. qui bis idem [I. 18.], ff. de leg. I., sed ita quis,
XXXL q. II. L 0 1 h a r i u s. 1^ I it 0. De iuramento. Qualiter contra iuram.
1) Siehe dieselbe 10011 Id der Glossa ordinsri«.
Li temt Urgeschichte der CompÜationes aiitiquiie etc. 1 09
tuum venire permittatur, quaere infra de jurej. verum, 1. IL, ihi plene
notatum invenies, quid juris sit de iuramento metu extorto. t Simife.
infra. e. e. prox. contra, Solutio ibi. qtiod violenter], e. t. conquestus
contra 1. III. Solutio: licet in utroque dicatur, quod spoliatus renunti-
averit, tamei) hie dicebat, se metu renuntiasse, quod probare volebat,
ibi yero non allegabat rnetam, Tel si allegabat nolebat probare. t.
spoliatus. Quid si spoliatus aliquis fuerit per annum nee egit, ut
restitoeretur» numquid postea aget? Videtur quod non, quia inter-
dictum actio praetoria est, temporariae actiones anno exspirant:
Inst, de perp. et temp. act., in prini. Resp. praetoriae actiones tem-
porales sunt quoad poenam, perpetuae quoad rei persecutionem : IT.
de act. et obl., in honorariiSf ff. de iu et iu. ar. 1. I. in prin., immo
secnndum canones dico, etiam ad damnum sive poenam perpetuo agi
posse, quia conditio temporis opponi potest : III. q. I. reintegranda.
laur.*
c. 31. qua fronte de appellat. ' conqueruntur tibi o archiepis-
cope et est ar. quod, si per querelam excommunicatio ad superiorem
deferatur, potest ab eo absolvi. ar. IX. q. IUI. nunc vero et VIII. q.
III. Artaldus^ supra de off. jud. ord.. quacsitum, infra de sent. excom.
per tüas I. III, ala.^} [folgen Gl. von t. und laur.] . . ^ra-
dendum. videtur quod hoc stare non posset, quoniam ei vivo com-
municamus, ergo et mortuo communicare debemus ut XIX. q. IL sane.
Item alia sacramenta ei concessa sunt, ergo et illud non debet ei
denegari. Praeterea heres non capit dilationem, ergo non tenet
appellatio, ut ff. de appell. recip. 1. II., 1. ult. et snpra §. prox. et
leges buic loco expresse contradicunt: C. de sepulcro violato I. ult.,
in outen, ut cum de appellat. cogno., %, meminimus coli. VIII., in
auten. ut defuncti seu fund. coli. V. Solutio : quod supra dictum est,
jus commune est enim hie dominus papa respondet secundum consue-
tudinem Anglicorum et hoc notaverunt B, et ala„ quibus tanquam
anglicis est credendum. vinc*), Distinxit, utrum ex contractu teneatur
et sie non debet impediri sepultura, an ex maleficio et tunc impeditur
t> Der Apparat des Alan o 8 in Cod. Hai. Ye S2 hat die beiden letzten Citate nicht.
Schon hieraua und daraus, data Alanos nie üb. H. oder III. citirt, folgt, das«
Tan cred die Citate der iltem Glossatoren erginzt.
2) Alanas hebt blos herror, dass der Papst Secundum consnetudinis alicuius regio-
nis^ rede.
110 V. Schulte
Tel istud cum praesumitur de malitia heredum. Ego credo, hoc qaod
hie dicitur, locum habere, quando defunctus fuit condemnatus in tita
de iiirto, rapina vel usura, vel crimen eius erat notorium et noloit
satisfacere in vita, et quod in contrariis dicitur» obtinet regulariter,
hoc autem casuale vel locale. t\
Zu c. ult. de praescript.: 'Causam. Concessione. 'aupple de
nova facta post constitutionem Lateranensis concilii, quam habes
iftfra de decimis prohibemus; indecorum eniro, quod toleratur.
laicos habere decimas : extra III. de decimis tua nobü. t ecclesioi-
ticae. quaero, an ex dispensatione episcopus possit decimas iaico
concedere? vel aliud beneficium ecciesiasticum. Resp. non quod
titulum habeat ad modum clerici : exira IL de instit. in ecdesia.
Non canonice posset ad tempus ex iusta causa» puta causa alimoniae,
si est pauper, sed non in perpetuum, ut X. q. I. c, penult. et c. ult..
infra de decimis quamvis grave I. IL ala. detinere ciriliter» nsm
naturaliter possidebat ; exigitur ergo civilis possessio ad praescrip-
tionem, quia, ut domini legistae dicunt, illa sola germinat prolem:
ar. Inst, per quas pers. nob. acquir. §. Sed bonae fidei. lanr
praeseribere quam memo obicit, nisi qui possidet: supra de probat.
ex litteriSf nee procedit sine possessione : ff. de usucap. I. IIL f.*
Der Cod. Bamb« P. IL 6. enthält im Ganzen den Apparat
Tancreds gerade so» wie er hier beschrieben ist. Im Einzelnen
ist jedoch vielfach eine Abkürzung zu bemerken, eine Nachtragnng
der Citate spaterer Dekretalen, die Anpassung der Citate (x. L, I. L)
auf die Zeit nach dem Erscheinen der Comp. IL und IIL In ihm
sind dann noch viel später zahlreiche Nachträge gemacht, weiche
zum Theile mit d- gezeichnet sind. Diese haben mit der Glosse als
solcher nichts zu thun, weshalb ich sie übergehe.
F. Resultate. Entstehungszeit mit der Glosse.
47. Im Vorliegenden ist bewiesen, dass als eigentliche Glossa-
toren der Comp, prima bez. als Verfasser von Apparatus oder
Lecturae über sie anzusehen sind: Bernardus Papiensis,
Richardus Anglicus, Petrus, Petrus Hispanus, Gilber-
tus, Alanus, «Tohannes Galensis, Lanfrancus, Lauren-
tius, Vincentius, Tancredus. Ob Bernardus Compostel-
lanus (antiquus) sie auch glossirt hat, konnte ich mit Sicherheit
trotz der Menge von Handschriften, welche mir zu Gebote stand.
Literaturgeschichte der Compilationes antiquae etc. 111
nicht direct aus den glossirten Handschriften der Comp. I. mit
Sicherheit feststellen. Denn die Sigle b. he. b.' bn. paßt auf
beide. Citate von Dekretalen Innocenz III., die Bemardus Papien-
sis nicht hätte kennen können, habe ich in seinen Glossen nicht
gefunden. Wäre dem aber auch also und wollte man nicht an-
nehmen — ich thue dies auch nicht, — dass Bernhard in späteren
Jahren etwa sie revidirt habe: so bildete ein solches Vorkommen
keinen Beweis, weil, wie sich bereits wiederholt gezeigt hat, Citate
von Späteren in den altern Glossen zugesetzt wurden. Gleichwohl
halte ich für sicher, dass er darüber gelehrt und deshalb auch
Glossen dazu gemacht hat, da er bei Späteren, insbesondere Job.
Hispanus, wie ich in einer anderen Abhandlung darthun werde,
und Johannes Andreae ausdrucklich genannt wird. Ein Gleiches
gilt von Guilelmus Naso, der vielleicht nicht als Glossator im
eigentlichen Sinne erscheint, aber sicher, wie ich darthun werde,
eine lectura gemacht hat, woraus Bernardus Parmensis schöpfte.
Signirte Glossen finden sich in den vom mir benutzten Handschriften
nicht Damasus hat schwerlich eigentliche Glossen geschrieben;
die Citate beziehen sich auf Stellen aus der Summe und den
Quästionen.
Alle anderen früher genannten : Huguccio, Bazianus, Silvester
Rufinus, Gandulphus, Melendus, Johannes Faventinus u. s. w. können
nicht als Glossatoren der Comp. I. erscheinen. Die meisten haben
sie gar nicht gesehen; die Citate der übrigen beziehen sich auf
Erörterungen in ihren Summen bez. Apparaten zum Dekret.
48. Was die Zeit der Abfassung betriflft, so halte ich für
sicher, dass Bernhard von Pavia als erster Glossator anzu-
sehen ist, weil 1. seine Glossen durchweg den primitivsten Charakter
haben, meist in Citaten und kurzen Erklärungen bestehen ; 2. seine
Thätigkeit, wie die Summa und Casus zeigen, sich ganz auf die
Sammlung concentrirte und es jedenfalls eigenthümlich wäre, wenn
er sie nicht auch als Lehrer behandelt hatte; 3. er von den Spätem
anfangend von Richardus citirt wird. Seine Glosse selbst dürfte in
die erste Zeit nach dem Erscheinen zu setzen sein, weil 1. sie sich
ziemlich gleich in den Handschriften findet, 2. es unwahrschein-
lich ist, dass er als Bischof noch gelehrt habe, die eigentliche
Glosse aber dies behufs ihrer Verbreitung offenbar voraussetzte,
3. deren Citate über die Comp. I. nicht hinaufgehen, 4. kein voll-
112 V. S c^h u I t e
ständiger Apparat vorliegt. An Bernhard sehliesst sich Richard,
dessen Glosse in das Ende der 90ger Jahre des XII. Jahrhunderts
fallen dürfte <). Grönde dafür sind: Die Benutzung in der Glosse
zur Collectio Gilberti, die frühen Citate aus ihr und selbst tod
Huguccio» der Charakter der Glosse und die Unbekanntschaft mit
Dekretalen von Innocenz III. In das Ende des XIL, den Anfang des
XIII. Jahrhunderts fallt die* Glosse des altern Petrus, den Petrus
Hispanus und Aianus citiren; diese beiden selbst dürften als Glossa-
toren» neben denen Gilbert wohl gleichzeitig erscheint, im ersten
Dezennium des XIII. Jahrhundert gewirkt haben. Die Wirksamkeit
aller übrigen fällt etwa von 1208 aufwärts. Aianus hat seinen
Apparat bestimmt vor 1210 gemacht, da er die Comp. II. und HI.
nicht kennt, wie obeh wiederholt gezeigt wurde. Die von ihm be-
nutzte Sammlung der Dekretalen der Päpste vor Innocenz III.,
welche nicht in der Comp. II. stehen, und der von Innocenz III. selbst,
ist die Sammlung Gilberts und seine eigene. LaurenCius hat wohl am
dieselbe Zeit gelehrt, was sich schon daraus ergibt, dass er Lehrer
Tancreds war. Lanfrancus ist Zeitgenosse von Aianus, Lau-
rentius, Vincentius und Tancred. Vincentius und Tan-
cred haben ihre Apparate wohl ziemlich gleichzeitig gemacht,
jedoch ist der des letztern der spätere, da er den von Vincentius er-
gänzt. Letzterer fällt ohne Zweifel nach 1210, weil er nach allen
Handschriften die Comp. II. und III. fortwährend citirt. Tancreds
Apparat selbst fallt vor das vierte lateranensische Concil (11. bis
30. November 1218), weil er keine der wichtigen auf demselben
erlassenen Dekretalen über die Ehe, den Process u. s. w. citirt.
Dies aber zu unterlassen, wenn sie bereits esistirt hätten, wäre
geradezu unmöglich für einen Mann von Tancreds Bedeutung ge-
wesen. Somit dürfte er in die Jahre 1214, 121o fallen, was durch
seine eignen später anzuführenden Andeutungen bewiesen wird.
Tancreds Apparat sah man bis auf die Gregorianische Com-
pilation als stehenden, als Glossa ordinaria an. In ihm war auch in
') FOr seine ThMtigkeit durfte aich als sicher auf Grundlage der obigen Daten nad
der über die Sammlnng Gilberts gemachten Glosse (SÜs. Ber. 1. c. Seite 19 f.) h«r-
aosstellen, dass er xnerst die Distinctionen machte, die im Gänsen ao*
S i c h a r d entnommen sind und auch den Charakter ton Glosaen haben, so weit
man Parallelstellen u. s. w, dahin rechnet, dann die Glosse und xuletst seinen
Ordo judieiariut.
Literatorj^eschichte der ConipiUtione.i antiquae etc. 113
der That auf Grundlage der vorausgehenden Literatur enthalten,
was irgendwie auf dem engen Rauroe einer Glosse sich über die
Dekretalen sagen Hess. Er hatte zudem einen Umfang gewonnen,
der kaum auszudehnen war. Es kann uns daher nicht wundern,
wenn wir später Citate finden, die von einer glossa prima^ secunda
u. s. w. zu irgend einem Capitel reden, bevor die Gregorianischen
Dekretalen erschienen waren. Nachdem diese eine Glossa ordi-
naria erhalten, hört die unmittelbare Benutzung der früheren Appa«
rate zum Schaden der Jurisprudenz mehr und mehr auf.
IV. Glossen und Apparate der Gompilatio secunda.
49. Ungleich rascher vollzog sich die Abfassung von erschöp-
fenden Apparaten zur Compilatio «secunda und tertia; der Zeitraum,
welchen ihre Abfassung umfasst, ist ein sehr kurzer, wie sich bald
zeigen wird. Für beide findet die Glosse in der allgemein aner-
kannten Form ihren Abschluss mit Tancreds Apparat. Was später
hinzukam, das besteht, wie die Handschriften lehren, nur in Excerpten
aus altern und neueren Summen, Nachträgen von Citaten u. dgl. m.
Es kann diese auf wenige Jahre eingeschränkte Thätigkeit kaum
Verwunderung erregen, wenn man bedenkt, daß alle in die Comp. II,
aufgenommenen Dekretalen längst bekannt waren, in Sammlungen,
die allgemein zugänglich waren, standen und so in den Apparaten
zur Comp. I. ihre Würdigung gefunden hatten. Mit den Dekretalen
der Comp. III. verhält es sich im Wesentlichen geradeso. Dies aber
hat bewirkt, dass wir sehr wenige Handschriften mit anderen als
Tancreds Apparaten finden. Ich darf daher diesen Apparat meiner
Beschreibung bei beiden Compilationen zu Grunde legen.
50. Die Arbeit Tancreds <) besteht nach dessen eigner An-
gabe in einer Benutzung aller früheren Glossen, bietet uns deshalb
für die Feststellung mancher Punkte sichere Daten. Aus diesem
Grunde theile ich vorzugsweise solche Stellen mit, die zugleich ein
weiteres literarhistorisches Interesse haben.
Tancred hat seiner Angabe gemäss«) die von anderen her-
rührenden Glossen mit deren Siglen versehen, selbst wenn
^) In «inxelnen Handschriften (x. B. Bamb. P. II. 10.) endigt der Apparat mit ^Expli-
cit tumma Taneredi,^
^) Die Steile iat abgedruckt in dem folg^endeu Abschnitte.
SiUb. d. phil.-hist. Cl. LXVI. Bd. I. Hft. 8
114 T. 8 ch ttl te
mehrere Glossen rorhanden waren. Wir finden nun auch in der
That in diesen Handschriften viele Stellen» in denen mehrere Namen
vorkommen, z. B. im cap. Super eo de transact v. meminimus, cap.
significavU de clerico aegrot. vel debilit. «) stehen ü. L a. (fol. 11*
des Cod. Marb.), c. Robertus de rescriptis v. noii desisiat; R.
L L.9 so dass Tanered nichts that, als sie einfach hersetzen. Sehr
viele Glossen in diesen Handschriften tragen daher blos eine Sigie,
die meisten von Alanus und Laurentius, abgesehen Yon denen,
welche mit Tancreds Sigle versehen sind, oder gar keine haben.
Rucksichtlich der Glossen Tancreds scheint kein consequentes Ver-
fahren obzuwalten. Denn bald steht seine Sigle am Ende, wenn die
Glosse sich auf Fremde stutzt, bald nicht; bald steht sie unter neuen
Glossen, bald nicht. Die folgenden Glossen geben hinlängliche Aus-
kunft über diese und andere Punkte *).
1. 'cul aud. n, te sign, de rescr. [c. 11. x L 3.] v. tu eon-
strucHone: c. lau. notavit, quod instrumenta vel privilegia propter
falsum latinum non vitiantur. ar. de cons. di IIIL si non sanctificatur,
ff. de manumissis t qui habebat [}. 54. D. XL. 4.], si rescripti
inutilia iu. dicuntur propter Vitium simile constitutionis ratione posita
in glosa albertf^y
2. Zu c. in pres. de reuunt. v. praesumi [c. 6. X. I. 9.]
* . . . Contra Jo. b. [der Legist Johannes Bassianwi] qui dixit, in
causa ap. victorem necesse habere probare iustam esse sententiam:
ut videtur dicere lex, quod non aliter potiantur victores sententüs
quam si eas recte habere monstraverint. in outen, de his qui ingre-
diuntur ad ap. §. illud. Ergo melius est dicere, quod semper seo-
tentiae standum sit, nisi appellans doceat, se iuste appellasse, ut
C. de ap. qui ad dviUa^ et arg. C. ut causa pubert., assit tuiar:
<) ^mimtterio praeter mi$$9m^ ut petitum est «imUe j. de der. aegrot. L 111. ei
parte [d. h. cap. an. III. 6. Conpil. 111.] et est diapeoaatio, qnla depoai aieretnr.
qoia iniuato tenore [timore] raperataa ae ipaam abacidit, at di. bo. 51» fsw «Im^
derit qui pmrtem s. di. XXXIII. mmHium [c. 2. D. 8S. der Text ist corraoipirt]
NoD enim licet alicai «CTire in se, cnm non sit dominas membreraaB soora». ^
f. ad le. aqnl. Über Aeino. J7. /. a.^
*) Der Abdruck geschiebt nacb dem Codei MmrhurgenaiM. Die VariaKten aad<rcr
sind nicbt so bedeutend, um sie, so weit mein Zweck in Betracht komait, mitaa-
theilen, da es sich nicht uro eine Edition handelt.
*) Benutst in der Gtossa erd. von Bern. Perm.
Litenturgescilicbie des Compilation«« Motiquae ele. 115
detegereeniindebetiniquitatemsententiae,^.«jp^iM/^n/eap./. /.^. i.,
et docere, se iuste appellasse, ut ea;tra IL de ap. cum in ecclesia.'
3. c. Quaeris de aet et quäl. v. utilüas [e. 6. X. LH.].
'Ergo propter utilitatem ecciesiae potest privari officio et benefieio
et sie perit definitio magistri alani in LXXIIIII. di. >) quod, cum
exigit atilitas officio, cum vero necessitas ecclesiastico benefieio, nisi
ordines suscipiat, est privandus; potes et hie illam sustinere red-
dendo singula singulis.'
4. Ibid. c. Cum bonae mem. [c. 8. X.]. 'Super hoc diversae
sunt opiniones. Quidaih dicunt: qualecunque sit peccatum, dummodo
occulturo sit, acta poenitentia potest remanere in susceptis ordinibus
et ad maiores ascendere, ut di. L. de his. In qua opinione fuit
MelenduBt et lau, ei favere videtur, unde dicit, quod pp hoc
discole respondet. Alii dicunt, quod nuUus mortaliter peccans etiam
acta poenitentia promoveri potent yel in susceptis ministrare, ut
XXV. d. primum. Tertii dicunt, quorum dictum amplector, quod, si
crimen est occultum, acta poenitentia potest in susceptis ordinibus
ministrare et ad maiores ascendere, ut s. e, i. ex tuarum L /., si
manifestum nequaquam, ut du L. de his vero» Si autem enorme
est, siye occultum sive manifestum, similiter non potest, in quo casu
istam decretalem intelligo: ar. di L. miror. Hanc solutionem habes
XXV. c. ult. in glo.* «).
8. c. Intimatum ib. 'Omnes, qui ante me super scripserunt,
quorum scripta vidi, excepto Jo., notaverunt in hoc loco, quod
dispensationem continuit haec decretalis .^ . . .'
6. c. ad exslirpandas de filiis presb. [c. 11. X. I. 17.]. 'filii
vel etiam nepotes vel inferiorum quilibet, quorum est prima causa
succedendi, ut inst, de hered. qual. et dicta. Sin autem in collatera-
libus non ita prohibetur: Arg. X. I. deoff.jud, deL^ ex parte \ in
modico quemlibet repellendum in quocunque gradu sit qui quasi ex
iure succedendi sibi vendicat aliquod eo benefieio ut infra c. proximo
expressum est ex alani de insti. occu, d. L., X. de insti. ad
decorem. lau/
<) Entweder hui Alu uns also auch Diatinctionen gemacht oder er bezieht sich auf
eine Glosse desselben. Ersteres ist wahrscheinlich. Vgl. das Citat 6.
*) Dieses Citat der Glosse schlechtweg setzt ofenbar voraus eine als stehend ange-
nommene, m!t anderen Worten die Stelle mit nach der Olossa des Job. Teu-
tonicns.
8»
116 V. Schalte
7. c. quum ex plenü. ib. *personarum. rectorem ecciesiae et
est vulgare Angliae.'
8. c. ad aures de bis quae roet v. interposiia [c. 3. X. L 40.]
innuitur ex loco boc, quod licet metu interTenieote aliquis beneficio
vel eeclesiae renuntiet, si iuramentum intervenerit, eam repetere
non potest. simile extra de jurej.f si vero aliquis, X. I. de re$t
iipol.9 accepia; X. IL de re. spo,, conquesti, \rg. contr. XXII. q. IUI.
e. 1. 2. et 3., extra L de const. iud, deL pervenii. Contra extra
Ldehi8,q,met.c.f>abba8; contra X /. dereat.apoLaollicite. Contra-
rior solutio. Quidam sicut albert us et laur. notaverunt, quod
illud, quod dicitur: in contrariis dispensatio (uit (quod vero bie non
similibus dicitur), ius esse commune vel ibi cum erat spoliatus,
renuntiavit, hie non ; vel bic agitur de obtinendo beneficio, ibi de
iam obtento. Sed quoYiiam praedictae solutiones ad omnia praedicta
contraria sedanda non suflFiciunt, ideo cum alano et quibusdam
aliis magnae auctoritatis viris dico, quod, nisi tiilis metus inlerfuit,
qui potuit cadere in constantem virum, si per talem metum quis
renuntiavit vel abiuravit, ecclesiam suam non obstante illa renon-
tiatione vel iuramento eam potest repetere, nisi praestiterit sponte
iuramentum, vel alias ratum babuerit renuntiationem, in quo casu
loquuntur omnia contraria. Si vanus fuit metus, tarnen eius nulla sit
excusatio, ut ff. quod metus L metum an-, ff. de re iu. si quis ab
alioi vel ratum babuerit sponte, quod fecerat per timorem, tunc
repetere non potest, ut bic et in similibus dicitur. Et banc solu-
tionem innuit dominus papa extra III. e. t. c. 1. t. ubi maltum est de
bac materia in glo.'
9. Zu c. ex transmissa de foro comp, [c, 6. X. II. 2.) wird
citirt * const. friderici de leodis.'
10. c. Ad ultimum de causa poss. [c. 2. X. II. 12.]. "...
propter quae iura Job. [Job. Bass.] et sequaces eius dixerunt»
cognitionem possessionis praemittendam fore cognitioni proprietatis,
et hoc, quod bic dicitur, admittunt. Dominus vero M. [Marti nus]
et bi, qui eum sequuntur, dicunt, quod bic licite potest fieri, quod
simul de proprietate et poss. agi potest, et leges illas intelligunt«
cum agitur per interdictum uti possidetis vel utrobique, quod est de
retinenda possessione. Nos autem secundum canonicam aequitatem
aperte dicere debemus, quod causa poss. et propr. simul in eodem
iudicio tractari possunt et una sententia debet terminari, ut sjptra
Lilemtur^enchichte der CompiIi«tiones aotiquae etc. 117
///. e, t cum super elect. et c. ult. Et hoc habet locum, sive ab
utraque parte sunt intentatae seil, causa poss. ab actore et causa
propr. a reo, ut X ///. e, t cum ecclesia, sive ambae ab eadem, ut
extra IIL de cap. man- c, a. Quod intelligo, verum esse, quando de
recuperanda poss. agitur, quoniam actor utroque modo tunc agere
potest. Se4;us est, cum de retinenda possess. certatur, quoniam qui
possidet rem eam vendicare non potest, quia possessio unius parit
alterius in rem actionem, ut s. de alienat. ju. mut. L /., J. de
action, §. et contra.'
11. c. Directae de appeil. [c. 39. X. 11. 28.]. ' . s. II. q. VI. si
quh in guocunque.f C. ne liceat in una ead, causa L i-, J. e, ^ quia
requisisti. 1. e. Contra $. e, t personas et C. de appelL ; contra «. de
off, iud. ord. ad haec contra. Solutio : ubi post primam appellationem
contumax is qui appellavit, quia nee in causa processit nee fuit appella-
tionem prosecutus», non auditur si iterum velit appellare ut IL q. VI.
§. diffinitam. §. sunt quorum; in quo casu loquuntur contraria. Ubi
vero primae appellationirenuntiavit et iterum egerit, si gravetur, iterum
appellare poterit, cum liceat secundum jura iterum appellare nee est
contumax. Hanc credo veram solutionem, quam proponam [es steht
aber mit der gewöhnlichen Abkürzung des pro propam.] G. et io.
Aiii dicunt, hoc speciale esse in ma. Lau. dicit, hanc non esse de-
eretalem et cum fuerit alias magnus hie de tuis omnibus dixit. t,'
12. Zu c. ex transmissa de decimis v. licite [c. 23. X. III. 30.]
^ . . ego credo, meretricem ad decimam de eo lucro teneri, sacer-
dos tamen non debet eam recipere, ne videatur impunitatem praes-
tare. Sic etiam quandoque oblationes aliquorum respuuntur ratione
eriminis, ut XC. di oblationis^ XVII. Q. 4. miror. Idem dicerem in
foeneratore de lucro usurario, nisi repetitio contra cum daretur.
Decimae autem , quae daotur ratione praediorum , iuste accipit
ecclesia a quocunque etiam invasore. ex quo non dantur ratione
personae, ecclesia enim suum accipit; sed personales non, nisi cum
dominium translatum est, nee competit repetitio, exceptis casibus a
iure prohibitis, ut. dixi in meretrice, cui, cum poenitentiam egerit,
poterit sacerdos injungere, ut illam decimam det in remissionem
peccatorum suorum, vel ipsam recipiat, ex quo iam desiit esse mere-
trix. i:
13. c. Siquidem de conv. infid. 'Siq. eadem. i. de conv. conju.
c. 1.1. III., contra infra de divort. quanto te, contra, sed hoc suc-
118 T. Sclialte
cumbit et illud praevalet. Unde magister p. posuit super illo para-
grapho versiculum suum: "cetera coniinendo, quod dicitar hie
reprehendo'*. /.'
14. Zu c. Intelleximus de nori oper. nunc. [e. l.«X. V. 32.].
'nota leges posse in caasa ecclesiastiea allegari et secuodam eas
debere iudicari .... Solutio: praecise diGendum est, quod in
causis ecclesiae indifferenter utendum est legibus sicut cauonibus»
ut hie traditur, nisi contradicant canones, quia tunc non est eis
utendum .../.'
15. e. Nobis ex tuar. innot. de spons. 'traduxit. eo ipsu prae-
sumitur uxor, quod in domum yiri traducta est. ff^. de riin nJpt
mulierem. Si tarnen maior XII. annis, ut e. t minorem, et jf! de
adult si uxor. §. Si minor. Et dixit Jo. 6., quod, si ante ducatur
et cognoscatur, iam tarnen est uxor, licet sit arg. cont. ff. de Terb.
ob), eontinuis cum ita stipulatus in fine et expcessum est infra c.
prox. s. de spons. impub. a nobis. L'
16. Zu c. Placei nobis de conv. conj. [c. 12. X. III. 32.]
cogendam 0* Sed pone quod mulier ista contrahit, numquid tenebit
matrimonium? . . . licet albertus notarerit, quod tale matri*
monium non tenebat» tarnen ab ore JoKis GaT. magistrimei
audivi et ita firmum teneo quod matrimonium tenet, licet coutrahere
non debuerit, nee contradicit ilia decretalis quidam, ubi dicitur»
quod non debet contrahere. Quod de ista concedo, sed non dicitur»
quod contractum separetur.'
Im Cod. Bamb. P. II. 6. folgt 'ut ad illam ex parte, quae est
prima huius tituli. Respondetur quia rotum ejus fuit solempne non
potuit exire de monasterio nee contrahere, sicut ibi dicitur. t.\
während Cod. M a r b. die Sigle auslässt.
17. c. Secundo quaeris de appell. v. tanquam. ' . . hoc
yerbum tangit melius Jo. II. q. VI. qtwtiens in glo.* *).
18. Buguccio (h. hug.) wird citirt tu Stellen des Dekrets in
den Glossen zu c. praeterea requis. fuimus de appell., laudabil.
^) Zo c. Quon. nov. iuperv. de imoun. ecci. v. *«d id guod XL et ita XU. «mno«
poterlt esse oior licet J o, contradixerit, ut di XI., •. c. prox. ^^ Hier ist ra-
zweifelhaft Johannes Farentinus gemeint.
*) Beweit, daA Tancred nicht blot die'Somme, aondern auch die Gloaae vaa Joh.
Farent. ror sich hatte.
Literaturgeschichte der Compilationes antiqoae etc. 119
pont. off. de cngn. spir. ('dixit hug, et sequaces eius, sicut albertus
et alii . . . tertii dicunt seil. l. et Jo. SaL* et quidam alii, cum
quibiLS sentio . .'), c. de quibus de bapt. pueror.
19. c. an sit deferendum de appell. 'Sed numquid appellatio
contemta in una causa repellit contemtorem in alia? Videtur quod
sie: arg. extra IIL de elect. bonae mem. in fine, immo si contra
alium appellat. ar. j. de usuris ftusira L IIL, ff. quod quüque juris
L IIL §, haec poena. Solutio: nee ab alio nee in alia causa repel-
letur, sufficit enim quod semel punitur arg. extra III. de elect. cum
Winton. ecci. Sedquid si secundo appellaret in alio casu, posset
iste contemtus iterum cum repellere, quem semel repulit? arg. est
quod non praedicta decretalis cum Winton. eccL Cum enim noo'
repellatur ibi in tota electione videtur idem hie in tota causa. Jo.' <).
20. c. Ea; insin. diL flL n, de procurat. 'G, notavit, hoc ideo
fieri, quia praemortuus clericus super hoc, licet in alio iudicio intro-
ductus fuerat; valet dictum eius in secundo'. c. significavii de der.
aegrot. 'ministet^ium. sicut baptizare, praedicare, cathezizare, poeni-
tentiam iniungere et similia, quae sacerdotibus sunt attributa ut
XVI. Q. I. adicimus. e. con. di. IUI. constat. G.* — c. certificari
de sepult. v. comuetudo. 'Quid si de consuetudine dubitetur, vel
variae sint in vicinis ecclesiis consuetudines? De minor! summa erit
intelligendum, ffi de arbitr. diem proferre §. si plures. C — c.
Porrectum nobis de regul. trans. 'familiäres dicuntur quidam
officiales ecclesiae. G, vel nomine familiae omnes consanguinei, servi
atque liberi intelliguntur ut C. de verb. sign. l. ult. et etiam alii
cohabitantes. arg. s. de testibus in literiSf extra IIL de of deleg.
insinuante. t.' — c. Tertio loco de imnum., eccI. 'et per solUeitU"
dines. nota ratione loci sinistram induci opinionem et suspicionem»
ut in aut ut liceat matri et aviae §, his quoque et s. de praesumpt
c. ult. 1. e. s. XXXy. Q. VI. ab isto die. G.' Andere mit 6. gezeich-
nete selbststdndige Glossen zu c, Duo pueri de despons. impub.
c. dil. fiL lt. arch, de his q. matr. accus., c. a nobis fuit ex parte
ibid.» c. ad nostram naveris de sym., c. perven. ad dem. ap. sed.
ibid., c. cum monast. de homic. volunt., c. audivimus quod quidam
de venerat. sanctorum.
') Nach Ban b. P. II. 6. sind offenbare Schreibfehler emendirt worden.
12U V. S c b u It e
21. In<) einer mit ^ signirten Glosse zu c. bonae mem. de
eonf. ut. citirt: 'extra IIII. oblatae* [e. 1. II. 12. Comp. IV.], zu c. ad
aud. noBtram de praeb. in einer nicht gezeichneten: 'extra IIII.
e. t. c. I.'
5i. Diese Mittheilungen, welche natürlich noch bedeutend
vermehrt werden können, steilen Folgendes ausser Zweifel. Wir
besitzen zur Comp. II. Glossen von Alanus«), Jobannes Galen-
sis*), Laurentius, Tancredus, Vincentius^), einem Glossa*
tor G. ») Zunächst fragt sich, wer dieser 6. ist. Aus Johannes An-
dreae's Notizen könnte man nur auf Guüelmus Naso schtiessen.
Möglich ist dies allerdings, ich bezweifle es jedoch, weil uns in
einem später zu beschreibenden Codex die Glossen desselben zur
Gregorianischen Compilation erhalten sind und ich darunter keine
der mitgetheilten finde. Meiner Meinung nach gehören die mit G.
gezeichneten zum Theil Gilbert an, in welchem Falle sie der
Glosse zu seiner Sammlung eutnommen sind, in der die meisteo
Capitel der Comp. II. enthalten waren, zum Theil — und dies gilt
unzweifelhaft von den mit g. signirten — Graiia Äretinus <). Dafür
spricht die Sigle, indem Naso entweder mit Natto oder Guil. Naw
angeführt wird« mit Guil. oder G. allein nur dort, wo kein Zweifel
obwalten kann ; da Äretinus blos das Vaterland bezeichnet, ist auch
die Sigle G. ohnehin die natürliche, zumal wohl zu seiner Zeit bei
seiner Berühmtheit, in Folge deren er 1219 Archidiacon in Bologna
wurde, kein Zweifel aufkommen konnte. — Über die Glossen mit
^) über diese ond ^leicbe CiUteTon DekreUlen Innocens nach 1215 nnd der SehliU»«
des UiertiD. CodciUt. 1215 «. unten.
^) Dessen Siple ist a. bU. ; in Anderen heisst er regelmissig almnu*. Da es einea
zweiten nicht gibt, auf den diese Sigle a, bezogen werden könnte, so ist jede
weitere Untersuchong fiberllGssig. Von AUnut enthalten aUe Handschriften Glonsca.
^) Da es gar keinem Bedenken unterliegt, dass die in num. 5. 11. 18. und 19. mitg«-
theilte ihm gehört. Die Angaben der Glossa ord., an welche sich Phillip« «ad
meist Sarti hält, ziehe ich nur heran, wenn sie zur Beleuchtung bandschrifl-
lieber dienen.
^) Ist dorch Cod. Carnot. 462, nnd die sonstigen Angaben ausser Zweifel ^evtellt.
^) Vgl. die Angaben der num. 11., 20. Handschriften mit der Sigle g. Chartres 3S4;
G. Chartres 462., Bamberg P. II. 10. Die Sigle g. kann nie auf Gnilelmvn, »i
aber auf einen anfangend Gra, gehen.
*) Vgl. filier ihn Sarti II. p. 22 sqq.
Litemtur^eschichte der Compilationes Mntiquue etc. 12l
den Sigleii 1. la. lau. laur. gilt das im §. 44. Gesagte i). Denn Lan-
francus starb erst 1229. Die Glossa ordinaria scheint aber all^
Siglen dieser Art Laurent! us beizulegen» da sie diesen mit vollem
Namen wiederholt in Fällen citirt, wo die Handschriften blos I. haben.
Man vergleiche z. B. zu c. 40. X. II. 28. gl. saiisfeceris^ impedire,
c. 41. ibid. gl. debens cogu die im Cod. Marb. sämmtlich mit I. ge-
zeichnet sind. Mit Rücksicht auf die frühere Auseinandersetzung lege
ich dem kein Gewicht bei. — Die Citate mit R. im Cod. Carnot. 462
beruhen wohl auf einem Versehen beziehungsweise auf Bemerkun-
gen zur Comp. I., da Richard kaum die Comp. II. glossirt hat.
Es werden noch genannt, wie die abgedruckten Stellen be-
weisen, Albertus, Petrus, Melendus*). Was Albertus be-
trifft, so sind die Citate der Art, dass man sie auch auf den Legisten
dieses Namens*) beziehen könnte, vielleicht auf Albertus Beneven^
ianus (Gregor VIII.), worauf die Verbindung mit Huguccio führen
konnte. Da ich aber auch später bei Job. Hispanus einen Cano-
nisten Albertus erwähnt finde, der in diese Zeit gebort*), muß
ich diesen Punkt als noch nicht liquid hinstellen. Melendusist
unzweifelhaft, wie sich aus dem Citate selbst schon ergibt, nur als
Glossator des Dekrets citirt. Dagegen lässt das Citat P. (in num. 13.)
mit Sicherheit auf einen Glossator der Extravaganten schliessen. Da
ich nach der früheren Erörterung nicht an Petrus Hispanus
denken kann, so dürfte entweder der ältere Petrus gemeint sein,
oder Petrus Collivacinus, wofern nicht beide identisch sind s).
^) Im Cod. Marb. sind die selbttsUndigeD Gloisen bald mit 1. oder dem gestrichenen
I., bald mit lao. ond laur., in den Citaten Tanereds reirAlmiBsig mit lau. oder laar.
beieichnet. Tgl. noch c. »eeundo quaerit^ tua not de der. aegrot., cum sint de
decim. Cod. Tolos., Carnot. 355 haben 1., Carnot. 462 1. la., Bamb. P. 11. 6. la. lau.,
P. II. 10. 1. la. lau. Gewisa kommt viel auf die Abschreiber.
*) Dass in num. 10. Martinus gemeint ist, liegt anf der Hand ; übrigens steht
diese Meinvng ancb in den Dissensiones dominorom bei H a e n e 1 pag. 888 oben.
Ebensowenig ist nAthig, weiter nachzuweisen, dass in num. 2. 10. 25. der Legist
Job. Bass. mit Jo. b. und Job. gemeint ist (Vgl. t. Savigny IV. 8. 289), dass
besiglich Huguccio s, der die Comp. II. kaum gesehen hat,nur an seine Summe
gedacht werden darf.
*) Alhertu» PtpienMÜ bei t. Sarigny V. 8. 78 fg.
4) Von den bei Sartl mit diesem Namen angefahrten passt keiner.
^) Dies lisst sich aas den Daten bei Sarti I. p. 314 oben schliessen, da Petrus da-
nach zu Bologna lehrte, beror er bei der Curie beschüftigt war.
1 22 V. S c h u 1 t e
in einigen Handschriften <) kommen Glossen mit der Sigle b.
vor. Da Johannes Andrea sagt, der ältere Bernardus Compostel-
lanushabe über die beiden ersten Compilationen gelesen, dürfte
derselbe gemeint sein. Endlich finden sich auch in Handschriften*)
Glossen von Vincent ins, dessen Autorschaft nach den Nach-
richten Yon Johannes Andrea nicht zu bezweifeln ist. Das seltene
Vorkommen dürfte aber vermuthen lassen, daß er keinen förmlichen
Apparat gemacht habe wie zur ersten.
Tancreds Apparat fusst, wenn man die in den mit t. signirteu
Stellen aufgenommenen Glossen anderer ins Auge faßt, auf den
Arbeiten von Johannes Galensis, Alanus, Petrus, Laurentius und
Gratia*). Von Albertus gilt dasselbe, wenn er überhaupt als Glossa-
tor dieser Sammlung anzusehen ist. Von einer Benutzung der
Glossen des Bernardus durch Tancred habe ich bisher keinen
directen formalen Beleg. Da aber alle genannten Zeitgenossen
waren, ja die sämmtlichen Arbeiten über diese Compilation in den
verhältnissmässig kurzen Zeitraum von 1210 bis 1230 fallen, ist
eine rege Bearbeitung ersichtlich. Vincentius gebort zweifeis-
ohne zu den spätesten Glossatoren derselben.
c. Wir haben in den meisten alten Handschriften, insbesondere
in denen mit Tancreds Apparat ein abgeschlossenes Ganzes. Dies
beweisen auch die sich regelmässig findenden Schlussvermerke.
So endigt der Cod. Marburg zum c. In his quae ambiguitü"
tem de verb. sign. v. archiep, also : 'non eodem die, quo sententiam
tulit, potuit interpretari et supplere, ut ff. de re iudic. paulus si
minus non interpres deus est, qui gratiam interpretandi cui Vult in
spiritu sancto apostolo testante concedit, cui gioriam et honorem
reddimus per infinita saecula saeculorum. Amen.' ^).
Über die Zeit, wann der Apparat von Tancred abgefasst ist,
werde ich beim Schlüsse der Erörterung über die Comp. III.
reden.
0 Chartrea 3o5, Bamberg P. U. 10.
<) Chartrea 462.
*) Denn Laorentiaa kennt Alanua (nom. 6.) vnd Petnia (13.), Taaered aber aiaa^r
Laarentina (i, 4, 8, 11.) Job. Gal. (5, 11), Alanna (6), Gratia (II),
Albertua.
M Derselbe Schloaa findet aich in fiamb. P. II. 6., Leipsig nnm. 968.
Liter<ilarg«tcbicbte d«r CompÜationes antiquae etc. 123
V. Oompilatio tertia.
52. Die Glosse zur Compilatio tertia lässt sieh aus gleichen
Gründen wie bei der Compilatio seeunda am Besten darstellen an der
Hand des Apparates von Tancred^ den die meisten Handschriften
enthalten. Er leitet denselben ein mit folgendem Vorworte i) :
Tost compilationem decretorum ßtctam a Gratiano multae a
Romana curia decretales epistolae emauarerant, quas magister B.,
tunc praepositus» postmodum episcopus Papiensis, ad studentium uti-
litatem sub competentibus titulis collocavit, quaedam antiquiora in-
terserendo, et ?ocatur compilatio prima. Et post illam compilationem
quaedam aliae decretales a diversis apostoiicis emanaverunt, quas
magister Gilberius ad instar primae compilationis sub titulis col-
locavit. Post iiium vero magister Alanus suam similiter compila-
tionem effecit, tandem magister Bernardus CompostellanuSf
archidiaconus in Romana curia, in qua curia moram faciens ali-
quantum, de regestis domini Innocentii papae unam fecit decretalium
compilationem, quam Bononiae studentes Romanam compilationem
aliquanto tempore vocaverunt. Verum quia in ipsa compilatione
quaedam reperiebantur decretales, quas Romana curia refutabat, sicut
hodie quaedam sunt in secundis, quas curia ip$a non recipit^
idcirco felicis recordationis dominus Innocentius papa HI. suas de-
cretales usque ad annum XII. editas per magistrum P. Benev Cu-
tanum notarium suum in praesenti opere compilatas Bononiae stu-
dentibus destinavit. Post illarum receptionem magister Johannes
6ra/^ii«f« decretales omnium apostolicorum, qui praecesserant In-
nocentium, de dictis compilationibua Gilberti et Alani extrahens
quandam compilationem ordinavit, quae hodie mediae sive aecundae
decretales dicuntur. Super quarum expositionibus plures doctores
Bononiae studentes ^losas plurimas, varias et diversas posuerunt et
apparatus super eis scripserunt Et quia de dictis apparatibus opi-
niones studentium erant diversae, sententiaeque confusae: idcirco
ego Tancredus Bononiensis canonieus qualiscunque decretorum
*) Die Abdrucke überhaupt. Dach Cod. Bamb. P. II. 6., mit dem genau stimmt Cod.
voo Chartres 462. Im Gauen sind die Varianten nicht bedeutend. —
Dies Vorwort ist zuerst abgedruckt worden in Bouquet Adnot. ad epist.
innoc. Hl. Lib. I. ep. 71., daraus bei 8ar ti I. p. 257 not« a. und nochmals II. p. 82.
1 24 V. S c h II I t e
magister ad multam instantiam sociorum meorum meliora et utiltora
de dictis apparatibus colligens, et ex ingenio meo quaedani inter-
serendo» sicut ex signis glosularum singularum demonstraiur,
priroas et secundas decretales, prout melius potui glosvlavL Sed
super praesenti tertia compilatione apparatum non fecu sed audi-
endo aique legendo quaedam in libro meo notavi, quae scolares qui-
dam absque conscientia mea de libro meo extraxerunt et pro apparatu
tertiarum illud mihi intitularerunt. Tunc autem docendi officio ad
multorum instantiam reassumto praesentem tertiam eompilationem
cum diligentia domino favente glosabo et eonstitutiones concilii pro-
xime celebrati et jura a domino Innocentio papa III. post. XII. annum
edita tam in apparatibus a me factis quam in hoc, quem ordinäre
dispono, diligentissime collocabo. t,*
Der Schluss lautet gleichmässig in verschiedenen Hand-
schriften :
'Si alienis«) honoribus invidus exstitissem vel ex«) alieno labor^
glosatoris laudem mihi acquirere vojuissem, alienas glosas mihi prae-
sumpsissem ascribere, aut de loco ad locum, sicut quidam fecerunt.
inutiliter transmutare. Sed noiens facere aliis, quod mihi fieri detes-
tarer, sie primas et secundas et tertias de scriptis meis et alieniss)
glosavi, ut quod alienum non^) [dele] erat, mihi non appropriari, et
quod unius fuerat, alii non ascripsi, glosas vero quaslibet propriis
auctoribus assignavi. Unde contingit^ quod, si duas vel tres glosu-
las coniunxi, tot magistrorum signa et tot divisiones in glosula feci.
Et si de duarum sententia ') unam glosam composui, duorum magi-
strorum signa in fine glosae designavi. Ita quod« nisi «) vitio scrip-
toris contingat, dictum unius a dicto alterius discernitur manifeste. ^*
53. Es soll im Folgenden eine Anzahl von Glossen Tancreds
und anderer mitgetheilt werden, welche einen Einblick in dieselben
gestatten und zur Beantwortung der für diesen Gegenstand und die
<) AUorwn : Caroot. 462.
') Ins Carnot.
') Et ülienit omittit: Ciirnot., mit Unrecht, da schon die Vorrede datselbe M|:t
und ea implicite achon im Eiof^an^e dieses Scblusswortes steht.
^) Recte omittit : Carnot.
^) mmteria in Carnot.
*j Non . . eonilngit' Caruot.
Literiiturgeschiehte der Compilationcs aiitiquae t>tr. 1 «O
Glussa orüinaria der Üekretalen Gregors IX. in Betracht kommenden
Fragen geeignet sind.
1. c. 2. de const. v. quassamus, 'et nihilominus excommunl-
candi sunt constitntores, nee valent eorum statuta, ut >) in concilio
Lateran. Innoe. papa III. cum laicis, tJ*
2. c. 4. ib. [c. 8. X. eod. I. 2.] v. constitutum. 'Sed numquid
canonici per se cum episcopo suo possent minuere praebendas vel
dignitates sine auctoritate domini papae? Videtur quod uon, quia uec
augere possunt: ar. infra de consuetudine, cum olim, et quia bonor
ecclesiae potius dehet augeri quam minui, ut de cons. di. L vaaa, et
quia temporibus nostris potius addi cupimus, ut XXV. q. i. quae ad
perpetuam et q. 2. quaecunque. Unde nee episcopus potest omittere,
quill instituatur arcbipresbyter quasi ipse solus ad haec sufßciat ut
extra I. de off. archipresbyteri c. ult. ; et melius est, qualemcunque
eligere, quam ordinem non esse plenum, ut ff. de decur., generaliter
§. ult. Ad hoc dico, quod canonici cum episcopo ex causa possunt
minuere ut supra de instittU. c. i. et 2. Über IL et in e. prox.» et
XXI. dt. y in novo test. Et quod possent unam dignitatem diminuere
et dividere, vel mutare, vel penilus tollere, pi^obatur XVI. q. I. prue-
cipimus, ff. communia praedior., si cum duas, ff. de neg. gest.,,
cfim alicuif infra de praeb. c. vacante I. IUI. et LXIII. di. §. verum,
et LXVIII. di. quorum oices. Jo.*
3. zu c. 1. ibid. v. constitutum [c. 6. x. I. 2.]. 'Sed noniie isti
praesentes poterant omnia statuere aliis irrequisitis?Utique, ut supra
X. q. 2. hoc jus, et VII. q. 1. f actus est, infra de elect., cum ifiter
universas. Sed hoc ideo non valuit, quia in praejudicium aliorum et
malo zelo et contra approbatam consuetudinem ecclesiae hoc tecerunt.
Alioquando enim contra consuetudinem venire non licet sine licentia
domini papae, ut j. de regul. et trans. c. exposuisti, et contemtores
consuetudinum habendi sunt sicut praevaricatores legum, ut s. di. XI.
in his rebus. Adbuc objicitur, quod maior pars facit, totum facere
videtur, ut s. de Ins quae fiunt a ma. parte cap. c. 1. L. L Tu die:
si aliquid est commune pluribus non ut collegiatis sed singulis, quod
fit a maiori parte eorum nihil est nisi omnes consentiant, ut ff. de ser^
vit. ru. praed., per fundum^ nisi concedam rem in naturali usu, quod
potest facere unus invitis sociis et contradicentibus, ut in Instit. de
1) Am Rande von spfiterer Hand; *de rebus ecci. aiien. rel non I. UU.^
126 T. S c h u I t e
rer. div. §. reUgiosum, nisi in casu j. de jure pairon. poätulagii I.
III. Si vero sunt plures ut collegium, distingue. Facienda sunt ei
necessitate, sicut alienationes, electiones, institutiones, sufBcit quod
facit maior pars, ut s. de eleei., licet 1. I. et s. de his q. f. a. m. p.
c, cum in cunctist dummodo non contemnant eos, qui vocari debent,
ut j. de elect.f quod ticut^ venerabäem. In aliis, quae ex neeessitate
non geruntur, puta cum dividitur praebenda, nihil fieri potest, nisi
omnes consentiant ut hie et in lege per fundum* et constitaere de-
bent ut coUegium, non tanquam singuli. ut j. de consOi-^^ cum M.
Ferrariensis. Vic'
4. Zu c. 2. ib. T. alienandi feudum, *Qui feudum alienat, eadit a
jure feudi, et dominus illud alii polest concedere» ut j. de feudis c.
2. 1. e. [libro eodem]. Et melius habetur in librofeudamm c. si cUen-
tulus, et in constUai. domini Lotharii imperiali. t. Nee feudum dari
potest in dotem, nisi adsit voluutas domini, ut J. de dote. poMi divor-
iium restitut nuper, sicut nee usuarius potest usum suum vendere
irrequisito doroino, ut in J. de U9U ei hab. in princ. Et in hoc differt
feudatarius [supra: usuarius] ab emphiteota, quia emphiteota potest
iu perpetuum vendere emponemata sua: C. de jure emphi. 1. 3. Jo'
5. ib. V. pers. assensu. 'Nee sufficeret omnium consensus in
hoc casu» quoniam alienatio consensu omnium facta circa formaro
debitam nulla est, ar. XII. q. 2. sine exceptione et C. de saeros.
eccLf juhemus in fine, et X. q. %,hoc jus, Sed si communis forma
esset servata et laesa esset ecciesia, teneret alienatio« sed posset
ecciesia restitui, ut s. de his quae fiunt ab «p., cum vos I. I., et s.
de emt. et vend. c. ult. et s. de rest. in ini., requisivit I. I. Jo/
6. ibid. c. 4. r. coniranenerini. *Hinc collige, quod si quis semel
facit contra Privilegium suum, perdit illud ut j. c. prox» et.j. depraeb.
pro iUorumf et s XI. Q. III. prieilegtum* et C de jure do. impesi ere^
ditor. Argum. contra: C. de episc. et der.» aut. generalüer quoniam
delictum personae etc. ut XVI. Q, IIIL Si episc. et j. de arbitris. am
temp. et j. deprivil. accedent; quia, ut ibi dicitur» non perditur Privi-
legium nisi praescriptum sit contra illud per XL. annos. Solutio:
notarit iu loco isto vic, quod Privilegium aut datur ad facieadun
aut ad non faciendum. Si datur ad faciendum et is qui impetravit
non utitur spatio X annoruni perdit illud, ut ff. de nundinie L H^ si
vero consistit in non faciendo, si papa reservavit aliquid sibi jurb in
Literaturgeschichte der Compilationes aiitiquae etc. 127
eo, DOD potest tali privilegio expresse renuntiari : j. de arbitr. cum
tempore^ sed tacite potest» ut j. de priviL accedeniibus, et in tali
casu potest opponi Privilegium, ne fiat praejudicium Roroanae eccle-
siae etiam post sententiam, ut j. de priv. cum olim 1. III. circa finem
versu quia vero., si vero papa nihil sibi in illo privilegio reservavit,
potest illi renuntiari, ut VII. q. I. quam periculosum et 8. de prm,
si de terra, Sed Jo. tectonicua notat hie, quod, si ille qui impe-
travit Privilegium directe faciat contra ipsum etiam semel perdit
ipsum ut hic:j. de praeb, pro iUarum, C. de pactis inter emU et
vend. L commissorie; si vero non servat Privilegium vel non tuetur
se illo, tunc perit privilegium legitimo tempore ut j. de priv. acce-
dentibus. Magis enim delinquit qui directe venit contra Privilegium
quam si non utitur illo etc. Ad hoc ar. LXXXIV. di, quisquia et 8. de
vitaet ho. cler.^ 8tatuimu8fj> de seni. excom.^ contingü et C de
excu8at, tu. L voluntarie et C. de hi8 qui sponte munera 8ub, I. I.
libri XL, quoniam levi argumento perditur Privilegium ut j/*. de divor.
/. uU. Hanc ultimam opinionem magis ampleclor. Verum tamen quia
quaelibet praedicta distinctionum impugnari potest, ideo alii dicunt,
quod, si Privilegium est odiosum, perditur per unicum contrarium
actum, si favorabile, non perditur nisi legitimo tempore praescribatur
contra privilegium, vel melius, si Privilegium datum est in favorem
personae seu personarüm, si semel veniunt contra privilegium per-
dunt illud, sed si datum est in favorem ecclesiae non perditur nisi
contra illud fuerit praescriptum legitimo tempore. In quibus et quot
casibus perditur privilegium notatum est 8. de transact, sugges-
tum. t'
7. c. 1. de cousuet. y. observantiam^y Secundum legalem ob-
servantiam regulariter in testamentis exiguntur VII. testes ... in
codicillo vero exiguntur V. testes . . . Haec solemnitas remittitur
rusticis propter penuriam hominum, ut in eorum testamentis suffici-
unt V. testes . . . item militibus remittitur haec solemnitas, dum sunt
expeditione occupati . . . Alia est canonica observantia, ut habes
eartra de testam. cum esses et c. relatum. Primum tamen c. volunt
quidam restringere per secundum, ut loquatur, cum aliquid ecclesiae
<) leh laaae die rdmiachrechU. Citate aus, weil sie nicht weiter nbihig alod, ab um
ihre Art so coBftatiren; die caaoBiachrechU. laase ich. {^leiehfalla aua, soweit aie
nicht zur Conttatining^ einielaer Punkte dienen.
128 V. S c h u 1 t e
relinquitur, maxime quia de eodem loco loquuntur, ut ex tute le
[offenbar titulo legis] colligitur. siL'
8. c. 4. de rescript. v. nee. üceat occas. gen, Trovidet hie
dominus papa, ne diversae personac iitigatorum vexatiouibus afSci-
antur, ar. C. mandati per diversaa, melius j. in eoneilio lateran^
nonuUi gratia. Si propositum enim ejus est, materiam litibus auferre
. . . alias enim hoc uomen aliia bene includeret majores personas,
nam nomine plebis etiam senatores eontinentur . . . nee semper hoc
nomen alits positionem facit ut LVJ. Cenomanetisem ; ar. ff. de con-
st it. pec. l. L §. debitum . . . . la.'
9. e. 4. de consuet. v. interdicto supponere. 'Sie ergo ecele-
sia supponit ah'quem loeum interdicto. Similiter solus decanus ut /.
de appelL dil. filio. Arg. contra: s. de excess. prael. c I. L /., ubi
dictum, quod solus episcopus hoc non potest sine consensu capituli;
simile supra de his. q. f. a ma. p. c. quaesivit l. II. Jo. Ad hoc
dicendum, quod nee episcopus nee aliquis inferiorum praelatorum
potest hoc facere sine consensu capituli sui, nisi hoc obtineat ex
privilegio vel consuetudine speciali jam praescripta. Ar. ad hoc XV.
Q. VII. episc. nullius causam, s. de excess. prael. ad haec L I. /.*
10. c. 3. de postul. v. vobis dedimus in mandatis: 'hoc obtinet
et de consuetudine in ecclesia ravennatc, quod mortuo archiepiscopo
non proceditur ad electionem futuri pootificis, nisi prius signifieata
morte ejus domino papae et licentia eligendi ab eo recepta. la.^
11. c. 2. de translat. episc. v. vicarium: 'licet alias dieatur
successor piscatoris : XXIV. Q. I. quoniam vetus. Similiter quilibet
episcopus est vicarius Christi: XXXIII. Q. v. mulieretn^ et episcopi
sunt successores apostolorum: LXVIII. quorum vices. la.^
12. c. 2. de elect. in iine: 'et R. seniori adjudicavit custodiam
prout oratum, sicut continetur in compilatione /.'. licet desit hie.
laur.
13. c. 7. ibid. v. num. f'aciebnt. 'Sed pone omnes alias circum-
stantjas esse aequales, nisi quia unus ditior est numquid praeferlur
dives? videtur quod sie; nam dicit lex, quod melior efGcitur« qui
ditior eflficitur, ut ff. de reb. eor. qui sub tu.* si pupillorum §. si
praetor^ ar. di. XXX. haec scripsimus. Praeterea praefcrtur dives
pauperi in actione in testamento ut II. Q. L In primis et L. prohi-
beniur et ff. de actio. L nonnulU. Sed videtur ideo postponendas
exemplo Soeratis, qui non putavit cum divitiis virtutes posse possi-
LiteratiirgrscMchte der CoiDptlatioites antiquae etc. 1 l^d
dere ut XII. Q. IL gloria, nam istud debet primo profiteri philosophus
pecuniaiD spernere ut ff. de variis et eatra ca, cogni. 1. I. §. I. cum
per hoc quidam detectus fuit non esse philosophus» qui pecuniam
voluit retinere : ut C de muneribus pairimoniorum, professio tua.
Ergo perferrem [prof.] divitem, si ecclesia, eui praeficitur, indiget,
et praesumerein, quod de bouis suis ibi expenderet'.
In einer daselbst anfangend ar. a contrario sensu und t signirt
ist das Citat: 'ut in constit. domini Innoc. quia per diversas in iine'
d. h. c. 9. de elect. Compilationis IV.
14. Ibid. 'Sed pone quod scio in ecciesia duos meliores Omni-
bus sunt pares inter se; data est mihi postestas eligendi, quaeritur
quem eligere debeani? Ar. quod uterque est in Obligationen/*, de V.
0. ai duo rel; sed quod unus determinate sit in electione: ff. quando
dies le, ce. cum illud. In primo credo quod gratifieare possim et
eligere quem voluero : ar. LXIU. di. e. ult. et servus in periculo
mortis potest subvenire uni ex dominis, quem maluerit ut ff. sill.
sen. cons. si quis in gravi §. sicut onmis; et ita unum eligendo
liberor ah eo, quod teneor faeere: XXIII. Q. IV. ipsa pietas. Quod
verum est etiam si juravi eligere meliorem. vic'
15. c. 8. ibid. v. spoliandus: 'per sententiam: et ita adhue
remanet episeopus prioris ecclesiae ut j. de renunt. c. 1, L e. et
s. de iranskU. epi, inier corp, in f. L e. Unde ei Interim obedire,
tenentur, quia nondiim vacat de facto. licet vacet de jure ut j. de
conc. praeb. lüteras L e. lau.'
16. c. 8. ibid. y. quor. alier proeurator: 'bene tarnen potue-
runt utrumque dare procuratorem in solidum: IL Q. VL %, forma,
et supra de testibus^ insuper L I.» non tamen simul agere possent:
ff. de procurat.9 pluribust ff. de amm. t., decreto §. i., sed ille est
potior qui prior occupat ut in illa lege pluribus ff. et hoc cum
simul eos dat; si vero diversis temporibus, dando secundum remo-
veret priorem: ff. de procurai., quisquis §. iift., nisi in dando
secundum exprimat, quod priorem volt durare in procuratorem:
ffl de /. h plur^us. Ad unam autem litem plurium personarum et
unum procuratorem dare possunt plures ut;/*. deproeurat.^ si quis
§. unius. Quandoque tamen plures non nisi per unum experiri vel
agere possunt seu defendere» ut ubi plures fidejussores sunt et volunt
defendere cum, pro quo fidejusserunt judicatum solyi ut ff. judica-
tum solvi l. V. §. si unus^ et in redhibitoria: ff. de aedil. c. quod
SiCxb. 4. phil.-hist. Ol. LXVI. Bd. I. Hft. 9
130 V. Seil u 1 1 e
91 nolii. ^. 8% plures, et idem ubi quis agebat judicio familiae her-
ciscundae pluribus heredibus relictis, quia omnes unum procuratorem
ad Judicium dabunt wXff, fam. herc. L fam, habere, vic.'
17. c. 13. ibid v. sec* appelL inierpositam: 'sie j. e. t. c. ult
V. exercuit» aut denuntiationis officium : LXIII, du obeuntibus ; s. de
off. deleg.f causam L /.; j. de arbUr, r. ult,\ ff. de reeepti»^ iiem
si unuM §. ult la. Addunt quidam, ui v ine nisi id fiat in absentia,
quod absens concederat» si esset praesens, nt ff. de donat.. ei tibi
remf ff. de rüu it., ei filius. Obstat enim tali doli exceptio ut ff. de
doli except. apud Celeumt ff. de peculio, non nolum. Quandoque
tarnen plus impedit contradictio praesentis quam absentis ut di. LIV.
quie aut leges* ff. de curatore fu., si cum ßlw %. u\t , ff. de reg.
jur.t qui polest. Jo. t'
18. ibid. y. curav. conseniire. Sed numquid iu hoc casu
possunt primi electores ab electione sua resilire, si absentes volunt
consentire? Videtur quod sie, maxime si diffidunt de jure suo . .
Sed dicendum est, quod nou . . . Pone, quod illi qui conteroti
t'uerunt mortui sunt, et alii loco eorum substituti, numquid exigritur
consensus substitutorum ita quod si non consentiani-electio irrite-
tur? Vinc. dicit quod non est necessarius substitutorum assensus
nee possunt electionem irritare, nisi episcopi vel abbates essent
contemti, quibus aiii succederent in onere et honore, quia tales una
persona censentur . . Item pone , quod ilH qui cousenserunt
mortui sunt et alii substituti, numquid sufficit, si contemti relint
modo consentire? Dixit Jo. Walensis quod non. quia non inveniunt
consensus, quos confirment, ar. ff. commuma praed» receptum, ubi
dicitur, quod quidam ex coberedibus cesserunt ?iam et quidam non et
mortui sunt, qui cesserunt, non confirmatur cessio si superstites
cedunt. Vinc. dicit contrarium et alia est ratio' in lege et alia hie.
quia in cessione viae ultima cessio tantum valet, ac si tunc omnes
cederent, quando ultimus cedit; sed secus est bic, quia perinde
habetur consensus istorum ac si omnes retro consensissent, qoia ad
tempus electionis fit relatio ut s. e. t. dudum circa finem. /.*
19. c. 14. ib . . 'solvitur ista contrarietas in glosa Jo. qoae
incipit hie electio quae nulla est etc. Ego vero solri eam s. de eteet.
considerammns l. I. t' Hierauf folgt des Johannes Glosse.
20. c. 19. ibid. v. in germanos. 'Sie ergo regnum niuodi
translatum est ad teutonieos, nam et habent regnum Bamanae
Literaturgreschichte der Con)|iiUiioaes antiquae etc. 1 3 1
-eccleaiae, ut de cons. d. F. in die: et sie patet, quod imperium non
«st apud graecos, licet largo nomine appelletur imperator ut j. de
majnrilate, solitae, sicut rex francorum, quoniam extra Ro. ecelesiam
non est imperium ut XXIV. Q. 1. §. sed illud. Est autem imperator
ille super omnes reges ut VII. Q. I. In apibus, et omnes nationes
.sub eo sunt ut XI. Q. I. §. hoc si quia v. volumus- Ipse enim est
princeps mundi et dominus ut ff. ad L Ro. depraecatio, immo etiam
judaei sub eo sunt: C. de iudaeis, judaei, et omnes provinciae, ut
LXIII. di. Adrianus. Item omiiia sunt in potestate imperatoris ut VIII.
di. quo iur.» XXIII. Q. VIII. convenior, C. de quadrien, prnescrip.*
bene a Zenone etc. Jo.'
21. ibid. V. advocato. 'Advoeatus ecclesiae non est patronus,
»ei eomparatur illi tutori, qui datur pupillo» ut defendat illum ab
infestatione aliorum et appellatur honorarius ut ff de 8oL, quod ai
/orte, nee eomputatur talis tulela in numero trium tutelarum, sed
est causa honoris tantum: ff. de ritu n., si quistutor. la.'
Da es sich hier nur um Feststellung der Glossatoren und des
Charakters ihrer Glossen handeln kann, nicht aber die Absicht vor-
liegt, die wichtigeren Glossen mitzutheilen, so mögen obige Beispiele
genügen. Betrachtet man das Verhaltniß der Glossen zu einander, so
haben offenbar Johannes Galensis und Vincentius vollstän-
dige Apparate gemacht, welche dann der von Tancred ergänzt. Viel-
leicht hat auch Lanfrancus einen solchen abgefasst, während von
Liaurentius verhältnissmässig nicht viele Glossen herrühren, min-
destens in den Handschriften seine Sigle tragen. Wer «i/. ist, von
welchem einige Glossen vorkommen, kann wohl nach der Erklärung
von Johannes Andreae, dass Silvester di^ zwei ersten Glossen zu
c. ad nostram de consuetudine angehorten, nicht zweifelhaft sein,
obwohl die Glosse sil. nicht zu diesem zweiten, sondern dem voran-
gehenden Capitel setzt, da die Sigle selbst deutlich ist. Nichts
zwingt uns aber, Silvester als Glossator der Comp. III. anzusehen,
weil die Glosse offenbar ganz gut aus einer Summa decreti geflossen
sein kann und die beiden citirten Dekretalen in der Compilatio prima
stehen. Es dürfte sich somit der Kreis der Glossatoren auf Laurentius,
Johannes, Lanfrancus, Vincentius, Tancred beschränken.
9
132 r. S c h u I t e
VI. Abfassungszeit der Apparate zur Comp. U und HE.
84. Die Zeit der Abfassung der Apparate laßt sich bis zu
einem gewissen Grade genau bestimmen. Tanered gibt in der im
§. S2. abgedruckten Vorrede zum Apparate der 3. Compilation an:
1. Er beginne denselben nach Innocenz III. Tode (felicis recor-
dationis dom. Innoc. papa UL). Folglich hat er denselben begonnen
nach dem 16. oder 17. Juli 1216.
2. Er nennt sich darin canonicum Bononiensis. Da er am
31. Jan. 1226 zum Archidiacon erhoben wurde'), wurde dies
der äusserste Endpunkt sein.
3. er spricht von den 'constitutiones eoncilii proxime cele-
brati', womit er die des 4. Lateranensischen meint <). D^s proxime
kann sich nur auf die Zeit nach dem lateran. beziehen» weil vor
1227 kein neues römisches Concil abgehalten worden ist. Das 4.
Lateranische ist gehalten worden vom 11. bis 30. November 1215.
Wenn nun Tanered bald nach Innocenz IH. Tode seinen Apparat
begann» so durfte er noch proxime sagen. Bei dieser Auffassung
dürfte man etwa die Abfassung in das Ende des Jahres 1216 und
in das Jahr 1217 verlegen. Wollte man aber interpretireu: zuletzt
abgehaltenes Concil, so könnte man allerdings die Abfassung
hinausschieben. Dies geht aber nicht. Denn
4. er gibt an» daß er auch in den bereits von ihm ge-
machten Apparaten ('tam in apparatibus a me factis quam in
hoc, quem ordinäre dispono^) und in dem zur Comp. III. die Erlasse
von Innocenz III. und die Schlüsse des Concils hinstellen werde
(^collocabo'y Da dies »ich aufgemachte mit bezieht, kann es für
sie nur ein Nachtragen sein» weil er keine Änderung beabsichtigt.
Hieraus folgt nun evident :
1. Daß der Apparat zur Comp. I. und II. vor dem 4. Codcü
vom Lateran» also vor 11. November 1215 vollendet war.
2. Daß er nach 1210» nach dem Erscheinen der Comp. III., die
secunda glossirt haben muß, weil diese nach der tertia erschien.
0 Sarti n. p. 29. der das Schraibeo HoDoriua IH. Tom 31. Jfio. 1226 da«, pa^. 181
abdruckt. Am Schlüsse der Urk. steht ^9ecundo Ral. Febr.\ was kanai deakbar tat,
Sarti gibt im Texte p. 29 pridie an.
3) Maasseo io Jahrb. III. S. 244 Note 42. hat nuperrime. Im Bamb. Cod. P. IK
6., den er citirt, steht dies nicht; ob in dem zweiten (Gratxer), den er ««eh
citirt, weiss ich nicht. Sarti (Bouquet) hat auch proxime.
Literaturgeschichte der CompUatioiies antiqune etc. 133
3. Das8 in dem Apparate zur Comp. I. und II. die Citate von
Dekretalen Innocenz III., die in der Comp. IV. stehen, später nach-
getragen worden sind.
Nimmt man zu diesen Daten hinzu, daß Tancred im Apparate
zu I. II. III. die Compilatio IV. nicht kennte), die er auch mit
keinem Worte erwähnt, obwohl die Comp. IV. nicht sehr lange
nach Innocenz III. Tode gemacht sein kann, so dürfte nicht zu be*
zweifeln sein, daß das Jahr 1217 als das richtige erscheint
Aus den eigenen Angaben Tancreds folgt weiter:
1. Dass er den Apparat zur Comp. I. zuerst gemacht hat. Wäre
dem nicht also, so würde er dies sicher hervorgehoben haben, weil
Jeder das Gegentheil aus seinen Worten folgern wird.
2. Dass die Citate in dem Apparate zur Comp. I. aus der
Comp. II. und III. 2) nicht später von ihm hinzugefugt worden
sind, sondern gleich anfänglich darin standen. Dies sagt er freilich
nicht direct. Aber wenn er so sorgsam die Ergänzung der Citate
aus den Dekretalen nach dem 8. oder 9. Jänner 1210 [womit das
Xil. Jahr Innocenz III. endigt] hervorhebt, hätte er gewiss bei dieser
Gelegenheit auch eine solche Hervorhebung gemacht für die Comp,
prima rücksichtlich der Citate aus der secunda und tertia.
Endlich kommt noch ein Umstand in Betracht. Er sagt aus-
drücklich in dem Vorworte zur Comp. III., nachdem er die Comp. 1.
und IL glossirt, habe er in seinem Exemplare der Comp. III. Notate
gemacht beim Hören und Lesen, welche seine Schüler ohne sein
Wissen abgeschrieben und als seinen Apparat der Comp. HI. in Um-
lauf gesetzt hätten. Nach Wiederaufnahme des Lehramts
wolle er nun die tertia wirklich mit einem Apparate versehen. Folg-
lich fällt diese Wiederaufnahme des Lehramts später, als die Glossi-
rung der Compilatio I. und II. Sarti hat Tancred zuerst in einer
Urkunde vom J. 1214. Spt. 14. als magiater decretoi^m gefunden »),
*) Das« jetit in Haodschrifteo /. IV. sich Torfindet, tbut nichts zur Sache, weil man
•piter die Citate mandg^erecht machte. Hfttte ihm die Comp. IV. beim Anfange
oder Schlosiie seines Unternehmens vorgelegen, so liesse sich absolut nicht be-
greifen, wie er in der Vorrede, die am Genauesten auf die Geschichte der Com-
pilationen eingebt, oder in dem Epilog darüber hinweggehen konnte.
*) Dass solche in dem zur prima rorkommen, ergeben die abgedruckten Glossen.
'; Siehe Ssrti 11. p. 29 und den Abdruck das. p. 181.
1 34 v> Schulte
von wo ab er bis 1234 zu Bologna erscheint. In diesem Doeumente-
wird er nicht canonicus genannt.
In der SummtUa de matrimonio, die vor dem Concil von 1215
gemacht ist <)» nennt sich Taucred auch noch nicht maffUier» son-
dern blos T. Bononiensis. Dieselbe ist gewidmet dem Propste
Otto von Gurk, der 1214 starb als gewählter Bischof, hat eine
Formel von 1210 und ist unzweifelhaft 1210 oder 1211 gemacht
worden. Der Ordo judicmrius WWX aber nach 30. Nov. 1215. da
wiederholt (gleich im Eingange §. Jtidieiortim siquidem ordo) das
4. Concil vom Lateran genannt ist. Hiemach scheint Folgendes
angenommen werden zu müssen'):
1. Tancred hat die Comp. I. nicht vor dem Erscheinen der
III., also nicht vor 1210 glossirt» aber jedenfalls vor 1215.
