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Full text of "Sitzungsberichte der Kaiserlichen Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Classe"

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6^ 


m 


LSoc3Zfe-S- 


SITZUNGSBERICHTE 


DEB  KAISEBLIOHEN 


AXADETffTE  DEE  WISSEIfSCHAPTEIf. 


PHILOSOPHISCH -HISTOBISCBDE  CLASSR 


pOnfunosechziqster  band. 


*^*WIEN. 

AUS  DEB  K.  K.  HOF-  UND  8TAATSDRUCKEBEI. 


IN  COMlCIfiSION  BKl  KARI.  QSR0LD*8  80R1I,  BUCHIIXROLKR  DXR  KAISKRLICRBlf  AKADRUTK 

DRR  WISSmSCHAFRN. 

i 


1870. 


SrCZÜNGSBERIOHTE 


\ 


DBB 


PHILOSOPHISCH-HISTOEISCHEN  CLASSE 


OEB  KAISEBLICHEN 


AKADEMIE  DER  WISSENSCHAFTEN. 


PONPUNOSECHaqSTER    BAND. 

Jahrgang  1870.  —  Heft  I  bis  IV. 


^WIEN. 

AUS  DBB  K.  K.  HOF-  UND  6TAAT6DBUCKBBEI. 


Uf  COaOf  ISSIOV  BEI  KARL  «IBOLD*!  SOHH,  BDCHHAUDLIB  DBE  KAUIRUCHEll  AKADEMIE 

DBB  WISSnSCHAFTXH. 


t870. 


U^ö<lI%^S 


INHALT. 


Sfit« 

ig  Tom  6.  April  1870 3 

Sitevag  Tom  20.  April  1870 4 

SitxiiBg;  Tom  27.  April  1870 4 

Mmiier,  ladogermanifcli   und   Semititcb.    Ein   Beitrag  sur   Würdigung 

dieser  beiden  SprachtUniDe 5 

Sekmltei  Zar  Geechichte  der  Literatur  über  das  Dekret  Gratians.  Dritter 

Beitrag 21 

ITvt^«,  Untersttchungen  aaf  dem  Gebiete  der  Pronomina,  besonders  der 

lateiBisehen 77 

VgrznehmM  der  eingegangenen  Druckschriften 157 

foin  11.  Hai  1870 163 

rom  15.  Mai  1870 164 

PkilHpt^  Über  das  iberische  Alphabet       16K  ' 

Bewfmmnn^  Die  Nominale  der  Miinsreform  des  Chalifen  Abdnimelik  .    .       239 

MSßert  Abhandlungen  aus  dem  Gebiete  der  alten  Geschichte.  IIL  Unter- 
suchung der  Frage,  ob  Griechenland  mit  der  Zerstörung  Korinths 
römische  Provins  geworden  sei 267 

311 

377 

391    V 

Sil 


Fßzwisier^  Die  Lebensverlangeningen  der  Minner  des  Weges  . 
äCmrmjmmj  Zu  Seifried  Heibling  und  Ottacker  ron  Steiermark     . 
Sekrier,  Weitere  Mittheilungen  fiber  die  Mundart  von  Gotschee 
YerteiehnisM  der  eingegangenen  Druckschriften 


11 

Seit« 

Sitzani;  vom  1.  Juni  1870 515 

mtxung  vom  15.  Juni  1870 516 

SKsan^  vom  22.  Juni  1870 517 

PhiUipt^  Die  Eiowandeniog  der  Iberer  in  die  pyreoiische  Halbinsel      .  519 

Kart^an,  Zu  Seifried  Helbling^  vnd  OtUcker  von  Steiermark    ....  565 

Hofier^  Abhandlungen  aus  dem  Gebiete  der  alten  Gesehich le.    IV.    Über 
die  richtige  Abgrensung  der  alten  Geschichte  gegen  das  Mittel- 

alter 577 

Müller^  Bemerkungen  Aber  swei  armenische  Keil-Inschriflen  ....  589 

Schulte^  Die  Compilationen  Gilberts  uud  Alanus 595 

Saehau^  Zur  iltesten  Geschichte  des  muhammedanischen  Rechts  .    .    .  699 

YerteiehnUM  der  eingegangenen  Druckschriften 725 

Sitsung  vom  6.  Juli  1870 729 

Sitzang;  vom  13.  Juli  1870 729 

Sitzung;  vom  20.  Juli  1870 730 

PhUiip9^  Eine  baskische  Sprachprobe  nebst  Einleitung  und  Commentar  731 

Pfiptmaier^  Die  Anwendung  und  die  Zufüligkeiten  des  Feuers  in  dem 

alten  China 767 

Hoßery  Anna  von  Luxemburg,  Kaiser  RarPa  IV.  Tochter,  König  Richard'a 

II.  GemahUn,  Königin  von  England.  1382-1394 813 

Hofmmmy  Über  den  Verlobnngs-  und  den  Tranring 825 

Verxeiekniu  der  eingegangenen  Dmckschrillen 865 


SITZUNGSBERICHTE 


DER 


KAISERLICHEN  AKADEMIE  DER  WISSENSCHAFTEN 


PHILOSOPHISCH-HISTORISCHE  CLASSE. 


L\V.  BAND.  I.  UFT. 


JAHRGANG  1870.  —  APRIL. 


1 


(/Onimissionslitfrioht.  j 


SITZUNG  VOM  6.  AFRIL  1870. 


Der  prov.  Secretär  legt  vor : 

1)  drei  von  Dr.  Behriiauer  in  Dresden  eingesendete  Proben 
aus  dem  Yon  ihm  vorbereiteten  photolithographisehen  orientaiischen 
Album ; 

2)  ein  Schreiben  des  Herrn  Prof.  Peters  in  Graz,  womit 
derselbe  anzeigt,  dass  die  Freunde  des  verstorbenen  Hofrathes  Dr. 
Franz  Unger  demselben  ein  Denkmal  in  Graz  zu  errichten  beab- 
sichtigen, und  die  Mitglieder  der  Akademie  zur  Theilnahme  daran 
einladet; 

3j  eine  von  Herrn  Prof.  Dr.  Friedrich  Ritter  v.  Schulte  in 
Prag  eingesendete  Abhandlung:  „Zur  Geschichte  der  Literatur  über 
das  Decret  Gratians.  Dritter  Beitrag''. 


Das   w.   M.    Herr    Hofrath  Phillipps    legt   ^Eine  baskisehe 
Sprachprobe  nebst  Einleitung  und  Commentar^'  vor. 


Das  c.  M.  Herr  Prof.  Dr.  Theodor  Gomperz  legt  eine  für  die 
Sitzungsbesichte  bestimmte  Abhandlung  vor:  eine  Bearbeitung  des 
l^ereulanensischen  Papyrus  Nr.  1021  (Collectio  altera  Vol.  I  Fase.  5) 
nebst  Einleitung  und  erklärenden  sowie  kritiscben  Anmerkungen. 


4  Commissionsbericht. 

SITZUNG  VOM  20.  APRIL  1870, 


Das  w.  M.  Hr.  Hofrath  Ritter  v.  Miklosich  legt  eine 
Abhandlung  vor  fiir  die  Denkschriften  ^Albanische  Forschungen. "^ 
I.   ^Die  slavischen  Elemente  im  Albanischen.*' 


Das  w.  M.  Herr  Prof.  Dr.  Friedrich  Muller  überreicht  eine 
für  die  Sitzungsberichte  bestimmte  Abhandlung:  „Indogermanisch 
und  Semitisch.  Ein  Beitrag  zur  Würdigung  dieser  beiden  Sprach- 
stämme*". 

Der  prov.  Secretar  legt  vor^ 

1)  die  von  Dr.  Kürschner,  Adjunct  im  k.  u.  k.  Reichsfinanz- 
archiv, zur  Aufnahme  in  die  akademischen  Druckschriften  einge- 
sendeten „Regesten  zur  Geschichte  des  Herzogthums  Troppau 
(1081 — 1064)**  aus  dem  Nachlasse  des  Professors  Kopetzky; 

2)  ein  von  dem  k.  k.  Bezirkshauptmann  in  Jaroslau,  Herrn 
F.  Chlebik,  eingesendetes  Manuscript:  „Die  Philosophie  des 
Bewussten  und  die  Wahrheit  des  Unbewussten^  mit  dem  Gesuche 
des  Verfassers  um  Aufnahme  desselben  in  die  akademischen  Schriften. 


SITZUNG  VOM  27.  APRIL  1870. 


Das  c.  M.  Herr  Prof.  Ür.  Kvfeala  in  Prag  sendet  zur  Auf- 
nahme in  die  Sitzungsberichte  eine  Abhandlung:  ^Untersuchungen 
auf  dem  Gebiete  der  Pronomina,  besonders  der  lateinischen". 


Das  w.  M.  Herr  Regierungsrath  Birk  legt  vor:  „Kaiser  Rudolf 
des  II.  Polizeiordnung  für  das  Erzherzogthum  Oesterreich.  Von 
Beda  Piri  nger". 


Herr  Dr.  Franz  Stark  hält  einen  Vortrag  über  „die  Irrthümer 
in  der  heutigen  Forschung  über  deutsche  und  keltische  Personen- 
namen *'. 


Maller,  iDdugermanitch  und  Semitisch. 


Indogennanisch  und  Semitisch. 

Ein  Beitrag  zur  Würdigung  dieser  beiden  Sprachstämme 
von  Dr.  Friedrich  Müller, 

Proftwor  an  der  Wiener  UnNenitit. 

Zu  den  Fragen  you  ganz  besonderer  Wichtigkeit  und  der 
grossten  Tragweite,  mit  welchen  die  höhere  vergleichende  Sprach- 
wissenschaft noch  lange  sich  wird  beschäftigen  müssen»  gehört  jene 
über  das  Yerhältniss  der  beiden  am  meisten  entwickelten  Sprach- 
stämme,  des  indogermanischen  und  des  semitischen,  zu  einander. 
Die  Frage  ist  gar  nicht  so  einfach  als  sie  auf  den  ersten  Anblick 
erscheint»  und  ich  glaube  sogar,  dass  die  Wissenschaft  heutzutage 
noch  nicht  auf  dem  Punkte  steht,  um  sie  vollkommen  und  unzweifeU 
haß  zu  erledigen. 

Die  Tragweite  dieser  Frage  bezieht  sich  nicht  nur  auf  die 
Sprachwissenschaft,  sondern  auch,  und  in  noch  grösserem  Masse, 
auf  die  Naturgeschichte  des  Menschen,  die  Anthropologie.  Gelingt 
es  nämlich  der  Sprachwissenschaft  den  Beweis  zu  fuhren,  dass 
zwischen  Indogermanisch  und  Semitisch  eine  unzweifelhafte  Ver- 
wandtschaft besteht,  dass  beide  Sprachstämme ,  welche  die  Wissen- 
schaft bisher  geschieden  hat,  auf  eine  Einheit  zurückweisen,  aus 
welcher  sie  sich  durch  einen  langen  und  eigenthümlichen  Process 
herausdifferenzirt  haben,  so  ist  damit  auch  theilweise  bewiesen,  dass 
Volksthum  und  Rasse  sieh  gegenseitig  decken  und  dass  auch  die 
fernere  Möglichkeit  vorhanden  ist,  Rassen-Entwicklung  und  Sprach- 
Entwicklung  in  die  genaueste  Parallele  zu  bringen.  Natürlich  nwss 
dieser  Beweis  methodisch  gefuhrt  werden  und  darf  sich  nicht 
ohne  vorhergegangene  strenge  Prüfung  der  Grundlagen  auf  die 
Herrorhebung  zufSUiger  Ähnlichkeiten  einlassen. 

Sitsb.  d.  phU.^iit.  Cl.  LXV.  Bd.  I.  Hfl.  2 


6  Müller 

Wenn  ich,  trotz  der  oben  abgegebenen  Erklärung,  dass  eine 
entscheidende  Losung  dieser  Frage  heute  noch  nicht  zur  Reife  ge- 
diehen sein  dfirfte,  es  dennoch  unternehme,  in  dem  vorliegenden  Auf- 
satze dieselbe  zu  behandeln,  so  bestimmt  mich  dazu  einerseits  der 
Umstand,  dass  ich  damit  den  noch  immer  auftretenden  dilettantischen 
Versuchen  Indogermanisch  und  Semitisch  für  verwandt  zu  erklären, 
ein  Ziel  setzen  mochte,  andererseits  das  Bedurfniss,  diese  Frage  nach 
dem  gegenwärtigen  Standpunkte  der  Sprachwissenschaft  erwogen 
zu  sehen.  Vom  letzteren  Gesichtspunkte  aus  muss  ich  freilich 
gestehen,  dass  sich  in  mir  die  Überzeugung  festgesetzt  hat.  Indo- 
germanisch und  Semitisch  seien  zwei  grundverschiedene 
Spracbstämme,  deren  jeder  einen  vom  anderen  unabhängigen  Ursprung 
voraussetzt  und  ich  befinde  mich  in  Betreff  der  Sprachschöpfung 
im  vollkommensten  Einklänge  mit  einem  der  bedeutendsten  modernen 
Naturforscher,  Ernst  H  ä  c  k  e  I,  weicher  Sprache  und  Rasse  für  zwei  von 
einander  unabhängige  Sphären  betrachtet  und  den  Ursprung  der 
Sprache  nach  bereits  vollzogener  Rassen-Diiferenzirung  ansetzt. 

Damit  nun  Jedermann  über  die  Berechtigung  einer  solchen 
Ansieht,  womit  leider  Ober  manche  mit  einem  grossen  Aufwände  von 
Scharfsinn  und  Gelehrsamkeit  gelieferte  Arbeiten  der  Stab  gebrochen 
ist,  ein  selbstständiges  Urtheil  sich  bilden  könne,  werde  ich  beide 
Sprachstämme  einer  vergleichenden  Betrachtung  unterziehen  und 
dabei  so  verfahren,  dass  auch  der  sprachwissenschaftlich  nicht 
Gebildete  den  von  mir  vorgebrachten  Thatsachen  mit  Leichtigkeit 
folgen  kann. 


indogenuanisch  and  Semitiacb. 


A.  Die  Laute. 

Die  indogerrnaniache  Ursprache  hatte  folgende  Consonanten : 

t     d        dh     n    y    r    s 
p     b(?J  bh     m    V 

Der  Laut  ht  der  in  der  späteren  Epoche  der  indogermanischen 
^pracheo  auAritt,  ist  das  Residuum  des  Aspirations-  oder  des 
Assibilations-Processes,  also  entweder  aus  gh*  dh^bh  oder  aus« 
henrorgegangen. 

Die  semitische  Ursprache  dagegen  hatte  folgende  Consonanten : 

k      h      c 

*    A     y    g    y 

t       B 

t        88  d      Z(?J    U       l 

p    f         b     V        m 

Wenu  wir  beide  Lautsysteme  mit  einander  vergleichen,  so 
ersehen  wir  daraus  folgende  tief  eingreifende  Unterschiede : 

Während  die  indogermanischen  Sprachen  innerhalb  der  drei 
Torhandenen  Organreihen:  Guttural,  Dental  und  Labial  die  tönenden 
Aspiraten  gh»  dh*  bh  (zu  p,  d,  b  gehörig)  entwickelt  haben,  sind  die 
semitischen  Sprachen  in  derselben  Richtung  innerhalb  der  Stumm- 
laute Toi^egangen.  —  Wie  in  den  indogermanischen  Sprachen  gh, 
dht  bh  der  Reihe  g^  d»  6,  gehen  in  den  semitischen  A,  s,  f  der  Reihe 
kt  /«  p  parallel.  Und  wie  im  Indogermanischen  ght  dh*  bh  schliesslich 
in  Tielen  FSIIen  in  h  aufgehen,  so  dass  dieses  nach  Aufgeben  des 
festen  Theiles  als  Residuum  des  Aspirationsprocesses  übrigbleibt, 
ebenso  treffen  wir  im  Semitischen  aus  k  den  Laut  /  und  aus  i  den 
liBot  h  (wabrseheinlieh  durch  die  Mittelstufen  ih*  «)  entwickelt. 

Während  in  den  indogermanischen  Sprachen  unzweifelhaft  der 
Laut  r  primitir  ist,  da  er  innerhalb  der  Consonantengruppen  gegen- 
über /  Tiel  häufiger  auftritt,  ist  in  den  semitischen  Sprachen  umge- 
kehrt der  Laut  /  der  ältere. 


8  M  u  1  1  e  r 

Das  semitische  Consonantensystem  unterscheidet  sich  aber  vom* 
indogermanischen  noch  in  einem  wesentlichen,  demselben  eigen- 
thumlichen  Punkte,  nämlich  in  der  Entwicklung  emphatischer  Stumm- 
laute innerhalb  der  Guttural- und  der  Dental-Reihe,  welche  auch  in' 
Betreff  der  Entwicklung  den  gewohnlichen  Gutturalen  und  Dentalen 
parallel  gehen. 

Neben  dem  gewöhnlichen  k  (hebräisch  "|,  arabisch  ^)  finden 
wir  nämlich  noch  ein  zweites,  welches  wir  mittelst  k  bezeichnen 
(hebräisch  p,  arabisch  J),  welches  im  Gegensatze  zum  ersteren 
ursprunglich  durch  eine  grossere  nach  Innen  gezogene  Energie  der 
dabei  betheili^en  Organe  erzeugt  wird.  In  demselben  Verhältnisse 
wie  k  zw  k  steht  auch  f  (hebräisch  o»  arabisch  i^)  zu  t  (hebräisch  f\^ 
arabisch  O). 

Gleichwie  nun  A:  zu  A  und  /,  ^  zu  «  und  h  sich  entwickeln,  ent- 
wickeln  sich  auch  k  t\xh  und  c    und  t  zvl  8  und  c .    Der  Laut  c 

•        •  •        • 

(hebräisch  ir,  arabisch  p  und  p)  ist  eben  ein  Residuum  des  Aspira- 
tions- und  Ässibilations-Processes  der  emphatischen  Laute  k  und  fv 
er  verhält  sich  also  zu  i  (hebräisch  n«  arabisch  t)  ebenso  wie  k^  t  zu 
A:,  f  sich  verhalten.  —  Das  dies  wirklich  der  Fall  ist,  beweisen  der 
Übergang  des  hebräisch-arabischen  t^  «  in  c  in  den  aramäischea 
Dialekten  und  die  Aussprache  des  k  als  c  in  einigen  vulgärarabischen« 
Idiomen,  abgesehen  davon,  dass  auch  aus  der  älteren  Sprache  FUle» 
worin  c  älterem  k  gleich  ist,  sich  beibringen  lassen. 

Wenn  wir  diese  Punkte  überblicken,  so  stellen  sich  schon  in 
Betreff  der  Consonanten  folgende  Unterschiede  zwischen  Indoger» 
manisch  und  Semitisch  heraus: 

I.  Während  Indogermanisch  zn  den  tSnenden  ^,  d*  b  parallele 
Aspiraten  gh*  dh,  bh  entwickelt  hat,  sind  dieselben  im  Semitischen  zu 
den  stummen  it,  t^  p  als  A,  «,  8  und  f  vorhanden. 

IL  Während  im  Indogermanischen  von  den  beiden  flOssigen 
Lauten  /,  r  der  letztere  ursprQnglich  ist,  scheint  im  Semitischen  /der 
ursprUngliche  zu  sein. 

HI.  Im  Semitisehen  finden  sich  zu  den  Stommlauten  der  guttu» 
ralen  und  dentalen  Claase  parallele  emphatische  Laute  entwickelt,, 
während  dem  Indogermanischen  dergleichen  Laute  gaas  abgehen. 


Indof  emaniach  und  Semitisch.  9 

Die  ursprfliigliche  Vocalreihe  des  Semitischen  ist  folgende: 

a     i    u 

Dagegen  stellt  sicli  die  ursprüngliche  Voeftlreihe  des  Indoger- 
manischen folgendermassen  dar: 

a     i    u 
ai      au 

Die  Vocallängen  sind  in  beiden  Sprachstämmen  etwas  Secun- 
däres  und  verdanken  wahrscheinlich  einerseits  der  Zusammenziehung» 
andererseits  dem  Accente  ihre  Entstehung. 

Was  dagegen  die  Diphthonge  aif  au  betrifitt  so  sind  sie 
ursprüngliGb  nur  dem  Indogermanischen  eigen  und  weichen  später  in 
beiden  Sprachstämmen,  ihren  Ursprung  anlangend,  von  einander  sehr 
ab.  Während  au  au  im  Semitischen  stets  ein  Zusammensiehungs- 
prodact  aus  a  + 1,  a  +  <<•  respective  a  +  9»  a  -f-  v  sind ,  erseheinen 
dieselben  im  Indogermanischen  neben  derselben  Geltung  als  a-f>i\ 
a  -|-  tf  auch  als  Steigerungen  von  t  und  u.  An  Stelle  eines  wurzel- 
haflen  t  oder  u  treffen  wir,  ohne  dass  irgend  ein  lautliches  Moment 
dieser  Veränderung  namhaft  gemacht  werden  konnte,  die  Laute  ai 
oder  ati,  eine  Erscheinung,  f3r  welche  aus  der  semitischen  Ursprache 
kein  Beleg  beigebracht  werden  kann.* 


B.  Die  SUbe. 

1.  Aalaat 

Im  Indogermanischen  ist  sowohl  consonantischer  als  auch 
Tocaliaeber  Anlaut  der  Silbe  gestattet.  Beim  consonantischen  Anlaut 
ist  die  Sprache  nicht  auf  einen  einzelnen  Consonanten  beschränkt, 
sondem  kann  auch  mehrere  Consonanten  zu  einer  Gruppe  ver- 
einigen. 

loi  Semitischen  muss  jede  Silbe  mit  einem  Consonanten 
beginnen;  es  sind  sowohl  vocalischer  Anlaut  als  auch  der  Anlaut  mit 
mehr  als  einem  Consonanten  ausgeschlossen. 


10  M  ii  I  1  •  r 


2.  iisUil. 


Was  den  Auslaut  der  Silbe  betriflft,  so  sind  im  Semitischen  nur 
zwei  Möglichkeiten  vorhanden;  die  Sprache  kann  sie  entweder  mit 
einem  Vocal  oder  mit  einem  einfachen  Consonanten  schliessen 
lassen.  Das  Indogermanische  kennt  eine  solche  Beschränkung  nicht  r 
hier  wird  der  Schluss  der  Silbe  mit  mehr  als  einem  Consonanten. 
gestattet. 

C.  Die  Wurzel 

In  beiden  Sprachen  zerfallen  jene  Elemente,  in  welche  sich  der* 
gesammte  Sprachstoff  auflösen  lässt  und  welche,  falls  der  an  ihnen 
haftende  Sinn  nicht  zerstört  werden  soll,  als  untheilbar  gelten 
müssen,  in  zwei  Kategorien,  nämlich  Objectiv*  oder  Stoffwurzeln^ 
(auch  Verbalwurzeln  genannt)  und  Subjectiv-  oder  Formwurzeln, 
(auch  Pronominalwurzeln  genannt). 

Während  aber  in  Betreff  des  Baues  der  letzteren  Indogermanisch^^ 
und  Semitisch  mit  einander  übereinstimmen ,  insofern  als  dieselben^ 
durchgehends  einsilbig  sind,  weichen  sie  in  Betreff  der  ersteren 
von  einander  wesentlich  ab. 

Die  Verbal  Wurzel  ist  im  Indogermanischen  stets  einsilbig*. 
Im  Semitischen  dagegen  4st  dasjenige  Element,  welches  der  indo- 
germanischen Verbalwurzel  parallel  geht,  durchgehends  aus  drei 
Consonanten  aufgebaut  und  wurde  ursprunglich  wahrscheinlich 
auch  dreisilbig  gesprochen.  In  der  That  dürften  diese  dreiconso- 
nantigen  Formationen  keine  Wurzeln  sein ,  sondern  Bildungen,  in 
denen  die  Wurzeln  bereits  zu  festen  concreten  Anschauungsausdrücken 
verarbeitet  vorliegen.  Der  Process,  durch  welchen  diese  Elemente  aus 
den  einsilbigen  Wurzeln  sich  entwickelt  haben  (und  dies  voraus- 
zusetzen ist  eine  theoretische  Nothwendigkeit)  ist  in  völliges  Dunkel 
gehüllt.  So  lange  dieses  Dunkel  nicht  gelichtet  ist,  und  zwar  auf  eine 
sti*enge  methodische  Weise,  sind  die  Wurzeln  des  Indogermanischen 
und  des  Semitischen  imVerhältniss  zu  einander  irrationale  Grossen,« 
welche  mit  einander  nie  verglichen  werden  dürfen. 


Indog^criuaniscb  und  S«miti«ob.  1 1 


D.  Das  Wort. 

Die  Bildung  des  Wortes  aus  der  Wurzel  geht  in  beiden  Sprach- 
stammen sowohl  durch  äussere  als  auch  durch  innere  Mittel 
Tor  sich. 

Unter  den  ersteren«  den  Susseren  Mitteln,  begreifen  wir  die 
Verbindung  der  Pronominalwurzeln  mit  den  Verbalwurzeln.  Im  Indo- 
germanischen wird  stets  die  Pronominalwurzel  an  die  Verbalwurzel 
angehängt;  das  Indogermanische  kennt  also,  was  die  Stellung  der 
formalen  Elemente  zu  den  stofflichen  anbelangt»  nur  Suffiie. 

Anders  das  Semitische.  Dieses  gestattet  nicht  nur  wie  im  Indo- 
germanischen, Anfügung  der  formalen  Elemente  an  die  stofflichen, 
sondern  auch  Vorsetzen  der  ersteren  vor  die  letzteren,  d.  h.  es 
kennt  nicht  nur  Suffixe,  sondern  auch  Prfifixe. 

Unter  den  inneren  Mitteln  der  Wortbildung  begreifen  wir  die 
Veränderung  der  Wurzelvocale.  Das  Indogermanische  lässt 
bekanntlich  in  Verbindung  mit  dem  äusseren  Mittel  der  Suffigirung 
auch  eineAffection  desVocals  der  Wurzel  eintreten,  wodurch  derselbe 
gesteigert,  d.  h.  a  bald  zu  a,  bald  zu  ä,  i  zu  ai,  u  zu  au  erhoben 
wird.  Diese  Steigerung  bewegt  sich  stets  innerhalb  der  Sphäre  des 
ursprönglichen  Vocals;  aus  i  kann  nur  ai,  aus  u  kann  nur  au  werden, 
nicht  aber  kann  ai  aus  u  oder  au  aus  i  entstehen. 

Anders  das  Semitische.  Hier  wird  nicht  auf  die  Sphäre  des 
ursprünglichen  Vocals  Rucksicht  genommen,  sondern  jener  Vocal, 
der  durch  das  Gesetz  eines  bestimmten  Typus  gefordert  wird,  muss 
ohne  Rücksicht  auf  den  primitiven  Vocal,  wenn  im  Semitischen  über- 
haupt Ton  einem  solchen  die  Rede  sein  kann^  eintreten. 

Während  also  das  Indogermanische  ans  der  Wurzel  lik  laik-a 
(griecli.  /o(n:-6-)  bildet,  aus  der  Wurzel  buäh  bauäh-a,  bildet  das 
Semitische  von  J5  (katala)  — .  ,J-3  {katilun),  von  ijj>-  (f^zina) 
—  v^J^  ^i^^iiitt»?,  von  ^jm^  (fyamnaj  —  Oj-^  (T^astnunJ,  von 
J3  (kaiala)  — cjyi*  (ma-ktülun),  von  Oj>-  (T^zina)  —  ^jj^ 
(maizßnun). 


12  M  ä  1  1  «  r 

£.  Die  Wortkategorien. 

In  beiden  Sprachstämmen  gehen  alle  Redetheile,  welche  die 
Sprache  kennt,  in  den  beiden  Gruppen:  Nomen  (arab.  x^l)  undVerbum 
(arab.  Jji»)  auf.  Jeder  Redetheil,  sofern  er  nichtNomen  oderVerbum 
ist,  ist  von  einem  oder  dem  andern  derselben  abgeleitet.  Die  alten, 
sowohl  indogermanischen  als  semitischen  Grammatiker  waren  dieser 
Erkenntniss  sehr  nahe;  wäre  ihnen  das  Wesen  der  vergleichenden 
und  historischen  Grammatik  aufgegangen,  so  hätten  sie  ohne  Zweifel 
das  Richtige  gefunden. 

Was  das  Nomen  betrifft,  so  kommt  im  Indogermanischen  dem 
Substantiv,  dem  Pronomen  der  dritten  Person  und  auch  dem  Adjectiv, 
sofern  es  mit  dem  Substantiv  in  Congruenz  gesetzt  wird,  die  Bezeich- 
nung des  grammatischen  Geschlechtes  (Genus)  zu.  Dieses  ist  im 
Indogermanischen  ein  dreifaches,  nämlich Masculinum,  Femininum 
und  Neutrum;  jedes  derselben  hat  seinen  ihm  eigenthumlichen  sprach- 
lichen Exponenten. 

Das  Semitische  kennt  auch  ein  grammatisches  Geschlecht,  aber 
einerseits  nicht  in  demselben  Umfange,  indem  nur  zwei  Kategorien 
sich  finden,  welche  dem  Masculinum  und  Feminino-Neutrum  ent- 
sprechen, andererseits  konunt  die  Bezeichnung  des  grammatischen 
Geschlechtes  nicht  nur  dem  Substantivum,  Adjectivum  und  Pronomen 
der  dritten  Person,  sondern  auch  dem  Pronomen  der  zweiten  Person 
zu.  —  Aber  auch  im  Verbum  finden  wir  an  den  Formen  der  zweiten 
und  dritten  Person  das  Genus  bezeichnet,  während  im  Indogerma- 
nischen von  einer  Genusbezeichnung  am  Verbum  keine  Spur  vor- 
handen ist. 

Beiden  Sprachstämmen  ist  eine  im  Geiste  flectirender  Sprachen 
gebildete  Zablbezeichnung  sowohl  am  Nomen  als  auch  am  Verbum 
eigen;  beide  haben  drei  Kategorien  der  Zahl,  nämlich  Singular,  Dual 
und  Plural  entwickelt.  In  Betreff"  der  Casusformen  findet  sich 
zwischen  Indogermanisch  und  Semitisch  eine  grosse  Abweichung. 
Während  die  älteste  Form  des  Indogermanischen,  die  uns  bekannt 
ist,  acht  grösstentheils  von  einander  lautlich  verschiedene  Casus- 
bildungen zeigt,  lassen  sich  im  Semitischen  höchstens  drei  ver- 
schiedene Casusformen,  ich  will  nicht  sagen  nachweisen,  aber  doch, 
aus  den  vorhandenen  Spuren  zu  schliessen,  annehmen. 


Indogermiiiiisch  und  Semitisch.  1  3 

Was  das  Verbum  betrifft,  so  wird  sein  Bau  im  Semitischen,  wie 
im  Indogermanischen  von  dem  Gegensatze  der  momentanen,  vollen- 
deten and  der  sieh  entwickelnden,  dauernden  Handlung  beherrscht. 
In  der  Ausführung  weichen  aber  Indogermanisch  und  Semitisch  von 
einander  ab.  Das  Semitische  kennt  nur  zwei  auf  den  eben  berührten 
Gegensatz  basirte  Formen,  welche  äusserlich  durch  die  verschiedene 
Weise  der  Verbindung  der  Formelemente  (Pronominalelemente)  mit 
dem  Stoffelemente  (dem  Verbalstamme)  gekennzeichnet  sind.  Jene 
Form,  welche  zum  Ausdrucke  der  vollendeten  Handlung  dient,  wird 
dareh  Suffixe,  jene  dagegen,  welche  zum  Ausdrucke  der  sich  ent- 
wickelnden Handlung  bestimmt  ist,  wird  durch  Präfixe  gebildet. 

Diesem  einfachen  Bau  gegenüber,  in  welchem  von  einer  nähereu 
Bezeichnung  der  Zeit  und  Modalität  der  Handlung  vollkommen  Um- 
gang genommen  ist,  bietet  das  Indogermanische  einen  reich  ent- 
wickelten Verbalausdriick  dar.  Neben  den  beiden  den  oben  erwähnten 
semitischen  Formen  entsprechenden  Stämmen,  dem  Präsens-  und 
Aoriststamme,  kommt  noch  ein  aus  dem  Bereich  des  Präsens  (HL  Classe 
im  Sanskrit)  sich  herauslösender  Perfectstamm  in  Anwendung  und 
werden  Gegenwart,  Vergangenheit  und  Zukunft,  sowie  Wunsch, 
Hoglichkeit  und  andere  der  Handlung  anklebende  Accidentien  inner- 
halb der  Verbalform  durch  lautliche  Exponenten  bezeichnet. 

Das  Verbum  kann  im  Indogermanischen  durch  Vortritt  gewisser 
Partikeln  determinirt  werden.  Diese  Partikeln,  obschon  ein  Theil 
derselben  aus  flectirten  Nominalformen  besteht,  deren  Bedeutung 
abgeblasst  ist,  sind  meistens  reine,  auf  bestimmte  räumliche  und 
zeitliche  Verhältnisse  hinweisende  Formelemente  und  in  diesem  Sinne 
dem  Indogermanischen  eigenthümlich.  Das  Semitische  entbehrt  der- 
selben und  muss  sie  innerhalb  des  Satzes  durch  concreto  Nominal- 
formen und  innerhalb  des  Verbums  durch  den  Process  der  Wort- 
bildung ersetzen. 


F.  Die  Wortzasammensetzang. 

Die  Wortzusammensetzung  (Composition)  ist  ein  Übergriff  des 
Wortes  in  den  Satz.  Es  gibt  bekanntlich  viele  Sprachen,  bei  denen 
die  Sebeidong  von  Satz  und  Wort  gar  nicht  durchgedrungen  ist. 
Das  Indogermanische  ist  darin  sehr  massvoll,  indem  es  nur  jene 


14  Müller 

Abhäugigkeitsverhaltnisse ,  welche  zwischen  dem  Nomen  (auch  Pro- 
nomen) und  Adjectivum  stattfinden  können,  in  den  Bereich  der  Wort- 
bildung aufnimmt  Also  nur  Anschauungen  wie  „der  Stadtbewohner^^ 
„mein  Vater**,  schöne  Blume*',  können  in  einem  einzigen  Aus- 
druck vereinigt  <)  und  kann  dann  dieser  Ausdruck  wie  jedes 
andere  Wort  behandelt  werden.  Diese  Ausdrücke  zeigen  uns  die 
älteste  Wortstellung  der  indogermanischen  Sprachen,  wornach  der 
bestimmende  Ausdruck  stets  vor  dem  bestimmten  Platz  fand. 

Etwas  anders  verbalt  sich  die  Sache  im  Semitischen.  Dem 
Semitischen  sind  alle  Wortzusammensetzungen  des  Indogermanischen, 
bis  auf  jene,  worin  ein  Substantivum  durch  ein  Pronomen  bestimmt 
wird,  unbekannt.  —  Hier  ist  nur  Bestimmung  eines  Substantivums 
durch  ein  persönliches  Pronomen  gestattet  und  zwar  muss  vermöge 
der  ganz  umgekehrten  Wortstellung  des  Semitischen,  wonach  der 
bestimmende  Ausdruck  dem  bestimmten  stets  falgen  muss,  das  Pro- 
nomen dem  Substantivum  suffigirt  werden  a). 

Dass  dieser  Process  in  den  semitischen  Sprachen  ein  alter- 
t  h  ü  m  I  i  c  h  e  r  ist,  beweisen  namentlich  zwei  Umstände : 

1.  Der  Umstand,  dass  die  Pronominalsuffiie  stets  in  derselben 
kurzen  Gestalt  wie  bei  der  Verbalbildung  auftreten,  mithin  ebenso 
wenig  wie  hier  etwa  durch  Verkürzung  aus  den  vollen  Formen  ent- 
standen sein  können. 

2.  Der  Umstand,  dass  die  lautliche  Form  derselben  von  jener 
der  sowohl  in  den  vollen  Pronominalformen  als  auch  im  Verbum 
auftretenden  Elemente  grösstentheils  verschieden  ist. 

Neben  diesem  tiefgreifenden  Unterschiede,  welcher  zwischen 
Indogermanisch  und  Semitisch  sich  nachweisen  iässt,  findet  sich 
noch  ein  zweiter,  der  ein  viel  kühneres  Eingreifen  des  semitischen 
Wortes  in  den  Satz  als  dies  innerhalb  des  Indogermanischen  nach- 
gewiesen werden  kann,  offenbart. 

Das  Semitische  nämlich  ist  im  Stande  das  Object,  sofern  es 
durch  ein  Pronomen  ausgedrückt  ist,  mit  dem  Verbalausdruck  un- 
mittelbar zu  verbinden. 


0  Die  DvftDdvR-Compositioii  scheint  dem  Indo-Erdiiischen  ganz  eigenthurolich  su  Min 
und  das  Bahuvnhi  geht  bekanntlich  auf  ein  Karmadhäreyä  zurfick. 

*)  Wenn  von  einigen  Gelehrten  SubatantivComposita  (den  indogermaniachen  Tat- 
purtuhas  gleichbedeutend)  angenommen  wurden,  so  war  dies  ein  grober  Irrthnm. 


iDdogermitiiiach  und  Semititch.  i  5 

Das  Arabische  kann  dies  sogar  auf  zwei  Objecte,  ein  näheres 
und  ein  entfernteres  ausdehnen  <). 

Die  Form  der  Pronominalsuffixe,  welche  dabei  angewendet 
werden»  ist  mit  jener  der  Possessivsuffixe  identisch,  ein  Beweis,  dasa 
auch  dieser  Process  ein  al  t  er  th  um  lieber  ist  und  nicht  etwa 
durch  Zusammenrückung  der  einzelnen  Elemente  in  spaterer  Zeit 
entstanden  sein  kann. 

Cr.  Die  EntwicklirngsgescMclite  beider  Sprachstämme. 

In  der  Entwicklung  besteht  zwischen  Indogermanisch  und 
Semitisch  ein  Gegensatz,  wie  er  tiefer  und  einschneidender  kaum 
gedacht  werden  kann. 

Die  semitischen  Sprachen  gleiciien  eineib  aus  Granit  auf-» 
gefllhrten  Bauwerke,  das  allen  äusseren  Einflüssen  trotzt  und  sich 
immerwährend  unversehrt  erhält.  Durch  die  scharfe  Articulation  der 
Sprachlaute  und  das  Vorwalten  gutturaler  Consonanten,  sowie  des 
den  Gutturalen  am  meisten  verwandten  a-Vocales  sind  die  semitischen 
Formen  schon  in  ihren  Elementen  mehr  geschützt,  als  die  der  anderen 
Sprachen.  Dazu  kommt  noch  der  Bau  der  Silbe,  welcher  weder  im 
Anlaut  noch  im  Auslaute  Anhäufungen  von  Consonanten  duldet,  in 
denen  vornehmlich  der  Grund  der  Zersetzung,  welche  wir  innerhalb 
des  Sprachlebens  wahrnehmen,  gesucht  werden  muss. 

Der  Umfang  der  Worte  ist  innerhalb  der  semitischen  Sprachen 
sehr  massig;  so  langgedehnte  Formen ,  wie  wir  ihnen  innerhalb  der 
iDdogermanischen  Sprachen  gar  nicht  selten  begegnen,  sind  hier  nicht 
zfilassig.  Der  Accent  scheint  so  weit  als  möglich  vom  Ende  sich 
entfernt  zu  haben,  d.  h.  er  stsmd,  da  die  meisten  Formen  der  Sprache 
dreisilbig  waren,  sofern  er  von  einer  langen  vorletzten  Silbe  nicht 
festgehalten  wurde,  auf  der  drittletzten  Silbe. 

Durch  den  massigen  Umfang  wurden  die  Formen,  da  im  Geiste 
einer  flectirenden  Sprache  jedem  Worte  nur  ein  Hauptaccent 
zokommt,  wunderbar  conservirt. 


*)  WeiiB  die  aittel-  und  neupenischen  Oialekte  verbile  und  nominüle  ProDominal- 
Sviize  Mi^M,  BO  Itt  diet  anf  denBiafliMt  im  erttoo  Falle  der  armnAiscbeB  Sprechen« 
im  leUteren  de«  ArebUcben  lurüekzufjihren. 


1  ((  Müller 

Die  Summe  aller  Veränderungen .  welche  die  semitische  Ur- 
sprache in  Betreff  der  Formen  durchgemacht  hat  und  welche 
zusammengenommen  mit  dem  verschiedenen  Wortsatze  den  Unter- 
schied  zwischen  den  einzelnen  Sprachen  des  semitischen  Stammes 
begrOnden,  kann,  abgesehen  von  den  sporadischen  Erscheinungen 
der  Aspiration  und  der  Assimilation,  durchwegs  auf  den  Accent 
zuruckgefOhrt  werden. 

So  lauge  als  der  Accent  seine  Stelle  auf  der  drittletzten  Silbe 
behauptete»  war  der  Vocal  der  letzten  Silbe  durch  den  Gegenaccent, 
welcher  auf  ihr  ruhte ,  geschlitzt.  So  finden  wir  denn  auch  im  Ara- 
bischen, welches  die  eben  beschriebene  Accentuation  zeigt,  die  voca- 
tischen  Ausgänge  der  Worte  unversehrt  erhalten. 

Als  aber  der  Accent,  namentlich  bei  vocalisch  schliessenden 
Formen,  von  der  drittletzten  Silbe  auf  die  vorletzte  verrückt  wurde, 
ein  Process,  Melcher  namentlich  innerhalb  der  nordsemitischen 
Sprachen  frühzeitig  eingetreten  zu  sein  scheint,  da  zeigte  sich  eine 
Reihe  von  Veränderungen  innerhalb  des  Vocalismus,  unter  welchen 
folgende  als  die  wichtigsten  betrachtet  werden  können. 

1 .  Wurde  der  Vocal  der  betonten  Silbe  häufig  gelängt  oder 
gesteigert;  t  wurde  bald  zu  i,  bald  zu  t,  u  bald  zu  ü  bald  zu  ö. 

2.  Der  Vocal  der  letzten ,  auf  die  betonte  vorletzte  folgenden 
Silbe  wurde  in  den  kurzen  Vocal  i  geschwächt  und  schliesslich  ganz 
verflucht  igt. 

3.  Der  Vocal  der  drittletzten  nun  unbetonten  Silbe  wurde,  wenn 
sie  geschlossen  war,  ebenfalls  geschwächt  und  ging  dabei  a  bald  in  ^, 
bald  in  t  Ober. 

So  lange  man  im  Semitischen  die  Form  ta-Uulu  ndu  todtest*^ 
mit  dem  Acceut  auf  der  drittletzten  Silbe  aussprach,  wie  dies  im 
Arabischen  der  Fall  istt  konnte  sie  sich  unversehrt  behaupten. 
Sobald  aber  der  Accent  auf  die  vorletzte  Silbe  übersprang,  wie  dies 
im  Nordsemitischen  bald  eingetreten  zu  sein  scheint ,  entstanden  die 
Formen  te-kful,  ii-kföl,  wie  selbe  die  aramäischen  Sprachen  und  das 
Hebräische  darbieten.  Ebenso  sind  hebräisch  kdfal»  aramäisch  kefal 
y,er  hat  getodtet**,  durch  Veränderung  des  Accentes  aus  dem  im  Ara- 
bischen erhaltenen  ursemitischen  kalala  (auf  der  drittletzten  Silbe 
betont)  hervorgegangen. 

Die  Hauptveränderung,  welche  die  Formen  des  Semitischen  im 
Laufe  der  Zeit  erlitten  haben,  besteht  demnach  in  der  Zerrüttung 


lodogermaniach  und  Semitisch.  1  7 

der  Vocal  Verhältnisse,  d.  h.  in  der  Verkürzung,  der  Verlängerung» 
dem  Abfall  und  der  Zasammenziehung  der  Voeaie.  Diejenigen  Ver- 
änderungen, welche  die  Consonanten  betreffen,  kommen  dagegen 
beinahe  gar  nicht  in  Betracht;  sie  beschranken  sich  auf  den  Abfall 
und  die  Assimilation  des  n  an  folgende  consonantische  Laute  (nament- 
lich im  Nordsemitischen)  und  das  grossere  oder  geringere  Fort- 
schreiten des  Aspirations-  und  Assibilationsprocesses  in  den  ein- 
zelnen Dialekten.  Dadurch  aber  sind  auch  die  grösstentheils  con- 
sonantisehen  Formeleroente,  namentlich  die  Suffixe«  einerseits  ror  der 
Zersetzung  und  dem  Abfall  bewahrt ,  andererseits  nicht  der  Gefahr 
ausgesetzt,  mit  den  Stoffelementen  zusammengeschweisst  und  ihrer 
lautlichen  Selbstständigkeit  beraubt  zu  werden.  Eben  diesem  Um- 
stände, dass  nümlich  das  consonantische  Gerippe  der  Formen  mitten 
im  mannigfachen  Wechsel  der  Vocale  Tollkommen  unversehrt  bleibt« 
haben  die  semitischen  Sprachen  jenem  von  uns  oben  genannten  gra- 
nitenen Bau  zu  verdanken.  In  Folge  dessen  weichen  die  semitischen 
Sprachen,  wenn  man  von  dem  einer  jeden  derselben  eigenthumlichen 
Wortschätze  absieht,  von  einander  viel  weniger  ab,  als  wir  dies  an 
Sprachen  anderer  Stämme  wahrnehmen  können. 

Einen  von  dem  oben  geschilderten  ganz  abweichenden  Typus* 
bieten  die  indogermanischen  Sprachen  dar.  Hier  tritt  selbst  in  den 
älteren  Formationen  derselben  eine  Reihe  von  zersetzenden  Laut* 
Processen  auf,  welche  sich  sowohl  auf  die  Vocale  als  auf  die 
Consonanten  beziehen  9*  Der  anfänglich  auch  mit  Consonanten- 
gnippen  zulässige  Anlaut  wird  später  in  den  einzelnen  Sprachen 
einer  grosseren  oder  geringeren  Bescliränkung  unterworfen,  wo- 
durch die  Formen  im  Anlaute  bedeutende  Einbussen  erleiden.  Auch 
der  Auslaut  wird  eigenthflmlichen  auf  der  Erschlaffung  der  Articu- 
lationskraft  beruhenden  Lautgesetzen  unterworfen,  wodurch  das 
Wort  in  den  Suffixelementen  geschädigt  wird.   Nach  und  nach  stellt 


0  Die  wJchtifatoD  «of  di«  Vocale  besOglichen  LautgeaeUe  Bind:  Schwichung 
SchwuDd,  TrSbon^,  (darch  oagebende  Conson»ten)  Deliaung,  (naD«nUicli 
BrMtzdeliDOBg)  und  Umlaot  (durch  Baclifolgeode  Vocale).  Viel  nannlgfaltiger  aind 
die  auf  die  Conaonanten  •iek  beaieheDden  Geaetse,  deren  wichtigate  folgende  aein 
Bögen:  Organwecbael  (am  aoagedehnteaten  bei  den  Guttnralen,  welche  in  Dental» 
«Bd  Labiale  Bberapringen  können),  Palataliairnng  der  Gutturale  (in  den  erAoiachen 
«nd  indiachen  Sprachen  nnd  durch  folgende  e-  vnd  f-Vocale  veruraacht  in  den 


18  M  u  t  I  e  r 

sich  eine  gewisse  Scheu  von  Lautgruppen  im  Inneren  ein,  die  eben 
auch  in  der  Erschlaffung  der  Articulationskraft  begründet  ist,  womit 
das  vollständige  Zusammenschmelzen  der  Formelemente  mit  den 
Stoffelementen  eingeleitet  wird ,  so  dass  die  einzelnen  Wortformen 
in  dieser  Periode  Lautcomplexe  darstellen ,  die  ohne  Kenntniss  des 
nach  und  nach  eingetretenen  lautlichen  Processes  nicht  mehr  in  ihre 
ursprünglichen  Elemente  aufgelost  werden  können.  Durcb  diese  Vor- 
gänge können  Wortformen,  welche  ursprünglich  identisch  waren, 
ihre  Gestalt  derart  verändern,  dass  selbst  das  geübteste  Auge  und 
Ohr,  nach  den  Formen  selbst  zu  urtheilen,  gar  keine  Verwandtscbaft 
herauszufinden  vermögen. 

Wahrend  Anfangs  der  Accent  diesen  Veränderungen  ferne 
steht,  macht  sich  in  der  späteren  Sprachperiode  sein  Einfluss  immer 
mehr  und  mehr  geltend. 

Diese  soeben  in  Kurzem  beschriebenen  Processe  bringen  es  mit 
sich,  dass  mehrere  Spracbformen,  welcbe  Anfangs  lautlich  strenge 
geschieden  waren,  zusammenfallen,  wodurch,  da  der  Trieb 
der  Sprache  nach  Klarheit  und  Bestimmtheit  immer  derselbe  bleibt, 
die  Herbeiziehung  äussererHilfs mittel  nothwendig  erscheint. 

Diese  an  die  Form  von  aussen  tretenden,  aus  Stoffelementen 
gebildeten  Formelemente  suchen  dann  wieder  wo  möglich  mit  der- 
selben zu  verschmelzen,  so  dass  sich  der  Process,  wie  er  in  der 
Periode  der  Sprachbildung  bestand,  wenn  auch  zwischen  zwei  ver- 
schiedenen Factoren,  wiederholt.  Die  einzelnen  Sprachen  erhalten 
auf  diese  Weise  einen  ganz  eigenthümlichen  Typus,  in  welchem  sie, 
gegenseitig  mit  einander  verglichen,  kaum  den  gemeinsamen  Ur- 
sprung aus  einer  Quelle  ahnen  lassen. 


•laviachen  SprachenJ  und  der  Dentale  (im  Litauiachen),  Aapiration  vnd  AaaibilaUon 
(durch  die  umgebenden  Cooaonanten  oderVocale  hervorgerufen),  Zetaeiamua  (d.  h. 
die  Wandlung  des  y  in  «  oder  i  und  VersohmeUung  deaaelben  mit  dem  vorher- 
gehenden Conaonanten,  im  Grieehiachen  und  Altala viachen) ,  Anihnliehung  und 
Angleichung  (sowohl  nach  vorwXrta  ala  auch  nach  rfickwirta),  ferner  Ekthlipae. 
Alle  dieae  Proceaae  finden  aich  achon  in  den  ilteren  Formationen  des  Indoger- 
maniacben ;  in  den  jGngeren  Sprachen  nehmen  aie  in  Verbindung  mit  noch  anderen 
ao  aehr  überhand,  daas  die  alten  Wortformen  in  den  neuen  faat  gar  nicht  su 
«rliennen  aind. 


Indogermanisch  und  Semitisch.  1  9 


E  Schlussbetrachtung. 

Wir  haben  in  dem  bisher  Vorgetragenen  die  Form  der  semi- 
tischen und  der  indogermanischen  Sprachen  einer  vergleichenden 
Betrachtung  unterzogen  und  gefunden,  dass  hierin  zwischen  beiden 
gewaltige  und  tiefgreifende  Unterschiede  bestehen;  den  Stoff  haben 
wir  absichtlich  gar  nicht  berührt,  da  eine  tiefere  Untersuchung  des- 
selben uns  hier  zu  weit  fuhren  wörde.  Aber  wir  können  in  BetreiT 
desselben  doch  eine  Bemerkung  nicht  unterlassen,  pämlich  dass  eine 
sporadisch  nachweisbare,  begriffliche  und  lautliche  Übereinstimmung 
in  den  Form  dementen  (den  sogenannten  Pronominalwurzeln) 
zwischen  zwei  Sprachen  von  keinem  besonnenen  Sprachforscher  als 
Zeichen  gemeinsamen  Ursprunges  angeführt  werden  darf.  Die 
Pronominalwurzeln  sind  nämlich  einsilbige,  ursprünglich  nur  aus 
Vocal  oder  aus  Consonant  und  Vocal  bestehende  Lautcomplexe, 
welche  auf  relative  Verhaltnisse  hinweisen.  Üa  nun  weder  in  der 
einen  noch  in  der  andern  Bichtung  grosse  Variationen  möglich  sind, 
80  kann  entweder  ein  gewisses  subjectives,  überall  gleichmassig 
vorhandenes  Sprachgefühl  oder  der  hose  Zufall  an  solchen  Überein- 
stimmungen Schuld  tragen. 

Wenn  wir  nun  zwischen  den  beiden  uns  interessirendenSprach- 
stäinmen  verschiedene  Anlagen  in  Betreff  der  Form  und 
eine  diesem  entsprechende  verschiedene  Entwicklungsge- 
schichte wahrnehmen,  so  werden  wir  wohl  keinen  Fehlschluss 
machen,  wenn  wir  den  Ursprung  heider  aus  einer  gemeinsamen 
Quelle  laugnen. 

DenA  wenn  wir  annehmen,  dass  beiden  Sprachstämmen  eine 
nun  nicht  mehr  existirende  in  ihnen  aufgegangene  Ursprache  zu 
Grunde  liegt,  so  müssen  wir  dann  ferner  annehmen,  dass  die  Anlagen 
ihrer  Form  der  Form  des  einen  oder  des  anderen  Sprachstammes 
gleich  gewesen  sind,  und  mithin  diese  Ursprache  entweder  im  Indo- 
germanischen oder  im  Semitischen  fortlebt.  Dann  waren  aber  auch 
weiter  die  Gründe  nachzuweisen  und  zu  erklären ,  welche  den  einen 
Spraehstamm  zu  einer  von  dem  andern  total  verschiedenen  Ent- 
wicklung der  Form  gedrängt  haben.  Wenn  man  beide  Sprachstämme 
vom  rein  formalen  Standpunkt  betrachtet,  so  zeigt  gewiss  der 
semitische  eine  viel  grössere  Alterthümlichkeit  und  UrsprOnglichkeit 


20  Müller,  ln<logermaaiach  und  Semitisch. 

als  der  indogermanische.  Demnach  wfire  die  indogermanisch-semi- 
tische Ursprache  mehr  dem  Semitischen  als  dem  Indogermanischen 
nahe  gestanden.  Die  Forschung  hätte  daher  die  Grunde  zu  ent- 
wickeln» welche  zu  einer  Abweichung  des  Indogermanischen  von 
dem  ursprünglichen  Typus  gefuhrt  haben  und  die  Gesetze  nach- 
zuweisen, nach  welchen  dieselbe  eingetreten  ist. 

Die  über  das  supponirte  Verwandtschaftsverhaltniss  zwischen 
Indogermanisch  und  Semitisch  bisher  angestellten  Untersuchungen, 
wenn  man  sie  überhaupt  also  nennen  kann,  haben  die  ganze  Sach- 
lage umgekehrt  und  das  Indogermanische  für  alterthumlicher  als 
das  Semitische  angenommen.  Denn  nur  unter  dieser  Voraussetzung 
begreift  es  sich,  dass  in  den  semitischen  Verbal  wurzeln  der  Eine 
indogermanische  Nominalbildungen,  der  Andere  indogermanische  mit 
Präpositionen  componirte  Wurzeln  wittert  und  ahnliche  grundlose 
Behauptungen,  welche  die  Wissenschaft  strenge  zurückzuweisen 
verpflichtet  ist 


T.  Schulte,  Zar  Geschieht«  der  Ltteretur  über  das  Dekret  Gmliant.  III.       2 1 


Zur  Geschichte  der  Literatur  Ober  das  Dekret 

Gratians. 

Dritter  Beitrag. 
Von  Dr.  Job.  Friedrich  Ritter  v.  Schulte, 


Erstes  Capitel*). 

Die  Introductiones,  Margaritae,  Excerpta  des  Dekrets. 

I.  Mit  dem  Decrete  Gratian's  und  seiner  Behandlung  durch  die 
Schule  zu  Bologna  war  für  das  canonische  Recht  eine  vollständige 
Umwandlung  erfolgt.  Bis  zu  diesem  Zeitpunkte  gah  es  keine  einzelne 
Sammlung,  welcher  die  beiden  Merkmale:  Vollständigkeit  hinsicht- 
lich des  Stoffes  und  uubezweifeltes  allgemeines  Ansehen  zukamen. 
Wohl  genossen  einzelne  Sammlungen  bedeutendes  Ansehen,  wie 
das  Decret  Burchard^s,  die  Pannormie  Jyo's;  dies  ergeben 
schon  allein  die  vielen  Citate  aus  dem  ersteren  bei  den  Glossatoren 
des  zwölften  Jahrhunderts  und  die  ebenfalls  erweisbare  allgemeine 
Bekanntschaft  mit  der  letztern.  Aber  schon  die  geringe  Zahl  der 
Handschriften  vorgratianischer  Sammlungen ,  welche  auf  uns  ge- 
kommen sind,  durfte  als  Beweis  gelten,  dass  die  Verbreitung,  min- 
destens der  tägliche  Gebrauch  derselben  keine  auch  nur  entfernt  mit 


*)  Allen  Handschriften,  welche  ich  nicht  selbst  gesehen  habe,  setze  ich  ein  *  vor, 
sofern  ieh  nicht  atisdrficklich  bereits  angebe,  worauf  ich  mich  stütze.  Die  ange- 
fahrten P  r  a  g  e  r  und  franzdsiachen  Handschriften  habe  ich  beschrieben 
in:  CaaoniMische  Handschriften  der  Bibliotheken  ...  in  Prag.  1868.  4  (Abhandl. 
der  kön.  bdkm.  Gea.  d.  Wiss.  VI.  F.  II.  Bd.  1869),  und  Iter  GaUicum  (in  diesen 
Sitz.  Ber.  LIX.  B.  S.  355^496),  Wien.  1868. 

Sitzb.  d.  (»!iil.-hi8t.  CI.  LXV.  Bd.  I.  Hft.  3 


22  r.   Schal  t» 

der  Verbreitung  des  Decrets  ähnliche  Dimensionen  angenommen  hat. 
Vielleicht  wendet  man  ein :  es  mögen  die  meisten  Handschriften  ver- 
loren gegangen  sein.  Ich  gestehe  aber,  dass  ich,  ohne  selbstver- 
ständlich die  Thatsache  zu  bestreiten,  dass  durch  Brand,  Verbrauch, 
Vandalismus  u.  s.  w.  viele  Manuscripte  verloren  gegangen  sind,  auf 
jenen  Einwand  kein  grosses  Gewicht  lege.  Einmal  nämlich  glaube  ich 
überhaupt  nicht  an  die  traditionelle  Erzählung  von  solchem  Unter- 
gange, weil  die  Menge  der  aufbewahrten  Handschriften,  so  wie  der 
Umstand  dagegen  spricht,  dass  mit  Sicherheit  nicht  behauptet  werden 
kann,  es  sei  ein  einziges  Werk  verloren  gegangen  0.  Sodann  wäre 
ein  Verlust  durch  Brand  u,  s.  w.  doch  immer  nur  in  beschränktem 
Umfange  eingetreten.  Finden  sich  also  —  und  das  ist  der  Fall  — 
von  manchen  Sammlungen  in  weiten  Ländern  keine  Handschriften, 
so  darf  man  auf  geringe  Verbreitung  schliessen.  Der  wirkliche  Ge- 
brauch der  altern  Sammlungen  zeigt  sich  viel  mehr  durch  Benutzen 
für  Anfertigung  neuer  Sammlungen  zu  besonderen  Zwecken. 
Hieraus  erklärt  sich  die  enorme  Zahl  von  Sammlungen  aus  dem  10., 
il.  und  Anfange  des  12.  Jahrhunderte,  welche  noch  ziemlich  über 
die  allgemein  bekannte  hinausgeht.  Für  diese  Sammlungen  bilden 
bald  diese,  bald  jene  älteren  die  Quelle.  Mit  einem  Schlage  nimmt 
seit  dem  Auftauchen  des  Decrets  dieser  ganze  Zweig  der  Lite- 
ratur eine  andere  Gestalt  an.  Das  Anfertigen  von  Sammlungen,  die 
das  im  Decrete  aufgenommene  Material  enthielten,  hörte  gänzlich 
auf;  nur  das  Neue  und  das  übersehene  Alte  sammelt  man.  Selbst 
das  Absehreiben  der  vorgratianischen  Sammlungen  wird  selten  <). 
Die  eigentliche  Literatur  concentrirt  sich  auf  und  um  das  Decret. 
Hierin  liegt  zugleich  der  Beweis  von  dessen  allgemeiner  und  unbe- 


^)  Bereits  im  18.  Jahrhundert  lagen  Schriften  in  Bibliotheken  vergntbea,  die  Anser 
Jahrhundert  zu  Tage  gefördert  hat;  die  g'röuten  Literarhistoriker  des  13.  und  14. 
Jahrhunderts  haben  manche  Schrift  nicht  gekannt,  die  wir  kennen.  Welche 
Hasse  von  Handschriften  viel  benutzter  Werke  es  gab,  beweisen  die 
zahlreichen  von  den  Werken  einzelner  Vfiter  z.  B.  mancher  Sachen  von  Augustinus 
Ilieronymus  u.  s.  w. 

*)  Um  ein  Beispiel  zu  geben.  Von  den  67  Codd.  ms.,  die  H  I  n  s  e  h  i  n  s  iu  der 
Praef.  zur  Ausg.  der  DeeretateM  Fteudoitid.  angibt,  sind  17  jünger  als  du  12.  Jahrb. 
Dazu  kommt  nun  fiir  filtere  und  jüngere  noch  eine  Anzahl,  die  er  nicht  kennt,  das 
Verhaltniss  wird  aber  nicht  alterirt.  Und  doch  hatte  man  darin  besonders  eine 
ziemlich  vollstündige  Sammlung  der  Canones  der  alten  Concilien. 


Zar  Geschichte  der  Litemiar  Aber  das  Dekret  Gratiant.  III.  23 

^trittener  Autorität.  Einen  weitern  liefert  die  Art  der  Schriften»  denen 
<lies  Capttel  gewidmet  ist 

n.  Der  Umfang  des  Dekrets  gestattete  nieht,  dass  sich  Jeder 
ohne  grosse  Kosten  in  seinen  Besitz  setzen  konnte  <).  Gleichwohl 
n-Qrde  dasselbe  allenthalben  in  der  kirchliehen  Verwaltung  unent- 
bebrlieb,  seitdem  die  Durchbildung  der  rechtlichen  Verfassung  der 
Kirche  aod  die  grosse  Coinpetenz  der  Kirche  in  Rechtsangele- 
genheiten  nach  der  Mitte  des  12.  Jahrhunderts  wohl  nicht  ohne 
maassgebenden  Einfluss  des  Decrets  sich  Tollzogen  hatte.  Es  lag 
somit  Dahe,  für  das  allgemeine  Bedurfniss  und  die  nächste  Orienti- 
rung  Werke  anzufertigen,  welche  den  Inhalt  der  wich- 
tigeren Gesetze  wiedergaben*). 

Unzweifelhaft  trat  aber  dieses  Bedurfniss  für  das  Decret  sofort 
ein»  weil  die  grösseren  Werke  (Apparätus^  LeciuraeJ  sich  regel- 
mässig dem  Texte  anschlössen.  Denn  dadurch  erreichten  sie  entweder 
einen  sehr  grossen  Umfang  oder  setzten  doch  die  Kenntntss  des 
Textes,  beziehungsweise  den  Vortrag  eines  Lehrers  voraus.  Aus  diesem 
Üedurfoisse  erklärt  sich  zugleich»  wesshalb  neben  dem  Commentiren 
des  Textes  schon  bald  Werke  aufkommen,  welche  im  Wesentlichen 
Repertorien  sind»  wie  die  von  Simon  de  Bisiniano,  Sige- 
•faardus  von  Cremona,  oder  im  eigentlichen  Sinne  als  Summen 
sich  nur  an  die  Folge  der  Materien  und  die  Ordnung  des  Decrets» 
nicht  aber  an  die  einzelnen  Capitel  halten»  folglich  bereits  einen 
systematischen  Charakter  haben»  wie  die  Summa  ColomensM-  Nicht 
minder  wird  begreiflich,  dass  man  froh  für  die  praktisch  wichtigsten 
Gebiete  des  Rechts:  Civilprocess»  Strafrecht,  Eherecht»  Monogra- 
phien Terfasste»  wie  deren  in  grosser  Zahl  aus  dem  12.  Jahrhundert 
zwar  bisher  nicht  allgemein  bekannt  waren»  aber  vorhanden  sind. 
Wenn  ich  dessbalb  im  Folgenden  über  eine  Anzahl  von  Werken 
dieser   Art  meines  Wissens  zum  ersten  Male  berichte»  so  glaube  ich 


1)  D  i  « t  ergebeo  die  bei  r.  S  n  v  i  g  n  y  Gesch.  d.  Rom.  Rechts  III.  S.  593 
»isaMaeogesteUtea  Daten.  Deun  wenn  z.  B.  1104  in  Pisa  ein  Dlgpestum  iiovuni 
32  Tkir.  12  ;r.  kostete,  so  hat  du  Decret  gewiss  mehr  gekostet.  Diese  Snmmij 
iot  al»«r  f5r  jene  Zeit  sehr  hoch.  Und  anch  das  Miethen  war  nieht  billig.  Vergl. 
daselbst  S.  5S4  ff.  mit  dem  Anhange. 

S)  EÄmt  ibnlicbe  Erscheinung  haben  wir  auf  dem  Gebiete  des  deutschen  Recht«  i.  B. 
fir  den  Sachsenspiegel.  .Mein  Lehrb.  der  deutschen  Reichs-  und 
Ac«llUgesek.  t,  Aufl.  Seite  162. 

3» 


24  V*   Schalte 

für  die  Literatorgeschichte  des  canonischen  Rechts  keinen  gans  un- 
Avichtigen  Beitrag  geliefert  zu  haben.  Noch  eine  Benneriiung  sei  mir 
zum  Schlüsse  gestattet. 

m.  Auf  Bologfia  hat  sich  die  Behandlung  des  Decrets  in  Vor- 
trägen auch  im  12.  Jahrhundert  nicht  heschränkt,  eben  so  wenig^ 
auf  Bologna  und  Paris.  Immerhin  gab  es  aber  sicher  wenige  Orte^ 
wo  über  das  Decret  eigentliche  Lehrvortrage  gehalten  wurden.  Um 
so  grösser  war  an  anderen  Orten,  in  anderen  Diocesen  und  Landern 
das  Bedflrfniss  nach  Schriften,  welche  leicht  zugänglich  und  ohne 
Lehrer  und  gelehrten  Apparat  verständlich  waren.  Dies  erklärt  denn 
auch,  wesshalb  sich  die  Schritten  dieser  Art  ganz  besonders  ausser- 
halb Bologna  und  Paris,  vorzuglich  aber  in  Deutschland  finden. 
Die  Erörterung  der  folgenden  Werke  durfte  den  Beweis  liefern,  dass 
diese  Bemerkungen  das  Resultat  der  genauen  Untersuchung  der 
Schriften  selbst  und  der  Betrachtung  der  Literatur  jener  Zeit  sind. 
In  dem  Charakter  solcher  Schriften  liegt  es,  dass  sieh  der  Verfasser 
fast  nie,  eben  so  deren  Alter  nur  aus  zufalligen  äusseren  Um- 
ständen, endlich  der  Ort  der  Entstehung  regelmässig  nur  schwer 
bestimmen  lässt.  Das  möge  zur  Entschuldigung  dienen,  wenn  die 
Folge  der  zu  besprechenden  Werke  eine  willkürliche  zu  sein  scheint» 

I.  Introductiones. 

§.  1.  Mit  dem  Decrete  in  der  Art  verbunden,  dass  sie  dem 
Texte  der  Pars  I.  und  II  vorangeht,  findet  sich  eine  Einleitung^ 
welche  anfängt:  „In  prima  parte  agitur  de  justitia  naturali  etpositiva 
tam  constituta,  quam  inconstituta  quae  cui  proponatur.  De  iure  civili  et. 
ecciesiastico,  quod  cui  praeponatur.  De  auctoritate  etiam  canonicarum 
scripturarum  conciliorum  tam  generalium  quam  provincialium**.  Sie 
bietet  lediglich  eine  kurze  Inhaltsangabe  der  Distinctionen,  ist 
ausfQhrlicher  bei  den  Causae  und  Quaest.,  behandelt  in  der  C.  33. 
auch  den  tract.  de  poenitentia,  findet  sich  aber  gerade  in  alten  Hand- 
schriften, besonders  des  12.  Jahrhunderts,  so  dass  sie  ohne  Zweifel 
in  die  früheste  Zeit  hinaufreicht.  Dies  scheint  mir  anzudeuten,  dass 
man  dem  Vortrage,  was  auch  an  sich  leicht  begreiflich  ist,  eine  kurze 
Übersicht  des  Inhalts  vorausschickte.  Bedenkt  man,  dass  ziemlich 
früh  die  Zahl  der  Capitel  abwich  und  dadurch  die  älteste  Methode, 
auch  nach  Zahlen  zu  citiren,  der  ausschliesslichen,  mit  den  Anfangs- 
worten  zu    citiren,    Platz   machte:  so  steigt   die  Bedeutung  einer 


Zor  Geschichte  der  Liieiiitiir  fiher  dM  Dekret  Gratiant.  IH.  25 

solchen  Einleitung,  weil  sie  im  Ganzen  den  Anhalt  bot  zum  Auf- 
soeben  der  Stellen.  Zu  dieser  Erwigüng  führt  mich  ganz  besonders 
der  Umstand,  dass  alphabetische  Verzeichnisse  der  einzelnen  Capitel, 
ja  aufh  Capitelverzeichnisse  überhaupt  in  alten  Handschriften  des 
Decrets  oder  auch  selbststSndig  nur  sehr  selten  Torkommen  i). 

Ich  habe  diese  Einleitung  gefundenen: 

Cod.  membr.  saec.  XII  auf  XflL'  des  b5hm.  Museums  zu  Prag 
sign.  I.B:  1.,  —  Num.  34  der  Stadtbibl.  zu  Grenoble;  —  A.  28., 
der Stadtbibl. zu  Toulouse,  —  Num.  »06.,  der  Stadtbibl.  zu  Trier 
fol.  mbr.  saec.  XIII.  In  dieser  Handschrift  füllt  die  Einleitung,  die 
aber  defeet  ist  und  mit  C.  XXXIII.  mitten  im  Satze  Hufhört,  8  Blätter 
mit  je  zwei  Columnen  zu  je  53  Zeilen«)»  —  Fulda  D.  24.  mbr.  fol. 
saee.  XIV.  Maassen  Beitrage  S.  12  gibt  5  Mflnchnar  Hand- 
schriften an  mit  der  Bemerkung,  dass  dieselben  entweder  gar  keine 
Glossen  haben  oder  in  denselben  keine  Uecretalen  citirt  werden.  Die- 
selbe ist  weiter  enthalten  in  Nuip.  191,  192.  454  sa^c.  XIII.  von  * 
Saint-Omer  mit  der  Glossa  ordinaria. 

Den  Charakter  eines  lohaltsver^eicfinisses  trägt  eine  häufig  in 
Handschriften  vorkommende,  bisweilen  Distinctiones  decretorum  ge- 
nannte  Übersicht,  welche  die  einzelnen  Distihctionen  und  Quästionen 
als  Rubriken  hinstellt  und  dadurch  in  Form  von  Schlagworten  den 
Inhalt  angibt.  Sie  beginnt  meistens ;  „Dist.  pHma  de  jure  divino  et 
hnmano,  de  jure  naturali,  gentiom  et  civili.  D.  II.  de  diversis 
speeiebus  legum  saecularium.  D.  IT.  de  legum  Institutionen.  Obwohl 
hie  iihd  da  abweichend,  finden  sich  solche  Verzeichnisse  im  Ganzen 
S0  gleichmässig  und  aligemeia  in  Handschriften  vom  XIL  .lahnbundert 
aa,  dass  ihr  Ursprung  aus  dem  XII..  Jahrh.  kaum  eiaem  Zweifel  unter*^ 
werfen  sein  kann. 

Mit  dem  Texte- des  Decrets  verbunden  ist  es  enthalten 
z.  B.  in  der  Handachrift: 

*Saint-Omer  Num.  452*  s.  XIII. 

Ohne  den  Text  des  Decrata  enthält  es  die  Handschrift : 


I)  Mir  ui  kUber  noch  kein  solches  aus  dem  XII.  Julirhandert  vorgekommen. 

*)  Uicse  Haadsckrifl,  welr.be  die  Glosse  des  Johnniies  Teutontcus  hat,  ist 
dadveh  interessaot,  dass  sie  im  ApVirAte*  begannt:  'Coneordia  discordantium 
casoaem  iazta  detennioationem  Gratiaoi  epUcopi.*  Diese  vod  Kobertns  de 
M««t#€r*n.  ad  a.  1180(PertK  Mon.  Vlll.  p.  430.  'tiratinaus  eprscopus 
Clnsieus*)  nit^etheilte  Angabe  findet  sieh  sehr  selten  in  Handi»ehHft«n.  ■ 


26  T.   Schulte 

Tours  num.  347  saec.  XIV. 

Berlin  kön.  Bibl.  ms  lat.  4<».  Num.  192.  s.  XIV. 

II.  Summae  metricae. 

§.  2.  Denselben  Charakter  der  blossen  Einleitung  und  allge- 
meinsten Orientirung  tragen  an  sieh  die  unter  dem  Namen  Summae- 
versificatae^  Veram  deeretorum  u.  s.  w.  vorkommenden  kurzen  In- 
haltsangaben. Sie  geben  zurück  bis  in  die  älteste  Zeit  und  biete» 
eine  grosse  Mannigfaltigkeit.  Die  Methode  Avird  sich  .  aus  einigeR» 
Beispielen  ergeben. 

a^  eine  anfangend : 

Prima,  sequens  leges  distinguit,  tertia  canon 
Quid,  cur  lex;  quarta  qualis  quoque  debeat  esse. 
Ipsa  jejunat  clerus  thelefore  tecum. 
Quinta  dat  ecciesiam  parienti  tempore  quovis. 
Nee  Tu|t  in  culpam  parienti  yertere  poenam. 

Handschrift:  Cod.  ms.  lat.  fol.  231  der  Berliner  kon.. 
Bilil.  saec.  XII.  auf  XIII.  fol.  119*  —  121*. 

b)  eine  zweite  anfangend: 

I.  dulce  quod  humanum  jus  divinumque  yocatur; 

II.  hie  jus  humanum  per  singula  membra  notatur; 

III.  tertia  quare  sonat  lex  ecclesiastica  canon ; 

IV.  ecce  quarta  sonat  cur  condita  Jura  fuerunt 

Handschrift:  Num.  K66  saec.  Xllf.  zu  Tours  Stadtbibl. 

e)  In  Handschriften  vom  XIV.  Jahrhundert  ab  werden  sie  um- 
fangreicher,  und  in  einzelnen  Formen  zugleich  allgemein  verbreitet» 
Dahin  gebort  eine  anfangend: 

Tres  partes  habet  iste  liber.  Distinctio  primae 
Nomina  dat  parti,  cum  per  centum  sit  et  unam 
Parliculas  distincta  docens  divisio  quae  sit 
Juris,  quae  species,  actus  quis  canonis  et  quod 
OiHcium  cleri . .  . 

Handschriften:^  Prager  Univers.  I.  B.  28.  saec.  XV.») 
*BibL  zu  Troyes  num.  1470. 


<)  Vorher  geht  noch  eine  in  meinen  Präger  Hendschr.  8.  27.  ebgedr.  Einleitung-. 
—  Die  Summe  fnllt  41  Blitter  kl.  fol.  mit  gegen  1800  Versen. 


Zur  Geschichte  der  Literatur  uher  das  Dekret  Gratlaat.  III.  27 

Die  vor  den  Ausgaben  abgedruckte  setze  icb  als  bekannt  ror- 
aas.  Die  älteren  sind  regelmassig  nicbt  in  Handschriften  des  Decrets 
enthalten»  sondern  bald  in  den  sogenannten  modus  legendi  bald  mit 
andern  Summen  verbunden^  wie  in  den  zwei  unter  cj  genannten 
Handschriften. 

d}  Gegen  den  Ausgang  des  XU.  Jahrhunderts  wurden  solche 
metrische  Summen  nicht  bloss  auf  Grund  des  Textes  verfasst»  sondern 
unter  Zugrundelegung  einzelner  Summen  Ober  das  Decret  Zugleich 
nahmen  sie  den  Charakter  metrischer  Compendien  an  und  er- 
streekten  sich  auch  wohl  nur  auf  einzelne  Materien.  Zu  den  interessan- 
teren dieser  Art  gebort  die  Handschrift  der  kaiserlichen  Hof- 
bibliothek zu  Wien  Nr.  2221  in  4«.  Sie  enthält  Yon  fol.  4S* 
fünfte  Zeile  bis  S$^  vierte  Zeile  von  einer  Hand  des  XUI.  Jahrhunderts 
eine  Tersificirte  Darstellung  des  Eherechts  auf  Grund  des 
Deeretum  Gratian^s  Causa  XXVH — XXXVI.  mit  der  Rubrik: 

MeduUa  matrimoniu 
und  beginnt: 

Ardua  temptantes  sub  metrica  iura  medullam 
Legitimi  nexus  rauca  licet  usque  cicuta 
Taxamus,  et  acriptis  intentes  huguitionis 
Materiamque  damus  si  forte  quis  inclitus  ista 
Altisono  pompare  stilo  relit  ac  pede  digno. 
Nam  labor  iste  rüdes  cum  sit  rudis,  imbuit  aures. 

Auf  diese  Einleitung  folgt  aus  Gratian  die  Einleitung,  '  Quidam 
votuniL  zur  Causa  XXVH.  Gerade  so  steht  vor  jeder  der  folgenden 
Causae  die  Einleitung  Gratian's  wörtlich.  Neben  dem  Texte  ist  immer 
die  Zahl  der  Causae  angegeben»  regelmässig  auch  die  der  Quaestio. 
Die  Behandlung  selbst  ist  ungleich,  da  bald  eine  längere,  bald 
kürzere  Darstellung  gegeben  wird.  Um  die  Methode  zu  kennzeichnen, 
mögen  einige  Stellen  folgen : 

C.  XXVH.  Q.  I. 

Legislatores  tradunt  jurisque  periti. 

Hie  distinguendum:  mentem  canonumque  sciendum. 

Quippe  superficie  qui  discordare  videntur. 

Sed  rationis  ppe  mediante  reconciliantur. 

Scilicet  est  simpIex,  est  quod  solemne  vocamus 

Votum,  diverse  sortitum  nomen  ab  actu. 


28  V.    S  c  h  u  1  t  e 

Nam  solemne  solet  de  praesenti  profiteri. 
Ut  promitto  deo  quod  semper  virgo  manebo, 
Ast  de  venture  simplex  Tult  uaqiie  Toveri. 
Ut  me  victurum  spondebo  coelebe  vita. 
Quidam  distiguunt  aliter,  simplex  referentes. 
Quod  Sit  in  oceulto,  vel  non  soiemniter.  At  noo. 
Veti  naturam  celebratior  adiuvat  actus. 
Nee  premit  occultus;  ergo  quodcunque  iiquebit 
Constans  eeclesiae  iuste  solemne  tenendum  est. 
Quae  nisi  de  notis  per  se  vel  teste  probatis 
Judicat,  arbitrio  domini  seereta  relinquens. 
Cum  Votum  simplex  nee  non  solemne  notetur, 
Copula  legitima  per  simplex  non  dirimetur. 
Verum  solemni  voto  quiennque  tenetur. 
Sortiri  tbalamum  nulla  ratione  tenetur. 
Quem  si  de  facto  tentabit»  eo  spolietur. 
Quisquis  ob  annexa  voto  venerandus  habetur 
Censura  caiionum  sub  idem  punctum  revocetur. 

•         •,»•■ 
Est  diversarum  varius  mos  ecclesiarum ; 
De  vita  cleri.  Conceditur  uxor  haberi 
Eoo  sub  sole  sitis,  ubi  presbyter  omnis 
Lege  maritali  fruitur;  secus  esse  probatur. 
Orbe  sub  occiduo,  quia  coniugium  sacer  ordo 
Impedit  et  dirimit,  sed  quiitbet  inferior! 
Ordine  eontentus,  si  vult,  valet  esse  maritus. 
Talis  at  officium  clerique  stipendia  perdet. 
Si  tamen  annexum  regimen  teiiet  ecclesiarum 
Nee  personatum  nee  babens  curas  animarum 
De  pietate  licet,  ut  ab  ecclesia  toleretur 
Victum  percipere,  si'cui  fuit  adtitulatus. 

Über  den  Verfasser  ist  nichts  zu  entnehmen»  eben  so  wenig 
über  den  Ort  der  Abfassung.  Vl^as  die  Zeit  betrifft,  so  fallt  die  Ab- 
fassung wohl  bald  nach  Huguccio,  jedenfalls  vor  121S,  weil  die 
Verwandtschaft  bis  zum  7.  Grade  als  Ehehinderniss  und  drei  Arten 
der  Affinität  aufgezahlt  werden.  Zu  C.  XXXV.  q.  8.  wird  dem  Papste 
das  Recht,  im  1.  und  2.  Grade  zu  dispensiren,  abgesprochen,  für  die 
fernereu  aber  ihm  allein  beigelegt. 


Zar  Geachichto  der  Ufctnitar  fiker  das  Dekret  Gmtiaiu.  III.  20 

Die  Qu.  III.  C.  XXXUL  wird  gleiebfalls  in  rier  Zeilen  behandelt, 
so  dass  hieraus  wiederum  auf  deren  Vorhandensein  bei  Haguceio 
zu  schliessen  ist. 

e}  Unmittelbar  an  dieses  Stück  scUie&st  sich  fol.  5S^  von  der 
5.  Zeile  bis  60  zu  Ende  eine  versificirte  Inhaltsangabe  der 
Causa  L  bis  XXVL,  welche  nach  der  Art  der  Bearbeitung  den- 
selben Verfasser  zu  haben  scheint.  Sie  beginnt: 

Q.  I.  C.  L     Gratia  virtutes  miracula  signa  salutes 

Cum  gratis  dentur  nisi  gratis  non  retinentur. 
Ordo  datus  pretio,  nisi  non  sciat,  accipientes 
Commaculat,  stringitque  scelus  par  distribuentes, 
Eeclesiae  iura  pretio  si  quaeris  habere 
De  faoto  sed  non  de  iure  potes  retinere. 

III.  Alphabetische  Breviaria,  Margaritae. 

§.  3.  Am  Nächsten  kommen  der  voi*hergehendeu  Classe  jene 
Werke,  die  kurz  den  Inhalt  des  Decrets  in. alphabetischer  Folge  an- 
geben. Sie  dienen  damit  sowohl  zum  Auffinden  der  Canones  als  auch 
zum  Nachschlagen  und  Orientiren  über  das  Recht  selbst,  ersetzen 
daher  für  den  ersten  Gebrauch  scheinbar  ein  Compendium.  Hierin 
liegt  der  Grund  ihrer  grossen  Verbreitung.  Da  mir  jedoch  weder  in 
Handschriften,  die  über  das  13.  Jahrhundert  hinabgehen,  noch  bei 
ikeren  SchriftsteUern  solche  vorgekommen  sind,  schliesse  ich  sie 
TOD  dieser  Darstellung  aus.  Dagegen  glaube  ich  wenigstens  darauf 
hinweisen  zu  dürfen ,  dass  es  ihrer  verschiedene  gibt,  worunter  das 
verbreitetste t)  ist  das  des  1277  verstorbenen  Dominikaners  Mar* 
tinnsPolonus  (^Margarita*),  tabula  Mai*tiniana  genannt.  Alter 
ist  des  Johannes  de  Deo  tabula  decreti.  Ein  ähnliches  machte  der 
am  24.  Juni  1349  zu  Avignou  verstorbene  Cardinal  Petrus  Her- 
traadus*).  Verschiedene  anonyme  existiren  handschriftlich,  z.  B. 
eines,  welches  anfängt: 

'Abba$  ordinat  lectionem:  LXIX.  d.  quanquavu  Item  non  po- 
test  cogere  monachum  ad  illicita:  XI.  q.  ult.    siquis  et  tres  ibique 


0  Stintxing.  Populfire  Gesch.  S.  127  fg.  fuhrt  19  SeparaUus^aben  bis  iS13 
auf;  es  steht  hinter  dei  neteiea  glossirten  Ausg.  de«  Decrets. 

')  iaiiugz  'a.  est  primu  literu  latioomoi  et  ca  est  ultia«  litem  graecoruin*. 
Hauds«hr.  Tours  num.  599. 


30  T.   8  eh«  It  0 

sequentes.   Item  non  potest  absque   liceatia  episcopi  presbyterum 
in  parochta  instituere:  XVI.  q.  II.  §.  p*.  et  secundo.* 

Handschrift:  Berliner  kön.  Bibl.  Cod.  ms.  )at.  4^  membr. 
Num.  209.  saec.  XIV.  auf  XV.  jedoch  defect  am  Ende,  er  hört  auf  in 
*puerieia.* 

Ein  ferneres  enthält  der  Cod.  mbr.  s.  XV.  in  4^  Fol.  89—150' 
der  Wiener  Hof  bibl.,  anfangend: 

'Abbatis  electio  . . .  Abbas  in  monasterio  non  per  episcopum  . .  .* 
endigend  mit  *Z€his\ 

IV.   Decretum  abbreviatum»  Excerpta  decretorum. 

Diese  Classe  von  Schriften  hat  einen  wesentlich  verschiedenen 
Charakter.  Sie  geben  kurz  den  Inhalt  des  Decrets  in  der  Folge  der 
Canones  in  doppelter  Weise.  Die  einen  legen  das  alleinige  oder 
Hauptgewicht  auf  die  kurze  Wiedergabe  der  Rechtssätze,  ohne  auf 
die  Angabe  der  Quelle  zu  achten,  die  andern  halten  sich  in  der  näher 
darzulegenden  Weise  aiv  das  Decret  noch  genauer.  Letztere  halte 
ich  für  älter,  wesshalb  ich  si^  zuerst  behandle. 

a.  Unter  ihnen  durfte  den  ersten  Platz  hinsichtlich  des  Alters 
einnehmen  das  Excerpt,  welches  unter  dem  Namen 

Liber  aureus  decretorum  concordatorum 

in  einer  Pergamenthandschr.  des  XII.  Jahrh,  Nr.  88  (181)  der 
Stiftsbibliothek  zu  Gottweig  fol.  1 — 22»  enthalten  und  von  mir 
nach  derselben  in  einer  kleinen  Festschrift  <)  besprochen  worden 
ist.  Es  schliesst  sich  genau  an  die  Folge  des  Decrets  und  gibt  eine 
Zusammenstellung  der  auf  den  kürzesten  Ausdruck  reducirten  Rechts- 
sätze, wie  solche  theils  schon  in  6ratian*s  Summarien  enthalten 
sind,  (heils  erst  aus  den  Canones  selbst  abstrahirt  werden  müssen. 
Für  das  hohe  Alter  zeugt  der  Umstand,  dass  nicht  eine  einzige  Palea 
berücksichtigt  ist,  dann  keine  Erwähnung  von  Distinctionen  ge- 
schieht, vielmehr  die  Pars  I.  als  ein  Stück  erscheint,  während  die 
Causae  äusserlich  geschieden  werden.  Die  Pars  III.  wird  nicht  er- 
wähnt, wohl  weil  sie  keine  decreta  eoncordata  enthält. 


1)  DecretlsUrum  jariapradentiae  •peeiiiien.  E  liliro  Gotwicenai  88  (18t)  saeculo  XII 
mmiutcripto  edidit  Job.  Frid.  Schulte.  GiasN«.  1868.4.  (Ferd.  Walter  sum 
SOjfihr.  Doctorjnbilfiun  dedicirt)  pa;.  Vlll— XII. 


Zur  GeAchichte  der  Literetar  fiber  dM  Dekret  Gratiaos.  III.  3  f 

Ganz  ähnlich  ist  das  in  der  Handschrift  der  kön.  Bibliothek  zu 
Bamberg  P.  ü.  29.,  mbr.»  4.  saec.  XII.  enthaltene. 

6.  Jflnger  jedoch  noch  ziemlich  tief  ins  XII.  Jahrhundert 
tiineinreichend,  ist  ein  dreimal  so  grosses  Werk  <),  das  in  dem  citirten 
Gottweiger  Codex  fol.  25 — 95^  gleichfalls  von  einer  Hand  des  XII. 
Ja&rh.  geschrieben  steht  und  den  Titel  hat: 

Exeerpta  et  Summa  Canonum  $ive  deeretorum  sieut 

apostoliea  sanxit  auctoritas. 

Ihm  geht  voraus  die  Vorrede  von  Ivo*s  Decret  und  Pan- 
normie  'Exceptiones  evangelicarum  vel  ecclesiasticarum  regn^ 
larum  .  .  .  neeessarium  quaerere  debeat,^  Die  Arbeit  hat  die  ge- 
wöhnliche Eintheilung  des  Decrets  vor  Augen,  verbindet  aber  damit 
eine  zweite  (Dist.l— 20,21— 49,80— 80,  81—101),  hebt  die  Causa 
XXVI — XXXVI.  als  ein  Ganzes  hervor,  benennt  den  tract.  de  poeni- 
ientia  als  solchen  nicht.  In  der  Methode  trifft  es  mit  der  vorher 
beschriebenen  Arbeit  insofern  überein,  als  die  Quelle  des  Canon 
(z.  B.  Ex  conc.  Carth.,  Isidorus,  August,  u.  dgl.)  regelmässig  ange- 
fahrt wird.  Dagegen  weicht  die  Methode  von  jener  dadurch  ab,  dass 
nicht  bloss  ganz  kurze  Rechtssätze  angeführt,  sondern  einzelne  Sum- 
marien abgeschrieben,  ganze  Canones  gegeben  werden  und  durch- 
gehends  die  Excerpte  wirkliche  mit  den  Worten  der  Canones  ge- 
machte, mithin  auf  deren  genauem  Studium  beruhende  Auszüge  ent- 
halten. Auch  die  Methode  Gratian*s  hinsichtlich  der  conlrarietate9 
ond  ihrer  aoluiiones  ist  beachtet.  Keine  Palea»  keine  nacbgra- 
tiauische  Decretale,  wohl  aber  ein  von  Gratian  übersehener  Canon 
des  Concils  von  109S  zu  Piacenza  wird  citirt. 

Diese  Schrift  liefert  somit  ein  auf  das  Decret  gestütztes 
kurzes  Lehrbuch  des  canonischen  Rechts.  Dies  und  den 
wirklichen  Gebrauch  beweisen  auch  verschiedene  am  Rande  stehende 
Glossen,  von  denen  ich  einzelne  veröffentlicht  habe.  Ohne  Bedenken 
glaube  ich  die  Abfassung  der  Entstehung  des  Decrets  ziemlich  nahe 
setzen  zu  dürfen.  Ein  äusseres  Moment  dafür  bildet  der  Umstand» 
dass  die  alte  Handschrift  eine  Copie  ist;  innere  sind  die  neben  der 


0  Vo«  mW  ia  4er  «ngefukrt«»  Schrill  UeilweiM  beknoat  genwcht  und  aaft  Genauette 
bcMTbrirbcn  pag.  XUI-XVUI. 


32  ▼.   Schulta 

gewöhnlichem  hei^ehend«  Eintheilung  des  Decrets^},  die  Nichtbe- 
rücksichtigung von  Pateen«  von  denen  eiazdne  doch  eitte  Excerpt 
terdienen,  die  Glosseii,  welche  aus  den  ältesten  Summen  geschöpft 
zu  sein  scheinen»  endlich  die  Originalität  und  Frische  der  Methode. 

Seither  hahe  ieh.  dies  Werk  noch  !n  einer  zweiten  Handsclnriflt 
gefunden,  nämlich  dem  Cod.  membr.  num.  2221  [IX.  E.  30»  früfier 
Jur.  can,  N.  CXIX.  Olim  87],  in  4^  saec.  XIII.  ex.  der  kais.  Hof- 
bibliothek-xu  Wien.  Derselbe  ist  uncweifelhlift ;eine  Abschrift  des 
Götlweiger«), 

Aus  diesem  Werke  scheint  gemacht  zu  sein  das  Excerptum 
decreii,  welches  sich  mit  demselben  Anfange  in  anderen  Hand- 
schritten  findet,  z.  B.  dem  Cod,  ms.  lat.  membr.  in  4^  Num.  209, 
der  kon.  Bibliothek  zu  Berlin  fol.  9  —  69. 

Über  den  Ort  der  Abfassung  ist  es  unmöglich^  aus  den 
Handschriften  für  das  eine  wie  das  andere  Excerpt  eine  Vermuthung 
aufzustellen.  Bedenlt  man  aber,  dass  die  zu  Bologna  herrschende 
Methode  gänzlich  abweicht,  keine  einzige  jener  Schriften,  deren 
bolognesischer  Ursprung  sich  mit  Gewissheit  darthun  lässt,  auch  nur 
entfernt  an  die  in  diesen  Excerpten  befolgte  erinnert,  dass  für 
Bologna  9  ja  für  Italien  überhaupt  im  Hinblicke  auf  die  Leichtigkeit, 
in  Bologna  zu  studiren  oder  sich  doch  mit  dem  Inhalte  des  Decrets 
bekannt  zu  machen,  kein  Bedürfniss  zur  Abfassung  solcher  Schriften 
vorlag,  so  scheint  der  Schluss  gerechtfertigt  zu  sein,  die  Abfassung 
ausserhalb  Bologna*s  oder  doch  zum  Behufe  der  Benutzung  ausserhalb 
Italiens    anzunehmen.    Ist   dies   aber   gerechtfertigt»   so    dürfte    es 


«  » 


^)  Diese   erinnert    «o   «Im,  wm  bei  den   filUaten  tiloyseloreii  erwfihnt  wird.  Ver^l. 
meinen     i  weiten    Beitrug    xtir   Gesch.   der   Literatur   fiber    das   Decret 
Seite  27,  Job.   Farentinus  in  der  Einleitung    (Schulte  Rechtshandschr. 
S.  5S5). 

*>  G  t*  3  n  d  e  :  Die  Abweiehangen  bomne»  nur  auf  Rechnusg  de«  Abacbreibera ; 
der  Zusetft  nach  C*  XXVi.  und  in  D.  1.  d«  orasecr.«  die  Ein^nitviig  aiu  ho,  die 
J>(ebeneintheilung  des  Decret«  findet  «ich)  die  Glossen  de«  Gdttweiger  «iiid  am 
Rande  augeschriebea ;  unmittelbar  «uf  daaselbe  Talgt  der  im  Götlweiger  Codex 
ebenfalls  sich  anschliessende  tractatus  de  matrimonio  mit  derselben  Rubrik  de 
impedimento  matrimonÜ.  Ich  will  indessen  die  Möglichkeit  nicht  be- 
streiten, dass  beide  Ton  einer  dritten  Abschrift  sein  können ;  für  diese  Möglich- 
keit liegt  aber  um  »o  weniger  ein  Anhaitapunkt  vor,  als  sich  sehr  leicht  erkMK, 
daa«  rnuM  in  einem  öalerr.  Ki«ster  sieb  Abachrifteo  aus  einen  andern  au  rer- 
schaffen  suchte. 


Zar  Getchiebie  der  Literalnr  fib«r  <l«a  Dekret  Gretians.  Hl.  33 

Ti'dleiebt  nicht  gewagt  sein,  die  Abfassung  in  Deutschlanil» 
speeieU  in  Salzburg  oder  durch  einen  deutschen,  beziehungs- 
weise Salzburger  Cleriker  anzunehmen.  Darin  bestfirkt  mich  der 
Umstand,  dass  beide  Handschriften  sich  in  Deutschland  finden, 
wahrend  ich  weder  ausserhalb  Deutschlands  bisher  eine  gefunden 
habe,  noch  auch  in  den  zahlreichen  gedruckten  Katalogen  auf  ein^ 
5olcbe  geatossen  bin,  dass  die  Summa  Coloniensis,  welche  ich  in  dem 
zweiten  Beitrage  beschrieben  habe,  unverkennbar  einen  ahnlichen 
Zweck  yerfolgt  und,  obwohl  in  der  Methode  abweichend,  den  Text 
des  Decrets  zu  ersetzen  bemuht  ist,  dass  unter  Eberhard  von 
Salibupg  die  innigste  Verbindung  mit  Rom  und  Italien  statt  fand, 
dsss  sich  in  einer  froheren  Salzburger  Handschrift  [Num.  1180  saec. 
Xn.  der  Wiener  Uofbibliothek]  ein  ähnliches  Excerpt  aus  Lib.  IV. 
dist.  26 — 42.  der  Sententiae  des  Petrus  Lombardus  vorfindet, 
das  offenbar  t)  in  oder  für  Salzburg  gemacht  worden  ist.  Endlich 
durfte  auch  der  Umstand  dafür  sprechen,  daß  aus  gleichen  Gründen 
bald  nach  dem  Erscheinen  des  Decrets  in  Frankreich  ähnliche 
Arbeiten  gemacht  wurden,  welche  sich  zufallig  auch  in  Deutschland 
erhalten  haben.  Dies  führt  mich  von  selbst  zur  folgenden  Schrift. 

e.  Eine  dritte,  kaum  jüngere  Arbeit  ist  enthalten,  geschrieben  von 
einer  Hand  des  XIIL  Jahrhunderts,  ip  dem  Cod.  ms.  membr.  J.  LXXIV. 
in  8*  des  Prag  er  Metropoiitancapitels  und  danach  von  mir  beschrie- 
ben in  der  Abhandlung : 

Über  drei  in  Prager  Handschriften  enthaltene 
Canonen- Sammlungen.  Wien  1868  (Sitz.  Ber.  Bd.  LVH.) 
Seite  B.  221  ff. 

Auch     diese     ^Exceptiones    decreiorum     Gratiani 
schliessen  sich  ganz  an  den  Text,  geben  sehr  viele  dicta  Gratian*s  und 
fuhren  regelmässig  die  Quelle  an,  sind  übrigens  trotz  dieser  Ähnlichkeit 
Ton  den  vorher  beschriebenen  durchaus  verschieden.  Aus  den  von  mir 
dargelegten  Gründen  ergibt  sich,  dass  das  Werk,  welches  zugleich 


0  Griyde :  in  dem  Titel  de  CondiHone  (Petrnt  Lombardns  IV.  36.)  ist 
eise  Akschrifl  der  vom  P.  H  a  d  r  i  a  n  IV.  an  Erzb.  Eberhard  «rlaiaenen 
Decretnie  Inter  servot  (Jaff^  Regesta  Pontificum  nnm.  7068;  Compil.  I.  c.  1. 
de  eenj.  aenror.  rv.  9.,  c.  t.  X.  IV.  9.)  aufjpenommen ;  auf  dieses  Excerpt  folgt 
lamittelbar  der  sicher  nicht  in  Italien  entstandene,  bisher  nur  aus  deutschen 
Handsefariflen  bekannte  traetatus  de  eaerilegiia,  den  ich  in  den  Sitzber.  LVII.  Bd. 
S.  182  ff.  poblicirt  habe. 


34  ▼.Schölte 

die  einzige  bisher  erwiesene  Benutzung  der  Ejceeptiones  legum  Ro- 
manorum  von  Petrus  enthält,  nicht  gar  lange  nach  dem  Erscheirien 
des  Decrets  im  södliehen  Frankreich  gemacht  worden  ist.  Wir 
haben  in  ihm  somit  einen  interessanten  Beleg  für  das  Rechtsstudium 
in  Frankreich»  der  höchst  wahrscheinlich  einen  nicht  in  Bologna  ge- 
bildeten  Verfasser  hat. 

Vergleicht  man  die  bisher  behandelten  ^xcerpte  mit  den  in 
den  Nummern  I.  II.  III.  beschriebenen,  so  tritt  die  grosse  Verschie^ 
denheit  darin  auf»  dass  die  letzteren  offenbar  eben  so  gut  entstehen 
konnten,  als  das  Decret  längst  allgemein  verbreitet  war,  weil  sie  bloss 
die  allgemeinste  GKersicht,  insbesondere  f Qr  den  Lernenden,  bezwecken 
oder  Register  sind.  Thatsächlich  gehören  denn  auch  die  meisten 
Werke  jener  Art  der  Zeit  von  der  zweiten  Hälfte  des  XIII.  Jahrh. 
aufwärts  an.  Ganz  anders  steht  es  mit  diesen  Excerpta.  Sie  hatten 
nur  im  XII.  Jahrh.  einen  Sinn.  Mir  sind  auch  jüngere  nicht  vorge- 
kommen, obgleich  ich  selbstverständlich  deren  Existenz  nicht  läugnen 
kann.  Ausser  den  drei  genannten  kenne  ich  noch  ein  viertes  höchst  in- 
teressantes, dem  ich  eine  ausführlichere  Beschreibung  widmen  darf, 
weil  es  bisher  nirgends  genannt  ist. 

d.  Codex  membran.  ms,  laU  quart.  Nr.  192  der  königlichen 
Bibliothek  zu  Berlin,  181  Qlätter  mit  je  2  Columnen  auf  der 
Seite  zu  34  Zeilen  umfassend,  von  einer  Hand  des  XIV..  Jahrhunderts 
sehr  schön  geschrieben,  mit  rothen  Initialen  und  Rubriken,  mit  Tinte 
gezogenen  Linien  für  die  Zeilen  und  den  Raum  der  Spalten.  Der 
Codex  ist  neu  gebunden;  über  seine  früheren  Besitzer  geht  nichts 
aus  ihm  hervor «). 

Derselbe  enthält  eine  Abbreviatio  Decreti  folgender  Ge- 
stalt. Auf  eine  also  lautende  Vorrede: 

Terbum  abbreviatum  ait  propheta  faciet  dominus  super  ter- 
ram.  Ineffabilis  abbreviatio,  qua  immensum  fit  modicum,  aeternum 
transitorium,  incircumscriptibile  circumscriptum.  Si  sie  pro  capaci- 
täte  humana  dominus  breviavit  unicum  verbum  suum,  quanto  magis 
multiplicia  verba  brevianda  sunt  hominuro;  gaudentque  siquidem  non 
immerito  brevitate  modemi.  Hie  igitur  liber  decretorum  est  velut 
breviarium  quoddam,  quod  studiosius  suscipiat  lector  diligenter  et 


ij  Möchte    doch   die  Unsitte,  beim  Umbinden  von  Hundtchriften  das  zu  Tertilgen, 
was  dem  Forscher  so  wertbToU  ist,  endlich  aufhören ! 


Zur  Geacbichte  der  Literatar  Aber  das  Dekret  Gratiant.  III.  35 

abliter  desudatum,  in  quo  quae  minas  necessaria  ridebantur  sie  inve- 
oiet  resecata,  at  serratis,  quantum  lex  breviandi  patitur»  partium,  di- 
tiDetionum,  eausarum,  quaestionum,  capüulorum,  paragraforum,  sen- 
tentiarum,  Terboruni,  iniegritate,  ordine  ac  ienore.  Si  quid  in  aliquo 
dabitarerit,  q.  ad  fontem  de  rivulo  recurrat  ad  ipsum  autenticum  eon- 
solendum.  Huius  enim  Yoluminis  corpus  unum  quasi  quodam  trinitatis 
Testigio  in  tres  partes :  distinctionum  seil.,  causarum,  consecrationis, 
considera  distributum.  In  quo  de  ofßciis»  de  negotiis,  de  saeramentis 
eeciesiasticis  sufBciens  ex  dictis  maiorum  eapere  valeas  documentum. 
Singulae  vero  partes  sectione  trifaria  distinguuntur.  Prima  namque 
pars  praedietarum  constitutionibus  t  ordinationibus ,  executionibus 
immoratur.  In  constitutionibus  juris  peritiat  in  ordinationibus  potestas 
legitima,  in  executionibus  administratio  canonica  continetur.  Secunda 
pars  aceusationum,  actionum,  obligationum  ecclesiasticarum  continet 
diseiplinam.  In  aecusationibus  ordo  iuditiorum,  in  actionibus  regula 
gerendonun,  in  obligationibus  describitur  copula  nuptiarum.  Pars  ter- 
tia  sanctificationem  prosequitur  rerum,  temporum,  personarum.  In 
rebus  locorum  et  hostiarum  consecratio,  in  temporibus  feriarum  ieiu- 
oiorumque  observatio,  in  personis  animarum  per  sacramentum  et  me« 
ritum  purificatio  declaratur.  Consummati  vero  deo  gloria,  actori  meri- 
tum,  utilitas  sit  lectori' 

folgt  von  Spalte  2  fol.  1.  bis  foi.  6*  das  oben  besprochene  In- 
baltsTcrseichniss  über  das  ganze  Decret,  welches  jeder  Distinc- 
tion  nnd  QuSstion  ehie  eigene  Rubrik  gibt,  z.  B.  Dist.  prifna  de 
iure  divino  et  humano,  de  jure  naturali  gencium  et  civili.  D.  II.  de 
diversis  speciebus  legum  secularium.  D.  III.  de  divisione  juris 
canonici,  de  officio  legum.  D.  lY.  de  legum  institutione.  D.  V.  deimmu- 
tabilitate  iuris  naturalis  et  divin.  Pars  I.  umfasst  die  Blatter  6  bis 
42*  Pars  II.  die  fol.  42%  bis  189\  darin  der  tract.  de  poen.  von 
144*  bis  153*;  Pars  III.  von  159"^  bis  174*  1.  Spalte. 

Vor  jeder  Distinction  und  Quästion  steht  die  Rubrik  mit  rothen 
Buchstaben,  so  wie  die  Zahl,  welche  ebenso  stets  am  obern  Rande  (in 
P.  I.  links  d.  rechts  die  Zahl;  P.  IL  links  r.,  rechts  die  Zahl;  tract. 
de  poen.  links  de  rechts  pe.  ;  P.  III.  links  de^  rechts  con.)  ausgedruckt 
wird. 

Die  Excerpte  umfassen  ziemlich  alle  Kapitel,  sdiliessen  sich  an 
deren  Worte  an,  geben  stets  das  Anfangs-  meist  auch  das  Scfaluss- 
vort,  gewöhnlich  auch  den  Namen  seines  Autors,  jedoch  durchweg 


36  ▼•   Schulte 

ohne  den  Ort,  wo  das  Capitel  steht  oder  den  Namen  des  Adressaten 
bei  Briefen. 

Von  den  in  der  Richter*schen  Ausgabe  des  Decrets  als  Palae 
bezeichneten  Capiteln  sind  nur  folgende  aufgenommen : 

Pars  L:  c.  2.  D.  6.  —  c.1.  D.  9—  c.  17.  D.  32.  —  c.  8.  D. 
34.  —  c.  ß.  6.  7.  D.  35.  —  c.  7.  D.  42.  —  c.  23.  D.  ÖO.  —  e.  12. 
13.  14.  D.  96. 

Pars  IL:  c.  8.  9.  C.  IL  q.  1.  —  c.  6.  C.  V.  q,  6.  —  c.  31.  C. 
XIL  q.  2.  —  c.  33.  C.  XXIL  q.  8.  --  c.  1.  2.  3.  C.  XXIIL  q.  8.  - 
c.  38.  C.  XXVIL  q.  1. 
somit  nur  ein  und  zwanzig  Stellen. 

Gegenfiber  dem  späteren  Texte  kommen  mehrfache  Abwei- 
chungen vor.  So  ist  in  Causa  IL  die  qu.  IV.  bei  Richter  hier  q.  V. 
Was  bei  Richter  als  q.  IV.  steht»  ist  hier  als  V.  bezeichnet.  —  In 
C.  HL  q.  9.  e.  6.  steht  das  bei  Richter  und  sonst  befindliche,  c.  4. 
€.  IIL  q.  3»  welches  eine  Palea  ist: 

*Item  Damasus  papa.  Induciae  accusatis  in  criminalibus  causis, 
episcopis  VI.  mensium  vel  eo  amplius»  si  necesse  fuerit: 
concedende  sunt' 

In  C.  VL  q.  4.  steht  anstatt  der  Palea  si  meirop.  der  Richter* 
sehen  Ausgabe  folg.  Kapitel : 

'Ex  concilio  Meld.  Canonum  statuta  sine  praeiudicio  ab 
omnibus  custodiantur  et  nemo  in  accusationibus  vel  iu 
iudiciis  ecciesiasticis  suo  sensu  sed  eorum  auctoritate  du- 
catur. 

das  im  Dekret  nicht  Torkommt,  aber  aus  Burchard  oder  Ito  in 
Comp.  Lei.  de  const.  übergegangen  ist.  —  c.  2.  C.  VL  q.  8.  fSngt 
an  acior,  nicht  accuaaior. —  In  C.  XVL  ist  die  q.  6.  bei  Richter 
hier  q.  8.,  qu.  7.  R.  hier  6.  —  In  C.  XXIV.  q.  3.  steht  c.  39.  in 
tabellarischer  Form»  und  hat  68  Nummern. 

Wo  das  InhaltsTerzeichniss  mehrere  Rubriken  für  eine  Distinc- 
tion  oder  Quästion  hat  ist  dieselbe  stets  getheilt,  so  dass  durch  die 
ausgeschriebenen  Rubriken  neue  Abschnitte  gemacht  werden. 

Nicht  blos  die  Capitel  sind  aufgenommen»  sondern  auch  die 
wichtigeren  Dicta  Gratiani,  sofern  sie  nämlich  nicht  blosse  Über- 
gSuge  bilden,  übrigens  enthält  das  Werk  keinerlei  eigne  theoretische 
Erörterungen. 


Zar  Geschichte  der  Literatur  fiher  das  Decret  Gratiani.  III.  37 

Von  fot.  174*  fünfte  Zeile  bis  zu  Ende  steht  ein  anderes 
Inhaltsverzeichniss  des  Decrets,  das  offenbar  als  Register 
über  das  grossere  dienen  soll. 

Aus  den  früher  dargelegten  Gründen»  sodann  aus  der  geringen 
Zahl  der  Paleae  halte  ich  für  höchst  wahrseheinlieh,  dass  diese  Arbeit 
dem  Ende  des  12.  Jahrb.  angehört,  jedenfalls  vor  die  Glosse  des 
Johannes  Teutonicus  fällt. 

Dem  Anfange  nach  zu  urtheilen  scheint  dies  Werk  auch,  jedoch 
unvollständig  der  *Cod.  737  fol.  18-^82  zu  enthalten  (Tabulae  I. 
pag.  123}.  Ich  habe  den  Gegenstand  nicht  für  wichtig  genug  gehalten» 
um  mir  die  Handschrift  zu  erbitten. 


Zweites  Oapitel. 

Die  QuaestJones»  Casus,  Tractatus. 

§  1.  Wie  für  das  Civilrecht  i)  früh  Sammlungen  ron  jenen  Reehts- 
ßllen  angelegt  wurden,  über  die  man  Disputati  ones  abhielt:  so 
lag  offenbar  auch  für  das  canonische  Recht  die  gleiche  Veranlassung 
aus  gleichen  Gründen  vor.  Ja  das  Decret  selbst,  dessen  zweiter  Theil 
in  einer  Verarbeitung  von  Causae  besteht,  •  musste  unmittelbar  darauf 
fahren,  weil  sich  kaum  eine  bessere  Art,  dasselbe  für  das  praktische 
Reehtsleben  fruchtbar  zu  machen,  denken  Ifisst,  als  durch  Anknöpfen 
an  unmittelbar  dem  Leben  entnommene  Fälle.  Den  Beweis  dafür, 
dass  in  der  ersten  Zeit  nach  Entstehung  des  Decrets  dieser  Zweig 
zo  Bologna  gepflegt  wurde,  liefert  eine  zum  Theil  uns  erhaltene 
Sammlung  von  Quastionen«). 

Sie  steht  in  dem  im  ersten  Beitrage  S.  7  beschriebenen 
Cod.  ms.  \r.  62.  jur.   der  Stuttgarter  kon.  Handbibliothek  fol.  57 


M  Verfl.  T.  Savi^ny  V.  S.  Z58  ff. 

')  la  dem  Cod.  P.  II.  18.  inbr.  fol.  der  k5n.  Bibliothek  zu  Bamberg  steht  auf 
des  11  letzten  Blättern  eine  Sammlung  Ton  Themata  (zusammen  268)  zu 
Diapotatioaen  ohne  Lösung  und  Bearbeitung,  die  zwar  sehr  interessant  sind,  aber 
deeb  als  blosse   Aufgaben   niebi  weiter  an  dieser  Stelle  beriicksicbtigt  zu  werden 


SItsb.  d.  pbil.-kist.  Cl.  LIV.  Bd.  I.  Hft. 


38  V.    S  c  h  u  1  t  • 

(nach  der  Summe  des  Rolandus  zur  P.  II.)  bis  70,  118—123,  uiul 
enthält  im  Ganzen  30,  ist  aber  unvollständig,  indem  sie  mit  der  Seite 
mitten  im  Satze  abbricht. 

Um  in  die  Art  der  Behandlung  einen  vollkommenen  Einblick  zu 
ermöglichen,  theile  ich  die  folgenden  5  ganz  mit 

I.  Quidam  iuvenis  nobilem  quandam  nrii/t^'^mGliuinexaliomatri- 
monio  habentem  in  matrimonio  sibi  coliocavit.  Qua  moriua  aliam  sibi 
propter  corporis  incontinentiam  in  uxorem  duxit,   post  aliquantulum 
vero  temporis  humanae  sorti  exemtus  eius  privignus  superstes  muli- 
erem,  quam  praefatus   vitricus  in  coniugium  duxerat  atque  septennio 
carnali  copula  pro  velle  cognoverat,  post  eius  obitum  in  m.   clanculo 
habere  voluit.  Quo  comperto  ecclesia  eos  penitus  absque  mora  sepa- 
ravit.    Demum   adolescens    antedictus  suam  complexionem  apud    se 
eonsiderans,  ne  corporis  sui  laesioi^em  pro  praedicta    complexionis 
observantia  incurreret,  quam  absconse  sibi  desponsavit,  nee  non  ipsani 
voluntarie  se  allegat  cognovisse.  Transacto  temporis  aliquo  intervallo, 
quis  habens  filiam  unicam  iuvenem  saepedictum  lautam  ad  coenam 
et  delicatam  in  noctis  crapusculo  illum  inVitat.  Quod  dum  in  mensae 
refectione  cibariis  ac  potibus  diversis  foret  alteratus ,  ipsum  coepit 
commonere,  quatenus  suam  filiam  pulchritudine  nimia  decoratam  in 
uxorem  duceret.  Cuius  verbis  acquiescens  ipsam  statim  desponsavit 
atque  in  eadem  nocte  patre  volente  nee  non  ipsa  consentiente  asserit 
se  cognovisse.  Audito  hoc  antecedens,  quam  sibi  latenter  desponsa- 
verat,^  patri  suo  intimare  placuit,  ut  ab  illo  m.  studeret  revocare.   In 
hoc  autem  themate  Q.  t.   [quaestiones  tres]  videutur  posse  forinari. 

Quaeritur  I.  utrum  privignus  uxorem  vitrici  post  eius  obitum  m 
ni.  de  iure  possit  accipere?  S.  q.  est,  an  secundam,  quam  clanculo 
desponsavit  et  carnali  copula  cognovit  in  coniugium  habere  deheat? 
T.  q.  est.  an  assertioni  duorum  sit  credendum? 

§.  In  I.  Q.  de  facili  probare  possumus,  quod  privignus  mulierem 
a  vitrico  cognitam  in  uxorem  habere  valeat.  Nam  fuit  ibi  consoiisus, 
pactio  coniugalis,  idoneitas  personarum,  votum  minime  ibi  exstitit 
nee  dissimilitudo  fidei,  nee  error  personae.  Et  sie  de  caeteris.  Ergo 
constat,  quod  eam  habere  potuit.  Item  alia  ratione  probari  potest. 
Iiiter  matrem  et  filiam  vel  filium  non  est  primum  genus  atBnitatis,  et 
hoc  proho  in  coutinenti.  J^imum  enim  genus  afjfinitatia  constittut 
vir  cum  cousanguinitate  tucoris  suae^  et  e  converso»  Sic  ad  commo- 
duni  causae  tuae  de  secuudo  genere  affinitatis  et  ex  transverso  retor- 


Zur  Geftcbichttt  der  Liientur  über  das  Dekret  Gratians.   III.  3tf 

ffuere  potes,  ubi  [I.  utij  reperiri  polest  in  summa  maqisiri  rolandi  <), 
iibi  tnictat  de  tribus  geiieribas  afBiiitatis. 

^.  Adüocati  capitulis  obiectia  respondeant.  Quo  facto  inducant 
ilta,  qoibus  parteiii  suam  corroborare  valeant.  Causa  XXXV.  Q.  III.  et 
Jioe  quoque  siatuium  [e.  12.  q.  II.  et  III.]  Causa  XXXII.  Q.  VII.  Siquis 
tUimm  [c.  20].  Siquis  cum  noverca  aua  [c.  24].  Adhuc  ratione  pro- 
bari  ptitest,  quod  nnn  potuit  privignus  illam  in  m.  accipere.  Persona 
addita  per  earfialem  commixtionem  mtUat  genus  in  afjinitaie  et 
non  gradum»  addita  vero  per  camalem  propagationem  mutat  gra- 
dum  et  non  genus  s).  Et  ita  videtur  sufBcientei*  probatum,  quia  inter 
illos  probatur  fore  II.  geiius  affiriitatis,  invicem  iion  posse  copulari. 

^.  Diximus  in  I.  Q.  quod  inter  vitricum  et  privignum  sit  affinitatis 
iL  genus  et  invicem  sibi  attineat  in  primo  gradu.  Quod  probari  potest 
^eereto  Fabiani  C.  e.  Q.  HI.  Ne  propinquis  [C.  3.  C.  35.  q.  2. 
et  3].  In  IL  Q.  diximus,  quod  iste  praefatus  illam,  quam  claiiculo  sibi 
despousavit,  iion  debeat  de  iure  habere.  Quod  de  faciii  probari  potest 
auetoritatibus  et  rationibus.  Id  quod  factum  est  in  II.  coniugio  latenter, 
exeeptis  illis  duobus,  est  ignotum  eeclesiae,  nee,  quod  ipsi  asserunt, 
potest  probari  testibus  aliquibus.  Constat  ergo,  quod  illam  secundam 
Mcundum  eeelesiae  consilium  nulla  ratione  valeat  habere.  Sed  ista 
u\or  tertia,  quam  desponsavit  in  domo  paterna,  securam  reddit  eccte- 
siani,  onde  nullatenus  titubare  potest.  Auctoritate  id  videtur  posse 
probari  Ca.  XXX.  Q.  IUI.  Incerta  [est  in  dicto  Grat.  ad.  c.  9.  C.  XXX. 
q.  V.]  Ca.  VI.  Q.  III.  PUieuil  [c.  4.],  Ca.  XVI.  Q.  t.  Dilectio  tua. 
[c.  7.  q.  3.]. 

§.  Pars  adversa  soliio  more  ad  commodum  suae  causae  prae- 
(iicta  capitula  determinare  studeat.  Quo  facto  sua  quasi  propria  indu- 
eat,  qnibus  partem  suam  defensare  valeat:  Ca.  XV.  Q.  I.  Inebria- 
veruiä  Loih,  Non  est  qitod  cuique  [c.  9.  10.].  Ratione,  videtur  posse 
probari.  lii  noctis  crapusculo  antedictus  homo  ad  coenam  eura  frau- 


*)    Strom»    liolandi     AffiniUtis     genem    i.     t.    manerie    tria    wae     dicun- 

tar e.  Frimom    geaoa    aflinttatia    vir  cum    uzoria    suae    consangutneis 

eooatitait  et  e  converso.  Secundam  rero  g-enua  äff.  est  inter  vJrum  et  uxurein  coti- 
aaBgvineorum  cet. 

^)  Strom«  Rolandi  C.  XXXV.  q.   2.  Ut  antem  faciliiis  valeas   praedirt»  coni- 
prekendere,  aeqneatem  regulam  menti  tiiae  infige:  Persona  addita  personae  per 
caroal«»  eommiztionem   mutat  genna  et  non  gradum  in  affinitate,  addita  vero  per 
propsfationem  mutat  graduin  et  non  genni.' 

4» 


40  V.    S  c  h  u  I  t  e 

dulenter  invitavit.  Cui  copulato  post  coenam  expletam  filiam  suam 
desponsavit  et  in  ipsa  nocte  cius  persuasione  iuvenis  dicitur  eam 
cognovisse. 

Solutio  Q.  II.  talis  dicitur  esse.  Secundum  m.,  quo  puellam  ipse 
adolescens,  patre,  matre^  caeterisque  amieis  ignorantibus,  sibi  occuite 
desponsayit,  est  ignotum  ecclesiae,  tertium  vero  oinnino  manirestum. 
Unde  conjicirous»  quod  ecciesia  uxorem  tertiam  beiie  cognitam  ei 
concedere  debeat,  quia  de  oecultis  iudieare  non  potest  ecciesia.  Quod 
potest  probari  cap.  Aug.  Ca.  XL  Q.  III.  Quamvis  verafuit  [c.  75.]» 
Tarnen  dicit  Petrus  Baiolardus  *),  quod  secundam  potius  debcat 
habere  quam  tertiam,  quandocunque  ultimam  cognoscit  ei  reddendo 
debitum  eius  conseientia  ipsum  habet  remordere  nee  non  criminale  com- 
mitti  peccatum.  Constat  ergo  secundum  magistri  p.  sententiam,  quod 
non  debet  debitum  tertiae  reddere  sed  secundae.  Magister  ergo 
Hugo*)  beatae  recordationis  videtur  incontrarium  allegare, videlicet 
quod  debitum  tertiae  reddat  et  non  secundae.  Dicit,  illumposse  excu- 
sari  per  ecclesiae  obedientiam.  Quod  videtur  in  simili  capitulo  Greg, 
satis  allegari  Ca.  XI.  Q.  HI.  c.  I.  Non  tamen  reddat  debitum  oxori 
tertiae  non  exactus. 

II.  Quidam  sua  tradidit  canonicae  regulari  et  induit  se  habitu 
regulari,  nee  tamen  expressit  se  ibi  velle  permanere,  nee  votnm 
praestitit  Mansit  ibi  per  annum  et  mensem ,  postea  vero  claustrum 
exivit  et  quandam  sibi  desponsavit  coram  uno  viro  honesto,  aliis 
duobus  trans  parietem  extantibus,  et,  qualiter  se  pactione  coniugali 
obligaverunt,  audientibus. 

Ilic  tria  quaeruntur.  Quorum  primum  est,  an  liceat  illi  mona- 
sterium  exire  et  nuptias  contrahere? 

Quod  liceat  contrahere  ei  m.  exinde  probatur,  quia  non  praestitit 
Votum.  Unde  et  licet  ei  m.  contrahere  iuxta  illud  Nubendi  licentia 
Ca.  XXVII.  Q.  I.  [c.  20.].  Etiamsi  votum  praestitit  et  m.  contraxit,. 
dissolvendum  non  est  m.  iuxta  iWviA  Nos  novimus  etc.  Ca.  XVII.  Q.  II. 
[c.  2.].  Ergo  cum  iste  votum  non  praestitit,  ex  quo  m.  contraxit 
multo  m.  matrimonium  dissolvendum  est.  Item  praeter  formam  ec- 


i)P«tri     Lombard!    Sent.    Lib.  IV.  diät.  XXVU.  Über  die  Sanction  dieser 

Ansicht  siehe  den  ersteu  Beitrag  Seite  20. 
>)  H  u  g  o    de    S.    Victore    de    sacrAmeatis   L.  I.  C  30  sqq.  (edit.  Venet.  158S> 

fol.  ni.  fei.  163). 


Zur  Gescbichte  der  Literatur  über  A»»  Dekret  Gratinns.   Ilf.  41 

«lesiae  babitum  suscepit.  Napn  institutum  est,  ut,  qui  voluerit  proposi- 

toffi  monaehale  suscipere  prius  sit  [in]  probatione  in  ipso  monasterio 

per  annum  et  postea  qaaesito,  an  voluerit  ibi  manere,  detur  ei  habitus 

si  voluerit,  iuxta  illud  Monasteriü  etc.  Ca.  XVIII.  Q.   (II.   [e.   6. 

C.  XIX.  q.  3.].  Hoc,  cum  contra  canones  factum  sit,  per  canones  dis- 

5olvi  tenetur  iuxta  illud  Consaldua  Ca.  XVII.  Q.  II.  [c.  1].  Quod  pro- 

batur  a  simili.  Forma  statuta  est  faciendi  testamenti,  et  si  test.  factum 

fuerit  citra  formam,  nulius  aliquid  poterit  petere  ex  illo  test.  Item  si 

sola  süsceptio  vestium  astringit  aliquem  voto,  cum  multi  clerici   sola 

bonestate  sua  utantur  vestibus  regularium,  eo  solo  erunt  tarn  regu- 

Jare$.  Si  item  locum  obiiciunt  multi  intrant  monasterium  bac  de  causa, 

ut  peragant  ibi  poenitentiam.  Erubescunt  enim  poenitere  in  praesentia 

omniom,   qui  in  secreto  enormiter  deliqueruut  nee  tamen  habeutur 

monachi.  Si  diuturnam  observationem  obiiciunt  cum  taliter  poeniten- 

tes  quandoque  in  claustro  multo  tempore  maneant,  iam  eo  solo  erunt 

monaehi,  quod  absit. 

Nunc  e  contrario  respondetur,  quod  tenetur  quis  voto  solemni, 
tenetur  et  voto  annexo.  Hie  autem,  etsi  non  teneatur  voto  solemni, 
tarnen  tenetur  annexo,  quare  non  potuit  contrabere  m.  et  si  eontrax* 
erit  dirimendum  est  iuxta  illud  üt  lea:  coniinenüae  et  illud  de  viduis 
Viduas  Ca.  XXVII.  Q.  I.  et  illud  de  subdiacono  Diaconus  di.  XXVI. 
et  illud  de  illis,  qui  voluntarie  semel  suscipiunt  babitum  Proclim$ 
€.  XX.  Q.  UI.  illud  etiam  de  voluntarie  babitum  sumentibus  Proposi- 
inm  C.  e.  Q.  e.  [c.  1.  C.  XX.  q.  3.].  Quod  allegatum  est  de  illo,  qui 
uarigaverat  ad  m.,  ille  voluntatem  suam  ostenderat  non  tamen  eam 
ad  effeetum  perduxerat  et  pro  uuda  voluntate  neminem  sacri  canones 
astriugunt.  Quod  autem  dictum  est  de  forma  recipiendi  aliquos  in 
monasterio,  dicimus,  quod  forma  illa  adhibenda  est  cum  sunt  ignoti, 
quj  cuptunt  iutrare  monasterium.  Probatur  etiam  lege  ftrt,  quod  iste 
o.  eantrahere  non  potest.  Nam,  ut  dicit  lex  in  aatentieis  ingressi 
m^nasierium ,  ipso  ingressu  se  et  sua  deo  dedieant.  Cum  ergo  iste 
If^ressas  sit  monasterium  se  deo  dedicavit  nee  ultra  licet  ei  ro.  contra- 
bere. Etiam  quisquis  eorum  alterum  vendit,  sine  quo  nee  alterum 
pruvenit,  neutrum  invenditum  delinquit  ut  Ca.L  Q.  III.  Si  quis  [c.  2.]. 
A  simili  et  iste,  ex  quo  suscepit,  qüod  nuuquam  sine  voto  suscipi* 
«»dum  est,  perinde  habetur  ac  si  votum  fecisset. 

§.  Soluiio  in  evidentu  Ex  quo  enim  quis  se  et  sua  dedit  mona- 
sterio, si  babitum  suscepit,  licet  votum  non  fecerit,  tenetur  voto  au-» 


42  ▼.   S  e  h  •  I  I  c 

neio,  nee  de  fetero  potest  eontrabere  m..  et  si  cootnihat  dissol* 
retiir.  Si  vero  hae  de  eaasa,  ut  ibi  peraigat  poenitenttam,  moDasteriiinr 
intraviU  Heet  reeipiat  Testes  oon  tarnen  tenelar  roto  anneio.  Qtiod 
vero  dieitiir,  qaod  priiis  debeant  esse  ia  probatioae,  de  boc  notandum 
est,  qaod  qnidani  debent  esse  in  probatione  per  triennium,  alii  Tero 
per  annoni,  qood  ob  eansam  necessitatis  statatom  est  Certani  ex  ipsis 
deeretis  babetnr,  qaia  qnidam  erant  prorsus  ignoti,  qui  volebant  in- 
trare  monasteriam ,  quorom  etiam  conditio  ignorabator.  Ne  postea 
dominis  petentibiis  eos  extraherentar  a  nnonasterio,  ideo  in^titatnm 
est,  ut  hi  tales  essent  in  probatione  per  trieniiium  iuita  iliiid  »SV  ser- 
VMS  di.  Lllli.  [e.  20].  Sed  qnia  sunt  alii,  quorum  conditio  scitur,  mores- 
autem  ignorantur,  ipsi  etiam  nesciunt  gravia  praecepta  regiilaris  dis» 
eiplinae,  ideo  statulum  est  a  sanctis  patribns,  ut  hi  tales  essent  in 
probatione  per  annum  iuxta  illud  momuterÜM  Ca.  XXilll.  Q.  lli.» 
[e.  6.  C.  XiX.  q.  3.].  Et  quod  propter  necessitatem  statutum  est,  ea 
cessante  pariter  debet  cessare,  quod  urgebat  Cum  aliquis  est,  euius. 
conditiii  scitnr  libera  et  mores  eius  approbati  sunt  bonesti  et  noti,  et 
ipse  bene  norit  praecepta  monachalis  regulae,  si  petat  statim  silii 
dari  habitum,  bene  potest  sibi  dari,  quod  etiam  qnandoque  6t  et 
ioste. 

§.  Secundo  qnaeritur,  an  standum  sit  tesfimonio  huius,  qai 
praesens  audivit  contraetum  m.  et  horum  duorum,  qui  trans  parietent 
positi  illud  contraetum  andieront?  Iste  solus,  qui  praesens  fuit,  non 
sufficit  ad  ferendum  testimonium,  quin  unius  tox  tox  nullius,  alii  vero^ 
duo  super  boc  testi6cari  non  possunt  iuxta  illud  Rdatum  est  Ca.  V» 
Q.  IL  [c.  3.]  et  illud  Testes  Ca.  Hl.  Q.  X.  [c.  15.  q.  9.].  E  contraria 
respondetur,  quod  auctoritates  illae  intelligendae  sunt  in  criminali 
negotio,  in  quo  domestici  remoTontur  a  testimonio,  sed  in  civili  minime 
ioxta  \\\fi^  Super  prudentia  C  XIIII.  Q.  IL  [c.  1.].  In  conficiendi» 
instrumentis  saecularium  sacerdotes  testi6cari  non  debent,  si  tamei» 
fortuitn  easu  venerint  et  instrumentis  canficiendis  astiterint,  si  noD 
sint  aliqoi,  per  quos  rei  veritas  declaretur,  ipsi  dicere  debeiiL  quod 
astantes  audierunt  iuxta  illud  Qüanquam  Ca.  XIIII.  Q.  IL  [c.  2.].  A 
simili  ergo  et  hie,  ex  quo  non  assunt  alii,  per  quos  rei  veritas  deela«* 
retur,  ilii,  qui  audierunt  trans  parietem,  recipieudi  sunt,  ut  per  eo» 
veritas  facti  declaretur,  maxime  cum  sit  alias  testis,  qui  praesens  af- 
fuit  facto.  Item  haec  causa  matrimonii  est  et  in  causa  matrimonü 
maxime  iHi,  per  quos  rei  veritas  clareat,  recipiendi  sunt  Unde  et  ia 


Zar  Geschichte  der  Litcntar  Aber  dut  Dekret  Gmtiant.  III.  43 

causa  consanguinitatis  illi  assumuntur  ad  testioiODium ,  qui  melius 
norant  parentelam.  Sed  huic  sie  respondetur.  Hi  recipiuntur  ad  dis» 
solTendum  matrimoDium  inter  consaoguineos,  non  ad  contraetom  m. 
probandiim.  §.  Ad  hoc  RoL,  quod  in  erioiinali  negotio  soli  testes  sunt, 
qui  praesentes  facto  affuerunt,  in  aliis  vero  negotiis  etiam  «x  auditu 
testimoniom  ferre  possunt.  Qui  quandoqtie  oportet,  ut  sint  rogati  ad 
hoc»  ut  audiant,  ut  in  testamento,  et  quando  quis  testificari  debet, 
aliqoem  affinnasse,  pecuniam  sibi  solutam.  In  bis  autem  contractibus, 
quorum  substantia  ex  soKs  Terbis  subsistit,  ut  in  Stipulationen  etiam 
ilH,  qui  non  fuerint  rogati,  ut  audirent,  ex  auditu  possont  ferre  testi- 
oionium.  In  bis  autem  contractibus,  quorum  substantia  non  subsistit  ex 
soKs  verbis,  immo  ex  ipsius  rei  exsecutione,  ex  auditu  nuUus  ferre 
potest  testimonium,  nisi  fuit  vocatus  ad  hoc,  ut  audiat.  Contractus 
m.  non  subsistit  ex  solis  verbis,  immo  ex  rei  exsecutione.  Solus  enim 
eoosensus  per  verba  etiam  de  praesenti  expressus  m.  non  facit,  nisi 
subsequatur  subarrhatio  annuli  vel  iurisiurandi  religio  vel  carnalis 
eopala.  Si  quaeras  sl  Molando,  utrum  aliqua  obligatio  fiat  bis  solis 
▼erbiA,  dicit,  quod  nulla  bis  solis  verbis  fit  obligatio ,  sed  fit  solum- 
iDodo  qnaedam  voluntatis  reseratio.  Dicit  quoque,  quod  non  est 
standnm  assertioni  horum  trium  tanquam  testium,  sed  tarnen,  quia 
onus  eorum  praesenter  affuit  et  alii  sunt  non  testes,  sed  adminicula 
probationis,  praesumptio  est,  cui  standum  est,  donec  probetur  contra- 
lium.  Si  auiem  cantrariwn  probari  non  poierit,  deferendum  est 
iummenium  alieri  partium. 

§.  Tertio  quaeritur,  utrum  pactio  coniugalis  faeiat  m.  Quod 
Tidetur iaxta  ilind  Cnmimtiaiftr,  Caniuges  CaXXVII. Q. I.  [c. 5. 6.  C.  27. 
q.  2.].  ^.  Sed  e  contra  probatur,  auctoritate  Aug,  dicentis  Consengus. 
Hoc  tarnen  deeretum  non  est  in  corpore  deeretorum^,) 
f.  Ad  boe  RoL*)  quod  pactio  coniugalis  sola  non  focit  m.  Namsiego 
dixero  alicui:  'ego  aecipiam  in  uxorem'  nex  sequatur  sacramentum 
nee  aliquid  aliud,  non  teneor  illam  accipere,  Si  affuerit  pactio  coniu- 
galis cum  consensu  per  verhia  praesentis  temporis  expresso  et  affuerit 


*)  Gemeint  iit  aogenscheinlicb  die  Stelle  in  c.  3.  C.  XXVII.  q.  2.  Nucli  der  Ausse- 
mnif  des  Textes  moM  dieselbe  zum  Dictum  Grat,  gehörig  (^rechnet  werden.  Dies 
bietet  sber  zof^leich  einen  interessenten  Beleg  für  die  Anflassung  des  Decrets  in 
der  entM  Zeil. 

<)  VcrgL  Strom  R  o  I  a  n  dl  ad  C.  XXX.  q.  S. 


44  ir.  Schalte 

iaramenti  religio  Tel  sobarrhatio  annuli  Tel  carnalis  copula,  noa  pote- 
runt  de  caetero  separari,  nisi  causa  religionis.  Si  autem  aliquis  eorum 
ad  aiterios  nuptias  eonToIaTerit,  reseiendum  [1.  rescindendainj  est  se- 
cundum  in.  et  primum  tenendum.  — 

UI.  Episeopu»  Maniuanus  Tillam  babebat,  cuius  populns  ^on 
habens  idoneam  sibi  eeciesiam  ad  Tillam  JHutineim$  se  transtulit  ibi- 
que  per  XL.  annos  divina  officia  percepit.  Tandem  presbyter  villae 
Mantuanae  in  proprio  praedio  ecelesiam  fundavit,  ad  quam  ecelesiam 
populum  revocarit  Probibitns  tamen  a  Mutinensi,  qui  asserebat,  se 
praescripsisse  conventum.  Praedictus  autem  presbyter  muneris  annui 
statutione  episeopum  Mantuanum  ecelesiam  a  se  fundatam  consecrare 
fecit.  Processu  Tero  temporis  se  et  ecelesiam  monasterio  contulit. 
Hie  primum  quaeritur:  an  ep.  Mntin.  praescriptione  XL.  annorum 
conventum  potuerit  Tendicare? 

Quod  conTentus  non  possit  praeseribi  probatur  auetoritate  Toi. 
concilii  Sicui  dioec.  etc.  C.  XVl.  Q.  111.  §.  Sed  e  contra  probatur 
auetoritate  Gelasii  pp.  dicentis  FacuUaies  eccL  etc.  Ca.  XIII.  Q.  11. 
§.  Ad  boc  Hol,  quod  conventus  potest  praeseribi  XL.  annis*).  Sed 
notandum,  quod  quandoque  quis  possidet  territorium  et  non  conven* 
tum,  est  tunc»  quantocunque  tempore  quis  possideal  territorium  con* 
Tcntum  praeseribere  non  potest.  Territorium  >)  est  eolleciio  agrorum^ 
conventus  est  iu»  Aap^t!sa9M^t\fuiierandi[apud  RoL  tumulandi],  prae^ 
dicandi  est  disponendi  populo  spirituaiia  ,  Tel  maiorem  partem 
horum.  Quandoque  quis  possidet  territorium  ita,  quod  et  conventum, 
et  tunc  praeseribendo  territorium  praescribit  et  conTentom.  Quando- 
que possidet  conTentum  ita  quod  non  territorium,  et  tunc  non  minus 
potest  praeseribere  conTcntum.  Quod  ergo  dicitur  Sicui  dioee^t  tunc 
intelligitur,  quando  praescribitur  territorium  possessione  ita,  quod 
non  simol  possidetur  conTentus. 

Secundo  loeo  quaeritur,  an  dedicatio  pactione  annui  muneris 
reddendi  facta  sit  simoniaca?  Quod  sit  sym.  probatur  auct  illa:  'Con- 
seeratio  quae  pactione  fit  potius  execratio  dici  debet'  C.  1.  Q.  Oll.  c. 
electio.  §.  Sed  approbatur  auct  Gelasii  dicentis  Eleutherius 
Ca  XVlll.  Q.  IIL  §.  Ad  boc  BoL^  quod  quandoque  in  consecratione 


V  So  Rolaadi  Stroma  i«  C.  XVl.  ^.  Hl. 

>)  Dieser  Satz  Ut  a«s  R  o  I  a  n  d  i  S  t  r  •  m  a  C.  XVl.  ^.  3..  die  cwaiT  fWniekten 
Worte  sind  «■  mittelbar  entnomoiea. 


zur  Geschichte  der  Literatur  fiber  dai  Dekret  Gratians.  III.  45 

paeiseontar  iila,  quae  pacisci  debent,  et  tuDC  non  est  sj^monia,  quando- 
que  paciseantur,  quae  non  debent,  vel  plus  quam  debent,  et  tune  est 
STfflooia.  Sym.  enira  trino  munere  committitur»  ut  cautum  est  in  eanoni- 
bos,  seil,  munere  a  manu,  munere  a  lingua,  munere  ab  obsequio,  et 
ut  dicitor  munus  ab  obsequio  est  C.  L  Q.  (.  e.  Sicut  nonnullh 
»erviitt^  indebUe  impenaa  [c.  114].  Unde  datur  intelligi,  quod 
senritus  debite  impensa  non  est  sym.  auct.  GeUmi  seil.  Eleutheritts 
efe.  Sic  respondet:  dicit,  quod  in  potestate  episeopi  debent  esse  tres 
partes  oblationis,  ut  Ca  XII.  Q.  II.  c.  Concessa,  una  sibi  propria,  altera 
fabrieae  reficiendae,  tertia  pauperum.  Et  ibi  non  plus  stafutum  est 
fuodatione  dari  episcopo,  quam  debent. 

^.  Tertio  loco  quaeritur,  an  licuerit  fundatori  ecelesiam  eonse- 
cratam  monasterio  dare  inconsulto  episcopo?  Quod  licuerit,  probatur 
auet  Greg.  Quoniam  quicquid  etc.  Ca.  XVI.  Q.  I.  [c.  68.].  §.  Sed  e 
contra  probatur  auctoritate  Bonifadi  Si  quü  vuli  etc.  Ca.  XVI.  (). 
alt  e.  aniepenult  %.  Ad  hoc  Rol.  quod,  ex  quo  quis  accipit  lapidem 
benedictum  ab  episcopo  ipsius  dioecesis  et  fundat  ecelesiam,  haec 
solo  teneiur  ab  eodem  fundari  episcopo,  ita  quod  non  poterit  ab  alio 
eonseerari  nisi  eo  mortuo  a  suo  successorie.  Et  antequam  coiisecretiir 
ecelesia  inconsulto  episcopo  potest  eam  dare  monasterio,  sed  ex  quo 
eoDsecrata  est,  alteri  eam  dare  non  potest.  nisi  consilio  episeopi. 
§.  Sed  probatur,  quod  nil  ibi  habeat  fundator  praeter  processienis 
aditum  auct.  Gelasii  Frigerius  etc.  C.  XVI.  Q.  IUI.  §.  Sed  e  contra 
probatur  ex  Romana  synodo  Mona9terium  etc.  ^.  Ad  hoc  RoL  quod 
eomro,  qui  faciunt  eonseerari  ecdesias  a  sc  fundatas  alii  in  consecra- 
tione  renuntiant  omni  iure  suo  et  hi  nihil  habent  praeter  processionis 
aditum,  alii  vero  non  renuntiant  et  herum  assensus  adhiberi  debet  in 
institutione  presbyterorum  ecciesiarum  a  sc  tactarum  <). 

IV.  Quidam  canonici  cuiusdam  eeclesiae  in  quadam  capella  cen- 
sQm  annuum  faabebant.  Mortuo  capellano  illius  capellae  alius  ei  sub- 
stitutua  est,  qui  diffitetur,  statutum  censum  se  debere  canonicis. 
CanoDici  ergo  vocant  cum  in  ius  coram  episcopo.  Epc.  utraque  parte 
aadita  adiudicat  censum  annuum  canonicis,  tali  tarnen  conditione, 
seil,  si  infra  annum  et  mensem  probaverint,  se  iuste  possidi^re.  Can. 
▼ero  Statute  tempore  probationem  nou  adhibent. 


<)  aolaedae  ad  C.  XVI.  q.  7.  Das  Citat  ist  jedoch  oicht  (pana  (^ena«.  Ffir  die  Ge- 
■ehichte  der  Baiwickluni;  des  Patronatsrechts  ititeressaot. 


46  ▼.    S  e  k  •  I  t  • 

§.  Hic  primum  quaer.,  an  Can.  eogantor  probare  titalom  suae 
possessionis.  Quod  mm  eogantur  habetur  in  lege.  §^  Sed  quod 
eogantor,  probatur  illo  decreto  Si  gmie  de  elerieU  etc.  [e.  33. 
40.]  Item  aoct  Gelaeii  DUeetio  tva  Ca.  XVL  Q.  UL  [c.  7.].  Item 
auet.  Greg.  VolumuSp  Aceedentem  Ca.  e.  Q.  IUI.  [c.  2.].  Item  Gela- 
sius»  Quiaresin  liiigio  XI.  Ca.  Q.  I.  [c.  50.]  §.  Ad  bo^.  Mol. 
qaod  nullus  cogitur  probare  titulum  suae  possessionis  nisi  qoi  possidet 
pro  berede  Tel  pro  possesore  et  at  generaliter  dieatur,  nullus  probare 
cogitur  titulum  suae  possessionis»  nisi  excipiens.  Verbi  gratia :  fratres 
habeo»  Tolunt  meeum  venire  adaequale  participium;  excipio,  patrem 
mihi  praeeipue  aKquid  pro  hereditate  reliquisse,  teneor  probare  titulum 
possessionis  meae.  Sed  dicit  Gelasiu»  XI.  Ca.  Q.  L  e.  uli,  Quisquis 
pufai  qui  perjriam  annpeiere  veridieo  puhei  examine.  -  Ergo  cum 
canonici  putent,  se  iusto  titulo  possedisse,  tenentur  probare,  sc  iusto 
titulo  possedisse.  §.  Ad  hoc  RoL  quod,  ubi  manifesta  est  possessio, 
putans  sibi  competere,  probare  non  debet,  ubi  vero  putat  nee  est 
manifestum,  si  actor  est,  tenetur  probare. 

Secunda  qu.  est,  an  sententia  lata  sub  conditione  teneat?  Quod 
non  eil  senteniiny  lex  proeiamai.  Quod  stare  debet  in  acut  sua  pro- 
batur ea  ratione,  quia  ab  ea  appellandum  est.  ünde  forma  etc. 
Ca.  II.  Q.  VI.  §•  Ad  hoc  Hol,  quod  conditio  quandoque  adiungitur 
facto,  ut  si  apostolicus  scripsisset  alicui :  toIo  te  condemnare  istum, 
si  eognoTeris  cum  esse  homicidam ,  et  tunc  non  est  sent.,  quandoque 
conditio  adjungitur  eventoi  rerum,  ut  si  quis  mihi  promittat  C,  quod 
postea  negans  ducitnr  a  me  in  causam  et  index,  ut  det  mihi  C.  cum 
yenerit  rex,  et  tunc  est  sententia.  Sed  hic  non  clare  videtur  videre 
Boland*.  Non  enim  talis  sententia  est  lata  cum  conditione,  immo 
absolute;  non  enim  adjungitur  conditio  sententiae  sed  eventui 
rerum.  — 

V.  Qnaedam  ecciesia  Privilegium  a  summo  pontifice  impetravit, 
ut  praediorum  totius  dioec  baberet  decimas.  Processu  vero  temporis 
monachi  cuiusdam  monasterii  quaedam  praedia  in  illa  dioec.  emerunt, 
privil.  postea  a  summo  pont  impetraverunt,  ut  null!  decimas  solverent 
Hic  primum  quaer.,  an  canonici  possint  petere  decimas  priori  priv. 
muniti?  Secundo  quaer.,  an  secundom  priv.  deroget  priori?  In 
bis  duobus  quaest.  hinc  inde  muita  inveniuntur  decreta  in 
XXV"'  causa. 


Zur  Geschichte  der  Literatur  fiber  das  Dekret  Gmtiani.   III.  4T 

§.  Ad  quod  RoL  *),  quod  qiii  habet  potestcttemcondendicanone«^ 
habet  inde  et  potest.  interpretandi  eos,  et  ideo  dicit,  quod  sec.  priv. 
derogat  priori.  Si  quaeras  ab  eo,  an^^quia  canonici  habent  priv.,  iit 
habeant  decimas  suae  dioecesis.  possint  petere  quartam  episcopi? 
dicit,  quod  non,  quia  statuta  apostolicae  sedis  benignius  interpretanda 
sunt.  Sed  si  expresse  det  eis  in  privilegio  quartam  decimarum  epis- 
copi« tune  possunt  eam  petere,  vel,  si  exprimat  in  priv.,  se  iis  dare 
ia  integrum  decimas  totius  dioecesis.  Et  notandum  quod  non  dicit 
BoL  Afii  dicunt,  dari  decimas  intuitu  praediorum,  seil,  ut  cum  assi- 
gnantur  certi  limites  dioecesi,  ut  omnia  praedia  infra  limites  assigna- 
tos  solvant  dioccesi  decimas,  et  tunc,  ubicunque  personae  se  muta- 
Tertnt,  semper  ex  cultis  praediis  illius  dioecesis  illi  dioecesi  persolvent 
decimas.  Alii  vero  decimas  dandas  dicunt  intuitu  personarum  et  tunc 
obieunque  ipsae  personae  excoluerint  agros  snos  solvent  decimas 
eeelesiis,  a  quibus  ecciesiastica  officia  audiunt.  Si  quaeras  aiZo/.  <), 
qoae  istanim  sententiarum  plus  sibi  placeat,  dicit,  quod  plus  siUl 
placet,  ut  intuitu  praediorum  decimae  dari  debeant.  Sed  decretum 
eootra  de  decimis  etc.  Ca.  XVI.  Q.  I. 

$.  Tertia  quaeHio  est,  an  monachi  debeant  dare  decimas.  Quod 

Dou  debeantur  probatur  aoct.  illa  Questi  autU  [c.  46]  et  illa  Decima» 

Ca.  XVI.  Q.  I.  [c.  97.]  §.  Quod  debeant   dare   decimas  de  omnibus 

laboribus  suis,  praeterquam   de  novalibus  —    nee  hoc  dictum   est 

de  omnibus  novalibus,  inimo  de  illis'tantum,  quae  excolunt  propriis 

manibus  vel  propriis  sumtibus  —  uec  etiam  de  illis  decimas  dabunt, 

qoae  excolunt  propriis  manibus  servi  ecciesia.  Illa  veni,  (fuae  rustici 

monasterii  excolunt,  solvere  debere  decimas  RoL  dicit*)  Notandum 

quod,    ut  dicit  Hetellus,  decimae  possunt  praescribi  non  a  laico. 

Qnantocunque  enim  tempore  laicus  de  proprio  praedio  non  solvent 

decimas,   non  poterit  praescribere  quin  solvat.  Nee  per  se  possunt 

praescribi,  sed  contemplatione  eeclesiae.  Si  enim  quis  ecclesiasticus 

praescribat  eeclesiam,  etiam  praescribit  sibi  decimas  illius  eeclesiae. 

Sed  quid  si  episcopus  habeat  praedium  in  episcopatu  alterius,  de 

quo  non  solvent  decimas  per  XXX.  annos?  Dicunt  quidäm,  quod  non 


*)  Der  Sias  dieses   Citsts  l»ei  Rolandns  sd   C.  XXV.  ii.   XVI. 

*)  Strom«  Causa  XVI.  [Fol.  7*  Cod.  Stuttf^.  I.]  'Dicimus  ergo  decimntiones 
praediorum  intuitu  ».«.«lignatas.  Ideoqne  et  parorhiae  certis  sunt  fimitihus  distinctai*, 
nl  «nineeiiiae^ne  parochiae  decimationea  parochitauis  minialrentur  ecciesils.  * 

')  Strona   Causa  XVI.  und  XXV.  wird  dem  Sinne  nach  dies  gesagt. 


48  ^'   Schulte 

potent  praescribere ,  nisi  praescribendo  ecclesiam,  cui  conipetunt 
ipsae  deeimae.  Sed  tarnen  difficilis  quaestio  est  apod  magistros.  Hute 
autem»  quod  dixit,  seil,  quod  pfaedia  non  pussunt  praeseribi  nisi  con- 
templattone  ecclesiae,  contrarium  videtur  illud  in  I.  Ca.  Q.  IL 
Quaesitum  est.  Sed  dicimus,  quod  quidam  sunt,  qui  redimunt  honores 
a  subditis,  et  in  odinm  eorum  introductum  est,  ut  in  boc  casu,  seil, 
sub  eis  redemptoribus  praeseribi  possint  deeimae  in  ecciesia  et  a  tali- 
bus  personis  seil,  monaehis.  Unde  in  eodem  deereto  dicitur  'sub 
huiusmodi  redeniptore*. 

Als  interessant  für  die  genaue  Auffassung  des  Verhältnisses  von 
geistlicher  und  weltlicher  Gerichtsbarkeit  tbeile  ich  noch  eine  Stelle 
aus  der  Quaestio  Quidam  laicua  fol.  12P  mit 

'Quando  clericus  impetit  clericum,  quod  nulla  causa  eum  nisi 
sub  episcopo  debet  convenire.  Quando  rero  clericus  impetit  laicum^ 
aliquando  impetit  eum   super  ecciesiastica ,  aliquando   super  civili 
causa.  Item  cum  impetit  eum  super  ecciesiastica,  aliq.  impetit  super 
eccies.    criminali.   aliq.    super    spirituali,    aliq.    super   pecuniaria. 
Ecciesiastica  crimi^ialis  est,  quandu  quis  accusatur  de  incestu,  et 
ideo  inter  ipsum  et  uxorem  suam  petitur  dirortium.  Eccies.  spiri^ 
tualis'  est,  quando  tantum  de  spiritualibus  quaestio  agitatur,  utpote 
decimandi,    funerandi    et  consecrandi.     Eccies.    pecuniaria    est, 
quando  movetur  quaestio   de  rebus  ex  iure  decimationis,  funerandi 
seu  consecrationis  proyenientibus.  Dicimus  ergo,  quoniam   in  omni 
causa  ecciesiastica  laicus  sub  episcopo  est  conveniendus ,  sive  fuerit 
pecuniaria,  *sive  spiritualis,  sive  criminalis,  dummodo  in  criminali 
sanguis  non  petatur  vel  pecunii  mnitatio,  quod  iudicium  non  epis- 
copo exequitur  nee  in  sacris  ordinibus  constituto  licet  exagitare,  sed 
tantummodo  matrimonii  impetatur  separatio.   Item  cum    impetit 
eum  super  civili,  aliquando  super  civili  pecuniaria,  aiiq.  super  civili 
criminali.  Civilis  pecuniaria  est,  quando  agitur  de  praediis  vel  de  »liis 
peeuniis.quarumcognitio  tantum  ad  iudicem  eivilem  spectat.  Criminalis 
civilis  est,  quando  agitur  de  criminalibus  commissis,  propter  quae 
vel   sanguinis   effussio   vel  pecuniae  petitur  multatio,  quod  iudicium 
tantum  ad  eivilem  et  non  ecciesiasticum  debet  fieri  iudicem.  In  ciTili 
ergo  pecuniaria   sacerdos  sub  episcopo,  si  valet,  conveniat  laicum, 
alioquin  per  eivilem  iudicem  suum  jus  prosequatur.  In  civili  criminali 
nee  sacerdos  nee  quilibet  in  sacris  ordinibus  constitutus  laicum,  nee 
Inicus  quemlibet  eorum,  nisi  foret  exauctoratus,  valet  impetere. 


Zar  Geschichte  der  Literatur  über  da«  Dekret  Gmttanc.  III.  40 

Item  est,  quando  laieas  impetit  clericum,  aliq.  impetit  eum  super 
eiv.  pec,  aliq.  super,  civ.  crim.  Quando  impetit  eum  super  civ.crim.» 
debet  eum  produeere  coram  episcopo,qui  debeteum^siconstiterit^eum 
admisisse,exauetoritate  [/.  e,pauctorare},  etaiciudicis  saectdaria  cog~ 
miioni  tradere.  Si  yero  impetit  super  civ.  pec.f  similiter  eum  pro- 
dueere coram  episcopo  [debet],  et  sub  eo,  si  valet,  jus  suum  con* 
sequi«  alioquin  ad  civäem  iudicem  est  producendus.' 

Die  Methode  dieser  Quaestiones  ist  ganz  jene,  welche  Rolandus 
befolgt,  bis  auf  die  Ausdrucke.  So  z.  B.  fignrirt  bei  Rolandus  in 
Causa  XXV.  die  pars  adversa*  werden  hier  wie  oft  die  Argumente 
pro  et  contra  gegeben,  dann  die  solutio. 

Dem  Verfasser  sind  die  Zustände  in  der  Lombardei  genau 
bekannt,  ebenso  nimmt  er  auf  Bologna  eine  besondere  Rucksicht. 
Ja  der  ersten  kommt  *eptscopus  Bononiensis'  vor;  in  der  9.  wird 
berichtet,  es  werde  das  Privileg,  zu  taufen  und  zu  beerdigen  auch 
anderen  als  Taufkirchen  gegeben,  'ut  est  consuetudo  in  Lom- 
bardia  et  in  aliis  regionibus.*  Eine  behandelt  'Quidam  Apulus  Bono- 
niam  veniens",  eine  beginnt  *Nobilis  quidam  vasallus  Archiepiscopi 
domini  Mediolanensis  agens  in  extremis',  eine  *  Quidam  clericns 
li'centia  sui  collegii  Parisius  causa  studiorum  pergens'. 

Rolandus  ist  derjenige  Schriftsteller,  auf  welchen  sich  der 
Aator  durchwegs  stutzt.  Er  wird  noch  sehr  oft  in  den  übrigen  citirt. 
Häufig  werden  seine  Worte  ohne  Citate  benutzt,  z.  B.  in  num.  18 :  'talis 
distinctio  adhibenda  est  decretorum ;  qnaedam  sunt  ex  causa,  quaedam 
ex  loco,  q.  ex  tempore  et  ex  persona.  Ex  causa,  ut  in  hoc  exemplo  potest 
rideri:  Quidam  miles  offensam  ecciesiae  fecit.'  So  bei  Rolandus 
Causa  XXVIL:  'Sed  notandum^uod  decretorum  quaedam  sunt  intelli- 
genda  ex  tempore,  q.  ex  loco,  q.  ex  causa.*  die  von  Rolandus  gege- 
benen Regeln  über  die  Widersprüche  zwischen  zwei  Autoren  werden 
in  num.  22.  abgeschrieben. 

Römisches  Recht  wird  verhäitnissmässig  selten,  meist,  wie 
bereits  das  Mitgetheilte  ergibt,  allgemein  angeführt;  in  num.  7.  8. 
12.  kommen  Citate  aus  dem  Codex  vor. 

Fasst  man  Alles  ins  Auge,  so  dürfte  wohl  keinem  Zweifel  unter- 
liegen, dass  sie  in  Bologna  in  der  ersten  Zeit  nach  Abfassung  der 
Summa  des  Rolandus  gemacht  worden  sind. 

Inder  qu.  11.  wird  aus  einem  Beispiele  klar,  dass  die  Theilung 
des  Kapitelgotes  unter  die  Canonici  schon  damals  vorkam.  Es  heisst 


oO  ▼•    Schulte 

iiamlicli  darin:  'Quaedain  episcopalis  ecciesia,  quam  canonici  saecu- 
lares  iiihabttabant,  plures  habuit  possessioiies,  qiiae  videlicet  iiiii- 
cuique  illorum,  prout  cuiusque  dignitas  exigebat,  ab  exordio  ipsius 
«cclesiae  fueraiit  assignatae'  .  .  . 

In  Nuin.  12  kommt  noch  folgende  Stelle  vor.  'Idempotestprobari 
ad  instar  cuiusdam  decreü,  cuius  summa  talis  est.  Quidam  pecuniam 
certam  statuta  die  se  daturum  iurayit.  Termino  vero  adveniente  rem 
praefatam  ei,  cui  iuravit»  ipse  praebens  bona  fide  deferebat.  Casu 
Ibrtuito  ineidit  in  latrones,  eumque  omnibus  bonls  expoliaverunt.  De 
isto  quaerebatur,  utrum  tbret  periurus  nee  ne?  Sed  dicitur  absolutus 
a  iuramento,  ut  in  quihnsdam  deeretis  reperitur,  sed  promissa  cogi- 
tur  adimplere,  ut  f/uidam  magintri  asserunt.* 

Die  Casus  des  Richardus  Anglicus,  Damasus,  Benen- 
casa  u.  a.  geboren  theils  der  Deeretalenllteratur  an,  theils  fallen  sie 
in  eine  Zeit,  welche  über  die  lur  diese  Mittheilungen  gesetzte  Grenze 
hinaufreicht.  Ich  werde  deren  Schriften  im  Zusammenhange  be- 
sprechen. 

§.  2.  Traetatus. 

Abgesehen  von  ganz  kleinen  Excursen  sind  besonders  zwei 
Materien  monographisch  sehr  früh  behandelt  worden:  Process 
lind  Ehe  recht. 

I.   Process. 

a.  Zu  den  erstereii  kann  auch  jene  Schrift  gerechnet  werden, 
>velche  ich  unter  dein  Namen  Sutftma  legum  ausfiihrlich  erörtert 
habe  i). 

b.  Ausschliesslich  dem  Processe  ist  aber  gewidmet  eine  zweite 
Arbeit,  welche  der  Cod.  ms.  der  kön.  Bibliothek  zu  Bamberg 
P.  i.  11  von  einer  Hand  des  XIH.  Jahrhunderts  fol.  5Ü-63*'  in  2  Col. 
zu  je  42  Zeilen  enthält.  Sie  lallt  nach  1179,  da  sie  die  Schlüsse  des 
^.  Lateranensischen  Concils  berücksichtigt,  aber  vor  die  Compilatio 
prima,  gehört  mithin  unbedingt  zu  den  ältesten  auf  dem  canonischen 
Rechte  fnssenden  Ordines  judiciarii.  Wegen  dieser  seiner  Bedeutung 


1)  SJU.  Ber.  LVIl.  Bd.  S.  434—400  and  Nicbtra;  LXIII.  S.  VM  ff. 


Zar  Gesehicbte  der  Literttnr  flher  das  Dekret  Gratinns.    III.  51 

werde  ich  das  Werk  ediren  und  begnüge  mich  an  diesem  Orte  mit 
dieser  Andeutung. 

c.  Einen  ganz  eigentiiQmlichen  Charaicter  tragt  an  sich  das 
Juri»  cammici  speeulum  des  Petrus  Blesensis  jun.,  weiches  aus 
den  rerschiedensteu  Theilen  des  Rechts  die  allgemeinen  Grundsätze 
erörtert  und  um  1180  gemacht  ist  Da  es  edirt  ist  >),  begnüge  ich 
iiiieh  mit  der  Hinweisung  auf  dasselbe. 

U.  De  matrimonio. 

Es  ist  zuerst  von  Kunstmann  ^j  daraufhingewiesen  worden, 
dass  bereits  lauge  vor  der  Summa  de  mairimonio  Bernhardts 
von  Pavia^).  welche  älter  ist,  als  die  Tancreds,  systematische 
Darstellungen  des  Eherechts  vorkommen.  Kunstmann  hat  aus 
einem  Freisiuger  Codex  s.  IX  (cod.  Fris.  42.)  eine  solche  kurze  Dar- 
stellung edirt  (a.  a.  0.  S.  o.  ff.)»  welche  30  Capitel  enthält  ^).  Derselbe 
hebt  auch  schon  hervor,  dass  das  Eherecht  als  4.  Stuck  des  Dekrets 
erscheine,  irrt  aber  wohl,  wenn  er  glaubt,  diese  Rücksicht  habe 
die  Abschreiber  geleitet*),  in  Wirklichkeit  bildet  aber  das  Ehe- 
recht den  4.  Theil.  Denn  der  erste  umfasst  ausser  der  Lehre  von  den 
Reehtsquellen  Alles,  was  sich  bezieht  auf  die  Person  der  kirchlichen 
Judiees  (Dist.  I — XX.,  bez.  XXI — CI),  der  zweite  umfasst  den 
Proeess  und  was  mit  ihm  zusammenhängt  (C.  II — VI.),  der  dritte  die 


0  Siebe  darüber    und  aber  einen   xweiten   Codex   die   Bemerkung:  im  x  «r  e  i  t  e  b 
Beitrage  Seite  50. 

<)  AreblT    f.    ketb.    Kirchenr.    von    Freih.    v.    Moy    nnd   Vering    Vi.    (1861) 

S.  1  f. 
')  Edirt   TOB  R  n  n  s  t  m  1  B  n  n    «.  ».  O.  8.  217  &,  nnd  Lespeyres  in    seiner 

Angabe  der  Snnima  Decretal.  Bernb.  Pap.,  Ratisb.  1860  pag.  287  sqq. 
^)  Er  fabrt  nocb  andere  Handscbriften  an,  welcbe  Tbeile  des  Tractats  enthalten.  Die 

Be«n  ersten   Capitel   stehen   auch    in    der  tob  mir  Iter  GalHeum  p.  410  besebrie- 

benen   CanoBensammlnng  des  Cod.  H.    137  der  bibl.  de  l^^eole   de  m^decine   von 

Montpellier.    Dass    regelmissig    in    den    vorgratianiseben    systematischen 

SanmlBBgen  das  Ehereeht  eine  zusammenhiBgeade  Darstellung  gefunden  hat,  ist 

bekaaaU 
*)  Br  gibt  die  Stelle  aus  Stephan  t.  Tonrnay,  welcbe  ans  Job.  F  a  ▼  e  b- 

t  i  n  a  s  aacb  tob  mir  bekannt  gemacht  wurde  in  den  Rechtsbandschr. 

der  osterr.  StiAsbibl.  Sitabr.  LVII.   S.  $8S.  Nur  auf  die  Abschreiber  fBhren  aber 

die  GenaaBten  die  Bintbeilung  lurflck. 


52  ▼.   8  e  h  «  1 1  e 

Stellung  der  einzelnen  Kleriker  (VII — ^XXVL),  der  vierte  das  Ebe- 
recht (XXVIL  —  XXXVL).  Bernhard  von  Pavia  hat  sich  an 
dies  System  angeschlossen,  jedoch  eine  schärfere  Sonderung  u.  s.  w. 
vorgenommen.  Im  Ganzen  entspricht  die  Stellung  der  Materien  in  den 
vier  ersten  Büchern  der  bei  Gratian,  wenn  man  vom  Gegenstande 
des  fünften  Buches  absieht. 

Fasst  man  nun  die  Literatur  ins  Auge,  so  erhellt  fast  ausnahms- 
los, dass  die  Apparate  zum  Decrete,  wie  sie  dies  meist  auch  für  den 
Process  thun,  fast  sämmllich  für  das  Eherecht  den  Charakter  form- 
licher Monographien  annehmen,  jedenfalls  mehr  eigentliche 
Summae  werden.  Am  wenigsten  ist  dies  der  Fall  bei  Paucapalea. 

» 

Aber  selbst  er  sendet  eine  verhältnissmassig  lange  Einleitung  <)  über 
die  Stellung  des  Eherechts  im  Rechtssysteme,  die  causae  matrimonii, 
den  Begriff  der  Ehe.  die  Gründe  der  Ehehindernisse  voraus  und  hat 
noch  mehrere  solche  Erörterungen.  Rolandus«)  widmet  dem  Ehe- 
rechte die  Hälfte  seines  Werkes.  Stephun  von  Tour nay  geht  auf 
die  meisten  Punkte  in  zusammenhängender  Darstellung  ein.  Von 
Rufinuss)  dürfen  wir  dasselbe  annehmen,  da  Johannes  Fave n- 
tinus*  Summe  kaum  mehr  ist  als  eine  Zusammenstellung  aus  den 
Summen  von  Ruf  in  und  Stephan,  im  Eherechte  aus  Stephan  sehr 
viel  enthält  und  es  doch  sonderbar  wäre,  dass  gerade  für  dieses  das 
sonst  stets  befolgte  Verfahren  unterblieben  wäre.  Die  Summe  des 
Johannes  über  das  Eherecht  bildet  aber,  wenn  man  die  blossen 
Erklärungen  von  Canones  ausscheidet,  eine  ziemlich  ausreichende 
und  theilweise  sehr  eingehende  systematische  Darstellung  des  Ehe- 
rechts. Dieser  Vorgang  wurde  beibehalten^  so  dass  alle  Glossatoren, 
selbst  jene,  w^ eiche  abweichende  Methoden  haben,  wie  Simon  do 
Bisiniano  und  Sigehardus  Cremonensis,  für  das  Ebe- 
recht viel  ausführlicher  sind  und  zusammenhängende  Darstellungen 


<)  Die  Verbindung  des  Clerus  mit  der  Kirche  als  contugium  tjnriiumte  geht  ihm 
paraHeJ  mit  dem  matrimomum  eorporaU, 

S)  Erster  Beitrag  8.  17. 

')  Die  Mainzer  Handschrift  entbilt  nur  P.  f.,  ebenso  eine  Gdttinger,  die 
Bamberger  nar  P.  U.  von  C.  I.  bis  XXIU.  q.  6.  Eine  Handschrift  der 
Summa  Rufins  mit  dessen  Namen  wird  angegeben  im  Catalogu  e 
g  ^  n.  des  manuscrits  des  bibl.  des  d^p.  li.  pag.  294  (num.  60S  Ton  Troyea), 
aber  auch  nur  vom  Anfange  bis  C.  XXI.  q.  I.  Es  ist  sonderbar,  das«  alle  vier 
bis  jetst  bekannte  Handschriften  defect  sind. 


Zur  Gesebichte  der  Literatur  über  das  Decret  Gr«tian8«  III.  53 

liefern.  Und  hierin  liegt  wohl  auch  ein  Grund  dafür,  dass  Bernhard 
Ton  Paria  ihm  ein  ganzes  Buch  einräumte. 

Die  Wichtigkeit  der  Sätze  Ober  die  Ehe,  rücksichtlich  deren 
die  Gesetzgebung  und  Gerichtsbarkeit  zur  Zeit  des  Erscheinens  des 
Dekrets  unbestritten  der  Kirche  zustand,  macht  begreiflich,  dass 
man  sieh  für  diese  Materie,  deren  Kenntniss  jedem  Geistlichen  in  der 
Seelsorge  und  kirchlichen  Verwaltung  unentbehrlich  war,  nicht  be- 
gnügen konnte  mit  Excerpten,  sondern  zur  Abfassung  zusammen- 
hängender Darstellungen  schritt,  die  theils  auf  PetrusLpmbardus, 
thefls  auf  der  Literatur  zum  Dekret  fussen.  Petrus  Lombardus 
hat  in  seinen  Sententiae  Liber  IV.  dist.  26 — 42.  dem  Eherechte  eine 
auf  dem  wesentlichen  Quellenmateriale  Ton  der  ältesten  Zeit  an 
ruhende  Darstellung  eingeräumt  Das  Verhältniss  der  Sententiae 
des  Petrus  zum  Dekrete  Gratians  ist  noch  nicht  aufgeklärt.  Sarti  >) 
deducirt,  Petrus  habe  Gratianus  nachgeahmt,  ohne  jedoch  den 
geringsten  sachlichen  Grund  anzugeben.  Andere  nehmen  an,  Petrus* 
Sententiae  seien  um  1140  erschienen*).  Fest  steht,  dass  Petrus, 
als  er  Bisehof  Ton  Paris  wurde,  durch  seine  Sententiae  ein  be- 
rühmter Mann  war,  ja  seiner  Berühmtheit  die  Wahl  zu  danken  hatte, 
dass  er  11 64  starb.  Aus  der  Eintheilung  indts^tneho/t^sbeiGratianist 
nichts  zu  folgern,  weil  diese  von  Paucapalea  herrührt,  das  Dekret 
also  ursprünglich  keine  mit  Petrus  harmonirende  Eintheilung  hatte, 
folglich  Petrus  sie  auch  nicht,  wie  Sarti  meint,  Gratian  entlehnt 
haben  kann.  Dass  Gratians  Dekret  vor  1150  bekannt  war,  ist  nicht 
zu  erweisen.  An  sich  erscheint  es  nun  höchst  unwahrscheinlich,  dass 
in  dem  kurzen  Zeiträume,  der  bleibt,  zuerst  das  Dekret  zu  solchem 
insehen  gelangt  ist,  dass  dieses  Petrus  veranlasste,  in  einer  ähnlichen 
Methode  die  Theologie  zu  behandeln,  dass  dieses  Buch  alsdann  so 
bald  das  Ansehen  des  Mannes  hob,  dass  bei  der  Wahl  selbst  der  von 
einem  Theile  in  Aussicht  genommene  Bruder  des  Königs  die  Candi- 
datnr  aufgab.  Betrachtet  man  des  Petrus  Werk,  das  ein  so  einheit- 
liches philosophisch  durchdachtes  Ganzes  ist,  so  kann  man  kaum  auf 


0  ^  eUr.  arch.  Bon.  prof.  II.  p.  3.  sqq. 

'j  CsTe.  Script,  eecl.  p.  581  (edit.  Col.  Alobr.  an.  1720.  fol.)  Richter 
■iont,  weil  er  in  den  Noten  kam  Corp.  jur.  c«n.  gewöhnlich  Petrus  anführt, 
vcan  eine  SteUe  bei  ihm  steht,  offenbar  stillschweigend  an,  Gratisns  Dekret  sei 
jfnger. 

aüah.  d.  phn.*hist.  CI.  LXV.  Bd.  I.  HfL  S 


54  r.   8  c  h  a  1 1  e 

die  Idee  kommen»  es  sei  die  blosse  Copie  eines  fremden  Systems  oder 
wenigstens  durch  ein  solches  hervorgerufen.  Nimmt  man  nun  roUends 
das  Eherecht,  für  welches  eben  in  den  Quellen  die  grosste  Über- 
einstimmung Ton  beiden  herrscht»  so  bietet  Petrus  ein  streng  syste* 
matisches  Werk,  ganz  nach  derselben  Weise,  wie  die  anderen 
Theile  <),  wahrend  im  Dekret  Gratians  von  einer  inneren  Ordnung 
irgendwelcher  Art  in  dieser  Materie  kaum  die  Rede  sein  kann.  Was 
die  Quellen  betriiTt,  so  versteht  sich  bei  einem  Manne  wie  Petrus  die 
umfassendste  Kenntniss  der  Schriften  der  Väter  und  Concilien  von 
selbst.  Übrigens  brauchte  er  nicht  lange  zu  suchen.  Schon  die 
Collectio  trium  partium»  von  der  ihm  sicherlich  in  Paris  oder  früher 
in  Rheims  ein  Exemplar  zu  Gebote  stand»  oder  Ivos  Werke  boten 
ihm  die  Belege  der  Quellen.  Ich  halte  demnach  die  Selbstständigkeit 
der  Sententiae  gegenüber  dem  Dekret  für  unzweifelhaft.  Aber  auch  das 
halte  ich  bei  genauer  Vergleichung  beider  für  einleuchtend»  dass 
Gratian  das  Eherecht  des  Petrus  vor  sich  hatte  und  dieses  stark 
benutzte»  namentlich  in  seinen  Dicta. 

a.  Der  Codex,  der  Wiener  Hofbibliothek  membr.  fol.  max. 
Nr.  1180»  saec.  XII  [der  gedruckte  Katalog  sagt  irrig  *XI1.  —  XIV/ 
Es  sind  alle  Stücke  aus  dem  XII.]  enthält  von  fol.  167*  vorletzte  Zeile 
der  zweiten  Spalte  bis  177^  zur  28.  Zeile  der  2.  Spalte  ein  Stück 
überschrieben : 

De  duplici  inatUutiane.  Tracfatus  de  coniugio,  cuius  instiitäio 
et  causa  ostendiiur. 

Dasselbe  ist  ein  Excerpt  aus  Petri  Lombardi  Liber  Senten- 
tiarum  L.  IV.  dist  26.  —  42.  Theils  werden  die  von  Petrus  mit- 
getheilten  Quellenbelege  und  dessen  Deductionen  wörtlich  ganz 
gegeben»  theils  nur  die  eine  bez.  mehrere  Stellen»  manche  Para- 
graphe  ausgelassen.  Letzteres  macht  ihn  interessant  Denn  ist  auch 
noch  nicht»  wie  in  den  späteren  Tractatus  de  matrimonio  das  Theolo- 
gische  ausgeschieden   und  das  Rechtliche  allein  massgebend»    so 


10)  Zweck,  Wesen,  Form,  Anfang,  Gebrancb,  VerlöbniM,  ForniaUen,  Hindernisse: 
Willenaunfreibeit,  Irrthuni,  debituro  coiuugale,  Impotens,  Geittenkrankbeit ,  afll* 
nitas  ex  cop.  illicitii,  lYennnn^r  wejren  Bhebrucb  ii.  dgl.,  Ehebrueb,  conditio  eer^ 
▼llit,  Alter,  Ordo,  Votum,  mntr.  bona  6de  eootr.  Tlro  absente,  disper  culUis, 
Lösung  des  m.  in  inlidelitate  contr.,  Cognatio,  aiHnltaa;  foroicatio,  aditlteriuni, 
raptns. 


Znr  Geschichte  der  Litenitar  fiUer  du  Decrrt  Gnitiana.  Ilf.  55 

^▼aitet   doeb  Letzteres  bereits  vor,  so  dass  ein  Einfluss  der  Juris- 

^inidenz  unverkennbar  zu  Tage  tritt.  Die  Abfassung  ßllt  nicht  vor 

.1154  bez.  1159  aus  dem  gleich  anzuführenden  Grunde»  aber  auch 

tvohl  kaum  später.  Denn  6ratian*s  Dekret  ist  sicher  dem  Verfasser 

-unbekannt.  Wäre  dem  nicht  so,  so  iiesse  sich  kaum  begreifen,  wie 

Jemand  auf  die  Idee  gekommen  wäre,  ganz  in  der  Reihenfolge  der 

Darstellung  des  Petrus  und  nur  mit  dessen  Worten  das  Eherecht 

darzustellen.  Fiir  das  Eherecht  fallt  nicht  Gratian  sondern  Petrus  das 

Verdienst  der  ersten  umfassenden  Behandlung   zu;   auch  die   als 

Gratian^s  Ansicht  gewohnlich   ausgegebene   Auffassung   über    das 

•imp.  crimmis  ex  adulterio  im  dict.  ad.   c.  3.   C.  XXI.  q.  1.,  die 

später  Gesetz  wurde,  gehört  nicht  Gratian  an,  sondern  ist  entnommen 

^Qs  Petrus  IV.  d.  XXXV.  §.  7.  In  unserem  Tractate  steht  eine  einzige 

Stelle,  die   weder  bei  Petrus  noch  bei  Gratian  steht  oder  stehen 

Jiconnte.  In    dem  Titel  de  conditione  [Petrus  IV.  36.]  wird  nach 

Anfahrung  der  Worte  des  Petrus:    'Petrus.    Attende  finem  huius 

«eapituii ....  dominis  ignorantibus'  zugesetzt: 

'ünde  Adrianus  papa  Eberhardo  archiepiscopo  Juvavienai. 

Inter  serros  non  debent  matrimonia  nuilatenus  prohiberi.  Et  si 

dominis   contradicentibus  et  invitis  contracta  fuerinl,  nuila 

ratione  propter  hoc   sunt  ecclesiastico  iudicio  dissoivenda. 

Debita  tarnen  consueta  oflßcia  seryitia  nön  ex  hoc  minus  sunt 

propriis  dominis  exhibenda.' 

Es  ist  diese  Stelle  genommen  aus  der  Decretale  Adrian*s  IV. 

4]Jaff^  Regesta  Pont.  Rom.  num.  7068],  welche  in  die   Collectio 

4^a$ufUana  als  Tit.  LXV,  mit  dem  Anfange  'Dignum  est',  [Boehmer 

"Corp.  jur.  app.  ü.  col.  340],  in  die  App.  Conc*  tat  er.  als  P.  XLV. 

«.  7.  [Mansi  XXII.  col.  411]  aufgenommen  ist,  endlich  Eingang 

fand  in  das  Breriar.  Extrav.  des  Bernhard  von  Pavia  also.  1. 

de  coniugio  servorum  IV.  9.  und  daraus  in  den  Decret.  Greg.  IX. 

{e.    1.   X.    de   coniugio   serv.    IV.    9.].  Eberhard  I.  von  Salzburg 

regierte  von  1147—1164,  Papst  Hadriau  IV.  von   1154—1159. 

Welchem  Jahre  sie  angehört,  ist  bisher  nicht  festgestellt. 

Ohne  Zweifel  war  des  Petru^  Werk  früh,  sicher  am  Ende  der 
50ger  Jahre  in  Deutschland  bekannt  und  im  Gebrauche.  Sollte  nicht 
das  Torliegende  um  diese  Zeit  in  Deutschland  gemacht  sein?  etwa  in 
'Äer  Salzburger  Provinz?  bez.  in  einer  für  diese  gemachten 
-Abschrift  aus  der  Decretale  der  Zusatz  beigefugt  worden    sein? 

3* 


56  T.    S  c  h  n  1 1  e 

Ausser  den  angeführten  Gründen  bewegt  mich  zu  dieser  Vermuthung^ 
noch  der  Umstand,  dass  sich  unmittelbar  an  dieses  Stuck  schliesst 
der  von  mir  in  den  Sitz.  Ber.  der  kais.  Äkad.  der  Wiss.  bist, 
phil.  Cl.  LVII.  Bd.  Seite  182  fT.  publicirte  tractatus  de  sacrilegiis^ 
der  in  Italien  kaum  gemacht  bisher  nur  aus  deutschen  Hand- 
schriften bekannt  ist.  Am  einfachsten  stellt  sich  die  Sache,  wenn 
man  annimmt,  ein  in  Paris  studierender  Kleriker  habe  den  Auszug 
gemacht.  Ist  meine  Annahme  über  die  Zeit  der  Abfassung  richtig,  so 
dürfte  daraus  sich  ergeben,  dass  man  wohl  im  ersten  Decennium 
nach  Gratian  in  Deutschland  das  Dekret  noch  nicht  als  massgebend 
kannte.  Rufin,  Stephan,  Johann  von  Faenza,  erwähnen  die 
Extravagante  nicht.  Mir  scheint  auch,  dies  bildet  ein  Argument 
dafür,  dass  ein  Kleriker  der  Salzburger  Kirche,  dem  sie  sofort 
bekannt  wurde,  Verfasser  ist. 

b.  Ein  andereraufdas  Dekret  sich  stützenderTractat  ist  enthalten 
in  dem  Cod.  jur.  Nr.  63.  s.  XII.  der  Stuttgarter  kön.  Hand* 
b i  b  I  i  0 1  h  e  k  fol.  43 — SO,  dessen  Charakter  die  folgende  Skizzi- 
rung  ergibt. 

c  De  ortu  coniugii  et  quare  ait  instittitum,  et  quae  ibi  con^ 
siderantur. 

Sacramentum  coniugii  non  ab  homine,  sed  a  deo  in  paradiso 
institutum  est,  cum  dixit:  *Non  est  bonum  esse  hominem  s.  f.  e.  a. 
s.  s.*  Immitit  ergo  deus  soporem  in  a.  t.  q.  v.  d.  c.  e.,  et  replevit 
carnem  pro  ea  i.  e.  affectum  dilectionis,  quo  quisque  uxorem  suam 
tanquam  vas  proprium  diligere  et  custodire  debet.  Quam  videns 
Adam  dixit:  'Hoc  nunc  os  ex  o.  m.  et  c.  d.  c.  mea,  quae  vocabitur 

uxor Instüutum    ergo    fuit   in   paradiso    coniugium.    Cuius 

triplex  est  institutio  et  quarta  abusio,  ut  testatur  I^idorus  Ethymolog. 
libro  XI. 

Prior  est  causa  adiutorii  .  .  .  Secunda  causa  prolis  .  .  .  »^ 
Tertia  causa  incontinentiae  i.  e.  vitandae  fornicationis  .  .  .  Quarta 
abusio  est  s.  voluntas  explendi  libidinem. 

In  eligendo  autem  marito  IUI.  spectari  solent:  virtus,  genus^ 
pulchritudo,  sapientia  .  .  . 

Item  in  eligenda  uxore  IUI.  res  impellunt  hominem  ad  amorem  r 
p  ulchritudo,  genus,  diritiae,  mores  .  . 


Zur  Geschiebte  der  Lileratur  über  das  Decret  Gratians.  111.  57 

De  sponsalibus. 

De  sp.  tractaturi,  quae  sint  sponsalia  videamus.  Sp.  sunt  mentio 
et  repromissio  foturaram  nuptiarum.  Hie  nomine  nuptiarum  non 
affectam  sed  eflTectum  nuptiarum  intelligimus 

Bene  est*  priusqaam  ad  explanationem  cauaarum  descendamus, 
<ie  emdugii  sacrameniOf  aliquatenus  inquirere.  Quod  quidem  saera- 
ineatom  sicut  caetera  sacramenta  aliqood  bonum  non  confert,  sed 
tarnen  est  mali  remedium. 

Est  auiem  coniugium  maris  et  feminae  foederatio  legitima. 
F.  alia  est  de  futuco  coniugio  contrahendo,  de  qua  dicit  Aug.  Jura-- 
uunio  • .  • 

Quid  faciai  conj.  yideamus.  C.  cum  sit  bonae  fidei  tractatus, 
coDseDSQ  contrahitur.  Sicut  dicit  Nico),  pp.  Suffieiai  cet 

Est  adfanc  et  alius  consensus,  seil,  camalis  commereii  ad 
inTJcem  exigendi  et  reddendi,  similem  inter  y.  et  m.  pactionem  con- 
stitoens 

Cons.  autem  alius  praecedit  coitum  alius  subsequitur  .... 

Sed  de  furioso  quaeritur,  utrum  m.  contrahere  possit 

Distat  autem  a  sponsalibus  conj.  duobus  modis:  ratione  tem- 
poris  et  efficacia  sacramenti 

Moitorum  obscuram  diligentiam  agnorimus,  novi  testamenti 
abominari  coniugia  et  somnia,  quae  nocte  plorando  conceperant, 
idiotis  et  pasilianimitate  fluctuantibus  pruriente  lingua  ne  nihil 
dieere  yideantor  intimare,  ut  suae  inscitiae  sub  obtentu  religionis 
aliquos  incorporare  non  desinant 

Amodo,  ut  arbitror,  inquirendum  est,  utrum  in  novo  t.  niiptiae 
praecipiantur,  an  secundum  consiiium  concedantur,  an  permit- 
taotar .... 

De  seeundis  autem  nuptiis  dubitatur  etiam  apud  quosdam 
eeelesiasticos»  utrum  permissae  essent  quasi  uf  peccatum 
«sseot .... 

Nuptias  ergo  permissas  dicimus  non  praeceptas  .... 

Notandam  quoque  est,  quod  eorum,  qui  ducunt  uxores,  alii 
doeont  solummodo  causa  prolis  et  spe  liberorum  alii  causa  vitandae 
fornieationis  principaliter 

Rationibus  ergo  et  auctoritatibus  supra  monstratum  est,  non 

peccatum,  cum  uxore  generandi  causa  eoire  .... 


do  T.    S  c  h  u  1  t  e 

De  verborum  ioterpretatione  aliqua  annectenda  esse  idoneun» 
diximus,  ne,  cum  rerbis  uti  debemus»  sera  poenitudine  dictionun» 
signacula  pertusa  testa  corrogemus.  Unde  ergo  coniugiuin,  matrimo*- 
nium  sive  eonnubium,  contubernium  et  nuptiae  dicaDtur  .... 

(Folgen  WorterUarungen  ober  Ehe,  Ordensaasdrüeke.) 

Nuptiarum  bonum  Teile  nubere  damnabile  est ...  . 

Quaer.  an  C.  sit  inter  sponsum  et  sp.?  Secundo  quo  casu  possin t 
ab  invicem  discedere!  Quod  inter  sp.  et  sp.  c  sit,  definitione 
coniugii  facile  probatur  rationibus  et  auctoritatibus. 

Est  igitur  H.  coniunctio  viri  et  mulieris  .... 

Sed  quis  consensus  m.  faciat  non  immerito  quaeritur  .... 

Notandum  quoque  est,  quod  duo  sunt  in  C.  attendenda,  seil,  per 
quid  fit  et  ad  quid  fit. 

Auctoritatibus  quoque  probatur,  inter  sp.  esse  eoniugium  .... 

His  auct.  probatur,  coniugatos  sine  mutuo  consensu  non  posser 
continentiam  profiteri  .... 

Item  impossibilitas  coeundi,  si  post  carnalem  copulam  invent» 
fuerit,  non  solyit  C  .  .  .  .  Alioquin,  nisi  ita  soWatur,  auetoritati  praefati 
concilii  modis  omnibus  obviaret.' 

Damit  bort  der  canonistjsche  Theil  auf. 

Exposuimus  de  spons.  et  de  arrhis  sponsalitiis  in  genere.  Nune 
audiamus  in  quadam  speeie  i.  e.  si  rector  provinciae  vel  ad  eum  perti* 
nentea  dederint  arras  sponsalitias.  Sic  enim  verbum  istud  exponitur 
C.  si  nuptiae,  ex  r.  p.  1.  L'  Es  folgt  nun  eine  rein  civilistische  kurze 
auf  das  römische  Recht  gestützte  Auseinandersetzung  Ober  arrkae- 
sponsalitiae»  donatianes  sponsalitiae  und  donatio  propter  nuptias^ 

Es  kann  keinem  Zweifel  unterliegen,  dass  dieser  Tractat  bald 
nach  dem  Erscheinen  des  Dekrets  abgefasst  worden  ist. 

c.  Ein  dritter  Tractat,  dessen  Anfang  bereits  in  dem  erste» 
Beitrage  Seite  8  mitgetheilt  ist,  steht  ausser  in  dem  Codex  der 
Berliner  Bibl.  Sar.  14.  Fol.  63 — HO,  wo  er  hinter  des  Rolandu» 
Summe  steht,  im  Cod.  B.  III.  21.  der  Bamberger  Bibliothek,  fol.r 
mbr.  s.  XIV.  hinter  der  Summe  des  Stephanus  von  Tournay» 

Er  ist  ebenfalls  bald  nach  dem  Erscheinen  des  Dekrets  gemacht^ 
da  in  ihm  keine  einzige  nachgratianische  Quelle  citirt  wird.  Inhaltlich 
ist  er  eben  so  wenig  als  die  beiden  vorhergehenden  von  besonderer 
Bedeutung,  da  er  weder  Neues  bietet,  noch  auch  in  der  Behandlung- 
neue  Gesichtspunkte  hat.  Der  Werth  dieser  Tractate  liegt  daher  vor- 


Zar  Geschichte  der  Literatur  fiher  das  Deeret  Gratiaat.  Ul.  59 

xogsweise  darin,  dasa  sie  den  Beweis  bilden  f&r  die  monographisehe 
Behandlung  dieser  Materie.  Am  Rande  der  Bamberger  Handacbrift 
stehen  ab  und  zu  Glossen»  welche  vielfach  kurs  angeben,  welches 
das  geltende  Recht  sei,  mithin  den  Gebrauch  der  Schrift  in  späterer 
Zeit  lehren.  In  einer  (toL2Si.)zuc.aliquando[c.  7.  C.  XXXII.  q.  2.] 
heisst  es: 

'M.  R.  coniuges  non  sunt,  id  est  maritalem  non  habent  affectum, 
manet  tarnen  sacramentum'.  In  dieser  Glosse  haben  wir  also  die 
his jetzt  nicht  unerwünschte  Bestätigung  dafür, dass  Ruf  i  n  die  ganze 
Run  n.  glossirt  hat  An  derselben  Stelle  citirt  die  Glosse  auch 
'm.  p.'  d.  h.  Petrus  Lombardus. 

d.  Ein  ganz  kurzer  Tractat  ist  der  Ton  mir  in  der  dt.  Schrift 
Deeret.  jurisprud.  spec  pag.  XVDI.  sqq.  publicirte,  welcher  eine 
höchst  eompendiarische  Darstellung  der  Ehehindernisse  enthält.  Ihn 
gibt  auch  der  Codex  der  Wiener  Hofbibliothek  2221  s.  XIII. 
foLllS»  —  119^ 

e.  Die  monographische  Behandlung  des  Eherechts  geht  auch 
«piter  noch  stets  neben  der  exegetischen  und  systematischen  Behand- 
long  der  Quellen,  wie  die  Summae  de  matrimonio  von  Bernhardus 
Papiensis  und  Tancred  zeigen.  Am  ^nde  des  12.  Jahrhunderts 
bemächtigt  sich  ihrer  die  Jurisprudenz  fQr  das  forum  internum,  als 
deren  Vater  bis  jetzt  Robertus  Flamesburiensis*)  angesehen 
werden  kann.  Ausser  Tancred,  der  gleichzeitig  ist,  bietet  die 
Literatur  des  13.  Jahrhunderts  nur  Überarbeitungen,  die  Fortbildung 
blieb  den  Summae  auuum  von  der  Raymunds  an  überlassen. 

Summae  anonymae  zum  Deeret'). 

I.  Der  Codex  P.  II.  16.  membr.  fol.  der  Bamberger 
Bibliothek  enthält  fol.  100—107  (Anfang  bis  D.  XXV.)  29—49 
(Ende  der  Dist)  50—70  (C.  I.  —  c.  42.  c.  VII.  q.  1.)  71-100 
(bis  C.  XVII.  q.  4)  108— 11»»  mit  2.  Col  zu  je  70  Zeilen  von  einer 
Hand  des  XIV.  Jahrhunderts,  welche  aber  unendlich  klein  und  mit 


0  lUiM  Schrift:  Roberti  Flametbvrlenais...  Summa  de  matrimonio 
et  im  «avia.  Giaa.  18S8.  4. 

*)  Ich  mache  4ieae  Mittheiloiig,  obwohl  ale  atrengr  genommen  nicht  in  dieaen  Za- 
aammeahang  p>a«t,  weil  Ich  die  Randichrift  erst  in  jfin^ter  Zeit  genauerem 
Stadinm  nntenog  and  wohl  nicht  aobald   mehr  Veranlaaaung  habe«  sie  an  be- 


60  r.    S  c  b  tt  1 1  e 

masslosen  Abkörzungen  schreibt»  eine  Summe  zum  De  er  et  Die 
Vorrede  lautet : 

'Animal  est  substantia  animata  sensibus.  linde  homo  habet  com- 
munem  naturam  cum  quolibet  animali»  scilicet  sensualitatem. 
Unde  hoino  a  sensualitate  quoddam  jus  habet,  quod  etiam 
commune  est  omnibus  animalibus,  scilicet  jus  naturale,  quod 
natura  omnia  animalia  docuit.  Et  de  hoc  iure  fit  mentio 
j.  d.  I.  jus  autem,  et  in  Inst,,  de  jure  naturali  in  princ.  Et 
est  ius  istud  ordo  et  instinctus  naturae  et  propter  hoc  etiam 
naturale  dicitur.  Et  secundum  hoc  jus  nihil  est  iustum  Tel 
iniustum,  quia  istud  ius  nihil  jubet,  sed  tantum  impellit 
hominem  ex  vi  naturae.  Non  enim  diceremuä,  quod  equus  vel 
asinus  peccaret.  Postmodum  homo  abundat  a  quolibet  ani- 
mall  hac  differentia  substantiali  rationale  et  ex  hac  sibi 
contrahit  quoddam  ius  naturale'. 

Der  ausFührliche  Commentar  zeichnet  sich  ganz  besonders 
dadurch  aus,  dass  er  in  einem  Umfange,  wie  keine  vorhergehende 
Arbeit,  seine  Belege  aus  den  römischen  Rechtsquellen  hernimmt,  so 
dass  wir  in  ihm  eine  durchgehende  Construction  des  canonischen 
Rechts  im  Geiste  und  mit  den  Sätzen  des  römischen  haben.  Alle 
Theile  der  Rechtsquellen  (Codex,  Authentica,  Inst.,  Pandectae)  werden 
unendlich  oft  citirt. 

Seine  Entstehung  fällt  wohl  in  das  Ende  des  12.  Jahrhunderts. 
Dies  folgt: 

1.  Aus  der  Bekanntschaft  mit  Hugucci  o.  Zu  c.  98.  C.XI.q.  3. 
sagt  er:  'hug.  sie  exponit*.  Das  Erwähnte  findet  sich  auch  bei 
Huguccio. 

2.  Aus  der  Bekanntschaft  mit  der  Compäaiio  prima.  Obwohl 
er,  so  viel  ich  bemerkt  habe,  diese  nie  mit  irgend  einem  Namen 
citirt,  ergibt  es  sich  aber  aus  den  Citaten  unverkennbar. 

Zu  C.  III.  princ.  ist  citirt:  'eartra  de  appeUai.t  ex  quorun-' 
dam\  Dies  ist  das  von  Gregor  IX.  nicht  aufgenommene 
c.  14.  Comp.  I.  de  appell.  II.  20;  —  'extra  de  restit.  spol.  c.  11-,^ 
extra  de  restit.  spol.  super  illa;  zu  C.  XIII.  q.  1.  extra  de 
decimis,  ad  apost,  [c.  29.  h.  t.  Comp.  I.],  cum  homines  [c.  4- 
ibid.  Comp.  I.];  —  nach  c.  7.  C.  XIII.  q.  2.  extra  desepultura  c.  1,, 
*et  ultima  deeretalis  eiusdem  iituKt  zu  C.  VII.  q.  1.  extra  de  eone. 


Zar  Geschichte  der  Literatur  fiber  dM  Decret  Gratians.  III.  61 

waeb.  non  vac.  c.  1.  Da  einzelne  dieser  Titel  nicht  in  den  Samm- 
Inogen  yor  Bernhard *s  Breviarium  stehen»  so  müssen  sie  schon 
deshalb  der  Comp.  I.  entlehnt  sein,  fiir  welche  auch  der  Citirmodus 
allein  passt 

Dass  er  aber  die  Compilatio  IL  nicht  gekannt  habe,  ist  kaum 
fraglieh.  Zu  c.  7.  C.  XIII.  q.  2.  kommt  das  Citat  vor:  'sed  nova 
deereialis  dicit,  quod  attendendae  sunt  diversae  consuetudines: 
estra  t.  de  sepult  ceriificart.  Diese  Decretale  ist  c.  8.  de  sep. 
DI.  15.  Compil.  II.  von  Clemens  III.  (27.  Harz  1191).  Es  kann 
DUD  allerdings  möglich  sein,  dass  die  neuen  Decretalen  unter  den 
betreffenden  Titeln  in  Anhangen  rermerkt  wurden  ^  mithin  citirt 
Verden  konnten,  wie  es  hier  geschieht,  weil  keinem  Zweifel  unter- 
liegt, dass  mit  der  Reception  des  Breviarium  die  Titel  als  stehend 
(authentisch)  galten,  wie  dies  von  Glossatoren*)  erklärt  wird  und 
ans  den  Worten  *sub  competentibus  titulis'  in  der  Zusendungsbulle 
Inooeenz  UL  zu  seiner  Sammlung  hervorgeht;  aber  es  kann  auch 
eioe  der  durch  die  Comp.  IL  antiquirten  Sammlungen  gemeint  sein. 
Dass  aber  der  Autor  die  Compilatio  II.  nicht  gekannt  hat,  scheint 
mir  anch  daraus  hervorzugehen,  dass  er,  so  viel  ich  bemerkt  habe, 
Qiefflals  Decretalen  der  Comp.  III.  citirt.  Da  diese  aber  älter  als  die 
D.  ist  und  höchst  wichtige  enthält,  Hesse  sich  das  Schweigen  kaum 
erklären.  Mag  dem  sein,  wie  ihm  wolle,  vor  1215  fallt  sie  unbedingt, 
weil  die  Schlüsse  des  lateranensischen  Concils  dem  Verfasser  unbe- 
kanot  sind. 

Zu  c.  13.  C.  XIII.  q.  2.  wird  gesagt:  *secundum  quod 
magisier  dicit  in  hiatoriis*.  Entweder  geht  dies  Citat  auf  ein 
Werk  unter  dem  Titel  Bistoriae,  dessen  Verfasser  alsdann  vielleicht 
ein  Lehrer  wäre,  —  oder  er  beruft  sich  auf  einen  Ausspru<ih  eines 
Magisters  zu  dieser  Stelle  in  den  darin  vorkommenden  historiae.  Als 
magigter  schlechtweg  wird  meines  Wissens  in  jener  Zeit  nur 
Gratian  beseichnet  Dieser  hat  allerdings  zu  C.  XIIL  q.  1.  mehrere 
derartige    Beispiele,    für  welche    seit    Paucapalea    der    Name 


U  über  •!»•■  flolclMa  Anhang  aar  Comp.  I.,  den  Cod.  Ye  SO.  der  kön.  UnirersitSl^- 
kibUotbefc  ss  II«1U  entliilt,  werde  ich  bei  einer  spateren  Gelegenheit  berichten. 
Siebe  vorlinfli^  L  a  •  p  e  y  r  e  »  a.  a.  0.  pag.  XXSi.  seq. 

')  80  fangen  die  Notabi] ia  des  Paulas  Ungarns  aar  Comp.  111.  an :  'Nota 
^nod  titali  decretaiiam  sunt  antentici.^  (Cod.  Lipa.  UniT.  975.) 


62  ▼.    6  c  h  u  i  t  e 

hütoriae  technisch  wurde.  Eine  eigene  Schrift  'Bistariae'  wird 
zuerst  Ton  Damasus  angeführt.  Wann  diese  gemacht  ist,  lässt  sich 
insoweit  bestimmen,  dass  sie,  wenn  sie  überhaupt  Damasus  angehört, 
wahrscheinlich  um  1210  fallt,  wie  in  einer  späteren  Abhandlung  dar- 
gethan  werden  soll.  Unsere  Summe  citirt  noch  mehrmals  historiae, 
£.  B.  zu  dist.  y.  Solche  kommen  aber  aus  den  Siteren  bei  Hugucci  o 
u.  s.  w.  auch  vor.  Ich  will  jedoch  nicht  unterlassen  zu  bemerken«  dass 
zu  c.  1.  D.  V.  es  heisst:  'hunc  pollut  tangit  hie  iilud,  quod  legitur 
in  leritico  .  .  .'  Huguccio  hat  dies  Citat  insofern,  als  es  bei  ihm 
heisst:  Mevitico  legitur  .  .  .'  Mit  der  in  den  historiae  gebräuchlichen 
Form  iangü  etc.  steht  es  aber  weder  bei  Paucapalea,  noch 
Stephan,  noch  Huguccio,  wohl  aber  haben  es  die  historiae  in 
der  Überarbeitung  von  Bartholomäus  Brixiensis,  somit  ohne 
Zweifel  auch  die  von  Damasus.  Eine  Folgerung  aber  daraus  zu 
ziehen  dörfte  gewagt  sein. 

Zu  C.  III.  q.  1.  *quod  si  spoliatus  in  continenti  velit  probare, 
quod  spoliator  nullum  jus  habet  in  re,  nihilominus  spoliatus  est 
restituendus,  at  dicit  magisier  pp,  Alii  dicunt,  quod  non.  Ego 
utrorumque  opinioni  concordo.' 

Wer  ist  der  mag.  pp.?  Paucapalea  sagt  nichts  davon.  Man 
konnte  an  Rolandus  denken;  träfe  dies  zu,  dann  lieferte  die  Ab- 
kürzung pp.  für  papa  den  Beweis  fQr  des  Rolandus  Autorschalt. 
Leider  heisst  es  aber  in  dessen  Summe  nur:  'Quidam  episcopus.  Hie 
primo  quaeritur,  an  restitutio  sit  danda  quibuslibet  expoliatis?  Ad 
quod  notandum,  quod  expoliantur  alii  canonice,  alii  vero  minim^. 
Omnis  expoliatio  non  canonice  facta  ante  cuusae  ventilationem  est 
rescindenda.  Secundo,  an  induciae  post  restitutionem'  etc.  Ob  viel- 
leicht Gregor  VIII.  (Albertus  Beneventanus)  die  Stelle  angehört? 
Bis  jetzt  kenne  ich  seine  Summe  nicht. 

Nach  c.  7.  C.  XIII.  q.  2.  wird  citirt:  'Belatutn,  Quidam  non 
habent  caput  istud  et  dicitur,  quod  palea  est.*  Ein  c.  Relatum  steht 
in  den  Ausgaben  auch  nicht  als  Palea  in  C.  XIH.  q.  2.,  woraus  be- 
wiesen ist,  dass  in  einzelnen  Stücken  die  Handschriften  des  Decrets 
gänzlich  von  einander  abweichen 

Zu  C.  VII.  q.  2.  *de  rectoribus  tamen,  si  alicui  promissa  sit 
ecclesia  non  vacans,  vel  etiam  dominus  papa  scribat,  quod  ei  con- 
feratur  ecclesia  non  vacans  si  ille  pendente  causa  fiat  leprosus,  noQ 


Zar  Ge«chichU  der  Literatur  ober  du  Oecret  Gnitiana.  ill.  ß^ 

esset  ei  danda  ecciesia,  nisi  iterum  consuito  domino  papa:  extra 
t.  wrboHi  HI.  ex  transmiBsa.' 

Eine  solche  Oecretale  Urbans  IIL  enthalt  keine  der  Comp,  ant.» 
ebensowenig  steht  eine  solche  in  der  Compilation  Gregors  IX. 
Doch  io  Jaff£  Regesta  Pontificum;  auch  finde  ich  überhaupt  kein  c. 
ex  transmisna  dieses  Inhalts.  Gleichwohl  lisst  sich  an  der 
Existenz  desselben  bei  der  Bestimmtheit  des  Citats  nicht  zweifeln. 
Sollte  es  etwa  in  der  Sammlung  des  Gilbertus  oder  Alanus  vor* 
gekommen  sein? 

Zu  c.  2.  C.  II.  q.  1.  Judex.  'Lex  ista  non  invenitur  in  legibus 
Jostiniani  verbo  ad  Yerhum.' 

c.  2.  D.  VII.  'Et  fit  in  hoc  c.  mentio  de  tribus  codicibus  seil, 
de  Herrn,  et  junioris  Augusti  et  Theod.  Sed  isti  Codices  non  tenent» 
immo  qui  allegat  aliquam  legem  contentäm  in  iliis  punitur  graviter, 
qoia  non  licet  nobis  allegare  leges,  nisi  illas,  quae  continentur  in 
libris  domini  Just.  Co.  de  inst  cod.  conf.  in  fine.' 

Schliesslich  möge  noch  der  Anfang  von  Causa  II  einen  Platz 
finden. 

'Quidam  episcopns.  Hie  intitulatur  II.  ca.  Tractaturus  magister 
de  causis,  quia  in  singulis  causis  ordo  judiciarius  est  observandus» 
ideo  in  hac  causa  et  in  duobus  sequentibus  tracfat  de  ordine  judi- 
ciario,  cum  in  praecedenti  causa  proponit  de  crimine  simoniae»  quia 
niod  erimen  maius  est  omnibus  criminibu's.  Et  hoc,  ut  magister  com- 
petentius  faciat,  more  suo  thema  proponit' 

Ich  habe  eine  Anzahl  Yon  Citaten  ietGlosaa  ordinaria  mit  dem 
Teite  der  Summe  verglichen,  aber  nicht  gefunden,  dass  einer  der  in 
der  Glossa  Genannten  der  Verfasser  ist. 


IL  Die  zweite  anonyme  Summe  enthilt  der  Codex  miscelL 
Te.  82.  foL  mbr.  der  k5n.  Universitätsbibliothek  zu  Halle  foL 
1~9b  in  je  drei  Spalten  mit  je  83  Zeilen  auf  der  Seite,  mit  unend- 
lich kleiner  aber  zierlicher  Schrift  von  einer  Hand  des  XIII.  Jahr- 
handerts  <)•  S>^  ist  defect  und  beginnt  mit 

* j  Et  iet  diese  Samme  dieselbe,  welche  im  sweiten  Beitrage  Seite  42  ff.  nscb  den» 
Cod.  Banberg.  P.  I.  11.  !■  Kfirse  beschrieben  wurde.  Da  ich  sie  avf  Grund 
de«  air  frfiber  iiBbekanBleD  Hallenser  Codex  einem  erneaeten  Stadiam  nnfer- 
aof^n  bftbe,  hoff«  ich  fRr  diese  Bochmali|r«  Besprechung'  in  den  Mittheilnngen, 
welche  als  SrgSazuog  der  frfiheren  dienen,  seihst  die  Entschaldignng  au  finden. 


04  V.   Schalte 

Dist.  III.  also:  'Officiam  tie.permütere.  Permissio  est  providae 
concessionis,  ut  matriraonü  contrahendi  causa  Titandae  for- 
nicationis.  Quaedam  est  recompensandae  compensationis»  ut 
ab  una  religione  migrandi  ad  aliam  distinctiorem,  ut  j.  c.XIX. 
quaedam  coactionis  seil,  ut  fiant  illicita,  ne  committantur 
graviora,  ut  hie  et  j.  C.  XXIII.  q.  IIII.  §.  binc  etiam,  et 
j.  C.  XXXH.  q.  III.  <§.  hoc  dicit.  Sed  idem  humilissimus.* 

Die  Arbeit  weicht  von  den  meisten  total  ab«  indem  sie  weder 
«ine  die  einzelnen  Capitel  commentirende  ist,  noch  auch  die  ein- 
zelnen Distinctionen  u.  s.  w.  sämmtlich  berücksichtigt.  Sie  gibt  viel- 
mehr nur  einen  Commentar  zu  einer  Anzahl  von  Capiteln  der  Pars 
prima,  z.  B.  D.  III.  dict  ad  c.  3.,  D.  IV.  c.  2.  3.  6.,  D.  V.  c.  4.^ 
D.  VIII.  c.  1.  2..  D.  IX.  c.  7.  11.,  X.  c.  7.  1.  6.  8,  XI.  princ,  XU. 
c.  3.  4.  11.,  XIII.  2.,  XIV.  princ,  XV.  c.  1.  u.  s.  w.  Für  die  Pars 
secunda  ist  meistens  der  Ausgang  genommen  von  den  Einleitungen 
Gratians,  so  dass  an  diese  eine  ganz  kurze  Auseinandersetzung  der 
Materie  angeknüpft  wird.  So  schliesst  sich  die  Arbeit  an  und  umfasst 
allein  in  C  L  q.  /. :  princ.  quod  autentf  capp.  6.  37.  70.  111.  22. 
50.  114.  100.  HS.  39.  108.,  dict  post  c.  97.;  qu.  2.  princ,  c  6. 
q.  3.  princ.  multorum,  c.  2.  13.;  q.  4.  pr.  de  secunda,  q.  S-  princ, 
c.  3.;  q.  7.  princ.  u.  dicL  necessitatis  ad  c  12.  —  Sie  hört  auf  mit 
C.  XXXV.  Angehängt  sind  in  der  Handschrift  dann  noch  zu  einigen 
Capiteln  aus  verschiedenen  Causae  die  Commentare.  Auf  dem  fol- 
genden Blatte  beginnt  eine  neue  Zusammenstellung  von  Erörterungen 
zum  Decret,  die  in  fünf  Spalten  bis  dist  L.  geht,  der  Rest  fehlt. 

Was  die  Zeit  der  Abfassung  betriflft,  so  geben   die   fol- 
genden Stellen  darüber,  über  die  Methode  und  Anderes  Aufschluss. 

1.  c.  Si  peccaverit  19.  C.  II.  q.  1. 

*Si  peccaverit  etc.  Magister  d,  concordans  cum  auctoritate 
intelligit  de  occulto  hoc  ponendum  dicens :  Si  pecc.  in  te  f.  t  cor.  e. 
int  te  et  ip.  so.  Si  vero  te  non  aud.  adhibe  duos  vel  tres  t.  et  facias 
eum  moneri  a  duobus  vel  tribus,  qui  crimen  Jion  debent  publicare,  sed 
tecum  occultare,  et  hi  tales  non  dicuntur  testes  commissi  criminis» 
sed  testes  castigationis  et  correptionis,  et  hoc  dicitur  posse  probari 
infra  C.  XI.  q.  III.  praecipue  gualduardus  in  fine.  Ibi  enim  dicitur : 
cave  secundum  domini  praeceptum,  adhibeas  duos  vel  tres  testes. 
Non  enim  dixit:  adhibiturum  testes  ad  crimen  convincendum,  cum 
manifestum  est,   ut  supra  q.  e.  Lotharius.  Scelus,  In  manifesta. 


Zur  Geschichte  der  Lileratur  über  das  Deeret  GrnUans.  ]ll.  Q^ 

Sedsi  etiam  adhuc  se  corrigere  noiunt,  id  ultimum  dicas  ecclesiae  i.  e. 
sacerdoti  vel  alii  praelato,  et  ita  non  dicitur  proditio,  sed  correptio» 
ut  C.  XXn.  q.  T.  hoc  videtur.  Si  vero  nullum  istorum  valuerit,  sit  tibi 
sicut  etlnicus  et  publicanus  i.  e.  abstineas  ab  eo  ut  ab  haeretico  et 
publieano,  priratim  tarnen  et  non  publice*  ne  ceteri  scandalizentur, 
sicut  dicitur  de  episcopo,  qui  alterius  peccatum  solus  novit,  ut  C.  VI. 
q.  n.  Si  tantum  epücopus.  Sunt  autem»  qui  dicunt,  et  bene»  boc 
Caput  doobns  loqui  casibus»  primo,  quando  ita  tibi  notum  est,  quod 
Qttlli  alii,  quo  casu  si  se  ad  ammonitionem  tuam  corrigere  noluerit, 
Don  debes  exhibere  testes,  sed  suflTicit  tibi,  si  ei  non  consentias,  ut 
j.  XXini.  q.  Uli.  c.  VI.  [Das  Citat  ist  unrichtig].  Sed  hie  contrarius 
estfinis  huius  capitis.  Sed  resp.,  quia  non  approbat  Aug.  proditionem 
fflnlierum,  sed  potius  inique  agui\t.  Item  j.  XXII.  q.  v.  hoc  videtur 
ia  fiae  et  j.  V.  q.  t.  Non  vos.  videtur  contrarium.  Sed  ibi  ioquitur 
quando  non  solus  seit,  sed  alii  cum  illo,  per  quos  probari  potest.  In 
seeundo  casu  Ioquitur,  quando  ^ibi  et  alii  notum  est  crimen,  hie 
post  commonitionem  secretam  adhibendi  sunt  testes,  non  ad  con- 
Tjocendum,  set  j.  X.  q.  III.  c.  III.,  sed  commonitionis  habitae  sunt 
testes.  Ad  ultimum  die  ecclesiae,  et  si  nee  resipuerit,  sit  tibi  sicut 
ethoicos  et  pu.,  privatim  tarnen,  non  publice,  ut  j.  VI.  q.  II.  5t  tarnen, 
flaetut.  Aliae  sententiae  sunt  in  summa  magistri  Johannis.^ 
Huguccio  hat  eine  ahnliche  Erörterung. 

2.  c.  XVI.  q.  n.  princ. 

'§.  De  cappellis  etc.  Nota,  quod  si  in  territorio  proprio  alicuius 
monasterii  fuerit  constructa  basilica,  tunc  permanebit  [apud]  abbatem 
eiusdem  loci  basilicae  institutio,  non  quoad  temporalia,  sed  quoad 
tt^mporalia.  Dlud  idem  est,  si  episcopus  basilicam  inmonasterium  con- 
tulerit  simpliciter;  si  vero  cum  omni  jure  mo»  tunc  secundum 
Gratianum^y  et  Jo.  Faventinum  et  alioe  pertinebit  institutio 
ad  abbatem  et  quoad  temporalia  et  quoad  spiritualia.  Quo  casu 
Ioquitur  capituio  I.  Quidam  tamen  dicunt,  hoc  ita  demum  verum 
esse,  st  apostolici  intercesserit  auctoritas,  hac  moti  ratione,  quia  huius- 
iQodi  concessio  Privilegium  est,  quod  quidem  soli  papae  concedere 
licet  Ad  quod  responderi  potest,  quod  huiusmodi  Privilegium  formam 
generalem  accepit»  ideoque  etiam  ab  episcopo  eoncedi  potest.  Si 
▼ero  laicns  basilicam  in  monasterium  contuierit  nondum  dedicatam» 


<)  BierdDreb  bt  aeiae  frfihtr«  CoBJectar  in  2.  Beitr.  Seite  44  bestUigl. 


66  T.   8  c  b  u  1 1  e 

tunc  ad  abbatem  pertinebit  institutio  qnantum  ad  temporalia  tantum, 
quia  dominium  intelligitur  in  monasterium  translatum,  quod  laicus 
habebat  ante  dedicatiouemy  ut  infra  qu.  VII.  monasterium,  Si  vero 
laicus  basilicam  dedicatam  in  monasterium  contulerit,  tunc  non  per- 
tinebit ad  abbatem  institutio  quantum  ad  temporalia,  neque  quantum 
«d  spiritualia,  sed  jus  tantum  praesentationis,  quod  tautum  habebat 
laicus,  ut  infra  q.  VII.  pio  frigentius' 

3.  Zu  Dist.  LIV.  princ.  aervi  autem  heisst  es  am  Ende: 
'Item  notantur  casus,  in  quibus  sacerdos  factus  redigitur  in  ser- 

>itutem Idem  fortassis  dicitur,   si   conditionem  suam   uoto 

pontifici  non  indicayerit»  ut  C.  XII.  q.  II.  longinquüaie.  Item  si  ad 
«aecularem  vitam  redierint,  forsan  idem  erit,  ut  C.  de  episc.  aul. 
si  servtis  [ad  c.  36.  I.  3.]  Jo.^ 

4.  ade.  20.  21.  C.  XIL  q.  1. 

'Ad  solvendam contrarietatum  herum  cap.nota  super  illudverbum, 
quod  damnum  incurret  ecclesia,  si  ignoretur.quae  res  sintepiscopi»ut 
in  ilio  c.  sint  manife8tae[o.  21.]  et  quia  ecclesia  ideo  fuisset  caritura 
in  perpetuum  yel  ad  tempus  cum  occasione  ignoratiae  talis  fuerit  ad 
alios  devoluta  eins  possessio»  neque  sine  dispendio  litis  ad  eam  redi- 
tura.  Vel  damnum  incurret  ecclesia  eo,  quod  non  sit  habitura  com- 
modum  possessionis,  si  ignorantiae  huius  occasione  ad  alios  devoluta 
sit  eins  possessio.  Quod  tunc  intelligendum  est,  cum  certum  est, 
episcopum  habuisse  propria.  Si  autem  certum  est,  episcopum  noii 
habuisse  propria  vel  incertum  est,  praesumendum  est  pro  ecclesia.  Ar. 
C.  de  donat.  inter  vir,,  etiam  et  ff,  e,  Quintus,  secundum  Jo* 

6.  Auf  fol.  9^  steht  unter  den  noch  angehängten,  offenbar  von 
dem  Verfasser  herrührenden  folgende: 

'§.  Hac  auct.   etc Sententia  vero  diflinitionis  si  fuerit 

injusta  ex  ipso  ordine,  non  est  opus  appellatione,  si  autem  ex  causa 
et  fuerit  appellatum,  infra  XX.  annos  poterit  revocari  sententia  lata 
ex  falsis  instnimentis  vel  testibus.  Hoc  si  causa  civilis  est,  si  vero 
criminalis  quandocunque  vult  poterit  retractare.  d,* 

6.  C.  IL  q.  IL  '§.  Quod  autem  etc.  Cum  de  restitutione  cleri- 
corum  agitur,  sciendum  est,  quod  tria  sunt,  quae  in  ecclesia  possi- 
demus:  beneficium,  ofHcium,  fraterna  communio.  Item  quod  sub 
beneficio  res  etiam  episcopi  comprehendas,  quas  de  ecclesia  tenet. 
Quidam  tarnen  noiunt  res  episcopi  in  beneflciis  ecciesiae  contineri, 
sed  tantum  res  clericorum.  Cum  ergo  quis  fuerit  beneficio  spoliatus 


Zar  Geachichle  der  Literatur  über  das  Decret  GratiaDs.  III.  67 

siqoidem  praeter  ordinem  iudiciarium  regulariter  est  restituendus 
priasquam  de  causa,  super  qua  impetiturt  cognoscatur,  ut  in  hac  q. 
in  ofDDibus  eap.,  nisi  suspectus  sit  de  crimine,  uude  scandalum  ori- 
retor,  quod  ei  restitutionem  impediret,  ut  supra  q.  L  in  primis  et 
j.  q.  T.  mper  causa.  Si  autem  ordine  judiciario  aut  juste  vel  injuste. 
Joste  enim,  quia  sententia  damnatus  est  legitima  sine  objeetione, 
quae  sententiam  retraetet,  tum  quia  publice  infamia  gravatus  est,  tum 
qoia  eofitumacia  rebellis,  tum  quia  sie  exigit  casus  Constitution is, 
Teloti  si  dilapidator  sit,  ut  j.  C.  III.  q.  IL  quia-  Talis  ante  Judicium 
pnaeipale  non  restituitur.  Si  injuste,  omnino  restituendus  est.* 

§.  Cuai  autem  officio  spoliamur,  similiter  ante  causae  in- 
gressum  restituimur,  nisi  nos  infamia  urgeat,  sicut  in  fine  dicitur 
huius  düHnctionü,  Si  ante  restituti  non  fuerimus,  administrare 
oSieium  praesumere  non  debemus  ut  C.  XVI.  q.  I.  cwieiis-  Cum  vero 
a  fraterna  coromunione  separamur,  tunc  prius  cognescatur  de  causa 
nisi  tone  demum,  cum  post  appellationem  excommunicatio  vel 
^Qspeosio  facta  fuerit.  In  tali  enim  casu  prius  fiet  absolutio,  ut 
C.  XI.  q.  HL  si  episcopus  forte»  et  infra  e.  f.  V.  ad  Romanam. 

f.  Item  nota,  quod  tribus  modis  dicitur  ordo  judiciarius  servari:. 
respeetu  judicii,  seil,  quando  legaliter  fit  expoliatio  ante  judicem, 
respeettt  causae,  sicut  in  dilapidatione  rerum  ecciesiae  non  resti- 
tutoitor,  quocunque  modo  exspolietur,  et  cum  ordo  judiciarius  in  eo 
dicitur  serrari,  quia  talis  causa  talem  exigit  ordinem,  respeetu  etiam 
eitrinsecae  necessitatis,  ut  pro  yitando  scandalo  ut  j.  q.  v.  preabyter» 
ibi  enim  non  restituitur  propter  scandalum, 

%.  Item  distinguendum,  utrum  ordo  judiciarius  intercesserit,  an 
non.  Si  o.  j.,  prius  cognoscetur  de  causa  quam  restituatur,  quia 
propter  infanniam  suspendatur  ante  cognitionem  causae,  ut  j.  q.  v. 
preA.  Si  yero  praeter  ordinem  judiciarium,  prius  restitui'debet  per 
iudieem  superiorem.  §.  Item  notandum  est,  quia  exspoliatus,  quando 
restituitur  ad  causam  et  ad  omnia,  quae  amiserat.  quandoque  ad 
eaQsam  tantum,  aliquando  yero  ad  uullum.  Quod  ut  melius  pateat, 
sie  distinguis.  Cum  quis  exspoliatur  et  aut  absens  aut  praesens  est;  si 
praesens  aut  appellat  aut  non.  Si  appeliaverit  et  ad  causam  et  ad 
omnia  restituendus  est,  priusquam  de  causa  agatur,  ut  in  hac  q. 
in  Omnibus  canonibus.  Si  autem  non  appeliaverit,  forte  de  miseri- 
cordia  restituetar  et  ad  causam  tantum,  veluti  se  dixerit  falsis 
testibuB  yel  instrumentis  convictum.   Hoc  enim  potest  ex  illo  cap. 