Die Apparate von Aianus, Laurentius, Vincentius,
welche von Tancred benutzt worden sind, fallen also vor den von
Tancred. Da in diesen vor Tancred fallenden Apparaten die Comp.
II. und III. citirt werden, so folgt, dass deren Vollendung nach 1210
füllt. Wir dürften also etwa mit Annahme der Zeit von 1212 — 1215
der Abfassung des von Tancred das Richtige treffen.
2. Die Glossirung der Comp. II. durch Tancred fallt eben-
falls zwischen 1212 und 1215. Benutzt hat Tancred die vor ihn
fallenden, mithin entweder 1210 oder 1211 oder 1212 gemachten
Apparate bez. Glossen von Lanfrancus, Alanus, Johannes Ga-
lensis, Laurentius, Vincentius, Gratia.
3. Die Comp. IIL ist von Tancred nach 1216 aber wohl bald,
etwa 121 7 glossirt worden, abervordem Erscheinen der Compilatio IV.
■) Deno YOB deMen Satsungen ober die Ehe keoat sie nicht«. Et ist ein Fehler, de«»
Wooderiich TaDcredi summa de matrimoaio, Gett. 1S41 in seuier aeast treff-
liehen Edition die in Uandachriften am Rande und aonst eiagesehaltete Conat.
aber die Affiaitlt hat abdrucken laaten (p. 55).
*) Zugleich sind wir durch die eigenen Mittheilungen Tancreds ober «eine Tkitigkeit
beaser belehrt, als aus den sonstigen Angaben. Er hat also iwiaehen 1210 and
Not. Itl5 schon gelehrt, aber auch noch gehört, war 1210 oder Itli noch nicht
Magister, wohl im Sept. 1214. Es iSsst sich daraus wohl also schliefen : Die
SummiUa de matrimonio ist eine Scbulerarbeit, er promorirte etwa 121t oder
1213, dozirte ein bia zwei Jahre, machte theils als Schüler, tbetls in dieaer eratea
Lehrzeit und wihrend der Müsse, die Tielieicht durch das neue Amt eines Cano-
nicus bewirkt war, die Apparate zu Comp. I. und II. den Ordo judieirnu^ nahm
nach 1216 das Lehramt wieder auf.
Literaturg-eschiehte der Compilakiones «Dtiquae elc. I 3o
Vn. Die Glosse zur Coxnpüatio qnarta.
SS. In den Handschriften der Compilatio IV. finden sich» wie
die mir bekannten Handschriften zeigen und auch die Mittheilungen
anderer ergeben, nur Glossen mit der Sigle Jo, oder solche ohne
Sigle. Dass dieser Apparat JohannesTeutonicus zum Verfasser
hat, ist bekannt und bedarf keines weitern Nachweises; übrigens
liegt er in der folgenden Darstellung. Da dieser Apparat gedruckt
vorliegt, halte ich an diesem Orte ein näheres Eingehen fQr über-
flüssig und beschränke mich darauf, die Zeit seiner Abfassung ge-
nauer festzustellen, weil diese zugleich entscheidend ist für die Zeit,
wann der Apparat des Johannes zum Dekret Gratians abgefasst
wurde. Johannes citirt öfter seine Glosse zum Dekrete Gratians i).
Alle Ausführungen, auf welche er sich beruft, stehen in jenen Hand-
schriften des Dekrets, welche seine Glosse rein haben «) bez. vor
die Glossa ord. des Bartholomäus von Brescia fallen und allein oder
mit anderen die des Johannes bieten, ebenso in der Gl. ord., jedoch
hier vielfach mit Zusätzen des Bartholomaeus Brixiensis. Obwohl
somit die Identität beider gar nicht zu bezweifeln ist, möge doch ein
Citat ausgeführt werden. Job. ad Comp. IV. in c. 2. de elect. v.
arcere. 'Generale enim est quod ad citationem, quae a iure repro-
batur non tenet venire citatus etiam ut alleget Privilegium : ut notavi
HI. q. II. «I episcopm. Jo.^ Im Cod. T r e v i r. 906 steht nun zu III. q. 2.
ai epc. V. convocari folgende Glosse : 'Sed numquid veniet allegare Pri-
vilegium ut extra de appelL^ comparavil Resp. non cum constat eum
esse spoliatum, sie ff. de peculiot eo tempore. Scias ergo quod, ubi
evidens est citationem non valere, reus non tenetur venire etiam ad
allegandum Privilegium; scias ergo, quod quandoque eitatio non
1) Z. B. c. honae mem. 2. de elect. v. areere, c. 6. Mcriptmm ibid. ▼. duplo nmjor :
*de bac nateri« notavi plene 63. dist. c. ull.^ ; e. 9. quia profttr ibid. ▼. »ii Ueo :
*pront Botari 7. q. 1. faetns^; c e9MtituiȤ 4. de off. jud. dele;. ^de boc plenins
noUTi 3. q. 5. c. iiod.\ c. mucümiü im. de ia iDtegr. rettit. *et in aliia casibni,
quos notaTi II. q. 3. cwn uput etc. AJle diese und andere Citate ateben in tfimmt-
iiehen genannten Handschriften und der Ausgabe, sind auclr regelmfissig mit der
Sigle Jo. Terseben.
S) Z. B. im Cod. bibl. civit. TreTir. 906, bibl. Barab. P. I. 16.
1 36 V. Schulte-
valet, quia infra angusta tempora (it. . . . quia non expriniatur
causa, quare fiat . . . quia nimis maturatur peremtorium . . . ratione
temporis, si fiat die feriato . . ratione loci, ut si citatur ex provin-
cia ultra duas dicutas ut extra de res er, nonnulli Tel si
citatur ad locum periculosum vel inhonestum ut extra IIL de
appelL exparte^) etc. etc.
Da nun feststeht (§. 54.), dass bei Abfassung des Apparats
zur Comp. IV. der Apparat zum Dekret fertig war, da in diesem
Apparate Canones des vierten lateranensischen Concils citirt werden,
da Tancred in seinem Apparate zur Comp. III. den Apparat zum
Dekrete kennt (§. 53. num. 6.). aber nicht die Comp. IV., da
sicher ist, dass Tancreds Apparat nicht nach 1226 gemacht ist, so
folgt daraus mit Gewissheit:
1. Der Apparat zum Dekret ist vollendet nach 30. Nov.
1215, sicher vor 1226.
2. Die Comp. IV. ist nicht sofort nach dem Concil gemacht
worden.
Wahrscheinlich ist, dass die Compilatio quarta etwa ins
Jahr 1217 oder 1218, der Apparat zu ihr in dieselbe Zeit falle.
Zugleich ist damit der Beweis geliefert, dass die Glosse des
Accursius, welche nicht vor 1 234 vollendet sein kann (v. S a v i g n y
V. S. 282) jfinger ist als die Glosse des Johannes Teutonicus,
das Dekret mithin früher einen einheitlichen Apparat hatte als die
römischen Rechts büclier, das Verdienst der ersten einheitlichen
Arbeit dieser Art — wenn man absieht von den im Vergleiche zum
Dekrete kleinen Arbeiten zu den Compilationes antiquae — einem
Deutschen zukommt*). Zur noch grossem Unterstützung sei
zugefugt, dass die Qomp. V. im J. 1226 an Tancred vom P. Hono-
rius III. ubersandt wurde, vorher die quarta ihre Glosse und ihren
Namen hatte, dass aber Accursius erst 1221 mit Sicherheit als
Lehrer erscheint. Wenn er nun auch wirklich 1220 an der Glosse
*) Dm erste Cittt Ut c. nonnulli 5. derescr. der Comp. IV. nod paMt aar auf dieses.
Das zweite Citat beweist durch die Angabe des extra III., dass es aus der redpirten
dritten Collection genommen wurde, cap. nonnulli konnte mit de retcr. citirt
werden, weil die Canones des 4. lateran. Concils in den Sammlungen nach des
filteren Vorgingen regelmfissig unter die betreffende Rubrik gesteUt sind.
*) Ich habe diese Ansicht als wahrscheinlich gegen t. Sarigny schon in der erstes
Auflage meines Lehrbucht des Kirchenrerhts aufgestellt (S. 50, sweite S. 54 fg.).
Literaturgeschichte der Compilationes antiquae etc. 137
ZU den Authentikeii schrieb (v. Savigny V, S. 200), auch an der
zu den Institutionen sehr jung arbeitete: so ist geradezu undenkbar,
dass Johannes Teutonicus , dessen Glosse zum Dekrete eine Arbeit
ist» die gewiss einige Jahre erforderte, welche aber 1217 als voll-
endet angenommen werden darf')» seine Idee dem Schuler ent-
lehnt habe.
Vni. Die Glosse zur Ooxnpilatio quinta 0*
56. Jacobus de Albenga hat nach Johannes AndreS*s aus-
drücklichem Zeugnisse die Comp. V. glossirt «). Handschriften mit
der Glosse sind äusserst selten, wie denn oben bereits bemerkt
wurde, dass Cironius keine zu Gesicht bekommen hat Ebenso-
wenig hat der neue Herausgeber Riegger solche gesehen. Mir ist
bisher nur die oben genannte Handschrift von Chartres bekannt
geworden *). Auf diese Glosse gehe ich hier nicht näher ein, da sie
lediglich für die Glosse zu den Dekretalen Gregors IX. eine Bedeu-
tung hat, bei deren Darstellung ich auf sie zurückkommen werde.
0 Ich habe die historische Gewissheit nicht vor 1226 gesetzt, dass aber der
Apparat ror 1226 langst fertig sein musste, folgt aus dem Zusammenhalt der f. 54
und 55 angeführten Daten wohl unzweifelhaft.
*) Über dieselbe handelt Cironius in der Vorrede zu seiner Ausgabe, noch aus-
ffibrUeher Riegger in der zn dem neuen (mit Noten u. s. w.) vermehrten Ab»
drucke von M. Jos. Ant. deRiegger Wien 1761. 4. Dass dieser vollstfiudig,
die Angabe von Laspeyres (Summa Bemardi pag. XVI. n. S.) irrig ist, habe ich
in meinem Lehrbuche des Kirchenrechts S. 2S. Anm. 10. bereits gesagt.
S) Die Stelle ist f. 22 am Ende mitgetheilt. Vgl. Sarti I. p. 330.
4) Vgl. mein Iter Gallicum S. 4S9.
138 r. Schulte
Anhang!)
Damasus O und seine Schriften.
Über Vaterland, Geburtsort und nähere Lebensumstände dieses
Canonisten schwebt ein Dunkel. Denn hinsichtlich des erstem wird
er bald Boemus (von Durantis), bald Ungarns (von Diplova-
taccius) genannt. Aus seinen Werken lässt sich keine der beiden
Angaben begründen. Dagegen ergibt sich aus ihnen für die Zeit
seiner ThStigkeit, wie sich unten zeigen wird. Genaueres.
Als seine Werke werden von JohannesAndrea angeführt :
Summa super primam compilationem, Brocarda, über quaestionum
super multis decretalibus, Ordo judiciarius, von Diplovaiacdus noch
Historiae Decretorum. Die historische Folge dürfte folgende
sein: Historiae/ Summa, Quaestiones. Dass letztere junger sind»
sagt er in dem unten angeführten Citate selbst; dass die historiae
die älteste sind, möchte ich daraus schliessen , dass mir scheint.
Jemand, der sich einmal mit dem Glossiren und Behandeln schwerer
Rechtsfragen befasste, habe keine Lust mehr gehabt zu einer Arbeit,
die jeder Schuler machen konnte. Die Brocardica lassen sich kaum
genauer bestimmen.
W^ährend die zweite und vierte Schrift allgemein zugänglich
ist, bedürfen die anderen, namentlich die erste einer genaueren Er-
örterung.
L Summa decretalium.
Handschriften:
Berlin num. 249 (ich lege sie zu Grunde und lasse ihre Be-
schreibung folgen); eine zweite das. cod. ms. lat theol. 440.
Chart, s. XV.
1) Ich fuge diese Brdrteruog bei, weil a. bisher nirgeodt eine genügende Erörtemg
über Damaens Werke gegeben ist, 6. derselbe Tonugsweise ein Sckriftsteller uU
welcher die Compiiationes antiqnae in seibststindigen Schriften bearbeitet hat,
e. die spiter au publicirenden Arbeiten mir keine Gelegenheit geben, aof ihn v»
genau, als dies nöthig ist, einsngehen.
*) Joh. Andreae in Addit. ad Specnl. Gnil. Darantis Proem, DiploTatsfciai
f. 152. Sarti I. p. 306. ▼. Sayigny V. S. 162 ff. Laspeyres Bera. Psp.
Summa decretai. Praef. p. XL. sq. •
Litersiturgesctiichte der ConpUationes aotiquae etc. 139
Wien Hot1)ibl. num. 2080 fol. mbr. s. XiV. Fol. 97—107.
(Am Ende richtig summa damasL Im Anfange von einer Hand des
XV. Jahrh. Summa Tancredi),
Klosterneuburg num. 1048 s. XIII.
«Basel C. !. 13 (Wunderlich p. 35.).
Leipzig 978. s. XIV. fol. 172^— 184*i).
«Oxford Bodiej. n. 1141 (Wund. J. c.)
^Venedig S. Marci num. 28.
Angers Stadtbibl. n. 38t s. XIV.
Die Mittheilungen gebe ich nach dem Codex der Berliner
Staatsbibliothek Coi/. ms, lat foL iVr. 249, membran., saec.
XIV. ineunt. Am untern Rande des 2. Bl. von einer Hand des
18. J.ahrh. 1iber monachorum sanctae Mariae de Hymerod ordinis
Cisterciensis Treverensis dioecesis*. Fol. 1 — 16*. *lncipit summa
tiUUorum a magistro Damaso compilata. '
Anfang des Werkes: 'Juri operam daturus prius nosse
oportet, quid sit ius.* Da zum Theile schon aus der Einleitung ein-
zelne Punkte ihre Begründung finden, soll diese zuerst mitgetheilt
werden.
'Juri operam daturus prius nosse oportet, quid sit ius. Est
autem ius ars boni et aequi, h. e. scientia, per quam bonum discer-
fiitur a malo et aequum ab iniquo, ut ff, de iusiiiia ei iure 1. 1 . Juris
autem species sunt duae. Est enim ius naturale, quod natura omnia
animalia docuit, ut instU. de iure natur. gent et civ, in princ. Est
autem ius positivum s. expositum ab bomine, ut sunt leges saecula--
res et constitutiones eccfesia^iicae. Jus autem naturale coepit a
principio rationabilis animae, et est plenum et perfectum, cum sit
factum a deo, qui opus imperfectionis non novit» ut eä?. de sacram.
bapHsmi maiores I. IIL [c. 1. de bt^pt. III. 33. der 3» compilaiio
apäiqua. Y III. ist abgekürzt fOr libri HI. Die Bezeichnung liber
war die technische. Meine Quellen des Kirehenr. S. 334]. Et est
immutabile, ut di. V. §. L et instit de iure nat. g. et civ. §, sed
naturalia* Jus autem positiyum cum inventum sit ab homine, est
imperfectum, quia in rebus humanis nihil est perfectum : C. de veteri
iure enucleando I. II. §. Sed quia divinae, et immutatur per aliud
0 Sie Irört auf mit dem Titel de $eque$tftione. 'Explicit aomma danasi\
140 r. S c h 11 1 l e
ius postea prolatum» ut extra de cons, spirituali c. t. libri 1. Post
compositionem autem decretorum [d. b. des Dekrets Graitan's]
vai'iis temporibus a summis pontifieibus emanaveruiit iura vel corri-
geutia iura antiqua vel uovos casus deeidentia. Et quia utile erat
studentibus in iure huiusmodi iura sub titulis collocare , ex eis
compilationea factae sunt, de quibus est haec
§. Videamus ergo, quae sit materia huius libri, quae utilitas,
et quis ordo agendi, et cui parti philosophiae supponatur. Materia
sunt deci^etalea, et quaedam utilia capitula, quae in corpore cano^
num, registro Gregorii ei Brocardo [d. h. Burchard's De-
kret] reliquerat Gratianus. Intentio summorum pontificum, qui pro-
mulgaveruut has constitutiones contentis 9ub isto volumine, est
baec: ut metu poenarum in eis expressarum humana eoerceatur
audacia et iusti vivere possint in quiete, ut IUI. di. factae 9unt
[c. 1. D. IV.]. Utilitas patet, quia per huiusmodi scientias prom-
tiores erirous ad consulendum , allegandum et definienduin. §.
Ordo agendi talis est: diridito/m« compilator in V. libros. In
primo tractatur de constitutionibus ecclesiasticis, et de ordiuationi-
bus, et de officiis clericorum, et de praeparatoriis iudiciorum. In
seeundo de iudieiis, et de processu iudiciorum. In tertio de Tita et
honestate clericorum, et de rebus eorum. In quarto de matrimoniis.
et de eins impedimentis. In quinto de criminibus et poenitentiis.
Supponitur ethicae, ut alii libri iuris. De constitutionibus,
Auxiliante deo de constitutionibus eeclesiasticis tractaturi vide-
amus, quid sit constitutio . .
Aus dieser Einleitung und dem Inhalte des Werkes folgt :
1. Der Verfasser kennt bereits mehrere Compilatioueii, ond
zwar die drei technisch genannten libri I., II., IIL 0 den ersten und
dritten über citirt er schon hier als I. I., 1. III. und so oft. Die
Citirart: extra de [Inhalt des Titels und Anfangswort des Capitels.
oder die Zahl des Capitels] libri I. (II. III.) ist stehend. Ebenso
citirt er die Comp. II.» s. B. gleich in der summa zum Titel de re-
acriptis et eorum interpretationibus am Ende : ^ewtra de eonfimka^
') Dies haben Mhon Savigny und Laspeyres bemerkt. Diploratacc ias
spricht von 'utraque eoinpilaiio^. Sarti vermag dies nicht su eiilireo, meiot
aber auch, er habe die von H o n o r i u s gesehen. Laspeyres freilieh beifiig^ead,
er habe nicht genauer untersuchtf meint (p. XLl nota 25.) diese Summe beziehe
sieh TorzOglich 'ad tres priores fror Bernhard) compiIationefl\ was falsch iaf.
LiterMtur<feschichte der CompÜHtiooes antiqiiaa eie. 141
Hone utilip bonae memoriae V. il.' [d. h. c. un. de conf. ut. IL 21.
Compil. 2****] und öfter.
2. Die Summe behandelt als solche nur die CompUatio prima^
berücksichtigt jedoch die secunda und teriia. Worin diese Berück-
sichtigung besteht, ist bisher niemals genauer dargelegt worden.
Um dies zu zeigen, muss der Charakter des Werkes geschildert
werden.
Damasus gibt keinen Apparatus, wie die meisten vor und
nach ihm, zu den einzelnen Capiteln, sondern, wie^lie Überschrift
unserer Handschrift richtig sagt: eine summa tUulorum^). Er er-
örtert die in den einzelnen Titeln enthaltene Materie und liefert
somit ein kurzes Lehrbuch des caaonischen Rechts nach
dem Systeme der Libri. Hierin hat er sich also Bernhard
zum Vorbilde genommen. Damasus beschrankt seine Darstellung
nicht auf den Liber primus; die Rücksicht auf die beiden anderen
besteht nicht blos in einem Citiren aus denselben.
Einmal hat er nämlich indenTextder Summa Titel
aufgenommen aus der 2. und 3., welche in der Compi-
lation Bernhards fehlen. Es sind dies die Titel : de postuki-
tione als 4. des ersten Buches aus Comp. III. L. I. tit. 4. ; de usu
pallii als 6. des I . B. aus Comp. II. L. I. tit. 4. ; de scrutmio in ord,
facienda als 11. des 1. B. aus Comp. III. I. 10.
Zweitens sind der Summe angehängt nach dem Tit.
de reg. juris Erörterungen über die folgenden in der
Comp. I. fehlenden Titel, welche nach Buch und Titel jener
Compilation bezeichnet werden sollen, in welcher sie zuerst vor-
kommen.
de trafislai* praelat aus Comp. III. Buch I. Tit. 5.
ui Ute non cani. ad def> n. p. . „ „ III. » II. » 3.
de confessis „ „ III. » II. » 10.
de exeepiionibus w m IL m II. „ 11.
ut aede vac. aliquid n. inn. . . „ » III. ,. HI. „ 9.
ui eccL benef. sine dem. conf. . « n HI. „ IH. ^ 1 0.
de feudis 16.
de celebrat miss. ..... . . 33*
<) über den Charakter der eigenUichen Summae s. v. Sarigoy III. S. 552, V. S. 241.
142 r. S c b u I t e
de bapt ei eiu9 effectu 34.
de novi operis nvntiatione .... ... 1 5.
de »equestratione possensionis ....... II. 9.
In unserer Handsehrift steht aueh erst am Schlüsse dieser
Erörterungen:
'Damasus hie summam finit q earmine vivit.^
Drittens fehlen besondere Erörterungen zu folgen-
den Titeln der Compilation Bernhards: de off. archip..
primieerii, sacristae custpdis, dieselben werden nur berührt in der
summa zu dem Titel de off, archidiaeoni-
Viertens fehlen Erörterungen zu folgenden Titeln
derCompilatio IL, welche diese neu (Bernhard nicht) hat: Buch
I. Titel 6. 17. Buch IL Tit. 4, 9.; Buch III. Tit. 12, 20, 22. Buch
IV. Tit. 7. Buch V. Tit. 9. 11, 19, 20, 21,23, —dann zu
folgenden der Comp. III.: Buch L Tit. 11, 12; Buch III. Tit.
31. 3S, 36. Buch V. Tit. 13.
3. Die Summe ist vollendet vor dem vierten lateranensischeu
Concil von 1215 [11. bis 30. November]. Es ergibt sich dieses
daraus, dass im Titel de consang. et affin, genau das alte Recht
behandelt wird, aber von dem Schreiher der Handschrift als Ein-
schiebsel in den Text«) (so dass die Hälfte von 3 Zeilen der
Columne damit angefüllt sind, nebenher der Text des Damasus geht)
zunächst rucksichtlich der Verwandtschaft steht:
'hodie usque ad IUI. gradum tantum extenditur prohibitio
consanguinitatis et offinitatis, et non ultra, ut in concilio
lateran. non debet-^
Im selben Titel heisst es dann :
'Habet autem primum genus affinitatis probibitionem
usque ad VU. gradum, sicuti consanguinitas : XXXV. q.
III. de propinquis f nullum aequaliter. Secunduw
autem prohibetur usque ad tertium, in quarto si inTenti
fuerint coniuncti, non separantur, ut XXXV. q. III. de
propinquis et c. et hoc quoque. Tertium autem pro-
hibetur usque ad secundum gradum, ut XXXV. q. III
porro, Sed Alanus dicit, tertium genus affinitatisnuiiquam
*) Diese Elnschiftbsei fehlen in den meisten «mleren. s. B. Wien 2080.
Literaturgeschichte der Compilatioiie« anttquae etc. 1 43
prohiberi et iilud c. porro legit de primo genere affini-
tatis. item secundum genus affin, ex una parte appositum
dicit ./. nusquam prohibitum et illud c. de prapinqtits et e.
et hoc quoque legit de secundo genere affin, ex utraque
parte apposito . . /
dazu ist dann als Einschiebsel in den Text gesetzt:
'hodie secundum et tertium genus affi. est sublatum, pri-
mum tantum habet prohibitionem usque ad quartum gradum
inclusive, ut in const. later. conc. non debet,^
und am Schlüsse des Titels steht :
'hodie iste titulus est sublatus per constitutionem non
' debet.^
Es bedarf keines Wortes, dass diese Zusätze nicht von Dama^us
herrühren. ÜieÄrt des Citirens beweist aber offenbar, dass Jemand in
der Handschrift vor Abfassung der Compilatio quarta bez. Gregor IX.
jenes zuschrieb und diese Handschrift Copie einer solchen ist.
Die Comp. III. enthält die Dekretalen Innocenz HL 'usque ad
aimum XII.*, d. h. die bis zum 8. oder" 9. Jan. 1210 erlassenen.
Folglich kann die Summe des Damasus nicht vor dem Jahre 1210
{gemacht sein. Nun kommt aber im tit. de elevt. folgendes Citat vor:
'hodie autem non eligit c. (capitulum), sed vacante ecclesia
debent compromittere canonici in duos vel tres» qui eligant
praelatum et eorum electio rata erit, ita quod electio
maioris partis capituli non teneat, nisi totum c. consentiat
coromuniter, ut habetur in constitutione novella, qune
incipit: qui a propt er diversas»
Dieses Capitel ist c. 42. X. de elect., in der Comp. IV. das 9.
des Titels de elect, und wird, so viel mir bekannt ist, allenthalben
[cf. Hansi Conc. VJi^n. col. 1011] als can. 24. Conc. Lat. IV. auf-
geführt. Entweder ist dies Capitel einer früheren Constitution Inno-
cenz III. entnommen und unter die lateranensischen Canones auf-
genommen, wie das ja wiederholt vorher und nachher geschehen
ist ^), — und in diesem Falle kann der Satz von Damasns herrühren ;
oder das Capitel ist erst auf dem Concil gemacht, — und dann liegt
ein späterer Zusatz vor. Ich mochte das Erstere annehmen, weil
*y s. B. TOD Inooceoz IV, und Gregor X. Vgl. meine Abb. über die Dekretalen
xwiecben Greg. IX. u. Bonif. Vlil. S. 705 u. 717.
144 y. Schulte
a) am Ende desselben Titels dasselbe caput also citirt wird :
*f. Nota autem, quod contrarietates illarum decretaliom,
quae sunt infra videntur hodie sublatae, ut in eonst.
lat. coue. quin propter diversas. Sed non est ita, ut ibi
notavi.'
bj wiederholt Canones des 4. Lateran. Concils am Schlüsse der
Titel citirt werden, aber nie anders als mit dieser Angabe, z. B. am
Ende des tit. de appeUat.
*hodie autem indistincte et delegatns et Ordinarius non
aliter potest recusari, nisi causa assignetur coram illis, qui
recusantur, et probetur apud arbitros, ut in constit Laier*
CüHc. cum apeciali [c. 5. Comp. IV; c. 61. X. h. t; ean.
48. Lat.] nee appellatio admittitur, nisi causa assignata
apud cum, a quo appellatur ut in const. Lat. cone.
ut debitus honor [c. 3. Comp. IV; c. S9 X. b. t; can.
35. Lat.J . . .*
cj geradezu unbegreiflich wäre, dass Üamasus, wenn er 6jks
4. Concil vom Lateran erlebt oder nach demselben seine Summe
geschrieben hätte, nicht dessen Beschlösse über die Imped. cons. et
affin«, über die Verleihung nicht vacanter Präbenden, über Aceu-
sationen u. s. w. benutzt hätte.
Man darf daher wohl die Zeit der Abfassung zwischen 1210
und 1215 setzen. Möglich ist aber doch, dassDaraasus selbst
nach dem 4. lateran. Concil einzelne Zusätze gemacht habe.
Was den Werth des Werkes betriftt, so ist derselbe nicht
hoch anzuschlagen. Denn erstens hat Damasns in Betreff der Com-
mentirung der Titel sich lediglich an Bernhardts Summe gehalten.
Zweitens ist, wie schon Laspeyres [Bernardi Pap. . . Summa
decretalium . . . Batisb. 1860. Praef. p. XL.] mit Becht vermuthet.
die Summe grosstentheils fast wortlich aus der Bernhards abgeschrie-
ben, wie nur einige beliebig gewählte Stellen zeigen.
Summa Damasi. Summa Bernardf.
De constitutionibus. Auxiliante Auxiliante — socialis wört-
deo de const eccies. tractaturi lieh gleichlautend,
videamus, quid sit. const.» quis
possit constituere, quae causa
faciendi constitutionem, quod eins
officium, quae cui raleat prae-
Literaturgejichiehte der Compilationes antiquae etc.
US
iudicare. Et quoniam difBcile est,
promere definitiones, si quid in
eis offendero pareat dileetio
socialis. Const. est ius buma-
num. Ius etenim aliud divinum,
aliud hum., a. in seriptis redac-
tum, a. solo usu utentium appro-
batum. Quod est in seriptis redae-
tum, est const, quod usu uten-
tium, consuetudo rocatur. Con-
stituere potest in saecularibus
Imperator, civitas etiam potest
legem municipalem facere. In
eeelesiastieis autem potest con-
stituere apostolicus generalem
const. et synodus generdlis. Item
syn. metropolltana et syn. episco-
paus constituit, non tamen gene-
ralem facit const. Primum proba-
tur extra de sent. excom., inter
alia libri III., secundum VI. di.
quod dicitis; tertiumXVUI. di. c.
ult. Et universitas yidetur, quod
constituere possit, ut extra de
const. cum accessisset I.* III. et
ex. de j)raeb. significavit I.' L,
dummodo non sit const. talis, per
quam inferatur onus aliis et ad
constituentes non extendatur,
tunc enim non valeret, ut ex. de
coDst., cum omneg 1/ IH. Causa
constituendiest, malitiae coercitio,
Qti IIIL di. factae sunt, I. q. IL
quam pio, et novae quaestionis
iudicialis definitio, ut in autent.
ut factae novae consti. in princ.
Officium const. duo versiculi com-
prehendunt:
SiUI».* d. phiL-hitt. Ol. LXVI. Bd. I. Hft.
Const. est j. h. in seriptis re-
daetum.
Das Folgende, abgesehen von
blosser Wortstellung wörtlich
gleichlautend.
In eecl. const. pot Apost, syn.
univ^ syn. patriarchalis el syn.
metrop. Von Item bis cum omnes
im fehlt.
Causa faciendi constitutionem
est malitiae coertio , et novae *
quaestionis jud. def., ut Di. HD.
factae et C. I. q. 2* quam pio et
in Auth. tit. 2. in pr. Officium bis
anteriori wortlich gleichlau-
tend.
10
146
▼. Behalte
Quatuor ex rerbis rirtutem col-
lige legis :
Permittit, punit, imperat atque
vetat.
ut di. in. omnis lex. t^eiudicat
autem conat. posterior anteriori,
ut ex. de cogn. spir« c. 1. 1.* I. et
ff. de leg. et const., non est noTum,
ut priores leges ad posteriores
trahantur. Posteriores tarnen se-
cundum priores intelliguntur, si
eis contrariae non inveniantur,
ut ff. e. 9ed et. Posteriores leges
ad priores pertinent nisi contra-
riae sint, et hoc multis argumen-
tis probatur. Hoc ita , si manant
const. ab eadem auctoritate, puta
a sedeapost.si vero a diversisjlla
praeiudieat, quae facta est ab eo,
qui est maioris auctoritatis; arg.
IX. Q. III. conquestus.*
De ordinaiü ab esto qui re-
signami, I. 9.
*In hoc titulo id praecipue no-
tabile invenitur, quod, qui accipit
minores ordines ab episcopo, qui
episcopatui et ordini episcopali
renuntiaverat, potest oflficiis suis
uti ; qui vero saeros, non potest,
cum tarnen ex ofScio aut utrosque
aut neutros conferre possit. Sed
quod de minoribus ordinibus dici-
tur, dispensative intelligi potest,
uhi etiam notandum est, quod
resignatio non abstulit episcopo
potestatem, sed executionem.'
De appellationibus et recusa"
tionibus.
ut Dig. eod. non eet navtan
et infra de cogn. spir. c. 1 . ; po-
steriores tarnen bis 9ed ^gleich-
lautend.
Posteriores — probatur fehlt.
Hoc ita bis conquestus wort-
lich gleichlautend.
Idem iitnlus L 7.
ab eot qui episcop. et ocd. poa-
tificali . .
tarnen de ofßcio . •
Sed hoc quod de . .
Sonst wortlich gleichlau-
tend.
Literaturgeschichte der Compilatiooet antiqiuie etc. 1 4T
Audivimus de sententiis. Sed
quoniaTn sententiae saepe iniustae
per appell. relevantur, accedimus relevantur, de app. audiamus.
ad tractatum de appell. Videamus
igitur, quid sit ap. , quis possit
appellare , a quibus , ad quos,
quando, quoties» infra quod tem-
pus fieri debeat, et infra q. t. 6eri potest
prosequenda, a qua sententia pos-
sit appeliari , et a qua non , quis
sit effectus app., quod officium
«ius, qui appellat et quod eius, a
quo appellatur, et quod eius, ad visuri postea.
quem appellatur, visuri praeterea. Sonst wörtlich gleichlau-
quis iudex et ex qua causa valeat tend.
recasari. %, Ap. est . • .
Damasus hat das, was Bernhard gibt, im Wesentlichen
nur mit Citaten aus der Comp. II. und III. ergänzt Die Erörterungen
zu den bei Bernhard nicht vorfindlichen Titeln sind ganz im selben
Geiste gehalten. Die Bedeutung seiner Summe liegt mithin lediglich
darin, dass sie nicht blos eine der alten Compilationen berücksichtigt.
n. QuaesÜones.
Handschriften :
Berlin. Num. 249 foL 39* — 45*. 'Incipiunt quaestiones damasi.
de constitutionibus'. *Expliciunt quaestiones damasi. finis quaestionum
damasi'.
Bamberg kon. Bibl. P. IL 15. mbr. fol. s. XIV. fol. 9—28.—
Dieselbe Bibliothek P. II. 4. mbr. saec. XIV. fol. 75 bis zu Ende.
Wien. 2080. fol. 107»»— 118*.-
* Königsberg Steff. num. 37. — Klosterneuburg n. 656.
s. XIV.
* Venedig S. Marci num. 25.
Leipzig. Univ. 975 f. 197»— 208»* ('Expliciunt quaestiones
yeneriaies a magistro damaso compilatae*).
Angers, Stadtbibl. num. 381.
Fulda D. 10. mbr. fol. s. XIII. auf XIV. drittes Stfick.
10*
1 48 y- Schulte
Diese sich aa die Reihenfolge der Titel der Comp. [. anschlies-
senden Quästionen beginnen regelmässig mit Quaeritur, worin die
Rechtsfrage aufgeworfen wird, geben die Grunde der bejahenden
Meinung an (^et videtur quod), der verneinenden {contra , sed
conirajf zulegt die soluiio. Bisweilen ersetzt ein Rechtsfall {panej
die Frage.
Anfang: 'Quaeritur, an episcopus canonem latae sententiae
condere possit inter subditos suos.* Ende: 'Quid, si episcopus sie ex-
communicet: excommunico te, si archipresbyter non eg^communicet
te et ideo omitto, quia notavi in prinds ejpirava^
gantibuSf et illam similiter: communico Titium et Scium, quis eoruro
Sit excommunieatus*.
Von Canonisten finde ich citirt: Alanus, Albertus»
Hug. (Huguccio), Joannes Galensis, Vincentius, ron
Legisten: Azo, Jo. (Joannes Bassianus) Placentinus. Auch
citirt er einmal 'magüiermeua]. Übrigens sind solche Citate selten,
öfter sagt er: 'dicunt quidam\ *alii dicunf. Meist begnügt er sich
mit Anfuhrung der Gesetze pro und contra und der Angabe, welche
Meinung richtig sei. Bisweilen fehlt auch die Lösung und scUiesst
die Exposition mit Bemerkungen folgender Art: *istae quaestiones,
licet sint utiles valde, tamen eas omitto, quia sunt legales, et si quis
eas Yoluerit scire, inspiciat notulas meas in e* t. [eodem titnio]
r. /.' Diese Bemerkung im tit. de foro camp, bezieht sich auf die
Summa, wo in der That diese FVagen gelöst sind 9* — Tit. de
tesi et attest. *Item quaeritur, quomodo intelligatur, quod dicit prae-
dicta decretalis/iro^^^it/mni [c. 4. IL 12. Comp. III.]: »quod non
de facili credatur, si quid dixerat pro illo, qui protestatur, se obiec-
turum". Quod studiosis relinquo\ — Tit. de reb. eccL alien, erste
Qu.: 'et huic ultimae allegationi stant legistae*. Tit. Qui der. vel
man. matr. contr. posg. 2. Qu. 'Sol. satis posset diei, quod non
teneretur. Dubito tamen in hoc articulo\ — Tit. de frig. 'Sol.
quidam dicunt, esse perpetuum, alii, quod non sit perpetuum et
dicunt, illud c. si per sortiarias [c. 4. C. XXXIII. q. I.] non teuere'. —
Tit. de sym. 4. Qu. 'Solutionem huius dubitantibus relinquo'.
0 Darch diese«, das CiUt am Schlüsse u. aodere ist die Autorschaft, die ohachia
nicht tu beiweifeln ist, noch starJter bewieseo.
Literalorgeschichte der Compilationes antiquae etc. 149
Dass Damasus in Bologna dozirt habe, nahm man bisher an,
ohne daftir einen anderen Beleg anzuführen, als [vgl. y. Savigny V.
S. 162. Note a] die Notiz des Ms. Paris. 3925. a. incipit Summa
Magistri Damasii Bononiae composita de ordine iudiciario'. In diesen
Quästionen kommen nun einige Äusserungen vor, welche einen
besseren Beleg geben. Tit. de iudiciis. 'Solutio. Si in extraneum
iudicem consentiat, potest resilire^ si in iudicem suum, non. Puta,
quia in uno loco habet plures iudices, sicuti Bononiae habent acolarea
episcopum^ magistrum suum, etiam potestatem habent, eligendi ex
illis, quem voluerint. Et si consentiant in unum iliorum ante litem
contestatam, non poterunt resilire, ut in illa «t quis in (ij .
Tit. de usuris. 'Item pone, quod alicui scolariy qui sub usuris
debet peeuniam, aportentur de domo muUi denarii, et alius Scolaris
accipiat illos denarios, antequam solvatur pecunia sub usuris debita,
sub hac conditione» quod ipse solvat creditori illius Scolaris, cui
pecunia fuit allata, sortem et usuras. Quaeritur, an sit haec usura
quantum'ad scolarem, cui pecunia fuit allata? Et videtur, quod non,
quia Scolaris ille non recipit aliquod emolumentum de accomodata
pecunia ultra sortem. Ergo non est usurarius, quia usurarius est ille,
qui ultra sortem aliquid exigit, ut XIIII. Q. Uli. et c. plerique. Item si
Scolaris iste pro utilitate alterius solvisset sortem, et sortem et usuras
agendo posset consequi, ut extra de fideiussorihns , pervenit
/.* III. et c. constitutua. V I. Ergo multo fortius poterit ex-
cipiendo usuras retinere, cum pecunia processerit in utilitatem illius,
qui recepit: infra eartra de iureiur. quemadmodum V III.
§. Sed contra mirabile quid est, quod proponis. Non consideras,
quae cito sequatur conclusio. Aut Scolaris iste stipulatur sibi usuras,
aut creditori. Si sibi, non dubitat aliquis, cum esse usurarium; si
creditori, hoc est impossibile, quia alteri stipulari nemo potest, ut
Jn9t. de inuHli stip, §. atteii^ et usurae circa vinculum inscriptionis
non debentur, ut C. de usuris, quamvis, §. Solvat qui poterif.
Dieses und andere Beispiele von Scholaren zusammengehalten
mit dem Tone der Darstellung, die ofTeubar Hörer voraussetzt, und
Bemerkungen, wie im Tit. de elect- zur 1. Qu. 'haec consuevit pro-
poni pro dominicalt , beweisen offenbar sein Lehramt in Bologna.
Um seine Methode noch besser zu kennzeichnen, mögen einige
interessante Quftstionen Platz finden.
il 50 ▼. Schulte
'De his quae fiunt a maiore parte capiitäi.
Quaeritur de illa decretali cum in cunctis [c. un. h. t. Comp. I.],
utrum» si sit consuetudo talis in ecclesia, quod non valeat factum
maioris partia c. (capituli), nisi totum consentiat c.» an aiio tempore
valere possit consuetudo talis? Et videtur, quod non, per illam decret..
quae dicit, quod etiam iurata consuetudo talis non est observanda, ut
ibi dicitur, et ita delinquunt utentes consuetudine tali, nee potent
confirmari: extra de sym»» non satis V I. [c. 7. de sym. V. 2. Comp.
I.]. Item jui induxerunt cousuetudinem talem contra ius et ea usi sunt,
non potuerunt bonam fidem haberep et ideo non potuU iUa con-
suetudo praescrihu ut C de agricolis et censitiSf quemadmodum
p. 7. C. XI. 48], quae dicit: „non est dubium, eum esse malae fidei
possessorem, qui contra leges mercatur**. Et est hoc erpressum extra
i. e. t. fratemüatü [c. 1. de his q. f. a. m. p. c. ni. 9. Comp. II.].
§. Sed contra. Consuetudo inducta contra canones, si praescripta
sit, praetudicat canoni in eo loco» ubi obtinet: extra IIL de eauM
pos%, et propr. c. L et de iudic.^ novit» Item dicit decretfjis, qnod
coneessio beneficiorum non debet fieri a praelato sine consensu capi-
tuli, ut eoetra dehisq. f, ab episc. sine com» Ccap. penult I.' I. Si
tarnen consuetudo habeat se in contrarium, solus confert, ut intn
extra de elect,^ cum ecclesia Vulterana [c. 16. I. 6. Comp. III.] et
de his q. /l apraeL sine cons. c, ea noscitur V II. [c. ua. IIL 8.
Comp. II.]. Et quamvis consuetudine contraria tollatur indobitatum
est : /f. de legib. et const.f de quibus [fr. 32. Dig. I. 6.]. §. Solutio.
Si consuetudo inducatur contra ius naturale, seil, praecepta legis et
evangelii» illa consuetudo nuUa longinquitate temporis confirmatur,
ut in illa non sane [lege: non satis\ Et hoc est, quod dicit out.:
'male adinventae consuetudinis nullo tempore confirmantur' in aut.
ut nulli iudicum [Auth. Coli. IX. Tit. X.] §. uulli vero. Si Tero
inducatur contra ius canonum consuetudo, tunc^ si inducatur contra
ius tale, quod sit inductum in favorem utentium, consuetudine prae-
iudicabit iuri, quia possunt renuntiare iuri, quod pro ipsis est induc-
tum. Si vero inducatur contra ius inductum in favorem ecciesiae, non
praeiudicabit iuri consuetudo talis, nisi confirmetur a papa, ut in illa
fi*aternitatis\ Diese Stelle bietet zugleich einen interessanten Beleg
für die Auffassung der Glossatoren, die die consuetudo theüs als
Statut fassen, theils an Fälle der s. g. praescriptio acqaisitiya
denken. Vgl. meine Quellen S. 224 ff.
Litentnrgescbicbte der Compilationes antiqaae etc. 151
*De spansalibus.
Queritur de illa exirav. L de degpona, impub. de illis [c. 9.
IV. 2. Comp. I.], ubi dicitar, quod, si minor coutrahat cum maiore,
maior non poterit resilire, minor autem, quum venerit ad legitimam
aetatem» reailire poterit, utrum sint inter eos sponsalia vel non? Si
sie» qui sie eontrahunt, nnllo taiodo potenint resilire, ex quo semel
sponsalia tenuerunt, immo per exeommunicationem cogendi sunt
seryare illa» ut extra L de »pons-, ex liiteris, et extra II. de iure
iwr.f item cum qui». Si non sint sponsalia, poterit ergo maior cum
alia contrahere, quia sponsalia de facto cum minore contracta etiam
cum consanguinea eiusdem sponsae matrimonium vel sponsalia con-
trahenda impedire non possunt, ut extra L de desp, imp.f litteras
et c. aeeesait Et ita videtur deeretalis illa in neutro casu posse
intelligi, et ita nihil dicere, licet iuvetur per alias sequentes decretales
eiusdem tituli. §. Solutip. Dicit Bug.^ quod tenuerunt sponsalia
habet tamen minor hanc praerogativam, quod, cum venerit ad aetatem
legitimam, potest rescindere. Verior autem intelleetus est Laur-^
qui intelligit in eo casu, ubi nulla fuerunt sponsalia et tenetur maior
expectare ratione promissionis. Nee valet baec argumentatio. Non
tenuit contractus, ergo resilire poterit. Recipit enim instantiam boc
argumentum, puta : si ego et tu babeamus Aindum communem -et tu
sine meo eonsensu concedas in illo alicui serritutem non valet con-
cessio; tarnen non poteris resilire, usque dum ego confirmem illud,
quod actum: ff. de Bereit, ruet* praed., per fundum [fr. 11. Dig.
VIII. 3.].'
'Qui cler. eel man. matr. contr. poss,
Qu. I. 'Sdutio. Dicunt fere omnes doctores, papam posse dispen-
sare cum subdiacono et aliis existentibus in saoris ordinibus. Bu.
dicit, quod non potest, posset tamen constituere, quod illi, qui promo-
ventur, postea non tenerentur continere. Et verum' est, quod dicit'
'De sent. excomm. (K. Qu.)
Quaeritur circa illam decr. si vero üliquis V I., ubi dicitur,
quod, si quis percusserit clericum, credens cum laicum, non tenetur,
utrum, st quis percutiat laicum credens eum clericum^
incidat in canonem? Puta: voluit percutere Titium clericum et per-
cussit Martinum laicum, quem credidit esse clericum, utrum incidat
in canonem latae sententiae. Et videtur, quod nulla sit ista quaestio.
1 52 T. S c h u I t e
Si enim attendas diligenter» probabo per litteram illas decr. seil.« ipsum
esse excommunicatum» quia, si pereutiat quis clericum et credit» illum,
quem pereutit, esse laieam, non ineidit in canonem. Et ita indicatur
secuadum intentionem, et non secundam opus» quia» licet percusserit
clericum, intendebat tarnen percutere laicum. Ei^o et ita hie ludiean-
dus est secundum intentionem, quia, licet percusserit laieum, inten-
debat tarnen percutere clericum. Item non est ambigendum hie» quia
voluntas cum opere locuro facit constitutioni poenali» ut ejFira de
bigamis, nuper l/III. Cum ergo sit hie voluntas percutiendi et sequatur
opus» percussio seil., licet non sequatur percussio in clerico» tarnen
percutiens censendus est excommunicatus propter yoluntatem et opus
subsecutum. §. Sed contra» mirabile quid est» quod proponis. Iste
non iniecit manus violentas in clericum» ergo ex manuum iniectione
non est excommunicatus» quia dicit canon: 'sit excommunicatus, qui
iniecerit manus violentas in clericum*» X\1I. Q. IUI. at quia s^iadenie^
Item non nocet hoc, quod cogitavit iniicere manum in clericum» quia
sola cogitatio non facit cum excommunicatum apud ecciesiam» quia
cogitationis poenam nemo meretur : de poen. di I. %. cogüaiionU.
Item quod ailegasti pro regula» quod in maleficii.H voluntas spectetur
et non factum, probo tibi» hoc esse falsum. Pone: volui percutere
Seium et percussi Titium» quem non intendebam percutere» in quem
intelligor deliquisse et cui competet iniuriamm actio? Resp. Titio,
quem percussi» non Seio, quem volui percutere» ut ff. de iniwriü,
eum qui §. H iniuriarum. Et ista pars tenenda est pro solutione*.
Im Titel de off. et pot jud. ord. wird die Frage erörtert, ob
ein Bischof» welcher die Absolution eines Excommunicirten um einen
Tag verzögert habe, sie noch ertheilen dürfe» oder vielmehr in Folge
der mora der Metropolit competent werde» und geschlossen: 'et erat
bonum argumentum in 6ernar £fo. licet*. In Bernhard 's Sumoi»
wird zu diesem Titel c. licet 4. D. 45. citirt ; aber es ist nicht abzu-
sehen» wie dies passen soll. Passen könnte c. licet de off. jud. ord.
I. 26. Comp. III. Die Compilatio III. hat aber nichts mit Bernardus
zu thun. Der Schreibfehler bemardo für brocardo ist nicht anzu-
nehmen» weil unter des Damasus brocarda keines mit licet beginnt.
Als Singularität sei noch erwShnt, dass de restii, apoliai. 4.
quaest. das sehr seltene Wort (vgl. Ducange sub. h. v.) baUaeäer
für alacriter» audacter gebraucht wird.
Literaturgeschichte der Compilntiones antiquae etc. 153
Von den 278 selbstständigen Quästionen schliessen sieh die
meisten an Dekretalen der Comp. I. an, verschiedene jedoch auch an
solche der IL und IIL
Aus dem Vorhergehenden folgt» dass dieses Werk junger ist
als die Summa.
Vergleicht man beide mit einander, so muss man die Quästionen
yiel höher stellen, weil sie selbststandige Arbeiten sind, auf die
Literatur eine umfassende Rucksicht nehmen, eine frische und
praktische Auffassung bekunden. Sie haben in den spateren prakti-
schen Arbeiten des XIII. Jahrb. reiche Berücksichtigung gefunden.
nL Brocarda s. regulae canonicae 0-
Handschriften: a) reine.
Citirte Berliner 249. fol. 32^— 39» (' Ea:pliciunt brocardica
damasi*. Darunter von späterer Hand: *haec brocardica continent
C. et XXV.'
Wien 2080. fol. 127— 134* ('Expliciunt brocarda M. dam/).
Prag Museum I. B. 3. fol. s. XIV. Bl. 146 ff.
♦Bologna (Albornot. n. 217.)?
Fulda D. 10. mbr. fol. s. XIII. auf XIV. (Weingarten),
fönftes Stfick.
b) in der Überarbeitung des Barthol. Brixiensis.
Bamberg P. II. 23. fol. mbr. s. XIV. f. 95— 102\
Wien Hofbibl. 2216 in 4«. mbr. s. XIV. fol. 79—89; num.
1463, 2107, 21S7.
Prag Univ. Bibl. III. B. 21. fol. chart. s. XV. fol. 149—160.
^Königsberg num. 75 und 81. s. XIV.
MelkJ. 37. s. XIII.
Halle Univ. Ye fol. num. 57. — Ye 52.
Erlangen Univ. 143 s. XIII.
Gotha B. 330 chart s. XV.
♦Troyes Stadtbibl. n. 456 u. 1751.
<) Ausgaben nennt, r. SaTigny 8. 164. (Antwerp. 1566, Lugd. 1566, Bm. 1567,
Prankf. 1570, Cot. 1668) and gibt die Differensen mit der Berliner Handschrift
nnm. 249 an. Ich finde wiederholt eine Aneg. Angers 1566 angeführt, habe sie
aber nicht selbst gesehen. .
154 V. Schulte
Berlin 209 mbr. s. XIV. ex. foi. 113—126.
Leipzig UniversitStsbibl. num. 965, fol. mbr. s. XIV. sechstes
Stück; — num. 966. fol. mbr, s. XIV. Drittes Stück; num. 969. fol.
mbr. s. XIV. zweites Stuck«
Es gibt noch zahlreiche andere Handschriften, die ich übergehe.
IV. Historiae Decretoram.
Die einzige Nachricht über dieses Werk gibt Diplovataecius.
Handschriften, welche dasselbe enthalten und mit Sicherheit Damasns
zugeschrieben werden können, sind mir nicht bekannt noch von
Anderen angeführt. Wohl aber kommt ein Werk dieses Namens viel-
fach unter dem Namen des Bartholomaeus Brixiensis vor.
Von diesem vermuthet bereits Sarti, dass es lediglich eine mit Aus-
lassung des Namens seines Verfassers gemachte Überarbeitung des
von Damasus sei. Diese Ansicht hat eine ziemliche Wahrschein-
lichkeit für sich aus folgenden von Sarti schon angedeuteten Argu-
menten: 1. wegen der Vorrede, worin eine solche Überarbeitung
angedeutet ist; 2. weil die hauptsächliche Thätigkeit des Bartholo-
mäus in solchen Überarbeitungen besteht, wie die Überarbeitung der
Glossades Johannes Teutonicus, der Brocarda des Oamasus,
des Ordo judiciarius von Tancred, der Casus des Benencasa
zur Genüge beweist. Was also Bartholomäus betrifft, so läge kein
Grund vor, zu zweifeln. Damit ist aber noch nicht bewiesen, dass
Damasus eine solche Schrift überhaupt geschrieben hat. Ja ein
Beweis ist durch diese Argumente um so weniger gegeben, als die
ganze Thätigkeit desDamasus sich nicht dem Dekrete, sondern
den Dekretalen zuwendet. Dazu kommt, dass die Abfassung der
Historiae decrelarum eine durchaus unjuristische Arbeit ist. Denn
dieselben enthalten nichts als eine reine Zusammenstellung der in
den Canones und Dicta Gratiani bezogenen Erzählungen, welche zum
allergrössten Theile der Bibel angeboren. Sie bestehen in einer
nakten Zusammenstellung der Erzählungen nach der Reihenfolge der
Citate. Um jedoch für jeden Fall den Charakter genauer zu kenn-
zeichnen, gehe ich näher ein. Von des Bartholomäus Werke sind
folgende Handschriften mir bekannt geworden :
Literaturgeschichte der CompUationet aotiqaae etc. 155
Wien Hoflibl. num. 2129 fol. mbr. s.XIV. iuc. f. 1010—109*
und num. 2070 (die erstem lege ich der Beschreibung zu Grunde).
Erlangen Univ. 372.
Die für dieses höchst unbedeutende Werk pomphafte <) Vorrede
lautet:
'Licet merita scientiae non respondeant nee opus aliquod suf-
ficiant adimplere, ego tarnen Bartholomaeus Brixiensis divina gratia
ministrante secundum meae scientiae parvitatem cupio utilitatibus
scolarium providere; idcirco histariaa decretorum frequenies et
usitaias duxi pro meis viribus cUiorum et interveniente auxilio cor-
rigendas, eas certis loeis in caima et distinctionibus aasignatidot
prout communiter consueverunt'
Anfang : 'D. VI. Testamentum hunc poUutum. Legitur in Levi-
tico; si Sit, inquit dominus, inter vos homo pollutus' . . .
Es sind im Ganzen 166 Historiae. Davon sind alle bis auf 9 der
Bibel entnommen. Diese 9 sind aus : gesta Born, zu D. XXI. nunc
autem, Gesta Rom. Pont. C. 8. q. 1.» dialogus Gregorii D. 45.;
C. 15. q. 1., C. 18. q. 2.; historia Francarum C. 15. q. 6.; liber
dialogorum C. 16. q. 1.; passio 8. Dotniiiani C. 28. q. 1.; ohne
Quelle C. 18. q. 2. 'quod de b. Greg, legitur.' Worin die That des
Bartholomäus bestehe, ist nicht abzusehen, da bei Paucapalea, Sie-
phanus u. a. die historiae selbst stehen, häufig viel genauer. Wo die
Alten ohne Citat, z. B. blos *illud veteris testamenti' u. dgl. anfuhren,
geschieht es auch hier. Ob wirklich einige neue historiae zugesetzt
sind, lohnt kaum der Prüfung. Vielleicht besteht sein einziges Ver-
dienst in der Beisetzung der Zahl der Dist. und Causa.
Ob die Handschriften, welche die Vorrede und das erste Bei-
spiel nicht haben »), dem Bartholomäus auch angeboren, vermag ich
nicht zu sagen.
Die Schrift ist für die Jurisprudenz absolut werthlos, da die
zufälligen Citate biblischer Beispiele in den Quellen unbedingt ohne
jeglichen Einfluss auf die Rechtsentwicklung geblieben sind.
*) Sehr gut bemerkt t. Sarigay Y. 8. 12S, daM Barth, 'den Namen eines fracht-
baren SckrifUtellera mit sehr geringer Mfihe und einigen Vorreden su erkaufen
strebte'.
*) fiine solche führt Maassen Paacapalea S. 46. Note 98 an (Cod. lat. Monac.
8013 — Kaisersb. 113 — ).
156 ▼• Schalte
V. Smnoia de ordine jndiciario. '
Ausgabe: Anecdota, quae processum civilem spectanted.
Agathon Wunderlich. Bulgarus, Damasus, Bonaguida. Gotting.
1841 pag. 33-^44 Prolegomena, p. 4S — 120 Summa.
Andere als die von Wunderlieh genannten Handschrifteo
sind mir nicht bekannt.
Das Werk ruhet für das romische Recht zumeist auf PUlius,
gibt für das canonische ausser dem Dekret die Sätze der drei ersten
Comp, antiquae. Es bietet eine neue Methode, insofeme es eine dem
Gange des Verfahrens sich anschliessende, alle Theile des Verfohrens
umfassende, klare Darstellung enthalt.
Liternturgeacbiclite der Compilationes antiquae ete. 1S7
INHALT.
Erstes Capitel.
Die monographische Literatur zu den Compilationea
antiquae.
ff-
I. Notabilia. Charakter 1
1. Not ad Comp, 1 2. 3.
2. Not. Pauli Ungari ad U. et IIL 4. 5.
Andere cur Comp. II 6.
3. Not. sur Comp. III 7. 8.
4. Zur Comp. IV 9. 10. 11.
5. Zu mehreren 12. 13.
II. Casus Bernhardt, Richardi 14 — 16.
DL Quaestiones : anonyme, Damasi 17^19.
IV. Summae: Bernhardi, Damasi 20.
*
V. Traetatus: Bemhardi. Tancredi 21.
VI. Brocarda —
Zweites CapiteL
Die eigentliche Glossatorenliteratur: Apparatus»
lecturae, glossae.
I. Einleitung 22—26.
II. Die Handschriften mit Glossen 27 — 33.
III. Die Apparate und Glossen der Comp. I.
^. Richardus u. Beruh. Pap. (Cod. Hai. Ye. 80) 34-37.
B, Alanus (Cod. Hai. Ye 52) 38.
C, Cod. Hai. Ye 52. alia pars 39.
D, Cod. Fuld. D. 5 40.
E, Die späteren Glossen und Apparate 41^46.
F, Resultate, fintstehungszeit 47 — 48.
158 v^* Schalte, Literaturgeschichte der CenipItatioDee antlqaae etc.
IV. Compilatio secuoda 49 — ^Sl.
V. Compilatio tertia 52— S3.
VI. AbfaMungaieit der Apparate zur Comp. II. u. III S4.
Vn. Apparat cur Comp, quarta S$.
VIII. Die Gloue sur Comp, qoiota S6.
•
Anhantf . •
Damaaus und aeioe Schrifteo.
6 0 1 d b a ch er. Zur Kritik und Erklirung tob L. Apulaiui etc. 1 59
Zur Kritik und Erklärung von L. Apuleius de dogmate
Piatonis L I. und IL
Von Dr. A. Goldbacher.
Zu den rielen schwierigen Fragen in Betreff der Auffassung
und Beurtheilung der philosophischen Schriften des Apuleius, zu
deren Beantwortung noch kaum ein Versuch gemacht ist, kommt noch
ein Cbelstand, der jedesfalls zuerst gehoben werden muss, d. i. die
höchst verderbte Gestalt des Textes. Denn wShrend derselbe in den
Metamorphosen durch die eben erschienene Ausgabe von Fr. Eyssen-
hardt (Berlin 1869) und in der Apologie und den Floridis durch
Gust. Krüger (Berlin 1864 und 186K) auf Grundlage einer sorg-
fältigen Collation der allein massgebenden Codices Laur. 68, 2 und
29, 2 eine correctere Gestalt gewonnen hat, liegen die philosophi-
schen Schriften in der letzten Hiidebrand' sehen Ausgabe noch in
einem Zustande, der, abgesehen von der Unerquicklichkeit des Stoffes,
schon an und für sich dem Leser nicht selten die Leetüre ver-
leiden mag.
Freilich finden wir hier auch keinen so sicheren Boden wie in
den drei oben genannten Schriften; denn die beiden Florentiner
Handschriften enthalten eben nur die Metamorphosen , die Apologie
und die Florida. Die Texteskritik der philosophischen Schriften steht
daher noch auf derselben Stufe, auf der vor wenigen Jahren sämmt-
liche Schriften des Apuleius standen, nur dass denselben auch von
jeher nicht die Aufmerksamkeit und Sorgfalt geschenkt wurde wie
den Metamorphosen oder der Apologie. In der Benützung des hand-
schriftlichen Materiales herrscht ziemlich willkürlicher Eklekticismus;
denn wenn auch einzelne Herausgeber von der Vorzüglichkeit des
einen oder anderen Codex überzeugt waren, so war doch diese
160 Ooldbacher
Überzeugung meist zu schwach, um in der Constituirung des Textes
einen sicheren Haltpunkt zu bilden. Wurde also schon dadurch viel-
fach die richtige Leseart verdrängt, so schadete unserem Autor un-
gleich mehr ein anderer Umstand. Dass Apuleius manches veraltete
Wort und manche seltene Wendung hervorgezogen, dass die Kühn-
heit der Diction ihn nicht selten bis zur Verschrobenheit verleitet,
dass er selbst sich manche Neuerung in Fügung und Wortbildung
erlaubt habe, können wir so wenig leugnen, als wir andererseits ge-
stehen müssen, dass eben dies die Kritik des Apuleius in eine ganz
falsche Richtung gebracht habe. So klagt schon Hildebrand in der
Vorrede seiner Ausgabe: Denique Beroaldus a perversitate quadam
non über fuit, quam omnes fere Apulei interpretes occupasse eogno-
scitur, quaeque accuratius hie eo explicanda erit, quod inde perspici
licet, qua ratione scriptoris totjes tractati libri hodieque tarn mutilati
et depravati sint. est enim ista tamquam prurigo, qua obsoleta quaeque
et pervetusta Apuleio vindicata sunt, quaeque in nullo praeter com,
quantum video, scriptore tam magna ac tarn pestifera unquam fhit,
quamvis Beroaldus certis vinculis adstringi se passus sit, quae tarnen
secure eius imitatores rumpere soliti sunt, ut ad eam progressi sint
iudicii ac mentis perversitatem, quam non doctrinae affectationem sed
insaniam rectius nominaveris, a Wowerio denique et Brantio ad
summum fastigium evectam est autem abominanda mdis
illa et incondita doctrina, quae omnium longe est facillima, quum sit
nihil tam cassum, nihil tam obsoletum, nihil tam absurdum, quod tali
scriptori qualis Apuleius est, intrudere illi non conentur: si latina non
sufficiunt, graeca petunt, si Plautus effugit, Naevium sectantur. Und
derselbe Hiidebrand, was traut er nicht selbst alles dem Apuleius zu!
Wie oft geffillt ihm nicht eine Überlieferung gerade deshalb, weil der
Ausdruck selten und sonderbar ist, wie oft findet er nicht selbst Un-
erhörtes bei Apuleius für möglich I Zu dem kommt bei ihm noch ein
ganz verkehrter Grundsatz in der Verwerthung des kritischen Mate-
riales. Man braucht nämlich nicht viele Blätter seiner Ausgabe xu
lesen um einige Male zu hören, diese oder jene Schreibweise sei
die richtige, weil sie schwieriger, seltsamer, ungewöhnlicher sei als
eine andere, und die Abschreiber gewiss nicht diese in jene verändert
haben würden. So verschmäht er z. B. de dogm. PI. ü. c. 17, p. 244
iccircoque (nocere) prius est quam noceri, wo prius gewiss nur ein
Versehen für peius ist, was noch überdies zwei Zeilen unterhalb:
Zar Kritik und Erkürong' von L. Apuleius etc. 161
sed nocere longe peius esse bestätigt wird» diese leichte Änderung
»propter dictionis frequentiam; forsitan 'pravius\ cuius comparativi
forma est rarissima, legendum est**. Ebenso lässt er an derselben Stelle
cum nocere alteri malorum omnium noxium (wofür wohl mit einem Cod.
maximum zu schreiben ist) sit das noxium stehen j,quamquam singu-
iaris est haec dictio**. c. 21, p. 250 wo es in den besseren Hand-
schriften heisst: egestatem namque non abstinentia pecuniae sed prae-
sentia immoderatarum cupidinum gignit nimmt Hildebrand wirklich
an, Apuleius habe auch abstinentia für absentia gebraucht, weil der-
selbe Fehler durch dasselbe Versehen auch Hetam. 1. X. c. 23 p. 722
sich findet, und bedauert sogar, dass er dort abstinentia in dieser
Bedeutung verworfen habe. Doch genug davon ; in der Folge werden
wir dergleichen noch mehr finden. Diese den Abschreibern fiberall
zugemuthete Absichtlichkeit ist einer der Hauptschäden der Hilde-
brand^schen Ausgabe. Denn die Fehler in den älteren und besseren
Handschriften beruhen gewöhnlich nur auf Versehen; absichtliche
Änderungen sind verhältnissmässig selten und traten meist erst dann
ein, wenn der grammatische Zusammenhang eines Satzes schon
früher irgendwie zerrüttet war.
Wie es unter solchen Verhältnissen mit dem Texte der Bücher
de dogm. PI. stehen mag, lässt sich leicht denken. Hildebrand selbst
hat sich damit weniger Mühe gegeben, wie er in seiner kritischen
Anmerkung zu liqutdo arbitratur 1. U. c. 17 p. 244 offen gesteht,
und wir ihm ohne Bedenken bestätigen können. Man darf sich daher
nicht wundern, wenn man so oft auf Stellen stösst, die theils dem
Gedankengange geradezu widersprechen, theils aller Anstrengung,
ihnen in der vorliegenden, von den Kritikern nicht selten unbeanstan-
deten Gestalt einen gesunden Sinn oder auch nur grammatischen
Zusammenhang zu entlocken, trotzen. Victor B^tolaud, der neueste
Übersetzer der Werke des Apuleius (Oeuvres complStes d*Apulee
traduites en francais. Paris, Garnier Freres 1862), hätte also kein
kleines Stück Arbeit vor sich gehabt, wenn er sich nicht nach Fran-
zosen Art über die Schwierigkeiten hinausgesetzt und ziemlich unbe-
kümmert um den unter der Übersetzung stehenden Bosscha'schen Text
seiner Phantasie freies Spiel gelassen hätte.
Was nun die Handschriften der Bücher de dogmate Piatonis
betrifft, so kann ich nur dasselbe wiederholen, was ich in meiner
Abhandlung über de deo Socratis (Österr. Gymn. Zeitschrift 1868
Sitzb. d. phiL-bist. Cl. LXVI. Bd. 1. Hft. 11
162 Goldbicher
S. 808 f.) gesagt und dai^ethan habe. Sämmtliche Codices fuhren
nSmlich auf eine und dieselbe Quelle zurück. Dieser zunächst stehen
die beiden in der Hildebrand'schen Ausgabe mit F^ und F, (ß^
findet sich jedoch nur in den drei ersten Capiteln des ersten Buches)
bezeichneten Florentiner Handschriften. Aus diesen sind dann die
übrigen Codices geflossen. Jede Kritik muss daher auf die Floren-
tiner Handschriften zurückgehen, und es wäre nur zu wünschen» dass
die Angaben des Lindenbrogius über dieselben genauer, bestimmter
und klarer wären. Der Nachweis hießlr wird sich aus dem Folgenden
jedermann leicht von selbst ergeben; ich verweise nur auf Stellen
wie z. B. I. n. c. 24, p. 2K6. Die Florentiner Handschriften selbst
sind nicht ohne Fehler, sondern Dittographie, BuchstabenTerweehs-
lung. Vertauschung gleichklingender Worte und ähnliche Versehen
finden sich oft, selten sind Spuren Ton Correctionsversuchen ; insbe-
sondere aber leiden sie an häufen Auslassungen einzelner Worte.
Wo spätere Handschriften einen Fehler der Florentiner yermieden
haben, sind es nur leichte, auf der Hand Jiegende Correcturen. Bei
ärgeren Verderbnissen und Lücken stimmen sie entweder mit ihrer
Quelle überein oder suchen durch Änderung meist unbekümmert um
den Sinn eine wenigstens formale Concinnität.
Für die ersten vier Capitel des ersten Buches, worin uns Apu-
leius einiges über die Geburt und geistige Entwickelung Plato*s mit-
theilt, bringe ich femer eine neue noch unbenutzte Quelle zur Geltung,
nämlich den Scholiasten des Lucanus (M. Annaei Lucani Commenta
Bernensia ed. Herrn. Usener Lipsiae 1869), der in seinem Scholion
zum tSlsten Verse des 10. Buches die Angaben des Apuleius excer-
pirt hat.
L i b e r L
Nachdem Ap. im ersten Capitel von der Abkunft Plato*s und dem
wunderbaren Traume des Sokrates gesprochen hat, geht er im zweiten
auf seine Anlagen und seine erste Ausbildung über, nam Speusippus,
heisst es hier im Anfange p. 183, domesticis instructus documenti$
et pueri eins acre in percipiendo ingenium et admirandae verecun-
diae indolem laudat Neben dem acre in percipiendo ingenium ist hier
die Erwähnung der verecundia gewiss verdächtig; man erwartet doch
eher, dass daneben die Anlage der Wiedergabe des aufgenommenen
Stoffes erwähnt werde d. i. die facundia. So wird auch am Schlüsse
Zur Kritik und Erkllruiig ron L. Apuleius etc. 163
dieses Capitels die elegantia, renustas und maiestas der platonischen
Diction rühmend hervorgehoben.
Auffallend ist, dass sowohl der Grossvater Plato*s von mütter-
licher Seite p. 180, als auch sein Bruder p. 184 in den Handschr.
des Ap. durchaus nicht Glauco sondern Glaucus genannt wird. Diese
Leseart wird auch noch bestätigt durch die Comm. Bern., wo Usener
das überlieferte cum Glauco in cum Glaucone verändert hat. Eine
Entscheidung hierüber ist sehr schwer, da Analogien wie Lampon
und Lampus, Jasion und Jasius weder ganz abzuweisen sind, noch
hinreichende Gewähr bieten.
Drei Zeilen unterhalb überliefert die Florent. Handschr. ut Pythta
et Isthmia deluctata certaverit. Hildebrand schreibt de luctatu. Allein
deluctata ist durch eine ganz gewöhnliche Dittographie (s. unten
p. 186 Eurytatum für Eurytum) aus de lucta entstanden, wie auch in
späteren Codd. schon richtig gebessert ist. DerSchoIiast des Lucanus
hat ebenfalls de lucta gelesen.
Picturae non aspernatus artem tragoediis et dithyrambis se
utilem finxit heisst es weiter. Für et dithyrambis se utilem finxit lesen
wir in den Comm. Bern, et tibiistitulö finxit, das Usener, indem er die
Leseart bei Ap. für verderbt hält, in dithyrambis stilum finxit ändert
mit der Bemerkung» dass für tibiis vielleicht lyricis zu schreiben sei.
Dithyrambis gegen die Überlieferung bei Ap. und gegen die ausdrück-
liche Erwähnung der Dithyramben bei Diog. Laert. vitae phil. UI, 5
xae JTOcf^jxara iypa^s xac /rpcora (uiv oiävpdiißov^^ imtra Se xai
IxiXri xai Tpayo}diag in lyricis zu ändern möchte wohl sehr gewagt
erscheinen. Aber auch die zweite Änderung stilum finxit, so an-
sprechend sie auch ist, kann uns doch nicht bestechen, die an sich un-
anfechtbare Überlieferung bei Ap. zu verlassen, um eine auf dem
Grunde einer stark verderbten Leseart gebaute Coniectur an die Stelle
zu setzen.
c. 3. p. 186 lässt Ap. den Plato von Italien aus nach Cyrene
und Ägypten reisen, um dort die Quellen der Pythagoreischen Wissen-
schaft aufzusuchen, und dann wieder nach Italien zurückkehren : et
ad Italiam iterum venit et Pythagoreos Eurytatum Tarentinum et se-
niorem Archytam sectatus. So F^, die Lesearten der übrigen Hdschr.
Euricacum, Euricanum, Euritanum, Euritarum sind offenbar nur Va-
1 64 Goldbucher
riationen der Stanimhandschrift i). In den Comm. Bern, finden wir
pitagoreos rit'tarentü. Eine Stelle bei Diog. Laert. vitae phil. III, 6
xanelSsv sig 'IraXcav npdg JluSayopiMijg <I>üöXaov xae Ei/purcv
macht es wahrscheinlich, dass wir in Eurytatum nur denselben
Fehler zu suchen haben wie oben in luctata, und dass daher, wie
auch fast in allen Ausgaben schon geschehen ist, Eurytum zu
schreiben sei.
Atque ad Indos et Magos, fährt Ap. fort, intendisset animum,
nisi tunc cum bella vetuissent Caletica. quapropter inventa Parme-
nidis ac Zenonis studiosius exsecutus ita omnibus, quae admiraticni
sunt, suos libros explevit, ut primus tripartitam philosophiam copu-
laret etc. Für Caletica, wie es in allen Handschr. heisst, lesen wir in
den Ausgaben Asiatica, was durch Diog. Laert. vitae phil. III, 7
Siiyvd) Sil 6 IlXdrcüv xcti roXg Mdyoig (7VfJi|xcCat 6tä 8i roitg riig
'Aaia^ noAii^ovg aniam Bestätigung zu finden scheint. Um
jedoch der handschriftlichen Überlieferung näher zu kommen, ver-
muthet Oudendorp Chaldaica, Hildebrand sogar Halylica, was so viel
sein soll als Lydia, weil von Lydien aus der jüngere Cyrus seinen
Zug gegen Artaxerxes unternommen habe. Es unterliegt aber wol
keinem Zweifel, dass für „Caletica*' Ap. „Dialectica" geschrieben
habe, das in der Verbindung dialectica quapropter inventa etc. einen
entsprechenden Sinn gibt. Wir finden dabei zugleich auch die Ver-
anlassung des Irrthums in quapropter, dessen gewöhnliche Stellung
am Anfange des Satzes das dialectica verdrängt hat. Ap. hingegen
gibt ihm gerade in unserer Schrift, wie es scheint, mit Vorliebe die
zweite Stelle, so der handschriftlichen Oberlieferung nach II c. 1 p. 220
divina quapropter esse; c. 16 p. 242 pessimo quapropter deterri-
moque; zu c. 4 p. 228 tres quapropter partes animae ist die Wort-
stellung der Florent. Codd. nicht angegeben, und c. 15 p. 240 soll
Fi quapropter vitium illud primum mentibus evenit haben. Vergl.
noch ausserdem de mundo c. 5 p. 297 superna quapropter dii superi
sedes habent, wo in den Ausgaben vor Vulcanius superna ebenfalls
durch quapropter an den vorausgehenden Satz gedrängt worden ist.