68  ▼•    Schulte 

q.  I.  in  primis  et  C.  YII.  q.  I.  praeaentium.  Quod  male  actum  est 
Tult  sanctus  apostolicus  saepius  etiam  rimare,  ut  C.  XXXV.  q.  IX. 
senientiam  et  j.  C.  XI.  q.  VI.  svper  cau$a  [ist  c.  11.  C.  XI.  q.  8, 
die  erstere  Stelle  c.  6.  C.  XXXV.  q.  9].  Ibi  etiim  habes,  quia 
ille  bis  ad  causam  restitutus  post  condemnationem  hie  autem  forte 
semper  ei  indulgentia  dabitur,  ut  in  causa  tantum  audiatur  nisi 
talis  fuerit  qui  convictus  esset  iudicio  stare  noiuerit.  Hie  enim  non 
audietur,  nisi  infra  annum,  anno  vero  transacto  ad  nullum  resti- 
tuitur,  ut  C.  XI.  q.  III.  rursus.  Si  vero  absens  fuerit,  refert,  au  ex 
justa  causa.  Si  ex  contumacia,  in  nullo  audietur,  immo  damnabitur  et 
deponetur  de  crimine,  si  tarnen  notum  est  aliquo  modo,  ut  C.  IX.  q. 
III.  decretumf  et  j.  XXIIII.  q.  III.  deüliciia.  Nee  etiam  Yocem  appella- 
tionis  habebit  ut  ibidem  dicitur.  Si  vero  ex  justa  causa  absens  fuerit, 
refert,  utrum  alius  sit  ei  substitutus  yel  non.  Si  alius  est  substitutus 
ad  causam  tantum  restituitur  ut  supra  q.  I.  in  primis,  et  infra  q.  V. 
mper  causa  et  C.  VII.  q.  I.  praesentium,  Si  alius  non  est  substi- 
tutus ad  omnia  restituetur,  ut  hie  dicitur  C.  e.  q.  V. 

§.  Item  quaeritur,  si  aliquis  ab  aliquo  est  accusatus  et  ab 
alio  exspoliatus,  an  sit  cogendus  stare  ante  judicem,  nisi  prius  resti- 
tuatur.  Et  videtur,  posse  cogi  ex  illo  c.  in  primis.  Die  enim  Januarius 
a  Carniciolo  exspoliatus  accusatus  a  servis  et  principe  nee  tamen  ante 
causae  cognitionem  restitutus.  Sed  melius  est»  ut  dicamus,  a  quo- 
cunque  fuerit  exspoliatus  prius  esse  restituendum,  sicut  haec 
omnia  dereta  velle  videntur  in  hae  q.,  nisi  forte  eius  negligentia  fiat, 
ut  non  restituatur,  ut  C.  III.  q.  IL  et  III.  cum  ecclesiae.  Ibi  enim 
aperte  dicitur:  si  non  sponte  sua  et  in  fraudem  restitui  non  venit  ut 
alii  accusare,  ad  illud  quidem  Januario  ut  diximus  obiici  potest.  Resp. 
quod  tunc  ille  non  restituebatur,  quia  erat  si  alius  substitutus  vel  quia 
sine  scandalo  fieri  non  poterat,  vel  quia  non  appellaverat.  Hoc  idem 
etiam  dicimus,  si  pro  uno  crimine  fuerit  iniuste  exspoliatus  et  de  illo 
impetitus  ut  C.  III.  q.  I.  §.  Alii  sie  distinguunt:  Spoliatio  alia  6t  in 
civili  causa,  alia  in  criminali.  Si  in  civili»  aut  fit  sententia»  aut 
yiolentia,  aut  contumaciam  Si  sententia,  aut  ordine  lata  et  legum  tra- 
roite  aut  non.  Si  vero  restituitur  ordinem  redarguendo,  si  ordine 
restituitur  ut  in  crimine;  infra  docebitur.  Excipe  tamen  absenteiti. 
Si  violentia^  restituitur  per  interdicium;  si  contumacia, 
distinguendum  est  per  litis  contest.  Item  si  in  criminali  contingit  spo- 
liatio, alia  fit  per  seutentiam,   alia  per   violentiam,   alia   propter 


Zw  Geschichte  der  Literatar  aber  dt«  Decret  Gratiana.  III.  69 

suspieionem,  alia  proptercoDtumaciam^utinfra  C.  IIL  q.  IX.  decretum. 
§.  Per  senteDtiam  exspoliatus  pro  crimine  alias  latum  ordine,  alias 
noD.  Si  noD,  aut  excommunicatur  aut  non.  ExcommuDicatus  restitui- 
tar,  sed  ante  absolotionem;  si  non,  potest  restitui  per  appellationem, 
si  tarnen  ante  appellet  Si  post,  ordine  improbato.  Si  autem  ordine, 
tribos  modis  restituitur:  per  appellationem,  per  falsi  redargutionem, 
per  sententiae  improbationem.  Et  boc  doobus  modis:  aut  quia  data 
est  contra  iuris  ordinem,  at  si  spolietar  et  eondemnetur  absens,  yel 
qnia  contra  ins  constitutionis.  Et  haec  de  spoliatione,  quae  fit  per 
seDteotiam  tantum,  quando  alias  fit  exeutione  sententiae  ubi  resti- 
toitar  similiter  omnibus  modis  praedictis.  Sed  aliter  ibi  restituitur 
spoliatos  Torbotenus  seil,  ad  causam  bic  ad  res  ipsas.  Si  autem  et 
sententia  et  execntione  spoliatus  quis  tandem  appellet  ad  causam  resti- 
tuitur, non  ad  res. 

§.  Per  Tiolentiam  exspoliatus  si  Tult  agere,  non  impeditur;  con- 
Teotus  non  respondebit  nisi  restitutus,  seil,  de  illo  crimine,  pro  quo 
spoliatus  est,  de  alio  ante  vel  post  conunisso  et  alii  quam  exspoliatori 
cogitur  respondere.  Sed  mihi  non  placet,  ut  de  prius  commisso 
respondeat  quam  post  exspoliationem  boc  in  fraudem  fieri  potest  de 
post  commisso  concedo  ad  exemplum  legati,  ut  ff.  de  iudic.  1.  IL  §.  III. 
§.  Propter  iustam  suspicionem  exspoliatus  non  restituitur  ante 
caosae  cognitionem,  ut  infra  q.  y.  super  causa^  presbyter  et  infra 
C.  ni.  q.  n.  quia,  §.  Item  nota,  quia,  licet  generaliter  dicatur,  quod 
noQ  debet  fieri  eondemnatio  vel  absolutio  in  judicio  nisi  ordine  judi- 
eiario  obserrato  et  omnibus  injuste  spoliato  restitutis,  tamen  certae 
caosae  sunt,  quae  inducunt  ordinem  judiciarium  non  observari  et 
injoste  [spoliatum]  non  restitui.  Sunt  autem  bac :  criminis  infamia  ut 
j*  q.  T.  presb.9  C.  VI.  q.  III.  placuä,  C.  XXIIII.  q.  II.  sane  pro^ 
fertur  et  c,  extrava.  de  symoniacis  [damit  kann  nur  gemeint 
sein  c.  3.  de  sym.  V.  2.  Comp.  I.]  ubi  dicitur  quod  testimonium  unius 
aoditur;  delicti  detestatio  ut  j.  q.  ▼.  super  jacturae  cautelam  ut 
j-  C.  m.  q.  U.  quiai  specialis  ratio  cohaerentiae  ut  C.  XL  q.  IIL 
tt  epi$e.  forte:  militiae  depressio  ut  in  capitulo  extravaganti 
^ibi  [abbati]  Sancti  Petri  super  dubia  ad  noatram  noveris  [ist 
c.  3.  de  appell.  Comp.  L];  scandali  vitatio,  ut  C.  III.  q.  V.  haec 
pippe;  Judicii  defunctus  [defectus],  ut  in  summo  pontifice  ut  C.  III. 
q.  I.  §.  paiei;  facti  evidentia  ut  in  notoriis;  delinquentis  contumacia 
Qt  C.  XXini.  q.  m.  de  iUicita: 

SiUb.  d.  phil.-hisi.  Cl.  LXV.  Bd.  I.  Uft.  6 


70  T.   S  c  h  al  t  e 

7.  C.  XVI.  q.  ni.  princ. 

*§-  Qtiod  autem  etc.  In  omni  praescriptione  haec  potentissime 

consideranda  sunt Verum  rei,  de  qua  quaeritur,  qualitas 

eonsideratur.  Si  enim  aliquod  Spirituale  fuerit,  nullo  temporis  spatio 
poterunt  [poterit]  vendicari,  nisi  fortassis  ab  eo,  iu  quo  eiusdem 
possessio  poterit  declinari,  quia  [adde  quod]  ab  initio  non  valuit 
traetatu  temporis  non  conyalescit.  Quibusdam quoque  yeluti  albert  o, 
rufo  ^y  Visum  fuit»  quod  in  omni  ecclesiastica  praescriptione  iustus 
titulus,  bona  fides  initiOf  in  medio^  in  fine,  argum.  infra  C.  XXXIIII. 
si  oirgo  et  supra  C.  XIIII.  q.  VI.  si  res  et  c.  extra,  vigilanti 
etc.  [c.  7.  de  praescr.  IL  18.  Comp.  I.]  Sed  fortassis  tutius  haec 
differentia  propulsatur,  ut  e.  per  singulas  [c.  1.  2.  C.  IX.  q.  3.],  illo 
dilligentius  observato,  an  possessio  praebendae  seu  beneficii  nomine 
teneatur,  an  alio  quoque  titiilo  ad  possessorem  devenerit.  In  primo 
namque  casu  nulla  praescriptione  tollitur,  ut  c.  clerici  [c.  11. 
C.  XVI.  q.  3.],  in  secundo  quodlibet  ius  spirituale  occupatur,  ut  c. 
placuit  [c.  15.  C  XVI.  q.  3.]. 

§.  Tres  praescriptiones  locum  habent  ex  canone  expresso,  seil. 
XXX.,  XL.  et  C.  annorum;  duae  priores  in  minoribus  ecciesiis, 
tertia  in  Rom.  ecclesia,  ut  o.  Nemo  [c.  17.  C.  cit.].  Sed  domus 
domini  dupliciter  accipitur:  ecclesia  et  monasterium.  Item  ecciesia 
vel  praescribit  contra  ecciesiam,  ubi  opus  est  XXX.  annorum 
praescr.,  ut  c.  1.,  aut  contra  monasterium  simpliciter,  per  XXX. 
annos  yel  XL.  secundum  quosdam;  aut  contra  laicos  itidem  per 
XXX.  annos  ut  c.  placuit,  [c.  8.  ibid.]  Idem  de  monast.  Aut  enim 
mon.  praescribit  contra  mon.  et  tunc  necesse  est  XL.  annis-prae- 
scriptionem  compleri,  ut  yidetur  quoniam  contra  ecclesiam  minori 
tempore  praescribere  iion  potest,  ut  q.  IUI.  volumus  [e.  2.].  Et  hoc 


^)  Rnfinu«  sagt  zu  dieser  SteUe  (Cod.  Bamberg.  P.  I.  11.)^  'Ad  hoc 
aotem,  nt  iura  ecciesiae  praescrtbantnr  aire  ab  ecci.  sire  a  privatia  prina  necesse 
eat,  ut  haec  dno  mazime  personae  occurrant,  acU.  conHnua  bona  fidet^  fidei 
conscieDtiae  ut  ex  quo  praescribere  copit  utque  ad  novissimam  horam  praescrip- 
tionia  in  conscientia  haberet,  quod  rem  alienam  non  possideat,  licet  lex  dicet, 
b.  f.  non  ad  tractum  nedii  temporis  sed  initium  possessionis  scii.,  et  credimus 
districtios  se  habere  in  ecclesiasticarum  rernm  praescriptionibus,  et  boc  propter 
farorem  ecciesiasticae  imrounitatis,  unde  secundum  canones  aliquis  tarn  diu 
judicatur  m.  f.  prosseasor,  donec  habeat  coDscientiam  rei  alienae'  cet. 


Zar  Geschichte  der  Literatur  über  ans  Decret  Gratiana.   III.  71 

Greg,  in  registro  suo  stätuit.  Contra  laicos  autem  forte  praescribere 
potest  sicut  ecciesia. 

§.  Duo  exiguntur,  ut  praescr.  annorum  XXX.  et  supra  complea- 
tnr  seil,  non  interrupta  possessio  et  possidere  suo  nomine.  Aliud  in 
praescr.  X.  vel.  XX.  annorum«  ubi  bona  fides  ex  utraque  parte  desi- 
deratur»  seil,  tradentis  et  accipientis.  §.  Item  rerum  quaedam  cor- 
poreae  quaedam  mcorporeae,  veluti  vita.  Quorum  quaedam  debentur 
ecclesiae,  quaedam  debet  ecciesia,  quaedam  habentur  in  ecciesia. 
Qaae  debentur,  ut  jus  percipiendi  et  similia  ab  eo  praescribi  possunt, 
eui  et  debentur  ut  in  monasterio  et  clerico,  laico  non,  quare  nee 
praescribere  poterit,  ut  q.  lY.  ad  haec.  Item  vero  debet  ecciesia  ut 
cathedraticum  et  similia,  similiter  ab  alia  ecciesia  episcopali  prae- 
scribi  possunt.    Dubium   est,    an    monasterio,   a    laico   minime. 
§.  Quae   habentur    in    ecciesia,    quaedam    habentur    iure    cleri, 
de  his  crimen  dictum  est,  quaedam   iure  laici,   ut  jus  patronatus 
Tel  adTocationis,  forte  sie  transmittitur  ad  posteros,    eodem  iure 
et  praescribi  potest,  maxime  si  tempus  memoriam  hominum   ex- 
cesserit.    Constat    enim,  jus    spirituale  illod    non  esse,  dum   in 
iilnd  sueceditur,  quod  non  est  in  spirituali,  ut  C.  VIII.  q.  I.  Moyses 
§.  Item  eorporearum  quaedam  mobilia,    quaedam  immob.  Hamm 
tttrorumque  quaedam  consecratae,  quaedam  non.  Cons.  a  nuUo  laico 
praescribi  possunt,  qui  nee  ab  eo  possideri.  Et  hoc  legibus  asseritur; 
possunt  a   monasterio  Tel  ecciesia,  quin  et  ipsa  ecciesia  praescribi 
passet  Non  consecratae  si  immobiles  sunt,  XL.  annis  laico  qtieruntur 
unde  in   aut   quas  actiones  etc.  Bes  vero  mobiles  non  conse- 
cratae forte  decennio  queruntur^   non  ueucapione,  quoniam  res 
fisci  asucapiuntur,  sed  ubi  res  immobiles  a  laico  praescribuntur, 
si  canon  annuus  inde  debeatur,  illae  non  praescribuntur  ad  simi- 
litodiDem  tributi   et  tributarii  praedii.  §.   Effectus  duplex  est:  in 
retentione  etiam  contra  dominum,  si  praescriptor  possideat,  in  Ten- 
dieatione,  si  de  possessione  ceciderit,  si  tamen  bonam  fidem  et  titu- 
lum  habuerit  in  principio.  Sed  quaestio  est,  an  ecciesia  mala  fide 
praescribere  possit .  .  .  .'  Folgen  die  Fälle  der  interruptio  posses- 
sionis, darin  auch  die  bereits  mitgetheilte  Stelle.  Dazu  sehe  man  die 
im  zTireiten  Beitrage  citirten  Stellen. 

Wollen  wir  nunmehr  die  Zeit  der  Abfassung  genauer 
untersuchen,  so  haben  wir  beweisende  positiTc  und  negatiTc  Argu- 
mente. Erstens  aus  den  unter  num.  1.  und  2.  mitgetheilten  Stellen 

6» 


72  T.   8  c  b  a  1 1  e 

ergibt  sich«  dass  der  Verfasser  Johannes  Faventinus>),  aus 
num.  7.,  dass  er  Albertus  und  Rufinus  kennt  Rufinus  ist  älter 
als  Johannes.  Huguccio  citirt  Gregor  VIII.  (Albertus  Bene- 
▼  entanus)  mehrmals*),  aber  immer  als  Gregorius  YIIl.  mit  dem  Zu- 
sätze 'aniequam  esset  papa.*  Gregor  regierte  vom  2f.  Oet  bis 
17.  Dee.  1187.  Dass  ein  nach  dieser  Zeit  schreibender  Schrift- 
steller der  päpstlichen  Wurde  nicht  Erwähnung  gethan  hätte,  ist 
unwahrscheinlich.  Gregor  VIII.  erscheint  als  Cardinal  und 
Kanzler  in  Urkunden  Yom  22.  Febr.  1178  bis  22.  Juli  1181  unter 
Alexander  III.  [Jaffa  Regesta  Pont  pag.  679]»'Lucius  III.  Yon 
1181  bis  1185  [ibid.  p.  835]  Urban  III.  bis  zum  Tage  seiner  Wahl 
[ibid.  pag.  855].  Jedenfalls  durfte  seine  bisher  unbekannte 
Summe,  da  er  schon  am  15.  Oct  1159  als  Card.  S.  Laurentii 
in  Lucina  erscheint  (ibid.  pag.  678)  wohl  noch  vor  1159 
oder  doch  um  1160  fallen.  Da  somit  Albertus  zu  den  ältesten 
Glossatoren  des  Decrets  gehört,  da  Johannes  Fayentinus  selbst 
den  Albertus  citirt«),  da  Johannes*  Summa  selbst  nicht  über  die 
siebziger  Jahre  des  XII.  Jahrhunderts  hinabgeht,  so  stände,  was  die 
benutzten  Schriftsteller  betrifft,  nichts  entgegen,  diese  Disünctiones 
auch  in  jene  Zeit  zu  verlegen.  Es  käme  nun  noch  darauf  an»  den  D. 
zu  bestimmen,  der  in  den  Stellen  1.  und  5.  vorkommt.  Mir  ist 
bisher  ausser  in  einer  Handschrift  des  Decrets,  welche  bei  einer 
späteren  Abhandlung  zur  Sprache  kommen  wird,  kein  Glossator 
dieses  Namens  vorgekommen;  eben  so  wenig  finde  ich  bei  anderen  einea 
solchen  citirt  Sarti  I.  pag.  285.  erwähnt  einen  D.  Canonicus  Lon* 
dinensis,  der,  wie  die  dort  Append.  pag.  113  s^,  mitgetheilten  fünf 
Briefe  Alexanders  III.  von  1162,  1163  ergeben,  in  Bologna  als 
Magister  thätig  war  und  auch  bei  Alexander  III.  als  Gesandter  des 
Königs  von  England  fungirte.  Ich  glaube,  zumal  die  Zeit  und  alle 
sonstigen  Umstände  stimmen,  keinen  Anstand  nehmen  zu  sollen,  den 
hier  erwähnten  Magister  d.  mit  dem  dieser  Briefe  für  identisch  zu 
halten.  —  Andere  Schriftsteller  sind  nicht  citirt  Zweitens  von 
nachgratianischen  Decretalen  bez.  Extravaganten  werden 
citirt:  1)  c.  extr.  de  symoniacis  (oben  num.  6.)«  Damit  ist»  wie  der 

')  Derselbe  wird  auch  noch  citirt  in  C.  XVI.  q.  7,  in  0.  XI.  q.  3.  c.  16.  Heui  apoitoii» 
')  S  a  r  1 1  erwühnt  ihn  unter  den  Professoren  xn  Bologna  und  überhaupt  nicht 
<)  Siehe  meine  Rechtahandschr.   der  öaterr.  Stiftabibliotheken  (Sitsber.  LVII.  B(i.> 
Seite  587. 


Zar  Getchichte  der  Ltterator  über  dts  Decret  Gratians.  III.  73 

togegebeDe  Inhalt  lehrt  c.  3.  de  sym.  Comp.  I.  [c.  3.  X.  V.  3.]  ge* 
meinty  das  vor  Gratian  fallt  2)  das  daselbst  genannte  cap.  ad 
nwtram  noveris  ist  c.  3.  der  appell.  comp.  I.  und  ibid.  X.  von  Alex. 
Di.  —  3)  in  num.  7.  ist  eitirt  e.  vigilaniif  das  als  c.  7.  de  praescr. 
in  der  Comp.  L  und  aIsc.5.X.  de  praescr.  steht.  —  4.)  zu  D.  XLIV. 
eitirt  er  i) :  '§.  cum  auten.  Ex  hoc  colligitur,  quod  prohibito  uno 
aliud  prohibitum  intelligitur»  quod  inducunt  censurae  similitudo»  ut 
eapitulom  Alex,  extravag^  [eine  Lücke],  generalis  pronunciatio,  ut 
C.  XiV.  q.  V.  penaUf  prohibiti  occasio  ut  di.  XXI.  legitur,  B.  1.  II. 
hüubendum.*  Es  ist  gemeint  die  Decretale  Alex.  III.  in  c.  13.  de 
appell.  comp.  I.  *sicut  Romana  et  infr.  Super  eo  vero'  S)  zu  c. 
efdentibuB  1.  C.  II.  q.  5.:  *c.  extrav.  Innoeetäii  quoHens  frater 
no9ter,*  ist  das  schon  von  Johann  Faventinus  [meine  Rechts- 
handschr.  S.  589]  citirte  Cap.  Innocenz  IL,  das  als  PaleamcAl, 
C.  II.  q.  6.  steht.  —  6) zu  q.  6  ib.  'c.  Alex.  UI. archiepiscopo Senon. 
qvaegiium  egt.'  Dies  ist  c.  1.  de  rescr.  und  c.  12.  de  appell.  Comp. 
I.,  e.  1.  X.  de  rescr.  —  7)  eitirt  er  als  Fälle  der  Unterbrechung  der 
Ersitzung  zu  C.  XVI.  q.  3.  a.  E. :  'item  vacante  sede,  contra  quam 
praescribitur:  ut  c.  Alex.  Salernitam  archiep.  Consuluisti,*  Es  ist 
c.  6.  de  praescr.  Comp.  I.  gemeint,  das  in  der  Comp,  mit  Licet 
beginnt;  coneulmsti  beginnt  aber  auch  ein  Theil  (vgl.  c.  3.  X.  de 


')  Hsfaecio  Ibid.  * .  .  ar.  ex  ca.  qaae  simUen  expotcuat  censaram  ainile 
MMcasa  T«l  iBbibita  iotelliguiit,  nt  I.  q.  i.  aicat  ChrUtus  et  di.  4.  denique. 
Qeataor  enin  eaat,  qnae  faclunt,  ut  nno  concesso  reliqvum  concedatur  et  uno  pro- 
bibito  reliqaam  prohibeatnr,  teil,  eenanrae  aimilltndot  quae  enim  aimile  jadiciuoi  et 
«inUem  expoacerent  cenauram  aimile  cooceaaa  Telprobibitaiiitelligunt,utebrietaaet 
▼eatria  iof  iuriea  ot  kic  et  ebrietaa  et  qnodlibet  aliud  nsortale  peccatum  nt  dl.  4.  deniquM 
et  in  txtrm,  aicut  Romana.  conanluit,  «bi  dieltnr,  quod,  ai  probibetnr  appeUatiu  et 
rccnaatio,  paren  ei  et  aimilen  expoacunt  cenanran.  Secnndum  eat  generalia  pro- 
nandatio  i.  e.  ampliatio  rocabnli  ad  ^eneralitatem  ut  14.  q.  5.  poenale  et  22.  q.  4« 
meretriee»  [iat  c.  11.  C.  XXXII.  q.  4.],  idem  aicut  a^nncti  ratio,  acil.  quia  con- 
juncta  et   aibi  cobaerent  ut  I.  q.  I.  aicut  Cb.  et  I.  q.  2.  nullua  priroaa  epm.   et  io 

cxtr.  aicnt  Rom Tertium   fadt  probibiti   occaaio  .  .  .  .'  Daa  Citat  aua 

Burebard  feblt.  Yergleicbt  man  diese  Stelle  mit  der  obigen,  ao  iat  offenbar,  daaa 
aie  einander  ror  Augen  hatten.  Ans  dea  Job.  F  a  t.  Summe  kann  die  EzpoaiUon 
nickt  geaebSpft  aeln,  well  tie  darin  niebt  rorkommt.  Den  Bindruck  der  Origina- 
litit  mncbt  offenbar  die  Summa  anonyma,  deren  Brklimng  Hnguecio  auafSbrt. 
Dica  iai  nm  ao  planaibler,  tia  Huguceio  die  Stelle  ao  eitirt,  wie  man  diea  bei  einer 
allbeknnnten  Sammlung  tkut,  die  Sunima  anonym«  aber  mit  dem  Namen  dea 
Papatea. 


74  Y.    8  e  k  u  I  t  e 

sponsa  duor.  IV.  4.).  —  8)  zu  C.  XVI.  q.  7.  *rel  secundum  Alexan^ 
drum,  si  quaestio  patronatus  infra  tres  menses  non  fuerit  sopita, 
episcopus  iDvitis  patronis  poterit  ordinäre,  ut .  /  (fehlt  das  Citat). 
Das  nach  dem  Lateranensischen  Coneil  erlassene  cap.  K.  de  aet.  et 
quäl.  I.  8.  Comp  I.  (c.  22.  X.  ID.  38.)  passt  nicht,  weil  es  sechs 
Monate  hat»  aber  das  c.  4.  de  jure  patr.  Comp.  I.  (c.  3.  X.  ib.)  ent- 
haltend den  can.  17.  des  lateran.  Concils  von  1179  passt  unbedingt ; 
eine  andere  Decretale  desselben  Inhaltes  kenne  ich  nicht.  8)  Daza 
die  übrigen  bereits  in  den  abgedruckten  Stellen  befindlichen  Citate. 

Erwägt  man,  dass  der  Verfasser  das  3.  Lateraneusische  Coneil 
kennt,  und  halt  damit  die  übrigen  Momente  zusammen,  so  durfte  der 
Schluss  gerechtfertigt  sein:  Die  Distintionen  als  zwischen 
1179  und  1187  entstanden  anzunehmen;  ihre  Abfassung 
spSter  zu  setzen,  dafür  liegt  nicht  der  geringste  Anhaltspunkt  yoi% 
Die  Art  der  Citate  von  Extravaganten  scheint  mir  aber  zu  beweisen, 
dass  er  die  Comp.  I.  nicht  kannte:  1)  weil  er  bei  allen  Decretalen, 
welche  unzweifelhaft  Alex.  III.  angehören,  dessen  Namen  erwähnt ; 
2)  weil  er  einmal  (bei  Citirung  der  ad  nostram  noveris)  die  Inscrip- 
tion  zusetzt,  offenbar  um  ihre  Auffindung  zu  erleichtern,  was  nicht 
nöthig  war,  wenn  er  eine  streng  systematische  Sammlung  vor  sich 
hatte;  3)  weil  er  die  nicht  sicher  Alex,  angehörigen  [denn  c.  'üu/i* 
lanit  wird  in  der  Append.  Clemens  Martyr  zugeschrieben]  bloss 
mit  dem  Anfangsworte  (vigilanti)  oder  so  citirt,  wie  es  für  die 
Comp.  I.  nicht  passt,  nämlich  bei  dem  c.  de  symoniacis,  da  der  Titel 
jener  de  symonia  lautet. 

Neben  dem  Decrete  und  den  Extravaganten  ist  ein  verhältniss- 
massig  reicher  Gebrauch  vom  romischen  Rechte  gemacht  worden  ;  ich 
habe  gegen  20  Stellen  aus  den  Pandacten,  15  aus  dem  Codex,  2  aus 
denAuthentiken,l  aus  den  Institutionen  angemerkt.  Von  altern  Quellen 
^ird  nur  Burchard  übar  zwolfmal  citirt. 

Für  einen  Punkt  ist  die  Summe  nicht  ohne  Interesse.  Die  Citate 
Jo.  in  num.  3  und  4«)  sind  nicht  entnommen  der  Summa  des  Job. 


')  DtM  Job.  F  a  T.  auch  tuMcr  seiner  Samma  Glosseh  ^geschrieben,  b»t  ochoD 
M  a  a  i  s  e  tt  Beitrlpe  S.  t7  bemerkt  und  durch  ein  Citat  ans  H  o  g*  n  c  c  i  o  und 
einem  Minebner  Codex  nachgewiesen.  Für  die  Stelle  in  nam.  3.,  welche  genau 
anch  nicht  in  der  Summe  steht,  finde  ich  im  Cod.  TreTir.  906.  und  im 
Bamberg-er  P.  I.  16.,  der  gleichfalls  neben  denen  des  Job.  T  e  u  t.  Glossen  toii 
Job.  F  a  T.  enthilt,  keinen  Beleg.  Auch   H  u  g  n  c  c  i  o   citirt  ihn  nicht. 


Znr   Gacchichte  der  Literatur  über  das  Decret  Gratlant.  III.  7S 

FaT.,  sondern  Glossen  desselben.  Glücklicherweise  flndet  sich 
die  in  num.  4.  bezogene  im  Cod.  Nr.  906  der  Stadthihliothek  zu 
Trier,  mbr.  fol.  s.  XIII.,  wo  sie  lautet: 

'Hinc  argue,   quod  omnes  res,  quas  possidet  episcopus,  eccle- 

siasticae  intelligentur  usque  adeo,  ut  moriens  episcopus  in  eis  testari 

noD  possiU   nisi  faerint  prius  manifestae  vel  eyidenter  probari  possit» 

eas  prius  fuisse  episcopi.  Ar.  est  C.  de  don.  int.  vir.  et  uxor.  Biiam^ 

et  ff.  eodem   Quinius.  Quid  ergo  est,  quod  in  proximo  supra  canone 

dieitur,  ut   nee    ecdtesia  damnum  incurrat,  non  enim  ex  confusione 

damnum  sustineat  ecciesia,  sed  heredes  duntaxat  episcopi,  si  semper 

pro  ecclesia  praesumentur?  Solutio:  damnum  ecclesia  pati  potest  non 

iodieium   exercendo,  sed  res  ipsas,  quas  suas  ignorat,  petere  negli- 

gendo,  Tel  in  sumptus  judiciales,  vel  referre  dicas,  an  certum  sit, 

episcopum  habuisse  propria,  vel  non.  In  primo  casu  quicunque  in 

possessione  invenitur,  seil,  heres  episcopi  vel  ecclesia,  commodum 

possessionis  obtinehit,  ut  transferat  onus  probationis  ad  alterum.utin 

superiori  C.  et  iofra  e.  q.  IV.  quicunque,  et  q.  IIL  c.  1.  Si  vero  non 

foerit  certum,  cum  habuisse  propria,  et  post  eins  mortem  de  re  aliqua 

dubitatur,pro  ecclesia  indistincte  praesumetur,  ut  hie  dieitur  etq.  IIII. 

c,  1.  Jo.' 

Dass  diese  Glosse  wirklich  von  Job.  Fav.  herrühre,  beweist 
das  Schweigep  der  Summa  und  folgende  Worte  von  Hugucciozu 
dieser  Stelle  (Cod.  Bamb.  P.  II.  28.):  c  .  .  et  est  argum.,  quod, 
ubi  est  incertitudo  ex  confusione  rerum  episcopi  et  ecclesiasticarum, 
semper  praesumitur  pro  ecclesia  et  ecclesiae  intelliguntur  omnes, 
donee  probetur  in  contrarium,  sive  ecclesia  sit  in  possessione  sive 
episcopus  vel  ejus  heres.  Et  sie  onus  probationis  incumbit  episcopo 
Tel  eius  heredibus,  alias  autem,  nisi  ab  eo  probetur,  eas  esse  vel 
foisse  episcopi,  semper  praesumitur,  quod  sint  ecclesiae  et  ei  adiu- 
dieabuntur.  Et  hoc  dicit  /o.  argumento  legis  seil.  C.  de  dona.  int. 
rtr.  ei  ux.  L  ult  et  ff",  de  don.  int.  vir,  et  ux.  Quintus  Mucius.^ 

Dass  unsere  Summe  die  Glosse  des  Faventinus  vor  Augen 
hatte,  scheint  mir  aus  den  Worten  hervorzugehen,  die  sich  ihr  genau 
anschliessen. 

Erwägt  man  die  in  der  Arbeit  zu  Tage  tretende  Kenntniss  der 
Literatur,  der  Quellen,  die  Selbstständigkeit  des  Urtheils,  so  darf 
man  sie  trotz  des  geringen  Umfanges  als  werthvoll  bezeichnen,  wie 
sie  auch  für  die  Dogmengeschichte  von  Interesse  ist 


76       T.  SchttUe,  Zur  Geschichte  der  Litentur  fiher  das  Deeret  GratiM«.  III. 

Eine  Stelle  erlaube  ich  mir  noch  mitzutheilen,  zu  C.  XXV.  q.  1 , 
§.  quod  vero  in  princ. : 

*.  .  .  §.  Cum  autem  aliqua  priuilegia  inter  se  inveniuntur  con- 
traria nova  prioribus  praejudicant  hac  ratione  quia  in  multis  cap. 
videmus  adjectum:  ut  saivum  sit  in  omnibus  Romanae  ecclesiae 
Privilegium  licet  alia  ratione  inspecta  videantur  priora  posterioribus 
praeponenda,  ut  C.  XXXIII,  q.  IL  hoc  ipsum  in  fine.  Sed  quaeritur: 
81  autem  emanayerint  statuta  daiae  senientiae  seil,  ut  qui  contra 
venerit  anathema  sit»  an  in  eam  incidat  ft^minua  papop  si 
contra  venerit?  Ad  quod  potest  responderi,  quod  si  huiusmodi  statuta 
emanayerint  a  yeteri  testamento  yel  scriptura  evangeliorum  yel  ab 
apostolis  vel  a  supradictis  IIII*'  conciliis,  dominus  papa  yeniens  contra 
eo  ipso  est  excommunicatus.  Si  aliunde,  poterit  papa  contra  yenire 
et  ea  immutare.* 


Ich  habe  in  diesen  drei  Beiträgen  die  Glossatoren  im  engsten 
Sinne  beziehungsweise  die  reinen  Glossen  nicht  berücksichtigt.  Es 
scheint  mir  angemessen,  darüber  abgesondert  zu  handeln,  weil 
nur  dadurch  ein  Einblick  yerschaffl  werden  kann,  dass  man  zugleich 
nachweist,  auf  welchen  Glossatoren  die  Glosaa  ordinaria  ruhet 
Da  ich  nun  hoffentlich  in  kurzer  Zeit  eine  Abhandlung  über  die 
Geschichte  der  Glosse  des  Dekrets  auf  Grund  alter  flandschriften 
yollendet  haben  werde,  habe  ich  unterlassen,  um  Wiederholungen 
zu  yermeiden,  in  diesen  Abhandlungen  sie  zu  berücksichtigen. 


E TIC a  1  a ,  UatersaehungeB  auf  d.  Gebiete  d.  Pronomioa,  beaond.  d. latein.        7 7 


UntersuehuDgen  auf  dem  Gebiete  der  Pronomina,  he* 

sonders  der  lateinischen. 

Von  dem  c.  H.  Johann  Kvfcala. 


tWr  das  gegenseitige  TerlilltBlss  der  IndietBltei}  Interregatlfei  mti 
ftUArtu  ledieitiBg  des  PreBenlnalstaMMes  ka-  (kl-). 

L 

Allgemein  verbreitet  sind  gegenwärtig  folgende  Ansichten : 

1.  Die  indefinite  Geltung  des  Pronominalstammes  jbi- (itt-)  hat 
sich  aus  der  interrogativen  entwickelt. 

2.  Ebenso  ist  die  relative  Geltung  desselben  Pronominalstammes 
aar  die  interrogative  zurflckzuführen. 

3.  Wahrscheinlich  waren  ursprunglich  alle  Pronomina  demon- 
strativy  und  somit  auch  ka-  (vergleiche  z.  B.  Curtius  in  Kuhn*s  Zeit- 
schrift VI,  93). 

Ist  diese  letzte  Ansicht  richtig  —  und  sie  ist  es  wohl  —  so 
könnte  es  auffallend  erscheinen,  dass  man  die  relative  Geltung  des 
lateinischen  qui  (und  anderer  von  demselben  Stamme  herrührenden 
Worter  ioi  Latein  und  in  anderen  Sprachen)  aus  der  interrogativen 
erklärt  und  dass  man  nicht  vielmehr  auf  die  demonstrative  Func- 
tion zoruckgeht»  da  doch  die  anderen  in  den  indoeuropäischen  Spra- 
eben  vorkommenden  relativen  Wörter  (z.  B.  skr-jas,  gr.  6g^  6  in  re- 
lat  Bed.  bei  Homer  u.  s. »  altbulg.  t-ie  u.  s.  w.)  auf  Demoustrativa 
zurückzuführen  sind.  Der  Umstand»  dass  die  Spuren  der  demonstra- 
tiven Geltung  des  Stammes  ka  spärlich  sind  im  Vergleiche  zu  dem 
interrogativen  Gebrauch,  kann  doch  föglich  nicht  als  Hinderniss  be- 
trachtet werden,  da  es  ja  Gberaus  oft  vorkommt,  dass  gerade  die  äl- 


78  K  T  i'  5  a  1  • 

testen  Gebrauchsweisen  später  eingeschränkt  wurden  und  zuweilen 
ganz  verschwanden ,  so  dass  sie  nur  noch  durch  die  Forschung  er- 
schlossen werden  können.  Nichtsdestoweniger  ist  die  Scheu ,  die  re- 
lative Geltung  von  ka  aus  der  demonstrativen  herzuleiten,  erklärlich 
und  gerechtfertigt.  Die  Entwicklung  des  relativen  Gebrauches  von  ka 
ist  ja  V  erhäl  tnissm  äs  s  ig  jung,  wahrend  diedemonstrative  Geltung 
dieses  Stammes  lange  vor  der  Entwicklung  der  relativen  (die  nur  in  ein- 
zelnen Sprachen  sich  findet),  sicherlich  bereits  vor  der  Sprachentren- 
nung, dahinschwand  und  nur  in  dürftigen  Resten  sich  erhielt.  Diese 
frühzeitig  geschwundene  und  nur  in  Resten,  und  zwar  in  erstarrtem, 
dem  Sprachgefühle  nicht  mehr  lebhaft  bewusstem  Zustande  erhaltene 
demonstrative  Geltung  von  ka  hatte  gewiss  nicht  mehr  die  Kraft,  um 
aus  sich  heraus  die  in  einigen  Sprachen  üppig  gediehene  relative  Func- 
tion zu  entwickeln.  Gesetzt  z.  B.,  dass  der  lat.  Partikel  ce  wirklich 
die  demonstrative  Geltung  zu  vindiciren  ist  (wie  z.  B.  Corssen  Aus- 
spr.  I,  271  annimmt),  so  ist  es  doch  undenkbar,  dass  diese  demon- 
strative Geltung,  die  in  Ate,  sie  u.  s.  w.  so  zu  sagen  in  gebundenem 
Zustande  vorkommt,  auf  die  Entwickelung  des  relat.  Pronomen  qui 
und  der  übrigen  zahlreichen  relativen  Worter  einen  Einfluss  hätte 
haben  können. 

So  gerechtfertigt  es  nun  aber  auch  ist,  die  relative  Geltung  von 
ka  nicht  aus  der  demonstrativen  zu  erklären,  so  halte  ich  doch  an- 
derseits die  Frage,  ob  der  relative  Gebrauch  sich  aus  dem  interroga- 
tiven entwickelt  habe ,  für  eine  offene.  Auch  in  dem  Falle ,  wenn  die 
indefinite  Function  von  ka  (ki,  ku)  wirklich  aus  der  interrogativen 
sich  entwickelt  haben  sollte  <) ,  würde  ich  es  vorziehen,  die  relative 
Geltung  nicht  unmittelbar  aus  der  interrogativen,  sondern  vielmehr 
aus  der  indefiniten  zu  erklären.    Ich  verkenne  freilich  nicht,  dass  die 
gewohnliche  Herleitung  logisch  möglich  ist  (vgl.  Pott  etymol.  Forsch. 
I,  S.  361,  2.  Aufl.).  Scharfsinnig  führt  Miklosich  (vgl.  Gramm.  IV.  Bd. 
S.  77,  Nro.  3)  als  Analogie  den  Umstand  an,  dass  die  Relation  im 
Slavischen  auch  durch  die  Frageform  des  Satzes  bezeichnet  wird.  Es 
unterliegt  nämlich  keinem  Zweifel,  dass  z.  B.  im  Böhmischen  die  hy- 
pothetische (also  relative)  Geltung  der  enklitischen  Partikel  /t  secun- 
där,  die  interrogative  primär  ist  Das  hypothetische  Satzgefüge  ^po^ 


<)  Ich   werde   aber    unten   nachxaweiten  tuchen,  dass  das  Verbfiltnisa  umg-ekehrt 
werden  muss. 


ÜDlersocliangeu  anf  d.  Gebiete  derProDonina,  besonders  der  lateioischen.       70 

muxei'li  mi ,  pochvältm  ii**  (wenn  du  mir  helfen  wirst,  werde  ich 
dieh  beloben}  ist  entstanden  aus  den  zwei  selbststandigen  SStzen : 
„Pomuiei-H  mi?  (wirst  du  mir  helfen?)  und  npochvdUm  ie,^  Die 
Bedingung  wird  durch  die  Frage  bezeichnet;  die  (in  diesem  Falle 
bejabeode)  Antwort  wird  nieht  ausdrQcklich  ausgesprochen,  aber  ror- 
tasgesetzt,  und  daran  die  in  diesem  bejahenden  Falle  stattfindende 
Folge  durch  den  zweiten  Satz  angeknupfti).  Ähnliche  Beispiele  aus 
dem  Griechischen  und  Lateinischen  sind:  Her.  4,  1 18  ovx  eSv  noi-hGtrg 
Toöra;  rifitXg  jxiv  ncs^ö/jicvoc  yj  ^ec^ofiicv  riiv  yißipriv,  ^  fxivovrtg 
C|ioXc7ff  yi^yia6\k€äa  =  iav  jin  ?roei%a>3re  raöra,  lijxcT^  .  .  .  tCkti'- 
"^^  xrX.  5,  92,  7  fin.  oOx  cov  nocüaeaät  dX/ä  ntip^ataät  noLpä  rd 

CicTusc.  8,  24,  57«). 

Es  ist  also  die  Erklärung  der  relatiren  Geltung  aus  der  interro- 
gitiren  möglich.  Möglich  ist  aber  auch  die  Erklärung  aus  der  indefi- 
Diten  Geltung,  z.  B.:  j^Qui  non  seriU  is  non  metet^  ursprunglich  <= 
et  iäet  einer  nicht;  der  wird  nicht  mähen.  Die  Einwendung,  dass 
das  relatire  Pronomen  regelmässig  an  der  Spitze  des  Satzes  steht, 
während  das  indefinite  quiSy  qui  enklitisch  ist,  wäre  nicht  erheblich. 
Hit  demselben  Rechte  könnte  man  ja  auch  ein  solches  von  der  Stel* 
loDg  des  Wortes  entlehntes  Argument  gegen  den  Zusammenhang  der 


M  Dietelbe  Geltoag  hal  da«  U  in  Jestiize,  du  gegenwirtig*  Dur  als  eine  hfpothetische 
Co^joBctioA  =  wenn  gefahlt  wird,  wXhrend  es  eigentlich  bedeutet  nettne,  itf**. 
Z.  B.  J€9tUze  pfijdeSf  uzfii  ho  (wenn  du  kommst,  wirst  du  Ihn  sehen)  eigentlich 
=  J€9t-ti  t€  pfijdeif  uzfii  ho  =  ettne  ut  venia*  f  eontpieieM  eum, 

*)  Oft  isfc  es  freilich  xweifelhafl,  ob  man  das  Frageaeichen  setaen  oder  ob  man  den 
enten  Satz  fSr  einen  die  Annahme  beieichnenden  Aussagesatz  halten  soll, 
wobei  natfirlieh  das  Fragezeichen  nnatatthaft  wire ;  z.  B.  Dem.  Ol.  3,  18  xaX  vOv 
ou  X^ci  TK  tä  ßikriffToi*  avaffra^  oXXo;  c^irdereo,  fiii  roOrov  aludv^oi,  srepog 
\i^it  rt(  jScXricü-  raOra  irouirt  0^703$  ^^XV-  ^^^  Heransgeber  sjnd  in  solchen 
Fillen  bezüglich  der  Interpunction  pft  nneins,  gegenwirtig  entscheiden  sich  die 
meisten  gegen  das  Fragezeichen  und  für  die  durch  einen  Aussagesatz 
auageaprochene  Annahme.  Dies  Schwanken  ist  begreiflich,  weil  auch  in  dem  Falle, 
wenn  man  den  ersten  Satz  als  Aussagesatz  nimmt  «gesetzt  dass",  derselbe 
doch  am  Schlüsse  mit  gehobener  Stimme  (also  Shnlteh  wie  bei  einer  Frage)  ge- 
sprochen werden  mnss,  da  er  an  und  fSr  sich  nicht  befriedigt,  sondern  die 
folgende  Erginzung  erwarten  lisst. 

Znireilen  lisst  sich  an  eiuf^n  Fragesatz  gar  nicht  denken,  z.  B.  bei  xal  d^ 
wie  Eur.  Med.  389  xal  ^  re3va9t  ■  rc;  ya  ii^tvai  iroXc;,*  Her.  7,  10,  2  n.  s. 


80  Kr{£al«    . 

interrogativen  und  indefiniten  Geltung  von  quis,  qui  geltend  machen» 
mag  nun  die  interrogative  die  primäre  oder  (wie  ich  glaube)  die  ae- 
cundäre  sein.  Dass  das  relative  qui  in  der  Regel  an  der  Spitze  des 
Satzes  stehttistnaturlich  und  findet  sich  dies  auch  bei  relatiren  Wor- 
tern, denen  andere  Pronominalstämme  zu  Grunde  liegen.  Eben  so  na- 
türlich ist  esy  dass  das  indefinite  quis,  qui  nicht  an  die  Spitze  des 
Satzes  gestellt  ward,  da  die  im  Laufe  der  Zeiten  sehr  abgeschwächte 
Bedeutung  dieser  Worter  sich  mit  dieser  nachdrücklich  hervorheben- 
den Stellung  nicht  vertrug.  Dass  ursprünglich  auch  ein  indefinites 
kast^kis, quisBu der  Spitze  des  Satzes  stehen  konnte,  ist  nicht  zu  be- 
zweifeln; so  wie  nun  aber  auch  andere  (zusammengesetzte)  Indefinita 
diese  Stellung  nicht  lieben  (aliquis,  quidam»  quispiam),  so  musste 
bei  dem  schwächeren  quis,  qui  diese  Abneigung  noch  grösser  sein. 
Die  Gründe  nun  für  die  Annahme  der  Entwicklung  des  relativen 
Gebrauches  aus  dem  indefiniten ,  und  nicht  aus  dem  interrogativen» 
sind : 

1.  Hit  der  Thatsache»  dass  bei  anderen  Pronominalstämmen  sich 
die  relative  Geltung  aus  der  demonstrativen  entwickelt  hat  (skr.  jas 
gr.  og,  d»  slav.  ize,  goth.  säet),  harmoniert  besser  die  Erklärung  der 
relativen  Geltung  des  Stammes  ka  aus  der  indefiniten»  da  bei  dieser 
Erklärung  der  relative  Nebensatz  als  entstanden  aus  einem  selbstständi- 
gen Aussagesatz  betrachtet  wird»  gerade  so  wie  die  Sätze»  in  denen  das 
relative  Pronomen  sich  aus  dem  demonstrativen  entwickelt  hat»  ur- 
sprünglich selbstständige  Aussagesätze  und  nicht  Fragesätze 
waren. 

2.  Für  die  andere  Auffassung  werden  wohl  hypothetische  Perlo- 
den» deren  Protasis  ursprünglich  ein  selbstständiger  Fragesatz  war»  als 
Analogie  angeführt ;  aber  anderseits  kann  man  auch  viele  Beispiele 
anführen  für  die  Entstehung  der  hypothetischen  Protasis  aus  'einem 
die  Annahme  bezeichnenden  Aussagesatze;  vgl.  oben  S.  3.  Bemer- 
kenswerth  ist  hiebei  besonders»  dass  die  lateinische  Sprache,  deren 
Relativa  sämmtlich  angeblich  aus  der  interrogativen  Geltung  des  Stam- 
mes ka  entstanden  sind»  gerade  bei  der  Bezeichnung  des  hypotheti- 
schen Verhältnisses»  wo  die  Wahl  der  interrogativen  Form  am  näch- 
sten gelegen  wäre»  davon  keinen  Gebrauch  gemacht  hat;  denn  z.  B. 
in  dem  Satze  „8t  me  adiuvabis,  laudabo  te^  wird  man  doch  j^$i  tne 
adiuvabis'*  nicht  auf  einen  Fragesatz  zurückführen  können»  da  at  («et, 
8vei)  ursprünglich  demonstrativ  ist.  Auch  ist  zu  beachten»  dass  zahl- 


UntorsttchoD^a  aof  d.  Gebiete  der  Pronomine,  besondere  der  leteiaischea.       8  1 

lose  Relativsätze  mit  gut,  og  av  der  Wendung  „tt  quis,  idv  rtg"*  ent- 
sprechen, was  för  den  Zusammenhang  des  indeflniten  und  relativen 
Moments  zeugt 

3.  Für  quüque  wird  schwerlich  jemand  eine  interrogative  Be- 
deutung als  die  ursprflngliche  voraussetzen  wollen ;  Bopp  sagt  mehr- 
mals, dass,  sowie  skr.  eis,  so  auch  lat.  que  als  Fragetilger  fungiere; 
fitis  soll  seine  ursprunglich  interrogative  Geltung  durch  HinzufOgung 
ton  que  verloren  haben !  Wie  sonderbar  ist  doch  diese  Annahme,  dass 
ein  eigentlich  interrogatives  Wort  (das  musste  ja  ca,  que  nach  der 
gewohnlichen  Annahme  sein)  gerade  die  eigenthumliche  Kraft  haben 
soll,  den  interrogativen  Charakter  des  Wortes,  mit  dem  es  eine  Ver- 
bindung eingeht,  zu  zerstören  I  Dies  quisque  nun  aber,  bei  dem  keine 
Spar  der  interrogativen  Geltung  sich  findet,  das  vielmehr  entschieden 
indefinit  ist,  hat  auch  die  relative  Bedeutung;  so  z.  B.  Plaut.  Asin.  2, 
3,  24  quisque  obviam  huic  occesserit  irato,  vapulabii  (ursprünglich 
nirgend  einer  wird  diesem  in  den  Wurf  kommen,  er  wird  Schlage 
bekommen'*  =ir«r  tnim^diesem  in  den  Wurf  kommen  wird  u.  s.w.). 
Nil.  gl.  2,  2,  5;  2,  8,  SO;  4,  9,  14  u.  s.  Dasselbe  gilt  von  quando- 
que  =:  quandocumque. 

4.  Auch  bei  quisquis  wird  man  wohl  nicht  an  eine  ursprilnglich 
interrogative  Geltung  denken.  Von  der  indefiniten  Bedeutung  finden 
sich  Spuren ,  die  ich  nicht  durch  Annahme  der  Auslassung  des  Ver- 
buro substantivum  erklären  mochte;  so  CatoR.R. c.7  in  eodem  fundo 
iuum  quidquid  conseri  oportet,  Cap.  48.  suum  quidquid  geiius  ta- 
karum  seriio;  und  namentlich  unusquisquis  =  unusquisque,  wie 
Cato  bei  Fest«  p.  234  qui  unumquidquid  mature  transigit,  is  pro- 
perat:  —  ego  unumquidquid  quod  adortus  er  am  transigebam. 
Plaut.  Trin.  4,  2,  39  si  unumquidquid  singillcUim  et  placide  per- 
contabere-  —  Aus  der  indefiniten  Geltung  hat  sich  die  relative  ent- 
wickelt. 

5.  Wichtig  sind  ferner  noch  andere  Worter,  die  als  subordinie- 
rende Conjunctionen  relative  Bedeutung  angenommen  haben  und  bei 
denen  dieselbe  durchaus  nicht  aus  der  interrogativen  Geltung  erklärt 
Verden  kann ,  da  sie  eben  diese  niemals  hatten.  Hieher  gehört  vor 
allen  dum.  mag  nun  diesem  Worte  ein  Pronominalstamm  da-  (der 
jedenfalls  demonstrativ  sein  musste ,  eine  Modification  von  ta-')  zu 
Grande  Hegen  oder  mag  es  nach  Corssen  (Ausspr.  lU  149.  284)  ein 
Aeeusativvon  dius  sein,  so  dass  dum  ^ursprüglich  den  Tag,  dann 


82  K  T  i  £  •  1  • 

der  Weile,  indessen'*  bedeutete  (Corssen  a.  0.  284).  Bezuglich  der 
Entwicklung  der  relativen  Geltung  des  dum  vgl.  das  deutsche  weil 
(auch  temporal),  derweil,  während.  Das  griech.  Ti<üg  ist  eig.  demon- 
strativ y,so  lange**;  aber  die  demonstrative  Geltung  tritt  zuweilen 
zurück,  so  dass  es  ,,eiue  Weile,  eine  Zeit  lang**  bezeichnet,  also  in- 
definit gebraucht  wird,  wie  z.  B.  Plat  Lys.  207  A  ritag  iktu  ouv 
iinopei  re  xai  taxvit  /xövo^  Kpo^tivar  ineera  xrX.  Lach.  183  E  ritag 
fi.£v  o5v  7t ocffiSet  iv  rß  vtqi  ayreypiievog  roö  iopaxog  •  inei  Si  $ii  xrk. 
Man  sieht  leicht,  wie  in  diesem  Contexte  die  Bedeutung  von  ri^g 
„unterdessen,  bis  dahin**  in  die  von  „eine  Zeit  lang**  übei^ehen 
konnte.  Titag  findet  sich  nun  aber  auch  als  Conjunction,  also  relativ 
(=  ccü^)  gebraucht,  z.  B.  Plat.  Symp.  191  E  ritag  av  Tratdeg  eütrc, 
fiXoOai  rcO^  ävSpag  (vgl.  Lexika  und  Buttmann,  index  zu  Demosth. 
Hid.) 

n 

Wie  verhält  sich  nun  die  interrogative  Function  des  Stammes 
ka  (ki)  zu  der  indefiniten?  Die  angebliche  Entwicklung  der  letzteren 
aus  jener  stellt  Pott  (Etym.  Forsch.  I,  361)  so  dar:  »Das  Fragpro- 
nomen wird  häufig  in  den  Sprachen,  nur  wenn  zuvor  durch  Tonlosig- 
keit  abgeschwächt,  als  Indefinitum  verwendet,  z.  B.  si  quis  (aliquis). 
Griech.  isAug  ue  quis.   Es  kam  wer  (jemand);  d.  h.  Gekommen  ist 
jemand,  nur  bleibt  noch  fraglich  w^?^  Eine  ähnliche  Verbindung 
zweier  Momente  (eines  Aussagesatzes  und  einer  Frage)  kommt  wirk- 
lich vor,  z.  B.  Eur.  Hipp.  521  nrdvr*  dev  faßn^iXa  lo^i-  Stiiialvug  8i 
ri;  Or.  393  f^p^u)  ii  XOaarig  ;r6re,*  rig  rii^ipa  tot'  riv;   Solche  Sätze 
kann  man,  um  Pott*s  Worte  zu  gebrauchen,  erklären:  „Du  fürchtest ; 
nur  bleibt  noch  fraglich,  was.**    Aber  auf  diese  Weise  ist  gewiss  die 
indefinite  Geltung  historisch  nicht  entstanden ,  sondern  das  Verhält- 
niss  muss  umgekehrt  werden.   Ich  führe  hiefur  folgende  Grunde  an : 

1.  Die  interrogative  Function  eines  Wortes  ist  ohne  Zw^eifel 
ganz  und  gar  abhängig  von  dem  fragenden  Tone,  dessen  man 
sich  bedient  Es  gab  niemals  absolute  Fragewörter,  d.  i.  solche, 
denen  die  fragende  Geltung  wirklich  innegewohnt  hätte  <)•  sondern 


*)  Bentej  (Kuhn*«  Zt.  9,  123)  tteUt  swar  einen  solchen  Versuch  eof,  indem  er  meint, 
das  interrogatiTe  Pronomen,  dessen  organische  Form  nach  seiner  Ansicht  kva  ist, 
könne  in  Verbindung  gebracht  werden  mit  dem  skr.  Verbum  ku  n^in  Geschrei 
erheben,  rufen*. 


t'ntersuchuii^eii  aufd.  Gebiete  der  Pronomina,  besonders  der  lateini.fchen.        o3 

alle  hatten  ursprünglich  eine  andere  Bedeutung,  und  nur  dadurch, 
dass  sie  in  Fragesätzen  oft  verwendet  wurden,  geschah  es,  dass  das 
Sprachgefühl  das  fragende  Moment,  welches  eigentlich  durch  den  Ton 
bezeichnet  wurde,  auf  diese  Worter  selbst  übertrug  und  sie  dann  als 
Träger  der  interrogativen  Function  ansah  (vgl.  die  Fragepartikeln 
aoa,  {,  ne,  nunif  nonne  u.  s.  w.).  Die  wirkliche  Frage  (im  Gegen- 
satze zu  der  rhetorischen)  entspringt  aus  dem  Nichtwissen  und  dem 
Streben,  das,  was  man  nicht  weiss,  zu  erfahren.  Dieser  Wunsch, 
Aoskonft  zu  erhalten,  wird  zufolge  einer  natürlichen  Symbolik  da- 
durch kundgegeben,  dass  man  am  Schlüsse  des  Satzes  die  Stimme 
nieht  (wie  es  bei  einem  Aussagesatze  natürlich  und  angemessen  ist) 
fallen,  sondern  sich  erheben  lässt.  Dadurch  wird  symbolisch  ange- 
zeigt, dass  das  Ausgesprochene  nicht  für  sich  einen  befriedigenden 
Abscbluss  bietet,  sondern  dass  man  diesen  Abschluss,  die  aufklärende 
Ergänzung  erst  erwartet;  diese  Ergänzung  ist  die  Antwort.  Jedes 
Wort  kaunaher  in  einem  solchen  Satze  als  „Frage  wo  rt**  fungieren; 
wenn  man  es  nämlich  stark  betont,  so  lenkt  man  die  Aufmerksamkeit 
anf  dasselbe  (wie  es  auch  in  einem  Aussagesatze  geschieht ,  vgl. 
z.  B.  der  Bruder  kam  heute  opp.  und  nicht  sonst  jemand;  der 
Bruder  kam  heute  opp.  und  nicht  an  einem  andern  Tage  u.  s.  w.) 
und  gibt  zu  verstehen,  dass  die  Antwort  gerade  auf  dieses  Wort 
Bucksieht  nehmen  und  sich  beziehen  soll;  z.  B.  kam  der  Bruder 
gestern  hieher?  kam  der  Bruder  gestern  hieher?  kam  der  Bruder 
gestern  hieher?  Mit  Fug  und  Recht  kann  man  also  behaupten,  dass 
es  ursprünglich  gar  kein  eigentliches  Fragewort  gab  und  dass  ander- 
seits, wie  jedes  Wort,  so  auch  das  unbestimmte  Pronomen  Aros, 
Kf  in  einem  fragend  ausgesprochenen  Satze  zu  einem  interrogativen 
Pronomen  werden  konnte.  Dass  gerade  das  unbestimmte  Pronomen 
sieh  zu  einem  Frageworte  qualifieierte,  ist  begreiflich.  Die  Frage  ver- 
langt eine  Antwort,  und  gerade  das  unbestimmte  Wort  ist  eben 
das  unbekannte  x,  das  durch  die  Antwort  seine  Auflosung  erhalten 
soll  i).   So  wurde  aus  d  ditkfog  tlni  re  der  Satz  6  disXfo^  eine  ri ; 


*)  lalercsMBt  itt  die  Erscheinung^,  das«  in  der  Conreraattou  sehr  oft  de  wo  man 
chras  wanaeht,  Aaaaagpeaitie  mit  dem  nnbeatimmten  Proaomen  gebraacht  werden, 
die  alao  betuglich  Ihrer  Geltung  auf  einer  Stufe  mit  Frafj^eaitzen  stehen.  So  kann 
a.  B.  jem^d,  der  etwaa  fallen  hfirt,  aber  nicht  weiaa  was,  und  darüber  Auskunft 
SB  erhalten  wtoechl,  sagen:  «etwaa  ist  heruntergefallen*  und  der  Angeredete 
entnimmt  daran«,  daas  Anaknnft  gewfinacht  wird,  ao  dass  also  jener  Saia  dasselbe 


84  K  V 1 c  a  1  a 

(der  Bruder  hat  was  gesagt?).  Dass  nun  dies  Wort  regelmässig 
an  die  Spitze  des  Satzes  gestellt  wurde,  ist  natürlich;  denn  wenn 
man  schon  auf  ein  Wort  die  Aufmerksamkeit  lenken  will,  so  erscheint 
die  Setzung  desselhen  an  der  ersten  Stelle  des  Satzes  als  ein 
geeignetes  Mittel.  Gerade  so  wird  man  z.  B.  wenn  aus  dem  Aussage- 
satze 6  dis\fd^  r  0  0  r*  eiTze  ein  Fragesatz  werden  soll ,  in  der  Regel 
lieber  sagen  roOr*  ee/rcvö  dieXfög;  als  6  dieX^dgrovr  eine;  Ebenso 
stellt  man  ja  auch  in  Aussagesätzen  ein  besonders  stark  zu  betonendes 
Wort  nach  Möglichkeit  gern  an  die  Spitze. 

2.  Es  gibt  in  den  Sprachen  eine  grosse  Anzahl  ron  indefinit 
gebrauchten  Wörtern,  bei  denen  die  Voraussetzung  des  interro- 
gativen Gebrauches  behufs  der  Erklärung  der  indefiniten  Geltung 
schlechterdings  unzulässig  ist.  Vgl.  z.  B.  lat.  unuSf  gr.  6  SeXva^  got 
tnannahun ,  ainshuHp  manna,  sumii,  deutsch  man,  einerp  Mensch. 
bohm.  clovek,  jeden.  Wie  wir  nun  in  solchen  Fällen  die  indefinite 
Geltung  so  zu  sagen  vor  unseren  Aug^n  sich  entwickeln  sehen  — 
und  gewiss  nicht  aus  dem  interrogativen  Gebrauche  —  so  dürfen 
wir  auch  ftir  kos  u.  s.  w.  nicht  die  interrogative  Function  als  die 
nothwendige  Vorstufe  gelten  lassen. 

3.  Wenn  man  die  Ansicht,  das  indefinite  Pronomen  sei  aus  dem 
interrogativen  entstanden,  aufgibt,  so  erklärt  sich  eine  bedeutende 
Reihe  von  Erscheinungen  sofort  auf  naturliche  Weise,  während  man 
sonst  bei  ihrer  Erklärung  ein  Mittel  anwenden  muss,  dessen  Berech- 
tigung sich  nicht  anerkennen  lässt.  So  sieht  sich  Bopp  veranlasst 
(Vgl.  Gramm.  §.  39S,  2.  Aufl.)  zu  erklären,  dass  sich  die  Partikel 
ca  im  Skr.  und  Zend  (altpers.  cd)  ihrer  Verwandtschaft  mit  dem  In- 
terrogativ nicht  mehr  bewusst  ist  und  er  nimmt  an,  (II,  S.  177),  dass 
die  fragende  Bedeutung  dem  Worte  kinca  durch  ca,  dem  quisque 
durch  que,  dem  hvazuh,  hvarjizuh,  hvatharuh  (S.  213)  durch  uh. 
dem  kascitf  kaddcit,  kathaAcit,  kvacit  durch  ctY  genommen  werde. 
Wie  sollen  aber  die  Partikeln  ca,  Sit,  que.  uh,  die  doch  selbst  an- 
geblich eigentlich  interrogativer  Natur  sind,  gerade  dazu  benutzt 
worden  sein,  um  anderen  interrogativen  Wortern,  wie  kirn,  hvas,  quis 
u.  s.  w.  ihre  interrogative  Geltung  zu  rauben?    Vielmehr  musste 


enielt,  wie  ein  Fragetett  »was  iet  hernntergefellen''^  So  hdrt  man  Jemand  war 
da"  (wo  sich  freilieh  leicht  ein  firagpender  Ton,  eine  Hebung  der  Stimme  beigeaellt) 
nicht  in  dem  Sinn«  von  »war  jemand  da",  aondem  vielmehr  =9  „wer  wnr  da?** 


Untersuchungen  auf  d.  Gebiete  der  Pronomina,  besonders  der  lateinischen.        oH 

doch  aus  einer  solchen  Vereinigung  eine  Kräftigung  des  interrogativen 
Moments  resultieren.  Geht  man  aber  von  der  indefiniten  Geltung  als 
der  ursprunglichen  aus,  so  stellt  sich  hier  eine  wiederholte  Bezeieh* 
Dung  des  indefiniten  Moments  heraus  ^  die  in  allen  Sprachen  eine 
häufige  Erscheinung  ist;  vgl.  qui-cum-que  (wer  irgend  wann  irgend 
wie),  quiaquam  (irgend  einer  irgend  wo)  u.  A. 

m. 

Nun  kann  man  freilich,  wenn  man  der  ursprünglichen  Be- 
deutung Ton  ka  (ki,  ku)  nachzugehen  sucht»  bei  der  indefiniten  nicht 
stehen  bleiben.  Zunächst  muss  man  wohl  als  Vorstufe  der  unbe- 
stimmten Bedeutung  ,,irgend  einer**  die  Function  des  bestimmten 
Cardinalzahlwortes  j^unus^  voraussetzen.  Analogien  für  diesen  Über- 
gang finden  sich  in  grosser  Anzahl.  So  ist  bei  unus,  ein^jeden^  ilq^ 
welche  Worter  auch  in  der  Geltung  eines  unbestimmten  Pronomen 
vorkommen  <),  unzweifelhaft  die  Function  des  bestimmten  Numerale 
fiir  die  altere  zu  halten.  Qu8üg  steht  dem  oureg  in  der  Bedeutung 
gleich,  und  wenn  man  energisch  „nicht  ein  einziger**  sagen  wollte, 
so  musste  man  ouii  v.<;  anwenden,  da  oOdcfg  nicht  mehr  in  dieser 
starken,  ursprunglichen  Bedeutung  gefühlt  wurde.  Wichtig  ist  ferner 
uUuSf  das  doch  wohl  gewiss  (obzwar  auch  andere  Ableitungen  ver- 
sucht worden  sind)  eine  Deminutivform  VQn  unu9  ist,  wie  das  bilh- 
vmc\i^  jedinky  ein  Diminutivum  zujediny  ist. 

Wenn  nun  auch  gar  keine  Beste  des  Numeralgebrauches  von  ka 
sich  fanden,  so  wäre  man  doch  nach  solchen  Analogien  berechtigt 
die  Bedeutung  nunus"*  als  Vorstufe  der  unbestimmten  Bedeutung 
vorauszusetzen.  Es  scheinen  aber  noch  Beste  jener  Bedeutung  sich 
erhalte«  zu  habeii.  Zunächst  in  skr.  äka.  Denn  da  die  Bedeutung 
nirgend  einet'^  so.  oft  die  Bedeutung  „unus*'  voraussetzt,  was  ist 
natüriieher  als  die  Annahme,  dass  in  ^^ka  die  Bezeichnung  ^^eins^ 
nicht  ausschliesslich,  ja  auch  nicht  einmal  vorwiegend  in  dem  ersten 
Theile  des  Wortes,  sondern  vielmehr  im  zweiten  zu  suchen  ist? 
Femer  scheint  Bopp  (II,  60)  bezüglich  des  merkwürdigen  lat.  cocles 


*)  umu  ist  90  gebraucht  £.  B.  Plaut.  Truc.  2,  1,  39  sed  est  huic  unus  servo«  vio- 
lentissumus.  Cic.  de  or.  1,  29,  132  sicut  unus  paierfamilias  de  bis  rebus  loquor 
und  Tttcbs  (Verhandinngen  der  7.  Versammlung  der  deutschen  Philot.  u.  Schul- 
miDoer  S.  45).  Für  fi;  Tgl.  x.  B.  Arist.  Vogel  1262;  für  jedinv.  Miklosicb  (a.  a.  C 
S.  53). 

Silzb.  d.  pbil.-hiat.  Cl.  LXV.  Bd.  I.  Hft.  7 


86  K  V { c  a  I  a 

mit  Recht  zu  bemerken,  ,,dass  der  Begriff  der  Einheit  hier  ein- 
leuchtend nur  durch  e  vertreten  ist".  Wenn  Corssen  (krit.  Nachtr. 
263)  die  Herleitung  von  ika  bestreitet,  „weil  der  Abfall  eines  anlau- 
tenden langen  e  im  Latein  durchaus  ohne  Beispiel  ist",  so  ist  zu  be- 
merken, dass  in  coclei  eben  nicht  ein  anlautendes  ^abgefallen  ist, 
sondern  dass  der  erste  Bestandtheil  ka  ist,  dem  an  und  fQr  sich  die 
Bedeutung  „eins"  zukommt.  Benfey  (Kuhn*s  Ztschft.  H,  222)  erklärt 
ähnlich  coelebs.  Wichtig  und  richtig  scheint  Bopp's  Erklärung  des 
Femininstammes  skr.  cataaar^  zu  sein,  der,  verglichen  mit  dem  Fe- 
mininstamm des  Zahlwortes  drei  tiaar-,  um  ca  reicher  ist,  so  dass  dies 
ca  die  Bezeichnung  der  Einheit  zu  sein  scheint,  wie  in  ca-^tvar-,  ca-tur- 
(Vgl.  Gramm.  II,  68;  Schleicher  Comp.  §.237).  Ferner  hat  meiner  Mei- 
nung nach  Ahrens  (Kuhn*s  Ztschft.  8,  331)  genügend  nachgewiesen, 
dass  das  griech.  -xt^  aus  dem  alten  Zahlworte  der  Einheit  verstümmelt 
ist.  —  Diesen  Resten  glaube  ich  auch  die  Präposition  cum  anfügen 
zu  können,  was  ich  in  dem  Excurs  I.  zu  begründen  suchen  werde. 

IV. 

Aber  auch  bei  dieser  Geltung  des  in  Rede  stehenden  Pronominal- 
stammes kann  man  noch  nicht  stehen  bleiben ,  sondern  man  ist  ge- 
zwungen, noch  einen  Schritt  weiter  zu  gehen  und  entweder  (mit 
Benfey)  eine  Verbal wurzeL«)  oder  einen  demonstrativen  Prono- 
minalstamm anzunehmen.    Letzteres  halte  ich  für  das  richtige,  indem 
ich  überhaupt  von  der  Richtigkeit  der  Ansicht  überzeugt  bin ,  dass 
alle  Pronominalwurzeln  keine  eigentliche  Bedeutung  hatten,  sondern 
ursprünglich  nur  eine  lautliche  Beigabe  zu  der  Deixis,  welche  durch 
die  Handbewegung  oder  durch  eine  sonstige  Gebärde  des  Körpers 
erfolgte ,  bildeten.    Die  hiebei  sich  aufdrängenden  Fragen  „war  die 
Wahl  dieses  oder  jenes  lautlichen  Ausdruckes,  um  die  Deixis  zu 
unterstützen,  gleichgiltig,  oder  bestand  schon  von  Anfang  an  eine 
gewisse  Wahlverwandtschaft,   der  zufolge  verschiedenen  Modifica- 
tionen  der  Deixis  (z.  B.  mit  Rücksicht  auf  die  Nähe  oder  Ferne)  be- 
stimmte   Lautkorper   sich    beigesellten?    ferner,   wenn  die    Wahl 
gleichgiltig  war,  wie  und  auf  welcher  Grundlage  fand  die  Differen- 
zirung  der  Gebrauchsweisen  statt?"     diese  und   ähnliche  Fragen 
werden  freilich  wohl  immer  Fragen  ohne  Antwort  (wenigstens  ohne 
eine  ganz  zufriedenstellende  Antwort)  bleiben. 

0  B«nfe7  (Kabii*t  ZeiUchr.  9,  123). 


Untersnchnng^eo  auf  d.  Gebiete  der  Pronomina,  besonders  der  lateinischen.        8  7 

All) lis.  dvls. 

Es  ist  eiae  sehr  verbreitete  Ansicht,  dass  aliquh  eigentlich  alius 
quii  sei.  Selbst  Pott  (Etym.  Forsch.  I*,  S.  363)  sagt:  »Selbst  aber 
Lat.  aliqais  enthält  versteckt  eine  Negation  (Anderes)  in  sich.  Nfim- 
lieb  von  alius  quis  (M.  Schmidt,  Pron.  p.  ST)  ausgehend,  besagt  es 
augenscheinlich  zunächst  Lit.  kit-koB  (sonst  wer,  sonst  was,  etwas 
Anderes}  aus  kiiias  (ein  anderer)  Nesselm.  S.  203  oder  'Jemand 
Anderes'  Grimm.  IV.  486.  Nur  in  aliquia  mit  der  besonderen  Ein- 
schränkung: ein  Anderer  als  der  Redende,  der,  ausser  sich,  die 
gaoxe  Unendlichkeit  der  Individuen  zur  Heraushebung  eines  von 
ihoen  frei  gibt;  dann  die  Preisgabe  einer  Gattung  zur  Auswahl,  jedoch 
flicht  schrankenlos;  endlich  ganz  allgemein  irgend  ein.**  Heines 
Wissens  war  der  erste,  der  diese  Erklärung  aufstellte,  Stuerenburg 
20  Cic.  p.  Arch.  pag.  89;  nach  seiner  Ansicht  soll  bei  aliquis  die 
Bedeutung  des  alius  in  der  Beziehung  auf  das  logische  Subjet  zu 
suchen  sein,  so  dass  es  eigentlich  das  Nicht-Ich,  das  logische  Object 
bezeichne.  Es  werden  ziemlich .  viele  Beispiele  von  den  Erklärern 
angeführt,  in  denen  die  angebliche  Grundbedeutung  von  aliquis 
^irgend  ein  anderer**  noch  ersichtlich  sein  soll,  wie  denn  Goerenz 
ztt  Cic.  Acad.  II,  10  sogar  behauptete,  fiber  50  solcher  Stellen  aus 
Cicero  gesammelt  zu  haben.  Sehr  richtig  beurtheilt  aber  diesen 
Punkt  Haase  (zu  Reisig's  Vorles.  Anm.  351),  indem  er  bezweifelt,  dass 
irgendwo  eine  Nothigung  vorliegen  durfte,  die  Bedeutung  alius  quis 
anzunehmen.  In  vollkommen  angemessener  Weise  spricht  sich  über 
diese  Stellen  auch  Klotz  aus ,  der  (Wörterb.  s.  v.  aliquis  I,  S.  296, 
1.  Aufl.)  z.  B.  über  Cic.  1,  7,  23  nam  qui  iniusie  facii  impetum  in 
qnempiamt  facii  aut  ira  auf  aliqua perturbatione  incüatus  bemerkt: 
awas  nicht  soviel  ist  als :  oder  wegen  einer  arideren  leidenschaftlichen 
Aufregung  seines  Geistes,**  sondern  nur  „oder  wegen  irgend 
einer  u.  s.  w.,^  die  sich  aber  natürlich  von  ira  hier  unterscheiden 
mnss,  weil  Niemandem  einfallen  kann,  das  Gesagte  noch  einmal  mit 
eiozuschliessen ,  wenn  er  auch  noch  so  allgemein  sich  ausdrücken 
will."  Als  Beweis,  dass  aliquis  an  solchen  Stellen  nicht  die  Bedeutung 
edims  quis  haben  kann,  föhrt  Klotz  mit  Recht  den  Umstand  an,  dass 
sehr  oft  alias  aliquis  und  alius  quis  vorkommt.  Die  Erklärung 
Aeisig's  ist  nicht  zulässig:  „Da  aber  aliquis  durch  die  Abweichung 
von  der  Etymologie  so  viel  als  irgend  einer  überhaupt  zu  bedeuten 


88  K  r  I  c  a 1  ■ 

angefangen  hatte»  so  wurde  sogar  beides  verbunden,  und  man  sagte 
aliud  aliquid**  (Vorles.  §.  201).    Es  ist  nicht  denkbar,  dass  zu  einer 
und  derselben  Zeit,  dass  bei  demselben  Schriftsteller  aliquia  noch 
in  der  angeblich  ui'sprünglichen  Bedeutung  „alius  quis**  vorkäme 
und  zugleich  auch  die  Verbindung  alius  (üiquis  (vgl.  z.  B.  Cic.  Brut. 
90,  310  und  divin.  in  Caec.  6,  22).  Wenn  z.B.  bei  Cicero  das  erstere 
der  Fall  wäre,  so  hatte  er  sicher  nie  Veranlassung  gehabt,  alius  o/i- 
quis zu  sagen.  Bezüglich  der  scheinbaren  Bedeutung  ,, alius  quis*^ 
weist  Haase  sehr  gut  auf  andere  Fälle  hin,  in  denen  aUus  zu  fehlen 
scheint,  z.  B.  Cic.  Brut.  41,  152  sie  enim  exisiimOf  iuris  civilis 
magnum  usum  el  apud  Scaevolwn  et  apud  muUos  fuisse ;   und  so 
in  der  häufigen  Wendung  aut  si  quid,  z.  B.  Catul.  19,  13  qui  modo 
seurra  aut  si  quid  hoc  re  tristius  videbatur    (zu  Beis.  Vorles» 
§.  453,   S.  797).   Ich  fuge  eine  Sammlung  ähnlicher  griechischer 
Stellen  hinzu:  Hes.   Theog.  381  f.  i(aa(p6pov  .  .  .  oiarpa  re  XajXTrc- 
röcüyra.  Pind.  Ol.  7,  102  ^-^öva  iariovro  ZeOg  rcxac  d^dvaroc  (aber 
Od.  ^  53  ZeO^  rot  ioi-n,  &^ve,  xal  d.&dvaroe  J^goi  aXkoi).    Dem.   18» 
285  ciü  ZeO  Kai  Seol  (eine  häufig  vorkommende  Formel).   Soph.  Oed. 
R.  1331    inaiaev  0L^r6y(tip  vev  o^n^  oikV  kyC}  rXdjjieiiv.   Trach.  300 
i^lkslg  ii  nrpotfjxfivwfiev ;  ^  re  -^-h  irotciv;    Oed.  Col.  474  ^aXkoXatv  tj 
xpöxa((7cv  ^  Ttoitp  rpö;ra)  ,*  Phil.  860  oO  X^P^^»  ^^  nrod^o^,  oO  revo^  dp^^oiv. 
Plat.  Kriton  p.  50  C.  raöra  %  tI  kpoOfksv  ,•  ib.  53  E  ri  noiQ'u  %  cOwj^oO- 
fxevo^  iv  SerraXiof.;   Gorg.  480  B  ri  yäp  iii  ^cD/xsv,  cS  SeOxpare^; 
Rep.  I,  332  C.  dXkd  rc  0(£e ;  Xen.  Oec.  3,  3  dXXd  rl  o*jv  roOroav  iariv 
aiTiov  ^  ort  xrX.  Kyr.  1,  4, 13.  Mem.  4,  3,  9  kyd)  fiiv  iiSri  toöto  axo- 
n&f  ei  dpa  vi  i<JTt  roXg  ^eot^  ipyov  ^  dv^p^inovg  J^epaneOeiv  *). 

2.  Nach  Curtius'  Vorgang  (Gr.  Et.  I,  n.  426,  524)  bestreitet 
Corssen  (krit.  Beitr.  S.  295  ff.)  mit  Becht,  dass  alius  und  dXXo?  dem 
skr.  anjds  entspreche.  Er  nimmt  an,  dass  der  Pronominalstamm  a  zu 
Grunde  liege;  aus  demselben  seien  durch  das  Suffix  li  (wie  in  ta-li^Sr 
qua-li-s^  die  alten  Formen  a^li-Sf  a-li^d  entstanden;  in  d-X-Xo*^  für 
d-A-jo-^  sei  das  X  Rest  desselben  Suffixes,  wie  auch  im  got.  a-l-ja. 


*)  Ähnliche«  fiodet  «ieh  «uch  ia  neueren  Sprachen,  wie  s.  fi.  aach  im  Deutschen 
geaegt  wird:  j,niemand  Het  die«  geUn  aU  er**,  ohne  daas  e«  jemandem  einfallt,  die 
Ellipse  „anderer*  bei  »niemand*  anzunehmen.  Hieher  gehört  auch  die  dialektisch 
(in  deutschen  Gegenden  Nordböhmens)  im  Volksmunde  vorkommende  Redewendung 
noder  was*,  die  den  Zweifel  an  der  Wahrheit  des  Gesagten  beaeicknet  und 
eigentlich  den  Sinn  hat  «oder  Tielmehr  was  (d.  i.  etwas)  anderes*. 


UoterBuchvn§^en  unf  <1.  Gebtete  der  Pronomina,  besonders  der  lateinischen.       89 

Von  a-li'S  sei  dann  a-l-iu-s  mit  dem  Suffix  so  weiter  gebildet,  wie 
TOD  edtdis  edvlium^  von  hogiiUs  Bostüins  <). 

Dieser  Auffassung  steht  aber  wohl  der  Unterschied  der  Quantität 
alis,  alias,  aliqnis  opp.  Ullis,  qufilis,  aequ&lis  u.  s.  w.  im  Wege.  Man 
wird  wohl  yielmehr  nicht  nmhin'konnen,  fQr  Griech.,  Lat,  Got,  Slar., 
LiL  einen  Pronominalstamm  aU  loy  ala  (»:  a  4-  1a  oder  a)  -{-  a),  mit 
ireichem  freilich  die  Suffixe  la  (lo,  li),  ala  (alo,  olo  u.  s.  w.)  zu- 
sammenhangen. Dieser  Pronominalstamm  scheint  freilich  kdn  echter 
Pronominalstamm  zu  sein,  sondern  von  einer  Verbal wurzel  herzu- 
rahren.  Ansprechend  ist  nämlich  die  von  Schleicher  (Compend. 
^.  146,  Anm.  2,  2.  Aufl.)  beiläufig  geäusserte  Vermuthung,  dass 
Aao^,  alius  „eine  Bildung  von  einer  Wurzel  urspr.  ar^  sei  >).  Wenn 
Corssen  (a.  a.  0.  S.  297)  dagegen  bemerkt,  dass  es  dunkel  bleibe, 
wie  naeh  den  für  Sanskr.  Wz«  ar  angegebenen  Bedeutungen  sich 
ans  derselben  die  Bedeutung  von  aliu9  entwickeln  konnte,  so  möchte 
ich  in  dieser  Beziehung  folgenden  Versuch  aufstellen.  Die  Wurzel  ar 
bedeutet  im  Skr.  gehen;  dieselbe  Wurzel  findet  sich  in  Spyipiiai  =» 
io^ayij'O^liat  »  ip-ax-o-yLai  (Curt.  Gr.  Et  I,  84;  II,  134);  und,  was 
bier  besonders  bemerkenswerth  ist,  diese  Wurzel  hat  im  Griechischen 
auch  die  Gestalt  iX  angenommen,  woraus  durch  weiterbildende  Ele- 
mente Ä-v,  Ä-^,  iX-v-5  (Curt.  a.  a.  0.);  auch  der  ursprungliche 
a-Voeal  hat  sich  noch  erhalten  in  idlXta  (skr.  ij-ar^mi;  Kuhn, 
Zeitschr.  5,  195  ff.?  Curt.  Et.  2,  128)  *).   So  konnte  denn  a>lo<;  und 


'}  Mas  möMte  wohl  aach  dieser  AvffaMnag  6ber  Mg«i,  dMs  a/i-w-t  Tom  SUmme  «/t 
dareli  daa  Saffiz  o  (orapr.  a)  weiter  gebildet  sei,  wodurch  das  Wort  in  die  a-De- 
clioatioB  iibertrat. 

*)  Und  swar  Terhllt  sich  aUuM  tu  alter  wie  skr.  an-ji-s  und  an'-'taru-$)y  wie  der 
SnperlatiT  zum  ComparatiT;  man  Tcrgleiche,  daas  ja  aU  superiatiTbUdendes  Sufflx 
auch  bei  den  vierten  Ordnungsaahlworte  im  Slcr.  tur-ja  erscheint. 

^)  HidMr  ist  TieUeiebt  auch  das  Tielbesproebcne  furaXXdMi  zu  stellen.  Die  ilteren 
Ablcitangen,  namlicb  von  fiiraXXov  (Bastatbios  zur  II.  148,  8;  zur  Od.  1418,  55) 
oder  Ton  fur'  £^a  „nach  anderem  d.  i.  nach  nenem  suchen"  (Buttmann 
Lezil.  1,  140)  erscheinen  gegenwirtig  fast  niemandem  glaublich.  Bfihler  (Ruhn*s 
Ztscb,  8,  388)  erkürt  es  als  |ura-Xaa»  »nach  etwas  sehen",  welche  Er- 
kliraag  auch  Araeis  za  Od.  7  243  aagenommen  hat;  noch  anders  Duntzer  (ebend. 
13,  t  f.),  der  aber  seine  Ansieht  selbst  zweifelnd  Tortrigt.  Dem  Terbum  f&trseXXacü 
liegt  (wie  auch  Dilalzer  bemerkt)  ein  nicht  Torkommendes  Nomen  furaXXi^  zu 
finmde.  Dies  Nomen  ist  mit  SufBz  j  a  gebildet  (tou  VaXssaap),  wie  auch  das 
Terbum  idtXXed  und  das  naeh  Analogie  ron  denraXXccv  (Bekk.  Anecd.  p.  414  ^iraX- 


90      '  Kvf^ila 

fdius,  wenn  es  von  dieser  Wurzel  herrührt,  den  sieh  entfer- 
nenden, den  entfernten  bezeiehnen,  woraus  sich  die  Bedeutung 
jener  ergab,  die  meiner  Ansicht  nach  diesem  mit  o//tM  (ille)  stamm- 
verwandten Worte  zukam  und  die  alter  ist,  als  die  gewohnliche  Be- 
deutung. Die  Ansicht,  dass  die  Bedeutungen  von  aliuSf  oUus  auf 
eine  Verbalwurzel  ar»  al  ^gehen,  sich  entfernen**  zurGckgeht,  wird 
nicht  auffallend  erscheinen,  wenn  nran  bedenkt,  dass  auch  andere 
Worter,  deren  Bedeutung  verblasste  und  welche  Raumverhaltnisse 
bezeichnen,  doch  von  Yerbalwurzeln  herrühren,  wie  ds^t^c,  it^iTtpiq, 
dexter,  axatö^  u.  a.  Ferner  wird  z.  B.  napdiVj  TrapsareO^,  dnoiv  «= 
odc,  ixetvo^  gebraucht 

Es  fragt  sich  nun  aber,  ob  alius  und  ollus  verwandt  ist.  Pott 
(Etym.  Forsch.  I,  299)  und  nach  ihm  Corssen  (Krit.  Beitr.  S.  303) 
sehen  oUus  für  eine  Deminutivform  vom  Pronominalstamme  ana  an  >). 
Aber  die  Annahme  einer  Deminutivform  scheint,  wo  es  sich  um  die 


Xeic  d.  i.  airoircfiffcic)  nDzunehmende  ficrdt).Xc(y.  D«s  VerhiltDitt  der  drei  Wörter 
piiraXXaco,  *f&cra^Xi9,  *fAfraXX(i>  itt  dasselbe,  wie  das  von  srctpftCü,  irecpt},  «retpcd, 
wobei  Bttflrlich  eine  Ableitung  des  ntipti  roQ  dem  PrSsensstarom  des  Verbs  ftfipo* 
von  mir  eben  so    wenig  .angenommen    wird,   wie  eine  Ableitung  des  Noroens 
*f&eraXX>3  Ton  ^fAcrdXXeo ;  Tielmebr  haben  Nomen  and  Verbum  dasselbe  Bildungs- 
element ja  gemeint.   Für   furdcXXciv,  f&eraXXov  nun  nehme  ich   die   Bedeutong- 
»n  ach  eilen  (eilen  ist  ja  auch  etymologisch  mit  2aXXc(V  verwandt),  nach- 
gehen" an,  wie  ^dXXciv  wirklich  bei  Hes.  Theog.  269  furoxpovtai  7«^  taXXov 
noch  die  intransitive  Bedeutung  erhalten  hat.   Aus  der  Bedeutung  ,,nachge-ben* 
ergibt  sich  leicht  die  gewöhnliche  Bedeutung  von  fitraXXatv  „nachforschen, 
nachfragen'*    (wie  bei   lAcrip^iff^ac,  furi^vou,  furaduiixffiv  eine  ihnliche 
Metapher  stattfindet).  Aber  das  Verbum  hat  noch  eine  andere  Bedeutung,  aimlicb 
Odyss.  o  23  ovxiri  ^tipttTai  rcJ^i^oroc  oo$i  picraXXqL.  Find.  Ol.  6.  62  fUTotX- 
Xaah  ri  (acv,  was  der  Schoiiast  erklirt  ^^iXofppov^ffdtro,  intarpif^  oeOroO. 
Diese  Bedeutung  „s ich  kümmern,  besorgt  sein"  kann  man,  wie  Bühler  mit 
Recht  bemerkt,  ans  der  Bedeutung  «nachfragen"   nicht  erküren,  da  dem  Grie- 
chischen eine  solche  Wendung,  wie  die  deutsche  „ich  frage  nicht  darnach" 
(d.  i.  ich  kümmere  mich  nicht  darum)  fromd  ist;  wohl  aber  lisst  sich  dasselbe 
leicht  aus  der  Bedeutung  „nachgehen"  erküren,  wie  i.  B.  II.  E  420  furipx'o 
l/)7a  7af&oio  bedeutet  „nachgehen,  sich  kümmern,  besorgen"  oder  wie 
U.  a  160  rwv  ourc  itirarpiK'g  oW  aXf7i2;i(^ 
*)  Von  ille  sagt  Pott,  dass  es  vielmehr  auf  w  xurfickiugehen  scheint.  Aber  oUr,  das 
wirklich  vorkommt,  muss  man  doch  für  eine  Mittelstufe  xwischen  oUu9  und  ilie- 
halten.  Bezüglich  der  Wandlung  der  Endung  U9  in  e  ist  mit  Corssen  (»war  nicht 
ipsus  —  ipse,  da  ipae  ilter  ist,  aber)  neeewi  und  neceue  lu  vergleichen;  für  die 
Schwichung  vou  0  xü  i  vergleicht  er  poeiUum  von  foeolom. 


UBtertuebungen  «of  d.  Gehiete  derPronominii,  besonders  der  leteinischen.        9  t 

BSdang  eioes  Demonstrativpronomen  „jener**  handelt»  überhaupt 
nicht  angemessen  zu  sein;  denn  welchen  Zweck  sollte  die  Sprache 
hiebet  verfolgt  haben?  Die  Beispiele  uüus,  taniulus,  iantiUus  u.  a. 
passen  nicht,  da  hier  der  Grund  der  Deminutiyform  klar  ersichtlich 
ist  Dann  ist  aber  auch  oHm  zu  beachten ,  das  doch  unzweifelhaft 
mit  olhis  zusammenhangt  und  so  gebildet  ist,  wie  ts/tm,  him  (in 
hio-c),  ülim  (in  illin-c),  utrim-que  von  den  Stammen  üio-,  ho^f 
ilh-fUiro-.  Dass  ölim  statt  des  erwarteten  ollim  erscheint,  dafür 
vergleiche  das  mit  sollus  identische  sölus  (s.  Excurs  IL);  denn 

ölim  :  oüus  s.  $öIu8  :  sollus  oder  wie 

S9um  :  essum  u.  dgl. 
Wäre  9ber  ollus  eine  Deminutivform  vom  Stamme  ana,  so 
musste  oUim  erscheinen,  da  aus  onlus  nicht  werden  konnte  ölus. 

Ich  stimme  Mommsen's  Vermuthung  bei,  dass  ollus  mit  alius 
verwandt  sei:  »Osk.  allo  »  olla  (illa),  das  stammverwandt  mit 
al-ter,  al-ius  scheint«*  (Unterital.  Dial.  S.  247).  Diese  oskische 
Form  allo  ist,  da  sie  den  ursprunglichen  a-Vocal  bewahrt  hat,  eine 
willkommene  Bestätigung  tür  die  Annahme  des  Zusammenhanges 
voQ  oUu8  mit  aliuB,  Aus  alius  ward  zunächst  alhis  (vgl.  die  Bei- 
spiele für  die  Assimilation  von  Ij  zu  //,  die  Corssen  Kr.  B.  307  ff. 
anfuhrt)«),  dann  ollus ^  wie  das  dem  skr.  särvas  entsprechende 
iolluM  die  Trübung  des  a-Lautes  zeigt,  während  die  nicht  assimilierte 
Form  salvuB  (wie  alius)  das  a  bewahrt  hat.  Das  Vorkommen  von 
laotlich  verschiedenen,  im  Grunde  identischen  Formen  alius  und 
oUus  neben  einander  ist  wohl  mit  Schleicher  als  Spur  der  Mischung 
verschiedener  Dialecte  aufzufassen  und  kann  nicht  Bedenken  erregen ; 
Tgl.  salvus,  sollus,  sölus.  Die  Sprache  fixierte  dann,  wie  sie  über- 
haapt  in  solchen  Fällen  stets  mit  weiser  Ökonomie  verfTihrt,  Unter- 
schiede der  Bedeutung. 

Ich  nehme  also  an,  dass  alius  eine  ältere  Bedeutung  „j  e  n  e  r** 
hatte  und  dass  es  seine  gewöhnliche  Bedeutung  „ein  anderer^ 
nicht  einer  angeblichen  Verwandtschaft  mit  anjds  verdankt,  sondern 
dass  sich  diese  Bedeutung  auch  auf  dem  Boden  der  lateinischen  und 
griechischen   Sprache  gerade    so  gut  aus  der  Bed.  „jener**   ent- 


')  Wohl  mit  Ret*bt  sagt  Schleicher  (Comp.  S.  263):  .In  diesen  Doppviformen  (wUut: 
«•tnu,  peUo:  aliua)  haben  vir  wohl  Sparen  einer  Mischung  von  Mundarten  tu 
erkcaaeB. 


92  K  V  r  5 « 1 « 

wickeln  konnte,  wie  dies  ja  auch  bei  anjds  (vom  Stamme  and)  ge- 
schehen ist  und  wie  das  altbulg.  im»  von  der  Bedeutung  unus  zu  der 
Bedeutung  a/ttf«  gelangte.    Jenes  ist  nicht  dieses,  ist  nicht  das 
vorliegende,  den  Redenden  zunächst  angehende,  sondern  ein  an- 
deres.  Eine  wichtige  Analogie  hiefur  bietet  das  böhmische  ona^» 
compar.  onacejSi  oder  onacii.    Zu  Grunde  liegt  der  Pronominal- 
stamm ana;  on  =  is,  onen  =  ille,  onde  »>  illic;  onehdy  oder  ondy 
=  illo  tempore,  nuper,  onamo  oder  onam  =  illuc,  onak  =»  illo 
modo  (opp.  tak  =  hoc  modo).  Aber  onuk^p  das  eigentlich  (im  Gegen- 
satze zu  takyi  takowj  =  talis)  die  Bedeutung  „illius  modi**  hat, 
bedeutet  auch   „alius  modu  alius**   und  zwar  in  hervorhebendem 
gutem  Sinne  im  Gegensatze  zu  etwas  Unansehnlichen^ ,    so  dass  es 
die  Bedeutung  ^ansehnlich,  anstandig,   angesehen**  hat<) 
und   deshalb  auch   einen  Comparativ  und   Superlativ  annimmt     In 
diesem  Sinne  ist  es  in  der  Volkssprache  sehr  häufig,  während  die 
Schriftsprache  es  jetzt  meidet,  ehemals  aber  nicht  mied.    Aus  den 
Beispielen,  die  Jungmann  (Wörterb.  s.  v.  onaky)  anfTihrt,  hebe  ich 
zwei  aus  dem  16.  Jahrhundert  heraus,  n&mlich  Preffat  von  VIkanov: 
pjinym  potänikäm  onacejsim  (d.  i.  anderen  angeseheneren  Pilgern) 
quardydn  dal  v  klditefe  komurky"  und  Harant  von  Polzic:  ^nejo- 
nacejii  hospoda  ==  das  anständigste  Gasthaus.**     Auch  onak  (eig- 
illo  modo)  wird  im  Sinne  von  aliter  gebraucht. 

Dem  aliquis  nun  kann  die  kürzere  Form  ali-s,  ali-d*)  zu 
Grunde  liegen;  aber  unumgänglich  noth wendig  scheint  die  Annahme 
nicht  zu  sein;  es  könnte  die  Grundlage  dieses  Wortes  auch  der 
Stamm  alio-  sein  (wie  er  sich  unverkürzt  in  alioquin,  freilich  schon 


')  Auch  dM  von  jiny  Rbgeleilete  jinaky  (ei(^.  =>  Rnders  geartet)  wird  mit  dem 
Nebenbegriffe  der  grjtsseren  Vollkommen heU  gebraucht. 

*)  Ich  glaube  nicht,  daas  a/i«,  aiid  too  aliut  aliud  aoabhlDgig  gebildet  vurdc, 
•oBdem  dass  es  aus  diesem  rerkflrzt  ist.  Die  (spitere)  Ansicht  Corasen's  (Krit. 
B.  298),  dass  „die  alten  Bildungen  «/i«,  atid  die  ursprünglichen  waren  und  die 
spitereu  Formen  o/iu«,  aliud  aus  ihnen  durch  Anfügung  des  Suffixes  -io  entstanden 
sind,  ist  wegen  der  Identitit  der  Form  aliuä  mit  oXXog  und  wohl  auch  mit  got. 
altt,  alia^  all  nicht  wahrscheinlich.  Dass  a/t>  spiter  rerschwand,  ist  kein  Beweis 
für  die  Prioritit  desselben;  ebenso  rerschwanden  ja  auch  spiter  wieder  die 
Formen  fulvi'9,  Aureli'9^  Clodi-t  die  erst  aus  fulvio-s  n.  s.  w.  entstanden  sind. 
Auch  in  der  spileren  Gricitit  findet  sich  dieselbe  Behandlung  der  /abstimme: 
Ar.fji^r^iC,  AiovOffic  =    Av^f&iQr^ioff  (loser.  187.   t84),  Aiovuo'to;;    fiaprvpiv. 


Untertochniigeii  «uf  d.  Gebiete  der  Pronomine,  beiondera  der  lateinischen.        0  3 

mit  der  Bedeutung  „anders^  erhalten  hat);  Tgl.  meridies  ==  tne- 
didiei,  medUerranetu  vom  Stamme  tnedio-,  anxifeTf  afixitudo  vom 
Stamme  anxio^  u.  a. 

Als  Grundbedeutung  von  aliquis  ist  nicht   „irgend  ein  an- 
derer"* anzunehmen,  aus  der  steh  erst  „irgend  einer"  ergeben 
hätte,  sondern  die  Grundbedeutung  war  „jener  einer",    woraus 
sich  „irgend  einer**  ei^ab,  indem  nämlich  der  erste  Bestandtheil 
des  Wortes  selbst  die  aus  der  demonstrativen  Bedeutung  „jener** 
leiebt  sich  entwickelnde  indefinite  Geltung  annahm^  so  dass  das  in- 
definite Moment  in  aliquis  doppelt  ausgedruckt  wird ,  wahrend  ur- 
sprünglich auch  das  einfache  indefinite  quis  genügte,  aber  spSter 
sehr  zartjckgedrangt  und  auf  einen  bestimmten  Kreis  von  Gebrauchs- 
weisen eingeschränkt  wurde.  Diese  Zuruckdrängung  war  zum  Theile 
▼enigstens  die  Folge  des  enklitischen   Gebrauches  von  quis  (der 
natöriich  mit   der  Abschwächung  der  Kraft  zusammenhieng) ,   der 
schon  in  grauer  Vorzeit,  wie  aus  der  Übereinstimmung  der  Sprachen 
in  diesem  Punkte  (vgl.  z.  B.  skr.  kis,  gr.  rig)  erhellt,  vorherrschend 
mirde;  und   so  erhielt  sich  quis  da,  wo  es  eine  enklitische  Rolle 
spielen  konnte.    Für  andere  Fälle  war  die  Bildung  kräftigerer  inde- 
finiter Pronomina  nothwendig,  zu  welchem  Behufe  man  das  Mittel  der 
Verdoppelung  des  indefiniten  Moments  anwandte.     So  entstanden 
üliquiSf  quisquam^  quisque  u.  a. 

Beznglieh  der  für  den  ersten  Theil  von  ali^quis  vorausgesetz- 
ten indefiniten  Bedeutung  vergleiche  man  das  wichtige  o/tm,  das  von 
der  Grundbedeutung  ^in  jener  Zeit*'  (mag. sie  in  ferner  Vergan- 
genheit oder  Zukunft  liegen)  zu  der  Bedeutung  „einmal,  einst^ 
(jTorc)  gelangte. 

Es  fragt  sich  nun,  ob  man  vielleicht  auch  noch  für  alius  in  eini- 
gen Fällen  zwar  nicht  die  Bedeutung  „jener**,  aber  doch  die  inde- 
finite Bedeutung  „einer",  fBr  a/ii  die  Bedeutung  „einige'  anzu- 
nehmen habe.  Es  erscheint  nämlich  alius,  alii  häufig  in  Distributiv- 
sitzen und  zwar  so,  dass  es  nicht  bloss  im  zweiten,  dritten  Gliede, 
sondern  aoch  schon  in  dem  ersten  vorkommt.  Leicht  erklärlich  ist 
zwar  noch  anf  Grund  der  gewohnlichen  Bedeutung  ein  solcher  Ge- 
braaeh  wie  Cic.  Coel.  3:  aliud  esi  maledicere,  aliud  aceusarct  da 
hier  auch  im  Deutschen  „etwas  anderes  —  etwas  anderes*'  gebraucht 
vird;  aber  an  solchen  Stellen,  wie  Cic.  Tusq.  1,  9,  18  qui  discedere 
tanmum  censeni,   alii  statim  disripari,  alii  diu  permanere,  alii 


94  K  T { c  a  U 

semper.  Verr.  S,  56,  1 46  Uli  ad  deprecandum  periculum  profere' 
batitt  alii  purpuram  Tyriam,  ius  alii  aique  odores  vestemque  Uh" 
team,  gemmas  alii  et  tnargaritas^  vina  nonnulli  graeca  venalesque 
asiaticos  —  an  solchen  Stellen,  scheint  alii  im  ersten  Gliede  auf- 
fallend zu  sein»  wenn  man  an  der  gewohnlichen  Bedeutung  « andere" 
festhält,  wie  z.  B.  im  Deutschen  „andere^  nicht  so  gebraucht  wer- 
den könnte.  Und  doch  ist  dies  nur  ein  Schein.  Durch  „alii  profere- 
bant  purpuram»  tus  alii  u.  s.  w.  wird  bezeichnet,  dass  die  Ter- 
schiedenen  Aussagen  von  verschiedenen  Subjecten  gelten. 
Es  ist  eine  Art  von  Anticipation.  Wenn  man  das  alii  des  ersten 
Gliedes  hört,  erwartet  man  schon  im  voraus  ein  folgendes  alii;  es 
bezieht  sich  das  erste  alii  auf  das  im  zweiten,  dritten  Gliede  u.  s.  w. 
folgende  Subject,  also:  »»andere  brachten  Purpur  als  die  im  folgen- 
den bezeichneten  Subjecte'.  Wie  man  z.  B.  statt  der  Construction 
bei  Caesar  B.  G.  3»  9  longe  aliam  esse  navigationem  in  concluso 
mari  aique  in  vastissimo  aique  aperiissimo  oceano  perspiciebant 
sagen  kann  ^aliam  esse  navigationem  in  mari  concluso,  aliam  in 
oceano*,  so  kann  man  umgekehrt  die  obige  Stelle  Cicero's  para- 
phrasieren:  „alii  proferebant  purpuram  atque  ii,  qui  proferebant  tus» 
gemmas;  alii  proferebant  tus  atque  ii,  qui  proferebant  purpuram, 
gemmas;  alii  prof.  gemmas  atque  ii»  qui  prof.  purpuram»  tus*  u.  s.  w. 
Ein  kürzerer  Ausdruck  für  diese  einzelnen  Reihen  ist  die  von  Cicero 
gewählte  Construction,  in  welcher  jedes  einzelne  alii  im  Gegensatze 
steht  zu  sämmtlichen  übrigen  Subjecten.  Im. Grunde  genommen  läuU 
also  doch  dieser  Ausdruck  auf  dasselbe  Princip  hinaus»  wie  die  Stelle 
bei  Cic.  Coel.  3. 

Ein  ähnliches  Princip  liegt  auch  der  in  den  classischen  Spra- 
chen sehr  beliebten  Häufung  verschiedener  Casus  von  aliua  so  wie 
von  alius  abgeleiteter  Wörter  in  demselben  Satze  zu  Grunde; 
z.  B.  Sali.  Cat.  6,  3  alius  alio  more  vivenies  =  viventes,  hie  alio, 
nie  alio  more.  Mit  der  Verschiedenheit  der  Subjecte  hängt  die  Ver- 
schiedenheit der  Aussage  zusammen ;  auch  nicht  von  einem  einzigen 
Subjecle  gilt  dasselbe,  wie  von  einem  zweiten,  was  man  im  Deut- 
schen au.sdrückt  durch  die  Wendung  „jeder  nach  einer  anderen 
Weise*.  —  Eben  so  ist  zu  erklären  die  Wendung  bei  Liv.  8»  23 
incboata  res  aliis  aique  allis  de  causis  dilata  erat  und  die  bei  Sal- 
lust  vorkommende  Ausdrucksweise  Jug.  18,  7  saepe  tentantes  agros 
alia^  deinde  alia  loca  petiverant.   S5,  8  aliis^  posi  aliis  minitari. 


Ualersucbungen  auf  d.  Gebiete  df r  Pronomine,  hesondera  der  iRteinischen.        9  5 

In  der  Stelle  bei  Livius  s.  B.  ist  das  erste  aliis  mit  gegensätzlicher 
Beziehung  auf  die  späteren  Ursachen  und  das  zweite  aliis  wie* 
demm  mit  Beziehung  auf  die  froheren  Ursachen  gesagt. 

Die  Richtigkeit  dieser  Erklärung  wird  durch  viele  AnaTogien  be- 
stätigt;  so   z.  B.   durch  den  Gehrauch  von  sitnul  —  simul  Caes. 
B.  G.  4M3,  S  in  castra  venerunt,  simul . . .  sui  purgandi  causa  . . . 
rimul  ut,  si  quid  possent,  de  indutiis  fallende  impetrarent.  Verg.  Aen. 
2, 220  ff.  ille simul  manibus  tendit  divellere  nodos  ...»  clamores simul 
horrendes  ad  sidera  tollit.   Das  simul  des  ersten  Gliedes  ist  an  und 
far  sich  unverständlich  und  gewinnt  erst  seinen  Sinn  und  seine  Be- 
rechtigung dadurch,  dass  es  auf  das  zweite  stfitt// hinweist,  wäh- 
rend das  zweite  stmii/ auf  das  erste  zurückweist.  Eben  so  im  Grie- 
chischen afjLflc  ficv  —  «(xflc  Si.  Auf  demselben  Princip  beruht  Theokr. 
8,  19  C90V  xarcx),   Ttjov  avci)3^ev,   die  Phrase  Xaa  dvre  tacov  dnoioißvai 
^e  par  pari  referre.  Gleiches  mit  Gleichem  vergelten;   oder  Plat. 
Prot-  3i9  D  ijzsiSav  i(  t(  ntpi  rf^g  n6Xeu)g  Jtotxnaccüj  Äiip  /3ouXc6- 
^au^ai.    (TuyißoiiiXtOii   aijroXg  .  .  .    6iJLolu)g  fiiv   r£xrei>v,    d/xoeco^   $t 
yiahteOg  xrX.   Nicht  anders  ist   die  Wiederholung   des  xat  zu  beur- 
theilen  z.  B.  II.  C  476  f.  Zeö  aXkoi  tc  ^cot,  Äör«  (Jrj  x  a  t^  rovSe  yeviaSai 
TtalS*  iiJLOv,  tag  xai  iytb  ntp^  dptnptnia  Tpcosaatv.  Xen.  Anab.  2,  1,  22 
datdtjyiXks  roivvv  xai  nepi  rouroiv,  ort  xai  i^juirv  ravrä  ioxii,   aztp 
xal  ßafjiXeL   In  beiden  Gliedern  bedeutet  xal  „auch'';   xai  ifiyiXv  sc. 
oi^Tzsp  ßadiXeX;  x  a  i  ßaatXel  sc.  danep  i^/xlv.    Diese  reciproke  Bezie- 
hung, nämlich   das  Vorwartsweisen   und  Zurückweisen  ist,   obzwar 
sich  ähnliche  Erscheinungen  auch  in  anderen  Sprachen  finden,  doch 
eine   besonders  charakteristische  Eigenheit  der  beiden   classischen 
Sprachen. 

Die  Einschränkung  des  Gebrauches  des  einfachen  und  ältesten 
Pronomen  indefinitum  qui,  quis  ist  ein  lehrreicher  Beweis  für  die  oft 
hervorgehobene  Thatsache,  dass  auch  in  dem  Sprachgebrauche  das 
Alte  dem  Neuen  weicht.  Wie  alles  in  der  Weit,  so  nutzt  sich  auch  das 
Material  der  Sprache  durch  den  Gebrauch  ah ;  es  erleidet  eine  Ab- 
sehwächong  und  Abschleifung  nicht  bloss  in  formeller  Hinsicht,  son- 
dern auch  in  lexikalischer  und  syntaktischer  Beziehung.  Die  ursprüng- 
lich kräftigere  Bedeutung  schwächt  sich  ab  und  die  Sprache  muss 
auf  neue,  kräftigere  Mittel  sinnen,   um  das  zu  bezeichnen,  was  die 


06  K   V  l'  C  R  1   B 

alte  einfache  Form  ursprunglieh  ausreichend  beseiehnete,  später 
aber  nicht  mehr  genügend  zu  bezeichnen  yennochte  i). 

Dies  Schicksal  traf  auch  das  ursprOnglicbe  Pronomen  indefinitum 
quij  gui^  Es  ist  nicht  bloss  auf  den  enklitischen  Gehrauch  be- 
schrankt (eine  Beschrankung,  die  über  die  lat.  Sprache  hinausreicht), 
sondern  auch  innerhalb  der  Grenzen  dieses  Gebrauches  erlitt  es  all- 
mSiig  eine  sehr  bedeutende  Einbusse,  so  dass  es  im  Latein  schliess- 
lich nur  noch  in  den  mit  siy  nisi,  ne,  num^  quo,  quanto  eingeleiteten 
Nebensätzen  sich  behauptete.  Hand  in  Hand  mit  dieser  Beschran- 
kung gieng  die  Bildung  neuer  indefiniter  Pronomina,  wie  aliquiSf 
quisquanif  quiaque.  Die  Tochtersprachen  giengen  weiter;  auch 
aliqnis  genügte  nicht  mehr,  und  so  entstand  z.B.  alcuno,  aucun  = 
aliquia  unus. 

Bezuglicli  der  Beschränkung  des  quis  hauptsachlich  auf  gewisse 
Nebensätze  bietet  das  Slavische  eine  bemerkenswerthe  Überein- 
stimmung dar.  In  hypothetischen,  temporalen,  comparativen,  finalen 
NebensStzen  behauptet  sich  das  alte  einfache  Pronomen  indefinitum 
khtOy  sowie  die  anderen  entsprechenden  einfachen  indefiniten  Worter, 
während  dem  aliqnis  im  Sprachgebrauche  n'bk'bto  (höhm.  nikdo)  *} 


<)  So  bedürfen  die  Catiufonneo,  die  in  illerer  Zeit  stark  genog  waren,  «m  an  und 
für  sich  Tertchiedene  Momente  xn  beteichnen,  im  Laufe  der  Sprachentwicklung 
einer  Stutse,  die  ihnen  dnrch  PrSpotitionen  sn  Theil  wird,  wie  s.  B.  der  Accnsatir 
des  Zieles  Im  Griechischen  nnd  Latein  spiter  nur  ausnahmsweise  ohne  die  Stutse 
einer  PrSposition  erseheint.  Einer  der  schlagendsten  Beweise  biefSr  ist  be- 
kanntlich das  ital.  medetimo,  das  frans,  mime^  das  ans  temet  ipiUtimum  (Dies, 
Lex.  i.  V.)  entstanden  Ist.  Welcher  Aufwand  von  Mitteln  xur  Erreichung  eioen 
Zweckes,  den  die  Muttersprache  so  einfsch  erreicht! 

*)  Kopitar  hat  ti%lnto  aus  ne  vimh  k%to  (d.  i.  ne§cio  guis,  bfthm.  nevim  kdo)   ge- 
deutet, welcher  Deutung  Grimm  beietimmte.  Als  Analogie  könnte  man  dafür  ausser 
dem   lat.   ne*eio  qttU^    des  auch   die   Rolle   eines   indefiniten    Pronomen    spielt 
(^  quidam),  noch  lit.  kiwzko*,  gewöhnlieh  kaii  koM  anführen,  das   „irgend 
jemand*  bedeutet  nnd  aus  ka»  Uno  ka»  (=  wer  weiss  wer)  susammeng-e- 
sogen  ist  (Schleicher,  lit.  Gr.  p.  200).  Doch   glaube   ich,   dass  sich   Miklosicb 
(Vergl.  Gramm.  4.  Bd.  S.  88)  mit  Recht  gegen  diese  Anfassung  erklirt.  Potl,  der 
Et.  F.  1,  362  ausser  den  sIsTiseben  Wörtern,  deren  erster  Bestandtheil  nf    ist« 
auch  die   lit.  nev^tu   (mancher),  nekurg   Oeniand)   n.   a.   bespricht,  sagti    „Des 
Rfitbselhafte  dieser  Erscheinung  löst  sich   meines   Bedfinkens  dahin   auf,    dass, 
wihrend  in  den  negativen  Formen  wie  nikdo  =  nemo)  begrifdich  das  grössere 
Gewicht  auf  die  Negation   nnd  ein  schwlicheres  auf  das  ziemlich  gleichgriltig  und 
daher  indeßnit  gehaltene  Pronomen  su   fallen  scheint,  das  Umgekebrte  bei   den 


ÜBtenncbnogea  auf  d.  Gebiete  der  Pronomina,  besonders  der  lateinischen.        0  T 

entsprieht;  z.B.  bohin.  citn  vice  kdo  md.  Um  vice  iddd  »»  quo  quis 
plora  habet,  eo  plura  expetit.  Aus  dem  Altbulgarischen  fuhrt 
Miklosich  Beispiele  ao.  (Gr.  IV,  S.  86). 

tber  die  TerhlBdug  der  CardbaliahlwCrter  nit  nvig,  allf  ai. 

Dieser  interessante  Sprachgebrauch  verdient  eine  eingehende 
Untersuchung.  Bei  der  Erörterung  desselben  gilt  es  vor  allem,  die 
Beispiele,  welche  die  Verbindung  des  unbestimmten  Pronomen  mit 
einem  Cardinalzahlworte  aufweisen,  in  zwei  Classen  zu  scheiden, 
welche  Scheidung  von  den  Grammatikern  und  Lexikographen  nicht 
immer  gehörig  vorgenommen  worden  ist.  Nicht  immer  besagt  näm« 
lieh  das  unbestimmte  Pronomen  in  dieser  Verbindung,  dass  man  für 
die  Genauigkeit  der  durch  das  Zahlwort  bezeichneten  Zahl  nicht 
bürge  und  nur  die  runde  Summe  angebe,  sondern  zuweilen  ist 
die  Zahl  genau  zu  nehmen  und  das  unbestimmte  Pronomen  bezeich- 
oet  nur,  dass  man  auf  die  nähere  Bezeichnung  der  Personen  oder 
Sachen  sich  nicht  einlassen  könne  oder  wolle.  Im  ersten  Falle  hat  das 
Pronomen  die  quantitative,  im  zweiten  die  qualitati  veGeltung. 
Zur  zweiten  Classe  geboren  z.  B.  folgende  Stellen:  Thuk.  8,100,  5 
Jrapr/ivovrö  rvjzg  oOo  v^eg.  Plat.  Rep.  10,60  t  D  nepi  ixdaTOv  raOrag 
rtväg  TpeXg  riyiyag  sivai,  )Q3T9ao|xiv>3v,  jrotf^aouaav,  /jLt/xTjao/xivifjv; 
Dicht  richtig  von  KQhner  angeführt  Gramm.  §  633.  5)  Dem.  Lept 


Indefimüformen  stattfinden  dfirfte.  Bei  diesen  scheint  mir  das  Pronomen  ^nx 
eigenUicJi  nie  bOerrogativurn  (?)  fest  ^halten;  jedoch  so,  dass,  indem  man 
keineswegs  den  Inhalt  des  einfachen  Pronomens  gegenständlich  in  Abrede 
stellt,  Tielmehr  nur,  ihn  concret  zu  fiziren  sieb  unfUhig  bekennt, 
oder  doch,  es  nicht  zn  können,  die  Maske  vornimmt  Es  wSre,  als  spräche  ich: 
nieht-wcr?  (n^-kas}  kommt,  d.  h.  es  kommt  wir  (rtg,  quis),  sber  nicht 
bealimint  ist,  w^r?  ri^;  (nescio  quis).  Ich  glaube  nicht,  dass  an  der  wirklich 
■egatiTen  Natur  des  Beginnes  auch  in  den  Indefin.  Pron.  gerechter  Zweifel  ob- 
walte." Doch  darf  diese  Erklärung  in  der  That  wenigstens  bezweifelt  werden.  — 
Man  musa  wohl  als  ersten  Bestandtheil  sowohl  der  sla%'ischen  als  auch  der  litaui- 
schen W5rler,  welche  eine  positive  Bedeutung  haben,  aber  den  negativen  ihnlich 
sehen,  den  Pronominabtamm  na  annehmen,  so  dass  die  Verwandtschaft  s.  B.  von 
nik4»  mit  nikdo  nur  eine  mittelbare  ist,  insofern  nämlich  auch  die  Negation  mit 
dem  Proocminalaiamm  na  zusammenhingt.  —  Doch  Tgl.  jetst  Miklosich  Negat. 
S.  3  f.,  wo  Kopitar*s  Erklärung  vertheidigt  wird,  mit  dem  Untersehiede,  dass  Miklo- 
sich  nicht  die  1«  Person,  sondern  die  3.  vb  (=  v^stB),  wie  j  e  =s  jestb)  zur 
Gnndlage  aimmt,  also  nekito  =  neve  (in  passiven  Sinne)  kito  =  nescitur  quis. 


98  K  V  i'  c  a  I  « 

<§.  148  xacrce  xai  roOro  axoOoD  a  Xiyuv^  ct)^  dpa  rpil^  ai  rcve^ 
7paT{/a^€voc  Trpörcjsoc  rou^£  o'jx  i/rc|i|iX<&ov,  wozu  Westerinanii  gut 
bemerkt :  y^rptlg  nve^,  nicht,  wie  sonst  häufig,  zui*  Bezeichnung  des 
Ungefähren  der  Zahl,  sondern  um  das  nähere  Eingehen  auf  die  Per- 
sönlichkeit dieser  Leute  abzulehnen;  so  23,  142  £v  AajULtpdxef)  rcvi^ 
«v^pcü/roi  yiyvovTai  ä6o**  ;  *)  Cic.  Att.  4,  4  v^/tm  mihi  mittaa  de  tuis 
librariolia  duoa  aliquos  und  eben  so  die  zwei  von  Forcellini  aus 
Appuleius  angeführten  Stellen,  wo  quidam  steht :  iniroductis  qui- 
buadam  Septem  testibm  und  trea  quidam  vegetia  corporibua. 

Dagegen  gehören  zur  ersten  Classe  Thuk.  3,1 1 1 ,  4  i^  dtaxcacov; 
rivag  auTcijv  a7r«xT£tv«v.  7,  87,  3  ifiixipag  ißioiirixovrd  rtvag  oötoi 
Si-gTri^ri<jav.  8,  21,  1  6  di^fJio^  6  Safieoav  ig  diaxoaiovg  ^kiv  riva^  roO^ 
;ravrag  ruv  ^uvarcuv  dnixTziviv,  Cato  R.  R.  156  ai  volea  in  convivio 
multum  bibere  coenareque  libenterj  ante  coenam  eato  crudam  quau" 
tum  volea  ex  aceto;  et  item  ubi  coetiaveria,  comeato  aliqua  quinqtie 
folia.  Varro  R.  R.  1,  2  fin.  ai  velia  in  convivio  maltum  bibere  coe^ 
nareque  libenteVi  ante  eaae  oportet  braaaicam  crudam  ex  aceto  et 
poat  aliqua  folia  quinque.  Cato  bei  Gell.  3,  7,  6  maturum  cenaeo, 
ai  rem  aervare  via,  faciundum,  nt  quadringentoa  aliquoa  militea  ad 
veiTUcam  illam  ire  iubeaa,  Plaut.  Men.  5,  5,  47  helleborum  potabia 
faxo  aliquoa  viginti  diea. 

Es  fragt  sich  nun,  wie  dieser  Gebrauch  zu  erklären  sei.    Soll 
man  vielleicht  aliquoa  viginti  diea,  ^iiipag  ijSdofxy^xovrde  nvag  nach 
Analogie  der  deutschen  Ausdrucksweise  ^einige  zwanzig  Tag  e^ 
erklären.    Darüber  sagt  Grimm  Wörterb.  III,  209:    „wird  einige 
anderen  Zahlen  beigefügt,  so  meint  es  2,  3,  4  darüber:    einige 
und  zwanzig  Jahre  sind  verstrichen   d.  i.  20  und  einige 
mehr,  wenn  sich  nicht  bestimmen  lässt,  der  Kürze  halber  oder  um  zu 
mildern  unausgedrückt  bleiben  soll,  wie  viel  einzelne  den  zwanzigen 
noch  hinzu  ....  Auch  mit  ausbleibendem  und:   einige  20  Jahre, 
einige  40  Trauben.  Die  grossere  Zahl  lässt  sich  ebensowohl  voraus, 
die  unbestimmte  nachstellen;   dann  aber  wird  das  und  unerlässlich: 
zwanzig  und  einige  Jahre.**  Grimm  scheint  die  lateinischen  Beispiele 


0  Vgl.  die  ?on  Zikmnnd  (Skladba  f.  190  A.  1.  b.  Posn.  2)  »nt  den  »knihj  eTedomi" 
»ngeführte  Stelle:  „A  nikdo  dta  (wörtlich  =^  irgend  wer  swei  sb  irgend  welche 
zwei  Personen  =as  duo  rivi$)  m  nim  biitll  honfce  ho,  aU  Ja  nevini,  kdv  jmm  h^lü* 
(aber  ich  wei»«  nicht,  wer  sie  waren). 


UntersucbuB^en  aufd.  Gebiete  der  Pronnmimi,  besonders  der  lateinischen.        99 

eben  so  aufgefasst  zu  haben»  da  er  hierauf  fortfahrt:  „Im  Latein 
sehen  vir  aliqui  gerade  so  verwandt'',  worauf  die  obigen  Stellen 
angeführt  werden. 

Derselbe  Spraehgebraueh  findet  im  Böhmischen  statt,  <)  z.  B. 
nekolik  a  dvacet  lidi  >=  einige  und  zwanzig  Leute;  für 
nelUer^  ffibrt  Jungmann  zwei  Beispiele  an:  Stelcar  (geb.  1530): 
pfed  14  a  nekterym  leiern  (vor  1  ^  und  einigen  Jahren);  Velesl. 
Pol.  S09 :  dobfe  po  nekiertfm  a  iedesäti  leiech  od  prvni  vdlky  (nach 
einigen  und  60  Jahren).  Ferner  gehört  hieher  auch  das  b5hm. 
fiikoUkondcte  (entstanden  aus  nekoliko  na  deset  =  eig.  einige 
Inf  zehn,  also  eben  so  gebildet  wie  dvandct(e)  u.s.  w.  =  altbulg. 
ita  na  desfte  =  dOo  im  dtna^  wie  sieb  solche  Constructionen  wirk-* 
lieh  im  Griechischen  finden)  =  einige  zehn.  —  Aber  wenn  man 
auch  daron  absehen  wollte»  dass  man  vielmehr  Iveoe  und  aliquot  er- 
«rarten  wurde»  wenn  die  griechische  und  lateinische  Wendung  auf 
demselben  Principe  beruhen  sollte:  so  muss  man  doch  einwenden» 
dass  sich  in  diesem  Falle  doch  wohl  Spuren  eines  Siteren  £/3$cjuLf^xGvra 
xfltt  nvc^,  aliqui  et  viginti  erhalten  haben  würden. 

Soll  man  nun  vielleicht  annehmen,  dass  das  Pronomen  statt  des 
Adverbs  (<7X^oöv,  6irö  re,  fere)  stehe  wie  im  Griechischen  sehr  oft, 
im  Latein  manchmal  statt  der  vom  Standpunkte  anderer  Sprachen 
erwarteten  Adverbia  Adjectiva  und  auch  Pronomina  gesetzt  wer- 
den?*) Aber  dieser  Gebrauch  ist  auf  das  prädicative  Verhältniss 
besehrfiukt  und  bei  dem  Pronomen  auf  das  demonstrative  Pronomen. 

Nach  unserer  Ansicht  ist  rev^^,  aliqui  in  diesem  Falle  weder 
pradieatir,  noch  war  es  jemals  durch  -^ai  et  mit  dem  Zahlworte  ver- 
banden (wie  im  Deutschen  und  Böhmischen),  sondern  es  war  von  An- 
fang an  und  immer  eine  attributive  Bestimmung  des  Zahlwortes.  — 
Eine  sehr  wichtige  Stelle,  die  zur  Erklärung  dieser  Construction  bei- 
tragt» ist  bei  Thuk.  3,  68»  3:  r^v  Sk  TröXev  ivcauröv  {xiv  reva 
Onßaloi  Mtyapitav  äydpdai  xarä  Trdaev  ixni7:ru}x6ai  . .  .  iSoaav 
^exciv  SS  ungefähr  ein  Jahr,  was  entweder  „etwas  mehr  als 


0  Kv  wird  dia  CoBJnncUoD  a  ^ie  insgelasaen. 

*)  Z.  B.  Hom.  Od.  fp  146  l^t  jxvxoiraro;  oiUi,  oder  temporii!  (ü.  «  423  ZcO; 
X3c^d(  eßiQ  xoTOi  datra,  oder  modal  Soph.  Phil.  807  f.  rjdt  (vdao;)  fAOi  o^tla, 
f^irq.  xai  vax^i*  anip'xeTai,  Und  bei  denonttr.  Pron.  x.  B.  Plato  Rep.  init. 
ispoftiTv,  oirou  fiv}.  Ovro(,  rpnj,  ^iriaJ^cv  irpoa^p^srai. 


100  RT{£al» 

ein  Jahr^  oder  «etwas  weniger  als  ein  Jahr**  sein  kann.  Wie  Iviaxtrog 
Tig  d.  i.  eig.   «irgend  ein  Jahr*'   zu  dieser  Bedeutung  gelangte»  ist 
leicht  einzusehen.  Nicht  bloss  gerade  die  Zeit  von  354  Tagen  konnte 
iviCLXjTog  genannt  werden»  sondern  neben  diesem  ivcavrö;  im  streng- 
sten Sinne  konnte  auch  ein  Zeitabschnitt»  der  1»  2»  3»  4  u.  s.  w. 
Tage  mehr  oder  auch  1»  2»  3»  4  u.  s.  w.  Tage  Weniger   zahlte, 
als  iytauTog  betrachtet  werden.    Das  war  bei  den  Alten  eben  so 
natürlich»   wie  auch  wir  dergleichen  nicht  genau  nehmen  und  den 
Gebrauch  des  Wortes  „Jahr*"  nicht  auf  die  Zeit  Ton  365  Tagen 
beschränken,  sondern  unzähli^^emal  auch  einen  Zeitraum   von  366, 
367,  368  u.  s.  w.  Tagen  und  anderseits  einen  Zeitraum  von  364, 
363,  362  u.  s.  w.  Tagen  »ein  Jahr*<  nennen.   Die  Grenze»  bis  zu 
welcher  der  Gebrauch  des  Wortes  «»Jahr*'   bei  einem  Plus  oder 
Minus  zulassig  ist»  Iftsst  sich  nicht  genau  bestimmen»  aber  natürlich 
darf  das  Plus  oder  Minus  nicht  zu  bedeutend  sein.    Wenn   das- 
selbe z.  B.  ein  halbes  Jahr  oder  fast  so  viel  beträgt»  so  wird  man 
nicht  mehr  von  einem  Jahre,  sondern  von   anderthalb  Jahren  oder 
einem  halben  Jahre  sprechen. — Da  nun  also  mehrere  Zeitab- 
schnitte bei  ungenauem  Sprachgebrauche,  wie  es  eben  sehr  üblich 
war  und  ist,  mit  iviaiirog  bezeichnet  werden  können,  da  es  also  so 
zusagen  mehrere  ^veauroc  gibt,  nämlich  ausserdem  normalen 
auch  mehrere  ungenaue,  so  war  es  möglich  iviavrdg  ng  (d.  i.  eig. 
irgend  eines  dieser  mehreren  Jahre)  in  dem  Sinne  „ungeßhr  ein 
Jahr^  zu  sagen,  d.  i.  «etwas  mehr  als  ein  Jahr**  oder  «etwas  weni- 
ger als  ein  Jahr**   oder  «möglicherweise   auch  gerade   ein  Jahr*' ; 
denn  unter  diesen  mehreren  iviccurol  befindet  sich  natürlich  auch  der 
normale  ivtauTog;  es  kann  ein  Zeitabschnitt,  den  der  Schriftsteller 
genau  zu  kennen  und  zu  bezeichnen  nicht  in  der  Lage  war  und  den 
er  desshalb  als  iviavTog  rig  bezeichnet,  in  Wirklichkeit  zufallig  ge- 
rade ein  Jahr»  nichts  mehr  und  nichts  weniger,  sein.  Wenn  man  nun» 
um   eine  Einwendung  gegen   diese  Erklärung  zu  erheben»    tragen 
würde»  warum  der  Schriftsteller  nicht  bloss  ivcaurov  gesagt  hat»   da 
doch  dies  Wort  nicht  in  strengem  Sinne  gebraucht  werden  musste: 
so  ist  zu  erwidern,  dass  dies  allerdings  ganz  gut  möglich  war»   dass 
es  aber  trotzdem  dem  Schriftsteller  unbenommen  blieb»  rig  hinzuzu- 
fügen» wenn  er  eben  das  Ungefähre  ausdrücklich  bezeichnen 
wollte. 


Untersuchungen  auf  d.  Gebiete  der  Prononiin«,  besonders  der  lateinischen.    101 

Auf  dieselbe  Weise  wird  im  Böhmischen  in  ^der  Volkssprache 
QQzahligemal  ikdky  (d.  i.  nejaky)  rok  (eig.  irgend  ein  Jahr  =■  unge- 
fähr ein  Jahr),  ndky  mesic  *)  (ungefähr  ein  Monat)  und  ebenso 
üdkS  dva,  tri  roky  (ungeßhr  zwei»  drei  Jahre)  gesagt,  wie  man  im 
Deutschen  in  der  Umgangssprache  «so  ein  Jahr,  so  einen 
JUoQat  war  ich  dort,  so  zwei  oder  drei  Jahre**  sagt. 

Genau  so,  wie  ivtauröv  rcva,  ist  nun  auch  die  Verbindung  von 
nvcV,  aliqui  mit  einem  Cardinalzahlworte  zu  beurtheilen.   Man  kann 
ja  auch,  um  die  Erklärung  anschaulicher  zu  machen,  z.  B.  dix.a  rivig^ 
nvfTTtxovrd  Tivsg  gleichsetzen  dem  Ausdrucke  Sexdg  rt^,  TtivrrixoarOg 
71^,  der  dann  genau  dem  ivia\jT6g  rig  entspricht;  rig  musste  sich 
aber  im  Numerus  und  Genus  (ßUa  rivlg  dvopeg,  dixa  rcvd  fOXkoi) 
dem   dUoLj    TrevnQxovra   anschliessen  2).     Unter    neyrhMVTd   revc^ 
(iTr/nQxoa76^  rtg)  ist  auch  die  Zahl   elg   xat    nevrhxovTCf^    d6o    xoee 
irn^xcvra  u.  s.  w.  einbegriffen,  kurz  die  Zahlen,  bei  denen  nevTYixovra, 
einen  der  beiden  Summanden  bildet,  der  immer  wiederkehrt  >).  Dass 
man  aber  Zahlen,  die  der  nächsten  Dekade  sehr  nahe  stehen  (z.  B. 
58,  S9)  nicht  mehr  mit   jrevi^xcvrd  rcv€^  bezeichnen  mochte,   ist 
natürlich,  weil  hier  bereits  i^^xovrd  riveg  näher  lag.    Dass  nämlich 
itsvTTixoyrd  rivsg,   i^i^xcvrd  rivtg  auch  Zahlen  unter  der  Grenze 
dieser  Dekaden  bezeichnen  konnte  (im  Gegensatze  zu  der  von  Grimm 
erörterten  deutschen  Fügung  »einige  fünfzig**),  halte  ich  für  unzwei- 
felhaft. Auch  z.  B.  48  ist  eine  KevT-nnoorOg  rig^  freilich  eine  nsvTr^xoaTijg 
iivj^cL  oitdoog;  wählte  man  doch  wirklich  im  Griechischen  und  La- 
teinischen nicht  selten  zur  Bezeichnung  der  zwei  zunächst  unter  der 
Grenze  der  Dekaden  stehenden  Zahlen  die  betreffende  Dekade  als 
Ausgangspunkt,    also    z.    B.    ivdg   Siovreg  oder   ^uolv  dioyreg 
7:vf7yixoyra  ävSpeg  =  undequinquaginta,   dqodequinquaginta  viri  ^). 


0  KbcBso:  pfijd'  zu  nakou  dtort  hodiwy  (komm  in  beiliufi^  V4  Stunde).  FreUich 
kann  MJfcy  rok  n.  ».  aucli  bedenten :  manches  Jahr. 

^)  So  auch  £xarGV  Tivsg  statt  Ixarov  ri,  wa«  aber  merkwürdiger  Weise  bei  Arrian 
lod.  7  sich  findet 

')  Auf  einem  fibnlicben  Principe  beruht  die  Ausdrucksweise  «in  den  dreissiger,  rier- 
aiger  Jahren"  und  böhm.  »r  l^tech  tricatych,  ctjficatych"  aur  Bexeichnung  der 
Jahre  zwischen  Atr  3.  und  4.,  4.  oder  8.  Dekade  des  Jahrhunderts. 

M  Dass  Ttvig  bei  Zahlwörtern  riel  hiufiger  aur  Bezeichnung  des  Ungefähren  steht, 
ab  bei  aolchen  Wörtern  wie  ^viaurd;,  ist  begreiflich ;  bei  den  Zahlwörtern  war 
ebea,  weBB  der  Schriftsteller  fSr  die  Genauigkeit  der  Zahl  nicht  bürgen  konnte, 

Sttab.  d.  phil.-hist  Cl.  LXV.  Bd.  I.  Hft.  8 


102  Kv/^alii 

Eine  wichtige  Analogie  für  die  gegebene  Erklärung  erblicke 
ich  in  dem  Gebrauch  des  um$s  bei  Zahlwortern  in  den  romanischen 
Sprachen  zur  Bezeichnung  der  ungefähren  Angabe.  Diesen  Gebrauch 
erwähnt  Diez  (Gramm.  III.  74,  1.  Aufl.)  :   ^Vor  Zahlbegriffe  gestellt 
bezeichnet  unua  diese  als  unsicher»  wie  it  un  cento  fiorini,  sp.  unas 
dos  cabnu^.  Beliebt  ist  dies  namentlich  im  Italienischen.   Valentini 
(Diziouario  S.  1178):  „Fürcirca,  intorno,  ein»  ungefähr,  gegen» 
an:  Erano  radi  coloro»  i  corpi  de*  quali  fosser  piii,  che  da  un  dieci 
0  dodici  de*  suoi  vicini*';  ferner  „un  otto  [di]  fiorini,  etwa  acht  Gul- 
den;  un  quattordici.  un  trenta»  gegen  14»  etliche  dreissig»  dreissig 
und  einige. **  Grimm»  indem  er  denselben  Gebrauch  des  „ein**  im 
Deutschen  bespricht»  sagt  (Wörterb.  III,  Sp.  137):  „Ein  vor  Zahlen 
bei  Namhaftmachung  oder  Bestimmung  einer  Grösse  oder  Vielheit : 
das  kann  leicht  noch  ein  drei  öder  vier  Jahre  dauern;  es  mag  leicht 
ein  zehen  Thaler  mehr  kosten.   Dieser  Redegebrauch  mahnt  an  den 
Sp.  114  erörterten  und  es  scheint  beinahe  gleichviel  zu  sagen  ein 
Jahr  oder  drei  warten  und  ein  drei  Jahre  warten  0  *  -  - 
Sagen  liesse  sich  vielleicht»  dass  durch  das  ein  ausgedruckt  werde 
ungefähre  Annäherung  an  die  gemeinte  Zahl;  es  soll  noch  ein  acht 
Tage  damit  anstehe*n,  d.  h.  ungeflihr  8  Tage**  <). 

Die  Erklärung  des  romanischen  und  deutschen  Sprachgebrauches 
ist  dieselbe»  wie  die  bezuglich  ijS^cjuif/xcvrd  revcg,  quadringenti  aliqui 
gegebene.  In  un  dieci  ^  un  cento  hat  uno  nicht  die  Bedeutung  des 
Zahlwortes  (^in  Zehner»  ein  Hundert)»  sondern  die  Geltung  des  un- 
bestimmten Pronomen;  es  ist  also  ==  ein  Zehner»  irgend  ein  Zehner, 
ein  Hundert»  irgend  ein  Hundert.  Unter  dem  Ausdruck  diech  cento 
wird  hiebe!  auch  eine  Zahl  subsumiert,  die  nicht  gerade  genau  10,100 
beträgt»  sondern  auch  etwas  darüber  oder  darunter;  auch  12  z.  B. 
ist  un  diecit  Sexdg  rtg,  auch  102»  103  u.  s.  w.  ist  un  cento»  £xaTÖv 
re  (Arrian  Ind.  7).  Natürlich  entwickelte  sich  dieser  Sprachgebrauch 
hier»  wie  beim  lat.  aliqui  und  beim  griech.  rivig  zuerst  bei  runden 
Zahlen  (10»  20»  30,  100  u.  s.  w.);  sobald  sich  aber  derselbe  hier 


die  »iisdrucklicbe  Bezeichnnug  des  UngefihreD  Wel  mehr  geboten  als  bei 
ivixvTOi  und  Shnliehen  Wörtern,  die  schon  an  und  fflr  sich  oft  ungennu 
gebraucht  werden. 

^)  Diese  AulTassnng  ist  nicht  richtig. 

2)  Nur  diese  Auffassung  ist  richtig. 


üntenuchnngen  »uf  d.  Gebiete  der  Pronomina,  besondert  der  latelniscben.     108 

festgesetzt  hatte  und  man  in  uno  nur  das  Moment  der  approximati- 
ven Angabe  filhlte»  blieb  der  Gebrauch  nicht  mehr  auf  runde  Zahlen 
beschrankt. 

Olbu  ist,  obzwar  auch  eine  andere  Erklärung  yersucht  worden 
isti),  unzweifelhaft  das  Deminutiyum  von  unus  und  es  bietet  in  dieser 
Hiosieht  eine  zutreffende  Analogie  das  hohmisdhe  jedinky  (Demin. 
'fon jediny^  unus)  dar;  ja  es  wird,  um  den  Begriff  des  Einzigen, 
Alleinigen  recht  energisch  auszudrucken,  auch  jedinink^  (in  SIterer 
l6x\Mt\k  jedinicky)^  so  zu  sagen  eine  Potenzierung  der  Deminutiv- 
form  gebraucht;  YgL  jediny,  jedinky »  jedininky  Qedinicky)  mit 
wdy  (parvus),  malinkj  oder  malick^  (parvulus),  malininky  (valde 
posillus).  Die  Bedeutung  „ein  einziger,  nur  ein  einziger** 
tritt  auch  noch  im  wirklichen  Sprachgebrauch  zuweilen  bestimmt 
henror  und  kann  dem  Sprachgefühl  der  Römer  niemals  ganz  abhanden 
gekommen  sein.  Vgl.  z.  B.  Cic.  Brut.  <§.  301  prima  causa  publica 
pro  S.  Roscio  djcta  tantum  commendationis  habuit,  ut  non  ulla 
(a  oudi  fua,  während  nulla  »■  o*jde|x(a)  esset,  quae  non  digna 
ooatro  patroeinio  rideretur.  Daraus  erklärt  sich  auch  der  Gebrauch 
Too  nuUus^  ferner  der  Torherrschende  Gebrauch  des  uUu»  in  nega- 
tiven Sätzen  oder  in  Fragen ,  auf  welche  eine  negative  Antwort  er- 
wartet wird;  unter  den  verschiedenen  Mitteln*)  nämlich,  deren  sich 
4ie  Sprachen  bedienen ,  um  das  Nichtrorhandensein  von  etwas ,  um 
das  Gegentheil  Ton  MJeniand"  oder  „etwas**  energisch  zu  be- 
zeichnen, ist  die  Verbindung  der  Negation  mit  der  Einheit  und  die 
^durch  bewirkte  Aufhebung  der  Einheit  ein  sehr  naheliegendes  und 
desshalb  oft  gebrauchtes  Mittel;  vgl.  non  (aus  noenom)»  o^Stig^  lit. 
fievin$  (ne  unus  quidem),  ahd.  nihein.  Desselben  Mittels  bediente 
man  sich  freilich  auch  anderseits  zur  Bezeichnung  der  Vielheit ,  wie 
^  B.  skr.  naika  (mehrere),  ovj^  cI;,  bohm.  nejeden  (d.  i.  nicht  bloss 
einer,  riele),  da  der  Gegensatz  der  Einheit  die  Nullität ,  aber  auch  • 
die  Hehrheit  sein  kann. 


*)  Bopp  (I,  33)  «teUt  uUut  (nl-tra,  ul-terior,  ul-tinut)  sowie  anch  iüe  mit  a/nw, 
Sk\9i  (welche  Wörter  den  Mr.  »ig4t  eitsprecben  tollen)  zusamineii. 

')  Kiae  iateretsante  ZMamineDttellong  dieser  Mittel  gibt  Miklosioh,  die  Negation  in 
den  slaT.  Sprachen.  Wien  1860,  S.  28. 


104  Kvf£«|« 

Dass  ii//ti«  von  der  Grundbedeutung  »ein  einziger*'  zu  der 
Bedeutung  «irgend  einer**  gelangen  konnte»  so  dass  der  Begriff 
der  Einheit  zurücktrat»  der  der  Unbestimmtheit  herrortrat,  zeigt 
unus,  das  ja  auch  (wie  ein)  als  indefinites  Pronomen  fungiert,  z.  B. 
Plaut.  Pseud.  4,  1»  38  ibi  vna  aderit  mulier  lepida.  Cic.  de  or.  1» 
29,  132  sicui  unua  paterfamilias  his  de  rebus  loquor. 

Da  nun  quisquam  in  seinem  Gebrauche  so  sehr  mit  ullus  über- 
einstimmt (wie  dieses  wird  es  auch  vorzugsweise  in  negativen  Sätzen 
und  in  Fragen  mit  negativem  Charakter»  dann  in  hypothetischen 
Vordersätzen  und  nur  selten  in  positiven  Sätzen  gebraucht) ,  so  ist 
man  berechtigt»  auch  für  quisquam  die  Bedeutung  »^iner*<  voraus- 
zusetzen, aus  der  sich  erst  „irgend  einer**  ergab.  Quisquam  ent- 
stand wohl  zu  der  Zeit»  als  das  einfache  quis  bereits  zu  schwach 
war»  um  den  Begriff  der  Einheit  (vgl.  oben  S.  9  f.)  kräftig  auszu- 
drücken. Durch  die  Verdoppelung  (quisquam  bedeutete  urspr. 
diner  an  einem  Orte»  da  quam  urspr.  local  war;  vgl.  usquam,. 
nusquam»  nequam)  >)  gewann  dies  Wort  Kraft,  um  die  Bedeutung 
tragen  zu  können»  die  quis  nicht  mehr  festhalten  konnte. 

Dass  wirklich  auch  in  verhältnissmässig  später  Zeit  noch  quis^ 
quamin  der  Bedeutung  „^in  er»  ein  einziger**  gefühlt  und  ge- 
braucht werden  konnte»  dafür  zeugt  wohl  genügend  der  Spruch  des 
Publius  Syrus  bei  Sen.  de  tranq.  an.  c.  1 1 :  cuivis  accidere  potest» 
quod  cuiquam  potest;  denn  der  hier  zwischen  cuivis  und  cuiquam 
stattfindende  Gegensatz  nothigt  uns,  cuiquam  in  der  Bedeutung 
»Einern**  aufzufassen.  Vgl.  Cic.  de  fato  12  confectum  negotium»  si- 
quidem'  tibi  concedendum  est  aut  fato  omnia  fieri  aut  quidquam 
posse  fieri  sine  causa. 

Sehr  nahe  liegt  es  auch»  die  Bedeutung  „einer**  als  thatsäch- 
lieh  vorhanden  anzunehmen  in  solchen  Beispielen»  wie  Cic.  fam. 
15»  4»  13  si  quisquam  fuit  unquam  remotus  ab  inani  laude  y  ego 
profecto  is  sum  (einen  anderen  Sinn  gäbe  si  quis  und  si  aliquis^^ 
Lael.  2»  9  aut  nemo  aut,  si  quisquam  (wenn  nur  ein  einziger),  ille- 
sapiens  fuit.  —  Eine  ähnliche  Ansicht  von  der  Bedeutung  des  ullus 
und  quisquam  hatte  Haase»  wenn  er  (S.  349,  Anm.  361)  Juv.  13,. 
209  nam  scelus  intra  se  iacitum  qui  cogitat  uUum,  facti  crimen 


1)  ZeitscbriA  f.  d.  österr.  Gymn.  1864,  S.  317. 


Untersuchungen  auf  d.  Gebiete  der  Pronomina,  besonders  der  lateinischen.    105 

habet  erklärt,  „seelus  ullum  heisst  offenbar  irgend  eins«  wäre  es 
auch  nur  ein  einziges,  oder  wäre  es  auch  nur  gering. **  Nur  ist  ge- 
rade an  dieser  Stelle  die  Bedeutung  von  tdlus  abgeschwächt  und  es 
ist  diese  Erklärung  für  diese  Stelle  nicht  richtig. 

Es  mag  nun  noch  in  Betreff  des  quisquam  die  Frage  erörtert 
werden,  ob  man  für  dies  Pronomen  auch  die  Entwicklung  der  nega- 
tiien  Bedeutung  anzunehmen  habe.     Veranlassung  dazu  gibt  Ter. 
Andr.  2,  6,  3:   Quid  Dare  narrat?  Da.  aeque  quicquam  nunc  qui- 
dem.  Sitno.  Nilne?  hem!  Da.  nil  prorsus.  Da  die  Antwort  des  Davus 
aegiie  quicquam  nunc  quidem  offenbar  einen  negativen  Sinn  hat,  so 
fragt  es  sich ,  welche  Erklärung  zum  richtigen  Verständniss  dieser 
negatiren  Geltung  fBhrt.     Dass  die  Erklärung  Ton  Perizonius  ad 
Sanet  p.  91 «)  unmöglich  ist«,  uf^terliegt  heutzutage  keinem  Zweifel. 
Soll  man  also  Ritter*s  Auffassung  beipflichten?     „Quicquam  quum 
nonnisis)  in  enunciatis  negantibus  adhibentur,  indidem  ipsi  negandi 
Tis  quasi  adbaesit.**  Absolut  unmöglich  wäre  dies  nicht.  In  verschie- 
denen Sprachen  findet  sich  die  Erscheinung»  dass  Wörter,  die  ur- 
sprünglich positiv  sind,  in  Folge  ihres  häufigen  Gebrauches  in  nega- 
tiven Sätzen  selbst  die  negative  Bedeutung  angenommen  haben.  Vgl. 
über  dehein  Grimm  HI,  170,   Ober  personne  ^  rien^  paSf  jamais. 
Diez  in,  40S  ff.    Eine  interessante  Erscheinung  bietet  in  dieser  Hin- 
sicht das  böhm.  iddnj  dar^  das  von  der  Bedeutung  „exoptatuSf 
exspectatus**   zu  der  Bedeutung  nu/Zü«  gelangte  <).    Unmöglich 
lire  also  jene  Annahme  nicht;  aber  höchst  u  nwahrscheinlich 
ist  sie,  weil,  wenn  man  von  der  in  Rede  stehenden  Stelle  absieht, 
kein  einziges    Beispiel    im  Latein    für    diese  Bedeutung   vorliegt, 
vShrend  die  aus  anderen  Sprachen  anzuführenden  Analogien  zeigen^ 
dass,  wo  überhaupt  Wörter  von  ursprünglich  positiver  Bedeutung 
aoch  die   negative  erlangten,   dieser  negative  Gebrauch  sehr  ver- 
breitet ist,  ja  zuweilen  den  positiven  zurückgedrängt  hat,  wie  dies 


^)  Und«  T«ro  exlorquebimus  iam  vi  Nihil  in  rerbie  DiTi  primis,  in  quibus  nnU»  neg«- 
UoBit  speciee  ▼«!  mioioia  inest?  Nempe  ipsa  ria  reaponai  non  ex  iUia  rerbis,  aed 
ex  loaf^a  «Hipal  est  petenda,  quasi  dictum  esaet  a  Davo  «Nunc  quidem  aeque  quic- 
qam  irnrro,  ae  narro  tone,  quando  nihil  narro.'' 

'}  Vielaaehr  plerumqug. 

^)  Zor  Vertheidigung  dieser  Aoffassung  gegtn  eine  andere,  die  nicht  nm^ngen  wer- 
den kann  (Miklosich,  Negat.  S.  7),  iat  der  Excnra  III.  hinxugefiigt. 


106  KT{^«Ia 

z.  B.  bei  dem  sfm.  jamas  der  Fall  ist,  das  „die  Bedeutung  von  nvnca 
vollständig  in  sich  aufgenommen  hat,  indem  es  vor  dem  Verbum 
stehend  absolut  verneint**  (Diez  III,  390);  das  bohm.  zddn^  hat 
gegenwärtig  die  ursprQngliche  positive  Bedeutung  ganz  eingebfisst. 
Ferner  ist  aber  auch  zu  erwägen ,  dass  die  lateinische  Sprache  auch 
bei  keinem  anderen  Werte  ein  Beispiel  der  Entwicklung  der  nega-- 
tiven  Bedeutung  aus  der  positiven  darbietet  9.  Und  so  rouss  man 
wohl  die  Stelle  des  Terentius  erklären  „aeque  quicquam  nunc  qui- 
dem  atque  antea**  d.  i.  eben  in  diesem  Falle  Mnihil'  (Holtze,  synt» 
prisc.  Script,  tat  p.  401).  Neuerdings  hat  Umpfenbach  nach  quidem 
das  Fragezeichen  gesetzt,  worüber  er  (P.Ter<comoediae,  Berl.  1870,. 
pag.  LXXVI)  sagt:  „Interrogationis  signo  addito  Andr.  II,  6,  3  Aeque 
quicquam  nunc  quidem?  id  certe  assecuti  sumus,  ut  iam  quicquam 
ferri  queat"   Aber  dies  ist  wegen  aeque  nicht  zulässig. 

Man  könnte  nun  vielleicht  sagen,  dass  aus  dem  Vorkommen  der 
Construction  nescio  (haud  scio)  an  quiaquam,  an  uUtis,  an  unquam 
in  negativem  Sinne  statt  der  regelmässigen  nescio  an  nemo,  an 
nullus,  an  nunquam  hervorzugehen  scheine ,  dass  diesen  Wörtern 
wegen  ihres  vorherrschenden  Gebrauches  in  negativen  Sätzen ,  um 
mit  Bitter  zu  reden,  „negandi  vis  quasi  adhaesit;**  z.  B.  Cic.  Lael» 
6,  20  qua  (amicitia)  quidem  haud  acio  an  excepta  eapientia  quid- 
quam  melius  homini  sit  a  dis  immortalibus  datum  *).  Aber  diese 
Erscheinung  ist  nicht  daraus  zu  erklären,  dass  quisquam,  ullus,  un^ 
quam  geradezu  jemals  für  die  negativen  Wörter  hätte  eintreten 
können,  sondern  der  Grund  liegt  in  der  schwankenden  Bedeutung- 
von  nescio  {haud  scioj  an,  das  zwar  gewöhnlich  die  Hinneigung  zur 


*}  Naueas,  floccus,  hilnm  und  der^l.  Wörter  tmteo  oiemilt  ijreradecu  io  die  Spbfire 
der  Ne^tlon  über,  toodem  bedeuteten  immer  eine  Kleinigkeit,  etwas  Gering'(ugi(fef . 
Ich  sehe  hier  natürlich  daron  ab,  dass  die  Negation  selbst,  als  deren  lautlicber 
Ausdruck  der  Nasalconsonant  auftritt,  aus  einem  positiven  Element  herrorgcgan- 
gen  ist.  Der  Pronominalstamm  na,  auf  den  die  negatiren  Wörter  zurückgehen, 
beseicbnet  ijenes,  das  entfernte".  Das  Negieren  ist  das  Entfernen,  Trennen 
einer  Eigenschaft  oder  Handlung  Ton  dem  Subjecte,  sowie  die  positire  Aussage 
eine  Verbindung:  ist.  Dieser  Gebrauch  ist  aber  Ton  allen  Sprachen  unseres  Sprach- 
Stammes  aus  der  Ursprache  hernbergenommen  worden. 

*)  Gefpenfiber  jenen,  die  dergleichen  Stellen  bei  besseren  Schriftstellern  durch  Con- 
jectur  auf  die  regelmissige  Construction  zurfickfShren  su  sollen  glauben,  urtheili 
besonnen  Klotz,  Lex.  s.  t.  an. 


(Jatenochungeo  «uf  d.  Gebiete  der.Pronomin«,  besonders  der  lateinischen.    107 

positiyen  Vermuthung  bezeichnet ,  woraus  jedoch  nicht  folgt,  dass 
das  Gegentheil  unmöglich  gewesen  wäre. 

(lisfte. 

Man  inuss  meiner  Meinung  nach  festhalten  an  folgenden 
Punkten : 

1.  Das  gue  in  quüque»  uierque,  ubique  u.  s.  w.  ist  identisch 
mit  der  enklitischen  Conjunction  qne,  wie  im  Griechischen  Identität 
stattfindet  zwischen  dem  re  in  oare,  inilrt  u.  a..  ferner  der  Conjunc- 
tion ri  und  dem  zur  Bildung  Ton  o-ts,  rö-re,  n6^T£  (dor.  o-xa  u*  s.  w.) 
angewandten  rc.  « 

2.  Aach  sind  identisch  que  und  re  (urspr.  xa). 

3.  Qne  ist  pronominalen  Ursprungs  und  hängt  mit  dem  inde- 
finiten Pronomen  quis  zusammen,  wie  ri  mit  rig. 

4.  Die  Function  sowohl  des  que  in  quisque  und  ähnlichen 
Wortern  als  auch  der  copulativen  Conjunction  que  hat  sich  aus  der 
indefiniten  Geltung  ergeben,  wie  im  Griechischen  dasselbe  von 
den  Terschiedenen  Functionen  des  vi  gilt. 

Zur  Begründung  und  Erläuterung  mag  hier  <)  Folgendes  ange- 
führt werden: 

Die  Bedentuiig  von  que  war  (wie  die  von  ri)  die  indefinite  und 
zwar  je  nach  Umstanden  die  locale  «irgendwo^  (wohl  die  ur- 
sprünglichste) oder  die  temporale  „irgend  wann"  oder  die  modale 
»irgend  wie**.  (Vgl.  in  dieser  Hinsicht  7ro6,  das  local  und  modal 
ist;  oKov  ist  local»  temporal,  causal;  tM  hat  neben  der  localen  auch 
die  temporale  Geltung  u.  s.  w.).  Gehen  wir  nun  einige  Wörter 
doreh,  in  denen  die  indefinite  Bedeutung  Ton  giie  ersichtlich  ist : 

a)  Quisque  ist  eigentlich  „einer  irgendwo**  oder  „irgend 
einer*'.  Aus  dieser  indefiniten  Bedeutung  entwickelt  sich  (Curt. 
Etym.  II,  54)  die  allgemeine  Bedeutung  „jeder,  all^  und  zwar 
doreh  die  Mittelstufe  „irgend  ein  beliebiger,  irgend  einer 
wo  immer  oder  wann  immer**.  Vgl.  quicunque,  dessen  erster 
Theil  freilich  relativ  ist.  Mit  dem  Begriffe  der  Unbestimmtheit 
»irgend  einer**  verträgt  es  sich  sehr  wohl,  dass  die  Beschränkung 


1)  Ausfuhrlieh^r  habe  ich  dies  erörtert  in  der  Abhendlua^  Aber  W  (Zeitschr.  f.  d. 
dslerr.  67010.  1S64.  S.  393  IT.) 


1 08  K  T  f ; « I « 

auf  ^  ine  Person  aufgehoben  werden,  dass  von  einer  Mehrheit  jeder 
(aber  immer  je  einer)  gemeint  sein  kann,  wenn  eben  die  erforderliche 
Bedingung  bei  ihm  erfüllt  wird.  Lehrreich  ist  hinsichtlich  dieser 
Bedeutungsentwicklung  der  Gebrauch  des  Artikels.  Nehmen  wir  z.  B. 
den  Satz  „ein  Weiser  furchtet  das  Unglück  nicht**»  so  bedeutete  «ein 
Weiser**  urspranglich  die  stricte  Einzahl;  sobald  sich  aber  die  Be- 
deutung M^in"  in  die  unbestimmte  Geltung  «ein*'  verwandelt  hatte, 
konnte  irgend  ein  beliebiges  oder  jedes  Subject,  wenn  ihm  nur 
das  Prädicat  „Weiser'^  zukam,  mit  „ein  Weiser^  bezeichnet  werden. 
Auch  der  Gebrauch  des  bestimmten  Artikels  bietet  eine  Analogie  für 
den  Übergang  von  der  Einheit  zur  Allgemeinheit.  „Der  Weise**  ist 
ja  ursprunglich  ^d^r  Weise"*  d.  i.  dieser  bestimmte  Weise»  Sie  6 
aof6g;  aber  aus  der  specialisierenden  Geltung  des  Artikels,  die 
mit  der  demonstrativen  unmittelbar  zusammenhangt ,  ergab  sich  der 
generische  Gebrauch  des  Artikels. 

bj  übique  ist  ebenfalls  eine  Zusammensetzung  zweier  indefiniter 
Wörter,  also  „wo  irgend,  irgend  wo**,  was  in  die  Bedeutung 
^ w  0  i  m  m  e  r**  überging.  Aus  dieser  Bedeutung  nun  konnte  sich  auch 
geradezu  die  Bedeutung  „überall**  entwickeln  und  sie  hat  sieh 
auch  entwickelt,  z.  B.  Quint  10,  7,  26  studendum  est  semper  et 
ubique.  Verg.  Aen.  2,  368,  crudelis  ubique  luctus,  ubique  pavor  et 
plurima  mortis  imago.  Aber  in  älterer  Zeit  war  bekanntlich  die  ge* 
wohnliche  Bedeutung  die  indefinite  „wo  immer **,  so  dass  es  in  re- 
lativen Sätzen  gebraucht  wurde,  wie  in  der  bei  Cicero  beliebten 
Redensart  omnes  qui  ubique  sunt  (alle,  die  irgendwo,  wo  immer 
sind);  vgl.  Plaut.  Bacch.  S,  1,  1  quicumque  ubique  sunt,  qui  fuere 
quique  futuri  sunt  posthac  st$dtu  Caes.  b.  g.  3,  16  tum  navium 
quod  ubique  fuerat^  in  nnum  locum  coegerant, 

cji  Quandoque  indefinit  «=  einmal  irgend  wann,  irgend 
einmal;  z.  B.  Liv.  21,  3,  6  isium  invenem  domi  tenendum  .  .  . 
censeOf  ne  quandoque  parvus  hie  ignis  incendium  ingens  exsuscitet. 
Cic.  fam.  6,  19  ego  me  Astur ae  diutius  arbitror  commoraturum^ 
quoad  ille  quandoque  veniat,  Tac.  Ann.  4,  28;  6,  20.  Sen.  Ep.  21 
med.  Suet.  Tit.  9.  —  Die  Bedeutung  „immer**  (die  der  Bedeutung 
„überall**  von  ubique  entsprechen  würde)  hat  sich  nicht  entwickelt» 
aber  doch  eine  in  beschränkterer  Weise  verallgemeinernde,  nämlich 
„manchmal,  dann  und  wann***)  die  sich  freilich   erst    nach 

*)  Vgl.  aliguandoj  da«  ancb  «manchmal''  bedeatet;  ebenso  iat  daa  entsprechende 
b5bm.  nikd^  =s  1.  irgend  einmal  2.  bisweilen. 


UBtersttchao^^en  »of  d.  Gebiete  der  PronomiDA,  besondert  der  lateinischen.     109 

Aogostos  zeigt.  Cels.  6,  6  nonnumquam  per  duos  mensex  durat; 
gnandoqne  (f^rev  on)  bretim  finiiur.  Sen.  Q.  N.  1,1  fin.  quandoque 
funi  irabeSy  quandoque  clipei.  —  Dagegen  zeigt  sich  die  unbe- 
sehränkt  Terallgemeinernde  Bedeutung  bei  diesem  Worte,  wenn  der 
erste  Theil  desselben  die  relative  Geltung  annimmt.  (Tor.  Pis.  389 
indiffnor,  quandoque  (wann  immer»  jedesmal  wann)  bonns  dormitat 
Homerui.   Cic.  Vcrr.  2,  3,  80. 

Eigenthümlich  aber  ist  quandoque  gebraucht  z.  B.  Liv.  8,  7, 
15  quandoque  tu,  T.  Manli,  adver  Bus  edictum  nostrum  ertra  or- 
dinem  in  hosiem  pugnasti  .  .  .  nos  potius  nosfro  delicto  plectemur» 
juamreg  publica  tanto  suo  damno  nostra  peccaia  lüat;  ebenso 
Liv.  9,  10,  9.  Dies,  wie  Weissenborn  richtig  bemerkt,  alterthQm- 
liche  quandoque  (==  quandoquidem)  bedeutet  „^ann  einmal** 
ond  eaosal  „da  einmal,  sintemal  und  ist  mit  inetTs  zu  ver- 
gleichen 1). 

d)  Ulique.  Wie  ist  das  Wort  zu  der  Bedeutung  „schlechter- 
dings, jedenfalls,  ganz  und  gar**  gelangt?  Offenbar  ist  ti/t 
hier  indefinit  aufzufassen  und  es  entwickelte  sich  aus  der  Be- 
deotnng  „irgendwie,  wie  nur  immer'  die  Bedeutung  „ganz 
und  gar*«). 

In  derselben  Weise  lassen  sich  auch  alle  übrigen  Wörter,  deren 
zweiter  Theil  que  ist,  erklären.  * 

Wenn  man  nun  aber  fragen  würde,  warum  sich  die  Bedeutung 
Jeder"  bei  quisquam,  aliquist  quis  nicht  entwickelte,  wo  sie  sich 
doch  auch  entwickeln  konnte,  wenn  quisque  und  andere  aus  zwei  in- 
definiten Elementen  zusammengesetzten  Worter  zu  dieser  allgemeinen 
Bedeutung  gelangten :  so  konnte  diese  Frage  nicht  als  eine  erheb- 
fiehe  Einwendung  gegen  die  vorgetragene  Erklärung  betrachtet 
Verden.  Nicht  alles,  was  an  und  f&r  sich  möglich  war,  hat  sich  auch 
virklieh  entwickelt.  Dieser  Satz,  der  unzähligemal  seine  Anwendung 
findet,  gilt  auch  hier.  Auch  das  einfache  quis  konnte  ohne  Zweifel 
die  Bedeutung  ^jeder«  erlangen,  wie  das  lit.  käs  (Schleicher,  Lit. 
Gr.  S.  300)  diese  Bedeutung  wirklich  hat  und  wie  im  Latein  das 
erste  Element  von  qnotidie  (quoH  die  zwei  liocative  wie  pridie^  die 
quinte  u.  a.),  quotannis  die  Bedeutung  ,J^der*'  hat,  wahrend  sich 


0  ZciUcbr.  r.  d.  Ssterr.  Gjmn.  1S64,  S.  404  f. 
')  ZtiU^^.  r.  d.  5sCeiT.  Gymn.  1864,  8.  408. 


110  K  T  1  c  »  1  • 

dieselbe  bei  dem  selbstständigen  quoiiUy  quoi  nicht  findet  i).  Wie 
quot  annüf  so  findet  sich  auch  quot  mensibtis,  quot  calendiSf  quot 
diebusp  z.  B.  Plaut.  Stich.  1 ,  2,  3  vos  meminisiü  quoi  calendis  fe- 
iere demenaum  cibum.  Cato  R.  R.  43  quoi  mensibus;  Ulp.  Dig.  36» 
2|  12  quot  diebus.  Über  ixaarog^  Udrtpog^  nag  (das  meiner  Mei- 
nung nach  nicht  auf  ein  vorauszusetzendes  fragendes  kd-vani 
y,wie  viel?  wie  gross?",  sondern  auf  ein  indefinites  «irgend  wie 
Tiel»  irgend  wie  gross ^  zurückgeht)  vgl.  Curtius  6r.  Etym.  IL  S4. 

Wie  hat  sich  nun  aber  bei  que  aus  der  indefiniten  Bedeutung 
die  copulative  entwickelt?  Meiner  Ansicht  nach  muss  bei  der  Er- 
klärung dieser  Function  der  corresponsire  (partitire)  Gebrauch 
que-que  vorausgesetzt  werden  (wie  dem  copulativen  Gebrauche  des 
einfachen  ri  der  corresponsive  Gebrauch  ri-ri  vorausgieng;  vgl. 
Zeitschr.  f.  d.  ost.  Gymn.  XV,  421),  wie  Att.  bei  Prise.  10,  p.  887 
languentque  senenique.  Sali.  Cat.  9,  3  seqtte  remque  publicum. 
Hör.    Pis.  11  peiimusque  damusque.    Verg.  G.  3,  344  iectumque 


^)  Im  Griechischen  findet  «ich  in  demselben  Sinne  oaai  «Sftspai  (offijfif pai) ,  off&i 
fi^vcg,  ZrfCL  iro  (oainj),  s.  B.  Dem.  24,  142  oi  ^Toptq  o^oi  ^^c;  fAixpoO  ^iouac 
yo|xo3fr(iy  ra  auroi^  ovyLfipovzot.  (aUmonfitlich).  Hiebei  ist  natürlich  cio'i  zu 
ergSnsen,  wie  es  wirlilich  Hom.  Od.  $  03  heisst  099ou  ^ap  vOxre^  rs  xal  ijpipoti 
ex  Ai6;  ciffiv,  ov  no^    fv  ipfuouff*,  ovdi  du*  oToj.  Wollte  man  nun  darnach  auch 
im  Latein  quot  annit  als  Relatirnm  auffassen,  so  musste  man  roraussetsen  die 
ursprüngliche  Constmction  quot  anni  »unt,  dann  quot  anni;  hieraus  wllre  quot  annis 
geworden,  indem  man  die  relative  Geltung  Tergass,  den  Ausdruck  quotannü  als 
einen  einheitlichen   in   der  Bedeutung  „aUjibrlich"  fühlte  und   dann  ihn  in  den 
AblatiT  setzte,  ebenso  wie  hoe  anno ,  hit  annig  als  temporaler  AblatiT  Torkomnot. 
Aber  obzwar  sich  wirklich  bei  Appul.  Met.  11,   p.  800  Ond.  findet  sedulum  quoi 
die»  ohibam  eulturae  facrorum  mimgterium  (wo  quot  dies  wohl  der  Nominativ  ist)« 
so  wird  man  doch  die  indefinite  Geltung  von  quot  vorziehen,  da  es  nicht  glaublich 
ist,  dass  gerade  Appuleius  den  Mteren  Sprachgebrauch  erhalten  bStte  (es  knnn 
vielmehr  ein  Gracismus  sein)  und  da  quotidie  für  diese  Auffassung  spricht  : 
den»  quotidie  und  quot  diehus  wird  doch  gleichförmig  erkllrt  werden  müssen.   Die 
Erklirnng  Holtze*s  (a.  a.  0.  p.  887)  „mensibus  quot  sunt",  woraus  dann  durch 
Attraction  quotmenn^t  durch  welche  die  relative  Geltung  gerettet  werden  soll, 
ist  sicherlich  nicht  zu  billigen.  Als  Analogie  könnte  man  auch  die  von  Mikloeich 
(Sjnt.  S.  87  e)  angeführten  slavischen  Redewendungen  (z.  B.  bdhm.  eo  rok  = 
alljShrlich,  poln.  co  niedziela  =b  jeden  Sonntag,  eo  dtie^  =  böhm.  eo  de*   = 
alltSglich  u.  a.)  vergleichen,  wenn  hier  nicht  vielmehr  eo  als  Relativum  aufzufns^ 
sen  wfire,  woxu  das  Verbum  snbstantivum  zu  erginzen  ist;  also  „eo  den**  :s=a  yßrua 
ein  Tag  ist;  cf.  oaai  >S,uepae. 


Untersucbuiigeii  auf  d.  Gebiete  derProDomin«,  besonders  der  lateinischen.     111 

laremque  armaque  Amyelaetimque  canem  Cressamque  pharetram* 
Äos  der  ursprünglichen  Bedeutung  von  que-que  «irgend  einmal 
—  irgend  einmal,  einmal  —  einmal,  einerseits  —  einer- 
seits**  entwickelte  sich»  indem  man  den  Begriff,  der  eigentlich  in 
dem  Verhaltniss  beider  Glieder  zu  einander  liegt,  auf  que-que  selbst 
übertrug,  die  Bedeutung  „einerseits  —  anderseits,  sowol  — 
als  auch ''.  Eine  passende  Analogie  bietet  qua^qua,  das  ohne  Zweifel 
als  indefinites  Wort  aufzufassen  ist;  somit  bedeutete  diese  Ver- 
bindung eigentlich  »einerseits  —  einerseits»  einestheils  — 
einestheils'',  gelangte  aber  auch  zu  der  Bedeutung  „sowol  — 
als  auch^.  Plaut.  MiL  4,  3,  20  qui  consectare  qua  mores  qua  fe- 
minaa,  4,  9,  15  quem  amnes  oderuni  qua  viri  qua  mulieres.  Trin. 
4,  3,  37  mores  auiem  rapere  properant  qua  sacrum  qua  publicum. 
Eben  so  bohm.  jednak  —  jednak  :=»  sowol  —  als  auch.  Interessante 
Beispiele  des  corresponsiven  partitiyen  Gebrauches  der  Indefinita 
fuhrt  Hiklosich  (Synt  S.  87)  aus  den  slavischen  Sprachen  an. 

Nachdem  nun  durch  den  corresponsiven  Gebrauch  que  —  que 
die  Bedeutung  „sowol  —  als  auch"  erlangt  hatte,  gieng  die 
Sprache  weiter.  Das  erste  que  wurde  ausgelassen  und  das  im  zweiten 
Gliede  stehende  in  der  hinzufügenden  und  verbindenden  Bedeutung 
«auch,  und"  gebraucht.  Es  ist  dies  eine  Bedeutung,  die  sich  nicht 
aas  der  indefiniten  Grundbedeutung  von  innen  heraus  entwickelt  hat, 
sondern  die  man  aus  der  yorgestellten  Beziehung  der  beiden  Glieder 
auf  ^if^  seihst  übertrug  <).  Die  passendste  Analogie  bietet  re  dar; 
aber  es  finden  sich  auch  andere  Analogien,  die  da  zeigen ,  dass  eine 
Partikel  in  Folge  eines  vorauszusetzenden  corresponsiven  Ge- 
brauches Trägerin  einer  Bedeutung  wurde,  die  sich  nicht  innerlich 
aus  der  Grundbedeutung  entwickelte.  So  verhält  es  sich  z.  B.  mit 
der  Bedeutung  „oder*"  von  i9.  Die  ursprüngliche  Bedeutung  war  aller 
Wahrscheinlichkeit  nach  „so",  woraus  sich  die  relative  „wie"  ent- 
wickelte, die  sich  noch  nachweisen  lässt  (Ztschr.  f.  d.  öst.  Gymn. 
XV,  314).  Die  disjunctive  Bedeutung  „oder"  ging  nun  weder  aus 
der  Bedeutung  „so",  noch  aus  der  Bedeutung  „wie"  hervor,  son- 
dern das  mittlere  Stadium,  durch  welches  ^  hindurch  gieng,  bevor  es 


0  Amden  Pott,  der  (Et.  Forsch.  II,  865)  noch  den  Zusammenhang  von  que  mit  skr. 
y  ei  (sammeln)  festhSIt  Corssen  (Ausspr.  I,  336)  fasst  que  relativ  auf  und  ent- 
wickelt  nund"  aus  „wie*. 


112  K  V I c  n  I  a 

die  Bedeutung  „oder**  erhielt»  war  der  corresponsive  Gebrauch 
1$  —  rj,  das  ursprunglich  „so  —  so**  bedeutete,  dann  (indem  noan 
die  in  dem  Verhältniss  beider  Glieder  gedachte  Beziehung  auf  die 
Partikeln  selbst  übertrug)  die  Bedeutung  „so  —  anders,  ent- 
weder —  oder*'  erhielt.  Man  liess  dann,  nachdem  man  die  ur- 
sprüngliche Bedeutung  von  i^  nicht  mehr  fQhlte,  das  erste  ^  weg  und 
legte  dem  zweiten  i^  dieselbe  Bedeutung  „oder**  bei,  die  man  schon 
in  der  corresponsiven  Verbindung  i?  —  i^  fGhlte. 

Kehren  wir  nun  zu  quisque  zurück.  Es  ist  also  eigentlich  ein 
indefinites  Pronomen  und  bezeichnet  „einen  beliebigen  ein- 
zelnen", aber  jeden,  auf  den  ein  gewisses  Pradicat  passt.  Es  unter- 
scheidet sich  von  omnes  und  anderen  Wortern,  welche  die  Allheit, 
Gesammtheit  bezeichnen,  eben  dadurch,  dass  jedes  Individuum  ein- 
zeln zu  nehmen  ist.  Die  Vereinzelung  und  Selbstständigkeit  wird 
zuweilen  noch  durch  |iro  se  hervorgehoben,  wie  Plaut.  Amph.  1,  1, 
76.  Ter.  Heaut.  1,  1,  74.  Man  kann  desshalb  dem  quisque  einen 
distributiven  Sinn  beilegen,  wie  es  denn  wirklich  durch  singuli 
vertreten  werden  kann ,  so  wie  umgekehrt.  So  konnte  z.  B.  bei  Cic. 
Verr.  2,  2,  S3  describebat  censores  binos  in  singulas  civitaies  oder 
bei  Varro  L.  L.  9,  1 ,  1 27  ut  rationi  obtemperare  debet  gnbernataf\ 
gubernatori  unusquisque  in  navi,  sie  populus  rationi  f  nos  singuli 
populo  auch  in  quamque  civitatem,  nostrum  quisque  stehen,  und 
umgekehrt  bei  Cic.  fam.  1,  9  ego  quid  ad  te  tuorum  quisque  ne^ 
cessariorum  scribat^  nescio  auch  singuli^). 

Ferner  steht  quisque  in  proportionalen  Sätzen,  in  denen  die  in- 
definite Bedeutung  besonders  deutlich  hervortritt,  mit  quis  ziemlich 
auf  einer  Stufe.  Nehmen  wir  z.  B.  einerseits  Sätze,  wie  Tac.  Ann. 
2,  26  quantum  quis  damni  professus  erat.  Hist.  3,  S8  amicorum  eius 
quanto  quis  clarior,  minus  fidus  —  und  anderseits  Sätze,  wie  Cic. 
Rose.  com.  11  quo  quisque  est  solertior,  hoc  docet  Idboriosius.  de 
or.  1,  28  ut,  in  quo  quisque  artificio  excelleret,  is  in  suo  genere 
Roscius  diceretur  —  so  ist  klar,  dass  im  ersten  Falle  auch  quisque, 
im  zweiten  auch  quis  stehen  konnte. 


^)  Dagegen  iat  zwischen  quoiidie  und  in  tingulot  dies  ein  Unterschied,  der  bei  Cic 
Att.  5,  7  klar  su  Tage  tritt:  quotidie  vel  potius  in  die»  eingulo»  breviores  ad  te 
fiter ae  mitio,  Cicero  corrigiert  den  Ausdruck  quotidie  (da  dieser  „Tm^  ffir 
Tag"  bedeutet)  durch  tu  die»  eingulos  d.  i.  an  jedem  einzelnen  Ta^e,  mb 
dem  ich  überhaupt  einen  Brief  absende. 


UntersttcbuDgen  auf  d.  Gebiete  derPronomin«,  besonders  der  lateinischen.     113 

Die  distributive  Bedeutung  von  quisqae  ist  besonders  klar  an 
solchen  Stellen,  wie  Plaut.  Capt.  4,  2,  17  tum  genu,  ut  quemqtw 
ieero  (einen  nach  dem  andern),  ad  terram  dabo  oder  Amph.  2,  1,  4d 
ordine  omnia  ut  ^la^?^^  (eines  nach  dem  anderen)  actum  est,  disser- 
tavit.  Sehr  gut  vergleicht  Haase  (Anm.  362)  damit  den  Gebrauch 
700  äeij  6  det;  einen  ahnlichen  Dienst  wie  du  leistet  im  Deutschen 
«immer**.  Im  Böhm.  —  kolivek  (kdo-koli-velc;  vek  =a  aevum). 

Die  Verbindung  von  quisque  mit  dem  Superlativ  (z.  B.  Cic. 
Tasc.  1,  31  doctissimus  quisque;  Lael.  10,  34;  Phil  1,  12,  29;  14, 
12,  32)  muss  wol  unter  Zugrundelegung  der  proportionalen  Sätze 
mit  ut  —  üa  erklart  werden.  Es  sind  hier  folgende  Stadien  zn 
unterscheiden : 

a)  Cic.  Qu.  fr.  1,  1,  4,  §.  12  ut  quisque  est  vir  optimus,  ita 
difficillime  esse  alios  improbos  suspicatur.  Die  beiden  Superlative 
correspondieren  mit  einander;  nach  dem  Grade  der  bonitaa  richtet 
sich  auch  der  Grad  der  difßcuüas  suspicandi  Die  Superlative 
setzen  voraus  auch  die  Möglichkeit  niedrigerer  Grade;  ist  der  Grad 
im  ersten  Gliede  niedriger,  so  ergibt  sich  auch  für  das  zweite  Glied 
ein  niedrigerer  Grad.  Es  ist  also  das  Verhältniss  dasselbe  wie  bei 
quo  {quantoj  quisque  est  melior.  eo  (tanto)  difficilius  suspicatur. 
Hit  den  Superlativen  vgl.  z.  B.  Thuk.  2,  47  a-Jro^  jULdXeara  l^dvnjoxov, 
offo)  itai  /jiaXeara  npocriieoav.  8,  84  cffcp  juia^i^a  xal  IXeuJ^ipoi  ^aav 
vovrac,  roaouttji  xai  ^paoOrara  npocnea6vTeg  töv  yua^ov  d;npTOuv. 
—  Auch  ist  quam  —  tarn  mit  dem  Superlativ  möglich.  Sali.  Jug.  31, 14 
quam  quisque  pessume  fecit,  tarn  maxume  tutus  est. 

Abweichungen  vom  gewöhnlichen  Sprachgebt*auche: 

a)  Es  steht  im  Hauptsatze  der  Comparativ.  Cic.  Lael.  S,  19 
sie  enim  mihi  perspicere  videor,  ita  natos  esse  nos,  ut  inter  omnes 
esset  societas  quaedam :  maior  autem,  ut  quisque  proxime  accederet  >). 


^)  WestermaDo  ood  Rebdaotz  führen  diese  SteUe  als  Analogie  für  Dem.  Ol.  Z,  12  «n : 
09VI  *ioLp  iroiftorar'  aur^i  doxoGfACv  x^yj^^vii,  ro^ovr^  f«,aXXov  oLKiaToOvi 
rovTc;  aur^.  Aber  irocfAoroera  und  fiöcXXov  stehen  hier  gar  nicht  in  Wechsel- 
beuehung;  za  sroifAoraToc  ist  zu  ergänzen  nrayroav  (unter  aUen  Menschen),  zu 
fdcXXov  aber  ergänze  man  „als  es  sonst  der  Fall  wäre,  nämlich  wenn  wir  nicht 
sebeioen  würden  iroifiorara  iravrcüv  X6*y^  yji^a^cu** ;  oatfi  aber  hat  eine  causai« 
nrbuag  (Krüger  f.  51,  10  A.  5).  Aus  dieser  ErkISrung  ergibt  sich  auch,  dass 
der  Verdieht,  den  Westermann  und  Rebdantz  gegen  die  Echtheit  der  Überlieferung 
zn  hegen  scheinen,  unbegründet  ist. 


114  KTicala 

ß)  Es  steht  im  Nebensatze  der  Superlativ»  im  Hauptsatze  aber 
weder  der  Superlativ  noch  der  Comparativ;  Cic.  Fin.  5,  20,  S7  ut 
quisque  optime  institutus  est,  esse  omnino  noiit  in  vita;  aber  hier 
vertritt  wohl  omnino  den  Superlativ.  Eine  andere  scheinbare  Aus* 
nähme  ist  bei  Liv.  9,  6,  1  ut  quisque  gradu  proximus  erat,  ita  igno- 
miniae  obiectus,  wo  Weissenborn  richtig  bemerkt:  „der  Begriff pro- 
^mu8  ist  auch  zum  Hauptsatze  zu  ziehen**. 

bj  Ein  solches  proportionale  Satzgel'Qge  kann  aber  in  einen  ein- 
zigen Satz  zusammengezogen  werden.  Sali.  Cat.  8,  S  prudentissu- 
mus  quisque  maxume  negotiosus  erat.  Cic.  Tusc.  1,  IS,  35  optimus 
quisque  maxime  posteritali  servit.  Acad.  1,  4  recentissima  quaeque 
sunt  correcta  et  emendata  maxime.  Fin.  2,  25  Optimum  quidque  ra- 
rissimum  est.  Die  Proportionalität  ist  hier  aufrecht  erhalten.  Vgl. 
Xen.  Mem.  4,  1,  3  at  äpiarat  SoTLoOaai  sivai  fOcstg  ixakiara  naiddAg 

cj  Endlich  aber  gebrauchte  man  auch  quisque  mit  dem  Super- 
lativ ohne  einen  zweiten  entsprechenden  Superlativ.  Gewiss  wurde, 
als  diese  Construclion  aufkam ,  der  Begriff  des  Superlativs  noch 
gefühlt,  er  verlor  sich  aber  mit  der  Zeit  (wohl  durch  Vermischung  des 
relativen  Superlativs  mit  dem  absoluten).  Übrigens  scheint  diese  Con- 
«truction  verhältnissmässig  spät  entstanden  zu  sein,  da  sich  in  älterem 
Latein  vielleicht  kein  Beispiel  findet;  denn  bei  Plaut.  Most.  1,  2,  7S 
dQrfte  wohl  zu  lesen  sein  :  parsimonia  et  duritia  disciplinae  aliis  eram; 
optimi  quoque  {(ür  quique)  expetebant  a  me  doctrinam.  Für  a)  findet 
sich  in  der  älteren  Sprache  eine  Analogie ,  wenn  auch  nicht  mit 
ut — ita:  Cato  R.  R.  34  ubi  (was  nicht  in  uti  zu  ändern  ist)  quisque 
locus  frigidissimus  erit,  ibi  primum  serito. 

In  der  Verbindung prudentissimus  quisque  nun   hat,  wie    in 
manchen  anderen  Fällen,  quisque  geradezu  die  Bedeutung  „jeder** 
angenommen  <).  Vgl.  Haase  (a.  a.  0.),  der  nach  der  Aufstellung  der 
eigentlichen  Bedeutung  hinzufQgt:  «Indessen  lässt  es  sich  nicht  leug- 
nen, dass  diese  Bedeutung  nicht  überall  vorhanden  ist;  es  gibt  Bei- 


0  Das  entsprechende  auf  die  Zweliahl  beiugliche  uierque  hat  bereits  die  Bedeutung 
»Irgend  einer  von  beiden,  jeder  beliebige  ron  beiden*  aufgegeben  und  heisat  nur 
^»beide,*  was  der  Bedeutung  von  quisque  «jeder"  enispricht.  Die  urspran^li^be 
indefinite  Bedeutung  wird  durch  uter  (als  Pron.  indef.  =»  jrorspo^)  bezeichnet ; 
Cic.   Verr.  3,  14,  35  si  uter  votet  cf.  Plat.  Lach.   189  D  rt  o^v  Xi^ti  ir^rcpoc 


ÜDtenaehaogeo  anf  d.  Gebiete  der  Pronomin«,  besoodert  der  Inteiuisctien.     115 

spiele,  wo  qutsque  schlechtweg  jeder  heisst,  z.  B.  cuiusque  modi, 
coiosqae  generis.  Sali.  Cat.39t  K.  Cie.  Rep.  3,  9.0ffic.  1.  39.  139.** 
Wenn  Yon  der  Mehrheit  der  genera  irgend  eines,  jedes  beliebige 
gedacht  werden  kann,  so  ist  eben  keines  ausgeschlossen,  sondern  an 
alle  za  denken  ist  gestattet.  So  hat  auch  quivia  die  Bed.  ^tAtr  ohne 
Unterschied*,  uterin$  a0ch=ti/^fii^.  Auch  alteruier  hat  neben  der 
gewöhnlichen  Bedeutung  die  von  uterque  erlaugt. 

Vielfach  ist  die  Frage  erörtert  worden,  ob  und  in  wiefern  quis^ 
que  mit  dem  Plural  des  Superlativs  sich  verbinde.   Haase,  der 
diesen  Punkt  (a.  a.  0.)  ausfuhrlich  bespricht,  gelangt  zu  folgendem 
Resultate:  »Es  gilt  aber  für  die  gute  LattnitSt  die  Regel,  dass  von 
quisque  mit  dem  Superlativ  überhaupt  nur  das  Neutrum  im  Plural 
gebraucht  wird,  nicht  das  niasc.  und  fem. ;  der  Grund  ist  aber  ein- 
leuchtend, da  theils  der  höchste  Grad  einer  Eigenschaft  genau  genom- 
men immer  nor  ^inem  Individuum  zukommt,  theils  durch  quisque  im 
Singular  schon  eine  Mehrheit,  nämlich  der  einzelne  in  dem  betreffen- 
dem Falle  allemal,  bezeichnet  wird;  beim  Neutrum  dagegen  werden 
die  sachlichen  Begriffe  ihrer  Natur  nach  nicht  so  individuell  geschie- 
den, wesshalb  der  Plural  davon  oft  gebraucht  wird,  um  nur  ^inen 
einzelnen  Begriff,  wenn  er  nicht  ganz  handgreiflich  concreter  Art  ist, 
mit  Allem,  was  ihn  angeht  (ra  nepl  re)  zu  bezeichnen,   und   die 
Lateiner  haben  daher,  wie  schon  oben  §.  195  bemerkt  ist,  eine 
besondere  Vorliebe  ffir  den  Plural  des  Neutrum ....  Wenn  demnach 
der  häufige  Gebrauch  von  nobilissima  quaeque  vollkommen  begrün- 
det erseheint,  so  ist  es  doch  nicht  ebenso  mit  nobilUsimi  quique  und 
nobilisgimae  quaeque;  dass  hier  der  Singular  nothwendig  sei,  haben 
die  Lateiner  aller  Zeiten  gefühlt,  und  wenn  sich  daher  auch,  beson- 
ders später,  Belege  für  den  Plural  finden,  so  können  diese  gegen  die 
aogeheare  Mehrheit  für  den  Singular  kaum  in  Betracht  kommen.^ 
Heiner  Ansieht  nach  ist  es  aber  nicht  angemessen,  die  Frage  so  zu 
stellen,  ob  und  wann  quisque  mit  dem  Plural  des  Superlativs  ver- 
bunden werde,  sondern  man  muss  die  allgemeine  Frage  aufwerfen,  ob 
und  inwiefern  flberhaupt  der  Plural  von  quisque  zulässig  ist;  mit  der 
Beantwortung  dieser  principiellen  Frage  ergibt  sich  die  Beantwortung 
jener  speciellen  Frage  von  selbst.  Wann  quisque  im  Plural  gebraucht 
werden  konnte,  darüber  gibt  besonders  die  Verbindung  desselben  mit 
den  pluralia  tantum  Aufschluss,  z.  B.  Cic.  fam.  7,  33  fin.  sie  statuas, 
tua$  mihi  literas  longissimas  quasque  groHssamas  fore.  Der  Plural 


116  Rv{£al« 

lUerae,  der  eigentlich  die  Mehrheit  der  durch  den  Singular  bezeich- 
neten Schriftzeichen  bedeutet,  ist  der  Ausdruck  für  eine  zur  Einheit 
verbundene  Mehrheit,  für  das  aus  seinen  Theilen  bestehende  Ganze. 
Sowie  nun  dieser  Plural  dem  Sinne  nach  ein  Singular  ist,  so  konnte 
quüque  beim  Vorhandensein  desselben  Grundes  auch  sonst  mit 
einem  Plural  verbunden  oder  auch  ohne  einen  solchen  selbst  im  Plu- 
ral  gebraucht  werden,  wenn  Mehrheiten  bezeichnet  werden  sollten, 
deren  jede  als  Einheit  anzusehen  ist  Die  Bedeutung  von  quisque  wird 
dadurch  natürlich  nicht  alterirt ;  an  die  Stelle  einzelner  Individuen 
oder  Sachen  treten  hier  einzelne  Complexe  von  Individuen  oder 
Sachen  <).  Belehrend  ist  in  dieser  Hinsicht  z.  B.  Pliu.  H.  N.  18,  8,  20, 
n.  1  gravüsima  quaeque  grana  serere.  Gravissimum  quodque  gra- 
num  wäre  hier  sogar  falsch,  weil  es  besagen  würde,  dass  einzeln  e 
grana  ausgesucht  und  gesäet  werden»  während  die  Rede  ist  von  ein- 
zelnen Mehrheiten,  von  Haufen,  deren  jeder  viele  grana  umfasst. 
Ebenso  klar  ist  der  Grund  für  den  Plural  bei  Cic.  Lael.  <§.  34  (welche 
Stelle  Haase  übersehen  hat) :  pesietn  enim  maiorem  esse  nulluni  ami- 
citiist  quam  in  plerisque  pecuniae  cupiditatem,  in  opiimis  quibus- 
que  honoris  certamen  et  gloriae.  In  optimo  quoque  war  nicht  zuläs* 
sig»  weil  hier  immer  an  ein  Freundes  paar  zu  denken  ist;  alle  diese 
Freundespaare,  denen  das  Attribut  optimi  zukommt,  werden  durch 
in  optimis  quibusque,  bezeichnet.  Liv.  1,  9,  multi  mortales  conve- 
nere  maxlme  proximiquiqiWf  CaeninenseSf  Crustumini,  Antemnates, 
wo  nicht  von  einzelnen  Individuen,  sondern  von  Mehrheiten  der  Indivi- 
duen (Gemeinden)  die  Rede  ist.  Dessgleichen  bei  Flor.  1,  9  poptdus 
Romanus  proximis  quibusque  correptis  toiam  Ilaliam  sub  se 
redegiL 

Dass  bei  weitem  am  häufigsten  der  Plural  des  Neutrums  eines 
Superlativs  mit  quisqtie  verbunden  wird ,  hat ,  wie  Haase  selbst 
bemerkt,  darin  seinen  Grund,  dass  gerade  das  Neutrum  des  Plurals 


0  Wichtig  ist  die  Analogie  ron  uterque,  diis  auch  im  Plural  gekraucht  wird,  wenn 
auf  beiden  Seiten  eine  als  Einheit  lu  denkende  Mehrheit  ist.  SaU.  Jug.  6S,  2  sed 
Marius  Imptgre  prudenterque  suorum  et  hostium  res  pariter  attendere,  cognoacere 
quid  botti  utrisque  aut  contra  esset.  Cic.  Off.  1,  1»  2  sed  tarnen  nostra  legens  non 
multuin  a  Peripateticis  dissidentia,  quoniam  utrique  et  Socratici  et  Platonici  esae 
Tolttmus  cet.  Vgl.  auch  den  Plural  von  nnus,  x.  B.  Verg.  Aen.  2,  642.  satis  uoh 
superque  Tidlmus  excidia;  ähnlich  evsg,  die  einen,  bdhm.  jedni,  ferner  nulli 
ovdivti. 


Untersachan^ii  «nf  d.  Gebiete  der  Pronomina,  besonders  der  lateinischen.     1 1  T 

SO  häufig  zur  Zusammenfassung  mehrerer  Momente  zu  einem  Ganzen, 
£0  einer  Einheit  gebraucht  wird ;  so  Cic.  Acad.  i,  4  recentissima 
fuaeque  sunt  eorreeta  et  emendaia  nuunme,  wo  der  aligemeine  Aus- 
druck  recentissima  passend  ist,  während  recentissimum  quodque  nur 
einzelne  Punkte  bezeichnen  wörde.  Aber  wenn  bei  dem  Masculinum 
oder  Femininum  dieselbe  Bedingung  eintritt,  so  ist  auch  die 
Folge  dieselbe,  d.  i.  die  Anwendung  des  Superlativs  im  Plural 
mit  quisque.  Wenn  also  Haase  sagt:  „Wenn  demnach  der  häufige 
Gebranch  von  nobiUssima  quaeque*^  u.  s.  w.  —  so  ist  zu  bemerken, 
dass,  sobald  ein  Schriftsteller  von  angesehenen  Gemeinden,  Volkern, 
Corporationen  u.  s.  w.  hätte  reden  wollen,  nichts  ihn  hinderte,  nobi^ 
lissimi  quique  zu  gebrauchen.  Wenn  ferner  Haase  fQr  proximi  qui- 
fie  und  optumi  quique  (Plaut.  Most.  1,  2,  7S,  wo  aber  wohl  quoque 
za  lesen  ist)  eine  Entschuldigung  darin  sucht,  dass  „mehrere  der 
onregelmässig  gebildeten  Superlatire  in  ihrer  Form  nicht  den  nothi- 
gen  Schutz  fanden,  um  die  Superlativbedeutung  streng  festzuhalten*' 
—  so  ist  diese  Bemerkung  hier  überflüssig  und  schwerlich  zutref- 
fend ,  da  proximus,  optimus  doch  zu  allen  Zeiten  regelmässig  als 
SuperlatiTe  gefühlt  wurden.  Man  konnte  höchstens  sagen,  dass 
proximi  sich  ganz  besonders  dazu  eignete,  eine  zu  einer  Einheit  ver- 
bundene Mehrheit  zu  bezeichnen. 

Dass  im  Ganzen  der  Gebrauch  des  Superlativs  im  Plural  mit 
quisque  mit  Ausnahme  des  Neutrums  (und  überhaupt  der  Gebrauch 
des  Masc.  und  Fem.  von  quisque  im  Plural)  verhältnissmässig  selten 
ist,  kann  nicht  Wunder  nehmen.  Es  liegt  ja  überhaupt  beim  Gebrauch 
äes  quisque  naturgemäss  seltener  die  Veranlassung  vor,  von  einheit- 
lich za  denkenden  Mehrheiten  zu  sprechen.  Es  ist  derselbe  Fall,  wie 
bei  uterque,  dessen  Plural  ja  auch  ungemein  seltener  ist  als  der  Sin- 
gular. Femer  vergleiche  man  z.  B.  die  Abneigung  der  böhmischen 
ond  deutsehen  Sprache  gegen  den  Plural  von  kaid^,' jeder. 

Anzuerkennen  ist  übrigens  Haasens  Beobachtung,  dass  später 
(und  zwar  von  Seneca  an)  der  Gebrauch  des  Plurals  von  quisque 
freier  wurde;  es  finden  sich  manche  Beispiele,  in  denen  flQr  den  Plu- 
ral von  quisque  sich  nicht  ein  solcher  Grund  anführen  lässt,  wie  für 
Cic.  Lael.  ^.  34  und  die  anderen  oben  besprochenen  Stellen.  Man 
kann  nicht  umhin  zuzugeben,  dass  später  der  Plural  von  quisque 
missbraneUich  für  amnes  vorkommt.  Dieselbe  Erscheinung  findet  man 
bei  uterque  schon  in  älterer  Zeit;  es  wird  nämlich  auch  in  guter 

Sitxb.  d.  pbil.-hitt.  ct.  LXV.  Bd.  I.  Hfl.  9 


118  Kt 1 ca  1  R 

Latinität  der  Plural  von  uterque  auch  von  zwei  einzelnen  Personen 
oder  Sachen  gebraucht;  so  Sali.  Cat.  30, 4  hi  tärique  ad  urbem  impe- 
raiores  erani  (Q.  Marcius  und  Q.  Metellus) ;  doch  konnte  man  hier 
einen  Grund  des  Plurals  noch  darin  finden,  dass  die  Feldherrn  sammt 
ihrem  Heere  zu  denken  sind.  Aber  z.  B.  für  Caes.  B.  6.  1,  S3  duae 
fueruni  Ariomsti  uxores . . .  täraeque  in  ea  fuga  perieruni  lässt 
sich  absolut  kein  ähnlicher  Erklärungsgrund  ausfindig  machen. 

Anm.  Was  quisque  betrifft,  so  fiodet  sich  in  filterer  Zeit  wohl  nur  ein  ein- 
iges Beispiel,  in  welchem  der  Plural  nicht  so  begrfindet  ist,  wie  an  den  übrigen 
Stellen,  so  dass  man  nicht  umhin  kann  zuzugeben,  dass  hier  bereits  ein  „freierer 
Gebrauch"  des  Plurals  Torliegt,  wie  er  eben  spfiter  um  sich  griff  und  wie  er  bei 
uterque  schon  in  filterer  Zeit  vorkam.  Diese  Stelle  ist  bei  Cic  Off.  2,  21,  75  of 
vero  postea  tot  legee  et  proximae  quaeque  duriares;  tot  rei,  tot  damnati  cet. 

Die  Verbindung  des  quisque  mit  Ordinalzahlwortern  (z.  B.  Plaut. 
Pseud.  4,  2.  17  vix  decumus  quisque  est,  qui  ipsus  sc  noverit.  Cic. 
Rah.  Post.  12  tertio  quoque  verbo  excitabatur.  Plin.  H.  N.  17,  22, 
35  n.  7  quinto  quoque  palo)  ist  eigentlich  keine  von  der  Verbindung 
mit  dem  Superlativ  verschiedene  Gebrauchsweise,  da  die  Ordinalia 
(mit  Ausnahme  von  secundus)  nach   Form  und  Begriff  eigentlich 
Superlative  sind  (vgl.  Sehleijßher  Comp.  S.  S07  ff.  2.  Aufl.).  Es  zeigt 
sich  in  dieser  Verbindung  die  Bedeutung  von  quisque  Ungemein 
klar.  In  dem  Satze  decimum  imperator  interßci  iussii  ist  mit  deci- 
mus  ein  einziger  aus  irgend  einer  Anzahl,  die  nicht  unter  zehn  ist» 
bezeichnet;  decimum  quemque  dagegen  besagt ,  dass  z.   B.    von 
100  Menschen  je  einer,  der  der  zehnte  in  der  Reihe  war,  getodtet 
werden  sollte,  je  der  zehnte,  jeder  zehnte.  Dass  diese  decitni 
nicht  6inen  Complex  bilden,  sondern  aus  je  einer  Dekade  einer   her- 
ausgenommen wird,  das  wird  eben  durch  quisque  bezeichnet.   Dies 
zeigt  uns  nun  auch,  wie  eigentlich  fortissimum  quemque  elegit   und 
ähnliches  zu  verstehen  ist.  Aus  einer  Reihe  oder  Menge  wird   je 
einer,  der  nach  mehreren  weniger /orf^«  wiederum  fortissimus  ist, 
ausgewählt;  da  diese  fortissimi  nicht  zusammen  einen  Haufen   bil- 
deten, sondern  getrennt  waren  durch  andere,  denen  das  PrSldicat 
^fortissimi  nicht  zukommt,  so  ist  quisque  der  geeignete  Ausdruck  zur 
Bezeichnung  dieser  Vereinzelung.   Folgerichtig  sollte  daher     auch, 
wenn  immer  zwei  oder  mehrere  solcher  fortissimi  unmittelbar  bei 
einander  wären,  fortissimi  quique  gesagt  werden  und  bei     dieser 
Auffassung  zeigt  sich,  dass  nicht  alle  von  Haase  (a.  a.  0.)  aus    spa- 


Uotcrsachangen  aaf  d.  Gebiete  der  Pronomin«,  besonders  der  iRteinischen.     119 

teren  Schriftstellern  angeführten  Beispiele  eine  missbrSuchliche 
^Dwendung  des  Plorals  von  quisque  enthalten.  So  hatte  z.  B.  Justi- 
iias(5,  6)  Grund  zu  ssLgen  fortisaimis  quibusque  amisais,  da  der 
SJOD  hier  nicht  sein  soll,  dass  auf  mehrere  andere  immer  nur  ein  ein- 
ziger/br/Mnintf«  folgte»  sondern  es  waren  immer  mehre /br^iMtmi 
bei  einander. 

Eine  besondere  Besprechung  verdient  die  Verbindung  pritAui 
quuque^  welche  drei  verschiedene  Bedeutungen  hat : 

a)  Liv«  23,  15,  6  cum  ferme  triginta  senatores  ac  ferme  primus 
qoisqae  Capuam  petissent,  exciusi  inde...  Cumas  se  contulerunt. 
Tae.  Ann.  13»  48.  Dieser  Gebrauch  ist  gerade  so  zu  beurtheilen,  wie 
die  Verbindung  der  anderen  Ordinalzahlwörter  oder  der  Superlative 
mit  quüque.  itAer  primus  hat  eine  Reihe  anderer,  denen  dies  Prä- 
dieat  nicht  zukommt,  neben  oder  hinter  sich. 

ß)  Cic.  N.  D.  3»  3»  7  Et  ille  (Cotta) :  Quadripartita»  inquit»  fuit 
diyisio  tua :  primum  ut  velles  docere  deos  esse»  deinde  quales  essent» 
tum  ab  bis  mundum  regi»  postremo  consulere  eos  rebus  humanis. 
flaee,  si  recte  memini»  partitio  fuit.  Rectissime»  inquit  Baibus;  sed 
exspecto,  quid  requiras.  Tum  Cotta:  Primum  quidque  videamus» 
ioquit  Hier  hat»  wie  nach  Haase*s  Bemerkung  zuerst  Wyttenbach 
gezeigt  hat»  primum  quidque  die  Bedeutung  „eines  nach  dem  anderen, 
50  aber  dass  jedes  an  die  Reihe  kommt**  xa^'  iv  ixaarov).  Ebenso  de 
inr.  1,  23»  33  prima  quaeque  pars.  Diese  Gebrauchsweise  zeigt  auch 
sehr  deutlich  den  distributiven  Sinn  des  quisque  und  sie  kann  nur 
50  erklart  werden»  dass  nach  Erledigung  je  eines  Punktes  der 
Däehste  (2.  3.  u.  s.  w.)  zum  ersten  wird»  der  nun  in  Be- 
tracht kommt. 

7)  kher  primo  quoque  tempore  (z.  B.  Cic.  fam.  13,  57),  primo 
qnoque  die  (J?h\\.  8»  11)  unterscheidet  sich  von  den  ersten  zwei  Fäl- 
len nnd  fiberbaupt  von  der  gesammten  Gebrauchsweise  des  quisque 
mit  einem  Ordinalzahlworte  oder  mit  dem  Superlativ.  Da  nämlich 
diese  Redensarten  „so  bald  als  möglich"  bedeuten,  so  ist  hier  nicht 
daran  zu  denken»  dass  etwas  an  mehreren  Tagen  stattfinden  soll» 
5oadem  nur  an  ^inemTage,  der  überhaupt  nach  den  Verhältnissen 
der  erste  sein  kann.  Es  muss  aber  doch  wohl  diese  Gebrauchsweise 
mit  der  unter  ß  erwähnten  vermittelt  werden.  Es  wird  nämlich  hier 
bezeichnet»  dass»  wenn  etwas  am  allerersten  Tage  nicht  stattfindet»  es 
i^nn  am  unmittelbar  folgenden  Tage»   der  jetzt  zum  ersten  wird» 

9» 


120  Kvi'^ala 

stattfinden  solle  oder  könne,  und  wenn  nicht  an  diesem,  dann  wieder 
am  unmittelbar  folgenden  Tage  u.  s.  w.  Eine  Analogie  hiefur  kann 
man  im  Gebrauch  des  deutschen  „jeden  Tag"  u.  ähul.  Verbindungen 
finden.  nEr  kann  jeden  Tag  kommen**  muss  nicht  bedeuten  „^1*  kann 
£u  wiederholtenmalen,  sowohl  heute  als  auch  morgen  als  auch  über- 
morgen u.  s.  w.  kommen",  sondern  es  kann  auch  mit  Rucksicht  auf 
ein  bloss  einmaliges  Kommen  bedeuten  „es  ist  möglich,  dass  er 
heute  kommt,  oder  wenn  nicht  heute,  so  morgen  oder  übermorgen 
u.  s.  w. 

Die  relative  Geltung  von  quisque  (=  quicumque)  ist  bei  Plautus 
nicht  selten.  Asin.  2,  3,  24  quisque  obviam  huic  occesserit  irato» 
vapulabit.  Andere  Beispiele,  die  Holtze  (I,  408)  anfuhrt,  sind  Mil.  2» 
2,  t ;  8;  2,  S,  50;  4,  9,  14;  ebenso  Asin.  1,  3,  47.  In  späterer  Zeit 
tauchte  dies  wieder  auf,  wie  bei  Sidon.  Ep.  4,  11.  Hartel  (Zt.  f.  d. 
Ost.  Gymn.  1868  S.  31)  sagt,  er  sei  dem  relativen  quisque  in  den 
ältesten  Cyprianhandschriften  auf  Schritt  und  Tritt  begegnet.  Schon 
Lindemann  hat  auf  die  Analogie  quandoque  ^^^qa^jidoeumque  hinge- 
wiesen. Es  hat  in  diesem  Falle  der  erste  Theil  von  quüque  aus  der 
indefiniten  Bedeutung  die  relative  entwickelt,  wie  nach  der  oben  ent- 
wickelten Ansicht  das  lateinische  Relativum  überhaupt  auf  das  Inde- 
finitum  zurückgeht.  Bei  quisquis  und  quicumque  ist  die  ursprüngliche 
indefinite  Bedeutung  im  Gebrauche  zurückgedrängt  worden;  doch 
findet  sie  sich  bei  quisquis  bei  Cato  R.  R.  7.  48  und  in  der  Verbin- 
dung unum  quidquid. 

diicm^ie. 

Dies  Pronomen  besteht  aus  drei  indefiniten  Elementen,  toii 
denen  die  zwei  letzten  jedoch  als  eine  bereits  fertige  Verbindung 
(cumque)  an  qui  sich  anschlössen.  Cum  (quom)  ist  ein  temporales 
Adverb  und  identisch  mit  der  Conjunction  cum  (quom);  beide  unter- 
scheiden sich  nur  durch  den  Gebrauch,  wie  das  indefinite  und  rela- 
tive qui^y  Passend  vergleicht  MikFosich  mit  dem  temporalen  Elemente 
von  quicumque  die  slavische  Zeitpartikel  koli ,  die  zu  demselben 
Behüte  dem  indefiniten  Pronomen  angehängt  wird;  und  das  tempo- 


')  CorMeo  sieht  diese  Form  für  einen  Aecusativ  an,  wie  tum  u.  «.  Ich  stimme  mit 
Aufrecht  überein,  der  (Kuhn's  Zt.  1,  S5)  diese  Formen  fBr  Locatire  hüt  und  mit 
dem  nmbrischen  LoeatiTSufliz  vergleicht. 


UnUrssehQo^en  aaf  d.  Gebiete  der  Pronomina,  besonders  der  lateinischen.     121 

nie  Moment  kann  noch  durch  Hinzufugung  von  rivi»  (temporaler 
AeeusatiT  des  Zeitraumes  aaevuin  =  per  aeTum)  verstärkt  werden. 
Dass  eumque  noch  ziemlich  lebhaft  als  selbststand iges  Wort  gefühlt 
«urde»  wird  durch  die  nicht  seltene  sogenannte  Tmesis  bewiesen, 
Doeb  mehr  aber  durch  Beispiele,  wie  Hör.  Carm.  1,  32,  15  o  laborum 
dulce  lenimen ,  mihi  eumque  salve  rite  vocanti^  was  richtig  erklärt 
wird  „quoties  te  vocavero**,  also  ^  wann  immer,  immer  vorkommen- 
den Falls**. 

Die  indefinite  Bedeutung  von  quicumque  ist  gegenüber  der 
herrschenden  relativen  selten;  als  Beispiele  fuhrt  man  an  Cic.  Cat. 
2,  5  qaae  sanari  poterunt,  qnacumque  ratione  sanabo.  Prop.  1,  8,  34 
et  quocumque  modo  maluit  esse  mea.  Liv.  45 ,  23  de  quacumque 
Cjiosa.  Man  erklärt  diese  indefinite  Bedeutung  gewöhnlich  aus    der 
relativen  (mit  Annahme  der  Ellipse  von  esse,  fieri  oder  sonst  eines 
dem  betreffenden  Contexte  entsprechenden  Verbs)  —  und  wo!  mit 
Recht  Denn  obzwar  die  ursprüngliche  Bedeutung  von  quicumque  die 
iadefinite  war  und  somit  die  Annahme,  dass  sich  dieselbe  in  einzelnen 
Fäiien  auch   in  späterer  Zeit  erhielt,   nicht  widersinnig  wäre,   so 
seheiot  doch  die  Ansicht  den  Vorzug  zu  verdienen,  dass  die  indefi- 
nite Bedeutung  hier  ganz  erlosch  und  sich  erst  später  wieder  in  Folge 
eines  Voi^angs,  den  man  in  den  Sprachen  öfter  antrifft,  entwickelte. 
So  wäre  die  obige  Stelle.  Cicero*s   etwa  =>  quae  sanari  poterunt, 
sanabo,  quacumque  ratione  sanabo.  Eine  Analogie  bietet  der  indefi- 
nite Gebrauch   von  oarig  (z.  B.  Plat.  Hipp.  mai.  282  D  roOrtav  S" 
Umpcg  TiXiov  dpyOpio\/  dno  aofiag  etpyaTrai  %  aXkog  dtiixioupydg  ay' 
r,77nrj^  riy^vTog^j  häufig  dariaoOv.  Ahnliches  im  Slavischen  und  Deut- 
schen. —  Auch  bei 

^■ifis,  fnüibet 

ist  die  indefinite  Bedeutung  aus  der  relativen  zu  erklären.  Es  ist  anzu- 
nehmen, dass  das  relative  qui  in  diesen  Verbindungen  ursprunglich 
in  dem  entsprechenden  Abhängigkeitsverhältnisse  zu  vis,  lubet  stand, 
wie  man  z.  B.  noch  erklären  kann  mittam  ad  te  quemvi8=^miHam 
ed  ie»  quem  m$  mitti  oder  mittam  cuiusvis  generis  homines^^mit" 
tarn  hamines^  cuius  vis  generis  homines  mitti  oder  quolibet  tempore 
temam  =  veniam^  quo  (mihi)  libet  tempore  venire  oder  =»  veniam 
quo  (tibi)  libet  tempore  me  venire  Vgl.  Cato  R.  R.  52  quod  genus 


1 22  K  r { e • I  • 

tis  propagabtB.  Aber  nachdem  man  sich  gewöhnt  hatte,  in  zahlrei» 
eben  FSIlen  quem  vis,  quos  vis,  quae  vis,  cuius  vis,  quem  übet,  quo 
libet  u.  s.  w.  als  zusammenhängende  Ausdrucke  zu  mhlen  und  zir 
gebrauchen,  wobei  die  eigentliche  Bedeutung  von  vis,  lubei  sich  ver- 
dunkelte, wurde  dann  auch  der  Nominativ  quivis  quilibet  gebrauchtr 
eine  Construction ,  die  mit  Rücksicht  darauf,  dass  sie  eine  streng 
grammatische  Erklärung  nicht  zulässt ,  als  eine  missbräuchiiche 
bezeichnet  werden  kann,  z.  B.  quivis  haec  perspicit  statt  perspicii 
haec,  quem  rw,  sc.  haec  perspicere.  Vgl.  das  ganz  entsprechende 
8^  ßoOXei  z.  B.  Plat  Gorg.  Sil  A  ipya  roeaöra,  ola  To6rcüv  6g  ßoOXct 
€lpya(jrai,  Krat.  432  A  tol  iUa  n  oaxiq  ßo6Xce  äXkog  dpi^iLog.  Man 
könnte  zwar  auf  die  Annahme  verfallen,  dass  quivis  haec  perspicit 
zurukzufuhren  ist  auf  die  vollständige  Construction  perspicit  haeCy 
qui  (ut)  haec  perspiciat  vis,  wobei  die  Ansdrucksweise  auch  in 
diesem  Falle  als  eine  streng  grammatische  sich  herausstellen  würde. 
Dafür  konnte  angeführt  werden  z.  B.  bohm.  to  ti  prinese  sluha  ktery 
(qui)  chces  (vis)  «  hoc  tibi  aflferet  servus  quivis,  wo  wirklich  die 
Annahme  .der  vollständigen  Construction  n^ery  chces  aby  pfinesl"^ 
=^qui  vis  ut  afferat  natürlicher  ist.  Aber  im  Böhmischen  hat  das 
Verbum  „chttti**  in  diesem  Falle  immer  seine  eigentliche  Bedeutung 
des  Begehrens  beibehalten  und  ist  nicht  zu , der  Bedeutung  einer 
blossen  der  Willkür  eines  Subjects  anheimgestellten  Annahme  herab- 
gesunken. 

Ferner  muss  doch  bei  den  lateinischen  Wörtern  ohnehin  in 
einem  Falle,  nämlich  bezuglich  der  Bildung  der  Formen  quidris^ 
quidilhet  eine  Verdunkelung  des  ursprünglichen  Sprachgebrauches 
und  eine  missbräuchiiche  Anwendung  zugegeben  werden.  Diese  For- 
men entstanden  nämlich,  indem  man  sich  der  ursprünglichen  relativen 
Bedeutung  des  ersten  Elements  nicht  mehr  bewusst  war  und  behufs 
des  substantivischen  Gebrauches  dann  die  Form  quid  wählte,  an 
deren  substantivische  Geltung  man  sich  bei  dem  indefiniten  und 
interrogativen  Pronomen  gewöhnt  hatte. 

Auf  einer  anderen  Grundlage  beruht  der  Gebrauch  von  6  ßcu- 
X6jUL£vo^  (=s  8g  ßoOXerai),  was  aber  nie  zu  der  blossen  Geltung  eines 
indefiniten  Pronomen  wie  quivis  abgeschwächt  wurde.  Über  umbr. 
pisher  vgl.  Umbr.  Spr.  I,  138:  „Pisher,  welches  nurTaf.  VP  41  vor- 
kommt, hat  wahrscheinlich  die  Bedeutung  quilibet  und  besteht,    ahn- 


UBtertnchttiigeii  «af  d.  Gebiete  der  Pronomina,  besonders  der  lateinischen.     123 

lieh  diesem  letzteren,  aus  dem  Frageworte«)  verbunden  mit  der 
3.  sg.  praes.  ind.   der  Wurzel  her  (velle),  heisst  also  wörtlich: 

Ober  dem  PreHemiHiktamii  sti« 

Man  sieht  diesen  Pronominalstamm  für  einen  ursprünglich 
releiiren  an;  aber  dass  dieser  Stamm  ursprQoglich  eine  demonstra- 
tiTe  Geltung  hatte»  lässt  sich  nicht  bloss  a  priori  Yoraussetzen»  son- 
dern auch  mit  Gründen  nachweisen. 

Bei  der  Untersuchung  über  die  ursprüngliche  Function  dieses 
Stammes  ist  der  Gebrauch  des  griech.  ov,  ot»  i  Toranzustellen,  das 
io  der  Sprache  des  alten  Epos  ungemein  häufig  in  der  Bedeutung 
Deiuis  ei,  eum**  u.  s.  w.  vorkommt,  z.  B.  11.  j3  196  ^cXci  8ii  (den 
Konig)  iLtiTUTa  ZeO^,  und  so  erscheint  i  (nach  Krüger  s  Angabe  Dial. 
§.  51, 1  A.  9)  etwa  an  sechs  Dutzend  Stellen,  häufig  auch  die  Formen 
10,  I5ev,  £v,  oc,  seltener  io^  ^eius  (z.  B.  Od.  6  618  o^'  id^  ioiko^ 
d}LftxaXvr^€9  neXai  |uic  vcarf^aavra).  S^i  kommt  bei  Homer  und  Herodot 
in  der  Bedeutung  arjvoXg  vor,  afiatv  bei  Homer  meist  demonstrativ, 
seltener  reflexiv,  bei  Herodot  stets  reflexiv  (was  eine  spatere  Ein- 
schränkung ist).  Vgl.  Krüger  Gramm.  §.  51,  1  ^.  1--19. 

Ich  halte  es  nun  für  unzweifelhaft,  dass  hier  nicht « ein  Umschlagen 
der  reflexiven  Bedeutung  in  die  demonstrative  angenommen  werden 
kann,  sondern  dass  umgekehrt  eine  Umwandlung  der  Bedeutung  „is** 
in  die  Bedeutung  „«tii^  anzunehmen  ist  *). 


'J  Dem  fi9  nisste,  wenn  die  Bedeatang  von  pisker  die  oben  angegebene  ist,  die 
relatiTe  Geltoog  beigelegt  werden,  wie  sie  püi  bat  in :  |»ift  punipe  fust. 

*)  |)iese  deoBODStratiTe  Bedeotong  war  f^eilicb  im  Griecbischen  in  der  Zeit,  bis  zn 
welcher  wir  bei  der  Verfolgung  des  Sprachgebrauches  sorfichgehen  können,  nie 
die  starke  Function,  welche  s.  B.  der  Demonstratirstamm  te  hat,  der  in  vielen 
Fillen  zur  Bezeichnung  einer  Hinweisung  auf  etwas  noch  nicht  Brwlhntes,  noch 
nicht  Bekanntes  gebraucht  werden  kann,  sondern  er  hatte  aur  die  Kraft,  auf  etwas 
schon  friiher  Erwihntes  hinzuweisen;  eine  solehe  Hinweisung  ist  aber  eine  Ruck- 
weiaang.  Nie  hat  z.  B.,  so  weit  wir  zurückblicken  können.  Jemand,  der  einen 
anderen  anf  eine  erst  ankommende,  früher  noch  nicht  gesehene  oder  erwihnte 
Person  anlmerksam  machen  wollte,  hinweisend  auf  diese  Person  gesagt  d(Ci>xe  i, 
wohl  aber  s.  B.  ditaxt  rdvdc ;  dagegen  war  in  der  alten  Zeit  ganz  gelSufig  z.  B. 
wy  oLuri  i  ^oj  'AxiXXcv;  .  ,  .  dicoxic  (II.  x  17»),  weft  Rektor  schon  früher 
gcnaABt  wurde. 


124  KvUiii« 

Wenn  die  orsprOngliche  Geltung  die  reflexive  (sei  es  nun  eine 
speciell  reflexive  der  3.  Person  oder  eine  ailgemeiu  reflexive)  gewesen 
wäre,  80  begreift  man  nicht»  wie  aus  dieser  Beschränkung  heraus 
sich  die  Bezeichnung  der  3.  Person  ohde  Reflexion  hätte  entwickeln 
können.  Durch  welchen  Vorgang  hätte  z.  B.  fikiei  Si  i  juiv^rfera  ZsOg 
von  der  angeblich  ui*sprünglichen  Bedeutung  „er  liebt  sich"*  zu  der 
Bedeutung  ,,er  lieht  ihn**  gelangen  sollen?  Ferner  wäre  doch  wol 
(wenn  man  auch  einen  solchen  Vorgang  per  inconcessum  annehmen 
wollte)  die  Entwicklung  der  Bedeutung  „er^  aus  «sich"  überflussig 
gewesen ,  da  die  Sprache  für  die  nichtreflexive  Bezeichnung  der 
3.  Person  eine  Menge  von  Formen  hatte.  Wohl  aber  begreift  man 
leicht,  dass  sich  mit  dem  fortschreitenden  Denken»  mit  der  genaueren 
Wahrnehmung  des  Verhältnisses  aus  der  Function  „is*'  die  reflexive 
entwickeln  konnte.  Während  man  bei  der  entgegengesetzten  Erklä- 
rung annehmen  muss»  dass  ursprünglich  oi\  ot,  i  nur  in  Sätzen 
gebraucht  ward,  deren  Subject  dieselbe  3.  Person  ist,  z.  B.  inhi^tv  k 
^er  schlug  sich**  oder  nach  der  allgemein  reflexiven  Auffassung  auch 
in  Sätzen,  wie  nhioaca  ^/xi,  n}Aaast^  ai:  nehmen  wir  an,  dass  der 
Gebrauch  unbeschränkt  war,  z.  B.  inhi^d  i,  inlvi^dg  i,  6  narrip 
SnXri^iv  i.  Wer  dieser  j^er''  ist,  der  z.  B.  in  dem  Satze  6  nariip 
inhi^ev  i  als  das  Object  des  nX-haanv  bezeichnet  wird,  das  ist  sprach- 
lich unbestimmt  <) ;  es  konnte  eine  andere  Person  als  das  Subject  n-arr^p 
sein  „der  Vater  schlug  ihn"  (die  bereits  erwähnte  oder  bekannte 
Person);  es  konnte  aber  i  auch  auf  die  durch  narrsp  bezeichnete  Per- 
son sich  beziehen  »der  Vater  schlug  ihn,  d.  i.  den  Vater  d.  i. 
sich.^  Bezüglich  der  Zeit,  in  welcher  das  reflexive  Moment  noch 
nicht  gefühlt  und  doch  6  narr^p  inkr^sv  i  in  der  Bedeutung  f ». 
röv  noLTipa  gesagt  wurde,  ist  zu  bemerken,  dass  da  i  vom  Stand- 
punkte des  Sprechenden  aus  gesagt  wurde,  während  man 
später,  als  die  reflexive  Beziehung  bereits  gefühlt  wurde,  £  vom 
Standpunkte  des  handelnden  Subjects  {narrtp)  ansah;  die  Aussage 


^)  Nur  der  Accent  diente  spiter  zor  Unterscheidung,  da  das  reflexire  e  orthotoDirt 
war,  wShreiid  es  im  entgegengesetzten  Falle  enklitisch  behandelt  wurde.  Es  war 
aber  gewiss  anfangs  das  ursprunglich  nichtreflexiTe  e  auch  orthotnnirt  uad 
schwichte  sich  erst  spiter  ab,TielIeicbt  gerade  xu  der  Zeit,  als  der  reflexive  Gebrauch 
aufkam;  es  unterliegt  keinem  Zweifel,  dass  die  Unterscheidung  des  reflexiven  €, 
als  des  energischeren  Wortes,  in  der  Betonung  sehr  angemessen  und  na- 
ifirlich  ist. 