*) Wenn Usenerin den Comm. Bern, bemerkt, die nichtinterpolirten Handechr. det Ap.
haben Pythagoreos etiam ritas Tarentinum, so kann diese Angrabe nur auf einea
Versehen bemhen, indem er in der kritischen Anm. der Hildebrand^scben Antobe
das xur roransgeh enden Zeile gehörige etiam ritns hieher beaog.
Zur Kritik und Erklirung von L. Apaletas etc. 4 6d
Für unsere Vermuthung sprechen auch die Comm. Bern, quin ad
Indos et Magos animum intenderat, nisi tunc eum bella retuissent, in
so ferne nämlich mit vetuissent der Satz endet» denn das Folgende
fehlt in diesen Excerpten.
Durch die Herstellung dieser Stelle haben wir nun auch einen
Anhaltspunkt zur Ausfüllung einer Lficke im nächsten Satze.
Ap. hat uns nämlich im Vorausgehenden erzählt, wie Plato, nachdem
er mit Sokrates näher bekannt geworden» die Poesie aufgegeben und
sich ganz jenem angeschlossen habe, wie er dann nach dessen Tode
sich mit der Lehre der Pythagoreer vertraut machte, deren Quellen
er bis nach Cyrene und Ägypten verfolgt habe, und wie er endlich
die dialektischen Speculationen eines Parmenides und Zeno sich an-
eignete : er habe daher, indem er alles das selbstständig verarbeitete
und vervoUkommnete, zuerst die dreifache Gliederung der Philosophie
gelehrt, nam quamvis de diversis officinis haec ei essent philosophiae
membra suscepta, naturalis a Pythagoreis, dialectica rationalis atque
moralis ex ipso Socratis fönte, unum tarnen ex omnibus et quasi pro-
pra partus corpus effecit. Es lässt sich mit Bestimmtheit erwarten,
dass hier Ap. die drei Hauptquelten der platonischen Philosophie, von
denen er oben gesprochen hat, zusammenfasst. Nun fehlen aber einer-
seits neben Sokrates und den Pythagoreern die Eleaten, andererseits
ist von den in F^ überlieferten Worten : dialectica rationalis, womit
auch sämmtliche andere Handschr. bis auf einige ganz unbedeutende Ab-
weichungen übereinstimmen, gewiss das eine nur Glosse des andern.
Nach unserer obigen Conieetur werden wir nun kein Bedenken tragen
Oudendorp und Hildebrand beizustimmen, welche in richtigem Takte
das letztere für eine Glosse des ersteren halten; nur fügen wir noch
hinzu, dass nicht bloss rationalis zu beseitigen, sondern auch das
dadurch verdrängte ab Eleaticis an die Stelle zu setzen sei. Schliess-
lich müssen wir uns noch gegen diejenigen Ausleger erklären, welche
die Auffassung des Ap. nach einer Stelle bei Diog. Laert. vitae phil. HI,
8 jüieCiv rc inofhaoLTO ra»v rc 'Hpax).c(rda)v Xoytüv xat Il\jäayof>wSiv xolI
Scüxparuccüv* rä yiiv yäp aia^r^TO, xa^' *Hpax/c(rov, rä it vorirä xard
HvSocyopav^ rä Si noXiriTid xard Sojxpdtn^v ifiXoaofit zu corrigiren
versuchen, so wie gegen diejenigen, welche an dieser Stelle durch-
aus den Heraclit erwähnt haben wollen. Ap. würdigt eben den Ein«>
fluss der Heracliteischen Lehre auf Plato zu wenig, was man schon
daraus ersehen kann, dass er oben p. 185, wo er vom Verkehre
166 Goldbacber
Plato*s mit Sokrates spricht, nur nebenbei erwähnt et antea quidem
Heracliti secta fuerat imbutus. Für die Darstellung des Ap. wird eine
treffende Parallelstelle aus Photius excerpt. e vit. Pyth. 713 ange-
fOhrt n^v |xiv «dccüpvjrexi^v xac fvaixhv Il^ccrcüvd ^aae Tcapä roiv iv
MraXfqc JluSayopitüv ixiiaäeXv, rf}v ii i^^cxi^v iidh^ra napa
Scüxpdrou^, T9jg di 'koytxii^ anipfxara xarocßaAelv aur^ Zi^voeiva xai
UocpfjLSviiriv roitg ^EXidrag,
Mit dem fünften Capitel beginnt die Darstellung der platonischen
Naturphilosophie. Prinzipien alles Seins seien Gott, die Ideen und
die Materie. In der Bestimmung der letzteren heisst es p. 192, sie
sei unbegrenzt, sed neque corpoream, sed sane incorpoream esse eon-
cedit; ideo autem non putat corpus» quod omne corpus specie quali-
cunque non careat; sine corpore vero esse non potest dicere, quia
nihil incorporale corpus exhibeat. Die Leseart des Cod. Harlem. sed
ne sane, die Oudendorp billigt und Hildebrand in den Text aufge-
nommen bat, ist sicher nur eine Correctur und zwar, wie es scheint,
nicht die beste; denn die rhetorische Wiederholung des sed, wie es
Hildebrand auffasst* ist bei dem Gegensatze zwischen den beiden
Gliedern unstatthatlt, und zudem lasst das vorausgehende neque eine
ganz andere Verbindung erwarten ; auch ist ne ( =» ne quidem) an
dieser Stelle wohl schwerlich zu erkISren. Sed sane ist daher wahr-
scheinlich nur durch ein Versehen in Folge des yorangehenden sed
aus nee sane entstanden.
Atque-ideo, heisst es über die Materie weiter, nee actu solo
neque tamen sola opinione cogitationis intelligi; namque corpora
propter insignem evidentiam sui simiU iudicio cognosci, sed quae sub-
stantiam non habent corpoream, ea cogitationibus videri: unde adul-
terata opinione ambiguam materiae huius intelligi qualitatero. Was
soll actu heissen? Die Erklärer schweigen hierüber, und B^toland
trifft mit seiner Übersetzung: Mais par le fait seul et par ie seul te*
moignage des sens, on ne saurait arriver k cette derniere -eroyance
weder Text noch Sinn. Der Gedanke ist der: Da der Materie weder
das Prädikat ^körperliche noch das Prädikat Munkorperlich** zukommt»
so können wir auch zur Kenntniss derselben weder durch die sinn-
liche Wahrnehmung (aTa^vjac^), der alles körperliche unterworfen
ist, kommen, noch durch rein geistige Thätigkeit (v^ncreO ^^ ^^
den Ideen, sondern wir gelangen zu ihr durch eine adulterata opinione
(Xo7(9|ui(f> revc v6«&a)). In actu mfisste daher die Bezeichnung der
Zar Kritik und ErUiniDg von L. Apnleiua etc. 167
sinnlichen Wahrnehinung liegen, wozu das Wort actus unbrauchbar
ist. Dagegen wird die sinnliche Wahraehmung ganz gewöhnlich durch
die beiden Hauptrertreter das Gesicht und Getast bezeichnet : rä
öpard xat anrd und bei Ap. c. 8, p. 198 hine et tangitur et videtur
sensibusque corporeis est obyius und c. 9, p. 200 quae videri oculis
et attingi manu possit. Für actu muss daher tactu geschrieben
werden, hinter dem vielleicht ac visu oder etwas ähnliches ausge-
fallen ist.
Nachdem im 6. Capitel ron den Ideen die Rede war, beisst es
dort p. 193 oMag^ quas essenlias dicimus, duas esse ait, per quas
cuncta gignantur mundusque ipse, quarum una cogitatione sola con-
cipitur, altera sensibus subiici potest. sed illa, quae mentis oculis
comprehenditur, semper et eodem modo et sui par ac similis inveni-
tur, et quae vere sit atenim altera opinione sensibili et irrationabili
aestimanda est, quam nasci et interire ait et sicut superior vere
esse memorator, hanc non esse vere possuraus dicere. et primae
quidem substantiae vel essentiae primum deum esse et meutern for-
masque rerum et aoimam, seeundae substantiae omnia, quae infor-
mantur, quaeque gignuntur, et quae ab substantiae superioris exemplo
originem ducunt Für meutern hat Floridus nach der Leseart des
Cod. Thuan. (matiem) materiem in den Text gesetzt, und Oudendorp
und Hildebrand haben diese Änderung gebilligt. Da es jedoch oben
von der ersten essentia heisst: cogitatione sola concipitur, von der
Materie hingegen im vorhergehenden Capitel : neque tamen sola opi-
nione eogitationis intelligi^ so erhellt schon daraus, dass die Materie
unmöglich zur ersten ouala oder essentia gezählt werden kann. Die-
selbe hat überhaupt hier keinen Platz, sondern liegt ihrer Qualität
nach in der Mitte zwischen diesen beiden essentiis. Der Einwurf den
man gegen mentem erhebt, als sei dasselbe mit deum oder animam
identisch, wird verschwinden, wenn man c. 9, p. 199 und 200 in
Betracht zieht: unter mens (auch anima coelestis genannt) haben wir
nämlich die allgemeine Weltseele zu verstehen, deren Ausfluss nach
der Darstellung unseres Schriftstellers die Einzelseele (anima) sei.
Die Richtigkeit dieser Erklärung bestätigt auch eine Stelle im Anfange
des zweiten Buches p. 220 prima bona esse deum summum mentem-
que illam, quam voOv idem vocat.
c. 7, p. 194 multimoda multi potestatum coitione ist in multi
nichts anderes zu suchen als ein Versehen durch Wiederholung des
168 Goldbacker
multi in multimoda. Ahnliche Fehler haben wir schon oben c. 2,
p. 184 und c. 3, p. 186 bemerkt.
Über die Entstehung der Elemente aus der Materie lesen wir
c.7«p. 198 et ignem quidem et aera et aquam habere originem atque
principium ex trigone, qui 6t trianguli {F^ und andere Codd. un-
richtig sit anguli) recti non paribus angulis ; terram vero directis
quidem angulis trigonis et restigiis paribus esse, et prioris quidem
formae tres species existere: pyramidem, octangulam et Tigintiangu-
lam; sphaeram et pyramidem fignram ignis in se habere» octangulam
yero aeris, angulatam vicies sphaeram aquae dicatam esse, aequi-
pedum vero trigonum efficere ex sese quadratum cubum, quae (seil,
figura) terrae sit propria. Das erste Bedenken erregt die handschrift-
lich überlieferte und durch das folgende Relatirum qui gestützte
Form trigone für trigono. Gleich darauf haben wir dieselbe Form
trigonis für trigoni. Da jedoch im zweiten Falle wegen des schon
durch quidem angedeuteten Gegensatzes nothwendig das s mit et zu
sed verbunden werden muss und weiter unten aequipedum trigonnm
überliefert ist, so wird wohl auch an erster Stelle die leichte Ände-
rung trigono quod nicht zu umgehen sein. Denn trigon kennen wir
nur als Bezeichnung eines Ballspieles und in übertragener Bedeutung
des dabei gebrauchten Balles, und wenn es auch zu dieser Bedeutung
eben durch die triangeiformige Aufstellung der drei Spieler gekom-
men ist, so ist es doch unerweislich und unwahrscheinlich, dass
trigon auch für trigonum gebraucht worden sei. — Femer aber ve-
stigiis? Was sind hier vestigia? Es muss doch die Gleichheit der
beiden spitzen Winkel oder der beiden Katheten des rechtwinkligen
Dreieckes bezeichnet werden. Wie sich da die Ausleger bisher mit
restigiis zurecht finden konnten, weiss ich nicht und glaube daher,
Ap. habe fastigiis geschrieben. Dieselbe Verwechslung von fastigiuro
und vestigium wird auch bei Curtius Rufus III, 12, 25 im Cod. Flor.
C bemerkt; vergl. noch in unserer Schrift oben.c. 2, p. 183 vere-
cundia für facundia. — Endlich ist noch hinzuzufligen, dass sphaeram,
welches unbegreiflicher Weise überall zu et pyramidem gezogen ist,
mit octangulam et vigintiangulam zu verbinde^, und daher die Inter-
punction nach sphaeram zu setzen sei.
c. 8, p. 196 sed ne (ne fehlt im F,) vim quidem eius et extrin-
secus inveniri ist et unhaltbar und nur eine Wiederholung der Silbe
ex, 80 wie drei Zeilen oberhalb im F^ et illa mit ex illa verwechselt
Zur Kritik und Erklärung von L. Apuleius etc. 1 69
ist. Man vergleiche nur die entsprechende Stelle Plato Tim. p. 32 C
Die aus den Elementen zu vollendeter Schönheit zusammenge-
setzte Weit sei ewig jung und von unverwüstlicher Kraft. Dieser
Vollkommenheit entsprechend sei ihre Gestalt die Kugelgestalt und
ihre Bewegung die Kreisbewegung. Letzteres liegt in den Worten
c. 8, p. 1 98 hinc et illud etiam Septem motus locorum habeantur,
Processus (oder progressus; F^ prorsus) et retiftcessus, dexterioris
ac sinistri, sursum deorsumque nitentium» et quae in gyrum circui-
tumque torquentur: sex superioribus remotis haec una mundo re-
ücta est sapientiae et prudentiae propria, ut rationabiliter volveretur.
Der Anfang dieses Satzes, der in den spateren Handschr. wegen des
folgenden motus in hinfc illi etiam verändert ist, bat verschiedene
Conjecturen hervorgerufen, die ich hier übergehen will. Bei den
vielen Lucken, an denen unsere Handschr, leidet, wird die auch
sonst vorkommende Uberspringung des cum hinter etiam (s. Hand
Turs. n p. 171) niemanden befremden. Es ist also zu lesen: hinc
illud etiam: cum septem etc. — Und wird für dexterioris nicht dex-
teriores (d. i. motus) zu schreiben sein?
c. 9, p. 200 naturasque rerum binas esse; et earum alteram
esse, quae veniat in mentem, quam quidem So^aarriv appellat ille, et
quae videri oculis et attingi manu possit» alteram cogitabilem et in-
telligibilem. Hier ist nur, wie schon Floridus richtig bemerkt hat,
der Satz quae veniat in mentem von der ihm gebührenden Stelle
hinter dem zweiten alteram durch ein Versehen hinter alteram esse
hinaufgekommen; im Übrigen ist nichts zu ändern, und auch die von
Fulvius der Symmetrie wegen vorgeschlagene und allgemein ange-
nommene Einschiebung von diavorinxiiv vor cogitabilem überflüssig,
abgesehen davon, dass es doch dem Sinne und dem So^o^aTtiv ent-
sprechend nicht Siavor^rtxiiv sondern voYiriiv heissen müsste.
c. 10, p. 201 heisst es in den alteren Ausgaben bis auf Ouden-
dorp : nostrae enim super earum (d. i. atellarum errantium) cursibus
opiniones disputationesque possunt in errorem intellectum inducere,
und da Lindenbrogius nichts dazu bemerkt, so mag es wohl auch im
Ft stehen und das incidere (für inducere) einiger anderer Handschr.
auf einem Irrthum beruhen. Dasselbe scheint der Fall zu sein bei den
im folgenden Paragraphe von Hildebrand verdSchtigten Worten
170 üoldbicher
horum enumerationem in se rerertentium et a se proficiscenUam io-
tellectu cogitationis invenit.
Im Folgenden muss in dem Satze esse autem steUarum nihilo
minus certos ambitus legitimis currieulis perpetuo senratos» quos tix
hominum solertia comprehendit hinter stellanun unsweifeihaft eete-
rarum ausgefallen sein» da Ap. eben von den Kreisbewegungen der
Sonne und des Mondes gesprochen hat und jetzt auf die Regelmassig-
keit in der Bewegung der übrigen Sterne kommt; vei^leiche oben
p. 20 1 solis quippe et iunae globum hoc agere ceterasque Stellas und
unten c. 11, p. 204 qualem solem et lunam yidemus ceterasque si-
derum Stellas. Auch bei Plato heisst es an der entsprechenden Stelle
Tim. p. 39Crci>v d'aXXcov ra^ nrcprödovg oCx iyvtvotixvrs^ ay^pon
JTot^ TtAiiv oAiyoi rcüv toXaojv, ourc cvofxdCov^ev oi/r£ npog däXiSAa
^rjfjLiiiTpoOvrai etc.
e. 1 1 , p. 203 lam ipsa animantium genera in quatuor species
dividuntur, quarum una est ex natura ignis eiusmodi, qualem solem et
lunam videmus ceterasque siderum Stellas ; alterum ex aeris qualitate,
hanc etiam daemonum (F| unrichtig daemonem) dicit; tertium ex
aqua terraque coalescere et mortale genus corporum ex eo dividi
terrenum atque terrestre — sie enim ponenerteron (so F^ und alle
Handschr. mit unbedeutenden' Abweichungen) ceusuit nuncupanda —,
terrenumque esse arborum ceterarumque frug^m, quae humi fixae
vitam trahunt» terrestria rero, quae alit ac sustinet tellus. Die SteUe
Plato*s die hier Ap. im Sinne hatte ist Tim. p. 39 E ^jrep o{lv vcO^
ivoxjaag iSiag rd) ö i^rt (düov, olai re Ivitat xai o^ac, xaäopd^ rotaifrag
xai TO^aOrag duvo-h^ri deXv xcti roSi ay(€iv. thi i^ rirrapEg^ }iia ft£v
orjpaviov ästbv yivog^ aXhi di rmnvdv xai depoTtopov^ rpirri di iyudp^yf
€iSog^ /rsföv di xai yispaaXov riraprov. roö fxiv oöv^seou rtv ir/«örnv
iiiav ix nifpog dnnpyd^ieTo etc. Es ist auf den ersten Blick klar, dass
Ap. hier wie auch sonst öfters von Plato abweicht. Bei Plato er-
wartet man, da er im Vorausgehenden die sichtbare Welt aus den
Tier Elementen hatte entstehen lassen und in der angeführten Stelle
als die erste Art lebender Wesen die Gestirne (o^pdvtov J^edv yivog)
bezeichnet, von denen er gleich darauf sagt, dass sie grosstentheiL«
aus Feuer bestehen, auch im Folgenden eine andere Eintheilung als
die nach den Wohnorten in Luft-, Wasser- und Landthiere, näm-
lich in Thiere die vorwiegend aus Luft oder Wasser oder Erde
bestehen. In Rucksicht darauf und da unserem Schriftsteller die Ge-
Zur Kritik und Erklirung voo L. Apuleias etc. 1 T 1
legenheit sehr willkommen war, seinen Dämonen einen Platz in der Natur
anzuweisen, theilt er anders als Plato die lebenden Wesen in dreiArten»
die wiederum in vier Species zerfallen. Die erste Art ist von der
Natup des Feuers und enthält eine Species» die der Gestirne; die
zweite Art ist die von der Natur der Luft und hat wieder nur eine
Species, die der Dämonen ; die dritte Art bestehe aus einer Verbin-
dung von Wasser und Erde und zerfalle in zwei Species, die aber —
denn hier kann auch er den Eintheilungsgrund nicht mehr festhalten
— sich nur durch die Art ihrer Existenz unterscheiden in terrena und
terrestria d. i. in solche die an den Boden gebunden sind, (vergl.
Plat. Tim. c. 34, p. 77), und solche die eine freie Bewegung haben.
Das ist nun alles klar und rerständlieh bis auf den räthselhaften
Zusatz sie enim ponenerteron censuit nuncupanda. Für ponenerteron
wird geschrieben ypixa oder nach Plato y^spfjalov xcci ntl^ov und irc^öv
et evudpcv. Davon ist ersteres ganz aus der Luft gegriiTen, beim
zweiten soll ns^ov dem terrestre und yipaaiov dem terrenum ent-
sprechen, was nicht wahr ist; gegen Hildebrands hitSpov aber
spricht der ganze Zusammenhang, da von Wasserthieren hier nir-
gends die Rede ist. Allein die Stelle hat noch andere Schwierigkeiten.
Eine directe Berufung auf Plato ist hier um so weniger wahrschein-
lich, je weiter Ap. von demselben abweicht, und zweitens sieht die
Form des Satzes nicht darnach aus, als ob bemerkt werden sollte,
wie die hier erwähnten zwei Species Plato bezeichnet habe, sondern
vielmehr wie die griechischen Ausdrücke lateinisch bezeichnet worden
seien, so dass nicht censuit sondern censeo zu erwarten wäre. Man
vergleiche nur den Beisatz im zweiten Buche c. 8, p. 231 sie enim
aAc7ov Tptßiiv elocuti sumus und c. 4, p. 226 döpyvialav v60 sie
interim dixerim. Fasst man das alles zusammen, so dringt sich die
Vermuthung auf, dieser Satz sei nichts als eine Glosse, die jemand
in der Meinung beifugte, Ap. habe das platonische ns^dv xai yspaalov
mit terrenum und terrestre übersetzen wollen. Unter dieser Voraus-
setzung wäre censuit erklärt, so wie ne^dv xai yspaalov^ das dem
ponenerteron immer noch am nächsten kommt.
Nicht alles unterliege der Gewalt des Fatnms^ heisst es c. 12,
p. 206 ; einiges komme doch auf uns an^ wenn auch der Einfluss der
Fortuna nicht zu verkennen ist : instabile enim quiddam et incurrens
intercedere solere, quae consilio fuerint et meditatione suscepta,
quae non patiatur meditata ad finem venire. Ich stimme Hildebrand
172 Goldbacher
yollkommen bei, wenn er gegen eine Änderung des zweiten quae (seit
Wowerius allgemein quod; Oudendorp quia) sich ausspricht; nur ist
seine Erklärung, dass quae mit einer Art Anakoluth auf instabile
quiddam zu beziehen sei und dabei fortuna ergänzt werden müsse,
unrichtig, denn quae bezieht sich auf den vorhergehenden Relatirsatz
und ist Subiectsaccus. zu renire (incurrere solere iis, quae coosUio
fuerint et meditatione suscepta, neque ea meditata ad finem renire
pati).
c. 1 3, p. 208 spricht Ap. von der Stellung des Kopfes zu den
übrigen Gliedern. So viel aus der ungenauen Angabe der Überliefe-
rung des F^ zu entnehmen ist, mag die Stelle in ihrer ursprünglieben
Gestalt etwa so gelautet haben: cetera enim merobra ancillari et
subservire capiti, cibos et alia subniinistrare; vectare etiam sublime
positum ut dominum atque rectorem providentiaque eins a periculis
vindicari.
c. 14, p. 209 gehtAp. auf die Sinne über. Von den Augen heisst
es : ac primo oculorum acies gemellas perlucidas esse, quadam luce
visionis illustres noscendi luminis officium teuere. Das Asyndeton
beider Satze ist unerträglich; es wird daher für perlucidas esse wohl
perlucidas et zu schreiben sein. Diese Änderung ziehe ich der einiger
späterer Codd. perlucidas esse et vor, weil dadurch perlucidas mit
illustres in eine angemessene Verbindung gesetzt wird.
Verwickelter ist dortselbst die Stelle, die über den Geruch
handelt: conversiones (so und nicht das in dieser Bedeutung g»r
nicht nachweisbare conversationes scheint im F^ zu steheu) autem
mutationesque odoratus causas dare, easque de corruptis vel adustis
vel mitescentibus vel madefactis sentiri, cum quidem ea quaeruntur
vapore vel fumo exhalantur (oder ezhalant? die Leseart des F^ ist
nicht genau angegeben) odore in bis iudicium sensusque succedunt;
nam si res istent aegrae et aer purus, nunquam eiusmodi aures infi-
ciunt eos. sensus quidem ipsi nobis communes sunt cum ceteris ani*
mantibus. In Vergleich mit Plato Tim. p. 66 D Sto rovrwv oCisig
^i ry;xojUi^vGi)v % ^viii^iiivcüv yiyvGvreii rcveov hat Colvius für mitescen-
tibus, weil es dem arinoiiivtav am besten entspräche, mucescentibus
geschrieben und mit seiner Conjectur auch fast allgemein Beifall ge-
funden. Allein wenn man in Betracht zieht, dass das griechische
ßpeX^jxivojv, arinoiiiv(av und ^u|uiea>|xivciiv mit madefactis, corniptis
Zur Kritik und Erklürung von L. Apuleiu» etc. 173
und adustis wiedergegeben ist, und nur mehr das ry;xo|uiivei>v des ent-
sprechenden Ausdruckes harrt, wofür mucescentibus unbrauchbar
ist, so mag das überlieferte mitescentibus nicht so ganz verwerflich
erscheinen; nur muss man es nicht bloss mit Floridus von den zur
Reife gelangenden Fruehten rerstehen, sondern allgemeiner fassen,
denn auch Tom Sieden und Kochen wird es gebraucht Orid Met. 1 5,
78 sunt, quae mitescere flamma mollirique queant. — Das Folgende
ist arg verderbt; die verschiedenen Versuche der Wiederherstellung,
von denen gewiss keiner, am wenigsten aber der Hildebrands ge-
nügen kann, zu beleuchten würde zu weit führen ; wir gehen daher
gleich an die Sache selbst. Für ea quaeruntur hat unstreitig Lennep
mit ea, quae vertuntur das Richtige getroffen, doch verbinde ich
damit sogleich das vapore vel fumo, wodurch der Ausdruck mit den
Worten bei Plato an der oben genannten Stelle /JicraßaXXcvro^ yäp
Odarog Eig dipa dipog Tt sig öittip iv re^ jisra^O rourcüv ysyivaaiv^
tiai ii OfSiiai ^ufknafjou xocnvög ^ öfxt^^Xv? roOrcov Si rd juiiv i^ dipog
sig ö$(M}p idv ö|xe)(Xi9, rd $i i^ fidoLtog dg dipa xanv6g grosse Ähnlich-
keit gewinnt. Der Ablativ bei verti ist wie überhaupt bei den Worten
des Wechseins, Umtauschens mutare, com- per- mutare nicht selten.
Nun liegt es nahe, auch die beiden folgenden Worte zu verbinden zu
exhalant odores, so dass also der Satz lautet cum quidem ea, quae
vertuntur vapore vel fumo, exhalant odores, in bis (d. i. odoribus)
Judicium sensusque succedunt. — Die nächsten Worte schreibt
Hildebrand : nam si res istae Stent integrae et aer purus^ nunquam
eiusmodi auras inficiunt. eos sensus quidem ipsi communes nobis
sunt cum ceteris animantibus. Da res istae, wie Oudendorp conicirt
hat, in Beziehung auf ea gewiss unmöglich ist, so vermuthe ich nam
si resistunt integra et aer purus. Sinnlos ist aber auch das eiusmodi
auras, obwohl sonderbarer Weise noch niemand dagegen ein Bedenken
erhoben hat, und da auch F| nicht auras, sondern aures bietet, so
zweifle ich nicht, dass dafür odores zu setzen und für inficiunt als
Object eos herbeizuziehen sei, das Hildebrand, ich weiss nicht wie,
an den Anfang des folgenden Satzes gestellt hat. Restituirt hiesse es
daher : nam si resistunt integra et aer purus, nunquam eiusmodi
odores inficiunt eos. sensus quidem ipsi etc. So glauben wir der
Stelle den passenden Sinn gegeben zu haben: indem nSmIich das,
was sich umsetzt in Dunst und Rauch, Gerüche ausströmt, fallt es
1 74 6oldbachi»r
unter das Urtheil der sinnlichen Wahrnehmung; denn bleibt es un-
versehrt, und die Luft rein, so reieen niemals dergleichen Gerüche
die Sinne.
Von der Lunge lesen wir in allen BQchern c. 15, p. 212 pul-
mones loco ac sui genere cordi plurimum consulunt. cum exardeseit
ira, trepidansque celerioribus motibus Vertex cordis ipsius madens
sanguine pulmonum excipitur mollitia, siti, frigore. Nur Lipsius hat
gefühlt, dass der zweite Satz hinke, und daher trepidatque conicirt
Doch ist eine Änderung nicht uothwendig, nur muss man ror cum
blos ein Comma setzen, so dass wir einen Hauptsatz mit zwei tem-
poralen Nebensätzen erhalten; ira ist dann Ablativ, und cor Subjeet
zu exardeseit.
Jene Theile des Körpers, die durch ein reiches Nervensystem
für die sinnliche Wahrnehmung geschaffen sind, deckt eine geringere
Schichte von Fleisch, desgleichen die Gelenke: illa etiam, quae iuDC-
turis et copulis nexa sunt, ad celeritatem facilius se movenda haud
multis impedita sunt visceribus (c. 16, p.* 214). Oudendorp's Ver-
suche ad celeriter atque facilius se movenda oder ad celeritate faci-
lius se movenda weist Hildebrand mit Recht als unlateinisch zuruek;
doch zweifle ich, ob er mit seinem Vorschlage quae .... nexa sunt
ad celeritatem, facilius se movendo haud etc., den er übrigens mit
Tac. ann. III, 31 Tiberius quasi firmandae valetudini in Caropaniam
concessit viel besser hätte stützen können, das Richtige getroffen
habe. In movenda steckt wohl ein auf celeritatem bezuglicher Aceu-
sativ, während se sein s von facilius haben mag. Wir lesen daher
mit Änderung eines einzigen Buchstabens ad celeritatem facilius
emoliendam. Vergleiche den Ausdruck amorem, odium, iracundiam,
invidiam, misericordiam etc. moliri bei Cic. de or. H, 51, 206.
Nachdem Ap. von den Venen und Arterien gesprochen hat, geht
er c. 16, p. 215 zu einer dritten Gattung von Adern über, den Sa-
menadern, die er abweichend von Plato, der den Samen, wie es
scheint, im Rückenmarke enthalten sein lässt (Tim. p. 77 D ; p. 86
C; p. 91 A), von der Nackengegend durch die Nieren zu den Scham-
theilen führt. So viel wenigstens lässt sich entnehmen aus den ver-
derbten Worten: venarum diversae sunt qualitates, quas adproerean*
dum e regione cervicum per medullas renum commeare et suselpi
inguinum loco certum est; et rursum venarum genitale seminiaoi
humanitatis exire. Vor Allem ist bisher übersehen worden, dass es
Zur Kritik und ErkUrun^ von L. Apuleius etc. 175
•■
für qualitates doch qualitatis heissen müsse. Im übrigen hat Hilde-
brand Recht» wenn er in seiner Verzweiflung über die Stelle den
Verdacht auf rursum wirft, denn et rursum kann leicht dem einige
Zeilen vorhergehenden et rursus seine Entstehung verdanken. Ich
setze an die Stelle pruritu. Die Änderung venarum in earum wird
wohl unnöthig sein.
Dass im Anfange des folgenden Capitels: at cum totius corporis
dicat esse substantias» primam vult videri etc. nothwendig tres ein-
gesetzt werden müsse, hat schon Brant richtig bemerkt; doch lässt
sich die Stelle, wo dies zu geschehen habe, schwer errathen, da es
entweder hinter cum (cu iii) od. nach corpom C^O ^^* ^ii<lli<^h
zwischen dicat und esse leicht ausgefallen sein kann.
Lib. II.
Gleich im Anfange des zweiten Buches, das über die platonische
Ethik handelt, werden wir bei den Worten : verum ad beatitudinem
ante alia bonorum finem contingere ut ostendam, quae de hoc Piato
senserit um so weniger Bedenken tragen mitOudendorp anzunehmen,
dass vor ostendam ein possis, queas oder scias ausgefallen sei, als
wir ähnlichen Fehlern in diesem Buche noch öfters begegnen werden.
Wie contingere aufzufassen sei, zeigt ein Vergleich mit Stellen wie
praeteriti futurique aevi ultimas partes attingere (c. 20, p. 248) und
obtutus velocius illustriora contingit (de mundo c. 15, p. 321).
Der erste Satz des zweiten Capitels ist richtig so zu interpun-
giren: bonum primum est verum et divinum illud, Optimum et ama-
bile et concupiscendum, cuius pulcritudinem rationabiles appetunt
mentes natura duce, instinctae eadem ineius ardorem. — Am Schlüsse
desselben muss zuerst, wie' es auch B^tolaud gethan hat, vor et illum
eine starke Interpunction stehen, da ein ganz neuer Gedanke folgt.
Der Satz selbst aber: et illum quidem, qui natura imbutus est ad
sequendum bonum, non modo sibimet intimatum putat sed omnibus
etiam hominibus, nee pari aut simili modo verum etiam unumquemque
acceptum esse, dehinc proximis et mox ceteris, qui familiari usu vel
notitia iunguntur zeigt wieder durch die genaue' Übereinstimmung in
der Überlieferung, wie alle Handschriften auf eine bereits verderbte
Quelle zurückführen. Gewiss ist, dass wir darin einen ähnlichen Ge-
danken zu suchen haben, wie wir ihn bei Plato ep. ad Archyt. p. 358 A
1
176 Goldbacher
lesen aXXd xocxetvo isX at h^[ktlaäaLU cre Ixaaro^ i^/&o5v ovjr a^ft»
jxövov yiyov€V^ dklä rrig yeviaitüg >5]üi(Sv t6 |xiv n ij ffarpec lupi^raif
TÖ öi Tt oe 7cvvr/<javr«^, rö ii ot ioea-oe yfiot, aroXld 4f xac toI^
TLOCipolg iHorat rol^ töv ^tov >5|üiwv xaraXafAßdvouac. So richtig
daher Casaubonus intimatum in ipsi natum gebessert hat, so wenig
können wir den Versuchen, die bisher mit den Worten Tcniro
etiam unumquemque acceptum esse gemacht wurden, beistimmen.
Etiam hat das vorhergehende verum verschuldet; man erwartet dafür
patriae, civitati od. dgl.wenn nicht etwa mehrere Worte ausgefallen
sind, denn auch ein primum scheint man in dieser Verbindung kaum
entbehren zu können. Acceptum aber ist wohl nur eine durch die
Dative patriae etc. herbeigeführte, vielleicht absichtliche Änderung
eines Abschreibers für susceptum (dvouptia^at rcxvov); so z. B.
Cic. Disp. Tusc. III, 1, 2 simul atque editi in lucem et suseepti
sumus.
Der Mensch, heisst es im dritten Capitel, ist von Natur weder
absolut gut noch absolut schlecht, sondern die Erziehung leite ihn
entweder nach der einen oder anderen Seite hin : quare praeter cetera
induci ad hoc eos oportere, ut sciant, quae sequenda fugiendaque
sint, honesta esse ac turpia : illa voluptatis haec laudis hactenus vero
dedecoris ac turpitudinis. Für haec laudis ist schon langst ae laudis
hergestellt; hactenus vero aber, wofür die Ausgaben haec vero oder
haec tarnen haben, ist fn haec enimvero zu Sndern. So gebraucht
Ap. enimvero in Entgegenstellungen zur Hervorhebung des zweiten
Theiles besonders oft in den Floridis, so z. B. 1. II. Nr. 15, p. 60
gravioribus viris brevi spatio satis videbatur taciturnitas modifieata,
loquaciores enimvero ferme in quinquennium velut exilio vocis punie-
bantur; vergl. noch I. I. Nr. 2, p. 7.
Sehr schwierig ist eine Stelle im folgenden Paragraphe desselben
Capitels. Sie heisst in der Oberlieferung: eiusmodi quippe medietates
inter virtutes et vitia intercedere dicebat tertium quiddam, ex quo
alia laudanda, alia culpanda essent inter scientiam validam alteram
falsam pervicaciae vanitate iactatam, inter pudentiam (so Oud. ; F,
prudentiam) libidinosamque vitam abstinentiam et intemperantiam
posuit; fortitudini ac timori medios pudorem et ignaviam feeit
Nach dieser Oberlieferung sollte man glauben, dass Ap. zwischen die
scientia valida und falsa die scientia pervicaciae vanitate iactata ge-
setzt habe. Allein die Sache hat mancherlei Bedenken. Erstens
Zur Kritik und ErkiiruBg von L. ApuUius etc. 177
nämlich hat Hildebrand wohl mit Recht bemerkt, dass scientia raiida
hier sinnlos sei; zweitens erwartete man doch der scientia falsa gegen-
über eine scientia vera (nicht Talida) ; drittens ist es unbegreiflich,
wie Ap. die scientia perricaciae vanitate iactata als medietas zwischen
die scientia valida und falsa hätte setzen kSnnen; yiertens machen
die beiden folgenden Glieder» in denen immer je zwei , medietates
zwischen die virtus und das ritium gestellt sind» es sehr wahrschein-
lich, dass dasselbe auch im ersten Gliede der Fall gewesen sei. Als
solche medietates würden nun die scientia falsa und die scientia per-
ricaciae vanitate iactata nicht ganz unpassend sein , da letztere doch
nicht eine blosse Bestimmung der ersteren, sondern ein tieferer Grad
ist, als jene; beide wären daher durch eine Coniunction zu verbin-
den. An die Stelle von validam mösste dann in diesem Falle nach
der ganzen Anlage des Satzes zwei Adjectiva treten, die die beiden
Extreme bezeichnen, wie z. B. solidam et vanam (Yopiscus Tac.^c. 6
solidior sapientia). So stunde denn dem gediegenen Wissen und
Scheinwissen als Gegenpaar (altera) das unrichtige Wissen und die
Rechthaberei entgegen. Freilich gehen diese Vermuthungen zu weit,
und wird eine Heilung dieser Stelle immer zu gewaltsam sein müssen
um auf Wahrscheinlichkeit besonderen Anspruch machen zu können;
doch wir sind zufirieden, wenn wir mit diesen wenigen Worten zum
Verständniss derselben etwas beigetragen und vielleicht einem glück-
licheren Gedanken den Weg gebahnt haben *).
c. 4, p. 225, wo von der malitia die Rede ist, wird es wohl
heissen müssen : nee solum eam inaequalitatis vitio clai|dicare arbi-
tratur sed incumbere etiam ad dissimilitudinem anstatt der handschr.
Leseart . . • arbitratur incumbere sed etiam dissimilitudinem, wo
incumbere und sed verstellt, und ad ausgelassen ist, so wie weiter
unten in demselben Capitel: iracundiam audacia (d. i. impugnat; F^
durch ein Versehen audaciam); eius comitatum sequuntur indignatio
et incommobilitas (dopfinalav voO sie Interim dixerim).
Aus der ersteren dieser beiden Stellen folgt auch, dass im
nächsten Capitel p. 227, wo es von der virtus im Gegensatze zur
*) Nach einer gütigen Mittheilong des Herrn Prof. V a h 1 e d, welche mir wfihrend
de« Druckes zakam, ergänzt derselbe die lückenhafte Stelle folgender Massen:
inter scientiam et inscientiam Talidam alteram opinionem, alteram
falsam pervicaciae Tanitate iaetatam.
SU&b. d. phil.-hist. Cl. LXVI. Bd. I. Hft. 12
178 6oldbaob*r
malitia heisst : aec solam qualitas verum etiam similitudo cum rirtutts
ingenio coniungitur fQr qualitaa mit Reiz aequalitas zu schreibeD
ist (Tergl. noch c. 13,p. 238).
Was nun die einzelnen Tugenden betrifEt, so entsprechen nach
Plato den 3 Theilen der Seele die drei Tugenden : Weisheit, Tapfer-
keit und Enthaltsamkeit (c. 6). Die Gerechtigkeit hingegen erstrecke
sich Qber alle drei Theile zugleich. Von der letzteren nun lesen wir
c. 7, p. 229 hanc ille heros iustitiam modo nominat, nunc universae
rirtutis nuncupatione complectitur, et item fidelitatis Tocabnlo nuncupat ;
sed cum ei, a quo possidetur est utilis, benirolentia est» at cum fons
spectat et est fida speculatrix utilitatis alienae, iustitia nominatur. So
steht es in sftmmtlichen Ausgaben, nur dass Hildebrand f&r a quo
bloss quo setzt ohne jedoch an dem Gedanken etwas andern xo
wollen. Mais en tout cas, übersetzt B^tolaud, consid^r^e sous le poiat
de Tue de Tutilit^ qu'elle proeure a son possesseur. eile est la bien-
veillance ; consid^r^e dans les rapports ext^rieurs et comme s' occupaot
avec zele de ce qui est utile aux autres, c* est proprement la justice.
Ist es aber nicht ein höchst sonderbarer Gedanke, die Gerechtigkeit
heisse rücksichtlich des Nutzens» den sie ihrem Besitzer verschalt,
benivolentia? Da nun die Leseart des Cod. F^ nicht ausdrucklich be-
merkt ist, und der Cod. Voss., der sonst Tielfach mit jenem fibereio-
stimmt, ei quod bietet, so ist bei der Unzuverlässigkeit der CoUatio-
nen des Lindenbrogius der Gedanke nicht ausgeschlossen, dass auch
dort dasselbe stehe. Wenigstens gäbe dies den ertraglichen Sinn,
Gerechtigkeit gegen das, worauf ich ein Besitzrecht habe, z. B. eine^
Königs gegen seine Unterthanen oder des Mannes gegen Weib,
Kinder und Sclaven sei benirolentia, wenn sie sich dagegen auf etwas
bezieht» was ausserhalb desselben liegt (si foras spectat et est fida
speculatrix utilitatis alienae) Gerechtigkeit im engeren Sinne. So
heissen ja die Gnadenakte der Kaiser benevolentiae.
Nicht sicherer ist die Überlieferung des Flor. Cod. im nächsten
Paragraphe, wo von der Gerechtigkeit in der Vertheilung des Acker-
landes gesprochen wird. Sollte da nicht Ap. ut singulis in agros
dominatus congruens deferatur ac servetur bonis opimior, minor non
bonis geschrieben haben? Für opimior finden wir nämlich in den
Handschr. optimis optior, was leicht durch eine Art Dittographie aus
jenem entstanden sein kann.
i
Zur Kritik und BrklSrong tod L. Apuleius etc. 179
Gerecht ist es, heisst es c. 8» p. 230, dass im Staate das Gute
9tets gefördert, das Schlechte aber mit seinen Trägern unterdrückt
werde: quod facilius obtinebitur, si duobus exemplis instruamur:
unius diTini et tranquilli et beati, alterius irreligiös! et inhumani ac
merito intestabilis, ut pessiroo quidem alienus et aversus a recta
Tivendi ratione facultates suas dirino illi (Handschr. illo) et coelesti
bonus si melior esse Telit. Dass si melior aus simih'or entstanden und
in Beziehung auf facultates suas mit Oudendorp similiores esse zu
schreiben sei, dürfte wohl kaum bezweifelt werden. Allein der Ge-
danke, den dann Oudendorp, Hildebrand u. A. darin finden, die Bei-
spiele des Guten und Schlechten wurden aufgestellt, damit der Gute
dem Guten, der Schlechte deVn Schlechten nachzukommen strebe, ist
jedesfalls etwas sonderbar, da doch die Beispiele des Schlechten nur
aufgestellt werden um abzuschrecken, nicht aber um den Schlechten
ein Muster vorzuhalten, dem sie nachzueifern haben. Ich glaube
daher, dass das a vor recta nur Ton einem Abschreiber wegen des
Torhergehenden aversus hinzugesetzt sei, dass also dasselbe zu
streichen und pessimo mit alienus et aversus verbunden werden
müsse; denn jene Beispiele werden aufgestellt, damit der Gute dem
Schlechten abhold und dadurch abgeschreckt durch eine richtige
Lebensweise sein geistiges Vermögen jenem gottlichen und himm-
lischen Vorbilde ähnlicher zu machen bestrebt sei. Vergl. noch den
Anfang des c. 1 1, p. 236.
Der Schluss dieses Capitels über die Staatswissenschaft ist in den
Ausgaben durch mangelhafte Interpunction ganz unverstandlich. Ich
ordne mir den Satz also: civilitatem vero, quam ;roXerexi^v vocat, ita vult
a nobis intelligi, ut eam esse ex virtutum numero sentiamus, nee solum
agentem atque in ipsis administrationibus rerum : spectari ab ea universa
atque discerni; nee solum providentiam prodesse civüibus rebus, sed
omnem sensum eins atque propositum fortunatum et beatum Btatum
faeere civitati, wenn nicht etwa, was mir noch wahrscheinlicher
Torkommt, spectari zum vorhergehenden Satz gehört , und vor ab
«a ein oder zwei Worte z. B. verum provideri ausgefallen sind.
Im 9. Capitel ist ein Irrthum des Ap. zu verzeichnen, den ich
nirgends bemerkt finde. Er lässt nämlich Plato der Kochkunst die
Sophistik und der Putzkunst die Rhetorik gegenüberstellen, während
derselbe Gorg. p. 464 B IT. umgekehrt der Kochkunst die Rhetorik
und der Putzkunst die Sophistik entgegenhält.
12*
180 Goldbaeber
Sehr verdorben ist die erste Hfilfte des 12. Capitelsp. 237 cor*
porum saiiitatem, vires, indolentiam ceteraque eius bona cxtraria,
item divitias et cetera, quae fortunae commoda dueimus, ea non sim-
pliciter bona nuncupanda sunt, nam si quis ea possidens usa se
abdicet, ea iili inutilia erunt; si quis autem eius usum converterit ad
malas artes, ea ilii etiam noxia videbuntur; si quis autem iis abutitur
vitiisque subiectus erit, qui ea possidet» haberi haec etiam obit unde
eolligitur simplieiter bona haec dici non oportere, ut etiam ea, quae
sunt roorbosa quae pauperiem ceteraque existimari oportet Dass in
eius bona das eius sich auf corporum bezieht und unten bei eins
usum zu eius ebenfalls ziemlich gewaltsam fortunae herabbezogen
werden muss, kann noch ertriglich erscheinen; auch die AccusatiTe:
sanitatem etc. neben nuncupanda sunt lassen sich dadurch erklaren,
dass sie sich an ducimus angeschlossen haben (urbem quam statoo,
vestra est Verg. Aen. I, 573); werden sie ja doch auch durch ea
nochmals aufgenommen. Vor allem aber verlangt der Satz si quis
autem iis abutitur vitiisque subiectus erit, qui ea possidet, haberi
haec etiam obit unsere Aufmerksamkeit. Für abutitur und obit schreibt
Hildebrand abutetur und oberit Dadurch ist zwar die Concinnität
des Satzes leicht hergestellt und ein leidlicher Sinn gewonnen, allein
erregt schon die Wiederholung des si quis autem unsern Verdacht,
so können wir es uns auch nicht verbergeui dass dieser ganze Satz
gar nichts Neues bringt, sondern nur die platteste Wiederholung des
Vorausgehenden ist. Bedenkt man nun noch, dass man dem ganzen
Zusammenhange nach einen dritten Fall hier durchaus nicht erwartet,
und diese Worte nicht nur ohne Nachtheil ganz wegfallen können,
sondern die Darstellung dadurch nur gewinnt, so liegt die Vermu-
thung einiger Erklärer sehr nahe, dass wir es mit nichts anderem
als einem verstfimmelten Glossem zu thun haben. — Das Folgende ist
lückenhaft; für morbosa quae muss ohne Zweifel morbos atque ge-
schrieben werden; im übrigen mag folgende Ei^anzung wenigstens
dem Sinne der Stelle angemessen sein: unde eolligitur simplieiter
bona haec dici non oportere, ut etiam ea, quae sunt contraria,
morbos atque pauperiem ceteraque haud simplieiter mala
existimari oportet
nam qui tenuis est, fahrt Ap. fort si modificetur in snmtibas,
nullam noxam ex eo sentiet et qui recte pauperie sua utitur, non
solum nihil capiet incomroodi^ verum ad toUenda cetera melioratum
Zur Kritik und Erklirung von L. Apuleias etc. 181
praestantior fiet. Für melioratum schreibe melior ac tum (d. i. si
sustulerit cetera) Mtüchtiget- fQr die Beseitigung der übrigen Fehler
und sodann Yollkommener^. Vergl. unten c. 1 4, p. 240 meliores
praestantioresque.
Dieser ganze Abschnitt über das an und fiir sich Gute und das
an und für sich Schlechte und das, was weder absolut gut noch ab-
solut schlecht isty sondern bedingungsweise sowohl gut als auch
schlecht sein kann, schliesst mit den Worten non solum ritia volun*
täte accidere animis et venire corporibus, sed esse medium quemdam
statum, qualis est, cum abest tristitia nee tarnen laetitiam adesse
sentimus. Dies ist durchaus nicht so klar, dassalle Erklarer darüber
mit Stillschweigen hStten hinweggehen sollen. So wie die Gemüths-
stimmung nicht gerade immer im Affecte der Freude oder derTrauer
sein rouss, so gebe es, sagt Ap.» auch für die moralische Stimmung
einen medius status, der die Mitte hSIt zwischen Tugend und* Laster
{vergl. unten c. 19, p. 246 und 247). Neben vitia ist daher dem
laetitiam entsprechend unbedingt auch virtutes erfordert und da
Toluntate hier nicht nur überflüssig, sondern auch stdrend ist, so
zweifle ich nicht, dass dafür vel virtutes zu setzen sei.
Am Schlüsse des 14. Capitels p. 240 ist weder eine Änderung
noch die gezwungene Erklärung Hildebrands nöthig, sondern man
interpungire nur: est amoris tertia species, quam diximus mediam,
divini atque terreni ppoiimitate collectus nexuque et consortio parili
copulatus; et ut rationis propinquus est divinus ille, ita terrenus ille
«npidini iunctus est voluptatis; denn amoris species . . . collectus
... copulatus ist nicht auffallender als andere Constructionen
nach dem Sinne.
Mit dem 15. Capitel kommt Ap. auf Plato*s Kritik der vier
schlechten Staatsverfassungen, derTimokratie, Oligarchie, Demokratie
und Tyrannis, die eben so vielen verkehrten Richtungen der mensch-
lichen Seele entsprechen (Plato de rep. I. VIII.) : quapropter Vitium
illnd primum mentibus evenit, cum vigor rationis elanguerit supe-
riorque etrobustior fuerit animae portio,in qua ira dominatur. et quae
Shyapx^^ dicitur, ea sie nascitur, cum propter pessimum pastum eius
partis animae, quae ex cupiditatibus constat, non solum rationabilis
et irascentiae loca possidentur sed etiam eius, quae non necessaria
cupidipe sunt. Die Richtigkeit von et quae öXiyapy^ioi dicitur lasst
sich nicht verbürgen; ich habe es daher nur in Ermangelung jeder
182 Gol4bacber
anderen handschriftlichen Angabe aus dem Cod. Bd. mit Hildebrand
aufgenommen, in dessen Ausgabe aber dieser Satz unbegreiflicher
Weise an das Vorhergehende angeschlossen ist — Die Worte sed
etiam eins, quae non necessaria cupidine sunt sind verderbt, und die
Vulgata: non necessarias cupidines aeuunt nur eine Conjectur. Vor
allem handelt es sich um den Sinn der Stelle, den Hildebrand, indem
er die non necessaria cupido als effrenata pecuniae cupido auflfasste,
nicht verstandep hat. Das Wesen der oligarcbischenStaatsTerfassung
rergleicht Plato de rep. VIII. p. 660 C ff. mit dem Zustande des ctimp^
mm
fikoyup-hyiOiTQ^. Dieser entsteht, wenn durch ein Überwuchern des
dritten Theiles der Seele, des ijri^jxisnxöv, nicht nur die beiden
ersten Theile, das Xoycorcxöv und ^fiocidi^, unterliegen, sondern
selbst in diesem dritten Theile von der Habsucht alle andern nicht
unumgänglich nothwendigen Begierden unterjocht werden. OOxcOv
irpcorow }kiv ro» YjpriiMfra ntpi «Xtlarou nouXa^c^t ofioioc &v ^h
(d. i. 6 6hyap)(^Lx6g) ,* IIco^ d' oö ; Kai /x^v r^ 7e fnitald^ tivai xal
ipydro^^ ra^ dvayxaiou^ Im^vikia^ jx6vov röDv nap a6r^ dTtontiuAdg^
rd ii SXka ovaXcüfAara fi^ ;rapc)^6(Mvo^, dXXd ^oulovfuvo^ räc oAxa^
im^lLla^ (b^ juiaracouc (de rep. VIIL p. KK4 A). Es unterliegt
keinem Zweifel, dass wir denselben Gedanken an obiger Stelle des
Ap. zu suchen haben, und können ihn wohl am einfachsten erreichen^
wenn wir schreiben : sed etiam eins, quae non necessariae cupidines
sunt d. i. sed etiam eins cupidines illae, quae non necessariae sunt
— In den Schlussworten hunc palam Plato lucricupidinero atque
accipitrem pecuniae nominavit ist palam schon Ton den jüngeren
Handschr. richtig in talem geändert, da hie talis eine bei Ap. sehr
beliebte Verbindung ist; vergl. in unserer Schrift im folgenden
Capitel p. 242; c. 20, p. 248; c. 27, p. 261 u. a.
Von der Demokratie und Tyrannis heisst es ferner: qualitas
popularis exsistit, cum indulgentia cupidines laboratae non solum
iustis desideriis exardescunt, sed bis etiam quasi (nach Oudendorp;
F| ?) obviae atque occursantes et illam consiliariam et illam alteram
iratiorem animam condicionibus suis presserunt (Fi presseriat);
tyrannidis tenus ex luxuriosa et plena libidinis vita, quae ex in6oitis
et diversis et illicitis voluptatibus conflata mente tota dominatur. Die
Erklärungsversuche von cupidines laboratae bedürfen keiner Wider-
legung; laboratae ist in roboratae zu ändern, so wie es unten c 28,
p. 262 in ganz ähnlicher Weise popularis factio roboratur heisst ;
Zur Kritik ond Erkliruog voo L. Apoleius etc. 183
auch Plato sagt, wo er Ton der Entstehung der Demokratie aus der
Oligarehie spricht« de rep. VIII. p. 860 A a&i^ec di, orjuiai, rc3v
htnsaovad^v ijrc^ujuiccov akXai . OTcorpcyöjuicvac ^vyytveig SC cevcn:e-
CTTsfuoaOviov rpoytj^ narpd^ noXkai re xai ^tf^upat i7^ovTO. — An
tyrannidis tenus ex luxuriosa et plena libidinis vita ist viel berum-
eonjicirt worden, während man die unzweifelhaft richtige Vermuthung
des Vulcanius: genus fflr tenus fibergangen hat; als Verbum ist
exsistit herabzubeziehen; vergl. c. 28, p. 262 ultimum (genus est)
dominationis tyrannicae.
Was man alles erklären zu können glaubt, insbesondere bei
einem Schriftsteiler wie Ap., das zeigen die Bemerkungen des
Oudendorp und Hildebrand zu c. 16, p. 242 quae secundum naturam
sunt, wo secundum nichts weniger als in der Bedeutung von contra
stehen soll, das an dieser Stelle durchaus nothwendig ist Dass contra
in den Handschriften mit secundum verwechselt wird, habe ich
schon zu de deo Socratis p. 145 (Zeitsehr. f. d. österr. Gymn.
1868. XL Heft S. 816) bemerkt.
Am homo pessimus, von dem Ap. im 16. 17. und 18. Capitel
spricht, ist Alles schlecht ; so ist auch seine Liebe durch und durch
verdorben nicht nur wegen ihrer unersättlichen Leidenschaftlichkeit
sed quod etiam formae iudicio irrationabili errore distrahitur igno-
rans veram pulcritudinem et corporis effoetam et enervem et fluxam
cutem deamans, nee saltem coloratos sole aut exercitatione solidatos
et opacos umbra vel desidia molles, sed cura nimia medullatos artus
magni facit. Das artus opacos umbra erklärt Oudendorp falsch
mit pingues et obesos und Hildebrand mit molles ac delicatos,
während doch der Gegensatz coloratos sole deutlich genug erkennen
lasst, Ap. habe damit die fahle Hautfarbe derjenigen bezeichnen
wollen, welche besonders in Städten im Schatten häuslicher Be-
schäftigung oder ruhiger Müsse ihr Leben zubringen, denn qui in
solem venit, licet non in hoc venerit, colorabitur. Sen. ep. mor.
I. XVIII, S (108), 4; vergl. Cic. de or. II, 14, 60 und Quint.
inst. or. V, 10, 81. — Dass femer für medullatos mit Oudendorp
emedullatos zu schreiben sei, ist gewiss. Ob es aber für et opacos,
wie Bosscha und Hildebrand wollen, sed opacos heissen müsse, lasse
ich dahin gestellt sein: nicht die Frische gut gefärbter, durch körper-
liehe Arbeit gekräftigter Glieder, noch der Reiz bleicher und zarter
.wj
184 Goldbacher
Gestalten sei nach dem Geschmacke solcher Leute, sondern nur die
Weichlichkeit entnervter Körper.
Unrecht thun ist schlimmer als Unrecht leiden, das Schlimmste
aber ist, wenn man Unrecht gethan hat, nicht bestraft zu werden:
graTiusque et acerbius est omni supplieio, si noxio impunitas de-
feratur nee hominum interim animadversione plectatur, sicut gra-
vius est acerbissimorum morborum carere medicina» medentes
f allere, nee uri aut secari eas partes, quarum dolore ineolumitati
residuarum partium consulatur (c. 17, p. 244). Ganz rerkehrt
hat diese Stelle, deren Quelle Plato Gorg. p. 474 ff. ist, Hilde-
brand aufgefasst» indem er carere in carentes ändert und dann
den Sinn mit folgenden Worten wiedergibt: grarius est, a me*
dentibus, qui acerbissimorum morborum medicina careant, faili sc.
aegrotos. Nicht das wird hier als das Schlimmere bezeichnet, dass
Ärzte bei unheilbaren Krankheiten, wogegen sie kein Mittel wissen,
die Kranken täuschen und sich hüten dem Übel entgegenzutreten,
weil sie es dadurch nur verlängern — davon handelt der Anfang
des folgenden Capitels — , sondern Ap. sagt, schlimmer als jede
Strafe sei Straflosigkeit» so wie es auch schlimmer sei, wenn kör-
perlich Kranke nicht geheilt werden, dem Arzte zu entgehen suchen,
die krankhaften Theile weder brennen noch schneiden lassen.
Eine Änderung dieser Stelle ist daher ganz unnothig» auch die,
welche Oudendorp vorschlägt sie vi gravius est; denn die Angabe
des Gegenstandes der Vergleichung, der dem obigen omni suppli-
0
cio entspräche, ist hier überflüssig, da sich derselbe aus dem
Zusammenhange leicht ergänzen lässt (quam non carere medicina,
medentes non fallere etc.).
c. 18, p. 246 virum pessimum non solum deteriorem etiam
esse dicebat, quod distrahatur semper editione vitiorum et, si de-
siderium aestibus differtur, qui quanto plurium cupidior sit, tanto
egentior sibimet et propterea aliis videri potest. Das non solom
• . . etiam und die folgenden Sätze, welche beweisen, dass der
Schlechte auch zugleich unglücklieh sein müsse (s. Plat. de rep.
p. 876 C ap' o5v, ijv J'iycü, i'c äv yafvifjTat jrowjpöraro^, xat cL^Xic*-
rarc^ yavi^<7€rat ;), zwingen uns anzunehmen, dass hinter deteriOTem
etwa sed miseriorem ausgefallen sei. Qui hingegen scheint bloss
durch Dittographie aus quanto entstanden zu sein und ist daher
zu entfernen.
Zur Kritik und Erklirong- von L. Apuleius etc. 1 85
c. 19, p. 247, wo Ap. auf die homines medie moratos zu
sprechen kommt, d. h. auf die grosse Zahl derjenigen, die weder
plane optimi, noch oppi^o deterrimi sind, wird durch eine richtigere
Interpunction geholfen werden können. Ich setze die Steile her, wie
ich mir dieselbe zurecht gelegt habe: herum (d. i. medie moratorum)
Titia nee gravata nee intempestiva sunt aut nimium criminosa,
quorum (d. i. vitiorum) substantia est ex redundantia vel defectu.
quibus et approbationis integritas et modus est et, qui (=» cum ii)
inter laudem vituperationemque mediam viam vadant, usque rerum
cappessendarum eiusmodi studio excitantur, ut nunc boni atque
honesti eos ratione invitent, nunc inhonesta lucra et turpes illiciant
Yoluptates.
c. 20 bis 23 handeln vom Tollendeten Weisen. Das erste dieser
Capitel beginnt: perfecte sapientem esse non posse dicit Plato, nisi
ceteris ingenio praestet, artibus et prudentiae partibus absolutus
atque iis iam tum a puero imbutus, factis congnientibus et dictis
assuetus, purgata et eifaecata animi voluptate, eiectis ex animo hinc
abstinentia atque patientia obque doctrinas ex rerum scientia eloquen-
tiaque venientibus. So F^ ; für obque doctrinas haben bis auf den
Cod. Voss, (obque doctrinis) alle anderen Handschr. in dem vielfach
wahrzunehmenden Bestreben wenigstens äüsserlich einen Zusammen-
bang herzustellen atque doctrinis. Dazu hat noch Floridus eiectis in
eiectis verändert, und so lesen wir die Stelle seitdem in allen Aus-
gaben. Betrachten wir aber die Überlieferung des F^ genauer, so
werden wir uns bald überzeugen, dass wir nicht irre gehen, wenn
wir auch hier, wie wir es so oft in dieser Schrift zu thun gezwungen
sind, eine Lücke annehmen. Denn da es im Folgenden heisst: tum
post hoc vitiis exciusis insertisque et immissis Omnibus,
quae ad beatam vitam fuerint, non ex aliis pendere nee ab aliis
deferri sibi posse sed in sua manu esse sapiens recte putat, so mochte
eine Änderung von eiectis gegenüber dem venientibus sehr gewagt
erscheinen. Auch hinc deutet auf eine Lücke hinter ex animo, da das
entsprechende Glieds welches wohl zugleich Object zu eiectis sein
niuss, fehlt. Ferner ist an obque doctrinas festzuhalten und daher
auch nach patientia etwas zu ergänzen. Ich denke mir den Satz etwa
so: eiectis ex animo hinc üb idine et impatientia, illinc (od.
hinc) abstinentia atque patientia ob prudentiam obque doctrinas
ex rerum sciientia eloquentiaque venientibus.
1 86 Goidbacber
c. 21, p. 250 divitem hunc solum quidem recte patat (d. i.
sapientero), quippe cum thesauris omoibus pretioaiores solus ▼ideatur
possidere virtutum opes. etiam quas quod, solus sapiens potest in
usibus necessariis regere, videri ditissimus debet Durch eine ein-
fache Umstellung von etiam quas in quas etiam lisst sich die Stelle
herstellen; nur ist quas auf opes überhaupt, nicht blos auf virtatim
opes zu beziehen. Solus Yor sapiens haben alle übrigen Haadsehr.;
ich habe es daher in den Text gesetzt, weil ich vermuthe, dass es
dem Excerptor des F^ nur durch ein Versehen entfallen ist
c. 22, p. 2S1 iure igitur putandum est, cum, qui sit gnanis
bonorum, cupidum quoque eiusmodi rerum esse; is enim soJus boois
desideriis accenditur, qui bonum illud oculis animi videt, hoc esse
sapientem. istud Yero quoniam est ignarus, osor quoque nee amicus
▼irtutum sit necesse est. Alle Guten oder Weisen, hörten wir im An-
fange dieses Capitels, sind untereinander bekannt und befreundet;
die Triebfeder dieser Freundschaft ist die Weisheit; körpeiiicbe
Schönheit oder Hässlichkeit hat da keinen Einfluss. Wer nun in diesen
Kreis gebort (gnarus bonorum), der werde auch nach Dingen streben,
die demselben angemessen sind (eiusmodi rerum) d. i. nach guten,
denn nur wer jenes Gute d. i. den Weisen vor Augen hat, werde
auch entflammt von edlen Begierden ; wer hingegen den Guten nicht
kennt, der muss auch ein Feind der Tugenden sein. Dies scheint der
Gedanke der verderbten Stelle zu sein. Statt hoc esse sapientem
wird es daher wohl hoc est sapientem heissen müssen. Schlimmer
steht es mit dem Folgenden. Sollte in quoniam nicht qui boni stecken?
Für istud musste dann natürlich iste geschrieben werden. An Klarheit
würde die Darstellung gewiss auch gewinnen durch die unbedeutende
Änderung von bonum illud in bonum illum.
Der Anfang des folgenden Capitels über die Gottäbnlichkeit des
Weisen lautet seit der zweiten Ausgabe des Vulcanius, mit der Lin-
denbrog seine Collation des Flor. Cod. gemacht hat : sapientiae finis
est, ut ad dei meritum sapiens provehatur; so stehe es im Cod. Vosa.
und Bd. ; für ad dei meritum wird als Variante des jF\ dei merito an-
geführt ohne bestimmte Angabe, ob ad sich dort finde oder fehle.
Das Verhältniss der Handschr. berechtigt uns aber zur Annahme,
dass jene Leseart nur ein Correctionsversuch der Florentiner Huid-
Schrift sei, wie wir es so oft schon gefunden haben, und dass daher
auch in dieser ad dei merito stehe, in welchem Falle wohl derAusMl
Zur Kritik und Rrklirung von L. Apnleios etc. IST
von similitudinem oder imaginem zwischen dei und merito das Wahr-
scheinlicbste ist. — Ich fuge noch gleich hinzu» dass einige Zeilen
unterhalb in quippe perpetuum naeh quippe im Flor. Cod. cum
ausgefallen ist» wofür dann die spSteren Handschr. perpetuum in cum
geändert haben.
In demselben Capitel pl 2K3 betrachtet Ap. das Glück des
Weisen von zwei Seiten : una quidem beatitudo est, cum ingenii
nostri praesentia tutamur, quae perficimus ; alia, cum ad perfectionem
Yitae nihil deest, atque ipsa sumus contemplatione contenti. utrarum-
que autem felicitatum origo ex Yirtute manat, et ad ornamentum qui-
dem genialis loci ycI virtutis nullis extrinsecus eorum, quae bona
dueimus, adminiculis indigemus. Von den Erklärungen des Ausdruckes
genialis loci, das Floridus mit patria, Bosscha mit locus, in quo genius
s. Ingenium s. animus residet, wiedergibt, verdient erstere gar nicht
in Betracht gezogen zu werden, gegen letztere aber genügt die Be-
merkung, dass sich genialia in einer solchen oder auch nur Shnlichen
Bedeutung nicht nachweisen lasst. Da läge nun die Conjectur des
Lipsius : ingenialis loci nahe, da ja der Ausfall des in durch das vor-
hergehende m sich leicht erklären liesse ; allein ingenialis ist ohne
allen Beleg, und abgesehen davon ist loci hier überhaupt gar nicht zu
brauchen. Gewiss sind also beide Worte verderbt. Da nun nach
sokratisch-stoischen Grundsätzen, denen Ap. hier huldigt, das Glück
des Menschen einzig und allein auf seiner Tugend beruht, ohne
dass er dazu der Stütze der äusseren Güter bedarf, so ist vor vel
virtutis ein mit diesem identischer Begriff zu erwarten. Mit der
Tugend identisch ist aber den Sokratikern das Wissen, denn sie
ist die praktische Bethätigung desselben, die bei der vorausge-
setzten Einheit von Wissen und Wollen nie ausbleiben kann. Ich
vermuthe daher ingenii actuosi (s. oben : ingenii nostri praesentia
und Cic. de nat. deor. I, 40, HO virtus enim actuosa).
Gleich darauf lesen wir : non solum autem oportet, dum vitam
colit, digna discere nee ea agere, quae eorum maiestati displiceant,
verum et tune, cum corpus relinquit. Das eorum fordert ein voraus-
gehendes diis, weshalb Stewechius: digna dis dicere, Hildebrand:
digna dis discere schrieb. Zu agere stimmt jedesfalls dicere besser,
abgesehen davon, dass discere auch zu tunc, cum corpus relinquit
weniger passt. Wäre aber nicht digna dis scire sowohl paläogra-
pbisch, als auch des Sinnes wegen vorzuziehen, indem dadurch das
188 Goidbacher
theoretische Wissen der praktischen Thätigkeit entgegengestelH
wurde? Vergl. oben: unde non solum in perspectandi cognitioDe
verum etiam agendi opera sequi eum conTenit, quae düs atque homi-
nibus sint probata *).
nam etsi in eius manu est, heisst es p. 254 weiter, mortis
facultas, quamvis sciat se terrenis relictis consecuturum esse meliora.
nisi necessario perpetiendum esse istud lex divina decreverit, accersire
sibi tarnen eum mortem eius et si anteactae ritae ornamenta cobone-
stant, honestiorem (F^ unrichtig honestior) tarnen et rumoris secondi
oportet esse, cum securus de posteritatis suae vita ad immortalitatein
animam ire permittit. eam, quod pie rixerit, praecipit fortunatorum
habituram (F| fehlerhaft habiturum) loca, deorum choreis semideum-
que permixtam. Für mortem eius haben jQngere Handschriften
mortem non debere, was offenbar nur ein gewaltsamer Versuch ist,
in die verderbte Stelle einen Zusammenhang zu bringen. Die Unza-
Iftssigkeit des Selbstmordes flr den Weisen ist hier zuerst negatir,
dann positiv ausgesprochen. Das s des vorhergehenden eius wird
daher wohl dem et zurückgegeben und sed geschrieben werden
müssen. In eiu aber vermuthe ich mit Hildebrand ein Verbum; jener
rftth auf vitat, ich filnde renuit angemessener (vergl. Metam. Hl, 9,
1 89). Dabei kann natürlich accersire sibi tamen eum, das auch durch
seine Wortstellung auflfSlIig ist, nicht stehen bleiben. SoHte es nicht
accersire spontaneam mortem oder accersire sibi spontaneam mortem
heissen?
Von c. 24 an spricht Ap. von Plato*s Staat, wie er in dessen
Republik und den Gesetzen uns entgegentritt.
iam principio, heisst es p. 285, civitatis formam definit ad hunc
modum : civitatem esse coniunctam inter se hominum piurimonim, in
quibus sint regentes alii, alii citeriores (so Stewechius ; F^ regentes
alii ceteriores), coniuncti inter se concordia et invicem sibi opem
atque auxilium deferentes, iisdem legibus, rectis tamen offieia sua
temperantes, unamque civitatem iisdem moenibus illam futoram et
eadem volle atque eadem noUe incolarum mentes assueverint. Statt
coniunctam, wofür die schlechteren Handschriften coniunctionefo
haben» schreibt Hildebrand coniunctum und verweist auf Varro de
ling. lat. 10, 1^4 sie bfgae sie quadrigae a coniunctu dictae; das vor-
') Vahlen: digna dis gerere (ger*e).
Zur Kritik und ErJilärang von L. Apuleius etc. 1 SO
hergehende ciTitatem habe den Irrthum veranlasst. Allein so einfach
auch diese Änderung ist, so wagen wir es doch nicht derselben bei*
zustimmen, weil das Wort selbst an und für sich schon nicht ganz
unbedenklich ist, und auch das folgende coniuncti inter se dasselbe
hier unwahrscheinlich macht. Zudem lautet die Stelle Plato*s. worauf
sich Ap. beruft, de rep. IL p. 369 C our<ü Sii &p» Ttapakafißdvtav
aAAog äXkov inr'aXXou, rdv d' in^ äXXov yuptiq^noXXCiv dcöjxcvoe, ;roXAoO^
iig jxcav wxviotv dysipavr&g Mtvtfivodg r< xai ßoti^oCtg^ raCrg ro
^uvoixiq: iäii^eJia noXiv SvoiLOL. Vergleichen wir nun noch Cic. de
off. III, 0,21 nam principiotollit convictum huroanumet societatem,
so liegt der Gedanke sehr nahe, dass Ap. das platonische ^vvoexea
mit convictus wiedergegeben habe« — Weiter unten ist auch et
eadem fehlerhaft. Floridus und mit ihm Oudeudorp schreiben et si
eadem, Hildebrand ut (concessiv) eadem. Richtiger wird wohl si et
eadem sein. Über den Wegfall von si vor oder nach m s. meine Anzeige
derKrügerschen Apologie osterr. Gymn. Zeitschr. 1867 S.41 und 42.