UDtersuchiiiigeD  aaf  d.  GebieU  der  PronomiuH,  besonders  der  lateinischen.     125 

bt  also  IQ  diesem  Falle  ein  subjectives,  innerliebes  Gepräge,  sie 
geht  durch  das  Medium  eines  fremden  Standpunkts  hindurch. 
Bekanotlich  kommen  auch  in  späterer  Zeit  Reste  des  ersten  Stadium 
nach  vor;  aurog  und  lat  ia  erscheint  zuweilen  da,  wo  man  iauroO 
und  nu  erwartet;  vgl.  z.  B.  Cic.  Att.  10,  4,  5  cum  haec  scripsissem, 
aCarione  mihi  nunciatum  est,  eum  ad  me  venire.  De  Orat.  1,  54, 
232.Caes.  b.  g.  1,  5;  11;  14. 

Für  die  Erklärung  der  reflexiven  Geltung  aus  der  demonstra- 
ÜTen  ist  ferner  jiev  auszufuhren,  das  unzweifelhaft  ursprunglich  eum, 
com  bedeutete^  wie  es  diese  Bedeutung  auch  regelmäasig  aufweist. 
Weao  nun  daneben  sich  auch  der  reflexive  Gebrauch  findet,  so  ent- 
stand eben  dieser  ans  jenem.  So  Herod.  1,  4S  imxaraafd^ai  julcv 
uktJWf  t4>  vexpt^.  1,  1 1  Uiretje  ^irj  ynv  dvayxaii^  ivSiXv  ^). 

Ein  anderer  Beweis  liegt  in  dem  Gebrauche  von  aOrö^,  das  bei 
Homer  in  reflexivem  Sinne  vorkommt ;  so  aOroO  im  Sinne  des  spä- 
teren iavTGö  oder  auroö  Od.  f  51;  avr^  =  sibi  Od.  ß  125;  aCrdv 
=  iavTov  Od.  S  247;  auch  «Otoö  =  ^fxavroö  Od.  y  249;  aürwv== 
^fUüv  aÖTcüv  II.  Yi  338,  Od.  x  27.  Hier  ist  es  doch  unzweirelhaft,  dass 
aus  der  demonstrativen  Geltung  die  reflexive  sich  ergab. 

Die  demonstrative  Geltung  des  Stammes  sva  hat  sich  in  ein- 
zelnen Fällen  auch  in  späterer  Zeit  noch  erhalten;  so  z.  B.  <jfi  bei 
Herodot  und  den  Tragikern  =  aüroOg ,  aürag,  bei  den  Tragikern 
aaeh  =  «urov,  aCrfiVj  ferner  ayt,  ofiv  bei  den  Tragg.  u.  s.  w. 

Das  Latein  bestätigt  unsere  Ansicht.  In  der  älteren  Sprache 
existirte  ein  demonstrativer  Pronominalstamm  «o-,  wovon  Ennius 
ium^Momy  soB^  sa8=^ewn  u.  s.  w.  gebrauchte.  Von  diesem  Stamme 
kommt  auch  «i  {sei),  ai-c.  Aller  Wahrscheinlichkeit  nach  haben 
diese  Formen  ein  v  eingebüsst,  wie  sibi  =  svi-bi »  se  =»  sve  =  atfi ; 
sie  sind  also  ihrem  Ursprünge  nach  identisch  mit  sui  aibi  se.  Es  fin- 
det sich  femer  das  altlat  suad  mit  der  Bedeutung  «ic,  wie  aus  Ver- 
rins  Flaccus  Erklärung  erhellt:  ^auad  ted  idem  ait  esse  sie  te"* 
(Festus  351).  Auf  dieselbe  Weise,  wie  im  Griechischen,  ergab  sich 
aoeb  im  Latein  für  sva-  die  reflexive  Geltung. 


*)  Die  bom.  Formel  rw  fAtv  ^«ffafuvoff  irpoajywvee  (U.  ß  W),  In  der  maoche 
(UV  SS  iaurfv  nehmen,  gehört  nicht  hleher,  da  ^h  (=  «vrov)  mit  jcpoffif  wve 
n  TMrhiaden  ist. 


126  RTfaula 

Es  fragt  sich  nun,  ob  im  Latein  auch  für  9ui»  sibu  se,  suus  noch 
in  einzelnen  Fällen  jene  ursprungliche  Function  angenommen  werden 
darf.  Es  gibt  bekanntlich  eine  Anzahl  von  Stellen,  an  denen  man  statt 
des  Yorkortimenden  auu  suus  erwarten  wurde  is^  eius.  An  vielen  dieser 
Stellen  kann  man  nun  freilich  bei  genauerer  Erwägung  die  reflexive 
Geltung  wahrnehmen  und  den  Grund  der  Anwendung  von  sui,  suus 
mehr  oder  minder  klar  nachweisen.  So  ist  z.  B.  bei  Naev.  fr.  ine.  bei 
Gell.  6,  8  eum  8UU8  paier  cum  pallio  uno  ab  amica  abduxit  ent- 
weder s{itts  =  sein  eigener,  oder  es  steht  desshalb ,  weileine 
Beziehung  auf  das  (zwar  nicht  grammatische,  aber)  logische  Subject 
stattGndet,  wie  es  ja  in  der  passiven  Construction  lauten  wurde :  is  a 
8U0  patre  abductus  est.  Ebenso  lässt  sich  Plaut  Mil.  gl.  2,  t,  34 
erklären:  nam  is  illius  filiam  conicit  in  navem  miles  dam  matrem 
mam.  Cic.Jnv.  1,  33  Epaminondas  Thebanorumimperatorei,  guisibi 
ex  lege  praetor  successerat,  exercitnm  non  tradidit  =■  successori 
suo,  Cic.  Rose.  Am.  2,  G  Chrysogonus  hunc  sibi  ex  animo  scrupulum^ 
qui  se  dies  noctesque  stimulat  ac  pungit,  ut  evellatis,  postulat,  wo 
man  eum  pungit  oder  se  pungat  erwartet.  Annehmbar  ist  Halmes 
Erklärung,  dass  der  Relativsatz  hier  als  ein  inhaerir ender 
Theil  des  Hauptsatzes  erscheine  {==  se  pungentem).  Es  ist  die  Con- 
struction „se  pungiV"  die  Mittelstufe  zwischen  y,eum  pungit**  und 
se  pungat;  sie  bezeichnet  schon  einigermassen  die  innerliche 
Abhängigkeit  des  Relativsatzes  vom  Hauptsatze,  aber  noch  nicht  so 
kräftig,  wie  die  Construction  ^se  punga/**,  bei  weicherauch  der  Modus 
zu  Hilfe  genommen  wird.  Ebenso  ist  Verr.  6,  §.  128  zu  beurtheilen: 
Dexo  hie  non  quae  privatim  sibi  eripuisti,  sedunicum  miser  abs  te 
filium  flagitat.  Halm  bemerkt  übrigens,  dass  solche  Beispiele  bei 
Cicero  selten  sind  und  sich  mehr  in  seinen  älteren  Schriften  finden. 
Sonst  finden  sie  sich  aber  ziemlich  oft;  vgl.  z.  B.  noch  Plaut.  Poen.  S,  1, 
ZZeumfecisse  aiunt,  sibi  quodfaciundumfuit(=T6  iauroj  jrpaxreov). 
Ovid.  Fast.  6,  601  ipse  sub  Esquiliis^  ubi  erat  sua  regia,  caesus 
(wenn  man  nicht  hier  die  prägnante  Bedeutung  „seine  eigene** 
annehmen  will).  Vell.  Pat.  2,  56,  1  Caesar  omnibus,  qui  contra  se 
arma  tulerant,  ignovit,  Suet.  Caes.  74  Et  quamqudm  obsidione 
Massiliaef  quae  sibi  in  itinere  portas  clauserat,  summaque  frumen- 
tariae  rei  inopiu  retardante,  brevi  tarnen  omnia  subegit.  Hör.  Ep. 
2,  1,  78.  Com.  Nep.  Cim.  3.  1. 


UntennebangeD  auf  d.  Gebiete  der  Pronomina,  beiondera  der  lateiniacben.     l  2  7 

Aber  diesen  mehr  oder  minder  leicht  erklärlichen  Beispielen 
stehen  andere  aus  der  älteren  Zeit  gegenüber,  auf  die  sich  diese 
Erkiärüng  nicht  ausdehnen  lässt,  wie  Nae?.  fr.  ine.  bell.  Pun.  p.  18 
Vahlen :  plerique  omnes  suKgutäur  sub  suum  iudicium,  Plaut.  Capt. 
3, 4, 48  nam  is  est  servos  ipse  neque  praeter  se  umquam  ei  servos 
ftdL  Cato  R.  R.  37  vitis  si  macra  erit^  sarmenta  sua  conddito.  Ich 
bin  bezuglich  solcher  Stellen  geneigt  anzunehmen  ,  dass  dieser 
Gebrauch,  für  den  im  Griechischen  so  zahlreiche  Beispiele  vorliegen 
ond  der  anch  im  Deutschen  bei  dem  possessiven  sein  sich  findet, 
noch  die  ältere  Sprachstufe  repräsentiert.  —  Dass  der  Gebrauch  von 
iuu8=eius  nie  ganz  verschwand,  dafür  bürgt  derselbe  Gebrauch  in 
den  romanischen  Sprachen,  wicital.  suo,  franz.  son.  Dass  im  mittel- 
alterlichen Latein  so  oft  suus  =  eins  vorkommt  und  auch  suL  sibi, 
9e=^eius,  ei*  eum  u.  s.  w.  (z.  B.  in  einem  Briefe  Poggio*s  an  Leo- 
nardas Aretinus :  Vera  sunt,  quae  sibi  objiciuntur  d.  i.  ei,  nämlich 
dem  Hieronymus  von  Prag),  ist  jedenfalls  bemerkenswerth. 

tbtt  das  griechische  te!ativpron«nen. 

Gegen  die  gewöhnliche  Ansicht,  dass  o^  dem  skr.  jas  entspre- 
che, polemisiert  Savelsberg  (Kühnes  Ztschft.  8,  401ff.  vgl.  10,  75). 
Mit  dem  negativen  Resultate  dieser  Abhandlung  bin  ich  jetzt  ganz 
einverstanden,  obzwar  ich  frQher  auf  Grundlage  der  gewöhnlichen 
Ansicht  -^ure  zu  erklären  versuchte  (Ztschft.  f.  d.  öst.  Gymn.  1863, 
S.  314).  Savelsberg  gelangt  zunächst  durch  Vergleichung  zahlrei- 
cher homerischen  Stellen  und  mit  Berücksichtigung  der  von  Boss  im 
J.  1854  veroflTentlichten  lokrischen  Inschrift,  auf  welcher  Z.  6  fort 
steht,  sowie  mit  Benutzung  der  Notiz  des  Hesychios:  BaXcxc<A>rv3^, 
wvifYißog  '  Kpr,Teg  zu  dem  Resultat,  dass  6^  aus  pog  entstanden  sei. 
Auch  diese  Form  sei  nicht  ursprunglich;  man  müsse  neben  dem 
ionischen  Interrogativstamm  xo  eine  zweite  Gestalt  xpo  (vgl.  lat* 
quo-)  annehmen,  woraus  d;r7röre  =  öxfoTe;  durch  gänzlichen  Weg- 
fall des  X  sei  aus  xpog  geworden  fo^  (vgl.  wer=  hver),  dann  6g,  In 
höherer  Instanz  hänge  freilich  auch  das  Relativum  ^ö^,  og  mit  skr» 
jas  zusammen,  da  dieses  wiederum  aus  kjas  entstanden  sei.  Was  die 
Entwicklang  der  Bedeutung  betrifft,  so  nimmt  er  an,  dass  im  Grie- 
ehisehen,  sowie  im  Lateinischen  und  Deutschen,  die  interrogative 
Geltung  die  ursprungliche  war,  aus  der  sich  die  relative  entwickelte» 
wobei  auf  Pott  (Etym.  Forsch.  I,  361  2.  Aufl.)  verwiesen  wird. 


128  .  Kvi'c'.l« 

Wenn  das  positive  Resultat  der  Untersuchung  Sarelsberg's  rich- 
tig wäre,  so  müsste  man  meiner  Ansicht  nach  die  relative  Geltung 
aus  der  indefiniten  erklären  (vgl.  oben).  Aber  die  Ansicht  von 
der  Entstehung  des  6g  aus  xf  o^  hat  Curtius  (Grundz.  d.  gr.  Etym. 
n,  178)  widerlegt.  Zwar  konnte  Savelsberg  auf  Curtius'  Einwen- 
dung: „Die  demonstrative  Bedeutung  des  gr.  o^  in  xa(  8g  ifn 
spricht  gegen  diese  Herleitung**  erwidern,  dass  er  am  Schlüsse  seiner 
Abhandlung  ausdrücklich  zugegeben  habe  (nach  Curtius*  Vorgang  in 
Kuhn*s  Ztschft.  6,  93),  dass  vor  der  fragenden  Bedeutung  dem 
Stamme  xa,  kva  die  hinweisende  zukam  und  dass  xoci  og  ifri 
(sowie  auch  der  demonstrative  Gebrauch  von  &g  oder  cü^)  von  diesem 
Standpunkte  erklärt  werden  Jcönne;  aber  der  andere  von  Curtius 
angeführte  Grund  ist  entscheidend:  nWie  unwahrscheinlich  ist  es. 
dass  das  Griechische  von  den  beiden  Consonanten  den  ihm  ganz 
geläufigen  zu  Gunsten  des  so  wenig  festen,  von  Anfang  an  schwan- 
kenden F  aufgegeben  haben  sollte  !*<  Es  lässt  sich  aus  dem  Griechi- 
schen kein  Beispiel  eines  Abfalls  des  k  in  der  Lautgruppe  xF  anfuhren. 
Aus  xFog  konnte  nur  werden  *x\jg  (wie  xO<av,  x\jv6g  aus  kvan-,  skr. 
^van)  oder  *;ro^  aus  ^Tzizog  (wie  6nn6re  aus  öxf 0«),  oder  ,*xo^,  nie- 
mals aber  Fog- 

Aber  dass  Savelsberg  die  gewohnliche  Ansicht,  0^  sei  jaa» 
erschüttert  hat,  scheint  anerkannt  werden  zu  müssen.  Curtius,  indem 
er  an  der  Ansicht  ög  sei  =^jast  festhält,  macht  geltend^  dass  der  con- 
ventionelle  Gebrauch  der  epischen  Sängerschulen  selbst  nach  dem 
Verschwinden  des  Lautes  Jod  den  Hiatus  und  die  Dehnung  vor  solchen 
Wörtern  in  gewissen  häufigen  Wendungen  aufrecht  halten  konnte« 
ähnlich  wie  die  späteren  Epiker  es  mit  den  digammirten  Wortern 
machen,  nachdem  längst  der  Spirant  selbst  verhaucht  war  (II,  178). 
Wenn  man  dies  aber  auch  für  „gewisse  häufige  Wendungen^  zugeben 
wollte  (wie  z.  B.  J^eög  u}g  und  ähnl.),  so  ist  doch  anderseits  zu  beach- 
ten, dass  Hiatus  und  Dehnung  sehr  0  ft  in  Fällen  vorkommen,  die  offen- 
bar nicht  als  häufige  Wendungen  angesehen  werden  können.  Ferner 
zeigen  sich  bei  den  Wörtern,  in  denen  unzweifelhaft  der  Spiritus 
asper  aus  j  entstanden  ist,  jene  Erscheinungen  nicht  (z.  B.  bei  OikeXg^ 

Freilich  wird  fori  von  manchen  für  verdächtig  gehalten  (vg^. 
Curt  I,  364;  II,  36);  aber  die  Glosse  des  Hesychios  ßaXixidiTiog 
kommt  dem  f  ore  wirksam  zu  Hilfe.  Jedenfalls  kann  man  sagen,  dass 


Untereuchungen  auf  d.  Gebiete  der  ProDominii,  besonders  der  lateiniscben.     129 

a  priori  eine  Erklärung,  die  das  f  in  fort  für  ein  wirkliches  f.  und 
nicht  für  ein  unrichtiges  graphisches  Zeichen  hält,  grössere  Wahr- 
scheinlichkeit fQr  sich  hat. 

Ich  halte  Lottner's  Vermuthung  (Kuhn*s  Z.  9,  320)  für  richtig, 
nämlich  die  Zurückführung  von  6g  auf  den  Stamm  8vaj  welche  auch 
Cartius  als  „eher  denkbar'^  bezeichnet,  wobei  er  jedoch  hinzufügt^ 
dass  dieser  Annahme  von  Seiten  der  Bedeutung  erhebliche  Schwie- 
rigkeiten entgegenstehen.  Aber  diese  Schwierigkeiten  yerschwinden, 
wenn  man  TOn  der  reflexiven  Bedeutung  abstrahiert  und  zugibt,  dass 
wa  im  Griechischen  ursprünglich  ein  demonstratives  Pronomen 
(oder,  wenn  man  will,  das  persönliche  Pronomen  der  3.  Person)  war, 
aus  welcher  Geltung  sich  die  relative  ebenso  entwickeln  konnte,  wie 
bei  Jas,  6f  ize,  deri»  lauter  ursprünglich  demonstrativen  Wortern. 

Nach  Lottner's  Auffassung  erklärt  sich  sofort  leicht  irjg  II.  n  208 
(yrjk6mdog  l^'i'yoL  ipyov^  irig  t6  rcpiv  y*  lpdaa^£)<f  das  Savelsberg 
(a.  0.  S.  406)  durch,  irig  d.  i.  iprig  ersetzt  wissen  wollte.  Es  ist  ir^g 
ganz  richtig  und  zwar  =  (jeFiog-  Es  zeigt  sich  eben  hier  dieselbe 
Erscheinung,  wie  bei  den  von  demselben  Stamme  herrührenden 
Wörtern  U  «aefc,  iog^atpog  und  lat.  sovos,  suus,  lit.  sävas  (Curt. 
II,  157;  Schleicher  Comp,  f  40  b.  2.  Anm.  2  und  §  145.  2.  b.  Anm.. 
Corssen  Ausspr.  I,  175).  Darnach  stellt  sich  auch  die  bestrittene,  an 
zwei  Stellen  bei  Homer  vorkommende  Form  oou  (II.  |3  325  ripag . . . 
oou  TLkiog  oÖTTOT  okiirai  *)  und  Od.  a,  70  IIoXO^y^fiLOv,  oou  xparo^  iari 
tkirfiOTov)  als  richtig  heraus ;  es  ist  oou=(7cf  cu,  und  man  hat  nicht 
nothig,  das  bedenkliche  co  (mit  Buttmann,  Ahrens  Rhein.  Mus.  N.  F.  II, 
161^  Savelsberg  a.  a.  0.  S.  406  Anm.)  anzunehmen.  Was  den 
Wechsel  von  €  und  o  betrifft  (?>?^,  aber  (ffou),  so  findet  sich  dieselbe 
Erscheinung  bei  demselben  Stamme  im  Slavischen;  altbulg.  loc.  sehe 
gen.  sehe,  (wie  tebe,  tebe),  aber  instr.  sobojj  (wie  toboj?) ;  im  Böh- 
mischen loc.  dat.  sobe  (tobe),  instr.  sebou  (tebou).  Die  Verschieden- 
heit des  Accents  hig^  oou  opp.  kng^  ioO  ist  wol  so  zu  erklären,  dass 
die  ursprüngliche  Betonung  iog  verdrängt  wurde,  indem  das  posses- 
«irc  Pronomen  i6g  in  der  Betonung  der  Analogie  der  Pronomina  iaö^, 
TBog  folgte;  vielleicht  ergab  sich  auch  das  Bedürfniss,  die  Verschie- 
denheit der  Bedeutung  durch  Verschiedenheit  in  der  Betonung  kund- 
Xttgeben;  vgl.  ofjL«^  opp.  öfxw^,  arc^vcöc,  opp.  driyytag,  dXkd  opp. 


1)   Dieselbe  Formel  kehrt  im  Hymn.  Apoll.  1S6  wieder. 


130  Kvt'a«Ia 

aXka  u.  a.  —  So  wie  nun  das  possessive  iö^  und  das  relative  ii^q  in 
der  Form  (mit  Ausnahme  der  Betonung)  fibereinstimmen,  so  ist  nach 
unserer  Auffassung  auch  die  Gleichheit  des  possessiven  oq  und  de$ 
relativen  6<;  keine  zufallige,  sondern  beruht  auf  Identität  der  beiden 
von  demselben  Stamme  9va  herrührenden  Wörter. 

Leicht  erklärt  sich  ferner  auch  das  homerische  i^Ore  <)  »  y^ 
npore;  daraus  ward  zunächst  "haxjTt  (wie  z.  B.  önvog  d.  i.  aunvo^  aus 
svapnas),  dann  la^Ore  (wie  iiOg  aus  i^au^) ;  aus  i^Ote  aber  ward  €&r€, 
wie  eu  aus  i^O,  iO. 

Das  homerische  fh  ist  ein  wichtiger  Beweis  für  Lottner*s  An- 
sicht. Da  es  nämlich  für  c^to  steht  (Curtius  in  Kuhn*s  Zt.  3.  76),  wie 
lakon.  fiv  für  cftv,  und  dem  got.  8vS  entspricht,  da  es  ferner  die 
unzweifelhaft  relative  Geltung  n  wie**  hat,  so  unterstützt  es  die  Ansicht 
vom  Zusammenhang  des  griech.  Relativs  mit  dem  Stamme  sva 
wesentlich;  die  relative  Geltung  entwickelte  sich  aus  der  demonstra- 
tiven, die  sich  in  xae  Sg  f^iQ,  ri  S'Sg,  seltener  ^  i'  rj  bis  in  späte 
Zeiten  erhalten  hat,  wie  sich  denn  auch  noch  später  vereinzelte 
Spuren  des  Gebrauches  von  ci,  ol,  i  =  eius,  eu  eum  linden  (z.  B. 
Soph.  Trach.  650  a  ii  oi  (pCXa  Sdikap=  eius  tixor;  vgl.  Krüger 
Gramm.  II,  §.  Bl.l). 

Auch  in  den  italischen  Sprachen  entwickelte  der  Stamm  sva 
aus  der  demonstrativen  Geltung  (die  z.  B.  in  dem  altlat.  8uad=8ic 
vorliegt)  die  relative,  nämlich  in  der  Conjunction  lat.  sei  (aus  svei), 
^1,  osk.  sval  oder  suae,  umbr.  sve.  Desselben  Ursprungs  ist  wohl  a^, 
£i  (für  svaif  svei);  dass  hier  sv  spurlos  verschwinden  konnte,  wird 
durch  i6itf}==aFi$ioi  bestätigt. 

Die  Ansicht,  dass  Sanskrit  und  Griechisch  in  der  Entwicklung 
des  Relativpronomens  nicht  übereinstimmen,  kann  um  so  weniger 
überraschen,  wenn  man  bedenkt,  wie  gering  die  Übereinstimmung 
der  indoeuropäischen  Sprachen  in  dieser  Hinsicht  ist.  Nur  das  Sans- 
krit und  Zend  haben   ein  Relativpronomen  ja^),   das  Altpersische 


1)  Ich  habe  früher  (Z«chft.  f.  d.  öst.  GyioD.  1863.  S.  314)  i;ur<  irrig  aus  ^  jorv 
durch  Annahme  des  fiol.  v  =  o,  wie  üol.  rurc  =  rorc,  erklSrt;  aber  dieursprfing- 
liche  Bedeutung  „wie  wann"  glaube  ich  für  y^xjts  a.  a.  0.  genfigend  nachgewiesen 
zu  haben. 

*)  Bemerkenswerth  ist,  dass  im  Sanskrit  und  Zend  die  demoostratire  Geltung  de» 
Stammes  j  a ,  die  naturiich  vorausxusetzen  ist,  spurlos  verschwunden  ist.  Im  Zend 
nahm  zwar  Bopp  W*  §.  383  S.  198  es  an:  aber  rergl.  1*  S.  484. 


Untcnvchnngeii  auf  d.  Gebiete  der  Pronomina,  beaonders  der  lateinischen.    1  3  1 

kennt  den  Relativstamm  ja  nicht  (Bopp.  Gram.  (<  S.  484);  das  Latein 
entwiekelte  sein  Relativpronomen  aus  dem  inde6niten  Pronominal- 
stamm quo-p  das  Slavische  gebraucht  zwar  zur  Bezeichnung  der 
Relation  auch  den  Stamm  ja-  ^ber  in  Verbindung  mit  der  enklit. 
Partikel  ie,  oder  es  gebraucht  wb  in  relativer  Geltung,  das  Griechische 
bedient  sich  auch  des  Stammes  ro  in  relativem  Sinne  u.  s.  w.  Offen- 
bar gab  es  vor  der  Sprachentrennung  kein  eigentlich  ausgeprägtes 
Relativum. 

Isle. 

Dass  iste  das  Pronomen  demonstrativum  der  zweiten  Person  ist, 
wird  allgemein  anerkannt  Es  liegt  auch  wirklich  bei  iste,  sowie  bei 
den  Adverbien  istic,  ütuc^  istinc  diese  Beziehung  in  unzähligen 
Fällen  so  klar  zu  Tage,  dass  sie  nicht  verkannt  werden  kann.  Indes- 
sen fugt  man  hinzu,  dass  schon  in  älterer  Zeit  iste  zuweilen  als  all- 
gemeines Demonstrativpronomen  außrete  und  die  Beziehung  auf  die 
zweite  Person  aufgegeben  habe.  Aber  wenn  man  die  betreffenden 
Stellen  genau  in  ihrem  Zusammenhange  erwägt,  so  findet  man,  dass 
in  der  Zeit  vor  dem  Beginne  des  Sprachverfalls  diese  Ausnahmen 
sehr  selten  sind.  Die  Bedeutung  von  iste  ist  freilich  nicht  immer  so 
stark  und  klar,  dass  durch  iste  bloss  Gegenstände  bezeichnet  wür- 
den, die  der  zweiten  Person  angehören,  Eigenschaften,  welche  sie 
besitzt.  Handlungen,  die  von  ihr  ausgehen:  sondern,  wie  Grysar  (The- 
orie d.  lat.  St.  S.  74)  richtig  bemerkt,  „es  wird  durch  iste  auch  auf 
Dinge  hingewiesen,  welche  die  zweite  Person,  mit  der  einer  redend 
eingeführt  wird,  in  ihrer  Rede  oder  auch  in  blossen  Andeutungen 
bereits  berührt  haf*.  Diese  schwächere  Beziehung,  die  aber  doch 
eben  eine  Beziehung  auf  die  zweite  Person  ist  und  bleibt,  wird  sich  f 
(wo  eben  iste  nicht  die  stärkere  Bedeutung  hat)  für  die  ältere  und 
für  die  gute  Zeit  des  Lat,eins  mit  sehr  wenigen  Ausnahmen  an  allen 
Stellen,  die  kritisch  gesichert  sind,  nachweisen  lassen «).  Auffallend 
ist  es,  dass  Grysar,  der  sonst  der  dem  iste  zukommenden  Beziehung 
auf  die  zweite  Person  eifrig  nachspürt,  es  doch  zweckmässig  fand. 
von  dieser  Beziehung  an  ziemlich  vielen  Stellen,  wo  es  nicht  nothig 
war,  zu  abstrahieren  und  dafür  folgende  Erklärung  aufzustellen:  ^Da 


1)  Von  den  hieher  gehörigen  FfiUen  ist  besonders  beachtenswerth  die  h8u6ge  Formel 
mnU  uf  ^ee  ist,  wie  du  sagst". 


\/ 


132  Kvf^.la 

wir  uns  die  zweite  Person,  insofern  sie  angeredet  wird,  gegenüber- 
stehend denken:  so  ist  es  natGrlich,  dass  wir  auch  die  Gegenstände, 
/Welche  uns  in  einer  ähnlichen  Nähcg /erscheinen,  mit  diesem 
Pronomen  bezeichnen. . .  .Wenn  daher Terent.  Add|ph.  V-  2,  8  sagti 
Etiam  tu  hoc  responde,  quid  tibi  istic  negotii  est?  so  bedenke  man, 
dass  er  auf  den  unmittelbar  vor  ihm  liegenden  Platz  hinweist''.  (S. 
75  f.)  Aber  an  dieser  Stelle  steht  i%tic  lediglich  desshalb,  weil  es 
eben  bedeutet  „da,  wo  du  bist**.  Ebenso  ist  an  den  übrigen  Stellen, 
die  Grysar  S.  76  anfuhrt,  nie  leicht  zu  erklären,  ohne  dass  man  die 
ihm  eigentlich  zukommende  Beziehung  preisgibt.  Cic.  Cat.  1,  7  quid 
quod  adventu  tuo  ista  subsellia  vacuefacta  sunt?  Cicero  meint  hier 
nicht  alle  subsellia,  sondern  offenbar  nur  jenen  Theil  der  Sitze,  die 
sich  in  der  Nähe  desjenigen  Platzes  befanden,  den  Catilina  einzu- 
nehmen pflegte ;  in  Catilina's  Nähe  mochte  niemand  sitzen  ;  wozu 
wären  aber  alle  Bänke  geräumt  worden?  Vgl.  die  unmittelbar  fol- 
genden Worte :  quod  omnes  consulares,  qui  tibi  persaepe  ad  caedem 
constituti  fuerunt,  simul  atque  adsedisti,  partem  istam  mbselliorum 
(diesen  Theil,  wo  du  zu  sitzen  pflegst)  nudam  atque  inanem  relique- 
runt.  Cic.  Sen.  17.  Lysandro  quemdam  agrum  diligenter  consitum 
admiranti  ferunt  Cyrum  respondisse:  Atqui  ego  omnia  ista  sum  dimen- 
sus ;  mei  sunt  ordines,  mea  descriptio,  multae  etiam  istarum  arborum 
mea  manu  sunt  satae,  d.  i.  alles,  was  du  da  siehst  und  bewunderst.  — 
Liy.  1,  40,  10  ergo  vos  prius  in  me  strinxeritis  ferri;im  quam  in  vos 
ego;  istinm  (d.  i.  von  dem  Orte  her,  wo  ihr  steht,  aus  euerer  Mitte) 
Signa  canent,  istinc  clamor  prius  incipiet  atque  impetus,  si  dimican- 
dum  est  Ebenso  leicht  ist  die  Beziehen?  auf  die  zweite  Person  bei 
Liv.  7,  40,  13,  Ter.  Heaut.  3,  3^27,  Hec^  3,  2j_4 jiachzuweisen. 

S.  78  weist  Grysar  richtig  bei  Cic.  Font.  4  für  isti  munütoni 
die  Beziehung  auf  die  zweite  Person  (die  Ankläger)  nach,  aber  von 
drei  anderen  Stellen,  nämlich  Cic.  Lael.  2.  Catil.  3,  12,  Tusc.  5,  28 
sagt  er  „dass  sich  hier  die  allen  genugenden  Gründe,  warum  Cicero 
das  Pronomen  isie  den  anderen  vorgezogen  habe,  schwerlich  angeben 
lassen**.  Die  zweite  dieser  Stellen  ist  zu  beseitigen  (quod  mihi  cum 
bis  vivendum  sit,  quos  vici  atque  subegi :  isti  hostes  aut  interfectos 
aut  oppressos  reliquerunt),  hier  wird  jetzt  statt  des  unmöglichen  isti 
mit  Recht  illi  gelesen.  Aber  an  der  ersten  Stelle  nam  qui  septem 
appellantur,  eos,  qui  iaia  subtilius  quaerunt,  in  numero  sapientium 
non  habent  ist  die  Beziehung  des  ista  auf  Laelius,  der  unmittelbar 


Untannchungen  aaf  d.  Gebiete  der  Pronomina,  besonders  der  lateinischen.    133 

vorher  Yon  Fannius  angeredet  wurde,  unrerkennbar;  ista  weist  darauf 
hin,  dass  solche  Untersuchungen  und  Studien  dem  Laelius  nicht 
fremd  waren  (te  autem  alio  quodam  modo,  non  solum  natura  et  mori- 
bus,  Terum  etiam  studio  et  doctrina  esse  sapientem),  es  bezeichnet 
also  „dei^leichen  in  euer  (nämlich  der  Theoretiker)  Fach  einschla« 
geode  Punkte**.  An  der  dritten  Stelle  „transeat  idem  iste  sapiens  ad 
rempablicam  tuendam*'  ist  dies  »  eben  derselbe  Weise,  den  ich 
euch  (cf.  1,  4,  7  cum  essent  plures  mecum  familiäres)  eben  (5,  24 
bis  25)  geschildert  habe,  der  euch  bereits  bekannte.  Dieselbe  Ver- 
bindung idem  iste  findet  sich  Cic.  Man.  7,  19  deinde,  quod  nos  eadem 
Asia  atque  idem  iste  Mithridates  initio  belli  Asiatici  docuit,  id  quidem 
certe  calamitate  docti  memoria  retinere  deberaus.  Es  ist  auch  hier 
igte  Mithr.  «=  der  euch  (Quiriten)  geschilderte  Mithridates,  gegen 
den  ihr  Beschlüsse  zu  fassen  habet. 

Es  mögen  nun  noch  einige  Stellen  angeführt  werden,  an  denen 
iste  seine  regelmässige  Bedeutung  aufgegeben  zu  haben  scheint,  aber 
eben  nur  scheint.  Cic.  Brut.  33,  12S  sed  ecce  in  manibus  vir  et 
praestantissimo  ingenio  et  flagranti  studio  et  doctus  a  puero  6.  Grac* 
ehus;  noli  enim  putare  quemquam.  Brüte,  pleniorem  aut  überiorem 
ad  dicendum  fuisse.  Et  ille,  Sic  prorsus,  iqquit,  existumo  atque  istum 
(den  Yon  dir  eben  erwähnten)  de  superioribus  paene  solum  lego.  De 
or.  2,  56,  227  f.  Quare  tibi,  Antoni,  utrumque  assentier,  et  multum 
faeetias  in  dicendo  prodesse  saepe  et  eas  arte  nuUo  modo  posse  tradi. 
niud  quidem  admiror,  te  nobis  in  eo  genere  tribuisse  tantum  et  non 
huius  rei  quoque  palmam,  ut  ceterarum,  Crasso  detulisse.  Tum  Anto- 
nius, Eg^  vero  ita  fecissem,  inquit,  nisi  interdum  in  hoc  Crasso  paul- 
lum  inviderem.  Nam  esse  quamvis  facetum  atque  salsum  non  nimis 
est  per  se  ipsum  inyidendum :  sed,  cum  omnium  sis  yenustissimus  et 
urbanissimus,  omnium  gravissimuni  et  severissimum  et  esse  et  rideri, 
quod  i»ti  contigit  uni,  id  mihi  vix  ferendum  videbatur.  Hie  cum  arri- 
sisset  ipse  Crassus  cet.  Die  hier  vorkommende  Neckerei,  von  der 
Grysar  sagt  (S.  78),  dass  sie,  da  sie  von  Crassus  mit  Lächeln  auf- 
genommen ward,  von  uns  nicht  unbemerkt  bleiben  kann,  liegt  nicht 
in  i$ii^  sondern  in  der  ganzen  Äusserung  des  Antonius,  in  seinem 
humoristisch  aufrichtigen  Geständniss  neidischer  Gesinnung  gegen 
Crassus«   Hit  iste  konnte  Crassus  nur  desshalb  bezeichnet  werden, 
weil  Antonius  zu  Caesar  gewendet  von  Crassus  als  einem  von  Caesar 
erwähnten  und  gelobten  Manne  spricht.  Antonius  hatte  dem  Caesar 

SiUb.  d.  phiL-hist.  Cl.  LXY.  Bd.  I.  Hft.  10 


134  KTicala 

die  Palme  witziger  Beredsamkeit  zuerkannt  (S4,  216  in  quibus  ta 
longe  aliis  mea  sententia,  Caesar,  excellis),  Caesar  dagegen  diese 
abgelehnt  (§.  220  nam  id,  quod  tu  mihi  tribuis,  Antoni,  Crasso  est 
omnium  sententia  concedendum,  wobei  der  Gegensatz  omnium  seu'- 
tentia  und  mea  sententia  beachtenswerth  ist) :  in  Übereinstimmung 
damit  spricht  dann  Caesar  §.  227  seine  Verwunderung  über  das 
Urtheil  des  Antonius  aus.  Caesar  nimmt  sich  also  des  Crassus  an  und 
man  kann  »isti^  paraphrasieren  „diesem  deinem  Crassus,  dessen  du 
dich  annimmst,  diesem  deinem  Schützling"*.  —  Bei  Cic.  in  Cat.  2,  8, 
18  (tu  agris,  tu  aedificiis,  tu  argento,  tu  familia,  tu  rebus  omnibus 
ornatus  et  copiosus  sis,  et  dubites  de  possessione  detrahere,  adqui- 
rere  ad  fidem?  Quid  enim  exspectas?  bellum?.  . .  An  tabulas  novas? 
Errant  qui  istas  a  Catilina  exspectant:  meo  beneficio  tabulae  novae 
proferentur,  verum  auctionariae;  neque  enim  isti,  qui  possessiones 
habent,  alia  ratione  ulla  saivi  esse  possunt)  ist  es  auch  klar,  dass 
iste  mit  Rücksicht  auf  die  zweite  Person  (tu),  die  als  Repräsentant 
einer  ganzen  Classe  gedacht  und  angeredet  wird,  steht;  man  kann 
also  qui  iatas  exspectant  erklären  „welche,  wie  du,  diese  von  Cat. 
erwarten**,  eben  so  isti  „diese  Leute,  wie  eben  du**.  —  Wenn  Hein- 
dorf zu  Hör.  Sat.  1,  2,  73  als  Beweis  dafür,  dass  iste  zuweilen  für 
hie  oder  ille  stehe,  Ep.  1,  6,  67  anfuhrt,  so  ist  dies  Beispiel  nicht 
gut  gewählt  (si  quid  novisti  rectius  istis^  candidus  imperti);  hier 
erklärt  Kroger  istis  richtig  „das,  was  d  u  hier  von  mir  ausgesprochen 
siehst**. 

m 

/  Wir  koi^men  nun  zur  Erklärung  des  Begriffes  der  Vorachtung, 
der  durch  i^  so  oft  bezeichnet  wird.  Dies  Moment  der  Gering- 
schätzung ist  aber  durchaus  nicht  eine  besondere  und  ausschliessliche 
Eigenthümlichkeit  dieses  Pronomen.  Auch  andere  Pronomina  können, 
wenn  der  Context  darnach  angethan  ist  und  wenn  sie  mit  spöttischem 
Ton  und  geringschätziger  Geberde  ausgesprochen  wer,den,  dieselbe 
y  Geltung  haben.  So  ist  j^huius  non  faciam**  bei  Ter.  Ad.  2,  1,  9  = 
nicht  so  viel  (was  man  sich  von  einer  entsprechenden  Geberde  und 
Handbewegung  begleitet  zu  denken  hat)  d.  i.  nicht  ein  bischen  werde 
ich  darauf  Rücksicht  nehmen**.  Cic.  in  Cat.  1,  1,  2  hie  tamen  vivit, 
mit  Verachtung  und  Unwillen  gesagt.  Ebenso  ille  z.  B.  Cic.  Rep.  1,  1 
ad  summam  senectutem  maluit  iactari  quam  in  illa  tranquillitate  atque 
otio  iucundissime  vivere.  Ferner  bezeichnet  ille  häufig  eine  bekannte, 
oft  erwähnte  Person  oder  Sache,  die  nicht  immer  berühmt  sein  muss 


Uotersachungen  auf  d.  Gebiete  der  ProDominn,  besonders  der  lateinischen.     135 

(was  freilich  gewohnlich  der  Fall  ist),  sondern  auch  berüchtigt 
$em  kann.  Erwähnt  mag  werden,  dass  auch  tantus  im  Gegensatze 
ZQ  der  henrorhebenden  Bedeutung  zuweilen  bezeichnet  ^nur  so  gross, 
so  klein*',  wie  Cic.  Man.  6,  14  ceterarum  provinciarum  vectigalia 
tanta  sunt,  ut  iis  ad  ipsas  provincias  tutandas  vis  content!  esse  possi- 
iDos.  Dass  tanttis  ebenso  „so  gross**  wie  auch  „so  klein*'  bedeuten 
kann,  ist  natürlich  nur  desshalb  möglich,  weil  die  Bedeutung  dieses 
Wortes  eigentlich  eine  indifferente  ist,  die  erst  durch  den  Context, 
dareh  Ton  und  Geberde  ihre  bestimmte  Färbung  einhält, 

Dass  nun  iste  viel  häufiger  als  hie  und  ille  mit  dem  Nebenbe- 
griff der  Verachtung  gebraucht  wird,  das  hat  seinen  Grund  in  nichts 
anderem  als  dass  isie  das  Pronomen  demonstr.  der  zweiten  Person 
ist.  Da  nämlich  die  zweite,  uns  gegenüberstehende  Person  gar  oftx 
nnser  Gegner  ist,  da  ferner  in  einem  Streit  das,  was  der  Gegner  i) 
thut  oder  sagt,  unzahligemale  mit  isie  bezeichnet  wird  und  da  es 
naturlich  ist,  dass  bei  einem  Streite  der  Gegner  mit  Ironie,  Spott, 
Verachtung  behandelt  wird,  so  liegt  die  Veranlassung,  iate  in  jener 
Weise  zu  gebrauchen,  zu  Tage;  es  wird  eben,  was  in  dem  natur-^ 
liehen  Verhältnisse  der  streitenden  Parteien  liegt,  auf  iste  selbst 
abertragen;  z.  B.  Cic.  N.  D.  1,  44,  122  quam  (amicitiam)  si  ad 
fractum  nostrum  referemus,  non  ad  illius  commoda,  quem  diligimus: 
non  erit  hta  amicitia  sed  mercatura  quaedam  utilitatum  suarum.  Deut- 
lich ist  hier  ista  „das,  was  ihr  (Epikureer)  in  consequenter  Anwen- 
dung eurer  Theorie  als  Freundschaft  bezeichnen  müsstet**,  da  gegen 
die  Epikureer  polemisirt  wird,  die  direct  angeredet  werden,  z.  B. 
^.  121  quanto  Stoici  melius,  qui  a  vobh  reprehenduntur?.  .  .Vos 
antem  quid  mali  tfah'^?...ne  homines  quidem  censetis,  nisi  imbe- 
eilli  essent,  futuros  beneficos  et  benignos  fuisse? 

Für  die  richtige  Auffassung  dieses  Gebrauches  von  iste  ist  der 
Umstand  von  Gewicht,  dass  ja  auch  iuus,  vester  mit  Ironie  oder 
Geringschätzung  gebraucht  wird,  wo  dies  eben  durch  das  gegen- 
seitige Verhältniss  der  mit  einander  sprechenden,  resp.  streitenden 
Personen  bedingt  oder  begünstigt  wird,  z.  B.  Cic.  N.  D.  1,  ^.  110 
deus  vester  («»quem  vos  animo  fingitis,  aber  zugleich  mit  Gering- 


')  Der  Geg-ner  selbst  wird  freilich,  wenn  er  direct  ang^eredet  wird,  mit  tu  und  nicht 
mit  Ute  bezeichnet,  da  eben  Ute  «war  ein  demonstratives  Pronomen  der 
1.  Person,  aber  nicht  das  pertönliche  Pronomen  der  2.  Person  ist. 

10* 


136  Kvicalu 

Schätzung  gesagt)  nihil  agens.  ib.  §.  104  quaero  igitur,  vester  deus 
primum  ubi  habitet.  ib.  %.  61  Epicurus  yero  tuus. .  .quid  dicit»  quod 
non  modo  philosophia  dignum  sit,  sed  mediocri  prudentia?  ib.  ^.  99 
tuus  autem  deus  non  digito  uno  redundät,  sed  capite,  collo  cet.  Vgl. 
den  Gebrauch  von  aog,  z.  B.  Soph.  Ant.  673  a'^av  7c  Xrjnilg  xolL  at> 
xae  t6  adv  A^x^;.  Phil.  12S1  ^itv  r^  fex^iai  rdv  adv  06  rapßCi  fößov. 
Eur.  Hipp.  ii3  rr^v  aijv  Si  K6n:|9(v  k6}X  i^th  X'^^p^^^  X^eo.  Herakl. 
284  t6  aov  yäp  'Ap7o?  oi>  diSoix  iy6}»  Rhes.  866  cüx  oida, rovg  aoh^ 

Von  dem  oben  erwähnten  Gebrauche  des  üte  ist  aber  der  Fall 
zu  unterscheiden,  wenn  mit  iste  nicht  auf  etwas  der  zweiten  Person» 
die  man  direct  anredet,  Ängehöriges  hingewiesen  wird,  sondern  wenn 
sich  iste  auf  jene  Person  bezieht,  von  welcher  man  in  der  an  die 
zweite  Person  gerichteten  Rede  spricht.  Dies  findet  am  häufigsten  in 
gerichtlichen  Reden  statt,  wenn  der  zu  den  Richtern  sprechende  Red- 
ner seinen  Gegner  als  dritte  Person  mit  iste  bezeichnet.  Dass  iste 
auch  hier  seine  Beziehung  auf  die  zweite  Person  nicht  aufgibt,  ist 
sicher.  Wenn  z.  B.  Verres  von  Cicero  mit  iste  bezeichnet  wird,  so 
ist  es  eigentlich  n dieser  Mensch,  den  ihr  da  sehet,  über  den  ihr  ein 
Urtheil  zu  fallen  habet,  der  ein  Object  euerer  Wirkungssphäre  ist**. 
Dass  sich  hier  leicht  der  Begriff  der  Verachtung  beimischen  konnte^ 
ist  begreiflich.  Ähnlich  ist  Ter.  Andr.  prol.  IS  id  isti  vituperant  fac- 
tum und  V.  21  istorum  obscuram  diligentiam  zu  erklären;  das  Pu- 
blicum ist  der  Gerichtshof,  an  den  der  Dichter  dem  Tadel  der  Feinde 
gegenüber  appellirt. 

Die  von  Grysar  gegebene  Erklärung  kann  nicht  richtig  sein. 
nWoher  dies  Pronomen  zu  solcher  Function  gekommen,  ist  leicht  zu 
begreifen.  Da  wir  nämlich  die  zweite  von  uns  angeredete  Person  mit 
tu,  die  um  dieselbe  herum  befindlichen  Dinge  mit  iste  bezeichnen : 
so  liegt  allerdings  ein  bitterer  Hohn  darin,  wenn  wir,  gleichsam  yoq 
der  Person  absehend,  von  ihr,  wie  von  einem  in  der  Nähe  befindlichen 
Dinge  redend,  uns  des  iste  bedienen**.  (S.  76  f.)  Nach  dieser 
Erklärung  müsste  sich  ja  dasselbe  in  demselben  Maasse  auch  für  hie 
ergeben.  Der  Unterschied,  den  die  Redner  im  Gebrauche  von  hie  und 
iste  machen,  kann  nur  darin  liegen,  dass  hie  als  Pronomen  demonstr» 
der  ersten  Person  (wie  o$e)  die  in  die  Sphäre  des  Redners  gehörige 
Person,  den  dienten,  bezeichnet,  von  welchem  naturlich  der  Redner 
achtungsvoll  und  sympathisch  sprechen  muss,  während  für  iste  das 


UBtersncbungcn  auf  d.  Gebiete  derPronomina,  beaonders  der  lateinischen.     1  3  T 

oben  Gesagte  gilt.  Noch  weniger  annehmbar  ist  Herzog's  von  Grysar 
mit  Recht  verworfene  Erklärung  (zu  Caes.  B.  G.  3,  11),  dass  der 
genngsehätzigen  Bedeutung  von  igte  ein  „Herunterschauen'',  das  in 
iäe  liegen  soll,  zu  Grunde  liegt. 

Zu  dem  Gesagten  mögen  noch  folgende  Bemerkungen  hinzu- 
gefügt werden : 

aj  Auch  da,  wo  iste  mit  Ate  oder  ille  gleichbedeutend  zu  sein 
scheint,  wird  sich  meist  eine  Beziehung  auf  die  zweite  Person, 
uamlich  auf  den  Leser,  annehmen  lassen,  wie  Hör.  Ep.  1,  6,  67 
oder  2,  2,  90.  Es  muss  auch  nicht  ein  bestimmter  Leser  sein,  an 
den  die  Schrift  gerichtet  ist,  sondern  es  kann  irgend  ein  beliebiger 
Leser  gedacht  werden.  Dieser  Gebrauch  beruht  auf  demselben 
Priocip  wie  die  Anwendung  der  zweiten  Person  des  Verbs  in  dem 
Sinne  von  „man**.  Bei  schlechthin  objectiver  Erzählung  oder  Dar- 
stellung, wo  eine  Beziehung  auf  die  zweite  Person  nicht  zulässig  ist,  ^ 
irird  sich  in  älterer  Zeit  Ute  wol  nirgends  finden. 

bj  Oft  kann  man  iste  passend  durch  den  ethischen  Dativ  tibiy 
vobis  erklären  und  ersetzen.  Wenn  z.  B.  Livius  22,  60,  28  sagt 
„haec  vobis  ipsorum  per  biduum  militia  fuit^,  so  könnte  auch 
gesagt  werden  „ista  (die  euch  eben  geschilderte)  fuit  militia.'' 

c)  Nach  gutem  Sprachgebrauche  kann  man  nicht  ohne  weiters 
iste  anwenden^  um  irgend    eine    Person    mit  Geringschätzung  zu 
bezeichnen.  Wenn  ein  neuerer  Schriftsteller  z.  B.  den  Catilina,  um 
seine  Verachtung  gegen  denselben   an   den  Tag  zu  legen,  in  einer 
Erzählung  mit  iaie  bezeichnen  wollte,  wäre  dies  ein  Verstoss  gegen  « 
die  gute  Latinität.  Nur  dann  konnte  iste  Catilina  in  diesem  Falle 
gesagt  werden,  wenn  der  Schriftsteller  gegen  Jemand,  der  sich  des 
Catilina  annimmt,  direct  polemisieren  würde  „dieser  dein  Catilina**. 
Wenn  nun  diese  Beziehung  auf  die  zweite  Person  ein  so  wich- 
tiges, dem  iste  zukommendes  Moment  ist,  so  dfirfte  wol  die  gewöhn- 
liche Ansiebt,  dass  der  zweite  Bestandtheil  von  i«^^  dem  Demonstrativ- 
stamm   der    dritten   Person    ta  angehört,  nicht  die  richtige  sein, 
sondern   man  wird  vielmehr  annehmen  mtlssen,  dass  te  mit  dem 
Pronomen  der  zweiten  Person  tu  zusammenhängt.  Dasselbe  mit  tu 
zusammenhängende  te  findet  sich  in  tute,  Dass  das  te  von  tute  nicht 
von  dem  Demonstrativstamm  ta  herrührt,  sondern  dem  Pronomen  tu 
entnommen  ist,  wird  von  Pott  u.  a.  mit  Recht  behauptet,  da  tute^  tete 
offenbar   eine  solche  Verdoppelung  ist,  wie  meme^  sese,  emem  skr. 


138  RT/^al« 

Gen.  müma,  red.  Abi.  mamai.  Für  die  Trennung  des  ie  in  iste  ron 
te  in  tuie  kann  man  aber  keinen  anderen  Grund  anfuhren,  als  den» 
dass  der  zweite  Theil  von  iste  decliniert  wird,  so  dass  deshalb  dies 
ie  «nicht  starrer  Anhang,  sondern  eine  specieil  dem  Nom.  Sing. 
Masc.  eigene  Abschwächung  der  Endsyibe  des  deelinabeln  Stammes 
M^o-"  zu  sein  scheine  (Merguet  S.  148).  Aber  ungeachtet  dieses 
äusserlichen  Unterschiedes  kann  der  zweite  Theil  von  tuie  und  isie 
identisch  sein;  man  braucht  eben  nur  anzunehmen,  dass  bei  iste 
dasselbe  eingetreten  ist,  wofür  sich  viele  Beispiele  in  den  Sprachen 
finden,  nämlich  Declinierung  eines  ursprünglich  indeclinablen  Elements. 
Die  wichtigste  Analogie  ist  die  zunäcbstliegende,  nämlich  ipse  <)>  das 
in  der  späteren  Zeit  die  ursprüngliche  Indeclinabilität  des  zweiten 
Theils  auch  lediglich  im  Nom.  Sing.  Masc.  zeigt  und  sonst  (mit  Ausnahme 
von  ipsum  opp.  istud)  ganz  dem  isie  gleicht;  aber  die  erhaltenen 
Formen  eumpsey  eampae,  eopse,  eapse  zeigen  noch  die  ältere 
Sprachstufe.  Wollte  man  aber  einwenden,  dass  die  Annahme  ur- 
sprünglicher Flexionslosigkeit  des  zweiten  Theiles  von  isie 
unwahrscheinlich  sei,  weil  sich  gegenüber  den  Formen  eumpse, 
eampse  nicht  Formen,  wie  eumie^  eamie  erhalten  haben :  so  würde 
man  mit  demselben  Recht  gegen  die  gewöhnliche  Erklärung, 
isie  sei  aus  isios,  istus  entstanden,  einwenden  können,  dass  sich 
isius  nicht  findet;  und   darüber  könnte  man  sich  wohl  mit  mehr 


9  Andere  Analoj^ten  sind  z.  B.  die  Formen  roio-cTco-i  Od.  f  93,  TüXv^tWi  Od.  ß  47, 
röjvdecüv   Ton    Alkaios  gebraucht  (nach  Anecd.  Gz.  1.  253,  19),  das  afghanisehe 
hagha,   fem.  haghiy  plur.   haghd  (Bopp   2,    102   Anm.).    Vergl.  weiter   «libnl^. 
klldaago,  kildomu,  texdech'b,  wosu  Miklosich  (111,  64)  bemerkt:  .Man  vergleiche 
das  altcech.  k  tobe  sim  (ad  semet  ipsos)  fQr  Ar  »M  «i,  ferners  oni-zim^  otu^xek^ 
0Hi-zimi  bei   ragvsaniscben  Sehriftsellem  fOr  oh«k%  sh,  oa»x%  sa,  obmui  sk.**  ^ 
dann   altbulg.  onMica    (Miklosich   III,   6S),  serb.   tizijehj  titijem,    tvojizih  a«  n. 
(Hikl.    111,  253   und   IV,  118),  das  altböhm  onsoA,  oneek  (a.  B.  Genet.  od  oaseha 
Jindficha;  vergl.  Jnngm.   Lex.),   das   bdhm.    poss.    Pron.  jcji  (eins,  «ur^O«    de* 
jetat  durchweg  declinirt  wird,  wihrend  diese  Form  als  poss.  Gen.  fem.   in   der 
alteren  Sprache  undeclinirt  blieb.  Gegenwirtig  hört  man  in  der  gemeinen  Sprache 
auch  einen  von  dem   possessiven   Gen.   plur.  jejieh  (eorum,  earum)  gebildeteii 
Accus,    jejieh'ho    und   Dat.  jejiek-mu.    —   Erinnern  kann  man  auch  daran,    das» 
X.  B.  tempert  (ein  Locativ)  den  Comparativ    temperiue   annimmt,    dass    nequ^nt 
(eig.  =  nullo  loco,  dann  attributiv  hämo  neguam  =s  homo  qui  nnllo  loco  habetur) 
einen    Compar.    neginor    und    Superl.    nequioHmm»    bildet,  als    gibe   ea    einen 
PosiUv  *  nequuo.  (Vergl.  Zeitschr.  f.  d.  dst.  Gymn.  1864  S.  317.) 


Untenuchanpen  unf  d.  Gebiete  der  Pronomina,  besonders  der  lateinischen.     1 39 

Recht  wundern ,  da  nicht  bloss  oUus  sich  erhalten  hat,  sondern  ipse 
sogar  die  ihm  eigentlich  nicht  zukommende  Form  ipaus  annahm. 

Es  fragt  sich  nun  aber,  welcher  Casus  te  in  tute,  Ute  sei.  Ich 
glaube,  der  Abiatiy,  sei  es  dass  die  ursprQngliche  Länge  fe  (d)  sich 
gekürzt  hat  (vergl.  sed  in  seditio  und  die  Conj.  sSd,  beides  der  Abi. 
des  Reflexivpronomens,  Corssen  Ausspr.  I,  334),  oder  dass  tid 
ursprQnglich  kurz  war  (vergl.  die  Ablative  im  Skr.  mdt,  tvät)  und 
nach  Analogie  der  Nomina  eine  Dehnung  erfuhr  (Merguet  S.  143). 
Für  die  Annahme  der  Ablativform  dieses  te  spricht  met^  das  wol 
aueh  der  Ablativ  von  ama  ist  (Bopp  II,  114;  Pott  I,  838).  Über 
sma  urtheilt  Pott  (I,  837)  richtig,  dass  es  sich  kaum  anders  denn  als 
ein  steigerndes  Moment  auflassen  ISsst,  ungefähr  im  Sinne  von  ip9e. 
Demnach  wäre  egomet  „ich  von  (mir)  selbst,  ich  von  meiner  Seite 
selbst,  vosmet  ^ihr  von  euerer  Seite  selbst".  Ist  diese  Auflassung 
richtig,  so  wird  auch  te  in  tute  (und  iste)  nichts  anderes  als  der 
Ablativ  sein,  zumal  da  tutemet  vorkommt,  bei  welcher  Form  doch 
die  Annahme,  dass  te  derselbe  Casus  wie  met  sei,  sehr  wahrschein- 
lich ist.  Darnach  fasse  ich  auch  iste  in  der  ursprünglichen  Bedeu- 
tung 18  ex  tua  parte  auf. 

Wer  den  Zusammenhang  des  te  in  Ute  mit  dem  Pron.  tu  nicht 
anerkennt,  zugleich  aber  erwägt,  dass  dem  Sprachgebrauch  zufolge 
iste  wirklich  das  Pronomen  demonstrativum  der  zweiten  Person  ist, 
der  musste  annehmen,  dass  das  Sprachgefühl  durch  den  Gleichlaut 
irregeleitet  das  te  von  üte  für  dasselbe  Element  wie  in  tute  hielt  und 
demgemäss  dem  i$te  die  Bedeutung  zuwies,  die  es  hat.  Man  wird 
aber  wol  zugeben,  dass  eine  Erklärung,  die  eine  solche  Verirrung 
des  Sprachgebrauchs  nicht  voraussetzen  muss,  ceteris  par'ibus  von 
vornherein  den  Vorzug  verdient. 

Meiner  Meinung  nach  hängt  auch  ourog  mit  dem  Pron.  pers.  rO 
(Stamm  tva«)  zusammen.  Auf  diese  Weise  erklärt  sich  wol  die 
Entstehung  des  ouro^  wahrscheinlicher,  als  wenn  man  mit  Benfey 
(Wurzellex.  I,  281)  die  vedische  Partikel  u  zu  Hilfe  nimmt  (die  im 
Griechischen  nicht  nachweisbar  ist)  und  ouro^,  aCirif?»  rovro  aus 
•a-^-^as,  sä-^'tä,  ta-u-tad  entstehen  lässt  <).  Ich  nehme  an,  dass 


*)  Dieser  Krkllmng  Beafey^s  pflichtet  auch  Sonne  (Kuhn's  Zt.  12,  270  ff.)  bei ;  denn 
obswar  er  den  Hergang  bei  der  Entstehung  der  griechischen  Formen  anders  auf- 
fsMt  ak  Benfey,  so  nimmt  er  doch  dieselben  constitnirenden  Elemente  an.  Hoppes 
Erklärung  ({.  344),  dass  ouro^  =  6  avrog  sei,  und  M.  SchmidVe  Auffassung,  dasa 


140  Rrf^al« 

oirog,  roOro  aus  den  Elementen  sa  (ta)  und  tva  entstand,  also  oOrog 
aus  der  Grundform  satvas^  durch  Metathese  des  v  (u)  sautas. 
Bezuglich  dieser  Metathese  vergleiche  z.  B.  oxikoq  ==  '^okfog  = 
"^dXpog  =  sl^t.  sarvas.  Das  erste  Element  von  oirog  (d  =  sa, 
ro-  =  ta-)  blieb  undecliniert,  da  beide  Elemente  innig  verschmolzen. 
Auch  raOra  bildet  wohl  nicht  (wie  Sonne  annimmt)  eine  Ausnahme 
davon,  sondern  es  zeigt  diese  Form  den  ersten  Theil  nur  scheinbar 
decliniert;  in  Wirklichkeit  hatte  wol  auf  diese  Form  das  einfache 
Pronomen  rd  nur  insofern  einen  Einfluss,  dass  raOra  der  Analogie 
von  rd  folgte  und  sich  dieser  Form* nach  Möglichkeit  assimilierte. 
Der  Einfluss  dieser  Analogie  von  6  zeigt  sich  ja  auch  in  den  Formen 
ouTog,  aÖTTfj,  ToöTo,  O'jroc,  aurat,  dagegen  dorisch  tovtoi  (wie  auch 
rot),  raörat  (wie  auch  raf).  —  Diese  Erklärung  des  Ursprungs  von 
oOrog  wird  durch  den  Sprachgebrauch  bestätigt.  Vielfach  haben 
bereits  Erklärer  und  Lexikographen  auf  den  analogen  Gebrauch  von 
ouro^  und  igte  aufmerksam  gemacht.  Besonders  beachtenswerth  aber 
ist,  dass  oCrog  in  der  Anrede  oft  =  heus  tu^  du  da  gebraucht  wird, 

wie  Aisch.  Suppl.  889  ourog,  ri  nocetg;  Soph.  Ai.  71  ouro^,  (je 

jrpofffJLoXstv  xald.  i047  outo^,  ai  ywvw.  Plat.  Symp.  init.  6  ^odripevg 
ouTo^  ^Ano\\6Sü}pog,  oO  nepiiiivetg;  Prot.  310  B.  'Innoxparng  ouro^, 
fjLT^  Ti  v£WT£pov  dyyi'kXetg;  dagegen  wurde  oös  (wie  hie)  sehr  oft  mit 
Bezug  auf  die  erste  Person  gebraucht. 

Ipse. 

Bopp*s  Erklärung  (II,  131),  dass /i«^  aus  dem  Pronominalstamm 
sva  durch  Umstellung  entstanden  sei,  wie  syrak.  ^iv  =  afiv  =  afjv, 
wird  allgemein  für  unzulässig  gehalten.  Gewohnlich  nimmt  man,  und 
wohl  mit  Recht,  an,  dass  -pae  mit  -pte  identisch  ist.  Für  diese  An- 
sicht spricht  die  ähnliche  Verwendung  beider  Partikeln  (beide  werden 
nur  an  Pronomina  angehängt :  fnepte,  mihipte,  Cato*s  vopte^  meopie, 
suopte  und  ebenso  i(s)p8e  und  auch  aepse)  und  die  gleiche  Bedeu- 
tung derselben;  so  sagt  Fest,  p.379  nvopte  pro  vos  ipsi  Cato  posuit."" 
Das  8  von  ia  ist  in  ipae  eben  so  geschwunden  wie  in  vopie,  idem. 
Die  Veränderung  von  pte  in  pae  könnte  freilich  auffallend  erscheinen, 
da  pt  im  Latein  im  Inlaut  nicht  unbeliebt  war,-  aber  vergl.  capaa, 

ovTog  eigentlich  o-Tog,  a-n^,  rö-ro,  das  u  aber  der  Euphonie  halber  eingeachoben 
sei,  finden  keinen  Anklang. 


Unieniicbiingen  auf  d.  Gebiete  der  Pronomina,  besonders  der  lateinischen.     141 

eap9U8,  lapsus  neben  scriptus  (Corssen,  krit.  Beitr.  S.  420);  zudem 
kann  in  der  Toraosziisetzenden  Form  *ispte  das  «,  das  freilich  selbst 
rerschwand,  die  Änderung  des  t  veranlasst  haben. 

Pte  nun  wird  in  Zusammenhang  gebracht  mit  skr.  patis.  Trofft^, lat- 
poHs;  namentlich  aber  verweist  man  auf  das  lit  päis,  fem.  pati^ 
das  neben  der  Bedeutung  „Gatte,  Gattin*«  auch  die  Bedeutung 
^selbst*«  hat.  Ich  halte  die  Zusammenstellung  von  pte,  älterem  poie 
mit  dem  Stamme  pati-  für  richtig,  glaube  jedoch  nicht  an  die  Rich- 
tigkeit der  unmittelbaren  Vergleichung  des  lateinischen  und  litauischen 
Sprachgebrauchs.  Im  Litauischen  hat  sich  wirklich  aus  der  Bedeu- 
tung ,,H  err*,  die  man  neben  der  wirklich  vorkommenden  Bedeutung 
^.Gatte"  annehmen  muss,  die  Bedeutung  „selbst"  entwickelt,  wah- 
rend für  das  Latein  eine  solche  Annahme  schon  durch  die  ursprüng- 
liche Indeclinabilität  des  -pse  (und  darin  liegt  ein  wichtiger  Unter- 
schied vom  Litauischen)  unwahrscheinlich  wird.  Dass  das  Substantiv 
päts  geradezu  die  Geltung  des  Pron.  „selbst  annahm,  ist  eine 
specifiseh  litauische  Erscheinung,  tlie  auf  das  Latein  auszudehnen 
mau  nicht  berechtigt  ist,  wenn  sich  in  dieser  Sprache  keine  that- 
sächlichen  Belege  oder  beweiskraftigen  Analogien  dafür  6nden.  Und 
sie  finden  sich  nicht;  denn  dass  umgekehrt  im  Latein  ipse  (wie  im 
Griech.  aOrö()  den  Herren  im  Gegensatz  zum  Gesinde,  den  Meister 
im  Gegensatz  zu  den  Schulern  bezeichnet  i)>  kann  ja  nicht  als 
Beweis  dafür  gelten ,  dass  hier  auch  die  Umkehrung  dessen  einmal 
möglich  war,  und  dies  um  so  weniger,  da  auch  die  anderen  ver- 
wandten Sprachen  keine  ganz  zutreffende  Analogie  aufweisen,  so  dass 
man  es  wie  gesagt,  hier  nur  mit  einer  speciell  litauischen  Entwick- 
langsphase  zu  thun  hat. 

Das  alte  in  täpote  erhaltene  pote,  woraus  durch  Synkope  pte 
ward,  ist  das  regelrechte  Neutrum  des  Positivs  potia.  Aber  freilich 
dringt  sich  hier  die  Frage  auf,  ob  diese  Auffassung  zulässig  ist.  Von 
nanehen  Gelehrten  wird  Corssen*s  in  Kuhn*s  Ztsch.  3,279  aus- 
gesprochene Ansicht  gebilligt:  „Auch  pot-is,  das  ffir  alle  drei  Ge- 
schlechter, ftir  Einzahl  und  Mehrzahl  stets  dieselbe  Form  behält,  kann 


')  Z.  B.  Plant.  Ca«.  4,  2,  11  eo,  quo  me  ipsa  miait.  Ter.  Andr.  2,  2,  23  ipntM  triatia 
PUC  Prot.  314  D  ou  ^XoKii  aur^  Gorg.  511  D.  Ariat.  Nub.  219  and  daa  bekannte 
adrig  ei^o,  tod  Cic.  N.  D.  1,  5,  10  „ipae  dixit''  überaetxt.  Über  einen  ibnlicben 
Gebraneh  dea  alar.  aaml  verf^l.  Miklosicb  IV,  98  und  die  Ton  Zikmand  (Skladba. 
f.  ist,  3,  Anm.  3.  S.  345)  angeführten  SteUen. 


142  KTi'c.ia 

ich  nur  als  Comparativbildung  erklären,  und  pot-iua  ist  eine  Erneue- 
rung des  Comparativs,  wie  sai^ius  neben  sat-is^  sec-ius  neben 
seC'Us^.  Aber  hiebei  ist  die  wichtige  Stelle  Varro's  L.  L.  5,  10,  58 
übersehen  worden:  ,.et  hi  quos  augurum  libri  scriptos  habent  sie: 
diüi  qui  poies  pro  illo,  quod  Samothraces  ^£o^  duvderoc*'.  Ferner 
spricht  der  thatsächliche  Gebrauch  von  poti8,pote  gegen  die  Ansicht, 
dass  diese  Formen  Comparative  sind  und  zu  Gunsten  der  Annahme 
des  Positivs,  z.  B.  Ennius  bei  Diom.  381  quis  potis  ingentes  oras 
evolvere  belli  »  rc;  duvarög.  Lucr.  3,  1092  nee  devitari  letam 
pote  s=  ojjSi  duvaröv.  Der  von  Corssen  hervorgehobene  Grund,  dass 
potis  unverändert  bleibt  (aber,  wie  die  Stelle  Varro's  zeigt,  nicht 
immer!)  lässt  sich  entkräften. 

Die  lateinische  Sprache  behandelte  das  als  gemeinschaftliches 
Erbgut  Qberkommene  potis  (es  ist  nämlich  nicht  zu  bezweifeln,  dass 
dies  Wort  mit  skr.  patis,  n6atg,  lit.  päts  identisch  ist)  als  ein  Adjec- 
tivum  (siehe  Varro*s  Stelle)  und  zwar  zunächst  wohl  als  ein  Adjee- 
tivum  einer  Endung  für  alle  Geschlechter,  ebenso  wie  dives^audax^ 
ienax  u.   s.   w.  ungeachtet  des  geschlechtigen  s  doch  auch  für  das 
Neutrum  gelten  (Merguet  S.    119  f.)  Daneben  machte  sich  freilich 
auch,  da  potis  sum  gewiss  ungemein  häu&g  gehraucht  wurde  und 
da  man,  mochte  das  Geschlecht  welches  immer  sein,  stets  nur  die 
Form  potis  hörte,  der  adverbielle  Gebrauch  des  potis  im  Sprach- 
gefühle geltend  (vgl.  semis,  das  auch  indeclinabel  gebraucht  wird), 
und  daraus  erklärt  sich  die  Verbindung  des  potis  mit  dem  Plural, 
z.  B.  Plaut.  Poen.  1,  2,  17  duae  plus  satis  dare  potis  sunt.  Gewiss  ist 
hier  jio^ts  esse  nach  Analogie  solcher  Verbindungen  aufzufassen  wie 
Plaut.   Amph.   2,  1,  87  sie  sum  ut  vides.  Liv.  2,  28,  1  frustra  id 
inceptum  Volscis  fuit.  Cic.  Rose.  Am.  5,  11  omnes  hanc  quaestionem 
haud  remissius  sperant  futuram.  Tac.  Ann.  1,  72  dicfa  impune  eraiit, 
wo  esse  nicht  die  Geltung  der  blossen  Copula  hat,  sondern  die  starke 
Bedeutung  „stattfinden  oder  sich  verhalten*'.  Ähnlieh  sank  damnatus 
(damnatos)y  als   es  zu  damnas  verstümmelt  ward  und  dadurch  die 
Unterscheidung  der  Geschlechter  im  Singular  einbüsste,  im  Sprach- 
gefühl zu  einem  Adverb  herab  und  es  wurde  sodann  auch  die  Formel 
damnas  sunto  gebraucht. 

Neben  dem  adjectivischen  potis  entwickelte  sich  aber  nach 
Analogie  der  im  Latein  sehr  beliebten  Adjectiva  zweier  Endungen 
auf  -M,  -e  auch  die  Form  des  Neutrums  pote^  da  hier  dieser  Bildung 


l'otersacbangen  auf  d.  Gebiete  der  Proqomina,  beaoDdera  der  lateinUcben.     1 4 $ 

iüehts  im  Wege  stand,  während  bei  audax  und  ähnlichen  Adjectiren 
eine  Unterscheidung  des  Neutrums,  die  auf  der  älteren  Sprach- 
stufe —  *audacisf  *audace  —  möglich  war,  nicht  mehr  Platz  greifen 
konnte.  —  Eine  Analogie  bietet  dia  (aus  ditis  zunächst  entstanden) 
dar»  neben  welchem  auch  das  Neutrum  diie  (solum  Val.  Fl.  2,  296} 
sich  findet;  man  kann  sagen  potis  (^iner  Endung) :  poti8,  e  ==>  divesr 
dit,  diie. 

Die  Möglichkeit  der. Unterscheidung  des  Neutrums  vom  Masc- 
und  Fem.  hörte  auf  in  der  Form  pos  (com-pos,  im-pos)  <),  die  au» 
potU  durch  Unterdrückung  des  Vocals  sich  entwickelte,  wie  nostrasr 
Arpinas,  Tihura  aus  noslratis  u.  s.  w.  Neben  den  noch  wirklich 
erhaltenen  Formen  noatratisp  Atpinaiisp  Ardeatis  darf  man  auch  ein 
Neutrum  Arpinate  u.  s.  w.  annehmen,  wie  sich  solche  Beispiele  wirk- 
lieh in  Teate  Beate  erhalten  haben;  denn  diese  Stadtnamen  sind 
nichts  anderes  als  Neutra  der  Adjectira  Reatü  (über  deren  Ursprung 
Tgl.  Corssen  in  Kuhns  Ztsch.  10,  19),  TeatU, 

PotiSf  pote  hatte  ursprünglich  die  Bedeutung  „mächtig"  (die 
z.  B.  Verg.  Aen.  11,  148  vorliegt  «at  non  Euandrum  potis  est  vis 
uUa  teuere**);  es  nahm  aber  auch  die  passive  Bedeutung  „möglich*^ 
an,  wie  man  im  Griechischen  sowohl  duvaröc  siixi  (potis  sum)  als 
auch  iwaröv  iari  (pote  est  =»  es  ist  möglich)  Ondet;  derselbe 
Wechsel  findet  sich  bei  ddOvaro^.  So  Lucr.  5,  718  nee  potis  est 
cemi  (eig.  es  ist  nicht  machtig,  vermögend  gesehen  zu  werden** ; 
diese  Bedeutung  hat  die  Form  pote  gewohnlich. 

Den  Weg  zu  vollständiger  Erkenntuiss  der  eigentlichen  Geltung 
von  pte  bahnt  uns  pote,  da  diese  Form  in  einer  ähnlichen  Function 
in  der  Verbindung  utpoie  vorkommt  Die  eigentliche  Bedeutung  von 
utpote  »wie  es  möglich  ist"*  ist  noch  erkennbar  bei  Varro  bei 
Nonius  2,  876  viget  veget  utpote  plurimum.  Daraus  ergab  sich  die 
Bedeutung  „so  viel  es  nur  immer  möglich  ist,  ganz  und  gar  wie,  äre, 
&07e  (in  compar.  Sinne)^;  vgl.  Ztschr.  f.  d.  öst.  Gymn.  1864  S.  407. 

Pte  nun  nehme  ich  als  adverbiellen  Accusativ  in  der  Ursprung- 
liehen  Bedeutung  „mächtig**,  voraus  sich  die  Geltung  „sehr,  wahr- 


')  ?lock  eine  andere  Umgestaltung  erfuhr  potU^  indtfm  ea  zu  *  pea.  Gen.  *  pitia 
wnrde,  welche  Form  aich  nach  Coraaen'a  scharfsinniger  Erklfirunj;  (Krit.  Nachtr. 
S.  250)  in  ho»^es,  sos-pes  findet.  Mit  der  hier  eingetretenen  Abschwfichung  de» 
•rapränglichen  a  der  Wurzel  pa  au  t  (im  Nom.  e)  rergl.  dieselbe  Abschwiehung 
in  IHespUer^  Jupiter,  skr.  pitä. 


144  Rri^.I 


« 


lieh»  gewisw^,  gerade**  entwickeln  konnte,  so  dass  mihipte  (mir  gar 

sehr,  mir  gerade),  ipse  (er  gar  sehr,  er  gerade,  er  eben)  in  herror- 

hebendem,  restrietiven  and  eben  dadurch  einen  Gegensatz  zu  andern 

Personen  anzeigenden  Sinne  gebraucht  ward.  Von  den  zahlreichen 

Analogien,  die  sich  hiefur  anfuhren  lassen,  ist  besonders  der  ahnliehe 

Gebrauch  von  potissimum  hervorzuheben«);  tp^ekannmanfQglichmit 

is  potiasimum  vergleichen  oder  auch  mit  maxime^  das  den  Wortern 

nunc,  tum,  quum  in  der  hervorhebenden  Bedeutung  „gerade,  eben" 

beigegeben  wird.  Vgl.  z.  B.  Plaut.  Men.  S,  9.  68  ut  nunc  maxime 

memini  und   Cic.   Att.  7,   3  quin  nunc  ipsum  non  dubitabo  rem 

tantam  abiicere,   oder  tum  maxime  mit  tum  ipsum.  Ferner  ist  der 

heiTorhebende  Gebrauch  von  |idXa  und  |idXi(7ra  zu  nennen  (z.  B. 

Tt  yidhdTa;  quid  potissimum?)  so  wie  der  von  xdpra. 

* 

Ezcurs  I 

iber  die  Präposition  com  ond  verwandtes. 

Es  hat  hat  bereits  Ahrens  (Kühnes  Zt.  8,  337  Anm.)  cum  auf 
skr.  ika  zurückgeführt.  In  dieser  Fassung  ist  freilich  diese  Ansicht 
nicht  richtig,  ebenso  wie  Ahrens  irrthümlich  (S.  336)  lat.  quia  (rig) 
durch  Aphärese  des  anlautenden  Diphthongs  aus  aequ-isp  got.  hvaa 
aus  iihv-as  erklsirt.  Es  ist  vielmehr  cum  bloss  auf  den  Stamm  ka 
(der  eben  den  zweiten  Theil  von  eka  bildet)  zuruckzuführen*und  dem 
Stamme  ka  die  Bedeutung  des  Zahlwortes  unus  zu  vindicieren,  wie 
auch  für  das  inde6nite  quis,  qui  als  Vorstufe  die  Bedeutung  ^iner 
anzunehmen  ist.  Ich  wage  nicht  zu  entscheiden,  ob  com,  cum  eine 
verstümmelte  Locativform  (Benfey  in  Kuhn's  Zt.  7.  127)  oder  der 
Accusativ  neut.  oder  der  Nominativ  neutr.  sei.  Im  ersten  Falle  wurde 
als  Grundbedeutung  von  cum  sich  ergeben  „\n  i  inem,  in  Verbin- 
dung (vgl.  lat  unä,  d^xcO,  öfxfi),  im  zweiten  ^in  ^ins,  zusammen  (in 
unum,  ccV  fv),  im  dritten  ^^ins**.  Die  zweite  Auffassung  scheint  mir 
die  beste  zu  sein. 

Was  nun  die  nicht  zu  umgehende  Frage  über  das  gegenseitige 
Verhaltniss  von  skr.  sam,  ouv,  slav.  si>,  fuv,  cum  betrifft,  so  bietet 
hier  das  von  Bopp  zur  Vergleichung  herbeigezogene  vedische  sakdm 


^)  An  den  Gebranch  von  potissimum  und  maxime  hat  schon  Ebel  in  geiner  Erklärung 
des  ipse  (Kuhn*«  Zt.  6,  209)  erinnert,  der  eher  pote  für  das  Neutrum  des  Compa» 
rattTS  hilt. 


Uotenuchnngen  auf  d.  Gebiete  der  Pronomiot,  besonders  der  laieioiscbeo.      1 4  S 

eine  wesentliche  Hilfe.  Freilich  darf  man  nicht  mit  Bopp  (3,  SOS) 
am  aus  säkdm  durch  Unterdrückung  der  ersten  Sylbe  entstehen 
lassen  (was  auch  Schweizer  in  Kuhn*s  Zt  9,  70  thut,  indem  er  com 
ans  iiom  erklärt,  und  ebenso  L.  Meyer  1,  189). 

Pott  äussert  sich  (I,  S.  849)  zweifelnd:  „Es  ist  bereits  der 
Schwierigkeit  gedacht,  welche  Lat.  cum  (in  Comp,  com-)  und  die 
so  eben  besprochenen  keltischen  Wörter  in  Bezug  auf  ihren  Ursprung 
darbieten.  Wir  wollen  annehmen,  ^6v  entspreche  dem  Skr.  adkamw 
dagegen  a6v ....  etwa  dem  einfachen  sam-.  Dann  mussten  xocvj;, 
Lat.  cum  u.  s.  w.  sich  des  Zischlautes  entledigt  haben»  und  wir  hätten 
es  in  ihnen  eigentlich  nur  mit  dem  unwesentlichen  (?)  Theile  des 
Wortes,  nämlich  nur  mit  dem  Suffixe  (?)  ohne  den  athroistischen 
Kern  zu  thun**,  und  S.  8S8 :  »Eine  gewisse  Zusammengehörigkeit 
Ton  Lat  cum»  com-,  Kelt.  com,  Germ,  i^a- (nur  untrennbar)  und 
SlaWseh  ko»  k  (nur  getrennt)  wird  sich  kaum  in  Abrede  stellen  lassen. 
Auehdrängt  sich  xotvög heran,  und  C6v,  (76v  lassen  sich  nicht  ohne  Wei- 
teres abweisen.  Wir  haben  gesehen,  dass  sich  letztere  mit  Skr.  sdkam 
vermitteln  lassen,  und  auch  für  die  Reihen  ohne  Zischlaut  liegt  im  All- 
gemeinen dazu  die  Möglichkeit  vor.  Das  Befremdende  hiebei  wäre  f&r 
mich  nur  hauptsächlich  die  einmüthige Stetigkeit  in  dem  Fortlassen 
der  ersten  Sylbe  in  sogar  vier  Sprachkreisen''.  Corssen  (Krit.  Beitr. 
S.  457)  hält  den  Abfall  des  anlautenden  s  bei  cum  für  wenig  erwiesen : 

Diese  Bedenken  werden  gegenstandslos,  wenn  man  folgende 
Gleichungen  annimmt; 

1.  Nur  ?6v  a«  säkam  (|6v  steht  für  *(jxüv,  vgl.  fiyo^ — axifog 
Curt  Etym.  2,  268  f.) 

2.  com  (cum),  kelt.  com,  slav.  ki»,  germ.  ga»  ge  ist  auf  die 
Grundform  kam  zurückzuführen.  Dies  kam  hatte,  wie  oben  erwähnt, 
die  Bedeutung  ^in  eins,  zusammen*'  und  demnach  schon  an  und  fllr 
sich  einen  athroistischen  Kern.  Skr.  säkdm  ist  eine  energische  Wie- 
derholung des  Moments  der  Zusammenfassung,  wie  dies  nicht  selten 
ist;  vergl.  mitsammt,  dt/xa  a6v,  una  cum,  lit.  drangi  sü  (Schlei- 
eher,  Lit.  Gr.  S.  290),  böhm.  spolu  8  nim,  Koivö^,  zunächst  aus 
*%9vcc^,  fuhrt  auf  eine  Grundform  kamjas  zurück;  die  Bedeutung  ist 
»in  eins  zusammengefasst,  in  unum  collatus«,  daher  „gemeinschaft- 
lich", wie  |uv6^  mit  f6v  zusammenhängt  *)• 

')  Ob  4m»  ResulUt  von  Ahrens*  Untersochaag  (Kahn*«  Zt.  3,  164),  d«M  dem  Grtech. 
racb  die  Fom  xvv  lo  Tindiciren  sei,  richtig  ist,  moss  dahingestellt  bleiben.  Es 


146  Kvf^ala 

3.  9UV,  s'B,  lit.  s&  =  sam. 

Die  Schwächung  eines  ursprungliehen  oc  zu  u  in  ^Ov^  (jOv  findet 
Pott  (I,  841)  bedenklich,  weil  kein  Beispiel  vorhanden  sei,  wo  der 
Wechsel  von  u  statt  o  eine  Flexionsendung  der  2.  Declination  träfe. 
Aber  das  Bewusstsein,  dass  es  Casusformen  sind,  war  längst 
geschwunden,  und  demnach  darf  man  solche  Analogien  wie  5vuC 
(vergl  Curl.  2,  287)  und  äolische  Formen  wie  rOre  (=  rörs)  für 
hinreichend  halten. 

Mit  dem  Stamme  ka  parallel  geht  Stamm  sa  sowol  bezuglich  der 
Bildung  der  Präposition  sam,  si>,  <jOv,  lit.  sh,  wie  auch  bezuglich  der 
fiir  sam  anzunehmenden  Grundbedeutung,  ein  Umstand,  der  der  eben 
dargestellten  Ansicht  ober  die  Entstehung  und  Grundbedeutung  von 
4:um  zur  Bestätigung  dient.  Die  Grundbedeutung  der  Einheit,  resp. 
des  Zusamn\^nfassens  zu  einer  Einheit,  des  Vereinigens  zeigt  sich  in 
dem  Präfix  skt.  «a-,  griech.  a  (z.  B.  anag),  d  d^poiarixov  (z.  B. 
d'ieXfet6g). 

Vom  Stamme  sa  ist  der  Xccns.  sam  gebildet,  mit  welchem  tjv 
für  identisch  gehalten  werden  muss,  da  die  Übereinstimmung   in 
den  Functionen  (nach   Benfey  erscheint  sam  auch  als  Präposition 
mit  dem  Instrumental)  zwischen  sam,   tjv,  si».  sik  eine  gar  zu  ein- 
leuchtende ist.   Sobald   nun  sam  nicht  mehr  als  Casus,  sondern  als 
Adverb  in  der  Bedeutung  „in  eins,  zusammen^  gefühlt  wurde,  diente 
es  selbst  als  Grundlage  zur  Bildung  neiier  Worter,  in  denen  die 
Bedeutung  der  Einheit  vorhanden  ist,  wie  z.  B.  sim-plex,  sin-guU, 
sig  =  iv^  =  ijjL-^  (nach  Pott  und  Meyer,  Kuhn's  Zt.  5,  lÄl).  Ferner 
diente  sam  als  Grundlage  zur  Bildung  eines  neuen  Stammes  sama-. 
Das  m  wurde  hier  gerade  so  herubergenommen,  wie  dars  für  m  ste- 
hende V   von  ^6v  in  fuvö^  (und  ebenso   in  xoiv6g  =  xov-jog)  er- 
scheint,   oder  wie  das  fertige  Wort  UsX  (Locativ)  zur  Bildung  von 
ixslvcg  verwandt  wurde,  eine  überhaupt  nicht  seltene  Erscheinung. 
Auch   diesem   Stamme  sama-  ist  die  Bedeutung  der  Einheit  bei- 
zulegen, die  z.  B.  offen  vorliegt  im  slav.  sanrB  (urspr.  ^in,  allein, 

ist  mSglich,  dass  Kuvoupta  richtig  «Is  Mconfioium  Lncooiciie  et  Argolidis*  ge- 
deutet wird;  ober  sicherg^estellt  ist  dies  nicht,  dt  in  Ortsnamen  hiufig  xvcdv  vor<- 
kommt;  Terg^l.  Kuvoprcov,  Kuvä;  xf^aXai,  Kuv^ffoupa,  Kvvö;  T^fxa  and 
namentlich  Kuvoffoupia,  durch  welche  Form  die  von  Ahrens  gegebene  Deutung 
sehr  fraglich  wird.  Aach  xuva^x^  hat  nicht  zwingende  Beweiskraft.  Annehmbarer 
•durfte  die  Ton  Ahrens  ebend.  eruirte  kyprische  Form  xiv  sein. 


UBteniiclioBgen  »nf  d.  Gebiete  il«r  Pronomina,  besonders  der  lateinischen.     1  4  T 

dann  selbst;  vergl.  Miklosich  IV,  96  IT,)  Es  liegt  ferner  dieser 
Begriff  ^ins  zu  Grunde  den  indefiniten  Wörtern  afxoj^,  dtjuiö^ev  got. 
8um  (irgend  einer),  suman  (einst,  einmal);  vgl.  Curtius  Et.  1,  361. 
Der  Begriff  der  Vereinigung  (früher  getrennter  Theile)  ist  in 

2|Aa,  C^ACV,  6fXC3^  U.  S.  W. 

Aus  dem  Begriffe  der  Einheit  ergibt  sich  der  der  Iden- 
tität,  Gleichheit«  Ähnlichkeit;  vgl.  z.  B.  das  ist  alles  ^ins  i) 
(=  gleich) ;  Gleichheit  ist  die  Einheit  an  mehreren  Gegenstanden : 
so  Hör.  Canii.  1,  28,  IS,  omnes  una  manet  nox.  Cie.  Flacc.  26,  63 
onis  moribus  et  numquam  mutatis  legibus  vivunt  Hom.  II.  7  238  rd) 

Als  selbstständiges  Adverbium  hat  sich  cum  nicht  erhalten ; 
es  ist  aber  diese  Function  anzunehmen,  da  com  als  adverbielles 
Präfix  erscheint,  und  da  das  griechische  a6v  die  adverbielle  Geltung 
noeh  aufweist,  nämlich  in  aitv  $i  und  in  der  fälschlich  so  genannten 
Tmesis. 

Als  Präfix  bei  Verbis  und  Nominibus  zeigt  com,  con^  co  den 
Begriff  der  Vereinigung  sehr  deutlich,  z.  B.  coalescere  in  eins  ver  • 
wachsen,  coire,  cogere,  colligere^  coUegium.  Oft  wird  dieser  Begriff 
noeh  durch  in  unwn  oder  eine  ähnliche  Ausdrucksweise  wiederholt, 
z.  B.  Caes.  B.  G.  2,  S  cogere  copias  in  unum  locum  Sali.  Jug.  80 
eogere  multitudinem  in  unum.  Liv.  8,  11  conglobare  sc  in  unum. 

Zuweilen  bezeichnet  com  in  der  Composition  eine  vollkommen 
zu  Stande  gebrachte  Thätigkeit;  so  z.  B.  coacescere  »durch  und 
durch  sauer  werden",  collusirare  »ganz  auf  allen  Puncten  be- 
leuchten*, collaudare,  conficerct  comedere  (vergl.  bohm.  snfsti  für 
s-f  j^5ti=s  zosammenessen)  >).  Das  Mittelglied  ist  hier  das  Zusammen- 
fassen aller  einzelnen  Theile  des  der  Thätigkeit  unterworfenen  Objects 
oder  auch  das  Zusammenfassen  aller  Momente  der  Thätigkeit  selbst. 
Id  letzterer  Hinsicht  hat  nun  die  Sprache,  die  keine  besondere 
Aoristform  ausgeprägt  hat,  zuweilen  getrachtet,  das  Moment  des 
effectiven  Aorists  (so  bezeichnet  Curtius  passend  z.  B.  /reiaat  im 
Gegensatze    zu  nsläsiv)   durch  com  auzsudrücken,  wie  conßcere. 


0  Bbcaso  frans.  cV«#  uji,  itaJ.  mi  i  tutto  uno. 

*}  Zaweileo  schwicht  «ich  dies  Moment  so  «b,  dsss  dieHsndlvng  nur  als  eine  inten- 
■  ire  im  Ge^ensatse  xn  der  durch  das  einfache  Verburo  bexeichneten  Handlung  hinge- 
tteUt  wird,  wie  z.  B.  conclamare  (das  aach  die  Bedeutung  „'i^ut,  heftig  rufen" 
hat). 


148  Kr/^alt 

conspicere.  Zu  ähnlichem  Zwecke  werden  auch  andere  Präfixe  ge- 
braucht, Mie  per  (pervenire),  ob  (obstupui)  u.  s.  w.  Den  ausgedehn- 
testen derartigen  Gebrauch  von  den  Präpositionen  macht  bekanntlich 
das  Slavische,  dem  freilich  auch  noch  andere  Mittel  zur  Erreichung 
dieses  Zweckes  zu  Gebote  stehen.  So  gelangen  z.  B.  im  Böhmischen 
Praesentia  durativa  durch  Verbindung  mit  zahlreichen  Präpositionen 
im  Indicativ  zur  Geltung  eines  Futurs»  d.  h.  es  wird  auf  diese  Weise 
dasjenige  Stadium  bezeichnet,  in  welchem  die  durch  das  einfache 
Verbum  bezeichnete  dauernde  Handlung  das  angestrebte  Ziel  erreicht ; 
so  pfijdu  (ich  werde  ankommen),  dojdu  (ich  werde  hinkommen} 
vejdu  (ich  werde  eintreten),  sejdeme  se  (wir  werden  zusammen- 
kommen), opp.  jdu,  ich  gehe.  In  den  anderen  Modis,  sowie  im  In- 
finitiv und  Participium,  tritt  das  aoristische  Moment  hervor;  z.  B. 
pfijd'  SS  npofjeTJ^i,  vejdi  «=»  daeX^e^  gejiti  se  =»  frjvtkätlv.  Soll  in 
der  Zusammensetzung  mit  diesen  Präfixen  das  praesentische  (durative 
oder  iterative)  Moment  aufrecht  erhalten  werden,  so  müssen  andere 
Formen  des  Verbs  gewählt  werden,  wie  prichdzim  =  npofsipyipikOLi^ 
»chdzime  ««(durativ  oder  iterativ)  =»  ayvepypiii^a  (wir  sind  darin  be- 
griffen, uns  zu  versammeln  oder  wir  pflegen  zusammenzukommen), 
Bchdzivdme  se  (nur  iterativ)  kaiddho  dne  (wir  pflegen  täglich  zusam- 
menzukommen). 

Wenn  die  lateinische  Sprache  zuweilen  com-  in  ähnlicher  Ab- 
sicht verwandte,  so  wollte  sie  dadurch  das  Zusammenfassen  der  ein- 
zelnen Momente  zu  einem  Resultate,  den  von  Erfolg  begleiteten  Ab- 
schluss  einer  dauernden  Handlung  bezeichnen  (conficio  opp.  facio), 
und  das  dazu  gewählte  Mittel  ist  ohne  Zweifel  ein  sinniges. 

Die  Bedeutung  der  Gleichheit  und  Übereinstimmung,  die  manche 
Composita  mit  com"  haben,  hägt  mit  dem  Begriff  der  Einheit  zu- 
sammen (vgl.  dfjid)^,  GjULoeo^,  similis  u.  a.).  So  concolor  »was  ^ine 
Farbe  mit  etwas  anderem,  dieselbe  Farbe  hat),  Concors  einmuthig. 
Auch  in  condignus  liegt  wol  nicht  eigentlich  der  Begriff  ^sehr  würdig** 
(wie  Freund  im  Lex.  angibt),  sondern  con  bezeichnet  ngchmals  den 
durch  das  einfache  dignus  bereits  ausgedrückten  Begriff  der  Über- 
einstimmung mit  der  Sachlage,  der  Angemessenheit;  freilich  ist  es 
wahr,  dass  auf  diese  Weise  auch  eine  Verstärkung  des  Begriffes  von 
dignus  erzielt  wird.  Sehr  lehrreich  ist  commodus,  welches  Wort  die 
Übereinstimmung  mit  dem  gehörigen  Masse,  also  das  entsprechende 
Mass  bezeichnet,  z.  B.  commoda  statura  (Plaut.  Asin.  2,  3  21), 


UaterfrurhuDgen  auf  d.  Gebiete  der  Pronomina,  besonders  der  leteinUchen.     149 

conunodas  viginti  minas  argenti  (Plaut.  Asin.  3,  3,  134  d.  h.  die 
Zahl  der  Minen  stimmt  mit  der  Angabe  viginti  ganz  überein,  also 
ToUe  20  Minen) ;  vergl.  als  passende  Analogie  aOjui/xcrpog.  Das  adver- 
bielle  eommodum  bezeichnet,  dass  eine  Handlung  in  einem  dem 
Interesse  der  betreffenden  Person  entsprechenden»  dienlichen  Augen- 
blicke stattfindet,  also  z.  B.  ecce  autem  eommodum  aperitur  foris 
(Plaot.  Mil.  gl.  4,  4,  61  gerade  zu  rechter  Zeit,  iv  xaepo));  es  kann 
aber  eommodum  auch  bloss  ^just,  eben*'  bedeuten  ohne  jenen  Neben- 
griff. Die  Bedeutung  des  Adj.  commodQs  »bequem*'  und  des  Subst. 
eommodum  „Vortheil**  ergibt  sich  sehr  leicht. 

Das  Slayische  hat  von  der  Präposition  ätb,  die  mit  cum  etymo- 
io^sch  fibereinstimmt,  einen  anderen  Gebrauch  gemacht,  indem  kh 
nur  „ad**  bedeutet.  Auch  diese  Function  ergibt  sich  aus  dem  Begriffe 
der  (angestrebten)  Einheit,  der  Vereinigung. 

Eine  wichtige  Bestätigung  für  den  Zusammenhang  des  cum  mit 
dem  Zahlwort  der  Einheit  (d.  i.  mit  der  betreffenden  Function  des 
Pronominalstammes  ka)  bietet  das  entgegengesetzte  din-^  Sid,  ahd. 
2flr-,  ««•-,  skr.  ri-,  das  mit  dem  Zahlwort  der  Zweiheit  zusammen- 
bängt.  So  viele  Hauptfunctionen  com-  in  der  Zusammensetzung  hat, 
so  viele  Gegensätze  dazu  bietet  die-  dar. 

1.  Dem  Begriffe  der  Vereinigung  zu  einem  Ganzen  ist  die 
Trennung  eines  Ganzen  in  seine  Theile  entgegengesetzt;  so  digero 
opp.  amgerot  discumbo  opp.  concumbo  u.  s.  w. 

2.  Während  com-  Vollständigkeit  der  Handlung  oder  wenigstens 
die  Intensität  anzeigt,  bezeichnet  die-  nicht  selten,  dass  die  durch 
das  Simplex  angegebene  Handlung  oder  Eigenschaft  gar  nicht  statt- 
fiodet,  sondern  das  Gegentheil;  so  di/pdo  opp.  confido^  difßcilis, 
opp.  faciiiSj  discalceatus  opp.  calceatus,  dissimilis  opp.  similis. 

Freilich  bezeichnet  dis-  auch  zuweilen  eine  Verstärkung;  aber 
dazu  gelangt  dw-  auf  einem  ganz  anderen  Wege  als  com-.  So  ist 
zvar  discupio  durch  seine  energische  Bedeutung  dem  concupisco 
äbnlieh;  aber  es  ist  eigentlich  „vor  Sehnsucht  gleichsam  sich  auf- 
lösen« (sich  zerwünschen,  wie  Freund  passend  sagt;  vergl.  dirumpi 
dolore  (Cic.  Att.  7,  12,  3).  Distaedet  ist  in  seiner  Bedeutung  dem 
pertaedet  ähnlich,  aber  es  ist  gleichsam  =  dirumpi  taedio. 

3.  Dem  Begriffe  der  Gleichheit,  Übereinstimmung  steht  ent- 
gegen der  der  Ungleichheit,  Disharmonie.  So  discolor  (was  in  der 
Farbe  von  etwas  anderem  sich  unterscheidet,  wie  z.  B.  Ov.  Trist. 

SHife.  d.  phU.-Uftt.  Gl.  LXV.  Bd.  I.  Hft.  11 


150  KT^^ala 

K,  K,  8;  2,  477  oder  auch  was  selbst  verschiedene  Farben  hat» 
z.  B.  Plin.  10,  2,  2)  opp.  concolor;  discors  opp.  Concors,  concinere 
opp.  dUcrepare  (Cic.  N.  D.  1,  7,  16  Antiocho  Stoici  cum  Peripa- 
teticis  re  concinere  videntur,  verbis  discrepare). 

Ezcurs  n. 

iber  Stils,  sollis. 

Für  den  Zusammenhang  der  Begriffe  der  Einheit,  Ganzheit,  All- 
heit bietet  einen  sehr  lehrreichen  Beleg  sollus  im  Verlialtniss  zu 
Bolus    dar.    Dass    solm  und  sollus  dasselbe  Wort  ist,  behauptet 
Lottner  (Kuhn*s  Zt.  5,  155)  mit  Recht.  So  wie  sich  sollus  zu  einem 
anzunehmenden  altgriechischen  ^oXkoi;  (Curt.   Et.  II,  128)  verhält 
{okoqi   oXXoc   =  [kiaoq:    jui^affo^),   so   verhält  sich  sdlus  zum  ion. 
Qxikoq^  abgesehen  von  der  Einbusse  des  Spiritus  asper.  Als  Vorstufe 
von  *oXXo^  ist  *öXfo^  (=  skt.  särvas,  lat.salvus)  anzunehmen,  woraus 
durch  Metathesis  *öfAog,   *ouXo^,  oVko^  wurde.  Für  das  Latein  ist 
*solvus   anzunehmen,    woraus   einerseits  sollus  wurde,  anderseits 
durch  dieselbe  Metathesis  *sovlus  sölus  (wie  motum  =3  movtum» 
fömentum  =  fovmentum). 

Als  Grundbedeutung  nehme  ich  die  Einheit  an,  obzwar  sie 
sie  sich  im  skr.  sirvas  nicht  findet.  Von  dem  Begriffe  der  Einheit 
gelangt  man  vermittelst  des  Begriffes  der  Vereinigung  zu  dem 
der  Ganzheit;  das,  was  seine Theile  in  sich  vereinigt,  so  dass  kein 
Theil  ausserhalb  derselben  ist,  ist  ganz  (diese  Bedeutung  hat  «oZ/u«). 
Ist  das  Eine  zusammengesetzt,  so  ist  eben  diese  zusammengesetzte 
Einheit  eine  Ganzheit,  und  die  Ganzheit  ist  eine  Allheit  (skr.  s&rvas; 
das  lat.  omnis  vereinigt  wie  das  griech.  näg  die  Bedeutungen  ganz 
und  all  in  sich),  da  kein  Theil  fehlen  darf,  wenn  das  Ganze  zu 
Stande  kommen  soll.  Diese  Vermittlung  der  Bedeutungen  erscheint 
mir  angemessener  als  die  von  Lottner  (a.  a.  0.)  aufgestellte :    »Die 
gewöhnliche  Bedeutung  allein  (solus)  entwickelt  sich  aus  der  Ur- 
bedeutung ng^nz**  gerade  umgekehrt  wie  die  von  salvus.  Denn  salvus 
ist:   „ganz,  so  dass  nichts  fehlte,  solus:    „ganz,   so  dass    nichts 
hinzukommt**. 


Unttrsnchuigen  auf  d.  Gebiete  der  Prooomioe,  besonders  der  liiteinMcken.     151 

» 

EzcüTS  m. 

•ber  das  bohnisehe  Mmf. 

Jungmana  (Lex.  s.  r.  iidny)  nimmt  Identität  des  böhmischen 
idden,  iddny  in  der  Bedeutung  exoptatua  (welche  gegenwartig  ver- 
schollen ist)  und  des  iddny  (z&den  ist  nicht  mehr  gebräuchlich)  in  der 
Bedeatui^  nuUus  an.  Die  erste  Bedeutung  findet  sich  in  der  älteren 
Sprache  oft;    Jungmann  fahrt,  f&r  dieselbe   vierzehn  Stellen  an. 
Daneben  fand  sich  in  älterer  Zeit  auch  die  active  Bedeutung  eupidus» 
für  die  Jungmann  acht  Stellen  anfuhrt.    BezGglich  des  Überganges 
der  Bedeutung  bemerkt  Jungmann:  »t  iddny  quasi:  et  optatus»  quem 
relis,  ttlius;  niiddny  nee  optatus,  ne  ullus  quidem,  nullus»  modo 
iddny".  Gegen  diese  Ansicht  nun  macht  MiUosich  in  der  trefflichen 
HoDographie  „Die  Negation  in  den  slavischen  Sprachen,  Wien  1869' 
(Separatabdruck  aus  dem  XVIII.  Bande  der  Denkschriften  der  phil. 
bist.  G.  der  kais.  Akad.  d.  Wiss.)  zwei  Grönde  geltend :  »Die  bei 
Juogroann    Tcrzeichnete  .  .  .    Ansicht ...    ist  abgesehen  von   der 
Schwierigkeit  von  dem  BegrilT  „et  optatus**  zu  dem  BegriiT  „nullus** 
zu  gelangen,  aus  lautlichen  Gründen  zu  yerwerfen,  da  in  diesem 
Falle  das  Wort  im  pol.  ^  ^^n  Nasal  haben  musste,  wie  in  der  That 
dem  cech.  iddny  cupidus»  exoptatus  pol.  iadny  acceptus  gegenüber- 
steht, von  asl.  z^dati,  cech.  zädati  und  pol.  i^dad'.  (S.  7.) 

Aber  die  Schwierigkeit,  von  derBedeutung«a;op^a/iMZu  nuUus 
tu  gelangen,  ist  doch  nicht  grösser,  als  die  bei  der  Erklärung  der 
negativen  Function  der  eigentlich  positiven  Worter  personne»  rien, 
paSf  jamais^  kein  u.  s.  w.  Die  negative  Geltung  hat  sich  eben  nicht 
ans  der  Bedeutung  Mcxoptatiis**  innerlich  entwickelt,  sondern  ur-* 
sprunglich  wurde  iddnj  in  der  ihm  eigentlich  zukommenden  Bedeu- 
timg gebraucht  und  die  Negation  wurde  anderweitig  bezeichnet;  dann 
aber  übertrug  das  Sprachgefühl  das  negative  Moment,auf  iddnj  selbst, 
wie  ein  solcher  Vorgang  eben  auch  bei  den  romanischen  Wörtern 
stattfand  und  wie  ja  auch  Semenovic*s  scharfsinnige,  aber  unserer 
Ansicht  nach  nicht  richtige  Erklärung  (die  Miklosich  a.  0.  anfuhrt) 
dieselbe  Grundlage  hat,  nämlich  dass  in  dem  vorausgesetzten  nize 
jedsni»  (ne  unus  quidem)  die  Negation  ni  wegfiel  und  der  Best  doch 


^)  p*L.  imden,  vtreltet  itdoy,  kl.  rutt.  zadnffj^  oberserb.  lad^«,  niederaerb.  zeden» 

II* 


die  negative  Geltung  beibehielt.  Zu  genauerer  Begründung  Ton  Jung- 
mann's  Ansieht  bemerke  ich  folgendes : 

Die  Bedeutung  esopiatus,  carus  darf  nicht  urgiert  werden;  es 
ist  vielmehr  anzunehmen  (was  sich  auch  beweisen  lasst;  vergl.  die 
unten  angeführten  Stellen),  dass  die  Bedeutung  „lieb*^  in  die  Bedeu- 
tung »»beliebige  übergieng,  so  dass  züden,  zddny  so  ziemlich  dem 
lat.  quilibet,  quivis  gleichkam  (in  welchen  Wörtern  ja  auch  der 
zweite  Bestandtheil  nicht  zu  urgieren  ist,  da  die  Bedeutung  von  vis^ 
libet  sich  hier  abschwächte  zu  der  einer  beliebigen  Annahme). 
So  nahm  also  zddny  zunächst  die  Geltung  eines  indefiniten  posi- 
tiven Pronomens  an.  Die  Negation  wurde  anderweitig  ausge- 
drückt, nämlich  bei  dem  Verbum.  Es  wurde  also  „zidny  neprisel^ 
gebraucht  in  dem  Sinne  quivis  non  venu  d.  i.  wen  du  dir  auch  immer 
denken  willst,  er  ist  nicht  gekommen  =»  irgend  ein  beliebig  ange- 
nommener, sei  es  welcher  immer,  ist  nicht  gekommen  «>  non  venit 
quisquam  i).  Man  sieht  daraus,  wie  richtig  Jungmann  in  seiner  Er- 
klärung  sich  des  lat.  uUus  bediente.  Die  Übertragung  des  negativen 
Moments  im  Sprachgefühl  auf  zddny  blieb  aber  stets  auf  Sätze,  die 


<)  Mtn  kdonle  annehmen,  dau  nrsprfinglich  TieUeicht  nicht  bloss  beim  Verbnm  die 
Neg^ation  in  solchen   SSUen   rorkam,   sondern   dass  auch   dem   zmäny  noch  die 
Negation    vorgesetzt    ward,  also    mzadtty,    woraus  erst  durch  AbfaU  Ton  ni  da« 
negative  zadny  entstanden  wfire.  Möglich  ist  dies,  aber  nicht  nothwendlg,  da  sabl- 
reiche  Spuren  darauf  hinweisen,  dass  ursprünglich  die  spfiter  freilich  aur  Regel 
gewordene Hiufung  der  Negation  nicht  noth wendig  war,  sondern  dass  jine  Nega- 
gation   im  Satae   genügte ;  vergl.  die  von  Miklosich  (Negat  §.  20)  unter  den  für 
die  Hfiufnng  der  Neg.  angerührten  Beispielen  vorkommenden  Ausnahmen ;  nament- 
lich  ist  zu  beachten,  dass   nach   Miklosich   im  Altbulg.    „ne   in    einer  Unzahl 
von  Fallen  nach  nUcT»  fehlt".  Ich  möchte  hier  nicht  mit  Miklosich  annehmen,  dmss 
der  Grund  der  Abweichung  in   dem   Bestreben   der  Übersetz(*r  liegt,  sich  dem 
griech.  Teite  so  genau  als  möglich  aniuschliessen ;  ich  erblicke  darin  einen  be» 
recbtigten  Sprachgebranch  (der  freilich  aurückgedringt  wurde),  da  sich  ÄhnUchea 
auch   da  findet,  wo  an  eine  Nachahmung   einer  fremden  Sprache  nicht  gedacht 
werden  kann.  Namentlich  ist  wichtig,  dass  im  Böhmischen  in  copulativen  nega- 
tiven Sätzen,  wenn  statt  ani-ani  gebraucht  wird  ant-anti,  im  aweiten  Satze  daon 
regelmfissig  keine  Negation  mehr  vor  dem  Verbum  gesetzt  wird.  (Zikmund, 
skladba  S.  SSI).  Wichtig  ist  auch  das  volksthflmliche  «to  je  na  nie*  (das  ist  xu 
nichts,  wofür  nicht  „to  nen{  na  nie**).  So  wie  nun  in  diesen  Füllen  «ine  Negation 
ausreichte  und  beim  Verbum  die  Negation  nicht  unumgünglich   nothwendig    ^rnr« 
so   nehme    ich   umgekehrt   an ,  dass  für  zadny  neprisel'  nicht  die  Constniction 
„niHdnj  nepfisel"    als   iltere    Gebrauchsweise  vorausgesetzt  werden  muss,    ireii 
die  eine  beim  Verbum  stehende  Negation  ausreichte.  Ich  nehme  dies  an,  da   die 


UntenacbaBgen  auf  d.  Gebiete  der  ProDomiot,  beaoodert  der  lateinischen.     153 

schon  an  sich  negativ  sind»  beschränkt;  auch  jetzt  ist  es  unmöglich 
zu  sagen  „zadny  pfisel*',  sondern  man  muss  eben  sagen  „zädny 
Depnsel*'.  Nur  in  Antworten  kann  scheinbar  zddny  absolut 
negierend  stehen  z.  B.  „Videl  jsi  nekoho?  Zadn^ho  (hast  du  Jemand 
gesehen?  Niemand).  Nur  scheinbar  ist  dies,  weil  in  der  Antwort 
zu  „zadn^ho''  nicht  das  positive  „videl  jsem**  zu  ergänzen  ist,  sondern 
das  negative  „nevidel  jsem**. 

Für  die  angenommene  indefinite  Bedeutung  des  zddny  sind 
viehtige  Belege  unter  den  von  Jungmann  angeführten  Stellen 
folgende:  Syr.  29,  14  poklad  ten  lepsf  bude  nezli  zädn£  zlato=:the- 
sanrns  hie  melior  erit  quam*quodvis  aurum  (quivis  gebraucht  auch 
JuDgmann  hier  zur  Erklärung).  Stele,  cir.  z.  6.  pronikavejsi  jest  (f ec) 
neili  z4dny  mec  z  obou  stran  ostry  =  acrior  est  (sermo)  quam  qui- 
Hbet  gladius  anceps.  VIk.  16S  a  to  stojf  vice  nezli  z&dne  malovänf 
=  hoc  pluris  est  quam  quaevis  pictura.  Diese  Stellen  zeigen  alle 
eine  Construction  (neili  nach  dem  Comparativ),  die  der  deutlichen  Er- 
haltung der  indefiniten  Geltung  von  zddny  gnx\sX\%  war.  Wichtigist  auch 
die  ahe  (jetzt  ungebräuchliche)  Verbindung  t  zddny  (jetzt  sagt  man 
.  ani  üdny  =»  ne  ullus  quidem) ;  i  ist  hier  steigernd  =»  etiam;  also  z.  B. 
die  YonJungmann  angeführte  Stelle  (aus  der  Übers,  von  Cato*sdist.  de 
mov.}„izddnAnu  se  neposmevaj**  wörtlich  =:  etiam  quemh'bet  ne  irri- 
deas  (auch  wen  immer  verlache  nicht),  d.  i.  also  =  ne  ullum  quidem 
irrideas.  Ebenso  „aby  jedenacte  dn&v  i  zddn^o  pokrmu  nedävali** 
wörtlich  s»  ut  per  undecim  dies  etiam  quemvis  cibum  ne  darent 
d.  L  =s  ne  vel  minimum  cibi  darent.  * 

Was  den  zweiten  von  Miklosich  gegen  diese  Auffassung  her- 
Torgehobenen  Grund  betriflty  dass  das  Wort  im  Polnischen  igden 
lauten  musste,  wie  wirklich  zqdny  acceptus  bedeutet,  so  ist  zu 
bemerken,  dass  zwischen  den  reinen  und  den  mit  dem  Rhinesmus  ver- 
sehenen Vocalen  nicht  selten  ein  Schwanken  stattfindet.  Vergl.  die 
von  Miklosich  (I,  S.  53)  aus  der  „ksi^zecka  do  naboz.  jwi^t^j  Jadw."* 
(welche  Schrift  „dem  vierzehnten,  wb  nicht  dem  dreizehnten  Jahr- 
hundert zuzuschreibeYi  ist*<)  angeführten  Beispiele,  ferner  Mikl. 
I,  S.  454.  Von  entscheidendem  Gewicht  aber  ist  in  dieser  FragjS  der 


Erklimng  4er  EnUtehonp  von  „xitdny  nepfisel*'  aas  „n'izJkduj  nepfisel^  durch 
WegfaU  de«  ni  deeshelb  nicht  wahrscheinlich  isi,  weil  nizidny  sich  in  Sllerer  Zeit 
▼erhiltaissoiässig  gegenüber  tiänj  selten  findet 


154  K  ▼  f  c •  I  a 

Umstand,  dass  im  Altbulgarischen  neben  ifdaii  auch  die  Form 
iadati  sich  6ndet.  Man  darf  auch  flir  das  Polnische  iqdaö  eine 
Nebenform  zadaö  annehmen,  Yon  welcher  eben  pol.  zaden  herstammt. 
Das '  Streben,  die  verschiedenen  Bedeutungen  auch  lautlich  aus- 
einanderzuhalten —  ein  Streben,  das  in  den  Sprachen  so  oft  sich 
manifestiert  —  trug  dazu  bei,  dass  zaden  (nullus)  diese  Form  stets 
festhielt  und  nicht  zu  zaden  wurde. 

Es  fragt  sich  nun  noch,  wie  das  polnische  zadny  „hässlich**, 
(auch  z^dny,  das  nach  Troiaäski  in  dieser  Bedeutung  veraltet  ist) 
Adverbium  zadnie,  Subst.  zadnoiö  „Hässlichkeit**  zu  erklären  ist. 
Denken  liesse  sich,  dass  diese  Bedeutung  sich  aus  Mnullus**  ent- 
wickelte, wie  z.  B.  im  Latein  nuUus  zuweilen  »  tnlis^  levUf  so  Ter. 
Hec.  5,   3,  2,  qui  ob  rem  nuUam  (geringfügig)  misit.  So  wird  im 
Griechischen   bekanntlich   oudce^,  july^^cc;  von  einem  unbedeutenden 
(f  aOXo^)  Menschen^  einer  Null  gesagt,  cüd^y  Xiyeev  nichts  sagen, 
so  gut  wie  nichts  sagen,  etwas  Unbedeutendes  oder  Unrichtiges, 
Thörichtes  sagen,  cüdevCa  Nichtigkeit,  auch  Nichtsnutzigkeit,  Nichts- 
würdigkeit,   oüredavö;    nichtsnutzig,    geringfügig,   schlecht,    bohm. 
nicemny  nichtsnutzig,  armselig,  dann  besonders  in  ethischem  Sinne 
=  novnpoq;  für  nijaky  (eig.  »  nullius  modi)  citiert  Jungmann  Ryt. 
kr.  275  nijakä  vec  =  res  nullius  momenti,  vilis.  Da  jedoch  die 
negative  Bedeutung  von  zaden  an  das  Vorkommen  in  einem  schon 
an  und  für  sich  negativen  Satze  gebunden  ist,  so  ziehe  ich  dieser 
Erklärung  die  andere  vor,  dass  die  Bedeutung  Mhässlich"  mit  der 
oben    erwähnten    indefiniten    Geltung    „quilibef    zuzammenhängt. 
Gerade  so  bedeutet  eben  auch  gtUlibei  zuweilen  „der  erste  beste** 
mit  verächtlichem  Nebenbegriffe,  z.  B.  Plin.  7,  28,  29  neque  cum 
quolibet  hoste  res  fuit  (==  unbedeuteud,  (paOlog^  6  ru)^cüv);  6ai. 
Dig.  2,  8,  5  quaelibet.  Gerade  so  werden  im  Böhmischen  die  mit 
leda-  lec-   zusammengesetzten   indefiniten  Worter  gebraucht;  z.  B. 
ledajak  (eig.  quolibet  modo)  =  schleuderhaft,  schlecht,  ledajaky 
(eig.   qualislibet)   =   gemein,  schlecht,    nicht  viel   werth,  ebenso 
ledakdo,  ledakdos,  ledaktery  (vergl.  Zikm.  skl.  S.  375).  Im  Gegen* 
satze  dazu  werden  in  verschiedenen   Sprachen    Wörter,    die    im 
Gegensatze  zum   ersten  besten  etwas  Ausgewähltes,  Auserlesenes 
bezeichnen,  in  der  Bedeutung  „trefflich''  gebraucht,  wie  eximitts^ 
egregius  böhm.  vyborny  (v.  vy-brati).  Bemerkenswerth  ist,  dass  «las 
pol.  zadny  auf  die  körperliche  Beschaffenheit  beschränkt   wurde 


Untertvclittngeii  aaf  d.  Gebietoder  Pronomina,  beBond ers  der  Uteiniecben.     155 

=  juäibei  corporis  specie,  also  opp.  specioam^  daher  »  der  körper- 
licbeD  Beschaffenheit  nach  unansehnlich,  dann  mit  einer  Steigerung 
geradezu  hässlich. 

Auch  aus  dem  Litauischen  fuhrt  Schleicher  (Glossar  S.  340) 
iidnas  mit  der  Bedeutung  „schlecht,  hässlich**  an,  wozu  er  gewiss 
richtig  bemerkt  „wahrscheinlich  das  polnische  zadny**.  Sehr  bemer- 
kenswertb  ist  aber  die  ebenfalls  Ton  Schleicher  angeführte  Bedeutung 
•iSdnas  =  kdznas  jeder**.  Mielke  (Wörterb.)  bemerkt,  dass  diese 
Bedeutung  ziemlich  obsolet  sei.  Diese  Bedeutung  muss  mit  der  oben 
erörterten  quilibet  zusammenhängen.  Da  igdnas  kein  einheimisches 
IVort  im  Litauischen  ist  (weil  sich  hier  kein  Wort  findet,  an  das  es 
sieh  etymologisch  und  begrifflich  anschliessen  könnte),  so  bleibt  nur 
übrig  anzunehmen,  dass  das  polnische  iadny,  als  die  Litauer  es  Qber- 
nabmen,  noch  die  Bedeutung  quäibet  hatte. 


Verztfichnisa  der  eingegangenen  Druckschrinen,  157 


TERZRICHNI8S 

DER  EINGEGANGENEN  DRUCKSCHRIFTEN. 

(APRIL  1870.) 

Aceademia  delle  Scienze  deiristituto  di  Bologna:  Memorie.  Seriell. 

Tomo  IX,  faac.  2.  Bologna»  1870;  4«. 
Akademie,    Südslavische,  der  Wissenschaften  und  Künste:  Rad. 

KDJiga  X.  U  Zagrebs   1870,  1870;  8o.  —  Arkiy.  Knjiga  VI. 

u.  VII.  nebst  Supplement.  U  Zagrebu,  1862  &  1863;  8«. 
Anzeigerfur  Kunde  der  deutschen  Vorzeit.  N.  F.  XVI.  Jahrgang. 

Nr.  1—12.  Nürnberg,  1869;  4«. 
Bibliotheque  de  TEcole  des  Chartes.  Tome  XXXI.  Annäe  1870, 

P.  Liyraison.  Paris;  8«. 
Central-Commission,    k.   k.    statistische:   Statistisches  Jahr- 
buch für  1868.  Wien,  1870;  4«. 
Damast,  P.  6.  de.  De  la  s^riculture,  abusivement  nommtfe  sdrici- 

culture.  Nancy,  1870;  8*. 
Gesellschaft  der  Wissenschaften,  Oberlausitzische :  Neues 

Lausitzisches  Magazin.  XLVII.Band,  1.  Heft.  Görlitz,  1870;  8«. 

—  geographische,  in  Wien:  Mittheilungen.  N.  F.  3,  Nr.  8.  Wien, 
1870;  8*. 

—  k.  k.  mähr.-schles.,  zur  Beförderung  des  Ackerbaues,  der 
Natur-  und  Landeskunde:  Mittheilungen.  1869.  Brunn;  4^  — 
Notizenblatt  der  hist.-statist.  Section.  Weitere  Folge  vom 
Jahre  186S  bis  zu  Ende  des  Jahres  1869.  Brunn,  1869;  4«. 

Hamelitz.  X.  Jahrgang.  Nr.  8—12.  Odessa,  1870;  4^ 
Harz-Verein  für  Geschichte  und  Alterthumskunde :  Zeitschrift. 
m.  Jahrgang,  1.  Heft.  Wernigerode,  1870;  8«. 

Sitob.  4.  phn.-hut.  Ol.  LXV,  Bd.  I.  Hfl.  12  . 


1  58  Verzeichoiii  der  eingegtngenen  Drncksehrifteii. 

Ist i tut 0»  R.,  Veneto  di  Scienze,  Lettere  ad  Arti :  Atti.  Tomo  XV^ 
Serie  ffl%  disp.  3'  —  4'.  Venczia,  1869—70;  8«.  —  Memoire. 
Vol.  XIV,  Parte  UI.  Veneria,  1870;  4«. 

Kern»   F. ,     Beiträge    zur    Kritik    der   hisioria   eucuigelica   des 
Juuencus.  I.  Die  Handschriften  der  hwt  eu.  in  Danzig,  Rom 
*    und  Wolfenbuttel.  (Programm  des  städt.  Gymnasiums  zuDanzig. 
1870.)  Danzig;  4«. 

Kreis-Verein,  historischer,  im  Regierungsbezirke  von  Schwaben 
und  Neuburg:  XXXIV.  Jahres-Bericht.  (für  das  Jahr  1868.) 
Augsburg,  1869;  8«. 

L^T^que,  6.,  Recherches  sur  lorigine  des  Gaulois.  Paris, 
1869;  8^ 

Mittheilungen  aus  J.  Perthes'  geographischer  Anstalt.  16.  Band. 
:! 870,  Heft.  IV.  Gotha;  4o. 

Museum  Carolino-Augusteum  zu  Salzburg:  Jahres-Bericht  für  1869. 
4o.  —  Katalog  fiber  die  in  der  Museums-Bibliothek  vorhan- 
denen Salisburigensia.  Salzburg,  1870;  kl.  4o. 

Peapody  Institute:  Adress  of  the  President  to  the  Board  of 
Trustees  on  the  Organization  and  Government  of  the  Insti- 
tute. 1870;  8«. 

Revue  des  cours  scientifiques  et  litteraires  de  la  France  et  de 
r^tranger.  VII*  Ann^e,  Nrs.  17 — 21.  Paris  &  Bruxelles, 
1870;  4o. 

Santiago  de  Chile,  Universidad:  Anales  de  los  Anos  1867  — 
1868.  Santiago   de  Chile;  8^.  —  Anuario   estadfstico   de    la 
Republica   de   Chile.    Entrega  IX\    Ano  1867.    Santiago    de 
Chile,  1868;  4«.  —  Cuenta  jeneral  de  las  entradas  i  gastos 
fiscales  de  la  Republica  de  Chile  en  1867.  S.  d.  Ch.,  1868 ; 
4«.  —  Memorias  de  los  Ministerios  del  Interior,   Relaciones 
exteriores,    Instruccion  publica,   Hacienda,   Guerra   i   Marina, 
correspondientes  al  ano  1868.  S.   d.  Ch. ;  8o.  —  Lei  de  pre- 
supuestos  de  los  gastos  jenerales  para  el  auo  de  1869.  S.  d. 
Ch.,1868;  4«.  —  B.  Vicuna  Mackenna,  La  guerra  amuerte. 
Memoria  sobre  las  ultimas  campaiias  de  la  independencia  de 
Chile,  1819—1824.  S.  d.  Ch.  1868;  gr.  8».  —  J.  L  V  e  r- 
gara,  Observaciones  meteorolojicas  hechas  en  el  observatorio 


Verseichoitf  der  ein^e^ogeiien  DnickschrifleD.  159 

aströnomico  de  Santiago  i  en  el  faro  de  Valparaiso  en  el  ano  de 

1868.  S.  d.  Ch.,  1869;  80.  —  Domeyko,  Ignacio,  Datos 

recojidos  sobre  el  terremoto  i  las  ajitaciones  del  mar  del  1 3  de 

Agosto  de  1868.  80. 
Schochardt,  Hugo,  über  einige  Fälle  bedingten  Lautwandels 

im  Churwalsehen.  Gotha,  1870;  8^ 
Scientific    Opinion.    Part.    XVII,    Vol.  III.   London,   1870;   4«. 
Soci^tä  d*histoire  et  d'arch^ologie  de  Gen^'e:  Memoires  etdocu- 

ments.  Tome  XVII,  Livraison  1^.  Gen^Te,  Paris,  1870;  8^ 
Society,  The  Asiatic,  of  Bengal:  Journal.  Part.  I,  Nr.  3.  1869. 

Caleutta;  8«.  — Proeeedings.  1869,  Nrs.  VIII— X.CaIcutta;  8«. 
Verein,  histor.,  für  Steiermark:  Mittheilungen.  XVII.  Heft.  Graz, 

1869;  8^  —  Beiträge  zur  Kunde  steiermarkischer  Geschichts- 

quellen.  6.  Jahrgang.   Graz,  1869;  8«. 

—  historischer,  der  Pfalz:  Mittheilungen.  I.  Speier,  1870;  8«. 

—  siebenbürgischer,  für  romanische  Literatur  und  Cultur  des 
romanischen  Volkes:  Transilvania.  Anulu  III,  Nr.  6—7.  Kron- 
stadt, 1870;  4«. 


12  • 


SITZUNGSBERICHTE 


DRR 


KAISERLICHEN  AKADEMIE  DER  WISSENSCHAFTEN. 


PHILOSOPHISCH-HISTORISCHE  GLASSE. 


IIY.  BAND.  II.  MIT. 


JÄHRGANG  1870.  —  MAI. 


13 


CommiMiontbaricht  163 


SITZUNG  VOM  11.  MAI  1870. 


Der  proT.  Secretar  legt  vor: 

1)  den  durch  das  k.  und  k.  Ministerium  des  Äussern  Gber- 
nittelten  Entwurf  einer  Universalsprache  von  Herrn  Boucher  de 
Boucherville  aus  Quebec  in  Canada. 

2)  die  durch  das  k.  u.  k.  Handelsministerium  übermittelte 
Einladung  zu  dem  im  August  d.  J,  in  Antwerpen  stattfindenden 
Congress  zur  Beförderung  der  geographischen,  kosmographischen 
«nd  commerciellen  Wissenschaften. 

3)  die  von  der  anthropologischen  Gesellschaft  in  Wien 
gesendeten  ersten  Nummern  der  von  der  Gesellschaft  herausgege- 
benen Mittheilungen. 

4)  ein  von  dem  c.  M.  Herrn  K.  R.  D  u  d  i  k  eingesendetes 
Manascript  unter  dem  Titel:  „J.  G.  Browne's  Expedition  des  Feld- 
marsehalls  Khevenhfiller  gegen  Ober-Österreich  und  Baiern  im 
Winter  des  Jahres  1741— 1 742-. 

5)  den  von  dem  Chorherrn  und  Professor  Herrn  Theod. 
Mairhofer  in  Brixen  eingesendeten  Codex  diplomaticus  Neo- 
celteDsis,  dessen  Aufnahme  in  das  Archiv  für  österreichische  Ge- 
schichte gewünscht  wird. 

6)  das  Gesuch  des  Herrn  Prof.  Dr.  Carl  Gross  in  Innsbruck 
om  eine  Subvention  zur  Drucklegung  des  von  ihm  handschriftlich 
vorgelegten  Werkes:  „Incerti  auctoris  ordo  indiciarius**. 


Das  w.  H.  Freiherr  von  Sacken  legt  vor:  „Die  antiken 
Bronzen  des  k.  k.  Münz-  und  Antikencabinetes^  mit  dem  Gesuche  um 
«ioe  Sobrention  zum  Zwecke  der  Drucklegung. 


Das  w.  H.  Herr  Hofrath  Phillips  legt  eine  für  die  Sitzungs- 
berichte bestimmte  Abhandlung  vor  ^über  das  baskische  Alphabet**. 


13 


•i  • 


164  Comnistionsbericht. 

Der  Custos  am  k.  k.  Münz-  und  Antikencabinete  Herr  Dr. 
£.  V.  Bergmann  legt  eine  Abhandlung  vor  „Die  Nominale  der 
Mfinzreform  des  Chalifen  Abdulmelik.** 


SITZUNG  VOM  15.  MAI  1870. 


Das  w.  M.  Herr  Regierungsrath  Höfler  übersendet  von 
den  „Abhandlungen  aus  dem  Gebiete  der  alten  Geschichte**  die 
dritte:  „Untersuchung  der  Frage,  ob  Griechenland  mit  der  Zer- 
störung Korinths  römische  Provinz  geworden  sei**  zum  Abdrucke  ia 
den  Sitzungsberichten. 


Das  w.  M.  Herr  Dr.  A.  Pfizmaier  legt  eine  für  die  Sitzungs- 
berichte bestimmte  Abhandlung:  „Die  Lebensverlängerungen  der 
Männer  des  Weges^  vor. 


Das  w.  M.  Ritter  V.  Karajan  beginnt  die  Lesung  einer  aus 
zwei  Theilen  bestehenden  Abhandlung:  „Zu  Seifried  Helbling  und 
Ottacker  von  Steiermark^. 


Der  prov.  Secretär  legt  vor  eine  Abhandlung  von  Herrn  Prof. 
Schröer  „Weitere  Mittheilungen  über  die  Gottscheewer  Mundart**. 


Herr  Richard  Trampler  ersucht  um  Aufnahme  der  von  ihia 
im  Manuscript  vorgelegten  „Correspondenz  des  Cardinais  Franz. 
V.  Dietrichstein  (von  1609 — 161 1)*"  in  die  Schriften  der  kaiser- 
lichen Akademie. 


Herr  Dr.  Julius  Grossmann  bietet  der  kais.  Akademie  zur 
Aufnahme  in  ihre  Schriften  eine  Anzahl  bisher  unbekannter  Briefe 
des  berühmten  Reichspublicisten,  kais.  Reichshofraths  und  hessen- 
darmstädtischen  Ministers,  des  Freiherrn  Friedrich  Karl  von  Moser  an. 


P  li  i  1 1  i  p  • ,  Ober  das  iberische  Alphebet.  1  6S 


Über  das  iberische  Alphabet*). 

Voo  dem  w.  M.  Hofrath  Phillips. 


Veranlaflsung  zu  dieser  Abhaudlang. 

Auf  einer  Reise,  welche  der  Verfasser  dieser  Abhandlung  vor 
dritthalb  Jahren  durch  das  südliche  Frankreich  machte,  spielte  ihm 
der  Zufall,  wenn  es  überhaupt  einen  solchen  gibt,  zu  Biarritz  ein 
baskisches  Gebetbuch  in  die  Hand;  dasselbe  führte  den  Titel: 
«Exereitio  ispirituala  bere  salbamendua  eguin  nahi  duten  Guiristino- 
ent^at  lagunt^a  handitacoa;  edicione  berria.  Bayonan.  IBBTi)**-  Ein 
fluchtiger  Blick  auf  die  darin  enthaltene  lauretanische  Litanei  lehrte 


*)  Der  Abdmck  der  fiof  Abbendlongen  fiber  die  iberische  und  bsskische  Sprache, 
weiche  der  Yerfeeeer  in  den  Moneten  Januar,  Februar,  April,  Mai  und  JnU  d.  J.  der 
k.  Akademie  ror^elegt  hat,  ist  durch  die  erforderUehe  tjpographisehe  Ausstattung 
Bit  iberieeheu  Buchstaben  Tersö^ert  worden.  Unterdessen  sind  aber  jene  Ge^n- 
sttede  in  Frankreich  mehrere  hierauf  besugliche  Werke  und  Abhandlunf^ en  erschienen, 
welche  eotwederyar  nicht  oder  doch  nur  theilweise  haben  benutzt  werden  kfinnen.  Es 
^ehöreu  dahin  insbesondere  Gerat,  Originesdes  Basqoes  de  France  et  d*Espag^e, 
Bladd,  tftudcs  snr  rorigiue  des  Basqnes,  Cordier,  de  Torganisation  de  la 
fauMlJe  eheslee  Besques,  Fahre,  Dictionuaire  fran^ais-basque  und  Torachiedene 
Aufsitze  Ton  Yinson  in  der  Rerue  de  Linguistique  et  de  philologie  eompar^e. 
Man  muee  es  eich  daher  ▼orbehaiten,  bei  anderer  Gelegenheit  huf  diese  Schriften 
«ngeheader  aarfiekanfconimen  (4^  August). 

*)  D.  b.:  Zur  grossen  Hilfe  für  Christen,  welche  das  Yeriangen  haben,  ihr  Heil  su 
wii^ea ;  neue  Ausgabe,  Bejonne  1667.  Was  den  Neuen  dieser  Stadt  anbetrilFt,  so 
ist  Imi  «in  baekischee  Wort,  welcbee  in  riele  andere  Sprachen,  aunichst  in  daa 
Spnniecbe  in  der  Form  hükU  fibergegangen  ist   Auch  Dies,  Wdrierbuch  8.  38. 


168  Phillips 

An  die  BeschSftigung  mit  der  merkwGrdigen  Sprache  des  durch 
Beine  Eigenthfimlichkeiten  sehr  ausgezeichneten  Volkes  knflpfte  sich 
für  den  Verfasser  bald  eine  ganze  Reihenfolge  historischer,  ethno- 
graphischer und  linguistischer  Fragen  an.    Wann  und  woher  ist 
dieser  Volksstamm,  dessen  Physiognomie  fast  ein  semitisches  Geprfige 
hat,  in  die  pyrenfiische  Halbinsel  eingewandert?  Sind  die  heutigen 
Basken  wirklich,  wie  seit  W.  v.  Humboldt  ziemlich   allgemein 
angenommen  wird,  die  Nachkommen  der  alten  Iberer,  die  för  die 
Ureinwohner  Hispaniens  gelten?  Lftsst  sich  ein  solcher  Zusammenhang 
durch  die  Vergieichung  der  iberischen  und  der  baskischen  Sprache 
erweisen?  Zu  welchem  grösseren  Volksstamme  geboren  als  Zweig 
die  Iberer?  Welches  ist  insbesondere  ihr  Verhältniss  zu  den  Kelten, 
zu  den  Phöniziern  oder  zu  irgend  einem  derjenigen  Volker ,  die  man 
mit  Recht  oder  Unrecht  unter  der  gemeinsamen  Bezeichnung  des 
turanischen  Stammes  zusammengefasst  hat?  u.  s.  w.   Die  Versuche, 
auf   diese    verschiedeaen  Fragen    wenigstens  einigermassen   ent- 
sprechende Antworten  zu  geben,  machten  wiederum  ganz  andere 
Forschungen  nothig,  welche  über  das  Gebiet  der  baskischen  Sprache 
als  solcher  weit  hinausgehen  mussten;  insbesondere  war  es  erforder- 
lich, auch  die  Numismatik  wenigstens  insoferne  zu  Rathe  zu  ziehen, 
als    hier   die  Legenden    altiberischer    Münzen  Aufschlüsse  geben 
konnten.  So  waren  zugleich  Urzeit  und  Gegenwart  neben  einander 
ins  Auge  zu  fassen.  Um  aber  das,  was,  wie  die  alten  Iberer  und  die 
Basken,  durch  eine  so  grosse  Kluft  der  Zeit  geschieden  ist,  nicht  zu 
Termengen  und  auch ,  um  jede  vorgefasste  Meinung  möglichst  fern 
zu  halten,  haben  wir  uns  bei  der  wissenschaftlichen  Bearbeitung  der 
hier  in  Betracht  kommenden  Gegenstände  durch  das  Prinzip  leiten 
lassen,  einstweilen  Iberisch  und  Baskisch,  so  viel  es  irgend  statthaft 
ist,  in  den  nachfolgenden  Abhandlungen  gänzlich  von  einander  zu 
trennen  und  Jedes  für  sich  zu  behandeln. 

Es  ist  demgemäss  die  Absicht  des  Verfassers,  hier  zunächst  eine 
Abhandlung  über  einen  völlig  isolirten  Gegenstand  vorzulegen,  nSm* 
lieh  über  das  iberische  Alphabet  und  auf  diese  dann  späterhin  andere 
folgen  zu  lassen.  Mit  diesen  wissenschaftlichen  Versuchen  verbindet 
er  die  Absicht,  das  Interesse,  welches  in  Deutschland  weder  an 
dem  Iberischen  noch  an  dem  Baskischen  bisher  ein  sehr  lebhaftes 
gewesen  ist,  anzuregen,  ja  gewissermassen  die  Sprachforscher  vom 
Fache  durch  Herbeischaffung  von  Material  zu  der  gehörigen  Lösung 


über  das  iberische  Alpbebet.  169 

der  in  Rede  stehenden  Fragen  aufzufordern.  Diese  werden  leichter 
und  besser  durch  Kenntnisse  auf  den  yerschiedensten  Gebieten  der 
Spracbe  in  den  Stand  gesetzt»  Vieles  zu  erkennen,  was  unseren 
Blicken  Terschlossen  blieb.  Wir  bescheiden  uns  daher  gern,  der 
Wissenschaft  nur  diese  ganz  untergeordneten  Dienste  zu  leisten  und 
venn  wir  uns  erlauben,  unsere  eigenen  Ansichten  über  verschiedene 
Punkte  auszusprechen,  so  geschieht  es  mit  dem  aufrichtigen  Wunsche, 
Ton  Kundigeren  eines  Besseren  belehrt  zu  werden.  Ehe  wir  jedoch 
10  dem  eigentlichen  Gegenstande  unserer  Abhandlung  Qbergehen, 
dfirfte  es  zur  Orientining  nicht  unzweckmässig  sein,  noch  zwei 
Punkte  besonders  hervorzuheben,  aus  denen  gerade  die  Nothwendigkeit 
auf  das  Iberische,  nicht  wie  es  uns  in  den  von  den  Römern  corrum«- 
pirten  Namen,  sondern  in  echten  Monumenten  vorliegt,  zurQck- 
zugeben,  erhellen  durfte.  Demgemass  mögen  hier  einige  vorläufige 
Andeutungen  in  Betreff  des  Verhältnisses  des  Iberischen  zum  Bas- 
kisehen  und  Gber  jene  Namenscorruption  vorangestellt  werden. 

IL 

Vorläufige  AndeutoBgen  in  Betreff  des  Verhältnisses 
zwischen  der  iberischen  und  der  .baskischen  Sprache. 

Die  Ansicht ,  dass  die  Iberer  sich  bis  auf  den  heutigen  Tag  in 
den  Basken  des  nordlichen  Spaniens  und  des  südwestlichen  Frank- 
reichs erhalten  haben,  ist  nicht  neu,  sondern  wurde  schon  vor  län- 
gerer Zeit  aufgestellt.  Nach  dem  Vorgänge  einiger  minder  bedeu- 
tenden Schriftsteller  <),  bezeichnete  Mariana*)  in  seiner  Geschichte 
Spaoiens  die  Basken  als  die  eigentliche  Urbevölkerung  der  pyre- 
näischen  Halbinsel  und  nahm  daher  an,  dass  die  Sprache  derselben 
in  dem  ganzen  Umfange  Hispaniens  verbreitet  gewesen  sei.  Diese 
Ansicht  erfuhr  theils  manchen  Widerspruch  >),  theils  einzelne  Modi- 
GeatJoneu  *),  bis  um  die  Mitte  des  vorigen  Jahrhunderts  der  Jesuit 


<)  MtrittensSical.  Res.  Uispan.  LIb.  IV.cap.  alt.  uod  Andere,  welcbe  OTheDart, 
NoUtla  Btrinsqae  Va^coniae  (Paris.  1688.  4.)  Lib  I.  cap.  11.  p.  36.  oad  cap.  12. 
p.  S7.  nambafl  inacbt. 

*)  Mariaoa,  Bist.  Hisp.  Lib.  II.  cap.  5 

')  Morales,  Bist.  Hisp.  Lib.  IX.  cap.  3. 

*J  Oibeaart,  I.  c.  cap.  13.  p.  44. 


1 70  Phillips 

Larramendis)und  sodanu  in  neuerer  Zeit  Yornehmlich  Astarloa«) 
ihr  wiederum  allgemeines  Ansehen  verschafften.  Das  grosse  Waguiss, 
aus  der  heutigen  baskisehen  Sprache  den  Beweis  für  diese  Ansicht 
zu  führen,  konnte  nur  ein  Mann  von  dem  Wissen  und  dem  Scharfsinn, 
wie  Humboldt  diese  Eigenschaften  in  seltenem  Grade  vereinigte, 
unternehmen  7).  Dieser  grosse  und  vortreffliche  Mann  bedarf  nicht 
erst  unserer  Lobpreisungen »  aber  wir  halten  uns  auch  davpa  über- 
zeugt, dass,  lebte  er  noch,  er  mit  Güte  und  Nachsicht  sogar  die  Ein- 
wendungen aufnehmen  wurde,  die  Jemand,  der  den  speciellen  Beruf 
des  Sprachforschers  nicht  theilt,  gegen  manche  Resultate  seiner 
Forschungen  *)  zu  machen  sich  erlaubt.  Insbesondere  hat  Humboldt 
auf  die  geistvollste  Weise  ein  grosses  sprachliches  Material  zusam- 
mengestellt, um  aus  diesem,  vornehmlich  aus  einer  Masse  von 
Namen  der  Berge  und  Flusse,  der  Völker,  Städte  und  Personen, 
welche  bei  den  Iberern  zur  Römerzeit  vorkamen,  die  Übereinstimmung 
der  baskischen  und  iberischen  Sprache*)  und  eben  als  Corollar 
daraus,  die  Identität  der  Basken  und  Iberer  darzuthun  versucht  <«) 


^)  Larramendi,  Diccionario  trilingue.  Proleg.  P.  U.  cap.  7.  p.  LXIX.  (El  baa- 
coeose  es  lengua  primitiTa  de  Bapaiia). 

*)  Aatarloa,  Apologia  de  la  lengua  Baacongada.  Madr.  1808. 

7j   Vergl.  8.  F.  W.  Hoffmano,  die  Iberer  im  Weaten  nnd  Osten.  S.  95. 

®j  Es  ist  in  der  That  zu  bedauern*,  dasa  der  Naclilaaa  Humboldra,  der  un- 
streitig noch  ein  reichhaltiges  Material  fQr  das  basliische  Sprachatadium  enthalten 
muss,  bisher  noch  gar  nicht  zugfinglich  geworden  ist. 

*)  Die  Ansicht  HumboldTs    hat   in    neuester  Zeit    fast   allgemeine  Anerkennang' 
gefunden.    Francisque-Michel,  Le  pays  Basque  (Paris,  1857)  p.  9.  rertritt 
im  Gegensatze  dazu  die  Meinung,  die  baskische  Sprache  sei  von  jeher  nur  in  des 
sieben  Provinzen  (Labourd ,  Soule ,  Nieder-  und  Ober-NaTarra ,  Alava ,  Guipuxcoa 
und  Biscaja),  wo  es  noch  heute  die  Landessprache  ist,  geredet  worden.  Wenn  er 
sich  dabei  aber  auf  Oihenart  (Note  1)  beruft,  so  dehnt  dieser  Schriftsteller  das 
frühere  Sprachgebiet  des  Baskischen  doch  auf  Asturien ,  Galizieu  und  Lusitanien 
aus  und  nimmt  auch  für  das  übrige  Hispanien  ein  jenem  ihnliches  Idiom  an.  Jener 
Ansicht   ist  in    neuester  Zeit   auch  Garlt,  Origines  des  Basques   de  France  et 
d'Espagne  (Paris,  1869)  betgetreten. 
!<*)  Froher  glaubte  Humboldt  viel  Griechisches  in  der  baskisehen  Sprache  au  finden. 
Vergl.   Gesammelte  Werke.    Bd.  5.   S.  240   (Brief  an  Aug.    Fried.  Wolf.  1801). 
Worte,  wie  eolera^  eteota ,  aingeru  (angelut)^  mendeeoile  (penteeoate)  kann  H  a  m- 
b  o  Idt  damit  nicht  gemeint  haben ;  eher  Hesse  sich  noch  arto  (icp70(,  Brod)  anfSh- 
ren;   vergl.  L^cl  nse,    Grammaire    basque.   p.  32);   aber  auch  darauf  ist  kein 
Gewicht  zu  legen,  um  so  mehr  als  Brod  im  eigentlichen  Sinne  05K  heiast  und  mit 
jenem  Ausdrucke  nur  das  Maisbrod  bezeichnet  wird. 


über  das  iberische  Alphsbet.  171 

Aber  es  lasst  sieh  nicht  leugnen»  dass  Humboldt  doch  noch  etwas 
XU  riel  unter  dem  Einflüsse  jenes  gelehrten  Astarloa  stand  <>),  der 
xwar  besonnerer  als  die  meisten  seiner  Vorgänger  und  als  einzelne 
oeuere  baskische  Schriftsteller,  sich  doch  zu  manchen  weit  hergeholten 
und   nicht  ganz    zutreffenden   Namenserklarungen    bewegen   Hess. 
Wir  wissen  eben  von  dem  Iberischen  blutwenig  und  von  dem  Weni- 
gen das  Meiste  nur  durch  romische  Überlieferung»  um  nicht  zu  sagen 
durch  romische  Verunstaltung.   Es  war  daher  auch  nicht  möglich» 
irgend  welche  feste  Prinzipien  über  das  Verhältniss  des  iberischen 
Lautsystems  zu  dem  romischen  aufzustellen.    So  kann  es  auch  leicht 
kommen»  dass  zu  einer  romischen  Wortform  eines  iberischen  Namens 
ein  modernes  baskisches  Wort  zu  passen  scheint»  wahrend»  wenn 
man  wirklich  einmal  einen  richtigen  iberischen  Namen,  z.  B.  durch 
eine  Münze  kennen  lernt»  dieser  sich  unter  jene  baskische  Erklärung 
durchaus    nicht  fugen   will.     Allerdings  kann  solchen  Erklärungs- 
Tersuchen  hin  und  wieder  auch  der  Umstand  zu  Gute  kommen »  dass 
die  baskische  Sprache  sicherlich  selbst  das  Schicksal  gehabt  hat» 
sieh  unter  romischem  und  dann  unter  dem  in  gleicher  Weise  wir- 
kenden  romanischen    Einflüsse    in    ihrem   Lautsystem   vielfach   zu 
ändern;  dennoch  konnte  auch»  wenn  ihr  das  Iberische  zum  Grunde 
liegt»  die  Erscheinung  leicht  eintreten ,  dass  im  heutigen  Baskischen 
ein  Wort  ganz  anders  als  ursprünglich  lauten  und  desshalb  schwer 
erkennbar  sein  wQrde.  Im  heutigen  Baskischen  trifft  man  eine  nicht 
gerade  unangenehm  klingende  Gruppirung  der  Laute  an»  wahrend  die 
iberische   Sprache   mit  ihrem  ganz    alterthümlichen  Vocalismus  <*) 
uns  wohl  eben  so  wenig»  als  den  Römern  angenehm  lauten  durfte. 
Was  aber  jenen  Einfluss  fremder  Sprachen  auf  das  Baskische  betrifft» 
so  mQssen  wir  uns  schon  bei  dieser  Gelegenheit  ganz  entschieden 
gegen  die  Ansicht  erklaren,  als  ob  das  Baskische  eine  durchaus  reine 
und  ungetrübte  Sprache  sei  <>).    So  rein  sie   in  ihrem  Organismus 
ist,  so  bunt  gemischt  ist  sie  in  ihrem  Wortschatz,  so  zwar,  dass  man 


'')  Vericl.  E.  Hfibner,  Epigniphische  Reisemittheilungeo  in  den  Monatsberichten  der 

k.  preoM.  Akademie  der  Wltsenschaften.  1861.  S.  755. 
*')  Ver^l.  Coraaen,  Über  Aoasprache,  Vocalisoiua   und  Betonang  der  iateiniachen 

Sprache.  2.  Anfl.  S.  347. 
"j  Vergl.  Vioson,  Notea  aar  la  d^clinaiaon  basque  (Revu^  de  linguistiqae.  Tom.  III. 

p.  5). 


172  Phillips 

keine  Seite  in  einem  baskischen  Buche  aufschlagen  kann,  ohne  latei- 
nischen Worten  zu  begegnen.  Wenn  es  z.  B.  in  einem  irrthQmlich 
in  die  Zeiten  Hannibals  versetzten  Liede^^)  fa^isst: 

Choris  cantagale  ejerra 
Vogel,    schöner   Sänger 
und  bald  darauf: 

ez     oreniCf    ez      mementic 
weder  Stunde,  noch  Augenblick, 

80  braucht  man  dazu  keine  Stunde,  sondern  kann  augenblicklich  das 
Lateinische  darin  erkennen,  man  müsste  denn  wie  Larramendi  und 
andere  baskische  Philologen  thun,  annehmen,  die  Römer  hätten 
derartige  Worte  aus  dem  Ibero-baskischen  erborgt.  So  leicht  es 
nun  auch  ist,  die  lateinischen  Worte  in  ihrer  baskischen  Verpuppung 
(z.  B.  berihute:  virius,  gorphutz:  corpus ,  borondate:  voluntas')  zu 
erkennen,  so  wird  es  noch  eine  schwere  Aufgabe  der  Wissenschaft 
bleiben ,  in  dieser  Sprache  wie  in  dem  noch  so  wenig  erforschten 
Iberischen,  die  keltischen  Einflüsse  auszusondern. 

Doch  um  zu  Humboldt  zurückzukehren,  so  werden  dessen 
unsterbliche  Verdienste  nicht  beeinträchtigt  <>),  wenn  man  trotz  einer 
Menge  der  geistvollsten  Combinationen  doch  so  manchen  seiner  ein- 
zelnen Erklärungen  nicht  beistimmen  kann,  freilich  oft  genug  mit 
dem  aufrichtigen  Geständnisse,  dass  man  eine  bessere  Deutung  auch 
nicht  zu  geben  vermöge.  Es  ist  eben,  wie  Hübner  gegen  das  Ver- 
fahren Boudard's  sich  ausdrückt,  eine  schwierige  Sache  «auf  dem 
dunkeln  Gebiete  des    Iberischen    mit  dem  Baskischen    h^rum    zu 
operiren**  <<).   Die  Fälle,  wo  man  wirklich  mit  voller  Überzeugung 
sagen  könnte,  dies  oder  jenes  baskische  Wort  sei  ganz  unzweifelhaft 
einem  iberischen  verwandt,  sind  nicht  gar  zu  häufig,  während  andrer- 
seits sich  nicht  verkennen  lässt,  dass  viele  iberische  Namen,  auch  in 
ihrer  romischen  Form,  doch  im  Allgemeinen  den  Eindruck    einer 
gewissen  Übereinstimmung  mit  dem  Baskischen   machen.    Mau    ist 


<^)  Vergi.  Garat,  a.  a.  O.  p.  257. 

^^)  Diese  gering  su  schfitzen  war  M.  A.   Montel,   Histolre   de   la   lang'ue    et    de  la 

literature  gauloises  (bei  Gerat  a.  a.  0.  p.  257.)  ood  Blad^   (S.  t.    Note  ^} 

aufbehalten. 
1«)  E.  Hübner,  a.  a.  0.  S.  755. 


Ober  dM  ibericch«  Alphabet.  t  73 

daher  um  so  mehr  berechtigt  gerade  auf  diesen  Punkt  ein  gewisses 
Gewicht  zu  legen,  als  allerdings  einzelne  .Wurzeln  auch  in  den  von 
deaRomern  riberlieferten  Städtenamen — wir  machen  auf  K-;  Wasser, 
aormerksam  -^  sich  auch  im  Baskischen  wiederfinden.  Alles  aber, 
was  Tom  Echt-Iberischen  auf  die  Nachwelt  gekommen  ist,  besteht, 
einige  bisher  unentzifferte  Inschriften  abgerechnet,  nur  in  Eigen- 
oameo;  Ton  Conjugation  wie  überhaupt  yon  irgend  welchen  gram« 
matischen  Formen  ist  kaum  Etwas  daraus  zu  entnehmen,  höchstens 
einmal  in  einigen  Munzlegenden  eine  Andeutung  eines  Genitivs  oder 
ein  Suflix,  welches  sich  nicht  jeder  Erklärung  entzieht.  So  findet 
z.  B.  —  ihn  oder  —  t^n  oder  auch  —  g'm,  selbst  in  Mitten  von 
Legenden,  welche  zwei  Namen  enthalten  (Leg.  166.  168),  seinen 
Anklang  in  dem  baskischen  Suffix  -kin;  dasselbe  bezeichnet  den 
Begriff  einer  Gemeinschaft  oder  Genossenschaft  und  kommt  im  Bas- 
ischen als  Postposition  in  der  Bedeutung  von  ^^mit^  vor«?). 

Die  Veranlassung  zu  diesen  Bemerkungen  wird  uns  durch  die 
Bedeutung  jener  Munzlegenden  geboten ;  eine  wichtige  Quelle,  deren 
Humboldt  zwar  auch,  aber  doch  nur  gelegentlich  und  anhangsweise 
gedenkt  is).  Mag  auch  rielleicht  die  eine  oder  andere  dieser  iberischen 
Munzlegenden  corrumpirt  sein ,  so  liefern  sie  doch  ein  Verhältnisse 
missig  reichhaltiges  Material,  dessen  Humboldt  sich  noch  gar 
nicht  bedienen  konnte;  hier  treten  entschieden  echte  iberische 
Formen  auf  <•),  während  Humboldt  eben  lediglich  auf  die  durch  die 
Römer  corrumpirten  Namen  angewiesen  war;  ein  Gegenstand,  der 
noch  einer  näheren  Beleuchtung  bedarf. 

IIT. 
Die  iberischen  Namen  in  der  Schriftsprache  der  Römer. 

Das  Interesse,  welches  die  beiden  gebildetsten  Völker  des  Alter- 
tbnms  an  den  Lebensverhältnissen  der  von  ihnen  als  » Barbaren "* 
bezeichneten  Volksstämme  nahmen ,  war  ein  nur  sehr  geringes.  Sie 


^^)  Wir  eatlialtc«  iiiia  jeder  SpreehTergleichnng,  obscboii  sieh  das  griecb.  9uv  (ky- 
prieeli  Irin  a.  6.  Curtios,  Grandsiige  S.  477.  Pott,  Etymologische  Forschongen, 
Bd.  I.  S.  840.  a.  ff.)  ond  das  lat.  cum  aufdringen  an  woUen  scheinen. 

<')  Hanboldt,  a.  a.  O.  8.  58.  8.  180.  a.  ff. 

**)  In  Betreff  dieeer  ist  hauptalchlieh  auf  P.  A.  Bondard,  Numismatiqne  Ib^rienne 
(Paria.  1857.  4.)  su  Terweisen. 


174  Phillips 

erachteten  es  wohl  der  MQhe  werth,  die  Länder  fremder  Volker  sieh 
zu  unterwerfen  und  deren  Schätze  sich  anzueignen,  nicht  aber  irgend- 
wie gründlich  und  genau  Ober  die  früheren  Geschicke,  Ober  den 
Culturzustand ,  Aber  Sitten  und  Gebräuche  der  Besiegten ,  ja  nicht 
einmal  Ober  die  Namen  der  einzelnen  Stämme  sich  zu  unterrichten. 
Ausser  dem  Namen ,  welchen  sich  ein  Volk  selbst  gab ,  horten  sie 
auch  die  verschiedenen  Bezeichnungen,  die  demselben  von  andern 
Volkern  beigelegt  wurden  und  brachten  bei  ihren  nur  sehr  allmShlig 
zunehmenden  Kenntnissen  in  Geographie  und  Ethnographie,  alle 
solche  Namen,  ohne  recht  zu  wissen,  wie  sie  eigentlich  angewendet 
werden  sollten,  neben  einander  zur  Geltung.  Dabei  schrieben  sie 
diese  Namen  nicht  etwa  phonetisch,  sondern ,  wenn  sie  ihnen  Ober- 
haupt die  Ehre  anthaten,  sie  zu  erwähnen,  verunstalteten  sie  die- 
selben, um  sie  sich  eben  mundgerecht  zu  machen.  In  welchem  Umfange 
haben  dies  schon  die  Griechen  mit  den  indischen  Namen  gethan  <) ! 
Aus  dem  pfeilgeschwinden  Vitasta  wurde  ihnen  der  Hydaspes,  aus 
dem  fessellosen  VipisAd er  Hyphasis  und  um  dem  Alexander-fressenden 
Sandrophagos ,  wozu  sie  die  ^MondesgabC  Chandrabhl|jA  gemacht 
hatten,  zu  entgehen,  nannten  sie  diesen  FIuss  Akesines.  Nicht  anders 
machten  es  die  Romer  mit  den  Namen  der  meisten  Völker;  z.  B.  mit 
denen  der  Karthager  und  Numidier:  aus  Abdmilcart  entstand  Hamil- 
car,  aus  Magsibal :  Micipsa,  aus  Mezetbal :  Hezetulus,  aus  Hacamsbal : 
Hiempsal«).  Man  darf  sich  daher  Ober  die  Äusserung  des  Plinius 
nicht  wundern,  wenn  er  gerade  in  Beziehung  auf  die  iberischen 
Namen  ohne  allen  Ruckhalt  eingesteht  *),  dass  er  nur  solcher  Städte 
Namen  anzugeben  beabsichtige ,  welche  ganz  besonders  erwähnens- 
werth  oder  von  seinen  Landsleuten  leicht  auszusprechen  seien;  in 
gleicher  Weise  sagt  er  an  einer  anderen  Stelle:  er  wolle  nur  die- 
jenigen Hülfsvölker  aufzählen,  welche  zu  nennen  nicht  widerwärtig 


1)  Vgl.  Bohlen,  das  alte  Indleo.  8.  17. 

*)  Vgl.  Oesenios,  Serlpturae  lingiiaei|oe  Phoeoictae  MoBonenU.  p.  119.  107.  202. 
AU  eines  Ton  Tielen  Beispielen,  wie  die  Oriecben  panische  Namen  rerdrehten, 
kann  'Iinrou  Jfxp«  oder  'I;nra*ypi3r«  dienen,  wodurch  sie  Ifpo  aekoret^  d.  h.  das 
andere  Hippe,  wiedergaben.  S.  Schröder,  die  phönisiaehe  Spreche.  S.  41. 

')  PI  in.  Second.  Bist,  natur.  Lib.  111.  cap.  S:Ez  hia  digna  raemoratn  aut  Latiali 
aermone  dietu  facilia  —  Ossonoba  etc. 


Ober  dM  iberifche  Alphabet.  1  7S 

sei*).  Dem  ähnlich  bemerkt  Pomponius  Mela'),  dass  es  bei 
den  Cantabrern  verschiedene  Völker  gehe,  deren  unverständliche 
Namen  ein  römisches  Ohr  nicht  in  sich  aufnehmen  könne. 

Eigentlich  darf  man  sich  über  ein  solches  Verfahren  doch  nicht 
garzQ  sehr  verwundern;  spatere  Zeiten  haben  es  darin  nicht  besser 
gemacht  Wer  erkennt  noch  in  Grenoble:  Gratianopolis ,  in 
Passau:  Batava  castra«  in  Wels:  Ovilabis,  in  Sarragossa: 
Caesaraugosta?!  Und  wie  werden  noch  beut  zu  Tage  neu  bekannt 
werdende  Namen  in  der  Schrift  wiedergegeben,  der  Aussprache  der- 
selben gar  nicht  zu  gedenken «  die  sich  jedes  Volk  eben  nach  seinen 
Spraebwerkzeugen  zurecht  macht;  ein  Verfahren,  worin  bekannt* 
lieh  die  Engländer  alle  anderen  Volker  fibertreffen  •). 

Um  aber  nunmehr  der  Schicksale  zu  gedenken«  welche  die 
iberischen  Namen  erfuhren,  so  muss  man  in  der  That  doch  ein 
billiges  Urtheil  über  die  Aussprache  derselben  durch  die  Römer 
fallen.  Denn»  man  wird  anerkennen  müssen,  dass  so  manche  dieser 
Namen  gerade  wegen  ihres  Vocalismus  den  Romern  ganz  unfiber- 
windliche  Schwierigkeiten  boten.  Auch  Humboldt  bat  dies,  ob- 
schon  er  solcher  echt  iberischer  Namen  nur  wenige  kannte,  ganz 
richtig  geahnt;  in  der  That,  es  gab  Namen,  welche  den  römischen 
Ohren  noch  viel  widerwärtiger  klingen  mussten?),  als  die  in  dieser 
Bexiehung  von  Strabo  hervorgehobenen.  Dieser  Schriftsteller 
beendet  seine  Aufzählung  iberischer  Volksnamen  mit  den  Worten  >): 

^)  Fl  IB.  I.  c.  Lib.  IV.  cap.  11 :  qoos  Bominare  noo  pigeat. 

*)  PoBpoB.  Mein  Geogr.  Lib.  UI.  eap.  15.  Äholich  wie  diese  Autoren  drfickt  sieb 
der  Rbetor  MaziniM  aus  Madauni  fiber  die  pnuische  Spracbe  aus ,  too  weleber  er 
sagt,  das«  die  Namen  der  puDiscben  Bekenner  n^ltt  honiioibnsque  odiosa 
•oainn^  Mieo.  8.  August.  Epist.  16.  p.  2. 

')  Den  Ifaaen  eines  bekannten  deutschen  Gelehrten  b6rte  man  in  Bng-Iand  aus- 
sprechen :  Sklfhijutel  und  den  des  berfihmten  Fürsten  ron  Wahlstatt : 
Bljjtecber. 

')  Wir  flnaben  Humboldt  darin  nicht  beipSiehten  xu  dürfen,  wenn  er  (Unter- 
sncbungttB  S.  35.  Note  31)  annimmt,  dass  den  Römern  die  iberischen  Namen  doch 
leichter  nuasnsprechen  gewesen  seien,  als  die  keltischen. 

*>  Strabo,  Geograph.  Lib.  UI.  eap.  3.  n.  8.  (edlL  Paris.  1858.  p.  29.)  —  Lucian, 
wenn  er  anders  der  Autor  der  Nekromantie  ist,  tadelt  die  Bedeutunglosigkeit  und 
Vidsxlbigkeit  der  barbarischen  Namen.  Vgl.  Humboldt,  Untersuchungen  S.  5. 
der  nach  Zusammenstellung  dieser  Äusserungen  bemerkt:  ,)S0  mAren  sie  (die 
alten  SchriltsteUer)  wohl  manche  Ton  ihnen  aufgenommene  (Namen)  abgekfirst  und 
nicht  blos  dem  griechischen  oder  römischen  Organ,  sondern  aueb  wirklich  Wörtern 
ihrer  Sprache  gemiss  gebeugt  haben*'. 


176  Phillips 

«noch  mehr  Namen  hinzuzufügen,  widert  an;  ich  scheue  mich  Tor 
der  Langweile  neuer  unerquicklicher  Schreiberei ,  es  sei  denn»  dass 
Jemand  ein  Vergnllgen  daran  fände,  die  Namen  Pleutauren, 
Bardyeten,  Allotriger  und  andere  noch  hftsslichere  und  Ter- 
worrenere  zu  vernehmen  *). 

Doch  hören  wir  nunmehr  einige  dieser  echten  iberischen  Namen, 
wie  sie  uns  durch  Münzlegenden  geboten  und  von  Boudard  gelesen 
werden  io):  Aoraq*tz,  Q^noor^bp  Bortze;  aus  dem  ersten  machten  die 
Romer  Arevad;  der  zweite  wandelte  sich  in  ConirMa;  aus  B&rize 
wurde  Bursao.  In  gleicher  Weise  gaben  die  Römer  Eoatia  durch 
FJaha,  B^zom  durch  üxama,  OoaqHz  durch  Vaccaeit  Ooioot 
durch  Autelani  wieder  1 9-  Was  sollten  sie  aber  wohl  mit  Meq* 
pioikhip  Ohaoq%  Q^noi^tz^  mit  Tzaiz  und  Tzooh  anfangen? 

Vergleichen  wir  damit  einige  der  Erklärungen  Humboldfs, 
so  ist  ersichtlich,  dass  z.  B.  Arevaci  nicht  ron  dem  bask.  area  und  ba 
(was  „tiefe  Ausdehnung*'  bedeuten  soll)  herkommen  kann  i*).  Auch 
der  Name  der  Stadt  Biatia  lässt  sich  nicht  durch  bask.  bi  (zwei) 
und  atia  (eigentlich  atea,  Thure)  erklären  is).  Eben  so  wenig 
ist  es  zulässig  die  Autetani  als  die  Bewohner  eines  „ Landes  des 
Staubes,  der  Trockenheit**  anzusehen,  weil  au^sa  im  bask. „Staub*' 
heisst  **) ;  davon  ist  in  Ooioot  keine  Spur.  Auch  kann  Contrebia 
nicht  als  ein  Beispiel  einer  iberischen  Consonautengruppe  y^tr**  ange- 
fQhrt  werden  1^),  da  es  ursprünglich  Qonoorib  heisst,  auch  Gianda- 


*)  Vgl.  nach  Laeian.  Necyoo.  (Angnat.  Opp.  11.  t6).  —  Vgl.  Sehr  Ader,  a.a.O. 

S.  87.  Note  4. 
^9)  Wir  behalten   einatweUen  Bondard^a  (NuoilaiBatiqne  IbdrleBBe)  DeotQngen  bei, 

ohachon,  wie  alch  weiter  nuten  heranaatellen  wird ,  wir  keineawega  in  elleii  Bin- 

aelaheiten   denaelben   auatimmen   können.    Inabeaendere  gilt  diea  aneh   na    dem 

iberiachen  Bnchateben  4^*  deaaen  Bedentang  erat  weiter  nnteo  erörtert  werden 

kann. 
1*)  Vgl.    noch    Chaho,    Hiatoire   primitiTe  dea  Baakariena-Baaqaea.    Tom.  I.    p.   4. 

S.  Boudard,  ^tndea  aur  TAlphabet  Ib^rien.  p.  89.  S.  aueh  deaaen  Nnmianatique 

Ib^rienne.  p.  3tS. 
1*)  Hnmboldt,  Unteranehungen.  S.  105.  Note  90. 
IS)  Humboldt,«,  n.  0.  S.  67. 
f^)  Hnmboldt,  a.  a.  0.  8.  63« 
<*)  Humboldt,  a.  a.  O.  S.  S7« 


Ober  das  iberisehe  Alpliabet.  ITT 

merium  <•)  nicht  für  die  Zusammenstellung  von  g  und  /,  weil  durch 
die  Hunzlegende  Kaniamir  die  Variante  Favdö/xipGv  bei  PtolomSus 
und  Gandomerium  beim  Anonymus  Ravennas  unterstfitzt  wird. 
Dagegen  lässt  sich  nicht  in  Abrede  stellen»  dass  Bortz  (Bursoo^ 
dessen  Humboldt  nicht  gedenkt}  einen  Wiederhall  in  dem  bas- 
liscben  Zahlworte  bortz,  welches  „fünf**  bedeutet»  findet. 

Die  Römer  trafen  demnach  in  den  Iberern  auf  ein  Volk»  welches 

in  seiner  Sprache  noch  einen  ziemlich  „unverwelkten*'  Vocalismus 

bewahrt  batte  «?).   Es  mochte  daher  derselbe  an  Volltonigkeit  nicht 

viel  der  «Sprache  der  arischen  Inder  in  jenen  Zeiten^  nachgestanden 

haben,  «als  sie  zuerst  im  Pendschab  dem  Indra  ihre  Hymnen  sangen''; 

ob  er  sich  zu  der  ,, weichen  Tielstimmigen  Harmonie"  ausgebildet 

habe»  „wie  diese  in  der  griechischen  Sprache  in  dem  Zeitalter  sich 

eotwiekelt  hatte»  als  die  Hellenen  mit  ihren  Pflanzstatten  die  Küsten 

Kleinasiens  bedeckten«  die  Seeherrschaft  der  Phönizier  brachen  und 

ihre  Lieder  sangen  von  Troja's  Fall  upd  der  Heimfahrt  der  Helden*'» 

mag  dahingestellt  bleiben.   Unter  allen  Umständen  befand  sich  die 

iberische   Sprache  damals    als  die  Römer  nach  Hispanien  kamen» 

Doch  in  einem  Stadium»  welches  den  Sprachformen  im  Zeitalter  der 

Sprachenseheidung  noch  sehr  viel  näher  stand»  als  dies  bei  anderen 

Sprachen»  mit  welchen  die  Römer  in  Berührung  kamen»  der  Fall  war» 

ein  Umstand»  der  auf  eine  gewisse  Isolirung  der  Iberer  hinzuweisen 

seheint «»). 

Dadurch»  dass  die  Römer  in  der  rorhin  geschilderten  Weise  die 
Originalität  der  iberischen  Namen  der  Unzulänglichkeit  ihrer  Sprach- 
werkzeuge oder  ihrer  Bequemlichkeit  zum  Opfer  brachten,  haben  sie 
das  Eindringen  in  die  wenigen  noch  erhaltenen  iberischen  Sprach - 
reste  sehr  erschwert.  Um  so  mehr  verdienen  daher  die  alten  Münz- 
legenden Aufmerksamkeit,  als  sie  vorzüglich  zur  Kenntniss  des 
iberischea  Alphabetes  verhelfen. 


f<>  H«mboldt»  a.  a.  0.  S.  1%, 

*')  V|^I.  Co  rasen,  (S.  II.  Note  12);   aus  dieaem  Werke  aind  die  im  Texte  nachfol- 

feiiden  mit  Aofabnu^ptaeiehen  jy  *^  rerseheoea  Worte  entnommen. 
**)  Ifodi  Tacit.  Annal.  IV.  45.  bezeiehnet  die  Iberer  als  barhüri. 

Sitab.  d.  pkiL-biat.  CL  LXV.  Bd.  II.  Hft.  14 


1 78  Phillips 


IT. 
HerstelluBg  eines  iberischen  Alphabets. 

Unseres  Wissens  hat  sieh  noch  Niemand  in  Deutschland  ein- 
gehend mit  dem  iberischen  Alphabete  befasst.  Was  Gesenius 
darOber  mittheilt  i),  enthält  Tiele  Unrichtigkeiten;  er  führt  Th  als 
einen  iberischen  Buchstaben  an  und  doch  fehlt  derselbe  in  jenem 
Alphabet  ganz  und  gar;  er  bezeichnet  ferner  das  Q  durchaus  unrich- 
tig mit  dem  Zeichen?,  M'elches  das  Iberische  als  Okennt,  während  jener 
Buchstabe  in  der  Gestalt  Z  erscheint;  er  berücksichtigt  endlich  den 
häufig  vorkommenden  Buchstaben  H'  gar  nicht,  und  gibt  statt  seiner 
ganz  andere  Zeichen  als  dem  phonizischen  Schin  entsprechend  an.  Nach 
seiner  Classification,  beziehungsweise  Genealogie  der  aus  dem  phoni- 
zischen entsprungenen  Alphabete,  scheint  Gesenius  das  der  Iberer 
dem  altgriechischen  und  dessen  Tochteralphabeten  (etruskisch, 
umbrisch,  osklsch  und  sabinisch)  unterordnen  zu  wollen«),  was  doch 
keineswegs  zuzugeben* sein  dürfte*). 

Das  Verdienst  ein  iberisches  Alphabet  und  zwar  mit  Hülfe  der 
Numismatik  hergestellt  zu  haben,  gebührt  dem  Franzosen  B  o  u  d  a  r  d ; 
eine  viel  geringere  Ausbeute  als  die  apgegebene  Wissenschaft  hat 
bisher  die  Epigraphik  geliefert.  Die  in  Aussicht  gestellten  viel  ver- 
heissenden  Arbeiten  des  Spaniers  Delgado^)  sind  noch  nicht 
erschienen;  auch  Boudard  ist  in  seinen  verdienstlichen  Unter- 
suchungen unterbrochen  worden  &).  Die  Arbeiten  des  zuletzt 
genannten  Autors  haben  indessen  bereits  zu  so  günstigen  Resultaten 
in  dieser  Beziehung  geführt,  dass  man  von  diesen,  was  das 
Alphabet    betrifil,    als    von    einem    ziemlich  sicheren  Fundamente 


1)  Gesenius,  Scriptarae  lingaseque  phoeniceae  Monumentii  Tab.  2. 

*)  Gesenius,  I.  c.  p.  64. 

*>  Über  GrotefondtS.  unten  S.  20. 

*)  E.  Hfibner,  Epigraphisehe  Reiseberichte  in  den  Monatsberichten   der  k.    prens. 

Akad.  der  Wissenschaften.  1861.  S.  755.  Nach  einer  giitigen  Mittheilung  desselben 

Gelehrten  ist  eine  baldige  Publication  leider  nicht  lu  hoffen. 
')  S.   unten  Note  12. 


Ober  dM  iberische  Alphabet.  179 

«lugehen  darf  •)»  wenn  auch  so  manche  einzelne  Frage  noch  nicht 
genügend  gelöst  worden  ist.  Zu  jenem  Ziele  zu  gelangen  war  in  der 
Thatum  so  wunschenswerther,  als  bisher  hiecin  eine  grosse  Unsicher* 
hat  herrschte  und  es  rorkommen  konnte,  dass  eine  und  dieselbe 
Hfinxlegende  Rinthiris  und  Gentug^  gelesen  werden  konnte,  yon 
velcber.  Boudard  festgestellt  hat;  dass  sie  Khonooriba  zu 
lesen  sei'). 

Boudard  hat  das  iberische  Alphabet  in  zwei  verschiedenen 
Werken  behandelt,  nämlich  in  seinen  „Etudes  sur  TAIphabet 
Iberien  et  sur  quelques  monnaies  autonomes  d^Espagne"*  (Paris  et 
fi^xiers.  18S2.8^}  und  in  dem  »Essai  surlaNumismatique  Ibdrienne, 
pr^^d^  de  recherches  sur  l'Alphabet  de  la  langue  des  Ib^res*' 
(Paris.  1859.  4^).  Freilich  können  wir  nicht  umhin  zu  bemerken, 
dass  Boudard  in  diesem  neueren  Werke  manche  frühere  Ansicht 
aofgegeben  hat,  die  uns  wenigstens  richtiger  erschienen  ist  als  das- 
jenige, was  er  an  die  Stelle  gesetzt  hat.  Wir  werden  mehrmals 
Gelegenheit  finden,  dies  hervorzuheben  und  naher  zu  begründen. 

Was  die  frühere  Literatur  dieses  Gegenstandes  anbetrifll,  so' 
hat  Boudard  allerdings  mehrere  verdienstvolle  Vorgänger  gehabt; 
dazu  gehören  aus  neuerer  Zeit  vornehmlich  folgende  Schriftsteller: 
Domenico  Sestini,  Descrizione  delle  Medaglie  Ispane.  Firenze, 
1818.  4.;  Fr.  de  Satilcy,  Essai  de  Classification  des  monnaies 
autonomes  d'Espagne.  Metz.  1840  ;  J.  J.  Akerman,  Ancient  Coins 
of  eitles  and'Princes.  London.  1846.  8  und  G.  Dan.  de  Lorichs, 
Recherches  Numismatiques  concernant  principalement  les  Monnaies 
Celtib^riennes,  Paris.  1882.  4.  Wegen  der  Abbildungen  iberischer 
Münzen  wäre  auch  noch  Sabatier,  Iconographie  de  cinq  mille 
medailles  Romaines,  Byzantines  et  Celtiberiennes.  St.  Petersb.  1849. 
fol.,  ein  Werk,  welches  Boudard  unbekannt  geblieben  zu  sein 
^beint«  zu  erwähnen,  wi>bei  nur  zu  bedauern  ist,  dass  es  hier  selbst 


*)  Die  TOB  demselben  Tertachten  Nameneerklirungen  aus  dem  Baskiacbeii  halten  wir 

■eifliene  nicht  für  g^liickt. 
^)  ▼fi-  Bo«dard.  Ifamiamatiqne  Ib^r.  p.  167.    Anf  jenem  Standpunkte  steht  man 

■och  in  Betreff  deetnrdeianisehen  Alphabetes.  Für  eine  Legende,  welche  A  c  k  e  rm  an, 

Aacieiii.  coins  p.  47  Aetitboe  liest ,  scheint  man  eben  so  wohl  Josilam  als  Josilas 

▼orachlagen  su  dfirfen. 

14» 


180  Phillip« 

an  einem  Versuche  der  Erklärung  gänzlich  mangelt.  Jene  Arbeiten 
sind  sämmtlich  mit  grossem  Fleiss  und  rieler  Sorgfalt  gefertigt^),  wenn 
auch  der  strebsame  schwedische  Gesandtschaftssecretär  am  Hofe  zu 
Madrid»  v.  Lorichs»  bei  der  Entzifferung  der  Hunzlegenden  von 
einer  sehr  unglücklichen  Torgefassten  Meinung»  die  allenfalls  ffir 
spätere  Zeiten  einigen  entfernten  Grund  hätte  haben  können»  aus- 
gegangen ist*).  So  viele  Anerkennung  diese  Arbeiten  also  auch  yer- 
dienen»  so  hat  doch  Boudard  einen  yiel  richtigeren  Weg»  als  seine 
Vorgänger»  in  der  Vergleichung  der  verschiedenen  Münzlegenden 
eingeschlagen. 

Bis  zu  diesen  neueren  Untersuchungen  figurirten  noch  immer 
in  allen  betreffenden  Werken»  namentlich  bei  Florez  in  seinen 
Medallas  de  las  Colonias»  Municipios  y  Pueblos  antiguos  de  Espana 
(Madr.  1757—1773.  3.  Vol.  4.)  eine  beträchtliche  Anzahl  soge- 
nannter Letras  desconocidas;  ein  Ausdruck»  mit  welchem  man  eben 
die  noch  nicht  enträthselten  iberischen  Buchstaben  bezeichnete. 
Schon  Velasquez  (Ensayo  sobre  los  Alphabetos  de  las  letras  des- 
conocidas. Madr.  1752.  4}  wollte  auf  Grund  althispanischer  Münzen 
drei  Alphabete  von  einander  unterscheiden  und  zwar  das  kelt- 
i  her  i  sehe»  das  tu  r  de  tan  is  che  unddas  bastulo-phöuizische. 
Von  diesen  sollte  das  zuerst  Genannte  vorzugsweise  in  Keltiberien 
und  in  dem  grossten  Theile  der  Provincia  Tarraconensis  gebräuchlich 
gewesen  sein,  das  zweite  bei  den  Turdetanern  und  überhaupt  in 
Baetica»  das  dritte  in  den  phönizischen  und  puniscben  Colonien  An- 
wendung gefunden  haben.  Wir  glauben  dem  ersteren  dieser  Alphabete 
unbedingt  den  Namen  des  iberischen  schlechthin  beilegen  zu  dürfen, 
denn  bei  den  Stämmen»  welche  gewohnlich  als  Keltiberer  bezeichnet 
werden»  war  doch  das  iberische  Element  sicherlich  das  vorherr- 
schende. Die  bisher  von  Boudard  veröffentlichten  Untersuchungen 
erstrecken  sich  auch  nur  auf  dieses  und  noch  nicht  auf  eine  genauere 
Erörterung  der  turdetanischen  und  phönizischen  Legenden;  wohl 
aber  hat  derselbe  versprochen,  auch  über  sie  eine  Abhandlung  her- 


^)  V^l.  die  höchst  lehrreiche  Kritik  über  Seulcy  von  A.  de  Longperricr, 
in  der  RcTue  nmnismatiqne.  1841. 

<*)  Der  taleotvoUe  Verfeseer  ist  mit  der,  osen  könnte  fsst  eigen  fixen  Idee  beheftet, 
die  MGnzlegenden  bezögen  steh  sinunUieh  nur  auf  römische  Verweltnngagegen- 
stände  und  interpretirt  sie,  um  ein  Beispiel  anzufttbren,  in  folgender  Weise:  Di« 
Legende  H4I=  (HedeJ,  die  er  fSIschlich  HOE  li««^  erUirt  er  eU  OcUre  (weil 


über  du  iberisch«  Alphabet  181 

aimugeben  i<^);  allein  bisher  ist  weder  diese  noch  eine  andere,  welche 
ethnographische  Untersuchungen  in  Betreff  des  alten  Hispaniens  ent- 
halten sollte «>},  Yollendet  worden«).  Es  liegen  daher  für  den 
solchen  Forschungen  ferner  Stehenden  noch  nicht  die  hinlänglichen 
Materialien  vor  und  somit  mnss  auch  unsere  Erörterung  sich  auf  das 
eigentlich  iberische  Alphabet  beschrSnken;  vielleicht  liefern  fSr  die 
Zukunft  altiberische  Inschriften,  welche  bisher  keineswegs  in  grosser 
Anzahl  aufgefunden  worden  sind,  noch  mancherlei  Ausbeute. 

Der  Weg  nun,  welchen  Boudard  eingeschlagen  hat,  um  zu  dem 
erwünschtem  Ziele  zu  gelangen,  war  der,  dass  er  mitsorgflÜltigerAus* 
Scheidung  aller  irgendwie  zweifelhaften  Münzlegenden,  zuerst  die- 
jeoigen    ins   Auge   fasste ,   welche ,    mit  lateinischen   Buchstaben 
geschrieben ,  nur  den  einen  oder  den  andern  iberischen  Buchstaben 
enthielten,   der  dann  auf  diese  Weise  erkannt  werden  konnte.    So 
worden  z.  B.  ermittelt  <=sC,  r«=-P,  F  =  JE  und  h  =  S.    Solche 
ibero-latinische  Legenden  boten,  sobald  leicht  erkennbare  iberische 
sich  ihnen  an  die  Seite  stellten,  wie  ACINIPO  und  A<IMirO.  den 
Schlüssel  zur  Entzifferung  rieler  andern  und  so  wurde  es  möglich 
durch  vierundTierzig  Legenden  siebzehn  iberische  Buchstaben  Töllig 
sicher  zu  stellen.  Schon  hieraus  ergab  sich,  dass  yiele  dieser  Buch- 
staben in  sehr  verschiedenen  Formen  vorkommen  und  es  Hessen  sich 
diese  dann   um  so  besser  erkennen,  als  nicht  selten  der  nämliche 
Nanie  in  verschiedenen  Legenden  mit  mehr  oder  minder  von  eiri- 
ander  abweichenden  Buchstaben   geschrieben  wird.    Dieses  Ver* 
fahren,  consequent  verfolgt,  Hess  einen  Buchstaben  nach  dem  andern 
aus  seiner  Dunkelheit  heraustreten,  obschon  das  sonst  so  wichtige 
HOlfsmittel   zur  Erkenntniss  solcher  unbekannten  Buchstaben,  wir 
meinen  die  Legendae  bilingues»  hier  beinahe  ganz  unergiebig  war. 


H  i«  Latein  wehen  der  «ehto  Buchetabe  int)  Officiaa  Ezterioria  (HUpsniae).  — 
K.  Bib  ner,  Inacriptiunes  Hiapaniae  Latinae  p.528,  aapt  Ton  Loricba,  daaa  er  In 
aeifteaa  B«ebe,  in  Beziehong  auf  die  Znaammenatellnng  der  Mfiozen  aehr  riel  Nutz- 
liebea  f^eiatet  habe,  n^lioae  rero  in  iia  explicandia  adhiblta  Inaolalaaima  rel  potioa 
nnlln  oninhio. 

**)  Bovdnrd,  a.  a.  0.  p.  28.  138. 

^*)  Bondnrd,  a.  a.  0.  p.  2.  Note  4. 

**}  Vgl.  rmu  Eyaa,  Baaai  de  Gramnaire  de  la  langne  basqae.  p.8.  —  Auf  eine  Anfrage 
hicrib«r  habe  ieh  jedoch  in  Erfahrung  gebracU,  daa  Boudard  binnen  Kunem  die 
Rcwllnte  aeiner  weitem  Stndien  in  Tier  Qnartbindan  TeröffentUehen  werde. 


182  Phillipt 

Demgemäss  stellte  nun   Boudard   ein    iberisches  Alphabet  auf^ 
welches  aus  folgenden  Buchstaben  zusammengesetzt  ist: 

A,  ►,  <.  <,  l=.  <i.  H,  ft  K,  K  M,  K  O.  P,  h  H,  T.  H.  Z,  Y, 
a,    b,   c,    d,    e,  g,  A,   t\  A,  /,   m,   n,  o,   p,  r,  «,    ^   u,    »,  y^ 

Ä.  X.  X.  4*. 

ha,  ch,  khf  iz. 

Die  erste  Abtheilung  enthält  zwanzig  Buchstaben,  sechs  Vocalet 
a»  e,  if  0»  u,  i/f  einen  spiritus-asper  h  und  dreizehn  Consonanten 
6,  c,  A  ^»  k,  l,  tn,  n,  p,  r,  «,  ^f  «. 

Die  zweite  Abtheilung  besteht  aus  vier  Zeichen,  welche  Bou- 
dard Lettres  a  son  mixte  nennt. 

Ausserdem  fuhrt  er  noch  einige  zusammengesetzte  Buchstaben 
an,  nämlich: 

fc.  -M.  M,  M«,  r,  ic.  *,  y». 

CO,  im,  rd»  ne^  nU  ke,  sae,  knl;  (s.  unten  S.  209.} 

andere  Beispiele  finden  sich  unter  n.  46.  83.  144.  169.  206  und 
270  der  Münzlegenden.  Zu  diesen  verschiedenen  Zeichen  kommt 
aber  noch  eines  hinzu,  nämlich  ein  Punkt,  durch  welchen  die 
Auslassung  eines  Vocals,  kenntlich  gemacht  wird.  Darnach  ist  e» 
nicht  etwa  blos  der  ausgebliebene  Vocal  t,  sondern  es  trifft  dies 
auch  bei  andern  zu,  z.  B.  in  der  nachfolgenden  Obersicht  der  Münz* 
legenden : 

a  in  n.  74. 

«  in  n.  118. 

tinn.  31,  206  und  307. 

o  in  n.  110. 

Bisweilen  ist  es  auch  ein  Consonant,  dessen  Wegbleiben  in 
dieser  Weise  kenntlich  gemacht  wird;  z.  B.  ist  in  n.  233  das  t  fort- 
gelassen. 

Ganz  regelmässig  sind  die  Namen  von  links  nach  rechts  zu 
lesen,  nur  ausnahmsweise  sind  sie  rückläufig  geschrieben;  z.  B. 
Munzlegende  n.  9.  3t.  43.  66.  70.  110.  117.  121.  188.  282. 
283.  284. 

Um  jedoch  wiederum  zu  dem  Ton  Boudard  festgestellten 
Alphabet  zurückzukehren,  so  bemerken  wir,  dass  wir  nicht  gans  mit 


über  da«  iberiMhe  Alphabet.  1 83 

deouelben  ans  eiaverstaoden  erklären  können.  Unserer  Meinung  nach 
fddt  dem  iberischen  Alphabete  nicht  blos  das  F,  sondern  auch  das  &i 
es  durfte  ferner  der  Buchstabe  X  als  Q  und  nicht  minder  H'  und  ü 
dem  Alphabete  unmittelbar  einzureihen  sein ,  wahrend  wir  b  C^J 
jpraicbtf&r  einen  besonderen  Buchstaben  halten;  femer  ist  H  mitY 
'  ideotiseb  und  somit  wurden  wir  zu  dem  noch  weiter  festzustellenden 
Resoltate  gelangen,  dass  das  iberische  Alphabet  überhaupt  nur 
21  Buchstaben  zahlt,  nimlich  S  Vocale,  einen  spiritus-asper  und 
IS  Consonanten. 

Wir  bleiben  indessen  yor  der  Hand  bei  den  Ton  Boudard 
enielten  Bluttaten  und  legen  dieselben  bei  den  nachfolgenden 
Erörterungen  zu  Grunde.  Zum  Zwecke  dieser  hier  aufzustellenden 
Uotersuchungen  erscheint  es  geeignet  zuerst  durch  Vorlage  des 
gesammten  uns  zu  Gebote  stehenden  Materials  eine  genauere  An- 
schauung des  iberischen  Alphabetes  zu  yermitteln.  Dieses  Material 
besteht  theils  in  Munzlegenden,  theils  in  einigen  nicht  zahlreichen 
hschriften;  wir  müssen  freilich  darauf  yerzichten.  Alles  hinlänglich 
zu  erklären. 


V. 

Zosammezistelluxig  des  Materials*. 

A. 

Die  iWrIsckeo  MQnilegeoden. 

Zu  den  iberischen  Münzlegenden,  welche  hier  fast  saromtlich  aus 
Boudard  entnommen  werden,  zählen  wir  auch  solche,  die  zum  grös- 
seren Theiie  aus  lateinischen  und  nur  aus  einem  oder  wenigen  iberischen 
Buchstaben  bestehen.  Es  sind  diese  Legenden  in  der  nachfolgenden 
Zusammenstellung  unter  307  Nummern  yertheilt  und  darunter,  um 
einstweilen  nicht  yon  Boudard  abzuweichen  auch  zwei,  „Libeco** 
(n.  38)  und  „Ptop''  (n.  80),  aufgenommen  worden,  die  wohl  nicht 

hieher  gehören,  ja  überhaupt  von  jenem  Autor   missverständlich 


*  Dtm   B«itpielc   Gesenio«  in  seineB  MonameDta  folgend,  geben   wir  die  ein> 
leloeB  Formen  in  möglichster  VoUatindigkeit  an. 


184  Phillips 

aufgefasst  worden  siod  <).  Wir  halten  uns  auch  bei  dSr  weiteren 
Darstellung  um  der  leichteren  Anordnung  willen  an  die  von  Boudard 
angenommene  Reihenfolge  und  somit  auch  an  die  von  ihm  festgestellte 
Buchstabenzahl,  nicht  minder  auch  an  die  Bedeutung  und  Aussprache, 
welche  er  den  einzelnen  Buchstaben  beigelegt  hat  und  werden  unsere 
Einwendungen  und  Bedenken  erst  an  den  uns  geeignet  scheinenden 
Stellen  geltend  machen.  Obschon  unsere  Untersuchungen  wesentlich 
auf  den  Resultaten  beruhen,  welche  die  Wissenschaft  der  Numis- 
matik zu  Tag  gefordert  hat ,  so  vermögen  wir  naturlich  doch  nicht 
uns  auf  eigentliche  Fragen  der  Münzkunde  einzulassen;  nur  so  viel 
sei  bemerkt,  dass  ein  grosser  Theil  der  iberischen  Münzen  in  die 


')  Wm  hier  lunichat  Libeco  aDbetrifll,  welche  Lefg.  Boudard  (Numiamatique  Ib^rienne 
p.  290)  mit  Sauaaaye  einem  ao  einer  Mündung  der  Rhone  anfreaiedelten  Volke, 
Lybicl,  snachreibt,  ao  ist  sie  »war  ohne  Zweifel  echt,  aber  sie  ist  nicht  iberisch. 
Die    Exemplare,    welche    Boudard    und    aeinen    Verengern   zu    Gesiebt   ge- 
kommen  sind,  und   deren  Fundorte  nicht  niher  angegeben  sind,   rfihren    aUer 
Wahrscheinlichkeit  nach  tou  dem  MSnzftande  zu  Burwein  in  GraubSnden  her.  V^^l. 
Mommsen,   die  nordetruskischen  Alphabete  auf  Inachriften  und  Münzen  (Mit- 
theilungen  der  antiquarischen  Gesellschaft  in  Zfirich.  Bd.  7.  S.  203.  u.  ff.)    Unter 
dieaer  Vorauaaetzung   ist    die  Legende  als  nordetmakisch   anzusehen  und   siebt 
uLibeko",  sondern  ''Pimko(s)''  zu  lesen.    Moromaen,  a.  a.  0.  S.  205.    Noch 
bedenklicher  möchte  es  mit  dem  Iberianismus  der  Legende  nPtop^  stehen,  bei 
welcher  Boudard  (a.  a.  0.  p.  267)  an  eine  Ton  dem  Anonym.  Rarenn.  erwähnte 
Stadt  Petavium  gedacht  hat,  die  in  der  Nihe  Ton  Telo  Martins  (Toulouse)  gele^n 
war.  Ea  waltet  kein  Zweifel  ob,  dasa  die  Legende  der  Vorderseite  der  betreffenden 
Mfinze  durchaua  keltisch  ist;  je  nach  Verschiedenheit  der  Exemplare   finden  sieb 
mehrere  keltische  Manneanamen  BIIIRIOC  TLegende  6)  AOVROTIOG  (B  o  u  d  e  r  d 
a.  a.  0.  p.269)  oderROTIRVNOV,  fir  welche  sich  riele  Analogien  auf  Mfinzen  und 
Inachriften    finden.     S.  Mommsen    a.  a.  0.  —    Becker,    die    inschriftlicben 
Oberrette  der  keltischen  Sprache,  N.  2  (bei  Ruho  und  Schleicher,  Beiträge 
zur  rergleichenden   Sprachforschung.  Bd.  1.  S.  162).  N.  18.  S.  170.  Vgl.  ebend. 
8.  191.  u.  ff.  S.  lOS.    Ffir  unsem  Zweck  ist  die  Ruckseite  wichtiger.    Das  IWort 
,)Ptop''  findet  sich  nicht  auf  allen  Exemplaren ,  wohl  aber  die  mehr  oder  minder 
ToUaUndIge  griechische  Legende:  AOrrOCTA  -AHTcaN  (Leg.  30).   Das  Wort 
nPtop*  geht  dfeaer  entweder  voran,  oder  ist,  als  eine  besondere  Zeile  bildend«  ror 
AHTotiN  gestellt.    Letzteres   erinnert   an  MAIIAAIHTfiN  auf  maaaaliotiacben 
Mfinzen.    8.  Mommaen   a.  a.  0.  S.  231.  Note  24.   8.  208.  N.  38.    Die  weitere 
Deutung  jenes  Wortes  muss    den  Numismatiken)   fiberlassen   bleiben.    Was    aber 
yyPtop'^  anbetrifft,  so  bitten  wir  darfiber  zwei  Vermuthungen ,  von  denen  wir  die 
eratere   kaum   auazusprechen   wagen.   Boudard   bringt  a.  a.  0.  p>  247  folgende 
Inschrift : 


Ober  dat  iberi«ehe  Alphabet.  1  85 

Zeit  der  Republik,  die  jüngsten  in  die  Caligula's  gehören  <). 
Dass  Phönizier  und  Römer  das  PrSgen  der  Münzen  Oberhaupt  erst 
Ton  den  Iberern  erlernt  hätten ,  gehört  zu  den  Träumereien  hyper- 
patriotischer Basken  •). 

Eben  so  wenig  als  von  numismatischen  Fragen  kann  jetzt  schon 
Too  einer  Erklärung  der  MQnzlegenden  die  Rede  sein;  wir  behandeln 
hier  dieselben  lediglieh  und  aliein  ron  dem  Standpunkte  aus«  dass 
sie  dazu  dienen  sollen«  um  das  iberische  Alphabet  zu  constatiren; 
ihre  Bedeutung  für  Geographie  und  Ethnographie  wird  Gegenstand 
einer  besonderen  Untersuchung  werden. 

Das  interessante  Material «  welches  wir  in  den  nachfolgenden 
Mäozlegendeu  den  Sprachforschern  zugänglicher  machen«  als  es 
ihnen  bisher  gewesen  ist«  mögen  sie  zum  Nutzen  und  Frommen  der 
Wissenschaft  besser  als  wir  es  können«  ausbeuten  und  ver- 
werthen ! 

Wir  folgen  darin  dem  Beispiele  des  jüngeren  Grotefend« 
veleher  auch  ein  grosses  Verzeichniss  iberischer  Legenden  mit  der 
Aufforderung  an  alle  Gelehrte  zur  EntziflTerung  TeroflTentlicbte.  Leider 
haben  wir  uns  diese  im  Jahre  1837  erschienene  Arbeit  bis  jetzt  nicht 
Tersehaffen  können  *). 


CwTAAOr 
MOVEATHC 

PHTwP 

APTEMlAcdPo» 

Ted  AAEAf  CO 

PHTOPI 

Mit  diMem  griecbiacben  P(H)Ta>P  würde  ein  iberisches  P.  TOP  in  der  iusseren 
Eneheinang  viel  Ähnlichkeit  haben.  Mehr  WahrschelnUehkeit  hat  eine  swelte 
Veraethnng,  niinlich  die,  daaa  dieses  „Ptop*'  jenen  IlTnO  enbprfebe,  welches 
sieh  öfters  anf  keltischen  Münzen  des  südlichen  GaUiens  findet  S.  Mommsen 
a.  a.  0.  S.  2U.  8.  253. 

')  MoBiniseo,  römisches  Hfinzwesen,  S.  669. 

*)  Vgl.  Bondard,  Tfumismatiqne  Iber.  p.  145. 

*)  Tgl.  de  Sani cy,  Essai  de  elassification.  p.  3. 


186 


Phillip* 


Iker*-Utiil8ehe   und  einige  andere  nicht '^  iberische  Mfinzlegenden, 
welche  in  diesen  Untersuchungen  zu  berücksichtigen  sind  *). 


1.  ABOERA 

2.  A<ir<ino 

3.  AIPORA  (S.) 

4.  BAILO  (A) 
K.  BiLBILIS 

6.  BiliKiOC 

7.  G\LLET  (A) 

8.  CARIS 

9.  »RA) 
10.  <ARMO 

11.  CAnmo^^; 

12.  <ARMo  (A) 

13.  <ARTEIA 

14.  <A$<t 

18.  CASTVLOSOCED  C^) 

16.  CERE 

17.  CERET 

18.  (VrCARIA  (A) 

19.  E>VSiTANV  (S.) 

20.  EMPOP 

21.  EMPor 

22.  IsMPoR 

23.  EMnOAEITQN  (S.) 

24.  ILERDA  (A) 

25.  ILIPEHSE 

26.  ILITVRQ  (S.) 

27.  ILOITVRGENSE  (St) 

28.  ILVRCON 


29.  IPACRO  (St.) 

30.  IRiPPO 

31.  J^IPPO 

32.  Omm  (S.) 

33.  ITVCI 

34.  KAP 

35.  KAnMO 

36.  LAS  60 

37.  LASTCI  C^) 

38.  0>l^aM 

39.  AOrrOCTAHTwr 

40.  MVNrh 

41.  MKPT 

42.  0DIL(05 
43   OBVLCIN 

44.  OBVLCO 

45.  OHVBA 

46.  0-WBA  (S.) 

47.  ORiPPO  (S.) 

48.  OSSET  (A) 

49.  OSSHT  (S.) 

50.  M^^P 

5t.  SACAISCER  (A) 

52.  HAESAPO 

53.  VbSAP^ 

54.  SAETABI 

55.  SEARo  CA) 

56.  SILBiS  (A) 


*)  Die  Legenden,  welche  eue  Akernan  entnooiinen  sind,  werden  mit  A,  die  »n» 
Lumieret  (Memories  de  le  Aeed.  Tom.  VUl)  mit  L.»  die  ens  Siulcy  mit  8.,  »u« 
Sestini  mit  St.  nnd  endlich  ans  Zobel  (Rerne  «rcheologiqoe.  Tom. XIV)  mit  Z. 
beteichnet;  alle  ihrigen  hat  Bond ard,  wobei  wir  nicht  weiter  daranf  Rnckfticbt 
nehmen,  ob  er  sie  aus  Mionnet,  Description  des  roedailies  antiqnes,  grecques 
et  Romaines.  Tom.  I.  Recueil  des  planches.  pl.  XVI  —  XVIII.  n.  1 — 98.  Sappl. 
pl.  III.  IV.  n.  1  —  104.  oder  Lorichs  Recherchea  oder  Andern  entlehnt  hat. 


über  das  iberiich«  Alphnbet. 


187 


87.  tOLE  (St.) 

88.  TVRIASO  (A) 


59.  HLVRCON 

60.  VEKinO 


Iberische  legeadea. 


61.  (xm)  AT 
«2.  ATMAX 
«3.  ATMAX 
«t  ATMAX  . 
68.  ATMIsQh 

66.  Ah^Z^XM 

67.  Ar»I9h*  C^J 

68.  A9Vi>S^ 

69.  AOI^M^^ 

70.  AOMMDHi^ 
7i.  AOI«IM^ 

72.  ^9PA 

73.  A9PA 

74.  A9P«XH' 
76.  AfPXf 

76.  Af  PXH* 

77.  A^M^l!^ 

78.  APA 

79.  A^I«|:M<M 

80.  AP^M^H 

81.  BHTAPPA 

82.  >\on 

83.  >h>-<M4 

84.  nvi^ 

8«.  >OAl«M«XM 

86.  >OA'l«NMXM 

87.  ►^CA^t 

88.  >^^4'ZM 

89.  P'^hH'XM 

90.  >^^4'{ 

91.  Mil>H2 

92.  ?fl  S  >HS 

93.  >RH>HS 

94.  Vfl^>HS 


98.  ^^^^Hl 

96.  ^f»>»<i 

97.  >fll^H^ 

98.  ►'hM»:^^^ 

99.  V^M\sS<t* 

100.  <A^t! 

101.  <AS¥ 

102.  <Am» 

103.  <|:^^t! 

104.  <M«M 

105.  <AS\F 

106.  iA'rt 

107.  <AhK 

108.  <^is 

109.  <«^|: 
HO.  <'^t: 

111.  <^|s 

112.  ^f»! 

113.  <*,¥ 

114.  <^|! 

118.  <S' 

116.  <» 

117.  ;iX> 

118.  t^|s^ 

119.  >IA 

120.  M 
120iM.  NW 

121.  iDHg  cz> 

122.  M 
1226m.  ^X< 

123.  ^XHH 

124.  mH 
128.  tstATl^A 
126.  WA1^r"A 


188 


Phil  l<  pi 


27.  PO>h>XM 

28.  feOVh>XM 

29. 6o>hrxr* 

29  bü.  ^♦>hrxM 

30.  iieaea 

31.  Foaea 

32.  NI^MV 

33.  Is'hMH' 

34.  HAh>X4' 

35.  H<|s 

36.  HI««h«>'hVI««XM 

37.  HI««h'>TVI««XMMA 

38.  Hl'lh^'hV'h 

39.  HI««hD'Ms|««XM 

40.  HVHMf 

41.  HOHMIO^ 

42.  MTH»« 

43.  HN}>5^M<r>< 

44.  mis 

48.  r^A 

46.  ftFA 

47.  r<J^h«XT 

48.  risMH 

49.  Ii^ujAH 

50.  |UhA<H 

81.  l«hA<M 

82.  |«AA<H^ 

83.  lAAAAAl^ 
64.  PhAVH? 
846m.  H'hA9H<M 
88.  t"AAW<MV 

86.  t"AA9t"9 

87.  t"h>A^XM 

88.  AiAAA  (AJ 

89.  l"Ar^= 

60.  i«Ahoa<r* 

61.  li'AhOI^+Kr' 

62.  |«AH'9X 


163.  l«AY«X 

164.  l«A4^X 
168.  l«hH'^<^ 

166.  l«A4'^XM^ftl«0<N 

167.  l«h4'^<^<N 

168.  ftAH'OXMTAfM* 

169.  I«AY^<^<^ 

170.  IMONN^ 

171.  I^MOHIs^ 

172.  I^MONE^ 

173.  IhTCWO  (St.) 

174.  raOXAlsM 
178.  Kll^r'h 

176.  AW'NM^N 

177.  hM«|:M<r* 

178.  A^'MH 

179.  hyhVH 

180.  m'M'H'MXM 

181.  hW«M 

182.  A^AX 

183.  h>AZ 

184.  hFAH* 
188.  ArW¥ 

186.  A^ZMN 

187.  Mfeni* 

188.  MAr<S> 

189.  MPAr^V 

190.  MEAr^> 

191.  M|sAh«^Xy 

192.  Mfcnrs^ 

193.  MEAl^HP 

194.  Mi^fWfSP' 
iHbia.  M^I^^P 
198.  MHM 

196.  MWh'^l^ti 

197.  MlsXr^l«k5 

198.  MNXT^W^ 

199.  MI^XH*« 


über  dis  iberiaeb«  Alpb«b«t. 


189 


200.  MKMW««HM 

201.  MW««H' 

202.  M^I«Y 

203.  r'^<Hr<i^ 

204.  t^AHt* 

205.  r't!<^H<'H     . 

206.  W<Ht* 

207.  rqi-M 

208.  MMHi^<h«r><r< 

209.  HMHI^I-IMI 

210.  N|iAI>'M<H 

211.  Mii^uipf 

212.  NMY 

213.  KMY 

214.  a 

215.  O^hl^HZM 

216.  AN^K^ 

217.  OHA^Xr« 

218.  fth>I«MXT 
21».  Oiir'Y 

220.  5^hi*tH 

221.  fthl«lHy 

222.  nrxx 

223.  «HXX 

224.  nrH'w^ 

225.  D^AXY 

226.  ♦^AXT 

227.  ÄOW 

228.  .n.OS< 

229.  a^zp^^ 

230.  OO^^-f 

231.  O-O^^^-t 

232.  nZTVP 

233.  m.VP 

234.  PHTAPPAC 

235.  ri^AP 

235  6i>.  P^AP^Ii 

236.  nhPM«H 


237.  PJ^AfH 

238.  r^lMAI^H^ 

239.  XI^I«AAA 

240.  xr><eixr 

241.  xr*eixY 

242.  xHeixv 

243,  XM^IXT 

244.  XXT'^XT 
248.  Xr'09^h 

246.  xr'e^p^ 

247.  XT'Xl^ui 

247  bis.  Xll^f-f 

248.  XN'hMJ«^ 

248  6m.  XH'M^I^'h 

249.  ifkS 

249  W».  XW 

250.  X9MFMH  (S.) 

281.  XWNMXH 

282.  )(hMAN 

283.  )Ö^MAK 

284.  r<^}p 
255.  M^|s 

286.  M^K 

287.  r<S|: 

288.  M^N 

289.  M^>XSHH 

260.  x^Nxa 

261.  DaSIs^QH 

262.  >^2R2^IVa 

263.  ^A^X< 

264.  OQHHX^l 
268.  [XQ^Sar 

266.  M^»HX< 

267.  ^♦^X♦^X 

268.  POÖO^X 

269.  ^^^OX^^X 

270.  f^O^XOAf 

271.  ^^NI«IX^>4' 


i90 


Phil  I  ipi 


272.  ►♦ÖV^XH 

273.  ^^bZ^PXX 

274.  P^tX^^XJ 
278.  ►♦tX^>XX 

276.  S^AATl! 

277.  Hls^/y^^ 

278.  S|!0l«S<N 
«79.  WMI 
280.  |«^<|| 

«80  6m.  S(.nr<i 

«81.  SKP 

282.  ^f*^H 

283.  'M^^H'M«»^ 

284.  >^MDY'^7 
288.  ^tAY\f*OA.P' 

286.  'hMViro/n  (st.) 

287.  irH'<s<r' 

288.  'hK4'<H</n 

289.  'hO^OVH'T 


290.  T^^XM 

291.  'hT^K>0 

292.  ^Slf«^ 

293.  lAAiH  ('y*^ 

294.  'hIAA'IH  C^^ 
298.  AiAA<H  ('il^ 

296.  PPICiKM 

297.  H^K*Kr>< 

298.  fAf 

299   4'^A^I«HAT 

300.  VA^> 

301.  T'hrM 

302.  TfWM 

303.  tWDl^h  (S.) 

304.  ^WP 

308.  ^wr 

306.  MI" 

307.  M« 


Die  Ikerlsckeii  hschrifteo. 

Das  hoffentlich  recht  bald  Ton  Andern  zu  ergänzende  Material, 
/«reiches  die  Epigraphik  bietet,  lässt  sich  in  drei  Ciassen  rertheilen: 
1.  Inschriften  in  iberischer  Sprache  mit  iberischen  Buchstaben;  2.  in 
griechischer  Sprache  mit  iberischen  Buchstaben  und  3.  in  iberischer 
Sprache  mit  lateinischen  Buchstaben.  Die  letzte  Classe  kann  freilich 
zur  Aufhellung  des  iberischen  Alphabetes  Nichts  beitragen ,  um  so 
"weniger,  als  es  bei  mehreren  dieser  Inschriften  doch  noch  nicht 
unbedingt  feststeht,  ob  sie  wirklich  iberisch  sind  oder  nicht;   wir 
haben   sie   aber  dessenungeachtet  der  Vollständigkeit  wegen    auf- 
genommen, weil  sie  doch  rielleicht  einmal  irgend  einen  interessanten 
Vergleichungspunkt  darbieten  konnten. 

Bei  der  Sammlung  dieser  Inschriften    haben  uns  Torzüglich 
folgende  Werke  zu  Gebote  gestanden: 

1.   Eine  Abhandlung   über  das  Theater  von  Sagunt   in     den 
Transactions  of  the  royal  Irish  Academy  MDCCCLXXXIX,  Dublin 


über  das  ib«ritclie  Alphabet.  191 

1790.  (third  Vol.)  4.  Sie  fuhrt  den  Titel  „Obseryations  on  the  de- 
seriptioD  of  the  theatre  of  Saguntum  as  given  byEmanuelAntonio 
Felix  Zoodadario.  By  the  right  hon.  William  Conyngham*'. 
Die  ersten  sechs  unter  den  mitgetheilten  Inschriften  sind  von  Perez 
Bajrer  abgeschrieben. 

2.  Alex.  Comte  de  Laborde,  Voyage  pittoresque  en 
Espagne.  1806;  auch  hier  mehrere  der  Inschriften»  welche  in  dem 
zaror  angegebenen  Werke  mitgetheilt  sind,  und  Ton  dem  Stadthause 
laMarviedro  herrühren.  Labor  de  bemerkt  daiu:  „II  faudrait  se 
laisser  entratner  ä  beaucoup  de  conjectures  pour  essayer  d'en  donner 
une  explicatioa**. 

3.  Villanueya,  Viaje  literario.  Vol.  20. 

4.  Memorias  de  la  real  Academia  de  la  Historia.  Tom.  VIII. 
Madrid  1852  und  swar  ein  Aufsatz  unter  folgendem  Titel :  ^Inscrip- 
eiones  y  antigii€dades  del  reino  de  Valencia:  recogidas  y  ordenadas 
p<Mr  D.  Antonio  Valcareel  Pio  de  Saboya  (Lumiares)  e 
ilostradas  por  D.  Antonio  Delgado**. 

5.  E.  Hfibner,  Inscriptiones  Hispaniae  Latinae.  Berol.  1870. 
Was  sonst  noch  an  Aufsätzen  benutzt  wurde;  ist  an  geeigneter 

Stelle  angegeben. 

a)  Inschriften    in    iberischer  Sprache    und   in    iberi- 
scher Schrift. 

a.  Fundort  Tarragona. 

1. 

IRMI 
^OMO 

La  bor  de,  Voyage  pittoresque.  Tom.  I.  P.  I.  pl.  88.  n.  12.  — 
Villanoeya,  Viaje  literano  Tom.  XX.  p.  98.  n.  1.  —  Boudard, 
Nomisihatique  p.  18S,  wo  die  zweite  Zeile  l=OMO  gelesen  wird. 
Durch  Villanueva  (IJOMO)  wird  der  erste  Buchstabe  als  ein  E 
siehergestellt 

2. 

tM,  M,  ui.  Y.  K  H,  U. 

Hüb n er,  Hermes  Bd.  1.  S.  89:  einzelne  Buchstaben  auf  der 
ioneren  Seite  der  südwestliehen  Stadtmauern  von  Tarragona. 


192 


Phillip« 


3. 

FVLVIA  LINTEARIA 

Laborde,  a.  a.  0.  n.  30.  —  VillanueTa,  p.  98.  n.  2.  — 
Hub n er,  loscript  Hisp.  d.  4318.  a.  Bei  dem  Ersteren  fehlt  in  der 
zweiten  Zeile  der  erste  auf  den  Punkt  folgende  Buchstabe  ^;  bei 
Villanueva  bat  der  drittletzte  Buchstabe  eben  dieser  Zeile  die 
Gestalt  6-  Diese  Inschrift  befand  sich  früher  im  Garten  der  Kapuziner» 
kam  nach  Madrid  und  scheint  abhanden  gekommen  zu  sein:  der 
Name  der  Kahnschifferin  Fulvia,  steckt  nicht  in  den  iberischen 
Worten  und  bietet  somit  keinen  Schlüssel ;  es  wäre  interessant  ge- 
wesen zu  wissen,  wie  man  etwa  im  Iberischen  das  lateinische  F  aus- 
gedrückt hätte.  In  dem  Stadtnamen  Labitolosa  =«  FlaWtolosa  ist  es 
fortgeworfen.  (Vgl.  Hübner,  a.  a.  0.  p.  408.)  Wegen  der  ersten 
Zeile  s.  unten  n.  £• 

4. 

«EIC  EST  SIT////// 

^^fe///t>< 

4>A^I^AI/////// 

Laborde,  a.  a.  0.  n.  2S.  —  Vilianueva,  a.  a.  0.  n.  3.  — 
Hüb n er,  a.  a. 0.  n.  4424a.  —  Bei  Villanueva  werden  die  in  der 
zweiten  Zeile  auf  die  Lficke  folgenden  Buchstaben  also  angegeben : 


D^NXC  'rfKAA 

/VHV\H:HV< 

|!/{^AAA<: 

Lumiares,  p.  SS. 
n.  120. 


ß.  Fundort  Murviedro. 
S. 

DOVXC.Na 

NNt!N:NV 

MSAAN 

Laborde,  Tom.  I.  P.  II. 
pl.  143.  n.  10. 


>OVX(:SI««(Ah 

|!/eAAN:l 

Transactions» 
p.  46.  n.  11. 


über  diB  iberitcke  AIpbabet.  1 93 

Diese  Inschrift  wurde  in  der  Hauer  der  Citadelle,  rechts  unter* 
halb  des  Tburmes  des  Hercules  gefunden.  In  ihr»  wie  in  den  beiden 
Torigen  kehrt  das  Wort  ^OI?X<  »  DOI^XC  wieder;  sollte  dasselbe 
eifle^sepolcrale  Beziehnung  haben?  Siehe  auch  die  HQnzlegenden 
n.  267.  u.  ff. 

# 

6. 

//////ts^A^A 
Lumiares,  p.  KS.  tab.  11.  d.  107. 

7. 
AI^AV 

AI 
Lumiares,  p.  S8.  tab.  13.  n..  121. 

8. 

H:A'VXV'>X  >1^^XA>X 

M.><Vr«XAHX  MMVNXAX 

Y  /V'rYMl  \f/Vhi/if<r 

Traosactions,  p.  4S.  u.  9.   Lumiares,  a.  a.  0.  n.  117. 

Diese  Inschrift  befiand  sich  damals,  als  sie,  wie  die  fibrigen, 
welche  die  Traosactions  aus  Murniedro  bringen,  Ton  Perez  Bayer 
abgezeichnet  wurde ,  an  dem  Hause  der  Witwe  Michaele  Serben  in 
der  Calle  r^al  in  der  N£he  des  Gartens  Armengol. 

9. 

Ms^^lsP'H'l^  h'W^H^H'H  r^ls^^k^YH 

IA<P'H'r*»!  lAOH'HXIs  IA<^Mr)fls 

Traosactions,  p.  4K.    Transactions,        Lumiares,  p.  68. 
n.  8.  p.  4S.  Q.  12.  n.  118. 

Von  neuerer  Hand  ist  dem  zweiten  Exemplar  der  Inschrift  bei- 
f^efogt:  „Ano40K  des  pues  de  Roma  ySOO  anos  antes  deCristo".  Das 
erste  Exemplar  befindet  sich  in  der  Calle  Ramos  am  Hause  des 

Sitib.  i.  pbil.-ki«t.  Cl.  LXV.  Bd.  II.  Hft.  16 


194 


Pb  i  U  i  p  t 


Michael  Cambra  und  davon  ist  auch  die  Zeichnung  bei  Lumiares 
entnommen;  das  zweite  hingegen  in  der  Mauer  des  Eremitenklosters 
vom  Blute  Christi.  Ist  nun  eine  dieser  beiden  Inschriften  der  andern 
nachgebildet  oder  drückt  jede  selbststandig  den  nSmlichen  Gedanken 
aus? 


10, 


Laborde. 


iN>MVA^T>M^ 

Transactions,  p.  45.     Lumiares,  p.  SS. 
n.  7.  tab.  73.  n.  119. 


Die  Inschrift  befindet  sich  auf  einem  Pfeiler  im  Kloster  der 
beschuhten  Trinitarier. 

11. 

V/VAAAL: 

Transactions,  p.  45.  n.  10. 

7.  Fundort  Alcala  de  Chisnert. 

12. 

riVOSA^OM"!^ 

Lumiares,  p.  10.  tab.  1.  n.  12.;  der  unmittelbare  Fundort 
heisst  Corral  del  Royo.  Lumiares  macht  den  Versuch  die  Inschrift 
durch  NIXO  SAGO  MINI  wiederzugeben;  der  dritte  Buchstabe  ist 
wahrscheinlich  ein  U,  der  siebente  aber  gewiss  kein  G,  er  konnte 
B  auch  R  sein. 

13. 

OAVVX 

Lumiares,  p.  10.  n.  13. 


14. 


IA>»ZIM>I 
Transactions,  p.  44.  n.  6. 


Lumiares,  p.  10.  n.  15. 


über  dM  ibftriache  Alphiibet.  195 

Diese  Inschrift  wurde  zu  Polpis  auf  dem  Gute  des  Joseph 
YmcentPuig  gefunden.  Luniiares  will  sie  erklfiren  durch  ILDOK- 
COMNL  ILDOOOOMNI  oder  ILDOGAOMI;  die  sich  streng  an 
die  Form  der  Buchstaben  des  ersten  Exemplars  anschliessende 
Lesung  wftre  ILROGURi*  die  des  zweiten  ILDOQMEI.  dem  nach 
Analogie  von  n.  16  noch  ein  N  beizufügen  wäre. 

i.  Fundort  Iglesuela. 
18. 

riAAftAlJMl5|M  rMAAÄAfcMWM 

Transactions,  p.  44.  n.  4.        Velasquez,  Ensayo  p.  127. 

In  der  Eremitage  unserer  Frau  vom  Cid,  im  Bezirke  Ton  Iglesuela» 
am  linken  Flügel  der  Thüre  eines  an  die  Kirche  anstossenden 
fiebaudes,  welches  den  Namen  la  Tenada  führt. 

16. 

>///////////////oYr 

Transactions,  p.  44.  n.  2. 

17. 

^  ///////  m//// 

Transactions,  p.  44.  n.  S. 

€.  Fundort  Cazlona. 
18. 

Velasquez,  Ensayo  p.  123.  —  Mommsen,  Repostigli  sco- 
perti  nella  Spagna  (Annali  dell*  istituto  di  corrispondenza  archeo* 
logica.  Tom.  XXXV.  p.  12).  Diese  Inschrift  befindet  sich  auf  einem 
silbernen  Gefasse,  welches  im  Jahre  1618  zu  Torres,  einem  in  der 
Xähe  von  Cazlona  (Castulo)  gelegenen  Gute  des  Marquis  von  Cama- 
rosa  gefunden  wurde.  Das  Geföss,  welches  12  Unzen  wog  und 
24  Unzen  Wasser  fasste ,  hat  nach  einer  Abbildung  bei  Velasquez 


196  phiiiipt 

die  Gestalt  eines  zur  Hälfte  durchschnittenen  Eies  oder  einer  Ulysses- 
kappe und  läuft  bei  einer  Hohe  von  0*105  und  einem  Diameter  voa 
0'137  Meter  in  eine  Spitse  aus.  Das  Geffiss  ist  von  Aussete  ganz, 
glatt»  innen  hat  es  zu  oberst  einen  schmalen  Reif»  der  mit  kleinen 
Halbmonden  geziert  ist;  die  Inschrift  befindet  sich  auf  der  Aussen* 
Seite  nicht  fern  vom  Rande  und  scheint  aus  zwei  Worten,  Yielleicht 
einem  Spruche  zu  bestehen.  Die  erste  Nachricht  von  diesem  mit 
MQnzen  angefüllten  Gefasse  gab  der  Marquis  de  la  Aula;  es  gelang 
demselben  aber  nicht  die  iberischen  Buchstaben  richtig  zu  erklären  ; 
eben  so  wenig  ist  dies  von  Velasquez  geschehen;  in  lateinischen 
Lettern  wiedergegeben  lautet  die  Inschrift : 

Änenik  zoreoen 


19. 
«XeZKOK 

Transactions,  p.  43.  n.  1.  Auch  diese  Inschrift  gehört  nach 
Cazlona,  dem  alten  Castulo»  der  Heimath»  wie  geglaubt  wird»  der 
Himilka»  derGemalinHannibals(?).  Der  Stein»  auf  welchem  die  Inschrift 
sich  befand»  soll  nebst  anderen  solchen  Blocken»  die  ebenfalls  mit 
Inschriften  versehen  waren»  zum  Mühlstein  für  eine  Mühle  am  Flusse 
Guadelimar  verwendet  worden  sein. 

Da  einige  Buchstaben  in  dieser  Inschrift  zweifelhaft  sind»  so 
kann  eine  Entzifferung  derselben  nur  sehr  mangelhaft  ausfallen :  als 
Versuch  diene : 

oeoi 
cakhmiorturio 

auesisok 

kacizuaruiec 

euetus 

aneo 


über  dM  ib«ritcbe  Alphabet. 


197 


{;.  Fundort  Alvala  del  Rio. 
20. 


Transactions.  p.  44.  n.  3.  Der  Stein,  welcher  diese  im 
Jahre  1782  von  Perez  Bayer  sorgfaltig  abgeschriebene  Inschrift 
trägt,  befand  sich  am  genannten  unfern  von  Sevilla  gelegenen  Orte, 
am  Hao.se  des  D.  Mathias  Felix  Perega.  Wir  wurden  die  Inschrift 
freilich  mit  manchem  Zweifel  lesen : 

Mauarahoanfiheaanersaeoapaiconoairaealamoqana 

Hlbarebqerd  ra. 


198 


P  b  il  n  pt 


b)  Griechische  Inschrift  mit  iberischen  Buchstaben. 

21. 

Boudard,  Numismatique.  p.  184.  Diese  Steininschrift  soll 
sich  zu  Tarragona  in  der  Collect.  Hernandez  befinden.  Die  Buch- 
staben sind  echt  iberisch;  welches  Kallipolis  und  welcher  Polemon 
damit  gemeint  ist»  wissen  wir  nicht  anzugeben.  Avienus  (Ora 
marit.  514)  erwähnt  allerdings  einer  Stadt  jenes  Namens  in  der 
Nähe  Yon  Tarragona.  An  den  pontischen  König  Polemon,  der  zur 
Zeit  yon  Christi  Geburt  starb  oder  an  seinen  Enkel  Polemon  (38  bis 
63  n.  Chr.)  ist  wohl  nicht  zu  denken  •). 


c^Muth masslich  iberische  Inschriften  mit  lateinischen 

Buchstaben. 

Hühner  theilt  in  seinen  Inscriptiones  HispaniaeLatinae  mehrere 
derartige  Inschriften  mit  und  zwar  unter  n,  416.  738.  739.  2S65. 
3294.  3302.  Sie  sind  folgende : 


22.  (1) 


RFKET 

TROSCRP 

SFRNT. 

VEAMNIGRI 

DOENTI 

.ANC .  OM 

LAMATieiM 

CR0VGEAIMA6A 

REAI6 .  PETRNI.rr 

ADOM .  P.ReMI.VEA 

caEdbrig.i. 


RVFINVS  EST 

TIRO  SCRIP 

SERVNT 

VIAE  .  AMICO  .  RI 

DOENTI 

ANCO . M 

C.R..V.C.EAIMAG 
REAICO  .1.  PETRA VIO .  LI 
ADOM.  PORCOMIO.  V.  EA.  I 
CALELOBRICO.  I. 


■)  V(l.  MoBiii*eB,  •  t.  O.  S.  711. 


über  dM  iberiaehe  Alphibet  1 99 

23.  (2) 
ABATVS 

scRirsi 

CARLAE  PRAISOM 
SECIAS  •  ERBA  MVITIE 
AS  •  ARIMO  >  PRAESO 
NEO  •  SINGEIEIO 
VN .  INDI .  y  EDAGA 
ROM.  TEVCAE  •  IIP 
VDE  /EC  RVRSEI  ICO 
AMPILVA 
INDI 

24.  (3) 

LOEMINA  .  INDI .  ENV 
PETANIM.  INDI  •  AR 
IMOM  •  SINTAMO 
M.  INDI.  TEVCOM 
SINTAMO. 

25.  (4) 

CROVGIN 

TOVDA 

DI60E 
RVFONIA 

SEVER 

26.  (8) 

P.  CORNIILIVS .  P.  L 

OIPHILVS 

CASTLOSAIC 

27.  (6) 

M .  FOLVI.  6AR0S 

\.VNINAVNINVE 

SAG  .  MARC  .  LA .  L 

VNININIT 

SIEROVCIV 


200  Phillips 

In  der  ersten  und  vierten  erregt  das  öfters  vorkommende  -ov- 
als  eine  mehr  keltische  denn  iberische  Vocalgruppe  ^)  Bedenken ,  in 
der  ersten  um  so  mehr »  als  am  Schlüsse  ein  entschieden  keltischer 
Name  sich  findet.  Wir  müssen  uns  die  Erörteriing  dieser  Inschriften 
für  eine  andere  Gelegenheit  vorbehalten  und  beschranken  uns  auf 
ein  Paar  Bemerkungen  über  die  fünfte  und  sechste  derselben.  Dort 
findet  sich  der  Name  Casilosaic^  der  sicher  unromisch  ist  und  wohl 
auf  die  Stadt  Castulo  Bezug  hat  •).  In  der  sechsten  Inschrift  (n.  27) 
trist  man  (Zeile  S)  einen  Namen  Sier^ov^civ,  in  welchem  wieder 
das  av  hervortritt;  dagegen  hat  die  zweite  und  vierte  Zeile  mehr 
einen  iberischen  Charakter.  Es  ist  diese  Inschrift  schon  anderweitig 
besprochen  worden«);  mit  ihr  ist  eine  andere  (Hüb  ner,  a.a.O. 
n.  33S2)  zu  vergleichen: 

M.  PVBLICIVS.  STEPHAnus 

PVBLICIA .  L.  ARBySCula 

FABIA.L.L.VNINIta 

Wenn  man  die  zweite  Zeile  der  iberischen  Inschrift  n.  5  be- 
trachtet,  so  hat  diese  in  der  äusseren  Erscheinung  einige  Ähnlich- 
keit mit  dem  lat.  VNINAYNIN;  freilich  lautet  das  Iberische  anders» 
nämlich  INEIN:NE.  aber  ein  des  Iberischen  Unkundiger  konnte 
leicht  aus  N  und  V  ein  V  machen.  Ein  ähnlich  lautendes  Wort 
findet  sich  im  Ponulus  des  Plautus,  worauf  wir  jedoch  keinen  weitern 
Werth  legen»  sondern  eben  blos  die  Zufälligkeit  anfuhren  wollen. 
Es  Jieisst  daselbst  Act.  V.  Sc.  1.  v.  10:  ynnynnu^  was  die  Bedeutung 
ecce  hunc  hat  «o). 

VI. 

Die  verschiedenen  Formen  der  iberischen  Bachstaben. 

Das  iberische  Alphabet  hat  eine  grosse  Mannigfaltigkeit  Ton 
Formen  für  seine  einzelnen  Buchstaben,  für  manche,  namentlich 
A,  E  und  0  mehr  als  zwanzig.  Das  Verfahren  Boudards,  um  alle 
diese  Verschiedenheiten  zu  erkennen  und  sicher  zu  stellen ,  war  ein 


7)  S.  oben  S.  21. 

^)  Yfl.  Castlosoced  in  Leg.  IS. 
*)  Becker,  a.  a.  0.  S.  213. 

^®)  Getenina,    Script,    linguaeque    plioen.    monum.    p.    869.   437.    —    Vgl.     aneb 
SekrAder,  die  phönitiache  Sprache.  S.  290.  314. 


über  dM  iberitehe  AIpbibet.  2(M 

sehrfflfiheToUes;  es  wurde  hauptsächlich  dadurch  erleichtert  dass 
es  so  yiele  verschiedene  MGnzlegenden  für  einen  und  denselben 
Namen  gab.  Aus  diesem  Grunde  sind  auch  in  die  vorstehende  Über- 
sieht des  Materials  alle  solche  Verschiedenheiten  aufgenommen 
worden.  Jene  Mannigfaltigkeit  der  Formen  hat  aber  wiederum  eine 
besondere  Schwierigkeit  in  ihrem  Gefolge.  Es  kommt  nimlich  öfters 
vor,  dass  eine  Form  des  einen  Buchstabens  sich  von  dessen  als  normal 
aosQsehender  Gestalt  so  weit  entfernt»  dass  sie  sich  mit  der  eines 
andern,  wo  das  Nämliche  stattfindet»  begegnet  und  ihr  sum  Ver^ 
wechseln  ähnlieh  sieht«);  z.  B.  A  und  L  in  Leg.  71  und  178»  B  und 
R  in  Leg.  83  und  288»  L  und  P  in  Leg.  136  und  160»  P  und  R  in 
Leg..  20  und  22.  Im  Allgemeinen  hat  sich  indessen  doch  die  Unter- 
scheidung in  derartigen  Fällen  durchfuhren  lassen»  während  jedoch 
andererseits  manche  einzelne  Buchstaben,  z.  B.  in  der  Leg.  121  und 
in  mehreren  Inschriften  sich  nicht  zur  Genüge  haben  entziffern  lassen. 
Unter  den  verschiedenen  Formen  der  nämlichen  Buchstaben»  welche 
wir  ntinmehr  folgen  lassen »  haben  wohl  im  Allgemeinen  die  gerad- 
linigen den  Anspruch  f&r  älter  als  die  abgerundeten  zu  gelten  *). 


Für  diesen  Vocal  lassen  sich  nicht  weniger  als  sechs  und  zwanzig 
Terschiedene  Formen  angeben.  Boudard  verzeichnet  in  seinem 
Alphabete  deren  achtzehn,  doch  will  eine  derselben  A  sich  als  A 
nicht  wiederfinden  lassen  >);  Saulcy  gibt  dieselbe  als  eine  Form 
filr  D  und  R  an  ^).  Im  Einzelnen  kommen  folgende  Formen  vor : 


1.  A 

8.  A 

18.  A 

22.  0 

2.  A 

9.   Ak 

16.  ^ 

23.  n 

3.  A 

10.  A 

17.  A 

24.  n 

4.  A 

11.  A 

18.  A 

25.  n 

8.  A 

12.  A> 

19.  (\ 

26.  R 

6.  A 

13.  A 

20.  H 

7.  A 

14.  A 

21.  N 

')  Vgl.  damit  8ekröder,die  phöniEische  Sprache.  8.  7S. 
*)  Vgl.  Getenins,  Monum.  p.  ZO,  S.  tuch  Schrdder,  «.  a.  O.  S.  77. 
*)  Boadard,  Nmnismatiqae  pl.  IX. 

^)  la  lauterer  Bedeutung  findet  es  eich  allerdings  in  Leg.  23,  aber  unter   lauter 
griachiaeken  Buckstaben. 


202  Phillips 

Diese  mannigfaltigen  Formen  für  den  Buchstaben  A  lassen  sich, 
abgesehen  davon,  je  nachdem  sie  geradlinig  oder  abgerundet  sind, 
nach  verschiedenen  Gesichtspunkten  gruppiren.  Ein  unterscheidendes 
Merkmal  bietet  der  Umstand ,  ob  die  beiden  Schenke)  mit  einander 
durch  eine  Linie  verbunden  sind  oder  nicht;  dieser  Querstrich  findet 
sich  nicht  immer  in  gleicher  Höhe.  Bisweilen  treten  an  die  Stelle  des 
Querstrichs  zwei  kleinere  im  rechten  Winkel  mit  einander  verbundene 
Linien,  bald  oben  bald  unten.  Ist  der  Querstrich  ganz  an  der  Basis 
angebracht,  so  entstehen  die  verschiedenen  Deltaformen  des  A. 
Häufig  ist  gar  kein  solcher  Querstrich  da,  wodurch  sich  die  Lambda- 
formen  bilden ;  bisweilen  geht  an  dem  einen  Schenkel  eine  mit  der 
andern  parallel  laufende  Linie  aus,  entweder  rechts  oder  links,  die 
bald  die  Basis  erreicht,  bald  nicht;  in  zwei  Fällen  der  Art  (n.  9 
und  12)  erhalt  das  A  durch  Verkürzung  des  einen  Schenkels  fast 
die  Gestalt  eines  lateinischen  F  oder  T 


B. 

1.  >  3.  y  8.  7  7.  D 

2.  ^  4.  V  6.  ^ 

Die  Form  B  kommt  auch  in  einigen  Legenden  vor,  doch  nur  in 
ibero  -  latinischen  (Leg.  4.  6.  43).  Velasquez  gibt  noch  in 
seinem  Alphabete  ^  als  eine  turdetanische  Form  an;  Gesenius 
kennt  gar  keine  iberische  Form  für  dasselbe. 


O. 


1.  < 

5.  C 

9.  <c 

13.  C 

2.  < 

6.  1- 

10.  « 

U.  C 

3.  < 

7.  < 

11.  < 

IK.  > 

4.  > 

8.  t 

12.   C 

Von  sehr  eckigen  Formen  anfangend,  hat  das  iberische  Alphabet 
endlich  auch  das  Clunatum  in  sich  aufgenommen.  Drei  dieser  Formen 
und  zwar  die  unter  n.  7 — 9  angegebenen  machen  eine  eingehendere 
Erörterung  und  zwar  im  Gegensatze  zu  Boudards  Numismatique 
nothweiidig.   Der  genannte  Schriftsteller  hat  die  Ansicht  aufgestellt» 


über  da«  iberische  Alphabet.  203 

i  und  jene  beiden  anderen  Formen    bezeichneten    einen    beson- 
deren Buchstaben ,  dem  er  die  Bedeutaug  von  Co  gibt^);  erstellt 
daher  jene  Zeichen  in  die  Reihe  seiner  Lettres  ä  son  miste.   Man 
sieht  in  der  That  nicht  ein,   wie  der  gelehrte   und  scharfsinnige 
Boudard  auf  diesen  Gedanken  hat  kommen  und  dadurch  mit  sich 
selbst  in  Widerspruch  treten  können.   In  seinem  früheren  Werke  •) 
hat  er  die  Meinung  yertreten ,  dass  das  Suffix  it^  mit  <f^  als  <lt^ 
(spr.  ib'it)  zu  gelten  habe  und  übereinstimmend  damit  erklärt  er  auch 
das  Suffix  ZH'  für  qiiz,  oder  wie  er  es  schreibt  khitz '').  Jenes  Suffix 
-iiR  findet  man  selbst  in  der   latinisirten  Legende  Obulcin.    Die 
beiden  Suffixe  -<f^  und  -<f^  wechseln  ganz  regelmSssig  mit  einander 
ab  8)   und  consequenter  Weise   müssen    sie   auch  gleichbedeutend 
genommen  werden.    Da  nun  Boudard  sie  auch  wirklich  als  gleich- 
bedeutend  auffasst*)    und   räthselhafter  Weise   sich   ein    oe  auch 
zwischen  XM   eingeschaltet  denkt  ^^) ,  (während  er,    wie  so    eben 
bemerkt,  ZH'  durch  khitz  erklärt,  so  müsste  darnach  auch  <  eben 
so  gut  für  CO  gelten  als  i  und  es  fällt  jeder  Grund  zu  der  Annahme 
hinweg,  durch  den  Doppelstrich  in  i  komme  das  o  hinzu.   Es  wird 
Boudards  Vorstellung  von  diesem  -oe  um  so  unwahrsobeinlicher, 
als  es  nicht  üblich   ist,  dass  die  zu  supplirenden  Vocale   einmal 
nach  und   das  anderemal  vor  dem  Vocal  zu  setzen  sind,   wie  dies 
der  Fall  sein  würde,  wenn  it^  als  co^n  gelesen  werden  müsste. 
Boudard  fühlt  offenbar  selbst,  dass  er  diese  Meinung  nicht  halten 
kann  und  hat  daher  an  anderen  Stellen  seiner  Numismatique  wiederum 
eingelenkt  und  gesteht  —  ohne  es  ausdrücklich  zu  sagen  —  dass  er 
sich  hierin  geirrt  habe^^).    Es  versteht  sich  von  selbst,  dass,  wenn 
inr   diesen  Irrthum  releviren    zu    müssen  glaubten,   wir  dadurch 
Boudards    Verdienste    durchaus    nicht   schmälern    wollten.    Für 
die   Folge    aber   werden    wir    das   Zeichen    <  nebst    den    beiden 
anderen  ihm  analogen  nicht  mehr  für  einen  besonderen  Buchstaben 


^)  Nsmismatiqve.  p.  50. 

*)  &o4e9  «ur  l*Alphabet  IberieD.  pl.  VI.  N.  42  bis.  n.  18—22. 

"*)  Früher  (iiuäea.  a.  a.  O.  n.  16.  17.)  beseichnet  er  dieses  Suffix  «Is  (kjitch. 

')  V^l.  Leg.  79.  u.  80.  98.  u.  99. 

*)  KomisiMlique.  p.  55.  188.  177. 
**)  Homismatique.  p.  191. 
'<)  Nomiemtiqae.  p.  188. 


204  Pbiiiip« 

gelten  lassen,  sondern  dasselbe  einfach  als  eine  Nebenform  unter 
die  Rubrik  des  C  stellen,  wodurch  also  das  Boudard*sche  Alphabet 
zunächst  um  diesen  Buchstaben  ärmer  wird. 


i.  <  3.  4  K.  a 

2.  A  4.  1 

Der  Buchstabe  D  ist  in  den  vorhandenen  Quellen  überhaupt 
nicht  häufig  und  kommt  in  denselben  im  Anlaute  niemals  vor. 


E. 


1. 1 

6.  k 

11.  F 

16.  i 

21.  * 

2.  ¥ 

7.  \f 

12.   |! 

17.  * 

22.  * 

3.  ¥ 

8.  K 

13.  C 

18.  t 

23.  t 

4.  ^ 

9.  K.  ^ 

14.  E 

19.  f 

24.  * 

5.  K 

10.  V 

IK.  E 

20.  = 

28.  t 

In  Boudard*s  alphabetischer  Übersicht  fehlt  mehr  als  die 
Hälfte  dieser  Formen.  Auffallend  ist  hier  der  Gegensatz  zwischen 
Munzlegenden  und  Inschriften,  indem  die  Form  V  nur  in  diesen  vor- 
kommt. In  der  sehr  eigenthömlichen,  dem  griechischen  H  nahe  vor- 
kommenden Form  =  fehlt  der  senkrechte  Verbindungsstrich. 

P. 
Dieser  Buchstabe  fehlt  gänzlich;  s.  oben  S.  19  u.  28. 

a. 

Für  G  gibtBoudard  zwei  Formen  an;  nämlich: 

<;und{ 

Es  scheint  hier  jedoch  ein  Irrthum  zu  Grunde  zu  liegen,  und 
vielmehr  anzunehmen  zu  sein,  dass  dieser  Buchstabe  der  iberisclien 
Sprache  ebenfalls  unbekannt  war.  Die  Beispiele,  welche  Boudard  für 
die  Existenz  des  C  anführt,  sind  Leg.  227, 228, 306  und  307,  während 
derselbe  Autor  in   seinen  l^tudes   die  Existenz  eines  iberischen   Cr 


über  da«  iberische  Alphabet.  205 

gändich  in  Abrede  gestellt  hattet*).  Zunächst  waltet  einmal  ein 
folgereicher  Druckfehler  in  der  bei  Boudard  gegebenen  Zusammen- 
stellung der  iberischen  Namen  i»)  ob.  Es  heisst  hier  auf  der  vierten 
Tafel  unter  n.  66: 

Ua  nun  diese  Bemerkung  auf  die  verschiedenen  Formen,  in 
welchen  SEOIS  und  SEOISKN  zu  den  Leg.  277,  278  geschrieben 
wird,  folgt,  so  muss  es  in  jener  Gleichung  statt  G  offenbar  S  heissen 
und  man  wird  sich  in  der  That  leicht  fiberzeugen ,  dass  gerade  der 
Buchstabe  S  in  der  ersten  und  dritten  jener  Formen  vorkommt; 
das  mittlere  jener  beiden  Zeichen  i$t  aber  in  der  Legende  etwas 
anders  gestaltet:  5  (vgl.  Leg.  121),  ist  aber  doch  jedenfalls  ein  S 
und  kein  G;  hierauf  lasst  dann  Boudard  unter  n.  78  und  79  mit 
dem  einmal  gewonnenen  (7  den  Namen  OOGV  folgen  <«);  dieser  muss 
aber  OOSV  heissen,  wie  man  sich  auch  leicht  durch  den  Anblick 
der  Munzlegenden  227  und  228  überzeugen  kann  <>).  Ausserdem 
kommt  allerdings  auf  dem  Revers  einer  Münze  von  Obulco  das  Wort 
NIG  vor;  auch  findet  sich  das  6  in  mehreren  iberischen  Städtenamen, 
wie  sie  uns  von  den  Römern  überliefert  worden  sind,  wie  Ipagro^ 
Igabrot  Lasiigi  und  Andere.  Indessen,  wenn  Boudard  jenes  NIG 
mitLorichs  durch  Niger  odev  Ntgranus  erklärt  <•),  so  wird  es 
dadurch  gänzlich  aus  dem  Bereiche  der  iberischen  Sprache  heraus- 
gezogen. Wenn  also  dies  Nig  zu  Gunsten  eines  iberischen  G  ver- 
werthet  werden  soll,  so  müsste  man  wohl  annehmen,  dass  es  von  der 
Rechten  zur  Linken  zu  lesen  sei.  In  diesem  Falle  konnte  es  der  auf 
dem  Avers  befindlichen  Inschrift  OBVLCIN  (Leg.  43 )  und  somit  dem 
bereits  mehrfach  erwähnten  iberischen  Suflfix  <f^  entsprechen;  dem 
steht  nicht  entgegen,  dass  hier  nur  ein  C  angetroffen  wird,  da 
bekanntlich  die  Consonantenverdoppelung  auf  den  altern  Münzen 
gern  vermieden  wird.  Unter  dieser  Voraussetzung  wurde  man 
jenes  ff,  da  es  sonst  nirgends  im  Iberischen  angetroffen  wird,  einem 


i«>  Stallet,  f.  28:  On  0*7  trouTe  poiot  de  P,  de  V,  de  6,  ni  de  X.  V^l.  PI.  IX. 

<*>  IfamiMBaiiqve.  PI.  IV. 

'^>  Tpl.  aach  IViiailaiDatique.  p.  41. 

>»>  YgU  Leff.  92.  98.  96. 

**)  2fami«aatiqae.  p.  28. 


206  Phillips 

romanisirenden  Einflüsse  zuzuschreiben  sein,  wie  dasselbe  auch  ron 
den  oben  erwähten  Stadtenamen  gilt  i^).  Schh'esslich  muss  aber  auch 
noch  mit  ein  Paar  Worten  der  oben  erwähnten  Leg.  306  und  307 
gedacht  werden;  diese  lauten:  ZLI  und  ZL.  oder  SLI  und  SL.  und 
sind  wohl  Zili  oder  Sili  zu  lesen.  Dies  gibt  Boudard  zu, 
nimmt  aber  mit  Saulcy  an,  dass  diesem  Zili  ein  lateinisches  61LI 
auf  einer  Mönze  entispreche  i«),  die  er  aber  leider  nicht  mittheilt. 
Allein  schon  Sa  ulcy  erklarte  <•),  dieses  G  dürfe  nicht  lateinisch  aus- 
gesprochen werden,  sondern  „wie  ein  arabisches  djim^^  Dann 
scheidet  aber  dieses  vermeintliche  G  wenigstens  aus  der  Classe  der 
Gutturalen  aus  und  dürfte  nach  Obigem  überhaupt  dem  iberischen 
Alphabet  entfallen,  welches  wir  demnach  abermals  um  einen  Buch- 
staben verkürzen. 

H. 

Dieser  Buchstabe  kommt  in  den  Münzlegenden  nur  in  den  beiden 
Formen 

H  (Leg.  134  u.  ff.)  und 
M(Leg.  142,  151) 
vor. 

Ob  auch  das  H  der  Inschrift  20  und  nach  Analogie  griechischer 
Monumente  das  B  der  Inschrift  19  hieher  zu  zahlen  seien,  lassen  wir 
einstweilen  unentschieden. 

I. 


1. 1 

3.  r 

8.  H 

7.  f^ 

2.  l 

4.  1« 

6.  IH 

8.  /* 

1.  K         2.  K         3.  K  4.  K        (S.  X) 


^7j  Bei  dieser  Gelep cDheit  mö^e  noch  bemerkt  werden,  dass  des  Zeichen,  welcbea  in 
einzelnen  Isteinischen  Inschriften  den  conventus  juridicus  ausdrucken  soll  (^),  bei 
Hühner  in  seinem  Aufsatse  aber  Tarrap ona  auch  eine  auifallende  Ähnlichkeit  mit 
einem  G  hat.  In  seinen  Inscript.  Hispan.  Latin,  ist  die  Gestalt  eine  eturas  andere, 
M  in  n.  4200 ;  V  in  n.  4236  und  V  in  n.  4252. 

)8)  Nuroismatique.  PI.  V.  litt.  Z.  PI.  IX.  n.  97.  und  p.  296. 

<•)  Essai  p.  23. 


über  das  iberische  Alphnbet.  20T 


L. 


1.  h  2.  A  3.  L 


Iff. 


1.  Ä 

4.  M 

7.  /H 

2.  M 

5.  M 

8.  M 

3.  M 

6.  n 

Boudard  nimmt  das  zuletzt  erwähnte  Zeichen  für  eine 
Zasammensetzung  aus  >  Cr)  und  A  (d)^^)l  indessen  in  den  Munz- 
legenden,  in  welchen  diese  beiden  Buchstaben  zusammentreffen 
(Leg.  254  u.  ff.),  sind  sie  niemals  in  dieser  Weise  in  Eines  zusammen- 
gezogen, was  erkennen  zu  geben  scheint,  dass  ein  dazwischen 
lautender  Vocal  dies  auch  für  die  Schrift  verhinderte. 


N. 


1.  Y* 

3.  y\ 

K.  k 

7.  H 

2.  H 

4.  VI 

6.  r 

8.  N 

Bei  der  vierten  Form  könnte  man  wohl  an  ein  if  denken,  dessen 
Anfang  nicht  mehr  zu  erkennen  ist. 

o. 

Dieser  Buchstabe  übertrifft  an  Zahl  der  Formen  selbst  das  A\ 
die  einzelnen  derselben  gruppiren  sich,  je  nachdem  sie  geradlinig 
und  zwar  meistens  viereckig  oder  rund  sind  und  die  ersteren  dar- 
nach, je  nachdem  sie  auf  ihrer  Spitze  oder  ihrer  Grundlinie  stehen, 
die  Einen  wie  die  Andern  auch  noch  darnach,  je  nachdem  ihr  eigent- 
licher Körper  in  einer  gewissen  Entfernung  über  der  Basis  steht  und 
mit  dieser  durch  einen  besonderen  Strich  verbunden  ist. 


^)  S.  oBtes  bei  4en  Gutturalen. 


208 


Phillip« 

1.  D 

8.  ♦ 

IK.  ^ 

22.  0 

29.  9 

2.  a 

9.  A 

16.   ^ 

23.  0 

30.  9 

3.  0 

10.  St 

17.  B 

24.  e 

3i.  9 

4.  ♦ 

11.  ^ 

18.  DD 

ZU.  (D 

32.  « 

«.  ♦ 

12.  ft 

19.  ^ 

26.  e 

33.  n 

6.  ^ 

13.  ^ 

20.  O 

27.  9 

34.  Ä 

7.  ♦ 

14.  ^ 

21.  0 

28.  fi 

35.  V 

1.  p 

2.  P 


P. 

3.  P 

4.  P 


5.  r 

6.  P 


B. 


1.  ► 

s.  ► 

9.  P 

13.  fl 

2.  A 

6.  r 

10.  p 

14.  n 

3.  ^ 

7.  p 

11.  D 

IS.  P 

4.  r 

8.  p 

12.  i\ 

1. 1 

2.  I 


S. 


3.  r 

8.  h 

7.  S 

9.  S 

4.  h.-V 

6.  ^ 

8.  S 

10,  f 

1.  T 


2.  T 


T. 


3.  «t 


4.  ^ 


1.  H 


2.  P 


ü. 
3.  U 


4.  V 


S.  Y 


Y. 


1.  Y 


2.  r 


3.  y? 


Ober  du  OteriMh*  Alphabet.  209 

z. 

i.  X  3.x  K.  ^^ 

2.  Z  4.  ^  6.   J 

Ho. 

Boa  dar  d  nimmt  einen  Buchstaben  Ho  an,  fOr  welchen  er  die 
Oformen  9 — 12  und  34  yindicirt;  in  seinem  früheren  Werke  hatte 
er  diese  Unterscheidung  nicht  gezogen ;  es  ist  auch  in  der  That  nicht 
abzusehen,  woher  die  Aspirata  kommen  sollte  <<).  Eher  liesse  es  sich 
noch  hören,  dass  der  Buchstabe  etwa  dem  griechischen  Q  entspreche 
oad  es  liessen  sich  dafür  als  Gegensatz  die  Oformen  4  und  22  in  so 
fem  herbeiziehen,  als  in  ihnen  das  0  wirklich  als  ein  o  /lexpöv  er- 
selieint   Allein  etwas  Bestimmtes  lasst  sich  darüber  nicht  aufstellen. 

Gh. 
1.  X  2.  X 

Eh. 
1.  Z  2.  X  3.  X  4.  X 


Tk. 


1.  H* 

4.  ¥ 

7.  «P 

2.  T 

K.  ui 

8.  y» 

3.  Y 

6.  Y 

Was  endlich  die  yerbundenen  Buchstaben  bei  Boudard  anbe- 
triflfl,  so  ist  Ton  zweien  derselben  Co  und  Bd  bereits  oben  die  Bede 
gewesen;  fi,  t^  und  W^  sind  als  Dn,  Ne  und  Sae  leicht  ericenn- 
bar,  )^t  als  Knt  nicht  jKpi/,  wie  Boudard  angibt.  H  für  ke  zu 
lialten,  scheint  kein  Grund  vorhanden  und  f^  sieht  nicht  darnach 
aas,  um  flir  Ne »  sondern  vielmehr  f&r  Nt  angesehen  zu  werden ;  es 


*i)  HidMteBs  lieue  rieh  du  bei  Lit.  ZXVin.  13.  erwShnte  Honost,  dem  die  Leg.  224 
esteprecliaii  wftrde,  defBr  engebeB.  Vgl.  Boudird,  Nuaisia.  p.  261. 

SiUb.  d.  pbil.-bi«t.  Cl.  LXV.  Rd.  II.  Hfl.  16 


210  Phillips 

ist  uns  nicht  begegnet.  Es  sind  jedoch  noch  einige  andere  beiza- 
fQgen.  M  (Leg.  137)  scheint  me  oder  em  sein  zu  sollen;  M 
(Leg.  144)  ist  vermuthlich  Jama  zu  lesen  und  <^  (Leg.  169)  ist  aller 
Wahrscheinlichkeit  nach  <K;  ferner  ist,  wenn  auch  nicht  sehr  deut- 
lich, r'Q  (Leg.  207)  för  KMHK  zu  halten  und  A  (Leg.  270)  AX. 

Diese  verbundenen  Buchstaben  haben  für  die  Bestimmung  des 
Alphabetes  keinen  besonderen  Werth  und  sind  hier  auch  blos  der 
Vollständigkeit  wegen  berücksichtigt  worden. 

Als  Resultat  der  bisherigen  Zusammenstellung  ergibt  sich  nun- 
mehr, dass  das  Boudard*sche  Alphabet,  welches  mit  Inbegriff  der 
von  ihm  Co  und  Ho  genannten  Buchstaben  aus  fünf  und  zwanzig 
Buchstaben  besteht,  auf  ein  und  zwanzig  reducirt  werden  muss, 
nämlich : 

1.  <  und  i  sind  6m  Buchstabe. 

2.  G  entfSllt  gSnzlich. 

3.  H  und  Y  sind  mit  grosster  Wahrscheinlichkeit  für  änen 
Buchstaben  zu  halten. 

^  4.  A  lasst  sich  wenigstens  nicht  mit  Gewissheit  von  0  trennen. 

8.  )(  ist  kein  selbstständiger  Buchstabe. 

Mit  einstweiliger  Beibehaltung  der  von  Boudard  gewählten 
Reihenfolge,  würde  das  Alphabet  also  zu  stehen  kommen : 

A,  >.  <,  <,  K  H,  r.  K.  K  M.  N,  O,  P,  X,  K  4,  [1]. 

T.  H.  Z,  4*. 


vn. 

Vergleich  des  iberischen  mit  anderen  Alphabetem. 

Es  sind  bisher  nur  die  Formen  der  iberischen  Buchstaben  unter 
einander  verglichen  worden ;  es  ist  jedoch  nicht  unwichtig,  den  Ver- 
gleich auch  auf  andere  Alphabete  auszudehnen  und  damit  die  Frage 
zu  verbinden,  woher  denn  die  Iberer  das  Ihrige  erhalten  haben.  I>as 
Nationalgefühl  gelehrter  Basken  hat  sich  darin  Wohlgefallen,  den 
Iberern  als  ihren  Vorfahren,  ein  ihnen  selbst  ureigenes,  von  nirgend- 


über  daa  ibertoche  Alphabet.  211 

her  erborgtes  Alphabet  zuzusehreiben  i).  Dem  gegenöber  steht  eine 
andere  kühne  Behauptung,  dass  das  iberische  Alphabet  aus  dem 
«hodinaTischenRunenalphabet  herzuleiten  sei*);  diejenigen,  welche 
den  Iberern  ältere  Wohnsitze  in  den  Polarländern  anweisen  *),  werden 
begreiflicher  Weise  gern  geneigt  sein,  dies  anzunehmen.  Allerdings 
finden  sich  einige  Runen  Tor,  welche  mit  iberischen  Schriftzeichen 
«ine  gewisse  Ähnlichkeit  haben ,  aber  wo  eine  solche  vorhanden  ist, 
haben  diese  doch  meistens  eine  andere  Bedeutung  als  jene  «). 

Von  diesen  Erscheinungen  nehmen  wir  Umgang  und  gehen  auch 
jeder  Versuchung  aus  dem  Wege,  von  einem  gemeinsamen  Ur-Alphabet 
aller  Volker  zu  sprechen,  fQr  welches  neuerdings  eine  nicht  sehr 
glQckiiche  Erklärung   in   dem  Tättowiren  gesucht  worden    ist»), 
sondern  halten  uns  vielmehr  an  die  positiven  Resultate  der  Wissen* 
^ehafl,  um  von  diesen  auf  das  iberische  Alphabet  Anwendung  zu 
macben.  Es  gilt  nunmehr  fQr  eine  ausgemachte  Thatsache,  dass  die 
5ammtliehen  griechischen  und  italischen  Alphabete,  die  letzteren  nur 
mittelbar,  aus  dem  Phonizischen  entnommen  sind  <).   Beröcksiehtigt 
man  nun  die  ethnographischen  Verhältnisse  der  pyrenäischen  Halb- 
insel,  die    auf  einander   folgenden    Colonisationen   der  Phönizier 
imd  der  Griechen,  so  wie  die  Eroberungen  seitens  der  Karthager 
and  der  Romer,   so  ist   es    naheliegend,    dass    phönizische    und 
ponisebe,  griechische  und  römische  Einflüsse  sich  wie  im  ganzen 
Leben  der  bisherigen  Bewohner  Hispaniens ,  so  auch  in  Beziehung 
auf  Wort  und  Schrift  geltend  machen  mussten.    Schon  eine  bloss 
oberflächliche  Betrachtung  der  in  den  obigen  Verzeichnissen  mit- 
getbeilten  Schriftzeichen  Iftsst  deutlich  griechischen  und  einen  jüngeren 
römiseben  Einfluss  in  dieser  Richtung  erkennen;  noch  viel  bedeu- 
tender ist  aber  unstreitig  phönizische  Einwirkung  gewesen,  ja  man 
darf  wohl  behaupten,  das  phönizische  Alphabet  bilde  die  eigentliche 
Grundlage   des  iberischen,   auf  welches  dann  in  späterer  Zeit  das 


')  Erro,  Alfabeto  de  U  len|pia  primiUm  de  Espan«.  Madr.  1S06. 

')  Olans  Wormaiaa,  Dao.  Liter,  antiqua.  Amst.  1036. 

')  Baadrimont,  Histoire  de«  Basquea.  S. 7.  V^l.  m.  Abhanülaog'  fiber  die  Einwan- 

dcriui;  der  Iberer.  S.  19. 
^)  UbereinstimiDend  aind  x.  B.  M«  H  und  St' 
*)  Geiger,  Über  die  Eotstebung^  der  Schrift  (Zeitächrift  der  deutechen  morgen' 

limdiselieii  Geeellaehaft.  Bd.  23.  8.  169.  n.  ff.)- 
^  VgL  Corsaeo,  Alphabet  bei  Pauli,  ReaieDcylclopodie.  B.  I.  Abth.  2.  8   709. 

16' 


212  Phillip« 

griechische  und  römische  Einfluss  gewonnen  hat.  Ofienbar  hat  dieser 
sich  auch  darin  gezeigt»  dass*  wie  schon  oben  bemerkt  wurde,  bei 
den  Iberern  die  Schreibung  Ton  rechts  nach  links  zu  den  seltenen 
Ausnahmen  gehört.  Eine  andere  und  zwar  sehr  auffallende  Erschein 
nung  ist  aber  die  aus  der  obigen  Zusammenstellung  her?orgehende 
ausserordentliche  Mannigfaltigkeit  von  verschiedenen  Formen  fQr  ein» 
zelne  Buchstaben.  Darf  man  daraus  den.  für  die  Ethnographie  nicht 
unwichtigen  Schluss  ziehen  y  dass  bei  den  Iberern  eine  grosse  Zer» 
splitterung  in  einzelne  Gentilitaten  stattgefunden  habe  7)  ?  Doch  die 
Untersuchung  über  ethnographische  Verhältnisse  behalten  wir  un» 
fSr  eine  andere  Gelegenheit  ror,  wahrend  wir  hier  nur  die  rein 
äusserliche  Form  der  Buchstaben  zu  betrachten  haben,  was  .aber 
auch  fQr  die  Feststellung  von  Bedeutung  und  Aussprache  der  ein- 
zelnen Schriftzeichen  von  einigem  Vortheil  sein  dflrfte.  Die  in  dieser 
Hinsicht  zu  ziehende  Parallele  soll  sich  jedoch  nicht  über  das  Gebiet 
des  phonizischen,  der  griechischen  und  italischen  Alphabete  hinaus- 
erstrecken und  ausserdem  sollen  nur  noch  die  in  neuerer  Zeit  voa 
Mommsen  ermittelten  nordetruskischen  Alphabete   mit   zu  Rathe 
gezogen  werden.  Als  Hulfsmittel  zu  dieser Vergleichung  dienen  theil» 
die  Arbeiten  von  Gesenius*)  und  S  c  h  r  ö  d  e  r  •)  für  das  phönizische  » 
vonFranz^o^  und  Mo  mm  sen^i)  für  die  griechischen, beziehungsweise 
italischen  und  nordetruskischen  Alphabete  i*),  für  das  lateinische  ins- 
besondere noch  Corssen^s).  Jedenfalls  hat  das  iberische  Alphabet 
mehr  von  seinem  Ursprünge  bewahrt,  als  die  übrigen  und  hat  sicher 
auch,  wie  in  ältester  Zeit  das  griechische,  die  vier  Zischlaute  des 
phonizischen  in  sich  aufgenommen,  wenn  sich  freilich  dort  ebenfalls 
die  Neigung  kund  gibt,  dieselben  möglichst  mit  einander  auszu- 
gleichen.   In  der  nachfolgenden  Tabelle  stellen  wir  das  iberische 
Alphabet  in  die  Mitte  zwischen  das  phönizische  und  jene  übrigen  ^ 


7)  Vgl.  Strabo,  Geograph.  Lib.  UI.  cap.  4,  S.  8. 

*)  Scriptarae  lingnaeqae  Pboeniciae  Monumeota.  Lib.  I.  cap.  8.  p.  IS.  117. 
*)  Die  pböniaiache  Sprache.  Tbf>  A.  aod  B.  8.  78.  u.  ff. 
^^)  Elementa  Epigraphices  Graecae.  Introd.  UI.  p.  17.  sqq.  P.  I.  g.  1.  cap.  1.  p.39.  »qq  » 
^1)  Die  unteritalischen  Dialekte.  Taf.  I.  —  Monataberichte  der  Akademie  der  Wissen— 

Schäften  xa  Berlin.  1860.  8.  481. 
^*)  Die  nordetruskischen  Alphabete.  (Mittheilnngen  der  antiquarischen  Gesellschnf%  ii^ 

Zfirieh.  B.  7.  8.  197.  o.  ff.  Taf.  111.) 
^')  Ober    Aussprache,  Yocalismus  and  Betonung   der  lateinischen  Sprache.   2.  Aull, 
Leipzig.  iSei.  Bd.  I.  8.  8. 


über  das  iberische  Alphabet.  2  1  S 

auf  diese  Weise  wird  am  leichtesten  Ursprung  und  VerSnderang  ein- 
zelner Schriftzeiehen  ersichtlich  werden.  Die  Mannigfaltigkeit  und 
wenn  man  so  sagen  darf,  dieQuasi-Originalitat  der  iberischen  Schrift- 
zeiehen ist  aber  so  gross»  dass  verhältnissmässig  nur  ein  sehr 
gerii^er  Theil  derselben  als  völlig  mit  fremden  Zeichen  fiberein- 
stimmend in  diese  Parallele  hineinbezogen  werden  kann.  Wir  wieder- 
holen nur  noeh  zu    allem  Überflusse»    dass  hier   einstweilen  nur 

— _  

auf  die  Übereinstimmung  der  äusseren  Form  Rücksicht  genommen 
wird.  Die  den  phonizischen  Buchstaben  beigefügte  Zahl  ist  diejenige« 
«nter  welcher  Gesenius  sie  auff&hrt. 


J14 

Pb  i  il  ip* 

4 

PMnisUch 

Ibwriicb 

Archaittiscbe  Alph.  Griechea- 
landt  a.  lUlient. 

■ordttniskiicli 

Aleph 

t 

A 

theriißcb,  dor.,  ttt,  Utein. 
messap. 

A 

mMftftp« 

A 

eleiteh. 

A 

latein. 

Schweiz 

A 

A 

Ittein. 
latein. 

Tyrol.  Steier- 
mark 

N 

oskiacb 

14 

umbrisch 

Beth 

^ 

D 

Gimel 

V 

< 

corcyr.9    doriseb.    Utein. 

D" 

C 
> 

oakiscb 
latein. 

t 

c 

eoreyr.,    dorisch,    latein., 
fiüisk. 

falisk.,    etrask. 

» 

Daleth 

• 

41 

^8 

< 

<J8 

a 

A 

faiiskiseh 
tberftiscb  u.  s.  w. 

< 

doriscb 

• 

He 

^ 
^ 

F 

dorisch 

Todi,  Scbweia 
u.  s.  w. 

über  da«  iberische  Alpbabet. 


215 


PhSnisifch 

DtariMh 

Archa||Usche  Alpb.  Griecben- 
landa  ud  ItaUens. 

nordetmskiscb 

He 

E 

aohfiiscb,  der.  u.  s.  w. 
etruskisch,  latein. 

salaas. 

% 

1 

latein. 

Vn 

7 

r 

X 

z 
1 

latein.  measap. 

Chet 

^ 

H 
M 

ther.y  dor.,  att    latein., 
messap. 

mesaap.,  latein. 

)^Stei«rm. 
Verona 

B? 

ther**  ionisch,  eoreyr., 
dor.,  attisch  u.  s.  w. 

Este 

Tet 

ß) 

fehlt 

Mehrere  der  in  ffriech.,  ital. 
und  nordetrusk.  Sprach- 
sweigen  Torkommenden 
Zeichen  des  Tet  dienen  im 
Iberischen  f&r  das  Q ;  <ben 
so    die    nordetruskiscben 
Ztiehen  <>,  9,  ^  u»^  0. 

Jod 

rH» 

H* 

A/« 

/v 

1 

ionisch  n.  s.  w.,  latein. 

salass.u.s.w. 

]1>i 

U.  8.  w. 

Ktpb 

K.  K 

ionisch,  lat  u.  s.  w. 

Salass,  Todi, 

>|8 

>|Qndfthnlieh 

in  anderen 

Umed 

ther.,  achlisch 

• 

1^10 

h 

/.» 

A 

eleiseh.  mesaap. 

216 


Pbi  II  i  p« 


PhSnisUch 

Iberiich 

Ar^ftlfltifehe  Alph.  Griechen- 
Und«  oad  Italiens. 

nordetnukisch 

Mem 

V 

» 

»^11 

Mete. 

mit  wenigen  Modificationen 
fibereinstimmend 

y^  Scbweiz 

Nun 

1 

mit  wenigen  Modifieationen 
übereinstimmend 

sal.,  Todi 

Samech 

*^ 

i 
1 

z 

dor.,  arg.,  el.,  cfir.,  etrosk., 
nol. 

der. 
ion-y  messap. 

Ain 

o,  0 

0.0 

corcyr.,  achfiiscb,  messap. 

saL,  Todi, 
Conegliano 

0 

doriscb,  u.  s.  w.  messap. 

Schweia 

♦ 

latein. 

Este 

Phe 

n 

P 
P 

ion.  IL  s.  w.  latein.»  messap. 
latein. 

Zade 

r 

h 

latein. 

salass. 

1^)9 

h,^ 

dorisch,  eleisch,  nolan : 
messap. 

Conegliano 

\ 

Koph 

1^ 

z 

Sebweim, 
Tyrol 

Resch 

<1 

t 

ther.,  argiy.,  eleiscb 

A 

> 

ther.,  corcyr. 
achiisch 

über  da«  iberueh«  Alphabet. 


217 


Pbftaisbeb 

Iberisch 

Arehaiatiaebe  AIpb.  Griechen- 
laoda  and  Italiena. 

nordetmakiscb 

Reseb 

p 

ioD.,  aohftiscb»  att.,  cirit. 

fl 

messap.,  latein. 

n 

R 

D 

etnitk.,  Q  nmbr .,  oak. 

Sehin 

41 

LJJ 

Ul 

dorisch  Ar  Xi,  dann  das 
Zeichtn  fi3r  den  Doppel- 
consonanten  izvi 

e&rit. 

Tan 

f 

T 

Fast  durehweg  in  allen 

t 

T 

archaistischen  Alphabeten 

1 

ü 

Gemäss  dieser  Übersicht  kann  es  keinem  Zweifel  unterliegen, 
dass  das  iberische  Alphabet  ganz  unmittelbar  mit  dem  phonizischen 
xosammenhängt»    und    dass    die   allerdings    unverkennbare    Über- 
einstimmang    mit   griechischen  und  italischen  Schriftzeichen  einem 
spätem   Einflüsse    zuzuschreiben    ist.    Ursprunglich  hat  das   ibe- 
ruehe  Alphabet    mit    einziger  Ausnahme   des    Tei  •    die  übrigen 
ein  and  zwanzig  Zeichen    des  phonizischen    gehabt.    Hierbei   ist 
xweieriei   auffallend»    zunächst  dieser  Mangel   des  Tei,  worin  das 
iberische  AlpbabH  mit  dem  lateinischen  übereinstimmt»  ohne  dass 
man  berechtigt  wSre»    dies    durch    eine  Einwirkung   der  lateini- 
schen  Sprache    zu    erklären;    sodann    der    Umstand»    dass    die 
meisten  Zeichen,  welche  im  Phonizischen  und  Griechischen  für  diese 
A^irata,   so  wie  hier  fQr  die  andere,  ^,  gebraucht  werden,  im 
Iberisehen  fDr  das  O  wiederkehren.  Die  Zahl  der  phonizischen  Buch- 
staben scheint  dadurch  hier  wieder  voll  zu  werden,  indem  das  Laut- 


218  Phillips 

zeichen  9(  hinzutritt,  für  welches  sich  unter  jenen,  der  Form  nach, 
keine  hinlänglich«  Analogie  bietet.  Allein  dieses  Zeichen  durfte  kein 
fbr  sich  bestehendes  sein,  sondern  in  eine  andere  Kategorie  gehören» 
wovon  weiter  unten  noch  die  Rede  sein  wird.  Es  lässt  sich  somit 
das  iberische  Alphabet  in  folgender  Weise  aufstellen : 

A,  >,  <,  <,  N.  H,  Z.  H,  IM,  K,  K  M,  M.  t  O.  P,  h.  X.  K  4*,  T. 


VIIL 
einzelnen  Buchstaben  des  iberischen  Alphabets. 

Es  ist  eine  sehr  schwierige  Aufgabe,  die  Bedeutung  der  ein- 
zelnen Buchstaben  einer  todten  Sprache  zu  bestimmen.   Treten  in 
dieser  Beziehung  sogar  beim  Griechischen  und  Lateinischen  grosse 
Hindernisse  entgegen,  während  doch  die  reichhaltige  Literatur  dieser 
Sprachen  ab  und  zu  die  verklungenen  Laute  verräth  und,  wenn  auch 
grosse  Veränderungen  eingetreten  sind,  die  romanischen  Sprachen  hin 
und  wieder  zu  Hölfe  kommen.  Wie  ganz  anders  steht  aber  die  Sache 
bei  der  Sprache  der  alten  Iberer  I   Hier  gibt  es  nur  ein,  Mfcnngleich 
unzuTcrlässliches  HQlfsmittel,  welches  die  Namengebung  in  Sprachen 
bietet,  die  selbst  schon  todt  sind.    Wir  verweisen  in  dieser  Hin- 
sicht auf  die  obigen  in  Betreff  dieses  Punktes  gemachten  Bemer- 
kungen«).   Die  Feststellung   der  Zusammengehörigkeit  eines   rein 
erhaltenen  und  eines  romanisirten  oder  gräcisirten  iberischen  Namens 
ist  ausserordentlich  schwer  zu  ermitteln  und  ist  nach  dem  gegen- 
wärtigen Stande  der  Wissenschaft  noch  ron  anderweitigen  theils 
linguistischen,  theils  ethnographischen  Untersuchungen  abhängig. 
Noch  ist  nämlich  die  nothwendig  scharfe  Scheidung  des  keltischen 
und  des  iberischen  Elements  in  den  althispanischen  Namen  nicht 
vollzogen  und  es  fehlt  noch  viel  daran,  dass  jeder  einzelnen  Münz- 
legende die  richtige  Heimath  zugesichert  wäre;  gerade  auf  diesem 
Gebiete  muss  heut  zu  Tage  noch  gar  zu  viel  herumgerathen  werden. 
Jede,  auch  noch   so    plausibel    erscheinende  Erklärung   aus    dem 
heutigen  Baskischen  weisen  wir  einstweilen  prinzipiell  zurück ,  weil 
wir  in  solcher  Beimischung  leicht  einen  grossen  Irrthum   begehen 


9  S.  ob«n  III. 


über  da«  iberische  Alphebet.  219 

IdiuteD;  wir  wollen  erst  einmal  das  Iberische»  so  weit  es  möglich  ist», 
Töllig  rein  darstellen ;  bietet  sich  nachmals  aus  dem  Baskischen  eine 
▼ahriiafte  Bestfitigung,  um  so  besser. 

Eine  andere  Schwierigkeit  in  der  Feststellung  der  iberischen 
Namen  liegt  sodann  noch  in  der  rerschiedenen  Weise »  in  welcher 
dieselben  geschrieben  werden.  Es  herrscht  in  Beziehung  auf  die 
Sehreibung  der  Vocale  keine  Gleichmässigkeit;  bald  wird  ein  Name 
mit  allen ,  bald  mit  einzelnen »  bald  mit  gar  keinen  Vocalen  wieder- 
gegeben  und  dafür  bietet  auch  das  classische  Gewand,  in  welches  die 
rOmiseben  und  griechischen  Schriftsteller  die  Namen  gekleidet  haben, 
leioe  genugende  Ergänzung. 

Es  muss  daher  die  Erörterung  in  Betreff  der  Aussprache  der 
Baehstaben  in  so  fern  eine  unrollkommene  bleiben,  als  es  sich  nicht 
mit  Tolliger  Gewissheit  bestimmen  lasst,  welcher  Vocal  zwischen 
xwei  Consonanten  zu  setzen  ist,  obschon  man  darin  wohl  nicht  irre 
gehen  wird,  wenn  man  annimmt,  dass  es  nur  in  den  seltensten 
Fällen  im  Iberischen  Consonantengruppen  gegeben  hat ;  ein  Schluss, 
wozu  die  grosse  Anhäufung  von  Vocalen  in  vielen  Namen  zu  berech- 
tigen scheint  Eine  Sprache ,  welche  Namen  wie  Eoatia,  SeoU  und 
ähnliche  aufzuweisen  hat,  wird  schwerlich  Lrst  Qn  oder  Rds  ohne 
Toealische  Dazwischenkunft  vertragen  haben.  Manches  wird  auch 
deshalb  nicht  mit  Sicherheit  festgestellt  werden  können,  weil  es  noch 
eine  Menge  mit  den  Namen  im  Zusammenhange  stehender  geogra- 
phischer Controversen  gibt,  denen  zwar  nicht  aus  dem  Wege 
gegangen  werden  darf,  für  welche  es  aber  in  dieser  Erörterung  keine 
Stelle  geben  kann,  weil  man  sich  sonst  in  ganz  andere  Regionen 
hegeben  mfisste.  Bei  diesem  Stande  der  Sache  haben  wir  uns  daher 
einstweilen  darauf  beschränken  müssen,  diejenigen  Bestimmungen 
als  normgebend  beizubehalten,  welche  von  Boudard  gegeben 
worden  sind;  es  haben  dieselben  auch  in  der  That  einen  Anspruch 
darauf  im  Allgemeinen  als  Norm  zu  gelten,  denn  Boudard  hat  in 
der  Erklärung  der  Namen ,  wie  oben  bereits  bemerkt  wurde  *),  alle 
»eine  Vorgänger,  den  sorgfaltigen  de  Saulcy  nicht  ausgenommen, 
Veit  hinter  sich  gelassen ;  man  kann  das  Verhältniss  in  der  That 
dabin  bestimmen,  dass,  wenn  Boudard  von  zehn  Erklärungen  viel- 


h  8.  ohen  III. 


220  Phillips 

leicht  eine  nicht  gelungen  ist,  bei  de  Saulcy  von  funfen  kaum  eine 
richtig  ist.  Wir  stellen  in  unserer  Erörterung  die  Consonanten  auch 
schon  desshalb  voran,  weil  mit  diesen  die  Griechen  und  Römer  sich 
doch  einigermassen  surecht  zu  finden  wussten,  wShrend  ihnen  und 
zwar  den  letzteren  in  noch  höherem  Grade  als  den  ersteren  der 
iberische  Vocalismus  fast  unfibersteigliche  Hindernisse  geboten 
haben  rouss;  ein  Grund,  warum  wir  der  Meinung  Humboldfs  nicht 
beistimmen  können,  dass  den  Römern  die  Aussprache  des  Keltischen 
noch  weniger  geläufig  als  die  des  Iberischen  gewesen  sei  *). 

I.   Die  CoDSODanten. 

1.  Pie  eittiralen. 

Zur  Classe  der  Gutturalen  gehören  die  Buchstaben  <,  <,  K»  X 
und  Z»  also  fünf  verschiedene    Schriftzeichen.    Schon  diese  Zahl 
l§sst  vermuthen ,  dass  nicht  jedes  derselben  einen  besonderen  Laut 
ausgedrückt  habe,  sondern  einige  von  ihnen   mit  anderen  gleich- 
bedeutend waren.  Es  ist  dies  bereits  in  Betreff  der  beiden  Zeichen  < 
und  <  dargethan  worden^).    Wenn  man  indessen  die  Legenden 
genauer  mit  einander  vergleicht,  so  nimmt  man  wahr,  dass  dieselben 
auch  zwischen  diesen  beiden  Zeichen  einerseits  und  K  andererseits 
keinen  strengen  Unterschied  beobachten.    Als  Beispiel  dafür  kann 
zunächst  das  oben  besprochene  SufiFix  s)  dienen,  welches  bald  -<t^, 
bald  -<r,  bald  KK  geschrieben  wird  (vgl.  Leg.  79.  80.  160);  eben 
so  wechselt  auch  in  den  grösstentheils  aus  römischen  Buchstaben 
bestehenden  Legenden  Carmo  und  Carteia,  das  C  mit  dem  K  ab 
(vgl.   Leg.   10  —  12   mit  Leg.  35.  13  und  34);   dasselbe  gilt  von 
dem    ür(ijc€kn,    in   welchem    der   erste    Guttural    einmal    als    C 
(Leg.  296),  das  andere  Mal  als  K  erscheint  (Leg.  297). 

Schreitet  man  in  der  Vergleichung  der  hieher  gehörigen  Le- 
genden noch  weiter  fort,  so  findet  man^  dass  JT  wiederum  überein* 
stimmend  mit  X  gebraucht  wird;  z.  B.  Kinü  (Leg.  17S)  und  Xinii 


')  T.  Humboldt,  Untersuchungen  fiber  die  Urbewobuer  Hisptniens.  8.  35.  Note  ZS. 
^)  S.  oben  VI.  S.  89. 

^)  S.  oben  UI.  S.  89.  •-  SoUte  in  Leg.  Z34  du  Q  an  SchJuaee  de«  Namens  nus  den 
Suffix  ^f^  henroi^egangen  sein  und  die  Stelle  eine«  Plurals  rertreten  ? 


Üb«r  das  iberiicbe  Alpbab«t.  221 

(Leg. 247  bis).  Aber  man  darf  auch  noch  einen  Sehritt  weitergehen: 
mit  diesem  X  wechselt  auch  Z  in  seinen  verschiedenen  Gestaltungen 
X,Z.X  ab;  z.  B.  Leg.  74  und  UiAaraTi^  und^oraXH',  Leg.  128 
ood  129:  Eobb-Xm  und  EoblZn,  Leg.  267  und  268,  270  und  271 : 
BoeXo  und  RoeXo,  RoeXo  und  RoeXo»  Es  hat  daher  nahezu  den 
Ansciiein,  aber  doch  wohl  nur  den  Anschein,  als  ob  <s=:<»K»X»Zi 
i  h.  jedes  der  fünf  Gutturalzeicben  gleichbedeutend  mit  dem  andern 
sei  Dem  ist  nun  wohl  sicherlich  nicht  so  gewesen. 

Die    lateinische,    beziehungsweise    griechische   Schreibweise 
gewährt  über  diese  Punkte  keine  Aufschlfisse,   Im  Lateinischen  tritt 
fast  immer  das  C  und  zwar  als  JT gesprochen  ein;  auf  den  Münzen  ist 
aberdas,f  z.  B.  in  JTamto»  sicherlich  nicht  aus  dem  alten  lateinischen, 
soodera  aus  dem  iberischen  Alphabete  hervorgegangen.   Die  Römer 
schreiben  also  das  <  in  K.armo  und  ^Ise  Celse^  das  K  in  Ktnt^  und 
TrKtf,  so  wie  das  Z  in  Znoorft,  was  sie  durch  Conh'ebia  wieder- 
geben, ohne  Unterschied  mit  C,  während  die  Griechen  statt  dessen 
das  fTerwenden,  wie  sich  dieZnosZH'  in  den  griechischen  Kovfaxoe 
oderKäivioxce,  wie  Strabo  die  Volkerschaft  nennt*),  wieder  er- 
keDoen  lassen.   Auffallend  ist  es,  wie  verhältnissmässig  selten  die 
Römer  bei  iberischen  Namen  das  G  anwenden  7);  Beispiele  der  Art 
bietet  der  durch  die  Leg.  248  bekannte  Name  Qnt^mir^   der  nach 
der  Schreibweise    der   Romer    sich    in    Grandamerium   verwan- 
delt«) und  Leg.  2i8  (bisj  ffH^mitp  welches  sie  Quaquetmi*)^  die 
Griechen  Kouoxcpvoe  ^®)  schreiben.  Auch  i$i Lastigi*^)  ursprünglich 
Lutiki  gewesen,  wie  auch  die  Leg.  37  Lasfei  zu  lesen  und  Lastiki 
auszusprechen  ist  Für  die  dort  erwähnten  Städtenamen  Ipagro  und 
Igabro  haben  wir  keine  entsprechenden  iberischen  Münzlegenden; 
allerdings  bringt  Sestini  das  sehr  zweifelhafte  JhA^^O;  Saulcy 


9  strabo,  Geognphia.  Lib.  HL  155.  162. 

')  VjLVLS.41. 

^)So  im  Hin.  Ant«,  «och  Grandinuro  oder  GUndonmnun;   Ptolem.  II.  5.  (ed. 

Wilb«rf.  KMeod.  1S3S.  p.  121.  15)  hat  HavS^fAfpov  oder  roeyd6fa/>ov ,  der 

Rom.  Baveno:  GlaDdimarium  und  GandooMriani.  Vgl.  Boudard,  Numismatique. 

p.l20. 
*)  Itia.  Ant:  Aqoae  Qaacemomm.  Hubner,  Inacr.  Hisp.  n. 2477(Aqaae  Flafienses, 

ChsTce) :  Qoarquenii. 
<*)  Ptolem.  II.  5.  p.  123.  20.30. 
^0  Pub.  Hist.Dat  III.  3. 


222  Phillips 

übernimmt  keine  Garantie  für  diese  Legende  und  auch  B o u  d ard  i>), 
dem  dieselbe  zur  gewünschten  Unterstützung  der  Annahme  eines 
iberischen  G  dienen  würde,  will  sie  nicht  anerkennen  *<). 

Es  ist  uro  so  weniger«zu  wundem,  dass  die  Romer  und  Griechen 
sich  die  Aussprache  der  iberischen  Gutturalen  vereinfachten,  als 
4iuch  auf  den  einheimischen  Münzen  in  der  Anwendung  der  Zeichen 
bei  der  Schrift  gar  nicht  sorgfSItig  unterschieden  wurde.  Es  ist  dies 
eine  Erscheinung,  wie  sie  in  analogen  Verhältnissen  auch  bei  den 
Phöniziern  yorkommt«^).  Dessenungeachtet  ist  gewiss  nicht  anzu- 
nehmen ,  dass  es  in  der  That  keinen  Unterschied  in  der  Aussprache 
gegeben  haben  sollte;  es  haben  gewiss  auch  hier  feine Nuancirungen 
bestanden  und  zwar  dieselben  wie  zwischen  den  phonizischen  Buch- 
staben Gimelf  Kaph  und  Koph^  aus  welchem  C  K  und  Z  heryor- 
gegangen  sind.  Wir  halten  aber  auch  dafür,  dass  nicht  blos  X,  X 
und  X  Nebenformen  von  Z  sind,  sondern  dass  dies  auch  yon  X  gilt ; 
in  X  und  X  ist  der  untere,  in  X  der  obere  Verbindungsstrich,  in  X 
der  obere  und  untere  hinweggefallen. 

Bisher  war  nur  von  fünf  iberischen  Gutturalzeichen  die  Rede ; 
gab  es- noch  ein  sechstes?  Diese  schwierige  Frage  klar  zu  losen» 
fühlen  wir  uns  wegen  mancher  in  der  Untersuchung  auftauchenden 
Widersprüche  bisher  noch  nicht  in  der  Lage;  doch  möge  zusammen- 
gestellt werden,  was  sich  etwa  darüber  sagen  oder  vermuthen  lässt.  Es 
ist  das  Schriftzeichen  )(  oder  X^  welches  hier  in  Betracht  zu  ziehen  ist; 
Boudardi»)  gibt  noch  zwei  andere  Formen  )K  und  X  dafür  an,  die 
man  aber  in  den  von  ihm  mitgetheilten  Legenden  nicht  antrifft. 
^  findet  sich  bei  Saulcy.  Wir  glauben  nicht,  dass  dasselbe  darauf 
Anspruch  machen  kann,  der  Ausdruck  eines  für  sich  bestehenden  Lautes 
zu  sein.  Im  phonizischen  Alphabete  findet  sich  keine  Analogie  dafür, 
höchstens  ähneln  ein  paar  Formen  des  Aleph  oder  Tau^^);  allein 


12)  Boiidard.  a.  a.  0.  p.  21.  2S. 

^')  Andere   Beispiele    dea  Vorkommena   des  6   in    latiniairten    hiapaniachen    Namen 
laaaen  sieh  aus  Hfibner  I.  e.  so  manche  luaamnienstellen ;  s.  B.  Argraeli  (a.  2907), 
Aatigi  (n.  1443;  vgl.  oben  Lastigi),  Caiagorria   (n.  2989),  Gigorraa  (u.  2610), 
Gillo  (n.  3437),  Igabrum  (n.  1610),  Igaeditani  (n.  460),  Hugo  (n.  3239),  Ossigi 
(n.  2101),  Tamagari  (n.  2477),  Urgavo  (n.  2111)  u.  s.  w. 

1^)  Gesenius,  Monwnenta.  p.  433.   Schröder,  die  phöniiiache  Sprache.  S.  79. 

i&)  Boudard,  a.  a.  0.  PI.  V. 

**)  Gesenius,  1.  c.  p.  20.  47. 


über  dM  iberische  Alphabet.  223 

diese Baebstaben  liegen  ganz  fern  von  dem  Gebrauche  ab,  in  welchem 
dasXim  Iberischen  angewendet  wird.  Es  mösste  also  dieses  Zeichen, 
weDDnieht  einheimisch,  aus  dem  Griechischen  oder  Lateinischen  her- 
übergekommen sein;  dort  wäre  allenfalls  auf  das  Xi,  hier  auf  das  Ex 
oder /^  zu  yermuthen;  das  Erstere  ist  wenig,  das  Letztere  durchaus 
nicht  wahrscheinlich.    Es  sind  im  Ganzen  sechs  Munzlegenden,  in 
welchen  jener  Buchstabe  vorkommt:  Leg.  249:  Uez,  Leg.  2S2,  253: 
Wman^  Leg.  249  bü:  Xon,  Leg.  251:  Xonemqn  und  Leg.  247: 
QiäHV.  Hier  fragt  sich  ob  X  sich  in  ganz  unbedingte  Parallele  zu 
X  stellen  lasse ;  nSher  scheint  die  von  X  zu  liegen  und  in  der  That 
Codet  man  bei  Saulcy,  welcher  in  Betreff  der  Wiedergabe  der 
Schriftzeichen  wohl  als  durchaus  gewissenhaft  anzusehen  ist,  folgende 
Varianten:  ^Kofi  zweimal  und  Xon  dreimal.    Wenn  es  nun  richtig 
sein  sollte  p  dass  Xonemqn  =»  Canama  wäre  i^^,  so  träte  auch  hier 
der  JT-Laut  aufs  deutlichste  hervor  und  somit  schienen  )K,  X  und  X 
wirklieh  =  X  =  Z  zu  sein.   Es  bleibt  also  nur  das  Zeichen  H  übrig 
uod  nach  dem  Vorhergehenden  durfte  man  nicht  zu  kflhn  erscheinen, 
wenn  maa  es  in  die  nämliche  Kategorie  stellt.  Unzweifelhaft  gebort 
dies  Zeichen  nur  den  Legenden  Wman  und  Uez  an;  wäre  es  also 
jeoen  anderen  gleichzustellen,  so  würde  man  lateinisch  Clman  und 
Cez  (spr.  Kez)  zu  vermuthen  haben.   Für  das  Letztere  will  sieh  in 
der  ganzen  althispanischen  Geographie  kein  Name  finden  lassen,  der 
aoch  nur  im  Entferntesten  damit  in  Einklang  zu  bringen  wilre;  man 
mochte  daher  vermuthen,  dass  )(  hier  gar  nicht  im  Anlaute  stunde, 
sondern  nur  den  Anfang  einer  Schi usssylbe  bilde.  Die  Leg.  )(e«  wird 
nämlich  durch  eine  über  ihr  laufende  gerade  Linie  von  dem  Worte 
BUbt  getrennt  «•),  womit  zusammen  der  volle  Name  Hübiüez  hiesse; 
stillte  das  Letztere  hier  dem  so  häufig  vorkommenden  Suffixe  XH' 
entsprechen,    da  Z  allerdings    bisweilen    gleichbedeutend  mit  H' 
gebraucht  wird,  wie  der  Vergleich  der  Leg.  182  und  184:  Lraz  und 
LraH*  es  zeigt.  Doch  hier  ist  die  Grenze  unserer  Vermuthungen  in 
Betreff  des  iiez.  Was  nun  Wman  anbelangt,  so  betreten  wir  damit 
das  Gebiet  einer  nicht  unwichtigen  Controverse. 

Saulcy  hält  in  der  Legende  )(hMAM  das  erste  Zeichen  für 
ein  J7  gleich  dem  griechischen  Eta,  das  dritte  für  ein  2,  wie  eben  für 


^')  Boodard,  ■.  a.  0.  p.  295. 

^')  Bo«d«rd,  ■.  a.  0.  PI.  XX.  n.  0. 


224  Pbiiiip. 

diesen  Zischlaut  in  den  archaistischen  Alphabeten  das  Jf  angewendet 
wird;  er  liest  demnach  EUan  oder«  wie  schon  vor  ihm  Velasquez 
und  er  sich  verbessernd  JEZman  <*).  Von  da  war  der  Weg  zu  dem  Stadt- 
namen 'EXfAavrtxi^  desPolybiuss<^)  und  Helmantica  des  Li?ius*i)  nicht 
weit.  Das  Zeichen )( kann  daher  nicht  direct  gleich  dem  griechischen 
Eia  sein,  aber  mDglicherweise  konnte  es  ein  zusammengezogenes 
H  darstellen.  Boudard,  welcher  eine  Menge  von  Mfinzen  mit  dieser 
Legende  mittheilt,  hält  das  IceX/xavrm^  des  Ptolomäus »)  filr  iden- 
tisch mit  jenem  'EX/xccvrexr}  und  fiberweist  daher  alle  jene  Münzen 
der  berühmten  Stadt  Salamanca*«).  Auch  Hfibner  hat  sich  zwar  für 
die  Identität  vonEXfAavrix^  und  Salmantiau  jedoch  dagegen  erklart, 
dass  die  sehr  häufig  mit  iberischen  Legenden  vorkommenden  Münzen 
nin  guibus  Elmaniicae  nomen  legi  aomniatum  e$t  a  muUis^  dieser 
Stadt  angehören  *^).     Bei   dem  Widerspruche    einer    so   grossen 
Autorität  in  dieser  Materie  wird  es  um  so  mehr  darauf  ankommen, 
wie  der  Buchstabe  )(  zu  deuten  sei.    Boudard  gibt  ihm  den  Laut 
des  französischen  Ch  >»),  was  freilich  mehr  dem  phönizischen  Schm 
entsprechen  würde,  das  wiederum  die  Romer  durch  ein  S  wieder- 
zugeben liebten  *•).    Wäre  es  für  ein  /f,  d.  h.  fllr  einen  Spiritus 
asper  zu  nehmen,  so  würde  also  dasselbe  die  Stelle  eines  S  ver- 
treten sf).  Ist  es  aber  ein  eigentlicher  Guttural,  gleich  Z,  so  konnte 
keiner  jener  Namen  zur  Deutung  gebraucht  werden  und  man  müsste 
sich  noch  um  andere  Ortsbezeichnungen  umsehen.  Ohne  damit  einen 
Vorschlag  machen  zu  wollen,   da  die  spätere  Berühmtheit  eines 
Namens  nicht  einer  in  alter  Zeit  sehr  kleinen  Ortschaft  zu  Gute 
kommen  kann,  möge  nur  auf  die  Stadt  der  CaUaici  hingewiesen 
werden,    welche   von   Sallustss)   und   in  Antonins   Itinerarium  «•) 


<*)  EiMi  de  claMificatioD.  p.  143. 

«0)  Polyb.  m.  14.  1. 

<i)  Liv.  XXL  5. 

<*)  Ptolom.  H.  4.  p.  117.  19. 

><)  Buudard,  I.  c.  p.  294. 

S^)  Habner,  1.  c.  p.  109. 

*')  B  o  tt  d  ■  r  d ,  I.  e.  p.  48. 

*')  S.  unten  t.  . 

S7)  Vgl.  Curtiiis,  S.  351. 

<S)  Stllnst.  fr.  bei  Serr.  ad  Virgil.  Aen.  VII.  728. 

s»)  Itin.  Anton,  p.  421. 


über  das  iberische  Alphabet.  225 

erwähnt  wird.  Es  ist  dies  Cale  an  der  Mundung  des  Douro>o)) 
welches  der  Legende  Ulman  dadurch  näher  kommt,  dass  es  auch 
Calem  genannt  wird. 

Jedenfalls  dQrfte  aus  diesen  Erörterungen  so  viel  heryorgehen» 
dass  X  kein  für  sich  bestehender  Buchstabe  ist;  wir  halten  ihn 
ml  mehr  fOr  einen  Gutturalen,  dessen  Ähnlichkeit  mit  X  in  der 
Form  X  und  mit  Z»  X  und  X  darin  hervortritt»  dass  der  Quer- 
strich nicht  oben  und  nicht  unten,  sondern  durch  die  Mitte  ge- 
logen ist 

2.  Die  Sibilanteii. 

Wenn  den  Romern  der  Stridor  punicus^  d.  h.  der  häufige 
Gebrauch  von  Zischlauten,  bei  den  Karthagern  zuwider  war<<)>  ^^ 
haben  sie  in  Hispanien  nicht  minder  Gelegenheit  gehabt»  diesen 
Ohrenschmauss  zu  geniessen.  Die  Iberer  hatten  gleich  den  Phöni- 
ziern vier  Sibilanten  Z,  I,  h  und  H'.  Bekanntlich  fanden  in  der 
ältesten  Zeit  diese  vier  phonizischen  Zeichen  sich  auch  im  griechi- 
schen Alphabete  vor<a);  sie  schmolzen  hier  aber  zusammen  und 
«haben  zum  Theil  Namen  und  Platz  im  Alphabete  gewechselt,  zum 
Theil  sind  sie  ausser  Brauch  gekommen'';  wie  das  geschehen, 
»darüber  ist  die  Forschung  noch  nicht  zum  sicheren  Abschluss 
gelangt *'.  Gesenius  erklärt  die  Sache  so^s):  die  Griechen  haben 
das  pbonizische  Samech  unter  dem  Namen  Sigma,  das  Schin  als  San 
recipirt ,  jenem  das  Zeichen  2>  diesem  M  oder  K  gegeben ;  der 
rauhe  Ton  des  San  sei  ihnen  nachmals  immer  mehr  zuwider 
geworden  und  endlich  ganz  ausser  Gebrauch  gekommen;  seither 
seien  jene  beiden  Namen  und  Zeichen  zu  einem  Buchstaben  ge- 
worden, der  im  Alphabete  die  Stelle  des  Schin  erhielt,  während  der 
oeue  Buchstabe  Z  den  Platz  erhielt,  welchen  bisher  das  Samech  ein- 
genommen hatte;  was  sodann  die  beiden  anderen  Sibilanten  anbe- 


^)  llacli  dieiaiD  Orte  hat  dM  Königreich  Portugtl  ddn  Namen  erhalien.  Vgl.  For- 
kiger, Alte  Geographie.  Bd.  8.  S.  S7. 
*')  HieroB.  Epist.97. 

'*)  Corssen,  Alphabete  bei  Paali,  Realencyklopidie.  Bd.  1.  Abth.  1.  S.  799. 
**)  Oeseaiv«,  I.  e.  p.  66. 

Sitcb.  d.  phiL-hist.  Ol.  LXV.  Bd.  11.  Hft.  17 


226  Phillips 

trifft«  80  konnte  Gesenius  kein  dem  Zade  entsprechendes  Zeichen 
auflinden,  wogegen  Zain  durch  Z^a  wiedergegeben  wird.  Nur  in 
Beziehung  auf  den  letzteren  Punkt  weicht  Franz  von  Gesenius  ab, 
indem  er>^}  das  Z  für  Zain  und  Z  für  Zade  hält.  Mommsen*») 
dagegen  hat  sich  für  Gesenius  erklärt,  halt  aber  S  für  die  eigent- 
liche ,  H  für  die  jüngere  Gestalt  des  Schin  im  Gegensatz  zu 
Sigmot  M,  und  erklärt  dasselbe  als  eine  Art  ach,  dessen  Verwandlung 
in  5  man  sich  ungef&hr  wie  dasVerhältuiss  des  deutschen  Mschlagen** 
zum  englischen  „to  slay**  zu  denken  habe. 

Wie  dem  nun  auch  in  Griechenland  gewesen  sein  mag,  in  Iberien 
scheint  Z=Zain,  i,  I  oder  2=  Samech,  H=  Zade  und  H^  =  Schin 
gewesen  zu  sein. 

Was  oben  in  Betreff  der  Gutturalen  bemerkt  wurde,  kommt 
auch  hinsichtlich  der  Sibilanten  in  Betracht.  Da  die  Punier  diese  oft 
mit  einander  nicht  bloss  in  der  äusseren  Gestalt  rerwechselten,  son- 
dern auch  in  der  Aussprache  *•),  so  geschah  wohl  dasselbe  bei  den 
Iberern ;  hinsichtlich  der  Zeichen  ist  dies  gewiss,  und  es  lässt  sich 
dasselbe  in  Betreff  der  Aussprache  vermuthen,  ohne  dass  damit  eine 
allgemeine  Corruption  anzunehmen  wäre,  die  jeden  Unterschied  hin- 
weggewischt hätte.  Die  Legenden  bieten  daher  allerdings  den 
Ansehein,  als  ob  alle  Zischlaute  gleichzustellen  seien;  in  Leg.  182, 
183  und  184  findet  sich  £ra4',  ZraZ  und  Lrai;  dass  aber  auch 
das  h  gleich  dem  Z  genommen  wurde,  beweisen  die  Leg.  91  —  97. 
Übrigens  ist  bei  derartigen  Legenden ,  wenn  neben  einem  stärkeren 
Zischlaute  ein  minderer  gebraucht  wird,  wie  in  den  oben  erwähnten 
Beispielen,  wohl  für  die  Originalität  des  ersteren  zu  rermuthen. 

Was  nun  die  einzelnen  Sibilanten  anbetrifft,  so  war  wohl  H*  als 
dem  phönizischen  Schin  entsprechend,  der  seiner  Aussprache  nach 
rauheste.  Boudard  gibt  ihm  die  Bedeutung  von  TZ  <^).  Es  mag 
zugestanden  werden,  dass  die  Leg.  149:  JtH'/A,  einen  in  der  Nähe 
des  Cap  Palafrugel  (Celebandicum)  gelegenen  Ort  bezeichnet  habe. 


'^)  FmDE,  Elementa  Epigraphices  Graecae.  p.  16.   Vgl  noch  Lepaias,  de  Ubali 
Eogttbinia.  p.  73,  der  daa  Zain  io  ^,  daa  Sameeh  in  X  ^^^  ^**  ^^^  '^^  S  nieder» 
findet. 

'^)  Mommaen,  UnteritaUache  Oialekte.  S.  5. 

'*)  Schröder,  a.  a.  0.  8.  110. 

'7)  Boudard,  a.  a.  0.  p.  49. 


über  das  iberische  Alphabet.  227 

<ier  ehedem  Cypsela  *s),  nachmals  im  zehnten  Jahrhundert  Jecsalis 
«nd  später  5.  Felia;  de  Guuvols  genannt  worden  ist<»);  jedenfalls 
ist  es  aus  der  Übereinstimmung  Ton  Lrca  und  Lra}¥  sicher,  dass  H' 
ein  dem  S  verwandter  Ijaut  gewesen  ist,  indessen  der  Sprung  von 
da  bis  TZ  ist  doch  etwas  zu  schnell;  ehen  so  wenig  kann  hiebei  in 
Anschlag  gebracht  werden,  dass,  weil  der  Name  Tsekedo  (Leg.  292) 
mit  Tm  geschrieben  worden  sei^<>),  dessh^lb  H'  nicht  für  Ts»  sondern 
fnr  7z  zu  halten  sei,  auch  das  nicht,  dass  viele  Ortsnamen  auf  H' 
•endigeo.  Wir  glauben  daher  jene  von  Hommsen  in  Betreff  des 
dorischen  5an  gemachte  Äusserung  hier  ebenfalls  *  zur  Anwendung 
bringen  zu  dürfen,  wonach  H'  =>fi?A  gewesen  sein  mochte.  Der  eigent- 
liche Grund,  warum  Boudard,  der  noch  in  seinem  frühern  Werke 
(rAlphabet  Ib^rien)  ^^^Schin  annahm^«),  dafür  das  TZ  lieber 
angewendet  wissen  wollte,  scheint  in  der  Meinung,  das  Iberische 
aoeh  in  dieser  Hinsicht  aus  dem  Baskischen  erklären  zu  können,  zu 
liegen;  allerdings  findet  sich  die  Endung  ^üz  sehr  häufig  im  Bas- 
kisehen  vor. 

Merkwürdig  bleibt  immer  die  vollkommene  Übereinstimmung  in 
der  Gestalt  zwischen  dem  griechischen  Psi  und  unserem  H',  welches 
dem  pbönizischen  Schin  viel  näher  steht  als  das  archaistische  M. 
Eben  so  ist  es  auffallend,  dass  es  den  Anschein  hat,  als  ob  die  Form 
des  Samech  ?  (iber.  (  und  I)  sich  in  dem  griechischen  ^  erhalten 
Habens).  Wir  führen  diese  beiden  Erscheinungen  nur  als  solche  an 
ohne  weitere  Consequenzen  daraus  ziehen  zu  wollen. 

Wenn  indessen  einem  der  iberischen  Consonanten  die  Bedeu- 
tung von  TZ  beizulegen  ist,  so  kann  dies  nur  Zade  sein,  wie  ja  auch 
dieser  punische  Buchstabe  in  der  nämlichen  Weise  von  den  Puniern 
umschrieben  wird^s);  Tzade  bildet  offenbar  den  Gegensatz  zu  dem 
etwas  sanfteren  Dzain,  so  wie  Samech  als  weicheres  4$  gegen  den 
rauhen  Laut  Schin. 

Die  Romer  machten  mit  allen  diesen  Sibilanten  einen  kurzen 
Process;  mit  wenigen  Ausnahmen  gaben  sie  dieselben  durch  ihr  S 


*<)  ATiea.  Ort  oierit.  v.  527. 

**)  Petr.  d.  Marc«,  Maria  Hiap.  p.  164. 

^)  Daa  «weite  Zeichen  ^  dieser  Legende  iit  übrigens  gewiss  ein  2* 

^0  Bottdard,i£tudes.  PI.  V.  n.  35. 

^*)  Vgl.  Monmsen,  a.  a.  0.  S.  11. 

^)  Vgl.  Schröder,  a.  a.  0.  III.  Anin. 


228  Phillips 

wieder;  Dz,  Tz  und  Seh  mussten  ihnen  unerträglich  sein.  Aber  auch 
das  Z  war  den  Römern  nicht  mehr  so  ganz  mundgerecht;  besass 
früher  ihr  Alphabet  dasselbe,  so  hatte  man  es  doch  aufgegeben  und 
erst  allmahlig  recipirte  man  es  wieder  aus  dem  Griechischen,  ohne 
ihm  einen  sehr  umfangreichen  Gebrauch  zuzugestehen  m);  es  ist 
daher  begreiflich ,  dass  auch  an  die  Stelle  des  iberischen  Zain  das 
S  trat;  hatte  man  ja  doch  auch  das  griechische  Zeta  in  dieser  Weise 
ausgedruckt,  z.  B.  aus  Zoxvv^'og  Saguntum  gemacht?  Um  nunmehr 
einige  Beispiele  anzufBhren»  so  erscheint  als  S  1.  das  Z  der  Leg.  & 
und  9  in  Cariz,  der  Leg.  232  in  Oztur,  2.  das  i  der  Leg.  279 
und  280  in  X^elrds,  3.  das  h  der  Leg.  105  in  Celaa,  der  Leg.  109 
u.  f.  in  CoBe(tani)  und  4.  das  H'  der  Leg.  88  in  Bursao,  der 
Leg.  201  und  202  in  Murgis,  Der  nämliche  Wandel  tritt  aber  auch 
dann  ein,  wenn  das  Iberische  ein  T  und  ein  S  zusammenkommen 
Ifisst,  z.  B. :  Leg.  292  TSekedo,  wenn  dieser  Name  wirklich  in 
Segeda  fortlebt*»).  Übrigens  scheint  uns  gerade  diese  Ijegendc,. 
welche  Boudard  zur  Argumentation  für  die  Aussprache  des  H'  als 
Tz  gedient,  dagegen  angeführt  werden  zu  dürfen.  Denn  S  ist  nicht 
Samech,  wie  er  annimmt,  sondern  Zain;  wäre  nun  4^  =  Tz»  5o 
würde  der  Name  aller  Wahrscheinlichkeit  nach  H^ekedo  geschrieben 
worden  sein. 

Jene  allgemeine  Verwandlung  der  iberischen  Zischlaute  in  i9 
hat  aber  auch  ihre  Ausnahmen.  Ist  nämlich  die  Umdeutung  von 
I^AH'OX  in  Il'^o  (q),  so  wie  die  Erklärung  durch  „Stadt  P¥o^ 
(hcho)  richtig,  dann  scheint  das  4^,  welches  hier  in  allen  Exem- 
plaren (Leg.  162u.ff.)constantvorkommtyin4$5übergegangenzusein,. 
da  vermuthlich  dies  der  Ort  ist,  den  die  Bömer  Jesao  nannten *•). 
Eine  andere  Ausnahme  mochte  die  Leg.  143  HuJi^M<M>  mit  Hin- 
weglassung  des  Suffixes:  Wi^om  Hoschöm  machen;  unter  den 
heutigen  Stadtnamen  mochte  dem  am  meisten  entsprechen  Os'mfaJ, 
welchen  Ort  die  Römer  üxama,  die  Griechen  Oif^ap.oi  nannten. 
Wäre  dieses  x  normgebend ,  so  musste  man  fast  glauben ,  dass  das 
H'  ein  für  die  Romer  unangenehmer  Laut  des  seh  gewesen  sei,  eine 
dialektische  mit  einem  Guttural  versetzte  Variation  desselben,  wie 


^^)  Cor««en,  Ansiprache,  Vocalismas.  S.  11.  12.  295. 

^fi)  Boadard,  a.  a.  0.  p.  290. 

^^)  Boadard,  a.  a.  0.  p.  215.  Vgl.  Hahner,  1.  c.  p.  593. 


über  das  iberische  Alphabet.  220 

in  westpbälischefi  Dialekten  das  seh  nicht  bloss  wie  S — x  (z.  B< 
S—cUnken)t  sondern  auch  ach — x  (Seh — chinken)  ausge- 
sprochen wird.  Es  wäre  dies  freilich«  wenn  sich  die  Sache  so  Ter- 
Uelte,  eine  ganz  singulare  Ausnahme,  die,  wenn  sie  — ■  was  kaum  zu 
glauben  —  etwa  gar  ursprunglich  Regel  gewesen  sein  sollte ,  dazu 
dienen  würde  die  Rathlosigkeit  der  Römer  in  der  Wiedergabe  der 
iberischen  Laute  sehr  zu  entschuldigen. 

Bei  dieser  Gelegenheit  bildet  sich  wie  von  selbst  die  Frage,  ob 
die  Iberer  nicht  vielleicht  diese  Zusammensetzung  des  Gutturals  mit 
einem  Zischlaut  kannten,  wenn  sie  auch  kein  eigens  dafür  beste- 
hendes Zeichen»  wie  das  |  und  das  x  es  waren,  besassen?  Die  Frage 
ist  nicht  auf  den  ersten  Blick  zu  beantworten,  weil  es  an  bestimmten 
Regeln  fehlt,  um  zu  ermitteln ,  ob  zwischen  zweien  Consonanten  ein 
Vocal  zu  suppiiren  sei  oder  nicht.  Ein  ca*  qs  auch  qz  findet  sich  aller- 
dings in  mehreren  Legenden;  z.  B.  Leg.  165:  IP¥oc8,  Leg.  274 
BoeqocXa  und  275:  RoeqocXz;  allein  diese  durften  wohl  durchaus 
nicht  dem  lateinischen  Xzu  vergleichen,  vielmehr  durch  Einschiebung 
des  Vocales  e  oder  i  zu  vervollständigen  sein.  In  dieser  Bedeutung 
babeo  wir  die  erwähnten  Gruppirungen  alsSufiixe  schon  oben  kennen 
gelernt  *»)- 

3.  Die  Dentalen. 

Aus  den  uns  zu  Gebote  stehenden  Quellen  sind  nur  die  beiden 
Dentalen  <  (^2)^  und  T  ersichtlich.  Auffallend  ist  es,  dass  sich  hier  kein 
Beispiel  davon  findet,  dass 2)  im  Anlaute  stunde;  auch  unter  den  von 
den  Romern  überlieferten  hispanischen  Namen  finden  sich  verhält- 
nissmässig  nur  wenige,  welche  mit  einem  D  anfangen  und  unter 
diesen  mehrere,  welche  keltisch  sein  durften**).  Auch  die  Legenden, 
▼eiche  T  im  Anlaute  haben ,  sind  gering  an  Zahl  und  wurden  im 
Lateinischen  wohl  ebenfalls  durch  7  wiedergegeben ;  z.  B,  Leg.  291 
Itmbo  seheint  mit  lat.  Turamana  zu' deuten  zu  sein**).  Leg.  284 
TmbhH^iz  durch  Tabucci  so),  so  wie  Leg.  28K  TlmH'ttoar  an  die  Tempai 


*^)  Ä.59. 

^')  Z.  B.  Dcobrig«  ond  DcMobriga. 
**)  Boadard,  m,  «.  0.  p.  ZOO. 
^)  Boodard,  a.  a.  0.  p.  2S5. 


230  P  b  i  1  I  t  H  a 

des  Avienus»^  erinnert  >*).  Bisweilen  finden  sieb  hispanische  Namen 
in  ihrer  römischen  Gestalt  auch  mit  einem  TU  gesehrieben  ror; 
z.  B.  7%tar'>)  oder  auch  das  griechische  Seai/a^^');  entspricht 
Letzteres,  was  vermuthet  wird  >»)  der  Leg.  282  Tioh  oder  eher  viel- 
leicht noch  Thiar  der  Leg.  285  Tiohtir,  so  scheinen  Romer  und 
Griechen  zu  dieser  Schreibweise  durch  die  iberische  Aussprache 
des  T  vor  einem  Vocal  veranlasst  zu  sein.  Häufig  findet  sich  T  im 
Auslaut  und  scheint  mit  dem  Yorangehenden  Vocal  eine  Ableitungs* 
sylbe  zu  bilden,  an  welche  sich  dann  noch  das  Suffix  ^an  anreiht. 
Beispiele  bieten  daffir  eine  Menge  iberischer  Stammesnamen,  wie 
Ed-et-ani,  Lns-ü-ani^  von  denen  bei  anderer  Gelegenheit  gehandelt 
werden  soll.  Dieses  auslautende  T  findet  sich  aber  auch  in  vieleu 
Legenden  vor;  z.  B.  Leg.  7:  Call-ei;  Leg.  i7:  Cer^;  Leg.  68 
u.  ff.;  AoibS'i;  Leg.  77:  Aor-t-es;  Leg.  83:  Blb-t-n  (BUb-ii-an-i); 
Leg.  118:  CoB-et;  Leg.  178:  Kinii;  Leg.  229:  Oozr-i;  Leg.  231 : 
OotO'Oi  u.  s.  w. 

4.  Die  Labialei. 

Das  Iberische  hat,  wie  oben  bemerkt,  aller  Wahrscheinlichkeit 
nach  keinFgehabt;  die  Labialen  beschranken  sich  daher  auf  >  und  K 
B  und  P.  Wenn  auch  nicht  in  den  Zeichen  dieselben  mit  einander 
wechseln,  so  scheint  es  doch  mit  der  Aussprache  öfters  so  gegan- 
gen zu  sein,  wofür  die  beiden  Legenden  83  Blbtn  und  236  Plplis 
das  Beispiel  bieten;  die  Bömer  zogen  das  B  vor  sie  schrieben  £tY- 
bitani  und  Bilbüis  *•)  (Leg.  5). 

i.  Die  lifiiden. 

Auch  das  Iberische  hat  die  vier  Liquiden  h,  M.  Kt  P.  Die 
Münzlegenden  bieten  in  Betreff  ihrer  zu  keiner  besonderen  Bemer- 
kung Veranlassung;  ein  Wechsel  findet  nur  bei  dem  mehrfach 
erwähnten  Suffixe  -<M,  -KM;  -XM  statt,  welches  oft  auch  <K  und 
Zr^  lautet. 


*^)  ATienu«,  I.  e.  v.  255. 
^S)  Boodard,  a.  •.  0.  p.  294. 
ft>)  Hin.  Anton,  p.  401. 
»4)  Ptolem.  U.  5.  p.  129.28. 
&*)  Boudard,  a.  a.  0.  p.  290. 
*«)  S.  auch  Leg.  81  und  Leg.  234. 


Ober  dM  iberitehe  AIpbabet.  231 


(.  Spiritu  asper. 

Die  Zeichen  H '  und  H  nehmen  im  Iberischen  die  Bedeutung 
eines  Spiritus  asper  ein.   Man  konnte  in  manchen  Fällen  versucht 
sein,  bei  diesem  H   an   ein  griechisches  Eia  zu  denken  »v);    wie 
L  B.  Leg.  135  H>N  jedenfalls  die  Stadt  Edeta  bezeichnet.   Allein, 
weoo  es  richtig  sein  sollte»  dass  der  Name  Sedetani  den  nämlichen 
Namen  bezeichnet,  so  wurden  wir  hier  einen  auch  sonst  vorkommenden 
Zosammenhang  zwischen  dem  Spiritus  asper  und  dem  S  wiederfin- 
den »•).   Sehr  deutlich  erscheint  dieser  Spiritus  in  der  Leg.  134: 
Balb^,  welchen  iberischen  Namen  die  Römer  mit  Alabanenses 
wiedergeben.  Überhaupt  haben  die  Römer  regelmässig  den  Spiritus 
asper  weggelassen  und  die  Griechen  ihn  öfters  durch  einen  Spiritus 
lenis  ersetzt    So  hat  es  z.  B.   den   Anschein,    als  ob  das  OOafxa 
des  Ptolomäus '»)    die  Leg.  140:  Hohmi  wiedergebe  «o^ ,  was  im 
Lateinischen  dann  widerum  als  Vama^^)  also  doch  mit  einem  Hauch- 
laute erschien.  Das  iberische  H  kommt  auch  öfters  im  Inlaut  vor  und 
hat  dann  zur  Aspiration  des  vorangehenden  Consonanten  gedient. 

7.  lalbvtcal. 

Ob  das  Iberische  in  dem  I  einen  Halbvocal  gehabt  hat,  muss 
dahingestellt  bleiben.  Die  Leg.  149:  JtH'/A,  kann  vielleicht  nach 
dem  späteren  routhmasslichen  Namen  dieses  Ortes  Jecsalis**)  als 
ein  solcher  Zwitter  gedacht  und  ihm  der  lateinische  Stammname 
Jaccetam  an  die  Seite  gesetzt  werden  zu  dürfen.  Wie  es  damit  im 
Inlaut  gestanden  hat,  ist  nicht  mit  Sicherheit  zu  bestimmen;  ein  Bei- 
spiel gibt  die  Leg.  285 :  Tmmioar. 


Bevor  wir  zu  den  Vocaleh  übergehen,  ist  noch  mit  ein  paar 
Worten  auf  die  im  Iberischen  vorkommenden  Consonantengruppen 


*^  S.  de  Saulcy,  EsmK  p.  103. 

^)  VgL  G.  Cartiu«,  •.  •.  0.  S.  351.  V^l.  oben  S.  60. 

**J  Ptolea.  n.  3.  p.  114.  18. 

^  Boudard,  ■.  ».  0.  p.  199. 

*^)  l^gt  Bfi  bner,  I.  c.  D.  989. 

^)  S.  Note  39. 


282  Phiiiipi 

aufmerksam  zu  machen.  Es  hat  wegen  der  häufigen  Auslassung  der 
Vocale  seine  Schwierigkeit,  solche  Gruppen  zu  bestimmen ,  denn  da 
konnte  man  Gruppen  von  sechs  Consonanten  aufzahlen;  z.B.  Leg. 91 : 
Brabhz.  Es  ist  wohl  anzunehmen,  dass  es  sehr  wenige  Consonanten- 
gruppen  gab,  weil  die  iberische  Sprache  ausserordentlich  demVoca- 
Hsmus  zugeneigt  war.  Auch  darf  man  aus  der  romischen  Namens- 
gebung keine  Schlüsse  ziehen,  wie  z.  B.  Conirebia  in  seinem  Ori- 
ginal Leg.  246:  Qnoarb  nicht  als  Beispiel  einer  iberischen  Con- 
sonantengruppe  ir  angeführt  werden  kann.  In  jenem  Beisfiele  Brsbhz 
bleibt  höchstens  die  Consonantengruppe  ra  übrig,  denn  es  ist  ent- 
weder Boraabhez  oder  Bursabhez  zu  lesen.  —  Eben  so  ist  im 
Iberischen  eine  fonsonantenverdoppelung  ausserordentlich  selten; 
Beispiele  sind  Leg.  103:  Ceaset  Leg.  234:  Petarrac.  Bisweilen 
erscheint  der  anlautende  Consonant  rerdoppelt;  wenn  dies  nicht  ein 
blosser  Fehler  desjenigen  ist,  der  die  Legende  gefertigt  hat,  so  würde 
man  doch  an  einen  noch  einzuschiebenden  Vocal  denken.  Es  findet 
sich  dies  in  der  Leg.  244:  Qqno^  und  Leg.  291 :  Timbo. 

Wir  stellen  in  Kürze  die  in  den  iberischen  Münzlegenden  nach 
muthmasslich  richtiger  Vocalisiruiig  Torkommenden  Consonanten- 
gruppen  zusammen. 

er  in  Leg.  89.  vgl.  178. 

C8  und  qa  in  Leg.  165  und  272;  s.  jedoch  oben  S.  229. 

Ib  in  Leg.  66,  83  und  236. 

Ic  in  Leg.  42,  43,  44. 

U  in  Leg.  7. 

pp'm  Leg.  30,  31,  47. 

rc  in  Leg.  26,  28. 

ra  in  Leg.  91. 

rr  in  Leg.  234. 

ff  in  Leg.  13. 

rH'  in  Leg.  88,  89,  90. 

sp  in  Leg.  276. 

aa  in  Leg.  48,  49. 

at  in  Leg.  37. 


über  da«  iberische  Alphabet.  233 


IL  DieVooale. 

Die  iberische  Sprache  hat  fünf  Vocale: 

A.   E,   I,  O.   H. 

Die  Römer  geben  den  Buchstaben  A.  sobald  er  im  Anlaut  vor 
einem  und  im  Inlaut  zwischen  zweien  Consonanten  steht,  ziemlich 
regelmässig  durch  ihr  A  wieder,  z.  B.  Acinipo  (Leg.  2) ,  Albocela 
(Leg.  66),  Ära  (Leg.  78),  Amaci  (Leg.  62.  63.  64),  Wman 
(Sa?)lman-tica;  ausnahmsweise  geht  er  auch  in  e  über,  so  Iliberris 
(nr  Ilbar  (Leg.  157),  Beterrae  für  Phtarrac  (Leg.  234);  hin  und 
vieder  lassen  sie  ihn  auch  ganz  fort,  z.  B.  Ildum  für  Iladh  (Leg.  151 
uod  152).  über  die  Stellung  des  A  neben  anderen  Vocalen  wird  bei 
den  Diphthongen  die  Rede  sein. 

Bisweilen  wird  andererseits  ein  in  der  iberischen  Schrift  nicht 
ausgedrücktes  A  von  den  Romern  eingeschaltet,  so  Beiameaa  in 
Leg.  98. 

Auch  ^  wird  von  den  Romern  meistens  als  £  ausgedrückt,  so 
Etamesa  (Leg.  132),  wie  auch  das  kurz  zuvor  hervorgehobene 
Betamesa^  welches  zugleich  ein  Beispiel  der  Aussprache  des  £  im 
Inlaute  gibt.  Bisweilen  wird  1=  römisch  als  /  gegeben  •  so  in  Cissa 
fiir  Ceise  (Leg.  103),  Sisapo  für  Sesapo  (Leg.  279),  bisweilen  auch 
Saesapo  (Leg.  52.  53)  als  Ergänzung  in  CUe  lat.  Celsa  (Leg.  104). 
Der  Buchstabe  |^  wird  im  Anlaut  auch  im  Lateinischen  durch  / 
bezeichnet,  z.  B.  Iba  (Leg.  145.  146),  Ilipa  (Leg.  158),  was  auch 
ZDgleich  fQr  den  Inlaut  als  Beispiel  dienen  kann.  Drei  Silben  mit  / 
folgen  auf  einander  in  Plplis  (Leg.  5),  wie  es  romisch  in  Bilbilis 
(Leg.  5)  erscheint.  Bisweilen  aber  geht  das  IM  auch  in  E  über,  wofür 
Emonaei  sprechen  würde,  w^enn  es  sich  als  gleichbedeutend  mit 
Inume$  oder  lamones  (Leg.  170  — 172)  erweisen  würde  <*);  sicher 
aber  gebort  hieher  das  obige  Iliberrist  in  so  fern  als  es  auch  in  der 
Form  Eiibetiris  vorkommt;  in  beiden  Formen  ist  das  zweite  /  ergän- 
zend ,  sicher  auch  der  wirklichen  Aussprache  hinzugefugt.  Wichtig 

wird  auch  das  I  in  dem  Suffixe  <l^,  wie  es  in  Obulcin  (Leg.  43) 
erscheint;  darnach  wäre  es  überall  bei  dem  genannten  häufig  vor- 
kommenden Suffix  zu  ergänzen.  Weggelassen  wird  das  /  des  Namens 


*S)  Bovdard,  ■.  a.  0.p.2t7. 


zu  Phillips 

ürice  (Leg.  296),  wofür  im  Lateinischen  ürei  eintritt,  dem  die 
Sehreibweise  ürke  (Leg.  297)  zur  Seite  steht 

Auch  0  wird  im  Anlaut  und  zwischen  zwei  Cönsonanten  latei- 
nisch durch  0  ausgedruckt,  z.  B.  Leg.  218:  Olbim^,  Cose*^) 
(-Uani)  in  Leg.  109.  Bisweilen  tritt  aber  auch  ü  an  seine  Stelle, 
z.  B.  Buraao  für  BorH*  (Leg.  90);  ungeschrieben  wurde  es  auf  den 
Mön/Jegenden  gelassen  in  Rodose  (Leg.  284.  u.  ff.). 

Am  Seltensten  kommt  unter  den  Vocalen  H  vor;  die  Gestalt  ist 
durchaus '  die  des  phunizischen  Fav,  der  sich  aber  auch  die  des 
romischen  Fan  die  Seite  gestellt  hat.  Die  Römer  drucken  es  im 
Anlaut  durch  ihr  C^aus;  z.  B.  ürd  für  ürke  oder  ürike  (Leg.  293 
296).  Im  Inlaute  findet  es  sich  in  dem  wohl  mehr  griechischen 
Namen  Myrt  (ilis;  Leg.  i41),  im  Auslaute  in  Nmu  (Leg.  212.  213), 
das  die  Romer  wohl  nach  keltischer  Aussprache  Nemausus  nennen. 

Ganz  anders  aber  und  viel  schwieriger  gestalten  sich  die  Dinge 
in  Betreff  der  Vocalgruppen ,  die  sich  sehr  weit,  ja  sogar  bis  zu 
einem  Tetraphthongen  erstrecken. 

a.  Diphthongen. 

Ai^;  die  Romer  gestalteten  diesen  Diphthong  auf  verschiedene 
Weise  um:  in  ein  einfaches  il,  in  £  und  in  A  mit  darauffolgendem 
verdoppelten  Cönsonanten.  So  Aimak  (Leg.  62),  in  Amaci^  Äi 
(Leg.  65),  vermuthlich  ^*A  \i\Ebum8,  Aimeos  (Leg.  68)  Ammienses. 

AO  in  Aora  (Leg.  72,  73)  und  AoraqH*  (Leg.  74—76), 
woraus  das  hiiimslrte  Areva-ci  entstand«»);  Aoret-  (Leg. 77)  ging  in 
Oret-  Ober;  die  beiden  Legenden  Bocaoz  (Leg.  87)  und  Ohaoqn 
(Leg.  217)  machen  einige  geographische  Schwierigkeiten.  Ohao 
scheint  der  Name  einer  Stadt  der  Vaccaei  gewesen  zu  sein,  welchen 
Ptolomaus  in  der  Form  Woma  ersdieinen  lüsst««);  Bocaoz  bleibt 
ungewiss;  Boudard  will  darin  Boccaioi  finden <?),  die  er  von  den 
Vaccaei  unterscheidet  •»). 


«^)  HSbner,  Tarrago  und  seine  Oenkmller.  (Herrn es.  Bd.  I.  8.  84.  Note  3)  ist  der 
Ansicht,  dass  die  betreffenden  Munzlegenden  nicht  Co§gj  sondern  Ce9*€  gelesen 
werden  miitsen. 

*^)  Boudard,  a.  a.  O.  p.  15H.  158.  160. 

«•)  Ptolem.  111.  5.  p.  VU,  13. 

97)  Boudard,  a.  a.  O.  p.  256.  s.  auch  p.  176. 


über  das  iberische  Alphabet.  2 SS 

EA  findet  sich  in  I^eg.  271 :  H^earinaH^,  fGr  die  sich  auch 
«ieder  schwer  die  Heimath  finden  lasst.  Sollte  in  diesem  Falle  das 
^  ?on  den  Römern  in  ein  T  yerwandelt  worden  sein »  so  wörde  sich 
diese  Lautgruppe  in  TVort««)  wenn  in  7%,  dann  in  Iliiar**)  erhalten 
haben.  B  o  u d  a  r  d  deutet  es  durch  Carinense»  '^*),  was  doch  sehr  zwei* 
feibaft  ist:  wäre  es  richtig,  so  bewiese  es  den  Übergang  von  ea  in  a, 
EO.  Beispiele  f8r  diesen  Diphthong  bieten  die  Leg.  130  und 
131:  Eodod  und  Leg.  127 — 129:  Boblrqm.  Bei  letzterem  ist  bei 
Ptolomäus  das  E  fortgeworfen,  indem  er  Obila  als  eine  Stadt  der 
Vettonen  nannte  ^O*  Der  lateinische  Name  fOr  Eodod  ist  noch  nicht 
gefanden;  nach  obiger  Art  musste  es  ein  Ort  gewesen  sein,  der  in 
römischer  Aussprache  mit  Od  begonnen  hat. 

1^;  Leg.  79,  80:  Ariemcn;  Boudard*s  Erklärung  durch ilWir 
scheint  zutreffend  zu  sein  f*). 

n^;  Leg.  149:  ItH'/A;  dieser  Diphthong  scheint  in  le  Gber- 
zogehen,  da  Jecsalis  als  die  spätere  Bezeichnung  dieses  Ortes 
erseheint '»). 

10;  Leg.  171,  172:  lomones;  schon  im  Iberischen  fiel  hier 
das  0  aus,  indem  dieser  Name  auch  unter  der  Bezeichnung  Imone» 
((jeg.  170)  erscheint.  Ob  ihm  die  iSmonact  entsprechen,  muss  dahin- 
gestellt bleiben  7*);  in  diesem  Falle  wörde  sich  lo  einfach  in  E  ver* 
wandeln  '*). 

O^s;  Leg.  216:  Oeühqmt  vermuthlich  das  OrjtXtia  des  Ptolo- 
mäas?*),  YeUia  bei  den  Römern ^7);  dem  entsprechend  geht  auch 
Oeske  (Leg.  12o)  in  Vesei  uber'^).  bt  Coe  (Leg,  108)  Catim^O* 
&o  wurde  dies  freilich  eine  sehr  bedeutende  und  auffallende  Laut- 
reraoderung  sein,  während  in  Leg.  267  —  275  der  Name  Boeqork 


*0  S.  ob««  P I  i  B.  H.  N.  HI.  3.  4. 

**)  S.  oben  S.  68. 

'*)  Boadard,  «.  a.  0.  p.  29S. 

^0  Ptolen.  H.  4.  p.  117.  Z6.  Vgl.  Boudard,  a.  a.  0.  p.  191. 

^)  Boadard,  a.  a.  O.  p.  16S. 

'*)  S.  oben  S.  B3. 

^^)  Boadard,  a.  a.  O.  p.  227. 

'M  Wc^ea  Tiob  s.  oben  66. 

^*)  Ptolen.  II.  5.  p.  130.  9. 

^'')  Forbiger,  Handbuch  der  alten  Geogr.  Bd.  3.  6.  83. 

'^)  Bondard,  a.  a.  0.  p.  211. 

''*>  Bondard,  a.  a.  0.  p.  186. 


236  Phillips 

durch  den  späterhin  bei  Isid  or^o^  yoAommenitn Buccones  wieder- 
gegeben erscheint  >.').  ^ 

01^;  Leg.  66:  Albqoiqm  wird  mAlbocela  latinisirt,  umgekehrt 
von  dem,  wie  man  in  Altbayern  aus  JcaU^  ^koit**  macht.  Leg.  196 
u.  ff.  162  Meqpoiea  muss»  wenn  man  Miaeum  nicht  zulassen  will  «*), 
unerklärt  bleiben ,  während  Leg.  240  —  244  Qnoi^  sich  in  dem 
Kovioxoe  des  Strabo  8<)  wiedererkennen  lässt  <»*). 

00;  Leg.  231 :  Ooiooi,  woraus  die  Romer  Atäeiani  gemacht 
haben >»);  Leg.  227.  228:  Oom^^)»  yielleicht  i^ti^a,  wie  ja  auch 
jene  bisweilen  „Ausetani**  genannt  werden.  Leg.  229.  230:  Oaxrt^ 
wohl  in  Ooserit  aufzulösen,  wofür  dann  Boudard  Onsaron  vor- 
schlägt 87) ;  für  Leg.  245,  246  Qnoorb  ist  schon  früher  die  Erklä- 
rung Contrebia  gegeben  worden  ^s);  für  Leg.  299:  H'ooft  müssen 
wir  die  Deutung  schuldig  bleiben  &•). 

Hl;  Leg.  138:  HU.  biuiqm;  etwa  die  Balivtg  des  Pt o le- 
rn ä  u  s  •o). 

b.  Triphthongen. 

AIE;  Leg.  276:  Splaie^  wohl  die  Spatetuies  des  Plinius^^i)» 
wonach  der  Triphthong  einfach  in  die  romische  Endung  ^enses 
umgewandelt  wäre. 

AOI;  Leg.  68 — 71 :  AoibBi,  was  sich  am  Leichtesten  in  ^lotAist^- 
^-aii^  auflosen  wQrde.  Unter  den  latinisirten  iberischen  Namen  bietet 
kein  anderer  eine  Analogie,  als  Aebisoci*^'),  der  allenfalls  (vgl.  Are- 
vaci)  auf  Aotbis-  (oj  ^  zuruckschliessen  lassen  wurde. 


9«)  I«id.  Hispiil.  Hist.  d.  rep.Goth.  c.6i  (Mipne,  Patrol.  Tom. LXXXIII. col.  107S). 

8^)  Boadard,  «.  «.  0.  p.  2S1. 

M)  Boudard,  a.  a.  0.  p.  232. 

«*)  S.  oben  8.  57. 

6h)  Bondard,  a.  a.  0.  p.  168. 

65)  Bondard,  a.  a.  0.  p.  258. 

8<)  Nicht  Oogn.  8.  oben.  8.  41. 

87j  Bondard,  a.  a.  0.  p.  265. 

88)  8.  obon  8.  68. 

^*)  B  ondard,  a.  a.  0.  p.  289  schiigt  nicht  daran  zweifelnd  Saoi«  vor,  weichet  bei 

Ptolem.  II.  8.  p.  125.  25.  Xaovia  (genannt  wird. 

*0)  Ptolem.  II.  5.  p.  122.  1.  Vgl.  Bondard,  a.  a.  0.  p.  169. 

Ol)  Plin.  lU.  3.  Vgl.  Bondard,  a.  a.  0.  p.  283. 

•*)  Hfibner,  I.  c.  2477.  ~  Bou*dard,  a.  a.  0.  p.  162. 


Ober  dM  iberische  Alphabet.  237 

EAI;  Leg.  187  u.  ff.:  Medisr;  (Meansr  in  Leg.  188  ist  ein 
Fehler);  die  Deutung  Boodard*s  durch  Mavitani**)  scheint  doch 
etwas  zu  fern  abzuliegen;  freilich  würde  Massia  nicht  viel  näher 
sein;  eine  andere  gibt  es  bisher  nicht. 

EOA;  Leg.  125,  126:  Eoaüa.  Ea  unterliegt  kaum  einem 
Zweifel,  dass  dies  das  römische  Viaiia  und  griechische Bidrea  sei»*). 

EOl;  Leg.  277,  278:  Seoi$9  Seoiscin;  Tielleicht  die  nur  von 
Livius*»)  erwfihnten  Suesseiani^*)^ 

lOA ;  Leg.  285 :  lW¥ioar,  eigentlich  TmH'itoar.  Durch  die 
ErklSning  dieses  Namens  mit  Tempsi*''^  erfShrt  man  Nichts  Ober  die 
Umgestaltung  des  Triphthongs. 

101;  Leg.  82:  Bioi;  yielieicht  VUnenses?  Leg.  239  Qioila: 
CoeU ... 

OAI;  Leg.  85,  86:  Boailiqm.  Boudard  sieht  darin  die 
BeffotM);  mehr  scheint  fflr  Bailo  (s.  Leg.  4)  zu  sprechen. 

OIA;  Leg.  238:  P&ianH'n ••)? 

OOA;  Leg.  225  und  226:  Ooa^  sind  wohl  ffir  die  Vnccaei 
20  halten  «•<»). 

c.  Tetraphthong. 

AOlO;  Leg.  121 :  Euios?  Leg.  154:  Ilaoio:  Ileates  i««)? 

Schliesslich  möge  noch  darauf  hingewiesen  werden,  dass  ein 
rocaiischer  Gleichklang  mehrerer  auf  einander  folgender  Sylben  hin 
Qod  wieder,  aber  doch  nicht  sehr  häufig  bei  den  Iberern  vorkommt. 
Als  Beispiele  gehören  dahin:  Astapa ^  Bracara»  Bilbilisy  Canaca^ 
Canama,  Caraccot  Kesse,  Kilin,  Kiiiit,  Laraz,  Ooiooty  Ossonoba^ 
SilbiSf  Singüis. 


**)  Boodard,  a.  a.  0.  p.  230. 

^)  Boodard,  a.  a.  0.  p.  190. 

»*)  LiT.  XXXIV.  19. 

*f)  Boudard,  a.  a.  O.  p.  282. 

*^  Aviea.  Ora  marit.  ▼.  258.  —  S.  Boodard,  a.  a.  0.  p.  292. 

*«)  S.  Boodard,  a.  a.  O.  p.  175. 

^)  Boodard,  a.  a.  0.  p.  265. 

^)  Boodard,  a.  a.  0.  p.  155. 

^*0  Boodard,  a.  a.  0.  p.  206. 


238  Phillips,    über  «Ins  iberische  AIpbsbet. 

Durch   die   vorausgehende  Zusammenstellung   der   iberischen 
Buchstaben  wird  yielleieht  der  freilich  schwere  Versuch  ermöglicht, 
mit  HQIfe  der  für  einzelne  Beziehungen  ermittelten  Lautverhältnisse, 
wie  sie  zwischen  dem  Iberischen  und  dem  Lateinischen  und  Grie- 
chischen bestehen,  latinisirte  iberische  Namen  in  ihre  Ursprache  zu- 
rück zu  Qbersetzen.    Man  darf  sich  hier  dadurch  nicht  irre  machen 
lassen,  wenn  ein  Name  auch  ganz  so  klingt,  als  ob  er  romisch  wäre. 
So  lässt  sich  nach  der  Analogie  von  Alboqoia  «s  Alhocela  oder  Albu^ 
cela    wohl    mit  Gewissheit    annehmen,    dass    der   Name   Araceli 
nicht  den  Himmelsaltar  bedeutet ,  sondern  mit  Arecillum  wohl  auf 
Araqoia  zurückzuführen  wäre.  So  mochte  sich  gegen  den  römischen 
Ursprung  mancher  anderer  Namen  einiges  Bedenken  erheben;   ob 
CastellanU  welcher  Stammname    an    die  £tadt  Castulo   in  Baetica 
•erinnert,  nebst  diesem  Namen  von  dem  römischen  Castellum,  ob  der 
Flussname il/6a  nicht  9insAlaba  abzuleiten  sei;  ob  in  Oleaatrum  nicht 
«in  /^tipAomcumdenTriphthongOeahat  beseitigen  sollen,  wie  er  in 
Oeaso  fortbestand;  ob  bei  Tenebrium  neben  Tonozco8eein{h^%.  287), 
Tonobrica  und   Terebrica  noch  an  eine  lateinische  Ableitung  ge- 
dacht werden  dürfe,  scheint  doch  etwas  zweifelhaft  zu  sein.   Auch 
der  römische  Ursprung  des  sehr  römisch  lautenden  Flussnamens 
Hubricaius  (jetzt  Llobregat  bei  Barcellona)   ist  nicht  unbedenk- 
lich «os);   doch  hier  werden  wir  auf  einen  andern  Weg  geleitet;   in 
Numidien  gibt  es  nämlich  einen  Fluss  desselben  Namens,  welcher  als 
flumen  benedictionis  erklärt  wird  «o»). 

Wenn  sie  auch  nicht  von  uns  gelöst  worden  sind,  so  glauben 
wii'  doch  viele  wissenschaftliche  Fragen  angeregt  zu  haben  und 
.scUliessen  daher  diese  Abhandlung  mit  der  Wiederholung  unseres 
Wunsches,  dass  Kundigere,  als  wir,  durch  eingehendere  Bearbeitung 
-des  gebotenen  Materials  zu  grossen  wissenschaniichen  Resultaten 
geführt  werden  mögen. 


10«)  Ffir  römisch  hilt  ihn  Humboldt,  UntersachuDgeo.  S.  20. 
^01)  Gesenius,  Monamenta.  p.  426. 


Bergmann.  Die  Nominnle  der  Mfiiizreform  des  Chalifen  Abdulmelik.       239 


Die  Nominale  der  MQnzreform  des  Chalifen  Abdul- 
melik. 

Von  Dr.  E.  v.  Bergmann. 

So  zahlreiche  und  vortreflfliehe  Arbeiten  auf  dem  Gebiete  der 
rnnhammedanischen  MQnzkunde  erschienen  sind ,  so  geringe  BerGck- 
sichtiguttg  fand  ein  wichtiger  Theil  derselben,  die  Metrologie. 

.  Man  beschränkte  sich  und  beschränkt  sich  noch  gegenwärtig 
auf  die  blosse  Beschreibung  der  Münzen  und  den  Gewinn  der  histori- 
schen und  geographischen  Daten,  welche  sie  in  reicher  Fülle  bieten. 
VoQ  diesem  Gesichtspunkte  aus  wurde  bisher  die  muhammedanische 
Jfamismatik  behandelt,  und  er  ist  gewiss  zunächst  auch  der  richtige ; 
deon  die  Bestimmung  und  Sichtung  des  Munzmateriales  bildet  die 
Grundlage  für  jede  weitere  Forschung ,  zumal  für  die  Metrologie. 
Erst  wenn  diese  Basis  gegeben,  kann  letztere  ihre  Ansprüche  auf  Be- 
achtung erheben  und  zur  Geltung  bringen,  nur  dann  ist  sie  im  Stande 
io  den  scheinbar  oft  regellosen  und  unzusammenhängenden  Erschei- 
BODgen  der  Geldpräge  ein  bestimmtes  Gesetz  zu  erkennen  und  nach- 
zoveisen.  Es  ist  daher  keineswegs  Sache  des  Zufalls ,  dass  die  Auf- 
merksamkeit der  Bearbeiter  der  antiken  Numismatik  sich  ver- 
biltnissmässig  spät  der  Metrologie  zuwandte  und  dieselbe  in  ihre 
Rechte  einsetzte.  Die  muhammedanische  MQnzkunde ,  eine  Tochter 
des  19.  Jahrhunderts,  ist  eben  noch  nicht  so  weit  vorgeschritten; 
vill  sie  aber  Anspruch  darauf  erheben,  ebenbfirtig  an  der  Seite  ihrer 
ilteren  Schwester  zu  stehen,  so  muss  sie  vor  allem  der  Metrologie 
die  ihr  gebQhrende  Beachtung  zu  theil  werden  lassen.  Denn  Schrot 
und  Kom  sind  bei  der  Werthmünze  ebenso  wichtige  Eigenschaften 
vie  Schrift  oder  Bild ,  und  nur  bei  Berücksichtigung  beider  ist  es 


240  Bergmann 

möglich  einen  Einblick  in  die  Geldrerhältnisse  einer  bestimmten 
Zeit  zu  erhalten  und  ein  Urtheil  über  die  Münzen  als  Verkehrsmittel» 
über  ihre  Umlaufsbedingungen  etc.  zu  fallen. 

Zu  einer  umfassenden  Bearbeitung  der  muhammedanischen 
Metrologie  ist  gegenwärtig  der  Zeitpunkt  noch  nicht  gekommen.  Von 
den  beiden  hiezu  unumgänglich  nöthigen  Vorbedingnissen  ist  nur  das 
eine»  die  sichere  Zutheilung  des  Münzmateriales  gegeben;  das  andere 
von  ebenso  wesentlicher  Bedeutung,  die  Einzel  wagungen  und  Pro- 
birungen  der  Münzen»  welche  die  richtigste  Basis  jeder  metrologi- 
schen Untersuchung  sind,  fehlt  nahezu  gänzlich.  Kann  man  doch 
dicke  Bände  von  MünzbeschreibiHigen  durchblättern»  ohne  nur  eine 
einzige  Gewichtsangabe  zu  finden»  ein  um  so  empfindlicheres  Ver- 
säumniss,  als  die  einschlägigen  Nachrichten  der  arabischen  Quellen» 
gering  an  Zahl  und  scbwe»  zugänglich»  sich  widersprechen  und  wenig 
zuverlässig  sind.  Erst  wenn  man  sich  einmal  entschliessen  wird  bei 
Edirung  mühammedanischer  Münzen  auch  deren  Wägungen  zu  ver- 
zeichnen» in  der  Erkenntniss»  dass  hier  jeder  Beitrag  von  Werth  ist 
und  sich  als  einzelnes  Glied  der  Kette  einreiht»  welche  zusammen- 
zufügen Aufgabe  der  Metrologie  ist,  wird  eine  durchgreifende  Be« 
handlung  derselben  ermöglicht  sein. 

Unter  den  obwaltenden  Verhältnissen  ist  beim  Versuche  dieses 
Gebiet  zu  betreten ,   die  Beschränkung  auf  ein  engbegpränztes  Feld 
geboten»  für  dessen  Bearbeitung  sich  in  genügender  Zahl  Wägungen 
und  historische  Nachrichten  herbeischaifen  lassen »  welche  die  Ge- 
winnung einiger  Resultate  in  Aussicht  stellen.  Hiezu  bietet  sich  am 
geeignetsten  die  Münzorganisation  Abdulmelik*8  des  6.  omaijadischen 
Chalifen  dar »  welche  wie  überhaupt  so  auch  in  metrologischer  Be- 
ziehung von  einschneidender  Bedeutung  für  das  arabische  HQnz- 
wesen   war  und  demselben  einen  bestimmten  Charakter  bleibend 
aufgeprägt  hat.   Die  folgenden  Zeilen  setzen  sich  demnach  die  Auf- 
gabe »  das  Wesen  dieser  Münzreform  und  die  durch  dieselbe  herbei- 
geführten Veränderungen»  soweit  sie  metrologischer  Natur  sind,    in 
Kürze  darzulegen  und  jene  Nominale  aufzufinden»    welche  seither 
die  herrschenden  und  wichtigsten  der  arabischen  Geldpräge  gewor- 
den sind. 

Die  Münzreform  Abdulmelik's  fallt  in  eine  bedeutungsvolle  Zeit 
des  Chalifats.  Das  arabische  Weltreich»  welches  seit  Jahren  eine 
Beute  verschiedener  religiöser  und  politischer  Parteien  gevrorden 


Die  Nominale  der  Muureform  des  Chalifen  Abdulmelik.  241 

war  und  io  Folge  dieser  inneren  Spaltungen  und  Kampfe  aus  seinen 

• 

Fttgeo  zu  gehen  drohte,  war  durch  die  kräftige  Hand  Abdalmelik*s 
wieder  Tereinigt  worden.  Arabien  ward  nach  dem  Sturze  Abdal* 
Wb  ben  Zubeir  unterworfen»  Jrak  und  Ägypten  wurden  von  zwei 
Brüdern  des  Chalifen  verwaltet  i) »  der  Osten  durch  Muhalleb  im 
Zanm  gehalten.  Allerdings  waren  durch  diese  Erfolge  die  Empörungen 
Dicht  dauernd  beseitigt,  auch  erschienen  die  Grenzen  des  Reiches 
Doeh  an  manchen  Punkten  bedroht,  aber  das  neugekräftigte  Chalifat 
war  im  Stande  die  vereinzelt  auflodernden  Aufstände  niederzutreten 
oad  die  auswärtigen  Feinde  siegreich  zurückzuweisen. 

Abdulmelik*s  Bestreben  richtete  sich  unter  solchen  Verhältnissen 
Daturgemäss  dahin,  diese  Wiedervereinigung  des  arabischen  Reiches 
durch  entsprechende  Massregeln  einerseits  zu  stärken,  andererseits 
xum  Aasdruck  zu  bringen.  Wie  in  dieser  Zeit  die  arabische  Sprache 
au  die  Stelle  der  bisher  üblichen  persischen  in  allen  Verwaitungs- 
zweigen  trat,  so  wurde  damals  aus  verwandten  Beweggründen  sowohl 
als  darch  das  unmittelbare  Bedürfniss  selbst  hervoi^erufen,  die  Münz* 
reform  ins  Werk  gesetzt 

Die  reichsten   und   wichtigsten  Länder  des   Chalifates  hatten 
bisher  ihre  besondere  und  ihnen  eigenthümliche  Präge  behalten. 

Wir  finden  in  Syrien  und  Ägypten  die  romischen  Solidi,  im 
westliehen  Afrika  die  vandalischen  Siliquen,  in  Persien  die  dege- 
oerirte  sasanidische  Drachme.  Diese  Münzsorten  cursirten  neben  und 
dareheinander  und  die  oft  nothige  Reducirung  der  einen  auf  die  an- 
dere musste  vielfache  Unbequemlichkeit  und  Irrung  mit  sich  bringen. 
Die  Araber  hatten  allerdings  nach  den  ersten  glücklichen  Kriegen 
^Ihst  zu  münzen  begonnen;  sie  schlugen  Silberstücke  mit  dem 
T?puü  der  Drachmen  Chosroes  II.  *)  auf  den  etwas  reducirten  MUnz- 
fnss  der  letzten  Sasanideu,  aber  sie  dachten  nicht  daran,  diese  Silber- 
präge  zur  ausschliesslichen  Münze  zu  machen.  Bei  der  Ungenauigkeit 
and  Regellosigkeit,  mit  welcher  dieselbe  ausgebracht  wurde,  war  sie 
hiezu  auch  nicht  geeignet  Der  Staat  übte  auf  ihre  Emittirung  in 
keiner  Weise  eine  Controle  aus,  vielmehr  münzten  die  arabischen 


')  Jnk  ^Bg  un  Jahre  75  la  die  Venraltnng  al-Heddschadseh  fiber. 

')  StS^e  mit  dem  Typus  der  Drachmen  Jezdegird  lY.  Bind  sehr  selten.  —  Die 
Kepferprige,  welehe  nar  proriociale  und  loc«le  Bedeatuog  hatte,  kommt  hier 
«iehl  ia  Betrieht,  eben  so  wenig:  als  die  spirlicbe  Goldprig^e. 

Sitib.  d.  phil.-Ust.  Cl.  LXV.  Bd.  U.  HfL  18 


242  Ber^DBon 

• 

Statthalter  und  Generale  in  vollkommener  Selbständigkeit  und  be- 
gnügten sich  auf  die  Stempel  nur  den  eigenen  Namen,  nicht  auch  den 
des  Chalifen  zu  setzen.  In  naturlicher  Folge  konnte  dieses  Curant  in 
keiner  Weise  dispositive  sondern  blos  enunttative  Geltung  haben. 
Bei  einer  SilbermGnze,  welche  bis  zu  0*6  Gr.  unter  dem  Normal- 
gewichte ausgebracht  wurde,  musste  und  konnte  nur  der  Gebrauch 
der  Waage  als  des  allgemeinen  Exponenten  massgebend  sein.  Dass 
femer  auch  der  Fälschung  und  dem  Betrüge  bezQglich  des  Feinge- 
haltes Thür  und  Thor  geöffnet  waren ,  braucht  nicht  erst  durch  Ibn 
Chaldun  ausdrücklich  bezeugt  zu  werden. 

Das  Bedurfniss  einer  Regelung  dieser  ungeordneten  Geldver- 
hältnisse musste  sich  daher  lebhaft  geltend  machen.  Die  Ausdehnung 
des  Chalifafs  über  die  entlegensten  und  verschiedenartigsten  Länder 
Asiens  und  Afrikas,  die  Anknüpfung  und  die  Wiederbelebung  alter 
Handelsverbindungen,  der  erhöhte  Austausch  der  Produete  und 
Waaren  eines  ungeheuren  Gebietes  erforderten  ein  allgemein  gültiges 
und  bekanntes  Verkehrsmittel.  Hiezu  kamen  noch  Motive  politischer 
Natur.  Seit  jeher  war  in  Asien  die  Geldpräge  ein  dem  Staate  oder 
vielmehr  dem  Herrscher  allein  zustehendes  Vorrecht  gewesen  und  Ab- 
dulmelik  war  daher  bedacht  nach  Herstellung  des  Chalifafs  dasselbe 
der  Krone  zurückzugeben.  Ausserdem  mussten  die  bereits  von  Omar 
geregelten  Steuerzahlungen  die  Nothwendigkeit  eines  gesetzlichen 
und  einheitlichen  MOnzsystemes  hervortreten  lassen. 

Diese  Momente  bewogen  hauptsächlich  Abdulmelik  zur  Inangriff- 
nahme seiner  Münzorganisation,  welche  im  Jahre  77  (696  n.  Ch.  G.) 
der  Flucht  ihren  endgiltigen  Abschluss  fand.  Wenn  die  arabischen 
und   byzantinischen  Quellen  i)  über  die  Veranlassung  dieser  Münz- 
reform   berichten,  dass  Abdulmelik   ein  Schreiben  an  den  Kaiser 
Justinian  U.   mit    den    Worten   begann   „Sprich*   Gott  ist  Einer** 
und  den  Namen  des  Propheten  hinzusetzte,  der  Kaiser  aber    im 
Wiederholungsfalle    auf  seinen   Münzen,  deren    die  Araber    sich 
nothgedrungen  bedienen  mussten»  des  Propheten  in  unehrerbietiger 
Weise   zu   gedenken   drohte,    und  dann   der  Chalife,  um    dieser 


')  Abal  mabasin  ed.  Jaynboll  I.  p.  195.  Sojuti  Tarich  al  Cbalafa  M.  S.  der  k.  k. 
Hofbibl.  BI.  101.  Makrisi,  traite  des  moBBaies  Masvlmaoea  ed.  S.  de  Saey  p.  19, 
rergleiohe  dagegea  Theophaaes  ChroBogr.  snm  T.  VI.  des  Joftiniao,  und  Zoaar«« 
ciUrt  iB  Eckhel  Addeada  ad  doctriBam  Bunonim  veteniin.  EIb  Biheres  Biia^rekea 
auf  diese  Datea  liegt  hier  la  ferae. 


Die  Nomioale  der  MSosreform  dea  Chalifen  Abdulmelik.  243 

Drohung  zu  begegnen,  eigene  Münzen  mit  arabischen  Aufschriften 
iabe  schlagen  lassen,  so  mag  dieses  Ereigniss  die  Organisation  eines 
nationalen  MQnzwesens  zunächst  hervorgerufen  haben;  sie  war  aber 
jedenfalls  langst  unabweisbar  und  dringend  geworden,  und  es  wäre 
ganz  nnzureichend ,  dieselbe  von  dem  erwähnten  Vorfalle  allein  her- 
leiten zu  wollen. 

Für  die  metrologisehe  Untersuchung  der  Nominale  der  Munz- 
reform  Abdulmelik's  ist  es  Tor  allem  nothig,  einen  gesicherten  Ausgangs- 
punkt zu  finden.  Einen  solchen  bietet  in  erwunschterWeise  der  Dinar 
Abdalmelik's  und  seiner  Nachfolger  dar,  indem  dessen  Normalgewicht 
bei  seiner  ungemein  genauen  Ausmunzung  mit  der  nothigen  Sicherheit 
bestimmt  werden  kann.  Wir  geben  in  der  nachstehenden  Ta- 
belle eine  Zusammenstellung  Ton  Wägungen  dieser  Dinare  bis  zum 
Jahre  99  <). 

AUlilneUk. 

11.78— 4.28    Gr.  a. 82— 4.225 

Ä. 78-4. 262  „  «.82—4.238 

a. 78— 4-15     „  (Stickel  Handb.  p.  10)  a. 83— 4.225 

41.79—4.23     „  kais.  Kab.  a. 86— 4.245 

Welid.  1. 


«.86—4.260  „  a. 92— 4.266 

41.86—4.360  „  o. 93—4.036 

tf.87— 4.260  r,  «.96— 3.925  (schl.e.) 

Ä.89-4.228  ^  a. 96-4. 260 

41.91-4.20     „  (kais.  Kab.)                    a. 96— 4-266 

«.91_4.309  „  (Castiglioni) «)                «.96—4.265 

S^Uaai. 

a. 96— 4.260  „  «.98—4.230 

rf.96— 4.270  ,  «.98-4.240 

4.96—4.288  „  «.98—4.250 

«.96-4.288  „  «.98—4.265 


0  Dm  nieht  aiher  beseickDeten  Stacke  sind  wb  den  Tabellen  Qaeipo« :  Eaui  «nr  les 

■yetMiee  m^lri^ee  et  mon^tairei  dea  anciena  pevplea  t.  HI  p.  608  entnommen, 
'i  M«Mte  c«ficbe  dell*  I.  R.  Mnaeo  di  MUano  p.  LXIV. 

18* 


244  Berg^mano 

a. 96— 4.290  Gr.  a. 98— 4.265 

a. 97— 3.930  «  a. 98— 4.268 

a. 97— 4.180  ,  a. 98-426-8 

a. 97— 4.280  ,  a. 98— 4.270 

a. 97 -4.260  «                  ^  a. 98—4.278 

a. 97—4.268  ,  a. 98—4.278 

a. 97-4. 270  «  a. 99— 4.290 

Die  9  StQeke  Abdulmelik*s  ergeben  im  Durchschnitte  ein  Gewicht 
Ton  4-22  Gr.,  die  11  Stücke  Walid*s  von  4*21  Gr.,  die  22  Stucke 
So]iman*8,  bei  welchen  die  Genauigkeit  der  Ausmünzung  am  deut- 
lichsten hervortritt,  von  4*26  Gr.  für  den  Dinar.  Hiermit  treffen 
die  von  Castigh'oni  <)  beigebrachten  Wagungen  von  drei  Glas- 
stücken ,  welche  nach  ihren  Aufschriften  das  Gewicht  eines  Dinares 
darstellen,  zusammen.  Das  erste  derselben  mit  den  Namen  Asamah*s 
ben  Zeid,  also  aus  der  Zeit  Walid's  und  Soliman*s  wiegt  4*18  Gr., 
das  zweite  von  Haian  ben  Seridsch  42*3  Gr.,  das  dritte  endlich  aus 
dem  J.  414  4-28  Gr.,  im  Durchschnitte  also  4*23  Gr.  Wir  be- 
stimmen   demnach    das   Normalgewicht    des    Dinars   Abdulmelik's 

oder  den    >Ü^U*^    in  runder  Zahl  auf  4*28  Gr.    Wenn  wir   nun 

der  Herkunft  dieses  Nominals  nachforschen,  so  fallt  sofort  seine  ge- 
naue Übereinstimmung  mit  dem  Eifectivgewichte  des  römischen  So- 
lidus  oder  Goldstückes  dieser  Zeit  auf,  von  welchem  Kosmas  sagt, 
dass   er  bei  allen  Völkern  sich  finde,   und   an  jedem    Orte    von 
einem  Ende  der  Erde  bis  zum  andern  gangbar  sei  und  überall  be- 
wundert werde.   Es  ist  daher  nicht  zu  bezweifeln,  dass  Abdulmelik 
bei  Normirung  des  Dinars  den  Solidus  zum  Muster  nahm,  der  bereits 
in  den  Zeiten  des  Heidenthums   bei  den  Arabern   cursirte  *).    Das 
byzantinische  Gold  war  aber  in  den  ehemals  römischen  Provinzen  auch 
nach  ihrer  Eroberung  durch  die  Muslim  in  Umlauf  geblieben ,    wie 
denn  positiv  gemeldet  wird,  dass  Omar  Jrak  seine  Dirheme ,    Syrien 
und  Ägypten  aber  ihren  Dinar  beliess,  unter  welchem  nichts  anderes 
als  der  Solidus  verstanden  werden  kann.    So  leistete  Ägypten  nach 


1)  Dell*  nso  cot  erano  destiiiati  i  retri  coo  epigraphi.  cafiche  Milano  1647  p.  15. 

*)  Makrisi  1.  c.  p.  7.  Die  Heracia  oder  die  Solldi  des  Kaiaers  Heraclias  werden  tot« 

den  Arabiicken  QueUen  speeieH  erwihnt  r.  traetatus  de  legallbaa  Arabttm  ponde« 

ribua  ed.  Tychaea  p.  19. 


Die  Nominale  der  Möoireforo  de«  Chalifeo  Abdolnelik.  245 

seiner  Unterwerfung  den  Tribut  in  Solidis ;  wenn  ferner  aus  gleicher 
Zeit  Tabary  berichtet «),  dass  die  Einwohner  der  Stadt  Tiberias  in 
Galiläa  den  Arabern  eine  jährliche  Kopfsteuer  von  einem  Dinar  lo 
fotriehten  hatten ,   wahrend  die  persischen  Häuptlinge  Furruch  und 
Faruadad  die  nämliche  Steuer  in  Dirhemen  an  Abu  Obeid  erlegten»  so 
leigt  dies  ebenfalls,  dass  Gold  das  Haaptcurant  in  dem  früher  romi- 
sehen  Syrien  und  Ägypten  •  Silber  hingegen  in  Jrak  war.  Aus  diesem 
Grunde  ist  die  Herleitung  des  Dinars  aus  dem  sasanidischen  Münz- 
«ysteme  wenig  plausibel,  wenn  sie  gleich  metrologisch  möglich  ist; 
denn  Goldmünzen  scheinen  von  den  Sasaniden  nur  dann  geschlagen 
worden  zu  sein ,  ,,wenn  in  dem  Kampfe   zwischen  Byzantinern  und 
Persem  die  Schale  jener  tief  gesunken  war  >)*'.  Das  persische  Gold- 
stuek,  welches  unter  Ardeschir  I.  ursprünglich  als  attisches  Didrach- 
moa  ?on  8*48  Gr.  ausgebracht  wurde,  schloss  sich  alsbald  dem 
Aureus  der  spateren  Kaiserzeit  und  schliesslich  im  4.  Jahrhunderte 
dem  eonstaatinischen  Solidus  an.  Mit  Chusray  I.  scheint  die  Goldprftge 
gänzlich  aufgehört  zu  haben.  Der  geringe  Umfang  der  letzteren  und 
der  Mangel  ihrer  Continnitat  bis  zur  Zeit  der  arabischen  Eroberung 
herab  wie  auch  das  bezeichnende  Schweigen  der  arabischen  Quellen 
über  dieselbe  lassen  es  als  durchaus  unwahrscheinlich  erscheinen, 
dass  dem  Dinar  als  Muster  das  sasanidische  Goldstück  vorgelegen  habe. 
Wenn  nun  Makrizi«)  sagt,  dass  Abdulmelik  dem  Ursprünge 
des  Dinars  nachforschte,  und  hierbei  fand,  dass  derselbe  seit  undenk- 
liehen  Zeiten  im  Gebrauche  stand ,  so  bedeutet  dies  wohl  nichts  an- 
deres, als  dass  der  Chalife  wusste,  dass  das  Effectivgewicht  des  da- 
naligen  Solidus  oder  seines  Dinars  mit  dem  Gewichte  der  späteren 
attischen  Drachme  von  4*25  Gr.  übereinstimmte.  Letztere  musste  den 
Arabern  nm  so  bekannter  sein ,    als  sie  auf  dieselbe  in  vorislamiti- 
seher  Zeit  selbst  gemünzt  hatten ,  wie  die  Silberstücke  der  nabathäi- 
sehen  Konige  zeigen,   und  als  auf  den  attischen  Münzfuss  auch  die 
sasanidische  Siiberprage  basirt  war. 

Das  Gewicht  des  Dinars  wird  vonMakrizi*)  auf  22  Karat  weniger 
1  Habba  nach  syrischem  Fusse  bestimmt,  oder,  da  dieser  Karat  zu 


')  Aaaa^e,  ed.  KoMgartea  p.  II.  p.  175  ti.  p.  187. 

')  MoBmeea  Geecbichte  dea  rdmUchen  Mfinsweaena  p.  749. 

'J  I.  c.  p.  Zt. 

*)  1.  e.  p.  9. 


246  Berg'iniBD 

4  Habba  gerechnet  wurde  auf  21*78  Karat.  Hieraua  ergibt  sich  die 
Gleichsetzung  von  4*25  Gr.  als  dem  nachgewiesenen  Gewichte  des 
Dinars  mit  21*75  Karat. 

Derselbe  Schriftsteller  fBgf  jedoch  noch  bei»  dass  Abdulmelik 
die  Fabrikation  seiner  Dinare  nach  dem  sogenannten  syrischen 
Mithkal  mayarregelte,  ^^Ton  welchem  100  Dinare  gleich  sind  102 
Dinaren  des  andern  Gewichtes  i}*.  Letzteres  wird  jedoch  nicht  nfiher 
bezeichnet  und  seine  Bestimmung  wird  erst  durch  die  Berechnung 
des  Mithkals  roajal  ermöglicht.  Dieser  muss»  da  er  als  Gewichtsein- 
heit dem  Dinare  zu  Grunde  gelegt  wurde»  schwerer  als  letzterer  sein. 
Wenn  nun  berflcksichtigt  wird,  dass  das  Duodecimalsystem  das  herr- 
schende war,  und  der  romische  Solidus  ebenso  wie  der  sogenannte 
mekkanische  Mithkal,  welcher  übrigens  mit  dem  Dinar  identisch  ist,  zu 
24  Karat  gerechnet  wurde,  so  kann  man  kein  Bedenken  tragen,  den 
syrischen  Mithkal  mayal  zu  24  (schwereren)  Karat  anzusetzen.  Wir 
erhalten  hiernach  durch  die  Proportion  24 :  21*75  «bj?:  4-25,  als 
Gewicht  des  in  Rede  stehenden  Mithkal  4*69  Gr. 

Es  hält  schwer  den  Ursprung  desselben  zu  ermitteln,  immer- 
hin dQrfte  seine  Herleitung  als  sechster  Theil  der  Unze  eines 
ägyptisch-römischen  Pfundes  von  339*84  Gr.,  welches  aus  96  ptole- 
mSischen  Drachmen  gebildet  wurde  *),  am  richtigsten  sein.  Die  Rech- 
nung nach  Drachmen,  Obolen  und  Chalkus  erhielt  sich  bis  lange 
nach  Diokletian  in  Ägypten  <)  und  bei  defii  steten  und  engen  Ver- 
kehre dieses  Landes  mit  Syrien  liegt  es  nahe,  dass  obiges  Pfund  auch 
daselbst  Eingang  und  allgemeine  Verbreitung  gefunden,  und  bis  auf 
die  byzantinische  Zeit  herab  sich  im  Gebrauche  erhalten  habe.  Hiemit 
stimmt  auch  die  Nachricht  *},  dass  man  damals  zwei  Pfunde  kannte, 
welche  im  Verhaltnisse  yon  72:75  zu  einander  standen,  eine  Rela- 
tion,  die  genau   mit   den   zwischen   dem   römischen   Pfunde    tob 


0  I.  c.  p.  19. 

*)  Hieranf  bat  Qneipo  1.  e.  Bd.  II.  p.  115  saerit  aafmerksam  gemacht.  Die  Formiriing 

nener  Pftande  lo  06  Drachmen  durch  die  Römer  hatte  ihren  Grend  darin,    dnae  der 

römiache   Denar   der  ipiteren  Zeit  la  y§e  dea  römischen  Pfandes  aueg'ebracht 

wurde. 
')  So  blieb  auch  die  Artabe,ein  igyptiaches  Oetreidemasa,  bis  auf  die  Zeil  der  Amber 

im  Gebmuche. 
*)  Pancton,  Metrologie  p.  2S4. 


Die  Nominale  der  Mfinxrefonn  des  Cbalifen  Abdulnelik.  247 

327*434  Gr.  und  dem  ägyptisch-römischen  von  339-84«)  Gr.  beste- 
heodeo  zasammenfallt.  Sie  entspricht  aber  auch  in  merkwürdiger  Weise 
jener  Ton  100: 102,  welche  Makrizi  zwischen  dem  Mithkal  majal  und 
dem  anderen  nicht  näher  bezeichneten  Mithkal  aufstellt.  Indem  wir  nun 
die  Proportion  ansetzen:  100 :  102  s»j7: 4*69»  so  erhalten  wir  als  Ge- 
wicht des  zweiten  Mithkals  4*59  Gr.  Dieser  Mithkal  yon  4*59  Gr. 
stimmt   aber    mit   dem    bekannten    Exagium    solidi    Romani   von 
%  Pfd.  oder  4*55  Gr.  sehr  genau  uberein  und  der  geringe  Gewichts- 
unterschied von  0*04  Gr.  kommt  um  so  weniger  in  Betracht,  als  die 
anbischen  Metrologen  derartige  Differenzen  überhaupt  nicht  berück- 
sichtigen» vielmehr  die  verschiedenen   Relationen  mit  Vorliebe  in 
randen  Zahlen  ausdrucken  >}.  Wir  sehen  hieraus,  dass  Abdulmelik 
das  romische  Gewichtssyslem  seiner  Munzorganisation  als  Basis  gab. 
Er  nahm  aus  demselben  den  Mithkal  mayal  von  4*69  Gr.,  und  gleich- 
zeitig einen  andern  Mithkal  von  4*59  Gr.  oder  das  Exagium  Solidi 
herüber,  und  zwar  nicht  blos  als  Gewichtseinheit,  sondern  auch  als  effec- 
tires Nominal.  Das  kaiserliche  Cabinet  verwahrt  nämlich  ein  Goldstück 
ans  dem  Jahre  92  von  4*76  Gr.,  welches  in  Berücksichtigung  der  damals 
ungemein  genauen  Präge  in  Gold  unmöglich  ein  Dinar  sein  kann,  da 
in  diesem  Falle  die  Übermünzung  0*5  Gr.  betragen  würde.  Es  muss 
daher  dasselbe  den  Mithkal  mayal  darstellen,  welcher  überdiess  nach 
dem  Verhältnisse  von  21-75:24»  9: 10  sich  auf  4*72  Gr.  stellt. 
Eine  andere  von  Castiglioni  >)  publicirte  Goldmünze  vom  Jahre  77 
wiegt  4*539  Gr.  und  ist  daher  nichts  anderes  als  das  Exagium  solidi 
Romani.  Es  finden  sich  also  in  der  arabischen  Goldpräge  drei  Nomi- 
nale römischen  Ursprunges  vor,  der  Dinar  von  .4*25  Gr.  welcher  dem 
Effeetivgewichte   des   Solidus  entspricht,   der   Mithkal    mayal   von 
4*69    Gr.    oder    ^73   des    ägyptisch-romischen    Pfundes,    und  ein 
zweiter  Mithkal   von  4-55  Gr.  oder  das  Exagium  Solidi  Romani  von 
V?»  des  römischen  Pfundes. 

Die  arabischen  Schriftsteller  pflegen  gewöhnlich  den  Mithkal 
mayal  und  das  Exagium  solidi  unter  einander  und  mit  dem  Dinar  zu 
verwechseln  und  nur  vereinzelt  findet  sich  eine  versteckte  Angabe, 


0  Zwei   SiUicrstficke  des  Kaisers  Heradiiis  von  4'66  Gr.  scheinen  auf  eben  dieses 

Pf«nd  gesehlagcD  %u  sein,  Tergl.  V\n\uj  on  Roman  and  Bjs.  money  p.  11. 
')  80  wird  der  Dinar  tob  21*7S  Karat  zum  Dirhem  too  18  Karat  stets  in  das  Verhilt- 
nise  TOB  10:7  (pesetxt,  wlhrend  dasselbe  ^nau  sicJi  aof  10:6*89  steUt. 

*)  MoBete  cufiche  dell*  I.  R.  Museo  di  Milano.  Milano  1S19  p.  LXIV. 


248  B . r  r 


a  n  n 


welche  den  Unterschied  derselben  hervortreten  lässt.  So  sagt  einmal 
Makrizi  1)9  dass  der  Dirhem,  der  Dinar  und  derMithkal  verschiedene 
Nominale  seien  und  bemerkt  am  anderen  Orte*),  dass  letzterer  ly» 
Dirhem  und  3  Habba  enthalte,  eine  Bestimmung»  die  auf  ein  Gewicht 
von  4'S3  Gr.  führt  und  entschieden  das  Exagium  Solidi  im  Auge  hat. 
Ferner  finden  sich  bei  Beruard  <)  folgende  Angaben  nach  arabischen 
Quellen:  M^enim  mithcalum  quod  vocatur  Solidus,  nummus  aureus, 
pondus  habet  «/^  unciss**,  wonach  unter  dem  Mithkal  das  Exagium  zu 
verstehen  ist,  und  ^mithcalum  quod  est  pondus  eximium,  Italis 
Mittigala  atque  denarius  aureus  Arabum  sequat  20  ceratia»  Mith- 
calum vero  graecanicum,    Jl<^)  Jli^l  aut   drachma   attix>7   duobus 

cenitiis  minor  sentitur  Mithcalo  Arabico^*'  Da  unter  der  attischen 
Drachme  zu  18  Karat  das  Gewicht  des  Dinars  von  4-2S  Gr.  gemeint  ist, 
80  ergibt  sich  für  den  erstgenannten  Mithkal  von  20  Karat,  welcher 
im  Verhältnisse  von  10:9  zur  attischen  Drachme  oder  dem  Dinar 
steht,  ein  Gewicht  von  4*72  Gr.  und  fallt  derselbe  somit  mit  dem 
Mithkal  mayal  zusammen. 

Von  letzterem  ist  jedoch  streng  zu  scheiden  der  sogenannte 
mekkanische  Mithkal,  der  auch  zu  24  Karat  —  aber  1  Karat  zu  3  Habba 
also  72  Habba  —  gerechnet  wurde;  dieser  mekkanische  Mithkal  ist  nur 
ein  anderer  Ansatz  des  legalen  Dinars  von  21 '7S  Karat  syr.  Diess 
zeigt  sich  mit  Evidenz  bei  Berücksichtigung  des  Verhältnisses  von 
10:7,  in  welches  dieselbe  zum  legalen  Dirhem  von  BOYs  Habba 
nach  mekkanischem  Gewichte  gesetzt  wird.  Weil  nun  dieser  legale 
Dirhem  mit  dem  von  Abdulmelik  auf  IS  Karat  syrisch  normirten 
Dirhem  ausdrücklich  identificirt  wird^),  der  zum  Dinare  von  21*75 
Karat  in  gleicher  Relation  von  7: 10  steht,  so  erhalten  wir  aus  den 
Proportionen  72:50V5  =  10:7,  und  21*75:15«  10:7,  die  Gleich- 
setzung von  21*75  Karat  syr.  mit  24  Karat  mekkanischen  Ge- 
wichtes. Der  Dinar  von  4*25  ist  daher  mit  dem  sogenannten  mekka- 
nischen Mithkal  identisch.  Die  häufige  Verwechslung  des  Mithkals 
mayal  und  des  Dinars  erklärt  sich  aus  der  allgemeinen  Bedeutung  des 


0  De  ponderibus  p.  6. 

*)  1.  c.  p.  40,  Tgl.  dagegea  p.  44   A>^  pU»!  i^^^  ^J^  J^^^ 

*)  De  menaaris  et  ponderlbua  aotiqata  libri  trea.  Oxoniae  p.  110. 
^)  Makrizi  1.  c.  p.  28. 


Die  Nominale  der  MÜMreform  des  Chalifen  Abdnlmelik.  249 

Wortes  HithkaU  welches  ein  Gewicht  überhaupt  bezeichnet;  da- 
durch wird  auch  die  Nachricht  verstandlich»  dass  in  der  Zeit  des 
Heidenthumes  der  Dinar  oder  die  Goldmünze  eben  so  wie  der  Dirhem 
oder  die  Silbermunze  Mithkal  genannt  wurden.  Gewohnlich  ist  unter 
dem  Hithkal   der  Dinar  als  die  häufigste  Goldmünze  zu  Ycrstehen, 
und  wird  derselbe  auch  genauer  als  Mithkal-el-Dhahab  bezeichnet  Q. 
Der  Mithkal  mayal  enthielt  nach  syrischem  Gewichte  24  Karat 
und  Tier  Habba  oder  96  Habba»  der  Dinar  dagegen  21 -TS  Karat  oder 
87  Habba.  Die  letztere  Zahl  ist  so  irrationell,  dass  sie  sich  für  Be- 
rechnongen    und   Theilbeträge    sehr   unbequem  darstellen  musste. 
Es  lassen  sich  auch  in  der  Th;it  mehrfache  rationelle  Ansätze  für  den 
Dinar  nachweisen,  die  sich  daher  erklären,  dass  das  Gewicht  des  zu 
Grunde  gelegten    Getreidekornes   in    den   verschiedenen   Ländern 
wechselte.  Während,  wie  bereits  erwähnt,  der  Dinar  zu  Mekka  zu 
24  Karat  oder  72  Habba  gerechnet  wurde,  findet  sich  auch  ein  An- 
satz desselben  zu  24  Karat  ä  4  Habba,  oder  zu  96  Habba  leichteren 
Gewichtes,  denn  bei  Bernard  werden  3S  arabische  Dinare  3360  Granis 
hordei  gleichgesetzt,   was  für  den  Dinar  genau  96  Gran  ergibt «). 
Ebendaselbt  wird  auch  gesagt  (p.  110),  dass  in  Sicilien  der  Aureus 
oder  Dinar  90  Gran  gleichstand  <). 

am 

Übereinstimmend  wird  in  den  arabischen  Quellen  ^)  berichtet, 
dass  das  Verhältniss  des  Dinars  zum  Dirhem  oder  der  Silbermunze 
bezuglieh  ihres  Gewiehtes  auf  10:7  fixirt  wurde.  Wendet  man 
diese  Relation  auf  den  Dinar  an,  so  erhält  man  als  Gewicht  des 
Dirkems  4*25 :a?=  10:7,0?  =  2-97  Gr.  Stucke  von  diesem  Nor- 
malgewichte finden  sich  oft  genug  in  der  Silberpräge  Abdulmeliks 
und  seiner  Nachfolger;  es  ist  jedoch  nicht  zu  verkennen,  dass  der 
Dirhem  bereits  in  erster  Zeit  weniger  sorgfältig  als  der  Dinar  aus- 
gebracht wurde.  Die  vorstehend  gegebene  Bestimmung  des  Normal- 

<)  Herbcloi,   orientaliMhe  BibUothek  unter  dem  Worte  Mithkal,  rergl.  auch  Dachaa- 

km  itt  der  KonatantiBopler  Aoagabe  Bd.  U.  p.  161.  wJ^jJl  J^U«  J^lj  JUullj 

•  •• 

In  Penieo  wurde  sogar  die  Hilfte  des  Oirhems  Mithkal  genannt,  t.  Ibn  Hankal 

cd.  Ooeeley  p.  135. 
«)  L  c.  p.  141. 
')  Das  Gcwickt  des  Dinars  blieb,  wie  die  Mfinsen  zeigen,  in  allen  LXndern  dasselbe. 

Wean  derselbe  I.  c.  %  Dirhemen  gleichgesetst  wird,  so  erUirt  sich  diess  aas  der 

spit«rea  leiebteren  Ansnunsang  des  Dirhems. 
^)  AbnlMnliastn  I.  p.   196 ;  Ibn  Chaldnn  in  der  Chrestomathie  Arabe  Ton  Sacy  p.  282 

■ad  ZM  etc. 


2S50  Ber^minn 

gewichtes  des  Dirhems  wird  auf  das  Glücklichste  durch  ein  von 
Hofrath  Sticke)  publicirtes  KupferstQck  i)  bestätigt,  welches  die  Auf- 
schrift L>Ui^P  aUI  Jiytj  x^  trägt  und  demnach  das  Exagium  eines 

Doppeldirhenis  darstellt.   Dasselbe  wiegt  5*93  Gr.  und  ergibt  sich 

daraus  als  Gewicht  des  Dirhems  2*96  Gr. 

über  den  Ursprung  des  letzteren  finden  sich  in  den  arabischen 

Quellen  zwei  verschiedene  Versionen.  Die  eine»  welche  von  Makrizi 

und  auch  von  Ibn  Chaldun  beigebracht  wird,  sagt,  es  sei  der  Dirhem 

bagli  zu  8  Danek  und  der  sogenannte  alte  Dirhem  tabari  zu  4  Danek, 

welche  bisher  unter  den  Arabern  coursirten,  summirt  und  auf  das 

Mittel  dieser  Summe  der  legale  Dirhem  von  6  Danek  geschlagen 

2-97 
worden.  Das  Gewicht  des  Danek  stellt  sich  demnach  auf  =« 

o 

0-49  Gr.   Der  Dirhem  bagli  muss  also  8.0*49  »  3*92  Gr.  der  alte 

Dirhem  tabari  1*96  Gr.  gewogen  haben.  Die  andere  Version  wird  von 

Ibn  Chaldun  und  Abulmahasin  gegeben;  da  jedoch  beide  dem  Vl^ort« 

laute  nach  differiren,  so  setze  ich  die  betreffenden  Stellen  her. 

Ibn  Chaldun  schreibt: 


Die  Stelle  bei  Abulmahasin*)  lautet: 


^)  ZeiUchrift  der  deutschea  morgenl.  Geiellschaft  Bd.  XI.  p.  4S9.  Der  daselbet 

benen   Dentnng  dee   in   Rede   stehenden  KnpferaCflckes   als   Doppelstfick    einer 
rÖmisch-atUschen  Rechnungsdrachme  kann  ich  daher  nicht  beistioinien. 

*)  ed.  Juynboli  I.  p.  213.  Terpl.  p.  196. 

*)  Der  Text  hat  Äjjü^,  was  nichts  bedeutet;  es  muss  wohl  Äj3u^  heisaen,  das  sich 
Übrigens  auch  in  einer  Handschrift  findet.  Diese  Correotur  ist  pallographiach 
vollkommen  gerechtfertigt;  an  öajKio  su  denken  geht  nicht  an. 


Di«  Nominale  der  Mfiazreforn  äea  Cbiüifen  Abdnimelik.  251 

Aos  Ibn  Cbaldun  ergibt  sich  folgender  Ansatz: 

1    Dirhem  im  Gew.  des     Mithkals  9  od.  Dinars  »  4-25  Gr. »  20  Kar. 
V,     „      n      n   von%       „  „      ^     «2-12  «  «10   , 

f       »      »     M   Vi©      »•  «       »     SÄ  2*oo  M  =12    M 

8-92  Gr.  ^  42  Kar. 

Als  Mittel  dieser  Summe  Yon  8*92  Gr.  erhält  man  für  den 
Dirbem  2*97  Gr.  oder  14  Karat. 

Nach  Abalmahasin  dagegen  gab  es  folgende  Dirheme: 

1  Dirhem  wafi  zu  1  Mithkal  oder  Dinar  »  4*2S  Gr. 
1  »  bagli  «V.  ^  ^  ^  «  2-12  « 
1       n       Zijadi    ,      Vio        n  n  n     =  2'8S     ., 

8-92  Gr. 

Beroerkenswerth  sind  hier  die  Benennungen  der  yerschiedenen 
Arten  ron  Dirhemen.  Der  Dirhem  wafi  entspricht  dem  Dirhem  Ton 
20  Karat  bei  Ibn  Cbaldun  und  ist  das  alte  sasanidische  SilberstGck, 
dessen  Normalgewicht  der  späteren  attischen  Drachme  ?on  4*26  Gr. 
gleichstand.   Das  HalbstQck  von  212  Gr.  oder  10  Karat  wird  ferner 
TOD  Abalmahasin  als  Dirhem  bagli  bezeichnet.  Dies  ist  aber  ent- 
schieden falsch.  Der  letztere  wird  vielmehr  in  allen  anderen  Quellen 
hoher   normirt    Anderseits    gibt  die  Unterscheidung,   welche  hier 
zwischen  dem  Dirhem  wafi  und  dem  Dirhem  bagli  gemacht  wird, 
einen  Fingerzeig,  dass  zwischen  beiden  eine  Differenz  besteht,  wenn 
sie  gleich   gewöhnlich  mit  einander  yermengt  und   ihre  Bezeich- 
QQDgen  wafi  und  bagli  als  identische  gebraucht  werden.  In  der  That 
findet  sich  bei  Hakrizi  sowohl  als  bei  Ibn  Cbaldun  ein  doppelter  Au- 
satz far  den  Dirhem  wafi  oder  aswad  und  für  den  Dirhem  bagli, 
iodem  der  erstere  einmal  auf  1   Mithkal*)»  der  andere  aber  auf 
8  Danek  bestimmt  wird.  Vielleicht  gelingt  es  mir  im  Folgenden,  eine 
Erklärung    dieses    scheinbaren   Widerspruches   beizubringen.   Die 
Araber  legten  ihrem  ersten  Silberpräge  den  Munzfuss  der  letzten 
Sasaniden  zu  Grunde,  ja  verringerten  diesen  um  ein  Geringes.  Ich 
stelle  in  der  folgenden  Tabelle  die  mir  bekannten  Wägungen  dieser 


')  Uater  den  Mithkal  kaon  hier  nar  das  Gewicht  des  Dioars  Teratanden  werden,  da  die 

•aeaaidiache  Prif^e  den  syriaehen  Mithkai  mayal  nickt  kennt. 
*)  Makrni  1.  c.  p.  6  u.  p.   S.  Der  Dirhem  wafi  wird  Ton  Makrizi  am  ersteren  Orte 

aack  kagU  geanBBt. 


252 


Berf^miiiin 


arabisch-sasanidischen    Silberstucke    in   chronologischer   Ordnung 
zusammen  <). 


Jtkr 

Oewiehl 

Prl^art 

Mlislicrr 

20 

3-72 

— 

— 

a.26  - 

3-748 

Adterbeidschan 

Obeidallah  ben  Zijad 

a.26 

3-952 

Andmeseh 

Selim  ben  Zijad 

Ä.26  - 

4005 

fr.  10  St.) 

Herat 

ft         n          ft 

41.27  - 

.  1-97 

Nitchapur 

Obeidallah  ben  Zgad 

a.35 

3-796 

R^ 

— 

a.45 

3-913 

Darabdschird 

Obeidallah  ben  Zijad 

a  53 

3-941 

Basa 

Zijad  ben  Abu  Sofian 

a.53 

2  018 

Nisa 

»!»»•• 

a.54 

3-748 

Basa 

19        n          f»         ff 

0.54 

3-70 

Darabdschird 

»             »                1»               9» 

aM 

3-845 

n 

Abdallah  ben  Zobeir 

aM 

4  133 

Adierbeidseban 

Obeidallah  ben  Z^ad 

a.56 

3-268 

Basa 

N                        1»               «• 

6.56   • 

3-796 

Sikaschtan 

Selim  ben  Zijad 

a.59 

4-181 

Basra 

Obeidallah  ben  Zijad 

a.60 

3-845 

Darabdschird 

Abdallah  ben  Zubeir 

a.62 

4-085 

Ledan 

Obeidallah  ben  Zijad 

11.63? 

3-700 

Cbttbna 

Abdallah  ben  Hlisiiii 

0.63 

3*641 

Merw 

Selim  ben  Zijad 

0.63 

3-304 

Kirman 

Abdallah  ben  Zubeir 

0.63 

3-364 

Stachr 

Abdallah  ben  Hazim 

0.63 

4  056 

(5  St) 

Merw  Rud 

Selim  ben  Zijad 

0.63 

3.855 

(29  St) 

Merw 

Abdallah  ben  Haztm 

0.66 

4-085 

Sedseheatan 

Abdalasis  ben  Abdallah 

0.66  — 

3-977 

— 

— 

m            ff              f» 

0.67 

3-933 

(8  St)  — 

Baba 

Abdallah  ben  Hazim 

0.67 

4-049  (4  St.)  — 

? 

n               n             M 

0.67 

4146 

Herat 

? 

0.67 

3-724 

f» 

Selim  ben  Ztjad 

0.67 

3-674 

(12  St) 

9 

• 

»             »              M 

0.68 

4-069 

(7  St) 

Baaa 

Omar  ben  Obeidallah 

0.68 

3-933 

(4  St) 

Andmeseh 

— 

0.69 

3-941 

n 

— 

0.69 

4049 

Merwrud 

Abdallah  ben  Hasioi 

0.69 

3-208 

Stacht 

Omar  ben  Obeidallah 

0.70 

3-989 

w 

1»        »            It 

0.72 

3-434 

Andmeseh 

? 

0-72 

3-861 

Kirman  ? 

? 

1)  Ver^l.  MordtmiDD,  Erkliruog  der  Münzen  mit  Pehlri-Legeaden. 


Die  Nominale  der  Mfinsreform  des  Chalifen  Abdulmelik.  253 


Jtkr 

Gcwickt 

Prfigrcurt 

Mlaihcrr 

a.n 

3-86 

Kirmiin 

? 

a.73 

4*336 

Schadscha 

Numeir  ben  Muhalleb 

a.73 

3-998 

—  ? 

? 

8.73 

4-133 

Sikadsehtan 

Omeije  ben  Abdallah 

a.73 

4'Ä77 

9 

n           n            n 

a.n 

3-724 

Choracan       , 

n           n            n 

a.74- 

-  3-821 

Baia 

Chalid  ben  Abdullah 

«.75 

3-652 

» 

Muhalleb  ben  Abu  Sufra 

a.7S 

3-821 

Merw 

Abdolmehk  ben  Merwan 

0.76 

3-49 

Baaa 

Muhalleb  ben  Ahn  Sufra 

a.76 

3*628 

Darabdachird 

n                n          n          t$ 

a.78 

3-891 

Andmesch 

Heddschadsch  ben  Juauf 

8.79 

3-70 

Baaa 

»              »       » 

a.80 

3-62 

n 

tt              tt       tt 

e*80 

3-869 

n 

19                   n          » 

a.83 

3-941 

Die  Ungenauigkeit  der  Ausmunzung  dieses  arabiseh-sasanidi- 
sehen  Silberstuckes  fallt  sogleich  in  die  Augen ;  das  EffectiTgewicht 
desselben  schwankt  von  4-3 — 3*3  Gr.,  sein  Normalgewicht  kann  aber 
aaf  3'9  Gr.  angesetzt  werden.  Neben  diesem  Ganzstücke  findet  sich 
aach  dessen  Hälfle.  Ein  solches  Stück  von  Obeidailah  ben  Zijad  aus 
dem  J.  27  wiegt  1-97   Gr.,  ein  anderes  von  Zijad  Abu  Sofian  aus 
dem  J.  53  2-018  Gr.  Wenn  wir  uns  nun  des  Gewichtes  des  Dirhems 
bagli  von  8  Danek  oder  3-92  Gr.,  ferner  des  Gewichtes  des  soge- 
nannten alten  Dirhems  tabari  zu  4  Danek  erinnern,  so  bemerken  wir 
sofort  die  Obereinstimmung  derselben  mit  diesem   arabisch-sasani- 
dischen    Silberstucke  und   die  Zulässigkeit  der  Identifizirung  der- 
selben dürfte  kaum   mehr  zweifelhaft  erscheinen.  Die  anscheinend 
widersprechende  Angabe  bei  Makrizi  und  Ibn  Chaldun,  dass  der  auch 
bagli  genannte  Dirhem  wafi  einen  Mithkal  oder  4-25  Gr.  wog  ist  leicht 
za  erklaren.  Dieselbe  zielt  auf  das  Norinaigewicht  des  sasanidischen 
Dirhem  von  4-25  Gr.,  und  bezeichnet  in  mehr  theoretischer  Weise 
den  Hunzfuss,  auf  welchen  letzterer  geschlagen  wurde.  Der  Dirhem 
wafi  im   Gewichte  eines  Mithkal  war  die  normale  alte  sasanidische 
Silbermünze,  der  Dirhem  bagli  zu  8  Danek,  welcher  wegen  seines 

leichteren  Gewichtes  auch  Zajif  *JSj  genannt  wird  *),  das  Silber- 
stuck  der   arabisch-sasanidischen   Präge ;     beide   konnten   um   so 


')  Makrizi  de  pooderibnt  p.  7. 


254  Bergmann 

leichter  verwechselt  oder  identificirt  werden,  als  sie  gleichen  Typus 
hatten  i). 

Gegen  die  vorstehend  gemachte  Identificirung  des  sogenannten 
alten  Dirhems  tabari  mit  dem  Halbstöcke  des  arabisch-sasanidischen 
Dirhem  spricht  ausser  dessen  Namen  noch  die  vereinzelt  stehende 
Bemerkung  Makrizi's  in  seiner  Abhandlung  Ober  die  arabischen  Ge- 
wichte s),  dass  derselbe  römische  Aufschrieen  hatte.  Sie  hat  die  Ver- 
anlassung zur  Conjectur  Schulten*s  gegeben,  dass  der  alte  Dirhem 
tabari  seinen  Namen   von  der  Stadt  Tiberias  in  Galilaea  erhalten 
habe,  indem  vielleicht  an  diesem  Orte  der  Handelsverkehr  zwischen 
Byzantinern  und  Arabern  am  lebhaftesten  gewesen  und  eine  in  die 
Hände   der   letzteren  gelangende  byzantinische  Münzsorte  in  Folge 
davon  Tabari  genannt  worden  sei.  Eine  andere  Hypothese  stellte 
viel  später  Castiglioni  auf.  Er  bestimmt  in  ziemlich  richtiger  Weise 
das   Gewicht   des  Dirhems  tabari   auf  41   Gran  mailändisch  oder 
2*091  Gr.,  will  aber  die  Benennung  tabari  von  den  Kaisern  Tiberius 
Mauritius  oder  Tiberius  Constantin,  die  keineswegs  eine  bedeutende 
Rolle  spielten,  herleiten.  Castiglioni  sieht  sich  jedoch  zu  dem  Geständ- 
nisse genöthigt,  dass  das  Gewicht  des  Dirhems  tabari  mit  einer  der 
romischen  Präge  angehörenden  Nominale  nicht  übereinstimme  <)  Es 
existirt  auch  in  der  That  kein  römisches  oder  byzantinisches  Nominale, 
das  auch  nur  mit  einigem  Grunde  mit  dem  Dirhem  tabari  identificirt 
werden  könnte,  und  wird  daher  diese  Erklärung,  die  sprachlich  aller- 
dings möglich,  hinfallig.  Überdiess  ist  es  wenig  plausibel,  dass  die  Araber 
den  in  Rede  stehenden  Dirhem  nach  der  Stadt  Tiberias  oder  nach 
einem  Kaiser  Tiberius  genannt  haben  sollten,  da  weder  die  erstere 
noch  eine   der  letztern  in  besondere  Berührung  mit  ihnen  kam.  Da- 
gegen dürfte  wohl  folgender  Erwägung  Raum  zu  geben  sein.   Ais  die 
Araber  geraumere  Zeit  später  Taberistan  eroberten,  schlugen  ihre 


1)  So    durften  nnch    unter   der  MilUon  schwerer  Dirbeme,  welche  Chalid  von  den 
Hirensern    beim  Friedensschlüsse    erhielt  (^'Jb  cjül  ou|    ip  ^»^V«^i^  Tabari 

Annales  II.  p.  47)  die  ilteren  Silberstücke  au  verstehen  sein. 
^)  1.   c.  p.   87;  weder  in  der  Abbatidluag  über  die  muhamed.  Münsen  noeb  Imi  n>B 

Chaldnn  wird  etwas  davon  gemeldet 
^)  Deir  uso  cui  erano  destinati  i  Tetri  p.  19.  Die  Herleitnng  des  Namen«  tabari  von 

der  Stadt  Tiberias  findet  sich  auch  noch  in  der  Zeitschr.  der  morgenl.  GeaelUeh. 

Bd.  XI.  p.  451. 


Di*  Nominale  der  Mftnsreform  dee . Chelifea  Abdalmelik.  2o5 

Stattbalter  daselbst  Silberstucke  mit  dem  sasanidischen  Typus;  diese 
Udänglieh  bekannten  Münzen  wurden  auf  den  späteren  sasanidisch- 

arabiseben  Fuss  gesehlagen  und  wiegen  2*2  Gr 1*4  Gr.,  stimmen 

also  im  Uurohsehnitte  vollkommen  mit  dem  sogenannten  alten  Dirhem 
tabari  von  1*96  Gr.  überein.  Die  arabischen  Schriftsteller»  welche 
diesen  in  Tabaristan  geschlagenen  Dirhem  Torxugsweise  kannten, 
Daanten  nun  das  im  Gewicht  und  Typus  gleiche  Halbstack  des 
Dirbems  bagli  ebenfalls  Dirhem  tabari,  obgleich  dasselbe  keineswegs 
in  Taberistan    geprägt   worden  war*    und   unterschieden   es   von 

dem  späteren  eigentlichen  Dirhem  tabari  durch  die  Benennung  J^ 

oder  alt 

Nur  in  diesem  Falle  hat  dessen  Bezeichnung  als  „  alter  Dirhem 
tabari**  einen  Sinn,  während  sie  sonst  bei  Bezeichung  auf  eine  byzan- 
tinische Mfinzsorte  gegenstandslos  und  unverständlich  wäre.  Die  Nach- 
richt Hakrizi's,  dass  der  alte  Dirhem  tabari  römische  Aufschriften 
trag,  beruht  auf  einer  Confusion,  wie  sich  deren  bei  ihm  nicht  selten 
finden. 

Ausser  dem  Dirhem  wafi  und  dem  Dirhem  bagli  wird  in  der 
citirten  Stelle  Abulmahasin*s  noch  ein  drittes  Nominal,  der  Dirhem 
Ton  2-55  Gr.  oder  </io  Mithkal  genannt.  Während  aber  Ihn  Chaldun 
dasselbe  zu  einer  sasanidischen  Münzsorte  macht,  nennt  ihn  Abul* 
mabasin,  Dirhem  Zijadi,  eine  Bezeichnung,  die  nur  auf  Zijad  ben  Abu 
SoGan  zurückgeführt  werden  kann.  Thatsächlich  findet  sich  weder 
in  byzantinischen  noch  in  der  sasanidischen  Präge  ein  gleiches  No- 
minal, das  daher  arabischen  Ursprunges  sein  muss.  Wir  kommen 
noch  später  darauf  zurück  <).  Welche  der  beiden  Darstellungen  über 
das  Entstehen  des  legalen  Dirbems  von  2*97  Gr.  ist  nun  die  richtigere. 


*)  Bei  Mekrizi  werden  noch  8  tndere  Arten  Ton  Dirhemen  genannt,  welche  in  vor- 
islaaitiischer  Zeit  bei  den  Arabern  coursirten,  nimlich  der  Dirhem  jement 
▼o«  i  Danek  oder  0*49  Gr.,  der  Dirhem  Magrebi  ron  3  Danek  oder  1*47  Gr.  und 
der  Oirkem  dachnvareki  von  4*4  Danek  oder  2*20  Gr.  Der  Dirhem  mBg:rebi  iit 
wokl  die  Siliqna  dea  Raieers  Jnstinian^s  und  der  Vandalen,  woiu  auch  der  Name 
trcffliek  atammt,  von  eben  diesem  Gewichte.  Der  ietztgenannte  Dirhem  ist  schwer 
tm.  ideatüeiren,  es  mag  wohl  in  der  Tereinzelten  Angabe  Makriais  ein  Fehler 
stecfcta  ;  die  Ton  Hofrath  Sticke!  gegebene  Erklimng  seines  Namens  als  ans  graecas 
verdorben  scheint  noch  am  plansib eisten ;  Tielleicht  steckt  das  Halbstfick  der 
syrisek-^eltiaclien  Drachme  dahinter. 


256  Berg 


■  DD 


jene  die  denselben  aus  der  Summirung  der  Dirheme  bagli  oder  tabari, 
oder  die  andere,  welche  ihn  ans  der  Summirung  der  besprochenen  drei 
Münzsorten  herleitet?  Die  Entscheidung  rouss  wohl  zu  Gunsten  der 
ersteren  lauten;  die  Dirheme  bagli  und  tabari  wurden  von  den  Ara- 
bern im  Gegensatze  zu  dem  älteren  sasanidischen  Silberstucke  von 
4.25  Gr.  selbst  geschlagen  und  waren  das  bekannteste  und  allge* 
meinste  Silbercourant.  Es, lag  nahe  durch  die  besprochene  Operation 
aus  denselben  ein  neues  Nominal  zu  schaffen,  welches  den  doppelten 
Vortheil  einer  'sehr  einfachen  und  praktischen  Relation  sowohl  zur 
häufigsten  Goldmünze,  dem  Solidus  oder  dem  spätem  Dinar  (7:  10) 
als  auch  zu  den  älteren  Dirhemen  bagli  und  tabari  (6:8  oder  6:4) 
bot,  die  nicht  plötzlich  aus  dem  Verkehr  gezogen  werden  konnten. 
Der  Dirhem  von  Vio  Mithkal,  der  in  der  zweiten  Version  genannt 
wird,  wurde  entschieden  in  geringer  Menge  und  nur  vorübergehend 
geschlagen  und  es  sind  mir  nur  ein  Paar  Stücke  bekannt,  welche  auf 
ihn  gedeutet  werden  können  9*  Die  Wahrscheinlichkeit,  dass  er 
überhaupt  in  Rechnung  gebracht  worden,  ist  daher  sehr  gering.  — 
Der  legale  Dirhem  von  2*97  Gr.  ist  also  das  Mittel  der  summirten 
Dirheme  bagli  und  tabari.  In  Betreff  des  Zeitpunktes  seiner  Creirung 
differiren  jedoch  die  Quellen.  So  werden  bei  Makrizi  und  Ihn  Chal- 
dun  verschiedene  Zeugnisse  gegen  einander  aufgeführt,  welche 
Abdulmelik  die  Priorität  für  die  Normirung  des  legalen  Dirhem*s  theils 
zu-  theils  absprechen.  Nach  den  Angaben  Makrizi*s  und  IbnChaldun^s 
selbst  kann  nur  das  letztere  das  richtige  sein,  denn  es  wird  aus- 
drücklich gesagt,  dass  Zijad  Abu  Sofian  (4-  SZ)  Dirheme  auf  den 
Fuss  von  7:10  bezüglich  des  Dinares  schlug,  gleicherweise  wie 
Musab  ben  Zobeir,  der  dem  sasanidischen  Stempel  seiner  Dirheme 
noch  die  Worte  „Segen  von  Gott*«  beisetzte«). 

Wenn  ferner  gemeldet  wird  >),  dass  Al-Heddschadsch  bei  der 
Übernahme  der  Verwaltung  der  Provinz  Jrak  im  Jahre  7S  diese 
Münze  Musab's  änderte,  so  beschränkte  sich  diese  Änderung  nach 

^)  Diese  •ind: 

a.4S  .  2'25S  Gr  —  BebisUn  — 

a.55  .  2*258    „     —   Bast  —  Z^jad  ben  Abu  Sofian 

a.(M)  .  2*523    „     —   Basra  —  Oheidallah  ben  Zyad 

a.65  .  2 '656    „     —  Adierbeidscbau  —  Abdallab  ben? 

')  Ver^I.  die  Bemerkang^   Stickers    hiexu    in  der   Zeitscbr.    der    deaUch-mors«iil. 
Gesellschaft,  Bd.  XX.  p.  344. 

3M.  c.  p.   17. 


Die  Nominale  der  Monsreforin  dea  Chalifen  Abdalnuelik.  2S7 

dem  Zeugnisse  desselben  Makrizi «)  bloss  auf  die  Umscbrifty  indem 
der  froheren  bereits  angeführten  Legende  die  Worte  9,\m  Namen 
Gottes  Heddsehadsch"  substituirt  wurden  *). 

Diese  Nachrichten  werden  in  überraschender  Weise  von  den 
Mflozen  selbst  bestätigt,  da  sich  Dirheme  aus  der  Zeit  Yor  Abdul- 
oelik's Reform  finden,  deren  Gewicht  keine  andere  Deutung  derselben 
ab  auf  den  sogenannten  legalen  Dirhem  zulässt.  Ich  stelle  sie  hier 
zusammen  nnd  bemerke,  dass  bei  der  damaligen  ungenauen  Präge 
Gewichtsdifferenzen  bis  zu  0*2  Gr.  nichts  Auffallendes  oder  Bedenk- 
liches haben. 

—  Obeidallah  ben  Zijad 

—  Zijad  ben  Abu  Sofian 


d 

.63. 



2-991 

— 

? 

a 

.43 



2-907 

Darabgird 

a 

.  2 



2-85 

? 

a. 

.54 

2-835 

Schadscha 

a. 

,61 



2.80 

— 

? 

a 

•67 

^— 

2-787 

— 

Zadrakarta 

a. 

.51 

o... 

2-715 

Basra 

—  Obeidallah  ben  Zijad 

? 
~  Zijad  ben  Abu  Sofian. 

Diese  Wägungen  genügen,  um  die  Existenz  des  legalen 
Dirhems  Tor  Abdulmeliks  Reform  festzustellen,  und  die  Richtigkeit 
der  Angabe  arabischer  Quellen  über  die  Präge  Zijad*s  ben  Abu  Sofian 
darzuthun.  Abdulmelik  fand  demnach  bei  seiner  Münzorganisation 
den  legalen  Dirhem  als  effectiTes  Nominal  vor,  und  beschränkte  sich 
diesen  mit  Beseitigung  der  älteren  ungenau  ausgebrachten  Münz- 
sorten zur  alleinigen  Geltung  zu  bringen.  Wenn  nun  Abdulmelik  die 
PHorität  derCreirung  des  Dirhems  von  2*97  Gr.  abzusprechen  ist,  so 
drangt  sich  die  Frage  nach  der  Zeit,  in  welcher  dieselbe  stattfand, 
auf  Wir  sind  hier  zu  einem  schwierigen  Punkte  dieser  Erörterung, 
olmlich  zum  Dirhem  Omar*s  gelangt. 

Nach  Makrizi*s  Angabe  schlug  Omar  Dirheme  auf  das  Verhält- 
niss  von  6:10  bezüglich  des  Mithkals.  Die  Stelle  lautet:  „Damals 


0  4c  ponderibas  p.  87. 

*)  Dms  Beddschadsch  mehrere  Sorten  Ton  Dirbemeo  schlagen  liess,  wird  antdrücklieh 
gesagt   (1.   c.   p.  Z5).  Gleiches  xeigen  die  tod  Abalmabasin  etc.  beigebmcbten 

Terscliiedenen  Aufschriften  seiner  Silbermfinsen.  Dieselben  sind:  >>l^)  aU)  ^ 

J»A  AUljJb  Jj  ,  nnd  J^l  aUI  JoA  aUI  Die  leUtere  gehört  wohl  in  die  Zeit 

der  Manxrefom  Abdulmellk^s.  . 
Sitsb.  d.  pba.-bist.  a.  LZY.  Bd.  IL  Hft.  19 


258  BcrgmtBn 

(im  Jahre  18)  Hess  Omar  Dirheme  mit  denselben  Typen,  wie  sie  zu 
den  Zeiten  des  Chosroen  im  Gebrauche  waren,  und  in  gleicher  Form 
prägen,  nur  dass  er  auf  die  einen  die  Worte  ,,Lob  sei  Gott*«,  auf 
andere  „Muhammed  ist  der  Gesandte  Gottes«*,  auf  andere  wieder 
^Es  gibt  keinen  Gott  ausser  Einen  Gott.««  oder  auch  seinen  Namen 
„Omar^  hinzusetzte  ^y  Er  regelte  ihr  Gewicht  nach  dem  Verhältnisse 
von  10  Dirhemen  fQr  6  Mithkals.  —  Bevor  wir  die  Hichtigkeit  dieser 
Nachricht  untersuchen,    ist  es  vor  Allem  n5thig,  in  Klarheit  darüber 
zu  kommen,  wie  der  Schlusssatz  der  angezogenen  Stelle  aufzufassen 
sei,  ob  nämlich  unter  dem  Worte  Mithkal  der  Dinar  oder  der  eigent- 
liche Mithkal  mayal  zu  verstehen  sein  durfte.  Zu  Gunsten  der  letz- 
teren Deutung  lässt  sich  allerdings  geltend  machen,  dass  der  Dinar 
oft   mit   dem   Mithkal   mayal  verwechselt  wurde.  In  diesem  Falle 
würde    sieh  der  Dirhem  Omar*s  nach  der  Proportion  4*72:  d?  = 
10:6,  auf  2-83  Gr.  stellen  und  in  nicht  sehr  bedeutender  Weise  von 
dem  legalen  Dirheme  von  2*97  Gr.  diflferiren.  Andererseits,  und  diese 
Erwägung  ist  hier  wohl  entscheidend,  wird  in  den  arabischen  Quellen 
durchgehends  die  Darstellung  der  verschiedenen  MQnzfusse  durch 
eine  zwischen  dem  legalen  Dirhem  und  dem  Dinar  gezogene  Relation 
gegeben.  An  dieser  wurden  die  Schwankungen  der  Präge  in  einfacher 
und  zugleich  vollkommen  deutlicher  Weise  autgezeigt.  Es  ist  daher 
kein  Grund  abzusehen,  dass  Makrizi  in  der  angezogenen  Stelle  mit 
dem  Worte  Mithkal  nicht  den  Dinar,  sondern  den  Mithkal  mayal 
gemeint  oder  selbst  eine  von  ihm  benützte  Quelle,  in  welcher  er  diese 
Angabe  fand,  missverstanden  habe.  Unter  der  Bezeichnung  Mithkal 
kann  also  nur  der  Dinar  gemeint  sein  und  es  wurde  sich,  die  Rich- 
tigkeit der  gegebenen  Relation  von  6: 10  vorausgesetzt,  das  Gewicht 
des  Omarischen  Dirhems  auf  2*5S  Gr.  stellen  und  mit  dem  bereits 
erwähnten  Dirhem  von  </io  Mithkal  zusammenfallen.  In  diesem  Falle 
aber  gerathen  wir  in   unlösliche   Widerspruche   mit  den  weiteren 
Nachrichten  über  den  Dirhem  Moawias.  Dieser  Chalife  verringerte 
nach  letzteren  wegen  einer  finanziellen  Verlegenheit  den  Omar*sehen 
Dirhem  in  der  Weise,  dass  derselbe  nicht  mehr  6  Danek  sondern 


')  Hintichtlich  der  Typen  und  Aufeehriften  liegt  hier  wohl  eine  Verwech8lnn|r  mi|  ^^n 
Mflnien  des  SUttknlters  Onar  ben  Ubeidallah  ror ;  das  gleiche  gilt  aber  nicht  für 
die  Gewichtsbestininiung,  die  fiir  unteren  Zweck  massgebend  ist,  da  die  Dirh«me 
des  eben  genannten  Omar  mit  dem  arab.-sasan.  Silberstücke  ron  circa  3*9  Gr.  Nor- 
malgewicht fibereinstimmen. 


Die  Nominale  der  Munzreform  des  ChalifeD  Abdulmelik.  259 

veniger  1  oder  2  Habba  also  circa  2*87  Gr.  wog  ^).  Der  Dirhcm  Omar's 

inass  also  6   Daiiek  gewogen  haben  oder  auf  das  Verhältniss  von 

7:10  geschlagen  worden  sein.  Damit  trifft  die  Angabe  Ihn  Chalduns 

2usammen,  dass  Mosab  ben  Zubeir  und  al  Heddschadsch,  welche,  wie 

wir  aus  Makrizi  wissen,  Dirheme  auf  die  Relation   von  7:10  be- 

lüglich  des  Dinar's  schlugen,  hiebei  dem  Beispiele  Omars  folgten«). 

Die  Bestimmung  des   omarischen  Dirhems  im  jetzigen  Texte 

Makrizis  ist  daher  unrichtig  und  der  Fehler  wahrscheinlich  auf  Rech- 

noog  eines  späteren  Copisten  zu  setzen.  Die  Existenz  eines  Dirhems 

Ton  */,^  Mithkals  oder  Dinars  wird  hiemit  nicht  in  Abrede  gestellt, 

oar  war  er  eben  nicht  das  Nominal  Omar's,  in  welchem  Falle  sich 

doch  auch  in  anderen  Quellen  hicTon  eine  Nachricht  finden  würde.  Dieser 

Dirhem  von  2'S8  Gr.,  der  der  sasanidischen  und  der  bizantinischen 

Präge  fremd  ist,  durfte  eine,  sei  es  durch  Zijad,  sei  es  durch  Jemand 

anderen  eingeführte  Münzsorte  sein,  welche  vielleicht  in  Folge  einer 

IfOozreduction    geschlagen  wurde').  Eine   endgiltige  Entscheidung 

hierüber  wird   erst  möglich  sein,  wenn  einmal  eine  grossere  Anzahl 

Wägangen  vorliegen  wird. 

Die  Herleitung  des  legalen  Dirhems  von  einer  durch  Omar  ins 
Werk  gesetzten  Operation,  nämlich  der  Summirung  der  Dirheme 
bagli  und  tabari,  ist  am  plausibelsten.  Keine  fremde  Präge  bietet  ein 
Nominal  dar,  das  dem  Dirhem  Omars  entspräche;  mag  man  ihn  zu 
2  97  oder  2*83  oder  2*SS  Gr.  ansetzen,  immer  bleibt  der  Nachweis 
meines  ausländischen  Ursprunges  gleich  misslich,  selbst  wenn  man  bis 
dof  den  Dinar  der  Republik  oder  den  Antoninian  zurückgeht.  Noch 
weniger  gerechtfertigt  erscheint  seine  Deutung  als  Halbstück  des 
Ififiaresion's,  welches  nicht,  wie  irrig  behauptet  worden,  auf  </eof 
sondern  vielmehr  nach  der  überzeugenden  Darlegung Mommsens^)  auf 


')  We«a  darauf  greaagt  wird,  das«  Zijad  ben  Abn  aach  Dirheme  auf  den  Pute  von 
7:10  beajigjich  des  Dinare«  geschlagen,  obwohl  doch  Moawia  seinen  Dirhem 
etwaa  leichter  anabrachte,  so  ist  das  eine  nicht  in  Betrscht  kommende  Ungenauig- 
k^t,  da  es  sich  um  mioimaie  Gewichtsunterschiede  handelt,  v.  Makrizi  p.  10. 

'^)  So  achreibt  auch  Muradgea  nach  türkischen  Quellen  Omar  die  Creirung  des  lega- 
len Dvliema  au ;  rergl.  auch  die  Bemerkung  Flflgels  in  der  Geschichte  der  Araber 
Leipsig  1867  p.  157. 

*}  Die  Avgabe  bei  Makriai  (p.  9),  dass  die  Dirheme  des  Heidenthumes  Vio  Mithkal 
wogen,  widerspricht  nicht  nur  andern  Daten  desselben  Schriftstellers,  sondern 
auch  den  bisher  bekannt  gewordenen  Münzen. 

^)  Geschichte  des  römischen  Mfinxwesens  p.  787. 

19» 


260  Bergmann 

1/7^   des  römischen  Pfundes  geschlagen  wurde.  Dasselbe  hatte  also 
ein  Normalgewicht  von  4*K5  Gr.  und  seine  Hälfte  oder  die  Siliqua 
wog  nicht    ^lao  sondern  ^144  Pfund.  Wir  wissen  jetzt  ferner,  das» 
das  sogenante  Lepton  von  ls/4  siliqua  nur  ein  anderer  minder  ge- 
nauer Ansatz  für  das  Miliaresion  von  i/i«  des  römischen  Pfundes  war 
und  in  der  wechselnden  und  schwankenden  Relation  des  letzteren 
zum  Solidus  seinen  Grund  hatte.  Es  könnte  hier  nur  das  Silberstuck 
von   Veo  Pfund  herangezogen  werden»  das  in  der  noch  constan- 
tinischen  Zeit  bis  auf  Magpius  Maximus  herab  sich  findet,  und  dessen 
Halbstück  etwas  leichter  war  als  der  legale  Dirhem.  Dieses  Nominal 
jedoch  wurde  nur  in  geringer  Menge  und  vorzugsweise  als  Festmfinze 
ausgebracht  und  verschwand  im  4.  Jahrhunderte;  es  ist  daher  wenig 
wahrscheinlich  weder  dass  es  bei  den  Arabern  vorzugsweise  cour* 
sirte»  noch  dass  es  zum  Muster  fiir  ihre  neue  Silberpräge  wurde  t}. 
Der  legale  Dirhem  also  war  ein  den  Arabern  eigenthiimliches 
und  von  ihnen  selbst  aus  der  sasanidischen  Silbermunze  geschaffenes 
Nominal  und  kein  arabischer  Schriftsteller  berichtet  etwas  von  dem 
ausländischen  Ursprünge  desselben,  der  sich  doch  in  der  Tradition 
erhalten  hätte.  Er  existirte  aber»  wie  auch  die  Münzen  zeigen,  bereits 
vor  Abdulmelik^s  Münzrefornr  und  wurde  durch  Omar  ins  Leben  ge- 
rufen. Dieser  war  der  erste  Chalife,  welcher  das  arabische  Staats- 
wesen begründete  und  ihm  eine  finanzielle  und  judicielle  Organi- 
sation gab.  Er  systemisirte  die  Abgaben  und  fixirte  zuerst  die  Grund- 
steuer. Bei  diesen  Reformen  erkannte  er,  dass  den  mannigfachen 
und  in  keiner  Relation  zu  einander  stehenden  Münzsorten,  welche 
nebeneinander  coursirten,  die  Creirung  einer  ofHciellen  und  gesetzlich 
normirten  Münzeinheit  nöthig  sei.  Er  schuf  daher  ein  neues  NominaU 
welches  auf  den  spätem  sasanidischen  Münzfuss  basirt  war,  sich 
jedoch  eigenthümlich  darstellte  und  den  officiellen  Finanzoperationen 
zu  Grunde  gelegt  wurde.  Omar  blieb  aber  hiebei  auf  halbem  Wege 
stehen  und  anstatt  diese  neue  Münze  zur  Geltung  zu  bringen,  wurde  im 
Gegentheile  die  Hauptmasse  des  Silbergeldes  noch  fortwährend  auf  den 
Dirhem  bagli  und  tabari  ausgebracht  So  behielt  der  legale  Dirhem 
bis  auf  Abdulmelik*s  Zeit  herab,  mehr  den  Charakter  einer  fictiven  Rech- 


1)  Das  Vorkommen  ^anz  rereinxelter  Termfinzter  Silberstucke,  wie  a.  B.  eine«  Ton 
Joftinian  I.  zu  2*9  Gr.  bedeutet  nicbta;  eben  so  wenig  können  die  viel  tpSter  aiaf 
den  arabischen  Dirhems  geschlagenen  Silbermunzen  des  Basilius  Macedo  Kier  in 
Betracht  kommen. 


Die  Nomintle  der  Mfiuzreform  des  Chalifen  Abdulmelik.  261 

nuogsrounze  als  eines  effectiven  Nominales.  Erst  Abdulmelik  machte 
ihn  zur  ausschliesslichen  Basis  seiner  Silberprage  und  gab  ihm  ara- 
bische Aufschriften.  Dieser  Sachverhalt  schimmert  auch  in  der  Dar- 
stellong  Ibn  Chaldun*s  über  das  älteste  arabische  Münzwesen  durch» 
wenn  er  gleich  seine  Meinung  nicht  in  so  bestimmter  Form  ausdrückt. 
Fassen  wir  nun  das  Wesen  der  Munzorganisation  Abdulmeliks 
xusammön,  so  stellt  sich  dieselbe  als  aus  der  Verbindung  romischer 
üod  sasanidischer  Nominale  herrorgegangen  dar.  Abdulmelik  schuf 
kein  neues  Nominal  weder  für  die  Gold-  noch  für  die  Silberprage, 
sondern  beschrankte  sich  auf  die  Herübernahme  gewisser  Nominale 
aus  dem  römischen  Hünzsysteme,  und  auf  die  Behaltung  des  von 
Omar  creirten  und  aus  der  persischen  Silberpräge  entsprungenen 
legalen  Dirhems.  Diese  traten  an  die  Stelle  der  bisher  coursirenden 
mannigfachen  Münzsorten  und  wurden  nunmehr  allein  in  den  ara- 
bischen Münzstätten  geschlagen.  Als  Münzeinheit  wurde  das  Exagium 
solidi  Romani  zu  Grunde  gelegt  und  auch  effectiv  wenngleich  In 
erster  Zeit  nur  in  geringer  Menge  ausgebracht  <).  Für  die  gewühn- 
iiche  Goldmünze  oder  den  Dinar  ward  der  romische  Solidus  dieser 
Zeit  zum  Muster  genommen,  für  die  Silbermünze  der  legale  Dirhem, 
so  dass  beide  im  Verhältnisse  von  10:7  bezüglich  ihres  Gewichtes 
sa  einander  standen.  Indem  Abdulmelik  in  solcher  Weise  an  die 
Stelle  der  bisherigen  Regellosigkeit, des  arabischen  Geldwesens  ein 
f^^^glicdertes  Münzsystem  setzte,  und  demselben  zugleich  einen 
nationalen  Münztypus  verlieh,  erschien  er  in  den  Augen  der  Araber 
und  ihrer   Historiker  als   Begründer  und  Urheber  des  arabischen 
Mönzwesens  und  in  der  That  blieben  die  von  ihm  in  die  arabische 
Gddprage  eingeführten  Nominale  für  Jahrhunderte  die  herrschenden 
Qad  nahezu  aasschliesslichen  in  den  Ländern  des  Islams. 

Es  bleibt  noch  die  Erörterung  eines  wichtigen  Punktes  übrig, 
nämlich  der  Metallwährung,  welche  Abdulmelik  für  sein  neues  Münz- 
STstem  adoptirte.  Um  hierüber  ins  Klare  zu  kommen,  ist  es  nothig, 
die  verschiedenen  Theilstücke  der  Gold-  und  Silberpräge,  den  Fein- 
gehalt des  Metalles  und  das  Werthverhältniss  des  Goldes  zum  Silber 
zo  kennen. 


0  Biae  «iirenthüniliGhe  BrscUiniiiig  ist  m,  dass  der  MiUiktl  mayal  siek  ia  tpiterer 
Zeil  so  uter  Al-Moktadir  «od  Al-Nacer  hHvAg  als  Goidmuoie  findet,  jedoch, 
weai^tess  bisher,  niemais  in  Silber,  wohl  in  Folge  daron  dasa  die  Arabische 
Silbcrprlge  ans  dem  sesanidischen  Mfinzsysteme  entsprangen  war,  das  den  genann* 
tcn  Mitkknl  nicht  kinnte. 


262  Bergmann 

Mit  dem  Solidus  warden  aus  dem  byzantinischen  MQnzsystem 
auch  der  Semis  oder  das  Halbstuck  und  der  Tremissis  oder  Triens 
herübergenommen.  Das  erstere  findet  sich  bereits  in  der  Präge 
Walid*s  I.  aus  dem  Jahre  91  zu  2*035  Gr.,  zwei  andere  halbe  Dinare 
aus  dem  Jahre  100  wiegen  je  2-04  Gr.  i)  und  2*01  Gr.  Der  Trien» 
tritt  gleichfalls  unter  Walid  schon  auf;  zwei  hiehei^ehörige  StQcke 
aus  den  Jahren  94  und  96  wiegen  1-400  Gr.  und  1-405  Gr.«  Viertel- 
Stöcke  des  Dinars  aus  so  früher  Zeit  sind  noch  nicht  publicirt 
worden;  das  älteste  mir  bekannte  zu  1*040  Gr.  ?om  Jahre  174  datirt 
aus  der  Zeit  Harun*s.  Eben  so  gehören  die  Multipla  des  Dinars  nach 
den  vorliegenden  Münzen  alle  einer  spateren  Zeit  an  und  finden 

sich  die  Nominale  von  1  </%  0»  *  V«  0»  ^®"  ^  *)•  ^  %  0  ^  Dinaren  •). 
Grossere  Goldstücke  oder  Goldmedaillons  wurden  bisher  noch  nicht 
edirt,  obwohl  solche  unzweifelhaft  geschlagen  wurden.  Medaillons 
von  10  Dinaren  werden  bei  den  Historikern  öfter  erwähnt,  ja  Mirehond 
erzählt  gar  von  Riesenmedaillons  zu  1.000  Dinaren  7).  Derlei  Multipla 
waren  zu  Geschenken  bestimmt. 


1)  CMtig:lioni  dell^aso  cni  erano   destinati  i  Tetri  p.  82  mit  der  Aufachrift  aUI  jem> 
Am«  a1»i  cJmJi  AJJ^  Sm>tr^  Ein  1.  c.  beigebracbtaa  Glaaatfick  mit  ouAi  Juil» 

sjf\^  Ton  Obeidallah  ben  Ghabcbab  wiegt  2  142  Gr.  Die  nicht  niber  beseichneie» 

Stficke  aind  aoa  Qaeipo*a  Tabellen  entnommen. 
*)  äolcbe  Sticke  sind  ron  den  Abbaaiden  An-Naatr  und  Al-Muatanair  ans  dem  J.  Wt 

und  651  BO  5*135  Gr.  und  5*33  Gr.  femer  aynbidiscben  Uraprnngea :  Ton  Salah-cd*dtB 

a.58S  SU  5*120  Gr.,  von  Al-RaroU  a.615  u.  626  beide  zu  5*280  Gr.  etc. 
*)  Normalgewicht  6*37   Gr.   2   Stucke  vom  Aijubiden   Al-Kamil  a.630  zu  6-060  und 

6*350  Gr.  Goldstücke  wie  vom   Abbaaiden   AI-Mustanair '  aus  dem   Jahre    640  so. 

7*210  und  7*395  Gr.  und  zwei  weitere  von  Al-Rarail  a.607  und  a.S.ii    sa  7*63^ 

und  7*240  Gr.  sind  wohl  vennilnit.  Der  Gebrauch  der  Wage  mnaa  8berha«pt  bei 

den  edlen  Metallen  aUgemein  gewesen  sein. 
4)  Normalgewicbt  8'50  Gr.  vom  Chalifen  Al-Must«nsir :   a.623   zu  S*075  Gr.,  «.643 

zu  S'335  Gr.  und  S'540  Gr.  vom  Chalifen  Al-Wathik  billah  a.281  zu  8-»05  Gr. 
*)  Normalgewicbt   10*12   Gr.    Goldstücke  Tom   Chalifen    AI-Mustansir  zu    9*680    o. 

9*84  Gr.  aus  den  Jahren  642  und  658,  Tom  Chalifen  An-Nasir  zu  10*260  Gr.  an» 

dem  Jahre  601. 
<)  Normalgewicbt  12*75  Gr.   Vom   Chalifen   Al-MusUnsir  zu  12*420  und  12-849  Gr. 

aus  den  Jahren  646  u.  654.   Stücke  wie  zu  11*98  Gr.  oder  11*21  Gr.  sind  wobi 

rerprigt. 
^)  Über  ein  Goldmedaillon   von   10  Dinaren  vergl.  die  Stelle  des  Ralhan-al-nlbnb  in 

Journal  Asiatique  4.  S^rie  t.  XII.  p.  515.   —   Die  Angabe   Mircbonds    findet  «ich 

in  seiner  Geschichte  der  Bivjiden  ed.  Wilken  p.  115.  Im  Jahre  378  laens  Ibn  Ibnd 


Die  Nominale  der  MÖnxreronn  des  Chalifen  Abdulmelik.  263 

Nebea  dem  Dinar  und  seinen  TheilstQcken  wurden,  wie  bereits 
oachgewiesen,  aueh  der  Mithkal  mayal  und  das  Exagium  solidi  Ro- 
numi  effectiv  ausgebracht,  in  älterer  Zeit  jedoch  in  sehr  geringer 
Menge.  Dass  jedoch  der  Mithkal  mayal  als  Münzeinheit  beständig  bei- 
behalten wurde,  ergibt  sich  aas  einer  Stelle  Makrizi*s,  welche  ich 
nach  der  Ton  Sacy  gegebenen  Correctur  <)  wiedergebe :  »Unter  dem 
abbasidiscben  Chalifen  Abu  Dschafar  Al-Mansur  kamen  die  Dirheme 
haschemi   in    Umlauf,  welche  nach  dem  Fusse  des  Mithkals  Ton 
Basra  >)  geschlagen  wurden.  Man  bediente  sich  zur  Regelung  ihres 
Gewichtes  der  Mithkal  mayal  vom  Vollgewichte.  Demgemäss  hatten 
die  Dirheme  haschemi  genaues  und  dem  Mithkale  entsprechendes 
Gewicht,  während  die  älteren  Dirheme  um  */4  Karat  Verminderung 
erlitten  hatten.  **  (Die  letztere  Angabe  bezieht  sich  auf  eine  angeb- 
liebe Reduction  des  Dirhems   durch  Al-Mansur).  Die  citirte  etwas 
daoUe  Stelle  Makrizi*8  will  wohl  besagen,  dass  bei  den  Dirhemen 
haschemi  der  Mithkal  mayal  als  Münzeinheit  zu  Grunde  gelegt  wurde 
nicht  dass  die  in  Rede  stehende  Munzsorte  ein  Gewicht  Ton  4*72  Gr. 
hatte,  da   ein    solches  Silberstück  unter  den  vielen  Dirhemen  AI- 
Hansor^s  noch  nicht  zum  Vorschein  gekommen.  Häufiger  tritt  der 
Mithkal  mayal  als  effectives  Nominal  vom  4.  Jahrhundert  an  auf  und 
unter  An-Nasir  lidin  allah  wurde  er  fast  für  grosserer  Menge  als  der 
Dinar  geschlagen  *).  Die  gleichzeitigen  Münzreihen  der  Dynastien 
der  Ikschididen,  Fatimiden  und  Aijubiden  weisen  alle  gleichfalls  den 
Mithkal  mayal  auf.  Ja,  die  Al-Mohaden  machten  letzteren  zum  aus- 
schliesslichen Nominale  ihrer  Goldprage.  Diese  Verbreitung  des  Mith- 
kals über  die  westlichen  Länder  des  Islams,  also  über   ehemalige 
Provinzen  des  romischen  Reiches,  wo  er  von  Alters  her  bekannt  war, 
ist  besonders  bemerkenswerth. 

Dieser  Mannigfaltigkeit  der  Nominale,  Welche  in  Gold  ausgebracht 
wurden,  steht  die  Silberpräge  sehr  ärmlich  gegenüber.  Aus  der 
ersten    Zeit   nach   der  Münzorganisation   Abdulmelik's   ist   meines 


genaaat  As-8ahib  (der  Oeaenschafter)  solche  1000  DiDar-Stucke  anfertigen,  deren 

Aalachrlflen  Mirchond  anfuhrt. 
*)  In  Magaxin  Sneydopidiqne  1799  V.  anne^.  t  l.  p.  210. 
*}  Dieter  Hitlkkal  ron  Beert  wird  eben  eo  wie  der  Mithkal  Ton  Bagdad  noch  hen- 

tigen  Tages  tu  4*665  Gr.  gerechnet 
*)  Von   AI-MnkUdir   folgende   Stficke:^  a.29S   —   4.675  Gr.,  e.302  —    4*585  Gr., 

«.318  ~  4-86  Gr.  Von  Ah-Nasir:  a.590  —  4*575  Gr.  ete. 


2tf4  Bergmann 

Wissens  noch  kein  Theilstuck  des  Dirhems  bisher  publicirt  worden, 
obwohl  solche  geschlagen  worden  sein  mögen.  Erst  aus  der  Zeit 
Harun*s  finden  sich  drei  Silberstucke  Tom  Jahre  193  zu  1-680,  1*82 
und  1*96  Gr.»  Ton  denen  die  beiden  ersten  wohl  ungenau  ausgemünzt 
sind  und  wie  das  letzte  Vier-Danekstucke  oder  »/i  Dirheme  sein 
durften  i). 

Ein  1  i/s-DirbemstGck  ist  die  von  mir  publicirte  Bfldmunze  des 
Chalifen  Al-Mntawakkil ;  ein  untermünzter  Doppeldirhem  ferner 
scheint  ein  in  die  Tabellen  Queipo*s  aufgenommenes  SilberstOck  Tom 
Jahre  319  zu  5*300  6r.  zusein.  Die  späteren  Änderungen  und  Wechsel 
der  Silberpräge,  von  welchen  dieselbe  zu  viel  höherem  Grade  als  die 
Goldpräge  berührt  wurde,  fallen  über  den  Rahmen  dieser  Erörterung 
hinaus.  Wie  aber  bereits  bemerkt  worden  ist,  war  die  Ausmünzung 
des  Dirhems  im  Gegensatze  zum  Dinar  vom  Anfange  an  schwankend 
und  ungenau  *)  und  musste  zu  allen  Zeiten  den  Gebrauch  der  Wage 
erfordern.  So  hatte  der  Dirhem  bereits  zur  ersten  Zeit  entschieden 
die  Richtung  früher,  oder  später  Creditmünze  zu  werden. 


^)  Die  Theüstocke  worden  wohl  pewöhnlick  Buch  Danelu  gerechnet.  Zam  Erweise, 
data  die  Rechottog  nach  Daneka,  namentlich  anch  für  dieKupfermunsen  gebrfiuchlieh 
war,  fahre  ich  hier  swei  Stellen  an.  Im  Tarich  Gusideh  heiaat  ea,  dasa  der  Kndi 
Abdul  DachebbAr,  obgleich  er  lehrte,  daaa  jeder  welcher  nngerechterweise  1% 
Danek  nehme,  ewig  in  der  Hdlle  bleiben  mfiaae,  doch  aU  aein  Vermögen  ala  Be- 
atecbnng  erhalten  hatte.  Eine  andere  Angabe  findet  aieb  in  Ihn  ChalUknii  ed. 
SUne  I.  p.  404,   wo  Al-Heddachadach   einem  abgeatraften  Diebe  eine  ti^llche 

Unteratütiang  ron  t  Rnpferdaneka  Terapriebt  O^U  my  ,J<^^  «^  *^.^r\^) 
(L»yLd  Vergl.  über  den  Danek  die  SteUe  bei  Suidaa. 

S)  So  aagt  Abdimahaain:  Jyb  :^\  ÄJuijJlj  JüjJliLl^  Lj<^\  ^\jji\  %lUl$^ 

^M  s^  u^  ^1^1  J  >  j^i  >^^l  jC  ^^  iu\  j- 

und  weiter:    ^n.UT    »^  «LI  iSau]  ij^^^  ^Jy^  •*'  ^i  "^  O*  *-0  \5 

Daaa  daa  Yerhiltniaa  tob  7: 10  besfiglich  dea  Dinare  für  den  normalen  Dir 
conatant  blieb,  seigt  die  atehende  Redenaart:  A««m»  !Jj^  jTj^  AiU  aL»  vJI#.AbH 

nümlich   wJ^jJt  JJU« 


Die  Nominale  der  MGnsrefonn  des  Chalifen  Abdulmellk.  265 

lo  Betreff  des  Feiugehaltes  der  Münzen  zumal  der  frühesten  Zeit 
liegen  fast  keine  Untersuchungen  Tor  und  das  betreffende  Münz- 
material des  kaiserliehen  Cabinetes  ist  so  gering,  dass  ein  voll* 
tofflinea  sicheres  Resultat  hiefür  nicht  gewonnen  werden  kann.  Doch 
darf  als  Durchschnitt  festgehalten  werden,  dass  die  beiden  edlen 
Metalle  in  gleicher  Weise  mit  möglichst  genauem  Feingehalte  zu 
0-87  Perceut  ausgemünzt  wurden ;  dass  auch  hierin  Schwankungen 
Torkamen,  zumal  beim  Dirhem,  zeigt  die  angezogene  Stelle  Abul- 
mahasin's. 

Das  Verhältniss  des  Goldes  zum  Silber  stellt  sich  für  die  erste 
Uit  auf  14: 1,  da  nach  dem  Zeugnisse  Dschauhari*s  der  Dinar  damals 
xwanzig  Dirheme  galt  <).  Der  Ansatz  de  Sacy's,  der  den  Werth  des 
Dinars  auf  1 0  Dirheme  bestimmte,  kann  dagegen  nicht  bestehen,  und 
die  Berechnung,  durch  welche  er  zu  diesem  Resultate  kam,  ist  nach- 
weisbar falsch.  Er  ging  von  der  Nachricht  aus,  dass  für  die  Summe 
TOD  200  Dirhemen  eine  Steuer  von  8  Dirhemen,  dagegen  für  20  Dinare 
eine  Steuer  von  </,  Dinar  zu  entrichten  war,  und  schloss  hieraus,  dass 
äBs  Werthyerhältniss  des  Goldes  zum  Silber  sich  auf  10: 1  stelle  und 
1  Dinar  10  Dirheme  galt.  Hierbei  ist  aber  der  Gewichtsunterschied 
des  Dinars  und  des  Dirhems  unberücksichtigt  geblieben,  welche  nach 
der  Saey*schen  Bestimmung  gleiches  Gewicht  haben  müssten,  wäh- 
rend thatsächlich  20  Dinare  nicht  so  viel  wie  20  Dirheme,  sondern 
vielmehr  nur  wie  *^/^  Dirheme  wiegen.  Wenn  ferner  1  Dinar  lODir- 
keme  galt,  so  würde  sich,  da  der  erstere  4*25  Gr.,  der  letztere 

2*97  X  10 

2-97  Gr.  wog.  eine  Relation  von  j-zr^^ =  7:1  zwischen  Gold 

4"25 

ond  Silber  ergeben,  die  offenbar  zu  tief  gegriffen  ist.  Die  Angabe 

Dschaahari*8,    dass  der  Dinar  20  Dirheme  galt,  ist  um  so  glaub- 

vördiger,  als  damit  das  damalige  Werthverhältniss  von  4:1  zwischen 

Gold  und  Silber  im  byzantinischen  Münzwesen  zusammentrifft. 

Wenn  wir  nun  uns  der  ungemein  genauen  Ausmünzung  des 
Dmars  und  dagegen  des  schwankenden  Gewichtes  des  Dirhems 
so  wie  der  Mannigfaltigkeit  der  in  Gold  geschlageneu  Nominale 
ennnern,  so  kann  es  nicht  zweifelhaft  erscheinen,  dass  das  Gold 
bereits  in   erster  Zeit  als  primäres  Metall  bezeichnet  werden  darf. 

')  r.  Goilu»  t.  T.   ^j^ 


266    Bergmann,  Die  Nomiunle   der  MÜDireforin  des  Chalifen  Abdulmelik. 

Bei  dem  anfänglich  ziemlich  gleichen  Feingehalte  des  Goldes  und 
Silbers,  tritt  das  Vorschlagen  des  ersteren  Metalles  allerdings  bis  auf 
die  abbasidische  Zeit  herab  nicht  mit  so  grosser  Scharfe  hervor  als 
später,  vielmehr  gleichen  die  Geldverhältnisse  jenen  der  ersten  romi« 
sehen  Kaiserseit,  wo  anfänglich  beide  Metalle  nahezu  coordinirt 
waren,  jedoch  die  zukünftige  Goldwährung  aus  einzelnen  ludiciea 
sich  bereits  erkennen  lässt.  Die  constant  zunehmende  Ungenauigkeit 
der  Silherpräge  und  die  von  den  arabischen  Quellen  berichteten 
Devalvirungen  des  Dirhems  zeigen  aber,  dass  letzterer  immer  mehr 
und  mehr  Creditmünze  wurde  <).  Der  Dinar  blieb  von  diesen  finan- 
ziellen Katastrophen  gewohnlich  unberührt,  und  nur  der  Dirhem 
stieg  und  fiel  häufig  in  Folge  seiner  schlechten  Ausmunzung.  Dies 
ist  aber  das  Charakteristische  der  Creditmünze  oder  des  secundären 
Metalles,  dass  es  im  Verhältnisse  zum  primären  zu  hoch  ausgebracht, 
der  plötzlichen  Entwerthung  und  dem  Discredite  preisgegeben  ist. 
In  der  schwankenden  Silberpräge  Abdulmelik's  und  seiner  Nach- 
folger,  die  anfänglich  jedoch  noch  den  möglichst  besten  Feingehalt 
hatte,  liegt  bereits  der  Keim  des  späteren  Verfalles  des  arabischen 
Munzwesens,  und  die  noch  zu  schreibende  Geschichte  desselben 
wird  zeigen,  dass  es  auch  in  dieser  Beziehung  in  der  Bahn  blieb, 
welche  ihm  durch  seinen  Gründer  vorgezeichnet  worden  war. 


0  Eine    ZasammenBtellung  dieser    »ehr   zerstreuten    Nachrichten    wurde    hierober 
interessante  Aufschlüsse  geben.  Zum  Erweise  der  Richtigkeit  der  oben  gemnchten 
Bemerkung  will  ich  nur  ein  Paar  Daten  anfQhren.  Wenn  Abulfeda  unter  dem  J.  330 
sagt,  dass  der  Dinar  in  dieser  Zeit  13  Dirheme  galt,  so  xeigt  dies,  das«  das  Ver^ 
hültniss  des  Goldes  zum  Silber  auf  9 ;  1  herabgesunken  war  und  das  Silber  über 
seinen  Werth   und  als  Creditmünze  Conrs  hatte.  So  galt  der  Dinar  Mneaxi,  toa 
Nominalgewichte  zu  4*25  Gr.,  15  V^  DIrfaeme,  wihrend  spiter  unter  Al-Haktm  das 
schlechte   Silbergeld  so   rerrufen   war,  dass  schliesslich   für  einen  Dinar  bin    zn 
34   Dirheme   gegeben    wurden.    —  In  viel  spiterer  Zeit  setzte  der  Mamlukea- 
Sultan  An-Nasir  den  Werth  des  Dinars,  der  bisher  20  Dirheme  galt,  auf  25  fc«t.  — 
Dass  der  Dinar  auch  bisweilen  Verschlechterungen,  wie  z.  B.  unter  dem  ChsilifeD 
Ar-Radhi  erlitt,  ist  begreiflich. 


Höfler,  Untersuchao^  der  Frage,  ob  Griechenland  elc.  267 


Abhandlungen 
aus  dem  Gebiete  der  alten  Geschichte. 


in. 

Uatersuchung  der  Frage,  ob  Griechenland  mit  der  Zer* 
Störung  Korinths  römische  Provinz  geworden  sei. 

Von  C.  Höfler. 

§•  *• 
Zerstörung  Griechenlands  durch  die  Hellenen. 

So  gross  auch  das  Unglück  war,  welches  der  unbesonnene,  ja 
tollkühne  Kampf  der  Achäer  gegen  Born  im  Jahre  146  vor  Christus 
über  Griechenland  brachte,  er  hätte  sich  für  hellenische  Freiheit, 
Staatsleben  und  den  hellenischen  Volksstamm  selbst  nicht  so  entsetz- 
lieh gestaltet,  wenn  nicht  einerseits  die  Katastrophe  von  Grossgrie- 
ehenland  und  Sicilien,  andererseits  die  systematische  Vernichtung  der 
Hellenen  durch  Hellenen  im  Mutterlande  ihm  vorausgegangen  wären. 
Es  war  ein  zweischneidendes  Schwert,  was  Perikles  auf  der  Höhe 
athenischer  Macht  und  Herrlichkeit  als  Princip  des  von  ihm  gelei- 
leteo  Staates  aussprach,  dass  Athen  über  Griechen  herrsche  <)  und  der 
frühere  Wettkaropf  der  Athener  mit  den  Barbaren  somit  in  einen  grossen 
hellenischen  Burgerkrieg  umgeschlagen  war.  Es  bedurfte  nur  mehr  des 
peloponnesischen  Krieges,  um  die  schnöden  Thaten  der  Hellenen  gegen 
Hellenen,  den  Untergang  ganzer  Städte,  die  Sciaverei  oder  Vernichtung 
ihrer  Bevölkerung  zu  erblicken. 

Das  Schicksal,  welches  die  Spartaner  frühe  den  Heloten  und 
3fesseniern    bereitet,     rückte    auch  andern   griechischen   Völkern 


0   'EXXiQVoiv  Tt  ort  "EXXiQve^  nXtivvfav  ^^  {p^afACV.  Thakydides  II.  c.  64. 


268  Hßfler 

immer  näher,  bis  endlich  der  peloponnesische  Krieg  in  einen  Ver- 
nichtungskampf der   Hellenen    überging.    Ohne   Rücksicht  auf  die 
grossen  Thaten  ihrer  Ahnen  bei  Salamis  wurden  die  Ägineten  von 
den  Athensern  aus  ihrer  Insel  vertrieben,  weil   sie  im  saronisehen 
Meerbusen   in   nächster  Nfihe   von   Salamis   keine  Feinde   dulden 
konnten.  Die  gefangenen  Thyreaten  wurden  in  Athen  ermordet.  Als 
im  fünften  Kriegsjahre  die  Athenseer  den  Aufstand  der  Lesbier  nieder- 
geworfen, beschlossen  sie  alle  mannbaren  Methymnaeer  zu  todten, 
Weiber  und  Kinder  als  Sciaven  zu  verkaufen.  Dieser  Beschluss  ward 
zwar  wieder  zurückgenommen,  aber  doch  wurden  mehr  als  1000  Ein- 
wohner als  Haupturheber  des  Abfalles  getödtet,  was  Thukydides  ohne 
jede  weitere  Bemerkung  erzählt «).  Als  die  Lakedämonier  in  Verbin- 
dung mit  den  Thebäern  Platää  eingenommen  hatten,  von  welchem 
nur  212  Einwohner  nach  Athen  entronnen  waren*),  mordeten  sie  die 
übrigen,  welche  die  Hungersnoth   und  Belagerung  übrig  gelassen 
hatten,  machten  Frauen  und  Kinder  zu  Sciaven  und  zerstörten  die 
Stadt,  unbekümmert  um  ihre  hohen  Verdienste  um  die  gemeinsame 
Sache  Griechenlands*).  Die  kerkyi*Sischen  Demokraten  mordeten  alle 
diejenigen,  welche  angeblich  die  Volksherrschaft  stürzen  wollten, 
ohne  Rücksicht  auf  das  Heiligthum  der  Hera,  in  welches  sich  die 
Unglücklichen  geflüchtet.   Und  jede  Todesart,  sagt  Thukydides*). 
wurde  angewendet:  der  Vater  tödtete  den  Sohn,  sie  wurden  aus 
dem  Heiligthume   geschleppt,   bei   demselben   getödtet,   einige  im 
Tempel  des  Dionys  eingemauert,  wo  sie  auch  starben.  Was  so  be- 
gonnen worden  war,  wurde  im  siebenten  Kriegsjahre  auch  auf  dieje- 
nigen Kerkyräer  ausgedehnt,  welche  sich  auf  dem  Berge  Istone  ver- 
schanzt hatten  &),  aber  von  den  Athenaeern  gefangen  genommen  und 
an  die  Kerkyräer  ausgeliefert  worden  waren. 

Als  die  Gegenpartei  vernichtet  worden  war,  horte  freilieh  der 
innere  Kampf  auf*).  Er  war  in  einen  Vertilgungskrieg  ausgeartet.  In 
dieser  Art  und  Weise  nahm  der  Krieg  eine  immer  blutigere  Wendung. 
Als  sich  die  Einwohner  von  Melos  416  den  Athenern  ergaben, 
tödteten  diese  alle  mannlichen  Einwohner  und  machten  Weiber  und 


1)  HI.  60. 

*)  III.  u. 

*)  in.  6s. 

*)  lll.  81. 

»)  p.4«. 