Bald darauflesen wir: magnam sane civitatem non (non fehlt
im F^} habitantium muUitudine eorumque magis viribus uti oportet
vires enim non corporis nee pecuniae collectam dominatione multorum
aestimandam putat cum vecordia impotentiaque, sed cum decreto
communi virtutibus omnibus ornati viri et omnes iaeolae fuodati
legibus obsequuntur. So F|. Dagegen wird in den übrigen Handschr.,
denen auch die Herausgeber bisher gefolgt sind, der Satz so über-
liefert: vires enim non corporis nee pecuniae coUectas dominationi
(einige noch dominatione) multorum existimandas(theiisaestimandas)
putat cum vecordia impotentiaque, sed cum decreto communi virtu-
tibus omnibus ornati viri incolae et omnes fundati legibus obsequun-
tur. Wie sich die Erklärer damit zurecht gefunden haben, weiss ich
nicht, da keiner derselben für das Verständniss der Stelle etwas be-
merkt hat Mir ist die Sache in der vorliegenden Gestalt unerklärbar,
und dass es dem französischen Übersetzer nicht anders ergangen sei,
schliesse ich aus seiner Übersetzung: car les forees du corps et la
puissance des richesses appliqu^es au commandement d* une multi-
tude ne m^ritent aucune estime lorsque c*est le d^sordre et le despo-
tisme qui en d^terminent Temploi. U faut que les plus ^clairds d'une
part et de Tautre, tous les citoyens prot^g^s par la loi ob^issent
k un pacte commun. Allein selbst wenn die Leseart der jüngeren
Handschriften klar wäre und einen geeigneten Sinn böte, so mQsste
190 Goldbftcber
doch der Kritiker auf die Überlieferung des f , zurückgehen. Wir
werden sehen, dass aus derselben durch Beseitigung dreier kleiofr.
leicht begreiflicher Fehler die ursprflngiiche Form sich wird her-
stellen lassen. Die Leseart collectam und aestimandam zeigt uns
nämlich, dass f&r doroinatione zu schreiben sei: dominationem, das
sein m durch das folgende muitorum verloren hat; pecuniae ist durch
den vorhergehenden Genetiv corporis aus pecunia entstanden : bessern
wir endlich noch nach Massgabe des Gegensatzes sed cum deereto
communiden auf einem MissverstSndnisse von cum beruhenden Fehler
cum vecordia impotentiaque, so lautet es: vires enim non corporis
nee pecunia collectam dominationem muitorum aestimandam putat,
cum vecordiae impotentiaeque, sed cum deereto communi virtutibus
Omnibus ornati viri et omnes incolae fundati legibus obsequuntur.
Die Leseart der spftteren Handschriften ist offenbar ein Emendations-
versuch, denn nachdem dominationem in dominatione corrumpirt war,
hatten collectam und aestimandam ihre Beziehung verloren und wurden
daher an vires angeschlossen, während dominatione in den Dativus
des Interesses öbergiug. Ich habe mich an dieser Stelle länger auf-
gehalten, als es vielleicht die Herstellung derselben zu erfordern
schien, weil sie besonders belehrend ist für das Yerhältniss der Hand-
schriften zu einander und uns einen klarc^u Einblick gewährt, wie oft
von geringen Versehen der Stammhandschrift ausgehend durch un-
glackliche Correcturen der Text allmfthlig immer mehr und mehr
zerrfittet wurde.
c. 26, p. 2K8 lesen wir, nachdem von der Ehe die Rede war»
über die Erziehung der Kinder: et qui de talibus nuptiis erunt orti,
studiis congruentibus imbuentur et optimis discipiinis communi prae-
ceptorum magisterio docebuntur non virile secus modo verum etiam
feminarum, quas vult Plato omnibus partibus, quae proprie virorum
putantur, coniungendas esse bellicis eis ; quippe utriusque cum natura
una sit, eandem esse virtutem. eiusmodi civitatem nullis extrinsecus
latis legibus indigere; regiam quippe prudentiam (so wenigstens die
Codd. Voss. Vulc. Bd.; in den übrigen Handschriften regia qaippe
prudentia ; F^ ist nicht ausdrucklich erwähnt) et eiusmodi instituti^
ac moribus, quibus dictum est (?) fundata ceteras leges non requirat
Für bellicis eis haben schlechtere Handschr. bellicis etiam, was gewiss
nur eineCorrectur ist. Eis halte ich für nichts anderes als eineDitto-
graphie der Silbe eis und möchte daher den Ausfall eines quoqui^
Zur Kritik und Erkifirung von L. Apateius etc. 191
vor quippe annehmen, wenn nicht dieser nachhinkende Beisatz be-
sonders seiner Stellung wegen den Verdacht erweckte, es sei eine
blosse Glosse ^). Dasselbe hat unten Ton dictum est schon Oudendorp
yennuthet, da es sich in drei der besseren Codd., dem Voss. Vulc.
und Bd., nicht finde; über den F^ liegt in dieser Beziehung keine
directe Angabe vor, und das Schweigen des Lindenbrog kann uns
keine hinreichende Gewähr sein, dass es dort stehe. Nicht besser
sind wir unterrichtet über regiam quippe prudentiam oder regia
quippe prudentia. Ersteres bieten die oben genannten drei Hand-
schriften, die sonst zunächst mit F^ übereinstimmen. Regiam änderte
Oudendorp treifend in regi eam; doch stimme ich ihm nicht bei, wenn
er vor prudentiam ein per einsetzt, sondern glaube vielmehr dass
analog den folgenden Ablativis prudentia zu schreiben sei, und stelle
mir den Gang des Verderbnisses so vor : regi eam quippe prudentia
wurde zuerst in regiam quippe prudentia verderbt, woraus dann, je
nachdem man das regiam dem prudentia oder prudentia dem regiam
anpasste, theils regiam quippe prudentiam, theils regia quippe pru-
dentia entstanden ist; letzteres können auch die folgenden Ablative
hervorgerufen haben. Ist nun unsere sonst durchgehends erprobte
Theorie, dass alle Handschriften auf F| zurückgehen, richtig, so muss
es dort regiam quippe prudentia oder regiam quippe prudentiam
heissen, da sonst die Entstehung des Accusatives kaum erklärlich
wäre.
Von Plato*s Republik geht Ap. c. 26 auf dessen Gesetze über :
est et alia optima quidem et satis iusta et ipsa quidem specie et
dicis causa civitas fabricata, non ut superior sine evidenti, sed iam
cum aliqua substantia. Die Erklärer wägen ab, ob für evidenti mit
Wowerus eridentia zu schreiben sei, oder ob evidenti für sich als
Neutrum substantivisch gebraucht sein könne. Liegt es jedoch nicht
riel näher, dasselbe als Adjectiv mit substantia zu verbinden?
Gegen Ende dieses Capitels heisst es p. 260 von der Erziehung:
instituendos vero eos esse, utcunque parentes nee ita sexus esse
stratus censuerint civitatis. Elmenhorst hat diese folia Sibyllae, wie
er dergleichen Stellen zu nennen pflegt, bis auf instituendos vero eos
*) Vahien jedoch ohne Zweifel richtig: conitto^endas esse vel bellicis. eis quippe,
ntriasque cum netari üb» sit, esndem esse Tirtotem.
192 Goldbacher, Zur Kritik und Erklirunfp tob L. Apnleias ete.
esse« utcunque parentes censuerint zugestutzt, und ihm sind die Her-
ausgeber bis auf Bosscha gefolgt. Oudendorp yermuthet utcunqoe
parentes nee uti magistratus eenauerint civitatis und Hilde-
brand utcunque parentes nee uti sibi ins esse magistratos
censuerint civitatis» setzt aber selbst hinzu: quantum autem a vero
absim» ipse sentio. Und er hat Recht Denn vor allem geht er nnd
sämmtliche Erklärer von der falschen Anschauung aus, als hätte Plato
in den Gesetzen im Gegensatze zum Staate die Erziehung den
Eltern anheim gestellt Sagt ja doch Ap. selbst im Anfange dieses
Capitels in hac equidem easdem puerorum nutricationes» easdem
vult esse artium disciplinas. Von dem Grundsatze, dass die Er-
ziehung der Jugend ganz in die Hände des Staates und seiner
Obrigkeiten gelegt werden soll, und dass hierin selbst die Verschie-
denheit des Geschlechtes keinen Unterschied machen dürfe» ist
Plato auch in seinen Gesetzen nicht abgewichen (vergl. legg. VL
c. 11 und 12 und VU besonders c. 4, p. 794; VIIL c. 4, p. 833
D und andere). Daraus erhellt» dass vor parentes eine Negation
stehen mfisse, und dass es nicht gerathen sei sexus fallen zu lassen.
Esse mag aus der letzten Silbe des vorhergehenden Wortes und
sed entstanden sein. Die arg verderbte Stelle möchte daher
wenigstens dem Sinne nach richtig lauten utcunque non parentes
nee uti sexus» sed magistratus censuerint civitatis. An dem Zeugma
wird wohl niemand Anstoss nehmen.
Möller, Znr Soffizlebre des indogermfiDitGbeii Verbums. 11. 193
Zur Suffixlehre des indogermanisehen Verbums.
n.
Von Dr. Friedrich Muller,
ProftMor aa der WitAcr Uahr«nitil.
Über die wortbildenden Suffixe des indogermanisehen Verbums
ist bereits von mehreren Sprachforschern geschrieben worden; ich
selbst habe in einem in den Sitzungsberichten der kais. Akademie
der Wissenschaften Band XXXIV abgedruckten Aufsatze» betitelt:
^Zur Suffixlehre des indogermanischen Verbums*' eine von der
gewöhnlichen, auf Bopp und seine engere Schule zurückgehenden
Ansicht abweichende AuiTassung darzulegen und zu begründen ver-
sucht. Wie es scheint, haben meine dort entwickelten Grunde nicht
völlig überzeugt <), sie wurden aber auch bisher nicht widerlegt.
Dies bewegt mich auf die Sache abermals näher einzugehen und im
vorliegenden Aufsatze im Anschlüsse an den Anfangs genannten alles
jenes, was sich zur Vertheidigung meiner Ansicht noch beibringen
lässt, in kurzem zusammenzustellen.
Die älteste Form der verbalen Pronominalsutlixe hat sich
bekanntlich in den beiden Hauptrepräsentanten des asiatischen Zwei-
^) Merkwürdiger Weise trifft meine Auffassong der Suffixe, namentlich ihres Verhalt-
nisaea zu einander, mit jener R. Westphar« in seiner i^Philosophisch-historiachen
Grammatik der deutschen Sprache", Jena 18S9 gegehenen, welche wohl auch die
J. Gildemeiater's und Ch. Lasaen^s (?) ist, ziemlich genau susammen, wenn ich auch
in Betreff der Entstehung der Formen gans anderen Grundsfitzen huldigen muss,
als jener Gelehrte es thut. — Es ist dies für mich ein Beweis, dass die von Bopp
aufgestellte Ansicht über die Personalsuffize des Verbums nicht derart über alle
Zweifel erhaben ist, als es seine orthodoxen Anhänger zu glauben scheinen.
Sitzb. d. phil.>hist. Ol. LXVI. Bd. I. Hft. 13
194 Maller
ges der indogermanischen Sprachen (im Alt-Indischen und im Alt-
Eränischen) und im Griechischen erhalten. Bei der Feststellung der
Urformen dieser Suffixe muss daher auf diese drei Sprachen zurück-
gegangen werden.
Bekanntlich zerfallen in diesen Sprachen die Pronominalsuffixe
vor allem in zwei grosse Gruppen. In der einen Gruppe treffen wir
die Suffixe in einer vocalisch leichteren, in der andern dagegen in
einer schwereren Auslautform an. Die Suffixe der ersten Gruppe be-
zeichnen die Handlung als solche schlechthin (Activum), die Suffixe
der zweiten Gruppe dagegen immer als in einem gewissen Verhalt-
nisse zum handelnden Subject selbst sich befindend (Medium).
Innerhalb dieser beiden Gruppen theilen sich wieder die Suffixe
in zwei Abtheilungen. In der einen Abtheilung finden wir die Suffixe
theils vocalisch schliessend, theils etwas voller als in der anderen,
in der zweiten Abtheilung dagegen theils consonantisch schliessend.
theils den ersteren gegenüber etwas kürzer gebaut. Mit den Suffixen
der ersten Abtheilung bekleiden sich das Präsens» das Futurum
und ursprunglich auch das Perfectum, mit den Suffixen der zweiten
Abtheilung das lAiperfectum, die Aoristbildungen und der Optativ.
über die Charakterlaute dieser Suffixe, die consonantischen Be-
standtheile derselben, nämlich m für die erste, th, dh* s für die
zweite und t für die dritte Person, sowie über den Zusammenhang
derselben mit denPronominal-Stämmen der ersten ^ma-^, der zweiten
Ctva-J und der dritten Person {ta-J herrscht kein Zweifel, darin
stimmen alle Sprachforscher uberein : dagegen gehen in Betreff des
Verhältnisses der verschiedenen Suffix-Beihen zu einander und der
Genesis derselben die Ansichten der Sprachforscher ziemlich weit
auseinander.
Nach der am meisten verbreiteten, auf Bopp zurückgehenden
Ansicht sind die Suffixe des Präsens als die volleren auch als die
ursprünglichen, die Suffixe des Imperfects und des Aorists
dagegen als die kürzeren auch als die secundären, aus den
ersteren abgeschwächten zu betrachten.
Wir k5nnen nicht umhin, gleich hier diese Ansicht für ein u n-
begründetes Dogma zu erklären und zu bestreiten. Wir glaobeo.
dass beide Suffixreihen von einander völlig unabhängig sind, da55
beide aus einer in ihnen noch erkennbaren Urform durch Dif-
Zur SuCfiilehre des indogerroanischen Verbuns. II. 1 9d
fereiizirung sich entwickelt haben; wir glauben dies aus
dem ganz einfachen Grunde, weil jenes wirkende Moment, welches
die lautlichen Veränderungen innerhalb der Suffixe hervorgebracht
haben soll, in der ältesten Form der Sprache uns gar nicht gegeben
erscheint.
Nach der gewohnlichen Ansicht war es das Augment, welches
dadurch, dass es den Ton auf sich zog, eine Verkürzung der Wort-
form im Auslaute bewirkte. Nun aber zeigen gerade die ältesten
Denkmäler der oben genannten drei Sprachen (des Alt-Indischen, des
Alt-Erinischen und des Alt-Griechischen), dass das Augment in
jenen Formen, wo die spätere Sprache es regelmässig zu setzen
pflegt, nicht nur fehlen kann, sondern in der That auch meistens
fehlt. Dieses Fehlen des Augments erklärt sich leicht aus der Natur
desselben; es ist eben kein Element, welches unmittelbar zur Verbal-
form selbst gehört, sondern ein Element, welches dieselbe ähnlich der
Präposition nur determinirt. Erst die spätere Sprache hat dieses
Element, welches die ältere Ausdrucksweise dem Verbum zur näheren
V^erdeutlichung der zeitlichen Anschauung vorsetzte, mit demselben
zu einer Einheit verschmolzen. Und wie die Sprache so oft gewisse
Elemente, welche nicht nothwendig zur Darstellung des Gedanken-
ausdruckes geboren, sondern nur in einer gewissen Periode (jener
des Ringens nach plastischer Vollendung) zur Ausschmückung des
Sprachgebäudes geschaffen werden, später, nachdem der Gedanke
den Sprachstoff zu beherrschen und sich dienstbar zu machen ange-
fangen, als unnützen Ballast wieder über Bord wirft, eben so haben
die meisten der indogermanischen Sprachen (alle, mit Ausnahme des
Altindischen, Erdnischen und Griechischen) das Augment fallen
gelassen. Das Augment kann demnach in der Geschichte der Verbal-
suffixe unmöglich jene wichtige Rolle spielen, welche ihm die meisten
Vertreter der modernen Sprachwissenschaft zutheilen möchten.
Gesetzt aber auch, eine Schwächung im Auslaute der Suffixe
durch das den Verbalformen des Imperfects und des Aorists vortretende
Augment Hesse sich wirklich nachweisen, so bleibt es völlig unbe-
greiflich, wie eine solche in den Suffixen des Potentials und in jenen
des Imperativs eintreten konnte. Denn die Suffixe des Imperativs
stimmen, abgesehen von den Suffixen der ersten Person aller drei
Zahlen, im Grossen und Ganzen mit jenen des Imperfect-Aorists und
des Potentials überein. -8va gegenüber -thas zeigt keine bedeutende
13*
196 Müller
Differenz, wenn man griechisches -90 und altbaktrisches -^o, -ia
(beide aus ursprünglichem -sva entstanden) herbeisieht und -^ti»
^antu fallen auch nicht besonders schwer ins Gewicht, da sie gewiss
von 'tu -anti unabhängig und nicht aus ihnen entstanden dind» so
dass nur 'tdm und -antdm Qbiig bleiben, welche ebenso wenig aJs die
beiden vorhergehenden, aus Präsensformen (^'iaif -aniaijf besonders
wenn man sich die über die Entstehung letzterer geltende Ansieht
vergegenwärtigt, abgeleitet werden dürfen.
Liegt aber auch der Grund der kürzeren Form der Imperfect-
Aorist-Suffixe nicht im vortretenden Augmente, so könnte er vielleicht
in dem Triebe der Sprache gesucht werden, den Wortauslaut, nament-
lich in seinen vocalischen Bestandtheilen, zu zerstören, wornach diese
Sutlixe aus den Präsenssuffixen in derselben Weise abgeschwächt
sein könnten , wie etwa die Suffixe des Lateinischen, der germani-
schen Sprachen und der jüngeren Sprachen indischer und eriniseher
Abstammung aus den älteren ihnen zu Grunde liegenden Formen ent-
standen sind. Gegen eine solche Ansicht spricht aber die Form der Suf-
fixe selbst, indem sich einerseits der schönste Parallelismus auf beiden
Seiten nachweisen lässt, andererseits eine solche Abschwächung, die
sich nur in Sprachen der jfingeren Periode findet — mit dem Charakter
der alten Sprache sich nicht vereinigen lässt. Zudem Hesse sich, da
die Sprache des täglichen Lebens (von welcher man bei solchen
Fragen auszugehen hat) sich mehr über Dinge der Gegenwart als
über jene der Vergangenheit erstreckt, eine Schwächung der häufi-
ger gebrauchten Präsens- und Futurformen eher erwarten, als der
gewiss seltener zur Anwendung kommenden Imperfect- und Aorist-
Formen.
Nach diesen Erwägungen betrachten wir die beiden Suffixreihen,
nämlich Präsens -Futurum einerseits und Aorist-Imperfect-Optativ
andererseits von einander völlig unabhängig, d. h. in ihrer Entstehung
setzt keine die andere voraus, sondern sie sind beide aus einer ein-
facheren Form, einer in ihnen aufgegangenen Urform durch laut-
liche Veränderungen und späteres Hinzutreten gewisser semiotiseher
Elemente hervorgegangen.
Ursprünglich waren die Verbalsulfixe mit den Pronominal-
Stämmen identisch derart, dass ma die erste Person sowohl ao
und für sich als auch mit Bezug auf ein bestimmtes Prädicat — aus
Zur Suffix! eil re de« indogpen&aoi sehen Verbuins. II. 197
Subject bezeichnete. Auch tva bedeutete das „Du** sowohl absolut als
auch als Subject zu einem Pk*ädicat. In letzterem Falle veränderte
sich das t von tva, durch das folgende v beeinflnsst, in dh, später
nach dem theilweisen Verschwinden des o in th und s. Ebenso galt
fa ursprünglich für ^Er** im absoluten Sinne als auch fQr „Er" als
Subject gegenüber einem Prädicat <).
Die ursprünglichen Formen der Suffixe -fiia, -tva, -ta gingen
nach dem Principe der Flexion (wie -s im Nominativ singul. aus so)
durch Schwächung des auslautenden Vocals a zu ^ in -m^, -tv?, -se
und endlich durch Abfall des schliessenden S in -fii, 'tv('8j, -t über.
Eine Schwächung des auslautenden a zu t, wie sie von
Bopp und seinen Anhängern angenommen wird, erscheint uns aus
folgenden Gründen unmöglich:
I. Zeigen sämmtliche indogermanischen Sprachen, welche
die vollen auf Vocale schliessenden Suffixe kennen, imAuslaute
e i n in welches im Altbaktrischen sogar manchmal gelängt werden
kann. Darnach mfisste die Schwächung des a zu t schon der indo-
germanischen Ursprache angehören; Schwächung jedoch eines a zu f
namentlich am Ende von Wort formen lässt sich in der indo-
germanischen Ursprache nicht nachweisen.
II. Ist die Schwächung des a zut kein unmittelbarer, son-
dern ein mehrere Mittelstufen voraussetzender Lautprocess, von denen
sich doch, wenn dieser Process wirklich einmal stattgefunden hat, in
irgend einer der indogermanischen Sprachen Spuren finden müssten.
^) OtM der NomiDatiT singul. der ersten Person nicht um, sondern aghüm lautet,
eboAso data der Stamm ta- im Nominattr aingnlar. mascul. und femin. die Formen
M#, §d (gegenüber dem Neutrnm tm-d und den obliquen Casnaformen, welche
simmtlich den Stamm u- leigen) darbietet, ist ein gewichtiger Binwand sowohl
gegen unsere, als auch gegen die Ton Bopp aufjgestellte Ansicht, nach welcher Ton
agham, und «o«, »a Sltere Formen wie ma (»uimf nach Analogie Ton tu-mmj, to«,
td stillschweigend rorausgesetnt werden. Oass «o«, m ursprünglich f«t, td gelautet
haben, ist nicht nur nicht unmöglich, sondern im hSchsten Grade wahrscheinlich ;
^*g^g^n ist die Umformung Ton tos, ta tu aa»-, »d sehr alt und geht in die Zeit
vor der Sprachtrennnng turflek. In Betreff des agham wage ich keine directe Ent-
scheidung; möglich, dass es aus magham (ma-gha^atn) wie atma- aus tntiima-
(vgl. die Bfittelform voiifm statt meyam, da v im Anlaute leicht wegfillt) schon
TOr der Sprachtrennung henrorgegangen ist.
198 Malier
Für uns bilden daher nicht die Suffixe -mt, -«i\ -ii die Aus-
gangspunkte der Untersuchung, sondern die Suffixe -m, -«, -t (laut-
liche Entwicklungen der Urformen -ma, -tva^ -^a, und mit den imper-
fect-Aorist-Suffixen der Form nach zusammenfallend).
Sind aber -m, -s, -t die der Zeit nach früheren Formen» so
müssen -mi, -si, 'ti, da sie weder aus '-ma» ^tva, -ta noch aus -m,
-s, -/ durch Annahme ge wohnlicher mechanischer Lautpro-
cesse erklärt werden können, durch Hinzutreten eines i aus ihnen
entstanden sein.
Damit ist auch die Erklärung der beiden Suffixe -masi und -anti
und jene der nach Analogie von -masi und -anti nothwendiger Weise
ursprünglich gebildeten ^vasi, -thasi und -tasi gegeben. Diese
Formen müssen demnach in m^aa-U a-n-t-i» r-o^i, th-as-ü i-as-i
aufgelöst und demgemäss erklärt werden. Es ist darin das schliessende
I, das oben bereits in m-i, s-i, t-i gefundene Element und -lu das
alte, Plural und Dual ohne Unterschied bezeichnende Zahlzeichen.
Was nun -anti betrifft, so ist es zunächst mit -thOf dessen
älteste Form -thanä lautet, zusammenzuhalten. Darin tritt -na^ ver-
wandt mit dem -am, am, und parallel dem -as der soeben besproche-
nen Formen, als Zahlzeichen auf. Die Urform von -antt dürfte f-au-i
gelautet haben; das Vortreten des Nasals vor das t ist ebenso wie
im Plural der Neutra consonantischer Stamme im Altindiseben zu
erklären, z. B. hr-n-di statt hrd-ni, mand-^n-si statt mands^ffi. Ein
weiteres Analogen bieten einige Verba der VI. und jene derVU. Classe,
z. B. lu-m-pati statt lup^na^ti, yu^A^g-mas statt yug-n^mas. Aus
der Urform -tani des Suffixes -anti erklärt sich auch sein a, welches,
dem Singular -ii gegenüber sich fast schlechterdings nicht recht-
fertigen lässt <).
Wie aus mehreren Spuren hervorgeht, wurde die Mehrzahl des
indogermanischen Verbums in der zweiten und dritten Person ur-
sprünglich auf doppelte Weise gebildet, nämlich mittelst der beiden
Suffixe '09 und -a;t, so dass die Parallelformen
1) Die Annahme, -anft reprSBentire gpegeonber -ti eine ZuMinaienseUaag inreier
Stfimme, nimlich -ana und -fa (parallel mit tM-tva^ tva^tvs) ist gnnx grandios;
wSre sie richtig, so müsste der Plural von -m« auch roa-m« lauten. Man Bcrte
wohl, dass die Sprache auch in Betreff der Stellung der eiaselnen Theile Geaelze
hat und nicht nach Willkur Tcrfihrt.
Zur Suffizlebre des indogermanischen Verbums. II. 1 90
th-as'i th-an-'a
lauteten. Die Formen mittelst -a» scheinen die älteren zu sein; sie
schliessen sieh an die Bildung des Neutrums an und weisen, da sie
sich nur in der zweiten und dritten Person finden, auf den alten
Gegensatz der ersten Person (das Ich) zu den beiden anderen (dem
Nicht Ich) hin, welcher ja auch in den beiden Stämmen ta- uiid
iva^ (Ausserliches) gegenüber dem Stamme ma- (Innerliches) zu
Tage tritt. Der Sprache erschien eben ursprunglieh nur das Subject
als das Spontane-Männliche, alles andere dagegen, diesem gegen-
über, als Jleceptiv — Feminino-Neutral.
Als später die Genus-Ansehauuug zum vollen Durchbruch gelangte
und auch innerhalb der Mehrheits-Anschauung eine Differenzirung
eintrat, wurden die vorhandenen Formen, welche durch A n ähn-
lich ung an die erste Person — den Verbalausdruck xar' i^o-^iv —
vermehrt worden waren (ihxtsi und iasit gebildet nach Analogie von
masij vasij dieser Kategorie dienstbar gemacht. Es trat dann die
eine Form für den Plural, die andere für den Dual, in den meisten
Fällen nur eine lautliche Variation des Plurals, eiu^
Gegen diese Auffassung der Sufßxe des Duals und Plurals als
formale Mehrzahl-Bildungen der Suffixe des Singulars
spricht aber die unter den meisten indogermanischen Sprachforschern
verbreitete Ansicht, wornach die Dual- und Plural^Suffixe additionale
Compositionen zweier Pronominalstämme, wie z. B. -masi ,»wir*^ =
ma »ich*', tvi „Du** (statt iva) sein sollen. Obwohl diese Ansicht
von vielen Autoritäten gestützt, gemeiniglich als eine über allen
Zweifel erhabene hingestellt wird, können wir dennoch nicht umhin,
sie als ein unbewiesenes Dogma zu bezeichnen und zu be-
streiten, da sie, abgesehen von den bereits oben erwähnten lautlichen
Schwierigkeiten, eine Reihe sprachwissenschaftlicher Erfahrungen
gegen sich hat.
Es lässt sich nämlich in keiner höher organisirten Sprache der
Welt (einer Formsprache !) eine Mehrheits-Bildung des Pronomens
nachweisen, welche auf eine ein fache Addition der in derTotal-
Anschauung liegenden Theil-Anschauungen zurückginge (weil dies
keine Form ist) und sie kann am allerwenigsten für den Verbal-
ausdruck der indogermanischen Sprachen aus den Formen des selb-
200 Mu t I e r
ständigen Pronomens bewiesen werden. Im Gegentheile lässt siich
schon aus dem letzteren der Nachweis führen» dass eine solche Er-
klärung der Mehrzahl-Bildungen vollkommen unmöglich ist.
Betrachtet man die Pluralbildungen vayam, yuyam, iS (tat)
gegenüber ihren Singularformen, so lässt sich an ihnen am aller-
wenigsten eine Zusammensetzung von zwei Personal-Stämmen nach-
weisen. Gleichwie te {tat) aus dem Stamme ta- und dem formalen
Pluralzeichen t zusammengesetzt ist, müssen auch vayavu yuyam in
va^i^anit yü-^uam 9, deren -am offenbar dieselbe Geltung hat, wie
in aham^ tvam, ayam^ idatn, mahyanif tubkyam etc. aufgelost wer-
den. Ein Gleiches kann man auch von asmS, yu^mi behaupten,
welche nur aus a^sma^u yu^^ma^t *) sich genügend erklären lassen.
Die Behauptung, in dem sma dieser Formen, sowie der Plural-
Stämme asma', yu^ma- stecke ein Plural-Element, ist vollkommen
aus der Luft gegriffen, da dieses sma doch kein anderes sein kann,
als das in tasmdif tasmäiy tasmin etc. auftretende, wo es doch wohl
keinen Plural bezeichnen wird.
Nach unserer Ansicht ist sma ein reines Determinativ und spielt
in den Formen : tasmdu tasmdt^ tasmint asma-» yu^ma- etc. dieselbe
Rolle, wie das an- in den semitischen Formen an-ta» an-tum.
an-^kht, anaynü etc.«).
Was nun unser oben gefundenes Pluralzeichen i anlangt, so
wird es in diesem Sinne von den meisten Sprachforschem geläugnet,
indem man behauptet, dass dort, wo dieses i zu Ende der Wörter
auftritt, das eigentliche Pluralzeichen -o« abgefallen ist. Wir können
nicht umhin, diese Behauptung als eine leere Ausflucht zu bezeichnen,
durch welche vorgefasste Meinungen gestützt werden sollen. Was in
aller Welt berechtigt denn dazu, den Abfall eines Elementes anzu-
nehmen, von dem man in keiner der dahin gehörigen Formen auch
die geringsten Spuren nachzuweisen vermag? Wie kommt es denn,
dass nirgends hinter diesem i das eigentliche Pluralzeichen sich
*) Für fiM-i-am, tva-i-am, vayam rerlifilt sich zu nuiyam wie -vMt m -«•«», wie das
Suffix "vant xu ~mant u. s. w.
^) statt ma-«ma-t, fva-tma-t.
*) Vpl. Benfey. Über einigte Pluralbildangen des indo^reniianiacheii Verboia. 8. ft.
(Abhandlno^en der k. GeteUsebafl der Wiatentckaften ui Gdttingea, Bd. Zlll.)
Zur Suflixlehre des iiido^ermiinischen Verbums. II. 201
erhalten hat, nachdem gerade diese Formen in allen indogermani-
schen Sprachen sich nachweisen lassen? Offenbar sträubt man sich
gegen die Erklärung der Formen iS = ia-'i, yS « ya-t (wo t Plural-
zeichen) nur deswegen, um neben -a» noch ein zweites Pluralzeicheif
nicht annehmen zu müssen und um alle Formen wo möglich unter
einen Hut zu bringen. Was soll man aber mit vayam, yuyam an-
fangen» in denen wohl an keinen Abfall des ^as gedacht werden
kann? Nachdem man doch annimmt, in den alterthümlichen Formen
tnahyam, tubhyam seien durch das folgende am die Urformen
mabhit tubhi geschützt worden, warum sträubt man sich, dies auch
4
vayam, yüyam zuzugestehen?
Um jedoch zu zeigen, dass die Ansicht von< einer Zusammen-
setzung der Pluralbildungen der personlichen Pronomina aus zwei
Singularstämmen in der Geschichte der Sprachen nicht die geringste
Bestätigung findet, wollen wir die Pronominalformen der semitischen
Sprachen und des Türkischen einer kurzen Betrachtung unterziehen.
Die semitischen Sprachen geboren mit den indogermanischen zu
den flectirenden und sind daher für die Erkenntniss dieser unter
allen rorhandenen Sprachen am lehrreichsten ; das Türkische gehört
zwar nicht zu den flectirenden Sprachen, steht ihnen aber als an-
fügende (agglutinirende) Sprache sehr nahe. Daher müssen wir
diesen beiden Sprachen gerade in Fragen wie die uns nun beschäf-
tigende ein viel grosseres Gewicht einräumen, als einigen mit einer
gewissen Vorliebe herbeigezogenen Idiomen der niederen Formation,
welche überdies noch von jenen, welche sie anzuführen pflegen,
höchst mangelhaft verstanden zu werden scheinen.
Wenn wir das semitische Personalpronomen (in der Form der
Ursprache) uns vergegenwärtigen:
t. Person Sing, aud^khi Plur. aita-x-nti
2. Person Sing, an-ta Plur. ait-^ti-ntä
3* Person Sing, huwa Plur. hu^mü
so zweifelt wohl Niemand daran, dass die Pluralformen von den
Singularformen mittelst eines Suffixes -mü oder -nü abgeleitet sind,
und dass an keine Zusammensetzung zweier Pronominalstämme gedacht
werden kann. Das Suffix -mä (-nü) wird man zwar unter den Zahl-
zeichen beim Nomen vergeblich suchen, es ist aber, wenn man der
202 M u I I e r
Sache ein wenig tiefer nachspurt, mehr als wahrscheinlich, dass die
Zahlzeichen -ünat 'ina, -dni, -an, ^im^ ^in, welchen wir in den ein-
zelnen semitischen Dialekten begegnen, nichts anderes als die Ver-
bindung des beim Pronomen in seiner ältesten Gestalt erhaltenen
Zahlzeichens -mü (-nu) mit dem jedesmaligen Casus-Exponeoteo
(Nom. ti. Gen. /, Acc. d} reprasentiren. Damit wäre aber auch der
innige Zusammenhang zwischen Pronominal- und Nominalflexion
innerhalb des selbständigen Pronomens aufgezeigt (vgl. meine Ab-
handlung „Der Verbalausdruck im semitischen Sprachkreise" 519 ff).
Dasselbe lässt sich aber auch an den Pronominalsulfixea de»
Verbums darthun. Auch hier steht dem -ta der zweiten Person inner-
halb der Suffixe im Plural ein -tumü gegenöber, innerhalb der Präfixe
ein ia-una (vgl. qaial-ia „du hast getödtet", gatal-tumü „ihr habt
getödtet^, ta-gtuluni^ tödtest**, ta-qtul'&na „ihr tddtet«*). Gleiches
findet sich auch oder lässt sich föglich auch nachweisen bei der
ersten und dritten Person, wo nirgends, wie jeder Kenner der
semitischen Sprachen weiss, zur Bezeichnung der Mehrzahl eine Zu-
sammensetzung zweier persönlicher Pronominalstämme sich nach-
weisen lässt.
Zu demselben Resulate gelangen wir auch durch eine Betrach-
tung des türkischen Pronomens.
Die Formen des selbständigen Pronomens lauten :
1. Person Sing. ^ (bän) Plur. Jj ^W*?
2. Person Sing. ^ (sän) Plur. J-# (^iz)
3. Person Sing. J^l (ol) Plur. J^ (anlar)
Wie das Tschuwaschische zeigt, sind die Pluralformeu biz^ sis
aus bir, sir entstanden, welche in 6-tr, s-ir aufgelöst werden müssen.
Auch bän (aus min entstanden), sän müssen in b-än^ 9-^n zerlegt
werden, so dass 6-, «- als die eigentlichen Charakterlaute der beiden
Pronomina übrig bleiben. Nun sind aber A-ir, s-ir von den Stämmen
b'9 S' nicht durch Zusammensetzung, sondern mittelst des Suffixes
-tV abgeleitet, welches gewiss nichts anderes ist, als das Suffix -^r,
welches auch beim Nomen zur Bildung des Plurals verwendet
wird.
Zur Suffixlebre des indog^ermaDitcheo Verbums. li. 203
Dasselbe 'Princip der Pluralbildung herrscht auch innerhalb des
Verbums, dessen Aoristform Jc^Ua«) gewiss einen reinen Verbal*
ausdruck ebenso gut repräsentirt, als es das indogermanische oder
das semitische Verbum im Stande sind (vgl. meine Anzeige von
Schleicher's „Die Unterscheidung von Nomen und Verbum in der
lautlichen Form'' in: Beiträge zur vergleichenden Sprachforschung
von Kuhn und Schleicher, Bd. V, S. 241 ff.).
Man vergleiche:
Singular. Plural.
1. Person »jj^ (sävär-imj jjj^ (aävär^iz)
2. Person Cx^jy* (sävär^sin) y^^y^ (^sävär-siiüizj
3. Person j^ (sämrj J^x* Oävär-lärJ
Hier wird gewiss Niemand -t« (statt -miz) und ^siAiz für Zu-
sammensetzungen zweier Pronominalstämme halten, sondern wird
ebenso wie beim selbständigen Pronomen -iz für ein rein formales
Pluralsuflix erklären müssen.
Nach diesen kurzen Betrachtungen müssen wir behaupten, dass
die Ansicht, nach welcher in den Pluralformen des indogermanischen
Pronomens eine additionale Zusammensetzung zweier Pro-
nominalstämme vorliegen soll, in der Sprachgeschichte keine
Bestätigung findet, sondern dass man von ihnen aus im Gegentheil auf
die Ansicht, dass zwischen Pronomen und Nomen in der Behandlung
gar kein Unterschied existirt, hingeführt wird.
Doch auch zugegeben, ein solcher Vorgang, nämlich additionale
Zusammensetzung von zwei Pr^onominalstämmen sei in den Plural-
bildungen des indogermanischen Pronomens wirklich gelegen, so
müsste derselbe aus dem Bau der indogermanischen Sprachen
gerechtfertigt werden, d. h. es müsste gezeigt werden, dass diese
ganz eigenthümliche Art der Zusammensetzung innerhalb der indo-
germanischen Sprachen wenigstens beim Nomen besonders beliebt
gewesen war.
Nun lässt sich aber zeigen, dass diese Art der Zusammensetzung
(im Indischen Dvandva genannt) nur dem Indischen und dem mit
204 M n 1 1 e r
ihm ganz nahe verwandten Erinisehen geläufig ist, in den übrigen
indogermanischen Sprachen dagegen bis auf eiozelne zweifelhafte
Spuren sich nicht findet» daher erst nach der Zeit der Lostrennung
des Indo-Erdnischeii vom gemeinsamen Stamme sich entwickelt haben
muss. Wäre diese Form der Zusammensetzung der indogermuniseben
Ursprache eigenthiimlich gewesen, so hätte sie sich gewiss gleich
den übrigen Arten der Zusammensetzung in allen indogermanischen
Sprachen erhalten <)•
Es lässt sich also die weit verbreitete Lehre, dass in den Plural-
bildungen des indogermanischen Pronomens additiouale Zusammen-
setzungen zweier verschiedener Pronominalstämme vorliegen (vgl.
Schleicher: Die Unterscheidung von Nomen und Verbum in der laut-
lichen Form 18/51 !, wo sogar ein wesentliches Charakteristikoo des
Indogermanischen anderen Sprachen gegenüber daraus gemacht
wird) nicht rechtfertigen, sondern im Gegentheil lässt sich sowoU
aus einer näheren Betrachtung der indogermanischen Composition5-
formen, als auch einer Untersuchung der Pronomina der hoher
organisirten Sprachen der Nachweis ihrer Grundlosigkeit leicht fuhren.
Nachdem wir oben -m, -«» -/ als die ursprunglichen Formen der
PronominalsufGxe des Verbums angenommen haben, aus denen -mü
-«t, Wt durch Zusatz eines i entstanden und deren Plurale --masu
^tasif -anti analog den Bildungen der Nomina zu erklären sind, haben
wir damit auch der allgemein angenommenen Erklärung der Medial-
sufGxe -mat, -sai, -tni, -ma, -«a, ^ta aus einer Verdoppelung der
Activsuffixe -nii, -«t, 'ti widersprochen.
Wir müssen nun auf diesen Punkt etwas näher eingehen. Wa<
nämlich das Verhältniss der schweren Medialsuffixe zu den leichten
ActivsufSxen betrifft, so werden nach Bopps Vorgange die ersteren
als Verdoppelungen der letzteren erklärt, also mai ^^ fnami.
sai =» Basi, tat = tati. Von den beiden in der Verdoppelung liegen-
den Theilen soll der eine das Subject des Verbal ausdruckes wie im
Activ bezeichnen, während der andere auf das Object, welches in dem
hier zu bildenden Reflexiv-Ausdrucke mit dem Subject selbst xusam-
menfallt, zu beziehen ist.
0 Vgl. Benfey. l^bcr einige Plurilbildungen des indogermanischen Verbum. S. 1«.
(Abbsndlungen d. k. Getelltchsfl d. Wissenschaften in OSttingen. Bd. XIII.)
Zur SufÜziehre dea iiidog^ennanischen Verbun«. II. 20S
Ohne die höchst auffallende Ecscheinung des regelmässigen
Ausfalles von m» B(tv) und t zwischen zwei Vo«a)eii in der indo-
germanischen Ursprache zu betonen, eine Erscheinung, welche im
Prakrit vollkonunen begreiflich wäre» aber in jeder anderen indo-
germanisehen Sprache stark bezweifelt werden müsste» können wir
uns auf diese Weise wohl eine Erklärung der drei Singularsuffixe
•mot, 'Sai* -tai zurechtlegen» sind aber ausser Stande» uns das Ver-
hältniss der Plural- und Dual-Suffixe des Mediums zu jenen des
Activums irgendwie Torzustellen. Sind -madhau •atUai aus ursprüng-
lichen matva- maivif anta- anti entstanden zu erklären» wie einige
Sprachforscher dem einmal angenommenen Grundsatze consequent»
behaupten» oder ist bei ihnen eine andere Erklärung zu versuchen?
Kann Jemand» der von den Lautgesetzen der Sprache überhaupt eine
richtige Vorstellung hat, solche Verstümmelungen wie matüa- matvh
anta- anti zu madhai» aniai innerhalb der indogermanischen Ur-
sprache für möglich halten? i). Doch lassen wir diese Fragen laut-
licher Natur vor der Hand bei Seite und sehen wir uns die Singular-
Formen -mat» ngat» •tai im Verhältniss zu -mi, -9t» -ii etwas näher an.
Über das Verhältniss dieser beiden Formen zu einander kann
eine doppelte Ansicht vorgebracht werden» je nachdem man in ma"
mi = ma-mot tva-tvi = tva-iva» ta^ti ==» ta^ta entweder das erste
Element als Subjects- und das zweite als Objects-Ausdruck oder
umgekehrt betrachtet. Darnach lautet tudatai »»er schlägt sich^ »
tudu-ta-ta entweder »»schlägt er sich** oder »»schlägt sich er**, d. h.
entweder ist das an erster Stelle stehende -/a Subject zu dem Prä-
dicate tuda-- und das an zweiter Stelle stehende -ta das an die Activ-
form tudata (NB* zu jener Zeit, wo a zu Ende noch nicht in i
geschwächt worden war!) gehängte Objectsuftix, oder ist das au
zweiter Stelle stehende ^ta Ausdruck des Subjectes und das vor dem-
selben stehende -ta der das von der Handlung» welche in tuda',.Ma
liegt, abhängige Object bezeichnende Ausdruck.
Beinahe alle Sprachforscher» wenigstens alle, welche zur
Bopp*schen Schule sich zählen» wie Schleicher u. a.» stimmen nun mit
^) So lange als solche monatröse Bildungen und Zerstörungen bef der ErklKrung der
Plnral- und Dual-Suffixe und der Suffixe des Mediums angenommen werden, so
lange ist man mit Fug berechtigt, die Erklfirungen der Singular-Suffixe, und mögen
sie vom lautlichen Standpunkte noch so gut begründet sein, für rerfehlt anzusehen.
206 Müller
mir darin öberein, dass tnda^» bodka" in den Verbalformen des indo-
germanischen PrSsens tuda-H, bodha-ii eine mittelst des SufBies -a
aus der Wurzel (^iud, budh) abgeleitete primäre Bildung repräsen-
tiren, welche als solche ihrer Natur nach indifferent ist, d. b. weder
ein Verbum noch ein Nomen bezeichnet, welches sie erst dann wird,
je nachdem sie entweder mit den personlichen Pronominalsudhen
oder mit Casusendungeu in Verbindung tritt. Der Unterschied zwi-
schen Verbum und Nomen beruht nach dieser Ansicht nicht auf dem
verschiedenen Baue des beiden zu Grunde liegenden, auf eine
bestimmte Stoff- Wurzel zurückgehenden Themas, sondern auf der
Behandlung des letzteren, je nachdem es mit einem zu ihm im Ver-
hältnisse des Subjects zum Pradicate stehenden personlichen Pro-
nominalelemente, oder mit einem es naher determinirenden, ron ihm
abhängigen deiktischen oder Raumelemente verbunden wird. Wir
haben dann im ersteren Falle ein Verbum, im letzteren Falle dagegen
ein Nomen vor uns (vgl. Schleicher, Die Unterscheidung von Nomen
und Verbum in der lautlichen Form und meine Anzeige desselben
in: Beiträge zur vergleichenden Sprachforschung von Kuhn und
Schleicher, Bd. V, ebenso Schleicher, Compendium. II. Aufl. S. 512
und 660 ff.).
Gehen wir nun an der Hand dieser gewiss richtigen Ansicht
von der ersten der beiden oben gegebenen Auffassungen des Medium
aus als eines Verbalausdruckes, an den sich wie in den semitischen
Sprachen der Ausdruck des Objectes, sowohl des näheren als des
entfernteren, derart geheftet hat, dass er mit ihm endlieh zu einer
Einheit verschmolz, so müssen wir die Formen iudamai =» tudä"
ma-mu tudasai = tuda^iva^tvi etc. parallel den semitischen Formen
^aial^^ia^ni, qatal^ta*hu etc. als active, mit Pronom in at Suf-
fixen <) versehene Verbalformen erklären. Es fragt sich dann, ob
sich solche Formen innerhalb der indogermanischen Sprachen auch
rechtfertigen lassen.
Solche Formen sind aber, wie wir ohne Weiteres bemerken
können, auf dem Gebiete der indogermanischen Sprachen ganz und
gar unmöglich, da Possessiv- und Objectssuffixe (ausser in einigen
*) Suffixe afisven es sein, da Mch nur elto die Schwichanf^ von « so k« w««b ««fi
«rheinbar. rechtfertigen lisst.
Zur SiifBxlehre dea indogerniftnitehen Verbums. II. 207
neueren erdnischen and indischen Sprachen, wo sie auf semitische
Einflösse zurückgeführt werden müssen) hier nirgends nachgewiesen
werden können.
Wahrscheinlich war es auch diese Wahrnehmung, weiche in
Verbindung mit Erwägungen lautlicher Natur die meisten Forscher
in neuester Zeit bewogen hat, die Ausdrucke tudamai, fndasai,
tudaiai, in tudorma-mh tuda-aa-sh tuda-ta-H oder in tuda-md-mu
tuda-sd-si, tuda-fä-t^ derart zu zerlegen, dass in den schliessenden
SufGxen -mi, -», -/i die das Subject des Verbalausdruckes bezeich-
nenden persönlichen Pronominalelemente in den vorangehenden mä,
«a, tat dagegen die vom Verbalausdrucke abhängigen Objectformeu
stecken sollen. Es fragt sich nun, ob diese zweite Auffassung der
Medialformen sich rechtfertigen lässt, ob sie mit den sonst wahr-
nehmbaren Gesetzen der indogermanischen Sprachen in Überein-
stimmung sich befindet?
Um diese Frage gehörig zu entscheiden, müssen wir uns ver-
gegenwärtigen, dass, wie wir oben gezeigt haben, der im Wurzel-
theile des Verbums steckende Ausdruck ein indifferentes Nominal-
Verbal-Thema reprasentirt , wornach tudami = schlagend -f ^^^9
tudasi = schlagend + du, tudaii = schlagend -f ^^^ gegenüber
von tuda-8 schlagend -{- dieser, tudn-sya (auf) schlagenden -{- Bezug
habend u. s. w. bedeuten. Darnach sind tuda-ma^mi, tuda-äa-ai
fuda-ta-ti Verbindungen der subjectiven Pronominalausdrücke -miy
'Sif 'ti mit den Prädicatausdrücken tuda-ma, tuda^sa, tuda-ta,
welche nichts anderes als Zusammensetzungen des Themas tuda^
mit den Pronominalstämmen ma-, «ar, ta- sein können.
Nun sind den indogermanischen Sprachen, im Gegensätze zu
anderen, Wortzusammensetzungen überaus geläufig, namentlich die
indogermanische Ursprache zeichnete sich durch eine Fülle dieser
überaus plastischen Bildungen aus. Diese Wortzusammensetzungen
sind aber in |)etrefl^ der Stellung der einzelnen Glieder zu einander
bestimmten Gesetzen unterworfen, nach welchen das abhängige
stets demjenigen, von welchem es abhängt, vorangehen muss. Nur
die Participialbildungen auf -an^, insoferne sie als regierendes Glied
auftreten, machen eine Ausnahme ; sie gehen nämlich demjenigen
Ausdrucke, welcher von ihnen abhängig gedacht werden muss, vStets
voran.
208 M u 1 l e r
Die Participialbildungen auf ^ant gehören aber, im Vergleich mit
anderen Bildungen, einer späteren Periode der indogermanisebeD
Ursprache an, was schon daraus hervorgeht, dass sie nicht, wie die
Bildungen in -a, -ya» ^na* -nu u. s. w. als indifferente Nominal- und
Verbalthemen auftreten können. Sie erscheinen also zwar als eine
Ausnahme vom alten indogermanischen Compositionsgesetze, sie ver-
rathen sich aber sofort eben dadurch als ein Product einer verhält-
nissmässig späteren Periode. •
Betrachten wir nach diesen Erwägungen die supponirteo Wort-
zusammensetzungen tuda-mOf tuda-sa» tuda'4a» so müssen wir
gestehen, dass sie als solche vollkommen unmöglich sind, indem sie
den Gesetzen der indogermanischen Sprachen geradezu wider-
sprechen. Ebenso wenig als etwa innerhalb der semitischen Sprachen
eine im Geiste der indogermanischen Sprachen ganz correcte Wort-
zusammensetzung möglich erscheint (wie z. B. /iia^ Jjob IIL S aU
„Schatten des Todes**» während es von q^ mittelst des Suffixes
~uth abgeleitet werden muss), ebenso wenig kann eine Compositiou,
in weicher das regierende Glied, §ofern es kein Participium auf Hiit/
ist, die' erste und das regierte Glied die zweite Stelle einaimmt,
innerhalb der indogermanischen Sprachen überhaupt als richtig
angesehen werden. Soll eine indogermanische Wortzusammensetzung
richtig sein, so muss unbedingt das regierte Glied an erster, das
regierende Glied an zweiter Stelle stehen. Daher musste der in den
eben citirten Formen tudama-t tudasa-, tudaia- supponirte Aus-
druck, soll er den Gesetzen der indogermanischen Sprachen ent-
sprechen, ganz anders, nämlich umgekehrt ma-tuda^ sa-tudüp ta^-tuda
(nach späterer indischer Darstellung mat-indat tvaMuda, iat-tuda)
lauten.
Indessen bleibt noch ein Ausweg übrig, nämlich die Formen
tudamuu hidasaif hidatai als Verbindungen des activen Verbalaus-
druckes mit dem pronominalen Objectsausdruck zu deuten, indem
man dieselben aus tudamdu tudasdu tudatdi ftudaf^dmu tudasdn,
tudatdti) abgekürzt erklärt und die Elemente md, sd, td als infigirte
Accusativ-Ausdrücke der Stämme ma-, /ra-, ^a- betrachtet. Damit
müsste man zugleich einen durch lange Zeit bestandenen losen
Zusammenhang zwischen dem aus der Stoffwurzel (tudj gebil-
deten Thema (tud-a) und den persönlichen Suffixen ('^miy ^su -ti)
annehmen, der es diesen Accusativ-Elementen zur Zeit der Bildung
Zur Suffizlehre des indogerminisckeo Verbums. II. 209
des Mediums gestattete, zwischen die beiden Bestandtheile des
activen Verbalausdruckes sich einzudrSngen.
Eine solche Annahme ist aber aus doppeltem Grunde nicht statt-
haft. Einerseits widerspricht ein solcher loser Zusammenhang zwi-
schen den beiden Theilen des Verbalausdruckes dem Principe der
Flexion, deren Wirkungen ja überall an den Suffixen ganz offen zu
Tage treten, andererseits ISsst sich das Princip der Infigirung, auf
welchem diese Formen beruhen müssten, innerhalb der indogermani-
schen Sprachen nicht nachweisen.
Aber noch ein Hauptgrund spricht entschieden dagegen. Sind
nämlich md, »ä (tvd), td Accusative (und ihre Form gegenüber den
Stämmen mci-» iva-^ ta^ schliesst diese Annahme nothwendiger Weise
in sich ein), so ist damit auch die Ansicht ausgesprochen, dass zu
jener Zeit, in welcher sie in den Verbalkorper eindrangen, die Sprache
fertige Casusformen bereits kannte. Ob aber mit der Annahme TOn
C asusformen ein so flüssiger Zustand des Verbums sich rereinigen
lässt, wie er hier postulirt wird, ist eine Frage, welche wohl kaum
irgend ein besonnener Sprachforscher bejahen dürfte.
Nach diesen Betrachtungen bleibt uns noch übrig, unsere Ansieht
über dieses Thema zu präcisiren und namentlich die Entwicklungs-
geschichte der Suffixe in kurzem darzulegen.
Wir unterscheiden in dieser Beziehung fünf Perioden, welche
sämmtlich in die indogermanische Ursprache fallen. Es sind dies
folgende:
I.Periode. Identität der Verbalsuffixe mit den persönlichen
Pronominalstämmen, Mangel einer näheren Zahl- und Zeitbestimmung.
Die Verbalformen lauten: tuda^ma* tuda-tva, tuda^ia.
2. Periode. Inniges Zusammenschi iessen der beiden, den Ver-
balausdruck bildenden Theile zu einer Form, womit die Verkürzun^r
der accentlosen SufBxe verbunden ist. Die Verbalformen lauten:
tuda-m^ tuda-tv (tnda-s)^ tuda-i.
3. Periode. Entwicklung der Zahlbezeichnung und zwar
zuerst Gegensatz zwischen der ersten Person einerseits und der
zweiten und dritten Person andererseits. Die Verbalformen lauten :
1. Person Einz« tuda-m 2. Person Einz. tuda^-tv (tuda-n)
Mehrz. tiida-mas Mehrz. luda^tvana
SiUb. d. phil-hist. Ol. LXVI. Bd. 1. Hft. i4
210 Muller
3. Person Einz. tuda-t
Mehrz. tuda-^ana
■
Später bilden sieh nach Analogie von fudamas auch die Formen
der zweiten und dritten Person: tudatva» und tudatas^
Zuletzt entwickelten sich durch Differenzirung der Hehrheits-
formen der Dual und der Plural, bei welcher Gelegenheit auch in
der ersten Person neben "mas eine Form -t?a« (eine lautliche
Differenzirung der ersteren) auftritt t).
4. Periode. Bildung des Reflexivausdruckes mittelst eines
hinter den Verbalausdruck gestellten a (Pronominalstamm der dritten
Person). Dieses Element steht ursprünglich mit dem Verbalausdruck
in keiner näheren Verbindung» schmilzt aber in der Folge mit ihm,
gleichwie das se im Latein (vgl. das Slavische und Litauische) zu-
sammen.
fi. Periode. Determinirung des Präsens mittelst eines ange-
fügten -j (Pronominalstamm, der auf das Nächstgelegene hinweist)
gleichzeitig mit der Determinirung des Imperfectums, des Aorists etc.
mittelst eines vorgesetzten -a (Prononünalstamm, der auf Entferntes
hinweist).
Dabei ist zu bemerken, dass nach Vollendung der verschiedeneo
Suffixformen mehrere derselben, namentlich die consonantiscb
schliessenden , den sich geltend machenden, zersetzenden Laut-
gesetzen anheimfielen. So wurde aus der Form -mas frühzeitig mo.
während in mas'i das s durch das folgende i geschützt worden tu
sein scheint.
Gegen manche dieser Annahmen lassen sich wohl Einwendungen
erheben, welche durchgehends lautlicher Natur sind. Wir wollen
die zwei wichtigsten derselben etwas näher ins Auge fassen.
L Da der Activform -mafn die Medialform -madhai (altind.
"fnahS^ altbaktr. -maidhS oder -maidi» griech. -fjie^^a) gegenüber
steht, so kann, da dh aus s sich nicht erklären lässt, in -a«-, -a^
unmöglich ein Pluralzeichen stecken, sondern die Form mass, da ik
^) ^gl* Benfey. Über einige Pluralbildungen des indogannaniecbcn Verbttme. 5. 5 f
(Abhindlungen d. k. Geaelltchaft d. Wissentchiflen in GdttiB|r«n. Bd. XfU.)
Zur SuHfixlehre des indogerminischeo Verbums. 11. 211
oft aus tv entsteht (vgl. das Suffix -ufAt des Imperativs, ferner die
Suffixe 'dhvam. -dhvS^ welche mit tva^ Eusammeahängen müssen)
als Coropositioii der beiden Stamme ma und tva, wornach ^wir*' »»
ich -f- du, aufgefasst werden. Gegen diesen Einwand bemerken wir,
dass das dh nicht nothwendig auf eine Form ma-tva hinfuhrt,
sondern dass möglicher Weise im Pronomen der ersten Person
eine uralte Zahlbildung mittelst dva „zwei** vorliegt (vgl. die Bil-
dungen der polynesischen Sprachen) und dass aus der Form ma-dva
„ich — Ewei** frühzeitig mit Anlehnung an das Pluralsuffix
»as eine Form -mos sich bildete, welche später in die Pluralform
-man und in die Dualform ^as gespalten wurde «).
II. Da 0 im Griechischen, falls es auslautet, nie altem auslauten-
den n entapricht, sondern entweder auf den Abfall der Consonanten
8, i^ d oder eines t schliessen lässt, so kann in den Suffixen -ro =
altind. -^a, -ovro = altind. -an/a, das schliessende o auch nicht ur-
sprünglich im Au^^laute gestanden haben, sondern es muss hinter
demselben einmal ein Laut vorhanden gewesen sein >). Was ist nun
einfacher, als anzunehmen -ro, -^a, -ovro, -ania seien aus -taU
-antat abgekürzt? Dies zugegeben, muss an der Ursprünglichkeit der
Präsenssufßxe -mt, -«», -ti, -mai^ -»ai, -tat etc. festgehalten werden,
woraus natürlich auch die Verkürzung der Imperfect-Aorist-SufSxe
aus den Prasenssuffixen von selbst sich ergibt.
Dagegen bemerken wir, dass das griechische o (das altind. a)
zu Ende dieser Medialformen nicht als ein ursprünglich inte-
grirender Bestandtheil der Suffixe, sondern als eine erst nach
und nach mit denselben verwachsene Partikel zu betrachten ist. Es
ist also lautlich nicht mit demselben Masse wie ein im Auslaute
stehender Vocal zu messen. Wenn wir annehmen, a bilde für sich
einen Bestandtheil des Suffixes, so begreifen wir auch griechisch
ai SS altind. S (ai)* indem auch hier die beiden Bestandtheile des
^) Wenn -mati wirklich lof -ma -\- toi hinfuhrt, wofür der Beweis in der Mediilform
-madhai stecken soll, warum lautet die Aledialform von 'tfuui nicht -thadhaif leb
glaube, wenn die obige Annahme richtig wire, so hätte sich die Sprache diesen
schönen Parailelismus, der auch in -mi, -W, -f«', -masi, -^nti unverkennbar vor-
liegt, nicht so leicht entgehen lassen.
') Vgl. Kuhn in der Zeitschrift für vergleichende Sprachforschung. Bd. XV. 8. 410.
212 Maller, Zur SufBilehre des indogermaniacheii Verbnoi«. II.
Diphthongs a und t erst nach und nach mit einander zu einer Einheit
verschmolzen worden sind. Das griechische at in -juicee, «aae, -rai ist
etwa ebenso wie in itaii* oder wie das oi im Optativ der schwachen
Verba entstanden *).
1) De* a in ai der griechiacben Suffixe -(A,ai, -9ai, -rat, -vroct Ut bekannUieli
kurz; wfire oci = at*, wie manche Gelehrte annehmen lu mfiaaen glaobeo, so
musate a lang eein und diese Suffixe müssten dann -{aqc, -ffa, -ro, -vra oder -|t^,
-9ip, -np, -vrp, lanten (vgl. ofKOi =» altind. vfyS ^g^enuber tod otx«i=s««^'
attind. vepdff-ü).
M fi M «» r, Die Voealsteigerun^ der indogermaBiachen Sprachen. 213
Die Vocalsteigerung; der indogermanischen Sprachen.
Von Dr. Friedrich Muller,
ProfMtor aa der Wieaer Uairantif t.
Eine den indogermanischen Sprachen ganz eigenthOmliche Er-
scheinuogy durch welche sie vor allen andern Sprachen sich aus-
zeichnen, ist die Vocalsteigerung. Auf ihr basirt hauptsachlich die
indogermanische Flexion, jenes Princip, auf welchem die indogermani-
schen Sprachen als solche beruhen. Durch die Vocalsteigerung stehen
die indogermanischen Sprachen zu den beiden anderen flectirenden,
nämlich den semitischen und den hamitischen Sprachen, in einem
förmlichen Gegensatze.
Wir fassen die Flexion als eine innige Verbindung tou Stoff-
und Form-Elementen zu einer die Sprachform begründenden Einheit.
Sie existirt also nur dort, wo die Scheidung zwischen Stoff und Form
Torhanden ist und Stoff- und Formwurzeln ?on der Sprache strenge
auseinander gehalten und ihrer Natur nach angewendet werden.
Sprachen, welche zwar Stoff und Form in der Rede scheiden, aber
die Form lautlich nicht bezeichnen, können also eine Flexion nicht
besitzen.
Eine Scheidung Ton Stoff und Form finden wir in den drei
entwickeltsten Sprachen der mittelländischen Rasse, den indo-
germanischen» semitischen und hamitischen nSmIich. durchgeführt.
Von einander aber sind diese drei Sprachstämme wieder durch die
Behandlung der Stoffelemente während des Processes der Formbil-
dung streng geschieden. Die hamitischen Sprachen Tcrwenden dabei
die Stoffelemente theils in ihrer ursprünglichen Einfachheit, theils
zu concreten Stämmen entwickelt, die semitischen Sprachen nur in
der letzteren, in ihrer vollsten Entwicklung auftretenden Form. Dabei
bleiben wieder die Stoffelemente in ihren lautlichen Bestandtheiien
214 Malier
entweder yollkommen unverändert, oder werden durch vullige Wand-
lung ihrer Vocale modificirt.
In den indogermanischen Sprachen dagegen werden die Stoff-
elemente, sobald sie mit den Formelementen verbunden werden, in
ihren vocalischen Bestandtheileu gewissen Gesetzen unterworfen.
Wenn wir auch den Grund dieser Gesetze in den wenigsten Fällen
errathen können, so scheint es dennoch im allgemeinen gewiss zu sein,
dass jenes Element, welches von denselben betroffen ward, als das
innerhalb der Wortform wichtigste angeseUbii wurde.
Unter diesen Gesetzen ist das Gesetz der Vocalsteigeruug
das bedeutendste. Dasselbe besteht in der regelmässigen Verstärkung
des Vocals der Stoffwurzel und zwar zunächst, da a den beiden
andern Vocalen i und u gegenöber ohnedies als stärker gilt, iu der
Verstärkung eines t und u der Stoffwurzel durch ein vortretendes n.
Dieses a stellt nichts anderes dar, als das kräftigere, längere Aus-
holen der im Vocalansatz befindlichen Sprachorgane. Die auf diese
Weise gewonnenen Laute ai, au sind nicht etwa Doppellaute, also
a-^-i^a-^-Uf sondern einfache Laute, nämlich t, u mit einem die KraH
der dabei betheiligten Organe bezeichnenden, sie einleitenden a 9.
Nach unserer Ansicht war innerhalb der indogermanischen Ur-
sprache die Vocalsteigerung 1 . ursprünglich nur den beiden Vocalen
t und u eigen gewesen und hat erst später nach Analogie dieser
auch bei a durchgegriffen» 2. hat sie sich stets nur auf den Wurzel-
vocal beschränkt und 3. war sie nur eine einfache (die erste).
Diese Ansicht steht mit der gangbaren im Widerspruche, nach
welcher 1. die Steigerung sowohl dem t und u als auch dem a ur-
sprünglich zukommt, 2. dieselbe nicht nur innerhalb der Wurzel,
*) Man wird nach uiuereii Bemerkangeii eioMheii, dtu die von Steinlhal m ««i«««
trefflichen Werke: Chanikterietik der heuptsichlicbeB Typen des Sprechbasei,
S. 3Z7 gegebene Bestimmung der drei Sprackttfimme, de» indogermaaieeiieni.
semitischen and hamitischeu nicht giinx genau ist. Ich wurde dieselbe etwa also
fassen: B. Formspracben 1. Nebensetsend (Chinesich), t. Abwanddnd: m) dvch
Verbindung des graamatischeu Elementes (Pri- oder Sollxe) mit der Wnrsel
(Hamitiscb){ b) dorch Umbildung der Wursel som dreisilbigeu Stamme* regel-
mtfsslge Umwandlung des Vocales desselben und Verbindung mit den gramnatuehea
Elementen, PrS- oder Suffixen (Semitisch) ; c) durch Verbindung der Saflixe mit
der in ihrem yocalischen Bestandtheile afficirten (gesteigerten oder gescfawichtea)
Wurxel (Indogermanisch).
Die Vocalsteigeruog der indogermanischen Sprachen. 215
soadern auch innerhalb der Suffixvocale stattfindet, und 3. diese
ursprünglich eine zweifache war, nämlich eine erste (im Altindi-
schen Gui^a) und eine zweite (im Altindischen Vrddhi genannt). Vgl.
Schleicher» Compendium 2. Auflage. S. 11.
Wir werden nun im Nachfolgenden diese drei Streitfragen der
Reihe nach einer Betrachtung^ unterziehen.
I. Die Steigerung kommt ursprünglich nur den
beiden Vocalen i und u zu, erst später hat sich nach
und nach eine Steigerung des a entwickelt
Dieses Factum geht namentlich aus dem Umstände herTor, dass
wir in allen indogermanischen Sprachen nur die Steigerungen von i
und u gegenseitig einander entsprechen sehen. Dies ist bei a dagegen
nicht der Fall, sondern hier offenbart sich selbst innerhalb einer ein-
zelnen Sprache ein bedeutendes Schwanken.
Im Altindischen gilt a als erste Steigerung ?on a, so dass a
sowohl den Grundvocal a als auch den Gnj^ desselben darstellt
Diese Regel ist jedoch nicht ganz zutreffend, da sich zeigen lässt,
dass neben a auch d als Guna von a auftritt.
Das primäre. Suffix ^aa hat im Alt indischen erste Steigerung
des Wurzelvocals in seiner Begleitung. Man bildet daher von der
Wurzel prtt- die Form grav^as» von der Wurzel ti^^ die Form
t^y^as (taig-asjf von der Wurzel gau" die Form ^an-as, von der
Wurzel va^' dagegen die Form vd^aa ^).
Die Causal - Verba im Altindischen legen der Ableitung mittelst
des secundären Sutlfixes -ya ein primäres Nomen in -a zu Grunde,
dessen Vocal regelmässig durch erste Steigerung aus dem einfachen
Wurzel vocal hervorgegangen ist So bildet man von der Wurzel
budh' den Causalstamm bödha-ya-f von der Wurzel k^ip- den Causal-
stamm k^epa-ya-t von der Wurzel tarp- (altindisch unter der ver-
^) Man Tergleiohe Altindiech: ^ei^iUi tegoi, tav'Ot, por-o«, pram-^u, rnh-at^ vaS^at,
rddh'M^ «of-M; Althaktritch : dvaei-ahh, /kaee-anh, aog-anh, öomM-mA, r«<Kf-aiiik,
frütk-anh, matt'ahht tini'anh^ nim-anh; Griechiech: «rd-o;, veix-of, af^-o^, |Aia-
OS» C«w7-off» «Ox-o«, xOd-oj, ©x-oj (vgl. ^x'^'VO* xopoS (vgl. xara-xopiQc,
;rpo j-xop-;^^ and xop^vvujAi = xopi 9-vjfJii) jrdpoc (vgl. ffrop^vvufu = aropig^
vu(A,i), X^5-o^, fx^^-oj, fi^x-o;, a^-oj, oXy-of, j3a^-oc, ßdp-of j3Xdj3-oj,
Ko^'og^ nrXdr-oCt ßA-o$, ]3pf ^o(, 7^v-o(, dip-oi, pin^oi^ cX-o(, ^er-o(, cjpx-
o(, fiiv-0(, vif'oq^ 9T^v-o;, reX-o^; Latein: foe&-U9 Cfoid-oiJ^ eorp'-us, op-M,
yenrit^i AlUlaviseh: »Unt^-tM, a«ö-e#, oe-M (für Qk~et).
216 Mu 1 1 e r
kanten Form trp» auftretend) den Causalstamm tarpa''ya''9 vod der
Wurzel voB' dagegen den Causalstamm väsa^yot von der Wurzel
sad' den Causalstamm säda^ya (im Gotischen saijan steckt dagegen
der Stamm «aiia-ya)*). Nach Analogie der letzteren bildete man
später auch von gru- den Causalstamm ^dva-ya^ von iH den Causal-
stamm cäya-ya (neben dem auch ^der ältere Stamm öaya-ya vor-
kommt).
Im Griechischen, wo wir den.Vocal a bald als reines a erhalten«
(a), bald zu i geschwächt (e), bald zu o verdumpft sehen (c),
erscheint an der Stelle des altindischen gunirten a in der Regel o,
an der Stelle des altindischen d dagegen ä, v; oder eu. Daher kommt
es, dass o im Griechischen einen zweifachen Werth hat, nämlich
jenen des Grundvocals a und jenen seiner Steigerung, welche ebenso
a lautet.
So repräsentirt o in den Formen no8*6^^ nöS^eg^ 7röd-a^ durch-
gehends =» altindischem pad-as den Grundvocal a, während es in
den Formen röx-o^f fdp^og einen dem altindischen gunirten a ent-
sprechenden Laut darstellen muss.
Dass aber in beiden Sprachen, sowohl im Altindischen als auch
im Griechischen, die Steigerung des Vocals a nicht alt sein und
keineswegs in die Periode der indogermanischen Ursprache zurück-
reichen kann, dies beweisen Formen wie griechisch jxivo^ == attind.
manaSf griechisch yivog = altind. ganaSf wo wir das a, welches
nach Analogie der Bildungen ^avas, iS^aSj siSo^, ^eOyog als gesteigert
aufgefasst werden sollte, wie ein nicht gesteigertes kurzes a behan-
delt finden.
n. Die Vocalsteigerung kommt nur innerhalb der
Wurzel vor.
Nachdem wir das Vorkommen der Vocalsteigerung nur inner-
halb der Wurzel behaupten, müssen wir jene Fälle, welche für eine
Steigerung ausserhalb der Wurzel, d. i. innerhalb der Suffixe, sich
beibringen lassen, einer etwas genaueren Betrachtung unterziehen.
Diese Fälle bestehen innerhalb des Nomens in den auf -« und -«
ausgehenden Stämmen, innerhalb des Verbums in den Präsens-
0 Dass man Udha-ya^ nicht aber bodh^aya abtheUra maas, diea geht i»aiiie»tnrk ae»
Airt^O) ^ Atrid-jbi , aotkizü^fa aa ffoEXirc^-jcü and der nrtprfinglicbeB Meatitit
der primiren nod aecundiren StammbÜdaogsaitffixe henror. — Vgl weiter aBtcB.
Die VocaUteigeruDg tler iudogeriniini&cheD Sprachen. 217
Stämmen, welche mittelst des Suffixes -nti und einer Abart desselben,
des Suffixes u nämlich, gebiMet werden.
Die auf-» und -ti ausgehenden Nominalstämme haben das Eigen-
thümliche, dass sie in einzelnen Casusformen Stämme in ^ay-, -av-
vor den jedesmaligen Suffixen darbieten. Man nimmt an, es trete hier
eine Steigerung der Auslaute -t und --n zu -ay-, -aV" ein.
Gegen diese Ansicht lassen sich manche gewichtige Bedenken
beibringen. Fürs erste ist es sehr auffallend, dass die Steigerung
gerade vor jenen Suffixen auftritt, welche innerhalb der consonanti-
schenDeclination, der ursprunglichsten von allen, eine Schwächung
des Themas fordern. Während nämlich von dem Thema hharant- griech.
yipovT-, \9ie\j\. ferent- derAccusativ bharnnt-am, derDativ.AAar«/-^,
der Genitiv bharai~as lauten, erscheinen diese Casusformen von den
Themen giri- und pagu- in folgender Gestalt: Accusativ: giri^m,
pa^u-m, Dativ: giray-if pagav-S, Genitiv: gires (sMt giray-as),
pagös (statt pagav-as). — Zweitens begegnen wir im Vocativ, dieser
Interjection unter den Casusformen, sonst regelmässig dem reinen
Thema, während wir hier, bei den Themen in -t und -Yi, ein in
seinem Ausgange verstärktes Thema vor uns haben sollen. — Die
Themen rägan-* ddtar- bilden den Vocativ identisch mit dem Thema
selbst, nämlich rdgan, ddtar, der Vocativ von giri-, pagn- dagegen
lautet girS (giraij, pago (pagau).