Unten,  d.  Frage,  oh  GrieeheDl.  m.  d.  ZertMr.  Korinths  rdm.  ProT.  geword.    2  69 

Kinder  zu  Sclayen  9.  Eben  so  geschah  es  mit  Skione.  Als  das  grosse 
athenische  Heer  in  Sicilien  von  40---60.000  Mann  auf  etwa  7000 
herabgesunken  war»  wurden  auch  diese,  in  wie  ferne  sie  nicht  der 
Misshandlung  erlagen,  als  Sdaven  verkauft  <).  3000  athenische 
Gefangene  Hess  Lysander  nach  der  Schlacht  an  den  Ziegenflflssen 
(40S),  hinrichten  *).  Die  Samier  mordeten  ihre  angesehensten  Ein* 
wobner.  Nur  der  Widerspruch  der  Spartaner  hinderte,  dass  die  Athenieer 
nicht  nach  einem  gemeinsamen  Beschlüsse  der  siegenden  Hellenen 
aosgerottet  wurden.  Aber  Pest,  Krieg  und  Hunger  hatten  das  Ihrige 
gethan.  Die  Kekropiden  starben  aus.  Es  bildete  sich  ein  Neu-Athen 
aof  altem  Grund  und  Boden. 

Die  Beendigung  des  peleponnesischen  Krieges  braehte  nicht 
Mos  die  äusserste  SchwSche  Athens  hervor;  sie  setzte  an  die  Stelle 
des  offenen  Kampfes  die  Ausrottung  der  demokratischen  Fraction,  wie 
in  Nelos  durch  Lysander,  in  Korinth,  Megara,  Phlius,  Elis,  Mantineia. 
In  Afgos  wurden  12 — 1800  angesehene  Burger  erschlagen. 
Eine  Zeit  des  Verrathes,  brutaler  Gewalt,  der  Hinterlist  und  des 
Mordens  war  über  Griechenland  gekommen,  die  man  sich  nicht  ärger 
Torstellen  kann,  als  sich  glucklich  noch  durch  die  thebaeisch  lakeda* 
monischen  Kriege  eine  Ableitung  des  Einzelmordens  in  zwei  grosse 
StrGnmngen  bildete,  die  die  kleineren  in  sich  aufnahmen.  Nach  der 
Schlacht  von  Mantineia  wurde  es  noch  arger.  Plünderten  die  Arkader 
die  Schätze  zu  Olympia,  so  begann  jetzt  die  grosse  Plünderung  des 
delphischen  Schatzes  durch  die  Phokäer*}.  Dann  gesellte  sich  der 
grosse  phokäische  Krieg  dazu,  nach  dessen  Beendigung  23  Städte  wüste 
lagen;  Greise^  Weiber  und  Kinder  durften  in  der  Heimath  bleiben» 
die  Reste  des  Volksstammes  wurden  nach  Philippopolis  und  Kabyla 
verpflanzt  Die  grosse  Schlacht  bei  Chäroneia,  7.  August  338,. 
brach  die  Macht  der  Thebäer  wie  die  der  Athenäer.  Dann  erfolgte 
aber  erst  noch  die  grosse  Niederlage  der  Thebäer  durch  Alexander. 
6000  Mann  worden  erschlagen,  30.000  alsScIaven  verkauft,  nur  die 
Kadmeia  verschont,  in  diese  aber  eine  macedonische  Besatzung 
gelegt.  Die  Misshandlung  Platää's  durch  die  Thebäer  diente  jetzt  als 


0  Thaaet  V.  16. 
«)  VI.  86.  S7. 
*)  Xenophon,  Hell  U,  1. 

^)  \m  der  oacedonitchen  Zelt  plünderte  Teleephoros  den  Tempel  Ton  Oljrmpia  und 
nahm  500  Talente  Silber,  die  aber  Ptolemios  wieder  ertetste.  Diodor.  XIX,  119. 


270  HAfler 

Vorwand  Theben  das  gleiche  Schicksal  zu  bereiten  i).  Wenige  Jahre 
später  erlitt  der  spartanische  Konig  Agis  IL  durch  Kassander  die 
grosse  Niederlage  bei  Megalopolis,  wo  mit  6000  der  Seinigen  der 
Konig  fiel.  Im  lamischen  Kriege  erlitten  die  Athenaeer  nicht  bloss  eine 
grosse  Niederlage,  sondern  den  Verlust  von  12.000  Burgern,  die  aus- 
wandern mussten.  Bekannt  ist,  wie  rasch  die  spartanische  Bevölke- 
rung sank,  das  Grundeigenthum  in  die  Hände  der  Frauen  kam,  der 
innere  Kampf  sich  im  dritten  Jahrhunderte  auch  dahin  verpflanzte. 

Der  durchgangige  Mangel  an  Einheit  in  der  griechischen 
Geschichte  hatte  sich  auf  ihrem  Höhepunkte  schon  recht  empfind- 
lich bemerkbar  gemacht;  er  bewirkte,  dass  zum  inneren  Verfalle 
sich  die  Angriffe  von  Aus9en  gesellten,  dass  die  verschiedenen 
Theile  der  griechischen  Welt  sich  völlig  von  einander  lösten  und 
einer  nach  dem  andern  der  Fremdherrschaft  verfiel.  Da  war  das 
grosse  Sybaris  von  Hellenen  selbst  zerstört,  das  wichtige  Cumä 
samnitisch,  Selinus,  Akragas,  Himera  von  den  Punierp  zerstört 
worden,  von  welchen  es  heisst,  dass  sie  einen  Theil  ihrer  Ge- 
fangenen zu  kreuzigen ;  den  anderen  auf  das  Schändlichste  zu 
misshandeln  pflegten  •).  Auf  Messapier,  Lukaner,  Bruttier  folgten  in 
Grossgriechenland  die  Römer  Wie  in  Sicilien  auf  die  Punier.  Als 
Pyrrhos  vergeblich  in  Italien  wie  in  Griechenland  gegen  Romer  wie 
gegen  die  Punier  die  griechische  Sache  zu  retten  gesucht,  sank  diese 
in  beiden  Ländern  für  immer. 

Zur  punischen  Zerstörung  hellenischer  Städte  hatte  Dionys  eine 
griechische  hinzugefugt,  als  er  die  Butler  von  Naxos  und  Katania  als 
Sclaven  verkaufte,  die  Mauern  und  Häuser  zerstörte,  das  Land  der  Naxier 
den  Sikelern,  also  Nichtgrieehen,  zuwandte,  die  Leontiner  nach  Syrakus 
übersiedeln  mussten  *),  er  Messane«),  Kaulonia»),Hipponion  zerstörte. 
Dann  setzten  sich  campanische  Soldaten  in  den  Besitz  von  Rhegion, 
wo  sie  die  Männer  erschlugen,  Weiber  und  Kinder  sich  aneigneten, 
Mamertiner  sich  in  den  Besitz  von  Messane.  Hierauf  kamen  erst  noch  die 
schlimmen  Zeiten  des  zweiten  punischen  Krieges,  die  Eroberung  von 


J)  Doch  erstand   e«   wieder,  so  diisa  es  315  als  grosse  Stadt  (Polysperckon*«)  galt. 

Grauert  S.  317. 
«)  Diodor  XIV.  3. 
')  Diodo.->XIV.  14.  20. 
*J  1.  c.  XIV.  58. 
»)  1.  c.  XIV.  i06.  107. 


Unten,  d.  Fngt,  ob  Griechen!,  m.  d.  ZersMr.  Korintha  röm.  Prov.  geword.    271 

Syrakos  darch  Marcellus»  die  Leiden  Grossgriechenlands  durch  Hanni- 
kal,  der  Thurii  plündern  Hess,  3S00  Einwohner  nach  Kroton  yerpflanzte, 
dann  von  Stadt  zu  Stadt  zog,  die  Bewohner  zwang  ihre  Heimath  zu 
rer)as5eo,  worauf  diese  dem  Hasdruhal  zur  Plünderung  überlassen 
wurde.  Als  der  punische  Feldherr  endlich  Italien,  dessen  Geissei  er 
50  lange  Zeit  gewesen,  verliess,  befahl  er  noch  alle  Italer,  die  unter 
ihm  gedient  hatten,  entweder  zu  Sciaven  zu  machen  oder  geradezu 
mitWurfspiessen  niederzuschiessen  i).  Als  der  zweite  punische  Krieg 
zu  Eqde  ging»  um  durch  den  zweiten  macedonischen  abgelöst  zu 
werden,  hatten  Messane,  Syrakus  a)  und  die  übrigen  Griechenstadte 
Sieiliens  an  dem  jährlich  wechselnden  PrStor  ihren  Herrn  gefunden, 
drohten  in  Italien  griechischen  Rücken  die  Ruthen,  dem  Nacken  das 
röffliscbe  Beil*),  waren  Rhegium  und  Tarent  dahin  gekommen, 
dass  von  ihnen  gesagt  wurde,  es  sei  Rom  durch  ihre  Ruinen  gross 
geworden  *). 

Im  Mutterlande  war  es  während  dieser  Zeit  nicht  viel  besser 
zugegangen.  Nur  eine  Neuorganisation  des  spartanischen  Staates, 
io  welchem  s/5  des  Grundbesitzes  in  den  Händen  der  Frauen  waren, 
konnte  diesem  noch  aufhelfen.  Als  Agis  III.  sie  durch  Vernichtung 
der  Scbuldbueher,  durch  eine  Neuvertheilung  von  Grund  und  Boden 
doreh  eine  Dictatur  und  eine  Revolution  von  Oben  nach  Unten  ver- 
soehte,  scheiterte  sein  Bemühen  am  Widerstände  der  Ephnren, 
wdehe  schon  seit  Langem  der  Hammer  des  Königthums  geworden 
waren.  Agis  wurde  im  GefSngnisse  ermordet.  Aber  dem  Sturze  des 
Königthums  folgte  schon  unter  Kleomenes  226  der  Sturz  des  Ephorates 
und  die  anfanglich  siegreiche  Entfaltung  der  spartanischen  Macht 
iiaeb.  Da  wurde  Megalopolis  geplündert  und  verwüstet.  Gemälde 
ond  Statuen  nach  Sparta  geschleppt,  die  Einwohner  retteten  kaum 
das  nackte  Leben.  300  Talente  löste  Kleomenes  vom  Verkaufe  ge- 


<)  Apptan.  TU.  57.  S8.  59. 

*)  Crbeai    Sjncnsas    maximam    es«e    Graecamgi    urbium    pulcherimamqae    omiiium 

•aepe   andUtis.   Cicero.    MeBsaniiiD   et  Syracusaa  et   totam   Siclliam  ipsi   habent 

veetiffmi€mqiie  protineiam  9eeuribu9  et  fiucibus  tubiecerunt   (Romaai).  Liv.  XXXI. 

c  29). 
')  Virgae  ter^,  aecures  cerTiciboa  imminent.  Liv.  XXXI.  29. 
^)  Rhegivn-Tareiitoni  lapanm  —  qnoniin  ruinia  crerit  urba   Romana  I.  c  Magna 

Graecia ,  heiast  m  bei  Cicero  de  amidtia  c.  3.  quae  nunc  quidem  deteta  est,  tum 

iorebnl,  etc. 


272  HSrier 

fangener  Megalopoliten.  Daon  kam  das  Verhängniss  über  ihn.  Er 
wurde  222  bei  Sellasiä  geschlagen,  Terlor  seinen  Bruder  und  Mit- 
konig,  6000  Lacedemonier,  6000  Miethsoldaten.  Mit  100  Spartiatea 
rettete  er  sich;  aber  die  Heiroath  musste  er  aufgeben  und  verlor 
dann,  der  letzte  Herakleide,  sein  Leben  in  Alexandrien.  Die  schreck- 
lichsten Zeiten  kamen  über  Sparta  die  systematische  Ausrottung  der 
Spartaner  durch  Nabis  *),  ein  Elend  ohne  Gleichen,  zugleich  ein  blei- 
bender Zwiespalt  zwischen  denLaconiern  und  dem  achäischen  Bunde, 
der  endlich  zur  Vernichtung  des  letzteren  fQhrte.  Ätolier  schleppten 
SO.OOO  Menschen  aus  dem  Vaterlande  des  Agesilaos  weg.  Aber  auch 
Arkadien  ward  in  das  allgemeine  Elend  hineingezogen,  da  die  Mace- 
donier  Orchomenos  plünderten,  Mantineia  zerstörten,  die  Einwohner 
als  Sciaven  yerkauflen.  In  Messene  fand  die  anttiXiioi  aviptav^  ein 
grosses  Blutbad  durch  die  Macedonier  statt.  Nur  wenige  Städte 
hatten  sich  Tor  dem  Einbrüche  der  römischen  Periode  von  den  nach- 
haltigsten Wehen  des  äusseren  oder  inneren  Kampfes  frei  erhalten. 

Hand  in  Hand  damit  ging  die  allgemeine  Verarinung.  Schon  als 
die  Athener  im  Vereine  mit  den  Tbebanern  den  Krieg  mit  Sparta 
unternehmen  wollten  und  zu  diesem  Ende  der  Kriegssteuer  wegen 
ganz  Attika  und  allen  Privatbesitz  abschätzen  Hessen,  betrug  der 
Werth  des  ganzen  Besitzthums  vonAttika  nur 6758 Talente*).  In  den 
Tagen  des  Polybios,  welche  dieser  selbst  als  die  des  grossten  Wohl- 
standes bezeichnete,  konnte  seiner  Berechnung  nach  aus  dem  ganzen 
Peloponnes  an  beweglichem  Eigenthum  und  mit  Ausschluss  der  Per- 
sonen —  nicht  die  Summe  von  6000  Talenten  gezogen  werden. 

So  viel  betrug  aber  der  Schatz,  welchen  die  Römer  bei  dem 
Umstürze  des  makedonischen  Konigthums  in  Samothrake  erbeu- 
teten*), beinahe  so  viel  bezogen  die  römischen  Kaiser  an  jähr  li- 
ehen Einnahmen  aus  Ägypten^)*  Den  grossten  Gewinn  brachte 
der  Verkauf  Freier  als  Sklaven.  Dadurch  ward  es  dem  König  Kleo- 
menes  möglich  seine  Kriege  zu  führen;  Sciaven  zu  erhalten  war  das 
Hauptziel  der  ätolischen  Räuberpolitik.  Als  Eumenes,  König  von  Per- 
gamos  mit  König  Philipp  von  Macedonien  im  Vereine  mit  den  Römern 


9  über  die  Ausrottung^  der  Spartaner  durch  Nabia :  Polyb.  XUI.  6. 
2)  Polb.  11.  62. 
')  Polyb.  XVin.  14. 
♦)  Diodor.  XV».  2. 


Doten.  d.  Frage.»  ob  Griechenl.  m.  d.  Zerstör.  Rorinths  röm.  Prov.  geword.    2T  3 

Krieg  führte,  wurde  bestimmt,  dass  jenem  die  Städte,  diesen  die 
Eiowqhner  gehorten  <}. 

Der  ärgste  Schlag  gegen  die  griechische  Race  erfolgte  aber  aus 
ihrer  eigenen  Mitte.  Wenn  in  Sparta  drei  oder  vier  Bruder  eine 
Frau  hatten  *),  so  hatte  letztere  drei  oder  ^ier  kräftige  Männer,  diese 
aber  nur  Eine  Frau,  und  die  Bevölkerung  nahm  bei  dieser  abscheu- 
lichen Unsitte  nur  ah,  nicht  zu.  Auch  wenn  die   Spartanerinnen 
Heloten  den  Spartiaten  Torzogen,  ward  es  nicht  besser.  In  unseren 
Zeiten  schreibt  Polybios,  ist  ganz  Griechenland  von  einer  Kinder- 
losigkeit und  überhaupt  Ton  einer  Abnahme  der  Bevölkerung«)  be- 
troffen worden,  in  Folge  deren  sowohl  die  Städte  entvölkert  sind,  als 
auch  Unfruchtbarkeit  eingetreten  ist,  obgleich   wir  weder  von  un- 
ODterbrochenen  Kriegen  noch  von  ansteckenden  Krankheiten  heim- 
gesucht wurden.  Da  nämlich  die  Menschen  in  Grossthuerei,  Hab- 
sneht  und  Vergnügungssucht  verfallen  sind  und  sich  weder  verhei- 
rathen,  noch,  wenn  sie  sich  verheirathen,  die  ihnen  gebornen  Kinder 
aufziehen    mögen,   sondern  die  Meisten  höchstens  eines  oder  zwei 
aufziehen,  um  diese  als  reich  zurückzulassen  und  sie  in  Üppigkeit 
aofurachsen  lassen  zu  können,  so  ist  das  Übel  unbemerkt  binnen 
Kurzem  so   hoch  gestiegen*}.  In  Boötien  lebte  man  für  Schmau- 
sereien und  Trinkgelage  5)   und  ging  die  Bevölkerung  geistig  und 
körperlich    zu    Grunde.   Es   war  Sitte,   dass  die   Kinderlosen  ihr 
Vermögen  zu  Schmausereien  vermachten;  selbst  viele  von  denen, 
die  Nachkommenschaft  hatten,  bestimmten  wenigstens  einen  Theil 
zu  Syssitien,  so  dass  es  viele  gab,  die  in  einem  Monate  mehr  Gast- 
mähler hatten  als  es  Tage  gab«).  In  2S  Jahren  wurde  kein  Privat- oder 
öffentlicher  Process  zu  Ende  gefuhrt.  Wie  es  mit  der  Heiligkeit  der 
Eide  war,   wie  mit  der  Haltung  von  Verträgen ,  ist  nach  Polybios 
oft  hervorgehoben  worden.  Aber  auch  physisch  hatte  sich  die  Race 
^erschleehtert.  Die  griechischen  Soldaten  konnten  die  Lasten  der 
Römer  nicht  tragen.  Das  Leben  mit  Hetären  und  Sclavinen,  die 
Päderastie,  das  Überwiegen  so  vieler  socialer  Gebrechen  hatten  ihre 


0  tJrbs  regi,  capttT»  corpora  Romftnis  cetsere.  Liv.  XXXI.  46. 

<)  Polyb.  XII.  6.  • 

•}  aKoidix  xal  —  oXcyavJ&poAiria.  Poljrb.  XXXVII. 

*)  Exe.  üb.  XXXVII. 

>)  Polyb.   XX.  4. 

'3  L  e.  c.  6. 

Snb.  der  pbfl.-hift  Gl.  LXV.  Bd.  II.  Hft.  20 


274  Höfler 

Frfichte  getragen.  Schon  auf  ihrem  Höhepunkte  voll  Eigennutz  und 
Selbstsucht  erlaubten  sich  die  Hellenen  jetzt  Alles  was  zur  Befriedigung 
ihrer  Sinne  diente.  Wer  sie  unbefangen  und  durch  ihre  hohen  Geistes- 
gaben unbestochen  betrachtete,  sehrieb  schon  vor  Jahren  einer  der 
grössten  Kenner  des  hellenischen  Lebens»  findet,  wenn  er  eines 
sittlichen  U^lheiles  fähig  ist,  ein  losgebundenes  und  wüstes  Privat- 
leben, im  Staate  ein  Gewebe  verworrener  Leidenschaften  und 
schlechter  Neigungen  und  was  das  Schlimmste  ist,  in  der  Volks- 
gesinnung Härte  und  Rohheit  oder  Mangel  an  sittlichem  Gefühle  in 
hdhe<*em  Grade  als  in  der  christlichen  Welt.  Die  Romer  hatten 
wenigstens  eine  alte  Zeit,  in  welcher  Treue  und  Redlichkeit  galten, 
bei  den  Hellenen  wird  man  diese  vergeblich  suchen  i). 

Wie  Polybios  von  den  Achäern  sagte  *y,  sie  hätten  Niemanden 
bei  ihrer  Katastrophe  anzuklagen  als  sich  selbst,  hat  er  auch  den 
Ätoliern  eine  eigene  Grabschrift  gesetzt.  Sie  pflegten  ihren  Lebens- 
unterhalt durch  Räuberei  und  derartige  Verbrechen  zu  gewinnen. 
Solange  es  ihnen  nun  frei  stand,  unter  den  Griechen  zu  rauben  und 
zu  plündern,  lebten  sie  davon,  indem  sie  jedes  Land  ab  Feindesland 
ansahen.  Als  aber  die  Römer  die  Herrschaft  erlangten,  sahen  sie  sich 
von  den  Hilfsquellen  nach  Aussen  abgeschnitten  und  auf  sich  selbst 
angewiesen.    Und    hatten    sie   schon  früher  alle    Scheussl ichkeiten 
verübt,  so  wurden  sie  jetzt  völlig  zu  wilden  Thieren  und  zu   Allem 
bereit,  so  dass  diejenigen,  welche  an  der  Spitze  standen,  nicht  ein- 
mal  auf  Mittel  zur  Abhilfe  denken  konnten.  Es  war  daher  in  Afolien 
alles  voll  von  Verwirrung,  Verbrechen  und  Mord.  Von  allem  was  mit 
Überlegung  und  Berechnung  unternommen  werden  muss,  kam  nichts 
zur  Ausführung:  alles  wurde  aufs  Geradewohl  und  in  wilder  Hast 
unternommen ,  wie  wenn  ein  Sturmwind  unter  sie  gefahren  wäre  *). 

Volksstämme  dieser  Art  sind  wandelnde  Ruinen,  haben  aber 
keine  Zukunft,  sondern  nur  ein  Grab  vor  sich.  Man  kann  ihnen,  wenn 
sie  endlich  untergehen,  keine  andere  Grabschrift  setzen,  als:  sie  hätten 
nur  sich  selbst  anzuklagen. 


<j  Böckh,  SUatshaiuhalt  der  Athener  H.  S.  %04. 

*)  8.  204. 

*>  Polyb.  Exe.  Vales.  Lib.  XXX. 


Uniers.  d.  Frage,  ob  Griechen!,  m.  d.  Zerstör.  Korinth«  röro.  ProT.  geword.     4  75 

Die  Romer  in  Griechenland. 

Der  Eintritt  der  macedonischen  Periode  in  Griechenland  hatte 
5ich  durch  die  successive  Niederwerfung  der  Phokäer,  der  Lokreer, 
der  Thessalier,  der  Thehaner  und  Athener  bemerklich  gemacht.  Der 
Versuch,  das  macedonische  Joch  abzuschütteln,  hatte  zur  Zerstörung 
Thebens,  zur  Niederwerfung  der  Spartaner,  zur  Niederlage  der 
Athener  und  der  Besetzung  ihrer  Stadt  gefuhrt. 

Die  Begründung  des  achäischen  Bundes  vermochte  das  mace«- 

donisehe   Übergewicht   nur  vorübergehend  zu   beseitigen.   Als   im 

Kampfe  mit  Kleomenes  um  die  Herrschaft  des  Peloponneses   die 

Aehäer  sich  statt  auf  die  Seite  der  Spartaner  auf  die  der  Macedo- 

nier  stellten,  brach  wohl  der  Sieg  bei  Sellasia  die  Macht  der  Herak- 

liden  für  immer,  aber  der  achaische  Bund  wurde  den  Macedoniern 

tiQterthan.  Die  Herrschaft  König  Philipps  über  Griechenland  brach 

erst  der  Sieg  der  Römer  bei  Kynoskephalä,  der  die  Befreiung  aller 

Griechen,    die    macedonisch    geworden   waren,    herbeiführte    197. 

Der  Friede   des   Proconsul   Flamininus  war   das   Gegenstück   zum 

Frieden  des  Antalkidas  (387),  welcher  die  Erklärung  des  persischen 

Grosskonigs   enthielt,   dass   alle  griechischen  Städte  autonom  sein 

sollten.  Den  einen  dictirten  die  Römer,  den  anderen  die  Perser,  nur 

löste  der  antalkidische  die  Confoderationen  auf,  der  des  Flamininus 

beliess  sie,  jedoch  unter  römischer  Tutel  und  mit  dem  Rathe  an  die 

Aehäer,  sich,  wie  eine  Schildkröte  zu  benehmen,  welche  den  Kopf 

nicht  aus  dem  Gehäuse  herausstrecken  dürfe. 

Jahrhunderte  hatte  es  gedauert,  bis  die  Römer  sich  zu  Herren 
Italiens  gemacht.  Der  erste  punische  Krieg  führte  sie  nach  Sicilien, 
^er  zweite  nach  Griechenland,  wo  sie  sich  auf  die  Atelier  stützten, 
um  den  macedonischen  König  zu  bekämpfen.  Als  diese  sodann  den 
König  von  Syrien  Antiochos  nach  Europa  beriefen,  urtheilte  man 
bereits  im  römischen  Lager,  von  diesem  Kriege  hänge  der  Besitz  der 
Weltherrschaft  *)  ah.  Von  Gades  bis  zum  rothen  Meere  werde  sie  aus- 
gebreitet, durch  den  Ocean  beschlossen  werden  und  das  ganze 
Meoschengeschlecht  nach  den  Göttern  den  römischen  Namen  ehren. 
Allein  dieser  Kampf  wurde  zum  grossen  Theile  in  Europa  geführt,  bis 


M  Uvtns  XXXVI.  c.  17. 

20  • 


276  Hdfler 

er  sich  endlich  in  den  atolischen  Krieg  aufloste.  Da  wurde  Herakleia 
am  Ota  von  den  Romern  erstürmt»  nachdem  zuerst  der  Krieg  mit 
Antiochos  um  Phera,  Skotussa»  Kranon»  Kypära,  Metropolis»  Phar- 
salos,  Larissa  und  Gonni  sich  bewegte.  Die  Macedonier  besetzten 
um  die  Wette  Stolische  Städte»  während  die  Achäer  den  Romern 
Zakynthos  abtreten  mussten;  dann  wurde  mit  Hilfe  der  Epiroten  der 
Kampf  um  Ambrakia  geführt»  endlich  22  Jahre»  ehe  die  Residenz 
macedonischer  Konige  ifi  die  Hände  der  Römer  fiel,  die  alte  Haupt- 
stadt des  Königs  Pyrrhos  mit  ihren  Kostbarkeiten  erobert.  Die  Äto- 
lier  mussten  das  Imperium  und  die  Majestät  des  römischen  Volkes- 
anerkennen  und  SOO  euboische  Talente  zahlen  (189)  i). 

Der  Kreis  unabhängiger '  griechischer  Staaten    Tcrengte   sich 
immer  mehr. 

Man  hat   so   oft   gesagt»    der   Krieg   mit  Perseus  habe   das^ 
Schicksal  Griechenlands  entschieden.  Der  Ausgang  des  syrischen 
Krieges  machte  die  Romer  zu  Beherrschern  der  Welt.  Als  Hannibal 
die  Konige  von  Syrien  und  Macedonien  nicht  zur  Bekämpfung  Roms 
vereinigen  konnte»    nicht  einmal    Prusias  von  Bithynien    sich    an 
Antiochos  anschloss»  als  die  Römer  nach  Asien  drangen»  Pleuratos, 
Konig  der  Illyrier»  Philipp  von  Macedonien  und  die  Achäer  an  der  Be- 
wältigung  der  Atolier  Antheil  nahmen.  Konig  Eumenes  durch  einea 
ReiterangrifT  bei  Magnesia  das  Trefien  zu  Gunsten. der  Romer  ent- 
schied» wie  früher  die  atolischen  Reiter  zu  Gunsten  der  Romer  gegen 
Philipp  von  Macedonien  entschieden  hatten»  die  griechische  Welt  so 
getheilt  war»  dass  die  Lacedaemonier»  um  nicht  achäisch  zu  werden», 
sich  den  Römern  ergaben»  bedurfte  es  bei  dieser  Verkennung  aller 
natürlichen   Interessen    nur   noch  eines  inneren   Haders»   und    das 
Schicksal  Griechenlands  entschied  sich  von  selbst. 

Da  erfolgte  die  Hinrichtung  Philopömen*s»  des  achäischen  Stra- 
tegen, durch  die  Messenier»  deren  Gefangener  er  geworden  war«),. 
der  Tod  König  Philipps  mitten  unter  den  Vorbereitungen  zu  einer 
neuen  Schilderhebung  gegen  die  Römer,  das  Königthum  des  Perseus» 
und  im  Momente,  als  nur  das  Aufgebot  der  gesammten  Macht  grie- 


<)  Livius  XXXVni.  C.  9.  C.  11.  die  Sache  Ist  in  Bexug  auf  dns  Verfahren  der  R5iner 
gepen  Hellenen  sehr  bezeichnend.  Von  der  Umwandlung  Ätoliens  in  eine  Provims  isf 
keine  Rede.  Libertatem  amiserunt,  aa^  Justinua  XXXII.  1. 

2)  nXfftouc,  sagt  fil>rigen8  Plntarch.  von  ihm,  vita  c.  20,  ''EXXvjvaC  ^^cXosrotf&Y^v  -r, 
Maxedova^  Tirog  "EXk^o^i  ßor^Bw  dcvetXe. 


Doters.  d.  Fn^e,  ob  Griechenl.  m.  d.  Zerstör.  Rorinths  rdm.  ProT.  geword.    2  7  T 

chischer»  halb  hellenischer  und  barbarischer  Volker  vielleicht  noch  den 
Romern  die  im  Osten  gewonnenen  ungeheueren  Vortheile  entreissen 
tonnte,  eine  Reihe  von  halben  Massregeln,  die  nur  erbitterten,  die 
Kaüistraphe  schliesslich  beschleunigten,    sie  aber  nicht  aufhalten 
konnten.  Als  Ämilius  Paallus  mit  einer  Schnelligkeit  ohne  Gleichen 
ith  Sieg  Ober  Perseus,  den  Umsturz  der  Monarchie,  die  Gefangen- 
nahme des  Hauses  der  Antigoniden  vollendete,  lag  die  griechische 
Welt  zu  den  FGssen  der  Romer,  flehten  die  heimlichen  Anhänger 
des  gestürzten  Königs   das  Erbarmen  der  Sieger  an.  Der  ganze 
Zustand  im  Osten  ward  von  Grund  aus  verändert  (167).  Scheinbar 
am  wenigsten  verlor  Macedonien,  als  es  zwar  das  Konigthum  ein- 
bOsste,  aber  nur  mehr  die  Hälfte  des  königlichen  Tributes  an  Rom 
zahlte,  in  vier  Districte  getheilt  wurde  und  connubium  und  commercium 
iwisehen  diesen  aufhörten  <).  Es  war  das  alte  System,  welches  Rom 
oaebBeendigung  des  latiniscben  Krieges  auf  die  latinischen  Städte  au- 
fwendet hatte.  Man  schuf  einen  Zustand  nicht  blos  ungewohnter, 
sondern  unerträglicher  Freiheit,  der  über  kurz  oder  lang  zum  Auf- 
stände fuhren,   einen  Verzweiflungskampf  erzeugen  musste.   Eben 
so  wurden    die   Illyrier  för  frei   erklärt,  d.  h.  ihres   Konigthums 
beraubt  und  in  drei  Districte  getheilt,  im  Ganzen  ein  ähnlicher  Zu- 
^nd  wie  in  Macedonien  geschaffen  <).  Vielleicht  hat  auch  die  Re- 
reebnong  einen  Einfluss  ausgeübt,  dass  man  Volker  schonen  müsse, 
welche  gegen  den  von  Perseus  aufgewühlten  Norden  als  Vormauern 
dienen  konnten.  H5ren  denn  doch  seit  dem  Untergsinge  des  macedoni* 
«eben  Königreiches  die  thracischen  Kriege  nicht  mehr  auf  und  zwar  mit 
luehts  weniger  als  immer  günstigem  Erfolge.  Denn  es  genügte  nicht  den 
Sehatz  der  macedonischen  Könige,  die  Kostbarkeiten  ihrer  Residenz, 
was  sieh  von  Philipps  des  Amyntas  Sohnes  ruhmvollen  Zeiten  an 
diigesaromelt  hatte,  in  den  bodenlosen  Schlund  Roms  zu  werfen, 
man  musste  die  Erbschaft  der  macedonischen  Konige 
aach   im    Schlimmen   antreten.  Auch    die    Epiroten,  welche 
sieh  an  Perseus  angeschlossen  hatten,  hiess  es,  sollten  frei  sein.  Als 
aber  die  Cohorten  in  die  einzelnen  Städte  verlegt  worden  waren, 
mossten   die  Einwohner  zuerst  all  ihr  Gold  und  Silber  ausliefern, 
dann  wurden  an*  einem  Tage  und  zur  selben   Stunde  alle  Städte 
geplündert,  ihre  Mauern  zerstört,  1S0,000  Menschen  weggeschleppt 

')  OnniaiD  primom  libero*  ease  placebat  Macedonas  atqae  1 1 1 7 r i o •.  LIt.XLV.  18. 
«)  Ut.  XLV.  26. 


Z78  Hdfler. 

So  geseliah  es  mit  70  Städten  <).  Da  brauchte  man  keine  Provinr 
Epiru8  2U  schaffen.  Die  Politik  des  Senates  hatte  sich  von  Grund  au» 
geändert.  Laut  rühmten  sieh  die  romischen  Legaten  Harcius  und 
Atilius,  als  sie  von  Perseus  nach  Rom  surfiekgekehrt  waren,  wie  sie 
den  KSnig  umgangen  hfitten,  so  dass  durch  ihre  List  Perseus  auf- 
gehalten worden»  während  es  ihm  sonst  ein  Leichtes  gewesen  wäre^ 
alle  günstigen  Orte  Griechenlands  zu  besetzen,  ehe  ein  römisches 
Heer  hätte  hinüber  gebracht  werden  können.  Ein  grosser  Theil  de» 
Senates  zürnte  über  diese  Rede»  nannte  das  Verfahren  punische  Hinter- 
list» griechische  Schlauheit  und  erklärte  darin  romische  Art  nicht  er- 
blicken zu  können.  Es  siegte  jedoch  jener  Theil  des  Senates»  weichem 
das  Nützliche  mehrals  das  Erhabene  zusagte*).  Als  der  Krieg  ausbrach», 
führte  ihn  der  Consul  P.  Licinius  Crassus  mehr  gegen  die  Griechen* 
Städte,  die  er  grausam  zerstörte»  als  gegen  Perseus»  und  behandelte 
der  romische  Oberbefehlshaber  die  Bundesgenossen  nicht  viel 
besser  *).  Als  Flamininus  den  Griechen  bei  den  isthmischen  Spielen 
*  die  Freiheit  verkündete»  meinten  die  leicht  erregbaren  Hellenen,  es 
gebe  auf  Erden  ein  Volk»  welches  auf  eigene  Gefahr  hin  übernehme^ 
für  die  Freiheit  Anderer  Krieg  zu  führen  und  welches  fiberall  die 
Herrschaft  des  Rechtes»  die  Billigkeit  des  Gesetzes  aufzurichten  ge- 
denke^). Dreissig  Jahre  hatten  eine  gründliche  Enttäuschung  zu 
Wege  gebracht»  und  diese  Verkehrung  der  ursprünglich  überschwäng- 
lichen  Anschauung  von  der  Gerechtigkeitsliebe  der  Römer  und  ihrem 
gänzlichen  llangel  an  persönlichem  Interesse  in  die  leidenschaftlichste 
Erbitterung»  in  einen  gesteigerten  ohnmächtigen  Zorn  entschied  das 
Schicksal  Griechenlands  >).  Zu  spät  erkannte  man  auch  in  Pergamos^ 


0  LIt.   XLV.  34.  Wie  gant  ■ndan  hatte  Flamininu«  gehandelt,  der  tob  dem  Strebe» 

beseelt    war:   oullam    gentem    liberatae   a   se    Graedae   funditua   efertl.    Lir. 

XXXVI.  U. 
'  Veteres  et  morU  antiqai  memorea  negrahant  se  in  ea  legatione  Ronanae  agnoscere 

artes.  —    Vioit  tarnen  ea  pars  aenatua,  cui   potior  utilla  quam  honeati  cur«  enU 

LiT.  XLII.  c.  47. 
')  Mylae  captae  direptae  dimtae  magna  ex  parte  et  Inoenane.  Conanl  HaUoeam  cepHet 

diripait.   Ptelenm   desertun-diruit  a   fundamentis.  Numiden  besogee  Winierqviur^ 

tiere   In  Thessalien.  Die  achiischen  Contingente  bestanden  aus  einem  Minimum. 

Die  Xtolier  konnten  nur  mehr  eine  ala  equitum  aufbringen.  Lir.  XLII.  54.  55.  67. 
*)  LiT.  XXXm.  c.  33. 
^)  Anxie  omnes  prudentiores  sensere  circumagi  orbem  liberommqne  popnlorum  forta- 

nam  eo  certamine  diaeemi.  LIt.  XLII.  80. 


(JoUn.  d.  Frage,  ob  Griechenl. m.  d. Zerstör.  Rorinlbs  röm.  Prov.  geword.    279 

Ton  WO  man  den  Römern  die  Pforten  zum  Osten  geöffnet  hatte,  Konig- 
tham  and  Republik  befänden  sich  von  Natur  aus  im  Zustande  unver- 
sohalicher  Feindschaft  <).  Überall  hatte  die  Treue  gewankt;  die  Be'stra- 
foog  folgte  nach.  Im  Jahre  178  mussten  Atolier,  Epiroten,  Böotier, 
Akamanen,  Athener  und  Achäer  ihre  Verbannten  zurückrufen,  damit  Rom 
an  ihoen  eine  Partei  gewinne.  Jetzt  wurden  5K0  angesehene  (Prin- 
cipes)  Atelier  getödtet  *),  die  Städte  Aginium,  Agassa,  Aenion  der 
Verniebtung  preisgegeben.  Alle  angeseheneuMänner  und  wer  immer  dem 
Koiu'gePerseus  nahe  gestanden,  Aei  dem  Heere  oder  sonst  ein  höheres 
Amt  begleitet  *)'  mussten  sammt  den  über  15  Jahre  alten  Söhnen  Mace- 
donien  yerlassen  und  nach  Italien  wandern.  Die  politische  Reinigung 
des  achäischen  Bundes  folgte  nach.  Hatte  Philopomen  sieh  als  Strateg 
auf  das  demokratische  Element  gestützt,  so  wurde  dieses  nun  von 
Kallikrates  als  das  den  Romern  feindlichste,  unversöhnlichste  Element 
dargestellt  Es  war  das  wirksamste  Mittel  die  Achäer  zu  schwächen 
Qod  zu  schrecken,  als  ein  Tausend  yon  ihnen  nach  Italien  gerufen 
worden.  Alba,  Spoletium,  die  etrurischen  Städte»  Carseoli,  Igiturnium 
wandelten  sich  in  Gefangnisse  für  Kriegsgefangene  und  griechische 
Patrioten  um.  Die  Kerker  Roms  eröffneten  ihre  unheilvollen  Zwinger, 
welche  nur  Leichen  wiedergaben.  Italien  ward  das  Gelangniss  des 
freien  Griechenlands;  der  Triumph  über  die  Welt  Alexanders  des 
Grossen  war  vollständig.  Von  allen  Seiten  kameu  die  Gesandten  von 
Königen  und  Völkern  nach  Rom  Glück  zu  wünschen,  abzubitten,  Ver- 
zeihung zu  erflehen.  Man  sah  die  rhodischen  Gesandten  mit  Ölzweigen 
iü  den  Händen  in  der  Curie  auf  dem  Boden  liegen  und  um  Gnade 
bitten.  Es  wurde  dem  Konige  von  Pergamos  nicht  gestattet,  nach 
Rom  zu  kommen.  Prusias,   welcher  sich  einen  Freigelassenen  des 
rümischen    Volkes    nannte    und   die    Tracht    derselben    begehrte, 
durfte  nach  Rom  kommen.  Er  warf  sich  an  dem  Eingange  der  Curie 
bin,  küsste  die  Schwelle,  nannte  die  Romer  seine  rettenden  Götter^). 
Es  durfte   bei   dem   blutigen   Drama  auch  der  Possenreisser  nicht 
fehlen. 


h  Natura  inimica  inter  ae  esae  liberam  civitatem  et  regem.  Lir.  XLIV,  24. 
^  Lir.  XLV.  c.  2S.  —  alios  ia  euiliam  actoa  eise. 

')  Oanea  qoi  in  aliqaibos  ministeriis  regiis,  etiam  qui  in  minimis  legationibua  fuerant, 
naai  ia  Italiam  —  ire;  qai  non  paruisaet  imperio»  mora  denuaciat«.  Liv.  XLV.  c.  32. 
^)  Deoa  aerratorea  auoa. 


280  Höfler 

Ein  ganz  unsäglicher  Jammer  war  über  Griechenland  gekom- 
men. Römischen  Berichten  nach  machte  Macedonien  eine  Ausnahme,  da 
es  so  Tortreifliche  Gesetze  erhalten,  dass  es  schien,  man  hahe  sie 
nicht  besiegten  Feinden,  sondern  wohlverdienten   Bundesgenossen 
gegeben  i).  Aber  den  Jammer  derjenigen,  welche  von  Vätern  und 
Geschwistern,  von  Weib  und  Kind  getrennt  worden  waren,  die  zahl- 
losen Seufzer  der  in  dem  entsetzlichen  Dunkel  romischer  Gefangnisse 
Schmachtenden  hat  freilich  Niemand   aufgezeichnet.   Systematisch 
wurde  die  Verarmung  von  Rhodos  Airch  die  Römer  betrieben,  die 
Dolos  zum  Freihafen   machten.    Die  Athener  plünderten   aus   Ver- 
zweiflung Oropus  und  mussten  dafür  500  Talente  bezahlen,  so  viel  als 
die  Atelier,  weil  sie  den  Antiochos  nach  Europa  beriefen.  Bereits 
war  alles  erlaubt,  was  die  Gewalt  gestattete.  Man  erkannte  der  Stadt 
Cauca  in  Spanien  Gnade  zu  und  zerstörte  sie  sodann.  Die  Lusitanier 
behandelten  Sulpicius  Galba  in  ähnlicher  Weise.  Mit  äusserster  Con- 
Sequenz  steuerte  die  echtromische  Partei  dahin,  jeden  Widerstand  un- 
möglich zu  machen;  es  gab  nur  mehr  Siegende  und  Besiegte,  und  das 
eiserne  Zeitalter  hatte  seinen  rechten  Ausdruck  gefunden.  Mehr  und 
mehr  gestaltete  sich  die  übrige  Welt  zum  grossen  römischen  Sclaven- 
zwinger. 

Und  dennoch,  wer  kann  es  sagen,  ob  nicht  der  letzte  tollste 
Kampf  der  Achäer  mit  Rom  schon  früher  ausgebrochen  wäre,  wenn 
Milde  Yorgeherrscht  und  nicht  erst  nach  16  Jahren  der  traurigsten 
Verbannung  den  noch  übrigen  exilirten  Achäern  —  700  waren  in  Italien 
dem  Kummer  und  Elende  erlegen  —  die  Rückkehr  gestattet  worden 
wäre.  Bald  gestaltete  sich  alles  so,  als  sollte  die  Strenge  der  Romer 
durch  das  Benehmen  der  Achäer  gerechtfertigt  werden. 

Nur  völlige  Passivität,  ein  sich  Fügen  in  das  Unvermeidliche, 
konnte  sie  noch  retten.  Gerade  das  Gegentheil  geschah,  als  der 
Leidensgefährte  des  Polybios,  Diäos  nach  seiner  Rückkehr  Strateg 
wurde;  der  Kampf  zwischen  dem  achäischen  Bunde,  zu  welchem  da- 
mals noch  Korinth,  Sparta,  Argos,  Herakleia  am  öta  und  Orchomenos 
gehörten,  und  den  Spartanern  brach  aus.  Als  Sparta  auf  dem  Punkt 
stand  der  Übermacht  zu  erliegen,  nahm  der  Senat  die  Angelegenheit 
in  seine  Hand  und  verfügte  die  Auflösung  des  Bundes  ausserhalb 


«)  Lir.  XLV,  c.  32. 


Unters,  d.  Frage,  ob  Griechen!,  m.  d.  Zerstör«  Korinths  rdm.  Prov.  geword.     281 

Aehajasi),  darüber  der  wilde  Ausbruch  tobender  Leidenschaft,  die  Er- 
mordung der  Spartaner  in  Korinth»  die  Rüstung  zum  Kriege  und  die 
Misshandlong  römischer  Gesandten,  welche  in  Korinth  zum  Frieden 
redeten,  der  Ausbruch  des  Kampfes  gegen  Rom,  an  dem  sich  in 
fiehliminer  Stunde  Chaicis   und  Theben   betheiligten,   die  cruenta 
Aehaeorum  seditio  *).  Auch  war  die  Zeit  selbst  nicht  (ibel  gewählt,  da 
Rom  im  Kriege  mit  Karthago  wie  mit  dem  Pseudophilippus  begriffen, 
ein  Heer  unter  dem  Prätor  P.  Juventius  verloren  hatte ,  das  letzte 
Aofathmen  freier  Volker  erfolgreich  zu  sein  schien.  Allein  Karthago 
ward  erobert  und  zerstört,  der  Pseudophilippus  geschlagen  und  ge- 
gangen, die  Thermopylen  von  dem  Sieger  Q.  Cftcilius  Metellus  erstürmt, 
die  griechischen  Heeresabtheilungen  bei  Skarphia,  bei  Chaeroneia  ge- 
irorfeo,  an  den  Isthmus  gedrängt,  wo  sie  Mummius  erreichte  und  die 
ober  einen  kleinen  Vortheil  Siegestrunkenen  schlug,   den  Aufstand 
durch  Capitulation  der  Besiegten  beendete,  das  Strafgericht  ver- 
hängte. 

§.  3. 

Wodurch    sich    das  Verfahren    der  Romer  gegen    die 
Aebäer    von    dem    gegen    andere   Völker  unterschied. 

Die  Antwort  auf  diese  Frage  besteht  im  Allgemeinen  darin,  in 
dem,  wodurch  sich  das  Benehmen  der  Achäer  gegen  die  Romer  von 
dem  anderer  Volker  unterschieden  hatte. 

Die  Romer  hatten,  als  die  Spartaner  sich  ihnen  ergeben  hatten, 
sie  nicht  vom  achäischen  Bunde  getrennt;  als  der  Streit  mit  den 
Spartanern  bis  zum  äussersten  Punkte  gekommen,  sich  begnügt, 
den  achäischen  Bund  auf  «ich  selbst  zu  beschränken,  nur  das 
Bondesverhältniss,  nicht  aber  die  Freiheit  der  einzelnen  Städte  ange- 
tastet. Es  war  somit  ihr  Ausgangspunkt  eine  RectiBcirung  ihres 
Verfahrens  unter  T.  Quintius  Flamininus,  hart  für  diejenigen,  welche 
eicentrische  Ansichten  in  die  Zukunft  des  achäischen  Bundes  setzten. 


')  Lcg«ti-misti  ut  eaa  dritate«  quae  sob  ditione  PhiUppi  fuerant  ab  Acbaico  con- 
cilio  seceniereBtiir.  Liv.  epit.  LI.  Was  die  Römer,  welche  den  Anlaaa  zum  bewalT- 
■cto«  EiBaebreUen  jetzt  avchten,  thaten,  war  nor  die  Annahme  dea  Gnradsatzea  des 
aBteOu^iMbeii  Friedens  nnd  seine  Übertragung  auf  den  tichfiiachen  Bond.  Ezpedlre 
oaaibma  dieuat  ut  singulae  ciTitatea  sna  jura  et  auaslegeahabeant.  Just.  XXXI V.c.  1. 

^)  inet.  ZXXIV.  c.  1. 


282  Höfler 

sehr  unangenehm  fQr  Diäos  und  seine  Freunde,  welche  für  die  lange 
Verbannung  auf  Rache  gebrütet  hatten. 

Da  erfolgte  die  Verhöhnung  ^  der  romischen  Gesandten,  ein 
Schimpf,  welcher  der  MajestSt  des  römischen  Volkes  zu  einer  Zeit 
angethan  war,  als  der  Legat  Cajus  Popillius  den  syrischen  König 
zwang,  ehe  er  aus  dem  im  Sande  gezogenen  Kreüie  heraustrat,  in 
die  Forderungen  Roms  einzuwilligen.  Dieses  Vorgehen,  ein  Bruch 
des  Völkerrechtes,  stellte  die  Korinthier  Ton  selbst  ausserhalb  des 
gewöhnlichen  Verfahrens,  und  gab  dem  Senate,  abgesehen  von  seiner 
sonstigen  Politik  in  Betreff  Korinths  den  rechtlichen  Anlass,  nicht  nur 
den  Befehl  zur  Zerstörung  der  Stadt,  sondern  auch  zum  Verkaufe 
der  Einwohner  auszusprechen.  Der  Act  in  Bezug  auf  Korinth  steht 
also  ausserhalb  des  ge wohnlichen  Verfahrens,  wie  das  Benehmen  der 
Korinthier  gegen  den  romischen  Gesandten  ausserhalb  des  Volker- 
rechtes gestanden  war. 

Anders  war  wieder  das  Verhalten  der  Thebaner  (Boötier)  und 
Chalkidenser.  Es  scheint  die  Absicht  des  macedonischen  Prätenden- 
ten gewesen  zu  sein,  sich  durch  Thessalien  mit  den  Nordgriechen 
in  Verbindung  zu  setzen.  Die  Treue  der  Boötier  hatte  schon  in 
den  Tagen  der  Perseus  stark  gewankt  *).  Der  Untergang  des  Prator 
Juventius  mag  ihnen  vollständig  die  Köpfe  verruckt  haben.  Ihr  Be- 
nehmen erschien  den  Römern  als  Treu-  und  Friedensbruch,  und 
war  bei  Gelegenheit  des  perseischen  Krieges  schwere  Ahndung  über 
Einzelne  gekommen,  so  musste  mau  jetzt  sich  auf  noch  Schlimmeres 
gefasst  machen.  Das  Schicksal  der  Epiroten  war  ein  deutlicher  Wink, 
was  von  den  Römern  zu  erwarten  war. 

Die  Zuruckwerfung  des  Pseudopbilippus  aus  Tliessalien  nach 
Macedonien  durch  Metellus  brachte  Uneinigkeit  in  die  Gemüther  der 
Griechen.  Die  Herakleioten  hatten  schon  einmal  erfahren,  was  römi- 
sche Waffen  vermochten.  Dass  sie  gehorchten,  sich  von  den  AchSeru 
lossagten,  öffnete  den  Römern  die  Thore  von  Griechenland.  Aber 
auch  unter  den  übrigen  Hellenen  war  durch  die  Wendung  des  Krieges 


^)  Legatos  qooque  RomaBoniin  violaMent  nui  audito  tttrovltn  tr«pi Je  fugisaenl .  1.  c. 

2)  Der  Thebaner  Neo,  einer  ron  des  dreien,  welche  den  Peneo»  anf  der  Flneht  you 
Pydna  naeb  Pella  begleitet,  Liv.  XL1V.  c.  43.,  war  alt  Urheber  dea  bo5U»chea 
Bündniaaea  mit  Peraeua  enthauptet,  die  Beftünatiger  deaaelhen  nach  Rom  snr  Recht- 
fertigung geachickt  worden.  Lir.  XLV.  c.  31. 


DnUrs.  d.  Fnge,  ob  Griechenl.  m. d  Zerstör.  Koriuths  r5m.  Fror,  geword.     283 

IQ  Uaeedonien  Spaltung  eingetreten  und  das  Vordringen  des  Metellus 
in  Griechenland  brachte  dann  von  selbst  mit  sich,  dass,  als  Kritolaos 
geschlagen  war  und  nicht  mehr  zum  Vorschein  kam,   der  Aufstand 
sich  umDiSos  und  amkthmus  concentrirte,  ehe  der  neue  Consul  —  dem 
fibrigens  nicht  Macedonien  sondern  der  achaische  Krieg  zugewiesen 
worden  war  1}  —  L.  Mummius  denselben  mit  einem  Schlage  beendete» 
Griechenland»  d.  h.  diejenigen,  welche  wirklich  die  Waffen  ergriffen» 
uotervarf.   Angst  und  Verzweiflung  waren   an  die  Stelle  der  fru- 
beren  Zuversicht  getreten»  die  Berge  des    Peloponneses  wimmel- 
ten von  FlQchtlingeu»  Theben  war  verlassen  wie  Korintb,  die  Seestädte 
fürchteten   Landungen  römischer  Truppen»    Plünderung   mit  allen 
Gräoeln  im  Gefolge.  Der  Verlust  der  politischen  Freiheit,  so  hart  sie 
war,  war  das  Mindeste,  das  man  besorgte;  ein  grosses  Blutbad  und 
SklaTerei  standen  in  Aussicht.  Diäos  wusste,  wesshalb  er  —  auf  dem 
Istbmus  geschlagen  —  sich  und  die  Seinen  in  Megalopolis  t5dtete.  Wie 
in  Grossgriechenland  und  Sicilien   drohte  der  romische  Stock  dem 
griechischen  Rucken,  das  romische  Beil  dem  griechischen  Nacken. 
Die  Schuld  war  verschieden,  die  Strafe  natürlich  auch.   Aber 
nicht  an  dem  Proconsul  war  es,  wenn  er  nicht  im  Voraus  den  Be- 
fehl des  Senates  erhalten  hatte,  Korinth  zu  zerstören   und  die  Ein- 
wohner zu  verkaufen,  definitiv  Ober  das  jGeschick  der  Stftdte  zu  ent- 
scheiden» die  die  Waffen  gegen  Rom  ergi'iffen  hatten.  Nach  romischem 
Branche  wurden  unter  derartigen  Verhältnissen  Gesandte  abgeordnet» 
die  Angelegenheiten  auf  das  Genaueste  zu  untersuchen  und  ihre  Sen- 
teoz  auszusprechen,  worauf  der  Consul  sie  in  Übereinstimmung  mit 
Senat  und  Legaten  verkündete  und  vollstreckte.  Was  die  nothweu- 
digen  militärischen  Massregein»  Entwaffnung  der  Einwohner,  Nieder- 
reissnng  der  Mapern,  Brandschatzung  einzelner  Städte,  Wegfuhrung 
ood  Hinrichtung  der  Urheber  des  Krieges  betraf,  so  stand  diess,  wie 
natOrlicb,  ganz  in  der  Willkur  des  Siegers.  Er  hatte  dafür  zu  sorgen» 
dass,.der  Aufstand**  niedergeschlagen  werde,  dass  er  sich  nicht, 
wieder  erneuere.  Was  dann  im  Grossen  und  Ganzen  zu  geschehen 
babe,  würde  nach  weiterer  Berathung  festgestellt.    Nun  inuss  be- 
meritt  werden»  dass  selbst  nach  Besiegung  der  Atelier  das  Land  nicht 
in  eine  romische  Provinz  umgewandelt  worden  war»  obwohl  diese  — 


^)  ScfwloB  MamiDio  coosnli  bellam  Ackaicum  decernit.  Jnatio. 


284  Höfler 

mit  Ausnahme  der  Korinthier  —  sich  ganz  andere  Dinge  hatten  zu 
Schulden  kommen  lassen  als  die  Achäer;  dass,  als  Hacedonien  <)  nach 
dem  Sturze  des  Konigthums  eingerichtet  worden  war,  ausdrucklich 
der  Grundsatz   galt,   man  mQsse  eine  der  wichtigsten  romischen 
Einrichtungen,  das  Pachtsystem  und  die  Publicanen,  ferne  halten  >), 
damit   nicht   das  öfTentliche  Recht   der   Bundesgenossen  ver- 
nichtet werde;  man  hielt  es  der  Würde  des  romischen  Staates  ange- 
messen, an  den  einmal  ausgesprochenen  Bestimmungen  festzuhalten, 
auch  wenn  man  sich  denselben  widersetzte  und  es  war  ja  auch  den 
Achaern  frühzeitig  der  Rath  gegeben  worden,  freiwillig  das  zu  thun, 
was  man  von  ihnen  verlangte,  damit  sie  nicht  zuletzt  gezwungen  es 
doch  thun  mussten.  Es  war  ferner  Rom  nur  mit  einem  Theile  Grie- 
chenlands in  Streit  gerathen  *),  so  dass  gar  kein  Grund  vorhanden 
war,  Griechenland  zur  Provinz  zu  machen ;  was  aber  den  besiegten 
Theil  betraf,  so  war  wieder  kein  Grund  vorhanden  es  zu  thun,  da 
die  eigentlich  Schuldigen  eine  ganz  andere  Bestrafung  verdienten, 
die  übrigen  aber  hinlänglich  bestraft  waren,  wenn  die  Auflosung  des 
achfiischen  Bundes  nach  Aussen  erfolgte,  nach  Innen  aber  jene  Ver- 
fassung eingeführt  wurde,  welche  die  Menge  in  Zaum  hielt  und  eine 
politische  Action  nur  mehr  im  Sinne  der  Romer  zuliess.  So  geschah 
es  denn  auch.  Wie  einst  bei  den  Isthmischen  Spielen  die  Freiheit  der 
Griechen  von  Flamininus  verkündigt  wurde,  verkündigte  jetzt  Mummius 
den  Achaern  die  Freiheit  im  Allgemeinen,  die  Einführung  einer 
gleichmassigen  aristokratischen  Verfassung,  dann  Hess  er  sogleich  die 
Korinthier,  welche  der  Wohlthat  unwürdig  erklärt  wurden,  ergreifen, 
die  Stadt  rein  ausplündern,  wie  es  Ämilius  Paullus  mit  denn  Schatze 
der  macedonischeh  Konige,  Fulvius   mit  Ambrackia  gemacht   hatte, 
sie  anzünden  und  zerstören,  die  Einwohner  als  Sciaven  verkaufen«); 
Chalkis  und  Theben  traf  ein  fthnliches  Loos.  Die  übrigen    blieben 
was  sie  früher  waren.  Freunde  und  Bundesgenossen  des  romischen 


^)  Die  «pitom«  libri  XLV  sagptSbrigens:  IffacedonU in  provinciae fonnain redaeU est. 
3)  UbI  pttbIi«*enoa  est,  Ibi  tut  jus  pttMicuin  vaium  «vt  libertatem  sociis  nuMan  ese«.  LIt. 

XLV.  c.  10. 
*)  Floros,  Justin,  bezeichnen  ganz  richtig  den  Kampf  nicht  als  beUum  gmecum,  aon- 

dern  Achaicnm* 
^)  Populus  omnis  sab  corona  renditur  nt  hoc  exemplo  ceteris  civltatibos  netna  nora' 

rum  renim  imponeretitr.  Justin. 


Uotera.  d.  Frage,  ob  Griechenl.  m.  d.  Zerstör.  Korinths  rAm.  Fror,  geword.    285 

Volkes,  vereinselt,  entwaffnet,  gedemötbigt ,  gebrochen,  Griechen- 
had seines  einen  Auges,  Korinths  beraubt;  der  achSische  Bund  war 
auf  seine  ursprunglichen  Bestandtheile  reducirt.  Griechenland  be- 
stand aus  einem  Conglomerate'  sich  selbst  verwaltender  kleiner 
Staaten,  deren  Blicke  fortwährend  nur  auf  Rom  und  seine  Wünsche 
gerichtet  sein  mussten. 

§•   4. 

Die  Nachrichten   der  Quellenschriftsteller. 

Hören  wir  zuerst  die  romischen  Historiker. 

1.  T.  LiTÜ  epit.  LI.  und  LH. 

Belli  Achaici  semina  referuntur  haec,  quod  legati  populi  Romani 
ab  Achaicis  pulsati  sint  Corinthi,  missi  ut  eas  civitates  quae  sub 
ditione  Pbilippi  fuerant,  ab  Achaico  concilio  secernerent. 

Cum  Achaeis  qui  in  auxilio  Boötos  et  Chalcidenses  habebant, 
Q.  Caecilius  Metellus  ad  Thermopylas  hello  conflixit,  —  Diaeus  —  ad 
Isthmum  a  L.  Mummio  consule  Tictusest  qui  omniAchaja  in  deditionem 
aceepta  Corinthum  ex  senatus  consulto  diruit,  quia  ibi  legati  Romani 
Tiolati  erant  Thebae  quoque  et  Chalcis  quae  auxilio  fuerant  dirutae. 
—  Hummios  de  Achaeis  triumphavit. 

Hier  ist  nun  zuerst  aufiällig,  dass  Lirius  nichts  davon  erwähnt, 
dass  Achaja  oder  Griechenland  römische  Provinz  geworden  sei.  Allein 
dieses  Stillschweigen  beweist  nichts,  weil  in  den  Summarien  auch 
TOQ  anderen  Ländern,  die  notorisch  Provinzen  wurden,  wie 
Asien  u.  a.,  diese  Umwandlung  nicht  angegeben  ist.  Was  aber 
von  Wichtigkeit  für  die  erwähnte  Frage  ist,  besteht  in  der  Thatsache, 
dass  der  Krieg  der  Römer  nicht  statt  fand  mit  Griechenland,  sondern 
mit  den  Achäern,  mit  Theben  und  Chalkis.  Somit  ist  auch  klar,  dass 
Griechenland  schon  deshalb  nicht  römische  Provinz  werden  konnte, 
weil  dasselbe  nicht  in  Krieg  mit  Rom  verwickelt  war.  Wohl  aber 
ergab  sich  nach  der  Einnahme  von  Korinth  ganz  Achaja  und  wurden 
3  Städte  nach  Livius  zerstört.  Welches  Schicksal  sonst  Griechen- 
land erfuhr,  erfahrt  man  aus  Livius  erst  wieder  bei  Gelegenheit  des 
mithridatischen  Krieges. 

2.  Velieji  Paterculi  bist. 

L  c  12.  Universa  deinde-instructa  in  bellum  Achaja  e.  13.  L. 
Xammius  Corinthum  funditus  eruit. 


286  Hsrier 

Aus*  diesem  Berichte  lasst  sich  nur  folgern,  dass  er  auch  nichts 
von  einer  Provinz  Achaja  erwähnt,  wohl  aber  von  einem  Kriege  mit 
Achaja. 

3.  Lucius  Jul.  Florus  (epitome  rerum  romanarum)  hat  dem  bellum 
Achaicum  ein  ganzes  Capitel  geliefert,  das  sich  aber  fast  nur  mit  der 
Zerstörung  von  Korinth  beschäftigt  und  fGr  unsere  Frage  gar  keine 
Bedeutung  hat. 

4.  Seneca  de  beneficio  V  16. 

Achaeis  Rhodiis  et  plerisque  urbibus  claris  jus  integrum  liberta* 
temque  cum  immunitate  reddidisse;  —  ein  schweres  vollgültiges 
Zeugniss  gegen  die  Anschauung,  dass  Griechenland  146  Provinz  ge- 
worden sei. 

5.  SextusAurelius  Victordeviris  illustribus  c.  60  erwähnt  gleich- 
falls in  seiner  kurzen  Lebensbeschreibung  des  L.  Mummius  nichts  als 
«einen  Sieg  über  die  Ach[ier  und  die  Zerstörung  Korinths,  sowie  die 
Enthaltsamkeit  des  Consuls. 

6.  Pompejus  Trogus  (Justinus)  erwähnt  zuerst  des  Schicksales 
von  Macedonien,  und  dass  es  noch  jetzt  unter  den  Gesetzen  lebe,  die 
Aemilius  Paulus  gegeben  (Lib.  XXXIII  c.  2.)  «),  dann  wird  im  XXXIV. 
Buche  das  Schicksal  Achajas  erzählt.  Das  beschränkt  der  Verfasser 
c.  2  auf  das  Schicksal  von  Korinth,  die  Zerstörung  der  Stadt,  den 
Verkauf  der  Einwohner.  Es  handelt  sich  bei  ihm  um  die  Nieder- 
werfung eines  Aufstandes,  den  eigentlich  Rom  angezettelt. 

7.  Rufi  breviarium  VIL 

Libera  diu  sub  amicitiis  nostris  Achaja  fuit,  ad  extremum  —  per 
L.  Mummium  procons.  capta  Corintho  omnis  obtenta  est. 

Diese  Stelle  eines  späten  Schriftstellers  beweist  weder  für  noch 
wider,  indem  ob  Achaja  Provinz  geworden  ist  oder  nicht,  es  jeden- 
falls von  den  Romern  in  Bezitz  genommen  wurde,  das  omnis  Achaja 
obtenta  *)  sagt  also  nicht  mehr  noch  weniger  als  das  possessa  Achaja 
Asiaque  des  Tacitus  ann.  XIV.  21 ,  wo  man,  was  Asien  betriflPt,  sich  an  die 
Stelle  des  Livius  epit.  LIX  erinnern  mag:  Aristonicus-Asiam  occupavit 
cum  —  legata  populo  Romano  libera  esse  deberet. 


*)  Libera  fiicU  «st  egeaqa«  quibiis  adhuc  atitur  •  Paulo  accepit. 

*)  Das«  dieser  Ausdraek  nicht  heisst  Prorinx  xu  werdeo,   hat  Hermann   hinlin^ch 
bewiesen.  Defensio  p.  17. 


Datan.  d.  Frage,  ob  GriecheDl.  m.  d.  Zerstör.  Korinths  röm.  Pror.  geword.     28 T 

8.  Endlich  gehört  hieher  die  Inschrift  Ober  den  Triumph  des 
Proeonsal  L.  Mommius 

L.  MVMMI.  L.  F.  COS.  DVCTI.  AVSPICIO. 
'     IMPERIOQVE.  EIVS.  AXAIA.  CAPT.  CO. 
RINTO.  DELETO.  ROMAM.  REDIEIT. 
TRIVMPHANS. 

Wenn  man  auch  ober  das  consequente  StillschweigeD  der  obener- 
wähnten Schriftsteller,  welche  über  den  Gegenstand  ex  officio  be- 
richteten and,  wenn  Grreehenland  zur  Provinz  gemacht  worden  war, 
es  sagen  moasten,  hinweggehen  wollte,  weil  in  der  That  aus  dem 
StHlsebweigen  von  Schriftstellern  nur  bei  Vorbedacht  Schlösse  ge- 
zogen werden  dürfen,  so  möchte  ich  denn  doch  glauben,  dass,  wenn 
Griechenland  durch  Mummius  wirklich  Provinz  geworden  wäre,  sich 
auch  kein  vernunftiger  Grund  denken  Hesse,  warum  Mummius  in  einer 
Inschrift,  die  seine  Bewältigung  Achaja*s  öffentlich  aussprach,  damit 
hatte  hinter  dem  Berge  halten  sollen.  Umgekehrt  kann  man  gewiss 
sein,  dass,  wenn  Mummius  in  der  Dedicationsinschrift  hätte  sagen 
lönoen,  er  habe  Achaja  zur  Provinz  gemacht,  die  romischen  Schrift- 
steller, welche  darüber  berichteten,  es  gleichfalls  in  ihre  «Darstellung 
aufgenommen  haben  wurden. 

Hier  ist  also  der  Schluss  ex  silentio  auf  das  Nichtvorhandensein 
des  Ereignisses  ein  vollständig  gegründeter  <).  Mummius  hat  eben 
nur  den  Befehl  des  Senates  vollzogen,  die  Achäer  und  ihre  Verbün- 
deten niedergeworfen,  Korinth  zerstört,  den  achäischen  Krieg  be- 
endigt. 

Gehen  wir  nun  von  den  Lateinern  zu  den  griechischen  Ge- 
schiehtschreibern  über,  so  treten  vor  Allem  die  Angaben  des  Polybios 
lib.  XL  massgebend  hervor. 

Die  Darstellung  des  Polybios  unterscheidet  zuerst  die  eigent- 
liehe  Katastrophe  nach  der  Niederlage  des  Diäos  und  das  erste 
Strafgericht,  welches  Korinth,  Theben  und  Chalkis  betraf,  iron  dem, 
was  naehher  für  Einrichtungen  getroffen  wurden,  als  in  ähnlicher 
Weise  wie  die  Romer  nach  Besiegung  des  Perseus  zehn  Legaten  nach 


0  Als  mut  Befehl  des  Cons.  Tiberia«  Gnicehas  ein«  luchrifl  fiber  die  Uoterwerfang 
Sardiniens  geseUi  wurde  (tabalam  donum  Jovi  dedit),  so  hiess  es  tuerat :  Sardiniam 
fabelt,  dann  in  eaproTincia  ec.  Hier  konnte  aucb  ron  einer  Provinz  die  Rede 
:  Vcrgl.  aaofa :  Prima  proTineiarum  Sidlia  facta  est.  Rufi  Feiti  breyiarinm  c.  8. 


288  H  d  f  1  e  r. 

Macedonien  sandten,  (quorum  de  sententia  imperatores  L.  Paul- 
lus,  L.  Anicius  —  letzterer  für  ülyrien,  wohin  fünf  Legaten  geschickt 
worden  waren  —  coroponerent  res  Liv.  XLV  c.  17)  nun  auch  zehn  Le- 
gaten nach  Achaja  kamen.  Wie  es  von  Paullus  heisst:  quae  senahii 
quae  sibi  ex  consilii  sententia  visa  sunt  pronuntiavit,  Liv.  XL  29»  so 
wurde  denn  wohl  auch  hier  in  ähnlicher  Weise  verfahren.  Es  war 
gar  nicht  gegen  die  Art  und  Weise  der  Römer,  wenn  sie  anfSnglich 
die  (jvveipia  (conventus)  aufhoben,  die  früheren  Staaten  isolirten, 
apx^?  ^^^  rcfA>9jxara)v  einführten.  Das  Alles  hatte  Flamininus  Dach 
Freigebung  der  Thessaler  eingeführt  (T.  Quintius  a  censu  maxime 
senatum  et  judices  legit  potentioremque  eam  partem  civitatuni  fecit, 
cuisalvatranquillaque  omnia  magis  esse  impendebat.)Liv.XXXlV, 
c.  Sl,  ebenso  Paullus,  als  er  verkündete,  dass  alle  Hacedonier  frei  sein 
sollten.  Liv.  XLV.  c.  29. 

Wenn  dann  ferner  Polybios  von  den  zehn  Gesandten  beauftragt 
wurde  die  Städte  (Achaja*s)  zu  bereisen  und  die  Streitigkeiten  zu 
entscheiden,  bis  sich  die  Hellenen  an  die  neue  Verfassung,  welche 
er  ausdrücklich  als  eine  gegebene  dedo/xivv?  nohriia  bezeichnete, 
gewöhnt  hätten,  so  steht  dieses  ganz  im  Einklänge  mit  den  Ansichten, 
welche  die  Römer  vom  Charakter  der  Hellenen  gewonnen  hatten; 
inquieto  ingenio  gentis  nee  comitia  nee  conventum  nee  concilium 
ullum,  non  per  seditionem  ac  tumultum  jam  inde  a  principio  ad 
nostram  usque  aetatem  traducentes.  Liv.  XXXIV.  81,  und  nur  Valesius 
hat  sich  geiri*t  und  Andere  in  seinen  Irrthum  verwickelt,  als  er  das 
juie^e  TÖ  (pjvriSsiav  iyj^di  ttJ  jzohreia  xod  rolg  vöfxot^  übersetzte: 
donec  constitutioni  provincta^  legibusque  datis  adsuevissent. 

Es  ist  seitdem  viel  auf  diese  Provinz  Achaja  gesündigt  wor- 
den,  fast  soviel  wie  auf  den  angeblichen  Untergang  des  weströmischen 
Reiches  im  J.  476. 

Die  Darstellung  des  Polybios  bietet  somit  weder  einen-  Anhalts- 
punkt für  die  Meinung,  dass  Griechenland  im  Jahre  146  rön^ische 
Provinz  geworden  sei,  noch  für  die  Hypothese,  dass  es  als  Provinz 
dem  Proconsul  von  Macedonien  untergestellt  war.  Dass  vollends 
Polybios  von  Römern  verwendet  worden  wäre,  Achaja  zur  romischen 
Provinz  umzuwandeln,  wäre  zu  absurd;  als  dass  diess  im  Ernste  auf- 
gestellt werden  könnte.  Wenn  spater  Plutarch  in  der  bekannten 


Unters,  d.  Frage,  ob  Griechanl.  m.  d.  Zerstör.  Korinths  rdm.  Prov.  geword.    2o9 

Stelle  bei  Cimon  %  sagt  t),  es  seien  bis  Lucuilus  Zeit  keine  Propra- 
toren  (jjrpa'ni'^oi)  nacb  Griecbenland  geschickt  worden,  so  ist  diese 
ganz  richtige  Stelle  in  voller  Übereinstimmung  mit  den  Angaben  des 
Polybios. 

Aber  auch  Strabon*)  stimmt  damit  überein,  indem  er  aus- 
eioandersetzt»  dass  die  Römer  nach  der  Zerstörung  von  Korinth  nicht 
in  einerlei  Weise  mit  den  Hellenen  yerfuhren;  es  bezieht  sich 
dieses  nicht  auf  die  gleiche  politische  Einrichtung,  sondern  Strabon 
erläutert  selbst,  dass  sie  die  Einen  zu  erhalten,  die  Andern  zu  ver. 
nichten  beabsichtigten.  Nur  in  soferne  war  eine  Gleichheit,  dass  die 
Mauern  der  Städte,  welche  den  Römern  den  Krieg  erklärt  hatten, 
niedergerissen,  die  Waffen  ausgeliefert,  die  Bündnisse  aufgelöst,  die 
Städte  auch  social  isoiirt,  endlich  alle  frei  erklärt  wurden. 

Diodoros  hat  in  den  Fragmenten  (Buch  XXXII,  26)  nur  eine 
pathetische  Erörterung  der  Ursachen  des  achaischeii  Krieges,  näm- 
lich dass  Kritolaos  wohl  die  Römer  zu  Freunden,  aber  nicht  zu  Herren 
haben  wollte,  so  wie  dass  die  Achaer  die  bisherigen  Leiden  ab- 
schütteln wollten,  durch  die  Zerstörung  Korinths  aber  noch  Schlim- 
meres ämdeten. 

Von  grössterWichtigkeit  sind  die  Berichte  des  späteren?  a  u  s  a  n  i  a  s. 
Ihm  zufolge  haben  die  griechischen  (achäischen)  Städte  sich 
bei  den  Römern  den  Polybios  erbeten,  dass  er  ihnen  ihre  Yerfassun* 
gen  und  Gesetze  gebe  —  eine  Darstellung,  welche  nicht  blos  höchst 
iiowahrscheinlich  ist^  sondern  auch  dem  Polybios  widerspricht,  der 
aus  der  sichersten  Quelle  meldete,  dass  die  Legaten  ihm  den  oben 
erwähnten  Auftrag  gegeben  hatten. 

Pausanias  fuhrt  weiter  an,  dass  bis  auf  seinerzeit  ein  Präfect, 
jedoch  nicht  von  Griechenland,  sondern  von  Achaja  abgesendet 
wurde»  weil  die  Hellenen,  an  deren  Spitze  damals  die  Achäer  ge- 
standen, durch  Besiegung  der  letzteren  den  Römern  unterworfen 
wurden,  was  in  mehr  als  einer  Beziehung  falsch  ist,  denn  die  Reihen- 
folge der  Prafecten  Ton  Achaja,  die  bis  Pausanias  Zeit  reichte,  (k^ 
iyii)  rührt  nicht  von  146  vor  Chr.,  sondern  von  Vespasian  her,  der 
das  durch  Nero  aus  dem  Provinzialverbande  genommene  Achaja  wieder 


«)  VIII.  7,  3.  Vergl.  damit  Herni«on  defensto  p.9.n.2S.  —  oi  'Ax«'o^-^"^^^^*^*"^' 
9X170»,  ^»3  •PwfWtiwv  ixovztüv  T^v  "EXXada  aufjijraffttv  xal  ou  röv  aOrdv  rpofföv 
ixiffTOii  ^»ft^vciw,  oXXa  xobg  fß^  auvrf^wv.  roug  d<  xoraXuciv  ßouXofxivwv. 

Sitxb.  d.  phiL-hut.  Ol.  LXV.  Bd.  II.  Hfl.  *ii 


290  H  ö  f 1 e  r 

zur  Provinz  machte.  Was  aber  ganz  richtig  ist,  ist  der  Bericht  des- 
selben Schriftstellers,  dass  die  Römer  nicht  viele  Jahre  nach  der 
Katastrophe  von  Korinth  mit  den  Achäern  Mitleid  hatten,  die  alten 
Versammlungen,  welche  sie  den  Achäern,  Phokäern,  Boötiern  und 
sonst  noch  verboten  hatten,  wieder  erlaubten,  sowie  den  Besitz  von 
Lfindereien  ausserhalb  der  einzelnen  StSdte  und  diesen  die  von 
Mummius  auferlegten  Geldstrafen  erliess^n. 

Er  verhehlt  aber  nicht,  dass  Griechenland  seit  der  Katastrophe 
in  den  Zustand  Susserster  Schwäche  verfiel  (s^^  äitav  di  da^evstoLg 
rare  iiäXiara  xarijX^ev  >5  ''EX)»«^.  VII,  17). 

Naturlicher  Weise  blieb,  was  die  Romer  von  Griechenland  im 
Korinthischen,  im  Thebanischen,  auf  Euböa,  eingezogen  und  zu  den 
romischen  Staatslandereien  geschlagen  hatten,  unter  römische  Ver- 
waltung gestellt  worden  war,  von  dieser  Restauration  unberührt»  sei 
es  zur  directen  Verfugung  des  Senates  und  des  romischen  Volkes, 
sei  es,  was  fQr  den  romischen  Theil  Griechenlands  immer  möglich 
ist,  unter  der  des  Statthalters  der  zunächst  liegenden  Provinz  Mace- 
donien. 

Ich  fuge  endlich  noch  die  sehr  bezeichnende  Stelle  des  Z  o  n  a  r  a  s 
IXy  31  hinzu:  Mummius  habe,  nachdem  er  Rache  an  den  Korinthiern 
genommen,  die  Qbrigen  Hellenen  freigelassen  {iAsvJ^ipovg  ndcvrag  tb 
y,ai  aCTOv6ii.o\jg  n^riv  TöivKoptväifüv  a^vjxe),  was,  wie  ich  schon  oben 
angedeutet  habe,  auf  das  Verfahren  des  Paullus  Macedoniea  gegen- 
über (omnium  primum  liberosesse  jubere  Macedones,  habentes  urbes 
easdem  agrosque  utentes  legibus  suis,  annuos  creantes  magistratus. 
Liv.  XLV,  29)  hinweist,  jedoch  mit  dem  Unterschiede,  dass  diese  die 
Hälfte  des  königlichen  Tributes  jetzt  für  Rom  erlegten. 

Wenn  im  Jahre  167  Aemilius  Paullus  hinzufQgte:  neque  con- 
nubium  neque  commercium  agrorum  aedificiorumque  inter  se  placere 
cuiquam  extra  fines  regionis  suae  esse,  so  wurde  diese  Massregel, 
welche  wir  auch  von  der  Besiegung  der  Lateiner  her  kennen,  wie 
Pausanias  sagt,  nach  einigen  Jahren  wieder,  was  die  besiegten 
Achäer  betraf,  aufgehoben ;  den  Macedoniern  waren  gleich  anlSnglich 
conciJia  in  vier  Städten  erlaubt  worden;  den  Achäern  wurden  diese 
erst  verboten,  dann  gestattet.  Nicht  unter  Macedonien  wurde  Grie- 
chenland gestellt,  wohl  aber  wurde  dasselbe  ziemlich  ähnlich  behan- 
delt, wie  21  Jahre  früher  Macedonien  behandelt  worden  war.  —  Wie 
sich  nun  an  die  lateinischen  Zeugnisse,  welche  von  einer  ProvinziaU 


Uaten.  d.  Fnge,  ob  Griechenl.  m.  d.  Zerstör.  Korioths  röoi.  Fror,  geword.    201 

Verfassung   Griechenlands    nichts   wissen,   die    Votivinschrift   des 
L.  Hummios  naturgemäss  anschliesst,  so  reiht  sich  an  die  griechi- 
Khen  Zeugnisse  die  Inschrift  von  Dyme  an  i),   dieses   wie  Hermann 
so  richtig  sagt,  unwiderlegliche  Zeugniss  nicht  für  die  Provinzial- 
Terfassung,  sondern  dafQr,  dass  die  Römer  den  Griechen  die  Freiheit 
gegeben  hatten  (rtg  aTrode^ofxevy;^  Tiara  xoevöv  roXg  *EXXi7<ycv  iXeu^-e- 
fia^).  Wie  herrlich  für  die  Vertheidiger  der  Provinzialverfassung 
Griechenlands,  wenn  statt  D^evJ^epia^  das  Entgegengesetzte  stünde! 
Allein,  in  welche  Zeit  ist  diese  zu.  setzen?  Die  Beantwortung 
dieser  Frage  hängt  nicht  blos  von  dem   in  der  Inschrift  erwähnten 
K^AVTcg  <^dßiog  Ma^tiiog  dv^narog  'Pw/xafwv  — aber  nicht  dv^uTra- 
rogrfigMaKiiov'Kxgl  —  ab,  sondern  auch   von  der   darin  erwähn- 
ten, den  Griechen  im  Allgemeinen  ertheiiten  Freiheit  Stfitzt  man 
«ich  auf  letzteren  Punkt,  der  doch  von  dem  Proconsul  so  sehr  be- 
tont wurde,  so  ist  es  gar  nicht  nothwendig,  an  jene  Aufhebung  des 
Zirangszustandes  zu  denken,  welcher  einige  Zeit  nach  der  Verban- 
gung  des  letzteren  im  J.  146  eintrat.  Unwillkürlich  erinnert  man  sich 
rielmehr  an  T.  Quinctius  Flamininus  und  die  Verkündigung  bei  den 
isthmischen  Spielen:  omnes  Graecorum  civitates  libertatem  ac  suas 
leges  habent  Da  noch  dazu  Liv.  XXXII,  23  uns  von  den  Dymäern 
erzählt:  Dimaeis  captis uuper  direptisc[ue  ab  exercitu Romano  —  Philip- 
pus  non  libertatem  sed  etiam  patriam  reddiderat  —  werden  wir  auch 
in  frühe  Zerwürfnisse  der  Romer  mit  den  Dymäern  geführt.   Nur 
«teht  der  Annahme   einer  so   frühen  Periode  für   die  Inschrift   der 
andere  Ausdruck  derselben  entgegen,  wo  von  den  Gesetzen  die  Rede 
ist,  welche  Sosos  schrieb  und  die  der  Proconsul  als  6nevavriovg  rp 
dnoSoSeifr^  roTg  ^Ayjxioig  6nd  Twfxaewv  /roXerseqc  bezeichnete. 

Die  Inschrift  gibt  also  uns  selbst  2  sehr  bedeutende  Anhaltspunkte : 

1.  Die  den  Hellenen  xarä  xoevöv,  also  insgesammt  von  den 
Romern  ertheilte  Freiheit. 

2.  Die  den  Achäern  von  den  Römern  ertheilte  Verfassung 
—  oänilich  die  Timokratie,  wie  wir  schon  oben  bemerkten. 

Beide  Tfaatsachen  können  nicht  gut  vor  146/7  gesetzt  werden, 
4iüsgenommen  man  wollte  unter  letzterer  die  Zeit  von  167  an  be- 
greifen, in  welcher  ja  nach  Wegschleppung  der  1000  Achäer  bereits 
die  Timokratie  eingerichtet  worden  war!? 


*)  BöcWs  corpus  injeriptionum  graecarum  I.  p.  712. 

21 


202  H  ö  f 1 e  r 

Freilich  bietet  sieh  noch  eine  weitere  Möglichkeit  dar,  die  In- 
Schrift  in  die  Zeit  des  Imp.  Trajan  zu  setzen,  als  Maximus  zur  Beloh- 
nung für  seine  Verdienste  in  Bithynien  in  ausserordentlicher  Mission,, 
zweifelsohne  mit  Proconsularcharakter,  ad  Achajam  ordinandum-ordi- 
nare  statum  liberarum  civitatum  quibus  reliquam  umbram  et  residuum 
libertatis  nomen  eripere  durum  ferum  barbarumque  est,  aber  in  die 
promncia  Ächaja  abgeschickt  wurde.  (C.  Plinius  Secund.  epist.  IIb. 
VIII  24).  Schon  die  Erwähnung  des  letzteren  Umstandes  schliesst 
daher  die  Annahme  aus,  dass  der  Inhalt  der  Inschrift  auf  eine  so  spate 
Zeit  Bezug  haben  könne,  abgesehen  von  dem  Umstände,  dass  der 
Charakter  der  Schrift  wohl  ein  so  junges  Datum  nicht  zulässt. 

Man  mag  nun  mit  Recht  darüber  streiten,  ob  der  Quintus  Fabius 
Maximus  in  der  Inschrift  der  Sohn  des  Aemilius  Paullus   oder  ein 
späterer  (Eburnus  116a.  Chr.)  war.  Ersterer  hatte  den  macedoni- 
sehen  Krieg  unter  seinem  Vater  mitgemacht,  war  von  diesem  zur 
Verheerung  Illyriens  abgesandt  worden,  vereinigte  sich  mit  Scipio 
Nasica  und  seinem  Vater  in  Oricum  und  machte  von  da  die  gemein- 
same Überfahrt  nach  Italien  (Liv.  XLV  c.  33,  34).  Niemand  war  mit 
den  griechischen  Verhältnissen  so  bekannt  wie  er,  der  als  Prätor 
Siciliens  die  karthagischen  Geissein  aus  den  Händen  der  Consuln 
empfing  (149);  nachdem  er  Consul  (145)  geworden,  mit  Viriathus^ 
kämpfte  und  mit  diesem  Frieden  schloss  (Rebus  in  Hispania  prospere 
gestis  labern  imposuit  pace  cum  Viriatho  aequis  conditionibus   facta 
Liv.  epit.  LIV).  Der  Proconsul  erscheint  auch  wie  oben  bemerkt  nicht 
als  Proconsul  Macedoniens ;  er   übergibt,    worauf  bereits  Hermann 
mit  Recht  aufmerksam  machte,  <)  den  Einen   der  Schuldigen   dem 
praetor  peregrinus  in  Rom.  Das  Verbrechen  aber  besteht  nicht  darin, 
dass  die  Schuldigen  sich  gegen  den  Proconsul  aufgelehnt   hatten, 
sondern  gegen  die  Freiheit,  welche  die  Romer  allen  Hellenen    und 
gegen  die  Verfassung,  die  sie  allen  Achäern  ertheilt  I 

Wie  man  daraus  auf  einen  Proyincialzustand  schliessen  kann,, 
wo  es  sich  doch  nur  um  ein  vereinzeltes  Factum  und  um  eine  ausser- 
ordentliche Mission  handeln  konnte,  ist  und  bleibt  mir  unbegreiflich. 
Ich  habe  davon  keine  Vorstellung. 


')  Defensio  dispututionis  p.  8. 


Uatfn. d.  Frage,  ob  Griechenl.  m.  d.  Zerstör.  Rorinths  röm.  Prov. geword.    293 

Mit  Recht  wird  auch  hervorgehoben,  9  ^^^s,  wo  ron  der  Pro- 
rioz  Haeedonien  in  nächster  Zeit  die  Rede  ist,  wie  von  D.  Silanus 
(^'aler.  Masimus  Hb.  V.  c.  8.  3.),  wohl  ron  Macedonien,  aber  absolut 
nicht  ron  Griechen  oder  Achäern  gesprochen  wird.  Dagegen  wird 
uan  freilich  behauptet,  dass  Q.  Fabius  Maximus  Eburnus  im  J.  116 
Macedonien  und  Achaja  verwaltet  habe.  Es  zwingt  uns  jedoch  gar 
aichts  dazu,  und  am  allerwenigsten  dazu,  in  dem  Fabius  der  In- 
schrift den  Eburnus  zu  erblicken,  nachdem  Zumpt  gegen  Hermann 
des  letzteren  Bedenken,  Fabius  Aemilianus  habe  nicht  zwei  Verwaltung 
gen  nach  einander  übernehmen  können,  selbst  weggeräumt  >),  Mace- 
dooieo  bisher  von  Prätoxen  verwaltet  worden  war,  wie  Zumptselbst 
nachwiest)    und    der    Proconsul   nur    als    solcher   ohne    Provinz 
aaflritt.    Man   kann   nicht    laugnen,    dass  nach  Zumpt's  gelehrter 
Auseinandersetzung  Gründe  dafGr  sprechen,  dass  unter  den  uns  be- 
kannten  Fabiern   Eburnus    der    in    der    Inschrift    erwähnte    sein 
könne;  aber  eben  so  sehr  sind  auch  so  viele  dagegen  und  sprechen 
solche  für  Fabius  Aemilianus  um  so  mehr,  als  der  ganze  Inhalt  der  In- 
schrift eher  auf  eine  der  korinthischen  Katastrophe  nahe  als  ferne 
Zeit  hinweist  und  es  sich  hier  um  eine  Begebenheit  handelte,  zu 
deren  Ordnung  nicht  mehr  ein  Polybios  hinreichte,  sondern  eine  dem 
Griechen  selbst  freundliche  Magistratsperson  des  romischen  Staates 
erfordert  wurde.  Auf  keinen  Fall  aber  reichen  die  angeführten  GrGnde 
zum  Beweise  für  die  Behauptung  hin,  dass  Eburnus  Macedonien  und 
Achaja  als  Provinzen  regierte,  während  der  Aufstand  der  Dymäer  und 
ihr  Versuch  des  Umsturzes  der  von  den  Römern  gegebenen  Verfas- 
sung wohl  das  Einschreiten  eines  Proconsuls  in  specieller  Mission 
begreiflich  macht.  Ist  es  denkbar,  dass  wenn  damals  Achaja  Provinz 
und  jener  Fabius  Statthalter  war,  er  erst  noch  einen  der  Schuldigen 
au  den  praetor  peregrinus  nach  Rom  gewiesen  hätte? 

Man  kann  wohl  sagen,  alle  nur  immer  denkbaren  Argumente 
wurden  erschöpft,  um  zu  beweisen,  dass  Griechenland  seit  Metellus 
and  Mnmmius  unter  die  Provinz  Macedonien  gestellt  worden  war. 
Allein  gerade  diese  Beweisführung  ist  meiner  Oberzeugung  nach 


^)  Zvmpt.  ComnenUtioo.  epij^raphicae.  p.  165. 

*j  p.  taa. 

*)  p.  165. 


294  Hdfler 

• 

Zumpt  minder  gelungen.  Dass  Metellus  sich  bei  Beendigung  des 
inacedoni9chen  Krieges  nach  dem  griechischen  Süden  wandte,  be- 
weist für  diese  Frage  gar  nichts,  sondern  nur,  dass,  nachdem  sein 
macedonischer  Gegner  sich  auf  den  hellenischen  Süden  zu  stutzen 
gesucht,  der  romische  Consul,  um  den  Krieg  völlig  zu  beenden,  das- 
selbe thun  musste.  Nicht  mehr  und  auch  nicht  weniger.  Vor  Allem 
aber  wäre  wOnschenswerth,  dass  ein  genauer  Nachweis  geliefert 
würde,  wann  Macedonien  Provinz  <),  seit  wann  es  regelmassig  von 
Prätoren  verwaltet  wurde,  während  der  gewöhnlichen  Annahme  und 
der,  dass  Metellus  und  Mummius  es  verwaltet,  die  sehr  bezeichnende 
Stelle  Cicero*s  de  provinciis  consularibus  c.  3  in  höchst  auffälliger 
Weise  entgegentritt:  hanc  Macedoniam  domitis  jam  gentibus  finitimis 
barbariaque  compressa  pacatam  ipsam  per  se  et  quietam  tenui 
praesidio  atque  exigua  manu  etiam  sine  imperio  per  legatos  nomine 
ipso  populi  Romani  tuebamur,  quae  nunc  consulari  imperio  atque 
exercitu  ita  vexata  est  etc. 

Ich  weiss  sehr  wohl,  dass  man  dagegen  einwenden  kann,   es 
seien  eben  Ende  des  zweiten  Jahrhunderts  vor  Christus  jene  Völker 
nicht  völlig  unterworfen,  die  Barbarei  nicht  niedergedrückt  worden, 
sondern  dieses  erst  im  Zuge  gewesen,  wie  ja  auch  Cicero  in  Pisonem 
16.  38  sagt:  exMacedonia  aliquot  praetorio  imperio,  consulari  quidem 
nemo  rediit,  qui  incolumis  fuerit,  qui   non  triumpharit.  Ich  mochte 
daraus  nur  folgern,  dass  die  oratorischen  Stellen  Cicero*s  im  Allge- 
meinen mit  grosser  Vorsicht   als   historische  Belege   zu    gebrau- 
chen sind,  im  vorliegenden  Falle  aber  besser  die  Sache  im  Unge- 
wissen zu  belassen  ist,  als,  da  das  Factum  von  Dyme  ganz  isolirt  da- 
steht, nicht  blos  nach  Fabius  Eburnus  zu  greifen»  sondern  auch  die 
eine  Hypothese  zur  Grundlage  der  Behauptung  oder  gar  eines  Be- 
weises zu  machen,  dass  Achaja  unter  Macedonien  stand,  nachdem 
vorher  siegend  nachgewiesen  wurde,  dass  es  für  sich  selbst  keine 
Provinz  war  und  aus  der  Inschrift  selbst  die  Freiheit  der  Griechen 
unbestreitbar  hervorgeht. 

Für  mich  gestaltet  sich  die  Sache  so.  Die  R5mer  wollten  so- 
wenig als  in  Italien,  Afrika  oder  anders  wo,  eine  Macht  in  Griechen- 


')  Die  epitome  des  LItius  XLV.  ngt,  wie  obeo  bemerkt,  aber  im  Gegen taUe 
zum  Texte:  Macedonia  in  provinciae  formam  redacta  est,  keine  epitonae  er- 
wfihnt  aber  dieses  ffir  Griechenland,  nocb  dass  es  an  Macedonien  geschlagen  wurde. 


Uiters. d. Frage,  ob  Griechenl.  m.  d.  Zürstör. Korintha  rdm. ProY.  geword.    205 

laod  dolden.  Diese  musste  gebrochen,  grundlich  beseitigt  werden, 
damit  nicht  irgendwo  noch  freie  Völker  sich  verbanden,  nachdem 
die  Macht  der  Könige  gebrochen  war.  War  Griechenlands  Macht 
gebrochen,  so  war  gar  kein  Grund  vorhanden,  ihm  die  Freiheit  zu 
Debneo,  um  so  weniger  als  ein  Theil  der  Griechen  sich  ohnehin 
sehoD  gefugt  hatte,  und  ein  halb  freiwilliges  halb  gezwungenes  Ver- 
zichtleisten auf  Souveränitätsrechte  —  Krieg  oder  Frieden  — schon  seit 
197  im  Zuge  war.  Es  erging  Griechenland  wie  den  300  Griechen, 
welche  man  ruhig  absterben  Hess,  wenn  sie  selbst  Ruhe  gaben. 
Dass  letzteres  geschah,  dafür  sorgte  das  Schicksal  von  Korinth. 

Drei  Städte,  meinte  Cicero,  seien  dem  Senate  so  mftchtig  er^ 
schienen,  dass  beschlossen  wurde,  sie  sollten  keinen  Staat  bilden,  in- 
dem sie  die  Wucht  und  den  Namen  eines  vollgewichtigen  Staates 
aaszuhalten  im  Stande  gewesen  waren:  Karthago,  Korinth,  Capua. 
Karthago  sei  zerstört  worden,  weil  es  durch  seine  Menschenmenge, 
seine  Lage  und  örtliche  Beschaffenheit,  mit  seinen  Häfen  und 
Mauern  aus  Afrika  Ausfälle  machen  und  die  fruchtbarsten  Inseln 
des  römischen  Staates  fortwährend  bedrohen  konnte.  Von  Korinth 
hätte  man  kaum  eine  Spur  zurückgelassen,  weil  die  Stadt  an  den 
Engen  Griechenlands  so  gelegen  war,  dass  sie  ebenso  das  feste  Land 
sehloss,  als  2  Meere,  welche  der  Schifffahrt  entgegengesetzte  Rich- 
tangen  boten,  verbinde,  indem  sie  nur  durch  eine  sehr  schmale 
Strecke  von  einander  getrennt  würden.  Beide  Städte,  welche  von 
dem  Sitze  des  Reiches  ferne  lagen,  hätten  die  Römer  nicht  nur  be- 
drangt, sondern  damit  sie  ja  nicht  wieder  neugeschaffen  erstünden 
und  sich  aufrichten  könnten,  von  Grund  aus  zerstört.  In  Capua  sei 
aber  auch  der  Schein  eines  staatlichen  Lebens  vernichtet  worden, 
damit  Rom  vor  Capua  nichts  mehr  zu  furchten  habe  i). 

Somit  stellt  sich  denn  als  Thatsache  heraus: 

1.  Die  Annahme,  dass  Griechenland  im  J.  146  in  die  Provinz 
Achaja  umgewandelt  wurde,  entbehrt  jedes  genügenden  historischen 
Beweises. 

2.  Sie  wird  weder  von  einem  römischen  noch  von  einem  grie- 
chischen Schriftsteller  ausgesprochen  und  erhärtet. 

3.  Es  ist  ebenso  wenig  durch  Nachrichten  classischer  Autoren 
ZQ  beweisen,  dass  Griechenland  zur  Provinz  Achaja  wurde,  als  dass 
CS  zur  Provinz  Macedonien  geschlagen  wurde. 


0  De  lege  agraria  contri  RaUnm  H.  32. 


296  Hdfler 

4.  Wohl  aber  sind  zwei  Periodeo  auseinander  zu  halten :  die 
der  ersten  feindlichen  Occupation,  welcher  Korinth,  Chalkis,  Theben 
erlagen  und  die  ein  Strafgericht  auch  Ober  die  anderen  StSdte  ver- 
hin^e»  welche  die  Römer  angegriffen  hatten,  und  die  Periode  der 
Einrichtung  aristokratischer  Verfassungen  und  der  Freigebung  der 
Besiegten«  die  seitdem  als  amici  et  socii  populi  Romani  erscheinen. 

5.  Wie  sich  Athen  von  dem  Kriege  frei  erhielt,  die  Lacedärao- 
nier  die  geschworenen  Feinde  der  Achäer  waren,  hatten  auch  andere 
griechische  Staaten  an  dem  Kampfe  der  Achäer  und  ihrer  Bundes- 
genossen gegen  Rom  keinen  Antheil  genommen ;  es  ist  eben  deshalb 
in  der  Natur  der  Dinge  begrQndet,  dass  die  Strafmassregeln  Roms 
die  Rom  befreundeten  Griechen  gar  nicht  treffen  konnten.  Es  ist 
eben  desshalb  geradezu  absurd  von  einer  Provincialisirung  Griechen- 
lands zu  sprechen. 

6.  Als  die  Zeit  der  Verzeihung  kam,  wurden  die  von  den 
Romern  bestraften  aber  nicht  gleich  anfänglich  vernichteten  Griechen 
(^Achäer)  den  andern  gleichgesetzt,  die  sich  im  Zustande  jener  Frei- 
heit befanden,  welche  ihnen  T.  Quintius  Flamininus  gewährte. 

7.  Das  Verfahren  der  Römer  gegen  die  Achäer  wird  durch  das 
gegen  Macedonien   beleuchtet,  nur  wurde  letzteres  in  Folge   des 

« 

vierten   macedonischen    Krieges    zur   Provinz    herabgedruckt,    die 
Achäer  gleich  anfanglich  unbarmherzig  bestraft^  dann  aber,  unschäd- 
lich gemacht  wie  sie  waren,  in  jene  Freiheit  gesetzt,  welche  verarm- 
ten und  machtlosen  Freunden  und  Bundesgenossen  eines  Obermäch- 
tigen Gross-  und  Weltstaates  noch  zukommen  konnte.  Da  auf  den 
Krieg  mit  dem   ersten   Pseudophilippos ,   den    Metellus    beendigte, 
ein   Krieg   mit  einem  zweiten  Pseudophilippos  (Pseudoalexander) 
folgte,  den  der  Quästor  L.   Tremellius  siegreich  beendete  «},   die 
Kämpfe  mit  den  Scordiskern  in  Thracien   begannen,  war   es   sehr 
natürlich,  dass  Macedonien  theils  unter  Prätoren,  *)  theils  unter  den- 
jenigen stand  die  in  Thracien  befehligten;  ebenso  natürlich  als  dass 
Achaja,  das  nach  dem  Grundsatze  der  Römer  es  Frieden  zu  nennen, 
wo  sie  eine  Einöde  machten,  durch  die  Zerstörung  Korinths,  Thebens 
und  von  Chalkis  befriedigt  (pacata)  worden  war  —  keines  Prätors 


0  LtT.  epit.  Uli. 

*)  M.  Cotconios  praetor  in  Thracia  cum  Scordiscis  prospere  pu^oartt  Epit.  LVI. 


Ueten.  d.  Frage,  ob  GriecheDl.  m.  d.  Zerstör.  Rorinths  röm,  Prot,  geword.    297 

hedarfte  und  in  der  Furcht  der  gewaltigen  Republik  sich  selbst 
regierte.  Seit  der  Zerstörung  Thebens  durch  Alexander  d.  G.  hatte 
Griechenland  eine  so  entsetzliche  Katastrophe  nicht  erlebt.  Sie 
wäre  das  schrecklichste Ereigniss  derselben,  wenn  nicht  die  Zerstörung 
Ton  Selinus,  Akragas,  Gela,  die  Eroberung  von  Syrakus  und  Tarent 
roraosgegangen  wären«). 

Die  Ansichten   neuerer  Schriftsteller. 

Nach  Mommsen  läuft  die  Frage,  ob  Griechenland  im  Jahre  608 
a.  0.  römische  Provinz  geworden  sei  odernicht,  in  der  Hauptsache  auf 
einen  Wortstreit  hinaus.  Er  sagt : 

i.  Dass  die  griechischen  Gemeinden  durchgängig  frei  blieben 
(Corp.  I.  Gr.  1B43.  15.  Caesar  bell,  civile  III.  4.  Appian.  Milhr.  88. 
Zonar.  IX  931),  sei  ausgemacht;  aber  nicht  minder  sei  ausgemacht, 
dass: 

2.  Griechenland  damals  von  den  Römern  in  Besitz  genommen 
ward  (Tac.  ann.  XIV,  21.  Maccab.  8.  9.  10.);  dass: 

3.  von  da  jede  Gemeinde  einen  festen  Zins  nach  Rom  eut- 
riehtere.  (Paus.  VII.  IC,  vergl.  Cicero  de  prov.  consul.  III.  S),  die 
kleine  Insel  Gyaros  z.  B.  gab  jährlich  IS 0  Drachmen  (Strabon,X  485); 
dass: 

4.  die  Ruthen  und  Beile  des  römischen  Statthalters  fortan  auch 
in  Griechenland  schalteten  (Polyb.  XXXVIII,  vgl.  Cic.  Verr.  I,  21. 
55)  und  derselbe  die  Oberaufsicht  über  die  Stadtverfassungen  (C. 
loser.  Graec.  1S43)  sowie  in  gewissen  Fällen  die  Criminaljurisdiction 
(C-  J.  6.  1S43.  Plut.  Cimon  2)  fortan  so  übte  wie  bisher  der 
römische  Senat;  dass  : 

5.  endlich  die  macedonische  Provincialäre  auch  in  Griechen- 
land im  Gebrauche  war. 


0  WeoD  Zampt  io  seiner  gelehrten  Abhandlung  sagt:  quod  si  quis  latius  extendet 
Hbertatem  et  ubicnnque  liberam  ctritatem  nominari  ridebit,  ibt  provinciam  esse 
•egabit,  diaaolret  bercle  totum  imperium  Romannm  neque  allam  provindam  reliu- 
qnet;  onUa  enim  est  in  qua  non  Itberae  sint  civitates.  p.  156,  so  wire 
dieses  ebenso  irrig  als  wenn  man  die  gleich  unten  angeführte  Stelle  aus  Cicero 
ad  Attic.  VI.  1  auf  Ach^a  anwenden  woUte,  wShrend  sie  sich  auf  die  asiati- 
seben  Griechen  besieht,  und  daraus  einen  Schluss  auf  das  Vorhandensein  einer  Pro- 
tIbs  Aeb^a  sieben  wfirde! 


208  H  ö  n  e  r. 

Zwischen  diesen  Tfaatsachen  ist,  wie  Mommsen  fortfahrt,  keines- 
wegs ein  Widerspruch^  oder  doch  kein  anderer  als  derjenige,  welcher 
überhaupt  in  der  Stellung  der  freien  Städte  liegt^  welche  bald  als 
ausserhalb  der  Provinz  stehend  (Suet  Caes.  25  Colum.  XI  3,  26),  bald 
als  der  Provinz  zugetheilt  (z.  B.  Joseph  ant.  lud.  XIV,  4,  4)  bezeich- 
net werden. 

6.  Der  römische  Domanialbesitz  in  Griechenland  beschränkt 
sich  zwar' auf  den  korinthischen  und  einige  Stucke  von  Euböa 
(C.  I.  Gr.  5879} i),  und  eigentliche  Unterthanen  gab  es  dort  gar  nicht, 
allein  darum  konnte  dennoch,  wenn  man  auf  das  thatsächlich 
zwischen  den  griechischen  Gemeinden  und  dem  macedonischen 
Statthalter  bestehende  Verhältniss  sieht,  ebenso  wie  Massalia  zur 
Provinz  Narbo,  Dyrrhachion  zur  Provinz  Macedonien,  auch  Griechen- 
land zur  macedonischen  Provinz  gerechnet  werden. 

7.  Der  gelehrte  Verfasser  kommt  endlich  zu  dem  Resultate: 
Es  muss  zugestanden  werden,  dass  durch  die  Ereignisse  des  J.  608 
Griechenlands  Stellung  staatsrechtlich  sich  nicht  änderte;  es  waren 
mehr  factische  als  rechtliche  Verschiedenheiten,  dass  statt  der 
achäischen  Eidgenossenschaft  jetzt  die  einzelnen  Gemeinden  Achajas 
oder  tributäre  Clientelstaaten  neben  Rom  standen  und  dass  seit  Ein- 
richtung der  römischen  Sonderverwaltung  in  Macedonien  diese  an- 
statt der  hauptstädtischen  Behörden  die  Oberaufsicht  über  die  grie- 
chischen Clientelstaaten  übernahm. 

8.  Man  kann  demnach,  je  nachdem  die  thatsächliche  oder  die 
formelle  Auffassung  überwiegt,  Griechenland  als  Theil  des  Com- 
mandos  von  Macedonien  ansehen  oder  auch  nicht :  indess  wird  der 
ersteren  Auffassung  mit  Recht  das  Übergewicht  eingeräumt^). 

S.  307.  war  bereits  der  Satz  ausgesprochen,  dass  die  Schutz- 
herrlichkeit, die  Rom  über  das  eigentliche  Griechenland  in  Anspruch 
nahm,  von  selbst  dem  neuen  Statthalter  von  Macedonien  zufiel. 
Diese  durchaus  nicht  bewiesene  Annahme  Mommsens  verwirrt  aber 


0  Es  handelt  sich  nur  um  den  ehrenvoUen  Abschied  dreier  Griechen,  eines  Klaxo- 
meniers,  eines  Ksrystters,  eines  Milesiers,  die  den  italischen  Krieg  mitgemacht, 
wobei  es  heisst:  «px^vrifi  ^^ikivtpoi  otnvsc  av  ;rorc  Affcaev,  Evßotov  yma^v^ 
fftv  ^  Kpoaidovg  'Affia,  Eußoiet  svri^wffiv,  yvXa^wvrai,  xtq  n  ouroi  doOvot 
dfiCkwatv.  (V.  J.  78  V.  Chr.) 

2)  Rdm.  Gesch.  Vierte  Auflage.  Band  11.  S.  4S.  n.  **. 


Unters,  d.  Frage,  ob  Griechenl.  m.  d.  Zerstör.  Korintht  r5m.  ProT.  geword.    299 

• 

die  ganze  Erörterung  und  verwickelt  ihn  wie  n,  8  hinlänglich  zeigt 
in  einen  Widerspruch  mit  sich  selbst.  Es  handelt  sich  nicht  darum» 
wie  die  Sache  nach  formeller  oder  thatsachlicher  Auffassung  er- 
seheint, sondern  wie  sie  war;  die  Besitzergreifung  Griechenlands  — 
mit  Hinweisung  auf  die  Stelle  des  TacitusXIV,21  — beweist  nichts  als 
das  Vorhandensein   eines  Factums»    das  übrigens    sich  nicht  auf 
Graeeia,  sondern  auf  Achaja  und  Asien  bezieht.  So  wie  Tacitus  davon 
nar  im  Vorübergehen  spricht,  kann  die  Stelle  selbst  keine  Beweis- 
kraft haben.  Was  aber  nun  die  behauptete  Tributpflichtigkeit  der 
Gemeinden  betrifft,  von  welcher  jede  Gemeinde  einen  festen  Zins 
oaeh  Rom  entrichtete,  so  behauptet  der  von  Mommsen  angeführte 
Pausanias  VII,  16  nur:  Kai  fopog  rs  ird^^  t^  'E  AXaJt«)  xal  oi  ra 
Xf^^/xara  i^ovrsg  IjfwXOovro  Iv  t^  {iizifoplq.  xrcca^at,  d.  h.  Pausanias 
stellt  hier  zwei  vorübergehende  Massregeln  des  Mummius  zusammen» 
iit  eben  bei  der  Occupatiou  und  Dedition  erfolgten;  dass  aber  die 
Ton  Mummius  einzelnen  Städten,   die  im  Kriege  mit  Rom  gewesen 
waren,  auferlegte  Steuer   eine   bleibende  gewesen    sei,   behauptet 
Niemand,  su  wenig  als  dass  der  Erwerb  von  Gütern  ausserhalb  der 
einzelnen  Stadt  dauernd  verboten  worden  sei.    Die  Hinweisung  auf 
Kso,  und  dass  ihm  und  nicht  dem  romischen  Staate  achäische 
Städte  jährlich  eine  grosse  Summe  Geldes  bezahlten,  beweist  für  die 
Zeit  des  Mummius  wieder  nichts,  sondern  nur,  dass  gegen  das  Ende 
der  Republik  L.  Piso  die  achäischen  Städte  in  dieser  Art  bedrücken 
dorfte  und  bedrückt  hatte;  das  ist  ein  vereinzelter  Fall.  Das  Beispiel 
der  Fischer  von  Gyaros  gebort  endlich  gar  nicht  daher,  da  in  Stra- 
bo'sZeit  es  unzweifelhaft  eine  Provinz  Achaja  gab.  Was  aber  die  Stelle 
beiden  Macchabäern  beweisen  soll,  die  voll  orientalischen  Schwulstes 
ist  and  behauptet,  dass  die  Römer  den  Konig  Antiochus  lebend  gefangen 
batten  (I.   8),  während   dann  trotz  der  angeblichen  Sclaverei  der 
Griechen  die  Juden  doch  sich  an  die  Spartaner  wenden,  ist  mir  völlig 
unklar.  Sie  erwähnt  Gerüchte ,  die  nach  Judäa  drangen,  aber  nicht 
mehr. 

Aber  die  Ruthen  und  Beile  des  römischen  Statthalters  schalteten 
fortan  auch  in  Griechenland !  (Mommsen  a.  a.  Ort).  Hier  kommt  es 
nnn  auf  die  bestimmten  Fälle  an,  in  welchen  sich  eine  Einmischung 


*)  Was  d«nn  doch  in  dieser  AUgemeinheit   so  unwahr  ist,  als  dass  Priitoren  nach 
Grieeheoland  geachlekt  worden. 


300  Höfler 

römischer  Magistrate  in  die  inneren  Angelegenheiten  Achajas  und 
Griechenlands  in  jenen  Zeiten  nachweisen  lässt.  Der  erste  Fall,  den 
Momrasen  anfuhrt,  ist  der  in  der  Inschrift  von  Dyroe  erwähnte.  Dieser 
gehört  aber  der  Übergangsperiode  an  und  bezieht  sich  auf  den  Ver- 
such, die  von  den  Römern  gegebene  Verfassung  abzuschaffen,  was 
Sosos  von  Taormina  that,  der  noch  dazu  kein  Achäer  sondern  ein 
Provinciale  aus  Sicilien  war.   Dieser  wurde  zum  Tode  verurtbeilt 
ini  xoLTokvaet  rrig  dnodo^siarii  jroXtrecÄ^)  so  wie  Phonniskos,  welcher 
die  Archive  verbrannt  hatte;  Timotheos  Nikia  aber,  als  weniger  schul- 
dig, wurde  nach  Rom  gebracht  und  vor  den  Prätor  peregrinus  ge- 
stellt. Nirgends  steht  aber,  dass  derQuintus  Fabius  Proconsul  Achajas 
und  Macedoniens  war,  wohl  aber  das,  dass  die  Kyllanier  und  andere 
Römerfreunde «)  Ursache  waren,  warum  ein  Proconsul  mit  einer  Un- 
tersuchung betraut  wurde,  welche  sich  auf  das  Verbrechen  des  Um- 
sturzes der  von  den  Römern  gegebenen  Verfassung  bezog.  Dass  die 
Römer  sich  dieser  Sache  ernstlich  annahmen,  lag  dann  auf  flacher 
Hand;  gefolgert  kann  aber  daraus  gar  nichts  werden,  was  sich  irgend 
wie  auf  ein  Provincialverhaltniss  bezöge.  Auf  die  Anzeige,  welche 
nnch  Rom  gelangte,  erfolgte  auch  das  weitere  Verfahren.  Der  zweite 
Fall  bezog  sich  auf  eine  spätere  Zeit,  nämlich  auf  den  Krieg  desMithri- 
dates,  betraf  somit  nicht  eine  regelmässige  friedliche  Zeit,  sondern 
die  der  ernsthaftesten  Kriegsgefahr,  als  der  König  von  Pontos  be- 
reits die  massenhafte  Niedermetzlung  von  Römern  durch  die  asiati- 
schen Griechen  veranlasst  hatte,  der  Kampf  mit  ihm  auf  griechischem 
Boden  durch  Sulla  beendigt,  die  Gefahr  eines  neuen  Einbruches  aber 
nichts  weniger  als  verzogen  war.  Damals  war  es,  dass  ein  gewisser 
Dämon  in  Chäroneia  einen  römischen  Centurio  getödtet  hatte  und  des- 
halb nicht  etwa  von  dem  Prätor  Macedoniens  oder  Achajas,  wie  man 
aus  Mommsens  Darstellung  folgern  sollte,  sondern  von  der  ßoitlr,  von 
Chäroneia  zum   Tode  veruiiheilt   wurde.  Nun  tödtete  Dämon   mit 
seinem  Anhange  die  Archonten  der  Stadt.  Diese  Angelegenheit,  ganx 
geeignet   auch   im  Frieden   Aufsehen   zu   machen,  geschweige    im 
Kriege,  wurde  an  den  Prätor  von  Macedonien   gebracht,   wie    es 
scheint  unter  der  Darstellung,  als  wenn  die  Chäroneier  sich  gegen 
Rom  vergangen  hätten.  Lucullus  aber,  welcher  sich  damals  anf  dem 


^)  rcüv  Tzepl  KuXXdviov  cvvidprai/  iß^ocviaivTtav  fiioi,  •chreibt  der  Proeonsnl. 


Uotrra.  d.  Frage,  ob  Grtechenl.  m.  d.  Ze ratfir.  Korinthsröm.  Prov.  ^eword.    301 

Feldzoge  gegen  Mithridates  befand,  nahm  sich  der  Unschuldigen  an, 
und  bei  dieser  Gelegenheit  sagt  Plutarch,  der  diess  erzahlt,  dass 
nach  Griechenland  £^;  rf/v  '*EXXa^o(  keine  romischen  Statthalter  ge- 
scbiekt  wurden. 

Das  sind  also  zwei  ausserordentliche  Falle,  welche  aber  weder 
bevreisen,  dass  Griechenland  unter  dem  Prätor  von  Macedonien  stand, 
Qoch  dass  überhaupt  ein  Prätor  im  Lande  war,  und  hier  die  Provincial- 
Terfassung  galt ;  ja  der  erste  beweist  entschieden  die  Freiheit  der 
Hellenen  und  die  zweite  den  Mangel  einer  Provincialverlassung. 

Die  Berufung  auf  Cicero  Actio  ( in  Verrem  scheint  sich  auf  den 
.^cbaicus  inquisitor  zu  beziehen.  Ist  dieses  der  Fall,  so  ist  sie  gänz- 
lich unstatthaft,  da  dieser  Inquisitor  nur,  wie  Cicero  in  Sicilien  y,in- 
qüirirte**,  so  den  Unthaten  des  Verres  in  Achaja  nachspQrte.  Dieses 
hat  aber  mit  der  vorliegenden  Frage  gar  nichts  zu  thun. 

Wird  ferner  als  ein  Beweis  for  die  Provincialverfassung  Grie- 
cheolands  angeführt,  dass  die  macedonische  Provincialära  in  Grie- 
chenland im  Gebrauche  war,  so  wurde  dieses  von  Marquardt  in  Be- 
treffeinzelner Städte  behauptet.  Was  soll  aber  die  etwaige  Tbat- 
sacbe,  dass  ein  Paar  Städte,  die  dem  Schicksale  Korinths  entgangen 
waren,  froh  darüber  und  aus  Servilität  gegen  die  Romer,  welche  allen 
Hellenen  die  Freiheit  gaben,  das  Jahr  146  als  Anfang  einer  neuen  Ära, 
der  von  den  Römern  gegebenen  Freiheit  annahmen,  beweisen?  Her- 
mann hat  übrigens  den  Einwurf,  welcher  auf  der  angeblichen  Zeit- 
rechnung der  Megarer,  Hermioner,  Messenier,  Aegineten  und  Eieu- 
therolacsonen  <)  beruht;  bereits  auf  das  richtige  Mass  zurückgeführt «), 
so  dass  es  nicht  nothwendig  ist,  hierauf  zurückzukommen.  Die  Flam- 
men von  Korinth  leuchteten  so  gewaltig  auf,  dass  man  an  Macedo- 
nien, Ober  dessen  Einrichtung  als  Provinz  im  J,  146  uns  die  näheren 
Berichte  abgehen  s), gar  nicht  zu  denken  braucht.  Für  alle  diejenigen, 
welche  nur  gezwungen  dem  achäischen  Bunde  beigetreten  waren, 
galtdas  Jahr  als  Zeichen  der  Befreiung  von  lästiger  Herrschat t 
der  Griechen  über  Griechen :  kein  Wunder  wenn,   nachdem   einmiil 


')  d.  h.  eine  TieHeicht  elentbero^lakonitcbe  Stadt! 
<)  Defentio  p.  9. 

*)  Wo  fleht  denn,  dass  Maeedonien  gerade  i.  J.  140  «in  forniflin  proTinclao*  gebraclit 
worden  sei? 


302  UöfJer 

eine  Stadt  damit  vorangegangen   war,   auch  andere  nicht  zurück- 
bleiben woiUen. 

Durchgeht  man  die  ganze  Argumentation  Mommsens,  so  macht 
sie  bei  ihren   grossen  Zugeständnissen   in  Betreff  der  Freiheit  der 
griechischen  Gemeinden,  der  Beschränkung  des  romischen  Domanial- 
besitzes  auf  den  korinthischen  Boden  und  einige  Stücke  von  Euböa 
ohne  eigentliche  Unterthanen,  den  Eindruck,  dass  die  alte  Valesische 
Ansicht  um  jeden  Preis  festgehalten  werden  sollte,  die  Beweisführung 
aber  nicht  stichhaltig  ist  und  eben  deshalb  zQ  dem  Satze  Zuflucht 
genommen  wird,  es  laufe  hier  auf  ein  Wortgefecht  hinaus.  Das  ist 
aber  eben  nicht  der  Fall,  sondern  es  handelt  sich  um  Rectificiruog 
von  Thatsachen,  um  Beseitigung  von  Irrthumern,  an  welchen  mau 
sich  mit  ungemeiner  Zähigkeit  festklammert,   um  Feststellung  eines 
richtigen  historischen  Factums,  das   für  die   Geschichte  Roms  wie 
Griechenlands  gleich  wichtig  ist. 

Bleibe  man  doch  endlich  bei  der  Thatsache  stehen,  dass  die- 
jenigen Griechen,  welche  an  dem  achäischen  Kriege  keinen  Antheil 
genommen  hatten,  frei  blieben «)  und  diejenigen,  welche  die  Waffen 
ergriffen  und  dann  sich  ergeben  hatten,  frei  wurden,  socii  et  amici 
populi  Romani»  nur  unter  der  Bedingungt  dass  sie  au  der  ihnen  von 
den  Römern  gegebenen  Verfassung  —  der  Timokratie  —  festhielten, 
d.  h.  dass  derjenige  politische  Zustand,  welchen  T.  Quinctius  Flami- 
tiinus  bei  der  Befreiung  der  Griechen  von  macedonischem  Joche,  so 
weit  er  konnte,  schon  197  eingeführt  hatte,  seit  146  ein  allgemeiner 
werde. 

In  der  aus  Polybios  angeführten  Stelle,  welche  Mommsen  auf 
die  spätere  Zeit  deutet,  so  dass  man  meinen  sollte,  Ruthenbündel  und 
Beile  seien  ständig  in  Griechenland  zu  sehen  gewesen,  ist  davon  die 
Rede,  dass  in  einer  gewissen  Zeit*)  (xara  rcO^  CnoKsiiiivovg  xaipoOg) 
Peloponuesier,  Boötier,  Phoker  weniger  Verluste  an   eigenem  Ver- 


1)  Hutten  aich  doch  von  den  römischen  Legaten  nach  dem  irgerlicheu  Auftritte  xu 
Korinth  nur  ein  Tbeil  nach  Rom  begeben ;  die  anderen  gingen  theila  nach  Maupak- 
tos,  theils  nach  Athen,  theils  nach  Lacedimon.  Ganz  abgesehen  von  den  übrigen 
Städten,  welche  sich  an  dem  Kriege  mit  Rom  nicht  hetheiligten,  wurden  diese 
drei  wichtigen  Punkte  ausserhalb  de^  Streites  gehalten. 

^)  der  macedonischen  I 


Unten,  d.  Frage,  ob  Griechenl.  oi.  d.  Zerstör.  Koriutht  röm  Prov.  geword.     303 

mögen  erlitten,  als  Schande  i).  Dann  heisst  es  in  dem  sehr  lueken- 
bafteo  Fragment :  „indem  sie  aller  Ehre  verlustig  gingen,  nahmen 
die  einen  um  Gnade  flehend,  die  anderen  mit  festlichem  Empfang, 
damals  Ruthenbundel  und  Beile  freiwillig  in  ihre  Stadt  auf.  Denn  ein 
schwerer  Druck  lastete  auf  ihnen  wegen  des  Obermasses  ihrer  eige- 
nen Verschuldung*'«  Jedermann  sieht,  dass  sich  dieses  eben  nur  auf 
die  Zeit  der  Occupation  bezieht,  nicht  aber  auf  jene,  von  welcher 
derselbe  Polybios  im  40.  Buche  schreibt,  die   10  Gesandten  hatten 
den  Griechen  ein  schönes  Denkmal  der  Gesinnung  der  Romer  hinter- 
lassen; nicht  von   der  Zeit  der  geschehenen  Einrichtung,   SeSoiiivri 
mmia  und    der   Timokratie,   sondern    des  Einrflckens   römischer 
Legionen  und  Strafcommissionen,   die   man   nicht  mit  Festlichkeit, 
sondern  mit  Anstand  und  Zurückhaltung  hätte  empfangen  sollen.  — 
Können  wir  uns  mit  der  Auffassung  des  Gegenstandes  durch  Momm- 
sen  nicht  einverstanden  erklären,  da  fort  und  fort  die  Absicht  hervor- 
tritt, eine  unhaltbare  Meinung  durch  Zusammentragung  von  Beweis- 
mitteln zu  stQtzen,  deren  Mangel  an  innerem  Gehalte  kaum  dem  stren- 
gen Forscher  selbst  unklar  sein  konnte,  so  ist  es  nothwendfg,  sich 
Ton  der  Geschichte  Roms  zu  der  Geschichte  Griechenlands  unter  der 
Herrschaft  der  Romer  von  Hertzberg  zu  wenden«). 

Ihm  zufolge  stützt  sich  die   Ansicht,   dass  Griechenland   auch 
nach  146  von  einem  Provincialverhältnisse  nicht  berührt  wurde 

a)  auf  das  Schweigen  der  alten  Schriftsteller  über  diesen  Ge- 
genstand ; 

bj  auf  die  Unnachweislichkeit  der  Existenz  von  römischen  Statt- 
kaltem  für  Achaja  vor  der  Zeit  der  Cäsaren, 


^)  Hier  brechea4ieTaticttiischeDFngineiiteah,aDigleichauf  du  4.  Capitel  des  XXXVHI. 
BaeliM  vizkp  oSv  ov  dti^ffci  Gbenugehen.  Auch  die  Bekker*sche  Autgabe  des  Poljbiot 
p.  1153,  hat  die  von  Momoiten  angefahrte  Stelle  nicht.  Eine  jüngere  steht  mir 
nicht  an  Gebote.  Ich  citire  daher  die  Stelle  nach  Osiander.  Wohl  aber  wird  sie 
coameatirt  dorch  Diod.  XXXVII,  26,  welche  Stelle  sich  doch  olTenbar  auf  die 
Kriega«reignisse  des  J.  146,  nicht  aber  auf  spStere  Zeiten  bezieht,  sowie  auf  Vor^ 
ginge  aeit  167;  6i  9i  iv  o^^aXf&oic  id6vTt^  a\j*f^tv&v  xal  ^Ckfav  fff^oc^ai  xal 
j;(Xcxi9fioii(  xal  frorptdojv  iikfiifftii  xal  itpira^OL^  —  das  kann  sich  ja  nur  auf 
167—146  beairhen  —  ira^  irovdi^fxou»  fA<5  ^{jßpeuii  avdpairodiffpiou^  xai  rd 
ffvvoAov  n^  A(u5(f>(av  xoi  nijv  na^^ri^iocv  oiKoßaLkWctg,  fA<7iOTei)v  a7a3d»v 
likXaL^anTQ  vag  iayar^i  avu/^opag, 

<)  I.  S.  284.  not. 


304  Höfler 

c)  auf  die  zahlreichen  Zeugnisse  alter  Schriftsteller  über  die 
fortdauernde  Freiheit  der  griechischen  Volker. 

Ad  a)  bemerkt  Hertzberg,  dass  die  Unterwerfung  Griechenlandä 
im  J.  146  eine  vollständige  war,  wenn  auch  freilich  nicht  mit 
ausdrücklichen  Worten  erzahlt  wird,  dass  Griechenland  zur  Provinz 
gemacht  wurde. 

Gegen  diese  Fassung  ist  wohl  mit  Recht  einzuwenden,  dass 
Übergabe  und  Provinz  zweierlei  waren,  hier  es  sich  nur  darum  han- 
delt: berichten  die  alten  Schriftsteller,  dass  Griechenland  146  Pro- 
vinz wurde?  und  darauf  gibt  es  nur  Eine  Meinung,  wie  es  auch  nur 
Eine  Meinung  darüber  geben  kann,  dass  Übergabe  (Capitulation  — 
deditio)  und  Provins^  nicht  identisch  waren;  die  alten  Schriftsteller 
unbedingt  nichts  davon  berichten. 

Ad  bj  berichtet  Hertzberg,  wie  siegreich  Hermann  und  Zumpt 
die  angeblichen  Statthalter  Achajas  als  Trug  zurückwiesen,  dass  aber 
die  Frage  wegen  dieser  Männer  immer  nur  als  ein  Punkt  von  unter- 
geordneter Bedeutung  erschien.  Hingegen  verweist  er  auf  eine  Reihe 
von  Momenten  (namentlich  von  Marquardt  und  Mommsen  mit  grosser 
Sorgfalt  zusammengestellt),  die  bestimmt  zeigen,  dass  Griechenland 
nach  dem  letzten  Achäerkriege  allerdings  in  ein  Provincialverhältniss 
zu  den  Romern  trat. 

Hertzberg  gibt  freilich  im  nächsten  Augenblicke  wieder  zu, 
dass  die  Massregeln  d.  J.  146  (Pausanias  VH,  16.  9)  noch  nicht 
nothig  machen,  an  ein  Provincialverhältniss  der  Griechen  zu 
denken,  wohl  aber  eine  Reihe  anderer  wichtiger  Momente.  Fragt  man 
sich  nun,  welcher  Art  diese  seien,  so  heisst  es  erstens,  dass  seitdem 
der  Name  Achaja  an  der  Stelle  von  Graecia  mehr  und  mehr  in  Ge- 
brauch kommt.  Allein  wenn  auch,  was  soll  das  beweisen,  und  ist  etwa 
der  Name  Achaja  auch  fiir  Laconia,  Athen  —  ehe  Achaja  gegen  den 
Untergang  der  römischen  Republik  wirklich  Provinz  wurde  —  ge- 
braucht worden? 

Schon  die  erste  aus  Cicero  augeführte  Stelle  quod  et  Achaja 
prope  esset  plena  audacissimorum  inimicorum  <)•  »^g^  in  dieser  Bezie- 
hung nichts.  Ad  fam.  IV,  1  ist  nur  von  einem  nicht  näher  bekannten 
Achaicum  negotium  die  Rede ;  ebenso  ad  fam.  XHL  26 :  negotia  quae  sunt 


0  Ad  Att  in.  8. 


ÜBten.  d.  Frage,  ob  Griechen!,  m.  d.  Zeretdr.  Korintht  röm.  Fror,  geword.    305 

io  Achaja.  welche  noch  dazu  durch  die  gleich  darauffolgende  Erwah* 
nuDg  Ton  Elia  sich  als  achaisch  im  engeren  Sinne  des  Wortes  er- 
weisen. <)  Wie  oft  gebraucht  aber  nicht  Cicero  Graecia  neben  Achaja 
oder  für  das  Ganze !  Zum  Beweise  hiefur  einige  Stellen  aus  Cicero : 
Quemtu  locum  Graeciae  non  direptum  iri  putas.   Ad  Attic  1X9. 
Oiiuiistibi  erat  Achaja,  Thessalia,  Athenae»  cuncta  Graecia  ad- 
dieta.  In  Pisonem  c.   16.  Achaja  exhausta,   Thessalia    vexata, 
lacerataeAthenae,  Epirus  excisa,LocriyPhoci,Boeotii  exusti» 
Acamama,   Amphilochia,  Perhaebia  Athamanumque    gens  vendita» 
Maeedonia  condonata   barbaris.  1.  c.  u.  40.  Da  ist  doch  gewiss 
Achaja  nicht  Griechenland  gleichgestellt  und  ebenso  sicher  nicht  als 
eio  Bestandtheil  von  Macedonien  erwähnt.  Nulia  unquam  civitas   in 
totaAsia  et  Graecia  signum  ullum  vendidit.  Warum  heisst  es 
denn  hier  nicht  Achaja  (in  Verrem  IV,  c.  59.)?  Totam  denique  Asiam , 
Aeliajam,   Graeciam,  Siciliam  in   paucis  yillis  indusas  esse 
Tideatis  (1.  c  V.  48).  Wenn  aber  in  Verrem  I.  32  erwähnt  wird:  le- 
gati  ex  Asia  atque  Achaja  plurimi  Romae  tunc  fuerunt,  so  folgt  so- 
gleich darauf  sociorum  et  amicorum,  diese  aber  werden  (de  frumento 
89)den Provinzen  entgegen  gestellt:  lugent  omnesproyinciae^querun- 
tor  omnes  liberipopuli.  Dieses  Moment  Hertzbergs  ist  somit  von  gar 
keinem  Belange  für  das  Jahr  146,  sondern  höchstens  dafür,  dass  der 
spatere   Sprachgebrauch   möglicher  Weise  öfter  sich  des  Aus- 
druekes  Achaja  statt  Graecia  bediente.  Das  musste  aber  erst  durch 
eine  hinreichende  Menge  von  Stellen   nachgewiesen  werden.  Die 
unseren  beweisen  das  Gegentheü.  Cäsar  unterscheidet  Achaja  sehr 
genau  von  dem  übrigen  Griechenland  und  beschränkte  ersteres  auf 
das  eigentliche  Achaja*  wie  de  hello  civili  III  c.   S5 — 57  unwider- 
sprechlich  beweist»  wie  er  auch  genaa  die  Grenze  zwischen  Mace- 
donien, Epiros  und  Thessalien  angibt  III,  c.  36,  41. 

Das  zweite  Hauptmoment  findet  Hertzberg  darin,  dass  Megara, 
Aegina,Hennione,Messene  und  eine  wahrscheinlich  zu  dejiEleutherolaco- 
nen  gehörige  Stadt  mit  146  eine  neue  Ära  begannen.  Was  dieses  für  die 
Einführung  der  Provinzialverfassung  beweisen  solle»  namentlich  wenn 
eine  Elentherolaconische  Stadt  und  dann  Städte,  welche  gar  nicht  oder 
nnr  gezwungen  zum  achäischen  Bunde  gehört  hatten»  ihre  Ära  mit 


0  Vergi.  aaeh  ad  dir.  XV,  15. 

SiUb.  d.  pliil.-kist  CI.  LXV.  Bd.  II.  HfL  %2 


306  Höfler 

der  Erinnerung  an  das  denkwürdigste  Ereigniss  ihres  Jahrhunderts, 
der  Zerstörung  von  Korinth,  Theben  und  Chalkis,  der  Auflosung  des 
achaischen  Bundes  in  Verbindung  brachten^  ist  mir  Tollig  unklar,  und 
nur  so  viel  kommt  mir  dabei  in  den  Sinn :  dass  wer  zu  viel  beweisen 
will,  nichts  beweist. 

Das  dritte  Moment  besteht  darin,  dass,  da  man  nun  einmal 
absolut  nicht  läugnen  kann,  dass  Diodor,  Zonaras,  Appian,  Cicero, 
die  Inscriptionen,  von  den  Griechen  als  freien  Völkern  sprechen,  so 
soll  diese  „Freiheit"  nichts  beweisen.  Aber  heisst  denn  das  nicht 
den  Gegenstand  der  Erörterung  verwischen,  weil  man  die  Sache 
selbst  nicht  widerlegen  kann?  Nicht  darum  handelt  es  sich,  wie  viel 
oder  wie  wenig  im  Laufe  der  Zeit  die  Fi*eiheit  der  Völker  galt, 
welche  Rom  anerkannt  hatte,  sondern  ob  sie  frei  waren  oder  nicht? 
Welch  herrlicher  Beweis  doch  für  die  Gegenseite,  wenn  überall,  wo 
von  den  freien  Völkern  Griechenlands  die  Rede  war,  das  Gegentheil 
stunde,  von  ihrer  Unfreiheit  die  Rede  wäre!  Da  wäre  freilich  der 
Streit  beendigt  Da  aber  nicht  von  der  Unfreiheit,  sondern  erstens 
absolut  bei  keinem  Schriftsteller  die  Rede  von  einer  Provinz  Achaja 
und  dann  positiv  die  Rede  ist,  dass  die  Griechen  frei  waren  —  so  hat 
—  alles  dieses  das  Gegentheil  von  dem  zu  gelten,  was  es  ist  und 
heisst !  Diese  Logik  ist  jedenfalls  eine  mehr  als  seitsame  i}. 

Ob  die  Römer  aus  Grossmuth  die  Griechen  befreiten,  oder  weil 
sie  glaubten,  sie  seien  so  ihren  Zwecken  am  dienstbarsten  (Hertzberg 
nach  Marquardt  S.  293),  ist  eine  andere  Frage,  die  nicht  zu  dieser 
Sache  gehört  Möge  man  uns  doch  nicht  blos  das  Verzeichniss  der 
nachweisbar  freien  Städte  Griechenlands,  sondern  auch  das  der  zu- 
verlässig unfreien  geben.  Man  wei^e  nach,  wo  der  Prätor  ron  Achaja 
residirte,  welche  Städte  zu  seiner  Provinz   gehörten,  welches  die 
eigentlichen  Provincialen  in  Griechenland  waren,  und  wie    es    denn 
kommen  konnte,   dass  sich  in  mehr  als  100  Jahren  von  den    Prä- 
toren  Griechenlands  oder  Achajas  so  ganz  und  gar  keine  zuverlässige 
Spur  vorfand,  als  jene  negative  des  Plutarch,  dass  eben  keine  nach 
Griechenland  geschickt  wurden. 

Übrigens  kann  man  nicht  sagen,  dass  der  eigentliche  Gegen- 
stand der  Controverse  dadurch  wissenschaftlich  gefordert   werde. 


M  Sie  erinnert  an  das  berühmte  Wort:  der  Bien  mnas. 


Unten,  d.  Frage,  ob  Griechenl.  m.  d.  Zerttör.  Korinth«  röm.  ProY.  geword.    307 

ilass  Ereignisse  und  Verhältnisse  einer  späteren  Zeit  auf  das  J.  146 
übergetragen  wurden;  denn  das  steht  denn  doch  ausser  allen  Streites, 
dass  spätere  Einmischungen  des  Statthalters  von  Macedonien»  als  des 
looaehst  stehenden  in  Streitigkeiten  in  Griechenland»  welche  Rdmer 
4>der  römische  Staatsverhältnisse  betrafen,  in  den  aufgeregten  Zeiten 
eines   mithridatischen  und  anderer  Kriege  sehr  wohl   stattfinden 
koDDteo,  oiine  dass  deshalb  Griechenland  unter  Macedonien  stand, 
DDd  ohne  dass  aus  diesen  Einmischungen  ein  Schluss  auf  eine  Unter- 
<)rdouog  Griechenlands  als  Provinz  unter  den  Statthalter  gezogen 
werden  durfte.  Hier  müsste  Fall  für  Fall  auf  das  Genaueste  durch- 
gegangen werden,  um  zu  sehen,  ob  die  fortwährenden  Zeugnisse  von 
der  Freiheit  der  Griechen  dadurch  irgendwie  eine  Beeinträchtigung 
eriittea.  Nun  ist  aber  eines  der  wichtigsten  Zeugnisse  f&r  äk  Frei- 
heit der  Socii,  wie  wir  oben  sahen,  die  Fernehaltung  der  Publicaner 
vie  die  Romer  selbst  gestanden.  Es  ist  ein  weiteres  und  nichts  weni- 
ger als  yeräehtliches  Zeugniss,  dass  Sulla  weder  Athen,  das  er  mit 
Sttirm  nahm,  noch  Griechenland,  das  er  factisch  beherrschte,  zur 
Proviiiz  machte  und  als  Provinz  behandelte,  sondern  im  Gegentheile 
die  Bfinduisse  herstellte  und  die  griechischen  Hülfstruppen  mit  sich 
Jiacb  Italien  nahm. 

Als  in  Rom  selbst  das  öffentliche  wie  das  Privatrecht  der  Fac- 
tionswuth  erlag,  die  Bedruckung  der  Bundesgenossen  zur  Regel 
vurde,  der  Senat  taub  war,  wenn  Magistrate  ihre  Gewalt  missbrauch- 
tea,  oder  selbst  Private,  auf  ihr  Ansehen  gestützt,  die  Bundesge- 
nossen beraubten,  ging  freilich  die  Freiheit  der  letzteren,  aber  zu- 
gleich mit  der  Roms  unter.  Es  ist  eine  bekannte  Tbatsache,  dass 
PojDpejus  QberAchaja  im  Piratenkriege  verfügte;  dass  später  er  und 
Cäsar  sich  in  den  Besitz  desselben  zu  setzen  suchten,  ist  gleichfalls 
bekannt,  wie  dass  es  unter  die  Herrschaft  Mark  Antons,  dann  des 
Seitas  Pompejus  kam  und  endlich  den  Provinzen  einverleibt  wurde. 
Aber  alles  dieses  beweist  niclit,  dass  es  nach  Beendigung  des  achäi- 
«chen  Krieges  zur  Provinz  wurde.  Wenn  daher  Hertzberg  als  Resul- 
tat seiner  Forschungen  sagt:  ganz  Griechenland  mit  Ausnahme  kaum 
Ton  Athen,  trat  zu  Rom^  wenn  auch  noch  nicht  formell  theoretisch 
slaatsreehtiich,  so  doch  thatsächlich  in  das  Verhätniss  einer  Pro- 
Tioz;  dann  wieder  anfflhrt :  eine  selbststfindige  Provincialverwaltung 
erhielt  damals  Griechenland  noch  nicht,  vielmehr  bildeten  die 
griechisehen  Gemeinden,   denen  man  noch  immer  ihre  Freiheit  und 

22* 


308  Höfler 

ihre  nominelle  Souveränität  freilich  nur  den  Schatten  eines  Schatten 
liesSy  Theile  der  neuen  macedonischen  Provinz»  so  erscheint  mir  im 
ersteren  ein  Widerspruch»  im  letzteren  aber  eine  Willkür.  Da  nach 
Hertzbergs  eigenem  und  sehr  richtigem  Geständniss  (I  S.  260)  diese 
Thatsache  nur  sehr  spärliche,  ausdrficUiche  Erwähnungen  findet,  so 
darf  bei  dem  grossen  Schweigen  der  Schriftsteller ,  die  eigentlich 
davon  hätten  reden  müssen»  nicht  zu  Annahmen  gegriffen  werden, 
um  selbst  eine  derartige  Annahme  zu  beweisen.  Das  geschieht  aber, 
wenn  Hertzberg  unter  dem  Q.  Fabius  Maximus  der  Inschrift  von 
Dyme  den  Fabius  Max»  Eburnus  (Consul  d.  J.  116)  versteht»  der 
wahrscheinlich  inMacedonien  kämpfte»  wo  er  dann  116  als  Pro- 
consul  fungirte»  I.  S.  317.  n.  Hierauf  weiter  einzugehen»  halte  ich 
für  überflüssig»  da  die  Frage»  wer  dieser  Fabius  gewesen,  dadurch 
sicher  nicht  beantwortet  wird»  dass  er  selbst  erst  noch  dazu  dienen 
muss»  eine  andere  Hypothese  zu  erhärten. 

Wohl  aber  möchte  ich  denn  doch  an  diejenigen»  weiche  wie  es 
mir  scheint  mit  mehr  Hartnäckigkeit  als  Gründen  daran  festhalten» 
dass  Griechenland  romische  Provinz  schon  damals  geworden  sei»  die 
Frage  richten :  wenn  es  so  gewesen  wäre»  wie  hätten  sich  denn  doch 
wohl  die  Schriftsteller  ausgedrückt?  Ist  es  denkbar»  dass  alle  darüber» 
wie  auf  gemeinsame  Verabredung,  Griechen  und  Romer»  Zeitgenossen, 
und  spätere  ein  erhabenes  Stillschweigen  beobachtet  hätten?  Zwar 
rechnet  der  gelehrteste  Vertheidiger  der  Hypothese»  dass  Griechen- 
land zur  Provinz  Macedonien  geschlagen  worden  sei»  gerade  hierauf, 
und  gibt  zu  verstehen  wenn  wir  die  verlorenen  Bücher  des  Livius 
besässen»  so  würde  die  Sache  sich  in  seinem  Sinne  günstiger  gestal- 
ten!? Also  soll  wohl  der  Beweis  des  einstimmigen  Stillschweigens 
nichts  gelten  und  von  gar  keiner  Bedeutung  sein?  Ist  aber  auch  an- 
zunehmen, dass  im  umgekehrten  Falle»  im  Falle»  dass  alle  die  Schrift- 
steller, welche  durch  ihr  Schweigen  zu  erkennen  geben»  dass  die  an- 
gebliche Thatsache  eben  nicht  zu  berichten  war»  diese  zu  berichten 
vermocht  hätten»  denkbar»  dass  sie  sie   nicht  berichtet  hätten?  Ich 
glaube  nicht,  dass  es  viele  Gelehrte  gibt»  welche»  wenn  sie  auf  diese 
Frage  nur  mit  Ja  oder  Nein  zu  antworten  hätten,  mit  Ja  antworten 
würden?  Nachdem  Zumpt  in  so  überzeugender  Weise  dargethan, 
dass  Achaja  für  sich  keine  Provinz  war;  nachdem»  wie  zugestanden 
wird»   das  charakteristische  Moment   der  Publicaner  Griechenland 
fehlte»  nachdem  die  Freiheit  der  Hellenen  selbst  durch  ein  Monument 


(Joters.  d.  Frage,  ob  Griechen!,  m.  d.  Zen(5r.  Korinths  röm.  ProT.  geword.    309 

verbürgt  ist,  das  man  nicht  beseitigen  kann  und  das  allein  schon  hin- 
reicht die  ProTincialhypothese  zu  vernichten;  nachdem  alle  Schrift- 
steUer,  welche-  daTon  berichten  konnten  und  berichten  mussten, 
seWeigen,  nachdem  die  Hypothese  Ton  der  Aera  des  Jahres  146  sich 
am  leichtesten  durch  die  den  Hellenen  im  Allgemeinen  gewährte  Frei- 
heit, die  Auflösung  des  BundesverhSItnisses,  die  Herstellung  der 
Autonomie  erklären  lasst,  mochte  ich  denn  doch  den  Ausspruch  mir 
erlauben,  die  Sache  sei  abgethan  und  Sigonius,  Valesius  und  andere 
ehrenwertbe  Persönlichkeiten ,  denen  wir  die  Hypothese  verdanken» 
io  ähnlicher  Weise  zu  bescheiden,  wie  diejenigen,  welche  uns  noch 
immer  glauben  machen  wollen,  es  sei  im  J.  476  nicht  blos  das  west- 
römische Reich  untergegangen,  sondern  auch  das  Ende  der  alten 
Welt  eingetreten,  was,  wie  Jedermann  weiss,  auch  eine  sehr  beliebte 
und  doch  gänzlich  unwahre  Hypothese  ist. 

Wenn  aber  gesagt  wurde,  es  liege  an  dem  ganzen  Streite  wenig, 
wenir  zu  Ycrstehen  gegeben  wurdet  es  sei  gleichsam  ein  Wortgefecht,  so 
kann  ich  diesem  nicht  beistimmen.  Nicht  blos  aus  dem  oben  ange- 
führten Grunde,  weil  jede  Feststellung  einer  Thatsache  kein  Wort- 
gefecht ist,  sondern  aus  einem  ganz  anderen  Grunde.  Wenn  sich 
Gr/echenland  selbst  in  denjenigen  Zeiten,  die  nur  mehr  ein  Schatten 
seiner  früheren  Bedeutung  waren,  doch  erhielt  und  selbst  einen  ge- 
w'issen  Einflusfl,wenn  auch  nicht  auf  die  politischen  Angelegenheiten, 
aber  doch  selbst  auf  die  nationale  Scheidung,  den  grossen  Dualis- 
mus im  romischen  Reiche  —  lateinische  und  griechische  Welt  —  er- 
langte, so  liegt  der  Grund  darin,  dass  das  Mutterland  nicht  wie  die 
ProTinz  Asien  und  die  Provinz  Sicilien  seine  Selbstständigkeit  völlig 
v^erlor.   Dicht  dem  Schicksale   von  Grossgriechenland  verfiel.    Die 
reichste  Provinz  des  römischen  Reiches,  das  griechische  Asien  verfie  1 
ganz  den  Poblicanern,  den  Speculationen  der  römischen  Ritter  u  nd 
Geldmensehen.  Dort  bereitete  sich  jener  entsetzliche  Ingrimm  vor, 
deo    Mitbridat  zu  dem  beispiellosen  Blutbade  benutzte,  der  Vesper 
Asiens,    wenn   man   die   gleichzeitige   Ermordung  von   mindestens 
S0,000  Römern,  die  selbst  an  den  Altären  nicht  Rettung  fanden,  nach 
einem  bekannten  Ereignisse  aus  der  Höhe  des  Mittelalters  benennen 
dard  Von  den  Folgen  dieser  That  hat  sich  Asien  fast  nicht  mehr  er- 
holt, und  vrenn  auch  die  Lucullischen  Gesetze  einige  Erleichterung 
vor  dem  Drucke  des  römischen  Wucherthums  brachten,  kamen  nicht 
lange  darauf  noch  schlimmere  Zeiten. 


310    Hsfler,  Unten,  d.  Frage,  ob  Griecheol.  m.  d.  Zerstör.  Koriaths  etc. 

Aber  auch  vor  dem  Schicksale  der  ProTinz  Siciliens  bewahrte 
der  Umstand  Griechenland»  dass  es  nicht  Provinz  wurde.  Dort  nahm 
der  nationale  Dualismus  einen  eigenen  Charakter  an,  als  der  Römer 
sich  fBr  die  Latifundien  mit  ihrer  8clavenbev5lkerung  aussprach,  der 
Grieche  aber  fOr  den  Ackerbau «).  Zum  nationalen  Dualismus,   zu 
dem  des  Siegers  und  des  Besiegten,  des  Herrschenden  und  Be* 
herrschten  war  ein  socialer  gekommen.  Freilich  ward  Sicilien  die 
Kornkammer  Roms,  aber  wodurch?  dass  der  freie  Arbeiter  durch  den 
fremden  Sclaven  verdrängt  wurde.   Die  Streitigkeiten  hellenischer 
Stftdte  horten  auf  und  die  grossen  Sclavenkriege  begannen.  Gewiss 
war  die  Freiheit  der  Hellenen  keine  grosse,  da  ihnen  das  wichtige 
Recht  der  Bestimmung  Qber  Krieg  und  Friede  fehlte  und  die  frühere 
Gleichberechtigung  zwischen  Griechen  und  Römer  geschwunden  war. 
Allein  konnte  denn,  seit  das  Missverhfiltniss  der  Macht  so  grell  her» 
vorgetreten  war,  was  lange  vor  146  der  Fall  war,  von  den  drei  Fal- 
len,  die   einst  Menippus  in  Bezug  auf  BOndnisse   angefOhrt   hatte 
(193  n.  Chr.),  der  je  für  die  Griechen  und  Romerpassen,  cum  pares 
hello  aequo  foedere  in  pacematque  amicitiam  venirent?  Ebensowenig 
wie  jener;  welchen  der  Gesandte  des  Antiochus  fllr  das  Verhältnis» 
zwischen  seinem  Herrn  und  den  Römern  in  Anspruch  nahm,  cum  qui 
hostes  nunqoam  fuerint  ad  amicitiam  sociali  foedere  interse  jungendam 
coeant.  Eos  neque  dicere  neque  accipere  leges.  Id  enim  victoris  et  victi 
esse.  Es  blieb  also  consequent  nur  derjenige  übrig,  welchen  Menip- 
pus«) unter  den  drei  Möglichkeiten  als  die  erste  anführte :  Unum  cum 
hello  victis  dicerentur  leges.  Ubi  enim  omnia  ei,  qui  armis  plusposset» 
dedita  essent,quae  ex  iis  habere  victos,  quibus  mulctari  cos  velit,  ipsius 
jus  atque  arbitrium  esse. 

Das  war  das  Schicksal  Griechenlands  geworden,  als  es  sich 
unter  Diäos  und  Kritolaos  vermass,  mit  den  romischen  Wolfen ,  den 
RSubern  des  Erdkreises,  den  ungleichen  Kampf  einzugehen,  und  nun 
von  der  Gnade  des  Siegers  abhängig,  die  Freiheit  noch  einmal  nl» 
Geschenk,  diessmal  aber  auf  Ruf  und  Widerruf  erlangte.  146. 


^)  inimiciiB  est  (Siculos),  heisst  es  bei  Verres  (U  49)  propterea  qnod  wator  e«i. 
«)  Liy.  XXav.  c.  57. 


Pfixmaier,  Die  LebenaverlSogeruDgen  der  Minner  des  Weges.  311 


Die  Lebensyerlängerungen  der  MSnner  des  Weges. 

Vom  w.  M.  Dr.  A.  Pfizmaier. 

Die  Verlängerung  des  Lebens  steht  mit  der  in  China  verbrei* 
teten  Lehre  des  Weges  in  so  ferne  im  Zusammenhange»  als  sie,  nach 
der  Meinung  der  Bekenner  dieser  Lehre»  eine  nothwendige  Folge  der 
Erlangung  des  Weges  ist.  Der  Weg  wird  in  erster  Reihe  ohne 
äussere  Mittel,  durch  das  Gute  allein,  ferner  durch  geistige  Ruhe, 
Abgeschlossenheit,  Beschäftigung  mit  dem  Lautlosen  und  Stillen,  Ver- 
körperung des  Nichts  und  Denken  an  die  gottlichen  Wesen  zu  Stande 
gebracht. 

Die  Lebensverlängerung  wurde  aber  auch  als  Selbstzweck  be- 
trachtet, zu  dessen  Erreichung  theils  allgemeine  Mittel,  wie  eine 
geregelte  Lebensweise,  Fernhalten  der  Leidenschaften,  das  Licht  der 
Himmelskörper,  atmosphärische  Luft,  theils  eigentliche  Arzneimittel 
und  sogenannte  Lockspeisen  angewendet  werden. 

Dass  die  Bestrebungen,  das  Leben  zu  Terlängern,  so  häufig 
fehlschlugen,  wird  dem  Umstände  zugeschrieben,  dass  die  Menschen 
gewohnlich  nur  mit  der  Spitze,  d.  i.  den  lebensverlängernden 
Arzneien,  weniger  jedoch  mit  dem  Stamme,  d.  i.  der  Lehre  des 
Weges,  sich  befassen.  Namentlich  wird  von  Anrufung  der  Gotter  und 
Gehet  so  wie  von  Opfern  keine  Wirkung  erwartet.  Die  Kaiser  der 
Dynastien  Thsin  und  Han  yerausgabten  für  Gebet  und  Opfer,  durch 
welche  sie  ihr  Leben  zu  yerlängern  hofften,  hunderttausend  Zehn-» 
tansende,  ohne  davon  den  geringsten  Nutzen  zu  haben. 

Man  macht  daher  einen  Unterschied  zwischen  dem  Nähren  des 
Lebens,  welches  durch  die  genannten  allgemeinen  Mittel  bedingt 
wird,  und  dem  Gebrauche  der  Lockspeisen,  die  in  wirklichen  oder 


312  ^  P  f  i  s  m  a  i  e  r 

vermeintlichen  Arzneimitteln  bestehen.  Die  gewohnlichsten  unter 
diesen  oft  sehr  eigenthumlichen  Arzneimitteln  sind:  Mennig»  Gold- 
saft» Wolkenmutter,  Stechwinde»  Hanfsaamen»  Bergdistel»  süsse 
Pflanze»  Goldblumen»  Rabenreis»  Unsterblichkeitspflanzen.  Viele  der- 
selben sind  ganzlich  unbekannt  und  werden  durch  Namen  wie  Nacht- 
glanz» Pflanze  der  Tiefen,  Mennig  der  neun  Blumen,  gehäuftes  Grün, 
grünes  Geistiges»  gelbes  Geistiges»  das  Gehirn  des  Paradiesvogels  in 
neun  Hüllen,  das  Erblühen  des  Regenbogens  der  purpurnen  Blumen, 
die  grüne  Kupfermünze  des  Thsang-lang»  fliegende  Wurzeln  aus- 
gedrückt, oder  es  sind  unfassbare  Dinge  wie  Nebel,  rother  Wolken- 
dunst, Mondschatten»  Sonnenfrucht»  mennigrother  Schatten  der 
Sonne. 

In  Übereinstimmung  mit  dem  Gesagten  werden  in  der  vorlie- 
genden Arbeit  zwei  Gegenstände:  „das  Nähren  des  Lebens^  und 
„der  Gebrauch  der  Lockspeisen**,  unter  Anführung  einiger  bezüg- 
licher» bis  zu  den  Zeiten  des  Hauses  Tsin  sich  erstreckender  Nach- 
richten von  Männern  des  Weges,  behandelt. 


Das  N&hren  des  Lebens. 

Das  Buch  des  grossen  Friedens  sagt: 

Der  Weg  des  Nährens  des  Lebens  ist  die  Beruhigung  des 
Leibes»  das  Nähren  der  Luft»  die  Abwesenseit  von  Begierde»  Freude 
und  Zorn.  Es  gibt  keinen  Kummer»  desswegen  besitzt  man  das  lange 
Leben. 


Eins  ist  der  Anfang  der  Zahlen,  der  Weg  des  Lebens,  das- 
jenige, von  dem  die  ursprüngliche  Luft  sich  erhebt.  Es  ist  das  ur- 
sprüngliche grosse  Zugseil  des  Himmels.  Desswegen  bewahrt  man  und 
ersehnt  das  Einzige.  Willst  du  das  Alter  nähren»  das  Einzige  be- 
wahren» sehr  langlebig  sein»  die  Luft  zufrieden  stellen»  gemächlich 
liegen,  so  hast  du  das  Einzige  in  Bewahrung.  Wenn  die  Luft  die 
Quelle  ist»  wie  sollte  der  Leib  ins  Verderben  gerathen?  Dieses  nennt 
man  die  wahre  Kostbarkeit,  das  Weggehen  des  Alters  und  des 
Schwindens. 


In  dem  Alterthum,  zu  den  Zeiten  der  drei  Erhabenen  war  die  Luft 
der  Menschen  klar  und  tief.  Sie  kannten  die  innerste  Beschaflfenheit 


Die  Lebensrerlingeruogeii  der  Mfinner  des  Weges.  313 

des  Himmels  und  der  Erde,  desswegen  erlernten  sie  vollständig  den  Weg 
des  Wahren.  Sie  erlangten  dann  wieder  das  öffentliche  des  Himmels 
und  der  Erde.  Bei  der  Weise  des  Suchens  des  Weges  ist  die  Ruhe 
das  Fassgestell  und  das  Erste.  Wenn  das  Herz  und  der  Geist  er- 
leachtet worden,  sind  sie  mit  dem  Wege  ein  Einziges.  Bei  der 
Eröffaung  and  Aneignung  des  Tiefen  und  Offenkundigen  hat  es  die- 
selbe Bewandtniss  wie  bei  dem  hellen  Tage.  Wenn  man  nicht  den 
Weg  erlernt,  ist  es,  als  ob  man  in  einem  finsteren  inneren  Hause 
wohnte  und  in  den  Gegenden  sich  irrte.  Desswegen  entsetzten  sich 
die  flochstweisen  und  Weisen  vor  dem  Mussiggange. 

Das  Buch  des  grossen  Höchsten  sagt: 

Bewahrt  man  das  Einzige,  so  untersucht  man  und  bestimmt  die 
Quelle  des  Herzens.  Bewahrt  man  die  Ruhe,  so  gibt  man  Fortbestand 
dem  Geiste,  vergisst  die  Gestalt.  Man  bestimmt  die  Luß,  verkehrt 
mit  dem  Nichts.  Der  Weg  wird  vollendet;  die  Wahren  steigen 
hernieder. 

Das  Buch  des  wahren  Einzigen  der  drei  Ursprunglichen  sagt : 

Verkörpert  man  die  hundert  Gotter,  so  sind  die  Ohren  das 
Fenster  und  das  Thor  des  Kaisers  und  Gebieters.  Die  Augen  sind  die 
Sonne  und  der  Mond  des  grossen  Einzigen.  Die  Nase  ist  die  Anhuhe 
uod  der  Berg  der  drei  Unsprunglichen.  Der  Mund  ist  die  meimig- 
rothe  Wassertiefe  des  hochrothen  Palastes.  Die  Augenbrauen  sind 
der  Biumendeckel  des  weissen  Ursprünglichen.  Das  Haupthaar  ist  das 
Geistige  des  Waldes  der  glänzenden  Halle.  Die  Zunge  ist  der 
dracheuformige  Schwangbaum  der  ursprünglichen  Bluthen.  Die 
Zähne  sind  die  Macht  und  Stärke  des  Palastes  des  Magens.  Die 
Hände  sind  die  äusseren  Hebel  des  Gallengottes.  Die  Füsse  sind  der 
reingeistige  Engpass  des  Ursprunglichen  der  Nieren.  Die  verborgene 
Gipfelung  ist  das  wsihre  Triebwerk  der  Gemächer  der  Tiefen. 


Kiuen-tse  übergab  Su-Iin  den  Weg  des  Bewahrens  der  drei 
wahren  Einzigen.  Später  sagte  Su-Iin  wieder  zu  Kiuen-tse,  dass  er  in 
das  innere  Haus  der  Stille  des  Schlafgemaches  nicht  mehr  zurückkehren 
werde.  Er  Hess  auf  einem  Papiere  eine  Schrift  zurück,  legte  sie  in 
iie  Sehlafstätte  und  gab  sie  Lin.  Diese  Schrift  lautete:  Die  drei  Ein- 
igen der  fünf  Nössel  sind  dasjenige,  was  der  grosse  Kaiser  geheim 
hält.   Ich  sehnte  mich  nach  ihnen  mit  reinem  Geiste  durch  zwölf 


314  Pf i  z  m  ai  er 

Jahre.  Die  drei  Einzigen  besuchten  und  sahen  mich.  Ich  übergebe 
dir  eine  Schrift.  Wo  nur  die  drei  Einzigen  sind,  wird  das  lauge 
Leben  nicht  vernichtet.  Um  wie  viel  mehr  ist  dieses  der  Fall,  wenn 
man  sie  wieder  bewahrt !  Wer  fähig  ist»  die  drei  Einzigen  zu  be- 
wahren ,  dessen  Name  wird  eingeritzt  in  die  Edelsteintafeln.  Um  wie 
Tiel  mehr  ist  dieses  der  Fall,  wenn  man  mit  den  drei  Einzigen  eine 
Zusammenkuntt  hat!  Die  sonach  yerbleiben  in  den  Gemächern  der 
Tiefen,  sind  die  Fürsten  des  höchsten  Reinen.  Die  hinzugeben  die  drei 
Ursprunglichen,  sind  die  Gebieter,  die  fünf  Kaiser.  Dass  später  der 
Gebieter,  der  Kaiser  der  goldenen  Thorwarte  bestieg  die  Schatten, 
die  schnellen  Wolken,  umherwandelte  in  den  zehn  Himmeln,  geschah 
wirklich  durch  die  drei  Ursprünglichen  der  Gemächer  der  Tiefen. 
Es  ist  der  Weg  des  wahren  Einzigen. 

Die  Lernenden  des  Zeitalters  ehren  und  bewahren  das  Einzige. 
Sie  sollen  bewirken,  dass  ihr  Herz  gediegen,  ihr  Geist  gefroren,  ihr 
Leib  ausschliesslich  durch  ein  Einziges  und  wahrhaft  angeregt  ist. 
Hierdurch  werden  die  hundert  Nachsinnungen  nicht  erzeugt,  die 
reingeistigen  Gedanken  sind  nicht  zerstreut.  Man  hat  bloss  die 
innere  Betrachtung  durch  drei  Monate,  wendet  sich  zu  in  dem  Herzen, 
einigt  den  Geist,  bindet  die  Gedanken,  damit  sie  sich  nicht  zerstreuen, 
befasst  sich  ausschliesslich  mit  der  Luft,  damit  sie  im  Einklang  sei. 
Dies  ist  das  Ziel  der  Benützung  des  Gediegenen,  die  Schnelligkeit 
des  Erlangens.  Sobald  das  Gediegene  sich  zerstreut,  das  Wahre 
sich  trennt,  erheben  sich  die  Blumen  gegenseitig  mit  Lugen,  sie 
streiten,  und  Unordnung  entsteht.  Desswegen  wird  das  Einzige  nicht 
plötzlich  angeregt,  der  Geist  gibt  nicht  sogleich  Antwort.  Es  ist 
nicht  der  Fall,  dass  man  nicht  hinweggehen  will.  Dasjenige,  dem 
man  Fortbestand  gibt,  ist  nicht  ausschliesslich,  was  man  ersehnt, 
wird  nicht  erforscht.  Desswegen  begründet  man  die  Verdienste  der 
gehäuften  Jahre,  und  das  Vorherrschende  ist  nur  das  Ungewisse. 

Die  Weise  der  drei  Einzigen  ist  das  Hauptheft  des  Buches  der 
Wahren  des  höchsten  Reinen,  der  erreichte  Weg  des  erhabenen 
Höchsten,  die  Überfahrt  und  die  Strasse  der  göttlichen  Unsterblichen, 
die  wundervolle  Entscheidung  sämmtlicher  Wahren.  Du  bist  lahig, 
das  Einzige  zu  bewahren.  Das  Einzige  bewahrt  auch  Dich.  Du  bist 
fähig,  das  Einzige  zu  sehen.  Das  Einzige  sieht  auch  Dich.  Das  Ein- 
zige wartet  auf  den  Leib  und  erhebt  sich.  Der  Leib  wartet  auf  das 
Einzige  und  entsteht.  Bei  den  Warnungen  der  Bewahrung  des  Ein- 


Die  LebensrerIXngerongea  der  Minoer  des  Weges.  3 1  «> 

« 

xigen  warnt  man»  dass  man  nicht  ausschliesslieh  ist.  Ist  man  aus- 
sebliesslieh,  so  hat  man  spater  nicht  die  lange  Dauer.  Hat  man  die 
lange  Dauer,  so  ist  man  nicht  iShig  zur  Geistigkeit.  Ist  man  geistig, 
so  ist  man  nicht  fihig  zur  Festigkeit.  Ist  man  fest  und  nicht 
bestSndig,  so  entfernen  sich  die  drei  Einzigen,  der  Leib  ist  ein  leere& 
Wohnhaus. 

Das  Buch  der  fönf  Beglauhigungsmarken  sagt: 
Wer  das  Einzige  kennt,  fQr  den  gibt  es  keine  einzige  Sache, 
die  er  nicht  wGsste.  Wer  das  Einzige  nicht  kennt,  ffir  den  gibt  es 
keine  einzige  Sache,  die  er  wissen  könnte.  Das  Einzige  ist  die 
Beoeonung  des  Vornehmsten,  dasjenige,  das  seines  Gleichen  nicht 
bat  Will  man  gewiss  das  Leben  TerlSngern,  mGssen  die  Einzigen  in 
das  Licht  gesetzt  werden.  Sehnt  man  sich  nach  dem  Einzigen  und 
ist  sehr  hungrig,  so  gibt  das  Einzige  Mundvorrath.  Ist  man  sehr 
dorstig,  so  gibt  das  Einzige  sauren  Trank.  Das  Einzige  ist  fähig, 
das  Tin  zu  vollenden,  das  Yang  hervorzubringen.  Es  breitet  aus- 
einander nnd  bringt  in  Gang  Hitze  und  Kälte.  Seine  Grosse  kann 
doreh  die  sechs  Vereinigungen  nicht  verborgen  werden.  Seine  Klein- 
heit kann  durch  die  Haarspitzen  und  Ährenspitzen  nicht  umschrieben 
werden.  Es  ist  fShig  zu  Müsse,  es  ist  fähig  zu  Vorbereitungen.  Das 
Einzige  entfernt  sich  dann  nicht.  Man  gibt  Fortbestand  dem  Einzigen 
mit  grosser  Sorgfalt,  das  Einzige  ist  flihig,  den  Geist  zu  durchdrin- 
gen. Man  trinkt  wenig,  isst  spfirlich.  Das  Einzige  hftit  sich  dann  auf 
und  ruht.  Das  Einzige  kenneu,  ist  nicht  schwer,  die  Schwierigkeit 
liegt  in  dem  Ende.  Das  Wahre  kennen  und  nicht  üben,  ist  so  viäl 
als  ob  man  es  nicht  kennte.  Man  sucht  es  ohne  Aufhören  und  steigt 
zo  jenem  Reinen  der  Edelsteine. 


Die  Luft  nfthren,  hierdurch  erhält  man  den  Leib  unversehrt. 


Wer  die  Luft  verzehrt,  nimmt  immer  wenig  in  sich  auf. 

Das  Buch  Lao-tse  sagt: 

Der  Weg  ist  unscheinbar  und  tief.  Du  bist  noch  nicht  fähig, 
ihn  zu  unterscheiden.  Man  fasst  zusammen  seine  Umschränkung  und 
KQrzong,  man  hütet  sich,  dass  man  ihn  nicht  verliert.  Man  beein- 
trächtigt früher  die  Begierden,  heisst  nicht  die  Gedanken  mussig  sein. 
.Van  wohnt  abgeschlossen  an  einem  stiDen  Orte,  in  einem  geistigen 


316  P  f izm  aier 

und  kleinen  Hause  des  Gebetes.  Zehntausend  Rollen  mennigrother 
BQeher  gelten  nicht  so  yiel  wie  die  Bewahrung  des  Einzigen.  Man 
soll  das  Sinnen  zurecht  bringen  und  dadurch  den  Vorsatz  bestimmen. 
Man  beruhigt  den  Leib  und  sichert  dadurch  den  Geist.  Man  legt 
Werth  auf  die  Luft  und  gibt  dadurch  Fortbestand  dem  Blute.  Sehnen 
und  Sinnen  werden  zugleich  vergessen.  Man  soll  nachdenken  und 
innerlich  betrachten»  dann  sind  der  Leib  und  der  Geist  ein  Einziges. 
Man  sehnt  sich  in  der  Stille  und  bestimmt  die  Zeitden  Wahren,  dann 
sind  sämmtliche  wundervollen  Dinge  angeregt  und  treffen  zusammen. 
Man  befasst  sich  ausschliesslich  mit  dem  Geistigen,  sammelt  den 
Geist  und  vermengt  sich  nicht  mit  den  Wesen.  Dieses  nennt  man 
das  klare  Zurücktreten.  Der  Geist  unterwirft  sich,  die  Luft  wird 
ruhig  und  bewegt  sich  nicht.  Dieses  nennt  man  den  W^eg. 


Wer  gut  das  Leben  leitet,  wandelt  auf  trockenem  Boden  und 
begegnet  nicht  den  Nashurnern  und  Tigern.  Er  tritt  in  das  Ki?egs- 
heer  und  wird  nicht  bedeckt  von  Panzern  und  Angriffswaffen.  Die 
Nashorner  haben  nichts,  wohin  sie  werfen  konnten  ihre  Horner.  Die 
Tiger  haben  nichts,  wohin  sie  setzen  konnten  ihre  Klauen.  Die  An- 
griffswaffen haben  nichts,  das  in  sich  fassen  könnte  ihre  Schneide. 

Das  Buch  des  Wahren  des  grossen  Höchsten  sagt: 

Das  Einzige  hat  keine  Gestalt.  Sucht  man  es,  so  ist  es  schwer 
zu  erlangen.  Bewahrt  man  es,  so  ist  es  leicht  zu  verlieren.  Dass  man 
es  leicht  verliert,  ist  von  der  Mangelhaftigkeit  der  Erkenntniss. 
Begierden  und  Wünsche  bewerkstelligen  Stockung  in  dem  Herzen. 
Dieses  ist  leer  und  unthätig.  Es  handelt  sich  um  die  Bewahrung  des 
Einzigen.  Wenn  es  sich  häuft  und  noch  nicht  gipfelt,  so  ist  dieses 
durch  das  allmälige  Steigen.  Es  soll  auf  die  drei  Ursprunglichen 
ankommen.  Man  erforscht  und  erkennt  die  göttliche  Luft,  die  Gestalt, 
das  Aussehen,  die  Namen  und  die  JSnglingsnamen.  Man  tritt  aus  und 
tritt  ein  bei  dem  Sein  und  Nichtsein.  Im  Leben  hSIt  man  nieder 
die  drei  Paläste,  das  Gitl  der  Leichname  entfernt  sich.  Die  Bucher 
der  hochstweisen  Wahren  und  Unsterblichen,  man  folgt  und  über- 
gibt sie  bei  diesem  Anlasse. 

Das  Buch  der  acht  Ungeschmückten  sagt: 

Wer  den  äussersten  Weg  erlernt,  untersucht  und  bestimmt  sein 
HerZy  entfernt  die  Sorge,  klärt  den  Leib.  Er  kennt  die  Veränderungen 
und  Abwechslungen.  Ist  das  Denken  richtig,  der  Leib  klar,  dann  erst 


Die  LebensverUngerongen  der  Mäaner  des  Wege«.  3 1 T 

ist  das  Herz  beatimmt.  Ist  das  Herz  bestimmt,  so  wird  der  Weg 
ToUeDdet  Ist  der  Weg  vollendet,  so  steigen  die  Wahren  herab.  Wer 
bei  dem  Einzigen  verbleibt,  das  Göttliche  bewahrt,  macht  zum 
Gegenstande  der  Forschung  die  richtigen  Verwandlungen.  Die  rich- 
tigen Verwandlungen  haben  ihren  Ausgang  von  der  Bestimmung  des 
Henens.  Ist  das  Herz  bestimmt,  so  ist  die  Erkenntniss  klar.  Ist  die 
Erkenntniss  klar,  so  vereinigt  man  sieh  mit  dem  Wege. 


Die  wahren  Menschen  der  grossen  Gipfelung  sagen : 

Die   Menschern    des    Alterthums,    welche    den    Weg    übten, 

waren  ursprunglich  still  und  ruhig.  Ihr  Geist  gedachte  der  Wahren, 

sie  gaben  Fortbestand  dem  Ursprünglichen,  zeigten,  dass  sie  all- 

mälig  herbeiführten,  was  sich  noch  nicht  zuwandte.  Sie  erkannten 

die  Quelle,  ihr  Geist  war  verstandig  und  fähig  zu  sehen.  Sie  sahen 

und  waren  fähig  zu  folgen.  Sie  folgten  und  waren  fShig  sich  zu 

Gben.   Sie   übten    sich    und  waren  fähig  sich  zu  befestigen.  Sie 

befestigten  sich  und  waren  fähig  zu  vollenden.  Wer  vollendet  hat 

Qod  sich  nicht  befreundet  mit  den  höchstweisen  Menschen,  befindet 

sieh  in  der  Welt  gleich  der  Rohrpfeife  des  Sackes.  Es  ist  nicht  der 

Fall,  dass  er  mit  den  zehntausend  Dingen  sich  verbindet  Er  streitet 

mit  ihnen  um  die  Tugend  und  wendet  sich  ihnen  immer  zu.  Weil 

er  bescheiden  und  nachsichtig  ist,  hat  er  nichts  zu  wünschen.  Die 

Wünsche  sind  die  Wurzel  des  Unheils  und  des  Verderbens.  Das 

Nichts  ist  das  Ursprüngliche  des  Himmels  und  der  Erde.  Niemand 

kennt  die  Wurzel,  Niemand  kennt  die  Quelle.  Die  hochstweisen 

Menschen  entfernen  sich  von  den  Wünschen,  treten  in  das  Nichts 

und  stützen  dadurch  ihren  Leib. 

Das  Buch  der  ursprünglichen  Wahren  der  Tiefen  des  grossen 
Einzigen  sagt : 

Die  beiden  Ohren  heissen  mit  Namen  die  hohen  Fenster  der 
sechs  Vereinigungen.  Es  sagt  ferner:  In  Tsi  nennt  man  sie  mit 
Namen  die  Paläste  des  höchsten  Befehles. 


Bei  dem  Wege  des  Nahrens  des  Lebens  sind  das  Ohr  und  das 
Auge  die  Vorgesetzten.  Blickt  man  auf  die  Dinge  ohne  Unterschied, 
so  wird  das .  Auge  verdunkelt  Gibt  man  Gebor  in  grosser  Ausdeh- 
nung, 90  wird  das  Ohr  verschlössen. 


31.8  P  fix  maier 

Die  inneren  Überlieferungen  von  dem  Gebieter  des  Geschlechtes 
Pei  sagen: 

Wer  den  Weg  sucht,  trachtet  vorher,  dass  das  Auge  klar,  das 
Ohr  scharfhorig  sei  und  macht  sie  zu  Vorgesetzten.  Auch  sind  Ohren 
und  Augen  die  Leitern  und  die  Stufen  des  Aufsuchens  der  Wahren, 
die  Thore  und  die  Thüren  sämmtlicher  reingeistiger  Wesen.  Gelingen 
und  Fehlschlagen  ist  an  sie  gebunden.  Das  Buch  der  Unsterblichen 
sagt:  Bei  dem  Nähren  des  Lebens  macht  man  das  Nichtverletzeii  zur 
Grundlage.  —  Dieses  ist  ein  nothwendiges  Wort. 

Das  Buch  der  Wahren  des  grossen  Klaren  sagt: 
'  Unter  den  Dingen»  die  mit  Entschiedenheit  die  Luft  auf- 
genommen haben,  legt  alles  ohne  Ausnahme  Werth  auf  das  Leben.  Das 
Leben  ist  die  grosse  Tugend  des  Himmels  und  der  Erde.  Unter  den 
Tugenden  geht  nichts  über  das  lange  Leben.  Was  lange  lebt,  ist  gewiss 
der  aussen  befindliche  Leib.  Man  verdirbt  nicht  mit  dem  eigenen 
Leibe  die  Wesen.  Man  lässt  es  nicht  dabei  bewenden,  dass  man  sie  nicht 
verdirbt,  man  steht  auch  den  Wesen  bei  und  vergisst  dcQ  eigenen 
Leib.  Man  vergisst  den  eigenen  Leib,  und  der  eigene  Leib  wird  nicht 
vergessen.  Dieses  ist  es,  was  gut  das  Leben  leitet.  Den  Weg  der 
Wahren  nährt  den  Geist,  der  Geist  ist  im  Stande,  zu  fliegen  und 
sich  zu  verwandeln. 

Das  Buch  der  drei  Ursprunglichen  des  grossen  Höchsten  sagt: 

Bei  dem  Wege  des  Nährens  des  Lebens  muss  man  die  Luft 
schonen,  dem  Geiste  Fortbestand  geben.  Man  darf  nicht  zu  viel 
reden,  nicht  laut  schreien.  Man  bewirkt  dadurch,  dass  der  Geist 
belästigt,  die  Luft  beschädigt  wird.  Desswegen  nehmen  die  wahren 
Menschen  und  die  Männer  des  Weges  immer  aus  dem  Munde,  nehmen 
auf  und  bringen  dadurch  zu  Übereinstimmung  die  sechs  Arten 
der  Säfte. 

Das  Buch  des  ursprünglichen  Zeigens  sagt: 

Die  Gestalt  und  der  Stoff  sind  die  Werkzeuge  des  Erfassens 
des  Lebens.  Sie  sind  es  nicht,  durch  welche  das  Leben  zum  Leben 
geweckt  wird.  Das  zum  Leben  Geweckte  macht  das  Ungesehmückte 
und  Rohe  zum  Stoffe.  Es  macht  die  Luft  zum  Ursprunglichen,  den 
Geist  macht  es  zur  Gestalt.  Dieses  ist  die  Vorhalle  des  Palastes  des 
Lebens.  Es  macht  das  Nichts  zum  Auferzogenen.  Der  Geist  breitet 
sich  und  wird  auseinandergelegt  an  den  Thoren  des  ursprünglichen 
Wundervollen,   er  kommt  und  geht  in  den  Zwischenräumen  des 


Die  LebensTerlingerungen  der  Mfinner  des  Weges.  319 

Gestaltlosen,  er  ruht  und  schöpft  Athem  bei  dem  Nachbarlosen. 
Dies  ist,  was  man  nennt:  die  Quelle  des  Lebens  des  Ursprung- 
liehen  Lichtes  erlangen.  Es  sagt  ferner:  Nach  aussen  denkt  man  an 
das,  was  zerreissen  soll,  nach  innen  erklärt  man  das  ursprfingliche 
Wahre,  dann  erst  kann  das  lange  Leben  bewahrt  werden. 

Das  Buch  des  wunderyollen  Wahren  sagt: 

Die  Ueuschen  des  Weges  entwerfen  das  Leben,  sie  entwerfen 
nicht  den  Namen.  Die  Mitte  ihrer  Brust  ist  überaus  weiss.  In  ihren 
Gedanken  ist  nichts,  das  sich  zur  Seite  neigte.  Ihre  Vorsätze  sind 
gleich  dem  fliessenden  Wasser.  Wo  dieses  weilt»  sind  leere  Stadt- 
mauern, mit  Anhäufen  und  Bewachen  hat  es  nichts  zu  thun.  Sie 
sind  dann  fähig  zu  dem  langen  Leben. 

Die  Hutung  sämmtlicher  Wahren  sagt : 

Heftigkeit  und  Ungestüm  der  Gemfithsart  sind  der  grösste  Mörder 
des  ganzen  Leibes,  die  dazwischen  gestellte  Leiter»  auf  der  man  sich 
zaröckzttzieheD  sucht.  Wer  von  ihr  Gebrauch  macht,  von  dem  ent- 
fernen sich  die  Wahren.  Verbessert  man  es,  so  kommen  sie  auf  dem 
Wege.  In  allen  Dingen,  bei  denen  man  mit  seines  Gleichen  zusammen- 
triflft,  soll  man  sanft  und  bedachtig  sein  und  die  Ordnung  der 
Geistigen  und  Reinen  erschöpfen.  Thut  mau  dieses,  so  ist  man  dem 
Wege  nahe.  Der  Geist  ist  dasjenige,  zu  dem  Himmel  und  Erde  jagen. 
Man  nährt  den  Geist,  pflegt  die  Gemüthsart,  yerbringt  das  Leben, 
leitet  die  Luft,  und  ermisst  dadurch  die  Schwierigkeijten.  Dieses  ist 
das  Durchdringen  und  die  Erkenntniss  der  obersten  Hochstweisen 
und  wahren  Menschen.  Diejenigen,  welche  den  Weg  üben,  sollen 
dieses  thun  und  dadurch  aufladen  lassen  ihren  Leib. 

Das  Buch  des  Gebieters,  des  Kaisers  des  grossen  Einzigen  sagt: 

bt  man  im  Stande,  beständig  zu  Oben  die  Weise  der  die 
Gemächer  der  Tiefen  beleuchtenden  neun  frühen  Morgen,  der  Kugeln 
von  Schlamm,  so  umschlägt  man  die  Seele,  bringt  zurecht  das  zehn- 
taosendfache  Unrecht.  Man  öbt  es  klar  und  still,  bewirkt,  dass  die 
Luft  der  reingeistigen  Unsterblichen  herabsteigt  zu  dem  Schlaf- 
gemache. Dies  ist  es,  was  man  nennt:  fuhren  die  drei  Lichter,  die 
neun  Sterne  und  dadurch  beleuchten  die  hundert  Gotter. 

Die  Darlegungen  des  höchsten  Klaren  sagen : 

Ist  die  Leibesfrucht  verschlossen  und  athmet  still,  bewahrt  man 
im  Inneren  die  hundert  Gotter,  verschluckt  den  Schatten,  schlingt 
den  Saft,  so  isst  und  trinkt  man  von  selbst.  Der  Leib  hat  gewiss  die 


320  Pfismaier 

Langjährigkeit»  man  kann  es  dahin  bringen,  zu  den  Unsterblichen 
emporzusteigen. 

Die  geheimen  Nothwendigkeiten  der  wahren  Henscheii  des 
grossen  Höchsten  sagen: 

Die  Luft  ist  das  Werjueug  des  Lichtes  der  Götter,  der  Inbegriff 
des  Klaren  und  Tröben.  Weilt  sie  bei  dem  Ursprünglichen,  so  ist  der 
Himmel  klar.  Befindet  sie  sich  in  dem  Menschen,  so  hat  der  Leib  den 
Fortbestand.  Leben  und  Tod,  Schwinden  und  FQlle  richtet  sich 
nämlich  nach  den  Zwischenräumen  der  Leitung. 

Das  Buch  der  Edelsteine  der  grossen  Tiefen  sagt: 

Indem  man  die  Luft  der  ursprünglichen  Wurzeln  verzehrt, 
bewirkt  man,  dass  die  Mitte  der  Gliedmassen  des  Menschen  klar  und 
leuchtend,  der  Geist  hell  und  von  achtfacher  Schärfe  ist  Der  Leib 
hat  den  Wiederschein  der  Sonne,  das  Angesicht  hat  den  feuchten 
Glanz  der  Edelsteine.  Man  gebraucht  als  Lockspeise  den  Saft  des 
Morgens,  hängt  die  Wurzeln  auf,  setzt  über  alles  die  Reiskörner. 
Der  Weg  ist  nothwendiger  als  Gold  und  süsser  Wein»  die  Sache  ist 
wundervoller  als  Eis  und  Edelsteine.  Dies  ist«  was  man  nennt :  aas 
dem  Munde  nehmen  und  aufnehmen  die  grosse  Übereinstimmung  des 
Selbstthätigen,  leiten  die  reingeistige  Luft  der  neun  Geistigen. 

Das  Buch  Pao-p5-tse  sagt: 

Die  Erfordernisse  des  langen  Lebens  bestehen  in  dem  Wege 
der  zurückkehrenden  Jahre.  Die  Jahre  in  die  Länge  ziehen,  die 
Krankheiten  entfernen,  folgt  diesem  zunächst.  Es  geschieht,  dass 
man  sich  desswegen  nicht  selbst  rühmt.  Ist  man  von  Jahren  noch 
jung,  ist  man  kräftig  und  kennt  die  zurückkehrenden  Jahre,  so 
bessert  man  mit  dem  verborgenen  Mennig  das  Gehirn  aus.  Die- 
jenigen, welche  die  sieben  Vortheile  in  dem  langen  Thale  pflücken, 
gebrauchen  nicht  als  Lockspeise  die  Arzneien.  Sie  verfehlen  ebenfalls 
nicht  ein  bis  zweihundert  Jahre. 

Der  Wege  des  Verletzens  gibt  es  viele.  Wohin  die  Begabung 
sich  nicht  erstreckt,  mühselig  ersehnen,  was  die  Kraft  nicht  über- 
windet, mit  Gewalt  beginnen,  tiefe  Kümmerniss,  heftiger  Hass,  Leid 
und  Traurigkeit,  Lust  und  Freude,  was  man  leidenschaftlich  begehrt, 
worüber  man  tief  sich  kränkt,  bei  Schlaf  und  Ruhe  die  Zeit  ausser 
Acht  lassen,  stark  sich  berauschen  und  sich  erbrechen,  nachdem 
man  satt  gegessen,  sich  sofort  niederlegen,  springen,  laufen  und  dabei 
keuchen,  voll  Freude  laut  rufen,  wehklagen    und  weinen.   Nicht- 


Die  LebensverlingeniDgeD  der  SUnner  des  Weges.  321 

Tereinigung  des  Yin  und  Yang,  hierbei  kommen  gehSufte  Verletzun- 
geo  heran,  es  sind  Mittel,  die  dem  Nähren  der  angeborenen  Beschaffen- 
heit widerstreben. 

Mit  dem  Ohre  bort  man  nicht  bis  zum  Überdrusse.  Mit  dem 
Aoge  blickt  man  nicht  lange  Zeit.  Man  sitzt  nicht  bis  zur  Ermüdung. 
Man  empfindet  früher  Kalte  und  bekleidet  sich.  Man  empfindet  früher 
HiUe  and  lost  die  Kleider.  Man  will  nicht,  dass  man  äusserst  hungrig 
ist  und  dann  Speise  verzehrt  Man  verzehrt  Speise  nicht  mehr,  als 
nur  Sättigung  genügt  Man  ist  äusserst  durstig  und  trinkt  Man  trinkt 
nicht  zu  viel.  Man  will  nicht,  dass  man  sehr  angestrengt  ist  Man 
Till  nicht  dass  man  viel  schwitiSt  und  riel  ausspuckt»  die  Wagen 
laofen,  die  Pferde  rennen  lässt,  mit  der  äussersten  Schärfe  des  Auges 
io  die  Ferne  blickt.  Vieles  Essen  erzeugt  Kälte.  Im  Winter  mtiII  man 
nieht,  dass  es  äusserst  warm  ist.  Im  Sommer  will  man  nicht,  dass  es 
äusserst  kühl  ist.  Grosse  Kälte,  grosse  Hitze,  grossen  Sturmwind, 
grossen  Nebel  will  man  nicht  ertragen.  Die  fünf  Arten  des  Ge- 
schmacks dürfen  nicht  einseitig  und  in  Menge  Yorhanden  sein.  Wo 
von  Verletzungen  die  Rede  ist,  werden  sie  ebenfalls  nicht  sogleich 
bemerkt.  Wenn  sie  lange  einwirken,  beeinträchtigen  sie  nur  die 
Lebensdauer. 

DesswBgen  hat  derjenige,  der  gut  das  Leben  leitet,  bei  Nieder* 
legen  und  Aufstehen  das  Frühzeitige  und  Späte  der  vier  Jahreszei- 
ten. Bei  Aufbrechen  und  Verweilen  hat  er  die  beständige  Einrich- 
tong  der  äussersten  Übereinstimmung.  Bei  Zurechtstellung  und 
Schärfung  der  Sehnen  und  Knochen  hat  er  die  Mittel  des  Darnieder- 
iiegens  und  des  Emporblickens.  Bei  Verschliessung  der  Krankheiten, 
Absperrung  des  Unrechts,  hat  er  die  Kunst  des  Verschluckens  und 
des  Auswerfens.  Bei  dem  Flüssigmachen  der  Durchgänge,  dem  Auf- 
bau des  Magens  hat  er  die  Weise  des  Ausbesserns  und  des  Abführens. 
Bei  dem  Einschränken  und  Ausbreiten,  der  Anstrengung  und  der 
Müsse  hat  er  die  Erfordernisse  des  Gebens  und  Entreissens.  Er  be- 
wältigt den  Zorn  und  erhält  dadurch  unversehrt  das  Yin.  Er  unter- 
drückt die  Freude  und  nährt  dadurch  das  Yang.  Dann  wird  er  früher 
gebrauchen  die  Pflanzen  und  Bäume,  um  zu  Hilfe  zu  kommen  dem 
Schwindenden  und  Lückenhaften.  Später  gebraucht  er  das  Gold  und 
den  Mennig,  uro  zu  bestimmen  das  Unendliche.  Die  Ordnung  des 
bngen  Lebens  ist  gänzlich  hier  inbegriffen.  Wenn  Jemand  wäre,  der 
über  die  Gedanken  entscheiden,  was  jcr  in  dem  Busen  trägt»  anYcr- 

Sitek.  4.  p1in.-bist.  Ol.  LXV.  Bd.  U.  Hft.  23 


322  Pfizmaier 

traueu  wollte,  der  sagt,  dass  er  durchdringt,  verstebti  den  hochsteu 
Befehl  kennt  und  nicht  Ton  Schlamm  bedeckt  ist,  bei  dem  an  einem 
verschiedenen  Ende  die  äusserste  Leidenschaft  nicht  aufgebaut  ist 
und  der  lange  lebt,  wie  könnte  man  von  diesem  sagen,  dass  er  das 
Leben  nährt? 

Die  verborgenen  Entscheidungen  der  aufsteigenden  Wahren 
sagen : 

Der  grQne  Jungling  des  Fang-tschü' sagte:  Der  Mensch,  der 
den  Weg  lernt,  hat  ebenfalls  Mühsal.  Der  ihn  nicht  lernt,  hat  eben- 
falls Mühsal.  Der  Anfang  der  beiden  Mühsale  ist  derselbe,  das  Ende 

• 

der  Mühsale  ist  aber  verschieden.  Wer  den  Weg  übt,  erlangt  durch 
Mühsal  die  Freude.  Wer  den  Weg  nicht  übt,  hat  bloss  Ungemach 
und  Mühsal,  nichts  weiter.  Dadurch,  dass  der  Mensch  geboren  wird, 
gelangt  er  zu  dem  Alter.  Indem  er  alt  wird,  gelangt  er  zu  Krank- 
heiten. Er  wird  des  Leibes  theilhattig  und  gelangt  zu  dem  Tode. 
Diese  Mühsale  sind  sehr  gross.  In  Herz  und  Gehirn  häufen  sich  Ver- 
brechen, Leben  und  Tod  werden  nicht  durchschnitten.  Dieses  ist 
schwer  auszusprechen,  um  wie  viel  mehr  ist  es  der  Fall  bei  dem- 
jenigen, der  seine  Himmelsjahre  nicht  vollendet?  Dies  sind  die 
Mühsale  desjenigen,  der  den  Weg  nicht  übt. 

Wer  den  Weg  übt  und  ebenfalls  Mühsal  hat,  gibt  klar  und  rein 
Fortbestand  den  Wahren,  bewacht  das  Ursprüngliche ,  gedenkt  des 
Reingeistigen,  sucht  den  Lehrer,  müht  sich  ab,  versucht  abwechselnd 
mehrere  hundert  Dinge,  was  sein  Vorhaben  ist,  lässt  er  nicht  fallen, 
und  er  hat  ebenfalls  die  äusserste  Mühsal.  Dieses  sind  die  Mühsale 
desjenigen,  der  den  Weg  übt.  Wenn  er  durch  etliche  zehn  Jahre 
sich  mit  dem  Anordnen  der  Mühsale  befasst,  hat  er  deren  grossere 
als  Jener.  An  dem  Tage,  wo  er  den  Weg  erlangt,  vergisst  er  augen- 
blicklich diese  Mühsale,  als  ob  er  nach  einem  Hungern  von  hundert 
Tagen  eines  Morgens  gesättigt  wäre.  Wie  sollte  er  wieder  bemerken 
den  Hunger  und  den  Mangel,  den  er  unlängst  gelitten?  Hat  er  nicht 
den  Weg,  so  kann  es  nicht  sein. 

Der  wahre  Mensch  der  Blüthen  der  Rechten  sagte : 
Im  Inneren  sich  befassen  mit  den  Angelegenheiten  des  Hauses, 
um  sich  an  der  Halfter  zu  fuhren,  nach  aussen  zusammenfassen  die 
Geschäfte  der  Könige,  um  ohne  Unterschied  Dienste  zu  verrichten, 
dieses  ist  ebenfalls  das  nicht  Ausschliessliche  des  Weges.  Den  Weg 
in  den  Armen  halten  und  ihn  nicht  ausüben,  ist  so  viel  als  keinen 


Die  LebeDSY«rliD|ferungen  der  MfinDer  des  We^es.  323 

Weg  besitsen.   In  den  Händen  Kostbarkeiten  halten  und  sie  nicht 
Terwenden,  ist  so  viel  als  keine  Kostbarkeiten  besitzen. 

Der  arsprQngliehe  Gebieter  des  purpurnen  Unscheinbaren  sagte : 
Wodurch  Krankheit  entsteht?  Sie  entsteht  durch  vieles  Nach- 
deoken.  Wodurch  Unrecht  henrorgebracht  wird?   Es  wird  hervor« 
gebracht  durch  die  Zerstreuung  des  Herzens.  Ist  vieles  Nachdenken, 
^  sind  die  Sachen  weitläufig.  Sind  die  Sachen  weitläufig,  so  sind 
jie  zusammengesetzt  und  mannichfach.  Schwimmen  und  Fluthen  hat 
keine  Einschränkung,  Verwirrung  und  Streit  bort  nicht  auf.  Was  im 
Inneren  kocht,  sind  zehntausend  Gedanken.  Womit  man  nach  aussen 
sieh  abmfiht,  sind  hundert  Dienstleistungen.  Gestalt  und  Geist  wer- 
den abgenutzt,  wie  sollten  die  Krankheiten  nicht  aufkommen  können? 
Bei  hohen  Hauern,  doppelten  Riegeln  furchtet  man  noch  immer,  dass 
die  Ränber  herannahen.  Um  wie  viel  mehr  ist  dieses  der  Fall,  wenn 
man  die  ThQrflfigel  öffnet,  die  Schutzwehr  entfernt,  wenn  durch  uns 
die  Räuber  zur  Stelle  gebracht  werden!  Weil  die  Vorsätze  ohne 
Ufer,  verlässt  man  die  angeborne  Eigenschaft  und  das  Herz.  Weil 
man  Böses  thut,  erschüttert  man  das  Wahre.  Die  Gestalt  kommt  und 
befindet  sich  in  dem  Auge.  Der  Ton  kommt  hervor  und  dringt  zu 
dem  Gehör.  Oberdeckt  es  die  Säulen  des  Willens  und  hängt  sich  an 
die  Gedanken,  so  ist  in  Wirklichkeit  Vermehrung  und  Überströmung. 
Die  Seele  des  Lichtes  ist  der  richtige  Geist.  Der  Geist  ist  vornehm, 
erieuehtet  und  wahrhaftig.  Die  Seele  der  Finsterniss  ist  der  Dämon 
des  Unrechts.  Der  Dämon  ist  noch  immer  wahnsinnig  und  unordent* 
lieh.   Wenn  bei  den  Gedanken  an  die  fliegenden  Unsterblichen  man 
mit  diesen  zusammenstösst  und  sie  sieht,  so  denkt  man  gewiss  nach. 
Wenn  bei  der  GemOthsstimmung  des  Wohlwollens  und  des  Schutzes 
man  den  Wesen   begegnet,  so  ist  dieses  die  Gipfelung.  Hiernach 
richtet  man  sein  Herz  ein.  Das  Herz  ist  der  Weg. 
Das  Buch  der  neun  Blumen  sagt: 

Das  Auge  ist  der  Spiegel  des  Leibes.  Das  Ohr  ist  das  Fenster 

des  Leibes.  Blickt  man  viel,  so  ist  der  Spiegel  verdunkelt.  Hört  man 

alles,  so  ist  das  Fenster  verschlossen.   Glättet  man  den  Spiegel, 

durehschneidet  das  Fenster,  so  ist  man  fähig,  zu  durchdringen  die 

j     Tiefen,  die  zehntausend  leeren  Räume,  genau  zu  erforschen  den  ab- 

/     gerissenen  Wiederhall.  Das  Angesicht  ist  die  Vorhalle  des  Geistes. 

i      Das  Haupthaar  ist  die  Blume  des  Gehirns.  Ist  das  Herz  traurig ,  so 

I      ist  das  Angesicht  verdorrt.  Nimmt  das  Gehirn  ab,  so  ist  das  Haupt- 

23* 


I 


B24  Pf  ix  ma  i  er 

haar  gebleicht.  Hierdurch  gehen  das  Geistige  und  die  Luft  im  Inneren 
verloren,  die  mennigrothe  Furt  wird  beschädigt  und  versiegt.  Das 
Geistige  ist  der  Geist  des  Leibes.  Das  Licht  ist  die  Kostbarkeit  des> 
Leibes.  Bei  vieler  Anstrengung  wird  das  Geistige  zerstreut.  Bei  Her* 
beiführung  von  Streit  wird  das  Licht  verloscht.  Hierdurch  erfolgt 
das  Alter,  die  Luft  fallt,  und  das  hohe  Alter  ist  bereits  erreicht 

Die  Meldungen  des  Wahren  sagen : 

Reichthum  und  vornehmer  Stand  sind  die  das  Gebein  zerstören* 
den  Äxte  und  Sagen,  die  das  Verbrechen  aufnehmenden  Schüfe  und 
Wagen.  Erlangen  das  Hinreichende,  belehren  Aber  die  IrrthQmer^ 
beschrSnken  die  Schande,  führen  die  das  Schicksal  angreifendea 
Waffen,  sind  keine  guten  Dinge.  Desswegen  wussten  die  erhabenen 
Menschen  des  Alterthums,  welche  das  Übel  der  Schuld  und  der  Ver* 
brechen  fiberblickten,  im  Voraus,  dass  Reichthum  und  vornehmer 
Stand  nicht  dargeboten  werden  dfirfen.  Fei  entwich  zuletzt  aus 
Tschang-lin,  setzte  sich  in  den  Schatten  auf  den  berühmten  Bergen 
und  wollte  sich  entfernen  von  diesen  Fussspuren.  Er  ist  es,  der  be* 
gehrte  vielen  Segen,  der  bewahrte  und  unversehrt  erhielt  das  äusserst 
Ungeschmfickte. 

Der  Gebieter  von  dem  Geschlechte  Pei  sagte : 

Die  drei  Durchgänge  seien  beständig  hergerichtet,  sie  sind  der 
Weg  des  langen  Lebens.  Der  Mund  ist  der  Durchgang  des  Herzens. 
Die  Hände  sind  der  Durchgang  des  Menschen.  Die  FQsse  sind  der 
Durchgang  der  Erde.  Sind  die  Durchgänge  hergerichtet,  so  sind  die 
fünf  Eingeweide  beruhigt.  Sind  diese  beruhigt,  so  gibt  es  keine 
Krankheiten.  Man  gibt  ferner  Fortbestand  den  fünf  Göttlichen^ 
welche  der  Leib  sind.  Man  meint  die  beiden  Hände,  die  beiden  Füsse 
und  das  Haupt.  Wenn  das  Haupt  denkt  und  fortwährend  grün  ist,, 
wenn  die  beiden  Hände  rotb,  die  beiden  Füsse  beständig  weiss  sind, 
so  kommen  die  sich  entfernenden  Unsterblichen  nahe. 

» 

Einst  lernte  Siü-ki-tao  die  Unsterblichkeit  in  dem  Gebirge  des. 
Gesanges  der  Schwäne.  Er  kam  auch  von  Zeit  zu  Zeit  hervor.  Auf 
dem  Wege  des  Marktes  sah  er  plötzlich  einen  Menschen.  Derselbe 
trug  ein  ledernes  Reitkleid  und  schwang  einen  Stock,  auf  den  er  sich 
stützte.  Ki-tao  verbeugte  sich  vor  ihm.  Jener  sprach  bei  diesem  An- 
lasse zu  Ki-tao :  Wer  den  Weg  lernen  will,  muss  treffen  das  Grün 
des  Himmels,  hersagen  das  grosse  Abwechselnde,  auftreten  mit  den 
beiden  Weissen,  drehen  die  zwei  Rothen.  « 


Die  LebensTerliDgeruDgeo  der  Mfinner  des  Weges.  32S 

Das  Buch  des  gelben  Alters  sagt: 

Ist  der  Mann  fähig,  zurückzulassen  die  Wesen»  so  kann  er  zu 
Rathe  gehen  über  das  Leben.  Das  Leben  ist  ursprünglich  ohne  Un- 
recht Es  wird  von  den  Wesen  umwunden,  und  nach  sehr  langer  Zeit 
vechseln  die  Vorsätze.  Wenn  in  den  Vorsätzen  und  dem  Begehren 
lüsserlich  nichts  ist,  ist  man  iahig  zu  bewachen.  Durch  den  Weg 
legt  man  Werth  auf  das  Leben. 

Die  Classen  des  grossen  Wahren  des  grossen  Höchsten  sagen : 

Das  Einzige  befindet  sich  in  dem  Leibe  des  Menschen,  es  hält 
nieder  und  bestimmt  die  drei  Orte.  Ist  man  im  Stande,  die  drei  Ein- 
zigen zu  bewachen,  so  werden  Bewegung  und  Aufhören  nicht  yergessen. 
Die  drei  Leichname  entfernen  sich  von  selbst,  die  neun  Thiere  wer- 
den Yon  selbst  getilgt.  Man  entlehnt  nicht  Arzneimittel  und  Lock- 
speisen, man  braucht  keine  Verbote  und  Hindernisse.  Unter  den  Er- 
fordernissen des  langen  Sehens  geht  die  Bewachung  des  Einzigen 
voran.  Das  nächste  ist  handeln  nach  der  Lehre  des  Lehrers,  über- 
geben die  Obliegenheit,  sich  richten  nach  der  Begabung,  sich  stutzen 
auf  die  Verdienste»  vorschreiten  zu  der  Rangstufe,  häufen  die  Tugen- 
deo,  Tcrweilen  in  ehrenvoller  Stellung,  ausbreiten  die  wundervolle 
Lufl,  aufklären  und  führen  die  später  Gehörnen. 

Das  Buch. der  drei  Erhabenen  sagt: 

Der  Himmel  ist  fähig,  das  Einzige  zu  bewachen,  er  fiberdeckt 
and  hebt  nicht  empor.  Die  Erde  ist  fähig,  das  Einzige  zu  bewachen, 
sie  ist  still  und  fähig  zu  weilen.  Die  Berghohen  sind  fähig,  das  Ein- 
zige za  bewachen,  sie  yermeiden  nicht  Hitze  und  Kälte.  Das  Meer 
ist  fahigp  das  Einzige  zu  bewachen,  es  fliesst  und  kehrt  nicht  zurücL 
Der  Mensch  ist  fähig,  das  Einzige  zu  bewachen,  er  erfasst  gewiss 
die  wahren  Unsterblichen. 

Das  Buch  des  emporsteigenden  Ursprünglichen  sagt: 

Für  den  Weg  gibt  es  grosse  Vorschriften.  Wer  ihn  erlangt,  er- 
'aogt  ihn  auf  der  Stelle.  Dieses  nennt  man  den  Weg  der  drei  Einzi- 
gen. Es  soll  ein  Heerführer  sein,  der  die  Streitmacht  wechselt  und 
den  Weg  des  Bösen  abschneidet. 

Das  Erhabene  der  Edelsteine  des  höchsten  Klaren  sagt: 

Die  drei  Wahren  sind  nach  ihrer  Bestimmung  die  Kaiser  und 
Gebieter  des  einzigen  Leibes,  der  innere  Anfang  der  hundert  Götter. 
Veränderung  und  Verwandlung,  Trennung  und  Vereinigung  richtet 
sich  nach  den  Tiefen  und  leeren  Räumen  der  Wahren.  Wie  dunkel ! 


o26  P  f  i  z  m  a  i  e  r 

Es  ist  schwer  zu  sagen.  Wenn  es  nicht  Unsterbliche  sind,  wird  e» 
ihnen  nicht  überliefert. 

Das  Buch  des  ungeschmfickten  Leeren  des  grossen  Höchsten 
sagt: 

Die  drei  Einzigen  sind  das  leere  Stammhaus  des  einzigen  Lei* 
bes»  die  Wurzel  des  Befehles  der  hundert  Gotter,  die  Bergquelle  des 
Saftes  der  Furt,  das  Edelsteinhaus  der  lichten  Seele  und  des  Geisti- 
gen. Desswegen  ist  der  Teich  des  Magens  von  Gestalt  viereckig  und 
empfangt  die  Dinge.  Der  Palast  des  Gehirns  ist  ein  runder  leerer 
Raum  und  begegnet  den  Wahren. 

Das  grosse  Höchste  sagt:   Dasjenige,  um  dessen  willen  die 
wahren  Menschen  Werth  darauflegen.  Wahre  zu  sein,  ist  das  Ein* 
zige ,  sonst  nichts.*  Dasjenige ,  wovon  das  Einzige  umschränkt  ist,^ 
sind  die  VerwiEindlungen  der  ursprSnglichen  Luft.  Die  Veränderung 
gen  und  der  Verkehr  des  Einzigen  sind  die  dunklen  Vereinigungen 
des  Himmels  und  der  Erde.   Desswegen  ist  das  obere  Einzige  der 
Himmelskaiser  des  Leibes.  Das  mittlere  Einzige  ist  das  mennigrothe 
Erhabene  des  hochrothen  Palastes.   Das   untere  Einzige  ist  der  ur- 
sprüngliche Vorgesetzte  der  gelben  Vorhalle.  Allein  die  drei  einzigen 
Wahren  leiten  die  vierundzwanzig  Lüfte  in  dem  Inneren  des  Leibes 
und  übergeben  dadurch  das  Leben.  Das  Leben  begründet  das  Ein- 
zige in  dem  Leibe  und  entspricht  den  vierundzwanzig  wahren  Lüften 
des  grossen  Unscheinbaren.    Die  wahren  Lüfte  wandeln  umher  in 
Übereinstimmung.  Die  Dinge  der  Ordnungen  ziehen  weiter  mit  der 
Gestalt.  Der  Geist  des  Ursprünglichen  theilt  sich  gleichmässig.  Die 
purpurnen  Gemächer  sind  dämmerig  und  dunkel. 

Das  obere  Einzige  ist  die  Gipfelung  des  wahren  Kaisers.  Das 
mittlere  Einzige  ist  der  Vorgesetzte  des  wahren  Erhabenen.  Das 
untere  Einzige  ist  das  Wundervolle  des  wahren  Königs.  Das  Er- 
habene des  Himmels  erlangt  die  Gipfelung,  desswegen  bringt  es 
nach  oben  zu  Stande  die  erhabene  Gipfelung.  Das  Erhabene  der 
Erde  erlangt  das  Vorgesetzte,  desswegen  bringt  es  nach  oben  zu 
Stande  das  richtige  Einzige.  Das  Erhabene  des  Menschen  erlangt 
das  Wundervolle,  desswegen  bringt  es  nach  oben  zu  Stande  die 
wundervollen  Dinge.  Die  drei  Erhabenen,  verkörpern  das  Wahre  und 
bewachen  das  Einzige,  sie  sind  die  wahre  Gipfelung.  Sie  erlangen 
das  Einzige»  sonst  nichts. 

Die  Tafeln  der  sich  sammelnden  Unsterblichen  sagen: 


Die  LebeDSTerlSn^roDgen  der  Minner  des  Weget.  327 

Bei  allen  Unternehmungen,  bei  Sehen,  Athem  schöpfen,  Essen, 
Trinken^  Sprechen,  bei  Gutem  und  Bösem,  bei  Recht  und  Unrecht 
hat  jeder  Mensch  die  Jahre,  Monate,  Tage  und  Stunden.  Er  folgt, 
vohin  er  gehört  und  bestimmt  seinen  Antheil.  Dieses  ist  die  ge- 
wöhnliche Zahl  der  Anordnung  der  Dinge.  Der  Leih  hat  die  Soi^e 
des  entsprechenden  Verderbens.  Der  Geist  hat  die  bestimmte  Zeit 
der  entsprechenden  Verflüchtigung.  Das  Lebenslos  hat  die  Eigen- 
schaft des  nothwendigen  Ablaufens.  Wenn  der  Geist  innewohnt, 
ist  man  ein  Mensch.  Wenn  der  Geist  wegzieht,  ist  man  ein  Leich- 
nam. Wo  man  nämlich  durch  Gelöste  und  Begierden  das  Herz  auf- 
regt, ist  man  nicht  im  Stande,  die  Zufälligkeiten  der  Farbe  und  des 
Geschmacks  zu  meiden.  Wer  seinen  Weg  ordnet,  befindet  sich  bei 
Zofalligkeiten  und  ist  ohne  Fesseln.  Er  stimmt  uberein  und  ist  fort- 
während im  Verkehr.  Sowohl  das  Gute  als  das  Böse  besteht  in  der 
.Anordnung  des  Vergeltens  und  Entsprechens.  Man  yerfehlt  sich  hier 
nicht  im  Geringsten. 

Was  den  Grund  des  langen  Lebens  betrifft,  so  ist  das  Gute 
allein  das  Fussgestell.  Der  Mensch  lebt  zwischen  Himmel  und  Erde, 
ein  jeder  bringt  zu  Stande  seine  Eigenschaft.  Wessen  Luft  klar  ist, 
der  ist  scharfsinnig,  erleuchtet,  weise  und  yerständig.  Wessen  Luft 
trüb  ist,  der  ist  heillos,  grausam,  irrsinnig  und  unwissend.  Wessen 
Luft  hart  ist,  der  ist  hochfahrend,  streng,  rüstig  und  heftig.  Wessen 
Lnft  weich  ist,  der  ist  wohlwollend,  menschlich,  offen  und  aufrichtig. 
Der  Erieuchtete  unterwirft  sich  seine  angebome  Eigenschaft  und 
zieht  dadurch  in  die  Länge  das  Lebenslos.  Der  Verfinsterte  folgt 
eigenwillig  seinen  Wünschen  und  verletzt  die  angebome  Eigenschaft. 
Die  angebome  Eigenschaft  ist  die  Quelle  des  Lebensloses.  Das 
Lebenslos  ist  die  Wurzel  des  Lebens.  Man  gibt  sich  Mühe  und  ordnet 
es.  Hierdurch  baut  man  das  Leben  und  nährt  dapn  seine  angebome 
Eigenschaft.  Man  bewacht  den  Geist  und  nährt  dadurch  sein 
Lehenslos. 

Das  Lehen  des  Menschen  hat  seinen  Ausgang  Ton  dem  Geiste, 
bt  der  Geist  beruhigt,  so  lebt  man.  Ist  der  Geist  abgeschnitten,  so 
stirbt  man.  Auf  diese  Weise  häuft  man  die  Luft  und  macht  sie  zu 
Geistigem.  Man  häuft  das  Geistige  und  macht  es  zu  Geist  Dess- 
wegen  verschliessen  die  Unsterblichen  in  sich  das  Trachten,  sie  Ter* 
sehliessen  in  sich  das  Geheime,  und  sie  kommen  dann  auf  dem  Wege. 


328  Pfizmaier 

Die  Wahren  ordnen  das  Lautlose,  sie  ordnen  das  Stille,  und  sie  rer- 

einigen  sich  mit  den  Wahren. 

« 

Der  Geist  muss  sich  häufen  und  angeregt  sein,  dann  verkehrt 
er  mit  dem  leeren  Räume.  Ist  er  fortwährend  ßhig,  das  Einzige  zu 
bewachen,  so  kommen  die  Unsterblichen  nahe.  Er  vertraut  sich  dann 
mit  Himmel  und  Erde  zugleich  der  Afitte  des  grossen  Nichts.  Ist  er 
ferner  im  Stande,  in  den  Tiefen  und  in  dem  leeren  Räume  zu  ver* 
korpern  das  Nichts,  so  vertraut  sich  das  grosse  Nichts  mit  ihm  zu- 
gleich der  Mitte  des  Lautlosen  und  Stillen.  Ist  man  fähig  zu  der 
Stille  der  Tiefen,  so  horcht  und  blickt  man,  ohne  zu  hören  und  zu 
sehen.  Man  ist  mit  dem  Wege  im  Dunklen. 

Der  Weg  ist  das  äusserste  Wahre  des  Verkehres  des  Leeren. 
Die  Kunst  ist  das  begabte  Ursprüngliche  der  Veränderungen  und 
Verwandlungen.  Der  Weg  ist  ohne  Gestalt,  durch  die  Kunst  steht  er 
den  Menschen  bei.  Wenn  der  Mensch  das  Leere  besitzt,  umschränkt 
er  durch  das  Ordnen  den  Weg.  Die  Erfordernisse  des  Weges  be» 
stehen  in  dem  Aufsuchen  der  Schreibtafeln,  in  dem  Wechseln  der 
Verdienste.  Die  Geheimnisse  der  Kunst  sind  bloss  Arzneien  und  Luft. 
Wenn  die  obersten  Männer  davon  Gebrauch  machen,  steigen  sie 
empor  und  werden  Obrigkeiten  der  Unsterblichen.  Wenn  die  mitt* 
leren  Männer  davon  Gebrauch  machen,  lassen  sie  sich  nieder  und 
sammeln  sich  auf  dem  Kueu-Iun.  Wenn  die  untersten  Männer  davon 
Gebrauch  machen,  leben  sie  laiige  unter  den  Menschen.  Hierauf  gibt 
der  ursprungliche  Gebieter  des  grossen  Einzigen  das  Erforderliche 
des  zurückkehrenden  Mennigs  und  des  Goldsattes  bekannt.  Er  lasst 
es  ausüben  in  dem  Zeitolter. 


Der  Fürst  des.Holzes,  die  goldene  Mutter,  ist  der  Ahnherr  und 
das  Stammhaus  der  zwei  Lüfte,  die  Quelle  und  der  Stamm  des  Tin 
und  Yang,  der  Vorgesetzte  und  Vorsteher  der  Unsterblichen  und 
Wahren,  der  ursprüngliche  Ursprung  des  Bewerkstelligens  der  Ver- 
wandlungen. Die  gefrorene  Luft,  welche  die  Wahren  zu  Stande 
bringt,  vereinigt  mit  dem  Wege  den  Stoff.  Auch  umwindet  die  Luft 
immer  mehr  das  Gebäude  des  Himmels  und  der  Erde.  Bewegt  sie 
sich  und  ist  gepflanzt  in  den  Menschen,  so  ist  sie  der  Mensch.  Ist  es 
in  ein  lebendiges  Wesen,  so  ist  sie  ein  lebendiges  Wesen.  Sie 
kommt  hervor  aus  der  grossen  Häufung,  zerstreut  sich  ohne  Ende. 


Die  LebensverlfiD^ernngen  der  Hfinner  des  We^ea.  3  i9 

Die  iDgeborne  Eigenschaft  kommt  aus  dem  Himmel  hervor,  und  das 
Lebenslos  wird  vollendet  in  dem  Menschen.  Der  es  begründet,  ist 
der  Himmel.  Der  es  in  Gang  bringt,  ist  der  Weg.  Die  ursprunglichen 
Greisesagen:  Wenn  man  bewerkstelligt  den  leeren  Raum  und  die 
Gipfelung,  bewacht  das  Stille  und  Auifrichtige,  so  werden  die  zehn- 
tausend Dinge  surfickkommen.  Zurückkommen  bedeutet :  dem  Wege 
sich  zuwenden  und  fortwährend  bestehen.  Bei  den  Erfordernissen 
der  langen  Dauer  bewahrt  der  Himmel  sein  Ursprüngliches.  Die  Erde 
bewaeht  ihre  lebendigen  Wesen.  Der  Mensch  nährt  seine  Luft. 


Der  Konig  der  Schang  horte,  dass  Peng-tsu  den  Weg  besitze. 
Er  ernannte  ihn  zu  einem  Grossen  des  Reiches.  Jener  meldete  sich 
immer  krank,  wohnte  abgeschlossen  und  besorgte  nicht  die  Sachen 
der  Lenkung.  Er  gebrauchte  das  Mehl  der  Wolkenmutter,  Büffel*  und 
Hirschhorn,  Wasserzimmt.  Er  hatte  fortwährend  das  Aussehen  der 
Jugend,  seine  Beschaffenheit  war  tief  und  still.  Er  sagte  nicht,  dass 
er  den  Weg  besitze.  Der  König  begab  sich  zu  ihm  und  fragte  ihn. 
Jener  sagte  ihm  nichts.  Der  Konig  errichtete  in  der  Vorhalle  des 
Seitenflügels  ein  blumiges  Dach,  einen  purpurnen  Söller  und  liess  Tsu 
daselbst  wohnen.  Er  fragte  ihn  um  den  Weg  der  Verlängerung  der 
Jabre,  der  Vermehrung  der  Langjährigkeit. 

Jener  antwortete:  Will  man  aufsteigen  zu  der  Hohe  des  Him- 
mels  und  aushelfen  bei  den  Ämtern  der  Unsterblichen,  muss  man 
gebrauchen  das  Gold  und  den  Mennig  des  ursprünglichen  Gebieters, 
des  grossen  Einzigen.  Dieser  Weg  ist  der  grosste.  Bei  dem  nächsten 
muss  man  das  Geistige  sparen,  den  Geist  nähren,  gebrauchen  und 
verzehren  Pflanzen  und  Arzneien.  Man  kann  hierdurch  das  Leben 
verlängern.  Bei  dem  zunächst  folgenden  wird  die  im  Kreise  sich 
drehende  Luft  des  Yin  und  Yang  genährt,  sie  beugt  sich  und  streckt 
sieh.  Man  bewirkt,  dass  die  Luft  der  hundert  Abschnitte  in  Gang 
kommt,  dass  sie  ausgeht  von  den  Triebwerken,  ohne  zu  stocken. 
Hierdurch  kann  es  geschehen,  dass  man  nirgends  Krankheiten  an- 
.dringen  lässt.  Sich  sehnen  nach  dem  Göttlichen,  gedenken  des  Wah- 
ren, sitzend  vergessen,  die  Säfte  läutern,  hierdurch  kann  man  be- 
wirken, dass  der  Mensch  das  lange  Leben  hat.  Was  die  Erforder- 
nisse des  Schwimmens  gegen  den  Strom,  der  Ausbesserung  des  Ge- 
hirns betrifft,  50  ist  dieses  sehr  schwer  auszuüben.  Es  gibt  dabei  die 


330  Pfiimiier 

Gefahr  des  Tragens  von  Dornen  in  dem  Busen,  des  Tretens  auf  die 
Schneide  der  Schwerter.  Auch  ist  es  keineswegs  etwas,  das  Könige 
thun. 

Die  seichten  und  dünnen  Wege,  von  denen  ich  gehört  habe, 
sind  hier  zu  Ende.  Sie  verdienen  nicht,  dass  man  sie  yerbreitet  und 
überliefert.  Der  Mensch»  der  in  dem  Zeitalter  geboren  wird,  nSbrt 
sie  bloss.  Er  erlangt  das  Angemessene  bis  zu  hundert  Jahren.  Alles, 
wobei  man  dieses  nicht  erreicht,  ist  schädlich.  Grosse  Trunkenheit, 
grosse  Heiterkeit,  grosser  Zorn,  grosse  Warme,  grosse  Kälte,  grosse 
Anstrengung,  grosse  Erschöpfung  sind  schädlich.  Grosse  Freude, 
grosser  Kummer,  grosse  Scheu,  grosse  Bangigkeit,  grosse  Verwir- 
rung, grosse  Hast,  grosser  Hochmuth,  grosse  Ausschreitung  sind 
schädlich.  Starker  Hunger,  starker  Durst,  heftiges  Sehnen,  tiefes 
Nachdenken  sind  schädlich.  Lange  sitzen,  lange  stehen,  lange  liegen, 
lange  gehen  ist  schädlich.  Wenn  Kälte  und  Wärme  das  Mass  ein- 
halten, Hunger  und  Sättigung  das  Angemessene  erreichen,  wenn 
kein  Sehnen,  kein  Verrichten,  bloss  Klarheit,  bloss  Stille,  hier  lässt 
sich  sagen,  dass  man  den  Leib  nur  ordnet.  Hat  man  seine  Langjährig- 
keit erlangt,  so  ordnet  man  ihn  nochmals.  Erlangt  man  das  Ange- 
messene, so  hat  man  das  lange  Leben.  Es  ist  nur  erforderlich,  dass 
man  nicht  schadet.  Hat  man  im  Winter  warm,  im  Sommer  kühl, 
lässt  man  nicht  ausser  Acht  die  Obereinstimmung  der  vier  Jahres- 
zeiten ,  so  gelangt  man  dadurch  an  den  Leib.  Hat  man  eine  schöne 
Farbe,  ein  leichtes  Benehmen,  treibt  man  nicht  auf  das  Äusserste  die 
Anregung  des  Sehnens  und  Begehrens,  so  verkehrt  man  dadurch  mit 
dem  Geiste.  Kennt  man  bei  Wagen  und  Kleidern,  bei  der  Weise 
des  Ansehens  die  Genügsamkeit ,  ohne  nach  etwas  zu  streben ,  so 
bringt  man  dadurch  zur  Einheit  seine  Vorsätze.  Gelangt  man  bei  den 
acht  Tonen,  bei  den  fünf  Farben  nicht  bis  zu  Leidenschaft  und  Ver- 
sunkensein, so  führt  man  dadurch  zurecht  sein  Herz. 

Mit  allen  diesen  Dingen  nährt  man  eigentlich  den  Menschen. 
Der  Mensch  ist  nicht  fähig,  sie  zu  schöpfen,  einzugiessen  und  die 
Mitte  zu  erlangen.  Er  bereitet  sich  im  Gegentheil  dadurch  Sorge. 
Desswegen  Hessen  die  Hochstweisen  und  Weisen  hernieder  Warnun«^ 
gen,  sie  fürchteten  die  Unruhe  der  Strömung,  zu  der  man  herabsteigt 
und  in  der  die  Begabung  ertrinkt,  das  Verfehlen  des  Ortes,  wobei 
man  vergisst,  zu  der  Anwendung  zurückzukehren.  Desswegen  hiessea 
die  den  Weg  ordnenden  Männer  es  verbieten,  sie  wollten  dadurch 


Die  LebeasrerliageruDgen  der  Mlnoer  das  We|^s.  33  1 

nmsdirankea  die  Leichtigkeit  der  Einrichtungen.  Es  ist  auch  wie 
bei  Wasser  and  Feuer.  Gebraucht  man  sie  öbermSssig,  so  wird  man 
IraGegentheil  nur  Verderben  bewirken.  Der  Mensch»  der  die  Fäden  und 
Adern  nicht  kennt,  beeinträchtigt  und  yerletzt  das  Blut  und  die  Luft. 
Es  genügt  nicht,  inneriieh  das  Leere  und  Weite  zu  ordnen.  Sind 
das  Mark  und  das  Gehirn  nicht  fest,  so  ist  der  Leib  schon  froher 
erkrankt  Desswegen  wird  er  von  äusseren  Dingen  beleidigt.  Sie 
bedieoen  sich  des  Windes,  der  Kälte,  des  Weines ,  der  Begierden, 
nm  gegen  ihn  loszubrechen.  Wenn  der  Stamm  roll  und  fest  ist,  wie 
sollte  es  da  Krankheiten  geben? 