Drittens erscheint beim Antritt eines folgenden vocalisch an-
lautenden Suffixes häufig statt des schlusshaften -u ein -av-, dessen
Vorhandensein aus der Natur des folgenden Suffixes nicht erklärt
werden kann. So bildet man von laghu- mittelst des secundären
Suffixes -a die Form Idghav-a, von guru- die Form gdurav-a, wäh-
rend von mitra-f müla- dieselben Formen mditr-a* mdul-a lauten.
Aus dem Suffixe -^t/-, das unter anderm den Infinitiv bildet, ent-
springt durch Anfügung des Secundärsuffixes -ya das zusammen-
gesetzte Suffix 'tav-ya-9 welches Participia der Nothwendigkeit
bildet.
Nach sorgfältiger Erwägung dieser Bedenken erscheint uns die
Richtigkeit der Annahme einer Vocalsteigerung in allen diesen Fällen
sehr zweifelhaft. Die Steigerung wäre noch einigermassen bei den
Themen in -i*, -ti begreiflich, wo man sie als Ersatz der* verschwun-
denen Vocallänge auffassen konnte, sie ist aber, da gerade diese
218 Müller
Themen an der Steigerung nicht theilnehmen, bei den Tbemeo in -i
und -M vollkommen unbegreiflich.
Wir glauben daher, dass in allen jenen Fällen, wo man bisher
eine Steigerung des schliessenden Vocals angenommen hatte/ nichts
anderes als die ursprüngliche Gestalt des Themas vorliegt, d. h. dass
die Themen in -t und -u ehemals in -aya, -ava ausgelautet haben.
Die Themen in -aya, -ava gingen nach und nach in Themen in
-ay, -av und von da aus einerseits in spiche in -i, -t/, andererseits in
jene in -a über. Die ersteren, nämlich in -ay» -av, hielten sich vor
einzelnen Casussul'fixen und im Vocativ als Ergänzungen zu den t-
und f<- Themen, während die letzteren, nämlich die auf -a, sich ganz
von dieser Richtung loslösten. — Man kann dieselben nur durch Ver-
gieichung* der einzelnen indogermanischen Sprachen untereinander
verfolgen.
So treffen wir den Stamm garaya- als i-Stamm im Altindischen
und Altbaktrischen (altind. giri = gari, altbaktr. gairi = jrori),
während das Altslavische in der Form gora bereits einen reinen
a-Stamm zeigt. Der Stamm astaya ist im Altindischen ein t'-Stamm
geworden {asthij, im Altbaktrischen dagegen erscheint er als
a-Stamm (agta).
Eine lehrreiche Parallele zur Entwicklung dieser Stämme liefern
die Feminin-Stämme der a-Themen. Dieselben wurden ursprünglich
mittelst des Suffixes -yd, gleich den consonantischen Themen (vgl.
griech. fipoitaa, = fipo^T-ia^ dagegen altind. bharant-U wo yd zu i
zusammengezogen erscheint) von dem Masculin-Thema abgeleitet.
Die Femininform von giva- lautete demnach ursprünglich gha-yd,
welches in gieay- und mit Ersatzdehnung für das abgefallene d in
gimty-^ nach und nach endlich in givd überging. Während üa<^
letztere, da es im Nominativ singularis auftritt, bald für das Thema
selbst substituirt -wurde, erscheint pii;%- (und (ivay-^ im Instrumen-
tal ; givuy-d und Vocativ : ^ivi = givay) vor mehreren CasussufBxen,
so z. B. Genitiv: givdy-ds, Dativ: givdy-di, Local: gimy-dm.
Nachdem wir also gefunden haben, dass die Nominal-Theroen
in -{ und -m ursprünglich in ^aya und -ava ausgegangen sind, und
dass dort, wo man bisher eine Steigerung der schliessenden Vocale i
und u annehmen zu müssen glaubte, nichts anderes, als die ursprüng-
liche Form des Stammes vorliegt, wäre damit auch der zweite, das
Verbum betreffende Fall, in welchem nämlich -/im zu -tmu, -ii zu
Die Vacalstelgerung der iDdogerniiioischen Sprachen. 21^
gesteigert erseheinen, erledigt. Wir müssen jedoch wegen einzelner
etwas fraglicher Punkte, welche sich an ihn knöpfen, auf denselben
näher eingehen.
Da dem altind. ^nau im Altbaktrischen auch -itti und im Griechi-
schen regelmässig <-vO gegenübersteht, so konnte man in -nau, wo
es vorkommt, die Steigerung für eine Stellvertreterin der Länge
halten. Damit stünden aber einerseits diese Formen ganz isolirt da,
andererseits macht der innige Zusammenhang, welcher zwischen
Nominal- und Verbalthemen stattfindet, eine solche Annahme unzu-
lässig. Nachdem wir beim Nomen -i und -u aus ursprünglichen
-aya, -ava hervorgehend gefunden haben, müssen wir auch folge-
richtig -Ml/, -ti aus älteren -nava, ^ava entstanden annehmen. Bei
dieser Annahme stehen dann auch die Präsensthemen in -ti nicht so
vereinzelt da, sondern sie finden in lautlicher Beziehung in den
slavischen Themen in -ot^rc ihre nächsten Anverwandten. Es ver-
hält sich -nava zu -«i?« (ind. .V. CK zu VIII. CI.) wie griech. •yo:')^0'
(vgl. Xa^jSdvcü = Xa^-vavcü) und altslavisch 'uaH' (dvig-nq-ti =
dtig-nan-ti) zu -avo-, -vo- wie -fnana zu -dna u. s. w. ^).
Eine Einwendung gegen diese Erklärung könnte daraus her-
genommen werden» dass, gleichwie von ävi^ im Singular die Formen
dü^^mi (dvai^mi)^ dvSk-^i (dvaik^i)^ dv^f-H (dvai$t%) gebildet
werden , deren Stamm doch gegenüber den Pluralformen dvi^-maSf
dvif-'tha, dvi^-anti als gesteigert angesehen wird, man auch gak-
iw-mi, gak-'nd'^i, gak-nd-ti als gesteigerte Formen des Themas
gak-nu annehmen müsse. Diese Einwendung ist aber unbegründet,
da einerseits in der Formbildung nicht nur die Verstärkung, son-
dern auch die Schwächung eine grosse Rolle spielt, anderei*seits
die beiden Falle, da in dem einen Steigerung innerhalb der Wurzel,
in dem anderen dagegen Steigerung innerhalb eines Suffixes ange-
*) Der Einwand, das« altind. -u und slavbcb -ova mit einander nichts zu schaffen
haben, da ersteres primfir, letzteres aecifndir ist, wSre ein ganx nichtiger. Auch
-fiti ist im Altindischen primär (V. CI.), im Griechischen dagegen in Formen wie
oropfvvuf&c (^ 9rop(ff->vvfu), xopsvvufAC (ss xopitf-vvfu) seoindir. Ebenso
ist -y« in naf^y^ fifs^ya^ in xstpeu =s xepiea, reivco = rfviea primir, in ndpo-yo,
harta-yun in rtfxdtoi), fiXiu}, Atti^oj (ss cX;;($-jcu), XGpuffffOi) (= xopu^-jci>)
secundär. Überhaupt existirt vom lautlichen Standpunkte ein Unterschied zwischen
primMren und secundfiren Suffixen nicht, beide werden es erst durch ihre jeweilige
Verwendung.
220 Malier
nommen wird, oicht in eine Linie gestellt werden dürfen. Gerade so
wie von bibhar* (dem Stamme ron bhar nach der III. Classe) die
gesteigerte Form bibhar-, von dada- (dem Stamme von da nach der
tu. Classe) die gesteigerte Form dadd" lautßt, ebenso kann diese
Form von ga-knav-^ selbst wenn dieses von der Sprache ganz nach
Analogie von bibhar- bebandelt wtU'de, nicht anders als gak-nav^
lauten. Und gerade so wie bibhar^ zu bibhr^, dadd zu ditd^ sich
verkurzen, ebenso muss auch goknav^ (nach Analogie von 8vap =
sup) zu gakuu" verkürzt werden.
III. Die Vocalsteigeruug war ursprunglich nur
eine einfache (die erste).
Nach unserer Ansicht war in der indogermanischen Ursprache
nur eine einzige Vocalsteigerung vorhanden; die zweite Steige-
rung in ihrer consequenten Entwicklung als Vrddhi ist ein specifisch
indisches Product, in den übrigen indogermanischen Sprachen hat
sie sich durch Vocaldifferenzirung erst nach der Spaltung des
indogermanischen Stammes in seine einzelnen Äste ausgebildet.
Der Beweis für diese Behauptung ist in folgenden Thatsachen
gelegen :
I. Stimmt das Altbaktrische, welches doch sonst mit dem Alt-
indischen in vollstem Einklänge sich befindet, in Betreff der Vocal-
steigerung mit demselben nicht fiberein, indem es nur eine Steigerung
(die erste, den sogenannten Gu^a) kennt, von der zweiten Steigerung
dagegen (der Vfddhi), welche im Indischen bei gewissen Bildungen
regelmässig zur Anwendung kommt, tiur ganz geringe Spuren aufweist
(vgl. Spiegel, Grammatik der altbaktrischeu Sprache, S. 59). Hiemit
in Übereinstimmung kennt auch das Altpersische nur die beiden
Diphtonge ai, au; es würde gewiss, wenn die Diphtonge ai, du
existirt hätten, dieselben auch ausgedrückt haben, da ja die Mittel
hiezu in der Schrift vorhanden waren.
II. Zeigt das Altindische selbst in mehreren Fällen ganz deut-
lich, dass die zweite Steigerung ein später Lautprocess ist, indem
dabei gewisse lautliche Zerrüttungen, welche ein specifisch indisches
Product sind, als bereits vorhanden vorausgesetzt werden. So lauten
die mittelst des Secundär- Suffixes -a, welches zweite Steigerung des
Wurzelvocals erfordert, gebildeten Abstractformen von^iirfi-,ytrrirft-
und iiifint-; gdurava^, yäuvana-, mduna-. Nun sind aber die Formen
Die Vociilflteigerung der iodo^eriuanischen Sprachen. 22 1
gnru'f ytivan-, muni-- speeifisch indische Producte aus garu (vgl.
Comparativ gar-tyns-, Superlativ gar-i^tkor) yaoan- (vgl. Compar.
yav^iyas", Superlat. yaü-i^fha" und altbaktrisch yavan-) und manU
(von der Wurzel man ^denken^* abgeleitet). Von giri-t dessen ältere
Form gari" gelautet haben muss (vgl. altbaktr. gairi^ statt gari-)
bildet man mittelst des Secundärsuffixes -^ya, welches zweite Steige*
i*ung des Wurzelvocals fordert« die Form gdirSya-t von pura-, wel-
ches für para- steht (vgl. griechisch noXt' von der Wurzel par-
„anflillen'' abgeleitet) bildet man die Ableitung pdura^. Von nigdf
welches sicher statt nagd- steht (vgl. lateinisch nocii-t litauisch nakti-,
altslavisch nosH- von der Wurzel nag- abgeleitet) wird das Adjectirum
ndiga- gebildet, von pürna-mdsa (welches statt pama-mdsa steht»
Tgl. altbaktr. pSrena-^ tatein. pleno- und altslav. plünu) kommt
pdurna-mäsa, von puru-hüin (welches statt parn-hüta steht» vgl.
griech. noXv- und altbaktr. pouni- statt pam-) kommt pdurU'kAia.
Bei Wortzusammensetzungen, deren erstes Glied aus einer
Partikel besteht, hat die Sprache die Natur derselben so weit ver-
gessen, dass sie dieselbe geradeso wie ein Thema, das aus einer
Verbalwurzel hervorgegangen ist, betrachtet, und dem gemäss behan-
delt. Dieser Umstand lässt voraussetzen, dass die Sprache zu jener
Zeit, als sie derartige Bildungen schuf, in denen die zweite Vocal-
steigerung (Vrddhi) gefordert wird, bereits in dem Zustande der
fertig abgeschlossenen Wortbildung sich befand, dass mithin diese
Bildungen in eine relativ späte Zeit, sicher aber erst in die specifiscb
indische Periode versetzt werden müssen.
Von vi'klavaf vi-guna, deren erstes Glied aus der Partikel vi-
besteht, entspringen die Formen vdiktao-ya* vdigunrya, von utpailh
uporni^ad die Formen dutpaiti-'ka^ dupani^ad-a. Am auffallendsten
jedoch sind Formen wie sdubhdgya von su-bhdga (welches, wie das
griechische cO = fsou zeigt, aus vasu-bhdga verkürzt ist), welche
erst in einer Zeit entstanden sein können, wo die Sprachformen einer-
«seits bereits abgeschlossen^ andererseits auch manchen lautlichen
Zerrüttungen anheimgefallen gewesen waren.
III. Zeigt das Griechische, dessen Lautverhältnisse im Ganzen
klar und durchsichtig vorliegen, ganz deutlich, dass namentlich in
jenen Formen, welche der indogermanischen Ursprache angehören,
die Richtigkeit der Ansicht einer doppelten Steigerung nicht begründet
werden kann.
222 Malier
Nachdem dem altindisehen ^i, der zweiten Steigerung von t, im
Oriechischen qL^x^, c|> entsprechen müssten, diese aber als Steigerungen
von I sieh nicht nachweisen lassen, so wird von Schleicher oi als
zweite Steigerung von i gegenüber der ersten Steigerung, deren
Ausdruck n, seltener at lautet, angesehen. Diese Ansicht ist aber
gewiss ganz unrichtig, ot entspricht regelrecht altindisehem ai (i),
der ersten Steigerung von i, wie die Formen gixo-^ «= altind. Wf «-«,
«r^a = altind..r^</a ganz deutlich zeigen <). Dass man aber auf den
Gedanken kam« oe als zweite Steigerung von t zu fassen, dies hat io
der Spaltung des Vocals a in e, a» o seinen Grund. Gerade so wie
innerhalb der Sphäre des a- Vocals c als Verkürzung, a. als regel-
rechter Vertreter und o als die stärkste Form desselben gilt, ebenso
wurden auch diese Laute innerhalb des Diphthongs in diesem Sinne
aufgefasst. Darnach ist a die geschwächte, ae die regelrechte, wenn
auch seltener zur Anwendung kommende und ot die stärkste Form
der ersten Steigerung des i, d. h. des altindogermanischen m.
Dasselbe gilt auch von der Steigerung des n. — Hier ent-
sprechen derselben, d. h. dem altindogermanischen au die drei For-
men £u, av (ebenso selten verwendet wie ae) und ou. Darunter mas^
<u wie fc und c als Schwächung^ oeu wie ai und a als regelrechter
Vertreter und ou wie oe und o als die stärkste Form des altindo-
gerroanischen au aufgefasst werden.
Mit diesen Erklärungen ist keineswegs geläugnet, dass oc und o*j
den beiden anderen Reiben, nämlich et, ai und €u, au gegenüber für
stärker gelten und als Verstärkungen derselben aufgefasst werden
können. Alles dieses hat eben nur so lange seine Berechtigung, als
man sich auf dem griechischen Boden bewegt, es ist jedoch toII-
kommen unrichtig, sobald man von da aus auf die Form der indo-
germanischen Ursprache einen Schluss zu ziehen sich erlaubt, wie
«s Schleicher in seinem Compendium gethan hat
*) Nachdem den g'riecbitchen Vertretern des «-Laote«, ninlich f, a, o, die eltbaktn-
•cfaen Vertreter derselben in a, e entsprechen, so mässte man, wenn aMin 0i ia
Griechischen als s weite Steigerang^ des i anffssst, conseqoent noch «• («\) ia
Aitbaktrischen als sweite Steig-erung des t ansehen. Letsteres aber hat Nieatad
gethan, wahrscheinlich weil die Vrddhi at sporadisch sich nachweisen lisst, dcrea
langes a nach meiner Überseugung eine speciell aof altbaktrischem Gebiet« est-
jtandene Dehnung reprMsentirt.
* Die Vocaisieiperung der indogermaniiicheQ Sprachen. 223
Wir können füglich auch zugeben, dass oe und ou den altindi-
sehen di und du parallel gehen, wir können aber nie zugestehen,
dass sie mit denselben identisch sind, welche Erklärung man thun
muss, wenn man oe und ou als zweite Steigerungen von i und u
betrachtet. Beide sind Producte der betreffenden Sprachen nach
ihrer Besonderung, sie haben aber in der indogermanischen Ur-
sprache keine Wurzel.
IV. Genau dasselbe Verhältniss wie das Griechische bieten auch
andere indogermanische Sprachen, wie das ans Griechische sich eng
anschliessende Latein und das Gotische dar.
Im Latein spaltet sich der Vocal a in die Verkürzung e, in den
regelrechten Vertreter a und in die stärkste Form desselben o.
Diese Verhältnisse werden auch in die Steigerungen, in welchen a
das erste Element bildet» übertragen. Daher erscheinen ei (später zu
t oder S zusammengezogen), ai (zpäter zu ae geworden) und oi
(später zu oe und zuletzt zu ü geworden) als Vertreter des altindo-
germanischen at, und eu (später zu ii geworden), au (später zu ö
geworden) und ou (spater zu ü geworden) als Vertreter des altindo-
frermanischen au.
Daron sind wieder, wie im Griechischen, oi (ü) Und ou (ü)
stärker als ei (u O* ^^ (^O ^^^ ^^ C^)* ^^ (O^ ^^^^ jedoch
stricte diesen gegenüber als zweite Steigerungen des t und u gelten
zu können, da sie mit ihnen zugleich atis einer Quelle auf specifisch
gräeo-italischem Boden durch Vocaldifferenzirung sich entwickelt
haben.
Das Gotische stellt dem altindischen a entweder a oder die
beiden aus ihm hervorgegangenen Schwächungen t, u (welche den
lateinischen i, u parallel gehen und um eine Stufe tiefer liegen als
die griechischen s, o) entgegen. In Betreff der Steigerung des a beob-
achtet das Gotische dasselbe Verfahren wie das Altindische, indem
es bald a, bald d (im Gotischen als i, 6 auftretend) dafür eintreten
lässt. Parallel dem a <» a, t gehen die Steigerungen von i und t/, d. h.
ai =B ei und at und au = iu und au. ei steht in Betreff seines ersten
Elementes um eine Stufe höher als t, ein Beweis, dass dieses durch
l SS altgriech. e, latein. e hindurchgegangen ist; iu dagegen steht
mit i im besten Einklänge. Auch im Gotischen gelten nun at, an für
stärker als W, iu, ohne aber efwa zweite Steigerungen der Laute t, u
zu sein, da sie ja mit et, tu gleichzeitig aus einer Quelle geflossen sind.
224 Mültei*, Die Vocalsteig^eruDg d»r indo|penDiini9cben Sprachen.
Um nun schliesslich auch auf das Litauische und Altslavisehe
überzugehen, so sehen wir den Grundvocal a in dem ersteren in e^)
und a> in dem letzteren dagegen gleichwie im Griechischen und
Latein in e^ a, o gespalten. Daneben kommt noch im Altslavischen «
als Schwächung Ton a häufig vor» weiches um eine Stufe tiefer liegt
als o und mit dem Gotischen i und u zu vergleichen ist Cbrigens
sind auch dem Litauischen i und u als Schwächungen des a geläufig.
Als Steigerung des a treffen wir. im Litauischen a und o, im
Altslavischen dagegen o, i und a, von denen lit. a und altslav. o dem
altindischen a, lit. o und altslav. a dem altindischen d parallel gehen.
Altslav. 4 ist ebenso wie gotisches 4 als Nebenform von d zu betrachten.
Als Steigerung des i gelten litauisch S^ eU ff'» altslav. S^ qf^ aj,
als Steigerung von u litauisch ü, au (vor Vocalen bald av, bald ov),
altslavisch n *) (vor Vocalen bald o&, bald av). Davon sind nun
litauisch und altslav. ai starker als lit et, altslav. oj* gerade so wie
unter den /i- Vocalen a für starker gilt» als litauisch e und altslav. o.
Und ebenso ist litauisch ov stärker als av, altslav. av dagfgen stäriLcr
als 09, gerade so wie unter den a- Vocalen litauisch o starker als a
und altslavisch a stärker als o sich darstellen. Litauisch ai, ov, alt-
slaviseh aj, av sind daher als die stärksten Formen der Steigerung
von t, Uf keineswegs aber als zweite Steigerungen derselben zu
betrachten.
Nach diesen Auseinandersetzungen wird sich, wie ich hoffe.
klar herausgestellt haben, dass die indogermanische Ursprache nur
eine einzige Vocalsteigerung kannte, nämlich zunächst a, m,
aUf dann später d, ai, au und dass die Annahme mancher Sprach-
forscher, die indogermanische Ursprache habe zwei Steigernngeo
besessen, ganz falsch, weil unbegründet ist.
0 Dieses e kano auch unter gewissen Bedingungen su e werden, wie im Altbaktrt«
sehen i (0 zu i (()•
') Der GundTocal u lautet entweder gleich dem griechischen u. wie ü (dnrch y
wiedergegeben) oder ▼erkunt ü.
Müller, Cber das iHteiniscbe Perfftctum. 225
Über das lateinische Perfeetum.
Von Dr. Friedrich Müller.
Professor an d«r Wiener Universitil.
Die Bildung des lateinischen Perfectums ist bekanntlich von
Seite der vergleichenden Sprachforscher in verschiedener Weise zu
erklären yersucht worden. Wir finden diese Erklärungen alle in
Kürze bei Corssen : Über Aussprache, Betonung und Vocalismus der
lateinischen Sprache. IL Aufl. Bd. I. S. 607 ff. verzeichnet und vom
Standpunkte der lateinischen Lautlehre gewürdigt. Nachdem sich die
meisten derselben als ungenügend herausgestellt haben, gibt Corssen
selbst im Anschluss an Aufrecht und Schleicher eine Erklärung, nach
welcher das lateinische Perfeetum mittelst eines gesteigerten Bil-
dungsvocales t (gleich dem ? des Sanskrit im Praesens, Imperfectum
und Aorist) und in einigen Personen (2. Sing. 2. und 3. Plural) mit-
telst eines 8 gebildet wird, mithin eine innige Verwandtschaft mit
dem sogenannten fünften Aorist des Sanskrit zeigt.
Gegen diese Erklärung lassen sich nach meiner Ansicht fol-
gende Einwendungen erheben:
I. Ist es sehr misslich eine ausschliesslich sanskritische Erschei-
nung zur Erklärung lateinischer Formen heranzuziehen. Den Formen
mit dem sogenannten euphonischen i des Sanskrit (im Praesens,
Imperfectum, Aorist und im Infinitiv summt den analogen Bildungen)
stellt nämlich keine einzige indogermanische Sprache wieder Formen
mit diesem i entgegen, nicht einmal im Imperfectum des Verbum sub-
stantivum, wo man bei dem hohen Alter dieser Wurzel und dem
Vorhandensein derselben in allen indogermanis'chen Sprachen eine
gewisse Übereinstimmung mit Recht erwarten könnte.
SiUb. d.'phiX -bist. Ol. LXVI. Bd. 1. Hft. 15
226 MuUer
IL Liesse sich t noch in jenen Formen zur Noth begreifen, in
welchen das s gleichwie in den Sanskritformen nicht vorhanden ist,
also in den Endungen -t, -tV, -inius (wie im Sanskrit in -tSp -ü und
in im innerhalb der Vedasprache). In -istif -istis, -erutä erscheint
dagegen die Länge, welche doch ursprünglich vorhanden war, ganz
anomal, und kann aus einer Steigerung, welche man, da sie inner-
halb eines Suffixes vorkommt (nur die arischen Sprachen, Sanskrit
und Altbaktrisch setzen in Suffixen den Längen der anderen ver-
wandten Sprachen Steigerungen entgegen, z. B. -iiati = -vv), höchst
bedenklich finden muss, nicht erklärt werden.
Ich glaube also die Erklärung des lateinischen Perfectums aus
dem fünften Aorist das Sanskrit aus lautlichen und formellen Gründen
mit Recht bezweifeln zu können, umsomelir als ich eine Erklärung
vorbringen werde, welche einerseits mit den Lautgesetzen des
Lateinischen in vollem Einklänge steht, andererseits sie sich an
Formen sowohl des Latein als auch mehrerer verwandter Sprachen
aufs Genaueste anschliesst.
Bekannt ist, dass das Latein von den beiden Wurzeln as und
bhu ein Imperfectum mittelst -aj^a bildet, welches, wie Schleicher in
der zweiten Auflage seines Compendiums erkannt hat, sich genau an
das litauische Perfectum anschliesst. Die Formen von as werden
noch selbstständig gehraucht (erdm = nsayam^ ei'ds =» asaya^.
erdt = asayat etc.) während jene von bhu (-bum = fudm =
fovdm = bhavayam) nur in Zusammensetzungen, wo sie das
Imperfectum bilden hellen, nachgewiesen werden können (amabam^
docebam, legebam, audiebam).
Nach Schleicher's D.irstellung, welcher diese Formen als Neu-
bildungen einfacher Tempus-Stämme betrachtet, sollte man glauben,
dass diese Bildungen in -aya nur dem Latein und dem Litauischen
eigenthümlich sind, wo sie sich erst nach Abtrennung der betreffen-
den Sprachen vom indogermanischen Stamme gebildet haben müssen.
Dies scheint jedoch nicht der Fall zu sein. Wie ich in meinem
Aufsätze: Armeniaca 11. (Sitzungsberichte Bd. LXIV. 447) nachge-
wiesen habe, findet sich die Bildung in -aya zur Bezeichnung von
Zeitformen der Vergangenheit nebst dem Lateinischen und Litauischen
noch im Armciiischen und Altslavischcn, kommt also im Ganzen vier
indogermanischen Sprachen (Armenisch, Lateinisch, Litauisch, Alt-
slavisch) oder drei Sprachzweigen (dem eränischen, italischen.
über das Utfiniscbe Perfectum. 227
slavo-iettischen) zu. Ich schliesse daraus » dass diese Bildungen in
-aya xu den alten gehörten, ursprunglich vielleicht allen indoger-
manischen Sprachen gemeinsamen waren und nach und nach in den
einzelnen derselben spurlos verloren gegangen sind.
Auf diesen Stamm in -aya nun geht nach meiner Überzeugung
das lateinische Perfectum nicht nur zurück, sondern stellt eine mit
dem slavischen Imperfectum vollkommen identische Bildung dar.
Der einzige Unterschied, welcher zwischen diesen beiden Bildungen
obwaltet, ist der, dass das Lateinische die einzelnen Formen stark
flectirt (ohne den sogenannten Bindevocal gleichwie das Verbum
substantivum as), während das Altslavische bis auf die zweite und
dritte Person Dual, und zweite Person Plural, welche auch stark
flectirt werden, schwache Flexion (mittelst des sogenannten Binde-
vocals) eintreten lässt <)•
Das Verhältniss des lateinischen Perfectum zum Imperfectum
ist dasselbe wie jenes des altslavischen Imperfectum zum litauischen
Perfectum. Die beiden letzteren (lateinisches Imperfectum und
litauisches Perfectum) repräseutiren eine durch Anfügung der Per-
sonalsufTixe an den Stamm auf ^aya entstandene Bildung, während
die beiden ersteren (lateinisches Perfectum und altslavisches Imper-
fectum) eine Zusammensetzung von as mit dem Stamme auf -aya
darstellen.
Das Verhältniss der lateinischen Urform zur altlateinischen und
classischen ist demnach folgendes:
Lateinische Urform: Altlateinisch: classische Form:
cep-aya-s-m cepei cepi
vg^. petiei
fecei
^) -aya wurde in -es und dnnn in -i ebenso zusammengezogen, wie in oveit^ovu oder
ovet aus acaya» und bei den Verben der IV. CIssse , wo -i aus -aya entstanden
ist. Die Verba in 'äya spalteten sieb im Latein in solche auf -ao , ^eo , -ü»
wie im Griechischen iu jeneu auf -aco, -foj, -ooi. Das Perfectum Terhilt sich
in Betreff seines Cbaraktervocals zum Imperfectum wie die Verba der IV. Classe
zu jener der I. Ciasse sich verhalten. Ich weiss wohl, dass diese Bildungen von
Corssen anders erklart werden, ich kann aber seinen Gründen nicht jene Wichtig-
keit beilegen, welche er in ihnen zu linden scheint.
228 Müller. Über das Uteioisch« Perfectum.
lateinische Urform :
Altlateiniseb :
classische Form:
cep-aya-s-ta
cepeisti
vgl. interieisti
cepisii
cep-aya-s-t
. cepeü
vgl. redieit
venieii
fuueit
cepit
cep-aya-s-maa
cepeimus
cepimus
cep-aya-s-tas
cepeisfis
cepistis
cep-aya-s-ant
cepdront
ceperunt
cepire
cepere.
Das Verhältniss des lateinischen Perfectum zum slavischen
Imperfectum stellt sieh folgendermassen dar:
Latein: Altslavisch:
cep-aya-s-m plet-aya-s-am (pletSachuJ
cep-aya-g-ta plet-^ya-s-as (pletSaie)
cep-aya-s-t plet-aya-a-ai (pletSase)
cep-aya-s-mas plet-aya-s-amas (pleteachomü)
cep-ayas-tas plet-aya-s-tas (pletiaste)
cep-aya-s-ant plet-aya-s-ant (pleteachq).
Das sogenannte zusammengesetzte Perfectum des Lateinischen
repräsentirt eine Zusammensetzung der Wurzel mit dem Perfectum
von as oder bhu. Darnach ist äuxi = dnc-s-aya^s-m^ amavi =
ama-bhaV'-aya'S'm , deren Flexion mit jener von cepi vollkommen
übereinstimmt.
Verzeichnis der einge^^iingenen Druckschriften. 229
VKKZBICHNI8S
HEB EINGEGANGENEN DRUCKSCHRIFTEN.
(OCTOßER 1870.)
Accademia delle Scienze dell* liistituto di Bologna: Memorie.
Serie IL Tomo IX. Fase. 4; Tomo X. Fase. 1. Bologna, 1870;
4», ~ Rendiconto. Anno accademico 1868—1869 & 1869-
1870. Bologna, 1869 & 1870; 8«.
Akademie der Wissenschaften und Künste, Sudslavisehe : i^lad.
Knjiga XII. U Zagrebu, 1870; 8«. -- Starine. Knjiga II.
U Zagrebu, 1870; 8^ — Monumenta spectantia historiam
Slavorttm meridionalium. VoL IL U Zagrebu, 1870; 8«. —
Stari pisci hravatski. Knjiga II. U Zagrebu, 1870; 8<>.
Königl. Bayer., zu München: Sitzungsberichte. 1870.
l. Heft 2— 4. München; 8».
American Journal of Science and Arts. Vol. XLIX, Nrs. 146 - 147.
New Haven, 1870; 8«.
(l*Arbois de Jubainville, Etüde sur la declinaison des noms pro-
pres dans la langue franque ä lepoque Merovingienne. Paris,
1870; 8». — Encore un mot sur la bataille de Mauriacus. 8«.
(Extraits de la Bibl. de TEcole des Chartcs, Tome XXXI.) —
Etnde philologique sur le mot fran^ais rossignol. (Extr. des
M^m. de la Soc. Aeadcm. de TAube, Tome XXXIV, 1870.) 8«.
— Document inedit relatif k Thistoire de la tutelle testanien-
taire. (Extr. de la Revue de Legislation fran^aise et dtrangere.
Nr. de Mai-Juni 1870.) 8«.
Association pour l'encouragement des dtudes grecques cn France:
Annuaire. 4* Annee, 1870. Paris; 8».
230 VeneichoiM der eingef^angenen Drackichriflen.
Barlow, H. C, On the Vernon Dante» with other Dissertations.
London, 1870; 8».
Bericht über den Handel, die Industrie und die Verkehrsveriiält-
nisse in Nieder -östereich wahrend des Jahres 1869. Wien,
1870; 80.
Central-Commission, k. k. statistische: Mittheilungen. XYll
Jahrgang, 4. Heft. Wien, 1870; 8«. — Tafeln zur Statistik
der österr. -Ungar. Monarchie. Üie Jahre 1860 — 186S umfas-
send. VII. Heft. Wien, 1870; Folio. — Summarische Ergeb-
nisse der Volkszählung vom 31. December 1869. kl. 4«.
Chlebik, Franz, Die Philosophie des Bewussten und die Wahrheit
des Uubewussten etc. Berlin, 1870; 8«.
Demogeot, J., et H. Montucci, De Tenseignement superieuren
Angleterre et en Ecosse. Paris, 1870; kl. 4^'
Eichwald, Eduard von, Nils von Nordeuskiold und Alexander
von Nordmann nach ihrem Leben und Wirken geschildert.
St. Petersburg, 1870; 8«.
English Mechanic and Mirror of Science and ^Scientific Opinion*^.
Vol. XI, Nrs. 276—283. London, 1870; Folio.
Ergänzung des russischen Gesetzbuches von 1869. kl. 4^ (Rus-
sisch.) — Ergänzung der administrativen Reformen des Kau-
kasus und der kaukasischen Provinzen. Petersburg, 1870;
kl. 4o. (Russisch.)
Gelehrten-Gesellschaft, Serbische, zu Belgrad: Glasnik.
XXVII. Jahrgang. Belgrad, 1870; 8».
Gesellschaft, Anthropologische, in Wien: Mittheilungen. 1. Bd..
Nr. 4. Wien. 1870; 8«.
— Geographische, in Wien: Mittheilungen. N. F. 3, Nr. 10-12.
Wien, 1870; 8o.
— Deutsche Morgenländische: Abhandlungen für die Kunde de«
Morgenlandes. V. Band, Nr. 3. Leipzig, 1870; 8^ — Zeit
schritt. XXIV. Band, 3. Heft. Leipzig 1870; 8«.
— der Wissenschaften, Oberlausitzische: Scriptores rerum Lusa-
iiacarum. N. F. IV. Band. Görlitz, 1870; 8«.
— Kais, russische geographische: Bericht. St. Petersburg, 1870:
8<i. (Russisch.) — Übersicht der wichtigsten geograpbisebeu Ar-
beiten in Russland im Jahre 1867 und 1868. St. Petersbarj:.
1870; 80. (Russisch.)
Verzelcbniss der eiogegangenen Druckschriften. 231
Goertz, Carl, Archäologische Topographie der Halbinsel Taman.
Moskau, 1870; 4«.
Hamelitz. X. Jahrgang, Nr. 24—35. Odessa, 1870; 4».
Istitu to, R., Veneto di Scienze, Lettere ed Arti: Memorie. Vol. XV,
Parte 1. Venezia. 1870; 4«. — Atti. Torao XV., Serie IU%
Disp. V—9\ Venezia, 1869— 70; 8«.
Jena, Universität: Akademische Gelegenheitsschriften aus dem
Halbjahre 1870. 4o & 8».
Katalog sämmtlicher in dem k. k. Kriegs -Archive befindlichen
gestochenen Karten und Pläne, nebst Supplement. Wien, 1889
& 1870; 8o.
M i k 1 0 s i c h , Fr., et Jos. Müller, Acta et diplomata graeca medii
aevi Sacra et prufana. Vol. IV- Vindobonae^ MDCCCLXXI;
Lex. 8».
Mittheilungen der k. k. Central - Commission zur Erforschung
und Erhaltung der Baudenkmale. XV. Jahrgang, Juli-October
1870. Wien; 4o.
— aus J. Perthes' geographischer Anstalt. 16. Band, 1870.
VI.— IX. Heft. Gotha; 4».
Pest, Universität: Akademische Gelegenheitsschriften aus dem
Jahre 1869/70. 4» & 8.
PrantI, Carl, Geschichte der Logik im Abendlande. IV. Band.
Leipzig, 1870; 8».
Programme und Jahresberichte der Gymnasien zu Bistritz, Brixen,
Brunn, Capodistria, Eger, Essek, Feldkirch, Hermannstadt,
Iglau, Kronstadt, Böhm.-Leipa, Leoben, Marburg, Meran, Pilsen,
Pressburg, Rosenau, Schässburg, Trient, Vinkovci, Varasdin,
des akademischen Gymnasiums und jenes zu den Schotten in
Wien und des Obergymnasiums zu Zengg, sowie der Ober-
real^chule zuBohm.-Leipa. derLandes-Unterreal- und Gewerbe-
Schule zu Waidhofen a. d. Ybbs, der Oberrealschule am Hohen-
markt in Wien und des k. k. polytechnischen Institutes in Wien.
Protokoll über die Verhandlungen der am 31. Mai 1870 abge-
haltenen XLVI. General -Versammlung der Actionäre der a. pr.
Kaiser Ferdinands-Nordbahn. Wien, 1870; 4«.
Relazione sui manoscritti d*Arborea publicata negli atti della
R. Academia della Scienze diBerlino, Gennajo 1870. — Osser-
vazioni intorno alla stessa relazione, del Conte Carlo Baudi
232 Veraeichnitt der eiog'egang'enen Drucktchriften.
di Vesme. — Interno all*esame critico delle carte d*Arborea,
dl Girolamo Vitelli. Torino-Firenze, 1870; 8».
Revue des cours scientifiques et litt^raires de la France et de
Tetranger. Vü* Annee, Nrs. 34 — 41. Paris & Bruxelies,
1870; 40.
S 0 c i d t e , d*histoire et d*arch^ologie de Geneve : Memoires et doeu-
ments (in 8o). Tome XVII, 2* Livraison. Genere & Paris, 1870.
— Memoires et doeuments (in 4»). Tome I, Cahir I. Geneve
& Paris, 1870.
-~ des Sciences de Finlande: Öfversigt. XII. 1869—1870. Helsing-
fors; 8« — Bidrag tili Kännedom of Finlands Natur och Folk.
XV. & XVI. Haftet. Helsinglors, 1870; 8«.
Society, The Asiatic, ot'Bengai: Journal. Part. I, Nr. 1 & 4. 1S69.
Calcutta, 1869 & 1870; 8«. — Proceedings Nr. 11. December
1869, Nrs. 1—2. January-Fehniary 1870. Calcutta; 8«.
Stalin, Christoph Friedrich Yon , Wirterobergische Geschichte.
IV. Theil, 1. Abtheilung. Stuttgart, 1870; 8».
Verein, histor., zu Bamberg: 30. und 31. Bericht über das Wirken
und den Stand desselben. 1866/67 & 1868. Bamberg, 1868; 8«.
— für siebenbilrgische Landeskunde: Archiv. N. F. VIII. Band,
3. Heft (1869); IX. Band, 1. Heft (1870). Kronstadt; 8». -
Jahresbericht für das Vereinsjahr 1868/9. Hermannstadt; 8*.
— Hermannstädter Local- Statuten. Festgabe. Hermannstadt:
1869; 4«. — Zie^glauer, Ferd. v., Harteneck, Graf der
sächsischen Nation und die siebenbörgisehcn Parteikämpfe seiner
Zeit. 1691—1703. Hermannstadt, 1869; 8«. — Trauscb.
Jos. , Schriftsteller - Lexicon oder biographisch - literarische
Denkblätter der Siebenbürger Deutschen. I. Band. Kronstadt.
1868; 8o.
— siebenburgischer, für romanische Literatur und CuUur de.<
romanischen Volkes: Transilvania. Anulu III, Nr. 12 — 19.
Kronstadt, 1870; 4«.
Vintimille de Geraei, Le droit des contribuables et la delte pu-
blique. Florence & Paris, 1870; gr. 8o. — A Pietro Sbarbarv.
Firenze, 1870; gr. 8^ — Le leggi senza la civilis sono impo-
tenti a formare il benessere sociale. Milano, 1869; gr. 8* —
N
SITZUNGSBERICHTE
DRR
KAISERLICHEN AKADEMIE DER WISSENSCHAFTEN.
PHILOSOPHISCH-HISTORISCHE GLASSR.
LIVI. BAND. II. HSVT.
JAHRGANG 1870. — NOVEMBER.
16
^
\
Commissiontbericht. 235
SITZUNG VOM 2. NOVEMBER 1870.
Der Secretär legt ror :
1) Danksehreiben von den neugewählten und bestätigten Mit-
gliedern G. B. de Rossi in Rom, Professor Dr. Home y er in Berlin,
Professor Dr. Büdinger in Zürich.
2) Zwei Ton dem Herrn Prof. Dr. Friedrich ron Schulte ein-
gesendete Abhandlungen, um deren Aufnahme in die Sitzungsbe-
richte derselbe ansucht.
a) n Beiträge zur Literatur über die Decretalen Gregors IX.,
Inuocenz IV., Gregors X.**
b) Die Summa Decreti Lipsienstis des Codex 986 der Leipziger
Universitätsbibliothek''.
SITZUNG VOM 9. NOVEMBER 18T0.
Der Secretär legt vor:
1) das mit Unterstützung der kais. Akademie herausgegebene
Werk von Dr. Franz Kürschner «Eger und Böhmen";
16»
236 CommittioDsbericbt.
2) eine von Herrn N. Urban t. Urbanstadt» k. k. Finanz-
Bezirks-Commissär in Komotau eingesendete Abhandlung unter dem
Titel „Egergau, Egerland und Stadt Eger bis zur Verpfändung an
die Krone Böhmens*'.
Das w. M. Herr Prof. Friedrieh Möller legt vor für die
Sitzungsberichte MArroeniaea III**.
SITZUNG VOM 16. NOVEMBER 1870.
Der Secretär legt vor:
1) ein Exemplar des I. Bandes der von der kais. Akademie
herausgegebenen Sammlung österreichischer Weisthuroer;
2) eine Note der n. o. Handels- und Gewerbekammer, womit
dieselbe die kais. Akademie zur Betheiligung an der 1871 in London
stattfindenden internationalen Kunst- und Industrie-Ausstellung ein*
ladet;
3) ein von dem k. k. Oberfeldstabsarzt Herrn Dr. Joh. Honisch
in Graz eingesendetes Manuscript: ^Monumenta historica ordinis
sanctae Mariae Theutonicorum Regni Austriaco-Hungarici**.
V
CoinmiMioo<b«richt. 23 T
SITZUNG VOM 30. NOVEMBER 1870.
Der Vicepräsident gibt Kunde von dem Ableben des corr. Mit-
gliedes der kais. Akademie, des Herrn Archivars Carl Jaromir Erben
in Prag.
Die Mitglieder erheben sieh zum Zeichen des Beileides von
ihren Sitzen.
«
Der Secretär legt ein Schreiben des Herrn Professors Dr. Las-
sen vor, womit derselbe seinen Dank fQr die Wahl zum Ehrenmit-
gliede der kais. Akademie ausspricht.
Das corr. Mitglied Herr kaiserl. Rath Beda Dud(k in Brunn
sendet zwei Manuscripte ein:
1. „Reformations- Artikeln des Erzbischofes von Prag, Anton
Brus, aus dem Jahre 1564*'.
2. ^Regesten über den österreichischen Erbfolgekrieg in Schle-
sien, Mähren und Böhmen aus den Jahren 1741 und 1742. Nach
den Acten des k. k. Kriegsarchivs in Wien**.
Das corr. Mitglied Herr Professor Dr. J. V. Zingerle in Inns-
bruck legt eine Abhandlung über Hans Vintler und dessen Werk:
^ Die pluemen der tugent** zur Aufnahme in die Sitzungsberichte vor.
238 CommiMiontbericht.
Der Secretär legt vor ein Schreiben des Hofbibliothekars Herrn
Dr. Barack in Donaueschingen, womit derselbe unter Zusendung
des 'Aufrufs zur Neubegründung einer Bibliothek in Strassburg* an
die philos.-historische Classe das Ansuchen stellt, dieselbe wolle ihre
Druckschriften zu dem gedachten Zwecke widmen.
Phillips, Über das lateinische and romanische Element etc. 239
Über das lateinische und romanische Element in der
baskischen Sprache.
Vom w. M. Hofrath Dr. 6. Phillips.
I.
Einleitung.
Wir würden dieser Abhandlung, welche sich zunächst auf die
Lautlehre der baskischen Sprache, in so weit diese fremde Elemente
in sich aufgenommen, bezieht, gern eine weitere Ausdehnung und
ihr demgeinäss die Überschrift: „das indogermanische (arische)
Element in der baskischen Sprache** gegeben haben, wenn zu den
yielen Lücken in unserm Wissen nicht auch der Mangel einer näheren
Bekanntschaft mit dem Keltischen gehörte. Die Untersuchung über
die Einwirkung des Keltischen auf das Baskische müssen wir daher
den Fachmännern überlassen, und uns auf das lateinische, beziehungs-
weise romanische Element in dieser Sprache beschränken. Die in
einer besonderen Abhandlung mitgetheilte Lauretanische Litanei
liefert schon einen Beweis davon, wie weit die Latinisirung in dem
Wortschatze der baskischen Sprache vorgeschritten ist 9? einen
andern bietet das Fragment eines Dictionnaire*s von C h a h o *), wel-
ches auf vierhundert und vierzig Folioseiten, deren jede in drei
Columnen getheilt ist, nichts anderes als nur lateinische und roma-
nische Wörter zeigt, welche in die baskische Sprache Aufnahme ge-
funden haben.
') S. die Abhandlung: Eine bnskische Sprachprobe (S. 19 u. f).
2) Vergl. die angefahrte Abhandlung. 8. 23 Note 2.
240 Phillip«
Man scheint je nach der Zeit ihrer Reception hinsichtlich dieser
Fremdworter drei Verhältnisse unterscheiden zu dürfen:
1 .^ Eine grosse Menge lateinischer Wörter sind dem Baskiseheo
erst durch die Kirche zugeführt urorden; diese hahen ihre Gestalt
so ziemlich unverändert bewahrt. Ausser vielen, die in der gedachten
Litanei vorkommen» gehören beispielsweise hieher: adorazionezko
akta, kontrizionea u. s. w. Alle diese tragen den Stempel der Lati-
nität unverkennbar an der Stirne, und es ist daher auch für die
Folge nicht nöthig, sie in den Kreis dieser Untersuchungen zu ziehen.
2. Nicht so deutlich tritt aber der nämliche Ursprung in andern
Wörtern hervor: in makhila wird man nicht gleich das lat. bacalus
erkennen, landatu auch nicht auf den ersten Blick für plantare hal-
ten; eben so wenig frogotchea für probare, ainguru für ancora,
barkhatu für parcere u. s. w. Diese Wörter durften schon viel früher
als jene, und zwar zur Zeit der Herrschaft der Römer über Hispanien in
die Sprache der Vorfahren der Basken aufgenommen worden ^sein, wäh-
rend späterhin, als die Kirche mit ihrem Latein hinzutrat und dieses
die gottesdienstliche Sprache wurde, eben dadurch eine solche Laut-
veränderung, wie sie sich dort zeigt, ferngehalten wurde. Dass bas-
kische Schriftsteller, namentlich Larramendi, die Sache geradezu
umkehren, wurde schon bei anderer Gelegenheit erwähnt *).
3. Eine dritte und äusserst zahlreiche Classe bilden diejenigen
Wörter, welche aus den benachbarten Nachbarsprachen, aus dem
Spanischen, aus dem Französischen, so wie besonders reichlich aus
dem Proven^alischen^) in das Baskische hinübergewandert sind.
Als Beispiele führen wir an: abantaldea <(fr. avantage), bisaia
(fr. visage), ispiuna (fr. espion), lekhasia (fr. laquais), minagrea
(vinaigre) u. s. w. Die Menge dieser ins Baskische aufgenommenen
Wörter macht es begreiflich, wie man auf den freilich sehr verkehr-
ten Gedanken kommen konnte, dass das Baskische nichts weiter als
französischer, beziehungsweise spanischer Dialekt sei^). Da nun
auch diese Wörter im Baskischen durch Lautveränderung eine andere
Gestalt annehmen, so ist es nicht immer leicht, genau zu bestimmen.
') S. die angefahrt« Abhandlung. S. 12.
^) Über das umfangreiche Gebiet des Prorenxalischen , welches auch in Spaaieii sieb
weit verbreitet hatte, s. Dies, Grammatik der romanischen Sprachen. Bd. 1. & 77
^) S. die Abhandlung: Über das basktsche Aiphabet. S. IZ.
über das lateiniiche u. romanische Element ia der basktschen Sprache. 241
ob ein Wort unmittelbar aus deAi Lateinischen oder auf dem Umwege
durch eine der genannten romanischen Sprachen in das Baskische
hineingekommen ist. Man wird an dem unmittelbar lateinischen Ur-
sprünge von zeru = coelum, dembora =» tempus, -oris, bolbora ==
pulvis, -eris, gorphuiz, nnch gorphiiz = corpus, khuma «» coma,
loria SS gloria, fulia 3» furia und anderer Wörter nicht zweifeln
können, wogegen aire = aer, choil =» solus, chatte = sors, eben
sowohl aus dem ursprünglich lateinischen Wort, als auch aus dem
französischen air, seul und sort gebildet sein können. Bei andern
baskischen Wörtern waltet hinsichtlich ihres Durchganges aus dem
Lateinischen durch eine der romanischen Sprachen gar kein Zweifel
ob, z. B. auaenzia ist spanisch, auaart provenzalisch, duda (doute)
französisch. Im Allgemeinen darf man aber wohl aniiehmen, dass
unter den Nachbarsprachen ehedem wenigstens das Provenzalische
den meisten Einfluss auf das Baskische geübt hat, das Spanische
weniger als dieses und als das Französische, in Betreff dessen es
den Anschein hat, als ob es erst in neuerer Zeit in viel grösserem
Masse in das cispyrenäische Baskisch eingedrungen ist; ein Umstand,
welcher für den Fremden die zu diesem gehörigen Dialekte leichter
verständlich macht. Im Übrigen müsste man, selbst wenn man jener
vorhin bezeichneten irrigen Ansicht über die Gleichstellung der bas«
kischen Sprache mit romanischen Dialekten huldigt, doch noch zuge-
stehen, dass das Latein in ihr verhältnissmassig weniger Lautver-
änderung erlitten hat, als in jenen, und sie insofern dem Lateinischen
näher steht.
Es ist aber auch so manche^s baskische Wort in diese romani-
sehen Sprachen übergegangen, und es bedarf daher einiger Vor-
sicht, dass man nicht jedem französisch oder spanisch lautenden
Worte seine Originalität abspreche. Freilich darf man es nicht wie
Larramendi machen, der keinen Anstand nimmt, das Wort ^Artillerie*'
aus dem Baskischen herzuleiten, nämlich von arte „gerade Richtung*'
und illeria „Todesstreich*' <). Diez ist der Meinung, dass keine
hundert Wörter aus dem Baskischen ins Spanische aufgenommen
seien?). Mahn ist hierin wohl mit Recht anderer Ansicht. In seinen
^Etymologischen Untersuchungen*', die sich auf die romanischen
*) Er sagt: viene del bascuense arte, rectitud, j de illeria eofermedad y golpe de
muerte.
7) Diei, Wörterbuch. Vorr. XUI.
242 Phillips
Sprachen beziehen» weist er auf den baskisehen Ursprung vieler
Wörter in diesen Sprachen hin» z. B. prov. aib oder aip, bask.
aipiia «) (Ruf, Gericht) ; franz. aise, von bask. ataa •) (Vergnügen,
Wohlbehagen); span. askua (glühende Kohle)» von bask. a»kua^*)
(Kohlengluth); span. bazo» schwärzlich braun, von bask. belza^^)
(schwarz); franz. bizarre (in neuerer Bedeutung: ^.seltsam**) von
bizarra^*), ursprunglich: Bart, als Adjectiv: iizarrap bartig, näm-
lich: Haar auf den Zähnen habend; span. pjzarra (Schiefer), von
bask. pizarra^^), gorra (Mütze), von bask. gorra <*) (roth).
Dem Versuche, welchen wir hier wagen, die Lautveranderun-
gen, welche die Fremdwörter im Baskischen erfahren , etwas näher
zu erörtern, stehen aber noch manche andere, als die sclion ange-
deuteten Schwierigkeiten entgegen. Nicht die geringste ist diejenige,
welche in der corrumpirten Orthographie liegt, wie man sie in den
meisten baskischen Büchern antrifft i&). Überhaupt hat sich unter
dem Zusammenwirken verschiedener Umstände kein festes und gleich-
massiges System für die Lautveränderung des Latein im Baskischen
bilden können, und zwar ist dies vornehmlich durch die Verschieden-
heit der Dialekte verhindert worden. Es fehlt daher hier an solchen
festen Gesetzen , wie sie für das Verhältniss anderer Sprachen zam
Latein aufgestellt werden können. Während mau z. B. mit Gewiss-
heit sagen kann , dass ein in die deutsche Sprache aufgenommenes
lateinisches Wort, welches p im Anlaute hat, im Deutschen pf er-
hält ( — wovon nur der pfälzische Dialekt eine Ausnahme macht —),
daher also aus porta Pforte, aus pondus Pfund wird, fehlt es dagegen
bei dem Baskischen ganz an solchen Principien. So geht z. B. lat. t
zwar gewöhnlich in bask. b über, daneben bleibt aber lat b im Bas-
kischen ebenfalls b; zugleich wandeln sich aber auch jei und/* zu i.
während ausserdem noch lat. b, p und v zu bask. m werden, ohne
^) Mahn, Etymologische Uotertuchungen. S. 4i. n. 35.
•) Mahn a. a. 0. S. 145. n. 115. — Vergl. die Abhandlung: Ein« baskUcfee
Sprach probe. S. 35.
10) Mahn a. a. 0. S. 128. n. 103.
«0 Mahn a. a. 0. S. S7. n. 72.
IS) Mahn a. a. 0. S. 137. n. 107.
<S) Mahn a. a. 0. S. 87. n. 71.
1^) .Mahn a. a. 0. S. 15. n. 12.
1*) S. die Abhandlung: Über das baskische Alphabet. S. 2.
über das lateinische u. romanische Element in der baskischen Sprache. 243
dass sich darüber eine bestimmte Regel aufstellen liesse, wann das
Eine oder Andere einzutreten hat. Man muss sich daher in diesen
und in anderen Fallen mit einer Zusammenstellung begnügen, welche
auf dasjenige in der Mannigfaltigkeit hinweist, was das Gewöhn-
lichere ist.
In der Grammatik der romanischen Sprachen ron Diez besitzen
wir ein Fundamentalwerk zur Beurtheilung des Verhältnisses des
Latein zu jenen Sprachen. Das erste Buch dieses Werkes behandelt
die Lautlehre und bietet für das Verhältniss des Latein zum Baski-
schen eine lehrreiche Parallele, während das zweite, welches die
Flexion zum Gegenstande hat, hier wegen des ganz eigenthiTknIichen
Organismus, welchen die baskische Sprache sich bewahrt hat, keine
derartige Anwendung erfahren kann. In der nachfolgenden Zusam-
menstellung haben wir uns, eben um jener Parallele willen, an die
Ordnung in gedachtem Werke angeschlossen.
II.
Die Vokale der in die baskische Sprache aufgenom-
menen lateinischen und romanischen Wörter.
1. Das lat. a bleibt im Baskischen, sowohl im Anlaut als auch
im Inlaut» in der Regel unverändert; als Beispiele können dafür dienen;
anima, bask. alima und arima, arca, bask. arkha^ cathedra, bask.
kadirat charitas, bask. karitate, clarus, bask. klaVy pala bask. pliala.
Was den Auslaut anbetrifFt, so findet sich allerdings auch hier das
— a wieder, aber dieses bask. a ist der dem Worte beigesetzte
Artikel.
2. Jene Regel erleidet indessen einige Ausnahmen : steht näm-
lich das a Tor einem n *), so verwandelt sich dasselbe in at, z. B.
ancora wird aingurup angelus: aingeruj anguiila: aingira^ sanctus:
saindtia; doch steht sangra statt des franz. saign^e. Dieselbe Er-
scheinung der Verwandlung des a in ai findet sich auch in den roma-
1) Vergl. Di ex, Grammatik der romanischen Sprachen. Bd. 1. S- 123, u. ff.
3j Vcrgl. Dies a. a. 0. S. 125.
244 Phillip»
nischen Spi-achen <), wo sich a auch vor m erweitert, was im Bas-
kischen nicht der Fall ist, wo z. B. amor sich als atnodio wieder
findet. Der Übergang des a in ai wird auch vor q und / angetroffen.
Dahin gehört aqua ardens «-> aigardetiU im labourdinischen Dialekt
ngordienU im SQjiletinischen augardient; eben so fraide für frater
(Klosterbruder). Hiermit kann nicht in Parallele gestellt werden
adamas, welches Wort in seiner Bedeutung fQr ^.Magnet** im Bas-
kischen wie im Französischen aimant lautet, wonebeu sich freilich
auch bask., span. und port. iman findet. Das ai in aimant ist nicht
aus a vor einem d hervorgegangen, sondern in dem ai ist zugleich
das d von adamas enthalten.
3. Hin und wieder kennt das Baskische den Übergang des tat.
a\i\ e\ z. B. lat. arrha, bask. erres, so wie auch das franz. laquais
sich in lekheisa und attacher sich in estekaiu verwandelt.
4. Häufiger verändert sich lat. a in t, z. B. iat. sarmentum,
bask. chirmendti.
E.*)
1. Dieser Vokal bleibt öfters im Anlaut wie im Inlaut unver-
ändert, z. B. in eUza, worin sich ecclesia verwandelt hat, wobei es
zweifelhaft ist, ob franz. egiise oder span. iglesia als Vermittlung ge-
dient haben; ferner gehört hierher abendo: lat. adventus; der Name
des Decembermonate», nicht minder (er^rege lat. rex, (er)regle lat.
regula.
2. Bisweilen findet sich aber auch Übergang des e in a, ^e
denn aus lat. emenda: amanda^ aus franz. enchere: anchera* span.
empecer, franz. empScher: emphatchu yfxvA^'). Ob alabar^ welches
zugleich spanisch ist, sich aus elevare ableiten lasst, erscheint zwei-
felhaft, aber fast noch mehr, ob es zu dem nur plautinischen allaa-
dare zu stellen sei*).
3. Wenn lat. e sich im Baskischen als ai wieder findet, z. B.
renes als (er)rainak ^ so rührt dies hier doch wohl von dem Durch-
gang durch franz. reins her, obschon amurraina = murena.
') V'er^i. Dies, Wörterbuch der romaalschen Spmchen. S. 113.
^J Verg^l. Diei, Grammatik. S. 127. u. ff.
^) Diez, Wörterbuch. S. 4S6 üsit es zweifelhaft, ob empecer zum lat. inpedire
grehört.
<>) Diez, Wörterbuch. S. 452.
über dM lateinische u. romanische Element In der baskischen Sprache. 245
4. Bisweilen geht lat. e auch in bask. t über, z. B. iipula als
deminutiv Ton cepa.
5. Daneben wandelt sich lat. e auch in o; z. B. resina ist bask.
{ar}rochina, pulvis, -eris: bask. bolbora.
6. Während aus regula im Baskischen erregle wird, verwandelt
sich tegula in teila.
7. Nach dem bask. Worte briu für ebrius zu scbliessen, wurde
e im Anlaute bisweilen weggeworfen; indessen mag Chaho ?) wohl
Recht haben, dass dies ein baskischer Neologismus sei, um so mehr,
da die' Sprache för diesen Begriff das einheimische Wort ordia oder
hordia hat.
1.0
1. Im Anlaute wie im Inlaut bleibt i unverändert, z. B. imago:
imachina, scribere: iskribatu, und viele andere Wörter.
2. Häufig geht es in e über, z. B. diabolus wird deabru (auch
debrü), diminuere: demenitUf invidia: embidia (was freilich auch
spanisch ist), impostor: embustari (span. embustore), invalidus:
embaldi
3. Zuweilen tritt an die Stelle des t der Diphthong eif z. B.
für linea: leinua, für Signum, signale: seinhale, fiir vitrum: beira.
4. Übereinstimmend mit dem Spanischen tritt auch bask. a nn
die Stelle des i bei der Negation m, z. B. intrepidus: bask. atrebit
(span. atrevido).
0..)
t. Das lat. 0 findet sich auch im Baskischen wieder, wofür
honor in seiner Umgestaltung zu ohore, dolor: dolop als Beispiel
dienen.
2. Übergang in a zeigt arloia für horologiun, doch kann dies
Wort auch anders erklärt werden ^^). Dem analog ist das mittellat.
octrojare (span. otorgar) zu atroia geworden.
'') Chaho, Dictionnaire. v. brtu.
^) Dies, Grammatik a. a. 0. S. 131 n. f.
•) Dies a. a. 0. S. 136.
^^) S. unten bei dem Buchstaben it.
246 P h i 1 U p •
3. Wenn das bask. lekhua wirklich aus dem iat. locus herzu-
leiten ist, so wäre dies ein Beispiel einer Wandlung des Iat. o in
bask. e.
4. Häufiger ist die Erweiterung des o in oi, welche in dieser
Weise in den romanischen Sprachen nicht vorkommt. So ist Iat. leo,
bask. leoin oder lehoin» solus: choiL Die franzosischen Wörter
aumdne, ratou, rigole lauten baskisch: amoith (ar)ratoin* (ar)ro\i
5. Auch in u wandelt sich o» wie sich dies in iAtcma = coma
zeigt. Insbesondere gestaltete sich das Iat. con- im Baskischen zu
kunt'f z. B. conversatio zu kumbersa^ convertere zu kumbertitu.
6. Für den Übergang des franz. o in bask. au gibt das franz.
Wort Huguenot als bask. Higanaut ein Beispiel.
1. Die baskischen Worter mvndu^ muru und mutu entsprechen
den lateinischen mundus, murus und mutus, und zeigen somit den
Fortbestand des u.
2. Verwandlung in i findet sich in makhila für baculus, in büo^
für vellus.
3. Daneben findet sich Übergang des tc in o ; z. B. humor: omo-
rea, pilula: pirola^ Augustus: Aboztoa,
4. Franz. m geht ebenfalls int über; so in Huguenot, husk.Higanaut.
Ae.i«)
1. Der Diphthong ae findet sich im Baskischen nicht wieder,
sondern geht in ai über; so ist aire das Iat. aer«'}* Auch hat das
Bask. das Iat. Wort aequalis in der span. Form higual recipirt.
».
2. Ein Übergang des ae in u stellt sieh in dem Worte burfiditi
entgegen, welches einen Menschen von übermässigem Selbstvertrauen
bedeutet und wohl von dem Iat. praefidens herzuleiten sein durfte i^).
li) Dies a. a. D.S. 141 u. IT.
>2) Dies a. a. D.S. 147.
IS) S. oben S. 2U.
14) S. Chaho, Dictionnaire t. Burfiditi.
über daa lateinische u. rnmanitche Element in der baskischen Sprache. 247
Au. «5)
1. Der Diphtong au ist dem Baskischen nicht fremd, z. B.
auzoa heisst „der Nachbar". Er dauert daher auch in mehreren
recipirten Wörtern fort z. B. laudatu^ Inndagarria, so auch in
solchen, welche den Umweg durch die romanischen Sprachen gemacht
haben, z. B. ausart (kQhn, waghalsig).
2. In mehreren Wörtern ist das u des Diphtongs fortgeworfen,
z. B. audire ist zu aditu geworden; daher aditzallea =» aiiditor,
nditzana = auditorium, adiundea = audientia, Aboztua = Augustus.
Eben so wird das u auch in den durch das Französische verwickelten
Worten beseitigt; aus aumdne z. B. wird amoin; daneben kommt,
was beiläufig erwähnt werden mag, auch ein direct von eleemosyna
abgeleitetes Wort in der Form en'emtisina vor.
3. Das lat. alauda findet sich bask. als aloeta vor, was wohl
aus dem fr. alouette entnommen ist.
III.
Die Oonsonanten der in die baskische Sprache auf-
genommenen lateinischen und romanischen Wörter.
1. Die Lippenlaute.
1. In einigen Wortern, z. B. purga^ prozes, bleibt p unver-
ändert.
2. Sehr häufig geht lat. p in bask. b über z. B. parcere : bark-
hatUt pascha : bazko, peccatum : bekhatut pix : bike, porta : borthe,
pulvis: bolbora^ capitulum: kabildu» sapo: chaboh sepia: chibi,
cupa : kuba.
3. Bisweilen wird lat. p im Baskischen aspirirt; z. B. pala:
phala, pausa: phausa.
«») Dies a. a. O. S. 148.
!•) Dies a. a. O. 8. 177 ti. ff.
248 Phillipi
4. Hin und wieder tritt f an die Stelle des p» z. B. frogaizea:
probare.
5. Übergang des p in m findet sich in mendecoste für penteeoste.
B. i^
1. Lat. b dauert sowohl im Anlaute, als auch im Inlaute fort,
z. B. blasfemio» baba (faba) ; so auch in französischen Wörtern, z. B.
bleu : bask. blu.
2. Übergang des b in p findet sich in (ar)ropa für franz. roba.
3. öfters wandelt sich b in m, z. B. makhila für baculus, bre^
menda f&r praebenda; eben so ist aud dem franz. bain das bask.
mainku hervorgegangen.
4. Auch bask. g tritt an die Stelle des lat. 6, z. B. frogaizea:
probare.
5. Die Consonantengruppe bs verwandelt sich in z, z. B.
absynthus : azenxioa.
F.«)
1. Der Buchstabe f ist ein im Baskischen verhaltnissmassig
seltener: ursprünglich fremd hat er sich jedoch in manchen Wörtern
erhalten z. B. facti, fedea» feria, fidauzia^ fulia. Im Inlaute ist schon
im Lateinischen f sehr selten, um so weniger ist es an dieser Stelle
im Baskischen anzutreffen, doch bietet azufaife ein Beispiel dafür.
2. Öfters geht finb über, z. B. festum wird beHa.
3. Aus spanischem Einflüsse lässt sich wohl lat. f = bask. h
erklären, z. B. hago für fagus, hami für fames, holtu für folium.
4. Häufig wird fim Anlaute gänzlich fortgeworfen; daher wird
aus fervere bask. erber, aus ferrementum, erremenie. Wenn dies in
den angeführten Beispielen vor einem Vocal geschieht, so kommt
es um so häuflger bei nachfolgendem Consonanten vor. Demnach ist
flamma bask. lama» flos: lorea; übrigens steht/* hierin nicht allein,
sondern auch gloria wird zu loria, pluma zu luma.
<^ Dies a. a. CS. ISO n. ff.
<8) Dies a. a. 0. S. 184.
über das lateinische u. romanitcbe Element in der beskisehen Sprache. 249
1. Der Buchstabe v ist eigentlich dem Baskischen nicht bekannt;
von den verschiedenen Wandlungen, welche derselbe in den lateini-
sehen dort recipirten Wörtern erfahrt, war schon oben die Rede <^).
Der eigentliche Stellvertreter des lat. v ist bask. 6» dessen sanfte
Aussprache ihm ebenfalls ganz nahe kommt. Dieselbe Erscheinung
findet sich aber auch in altrömischen Denkmälern vor'i) und ist
allen romanischen Sprachen gemeinsam *a^. Als Beispiele aus dem
Baskischen mögen angeführt werden: Benus für Venus, banaloria:
vana gloria, bilos: vellus, bezpera: vespera, beztüu: vestire, 6er-
tude: virtus, bizio: vitium, borundaie: voluntas, botz: vox. Eben
so Verhaltes sich auch im Inlaute: zerbitzu: servire.
2. Des Überganges vom lat. v in m geschah ebenfalls schon
Erwähnung. Als Beispiele gehören hierher: makhila: baculus, men-'
dicaria; vindicare, lemania: franz. levain, menhira: Ventura.
3. Bisweilen findet sich auch ein Übergang des v in ^, z. B.
fagor für favor.
1. In der Regel bleibt m im Anlaut unverändert, doch kommen
mancherlei Ausnahmen vor, indem lat. m auch zu b wird; z. B. lat
murmur bask. burrutna.
2. Im Inlaute kann das Baskische das m vor n nicht ertragen,
sondern hilft sich mit Stellvertretung durch einen Vocal. Daher wird
lat damnum bask. dainu.
3. Ebenso duldet das transpyrenäische Baskische das m auch
im Auslaute nicht, sondern verwandelt es in n; dem haben sich auch
die biblischen Namen Adam, Bileam, Mesraim unterwerfen müssen,
die in der Form Adan^ Bilean, Mesrain erscheinen. Im Labourdini-
schen wird dies nicht beobachtet, wenigstens hat Duvoisin in seiner
«•) Dies a. a. 0. S. 1S6.
*^) S. oben 1. S. UZ,
*') S. Corssen, Anssprache, Vocaliimus und Betonung. Bd. 1.
SS) Dies a. a. 0. S. 1S6 u. ff.
23 Dies a. a. O. S. 188 n. ff.
Sitsb. d. phil.-hiit. Cl. LXVl. Bd. 11. Hft. 17
280 Phillips
BibelQbersetzung 4as auslautende m in solchen Namen beibehalten.
Dennoch tritt die Regel insoferne in manchen andern Wortern
hervor, als lat. donum z. B. bask. zu dohain wird.
4. \yenn fr. murene in amurraina der baskischen Bezeichnung
für lyForelle** enthalten ist, so böte sich hier ein Beispiel eines Vor-
schlages des a, wie er sonst vor r und t vorkommt.
2. Die Kehllaute.
1. Vor allem muss hier von der Aussprache des c als eines
Sibilanten vor e und i abgesehen werden, die dem Lateinischen
ursprünglich ebenfalls fremd war *»). c erscheint im Baskisehen aneh
Yor a, 0 und u, so wie vor einem Consonanten als k wieder, nur wird
im letzteren Falle regelmässig zwischen dem k und dem darauf
folgenden Consonanten ein Vocal eingeschoben. Als Beispiele mögen
dienen: calix: bask. kalüz, cathedra: kadira, capeila: kapera, co-
gnata: konnata^ currere: kurritu^^y Häufig wird aber das k im Bas-
kischen aspirirt, z. B. catena: khadirna, Corona: khoroa, coma:
khuma^ crux: khurutze.
2. Eben so häufig ist der Übergang des c in ^; z. B. calx:
galtz* Camera : ^aiit6^ra, castelhim: ^a2;fe/fi, castigare: gastigatu,
cerasus: gerezu corpus: gorphiäz, crux: gurutsu.
3. Auffallend ist im Gegensatze zu dem vorhin gewählten Bei-
spiele cerasus: gerezi der Übergang des c in dem Worte coelum in
bask. zeru (soulet. zelui), was offenbar späterer Corruption zuzu-
schreiben ist.
4. Ein Übergang des c in ^ findet sich in dem bask. tiptUa, was
dem lat. caepula entspricht.
5. Während cc im Spanischen und Französischen sich in g
verwandelt, z. B. ecciesia in iglesia und eglise, wirft das ßas-
kische den Gutturalen ganz fort und macht daraus SUza.
3«) Dies a. a. O. S. 191 u. ff.
>^) 8. die Abhandlung : Über das batkitche Alphabet S. 30.
**) Wegen des Inlaates s. die Beispiele su dem Buchstaben X unter 2.
über das lateinische u. romaoische Element in der baskischen Sprache. 251
«
1. Der zusammengesetzte Buchstabe es oder x ist eigentlich
dem Baskischen fremd» obschon das Zeichen w in neuerer Zeit im
Schreiben öfters angewendet wird. Es ist aber gewiss richtiger, wie
man aus den Beispielen crux = gwnitinu vox =» hotz entnehmen
kann, wenn man lat. x als bask. ts fasst und sollte daher nicht
aberax sondern aberatZf nicht Axular, sondern Atzhlar schreiben,
wobei an die Parallele erinnert werden mag» dass auch die Italiener,
wenn sie lateinisch sprechen, das x durch ts wiedergeben.
2. Das in dem x enthaltene c » ^ tritt im Baskischen doch
öfters hervor, indem z. B. pax, -acis zu pake^ pix, -icis zu pike
geworden ist.
1. Man hat in der neueren Schreibweise das lat. q wohl auch
beibehalten, aber es ist meistens als überflüssig beseitigt a») und
durch kh ersetzt worden. Daher schreibt man quitanza und khitanza,
quiloa und khiloa.
2. Statt dessen findet sich auch der Übergang in die beiden
Gutturalen g und k. Demnach wird aus quatuor tempora; garta-
dembora und aus franz. quitter: g(uJaitaHi*^), wogegen das lat.
quasi sich in kasik verwandelt hat; auch schreibt man für quitter:
kitatu.
1. Der Buchstabe g bleibt in mehreren Wortern im Inlaute
auch im Baskischen unverändert, z. B. largus bask. largoa. tm An-
laute wird auch wohl aufiallender Weise, da das ^askische di^9.
sonst vermeidet, ein r eingeschoben, z. B. gabella findet sich in der
Form grabela.
«7) Dies a.a. 0. S. 206 u. ff.
28) Dies a. a. 0. 8. 212.
3«) S. die Abhandlung: Über das baskische Aiphabet. S. 31.
s®) firklfirt sich daraus oder aus guaita (guetter) der Familiennime : Guaita?
S<) Dies a. a. 0. 8. 214 u. ff. '
17*
252 Pbillipa
2. Übergang des g mk bietet kente für genus : daneben kommt
aber aucb vor gens = gente, virgo »= birgina.