Weitreichendes  Sehnen,  übermässiges  Wünschen  schadet  dem 
Menschen.  Kummer,  Unwille,  Leid,  Traurigkeit,  unter  den  mensch- 
liehen  Leidenschaften  zu  viel  Freude,  Entrüstung,  Zorn,  der  sich 
nicht  löst,  alles,  was  man  unablässig  liebt,  um  dessen  willen  man 
schmerzlich  besorgt  ist,  wenn  Kälte  und  Wärme  das  Mass  verfehlen, 
das  Tin  und  Yang  sich  nicht  vereinigen,  hierdurch  erleidet  er 
Schaden.  Männer  und  Weiber  bringen  gegenseitig  zu  Stande,  gleich- 
wie Himmel  und  Erde  gegenseitig  hervorbringen.  Hierdurch  leitet 
man  das  Nähren  von  Geist  und  Luft,  bewirkt,  dass  der  Mensch  seiner 
Übereinstimmung  nicht  verlustig  wird. 

Himmel  und  Erde  trennen  sich  am  Tage  und  vereinigen  sich  in 
der  Nacht  In  einem  Jahre  sind  dreihundert  sechzig  Vereinigungen. 
Desswegen  sind  die  vier  Zeiten  gleichförmig,  und  die  zehntausend 
Dinge  entstehen.  Hervorbringen  und  Vollenden  kennen  kein  Ende 
und  keine  Erschöpfung.  Hierdurch  wird  der  Himmel  nicht  verlustig 
seiner  Bewegung.  Die  Erde  wird  nicht  verlustig  ihrer  Übereinstim- 
mung. Die  Dinge  werden  nicht  verlustig  ihres  Entstehens  und  sind 
fähig  zu  langer  Dauer.  Wenn  der  Mensch  nicht  fähig  ist,  sich  zu 
richten  nach  Himmel  und  Erde,  sondern  schmälert  die  Kleidung, 
übertrieben  ist  in  Speise  und  sich  zuzieht  todtliche  Krankheiten,  so 
ist  dieses  die  grosste  Thorheit.  Richtet  man  sich  nach  diesem ,  ord- 
net und  leitet,  beschränkt  und  verbreitet  es  nach  aussen,  so  gebraucht 
man  die  Luft  der  ursprünglichen  Übereinstimmung.  Erlangt  man 
seinen  Weg,  so  ist  das  Unrecht  nicht  im  Stande,  einzutreten.  Dieses 
ist  die  Grandlage  der  Anordnung  des  Leibes. 

Die  übrigen  Dinge,  wie  das  Aufnehmen  des  Schattens,  das 
Sehnen  nach  dem  Geiste,  die  vorübergehenden  Jahre,  das  Leiten 
and  Fuhren,  das  Verschlingen  der  Lockspeisen,  das  Kleiden  und 


33z  Pfiimaier 

Fahren  sind  eintausend  siebenhundert  Abzweigungen.  Durch  die 
Vorschriften  für  die  Zurechtweisung  seiner  selbst  in  den  ersten 
Monaten  der  vier  Jahreszeiten,  fOr  die  Entschuldigungen  wegen  der 
Fehler,  für  das  Niederlegen  und  Aufstehen  in  der  Frühe  und  am 
Abend  kann  man  belehren  die  das  Lernen  beginnenden  Mfiuner,  sie 
führen  und  Torschreiten  lassen  zu  dem  gegen  das  Gute  gerichteten 
Thore,  allmälig  gerade  stellen  ihr  Herz  und  langsam  aufh5ren  lassen 
ihre  Verbrechen  und  ihre  Schuld.  Man  kann  es  nicht  sofurt  dahin 
bringen,  dass  die  Mensehen  den  Weg  erlangen.  Wenn  das  Blut  in 
den  Adern  vertrocknet  und  stockt,  Geist  und  Luft  verschrumpfen  und 
sich  zerschlagen,  wie  sollten  da  die  Geister  an  das  Wahre  denken 
und  fähig  sein,  es  zu  bewachen?  Man  kennt  gewiss  nicht  dessen 
Nutzen.  Dieses  kommt  daher,  dass  die  Menschen  bei  der  Übung  des 
Weges  nach  der  Spitze  trachten,  aber  sich  keine  MQhe  mit  dem 
Stamme  geben. 


Nährt  man  nach  innen  nicht  den  Geist,  mfiht  man  nach  aussen 
ab  seine  Gestalt,  so  wird  das  ursprüngliche  Geistige  allmSlig  leer, 
Geist  und  Luft  werden  erschöpft  und  stocken.  Gebraucht  man  aber 
Tag  und  Nacht  Arzneien  und  befleissigt  sich,  liest  man  und  sagt  her 
die  Bücher  und  Entscheidungen,  so  ist  dieses  ebenfalls  ohne  Nutzen. 
Die  Bücher  sind  dreizehntausend  Hauptstficke.  Sie  zeigen  bloss  das 
Thor  und  die  Vorhalle,  zu  denen  man  anfänglich  hinübersetzt.  Der 
Konig  der  Schang  empfing  als  Darreichung  die  Erfordernisse  und 
übte  die  immerwährende  Langjährigkeit  Peng-tsu*s.  Nur  war  er  nicht 
fthig,  sich  vor  seinen  Ausschreitungen  und  Begierden  zu  hüten. 


Niö-ki  war  ein  Weinweib  auf  dem  Markte  von  Tschin.  Sie  be« 
reitete  den  besten  Wein.  Ein  unsterblicher  Mensch  ging  an  ihreai 
Hause  vorbei  und  trank  Wein.  Er  gab  fünf  Rollen  ungescbmuckter 
Bücher  für  den  Wein.  Ki  öffnete  sie  und  blickte  in  sie.  Sie  enthiel* 
ten  die  Mittel  der  Unsterblichen,  die  Kunst,  die  angeborne  Eigen- 
schaft zu  nähren,  das  Leben  zu  verlängern.  Ki  schrieb  heimlich  diese 
Erfordernisse  und  Entscheidungen  ab  und  übte  sie.  In  drei  Jahren 
waren  die  Züge  ihres  Angesichts  nochmals  jugendlich.  Sie  verkaufte 
Wein  durch  mehrere  Jahre.  Der  unsterbliche  Mensch  kam  wieder 


Die  LebeosTeriSngeruogen  der  Hinner  des  Weges.  333 

und  sprach  zu  ihr  lachend :  Wer  den  Weg  stiehlt,  ohne  einen  Lehrer 
zu  besitzen,  besitzt  Flügel  und  fliegt  nicht.  —  Niu-ki  folgte  dem  un- 
sterblichen Menschen  und  entfernte  sich.  Man  weiss  nicht,  wohin 
sie  gelangt  war. 


Niu-tschu-yi  Ton  Tai-yang  erlangte  den  Weg  des  Auswerfeus 
und  Aufnehmens.  Die  Sache  war  überaus  tief  und  entschieden.  Li- 
sieu-ki  veröffentlichte  ein  Buch  in  vierzig  Heften.  Er  nannte  es ;  die 
Quelle  des  Weges.  Auf  dem  Wege,  den  man  bestfindig  übt,  siegt 
das  Weiche  über  das  Harte,  das  Schwache  bringt  zurecht  das 
Starke.  Es  ist  als  ob  man  herabhiickte  auf  ein  tiefes  Wasser,  träte 
auf  den  Rand  eines  Abgrundes ,  als  Wagenlenker  führte  das  Ent- 
laufende, bestiege  das  Verfaulte.  Der  Unterschied  Ist  ein  sehr  gerin- 
ger. Die  viereckigen  Tafeln  des  Verlusttragens,  wenn  man  sich  be- 
fleissigt  und  nach  ihnen  handelt,  kann  man  die  lange  Lebensdauer 
haben. 


Niü-lu-kin  von  dem  grossen  Verborgenen  lernte  den  Weg  und 
hatte  ihn  noch  nicht  zu  Stande  gebracht.  Er  verkaufte  auf  dem 
Wege  Wein  und  fragte  insgeheim  seinen  Lehrer  um  Rath.  Wenn 
Gäste  herbeikamen,  hiess  er  ihn  sich  erkundigen,  wie  viele  Männer 
des  Weges  unter  den  Gasten  seien.  Er  that  dieses  durch  ein  Jahr» 
und  es  waren  im  Süden  nur  drei,  im  Norden  f&nf,  im  Osten  neun, 
im  Nordwesten  ein  Einziger.  Er  kehrte  zurück  und  meldete:  Der 
grosste  Weise  unter  den  Gästen  ist  ein  Mensch,  der  den  Weg  voll- 
kommen erlang^  hat.  Ich  fragte  ihn  um  ein  Einziges  und  erfuhr  fünf 
Dinge.  —  Hierauf  fragte  er  diesen  um  den  Weg  des  langen  Lebens. 
Er  erlangte  die  Erfordernisse  des  Ausbesserns  und  Föhrens,  das 
Heilmittel  des  dampfenden  Mennigs. 


Niü-tschuen-ho  von  dem  grossen  Ursprunglichen  sagte  bestän- 
dig: Wenn  der  Mensch,  in  dem  Zeitalter  weilend,  einmal  etwas  ver- 
liert, kann  er  es  nicht  wieder  finden.  Wenn  er  einmal  stirbt,  kann 
er  nicht  wieder  leben.  Um  wie  viel  mehr  ist  dieses  der  Fall  bei  der 
Beschränktheit  der  Grenze  der  Langjährigkeit  I  Ohne  dass  man  den 
Weg  ordnet,  kann  man  sie  nicht  ausdehnen.  —  Hierauf  wusch  er 
sein  Herz,  suchte  den  Weg  und  erlangte  dessen  Kunst. 


334  Pfi  z  Ol  «  i  er 

Der  Gebrauch  der  Lockspeisen. 

Das  Buch  (des  Kaisers)  des  göttlichen  Ackerbaues  sagt : 
Die  höchsten  Arzneimittel  bewirken,  dass  der  Leib  des  Men«> 
sehen  beruhigt,  sein  Leben  verlängert  wird.  Es  sagt  ferner:  Macht 
man  zur  Lockspeise  die  fQnf  Unsterblichkeitspflanzen,  den  Mennig- 
sand,  das  mehrfache  Grün,  die  Wolkenmutter,  den  Mundvorrath  der 
Übrigen  Yu*s  von  dem  grossen  Einzigen  und  wendet  ein  jedes  ein- 
zeln an,  so  bewirkt  man,  dass  der  Mensch  lange  lebt.  Die  mittleren 
Arzneimittel  nähren  die  angeborene  Beschaffenheit.  Die  niedrigsten 
Arzneimittel  entfernen  die  Krankheiten.  Dieses  sind  die  zutreffenden 
Worte  der  obersten  Höchstweisen,  die  wirklichen  Entwürfe  der  Arznei- 
kunst. Die  höchste  der  Arzneien  der  Unsterblichen  ist  der  Mennig- 
saud. Die  nächstfolgenden  sind  gelbes  Gold,  weisses  Silber,  sämmt- 
liche  Unsterblichkeitspflanzen,  die  fünf  Edelsteine,  die  glänzenden 
Perlen  der  fünf  Wolken.  Das  gelbe  Geistige  und  die  Bergdistel, 
wenn  man  sie  zur  Lockspeise  macht,  so  wirft  man  die  Reiskörner 
zurück.  Erlebt  man  ein  unglückliches  Jahr,  so  kann  man  durch  sie 
die  Reiskörner  entbehren.  Man  nennt  sie  den  Reis  und  das  Dorr- 
fleich. 

Die  glänzende  Classe  der  westlichen  Gipfelung  sagt : 
Die  mennigrothen  Bücher  des  Goldsaftes  des  grossen  Reinen» 
die  göttlichen  Abbildungen  der  neun  Dreifüsse,  das  grosse  Mennig- 
roth der  neun  Umdrehungen  des  grossen  Einzigen  und  andere  Bücher 
sind  im  Ganzen  einhundert  vierzig  Rollen. 

Das  Buch  der  fünf  Beglaubigungsmarken  sagt: 
Der  Hanf  wächst  ursprünglich  in  dem  grossen  Wan.  Er  heisst 
auch :  das  grosse  Übertreffende.  Gebraucht  man  ihn  ohne  Aufhören» 
80  hat  man  ein  Dasein  von  der  Länge  der  Zeitalter.  Er  ist  der  Älteste 
der  fünf  Getreidearten.  Gebraucht  man  ihn,  so  kann  man  dadurch 
die  zehntausend  Dinge  erkennen,  verkehren  mit  dem  Lichte  der 
Götter. 


Die  wahren  Menschen  sagen,  dass  das  gelbe  Geistige  den 
echten  Geist  des  Himmels  und  der  Erde  erhalten  hat.  Es  ist  das- 
jenige, das  an  die  Berge  sich  lehnt,  auf  die  Wohnungen  sich  stützt 
und  göttlich  sich  verwandelt.    Die  Unsterblichen   geben  ihm   den 


Die  LebeDsTerlin(ferungen  der  Minner  des  Wege«.  335 

Namen:  die  Unsterblichkeitspflanze  Meu-khi  (das  in  Blatterfulle  sich 
Erbebende). 

Das  Buch  der  Entscheidung  der  Edelsteine  sagt: 
Die  Luft  der  fünf  Beständigkeiten  des  ersten  Anfangs  zerstreut 
sich  bei  dem  ersten  Glänze  des  Lichtes  des  Yang.   Der  Feuerglanz 
des  ersten  Anfangs»  die  wahren  Menschen  rerzehren  seinen  Schatten 
und  sind  unendlich. 

Das  Buch  der  drei  Lichter  sagt : 

Die  drei  Lichter  sind  die  Kunst  der  geläuterten  Leibesfrucht  des 
Weges  der  Unsterblichen.  Die  Schlammkugeln  sind  der  höchste 
Geist  des  Leibes  und  der  Gestalt. 

Das  Buch  des  Herausgebens  und  Aufnehmens  sagt: 
Die  acht  Fürsten  haben  ein  Sprüchwort,  welches  lautet:  Wer 
Pflanzen  Terzehrt,  ist  kräftig.    Wer  Fleisch  Terzehri,  ist  muthig. 
Wer  Brodfruchl  verzehrt,   ist  verständig.    Wer  Luft  verzehrt,   ist 
gottlich. 

Das  Buch  der  Unsterblichen  sagt: 

Der  Hennig  ist  Gold.  Wer  ihn  gebraucht,  ist  ein  oberer  Mann 
des  Weges.  Wer  die  Unsterblichkeitspflanze  verzehrt  und  die  Luft 
der  Kehle  leitet,  ist  ein  mittlerer  Mann  des  Weges.  Wer  Pflanzen  und 
Bänme  als  Lockspeise  verzehrt,  ist  ein  niederer  Mann  des  Weges. 
Wer  die  grosse  Arznei  des  Goldes  verzehrt,  entfernt  sich  zwar  noch 
nicht  von  dem  Zeitalter,  allein  die  hundert  unrechten  Dinge  nahen 
ihm  nicht  Wenn  man  bloss  Pflanzen  und  Bäume  gebraucht  und  zur 
Lockspeise  die  acht  Steine  macht,  so  kann  man  zufallig  nur  bewirken, 
dass  die  Krankheiten  hinweggenommen  werden,  das  Lebenslos  sich 
mehrt.  Es  genügt  nicht,  das  äussere  Unglück  zurückzuwerfen.    Man 
bewahrt  bloss  das  wahre  Einzige,  dann  verstärkt  man  die  angebome 
Eigenschaft  und  macht  sich  keines  Vergehens  schuldig.  Einst  ge- 
brauchte jeder  Fürst  der  Unsterblichen  einen  einzigen  Gegenstand 
und  erlangte  dadurch  mehrere  hundert  Jahre.  Sie  vereinten  nämlich 
göttlichen  Hennig  und  Goldsaft    Han-tschung  gebrauchte  Magen- 
wnrz  durch  dreizehn  Jahre.    An  seinem  Leibe  wuchsen  Federn,  er 
blickte  täglich  auf  zehntausend  Worte  in  Büchern  und  sagte  sie  laut 
her.  Im  Winter  hatte  er  entblosste  Schultern,  und  es  fror  ihn  nicht 
Aach  wächst  Magenwurz   auf  moosigen  Steinen.    Es  hat  bei  der 
Länge  eines  Zolles  neun  Knoten  und   darüber.    Dasjenige,   welches 
porpume  Blüthen  besitzt,  ist  das  beste. 


336  Pfizmiier 

Die  Heilmittel  der  gerosteten  Steine  wurden  durch  den  linken 
Reiehsminister  des  ostlichen  Versammlungshauses,  den  Fruhgebornen 
des  weissen  Steines  verfertigt  Sie  wurden  von  wahren  Menschen 
übergeben,  aber  man  sah  noch  nicht  den  wahren  Text.  In  dem  Zeit- 
alter gibt  es  zwei  Texte.  Man  hält  den  gekOrzten  für  den  besseren. 


Dasjenige,  was  die  wahren  Menschen  der  östlichen  Blumen 
beim  Verzehren  der  Steine  zum  Muster  nehmen,  ist  das  ostliche  Ver- 
sammlungshaus. Es  ist  auch  das  grosse  Klare. 


Die  vornehme  Frau  des  purpurnen  Unscheinbaren  wählte  die 
Bergdistel  und  sagte  in  dec  kurzen  Darlegung:  Ich  habe  in  Gemein- 
schaft untersucht  das  Überwinden  und  das  Unterliegen  der  Pflanzen 
und  der  Gewässer.  VTo  es  sich  darum  handelte,  dass  sie  mir  schnell 
nützten,  erreichten  sie  nicht  die  vielen  Erprobungen  der  Bergdistel. 
Hierdurch  lebte  ich  lange,  blickte  lange  Zeit  auf  das  Ferne  und 
wechselte  das  Leere.  Ich  sage  nicht,  dass  sämmtliche  Dinge  weniger 
als  die  Bergdistel  geachtet  werden  sollten.  Das  Wahre  wird  durch 
den  Gebrauch  der  Bergdistel  in  der  Gegenwart  umschränkt  In  den 
letzten  Zeitaltem  gibt  es  viele  Krankheiten,  es  ist  angemessen, 
Lockspeisen  zu  gebrauchen.  Bei  dem  Wege  hat  man  Zufriedenstel- 
lung nach  innen  und  fürchtet  noch  immer  das  Unglück  durch 
äussere  Ereignisse.  Hat  man  die  Zufriedenstellung  nach  aussen,  wird 
man  ebenfalls  bisweilen  von  der  Verderblichkeit  des  Sturzes  betrof- 
fen. Ich  habe  Solche  gesehen,  die  in  den  Gebirgswäldern  verborgen 
und  unbeschäftigt  waren  und  denen  es  möglich  ward,  die  Berg- 
distel zu  gebrauchen.  In  eintausend  einhundert,  in  eintausend  acht- 
hundert Jahren  gesellen  sie  sich  zu  den  fünf  Berghöhen.  Gegen- 
wärtig wählt  man  die  Bergdistel,  mehrere  Heilmittel  und  überliefert 
das  Treffliche  und  Schätzbare.  Werden  sie  mit  Entschiedenlieit  und 
wahrhaftig  gebraucht,  so  ist  man  ziemlich  von  dazwischen  tretenden 
plötzlichen  Unglücksfällen  verschont 


Die  LebeosTerliogerangen  der  Minoer  des  Weges.  33T 

In  dem  Gebirge  des  Distrietes  Li  ia  Nan-yang  befindet  sich  das 
süsse  Thalwasser.  Dasselbe  ist  desswegen  sQss,  weil  die  Berge  des 
Thaies  zur  Linken  und  Rechten  süsse  Goldblumen  hervorbringen. 
Die  Bluthen  der  Goldblumen  fallen  hinein»  und  dieses  geschieht  die 
▼ecbselnden  Geschlechtsalter  hindurch  immer  länger.  Die  Menschen 
des  Volkes,  die  an  diesem  Thale  und  in  demselben  wohnen,  graben 
keine  Brunnen»  sie  trinken  das  süsse  Thalwasser.  Unter  denen,  die  es 
triokeo,  ist  keiner,  der  nicht  die  Langjährigkeit  erlangt.  Die  das 
höchste  Alter  erreichen»  werden  einhundert  vierzig  bis  einhundert 
fünfzig  Jahre  alt  Die  das  niedrigste  Alter  erreichen,  ermangeln  nicht, 
aehtzig  bis  neunzig  Jahre  alt  zu  werden.  Desswegen  Hessen  der  den 
Raomen  Vorstehende  Wang-tschang,  der  grosse  Beruhiger  Lieu-kuan 
ood  der  grosse  Zugesellte  Yuen-wei»  als  sie  Statthalter  von  Nan-yang 
varen,  bei  der  Ankunft  an  dem  Sitze  ihres  Amtes  immer  durch  den 
District  Li  monatlich  vierzig  Kufen  süsses  Thalwasser  bringen.  Sie 
gebrauchten  es  als  Getränk  und  zu  Speisen.  Diese  Männer  waren 
stark  von  Gicht  und  Lähmungen  gequält  und  wurden  wieder  her- 
gestellt Sie  konnten  aber  des  Vortheils  nicht  im  Grossen  theilhaftig 
werden  gleich  den  Menschen,  die  an  dem  süssen  Thale  wohnen  und 
TOD  Jugend  auf  sogleich  dieses  Wasser  trinken  und  zu  Speisen 
gebrauchen. 

Die  BIGthen  der  Goldblume  haben  ferner  mit  den  Blüthen  der 
Wasserlinsen  Ähnlichkeit  Man  unterscheidet  sie  eben  nur  auf  Grund- 
lage der  Süsse  und  Bitterkeit    Die  Goldblume  ist  süss»  jedoch  die 
Wasserlinsen  sind  bitter.  Gegenwärtig  gibt  es  nur  sehr  wenige  echte 
Goldblumen.  Sie  wachsen  verhältnissmässig  zahlreich  an  den  Flössen. 
Auf  dem  Berge  Keu-schi  und  in  dem  Districte  Li  gibt  es  die  meisten. 
Von  ihnen  wird  in  den  Heilmitteln  der  Unsterblichen  gesagt,  dass 
das  Geistige  der  Sonne  wieder  zum  Leben  kommt.   Sie  sind  rings 
voll  und  überall  ein  Einziges.   Es  sind  Goldblumen»  aber  Wurzeln» 
Stengel»  Blüthen  und  Früchte  haben  verschiedene  Namen.  Die  Ausein- 
andersetzung über  sie  ist  sehr  schön.  Dass  aber  in  jüngster  Zeit  die- 
jenigen, welche  sie  gebraueben,  durchaus  nichts  ausrichten»  ist  eben 
desswegen,  weil  man  die  echten  nicht  erlangt 

Das  Buch  der  acht  Ungeschmückten  sagt :  Das  grosse  Höchste 
sagt:  Durch  die  Weise  des  fliegenden  Geläuterten  lassen  sich  die 
Thore  und  Thüren  der  wahren  Menschen  nicht  erreichen.  —  Ferner 
heisst  es  in  den  erleuchteten  Classen  der  vier  Gipfelungen:  Das  Buch 

SiUb.  li.  phU.-bi8t.  Ol.  LXV.  Bd.  U.  Hft.  24 


340  Pflsmaier. 

Die  inneren  Oberlieferungen  von  der  vornehmen  Frau  des  Ge- 
schlechtes Wei  von  der  sudlichen  Berghöhe  sagen : 

Die  vornehme  Fraq  führte  den  Namen  Hoa*tsfin,  den  Madchen- 
namen Hien-ngan.  Sie  stammte  aus  Jin-tsching.  Zu  den  Zeiten  des 
Kaisers  Tsching  von  Tsin  gebrauchte  sie  Goldpulver  und  erlangte 
den  Weg. 

Die  inneren  Überlieferungen  von  dem  wahren  Menschen  Miao* 
ying  von  Tai-yuen  sagen: 

Der  höchstweise  Gebieter  der  goldenen  Thorwarte  erliess  einen 
höchsten  Befehl  an  die  wahren  Menschen    der   grossen  Gipfelung 
und  hiess  die  Leibwftchter  der  Edelsteine  des  richtigen  Ursprung- 
lichen, Wang-tschung,  Pao-khieu  und  Andere  Miao*ying  geben  die 
vier  Abschnitte,  die  Leibesfrucht  der  Schwalbe»  das  fliessende  Licht» 
die   gottliche  Unsterblichkeitspfianze,   das   lange   Sonnenlicht,   die 
beiden  Fliegenden,  den  Nachtglanz,  die  Pflanze  der  Tiefen.  Er  hiess 
sie  sich  vor  ihm  verbeugen  und  ihn  damit  speisen.  Sie  behängten 
den  Gürtel  mit  Siegeln,  legten  die  Kleider  an,  richteten  die  Mützen, 
kehrten  sich  mit  den  Häuptern  nach  Norden,  umgurteten  die  Be- 
glaubigungsmarken, hielten  in  den  Händen  kleine  Glocken.  Zuletzt 
verkündeten  die  vier  Abgesandten  Ting  folgendes:  Wer  die  vier  Ab- 
schnitte der  grossen  Gipfelung,  die  verborgene  Unsterblichkeitspflanze 
verzehrt,  dessen  Rangstufe  ist  diejenige  eines  Reichsministers  der 
Wahren.   Wer   die  Leibesfrucht  der  Schwalbe  von  der  goldenen 
Thorwarte,  die  Unsterblichkeitspflanze  der  Edelsteine  verzehrt,  dessen 
Rangstufe  ist  diejenige  eines  Vorstehers  des  Lebensloses.    Wer  das 
fliessende  Licht  des  ostlichen  Palastes,  den  goldenen  BlQthenschmuck 
verzehrt,  dessen  Rangstufe  ist  diejenige  eines  Vorstehers  des  Ge- 
haltes.  Wer  das  lange  Sonnenlicht,  die  beiden  Fliegenden  venehrt, 
dessen  Rangstufe  ist  diejenige  eines  Oberherrn  der  Wahren.    Wer 
den  Nachtglanz,  die  Pflanze  der  Tiefen  verzehrt,  dessen  Rangstufe 
ist  diejenige  eines  Vorgesetzten  und  allgemeinen  Leiters.   Die  Men- 
schen seiner  Umgebung  sind  betraut  mit  der  Stelle  kaiserlicher  Ver- 
merker.  Du  hast  jetzt  alles  dieses  verzehrt.   Deine  Langjährigkeit 
erschöpft  Himmel  und  Erde.  Deine  Rangstufe  soll  sein  diejenige  eines 
Vorgesetzten  des  Lebensloses,  eines  höchsten  Wahren,  eines  Reichs- 
ministers und  Gebieters  der  südlichen  Berghöhe.  In  deiner  Haupt- 
stadt wirst  du  lenken  die  göttlichen  Unsterblichen  von  U  und  Tue. 


Die  LebeosTerliogeniii^en  der  Minner  des  Weges.  34  t 

Die  inneren  Überlieferungen  ton  dem  wahren  Menschen,  dem 
Gebieter  Ton  dem  Geschlechte  Tscheu  sagen : 

Tscheu-I-schan,  der  wahre  Mensch  des  purpurnen  Yang»  führte 
deo  Junglingsnamen  Ki-thung  und  stammte  aus  jQ-yin.  Derselbe  war 
eiD  dem  siebenten  Geschlechtsalter  angehoriger  Enkel  Tscheu-pS's, 
Reichsgehilfen  von  Han.  Sein  Vater  Tsiün  brachte  es  im  Amte  bis 
IQ  einem  inneren  Vermerker  von  Tschtn-lieu.  Der  Gebieter,  sechzehn 
Jahre  alt»  folgte  Tsiün  in  die  Provinz.  Er  war  ein  tiefsinniger»  ernster 
Heosch»  bei  dem  Freude  und  Zorn  nieht  zum  Ausdrucke  gelangten. 
Er  gass  gerne  allein  an  einem  stillen  Orte  und  dachte  im  Geiste  an 
das  Unsichtbare,  und  Verschloissene.  Bei  Tagesanbruch»  wenn  die 
Sonne  eben  aufging»  sog  er  gewöhnlich,  das  Angesicht  nach  Osten 
gekehrt»  die  Sonne  und  gebrauchte  als  Arznei  die  Luft.  Er  that  dieses 
jeden  Hoi^en. 

Die  Verkundungen  der  Wahren  sagen: 

Tschang-tsching-li  von  Heng-schan  empfing  gegen  das  Ende 
der  Han  den  Schatten  des  Regenbogens  und  das  Heilmittel  des  gott- 
lichen Mennigs  des  Gebieters  der  westlichen  Feste.  Es  verdross  ihn» 
dass  der  Mennigsand  schwer  zu  erlangen  war.  Er  zog  nach  Kuang- 
tseheu  und  wurde  ein  Mann  des  Weges.  Er  entfernte  sich  als  Unsterb- 
lieher  und  wurde  in  dem  Sturmwindhause  ein  höchster  Unsterblicher. 


Tschang-yuen-pin  stammte  aus  Ting-siang.  Zu  den  Zeiten  des 
Kaisers  Wu  von  Wei  ragte  er  durch  vielfache  Begabung  hervor.  Er 
kehrte  in  seinen  Bezirk  und  seine  Gasse  zurück  und  diente  dem 
Forsten  des  Geschlechtes  Ki  von  Si-ho  als  seinem  Lehrer.  Von  diesem 
empfing  er  den  Gebrauch  des  Heilmittels  der  Bergdistel  als  Lock- 
speise. Später  begegnete  er  dem  wahren  Menschen  Puan-tse-ming. 
Dieser  übergab  ihm  in  einem  kleinen  inneren  Hause  den  Weg  des 
Zoröckziehens»  des  Veranderns  und  der  verborgenen  Schatten.  Yuen- 
pin  befand  sich  ehemals  in  dem  Gebirge  der  Himmelpfeiler.  Gegen- 
wärtig verrichtet  er  im  Inneren  der  Tiefen  des  Hoa-yang  das  Amt 
eines  Oberherrn  der  Ordnungen  und  Verbote. 

Es  beisst  ferner :  In  dem  Gebirge  Tsien  in  Liü-kiang  lebten 
Tsehing-king-schi  und  Tschang-tschung-hoa»  Beflissene  des  Weges. 
Beide  empfingen  im  Anfange  der  Zeiten  von  Tsin  die  möndlichen 
Entscheidungen  des  unsterblichen  Menschen  Meng-te-jen  und  traten 


342  Pfizraaier. 

in  (Ids  Gebirge.  Sie  Qbten  die  Weise  des  Bewachens  der  fflnf  Auf- 
bewahrungen, des  ZurQckbehaltens  der  Sonne.  Zugleich  gebrauchten 
sie  als  Arznei  Hanfsamen.  Sie  gebrauchten  ferner  den  ursprfinglichen 
Mennig. 

Ping-tschung-tsiS  stammte  aus  Ho-tung.  Bei  dem  Aufruhr  Lieu» 
tsung^s  <)  übersetzte  Tschung-tsie  im  Sommer  den  Strom  und  trat 
in  das  Gebirge  Ko-thsang.  Sein  Leib  besass  die  Luft  des  Wahren^ 
er  gebrauchte  Lockspeisen  und  verschwand  als  Unsterblicher. 


Tschao-kuang-sin  war  ein  Eingeborner  von  Yang-tsching» 
Gegen  das  Ende  der  Wei  übersetzte  er  den  Strom  und  trat  in  das 
kleine  weisse  Gebirge  von  Jen.  Er  empfing  die  Weise  des  Mannes 
von  dem  Geschlechte  Li  und  gebrauchte  als  Arznei  die  Luft.  Er 
empfing  ferner  den  dem  Gebieter  von  dem  Geschlechte  Tso  eigenen 
Weg  des  Bewachens  der  ursprunglichen  Mitte.  Dergestalt  verbrachte 
er  die  Jahre.  Bisweilen  verkaufte  er  Arzneimittel  unter  den  Menscheo. 
Er  kam  häufig  zu  der  Hauptstadt  und  erhandelte  Mennigsand..  Er 
verfertigte  den  Mennig  der  neun  Blumen  und  verschwand  als  Un* 
sterblicher. 

Tu-ung-seng  stammte  aus  Kuei-ki.  Er  empfing  die  dem  unsterb* 
liehen  Menschen,  dem  Gebieter  von  dem  Geschlechte  Kiai  eigene 
Weise,  das  Geistige  der  Sonne  zu  verzehren.  Zu  den  Zeiten  von  U 
kam  er  und  verbarg  sich  in  dem  Gebirge  von  Lang-U.  Zugleich  übte 
er  den  Weg  der  Wolkenluft  und  der  sich  drehenden  Gestalt.  Er 
dachte  im  Geiste  nach,  verbrachte  lange  Zeit  und  verschwand  als 
Unsterblicher. 


Tschu-jü-tse  trat  gegen  das  Ende  der  U  in  das  Gebirge  des 

m 

rothen  Wassers  und  gebrauchte  als  Arznei  die  Bluthen  der  Gold- 
blume und  die  Bergdistel.  Später  begegnete  er  Si-kuei-tse.  Er  folgte 
diesem  und  bat  ihn  um  das  Bemessen  des  Zeitalters.  Si-kuei-tse 
übergab  ihm  die  nothwendigen  Worte.  Ju-tse  verschwand  als  Un* 
sterblicher. 


1)  Lieu-tsuDg  vernichtete  im  Werten  J«bre  des  Zeitraumes  Kien-hing  (316  n.  Chr.) 
das  Reich  der  westlichen  Tsin. 


Die  LebentrerliDgernDgen  der  Mlnner  dea  Weges.  343 

Die  Tochter  der  Edelsteine  der  glansenden  Sterne  weilte  auf 
dem  blumigen  Berge  und  gebrauchte  den  sauren  Trank  der  Edel- 
steine. Auf  dem  Gipfel  in  der  Mitte  des  Gebirges  befindet  sich  eine 
steinerne  Schildkröte.  Dieselbe  ist  mehrere  Morgen  breit  und  gegen 
drei  Klafter  hoch.  Zu  ihrer  Seite  befinden  sich  Leitern  und  steinerne 
Treppen.  Wenn  man  zn  dem  Rücken  der  Schildkröte  emporsteigt, 
sieht  man  den  Tempel  der  Tochter  der  Edelsteine.  An  der  Vorder- 
seite befinden  sich  fünf  steinerne  Mörser.  Man  nennt  diese  die 
Becken»  in  welchen  die  Tochter  der  Edelsteine  das  Haupt  wSscht. 
Das  Wasser  in  denselben  ist  lasurblau»  gröngelb  und  klar.  Bei 
Regenwetter  strömt  es  nicht  Ober,  bei  Trockenheit  nimmt  es  nicht 
ab.  In  dem  Inneren  der  Schildkröte  befindet  sich  ein  Pferd  der 
Tochter  der  Edelsteine. 


In  dem  Gebilde  Hoa-yin  befanden  sich  Yün-scheu-tse,  Tschang- 
sehf-seng  und  Li-fang-hoei»  Beflissene  des  Weges.  Dieselben  waren 
Zeitgenossen  des  Kaisers  Wu  von  Tsin.  Sie  empfingen  den  dampfen- 
den Mennig  des  unsterblichen  Menschen  Kuan-tsching-tse  und  dessen 
Weise,  die  Bergdistel  als  Lockspeise  zu  gebrauchen.  Dieser  übergab 
ihnen  femer  die  Vorschriften  Tscheu-scheu*ling's  von  Su«>men  für 
den  Gebrauch  des  Mennigs  und  des  Nebels. 


Fan-yeu-tschung  stammte  aus  Liao-si.  Er  gebrauchte  bestfin- 
dig die  drei  Lüfte.  Nach  der  Vorschrift  sind  die  grüne,  weisse  und 
rothe  Luft  gleich  dem  Speichel.  Er  gebrauchte  sie  durch  drei  Jahre 
und  erlangte  hierauf  die  Unsterblichen.  Dieses  ist  die  Weise  des 
Gebieters  des  hohen  Ursprünglichen»  der  inneren  Schatten  des  grossen 
Ungeschmfickten.  Man  übt  sie  jeden  Morgen.  Blickt  man  in  die 
Sonne»  so  ist  sie  noch  vortrefflicher.  Diese  Weise  ist  durchforscht, 
die  Sache  ist  erprobt. 


Kiang-pe-tschin  befand  sich  in  dem  grossen  schrägen  Gebirge, 
Er  gebrauchte  als  Arznei  das  Steinhirn.  Das  Steinhirn  ist  gleich 
einem  Steine»  klein»  buntfarbig  und  weich.  Ausserdem  findet  es  sich 
noch  im  Osten  des  Berges  Mino.  Es  ist  daselbst  wahrhaft  klein,  gleich 


344  P  f  i  I  n  •  i  er. 

dem  gehäuften  Gron.  Seine  Farbe  hat  Ähnlichkeit  mit  derjenigen  des 
Tropfsteines.  Fan-yang-tse  gebrauchte  einst  auch  dieses. 

Die  inneren  Uberheferungen  von  dem  Gebieter  des  Geschlechtes 
Pei  sagen: 

Tschi-tse-yuen,  dem  Menschen  des  Weges  mit  dem  Angesichte 
Fo*s,  übergab  der  Gebieter  von  dem  Geschlechte  Pei  die  innere 
Kunst  des  langen  Lebens.  Er  sagte  ferner:  Nach  Arzneimitteln 
trachten  und  mit  den  Gedanken  rerweilen,  dieses  bringt  man  zwar 
in  dem  nämlichen  Fahrwasser  zu  Stande«  allein  der  Durchgang  und 
die  Quelle  haben  yerschiedene  Fadenenden.  Indem  man  Arzneimittel 
gebraucht,  bewahrt  man  die  Gestalt  Ist  die  Gestalt  ruhig»  so  ist  der 
Geist  zufrieden.  Indem  man  mit  den  Gedanken  yerweilt,  stellt  man 
den  Geist  zufrieden.  Dringt  der  Geist  durch,  so  wird  die  Gestalt 
bewahrt.  Die  beiden  Ordnungen  werden  vollendet,  sie  brauchen  sich 
gegenseitig  und  sind  vorhanden. 

Die  Überlieferungen  von  dem  Lernen  des  Weges  sagen : 

Hiu-mai  diente  Scho-yuen.  In  seiner  Jugend  führte  er  den 
Namen  Yang.  Später  veränderte  er  den  Namen  und  nannte  sich  Yuen- 
yeu  (in  die  Feme  lustwandelnd).  Er  ging  mit  Wang-hi-tschi  und 
dessen  Sohne  eine  ausserhalb  des  Zeitalters  bestehende  Verbindung 
ein.  Hi-tschi  verzichtete  ebenfalls  auf  Ehrenstellen  und  nährte  das 
Leben.  So  oft  sie  sich  in  die  Ferne  begaben  und  die  Tage  immer 
mehr  verstrichen,  vergassen  sie  heimzukehren.  Gedichte  und  Bucher 
gingen  hin  und  zurück,  und  sie  erörterten  häufig  den  Gebrauch  der 
Lockspeisen. 


Hoang-kuan-tse,  der  linke  Reichsminister  von  dem  grossen 
Klaren,  lernte  den  Weg.  Er  gebrauchte  Gold  und  Mennig,  las  das 
Buch  der  grossen  Tiefen  und  erlangte  den  Weg.  Pe-yo-seng,  der 
linke  Reichsminister  des  ostlichen  Versammlungshauses,  besass  das 
Heilmittel  der  gerosteten  Steine.  Tschang-schö-yin,  der  Aufseher 
der  Unsterblichen  der  Rechten  von  Wen-te,  empfing  das  Heilmittel 
des  grünen  Geistigen.  Li-pao-tsu,  der  Fürst  der  Rechten  von  dem 
grossen  Klaren,  war  ein  Mensch  des  Berges  Min.  Er  empfing  die  Heil- 
mittel des  grünen  Geistigen  und  des  Rabenreises. 

Die  Überlieferungen  von  dem  göttlichen  Unsterblichen  Ko-hung 
sagen : 


Die  LebeoaTerlingernngen  der  Minner  des  Weges.  345 

Lieu-kiag  schloss  sich  an  den  aus  Han-tan  stammenden  Gebieter 
roQ  dem  Geschlecbte  Tschang  und  empfing  als  Lockspeise  die 
Wolkenkugeln. 


Fong-kiun-t&  stammte  aus  Lung-si.  Derselbe  trat  in  das  Gebirge 
der  Vogel  und  Mftuse,  gebrauchte  Lockspeisen  und  wurde  über 
kondert  Jahre  alt.  Er  ritt  gewöhnlich  auf  einem  grünen  Rinde.  Es 
keisst  ferner:  Wei*8eho-king  stammte  aus  Tschung-schan.  Derselbe 
gebrauchte  die  Wolkenmutter. 


Khung-yuen  war  ein  Mensch  von  Tschung-schan.  Er  gebrauchte 
gewöhnlich  Fichtenharc  und  Stechwinde. 


Tsiao-sien  führte  den  Jünglingsnamen  Hiao-jen  und  stammte 
aas  Ho-tung.  Derselbe  Terzehrte  gewöhnlich  weisse  Steine  und 
betheilte  damit  die  Menschen.  Der  Gegenstand,  wenn  gar  gekocht, 
var  gleich  gerosteten  Tamwurzeln. 


IliO-scheu-kuang  stammte  aus  Fu-fung.  Siebenzig  Jahre  alt, 
erlangte  er  das  Heilmittel  der  Kugeln  yon  Wi-yaug.  Er  gebrauchte 
es  und  lebte  über  zweihundert  Jahre,  ohne  zu  altern. 


Der  mittlere  Lehensfürst,  der  höhere  Unsterbliche  Fan-I  führte 
den  jQnglingsoamen  Tö-schi  (das  Zeitalter  ermessend).  Sein  alter 
Name  ist  Ping  (Eis).  Er  gebrauchte  den  Schatten  des  Regenbogens 
samrot  dem  Mennig  und  erlangte  den  Weg.  Er  wählte  die  Uberliefe- 
ruQgen  der  Tomehmen  Frau  von  dem  Geschlechte  Wei. 


Wang-pao,  der  wahre  Mensch  des  klaren  Leeren,  führte  den 
Junglingsnamen  Tse-teng.  Er  war  ein  dem  siebenten  Geschlechts- 
titer  angehörender  Enkel  des  zu  den  Zeiten  der  früheren  Han  leben- 
den Wang-Iing,  LehensfOrsten  von  Ngan-kuS.  Der  dem  Wege  der 
Uosterblichen  vorgesetzte  Gebieter  bestimmte  Wolkenlasur,  Yang- 
wasser, das  Fliegende  des  frühen  Morgens  und  zwei  Nössel  Mennig- 
fett zum  Geschenk  für  Pao.  Dieser  gebrauchte  es  und  sah  sehr  weit 


346  P  r  i  X  m  a  i  e  r. 

in  die  Ferne.  An  seinem  Aufenthaltsorte  sitzend,  versehwand  er  auf 
der  Stelle  und  widmete  seine  Dienste  den  Gotterschaaren. 

Die  Verkündungen  der  Wahren  sagen : 

In  der  Nacht  des  fünfzehnten  Tages  des  siebenten  Monates  des 
Jahres  sprach  der  wahre  Mensch  des  klaren  Leereu  mit  Hiü-yö-fu  und 
sagte:  Der  Stein  der  fünf  Fürsten,  das  Steinfett  ist  es,  von  dem 
jene  Körper  Vortheii  erlangen.  Es  hat  Eile  und  ist  angemessen»  dass 
man  es  gebraucht.  Man  kann  dadurch  sein  Angesicht  jugendlich 
machen.  Das  Pulver  der  Bergdistel  entfernt  die  Krankheiten.  Dieses 
ist  für  dich  angemessen.  Diesem  zunächst  gebraucht  man  den  Raben- 
reis. Zugleich  möge  die  Brodfrucht  nicht  zuwider  sein. 


Die  in  den  grossen  Tiefen  des  Lichtes  das  Amt  yon  Reichs- 
ministern der  Unsterblichen  verwalten,  gebrauchen  Gold  und  Mennig. 
Die  das  Amt  von  Grossen  verwalten,  gebrauchen  sämmtliche  Unsterb- 
lichkeitspdanzen.  Diejenigen,  welche  das  Amt  von  kaiserlichen  Ver- 
merkern verwalten,  wenn  sie  die  verborgene  Unsterblichkeitspflanze 
der  grossen  Gipfeluug  erlangen,  so  werden  sie  sogleich  Fürsten  der 
Unsterblichen  zur  Linken. 


Die  angebome  Eigenschatl  ist  nahe  dem  Vl^ege.  Macht  man 
davon  Gebrauch,  so  kommen  die  wahren  Menschen.  Der  wahre  Mensch 
des  purpurnen  Yang  sagt:  Man  kann  Hiü-yo-fu  heissen  mehrmals 
das  Haupt  waschen  und  sich  baden,  ihn  abspulen  heissen  die  Luft 
seiner  Krankheit  des  Wassers,  tilgen  die  Flecken  seines  gehäuften 
Alters.  Dieses  sind  die  Stufen  des  Zustandekommens  des  Wahren.  — 
Wer  den  Weg  des  Nährens  des  Lebens  lernt,  darf  nicht  Thrfinen 
und  Feuchtigkeit  vergiessen,  nicht  ausspucken.  Was  hierdurch 
Schaden  leidet,  ist  sehr  vieles.  Desswegen  geben  die  wahren  Meosehen 
und  die  Männer  des  Weges  immer  von  sich  und  nehmen  auf.  Sie 
verschlucken  den  Speichel  und  bringen  dadurch  zu  Übereinstimmung 
die  sechs  Säfte. 


Einst  befand  sich  Kaiser  Tsching  von  Han  auf  der  Jagd  in  dem 
södlichen  Gebirge.  Man  sah  einen  Menschen,  der  unbekleidet  war. 
Auf  seinem  Leibe  wuchsen  Federn,  er  entlief  im  Fluge  und  konnte 


Die  LebensverlSogeniogen  der  MSoner  det  Weges.  347 

nicht  erreicht  werden.  Man  umzingelte  ihn  und  fing  ihn.  Als  mau  ihu 
fragte,  war  es  ein  Bewohner  des  Palastes  von  Thsin.  Er  erzählte, 
was  sich  mit  Tse-ying,  Konige  yon  Thsin,  an  dem  Wege  Tschi-tao 
zugetragen«).  Als  der  Palast  und  die  Häuser  verbrannt  wurden*)» 
floh  er  voll  Schrecken  in  das  Gebirge.  Daselbst  hungerte  ihn  und  er 
hatte  nichts  zu  essen.  Er  sank  nieder  und  wollte  Hungers  sterben.  Da 
erschien  ein  Greis,  der  ihn  Fichtenlaub  und  Fichtenzapfen  verzehren 
hiess.  Die  Jäger,  im  Begriffe  heimzukehren,  speisten  ihn  mit  Brod- 
fraeht.  Er  erbrach  sich  und  erholte  sich  erst  nach  vielen  Tagen.  In 
einem  Jahre  starb  er.  Vordem  war  er  kein  Mensch,  man  hatte  einen 
Unsterblichen  gefangen. 


Lung-scho  fQhrte  den  jQnglingsnamen  Pe-kao  und  stammte  aus 
dem  Kreise  der  Mutterstadt.  Später  schloss  er  sich  an  den  unsterb- 
lichen Menschen  Tao-tao-lin  und  empfing  von  diesem  die  Weise  der 
Luft  der  Leibesfrucht.  Er  empfing  ferner  das  Heilmittel  des  Raben- 
reises. Er  vertraute  die  Gestalt,  verschwand  trunken  und  wohnte  in 
Verborgenheit. 


Tai-meng,  ein  Mann  des  Weges  von  dem  Gebirge  Wu-tang, 
fobrte  ursprunglich  den  Geschlechtsnamen  Ten.  Sein  Name  war  Thsi, 
sein  Jünglingsname  Tschung-wei.  Er  war  ein  Zeitgenosse  des  Kaisers 
Ming  von  Han.  In  seiner  Jugend  ordnete  er  den  Weg  und  die  Tugend. 
Indem  er  nicht  diente,  trat  er  in  das  blumige  Gebirge  und  gebrauchte 
als  Lockspeise  die  Unsterblichkeitspflanze,  die  Bergdistel,  das  gelbe 
Geistige,  die  Wolkenmutter  und  den  Mennigsand.  Er  empfing  die 
Vorschrift  von  dem  wahren  Menschen  des  wahren  Leeren,  dem 
Gebieter  des  Geschlechtes  Wang.  Er  erlangte  den  Weg  des  langen 
Lebens.  Ferner  Qbergab  ihm  der  wahre  Mensch  von  dem  Geschlechte 
Pei  die  Bacher  des  Gurtelgehänges  von  Eddstein  und  der  goldenen 
Ohi^ehange.  Hierzu  gesellte  er  die  Begiaubigungsmarke  des  steiner- 
Den  Geistigen  und  des  Goldglanxes. 


')  T«e-jiog  ergab  sich  an  dem  Wege  Ttchi-tao  dem  Könige  von  Han. 
^)  Spiter  Terbrannte  Hiang-yu  die  HaupUtadt  Tschang-ngan. 


348  Pfismiiier. 

Verzehrt  man  die  Arzneistoffe  der  Pflanzen  und  Baume  und 
versteht  es  nicht,  die  Luft  in  Gang  zu  bringen,  bei  dem  Gebrauche 
der  Arzneistoffe  zu  fuhren  und  zu  leiten,  so  ist  es  ohne  Nutzen.  Man 
erlangt  niemals  den  Weg.  Wenn  die  Vorsätze  angeregt  werden  von 
dem  Reingeistigen  und  dasjenige,  wobei  man  verweilt,  kommen  muss, 
so  braucht  man  auch  nicht  den  Nutzen  der  Arzneistoffe  der  Pflanzen. 
Versteht  man  es  bloss,  die  Luft  in  Gang  zu  bringen,  versteht  aber 
nicht  die  Vorschriften  fQr  den  gottlichen  Hennig,  so  wird  man  eben- 
falls kein  Unsterblicher.  Erlangt  man  den  Goldsaft  und  den  gottlichen 
Mennig,  so  braucht  man  keine  andere  Kunst.  Hat  man  das  wahre 
Buch  der  grossen  Tiefen,  so  braucht  man  nicht  den  Weg  des  Goldes 
und  des  Mennigs  zu  erlangen,  um  ein  Unsterblicher  zu  werden.  Wenn 
der  Mensch  geboren  wird,  besitzt  er  die  Grundrisse  der  Knochen,  er 
hat  gewiss  aufrichtige  Vorsatze.  Der  Weg  bringt  es  so  mit  sich. 
Desswegen  lernt  man  nicht,  und  der  Weg  der  Unsterblichen  konomt 
von  selbst.  Bis  hierher  und  weiter  abwärts  bedarf  man  der  aufrich- 
tigen Vorsätze. 


Die  Konigin  der  Blumen  der  Edelsteine  von  dem  östlichen  Meere 
ist  die  jüngere  Schwester  des  Gebieters,  des  grünen  jQnglings.  Sie 
stieg  herab  und  übergab  Tschang-wei-tse  die  Weise  des  Gebrauches 
des  Nebels. 

Das  Buch  der  dreimal  fünf  willfahrigen  Handlungen  sagt: 
Der  wahre  Mensch  von  Kuang-ping  trägt  auf  dem  Scheitel  einen 
runden  Feuerglanz.  Er  hält  in  der  Hand  eine  Blumenfahne  vor  dem 
höchsten  Kaiser.  Er  fragt  nach  der  Weise  des  Ordnens  und  Läuterns. 


Auf  der  Erdstufe  der  Tiefen  des  Berges  Ta-ho  in  Lo-kiang  Gndet 
sich  die  fünffarbige  verborgene  Unsterblichkeitspflanze.  Auf  den 
Bergen  von  Hoa-yang  finden  sich  auch  fünf  Arten  der  in  der  Nacht 
leuchtenden  Unsterblichkeitspflanze.  Auf  dem  Berge  Liang-tschang 
findet  sich  die  Unsterblichkeitspflanze  des  Feuerfliegenfeuers.  Ihre 
Früchte  haben  Ähnlichkeit  mit  denjenigen  der  Pflanzen.  Auf  der  Erde 
gleichen  sie  von  Gestalt  den  Feuerfliegen.  Sie  sind  von  der  Grosse 
der  Bohnen  und  gleich  purpurnen  Blumen.  Wenn  man  sie  in  der 
Nacht  sieht,  leuchten  sie.   Wer  sie  verzehren  kann,  dessen  Herz  ist 


Die  LebensTerliogernngen  der  Minoer  des  Wege«.  349 

erieuchtet  Er  ist  im  Stande,  in  der  Nacht  zu  schreiben  und  zu 
rechnen.  Wer  sieben  und  yierzig  StOcbe  verzehren  kann,  erhfilt  die 
Langjihrigkeit. 


Auf  dem  Berge  Pao  wächst  die  weisse  Unsterblichkeitspflanze. 
Ferner  findet  man  daselbst  die  verborgene  Quelle.  Die  Farbe  der- 
selben ist  purpurroth.  Auf  dem  Berge  Lui-ping  in  Hoa-yang  befindet 
sieh  die  Quelle  des  Forsten  des  Feldes.  Es  ist  das  fliessende  Fahr- 
wasser des  EdelsteiDsandes.  Man  wäscht  mit  ihm  vortrefflich  Kleider. 


Wer  die  Blume  der  Sonne  und  des  Mondes  der  neun  Rein- 
geisljgen  als  Arznei  gebraucht,  erlangt  das  Herabsteigen  zu  dem  Hause 
der  grossen  Gipfelung,  die  Weise  der  ursprunglichen  Wahren. 


Lang-tsung  führte  den  Junglingsnamen  Tschung-nui  und  stammte 
aus  Ngan-khieu  in  Pe-hai.  In  seiner  Jugend  trat  er  aus  dem  Amte. 
Er  lebte  zu  dea  Zeiten  der  spateren  Han.  Er  wurde  Befehlshaber  von 
U  und  lernte  die  Kunst  des  geistigen  Weges.  Indem  er  wahrsagte, 
erspähte  er  Wind  und  Luft.  Später  erhob  sich  an  einem  Morgen  ein 
heftiger  Sturm.  Er  schritt  in  der  Vorhalle  zur  Wahrsagung  und 
wusste,  dass  in  Lo-yang  ein  grosses  Feuer  ausgebrochen  und  das 
Thor  des  langen  Sommers  verbrannt  sei.  Man  ging  hin,  erkundigte 
sich,  und  es  verhielt  sich  wirklich  so.  Als  man  dieses  in  der  Vorhalle 
des  Hofes  erfuhr,  berief  man  Tsung  als  vielseitigen  Gelehrten.  Tsung 
schämte  sich,  dass  er  der  Kunst  der  Wahrsagung  willen  berufen 
worden.  Er  loste  in  der  Nacht  das  Siegel  sammt  dem  breiten  Bande, 
nahm  den  Bucherkorb  auf  den  Rücken  und  entlief.  Er  wohnte  am 
Fasse  des  blumigen  Gebirges,  gebrauchte  Hanfsamen  und  erlangte 
den  Weg.  Gegenwärtig  befindet  er  sich  in  den  Tiefen. 


Fa-li-ho  ist  Fu-kien-ngan,  von  mütterlicher  Seite  ein  Enkel  des 
Kaisers  Hoan  von  Han.  Er  gebrauchte  gewohnlich  als  Arznei  die 
Luft  der  fünf  Sterne  und  erlangte  den  Weg.  Er  ist  der  Vorgesetzte 
der  die  Wahren  in  sich  fassenden  Erdstufe. 


350  Pfismaier. 

Das  Buch  Pao-po-tse  sagt: 

Tu-tsu>hung-liu  war  in  seiner  Jagend  Befehlshaber  von  Lin- 
yuen.  Derselbe  sagte :  Die  in  diesem  Districte  lebenden  Menschen 
des  Volkes  hatten  die  Langjährigkeit  und  das  hohe  Alter.  Später 
wanderten  sie  aus.  Die  Sohne  und  Enkel,  die  ihnen  folgten,  starben 
häufig  eines  frühzeitigen  Todes.  Andere  Menschen,  die  deren  alte 
Hfiuser  bewohnten,  hatten  ebenfalls  durch  mehrere  Geschlechtsalter 
die  LangjShrigkeit  der  Augenbrauen.  Ich  vermuthe,  dass  das  Wasser 
ihrer  Brunnen  durchaus  roth  ist.  —  Er  Hess  versuchsweise  einen 
Brunnen  graben.  Man  fand  zur  Rechten  und  Linken  desselben  etliche 
zehn  Scheffel  Mennigsand,  den  die  Menschen  des  Alterthums  ver- 
graben  hatten.  Wie  ist  es  erst  bei  denen,  welche  Hennigsand  als 
Lockspeise  gebrauchen ! 


Tschao-kiu  von  Schang-thang  war  an  dem  Aussatze  erkrankt. 
Keine  Behandlungsart  bewirkte  Heilung,  und  er  war  dem  Tode  nahe. 
Seine  Angehörigen  setzten  ihn  in  eine  Sänfte  und  verstiessen  ihn. 
Sie  besorgten  Mundvorräthe,   die  sie  in  einem  Gebirgsthale   nieder- 
legten. Kiä  nahm  sich  sein  Unglück  zu  Herzen.  Tag  und  Nacht  seufzte 
er  traurig  und  weinte.  Nach  einem  Monate  ging  ein  Unsterblicher  an 
dem  Ausgange  der  Hohle  vorbei.  Derselbe  erblickte  Ihn  und  erbarmte 
sich  seiner.  Zugleich  fragte  er  ihn  aus.  Kiu  erkannte,  dass  es  ein 
unsterblicher  Mensch,  sei.     Er  schlug   das  Haupt    an   den   Boden, 
erklärte  sich  und  bat,  dass  er  sich  erbarme.  Der  unsterbliche  Mensch 
schenkte  ihm  jetzt  einen  Sack  ArzneistofTe  und  belehrte  ihn   über 
deren  Gebrauch.  Kiu  genas  von  seiner  Krankheit.  Sein  Angesicht  war 
blühend  und  freudevoll,  seine  Haut  frischglänzend  wie  Edelstein.  Der 
unsterbliche  Mensch  ging  nochmals  vorbei,  um  ihn  zu  sehen.    Kiu 
bedankte  sich  und  bat  um  das  Heilmittel.  Der  unsterbliche  Mensch 
sagte  ihm :  Dieses  ist  bloss  Fichtenharz.  In  diesem  Gebirge  findet  es 
sich  häufig.  Wenn  du  es  läuterst,  kannst  du  damit  das  Leben  ver- 
längern. —  Kifi  kehrte  jetzt  in  sein  Haus  zurück.  Man  war  daselbst  sehr 
erschrocken.  Man  fragte  ihn  und  erfuhr,  wie  er  geheilt  worden.  Kiu 
war  einhundert  und  siebzig  Jahre  alt,  aber  seine  Zähne  und  sein 
.  Haupthaar  waren  noch  fest  und  kräftig.  Er  lebte  unter  den  Menschen 
zweihundert  Jahre,  dann  trat  er  in  das  Gebirge  des  umfassten  Kalbes 
und  verschwand. 


Die  LebentTerllogerungen  der  Minner  des  Weges.  351 

Wo  man  das  lange  Leben  begehrt«  richten  sich  Fortgehen  und 
Zaruckbleiben  nur  nach  der  Neigung.  Man  hat  den  zurückkehrenden 
Heonig  and  den  Goldsaft  gebraucht.  Will  man  dann  noch  in  dem  Zeit- 
alter yerweilent  60  gebraucht  man  bloss  die  Hälfte.  Trachtet  man»  als 
Unsterblicher  sich  zu  entfernen,  so  soll  man  es  ganz  gebrauchen. 
Einst  waren  es  der  Fruhgeborne  von  Ngan-khi,  der  FQrst  Niug  von 
Lnng-roei,  der  Fürst  Sieu-yang  und  Yin-tsehang-seng,  die  bei  Gold 
and  Mennig  halbe  Gaben  gebrauchten.  Sie  weilten  unter  den  Menschen, 
Einige  nahezu  tausend  Jahre,  dann  erst  yerschwanden  sie. 


Das  mittlere  Heft  des  Erfassens  des  Edelsteinschaftes  sagt:  Die 
Verdienste  begründen,  ist  das  Höchste.  Die  Fehler  wegbringen,  kommt 
diesem  zunächst.  Wer  den  Weg  übt,  hält  die  Rettung  der  Menschen 
ans  Gefahr  f&r  das  höchste  Verdienst.  Will  man  nach  den  Erforder- 
nissen der  Unsterblichen  trachten ,  so  soll  man  Redlichkeit,  Eltern- 
liebe, Verträglichkeit,  Menschlichkeit  und  Glauben  zur  Grundlage 
machen.  Wird  der  Wandel  der  Tugend  nicht  geordnet  und  befnsst 
man  sich  bloss  mit  der  Kunst  der  Heilmittel,  so  wird  man  niemals 
das  lange  Lebe^  erreichen.  Verrichtet  man  hose  Dinge,  so  entreisst 
dieses,  wenn  es  etwas  Grosses  ist,  die  Darlegung.  Kleine  Fehler  ent- 
reissen  die  Rechnung.  Häuft  man  das  Gute  und  ist  das  Mass  noch 
nicht  voll,  so  mag  man  die  Arzneimittel  der  Unsterblichen  gebrauchen, 
es  ist  ebenfalls  nutzlos. 

Ich  habe  die  Bficher  des  Nährens  des  Lehens  überblickt.  Unter 
ihnen  ist  keines,  in  welchem  nicht  der  zurückkehrende  Mennig  und 
der  Goldsaft  für  das  grosse  Erforderniss  gehalten  würden.  Dieselben 
sind  nämlich  die  Gipfelung  des  Weges  der  Unsterblichen.  Einst 
dachte  Tso-thse,  dessen  Jünglingsname  Yuen-faug,  in  dem  Gebirge  des 
Himmelpfeilers  geistig  nach.  Er  verbrachte  lange  Zeit,  als  ein  gott- 
licher Mensch  ihm  das  Unsterblichkeitsbuch  des  Goldes  und  Mennigs 
übergab.  Gegen  das  Ende  der  Han  entstanden  große  Unordnungen, 
ihm  blieb  nicht  Zeit  zur  Ordnung  der  Läuterungen,  und  er  mied  das 
Land.  Er  kam  und  setzte  zu  dem  Osten  des  Stromes  hinüber.  Er 
wollte  sich  in  die  berühmten  Berge  werfen  und  dadurch  den  Weg 
ordnen.  Der  Grossoheim,  ein  Fürst  der  Unsterblichen,  schloss  sich 
ebenfalls  an  Yuen-fang  und  empfing  den  Weg.  Er  empfing  im  Ganzen 
drei  Rollen  des  mennigrothen  Buches  des  grossen  Klaren,  ferner  eine 


352  Pfiimaier. 

Rolle  des  mennigrothen  Buches  der  neon  Dreifösse,  eine  Rolle  des 
Buches  des  Goldsafts. 

Der  Gebieter  von  dem  Geschlechte  Tsching,  den  ich  zum  Leh- 
rer genommen,  ist  der  Schuler  des  Forsten  der  Unsterblichen.  Ich 
habe  es  ferner  von  dem  Großoheim  empfangen.  Mein  Haas  war 
jedoch  arm,  ich  hatte  nicht  die  Mittel,  um  ArzneistoflTe  kaufen  zu 
können.  Ich  diente  ihm  in  eigener  Person,  besprengte  und  fegte. 
Nachdem  ich  lange  Zeit  verbracht,  errichtete  ich  in  dem  Gebirge  des 
Anhäufens  der  Pferde  einen  Altar,  beschwor  den  Vertrag  und  empfing 
den  Weg.  Zugleich  hatte  ich  in  Bereitschaft  alles,  was  er  mündlich 
entschied  und  nicht  niedergeschreiben  hatte.  Diese  Bücher,  welche  im 
Osten  des  Stromes  früher  nicht  vorhanden  waren,  stammen  von  Tso- 
thse.  Thse  übergab  sie  dem  Großoheim,  dem  Fürsten  der  Unsterblichen. 
Der  Fürst  der  Unsterblichen  übergab  sie  dem  Gebieter  von  dem  Ge- 
schlechte Tsching.  Der  Gebieter  von  dem  Geschlechte  Tsching  über- 
gab sie  mir.  Desswegen  ist  unter  den  anderen  Mftnnern  des  Weges 
durchaus  keiner,  der  davon  weiss.  Hier  entlehnt  und  erstrebt  man 
nämlich  äussere  Dinge,  um  sich  zu  befestigen. 

Es  gibt  wieder  den  göttlichen  Mennig  des  großen  Klaren.  Die 
Vorschriften  für  denselben  stammen  von  dem  ursprünglichen  Gebieter. 
Der  ursprüngliche  Gebieter  ist  der  Lehrer  Lao-tse*s.  Das  von  dem 
grossen  Klaren  handelnde  Buch  der  Betrachtung  des  Himmels  hat  neun 
Hefte.  Es  heisst,  nach  den  oberen  drei  Heften  k^nne  nicht  gelehrt 
werden.  Die  mittleren  drei  Hefte  haben  für  das  Zeitalter  nichts,  das 
der  Überlieferung  werth  wäre.  Man  solle  sie  versenken  in  die  drei 
Quellen.  Die  unteren  drei  Hefte  sind  eben  das  Buch  des  Mennigs.  Dieses 
Buch  sagt:  Die  obersten  Männer,  welche  den  Weg  erlangen,  steigen 
empor  und  werden  Obrigkeiten  des  Himmels.  Die  mittleren  Männer, 
welche  den  Weg  erlangen,  lassen  sich  nieder  und  sammeln  sich  an 
dem  Fusse  des  Kuen-lün.  Die  unteren  Mfinner,  welche  den  Weg 
erlangen,  leben  lange  in  dem  Zeitalter. 

In  jüngster  Zeit,  gegen  das  Ende  der  späteren  Han  vereinigte 
der  Gebieter  des  Geschlechtes  Tin  von  Sin-ye  diesen  Mennig  des 
grossen  Klaren.  Dieser  Mensch  hatte  die  Luft  der  Begabung.  Er  ver- 
öffentlichte  Gedichte  und  das  Lob  des  Buches  des  Mennigs.  In  der 
Einleitung  zu  diesem  sagt  er:  Diejenigen,  welche  den  Weg  zu  lernen 
begannen ,  dem  Lehrer  folgten,  in  der  Heihe  des  Stammes  und  der 
Spitze  standen  und  meines  Wissens  den  Weg  erlangten,  sind  vierzig 


Die  LebentTerliiiigeraiifeD  der  Minner  de«  Weges.  353 

Mensehen.  Sie  waren  sehr  scharfsinnig  und  erleuchtet.  Es  gibt  ferner 
Terschiedene  Weisen»  diejenige  des  Mennigs  der  nenn  Lichter  und 
diejenige  der  neun  Umschwünge.  Es  gibt  ferner  eine  Weise  des  Men* 
oigs  des  Berges  Min.  Tschang-hö-tS,  der  Mann  des  Weges,  dachte 
geistig  nach  in  einem  Felsenhause  des  Berges  Min  und  erlangte  dieses 
Heilmittel.  Was  die  Vorschriften  fftr  den  Mennig  betrifft,  so  ist  jede 
einzelne  von  der  anderen  verschieden.  Der  Goldsaft  ist  dasjenige, 
das  die  grosse  Gipfelang  gebrauchte  und  wodurch  sie  unsterblich 
wurde. 


Bei  der  Herstellung  des  langen  Lebens  handelt  es  sich  um  die 
grossen  Arzneimittel,  sie  wird  nicht  durch  die  Opfer  bestimmt  Die 
beiden  Herrscherhäuser  Thsin  und  Han  betrieben  im  grossen  Mass- 
stabe Gebet  und  Anrufung.  Dem  sie  opferten,  waren  Wesen  wie  die 
fonf  Kaiser  des  grossen  Einzigen,  die  acht  Gotter  der  dargelegten 
Kostbarkeiten.  In  ihrem  Unternehmen  verausgabten  sie  hunderttausend 
Zehntausende.  Sie  hatten  davon  durchaus  keinen  Nutzen.  Wie  erst 
der  gemeine  Mann,  der,  ohne  Tugend,  wollte  mit  drei  Opferthieren 
vergeblich  die  Gotter  anrufen  und  flehen  um  die  verlängerten  Jahre ! 
Dieser  Irrthum  wäre  auch  ein  sehr  grosser. 


Bei  der  Vereinigung  der  grossen  Arzneistoffe  des  Goldes  und 
Mennigs,  der  Läuterung  der  Luft  der  acht  Steine  wird  der  Ruhm  am 
meisten  vermieden.  Wenn  etwas  im  gewöhnlichen  Leben  gehört  oder 
gesehen  wird,  so  kommt  die  Unsterblichkeit  nicht  zu  Stande.  Einige 
^gen:  Die  obersten  Männer  erlangen  den  Weg  in  den  Schaaren  des 
Krt^heeres.  Die  mittleren  Männer  erlangen  den  Weg  auf  den 
Märkten  der  Hauptstädte.  Die  unteren  Männer  erlangen  den  Weg  in 
den  Wäldern  der  Gebirge.  Dieses  hat  die  Bedeutung :  Die  Arznei- 
stoffe der  Unsterblichen  sind  bereits  vollendet,  und  sie  wollen  es  nicht 
leichthin  unternehmen.  Sind  es  auch  drei  Kriegsheere,  die  Schneiden 
der  Angriffswaffen  können  sie  nicht  verletzen.  Das  Unheilvolle  und 
Unglückliche  der  Märkte  der  Hauptstädte  kann  ihnen  nichts  anhaben. 
Die  unteren  Männer  haben  es  noch  nicht  so  weit  gebracht,  desswegen 
halten  sie  in  den  Wäldern  der  Gebirge. 

Die  Wegmänner  des  Alterthums,  die  im  Fluge  die  gottlichen 
Arzneistoffe  läuterten,  mussten  in  die  berühmten  Gebirge  treten.  Sie 

Sitek.  d.  phiL-hUt.  Ol.  LXV.  Bd.  II.  Hft.  25 


354  Pfii  maier. 

untersuchten  ferner  die  Bucher  des  Tretens  in  die  Gebirge,  sie 
konnten  dadurch  geistig  denken  und  die  Lockspeisen  ordnen.  Diese 
Arzneistoffe  finden  sich  auf  dem  grossen  blumigen  Berge,  dem  Heng, 
dem  Sung%  auf  dem  kleinen  inneren  Hause ,  dem  Tai-pe  •  dem 
Tchung-nan,  der  Mädchenbank,  der  Erdlunge,  dem  Konigsdache, 
dem  unfassten  Kalbe,  dem  ruhigen  Erdhügel,  dem  Hung,  dem  Tsien, 
der  grünen  Feste,  demNgo-mei,  der  Erdstufe  der  Wolken,  demLo-feu, 
dem  Yang-kia,  dem  gelben  Golde,  dem  grossen  und  kleinen  Thien-tai, 
dem  Hö,  dem  Bambus,  dem  zusammengeschnürten  Grasgrünen.  Wenn 
man  von  den  vier  Gegenden  nach  den  Gebirgen  blickt,  so  befinden 
sich  in  ihnen  die  richtigen  Gotter.  Auf  ihren  Hohen  wächst  die  Un- 
sterblichkeitspflanze. Man  kann  dadurch  ausweichen  der  großen 
Kriegsnoth,  den  grossen  Wasserfiuthen.  Man  vereinigt  nicht  bloss  in 
ihnen  die  Arzneistoffe.  Wenn  die  den  Weg  Besitzenden  sie  ersteigen, 
so  leisten  die  Götter  dieser  Berge  ihnen  gewiss  Beistand  und  bringen 
Segen.  Die  .Arzneimittel  kommen  gewiss  zu  Stande.  Gleichwie  auf 
diesen  Bergen  kann  man  auf  den  in  dem  Meere  befindlichen  grossen 
Inseln  die  Arzneistoffe  vereinigen. 


Mein  Lehrer,  der  Gebieter  von  dem  Geschlechte  Tsching,  hatte 
das  achtzigste  Jahr  überschritten.  Früher  waren  sein  Schopf  und 
sein  Haupthaar  gestreift  und  weiss.  In  einigen  Jahren  wurden  sie 
wieder  schwarz.  Überdies  war  sein  Angesicht  voll  und  frisch- 
glänzend. Er  konnte  starke  Armbrüste  spannen  und  täglich  mehrere 
Weglängen  wandeln.  Er  trank  zwei  Nossel  Wein,  ohne  berauscht  zu 
werden.  Er  bestieg  Berge,  und  was  seine  Korperkraft  betrifft,  so  war 
er  leicht  und  hurtig.  Die  Jüngeren,  die  ihm  nachfolgten,  erreichten 
ihn  nicht.  Im  Essen  und  Trinken  zeigte  er  sich  von  den  übrigen 
Menschen  nicht  verschieden.  Man  sah  auch  nicht,  dass  er  die  Brod- 
frucht verschmähte. 

Ich  fragte  einen  dem  Frühgebomen  folgenden  Schüler,  Namens 
Hoang-tschang.  Dieser  sagte:  Der  Gebieter  von  dem  Geschlechte 
Tsching  kehrt  gewöhnlich  über  Yü-tschang  zurück.  In  dem  Fluss- 
arme erlebt  er  unausgesetzt  Stürme  und  begegnet  Räubern.  Der  Ge* 
bieter  weist  den  Mundvorrath  von  sich  und  beschenkt  damit  die 
Menschen.  Er  selbst  verzehrt  auch  keine  Speise  mehr  und  ist  in 
fünfzig  Tagen  auch  nicht  hungrig.  Man  sieht  ferner  nicht,  was  er  als 


Die  LebeotTerlingeniogeo  der  Hioner  des  Weges.  355 

Gabe  rertheilt  und  weiss  nicht,  was  sich  dabei  zugetragen.  Unter 
der  Lampe  schreibt  er  eine  kleinere  Schrift  als  junge  Leute.  Ver- 
möge seiner  angebornen  Eigenschaft  erklärt  er  die  Tone  und  Musik- 
Qoteo.  In  stiller  Nacht  schlägt  er  die  Cither.  Mehrere  Menschen,  die 
aufwartend  sitzen,  antworten  ihm  laut  auf  Fragen.  Im  Sprechen  lässt 
er  die  Klänge  nicht  Terstummen,  und  sein  Ohr  bort  noch  feiner.  Die 
Leute  seiner  Umgebung,  welche  die  Saiten  festhalten,  werden  mehr- 
mals wegen  Länge  und  Kurze  zur  Rede  gestellt.  Sie  können  nicht  im 
Geringsten  entkommen. 

Ich  wurde  spät  ein  Mensch  des  Thores  des  Gebieters  von  dem 
Geschlechte  Tsching.  Ich  bat,  die  Bücher  der  Heilmittel  sehen  zu 
dürfen.  Er  sagte  zu  mir :  Der  nothwendige  Weg  ist  nicht  länger  als 
einen  Schuh.  Der  ungeschmückte  obere  Theil  genügt,  das  Zeitalter 
zu  bemessen.  —  Er  sagt  ferner:  Was  du  weisst,  ist  zwar  vieles,  aber  es 
ist  noch  nicht  geistig.  Wenn  ferner  die  Gedanken  bei  dem  Auswär- 
tigen verweilen,  ist  man  nicht  fähig,  sich  ausschliesslich  mit  dem  Ein- 
zigen zu  befassen.  Du  kannst  noch  nicht  schreiten  zu  dem  Tiefen, 
Unubersetzen  zu  deni  Fernen.  Ich  werde  dir  die  vortreflflichen 
Schriften  zeigen.  —  Nach  langer  Zeit  war  es  mir  nach  und  nach 
vergönnt,  die  kurzen  Schriften,  die  er  in  ungeschmückter  Weise  auf 
Atlas  abgeschrieben  hatte,  zu  sehen.  Das  im  Verlaufe  der  Jahre  Ge- 
sammelte, das  ich  gesehen  habe,  mussten  über  zweihundert  Rollen 
sein.  Die  vorschriftmässigen  Bücher  konnte  ich  augenblicklich  nicht 
beurtheilen. 


Er  (der  Gebieter  von  dem  Geschlechte  Tsching)  sagte  zu  mir 
im  Gespräche :  Die  Rollen  der  neuen  Schriften  enthalten  vortreffliche 
Dinge.  Man  soll  bloss  vergleichen  ihr  Geistiges  und  Grobes,  wählen, 
was  man  gebraucht  und  ausübt.  Ist  das  Gold  und  der  Mennig  einmal 
zu  Stande  gebracht,  so  sind  diese  Schriften  durchaus  unbrauchbar. 
Man  soll  auch  bisweilen  haben,  was  man  lehrt  und  übergibt.  Es  ist 
angemessen,  den  Stamm  und  die  Spitze  zu  erlangen.  Man  beginnt 
früher  von  dem  Seichten,  um  zu  ermuntern  und  vorwärts  zu  führen 
die  Lernenden.  Es  gibt  keine  Treppen  und  Mittel,  die  verliehen  und 
geebnet  würden.  —  Der  Gebieter  von  dem  Geschlechte  Tsching 
mochte  auch  nicht  durchaus  die  Menschen  veranlassen,  seine  Schriften 
abzosehreiben.   Man  sollte  überall  ihren  Sinn  beurtheilen.  Wenn  er 

25« 


356  Pfismaier. 

auch  lange  lieh,  war  doch  Niemand,  der  es  gewagt  hätte,  ein  Wort 
yerstohlener  Weise  abzuschreiben. 

Der  Gebieter  von  dem  Geschlechte  Tschiug  war  ursprunglich 
ein  grosser  Gelehrter  und  liebte  erst  spfit  den  Weg.  Er  hielt  sich  an 
die  Erwähnungen  der  Gebräuche  und  das  Buch  der  Schang,  die  er 
ohne  Unterbrechung  lehrte  und  Gbei*gab.  Was  sein  Äusseres  betrifft, 
so  war  sein  Blick  edel  und  verti*auensvoll,  sein  Benehmen  äusserst 
gerade  und  regelmässig.  Wer  mit  ihm  zusammentraf  und  ihn  sah, 
war  von  Ehrfurcht  erfüllt.  So  oft  er  um  etwas  fragte,  waftete  man 
immer  auf  seine  freundliche  Miene  und  wagte  es  nicht,  sich  schlecht- 
weg zu  entziehen.  Unter  den  fünfzig  Menschen  seines  Thores  habe 
bloss  ich  die  yorschriftmässigen  Bücher  des  Goldes  und  Mennigs  so 
wie  den  inneren  Schriftschmuck  der  drei  Erhabenen,  das  Innere  des 
Kopfkissens,  die  Erwähnungen  der  fünf  Grundstoff^e  gesehen  und  in 
Empfang  genommen.  Die  übrigen  Menschen  durften  nicht  ein  einziges 
Mal  die  Titel  dieser  Bücher  betrachten. 

Die  Verzeichnisse  der  sich  sammelnden  Unsterblichen  sagen: 
Die  reichlichen  Früchte  sind  die  glänzenden  Perlen  des  sich 
erhebenden  Frühlings.  Das  grosse  Überwindende  ist  das  yersinkende 
Reingeistige  des  ursprünglichen  Herbstes.  Die  mennigrothen  Kreuz- 
dornfrüchte sind  die  Unsterblichkeitspflanze  der  Wolken  des  yoll- 
kommenen  Yang.  Die  Stechwinde  ist  die  yersteckte  Leibesfrucht  des 
hochrothen  Göttlichen.  Die  fünf  Blumen  enthalten  Rauch.  Die  zwei 
Lüfte  bringen  zurecht  das  Geistige,  ordnen  das  Ruhige.  Die  sechs 
Lüfte  nähren  die  dunkle  Seele,  beschützen  das  Göttliche. 


Die  Edelsteintochter  des  grossen  Ursprünglichen  lebte  zu  den 
Zeiten  des  als  Kaiser  herrschenden  Schao-hao.  Sie  wohnte  auf  dem 
Berge  der  langen  Fichten  in  Scho  und  ordnete  den  Weg  des  langen 
Lebens.  Sie  begegnete  einem  Menschen  des  Berges,  der  ihr  deu  ver- 
borgenen Schriftschmuck  der  acht  Himmel  übergab.  Er  hiess  sie 
damit  den  Gürtel  behängen  und  sagte  zu  ihr:  Was  die  Erfordernisse 
des  Weges  betrifft,  so  macht  man  das  Nichtsthun  zur  Grundlage. 
Die  Schrift  der  acht  Himmel  ist  das  wahre  Nichtsthun,  aber  der  Weg 
kommt  von  selbst  zu  Stande.  —  Gleichwohl  hiess  er  sie  den  Saft  des 
gekrümmten  frühen  Morgens  des  Edelsteines  Lang-kan,  deu  Meanig 
der  acht  Rubinen  und  neun  Blumen  läutern  und  als  Lockspeise  ge- 


Die  LebentTarliogerangen  der  Minner  des  Weges.  357 

brauchen.  Dieselben  werden  Ton  der  grossen  Gipfelung  geheim 
gehalten  und  man  kann  dadurch  eintreten  und  aufwarten  unter  dem 
Dachrande  des  Kaisers,  uberbh'cken  die  zehntausend  Verwandlungen. 
Er  übergab  ihr  das  Heilmittel  der  neun  Blumen.  An  den  Ufern  des 
Stromes  läuterte  sie  den  Mennig.  Die  Quelle  des  Goldsandes,  die  sich 
an  den  Harken  des  Stromes  befindet,  ist  davon  zurückgeblieben. 


Zn  den  Zeiten  des  Kaisers  Kao-sin  <)  lebte  ein  unsterblicher 
Mensch,  dessen  Name :  Fürst  von  Tschen-khieu  (Fürst  der  gedehnten 
Erdhohe).  Derselbe  erzählte  immer,  dass  er  sich  einst  an  dem  Fusse 
des  Hoa-yang  befunden  habe.  Daselbst  verzehrte  er  weisse  Birnen 
Too  ungewöhnlicher  Schönheit.  Wie  er  sich  erinnerte,  war  dieses 
noch  nicht  lange  her.  Es  waren  aber  plötzlich  dreitausend  Jahre. 


Li-to  wohnte  auf  dem  Berge  der  goldenen  Halle  in  Scho,  an 
dem  Fusse  des  Gipfels  der  Drachenbrucke.  Er  ordnete  den  Weg.  Die 
Mensehen  von  Scho  sahen  ihn  die  wechselnden  Zeitalter  hindurch 
und  berechneten,  dass  er  seit  achthundert  Jahren  komme  und  gehe. 
Sie  nannten  ihn  daher  Li-p&-pe  (Achthundert  von  dem  Geschlechte 
Li).  Zu  den  Zeiten  des  Königs  Mo  von  Tscheu  war  er  gekommen 
und  wohnte  auf  dem  Berge  Si-yuen  in  Kuang-han.  Daselbst  vereinigte 
er  den  Hennig  der  neun  Blumen.  Als  er  diesen  zu  Stande  gebracht 
hatte,  entfernte  er  sich  und  lust^yandelte  in  den  zwölf  Tiefen  der 
fünf  Berghöhen  zweihundert  Jahre.  An  den  Ufern  des  Heeres  begeg- 
nete er  dem  Gebieter  des  purpurnen  Yang»  der  ihm  den  Weg  des 
Wasseredelsteines  übergab.  Er  kam  ferner  zu  dem  Gipfel  derDrachen- 
hrücke.  Daselbst  verfertigte  er  goldene  Dreifusse  und  läuterte  den 
neunfachen  Mennig.  Als  der  Mennig  vollendet  war,  lernte  er  dreimal 
auf  diesem  Berge  den  Weg.  Desswegen  gab  man  in  dem  Zeitalter 
diesem  Berge  den  Namen:  Berg  des  dreimaligen  Lernens.  Man 
nannte  ihn  auch :  den  sich  niederlassenden  Weisen. 

Es  heisst  ferner:  Das  Geschlecht  Wen  von  Nan-yang  erzählte, 
dass  sein  Ahnherr  gegen  das  Ende  der  Han  grossen  Aufruhr  erlebt 
habe.   Er  floh  in  das  Gebirge  Hu  und  wollte  vor  Hunger  und  Er- 


war  der  Vater  des  Kaiiert  Yao. 


358  P  f  i  s  m  •  i  e  r. 

Schöpfung  vergehen.  Da  erschien  ein  Mensch,  auf  dessen  Rath  er  die 
weisse  Distel  verzehrte.  Hierauf  hungerte  ihn  nicht  mehr.  Nach  zehn 
Jahren  kam  er  und  kehrte  in  seinen  Bezirk  und  seine  Gasse  zurGck. 
Sein  Angesicht  war  wieder  jung  geworden,  sein  Leib  war  leicht  und 
wollte  fliegen.  Er  trat  auf  unwegsame  Stellen,  ohne  zu  ermüden.  Er 
wandelte  durch  Eis  und  Schnee,  ohne  im  Geringsten  Frost  zu  empfin- 
den. Die  weisse  Distel  heisst  auch  die  Bergdistel.  Sie  heisst  auch 
das  Geistige  des  Gebirges. 

Es  wird  femer  gesagt:  Der  Geburtsort  der  wahren  Frau  Tun 
dem  Geschlechte  SiS  ist  unbekannt.  Zur  Zeit  des  Aufruhrs  in  dem 
Hause  der  Tsin  trennte  sie  sich  von  den  Menschen.  Sie  Hess  sich 
häufig  nieder  und  suchte  Schutz  in  den  Wäldern  und  Dickichten. 
Sie  gebrauchte  Lockspeisen  und  mied  das  Zeitalter.  Sie  wohnte 
dabei  auf  dem  Berge  Heng,  ausserhalb  der  Bergstufe  des  Suchens 
des  Wahren.  Wenn  sie  ausging,  folgten  ihr  immer  ein  gelber  Vogel, 
ein  weisser  Affe  und  ein  weisser  Leopard.  Man  weiss  nicht,  was  fQr 
einen  Weg  sie  ordnete. 


Yo-kiang  ist  das  gefiederte  Mädchen.  Sie  wohnte  auf  dem 
blumigen  Berge  und  sagte,  sie  sei  eine  Eingeborne  von  Thsin.  Als 
sie  zu  lernen  anfing,  verzehrte  sie  Fichtenlaub  und  empfand  keinen 
Hunger.  Bei  Kälte  weilte  sie  in  einer  Felsenwand.  Sie  wandelte  als 
ob  sie  flöge.  Jetzt  nennt  man  diesen  Ort:  Berggipfel  des  gefiederten 
Mädchens. 


Kiuen-tse  war  ein  Eingeborner  von  Tsi.  Er  gebrauchte  als 
Lockspeise  die  Bergdistel  und  veröffentlichte  das  vorschriftmässige 
Buch  der  drei  Begabungen.  Lieu-ngan,  König  von  Hoai-nan,  erlangte 
dessen  Text,  konnte  aber  den  Sinn  nicht  erklären.  Jener  veröffent- 
lichte ferner  das  Buch  der  Cither  in  zwei  Heften.  Dasselbe  enthalt 
sehr  viele  Abzweigungen  und  Ordnungen. 


Tschang-wei-tse  war  die  Tochter  Tschang-king's,  eines  als 
grosser  Zimmermann  auftretenden  Anführers  zu  den  Zeiten  des 
Kaisers  Tschao  von  Han.   Wei-tse  liebte  den  Weg.   Sie  gebrauchte 


Die  LebentTerliDgenmgen  der  Mlnner  de«  Weges.  359 

gewohnlich  die  Luft  des  Nebels  und  sagte:  Der  Nebel  ist  das  Geistige 
des  Wassers  uod  Feuers  der  Bergsfimpfe»  die  volle  Luft  des  Metalls 
und  der  Steine.  Wenn  man  ihn  lange  Zeit  gebraucht,  ist  man  im 
Stande,  die  Gestalt  zu  verflGchtigen»  in  das  Leere  zu  treten  und  mit 
der  Laft  den  Leib  zu  vereinigen.  Wei-tse  sagte  selbst,  dass  sie  diese 
Weise  von  der  Königin  der  Edelsteine  der  östlichen  Blumen  aas 
Tnang-hai,  der  jfingeren  Schwester  des  Gebieters,  des  grünen  Jfing- 
iings  erhalten  habe.  Wei-tse  lehrte  diese  Weise  des  Nebels  auch  die 

Lernenden. 

« 

Die  Königin  der  neun  wahren  Blumen  sagt: 
Die  Sonne  ist  die  Frucht  des  rothen  Wolkendunstes.  Der  rothe 
Wolkendunst  ist  das  Geistige  der  Sonne.  Der  Mensch  hört  bloss  von 
der  Weise  der  Anwendung  der  Sonnenfrucht,  man  hat  noch  nicht 
gesehen,  dass  er  das  Geistige  des  rothen  Woikendunstes  gekannt  hätte. 
Das  vorschriftmftssige  Buch  der  Zehrung  des  rothen  Woikendunstes 
ist  sehr  geheimnissvoll.  Der  Weg  des  Zustandebringens  des  rothen 
Wolkendunstes  ist  sehr  leicht.  Dieses  bedeutet  die  Weise  der  Her- 
Torbringung  des  Edelsteinglanzes  durch  den  Leib,  des  höchsten 
Klaren  des  Sonnenlichtes  des  rothen  Wolkendunstes. 

Die  verborgenen  Entscheidungen  der  steigenden  Wahren  sagen : 
Der  wahre  Mensch  der  grossen  Gipfelung  fiberlieferte  einst  ein 
ffaoptstuck  der  gottlichen  Heilmittel  dem  Frahgebornen  Tschang-Ii. 
Der  FrQhgeborne  war  von  dem  Geschlechte  SiS  und  nannte  sich 
Tsehang-li   (die  lange  Gasse).  Er  lebte  zu  den  Zeiten  des  Königs 
Wo  von  Tscheu.  Der  FrQhgeborne  überlieferte  es  dem  die  Wahren 
leitenden  Gebieter  des  Geschlechtes  Wang  von  der  westlichen  Feste. 
Derselbe  ist  der  höchste  Vorstehende  des  höchstweisen  Gebieters 
Ton  der  goldenen  Thorwarte.  Er  bestimmte  das  Heilmittel  des  Raben- 
reises  und  empfing,  was  der  wahre  Mensch  des  westlichen  Liang 
überlieferte.  Er  befand  sich  um  die  Zeit  in  dem  nördlichen  Thale  des 
grossen  Wan.  Dass  aber  Tschang-Ii  die  neun  Umwälzungen  fiber- 
lieferte,  geschah  im  Anfange  der  Zeiten  der  Tscheu.  Sie  sind  die  An- 
wendung des  Rabenreises.  Drei  bis  vierhundert  Jahre  spfiter  vereinigte 
er  diesen  Mennig.  In  der  Einleitung  zu  dem  vorschriftmSssigen  Buche 
des  Schwertes  des  Vorstehers  des  Lebensloses  überliefert  es  nämlich 
der  die  Wahren  leitende  Gebieter  des  Geschlechtes  Wang   dem 
wahren  Menschen  des  grossen  Ursprunglichen.  Dieser  ist  der  Reichs- 
minister  des  Ostens  und  Vorsteher  des  Lebensloses,  der  grosse 


360  Pfiimaier 

Gebieter  TOn  dem  Geschlechte  Miao.  Zu  den  Zeiten  des  Kaisers  Wu 
Ton  Han»  im  dritten  Jahre  des  Zeitraumes  Tsien-han  (98  t.  Chr.) 
empfing  er  es.  Er  war  damals  achtundTierzig  Jahre  alt.  Spater  fiber- 
mitteite  er  es  auch  den  zwei  jüngeren  Brüdern  und  schenkte  zugleich 
einem  Jeden  eine  Gabe  des  vollendeten  Mennigs.  Der  Vorsteher  des 
Lebensloses  hatte  es  den  zwei  jüngeren  Brüdern  überliefert,  aber  es  ist 
hier  nicht  eingetragen.  Er  muss  durch  einen  Befehl  des  Gebieters  Ton 
dem  Geschlechte  Yang  den  Auftrag  erhalten  haben,  es  zu  übermitteln, 
es  ist  keine  richtige ,  nach  der  Reihe  erfolgende  Überlieferung  und 
Übergabe. 

Seit  den  zwei  Gebietern  wurden  bloss  die  bestimmenden  Ver- 
zeichnisse dem  Gebieter  von  dem  Geschlechte  Yang  gegeben.  Man 
ertheilte  den  Auttrag,  sie  Hiü-tschang-sse  zu  zeigen  und  ihn  zum 
Zugesellten  zu  machen.  So  geschah  es  bis  zu  der  gegenwartigen  Zeit 
Desswegen  sagten  in  dem  Zeitalter  der  Han  und  Tsin  die  den  Weg 
lernenden  Menschen  allgemein,  dass  sie  den  Goldsaft  Tcreinigen, 
denselben  als  Arznei  gebrauchen  und  zu  den  Unsterblichen  empor- 
steigen. Wenn  sie  nichts  von  den  neun  Umwälzungen  sagen,  so 
ist  es  desswegen,  weil  dieses  ein  Heilmittel  der  wahren  Menschen 
ist.  Seit  sie  es  herabgesendet  und  übergeben  haben,  war  noch  Nie- 
mand, der  es  verfertigt  hätte. 

Wenn  man  die  vorschriftmässigen  Bücher  empfangt,  besteigt 
man  immer  einen  Altar,  schliesst  einen  Vertrag  und  schwört.  Man 
schneidet  ein  Tuch  ab,  kniet  vor  dem  Golde.  Wer  sie  nimmt  und  sie 
verbreitet,  erhalt  sie,  er  nimmt  sie  oder  nimmt  sie  nicht  In  früherer 
Zeit  hatte  man  bei  dem  Vertrage  goldene  Drachen  und  Fische  von 
Edelstein.  In  den  späteren  Zeitaltern  Hess  man  es  bei  Leinwand  und 
Tuch  bewenden.  Wer  dem  Vertrage  zuwiderhandelt,  die  Treue  bricht, 
den  erfassen  die  drei  Ahnherren  und  befragen  ihn  bei  den  Obrig- 
keiten des  Wassers.  Man  meint  die  unbedachte  Überlieferung  an  un- 
rechte Menschen. 

Bei  Überlieferung  und  Übergabe  muss  man  beten.  Bei  dem  Ver- 
trage gebraucht  man  liegende  Ringe  von  Gold  und  Edelstein  als- 
Ersatz  für  den  Schwur,  bei  dem  man  das  Haupthaar  schert  und 
durch  Einstiche  Blut  hervordringen  macht  Will  man  die  neun  Um- 
wälzungen vereinigen,  so  verfertigt  man  früher  einen  gottlichen 
Kessel.  Man  soll  einen  Erdkessel  von  Yung-yang,  Tschang-scha  oder 
Yü-tschang,  d.  i.  einen  irdenen  Kessel  verwenden.  Einst  heizte  der 


Die  LebeDsverliDgeniogeD  der  Minner  des  Wegee.  361 

gelbe  Kaiser  die  neun  Dreitiisse  auf  dem  Berge  King.  In  dem  mitt- 
leren Buche  des  grossen  Klaren  findet  sich  ebenfalls  eine  Weise  des 
MeDDigs  der  neun  Dreifüsse.  Diese  sind  die  Kessel  des  Mennigs,  und 
mao  nennt  sie  seit  der  Zeit  allgemein  Dreifüsse.  Man  brennt  sie  mit 
Kleien  Ton  Brodfrucht.  Sie  sollen  sich  in  einem  berühmten  Gebirge, 
an  einem  tiefen,  seitwartsliegenden  Orte,  an  dem  Rande  eines 
Flusses  befi&den.  In  der  Hohe  erbaut  man  das  Dach  eines  Herdes. 
Das  Dach  ist  Tier  Klafter  lang,  zwei  Klafter  breit.  Man  öffnet  im 
Soden,  Osten  und  Westen  drei  Thuren.  Früher  betet  man  und  hütet 
sich  durch  hundert  Tage,  dann  Tcrfertigt  man  aus  Lehm  den  gott- 
lichen Kessel.  Wenn  der  Kessel  fertig  ist,  stampft  man  die  Arznei- 
stoffe und  lässt  rechnen  bis  zu  dem  neunten  Tage  des  neunten 
Monats.  Man  zündet  dann  bei  Tagesanbruch  Feuer  an*  Bei  der  Ver- 
einigung des  Mennigs  nimmt  man  keine  Rücksicht  auf  die  gute  oder 
schlechte  Eigenschaft  des  Jahres.  Bloss  in  den  Tagen  und  Monaten 
ist  die  bestimmte  Zeit  so  wie  gluckliche  und  unglückliche  Vorbedeu- 
tung enthalten.  Für  den  Edelstein  Lang-kan  zündet  man  in  der  mitt- 
leren Decade  des  yierten,  siebenten  und  zw&lften  Monats  das  Feuer 
an.  Für  den  gekrümmten  frühen  Morgen  zündet  man  im  fünften  Monate 
das  Feuer  an.  Für  das  grosse  Klare  zündet  man  im  neunten  Monate 
das  Feuer  an.  Man  hat  zwar  keinen  bestimmten  Monat,  allein  man 
sagt,  dass  für  die  Verfertigung  der  sechs  Einzigen  der  fünfte, 
siebente  und  neunte  Monat  gut  sind. 

Wenn  man  zu  beten  angefangen  hat,,  unterbricht  man  sogleich 
die  menschlichen  Beschäftigungen  und  heisst  auf  die  Vollendung  des 
Mennigs  warten.  Wenn  man  den  Mennig  vereinigt,  kann  man  vier 
bis  fünf  gleiehgesinnte  und  herzhafte  Menschen  hinzuziehen.  Die- 
selben sollen  in  Gemeinschaft  beten  und  sich  hüten.  An  dem  Tage, 
wo  man  zu  beten  beginnt,  wirft  man  früher  fünf  SchefTel  ursprüng- 
liches Wasser  in  das  fliessende  Wasser,  bei  welchem  man  hält.  Gibt 
es  in  der  Gegend  kein  fliessendes  Wasser,  so  muss  man  einen  guten 
Brunnen  graben  und  ebenfalls  Wein  in  den  Brunnen  werfen,  um  die 
Luft  der  Erde  niederzudrücken.  Man  heisst  die  Betenden  dieses 
Wasser  trinken  und  zu  Speise  verwenden.  Nach  den  Vorschriften 
fSr  die  Vereinigung  des  Mennigs  heisst  man  auch  in  einen  Umschlag 
von  grünem  Steine  zehn  Pfund  gute  Drachenknochen  füllen  und  sie 
in  ein  nach  Osten  fliessendes  Wasser  versenken.  Man  nennt  dieses 
den  Saft  des  grünen  Drachen,  man  trinkt  es  und  verwendet  es  zu 


362  P  f i  zm  Hier 

Speise,  um  mit  dem  Reingeistigen  des  Wassers  zu  verkehren.  Man 
nimmt  den  nach  links  zurückblickenden  männlichen  Schleifstein  des 
ostlichen  Meeres,  das  weisse  Steinfett  der  Provinz  U,  Pulver  der 
Wolkenmutter,  Erde  des  Regenwurms,  schlüpferigen  Stein  und 
Alaun,  im  Ganzen  sechs  Gegenstände,  und  vertheilt  sie  gleichmässig. 
Die  wahren  Menschen  der  grossen  Gipfelung  ritzen  das  von  dem 
Niederhalten  und  Beleben  der  fünf  Eingeweide  handelnde  höchste 
Buch  des  Gebieters,  des  Himmelskaisers  des  grossen  Höchsten  in  die 
zu  dem  purpurnen  Unscheinbaren  der  grossen  Gipfelung  gehörende 
Vorhalle  des  Edelsteines  Lin,  über  die  Wand  der  ostlichen  Vorhalle. 
Dieses  ist  die  grosse  Schrift  der  acht  Drachen  des  höchsten  Klaren, 
es  ist  nicht  der  Fall,  dass  die  Lernenden  des  Zeitalters  darauf  auf- 
merksam werden  und  es  verstehen  können.  Tschl-sung-tse  von  der 
südlichen  Berghohe  empfing  es  und  wendete  die  Mittel  an.  Er 
begehrte  die  Erklärung  von  den  wahren  Menschen  der  grossen 
Gipfelung. 

Der  Gebieter,  der  grüne  Jüngling  sagt:  Durch  das  den  fünf 
Fürsten  gehörende  Fett,  das  die  fBnf  Eingeweide  Niederhaltende  und 
Belebende,  das  geläuterte  Weiss,  den  wechselnden  Leib  kann  man 
das  Angesicht  verjungen.  Man  muss  beten,  sich  hüten  und  auf  einem 
Herde  von  Lehm  ordnen  und  läutern.  Der  Geschmack  des  Wolken- 
fettes ist  gewürzhaft,  süss  und  ungewöhnlich  angenehm«  Es  kräftigt 
das  Blut,  bessert  die  Knochen  aus,  bewacht  die  Luft,  macht  die  Säfte 
gerinnen.  Das  die  fünf  Eingeweide  Niederhaltende  und  Belebende 
nährt  die  lichte  und  dunkle  Seele.  Es  ist  das  höchste  Arzneimittel 
der  Wahren.  Die  wahren  Menschen  sagen,  es  sei  vorzüglicher  als 
die  geläuterten  acht  Steine  und  die  als  Lockspeise  gebrauchte 
Wolkenmutter.  Dass  die  wahren  Menschen  die  Gestalt  läutern  bei 
dem  grossen  Yang,  das  Aussehen  wechseln  bei  den  drei  Obrigkeiten, 
wird  in  eben  diesem  Sinne  gesagt. 

Es  heisst  ferner:  Hinsichtlich  des  Heilmittels  des  Rabenreises 
des  grünen  Geistigen  der  wahren  Mensehen  der  grossen  Gipfelung 
wird  in  den  Überlieferungen  von  Peng-tsu  gesagt,  dass  es  in  dem 
grossen  Wan  einen  Frühgebornen  des  grünen  Geistigen  gegeben 
habe.  Derselbe  war  ßhig,  in  einem  Tage  neunmal  zu  essen.  Er  konnte 
aber  auch  ein  ganzes  Jahr  verbringen,  ohne  hungeng  zu  werden.  Es 
war  dieses  Heilmittel.  Dasselbe  ist  das  wundervolle  Heilmittel    der 


Die  LebensverlfinperuDgen  der  Minner  des  Weges.  363 

Wahren  und  höchsten  Unsterblichen,  das  die  Kornfrucbt  entbehrlich 
machende  geheimnissrolle  Reingeistige. 

Der  wahre  Mensch  des  klaren  Leeren  erzählte,  dass  in  dem 
Gebirge  Ho  Lernende  des  Weges,  Namens  Teng-pe-yuen  und  Wang- 
yuen-fo  sich  befunden  haben.  Dieselben  empfingen  die  Vorschriften 
für  den  Gebrauch  der  Speise  des  Steines  des  grünen   Geistigen; 
(3r  das  Verschlingen  des  Schattens  der  Sonne.  Sie  waren  föhig,  in 
der  Naeht  zu  schreiben.  Ferner  empfing  der  unsterbliche  Mensch 
LuDg-pe-kao  den  Gebrauch  des  Heilmittels  des  grfinen  Rabenreises. 
Er  zog  in  Trunkenheit  fort  und  wohnte  yerborgen  auf  der  Erdstufe 
der  Heilmittel.   Ferner  verkfindete  der  die   Verseichnisse  bestim- 
mende   Gebieter   durch    einen    höchsten    Befehl    dem  Zugesellten 
Folgendes :  Wenn  man  in  der  Ordnung  den  Rabenreis  und  zugleich 
die  Brodfrucht  gebraucht,  so  ist  nichts  dagegen  einzuwenden.  Es 
Tennehrt  das  Mark,  entfernt  die  Leiden,  die  äusseren  Bedeckungen 
werden   voll    und   fett.  Ferner  meldete   der  Zugesellte   durch  ein 
Sehreiben    dem    ältesten    Vermerker,  dass  er  den  ArzneistofT  des 
Reises  suchen  und  in  das  Gebirge  kommen  möge.  Er  solle  ihn  ein- 
weichen und  Speise  verfertigen,  denn  es  sei  zu  furchten,  dass   die 
Pflanzen  durch  die  Gluth  verdorren.  Ferner  gab  der  älteste  Ver- 
merker dem  grossen  Zugesellten  ein  Schreiben  und  hiess  ihn  dem 
kleinen  Zugesellten  weissen  Reis  als  Speise  reichen.  Er  hiess  ihn  ein- 
weichen und  Speise  verfertigen.  Dieses  sind  sechs  Vorgänge,  bei 
welchen  ein  Schreiben  vorhanden  war. 

Zehn  Steine  Rabenreis  des  grünen  Geistigen  des  wahren 
Menschen  der  grossen  Gipfelung,  das  reingeistige  Heilmittel  der 
höchsten  Unsterblichen  hat  der  Gebieter  von  dem  Geschlechte  Wang 
erklärt  Die  späteren  grossen  Schriften  sind  das  vorschrrftmässige 
Textbuch  des  grossen  Ungeschmückten  und  die  mundlichen  Ent- 
scheidungen des  westlichen  Liang.  Das  mit  Tinte  Dargelegte  wurde 
durch  den  Gebieter  des  Geschlechtes  Wang  von  dem  klaren  Leeren 
erklärt.  Die  vornehme  Frau  des  Geschlechtes  Wei  von  der  südlichen 
Berghöhe  wählte  es  für  die  Verbreitung  und  Hess  es  durch  den  Vor- 
steher des  Lebensloses,  den  Gebieter  von  dem  Geschlechte  Tang, 
niederschreiben.  Die  fSnf  Wahren  vollendeten  gemeinschatHlich  eine 
Vorschrift,  die  man  als  reingeistig  und  wundervoll  pries. 

Das  Buch  der  Kostbarkeit  des  höchsten  Unsterblichen  sagt:. 
Du  verzehrst  die  Edelsteinluft  der  Pflanzen  und  Bäume.  Du  verzehrst 


864  P  f  i  s  m  a  i  e  r. 

das  Feuchte  der  grünen  Kerze.  Dieses  wird  in  demselben  Sinne 
gesagt.  Es  wird  von  dem  grossen  UngeschmQckten  überliefert,  von 
der  grossen  Gipfelung  erwählt,  es  ist  das  äusserste  Erforderniss  der 
höchsten  Wahren,  der  reingeistigen  Unsterblichen,  es  ist  mit  den 
übrigen  Künsten  nicht  gleichbedeutend.  Gebraucht  man  den  Rabenreis, 
so  können  die  hundert  Schädlichkeiten  uns  nichts  anhaben,  Krank- 
heiten und  Seuchen  können  uns  nicht  entgegentreten.  Es  entfernt 
alles  Sehnen  und  Denken,  es  zerreisst  und  zerstört  drei  Leichname. 
Das  Ohr  ist  scharfhörig,  das  Auge  hell.  Der  Gang  und  die  Schritte 
sind  leicht  und  hurtig.  Man  ist  im  Stande,  sich  zu  verbergen,  sich 
zu  verwandeln,  sich  zurückzuziehen  und  sich  zu  verändern.  Wenn 
man  es  lange  gebraucht,  vermehrt  es  die  Langjährigkeit. 

Der  Gebieter  des  Himmels,  der  Vorsteher  des  Lebensloses  von 
dem  Geschlechte  Miao  sagte  zu  den  zwei  jüngeren  Brüdern:  Ihr 
solltet  das  Pulver  der  vier  Fächer  gebrauchen.  Einst  übergab  der 
gelbe  Kaiser  dem  Herrscher  von  Fung  den  Weg  des  Zurückwerfens 
des  Alters  und  des  Zurückkehrens  zu  der  Jugend.  Ich  übergab 
ihn  einst  dem  Frühgebornen  von  Kao-khieu.  Jetzt  mache  ich  euch 
dessen  theilhaftig.  —  Er  sagte  ferner  zu  dem  kleinen  jüngeren 
Bruder,  dem  das  Lebenslos  bewahrenden  Gebieter:  Du  solltest  das 
Pulver  der  vier  Jünglinge  der  Königsmutter  gebrauchen.  Dieses  ist 
der  geheime  Weg  des  Wiederkehrens  zu  dem  Kindesalter.  Wenn 
das  Innere  des  Laibes  ein  wenig  verletzt  ist,  soll  man  dieses  Heil- 
mittel gebrauchen  und  dadurch  das  Gehirn  ausbessern.  —  Als  der 
Gebieter  von  dem  kleinen  Geschlechte  Miao  es  gebrauchte,  war  er 
bereits  einhundertzwanzig  Jahre  alt.  Diese  zwei  Heilmittel  sind  nach 
einer  wundervollen  Vorschrift.  Man  soll  beten,  sich  hüten,  ordnen 
und  ausfertigen. 

Der  Gebieter  von  dem  Geschlechte  Pei  empfing  die  Vor- 
schriften Tschi-tse-yuen's  für  den  Gebrauch  und  das  Verzehren  der 
Stechwinde.  Dieselben  wurden  von  dem  Menschen  der  Berge  Tsiao 
und  Tsiang  überliefert.  Man  kann  dadurch  lange  leben,  lange  Zeit 
sehen.  In  dem  Zeitpunkt,  wo  man  ordnet  und  vereinigt,  muss  man 
eifrig  und  still  beten  und  sich  hüten.  Ferner  empfing  er  die  Vor- 
schriften Tschi-tse-yuen*s  für  den  Hanf.  Der  Frühgeborne  von  dem 
Geschlechte  Tsiang  gebrauchte  bloss  diese  zwei  Heilmittel.  Seine 
Rangstufe   war   diejenige  eines   Unsterblichen   und   Wahren.     Die 


Die  LebensverlSogerungen  der  Minner  des  Weges.  365 

Schriften  über  diese  zwei  Heilmittel  sind  von  denjenigen  des  Zeit- 
alters wenig  verschieden.  Was  der  Gebieter  von  dem  Geschlechte 
Pei  im  Geheimen  gebrauchte,  ist  bestätigt,  und  man  hat  etwas  Wirk- 
liches. Die  Anwendung  der  Stechwinde  und  des  Hanfes  kommt  sehr 
häufig  vor.  Da  diese  Weise  von  den  wahren  Menschen  in  den  vor- 
sehriftmässigen  Büchern  angewendet,  von  den  wahren  Menschen 
eigenhändig  niedergeschrieben  und  verzeichnet  worden,  muss  das 
Geheimniss  dessen  sehr  gottKch  sein.  Es  ubertrtSt  sämmtliche 
Weisen.  Ist  man  im  Stande,  es  beständig  anzuwenden,  so  lässt  sich 
die  Zeit  des  Weges  der  Unsterblichen  bestimmen.  Es  ist  nur  zu 
farehten,  dass  die  Menschen  bei  der  Anwendung  nicht  den  grossen 
Nutzen  bemerken  und  dass  sie  es  sofort  nicht  anwenden.  Desswegen 
haben  Wenige  das  Verdienst,  dass  sie  es  zu  Ende  fOhren  konnten. 

Wenn  der  Leib  früher  nicht  leer  und  beschädigt  ist,  eben  so  in 
den  Jahren  der  Jugend,  soll  man  die  Stechwinde  gebrauchen.  Der 
Frähgeborne  von  dem  Geschlechte  Tsiang  sagt:  Diese  zwei  Heil- 
mittel sind  die  nothwendige  Weise  des  grossen  Vorhandenseins,  die 
geheime  Kostbarkeit  des  langen  Lebens,  der  gottlichen  Unsterblichen. 
Das  grosse  Vorhandensein  bedeutet  die  Weise  des  Buches  der  Mitte 
des  Palastes  des  grossen  Vorhandenseins  in  dem  Himmel  der  Tiefen 
des  Berges  der  herabgelassenen  Flügel.  Es  sind  jene  Menschen,  die 
es  anwenden  sollen. 

In  dem  Buche  des  kostbaren  Ursprunglichen  heisst  es:  Die 
Stechwinde  regelt  die  Jugend.  Der  Hanf  regelt  das  Alter.  Man  ver- 
hindet  es  mit  Gebet  und  Hütung,  gebraucht  es  am  Morgen  frühzeitig. 
Der  süsse  Wein  der  Pflanzen,  das  Fett  der  Blumen,  das  Geistige  des 
Feuers «},  die  Kostbarkeit  des  Wassers  >)  sind  in  Übereinstimmung 
und  bilden  ein  Einziges.  Sie  bewegen  das  Geistige  zur  Rückkehr,  die 
Kostbarkeit  zur  Heimkehr.  Dieses  ist  hiermit  gemeint. 

Der  Gebieter  von  dem  Geschlechte  Pei  richtete  sich  in  seinen 
jungen  Jahren  nach  diesen  Vorschriften.  Er  gebrauchte  daher  die 
Stechwinde.  Der  wahre  Mensch  des  klaren  Leeren  empfing  schon  in 


0  Das  Geistige  des  Feuers  Ist  die  Stechwinde.  Dieselbe  ist  von  Eigenschaft  helss  und 
Tcrbindet  sich  mit  dem  Feuer,  dessen  Geistiges  somit  die  Steckwinde  ist. 

*)  Die  Kostbarkeit  des  Wassers  ist  der  Hanf.  Derselbe  ist  von  Eigenschaft  kalt,  von 
Farbe  seliwara  und  enthllt  geistige  glaniende  Feuchtigkeit.  Man  nennt  ihn  daher 
die  Koetbnrkeit  des  Wassers. 


366  P  f  i  s  m  a  i  e  r 

seinem  zwölften  Jahre  diese  Vorschriften.  Er  war  um  die  Zeit  gewiss 
noch  nicht  erschöpft  und  beschädigt.  Dess wegen  sagte  er:  Wer  die 
Stechwinde  gebraucht,  sieht  in  der  Nacht  und  hat  Licht.  —  Die 
zwei  Heilmittel  sind  nur  ein  und  dasselbe.  Sie  sind  wunderbare  Heil- 
mittel der  langen  Jahre,  Wenn  man  die  zwei  Gegenstande  vereinigt, 
ist  es  gut,  doppelt  so  viel  Honig  zu  gebrauchen.  Man  siedet  sie  zu- 
gleich, zerstösst  sie  und  bildet  daraus  Kugeln«  Bei  dem  Heilmittel 
des  grünen  Geistigen  und  bei  der  Stechwinde  darf  man  nichts 
Saueres  essen.  Gebraucht  man  aber  nichts  anderes  als  Stechwinde, 
so  ist  das  Sauere  eben  nicht  verboten. 


Der  zu  dem  klaren  Leeren  gehörende  wahre  Mensch  von  dem 
Geschlechte  Wang  übergab  der  vornehmen  Frau  des  Geschlechtes  Wei 
von  der  südlichen  Berghohe  das  Heilmittel  der  Kugeln  der  Unsterb- 
lichkeit der  Brodfrucht,  der  süssen  Pflanze.  Die  vornehme  Frau  voq 
dem  Geschlechte  Wei  wurde  in  ihrer  Jugend  hSufig  von  Krankheiten 
befallen.  Der  Gebieter  von  dem  Geschlechte  Wang  sagte  zu  ihr  in 
dem  Districte  Sieu-wu :  Wer  den  Weg  erlernt,  soll  die  Krankheiten 
entfernen.  Er  bewirkt  früher,  dass  die  fQnf  Eingeweide  fest  und  voll, 
Ohr  und  Auge  scharf  und  hell  sind.  Man  kann  dann  mit  den  Ge- 
danken verweilen,  sich  kleiden  und  den  Wagen  lenken. 

Dass  der  Gebieter  von  dem  Geschlechte  Wang  die  Wahren 
herabsteigen  liess,  geschah  im  Winter  des  neunten  Jahres  des  Zeit- 
raumes Yuen-khang  von  Tsin  (299  n.  Chr.),  in  dem  öffentlichen  Ge- 
bäude des  Districtes  Sieu-wu  in  der  Provinz  KI.  Die  vornehme  Frau 
war  um  die  Zeit  achtundvierzig  Jahre  alt.  Sie  gebrauchte  demnach 
das  Heilmittel.  Als  Yin-king  sich  aus  dem  Zeitalter  entfernte,  war 
sie  dreiundachtzfg  Jahre  alt.  Dieses  war  zu  den  Zeiten  des  Kaisers 
Tsching  von  Tsin,  im  achten  Jahre  des  Zeitraumes  Hien-ho,  dem 
Jahre  Kia-wu  <).  Es  waren  damals  fünfunddreissig  Jahre  vergangen, 
seit  die  vornehme  Frau  sich  ihm  angeschlossen  und  Arzneimittel 
gebraucht  hatte.  In  der  Zwischenzeit  mochte  sie  es  vielleicht  nicht 
lange  fortgesetzt  haben.  Sie  hatte  durchaus  keine  anderen  Leidea 
mehr.  Ihre  früheren  Krankheiten  waren  sämmtlich  geheilt,  ihr  Haupt- 
haar  war  nicht  weiss,  ihre  Zähne   fielen  nicht  aus,  ihr  Ohr  war 


1)  Dm  Jahr   Kit-wu   (31)  ist   dbrigeng    das  neante  Jahr  dM  Zeikraumei  Hiea-ko 
(334  n.  Chr.) 


Pie  Lebensverlfiogeriingeii  der  Minner  des  Wegee.  367 

scharfli5rig,  ihr  Auge  hell.  Sie  schrieb  gewöhnlieh  in  einem  Monate 
die  Satze  und  Beglaubigungsmarken  des  Hauses  des  Weges.  Weil 
die  Tornehroe  Frau  eine  weibliche  Obrigkeit  gewesen  und  Wein 
geopfert  hatte,  wies  sie  noch  immer  durch  die  Satze  und  Beglau- 
biguogsmarken  auf  ihre  Vergangenheit  hin.  Sie  verweilte  mit 
den  Gedanken  und  trat  in  das  innere  Haus.  Durch  hundert  Tage 
tbatig,  bemerkte  sie  nach  etlichen  zehn  Tagen  durchaus  nicht, 
dass  sie  sich  anstrengte.  Da  sie  sich  im  Getriebe  des  gewöhn- 
liehen Lebens  befand,  war  sie  durch  die  Geschäfte  des  Hauses 
gestört.  Wenn  sie  das  Gebet  ordnen,  etwas  erforschen  und  BGcher 
bot  hersagen  wollte,  bewerkstelligte  sie  dieses,  indem  sie  in  das 
ionere  Haus  trat. 

Isst  und  trinkt  man  ganz  herzhaft,  sind  die  vier  Gliedmassen 
fest  und  voll,  so  haben  sich  die  Kugeln  der  süssen  Pflanze  erprobt. 
Man  nennt  sie  das  Heilmittel  der  Unsterblichkeit  der  Brodfrucht. 
Sind  Hilz  und  Magen  zu  Übereinstimmung  gelangt,  so  ist  man  im 
Stande,  Speise  zu  sich  zu  nehmen  und  wird  nicht  zu  Grunde  ge- 
richtet Die  äusseren  Bedeckungen  sind  voll,  und  der  Geist  besitzt 
Urtheilskraft.  Beim  Aufbrechen  und  Weilen  ist  Ordnung  und 
Massbalten,  man  hat  nicht  die  Leiden  der  Rauhigkeit  und  Schärfe. 
Weil  man  die  Brodfrucht  verzehrt  und  zu  Unsterblichkeit  gelangt, 
nennt  man  das  Heilmittel  die  Unsterblichkeit  der  Brodfrucht. 

Was  die  hier  enthaltene  Angabe  betrifft,  dass  Ko-schao-kin, 
der  zur  Rechten  befindliche  wahre  Fürst  der  neun  Paläste  ursprüng- 
lich dieses  Heilmittel  gewählt  und  gesammelt  habe,  so  haben  es 
sämmtliche  Paläste  längst  besessen.  Endlich  w«ahlte  und  sammelte 
es  der  Mann  von  dem  Geschlechte  Ko  nochmals,  Anordnung  und  die 
Worte  der  Einleitung  wurden  durch  ihn  hergestellt.  Es  ist  gleichsam 
wie  bei  der  Weise  des  grünen  Geistigen  und  des  grossen  Unge- 
schmückten,  die  man  jetzt  nach  dem  wahren  Menschen  der  grossen 
Gipfelung  benennt.  Wer  den  Weg  der  Unsterblichen  lernt,  sollte 
es  früher  gebrauchen.  » 

Einst  übergab  Schao-kin  dieses  Heilmittel  an  Kiai-siang.  Er 
nbergab  es  femer  Lieu-ken,  Tschang-ling  und  Anderen,  im  Ganzen 
etlichen  zehn  Menschen.  Man  gibt  auch  diese  Kugeln  für  die 
Kugeln  Schao-kin's  aus.  Man  soll  beten,  sich  hüten,  sie  ordnen  und 
vereinigen.  Sie  sind  giftfrei  und  durch  nichts  verboten.  Wenn  man 
sie  durch  ein  Jahr  verzehrt,  so  hat  man  grossen  Nutzen.    Man  hat 


368  P  f  i  X  Ol  •  i  e  r 

sich  nichts  Torzawerfen,  wenn  man  sich  am  Morgen  und  am  Abend 
Muhe  gibt.  Die  gewohnlichen  Menschen  können  sie  ebenfalls  ge- 
brauchen. 


Bei  der  BiQthe  der  Unsterblichkeitspflanze  der  Wolken  wählt 
man  nicht  die  Tage»  um  zu  ordnen  und  zu  vereinigen.  Sie  bringt 
zurecht  drei  Leichname ,  wirft  zu  Boden  die  Krankheit.  Ge- 
braucht und  verzehrt  man  eine  Gabe,  so  sterben  die  Insekten  der 
Brodfrucht.  Bei  zwei  Gaben  verdorren  drei  Leichname.  Die  Männer 
des  Weges,  die  allen  Ernstes  Brodfrucht  verzehren»  sollten  sie  ge- 
brauchen. Wenn  die  Insekten  der  Brodfrucht  vernichtet  sind»  iässt 
man  die  Menschen  Brodfrucht  verzehren»  und  sie  bleiben  von  Krank- 
heit verschont.  Man  ist  übersatt  und  wird  nicht  beschädigt  Arznei- 
mittel, welche  die  Insekten  der  Leichname  entfernen»  gibt  es  sehr 
viele,  aber  keines  geht  über  dieses.  Einst  gebrauchten  Sieu-yang- 
kung,  Tsl-khieu-tse ,  Tung-fang-so »  Thsui-wen-tse  und  Schang- 
khieu-tse  bloss  dieses  Arzneimittel.  Sie  verbanden  damit  die  Brod- 
frucht und  erlangten  die  Unsterblichkeit  Die  Kaiser  King  und  Wu 
von  Hau  trachteten  nach  den  geheimen  Heilmitteln  Tung-fang-so*s 
und  Sieu-yang-kuug*s.    Es  wurde  schliesslich  nicht  überliefert 


Der  Geschlechtsname  und  der  Name  Kiuen-tse's»  des  Fürsten 
des  nördlichen  Meeres,  sind  unbekannt.  Er  war  der  Schüler  des 
Gebieters»  des  grünen  Jünglings  und  der  Lehrmeister  Su-lin*s.  In 
seiner  Jugend  gebrauchte  er  als  Lockspeise  die  Bergdistel  und  das 
gelbe  Geistige.  Er  übergab  den  Weg  des  das  Einzige  bewachenden 
ursprünglichen  Mennigs.  Er  lebte  in  dem  Zeitalter  zweitausend  acht- 
hundert Jahre. 

King-lin  von  Schang-su  in  Yuen-tscheu  führte  den  Jünglings- 
uamen  Tse-yuen.  Derselbe  war  der  Schüler  Kiuen-tse*s.  Er  war  dem 
Lehrmeister  des  purpurnen  Yang,  einem  Menschen  von  Khio-schui  in 
Pö-yang,  gleich.  Dreissig  bis  vierzig  Jahre  alt,  verabschiedete  er 
sich  von  dem  Hause  und  lernte  den  Weg.  Später  übergab  er  das 
wahre  Einzige  der  drei  Ursprünglichen  und  wanderte  rings  unter 
den  Menschen  umher. 


Die  LebensTerlSngerungen  der  Minner  det  Weges.  369 

Tsehang-tao-ling,  der  wahre  Mensch  des  richtigen  Einzigen 
des  großen  Klaren»  stammte  aus  dem  Reiche  Pei.  Er  war  ursprünglich 
ein  großer  Gelehrter.  Im  vierten  Jahre  des  Zeitraumes  Yen-kuang 
roQ  Han  (125  n.  Chr.)  begann  er,  den  Weg  zu  lernen.  Gegen  das 
Ende  der  Han  kamen  auf  dem  Berge  des  singenden  Schwanes  die 
Obrigkeiten  der  Unsterblichen  herabgestiegen  und  Obergaben  ihm 
die  Lehre  der  Macht  des  beschworenen  Vertrages  des  richtigen 
Einzigen,  die  Weise  des  Verleihens  der  Verwandlung,  der  Leitung 
des  Volkes.  Man  nannte  ihn  den  Lehrmeister  des  Himmels.  Dies 
ist  es,  wovon  es  in  den  Verkündungen  des  Wahren  heisst:  Man 
überreichte  Tschang -tao-ling  die  friedliche  Luft  des  richtigen 
Einzigen.  —  In  der  Einleitung  zu  den  fünf  Beglaubigungsmarken 
der  reingeistigen  Kostbarkeiten  des  Lehrmeisters  des  Himmels, 
ferner  in  der  Einleitung  zu  dem  Goldsafte  und  Mennig  des  grossen 
klaren  kommt  in  vortrefflicher  Schreibart  eine  besondere  Überlie- 
ferung vor.  Dieselbe  ist  in  dem  Zeitalter  bereits  in  Umlauf  gesetzt. 


Wer  die  fünf  Steine  als  Arznei  gebraucht,  ist  auch  im  Stande, 
in  einem  Tage  neunmal  Speise  zu  verzehren.  Bei  dem  fliessenden 
Stofflichen  der  hundert  Engwege  ist  man  auch  im  Stande,  ein  ganzes 
Jahr  keinen  Hunger  zu  leiden.  Wenn  man  bei  der  Zurückgabe  des 
Alters,  der  Wiederkehr  zu  der  Kindheit  zufällig  Speise  erhält,  so 
verzehrt  man  sie.  Verzehrt  man  sie  nicht,  so  ist  man  ebenfalls  unbe- 
helligt. Das  wundervolle  Heilmittel  der  Wahren  und  höchsten  Un- 
sterblichen ist  das  geheimnissvolle  Reingeistige,  das  die  Brodfrucht 
entbehrlich  macht.  Die  Erklärungen  Tao-yin-kiü*s  sagen:  Obgleich 
man  in  einem  Tage  neunmal  Speise  verzehrt,  fliesst  doch  das  herange- 
zogene Dargereichte  weiter,  verändert  sich  und  bildet  keinen  Boden- 
satz. Obgleich  man  ein.  ganzes  Jahr  keine  Speise  verzehrt,  ist  doch 
das  Aussehen  wieder  frisch.  —  Sie  sagen  ferner:  Bei  der  wechseln- 
den Anregung  des  Einathmens  und  Herbeiziehens  ist  nichts  vor- 
nehmer als  die  sieben  Sonnenstrahlen.  Bei  dem  frühzeitigen  Voll- 
enden des  Ordnens  des  Wandels  geht  nichts  über  die  neun  Wege. 
Bei  der  Festigkeit  und  Sicherheit  des  Bewahrens  und  Erwachens 
übertriflFt  nichts  das  Niederhalten  des  Lebens.  Bei  der  Hastigkeit 
und  den  Hindernissen  der  Verwendung  der  Schutzwache  erhebt  sich 
nichts  über  das  gleichförmige  Gottliche.   Wie  könnte  die  Wirkung 

Sitsb.  d.  phil.-hUt.  Cl.  LXV.  Bd.  U.  Hft.  26 


370  Pf i  z  m  a  i  er 

der  Arzneistoffe  und  Steine  übertreffen  das  grüne  Geistige,  die  An 
regung  des  Anrufens  uud  Verehrens  mehr  Weisheit  bekunden 
die  Entschuldigung  an  dem  Hofe? 


Wer  die  fünf  Steine  als  Arznei  gebraucht,  hält  die  fünf  Ein 
geweide  nieder  und  hat  keinen  Einsturz. 


Das  Gehirn  des  Paradiesvogels  in  neun  Hüllen,  die  verborgene 
Unsterblichkeitspflanze  der  grossen  Gipfelung,  der  Goidsaft  des 
Mennigofens,  das  Erblühen  des  Regenbogens  der  purpurnen  Blumen, 
die  neun  Umwälzungen  des  grossen  Klaren,  der  saure  Trank  der 
fünf  Wolken,  der  weisse  Wohlgeruch  des  Östlichen  Heeres,  die 
grüne  Kupfermünze  des  Flusses  Thsang-lang,  das  übrige  Geistige 
des  hohen  Erdhügels,  das  fliegende  Feld  der  Steinhaufen,  hierdurch 
kann  man  bewirken,  dass  der  Mensch  das  lange  Leben  hat.  Der 
Frühgeborne  von  Kin-kao  empfing  den  Weg  des  Niederhaltens  der 
Luft,  der  Vermehrung  des  Lebensloses.  Ferner  übte  er  die  Weise  der 
Ausbesserung  des  Gehirns,  des  zurückkehrenden  Mennigs. 

Das  obere  Buch  des  kostbaren  Schwertes  sagt :  Die  Kugeln  der 
acht  Schatten  des  gekrümmten  frühen  Morgens  der  grossen  Gipfelung, 
wer  sie  als  Arznei  gebraucht,  ist  im  Stande,  fliegend  zu  wandeln 
in  dem  grossen  Leeren. 


Die  wahren  Menschen   der  grossen  Gipfelung  gebrauchen  als 
Arznei  den  Wolkenzahn  der  vier  Gipfelungen. 


Das  Heilmittel  des  Wolkenfettes  des  fliegenden  Drachen,  das 
Geschmeidige  der  Blumen  der  geläuterten  fünf  Farben,  der  Leib 
erhält  durch  sie  den  Glanz  des  Edelsteines,  und  man  ist  im  Stande, 
in  der  Nacht  zu  schreiben.  Diese  Arzneimittel  sind  vorzüglicher  als 
die  Lockspeise  der  acht  Steine. 


Wer  die  Blumen  der  Sonne  und  des  Mondes  als  Arznei  gebraucht, 
möchte,  dass  es  ihm  immer  möglich  wäre,  Bambussprossen  zu  ver- 


Die  Lebeosverlängi^riiDgeD  der  Männer  des  Weges.  371 

2ebrea.  Die  Bambussprossen  sind  die  Leibesfrucht  der  Blumen  der 
SoQne.  Sie  heissen  auch  das  grosse  Licht.  Ferner  mochte  er  immer 
Fiehtenlaub  rerzehren.  Die  Fichte  ist  die  Zierde  der  Bäume.  Wer 
die  Sonne  und  den  Mond  als  Arznei  gebrauchen  will,  sollte  diese 
Gegenstande  verzehren.  Die  Luft  wird  durch  sie  zum  Kreislaufe 
angeregt. 

Der   wahre  Mensch  des  grossen  Leeren   sagte:    Fichten  und 
Cypressen  sind  die  Zierde  der  Bäume. 


Die  wahren  Menschen  schenken  in  die  Gefasse  das  Sonnenlicht 
des  ursprfingh'chen  frühen  Morgens  der  fünf  Heilmittel,  verzehren 
das  Geistige  der  neun  rothen  Wolkendünste. 

Das  Buch  des  gelben  Ungeschmuckten  des  grossen  Höchsten 
sagt  : 

Wenn  die  Männer  des  Weges  Speise  zu  sich  nehmen  wollen, 
reicht  man  ihnen  gewohnlich  zum  Festmahl  grosse  Eintracht. 

Das  Buch  des  grossen  Friedens  sagt: 

Der  Gebieter,  der  grüne  Jüngling  zieht  fliegende  Wurzeln  aus, 
verzehrt  den  Mondschatten.  In  den  reingeistigen  Sätzen  der  hohlen 
Tiefen  heisst  es:  Am  Morgen  verzehrt  er  die  Luft  der  fünf  Wolken, 
am  Abend  athmet  er  den  Glanz  der  drei  frühen  Morgen.  —  Es  heisst 
ferner:  Er  verzehrt  den  gesottenen  Beis  der  gelben  ßundtafeln,  des 
purpurnen  Wahren. 

Die  Yerkündungen  des  Wahren  sagen: 

Auf  dem  Kuen-Iün  findet  sich  das  Steinmark  des  hochrothen 
Berges,  die  Frucht  des  Edelsteinbaumes. 


Den  purpurnen  Schriftsehmuck  des  reingeistigen  Buches  der 
goldenen  Thorwarte  des  höchsten  Klaren,  die  Weise  des  Pflückens 
und  des  Gebrauches  der  verborgenen  Blumen,  des  Geistigen  des 
Mondes,  man  übergab  dieses  einst  dem  Gebieter,  dem  Himmelskaiser 
des  grossen  Unscheinbaren.  Das  Buch  heisst  auch  das  Vorschrift- 
massige  Buch  des  versteckten  Mondes  des  bergenden  Himmels  des 
zu  dem  Yang  gehörenden  Geistigen  der  gelben  Luft. 


•i6* 


372  Plizmaier 

« 

Für  diejenigeo,  welche  den  Weg  ausüben,  sind  Wein  und  Fleisch 
Gegenstände  sehr  grossen  Absehens.  Der  Wein  ist  eine  Sache,  die 
bewirken  kann,  dass  Erkenntniss  und  Denken  des  Menschen  dunkel 
und  verwirrt  sind,  seine  angeborne  Eigenschaft  Unordnung  und  Schiefe 
in  sich  trägt  Betrachtet  man  die  Beimengungen  zu  den  Arzneimitteln, 
so  heisst  es  bloss  bei  den  Kugeln  der  vier  Fächer  und  vier  Jünglinge: 
Man  bedient  sich  des  Weines,  man  kann  aber  auch  Wasser  beimengen. 
Die  Kugeln  von  Bergdisteln  siedet  man  gleichmässig  mit  Wein.  — 
Bei  den  übrigen  Gegenständen  wird  nicht  gesagt,  dass  man  Wein  als 
Arznei  oder  Lockspeise  gebrauchen  solle. 


Zu  den  Zeiten  der  späteren  Han  begab  sich  Tso-thse  zu  dem 
Vorsteher  des  Lebensloses  und  bat  um  Mennigsand.  Er  erhielt  zwölf 
Pfund.  Er  vereinigte  damit  den  Mennig  der  neun  Blumen. 


Tschi-ming-khi  befand  sich  mit  Tschang-tsching-li,  einem  Men- 
schen aus  den  letzten  Zeiten  der  späteren  Han,  in  dem  Gebirge  Heng. 
Er  empfing  und  gebrauchte  als  Arznei  den  Mennig  des  Regenbogen« 
Schattens  des  Gebieters  von  dem  Geschlechte  Wang.  Er  verbrachte 
auf  diese  W^eise  dreissig  Jahre. 


Tschao-kuang-sin  stammte  aus  Yang-tsching.  Gegen  das  Ende 
der  Wei  kam  er  in  das  Gebirge  von  Jen  und  empfing  die  Weise  des 
Gebrauches  der  Luft,  den  Weg  des  Bewachens  der  ursprünglichen 
Mitte.  Später  gebrauchte  er  als  Arznei  den  Mennig  der  neun  Blumen. 


Tschü-jü-tse  lebte  gegen  das  Ende  der  Zeiten  der  ü.  Er  trat 
in  das  Gebirge  des  rothen  Wassers  und  gebrauchte  als  Arznei  die 
Blüthen  der  Goldblume,  als  Lockspeise  die  Bergdistel.  Er  empfing 
ferner  die  Vorschriften  für  die  beim  Eintritte  in  das  innere  Haus  am 
Leben  erhaltenden  Schlammkugeln  Si-kue  i-tse*s  in  drei  und  dreissig 
Sätzen. 


Die  LebensrerlSngerangen  der  Mioner  des  Weges.  373 

Tsching-king-tschi  lebte  gleichwie  Tschang-tschung-hoa  im 
Anfange  der  Zeiten  der  Tsin.  Er  befand  sich  auf  dem  Berge  Tsien. 
Er  empfing  und  übte  die  Weise  des  Bewachen»  der  fünf  Eingeweide, 
des  Haltens  der  Sonne  in  dem  Munde.  Er  gebrauchte  als  Arznei  Hanf 
und  den  ursprünglichen  Mennig. 


Ma*ming-seng  stammte  aus  Lin-thse.  Er  war  ein  Angestellter 
des  Districtes  und  wurde  bei  der  Verfolgung  eines  Räubers  verwun- 
det. Die  Fornehme  Frau  des  grossen  Wahren  kam  ihm  zu  Hilfe  mit 
reingeistigen  Kugein,  und  er  wurde  geheilt.  Später  nahm  er  Ngan- 
khi-seng  zu  seinem  Lehrer.  Er  empfing  und  gebrauchte  als  Arznei 
den  Mennig  des  grossen  Klaren. 


Wang^yuen-fu  stammte  aus  Pei.  Er  befand  sich  mit  Teng-pe- 
yaen  zugleich  in  dem  Gebirge  Ho.  Daselbst  empfing  er  den  Gebrauch 
der  Speise  des  Steines  des  grünen  Geistigen,  die  Weise  des  Ver- 
«chluckens  des  mennigrothen  Schattens  der  Sonne. 


In  den  Entscheidungen  des  gelben  Gebieters  der  Unsterblichen 
heisst  es :  Wenn  man  die  angeborne  Beschaflfenheit  nährt,  Arznei- 
mittel gebraucht  und  als  Speise  verzehrt,  mag  man  keinen  Knoblauch 
and  keine  Granatäpfel  verzehren.  Die  Männer  des  Weges  selbst 
können  es  nicht  essen. 

Die  Überlieferungen  von  Unsterblichen  sagen : 

Tschi-tsiang-tse-yü  lebte  zu  den  Zeiten  des  gelben  Kaisers.  Er 
Terzehrte  nicht  die  fünf  Getreidearten,  er  verzehrte  die  Blüthen  der 
hundert  Pflanzen. 


Ngo-tsiuen,  der  Unsterbliche  des  Himmels,  war  ein  Einsammler 
von  Arzneien  auf  dem  Berge  Hoai.  Er  verzehrte  gerne  Fichtenzapfen. 
Auf  seioem  Leibe  wuchsen  Federn,  seine  Augen  wurden  viereckig. 
Er  war  im  Stande,  fliegend  zu  wandeln  und  erreichte  laufende  Pferde. 


o74  P  f  i  X  m  a  i  e  r. 

Wu-kuang  lebte  zu  den  Zeiten  der  Hia.    Seine  Ohren  waren 
sieben  Zoll  lang.  Er  liebte  die  Cither  und  gebrauchte  als  Arznei 

* 

Magenwurz  und  Zwiebelwurzeln. 


Kiuen-tse  war  ein  Eingeborner  von  Tsi.  Er  gebrauchte  gern 
als  Lockspeise  die  Bergdistel.  Er  veröffentlichte  das  richtschnur- 
massige  Buch  des  Himmels  in  acht  und  dreissig  Heften.  Später  angelte 
er  in  einem  Sumpfe  und  fand  eine  Beglaubigungsmarke  in  dem 
Bauche  eines  Karpfen.  Er  verbarg  sich  auf  dem  Berge  Tang.  Er  war 
im  Stande,  Wind  und  Regen  herbeizufuhren.  Er  empfing  die  Weise 
der  neun  Unsterblichen  von  Pe-yang.  Ngan,  König  von  Hoai-nan, 
erlangte  in  seiner  Jugend  die  Schriften  Kiuen-tse*s  und  war  nicht 
im  Stande,  sie  zu  erklären.  Das  von  Kiuen-tse  verfasste  Herz  der 
Cither  in  drei  Heften  enthält  Abzweigungen  und  Ordnungen. 


Lieu-king  lebte  zu  den  Zeiten  der  früheren  Han.  Er  schloss 
sich  an  den  Gebieter  des  Geschlechtes  Tschang  von  Han-tan  und 
empfing  den  Gebrauch  der  Wolkenmutter  als  Lockspeise.  Er  wusste, 
was  dabei  glückbringend  oder  unglückbringend. 

Das  Buch  Pao-pö-tse  sagt: 

Diejenigen,  welche  den  Weg  ordnen,  Arzneimittel  als  Lockspeise 
gebrauchen,  so  wie  diejenigen,  welche  in  Verborgenheit  wohnen,  in 
die  Gebirge  treten  und  zu  den  kleinen  Vorschriften  nicht  gelangen 
können,  werden  häufig  von  dem  Verderben  ereilt.  Die  Alten  unter 
den  zehntausend  Dingen  sind  sämmtlich  im  Stande,  als  Ungethume 
aufzutreten.  Sie  führen  die  Menschen  beständig  in  Versuchung.  Sie 
sind  aber  nicht  im  Stande,  in  einem  Spiegel  ihre  wahre  Gestalt  zu 
wechseln.  Desswegen  hängten  die  Wegmänner  des  Alterthums,  die 
in  das  Gebirge  traten,  einen  hellen  Spiegel,  der  im  Durchmesser 
neun  Zoll  und  darüber  hatte,  hinter  ihren  Rücken.  Die  alten  Unholde 
wagten  es  dann  nicht,  sich  den  Menschen  zu  nähern.  Sollte  es 
geschehen,  dass  sie  kommen  und  die  Menschen  in  Versuchung  fuhren, 
so  soll  man  nach  rückwärts  in  den  Spiegel  blicken.  Sind  es  Unsterb- 
liche oder  Gotter  des  Berges,  so  sind  sie  gestaltet  wie  Menschen. 
Sind  es  Vogel,  wilde  Tliiere,  böswillige  Dämonen,  so  sieht  man  sie 
ebenfalls. 


Die  LebensverlüDgerangeo  der  MSnner  des  Weges.  375 

Einst  lebte  ein  Mensch  in  einem  Felsenhause  des  Berges  der 
Erdstufe  der  Wolken  in  Scho.  Plötzlich  erschien  ein  Mensch,  der  mit 
einem  einfachen  Kleide  von  gelbem  Atlas  und  mit  einem  Flachstuche 
aogethan  war.  Derselbe  trat  vor  ihn.  Hierauf  blickte  jener  Mensch 
zurück  in  den  Spiegel,  und  es  war  ein  Birsch.  Er  schrie  ihn  dabei 
ao.  Der  Ankömmling  wurde  ein  Hirsch  und  entfernte  sich  auf  der 
Stelle. 

Ferner  befand  sich  an  dem  Fusse  des  Berges  Lin-Iiü  ein  Block- 
haus. So  oft  Leute  daselbst  übernachteten,  starben  sie  entweder, 
oder  sie  wurden  krank.  Gewöhnlich  erschienen  in  der  Nacht  etliche 
zehn  Menschen,  von  denen  einige  weiss,  andere  schwarz  gekleidet 
waren.  Einige  waren  Weiber,  einige  waren  Männer.  Später  kam 
Tscbi-pe-I  an  dem  Orte  vorbei  und  ubei^nachtete  daselbst.  Er  sass 
bei  einer  hellen  Kerze.  Um  Mitternacht  sah  er  diese  Menschen  wirk- 
lieh. Er  beleuchtete  sie  ganz  nahe  mit  dem  Spiegel,  und  es  war  ein 
Rodel  Hunde.  Pe-I  ergriff  jetzt  die  Kerze,  erhob  sich  und  Hess 
rerstellter  Weise  eine  Schnuppe  der  Kerze  auf  ihre  Kleider  fallen. 
Er  spürte  den  Geruch  von  versengten  Haaren.  Hierauf  erstach  er 
mit  dem  Schwerte  einen  Hund.  Die  Übrigen  erschracken  und  ent- 
fernten sich. 

So  oft  man  in  das  Gebirge  tritt,  muss  man  einen  glückbringen- 
den Tag  wählen. 


Die  Beschaffenheit  der  Neigungen  des  Himmels  und  der  Erde, 
die  glücklichen  und  unglücklichen  Vorbedeutungen  des  Yin  und  Yang, 
wie  vielfach  sind  sie!  Es  ist  auch  schwer,  sie  zu  erklären.  Ich  sage 
aaeh  nicht  mit  Gewissheit  von  ihnen,  dass  sie  sind.  Ferner  wage  ich 
es  auch  nicht,  zu  behaupten,  dass  sie  nicht  sind.  Gleichwohl  sind  sie 
es,  an  die  der  gelbe  Kaiser  und  Liü-wang  glaubten  und  denen  sie 
sich  unterwarfen.  In  den  nahen  Zeitaltern  wurden  sie  durch  Yen- 
kiun-ping  und  Sse-ma-tsien  hastig  zum  Gebrauche  herangezogen, 
und  in  den  vorschriftmässigen  Büchern  und  Überlieferungen  gibt  es 
vorbeigehende  Tage,  die  glücklichen  Tage  kommen  von  selbst.  Wenn 
die  königlichen  Herrscher  erhoben  die  Obrigkeiten  der  grossen  Ver- 
merker, belehnten,  ernannten,  einsetzten  und  begründeten,  wenn  es 
Angelegenheiten  gab  in  den  Stammhäusern  und  Ahnentempeln,  bei 
den  Landesguttern,  wenn  sie  in  den  Vorwerken  opferten  dem  Himmel 


376      Pfizmaier,  Die  Leheii»rerltogeruDgen  der  Minner  de<  Weges.. 

und  der  Erde,  so  wählten  sie  dazu  immer  den  Tag.  Das  Vorschrift- 
massige  Buch  des  Edelsteinschaftes  sagt:  Wenn  man  in  das  Gebirge 
treten  will,  kann  man  nicht  umhin,  die  geheime  Kunst  der  Kia  des 
Verbergens  ^  'u  kennen.  Man  handelt  aber  nicht  als  verkommener 
und  verkrummter  Mensch.  —  Mit  diesen  Worten  bespricht  es  die 
Sache. 


*)  Die  in  dem  Bache  der  spiteren  Hen  enthtltenen  Überlieferungen  von  der  Heil- 
kunst sagen :  Man  schiigt  surück  das  Yin  der  sechs  Kii  (des  Zeitkreiaes)  und  rer- 
birgt  sich. 


Karajan.   Zu  Seifried  Helbliog'  und  Ottacker  von  Steiermark.  37T 


Zu  Seifried  Helbling  und  Ottaeker  von  Steiermark. 

Vom  w.  M.  Theodor  Ritter  ?.  Karajan. 

Noch  im  Spätherbste  meines  Lebens  wird  mir  die  Freude  zu 
Tbeil  für  die  Textkritik  zweier  österreichischen  Dichter  des  Mittel- 
alters, die  zudem  mit  Recht  für  wichtige  Quellen  der  Geschichte 
ibrerZeit  und  Heimath  gelten,  willkommene  Beitrage  liefern  zu  können. 
Mit  den  Schriften  beider  hab  ich  mich  vor  langen  Jahren  eingehend 
beschäftigt  und  bei  beiden  mit  Grund  über  den  Mangel  gleichzeitiger 
Überlieferung  zu  klagen  gehabt.  Da  nämlich  beide  noch  in  die  zweite 
flüfle  des  dreizehnten  Jahrhunderts  hinaufreichen ,  der  eine  bisher 
nor  in  Handsebriflen  des  fünfzehnten »   der  andere  gar  nur  in  einer 
einzigen  des  beginnenden  siebzehnten  Jahrhunderts  überliefert  war, 
»0  konnte  meine  Klage  nur  als  vollberechtigt  erscheinen.   Und  den- 
noch hätte  man  erwarten  sollen,   dass  von  den  Werken  beider,   die 
80  treu  und  frisch  das  Leben  ihrer  Zeit  und  Heimath  schildern,  sich 
m  unserer  wenigstens   ältere  Überlieferungen  vorgefunden  hätten, 
am  so  eher  als  die  Reimchronik  Ottackers  zum  ersten  Mahle  voll- 
stiindig  schon  vor  hundertfünfundzwanzig  Jahren   in  einem    stark 
verbreiteten  Werke  ans  Tageslicht  trat  <),  ein  Auszug  der  Satyren 
Seifrieds  durch  mich  schon  vor  vierunddreissig  Jahren*),   endlich 
eine  vollständige  kritische  Ausgabe  des  Textes  derselben  vor  sechs- 
nndzwanzig  Jahren  gleichfalls  durch  mich  geliefert  wurde  *). 


M  Dvreh  Hier.  Pei.  in  den  Script,  rer.  Austr.  Tomas  III.  Regensburg  1745.  fol. 

*)  In    Haupt    und    Hoffmann's    altdeutschen    Blittem.    %,    t    bis    17.    d.    d.    Wien 

20.  Dec.  1836. 
')  In  Hanpt's   ZeiUchrift  f.  deutsch.  Alterthnm.  4,  1  bis  2S4. 


378  K  a  r  a  J  •  n 

All  diese  Veröffentlichungen  aber  förderten  dennoch  ältere 
Quellen  ausser  den  bis  dahin  bekannten  nicht  zu  Tage,  wenn  auch  für 
Ottacker  ein  günstigeres  Geschick  waltete,  als  für  Seiiried,  der  ganz 
leer  ausgieng,  während  für  den  ersteren  aus  Handschriften  zu  Jena*) 
und  Stockholms),  sowie  aus  der  schon  yor  Pez  herausgegebenen 
Wolffenböttler  •)  wenigstens  Theile  seiner  Chronik  in  anderen  Nieder- 
schriften, aber  auch  nur  des  fünfzehnten  Jahrhunderts,  bekannt 
wurden;  die  Bruchstücke  aus  der  Wolffenbüttler  und  Jenaer  aber 
nicht  unter  Ottackers  Namen. 

Für  beide  Dichter  nun  treten  hiemit  zum  ersten  Mahle  gleich- 
zeitige Quellen,  wenn  auch  nur  in  sehr  bescheidenem  Maasse,  zu 
Tage. 

Bevor  ich  zur  näheren  Betrachtung  derselben,  zur  Angabe  ihrer 
Beschaffenheit,  ihrer  Auffindungs-  und  Aufbewahrungs-Orte  über- 
gehe, will  ich  ein  paar  Worte  sagen  über  die  Bedeutung  dieser 
Funde  im  Allgemeinen  und  über  die  Bereicherung,  die  unsere 
bisherige  Kenntniss  durch  den  Hinzutritt  dieser  neuen  Quellen 
erlangt  hat. 

Als  Hauptergebniss  stellt  sich  heraus,  dass  beide  als  gleichzei- 
tige  Überlieferungen  die  bisher  bekannten  viel  jüngeren,  an  die  Zeit 
der  Dichter  nicht  im  entferntesten  hinanreichenden  Handschriften  im 
Ganzen  als  viel  bessere  erkennen  lassen,  als  nach  ihrem  Alter  allein 
zu  vermuthen  war,  dass  somit  die  bisherige  Überlieferung,  vergli- 
chen mit  der  neuen,  um  Jahrhunderte  älteren,  so  weit  sich  diess  aus 
den  leider  nicht  sehr  umfangreichen  Stücken  erkennen  lässt,  eine 
nichts  weniger  als  verwerfliche  zu  nennen  ist.  Was  dadurch  schein- 
bar an  Ausbeute  den  neuen  Entdeckungen  entgeht,  ersetzt  sich 
reichlich  durch  die  Beglaubigung,  dadurch  Festigung  der  bisherigen 
Texte. 


*)  Durch  B.  C.  B.  Wiedeburg  in  dessen :  Ausführliche  Nachricht  von  einigen  alten 
teuUchen  poetischen  Msnuscripten  der  Jenaischen  Bibliothek.  Jena  1754.  4*.  S.  76 
bis  118. 

^)  Durch  mich  in  den  Sitsung'benchten  der  philos.  hist.  Claase  der  k.  Akad.  4er 
Wissenschaften  zu  Wien.  Jahrgg.  1S52.  Bd.  S.  iSZ  bis  4S3.  Von  der  Stockboloier 
Handschrift  warde  an  der  k.  k.  Hofbibllothek  eine  Abschrift  surfickbehalten,  jetzt 
unter  der  Nr.  14,978  rerwahrt. 

*)  Durch  J.  G.  Eccard  in  dessen  Corpus  historicum  medii  aevi.  Lipiae  1723.  fol. 
und  zwar  im  Bd.  2,  1349  bis  1576. 


Za  Seifried  Helbllng  und  OtUcker  too  Steiermark.  379 

BeiSeifried  zudem  hat  die  neue  Quelle  noch'zwei  kleine,  bis  jetzt 
völlig  unbekannte  Gedichte  in  den  Kauf  gegeben,  die,  wenn  sie  nicht 
von  ihm  selbst  herrühren,  was  mir  höchst  wahrscheinlich  ist,  doch 
seinem  Wesen,  seiner  Sprache  und  Anschauungsweise  auffallend  nahe 
stehen. 

Ich  gehe  nun  zu  den  Bruchstucken  selbst  über: 


I. 

Zu  Seifried 

Ich  nenne  Seifried  auch  jetzt  noch  so  und  als  den  Dichter  der 
unter  seinem  Namen  vekröiTentlichten  Satyren,  nicht  etwa  aus  Eigen- 
sinn, sondern  weil  mir  die  Bedenken,  die  man  gegen  diesen  Namen 
vorgebracht  hat.  bis  jetzt  wenigstens,  noch  nicht  yollig  stichhältig 
erscheinen.  Ich  will,  ohne  mich  in  lange  Auseinandersetzungen  einzu- 
fassen, die  hier  nicht  an  ihrem  Platze  wären,  nur  mit  wenig  Worten 
sagen,  was  mir  an  dem  Einwände  bedenklich  scheint. 

Als  einen  Dichter,  das  lässt  sich  nun  einmal  nicht  läugnen, 
bezeichnet  der  Verfasser  des  dreizehnten  Büchleins  den  'hovegum- 
pelman',  der  es  geschrieben  haben  soll,  ganz  entschieden,  und  nennt 
ihn  einfach  Seifried  Helbling,  also  mit  einem  Namen,  hinter  dem 
nicht,  wie  bei  anderen,  die  er  vorbringt,  irgend  etwas  satyrisches  zu 
«'ittern  ist  Dass  er  ihn  schelmisch  todt  sein  lässt  und  diess  beklagt, 
dazu  mag  er  seine  Gründe  gehabt  haben,  und  ist  am  Ende  eine 
Fiction,  wie  so  vieles  in  seinen  kühnen  Gedichten,  in  denen  er  den 
am  schärfsten  Gerügten  gerne  er/undene  oder  auf  irgend  eine  Weise 
verdrehte,  kurz  entstellte  Namen  beilegt.  Nur  die  Namen  des  Herzogs 
und  der  Herzogin  nennt  er  nicht,  tadelt  sie  aber  nichts  desto  weniger 
schonungslos.  Nun  aber  wird  als  Verfasser  eines  oder  des  anderen 
der  Buchlein,  ausser  an  dieser  Stelle  kein  anderer  Dichter  genannt, 
der  hier  genannte  aber  durchaus  nicht  getadelt,  sondern  als  Ehren- 
mann in  Schulz  genommen,  und  kehren  die  diesem  Dichter  in  den 
Mund  gelegten  Klagen  allenthalben  in  den  einzelnen  Gedichten 
wieder.  Liegt  es  da  nicht  nahe,  dem  Dichter  des  dreizehnten  Büchleins 
auch  die  übrigen  zuzuweisen?  um  so  mehr  als  sich  im  Ganzen  alle, 
bezuglieh  dieser  Klagen,  wie  ein  Ei  dem  anderen  ähnlich  sehen?  Und 
das  .soll  man  nur  desshalb  nicht  dürfen,  weil  der  Dichter  des  drei- 


380  K  •  r  a  j  a  0 

zehnten  sich  dort  zu  den  bereits  Todten  zählt?  War  ers  denn 
nicht  auch  in  gewissem  Sinne?  Er  der  sich  als  alt  und  überlebt,  mit 
der  Gegenwart  zerfallen,  ihr  kaum  mehr  angehörig  schildert? 

Wäre  übrigens  die  'hovegumpelmänner'-Fiction,  wie  der  vorge- 
schütze  Tod  des  einen  derselben,  wirklich  nur  eine  vereinzelte  in 
Seifrieds  Satyren,  so  wollt  ich  noch  eher  Ernst  Martin  ?)  Recht  geben, 
da  diess  aber  nicht  der  Fall  ist,  da  die  Namen  der  Gerügten  sowohl, 
wie  alle  Verhältnisse,  dieScenerie  des  Ganzen,  wie  jene  durchgeführte 
des  Herrn  zum  Knechte,  die  Zusammenkunft  der  Verschworenen,  jene 
der  Tugenden  und  Laster  am  Oetscher,  kurz  alles  mögliche  erfunden 
ist,  so  kann  ich  die  jedenfalls  noch  strittige  Frage  um  den  Namen  des 
Dichters  durchaus  noch  nicht  für  entschieden  halten.  Hat  nun  Martin 
Recht  oder  nicht,  so  wird  man  mir  am  Ende  doch  erlauben  müssen, 
die  Sammlung  von  Satyren,  die  ich  meine,  vor  der  Hand  wenigstens 
noch,  mit  dem  herkömmlichen  Namen  zu  bezeichnen. 

Schon  am  Anfange  der  vierziger  Jahre,  als  ich  am  Texte  Seifrieds 
arbeitete,  fielen  mir  die  der  einzigen  damals  bekannten  Handschrift 
der  Wiener  Hofbibliothek  desselben.  Cod.  2887.  ol.  Phil.  50.,  ange- 
hängten Anmerkungen  auf,  deren  Blattzahlen  zu  jenen  der  jungen 
Handschrift  durchaus  nicht  stimmten,  also  wohl  aus  der  Vorlage  her- 
übergenommen waren.  Ich  glaubte  in  ihrem  Styl  und  ihrer  Behand- 
lungsart solcher  Dinge  unwillkürlich  die  Art  des  österreichischen 
Geschichtsforschers  Freiherrn  Reicharts  Strein  von  Schwarzenau  zu 
erkennen,  der  noch  zu  Anfang  des  siebzehnten  Jahrhunderts  lebte. 
Diese  meine  Vermuthung  wurde  nach  der  Hand  als  richtig  bestätigt 
durch  lange  Auszüge  aus  Seifrieds  Satyren  mit  ganz  ähnlichen 
Bemerkungen  und  Überschriften  Streins  in  einer  Handschrift  des  Ar- 
chives  der  niederösterreichischen  Stände.  Sie  führt  den  Titel:  'Nota- 
bilia  Ausz  H.  Reicharten  Streinss  H.  zu  Schwarzenau  seeligen 
manuscriptis  abgezeichnet'. 

Wer  war  nun  dieser  Abzeichner,  d.  i.  Benutzer  der  Aufzeich- 
nungen Streins,  die  bis  zur  Stunde  noch  in  nicht  weniger  als  eilf 
Folianten  im  Archive  der  niederösterreichischen  Stände  verwahrt 
werden?  Niemand  anderer,  als  sein  geistiger  Nachfolger  in  dieser 
Thätigkeit,  der  Freiherr  Job  Hartmann  von  Ennenkel,  Herr  zu 
Albrechtsberg  an  der  Bielach,  zu  Hoheneck,  Goldeck,  Liechteneek  und 


7)  In  Htupr«  ZeiUchrift  f.  d.  Alterth.  13,  464. 


Zu  Seifried  Helbling  uod  Ottacker  von  Steiermark.  381 

Seisseneek  in  Österreich  unter  der  Enns  ,  aus  dessen  reichen 
gadchiehtlichen  Sammlungen  das  ständische  Archiv  noch  zwei  starke 
Foliobände  verwahrt  zur  Geschichte  der  Adelsgeschlechter  des  Landes 
mit  der  Aufschrift :  'Aufzeichbuch  von  Job  Hartmann  Eunenkl  Frey- 
herrn, was  er  etlich  Jahr  hin  und  wider  in  alten  Briefen,  Urkunden 
and  Verzeichnissen  befunden,  kürzlich  ausgezogen  und  hierinnen  ver- 
merkt hat  Annis  a  nato  Christo  1602  ad  1608  8)/ 

Nach  dem  Tode  Ennenkels,  welcher Dinstags  den  9.  Februar  1 627 
zu  Wien  erfolgt  war,  kamen  dessen  reiche  handschriftliche  Samm- 
ittugen  in  verschiedenen  Besitz.  Ein  Theil  derselben  gelangte,  wie 
wir  schon  oben   sahen  in  jenen  der  Stände  Österreichs  unter  der 
Eons;  ein  zweiter  noch  beträchtlicherer  in  die  Sammlungen  des  Gra- 
fen Johann  Joachim  von  Wiudhag,  der  sie  nachmals  mit  seiner 
ganzen  Bibliothek  durch  sein  Testament  vom  31.  October  1670  den 
Prediger-Mönchen  zu  Wien  vermachte,  mit  der  Verpflichtung,  sie  in 
ihrem  Hause  der  allgemeinen  Benützung  der  Gelehrten  offen  zu  hal- 
ten. Hier  blieb  sie  bis  zum  Jahre  1784,  in  welchem  Kaiser  Joseph  IL 
dieselbe  sammt  ihrem  Fonde  jener  der  Hochschule  Wiens  einverleibte. 
Spätber  wurde  dieser  Theil  der  Ennenkerschen  Verlassenschaft,  da 
er  Handschriften  enthielt  und  bereits  vor  Jahren  alle  Handschriften 
der  Universitätsbibliothek  wegen  Mangel  an  geeignetem  Räume,  auch 
der  besseren  Verwahrung  und  bequemeren  Benützbarkeit  wegen,  der 
Hofbibliothek  des  Kaisers  waren  eingereiht  worden,  gleichfalls  dahin 
abgegeben.  Dort  findet  sich  dieser  Theil  noch  bis  zur  Stunde  und  es 
»lammen  aus  ihm  unter  anderen  auch  folgende  altdeutsche  poetische 
Handschriften:  Cod.  2788.  Enenkeis  Fürstenbuch;  Cod.  2779.  die 
Kaiserchrouik,  Hartmanns  Iwein,  Otnit,  die  Rabenschlacht,  der  Aven- 
tiure  Krone  Heinrichs  von  Turlin  enthaltend;  Cod.  2959.  Latirin; 
Cod.  2881   mit  dem  Schwabenspiegel  und  Hartmanns  Gregor;  end- 
iich  Cod.  2757.  mit  allerlei  Asceticis  •). 

Ein  dritter  Theil  schlüsslich  der  Ennenkerschen  Handschriften 
wurde  erworben  durch  Karl  Ludwig  Fernberger  zu  Egenberg,  Mes- 
^cnbach  u.  s.  w.  Herrn  der  Herrschaften  Sitzenberg  und  Fahrafeld  in 


*)  Siehe    WiMgrilPs   SchaupUU   d.    oied.    dst.    Adels.    2,   414  und  Tergl.  ChmeU 

GewhichUforscber  I,  2,  369.  unter  202  c). 
*>  Hoffnann^t   VeneicbaiM   der  altd.   Htndachriften  der  Wiener  Hofbibliothek  unter 

des  Zahlen  CXCl.  X.  XXXIX.  CLXI.  und  CCCXV. 


382  K  a  r  a  j  a ■ 

Österreich  unter  der  Enns,  Landreehts-Beisitzer  und  Landmann  alten 
Herrenstandes.  Dieser  starb  gleichfalls  zu  Wien  Freitags  den  5.  Jän- 
ner 163S.  Nach  seinem  Tode  gelangten  auch  diese  Ennenkerschen 
Handschriften  an  die  Hofbibliothek,  wo  sie  unter  den  Zahlen  10095 
bis  1  Ol  00,  zum  Theile  aus  übermässig  starken  Folianten  bestehend,  ver- 
wahrt wurden.  Sie  waren  kenntlich  an  einem  mit  weisser  öhlfarbe  auf 
die  grünen  Alla-Rustica- Pergament-Bände  gemahlten  Anker,  einem 
vom  Herzschilde  herabhängenden,  eigenthQmlichen  Theile  des  Fern- 
bergerschen  Familien-Wappens  «•). 

All  diese  Nachweise,  die  zu  dem  Zwecke  hier  eingereiht  sind, 
um  die  Überlieferung  unserer  Bruchstücke  erkennen  zu  lassen,  legen, 
abgesehen  davon,  ehrendes  Zeugniss  ab  von  der  Liebe  und  Sorgfalt 
für  Geschichte,  wie  von  den  wissenschaftlichen  Bestrebungen  der  alten 
Adelsgeschlechter  Österreichs  im  sechzehnten  und  siebzehnten  Jahr- 
hundert, die  leider  in  neuerer  Zeit  wenig  Nachahmung  finden.  Doch 
zurück  zu  unseren  Bruchstücken. 

Als  bei  der  jüngsten,  eingehenderen  Beschreibung  der  abend- 
ländischen Handschriften  der  Hofbibliothek  auch  diese  ungefügen, 
dabei  hastig  zusammengerafften,  nur  lose  gehefteten  Bände  an  die 
Reihe  kamen,  wurde  beschlossen  den  wüst  durcheinander  geworfenen 
Inhalt  derselben  nach  Sachen  möglichst  zu  ordnen  und  die  schlotte- 
rigen Bände  in  feste,  dabei  handsamere  umzugestalten. 

Bei  dieser  Arbeit  nun  ,  welche  mein  College  Joseph  Haupt 
begann,  bemerkte  er  auf  dem  Rücken  des  Bandes  10095  vier  sechs 
Zolle  breite  und  einen  Zoll  hohe  Pergamentstreifen,  als  Haftbänder 
aufgeleimt,  welche  deutsche  Verse  in  einer  zierlichen  Schrift  aus  der 
zweiten  Hälfte  des  dreizehnten  Jahrhunderts  erkennen  liessen.  Nach- 
dem er  sie  vom  Bande  herabgelöst  hatte,  zeigte  er  mir  dieselben^  und 
ich  traute  meinen  Augen  kaum,  als  ich  die  beiden  Verse  las:  'Wie 
hoert  man  pvllen  daz  mer  Von  dem  Sturmwinden'  die  mich  sofort  an 
Seifrieds  fünfzehntes  Büchlein  und  den  Aufbruch  des  Heeres  daselbM 
erinnerten.  Es  waren  auch  in  der  That  die  Zeilen  788  und  7S9  in 
ihm.  Als  ich  nun  alles  übrige  genauer  untersuchte,  stellten  sich  im 
Ganzen,  mit  Unterbrechungen  durch  den  Ausfall  zweier  ganzer  Blät- 
ter, dann  durch  das  Fehlen  der  .unteren  zwei  Drittheile  anderer  zwei, 
sechs  und  sechzig  Zeilen  des  fünfzehnten  Büchleins  als  gerettet  her- 


<•)  Vergl.   WisigriU  1.   c.   3,  36. 


Zu  Seifried  Helblin^  und  OttMCker  .von  Steiermark.  383 

aus,  und  zwar  von  einer  alten,  guten,  leider  aber  durch  Wurmfrass 
und  die  Seheere  des  Buchbinders  arg  mitgenommenen  Handschrift. 
Was  die  Streifen  sonst  noch  enthielten,  zwei  kleine  strophische 
Gedichte,  war  mir  völlig  neu. 

Ich  hatte  also  mit  einem  Mahle  Bruchstucke  einer  bei  meiner 
Bearbeitung  Seifrieds  aus  den  wiederkehrenden  Lücken  nach  je  zwei- 
uDddreissig  Zeilen  als  Vorlage  vermutheten  kleinen  Handschrift  wirklich 
vor  mir.  Jene  des  ersten  Büchleins,  in  welchem  die  Lucken  begegnen, 
enthielt  allerdings  nur  auf  der  Seite  sechzehn  Zeilen,  während  die  vor- 
Hegende  des  fünfzehnten  deren  zwanzig  zeigt,  auf  dem  letzten  Blatte 
stehen  aber  auch  hier  nur  sechzehn  Zeilen  bedingt  durch  den  Schluss 
der  beiden  kleineren  Gedichte,  so  dass  sich  denken  lässt,  dass  auch 
die  vorangegangenen  Theile  der  Handschrift  nach  Bedarf  zwischen 
sechzehn  und  zwanzig  Zeilen  mochten  gewechselt  haben. 

Diess  wird  zudem  bestätigt,  wenn  man  die  Blattzahlen  berück- 
sichtigt, auf  welche  die  Anmerkungen  Streins  am  Ende  meiner  Aus- 
gabe Seifrieds  sich  beziehen,  und  welche  durchaus  nicht  jene  der 
uns  bis  jetzt  erhalten  gewesenen  einzigen  Handschrift  sind. 

Diese  Anmerkungen  weisen  nämlich  auf  eine  Handschrift  hin, 
welche  231  Blätter  enthielt.  Würde  nun  jedes  dieser  Blätter  auf  je 
40  Zeilen  angeschlagen,  so  ergäbe  diess  eine  Gesammtzahl  von  Ver- 
sen für  Helbling,  die  dessen  wirkliche  Verszahl  um  beiläufig  sechs- 
Hundert  überträfe.  Es  ist  daher  mit  vieler  Wahrscheinlichkeit  anzu- 
nehmen, dass  die  vorausgegangenen  Theile  der  alten  kleinen  Handschrift 
wirklich  etwa  Büchleinweise  weniger  Zellen  auf  den  einzelnen  Seiten 
enthielten. 

Dass  übrigens  die  vom  Freiherrn  von  Strein  zu  seiner  Samm- 
lung der  Gedichte  Seifrieds  benützte  Handschrift  und  die  jetzt  in 
BraehstGcken  neu  aufgefundene  ein  und  dieselbe  war,  wird  nicht  nur 
aas  der  Herstammung  dieser  Bruchstücke  sehr  wahrscheinlich,  son- 
dern lässt  sich  auch,  wenigstens  für  das  fünfzehnte  Büchlein,  ganz 
hübsch  nachweisen. 

Man  braucht  nämlich  nur  die  von  mir  in  meiner  Ausgabe  theils 
io  die  Lesarten  verwiesenen,  theils  schonend  beibehaltenen  Formen 
mit  jenen  des  neuen  Textes  zu  vergleichen,  um  sich  bald  genügend 
£0  überzeugen.  Man  beachte  z.  B.  zu  XV,  688  die  von  mir  verworfene 
Lesart  anter  dem  Texte :  'alters  so  ein'  mit  jener  unseres  Bruchstückes 
und   man  wird  sie  gleichlautend  finden.   Man  vergleiche   fei*ner  zu 


384  K  a  r  a  j  a  n 

703  'tratt*  mit  der  Form  des  neuen  Textes^  'trahf  ;  zu  7S0  und  774 
die  Lesart  '  Wolddan  mit  der  genau  an  denselben  Stellen  wieder- 
kehrenden der  neuen  Handschrift;  endlich  zu  Zeile  798  meines  Tex- 
tes die  unrichtige,  deshalb  verworfene  Form  'Hainwurch»  die  genau 
so  in  der  Handschrift  Streins  sich  wieder&ndet  u.  s.  w. 

Wir  lernen  aus  all  diesen  Betrachtungen  zusammengenommen 
einmal,  dass  Strein  beim  fünfzehnten  Büchlein  höchst  wahrscheinlich 
keine  andere  Handschrift  vor  sich  hatte,  als  die  uns  jetzt  leider  nur 
mehr  bruchstückweise  vorliegende  ,  damals  natürlich  ohne  die 
Ennenkelsche  Seitenzählung  (siehe  weiter  unten),  und  zweitens,  dass 
unseren  Bruchstücken  ganz  gewiss  eine  lange  Reihe  von  eben  so 
kleinen,  weiter  und  enger  beschriebenen  Blättern  vorausgieng. 

Wenden  wir  nun  unseren  Blick  noch  eingehender  auf  die  äussere 
und  innere  Beschaffenheit  unserer  Bruchstücke»  so  muss  folgendes 
hervorgehoben  werden.  Die  einzelnen  Seiten  der  Blätter  sind  mit 
arabischen  Ziffern  einer  Hand  des  beginnenden  siebzehnten  Jahrhun* 
derts  etwa,  in  der  Mitte  des  oberen  Randes  der  einzelnen  Seiten 
bezeichnet,  und  zwar  auf  folgende  Weise:  35.  36.  39.  40.  41.42.45. 
46.  Man  sieht,  dass  nach  dem  ersten  erhaltenen  Blatte,  das  zweite  mit 
37.  und  38.  bezeichnete  fehlt,  gleichwie  nach  dem  dritten  Blatte  das 
vierte  mit  43.  und  44.  überschriebene,  was  auch  ganz  genau  mit  der 
Verszahl  stimmt,  welche  diese  dem  Räume  nach  und  im  Einklänge 
.  mit  meiner  Ausgabe  zu  füllen  hatten. 

Diese  Seitenzahlen  können  aber  auch  noch  folgenden  Schlüssen 
als  feste  Unterlage  dienen.  Da  nämlich  von  Seite  42.  nur  die  ober- 
sten 6  Zeilen  erhalten  sind,  somit  dieser  Seite  sowohl  wie  den  beiden 
gleichfalls  verstümmelten  35.  und  36.  je  14  Zeilen  fehlen,  so  gelangt 
man  zum  Schlüsse,  dass  diese  Seite  vor  der  Verstümmlung  bis  zur 
Zeile  832  gereicht  habe,  folglich  auf  der  nächsten,  jetzt  fehlenden 
Seite  43.  die  Zeilen  833  bis  852,  endlich  auf  der  letzten  Seite  44. 
nur  mehr  2  Zeilen  oder  das  Ende  des  ganzen  Büchleins,  die  Verse 
853  und  854  gestanden  haben  konnten. 

Es  zeigen  sich  nirgends  Reimpuncte,  die  Zeilen  sind  aber  durch- 
wegs richtig  abgetheilt  und  die  gleichmässige  schöne  Schrift,  hie  und 
da  mit  rothen  Anfangsbuchstaben  verziert,  erinnert  an  die  besten 
Handschriften  aus  der  zweiten  Hälfte  des  dreizehnten  Jahrhunderts. 
Die  Blätter  haben  eine  Höhe  von  etwas  über  4  Wiener  Zollen,  eine 


Zu  Seifried  Uelbling  und  OtUcker  von  Steiermaik.  38S 

Breite  von  zwei  drei  Vierteln  und  sind  mit  Columnen  von  zwei  einem 
halben  Zoll  Höhe  beschrieben. 

Anders  verhält  es  sich  mit  den  auf  den  Schluss  der  Buchlein  fol* 
genden  beiden  kleinen  Gedichten,  deren  Verse  onabgesetzt,  grösser 
und  offenbar  zu  verschiedener  Zeit  geschrieben  sind. 

Die  neue  Handschrift  röhrt  übrigens ,  gleich  der  Abschrift 
Riehard  Streins,  ganz  entschieden  von  einem  österreichischen  Schrei- 
ber her.  Dafür  sprechen  vor  Allem  das  häuOge  Vorkommen  von  o  für 
d  und  a,  so  in  grof  686,  77 1  und  778 ;  in  mk  77S,  noher  711,  rot 
694,  701,  7o3»  in  rotent  704,  gor  675 ;  Formen  wie  mier  712,  79S, 
ier  813;  bücholf  685,  699,  und  das  alles  schon  auf  so  engem  Räume 
bei  einander.  Ausserdem  begegnen  noch  eine  Menge  in  österreichischen 
Handschriften  besonders  geläufige  Abweichungen  von  der  streng  mit- 
telhochdeutschen Schreibweise,  So  o  f.  oe  mh&rt  686;  aei  f.  ei  in 
er$ckaein  756;  ev  f.  in  in  levt:  prevtM9.  690.  796.  Bedev.  709, 
Dev  815;  17«  f.  tio  in  gveten  696,  tvet,  vnmvetes  700,  zve  702,  704» 
gvet;  mvei  815.  816;  ov  f.  ü  in  01/757,  813,  tovseni  795.  Die  i 
zeigen  sieh  schon  häufig  aufgelöst,  so  in  mein  681,  814,  scheinen 
m,  sein  707,  meiner  708,  Sei  793,  aeviem  797;  ja  ei  tritt  sogar 
an  die  Stelle  von  i,  so  in  reit  691. 

Der  Consonantismus  zeigt  sich,  wie  so  häufig  in  Handschriften 
österreichischer  Schreiber  ,  zur  Wahl  älterer ,  härterer  Formen 
geneigt,  so  in  verterben  689.  prechen  757,  pvllen  758,  prcuU  774, 
während  er  im  Auslaute  manchmal  nach  althochdeutscher  Weise  die 
mildere  Form  verwendet,  so  h  f.  ch  in  aprah:  tmgemah  705,  nah  773. 

Im  Ganzen  ist  zu  bedauern,  dass  die  neuentdeckten  Bruchstücke 
nicht  den  ersteren  Buchlein  Seifrieds  angehören,  da  in  diesen  die 
Streinische  Abschrift  gar  manche  kaum  je  zu  heilende  Gebrechen 
zeigt,  welche  die  liegend  gedruckten  Worte  und  die  Lücken  meiner 
Ausgabe  erkennen  lassen  und  die  nur  zum  geringsten  Theile  durch 
Coojecturen  und  Deutungen  zu  beseitigen  glücken  wollte,  wie  tüch- 
tige Kräfte  sich  auch  daran  versucht  haben. 

Die  übrigen  fünf  Bände  aus  der  Fernbergerschen  Sammlung  lies- 
^ü  trotz  der  sorgfaltigsten  Untersuchung  weitere  Theile  unserer 
Handschrift  leider  nicht  entdecken. 

Die  Bruchstücke  sind  jetzt,  unter  der  Nummer  Supplement  2792 
der  Hofbibliothek,  eingereiht. 


»itib.  d.  phil.-hitt.  Gl.  LXV.  Bd.  II.  Hft.  27 


3oO  K  a  r  «  j  a  n 

Ich  lasse  nun  zuerst  die  Bruchstücke  selbst  folgen  und  zwar  in 
getreuer  Wiedergabe  der  Handschrift,  das  ist  mit  allen  Fehlern. 

Daran  reih*  ich  zunächst  das  in  der  Handschrift  folgende  erste 
der  beiden  strophischen  Gedichte,  voraus  in  getreuem  Abdrucke, 
dann  metrisch  abgetheilt  in  gewöhnlicher  mittelhochdeutscher  Schreib- 
weise. 

Man  könnte  dieses  erste  Gedicht  Smirz  woF  überschreiben.  Es 
geisselt  ganz  und  gar  in  der  Weise  Seifrieds  einen  Hofmann,  der  die 
Gunst  seines  nach  der  Ansicht  des  Dichters  gedankenlosen  Herrn, 
wohl  Herzog  Albrechts  I.,  auf  alle  mögliche  hinterlistige  Weise  xu 
erschleichen  versteht  und  dadurch  Ehre  und  Würden  erlangt. 

An  den  Schluss  endlich  stell*  ich  das  auf  der  Rückseite  dessel- 
ben letzten  Blattes  uns  erhaltene  zweite  strophische  Gedicht«  das 
man  am  natürlichsten  'Sonne  und  Menschenleben  überschreiben 
könnte,  und  zwar  auch  hier  voraus  zuerst  einen  getreuen  Abdruck 
desselben,  darnach  eine  metrisch  abgetheilte  Fassung. 

Es  schildert  diess  Gedicht  auf  geschickte  Weise  die  Ähnlichkeit 
des  Aufgehens  und  Niedergehens  der  Sonne  mit  den  gleichen  Phasen 
des  Menschenlebens.  Auch  dieses  Gedicht  erinnert  sehr  an  ähnliche 
der  fünfzehn  Büchlein  Seifrieds. 


35. 


Bl.  1^  /er  herren  ier  habt  wol  Gnomen  XV.  673. 

das  mein  rat  ist  w  ...  r  eh.  m.  n. 
Go  .  an  allez  ende  675 

swan  ich  im  m  .  .  noh  .  e  .  .  . 
So  hazae  mich  all  .  .  d.  z  sei 

do  was  doh  nih*  .  .     .  nden  bei 
Wand  ich  niht  en  .  .  .  .  te 

an  daz  aih  verwUt.  680. 

Mein  volch  an  de 

do  lie  ich  d.  /  scheinen 
Z>az  ich  ein  rechte'  Christen  bin 

vnd  .  .  nde  meine  poten  hin 


Zu  Seifried  Helbling  und  OtUcker  rou  Steiermark.  3^7 

Do  sprach  der  pischolf  ron  gpmn  685 

Tnd  hdrt  dax  g^rof  yban 
Der  ahte  des  tÜ  clila  .  n 

moht  er  alters  .  o  ein 
Kerterben  lant  rnde  I .  rt 

im  wer  sam  er  mit  ein*  prevt  690. 

Kroeleichen  haim  reit 

also  stet  des  mannes  sit  69%. 

36. 

Bl.  1^  .0  sprach  der  run  Vetzprem  XV.  693. 

mein  herr  an  seinen  rot  nem 
Den  wilden  grofen  miszen  695. 

nimmer  gveten  piszen 
Gmei  der  herzog  mit  im 

orsz  mein  ampt  ich  das  nim 
Do  sprach  der  pischolf  von  rab 

herr  tvet  er  Tnmretes  ab  700. 

.  ier  STllen  ron  dem  rot  sten 

haizzet  die  layen  zve  er  gen 
.  wa  man  traht  gen  reinde  haz 

da  zre  rotent  layen  paz 
.  er  von  romf  chirchen  sprah  705. 

mein  phaflieit  wer  mir  rngenah 
E  mein  herr  liez  sein  lant 

ich  slaeg  £  mit  mein*  hant 
Bedeyf  weib  rnde  chind 

an  mich  ril  phafTen  sind  710. 

.  Rof  yban  hin  noher  trat 

mier  ist  rerporgen  ewer  rat  7 1 2* 


39. 


BL  2'  DEr  rot  geriel  in  all  .  .  XV.  753. 

si  worden  ane  schallen 
7er  geraertes  do  enein  755 

des  morgens  do  d*  tach  ersehaein 


3oo  R  a  r  a  j  a  n 

^egrnd  otF  prechen  daz  her 

wie  hoert  man  prllen  das  mer 
Ton  den  staren  winden  XV.  7S9. 

40. 

Bl.  2^  iVah  vnserm  schaden  daz  lant  XV.  773. 

der  wolddan  d'  Tor  wienne  prant 
Chom  .  rh  vngestriten  d*an  775 

hin  noh  do  legen  sih  began 
/>az  her  in  der  rizze 

do  sprach  der  grof  mizze 
tfer  her  kvnec  sent  hin  ab  XV.   779. 

41. 

Bl.  3*  5ei  ez  ewer  wille  XV.  793. 

ligt  mit  dem  her  stille 
£at  mier  zehen  tOTsent  man  795. 

da  han  ich  levt  enrollen  an 
Der  hersog  mit  seinem  rat 

Yuor  ze  haimwurch  in  die  st  •  •  XV.  798 

42. 

Bl  S*'  /er  herren  trabtet  orf  rnd  nider  XV.  813. 

mein  herr  hab  sein  lant  wider 
Der  schidung  wiert  nimm'  gvet  815. 

daz  nemt  rehtt  in  erren  mret 
Do  sprach  des  herzogen  rat 

h rozzen  schaden  hat.     XV.  818* 

45. 

Bl.  4'  E  in  herre  gewalticb  ane  sin  .  sein 
werdes  hofgesinde  habent  einen 
Tnder  in  .  smirz  wol  ich  den  nene  . 
er  geht  dem  herren  nach  an  aller 
stat.  Smirs  wol  der  chan  liste  y\\ 
swenn  der  herr  ze  rate  .  mit  den 


Zu  Seifried  Helbling  und  OttACker  Ton  Steiemrark.  389 

besten  sitzen  wil.  sminwol  gel 
tvensheWnde  er  niTes  ie  chomen. 
an  des  herren  ruu  Smirzwol 
cban  sein  red  wol  dar  gestiere. 
Waffen  sminwol  veber  dich  ge 
schrieren  •  wie  du  den  hVen  vmb 
die  oren  Tiselst  •  als  ein  haber 
gans  .  der  terfel  rar  dir  in 
den  grans  .  smirzwol  in  gotes 
zorn  wirt  zeinem  vrien. 


In  metrischer  Abtheilung  und  gewohnlicher  mhd.  Schreibweise 

Ein  her  was  gewaltic  ine  sin ; 

sin  werdez  hofgesinde 
habent  einen  vnder  in, 

Smirzwol  ich  den  nenne: 

Er  g^t  dem  herren  nach  an  aller  stat. 

Smirzwol  der  kan  liste  vil. 

swenn  der  her  ze  rftte 
mit  den  besten  sitzen  wil , 

Smirzwol  g£t  tüschelunde : 

Er  mnoz  ie  komen  an  dez  herren  riU 

Smirzwol  kan  sfn  red  wol  dar  gestieren. 
Wlffen,  Smirzwol,  Ober  dich  geschrieren ! 
wie  du  den  herren  umb  diu  ören  riselst, 
also  ein  habergans ! 
der  tiufel  rar  dir  in  den  grans ! 

Smirzwol  in  gotes  zorn  wirt  z*einem  rWen ! 


46. 

Bl.  4^  Dir  svnn  get  orf  ton  Orient  •  vnz  a. 

den  mitten  t . . .  so  seiget  si  gein  oeci 
dent .  also  ist  d . .  menschen  .  dacz 
mit  gots  helfen  an  sin  alter  chvmt. 


390         Kur» Jan,  Zu  Seifried  Helbling  and  Ottacker  ron  Steiermark. 

Der  steiget  ovf  rmb  lieriich  iar  .  so 
begint  er  seigen  .  gein  dem  abent 
daz  ist  war .  chTmt  er  mit  gvetem 
ende  czt  sein  .  st....  naht .  wie  im 
daz  vrumt .  hat  geworben  her 
¥on  orie  .  de  .  e  daz  er  mit  eren  chumt 
gein  oeeid^nde  .  so  im  sein  leben 
vnd*  seiget .  ob  er  hie  geschaffen 
hat.  daz  der  sei  mach  werden 

rat  schon  s le  vf  mit 

der  svnne  steiget 


Diu  svnn  gdt  üf  ron  Orient, 

Unz  an  den  mitten  tac,  so  sfget  si  gein  occident ; 
Als  ist  dem  menschen,  daz  mit  gotes  helfen  an  sfn  alter  kumt. 

Der  stieget  Af  umb  rierzic  jär, 

Sd  begint  er  s^gen  gein  dem  übent,  daz  ist  wir. 
Kamt  er  mit  guotem  end  ziio  sfnes  tddes  naht,  wie  im  daz  vramt, 

Hit  geworben  her  ron  oriende,     . 
daz  er  mit  dren  kumt  gein  occidende, 

Sd  im  sin  leben  rnder  siget; 
ob  er  hie  geschaffen  hit, 

daz  der  s^l  mac  werden  rlt, 
Schdn  si'n  s^l  üf  mit  der  sunne  stieget. 


Sehr  der.  Weitere  Mittheüungen  aber  die  MondarC  ran  Gotttcbee.      391 


0 


Weitere    Mittheilungen    Ober    die    Mundart    von 

Gottschee. 

AbicbloA  des  Wörterbuches  mit  NachtrSgen  und  Berichtigimgen  su:  Ein  Aus- 
flog naeh  Gottschee  (im  Octoberhefte  1868  der  Siuungsberichte  der 
philos.-hist.  Cissse  der  kais.  Akademie  der  Wissenschaften) 

yoTi  K.  J.  Schröer. 


Vorwort. 

Indem  mit  dem  Abschlüsse  des  vorliegenden  kleinen  Wörter- 
buches zugleich  auch  meine  Untersuchungen  über  die  weniger 
bekannten  Mundarten  der  deutschen  Sporaden  in  Oster- 
reich überhaupt,  einen  Abschluss  finden  <),  mindestens  vorläufig» 
»0  entsteht  der  Gedanke,  auf  dieselben  in  ihrer  Gesammtheit  einen 
Terweilenden  Blick  zu  werfen,  ihren  Zusammenhang  mit  dem 


'J  Mein  Wörterbuch  der  deuUchen  Mundarten  des  ungrischen  Berglandee  185S 
Nachtrag  dazu  1859.  Darstellung  dieser  Mundarten  1864.  LauUehre  derselben  1864. 
Alles  in  den  Sitiungsberichten  der  kais.  Akad.  der  Wisseusch.  s.  oben  Seite  123. 
Mein  Wörterbuch  der  Heanaenmundart,  bei  Frommann  1859.  VI,  %1.  179.  330.  ~ 
Die  Mundarten  der  Siebanbürger  Sachsen  sind  in  Tielen  bedeutenden  Publi- 
eationen  sur  Anachanang:  {gebracht;  ich  hebe  nur  harTor  ila]trich*a  Plan  su  einem 
Idiotikon  RronaUdt  1665.  —  Über  die  „Cimbh"'  haben  wir  die  bekannten  treff- 
lichen Schriften  Bergmannes  und  Schmeller*s.  Von  den  großen  deutschen  Sprach- 
inseln im  Sfiden  Ungarns  ist  freilich  nur  Eine  kleine  Mittheilung  au  nennen: 
G.  Zcfneck^s  Beitrag  zur  Sammlung  des  Volksthümlicben  im  Temescher  Banat 
(aeaes  Laasitx.  Magaain  Bd.  At.  S.  302 — 350  von  1865);  diese  Mundarten  sind  aber 
veniger  wichtig,  da  sie,  als  neuere  Anaiedelungen,  wenig  Bigenthüm liebes 
bieten.  —  Ein  Inaemisches  Wörterbuch  von  J.  V.  Zingerle  ist  1869  erschienen.  — 
Vortrefflich  sind  die  Beitrige  aar  Kenntnis  der  deutschen  Mundarten  Nord- 
bÖhmens  tob  Ignas  Petters  bei  Frommann  und  in  drei  Programmen  Ton  Leit- 
merita. 


392  S  c  h  r  5  e  r 

deutschea  Elemente  der  Monarchie  und  ihre  Bedeutung  für  dieselbe 
ins  Auge  zu  fassen ,  ein  Oedanke ,  dem  ich  bereits  in  der  Einleitung 
zu  meiner  ersten  Mittheilung  über  Gottsehee  Raum  gegeben ,  sowie 
er  mir  von  Anfang  an  bei  meinen  hieher  zu  beziehenden  Unter- 
suchungen vorgeschwebt  und  den  ich  noch  dereinst  ausführlicher 
zur  Darstellung  zu  bringen  hoffe. 

Dabei  erscheint  es  mir  nun  als  ein  eigenes  Geschick,  das 
diese  Studien  in  Österreich  trifft,  dass  dieselben  in  letzterer  Zeit 
so  viele  ihrer  Pfleger  und  Stützen  verloren  haben. 

Sc  hm  eil  er,  der.  auch  abgesehen  von  seinem  bairi  sehen 
Wörterbuch  und  seiner  Grammatik ,  die  fiir  uns  so  wichtig  sind, 
schon  durch  das  Muster  das  er  gegeben  hat  in  seinen  Unter- 
suchungen über  die  Mcimbrischen**  Sporaden,  hieher  gehört,  ist  nicht 
mehr.  Der  durch  ihn  angeregte  brave  Tiroler  Schöpf  ist  zu  früh 
gestorben.  Weinhold,  der  einst,  vielseitig  Leben  weckend,  in 
Graz  wirkte,  ist  längst  fort  und  auch  sein  rüstiger  Schüler  L exe r 
hat  bei  uns  kein  Bleibens  gefunden.  Pfeiffer,  der  gründliche 
Kenner  unserer  älteren  Mundarten,  hat  uns  jüngst  in  kraftigem 
Mannesalter  verlassen.  Seine  letzten  Studien  bezogen  sich  auf 
Weinhold*s  bairische  und  alemannische  Grammatik.  Als  er 
eine  Preisfrage  zu  stellen  hatte,  kurz  vor  seinem  Ende,  dachte  er 
bekanntlich  an  eine  Darstellung  der  österreichischen  Mundart. 

Die  Augen  des  Meisters  J.  Grimm,  dessen  Theilnahme,  auf  die 
wir  immer  rechnen  durften,  uns  alle  einst  ermuntert,  haben  sich 
geschlossen.  Neben  so  vielen  und  grofSen  Verlusten  für  die  Wissen- 
schaft überhaupt  und  insbesondere  für  diesen  Zweig  derselben, 
namentlich  bei  uns  in  Österreich,  ist  nun  auch  das  Eingehen  der  vor- 
trefflichen Zeitschrift  Frommanns  zu  beklagen,  durch  die  der 
belebende  Sonnenstrahl  sinnvoller  Betrachtung  bis  in  das  „fernste 
tiefste  Thal^  zu  dringen  und  Lieben  hervorzurufen  schien. 

Unter  solchen  Umständen  wird  es  begreiflich  erscheinen ,  dass 
man  sich  bei  einer  Arbeit ,  wie  die  vorliegende,  ziemlich  vereinsamt 
fühlen  muss.  In  mehr  als  Einer  Hinsicht  schien  mir  mein  Ausflug 
nach  Gottsehee  ein  Eintreten  in  einen  noch  unbetretenea  Ur- 
wald. Nicht  nur  weil  die  Mundart  dieses  Ländchens,  auf  die  es  mir 
dabei  ankam,  außerhalb  desselben  noch  beinahe  unbekannt,  d.  h.  nur 
in  unverbürgten  undeutlichen  Umrissen  bekannt  war,  sondern  auch 
weil  mir  nun  mein  Streben,  mehr  noch  alsje  vorher,  als  abseits  von  dem 


Weitere. MittheiluDgeo  über  die  Mundart  von  Gottachee.  393 

tbeilnebmenden  Verkehre  mit  Audereii  gelegen  scheinen  musste.  — 
Eine  unverhoffte  Freude  bereitete  mir  die  anregende  Schrift 
Chr.  Schneller*s:  die  romanischen  Volksmundarten  in 
Sudtiroit^yera  1870,  auf  die  bereits  meine  erste  Mittheilung  über 
Gottschee  Rucksicht  nehmen  konnte,  so  wie  sie  in  dem  Vorliegenden 
nieder  von  mir  vielfach  benutzt  wird. 

Die  vielen  Berührungspunkte  mit  den  Kreisen  eines  anderen 
Sprachgebietes^  die  sich  hier  zeigen,  bestätigten  mir  reichlich  eine 
eigene  Wahrnehmung,  worauf  ich  schon  in  meinem  Ausflug  nach 
Gottschee  S.  7  f.  23  f.  hingedeutet;  dass  nämlich  gewisse  Zuge 
TOD  Familienähnlichkeit  der  Sprachen,  über  ein  weites  Gebiet,  das 
TOD  Deutschen ,  Romanen  und  Slaven  bewohnt  ist,  an  der  Grenze 
zwischen  diesen  Sprachstammen,  sich  ausbreiten,  so  dass  hier  die 
merkwürdige  Erscheinung  einer  gegenseitigen  Sprachannäherung 
zwischen  so  Terschiedenzfingigen  Völkern  zu  beobachten  ist. 

Von  anderer  Seite  scheint  aber  nun  doch  auch  der  nationalen 
Tendenz,  die  den  Mittheilungen  über  alle  diese  deutschen  Sporaden 
zu  Grunde  liegt,  das  Interesse  sich  zuzuwenden. 

Wattenbach^s  Vortrag:  die  Siebenbürger  Sachsen 
(Heidelberg  1 870)  und  R.  B  5  c  k  h*s  Untersuchung  :derDeutschen 
Volkszahl  und  Sprachgebiet  (Berlin  1870)  sind  von  einem 
Geiste  getragen,  wie  ihn  die  auf  verlorenen  Posten  vergessenen 
dcDtsehen  Sprachinseln  bisher  bei  ihren  Brüdern  „im  Reich  draußen** 
nur  schmerzlich  vermissten. 

Dieß  mahnte  mich  das  lähmende  Gefühl  der  Vereinsamung,  das 
mich  bei  Ausarbeitung  des  Vorliegenden  überkommen  wollte,  zu 
oberwinden  und  denn  auch  den  Rest  des  gesammelten  Stofles  zu 
verarbeiten. 

Die  Hundart  von  Gottschee  ist  wol  eine  ganz  eigenthümliche 
Erscheinung,  indem  sie  als  Mundart  keinem  größeren,  weder  dem 
bairischen  noch  dem  alemannischen,  noch  dem  fränkischen  Dialekte 
ganz  angehört,  sondern  einem  jeden  derselben  nur  zum  TheiU 
indem  sie  aber  auch  in  ihrer  Abgeschiedenheit  ihre  eigenen  Wege 
der  Entwickelung,  oder,  wenn  man  will,  der  Entartung  gegangen  ist. 
leb  war  bemüht,  so  treu  und  sorgfältig  als  möglich  davon  darzu- 
stellen und  zu  erklären,  was  ich  auf  meinem  Ausfluge  dahin  gesam- 
melt hatte. 


394  Sebröer 

Die  auffallendsten  Lautwandlungen  der  Mundart  habe  ich  bei 
jedem  Buchstaben  besonders  besprochen.  Den  mundartlichen  Aus- 
drücken habe  ich  auch  die  gesammelten  Orts-  und  Personennamen  i) 
eingereiht  mit  Angabe  der  Zeit  und  des  Ortes  ihres  Vorkommens. 

Von  allgemeinerem  Interesse  werden  die  eingestreuten  Proben 
der  Volksdichtung,  Sage  und  Mythe  sein.  Von  den  mitgethcilten 
Volksliedern  gebe  ich  am  Schlüsse  ein  Verzeichniss.  Balladen,  wie 
oben  S.  7  t  die  Todtenbraut,  schon  wegen  der  Beziehung  z\i 
Bär^er*s  Lenore,  und  unter  mer:  die  Schöne  am  Meer,  deren  Bezie- 
hung zur  Gudrun  ich  in  der  Germania  XIV,  327  (in  dem  Aufsatze: 
das  Fortleben  der  Kudrunsage  von  K.  Bartsch  und 
K.  J.  Schröer)  gezeigt  habe,  verdienen  gewiss  Beachtung.  Sagen» 
Mythen  und  Brauche  finden  sich   eingetragen  unter:  alp,    pfira» 


<)   Das  Vorkommen   derselben  Namen    im   ungarischen  Berglande,  so  weit    ich  dieC 
bezeugen  konnte,  habe  ich  angemerkt,  vgl.  oben  Seite  29.  Wie  dieser  Zusammen- 
hang zu  erklären  ist,  mögen  uns  die  Geschichtschreiber  aufklären.    Bemerkens- 
werth  ist,  dass  die  Rrickerhaner  im  ungrrschen  Berglande  nach  Ipolyi  in  Wolfs 
mythol.  Zeitsch.  f,  260  von  sich  aussagen  soUen:   hir  nnd  bindisek.    Wenn  ich 
auch   selbst  in  Krickerhäu   diese  Angabe  (mein  Nachlr.  s.  Wtb.  d.  ungr.  Bergi. 
S.  17)   nicht  mehr  bestätigt  fand,   so   kann   dieselbe   doch  eine  friibere,  jVrzt 
erloschene  Erinnerung  an  die  windische  Mark  beurkunden.  Der  Ausdruck  meerauge 
fiir  Bergsee,  der  sich  im  ungriscben  Bergland  wie  bei  den  Siebenburger  Sachsen 
findet,  ist  auch  im  Drauthale  bekannt,  s.  Leser  12,  vgl.  gaHgerie  oben  S.  89  und 
unten:  wergel,  berget  u.  A.    Hierbei  werden  auch  zu  erwägen  sein,  die  madja- 
rischen Wörter  im  Slovenischen.    Für  manchen  Begriff  wird  das  slovenische  Wort 
einmal   durch   ein   deutsches,    das    anderemal    durch   ein    mndjarisches    ersetzt: 
tausend  (slorenisch  eigentlich  tisuc)  beisst  einmal  tauzint,  das  anderemal  jezer 
(madj.  ezer) ;  Opfer:  bald  ofer,  bald  wieder  aidov  (vom  madj.  aldo);  Gevatter 
nach  dem  deutschen:   boter  oder  nach  dem  ma4j.    (koma)  küm  u.   v.  A.    Diese 
Erscheinungen  bezeugen  alte  Besiehungen,  die  uns  jetzt  nicht  mehr  klar  sind.  — 
Eine  gemeinsame  Abstammung  der  Siebenbfirger  und  der  Sachsen  des  ungr.  Bergl. 
mit  den  Gott^cheewern    wird  Niemand   behaupten ,  da  wir  ja  dem  verschiedenen 
Ursprung   dieser  Colonien   bis   auf  den  Grund  sehen;   aber  eine  Verwandtschaft 
durch  Zuwandemigen,  vielleicht  durch  die  Familie  der  Cillier  veranlasst,  ist  noau* 
nehmen.  Zwischen  Gottschee  und  den  Cimbri  ist  eine  Verwandtschaft  ganz  deutlich 
'vorhanden,    obwol    such    diese   Ansiedelungen,    wie   wir   nun    wissen,  za    ver- 
schiedenen   Zeiten    stattgefunden    haben.     Bedeutsam   siqd    die  ans    italienisch- 
deutschen  Vocabularien  des  13.  Jahrb.  von  mir  betgebrachten  Belege  für  das  Tor- 
kommen einzelner  seltenerer  Wörter,   die   sowol    bei    den  Cimbri   als  in   Gott- 
schee noch  erhalten  sind.    Näher  bezeichnet  sind  diese  Vocabulare  unten   unter 
den  Abkürzungen;  interessant  ist  auch,  dass  das  älteste  eine  Sprachersckeiuong 
erklärt,  die  weiter  nirgends  nachzuweisen  ist,  unten  S.  429. 


Weitere  .Mittheilungen  über  die  Mundart  ron  Gottschee.  39a 

pilick.  pljea,  pewalitie,  w»rnifti§«  (unter  f)  g^U  (wo  zu  ergänzen 
ist,  daß  jenes  tu  gMe  gekn  doch  auch  schon  in  der  älteren  Sprache 
nachzuweisen  ist;  s.  Schm.  unter  g^tl  neue  Ausgabe)  heiraten,  keila^ 
h«chieit,  kese,  kleldang,  nariag,  •stera,  jidelsUia^  jImS«,  ^omitten, 
bahs  (unter  w),  Uli  (wild).  —  Diese  Beigaben  werden  Zeugnis 
geben  dafiir.  dassGottschee  auch  in  dieser  Hinsicht  noch  eine  reiche 
Fundgrube  ist ,  so  wie  sich  ja  auch  in  der  Sprache  so  viel  alter» 
thumliche  Worter  und  Formen  erhalten  haben. 

Erschöpfendes  wird  man  von  mir  nicht  verlangen  und  bei 
Beurtheilung  der  mit  dem  Vorliegenden  abgeschlossenen  Ausbeute 
billig  in  Anschlag  bringen,  dass  ich  in  dem  mir  bis  dahin  wildfremden 
Landchen  nicht  einmal  einen  rollen  Monat  weilen  konnte.  Nur  wer 
Ähnliches  unternommen,  vermag  die  Schwierigkeiten  zu  ermessen, 
die  man  zu  überwinden  hat,  um  unbeirrt  von  möglicherweise  schiefen 
und  falschen  Belehrungen,  die  eher  herandringen  als  das  verborgene 
Echte,  zu  dem  letzteren  Zugang  zu  gewinnen.  Und  so  mag  die  vor- 
liegende Schrift,  die  nun  auch  die  letzte  der  weniger  bekannten 
deutschen  Sporaden  Österreichs  in  Bezug  auf  ihre  Mundart  in 
helleres  Licht  zu  stellen  bemuht  ist,  einer  freundlichen  Aufnahme 
empfohlen  sein. 

Pur  das  Ländchen  Gottschee  aber  und  seine  achtungswerthen 
Bewohner,  die  ich  als  Deutsche,  nicht  nur  was  ihre  Sprache  anlangt, 
sondern  auch  in  ihrer  treuen,  ehrlichen,  wahrhaften  Natur  und 
Sittlichkeit  lieb  gewonnen,  möge  sie  beitragen  das  deutsche  Selbst- 
gefühl zu  heben,  vielleicht  auch  Anregung  geben  die  hiermit  begon- 
nene Sammlung  weiter  fortzusetzen,  zu  berichtigen  und  zu  vervoll- 
ständigen ! 

Wien,  am  Karfreitage  1870. 


396  Schröer 


I.  J. 

/  wird  Ein  bert  wird;  keakpire  Himbere;  keat  sind;  wemwc  fünf 
(ursprünglich  flmf))  hieher  gehört  auch  das  E  für  U  in:  sietile 
Stutzen;  pesckle  Buschlein  u.  dgl.  m.,  siehe  auch  Uiki  iur  aus 
/gekürztes  /  in  At  (nnhd.  -Hb)  das  in  der  Mehrzahl  -lala  wird, 
ein  Beweis,  dass  dem  -le  ein  -llii  zu  Grunde  liegt»  s.  darüber 
unter  -le  i  liedle,  kirtkgle  u.  a.  m.  und  endlich  in  -e  für  -I  in  der 
Kleinform  von  Namen :  Taae  (=!•■!)  von  Tai  (Anton),  ftr^atf 
(«fireti,  Gretchen)  von  Artet«  («fireta,  Grete)  etc.  Vgl.  uber- 
dieß  E  für  /  im  ungr.  Bergland  LaiUekre  etc.  unter  J,  1 . 
1  wird  Cl  in :  fiekanae;  Johannes ;  ebenso  ungr.  Bergl.  Lautlehre 
unter  J,  2.  Jeslel  s.  d.  jetzt  Clestel. 

Vorsetzung  des  1  —  Präjutierung  —  in  dem  Namen  Jelseaiapf  s.  d., 
auch  zuweilen  in  Jttalck  für  tttaick  Attich.  Vgl.  das.  unter  J,  1. 

JAel,  Name  in  Krapflern  1700. 

Jigen,  Jttgen  läufig  sein:  dei  killia  Jttgat  sik,  die  Hündin  ist  läutig; 

vgl.  kämt,  der  back  Jkgg  der  Bock  geht  der  Ziege  nach. 
Jager,  Name  in  Gottschee  1700. 
Jagkke,  Name  in  Riegel  1700. 
Jiglitsck  s.  Jaklitock. 
Jalfe  8.  Jeise. 
Jayseniapln  ex  Hoheneckl684.  JeUeniapf  in  Sele»  Hoheneck  1614. 

JayseMapf  Hoheneck,  Linfeld  1750.  Jayseafapf  Malgern,  Sele, 

Schalkendorf.N.  Mosel  17S0~  1780.  Jetzt  gewöhnlich  llaeBsapf 

geschrieben,  oft  aber  noch  Jaljeaikpf  gesprochen. 
Jaklltsck,  Jaaiaes  —  plebanus  in  Grosslositsch  1512;  der  Name 

häufig  in  Gottschee,  Oberlosin,  Oberern,  Altbacher,  Kerndorf, 

Kleindorf,  Hasenfeld,  Sele,  Moswald,  Deutschau,  Schalkendorf. 

Seh warzenbach ,  Zwislern,  Mitterdorf,  Krapflern  etc.  1750  bis 

1867.  JAglllscb  0.  Deutschau  1700. 
Janker  m.  die  Jacke.   In  Baiern  JAaker,  sckanker,  0.  Pfalz  Jiakes, 

gaakes  Schmell.  11,  270.  Schweiz  Janken  Stald.  I,  73.    kämt. 

Jaiggar  Lex.  150.  Tirol  Schopf  291. 
Jaaaesck,  Name  in  Neuwinkel  1750. 


Weitere  Mittbeilungen  aber  die  Mundart  von  Gottschee.  397 

Jimirfcl  m.  und  kiiligle  n.  s.  d.  sind  in  Gottschee  gleichbedeutend. 
Ji^ei  jesen,  garen,  mhd.  JSseii.  Stahl  I,  74.  JAsen.   Die  Form  scheint 

sich  mehr  auf  alem.  Gebiet  zu  halten,  s.  Schopf  283,  Schm.  II.  79. 
Jitei  jäten,  mhd.  jäten.  Wie  in  JAjeii  steht  k  für  mhd.  h.  kamt.  Jetn 

Lex.  151.  cimbr.  Jetan  CWb.  133.  Schöpf  293. 
jatn.  das  Unkraut,  was  zu  jäten  ist;  das  Jäten.  Entspricht  nicht  dem 

Jat  Schra.  II.  272,  wol  aber  mhd.  Jat  (gAl)  mhd.Wtb.  I.  538. 
Jtier,Name  in  Morobitz  17S0,  vgl.  oben  S.  34. 
jiik  m.  der  Södwind;  der  Nordwind  heisst  bedeutsam  derUr  (pAr  ^ 

oben  S.  45) ;  der  abere  Jaik  der  Ostwind ;  der  latere  Jaik  der 

Westwind ;  vgl.  kirnt  Lex.  150.  slov.  Jtg  was  Bopp  Glossar  178 

zu  sanskr.  daksina  stellt. 
Juth,  Name  in  6.  1750. 
Ueiltsch,  Name  in  G.  1750. 

ierde  f.  Erde;  asf  lerdan  auf  Erden  im  Vaterunser  oben  S.  89. 
Jeilei,  JeleB,  Name  in  Moscbe,  Schlechtbuche],  Meierle,  Stockendorf, 

Winkel.  Nesselthal  1750—1780.  Slovenisiert  aus  lirlss  s.  d. 
Jestel,  Name  in  Deutschau  1560.  fiistel  daselbst  1614.  Jetzt  fiestel  s.  d 
Jei^e  f.  das  Mittagsmal;  kUlaJeoje  f.  Vesperbrot;  nkekmM  n.  Nacht- 
mahl, vgl.  auch  wamais  S.  86.    Sonst  österreichisch  Jassen  f. 

sloven.  jHilaa.  Etwa  zu  sanskr.  jttsA,  lat.  Jtts.  slav.  Jncha  Suppe. 

Vgl.  übrigens  Jaik. 
ib  ich;  maiBdar,  alr^mlk;  da;  ar;  biri  Ir  (nie  bairisch  Is,  As,  As);  ;eo. 
(imbiss)  'mal»  s.  wamais  S.  86.  Vgl.  siebenburg.  sächs.  Ammes. 
iaaa  ihm:  ;!  raickat  imaa  a  pesckle,  sie  reicht  ihm  einen  Strauss. 

Vgl.  'ma,  dazu  ahd.  ima  und  im  nngr,  Bergl.  noch  'na  für  dema, 

^naa  für  laan,  weaen  ahd.  kweaaa.  Darst.  S.  16  (266)  und  95 

(345). 
iaiar  herein;  mhd.  ker  la;  laala  hinein;  mhd.  kla  la. 
iidert  irgend,  irgendwo,  kämt,  ieadert;  mhd.iender  s.  darüber  Gr. 

Gr.  III,  220.  im  ungr.  Bergl.  Darst.  361. 
inlaof.  Ort  bei  Morobitz  1750,  mit  13  Häusern. 


')  !>€r  Bar  nbd.  bir  heiMt  in  6.  pAr  (wie  uberhuupt  mhd.  t  A  wird)  und  so  auch  der 
Nordwind.  Den  Zoehteber  nennt  der  GoUschewer  pear  (mhd.  bIr). — Obwol  diese 
Beseichnnng  dea  Nordwindes  an  ital.  bfrea,  sloven.  burja  erinnert,  so  denkt  sich 
der  Gottscheewer  anter  pAr  doch  nar  einen  Bären,  was  an  das  Bargestirn  und  an 
dcB  aythiselicn  Winterbiren  erinnert.  Vgl.  denAufsatx  Zaimoliis  Germania XIH. 


398  S  c  h  r  ö  e  r 

J«ke,  Name  in  Altbacher  1614.  Das  ist  schweizerisch :  J«|;|[i.  Rochbolz 
b.  Frommann  IV,  459  aus  Jacob, 

Jobaanhtag.  An  demselben  werden  Johannisiiraut,  Pappeiweide  und 
Wucherblume  in  die  Acker  gesteckt;  Sträuße  davon  in  die 
Fenster,  s.  §imiUeB  r4a§e.  Abends  lodern  Feuer  aufs,  kreaweaer. 

J4ken  weinen,  slovenisch  Jokatl  se. 

Jonke,  Name  in  Hornberg  1614.  Oberlosin»  Kletsch,  Sele,  Hoheneek, 
Hornberg,  Mosel,  Durnbach,  Verdreng,  Deutschau,  Oberern  17S0 
bis  1867. 

Joppe  f.  der  lange,  um  dieHül'ten  eng  anliegendo  weiße Tickroek  %küt 
Brmel,  Hauptbestandtheil  der  Kleidung  der  Gottscheewerin.  Die 
Weiber  von  Berchtesgaden  sollen  durch  Stoif  und  Schnitt  ihrer 
weißwolleiea  Joppen  an  ihre  einstige  Heimath  an  der  Loisach 
und  Ammer  erinnern.  Schmell.  II,  270. 

Jirgel  des  Mal  sin  und  Jirgel  des  lorkko  sia  beide  in  Schwarzen- 
bach  1614. 

IrcklrkolUaex Schalkendorf  1780 ;  Ireher  d. i.  Weissgerber Schm.  1,97. 

ir  ihr;  so  wie  der  „Cimbro**  hat  auch  der  Gottscheewer  das  ^ss  der 
bairisch-österr.  Mundart  für  Ikr  nicht.  Dieß  ^ss  —  wenn  es 
auch  immer  noch  aus  älterer  Zeit  nicht  nachgewiesen  und  daher 
als  uralte  Dualform  nicht  über  jeden  Zweifel  klar  ist  —  war  in 
der  Zeit  als  Gottschee  bevölkert  wurde,  um  1360  —  1360  in 
der  österr.-bair.  Mundart  üblich;  s.  Weinhold  bair.  Gr.  S.  367; 
die  EiuM  anderer  kannten  es  nitht;  sie  waren  Alemannen  und 
vielleicht  auch  Franken.  So  viel  sie  auch  vom  österreichischen 
angenommen  haben  s.  ertac,  §imiiUtea ;  das  charakteristische 
^ss  ist  nicht  eingedrungen.  Auch  die  Endung  der  II.  Person 
Plur.  in  -eis  nicht. 

f rde  ihre ;  lario  irde  lekerlaiii  im  Liede  s.  larta. 

i}t  ist,  hat  auch  die  Bedeutung  von  „wird**  als  Hilfszeitwort  des  Pas- 
sivums:  der  Teig  wird  gemacht:  dar  loig  i§t  genaeket  s.  oben 
Seite  58. 

Ijleriaeh  n.  Estrich,  ungedielter  Boden  im  Flur  oder  Zimmer.  Cimbr. 
eslerach,  mhd.  esterik  m.  datier  slov.  j^dlerljch 

-llie  in  powalitie  s.  d.  Upitie  s.  d.  -iUln  in  kelUUii  s.  d.  Vgl.  Gr. 
Gr.  III,  339  und  lampltie  unter  lample. 

Joehatsoa  juchetzen  s.  Schmell.  II,  263,  Lex.  152. 

Jidedarn,  JAdeschda»  auch  Agendara,  hAgeadara  Hagedorn. 


Weitere  Mittheilungen  über  die  Mundurt  von  (iottscbee.  399 

Jueheirre  m.  Junggeselle,  mhd.  Joach^rre  8.  das  Lied  unter  palliar. 
Jirti  und  Jirlaa,  Name  in  Kletsch,  Stockendorf  1700 — 1780. 
Jiratiaa,  Name  in  Ribnik  1680.    Ort,  Krapflern,  0.  Tapelwerch» 
Rick  17  SO. 

f  steht  für  Tin  keakpare  s.  d.  Itkea  s.  d.  Tgl.  auehZ)  nnd?;  S.  63; 
laekel,  seektla  s.  d.  für  latlel  zetteln. 

Gequetschtzu  Isek  erscheint  das  i  in  wllscke  Wicke,  kUsckar 
Kicker,  vielleicht  auch  in  Isekarbe  Korb.  Wandlung  eines  alten 
TWm  B,  kaum  zu  vergleichen  mit  dem  altlat.  B  i'ixvDV CbU= 
dvifi)  wie  Schneller  S.  99  meint,  siehe  unten  unter  W. 

FGr  ck  (auf  niederdeutschen  Biinfluss  weisend)  in  ;l-kia 
das  Sie-ehen»  Weibchen,  §aa-ke  Sau,  laakera  s.  d.  merke  f. 
Möhre.  Auffallend  ist  k  auch  in  mtkea  s.  d.  mikea. 

Für  (r  1)  steht  i  etwa  in  krealand,  klaekke,  kamper,  kaaiSi 
kaffe,  kackaliea.  Das  i  wird  nicht  nur  vor  der  Stammsilbe, 
sondern  auch  vor  dem  Vocai  einer  Endsilbe  aspiriert:  kackken. 

Ihiekerle,  Name  in  Rick  1614.  Vgl.  üggel. 

kaifBaasckati  m.  Waare.  ich  teil  auz  fnren  gen  teutzen  landen  mit 
kaufmanschatz  voc.  ital.  tod.  Münchner  cod.  it.  362  f.  76. 

klfakss  n.  „laafness  (Elze)^  ein  halber  Metzen,  Getreidemass, 
auch  mirlinc  s.  d. 

kkib,  kkib  n.  Kalb.  Das  vocab.  1423  hat  schon  die  RA.  die  ehelber 
sckenea  ick  glaib  et  wal  regaea  f.  61^.  —  bkssar  kkaUe  n.  Fisch- 
otter;  Molch.  kelUliia  f.  stierföhiges  Kalb,  vgl  —  llie  und  lample 
n.  kämt,  kelbalie  f.  Lexer  1S3. 

kkleh  m.  Kalk;  kMckgraad  m.  zum  Kalkbrennen  bestimmter  Grund. 
Die  oberdeutsche  Form  mit  ek  Schmell.  II,  292,  die  auch 
cimbrisch,  kärntisch  u.  s.  w.  erscheint,  entspricht  der  Lautver- 
schiebung (y^dh^^  -^dhx'og  ahd.  ckaick). 


*)  Uater  €  S.  89  f.  i»!  nacbtutragea :  g  für  ge  atebt  vorgeaetst  in  kaater  a.  d.,  gnn- 
■acketeia.  d.,  grlessel  a.  d.  (=rfieilel)  —  keiket(?)  a.  d.  (vgl.  aucb  kunken  [viel- 
leicbigkan-Jir«!!]).  —  g«l  gelb:  glliac  Goldamael.  —  gatieo  der  alte  Vogel  gatiet  die 
juifta.  —  geprtft  Limi.  —  gerkibar  m.  Vormund.  —  Ctr  Gregor.  —  gUHl 
Gaaaeii.  —  galn  -prugelo.  ~  goet  d.  (nieht  f/uot  S.  96)  Viebatand ,  beaondert 
Riad  Vieh;  vgl.  wicke  Scbafe. 


400  S  c  h  r  ö  er 

Ulei,  k«ilei  bellen;  mhd.  kalles^  bair.  kämt  Schm.  11»  288. 
Lex.  154*  etc. 

kUder,  käider  m.  Behältniss»  Schrank.  Die  in  dem  S.  114  mit- 
getheilten  A  b  s  c  h  i  e  d  der  Braut  enthaltene  Form  kamllar  ist 
dasselbe.  Lexer  und  Schopf  kennen  es  nur  in  der  Bedeutung 
Fischbehälter.  Pur  Wandschrank  erseheint  kalter  im  XVI.  Jahrb. 
auch  bei  H.  Sachs»  s.  Schmell.  II»  189,  der  es  aus  Gehalter 
ableitet.  Das  vocal.  ital.  tod.  von  1460  hat  f.  iV:  eis  kalter, 
una  credenza;  das  von  1423:  behalter,  der — Falmaro  IT. 

kaldar,  kaidar  m.  Keller»  cimbr.  keldar  CWtb.  135:  daher 
slov.  kivder.  Dies  mit  reinem  a  gesprochene  Wort  ist  von  dem 
vorigen,  in  Bezug  auf  den  Vocal,  geschieden,  wie  waM,  Feld 
von  bkid,  Wald.  Das  reine  a  verlangt  mhd.  I  kUler  (nicht  wie 
das  mhd.  Wtb.  schreibt  keller). 

laltejsea«  Name  in  Sehwarzenbach  1614. 

kam  gekommen.  Hier  steht  a  für  uraltes  %  (quSman),  da  schon  im 
IX.  Jahrb.  fiaaiaB  auftritt. 

lame,  Name  in  Schwarzenbach  1614,  laaime  1684,  1783.  Maigern, 
Hasenfeld,  Linfeld  17S0.  In  Neusol  im  ungr.  Bergiande  finde 
ich  1390  den  Namen:  Caaias. 

kamaat  n.  Kummet  mhd.  kamati  kmat  u.  dgl.  russ.  chaaiaata.  Der 
Nasal»  der  im  sloven.  kamit  nicht  zu  hören  ist»  fallt  auf. 

kamesale  f.  die  Weste,  franz.  camkale  C  Leonh.  Frisch  schreibt  auch 
die  Camisale. 

kampei  m.  Halsring  des  Ochsen ,  vgl.  kamp  bei  Schopf  300,  was 
eins  ist  mit  lamm  crinia  ahd.  champ. 

kamper  lustig»  wacker.  lamprei  dierae  lustige  Dirne;  schwelierlsck 
gimperlsck  lustig»  geckisch»  Stald.  I,  420»  bair.  gamper  bequem, 
von  Kleidern;  lagamper  steif  <);  gampera  springen.  Schmell.  II, 
148,  8.  Schöpf  172.  Ahd.  gambar  strenuus  Graff  IV,  207  f. 
scheint  nicht  zu  stimmen»  indem  jedoch  cambri  sagacilas 
GrafTIV»  208  heisst.  ist  vielleicht  für  gambar  strenuus  auch  die 
Bedeutung  sagax  anzunehmen  und  die  wahrsagende  Frau, 
Gambara»  bei  Paul.  Diac.  hiess  dann  die  weise,  weissagende. 


0  Kirntisch  ist  nur  die  Form  ungamper;  scbleaisch  ungun^rn^  mhd.  ungtanper  «Be- 
schickt, steif  erhalten.  Lexer  107.  Weinhold  26.  Das  mhd.  Beispiel,  das  Weiahold 
anfuhrt:  uiigtiii|ier  und«  herte  rfodes  hlute  Renner  12.  516,  stimmt  sur  bair.  Be- 
den tung  von  gaiii|ier. 


Weitere  Mittheilungen  üb«r  die  Mundurt  von  Gottschee.  401 

Der  Übergang  von  weise  zu  sehUa  und  von  sehlai  zu  listig  ist 
denkbar.  Das  von  Graff  angeführte  nord.  gamra  blaterare  wäre 
so  zu  vereinigen  mit  gambar,  wenn  dies  als:  weissagend  auf- 
gefasst  würde»  da  fianbara  eine  Weissagende  hiess;  wahrsagen 
kann  zum  plaudern  im  Begriff  herabsinken.  —  Auch  die  Form 
gaaaii  n.  Freude;  gamanllh  ridiculus  Graff  IV,  207  kann  zu 
ganperlieh  lustig  verglichen  werden  und  mhd.  gimpen  bedeutet 
hupten,  dennoch  scheint  die  Vereinigung  mit  den  obigen  Formen 
schwer  (vielleicht,  dass  ihre  Bedeutungen  auf  die  jener  Formen 
eingewirkt  hüben,  mhd.  gimpea  auf  obiges  gaaperi  springen) 
und  die  Heranziehung  dieser  ist  nicht  nöthig,  um  die  Deutschheit 
der  ersteren  anzunehmen.  Schneller  die  rom.  Mundarten 
Tirols  I.  262,  238  leitet  gamper  von  ladinisch  !■  e^nper  und 
dies  von  ital.  iag^mbr«  ab.  Dies  ital.  Substantiv  lag^mbr«  fr. 
eae^Mbre,  Hinderniss,  woraus  unser  Inmner  mhd.  kimber 
s.  Diez  I,  134,  hat  doch  kaum  etwas  zu  thun  mit  kanper,  gäm- 
periseh  lustig,  gampem  hüpfen.  Vgl.  das  folgende  Wort. 
Uapem  tanzen.  Kärntisch  ganpera,  nminagainpern  hüpfen,  umher- 
hüpfen. Vgl.  kanper. 

kiit  kkie;t,  käa  kann,  kannst;  selten  im  Gebrauch,  häufiger mflgens.  d. 

Uigel  f.  kleine  Kanne,  mhd.  kaaael,  kämt.,  bair.  kandl ;  slovenisch 
kaagla.  Der  Wechsel  ad  mit  iig  ist  alemann.  Weinh.  al.  gr. 
§.  180;  im  ungr.  Bergl.  Wörterb.  22,  Laute  der  deutschen 
Hundart  des  ungr.  Bergl.  S.  198. 

lapseh,  Name  in  Pockstein,  Stockendorf,  Mittenwald  1750.  Vgl.  den 
siebeabürg.  Namen  Kappes  Marienburg  351. 

kar  n.  Getass,  ahd.  char.  So  noch  in  Gottschee  in  peehar  Bienenkar, 
oben  S.  49.  flai-kar  n.  Butterfass  s.  d.  und  Darst.  S.  171. 

kanche  f.  Kirsche;  stimmt  zu  mhd.  kl^rse;  karschpAm  mhd.  klrsbau. 

kante  m.  Kleiderschrank;  wol  aus  kajte  s.  d.  mit  eingeschobenem  r. 

iasar,  Name  in  Katzendorf,  Sele  1750.  Im  kärnt.  ist  kasar  =»  geidar 
Lex.  155. 

listel,  Name  in  U.  Mosel  1750. 

kajpea  scharren.  Vgl.  etwa  tirolisch  kespa  necken.  Schöpf  305. 

kafle  m.  Sehrank,  mhd.  kaste^  ahd.  ckasta,  sloven.  kadtin. 

klstaer»  Name  in  Zwisleru,  Katzendorf,  Altiaag,  Hasenfeld  1750  bis 
1800.  Vgl.  Kestner.  —  Victor  Kästner  hiess  der  mund- 
artliche Dichter  der  SiebenbQrger  Sachsen. 

SiUb.  d.  phil.-hist.  Gl.  LXV.  Bd.  II.  Hfl.  28 


402  Schrot!!- 

katscke  f.  Schlange,  sonst  jUsge  s.  d.;  sloven.  kaia. 

kaifreehtlich  1757:  die  bei  der  Graffschaft  Gottschee  bestand' 
lichefi  Dorfrchaften  und  deren  Unterthanen  besitzen  ihre 
Hueben  nicht  mntweis,  aopidern  kaufrechtlich  i). 

latiead^rf,  Ortschaft  1770  mit  18  Häusern.  V'gl.  auch  •berkatiei- 
darf. 

k&wer  m.  Käfer.  kAwerle  u.  plur.  kAwerlaln.  Ahd.  chi^rar,  mhd.  kl^?er. 
—  Daraus  slov.  kiber. 

keekarle  n.  Mehrzahl ,  kekarlaia  das  Sonnenwendrädlein ,  Feuerrad, 
s.  jimmittea  rMle  n.  Auffallend  stimmt  hierzu  im  ungr.  Berg- 
lande keckerchcD,  keckisck  Lichtelein  in  der  Kindersprache: 
s,  mein  Wörterb.  69. 

kedei  sagen;  gewöhnlich  nur  in  der  Rede  eingeschaltet;  kid  ih  sage 
ich,  auch  nur:  kl)  katt  er  sagt  er.  Von  dem  Prät.  fuhrt  Elze  54 
die  Formen  auf:  er  käat  und  kaite.  Die  erstere  Form  steht  viel- 
leicht für  kät  mhd.  qiat,  kat,  die  zweite  für  ein  schwaches  ktte 
statt  kidete,  kedete. 

Im  cimbr.,  wo  noch  alle  Formen  erhalten  sind,  ist  das 
Prät.  kat,  aber  auch  kit  (woraus  das  gottscheewische  klat^  d.  i. 
k^at,  wie  r^asle  für  rSsle  sich  erklärt).  Es  ist  der  Umlaut  des 
Conjunctiys  (der  hier  falschlich  ö  für  w  steht)  in  den  Indicatir 
Torgedrungen  und  kiat  steht  daher  eigentlich  für  ket  Auch  in 
Tirol  finden  sich  Spuren  dieses  Zeitwortes.  Schöpf  308. 

keiket  in  wekaiket  lecker,  heikel.  Wenn  hier  der  Stamm  von  heik-el 
enthalten  ist  (über  dießWort  s.  Gr.Wtb.  III,  394.  IV,  2.101), 
so  ist  das  Tcrgeheiket. 

(ktaea=)  kam  kommen,  infin.  Schon  oben  unter  kan^  kam  gekommen. 
Iirle  kam  übel  bekommen;  sijt  mir  harte  kam;  harte  s.  oben 
S.  106. 

keisckef.  Hütte.  leisehlar  m.  Besitzereiner  halben  Hube.  s.  Fromm.  V, 
265.  late  und  kaite,  auch  kau  mhd.  kti  Gr.  Wtb.  V,  364. 
kiei  699  werden  ähnlich  gebraucht.  In  Baiern  ist  hiosel 
hiisler  im  Gebrauch  f.  keische,  kensehler.  Ahd.  gahtsa  do- 
megticust  daher  ghaisseakaas.  Schmell.  II,  248.  SloTenisch  U^ 
ist  yielleicht  doch  von  mhd.  bis,  hais  und  kaiia  von  ghiase, 
woraus  zurückentlehnt  keisekef 


')  Rectificatorittn  de  anno  1757. 


Weitere  MUUieilungen  Ober  di«  Mundart  von  Gottschee.  403 

Icida,  Name  in  Neuwinkel  1750. 

keioe,  keiii«;t  kenne,   kennst.  ^ 

kerkiseh  m.  Kehrwisch,  Besen,  auch  kämt.  Lex.  268. 

ItnUff  bei  Mitterdorf  1770  mit  28  Häusern. 

kenine  f.  Kornelkirsche ,  it.  e«ml«la,   sIot.  dreialja;  in  Tseherm. 

tschemille  sonst  tttrsach,  besser  tiraach  S.  76. 
kertitseke  f.  Bürste,  ital.  eardass«;  vgl.  Fromm.  III,  332,  slor.  ker- 

lene,  Name  in  Nesselthal. 

leself,  Khesele,  Name  in  Iniauf  18  60,  in  Schwarzenbach  1614. 

kesse  f. Tornister;  vgl.  Urbe;  ahd.  cheiiis,  mhd.  keiil  (sdabi Lieders.  I, 

314);  alemann.  Kessel  ohne  Fusse,  Stalder  II,  96. 
kefte  f.  Kastanie.  Allgemein  osterr.  keste,  mhd.  keste. 
le^taer,  Name  in  Schwarzenbach,  Steinw.  1 700 ;  vgl.  lästier. 
int  f.  das  Maul,  ahd.  ehiowa.  Die  Thiere  haben  eine  keae  (jbaine- 
keie  f.  ein  beliebtes  Essen  der  Gottscheewer),  der  Mensch  ein 
maul  n.  s.  d.  Die  Korpertheile  haben  in  6.  vielfach  die  Namen 
gewechselt.  Vgl.  legle  n.  Finger;  schnale  f. Nagel ;  Utie  f.  Fuss ; 
kreiie  n.  Rucken;  prist  f.  Herz;  httfe  und  schinkpain  f.  Schen- 
kel; k«fe  f. Hafte;  pr&te  m.  Wade;  krilge  Hals;  warschangkeve 
f.   Larve,   Faschingsmaul;   ArspUtte   Hinterbacke,   vgl.    auch 
kmieB.  —  leiebterkeae  f.  Lichtspahnkluft;  vgl.  leichter.  r«lw- 
stilkene  f.  s.  d.  Das  Maul,  die  Zwinge  der  Schnitzbank. 
Ilekatiei  stottern;  tirol.  gigketiei  Schopf  190. 
U  oder  kfd  fh  s.  ktdei. 

Ulf  gel,  Name  in  Gottschee  1614.   Chiekbel  Kofiern  1680.  Ilckel 
Oberlosin,  Mosche,  Nesselthal,  Koflern,  Weissenstein,  Alt-  und 
Neulaag  1700—1800. 
illllAii,  Name  in  Deutschau  1700. 
kn^o  husten  vgl.  kllsteri,  keliei  Gr.  Wtb.  V,  621.  704. 
Ifad  n.  Kind.   Nomin.  s  klid,  Gen.  kisde;,  Dat.  'na  klnde,  Accus. 

skiBd. 
kltgh«f,  Name  in  Langenton,  Oberwarmberg  1750.   ilinkapf  Neu- 
laag, Unterwarmberg  1750. 
kfpfe  f.   Stemmleiste,  Runge;  auch  kipf  m.  wie  kämt.  Lex.  158. 

Schopf  neutr.  3 1 6,  vgl.  Gr.  Wtb.  V,  780. 
ibirta,  Name  in  Nesselthal  1 680. 

2S* 


404  Sc  h  r  d  e  r 

kirtäe  m.  der  Kirchtag;  die  bair.  Form  f.  alem.  eUlbe  (ekilekwihe), 
frank,  kirbe  (Kirchweihe).  Das  Vocab.  1423  hat  noch  dl  eUrick- 
bey  40';  nl.  kernig  (Kirchmesse)  s.  ungr.  Bergl.  Nachtrag  36. 
kIrUgle  n.  gewöhnlich  in  der  Bedeutung  Jahrmarkt  und  so 
schon  1471.  im  Privilegium  der  Stadt  Gottschee. 

kitschar  (das  Geschlecht  ist  mir  nicht  bekannt).  Mehrz.  Utockare 
eine  Bohnenart.  jNebenform  von  Ucker  f.  ahd.  chicherA,  lat.  cicer 
s.  darüber  Gr.  Wtb.  V,  659,  vgl  oben  I. 

Clabaisters  erben  in  Untertappelwerch  1S60.  Ein  Name,  der  an  das 
dunkle  Wort  nd.  Uabiistera  grübeln  und  klapaistera  klopfen, 
Gr.  Wtb.  V,  888  erinnert  und  wol  in  md.  Gegenden  weist. 

Mampfe  f.  Klammer,  vgl.  Schmell.  II,  356.  Gr.  Wtb.  V,  943. 

kl^a  f.  Klee.  Gen.  kitobef,  Dat.  kUabe.  Das  weibl.  Geschlecht  weist 
nach  dem  Norden.  In  Aachen:  die  klie  Müll.  Weitz  112, 
Gr.  Wtb.  V,  1060  fuhrt  das  Fem.  aus  Rist  an;  kamt.,  cimbr. 
ist  es  m.  n. 

kl^aie  f.,  Uiätiei  Schrot  zum  Schiessen,  mhd.  Iü4f  pila,  sphaera 
Schm.  II,  366,  vgl.  Gr.  Wtb.  V,  1246  unter  klasi  4,  Kugel 
zum  Schiessen  und  kUti  1252:  Geschützkugel,  1256:  kUti- 
bagel.  —  Es  steht  kitaie  demnach  für  klaeie. 

kliaie  f.  Name  einer  Pflanze,  Klüze,  s.  das  vorige  W. 

kleckkea  gelingen,  gedeihen,  in  dem  Sprichwort:  bkriaia,  taaber; 
kleckket  et  waintlain!  Wahrlich,  allein  gedeiht  nicht  gut!  mhd. 
kleeken. 

Meidang  s.  Jappe,  ka6a;f ,  gflrtel,  hflderle,  w&tscbe,  bkatel(unter  w),  pfait 

klemmen  im  Scherz,  für  sehlenmea  viel  essen ;  klemnea  oad  tiekkea 
fressen  und  saufen.  Kämt,  klemmea  geizen  Lex.  160;  ebenso 
tirol.  Schöpf  323.  Hier  scheint  die  Bedeutung  tüchtig  zugreifen, 
(Gr.  Wtb.  V,  1139  b),  zu  Grunde  zu  liegen. 

Uepeti,  Name  in  Weissenbach  1700. 

Metseh,  Dorf  bei  Altlaag  1 770  mit  23  Häusern. 

Metscb  bei  Stockendorf  1770  mit  11  Häusern. 

kliekke  f.  Stock  mit  einem  Querholz  oder  Haken  oben ,  der  durch 
ein  Heubündel  oder  eine  Garbe  gesteckt  wird ,  um  sie  so  zu 
tragen;  ftarbeastaek,  vgl.  Gr.  Wtb.  V,  1158:  klick,  klieke  4. 
„ein  kleines  Holz  über  dem  Schaufelblatt  des  Spatens,  das 
äusserste  Stück  des  Steuers,  Beschlag  eines  Kolbens  etc.** 
nl.  Ulk  der  Handgriff  am  Steuer.   Doch  ist  auch  zu  erwägen 


Weitere  Mittbeilungen  über  die  Mundart  von  Gottscbee.  405 

sluvenisch  k^ika  der  Haken;   näher  noch   der  nl.'  Form*  und 

Bedeutung  steht  slovakiseh  kle6,  klika  Kipfe  am  Schiffe,  Kurbel 

zum  Drehen,  Palkowitsch  538,  827. 

Uiekei  spalten,  illep  dih  k«l$bäriei  erde  spalte  dich  kohlschwarze 

Erde,  in  dem  Liede  oben  S.  71  f.  vgl.  kUbe.  Hieben  spalten 

ist  cimbr.,  kämt,  und  tirol.  gleichmäßig  im  Gebrauche.  Vocab. 

1479:  lerklieben  sfendere;  eUben  fetto;  dl  klift  sfendatura. 

Voc.  1423:  der  behalter  (s.  kklder)  ist  lecUbei  (fesso)  an 

iweiea  entei  ond  dn  pist  sein  sieht  Idd  bürden  f.  11". 

Iilid«rrbei  Gottschee  1770  mit  33  Häusern. 

Utbe  f.  gespaltener  Stock;  als  Schleuder  gebraucht,  fand  ich  einen 

solchen  nur  bei  Kindern.  Elze,  S.  13  findet  solche  kUben  als 

Waffe  des  Hirten;   „doch  siehe  dort  unter  dem  Gebüsch  den 

Hirten  !  Holzschuhe  (kMjpen)  bedecken  seine  Fusse,  an  welche 

sie  mit  Lindenbast  befestigt  sind ,  ein  weiter  Mantel ,  ebenfalls 

Ton  Lindenbast  verfertigt,   hüllt  ihn   ein;   ein  breitkrämpiger 

alter  Filzhut,  dessen  Stoff*  kaum  noch  erkennbar  ist,  bedeckt 

den  Kopf;  in  der  Hand  hält  er  eine  Schleuder  (klabe)  und 

ein  grosses  Rinderhorn**.  klaben  moraie  vocab.  ital.  tod.  1460 

f.  24*  mein:  vocab.  von  1420,  2021  pedica  vAilsea  vel  clabe. 

iLltekhe  f.  Glocke,  cimbr.  Uacka  f.  CWtb.  137*  nl.  kl«k  f. 

Uaekhea  klopfen ;  Anklackbea  anklopfen,  am  Thore ;  ber  klackbet  tu 
sa  griilala  wer  klopfet  an  so  fürchterlich?  —  Tirolisch 
Schopf  325,  kämt.  Lex.  161.  Alemann.  Stald.  H,  109,  cimbr. 
klackbea  CWtb.  137'. 

klaia  klein,  klain  jei;e  f.  Nachmittagsimbiss  s.  Jeije  f.  klaiahappelela 
Kleinhäuptlein  d.  i.  Schafe. 

kiaakatoe  f-  Schaukel,  kliakatien  herum  schlendern. 

kJaakatiar  m.  Mehrz.  klnnkiktiare  der  Vagabund.  Das  Wort  ist  eins 
mit  dem  in  Gr.  Wtb.  V,  1299  von  1K88  aufgeführten:  der 
Bauch  glaagkitft  d.  i.  schlottert.  Zu  klaak,  kinaker  s.  Gr. 
Wtb.  V,  1297. 

klapf  m.  der  Schreck,  Ih  bia  darklapfel  ich  bin  erschrocken ;  mhd. 
klopf)  eben  so  bei  alemannischen  Dichtern.  „Es  ist  wesentlich 
schweizerisch«  Gr.  Wtb.  V,  1302;  aber  auch  kämt» ,  tirol., 
cimbr.  t  daselbst. 

kaab  garzon.  vocab.  1423  f.  36;  vgl.  knackt. 


406  S  c  h  r d  e  r 

kiackt  m.  Jüngling,  im  Gegensatz  zur  diene,  wie  cimbr.CWtb.  137^ 
kseckt,  im  Kuhlälidchen «  ungr.  Bergl.  Siebenburgen  s.  meiu 
Wtb.  7l\  Nachtr.  36.  Gr.  Wtb.  1382,  wo  letztere  Angaben 
fehlen.  L^aakieckt  m.  der  in  einem  Bauernhause  dienende 
Lohnknecht;  vgl.  Uaadiernle.  Das  vocab.  1423  hat  kaab 
garzon,  kaeekt  fante  f.  36^  di  dleni  la  fante»  dirleia  fantina, 
Biait  fantenha,  maidleia  fantuza  36\ 

ilknäpfe,  la^pHe,  Name  in  Reinthal  bei  Mosel  1614. 

Iknaas  und  Kaeass,  Name  in  Gottschee  1700.  Bei  den  Cimbri  fiudet 
sich  der  Name  fiaaas.  -—  laaaa  ^ist  ein  alemann.  Wort«*  s.  Gr. 
Wtb.  V,  1371. 

ka6a;e  f.  Mehrz.  kaiajea  Strümpfe  in  Mosche.  Ein  seltenes  Wort 
und  wol  nichts  anderes  als  ahd.  eka^kasa  caiza»  d.  i.  Strumpf 
Graff.  IV,  1050.  Sonst  nennt  die  Strümpfe  kaiekasei  Golius 
Gr.  Wtb.  V,  1428. 

kaewel  m.  Knöchel.  Deminut.  kaewale  n.  Mehrz.  kaewaiaia.  —  Diese 
Form  entspricht  am  nächsten  nl.  kaeyel,  siebenb.  kaiwel 
(cimbr.  kaibel  Model?)  s.  mein  Wtb.  ungr.  Bei-gland  71.  — 
voc.  1479  f.  12*^  dl  kaaeflea  li  peruli.  — *«  kaewIpaMe  Knöchel. 
laewela  §ik  sich  aufreiben,  schinden ;  sra;  kaewelt  jlk  das  Boss 
reibt  sich  auf,  ganz  wie  nl.  kae? elea  knebeln,  martern,  aber  auch 
schinden.  Es  ist  dies  Wort  hier  in  Gottschee  um  so  beaehtens- 
werther,  als  es  steirisch,  tiroliseh,  cimbrisch  nicht  nach- 
gewiesen ist.  Über  das  Wort  ist  zu  vergleichen  Gr.  Wtb.  V, 
1376  untar  kaebel  10.  11  (wo  aber  die  nl.  Bedeutung  von 
kaefel:  »das  Gelenk  am  Pferde,  wo  der  Sattel  drückt**  nicht 
hervorgehoben  ist)  und  kaobel  1514,  kaibel  1448. 

kala  n.  Gen.  kalabej  Knie;  ka^aje  f.  Kniehose  s.  d.  Gotisch  kala« 
Gen.  kaiflsi  ahd.  kala,  kaiwes. 

kaalle  f.  Erdscholle.  Altlaag.  Daher  das  Deminutiv: 

kallle  n.  Mehrz.  kadllala  eine  Mehlspeise  von  runder  Form ,  sowul 
Klöße  als  Strudel;  alemann.  kallleU  von  kaalle  Semmelkloße, 
Stald.  II,  1 15 ;  vgl.  Gr.  Wtb.  V.  1468:  kaHlelela.  Kämt,  bedeutet 
kallle  nur  Knollen,  Lex.  102.  Die  Mehlspeise  aber  kaadel,  eia 
Wort  das  in  Gottschee  fehlt;  eben  so  tirol.  Schöpf  329.  — 
Vgl.  üler  das  Wort  Gr.  Wtb.  V.  1464. 

ftaapf,  Name  in  Kofiern  1700. 

Inipfle  s.  ilhaipfe. 


Weitere  Mittbeilangen  iiher  die  Muodftrt  roii  Gottschee.  40 T 

kit$pe  m.  Holzschuh,  ital.  e«8p«.  Ducaiige.  cispos  sandalium, 
x90<7;rc^  £xtX6no\j^  etc.  s.  Schneller  S.  13S.  In  den  bair.  Alpen 
kMspe  Schmell.  II,  376,  tirol.  knatp  Schöpf  330. 

liMpler,  Name  in  Reichenau»  Schalkendorf,  Mrauen,  Niedermösel, 
Skrili.  Fliegendorr  1750. 

ki«w«l  m.  Knoblauch,  kämt.  kiiMfel,  cimbr.  ka«Tel«eh,  schwäb., 
österr.  ki^fel,  Schmid  320.  Castelli  145,  Gr.  Wtb.  V,  1449. 

Mbe,  Gottscheewer  Familienname  bei  Elze,  S.  40.  €«bb«  ist  ein 
altsächs.  Name  des  IX.  Jahrh.  s.  Stark  Kosenamen  1 1 7. 

Metitsch,  Name  in  Deutschau,  Schöflein  1750. 

Militief.  Kuh,  die  nicht  zugeht;  vgl.  etwa  k#bel  Stute,  Gr.  Wtb.  V, 
1540,  im  ungr.  Bergl.,  Wtb.  72,  und  -ilie.  Im  Sloyeniscbeii  ist 
k«billea  die  Heuschrecke. 

ktekkde  f.  n.  zum  Kochen  bestimmter  Vorratb  an  Rüben,  Kraut  etc. 
im  Keller.  k«chkdle  n.  Mehrz.  k^chadUii  die  Tracht  Speisen, 
was  auf  einmal  aufgetragen  wird,  alemano.  k^ckete  f.  Stald.  II, 
118,  kämt.  k«ckade  in  der  Bedeutung;  wie  hier  k^chadle 
Lex.  163.  Hingegen  für  die  Bedeutung  in  erster  Form  erscheint 
sonst  der  Umlaut  k«chet  s.  Gr.  Wtb.  V,  1561.  Vgl.  Maebkde^ 
^albkde,  fmirbkde.  Diese  Bildungen  treten  in  Masse  in  der 
Schweiz  und  in  Franken  auf,  s.  darüber  Gr.  Wtb.  V,  1561, 
kaehet  c). 
Ik«daf kh,  Name  in  Mitterdorf  1 700. 

k«wel  m.  Mehrz.  kiwle  Hügel»  Steinhaufe ,  steinichter  Grund ;  kafel 
in  den  bair.  Alpen.  Tirol,  Kärnten,  Gr.  Wtb.  V,  1574,  cimbr. 
katel  Höhle,  Rinne,  ital.  caya,  cavile)  Wälschtirol.  cael  (zwei- 
silbig) m.  im  Cod.  Wangianus  covalum  s.  Schneller,  S.  103. 
k«ffe  f.  die  Hüfte.   Daher  kafea  in  aaskafea,  aasgekaflt  verrenken, 
verrenkt.   Ein  seltenes  Wort;  ahd.  gafk  dunes  Grafflll,  176, 
mhd.   gafe,  gafe  f.  Hinterbacke,  mhd.  Wtb.  I,  552.    Wie  es 
scheint  in  md.,  zum  Theil  auch  in  alemann.  Gegenden,  ver- 
breitet.  Ober  die  Bezeichnung  der  Korpertheile  in  Gottschee  s. 
keoe.  Die  Hinterbacken  heissen  in  G.  krsplktte  s.  d. 
kafler,  Name  in  Klindorf,  Verdreng  175.0.  Der  Name  lautet  bei  den 
Cimbern,  wo  er  auch  vorkömmt  Caveler  im  Cod.  Wang.  Caval» 
larios,  Schneller,  S.  103  und  oben  kawel. 
I«flera,  Ort   bei   Mitterdorf  1770   mit  39   Häusern,    vgl.  kawel» 
lafler. 


408  S  c  h  r  ö  e  r 

k«ckalien  1.  stottern,  2.  krähen.  Lex.  schreibt  gäggatiei  S.  106; 
vgl.  Gr.  Wtb,  \\  16,  wo  auch  die  Bedeutung  Krächzen  der 
Elstern  aufgeführt  wird.  Sonst  findet^  sich  die  Bedeutung: 
stottern  bei  klcketien,  s.  Gr.  Wtb.  V,  662;  vgl.  Gerland  Inten- 
siva  und  Iterativn  S.  12. 

kalataehe  f.  kranzPörmiger  Osterkuchen  mit  einer  Fülle  aus  Hanf 
mit  Eiern  oder  Hanf  mit  Honig.  Über  das  Wort  vgl. 
C«leteheB,  CaUatsche  G.  Wtb.  U,  629. 

kallar  m.  Halskragen;  in  Tirol  (Sarnthal)  Halskragen  von  Linnen. 
Schöpf  199;  eben  so  im  ungr.  Berglande,  mein  Wtb.  55 
Nachtr.  g41a  n.  S.  29.  Über  das  Wort  s.  Gr.  Wtb.  V,  1614. 

iallitsek,  Name  in  Neuwinkel  um  1800. 

CalaiaDB,  Name  in  Malgern  1680.  lallmaM  Altlaag,  Windischdorf, 
Hoheneck,  Krapflern  1780.  —  InPresburg  finde  ich  anno  1379: 
GkalnaiiBis  und  CaUaiaiBis,  in  Neusol  1390  CkalaiaBB  und 
CalaaiaBB,  in  Schemnitz  1888  lailmaBB.  Ebenso  in  Marburg 
1478  und  KalaiaBB  Pfarrer  zu  Gämbs  1480. 

nkameradeB  Kohlrabi**. 

iamaieB  kleines  Dorf  1770  mit  10  Häusern.  Ich  finde  es  1614  auch 
ftaaiflk  und  ftanatiea  geschrieben. 

kaaa  f.  (=kaDk)  das  Eheweib,  mhd.  kaue,  ahd.  ^nHkj  got.  qtai.  lala 
ergtei  k9nk  pist  da  geb&a,  meine  erste  Gemahlin  bist  du  ge- 
wesen, in  dem  LiedeS.  46.  Daher:  kaeiMaa«  kaeaweibTOc.  1479. 

kaae  f.  Trauung;  le  kaae  gAaa  heirathen.  S.  oben  S.  112.  —  kaa- 
leite  Eheleute.  „Die  Kon  und  Ehewirthin**»  „Kon  und  Haus- 
wirthin«*  kommt  wiederholt  vor  in  „Brautsprfiche  und  Lieder 
auf  dem  Heideboden  in  Ungern.  Wien  1867.  Braumüller*'.  Über 
das  Worts.Gr.  Wtb.  V,  1689.  kaisehaft  matrimonio.  voc.  1479. 

IMg,  Name  in  Sele  1680.  Iniauf,  Mrauen»  Weissenstein,  Winkel, 
Hohenberg»  Rothenstein,  Malgern,  Schalkendorf,  Altbacher, 
Neubacher,  Altlaag,  Kuntschen  1780.  Bei  den  Cimbri:  Ihaaich. 
Chonich.  In  Marburg  liiick,  Chailg  1321—1394. 

iapriaa,  Name  in  Gottschee  1760. 

karb  m.  Ruckenkorb,  wie  in  Kärnten ;  vgl.  tocharbe. 

lasar,  Name  in  Sele,  Katzendorf  1780;  vgl.  lasar. 

kiasel  f.  Harfe  zum  Getreidetrocknen,  kirnt,  klsn,  kahea.  Lex.  168, 
tirolisch  k«se  und  kass,  Schöpf  338;  wird  in  Gr.  Wtb.  Y,  1842 
zu  norwegisch  kas,  schwed.  kas,  altnord.  kis  f.  aufgeschichteter 


Weitere  Mittlieilun^en  über  die  .Mundart  von  Gottschee.  409 

Haufe  Hol%,  Heu  u.  dgl.  kasa  aufhäufen,  gestellt  (daselbst  ist 
auch  gottscheewisch  kiasel  angegeben).    Slovenisch  kiielc, 
kaue  und  kailec  bezeichnen  denselben  Gegenstand,  der  in 
Gottschee  aber  auch  karpfe  genannt  wird,  was  S.  106  nachzu- 
tragen ist,  woraus  auch  slovenisch:  harfa^  karpa. 
kitjela  speien;  vgl.  aiemann.  gisela  Stald.  I,  501  und  kasela  sudeln 
u.  dgl.  Stald.  II,  124;  vgl.  Gr.  Wtb.  V,  1842.  doch  auch  slo- 
venisch:  kaiUti  speien. 
kt}itie  f.  Reine,  Dreifuß.  Vgl.  ralne. 
iMler,  Casler,  Name  in  Gottschee,  Rick  1614,  1  ti84. 
ItMler,  Name  in  Hoheneck,  Tiefenthal  17S0. 
Itssar,  Name  in  Sele  1780,  vgl.  lasar. 
lifsi,  Name  in  Setsch,  Morobitz,  Mrauen  1750. 
ktjtea  kosten,  ahd.  castin,  mhd.  kastea,  dah.  slov.  ka^tatl. 
iMtel,  ein  Ort,  der  schon  in  der  Urkunde  von  1363  oben  S.  13 
genannt  wird,  hieß  ehedem  auch  ftrafeawart;  so  in  der  Auf- 
zählung  der    Cillischen  Guter   im   Codex   2967   des    Gräzer 
Joanneuros  (XV.  Jahrb.)  „firafenwart  ader  fiasstel*'.  Daselbst 
Codex  243  f.  39  (circa  1436)  „li  den  Gastet  gelegen«',  ,.drei 
iiikea  ia  lastel  lader  der  kiriehea*'. 
kiit  n.  der  Kot;  vocab.  ital.  tod.  1479:  kaat  fange,  —klatl,  k^atl  n. 
ein  Dreckklumpchen.  ;  maran;  rtat,  ;  abaad;  kfot!  Sprichwort. 
ktatic,  kiati,  kotig;  dar  kiatia  der  Kotige. 
lalsckea  bei  Rick,  1614  auch  fiätscbea  geschrieben,  zählte  1770 

vier  und  zwanzig  Hauser. 
kattel  m.   Baum  zwischen  den  Hausern,  vgl.   Gr.  Wtb.  V,  1899: 

kalter)  so  auch  bei  Schöpf  366.  Lexer  1 65. 
»ikattl  spalten,  z.  B.  Lichtspäne**. 
kalte,  Name  in  Moos  1750. 

I«wltoch,  Name  in  Weissenbach  um  1700;  vgl.  slov.  kavi6  Schmid. 
kri  f. Krabe;  mhd.  krk,  Sanskr.  kArava»  lat.  earvas,  ahd.  ekrawa,  wo- 
bei die  Lautverschiebung  stockt;  s.Hildebr.  inGr.  Wtb.  V,  1968. 
frabalk,  Name  in  Morobitz  um  1700. 
krabs  ro.  Krebs.   Im  Kuhlandchen  und  im  ungr.  Bergland  krkbeß, 

Nachtr.  37,  mhd.  krCbei. 
krage,  krigen  m.  Hals,  vgl.  keae. 
krAgerie  n.  kleiner  Spund,  vgl.  pall. 
irlgger,  Name  in  Gottschee  1614. 


410  Sehröer 

krAaken  lärmen;  ^ verkleinert**  krleken,  kr^aken  ein  wenig  lärmen, 
durcheinander  schreien;  keUln  kr^ak^ii}  i;t  geb&i,  solch  ein 
Lärmens  ist  gewesen !  Es  ist  hier  anzunehmen  ein  kraikes  für 
krAkea,  das  enthalten  ist  in  kraikfltien  glucken  Gr.  Wtb.  V, 
2088.  DieO  kr&ken  mahnt  an  die  Form  krAke  neben  kracke 
Krähe  Gr.  Wtb.  V,  1927.  Davon  abgeleitet  wäre  die  Bildung 
kreken,  wenn  ein  Fall  nachweisbar  ist,  daß  ein  «,  wie  das  e 
und  oe,  in  Gottschee  auch  ^a,  ie  gesprochen  wird.  Deshalb 
dürfte  hier  immerhin  zunächst  das  slov.  kr^gati  schelten,  sowie 
zu  kraikea  slov.  krikati  krächzen,'  krikar  Rabe,  lett.  kraoklls, 
poln.  krak  zu  erwägen  sein;  da  bei  diesem  Worte  in  den  urver- 
wandten Sprachen  die  Lautverschiebung  stockt,  s.  kri,  ist  es 
schwer  zu  entscheiden,  auf  welcher  Seite  Entlehnung  stattfand. 
Ganz  zu  trennen  ist  wol  von  diesen  Formen :  kreekea  s.  d. 

Crakkar^  Name  in  Krapfenfeld,  Stockendorf,  Craker,  Nesselthal,  Iraker, 
Schalkendorf,  Altlaag,  Komutzen,  Nesseithai,  Krapflern  etc. 
1800,  vgl.  irägger  1614,  nl.  kraker  Nussbrecher. 

krackhe  f.  1.  das  Kernhaus  im  Obst,  2.  Unreinigkeit  im  Augenwinkel. 
Letztere  Bedeutung  hat  auch  cimbr.  kreka  Wtb.  138,  tirol. 
gregken  Schöpf  210  vielleicht  ahd.  kriftckaf^  sie  steckt  in  dem 
kämt,  greggaiget  Lex.  123.  Schmell.  fQhrt  an  die  Foi*men 
grieka,  gralkn,  graika  II,  107,  wozu  von  Hildebrand  das 
Schweiz,  grlegel,  griengel,  mrh.  kranke!  verglichen  wird  (aus 
Presburg  kenne  ich  fQr  die  zweite  Bedeutung  den  Ausdruck 
ranakerl  n.  vgl.  kämt,  raaagga  Lex.  205)  Qr.  Wtb.  V,  1929. 

krackje  f.  Ruckenkorb,  TragrefT,  cimbr.  kraka$a,  tirol.,  kämt,  kraxa, 
kraxe,  vgl.  Hildebr.  in  Gr.  Wtb.  V,  1925.  Wälschtirol  crichesa; 
Schneller  135.  Im  ungr.  Bergl.  kräckse,  s.  m.  Nachtr.  37\ 

Iraiaer,  Cralaer,  Ireiaer  als  Name  in  N.  Losin  1560.  0.  Losin, 
N.  Losin  1614,  1680.  Kofiern,  Sele,  Gotenitz  1750. 

kranalgela  prickeln.  Der  erste  Theil  des  Wortes  ist  wol  kma  m. 
Krampf  Schmell.  II,  385;  der  zweite  aigela,  kämt,  fgeia  trans- 
ponirt  aus  ilgera  s.  Leonh.  Frisch  I,  487  ;  vgl.  ellea  Gr.  Wtb.  IIU 
108;  aus  ahd.  ilgi  fames  vel  Stridor  dentium  Graff  I,  245  zu 
lithauisch :  alkster  fame  uri ,  das  Bopp  zu  sanskr.  Alpa  stellt 
glossar.  compar.  24. 

ilraner,  ftraner,  Name  in  Gottschee  1669.  Malgern,  Kletsch,  Idorobitz. 
Altbacher,  Ebenthal  1780. 


weitere  Mittheilungeii  üher  die  Mundart  von  GotUcbee.  41  1 

kriiei  krähen ;  bie  schdane  krdnent  di  huänder, 

bie  schöane  ^ingent  $eu! 
Jäckhel,  bec  deu  Mtne! 
(Jacob,  weck  Marieeheo) 
Mtne  bär  sehon  auw. 
bec  dar  ändar  ä  deu  $aine  I  —  Bie  scböane  etc. 

Weeklied  aus  Mitterdorf;  vgl.  iMche.  Es  liegt  diesen  Weck- 
liedern wol  der  liebliche  Brauch  zu  Grunde,  daß  die  jungen 
Bursehe  des  Morgens  durch  den  Ort  ziehen  und  neckend  mit 
ihrem  Gesang  die  Mädchen  wecken. 

km  Kranich;  s.  daröber  Hildebr.  in  Gr.  Wtb.  V,  2018.  krti  3.  b) 
nl.  kraai  nd.  krai.  Dieß  Wort  ist  enthalten  in :  krUiablde  f. 
Wachholder,  ahd.  kranawit,  cimbr.  kraiablta,  kämt.  kr«M- 
wctta,  tirol.  kraiewit.  —  kr&iwigle  n.  Drossel;  vgl.  nl.  kraai- 
f#gel  Kranich  und  das  folgende  Wort. 

kraip«Ue  f.  Wachholderbeere ;  polle  f.  Bolle;  vgl.  S.  57:  pllbele. — 
Eigenthumlich  der  Gottsefa.  Mundart  ist,  daß  in  kranvlgleli, 
wie  im  nl.  und  krUipolle:  brau  allein,  ohne  -wit  zur  Zusammen- 
setzung dient.  Docb  kann  erstcres,  mit  Verschiebung  des  Be- 
griffs, auf  n).  kraattfogel  zurückgehen,  letzteres  dann  als  kra- 
■lehkttfelcheii  verstanden  werden  (an  kr&  Krähe  s.  d.  ist  nicht 
zu  denken,  weil  die  Mundart  hier  k  spricht). 

knailaii  piitei  n.  das  Kranzbindeu  vor  der  Hochzeit  ist  ausfuhrlich 
besprochen^  oben  S.  113;  vgl.  das  kmiitgebeii  im  ungr.  Berg- 
lande mein  Wtb.  73. 

Irapf  und  Kropf,  Familienname  in  Krapfenfeld  1684.  In  Marburg 
1468  Kraph. 

krapfeafeld  bei  Gottschee  zählte  1770  82  Häuser.  Der  krapfe 
heißt  in  Nürnberg  ein  Waldbaum,  der  nicht  in  die  Hohe  wächst. 
Ob  der  Name  daraus,  oder  aus  krapfe  Pfannkuchen,  zu  erklären 
ist,  so  steht  doch  fest,  daß  die  Ableitung  von  firafeafeM,  die 
die  Krainer  Wortforscher  aufgebracht  haben,  falsch  ist.  In 
Fällen  wo  die  Urkunden  nicht  sprechen,  ist  die  Aussprache  des 
Volkes  noch  immer  ein  besserer  Anhalt,  als  alle  Klügeleien  der 
Willkür.  Der  Gottscheewer  spricht  hier  nicht  griweawald, 
sondern  kräpfenwald.  Wahrscheinlich  hat  die  Familie  Irapf,  die 
sieh  jetzt  Krapf  schreibt,  einem  Felde  den  Namen  gegeben, 
danach  der  Ort  genannt  ist. 


412  Sehr ö er 

KrAsch^witi,  Name  in  Neu  winket  1750. 

krAjela  kriebeln,  kitzeln,  Wimmeln;  vgl.  mhd.  krisela  krauen  und 
'Hildebr.  Gr.  Wtb.  V,  2068  unter  kragen.  Zunächst  aleman. 
kraselo  wimmeln,  fourmiller  Stalder  II,  130. 

krecken  knacken,  z.  B.  Nüsse,  wie  kämt.  Lex.  167;  tirol.  kreekei 
verrenken.  Schöpf  242;  vgl.  Hildebr.  Gr.' Wtb.  V,  1931. 

kreiif,  krelsie  f.  Geflecht,  besonders  darakralBie  f.  das  Gitter,  auf 
welchem  in  der  darre  Obst  gedörrt  wird.  Mosche.  Der  Vocal 
ist  nicht  auf  mhd.,  ahd.  ei  zurückzuführen,  sonst  musste  er 
österreichisch  d  und  oa,  in  Gottschee  aber  oi  lauten:  es  bleibt 
nur  übrig  älteres  {  oder  in  (nhd.  eü)  anzunehmen,  wodurch  die 
Formkreinie)  Hildebr.  Gr.  Wtb.  V,  2144  gerechtfertigt  würde. 

MkreUfener,  kreitfeoer  oder  krenifeier  n.**  Signal feuer  auf  den  Bergen, 
schreibt  Elze  S.  18  statt  kreidfeier  aus  ital.  grida  Kreide  d.  i. 
Schlachtruf;  s.  Hildebr.  Gr.  Wtb.  V,  2137.  kreMeifeier, 
Sehmeiler  II  381.  Schöpf  343,  Gr.  Wtb.  V,  2124. 

kresweier  n.  Johaunisfeuer;  vgl.  jiMitlei  von  slov.  kr^s  Sonnen- 
wende, Johannisfeuer;  kresatl  Feuer  schlagen;  vgl.  darüber 
Grimm.  Myth.  690.  Daher: 

krdssei,  kr^assen,  krUssett  Johannisfeuer  machen ;  s.  kresweoer. 

krdtschat  hinfällig.  Etwa  lerkrltscht  s.  krätsehea  Gr.  Wtb.  V,  2069. 

Kren,  Kkren,  Name  in  Malgern,  Taubenbrunn  1860.  In  demselben 
Jahre  1560  ist  geboren  zu  Laibach  Tham.  Chr#ii  (f  1630) 
s.  oben  S.  18.  Er  konnte  wol  aus  Gottschee  stammen.  Ich  finde 
den  Namen  noch  in  Orth  1614;  ftreen  in  Linfeld  1684.  Irii 
in  Mitterdorf,  Orth,  Oberern  1750.  Irenn  Oberern  1780  etc.  In 
Marburg  Chren  1399. 

Iresse,  ir#88e,  Iresse,  Name  inG.,  Klindorf,  Schalkendorf  1 684 — 1750. 

Ireiland,  Name  in  Windischdorf,  Mitterdorf  1750. 

kreiie  n.  der  Rücken;  vgl.  keie.  — krenielifen  sehAgen  schielen. 

krlllen  hinken,  auf  einem  Fuße  hüpfen. 

CrlMail,  Name  in  Reichenau  1614.  kronail  Reichenau,  Nesselthal 
1700-1750. 

krippe  f.  Krippe. 

Irisch,  Name  in  Hinterberg,  Otterbach,  Pröse,  Kotsehen,  Malgern, 
Morobitz  1750. 

Crise,  Krise,  Name  in  Hoheneck  1614.  Chrise  Katzendorf,  Kotschen 
1614.  In  der  Schweiz  ist  Chris  (mit  dem  deminut.  i  Ckrisi,  was 


Weitere  Mittheilungen  über  die  Mundart  von  Gottscliee.  413 

in  Gottschee  Chrise  lauten  muß)  die  Koseform  von  Zacharias 
Rocholz  bei  Fromm.  VI»  457.  Vgl.  das  folgende  Wort. 
Iriieke,  die  Aussprache  dieses  Namens  ist  krije  (mit  weichem  ;); 
daher  ich  die  Schreibungen  Krise,  Crise,  Chrise  für  die  richtigeren 
halte  obwo)  ich  Crisehe  schon  1614  einmal  in  Kotschen  antreffe 
(Crise  dreimal).  Sonst  erscheint  das  seh  zuerst  1684:  irisehiBB 
ei  cifitole  (wo  Krisch,  vielleicht  ein  anderer  Name,  zu  Grunde 
liegen  kann).    Erst  im  XVIII.  Jahrh.   wird  seh  allgemein  und 
finde  ich  nun  Krisehe,  in  Nenfriesach,  Sichei  vormals  bei  Brunn» 
Prose,   Moos»  Wretzen,  Tiefenthal,  Pogorelz,   Weissenbach, 
Rusbach,  Rossen,  Obertappelwerch,  Gotenitz,  Kotschen  1750. 
Hingegen  1783  noch  einmal  Krisse  ex  Hohenegg.   Der  wackere 
Pfarrer  Johannes  in  Morobitz  hat  seinen  Namen  daher  nicht 
Kriie  schreiben  zu  lassen,  wie  der  Schematismus  der  Laibacher 
Diöcese,  der  gerne  slovenisiert,  schreibt,  sondern  Krise,  was  ale- 
mann. Ckrisl,  von  Chris  Zacharias  oder  kriesi  Kirsche  und  nicht 
von  slov.  krii  Kreuz  abzuleiten^ist  Von  letzterem  stammt  vielleicht 
der  Name  Krisch  s.  d.  Daß  ein  deutsches  srh  in  dem  Namen  nicht 
enthalten  ist,  sondern  s,  beweist  die  Aussprache,  die  das  deutsche 
seh  nie  weich  spricht;  vgl.  wische  (Fische)  und  bije  (Wiese). 

UschntBO,  Ortschaft  1770  mit  5  Häusern. 

krijp,  kraus,  krijpen  in  Falten  legen;  vgl.  ital.  iicrespare 
von  tat.  crispare.  Ehemals  trugen  die  Männer  in  Gottschee, 
erzählte  man  mir:  knnei  gekri$pate  ha$ei  mit  wAtsehea  kurze 
gefältelte  Hosen  mit  Gürteln,  witsche  f.  der  breite,  gezierte 
Ledergttrtel,  wie  noch  die  Tiroler  tragen;  s.  Schmell.  I,  578: 
die  fätschen  2.  ist  nachzutragen  oben  S.  81. 

krtekatiea  rülpsen,  ahd.  crtekefan  crocitare,  mein  Vocab.  von  1420 
hat  cocinare  eraekeiia. 

krtialAid  Krain,  s.  das  Lied  S.  47. 

krideUde  f.  Viburnum;  auch  kadebide  hörte  ich  in  Mosche.  Da  der 
2.  Theil  des  Wortes  bide  so  genau  zu  ahd.  wita  stimmt  (vgl. 
kriaa-bide  unter  kraa),  so  erscheint  hier  eine  zweite  Zusammen- 
setzung mit  diesem  seltenen  Worte  vorhanden  zu  sein,  was  um 
$0  merkwürdiger  ist,  als  weder  im  mhd.  noch  ahd.  eine  andere 
Zusammensetzung  als  jene  (kraaawita)  nachgewiesen  ist;  — 
krude-,  kude  —  ist  mir  nicht  klar.  Älemann.  luratte-beere 
Frucht  des  Faulbaumes  wäre  zu  vgl.  s.  Stald.  II,  135. 


414  Sehr ö er 

kriiUscIi  ütarr;  in  Altlaag  krickUch.  Gehort  wol  zu  krackke  s. 
dieses,  vgl.  auch  tirolisch:  gnigkei  Fettgraupen,  Schöpf  218. 

Irnliti,  Name  in  Weissenbach  1700. 

knli  grunzen,  slov.  krülitl.  Vgl.  kriBies.  Wieder  eine  Verschiebung 
der  Begriffe;  vgl.  keoe.  Ijexer  fiihrt  an :  frolUr  Übername,  kennt 
aber  ein  verb.  gnlo  nicht  S.  125. 

Irub,  Name  in  Rusbach  1750. 

ftnnail  vgl.  Criuil. 

krauen  greinen,  grinsen;  ahd.  granten  hat  ähnliche  Bedeutung, 
caperare  Graff  IV,  329;  vgl.  krnla. 

Irflsche,  Name  in  Katzendorf,  Hoheneck  1750;  vgl.  Crise. 

krifpei  knirschen ;  vgl.  haekhei«  krajpare  (Mehrzahlform)  Knorpel- 
kirschen. 

kflckltrii  f.  Wöchnerin;  wol  zu:  es  eiaem  kttecUea  ihn  pflegen. 
Schmeller  II,  279.  Stald.  II,  139.  Schöpf  357. 

kiekhe  m.  der  Kuckuck,  cimbr.  kick«  CWtb.  139,  vocab.,  ital.  toil. 
1460:  chiek«  gigk«ch  29\  Tirol,  gigker  Schöpf  222.  In  dem 
Liede  der  kickke:  M  seh^ane  kiekhet  dar  kiekhe  erscheint 
kiekhen  auch  als  Zeitwort  für  den  Ruf  des  Kuckuk;  schon  ahd. 
gneein,  mhd.  gvekei,  tirol.,  kämt,  gigkei,  giggei«  Lex.  126. 
cimbr.  kieken,  CWtb.  139. 

Der  Kuckuck  (kuckhe).  <) 

Bie  wrue  ijt  auw  der  kuckhe ! 

ar  st^annot  §  m6aron§  gär  wrüe  auw;  kucku! 

ar  beckot  auf  deu  mueter  $ain:  kucku! 

„steat  auw,  steat  auw  o  mueter  main,  kucku ! 

g^at,  kochet  mir  dan  wöarmais,  kucku ! 

i  hän  es  beute  bait  ze  ff^an,  kucku! 

bait^  ze  g^an  ins  Niderländ,  kucku ! 

in*s  Niderland  und  zar  lieben  main!**  kucku!  . 

auw  ift  gesteanen  de  mueter  jain, 

§i  kochet  imon  dan  wöarmais  schean,  kucku ! 

dan  wöarmais  schean,  de  jeu§en  &,  kucku ! 

ar  wlichot  ahin  in's  Niderland, 


<)  Da  mit  diefem  Theil  das  Wörterbuch  vollstündig  in  den  Hunden  des  Lesers  ist,  se 
ist  die  Beigabe  der  Übersetzung  der  Spracbproben  wol  nicht  mehr  nöthig  SberaU 
und  wird  z.  B.  Obiges  auch  ohne  Beihilfe  Tprstandeo  werden. 


Weitere  Mittheilangeii  fiber  die  Mundart  toii  Gottschee.  41  S 

\na  Niderland  zar  lieben  ^ain. 
benn  ar  &wer  hin  i§t  kam, 
kloekhet  ar  pain  wan^ter  an : 
«i^t  main  deu  liebe  a  hoime?*< 
deu  liebe  dain  \§t  et  a  hoime, 
§i  i^t  in  ruasengärten, 
§i  prichot  ir  de  röe§  geliecht ! 
Zabeu  hent  ir  de  röe^  geliecht? 
§i  bert  heint  de  kranzlain  pinten, 
^i  geat  dir  moafn  ze  kone 
mit  ir  dam  näeh§ten  dan  lieben, 
^ber  i§t  ir  dar  nächst  dar  liebe?*« 
dar  nächni^te  gemoinar!  — 
bie  loidic  barot  dar  kuckhe ! 
ar  wiichot  bider  hinter^ih. 
pain  bäge  da  i§t  a  heuschober, 
ar  ^itzot  hin  awn  heuschober. 
bie  loidic  barot  dar  kuckhe: 
„0  liehen,  lieben,  lieben  main  \** 
und  töat  da  barot  dar  kuckhe. 

Gewöhnlicher  Zusatz:  und  sait  dar  zait  kucket  koin  kucke  mer, 
bie  ar  an  ersten  heuschober  sichot. 

Der  Kuckuck,  der  Frühlingsbote  des  Volksliedes  sonst  s.  Uhlands 
Schriften  III,  23  ff.,  zuweilen  auch  Symbol  des  Undankes,  s.  V'ilmar, 
Handbuehlein  des  Volksliedes  S.  187,  wol  auch  noch  der  Treulose, 
erscheint  hier,  als  der  betrogene  Liebhaber,  rührend  in  seinem 
Sehmerze,  der  ihm  das  Herz  bricht.  Die  mir  bekannten  Kuckuckslieder, 
z.  B.  Uhland  S.  43,  387,  679,  weichen  ganz  ab. 
Iickher«  Name  in  Gottschee  bei  Elze  40;  vgl.  Vllek. 
kllei  bellen,  kämt,  kili,  tiroL,  bair.  Lexer  164,  Schöpf.  Ahd.  ekalUi, 

mhd.  kalleD  schwatzen.  Vgl.  Schmell.  II,  288. 
kiflt  f ,  d.  1.  kafli  die  Zauke;  killfi  f.  meretrix,  de«  kaflfn  Jag^t 
}fk  die  Hundin  jagt  sich,  d.  i.  ist  läufig;  vgl.  k^llel  Hunds- 
name; tuet  de  koUal  allwal  belln  etc.,  schottisch  etllie  ein 
Schäferhund,  Schmell.  II,  290,  tirol.  gole  Hund,  Fromm.  III, 
325  fehlt  bei  Schopf.  Weder  ital.  eagDA  noch  slov.  kas^a 
stimmen.  Elze  55:  „küll«,  kaUln  Hündin'*.  Das  daselbst  ver- 
glichene gifla,  lakel  Graff  IV.  183  gehört  nicht  hieher. 


416  Schröer 

kanneraie  f.  das  Elend,  die  Kümmerlichkeit;  vgl.  slovenisch  kiHeri 
mager,  knmeriiast  iMagerkeit.  Aus  Roman,  cambre  s.  kampar. 

^^kannerle  elender  Menseh**,  Elze  SS;  vgl.  kflnerle,  Sehmell.  IhW. 
kflmerliai^  Stalder  II,  140.  Vgl.  kammeraie,  kamper. 

tanmerdarf  bei  Nesselthal,  hatte  1770  dreizehn  Häuser. 

Camp,  Kanp,  Kampf,  Name  in  Krapflern  1S60. 

ILamb,  Name  in  Schwarzenbach,  Mosel,  Mosche,  etc.  17S0,  Stocken- 
dorf 1867. 

Kampe,  Name  in  Krapflern  1614. 

kämpf  n.  und  kamp  Wetzsteinbehalter,  so  auch  cimbr.  CWtb.  140, 
kämt.,  tirol.  Lex.  169,  Schöpf  3S%  bair.  Schm.  II.  302.  Im 
ungr.  ßergl.  gebraucht  man  dafür  das  md.  Wort  kiti  f.,  die 
Kütze,  sekUtekiti  Nachtr.  37\ 

kaakea  glotzen,  mit  Begier  dem  Essenden  zusehen.  Das  Wort  stimmt 
in  der  Bedeutung  auffallend  zu  got.  kai^aa  begehrlich  nach 
etwas  trachten.  Marc.  10,  24,  englisch  haae  schmachten  Gr. 
Gr.  IV,  841,  alemann,  „haagea  wird  von  Bäumen  gesagt,  deren 
Blütenknospen  vor  Trockenheit  nicht  ausgehn  können**.  Stald.  II, 
63.  6e-  vorzusetzen,  das  mit  h  zusammen  k  wird,  ist  der  G. 
Mundart  zuzutrauen,  s.  6.  und  oben  S.  132  [297]. 

taatsehea^  Ort  bei  Altlaag,  hatte  1770  drei  Häuser. 

tapb,  Name  in  Otterbach  1700;  vgl.  Camp« 

„kapitie,  papttie  Nabelschnur.  ** 

Urehlera,  Ort  1770  mit  vier  Häusern. 

karle  n.  kleines  Messer. 

taschel  bei  Struschnitza,  Ortsname. 

tasele,  Kassel,  Name  in  Eben,  Götenitz  1800. 

Casolt,  ILasalt,  Name  in  Kletseh  1S60,  in  Schalkendorf  1614,  in 
Reichenau,  Untersteinwand  17S0.  Vgl.  den  trank.  Namen  Cas- 
wald,  Paul.  Diac,  I,  2i. 

Kaff,  Name  in  Mosche  17S0. 

L  wird  R  in  priajiaieh  Blindschieiche;  rearkeUe  Lerche  s.  d. 
Im   In-   und  Auslaut  neigt  es  sich  zum  i  und  u:  bkM,  bkad,  hli} 
Hals  u.  A. ;  vgl.  oben  S.  24. 

laai^,  Altlaag,  Pfarrort,  zählte  1770  sieben  und  sechzig  Hauser; 
Neulaag  17.  Gewöhnlich  Liag,  Lkag )  der  Laagar,  Mebrz.  lat- 
gare,  dl  Laagarla.  —  later-Lag  zählte  1867:  1000  Deutsche, 


Weitere  MittbeilnDgen  über  die  Mundart  tob  Gottecbee.  417 

640  Slovenen.    Alt-LMgblehel,  Ort  1770  mit  vier  Häusern; 
Nei-Laagbiekel  mit  drei  Häusern. 

liek  leck,  gesprungen,  vom  Holzgeschirr.  Die  Form  Ueh  nd.  Uck  ist 
auch  durch  die  kämt.  Form  leek  Lex;  174  verbürgt.   Daher: 

lickatMM  lechzen,  zerspringen,  Uck  s.  d.,  sein,  ebenso  kämt,  leekat- 
lei  Lex.  174.  Im  ungr.  Bergl.  noch  leckes ,  erleekt,  derleekt;  s. 
darübermeinWtb.S.76''(188).  So  auch  alemann.  Sta]d.U,162. 

Jiche  f.  Schlangenhaut**.  Dem  Vocal  nach  stimmt  nur  etwa  kämt.  lAekele 
penis;  liek  gruen  Lex.  176.  Zu  mhd.  lefck  stimmt  der  Vocal  nicht. 

UcbkAwar  m.  Maikäfer. 

LuUia,  Ortschaft  1770  mit  zwei  Häusern.  In  Suchen  bei  Nesselthai 
erscheint  Lachina  als  Personen-Name  1750. 

Ufireaer  n.  Lauffeuer,  Nesselausschlag. 

lifele  n.  Mehrz.  lagelaiM  über  20  Maafi  haltendes  Faß.  Kleinform 
ligele  n.  —  Ein  pitriek  m.  hält  20  Maafi;  ein  patsekale  u.  etwa 
2  Maafi.  Vgl.  Schm.  II,  447.  Schopf  359.  Weinhold  359;  im 
ungr.  Bergl.  Wtb.  75. 

lal  nur,  gleichsam,  eben;  auch  kämt  .'Lex.  170,  tirol.  Schöpf  380. 
Dazu  ist  zu  vergleichen  Jac.  Grimm  in  Pfeiffers  Germ.  III,  48, 
wo  abd.  le,  IIa  Graff  II,  31,  33  verglichen  wird  (die  Stelle  bei 
Notker:  waz  muost  tu  mih  IIa*  tageliches  mit  ttnen  chlagon? 
kann  ins  Gottscheewische  in  der  That  tibersetzt  werden:  waß 
mfie§t  tu  mih  la!  mit  tainen  tagelainen  chlagen?);  wenn  es  von 
mhd.  liek  abgeleitet  werden  soll ,  ist  auch  der  Wegfall  des  ch 
auffallend.  —  lal  kar!  nur  her!  s.  oben  S.  118;  —  lal  ak4 
nur  so!  wenn  man  auf  die-Frage  warum?  keine  bestimmte  Ant- 
wort zu  geben  weifi  oder  zu  geben  Lust  hat,  wie  im  ungr. 
Bergland  ije  a  sagen,  in  Schlesien  und  in  der  Lausitz :  si  g&ra  ^ 
s.  meinen  Nachtrag  zum  Wtb.  der  Mundart  d.  ungr.  Qergl. 
S.  28\  Weinh.  27,  Anton  VIU,  12;  —  lal  nlsek!  nichts!  —  lal 
Mler,  lal  b^Ie,  lal  bte  der,  welcher,  e,  es ;  —  lal  bi  dort,  wo.  — 
In  letzteren  beiden  Fällen  (lal  bUer,  lal  bi)  hat  das  lal  hin- 
weisende Bedeutung;  latb&r,  latkar  gleichwahr,  gleichwol,  wahr- 
lich, dennoch;  näek  dalner  iln  Ik  mlk  lalbar  et!  über  dich 
enEÜme  ich  mich  gleichwol  nicht;  sekiaiie  dlemle  l§t  lalbar  et 
kaa  schönes  Dirnlain  ist  gleichwol  nicht  gekommen;  seklaae 
4ianlf  Ift  lalbar  A  kaa  schönes  Dirnlein  ist  wirklich  auch  ge- 
kommen; so  in  dem  Liede  oben  S.  101 — 108.    Dazu  ist  zu 

SiUb.  d.  phU.-hitt.  Ol.  LXV.  Bd.  II.  Hft.  29 


418  8  c  h  r  ö  e  r 

vergleichen  tirol.»  karnt.  leisiMar,  Uk^Mar  Lexer  186.  Schopf 
384 ;  aus  dem  oben  besprochenen  lei  und  mhd.  &•  maret  bair. 
^eisanar  SchmelL  II,  426.  Fromm.  III,  311,  neben  dem  auch 
^in  kürzeres  lelmar  enthalten  scheint  in  dem  tirol.  ietaerst, 
Schopf  384;  das  dieser  kaum  richtig  auflost,  in  lel-aB-trst 

Laibaser,  Laybiaser,  Name  in  Mitterdorf  um  1700— 1750. 

laleke  f.  der  Leichnam  und  das  Leichenbegängnis.  Bei  letzterem  waren 
ehedem  Wiadliekter  üblich;  jetzt  werden  bei  Seelenmessen  in 
den  Kirchen  breaaeade  WaehsUehter  vertheilt.  Vgl.  jlbeate, 
blldeskrait,  leicke. 

laieh  -lala  scheint  aus  mhd.  -liehea  hervorgegangen,  indem,  wie  oben 
bei  lai  (wenn  es  aus  Itek  entstanden  ist),  das  ch  ausgefallen  ist 
und  die  Flexion  angehängt  wurde ;  vgl.  walatlaia,  kämt.  feiatU« 
mhd.  Ttatltehea )  mhd.  aaser  tegellckes  br4t  heißt  im  Vaterunser 
in  Gottschee :  Ba§er  taglalaes  prAat,  s.  oben  S.  89.  So :  grialeii 
mhd.  griiweltekea,  birlaia  mhd.  wArltchea,  biaderlafa,  mhd. 
wiaderltekea.  Das  Adjectiv  ist  nicht  z.  B.  baaderlatekea  robd. 
wiaderllekii,  sondern:  biaderlalaea,  gleichsam  mhd.  waader- 
Ueheaia  s.  das  Lied  oben  S.  101  —  105:  bks  Ift  dks  wir  alie 
biaderlaiaei  laichet 

laiderle  n.  der  Schlußriegel  am  Halsring  des  Ochsen,  auch  tttscke 
f.  genannl;  vgl.  altsächs.,  angels.  hltdaa  schließeti. 

lainit,  laiaiat,  laaiaU  f.  Leinwand.  „Die  Vermoglicheren  handeln  mit 
Leinwad''.  Valvasor  XI,  197  f.  Cimbr.  lalMt  CWtb.  141*: 
kämt,  leiawet,  ielwat  Lex.  176.  mhd.  ItawAt. 

laltgab  m.  Schenkwirt,  laitgabea  ausschenken,  mhd.  Ittgftbe.  Vgl. 
Leltgak. 

Lakaer,  Familienname  in  Gotenitz  1660.  Nesselthal  1614.  Elie 
findet  denselben  noch  1860.  Im  ungr.  Bergland  kenne  ich  ihn 
aus  Neusol,  von  wo  er  nach  Wien  und  Presburg  gekommen  ist. 

Lakaera,  kleiner  Ort,  zählte  1770  drei  Häuser. 

laaiparter,  Name  in  Hornberg  1K60;  in  Schwarzwald,  Skrill  1750: 
in  Mosel  1867.  —  Mhd.  Lamparter  der  Lombarde,  Langobarde; 
leh  wil  ais  fara  gea  teitiea  laadea  aüt  kaafaiaasckata :  Ich  pla 
vaa  Laaiparlei)  cod.  ital.  tod.  mon.1460.  3^  Der  Name  bezeugt 
eine  Zuwanderung  aus  der  Lombardei. 

Laaipelt  Name  in  Wretzen,  Tappelwerch  1 750,  1 858 ;  auch  im  ungr. 
Bergland  (Schemnitz). 


Weitere  MittheiluDgen  fiber  die  Mandart  tob  Gottschee.  419 

\wmflt  n.  Lämmlein ;  auch  jHges  wihe,  denn  Vieh  gilt  vornehmlich 
Tom  Schaf.  laMpitse  f.  weibliches  Schaf;  eine  Bildung  wie 
mhd.  luie  die  Löwin  aus  lewiue,  lewalie  und  slov.  •§!!€€ 
Eselin,  aus  asel  u.  dgl;  s.  Gr.  Gr.  III,  339.  —  Die  Bildung 
kommt  auch  kämt  vor  laBpiien  f.  lamperle  n.  Lex.  171;  Tgl. 
ptwalitie,  Upitie,  kelhitiin)  das  -in  steht  hier  gegenüber  dem 
kämt  «n  in  laapiii  wie  die  kämt.  Form  kelbatie  obigem 
laBpitse. 
LaigeDth»!  (etwa  von  mhd.  ton  m.),  slov.  Smwk  genannt,  hatte  1770 

sechs  und  zwanzig  Häuser. 
Uigis  m.  Lenz,  FrQhling,  mhd.  laagei,  cimbr.  laagei,  kärnt 
laiges  Lex.  174;  tirol.  laagas  auch  JkrUig,  Schopf  366  f.; 
vgl.  Gr.  GDS.  S.  73.  —  D^r  Ausdruck  ist  besonders  in  Mitter- 
dorf heimisch,  indem  man  sonst  in  Gottschee  den  Frühlings- 
namen aiskart  s.  d.  hört. 

Uat  n.  1.  Land.  Der  Gottscheewer  nennt  seine  Heimat  sein  Unt  und 
Krain  ist  ihm  ein  anderes  Land,  IrtipUit,  was  schon  Valvasor  XI., 
195  f.  anmerkt  indem  er  attsdrQcklich  sagt  daß  sie  ihre  Heimat 
„das  Land  nennen,  gleich,  als  ob  es  wegen  Unterscheids  der 
Sprache  oder  des  Volkes  ein  anderes  besonderes  Land  wäre*'. 
2.  Die  Gegend  zwischen  Mitterdorf,  Gottschee,  Mosel;  daher 
lintnar  m.  Mehrz.  Uitaare  Bewohner  dieser  Gegend,  dieses 
Thaies,  denn  Itat  bedeutet  hier  Thal.  Ganz  so  wie  kärnt  lant, 
lantier  Lex.  172;  das  westliche  Seitenthal  mit  den  Orten 
Gotenitz,  Riek  etc.  ist  das  kinterlint,  daher  der  Uiterltetnar. 
Die  in  den  hochgelegenen  Wäldern  (in  Milden)  wohnenden 
heißen  bkidnare  (Waldner);  vgl.  auch  cimbr.  laat,  laitener 
CWtb.  141\  EinHlderUnt  begegnet  imLiede,  das  unter  knekhe 
mitgetheilt  ist. 

lanlie  lebendig,  cimbr.  lenleg  CWtb.  142  in  Passeier  lempic  Schöpf 
376;  schon  mhd.  Umttt  s.  mhd.  Wtb.  und  Schmell.  II,  412. 
Inlikrj  lichel  hkt  ib^an  Untige  hi$en  ind  a  dnehf  gawiehen 
(so  etwa  hätte  Elze  S.  44  schreiben  sollen)  Pfeifers  Michel  hat 
zween  lebendige  Hasen  und  einen  Dachs  gefahen. 

Up  o.  Laub.  Upitie  f.  Grfinzeug,  große  Blätter  von  Kraut,  Meer- 
rettich ;  vgl.  laaple* 

JLaaarat,  Familienname  in  Komuzen  1 760. 

Uns  Läse,  slov.  Loz,  Ortsname  bei  Tschernembel. 

19* 


420  *  SebrAer 

lAfei  lesen,  in  der  Bedeutung  von  aussuchen ,  sammein ;  arbatten 
aislAjea  Bohnen  auslesen;  Tgl.  l^fei. 

Lasen,  Name  in  Riek  1614. 

Laske,  auch  Laske,  Name  in  Deutschau. 

liftei,  laften  lassen;  Impr.  lil  2.  Pers.  PI.  lit;  m$M  liftet  man  lässt. 

iMkeri  in  aiftar  laikera  herauslocken ;  ;1  hit  m%m  ais  aassar  gelu- 
kerC,  sie  hat  ihm  alles  herausgelockt«  Vgl.  tirol.  leaklen  Schöpf 
394 ,  wo  ich  aber  den  Vocal  ea,  der  ein  ^  oder  langes  ae  vor- 
aussetzt, ebenso  wenig  mit  liekeln  aus  laekea,  liekea,  ahd. 
lacehin  zu  vereinbaren  weiß,  als  hier  aa;  am  ehesten  wäre 
denkbar,  daß  hier  eine  Intensivbildung  von  ahd.  likhaa,  got. 
lakan  anzunehmen  ist.  liekea  ist  vielleicht  erhalten  in  kämt. 
bUiek  schüchtern,  übel  vor  Hunger  und  behacken  sich  erholen. 
Lex.  173  f.  obwol  die  ursprüngliche  Bedeutung  schliessen  hier 
nicht  mehr  klar  wird.  Doch  scheint  aus  got.  nsinkan  erschließen 
und  ahd.  laa  lihkan  zuschließen  ein  nhd.  Innkem  mit  der  Be- 
deutung nach  und  nach  zum  Vorschein  bringen ,  kernas  Uakera 
hervorlocken,  vollständig  klar.  Doch  vgl.  auch  slovenisch  Ist- 
katt  Nachlese  halten  und  laichen. 

Unten,  nnsUnten  zu  Grabe  läuten:  es  Untet  aiman  ans  es  läutet 
einem  aus,  d.  i.  man  läutet  einem  aus.  —  Bt  klaekhen  mih  beat 
anslenten  oben  S.  48. 

ianterkrant  n.  sonst  gerader  Ziest,  stachys  recta  Linn^,  in  Gottschee 
auch  we;per  und  wescher  r4a§e  was  auf  eine  Form  fisperrase 
zurückfuhrt,  da  die  Pflanze  sonst  Aisperkrant  (beim  Volke  ge- 
sprochen Aisekperkrant,  daher  nicht  Vnssbeerkrant  zu  schreiben) 
heißt ;  s.  über  den  Namen  und  Gebrauch  im  ungr.  Bergland  und 
bei  den  Botanikern  meinen  Nachtr.  z.  Wtb.  S.  27.  Der  erste 
Theil  des  Wortes  ist  zu  vergleichen  mit  tspem.  Sehmell.  U 
673,  das  dort  mit  dem  Adject.  bnsper,  mnsper  und  wnsper 
zusammengestellt  wird;  vgl.  Schm.  II,  642;  firänk.  gilt  dafür 
mnstern  Fromm.  III,  214  (Goethe  gebraucht  nnainstern,  »da 
ich  mich,  wo  nicht  krank  doch  nnainstern  fühlte*',  Dichtung  und 
Wahrheit  8  B.).  Wenn  letzteres  an  lat.  ainstns  in  Form  und 
Bedeutung  anklingt,  so  sind  damit  die  andern  Formen,  nament- 
lich visperl  f.  behendes,  lebensvolles  Wesen,  Schm.  I,  573,  das 
auch  mir  in  diesem  Sinne  aus  der  lebenden  Mundart  'bekannt 
ist,  noch  nicht  aufgeklärt. 


Weitere  MittbeüungeD  über  die  Mundart  voo  Gottachee.  421 

«le,  Hehrz.  -Uta,  mhd.  Üb,  cimbr.  le,  Mebrz.  -len  CWtb.  142.  — 
lo  Stockendorf  lautet  es  wie  kämt.  -U,  -Iad.  ^Die  Verkieine- 
nmg  durch  -I,  -erl  ist  für  den  heutigen  bair.-österr.  Dialekt 
ebenso  charakteristisch»  als  für  den  alemannischen  die  durch 
-11,  für  den  sehwäb.»  die  durch  -le**  sagt  Weinh,  bair.  Gr. 
S.  244.  Aus  der  Gottsdheewer  Sprachprobe,  Fromm,  VI»  521, 
wo  die  Formen  negle,  pralle  vorkommen»  war  dies  unbairische 
•le  bereits  ersichtlich;  vgl.  oben  S.  20.  Es  steht  für  •!!,  wie 
die  Koseform  -i  in  Gottschee  auch  -e  lautet  (T«d,  Anton»  Tone, « 
Toni).  Das  schweizer.  -11  hat  im  Plur.  leil,  wobei  Gr.  Gr.  III» 
674;  vgl.  P,  631  Einscbiebung  von  -ei  annimmt  Die  Gott- 
scheewer  Pluralform  -Uln  weist  auf  ein  früheres  -Üb  zurück» 
ob  dies  nun  als  Klclnform  -Um  gefaßt  wird  oder  nicht»  es 
erscheint  als  eine  Nachbildung  der  schwachen  Declination  der 
Stamme  auf  -ela,  -la,  die  bei  Notker  einen  Plural  -tni  bilden» 
so  daß»  durch  den  vocalischen  Ausgang  geschützt,  sich  noch 
AM  gehalten  hat»  indem  es  im  Singular  zu  -le  gekürzt 
worden  ist.  Sowie  diese  Form  altalemannisch  ist »  so  fällt  sie 
doch  auf  durch  alterthümliche  Wahrung  des  -al  (für  -1).  — 
Wie  die  Wahrung  des  st.  Genitivs  s.  unter  kator^)  S.  102,  die 
Bildungen  in  -ade  s.  k^ehade»  trägt  auch  diese  Form  bei  zu  dem 
eigenthfimlichen  Karakter  der  Mundart  von  Gottschee  gegen- 
über den  bairischen  Mundarten. 

Itei  Magdalena ;  Uane  Lenchen. 

Jttf,  di-labri  vocab.  1479  f.  10*. 

l^a  loaen,  sich  laskaufen.  L6af  tlh,  Uaf  tlh  etc.  in  dem  Liedchen 
beim  plfea  s.  S.  S4.  Das  unerklärte  Wort  pisea,  plsnen :  mit  der 
Osterrute  schlagen,  konnte  aus  einem  früheren  bisBei  (mhd. 
bteeBen  mit  Ruten  züchtigen»  bei  Heinr.  v.  Krolewitz  mhd. 
Wtb.  1,  108»  bei  dem  wir  schon  einmal  oben  S.  23  ein  sonst 
nicht  vorkommendes  Gottscheewer  Wort  fanden)  abzuleiten 
sein ;  in  Tirol  heißt  piseii  mit  dem  Besen  einrühren»  Schöpf  42. 

Ici-  s.  lal-  und  M-. 


0  ■•  ist  die  seltene  Fora  »M.  hertire  in  Tirol  li^rder,  harter,  Schöpf  260.  Kirnt. 
beffdcr  ud  harter  Lex.  139 ,  wie  ich  oiio  gewiss  bin,  d«  mir  Herr  Pf.  Krise  selbst 
4ie  Vorm  kartir  Terbfir^  wonseb  8.  101  so  berichtigen  ist. 


422  S  c  b  r  d  «  r 

lelehe  f. Leichenbegängnis.  «Wenn  man  einen  Tudten  zu  Grabe  trägt 
so  tragen  alle  mit  der  Leiche  gehende  Männer  eine  brennende 
Kerze';  Valyasor  VI,  301.  Wachskerzchen  werden  auch  jetzt 
noch  bei  einem  Todlenamt  in  den  Kirchen  vertheilt  und  bren- 
nend in  Händen  gehalten.  Das  Wort  lalcke  in  diesem  Sinne 
steht  schon  in  dem  Liede  s.  oben  S.  104. 

leitgab,  Name  in  Gottschee  1760;  s.  ialtgab. 

lefea  im  Buche  lesen.  Daß  das  Lesen  in  Gottschee  eine  neuere 
Kunst  ist 9  bezeugt  diese  Wortform;  es  ist  in  dieser  Bedeutung 
ein  Fremdwort  und  bewahrt  das  ursprflngliche  I,  während  das- 
selbe Wort  in  der  Bedeutung  sammeln  Ujei  s.  d.  gesprochen 
wird.  So  heifit  im  ungr.  Bergl.  die  Schrift  Ms  f.  meine  Darst 
S.  186  [436]»  lesen  im  Buche:  h^ten^  daselbst  und  Nachtr.  z. 
Wtb.  17;  hingegen  beten:  spreeheii  wie  in  G.  sprachen  s.  d.  und 
sprechen :  kaisen,  Udeng  s.  Nachtr.  36*. 

Lesekltsek,  Name  in  Moswald  1760. 

leicklar  m.  der  Ständer  für  Lichtspäne ;  leiektarkeie  f.  die  Kluppe  in 
die  der  Lichtspan  eingeklemmt  wird;  im  ungr.  Bergl.  klift 
Wtb.  71';  Tirl.  auch  keie  f. 

liebe  f.  die  Geliebte.  Nach  dem  unbestimmten  Geschlechtsworte  a 
Uebei,  auch  mit  dem  Pronomen  di  liebei  d.  i.  mhd.  lieUi)  so  im 
Liede :  es  hatte  alnder  a  sekteanei,  a  llebei)  hingegen  den  liebe. 
Immer  in  der  Bedeutung:  Geliebte.  Es  ist  anstoßig  zu  einem 
Mädchen  zu  sagen :  di  llehea,  wenn  es  nicht  die  Geliebte  ist. 
Und  so  wird  der  Geliebte  auch  der  Hebe  genannt,  angesprochen 
dl  lieber,  was  sehr  herzlich  klingt ;  s.  das  Lied  S.  57  f.  Ich 
stelle  hieher  die  Balladen  f  •■  der  lieben  und  treie  liebe,  dazu 
einige  Bruchstücke  Ton  Liebesliedern. 

Von  dar  liaben  (gelöster  Flneh). 

Deu  Habe,  deu  g^anot  in  gdrte 
und  pintot  dam  liabon  a  peschle. 
der  wflr  dort  raitot  dar  Habe, 
der  wur  dort  raitot  dar  Habe. 

»hämon  pintojt,  du  Habeu,  dks  peschle  ?** 

*ieh  pint  dks»  liabar  direl' 

„ich  hkn  schon  oin  bndreu  oin  Heben 


Weitere  MittbetlnDgen  ober  die  Mnadart  too  GoiUchec.  423 

bele  pain  häpitschen  fitzot."* 
'Hiijt  du  schon  an  andreu,  a  liebeu 
bele  pain  h^pifschen  jitzot?' 

■ 

'I  bünschen  der  taujent  gelfickbe 

daß  du  j6r  und  tdg  kronkar  ligojt: 

*Daß  der  s  wloisch  won  poinder  beewaulot» 

de  j^ale  won  laib  et  mecht  scboidenl' 

Der  krankhot  b^ot  dar  Habe 

daß  mon  sVloiseh  won  poindem  i^t  gewaulot 

und  di  §^ale  won  iaib  et  mecht  schoiden 

und  di  j^ale  won  laib  et  mecht  schoiden. 

Ar  schikhot  nar  fim  deu  liebe : 
9e  gi$if  $e  g^a,  du  liebeu» 
der  liebe  hat  um  dich  geschickhot» 
der  liebe  hat  um  dich  gescbickhot. 

»Ar  hat  schon  an  andreu  a  liebeu» 
bela  pain  hdpitschen  jitzot!** 
Ar  schickhot  nar  deu  andre  hört: 
}e  g^a»  je  g^a»  du  liebeu» 
dar  liebe  hat  flm  dich  gescbickhot» 
dar  lifebe  hit  um  dieh  gescbickhot. 

Ar  schickhot  nar  deu  dritte  h6rt 

ar  schickhot  nar  deu  dritte  h6rt. 

Se  g^a»  fc  g^a»  du  liebeu, 

dar  liebe  hat  um  dich  gescbickhot. 

Geg^annan  bärot  deu  liebe: 

'Se  hilf»  je  hilf»  du  liebeu;' 

i  lig  in  jbärar  kronkheit  !* 

„l  kän  der,  i  mu  der  et  halfen» 

deu  liebe  deu  birt  der  schon  halfen 

bela  pain  häpitaehen  jitsot!** 

Gestoaben  birot  dar  liebe, 

aus  ijt  gewlügen  a  baißeu  taube.  Gottsehee. 

Bruchstacke  von  Liebesliedern,  die  an  bekannte  in  ganz 
Oeutschhind  verbreitete  Lieder  erinnern ,  bort  man  überall  und  viele 


424  S  c  h  r  Ö  e  r 

mögen  von  den  maiiderD  (Männern)  aus  der  Fremde  heimgebracht 
sein.  Eigenthumlieh  sind  die  noch  reimlosen  in  monotoner  Weise 
Torgetragenen  Balladen,  die,  wenn  auch  dem  Inhalte  nach  gleichfalls 
verwandt  mit  allgemein  deutschen  Balladen  (Neues  weist  das  echte 
Volkslied  selten  auQ,  doch  nicht  wie  jene  lyrischen  Gesänge  eine 
Übereinstimmung  bis  auf  den  Versbau  und  den  Wortlaut  zeigen. 
Reime  der  ersten  Art,  die  zum  Theil  den  Karakter  Ton  Schnader- 
hupfeln  annehmen: 


A  liedle  bil  ih  fingen, 

iedreu  (jede)  diern  bert  $ih  grimen. 

'lieber  main  pue 

ih  hän  koin  rue!* 

kaum  pin  ih  aut  ächzen  jdr 
main  pue  gait  mir  koin  rue ; 

lieber  main  pue 

bäs  gaijt  koin  rue? 

pueben  hent  hurte  ze  lieben 
bail  90  lai  diernle  petrüebent ; 

pis  ins  grub 

i$t  koin  rue. 

das  erjte  bär  a  ringalain 
das  zbaite  bär  a  hüderlain 

pue  lebebol 

wer  gifi  mih  et! 


Maine  bangelain  hent  röa^enröa 
ich  lieb  dich  bis  in  den  ttfad ! 
maine  zandelain  hent  baiß  hie  poin ; 
lieb  ich  dich  ganz  allein, 
meine  augelain  hent  koule^barz ; 
ich  lieb  dich  main  tau^entschatz 
flAre^t  oder  bächejt  du? 
i  9lüf  et  ih  pin  scho  krank, 
i  birt  et  laben  lank. 


Weitere  Mittheiluogen  nb«r  bie  Mundart  von  Gottschee.  425 

schick  es  mir  oin  priejter  gejbind 
lai  bert  ich  besser  jaiii. 
das  gr&b  i;  schon  ausgebaut 
hkb  scho  hinain  geschaut 
drain  lig^  oin  groafier  stoin 
drauf  mueß  geschrieben  $ain 
daß  bir  zboi  liebe  §ain. 

Liederanfänge. 

1.  Es  bäroten  zboi  liebeu  : 

ei  liebeu,  §o  laß  mi  mit  dire  gean! 


2.  Es  bäroten  liabeu,  zboi  herzigeu 

3.  Im  gurten  st^anot  oin  lindlein. 

4.  Dort  st^anot  oin  scbeaner  gürten 
mit  röajen  angetanen  (angesäet) 
atinne  spaziert  oin  juncfra 

oin  jungen  sch^aneu  juncfra, 

ze  ire  kamot  dar  liebe, 

dar  liebe,  dar  einzige. 

$1  reichet  imon  a  pesehle 

won  roin§ten  rojmarin 

ar  tets  allen  änschägeii 

in  deu  bände  namot  ers : 

ich  hän  ach  a  scheaneu  a  liebeu 

in  boißer  Karlstadt ! 

'ei  lieber,  bann  kome^t  du  bider 

und  daß  du  mih  ber§t  nam?' 

«atiden  im  Etlicher  (?)  pdaden 

do  st^anot  a  lindlein  grfien. 

„und  benu  deu  alle  geno§te 

zenander  roichen  bernt, 

„dann  d&  kirn  i  bider 

und  daß  ih  dih  bert  nam. 

«ich  hin  auch  a  scheaneu  a  liebeu 

pai  dar  boißen  Karlstat. 


426  Schröer 

„deu  ijt  mir  ja  wil  lieber 
denn  §ilber  und  das  gold !" 


Treue  Liebe. 

Dortinne  st^at  oin  lindle  htfaeh 

doben  an  bipfoin  blüet  §e  seh^an. 

unte  d&  jt^at  oin  schaiblain  (runder)  tisch 

pai  dam  §itzont  zboi  liebeu. 

das  pfieble  mächot  a  rechlunge:  <) 

„ich  muefi  es  ziehn  in  das  griaße  hör* 

a§o  da  jprichot  das  diernle: 

,benn,  lieber  komjt  du  hinter  sib?«" 

'  über  jibn  jor  und  3  tage, 

dannor  kirn  ih  bidar ! 

*dennor  zieh  di  äugen  in  das  lindle  h<Sach: 

schau  du  hin»  über  Reifnitzer  podem. 

'  90  birjt  du  jächen  (sehen)  a  röaten  fln, 

d6  birt  ich  noch  im  laben  ^in. 

'90  birst  du  sächen  a  sböarzeu  (küf 

dd  birt  ich  schon  ge§torben  $ain/ 

ummer  hent  kam  §ibn  gänzeu  j&r 

}ibn  ganzeu  jär  und  drei  läge. 

}i  ziehot  d*augn  in  das  lindle  höach, 

^i  schagot  (schauet)  hinüber  in  Raifnitzer  podem 

91  hit  gejjichen  (gesehen)  oin  rdaten  f&n. 

fi  hat  geglaubt  s  ijt  oin  ^boarzer  f&n. 

}i  ziehot  bider  hinterjih, 

§i  ziehot  außen  in  roajein  gurte. 

§i  §etzot  }i  nider  auv  gr&ben  jtoin» 

}i  boinot  au  $0  bitterlich. 

won  baiteu  jichot  9*an  raitar  ziehen: 

nborum  boinojt  du  §0  bitterlich?*' 

'bi  $ol  i  nit  bitterlich  boinen 


0  Om  Wort  i«t  mir  «onti  nicht  Torfekonneo.  SoU  hier  MSchet  t  rechlange  be- 
deoteit:  hilt  eine  Ansprache  (an  die  Geliebte),  ao  ist  etwa  an  ahd.  rtd^ail  aagea 
XU  denken.  V^l.  ahd.  errachellcli  eiplicabilia. 


Weitere  Blittbeilniigeii  über  die  Mundart  von  Gottscbee.  42  T 

benn  main  dar  liebe  gestorben  ijt/ 

^lai  gefter  pin  i  worbai  geriten» 

bu  daiD  dar  Habe  gehöachzaitot  hat! 

bäs  wor  a  gelücke  bünsche^t  du  imon  ? 

oio  p^ajes  oder  oin  guetes?** 

M  bunschen  imon  koin  p^ajes  gelücke 

M  bunschen  imon  tausend  guates  gelücke, 

bis  im  mere  gändstoinlain  i}!' 

ar  namot  aufie  oin  hüderle : 

^nim  hin,  sch^anes  mädichlain ! 

,,trücken  aus  daine  augelain 

»es  kin  und  mag  et  anders  jain: 

:,:,,bir  boideu  müeßent  painänder  ^ain  !**:,: 

Dies  ist  das  Lied  das  Uhland  in  einem  Texte  von  1892  (S.  263,. 
Nr.  116)  mittheilt:  es  stet  ein  lind  in  jenem  tai.  Schlesisch  bei 
Hoffinann  41.  Anton  Petter  Volkstümliches  aus  ostr.  Schles.  S.  179^ 
Kuhländchen  Meinert  S.  243.  Wunderhorn  I,  S.  61.  Schwab.  Meier 
S.287.  Kedler  S.  147.  Frank.  Ditfurt  H,  S.  22  u.  A.  —  Obwol 
inhaltlich  übereinstimmend ,  fehlt  hier  der  Reim  und  ist  wörtliche 
Übereinstimmung»  die  zwischen  den  angeführten  Fassungen  überall 
nachzuweisen  ist»  nicht  vorhanden.  Vgl.  oben  S.422,  ein  Seitenstück 

zu  diesem  Liede. 

lieble  0.  Lied :  a  het  •!■  Uedle  Ue  f i  !■  itm  laide  tient  fiigen  in  dem 

Liede  unter  ritlerfBiii. 
Uecht  n.  welcherlei  Kerzen  in  Gottscbee  noch  üblich  sind,  erhellt 

oben  aus  der  Bedeutung  leicktar)  so  heißt  denn  auch  lieeht 

anzünden,  den  Span  anzünden. 
Uekteibaeh  spr.  Uaeheipieh  bei  Nesselthal  hatte  1770  17  Häuser, 
liefe  f.  der  Zwickel ;  nl.  lis  f.  die  Litze.  Vgl.  das  folgende  liefine» 

was  eine  Weiterbildung  davon  scheint. 
iie}lac  m.  Mehrz.  lief  äuge  Tasche;  vgl.  iiiefiDe. 
Ugei  liegen;  Mgen  legen;  geleite  mhd.  gelett,  gelegt. 
Uie  f.  Giebelfenster,  Erkerfenster.  Ein  heut  zu  Tage  seltenes  Wort» 

das  noch  Ulr.  v.  Liechtenstein  häufig  gebrauchte;  mhd.  Une  f. 

Mhd.  Wtb.  I,  964;  ahd.  hlini  GrafflV»  109K.  —  Daher  sloven. 

Una  Dachfenster.  In  dem  liede  unter  Waiwerle. 
Uifeld  bei  Gottscbee  zählte  1770  49  Hauser. 


428  8  c  h  r  ö  e  r 

lia§e  f.  Linse. 

Lippe,  Name  in  Mosel,  Kotscbeu  1750.  Riek:  1800,  kamt.  Lex.  180 
und  Schweiz.  Roehholz  bei  Fromm.  VI,  459  ist  Lfppe:  Philippus. 

lippel  m.  Lümmel;  aus  Uppe  d.  i.  Philipp. 

Uppiseh,  Name  in  Gottschee  1684,  1760. 

lippttseh,  ebenso  1750. 

L^bbe,  Name  in  Koflern,  Windischdorf,  Altlaag,  Neulaag,  Nesselthal 
1760—1800;  vgl.  den  Namen  Ubbia  in  den  VII.  Com.  nd. 
lobbe  hängende  Lippe,  Fromm.  Vi,  353. 

Übe,  Name  in  Malgern,  Kletsch  1684,  1700;  vgl  Ubbe. 

L«i,  L«y,  Name  in  Gottschee  1783, 1867.  Lay  ist  in  Baiern  die  Kose- 
form von  Eh'gius,  Schmell.  II,  463. 

laiebea,  laikes  verlocken,  teuschen,  locken,  mhd.  leteheii,  cimbr. 
tirol.,  kamt.  Uaebeii)  -e  sun  sta  in  ganato  leb  pla  geleiebt  wardei 
vöc.  1479. 

Uidlc  schmerzvoll,  traurig.  Ue  laidte  ;Iogat  der  knckbe  wie  schmerz- 
voll singt  der  Kuckuck,  in  dem  Liede  wo  dem  Kuckuck  das  Herz 
bricht  wegen  Untreue  der  Geliebten.  Siehe  kickbe. 

latnei  lehnen;  iiUinen  anlehnen;  mhd.  leiien. 

lalp  n.  Brotlaib;  mhd.  leip. 

Uitei,  leiten,  am  Zfigel  führen;  Uiteii  U  sra;  af  dei  raebte  sirifte 
(leite  das  Boss  auf  die  rechte  Straße)  leiten  thu  d.  R.  a.  d. 
r.  Str. ;  mhd.  leltea.  —  Uitfatl  n.  Leitseil,  Zügel. 

iatter  f.  Leiter;  abd.  lelirA,  daher  slov.  lajint)  »Mterjpaiikei  = 
wlaterliUe'' handschr.  Mitth.,  etwa  Schmetterling?  s.  oben  S.84. 

Uandterae  f.  Iteadlemle  n.  Lehndieme.  Im  Liede:  die  brart 
stiehiitter,  s.  stiefnieter,  heiratet  das  Lohndiernlein  den 
Hauswirt. 

Laseblli,  Ort  bei  Ossiunitz  1770,  4  Häuser. 

Lttar,  Name  in  G.,  Morobitz  1756,  auch  Luser. 

UsIb,  Neu-  1770  mit  9  Häusern. 

Ilsen  s.  l6a§eB. 

llekbea  decken,  iiellckheB)  liekar  p.  Deckel,  lickaseklrbe  f.  Topf- 
deckel, Deckscberbe;  bair.  Inckei  decken,  Schmell.  II,  433, 
kämt  lickei  decken;  Iiek  Deckel,  auch  cimbr.,  tirol.  Schöpf 
400.  Vgl.  lankem. 

Iibat  lau,  d.  i.  mhd.  lAweit  lauend;  vgl.  Fromm.  III,  104,  452. 
Iibats  bksser  laues  Wasser. 


Weitere  Mittbeilungen  über  die  Mundart  von  Gott«cbee.  429 

he«  Jergel  larCe  8«d^  Name  in  Schwarzenbach  1680. 

Iillei  saugen;  auch  tirol.  Schopf  402.  Kämt.  Lex.  182,  zu  nl.  lal  f. 
Röhre. 

Ilfei  boreben;  ebenso  cimbr.  Wtb.  144,  tirol.  Schopf  393;  kämt. 
Lex.  182.  Lexer  findet,  daA  es  zu  got.  blaasjaa  stimmt,  eine 
Form,  die  auch  Fromm.  Zeitschr.  II,  9S8  angegeben  wird.  Ein 
Stamm  blas,  Grundspr.  kris  (altnord.  Mist  f.  das  Ohr;  sanskr. 
fnshtl  f.  Gehör,  ahd.  hlit,  gr.  xkitrog;  altsl.  slati)  sanskr.  (rata 
etc.)  muß  wol  angenommen  werden,  zu  dem  ahd.  Uasta  losen 
gehört,  aber  die  got.  Form  fehlt  uns  und  auch  ahd.,  mhd.  ist 
lisei  nicht  überliefert. 

M  steht  für  w  in  gemiehei  gewesen,  s.  oben  S.  91.   Umgekehrt 

steht  6==to  für  m  in  biatel  (Mantel). 
m  steht  für  n  in  midel)  s.  d. 

■Ichei.    —    Das  Wort   machen    hat   einen    sehr    ausgedehnten 
Gebrauch,  wie  in  den  j^cimbrischen'*  Mundarten,  wo  es  sogar 
stark  biegend  ist.  CWtb.  148*.    Ähnlich  im  ungrischen  Berg- 
land   Wtb.  78^.   Nachtrag  40.    Die   Moccheni   haben   davon 
ihren  Namen,  CWtb.  147;  vgl.  die  Bewohner  von  Gaidel  im 
ungr.  Bergl.  Nachtr.  28.  —  katzelmkcher  m.  der  Italiener,  weil  er 
Katzen  ißt;    vgl.  ferUemieher  m.  der  Zipser,  weil  er  gerne 
Spanferkel  ißt;  ungr.  Bei^l.*  Wtb.  50\  —  es  mkcht  sieh  es  ge- 
sehieht,  wie  im  ungr.  Bergi.  Nachtr.  40;  in  Tirol  es  macht 
kmlt  u.  dgl.   Schöpf  407;  vgl.  Stalder  II,  189.  —  wernkeheii 
iibschmalzen,     wie    in    Schlesien:    gemachtes    essen    abge- 
schmalzte Speise.   So  wie  man  sonst  sagt  kalk  auBaehei,  teig 
aBMiehea  d,  i.  durch  flussige  Zuthat  zubereiten.  Schiesisch  ent- 
steht daraus  das  Subst  die  mache  oder  das  miehsel  d.  i.  Fett, 
Butter»  Weinhold  59*;  in  Gottschee:  maehkde  f.  maehadja  f. 
Schweinschmalz,  s.  oben  S.  59  statt  smklie   (d.  i.   Butter) 
mM€käit.  In  Tirol  mkchete  n.  Fett  als  Zuthat  Schöpf  408;   in 
Kärnten  mkchade  n.  Hackfleisch  in  der  Wassersuppe  u.  dgl. 
Lex.   183;    auch  anderes  durch  Zuthaten  Angemachte,    wie 
Maatfutter,  Fromm.  III,  364;  in  der  Schweiz  machete  Maeherei, 
Stald.  II,  190;  im  Fränkischen  maehetla  in  der  Bedeutung  wie 
oben   k^ehadle  s.  d.  Fromm.  II,  246.    Aüfi'allend  ist  hier  die 
Übereinstimmung  mit  Schlesien  und  erinnert  an  den  freisin- 


430  Schröer 

gischen  lelssier  ron  1316  oben  S.  33..  Bei  Thomasin  bedeutet 
■■demaekei  überwältigen,  subigere  1196,  2818,  3335,  3337, 
3368,  3378,  f.  7388,  96911  f.  11000,  was  immer  anzumerkea 
ist,  da  Tbomasin  diesen  Gegenden  angehört.  —  aiseliiider 
■aekei  theilen;  s.  oben  S.  38. 

a&dar  m.  1.  Mfthder  2.  Wachtelkönig. 

Bidiglali  n.  Midchen,  im  Liede. 

■iderl,  Name,  s.  lederl. 

sag  Bie  ich  kann,  vigeft,  nie,  blr  Bagea,  Ir  Baget,  $1  Bigeat. 

lagretitile  0  n.  Margarete. 

Bie  wröe  ijt  auf  Mkgretitzle 
Wie  frOh  ist  auf  Margreteben 

$i  stengait  |  moraij  g&r  wrüe  auf 
sie  stand  des  Morgens  gar  frühe  auf 

fi  legait  jih  gär  sch^aneu  kn 
sie  legete  sich  gar  schön  an 
$i  zieht  ahin  an  bage  proit 
sie  zieht  hin  am  Wege  breit 

K.  an  bage  proit  in  sdckheln  roin 
am  Wege  breit  am  steilen  Rain 

in  Stickhein  roin  ins  hejiach  kloin 
am  steilen  Rain  ins  HaselgebOsch  klein 

^  §etzet  $ih  nider  auf  grobe  stein 
sie  setzet  sich  nieder  auf  grobe  Steine 

;i  herait  kn,  $i  finget  sch^an: 
sie  hebet  an,  singet  schön: 


<)  Nach  Sefaottk7*t  Vonelt  oad  OegeawartlSlS  1. 17%;  t.  oben  8.9  und  aaten  mt\«. 
Indem  iob  die  Schreibvag  thualichst  berichtige,  Ismc  ich  die  Endsilben  in  stes-. 
galt,  wisselt,  fnsralf  unberührt,  tla  ZengniMC  Ar  die  Unbestimmtheit  desVoctU 
dieser  Endungen :  steogslt  gerlgslte,  legalt,  hef  alt,  heckalt,  llesialt  neben  wiftelt, 
hiteit,  wileit)  neben  fltiet,  yetiet,  i&hlet,  masset,  reitet,  rticket,  finget  tbtr 
«och  slngait,  ja  selbst  slagsit,  Stndiosvs  J.  JagUtsch  (s.  S.  11)  will  beobMibtet 
haben,  daA  dieser  Vocal  bei  llteren  Personen  o  gesprochen  wird  (so  hörte  aieb 
ich  dienen,  fingst  u.  a.),  das  bei  manchen  beinahe  wie  ö  klingt.  Jüngere,  die  i> 
4er  Schule  die  Schriftsprache  gelernt  haben,  sprechen  dafQr  al.  —  Dies  •  ist  x« 
erfcliren  aus  «k  llterem  a.  Das  Tocab.  it.  tod.  ron  1423  hat  noch  oder  schon  fol- 
gende Indien tiTformen  priteriti:  ich  sehenkat,  du  schenkatst,  der  (so)  schea- 
kat,  bir  schenkateo,  ir  schenkst  (so),  die  schenkaten,  f.  SO^ ;  ebenso  leerst  77*, 
lenat  76^,  re Jat  65S  u.  t.  a.  Vgl.  die  nichste  Anmerkung. 


Weitere  Mittheilungea  über  die  Mundart  von  Goltachee.  43 1 

„ji  maines  glaichen  im  land  et.ijt 
^    woU  meines  Gleichen  im  Land  nicht  ist  . 
10.  a1$  oinder  junger  Eisbargar! 
•Is  ein  junger  Eisberger  (?) 
Auf  Laibacher  brunle  da  fitzet  ar 
auf  Laibacher  Brflnnlein  da  sitset  er 

das  ^ilber  und  gold  das  zahlet  ar 

das  Silber  und  Gold  das  sfthlet  er 
das  edle  tuech  das  masset  ar.  ** 
das  edle  Tuch  des  misset  er.  — 
Si  fingait  bider  deu  indre  w&rt  : 
sie  singet  wieder  die  andere  Fahrt  (das  zweitemal) 
IK.  »j&  maines  glaichen  im  länd  et  ijt 
wol  meines  Gleichen  im  Land  nicht  ist 

als  oinder  junger  etc.*" 
als  ein  junger  etc. 

Si  jingait  bider  deu  dritte  w&rt : 
sie  singt  wieder  das  drittemal : 
„jS  maines  glaichen  etc.*" 
wol  meines  Gleichen  etc. 
Und  das  derhort  dar  Eisbargar 
sobald  das  erhört  der  Eisberger 
20.  ar  beckait  ouf  di  knachte  ^ain  : 
er  wecket  auf  die  Knechte  sein 
»96  ahtieli  mir  main  hengi^tle!^ 
so  sattelt  mir  mein  Uengstlein 

Ar  jetzet  ^ih  auf  $ain  henge^tle, 
er  setzet  sich  auf  sein  Uengstleio 

Ar  raitet  ahin  in  stickheln  roin 
er  reitet  hin  den  steilen  Rain 

in  stickheln  roin  ins  he^lach  kloin. 
den  steilen  Rain  ins  Haselgebfisch 

2S.  nu  da  ijt  kam  dar  Eisbargar: 
nun  da  ist  gekommen  der  Eisberger 

^Magretitzle»  du  liebes  main. 

Margretlein,  du  liebes,  mein 
$0  roich  mir  har  dain  baisze  hiind!" 
so  reich  mir  her  deine  weiße  Hand 
wich  roich  es  et  main  baißeu  band, 
ich  reiche  nicht  meine  weiße  Hand 


432  S  ch  r ö  e  r 

di  herren  hent  betriegarisch, 

die  Herren  sind  betrügerisch  4 

30.  betriegarisch,  verwaerarisch!" 
betrügerisch,  verführerisch. 

Ar  bäteit^  $i  deu  andre  w&rt; 
er  bat  sie  das  anderema) 

„$o  roich  mir  bar  dain  baißeu  händ!** 
so  reich  mir  her  deine  weiAe  Hand 

'ich  roich  es  et  etc. 
ich  reiche  nicht  etc. 

Ar  ließait  O  wällen  fain  traibrfietle 
er  ließ  fallen  seine  Reitgerte 
3K.  4S0  roich  mir  bar  das  traibrOatle!" 
so  reich  mir  her  die  Reitgerte 

Si  roichet  imon  das  traibrüetle,  . 
sie  reichet  ihm  die  Reitgerte 

ar  wäßeit  %\  pai  baißer  band, 
er  fasste  sie  bei  weißer  Hand 
ar  pollet  $i  auf  $ain  bengejtle, 
er  wirft  sie  auf  sein  Hengstiein 
Ar  raitet  bider  hinter^ib, 
er  reitet  wieder  zuröek 
40.  ja  hintersih,  in  Türkailänd 
wol  surfick  in  die  Türkei. 

Seu  jetzend  $ifa  nider  zu  schaiblaiu  tisch, 
sie  setzen  sich  nieder  an  dem  runden  Tisch 

^eu  assent  und  trinkbent  a  kurzeu  zait, 
aie  essen  und  trinken  kurxe  Zeit 

ar  schickhet  um  di  spilleute : 
er  schicket  um  die  Spielleute 

„wrisch  auf,  wrisch  auf  ir  spilleute!" 
frisch  auf,  ihr  Spielleute 
46.  Mägretitzle  hat  durch  gejung: 
Margretlein  hat  immer  gesungen : 

'jS  malnes  glaichen  etc.** 

wol  meines  Gleichen  etc. 


0  Ein  Rest  des  Prit.,  das  der  dsterr.-bsir.  Maadsrt  fehlt,  ist  in  GotUekee  ia»«r 
noch  erhalten,  doch  wird  an  den  Stanm  mit  dem  Ablavt  der  starken  Verha  das  t 
der  schwachen  Biegung  angehingt. 


Weitere  Mittheilungen  aber  die  Mundart  von  Gottcchee.  433 

§\  bateit  in  deu  ^r^te  wärt : 
sie  bat  ihn  das  erstemal 

„hör  auf,  hör  auf  du  El$bar|^ar, 
hör  auf  da  Eisberger 

zerbroften  hent  di  spitz  par  schueh  \** 
serborsten  sind  die  spitzen  paar  Schuhe 
80.  Si  piteit  in  deu  andre  wlkri : 
sie  bat  ihn  das  anderemal 

„hör  auf,  hör  auf,  du  Eisbargar! 
hör  auf  etc. 

zerbro^ten  ist  main  proun  gürtele  ]** 
zerborsten  ist  mein  brauner  Gürtel ! 
Si  päteit  in  deu  dritte  wSrt : 
sie  bat  ihn  das  drittemal 

„hör  auf  etc. 
hör  auf  etc. 

S5.  zerbrojten  i$t  main  gerigaite  pfoit!"* 
zerborsten  ist  mein  geftlteltes  Hemd 

und  benn  ^i  das  hat  ausgeroit 

und  wie  sie  das  hatte  ausgeredet 
si  fiileit  nider  und  blaibet  töad. 
sie  fiel  nieder  und  blieb  todt. 

Iiy,  Name.  Mrgel  dies  lay  iii  und  des  Barlbu;  kalbe  kaebe 
Seh warzenbach  1614;  vgl.  BartlBl.  Ein  frank.  Henneberg  Name, 
Spieß  197. 

■aiUaBe,  die  den  1.  Mai  aufgerichtet  werden,  bleiben  den  ganzen 
xMonat  stehen. 

lalebci,  Name  in  Durnbach  1614.  Nesseithai,  Skrill  etc.  1760. 
leikeilne  Altlaag  1614. 

lilerle,  Geschlechtsname  in  Durnbach,  Eben,  Fliegendorf,  Warm- 
berg 17S0. 

laierle,  Ortsname  bei  Nesselthal. 

■iii,  wenn  es  flectirt  wird,  erhält  es  ein  d,  so  daß  es  mit  der,  die, 
das  zusammengesetzt  scheint:  ■alidei  Agei,  mhd.  mIbIi  •■gern, 
■alAdaa  kalter,  meinen  Schrank ;  aali  de  kkit,  ■»!■  de  legle, 
■all  de  jalte  etc.  aber:  ■&!■  dar  liebe  mein  Lieber;  auii  dan 
liebem  meinen  Geliebten,  Fromm.  VI,  .521,  wo  wirklich  der 
Artikel  dem  Possessivum  in  alterthumlicher  Weise  nachgesetzt 

SiUb.  d.  phil.-but.  Cl.  LXV.  Bd.  II.  HfL  30 


434  S  c  h  r  ö  e  r 

wird,  wie  ahnliches  im  ungr.  Bergland  s.  meine  Bemerkung  it\ 

Frommanns  Zeitschrift  VI,  S.  249. 
■ajr,  Name  in  Stockendorf,  Schwarzenbach  1700,  1867.   Im  ungr. 

Bergl.  erseheint  der  Name  in  dieser  Schreibung  schon  in  Neu- 

so]  1390.  In  Marburg  ebenso  16.  Jahrh.  Reichel,  S.  II. 
layßely  Name  in  Iniauf  1860,  Fliegendorf  1614,  Gottschee,  Mraueu, 

Rick,  WeiOenbach  1750.   Im  ungr.  Bergl.  leisel  in  der  Zips 

Wtb.  83. 
■al,  vai   n.  Mehl ;  Genitiv  ■anbej,  mhd.  mtt^  BMires. 
■atckei  melken,  Imp.  ■ilek,  mhd.  ■liehen, 
lalgen  gesprochen    ■angrari,    slov.  aala  g«ra  deutscher  Ort  bei 

Mitterdorf,  zählte  1770  vierzig  Häuser, 
lalhar  Name  in  Gottschee  1684. 
■alleritsek,  Name  in  Lachina  1750. 
lallinseek,  lalliisehegg,  Ort,  zählte  1770  sieben  Häuser. 
lallner,  Name  in  Rick,  Morobitz,  Hinterberg  1750. 
■ai  m.  Mann;  Mehrz.  naideri  ebenso tirol.,  kärnt.^  ■aiiUck  beherzt, 

mannhaft;  vgl.  Schöpf  419'der  ■aiMbeh  um  Linz  findet;  kämt. 

vgl.  Frommann  III,  467,  Cimbr.  Beines  adject.  CWtb.  146. 
■&ie,  viie  m.  Mond,  wraft  ■&nftag  m.  Freßmontag,  der  Montag  vor 

Aschermittwoch,  s.  praikeli,  Uc. 
■Inat,  ■*■•!  m.  Monat,  praGalnatn.  März,  «das  seilt  diesaieti  ieaer. 

der  kariug,  der  ven,  der  apfiU,  der  aey,  der  prmchBeadi  der 

heiaaid,  der  aigest,  der  kerbst,  der  webiBaid,  der  wiiCerBeii 

decembre:  der  leieiBeid**  vocab.  ital.  cod.  mon.  von  1459. 
■aik,  Name  in  Schwarzenbach  1614,  Unterlosin  1684,  Staliern, 

Linfeld,  Mosel  1750. 
lantel,  Name  Tiefenthal,  Mosel,  Römergrund,  GraflindeD  etc.  1750. 
aare   f.  Erzählung,   BArle  n.  Mehrzahl   BArlaii  Märchen;   mirtn 

melden,  erzählen;  vgl.  tirol.  nArei  Schöpf  421,  Lex.  186. 
Margarete )  die  Form  Cfretel  faule  Gretel,  im  Liede  oben  S.  95  unter 

firtete,  in  Tschermoschn.  fir^ata,  sonst  Sreato,  Deminut.  Mate. 

Im  Liede:  Ikgr^titile,  s.  oben  S.  430. 
■artiisle  n.  Eidechse,  auch  egedaek;  s.  d. 
■arik,  larfe  im  Liede:   der  keiiei   kkt  geaehessei,    ■arlot  unteo 

S.  436;  vgl.  auch  Btia.  Femer  in  folgenden  Marienliedern: 


Weitere  Mittheiluni^en  ober  die  Mundert  tob  GotUchee.  435 

1.  In  gänzer  barlt  i$t  koin  böikle  et 
won  liimbel  wällot  a  küelder  tä; 
8  bärot  et  a  küelder  ii, 

8  i^t  Maria  irde  zaherlain ! 

2.  Marta  st^anot  smoro;  wrue  auf 
§i  legot  $i  gar  sch^aneu  &n 

91  ziehot  außen  an  proiten  big 

von  proiten  biig  auf  dan  $nnfllen  staig. 

3.  In  gänzer  barlt  i§t  koin  böikle  et  etc.  wie  1. 

4.  Dar  staig  wuerot  $i  auf  dan  htfachen  perg 
$i  ziehot  in  den  röa^aingurt, 

$i  prachot  nar  di  rea^lain  geliecht 
9!  wlachtot  nar  die  kränze  geliecht, 

5.  Bu  bil  $i  hin  mit  dan  kränzen  geliecht? 
fi  hangot  §i  auf  das  heilige  kreuz, 

bu  bil  §\  hin  mit  dam  heil,  kreuz? 
ins  himbelraich  ins  puradai^I 
as  her  alle  §älic  harten  I 


Maria  §  möarä^  wrüe  aufst^at,  Maria,  Maria  Maria  o  königin ! 
$i  legait  ^ih  gar  sch^aneo  un»  Maria  etc. 
91  gäat  hinaus  in  röa^aingurt.  Maria  etc. 
bas  bellet  §i  tuen  in  r6a§auigurt?  Maria  etc. 
di  r^ajlain  geliacbteu  bellot  §i  prachen.  Maria  etc. 
ba  bellot  ji  hin  mit  dan  r^a§lain  geliecht?  Biaria  etc. 
a  kranzle  geliechtes  bellot  $i  wlachten.  Maria  etc. 
bu  bellot  ;i  hin  mit  dam  kranzle  geliecht?  Maria  etc. 
aufs  heilige  kreuze  bellot  $is  hengan.  Maria  etc. 
bu  bellot  ji  hin  mit  dam  heiligen  kreuz?  Maria  etc.  i) 
ins  himelreich,  in*s  Paradaij.  Maria  etc. 
gott  hilf  Gn§  allen  ins  himelreich  I  Maria  etc. 
ins  himelreich  ins  Paradei;.  — 
Maria,  Maria,  o  Maria,  kdnigin ! 
Vgl.  Elze  S.  36.  Fromm.  II,  86  und  das  Lied  unter  Urje. 


')  EiB  Aaklaag  an   den  cimbrifcheo  Oster^esang  CWtb.  79  ist  hier  uorerkeanban 

ba  trigar  shalge  krafise  t 
ear  triges  auf  den  perg  etc. 

30  • 


436  Schröer. 

Der  boizen  hat  geschossen,  Mario ! 
mit  seinen  röatguldain  stangelain,  Mario ! 
rdatguldain  i$t  das  stangele,  Mario ! 
röatfilbrain  i$t  die  aher,  Mario!  S.  oben  S.  112. 

Jesus  und  Maria. 

Maria  hat  bekommen  a  zederie 

darauf  i$t  geschrieben  ir  oinziger  $un. 

§i  hat  werioren  ir  lieben  $un 

^ie  ziehet  gen  Jerusalem. 

Bol  in  der  «tat  auf  mitten  platz 

da  st^at  oin  gröaßes  kreuze. 

drauf  i$  gesligen  ir  guetes  kind 

$i  boinet  au  jo  pitterlich. 

;o  spricht  der  hear:  ^barum  bainojt  du? 

barum  bainojt  du  $o  pitterlich?** 

'bie  sol  ich  nicht  bainen  pitterlich? 

bu  ich  ^tch  wließen  Je§us  pluet!' 

benn  Je$us  hat  gezogen  ober  stickein  roin 

ar  hiit  lin  waln  oin  pluetstrepfle. 

-/.daraus  ist  gebächjen  oin  bainrable*/. 

benn  Je^ us  hat  gezogen  fiber  ebens  wald  (ebenes  Feld) 

ar  hat  lin  waln  oin  milchtrepfle. 

-/.  und  drauß  if t  gebäch^en  oin  boizstamlain*/. 

und  koin  messe  kän  gelejet  $ain 

dabai  mueß  $ain :  das  boizene  pröat  und  dar  kOelebain«. 

Jesus  und  Maria. 

1.  Der  tag  ij  wue,  de  nacht  ijt  kirn 
main  Je§us  ijt  et  kdm ! 

2.  Umme  i^  kam  di  neuneu  und  di  nacht, 
wer  klockhet  an  $o  graulaio? 

3.  ,,Mach  auv,  mueter»  lieben  main! 
mach  auY,  mueter.  Heben  main!** 

4.  Mit  getankher  band  machet  $'imon  auv 
mit  gerachter  hiind  empfdchot  s*in. 

5.  „Lii^bes  main  kind,  wo  pi$t  du  gebin? 

ich  und  dain  woter  juechont  dich  mit  fm^arzen. 


Weitere  Mittheilnngen  über  die  Mundart  ron  Gottschee.  437 

6.  Bir  hobn  gUbet  di  Juden  haben  dich  schon  gewüchen. 
ich  pin  jo  gebin  pai  den  jungem  main. 

7.  Seu  hont  ausge^etzot  di  pSnkhe  und  jtüele 
und  das  hoilige  sacrament. 

8.  Di  §onne  und  der  mone  werlie§ent  den  schain 
main  kind  hat  koin  ra$t  un  koin  rue. 

9.  Di  glockhen  stellen  das  läuten  ein  — 


Hier  sei  nun  auch  angereihet  das  folgende  Pauluslied 

Faulaa. 

Der  hoilige  Paulus  hart  im  grQenen  bald. 

bas  birt  dain  de  ko$te  nar  ^ain? 

'fpai^e  nar  $ain  de  burzelain. 

trinken  nar  dar  ragen  birt  $ain. 

haschen  nar  dar  b&rme  ragen. 

trucken  nar  $ain  birt  deu  härme  $unn. 

ra^te  nar  ^ain  birt  auf  lauter  feigen  und  §toinen 

sterben  nar  $ain  pai  Jesus  und  Marta 

do  birt  main  sterben  nar  $ain.' 

Maria  und  Johannes. 

Bol  durt  aw  grüener  htm 

g^at  dar  möargenstern  aw : 

atunten  ^itzot  Marta 

bol  unsere  liabe  wrä. 

fi  ziehet  a  boiniges  wurhin 

und  wörhin  wur  das  hau;. 

Johanne;  schäget  poin  wanjter  eraus, 

'Johannes,  du  heiliger  man 

häft  du  et  gemachen  Je$um  main  ^nnV 

Mb  hinem  bol  gewichen»  herrn  Je;um  dain  jun. 

mit  strickhen  hiint  $eu  'n  gepunten 

mit  goijeln  h&nt  feu  *n  gegeißelt ! 

^u  hiint  en  angeflogen  an's  hoilige  kreuz 

zb^an  niglain  in  de  hende  ein  in  di  wfiesz  1- 

dar  das  liedle  fingen  kän 

dar  fing  es  alle  tug  amil» 


438  S  c  h  r  d  e  r 

dem  bil  ih  gaben 
das  £big  laben. 
Schon  bei  Elze  S.  38  aber  unvoIlstSndiger. 

lariMl,  Name  in  Schwarzenbach  1614,  Unterlosin  1684,  Stalzern» 

Lienfeld.  M5sel  1750. 
■ariftoli  m.  Marmor  in  dem  Liede  S.  71  ff. 
■arscker,  Name  in  Laag  1614;  vgl.  larsebe. 
lartli,  Familienname  in  Eben  1750;  Tgl.  lerl. 
lartine,  Koseform  von  lartii  im  Liede: 

Martine. 

1.  Bie  wrüe  ist  auw  seh^an  Hartine 

ar  raitot  hin  an  bage  proit  —  tahoit ! 
der  heilige  sch^an  Martine ! 

2.  An  bage  ii  ;itzot  an  iilter  man  — 

an  bage  da  sitzot  an  älter  man  —  dahon ! 
0  heiliger  sch^an  Martine ! 

3.  §0  toilot  mir  bis  in  gottes  num, 

so  toilot  mir  bäs  in  gottes  num !  —  dahum ! 
0  heiliger  sch^an  Martine ! 

4.  Bäs  bil  ich  eu  teilen  in  gottes  num? 

bäs  bil  ich  eu  toilen  in  gottes  nom  —  dahum ! 
$0  }6get  dar  sch^an  Martine* 
6.  Ar  $naidet  dan  bontel  an  der  mitten  anzbai 

ar  ^naidet  dan  bontel  an  der  mitten  anzboi  —  dahoi ! 
dar  hoilige  schdan  Martine.  — 

6.  „Nim  hin  du  alter  min 

nim  hin  du  alter  man  —  dah^n  !^ 
0  heiliger  sch^an  Martine ! 

7.  Ich  pin  es  et  a  alter  man ! 

ich  pin  es  nar  dar  liebe  gott  —  dahott ! 
du  heiliger  sch^an  Martine. 

lasekel  s.  lesehe« 
latekeM  s.  lesehe. 

laserebei,  gespr.  aafer  ^bei,  bei  lasen  hatte  1770  neun  Häuser. 
lasen,  bei  Gottschee  hatte  1770  acht  und  dreißig  Hauser. 
■äset  yaroloxo  voc.  1479.  Vgl.  Schmell.  U,  623:  aaset)  mhd.  Wör- 
terb.  II»   86 :  unvermausgot»  unvermasget. 


Weitere  Mittheilungen  aber  die  Mundart  von  Gottichee.  439 

■issei  messen;  lieeh  aassen  Tuch  abmessen;  mhd.  ■Iiiea. 
■itle  0.  Seitel,  d.  i.  der  vierte  Theil  einer  Maß,  vgl.  Schmell.  II,  62S. 
mktit  geschmacklos,  fade,  thoricht,  wol  zu  matt,  ital.  Batta. 
lalkiltocUtsch,  Name  in  Kotschen  1 7K0. 
htte,  Name  in  TieFenthal  1700. 

■itUü  desposente  vocab.  1479,  im  ungr.  Bergland  ■atteleas^  vgl. 
darüber  meinen  Nachtr.  40^*  uud  Germania  XIV,  251  meine 
Besprechung  der  neuen  Ausgabe  von  Schmell.  bair.  Worterb. 
M  n.  (Maed)  Genit.  M^de;,  Dat.  miie  Wiese,  Wismat,  eigentlich 
Mahd,  das  ift  nadd,  das  Ijt  baigrnid  das  ist  Wiese,  das  ist 
Baugrund;  ik  birt  der  pis  als  B«dd  —  !■  Bnede  bert  ik  der 
iielci  ich  warte  dir  bis  zur  Mahdzeit;  in  der  Mahd  werde  ich 
dir  zahlen.  ' 

■«lief.  1.  Metzen,  2.  Schachtel,  Holzgefaß,  ursprünglich  din  ■fttie, 
a  wie  gewöhnlich  für  g;  im  Kuhländchen  das  vatile  Holzgefaß, 
in  Franken  die  Beti  Meinert  407,  Schmell.  II,  662.  In  Schlesien 
■este,  im  ungr.  Bergl.  aesse  Wtb.  Sl*".  —  In  Tirol  ist  ■atiele 
eine  kleine  Butte,  Schöpf  428.  —  Batile  n.  Mehrzahl,  ■atileli 
Dose,  kleines Gefafl;  tabak  Batile  n. Tabakdose;  blllck  aatile  n. 
Bilchfalle  zum  Bilchfange;  pAcktmatile  a.  Kehrichtfaß,  vgl.  pickt. 

■11  s.  nai. 

■aiehei  s.  Batckea. 

■lai  n.  der  Mund;  für  Baal  bei  Thieren  gilt:  keae  s.  d. 

liirer,  Name  in  Windischdorf,  Suchenreuter  1750.  Im  ungr.  Berg- 
land: 1362  Schemnitz,  1649  Krickerhau,  1686Kasmark,  1734 
Trexelhäu,  18S8  Kaschau. 

liaria,  Name  in  Pröse,  Deutschau,  Neuwinkl,  Stalzern  17S0. 

llasel,  leasely  Name  in  Deutschau  1750.  —  In  Schemnitz  1362: 
lavsUaas. 

■U)  wigle  n.  Mehrzahl  ■■■§  wiglala  das  Maus  voglein,  der  Zaunkönig. 

laatser,  Name  in  Kuntsehen,  Kletseh  1560,  Kuntschen  1614, 
Schwarzenbach  1669,  Altlaag,  Komutzen,  Rothenstein  1750. 
Auch  bei  Elze. 

luelf^  Name  in  Reichenau  1614.  Auch  bei  Elze.  —  Im  ungr.  Berg- 
land in  Käsmark  1605,1840:  lata,  ebenso  1627  in  Dopschau, 
1645  in  Krickerhäu.  Vgl.  auch  latidarf  in  der  Zips. 

■^aka,  ariakB  vom  Heckern  des  Hasen  cf.  jutr^xoco/uiaft  blocke  sanskr. 
■eka  der  Bock. 


440  S  c  h  r  ö  e  r 

lederl,  liderl,  Name  in  Otterbach  1614.  —  Im  ungr.  Berglaad 
■eder,  Metzenseifen  18S8,  in  Siebenbürgen  lederat. 

ledei,  ledlti,  Name  in  Skrill,  Nesselthal,  Mosel  etc.  17K0.  Krapflero 
1700.  —  Im  ungr.  Bergland  ledeli,  Lorenzen  1785. 

■eler,  ■•irar  m.  ■•irarii  f.  der  Oberknecht,  die  Oberdirne,  der 
Meier y  bekanntlich  vom  lat.  major,  fr.  maire  etc. ;  in  Kärnten 
■Ar  m.  Lexer  184.  Tirol  naar  Schöpf  414.  In  „Vorzeit  und 
Gegenwart  Ton  Jul.  M.  Schottky,  Posen  bei  J.  A.  Hunk  1823*" 
Seite  276  ist  folgende  Ballade  mitgetheilt,  die  ich  in  berich- 
tigter Schreibung  gebe: 

Di  moirarin.  Ein  Wiegenlied  i). 

1.  Bie  wrüe  i§t  auf  di  moirarin 
Wie  frfih  ist  auf  die  Meierin 

^i  stiangeit  $  morai;  gur  wrueje  auf, 
sie  stund  des  Morgens  gar  frühe  auf, 

§!  ;ingoit  zu  ir  jungen  $un : 
sie  sang  zu  ihrem  jungen  Sohn : 

di  gruwns  d  gueter  bernd  alle  dain  }ain 
des  Grafen  Gfiter  werden  alle  dein  sein ; 

S.  prutai  ninai,  prutai  ninai! 

(S.  darüber  oben  S.  61  unter  prite.) 

Und  das  di  höret  di  griwin  junc. 
Sobald  das  da  hfiret  die  Grflfin  jung, 

bie  zornic  bär  ^i  drauf! 
wie  zornig  war  sie  darauf! 

un  ruefet  ^i  di  loandirn : 

an  rufet  sie  die  Lohndirne : 

n bring  umme,  bring  umme  der  moirarin  ^un, 

bring  um  der  Meierin  Sohn, 

10.  ih  bil  dir  gaben  a  jaidain  rockh 

ich  werde  dir  geben  einen  seidenen  Rock 
beider  mih  koftet  fünfhundert  gülden**, 
welcher  mich  kostet  500  Gulden. 

Und  bie  di  diern  ehin  i$t  kam, 
und  wie  die  Dirne  hin  ist  kommen, 


')  „Der  folgende  Gesang  iat  ein  Wiegenlied  und  wahrscheinlich  Ton  hohem  Alter,  da 
ihn  auch  die  benachbarten  Relfnitterinen  als  solches  in  slavischer  Sprache  aU* 
gemein  and  seit  nndenUichen  Zeiten  singen.** 


Weitere  lliUheilungen  über  die  Muodart  von  Gottschee.  441 

do  sprichet  di  diern:.Mhoi  moirarin, 
da  spricht  die  Dirne:  ei  Meierin, 

giet«.  9uechet  mir  küeles  prunnbässer, 

geht,  suchet  mir  kühles  Brunn wasser, 
15.  ih  bil  eu  biegen  eur  jungen  fun!** 

ich  werde  euch  (indess)  wiegen  euren  jungen  Sohn! 

Und  außar  hat  §i  genom  ir  messerle 

und  heraus  hat  sie  genommen  ihr  Messerlein 

und  steckoit  *s  im  in  kindisch  harzle 

und  steckte  es  ih  m  in  das  kindische  Hers 

und  s  biegle  i$t  wurt  wolles  pluet. 

und  das  Wiegeiein  wurde  sogleich  roll  Blut. 

Di  diern,  deu  giangait  pehend  au9 

die  Dirne,  die  gieng  schnell  hinaus 
20.  and  innin  ift  kam  di  moirarin 

and  herein  ist  gekommen  die  Meierin 

ir  junger  $un  bär  schone  töad 

ihr  junger  Sohn  war  schon  todt 

der  dierne  messerle  §tackoit  in  ;ainem  harzle 

der  Dirne  Messer  stak  in  seinem  Herten. 

Bie  hoifte  boinet  deu  moirarin ! 

wie  heiß  weinet- die  Meier  in ! 

un  das  derhöreit  der  gruwe  junc: 

Sobald  das  erhörte  der  junge  Graf 

25.  „boi,  torbatl,  du  lieber  main ! 

ei  Thorwftrtel,  du  lieber  mein! 
gia  uhin  zer  moirarin 
geh  hinab  zur  Meierin 

un  frug,  bäs  ir  waleu  tuet 
und  frage»  was  ihr  fehlen  thut 
giat  ir  üb  deu  wocbitzin 
geht  ihr  ab  das  Kuchenbrot  ' 
oder  der  rdate  bain?** 
oder  der  rothe  Wein? 
30.  'Mir  giat  et  üb  deu  wochitzin 
mir  geht  nicht  ab  das  Kuchenbrot 
mir  giat  et  üb  dar  rdate  bain ! 
mir  geht  nicht  ab  der  rothe  Wein! 
mein  junger  $un,  dar  i^t  schon  toad 
mein  junger  Sohn,  der  ist  schon  todt 


442  S  c  h  rö  e  r 

der  dierne  messer  im  harzle  stackoit!' 
der  Dirne  Messer  im  Herzlein  stak! 

Und  auhin  i^t  kam  der  torbati 
und  hinauf  ist  kommen  der  Thorwartl, 
35.  896  do  sprichet  der  torbati: 
so  da  sprichet  der  Thorwart]: 

^hoi,  gruwe,  du  lieber  main! 
ei,  Graf,  du  lieber  mein ! 

der  moirarin  jun,  dar  i^t  schon  töad, 
der  Meierin  Sohn,  der  ist  schon  todt, 

und  umme  hht  in  pr6cht  di  diern  däin  f* 
und  umgebracht  hat  ihn  die  Dirne  dein! 

Und  hin  i^t  kam  der  gruwe  junc : 
und  hin  ist  kommen  der  junge  Graf: 

40.  »hoi  diern,  hoi  dierne  liebeu  main 
ei  Dirne,  ei  liebe  Dirne  mein 

beu  hi;t  du  umme  prdcht  der  moirarin  sun?** 
warum  hast  du  umgebracht  der  Meierin  Sohn? 

*hiet  et»  biet  et,  herr  lieber  main, 
hätte  nicht,  lieber  Herr  mein, 
deu  wrauge  hat  mir  werhoißen  a  $aidain  rockh!' 
die  Frau  hat  mir  verheißen  einen  seidenen  Rock! 
„hoi  wrauge,  hoi  wrauge»  du  liebeu  main! 
ei  Fraue,  du  liebe  Fraue  mein 
4S.  beleu  ratze  dersehießen  bir  beut?^ 
welche  Enten  erschiessen  wir  heute? 
*ho  herr»  ho  herr»  deu  beleu  du  bil^t!' 
0  Herr,  welche  du  willst. 

darschossen  hat  er  jaine  baiße  wrä 
erschossen  hat  er  seine  weisse  Frau 
gehairätet  hat  ar  di  moirarin 
geheiratet  hat  er  die  Meierin.  — 

■M  s.  mü. 

■Ilehei  s.  ■atehei. 

■eiheh  m.  Mensch.  So  auch  kämt.  Lex.  189.  Cimbr.  BeBieeeh 
CWtb.  146^  Im  Cimbrischen  gilt  ■ennesch  auch  noch  adjecti- 
visch  für  menschlich  a.  a.O. ;  vgl.  oben  Bao)  in  Gottschee  finde 
ich  in  der  Ballade  di  prAwe  stiehineter  (s.  stiehiieter) :  »Ms 
gietlick  vnd  bäs  ■enschHek  Ijt!"  —  dai  ■ensch  la  persona;  di 
■eiss  le  persone  vocab.  ital.  1423. 


Weitere  Slittheilungen  über  die  Mundart  ron  Goltschee.  443 

■er  f.  Neuigkeit,  che  novelle  e  adesso  in  Allemagna  wai  mer  Ist  ietf vid 
li  deitiei  landeif  vocab.  1423,  84^;  —  jetzt  aare  s.  d.;  im  ungr. 
Bergl  mJkr  f.  unglaubliche  Geschichte  Wtb.  79,  Nachtr.  40 ;  mhd. 
■»re. 

■er,  M^r  u.  Meer.  Die  mSrarlB  die  am  Meere  wohnende.  War  schon 
das  Aufßnden  des  Liedes :  Die  Brait  des  tadten  Kellers  in  Gott- 
sehee  ein  überraschender  Fund;  s.  darüber  oben  Seite  71 ,  so 
ist  dieß  noch  mehr  die  Ballade  ? •■  der  schSnev  am  leer  (waa 
dar  sek^aaa  ai^rarfn),  die  in  verschiedenen  Fassungen  gesungen 
wird,  indem  sie  in  zweien  mit  anderen  deutschen  und  slove- 
nischen  Balladen  verflochten,  in  der  Einen  aber  nur  als  ein 
Nachklang  der  2K.  äventiure  derKudrun  verständlich  ist;  siehe 
darüber  den  Aufsatz  in  der  Germania:  XIV,  323 — 337  das 
Fortleben  der  Kudrunisage  von  K.  Bartsch  und  K.  J.  Scfaroer. 
Ich  habe,  seitdem  ich  jene  Mittheilung  machte,  noch  eine  Ab- 
schrift der  Ballade  erhalten  und  zwar  von  Herrn  Johann 
Erker  in  Altlaagi).  Sie  enthält  nichts  wesentlich  Neues.  Ich 
beschranke  mich  daher  darauf  nur  den  Eingang  mitzutheilen 
(wobei  ich  nur  die  Schreibung  etwas  gleichmäßiger  durch- 
fiihre,  als  die  Hs.). 

Du  soheaneu  jongeu  mörarin. 

Bi  wrue  bar  auf  deu  scheane,  deu  junge  morarin 

si  richtet  un  sneabaiszeu  hasche, 

si  geat  haschen  zum  proiten  mör, 

zum  proiten  mör  zum  tiefen  s^ab. 

Won  halten  dort  sahot  si  a  schifTlain  sbim 

zbean  junge  herrn  atinne  drin. 

„guet  möarn,  guet  möarn  scheaneu  morarin  !** 

'sch^an  dank  ir  herrn  jung  scheanen  dank; 

wil  guete  möarn  hän  ih  a  b^ancl'  etc. 
Das  Weitere  stimmt  zu  der  III.  Fassung,  a.  a.  0.,  die  dem  Stoff 
nach  einer  slovenischen  Ballade  verwandt  ist.  Merkwürdig  ist  nur, 
daß  hier,  was  zur  slov.  Ballade  nicht  passt,  iw^i  kerrei  in  der  Barke 
sitzen,  so  wie  in  der  II.  und  I.  Fassung  (in  meiner  Mittheilung  a.  a.O. 
waren  es  in  der  III.  Fassung  drei).  Diese  zween  Herren,  die  auch 
naeh  der  zweiten  Fassung:  der  Bruder  und  der  Geliebte  sind,  Ortwin 


0  Eine  früher  scboD  benutzte  hatte  ich  Ton  Herrn  R.  Braune  in  Gotttchee. 


444  6  c  h  r  5  6  r 

und  Herwig,  laseen  erkennen,  daß  dieser  Eingang  ursprünglich  nicht 
der  zu  dieser,  mit  der  slovenischen  verwandten,  Ballade  war.  Daß 
auch  dieser  Eingang  die  Worte  geete  B^an  kai  Ih  a  Mane  (wenig) 
(vgl.  Kudr.  1220  gnaten  margei  geatei  Abeat  was  den  ■lueellcken 
■eldea  tiire)  treu  bewahrt,  spricht  ebenso  deutlich  dafür.  Es  kömmt 
in  der  slovenischen  Ballade  nicht  vor. 
■ergela  brummen,  schmälen;  vgl.  Scbmell.  II,  616;  „2.  Bergeli 

Einen,  ihm  zusetzen,  ihn  in  Anspruch  nehmen,  plagen^.  Äbniicb 

auch  tirolisch,  s.  Schöpf  434.  —  Vielleicht  ein  anderes  Wort 

als  Bergeln  in  abvergebi,  ansvergeli  von  Hark,  ahd.  Barag. 
■erke  f.  eine  Rflbenart.  Vielleicht  Nebenform  von  Birle  s.  d.  mit 

nd.  ke  für  le. 
■erle  s.  nMe. 
lertflasraatk,  besser  Mörleinsraute  s.  Blrle,  ein  Ort  bei  Sacke  s.  d., 

der  1770  drei  und  zwanzig  Häuser  zählte. 
meralae  m.  Getreidemaß,  «ela  BeralMg  speltea*'  1757.  S.  aufweise 

vgl.  slo venisch  at^nik  der  Halbmetzen. 
Bier re,  ailrre  f.  die  Brombeere ;  vgl.  aiarrc.  dl  riate  wlikalrre  horte 

ich  nennen,  konnte  aber  nicht  erfahren ,  welche  Beere  damit 

gemeint  sei.  Die  Himbeere  heißt  keak  bire  s.  d. 
Biert  m.  oder  aierteBkiate  n.  der  Zaunkönig,  auch  aiaof  wigle  s.  d. 

periw^gle  s.  d. 
lert,  lertle  Martin;  „lertlelB"  labet  den  Mnrtinsabend  mit  einem 

Mahle,  wenn  es  sein  kann,  mit  einem  Gänsebraten  feiern  S. 

Elze  Seite  2K. 
Biertle  n.  Rothkelchen. 

lertaai,  Ort  bei  Ossiunitz,  hatte  1770  acht  Häuser, 
■en  m.  der  gewöhnliche  Name  des  Monates  März  ist  prassMla^t 

s.  d.  —  der  aieri  sei  gnt  ader  pas  er  treibt  dea  acbsea  ai  das  gras 

and   den   kiat  ai   den    sckaten    cod.   ital.    mon.    von   1459. 

f.  iS\ 
llgntsck,  lickitsck,  laekltsck,  llckltsek,  Name  in  Gotenitz,  Moswald 

u.  s.  um  1700. 
Ilkkei,  Name  in  Altlaag  1780. 

lille,  Name  in  Nesselthal  um  1700.  Illlli  Gottschee  1669. 
Billlck  f.  Milck.  ailllekralber  m.  Butterfaß,  Röhrkubel,  s.  jlaikar. 
Bitnie  Johannis  minne  trinken:   trlickt  saidt  lais  aili  tole  vn  san 

Zoanel  vocab.  1423,  9i\ 


Weitere  Mitth^ilniigeii  über  die  Mundert  ron  Gotttchee.  445 

lli«,  Uimkf  in  Tschermoschnitz:  Um  Marie;  liie  Mariechen;  über 
diese  Verkleinerung  s.  oben  Seite  35  und  77.  In  Altlaag  lautet 
der  Name  lii«,  liie. 

■Ifkaliem  schreien  wie  ein  Bock;  slov.  nerkM  Bock;  vgl.  ■^ikem. 

■fr}le  n.  Mehrzahl  ■Irflaim  eine  weiAe  Pflaumenart.  Gf.  ■irtell  qui- 
dam  eibus  Schmell.  II,  620. 

■IseUck  n.  Gemisch. 

■ifci  blinzeln;  vgl.  Schweiz,  ■■sei,  ■isei  kalmäusern,  'kopfhängen, 
ins  Stocken  gerathen,  Stalder  II,  223;  doch  kann  hier  Entleh- 
nung angenommen  werden,  wenn  slov.  mMM  die  Augen  ver- 
schlossen halten,  ein  slavisches  Wort  ist. 

■1^  m.  DQnger;  MlfthMfe  m.  Düngerhaufe,  mhd.  Mlstkife. 

■Ittoeh  m.  Mitwoch.  Cimbr.  ■ittoek  oder  Mlttak  CWtb.  176  unter 
Tag.  Meitochei  u.  a.  Formen  im  ungr.  Bergland,  s.  Nachtr.  21. 

IltteiWAM  bei  Stockendorf  hatte  1770  acht  Hauser. 

litlerdorf  oder  Alte  llrehei  bei  Gottschee,  hatte  1770  drei  und 
dreißig  Hauser.  Es  ist  seit  1788  ein  selbständiger  Pfarrort,  mit 
den  Dorfern  Oberlosin,  Koflem,  Malgern,  Kerndorf,  Windisch- 
dorf,  mit  denen  die  Pfarre  1867  2256  Seelen  zählte.  Eine 
Glocke  in  der  Pfarrkirche  daselbst  wird  als  diejenige  bezeichnet, 
die  die  Gottscheewer  aus  ihrer  Urheimat  mitbrachten.  Die  Um- 
schrift ist  eben  so  unleserlich,  wie  so  viele  Giockenumschriften 
des  14.  und  15.  Jahrhunderts,  deren  Buchstaben,  theils  wegen 
Ungeschicklichkeit  der  Verfertiger,  theils  vielleicht  auch,  weil  sie 
wirkliche  absichtliche  Häthsel  enthalten,  nicht  zu  entziffern  sind. 

lllterdorf  bei  Tschermoschnitz  zählte  1770  ein  und  dreißig  Häuser. 

■Ittergns,  gesprochen  llttergrif,  bei  Suchen,  hatte  1770  acht  und 
zwanzig  Häuser.  6bergras  ein  und  dreißig. 

■•dd  n.  s.  mU. 

■•imem  meinen,  ik  ■•!■,  da  ■•liest,  ftr  Moliet.  —  ■•liiige  f.  Mei- 
nung, bereits  angefShrt  S.  21. 

lolea,  Name  in  Zwislem  1614. 

„■•■sekdi  vielleicht  R.  Dieß  scheint  ein  Schreib-  oder  Druck- 
fehler fQr  Big  ^b  mag  sein. 
Ims,  gesprochen  Mo;,  bei  Riek,  hatte  1770  zwei  und  zwanzig  Häuser. 
■ir,  Birarii  s.  ner. 

■äre  f.  Mohre,  ahd.  ■•rakä,  mhd.  ■•rhe.  Der  Umlaut,  den  die 
Schriftsprache  hier  unorganisch  eintreten  läßt,  fallt  in  der 


446  S  c  h  r  ö  e  r 

Mundart  doppelt  auf.  —  Gebräuchlicher  ist  die  Form  ■•rie  n. 
Hehrzahl  Mriafi  Möhre.  —  MirUlijaMe  m.  Mohrröbensaroe.  — 
Herleiasraatk  (für  ■IrUfasraate)  s.  d.  heißt  ein  Ort.  Auch  die 
Kamt.  Mundart  hat  mk^fl  n.  Möhre;  mit  dem  Umlaut  Lex.  191. 

■•rgea,  fMaraof  auch  marai;  des  Morgens.  Kämt.  tsckMtrgais 
Lex.  192,  tirol.  dscknargest  Schöpf  443;  im  cimbr.  Katechismus 
von  1842  steht  sehnar^eiei,  schlesisch  sckMarchsta,  Wein- 
hold 85.  —  V^gl.  jahaj  Abends. 

HarUia.  Jlrgel  des  larkh«  sii,  Schwarzenhach  1614.  —  Im  ungr. 
Bergl.  Harka  Kremnitz  18S0.  Mark,  Harkas  Neusol,  Schemnitz 
1360—1390. 

■art,  Maat  m.  Mörtel;  nd.  mmtt.  Ich  finde  auch  aufgezeichnet  „Baal 
Mörteh,  was  entweder  ein  Schreibfehler  oder  auf  got.  MiiMa 
Molte  pulvis  zurückzuführen  ist;  vgl.  kämt,  malta  Lex.  185.  u.a. 

HaraUts  hatte  1770  fünf  und  zwanzig  Häuser.  Als  Caplanei  losgelöst 
von  der  Pfarre  Riek  seit  1792.  Es  gehören  zu  dieser  Kirche  die 
Orte  Bbea,  Nledertiefeibaek  und  Iilaar,  Man  erzählt,  daft  an 
der  Stelle,  der  jetzigen  schonen  Kirche,  die,  sowie  die  schöne 
Pfarce  und  das  schöne  Schuihaus,  durch  des  ausgezeichneten 
Pfarrers  Job.  Krise  Thatkraft  erbaut  worden  ist,  eine  uralte 
Kirche  gestanden  habe.  Pfarrer  Krise  bewahrt  die  im  Grund- 
stein jener  alten  Kirche  in  einem  Trinkglase  gefundenen  Reli- 
quien, die  die  Jahrzahl  1580  tragen.  Derart  sind  die  Alter- 
thumer  von  Gottschee ! 

■Irre  s.  Merre« 

■arjar,  Mijar  m.  Mörser.  Kämt.  Measer  Lex.  192  (d.  i.  »  airser). 
tirol.  Mersel,  ■earsckl  Schöpf  435,  cimbr.  narlear  und  süMif 
CWtb.  148,  173.  lat.  MrtorloM,  ahd.  narUri,  narsiri,  mhd. 
■arsaere;  neben  ahd.  Marsall,  mhd.  Marsel.  Die  dem  ahd.  mar- 
sirl  nahekommende  obige  Form  ist  frei  vom  Umlaut  der  anderen 
Mundarten.  —  MijarstreMpfel  n.  Stößel.  So  auch  cimbr.  stremp- 
fei  Stößel  CWtb.  175.  Dieß  streHpfel  tur  stUipfel  ist  schwäbisch 
Schmoll.  III,  685.  Im  ungr.  Bergl.  besIreMpell  abgestumpft. 
Käsmark  vgl.  ferner  Wtb.  100,  Darstellung  166,  Lautlehre  221. 

larseker,  Name  in  Altlaag,  Weißenstein,  Langenthon  1750;  vgl. 
Harseker. 

■aseke  f.  eigentlich  wol  laseke,  lasckei,  wie  ich  1750  geschrieben 
finde,  heißt  jetzt  amtlich TsekerBasekiitsslov.iersamice  obwol 


Weitere  Mittheilungen  über  die  Mundart  von  Gottscliee.  447 

der  Gottscheewer  nur  die  lesche  sagt.  Es  hatte  dieser  Ort 
1770  ein  und  zwanzig  Häuser»  wovon  eine  Gruppe  von  fünf 
Häusern  Hasckel,  die  andere  Gruppe  von  ffinfsehn  Häusern 
■asekem  hieß.  —  Die  Tracht  der  Frauen  nähert  sich  hier  der 
sloYenischen.  —  iMehaar  m.  Mehrzahl  ■•schiare  der  Be- 
wohner der  lasche. 

boiauer,  bolauer,  geiiechter  täc! 
beraua,  licht«r  Tag! 

alle  di  klockhelain  läutent  schdau, 
alle  die  Gldclclein  Ifiuten  schön, 

und  Moschnar  diernlain  jjäfent  noch  alle  sehean 
und  die  Moeebner  Mftdciien  schlafen  noch  alle  sch5n. 

Hoschner  Wecklied.  Vgl.  ein  anderes  Wecklied  aus  Mitterdorf 

oben  unter  krAoea. 

Als  Pfarre  erscheint  Tschermoschnitz  seit  1509. 
llsel,  ein  bedeutender  Pfarrort  mit  den  Dorfern:  Dornback,  Reiatkal, 

Terdremg,  •tterbaek,  iatsckam  (=  Niedermosel).    Die  Pfarre 

wurde  errichtet  1509»  „die  Pfarrkirche  St.  Leonhardi  zu  Mosel 

ist  1520  gebaut-.  Valvasor  VUI,  774.   Im  Jahre  1770  zählte 

tbernlsel  zwei  und  fünfzig,  NiederBlsel  sechs  und  zwanzig 

Häuser. 
Itswald  bei  Gottschee  hatte  1770  neun  und  dreißig  Häuser.    Vgl. 

oben  S.  12. 
Iraoei  gesprochen  Hrige,  bei  Rick  hatte  1770  ein  und  dreißig  Häuser. 
■teke  f.  Fliege;  gewöhnlicher  wliage.  SIov.  Bika. 
mdel  f.  Nudel.  —  Bodel  pUck  m.  Teigbrett,   d.  i.  in  Presburg, 

Wien,  Insbruck  nadelbrett.  —  ■odelbeigar  m.  Walgerholz; 

österr.  Walger;  die  fränkische  Form  welger  auch  im  ungr. 

Bergi.  Wtb.  103. 
■adlgea  coire;  vgl.  etwa  kämt,  ■adeli  misten.  Lexerl92;  im  ungr. 

Bergl.  midel  Hode;  Wtb.  82\ 
■ic  ich  kann,  mag.  Migef  t,  nie.  ir  ■oget  §1  et  regieren  ihr  könnt  sie 

nicht  verwalten.  Schon  1423:^MDg  posso  vocab.  85\ 
■lescke,  Name  in  Krapflern  1700,  s.  Hisekee. 
■Aeftei)  ikniß,  dinttfl,  ar  mtH]  kirHfleßen,  IrnAeßet,  jeinAßeiit. 
■Akem  muhen,  von  Kühen;  vgl.  ■oeiea,  ■ogelien,  Schöpf  445  und  1. 
■Al«i  M  kaekcB  werden  1770  zwanzig  angegeben. 
■Alle,  Name  in  Nesselthal  1750,  s.  llUe,  Male  Nesselthal  1700. 


448  S  c  h  r  ö  «  r 

■flIjDDC  m.  der  Wassersturz,  ursprünglich  Verdammung  einer  Holz-» 
riese,  tirolisch  ■•Isei,  ■■!«€,  Schopf  442,  450,  bair.  ■•bei, 
Schmell.  II.  S74. 

■ike,  lilci,  Name  in  Hoheneck  1614,  Durnbach  17K0;  vgl.  ■•lei. 
Im  ungr.  Bergl.  I«lcier,  Neusoll390,  Kuneshau  1649.  ■■Icier, 
Sebemnitz  1362,  lolciier  136K. 

■iie  m.  Mond.  s.  niie. 

■■■kfttiea  leise  sprechen,  munkeln,  ebenso  tirol.  ■■■gheien  Schopf 
451,  kämt.  Lex.  193,  bair.  Schmell.  ü,  600. 

■■•■e  f.  Muhme  auch  MieMe  S.  117  im  Reim  aufplieHO. 

■■•}  n.  Mus,  Brei,  mhd.,  ahd.  mim  n. 

■■•t  m.  Absicht,  Ih  haa  ■■•!  ich  beabsichtige.  So  auch  kämt. 
Lex.  194.  Das  vocab.  1479  schreibt:  Biet  ital.  muodo;  laeh 
■elae  (■)  MDett  a  mio  modo. 

■oeter  f.  Mutter,  wird  selten  gebraucht;  gen.  dat.  der  ■■eter^  accus, 
dl  BDeter)  gewohnlich  dafür  &■•  s.  d.  — nfleterle  n.  die  Gicht. 

■irke  f.  Gurke,  kämt,  rnrnffgü  Lex.  194.  Schmell.  II,  66:  aMrkem* 
österr.  ■■arkea  Loriza  136.  Castelli  260,  madjar.  iberka,  poln. 
•g4rek,  dSn.  agirke,  nl.  aprkje,  spatgr.  dyyüptov  aus  arab.  alchij  jir. 

^Markel  Nabeh  Tschermoschnitz. 

■irre  f.  Maulbeere,  cimbr.  ■■rra  ital.  Mera  CWtb.  148. 

■Affe  f.  eine  Pflaumenart;  vgl.  nlrfle. 

Iflsshee,  Name  in  Langenton,  Steinwand,  Oberwarmberg  1750;  vgl. 
loesche,  Hische. 

■«sei  m.  Schafbock. 

■Atsen,  dar  teig  hIss  s.  MAeftea. 

MBtatwels**  in  „die  bei  der  grafschaft  Gottschee  bestendlichen  Ort- 
schaften und  unterthanen  besitzen  ire  hueben  nicht  atalweis, 
sondern  kaufrechtlich''.  Rectificatorium  de  anno  1775.  Ist  hier 
Biat  aus  BiBtti  der  Scheffel,  aU  Abgabe  verstanden  und  hat 
BiBlweis  abgabenpflichtig  zu  bedeuten,  so  daß  eine  Entstellung 
aus  fliletwels  nicht  angenommen  zu  werden  braucht? 

fliatsela  scherzen. 

Bialiea  sich  zieren,  trippeln,  zögern;  vgl.  kärnt.  Biatiea  put/.en,  tirol. 
zaudern  Lex.  194,  Schöpf  454,  Schmell.  II,  664. 

N  fällt  im  Anlaute  ab:  a§t  Nest,  S.  41.  Idea  nieden;  et  nicht  und 
wird   vorgesetzt:   akbastackhea  Abendstficken   S.   38,   HAkar, 


Weitere  Mittheilungen  über  die  Mundart  von  Gottscbee.  449 

Erker.  £ingeschaltet  wird  es  in  plfleiei,  »iiei  blühen,  säen 
u.  a. 

Mit  m  wechselt  n  in  Bidel  s.  d. 

iiM  m.  Nebe],  mhd.  nMel  ^  läbel  m.  Nabel,  mhd.  EAbal )  vgl.  ^»■vkel'' . 

iikisticUem  s.  «mestieUei  S.  38. 

lieliijle  der  nächste»  der  lächiijte  geaeiiftr  der  Nachbar,  vgl. 
lehaer  näher«  Schopf  4S6.  Es  wird  daher  läckiifte  auch  eine 
Form  sein,  in  der  die  Adverbform  näehi ,  mhd.  likei  die  En- 
dungen der  Steigerung  erhalt :  laeheBer  für  näher;  vgl.  mhd. 
Wtb.  II,  1,  285"*  und  sodann  läehiljt  fQr  liheiht,  nihlst. 

lukMal  n.  Nachtmal ;  vgl.  ammestucken  S.  38. 

ittktei  nachten,  verflossene  Nacht;  eri  sera:  leehtei  vocab.  1423, 
84*;  vgl.  Meiei  nächsten  Abend  S.  109. 

iiekatsen  neigen;  s.  Fromm.  IV,  396. 

KaMe,  als  Gottscheewer  Familienname  bei  Elze  S.  40  aufgeführt. 

ÜUIer,  Name  in  Mitterdorf  17B0.  Im  ungr.  Bergl.  Nadler,  Ntdler, 
Kascbau  1399. 

ligir  m.  Bohrer,  piraagele  u.  plroigarle  kleiner  Bohrer,  ahd.  naba- 
g^r.  Vgl.  cimbr.  ninger,  näbgar,  im  ungr.  Bergland  lekber 
Wtb.  84.  —  der  negber  la  verigola  vocab.  1423,  l^^ 

ligel  m.  der  Nagel,  aber  nicht  der  am  Finger;  vgl.  aegle. 
^afiltock,  Name  in  Obermosel  17S0. 

^akraig.  Die  Leckerbissen  der  Gottscheewer  lernten  wir  schon  unter 
piiick,  pawalitee,  wackllie  und  kalitscke  kennen.  Noch  gehören 
hieher  die  Artikel  pr4at,  saHIe,  roebe,  stranbe,  kirje,  keide, 
arbalfte.  Valvasor  nennt  II,  S.  103  Bohnen  als  „bestes  Tracte- 
■elf  der  Krainer.  Zweimalige  Ernten,  sagt  er  weiter,  werden 
überall  angestrebt,  nach  der  Weizen-  oder  Bohnenernte  wird 
umgeackert  und  Heiden  gesaet,  nach  dem  Hanf  oder  Flachs, 
Hirse.  „Zu  diesem  Ende  hat  man  im  Lande  überall  die  soge- 
nannten Harpffen  gemacht,  da  man  das  Getreide  hineinlegt, 
damit  es  truckne,  weil,  es  auf  dem  Feld  trucknen  zu  lassen,  die 
Zeit  nicht  verstattet.  **  —  Dazu  eine  Abbildung  einer  larpfe, 
ganz  so,  wie  sie  heute  noch  sind,  s.  S.  105. 
Mäkmr  m.  Erker,  Dachfenster;  vgl.  kämt,  aker  Erker  Lex.  86. 
Kak«iia,  Name  in  Gottscbee  17S0. 

'«■€■«  Tanfnamen  in  Gottscbee  um  1614:  Aadre,  Hase,  Bisa,  Cfregor, 
6«re^  linsel,  Ikas,  Jaeab,  Jarae,  Jeioe,  Lienkard,  lareas,  Lieas, 

SiUh,  d.  phU.-hitt.  Ol.  LXV.  Bd.  II.  Hft.  31 


450  8  c  h  r  ö  e  r 

■atkes,  fiel,  Hickael,  Niel  Springer  1S60. 1614.  PM^m,  Pul, 
PriMMi,  Steffi,  Vrbfti,  WistI  (Sebastian).  Von  1787:  Aiaai, 
Andre,  Aitei,  Bart,  lArtel,  fietrg,  fiere,  fireger,  laas,  Ipai, 
Jaekel,  Jergel,  Jekaines,  Jesepk,  Jirl,  lasper,  Lnkas,  latai, 
■atkel,  lert,  Hrasek  (Ambrosius),  Pail,  Peter,  Pkilipp,  Steti, 
Stepkaa,  Tkenas.  —  Bei  Elze  1860:  Ander,  Änderte,  DmiUi, 
Iruf ,  ftregl,  Innj,  Jäkel,  Jej  (Joseph),  Jnre,  Martin,  lattei, 
■iekel,  Pal,  Panlle,  Hekard,  Tela,  Tenel)  Anne,  Blfe,  Aere,  fierl, 
firette,  late,  Uine,  Hina,  Ilne,  linkele,  llrje,  Ursel.  ->  Ich  fand 
häufig  (1867):  Bljk,  Blje,  Gerk,  fiere,  firiatk,  firiate,  Srtotte, 
Jkkel,  Je$e,  lattk,  latte,  Leank,  Ltone,  Lnik,  Lnie,  link,  line. 
in  Tschermoschnitz :  llna,  in  Altlaag :  link,  line,  llnkk,  linke, 
lertle,  Nie§k,  Nie§e  (Agnes),  Pkl,  Pille,  Vrjk,  Vrje,  Ten,  Tene.  — 
In  Mosel:  Nea},IIr§.  Daneben  die  Formen:  fierate,  Jnrate,  lanjate, 
Leanate,  llrjate.  —  In  Tschermosehn.  ist  die  Endung  noch — a, 
die  sonst  zu  &,  o  herabsinkt,  das  Deminutiv  ist  immer  —  ^(=s  t). 

nanal  s.  ninnai. 

»nanar  m.  Raum  vor  dem  Fenster"  R.  Vgl.  analek« 

nanne  f.  Wiege :  nannen  wiegen  s.  ninnal. 

nkpfatien  schlummern,  ahd.  naffeien. 

nelgle^  neigte  n.  die  Neige,  der  Rest  im  Glase ;  österreichisch :  nkgerl, 
tirol.  neagl  Schöpf  4B8,  mhd.  neige  ist  in  dieser  Bedeutung 
noch  nicht  nachgewiesen ;  vgl.  nergle. 

negle  n.  Plur.  neglaln  der  Finger;  vgl.  S.  83.  winger  und  keae.  Der 
Nagel  am  Finger  heißt  sekile  s.  d.  Eine  Verschiebung  der  Be- 
deutungen die  zu  den  unerhörten  Eigenheiten  der  Sprache  von 
Gottschee  gehört. 

Neja,  N^ajk,  Demin.  N6a§e,  in  Mosel  Nea§  Agnes. 

Nesseltkal,  großer  Pfarrort,  hatte  1770  sieben  und  fünfzig  Hfiuser. 
Die  Pfarre  besteht  seit  1400.  Es  gehören  zu  derselben  Alt- 
und  Neufriesach,  Lichtenbach,  Tanzbüchel,  BOchel,  Mitterbuch- 
berg,  AltlaagbQchel,  Reichenau,  Kummerdorf,  Taubendorf, 
Untersteinwand. 

net  nicht  s.  et. 

Nenbaeker,  bei  Altlaag,  zählte  1770  acht  Hauser;  vgl.  Altpacber. 

Nenkmek,  kleiner  Ort  bei  Neufriesach,  der  1770  ohne  HausersabI 
angeführt  wird. 

HenMesaek  s.  Frlesaek. 


Weitere  Mittheilungen  über  die  Mondurt  von  Oottschee.  451 

leilatg  s.  laaf  . 

Reilaagbichel  s.  iMgbflckel. 

ReolMim  s.  Niederlosli. 

RciBau,  Ober-Mösel  17K0,  1867  wird  auch  Neymann  geschrieben. 
Im  ungr.  Bergl.  Neumann  Leutschau  1660. 

Heittbar  hatte  1770  acht  Hfinser,  Alttabor  neun. 

Heiwtaikel  bei  Suchen  hatte  1771  neun  und  zwanzig  Häuser.   Alt- 
wiikel  ebenda  zwei  und  dreißig.  Vgl.  Wiikel. 

Rlek,  Htck  Fächer  1614.  Schalkendorf,  Töplitzl  1780. 

ütederlMim  bei  Mitterdorf  hatte  1770  zw5lf  HSuser,  •berUsin,  ebenda, 
zwanzig»  Neaksli,  ebenda,  neun. 

Riedenulsel  s.  llsel. 

RIederliefeibach  bei  Morobitz  hatte  1770  dreißig  Häuser,  •bertiefen- 
bach,  ebenda,  dreizehn. 

Hlel  Sprbiger,  Schwarzenbach  1614.  Hier  ist  NIel  wolTaufhame;  Nico- 
laus? —  Im  ungr.  Bergl.  finde  ich  den  Namen  Rill  in  Käsmark  1644. 

ite|aliei9  mle$ei  niesen,  mhd.  Elesen  s.  -atiei. 

iieschaik,  Uesehtnk,  nasckar  Sacktasche,  Rudesh  S.  267.  „Escarius 
etiam  est  bursa  in  qua  ponitur  esca  pro  via :  eio  leser^  Dien- 
fenb.  gl.  111;  Tgl.  eser,  mhd.  Wtb.  I.  448.  Schmell.  L  116- 
im  vocab.  1423,  49^:  et  chamier  der  eser^  mhd.  Aaer  loculus 
vocab.  1445,  entspricht  einer  gottschee wischen  Form  ikfar, 
iijarf  bei  der  n  vorgesetzt  wird,  wie  bei  lAkar  s.  d.  u.  a.  — 
Ich  hörte  selbst  in  Gottschee  nur  die  Form  ntjar.  Die  beiden 
anderen  Formen  scheinen  entstellt,  ilesckaic  etwa  aus  iiAsekkie 
von  mhd.  iflsekei  mit  einer  nflscke  schließen. 

ilidert  nirgend.  So  auch  schles.  Fromm.  IV,  173,  lidert,  im  ungr. 
Bergl.,  Wtb.  66:  iidert.  Tirol.  Mildert  Schöpf  470.  Cimbr. 
■imdart  CWtb.  150. 

■iiiall  liial  mmII  im  Wiegenlied,  s.  die  ■•Irirli.  Die  Endung  ai 
in  miiiai,  ■anal,  protal  sieht  wie  eine  Imperativform  aus.  Vgl. 
Diez  I,  290  unter  liaiia.  Hoffmann  hat  Gesch.  d.  Kirchl. 
S.  420  das  sMailaie  und  saiseiiiiie  aus  sisAI  ■inie  erklärt; 
Tgl.  Megenberg:  warn  al  sinseid  Mm  Maeheit  slAfeBt,  daran 
•iaseid  dl  tmmtn  In  kiidera  pei  der  wiegen,  sisa!  ist  Inter- 
jection  geworden  und  MiBie  Liebchen,  liia  ist  in  Aachen  die 
Wiege,  ■iaaiei  schlafen  in  der  Kindersprache.  Mfill.  Waitz  1 64. 
So  in  Gottschee,  laiia  Wiege,  aauaei  schlafen. 

31- 


452  S  c  h  r  ö  e  r 

Eisck  nichts,  ti  nicht.  Das  erstere  steht  dem  cinibr.,  kämt,  tirol. 
Eicht  nix  CWtb.  ISl.  Lex.  197,  Schopf  46S  ferner,  nähet  dem 
Eisehd  nichts,  im  ungr.  Bergl. ;  s.  darüber  Wtb.  84  unter  leck. 
Das  sudostschwäbiscbe  et  nicht,  das  auch  kämt,  ist,  s.  Lex.  147» 
erscheint  in  der  Frage  auch  in  Tirol  als  it»  s.  Schopf  467, 
weiteres  über  nichts  alekt  und  it  et  s.  Gr.  Gr.  III,  67,  738. 

■•c  m.  Berg,  Gipfel,  nl.  B«k  f.  First,  Spitze,  kämt.  n%tk  m.  Kuppe» 
Lex.  198,  tirol.  Schöpf  471.  Weder  ital.  E^eca  Knöchel,  das 
Diez  II,  48  von  mhd.  knacke  ableitet,  noch  nocekl»  nucleus  gibt 
hier  einen  befriedigenden  Anhaltspunkt.  Auch  gn«cco  Nocke, 
Mehlspeise,  ist  aus  dem  romanischen  nicht  zu  erklären,  Diez  11,33. 

B«pfEtieE  schlummern.  Vgl.  napffttsen. 

ntffgle  n.  die  Neige**;  vgl.  aeigle. 

N«8cke,  N«8ekee,  Name  in  Neulosin,  Niederlosin  1700. 

NAek  s.  NIek. 

MiEdtsekar  später"*.  In  der  ersten  Silbe  kann  ai  ==  nach  enthalten 
sein.  Vgl.  n^dde^  aadlsck  Stalder  II,  241,  das  derselbe  aus 
noch,  doch  erklärt. 

■ae  nun.  In  der  lebenden  österr.  Mundart  ist  mir  das  Wort  nicht  ?or- 
gekommen,  cimbr.  eee,  kämt,  no,  o«.  Oben  S.68  lesen  wir;  eu 
i§t  der  Mg  genkeket  —  eec  kaneat  dfl  tflglaia  afs  madelpUck. 

BB«8ck  m.  Dachrinne,  Rinne;  ahd.  BE^sk  etc.,  ein  allbekanntes  Wort: 
beachtenswert  ist  nur  die  Bedeutung,  die  es  überall  in  den 
Mundarten  hat;  cimbrisch,  kärntisch  stimmt  näher  zu  gottschee- 
wisch,  im  ungr.  Bergl.  und  der  Ileanzei  waltet  die  Bedeutung 
Freßtrog  vor;  s.  Wtb.  102:  ursch.  Fromm.  VI,  339. 

BflsckkEC  die  Tasche,  nehme  ich  an  statt  MBiesekMk^  s.  d.  Dazu  ist 
noch  zu  bemerken,  daß  mhd.  BflsckeB  zuschnüren,  noch  in  der 
Schweiz  erhalten  ist  Stalder  II,  247. 

EifEf  m.  die  Tasche,  mit  vorgesetztem  n  aus  einem  mhd.  iser  s. 
„Blesck^Bk''. 

0.  — volle  Vocale  hört  man  oft  auch  in  Bildungssilben:  spricktt, 
klr«t,  dieB^B,  aifleß^Bt,  was  wie  ein  Nachklang  des  Ableitungs- 
Vocals  der  zweiten  schw.  Conj.  aussieht;  aber  auch  kaaitr. 
lalb«r  etc.  So  schreibt  das  vocab.  von  1479:  erlis^r^  wMi* 
g«8teB  u.  dgl.  Das  o  in  beek«t  weckte  ist  aus  älterem  a  ent- 
standen ;  s.  die  Anmerkung  unter  Margretitzle. 


Weitere  Mittheilungen  über  die  Mundart  von  Gottschee.  453 

Das  kurze  n  wird  ä,  o,  das  lange  u.  Langes  6  wird  öa: 
iwenäek  Ak«fi,  «wia  abbin,  binab,  get4E  getban,  iajtem  etc. 

Merkwürdig  ist  die  Endung  weiblicber  Hauptworter  und 
der  sebwaeben  Adjectiva  fem.  in  o,  was  an  die  gotisebe  weibl. 
Endung  6  erinnert.  Es  ist  ein  zu  o  gesunkenes  abd.  d  s.  a■i^  das 
sieb,  merkwürdig  genug,  aueb  im  Adjectiv  gebalten  bat,  indem 
.  das  kurze  o  des  Masculin  in  e  übergieng.  Also  gotiscb:  mase. 
blinda  fem.,  blindd;  abd.:  mase.  plinto  fem.  plintä;  gottscbee- 
wiscb :  mase.  plinte  fem.  plinto.  S,  jl^abe. 

tberbieckberg  batte  1770   fünf  Häuser,  Viiterbieehkerg  neun.   S. 

Buebberg. 
tberdentocbai   1770   mit   secbs,    ViterdeiUeban   mit   sieben   und 

dreißig  Häusern.  S.  Deutscbau. 
•berliegend^rf  s.  Iliegeiid«rf. 

tbergras  hatte  1770  ein  und  dreißig  Häuser,  s.  littergras. 
tkerkaUeid«rf  1770  mit  drei  Häusern,  s.  auch  lalievd^rf. 
tberlMin  batte  1770  zwanzig  Häuser,  s.  NiederUsia. 
•benütierd^rf  1770  mit  fünf  Häusern. 
tbenulsel  s.  HIael. 
•berskrill  s.  Skrlil. 
fberstein  1770  mit  zwei  Häusern, 
tbertappelwerck  s.  Tappelwerek. 
f  berMefenbaek  s.  Tlefeibaek. 
tbertsckatsckitaek  s.  TtekalsckKsek« 
f  berwaraberg  s.  Wamberg . 
f  berwclieibacb  s.  Wetaeabacb. 
fberwUlbaeb  batte  1770  drei  Häuser. 
tberen,    gesprochen  •brara,   bei  Hitterdorf  batte  1770  zwanzig 

Häuser. 
•beriaaer,  Name  in  Riek  1616;  vgl.  •blaser. 
aber«   m.  nämlich  Wind,  der  Ostwind,  Jaik  m.  der  Südwind,  pir 

(=s  Bär)  m.  der  Nordwind. 
tberieger  m.  Wiesbaum  in  Tschermoschnitz. 
4berllac  m.  Ermel.  d  •berliage  keit  af  a  placke  we$t  lidergeflagea 

nd  gekrifpat  die  Ermel  (des  Hemdes)  werden  auf  einem  Brette 

fest  niedergeschlagen  und  gefältelt. 


454  S  c  h  r  ö  e  r 

tberaiMiii,  Name  in  Nesjseitbal  1700,  Krapflern»  Gottschee,  Böchel 
1750. 

•Maser,  Name  in  Riek  1616. 

•fei,  eweikeraek  n.  Ofenkericht,  eweiikerer  m.  Ofenkehrer,  twei 
spMge  f.  Ofenblech. 

•ffe  f.  der  Frosch,  cimbrisch  iffa,  hiffft  f.  Kröte  CWtb.  127\  Vgl. 
klpplB  Kröte  Schmell.  11,  221.  —  Mhd.  Mehe,  tirol.  uke 
Grimm  Wtb.  I,  817,  Schöpf  23;  im  ungr.  Bergl.  erdhaiek,  s. 
Nachtrag  24. 

•gniUeh,  Name  in  Buchberg  1614,  in  Nesselthal  1614:  lagiitsck. 
Die  Sltere  Form,  die  auch  oben  S.  36  nachzutragen  ist,  ist 
Agnitseh  1560,  so  auch  in  Mosel,  Prörübel,  Deutschau,  Buchberg. 

•g}  m.  der  Ochse;  schon  1423 :  der  «gseh,  dl  •gschen  vocab.  36*,  vgl. 
oben  S.  23. 

•i  steht  gewöhnlich  fQr  mhd.  ei,  wird  zuweilen  zu  4  zusammengezo- 
gen; z.  B.  biß  weiß,  s.  S.  21.  Zu  ahd.  leltrA,  slovenisch  Itjtrt 
konnte  noch  angeführt  werden  mhd.Metster,  slov.  ■ijster.  — iii 
ein.  a  het  »In  lledle  s.  liedle.  —  •taon  einem;  's  l&itet  timti 
ai8.  —  «lEder  einer  etc. 

•■■estaekkei  s.  teestoekkeD. 

•■•I  n.  „•■•Uen  Spreu^;  tirol.  itakl  f.  Spreu,  Schöpf  476. 
Schneller  leitet  es  ab  von  anlKa  S.  271.  Vgf.  jedoch  Schm.  \l 
564:  Mallea  und  ahd.  anaMkU. 

•■plati  s.  kaplatie« 

dplaniUeh,  Name  in  Gottschee  1 669. 

-•r  als  Endung  der  Wörter:  laibar  gleichwoK  kaaar  kaum,  deantr 
darnach ,  beiaar  wenn ,  ist  beachtenswert.  Laibar  scheint  zu- 
sammengesetzt aus  lai  (»lieh)  und  mmrt  wie  kamt,  lelsimar 
Lex.  156,  bair.  gleleksawal,  gleleksanar  Schmell.  II,  425; 
deaaar  erinnert  an  cimbr.  deajar  darnach,  CWtb.  115.  —  bei* 
aar  ist  vielleicht  aus  dem  altsächs.  koaa^r  quando  primum? 
Gr.  Gr.  III,  182  nl.  wanaeer,  nd.  waaa^r,  weia^r  zu  erklären 
und  kamor  scheint  die  Comparativform,  mhd.  ktaer;  vgl.  Gr. 
Gr.  m,  600,  619. 

arbalße  s.  arbaiße. 

Orlaaltsek,  Name  in  Gottschee  1750. 

ar§Ufer  m.  forficula,  OhrschlOpfer,  der  zweite  Theil  des  Wortes  aber 
gebildet  aus  dem  Plur.  prat.  von  sltfe,  sieif,  sllffea. 


Weitere  Mittheiloogen  ober  die  Mooilart  von  GotUcbee.  455 

•rt,  iiii  n.  das  Ende,  er  Ijt  tm  4irt  Voc.  1423 :  du  eekt  eder  Unekel 
•der  ert  el  chanton  11^ 

^f,  ij  n.  Aas,  ahd.  is, 

Isiiniti,  hafte  1770  neunzehn  Häuser.  Die  Pfarre  soll  1509  ge- 
gründet sein. 

IstenaiB  in  Hitterdorf  1700,  Koflern,  Ort,  Altlaag,  Zwislern,  Kern- 
dorf, Rein,  Mos,  Moswald,  Schalkendorf,  Graflinden  etc.  17S0. 
In  Kerndorf  1684:  •sterHM. 

Menen  s.  •sternain. 

Mten,  haften  Ostern«  Die  Osterkuchen  werden  gefüllt  mit  zwei 
Arten  Fülle  (so  wie  anderwärts  theils  mit  lahii,  theils  mit 
Nässen)  und  jede  dieser  Fällen  besteht  aus  zwei  Ingredienzien, 
aus  laBlg  Mit  lauf  (sie)  oder  Bi  ■!!  lanf  (6stra  stellt  chlide 
b«iae  egir  saaiio!  ließe  sieh  hier  anführen,  wenn  man  an  Zap- 
perts  Schlummerlied  glauben  könnte!).  —  j^Vorn  Fasching- 
dienstag aufbewahrtes  Brot  wird  in  die  •sterspeisen  gethan. 
Die  bei  den  Gottscheewern  übliche  •sterpatae^  welche  zwei 
Zoll  dick  ist  und  am  Palmsonntage  in  der  Kirche  geweiht  wird, 
besteht  aus  Zweigen  der  frühen  Weide,  scdix  prciecox  ^  welche 
oben  mit  Epheu  umwunden,  unterhalb  mit  rothen  und  ander- 
farbigen Bändern  zusammengebunden  sind.  Diese  geweihten 
Zweige  werden  in  Kreuzform  geschnitten  und  an  die  Stall-  und 
Kellerthüren  gehängt,  damit  die  Hexen  nicht  in  die  Stallungen 
eindringen  und  dem  Vieh  Schaden  zufügen  können.  Auch 
werden  bei  herannahenden  Gewitterwolken  einzelne  dieser 
Weidenruthen  in  die  Felder  gesteckt,  damit  der  Hagel  nicht 
schaden  könne.*'  Elze. 

tswaldy  tsw«!!,  Name  in  Schalkendorf,  Neuwinkel  1700,  Deutschau 
1750;  im  ungr.  Bergl.  dswalt,  »iwald,  Schemn.  1362,  1858, 
Piben  1785.  «swald  Neusoi  1390.  Unterturz,  Oberturz  1858, 
Käsmark  1605,  Osbald  Kaschau  1645,  Oswald  1829,  Ostwald 
Käsm.  1627,  Oßwald  Kremn.  Käsm.  1850.  In  Presburg  1379' 
•twaldis  hawer. 
ttter  hernach  s.  älter. 

ttterbach  bei  Mosel  hatte  1770  achtzehn  Häuser, 
••t  häufig  im  Yocab.  1479:  glaeiat,  nakat,  spreelat,  Hasat;  in  dem 
Tocab.  Ton  1423  noch  -at,  spreeklat  fleckig  61%  llereckat  47^; 
ebenso  noch  in  Gottschee  vgl.  stackat,  ränelat  etc. 


456  S  c  h  r  u  e  r 

•werMek  n.  AliorngebQsch  s.  äweriäeh. 

•wIb  hinab,  aus  ab-kio;  man  hört  aber  aach  Alm  s.  k  ab  S.  36  und 
Ue  S.  109.  —  df  }DBEe  g^at  «wIe  die  Sonne  geht  unter.  In 
Aitlaag  horte  ich  aber:  es  sei  nicht  recht  zu  sagen  die  Sonne 
gehe  hinab,  die  Sonne  geht  Gott  folgen,  s.  darüber  S.  93. 
Für  Meinerts  Ausdruck  die  Sonne  geht  zu  Golde,  den  ich  a.  a. 
0.  bezweifelte,  finde  ich  ein  Zeugnis  aus  Cod.  germ.  mon.  714, 
f.  65^:  die  seee  ging  s«  g«ld. 

P.  s.  B. 

Nachzutragen  ist  daselbst:  päaie  m.  Wanst,  Mehrzahl 
paifei  Gedärme.  —  piike  f.  Trommel,  S.  47,  vocab  1423:  ker- 
pank  f.  tamurlo;  der  paacker  pankei  24^.  —  pam  spr.  pEm  m. 
Mehrz.  pArne  Abtheilung  im  Getreidekasten  (was  mehr  zu  ahd. 
paran  parasi  sinus,  als  zu  pars«  stimmt).  —  pätschei  vom 
knisternden  Feuer,  vom  geknickten  Floh.  —  p^ar  m.,  mhd.  htr 
Eber.  —  Fera  Verona  vocab.  1423, 38**,  PereE  Verona  cod.  it  1 460. 
f.  4'  —  peraer  bagatin  denaro  voc.  1423,  18%  89',  1460  f.  22' 
—  a  p^$e  ein  wenig.  —  plgsade  der  Raum  unterm  Dach  für  Heu. 
Es  ist  vielleicht  zu  schreiben:  Ugaade  (=wignade)  und  geht 
auf  ein  Zeitwort  wigBaa  zurück,  in  der  Bedeutung  wellern; 
vgl.  Schweiz,  wigglete  Wellerarbeit  Stald.  II,  4B0.  —  pilieh 
S.  53;  vocab.  1423;  pilicheiE  choneB  fodra  di  giri  8^  —  Der 
Infinitiv  von  ih  pit  ich  bitte  ist  pitea  (patteBi  beten).  —  plisseB 
blocken.  —  9?  plAdat  es  weht  der  Sturm.  —  pllede  unwol.  — 
plIckatieB  blitzen.  —  pane  Buche. 

R  für  L  in  r^arkchle  s.  d.  ahd.  MrahhA  Lerche. 

Raab,  Rab,  Name  in  Schwarzenbach ,  Lienfeld,  Prörübl  17S0;  vgl. 

Raflib,  Raflib.  Im  ungr.  Bergl.   Petrus  de   Rab  Neusol  1390. 

Raab  Käsm.  1610.  Rab  Leutsch  1660. 
rabhieale  n.  Rebhuhn;  mhd.  rllbhEaB. 
räche  m.  Rechen,  mhd.  fliehe  m. 
Rächer,  Recher,  Rieher,  Name  in  Oberlosin,  Niederlosin,  Mitterdorf» 

Gottschee,  Schalkendorf,  Zwislern  17S0,  s.  auch  Recher. 
rächt  recht,  rächt  wll  balBperlaiB  draaf  recht  viel  Korinthen  drauf ; 

s.  powalitae. 


Wettere  Mi tt Heilungen  fiber  die  Mundart  von   Gottscbee.  457 

fkktl  s.  r^ekkel. 

rille  s.  jialtleirAdle. 

rifgaic  m.  Rauchfang;  vocab.  1423:  raiekkais  el  cbamiQo  11\ 

rAAikke  f.  Haken  an  der  Raufe. 

rikea  räuspern.  Vgl.  Stald.  11,  263 :  raiei. 

rAf  s.  rlw. 

nibei  reiben,  zerbröckeln,  stückweise  reibend  iosbröckeln,  ^yrebeln**  s. 

Pfeiffers  Germ.  XI,  237.  —  gerlkeis  pr4at  geriebenes  Brot ;  MiUek- 

rtiker  s.  d.  Butterfaß;  Tgl.  reikerkis  Schmeli.  111,7,  daher  sIot. 

ribati  reiben,   rlkelim  Reibeisen.   Mais  abralbeii  sagt  man  in 

Gottschee  fQr  abkornen. 
nibeade  n.  das  Fieber;  die  Ruhr.  Vgl.  sekittel. 
«rateef.  das  Schaffe.  Ich  bezweifle  die  Richtigkeit  der  Aufzeichnung. 

Vgl  ralme  f. 
lili  s.  leim, 
raiae  f.  Hilchschussel,  auch  von  Holz,    ebenso  kämt  Lex.   206. 

Eigentlich  das  deutsche,  aufter  Österreich  langst  verschollene 

Wort  für  casserale  ahd.  riiia  Graff.  II,  S22.  Vgl.  Schmeller  HI, 

101 :  rlia  cacabus  (12.  Jahrh.), 

Das  Wort  ist  in  Schades  Wörterb.  übersehen  und  fehlt 

im  mhd.  Wtb. ;  im  ungr.  Bergl.  rettepf  Milchtopf;  raia  f.  irdene 

dreifuftige  Pfanne;  im  raiickei  werden  Speisen  aufbewahrt  und 

versendet  Wtb.  87. 
nüAei  zwicken, 
rui  m.  Mehrzahl  rinae  der  Rabe  Vgl.  RöBergniid.  Ebenso  cimbr. 

res  reMMeWtb.  221.  Schon  ahd.  kran  neben  krabai  Rabe;  im 

16.  Jahrh.  in  Marb.  schon  taa. 
Hm  m.  Rahm,  jäefter  rtm\  mhd.  raiH. 
laab  Name  in  Gottschee,  Prelibel  1750  Vgl.  Ronk.  Es  ist  der  Name 

ahd.  Irabai,  t$m  vgl.  rte,  Rabe. 
Raaar,   Name  in  Gottschee.  Reichenau,^  Götenitz  17S0  u.  f.  Vgl. 

liMor. 
laaitfca,  Name  in  Gottschee  1780. 
laattriegel,  kleiner  Ort,  der  im  Jahre  1770  vier  Häuser  zählte.  Die 

Mundart  spricht  IaB§rigel,  das  wäre  ein  Riegel  d.  i.  Bergabsatz, 

der  von   einem   gewissen  Ran    (s.  oben  Raab)  den  Namen 

hat  Demnach  wäre  obige  amtliche  Schreibung  unrichtig  und 

dafür  zu  schreiben  Rantrigel. 


458  S  c  h  r  ö  •  r 

räaUe,  mkhel  f.  der  Bohnenstecken.  ronkkelarbAifte  oder  r«Bkljitc 
ärb.  rankende  Bohnen.  Vgl.  tirol.  rkigge  Holzstange  Sebopf  533 
Schmell.  lU,  111.  Lexer  204. 

tankel»  Name  in  Gottschee,  Altlaag,  Windischdorr,  Kiindorf,  Malgern, 
Hoheneck,  Hasenfeld.  1750  vgl  R«nkkel. 

Rankeli  Name  in  Schwanenbach  1614  Rankhele,  Klindorf  1614. 

rkjte  f.  1.  die  Strecke  Weges  bis  zum  Ruheplatz,  2.  der  Ruheplatz, 
die  Lagerstätte»  Name  für  Gegenden  in  Kärnten  Lexer  205, 
ebenso  in  Tirol  Schöpf  536.  In  Krain  bei  Zarz  der  Berg  Rast, 
gesprochen  R«sekt  slovenisch:  P^UtaU  (von  ptÜTall  ruhen, 
rasten).  S.  oben  Seite  30.  rkftea  ausruhen ;  auch  vom  Teig  ge- 
braucht: dl  wlftr  UigUU  Mflefteat  a  wlertelstande  rkstea  s.  oben 
S.  58. 

RMeh,  Name  in  Gottschee,  Graflinden,  Lienfeld,  Hinterberg,  Reinthal 
1750.  Im  iingr.  Bergland  in  Leutsch.  Rank  1660  in  Schemnitz« 
Stooß  1858:  Raiek.  Auch  im  fränk.  henneberg.  Spieß  201. 

rantef.  eine  Reute,  Rodung.  Die  mit  Steinen  oder  Hecken  eingefaßten, 
mit  Gemüse  oder  Flachs  bebauten  „Gröblein*'  nennt  man  auch 
Rantea.  Vocab.  1423 :  die  raat  la  ruda  35**.  Dieselbe  Form  mit  aa 
für  en  (mhd.  iu:  riate)  mit  verschiedenem  Ge,schlecht,  auch  als 
Ortsname  kämt,  tirol.,  cimbr.  Lex.  205 .  Schöpf  540,  C  Wtb.  1 59 : 
„raat  m.  —  Gareut  —  der  deutsche  Name  für  Frassilongo.  Der 
Familienname  Roncari  wird  durch  Renteiar  gegeben. '^  Im  Lehen- 
buch der  Grafschaft  Cilli  Codex  243  fol.  39.  circa  anno  1436:«^ 
'  CbristoiF  Rewier  hat  ze  leben  enphangen  vnd  sein  erben  .  .  . 
die  hernach  geschriben  gueter  der  ersten  fünf  hüben  in  dem 
Gostel  gelegen,  zu  dem  aigeiisekea  gerewt  vier,  vnd  die  fumft 
zu  band  oberhalb  am  Padaw.  Item  drei  hüben  im  Koste!  vnder 
der  kyrichen  gelegen  mit  ir  zu  gehörung,  da  Peter  auf  ainer  (sie) 
und  Tome  auf  ainem  (sie)  karnig(?)  gesessen  sind,  und  sulleii 
zu  dem  aagrisehei  gerewt  ader  anders  wo  in  unser  herscbafl 
hewslich  gesessen  sein  und  auz  der  herschatl  nicht  ziehen. ** 
Schrift!.  Mittheilg.  von  Prof.  Zahn  in  Graz.  —  Vgl.  oben  S.  92  : 
gereat  Beachtenswerth  sind  die  Orte  in  deren  Namen  die  Form 
r«de  für  reate  vorkömmt,  was  auf  eine  Einwanderung  aus  Mittel- 
oder Niederdeutschland  hinweist.  So  Edelschrot,  von  1270  bis 
1300  noch  fielesckrade  und  Cfeleasehrode,  Leonrod  von  1218  bis 
1300:  Leoar«de,  Lewearodc  und  lewear«dla.  Zahn. 


Weitere  Mittheiliingen  über  die  Mundart  von  Gottschee.  459 

riwe»  Hmt  m.  Balken,  der  das  Dach  stQtzt;  mhd.  rufe  ahd.  rufe. 
Kämt,  rtf  Lex.  202  tirol.  rUfen  Schöpf  S26. 

ntie  f.  Ente.  Slorenisch  rsea.  Die  Ente  muß  den  Gottscheewern 
lange  Zeit  ein  unerschwinglicher  Braten  gewesen  sein,  so  daß 
selbst  die  Erinnerung  daran  mit  der  deutschen  Benennung  aus- 
gestorben ist.  Das  Deminutiv  ratete  n.  begegnet  in  dem  Kinder- 
reim oben  Seite  68 : 

das  ratzle 

st^at  of  proitem  tatzle. 
Cimbrisch  scheint  ähnliches  der  Fall  gewesen  zu  sein.  Dort 
heißt  die  Ente:  anera  f.  nach  dem  italienischen  aittra. 

r^aftaeh  n.  Haidekraut  sl.  r^sa. 

lekiue,  Name  in  Pöchi  1750. 

leeher,  Ricker,  R4eher,  Name  in  Gottschee,  Oberlosin,  Niederlosiu, 
Mitterdorf,  Schalkendorf,  Zwislern  1750.  Diesen  Namen  fuhrt 
auch  Bergmann  auf  aus  Genta  im  CWtb.  S.  1 3.  „Recher,  Lam- 
ber,  Tonezzer.''  vgl.  Reker.  In  Marb.  schon  1367:  Phil.  Recker. 

Hk^  rteek  n.  Reh;  mhd.  r^ck. 

reckt  n.  in  karrekt,  so  hieß  1316  eine  Flachssteuer  in  Krain,  die  nicht 
nur  in  Flachs  gezahlt  wurde:  quicunque  nutrit  apes  solvit 
karrekt  et  steuram  —  pro  jure  quod  vocatur  karrekt,  quaelibet 
bubarum  solvit  duo  mez  arenae  3  denarios  veteres,  lini  3  zech- 
ling.  —  rackt  recht,  vestärkend:  rackt  wil  kainperleli  draaf 
recht  viel  Korintchen  drauf  s.  powalitze. 

reckluge  f.  der  Vortrag  die  Aussprache,  Erklärung«  vgl.  mbd.  er- 
rackellck  explicabilis  zu  ahd.  rakkii)  im  Liede  trene  Ueke  unter 
liep. 

reckel  s.  r^ekken. 

redei  reden;  part.  pass.  gerait  geredet.  Mhd.  sind  die  Formen  gereit 
for  geredet,  sowie  du  reist,  er  reit  häufig  s.  mhd.  Wtb.  U,  601. 

leker,  Name  Jn  Hoheneck  1614.  Oberlosin  1684.  Im  ungr.  Bergland 
Paulisch  1858.  Rekar.  Vgl.  oben  Reeker,  zu  bemerken  ist,  daß 
Rekar  slov.  auch  für  firegor  vorkömmt. 

legiaa  im  Liede. 

Regina. 

1 .  Wan  dort  da  jtSt  oin  gartle  mit  röa^en  i;ts  angetan 
Darain  spaziert  oin  juncfrau  mit  oin  jnöbaißen  kloid. 


460  S  c  h  r  ö  e  r 

2.  §i  tuot  di  röajen  precheii  mit  gruenen  majoran: 
„guot  morn  du  Jüngling  du  allerschöujter  noain!'' 

3.  Si  roichot  imon  oin  peschle  mit  grüenen  majorin. 

4.  ^Sch^an  dank,  du  juncfrau,  du  allerschön^te  main; 
Bü  bi;t  du  aingekömen  in  main  rdajengurt? 

5.  Maine  türen  hent  worjlosssen,  meine  mauern  hent  zu  höach!" 
'Mir  hent  keine  turn  worjlossen,  mir  hent  keine  mauern  zu  hoachT 

6.  „Bi  hoißot  junefrau  dain  name,  dain  name?** 
'Main  name  der  heißet  R^tnä.' 

7.  'Bi  heißet  jungHng  dein  name,  dein  name?' 
,,mein  name  heißet:  herr  Jesus  heißet  main  nam. 

8.  *  Benn  dein  namen  heißet  herr  Jesus,  ;o  pijt  du  gottij  ;un !' 
reiehei  reiehei  reichen,  reich  mtr  dar  dei  btißei  hliid  im  Liede: 

mhd.  reiehei.  Das  Wort  scheint  sonst  in  Osten*,  nur  in  der 
Zusammensetzung  hin-  zu-  etc.  reaehei  üblich. 

Reiehenai  bei  Nesselthal  zählte  1770  sechs  und  vierzig  Häuser. 

reif  reiwstil  m.  die  Schnitzbank,  relwstilkäie  f.  gleichsam  Schnitt- 
bankmaul,  der  obere  Theil  derselben. 

reii  reli  m.  der  Rain,  die  Ackergränze,  das  Gestade;  det  Berg^eg. 
Im  Liede  ist  eine  typische  Formel  der  breite  weg;  und  der  steile 
taii  (darstickle  reii)|  cimbr  reai,  rlile  Wtb.  161.  mhd.  reia. 

Reii  gewöhnlich  geschrieben  laii  gesprochen  Reiif,  ein  kleiner  Ort 
der  1770  sieben  Häuser  zählte. 

Reiierle,  Name,  den  Elze  aus  Gottschee  anfuhrt.  Im  ungr.  Bergl. 
Reiner  Kaschau,  Käsmark,  Pilsen  1600—1840. 

Reinthal  bei  Mosel  zählte  1770  acht  und  dreißig  Häuser.  In  der 
Kirche  die  Inschrift:  ^hoc  altare  erectum  est  sub  parocho  Joanne 
Hess  Herbipolensi  1648." 

Reisehei  Reyschel,  Name  in  Lienfeld  1780. 

reiten  reiten  rechnen,  cimbr,  reaten,  tirol.  reaten,  Kämt,  ritea  Wtb. 
161.  Schöpf  829.  Lex.  207.  mhd.  reiten.  Daher:  reitiage  f. 
Rechnung.  Die  Slorenen  haben  das  Wort  entlehnt  und  zwar 
reiten  in  der  Form:  r^tati  rechnen;  reltnnge:  ri^tinga  Rech- 
nung, ganz  wie  fti^fa,  nii^ninga  s.  oben  S.  21. 

Renischall,  Name  in  Morobitz,  Weißenbach  um  1700. 

Renllewitsch,  RennlUwit8eh,Rainilenit8eh,  Name  um  1780  in  Gottschee. 

r^rachle  n.  riaräehle  n.  riäräehle  die  Lerche.  Das  /  wird  im  Anlaut  r, 
wodurch  eine  Form  entsteht  die  wie  eine  Reduplication  aussieht 


Weitere  MiUheilungen  über  die  Mundurt  von  GoUschee«  461 

ahd.  MrahkA.  cimbr.  lebereka  im  Spruch:  kickoz  kackoz,  de 
leberchen  geiit  parvoz.  Wtb.  1 42. 

leser.  Reiser»  Name  in  Niederlosin  1614. 

letel.  Mtkel,  Rittel,  Name  in  Schernbrunn»  Neufriesach,  Nesselthal, 
ProribeK  Koflern,  Niederlosin,  Windischdorf  um  17S0.  Im  ungr. 
Bergl.  Ritel  Schemm.  1367  Nensol  1390:  R«tel  «Mit.  Röthel 
Leutschau  1660. 

Icwter  Christianus  anno  1436.  s.  Raute.  Dieser  Name  stammt  vom 
Rheine  her.  Im  ungr.  Bergl.  finde  ich  den  Namen  Rettter  1660 
in  Leutschau.  Das  Wort  reiter  ist  keine  Nebenform  von  reiter 
sondern  ganz  andern  Ursprungs.  Alemannisch  riter,  nl.  riiter 
geht  auf  miat.  ruterus  ruptarius  zurück  s.  Weigand  II  491, 
jedoch  kann  der  Name  auch  mhd.  rintaere  Urbarmacher  sein; 
der  dem  ital.  Roncari  entsprechende  Name  lautet  freilich  cimbr. 
Reoteiar  s.  raite  und  Schneller  S.  169. 

ribalfenle  n.  Reibeisen.  Daher  slovenisch :  ribati  reiben,  ribeftta  Reib- 
eisen. —  Mais  abraibei  sagt  man  in  G.  fOr  abkornen. 

riUtsel  n.  Johannisbeere.  Allgemeine  ostr.  riblsei.  Schmell.  verzeich- 
net auch  die  Form  rlbiiel  III,  8. 

likaik.  Ribilg,  so  1770  geschrieben,  hatte  damals  zehn  Häuser. 

Meke,  Rieg  f.  hatte  1770  ein  und  sechzig  Häuser.  Hier  war  um  1407 
Joannes  leng  al.  Kiik  Pfarrer  s.  Seite  18;  vom  Jahre  1664  wird 
Vitus  Math.  Rin«r  s.  d.  als  Pfarrer  bezeichnet.  Der  slov.  Name 
des  Ortes  R^ka  der  Fluß  (daher  auch  Fiume  slov.  R^k  heißt), 
paßt  hier  nicht.  Vgl.  kämt.  Riegge,  Name  einer  Wiose.  Lex.  209. 

liekeras  plebanus  in  Zirklach  (Cerklje)  sei  als  deutscher  Name 
in  Krain  vom  Jahre  1186  angeführt,  als  Gottschee  noch  eine 
Wildnis  war.  In  Marb.  1 144,  1202:  Rieker. 

riektei  in  inricktei  anrichten  sagt  man  auch  vom  Waschen   der 

Wäsche  s.  ner. 
riekel  m.  Runkelrübe.  Vgl.  etwa  Rigriebei  Schmeller  III,  66. 
rMel  m.  Kopfring  um  Lasten  auf  dem  Kopf  zu  tragen,  zu  mhd.  rlde 
reit  ridei  drehe  etc.  Ebenso  Kämt.  Lex.  208.  Schopf  583,  vgl. 
rigerle.  Cimbr.  ridel  Reifrock,  rideli  wickeln. 
rife  n.  der  Faltenschoß  des  Kleides  unter  dem  Gürtel;  daher  rigei  in 
Falten  legen;  gerig«tei  pMt  gefälteltes  Hemd. 

Das  Wort  gebort  zu  rlke  r^ck  rlgen  und  ist  alem.  S.  Stalder 
rigi  r.  rigenei  II,  878.  In  Gottschee  ist  es  schon  im  Erleschen. 


462  S  ch  rö  e  r 

rigel  m.  der  Bergabsatz,  Hügel.  S.  Weinhold  bei  Fromm  IV,  201,  im 
ungr.  Bergl.  und  Siebenbürg,  r^g  regel  ngikal  s.  Wtb.  34  unter 
berg  und  Darstellg.  S.  409,  2. 

rigerle  n.  hört  man  zuweilen  für  ridel  s.  d. 

Rigel,  Name  in  Fächer  1614.  Im  ungr.  Bergl.  Rigeliis  KSsmark  1610. 
Rigel  Schemm.  1858. 

Rigel  ein  Dorflein,  das  1770  sechs  Häuser  zählte. 

rikei,  di  —  la  fubia  vocab.  1479.  12^ 

riikale  n.  die  Schnalle  ygl.  Stald.  11,  278  =  ringgen. 

Rliser  s.  Rinser. 

rlje  m.  der  Riese.  —  Die  RIesei  waren  große,  starke  Leute,  so  groß, 
daß  neben  ihnen  der  größte  Mann  wie  ein  Zwerg  aussah.  Die 
letzten  Riesen  aber  wohnten  in  NesBeKhal,  wo  noch  ein  Brunnen 
ist,  den  sie  erbaut  haben.  Als  nun  die  Menschen  auch  bis  dabin 
vordrangen  und  das  Feld  bebauten,  da  sagte  ein  Riesen- 
mädchen; „was  thun  diese  Ameisen?**  Ein  altes  Riesenweib 
aber  antwortete;  „diese  Ameisen  werden  uns  alle  noch  ver- 
treiben!'' Mundlich  aus  Mitterdorf. 

rije  f.  rljel  f.  Holzriese,  mhd.  rise  f.  Ebenso  kämt.  etc. 

rl$el  m.  Hagel,  rijeln  von  kleinkörnigem  Hagel.  Lexer  verzeichnet  das 
Wort  in  dieser  Bedeutung  nicht.  Es  ist  alemann.  Stald.  IL 
27$,  tirol.  bair.  Schöpf  8S8,  Schm.  III,  133. 

rltlarjMäi  m.  Ritter;  in  der  Ballade: 

(Blaubart). 

Bie  wrüe  i§t  auv  der  ritter§män 
ar  hevot  a  neues  liedle  an. 
a  liedle  mit  dreuderloie  ;timlain 
a  liedle  mit  dreuderloie  ;timlain. 

Dhs  derhuret  kloins  mediglain 
kloins  mediglain  in  jläfkamerlain : 
„benn  ih  dan  rittar  kennet, 
laib^ller  das  liedle  §ingen  tuet! 
das  liedle  mit  dreuderloie  §timlain 
diis  liedle  mit  dreuderloie  $timlain ! 

Dar  bärot  main  dar  liebe, 
dar  bdrot  main  dar  liebe  !** 


Weitere  Mittheiluugen  über  die  Mundart  von  Gottschee.  463 

Awdr  dk  märot  i)  ;ih  der  rittar  junc : 
„ih  pin  es,  dain  dar  liebe ! 
i  kiiD  dks  liedle  guet  jingen, 
$0  kirn  za  mir  prav  mediglain.*' 
un  auv  Ol  mächet  prav  mediglain, 
ar  nimot  §eu  bai  jneabüißer  häiit 
a  ^bingot  §eu  af  §ain  hengijtlaiii 
9eu  raitent  ahin  an  bage. 
bi  ^eu  a  §tüekhle  hent  geritten 
raitent  §eu  wur  wor  a  he$elstaude 
Lei  bü  do  eilf  turteltauben  tuent  §itzen. 
,  §eu  singent  a  neues  liedle : 
^^6  l&ß  dih  juncfra,  werwüeren  et» 
der  rittar  tuet  di  werwGeren.*' 
»Bir  $aiben  schon  un;er  elfe 
deu  zwelfte  deu  ber§t  du  ;ainen  !^ 
*So  würcht  di  et,  du  juncfra  sch^an, 
de  turteltauben  $ingent  a  het  oin  liedle. 
De  turteltauben  ^ingent  a  het  oin  liedle 
bie  9eu  in  dam  lante  tuent  fingen  >). 
bie  ;eu  a  stückle  geritten  hent 
$eu  raitent  wür  wor  a  prunne  sch^an 
bu  Ak  pluet  und  biisser  tuet  rinnen 
bu  ii  pluet  und  bässer  tuet  rinnen. 

A§b  da  ;prichet  deu  juncfra  sch^an : 
„0  rittar  junc,  du  lieber  main, 
bäs  rinnet  da  wor  a  prunne, 
bu  da  pluet  und  bässer  tuet  rinnen  ?<* 
'So  wfircbt  ti  et  du  juncfra  sch^an 
*8  ischt  in  dam  länte  a  hett  ein  prunne 
LaibA  da  pluet  un  bässer  tuet  rinnen, 
laibfl  da  pluet  un  bässer  tuet  rinnen. 


')  Ht.  ■•ret,  d.  h.  meldet. 

')  Tgl.  Gdthet  Faust  Kerkerseene :  sie  siog^en  Lieder  auf  mich ,  es  ist  bös  von  den 
Leutra,  0iD  altes  Mfirchen  endet  so. 


464  S  c  b  r  d  e  r 


Un  bie  $e  a  stückhie  geritten  hent 

jeu  raitent  in  a  win^tern  bald. 

Ar  pruitet  aus  kol^bkrzen  bontel» 

ar  f  etzot  deu  schwane  juncfra  draf. 

Si  schdget  mon  freundlich  in  di  ägen, 

as  iren  ilglain  wließent  zahern. 

mSo  boine;t  du  um  dain  wüter§  guet? 

boder  boine§t  du  um  dain  §tolzic  mueter? 

Boder  boinejt  du  öm  dain  Sre, 

laibSs  in  bklde  tuet  plaiben?** 

'  I  boin  es  et  um  main  wAter§  guet 

i  boin  es  et  öm  main  stolzic  mueter. 

I  boin  es  lai  um  deu  hallige  tände, 

bü  di  elf  junefrin  tuent  hängen/ 

„Es  hängent  schon  elf  juncfrän  drauf, 

deu  zwelfte,  deu  berjt  du  ^ainen. 

Es  kän  gir  et  ändere  §ainen 

es  kän  gkr  et  änder§  Rainen  !** 

„So  werlAb  mir  ritter  drai  schroige  ze  tuen, 

90  werläb  mir  rittar  drei  schroige  ze  tuen.*' 

'So  schrai  biwH  as  du  bil§t, 

's  i$t  niemand  ze  hören  in  biilde!' 

Den  ersten  schrei  si  m&chen  tuet, 

§i  machet  en  zen  wüter  ir. 

„So  kim  mir  ze  hilfe  main  wüter, 

main  laben  das  plaibet  in  bälde  !^ 

Dan  sboiten  schroi  gi  mächen  tuet, 

§i  mächet  en  zer  mueter  ir: 

„So  kim  mir  ze  hilfe,  main  mueter, 

main  laben  das  plaibet  in  bäldef* 

Dan  dritten  schroi  §i  mächen  tuet, 

^i  mächet  en  zen  prueder  ir: 

„So  kim  mir  prueder  ze  hilfe, 

main  laben  das  plaibet  in  bälde!** 

Der  prueder  dar  birot  a  jager^män 

der  prueder  dar  bärot  a  jager$män. 

Ar  höret  das  hundlain  koulen 
ar  höret  §ain  §be§terlain  schraien. 


Weitere  Mittbeiluiigen  über  die  Mundart  von  Gottscbee.  465 

'Hält  auf,  hält  auf»  du  rittar  june, 
hält  auf,  hält  auf,  du  rittar  junc! 

1.  So  schenk  mainder  jbejter  das  laben. 

$0  schenk  mainder  ^be^ter  das  laben ! 

—     —     —     —     —     (Mitterdorf). 
1 .  al.  de  jbejter  deu  gehöret  main. 

HUckit  adj.  kraus ;  tirol.  rilsehelet  in  derselben  Bedeutung,  Schöpf 
S72,  ital.   rieei«  kraus;  vgl.  darüber  Diez  I,  348.   Schneller 
S.  277,  vergleicht  zu  der  tirol.  Form  riseUIaU. 
rtckke  m.  Rocken,  rtekel  m.  zum  Heutrocknen  eingepfählter  Ast  mit 
Nebenästen,  räekhele  n.  dQrrer  Ast,  Mehrzahl  rteklaii:  Sporn 
an  der  Heugabel ;  Rudesh  schreibt  statt  dessen  Mreckel**,  kämt, 
rtfge,  figgl  Lex.  209»  mhd.  raeke.  Lexer  trennt  davon,  ich 
weiß  nicht  ob  mit  Recht,  rkggel  f.  Stange,  S.  203 ,  was ,  wenn 
es  von  racke  verschiedenen  Stammes  ist»  zu  ital.  raccalta  Ernte, 
racogliere  aufraffen  etc.  zu  halten  ist. 
rtcklate  m.  der  Teufel. 
fit  m.  der  Faßreif,  mhd.  reif  s.  reif. 

Umhn  Name  in  Nesselthal  1684,  tarn  in  Altlaag,  Nesselthal,  libiik, 

Staekeidarf  etc.  17S0,  Mosel  1867;  vgl.  ttMb  und  rkn.  Es  ist 

die  mundartliche  Form  für  labe.  Im  ungr.  Bergland  tab  Petrus, 

Neusol  1391,  Käsmark  1610,  Leutschau  1660. 

Uaer^rend,  wahrscheinlich  fSr  liMegrliid  d.  i.  Rabengrund,  s.  rkM, 

kleiner  Ort,  1770  mit  acht  Häusern. 
laikkel,  Name  in  Lienfeld  1684,  Zwislern  1750.  Vgl.  Raikel.  Im 

ungr.  Bergl.  laitkl  Schemnitz  18S8. 
laiaer,  Name  in  Skrill  17S0.  Vgl.  Roner  in  den  VII  communi,  auch 
im  ungr.  Bergland  Wagendrüßel  1888.  Näher  steht  aber  viel- 
leicht Reiier  Käsmark  1840,  Hochwies  1868. 
Ft;  n.  Roß,  heigljtle  Hengstlein,  s.  S.  107.  Das  Fremdwort  Pferd  ist 
noch   nicht  eingedrungen,  wie  auch  im  ungr.  Bergl.  Wtb.  88. 
Vocab.  1423 :  dai  pfart  rass  heigst  el  chavallo  30^ 
risckea  frizere  vocab.  1479. 

r#fe.  riaje  f.  Rose,  gewöhnlich  Blume,  überhaupt  riejie,  riegle  n.  Röslein. 

rtafeagirle  m.  Rosengarten,  Blumengarten  im  Liede  in  Gottscbee 

sehr  beliebt,  s.  laria.  Auch  im  ungr.  Bergl.  Wtb.  88.  Ob  nicht 

der  risengarte  der  Heldensage  noch  nachklingt,  ließe  sich  wol 

SiUfc.  d.  phiL-hitt.  CI.  LXV.  Bd.  II.  Hfl.  32 


466  8  c  h  r  ö  e  r. 

erst  aus  einer  vollständigeren  Sammlung  der  Gottscheewer 
Balladen  erkennen.  gvrtr4a§e  f.  die  Rose.  Die  Slovenen  machten 
daraus  girifktu  Im  vocab.  1423:  ein  resenkreniel  trag  ich  auf 
dem  haubt,  durch  dein  billen  33*.  —  jiMeMa§e  f.  Sonnwend- 
rose, Chrysanthemum  leucanthemum ;  we§perr^a§e  f.  Lauter- 
kraut s.  d. 

lasUsek,  Name  in  Lachina  1614,  Mosel,  Nesseltha!  1867,  RasektUek 
Neuwinkel  um  1800. 

r«jt  m, Eisenrost;  r«;tec  rostig,  mhd.  rMt,  rtstee,  cimbr.  rttt,  restt^, 
r«Bteg.  venez.  rtsteg«. 

riajt  m.  der  Rost,  darauf  zu  ristei,  mhd.  risl^  cimbr.  rtast. 

l«6bichel,  ein  Ort,  der  1770  fünf  Hauser  zahlte. 

Riften,  gesprochen  R^aftei,  hatte  1770  vier  Häuser. 

r4t  riat  rot,  rotgelb.  Der  Dotter  heißt  cimbr.  riates  wim  m  Rothes  vom 
Ei;  so  in  Gottschee:  r^at  («Mail  rotgOlden,  vom  Weizenhalm, 
wie  auch  mhd.  ritgiMlie  spellen  vorkommen  Wernh.  Maria  37, 
aber  selbst:  r^^tfilbrtin  rotsilbem  heißt  es,  sehr  mahlerisch,  in 
einem. Gottscheewer  Marienbilde:  der  bellen  hat  geseh^saeB  alt 
§aiiei  fi$t  galdati  stangelain  Maria !  r^atgildain  ist  das  aUagelc 
—  r4at  jiibrain  ift  dl  aber  Maria ! 

Rilke!  s.  Relel.  Im  ungr«  Bergl.  finde  ich  die  Form  Röthel  1 660  in 
Leutschau,  Rotel  in  Schemnitz  1362 — 1365.  Rate!  skII  Neusol 
1390. 

Rathisel,  Name  in  Mitterdor^  um  1 700. 

Rafleisteio  bei  Altlaag  gesprochen  RiatenjMi  hatte  1770  neun 
Hauser. 

r4we  s.  r&we. 

Ribnlg  s.  Ribnlk. 

nebe  f.  Rübe.  ge;iltelte  nebei  saure  Rüben  mit  Hirse !  Beim  Ruben- 
einstampfen  sowie  beim  Haferdreschen  verbringt  m&n  in  Gott- 
schee die  Nacht  mit  Erzählungen  und  Gesängen«  Die  Arbeit 
geht  von  Haus  zu  Haus;  vocab.  1423:  der  ratich  dl  pUer  rieb 
el  ravanella  19\ 

nebaijlile  n.  das  Rübenmesser  Vgl.  sMaften. , 

Rid^IfsWerl,  der  ursprüngliche,  nun  wieder  amtliche  Name  des  Haupt» 
pfarrortes,  der  auch  Reistadll  slov.  nava  mwU  geaanat  wkd, 
dem  nun  auch  einige  Gottscheewer  Orte  namentlich  Maseben 
(Tschermoschnitz)   zugetheilt  sind.   Es  soll  schon    vor    1438 


Weitere  MittheiluDgen  über  die  Mundari  von  GotUchee.  46 T 

einen    Pfarer    gehabt    haben    und     hat    eine    alte    gotische 
Kirche. 

riefea  rufen.  Bairisch,  alemannisch,  pfalzisch,  auch  im  ungr.  Bergl. 
erscheint  die  schw.  Form  ri^n  (ahd.  hraoQai  nofta  got. 
hrApjaa),  indem  sonst  die  st.  Form  rife^ef  (ahd.  hriofan,  hrUf) 
erhalten  ist.  s.  darüber  Nachtr.  45*. 

Iiaar,  Name  in  TaubenbruBn  um  1700.  So  hieA  aber  auch  der 
Pfarrer  von  Rieke  um  16S4.  VgL  ttMor. 

Iliser,  linseher,  Name  in  Handlern;  Unser  in  Rieke  1614.  s.  d.  folg. 

riife  f.  das  Wasser  bei  Gottschee  s.  oben  Seite  14.  f.  ahd.  rusa  f. 
mhd.  rmse  f-  bei  Schüler  im  Teil  die  Mehrzahl:  „den  Durst 
mir  stillend  mit  der  Gletscher  Milch  die  in  den  liMen  schäumend 
niederquillt. **  Tirolisch:  ms  rinsi  f.  Schöpf  S71 ,  kämt. 
riMse  f.  Lex.  211,  Schweiz  ms  m.  Stald.  IL  293. 

Iippe,  Name  in  Altbacher,  Reichenau,  Obermosel,  Graflinden  1750. 
—  Im  ungr.  Bergland  lip,  liyp  in  Kaschau  1600  —  1700. 
Iqpf  Schmölnitz. 

lift  fuhrt  Elze  als  Gottschee^rer  Familiennamen  an. 

Ii&bach,  gesprochen  Bieftplieh  bei  Maschen,  zählte  1770  einund- 
zwanzig Häuser.  ^ 

rieft  m.  der  Ruß ;  ahd.  nei  got.  hr4t 

neftee  ruAig,  schmutzig  überhaupt;  ahd.  rieiae. 

rifei  (nsehen!)  Mais  abschneiden.  Vgl.  etwa  rasehei  Wildheu 
schneiden.  Berner  Oberland  s.  Stalder  II,  289.  Den  Maiskolben 
abkornen  heißt :  abraibei. 

&,  wechselt  mit  E:  h4,  ahi  so;  halle,  dar  —  selbe;  halUge  selbige; 
heiter  hettenar  sothaner;  heit  sind;  gebiehea  gewesen. 

Der  Sauselaut  ist  sonst  durchaus  zu  §,  einem  gelinden, 
tönenden  seh  geworden,  wie  auch  im  „Cimbrischen**  s.  darüber 
oben  Seite  22 — 24,  das  jedoch  scharf  von  dem  echten  ur- 
sprünglichen 8ch  in  der  Aussprache  unterschieden  ist.  Daß  an 
der  deutschitalischen  Sprachgrenze  diese  Erscheinung  schon 
früh  aufgetreten,  dafür  bietet  das  vocab.  von  1423  bemerkens- 
werthe  Belege:  egsch  Ochse  30%  bagsehei  wachsen  34%  pigsek 
Buchs  Zi\  seUIbreln  silbern  19%  seheleht  seicht  41%  Umge- 
kehrt, aber  indirect  für  dieselbe  Aussprache  sprechend,  erscheint 
^  für  8ch:  neiss  Mensch  S^;  silteri  Schultern  5**,  6%  sertlgt 
sehartig  43%  Mhd  sl,  sm,  «b,  sw  klingt  in  Gottschee  |I ,  ;nt 

32* 


468  S  c  h  r  ö  e  r 

$n,  |b  nicht  wie  neuhochdeutsch  sehl,  sckn,  8ckii,  sehw)  ein 
Beweis,  daß  die  Verwandlung  des  s  \n  §  nichts  gemein  hat  mit 
dieser  Verwandlung  des  mhd.  s  in  nhd.  ach,  sowie  daß  diese 
Verwandlung  in  der  Sprache  von  Gottschee  eigentlich  noch  gar 
nicht  eingetreten  ist ').  —  Das  aus  älterem  z  hervorgegangene 
nhd.  8  bleibt  scharfes  a  und 'wird  nie  zu  §,  z.  B.  s  kiod  (daz  kint) 
aber  ;  kiideg  (des  kindes)  oder  kiidej. 

Der  starke  Genitiv  mit  s  (in  Gottschee  §),  der  in  der  öster- 
reichisch-bairischen  Mundart  fehlt,  ist  noch  erhalten  z.  B. 
klidej,  gigag  oder  siba;  des  abends,  ;  »«rMis  etc.  Selbst  den 
starken  Genitiv  des  Infin.  wie  in:  viel  Lärmens,  Weinens,  Jam- 
merns  hört  man  noch  z.  B.  wli  kr^akkij  tür  gr^ftes  krfkei 
jammern  u.  dgl. 

;acke  f.  Sache ;  der  Viehstand.  Die  Schafe  sind  das  wlke,  das  Rind- 
vieh : '  9  gvet. 

Sageo.  Von  geschichtlichen  Sagen  wird  in  Gottschee  nicht  viel  zu 
erwarten  sein.  Erinnerungen  an  die  Einfalle  der  Türken  leben 
noch  fort.  Am  bekanntesten  ist  im  ganzen  wol  die  Sage  von 
Ter«nlca  v«b  Desliie ,  die  sich  an  die  Ruinen  des  Friedrichsteins 
knüpft.  Graf  Friedrich  von  Cilli  soll  seine  Gemahlin  1422  im 
Bett  erstickt  und  1424  seine  Geliebte,  jene  Veronika,  geheiratet 
haben.  Sein  Vater  Hermann  ließ  den  Sohn  ins  Gefängnis  bringen 
und  sein  neuerbautes  Schlößchen  Friedrichstein  niederreißen. 
Veronica  irrte  in  Wäldern  herum  und  wurde  endlich  auch  fest- 
gesetzt und  der  Zauberei  angeklagt.  Das  Gericht  sprach  sie  frei, 
Graf  Hermann  ließ  sie  jedoch  durch  zwei  Ritter  in  einer  Bade- 
wanne ertränken.  Alles  dieß  wird  ausführlich  nach  der  Cillier 
Chronik  erzählt  von  Valvasor  XI,  200.  Vgl.  rije,  jldelsteii,  baiß. 

fägei  fogei  part.  ges^it  sagen,  gesagt. 

|AfeB  saugen.  sAgarii  f.  Amme;  mhd.  8«igei  von  sAgei  dem  eio 
gottscheewisches  jaigei  entspräche. 

j&gen  fAgei  sägen;  daher  slov.  iigati)  $Age  f.  Sagemühle,  Säge;  slov. 
iaga;  |ibäeb  sigllch  n.  Sägespäne;  ahd.  saga  die  Säge; 
sagAa  sägen. 

fagenaise  f.  Sense;  ahd.  si^aasa  f.;  cimbrisch  segeiaei  kärntisch 
seigase   etc.    Das    a  der  ersten  Silbe  entspricht   dem   ahd. 


<)  st  und  fp  spricht  der  Cottscheewer  sckt,  »cbp,  oicht  ft,  f p ,  weU  das  töaende  f 
vor  der  tenuis  in  das  entsprechende  schärfere  sch  übergeht. 


Weitere  Mittheilungen  über  die  Mundart  von   Gottschee.  469 

S,  es  darr  obige  Form  daher  nicht  auf  sagises  gleichsam 
Sägeeisen  Gr.  II,  345  zuruckgeftihrt  werden,  was  hier 
figaifen  lauten  mußte ,  wenn  auch  der  Gedanke  an  Eisen  den 
zweiten  Theil  des  Wortes  beeinfluAt  haben  mag. 

Sager,  Name  in  Gottschee. 

;ikeo  sehen ,  wol  zu  unterscheiden  von  sehigeii  schauen  und  jAbcb 
säen;  Ifc  ;leh  ich  sehe;  gejAchei  gesehen. 

{aibet  s.  jaiieo. 

}ilde  f.  Seide;  mhd.  stde^  faidatn  seiden;  mhd.  stdtu. 

jaiieB  sein,  nicht  sektiiei  scheinen;  lh  pln,  di  pijt,  ar  \^X\  bir  laibs 
(vgl.  got.  sIJim),  ir  §ail,  $ei  heut)  ih  baret  ich  war,  bir  barttei 
wir  waren,  ihbert  etc.,  s.  werden )  gebin  gewesen,  im  Hinter- 
land geMiehen  und  gebichei.  Vgl.  fAnei  und  N. 

fiitUfen  schief;  alemannisch  Stalder  II,  369:  sellliageii,  seit- 
ilngs,  Schmeller  III,  291:  seiUlBgei:  oblique;  mhd.  slteltagci. 

Saker,  Name  in  Windischd.  1614. 

Sattler,  Name  in  Gottschee  1700.  Im  ungr.  Bergl.  laltler  Neusol  1492. 
Daß  das  Z  für  5  gilt  ergibt  meine  Bemerkung  PfeifT.  Germ.  IX,  482. 

f4lbe  }kibe  f.  Salbe;  ahd.  «alba,  mhd.  salbe,  slov.  entlehnt:  ftarba. 

ftibade  f.  Pomade,  Schmiere.  Vgl.  abd.  salbida  f.  Gr.  Gr. 
II.  234;  daneben  die  Neutrumform  salbide  (»  salbMi, 
salbMJa)  Weinh.  bair.  gr.  Seite  205  und  das  Femin.  gesalbade 
daselbst. 

salber;t  selbst,  gaii  sanlbajt  ganz  selbst.  Derselbe  lautet  in  Gottschee : 
dar  halle  s.  S.  101.  Vgl.  S.  97.  wie  kämt,  der  seil.  In  aalb^rjt 
zeigt  sich  eine  Bildung  wie  cimbr.  selbert  wo-/  angetreten  ist, 
wie  an  das  ^genitivische  selbes  -^  das  zuerst  im  Passional  (md.) 
erscheint.  Jac.  Grimm  war  geneigt  das  st  als  Superlativ  aufzu- 
fassen Gr.  III,  647.  IV.  3K9.  Vgl.  jedoch  Seite  3K8  die  Anmer- 
kung und  Weigand  II,  687. 

fah  n.  Salz;  bigajau  (wagensalz?)  Rieselregen.  Krise. 

MMer  m.  statt  der  Wagen  bediente  man  sich  in  Gottschee  bis  in  unser 
Jahrbund,  der  Saumrosse  und  die  Lasten  wurden  durch  soge- 
nannte saMer,  Saurorossbesitzer  befordert;  s.  Vakasor  11,  112. 

Saside,  Name  in  Gottschee  1700.  Malgern,  Langendorf,  Krapflern, 
Stein  wand  etc.  177S.  in  Krapfenfeld,  Altbacher  1784. 

}Aiea  sähen;  got.  salai,  ahd.  säjai.  Vgl.  saliea. 

fiifttic  m.  Samstag,  s.  tac. 


470  S  c  b  r  ö  e  r. 

^atteln  satteln.  Auch  in  dem  übertragenen  Sinne:  das  Gemüse  satteln» 
Braten  auflegen.  Der  in  seiner  Armut  erfinderische  Gottscheewer 
nennt  treiKch  auch  saure  Rüben  schon  gejattelt»  wenn  er  Itne 
statt  des  Bratens  auflegt. 

fai  f.  Sau.  ftidierae  f.  Schweinemagd«  saike,  m.  Schwein!  als 
Schimpfwort  für  einen  Mann,  saika,  f.  ebenso  fttr  ein  Weib. 
In  Bezug  auf  die  Geschlechtsbezeichnung  mit  -e,  «o  s.  unter  0. 

$aier  sauer,  verdrießlich;  ar  habet  sih  jaier  er  ist  b&se,  gebSrdet 
sich  verdrießlich. 

aehaffei  vermachen  d.  i.  erblich  übertragen ;  biMan  sehafaji  di  daiie 
gietar?  s.  Steff*an. 

Schaffer,  Name  in  Hornberg,  Dranbank,  Otterbach,  Altsaagetc.  1775. 
Im  ungr.  Bergl.  Sehaffer  Schemn.  1362.  Neu9ol  1482,  Kremn. 
1528.  Kasm.  1626.  In  Marb.  1329. 

Schiffer,  Name  in  Gottschee  um  1780. 