3. In manchen Fällen geht g im Inlaute in ch ober, z. B. afOigere :
aflichi, digerere : dichiri^ imago : imachina,
1. Dass j im Anlaute unverändert bleibt, zeigt das in der
lauretanischen Litanei vorkommende Jt/^^iWareis mürala; eben so ist
jocare = jocaiu,
2. Im Inlaute wandelt sich j\ gleich dem g^ in ch^ z. B. ejicere
wird echatu.
H.«0
1. Da die cispyrenäischen Dialekte die Aspiration durch h beson-
ders lieben, die jenseits der Pyrenäen aber meiden, so ist es daraas
erklärlich, dass demgemäss das lat. h eine verschiedene Behandlung
erfuhr. So findet man z. B. histrio bask. histrudion wieder, auch
wird übereinstimmend mit dem Spanischen heredero gesagt; ja
bisweilen wird, auch im Einklänge mit dem Spanischen, h als Spiri-
tus asper vorgeschlagen, wo er im Lateinischen sich nicht findet;
z. B. aequalis wird higuaL
2. Häufig und zwar nicht blos in den transpyrenäischen Dialekten
wird das lat. h gänzlich abgeworfen (z. B. omorea: humor) oder
aus dem Anlaute an die zweite Stelle gesetzt (z. B. ohorea : honor).
Dennoch möchte es doch nicht so ganz gewiss sein, ob die bask.
Worte asta und aberea von dem lat. hasta und habere herzuleiten
seien, obgleich in den Begriffen allerdings eine Verwandtschaft vor-
handen ist: asta bedeutet nämlich «die Deichsel'' und aberea »das
Vieh**, »die Viehheerde", wozu dann aberax »reich**, d. h. »derVieh-
heerden Besitzende*' \kxiiiaberax-tu »reich werden **, »sich bereichern^
gehört.
3. Dass lat. herinaceus, fr. h^risson in sagarroia fortlebe, wie-
hin und wieder behauptet wird, ist sehr unwahrscheinlich.
s<) Dies a. a. O. S. 210 n. ff.
SS) Diez a. a. 0. S. 221 u. ff.
über dat lateiniache u. romaDitche Element id der baskischeo Sprache. 253
3. Die Zungenlaute.
T. und Th. »*)
1 . Es lässt sich nicht als Regel aufstellen, dass lat. t im Bask.
unverändert bleibe, es kommen jedoch mancherlei Beispiele davon
vor» z. B. tela (Leinwand), tegula: teila.
2. Häufiger geht t in d über, z. B. adventus: abendoa, catena:
khadinna^ cathedra: kadira (prov. cadeira), rota: (ar)rodaf sanc-
tus: saindua^ tempus: dembora, taberna: dafarruit fr. t^ton« deutsch:
Zitze •>) : dühi. Auch fr. U erfahrt die nämliche Veränderung, z. B.
debatte wird debadio,
3. Merkwürdig ist der Übergang des t in cA, z. B. meritum
wird zu merechi, ähnlich wie impedire zu der Form empecher und
im bask. emphatchu gelangt ist. Obschon dieses ch dem Proven-
zalischen sehr geläufig ist, z. B. profechar für lat. proficere, allachar
für allaiter, so findet sich dort die Form merechi nicht vor, sondern
es hat sich merite erhalten. Da nun das Baskische mehrere solche
romanische Worter aufgenommen hat, in welchen das ch an die
Stelle eines ursprünglichen lat. t getreten ist (z. B. mesperetchu für
m^pris)» so dürfte auch alcha <*), alchatu (analog dem ital. alzare)
auf altus (exaltare) zurückzufuhren sein.
4. Bisweilen wird dem i ein a vorgeschlagen, z. B. theriaca
bask. afriaca, thyunus, bask. (und span.) atun»
D. ")
1. Im .allgemeinen ist von d zu bemerken, dass es keine Ver-
änderung zu erleiden pflegt, wie dasselbe sich z. B. in deabru,
desideratut donceila erhalten hat.
2. Bisweilen findet sich Übergang in /, z. B. differentia ver-
wandelt sich in liferenzia* wohin auch f^anz. danger s= bask. lanier
gehört.
*^) Dies a. a. 0.8.222.
^^) Ver^l. Diez, Wörterbuch. 8. 345 u. a. w. tetU.
**) Vergl. L. Bonaparte, Cantiettni Canticorum.
*"*) Dies a. a. 0.8. 226.
254 phi in p«
1. Wenn sich im Baskischen für das lat. Zahlwort sex die Be-
zeichnung «W, wie im Italienischen, findet, so ist dies wohl kaum
aus einer Aufnahme aus dem Lateinischen zu erklären, sondern man
darf hierbei wohl an einen weiter hinaufreichenden Zusammenhang
denken.**). Das Gleiche mochte von zazpi gelten, welches das Zahl-
wort für Septem ist, so wie von dem überall wiederkehrenden Worte
Saccus s= bask. zacua , was auch als sacculus » sakhelu in ier
Bedeutung von Tasche vorkommt
2. Das lat. s hat sich in vielen Wortern erhalten, z. B. saindua
^ sanctus, aalbo >b saivus, saliga «» salix, seda » seta u. s. w.
Beiläufig mSge bemerkt werden, dass die baskische Sprache in dem
Worte aatelttf welches MSegel** bedeutet, an das Deutsche anzu-
klingen scheint.
3. Am häufigsten ist der Übergang des 8 in ch^^} und zwar
sowohl im Anlaute, wie im Inlaute. Beispiele dafür sind : sapo (sp.
jabon) bask. chaboif sarmentum: chirmendUf solus: cfcoJ4 sepia:
chibit bissextilis: bichisto, resina: (^arjrochina, Mars: Marchoa;
auch dürfte luscinia, altfr. lussignol, sp. rossignol *<) « erre&hinalet
hieher zu ziehen sein. Die Wandlung des s in ch findet sich aber
auch im Auslaute, z. B. franz. au moins, bask. omench.
4. Sodann findet sieh 8 im Baskischen auch als z wieder, z. B.
servire: zerbUzatu, sors: zarihe (aber auch charte). Auch das
doppelte 88 verwandelt sich in s, z. B. missa: bask. meza.
5. Wichtig ist auch der im Baskischen verbreitete Gebrauch,
dem 8 impurum, welches auch dann öfters in ch übergeht, einen
Vocal vorzuschlagen. Dieser ist entweder ein e oder ein ^ z. B.
schola: eakolüt sperare: eaperatu, Spiritus: i8piriiu, scribere: iskri"
batUf stuppa: ichtupa. Das ch ist ausserdem noch in denjenigen
Fällen gebräuchlich, wo dem 8 impurum noch die lat Präposition
S8) Diezii. a. 0. S. 230 u. ff.
'*) Vergl. vDten bisfeitilit ^ hiehUto, wonaeh lat. sex in den Wörteni ybdrta
wfirde, welche im Batkischett das s in eh wandelt.
40) Wegen dieses Lautes s. die Abbandlnng: Über das baskiache Alphabet. S. 19.
*0 S. Dies, Wörterbuch. S. 297.
über das lateinische u. romanische Element in der baskischen Sprache. 25S
in Toraufgeht; z. B. instans (fr. instant) wird ichiant^ instinctus:
ichtifäo.
6. Zweifelhaft erscheint der Vorschlag des Vocals vor einem 8
purum; man muss ihn annehmen, wenn lat. siccare :» bask. hekitUt
Signum = izena, sordes = izerdia ist ^<).
N. ")•
1. In naturaleza und manchen andern Worten bleibt n im An-
laute unverändert. Dahin ist aber negua „der Winter***^) wohl
nicht zu zählen, obschon eine Verwandtschaft mit nix Wohl nicht
ganz Ton der Hand zu weisen sein dürfte.
2. Es geht aber auch n sowohl in m als in r über, wie anima
sowohl alima, als auch arima im Baskischen lautet» so wie alimal
und arimal neben einander vorkommen.
3. In dem baskischen Worte eskidancha oder auch eskudancha
trifft man auch ein Beispiel eines Überganges des n m d an, indem
mit jenem Worte das franz. esquinancie MHalsbräune** wiedergegeben
wird.
4. Auffallend ist, dass man keiner Wandlung des n in m begeg-
net, da diese sonst im Baskischen häufig ist. Beim Zusammentreffen
mit b und mitp wird nämlich n ganz regelmässig zu m, z. B. nombait
für nonbait, lehembizico für lehenbizico, mempetu für menpetu^^),
5. Hin und wieder wird n ganz fortgeworfen, z. B. aus corona
wird khorottt aus honor: ohorea.
L. *•)•
1. In vielen Wörtern bleibt l bestehen, z. B. largoa ss largos
legea = lex, legis, leinua =» linea u. s. w.
2. Im Inlaute hat sich l häufig in r verwandelt; so in beladra
SK veratrum, borondaie ^ voluntas; deabru = diabolus, pirola =
^') Vergl. Blad^, iftudes snr l*origine desBasqaes. p. 271. not. 1.
*S) 8. Dies, Grammatik. Bd. 1. S. 285,
^^) 8. die Abhandlnng : Über die Einwanderung der Iberer in die pyreniische Halb-
insel. S. 19 n. f.
^*) Vergl. ran Eyss, Essai d'nne Grammaire basque. p. 7.
^•) Dies a. a. O. S. 240 u. ff.
256 Phillips
pillula; Tielleicht gehört auch grinatu hierher, welches Wort in der
Bedeutung von (in)clinare erscheint.
3. Das // wird im Baskischen, wenn nicht r, wie in pirala, und
kapera für capella, zu einem einfachen 2; z. B. castellum bask.
gaztelu, vellus: bilos. Das Wort domicella kommt in den beiden
Formen: donzeüa und donzeila vor.
1. Über die Erscheinung, dass das Baskische kein r im Anlaute
duldet und dass daher auch alle in diese Sprache aufgenommenen
Fremdworter sich dem Gesetze haben fQgen müssen, dem zu ver-
doppelnden r einen Vocal vorzuschlagen, ist bereits an anderer Stelle
die Rede gewesen ^s). Es mögen hier noch zuvorderst einige Bei-
spiele angeführt werden: arrabanja: revindicare, fr. revanehe,
arrabaska: fr. ra vager, arrabota: fr. rabot, arraka$ta: fr. requdte,
arrachtä: fr. rechüte, arraia: lat. radius, fr. raie, arraUa: fr. railler.
atramu: lat. ramus, arranda: fr. rente, arraposta lat. responsio,
arraro: lat. rarus, arrasa: fr. raser, arraspa: fr. (pain) lipe,
arrastela: fr. rateler, arraza: fr. race, arrazoin: lat. ratio, fr.
raison, arrega: lat. rigare, span. regar, arrenkura: lat. raneor,
arribant: fr. ruban, arribera: fr. rivi&re, arrachina: lat. resina
arropa: fr. rohe, arroda: lat. rota, arroila: fr. rigole, arrosa: rosa,
errabia: lat. rabies, erramu: lat. ramus, errebala: fr. rebeller.
erreberenzia : lat. reuerentia, errege: lat. rex, erregina : lat. regina,
errebut: fr. rebdt, erremedio: lat. remedium» errezibi: lat. recipere,
sp. recibir, Erroma »» Roma, hirrisku: fr. risque, irri: lat ridere,
fr. rire.
2. Auf die Frage, ob dieser Vorschlag des Voeals baskiscbeo
Ursprunges sei, ist ebenfalls schon eingegangen worden^*). Es findet
sich dieser Gebrauch im Provenzalischen auch vor&<>), z. B. arrapa
und arrabar: rauben, arrazo, arrecebra, arrega, arrenc, arrenda^O
^7) Dies a. a. 0. S. 247.
^*) 8. die Abhaidivn^ über das baskiscbe Alphabet. S. 86.
**) 8. ebendas. S. 37.
*^) 8. Blad^ a. a. O.
^^) Versal. Raynouard: Leiiqae RonatB. Vol. VI. p. S7.
Üb«r das lateinische u. romanisch« Element in der baskischen Sprache. 257
u. s. w. Für den baskischen Ursprung scheint der Umstand zu
sprechen, dass nur in dieser Sprache der vocalische Vorschlag vor
dem r ganz allgemein ist, wahrend das Romanische das r auch im
Anlaute duldet» sodann auch der, dass hier nur a, nicht aber auch e
und f als Vorschlag bekannt sind.
3. Auch das mag der Vollständigkeit wegen wiederholt werden,
dass das anlautende r im Baskischen auch dadurch beseitigt wird
dass es vom Anlaute zurücktreten muss ; daher wird aus renegatus :
amegatf aus reinette : arnet. Vielleicht Hesse sich auf diese Art auch
der Übergang von horologium oder vielmehr des span. reloj in arloia
erklären.
4. Im Inlaute und Auslaute geht r öfters in / über, z. B. furia
in fulia, fr. guerre bask. gerla, arbor bask. arboL
5. Hin und wieder findet sich auch der Übergang des r in d,
z. B. amor: amodio, prima vera : jirtman^a.
6. Im Inlaute wird r verdoppelt, z. B. murena: amurraina.
IV.
Vergleichende Tabelle s&mmtlicher Buchstaben.
1. Vocale.
Lateinisch
a
an
ad^ m. fr. aim
9
aq. sp. ag
e
Baskiseb
a
e
t
aim
ain
aig
e
a
ai
t
0
ei
258
Phillips
Lateinisch
in (Negation)
0
fr. 0
u
ae
au
Lateinisch
ba
2. Consonanten.
Baskisch
e
ei
a
a
e
oi
u
au
u
at
au
f
u
a
oe
Baskisch
b
ph
m
P
m
9
z
b
h'
b
m
9
über das lateiDiscbe o. roouioiiche Element in der baskitchen Sprache. 2S9
LateiDitch
m
—Hl
mn
CS
i
9
—9—
w
—J—
U th
fr. — «-
s
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8i
n
Baskiseh
m
(a)m
b
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9
t
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J
h
t
n
kh
k
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ch
d
ch
(a)t
d
l
ch
z, (t)z?
9
e$k, isk
espf isp
est, icht
m
r
d
260
P h i I I i p I . Über dt« liUiaitcha an4 roauUdie Bltnent ete.
LateinUeh
l
-II-
Baikiseh
/
r
/
Ca)rr
(0(rr)
(h)i(rr)
l
d
M n i I « r. Arnieniacii III. 261
Anneniaca.
IIL
Von Dr. Friedrich Müller,
PrefCM«r in d«r Wiener UaiTertitiit.
I. Das Auslaut- und Betonungsgesetz der armenischen
Sprache.
Bei der Betrachtung der Auslautgesetze des Armenischen
sollte eigentlich von jener Sprache ausgegangen w.erden, aus welcher
das Armenische sich entwickelt hat, d. i. der eränischen Ursprache.
Da wir jedoch diese nicht kennen und auch eine nach wissenschaft-
lichen Grundsätzen vorgenommene Reconstruction derselben aus den
beiden uns näher bekannten alteränischen Dialekten M^egen Unvoll-
ständigkeit des überlieferten Materials etwas gewagt erscheint „ so
werden wir uns im Ganzen an diese zwei Dialekte halten müssen, da
sie höchst wahrscheinlich Ton jenem Dialekte, welcher dem Armeni-
schen zu Grunde liegt, nicht allzusehr abweichen dürften.
Von diesen beiden alteränischen Dialekten, welche wir etwas
genauer kennen, nämlich Ost-Eränisch ^Alt-Baktrisch) und West-
Eränisch (die Sprache der Keilinschriften der achämenidischen Konige)
zeigt der erstere dem letzteren gegenüber einen freieren Auslaut. Er
schliesst nämlich seine Wortformen, ausser mit allen Vokalen, mit
den einfachen Consonanten n, m, f, g, s (vor 7t, m, g können auch
nasalirte Vokale stehen) und' mit den Consonantengruppen ng^ khs,
fSf gtf aU rSf khst.
Die Sprache der achämenidischen Keilinschriften schliesst da-
gegen ihre Wortformen nur mit Vokalen und den beiden einfachen
262 Müller
Consonanten m und s, yon welchen letzteres nur nach Vokalen,
welche nicht a sind, vorkommt.
Als das Armenische Yom gemeinsamen Stamme sich losloste,
hatte es wahrscheinlich Auslautformen, welche im Ganzen mit jenen
der beiden soeben genannten Dialekte übereinstimmten; es ist sogar
nach dem übrigen Charakter der Sprache anzunehmen, dass das
Armenische in dieser Beziehung dem Altbaktrischen naher stand, als
der Sprache der achamenidischen Keilinschriften.
Was die Betonung der alterdnischen Sprachen anlangt, so sind
wir darüber gar nicht unterrichtet; es scheint aber, dass, gleichwie
in dem zunächst mit ihnen verwandten Altindischen, der Accent
meistens auf einer der letzten Silben des Wortes sich bewegte. Zu
dieser Ansicht fuhren auch einzelne Vokal - Verlangerungen , für
welche ein lautlicher Grund nicht namhaft gemacht werden kann,
und welche daher nur dem Gegenaccent ihr Dasein verdanken können,
z.B. '»O'^'A (vigpa) Krvigpa (=altind. rif »«)» ^?**^^ (vtmano) für
vimanö (wahrscheinlich == dvi+manas), -»•^f) (bitya) für bitya
(»altind. dvitiyd), j^^ (mhda) für mizda etc. if->>^v^ {vtdvä) =
vidta (altind. vidväs), €f«vi^ (vtgSm) = vigem (altind. vigam),
■-^i»?>C: (yvkhta)^yukhta (altind. ytiit/a), -^J^- (gruta)=gruta
(altind. gruta, griech. xXuto-).
Dieser Accent, welcher an eine bestimmte Stelle nicht ge-
bunden war, scheint wahrend, oder bald nach jener Zeit, in
welcher das Armenische vom gemeinsamen Stamme sich loslöste,
vielleicht durch den Einfluss eines nicht-irischen Volkes auf der
vorletzten Silbe, und in jenen Fällen, wo er auf ein Flexions-
Element zu stehen gekommen wäre, auf der drittletzten Silbe
sich festgesetzt zu haben i).
<) In der Verinderung des Accentes durch- den Einflnss eines sUmmfremdea Volkes
scbeint der nicht geringste AnUss sur Umwandlung einer Sprache xu liegvn. «in
Punkt, welcher bisher Ton den wenigsten Sprachforschern nach Gnbibr gewürdigt
worden ist. So sind die romanischen Sprachen wohl tnm grösseren Theile anf die
durch germanischen und keltischen Mund reranderte Aussprache der röntisehen
Volksdialekte zuracksufuhren : die PrAkrit-Oialekte und die neu-indischen Idiome
zeigen in Betreff der lautlichen Seiten starke Btnflfisse der binterindischw und
Drarida- Sprachen.
ArroenUca III. 263
Mit dieser neuen Stellung desAccentes trat innerhalb der Wert-
formen eine Reihe Ton Veränderungen ein, welche sieh vor allem auf
den' Auslaut derselben beziehen.
Es schwanden nämlich in Folge der schnachen Articu-
lation der letzten Sylbe die schliessenden Consonanten,
namentlich m, iy s, sowohl einzeln als auch als Bestandtheil der
Lautgruppen, nur g hielt sich nach vorhergehendem Nasal, welcher
dabei verloren ging, so dass von der Gruppe Nasal -f- Q i^ur f allein
übrig blieb. In Folge derselben schwachen Articulation sanken
sämmtliche Vokale, ob nun ursprunglich schliessend, oder in Folge
des Schwundes ursprunglich schliessender Consonanten in den Aus-
laut gekommen, zum tonlosen ^herunter, welches in der Schrift gar
nicht ausgedruckt wurde. Nur die Diphthonge S (ai) und 6 (uuj
verkürzten sich zu i und u. Bei betonter drfttletzter Silbe wurde
auch der Vokal der vorletzten Silbe häufig in S geschwächt und folg-
lich in der Schrift ganz fallen gelassen.
Auf diese Weise wurden die meisten Formen der Sprache zu-
letzt in consonantisch schliessende und auf der letzten
Silbe betonte umgewandelt. Formen, wie sie die gegenwärtige
armenische Sprache darbietet.
Indem wir nun dieW^irkungen dieses Gesetzes an den einzelnen
Formen betrachten, werden wir die letzteren nach den beiden Kate-
gorien Nomen und Verbum einer kurzen Musterung unterziehen.
I. N^men.
In Betreff des Substantivums kennt das Armenische innerhalb
der Declinatioii den Unterschied zwischen consonantischen und voka-
lischen Themen, welcher auf die Gestaltung der auslautenden Sullixe
von bedeutendem Einfluss ist. Die vokalischen Themen zerfallen
v^ieder nach den drei Vokalen t, u und a in zwei Reihen, worunter
wiederum der Vokal a, je nachdem er als a oder als o zu Tage tritt,
zwei Unterreihen in sich befasst.
Wir haben also eine consonantische, eine t- und u-Declination,
eine doppelte a-Declination und endlich eine, aus der consonantischen
und der t- und a-Declination zusammengesetzte, sogenannte ge-
mischte Declination zu unterscheiden.
264 Malier
A. Consonantische Declination.
Die Themen serman-'t astep^ lauteten im Nominativ singul. aN
sprönglicb serman^St aatep^s • welche Formen auf der ersten Sylbe
betont sind. Nach dem oben entwickelten Gesetze mussten sie in
sermSn* astSp sich verwandeln, als welche sie in der Schrift durch
ulrptTb (sermn)t mumq^ (^p) wiedergegeben werden.
Der Genitiv singul. lautete ursprünglich serman-as, astep-^u,
in oster&nischer Form aerman-d, tuiep-ö, in westeränischer Form
dagegen serman^üf astep-a, mit dem Accent auf der vorletzten
Sylbe. Daraus muss dem obigen Gesetze zufolge ulrp»fm% (serman),
mumkq^ (asUp) wcrdcn.
Der Instrumental singular. hatte ursprünglich die Form «ennaii*
bhij asteo-^hi^ eränisch serman'bu oBtep^bi im Anschluss an die
slavisch^litauische Form in mi für denselben Casus. In Folge der
Betonungauf dervorletzten Silbe wurde daraus M&pJuttQifserfnam'b),
muuiirqjp. (astep'b)*
Der Ablativ scheint von der Form aermanrddha, asiep-^ka*
welche im Altbaktrischen für diesen Casus sich nachweisen iässt
(vgl. Beitrage zur vergleichenden Sprachforschung von Kuhn und
Schleicher II, 28)» ausgegangen zu sein. In Folge des Accentes auf
der vorletzten Sylbe und des Überganges von dh in h entstanden
daraus die Formen aerman-ah (woraus u&pJm%t (»ermanS) hervor-
ging)» aatep-ah (woraus »uum&qt C^step-S) sich entwickelte 9-
Der Dativ wird bekanntlich beim Substantivum durch den Geni-
tiv ersetzt und auch für den Accusativ singular. tritt der mit dem
Präfix q verbundene Nominativ ein <).
Der Nominativ plural. zeigt uns das Übergreifen der ursprüng-
lich nur den a-Themen zukommenden Endung ^» entstanden aus
0 Die Ablativ-Form to ^ aaa -ai xu erkISren, wie es Bopp thut {y%\. GramiB. II. Aai.
Bd. I, 357) and wie ich ancb früher g^ethan habe (Beitrfi^e sur De«lii»ti<n det
armenischen Nomens, S. 6) ist Tollkommen unznlfisst|p, da einerseit« t xn Ende der
Formen stets abfiUlt, andererseits 4 nie ans blossem a (als firsalsdebnan;, wie
Bopp annimmt) entstanden sein kann.
*) Dass hier der alte Nominativ, nicht der alte Accusativ Torliegt, dies beweisen dit
coosonantischen Themen, welche im Accusativ mwifm» {z-üttp}^ imtirp/%
(z^Mermh) lauten. Steckte in ihnen der alte Accusativ, so könnten sie nicbt aise
lauten, sondern mussten 9LU^mutnh't^(7^ü9tep),^kpJmitCt»Mermmn^=sügtep'€m,
Merman'üm auftreten.
ArmenUca III. )2dO
altbakt W)ir (äfihdjt altind. d$a9 über die ganze DecIination>). Der
Nominativ plural. von den Themen serman-, asiep- lautet demnach
u&pJuA^CaermaH'q^Jf mum&q^^ (astep-q')^ wie wenn die Stämme
sermana-f astepU' lauteten. Dieses ^ hängt sich auch an die Form
des Instrumental plural. als Zeichen des Plurals Oberhaupt an , da
diese Formen serman-bi (Singul.) und serman-bis (Plural.) beide
nach dem Auslautsgesetze zu sermam^b, welches» wie wir oben
gesehen haben, t'ur den Instrumental singul. gilt, werden müssen
und hier also der Unterschied zwischen Singular- und Pluralform
ganz verwischt worden wäre 3).
Auch der Accusativ plural. geht von einem a-Thema aus, wor-
nach t^IrpJmbu {z'SermuH-aJ, quiumk^ (z'CLstep'B) auf die Formen
aermafiäg, astepäg {= sermana + 7W, astepa + nsj auf der vor-
letzten Silbe betont, zurückgeführt werden müssen.
Im Genitiv plural. tritt uns eine Form entgegen, welche der
Pronominal-Declination entlehnt ist und sich an die griechisch-lateini-
schen Formen in -auv, -ariii», -oriim«» altind. -dadm anschliesst.
Die Genitive ubpJutbß {serman-jjt mum&qjf (astep-^) setzen die
erinischen Urformen sermanaeidm^ astepaeidm, also Genitive der
nach der Pronominal-Declination flectirten Themen sermana--^ aatepa-,
voraus, aus denen sie in Folge der Betonung auf der vorletzten
Sylbe hervorgegangen sind.
B, i- und u-Declination.
Die alte Form des Nominativ siugular. der Themen akliti-,
gan^U' (wahrscheinlich auf erdnischem Gebiete aus ganC-ava her-
vorgegangen) lautete akhii-s, ganCu-8, woraus nach dem oben ent-
wickelten Auslautsgesetze tafiiuf (akht)j if-mbl (ganQ werden
müssen.
Die Form des Genitivs lautete ursprünglich akhtais, ganCaus
(nach westerdnischem Vorbilde) =» altind. -Ssy -089 woraus nach der
Regel ut/uinfi (akhti), ^-mblnu (ganCu) wurden.
m
0 ^ = ÄA wie a.=snA in ««vo. alterAn. zahha = altind. Aan#a, wie ^=3^1
«»<v«f«v«^«vtr^=»altbaktr. pa»f»-paÄAa/ia + ya;^ aas -a# zu trkifiren (Bopp,vgI.
Gramm. 2. Aufl. Bd. I. S. 430 nnd 444) ist nnstatthafl.
2) Anden Bopp (Tgl. Gramm. 2. Aufl. Bd. I. 8. 430), welcher -pa mit -Mi# direct
identiflcirt.
Sitxh. d. phil-bist. Gl. LXVU Bd. II. Hft. 18
266 Malier
»
Die Instromentaiform lautete ursprunglieh akkti^i , ganZu-bi
woraus ut^uffit. (akhtiv), f^U«rc (ganZov) hervorgingen.
Im Ablativ zeigen die u-Tbemen eine regelrechte, mit|elst des
Suffixes -ttdha gebildete Form: ^m%imuk CganCovSJ ^ ganZüvddkü.
In den meisten Fällen jedoeh geht die Bildung dieses Casus Ton einem
aus den i- und ti-Themen yerkfirzten a-Thema aus, daher: m^k
(akhtS) = akhtddha, ^mtit C9^nC0 » ganCädha.
Der Plural zeigt Übertragung der Suffixe der a-Themen auf die
t- und u-Themen, wobei letztere, so gut es eben geht, ihren Charak-
ter zu bewahren suchen. — Wir haben im Nominativ m^w^
(akhtq'J, ifjubi4t (9^^W)* '^ Aecusativ qm^mu (z^akhU),
anMtltlu z-ganCO» ^^^ wenn die zu Grunde liegenden Stftmnie
akhia-, ganCa- lauteten.
Die Formen des Genitivs dagegen ui^uffyf (akkiifj, ^aAXmug
(ganCuj) bewahren wenigstens ihren Thema-Charakter, wenn sie
auch Aach Analogie der a-Themen gebildet erscheinen.
C. a-DecIination.
Die Themen trdata», marda^j iepya- lauteten ursprGngHch im
Nominat. singuK trdatas, mardas, iepyaa* alterftnisch irdatah^ mar-
dah, tepyahf woraus nach dem Auslautgesetze mpq,mfm (trdai),
Jiupq. {mardj, m&qjt (iepi) wurden.
Der Genitiv derselben drei Themen lautete der Reihe nach
ursprünglich trdaiasya, mardasya, tepyagyiu aherin. trdaiahya,
mardahyat iepyahya. Formen, welche im Armenischen zu mp^jmmmj
{trdatah), tTmpqjtj (mardoh)^ m&^nj (iepvoh)^ durch Übergang
des y von -ya in v sich entwickelten.
Die ursprQnglichen Formen des Instrumentals irdaia-bi, marda-
biy tepya-bi wurden nach den Auslautgesetzen in a^gp^mmmu
{trdatavjf $/:Mipii.n^ (mardow) und mkq&mu (tepeavj verwandelt.
Der Ablativ fallt gegenwärtig mit dem Genitiv zusammen, wenn-
gleich seine Form (irdaiädha, mardddha^ tepyädhaj von jener des
Genitivs ursprünglich verschieden war.
Der Plural bietet uns folgende Formen : Nominativ : »np^mm^
(trdatq'J^ Jiupq.^ (mat^dq'J »^Irq^^ O^P^i'J entstanden aus alt-
erinischen trdaiärlhas {trdatäAhdJy marddAhas Qnardwkki).
tepydnhas (tepydnhöj; Genitiv: mp,^mmuMß C^datäj}, '^ffs
Armeniaca III. 267
(^mardoj). mlrq^lrmg (tepyeü^) entstanden aus alterftnischen trda-
iaesäms mardaeiäm, iepyaeidm; Aceusativ: fin^^ürmi» {z^irdaUj,
jgJmpqM {z-mards), qmirqhu {z^teptsj^ entstanden aus trdatäg,
tmrMg, tepyäf ; Instrumental : mpq,mmuii.^ ftrdataoq)* Jimp^^n^^
{inardov^q'Jy m&qjrm^^ (tepeavq') entstanden aus irdaiabi9^q\
mardabis+q% fepyabia+q*.
D, Gemischte Deciination.
Diese Deciination ist eine aus den Formen der drei vorher-
gehenden zusammengesetzte. Da sie denselben gegenüber nichts
besonderes darbietet» so kann sie hier, wo es um ein allgemeines
Oesetz sich handelt, fuglich ganz übergangen werden.
Prenemen.
Beim Pronomen» das im Ganzen gleich dem Nomen flectirt wird,
sind in Betreff des Auslautes vor allem die beiden Nominative Sin-
gular, der ersten und zweiten Person zu betrachten, nämlich ku
(^es) und ^/»«. (du)t welche offenbar aus alterUnischen axam
(osterän. azem) und iuam (osterän. tum » tveni) »= altind. aluim
und ivam (yedisch iuani) hervorgegangen sind.
Den Dativen fiil (inZ) » ^^^ C^^) scheinen alteränische
Formen minza, tvaxa » altindogerm. manyha^ tvagha zu Grunde zu
liegen» welche vielleicht von den Genitiven maita» tava ausgegangen
sein dürften.
In den Dativen der übrigen Pronomina auf m, z. B. fiJnLjr
(imum) von ImTum^ {ima'J, i^lUiT (ajnm) von i^iu(aina')^p»rp^
(^imiq'J von/^^ Oq')* dürfte wohl ein alter Lokal stecken ssalterftn.
^hmi =» altind. -smtit. Wären nämlich die Formen reine Dative , so
cnüssie man hinter dem ni ein i als Verkürzung des alten at erwarten.
II. Terbnm.
Wie beim Nomen in Betreff der Auslautgesetze nur die Casus -
Suffixe zu betrachten kamen, ebenso können beim Verbum haupt-
sächlich nur die Personalsuffixe berücksichtigt werden.
Da das Armenische ursprüngliche starke Verbalstämme» welche auf
Consonanten auslauten, nicht kennt, bei denen durch das Zusammen-
18*
268 Malier
treffen des schliessemlen Wurzelconsouanten mit dem Anfangs-
consoiianten des Suffixes irgend welche lautliche VerSnderuDgen ent-
stunden , sondern regelmassig dem Personalsuffixe ein Vokal foran-
geht, dessen Natur aber auf die Gestaltung des Suffixes Ton gar
keinem Einfluss ist, so können wir von dem wurzelhaften Theile des
Verbums füglich ganz absehen und brauchen fiir unseren Zweck nur
die Persoiialsuffixe einer kurzen Betrachtung zu unterziehen.
Die Personalsuffixe des Verbums zerfallen in zwei Reihen,
nämlich :
(. Suffixe zur Bildung des Präsens und der damit zusammen-
hängenden Formen (Conjunctiv, Futurum).
II. Suffixe zur Bildung des Aorists, Imperfectums.
Die Suffixe der ersten Reihe lauten nach den von mir darüber
angestellten Untersuchungen:
Da nun hinter -m, -«, -ii ursprünglich Laute vorhanden gewesen
sein müssen,* so kann diese Reihe nur auf die alten Personalsuffixe
-mi -si -41
'masi "ioBi ^anti
zurückgeführt werden.
^'Cß > ^j^ ^'"^ '^^ 'mahif -inhi, entstanden ; h wurde , da
man es als integrirenden Bestandtheil des Suffixes fühlte, wahr-
scheinlich mit Anlehnung an das Pluraizeichen des Nomens xu ^
erhärtet i).
Das Zeichen der zweiten Person singul. ^a steht gleich dem
ossetischen -s insofern anomal da, als man, entsprechend alleri-
nischem -At «= altind. st, ein A erwarten mochte.
0 Oia Erklinuig ron ^^(o aot -mo«, wie es Bopp tlmt (vgl. GraniB. U. A«fl. Basd U.
S. t73), bernlit traf einem gegen die LattUehre dee Anneniscbea begangenen argen
VerstoMe. Gleichwie aua ursprängiiclieni rrdate-#, erin. trdmU^, im AraeninclMn
ttma,mm§ (trdatj enUtand, müaate aus nraprfinglicbem -m«#, er4n, «umA im
niachen -m eotatftnden aein. Oas^ von «^A» Ifiaat aich nur erUaren, wenn
hinter dem # von -ma« einen VokMl als ursprünglich annimmt, daher man armen
«Vi» nicht an die sanskritische Snffiiform -mos, welche gar nicht nraprnn^ck ist
(Tedisch -maat), sondern an die erAniachen Suflise, altbaktr. -mmhi, altpera. "mmkg
anknApfen mnas.
ArmeBUCii III. 269
Die Suffixe der zweiten Reihe lauten :
Von diesen Suffixen können jene der ersten und zweiten Person
plural. dem alten "tna, -ia unmöglich entsprechen« da sie sonst .tT»
^j lauten mQssten, sondern sie sind offenbare Neubildungen aus den
Präsenssuffixen (ui^^^^arnq^^^ da sieh nur auf diese Weise ihr
schliessendes o erklären lasst.
Dagegen stecken in den Suffixen des Singular alte Formen,
welche, wie es scheint, ursprünglich der Reihe der Medialsuffixe
angehören.
Das i der ersten Person ist aus S entstanden (vgl. altbaktrisch
|0«(1(0ji (apSregt) „ich habe mit Jemanden mich in Fragen einge-
lassen'') und das r der zweiten und dritten Person kann nur aus
einem Dental befriedigend erklärt werden, so dass ^^p und ^p als
Entwicklungen der Suffixe ^thäs und -^a betrachtet werden müssen.
— In derselben Weise ist auch das Suffix der zweiten Person singul.
des Imperativs ^p als aus dem alten ~dhi hervorgegangen zu er-
klären.
n. Zur Etymologie der armenischen Sprache.
UitKUi
* C^^'^s)*
fh- C^r'a^) „Regel, Ordnung**, dann „Maxime, Ausspruch,
Sprichwort** ist dem Sinne nach ganz das altbaktrische (^«^
(räzarS), der Form nach, da es ein t-Thema ist (Genitiv: tun.uth-fi,
Instrumental: ufn.m^lii)f das altindische rd^i „Linie, Reihe** =» altb.
■^^^ (rdzaj „Anordnung**. Zur Wurzel räz „anordnen**, einem
Causale von arSz, (davon SrSzu = altind. rgii) gehört bekanntlich
auch tLutatT^r'azm), t^tuutkputqtP (paterazmj „Sch\sic\ii^^ wortlich:
Schlacht-Ordnung = altbaktr. <*€»»1 (ragman)f dem eine Form
-^i^» (arSza)^ von der Wurzel ar?z direct abgeleitet , zur Seite
steht
270 Mfllltr
iuun
(aar).
mup (a9r) Genitiv: mtmL. {ami) «Vliess, Wolle*» ist gleich den
meisten u-Themen im Armenischen aus einem Thema in »ava lasam-
mengezogen, setzt also eine Form iuava voraus. Das -r im Nomi-
nativ ist ebenso zu erklaren, wie in tPlnupt Genitiv : aPkq_nL. und ähn-
lichen Fällen.
Was nun die Form asava anlangt, so erkläre ich sie für sata
stehend und sehe dieses als eine Ableitung vom altbaktrischen -■»«»
(fava)y CK}'*»«' (gavafih) „Nutzen** an, dem ich die Bedeutung
,, Schaf** B nützliches Thier vindicire. Dass namentlich in e»!*»»«»
Cfavaikh} eine viel eoncretere Bedeutung stecken muss, als sie in
jenen Stellen hervortritt, in welchen das Wort vorkommt, geht aus
dem Nomen proprium »ty»»^» {gdvahijf dem Namen eines die
Herden beschützenden Genius ganz deutlich hervor. Gleichwie
*dvya »Ei** das Product des Vogels facij bezeichnet, ebenso be-
zeichnet *gdva oder *gavaAha »Vliess, Wolle** das Product des
Schafes (gavaj. Zu dem armenischen Worte scheint auch das
griechische xutag (Plural xci)ea) gezogen werden zu müssen, welches
also statt xcDfa^ (xc(»fca) stehen wurde. Curtins (Grundsätze der
griechischen Etymologie) zieht es bekanntlich zur Wurzel ki (griech.
xer-jxac), wornach also das Wort xoia^ (statt xuyag} ursprunglich
M Schlafdecke** bedeutet.
P'uJp^2^ (bambis).
Dieses Wort, welches „Prinzessin, edle Dame Oberhaupt** be-
deutet, finden wir im Pehlewi als pe^ia)jfcea^&<Jnn6ti«rAaiiii^ wieder.
Vgl. darüber Haug-Hoshangji, Pahlawi-Pazand glossary pag. 96, wo
das Wort durch bänboshne umschrieben wird. Da aber das Pehlewi-
Wort mit dem armenischen /»»«i^/^ offenbar identisch ist und arme-
nisches t gleich altem u oder 6 sich nicht nachweisen lässt, so muss
das 1 im Pehlewi einen dem ü ähnlichen Laut darstellen, wie er auch
in KIltM (azüra) „Schwein** «» arani. Vd'^m hervortritt, dessen Aus-
sprache azdrd bei Haug-Hoshangji pag. 86 daher gewiss nicht
richtig sein kann.
AnDeniacB III. 271
tpspHii-i^ (erdnul).
Das Verbum Itptfbni^ (erdnul) «schworen** sowie das ihm
parallele Nomen l,p,^nL.J^ (erdumn) ^Eid** erklären sich aus dem
ossetischen apA, SipT ^Eid**, womit merkwürdigerweise altslavisch:
rotü, rata »Eid** und rotiii se ^schworen'' übereinstimmen.
Dieser Ausdruck für den Esel steht in der Reihe der indoger-
manischen Ausdrücke für dasselbe Thier ziemlich isolirt da. WSre
^ » a (Ersatzdehnung), wie es Bopp in der dritten Person singul.
des Präsens (pkpt "» baraüi) und im Ablativ singul. {ulrp»rm%k "=»
sermati'at) annimmt, so Hesse sich ^ an griecb. Svog = oovog, lat.
asinust lit. cisilas, slav. 08tlu, got. ost'/ti« anknüpfen. Da aber einer-
seits Assimilation der Lautgruppe 9n zu s im Armenischen unerhört
ist» andererseits« wie aus dem Genitiv fi^n^ (isoh) hervorgeht, i als
Vokal der zu Grunde liegenden Wurzel feststeht» so ist eine solche
Vermittlung entschieden abzuweisen. Darnach kann armen. ^ (ii)
nur einem alterdnischen aeia oder aesin entsprechen. Die Wurzel
ist is in der Bedeutung «»begehren'' und der Esel wäre somit „der
Begehrliche» Geile**, wie semitisch ^li>^» -non von ^/-i^» lon.
Von dem alten Ausdruck der arischen Sprachen für den Esel»
nämlich altbaktr. -«^«^ (khara), neup. ^ {kharj, altind. khara
findet sich im Armenischen eine deutliche Spur in fumpuiqutb
(kharazan} Peitsche » wortlich Eselstachel» welches nach Analogie
von tfmtLiuqmb (guvazan) Peitsche» wörtlich Ochsenstachel » aitb.
^-"»-^ (gavdz) einem altbaktrischen ^m^»^ (khardzj ent-
sprechen muss.
iyu (kojs).
^^u ist vollkommen synonym mit ^«r^«n^ (kopmn) Seite. Es
setzt ein altbaktrisches, nicht nachweisbares *kaofa voraus» von der
272 Muller
Wurzel ÄTttf-, von welcher ku^a „Seite" {vt-kugra, ham-ku^a)
sich nachweisen lässt» welches im Altbaktrischen genau denselben
Sinn wie f^« im Armenischen repräsentirt.
^uäili {/lani).
Wahrend ^fh (hin) „alt** gegenüber dem altbaktrischen -»{«v
(hana)t dem griechischen Ivn, dem latein. aenex^ das a gleich dem
gotischen sineiga zu t geschwächt hat» ist dieses a in der Form
^tultl» li^^^O »fCrrossmutter*' rein erhalten. ^uf%fi entspricht einem
vorauszusetzenden altbaktrischen hanya (statt hanyä'), einem Femi-
ninum der Bildung han-ya.
Dieses Wort erscheint deswegen merkwürdig, weil in dem-
selben mehrere ursprünglich verschfedene Formen vereinigt sind, daher
es auch mehrere mit einander in gar keinem Zusammenhange stehende
Bedeutungen umfasst. Es ist offenbar von einem nicht mehr exi-
stirenden ^ar- mittelst des Suffixes -usi abgeleitet. Dieses Aar-
entspricht erstens einem altbaktrischen >^>\o (pduru) „viel''= altind.:
ji^tini» griech.: nroXu-, Urform: pam^ mit dem ich nun auch nach
Ascoli's Bemerkungen darüber (vgl. Beitrage zur vergleichendei)
Sprachforschung von Kuhn und Schleicher V, 21 2), die bisher rathsel-
hafte Form ^utpfit^ (harinr) „hundert*' vermittle. Aus diesem
ergibt sich die eine Bedeutung von ^mpntMm „viel» reich, im Über-
flusse vorhanden*'. In der zweiten Bedeutung von ^mpniMut 9,ent-
femt, entlegen" dürfte ^ar- an das gothische fairra anzuschliessen
sein, und in der dritten Bedeutung desselben: „alt*', könnte man das
im gothischen faimitha „Alter", im altindischen purdna und im
griechischen ndXat steckende Wurzelelement vermuthen.
IriL.
CCn)-
Das Wort Int. {!!uJ^szCov „Ei" erscheint im Vergleiche mit
den Ausdrücken der verwandten Sprachen ftir denselben Gegenstand
Arroeniaca III. 273
auf den ersten Anblick ziemlich dunkel und räthselhaft. Indessen
durfte bei genauerer Betrachtung ihm doch nichts anderes zu Grunde
liegen, als der den indogermanischen Sprachen von Haus aus eigen-
thfimlicbe Ausdruck, nach welchem das Ei als das Erzeugniss des
Vogels betrachtet wird.
Die Urform dieses Ausdruckes lautete d^ya-f eine Secunddr-
bildung von avt-, woraus ebenso das griechische 4»öv» das lateinische
Ovum wie das altslavische aice, jaicef das deutsche eu agi sich ent-
wickelt haben. Auf die Form ävya- geht auch neupersisches ^le^
(khdyah) • Kurmandschi Kik, Zaza Kdk zuriick, welche, wie das
ossetische ^JK beweist, ffir dyak = dvya'ka stehen. Das aus unor-
ganischem h im Anlaut entstandene kh ist ebenso zu erklären, wie in
Af^ (khisam) = altb. -»«{jgK»« (aeima)^ wie in Up- (khurmd)
Dattel = armen. utpJutt. (armav). Über den Ausfall von v vergleiche
man die Fälle ^ , Jb , jlj etc. in meinen Beiträgen zur neuper-
sischen Lautlehre.
Aus dvya- entstand durch Aphärese des anlautenden Vokals
auf armenischem Gebiete rya^» wie im altindischen aus avi- die Form
vi-. Durch Metathese der Halbvokale vy zu yv entwickelte sich
endlich aus vya- die Form yra-. Obschon nun i meistens altem gh
entspricht, so finden sich doch auch Fälle, in denen es unzweifelhaft
(wie neupersich 9^') altem y gleichzusetzen ist, wie lun.tup (^avar)
Spelt as.altbaktr. ••»*>C (V^^^) ^^^^^^- yava, neup.» y^ C9^^}*
Hieher scheint auch das 1 von Xnu zu gehören, welches nach dem
so eben Bemerkten sich aus'j^rrx entwickelt hat.
Einen von dem aller verwandten Sprachen abweichenden Aus-
druck für das Ei besitzt das Altindische, nämlich anda. Nachdem
die beiden Laute nd nicht primitiv sein können, sondern wahrschein-
lich einem nun verschwundenen r ihr Dasein verdanken , so dürfte
für anda eine ältere Form andra vorauszusehen sein. Dieselbe wird
in der That durch das Altslavische jedro ^nucleus** be5$tätigt, von
welchem bei Miklosich, Lexicon palaeoalovenico-graeco-latinum
pag. 1166 im Compositum jedino-jedrinu juiövopj^«^, unum testi-
culum Habens citirt wird, welches einem altindischen Skdndat
Skdndin vollkommen entsprechen würde.
274 Malier
ioi (C&n).
Dieses Wort, welches „Opfer, Opfergabe ** bedeutet, deckt sich
oach Laut und Bedeutung vollkommen mit dem aitindischen havana^
oder, da lob ein t-Thema ist, genauer mit einer Form havant Auch
das Altbaktrische kennt das Wort zwMna (als Glied eines Compo-
situms).
Von 1^% bildet das Armenische das Denominativ- Verbum iokir^
(Zdnel) „opfern* und das Nomen lo%l^ (CdnidhJ „Opferer".
tiuAmä,^ (manuk).
Das Wort MiuAitL^ (manuk) „Kind** steht für manukn* d. h.
fnanukan» wie sein Genitiv js^^^mA (mankan) beweist. Der Nomi-
nativ des Plural Jiä/b^nub^ (mankunq') steht für manukanq oder
vielleicht manukunq' mit Assimilation des an an die vorhergehende
Silbe. Zu i/swibifcf gehört t/^^^ (manr) „klein*«, Genitiv J^%mt.
(manu). Dieses, ein u-Thema, ist aus manaca entstanden, einer
Ableitung von mana-^ derselben Form, welche dem lateinischen
minor »* minior^ dem gotischen mins »weniger«*, minniza „junger",
dem altindischen mandk „wenig** zu Grunde liegt. Darnach enthält
manukn drei'AbleitungssufSxe, nämlich 1* »ava^ 2. -ka und 3. an«.
iTtttu» (mena).
So nahe es liegt, das armenische »TL'bui (menaj, welches als
erstes Glied in Zusammensetzungen dem griechischen fjLCv&- ent-
spricht, mit diesem auch zu identificiren, wogegen weder von laut-
licher, noch von begriiTlicher Seite irgend ein Hinderuiss vorhanden
ist, so ist dennoch eine solche Identificirung, welche ich früher
selbst für richtig gehalten habe , mit der Entwicklung dieser Form
im Widerspruche. Das in mena-- steckende Thema lautet nämlich
unabhängig «r4% (mSn)^ zeigt uns also, dass das e in mena^ aus i
verkürzt ist, mithin, wenn wir mena- in die alten Lautverhältnisse
umzusetzen, dasselbe nicht mana- sb griech. fAovc-, sondern maima
Armeniaca III. 275
lautet. tTilb selbst ist aber keine ursprungliehe Bildung^ sondern
geht auf Jf, (mi). »eins, allein^ zurück, von dem es mittelst des
Suffixes altbaktr. -aenn abgeleitet ist.
fUiUin
(npast).
Die ursprüngliche Bedeutung dieses Wortes ist MHilfe**, woraus
die übrigen Bedeutungen „ Hilfsquelle, Gunst, Gnade u. s. w.<« sich
entwickelt haben. Das Wort stimmt in dieser Hinsicht yollkommen
mit dem altpersischen upafid, welches in den Keilinschriften mehrere
Male vorkommt (vgl. SpiegeFs Ausgabe derselben) und mit dem alt-
baktrischen upa^ta. Ich glaube, dass in der That das armenische
Wort mit den beiden alteränischen Formen identisch ist, denen
gegenüber es um die Präposition ni (vgl. armen. 'bu&tT «= altind.
gydmat neup. aL^ (siydh)^ altbaktr. (ydvd) vermehrt erscheint.
Überdies ist ^cy<oi#m ein t-Thema und setzt also als solches eine
Form *upagti voraus.
iutnfit (tlStÜ) •
■
Das Verbum %uu9^ (natu) »sich niedersetzen, wohnen** ist»
so nahe es liegt, dasselbe mit dem altindischen ni-^-aad unmittelbar zu
yergleicheo, dennoch nicht mit ihm identisch. Abgesehen davon,
dass altind. iij-|-<^duf eränischem Gebiete zu ni-\-8ad werden roüsste»
dessen Ausdruck im Armenischen %^f^£^ (nitil) lauten würde, spricht
das Sttbstantivuro %l,um (9mt) »Sitz, Wohnung** dafür, dass in
itum/ii^ trotz dem Aorist ibumtu^ ein Denominativ- Verbum vorliegt —
Das Substantivum Tbfium (ein i-Thema) setzt eine alte Form nisti
voraus, welche sicher aus niVs/i»alterin. nisagti^ni-\-8ad'{'ti ent-
standen ist. Es ist indem m Yon %utnfi£^ nicht das d von sad, sondern
vielmehr das t des Suffixes ti von der Nominal form niiagti zu sehen.
Dieses Wort, welches ,» Zufall, Begegniss, Glück** bedeutet,
setzt, so wie das mit ihm identische uiiumtu^nutn (pcUahumn)t ein
altbaktrisches *paitydfa voraus, dessen Wurzel of in der Bedeutung
TOn «auf etwas losgehen, vordringen** dem Altbaktrischen ge-
läa fig ist.
276 Mroller
u^ustn^uäii Q>afkan).
ufuitn^titb (patkan) ^passend, angemessen'', davon: ä^uMtn^amb^^
(patkanel) «passend machen** und u^una^iuiifi^ (patkanü) »passend
sein** entspricht Tollkommen altindischem pathya, aus dem es mit-
telst der zwei Determinativ •Suffixe --aka und -^na weiter-
gebildet ist.
uu^fttntu^ fspitak).
uuffimut^ (spitak) »weiss*', ursprQnglich ^glänzend überhaupt'',
ist aus einem vorauszusetzenden *ua^&m (9p4t) = altbaktrisch
-•5r»*CH» (gpaeta)^ neupers. juui (sipSd) mittelst des Suffixes -ai =
-aka weitergebildet, wie oppba»^ (drinak) aus o/ifb (6r4n). In
beiden Fällen wurde der Diphthong ^, da er in eine unbetonte Silbe
zu stehen kam» in t verkürzt. Abweichend davon zeigt tt^^irutam^mn.
(»petaphar'J »edel, herrlich**, wörtlich: »mit glänzender ^«,^^»«f
= «#iyfmM») Herrlichkeit (i/,Mii) versehen**, Verkürzung des ^ zu e,
wie in ^^<. fdev) böser Geist « altbaktr. -»hn»«^ (daeva) , JA»^ =
JSI»u>^ von Jl:% (vgl. oben).
Eine hieher gehörende, an und för sieh sonderbare Form bietet
das Ossetische In dem Ausdrucke fOr Eisen : D. a^cejnar. , welche
in der Reihe der Ausdrücke für dieses Metall ziemlich vereinzelt
dasteht. a^ceJHar ist gewiss nichts anderes als das Pehlewi i^J^oo
(gptndk) »glänzend, rein**, avghänisch Jj— » Opin) »weiss**. Da
beide Worte mit dem altbaktrischen -»if»*©* (gpaeta)^ neup- ju*-«
{ripSd) verwandt sind, und mit demselben auf die eränische Wurzel
^i zurückgehen, so ist in ihnen vor denwr alter Guna, mithin eine
Urform gpaena vorauszusetzen. Von diesem Guna hat die ossetische
Form in ihrem ej noch eine Spur erhalten.
UitUl
(tal).
rnuii^ (tnl) »geben** = altbaktr. -»^ (dd) hat im Aorist ^»«c
(ein) = etov ; das u an Stelle des a zeigen auch mehrere Ableitun-
gen, wie mnLßß O^^^^y »Gabe**, mivi/^ (tomöh) »Geber*.
Armeniaca 111. 277
uiu^iutfilfiX {tudhuthiunj ^ tovöhuthiun ^Schenkung, Überlie-
ferung*'. Eine passende Parallele zu dieser Erscheinung bietet inner-
halb derselben Wurzel das Litauische.. Dort lautet von da der Infi-
nitiv = dütit das Präteritum äat^i-au. Von düti kommt dov-anä
ytGabe*'. ebenso gebildet wie darg-anä »»Regeuwetter** von dergii
^regnerisch sein, verunreinigen**, wie rdg-anä „Hexe** von reg^ti
^»sehen'*.
ilui^uA (wahan).
ifui^uth (wahan) «Schild** entspricht in seinem Anfaugsele-
mente wah dem altbaktrischen ->1^(^(& (vereihra) im Sinne von
wSchutz**. Das r in der Mitte ist ebenso ausgefallen wie in tliu^unf^b
(wahagn) ss altbaktr. -»i^U{^(& (vSrlthraghim) und in armen.
ilaLu,J^uinu<l (wramiapu^) = Pehlewf nniDNK^ j^nttni; wafmn ist
mittelst des Determinativsuffixes -an aus wah weitergebildet (über
dieses Suffix vgl. Beitrage zur vergleichenden Sprachforschung von
Kuhn und Schleicher III , 483). Zur Wurzel var in der Bedeutung
umhüllen» bedecken** gehört auch ilutpu»^^ (wartiq') «Kleidungs-
stück, speciell Beinkleid**» welches ein altbaktrisches *vareti vor-
aussetzt.
4kir (wem).
Dieses Wort finden wir auch im Pehlewi und zwar in der In-
schrift von Hadschiabad £, Zeile 6 wieder, wo zak wim durch
„diesen Fels** übersetzt werden muss (vgl. Haug-Hoshangji, Pahlawi-
Pazand glossary, pag. 58). Die altbaktrische Form dazu lautet -**cw«^
CvaemaJ. Vendid. IV. 150, XIII. 102, XV. 18, wo das Wort nach
dem armenischen «^^iT durch „Fels, Stein** zu übersetzen ist,
nicht aber durch „Falle** (Spiegel) oder „Schlinge** (Justi).
Fremdworte im Armenischen und aus dem
Armenischen.
Zu den aus dem Aramäischen ins Armenische eingedrungenen
Fremdworten, welche ich in meinen Beiträgen zur Lautlehre der
armenischen Sprache II. erläutert habe, sind noch folgende zu
zählen :
278 Müller, Armeniaca.
utpirqtuj (abepah) nMondi» Laienbruder** »b aram. {ton
M Genosse, Bruder**.
UlPuij (iothah) „Kette" i= aram. li^rhehv «Kette«.
^ni^uij (Sukah) «Markt« = aram. Npw «Markt«*; vgl. aach
im Pehlewi M3ie^ (Haug - Hoshangji , Pahlawi-Pazand glossary
p. 214).
iy«»b^#f(ry^ (pandoki) «Gasthaus** ist dagegen nicht dem aram.
MpiaiDf MpnjiD (arab. JJu») entlehnt, sondern direet dem grie-
chischen n:av^ox€?ov, jravdöxeov entnommen, worauf schon die Endung
hinfuhrt.
Ein weniger bekanntes Factum dQrfte es sein, dass im Zigeuner-
Idiome sich auch armenische Ausdrucke finden, und zwar solche,
welche zu den häufiger gebrauchten zu zShlen sind. Bis jetzt ist es
mir gelungen, folgende sechs nachzuweisen :
takar „König" » armen. Pu$tf.uii.np (thagavorj.
kotor «Stück*', auch koter geschrieben, (vgl. Pott. Zigeuner IL
S. 97) = armen, ^ntnnp (kotor).
morthif mortin „Haut, Leder* =s armen. «A/v/9 (mor/A^ • wie
schon Pott (ibid. II, S. 4S3) richtig erkannt hat.
vodu richtiger vodi j,Seele^ »armen, n^ {ogO* sprich vogu
vtt/ „Flachs**, davon vuitengero «aus Flachs bereitet** scannen.
tfni.^ (wui).
pon «Staub, Sand** »armen, tf^n^ (pkoii).
Z i Q g e r 1 e » BeitrSge zur Slteren tiroliachen Literatur. 11. 279
Beitrage zur älteren tirolisehen Literatur.
IL
Hans Vintler.
Von Dr. Ignaz V. Zingerle.
I. Handschriften.
Wir besitzen von Vintler's Gedichte vier Handschriften und
überdies in einem Innsbrucker Codex bedeutende Auszuge aus dem-
selben. Es sind folgende:
1. Die Wiener Handschrift (TT.) der k. k. Hofbibliothek
Nr. 13S67 olim suppl. 1168. Papier, 215 Bl. in Folio. Sie enthält
BL 2*— 177'' Vintler^s Gedicht und gehört der ersten Hälfte des
IS. Jahrhunderts an» ja könnte den Schriftzügen nach noch in die
Lebenszeit des Verfassers zurückreichen. Dass sie aber vom Dichter
nicht herrührt, sondern das Werk eines Abschreibers ist, zeigt uns
der Umstand, dass der Schreiber die losen Blätter einer vorliegenden
Handschrift auf das sinnloseste manchmal verwechselte und so nicht
zusammengehörige Stellen verband. So stehen Bl. 24^ die V. 1688
bis 1704 und V. 1852-1861, Bl. 26' die V. 1862—1887, Bl. 25»»
die V. 1888—1906 und die Fortsetzung der Bl. 24*^ unterbrochenen
Erzählung von Alexander und dem Seeräuber V. 1705 — 1714. —
Bl. 30* beginnt mit V. 1946 und erst Bl. 33" nach V. 2131 folgen
die Verse 1907 — 1915. la diesen Fällen kann nicht von einem Ver-
binden der Handschrift die Rede sein^ da die ganz störenden Zusam-
mensetzungen verschiedener Stellen mitten auf Blättern begegnen.
Der Schreiber kannte auch den Namen des Dichters nicht
genau und schreibt V. 5761. 10D91. 10103 Vinclär und V. 5370
280 Zingerle
sogar y ine klär und ändert desshalb den Vers 10104 ^des pin ich
hübscher fiiude lär** in ^des pin ich hübscher freude lär**. Die Hand-
schrift ist nicht vollständig, denn der Anfang fehlt bis V. 611 inclu-
sive, ferners mangeln V. 1208-1253, 2259—2297, 3037—3075,
4386—4466, 6898—6931, 7790—7844. Es fehlen somit im Ganzen
über 900 Verse. Diese mit vielen werthvollen Federzeichnungen
geschmückte Handschrift ist entschieden die älteste. Von Eigen-
thümlichkeiten der Schreibweise sind zu bemerken, dass % häufig
für 9 steht, z. ß. laz, waz, verloz, die häufige Verdoppelung des n:
chlainnen 1860, deinne 1984, ainner 1728, ainnem 3421, seinnen
1927, 2202, seinne 3398, wainnen 1861 und öfter; h und cA wechseln
oft im Inlaute: sechen und sehen, fliechen, verschmachen,entschlaehen,
doch meist steht noch A. Anstatt des älteren sl, sm, sn zeigt sie
immer seht, schm, sehn. Consequent ist awer für aber geschrieben.
2. An Alter W am nächsten ist die hiesige Ferdinandeums-
handschrift. (F), Papier, 200 Bl. in Kleinfolio. Die Schrift hat etwas
Jüngern Charakter, gehört aber jedenfalls noch der ersten Hälfte des
15. Jahrhunderts an. Einzelne Parthien zeigen altern Charakter, z. B.
häufig offenes a. und eine andere Hand. Bl. 200^ steht am Schlüsse:
„Explicit über Conradi Vintler"* von der Hand, die den grossteu Theil
geschrieben hat. Auch diese mit gemalten Bildern geschmöckte
Handschrift ist nicht vollständig. Es fehlen V. 49—168, 231—330,
385—672. 899-947, 2402—2449, 3291—3347, 3442-3496.
4010-4023, 5269—5348, 7536—7547.9124—9167. somit im
Ganzen 858 V^erse. Einzelne anstössige Wörter, sowie Nuditaten
in den Bildern, sind radiert oder ausgeschnitten worden. Die Hand-
schrift ist sehr sorgfaltig geschrieben. Der Schreiber gebraucht
meist ch für h\ sechen, spechen, geschechen, i(n Anlaute beinahe
immer eh für k\ chnabe, chraft, im Auslaute oft gedoppeltes n\
grozzenn. lebenu, belibenn, perenn, gerenn (geren), prechenn» ste-
chenn, stann (stän), schadenn, oft gedoppeltes s: gewessen, essel.
hassen, pössen, gelessen; und /: seile (sele), spill; manchmal auch
doppeltes r: lerrer, partscherrer, serre, herr; darr; häufig w für b\
ofTenwar, wegabt, wetruben, wetrogen; und b für ir: widerberükait«
widerbertig, albeg, unbillen, graben, webachen (f. bewachen),
becbsel, furbar, erberen, etbas, beib (weih).
Die ältere Schreibweise s/, «m, %n ist beibehalten, für z ist
gewöhnlich s, für z% ss oder ß gehraucht, doch findet sich ausnahms-
Beitr&ge zur alteren tirolischen Literator. II. 281
weise: gezzen, grozzem, gruzzern, pezzern. Für Ar steht im An- und
Inlaute meist ch^ seltener it; öfters begegnet tur Ar chek oder ckeh;
z. B. marckcht, sterekch, pruehek.
3. Die Handschrift der kon. Bibliothek in Stockholm (S.) Nr. 29.
Papier, 230 BiStter in KleinfoHo. Unser Gedicht schliesst Bl. ^^2^
Sie gehört ungeflibr der Mitte des 15. Jahrhunderts an« Der Raum
für Initialen und Bilder ist leer gelassen. In ihr fehlen in grösseren
Parthien nur die V. Ü30— 552, 5333—5359, 9952—9966; aus-
serdem mangein aus Versehen des Schreibers einzelne Verse z. B.
1721. 1722. 1723. 3343. 3344. 3345. 5220. 5221. 6015. 7612 bis
7615. 9247—9250. 9415. 10,026., so dass im Ganzen beiläufig
80 Verse fehlen. Sie ist sehr reinlich und gleichmftssig geschrieben,
leidet aber an vielen Versehen und Verstössen, z. B. alt wachter/*.
altväter 144. sal f. säul 249. ornet/*. formet 254. fleischleichen /:
fleissichleichen 268. stat f. sat 278. zu f. zwo 323. geschieht f.
gesiebt 365. 592. entlagen f. entladen 526. liebleicber /. leibleicher
528. frechsamleiche f. forchtsamleiche 596. begehabest /*. begäbest
706. empholchen /*. entflochen 908. loben./*, haben 1040. ich/*, nicht
1 163. gescheft/: geselleschaft 1342. gericht/l geschieht 1421 u. s. f.
— Den Schluss dieser Handschrift Bl. 224"— 229* bilden lateini-
sche Verse mit dem Anfange :
Principi regi scribit nota sibilla salerni :
Si TIS incolumem, si Tis te reddere saoum,
P.'irce meroy cenare parnm, non sit tibi vanum
^ Ludere post epulas, sompnum meridianum
curas etc.
«
4. Die Papierhandschrift der herzogl. Bibliothek zu Gotha (G)
Nr. 594, 229 Blätter in Folio, wovon jedoch 2 Vorschlagblätter sind.
Am Schlüsse befinden sich noch 5 leere Bl. Auf dem ersten der
2 Vorscblagblätter steht: Anno domini 1525 jarr von mir Caspart
Lechenhert von Lädert. Behiet mich gott in aller nott.
Auf der inneren Seite desselben Blattes steht: „Cont foL
CCXXVIIIL Vier folia seind ausgerissen, aber doch an ihrem bis-
herigen orte eintzefn hefindlich, NB. Diese vier Blätter habe ich
mit eigener Hand ergänzet tmd eingesetzt. Joh, Christ. Gottsched
P. P. Itp«. Von anderer Hand folgt: „Di> Zählung des Professors
SiUk. d. phil.-hiat. Ci. LXVI. Bd. If. Hft. 19
282 Zingerl«
Gottsched stimmt, lässt man die S leeren Blätter am Schlüsse hin-
weg. Die Paginierung reicht (vom 3. Blatte an) bis Seite 452
Hievon gehen 2 Seiten ab, indem 305 und 306 über-
sprungen sind .... 2
Rest . . 450
Dagegen sind Seite 127 und 128, 165 und 166 zwei-
mal paginirt, und es gehen tu 4 Seit.
In Summa . . 454 Seit.
Dieses gibt . . 227 Blatt.
Hierzu 2 Vorblätter . . 2
Gleichbedeutend mit Gottsched's Angabe . . 229 Bl.^
Auf dem 2. Vorblatte^ liest man:
Jam mala finissem leto, sed credula vitam
Spes fovet et melius cras fore semper ait.
Dum spiro spero, mea spes est unica Christus. Diess scbrib
ich den 25. Norember ihm Jahr nach Christi gehurt 1585.
Sustine et abstine.
pag. 453 steht: 1560
1411
— 149 iar ist allt diß buech.
Auf der innern Seite des Hinterdeckels findet sich :
Audi multa, loquo pauca.
Conradus Gauttinger 1590.
Die mit colorierten Bildern reich ausgestattete Handschrift
stammt aus dem Ende des 15. oder Beginne des 16. Jahrhunderts,
und zeigt nur eine grossere Lficke V. 930 — 958, ausserdem fehlen
einzelne Verse oder einzelne Verspaare: 333. 334. 1279. 1505.
5085. 7141. 8592. 8612. 8707. 9164. 9165. 9185. 9433. 9480.
9481. 9702. 9743. 9909. 9910. 10008. 10016. Umgestellt sind
V. 3516 und 3517, 9392 und 9393. Die Verse 9082 und 9083
sind hier nach 9075 eingeschoben, auch V. 5310 und 531 1 folgen
nach V. 5313. Es ist von allen Handschriften die vollständigste,
steht aber an Gute den andern nach und verräth öfters eine so grosse
Nachlässigkeit des Schreibers, dass der blühendste Unsinn da und
Beitrüge zur filteren tirolischen Literatur. II. 283
dort entsteht, z. B. 474. 861. 1889. 4»23. 6651. 7739. 7875. 9604.
9921. u 0. Aber V. 6457 h&t 6. allein das riebtige: der des scheffes
nimet gam <).
In der Schreibweise lässt der Schreiber seinen Dialekt frei
walten. Er schreibt lieby 203. 448. 981. 7651, welchy 203. purdy
7307 puchly 10112 u. ähnl. Ge wohnlich gebraucht er au für d, z. B.
aubenteur 133. praucht 135. rauch 1015. 1539. hernauch 6411.
nauch 6447. 6474. 6482. underlauß 6453. mauß 6435. 6436. 6442.
6449. 6452. ubermauß 6441. laut 6459. maul 6471. 6472. haut
6485. raut 6489. fauchen 6498. taut 6606. haut 6572. 5677 u. s. f.
Auch für a begegnet manchmal au z. B. naudel 6667. naucht 7938.
auß (aß) 1735. 8308. faucht 1564. Anstatt des baierischen ei ist
das ; oft gebraucht z. B. glich 6479. schribt 6516. tribt 6517. lidet
6552. nidig 6558. allzit 6565. gelich 6566. u. s. f. Auch das ältere u
findet sich manchmal für auz. B. puren öfters, strucht 6511.
u begegnet auch für o: hunck (honig) 2954. 6525. e st. i tritt
oftin send für sind ein z. B. 6417. 6426.6429. 6615.6617.6626.
Für altes i, bair. ei, steht e in: penigent 6430.
Einschiebung des n*) begegnet conseqaent in den Wörtern
keusch keuschait, die hier kunsehe, kunsehait, kunschait geschrie-
ben sind.
Zu bemerken ist f'erners, dass die zweite Person plur. der Verba
durchaus auf ;i^ endet, und beachtenswerth ist die Form wend für
wellent 8871 und der Imperativ gang 9336. Der Schreiber hat in
solchen Fallen dem Werke seinen alemannischen Dialekt aufge-
drückt. Charakteristisch für unseren Schreiber ist die häufige Ein-
schiebung der Wörter auch und heiligen.
5 Papierhandschrift der k. k. Ui)iversitätsbibliothek zu Inns-
bruck. (J?) Nr. 961. 3 Hefte in Dimidiatfolio.
Das erste Heft hat 36 beschriebene Blätter, von denen Bi. 1* bis
34^ Excerpte aus Vintler's Gedichte enthalten, das zweite Heft hat
20 Blätter. BI 3» — 10' bieten Bruchstücke aus unserm Gedichte, wie
das ganze dritte, das 28 Blätter zählt. Die unschöne Handschrift gehurt
dem Ende des 15. Jahrhunderts an und röhrt zweifelsohne von einem
*) nimet gam] meinant gan WS* uinmet gawint F.
2) Vergl. Weinbold al. Gr. %. 201.
19
284 Zi Beerte
Geistlichen her, der fromme Sentenzen für seine Predigten sammelte.
Darauf weisen die Stellen aus Freidank und die lateinischen Seo-
tenzen im ersten und zweiten Hefte <). Aus Vintler*s Werke sind nur
*) Dat erste Heft enthSit Bl. 36*** lateinische Sprüche, das zweite bietet Bl. 2 «ad
Bl. 12* lateinische SprQche «nd Terschtedene Recepte, auch Deatscbea. Ich theiW
einige Proben mit :
Qui timet deom, quot non dampoabitur,
Vis vel nnnqoam sabrabitur. -*•
Ve, qnare asamus taUa, q«e noo snnt pennanencia,
sed florent quasi lilia, qaarum odor et folia
relocitate niroia deficiant sie talia.
Item in erangelio domiiiica extra festom pasee : tgo snm paator bonns, eo;-
nosco ore» meas et ipsi me co^oscunt. Nt. exemplum, das aanctvs Petras mit
groiser rew, als oft er an sein Tcrleugen gedacht, sein snnde bewejnet, das scia
antlöts Tol mneal und die engen rot und nngescbalTen waren, wann er die stStx
mit ain tuchlein, das er albeg pei im, trnkben mnst, wie w«i in die tot all rer^
geben waren. Item des geleieh aein wir all schuldig unser Tergaagen sinde se
betrachten und mit rewe ze beweinen, damit wir tailbaflig werden der anbe-
greifflichen frewde and vertragen der hellischen peine etc. Von lafeiniachen Kocb»
recepten gebe ich folgende : Reeipe duaa ▼esicaa bovinas Tel Taccinaa, ex hoc fkcias
uBura oTum in calida aqua et • . inponea OTa ad Tesicam, tnnc liga mlde beae, et
sie 6ent bona ova.
Reeipe dura ova et easeum tritum et panem, et poatea sex moUin ovn« et hoc
Inricem mlscuas, et erit unum rectum.
Ova de Mandl: reeipe farinam de reys, de mandl, reeipe modinm et tempe-
rabis cum farina de reys, aliam partem fac cum croco et cum petriciino et piatabis
in olio in patella; hec annt ova et postea bibe bonnm vinum et eris sanna. II
Bl. 11* entbilt:
Zu leib und zu ael ist nicht als gat
Ais ain wolbesinter mut.
Wer hintz got lies all sein saohe,
Si wir wirdig oder swache etc.
Bl. 11^8ehluss:
vnd im pilleich an dankchen wftr.
also hat geret der TeichnSr.
II, Bl. 15' Johannes i
Wer die weit also chewst.
Damit er got verlewst.
Wann es get dann an ain schaiden,
so ist er ledig von in paiden etc.
fVergl. Germania II, 142.)
BeitrSge zur älteren tiroliacheo Literatur. U. 285
Sprüche ausgehoben und die Erzählungen, Einleitungen etc. ganz
übergangen. Es fehlen ausser einzelnen oder wenigen Versen:
V. i— 192, 772—788. 809-816, 823-848, 849—988,
983-1002, 1043—1054, 1083-1114, 1143—1163, 1226 bis
1238, 1250—1274, 1280—1291. 1316—1363, 1386—1403,
1520—1601, 1620—1633. 1688—1751, 1768—1781, 1800 bis
1879, 1916—1926, 2042—2119, 2136-2141, 2176—2223.
2244-2253, 2298-2369, 2384—2401. 2416—2434, 2478 bis
2505. 2530-2843. 2662—2705, 2709—2759. 2794—2815,
2843—2931. 2946-2979, 3058—3209. 3240—3333. 3374 bis
3396. 3418—3423. 4442—3509, 3520— 3545f 3570—3623,
3694—3709.3784-3891, 3856—3865. 3886—3969. 4010 bis
4023. 4032—4130. 4146-4159, 4194—4263, 4284—4367,
n. Bi. 17'.
Maitfter du lerntt mich frömd« kunst, lern mich, das ich lugeattam werde. Do
antwuri der matster und eprach : eto.
II Bl. ISTi
Vil schier hat Terloreo ain mau.
Dm er in langer zeit gewan.
Du müst uns auch zeit geben,
Wlldu mit wirdichait leben.
Ze fil gute nfiti nicht.
Pif firo mit klninem git in aller geschieht.
Hilf deinen gesellen,
So si dir her wider helfen wellen etc.
Schluss davon 20^ :
Du solt der freund schoenen.
Die dir dienen und loenen.
Gedenkch, das ir einer ist
Ain mensch, als du selber bist.
Schelkch solt du meiden,
Wilt du nicht scheden leiden.
In diesem Hefte steht zwischen Stellen ron Vintler Bl. 10* folgende Tlturel-
atrophe:
Chain gedenk sol alne
nicht ze Worten Choreen,
Gedenk ee, was er meine,
ob er dir bring schaden oder fromen.
Ain gedaac sol Ursprung sein (des) worles,
der ander in belaite nnd hutten wol der zungen klaffen ortes.
286 Z i 0 g: e r 1 a
4386—4396, 4416—4483. 4488-4498, 4S06-45K3. 4578 bis
4587, 4624—4652, 4656—4681, 4696—4725, 4862—5039,
5058—5069, 5102-5170, 5178—5231, 5256—5275. 5288 bis
5381, 5422—5430, 5438—5454, 5548—5594, 5742-5780^
5786—5803. 5814-5845, 5850—5858. 5878—5926, 5934 bis
5947, 6004—6145, 6210—6224. 6297-6329, 6344—6431,
6456—6467, 6478—6500, 6606—6858,6878—6911, 6932 bis
7027. 7036—7049, 7076—7122, 7126—7171, 7181—7285.
7288—7302, 7383-7402, 7430—8509. 9568—9781. 10066 bis
10172.
Diese Lese^ beruht auf einer sehr guten Vorlage und es ist zu
bedauern, dass dieselbe nicht TollstSndiger ist.
6. An dieses handschriftliche Material schliesst sich der Augs-
burger Druck des Johann Plaubirer vom Jahre 1486 an. Diese Auf-
gabe stimmt mit G grosstentheils aufs genaueste uberein. ich Ter-
weise nur auf V. 176. 807. 3294. 3384. 4206. 4227. 6644. 6700.
6743. 6745. 6750. 6753. 6841. 6845. 7502. 7508. 7510. 7511.
9665. 9671. 9694. Die Beispiele üessen sich zu mehreren Hunderten
häufen, in denen der Druck und G übereinstimmen und von den
andern Texten abweichen. Auch die Schreibweisen strauffe 191.
strauff 204. straufft 206. strauffen 194. 198. mausz 1096. laussen
9686 begegnen uns im Drucke, doch seltener aU in 6. Man würde
sich aber irren, wenn man G als die Vorlage des Druckes annehmen
würde. Denn die V. 92. 9164. 9165. 9185 u. a. fehlen in (7, während
sie Dr. bietet. Dass G nicht nach dem Drucke gefertigt sei, ergibt
sich daraus, dass in Dr. Verse mangeln, die G bietet z. B. 8479.
8480. 9632—9637. 9644—9649. 9659—9661.
Der Schreiber von G und der Herausgeber haben aus der näm-
lichen Vorlage geschöpft. Während aber ersterer sich an dieselbe
genau gehalten zu haben scheint, änderte letzterer einzelne Worter
und Stellen, um sie seinen Lesern verständlich zu machen. So set2t
er statt pargamast 4216. 4218 meszer, st. üren 4219 eimer. Da
ganm ihm unverständlich schien, druckt er:
„Darjn do waren manigerlai bom zwar.
Der teuffel sprach: «cnun nim war**. 3296.
statt :
Beiträge zur älteren tiroliscben Literatur. 28 T
9 Da waren inn gar maDigerlai paum.
Der teufel sprach: „na nim gaum**.
Die V.
9 Da ron so wil ich pitten eu,
das ir es peszert an alle den,
das ir wänet^ das guet sei**. 10123
ändert er in :
„DaTon so will ich euch pitten,
dz ir dz pesseren an allem dem,
das ir wenent das gut sey**.
Die Verse: ,
„und welcher vil gesmatz chan machen
als hfil mit tiltaffen'' 9062
gibt er:
„Und welcher ril geschmetz kan machen
Als hüllen un närrisch lachen^.
und lässt die zwei folgenden ganz weg.
Statt :
„und soltz ain andern also treiben omb.
so hueb sich erst ain nnmerdum**. 9078
setzt er:
„Und solts einand* also treiben umb»
so wolten sy zumen daramb*^.
Statt :
„wie das si menen mit dem gart** 6713
liest Dr.:
„wie das si niemen mit der gert**.
Manche Verse in Dr. sind bis zum Unsinn entstellt, z. B.
und erschrack und wasfro 3318 1. unfro.
doch sy do die katze (1. cherze) hielt 6768
288 Z i n if e r 1 e
wenn der mensch (i. teufel) mit seinem triegen 68d6
herre got dz ist dann nit on spot 6927 1.
das ist nicht anders wan ain spot,
und ähnliche Fälle finden sich sehr oft. Unter den Handschrifteo
nehmen F und TTden ersten Platz ein, die unvollständige B schh'esst
sich meist an TT an. Allein selbst in den zwei besten und ältesten
Handschriften hat bald die Eine, bald die Ändere entschieden Un-
richtiges. Es mögen einige Belege genügen:
und doch an (ain W auf &.) flaischleich lustichait 659
senza alcuno carnale diletto. 0 <)•
und machen ain war (wider W B S G) eriosung 721
e daro verace soluzione. 0.
und sprach do: geleieh als ain mues. F, 1591,
wo WS G das Richtige :
und sprach: geieich also maes.
bieten.
das man Rom oder [und W G\ Karthago sieht 1595.
darnach ward er sein ritter [richter /*] nach der sag i 727
e fecelo d<* suoi caTalieri. 0.
von seinem frennt [seinen freunten BFSG] auf diser erden
2271
dallo amico suo 0.
wer waisz, du macht leicht helfig [salig F] sein 3279.
und darumb sein alt frawen und man
alsampt [alzeit B F] geren in arkwan 3655.
Tutti gli recchi sono naturalmente sospettosi 0,
durch lust [iist W B S G], als man sagt 3984
le bügie ehe si dicono per diletto 0.
Socrates spricht: „das ist ainO Passer (pöse W B S, pössew C)
fraidichait 4172 maggiore prodezza k 0.
0 Mit 0 beieichne ich das Unlieniache Original.
*) «in fehlt F.
Beitrüge lur ilteren ttrolUchen Literatur. IL 289
mug nicht wereo lange stunt 46 1 3. F liest zeit» obwohl
stunt durch den Reim gefordert wird,
wan all dein dro (drew W^ trew S G) noch dein guet
mag nicht erwaichen m^einen muet. 4831
lugulari me^ inquit, jube; quia nee salutis beneficio, neque
mortis supplicio adduci possam. Yal. III, 8, 8.
hat gepeicht sein sund all 49 i 5.
W G S lesen alda, was dem Reime widerspricht.
5077 lesen FF 5 richtig:
wan es liebt dester mer, als man gieht,
F unrichtig: beleibr, G lebt.
V. 6000 liest F allein richtig:
es wachset gern das gröene gras
pei dem wasser, als er sait.
W S lesen : wasen, B wasem.
L*erba verde nasce appresso alFacque 0.
Allein Seht gibt auch Fden V. 6513:
alle untugent zaumpt die mas.
W B, alle tugent die zäumt, S. alle tugent die ziment, G.
alle tagent zament.
cosi si rifrenano tulti i vizj per la moderanza 0.
F. liest richtig:
als der da saichet an ain want 6629.
WGSDr. haben stiebet. Vergl. damit V. 6639
oder man gicht, er hab gesaicht
heuer gen der sunnen dar.
Fliest richtig:
wan maniger maister das bedeut 7291
W S. wan Plato der maister d. b.
G. wenn maister uns das b.
E per5 dicono i Savi 0.
290 ZiDgerle
V. 9350 lesen nur F G richtig :
zum Tierden mal mach [mag W B S^ ain geleichnaß.
Dagegen haben V. 93S3 W B Gmt das Ächte:
dein red beslieszen gar wol.
F liest bedachtnuß, S gedenknuß.
V. 9388 lesen TV £ 5 & richtig :
so tritel nicht umh als ain huen, F falsch «aU ain han'
V. 9414 lesen F 5 C:
des selben muest ich also schallen : geTallen,
unrichtig liest W, lachen.
Dagegen liest im V.
wan frumme frawen sein so wert 9^03
F unrichtig t'römde st. l'rumme.
V. 9975 bieten F 5 C das Ächte:
als ain sumerleicher schein,
wo W, falsch „ain sunnenliechter*' liest-
V. 10019 liest nur F richtig:
die ewig ist an alles lait^ wo W B S
»an alles ende**, G, »an ende lesen.
Den besten Text» abgesehen von der Schreibweise » bietet im
Ganzen F, zunächst steht W, das oft das Richtige bietet, wo F irrt >)•
W am meisten verwandt ist B. S neigt bald zu TF, bald zu F. — G
'schliesst sich am meisten 5 an, stimmt aber öfters mit F oder W
überein. Nach meiner Ansicht ist einer Ausgabe im Ganzen und
Grossen F zu Grunde zu legen; da aber WCB) in vielen Fällen
das Richtige bietet, muss dieser Handschrift oft gefolgt werden. Ja
in manchen Fallen muss selbst F und W gegenüber S berücksichtigt
werden, da diese das Achte und Ursprüngliehe erhalten hat, z. B.
0 Z. B. 765. 120S. 1591. 1604. 1727. 3228. 3279. 5077. 9353. 9388. 9503. 8925.
Beitrüge zur SItefen tirolischen Literatur. II. 291
1624. 3463. An einigen Stellen» wo die Wahl der richtigen Leseart
schwer fallen durfte, kommt das italienische Original zu Hilfe und
lost jeden Zweifel.
If. Der Verfasser.
Der Dichter selbst nennt seinen Namen mehrmals:
also han ich Hans Vintler*) 122.
mein Hans Vintler la dervon<) 5370.
sweiga, mein Hans Vintlär 5761.
ei mein lieber Hans^) Vintlär 10091.
das man mich haiszet Vintlar^ 10103.
W schreibt Vinclär, G Dr. haben Vindler. Ersteres weist auf
Vintlär. Auffallend ist» dass F V. 10091 Chunrat setzt und dieselbe
Handschrift am Schlüsse h^t: iDxplieit liber Conradi Vintler, während
sie an den drei frühern Stellen durchaus Hans gebraucht. Auch im
MVintlerischen Stambuch" ^) wird Conrad als Dichter genannt: «Ich
finde einen Cunraden Vintler, welcher de anno 1411 ein schönes buch
von der eitelkheit der weldt gedieht vndt versweiß beschrieben, so
noch in unseren händten; muß ein anderer Cunrad gewesen sein^.
Adam Vintler, der Verfasser desselben, stützte sich auf den Schluss der
Handschrift F, wie der Verfasser des Aufsatzes über unser Gedicht im
Tiroler Boten 1824 Nr. 28. 29. Diesem folgte Canonicus Mayrhofen in
seinem Stammbaume der Vintler«), der „Conrad der Poet" 1403.
1412. 1414 aufführt. Auch B. Weber nennt Conrad alsDichter?). Auch
ich folgte dieser Annahme und nahm Conrad als Verfasser an. (Hauptes
0 Hnns der V. 5.
*) Vinrklir W,
') F. liest Chttorat.
^) hftiszet den V. W S 0.
^) Vintlerisches Stambeiibucb. Stemmatograpbiea Vintlerianae prosapiae descriptio
Ruthore Adamo Vintler dePlatscb. aus dem 17. Jb. Eine Abschrift davon im Ferdinan»
deum S\\gik. MS. 1087. Dieae Stelle findet ticb p. 183.
*j Genealogien des tiroliscben Adels II. Band.
7) Unter welchem sein Vetter Konrad 2u Rungelst^in Miunelieder (I) dichtete. Tirol II,
262. In dieser Einsamkeit dichtete Konrad Vintler, des Nikolaus Vetter, seine
didactisch-bistorischen Lieder (Ij, welche noch rorbanden (in Bruneck ! !) sind.
Meran 83. u. ihn!, im Werke : Die Stadt Botzen 238.
292 Z i tt g « r 1 e
Zeitschrilt 10,257). Seitdem ich aber in sämmtlicheii Handschriften
mit Ausnahme einer Stelle in F consequeut Hans fand, musste ich in
meiner Ansicht schwankend werden und bei näherer Nachforschung
kam ich zur festen Überzeugung, dass Conrad nicht der Dichter sei.
Die Handschrift F liest V. 122. 5370. 57G1 selbst Hans und nur
V. 10091 Conrad. Aus dem Schlüsse dieser Handschrift, die im
Vintlerischen Familienbesitze bis in die zwanziger Jahre war und
dann in das Ferdinandeum kam, entnahm Adam Vintler seine Angabe,
sowie der Verfasser des Aufsatzes im Tiroler Boten 1824. Der An-
gabe des letztern folgten dann Mayrhofen und Beda Weber und a.
Der Annahme eines Conrad sind aber die geschichtlichen Überliefe-
rungen auch höchst ungunstig. Conrad Vintler I. starb schon 1352
und kann nicht in Betracht kommen; Conrad II., Sohn Leopold*s,
begegnet uns urkundlich 1426. 1427. 1439. 1446. 1452. 1454.
1456. 1457. 1458. 1460. 1464 <)• Von diesem, der sonach noch
1464 lebte, können wir doch nidlit annehmen, dass er schon 1411
ein Werk verfasst habe, in dem er so gereifte Lebensansichten und
so bedeutende Bildung zeigt. Ich glaube, dass der Abschreiber Ton F
der diesen berühmten Conrad, dessen Macht und Ansehen kannte,
anstatt Hans am Schlüsse Conrad untersch/)b. Dagegen finden wir
einen Hans Vintler, gegen den als Verfasser unsers Gedichtes
keine haltbaren GrQnde auftauchen.
Es ist dies Hans Vintler IL, der Sohn Hans des ersten (gest.
1391), welcher im Jahre 1407 als Pfteger des Gerichtes Stein auf
dem Ritten vorkommt. Im Gegensatze zu den andern Herren Tirols«
die meist feindlich dem Herzog Friedrich entgegenstunden, hielt er
zu diesem und erfreute sich seiner Gunst. Er war dessen Amtmann
an der Etsch und Schatzmeister zu Tirol. Gerade zu seinem Verhält-
nisse zu Friedrich stimmen die Ausfälle in unserm Werke gegen den
stolzen, ubermuthigen, treulosen Adel, dem er Undank und Untreue
gegen seinen Herren vorwirft. Im Jahre 1417 ward Hans mit Hein-
rich Seldenhorn von seinem Herzog als Gesandter an den Dogen von
Venedig, Thomas Mocenigo, geschickt, um ein Bündniss abzuschlies-
sen. Gerade aus diesem ehrenvollen Auftrage ergibt sich, dass dieser
Vintler der italienischen Sprache kundig war, wie der Verfasser
unsers Werkes. Ihm verlieh Kaiser Sigismund 1415 Qber dem viot-
0 Geschicbtafreund (Brixeii 1666) I, 311—313
Beitrige lur alteren tiroliscben Literatur. II. 293
lerischen Wappen einen mit einer Konigskrone gezierten Turnier-
helm zu fahren i). Er starb kinderlos 1419, wie Adam's Stammbaum
meldet. Zu gleicher Zeit mit dem genannten lebte Hans IIL, ein Sohn
des Franz Vintler, 1422 verehelicht mit Agnes Gerlacher» der nach
J. Ladurner*s Forschungen schon 1428 starb, nach C. Stampler*s
Aufsatz vermählte er sich zum zweiten Male mit Apollonia Schraten-
berger aus Trient und starb vor 1447. Ich glaube, dass unser Werk,
das in den selbständigen Theilen einen sehr gereiften Geist, reich
an Welterfahrung zeigt, Hans dem zweiten zuzuschreiben sei. Da die
Handschrift F Hans und Conrad als Verfasser nennt, so könnte man
glauben, dass das Werk von Zweien gemeinschaftlich abgefasst sei,
dass der eine siqh mehr mit der Hbersetzung des Originals befasste,
der andere» die selbständigen Anrufungen, Einleitungen und die
originellen satyrischen Theile schrieb. Es wurde dies der Annahme
Zanicke*s entsprechen, der das Gedicht als Arbeit zweier bezeichnen
möchte *). Allein selbst in der Handschrift F wird in Einleitungen und
selbständigen Theilen der Verfasser mit Ausnahme d. V. 10091
auch Hans genannt und alle die dem italienischen Originale zuge-
setzten Stellen zeigen einen selbständigen, freiem, schwunghaftem
und ^gänzlich veränderten Ton**.
Es darf uns dies nicht wundern, denn bei der Übersetzung
schliesst sich Vintler meist knapp und ängstlich an das italienische
Original an, wo er aber selbst dichtet, gibt er seinen Ansichten, Ge-
danken und Gefühlen freiem, bewegtem, lebendigem Ausdruck. In
Betreff der Sprache, des Verses und der Reime findet man aber im
Ganzen keine massgebenden Abweichungen und Eigenheiten, die
auf zwei verschiedene Verfasser schliessen Hessen. Die Einleitung, in
der sich der Verfasser V. 122 selbst Hans Vjntler nennt, sieht den
folgenden Einleitungen und dem Schlüsse ähnlich, wie ein Ei dem
andern, und doch ist sie mit dem folgenden Theile, wo die einfachste
Übersetzung beginnt, auf das innigste durch einen glücklichen Über-
gang verbunden.
Das italienische Original sagt am Schlüsse seiner kurzen Ein-
leitung: e sc aicuno difetto ci fosse. che sono certo che egii ne ha,
') Ladurner, Beitrfige lur beschichte der Pfarrkirche von ßotzen 10. Geschichtsfreund
I, 309.
2) HaupfA Zeitschrift 9, 65 ff. hes. 88.
204 Z i n g e r 1 «
la discrezione di coloro che leggeranno si remendi: che infino a ora
io mi tengo »IIa loro correzione, e lasso lo mio f'allo.''
Dann folgt: capitolo primo.
Che cosa k amore e henevolen/a.
Amore e benevoienza e dilezione e quasi una cosa, secondo che
prova Fra Tomroaso nella sua somma generalmente.
Vintler biethet dafür:
und ob an dem puchlein icht gepresten ist,
80 pit ich den. der es da list,
das er das wend, wan Ich im's gan.
190 wan ich der chunst nicht enhan,
das mein geticht sei straffe treu
und hiet ich aller chOnste krei,
das ich die chunde laiten wol,
dannoch man mich straffen sol.
19^ wan wer die straffong nicht wil han,
der ist den schänden nndertan.
als das her Salomon auch spricht :
. ffWer sich wil straffen laßen nicht,
dem ist nicht Tast nach tngenden we,
200 wan straffting macht nur tugent me".
auch ist straffung manigerlai sach.
etleich ist guet und etleich swach.
aber welche straffung von liebe chumpt.
die selbe straffnng raste frumpt
20^ und pringt darzue ril nutzperkait;
aber wer da straft mit kunterfait,
da selbs ist chaine liebe nit,
wan rechte liebe ist da quit.
187 ^cprechen G. — 189 ««no O Dr. im et iS G. im dea Dr, — 190 nit <7 Ür. —
192 mdfehliFSG Dr, biet ich] ich baet G Dr. ftller] aber FB. — 193 chaad^j
cbunste F. kund B. kunt S. — 195 nit G. — 198 w. sy nicht wil UO^b ttraff««
n. F. — 199 nit B G. nach fehlt F. tugent S. tagende G. — 200 fehlt ^. nur] m
G. — 202 g. etleich iat 8W. BSG. — 203 welchf str. von ganEer Uebj G. —
204 selbig F. ttralT B S Dr. rast F B S G. — 205 natsperichait B. ~ %06 ka»-
terckait F. — 207 nicht F S. — 208 recht lieb S. rechtew G.
Beitritte zur filteren tirolischen Literatur, ff. 2db
wan alle ding an der liebe leit,
210 als uns sand Thomas urehund geit,
das lieb, wolgevallenchait und der lust
sind pei einander in ainer prust.
Über das Verhältniss unsers Werkes zum ital. Originale, über
die Art und Weise der Bearbeitung desselben durch Vintler und über
dessen Zuthaten gebe ich später ausfuhrlichen Bericht.
Unser Dichter bezeichnet sich als Laien 10130
ich pin ain eitel lai,
der teutsch ain chlain lesen chan.
und betont in seinem Werke wiederholt, dass er kein eigentlicher
Dichter sei, dass ihm wahre Kunst und Erfindung mangeln, und
ersucht die Leser deshalb um Nachsicht, ich gebe nur einige Belege
dafür:
46 mein sin der ist verirret,
das ich nicht wol getichten chan
das, das ich in dem mnete han,
nnd das ich geren pracht herfGr.
SO so ist Terslossen mir die tür^
da der geist des getichtes leit.
also hat chunst mit unchunst streit
gen mir und pricht doch unchunst Hir,
als ich es in meinen sinnen spür
herre got, ich pin ain chint,
wan mir meine sinne sint
65 ze chrank, das ich dein lere
an dir volpring. so tue dein ere
an mir chunstlosen man,
als du auch hast getan
Moyses, dem lieben ebnechte dein.
211 lieb gevallikait S. wollevfiiligkfktt O, — 2U sdi S. seien B G. ^ ^6 ist fast
T. G. Terwirret S. — 52 cbunst] unchunst S, unchunst] kunste S. — 6j ehr. so
des S. — 66 volpring nlizitt so G. — 69 Mojrsen G. lieben fehlt S.
296 Z i n g e r 1 e
das man mich haisset Vintlär,
des pin ich höbscher funde lar,
10105 das ich nicht wol Tinden rhan
hübsche funde, mit den man
die weile mug tertreiben.
ich mneß es lan peleiben,
Ton der schuld, das ich pin lär
10110 der hfibschen funde, die mir xe swär
sein xe tichten und aus xe legen.
ei werde diet, ob ich nu han
10120 dem puchlein nicht sein recht getan,
das ist des schuld, das mein mund
nicht pessers chnnt ze diser stund;
daron so wil ich piiten eu,
das ir es pessert an alle deu,
10125 das ir wänet, das guet sei.
wan mir ist die chunst nicht pei,
die man haist gramatica.
so chan ich nicht rethorica,
die hübsche rede pricht enxwai.
Er nennt bescheiden sein Werk das Büchlein, das kleine Büch-
lein, dies kleine Werk:
puchlein 185. 188. 10084. 10112. 10120. 10138
ditz chlain werk 7600. mein werk das chlain 7.
Selten gebraucht er dafür den Ausdruck Buch , wie am
Schlüsse, wo er uns auch das Jahr der Vollendung seines Werkes
angibt :
hiemit das puech gemachet ist
in dem namen der heiligen dritalt,
do man tausent iar zalt
10119 eya G. werder dyt G. — 10120 sein] m G Dr. — 10121 dM fekllF. —
10122 peuer W S. cbftn F. zu 5 Dr. — 10123 euch G. ich euch pittea Dr, —
10124 ir dfts pesseren an allem dem Dr, allem G. allen S. — 10126 Bit F 6 Dr.
10128 han F. auch nit G. — 10129 red die p. e. F. enpricht S. — lOiM i*]
daa G.
fieitrige zur ilteren tirolischen Literatur. II. 297
10165 fon gotes gepurde sicher zwar
and Yierhandert und aindlif lar.
zehen tag in dem lunius,
quarta die Idus,
in dem zaiehen aquario,
10170 do ward das puech Tolpracht also.
des lob wir got und seinen namen
und sprechen alle amen.
Aus dieser Bescheidenheit und Geringschätzung seines poe-
tischen Talentes erklären sich die so häufigen Anrufungen Gottes
und Maria um Hilfe und Beistand. Als Zweck seines Buches be-
zeichnet er nützliche Unterhaltung und bildenden Zeitvertreib für ihn
und die Belehrung und Besserung Anderer.
90 was schadet mir was iener tuet,
Ton dem ich pesserung nim ?
tuet er nicht wol, des wirt er inn
und ist sein 1er doch nutze mir.
dafon so wend ich meine gir
95 auf hubscheu edleu mare,
ungern ich sein enpäre
durch tugentreiches herzen site,
auch mach ich mir selbs damite
freude und churzweile guet.
100 wan es geit mir hohen muet
und nimpt mir manig fantasmata
und unnutz melancolia,
die ich all damit vertreib gar schon.
also nim ich mir selb den Ion. —
10165 gepurt Br.\ — 10166 das erste und fehlt P, ailften G, und im ailften Dr. —
10170 päcbUn G Dr* Tolpracbt] getlebtet W. yollendet G Dr. aldo P S. äo G Brt
10171 loben F G Dr, — 10172 und] nun F, tp, wir P. sprechend G Dr. —
90 iener] ainer S. — 91 neme S G, — 92 fehlt G, des wirt] das wir S. das wir
im Dr. inn] niue S, — 95 hrobsche edle S. hübsche edle Dr. — 96 und auch ung.
G, enpere S Dr. — 97 tugendliches G Dr. -— 98 mir] newer S. telbs fehlt Dr. —
99 eh. vil g. G. — 102 und auch vil un. G. melancolica S. melencolia Dr. —
103 alle vertreib damit g. S. — 104 fehlt S. don G Dr.
fiitzb. d. phil.-hist. Cl. LXVI. Bd. II. Hfl. 20
298 Z i D g e r 1 e
Des chüm, lieber Ihesus^ in
und geus in mich dein weishait,
damit das pGchlein werd berait
10085 und das man sich pesser daron
und das ich auch Terdien den Ion,
da chain freud nicht ende hat.
Mairia möge für ihn bitten, wenn er etwa auch Ruhm bei seinem
Werke gesucht habe.
Ei Maria, mueter, raine mait
10155 hilf mir gen deinem lieben snn,
ob ich icht gesuechet ruem
hab in disem getichte,
das er mir das Terslichte
mit seiner parmherzichait
10160 gen seiner hohen gerechtichait.
Was die Bildung des Verfassers belangt, ist dieselbe nicht so
gering, als man aus V. 10131 :
der teutsch ain chlain lesen chan
schliessen möchte. Er war des Italienischen kundig, denn er über-
setzte sein Werk grossentheils aus dem Italienischen, was er selbst
ausdrücklich sagt:
«
ich han durchsuecht fiores Tirtntum,
das do ain wälsches puech ist
das han ich gemacht xe diser frist,
das es teutsche lunge wol rernimpt,
130 wan es der rechten tngent zimpt.
daTon han ich es ze teutsche pracht,
10082 in] chym W, cfaunb S, kom G, — iOOM du das pvech G Dr. -- 1006S Uan
G, peuer« Dr. — 10086 verdien auch F. Terdieneo d. G. • — 10087 da dMia] d«r
die G, nicht] kain G Dr. ^ 1154 Efa G Dr. raioew (7. — 1156 taccte G. -
1157 diaem] deinem G. — 1158 mir] nim F. das fehlt 0 Dr. — 115» s. hai]ir<n'
p. G. — s. hejli^en l>r. — 1160 fehlte, hohen fehlt F. — 126 hah S. — Vt^ «Utj
da 8. sue G Dr. — 129 wol fehlt S Dr. — 130 geiimpt S. — 131 daron] daniei
Dr. zn S.
Beitrige zur ilteren tirolischen Literatur. II. 299
und was die Vergieichung mit dem ital. Original schlagend bestätigt.
Er verstand aber auch etwas Latein, was auch folgende lateinische
Wörter, die er gebraucht, beweisen :
sapiencia 14. 4276. in iubilo 25. 3035. fantasmata 101. duplex
163. karitas 314. disputatio 324 . 325. vanitas 354. presencia 467.
^505. absencia468. veritas 3881. precepta 3827. philosophus 2690.
5147. iniusticia 3214. penitencia 3893. timorosus 4438. temperancia
5143. rererencia 5418. diflTerencia 5639. in monte Syon 5374. gula
5844. nomina 5672. fornicatio 6169. raptus 6173. adulterium 6175.
incestus 6179. stuprum 6183. luxuria 6257. 6299. 6378. altissimus
1476. 6900. 6942. 6996. occiput 7170. cerebrum und sinciput
7171. polum articum 7260. centrum 7261. usuram 7320. sentenciis
7478. Spiritus sancte 7624. clementissime 7625. principatus 7673.
Tirtutes 7682. invisibilis 7794. characteres 7915. virgineum 7916.
dialogus 7797. milleartifex 1064. 8236. rex 8237. in mundo 9018.
incantacio 9019. exemplum 9283. in dem concilio Lugdunensi 9670.
•et cetera 9700. epitafium 9775. in proverbio 9864. quarta die Idus
10168. aquario 10169.
Lateinisch und italienisch sind: memoria 13. 240. 3265. vana
gloria 5638. obediencia 5673. ^ avaricia 9701.
Freilich gibt es auch viele Stellen, die wie Zarncke schreibt, es
höchst unwahrscheinlich machen, dass Vintler überhaupt Latein ver-
stand«). Zu dem von ihm beigebrachten Beispielen fuge ich folgende
hinzu:
in Valerio Maximum 171.
des chunigs tochter Armoniam genant 906.
da gewau Armoniam iunckfrau so grosse swar 910.
das si leget an Armoniam chlait 912.
und do sach Armoniam die trewe gros 920.
die philosophus 149.
aifi weib Scipio Africanus 942.
in dem puech Machabeo 1689.
<) Italienische Spuren sind: perfette 4262. humilta 5419. dono 5539. condicion 7115.
Hier mögen noch angeführt werden ze fort 3447. Der lerer fort S966 (fortis it
forte), con^cienzen 9S30. consciencie 10041. dencie (dentium) 10042.
*) Haupts Zeitschrift IX, 116.
2(r
300 Zi n ge r le
chaiser Anastasia 403^.
Marco Regulo seinem rat 3617.
in dem lant Ceciliam 6057.
chain ander animalia 5062.
Gewöhnlich stehen» ausser Armoniam für alle Casus» die fehler-
haften Wörter im Reime» für den sich Vintler die Endung beliebig
machte. Was die Nominative auf o st. us betrifft» z. B. Yppolito, Theo-
dosio, so sind diese Formen theils dem italienischen Original ent-
nommen» theils der ital. Form nachgebildet. So steht auch das
Bedenkliche mit usuram im Reime :
sein gnet nieren mit usuram»
wan wuecher pringet schad und schäm 7320»
dagegen das male» chain male im Innern des Verses :
wan das male ist so prait 7363.
wan chain male doch niemant frumpt. 7365.
Nach meiner Ansicht verstand Vintler leichtere lateinische
Schriftsteller» ohne der Sprache soweit mächtig zu sein» dieselbe
selbst correct zu schreiben.
Von den in der Einleitung genannten lateinischen Schriftstellern
scheint er mir den Valerius Maximus» dem er viele Erzählungen ent-
lehnt» genau gekannt zu haben i). (cb gebe eine Probe seiner Bear-
beitung 3).
1730 Von der parmherzichait han ich gelesen»
das Symonides der poet ist gewesen
als gar parmherzig» hör ich sagen»
das er die toten tet begraben 3).
*) Ba ist wohl anwahrtchctnlicb» dass er die Überseliung des H. v. Mq^üb beadtzt
habe.
*) Aeque düs immortalibus accepto« Simonides, CHJna saina ab immiaenti czitio defeasa,
ruioae quoqae subtracta est. Coenanti enim apud Seopam in Cranone» qvod eail ia
Theasalia oppidam, nuntiatum est, duos iivenea ad januam Tenisse, nia^Bop«re
rogantes, ut ad eos contiDuo prodiret: ad quos egressna» neinineni reperil ibi. Ce-
teram, eo roomento temporis, tricUDium, iti qno Scopas epalabator» collapstim» H
ipsum et omnes coDTiras oppressit. Val. Max. I. ]. c. 8, 7.
<) Vergl. Val. Max. 1. I, c. 7, 3.
ßeitrige sur alteren tirolischen Literatur. I(. 301
der selb Symonides ains tages sas
,1735 mit seinem freunt Scopia und as
in der stat Tramonia^
die da leit in dem lani Tesalia.
do chomen zwen iiingling; für die tGr
ond rneften iSymonides her für,
1740 das er snell chim and nicht anders tat,
wan das er zue der porten trSt.
also gieng Symonides nach dem wort
pald und resehlieh zue der port,
und do er zue der porten cham,
1745 do Tand er Tor dem tor niemand stan.
do wolt er zue dem haus hin wider,
do Tiel es hinter sein dernider
und slueg alle, die darinn, ze tot.
also cham Symonides fon der not,
1750 als das Valerius Maximus sait,
das in nicht schirmt, denn die parmherzichait.
Was seine Bekanntschaft mit der deutschen Literatur betritn,
so lässt er uns darüber völlig im Unklaren. Wenn er sagt:
ich han gesuecht in Alexander,
was der hie auf erd getan hat 136,
so konnte der Alexander Ulrich's von Esehenbach gemeint sein,
welchen H. Sentlinger in die Christherrechronik aufnahm, welche
er zweimal (1394. 1391)) für die Vintler abschrieb«).
^y Viotler beginnt die Ersihlung von Alexander ond dem SeerSuber :
Von der parmhenichait list man also
in dem puecb Maehabeo 16S8.
Sentlinger schreibt:
und als uns sagt an ein drum
über Machabeoruro.
das biiecb, dns also ist genant,
das tuet uns von erat erkaot
▼on Alexander Macedo Bl. 167 B 9
und flicht Ulricb*s Alexander ein, wo Bl. 194 A 2 die Geschichte von dem Seeriuber
erxihlt wird.
302 Zingerle
Die Verse:
darunib soi manx für puet han,
wan ich es han getan in guet
und das es pringe hohen muet 10133.
könnten an Tristan 6—8 und Rudolfs Einleitung zum guten Gerbart
und Schluss desselben 6879 ff. erinnern. Auch bei den Versen:
und war ich halt auf den sQßeu perg getreten,
der Elicon mit namen haist,
und do die götter aUermaist
ir allerhöchstes geticht Tinden 2905.
könnte Vintler an Tristan 4863 ff. gedacht haben.
Einige Male erinnert Vintler an Meier Helmbrecht, z. B.
ach und säch ich si die raben
strälen an der sunne,
allererst so biet ich wunne 3473.
d6 staelte dir dln houbet
zesweohalp der rabe dd. Helmbrecht 626.
Die Verse :
6630 wan er denkt in seinem sinn
tag und nacht, wie er in pring
umb das sein, mit soleichem mort
macht er pald auf in ain worf ,
das im wirt ain alefanz,
6635 und spricht, er woU nicht an den tani
heuer zu der tasnacht gan.
mit soleichem aufsatz hat man dan
den gueten armen man gelaicht,
oder man gicht, er hab gesaicht
6640 heuer gen der sunnen dar,
oder man gicht, er hab das iar
gepadet mer denn drei stunt,
damit das er umb das sein chumpt
6630 im in seinem G JOr. 6633. auf in] auch im F. ain fehlt W S, 66^4. nlfans F S,
6642 dann F* wenn 6. 6648. damit] e S, ee 6,
Beitrage sur alteren tiroJiscben Literatur. II* 303
gemahnen an die nichtigen Vorwände» aus denen Helmbrecht raubt
und schädigt. V. 1129—1178.
Die folgende Stelle erinnert an die goldene Schmiede und ähnl.
Loblieder an Jesus und Maria.
5318 herr gib mir ain soliche maß,
das ich dich lob mit sand Michel,
wan du pist in der gelaubigen sei
als ain prautigam an seinem prautpet
und als ain chQnig an seiner stet,
5320 und als ain turn Ton chüniges stuele
und als ain maister in der schneie,
und als ain liecht in ainer Tinster.
dein gnade geit ain solich glinster,
das manig sele wirt gar wacker.
5325 du pist der schätz in dem acker,
du pist der wein in dem cheller,
du pist der sterkist in dir selber,
du pist der chlar karfunkelstain,
der da leit in golde rain ;
5330 also chanst du dich ein verbarken.
du pist das prot in der archen,
und als das insigel den brief chan xieren,
also chanst da dich ein formieren,
das du so pist an manigen steten.
5335 du pist die erznei in der apoteken, '
du pist die härphe in der Wirtschaft.
gedon Tach, merke deine chraft,
das du so nicht pist ain triegel.
du pist ain pilde in dem Spiegel,
aSlS herr aber g. G. SSia. Miebahel G. — 531S preutiger G Dr. sein S. — 5S21
der] seiner G. — 5323 geit fehlt 8 G. -- 53t7 aterheal W. die tterk G. —
5S2a ftinkelatain G, — 5330 ein fehlt 3. rerwarken W. rerwerken G, — 5331 prat
in a. S. — 5333—5359 fehlen S. — 5334 ao fehlt (?. — Nach 3535 hat Gi
Adonay, ich merlie dein kraft,
dax die geit den fmchtperlichen aan
und tuest daa an alles triegen.
5338 das] da W.
304 Z i n g e r 1 e
5340 du pist der sfisse honigsairo,
da pist der Adam macht aus laim,
du pifit die frucht auf dem paum,
des nemen alle geste gaum.
du pist das öle, das da print
5345 in der lampen ane underwint
du pist die lüie in dem tale,
du pist der uns nam unser quäle.
du pist in den creattiren wunderleich
und in dem menschen roinnicleich,
5350 und in den engein begirleich xwar
und in den heiligen lustig gar,
und in dir selben unbegreifletch
und in den posen unleidleich,
und in den Tcrdampten ain erschreckung.
5355 dannoch so lobent si dich darumb,
seit du denn unleidleich pist
pei den pösen le aller frist.
wie sul wir sunder denne tuen.
das wir gewinnen deinen suen?
5360 so mues uns helfen die mait,
die da an trait das ehlait,
in der driraUiehait das quater.
ich main mit abba dem vater
und mit dem sun und Ruha-gaist-
5365 0 Maria, ich getrau dir allermaist,
das du mir helfest fSr dein chint,
das da lag ? or esel und Tor rint
und den der engel hiex Ihesus
und dem die heiligen sprechen: sanctus, sanctus.
Reicher als an solchen Stellen, die auf Bekanntschaft mit andern
Dichtungen deuten könnten, ist Vintler an Sprichwortern» die er
dem Volksmunde entlehnt, z. B. :
5341 der da G. mach IT G. — 5342 aaß G. — 5343 d««] dem W, den G. ^ct G. —
5344 lampe O, — 5346 gilge G. — 5347 m auGoam aaO dem q. G, — 9348 ia]
auC G, — 5351 dem W, luttUch G. — 5352 selber G. — 5355. lobe* aew F.
dich] sich G. — 5356 daon F. anledig W. — 5358 aallen F G. ^ 5364 mit vm
dem W. Rnha] fehlt S, hailigen F G Dr. — 5369 sprachen S.
Beitrage sur filteren tirolischen Literatnr. II. 305
als der da wass.er trug m den Rein. 1889.
als das wasser erleseht das prinnent feur,
also chainpt das almasen der sund ze stenr. 1930 ^
welcher herr seinen rat
an zwen sehSlke lat>
ist der herr danne selb dapei^
so seind der schälke pilleieh drei. 2650.
man spricht, das chain Talsches wort
wer nicht lange hie noch dort 3662.
wer ain lug beschönen wil,
der bedarf darzue grosser mGe fil. 3874.
onmaß wüstet alle spil. 5785.
Übermaß wüstet alle spil. 6441.
. . ze wenig und ze fil
das selbe wGstet alle spil. 6522.
den deub macht deu stat. 5974.
wan doch ain offens wort ist:
wer do ze palde lauft,
das er auch dester öfter straucht. 6509.
alte Sunden machen newe sehant*). 6529.
wan man hat das oft gehört:
das alter sol haben weis und wort,
das es der schäm mug eutrinnen. 6572.
so haben die rät den Neithart,
der selb der wQstet an aller stat
alle rät, hör ich sagen. 6650.
Unart choppet in sein art. 6754.
adel fleucht der schänden spor,
als ir oft habt gebort,
so tuet unart nach seiner art. 6789.
wer tH waiß, der zweirelt ril. 7153.
wann der pogen stat gespannen
ze allen Zeiten, so wirt er lamen. 7174.
und war der winter noch als ehalt,
<j Yergl. Freidank 39, 6.
') Wolkenttein iS, 2, 9.— 103, 1, 1.
306 Z i n g e r I 0
SO singt der pfaff an underwint*
die weil man im das opfer priogt 7269 0-
pöse werch madien pdses end. 7407.
pös gewonhait geit posen Ion. 7421.
lueg, wem da trauest und in wen. 7440.
wer sich geren zue dem fewer menget,
der selb wirt geren besenget,
und wer sich geren mischet under die ehlein,
den essent die sau mit dem prein *) 74^6-
si tii^t geleich als die chatz,
die voren leckt und binden cbratzt. 8796.
man spricht: zwo gellen
wurden oft guet gesellen,
aber zwaier prueder weib
beleiben selten ane streit. 8954.
süsse antwnrt priogt sGsse wort
und pricht den zorn an allem ort. 8974.
der ander leut tadel offen wil,
der wirt der sein auch hören tiI. 8994.
wer mit gespötte urobe gat,
der wirt ze spot an aller stai 9050.
das selb sein esel mit churzen oren. 9074.
doch haben die alten war gesait:
wenn der abt die wQrfel (raitt
so spiln die münicb alle geren. 9099 *).
unsaubre wort wilsten guete sit. 9129.
die narrin die erchent sich nicht. 9553.
das selb sein sinn mit langem har. 9564.
wenn die muck wil legen ain ai,
als die henne, so pricht si entzwai. 9566.
das man geren halt den man
nach dem und er sich halten chan. 9624 ^).
aller adel am ersten cham
0 Diutisca I, 324.
*) Diutisca 1, 325. Morolf II, 307
S) Wolkenttein XXVI, 32.
*) Vergl. Freidank 108, 27.
Beiträge zur ilteren tiroliachen Literatur. II. 307
von Era und von Adam. 9650.
toten hochfart ist ain spot,
wan si ist alxeit wider got. 9780 0*
ze y\\ wüstet alle spil. 10064.
mazze fuegt ze allen dingen. 1 0094«
alle ding die sein unfruet,
wenn das ende nicht istguet. 10099.
Hiehergehören auch die den Proverbia. nachgediehteten Stellen:
es sein Tier ding, als man gicht,
6265 die selben erfüllt man nimmer nicht.
das ist die hell und das uncheusch weih,
die erf&llt man nicht ze chainer zeit.
das dritt das ist das ertreich,
das ist genueg wnnderleich,
6270 das es sich nicht genuegen lat
des Wassers an chainer stat.
so ist das feur auch nngenuegsam.
das selb spricht nimmer mer : las stan
das holzy ich han ietzund genueg *).
6275 noch sein Tier ding so clueg
und die ich nicht erchennen chan dapei:
wa der weg des adlers sei,
wann er in den lüften fleuget
der natem weg mich auch Tast treuget»
6280 wenn si sich über die staine slinget,
und wenn das scheff im mere swimmet,
der selbe weg ist mir ze her,
und des chindes weg hin und her,
so es in seiner iogent ist ')•
An Vergleiche, die beinahe sprichwörtliche Verbreitung haben,
mahnt folgende Stelle ^) :
0 Vergl. Freidank 29, 6.
>) ProT. 30, 15. 16. Freidank 69, 5.
*) Fror. 30, 18. 19. Freidank 126. 6. T. Sion. (Diatitca 3, 7.) MSH. II, 230\
*) Vergl. Herbort 11225. Erec 2815. Lichtenstein 610, 19. Colmarer Meisterlieder
S. 288. 396. MSH II, 382.
308 Z i n ; e r 1 e
het ainer alle weishait g^r,
die DaTid het und Salomon,
7245 und war als starch als Sampson,
all sein chunst war im enwicht.
da Word gesehen die weishait
Salomonis für ain torhait,
und da wurd die snellichait
Azahels gesehen für ain traghait,
10000 und da war her Sampson
gesehatzt ain kranker man,
und da war Matusalems leben
ain behender tot gegeben,
und da war das grosse guet
10005 des chaisers Aogusti ain armuet.
Hieher zu rechnen ist auch die Priamel :
wenn der pischolf den topfe treibt
und wenn der ritter pficher schreibt,
und das der mfinich harnasch trait,
9475 und wenn ain hfibsche stolze niait
ze rosse sol ain schütze sein,
und wenn die nunn und die pagein
wellent zue den b5fen waren,
und wenn der man sol spinnen garen,
9480 und wenn ain achtzigiärig man
'sol gen schuel umb lernung gan,
und wenn ain chint mit ainem geren
sol stechen ainen alten peren:
das selb ist alles widerwärtig
7485 und wirt nimmer recht artig.
Eine Reminiscenz aus Freidank 62, 10 bieten die Verse:
das maniger petet mit dem munt,
das doch dem herzen ist unchunt 6914.
Die schöne Stelle an den Pfennig, (1213 ff.) die ich später mit-
teile, begegnet uns beinahe wörtlich in einem Spruche der Wiltener
Handschrift Bl. 116' i). Auf Vintler's Stelle:
0 Sieh meinen Bericht darüber S. 50. Sitzungsberichte der k. Ak. XXXVII, 97$.
Beitrage zur filteren tirolischen Literatur. II. 309
SO wissen dise das vogel' geschrai 7745 ff.
beruht der Spruch :
Welcher mensch do gelaubt an Togel geschrei ff.
der uns in zwei Wolfenbuttler Handschriften erhalten ist i).
III. Verhältniss zum italienischen Werke.
Vintler nennt uns selbst seine Quelle:
ich han durchsaecht flores virtutum,
das do ain wälsches puech ist,
das han ich gemacht ze diser frist,
das es teutsche zunge wol yernimpt,
wan es der rechten tugent zimpt
davon han ich es ze teutsche pracht. 126 ff.
Er nennt hier seine Vorlage ausdrucklich ein wälsches d. h.
italienisches Buch, nachdem er auch sein Werk benannt wissen will :
daTon wil ich, das mein werk das chlain
haiß die pluemen dertugent rai^ 7.
Lappenberg gebührt das Verdienst, dies italienische Original»
ein um das Jahr 1320 geschriebenes Werk, welches dem Tomas o
Leoni zugeschriebeo wird, nachgewiesen zu haben. (Haupt, Zeit-
schrift X, 258 ff) a). Wie Vii^tler seine Vorlage benutzte, sich bald
ängstlich an dieselbe anschloss, ja dieselbe beinahe wortlich über-
setzte, bald aber sich freier bewegte, ja stellenweise ganz seine
eigenen Wege gieng, bis er wieder auf das Original einlenkte, mögen
die folgenden Stellen zeigen, denen ich den italienischen Text nach
Gelli beigebe.
1) Fastnachtspiele 111, 1382. 1438.
2) Zn den rielen dort aufgeführten Ausgaben trage ich nach :
1. Die venesianer Ausgabe 1493. Ein Exemplar be6ndet sich auf der Bibliothek
£tt Gotha.
Z. Fiore di rirtik ridotto alla sua vera lezione tecondo Pedixione di Roma dtl
1740. Udine 1853.
3. Fiore di virtä, testo di lingua ridotto a corretta lezione per Agenore GelU.
Firenze 1855. Diese Ausgabe steht unserm Gedichte am nSchsten.
310 Z inger le
Ho fatto come colui, ch' i in uno grandissimo prato di fiori, che
elegge e coglie tutta la cima de* fiori per fare una bella ghirlanda;
pero voglio che questo mio piccolo lavoretto abbia nome: „Fiore dt
virtudi e di costumi; e se aleuno difetto ci fosse, che sono certo
che egii iie ha, la discrezione di coloro, che leggeranno, si Temendi;
che infino a ora io mi tengo alla loro corredsione, e lasso lo mio fallo.
Amore e benevolenza e dilezione e quasi una cosa, secondo che
proTa Fra Tommaso neila sua Somma generalmente. Lo primo mori-
mento di ciascuno amore si i la conoscenza; e cos\, come diceSanV
Agostino» nessuno uomo puote amare aicuna cosa, se priroamente non
ha qualche conoscenza della cosa che vuole amare; e discende questo
conoscimento da cinque principali sentimenti del corpo: da Tedere,
che e negli occhi; da udire» che e nelle orecchie; da odorare, che
e nel naso; da gustare, che e uella bocca; dal toccare, che e nelle
mani, e in altre parti del corpo ; ovrero dal senno intellettiTO, eh* e
nello immaginare dello intelletto.
Beitrige zur ilteren tiroUscheu Literatur. II. 311
Ich han getan recht als ain man,
der do cham aaf ainen plan,
do er vant pluemen manigerlai,
als si pringen mag der mai,
5 und der die plaemen aller pluemen nimpt,
ain kränzlein macht, das im gezimpt.
davon wil ich, das mein werk das chlain
haißt die pluemen der tugent rain. 1 — 8.
und ob an dem püchlein icht gepresten ist,
so pit ich den, der es da list,
das er das wend> wan ich im es gan;
190 wan ich der chunst nicht enhan,
das mein geticht sei straiTe frei. 187 — 191
wan alle ding an der liebe leit,
210 als uns sand Thomas urchund geit,
das lieb, wolgeyallenchait und der iust
sind pei einander in ainer prust.
wan er das oifenleichen spricht
und in seiner summ ausricht,
215 das die erst bewegung ainer iegleichen liebschaft,
das das sei die yer^antnus mit ir chraft.
als da spricht sand Augustein :
»chainem menschen mag ain ding lieb sein,
er hab es dann vor etwas erchant^.
220 das selb das chumpt von der fSnf sinne pant,
also das sehen mit den äugen,
den oren das gehörd, das ist an laugen,
und als das sniecken mit der nasen,
und als das chosten mit dem prasem,
225 und als das rfiren mit den henden,
wie es die sinne mein wenden,
3 do] und S. — 6 iemen »mpt F. im wol g. (r. — 7 ich mein w. 5. — 8 haissen S.
pl8m G. — 187 geprechen G. — 189 wenn G. im des G. — 211 lieb geralükait
S. woUevSlIigkait G. — 212 sei S, seien B G, — 213 offenleich F B G. — 215
begirung BSG.— 216 irer B, — 218 gesein B S. ^ 220 selb eh. S G, selbig B.
sinnen BSG. — 222 gehör G. — 223 fehlt F. 224 den F S. — 226 wie sy dy
sinne roainet w. S. maine B. raainen G.
312 Z ing e r 1 e
e questa conoscenza si i il primiero assalto d*amoret e la mag-
gior parte discende dagli occhi, secondo lo Füosofo» che imprima-
mente la volontä delle persoae si muove per questa coDOsceiua; poi
si muta nella memoria» e converte si in piacere e immaginamento.
Questo eotale piacere si muove da uno disiderio del euere a
disiderare la cosa che gii e piaciuta, e questo disiderio nasce da una
speranza che viene da potere avere quello che gli i in piacimento;
e di questo nasce la sommaria virtü^ d*amore, la quäle si e radiee, o
fondamento, guida e chiave» e colonna di tutte le Tirtudi. siccome
scrisse il Filosofo. E*l detto Frate Tommaso prova« che nessuna rirti^
d*amore puote essere senza amore, e tutte si formano ed hanno eo-
minciamento per lei.
Sicchi ciascuno che vuole conoscere le virtudi da' yisj» gau^i
pure se quello ch'egli vuol fare si muove dalla virtü d'amore
0 si 0 no ; e di ciö poträ conoscere la veritä. E questo pu& vedere
manifestamente ciascheduno che abbia intendimento, guardando bene
la proprieti de' vizj e delle virtudi. Siecht amore si puote propria-
mente assomigliare a un uccello il quale ha nome calandra, che ha
tale proprietJi , che egli (& portato airinfermo • e se Tinfermo,
dee morire, si gli volge la testa» e non lo guarda mai; e se egli
dee scampare, si il guarda, e ogni sua malizia gli toglie da dosso ; cosi
fa la virtüi d'amore. ch*ella non guarda mai aicun vizio» e schifo
Beitrage zur altereu tiroliacheu Literatur. II. 313
wan sie es doch alles regieren,
and in dem andern tail des hieren,
da da leit der Temnftig gaist
230 in der betrachtung aiiermaist.
wan die rerstantnas ist also frei,
das ir wont guet und pös pei,
und macht ir oft selb ain lieb urspring,
als ich es in meinen sinnen Tind.
2 3 IS das chumpt alles Ton der äugen gesiebt,
als der philosophus auch spricht:
wenn der mensch seinen willen naigt,
das er dann der erchantnus zaigt.
das selb Ycrweehselt sich alda
240 in die inner memoria
und Terchert sich dann, als man sait,
in ain wolgeTallenchait.
und das gCTallen erwegt die pegir,
das im die sach gevallet schier.
245 da pirt sich dann die höchste tugent.
die rechte liebe ist so mugent,
das si ist würz, anevank und leben,
wan si mißet alle ding gar eben.
sie ist auch ain säul aller tugenthait,
250 als der philosophus uns sait
und sand Thomas auch bericht
und bewärt, das chain tugent nicht
an rechte lieb nit mug gesein,
wan si formet sich so ein
255 und macht ir ainen anevank durch sei.
und wer erchennen wil da pei,
ob er tugent oder laster tue,
so wart nur das ansehen zue,
227 wen es ai d. S. — 229 anTernuAig F, Teraufft G. — 231—330 fehlen F. -
232 §ruetx und auch p. 6, — 233 selb fehlt 8 G, ^ 238 der kantnns S, ers erkant-
nuss denn z. G. — 240 inner] in der G. — 242 wolIg^eTellikait G. ~ 243 das
fehlt B, — 244 gevallen BS. — 249 aal S. — 250 uns anch s. G. — 251 sanc-
tu4 G. — 254 oroet S. sei formiert G. — 258 nur fehlt S. nu G.
Sitzb. (1. phil..hi8t. Cl. LXVI. Bd. U. Hft. 21
314 Zingerle
sempre ogni vi! cosa, e diraora colla virtü. E ii bene, che i eosi con-
tinovo, ripara in ciascheduno cuore gentile, come faiino gii uccelli alla
verdura della selva; e dimostra la sua virtude. come fa il lume, cbe
i posto in una scuritä che aliumina plA. E, secondo lo detto Frale
Tommaso, e* dee essere ordine nelio amore, che rroprimamente Tuomo
dee amare Iddio sopra tutte le cose; e dietro si dee amare se stesso,
pol il padre e ia madre; pui la patria secondo ii grado; poi cias-
cuno secondo lo suo essere; e innanzi Ii buoni che Ii rei dee amare,
ma non i suoi vizj, siccome dice Santo Agostino; onde primameute io
ragionerö dello amore d*Iddio, perchi e sovrano a tutti gli altri; poi
dirö dello amore de* parenti; e poi conterö dello amore degli amici;
e alla fine parlerö dello amore delle donne.
Beitrage zur «Heren tirolischen Literatur. II. 315
ob es Yon der tugent her gee,
260 oder ob es mit dem laster bestee.
Die lieb mag ich geleichen wol
dem kaiander, wan der sol
ain siechen menschen sehen an,
sol im die sacht nit engan,
26 d so chert er seine äugen Ton im,
sol er aber des siechtums chomen hin,
so chert er seine äugen dar
und nimpt des siechen fleißichleichen war,
das er den Siechtum in sich zeucht.
270 also auch die tugent fleucht,
das si die lasterperleieh getat
alzeit scheuhet an aller stat,
und also tuet ain edel gemut.
das zeucht an sich mit seiner gut,
275 das si es begreifen wirt gar pald,
recht als die Togcl in dem wald,
den ir begir nach laube stat.
also sat die tugent ir sat.
und als ain Hecht in ainer rinster,
280 das da leucht mit seinem glinster
noch Tester, denn ob es der tag an schin,
also ist dem tugeiithaften sein sin.
sand Thomas spricht noch me,
das die recht Ordnung bestee.
285 und das auch die ganze liebe ist,
das ist, das man minne Christ
Tor allen dingen hie auf erden
und das du bedenkst^wer du muest werden.
das selb macht, das man sich selber mint,
290 und wer das selbig recht versint,
263 fehlt G. — 264 so im die s. oit sol G. — 266 siechtum ß. — 266 fleischleicheo
S. flissigklich G. — 271 sei die schantlichew lasterparlichew t. (?. — 274 zeucht
fehlt G. - 277 ir fehlt G. ~ 278 also stat die S. — 281 denn fehlt S. — 286
Ihesum Ch. G. — r 288 wer] waz G. — 289 mach 8, mint] mät S. — 290 wer fehlt
G. selb S G. versunt S.
21 •
31t) Zineerle
das war wol ain hoher hört gpenaeg.
wao wer im selben hie ist clueg,
der mag sich wo! Tor sQnden hueten.
anch sol man Yatter und mueter gueten,
29 S das man die in eren hab.
den nächsten freunten auch guetes trag,
iegleichem darnach, als er dir sei
mit seiner sippe nahen pei.
darnach seit du ain iegleichen man
300 nach seinem wesen also han,
und auch ee die gueten wan die pösen.
auch soitu niemant nicht verosen
sein leumunt noch ander leute laster.
wan wer das tuet, der schent sich Taster,
305 als sand Augustin do spricht.
am ersten han ich ew bericht
von der gottes lieb urspring,
darumb das er ist über alle ding.
darnach wil ich eu sagen me,
310 wie die tailung der liebe ste.
darnach so offenbar ich eu
Yon der lieb und von der frawen treu.
Es mag dieser Vergleich des Anfanges uns zeigen» wie Vintler
bei seiner Bearbeitung im allgemeinen vorgieng. Er folgte, wenn er
übertrug, dem Gegebenen in freier Weise, schloss sieh aber genau
dem Inhalte des italienischen Originals an. Wir Gnden sogar Stelleu,
in denen er sich auch wörtlich an die italienische Vorlage hält und
sogar Reime daraus entlehnt; z. B. disse Taltro: Messer lo Re S. 81.
herr der chünig 5179. Seneca dice: Non lodare altrui in sua pre-
senza S. 88. •
so spricht der maister Seneca :
„nicht lob die leut in presencia** 5504.
291 ainer S, — 29t selber S. selb G. — 294 gutten S. — 298 io aUen e. G. —
297 als er dir] uod er G, — 299 nahent S. — 301 wan] deno G. — 903 sei»»
leunden n. G, — 304 wer] der G. scbent sich selber Taste G, — 309 aa] di« £
euch G» — 307 orsprang S G. — 308 sllew G, — 309 d. so w. L eaeb G, mt
fehlt 6. — 312 und auch von der falschen fr. G.
BeitrSge zur Slteren tirolischen Literatur. II. '317
Della virtü della gratificazione dice Cnto: Quando aicuno tuo
povero amico ti dh. alcun dono S. 86.
Ton der danknemichait spricht Catho :
^wenn dir ain mensch geit ain clain dono.** 5538.
E da superbia a vanag/orta si i grande diffevenza, S. 88.
doch zwischen hochfart und vana gloria
ist ain groz diiferencia 5638.
Seneca dice: Se tu pensassi il fine della lussuria S. 95.
„awe!** spricht her Seneca,
„bedachtest du das end der luxuria 6257.
Del vizio della lussuria si legge nelle storie di Roma, che lo
imperadore Teodosio avea un suo figliuolo S. 95.
man list von der luxuria
in der historie von Roma,
das der chaiser Theodosio
het ainen sun, der was also 6378.
Chi Yuol scampare de pericoli del mondo, accompagnisi con la
cortesia S. 100.
wer da hie entrinnen well
der sorgsamen weit, der gesell
sich zue der curtosia 6588.
*
E iniperö dice Salomone, che gli uomini e le bestie sono d*una
condizione e fine. S. 1 03.
darum b sprach her Salomon:
nleut und tier sein ainer condicion". 7114.
Einen wahrhaft heitern Eindruck macht die Übertragung fol-
gender Stelle : E puossi assimigliare la Yirlii della temperanza a una
bestia, che si chiama cammello, che naturalmente si e il piüi lussu-
rioso animale, che sia al mondo; ch*egli anderebbe dieci miglia dietro
a una cammella solo per vederla. S. 80.
Die mässichait die geleichet man
dem chamlein, als ich vernomen han,
318 Zin^erle
[
Ovidio dice: Se ogni volta che le persone peccano» fossono po-
nite, in poco tempo ne sarieno pochi. Setieca dice: Pensa d*avere
fatta la tua Vendetta, se tu ti se* possuto vendieare, e tu gli abbia
perdonato S. 34.
Molte persone peccano per povertä. üa aliro disse: 0 motte,
come tu 86 dolce com al povero. S. 39.
Del yizio della gola si legge nella Somma de* vizj, che tutti gli
mall si vengono dalla gola, ch*e]la toglie la memoria, e distrugge ^
senno, e consuma lo'ntelletto, e corompe il sangue, turba gli ocebi,
indebolisce lo spirito, enfia la lingua, guasta il corpo, e tutte le infer-
mitJi discendono da quella, e induce lussuria e aecorcia la Tita S. 91.
QuirKo disse : Questi e quegli che signoreggiava il mondo dal
Levante al Ponente, e ora si contiene in due passi di terra G. S. 27.
Guilico disse : Colui chi signorigiaua la terra da leuante a ponente
hora i doi passi d terra sta soterato. (1493) Bl. V.
Beiträge zur älteren tirolischen Literatur. II. 319
das selb ist tod naturleichem streit
gar uncheasch ze aller zeit,
wan indert chain ander a n i m a 1 i a.
waD es luif ainer c a m a 1 i a
nach mer wan hundert meil,
das es nuer sei sehen solt ain weil 5058 ff.
Ich gebe noch einige kleinere Beispiele der Übersetzung, die
uns manche Schwachen derselben zeigen mögen, z. B.
Ofidius der hat auch gesprochen :
^als oft der mensch in die sunde Yall,
solt man si darumb pessern all,
so wurd ir wenig in churzer zeit.
gedenk, haben getan dein streit,
so du si wol mochtest haben getan.
wan da prüft man dein tugent an^. 1679 — 1685.
vil menschen sunten zwar
ron grosser armuet, das ist war.
0 tod, wie ain süsses ding ist armuet ! 1 990 ff.
von der fraßbait spricht man also,
das si sei ain fundamento
aller poshait, als da spricht Isiderus:
wan si zwingt des menschen gedächtnuß
und zerpricht das naturleich pluet.
unmaß ist ze nichte guet,
unmaß irret weises reden,
unmaß wüstet des ganzen menschen leben
und alle siechtumb chomen
Yon der unmaß, han ich vernomen. 5860 ff.
Einmal begegnete unserm Dichter das Versehen, den Nachsatz
auszulassen :
Salomon spricht: „der ist, der da herschaft
das ertreich yon aufgang
der sunnen unz zu ir nidergang*'. 1235.
Dass aber unser Dichter es versteht, das italienische Original in
der Darstellung zu übertreffen, mag uns folgende Erzählung zeigen :
Lemme (Gloria 1493), figliuola dello imperadore AoasUgio, la quäle
si s' innamoro d'uno 9uo dooiello, Gh'avea nome Aroantino (Amooe
1493), e'l donzello non voglieodo scconsentiHe per paura dello impe-
radore, costei si ptash di farlo morire. Sieche passando ud di dioaui
all' uscio della figliuola del re, dov' ella giacea, ella cominciö a gri-
dare: „Accorrete, accorete, chd Amantiuo m' harolutasforzare. E in-
contaneote fu preso il dontello, e menato dlnanzi allo imperadore. e
fu domandato, se era vero quellu che dicea la donzella; ed egU ri-
spose di no.E lo imperadore si mandft perla ßgliuola. e domaDdö coine
era stato il fatto, ed ella Diente risponde. Ed essendo domandata piü
Tolte, e niente HspoodeDdo, disxe un barone con modo di beffa: eil'
aver forse perduta la lingua. E lo imperadore si mara?ig)i& forte di
cii, e feile cercare in bocca, e trovossi avere perduta la lingua. E lo
imperadore veggendo questo miracolo, si fe laseiare il donzello; t
allora tomö la lingua di subito alla donzella, ed ella manifestö la
Teritä in presenta d'ogni uomo ; e poi entri in un munistero, e fin\ la sua
Tita alservigiod'lddio. S. 69, 70.
Beitrige zur ilteren tirolischen Literntur. II. 321
4032 Von der lug list man in römischer tat,
das ze Rom in der stat
was aine» hies Jnrina,
4035 und was des chaisers Anastasia
tochter, als ich han Tcrnomen.
die was in ain solich lieb'e chomen,
das 81 sich senet tag und nacht an widerdries
nach ainem, der Amene hies,
4040 der dem chünig was ain gehaimer
und was der edelen iunkherren ainer.
des wolt der selbe iungeling
nicht tuen umb chaiaerlai dtng>
das er pei ir icht wolt ligen,
4045 wan es war dem chaiser doch unTcrswigen.
und do die iunkfran das ersach,
do gedacht si ir tag und nacht darnach
mit allen iren sinnen.
wie si den iungiing mocht umbpringen.
4050 das traib si etleich zeit mit iamer.
ains tages gieng si für sein chamer
und schrai da auf mit lauter stim :
„lauft, lauft, ist ieman hinn,
der mir retten helf mein er!
4055 Waffen heut und immer mer!
das ain solicher snoder man
sol seinen gewalt an mir haben getan,
das ist doch dem chaiser ain schant^.
do lief alles volk zne ze haut
4060 und yiengen in, als si het gedacht.
do ward er f&r den chaiser pracht.
do sprach zue im der chaiser her:
»eya heut und immer mer!
4034 was aine] ain iankfraw die G. was fehlt 8. die hies F. — 4030 Amore G. —
4042 des] da G. — 4044 icht] nicht F S, ^ 4045 doch fehlt (7. — 4051 tags
da g. O, — 4053 ein lauft fehlt F. -- 4054 retten wel helfen S. — 4057 sein
F S O, — 4059 lief an a. t. se h. F. sue da ze G. — 4060 het fehlt W S G. —
4062 d. chaiser zu ihm her F.
322 ZiDgerle
auf wen sol man nu pawen ?
4065 nu hab ich dir so woi getrawen,
nu ward du doch mein inrister gehaimer.
sag an, du tu unrainer,
ist es war oder nicht,
das mein tochter Ton dir gicht?^
4070 do sprach er: »herr, ich pin pechlagt.
tuet so wol, fragt selb die magt,
das ich sein unschuldig pin,
und das es nie cham in meinen sin.**
der chaiser schickt an der stat
4075 nach seiner schönen tochter drat
do cham si zue dem rater nicht gar geren»
aber doch muest si in geweren,
und do sei der rater anesach,
do sprach er: , tochter, wie pistu so swach
4080 pei ainem frömden man gelegen I**
do wolt si im chain antwurt geben.
do fragt er sei aber darumb,
do stuend si geleich als ain stum.
do ward dem chaiser gar und gar zoren.
4085 do sprach ainer: ,»si hat leicht die zung rerloren.'
des nam den chaisßr groß wunder
und hiez die tochter füren besunder,
das man ir schawet in den mund.
do het si chain zung an der stund.
4090 und do der chaiser das wunder sach,
wider sich selben er do sprach :
„nu sich ich wol, das diser man
• an der sach chain schuld nie gewan.
er mues ledig sein an diser vart.^
4095 und do die iunkfrau das erhört,
4066 war du P. werd du G, inriater] in eriater F. meiater G, indroater G, — Vi^
spricht FS G, — 4071 wol und fr. G. selber W. — 4073 es fehlt S, — 4076 nit
FC — 4077 doch so m. G. — 4078 %\ W 8 G, w W S G, — 4082 sy IF €. -
4083 si ror im g. G, geleich fehlt F. — 4084 das was G. dem] der 5. snren S. —
4085 villlcht G. — 4086 der FG.— 4089 zungen G, — 4092 ou] das SG.-
4004 sein pald auf d. G.
BeitrSge xur älteren tirolischen Literatur. II. 323
do ward ir die zunge ffirsich wider,
und offenbaret alles das sider
Tor manikleich selber die warhait»
wie si dem inngeling das lait
4100 het gemacht und wie es alles dar cham.
dar nach nam si an sich ain solich schäm,
das si sich in ain dosier ergab,
und Terzeret darinne ir lebtag
in gotes dienst an underlas
4105 von dem zaichen, das ir widervaren was.
überhaupt zeigt der Dichter eine ganz geföllige Erzählungs-
gabe, die sieh z. B. in der Legende von St. Germanus V. 8000 ff.
zu raschem Dialoge und dramatischem Leben steigert. Er begnügte
sich aber nicht damit, die fiore dl virtii in seiner Weise zu übertragen,
sondern bestrebte sich, das Originalwerk zu erweitern, mit anderswo
gefundenen Sprüchen und Erzählungen zu bereichern und zu
schmücken und that noch manches Eigene dazu. Er selbst sagt dar-
über in der Einleitung:
so hat Tor mein auch nie chain man
alle chunst allain mocht han.
115 es hat ainer Ton dem andern genomen,
also haben si die chunst uberchomen.
also han alhie getan auch ich.
ich han gesnechet des geleich
TOn allen maistern, die vor mein
120 gaben hoher chunste schein
und die uns gaben guete 1er.
also han ich Hans Vintler
die red gechlaubt aus manigen puechen,
und die ich alle muest durch suechen, .
125 ee das ich die red pracht ze ainer sum.
ich han durchsuecht flores virtutum,
das do ain wälsches puech ist
das han ich gemacht ze diser frist.
4096 die fehlt W S 0. hinwider 6. -> 4098 m. du aelber F. — 4100 dar] das S
^ 4101 sich seihen aoleich «am F. — 113 mir G. — 114 aUain gehan O Dr, —
fiS hat aoch allweg n G. — 122 H. der V S. — 124 klaubet G, piichern S. 0.
324 Zingerie
das es teutsche zun^e wol vernimpt,
1 30 wan es der rechten tugent zimpt.
daTOn han ich es ze teutsche pracht.
auch han ich darzue gemacht
Til manig ter und abentenr,
die ze tugent gebent steur.
1 35 die han ich all pracht zue einander,
ich han gesuecht in Alexander,
was der hie auf erd getan hat.
darnach suecht ich der Römer tat,
was die wunders habent getriben,
^ 140 oder was die propheten habent geschriben.
wie DaTid und Salomon sprach»
Osue, Jeremias und Ibesus Syrach,
and was si wunders geschriben haben,
oder was die piicher der altväter sagen.
145 das han ich alles sampt durchsuecht,
und wie got Pharaone fluecht
und Til, was in der bibel geschriben ist.
darnach suecht ich alle list,
die haben geschriben die philosophus
150 Plato, Aristotiles und TuUius,
Ofidius, Pharo, Socrates und Catho,
Pytagoras, Galienus und Faceto,
Tolomeus und Ypocras,
Salustius, der auch ain maister was,
155 Magrobius und Ermogenes,
und ainer, der hiez Ermes,
Wasilliko und Cassiderus,
Andronico und Longinus,
Terencio und luTenale,
160 Thomas de Aquino und Sermoniale.
129 wol fehlt S* Dr. — 130 gezimpt G. — 133 mangew G. und auch G. — 1S5 liaa
ich praocb alle G. — 136 auch in G. — 142 Sydrach G. Dr. — 144 alt wacht«*
S. — 14S alle G, — 146 wie fehlt S. — 147 was] das S. wibleo 5. — 146 aUea
S. alle die G. — 149 die da h. G. Dr. — 157 Waselliko S.
Beitrage sur ilteren tirolischen Literatur. II. 325
noch han ich ^esuecht der maister mere,
oder was die decret (^ebent lere
oder was Aagustinus und Ambrosios,
Gregorius ond Jeronimiis
165 haben geschriben in iren sermonen,
Beda, Chrisostomus iind Orienem,
die all geschriben haben manigerlai figur,
oder was das puech der natiir .
inne hat von allen wesen,
170 das han ich alles sampt durchlesen.
auch han ich g^suecht in Valerie Maximum
und ain puech, haist gesta Romanorum,
was Wunders darin geschriben ist,
oder was da hat gesprochen Ihesus Christ
175 und sand Paul, der da wart bechart
auch hat gesagt sand Perenhart
▼il Yon der gotes gerechtikait.
Isiderus und Boecius sait,
das man tue von der weite eher.
180 noch sind der maister vil und vil mer^
die ich nicht alle genennen chan,
wan es wnrd verdriessen etwan.
doch han ich sei all durch chlaubt
und iegieichen ain wenig be raubt,
185 damit das doch ain puchlein
ist Tolpracht nach dem willen mein.
Mochte der Dichter aus andern hier genannten Schriftstellern
einige Sentenzen entlehnen, so benutzte er doch vorzüglich den Va-
lerius Maximus, aus dem er viele Exempel nahm, die im italienischen
Original fehlen. Es sind folgende:
163 u. 164 find in S. zusammengezogen: oder was Augustinus und Jeronimus. — sant
Aug. G. — 164 und sant F. G» — 168 der] von ^. — 171 ich han auch Q. Dr.
Valerios S. Maximi SO, — 172 RomanI GS. — 174 gesprochen haut (r. Jesu F S.
— 175 oder s. Peter und s. P. 5. und sand Peter und sand Paul F. bekert G* Dr.
— 176 und waz sand Bernbardus gesagt bat der werd G Dr. — 177 vil fehlt
G Dr. — 180 und vil fehlt S. — 181 nit all nemen G. — 182 etschwan S. —
183 d. so han si alle duricb S. — 184 iedleichen F.
I. Emilia. V. 941—959. V.l. I. VI. c. 7. I.
i. Seminmii. V. ISS3— 1S69. Val. I. IX. c. 3. 4.
3. H«nnib«l. V. 1610—1602. V.l. I. IX. c. 3. 2 und 3.
4. Svraoiiidei. V. 1730-1750. V.l. I. 1, c 8, 7.
8. Syll«. V. 1800-1821. V.l. I. IX. c. 2. I.
«. Hannib.r. Gi'.usninli.il. V.' 1822—1841. V.l. I. IX. c. 2. 2.
7. Tilus Qulntm. V. 2042-2069. V.l. I. IV, c. 8. 5.
8. Marcus Cassiua. V. 2176—2197. V.l. I. IX, c. 4. 2.
9. Camilluj. V. 3168—3209. V.l. I. VI, c. 5. I.
10. OcUviaiius und der Lügner V. 4106—4131. Val. I. K,
c. 15. 2.
11. Horalius Code.. V. 4330—4367. Val. I. III. c. 2. 2.
12. Plalo. V. 4S06— 4620. Val. I. IV. c. 2, 1.
13. Pyrrhus. V. 4630-4663. Val. I. VI, c. 5. 1.
14. Panaanias. V. 4662-4681. Val. I. VIII. c. 14. 4.
16. Aleiander und der Kn.be V. 4742—4771. V.M. lU. c. 3. 1.
16. Menius. V. 4818—4843. Val. 1. III. e. 8. 8,
17. Marcus Regulus. V. 6054—6073.
18. Catilina. V. 6368-6378. Val. I. IX. c. I, 9.
Der ßicbter nennt meist gewissenhall diese seine Quelle:
Ton der lieb spriebl aucb Valerius 941.
TOD dem loro schreibt uns Valerius 1552.
TOa dem loren list mao in Valerio 15T0.
als das Valerius Miximus sait 1760.
als uns sa|ft Valerius Maximns 1816.
Ton der milt schreibt Valerius 2042.
ah UDS schreibt Valerius Msximus 317t.
TOD der starkmQtikait schreibt Valerius 4506
als Valerius ssit. 4531.
Too der slätichait schreibt Valerius 4742. 4818.
Ton der cheosebait schreibt Valerius 6053.
Beiträge zur älteren ttroliscben Literatur. II. 327
1. Armonia. V. 899—947. Er gibt als Quelle eine Chro-
nik an i).
2. Von der Grausamkeit der Bewohner ron Otoria V. 1842
bis 1851. Er beginnt: „von der greuleichait schreibt man das**.
3. Sokrates und der Jungling V. 2662— 268K mit dem An-
fange: „von der weishait liset man**.
4. Die neugierige Römerin V. 4934 — 503K. Die Erzählung
beginnt: „von der unstät schreibt man das*).*^
5. Lucius Emptinatus V. 5102 — 5119: »ron der mässichait
sagt die historie'*.
6. Unbestechlichkeit der Romer V. 5120—5142:
„Ton der mässichait list man
in der historie Ton Rom.^
7. Latine und Ameno Y. 5290—5313. Der Dichter gibt der
Altväter Leben als Quelle an.
8. Alexanders Enthaltsamkeit V. 5814—5843. Der Dichter
beginnt:
„man list von der mässichait also
in dem puech Machabeo.
9. Von einem keuschen Einsiedler V. 6074—6145«).
10. Salomon und die Katze V. 6755—6782.
Drei Erzählungen, die im Originale fehlen, scheint Vintler von
Hörensagen geschöpft zu haben. So die Sage vom Modeneser, der
dem Teufel eine Kerze opferte V. 3246 — 3334*). ^also hör ich
von im sagen etc , die Geschichte von dem mörderischen Bauern, der
seinem Sohn das Sch^iv^ert vermachte V. 4194 — 4250 mit dem An-
fange :
„von der selben fraidichait maess ich sagen,
das da geschehen ist in churzen tagen
an ainem päurischen man**
') ich ban geleaen in ainer coronica S99.
') Vergl. Pauli, Schimpf und Ernst ed. Ö«terl«f S. 242.
*) 8. Selen troist Nr. 71, ZeiUchrift für deutsche Mundarten 11, 3.
^) Dieselbe ErzShIung enthilt die Berliner Handschrift II, Nr. 33. 9, MSH. IV, 507.
328 Z i n g e r 1 e
Tolomeo dice: Innanzi che tu favelli, fa che tu conosea ie cod*
dizioni e gli costumi della persona a cui intendi di favellare; impe-
rocch^ con baroni e cavalieri si dee parlare cose altissime di signorie»
di battaglie, di cortesie» di prodezze, d*arme, di cavaili, di seile, di
cani e d*ogni altra gioja e diletto ; con donne si dee contare di cose
di cortesia e di allegrezza e d*aroore, e di belle gioje e di Testimenta»
e di case e di masserizie; con donzello si dee ragionare cose d*amore,
di cortesia, d*allegrezza, di belle cacce, di bagordare, d'armeggiare;
con religiosi e con persone vecchie si dee dire d'onestade e di ca^s-
tit^, di temperanza, di scienza, di santitJi; con persone di popolo si
dee ragionare di cose ch'appartengono al suo mestiero; co* villani st
dee dire cose d*arare e di Seminare e di fare fossati, di tagliare
boschi, di rigne e di bestiame; con matti si dee dire cose di pauia,
imperocche a lui non piace mai se non cosa che si affä alla sua pazzia
e con persone tribolate si dee dire cose di pacienza e di temperania
e di misericordia; e cosi secondo le condizioni delle persone si dee
ragionare cose che sieno loro a piacimento. (Gelli p. 108).
Beiträge xur ülteren tirolischen Literatur. II. 329
und von Albertus Magnus, der sah, wie der Teufel vor dem Sakra-
mente seine Kappe zog V. 6890 — 6911, wo er sagt: „ich han gehört
von meinem gesellen**. In der bekannten Legende: Der Engel und
der Einsiedler i) V. 3058 ff. weicht er von der Fassung derselben im
Originale ab. Zwei Erzählungen, die das Original im Abschnitte über
den Neid gibt (Gelli S. 21 und 22), übergeht Vintler, während er
sich in Betreff der übrigen Beispiele und Gleichnisse strenge an die
italienische Vorlage hält. In Betreff der letztern weicht er nur einmal
ab, da er bei der Unmässigkeit anstatt des Einhornes (V. 82S6 bis
527S) den Otter als Sinnbild gebraucht. Weniger freie Zuthaten als
bei den Erzählungen finden wir im andern Theile des Gedichtes,
solange er den Fiore di virtü folgt, doch auch hier gehören folgende
Stellen dem Dichter an:
V. 9—185. 1056—1068. 2090—2119. 2386—2416. 2843
bis 2914. 3784-3799. 5316—5381. 5690—5763. 6626—6931
und andere kleinere Partien.
Mit Vers 7028 beginnt der Dichter den „Ammaesiramenti de
Filosofi**, wie die ital. Schrift in Gelli*s Ausgabe genannt wird, zu
folgen und nicht Albertano*s von Brescia Abhandlungen: Bella
consolazione e del consilio** und „Delle sei maniere diparlare*' oder
^Ammaestramento di diree di tacere** wie Lappenbergs) annimmt.
Beispielshalber gebe ich auch eine übersetzte Stelle dieses
Theiles :
8540 Tolomeos spricht in seinem tractat:
«du solt nicht sein ze drat
ze reden mit nieman,
du erchennest denn gar wol den man
und sein weise und sein gestalt,
8545 das du wissest, was du reden solt.
darumb sol man mit grossen herren
reden von grossen eren
und von hohen dingen
und von weistum und von sinnen,
0 Vita patrum 5, 93. Gesta Romanorum lat. 60. Pauli, Sehimpf uud Ernst S. 377.
Eioe Übersicht der Literatur dieser Legende gibt österiey 8. 550.
3) Zeitschrift für deutsches AlUrthum B. 10, 263 und 264.
S540 gicht W. -> S54i chrat W. — 8542 ieman G. — 8546 so sol W S G. — 8547
r. mit sinn ron F. — 8548 und auch F» — 8549 yon höflichen s. 6,
Sitxb. d. pbil.-hist. CI. LI VI. Bd. II. Hft. 22
Beitrüge zur alteren tirolischen Literatur. 11. 331
In diesem Theile tritt uaser Dichter viel selbständiger auf, geht
oft seine eigenen Wege und dichtet so umfangreiche Stellen hinzu,
so dass man diese Parthie grossentheils als sein eigenes Werk an-
sehen muss.
So fehlen im Original 7172—7194, 7206-7271,7478-8510,
8774—8787, 8810—8819, 8890— 89S7, 8960-8970, 9002 bis
9025, 9050—9123, 9134—9167, 9282—9320, 9397 bis zum
Schlüsse V. 10172. Die hier eingestreuten Erzählungen: Socrates
V. 7181-7194 (Valerius M. I. VIII. c. 8, 1), Abt Makarius
V. 7487-75011), Abt Agatho 7536-7547, der Ritter, der ein
Mönch war und sich stumm stellte V. 75 .8— 7593, Bischof Germa-
nus »J V. 7996—8167, Thomas Aquinus V. 8246—8361, Abt
Makarius und die zwei Schwägerinnen V. 8926 — 8953, die römi-
schen Gesandten zu Tarent V. 9280— 9315 s), die Frau mit dem
langen Rocke und der Teufel V. 9401 — 9415. fehlen durchaus im
Originale. In den eigenen Zuthaten, namentlich des zweiten Theiles,
liegt die Hauptbedeutung des Werkes. Es scheint, als ob dem Dichter
während der Abfassung erst allmählig das Selbstvertrauen, Kraft und
Schwung, Freimuth und Energie gewachsen seien. Je weiter er in
seinem Gedichte vorwärts schreitet, desto selbständiger und kühner
wird er. Schon Gervinus betonte diese Erscheinung: „Allmählig
legt der Verfasser seine Riickhaltung ab; fast furchts<im spricht er
hier und da von Schmeichlern und Bauern mit einem Blick auf die
Zeitgenossen , und von der Unfreigebigkeit der Fürsten , zieht sich
aber sogleich zurück, und will seinen Athem sparen, wo er nichts
beßern kann. Weiterhin aber geht er in einen ganz andern Ton
über, wendet sich ganz auf seine lebendige Umgebung und Zeit und
geißelt ihre Fehler mit völliger Verleugnung der früheren Scheu.
Hier erinnert er eben so sehr, wie vorher an den Geschmack der
Mystiker, an den der Satiriker, an Brant und an Murner** ^). Vintler
rügt und straft mit männlichem Freimuthe, mit Kraft und Würde
die Gebrechen seiner Zeit, vorzüglich wendet er sich aber gegen den
Adel und die Hochfahrt der Frauen. Es ist für unsern Dichter, der
0 auch liflt man in der altvStter leben.
*) Ver^l. der Selen troist Nr. 3. Zeitschrift für deutsche Mundarten I, 183
*) ain exeroplum list man in der Römir tat. 9282.
^) Geschichte der deutachen Dichtung (1853) 11, 349.
22*
Beitrige zur Siteren tirolischen Literatur. II. 333
daTon so ist notdorft dapei,
das man in geh ain falsche chrei,
wo si wären in des landes ehrais,
das man si die Talsehen pauren hais.
Hier meint der Dichter bestimmte Bauern, die ihre Herren
verrathen hatten, und die Stelle ist wohl auf jene Bauern zu be-
ziehen, die zu Herzog Friedrich gegen den Adel hielten. An sie
reihen sich folgende Verse:
Ach moeht man die Talschait
378$ erweren aller christenhait !
wan valschait hat alle poshait inn.
wer valsch ist, der hat valschen sinn.
Talschait ist der poshait fundament,
Talschait ist des teufeis present.
3790 der hat si geben in aller weite ehrais
ainem Tolk, das man pauren haist;
wan die selben habent si frue und spat,
als sich das wol enaiget hat.
aber das mich niemant Terdenket !
3795 der sei zwirhalb ertrenket!
ich main neur die Talschen wicht,
aber den frumen wünsch ich nicht
anders zwar, denn eitel guet.
also stet mir gen in mein muet
Es zeigt von der Gewissenhaftigkeit und Milde des Dichters,
daß er beide Male nicht den ganzen Stand verwirft, sondern die
Guten ausnimmt, und später einmal sagt, daß drei entartete Edel-
leute nur einen Bauer werth sind :
und gelten doch neur drei ein pauer. 6707.
3486 80 fehlt G. nottnrftip G. — 3488 waren W. sei raren G. dem lande krais S.
landkraifi G. — 3784 auch WS. man erweren die v. F. — 3785 erweren] ge-
mainiclich F. — 3786 aUe poshait hat inn W, hat fehlt S. helt G. alle die p. 8. —
3787 wer] der 5. — 3780 presentz F. — 3790 sei F. aller der weit WS. chraise
F. — 8791 haisse F. — 3793 als das sich W. — 3794 iemant W S G Dr. — 3795
sei] seu F. st WSG. zwirunlhalb G Dr. — 3796 niier F. nur G, — 3797 den]
ainem W, — 3798 anders nicht zwar dann F.
Beiträge zur älteren tirolischen Literatur. II. 335
und ob ich mich denn Tast darumb swend
und verlens die weil all meine lend.
wer le^t mir denn ab den schaden mein?
daTon 80 wil ich mit gemache sein.
Gegen die Undankbarkeit, Unbarmherzigkeit und Habsucht der
Herren ist auch folgende Stelle gerichtet :
4
aber etlich herren sein so frat,
wenn man in lang gedienet hat,
das ist gen in als wol erchant,
als der da saichet an ain want.
6630 wan er denkt in seinem sinn
tag und nacht, wie er in pring
amb das sein» mit soleichem mort
macht er pald auf in ain wort,
das im wirt ain alefanz,
6635 nnd spricht^ er wolt nicht an den tanz
heuer zae der vasnacht gan.
mit soleichem aufsatz hat man dann
den goeten armen man gelaicht,
oder man gicht, er hab gesaicht
6640 heuer gen der sunnen dar,
oder man gicht, er hab das iar
gepadet mer denn drei stunt,
damit das er umb das sein chumpt.
so haben die herren etleich rät.
6645 die selben die sein eren grat,
wan si raten auf allefanz.
man Tindt die rate selten ganz.
wie sol der guetes raten icht,
der da selber ist ze nicht?
2116 mich fehlt F. dan F. — 2117 und auch y. G, verlor F. die weil] damit 5. —
2118 wer] der G. ab dan den F. ab denn d, S. — 2119 so fehlt FS. — 6626 sind
F» send G» — 6627 wann F S, ^ 6629 stiebet W G 8 Dr, an] in 5. — 6630 im
in t. G Dr, — 6633 anf in] auch im F. ain fehlt WS. — 6634 alfans FS —
6642 dann F. wenn G. — 6643 damit] e. 5. ee. G. kum G. — 6644 etsllch W S,
so habent denn ettlich herren raut G. — 6645 selben sein S. graut G. — 6646
wenn G. sew F. alafanz W G.
6650 so hibeo die rät den Neilhart.
der selb der wtlstet an »Her ttat
alle räte, bOr ich sa^en;
WRD ea wil iegleicber haben.
und ob man aineni geit dann uer.
66S6 das selb das müet den aDdern ser
und Wirt dano daraua ain neit,
wan das ist zu aller zeit,
das die minnorn neiden ze aller stunt
die merorn, das ist allen chunl.
Er züfalt nun die Tugenden und Voraüge auf. die der Adelige
besitzen soll, um diesen Namen zu verdienen, und fahrt dann fort:
6680 auch grebürt ain edetman
das TOn g'ot alzeit an,
daa er beschirme arm und reich,
als verr er mag. das ist pilleich.
aber es tuet sich vast rercheren,
6685 man sieht tÜ wol die armen scheren.
das selb ist nu der herren ampt.
pfui bin, pfui hin, der grossen schant!
das macht den adel an eren wunt
man soll si haben als die hont,
9690 daa si sich selber wurden erchennen.
ich wais ir vil, solt man sie nennen,
die da nement guet für er.
die selben solt man nimmer mer
pei dem adel lan beleiben,
6695 man solt si mDglich fuder schreiben
zue den lalsehen pösen wichten etc.
Mse h>b F. ncjku-l F. — MSt adb w. F. väit WS. ■ichicl G. — USi wcdb «.
Beitrige zur filteren tirolisehen Literatur. If. 337
Ich Übergehe das Fernere, da Zarncke diesen Abschnitt nach
dem alten Drucke in der Zeitschrift für deutsche Alterthumskunde
IX, 80—87 mitgetheilt hat. Ein andermal rügt er das tolle Treiben
der Herren, die Anstand und Wurde ganz vergeben, sich zu den
Thoren gesellen und vielerlei Unfug treiben. V. 90SS — 9123. Am
bittersten spricht er sich aber gegen 'den Stolz der Adeligen aus, die
mit ihren Wappen Kirchen und heilige Gerfithe zieren und sich er-
frechen, Grüfte bei den Altären zu bauen.
so sein etleich also gestalt.
9645 die selben wellen mit gewalt
die leute noten darzu,
das man in nicht spreche: ,yda^,
und wissen doch wol all geleich,
das si auch sein ertreich
9650 und das aller adel am ersten cham
TOD E?a und ron Adam.
da wil sich niemant an cheren.
so haben ietzand etleich herren
die allersnödisten hochfart,
9655 als si ie bechennet wart,
als umb die schilt und panier
und ander wunderleich grojier,
die da in der chirchen stecket
und mit dem selben so wecket
9660 man neur die abgötterei
und Tcrgißt man got dapei.
wan es sieht maniger man
die Wappen also mit rleis an,
das er vergißt der heilich ait da,
9665 als da gicht Jeremia :
9647 ntt sa sprach tue 0. — 9649 si] wir F. sein fehlt F. — 96S0 and fehlt S. und
dat] wenn Dr, ^ 9654 a. snodist F. hoffart S G, — 9655 ie fehlt F. — 9650 die
fehlt ö. — 9657 groyr WS. gewier F. wunderlichew groyer G. — 965« den C.
stecke F. steckent WSG,— 9659 wecke F. weckent WSG. — 9660 man fehlt
G, nvr FG. — 9661 n. man r. F. — 9663 als S — 9664 der h. verglast da F,
haimlichait W. — 9665 gicht] sUat in G.
und hat mir gechert den rucken «ein".
■0 scbreibt uns davon alsns
der TJerde pabst Gregoriua
9670 in dem concüio Lugdunensi.
so liat mao es auch da pei
in dem capitel und in der summ,
das da sagt von der chirchen freinng:
^deinem haus iimpt die heilichait."
967S in dem capilel besleusset er und saÜ,
das alle wellleiche dingr,
die da sint der sunden urspring,
die sullen alle sein hin vor
und Dicbt bechQmmem den gotleichen chor,
6680 wan an der slat aol man
ain lergebnus der snnde han,
und nicht raitxen da die sund.
Wilhelmaa tuet uns auch chiint
iu seinem puech Raclonal,
9685 das etleich edling sein so cbai,
die sich lassen genuegen nicht
an den schönen panier licht,
die da in der chirchen hangeot
es mQssen auch ir wappen prangen
9690 auf den kaseln und nmeral,
da man gol inne wandeln soI>
so sein die kelch mit wappen geiiert.
^a man got inne celebriert.
das verh engen die pfaflen als gerait
969S umb aine pGse geitichait.
BeitrSge zur älteren tirolischen Liieratar. lt. 339
als das auch geschriben stat
in dem capitel und in dem rat,
das da sag^t Ton der begrebnus
und das sich anhebt alsus:
9700 der selbe schad et cetera.
ach wie ein pöse araricia
ist ain solich simonei !
suüen nu pfalTen ain solich chrei
tragen mit den spilleuten,
9705 die da pfeifen suUen den preuten,
nnd sullen wappen als herolt tragen !
sallen si des ain ere haben,
das si haben der pfeifer ampt?
pfui hin, pfui hin der grossen schant!
9710 wissen si nicht, das das racional
hat geordent kasel und umeral
das iegleichs sol haben ain chreuz,
das da sei für alle scheuz.
es möcht sichJeicht also faegen,
9715 das etleich den teufel truegen,
ob er in wurd auf genät
für ain wappen, also stat
sein si an dem lieben got,
also machen si in ze spot.
9720 So sein etleich in disen tagen,
die ir begrebnus pei den alteren haben,
und haben doch gelebt in uncheosch
und in wunderleichem geteusch.
warleich so war pesser das,
9725 das das selbe unrain as
9697 nnd raut G, — 9698 das da] da daz G, — 9699 das fehlt (7. sich] si W, —
9702 fehlt G, — Zwischen 9703 und 9794 hat (?. and tribent also die Symony.
9704 damit G. — 9705 da tribent und pfiffent G, da fehlt ^. — 9706 sullen]
soleich F, a. ain h. G. — 9707 ain grosse e. G. — 9709 pfil | pfiff 0, — 9710 si
fehlt F. — 0711 geomet WS, gaset S. und fehlt 5 humeral G, — 9712 das]
und S, iedleicbs F, -r- 9718 lebendigen G. — 9719 si in machen ain söllichen
sp. G. — 9721 grebnus Tor dem altar wend h. G, — 9724 werleich WS,
lag pei gemaiaen leiiten,
als Aiigustioas chan bedeuten.
Zurückhaltender als gegen die Herren ist unser Dichter gegen
den Clerug. Au&er der angefülirlen Stelle 9894 streift er einmal im
Vorbeigehen diesen Stand in den Versen :
der Pfenning ist also gestalt
und wir der vinter noch als ehalt,
so singt der pfafT an underwint,
die ireil man im das opfer pringt
7268 S. und spricht sich im Ahschnitte von der Zauberei ge^eo
jene Priester aus, die solche lehren 7701 — 7721.
Von den Frauen spricht der Dichter anfangs Gutes 720 und ver-
theidigt sie gegen Salomons ungerechten Spruch, dttss er nie eine
gute gefunden habe. Es sind vor und nach ihm viele urte, reine
Frauen gewesen und Salomon habe dies nur im Zorne geschrieben.
Besitzen die Frauen üble Seiten, so haben sie auch viel Gutes. Es
gibt ja auch nur gar wenige Mfinner, die tadellos sind. Wer ein
schönes, hehresWeib, die ihm Freude und hohen Mulh gewfihrt, schilt,
der wQrde besser schweigen. Ein solcher ist ein Narr und ein Thor.
804 — 849. Später geisselt er aber die Putzsucht und Hochfahrt rieler
Frauen in kräftigster Weise und schildert uns das Treiben derselben.
Mantge frau wil haben »in chappen,
die sechs eilen hab se läppen,
so wil die dritt ir lotten formieren
mit Tehem ans, das sol nu zieren,
9420 wenn si vast im chote sweben.
so wil die Tierde niemant geben
BeitrSge zur alteren tirolischen Literatur. II. 34 1
und welche die allergrosteu läppen
in dem chot lat nach slappen
9430 und die vil plunder verwüsten chan.
so sein dann etieich frawen man
worden ietzt in churzen tagen,
wan was die man an tragen,
das wellen si alles tragen nach
9435 und dennoch das selb wol zwiTach«
wil der man ain chappen tragen,
so wil si zwier ain grösser haben,
oder wil der man tragen an
ain langen rock, so wil si han
9440 ainen, der do sei tu l'enger.
wil sich dan der man enger
ziehen in sein underiop,
so wil si ie haben selb das lob,
das si wil die chlainist sein.
9445 wil er sich dann ziehen ein
mit abgenäten preisen,
so lat si sich nicht weisen,
si well zwen preise also han,
die mit nesteln sein gechnupfet an.
9450 wil dann der man tragen ain chranz,
so wil si haben ainen schober ganz
von pluemen und von grfinem gras.
wil er dann sagen etwas
abentewerlicher spile,
9455 so chan si sein zwier als vile^
9428 groasiaten F. — 9430 plundera O, — 9431 aeind F. dann] doch S, fr. aelba m.
0, — 9432 ietznnd FS. ietz fehlt 6, — 9433 fehlt O, — 9435 dannoch F, dan-
nocht B 6, zwiflach O. — 9437 ain zwir groaaerew F, — 9440 da vil aei 1. B.
do fehlt S, — 9441 danne F, denn W G S. — 9442 nnderiope W. underioppen
FS. aeiner underinppen O, — 9443 selb fehlt F B S 6. den 1. W. lobe O. —
9444 klainoat G. — 9445 danne F, denn W G. — 9447 nit abweisen G. — 9443
wil S. — 9449 seien knepfet an G. — 9450 denn G. — 9452 grünem fehlt BGS.
andern W. — 9453 danne F. denn W G. — 9454 spille W. spil F. — 9455 zwirot
G. vil WBF.
Beitrüge zur älteren tirolischen Literatur. II. 343
ob man ir ratet nutz und ere,
so spricht si für sich : „ich pin sere
9510 edel von meinem gestechte.
wie chund ich oder möchte
ich das geben immer enpfor,
das ain soleich hudel vor
soite vor mein also gan?
9515 so han ich als ain edlen man, .
als der ir immer wirt.
nu secht nur zue, wie rain uns schirt
die arme edel in disem lant.
so wil si haben ain gewant
9520 von perlein und von spangen.
darinn so wil si prangen
neben der hohen fQrstin,
und hat die weil ir ehuchen in
nicht als vil, das man
9525 geziehen möcht davon ain han,
und wil dannoch als edel sein
und mues doch oft wasser für wein
an irem tische trinken
und manigen darren Schinken
9530 mues si essen von dem kastraun.
das ist ir wiltprat und kappann.
aber wollen si volgen mir,
so wolt ich in raten schier,
das ir lob wurd weit erchant,
9535 wenn si antruegen gewant,
das da het maß und fueg,
si bieten dannoch adels genueg,
9512 ich fehlt G. Immer geben FG. empfore W B S G. — 9513 solcher B S. sollicher
G. hulde B. vore IT G. — 9514 wolt ror mir G. sold also vor mein g. F, —
9515 «inen edetn B. edel F G S. — 9517 sirt W B S. — 9518 der arm adel (7.
armen B. seinen landen 8. — 9521 so fehlt G. si fehlt F. wil fehlt W. —
9522 höchsten G. — 9523 hat fehlt IT. chöchin /*(?. in fehlt (7. — 9524 als
das man G. — 9525 davon fehlt G, — 9526 dennoch WS. — 9527 doch fehlt
B, — 9529 türen schenkten G. — 9530 gastraun F. — 9531 fehlt F. — 9533 in]
ir F. — 9535 wanne F. sj nur an G. — 9536 da] das G. bat ^ G. das mas hiet u.
F, — 9537 dennoch WS.
WBD uer piunaer macni oiemaD
edel, als ich gehört hin.
9$40 aber schOne lucht die maclit
adel, lugent maniger seachl.
daion ^rich ich auf meinen ait.
das chain piiinder pas chlaid
als ain wäre diemnet
954K die selb ist edel und gnel.
si 6:ee binden oder vor.
Beiträge zur iltcren tiroltsehen Literatur. II. 345
schichte und Mythologie so hochwichtige Abschnitt, V. 7696—8497
den Zarncke als besonderes Gedicht bezeichnen mochte «), ist Ton
J. Grimm in seiner deutschen Mythologie (I. Auflage, AnhangLI— LVIII)
nach Codex G und von mir nach F veröffentlicht worden*). Gervinus
sagt, diese Steile könne als eine klassische für diese Gegenstände
gelten und der Dichter, eine gar gute Seele, yerrathe an dieser Stelle
so yiel frommen Ärgers , als sonst frommen Glaube an Legenden und
Heiligengeschichten >). Vintler zeigt hier, wie in seinen Stellen fiber
den Adel, dass er einen scharfen Blick für die Gebrechen seiner Zeit
habe , dass er unbeirrt durch Vorurtheile auf der Höhe seiner Zeit
stehe. Sehr bezeichnend für ihn und seine Torgeschrittene Bildung
ist die Stelle über die von vielen Tirolern noch heutzutage geglaubten
Hexenfahrten. :
Sand Angustinas also gicht :
„es Tert chain mensch nicht
8170 und wänt doch maniger, das er var**.
das mag man wol nemen war
an den pösen leuten unrain,
die varen und sein doch da haim,
als man des guet beweisung hat,
8176 das der leib nicht chumpt Ton stat.
aber si werden yerzucket im sinn,
das si wänen, si varen dahin,
und mit dem bestrickt si Sathanas,
das si im gelauben dester pas.
8180 wan wer sich also dem teufel ergeit,
der want, er vare alle zeit,
wanne doch der teufel hat
nicht gewalt an chainer stat
hie über des menschen leben,
8186 im wellen denn die menschen selben geben.
<) ZeitMhrift nir denUchet Altertbum. IX. 69.
>} Sitten, Brinche und MeinuDgen des Tiroler Volkes. (1S87.) S. 187— i9S.
S) Geschichte der deutschen Dichtung. U, 350.
8168 such s. S. Augnstln such F, Angnstein der auch G» — 8173 hie haim WS. —
8174 guet fehlt F. — 8175 entsncket ^6. — 8178 dem so stricket G. — 8180
dem t. also e. G. — 8182 wan W S G. teufel der h. WSG. — 8184 das G. —
8185 den WS. wel danne der menitch selb g. F. denn sich die m. G. selber WSG.
Sitib. d. phil.-hi8t. Ol. LXVI. Bd. II. Hft. 23
und über die rermeinten Künste alter Weiber spricht er:
und ob du also sein soll,
das aio altes weib got iwingOD wolt,
8460 so war er chnecht and si wir herr.
nain mar, li sein der warhait Terr,
die soleich ding also ^elauben.
Wären Viotler's gesunde Ansichten durchgedrangeo , liätt«n
nicht so Tiele Opfer auf den Scheiterhaufen ihr Leben lassen mSssea '}.
An Ausfüllen gegen die entarteten )ind wirren Veriiältniist
seiner Zeit, fiber die Corruption seiner Zeitgenossen im AllgemeineD
fehlt es nicht. Stoff hiexu war ja genug vorhanden und mussle nnsern
Dichter, mochte er in seinem L'rtfaeile noch so milde sein, zu Entrfi-
stung und ernstlicher Rüge stimmen. Diese entfaltet sich in allen
Scalen, rom leisen Tadel bis inr heftigsten Verdammung. V. 2386 S.
klagt er, dass die Schmeichelei und Falschheil an die Stelle itr
wahren Preundschati und der Aufrichtigkeit getreten sei.
2386 wan wer die sind, die geren smaichea,
die wellenl die leut nnr «Ixeit laichen
und machen in mit Tabcher red freantsebaft.
die selbe freuntscbafl hat doch niefat ehrafl
2390 nnd ist ietiund sin pQser sit,
das sieh iederman liebet damit,
paide alt und auch iunge. etc.
V. 3374 ff. klagt der Dichter, dass die Treue abgenommen habe
und Ungerechtigkeit und Falschheit allenthalben herrschen.
Ach, was man sein doch ietiond pfligt, -
3375 das niemant trew gen trewen wigt!
wan wer iets den herren recht tuet,
den pringt man fSr sieb umb sein gaet;
SWS ■!> psil *itu a.
1) Ober Tirol Jtrgi. !■ di«Mr B«ii«haDK: Barbin f^Bhlcrin aal Matkiaa Perg
Zv«i BaiairroMHi. Inaaliraek, Wigiar tSSS. 8. VI. VH.
asae aala IT. — MM iatuad] dooh l«ti WSG. grauer WSB. — U91 »ith tii
Beitrige »ar ilteren iiroUschen Literatur. II. 34T
aber wer da ist ain wuetrdch,
und der rerderbet arm and reich
3380 wider got und wider recht,
der ist den herren ain lieber chnecht,
und der da tÜ smaicherred chan,
der ist den herren ain lieber man ;
und der auch nicht achtet treu noch er,
338$ dem geit der herr sicher mer,
denne er ainem frumen tat>
der da piderb ist und stät.
und der nicht näm alles gnet,
nur das er solt haben den muet,
3390 das er iemant betrQben wolt,
dem selben wirt man nimmer holt
und ist na altfränkisch genant.
aber nu so ist ain newe hant,
die hat ietz gar Tast iren lauf,
3395 unz das die rier iehen: «heb auf!**
da ist es danne alles ab.
wann man in trait zue dem grab,
so Tolgent im seine werk nach,
si sein guet oder swach^
Besonders eifert Vintler gegen den Geiz und die Habsucht
seiner Zeitgenossen. Eine der schönsten und kräftigsten Stellen ist in
dieser Beziehung die folgende:
was doch der pfenning wunders tuet!
7215 mein her pfenning ir seit ze fruet.
mir ist laid, das man ewer gert
so geitecleich, ir seit so wert,
3378 wer] wa G, — 3379 der da v. WS6. — 3380 und auch w. G. — 3381 ist ietz
d. G, — 3382 smaichred & — 3384 achtet fehlt ff. noch] und (7. — 338S sicher]
schir S. — 3387 pider FS. and auch st. 6. — 3389 haben solt S. — 3390 das
iemant kain b. G. — 3391 selben dem w. W. — 3392 und] der selb F. — 3393
non ist so F. so fehlt S. — 8894 hiit] ist F, iefiund F, — 3395 hinta W S G.
sprechen G, — 3396 da] das W. G. denn W8g. --^ 3897 in fehlt F. ainen
tregt B. — 7216 begert G, — 7217 geittideichen F. so] sein F.
23*
248 Z i n ge r le
das ir seit in hoher furston rat.
ea mfißen die weisen geben stat.
7220 ir chaufet chirehen und caplan,
ir habet maniger frawen laid getank
an ir ere, hör ich sagten.
ir machet manigen grossen zagen,
ir nempt den diep ron galgen und Ton panne
722$ und seit doch nicht als groß, als ain spanne.
wer stet und purg gewinnen wil,
der mueß ie haben pfenning tiL
der Pfenning machet ralsches getichte,
der pfenning wendet gnet gerichte,
7230 der pfenning chaufet allen rat,
er chaufet got, der uns geschaffen hat.
nu merket alle, ob ir wellet,
was der pfenning Wunders stellet,
das er den f^umen oft schenhet
723$ und hin zue dem posen fleuhet!
der nie gewan preis noch lob,
den selben setzet er nu ob
über manigen piderman.
ei zwar, das ist nicht wol getan»
7240 das so hoch ist dein ampt.
du wirst am lesten doch verprant.
ich sprich das wol und ist auch war:
biet ainer alle weishait gar,
die David het und Salomon
724$ und war als starch als Sampson,
all sein chunst war im enwicht,
und biet er nu der pfenning nicht
hat er aber gelt, so ist er lieb,
er sei ranber oder dieb.
7220 kapellan WS, — 7224 Yon dem { Yon den G> paamen F. — 7227 ie fehlt G. —
7231 uns all IT 5 6. — beschaffen WS. ^ 7234 er fehlt G. swechet 6. —
7235 fluechet G, — 7237 sitst IT. -^ 7238 iegleichen WSG,-- 7239 das] ea G.
Die 6. — 7242 auch] doch F. — 7244 and auch G. — 7247 na] nner F, — 7248
h. aber er WS. golt W.
Beitrige svr ilieren tirolischen Literatur. II. 349
7250 und wie lieb der pfenning immer ist,
80 ist er doch noer ain mist.
so wais ich wol, das maniger ist»
und chäm ietzund der endechrist,
das er pfenning geben wolt»
7255 er fund ir tu an seinem solt,
die im dienten frue und spat,
neur das si pfenning wurden sat.
ich' glaub auch, biet man so Til gelt,
das man erfüllen möcht die weit
7260 uns auf an polum artieum
und under sich unz an den centrum,
dannoch fund man manigen man,
der sich nicht lies genuegen daran,
und wissen doch all für war,
7265 das wir nicht leben tausent iar
und stellen doch darnach alle geleich,
als ob wir leben wellen ewideich.
der pfenning ist also gestalt
und war der winter noch als ehalt,
7270 so singt der pfaff an nnderwint
die weil man im das opfer pringt 0*
Dass unser Dichter namentlich gegen die Hochfahrt elnielner
Stande eifert, ist schon bemerkt worden. Am schärfsten spricht er
sich aber gegen diese Sunde in dem nach ihr benannten Abschnitte
aus , wo er empört über diese allgemein verbreitete Untugend das
baldige Einbrechen des göttlichen Strafgerichtes in schwunghafter
Weise wünscht.
7250 doeh immer F. — 7253 ietx W S G. anterchr F. — 7256 und auch 0. —
7260 liints WS. pii& G. — 7261 und auch G. antz S. pi6 G. — 7263 benuegen F.
— 7264 doch wo! G. — 7267 wellen leben G. — 7269 alao G. — 7270 snn; 5.
0 Diese Stelle erinnert an fihnliche Riagen fiber die Macht des Pfennigs, z. B.
Freidank U7, 17. MSR. II, 186*. Ill, 166*. Keller, alte gnte Schwanke 8. 71.
KeUer, Fastnacbtspiele III, 1183. 1437. In nnrerkennbarem Zusammenhange nlit
unserer stelle steht ein Spruch in der Kolmarer und WUtener Handschrift (s. meinen
Berieht über letstere, Sitsnngsberichte XXXVII, 8. 378), der manchmal wörtlich
stimmt
starker ^ot, icik piti dich nit nier,
daa dein gericht rertiebe sich.
S745 chum, strenger Hehler, rieht und rieh,
tau halt die loten all auf sten,
das diser wette antren laueß lergen,
geraech ir lalschait stören.
lafl, almechtiger got, dein coren,
S7K0 lall durch die grab erhellen
die Johanoes hören und erschellen !
wirf aaf Johannes aupen,
seit si an dich nicht wellent glanbenl
sisch mit Johannes swert,
lt75S wan si setient dich unwert!
tritt mit Johannes ßssen garl
Johannes stim laß werden offenbari
das es h3ren, was menschen, eogel. teufel sint!
richter, rieht Ober der weite chint,
X760 seit si der trewen sint so lär.
sweiga, mein Hans ViDtlär!
dn macht es doch nicht erwenten.
wararob wildn denn dein alem swenten?
Wenn ihn hier seine Entrüstung tum äußersten treibt, so seigl
er sonst in der Regel ein ruhiges , mildes Gemüth , eiu billig abwä-
gendes Urtheil und kennt nur einen Zweck, durch seine Schrift m be-
lehren und BU bessern. Ferne liegt es seinem Charakter, als Streiter,
stolzer Sittenrichter über andere den Stab zu brechen, er betont zu
wiederholten Malen seine eigene Schwäche und zeigt sich durchwegs
als einen ernsten und gerechten, aber bescheidenen und liebeTollen
Mann. Nur die Fehler und Wirrnisse seiner Zeit entrüsten ihn und
zwingen ihn zu feuriger Rede und härteren Worten. An poetischer
Beitrage sar Slieren tirolitehen LiCeratw. II.
351
Begabung und Bildung steht Vintier weit seinem Zeitgenossen Oswald
von Wolkenstein nach» überragt ihn aber durch den Adel seines
Charakters, durch seine sittliche Lebensanschauung. Bei beiden
Dichtern zeigt sich der Einfluss italienischer Literatur. Vintier be-
arbeitet ein wälsches Buch» Oswald kennt Dante und Petrarca.
Lehnt sich aber Vintier an seine Quelle meist gewissenhaft, ja fingstlich
an» so wandelt der VlTolkensteiner selbständig seine eigenen Wege.
Besitzt Vintlers Werk im Ganzen nicht hohen poetischen Werth» so
ist es dagegen für die Cultur- und Sittengeschichte jener Zeit yon
grosser Bedeutung und biethetfur dieKenntniss der damaligen Sprache
reiches Material.
VRBZEICHNIS8
DER EINGEGANGENEN DRUCKSCHRIFTEN.
(NOVEHBBH 1870.)
Adama, W., American lateroceanic Ship Canals. New York,
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Hamelitt. X. Jahrgang, Nr. 36—37. Odessa, 1870; 4".
Helsingfurs, UniTersität: Akademische Gelegenheitsschriften aus
dem Jahre 1869/70. 4" de 8«.
354 Veneichnias der eingegaogeneo Drncktefarifteii.
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Instituut, Koninkl., voor de Taal-» Land- en Volkenkunde van
Nederiaudseh Indiä : Bijdragen tot de Taal-, Land- en Volken-
kunde van Nederlandsch Indiä. IIL Volgreeks, IV. DeeK 1. Stuk.
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ancient Greece, with appended Dissertations of the Ideas of
Nationality, of Sove-Reignty, and the Right of Revolution. AI-
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M i 1 1 h e il u n g e n aus J. Perthes* geographischer Anstalt. 1 6. Bd.»
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of Trade, held at Richmond, December, 1869. Boston, 1870; 8^
Report, Annual, of the Adjutant General of the State of New York.
1863—1865. Albany; 80.
— VIP, VlII*^ & X*** Annual, of the Superintendent of the Insurance
Department. State of New York. Albany, 1866, 1867 & 1869; 8^
— Annual, of the Comptroller öf the State of New York. 1870.
Albany; 8<>.
— XX^ and XXU*^ Annual, of the Regents of the University of the
State of New York on the Condition of the State Cabinet of
Natural History and the Historical and Antiquarian CoUection
annexed thereto. 1867 & 1869. Albany; 8».
— Annual, of the General Agent for the Relief of Sick and Wouii-
ded Soldiers of the State of New York. Albany, 1865; 8».
— XV^^ Annual, of the Superintendent of Public Instruction of the
State of New York. Albany. 1 869 ; 8».
— of the State of the New York Hospital and RIoomingdale Asy-
lum, for the Year 1869. New York, 1870; 80.
— IV*** & V*^ Annual, of the Metropolitan Fire Department of the
City üf New York. New York, 1869 & 1870; 8«.
Terseicbniss der eingegangeBes Drockschriflen. 355
Report, V*\ VIP & X'** Aanual, of the Trustecs of the Cooper
Union for the Advancement of Science and Art. New York»
1864. 1866 & 1869; 8«.
— XP Annual, of the Chamber of Commerce of the State of New
York, for the Year 1868—69. New York. 1869; 8».
— on Interoceanic Canais and Railroads between the Atlantic and
Pacific Oceans. Washington, 1867; 8«.
Reports of Samuel B. Ruggies, Delegate to the International
Statistical Congress at Berlin , on the Resources of the United
States , and on a uniform System of Weights , Measures and
Cuins. Albany, 1864; 8«.
R u I e s and Regulations of the Green-Wood Cemetry : Suggestions
as to ImproTement of Lots, Acts of Incorporation, etc. 1870.
New York; 8o.
Society, The American Geographrcal and Statistical: Journal.
1870. Vof. IL Part 2. New York; 8«.
— The Asiatic, ofBengal: Journal. Parti, Nr. 1. 1870; Part IL
Nr. 1. 1870. Caicutta; 8». — Proceedings. Nr. III— IV. March,
April 1870. Caicutta; 8«.
Tehuantepec Railway, its Location, Features and Advantages
under the La Sere Grant of 1869. New York; S».
Verein für die deutsche Nordpolfahrt : Berichte über die Sitzungen
nebst Anlagen. Bremen, 1870; 8^
— siebenburgischer, für romanische Literatur und Cultur des roma-
nischen Volkes: Transilvania. Annlu III, Nr. 20. Kronstadt,
1870; 4o.
— historischer, fQr Niedersachsen: Zeitschrift. Jahrgang 1869.
Hannover, 1870; 8«. — 32. Nachricht. Hannover, 1870; 8».
— für meklenburgische Geschichte und Alterthumskunde : Jahr-
bücher und Jahresbericht. XXXV. Jahrgang. Schwerin,
1870; So.
Wilson, H., Trow's New York City Directory. Vol. LXXXL for
the Year endiiig May 1, 1868. New York; 8«. — Wilson*s
business Directory. 1867—68. New York; 12o.
SITZUNGSBERICHTE
DER
KAISERLICHEN AKADEMIE DER WISSENSCHAFTEN.
PHILOSOPHISCH-HISTORISCHE CLAS8E.
Li?i. BAND. III. urr.
JAHRGANG 1870. — DECEMBER.
Commissionabertcht.
359
SITZUNG VOM 7. DECEMBER 1870.
Der Secretär legt vor:
1} den im Druck vollendeten 4. und S. Band des nCorpus scrip-
iorum ecclesiasHcorum*^ (Vol. III, Pars II und III, die zweite Hälfte
der Schriften Cyprians nebst Indices und Prolegomena von Prof.
Hartel enthaltend);
2) die mit Unterstützung der kais. Akademie herausgegebene
Schrift ytlncerti auctoris Ordo JudidariuB** Yon Professor Dr. C.
Gross in Innsbruck.
Das w. M. Herr Prof. Dr. Friedrich Muller legt eine für die
Sitzungsberichte bestimmte Abhandlung „Erdmca'* vor.
Herr Dr. Ignaz Goldziherin Leipzig sendet an die Classe zur
Aufnahme in die Sitzungsberichte: „Beiträge zur Geschichte der
Sprachgelehrsamkeit bei den Arabern*'.
SITZUNG VOM 14. DECEaiBER 1870.
Der SecretSr legt vor:
1) eine Eioladuog des Grillparter-Daraencoinit^s an die Hit-
glieder der Akademie cur Betheiligung an der Grillpaner-Feier;
2) ein Schreiben des Hofbibliothekars Herrn Dr. Barack io
Donaueschingen, worin derselbe seinen Dank ausspriebt f3r den Be-
schluss der Classe, der neu lu begrGndenden Bibliothek ta Strass-
burg ihre Publieationen tu widmen.
Das w. M. Herr Prof. Theodor Sickel )egt eine für das Archiv
bestimmte Abhandlung vor: „Das Beformationslibell des Kaiser»
Ferdinand I. vom Jahre 1S62 bis zur Absendnng nach Trient".
Müller, ßrinica.
3i
Eränica.
Von Dr. Friedrich Möller,
Professor an d«r Wiener UoiTersitiit.
I. Das Auslaut- und Betonungsgesetz des Neu-
. persischen.
Wie die Vergieichung der neupersischen Schriftsprache mi
den beiden uns überlieferten Dialekten des alten Erän zeigt, geh)
dieselbe nicht so sehr auf das Altbaktrische(Ost-Eränische) als viel-
mehr auf das sogenannte Altpersische (die Sprache der achämenidi-
sehen Keilinschriften) zurück. Damit ist aber keineswegs behauptet,
dass man das Neupersische als unmittelbare Fortsetzung der Sprache
der Keilinschriften betrachten müsse, sondern es ist im hohen Grade
wahrscheinlich, dass jener alte Dialekt, auf welchen das Neupersische
zurückgeht, uns ganz verloren gegangen ist.
Wenn wir die Gesetze dieses alten Dialektes in Betreff des
Auslautes der einzelnen Formen uns vergegenwärtigen sollen, so
werden wir nicht allzusehr irren, wenn wir für dieselben, da sie uns
unbeksLuni sind , jene der Sprache der Keilinschriften substituiren.
Denn es scheint, dass die Abweichungen des hinter dem Neuper-
sischen steckenden Dialektes von der Sprache der Keilinschriften
nicht so sehr auf die grammatischen Formen, als vielmehr auf den
Sprachschatz sich bezogen. Im tiefsten Grunde weicht ja auch das
Altbaktrische von der Sprache der Keilinschriften mehr im Lexikon,
als in der Grammatik ab.
Sit>b. d. phil.-hiflt. Cl. LXVr. Bd. III. Hfl. 24
nacD dem soeben Uemerkten war das Auslautgeseli des dem
Neupersischen su Grunde liegenden alten Dialektes, in Übereinslim-
mung mit der Sprache der Ketlinachriften, folgendes:
Ausser allen Vokalen und Diphthongen waren nur die beiden
Consonanten m und s, und letzterer nur nach Vokalen, welche nicht
a waren, im Auslaute gestattet — Auslautende Consonantengruppen
wurden nicht geduldet.
Der Ubei^ng von diesem Gesetze zu dem in der neupersischen
Schriftsprache geltenden, nach welchem meistens consoaantischer
Auslaut staltfindet und Consonantengruppen im Auslaut geduldet
werden, geschah , wie im Armenischen, durch Veränderung des
Accentes.
fn welcher Weise die Formen der alten Sprache accentuirt
wurden, ist uns rollstandig unbekannt; es ist aber auch eine Kennt-
nis» der Accentgesetze der alten Sprache znm Verständniss des
Wandt ungsprocesses, welchen in Folge des veränderten Accentes die
Auslautrormen erfuhren , gar nicht nothwendig. So nel steht aber,
aus den Veränderungen der letzteren selbst zu schliessen, fest, dass
einmal in jener Zeit, welche zwischen den Formen der achämeni-
dischen Keilinschiiften und .den Formen des sogenannten Pelilewi
liegt, ein Festsetzen des Accentes auf der vorletzten Silbe statt-
gefunden haben muss.
Mit dieser Veränderung des alten Accentes und dem Befestigen
desgelben auf der Torletzlen Silbe war aber der Anlass tu einer
Veränderung de^ Auslautgesetzes und in Folge einer dadurch be-
wirkten Beeinträchtigung der Formen zu einer neuen Sprachbildung
gegeben.
Da nämlich, wie wir sehen werden, die einzelnen Formen in
ihrem Auslaute bedeutende Einbussen erfuhren, so dass dann mehrere
Formen, weJcbe von einander durch den Auslaut streng geschieden
waren, in eine einzige Form zusammenfiossea , trat an die Sprache
die Forderung heran, dem Bedürfnisse nach genauer Unterscheidung
der in ihr liegenden grammatischen Kategorien durch äussere Mittel
abzuhelfen. Dadurch entstanden neue Bildungen, welche der jün-
geren Sprache einen von der filteren ganz abweichenden Typus
verliehen.
Was nun die Veränderungen anbelangt, welche in Folge der
Accentualion der vorletzten Silbe eintraten, so sind es folgende:
EHinica. 3(
Es wurde in Ftflge der Hervorhebung der vorletzten Silbe d
<larauf folgende letzte mit erschlaffter Articulation gesprochen , w
<iurch die Consonanten m, 8 in der Aussprache fast gar nicht gehii
wurden, so dass sie endlich spurlos abfielen. Die Vokale der letzt«
Silbe sanken ohne Unterschied zum tonlosen S herab, als welch
sie endlich ganz fallen gelassen wurden.
Durch dieses neue Auslautgesetz wurden zuletzt alle einfache
Formen in uxytonirte und consonantisch sehiiessende umgewandel
Formen, wie sie die neupersische Schriftsprache grösstentheils dai
bietet.
Nebst dem Schlüsse mit jedem Consonanten, gestattet da
Neupersische bekanntlich noch Schluss mit Vokallangen und Diph
thongen; dagegen kommt der Schluss mit Vokalkurzen im Neu
persischen nicht vor. Der Schluss mit Vokallängen und Diphthongei
ist aber kein ursprünglicher, d. h. aus dem Auslautgesetze unmittel
bar folgender, sondern ist in Folge von Veränderungen der schlies-
«enden Consonanten als solcher entstanden.
So ist z. B. das d von U^ (iumä) erst in Folge der Verschlei-
fung eines schliesseuden h in den Auslaut gekommen (vgl. damit die
ossetische Form CMax), da aus dem altbaktrischen ((j'^ccKJ^C
{yüsmdhem) nach dem Auslautgesetze zunächst eine Form (yu)-
smdk hervorgeht.
Ebenso ist Üb (ddnd) erst später aus der Form ^Ub (ddndk)
entstanden, welche das Pehlewi noch darbietet, ^jl* (bdzü)^ sSjyJ
(r6zi) sind erst später eingetretene Entwicklungen aus 2^^
(bdzük), j)^jjj (r6zik), jl-^^ (rdöik)* Formen, welchen wir im
Pehlewt noch begegnep. ^\» (pdi) ist zunächst aus pdy entstanden,
dessen ^ aus dem dh von -»efio (pddha) nach einem eigenthüm-
lichen Lautgesetze sich entwickelt hat. Die Form J^^ (khdnagi)
steht zunächst für khdnakiy, eine Ableitung von khdnak (ältere
Form für ^U^) mittelst des Suffixes -iya.
Indem wir nun die Wirkungen des Auslautgesetzes an den ein-
zelnen Formen der Sprache betrachten wollen, werden wir dieselben
nach den beiden Kategorien Nomen und Verbum einer kurzen
Musterung unterziehen.
24*
364 Müller
A. N«meB.
Nach dem Zustande der Sprache, seit mehr als 1000 Jahren, zu
urtheilen, sind dem Nomen beinahe sämmtliche Casusformen Truh-
zeitig abhanden gekommen. Gegenwärtig tritt, mit alleiniger Aus-
name der alten Themen in ^ar^ überall das seines Auslautes beraubte
Thema für alle Casusformen des Singulars ein, wodurch Umschrei-
bung der Casus durch äussere Mittel nothwendig wird <). Im Plural
tritt der Genitiv als Repräsentant aller Casus auf, wodurch wiederum
dasselbe Bednrfniss wie im Singular hervortritt *).
Diese Thatsache findet einerseits in dem soeben entwickelten
Aus lautgeseize ihre Erklärung, andererseits in dem Verlust einzelner
Casusformen, dem wir ja schon in den Keilinschriften (wo bekanntlich
der Dativ ganz fehlt) begegnen. So scheint der Genitiv Singularis,
nachdem das mit ihm regelmässig in Verbindung stehende Relativum
ya- denselben hinreichend charakterisirte, frühzeitig verloren gegan-
gen zu sein.
Von den Themen haben auch im Persischen jene auf a-, als die
zahlreichsten, sich die übrigen, namentlich die consonantischen assi-
milirt. So entstanden aus altbaktr. \»^»}!B^ (Tckiapan-J, efl*fi>»^
(raoöaAh-) , die Themen khsapa-t raodä^f welche gerade so wie
martya-i vehrka^ flectirt und dann, gleich diesen, nach dem Auslaut-
gesetze verändert wurden.
Die Themen in -ar gingen nicht, wie im Ossetischen in Themen
auf -a über (vgl. ossetisch ^if^^^pita-^ MaA = md/a-), sondern
wurden in Themen auf -ara verwandelt. So entstand aus püar- ein
Thema püara-, aus mdtar- ein Thema mdtara-^ aus q'mlhar- ein
Thema q'afihara.
Dem Plural sind sämmtliche Casusformen bis auf den Genitiv
abhanden gekommen und ist derselbe als Grundlage für die durch
0 über dieselben Tgl. meinen Aufsatx : ^Die Declination dea Neupersiacben nndOtse-
tischen'' in den ^BettrSgen zur Tergleicbenden Sprachforsch ang ron Kuhn and
Schleicher, Bd. V.
^ Neup. "An kann nur "Andm entsprechen (nach AbfaU des achliessenden am) , nicht
aber 'dm^ wie Vnllers (Grammatica linguae persicae U. ed. pag. 162) lehrt, oder
an (Accus, plnr.), wie Bopp (vgl. Gramm. 11. Aufl. I. }. 240) behauptet. Letctere
Ansicht ist schon deswegen abzuweisen , weil der Accus, plur., welcher im Alt-
baktriscben wohl auf -^n ausgeht im Altpersischen auf -a auslautet.
Erinica.
365
äussere Mittel gebildeten Casus eingetreten. Nachdem aber, wie wir
gesehen haben, beinahe sammtliche Themen in solche auf -a yer-
wandelt werden, so ist auch überall die bei den Themen in -a gel-
tende Form des Genitivs auf -ändm eingetreten >).
Nach diesen Auseinandersetzungen lässt sich das Verhältniss
der alten Cosusformen zu den nach dem Auslautgesetze entstandenen
neuen ohne grosse Schwierigkeit begt*eifen.
Tb
ema agpa.
Singular.
Altbaktrisch.
Altpersisch.
Nom.
agpag (vor da), agpi
i agpa
Acc.
agpem
agpam
Abi.
agpdt
agpd
Inst.
afpd
üQpd
Loc.
ofpe
a^aiy
Gen.
agpaqydt agpahi
agpahya
•
Plural.
Nom.
agphfihö
agpdha
Acc.
agpän
agpd
Instr.
agpais
agpaibis
Local.
agpaesu
agpaisuv
Genit.
agpanäm
agpdndm
Neupersisch.
\
1 (aap)
verloren gegangen.
oIm^I (aspdn)
M Oder ist der Accotativ singnlar. alt Grundlage für dieae Formen ansanehmen,
Damach wiren neuperaitch jJu (pidmr)^ jSu (mddar) , i/^j^ (kkFdhar)
altbaktrischem ((1«^«^ (pit*rimj, Q^iMf^m^ (matarhn)^ (f)«^}««* fq^ahhvhn)
entsproMen. Ebenso nenpera. jbb (ddd&r) = altbaktr. (('•»ff^ (d&Urim).
— Bei dieser Annahme erklären sich dann Fbrmen, wie OUwl {dsmdn}, O'O
(rawdn)^ 0^ (iahdn)^ aus den AccuaatiTen, alU>. i\\»i»» {apmanhn), C({m»7>
(urvÄnim)^ C{{'0'^(7 (khiapanhn) gegenfiber von f^'^^' i^dimj^ «j>> (6arm),
^ (tukhm) = jt^j^Mfi» {SahnaJ, -»iV^f» (carhna)^ .«(^b«^ (taokhma) auf
eine einfache Weise. — Es ist mögUch, ja sogar sehr wahrscheinlich, dass der
Accusatir im Singular dieselbe RoUe spielt, wie der Genitir im Plural.
angehängten Suflixe (die sogenannte Idifath, das C/Ja-^y^\t, das
Suffix tj) sind tonlos. Nur das Suffii U (-kd)*), welches den Plural
uabelehter Wesen bildet, gegenüber dem organischen Suffixe -an,
welches in der Regel den Plural belebter Wesen bezeichnet, zieht
den Ton auf sich, daher U ^UL (khäneh-hä) von tA»- (kkän^h).
AlIfctlTBai.
Das AdjectiTum wird im Neupersischen bekanntlich nicht flec-
tirt, d. h. e.« werden ihm die i^ach Verlust der auslautenden allen
Flexionsendungen dem Nomen angefügten Casus-Partikeln nicht an-
gehängt, welche als solche nur dem Nomen zukommen. Seine Ver-
bindung mit dem Nomen, falls es im attributiven Verhältnisse zn
demselben steht, wird mittelst derselben Zeichen wie jene des Geni-
tivs mit dem ihn regierenden Casus bewerkstelligt.
Als Steigern ngssufßx gilt fttr den CnmparaÜT -tara = neup.
ji (tar) und für den Superlativ entweder das SufGi -aena oder das
mittelst des Suffixes -aena von dem SufUxe -tara abgeleitete -taraena
^neiip. ^y (tarin}. i>aher lautet von neup. ^J- (butarg)^
altpers. eaxraka, der Comparativ J-Sjy (buzurg-tar), der Super-
lativ OyjJ' (buxnrgin) oder ^Joj^ (buzurg-tarin).
Dem persönlichen Pronomen sind in der neupersischen Schrift-
sprache sämmtliche Casus-Formen, bis auf den Genitiv, abhanden
gekommen, daher auch, wie beim Nomen im Plural, der Genitiv als
Thema überhaupt eintritt. Das Verhällniss der neuen Formen zu den
ülterfMi Riftllt «inh fnlffenilpFni9.«<ien dar*
Er^nica.
367
Altbaktriseb. Altpersiscb.
1. Pers. singul.
1. Pers. plur.
2. Pers. singul.
2. Pers. plur.
mana
mann
amdkham
Neupersisch.
^ (man)
\^(md)
y 00
Uw (sumd)
ahmdkem
tava
yuimdkSm
Diese Themen werden, sowie die übrigen Pronominal-Themen,
in derselben Weise wie jedes andere Nominal-Thema behandelt.
Merkwürdig erscheinen im Neupersisehen die persönlichen
Proueminalsuffixe, welche nicht nur dem Nomen , wo sie im Genitiv
stehend gedacht werden müssen» sondern auch dem Verbum, wo sie
sowohl das nähere (Accusativ), als auch das entferntere Object
(Dativ) bezeichnen, angehängt werden; z. B. 0;Jb (pidar-ai)
«dein Vater*', J^juj (didam-ai) ,,ich habe Dich gesehen*', J^jb
Cddäam-at) „ich habe Dir gegeben*'.
Die Singularformen derselben :
1. Pers. • (-am)
2. Pers. O (-at)
3. Pers. J*
Oai)
sind aus den enklitischen Formen der entsprechenden Personen im
Altpersischen :
1. Pers. maiy (Genit. Dat.), ma (Accus.)
2. Pers. taiy (Gen. Dat.), wahrscheinlich thwoa (Accus).
3. Pers. saiy (Gen. Dat.), sim (Accus.)
nach dem Auslautgesetze hervorgegangen.
Die Pluralformen :
1. Pers. JU- (man)
2. Vtts.JC^ (idn)
3. Pers. Jb. (idn)
lassen sich nur als unorganische, nach Analogie der Nominalbildungen
aus den Singularformen entstandene Bildungen begreifen, worauf
schon ihre meistens stattfindende Verbindung mit jenen Formen, an
welche sie sich anlehnen, mittelst der sogenannten Iddfäth hinweist.
Dass aber die Ausbildung der enklitischen Pronominalformen zu
förmlichen Suffixen wahrscheinlich erst durch Einfluss der benach*
Stellung desAccentes hervor, welcher auf die dem jedesmaligea Suf-
fiie vorhergehende Silhe (mit Ausnahme der Formen dea Aorista) tu
stehen kommt; z. B. ^J^t (pidär-am), OjJ" (pidär-at). ^jlji.
(piddr-ai) , öLt>ii (piddrtnän oder piddr-i-män}, jLjJu (pütär-
fdn oäer pidär-i-fän), OUijJki (fnddr-iän oAet piddr-i-idn) , d^
(btndm-at), dagegen Ju>j (didam-at).
B. VcrbiB.
Das neupersische Verbum teigt dieselbe Einfachheit wie das
Nomen; wie dort sind auch hier die alten Formen bis auf einige
wenige verloren gegangen und müssen nun durch neue Bildungen
ersetzt werden.
Nebst den InGnitiv, der auf eine alte, nur in den Keilinschriflen
erhaltene Form zurückgeht, hat sich blos das Präsens, sowohl in
Beiug auf den wurzelhatten als auch auf den pronominalen Suffii-
theil unversehrt erhalten. Alles andere muss theils durch Nominal-
bildungen, theils durch sogenannte Hilfszeitwörter umschrieben
werden.
Was nun den Infinitiv anlangt, so wurde aus der alten, in den
Keilinschriflen nachweisharen Infinitiv-Endung -tanaiy nach dem
obigen Auslautgeaette im Neupersischen -tan, z, B. Oüj (rafian)^
'hrap-tanaiy.
Von den alten Verbalsuflixen findet sich im Neupersischen nur
eine einzige Reihe, nämlich jene , welche die activen PräsenssufGxe
umfassl. Um nun dasVerhaltniss der neuen zu den alten SufGxforineD
in kurzem darzulegen, wollen wir das Präsens activi von altb. phif,
altpers. parf folgen lassen.
Altbiktr. Allpera. Neupen.
Singul. t. Pers. pifrifdmi parfdmiy t'j> {punam)
2. Pers. pA-tffoAi parfaky ,j«y (puni)
ErftDica. 369
Ausser der Präsensform kann noch der Aorist fQr eine ein-
fache Bildung vom Standpunkte des Neupersischen gelten. — Er
ist aber keineswegs eine ursprunglich einfache Form, sondern beruht
auf einer, erst in späterer Zeit erfolgten Zusammensetzung des Par-
tieipium perf..pass. auf ^a mit dem Verbum substantivum i). Nach-
dem das Participum perf. pass. auf der letzten Sylbe betont und das
angehängte Verbum substantivum tonlos ist, so erscheint die Aorist-
form, welche (bis auf die dritte Person singul.) auf der vorletzten
Sylbe betont wird, als eine scheinbare Ausnahme Ton dem oben ent-
wickelten Betonungsgesetze.
Um das Verhältniss dieser Form zum Präsens in Befreff des
Accentes zu übersehen, lassen wir beide neben einander gestellt,
nachfolgen :
Prfisens. Aorist.
Singul. 1. Pers. »^j (ratodm) iij (rdftam)
2. Pers. ^yj (rawi) J3j (rdftS)
3. Pers. jjj (rawdd) ^j (rdft)
Plur. 1. Pers. x^ (rawim) ^j (rdftim)
2. Pers. J^^^ (rawid) -Xji; (rdftM)
m m
3. Pers. j^jj (rawnnd) Juli; (rdftandj
n. Über das Lautgesetz: altbaktr. /»alter&n. rt.
Ich habe in den „Beiträgen für yergleichende Sprachforschung
von Kuhn und Schleicher** Band V, S. 882, ein dem Altbaktrischen
eigenthümliches Lautgesetz besprochen, nämlich die Vertretung
eines ursprünglischen rt durch (£ (i). Die von mir für dieses Gesetz
dort angefahrten Beispiele sind: -^»i^Q^i (maiya) „Mensches alt-
pers. marHyOt altind. martya, -»^Bj^c (mein) „todt** » altind. mrta
(statt marta)f -»^{c« (ameia) „unsterblich^ « altinn. amrta (statt
amartd)^ -^l^Caia) „wahr, rein** ^larSta, altind. r^a (statt arta),
-•<*CBJo (pesana) „Schlacht** = altind./>r^an<i (statt partand)^ >cBj[ö
(pesu) „Fürth«* =^pergtu (statt partu).
') Dies beweist theils die lltere Sprache, theils die rerwindten Dialekte (Rardisch
Ossetisch etc.).
370 M fi 11 e r
Obgleich die von mir für dieses Lautgesetz angeführten Beispiele
manchen Sprachforscher (vgl. Schleicher, Indogerro. Chrestomathie
p. 3S2) üherzeugt haben, glaubt einer der gründlichsten Kenner der
eränischen Sprachen, Spiegel, da^ Vorhandensein eines solchen
Lautgesetzes bezweifeln zu müssen (vgl. Heidelberger Jahrbücher für
Literatur 1869. 276)» Diesem Zweifel gegenüber bin ich in der Lage,
zwei schlagende Beispiele anführen zu können, deren Richtigkeit um
so weniger bezweifelt werden kann, als sie ganz concrete Ausdrücke
betreffen. Es sind dies der Name des Amsehaspantts Aia vahista
und der Ausdruck fravaü. Ersterer Name, welcher uns in der oben
citirten Gestalt im Altbaktrischen entgegentritt, lautet im Pehlewi
v-^t^r (anivahist) , im Neupersischen C^^ ,^jj1 {ardi-bahistj-
Diese beiden Formen können aber dem altbaktrischen Ausdrucke
'^^•^*fy»k --«02^ unmöglich entsprossen sein, sondern setzen eine
westerdnische Form a$'ta vahista voraus <)•
Was nun den Ausdruck /rara^' («Qg«»«^^) betrifft, so lautet er
im Neupersischen jj^y {farwarj, im Pehlewi i«nD Cfi'avdrJ,
woraus die unsinnige Parsi-Form 1«o^^^ (fröhar) entstanden ist,
lauter Formen, welche nothwendiger Weise ein westerftnisches fra-
varti voraussetzen, welches sich auch wirklich als Eigenname in den
Keilinschriften nachweisen lässt.
m. üUj (dahdn).
Von diesem Worte, welches bald öUj> bald rJ>.i, bald auch
c>^J geschrieben wird, finde ich nirgends eine Etymologie ange-
geben, daher ich es für angemessen halte, meine Ansicht über seine
Ableitung in Kurzem auszusprechen.
Wie ich vermuthe, ist 'o\i^^ nichts anderes als das altbaktrische
\»^ (zafan) „Mund**; vgl. M< (zafarS) „Bachen** und altind.
gambha ,, Bachen**, dann „Zahn** » slav. zqbu und griech. yaim^ af,
1) Auch die Pehlewi-Ausdräcke 21irTM (akraw) = altb. {«»«Mg« (aiavnn) und
IICliTM {ahrmdkj === m^mq^^m (aiimaogha) können herbeigezogen werden,
insofern e sie westeranische Formen artavan, artimaogha voranssetxen. Es ist hier
früh Transpotition ron rt zu tr eingetreten und das tr wurde wie altind. pttira,
aJtbaktr. ^1(9>e) Cputhra) = Pehlewi imo (puhr) in hr verwandelt.
Erioica. 371
yaixfri\al. Nach dem Auslautgesetze ward aus zafan (Nom. Ace.
zafa) in der neueren Sprache zunächst zaf, welches im dah von
jUj steckt.
Das d im Neupersischen gegenüber dem z des Altbaktrischen
erklärt sich ebenso wie in J.«^^ {dost) =s altb. -»^»C (zagta) , \»j^
(daryd) &» altbaktr. o')««<«W (zarayaüh) und andern Formen;
ebenso ist A—/*, wie im neupersischen ^ ^A:dA^=altpers. kaufa,
altb. j»d^5 (kaofa) zu erklären.
Das Suffix -dn Ton üUj ist dasselbe, wie in oUj (zabdn) ==
altb. ->>J»o' (hizva), altind. ^t'AvtJ, Ol^^ (§ihdn) = altb. -»^Jo«®,
{gaethaj, altpers. gaitha, o]y\ CStüdnJ^iaiXBr. y\ (Sw)t ü^«^
(muslimdn) = arab. i^.»^ (müslim) und anderen Formen , welche
ich bereits in den Beiträgen fQr vergleichende Sprachforschung von
Kuhn und Schleicher, Bd. III, 483 besprochen habe.
VBRZBICHNISS
DER EINGEGANGENEN DRUCKSCHRIFTEN.
(DECKHBER 1S70.)
Akademie der Wissenschaften, K5nigl. Preuss.,iu Berlin: Abhand-
lungen aus dem Jahre 1869. Bd. I. & B. Beriin 1870; 4«. —
374 VerKeichniss der eingegangenen Oruckschriften.
Harne) itz. X. Jahrgang, Nr. 40—41. Odessa, 1870; 4».
Institut Luxembourgeois: Publications de la Section historique.
Ann^e 1869—1870. XXV. (III.) Luxembourg, 1870; 4».
Lesererein, akademischer, an der k. k. Universität und st. I. tech-
nischen Hochschule in Gras: III. Jahresbericht. 1870. Graz; 8^.
Mittheilungen der k. k. Central-Commission zur Erforschuiig und
Erhaltung der Baudenkmale. XV. Jahrg. November— December
1870. Wien; 4«.
— aus J. Perthes* geographischer Anstalt. 16. Band, 1870.
XL Heft Gotha; 4«.
Museum Francisco - Carolinum in Linz: XXIX. Bericht. Linz,
1870; 8o.
Sachau, Ed., Inedita Syriaca. Eine Sammlung syrischer Über-
setzungen von Schriften griechischer Profanliteratur. Mit einem
Anhange. (Mit Unterstützung der kais. Akademie der Wissen-
schaften.) Wien. 1870; gr. 8^
Verein, siehenbörgischer, für romanische Literatur und Cultur des
romanischen Volkes: Transilvania. Anulu III, Nr. 21 — 23.
Kronstadt, 1870; 4o.
— für hamburgische Geschichte : Zeitschrift. N. F. III. Bd., 2. Hfl.
Hamburg, 1870; 8«.
Vesme, Carlo, Intorno ad una canzone e ad un soneto Italiani del
" secolo XII. e ad una canzone Sarda tratti dalle Carte d*Arborea.
Bologna, 1870; 8o.
Viyenot, Alfred Bitter ▼. • Zur Geschichte des Bastadter Con-
gresses. Wien, 1871; 8^
Zittel, Carl Alfred, Denkschrift auf Christ. Erich Hermann von
Mayer. München, 1870; 4®.
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