Sehager,  Name  in  Neuwinkel,  Eben  1775.  Vgl.  Sager. 

fichAgei  schauen.  Vgl.  jAhea  sehen. 

schalbe  f.  Scheibe.  In  Kärnthen  und  Tirol  heißen  so  auch  die  brennen- 
den Harzscheiben  die  bei  den  Johannisfeuern  gerollt  werden; 
Gottschee:  janMtteirAdie  —  n.  sehalUaia  rund,  vocab.  1423: 
tchetbllgl  tordo  77\  Vgl.  -lain,  ebenso  in  Tirol  und  Kärnthen. 
acheiblf ,  schelUet,  im  ungr.  Bergl.  schlbelllche  und  taehaibel 
rund.,  s.  Darst.  72  (322),  Wörtb.  46. 

„sehaikaar  der  erste  Brantwein"*  Rudesh  S.  267^. 

letnriaeii  scheinen,  wol  zu  unterscheiden  von  jaiaea  s.  d. 

schaiftertäe  m.  Faschingdienstag  s.  praakela  S.  60. 

sehale  s.  sehtile. 

Sehalk evdarf  hatte  1770  acht  und  vierzig  Häuser. 

sehliU  f.  Erdscholle,  mhd.  sehaile. 

schapel  n.  Stirnband,  Kranz  mhd.  schapel,  slovenisch  äapel. 

„seharal  krummbeinig**  Tschermoschnitz. 

sehare  f.  Scheere;  ahd.  sel^ra,  mhd.  schirre;  in  kSrnt.  sehAre  f.» 
ebenso  tirolisch,  entsprechen  der  ahd.  Nebenform  scAra  seAri: 
cimbr.  aeheara  f.  scheara  kann  für  beides  stehen ;  sloven.  jkarje. 

scharte!  m.  Kuchen,  Gugelhupf,  vgl.  ahd.  scarta  v.  rosta,  craticnla, 
scartisani  clibanum,  craticula;  bair.  schart  Kupfertiegel  auf  Fußen 
um  Gogelhopfen  zu  backen.  Schmell  III,  404.  Die  Slovenen 
nennen  den  Scharte! :  jarte^. 


Weitere  Mittheilungen  ober  die  Mundart  voa  Gotttcbee.  471 

sfhätUr,  m.  Plural  sehättare  Sonnenschirm.  Scheint  sieh  leicht  aus 

Sehalten  abzuleiten  (wo  die  Mundart  jedoch  sehältebar  gebildet 

hätte),  steht  aber  näher  dem  sloven,  i4t«r,  magyar.  stier  Zelt. 
Sekaaer»  Name  in  Kuntschen,  Tiefenreuter,  Unterwarmberg  etc.  177K. 

U.  tapelwerch  1560.  Kotscheu  1614. 
sektabe  f.  eine  Art  Pelzmantel :  mhd.  schAbe»  daher  slovenisch  tot ba. 
schd  s.  auch  sebai  sehai. 
Sebeia,  Name  in  Gottschee. 
Scbeitaa,  Name  in  Gottschee. 
Scbeattseb,  Name  in  Gottschee. 
Scherabnii  zählte  1770  vier  Häuser. 
Sehener,  Name  in  Weißenbach  1614. 
sebiekben  senden;  zu  unterscheiden  von :   scbleUei  glotzen;  kämt. 

sebleggei  etwas  schief  thun.  Lex.  217.  Vgl.  Schmoll.  III,  320. 
scUeften  sprossen,  der  baliei  bbl  gesebassea ,  der  Weizen  hat  ge* 

schössen,  für :  ist  aufgeschossen  s.  unter  rat  r^at. 
Sebtetti,  Name  in  Gottschee. 
seUakpala  n.  der  Schenkel:  vgl.  mhd.  scblaebela^  cimbr.  seUiepaaa. 

seklalleb  schenari   (schiniera?)   vocab.  ital.  tod.    1460.  21  \ 
icki.  s.  auch  sl. 
Seklaid,  Name  in  Sele  1775. 

Seklaaa«  Name  in  Altlaag,  Maschen,  Mitterdorf,  Pölandl  1775. 
Seklebaig,  Seblebaik,  Name  in  Gottschee  1775. 
Seyeehtbiehel  bei  Nesselthal  zählte  1770  drei  Häuser 
Seblel,  Name  in  Gottschee. 

SeUeiMer,  Name  in  Altlaag,  Nesselthal,  Mosel  etc.  1775. 
Sekletlerer,  Name  in  Gottschee  1775. 
«ekn.  8.  auch  ;■• 
SckaüUiel,  Sebaalael  Homberg  1775.  Einen  Vrledel  SMeleiel  finde  ich 

in  Presburg  1379. 
Scbatd,  SebMll,  Name  in  Gottschee  in  U.  Warmbg. ,  Rick,  Komutzen 

1775. 
Scbaiak,  Name  in  Stockendorf,  Lachina,  Ribnik  U.  Taplwerch.  1750. 
lebi.  s.  auch  ji. 

Sebaeeperger,  Name  in  Gottschee.  1700. 
Sebadder,  Name  in  Moos,  Prese,  Klindorf,  Krapflern  etc.  1775.  Im 

ungr.  Berg],  häufig,  zuerst  Käsm.  1521. 
Sebieller,  Name  in  Nesselthal  1775.  Im  ungr.  Bergl.  Wd.  1613. 


4  72  S  eh  rd  e  r. 

Schaber,  SeUber.  Name  in  Handlern»  Altlaag»  Masern,  Oberstein,  Göte- 
nitz  1775.  Auch  trank.  Henneberg,  Seb^ber,  nicht  selten 
Spieß  204. 

Seh«berle,  SehöberlalB,  Name  in  Deutschau  1775.  • 

ScbMeiB,  Ort  bei  Nesselthal,  der  1770  eilf  Häuser  zählte. 

schrtin  m.  Schrein;  auch  cimbr.  sebraift,  sebraindar)  mhd.  scbriB. 

Bcbria  m.  Umschwung,  Sprung.  Das  Reh  vom  Blei  getroffen,  hat  noch 
einen  sehrAi  gethan.  Vgl.  sebriBlIeb.  Vgl.  alemann,  sehraaif 
sehrävie  Ber^lücke,  Felsenritze  Stald.  II,  350,  was  Schnneller 
UI,  516  von  schraid  aus  scbrlsdeii  ableitet.  Es  laßt  sich  noch 
mhd.  gebrege  f.  die  Quere,  Schragheit,  sowie  scbrehM  schräg 
vergleichen  (Gr.  l^  132)  ohne  sicheres  Ergebnis.  Vielleicht  ge- 
hört hieher  scbrA  f.  bei  Nithart  76,  24 :  ougen  unde  brä  vor  der 
widerraezen  sebrA  sult  ir  wol  behüeten.  Vgl.  das  folgende  Wort. 

scbrAiUeb  schief,  sebrAaHeh  sebigei  schielen.  Vgl.  sebrAn.  —  «ebru- 
ÜBgar  m.  der  Schielende.  Vgl.  schrAn. 

sehrol  m.  Plural  schreige  Schrei,  cf.  cimbr.  schraigen«  Schon  ahd. 
zuweilen  sehreigen  und  serigei  schreien. 

sebreat  m.  das  Schrot,  Geschrotene;  sebrAat  bilekbe  f.  Sehröthaeke, 
wie  kämt  Lex.  226.  mhd.  sebrit. 

sebritel  sebr^alel  m.  Stemmeisen.  Das  bei  Schmoll.  III,  522  unter 
sebriter  angeführte  sebretell  ceraster  gehört  nicht  hieber ;  ce- 
rastes  im  vocab.  von  1420:  homeht  slaige  hieß  vielleicht  auch 
sebratel  sebretel.  [m  Vocab.  1423:  der  scbratel  el  mazarol? 
49\ 

Sebranitsch,  Name  in  Gottschee. 

sebMe  schiale  f*  der  Fingernagel  vgl.  negle.  Um  dieser  Wunderlich- 
keit der  Gottscheewer  Mundart  (s.  weiteres  unter  keie)  eine 
zweite  hinzuzufügen,  sei  erwähnt,  daß  sebale,  got.  ska^A  als 
Übersetzung  von  xipaikog  (Ziegel)  Luc.  5,  19  gebraucht  wird, 
welches  xipaikog  an  magyar.  kirln  Fingernagel,  erinnert,  vgl. 
auch  ital.  seaglU  Schuppe. 

sebippel  m.  Stöpsel,  östen'eichisch  sebippel  m.  Schopf;  scbippeU 
bei  den  Haaren  ziehn.  Vgl.  Lex.  227. 

scbirjbebn.  Scheermesser;  elrasorOydersebarsaeb  voc.  ven.  tod.  1424. 
f.  14.  Schm.  HI,  385.  ebenso  das  vocab.  von  Lapi  1479  f.  20\ 
mhd.  bei  Heinr.  v.  Turlin  seharsaeh  Tristan  2706  ebenso.  Konr. 
V.  W.  scbarsaebs,  Herbort  scbarsas,  ahd.  searasahs. 


Weitere  Mittheilungen  über  die  Mun<1art  von  Gottschee.  473 

Sckiester,  Name  in  G.  1700,  Moswald,  Hasenfeld,  Verdräng,  Stalzern, 
PGchl ,  Prdrübel  etc.  1 775.  Im  ungr.  Bergl.  zuerst  Neusol  1 390 : 
Schiester,  dann  sehr  häufig. 

Sekift  Name  in  Gottsehee. 

Sehisteritseh  Name  in  M5sel,  Moswald,  Puehl,  Rein,  Zwislern  1775. 

sfhittel  m.  Fieber.  So  auch  mhd.  schtttel  m.  Fieberfrost,  mhd.  Wtb. 
II,  231,  s.  auch  Schmell.  420.  Im  ungr.  Bergland  das  sehiUel- 
dengft  (d.  i.  das  sehlttelidige)  das  Fieber  s.  Nachtr.  47,  19. 
Vgl.  dazu  den  Fluch  im  ungr.  Bergland:  dl  Ab  seidleh  sehittels, 
schMtlsen,  warfei^  breeh  hals  aad  gehaiil  Darstell.  40  (290). 

Sekw  s.  auch  ;b  =  sw. 

Sckwarsehiig,  Sehwersehnlg  Sehwirschiiig,  Name  in  Neufriesach,  Gö- 
tenitz,  Masern  etc.  1775. 

Sehwaneabaeh,  Ort  bei  Gottsehee  1770  neunundzwanzig  Häuser; 
Sehwanenbich  bei  Ossiunitz  1770  dreizehn  Häuser. 

Schweiger,  Name  inWetzenbach  1775,  in  Handlern  1560,  Riek  1614. 
Im  ungr.  Bergl.  in  Kaschau  1858. 

Sehwelitseh,  Name  in  Lienfeld,  Krapflern  1775. 

Schwarschtag  s.  SehwarsehBig» 

)l  {te  da  hast  du;  }ial  da  habt  ihr ;  auch  jja  jjal  gesprochen.  Elze 
sehreibt  dache.  Der  uralte  Imperativ  eines  verlorenen  Zeit- 
wortes (?),  der  schon  gotisch  (sal)  vorhanden  war  und  sich  von 
dem  Imp.  von  sehen  (saihv)  unterschied,  wie  ahd.  s^  von  sih, 
hält  sieh  noch  unerschuttert.  Voeab.  1423:  se  to;  bIm  «der  sei 
■eaipt  «der  seet!  61\  s.  Kämt.  Lex.  230;  cimbr.  Wtb.  168., 
tirol.  Schopf  663,  Stald.  II,  296.  Schmell.  III,  180. 

fd}te  m.  }tab,  Dativ  |tabe  See,  Meer;  mhd.  s^;  ahd.  s^i;  got.  stivs  m. 

»feaeh  sehafle  n.  Holzgefiß.*"  Vgl.  seehtar. 

s^le  j^ale  f.  die  Seele;  mhd.  s^Ie* 

fUf  f.  Tasche ;  im  ungr.  Bergl.  sehebb  und  sehebbs,  siebenb.  sächs. 
•ehipp,  wozu  ich  nd.  sehapp  Schrank  magyar.  iseb  verglich. 
Wtb.  91*. 

ftere  f.  die  Wundheit.   Neugeborne  bekommen  zwischen  den  Füßen 
leicht  di  j^arei  BBhljlire  f.  (Nabelsehre?)  faulnisartige  Entzün- 
dung der  Ochsen.  Krise.  Mhd.  s^re  f.  der  Schmerz  etc. 
}eehe  solche;  so  auch  im  ungr.  Bergl.  s.  darüber  Darstellung  S.  93 

[343].  Vgl.  hettcBtr  oben  S.  108  und  unten  SBlIeieh. 
jeehjeB  jekjes  sechse.  Vgl.  oben  S.  76  unter  fi. 


474  Schröer. 

seehte  f.  Lauge,  vocab.  1479:  di  teekt  «der  di  iaigen.  Dazu  vgl. 
SchmelL  III,  194:  geehteli,  cimbr.  seckta  Lauge.  CWtb.  168. 
Dazu  Stalder  II,  366.  Lexer  230.  Schöpf  664. 

geehtar  m.  MelkfaA;  ahd.  sUtari,  slovakiscb:  iaebUr  zu  sextarius. 

Seiti,  Name  in  Gottschee. 

Sele  Seele  bei  Gottschee  zählte  1770  sechsund vierzig  Häuser. 

Sella  hatte  1770  eilf  Häuser. 

SeeMani,  Name  in  Gottschee  1700.  Krapflern,  Rick,  Rotschen  1775. 
Im  ungr.  Bergl.  in  Kremnitz  18S8. 

Setsch  bei  Ebenthal  1770  mit  neunzehn  Häusern. 

§ea  M  s.  gl. 

Seter,  Name  in  Gottschee  1700,  Weißenstein,  Kiek  177&. 

Sgedl,  Name  in  Gottschee  1700. 

fi  ;l  jei  sie;  ohne  Unterschied  des  Geschlechtes  wird  jei  (=»  nbd. 
siu),  jal  zuweilen  im  Nom.  und  auch  im  Acevs.  Sing.  fem.  und 
PI.  nicht  nur  neutr.  gebraucht.  —  jlUn  f.  das  Weibchen  z.  B. 
des  Bären,  der  Katze,  aber  auch  Flachsfemmel.  Me  Sie  (ur 
das  Weibchen  ist  ein  uralter  allgemein  verbreiteter  Ausdruck 
Gr.  Wtb.  III,  690  f.,  aber  die  Form  mit  -hin  hier  in  Gott- 
schee, die  an  nd.  seekei  erinnert,  ist  auffallend.  Doch  hat  schon 
das  ital.  deutsche  Vocab.  von  Lapi  (1479):  dt  slgii  la  putta 
13*.  das  vocab.  von  1423:  st  ader  di  femena,  er  ader  der 
maschale  3i^ 

jibei  gaifea  jAr  lad  drai  tige  kömmt  formelhaft  vor  im  Liede  die 
schtae  an  leer.  S.  dar.  Germania  XIV,  332.  —  fibaei  siebeae. 
glbite  f.  die  Siebente,  das  Todtenfest;  wie  mhd.  der  slbeade  der 
siebente  Tag  nach  dem  Tode.  Feste  währen  überhaupt  sieben 
Tage.  Nib.  41.  Gudr.  219.  u.  s. 

SIbrer,  Name  in  Schwarzenbach  1S60. 

fieherle  n.  Sichel,  vgl.  jagaaije, 

}idel}taii  m.  der  mythische  Siegesstein;  „es  gibt  Sehlangen,  die  eine 
irane  nit  elien  Bdehtela  tragen ,  das  ist  der  ;ldel;taii.  Eine 
solche  Schlange  ist  weift  und  wohnt  an  einem  Innaei,  wo  sie 
durch  Wälder  streicht,  verbrennt  Alles.  Wenn  man  sich  ihr  naht, 
thut  sie  einen  Pfiff,  worauf  von  allen  Seiten  die  Schlangen 
kommen  zu  ihrer  Hilfe.  In  Unterluog  hat  einer  dennoch  gesiegt 
und  den  jidelstaii  gewonnen.  Er  wurde  reich  dadurch  und  das 
Gluck  wohnte  seit  der  Zeit  bei  ihm.'' 


Weitere  Mittheilungen  über  die  Mundart  von  üottsehee.  475 

Dieß  schrieb  mir  1867,  nach  mOüdiicher  Erzählung,  Herr 
Caplan  Parapat  in  Mitterdorf  nieder.  Weiter  heißt  es  in  Gott- 
schee:  „der  §MelsUiii  macht  unbesieglich.  Wenn  man  an  den- 
selben leckt,  so  löscht  er  Hunger  und  Durst.  "^  Es  ist  also  ein 
sfgestelii  wie  der  Stricker  ihn  beschreibt:  'ich  hoere  ron  den 
steinen  sagen,  die  nitern  unde  kroten  tragen,  daz  sd  grdz  tu- 
gentdar  an  lige,  swer  si  ha1)e  der  gesige;  möchten  daz  sigesteine 
wesen«  sd  solt  ein  wurm  vil  wol  genesen ,  der  si  in  stnem  libe 
truege*;  weitere  Stellen  mhd.  Wtb.  H,  616.  Einen  solchen  Stein 
trägt  der  schlafende  Sigurdhr  der  Vilkinasaga  (cap.  96,  97)  in 
der  Tasche  und  auch  Konig  Nidung  (cap.  IS)  besaß  einen 
solchen.  „Invictum  reddit  lapis  hie  quemcunque  gereutem,  ex- 
tinguitqne  sitim  patientis  in  ore  receptus.^ 

Marbod  bei  Grimm  Hythol.  1169  Tgl.  Haupt  HI,  42. 

Durch  Anlehnung  an  sigel  sigillum  wurde  aus  slgestelm 
sigelsleiii  s.  mhd.  Wtb.  H,  616.  In  ;ideljt«iii  steht  aber  «^  für 
g  Wie  in  badraieh,  Wegerich,  walde,  Felge  s.  oben  S.  89. 

Andere  Erzählungen  davon  aus  Gottschee,  die  mir  stud. 
Jaklitsch  aus  Mitterdorf  mittheilt,  mögen  noch  hier  folgen  : 

Ein  Wanderer  verirrte  sich  im  Walde  und  fiel  nach  langem 
Irren  in  eine  tiefe  Grube,  wie  im  Steingeklüft  von  Gottschee  so 
viele  sind.  Er  hatte  sich  nicht  verletzt,  denn  er  fiel  weich  auf; 
eine  gewaltige  Menge  von  Schlangen  deckte  den  Boden.  Unter 
ihnen  erhob  sieh  die  gr^fte  weifte  SeUange  mit  dem  jidelstdii 
auf  dem  Kopfe  und  befahl  den  übrigen  des  Wanderers  zu 
schonen.  Diese  leckten  viel  an  dem  jidelsl^liie.  Da  er  hungrig 
und  durstig  war  wagte  er  es  auch  zu  lecken  nad  langer  und 
Bnrst  sehwand.  Und  der  Wanderer  blieb  viele  Jahre  bei  den 
Schlangen.  Da  versprach  ihm  die  grafte  weifte  Sehlange  ihn 
wieder  an  das  Tageslicht  zu  bringen,  wenn  er  über  seinen  Auf- 
enthalt bei  den  Schlangen  schweigen  wolle.  Dieft  versprach  er 
und  sie  nahm  ihn  auf  den  Rücken.  Sie  trug  ihn  aus  der  Grube, 
aus  dem  Walde,  durch  die  Lfltte  bis  vor  eine  Stadt,  wo  er 
wieder  zu  Menschen  kam.  Man  erzählt  auch,  in  der  Grube  seien 
auch  Bilche  gewesen ,  denen  er  rate  Fäden  um  den  Hals  band, 
und  man  habe  später  viele  so  gezeichnete  Thiere  gefangen. 

Ein  anderes.  Ein  Paar  Konleute  s.  d.  waren  reich  an 
Gütern,  aber  kinderlos.  Da  beteten  sie  um  ein  Kind,  wenn  auch 


476  8  c  h  r  ö  e  r. 

nur  ein  Hündchen;  vergebens I  Sie  beteten  um  ein  Kind  wenn 
auch  nur  ein  Kätzchen;  vergebens!  Da  beteten  sie  um  eine 
Schlange  und  ihre  Bitte  ward  erfüllt.  Als  der  Schlangensohn  20 
Jahre  war,  wählten  sie  ihm  das  schönste  Mädchen  zum  Weibe. 
Die  wollte  aber  der  Schlange  sich  nicht  vermählen.  Da  sollte 
sie  zur  Strafe  einen  Balken  von  schurjach  (Scheermessern) 
emporklettern.  Sie  versuchte  es,  da  aber  der  Schmerz  so  groß 
war,  gab  sie  nach  und  ward  das  Weib  der  Schlange.  Da  sie  in 
der  Brautnacht  weinte,  sagte  die  Schlange  „Du  wirst  mich 
erlösen.*"  Da  wurde  sie  still  und  redete  mit  der  Schlange.  Am 
Morgen  aber  krachte  das  Haus  und  der  Schlange  pra§l  (brast: 
brach)  die  Lache  (Haut) ,  ein  schöner  Jüngling  stund  vor  ihr 
und  sie  küssten  sich.  Er  aber  sprach:  die  lache  bewahre  wol;  es 
ist  zu  unserem  Glück.  Sie  aber  haßte  diesen  Schlangenbalg  und 
als  er  einst  aus  war  verbrannte  sie  ihn.  Als  er  heimkehrte  und 
dieß  vernahm,  verließ  er  sie.  Sie  war  aber  schwanger  und 
konnte  nun  nicht  gebären  siebeii  Jahre  lang.  Da  zog  sie  aus 
nach  ihrem  Manne.  Auf  dem  Wege  begegnete  sie  eine  weiße  Frau. 
Die  sagte  ihr:  „Dein  Mann  lebt  mit  einer  Zauberin  in  ihrem 
Schloß;  da  nimm  drei  Spielzeuge!*'  Sie  nahm  die  Spielzeuge 
und  gab  zwei  der  Zauberin,  damit  sie  mit  ihrem  Manne  reden 
könne.  Als  sie  aber  zu  ihm  kam  schlief  er  von  einem  Zaubertrank. 
Da  gab  sie  das  letzte  Spielzeug  hin.  Da  vermied  er  den  Zauber- 
trank, sprach  zu  seinem  Weibe;  sie  gebar  einen  Sohn.  Die 
Zauberin  aber  ward  vertrieben  und  sie  lebten  nun  glücklich. 

SM«r,  Name  in  G.  1700,  Hinterberg  1775. 

jifelB  wetzen;  dar  «kje  ;ifelt  sik  aa  dar  apfaller;  sifela:  wetzen, 
schleifen.  Kämt.  Lex.  233;  mhd.  sifela  sifela  scharpfend  gehn, 
vgl.  ahd.  snflli  snflla  sorbitiuncula  etc.  Graff.  VI,  172. 

Signud,  Name  in  Gottschee  1700  Setsch,  Tiefenthal,  Ebenthal  1775. 
Im  ungr.  Bergl.  in  Kremnitz  1628,  Kismark  1610.  In  Marb.  1504. 

Sigel,  Name  in  Gottschee.  In  Marb.  1 452. 

fikiii  f.  das  Siechen,  ital.  deutsch,  vocab.  von  1479  f.  13*.  disigia 
la  putta  s.  8l. 

Singen,  Name  in  Schwarzenbach  1614. 

;iag«ftle  n.  Glöcklein,  Schelle;  mhd.  slBgMiel.  cimbr.  siagai  Wtb. 
1 69.  siBgesIe  Schöpf  675.  siagese  Lex.  233.  Wird  von  Wacker- 
nagel  auf  ital.  segnuzzo  zurückgeführt.  Mhd.  Wtb.  II,  •.  305- 


Weitere  Mittbeiluogen  über  die  Mundtrt  von  Gotlschee.  477 

gipHie  m.  siebgroßes  Brot.  Von  jlp  n.  mhd.  nif  das  Sieb. 

Sirge,  Name  in  Goitschee, 

SkeM,  Name  in  GotUchee.  Mitterdort',  Wretzen.  0.  tapelwech  1775 
Mitterdorf  1614. 

Skilir,  Name  in  Gottschee. 

Skrill  bei  Stockeadort'  1770  mit  sieben  Häusern.  S.  •berskrill. 

Skiktr.  Name  in  Gottschee. 

sitf  jMfro.  Schlaf,  »sl&f  priderlaiii  Hagebutten.«' 

sli|[€i  schlagen.  Die  bäeklel  ;Iigel:  die  Wachtel  schlägt. 

sligektr  sielkar  ;Ulkar  m.  und  n.  Ruhrkübel,  kämt,  scklacker  m. 
Lei.  218.  Die  Gottscheewer  Form  wirft  Licht  auf  das  Wort;  •! 
ist  immer  mhd.  ei,  es  ist  demnach  mhd.  sieikar  anzunehmen 
(vgl.  sieibal:  slagebal),  und  kar  wieder  jenes  alte  kar  in 
kisekar,  peehar  m.  Seite  49.  im  nngr.  Bergland  kArleln.  Darst. 
171. 

fikage  f.  Schlange.  Vocab.  1423:  die  slaiig  serpente  31*. 

Vor  alten  Zeiten  gab  es  Schlangen  im  Waid,  die  thaten 
▼iel  Schaden.  Da  sprach  ein  Mann  zu  den  andern:  so  ihr  mein 
Weib  und  meine  Kinder  versorgen  wollt,  wenn  ich  umkomme, 
so  will  ich  alle  Schlangen  vertilgen.    Die  andern  versprachen 
dieß  und  er  gieng  in  den  Wald.  Da  machte  er  einen  Kreis  und 
ein  Feuer  in  die  Mitte  und  stieg  auf  einen  Baum.    Da  kamen 
alle  Schlangen  zum  Feuer  und  verbrannten.   Doch  zuletzt  kam 
eine  grafte,  weifte  Sehlaage,  die  schlug  mit  ihrem  Ungeheuern 
Schwänze  so  um  sich,  daß  sie  alle  Bäume  niederwarf,  auch  den 
worauf  der  Mann  saß.  Und  er  fiel  herab  und  schlug  sich  todt.  — 
So  kann  man  die  Schlangen  vertreiben,  aber  Einer  muß  sich 
opfern.  —  Vorjahren  kam  einer  in  die  Stadt  (=  Gottschee), 
da  begegnet  ihm  eine  Dirne;  das  war  die  grtfte,  weifte Scklaage. 
Die  sagte  ihm,  er  könne  sie  erlosen ,  dazu  miiße  er  aber  ein 
einjährig  Haselrätlein  aus  dem  Walde  holen.    Auf  dem  Rück- 
wege  werde  sie  ihm  als  weifte  Schlange  begegnen  und  werde 
SchlQßel  in  4er  i&iea  (im  Maute)  tragen.   Die  solle  er  ihr  mit 
der  Haselrute   aus  der  Käuen  schlagen,   da   werde  alles  vom 
Himmel  fallen,  Hagel  und  Regen,  Blitz  und  Donner;  er  dürfe 
äich  aber  nicht  furchten.  Und  er  that  wie  sie  verlangte.   Aber 
auf  seinem  Rückwege  aus  dem  Walde  überfiel  ihn  ein  schreck- 
liches Ungewitter  und  da  wo  eine  kleine  Ta§e  (Tanne)  stund. 


478  S  c  li  r  ö  e  r 

begegnete  ihm  die  große  weiße  Schlange.  Er  aber  fürchtete 
sieh  und  wagte  es  nicht  ihr  die  Schlößel  aus  der  Käueu  zu 
schlagen,  denn  er  war  noch  sehr  jung.  Da  gieng  die  Schlange 
an  ihm  vorüber  und  sagte :  „Du  hättest  mich  erlösen  können, 
und  konntest  selbst  glücklich  werden;  nun  muß  ich  Schlange 
bleiben.  Wenn  aus  dieser  Tasen  einst  ein  großer  Bauro  ge- 
worden und  aus  dessen  Holz  eine  Wiege  gemacht  ist»  so  kann 
mich  das  Kind  erlösen,  das  darin  gewiegt  wird*".  So  verschwand 
die  große  weiße  Schlange.  Und  das  ist  wahr,  das  hat  mein  lae 
(Großvater)  erzählt,  der  hat  lange  auf  dem  Fried richsteiu 
oben  gewohnt.  —  S.  Elze  S.  31  f.  Vgl.  ;Mel$l«iii. 

slappe  cerveliere»  vocab.  21\  cimbr.  siepa  im  ungr.  Bergl.  seUepal, 
Wtb.  93;  vgl.  Schmell.  in.  4S4:  SeUappe. 

;iei  s.  jl«L 

jUabät,  fliAbat  ungesalzen ;  vgl.  jiiabe. 

jUabe  der,  jleab«  die:  geschmacklos,  fade;  mhd.  sMwe,  engl.  sUw. 
Cber  die  Endung  -o  s.  unter  0. 

flifsUin  m.  Schleifstein;  jllfstoiBtr««  Wasserbehälter  für  den  Schleif- 
stein; vocab.  1423:  slifstaiii. 

jUlfe  f.  Schleife,  gebundene  Schlinge,  verschieden  von  pigle  s.  d. 
und  iirl^ft. 

fUlkar  s.  slag ekar. 

$■  s.  auch  Schm. 

jm&l,  jmil  schmal,  jmile  stale  m.  formelhaft  im  Liede  neben  dem 

prtileii  bag e  und  dem  stiekkela  reia. 
smali,  ;naii  n.  Butter;  riachas  jmaii  rohe  Butter.  Daher  venezian. 
smalto;  vocab.  1423:  dai  snali  lonto  sotille  19^  Vgl.  maehUe. 
smirben  schmieren.  Da  be;mirba;l  dir  dl  aeglaia  du  beschmierst  dir 
die  Finger,  mhd.  sHlrwen.  —  smirbade  f.  Schmiere,  Pomade: 
vgl.  §aabJUle. 
Smaja,  Name  in  Gottschee. 
fnaraaj  Morgens;  auch  jmaraij: 

fmarta;  r4at 
fibaad;  Uät\ 
jibaid}  r4at 
jMarta;  dar  peliti  atet. 
M$Bi4iperle  n.  Viburnum.^ 


Weitere  Mittheiliingeii  über  die  Mundart  von  Gottschee.  479 

Sil  s.  auch  Sehn, 

)i6  m.   Schnee.    Dativ  §i^abe<  §Baibeii,  gefiibei  schneien,  mhd. 

ulwea. 
fi«4ir  m.  Rotz;  cimbr.  siedar  CWtb.  172,  kämt,  schaidler,  tirol 

sfhivilel,  mhd.  siider. 
fiipfatieii  schluchzen.  Ebenso  tirol.  Schöpf  642,  cimbr.  CWtb.  172. 
}«iehei  mingere;  mhd.  seichea,  cimbr.,  kämt.  »«aeheBf  voc.  1479 :  sai- 

ckei,  gesaichl  pisa,  seichel  la  puza  1 0*.  —  jeiehplätter  f.  Harnblase. 
Stnide  s.  SaMide. 
fiirgei  in  wergitrgea  pflegen;  Ijis  giel  wers4argetf  hat  das  Rind  zu 

fressen  bekommen?  vgl,  giet. 
«ttleieh  tal  vocab.  1423:  zu  setleieker  frag  gebort  setleich  antbort 

13**.  zu  setleieher  stat  sein  selleicke  siten  tal  terra  tal  usenza 

46'.  Sieh  oben  S.  108  hettenar  und  ungr.  Bergl.  Wörtb.  97. 
Speck,  Name  in  Koflern,  Ort,  1684. 
Speekfc,  Name  in  Gottschee  1700. 
tpackk  m.  Speck;  vgl.  pkekei. 
tpllklad   n.  Kebskind.    Im  ungr.  Bergl.   gilt  spalea  für  buhlen,  s. 

Wtb.  98,  doch  wird  der  erste  Theil  des  Wortes  ganz  einfach 

aufspielen  zurückzufuhren  sein;  vgl.  abd.  splllwlbea  (dat.  pl.) 

scortis  GrafT  I,  663. 
spttleate  Musikanten.  Im  Liede  S.  432. 
SpiUer,  Name  in  Gottschee  1700,  Pölandl  1775. 
spite  par  schabe  ein  Paar  spitze  Schuhe  noch  im  Liede  S.  433. 
Sp«rebea  bei  Nesselthal  1770,  mit  zwölf  Häusern. 
tperbar  m.  Sperber,  gewöhnlich  kaecks.  d.  Vocab.  1423:  dersparber 

32\ 
sprachea  beten,  sonst  pattea  (piten  heißt  bitten).  Spreckea  auch  im 

ungr.  Bergland  für  beten;  s.  Nachtr.  48,  Darst.  186. 
Spreiiar,  Name  in  Gottschee  1700,  Roßbuchel  1867,  Stockendorf, 

Rusbach,  Fliegendorf  etc.  1778. 
Spreaier,  Name  in  Gottschee  1701,  Dirabach  1614. 
fpreailiae  m.  der  Zaunpfahl,  das  Gestelle  für  die  Lichtspähne,  die  in 

Gottschee  noch  vielfach  die  Kerzen  vertreten,  s.  leachter;  das 

Holz  mit  einem  Spalt,  in  welchen  man  den  Spahn  steckt,  nennt 

man  le achterkeae  oder  sprelsllac. 
Spilagfr,  Name  in  Gottschee  1700,  Fliegendorf,  Rotzen  1776,  in 

Tiefenthal  1660.  Im  ungr.  Bergl.  in  Käsmark  1627. 


480  S  c  h  r  ö  e  r 

«priniat    sommersprossig;    vgl.   Schöpf  693,   Schmell.   S92,  mhd. 

spiiiii  m.  Wtb.  2,^  548^  und  spreaiei  sprengen,  im  ungr.  Bergl. 

Sehroer  98*,  kämt,  spriaieii  Lex,  238,  vocab.  1479  «preis- 

wadel  el  sporsorio. 

«pr«ti  m.  1.  der  Sproß,  cimbr.  sproz  CWtb.  173.  2.  das  Aufspringen 

der  Knospe,  des  Auges.  Sieh  Hansel  jung  S.  104. 
srakitie  f.  Elster,  sl.  sraka. 
Sr«b«liiik  bei  Wosail  1770  mit  eilf  Häusern. 
Srttseli  1770  mit  vier  Häusern. 
staehaller  f.  Stecheiche;  aUer  steht  etwa  für  ahd.  elira,  was  freih'cb 

die  Erle  bezeichnet, 
stackh  m.  Zaunpfahl;  wo)  zunächst  aus  ital.  steeea,  was  in  Gottschee 
als  Fremdwort  sUckh  (d.  i.  steck)  gesprochen  wurde,  denn  das 
deutsche,  mhd.  stecke,  muß  in  Gottschee  stocke  werden. 
stakar  m.  die  Ratte. 

stackbea  stecken  finde  ich  zuweilen  neben  steikhea,  sMkhea  ge- 
schrieben und  vermuthe,  daß  dieß  im  intransitiven  Sinne  etwa 
für  Stichen  eingetreten  ist. 
Stalldarf  1770  mit  sieben  Häusern. 
Stalier,  Name  in  Stockendorf,  Mosel  1867,  Graflinden,  Remergrund, 

Altfrisach,  Reinthal,  Kummerdorf  1775. 
Staliem  beiRieck  1771  mit  vier  und  zwanzig  Häusern. 
Stiaipfeh  Stampfel,  Name  in  Gottschee,  Hirißgruben,  Weißenstein, 
Durnbach,    Morobitz,    Rick,    Gotenitz   1775,    Mosel   1867. 
»SlAmphi,  BartIme  in  Morobitz  müeßent  auch  die  Holzfur  aufs 
schloß  Friedrichstein  fueren*'.    1684.  Es  wird  behauptet,  daß 
Stinpfel  derselbe  Name  sei  und  nur  in  Tschermoschnitz  mit  i 
gesprochen  werde. 
Stangel,  Name  in  Gottschee  1700,  Mitterdorf  1778.  Im  ungr.  Bergl. 

Pilsen  1785. 
staagele  n.  der  Halm;  auch  stamle  n.  rialglMaia  staagelain  die  rot- 

güldnen  Halme  der  Feldfrucht,  im  Liede. 
Stanitseh,  Name  in  Nesselthal  um  1684. 

stap  m.  der  Stab ,  als  Maß  für  Schnittwauren  scheint  zwei  Ellen  zu 

betragen,  denn  ein  pissle  s.  d.  hat  60  Ellen  oder  30  stabe  Vgl 

Ähnliches  an  der  Oberisar  Schmell.  III,  601  und  Adelung  unter 

Stab. 

Slaadaeher,  Name  in  Mosel  1867,  Mosel,  Verdreng,  Krapflern  1775. 


Weitere  Mittheiluiigeu  über  die  Mundart  von  Gottschee.  481 

itlidle  n.  Staude  elpAM  st&idle  Eibengebfiseh ;  im  gaaiea  fitu  Ul 
•ii  eibuB  steidle  aliue  in  biael  iär  irtamiige  Mad.  Aus  einem 
Liede. 

»teckea  n.  ein  besonderer  Gebrauch,  s.  Seite  116,117;  vgl.  slaekea^ 
im  transitiven  Sinne,  aueh  sllekhea  d.  i.  ahd.  steeehaa» 

it^Ueh,  stilUiehes  h&r  struppig.  Vgl.  sMaUieh. 

Stdawand  bei  Mosche  hatte- 1770  neun  Häuser. 

Stelrer,  Steyrer,  Name  in  Kleinhäusel  1683,  Orth  1784.  Im  ungr. 
Bergl.,  Neusol  1390,  Kreronitz  1628.  In  Marb.  schon  1460. 

st^i,  st^aieii,  sMaa  stehn,  stiaigeit,  sMaagat  stund. 

Steak,  Name  in  Gottschee  1700. 

Stephan.  In  einem  Liede  von  dtm  sierbeiden  Stephan ,  das  in  Gott- 
schee gesungen  wird,  scheint  Stephan  der  Märtirer  mit  dem 
ungrischen  Konig  Stcphaa  verschmolzen. 

Stephan. 

Seu  hänt  stoinder  gepdlet  avn  Stefflin ,  dan  lieben  main ! 

ar  ruckhot  $i  et,  ar  ruerot  $i  et. 

feu  haut  mon  oungepdlet»  di  ^toinder; 

ar  h2tt  auber  nisch  gespuret  dar  Stefßkn,  lieber  main ; 

derkrankot  i^t  der  Steffiin,  dar  Steffän  junc 

ze  imon  kamen  dar  wdter,  ze  saindam  lieben  §un. 

„bamon  schaffo§t  du  die  gQeter,  o  Steffäu  main?"*  . 

'Ich  bil  §1  euch  et  schaffen,  o  wdter  main! 

Ir  muget  $1  et  regieren,  ir  jait  ze  alt  darzu  !* 

§0  sprach  ze  jainem  wdter  der  Stefißn  junc. 

derkränkhot  i^t  der  Steißn,  der  Steffeln  junc : 

ze  imon  trit  die  mueter,  die  mueter  §ain : 

»ouber  du  Steffän,  du  lieber  main 

ich  pin  doch  deu  mueter  dain ! 

„}o  ber^t  du  mir  wersehaffen  de  güeter  dain 

so  berjt  du  mir  wersehaffen  de  güeter  dain!*' 

*ich  bil  $i  eu  et  schaffen,  o  mueter  main! 

ir  muget  $i  et  regieren,  ir  jait  ze  a)t  darzu ! ' 

derkrankhot  i^t  dar  Steffim,  dar  SteffJ^n  junc 

ze  imon  trit  der  prueder,  der  prueder  §ain : 

„baroon  schäffo^t  du  de  gfieter,  o  prueder  main? 

bamon  schaffb$t  du  de  gfieter,  o  Steffanlain  main? 

SiUb.  d.  phU.-lii8t.  Ol.  LXV.  Bd.  II.  Hft.  3B 


482  S  c  h  r  ö  e  r 

*ich  bil  8i  dir  et  schaffen,  o  prueder  main, 

du  mugejt  91  et  regieren,  du  pift  ze  junef* 

derkrankhet  i$t  dar  Stefßin,  dar  Steffanlain, 

ze  imoii  trit  deu  liebe,  deu  liebejte  ;ain. 

«0  Steffiin,  ligojt  du  in  $b&ren  krankhoiten, 

0  Steffen,  ligojt  du  in  todejbetten? 

,,0  Steffan,  bele  bunden  tuent  dir  mSr  bte, 

deu  gestochenen  oder  deu  gehackhoten?** 

*benn  nicht  deu  gehackoten  harten,  0  liebeu  main, 

fim  deu  gestochenen  barot  mirs  et!' 

'bamon  bil  ich  geben  deu  güeter  main? 

ich  bil  ;i  geben  Maria  und  der  lieben  main. 

'oin  toil  bil  ich  gaben  der  lieben  main, 

deu  hat  et  gewrAget  um  di  güeter  main. 

deu  liebe  hat  gewrAget  um  di  bunden  main 

um  deu  gehackhoten  und  deu  gestochenen. 

'Harta  bil  ich  schaffen  oin  stiglain  proit 

oin  stigelain  won  gold  uud  marmel^toin. 

und  her  auv  dks  stigelain  birt  treten 

birt  auT  mich  gedenkheu,  gott  §oI  mon  barmherzig  sain  !' 

Sterk,  Name  in  Gottschee  1700. 

Sterben,  Name  in  Mosel,  Stockendorf  1867. 

Sieirer,  Pfarrer  in  Mitterdorf  1867,  Neulosin,  Mitterdorf  1775.  lo 

Kremn.  1868  Stenerer. 
stlebei,  «teipl  laufen,  laufe!  Tschermoschnitz.  Vgl.  Schöpf  710. 
sliemiieter  f.  die  Stiefmutter.   Im  Gegensatz  zu  den  blsea  Stfef- 

mitten  des  Märchens  und  Volksliedes  verherrlicht  eine  Gott* 

scheewer  Ballade  in  rührender  Weise  eine  prftwe  Stiefmutter; 

8.  die  Anmerkung  zu  beijle  n. 

Deu  prkwe  stiefmaeter. 
Bie  wrüe  ist  auw  kloin  löandiernle, 
es  ziehot  ahin  zer  haujbirtin. 
«oi  haujbirtin  ir  liebeu  main 
bks  wor  a  bunderlain  trftm  i^t  mir  worgeg^an ! 
./'her  mir  den  träm  auslegen  kennot?./* 
mir  alle  möam  drai  ;unn  auwg^ant; 
wor  euer  wan^ter  i$t  a  wanle  gest^an.** 


Weitere  Mittbeilungen  über  die  Muniiart  von  Gottsebee  483 

„kloin  löandiernle,  liebes  main, 

dan  träm  leg  ih  dir  §auber}t  aus : 

ih  bert  dir  graalain  derkrankhen  tuen, 

derkrankhen  tuen  und  starben  tuen. 

du  berft  es  heiraten  maiu  jungen  birt, 

./'ih  bert  werlaßen  niain  de  boi^lain  kloin ./- 

}d  mkch  mit  den  boijlain  hks  gfietlich  ijt, 

bis  güetlich  und  bis  mensehlich  i^t. 

benn  du  an  dain  berjt  gaben  as  baiße  pröat. 

}i  gib  an  main  as  $b&rze  prdat! 

benn  du  an  dain  ber^t  gaben  dann  rdaten  bain, 

(6  gib  an  main  dis  kQele  bisser. 

benn  du  an  dain  berjt  petten  's  wederpettlain 

$d  pett  an  main  ivr  en  strdabe  olnsl** 

der  kränket  i^t  deu  hau^birtin, 

gestöarbn  ijt  deu  haujbirtin. 

./*ens  hit  gebairitet  dan  jungen  haujbirt./* 

es  hkt  getan  bis  guetlieli  i$t, 

bis  gfietlich  und  bis  menschlieh  i$t. 

dan  boi^lain  hit  ;i  gäben  das  baifte  pröat, 

an  ir  hit  ;i  gäben  dis  sb&rze  prdat; 

dan  boiflain  hit  9i  gäben  an  röaten  bain, 

an  ir  hit  ^i  gäben  äs  kQele  bisser. 

dan  boijlain  hit  $i  gepettet  dis  wederpettlain, 

an  ir  hit  $i  gepettet  äw  en  strdabe  oins. 

a$d  dö  spriehot  ir  seh^ander  hau$birt: 

^main  haujbirtin,  du  liebeu  main! 

./*beu  gaift  du  dan  kindern  et  allen  glaich?./- 

Mai  asd  main  junger,  main  lieber  haufbirt, 

dain  ersten  wrä  hit  mir  zewiar  gejoit: 

ih  fol  aus  tuen  bis  gfietlich  i;t, 

bas  gfietlich  if  t,  biis  menschlich  i;t !  * 

Sdapfel  in  Tschermoschnitz,  Hohenegg  1614;  vgl.  Sluipfel  in  Gott- 
schee  und  Katzendorf  1684,  Moswald,  Altfriesach,  Hasenfeld 
etc.  1775.  Im  ungr.  Bergl.  Neusol  1493:  Stiapel,  Dobschau 
1 626 :  SMMpel,  Sieapel,  1 786 :  Slenpel. 

itickar  m.  das  Auge  im  Scherz. 

33* 


484  8  c  b  r  ö  6  r 

I 

stiekel  steil.  Der  sliekle  rein  der  steile  Weg.  Formelhaft  im  Liede 
neben  dem  preitea  hkgt,  Mhd.  stiekel.  Ebenso  kamt.  Lex.  241. 

Stine,  Slliie,  Name  in  Altbacher,  Reinlhal,  Reichenau  1614,  1783, 
Nesselthal  1 770,  d.  i.  Aigistlii ;  vgl.  Lexer  242. 

stinkkeh  n.  Alpenwegdorn. 

stfbel  m.  Pfahl  zum 'Stützen  einer  Rflanze,  alemannisch  stigel  Stald.ll, 
398.  Stufe  im  Zaun  zum  übersteigen,  was  auch  sonst  stigl 
heißt;  cimbr.  stlvala  CWtb.  174.  Beide  Formen  in  Tirol  und 
Kärnten,  Schöpf  711,  Lexer  241 1  Grimm  in  der  Vorrede  zu 
Schutzes  got.  Glossar  VIII,  mochte  selbst  afad.  stvisti  aus 
stiuwizän  erklären,  was  durch  das  got.  stifiti  denkbar  wird, 
wozu  er  iiderstibel  fulcium  u.'  a.  vergleicht.  ^—  iastibelii  an 
Pfahle  binden ;  ygl.  mhd.  mterstlweli,  mhd.  Wtb.  11,  t,  G54. 

steekhat  einen  Stock,  in  dem  Sinne  wie  in  Blumenstock,  bildend,  z.  B. 
steekhate  arbeiftei,  s.  oben  S.  41 .  —  Wie  die  Endungen  -keh 
(s.  ;ugäch),  =  ade  (s.  kochade)  bei  Substantifen,  sind  -at,  -laii 
bei  AdjectiTen  in  der Gottscheewer  Mundart  häufig;  s.  lala.  Zur 
Endung  -at  und  -at,  s.  d.,  vgl.  Weinh.  bair.  Gr.  ^.  206  und  Gr. 
Gr.  II,  380,  386. 

Staekeadarf  zählte  1770  sechs  und  zwanzig  Häuser. 

staiawCgel  m.  Elster. 

staekhea  1.  gerinnen  von  der  Mildi.  2.  aber  auch  erstarren:  da  jalft 
bestaekhea  aad  bestalal  in  dem  Liede  unter  barbar  unter  W. 

Stalier,  Name  in  Nesselthal  1984,  s.  Stalier.  Auch  im  ungr.  »Bergl. 
MOnichwies  18S8.      '  >  *  . 

Slaaltseh,  Name  in  Mosel. 

staft,  staaft  m.  am  Hemd,  sonst  Stock;  auch  tirol.  bair.  Schöpf  716, 
Schraell.  lU,  661. 

staaftea  stoßen;  sUaftea  di  raeba  awa  rai^baifeate  Ruhen  stoften:  s. 
darüber  Schmeller  III,  661. 

stöftl  straftet  m.  Zwickel  am  Hemd.  So  auch  in  Tirol,  Schröpf  716. 
kehl  stCftlate  pfalt  f.  das  Hemd  mit  acht  Zwickeln. 

straichen  streichen.  Di  kasitie  l$t  niil  saiaas  Aagestrlehea. 

8traag  m.  Bifang.  Vgl.  Schm^ell.  III,  687. 

straabe  f.  ^in  Backwerk,  das  durch  einen  Trichter  in  heißes  SchmaU 
geträuft,  oder  durch  eine  Spritze  gepreßt  und  dadurch  geformt 
ist  (spritastraabe).  Wenn^^es  sich  aus  de^  Schweiz  nach 'Tirol 
herüber  u.  s.  w.  ausgebreitet  hat,  so  wäre  die  Erklänrng  dort 


Weitere  Mittheilougeii  fiber  die  Mundart  von  GotUchee.  485 

ZU  suchen.  Da  bedeutet  nämlich  sMbe  f*  1-  Schraube  und 
2.  gewundenes  Backwerk,  Spritzkuchen;  also  von  der  Gestalt. 
Stalder  II,  410.  r 

Strtift,  Name  in  Wiudischdorf  1614.  Strais,  HitterdorC  1669.   In 

Marb.  schon  1462. 
slr^aklleh  struppig.  Vielleicht  zunächst  steif;  vgl.  strieklleh  siriete 

Schmell.  III,  680. 
stfCBpfe!  ro.  Stößel,  Stempel;  MO§ar  strempfel  m.  Mörserstößel..  Schon 
im  vocab.  von  1423:  strenpfel  der  —  la  maza  del  morter  21^; 
vgl.  die  Formen  strenpekei  etc.   im  ungr.  Berg].,  Wtb^  100, 
Darst.  166  [416],  Schm.  III,  685 :  sMapfelformarium  voc  1419. 
streweii^  strebei -streuen;  mmm  strebet  sacker  dratf.  Die  mhd.  Form 
strewcD,  ahd.  strewjai,  die  vielleicht  eine  mundartliche  Abgren- 
zung hat,  neben  stWhrei,  streu,  waltet  hier  vor.  Ltex.  und 
Schöpf  schreiben  str<wen,  cimbr.  streben  CWtb.  175. 
Stritiely  Name  in  Stockendorf:  1867^  Tnubenbrunn  1570.  ^Im  ungr. 

Bergl.  Strits  Kremnitz  1628,  Stuben  1868. 
Sirebeiiti,  Name  in  Hornberg  1684,  Deutschau  1614. 

stnekke!  f.  Strudel,  Hehlspeise,  s.  Schmell..  üh  682,  er  nennt  das 
Wort  schwäbisch  und  ffthrt  an  kftrntische  hkrieltstrtggeli 
Schöpf  722,  Lexer  244:  stmgget  f. 

sMtie  f.  Wecke;  vgl.  beeke^ahd.  stneel)  Ober  die  Ausbreitung  des 
Wortes  s..' Weinhold  schles.  Wtb.  95,  im  ungr.  Ber;gl,  inein 
Wtb.  100^  Die  Conjecturen  J.  Grimms  bei  Haupt  VIII,.  419  f. 
laß  ich  unerörtert.  Wfilschtiroliscb  heißt  stritiel:  strasel  und 
stniekeix  stnehel  Schneller  200.  £rsteres  scheint  mit  mhd. 
8tr«lie  Gurgel  zu  striue,  strena,  struiem  zu  gehören,  indem 
ttniekel  in  anderer  Weise  zu  erklären  sein  wird.  $lovenisch 
itnca  scheint  entlehnt, i  das  deutsche  stritte;  cimbr.  strickela 
ist  biaden;  daher  könnten  slov.  strAk  Hülse  oder  strigatl  drech- 
seln auf  das  seltenere  deutsche  striekel  zu. beziehen  sein. 

StnilBely  Name  in  Gottschee  1700,  s.  Stritael. 

Stibar,  Name  in  Gottscheei  1700. 

•(■•l  m.  Stuhl  In  Deutschpilsen,  im  uagr.  Bergland  ist,  ^ie  in  Gott- 
schee, nur  slal  fiblich  und  sessel  nicht,  indem  im  österreichischen 
wieder  sessel  den  stil  verdrfittgthat;  wie  in  Gottßchee  finde 
ich  auch  cimbr.  und  tirol.  nur  stnel;  vgl.  mein  Wtb.  S.  100^ 
und  Nachtr.  48',  Schöpf  724. 


48y  S  c  b  r  ö  e  r 

stielte  n.  Schemel,  so  auch  tiroliscb,  Schopf  724. 

SlnrUD,  ex  Ort  1684;  rgl.  Stinib. 

Stiirab,  Name  um  1614.  Stürm  in  Nesselthal  1684.  Im  ungr.  Bergt, 
in  Leutschau  1660:  Stanüi  ebenso  Schemnitz  1858. 

Sttoe  s.  Stine. 

stille  und  stritie  langes  Brot»  Wecke,  cf.  beeke  unter  W,  Vgl.  stiBf ( 
und  stmapf,  strite  und  stnte,  im  ungr.  Bergl.  Lautl.  221. 

stitile  n.  Stutzen,  stMile,  ein  Holzgefaß. 

$ibäeh  f&r  siigkeh  s.  d. 

;iiba(  auch  jiga}  des  Abends,  s.  ;a4areB§. 

SaekeD  1770,  ein  Ort,  mit  vierunddreißig  Häusern,  sloven.  Draga. 
Siehea  bei  Eben,  1770,  mit  zwei  Hfiusern.  Siehea  bei  Nesselthal 
1 770,  mit  vier  HSusern.  Vgl.  jiieehe. 

;iieehe  f.  Furche,  lange  Grube,  enges  Thal;  vgl.  Siekea,  althochd.  siiahi 
f.  Furche,  sieUll  (suoli  ags.  silh)  Graff  VI,  143,  KSrnt.  aieehe 
Bett  eines  Bächleins,  Lex.  246;  derselbe  verweist  auf  gaaehe 
und  dort'  auf  sl.  sika  trocken.  Es  entgieng  ihm  die  angeführte 
ahd.  Form,  so  wie  das  schwäbische  Sieek,  Schmid  519  und 
Grimm  Gramm.  III.  414,  f.  416. 

Siekeareiter  1770,  ein  Ort  mit  fünf  Häusern. 

Sicher,  ein  Ort  bei  Oberskrill. 

füge  f.  Säge,  ahd.  sag«,  mhd.  sage,  sege. 

;iigäek  n.  Sägespäne,  wie  äwem-ich,  ttmäek,  ilaaek  gebildet 

faamer  m.  Sommer;  ahd.  snmar,  mhd.  snaer. 

jimmittea  die  (Mehrzahl  von  sasHitte  f.)  Johannisfest;  Sonnwend- 
zeit ,  die  Lieblingszeit  des  Gottscheewers ;  mhd.  siiaeweB^cii 
tirol.,  kämt.  snanaweDdeD,  Schöpf  730,  Lexer  234.  Den  Über- 
gang von  sinaeweidei  zu  sinKtei  zeigt  schon  das  vocab.  von 
i  423 :  Sant  lau  tagt  ii  sibeatei  el  di  de  San  Zane  de  Zugno 
f.  5*.  Um  diese  Zeit  kehren  die  aaider  (Männer)  in  die  Heimat 
zurück,  um  bei  der  Ernte  zu  helfen;  um  diese  Zeit  werden  die 
Ehen  geschlossen,  s.  hiaehielt  und  Leben  verbreitet  sich  Ober 
das  Land.  —  Mit  gröster  Innigkeit  bort  man  ausrufen:  •  41 
llebea  ^amnltteal  wo  die  ^lamittei  wie  personificiert  ange* 
sprechen  werden.  Das  ursprünglich  bairisch-osterr.  Wort 
haben  die  Gottscheewer  wol  kaum  mitgebracht;  im  CWtb.  finde 
ich  es  nicht  Personificiert  erscheint  die  Summitten  auch  im 
Liede,  das  auf  diese  Johanniszeit  gesungen  wird : 


Weitere  Mittheilungeo  fiber  die  Mundart  von  Gottecbee.  487 

da  bar  hent  kamen  di  i^ummitten 

dther  »ind  kommea  die  Sonnwcnden 

di  lieben  heiligen  §ummitten ! 

Johanne^,  du  lieber  guldaindar  man 

bist  du  getSfet  Jejus  dain  ;un ! 

0  di  lieben  schwanen  Summitten ! 

Johanne;  hat  en  getifet  in  Jordanvluß 

ar  hkt  en  ungenum  wor  ;ain  s  heilige  kind. 

won  dort  har  hent  kam  die  Summitten, 

di  lieben  heiligen  ^ummitten ! 

ih  bunsehet  noch  ah6rt  (einmal)  de  ^ummitten! 

benn  §eu  hent  wersloufen  deu  ^ummitten, 

di  lieben  sch^an  §ummitten. 

nu  pehuet  eu  gott  ir  ^ummitten» 

ir  lieben  schwanen  l^ummitten ! 

baint  hän  ih  da  gej jiten  das  körn  aus ; 

möarn  bert  ih  et  m^ar  d^  jainen ! 

di  lieben  schwanen  ^ummitten ! 

Mau  sieht,  es  sind  lauter  Ausrufe  der  Freude  und  des 
Heimatsgefuhls  und  der  Gedanke  an  den  Abschied  steht  schmerz- 
lich im  Hintergrunde.  —  jiMMitteikiwerle  n.  Johanniskäfer.  — 
{■■Itteiridle  n.  Räder  und  Scheiben,  die  brennend  bergab  gerollt 
werden  während  der  nächtlichen  Johannisfeuer;  s.  Schopf  696» 
Leier  21 5,  Sehmelier  III,  308,  Gr.  mythol.  682,  Germania  I,  64. 
}iiBiitT4a)e  f.  Johanniskraut,  hypericum  perforatum.  Sträuße 
daraus  mfissen  so  Tiel  Rosen  enthalten ,  als  das  Haus  Bewohner 
zählt.  Dessen  Blume  zuerst  welkt,  der  stirbt  zuerst. 

SiBperer,  Name  in  Götenitz,  Kotschen  1775,  Krapflern  1670,  unter 
den  Steir.  freis.  1316  (s.  oben  S.  33):  Siaprer. 

fUM  iil  dar  mint  f  erlief eit  Iren  sekaii  in  einem  Liede  oben  unter 
lari«. 

(UBltte  s.  ;uimltten. 

futie  Sonntag  s.  Uc«  Wozu  ich  noch  nachtrage:  siatag)  moitag^ 
erltag)  Bittweeken,  plnilag,  doaerstag,  freitagt,  saaitafttVocab. 
1423  f.  A\ 

Sirge,  Name  in  Ribnik,  Masche  etc.  1776. 

Sirgera  bei  Ossiunitz,  hatte  1770  vierzehn  Häuser. 


488  S  c  b  r  ö  e  r 

$iipaD  m.  der  Schuldheifi,  slov.  iipäa.  »Der  Supan  oder  Schulthaiß 
zu  Kotnitz  (Götenitz)  hatte  seine  Tochter  einem  N.  Eppich  zu 
Laibach  versprochen.^  VaWasor  VUi,  796. 

fiSlea  sonst;  auch  kämt,  sista  Lex.  246,  tirol.  Schöpf  731.  cimbr. 
sis,  CWtb.  176,  mhd.  sag,  snst.  etc. 

fbankel  ra.  der  Glocken  Schwengel,  kämt,  sehwiikel  Lex.  229.  — 
Diesem  sbankel  scheint  im  mhd.  swiakel  zu  Grunde  zu  liegen; 
das  reine  a  deutet  auf  e;  vgl.  mhd.  sweakett  sekinkel  Parz. 
212,  IS;  mhd.  haben  sweagel  und  swaakel  ziemlich  gleiche 
Bedeutung,  s.  mhd.  Wtb.  II,  »,  806,  808.  Eine  mundartliche 
Scheidewand  ist  in  älterer  Zeit  noch  nicht  wahrzunehmen. 
Jeroschin  reimt  sckweagel  auf  eagel  149^.  Denselben  Reim  hat 
der  oberdeutsche  CGM.  714,  f.  24: 

auf  dem  lilgenstengel 
da  sitzt  der  frewdensuengel 
das  ist  der  swann. 

I^baai  m.  Schwanz,  z.  B.  vom  Pferde. 

}baakerle  n.  Schwälblein;  ahd.  swalwi. 

;baige  Schweige  f.  AlpenhQtte ,  kämt,  sehwaag  Lex.  229.  Schneller, 
roman.  Volksmundarten  S.  278,  mochte  dieß  alte  Wort  von 
roman.  sibvieea  ableiten ,  doch  vermag  ich  mich  nicht  dafür  zu 
entscheiden,  da  fremdes  t  zunächst  ahd.,  mhd.  /  nicht  ei  wird; 
unser  }baige  lautet  aber  ahd.  sweiga^  vgl.  Gr.  GDS.  1014. 

sbiae  m.  der  Dreschflegel;  drisekelfblak,  cimbr.  sbiaka«  kämt. 
sehwiakel  Lex.  229. 

jbiagaa  slk  aws  rt;  sich  aufs  Roß  schwingen.  Im  Liede. 

}balwe  f.  Seife;  so  in  Tschermoschnitz;  mhd.  seife,  müßte  correct 
falwe  lauten.  Das  b  (^^  w)  ist  eingeschoben.  Die  Slovenen  ent- 
lehnten das  Wort  in  der  Form  iajfa. 

jbaiber  speiwer  „schwoiveh  Rudesh:  Speichel.  Der  vocal.  ot  ver- 
langt mhd.  ei,  wie  mhd.  spelehel,  got.  spalskuldrs  und  stimmt 
nicht  zu  mhd.  spie  f.  kämt,  speibe  f.  Lex.  236.  Hingegen  ent- 
spricht cimbr.  gaspabelacb  CWtb  172,  denn  mhd.  ei  wird 
cimbr;  oa  oder  0:  kon,  ston,  onigkot  (kein  Stein,  Einigkeit)  etc. 

T  unter  D. 

Nachzutragen  ist  daselbst:   Tabar,    AU-  1770  mit  neun 
Häusern,  Neitabar  mit  acht  Häusern.  —  Zu  S.  64,  taader  vocab. 


Weitere  Mittheilungen  über  die  Mundart  von  GotUcbee.  |89 

1460,  teier  palroa.  —  Zu  Ulde  S.  70:  die  richtige  Form  ist 
teile  Traube,  baiiMle ,  wie  mir  Pf.  Kr.  schreibt.  Vgl..  Gr.  Wtb. 
11,  1224.  —  dmessel  la  gola  voc.  1460,  10^  vgl.  grieftel. 
—  tseUekcD  zwitschern,  —  Mreh  immer;  vgl.  durchan,  schwäb. 
durane  Gr.  Wtb.  11,  1682.  —  dttsche  f.  Sehlag.  Stott;  vgl. 
Sf hroell.  1,  407 :  ditsehei,  sloven.  ÜUtt. 

l' steht  fQround  a:  Bwerabher,  nrbaifte,  s.  oben S.  41  ibend Abend  etc. 
ü  (um:  tag,  inser,  ilae,  %mmt  etc.  Ebenso  im  ungr.  Bergi.  Nachtr. 

49*. 

Das  vocab.  1460  hat:   steund,   geunt  stehend,   gehend; 

halt  und  hit  aber  Mehrz.   biet  (häute);  hAs,  hieser.  Für  uo 

gewöhnlich  ue,  einmal  Meeier^  für  üe  einmal  oe :  keei. 
i  an  ap  ab  in:   teiehea  anziehen,  ipg^aa  abgehn;  aber  auch  fiir  ab 

steht  zuweilen  i  s.  ihiv  hinab. 

iktid  m.  abend  s.  jnba}. 

Iktrilie  m.  Spinnrockenstab. 

ibrich  m.  Quelle  der  Räije  s.  d.  Vgl.  etwa  nrbarig,  leberimg  plötzlich 

abd.  niwaringin  Schmell.  I,  185^). 
üalt  halt,  wie  im  österreichischen  Gr.  III,  234.  Graff.  I,  912. 
lUi  hinab,  ihar  herab;  genauer  abUii,  abker^  vgl.  kämt,  eahar  ab- 

her;  eaeka  abbin  Lex.  1. 
ibae  f.  Ulme,  daher  ilMkek  n.  Ulmengebüsch, 
teikl  die  Mistel,  sl.  omdla.  Vgl.  •■•!• 
laalleD  der  Dinkel;  vgl.  aaelkera  Schmell.  I,  51. 
taettef.  Ameise,  ahd.  Aaeiii,  mhd.  äMeiie,  tirol,  Ameft  Schöpf  781, 

Kämt  nasse  Lex.  6. 
!■■€,  aHBie  um.  iBse  briagea  umbringen. 
lad  quam  primum,  sobald  als;  aaehdea  oad  aan  es  versieht  vocab. 

1460. 
»ndral  schuldig;  in  der  Hosche.*' 
laebartie  straiichig.  Wahrscheinlich  ursprünglich  von  Grundstücken, 

die  nicht  abgeholzt  werden  dürfen.    Wie  baaibartie  s.  d.  für 

weilwartig,  scheint  inebartie  für  ein  älteres  lawl&rtle  zu  stehen; 


*)  leb  finde  das  Wort  auch  in   Ofner  Stadtrecbt  in   dem  Sinoe    plfttUich  S.  145 
trkelDg  und  s.  <69:  frberlBf. 


490  S  e  h  r  d  e  r. 

Vgl.  mhd.  iiwiri  ei|;cM  »quod  foresta  sine  consensu  domiui 
nequeant  extirpari  nee  feoda  nee  proprietates»  (in)  wartes  eigen 
dietae**  so  12S4,  s.  Schmeller  IV,  161  f.  Gr.  Reehtsalterth. 
562. 

ÜMgerle,  Name  in  Gottschee.  1700. 

■■piegei  planieren,  anebnen.  Schon  oben  S.  53.  Wenn  das  Wort  auf 
aiUegeM  zurückzuführen  ist,  so  Tgl.  cimbr.  pigeM^  ital.  piegare. 
CWtb.  158.  vgl.  jedoch  wiga. 

Viterbiehkerg  1770:  nenn  Häuser. 

ÜMierdeatsehM  1 770 :  siebenunddreißig  Häuser. 

Iiterf  iegeadtrf  1 770 :  acht  Häuser. 

Viterskrlll  (bei  Mosel)  1770:  siebzehn  Hauser. 

CiterstelMwaid  (bei  Nesselthal)  1 770 :  eilf  Häuser. 

Vitertoppelwereh  bei  Tschermoschnitz  1770:  fünfzehn  Häuser. 

IlMiertschatschiii  1 770 :  zwei  Häuser. 

Viterwarmberg  1770:  vierzehn  Häuser. 

rMterweteeakaeh  1770:  neun  Häuser. 

iMterlak  zählte  1867  tausend  Deutsehe,  640  Slovenen. 

■nterj^asse  m.  oder  htflitltter  m.  der  GemeindegrQnde  bebaut,  mhd. 
nderslue  (bei  Jeroschin  u.  a.  mhd.  Wtb.  H,  2,  338)  m. 
Unterthan. 

»iersteekhare  pl.  Strümpfe,  in  der  Mosche.  Die  Strümpfe  sind  ge- 
fältelt und  heißen  daher  wol  steekare  vgl.  ehedem  gesteckte 
haikea,  steekhaikei:  gefältelte  Hauben.  S.  Sehmell.  HI,  609. 

■rkaifte  f.  Erbse,  Bohne.  8.  oben  Seite  41.  vocab.  ital.  tod.  von  1460. 
arbelssei  bixi. 

■rktt  m.  Sauerteig,  kämt,  irl  Lex.  248,  ebenso  tirol.  Schopf  785; 
schwäbisch  urb  (zusammengezogen  aus  arhab)  Schmid  527; 
daraus  adjectivisch :  irbtt  vgl.  jllekät  u.  dgl.  Siehe  das  folgende 
Wort. 

arhik  m.  Sauerteig;  ahd.  mhd.  arhap,  daher  auch  irb,  irb-at 

arlasse  f.  Hornisse.  Bei  dem  häuBgen  Wegfall  des  h  im  Anlaut  s.  oben 
Seite  22  und  97  f.  ist  hier  harMsse  anzunehmen,  das  zu  kämt, 
hirlassei  Lex.  146  stimmt.  Leonh.  Frisch  I,  469  führt  an  aus 
einem  vet.  voc.  1482:  hirnaseh  horlitze,  und  Adelung  nennt 
unter  Hornisse  die  Form  horlitze:  oberdeutsch;  ein  späteres 
htrliti  crabro  von  1618  Sehmell.  I,  237  ahd.  mhd.  btraAst 
Frommann  VI,  347:  die  Form  wiiiaaftea. 


Weitere  Mittheilangen  über   die  Mandurt  von  Gottscbee.  491 

■fliebtCM  piur.  variolae;  in  der  Schweiz  AisseUeehte  Ausschlag  und 
dircbsf hllchte ,  Pocken  Stalder  II,  321  Gr.  Wtb.  I,  9KS;  ahd. 
■rsUbti  die  Narbe,  cicatrix,  varix.  Schöpf  785  cf.  direhseUtehit 
Gr.  Wtb.  II,  1667  GrafT  VI,  778  urschlScht  durchschlachten» 
yariolae  Schmell.  IIl,  428,  schw8b.  dirseUeehteM  Schmidt  149, 
cimbr.  dirsIechteM  Bregenz:  irschlei  CWtb.  170.  irsehleehte^ 
kämt,  tirol.  Lex.  248. 

r «.  F 

Daselbst  ist  nachzutragen:  fasBacht  voc.  1460  f.  8^ 
wischaae  auch  warsehMe  s.  ktae.  —  watsehe  f.  Gürtel  der 
Männer.  —  Terkelket  s.  kelk.  —  wih6  n.  das  Schafvieh,  wlklseh 
bArlAr  Schafhirt  —  wladeni  prfigeln.  —  wter  awAar  hervor. 

IT  wird  B  wie  im  „Cimbrischen*'  und  ungr.  Bergl.  s.  Laute  S.  227 
(221)  f.  Auch  im  Vocab.  1423:  gekaadelt)  eUeh)  iigeUter) 
kinner  wärmer;  basser)  keteri  blit^  bee^  gebesei  u.  a.  und  W 
findet  sich  im  Anlaut  nur  wo  F  stehen  sollte. 

Merkwürdig :  beeU ,  bergl  ^  derbagei ,  wo  £  für  H^  steht» 
und  ein  vorausgegangenes  T  abgeworfen  zu  haben  scheint. 
Dazu  stimmt  altlateinisch  ivb  «s  bis ,  ja  selbst  P  für  fF  in  roni. 
Mondarten,  s.  darüber  Schneller  S.  99 ,  worüber  freilich  noch 
gerechte  Bedenken  schweben.  — 

Für  M  steht  ß  (»  W)  in  btatel,  jimitten.  Vgl.  Wein- 
hold bair.  Gramm.  §.  136.  139. 

Für  J7  steht  W  in  wtlftei  s.  Seite  499  unten.  Ein  ähnlicher  Wechsel 
von  JGTmit  W  ist  im  alemann,  bemerkbar  in:  wastea  husten; 
wlsteln  Stald.  11 ,  46.  heanzisch:  wilnaiften  für  hmaafteit 
Hornisse  s.  oben  unter  iriasse. 

Waber  Wlber  Weber,  Name  in  Gottschee,  Morobitz,  Mosel.  1614  in 
Schalkendorf;  1860  in  Gdtenitz.  Im  ungr.  Bergl.  1360,  Schem- 
nltz,  dann  häufig. 

wAber  fciber  m.  Plur.  bAbare  Weber.  Der  bAbar  praaebet  ateh  pAwl 
der  Weber  brauchet  noch  Baumwolle.  Krise. 

bu  m.  Weg.  Der  breite  Weg:  prtite  bat  steht  im  Liede  oft  im  Gegen- 
satz zu  dem  steilen  Rain  stiekela  rtla.  —  ei  bAge  hinweg:  ;l 


492 


S  c  h  r  ö  e  r. 


ralUnt  ad  bAge  sie  reiten  weg;   ebenso  auch  im  vocab.  1423: 

er  ist  langst  en  bege  gegangen  48^ 
kAeUetee%  1.»  f&eheln  zu  bair  wteheln  Sehmell.  IV,  9. 

Nach  der  Form  in  Gottschee  ist  ein  mhd.  wlhelea  anzu- 
nehmen zu  wihe  waeh  wAhen  gewthei  s.  mhd.  Wtb.  III,  650. 

Denn  die  Gottscheewer  Mundart  hat  a  nur  für  g,  nie  für  0.-2., 

watscheln,  wie  eine  Ente  gehn. 
waeehel  baechel  m.  Tischtuch  s.  bechel. 
wad—badralch  m.  Wegrich;  ahd.  wlftgarlh,  mhd.  wigerlh.  Vocab. 

1423:  wegrelehwasser  laqua  de  piantazano  21  ^ 
wahen  bigei ,  derbi|;eii  gewaschen,  got.  thTahan,  mhd.  Iwahe  twitc 

twitgei  getwagei.  Nur  das  Particip,  aber  statt  -twagei :  *bi^n, 

ist  erhalten,  wo  wahrscheinlich  ü  für.  langgewordenes  a  anzu- 
nehmen ist,  also  derbtgeafür  derwagen.  Über  den  Wegfall  des 

t  vgl.  bechel  und  W. 
Wachtel  bäehiel  f.  Wachtel.  Im  Liede :  dl  biiehtei  flaget  !■  Andern 

walde  s.  S.  110. 
bainAchten  Weihnachten.    Zu  diesen  Festtagen  werden  in  Gottschee 

TAgel,  besonders  Taibei  aus  Brotteig  gebacken. 
baibtB  s.  baip. 

batle  f.  Weile,  Zeit.  Ih  häi  et  der  bail  ich  habe  nicht  Zeit, 
bain  m.  dar  balfte,  riate  und  sbbne  b.  weifier,  rother  und  schwarzer 

Wein,  wie  in  Italien.  ^  bainrabe  f.  Weinrebe, 
balnparc  m.  Weinberg.    Die   Weinberge  im  Süden  des  Ländchens 

sind  das  Paradies  des  Gottseheewers. 
balMtalle  f.  auch  ttlde  Weintraube.  Vgl.  Gr.  Wtb.  II,  1227. 
baip  n.  Weib,  balbti  ein  Weib  nehmen.  S.  darüber  oben  S.  25. 

Vocab.  1423:  ein  beipt  (sie)  nemen:  tore  moier  36^ 
bal;el  m.  Weisel,  Bienenkönigin  mhd.  wlsel. 
bai§e  f.  baijel  n.  Weise,  Singweise  mhd.  wlse.  —  Die  baijea  der 

echten  Gottscheewer.  Lieder  sind  sehr  eintönig;  s.  Ausflug  o- 

Gottschee  S.  112. 


Benn     de  pau-khe  dih    aus  bert 


peu- 


kheh 


de 


h 


t 


S- 


IS. 


^ 


kloekben  mih  bent  aus 


Jfiu    -   ten. 


Weitere  Mittheilungen  fiber  die  Mondart  voo  Gottschee.  493 

Diese  einfache  Weise,  nach  der  das  Ausflug  nach  Gottschee 
S.  47.  mitgetheiite  Lied  gesungen  wird ,  hat  mir  Herr  R.  B  ra  u  n  e 
in  Gottschee  freundlichst  aufgesehrieben,  so  daß  ich  sie  hier 
nachtragen  kann.  Vgl.  auch  die  Bemerkungen  unter  Urje. 

hüt  weiß.  Di  baifte  wrA.  In  Pölandi  bei  Maschen  kömmt  zu  Zeiten 
nach  dem  Schnitt  die  weiße  Frau  mit  ihren  iwei  (fespielei 
singend  herab  ins  Thal  und  holt  sich  eil  Paar  Garbei,  mit  denen 
sie  wieder  in*s  Gebirge  verschwindet.  Ihr  Erscheinen  erweckt 
Freude  weit  und  breit ,  denn  es  deutet  auf  Fruchtbarkeit  und 
Segen;  dei  batfte  wrA  zeigt  sich  auch  auf  dem  FrledriehstelM^ 
s.  d.  —  dei  kaifta  jliinge  im  Märchen  s.  jlAige. 

kaUen  kneten)  sich  ringeln.  Frommann  VI,  621. 

tilgen  kMgea  (-wßlgen)  rollen;  walken,  walzen;  vocab.  1460: 
wtlgeM  Tolzere  voltare;  hat  nichts  gemein  mit  balgei,  sondern 
gehört  zu  mhd.  wilge,  walc,  walgei,  gewtlgen;  int  ahar  bälgen, 
■■ekaigei:  sich  umherwSlzen,  umhertreiben;  th  kert  Mtch 
pai  aideni  leitei  ■mebaigen  ich  werde  noch  zum  Bettler.  Krise, 
vgl.  kelgei. 

balgitsen  wackeln.  Vgl.  bälgen. 

b4M  m.  der  Wald;  in  bäUen  im  Waldland;  bMdnare  die  Wald- 
bewohner. — 

biit  oder  barit  f.  s.  d.  Welt,  hingegen:  waid:  Feld. 

-wiltsehiar  wischtnar  m.  Maulwurf.  **  R.  Die  Formen  sind  wol  nicht 
genau  überliefert  und  ist  hier  Tielleicht  bälinar  Walzner,  Wälzer 
anzunehmen.  Vgl.  wisehtaer. 

kampe  f.  Wampe,  Bauch,  vocab.  1479:  die  wanpen  panza;  wampea- 
lek  calduine. 

baakat  wankend.  Ein  verborgenes  Rad  lauft  bankat. 

baatef.  das  Röckenschaff,  Wanne,  auch  bainke  (^  Wannchen?  vgl. 
■erke). 

hkättl  m.  Mantel.  S.  oben  unter  W. 

bapfe  f.  Wepse:  «a  kap§e  bat  mlh  gesttehen.*'  Elze.  Wahrscheinlich 
Wipfe  (denn  a  steht  nur  fQr  ^,  was  hier  nicht  zu  Grunde  liegt, 
sondern  ahd.  wafsA  aus  sanskr.  vap  weben,  litthauisch  vapsk; 
die  mhd.  Form  webte,  in  der  also  der  Umlaut  schon  eingetreten 
ist,  würde  in  Gottschee  bl(p§e  lauten). 
bar  wahr,  leb&rftgen  wahrsagen. 
barbar  m.  plural  barbare  Werber. 


494  S  c  h  r  ö  e  r. 

Ein  Lied  iMaa  karkare ,   das  in  Gottschee  viel  gesungen 
wird,  scheint  auf  die  Rivalität  zweier  Gegenden  hinzudeuten: 

un  ziehot  a  mueter  a  töchteriain 

unos  töchterlain  fraien  zb^an  barbare. 

«So  gebet  mih  mueter  in  Schimitscher  parg 

in  S.  parge  gaits  gueten  bain; 

gueten  bain  und  ^lachtes  pröat.^ 


anders: 


mSo  l&t  mih  mueter  in  Rodinar  parg 
in  Rodinar  parge  gaits  baißes  prdat 
baiAes  prdat  und  slachten  bain!** 


tu  itvuiiiat   irai|jv   |^«i«.o   vn 

baiAes  prdat  und  flachten 

So  zieh  du  hin  tochter  bu  du  biljt 
in  Sehimitzer  parg  oder  Rodinar  parg; 
Bir  fachen  uns  heut  und  nimmer  mear!** 

„Ich  gib  die  tochter  in  Rudiger  parg 

in  Rudiger  parg  i^t  pitter  dar  bain. 

I^t  pitter  dar  bain  und  ^barzes  prdat  ;** 

unt  inner  hent  kam  zb£n  barbarlain. 

„So  l&t  mih  mueter  in  Schimmitscher  parg 

in  Schimmitscher  parg  ift  gueter  bain 

In  Schimmitscher  parg  ist  gueter  bain 

gueter  bain  und  baiAes  prdat  !^ 

mSo  buifech  ich  dir  in  Schimmitsch^  parg*" 

ahddre  f  oget  di  stiefmueter 

„In  acht  tugen»  ;o  bfinsch  ich  dire 

du  ;olft  bestocken  und  bestoin!" 

bestocket  und  bestoinet  i^t  deu  sch^an  tochter. 

kirUh  wahrlich,  aber;  Mriaia,  jaikerjt  kleeket  et  walBtlali  wahrlich, 

allein»  gedeiht  nicht  gut,  Tgl.  iaia. 
karlt  f.  die  Welt.  1b  gaaier  karli  Ijt  kein  kiikle  et  im  Liede  unter 

Maria,  s.  oben  S.  438;  Tocab.  von  1423:  Rom  haubtstat  aller 

kerlt  39^  mhd.  wftrit,  ahd.  wlftralt. 
Ifannkerg  s.  Viterwamkerg,  Wamkerg  im  Nesselthal  1770  eilf  Hauser. 


Wettere  Hittbeilnagen  ober  die  Huadart  ron  GotUcbee.  495 

kuft  war  8.  f alaei. 

Mm  f.  werre  am  Aug»  ahd.  werrt,  weraa,  kämt,  wtrre. 

Uiurn.  Wasser;  UsserkiiiUe  n.  Fischotter;  Molch;  Msserwei^el  in. 

Storch.    ' 
totei (» wltea)  binden;  ih  Ut,  im  Ute^t,  wir  baten;  gte  Ut  4  tkfen! 

ahd.  wUnn^  kämt,  weten. 
ktilfiir  n.  Maulwurf  s.  bieljMr  unter  fcnele. 
kiilkartie  kindisch ;  schon  Schmeil.  führt  die  Form  als  gottseheeisch 

an  IV,   57.   kämt,   weilwarlig   unstät.   Lex.   254.   Vgl.   got. 

kreilahTairbs  npdoKatpo^»  ahd.  hwlUwerbl  volubilitas.  Das  kämt. 

weilwartig  steht  also  für  weilwarbig  (vgl.  ahd.  warblth)  und  die 

kämt  Aussprache  wAlwartig  wurde  in  Gottschee  MI »»  baulbartig. 
Wlifirte  laibarie  Barbara»  im  Liede : 

Barbara. 

Schwanes  Bauberle,  sch^anes  töchterle, 

fo  tue  dih  Bauberle  werhairotenl 

werhairoten  bil  ih  mih,  mueter»  nimmer  mftr, 

herr  Je;u  Krijt  i; t  main  präutigam, 

mueter  Marta  i;t  main  wüerarin. 

Seu  pitet  ^eu  das  zboit  und  dritte  wuert. 

mSO  tue  dih  Bauberle  werhairoten. 

Bir  bollen  paun  ain  turn  tief 

wir  pdlen  dih  in  turn  hinain. 

bir  bollen  paun  ain  turn  proit 

swelf  klafter  proit  und  zwelf  klafter  tief  !^ 

Seu  pdlen  Bauberle  in  turn  tief 

es  hevet  un  und  finget  sch^an : 

Mmflter»  Je^u  Krist  i^t  main  präutigam 

mueter  Marta  i^t  main  wüerarin!** 

fo  bittet  schlaues  Bauberle. 

;o  pauet  mire  linen  (Giebelfenster)  drai. 

die  erjte  line  bu  di  fonn  auTgftt 

di  zboite  bu  jeu  ze  mittage  st^t 

deu  dritte,  bu  fcu  Gott  wolgen  g^at 

deu  dritte»  bu  ^eu  Gott  wolgen  gtet, 

hinauf  i;t  gewlügen  a  jnebaifteu  taube 

pis  in  den  himmel  höach ! 


496  S  c  h  r  ö  e  r. 

b^  weh;  MtbcM  biUen  wehklagen  dar  kranke  hü  dea  gtaie  alMibt 

gebUbet,  mhd.  wAwen  auch  kämt,  tirol.  eimbr.  Krise, 
hecke  f.  Keil,  keilförmiges  GebSck;  ahd.  weg|[i  mhd.  wecke;  kfimt* 

wecke  m.,  vgl.  strAtie. 
beekel  b^aekel  f.  ttsekbiaekel  Tischtuch.  Ahd.  dfakiiya,  mhd.  twehele. 

Voc.  1423:  iwehell  daz  hantuch  oder  —  la  troaia  da  man  9^ 

kämt,  weekel  Lex.  252.  Vgl.  waken. 
beder  welcher,  zuweilen  fQr  beldar  s.  d.,  nicht  zu  verwechseln  mit  btder. 
weil,  btii,   bttie  m.  Weizen;   bttistamle  n.  plural:   baliataBliii 

Weizenhatm;  tArktsck  bali  m.  Mais;  btiiaia  weizen;  Miali 

pr^at  weizenes  Brot ;  btliala  mal  weizenes  Mehl. 
Weifteabaek  1770  sieben  Häuser. 
Weifteastein  bei  Altlaag  1770  vierzehn  Häuser, 
bele   beldar  welche,   welcher.    Nicht   oberdeutsch   s.   Fromm   VI, 

527.   ebenso  cimbr.   CWth.  55.   In   der  Mosche  auch    keder 

welcher. 
bellten,  käl|;en  walken,  factitiv  von  balgen  s.  d.,  zu  dem  es  sich  verhält 

wie  schwemmen  zu  schwimmen.  —  kelgar  m.  Walgerholz, 
bellen  wollen ,  ik  MI  auch  in  der  Bedeutung :  ich  werde.  Voc.  1 423 : 

iek  wll)  kir  wällen  64.  65. 
b^nc  b^anc  wenig.  Vgl.  mhd.  w^nc.  Auch  tirol.  weank  wenggal.  Schopf 

511 ,  kämt,  weank.  Lex.  255.  —  ktlntger  geringer.  Vgl.  mhd. 

weiniger  gewöhnlich :  weniger, 
bene  f.  Köder,  vgl.  kärntisch  wtne  Lexer  259. 
beppe  f.  der  Webstuhl,  ahd.  weppl,  mhd.  weppe  n.  Gewebe.  Vgl. 

cimbr.  beppaspiana  f.  beppagaspnnst  CWth.  110^. 
wer  ber  wer ;  be;  in  besck  bi§t  dnt  wessen  bist  du?  Antwort:  lappan$ 

des  Rupp.  Eine  solche  Anwendung  des  Genitiv,  sowie  die  II. 

Pers.  Plur.  (ir  kert  ihr  werdet)  unterscheidet  Gottscheewiscb 

von  den  österr.  bair.  Mundarten.  Dativ:  banitn  wem. 
bergel  n.  kleines  Kind;  vgl.  mhd.  twergeltn  und  oben  wahen,  kechel. 

Siebenb.  sächs.  gttlsbirg,  gtttsbirgel.  Schulier  24;  gtttsb4iiek 

Haltr.  12,  d.  i.  vielleicht  nichts  anders  als  geiwerg,  mhd.  getwerc ; 

ist  aber  gttts  (<»  goz)  zu  trennen,  so  haben  wir  denselben 

Wegfall  des  Anlauts  wie  in  Gottschee. 
werden  ik  bert  ich  werde,  dn  berjt,  ar  keri^  bir  baba  wir  werden; 

Irbert)  jen  bemt,  kent.  Vgl.  im  ungr.  Bergland  eck  barr  ich 

werde;  kir  ban  wir  werden.  Schröer  Nachtr.  49. 


Weitere  Mittbeilungen  über  die  Mundart  von  Gottochee.  497 

werkelket  lecker,  ekel,  heikel.  Vgl.  Schweiz.  Uktm  etwas  zum  Ekel 

widerholen.  Stald.  I,  93.  vgl.  keiket. 
berlt  f.  Welt  s.  oben  barlt. 

ben  f.  klafterianges,  trichterförmiges  Netz.  Altlaag. 
berjtie  unwirsch,  Majtic  bibei  ar  §ih  unwirsch  gehabt  er  sich.  Von 
kirjte  Superlat.  von  birs,  ahd.  wirs  s.  C^b.  1 1 2,  kämt,  warsch 
aufgebracht.  Lex.  280,  wirseh  Schopf.  818.  —  Miiwirseh  gehört 
kaum  hieher,  sondern  zu  mhd.  nwirdigch.  Vielleicht  ist  sieh 
Mrstea  im  ungr.  Bergland  Wtb.  38^.  hieher  zu  ziehen, 
kftsea  (=  wezzen)  wissen.  Ih  btft,  in  bt§t,  der  btft,  bir  bessen,  ir 

kesset,  §ei  bessent. 
bei  warum?  wie  ibei  s.  d. 
Weggtfitie  hatte  1770  sieben  Häuser. 
Weti^  Name  in  Gottschee  1 700. 
Wetieabaeh,  •berwetienbAeh  1770  sieben  Häuser;  Vnterwetieiibaeh 

neun  Häuser. 
Mea  Widem,  Kirchengut,  mhd.  wMeae. 
WMenic,  Ort  bei  Mosche. 

WMner,  Name  in  Gottschee  1700.  Vgl.  biden  Widem. 
Ulken  wehklagen  s.  b^a. 
bie  kletaier  wiethaner,  welcher,  was  für  einer. 
kietelnder  qualis.  Vgl.  die  Formen  im  ungr.  Bergl.  Darst.  18  (268) : 

wielAier,  bitter,  Utteier,  bitter,  gtekeUttener  etc. 
Wieterich,  Name  in  Malgern,  Sehalkendorf  1684.  Ort  1614. 
wiga,  bign,  ■■bign  bedeutet  vielleicht  wellern  und  dann  ist  S.  K3  da- 
nach zu  bessern ;  bigiade  heißt  nämlich:  der  Raum  unterm  Dach 
und  wiggeli  wellern  Stald.  H,  480. 
^'ilt  kflt,  wild  ist  die  Natur  im  Gegensatz  nicht  nur  zur  Cultur,  sondern 
auch  zum  Christenthum.  Überirdische  auf  heidnischen  Vorstel- 
lungen beruhende  Erscheinungen  heißen  insofern  wild :  blMes 
weier  leuchtendes  Holz.  —  krait  Buchsbaum «).  —  bilde  wrAgen 
wilde  Frauen,  worunter  man  gute  Geisterwesen  versteht.  Die 
Uldei  wrAgei  leben  in  Grotten,  die  man  wr^enUeher  nennt. 
Sie  kommen  oft  zu  den  Menschen  ihnen  zu  helfen  in  Noth  und  Be- 
drängnis ;  aueh  Feldarbeit  verrichten  sie ;  vgl.  baifte  wrA  unter  baiß. 
Wfldpaeb,  Ort  bei  Unterlack. 


V  BaehsIiaanikriDse  «chmficken  die  Todten,  die  unverheiratet  gestorben  sind. 
Sitzb.  d.  phil.-hiat.  Cl.  LXV.  Bd.  lY.  Hft.  34 


498  S  c  h  r  ö  e  r. 

Winpfta,  Name  in  Gottschee  1700. 

WindiseMtrf  bei  Mitterdorf  zählte  1770  siebenund vierzig  Häuser. 

WindtseiiBaM,  Name  in  Stockendorf  1800.  Im  ungr.  Berg),  ist  der 

Name  Wlndiseh  seit  1360(Schemnitz)  1450(Neusol)  sehr  häufig. 
Wiikel  bei  Altlaag  1770  sieben  Häuser,  s.  Allwiikel. 
kfamie,  Undie  wGtend:  mhd.  ahd.  irlnnie,  tirol.  winnig,  kämt,  wiadig« 

Lex.  2S8. 
TiMtl,  Name  in  Gottschee  1700. 
Mite  f.  Windung:  ahd.  wlitA. 
btitjie  winzig;   das  bintjle  widerle  Schraubenmutter.  Conf.  cimbr. 

binse,  minse  wenig  CWtb.  HO'.  147\ 

Auffallend  ist,   daß  hier  nicht  %  sondern  i§  ('s)  an   den 

Stamm  wii  angehängt  erscheint;  vgl.  nordböhm.   kliitsehieh. 

siebenbürg,  sächs.  kltaiig,  im  ungr.  Bergl.  kitien,  mein  Wtb. 

69 ;  Seite  70  unter  kleta  aber  geradezu  kli-biitsekek,  wo  obiges 

bintjle  enthalten  ist.  Beachtenswert  sind  daselbst  auch  noch  die 

Formen:  minkel  und  wiDklkalt  wenig,  daselbst  81,  sogar  müAt 

miakel.  Darst.  124.  Weiteres  unter  kitiei  Nachtrag  36. 
Urchen  garnweben,  wirken;  die  Form  wirehen  auch  bei  Schmeil.  IV. 

148.  Schopf  817. 
Wirt  Uri  m.  der  Hausherr,  Gemahl  Vgl.  CWtb.  112.  Lex.  248.  Vocab 

von  1 423 :  dl  haistraa  ind  Urtia  la  donna  de  chasa  36*. 
„wischtaar  m.  Maulwurf.  **  Wahrscheinlich  Meftaar  von  mhd.  wiestea 

wüst  machen;  vgl.  ahd.  watstarl  extirpator  Graif.  I,  1084.  Vgl. 

waltsehaar  und  katljaar. 
ki}e  Ufa  f.  Liebling,  g^a,  htl  mir  das,  Mter  M}t  da  a  U§a  geh«  hol 

mir  das,  dann  bist  du  mein  liebes  Kind.  Ober  die  Endung  e  und 

—  a  s.  t  vgl.  das  folgende, 
blfaa  liebkosen.  Vgl.  bi;e.  Bar  att  bljet  §alB  kiad  der  Vater  liebkost 

sein  Kind.  Die  Form  Uje  fallt  völlig  zusammen  mit  kljc  pratum. 

die  Wiese. 
WIesgani,  Ort  bei  Ossiunitz. 
Wieteriek,  Name  in  Ort  1614. 
btjpela  pfeifen;  in  diesem  Sinne  auch  bezeugt  durch  wispelE  mit  dem 

Munde  pfeifen.  Tirol.  Schöpf  818,  kämt,  wlsekph.  Lex.  258. 

Vgl.  Schmeil.  IV,  481 ;  ahd.  kwlspalia. 
Wittiae  1560  in  Suchen,  Reuter.  Wittiae,  Name  in  Mosel   1770. 

Mosche  1870.  Der  Ort  Feuchting  heißt  slov.  liliae,  daher  der 


Weitere  Mittheilungen  über  die  Mundart  von  Gottschee.  499 

Name  sein  wird;  Valvasoi*  nennt  den  Ort  halbteutseh,  aber 
Weißenfels  „recht  u.  lauter  teutsch*'  II,  110. 
Wlithlse,  Name  in  Setsch  1 757. 

„Ullken  unbestimmtes  Schreien".  Krise,  soll  wol  heißen  pUaken 
blocken  (an  got.  f  ^kan  wage  ich  nicht  zu  denken)  aiemann. 
Uäif^geM,  Stald.  I,  177,  tirol.  blekern  Schöpf  45. 
Wttaer,  Name  in  Gottschee  1770.  1660.  Untertapelwerch  1614. 
Mer  1.  nter,  welcher  von  beiden,  dann  2.  zur  Bedeutung  von  tder 
abgeschwächt:  jai  lantle  btder  t^ater^  ktder  tieft  da  liebei 
bkeheit  im  Liede  S.  71,  got.  kvatkar,  abd.  mhd.  kwMar  wMer. 
WtgriM  s.  Ttgrin  S.  85. 
wtiften  heißen;  man  sagt  es  ktlßet  und  es  weiftet  mit  gleicher 

Bedeutung.  Vgl.  Weinh.  bair.  Gr.  137. 
Mfle  n.  Plural  btljlaii  die  Waise. 

Eine  Ballade:  die  iwei  Waislein,  die  in  Gottschee  gesungen 
wird»  konnte  ich  nicht  erhalten.  Ich  weiß  davon  nur,  daß  die 
Waisen  an  der  Mutter  Grab  kommen ,  weil  sie  nicht  Holz  und 
Wasser  haben.  Da  ruft  es  aus  dem  Grabe: 
g^at  hoim  ir  boijlain  main 

ahoime  bert  ir  winden  das  houz  un  bosser  sch^an  I 
Bin  ähnliches  siebenbü(*g.  sächs.  Lied  theilt  mit  Haltrich : 
Stiefmutter  etc.  S.  27. 
Wester,  Name  in  Gottschee  1700,  1684. 
Wtstiai,  Name  in  Gottschee  1700.  Als  Taufname  tür  Sebastian  auch 

W»stl  1770. 
wrA  f.  plural.  wrAgen  und  wrAkei  Frau.  Bilde  wrAgea  bewohnen  die 
wrAgei  lieber  (Grotten) ;  sie  helfen  freundlich  den  Menschen 
oft  bei  der  Feldarbeit.  S.  waiß  baift  und  UM. 
Wreli,  Name  in  Gottschee  1770. 
WreicB  spr.  Uasen,  zählte  1770  ffinfzehn  Häuser. 
Wriiakele,  Name  in  Skrill  1614  und  Gottschee,  vgl.  Briaskelle. 
kide,  b«del  m.  1.  Widder,  im  Lockruf  der  Hirten;  2.  Tölpel.  Vgl. 

wsdiler  m.  Schafname,  Lexer  260. 
Wieehtc,  Name  „bei  der  alten  Saag^  1614  (Altsaag  s.  d.). 
kiele  f.  der  Rosset.  -—  kielen  wühlen.  —  kieljnar  m.  Maulwurf; 
fcaafiar  m.  in  Mitterdorf.  In  Tirol  wielseker,  kämt,  wtelsehger 
Schopf  821,  Lex.   260.  Cimbr.  kialer  CWtb.  Wüeler,  Schm. 
IV,  61.  Vgl.  wisektnar. 

34* 


500  S  c  h  r  ö  e  r 

bnen  wohnen,  weilen  „In  ganien  ptden  lai  An  elpAmstäadle  — 
atinne  du  kmet  dar  grimmige  Mat.''  Lied. 

binderlaia  wunderbar,  seltsam,  s.  oben  das  Lied  laagel  Jane  S.  10? 
und  -lain. 

barp  m.  Sensenstiel,  kämt,  wtrp  m.  steirisch  wtaf.  Lexer  260,  tirol. 
wtrp  in  Schopf  820,  bair.  warb  f.  Schmell  IV,  139,  alemann. 
warb  n.  Stalder  II,  298,  mhd.,  ahd.  warp  m.  Im  ungr.  Bergl. 
warf,  barf  Schroer  Wörterb.  lOS.  bjafa,  baalk,  waaAi  Nach- 
trag 18,  baefen  Darst.  242.  Mein  vocab.  1420  unter  warf. 

wariiela  auf  dem  Eise  gleiten.  Vgl.  wargela  rollen  Schm.  IV,  153.  — 

bajlLen  gleiten.  Altlaag"  ftitsehea  gleiten,  Stald.  I,  408.  Vgl.  walsehea, 
wasehen  Lex.  26 1 ,  entschlupfen ,  alemann,  witsch  schnelU 
Stald.  II,  461,  tirol.  witsch  Augenblick  Schöpf  818.  Wol  Neben- 
form  von  ahd.  wIsIl,  wiskea  Wisch,  wischen;  vgl.  mein  vocab. 
von  1420,  wo  S.  25'  zweimal  wasehs  für  wisch  (arswuschs)  zu 
lesen  ist. 

Watt,  Name  in  Gottschee  1700. 

batiea  stechen;  Kindersprache;  Das  wäre  Schriftdeutsch  watiea  oder 
(u  für  a)  watiea  (ahd.  hwaiian  wetzen?).  Slov.  heißt  bilitka 
Stecknadel. 

Z. 

lAbera  zaubern.  Ebenso  kämt.  Lex.  263.  —  lAbrar  m.  Plur.  lAbrare 

Zauberer.  Wie  tirol.  s.  Schöpf  833. 
labea  wozu  s.  ibea  (=  zweu). 
laehe  f.  Baumbock,  eine  Art  Laus,  Zecke;  mhd.  iMe;  vgl.  Schm. 

IV,  222. 
ikeUäch  n.  Lumpen,  Fetzen,  s.  lackel.  Die  Form  ikckel  stimmt  in 

der  Bedeutung  hier  mehr  zu  mhd.  late,  ahd.  laU,  so  daß  ein 

Wechsel  von  t  mit  ck  anzunehmen  ist;  lagel^  das  in  Kärnten, 

Tirol  ähnlich  klingt,  weicht  hier  völlig  ab.  Vgl.  leekebi. 
lagel  m.  Kolben,  z.  B.  Maiskolben;  mhd.  bedeutet  lagel  m.  Schwanz 

(got.  tagl  Haar),  aber  auch  schon  Baumwipfel,  s.  mhd.  Wtb.  UI,. 

839\  4. 
lagea  jammern;  3.  Person  er  lait;  Partie,  geiatt.  Die  Form  stimme 

zu  mhd.  lagea,  geieit^  die  Bedeutung  ist  auffallend. 
liglLhl  s.  lekele.  Im  ungr.  Bergl.  lekel,  in  Kaschau  1399,  in  Siebenb. 

lekeli. 


Weitere  Hitiheilungen  Ober  die  Mandart  von  Gottschee.  501 

saker  W  Thräne,  mhd.  laher,  kämt,  lahar,  tirol.  laeher,  in  Göln.  im 
angr.  Bergl.  noch  i^a,  s.  Darst.  99. 

Mitle  n.  kleines  Laib,  laitle  pr^at  s.  pfaiiatle  und  h&;e)  mhd.  lelte 
etc.  In  den  übrigen  Mundarten  für  gewisse  Kuchen ;  hier  auch 
für  Brot. 

lulit  gezackt,  eigentlich  geiahnt. 

Zipe,  Name  in  Riek  1614. 

Mirmatto»  vocab.  1460. 

ttufltewerle  n.  Zaunkönig,  s.  nert,  mhd.  itnsllpfel;  fltewerle  steht 
fnr  slieferllii  aus  sliifaere.  Zu  demselben  Stamme  gehört  wol : 
der  sekUfer  (schloufa)  Schmetterling  in  Metzenseifen  im  ungr. 
Bergl.»  Darst.  140,  wozu  ich  daselbst  das  verschollene  ahd. 
sltphari,  sltpUiari,  sltiar  circumcellio  (Schwärmer  ?)  GrafT  VI, 
807  vei^lichen  habe. 

se  zu  in  le  bäar  (oder  le  w4ar  zuvor)  s&gei  wahrsagen.  Als  Präp., 
wie  ahd.,  mhd.  li,  le  auch  in  le  nachbam!  ruft  der  Gemeinde- 
diener mit  der  Trommel,  le  lander  zusammen,  tenander 
rtllea.  fenicht,  vgl.  intcht.  —  ler  UaMdlem  nehmen,  als  Lohn- 
dirne aufnehmen. 

i^acbe,  i6ahe  f.  Zehe;  mhd.  i^he,  kämt,  leahe  Lex.  263.  Im  ungi-. 
Bergl.  in  Krickerhäu  i^ga  in  Käsm.  leip;  s.  darüber  Nachtr.  S.  SO**. 

lechnei  zehne;  vgl.  die  bair.  Formen  Weinh.  bair.  Gr.  S.  261,  10, 
mhd.  il^hea.  Auffallend  wird  hier  e,  nicht  a.  Die  flectierte  Form 
sehr  gewöhnlich  wie  ikelwei  s.  d.  u.  s.  f. 

leekein  schlendern.  So  wie  läckel  für  itte  Zottel,  steht  leekeln  für 
letteh  schlendern  u.  dgl.,  s.  Schm.  IV,  291,  was  zu  ahd.  laija 
(vgl.  latA  Zote)  zu  stellen  ist;  vgl.  ikekUick.  —  beieckeln  ver- 
unreinigen, bezetteln. 

lederie  n.  Zettel.  larla  kat  kekan  a  lederle  s.  Maria. 

S«S|tl  s.  lekele^  Ugkl. 

lefai  s.  i#fai. 

lelae,  Name  1700. 

Xekele,  lektl,  Name  1600  in  Gottschee,  Tschermoschitz,  Hinterberg 
1614.  Vgl.  Xigkkl. 

ie«;e  f.  Kleie ;  ahd.  lenisa  Graff  Vi  668.  Das  Wort  scheint  selten. 
Es  fehlt  im  mhd.  Wtb.,  bei  Stalder,  Schöpf,  Lexer;  Schade  hat 
es  übersehen  und  Schmeller  sagt  dazu:  „die  lemssen  (Kitz- 
bfihel,  aiek  bei  den  fitUsckeewern),  die  Kleien**. 


502  S  c  b  r  ö  e  r. 

Itprin  civis  ex  civitate  1783. 

lerkraftcn  zerbrechen»  intransitiv,  partie.  lerbrtften)  lerbre^tei  tran- 
sitiv; mhd.  brCstei  auch  noch  in  Tirol  Schöpf  K7. 

MieftrAieh  n.  Bärlappe.  ** 

liglfst  Paul  in  Moswald  1860,  Name  in  Orth  1614.  1684.  Lienhart 
Ileglfesst  auch  Leonhard  llglfest,  ital.  Leonario  di  llgefest  ist 
um  1593  als  des  Lutherthums  verdächtiger  Priester  in  Gott- 
schee  abgesetzt  und  erscheint  in  Urkunden  von  1613 — 1615 
als  begüterter  Gottseheewer  sammt  seinem  Sohne  Hans  iu  A. 
Dimitz  Urkunden  zur  Reformationsgeschichte  Krains.  Laibach 
1868,  S,  74»»  fff. 

elMBen  MiMe  cinamoni  voc.  von  1460.  29^. 

iiMnerstiel  m.  Schnitzbank;  Stuhl  um  darauf  zu  zimmern. 

Xinperg,  Name  in  Gottschee  1800. 

Ilne,  Name  1700;  vgl.  Stiae. 

liik,  echt  schwäbisch,   schwankt  der  Name  zwischen   i   und  «. 
J.  Zeng  war  PfaiTcr  ad  der  Uegg  von  1377  oder  1395  bis 
1415,  Seines  Bruders  Sohn  war  B.  Zink;  s.  die  Chroniken  der 
deutschen  Städte  vom  14.  bis  ins  16.  Jahrhundert,  Leipzig  1866, 
V.  Band:  Chronik  des  Burkhard  Zink  1368—1468.   Er  ist  ge- 
boren zu  Memmingen  1396,  wo  sein  Vater  ein  gewerbig  mmm 
war,  der  durch  Handel  nach  Steiermark  ^r  ind  g«et  erworben.  — 
Burkhard  verließ  1407  die  Heimat  und  kam  zu  seines  Vaters 
Bruder  J.  Zeng  oder  Zink,  Pfarrer  zu  Rick  in  Gottschee.  Von 
da  aus  besuchte  er  die  Schule  zu  Reifnitz.  Er  erzählt:  'als  man 
zalt  1407  jar,  dd  war  ich  ain  jQngling,  bei  ailf  jAren  schied  ich 
auß'von  Memmingen,  von  vater  und  von  allen  meinen  freunden 
und  gieng  mit  ainem  schueler,  ich  war  auch  ein  schueler  und 
was  bei  4  jären  in  die  schuel  gangen,  undgiengen  alsd  mit  ein- 
ander in  Krainland  gen  windischen  landen  in  ainen  markt  haiflt 
Reifnitz  —  leit  in  Krainland  hinter  Ldbach  6  meil  gegen  Kroa- 
tien,   in  dem  land  belib  ich  7  jär  und  gieng  ii  gen  schuel. 
Dann  mein  vater  hett  ainen  leiplichen  brueder,  der  was  pfarrer 
in  ainem  dorf,  genant  ab  der  Megg,  das  ist  ain  grdß  schon  dorf 
und  gehSren  wol  fünf  ander  dörfer  darzu,  die  haißen:  Gottenitz, 
Pausenprunnen  etc.  (letzterer  Name  fehlt  der  Hs!  B.).  Da  was 
derselb  mein  herr  bei  30  jdren  pfarrer  gewesen  und  was  mit 
gräf  Fridrichs  weih  von  Ortenburg  in  das  land  hinein  kommen. 


Weitere  Mittheilungen  aber  die  Mundart  von  Gottschee.  503 

die  hett  in  zu  priester  gemacht ,  dann  er  was  ir  schreiber  ge- 
wesen; sie  was  eine  von  Tegg  (Margareta,  Tochter  Herzogs 
Friedrich  von  Teck,  Schwester  Ludwigs,  1410,  Patriarchen 
von  Aquileja).  —  Derselb  mein  herr,  meins  vatern  brueder,  der 
ließ  mich  gen  schuel  gän  in  die  Reifnitz  und  dinget  mich  in  die 
kost  zu  ainem  biderben  man,  genant  Hans  Schwab,  der  was 
gräf.  Friedrichs  paumaister  zu  Ortenburg  und  pauet  auf  das  selb 
mal  das  nider  haus  zu  Ortenburg  hie  niden  an  dem  perg.  «-  Er 
kehrte  nach  Memmingen  zurück  1414,  da  war  aber  sein  niemant 
M  und  so  gieng  er  1415  wieder  nach  Gottschee,  wo  aber  sein 
Oheim  schon  gestorben  war\  S.  104  heißt  es: 

'Gottenitz  an  der  Riegg,  das  ist  ain  grdß  dorf  und  ain  guete 
pfarr/ —  'Darnach  (zog  ich)  gen  Götze  (Gottschee?),  Feistritz 
Cilii  etc.*  Er  starb  als  angesehener  Mann  1474  zu  Augsburg.  In 
Marb.  Ciaehe  Zink  1295:  1300—1326. 

liike  ro.  Zacken  ahd.  sinkt  mhd.  sinke. 

liikat  einäugig.  Vgl.  aiemann.  der  ilnggen  Rebschoß  mit  einem  Auge, 
Stalder  H,  475. 

liikel  Name  in  Zwislern  1669,  Tgl.  TseUnkel.  Marb.  1295:  Fridreich 
der  Clnehe. 

il}te  f.  Wäschkorb,  Schwinge,  vgl.  itine,  k^arb.  Tirolisch  ilst  f. 
steirisch  kamt,  ilgtl,  mhd.  ilstel  Schmell.  IV,  290,  anno  1475: 
teste  f.  1 392 :  ilstel. 

iltrich  m.  „Pappel.**  Zitterpappel. 

(icel,  Name  in  Gottschee  1700. 

nicht  nichtig,  cimbr.  itnlehte,  so  auch  .kämt.  Tirol.  Schöpf  467. 
Lex.  197.  —  mlehläeUe  n.  nichtiges  Wesen.  In  dem  vocabulario 
ital.  tod.  von  1479  (von  Lapi  gedruckt  zu  Bologna)  wiederholt: 
tristo  iieiileht,  mlchtlg,  inlehUkeyi  tristeza,  vgl.  zonichtekot. 
Cimbr.  Wörterb.  150. 

itekel  f.  der  Fetzen,  vgl.  cimbr.  itekela  f.  Zapfen  CWtb.  181,  vocab. 
von  1423:  der  i#ebel  el  zocholo  9\  Karat,  tirol.  laggl,  was  jedoch 
eher  zu  lagel  zu  steilen  und  von  diesem  itekel  zu  trennen  ist, 
vgl.  fäckläeh  leckeln.  —  itekelmau  m.  wie  Fetzpoppel,  eine 
Vogelscheuche.  —  itekeUt  lumpicht.  Vgl.  lüekläeh. 

itli  m.  Zeine,  Stab,  Rute;  got.    tains,  mhd.  sein  daher. 

ttln«  f.  Zeine,  Handkorb,  ital.  lelnt,  got.  tali^i  ahd.  selnA,  vgl.  k^arb. 
—  Mlidle  n.  Handkorbchen. 


504  S  c  h  r  ö  e  r 

ItUnern  Ort  bei  Fara. 

itr|;e  f.  (d.  i.  liiri^e)  das  Innere  des  Siebes,  ahd.  larga»  mhd.  itrge 
Ring,  Einfassung;  die  itrg  Schmeli.  IVt  284.  Schopf  89K.  lärge, 
Särge  Lexer  263. 

ksehe,  Name  in  Gottschee»  Altbacher  1700  —  1800. 

beherne  IscUnkel  s.  Tseh. 

lac  s.  WMersii;. 

»iichtpeakel  n.  Setznageh;  „inehpeikel  Gewicht  bei  der  Wage. 
Tschermoschnitz.*'  Ein  in  Form  und  Bedeutung  nicht  ganz  klares 
Wort.  Die  Formen  keehel,  kergel,  ilerkigen,  wo  mhd.  t  abge- 
fallen ist ,  lassen  die  Vermuthung  zu,  daA  der  zweite  Theil  des 
Wortes  als  tweigel  (tbeikel,  ^keikel)  aufzufassen  sei,  vgl.  ahd. 
dwengil,  dwang  frenum,  gMwang  habena  etc.  Graff.  5,  276  f. 

iiemies  n.  Käse  und  Schotten  1316,  vgl.  Schm.  H,  626. 

iieweib,  das  —  druga,  vocab.  von  1479;  vgl.  latwtp,  mhd.  Wtb.  III, 
720. 

lagl^  Name  in  Gottschee. 

itlie  f.  Kahn,  mhd.  illle,  iille,  sloven.  itla  ieln,  vgl.  Schmeller  IV, 
253  ff.  Die  Ableitung  von  MavleeUa  Schneller  281  ist,  solange 
weitere  Übergangsformen  nicht  nachgewiesen  sind,  gewagt. 

iinander,  lenaader  steht  für  zusammen;  lenandergertllet:  zusammen 
gerollt  s.  powalitie.  „af  der  stelle  leaanderl*'  ruft  der  Geroein- 
dediener  von  Nesselthal ,  der  mit  der  peikhe  •  (Trommel) ,  die 
Männer  zu  einer  Gemeindearbeit  zusammenruft  S.  Elze  17, 
derselbe  ruft  a.  a.  o.  auch:  nie  ■kekpen!*'  d.  i.  „Nachbarn, 
kommt  zusammen!**  was  umsomehr  auffallt  als  der  Nachbar  in 
Gottschee  gemtinar  heißt. 

lare  f.  Langwid,  Langbaum,  der  das  hintere  mit  dem  vordem  Wagen- 
gestell verbindet. 

lorkel,  Name  in  Gottschee,  Fliegendorf  1700—1800. 

Iirl,  Name  in  Gottschee,  in  Buchberg  1614.  Im  ungr.  Bergt,  in  Neusol 
1390:  larinne  eidam. 

inriar  m.  inguen,  vgl.  pissar  und  sekirlen,  sekallei,  tsekaUtU,  tsekllea 
im  ungr.  Bergl.  Nachtr.  23.  Darst.  408.  In  Wirzburg  die  Rose 
an  der  Gießkanne  iirl  m.  Schmeli.  IV,  28S;  vgl.  kämt.  tiroL 
tsekarea  pissen  Lexer  227.  Schöpf  770. 

larltfl  f.  die  Schlinge  zum  Aufziehn  der  Unterhose  u.  a.  Etwa  ein 
mhd.   zarlouft;  Zerrlauf,  wobei   -laaf  in  dem  Sinne:  Hülse, 


Weitere  Mittheiliir^en  über  die  Mundart  ron  Gottschee.  oOS 

Schmell.  II,  445.  zu  nehmen  wäre:  eine  Hülse  durch  die  ein 
Band  gezerrt  wird;  mhd.  der  lar  der  Riß  s.  mhd.  Wtb.  III»  903. 

liraei  s.  lalb^r.  Ein  im  Österreichischen  eben  nicht  übliches  Verb.» 
wofür  gewohnlich  sieh  giftei  gebräuchlich  ist,  erscheint  im  Volks- 
Hede  in  Gottsche  n&ek  dainer  liri  ih  nik  laibar  et)  vgl.  mhd. 
iek  itrae  nick  Gr.  IV,  35. 

iwelfe  ifcelwea  zwelfe;  mhd.  iwella  iwelfea  Weinh.  bair.  Gr. 
S.  162.  Die  flectierte  Form  in  -ia  ohne  Unterschied  des  Ge- 
schlechtes, ist  sehr  gebräuchlich. 

iMaa  ifc^ane  zween  zweene,  iki  ibie  zwo,  ibai  zwei.  In  Rick  immer 
ifc^ne  ibaite  zweite.  Vgl.  Weinhold  bair.  Gr.  S.  258  f. 

ibea  warum,  wozu  s.  wea  bea;  mhd.  ze  wiu  (Instrument,  von  waz) 
auch  cinbr«  ibea  wozu  Wtb.  181.  im  ungr.  Bergl.  iw^  Nachtr. 
50\  ahd.  liwia  Graff.  IV,  1184. 

iberewCgele  n.  =  penwCgele  s.  d.  und  mert. 

Iwislen,  lbl§lara,  Ort  bei  Gottschee,  der  1770  zwei  und  dreißig 
Häuser  zählte. 

lUwall  m.  Zwiebel.  Vocab.  1422:  iwifol,  die-  ziuola  17%  34%  Ital. 
eipalla  umgedeutet  in  ahd.  iwibollo,  mhd.  iwiboUe,  erscheint 
auch  z.B.  im  Brünner  Stadtr.  in  der  Form  iwival,  die  der  obigen 
nahekömmt. 

fliUebar  n.  das  Fieber";  ahd.  fieber,  mhd.  fieber,  biever.  Es  scheint 
hier  nur  der  Artikel  misverstanden  in  z  verwandelt  (ds  wiebar) 
und  das  «?,  als  ob  es  ein  ursprüngliches,  kein  für  f  stehendes  w 
wäre,  zu  h  geworden. 

Nachträge. 

Zu  Seite  35 : 
Altes  a  in  §aaidar,  fiaMare,  zeigt  auch  das  vocab.  1479:  di 
laabrar  li  incandatori;  dar  der.  Im  vocab.  1423:  der  Floreaier  aber 
difloreaiaria  39%  der  ekeiier,  dl  ekelnariill',  der  ofner,  di  oftiaria 
13%  aber  auch  der  besckimar  46^;  vgl.  o. 
Zu  Seite  36: 
Igaitsch,  Name,  s.  •giitsek. 

Zu  Seite  38 : 
aaaft  Beispiele:  srAgat  aaA;t  es  regnet  jetzt;  ih  kin  ana$t  ich 
komme  sogleich. 


506  S  c  h  r  ö  e  r 

Zu  Seite  39: 
lies  &De  f.  statt  aoe.  Das  vocab.  1460,  f.  36  di  aeadel  oder  aie, 

dl  araeadel)  der  en,  aren^  toü  den  ein  and  tätem  f.  13*. 
Zu  Seite  40 : 
anheTen,  das  vocab.  1460  sehreibt  anheben.   Zingerle  lusern. 

Wörterb.  II,  bemerkt  »/"tur  b:  hefen  heben**!  dazu  s.  oben  S.  40.— 

apper  etwa,  wie  kämt  epper;  vgl.  Gr.  Wtb.  III,  679. 
Zu  Seite  41  : 
ar  —  her:  innar  inher,  d.  i.  herein. 
arbalfte  vocab.  1460:  arbalssen  bixi. 

Zu  Seite  42 : 
ätter:  ib  kiai  oter  kar  ich  komme  dann  her. 
Die  Nachträge  zu  B,  P,  siehe  an  der  alphabetischen  Stelle 

von  P;  die  zu  D,  Tan  der  alphabetischen  Stelle  von  T;  die  zu  F  an 

der  alphabetischen  Stelle  von  V;  die  zu  G  vor  K;  die  zu  E  und  H 

lasse  ich  hier  folgen. 

Die  beiden  e  (ä  und  e)  gehen  im  Gottscheewischen  weit  aus- 
einander; ä  (e  und  ä)  wird  häufig  ö:  mir  bor;  e  wird  a,  S.  76. 

elbaek  n.  Eibengebüsch.  Zu  sprechen  albkeh  und  eine  Bildung  wie 
oben  S.  43  awenkeh  s.  d.  oder  ahd.  domahi  spinetum,  elkabi 
quercetum  etc.  Gr.  Gr.  II.  312.  —  Die  ahd.  Form  wäre  iwaki 
von  Iwa  Eibe.   Auffallend  ist  das  folgende  Compositum : 

eiban  m.  Eibenbaum ,  in  Tirol  eabam  Epheu  Schöpf;  eibanst&idle  n. 
die  Eibenstaude.  Nach  nihd.  iwlabaan,  Iwenbonm  wSre  zu  erwar- 
ten: aibaiapAn,  aibeapAm.  Ich  entnehme  diese  Form,  so  wie  das 
vorhergehende  eiback  einem  Briefe  des  Herrn  Pfarrers  Krise  in 
Morobitz,  der  mir  unter  anderm  folgende  interessante  Hittheilung 
macht:  „ich  erinnere  mich  von  meiner  seligen  Mutter  ein  Lied 
gehört  zu  haben,  in  welchem  die  Stelle  vorkam:  \m  gäaiea 
paden  lai  (nur)  aa  eibanstaldle^  aliaae  da  banet  dar  grinmige 
tiat*« 

eaa,  ene  m.  auch  iae  m.  Großvater;  areoe  m.  Urgroßvater.  Im 
vocab.  1460:  der  ean,  aren;  van  den  eni  (dat.  plur.);di  an^ 
aeadel,  araendel. 

eaer  jener;  auch  im  vocab.  1460;  wie  keiilt  eaesf 

erd  der  maschio;  di  sigia  la  putta  vocab.  1460,  f.  13;  vgl.  oben 
;iUn. 

lagaitsek,  Name,  s.  Ogaltsch. 


Weitere  Mittheiluogen  aber  die  Mundart  von  Gottshee.^  50 T 

bitar  m.  Huter,  Hirte.  Das  Wort  ist  bestimmt  zurückzuführen  auf 
ahd.  kMAre  <1er  Hirte.  Herr  Pfarrer  Krise  theilt  mir  mit»  daß  in 
Morobitz  hartar  gesprochen  wird,  wihiseh  hariar  der  Schafhirt, 
Schäfer,  denn  wiehe  ist  das  Schafvieh,  was  zu  wiche  S.  83 
nachzutragen  ist. 

»keekatfCD  Choral  singen."* 

betk  s.  keik. 

less  Joannes  aus  Wirzhurg,  Pfarrer  zu  Reinthal  1648. 

btikea  rufen,  wie  die  Eule;  bei  der  Nacht  ist  es  nicht  gut  beim 
Namen  zu  rufen,  darum  kolket  man,  sagt  der  Gottscheewer. 
Das  heißt  wol:  mau  ruft  hol  hei!  (mhd.  hei!).  —  Wozu  die 
ahd.  Bildungen  mit  -akin,  -ak^a,  -ikin,  igia  zu  vergleichen 
sind.  Ungewöhnliche,  auch  über  das  oberdeutsche  Gebiet  hin- 
aus reichende  Formen  sind  hier  nicht  ausgeschlossen.  Vgl.  auch 
das  auffallende  jlkln. 

kirre.  Hieher  wird  doch  wol  auch  cimbr.  arren,  orren  CWtb.  180 
gehören  in  arrea-beter  garstig  Wetter  u.  dgl. 

katsch  I  Scheuehruf  für  Sehweine. 


Abkürzungen.  Zu  den  S.  123  angegebenen  Abkürzungen  ist  hier 
noch  nachzntragen :  M  a  r  b  u  r  g.  Alle  Namen  aus  Marburg  verdanke  ich  Reicheis 
verdienstlicher  Schrift,  s.  Reichel.  —  Reiche!  Rudolf:  Marburger  Namen- 
büehlein.  Marb.  (Steierm.).  Druck  ron  Ed.  J a ns ch i tz  1870  (Schulprogramm). 
—  Schneller,  s.  oben  S.  3.  —  Spieß  Balthasar:  Yoiksthümliches  aus  dem 
Fränkisch -Hennebergischen.  —  Wien  1869.  —  Vocab.  1420,  d.  i.  lat.  deut- 
sches Voeab.  Tonl420,  herausgegeben  von  K.  J.  Schröer,  Presburg  1859.  — 
Voeab.  1423,  d.  i.  ital.  deutsches  Vocab.,  vollendet  den  16. Feh.  1423  (eine  um 
ein  Jahr  jüngere,  ziemlich  gleichlautende  Münchener  Abschrift  davon  benutzte 
hin  und  wieder  schon  Schmoll,  zu  seinem  baier.  Wdrterb.).  Cod.  der  Wiener 
flofbibl.  12,  514.  —  Voeab.  1459, 1460,  d.  i.  der  Münchener  Cod.  ital.  362, 
gleichfalls  ein  ital.  deutsches  Yocabular,  das  Schroeller  schon  theilweise  benutzt 
hat.  Es  ist  abgeschlossen  vor  1460.  —  Yocab.  1479.  Ein  ital.  deutsches 
Voeabnlar  «volpracht  durch  roaister  Dominien  von  Lapi**.  Am  Schlüsse:  „in  la 
sapientia  de  Bologna  fui  stampada  d'aprile  1479  per  D.  Lapi.  in  dar  wisheit  zuo 
BoIoDia  ist  es  gedrucket  des  aprellen  1479.  finis  laus  deo^.  S.  Panzer  Annalen 
der  ältesten  deutschen  Lit.  Suppl.  p.  42. 


508  S  c  h  r  ö  e  r 

Verzeichnis  der  mitgetheilten  Lieder  und  Balladen: 

Der  Bettler  (Möringer),  unter  patilar. 

Rekrutenlied ,  unter  paakiie. 

Ballade  (Lenore)»  unter  Uat. 

Heiratlied,  unter  hair&ien. 

Ballade  vom  Hansel  jung,  unter  lans. 

Beim  Hirsejäten,  unter  hirje. 

Kranzbinden ,  unter  hAachielt. 

Abschied,  ebenda. 

Geigerlied ,  ebenda. 

Beim  „Stecken*',  ebenda. 

Die  abgeschiedene  Seele,  ebenda. 

Die  Verstorbenen,  ebenda. 

Der  Kuckuck ,  unter  kackhe. 

Von  der  Lieben:  unter  liebe. 

Liebeslieder,  unter  liebe. 

Treue  Liebe ,  unter  liebe. 

Magretitzle,  Ballade ,  an  alphabetischer  Stelle. 

Marienlieder,  unter  Maria. 

Paulas,  unter  Maria. 

Martin,  an  der  alphabetischen  Stelle. 

Die  Meierin ,  Ballade ,  unter  meier. 

Die  Schone  am  Meer  [Gudrun)  s.  ner. 

Regina,  an  der  alphabetischen  Stelle. 

Der  Ritter  (Blaubartballade)  unter  rltterjmai. 

Stephan ,  an  der  alphabetischen  Stelle. 

Die  brave  Stiefmutter ,  unter  stiewniieter. 

Sonnwendenlied ,  unter  jnmniiteii. 

Z ween  Werber ,  unter  warbar,  barbar. 

Barbara ,  unter  HAwarle. 

Anmerkung.  Schriftdeutsch  und  unvollständig  werden  von 
Elze  S.  34  if.  noch  folgende  bekannte  Volkslieder  als  Lieder  aus 
Gottschee  angeführt: 

1.  Die  Rosen  die  blähen  im  Garten. 
Soldaten  marschieren  ins  Heer  etc. 


Weitere  Mittheüangen  über  die  Mundart  tob  Gottochee.  509 

Das  Lied  wird  auch  (mit  anderem  Anfang:  Nichts  schöners  kann 
mich  erfreuen  oder:  Es  blühen  drei  Röslein  im  Garten)  im  Kuhländ- 
eben und  im  ungr.  Bergland,  so  wie  überall  in  Deutschland,  s. 
darüber  weiteres  meine  Darst.  S.  114  [346],  77,  gesungen. 

2.  Das  Lied  vom  Wein  und  vom  Wasser. 

Dasselbe  wird  auch  im  ungr.  Berglande  und  auf  dem  ungr. 
Heideboden  so  wie  überall  in  Deutschland  seit  dem  1 6.  Jahrb.  ge- 
sangen; s.  weiteres  darüber  mein  Worterb.  S.  120. 

3.  Die  faule  Grete.  Darüber  sieh  oben  S.  9S. 

Die  bei  Frommann  11,  86  und  181  mitgetheilten  Lieder  sind  von 
Klun  nicht  aus  der  besten  Quelle  mitgetheilt  und  in  dem  Obigen 
besser  enthalten.  Sprachlich  genau  und  richtig  ist  die  Übersetzung 
des  finnischen  Volksliedes  in  Gottscheewer  Mundart  von  Richter  bei 
Frommann  VI,  S21 :  0  benn  main  dar  liebe  kameiti 

Hervorgehoben  zu  werden  verdienen  aber  zwei  Gottscheewer 
Lieder  bei  Frommann  IV,  393  ff. : 

t.  Kri^t  i^t  erstanda 
won  jain  dar  märtar  ^llen  etc. 

Dieß  alte  Lied  (über  sein  Alter  s.  Hoffmann  Gesch.  d.  d. 
Kirchenliedes  S.  64,  499;  jenes  ältere  aus  dem  13.  Jahrb.  hat  wol 
auf  die  späteren  Abfassungen  Einfluß  gehabt)  ist  nämlich  bei  den 
Cimbri  gleichfalls  bekannt  und  bis  zum  Jahre  IS  19  hinauf  als  da 
bekannt  nachzuweisen;  vgl.  CWtb.  66. 

2.  pim  in  dar  aum  (Alm) !  in  dar  aum  i;t  a  pirpäm ;  pirpäm 
traget  läp  etc.  Dazu  ist  zu  vergleichen  Ditfurt  frank.  Volksl.  S.  297 : 
was  wuchs  in  selbiger  erd?  Fiedler  Volksreime  und  Volkslieder 
S.  34:  dorten  auf  grüner  beide,  steht  ein  birnbaum  etc.,  wo  auch 
ein  ähnliches  aus  England,  Halliwell  Nr.  21,  nachgewiesen  ist. 


diu       Schröer,  Weitere  Mittheiluo^en  über  die  Nundtrt  von  Gotlachee. 


INHALT. 


I.  Theil. 


Ein  Ausflug  nach  Gottschee.  (Sitzungsber.*  October  1868.  LX.  Bd.  S.  165.)*) 

Seite. 

Einleitung i 

t.  Allgemeines  über  die  deutschen  Sporaden  in  Oesterreieh  .  i—    8 

2.  Die  Ansiedlung  in  Gottscbee 9~  20 

3.  Eigenthfimlichkeit  der  Gottseheewer  Mundart 20—  29 

4.  Die  deutsche  Sprachinsel  Zarz  (Sorica)  in  Krain  ....  30—  34 

Wörterbuch  CA—H) 35-122 

Abkürzungen 123 

Inhalt  zum  ersten  Theil 124 

II.  Theil. 

Weitere  Mittheilungen  fiber  die  Mundart  Yon  Gottschee.  (Sitzungsber. 

Mai  1870.  LXY.  Bd.  S.  391.) 

Vorwort 391-3W 

Wörterbuch  (I—ZJ 396—505 

Nachträge 505 

Abkürzungen 507 

Verzeichnis  der  mitgetheilten  Lieder  und  Balladen 508 

Anmerkung 508 

*)  Die  im  zweiten  Theil  citierten  Seitensablen  des  ersten  Theiles  geben  meiiteas  n«r 
die  Seitensahl  des  Sonderabdruckes;  die  Seitensahl  der  Sitsangsberichte  eat- 
steht,  wenn  %n  dieser  die  Zahl  164  hinsugerechnet  wird. 


Veneichnisa  der  eingegiingenen  Druckschriften.  511 


VRttZEICHNISS 

DEH  (EINGEGANGENEN  DRUCKSCHRIFTEN. 

(MAI  1870.) 

Academia,  Real,  de  la  Historia  zu  Madrid:  Memorial  histörico 
Espanol.  TomoXV— XIX.  Madrid,  1862—1868;  80.  —  Espana 
Sagrada.  Tome  XLVIII--L.  Madrid,  1862,  1865  &  1866;  8«. 
—  Notieia  de  las  aetas..29  de  Juaio  de  1862  &  7  de  Junio  de 
1868;  8^.  —  Coleccion  de  obras  aräbieas.  Tomo  I.  Madrid, 
1867;  4^  —  Cortes  de  los  antiguos  Reines  de  Leon  y  Castilla. 
Tomo  11— m.  Madrid,  1863  &  1866;  Folio.  —  D.  Jos^  Oliver 
y  Hurtado.  Munda  Pomeyana.  Madrid,  1866;  8«.  —  D.  V. 
de  la  Fuente,  Elogio  del  Arzobispo  D.  Rodrigo  Jimenez  de 
Rada.  Madrid,  1 862 ;  8<>.  —  D.  A.  B  e  n  a  v  i  d  e  s ,  Discurso  leido 
al  terminar  el  trienio  de  su  direccion  en  1867.  Madrid,  1868; 
8^  —  D.  Carlos  RamonFort,  Discurso  en  elogio  de  D.  Jos^ 
Comide  de  Saayedra.  Madrid,  1868;  8«.  —  D.  J.  Godoy  Al- 
cäntara,  Historia  crftica  de  los  falsos  cronicones.  Madrid, 
1868;  8<^.  —  D.  Dem.  de  los  Rios,  Memoria  arqueolögieo- 
descriptiva  del  anfiteatro  de  Itälica.  Madrid,  1862:  4^  — 
D.  J.  Rizzo  yRamirez,  Juicio  erftico  y  significacion  polftica 
de  DonÄlvaro  deLuna.  Madrid,  1866;  4«.  —  D.  Fr.  Fernan- 
dez  y  Gonzalez,  Estado  social  y  polftico  de  los  Mudejares 
de  Castilla  etc.  Madrid,  1866;  4«. 

Akademie  der  Wissenschaften,  Konigl.  Preuss.,  zu  Berlin:  Monats- 
bericht. Januar  &  Februar  1870.  Berlin;  8^ 

Berlin,  Universität:  Akademische  Gelegenheitsschriften  aus  dem 
Jahre  1869/70.  4«. 


512  Verzeichniss  der  eingegangenen  Drackschriften. 

Farr,  William,  Report  to  the  International  Statistical  Congress 
held  at  the  Hague  in  1869.  London»  1870;  8«. 

Fassel,  Hirsch  B.,  Das  mosaisch-rabbinische  Strafgesetz  und  straf- 
rechtliche Gerichts- Verfahren.  Gross-Kanizsa,  1870;  8o. 

Gesellschaft,  Anthropologische,  in  Wien:  Mittheilungen.  I.  Bd., 
Nr.  1—2.  Wien,  1870;  8«. 

—  Geographische,  in  Wien:  Mittheilungen.  N.  F.  3,  Nr.  6—7. 
Wien,  1870;  8«. 

—  k.  k.  m.-schl.,  zur  Beförderung  des  Ackerbaues,  der  Natur-  und 
Landeskunde:  Schriften  der  histor.-statist.  Section.  XIX.  Bd. 
Brunn,  1870;  gr.  8». 

—  Fürst!.  Jablonowskische,  zu  Leipzig:  Gekrönte  Preisschriften. 
XIV— XVL  Leipzig.  1869—1870;  4o. 

Hamelitz.  X.  Jahrgang,  Nr.  13—16.  Odessa,  1870;  4«. 
Heidelberg,  Universität:  Akademische  Gelegenheitsschriften  aus 

dem  Jahre  1869/70.  4«  &  8«. 
Hruschko,  Martin,  Die  Stadt  Pilsen  zur  Zeit  der  Belagerung  durch 

Ernst  Grafen  von  Mansfeld  1618,  und  Pilsen  im  Jahre  1761. 

(Zwei  Lithographien  in  Folio.) 
Jahresbericht  der  Lese-  und  Redehalle  der  deutschen  Studenten 

zu  Prag  (1869—1870).  Prag;  8«. 
Peabody  Institute:  Discourse  on  the  Life  and  Character  of  Georg 

Peabody.  Baltimore.  1870;  8^. 
Revue  des  cours  scientifiques  et  litt^raires  de  la  France  et  de 

r^tranger.    VII*   Ann^e,    Nrs.   22-24.    Paris    &    Bruxelles, 

1870;  4o. 
Scientific  Opinion.  Part.  XVUI,  Vol.  III.  London,  1870;  4». 
Society,  The  Asiatic,  ofBengal:  Journal.  Part.  II,  Nr.  4.  1869. 

Caicutta;  8«. 


SITZUNGSBERICHTE 


DER 


KAISERLICHEN  AKADEMIE  DER  WISSENSCHAFTEN 


PHILOSOPHISCH -HISTORISCBE  CLASSE. 


UV.  BAKD.  III.  Hsrr. 


JAHRGANG  1870.  —  JUNI. 


35 


CooimissJonabericki.  d  I  D 


SITZUNG  VOM  L  JUNI  1870. 


Das  w.  M.  Kitter  von  Karajan  setzt  die  Lesung  seiner  in  der 
Sitzang  Tom  18.  Mai  1870  begonnenen  Abhandlung  fort  unter  der 
Überschrift:  «II.  Zu  Ottacker  von  Steiermark.*' 


Das  w.  M.  Hr.  Regierungsrath  Höfler  sendet  ron  den  Abhand- 
lungen aas  dem  Gebiete  der  alten  Geschichte  die  yierte.  Sie  be- 
sebaftigt  sich  mit  der  Frage  Ober  die  richtige  Abgränzung  der  alten 
Geschichte  gegen  das  Hittelalter. 


35 


516  Commitsiontbertcht. 


SITZUNG  VOM  15.  JUNI  1870. 


Der  Vicepräsident  gibt  Kunde  von  dem  am  2.  Juni  d.  J.  er- 
folgten Ableben  des  w.  M.  der  k.  Akademie  Herrn  Karl  Alexander 
Reichsfreiherrn  v.  Hügel. 

Die  Mitglieder  erheben  sich  zum  Zeichen  des  Beileids  Ton  ihren 
Sitzen. 

Das  Kepler-Denkmals-Comit^  in  Weilderstadt  ladet  mit  Schreiben 
vom  1.  Juni  1870  die  k.  Akademie  zur  Theilnahme  an  dem  am 
24.  Juni  d.  J.  stattfindenden  Feste  der  Enthüllung  des  Kepler-Denk- 
males  ein. 


Das  w.  M.  Ritter  von  Karajan  macht  der  Classe  Mittheilung 
Ober  die  Herkunft  der  Handschrift,  aus  welcher  die  von  Herrn 
Richard  Trampler  in  der  Sitzung  vom  18.  Mai  besprochenen  Briefe 
des  Cardinais  Franz  von  Dietrichstein  genommen  sind. 


Das  w.  M.  Herr  Prof.  Fried.  Müller  legt  vor  eine  für  die 
Sitzungsberichte  bestimmte  Abhandlung:  „Bemerkungen  über  zwei 
armenische  Keilinschriften". 


CommiMioDtbericht.  517 

Herr  Prof.  Dr.  Fricdr.  Ritter  v.  Schulte  io  Prag  sendet  eine 
ibbandlung:  „Die  Compilationen  Gilberts  und  Alauus**,  mit  dem 
Gesuche  um  Aufnahme  derselben  in  die  Sitzungsberichte. 


Herr  Prof.  Dr.  J.  Caro  in  Breslau  sendet  ein  Manuscript: 
»Liber  canceHariae  Stanislai  Ciolek.  Ein  Formelbuch  der  polnischen 
Konigskanzlei  aus  der  Zeit  der Hussitischen  Bewegung**,  mit  der  Bitte 
um  Aufnahme  desselben  in  das  Archiv  für  österreichische  Geschichte. 


Herr  Prof.  Bernhard  Grueber  in  Prag  ersucht  um  eine  Sub- 
vention zum  Zwecke  der  Drucklegung  seines  im  Manuscript  vorge- 
legten Werkes:  ^Die  Kunst  des  Mittelalters  in  Böhmen  nach  den 
bestehenden  Denkmalen  geschildert«*. 


SITZUNG  VOM  22.  JUNI  1870. 


Herr  Oberlandesgerichtsrath  von  Jabornegg-Altenfels  legt 
sein  mit  Unterstützung  der  k.  Akademie  herausgegebenes  Werk: 
^.Kärntens  römische  Alterthümer**  vor. 


Der  Concipist  im  k.  k.  Haus-»  Hof-  und  Staatsarchiv  Herr  Con- 
stantin  Edler  v.  Böhm  ersucht  um  eine  Subvention  zum  Zwecke  der 
Drucklegung  seines  Kataloges  der  Handschriften  des  k.  k.  Archives'. 


SIS  Commissionsbericht. 

Das  w.  M.  Herr  Hofrath  Ritter  v.  Mikiosich  legt  tror:  ,, Alba- 
nische Forschungen**.  Abhandlung  II.  und  III. 


Das  w.  M.  Herr  Hofrath  Phillips  legt  eine  Abhandlung  „über 
das  lateinische  Element  in  dem  Wortschatze  der  baskiscben 
Sprache"  vor. 


Herr  Prof.  Ed.  Sachau  legt  vor  eine  Abhandlung:  „Zur ältesten 
Geschichte  des  muhammedanischen  Rechtes'^  und  ersucht  um  deren 
Aufnahme  in  die  Sitzungsberichte. 


Phillips.  Die  Einwanderoog  der  Iberer  in  die  pyreniieche  HalbiMel.    5 1 9 


Die  Einwanderung  der  Iberer  in  die  pyrenäisehe 

Halbinsel. 

Vom  w.  M.  Hofrath  Dr.  6.  Phillips. 

I. 

Allgemeine  Bemerkungen  über  die  Nachrichten  der 
Griechen  und  Römer  von  den  Wanderangen  der 

Völker. 

In  unserer  Abhandlung  über  das  iberische  Alphabet  ist  auf  die 
Erscheinung  nähere  Rücksicht  genommen  worden,  dass  die  Romer 
and  Griechen,  die  für  sie  barbarisch  klingenden  Eigennamen  in  den 
von  ihnen  eroberten  Ländern  meistens  umgeändert  und  ihren  Sprach- 
werkzeugen oder  ihrem  Gehöre  anpassender  gemacht  haben.  Es 
^teht  aber  diese  Erscheinung  nicht  isolirt  da,  sondern  es  tritt  auch 
die  grosse  Mangelhaftigkeit  ihrer  historischen  Kenntnisse  häufig  ge- 
nug hervor.  Durch  ihre  falsche  Auffassung  haben  sie  es  der  Nach- 
welt, in  so  weit  sie  auf  die  Kunde  der  Römer  und  Griechen  aus- 
)ichliesslich  angewiesen  ist,  oft  fast  unmöglich  gemacht,  in  die  älteste 
Geschichte  der  Völker  eine  klare  Einsicht  zu  gewinnen.  Insbeson- 
dere gilt  dies  von  den  auf  die  älteren  Wohnsitze  und  Wanderungen 
der  Volker  bezuglichen  Nachrichten  bei  den  griechischen  und  römi- 
v^chen  Autoren  i)*  ^^  können  in  der  That  einander  völlig  entgegenge- 
setzte Nachrichten  über  die  Völkergeschichte  des  Alterthums  durch 


^)  Vergl.  Dierenbach,  Origioes  Buropaeae.  S.  IS  u.  ff.  . —  Sehr  richtig  bemerkt 
Frtedr.  Mfiller,  bei  Kahn  und  Sehleicher  Beitrlge  Bd.  3.  S.  217  „Be- 
kamillich  tind  die  Alten  keine  genaveo  Bthnographeo  vnd  man  kann  ihren  Ifaeh- 
ricbten  nor  einen  untergeordneten  Werth  beilegen,  in  eo  fern  eie  daa.  waa  die 
Foracbnng  an'a  Tageslicht  f5rdert,  beatstigen." 


520  Phillip» 

Belegstellen  aus  jenen  Sehriilstelleru  begründet  werden.  Griechen 
und  Römer  waren  aber,  wie  allgemein  anerkannt  werden  rouss, 
eben  sehr  schlechte  Ethnographen ;  es  fehlte  ihnen  auf  diesem  Gebiete, 
wie  auf  dem  der  Philologie  an  jedwedem  leitenden  Princip*)  und  die 
Wissenschaft,  welche  ihnen  ein  solches  hätte  bieten  können,  gab  es 
damals  noch  nicht.  Wir  dürfen  sie  desshalb  nicht  anklagen,  aber  eben 
darum  sihd  auch  ihre  Nachrichten  in  dieser  Beziehung  nur  mit 
grossem  Misstrauen  aufzunehmen,  so  lange  nicht  unlaugbare  That- 
sachen  für  ihre  Richtigkeit  sprechen.  Man  muss  sich  daher  nach 
anderen  Leitsternen  umsehen  und  die  Bahnen  zu  erkennen  streben, 
auf  welchen  die  Volker  in  alter  Zeit  gewandert  sind.  Geschieht  dies 
hier  nicht  mit  Glück,  so  geschieht  es  doch  mit  dem  aufrichtigen 
Wunsche,  dass  Andere  hierin  glücklicher  sein  mögen. 


Man  bat  sich  daran  gewöhnt  bei  der  Darstellung  der  Geschichte 
von  der  Völkerwanderung  als  einem  bestimmten  grossen  histo- 
rischen Ereignisse  zu  sprechen,  welches  in  die  ersten  Jahrhunderte 
nach  Christi  Geburt  falle  und  etwa  mit  dem  Untergange  des  west- 
römischen Kaiserthums  seinen  Abschluss  gefunden  habe.  Allein  man 
thäte  wohl  daran,  es  hiebei  nicht  aus  dem  Auge  zu  verlieren,  dass  die 
damalige  Völkerwanderung  nur  ein  einzelner  Abschnitt  in  der  Wan- 
derung der  Völker  war,  welche  ununterbrochen  bereits  seit  rielen  Jahr- 
hunderten fortdauerte.   Allerdings  ist,  wenn  auch  nicht  der  Anfang, 
so  doch  der  weitere  Verlauf  dieser  Völkerwanderung  in  ein  fast  un- 
durchdringliches Dunkel  gehüllt.  Damals  aber,  in  den  ersten  Jahr- 
hunderten christlicher  Zeitrechnung,  rollte  sich  der  Vorhang,  welcher 
bis  dahin  noch  eine  Monge  von  Völkern  verdeckt  hatte,   immer  mehr 
auf.  Da   wurde  man  des  Schauspieles  ansichtig,  wie  Völker,  den 
Meereswogen  vergleichbar,  deren  eine  vor  der  andern  flieht,  nach 
fruchtlosem  Kampfe  gegen  andere,  die  in  ihrem  Rücken  herandrängen, 
ihre  Wohnsitze    verlassen  müssen ,  um  sich  dann  mit  den  Waffen 
in  der  Hand  neue  zu  erringen  3). 


')  Vergl.  Curtio«,  Gnindzug'e  der  ^riechitcheo  Etymologie  2.  Aafl.  S.  5  o.  7. 

*)  Beredter  uU  wir  et  vermögen,  schildert  Jakob  Grimm,  Geachiehte  der  deetackei 
Sprache  8.  162.  diese«  Drfingen  der  Völker  auf  ihrer  Wandenmg  aus  Asien:  •Alle 
Völker  Europa '•  und  voraw  jene  urverwandten,  denen  es  beschieden  war,  darck 
Wechsel   und  Gefahr  emporzuringeo,  sind  in  femer  Zeit  aas  Asien  «ingewandert. 


Die  Einwanderung  der  Iberer  in  die  pirrenitisclic  Hnlbinsel.  d21 

Die  Veranlassungen  zu  diesen  Wanderungen  der  Völker  waren 
verschiedener  Art.  Schon  Seneca  hat  in  dem  an  seine  Mutter  Helvia 
geschriebenen  Briefe  gerade  hierauf  aufmerksam  gemacht  *).  Als  die 
erste  und  wichtigste  unter  diesen  Ursachen  ist  wohl  die  gewaltige 
Vennehrung  des  Menschengeschlechtes  €u  bezeichnen;  eine  Ver- 
aolassung,  die  ja  noch  in  unseren  Zeiten  zur  Auswanderung 
Dothigt.  Und  wenn  heute  zu  Tage  Regierungen  aus  diesem  Grunde 
die  Auswanderungen  befördern,  so  ist  dies  auch  nichts  Anderes,  als 
was  man  von  den  Normannen  erzählt,  dass  bei  ihnen  der  ein- 
telne  Vater  wegen  der  zu  grossen  Zahl  seiner  Kinder  seine  erwach- 
senen Söhne  bis  auf  Einen,  den  er  als  seinen  £rben  zurückbehielt, 
Ton  sich  getrieben  habe»).  Ähnliches  berichtet  auch  Paul  Warne- 


Ton  Osten  nach  Westen  seUte  sie  ein  unhemmbiirer  Trieb,  dessen  eigentHcbe  Ur- 
sache nns  verborgen  liegt,  in  Bewegung.  Der  Zug  scheint  aber  stets  zu  Lande  und 
um  die  Küsten  des  Meeres  ergangen,  ausser  wenn  blosse  Meerengen  zu  über- 
fahren, Inseln  tu  erreichen  waren.  Je  weiter  gegen  Abend  wir  ein  Volk  ge- 
dningen  finden,  desto  früher  hat  es  seinen  Auslauf  begonnen,  desto  tiefere 
Spar  kann  es  «nterwegs  hinterlassen  haben.  Klein  im  Anfange,  wilzte  sich  der 
Hanfe  zu  immer  grösserer  Masse  fort;  beinahe  alle  Völker,  wo  sie  zuerst  er- 
scheinen, sind  schon  zu  solcher  Breite  und  Fülle  emporgewachsen,  dass  Zwischen- 
rinme  der  Ruhe  und  des  Stillstandes  ihre  Ankunft  verdecken,  aber  hinten  nach- 
rückende Schwirme  rühren  sie  vom  Neuen  auf.  Dieser  Drang  muss  in  der  Mitte 
und  In  Herzen  Enropa's  am  stärksten  walten;  einzelne  Völker,  die  seitwirts 
nach  Sfiden  schmale  Halbinaein  erreichen,  gedeihen  auf  ihnen  schnell  zo  mSchtiger 
Entfaltung  und  erliegen  erst  spfit,  nachdem  ihre  Geaehicke  erfüllt  sind,  den  unab- 
wendbaren Einflüssen  der  Mitte.  Unbcgfinstigte  können  sinken  in  Vergessenheit, 
die  aber  am  langsamsten  zur  edleren  Bildung  reiften,  »cheinen  der  grössten 
Lehensdauer  fähig  und  wenn  die  Sage  den  Menschen  der  Vorzeit  höheres  Alter 
beimiaet,  halten  die  apfiteren  Völker  desto  fester  aus.  Der  urverwandten  Völker 
zu  weitem  Auslaufe  entschiedener  Beruf  und  vorragende  Tüchtigkeit  offenbart  sieh 
eben   darin,  dass  Ihnen   fast  allein    die   europiische   Geschichte  angehört."    — 

^)  Seneca,  Consol.  ed  Helviam.  cap.  6>  Nee  omnibns  eadem  causa  relinquendi 
qnaercndiqne  patriam  tuii.  Alios  ezcidia  urbium  suanim,  hostilibus  amiis  elapsos, 
in  aliena,  spoliatos  sui,  ezpnlerunt;  alios  domestica  seditio  subroovit;  aUos 
aimia  superfluentis  populi  fh*quentia  ad  exonerandas  vires  emisit;  alios  pestilentia 
ant  freqnens  terraruro  hiatus,  aut  aliqua  Intoleranda  infelicis  soIi  vitl«  ejecerunt; 
qnosdam  fertilis  orae  et  in  majus  laudalae  fama  corripuit.  —  Vergl.  Movers, 
Geschichte  der  Phönizier.  Bd.  2.  Th.  2.  S.  .*i  u.  ff. 

^i  Gull.  Gemet.  Histor.  Normanor.  C.  4.  Quae  gens  idcirco  sie  multiplicabatur 
quoBian  nimium  dedita  luzui  mulieribns  jungebatur  multis.  Nam  pater  adultos  fitios 
cnnctos  a  se  pellebat.  praeter  unnm,  quem  heredem  juris  sui  relinquebat.  — 
Vergl.  noch  meine  deutsche  Geschichte.  Bd.  1.  S.  142.  S.  894. 


522  Phillip« 

fried  yon  den  Völkern  Skandinaviens  «).  Es  geschah  daher  zum 
grossen  Theil  aus  Zwang,  dass  solche  Auswanderer  sieh  auf  andere 
Völker  stürzten. 

Schon  Julius  Capitolinus  gibt  davon  ein  anschauliches  Bild, 
wennererzählt?),  wie  die  Markomannen  und  Qua  den  zurZeitdes 
Marcus  Aurelins  nicht  t\*eiwillig  in  das  Römerreich  einbrachen,  son- 
dern vielmehr  von  den  Juthungen,  denen  wiederum  andere  Völker 
nachdrangten,  aus  ihren  Wohnsitzen  vertrieben  worden  waren.  Es 
gilt  daher  ein  Ausspruch,  den  ein  neuerer  Schriftsteiler  in  Betreff 
der  Magyaren  thut  >),  von  einer  grossen  Zahl  von  Völkern :  „sie  wurden 
aus  asiatischen  Flüchtlingen  europäische  Eroberer**.  Diese  Wande- 
rungen haben  aber,  wie  zuvor  bemerkt  wurde,  nicht  erst  in  jenen 
Zeiten  begonnen,  von  denen  wir  die  ersten  Nachrichten  über  die  ein- 
zelnen Völker  haben,  sondern  sie  dauerten  schon  seit  vielen  Jahr- 
hunderten fort  und  nahmen  nur  darin  in  späterer  Zeit  einen  gewalt- 
thätigeren  Charakter  an,  als  die  Nachwandernden  auf  immer  grössere 
Hindernisse  stiessen. 

Zu  dem  Zwange  zur  Auswanderung  gesellte  sich  aber  oft  auch 
wirkliche  Wanderlust  und  Freude  an  Kampf  und  Krieg,  wie  sie  so 
mancher  Volksstamm,  in  unbekannt  gebliebenen  Sehlachten  geübt, 
kund  gab.  Da  bot  dann  kein  noch  so  hohes  Gebirge  ein  unübersteig- 
liches  Hinderniss,  kein  Strom  und  kein  Meer  stellte  nicht  zu  bewäl- 
tigende Schwierigkeiten  entgegen.  Über  die  steilsten  Alpen  stiegen 
Kimbern  und  Teutonen  und  fuhren  auf  ihren  Schilden  in  die 
Thäler  hinab;  über  den  Ocean  setzten  auf  leichten  SehifTen  Nor- 
mannen hinüber  nach  Amerika  *).  Und  wie  viele  Gebirge  und  Ströme 
hatten  die  Vorfahren  der  Einen  wie  der  Andern  überschritten,  bevor 
sie,  die  Söhne,  bis  zu  den  Alpen  und  bis  zur  westeuropäischen 
Meeresküste  gelangt  waren. 

Aber  auch  noch  manche  andere  Ursache  «>),  als  die  angegebenen, 
mochte  hinzutreten,  um  das  eine  oder  andere  Volk  zum  Auszuge 
aus  der  seit  lange  oder  kurz  erworbenen  Heimath  zu  bewegen.    So 

')  Paul    Oiac.    d.    gest.  Langob.  I.  Z. 

^)  Jul.    Ca pi  toi  in.  Marc.  Aurel.    cap.    14.  Quadis  et  Marcomanis  cuneta  tariMD- 

tibus;    aliia   enim    gentibus,  quae   polsae  a   superioribua  barbaris   fug'erant,    nlsi 

reciperentur,  bellum  Inferenfibut. 
')  Dfinimler,  Pilgrim  von  Passau.  S.  149.   Note  14. 
*)  Über  die  Fahrten  der  Normannen  «.  noch  unten.  S.  552. 
J«)  S.   Note  4. 


Die  Einwanderung  der  Iberer  in  die  pyreniische  Halbinsel.  523 

erzählt  die  Sage  von  den  nach  Indien  eingewanderten  Ariern,  dass 
sie  schon  vierzehn  Male  zuvor  aus  verschiedener  Veranlassung  ge- 
nöthigt  gewesen  seien,  ihre  Heimath  aufzugehen,  und  weiter  zu 
ziehen,  um  eine  neue  zu  suchen  1 1). 

Es  kommt  nun  in  der  That  sehr  viel  darauf  an,  dass  man  sich 
eine  möglichst  klare  Anschauung  von  den  Wanderungen  der  Völker 
in  der  alten  Zeit  macht  und  in  Beziehung  hierauf  zu  einigen  bestimm- 
ten Grundsätzen  gelangt.  Die  Kenntniss  der  Schicksale  eines  einzel- 
nen Volkes  reicht  in  dieser  Hinsicht  nicht  aus,  sondern  es  tritt  überall 
in  der  Geschichte,  so  viel  sie  auch  von  den  Kämpfen  der  verschiede- 
nen Volker  zu  berichten  weiss,  doch  eine  gewisse  Zusammengehörig- 
keit einzelner  mit  andern  hervor;  dass  diese  Zusammengehörigkeit 
öfters  auf  Blutsverwandtschaft  beruht,  haben  auch  die  Alten  schon 
erkannt«).  So  ist  es  auch  merkwürdig,  dass  die  alte  Stammsage 
der  Germanen    auf  Einen  gemeinsamen   Stammvater    hinweist  is). 
Diese  Erscheinung  hatte  den  ernsten  Tacitus,   wenn  Sagen   über- 
haupt vor  seinen  Augen  einen  Werth  gehabt  hätten,  leicht  zu  einem 
tieferen  Nachdenken  veranlassen  können.    Jene  Sage   hätte  ihn  m 
ihrem  Fortgange,   wo  sie  von  Mannus  und  seinen  drei  Söhnen  er- 
zählt (*),  im  Vergleiche  mit  dem  griechischen  Mythus  von  den  drei 
Söhnen   des  Deukalion   noch   nähere  Anhaltspunkte  geboten.    Aber 
man  darf  auch  nicht  zu  viel  von  ihm  verlangen,  da  ihm  die  jüdischen 
Urtraditionen  unbekannt  geblieben  waren;  er^  würde  diese  bei  den 
verschiedensten  Völkern  wiederkehrende  Tradition  von  dem  Stamm- 
vater und  seinen  drei  Söhnen  <»)  um  so  weniger  verstanden  haben, 
als  auch  er  der  bei  den  Alten  sehr  verbreiteten  Idee  von  der  Autoch- 
thonie  der  Völker  huldigte  i<). 

So  viel  nämlich  die  alten  Autoren  von  den  Wanderungen  der 
Völker  berichten,  so  macht  sich  doch  otl  genug  bei  ihnen  der  Ge- 
danke geltend ,  dass  das  eine  oder  andere  Volk  in  dem  Lande,  in 


^')  Vergl.  Leo,  Vorlesungen  iiber  die  deutsche  Geschichte.  Bd.  I.  S.  19. 

^')  Tacit.  (term.  e«p.  4. 

**)  Tacit  I.  c.  cap.  3. 

*^)  ^^i^l*  ober  diesen  Mythus  noch  J.  Grimm  u.  a.  0.  S.  S24. 

^^>  Vergl.   meine  deutsche  Reichs-  und  Rechtegeschichte.  4.  Aufl.  |.  14.  Note  14  ii. 

IS.  S.  :»6  u.  f. 

^^  S.  unten  Note  I«. 


524  Phillips 

welchem  sie  es  sesshaft  finden,  im  eigentlichen  Sinne  des  Wortes 
aiitochthon  sei,  d.  h.  ursprünglich  gerade  diesem  Lande  angehöre, 
mithin  nicht  eingewandert  sei.  Bedienen  sich  griechische  Schrift- 
steller eben  des  Wortes  Aürö^^^ov«^,  so  drücken  die  Rümer  densel- 
ben Begriff  durch  die  Bezeichnungen  Aboriglnes  und  Indigenae  aus  i^^, 
während  die  Erstere  nach  neuesten  Forschungen  als  Voiksaamen 
und  zwar  Aborigiues  lautend,  einem  einzelnen  Italischen  Volksstamme 
zugewiesen  wird  i^).  Eben  jener  Anschauung  folgend,  konnte  also 
selbst  ein  Tacitus  vor  anderen  Meinungen  in  Betreff  der  Germanen 
deijenigen  den  Vorzug  geben,  nach  welcher  diese  für  die  eingehor- 
neu  Urbewohner  des  Landes,  in  welchem  die  Römer  sie  antrafen, 
zu  halten  seien  <*).  Den  Alten  fehlte  aber  jede  Ahnung  auch  nur  tod 
der  Möglichkeit  einer  Einheit  des  menschlichen  Geschlechtes;  man 
fragte  immer  nur  nach  dem  Ursprünge  jedes  einzelnen  Volkes,  war 
aber  um  die  Lösung  dieser  Frage  auch  nicht  sehr  bekümmert.  In 
Folge  der  Zersplitterung  und  Spaltung  standen  sich  die  Völker  feind- 
lich, jedes  das  andere  missachtend,  einander  gegenüber;  ja  das  Loos 
der  Sklaverei,  welches  überall  die  Ueberwundenen  traf,  zeigt,  dass 
die  Sieger  jenen  gar  nicht  einmal  den  menschlich  persönlichen  Werth 
beilegten,  sondern  sie  als  Sachen  behandelten.  Die  Feindschaft  der 
Völker  war  aber  zugleich  auch  eine  durch  die  Religionsverschieden- 
heit begründete,  jedes  Volk  hielt  seine  Religion  für  die  wahre,  seine 
Götter  für  die  allein  zu  verehrenden.  So  erachtete  sich  jedes  Volk 
für  das  Volk  und  in  so  fern  für  das  eigentliche  Menschenge- 
schlecht und  sah  mit  Verachtung  auf  alle  Andern,  die  zu  ihm  nicht 
gehörten,  herab.  Auf  das  religiöse  Gebiet  übertragen  hatte  dies  die 
Bedeutung,   dass  analog  mit  den  hierzu  berechtigten  Juden,  sich 


^^)  Serv.  ad  Vii^il.  AeD.  VIU.  328:  Indig^enae  inde  geniti,  quos  rocaot  aboriginei 
Latini,  Graeci  aOr9x<^ovec. 

IS)  8.  Riibino,  Beitrage  zur  Vorgeschichte  Italiens  (Leipz.  1868.)  S.  29.  42.  47.  - 
Vergl.  a«ch  Steph  Byzant  v.  *Aj3o^i*]fiv6;  (ed.  Westermann  p.  5). 

'^)  Tacit.  Germ.  cap.  2.  Diese  Stelle  ist  überhaupt  für  die  Auffassungsweif e  des 
Tacitus  merkwfirdig;  er  sigt:  Ipsos  Gerroanos  indigenas  crediderim  nioi- 
meque  aiiaram  gentium  adventibns  et  hospitiis  miitos,  quia  nee  terra  oHin  sed 
classibus  adrehebantur,  qui  sedes  mutare  quaerebant  et  inmensus  ultra  otq«« 
sie  dixeriro  adversus  Oceanus  raria  ab  orbe  nostro  narihus  aditur.  Quis  praeter 
pericttlum  horridi  et  ignoti  mris,  Asia  aut  Afrira  aut  Italia  retieta  GemaRim 
peteret. 


Die  Einwanderung  der  Iberer  in  die  pyrcnSi^che  HMibinsel.  d25 

tur  das  «Volk  Guttes**  zu  halten,  jedes  einzelne  der  in  der  Reli- 
gimi  getrennten  heidnischen  Völker  sieh  für  das  Volk  der  wahren 
Gotter  hielt. 


IL 

Emwanderong  der  europäischen  Bevölkerung  aus 

Asien. 

Indem  wir  von  den  Nachrichten,  welche  die  heilige  Schrift  über 
den  Ursprung  des  Menschengeschlechtes  und  somit  auch  über  den 
der  einzelnen  Völker  gibt,  einstweilen  absehen,  soll  nur  darauf  hin- 
gewiesen werden,  wie  ganz  unabhängig  von  jenen  die  heutige  Wis- 
senschaft und  zwar  vornehmlich  die  Linguistik  eine  jener  Idee  von 
der  Autoehthonie  ganz  entgegengesetzte  Ansicht  zur  Geltung  ge- 
bracht hat  ^).  Sie  hat  es  festgestellt,  dass  ein  grosser  Theil  der  Bevöl- 
kerung Buropa's,  namentlich  die  Griechen,  Italer,  Kelten,  Germanen, 
Slaven  und  Lithauer  mit  jener  von  Armenien,  Persien  und  Vorder- 
indien Einen  grossen  Volksstamm  bildet.  Dieser  wird  bald  als  Jap  he- 
titischer,  bald  als  Arischer,  Indo-Germanischer  oder  auch 
I  n  d  0  •  E  u  ro  p  S  i  s  c  h  e  r  bezeichnet  *)  und  demselben  als  Heimath  Asien 
uudzwarspecieller  die  iranische  Hochebene  überwiesen.  Nur  darüber 
hat  man  sieh  noch  nicht  geeinigt^  ob  das  ganze  Menschengeschlecht 
von  Einem  Paare  abstamme  und  somit  dort  auch  die  ursprüngliche 


*)  Vergi.  über  dia  Bedeutung  des  Linguistik  in  dieser  Richtung  untev  Andern  anoh 
Jfom Olsen,  Römische  Geschichte.  Bd.  1.  S.  14. 

')  Gegen  jede  dieser  Bezeichnungen  lassen  sich  Einwendungen  erheben;  die 
letzte  derselben  nIndo-Enropliscfi"  darf  man  aber  doch  kaum  in  der  Weise 
festhalten,  dass  man,  wie  Dwight  Whitnej  (On  language  and  the  study 
of  language  p.  201)  die  Indo-Enropier  in  Indien  einwandern  lisst;  auch 
klinge  ea  hefremdlich:  «die  Indo-Germanen  haben  Griechenland  und  Italien 
in  Besitz  genommen*,  da  weder  Inder  noch  Germanen  dorthin  gekommen  sind. 
Da  der  Ifame  Japhetiten  sich  desshalb  nicht  als  ganz  passend  erweist,  weil  wohl 
manche  ron  ihnen  eine  Sprache  reden,  die  zu  einem  anderen  Stamme  gehört,  so 
sfheint  der  Ansdniek:  .irischer  Volksstamm*  fast  der  geeignetste  zu  sein.  Es  ist 
dnher  wohl  zu  bnilgeft,  wenn  W.  Scherer  (Zur  Geschichte  der  deutschen 
Sprache.  S.  2)  die  «Ost-Arier"  und  die,  West-Arier'',  die  Letzteren  als  die  in 
Boropa  eingewanderten  unterscheidet,  ohne  auf  die  Frage  einzugehen,  ob  diese  in 
Betreff  der  Sprache  eine  besondere  Einheit  gebildet  haben. 


526  P  h  i  1  1  i  |i  s 

Heimath  alier  Völker  zu  suchen  sei  *).  Auf  jeden  Fall  ist  man»  wenn 
gleich  Stammes-  und  Sprachen-Einheit  sich  nicht  völlig  decken,  mit 
der  offenbaren  Zusammengehörigkeit  und  Blutsverwandschaft  so  vieler 
Vi)lker  hypothetisch  jener  Idee  um  einen  bedeutenden  Schritt  näher 
gekommen.  Der  Schluss  aus  dem  durch  die  Wissenschaft  Erwiesenen 
auf  jene  ursprungliche  Einheit  ^)  ist  jetzt  wenigstens  nicht  mehr  so 
kühn,  als  es  etwa  vor  sechzig  Jahren  kühn  gewesen  wäre»),  die  Be- 
hauptung aufzustellen:  Slavisch  und  Römisch  seien  nur  zwei  Toch- 
tersprachen einer  und  derselben  ^«Indogermanischen  Grundsprache" 
für  welche  in  neuester  Zeit  sogar  schon  ein  Wörterbuch  verfasst  *) 
und  worin  schon  als  Sprachübung  eine  kleine  Fabel  gedichtet  wor- 
den ist  '). 

In  Betreif  der  Heimath  des  Arischen  Volksstammes  sind  aber 
in  neuerer  Zeit  im  Gegensatze  zu  derjenigen  Meinung,  welche  jene 
in  Asien  sucht,  andere  Ansichten  aufgestellt  worden.  Zu  dem  eben 
erwähnten  Wörterbuche  hat  Theodor  Benfey  auf  Bitte  des  Ver 
fassers  eine  Vorrede  geschrieben,  in  welcher  er  sich  also  vernehmen 
lässt^):  ,,Die  Bemerkung  möge  man  mir  hier  verstatten,  dass  seitdem 
es  durch  die  geologischen  Untersuchungen  feststeht,  dass  Europa 
seit  undenkbaren  Zeiten  der  Wohnsitz  von  Menschen  war,  alle 
Gründe,  welche  man  bisher  für  die  Einwanderung  der  Indoger- 
manen  von  Asien  aus  geltend  gemacht  hat  und  die  wesentlich  auf 
den  mit  unserer  frühesten  Bildung  uns  eingeprägten  Vorurtheilen 
beruhen,  in  ihr  Nichts  zerfallen.^    Demnach  darf  man   sieh  nicht 


*)  Vergi.  Schöaiaan  griechische  Alterthnmer.  Bd.  1.  S.2  —  Mahn,  Denkmiler der 
batkischen  Sprache.  Einleitung  S.  XLI.  — 

^)  Eine  solche  nimmt  wenigstens  als  möglich  Max  M  filier,  Vorlesungen.  Bd  1. 
S.  294  an. 

^)  Dwight  Whitney  a.  a.  0.  p.  1.  u.  ff.  —  Alex.  r.  Humboldt  sagt  in  seines 
Kosmos  Bd.  1.  S.  t34:  „das  Christenthum  hat  hauptsachlich  dasu  beigetragea,  den 
Begriff  der  Einheit  des  Menschengeschlechtes  hervorxunifen,  es  hat  dadureh  aof 
die  Vermenschlichung  der  Volker  in  ihren  Sitten  und  Einrichtungen  Tortheilhall 
gewirkt.* 

")  Aug.  Fick,  Wörterbuch  der  Indogermanischen  Grundsprache.  GötUngen.  1S6S.  — 
A.  Schleicher«  Indogermanische  Chrestomathie.  8. Sit.  sagt  davon  „ist  nur  mh 
Kritik  tu  beniitxen''. 

^)  S.  Kuhn  und  Schleicher,  Beiträge.  Bd.  5.  S.  206  u.  f. 

»)  Seite  IX. 


Ilitf  Ein«-«nderun|r  der  Ilierer  in  die  iiyreniiscke  Halbinsel.  Oi  i 

wundem,  weuii  in  einer  noch  später  erschienenen  Schrift*)  für  Afrika 
die  Ehre  die  Urheimath  des  menschlichen  Geschlechtes  zu  sein,  in 
Anspruch  genommen  wird.   Indessen  wir  wollen  diese  neuesten  An- 
sichten  annoch  auf  sich  beruhen  lassen  und  die   Darlegung  der 
Gründe  abwarten,  welche  Benfey  zu  seiner,  wie  er  selbst  sie  nennt, 
»heterodoxeii*'  Ansicht  hingeführt  haben.    Wir  bleiben  einstweilen 
mit  vielen  Andern  bei  der  Meinung,   dass  Asien  die  Urheimath  des 
Arischen    Volksstammes   und    mit  einer  geringeren   Anzahl  dieser 
Andern  bei  dem  „eingeprägten  Vori^rtheil**,  dass  es  auch  die  Wiege 
des  ganzen  und  zwar  von  Einem  Paare  abstammenden  Menschen- 
geschlechtes gewesen  sei.   Dies   mag  jetzt  von  dem  Standpunkte 
jener  geologischen  Untersuchungen,  auf  welche  sich  Benfey  beruft 
oder  überhaupt  von  dem  der  Naturwissenschaften,  so  wie  von  dem  der 
Linguistik  nach  ihrem  heutigen  Stande,  noch  als  eine  Petitio  principii 
erscheinen,    da   es   auf  wissenschaftlichem  Wege,    besonders   auf 
jenem,  der  zu  der  Entdeckung  der  Arischen  Spracheinheit  gefuhrt 
hat,  bisher  noch  nicht  hat  erwiesen  werden  können  <o).  Indessen  die 
Wissenschaft  hat  —  wenn  gleich  Manche  es  glauben  —  das  Gegen- 
theil  auch   noch   nicht  erweisen  können   und  somit   hat  mau  freie 
Wahl,  der  einen  oder  andern  Ansicht  zu  folgen.  Wer  daher  nicht  von 
jenem   ^Vorurtheih  eingenommen,  aber    auch  nicht  in   eine  dem- 
selben entgegenstehende  wissenschaftliche  Richtung  hineingezogen 
ist,  der  tbut  am  Besten,  unbefangen  und  ruhig  die  weitere  Entwick- 
lung der  Wissenschan  abzuwarten  1 1).    Ohne  ihre  Absicht  ist  sie  zu 


')  Rob.  Schweicbel,  Über  den  gegeowfirtigen  Stand  der  Spraebe  und  Natur- 
forscbuDg  in  Bezug  auf  die  Urgetcbichte  des  Menseben  (Leipzig  1S6S)  S.  16.  — 
S.  nacb  Noe,  die  TorgeschicbtUcben  Zeiten  Europa^t  und  der  europliscben  Völ- 
beracbaften.  (Leoben.  1S6S).  S.  14  ateUt  die  beiden  Vennutbungen  sowohl  die  der 
Herkunft  aus  Asien  als  ancb  aus  Afrika  alt  glelcbberecbtigt  neben  einander. 

i*j  Pott,  Antikaulen.  S.  tll.  Note,  bemerkt  in  dieser  Hinsicht:  „Und  überhaupt 
hat,  wer  Lösung  eines  solchen  Problems  nachhangt,  kaum  ein  glQcklicheres 
ReaulUit  in  Aussicht,  als  die  Sucher  von  der  Quadratur  des  Zirkels  oder  Ton  einem 
Perpetuum  mobile.* 

^0  So  sagt  z.  B.  C.  Schirren,  die  Wandersagen  der  Neuseelfinder  (Riga  1S56.) 
S.  46,  der  sich  gegen  eine  Binwandemug  derselben  aus  Asien  erkifirt,  S.  47:  „es 
wird  Untersuchungen,  welehe  der  Beschreibung  des  Organischen  auf  der  Erd- 
obeHIScbe  nachgehen,  gestattet  sein,  verschiedene  Schöpfungscentren  so  lange 
▼oranssosctsMi,  bis  ein  Centrnm  nach  dem  andern  wissenschaftlich  aufgehoben  und 
die  SebÖpfungskreise  allmXblig  zurfickgefilhrt  bis  auf  einen. ^ 


52.8  Phillips 

der  fruhei*  unerhörten  Thatsache  der  Existenz  eines  Indogermanischen 
Urvolkes  und  einer  Indogermanischen  Grundsprache  gelangt;  jetzt 
aber  ruft  sie»  wie  es  scheint,  doch  etwas  zu  Toreilig:  „Bis  hieher 
und  nicht  weiter!**  ><)  Mag  auch  die  Arbeit  des  grossen  Meisters 
Bopp  über  die  Verwandtschaft  der  malayisch-polynesischen  Spra- 
chen <*)  diese  nicht  erwiesen  haben  und  unter  seinen  Werken  das 
schwächste  sein,  so  darf  darum  doch  nicht  jeder  Versuch  diese  Bahn 
zu  betreten  als  völlig  unberechtigt  zurückgewiesen  werden,  insbe- 
sondere die  zunächst  liegende  Frage  nicht,  ob  eine  Verwandtschaft 
zwischen  den  Arischen  und  Semitischen  Sprachen  stattflnde  <*). 

Sobald  man  sich  für  die  ursprflngliche  Einheit  des  Menschen- 
geschlechtes und  zugleich  dafür  entscheidet,  Asien  als  dessen  Ur- 
heimath  zu  betrachten  i»),  wird  man  zu  dem  Schlüsse  genothigt, 
dass  die  Vorgeschichte  der  Volker  bis  zu  dem  Zeitpunkte,  wo  dann 
endlich  die  historischen  Nachrichten,  hier  froher,  dort  später  be» 
ginnen,  hauptsächlich  in  ihren  Veränderungen  aus  der  asiatischen 
Urheimath  und  in  einer  Reihe  von  Kämpfen,  die  sie  auf  ihren  Wegen 
zu  streiten  gehabt,  bestanden  hat.  Da  demnach  anzunehmen  ist,  dass 
alle  europaischen  Völker  aus  Asien  gekommen  sind,  so  konate 
die  Hauptrichtung  ihrer  Wanderungen  keine  andere, 
als  die  von  Osten  nach  Westen  sein  <•).  Diese  einfache 
Wahrheit  darf  man  bei  der  Beurtheilung  der  Geschichte  jener  Volker 
nie  aus  den  Augen  verlieren.  Gemäss  der  oben  gemachten  Bemer- 
kungen Ober  die  Unzuverlässigkeit  der  ethnographischen  .Auffassun- 
gen der  Alten  i?^,  verdient  daher  eine  Nachricht  derselben,  welche 
von  Wanderungen  der  einmal  nach  Europa  'vorgedrungenen  Völker 


<2)  Vergl.  noch  Schleicher  in  den  Beiträgen  sur  engl.  Sprachforschung  Bd.  t. 
S.  236  u.  r 

*9)  Berlin.  1841.  S.  Th.  Benfey,  ßeschichte  der  Spmchwissenschaft.  Mfinehen 
1869.  S.  SU. 

<^)  Wir  verweisen  hier  auf  den  Streit  zwischen  R.  v.  Räumer  and  Schleicher 
über  die  Verwandtschaft  der  semitischen  und  indoearopiischen  Sprachen. 

*^)  Eine  recht  fassliche  Zusammenstellung  der  über  den  Erdkreis  Tcrbreiteten  Völker  nnd 
Menschen  liefert  Jfilg,  fiber  Wirken  und  Aufgabe  der  Sprachwissenschaft.  Inns- 
bruck 1868. 

U)  Vergl.  A.  V.  Humboldt,  Kritische  Untersuchungen  über  die  historische  Ent- 
wicklung der  geographischen  Kenntnisse  ron  der  neuen  Welt;  fibers.  ». 
Ideler  ,  Bd.  2.  S.  3  u.  f.  —  tirimm  a.  a.  O.  S.  162. 

«▼)  S.  oben  S.  520. 


Die  Ein  Wanderung  der  Iberer  in  die  pyrenüische  Halbinsel.  529 

>on  Westen  nach  Osten  erzählt,  so  lange  keinen  Glauben,  als  sie 
nicht  durch  anderweitige  Thatsaehen  unumstösslich  bewiesen  wird. 
Demnach  halten  wir  uns  mit  unmittelbarer  Anwendung  dieses  Satzes 
aaf  die  Iberer  fQr  berechtigt,  die  Nachricht  des  Strabo  für  falsch 
zu  erklaren,  wenn  er  erzählt,  die  zu  seiner  Zeit  im  Kaukasus  leben- 
den Iberer  seien  dorthin  aus  Hispanien  eingewandert  i»). 

Jene  westliche  Hauptrichtung  der  Wanderung  aller  europäi- 
schen Volker  konnte  sich  nach   Verschiedenheit  der  Verhältnisse 
dahin  modificiren,  dass  sie  bei  manchen  derselben  eine  südwestliche, 
bei  andern  eine  nordwestliche  wurde.  Auch  sind  dabei  Wanderungen 
ron  Süden  nach  Norden  und  ron  Norden  nach  Süden  nicht  ausge- 
schlossen; sie  konnten  leicht  durch  neue  von  Asien  herandringende 
Volker  veranlasst  werden  i«),  wie  z.  B.  wohl  anzunehmen  ist,  dass 
der  finnisch-magyarische  Volksstamm  durch  den  Andrang  der  Ari- 
schen Volker  nach  Norden  und  nach  Süden  aus  einander  gesprengt 
worden  ist  3®).    Das  Letzte  aber,  was  unter  derartigen  Verhältnissen 
geschehen  konnte,  war  die  Wanderung  eines  europäischen  Volkes 
von  Westen  nach  Osten.    Eine  solche  Rückwanderung,   dem  einmal 
gegebenen  Impulse  und  dem  Völkerahdrange  entgegen,  Hesse  sich  in 
der  That  beinahe   einem    aufwärtsfliessenden   Strome    vergleichen. 
Dem  entsprechend  sagt  Jakob  Grimm  ai):  ^Alexanders  Siegeszug, 
die  Kriege  mit  Troja  und  Persien  bezeugen  des  griechischen  Volkes 
alten  Zusammenhang  mit  Asien,  konnten  aber  auf  die  Dauer  keine 
Eroberung  im  Osten  wider  den  Grundtrieb  des  Völkerzuges  gewäh- 
ren''.  Es  begreift  sich  aber,  wie  bei  den  Alten,  denen  jeder  Leit- 
faden in  dieser  Beziehung  fehlte,   eine  grosse  Verwirrung  in  die 
xVachrichten  über  die  Wanderungen  der  Völker  kommen  musste; 
ihnen  war  jede  Richtung  derselben  vollkommen  gleichberechtigt  und 
5ie  liessen  nach  Belieben  jedes  Volk  nach  allen  Weltgegenden,  also 
auch  nach  Osten  wandern,  sobald  sie  dadurch  irgend  eine  historische 
Erscheinung  erklären  zu  können  glaubten. 


*^)  st  rabo,  Geograph.  I.  cap.  3.  n.  21.  p.  51.  'IjBYjpodv  fuv  tmv  igittpitay  tig  rov$ 
"jistp  roO  n^vrov  xed  r^;  Kokyi^og  voizovg  fxera>xc(>p.evei)v. 

**)   Vergleiche  noch  Diefenbaeb^  a.  a.  0.  S.  52. 

^^1  Wegen  der  Verdrängung  der  Finnen  durch  die  Germanen  s.  Diefen  bach  a.  a.  0. 
S.  189. 

2^1   Grimn  a.  a.  O.  S.  163. 

SiUb.  d.  pbU.-hitt.  Gl.  LXV.  Bd.  Hl.  Hfl.  36 


530  Phillips. 


IIL 
Asien  als  die  Urheimath  der  Iberer. 

Nachdem  nunmehr  einige  allgemeine  Prinzipien  über  die  Ein- 
Wanderung  der  europäischen  Volker  in  ihre  Wohnsitze  festgestellt 
worden  sind»  kann  jetzt  speciell  auf  die  Iberer  eingegangen  wer- 
den, die  man  bei  dem  Beginne  der  historischen  Zeit  als  die  Bewoh- 
ner der  Pyrenäischen  Halbinsel  antrifft.  Sie  werden  schon  von  den 
Alten  nicht  als  Autochthonen  dieses  Landes,  sondern  als  Einwande- 
rer bezeichnet.  Insbesondere  hat  Plinius  eine  Stelle  aus  V^arro 
aufbewahrt,  wonach  Iberer,  Perser,  Phönizier,  Kelten  und 
Punier  nach  der  Halbinsel  gekommen  sind^).  Die  Angabe  de$ 
genannten  Schriftstellers  ist  zwar  nicht  ganz  genau,  insbesondere 
möchte  es  nicht  mit  der  Chronologie  zusammenstimmen,  wenn  die 
Perser  und  Phönizier  vor  den  Kelten  genannt  werden  und  sehr 
zweifelhaft  dürfte  überhaupt  die  Ansiedelung  der  Perser  <)  in  His- 
panien  erscheinen.  Da  aber  die  Iberer  in  dieser  Aufzählung  ganz  an 
der  Spitze  stehen,  so  ist  doch  wohl  anzunehmen,  dass  Varro  sie  für 
die  ersten  Einwanderer  gehalten  hat.  Von  woher  sie  aber  nach  His- 
panien  gekommen  seien,  sagt  er  nicht,  und  überhaupt  eigentlich 
Keiner  unter  den  alten  Schriftstellern,  obschon  ihr  Name  öfters  ge- 
meinsam mit  andern  auf  der  Wanderung  begriffenen  Volkern  ge- 
nannt  wird.  Nur  einmal  begegnet  man  der  Vermuthung,  sie  könnten 
aus  Asien  gekommen  sein  *)  was  auch  wohl  Varro  angenommen 
haben  mag,  da  er  sie  in  Verbindung  mit  den  Persern  und  den  Phö- 
niziern nennt.  Viel  häufiger  vernimmt  man  die  oben  erwähnte  Notit, 
die  Iberer  seien  aus  Hispanien  nach  dem  Kaukasus  gewandert  ^). 
Hierüber  seien  noch  einige  Bemerkungen  gestattet. 


9  PI  in.  Rist,  natur.  IM.  1.  n.  8.  In  unirersam  Hispaniam  M.  Varro  perTeniaa«  lb«ro« 

et  Peraat  »t  Phoenicea  Celtasque  et  Poenoa  tradit. 
')  E*  lie^t  auch   nieht  nahe  geuug,  die  vermeintliche  Einwanderung  der  Pen#r  asf 

eine  alte   IVadition  hinsichtlich  der  Oat-Iberer  au  deuten,  deren  Wohnaitae  unter 

die  Herrschaft  der  Perser  gekommen  waren.   Vergl.   noch  die  in  Note  7  m^t- 

fahrte  Stelle  aus  Ste  ph.  Bys. 
S)  Appian.    Mithrid.  cap.  101. 
4)  S.  oben  If.  Note  18.   S.  11. 


Die  Einwanderung  der  Iberer  in  die  pjrrenSiscbe  Halbinsel.  SSI 

Wenn  wirklich  ein  Zusammenhang  zwischen  den  hispanischen 
Iberern  und  denen  des  Kaukasus  bestanden  hat  &),  so  wäre  doch 
jedenfalls  jene  Nachricht,  der  sich  auch  neuere  Schriftsteller  ange- 
schlossen haben  •)»  umzukehren  und  zwar  dahin,  dass  nur  ein  Theil 
der  Iberer  die  asiatischen  Wohnsitze  verlassen  und  von  dort  nach 
dem  äussersten  Westen  Europa*s  gewandert  sei.  Soviel  ist  gewiss, 
dass  die  Alten  zwischen  den  „beiden  Iberien*',  wie  Stephan  von 
Byzanz  sich  ausdrückt  ''),  einen  Zusammenhang  angenommen  haben; 
das  eine  Land  hiess  die  nach  Sonnenuntergang  bei  den  Säulen 
der  Hercules  oder  nahe  den  Pyrenäen  belegene  Iberia  (ij  durcxi^ 
'Ißtipia)  s),  das  andere  wurde  als  Iberien  in  der  Nachbarschaft  der 
Perser  bezeichnet.  Es  ist  wohl  möglich,  dass  die  kaukasischen  Iberer, 
die  iu  den  ersten  Jahrhunderten  christlicher  Zeitrechnung  eine  nicht 
unbedeutende  Rolle  in  der  Kirchengeschichte  gespielt  haben  »),  dann 
aber  unter  den  Georgiern  verschwunden  sind,  mit  denen  in  Hispanien 
in  einer  näheren  Verwandtschaft  gestanden  sind.  Es  zu  zeigen,  dass 
dem  wirklich  so  war,  ist  vornehmlich  die  Aufgabe,  welche  sich 
S.  F.  W.  Hoffmann  in  seinem  Buche:  „die  Iberer  im  Westen  und 
Osten**  i<»)  gestellt  hat;  auch  er  gelangt  dabei  zu  der  Ansicht,  dass 
die  Iberer  im  Westen  aus  dem  Osten  eingewandert  sind  *i).  So  sehr 
vir  auch  in  diesem  letzteren  Punkte  einverstanden  sind  und  so  sehr 
wir  auch  jene  fleissige  Zusammenstellung  aller  vorhandenen  Nach- 
richten Ober  Ost-  und  West -Iberer  anerkennen,  so  scheinen  uns 
diese,  so  gerne  wir  uns  auch  überzeugen  Hessen,  doch  dazu  noch 


^)  S.  Hoff  mann  in  der  weiter  unten  angeführten  Schrift. 

*)  Nach  Weit«,  Unirersalgeachichte  Bd.  1.  S.  127.  wanderten  sie  zuerst  nach 
Spanien  und  dann  zurück. 

^)  Steph.  Byzant.  r.  'Ißispiai. p.  142,  'lj3>7piai$uo,  >i  fACv  npoiraXi  'HpoLxXtiaii 
TriiXoLiq  .  .  .  .  ij  ^'inpa  ^Ißrjpia  rzpog  liioaas  iazL  Die  weiteren  Bemerkungen 
des  Steph.  Byzantinus  beafebrünken  sieb  jedoch  auf  das  hispanische  Iberien,  $o  wie 
anch  bei  anderen  Angaben  ron  Stidten  in  Iberien  immer  nur  Hispanien  gemeint 
ist,  z.  B.  p.  146 :  'lXoup7Cia,  iroXtg  M/^piocf  —  'Ivdix^,  izoXig  ^Ißtipiai 
xXi^aiov  Hitpyivrjg. 

')  Steph.  Byz.  v.  AiivTctTco.  p.  184. 
*)  S.Schrödl  im  Freibnrger  Rircheulezikon.  Bd.  5.  S.  508. 
<*i  Leipzig.  1838. 

'0  Zv  dieser  Ansicht  bekennen  sich  mehrere  Schriftsteller,  z.  B.  Fr  er  et  in  den  M^- 
Bioires  de  TAcad^mie  des  inscriptions  et  des  heiles  lettres  P.  1.  Vol.  XVIII.  p.  78.  ^ 
Petit-Radel  ebend.  P.  11.  Vol.  VI.  p.  S40.  —  Walckenaar.  Encyclo- 
pMlie  dea  gena  du  monde.  Vol.  III.  Art.  Basques. 

36  • 


532  Phillips 

nicht  zu  genügen,  am  die  Stammes-Identität  zu  beweisen.  Cur  welche 
allerdings  aus  dem  Namen  eine  starke  Präsumtion  entspringt.  Die 
aus  jenen  Nachrichten  zu  entnehmenden  Vergleichungspunkte  «*)  sind 
doch  zu  allgemein,  als  dass  sich  nicht  auch  bei  vielen  andern  Stäm- 
men des  Alterthums  Ähnliches  antreffen  liesse.  Wohl  würde  es  etwas 
weiter  greifen,  wenn  ein  solcher  Zug  bei  den  West-Iberern  nach- 
weisbar wäre,  wie  ihn  Tacitus  in  Betreff  des  Friedensbundnisses 
berichtet  i*),  welches  der  ost-iberische  Königssohn  Radamistus 
mit  seinem  Oheim  Mithridates,  dem  die  Römer  zu  dem  Besitze 
von  Armenien  verholfen  hatten,  in  einem  Götterhaine  schloss.  Beide 
Fürsten  trieben  sich  das.  Blut  kunstlich  in  die  Fingerspitzen  hinauf, 
ritzten  diese  auf  und  leckten  dann  gegenseitig  an  ihrem  Blute ;  aber 
selbst  dieses  wäre  nicht  einmal  völlig  entscheidend,  da  auch  der 
skandinavische  Bluttrank  eine  ähnliche  Idee  ausdrückt  ^*).  Leider 
sind  überhaupt  die  Nachrichten  über  den  ost-iberischen  Stamm  sehr 
dürftig,  so  wie  auch  nur  wenig  Namen  aus  ihrer  frühern  Zeit  aufbe- 
halten sind.  Der  Vater  jenes  Radamistus  hiess  Pharasmanes; 
diese  beiden  Namen  nebst  dem  oben  erwähnten  Mithridates  weisen 
sehr  in  das  arische  Sprachgebiet  hinein,  von  welchem  die  Sprache 
der  West-Iberer  fernab  zu  liegen  scheint.  Die  Gattin  des  Radamistus 
hiess  Zenobia;  ein  Name,  der  für  semitisch  gehalten  wird  i»). 
Nicht  bessere  Anhaltspunkte  bieten  die  ost-iberischen  Städtenamen 
Harmozika  (Hermastus),  Seusamora  und  Neoris  <«),  von 
denen  der  erstere  allenfalls  an  Ormuzd  t^),  der  zweite  an  Susa- 
mithres  ^s)  erinnern  dürfte.  Zwischen  Neoris  und  Neotza  *•),  einer 
Stadt  im  Lande  der  west-iberischen  Aoraqitz  ^^),  welche  nachmals 
den  Namen   Nova   Augusta    erhalten  hat,   ist  kein  Zusammenbang 


12)  H  o  f  f  m  a  n  n  a.  ;).  O.  S.  10t. 

<»)  Tacit.    Annal.  XII.  47. 

14)  S.  meine  deutsche  Geschichte.  Bd.  1.  S.  176.  u.  ff. 

1*)  Der  Name   Zenobia   wird   für  semitisch   (Zainab  oder   Zeinab)  gehaltM.  S.  H  a- 

m  a  k  e  r  ,  Orat.  de  Graecis  Latinisque  historicis. 
*•)  S  t  r  a  b  o,  J.  c.   XI.  cap.  3  u.  5.  p.  429.  —  P  I  i  n.  I.  c.  Vf.  %9.  SO.  Jener  rtr- 

schweigt  Neoris,  dieser  Seusamora. 
'7)  Ritter,  Erdkunde.  Bd.  Z.  S.  810.  —  Vergl.  F  orbiger,  Handbuch  4er  alten 

Geographie.  Bd.  2.  S.  448.  Note  53. 
<*)  Pott,  Etymologische  Forschungen  1.  Aufl.  Bd.  1.  S.  Uli. 
^*)  S.  Boudard,  Numismatique  Iberienne.  p.  96.  p.  236. 
><^)  S.   die  Abhandlung:  Über  das  iberische  Alphabet.  S.   12. 


Die  Einwanderung  der  Iberer  in  die  pyrenSische  Halbinsel.  533 

anzuDeliinen  «>).  Am  Bedeutendsten  dürfte  noch  immer  der  Umstand 
sein,  dass  nach  dem  Zeugnisse  des  Plinius  ><)  in  dem  östlichen 
Iberien,  ein  Nebenfiuss  des  Cyrus  den  Namen  Iberus  gehabt  haben 
$oli.  Es  lässt  sich  doch  kaum  glauben,  dass  dieser  asiatische  Ebro 
bloss  eine  Schöpfung  des  Plinius  sei  <>).  Hierbei  möge  noch  bemerkt 
werden,  dass  Avienus  s^),  wenn  anders  seine  Vorstellung  über 
jene  Gegenden  nicht  eine  irrige  ist,  auch  noch  von  einem  andern 
Iberus  im  südlichen  Hispanien  wissen  will.  Wir  erwähnen  bei  dieser 
(lelegenbeit,  dass  im  heutigen  Baskischen  ibai  oder  bibai  die  Bedeu- 
tung „Fluss«<  hat  *9. 

Wenn  wir  demnach  diese  hier  aufgeführten  Umstände  noch 
nicht  für  ausreichend  erklären,  um  damit  die  unmittelbare  Zusammen- 
gehörigkeit der  Ost-  und  West-Iberer  darxuthun,  so  sind  wir  dess- 
halb  doch  eben  so  wenig  geneigt,  dieselbe  Yollig  in  Abrede  zu  stellen 
oder  gar  die  Annahme  einer  solchen  Verwandtschaft  geradezu  für 
eine  ^blosse  Träumerei''  zu  erklären  <•).  Der  Umstand,  dass  die  Ibe-^ 
rer  im  Kaukasus  oifenbar  schon  im  sechsten  Jahrhundert  ror  Christus 
unter  Persischer  Herrschaft  standen  und  ihre  Hauptflüsse  nach  den 
Perserkönigen  Kyrus  und  Kambyses  genannt  wurden,  dass  jene 
Stadt  Hermastus  hiess,  so  wie  endlich,  dass  bei  Einführung  des 
Christenthums  bei  ihnen  ein  Tempel  des  Ormuzd  zerstört  wurde, 
wQrde  immer  noch  nicht  beweisen,  dass  sie  für  ursprünglich  nahe 
Stammverwandte  der  Perser  zu  halten  seien. 

Indessen  wir  wollen  auf  die  unmittelbare  Verwandtschaft  der 
Ost-  und  der  W*est-Iberer  kein  besonderes  Gewicht  legen,  da  unsere 
Ansicht  von  der  Einwanderung  der  hispanischen  Iberer  von  Osten 
und  von  Asien  her  gar  nicht  auf  diesem  Fundamente  beruht ;  um  so 
mehr  können  diejenigen  Iberer,  welche  ihre  Wohnsitze  in  Vorder- 
indien gefunden    haben   sollen   s^),    unberücksichtigt   bleiben   *«). 

*0  Plia  I.  c.  III.  27. 
*«)  P I  i  n  I.  c.  VI.  29. 
'*)  M  a  n  n  e  r  t ,  alte  Geographie.  Bd.  4.  8.  403  halt  diesen  Iberus  für  den  Araius.  — 

S.   Boch  F  o  r  b  i  g  e  r  a.  a.    0.  Note  49. 
^^)  A  T  i  e  n.  Ora  marifc.  r.  254. 
'*)  S.  anten  V.  S.  39. 

**)  So  F  o  r  b  i  g  e  r  bei    P  a  n  1  i ,  Real-EncyklopSdie.  Bd.  4.  S.  40. 
*7)  F  o  r  b  i  g  e  r ,  Handbach.  Bd.  2.  8.  SOO. 
^')  Noeh  weniger  kommen  hier  die  Iberingi  in  Betracht.  For  biger  bei    Pauli 

a.  a.  O.  S.  41. 


534  Phillips 

Waren  jene  Ost-Iberer  wirklieh  ein  Bruderstamm  der  West-Iberer, 
so  wurden  sie  doch  jedenfalls  im  Laufe  der  Zeit  nicht  bloss  raumlich 
weit  von  ihnen  geschieden,  sondern  auch  in  ihrer  Sprache  und  in 
ihren  Staatseinrichtungen.  Ob  sie  einen  Stamm  mit  den  Georgiern 
bildeten  ist  schwer  zu  bestimmen;  auch  sind  sie  nicht  zu  den  Osseten» 
deren  Sprache  zu  dem  eränischen  Sprachkreise  gebort,  zu  zählen'*); 
die  schroffe  Kasteneintheilung,  welche  sich  bei  den  Iberern  findet  ><^)» 
erinnert  freilich  an  die  Zustände  der  arischen  Stämme  Indiens. 

Wir  verlassen  daher  die  Ost-Iberer,  deren  wir  unten  noch  ein- 
mal zu  gedenken  haben  werden  si)  und  wollen  zunächst  noch  auf 
den  Umstand  aufmerksam  machen,  dass  einige  Kirchenväter,  nament- 
lich Hieronymus  >*)  und  Isidorus  *>)  die  hispanischen  Iberer 
für  Nachkommen  des  Tubal  erklären.  Hierin  sind  ihnen  neuere 
Forscher  gefolgt  *^)  und  haben  hiermit  zugleich  den  Namen  jener 
Tibareni  *»)  in  Verbindung  gebracht,  welche  ihre  Wohnsitze  auf 
,  der  Südseite  des  schwarzen  Meeres  in  Pontus  hatten.  Auf  die  Frage, 
ob  die  Iberer  unter  Tubal  in  die  Geschlechtstafel  der  Genesis  ein- 
gereiht werden  ^ürfen,  wollen  wir  uns  hier  nicht  einlassen,  sondern 
nur  auf  die  andere,  ob  jene  Ansicht  durch  etymologische  Grunde  un- 
terstutzt werde.  Den  Uebergang  von  Tubal  in  Tibar  konnte  man 
sich  zur  Noth  noch  gefallen  lassen;  wenn  aber  jene  neueren  Schrift- 
steller weiter  gehen  und  das  anlautende  T  in  Tibareni  für  einen  Ar- 
tikel erklären  >*),  um  auf  diesem  Wege  von  T-ibar-eni  zu  Iberi  zu 
gelangen,  so  scheinen  sie  nicht  bemerkt  zu  haben,  dass  sie  dann 
consequenter  Weise  auch  das  T  in  Tubal  für  einen  Artikel  halten  und 
dann  jenen  Stammvater  der  Iberer  „Ubal*'  nennen  mussten.  Die  Ana- 
logieUy  welche  in  dieser  Beziehung  für  das  Hinwegbleiben  eines  Ar- 
tikels T  angeführt  werden,  können  hier  nicht  entscheidend  sein. 


>*)  S.  Friedr.  Maller.  Über  die  SteUung  des  Osaetiscben  im  ^rAoiscfaen  Spraeb- 

kreise  (Siti.  Ber.  Bd.  36.  S.  3). 
^0)  S  t  r  a  b  o  1.  c.  XI.  cap.  3.  |.  5.  p.  429. 
*i)  S.  unten  8.  38. 

*')  H  i  e  r  o  n  y  m.  Qaaest.  in  Genes.  X.  2. 
<>)  1  •  i  d  o  r.  Etymolog.  IX   2.  29. 
*^)  R  n  o  b  e  1 ,  die  VöUiertafel  der  Genesis.  S.   111   u.   f.  —  Gfrorer,  Urfs- 

schichte  des  menschlichen  Geschlechts.  Bd.  1.  S.  70. 
3»)  F  o  r  b  i  g  e  r  bei  Pauli  a.  a.  0.  Bd.  6.  8.  1925. 
S«)  R  n  o  b  e  1  a.  t.  0.  S.  114. 


Die  Einwanderung  der  Iberer  in  die  pyrenäische  Halbinsel*  d3o 

Was  nun  im  Übrigen  die  Ansichten  der.  neueren  Ethnographen 
anbetrifft,  so  nehmen  Viele  unter  ihnen  die  Einwanderung  der  Iberer» 
wie  überhaupt  aller  europäischen  Völker,  aus  Asien  an»  ja  Diefen- 
bach  erklärt  diess  für  ein  Postulat  <?);  in  früherer  Zeit  hat,  ohne 
es  zu  postuliren.  Niemand  daran  gezweifelt.    Insbesondere  hebt  aber 
Jakob  Grimm  in  seiner  Geschichte  der  deutschen  Sprache  <»)  die 
Einwanderung  aller  europäischen  Völker,  einschliesslich  der  Iberer,  aus 
Asien  hervor.  Ob  es  auf  diese  Yornehmlich  anwendbar  sei,  wenn  er  sagt  : 
nie  weiter  gegen  Abend  wir  ein  Volk  gedrungen  finden,  desto  früher 
hat  es  seinen  Auslauf  begonnen,  desto  tiefere  Spuren  kann  es  unter- 
wegs hinterlassen  haben^,  werden  wir  noch  erst  näher  zu  unter- 
suchen haben.  Grimm  stellt  die  Iberer  nach  den  Griechen,   Italern, 
Kelten,   Germanen,  Litthauern,  Slaven  und  Finnen  als  den  achten 
Hauptstamm  hin  <»),  der  nach  Europa  eingewandert  sei ;  eine  chro- 
nologische  Reihenfolge   ist  jedoch    mit  jener   Anordnung   gewiss 
keineswegs  beabsichtigt  Auch  W.  v.  Humboldt  weist  jene  Ansicht 
nicht  Töliig  von  der  Hand,  indem  er,  freilich  zögernd,  es  als  ein 
Scblussresultat    seiner    Untersuchungen    in    dieser    Hinsicht   hin- 
stellt 4<^):  „wenn  ich   dasjenige,  was  mir  bis  jetzt  darüber  bekannt 
ist,  mit  den  hier  angestellten  Untersuchungen  zusammennehme,  so 
wurde  ich  die  Muthmassung  wagen,  dass  die  Iberer  in  früherer  Zeit 
auch  über  Italien  und  die  Inseln  des  Mittelmeeres  als  Autochthonen 
verbreitet  gewesen  sind,  oder,  wenn  man  einmal  alle  Völker  von 
Osten  nach  Westen  wandern  lässt ,  die  Iberer  sich  von  der  großen 
Völkerstrasse  Thrakiens  südwärts,  die  Kelten  nordwärts  geschlagen 
haben*'.  Wir  werden  alsbald  Gelegenheit  finden,  auf  diese  Worte 
Humboldts  zurückzukommen. 


'')  Oiefenbach,  Origines  Enropaeae.  S.  77 ;  über  die  asiatische    Heimath   der 

Iberer  insbesondere.  S.  110. 
^^)  Grimm  a.  a.  0.  S.  162  (s.  oben  I.  Note  2). 
'*)  Grimm  a.  a.  0.  8.  174. 
**)  W.  T.   Humboldt,  Untersnchnngen.  S.  171. 


536  Phillips. 

IV. 

Untersuchung  der  Frage,  auf  welchem  Wege  die  Iberer 
in  die  pyrenäische  Halbinsel  eingewandert  sind. 

A. 
Einwanderung  der  Iberer  aus  Asien  auf  dem  Landwege. 

Über  den  Weg,  welchen  die  Iberer  auf  ihrer  Wanderung  nach 
Westen  eingeschlagen  haben,  sind  mancherlei  verschiedene  An- 
sichten aufgestellt  worden.  Auch  von  denen,  welchen  Asien  als  der 
Ausgangspunkt  der  Wanderungen  jenes  Stammes  gilt,  wird  die 
Sache  nicht  gerade  so  angesehen,  wie  Humboldt  andeutet,  der  sie  unter 
seiner  hypothetischen  Clause!  von  der  grossen  Völkerstrasse  Thra- 
kiens sich  südlich  wenden  lässt.  Es  wird  vielmehr  von  den  Meisten 
dafür  gehalten,  dass  die  Iberer  ihren  Weg  durch  Illyrien,  Venetien, 
Lombardei,  Piemont  und  durch  das  südliche  Frankreich,  namentlich 
Aquitanien,  über  die  Pyrenäen  nach  Hispanien  genommen  haben  9- 
Es  wird  dabei  vermuthet,  dass  die  Ligurer,  von  den  Kelten  ge- 
drängt, die  Iberer  vor  sich  hergetrieben  hätten,  wodurch  die  Ver- 
anlassung gegeben  worden  sei,  dass  ein  Theil  der  Iberer  sich  vod 
dem  Hauptstock  getrennt  und  seinen  Weg  nach  der  apenninischen 
Halbinsel  eingeschlagen  hätte  >).  Die  zu  diesem  Zweige  gehörenden 
Siculer  seien  dann  wiederum,  von  den.  naehwandemden  Italern 
getrieben,  auf  die  nach  ihnen  benannte  Insel  Sicilien  hinüber- 
gegangen; ausserdem  hätten  aber  die  Inseln  des  Mittelmeeres  später- 
hin von  Hispanien  aus  eine  iberische  Bevölkerung  erhalten,  nament- 
lich seien  von  dort  aus  die  Sicaner  nach  Sicilien  gekommen  <).  In 
dieser  Weise  fasst  Diefenbach  die  Züge  der  Iberer  auf ;  aber  auch 
er,  der  bescheidene  Forscher,  wird  seine  Ansicht  nicht  für  unum- 
stösslich  halten:  es  muss  eben  Jeder,  so  gut  es  geht,  versuchen  aus 
dem  Wirrwarr  der  hierin  confusen  alten  Autoren  herauszukommen  und 
sich  ein  Bild  von  der  Wanderung  des  einzelnen  Stammes  zu  machen. 
Es  bleibt  hier  für  die  Phantasie  ein  grosser  Spielraum  und  es  hat 


1)  Diefenbach,  OrigiDes  Europteae.  S.  HO. 

2)  Diefenbach  a.  a.  0.  S.  99. 

<)  Diefenbach  a.  a.  0.  S.  94,  99,  112. 


Die  Einwanderung  der  Iberer  in  die  pyrenüiscbe  Halbinsel.  K37 

daher  auch  daran  nicht  gefehlt,  dass  man  die  Iberer  zuerst  noch  eine 
weite  Wanderung  nach  den  Polarländern  hat  unternehmen  lassen. 

Es  ist  dies  insbesondere  die  Ansicht  eines  neueren  französi- 
schen Schriftstellers,  Namens  Baudrimont^),  der  seine  Argumen- 
tation zugleich  auf  das  Princip  der  Identität  der  Basken  mit  den  alten 
Iberern  stutzt.  Insbesondere  beruft  er  sich  darauf»  dass  die  Basken 
den  Januar  als  den  „schwarzen  Monat**  (belixilla  oder  ilbaUxa)  be- 
zeichnen und  dass  sie  nur  zwei  Jahreszeiten  in  ihrer  Sprache  unter- 
scheiden, Sommer  (udaj  nämlich  und  Winter  (negua)^  während  sie 
den  FrQhling  ,,den  neuen  Sommer**  (uda  herria)  und  den  Herbst 
„Sommers  Ende*'  (udazkena)  nannten.  Diess  Alles  könne,  bemerkt 
jener  Autor  weiter,  überhaupt  nur  entweder  auf  die  Polargegenden, 
wo  man  eine  Jahreszeit  des  Eises  und  eine  des  flussig  werdenden 
Wassers  habe,  oder  auf  die  tropischen  Länder  passen,  wo  man  eine 
Jahreszeit  des  Regens  und  eine  der  gänzlichen  Trockenheit  unter- 
scheide. Da  nun  die  Iberer  sicherlich  nicht  aus  den  Tropenländern 
gekommen  seien,  so  müssten  sie  darnach,  bevor  sie  nach  dem  Süden 
wanderten,  in  den  arktischen  Gegenden  ansässig  gewesen  sein  ^). 


^)  Baudriroont,  Histoire  des  Basques  ou  Escualdunais  primtUfs.  (Paris  1854). 
p.  72  et  aaW.  p.  164  et  sair.  Die  t  weite  Auflage  rom  Jahre  1S6S  ist  nur  ein  Abdruck 
der  erstereD. 

*)  Im  Einseloen  stützt  sich  der  Verfasser  aaf  folgende  Punkt«:  ne^ttc  bedeute  „mehr 
WMser*  und  uda^  wofür  sich  keine  l^ursel  Boden  lasse,  scheine  su  bedeuten:  „das 
Geschenk  des  W^assers,  die  Jahresseit  des  Wassers** ;  beides  sei  aber  mehr  auf  die 
Polarg^egenden  als  auf  die  Tropen  anwendbar.  Eigentlich  unterscheidet  der  Ver- 
fasser vier  Wandemngsepochen  der  Iberer.  Anflnglich  wohnten  sie  in  einer  nicht 
nfiher  sa  bestimmenden  Gegend  (vielleicht  Indien),  wo  sie  die  Orangutans  und  den 
Elephanten  kennen  lernten.  Alsdann  sogen  sie  nach  dem  Norden  und  wohnten 
etwa  im  funfsigaten  Grade  nördlicher  Breite  bis  zu  den  fiussersten  Polargegenden  und 
zwischtB  65 — 107  Grade  östlicher  Linge.  Hier  lernten  sie  den  schwarzen  Monat 
kennen,  ausserdem  das  Rennthier  (Olena)  and  das  kryptogame  GewSchs  liehen 
woTOB  das  Rennthier  lebt.  Der  Name  dieser  Bezeichnung  habe  sich  in  legen^  einer 
Bezeichnung  rieler  Hautkrankheiten,  erhalten  (z.  B.  legenarra  der  Aussatz,  legen- 
helttü  die  Elephantiasis).  Auch  hatten  sie  dort  Sehlitten,  narra  genannt,  wie  auch 
bei  dei^  Ramptschadalen  narta;  nicht  minder  hatten  sie  den  Hund  Cpottüa),  der 
bei  den  Russen  pes^  pestin,  bei  den  Polen  pie»  und  pieti  heisst.  Auf  dem  Baikalsee 
fischten  sie  den  russischen  Solomanha,  von  welchem  sie  das  Öl  (iinntf,  das  Wasser 
des  Fevers)  bereiteten.  In  der  dritten  Periode  zogen  sie  nach  dem  mittleren  Asien 
und  nahmen  ihren  Weg  zwischen  dem  Aralsee  und  den  Gebirgen  an  der  chine- 
sisehen  Grenze;  hier  kamen  sie  in  Berührung  mit  den  Mongolen  u.  s.  w.  u.  s.  w.. 


538  Phillips. 

Aus  den  Gründen  des  Verfassers  scheint  sich  eher  das  Gegen- 
theil  folgern  zu  lassen.  Jene  Art  der  Eintheilung  des  Jahres  in  zwei 
Zeiten  möchte  doch  offenbar  darauf  hinweisen,  dass  die  Ibero-Basken 
den  Sommer  für  eine  lange,  den  Winter  hingegen  für  eine  kurze 
Zeit  gehalten  haben,  denn  sonst  wurden  sie  Frühling  und  Herbst 
nicht  nach  dem  Sommer,  sondern  nach  dem  Winter  benannt  haben. 
Und  wenn  denn  auch  in  der  Bezeichnung  des  Winters  ein  Hinweis 
auf  Schneefall  liegen  sollte,  so  ist  zu  bemerken,  dass  die  Iberer 
nicht  er^st  nach  den  Polarkreis  zu  wandern  nothig  hatten,  um  den 
Schnee  kennen  zu  lernen,  sondern  dass  sich  ihnen  dazu  in 
Hispanien  selbst  Gelegenheit  bot,  die  ihnen  demnach  den  Winter  als 
Schneezeit  erscheinen  lassen  konnte  <);  dazu  kommt,  dass  im  Baski- 
schen für  -Schnee  und  Regen  dasselbe  Wort  gebräuchlich  ist.  Auch 
Griechen  und  Romer  haben  den  Schnee  nicht  bloss  auf  den  Höhen 
des  Oeta  und  Apennin  gesehen,  sondern  ihn  auch  zur  Genüge  in 
der  Ebene  kennen  gelernt  und  doch  bezeichneten  sie  den  Winter  als 
Regenzeit  ()(c//xeüv,  hiema).  Es  wäre  daher  auch  nicht  so  auflallend, 
wenn  der  baskische  Winternamen  negua''}^  der  einen  Anklang  an 
indogermanische  Sprachen  verräth^),  sich  auf  Schnee  bezöge.  Die 
Bezeichnung  des  Januar  *)  als  schwarzer  oder  dunkler  Monat  kann 
aber  doch  unmöglich  eine  Beziehung  auf  frühere  Wohnsitze  des 
Volksstammes  in  den  Polargegenden  enthalten;  jedenfalls  participirt 

der  December  mehr  an  der  arktischen  Dunkelheit  als  der  Januar,  der 

• 

wegen  der  zunehmenden  Tageslänge  eher  als  der  Monat  des  koro- 


bis   iie   dann   vor  ihrem  Antzuge    nn«    Asien   noch    im  Kaukasus  wohnten.  Hau 

sieht,    der    Verfasser    bat   gerade   in  seinem   arktischen   Norden  die  Tramontaae 

verloren. 
*)  Dafür  geben  schon  viele  Stellen  der  Classiker  Zeugniss.  8.  Plin.  H.  N.  XXXVIil. 

77.   —  Liv.  XXXI.   61.  —    Straho  I.  c.  III.  61.  —  Vergl   auch   Pauli,  Real- 

encyklopadie.  Bd.  3.  S.  1394. 
^)  Negua  beiMt  aber  eigentlich  geradezu  ,  Winter",  während  für  den  Schnee  imBis- 

klschen  das  Wort  elhurra  dient.  Das  Wasser  heisst  ura\    ein  merkwürdiges  Wort, 

über  welches  gelegentlich  noch  ausfBhrlicher  zn  sprechen  ist.   S.  Note  12. 
^)  Vergl.  C  u  r  t  i  u  s  ,  Grund zfige.   S.    284.   nr.  440.    (vi^) ;  das  kirchenslav.  »nept 

kommt  jenem   negu-a  sehr  nahe.   —  Dasselbe  gilt  von  wda;  S.  ebendas.  S.  tiS. 

u.  f.  nr.  300.  (vduip), 
*)  Eine  andere  Bezeichnung  für  den  Januar  Ist :  ürtariUa ;  diess  könnte  WassMmonat, 

Regenmonat  heissen  oder  aber,  wohl  besser,  Jahresmonat,  d.  h.  derjenige  Monat 

filla)^  mit  welchem  das  Jahr  Curtea)  beginnt. 


Die  EinwandeniDg  der  Iberer  in  die  pyreniiscbe  Halbinsel.  539 

menden  Lichtes  hätte  bezeichnet  werden  können.  So  lange  als  keine 
besseren  Grunde  für  die  frühere  arktische  Heimath  der  Iberer  beige- 
bracht werden,  möchte  dieselbe  doch  im  höchsten  Grade  proble- 
matisch bleiben  «^).  Wird  hiermit  zwar  die  Herkunft  der  Iberer  aus 
dem  hohen  Norden  zurückgewiesen«  so  thut  dies  doch  der  Ansicht, 
sie  seien  vom  Norden  her  über  die  Pyrenäen  nach  Hispanien  einge- 
wandert noch  keinen  Eintrag. 

Während  man,  wie  oben  gezeigt,  aus  der  heutigen  Sprache 
der  Basken  hat  folgern  wollen,  die  Iberer  seien  aus  den  Gegenden 
des  Eises  gekommen,  so  hat  eben  diese  Sprache  auch  dazu  gedient, 
um  zu  beweisen,  sie  seien  aus  Ägypten  nach  Hispanien  eingewan- 
dert h).  Man  hat  diess  geschlossen  aus  dem  Worte  „tirtea**  womit 
im  Baskischen  ^das  Jahr**  bezeichnet  wird,  ürtea  aber,  so  argu- 
mentirt  man  weiter,  kommt  her  von  tfra« 2),  d.  i.  „Wasser"  und  diess 
weise  auf  die  jährlich  wiederkehrenden  Überschwemmungen  des  Nils 
hin.  Auch  in  dem  im  heutigen  Baskischen  vorkommenden  Basoa- 
Jaan  hat  man  eine  Andeutung  früherer  Wohnsitze  der  Iberer  in 
Afrika  erkennen  wollen,  indem  man  diesen  „wilden  Herrn*'  für  den 
Orang-Utang  erklärte  <*).  Indessen  dann  könnte  man  auch  die  Wohn- 
sitze der  Germanen,  bei  denen  bekanntlich  „der  wilde  Mann**  eine 
grosse  Rolle  spielt  1*),  so  wie  nach  ihren  Wappen  die  Heimath  ein- 
zelner Fürstenhäuser  nach  Afrika  rerlegen.  Es  sei  damit  nicht  be- 
hauptet, dass  die  Iberer  nicht  vielleicht  ehedem  in  Afrika  gewohnt 
hätten,  sondern  nur  so  viel,  dass  diess  auf  dem  betretenen  etymo- 
logischen Wege  sich  nicht  erweisen  lasse. 


**)  In  Vorübergehen  möge  auch  einer  Anaicht  erwibnt  werden,  welche  R  a  d  1  o  f 
In  Liter.  Verkfindiger.  1813.  Nr.  24  in  Betreff  der  Basken  aafsteilte,  nimlich,  man 
dürfe  rermathen,  die  Basken  seien  in  jener  Urzeit,  als  das  alte  Paradies  Sibi- 
riens mit  seinen  grossen  und  reichen  Schöpfungen  vererdbebnet  und  vereiswfistet 
wurde,  auswandernd  die  Einen  seewfirts  nach  Amerika,  die  Anderen  landwfirts  nach 
Spanien  geflohen. 

* ')  ^^rgl.  C  h  a  h  o  ,  Dictlonaire  basque  etc.  Preface.  p.  54. 

*')  Auch  dieses  Wort  erinnert  stark  an  das  Indogermanische.  Vergl.  C  u  r  t  i  n  s 
a.  a.  0.  8.  213  inf.  n.  510;  besonders  merkwürdig  ist  hierbei  das  in  den  Digesten 
(XIV.  2  im  Titel  de  lege  Rhodia  de  jactn.  I.  4.)  vorkommende  Wort  urinator,  das 
einen  Taveber  beseichnet. 

*')  Ch  a  h  o  ,  Histoire  primitive  des  Euskariens-Basques.  Tom.  5.  prtff.  p.  XL. et  suiv. 

^*)  Grimm,  deutsche  Mythologie.  S.  454. 


540  Phillips. 


Einwanderung  der  Iberer  aus  Asien  auf  dem  Seewege. 

Mit  dem  Hinweis  auf  eine  frühere  Heimath  der  Iberer  im  Süden, 
wird  der  Blick  auf  ganz  andere  Gegenden  hingewendet  und  so  kann 
wohl  der  Gedanke  sich  einstellen,  dass  die  Einwanderung  dieses 
Volksstammes  in  Hispanien  gar  nicht  vom  Norden  ber  über  die 
Pyrenäen»  sondern  etwa  von  der  Seeseite  erfolgt  sei.  Aus  den  Alten 
lässt  sich  in  dieser  Beziehung  keine  irgendwie  directe  Angabe  ent- 
nehmen, denn  die  ganz  allgemeine  Nachricht  des  Varro,  welcher 
von  Phöniziern  und  Karthagern,  die  zur  See,  und  von  Kelten  redet, 
die  über  die  Pyrenäen  gekommen  sind,  bietet  in  BetreflT  der  Iberer 
in  dieser  Beziehung  keinen  Anhaltspunkt.  Die  Nachricht  ferner,  dass 
die  Inseln  des  Mittelmeeres  von  Hispanien  aus  eine  iberische  Bevöl- 
kerung erhalten  haben  sollen «),  wie  namentlich  Ephorus  beiStrabo  die 
Iberer  für  die  zuerst  Gekommenen  unter  den  barbarischen  Völkern 
Siciliens  bezeichnet*),  ist  nicht  entscheidend,  denn  eine  solche  Be- 
völkerung konnte  auch  von  Italien  oder  sonst  seewärts  von  Osten  her 
sich  daselbst  angesiedelt  haben. 

Auch  die  Äusserung  des  Hispaniers  Seneca  in  einem  Briefe, 
den  er  aus  seinem  Exil  auf  Corsika  an  seine  Mutter  Hei  via  schrieb, 
bietet  keinen  gegründeten  Einwand.  Er  sagt<),  es  seien  auch 
Hispanier  dort  eingewandert,  was  sich  darin  zeige,  dass  die  Corsikaner 
ganz  verwandte  Sitten  und  Kleidung  mit  denen  der  Cantabrer 
hätten,  so  wie  auch  in  der  Sprache  einige  Worte  übereinstimmten, 
im  Ganzen  aber  sei  die  Sprache  durch  Einfluss  des  Griechischen  und 
Ligurischen  sehr  von  der  vaterländischen  abgewichen.  Diese  Stelle 
könnte  vielleicht  von  Manchem  in  der  Weise  erklärt  werden,  dass 
die  in  die  pyrenäische  Halbinsel  eingewanderten  Iberer  wiederum 
vor  dem  Andränge  der  Kelten  hätten  weichen  müssen.  Indessen  wir 


1)  Vergl.  D  i  e  f  e  n  b  a  c  h  t.  a.  0.  S.  100  u.  f. 

2)  S  t  r  a  b  o  ,  Geograph.  Lib.  M.  cap.  2.  1.  4.  p.  tU. 

*)  Seneca  Epiat.  8.  ad  Helv.  Transierant  et  Hispaoi  (nach  Coraica),  qaod  et  Btmi- 
litudine  ritua  apparet.  Eadem  enim  tegumenta  capitum  idemqne  genoa  cilceaneatü 
quod  Cantabria  eat ;  nam  totiis  sermo  et  converaatione  Graeconim  Lignramqie  * 
patrio  descirit.  Vergl.   D  i  e  f  e  n  b  a  c  h  a.  a.  0.  S.  101. 


Die  Eiownnderung  der  Iberer  in  die  pjrrentiische  Hiilbinsei.  S41 

giaaben  unser  in  Betreif  der  Wanderungen  der  Völker  oben  auf- 
gestelltes Grundprineip  auch  hier  zur  Anwendung  bringen  zu  dürfen, 
das  Prineip  nämlich,  dass  jene  nicht  die  Richtung  von  Westen  nach 
Osten  sondern  von  Osten  nach  Westen  genommen  habend).  Diess 
führt  hier  zu  dem  Satze,  dass  —  abgesehen  von  dem  früheren  Aufent- 
halte der  Iberer  —  die  Ansiedelungen  dieses  Stammes  auf  den  Inseln 
des  Mittelmeeres  nicht  von  Hispanien  aus  stattgefunden  haben,  son- 
dern der  Einwanderung  der  Iberer  in  diese  Halbinsel  vorausgegangen 
sind.  Wir  würden  daher  unter  Annahme  des  von  den  Iberern  einge- 
schlagenen Seeweges  dafür  halten,  dass,  wenn  anders  die  etwas 
zweifelhaften  Spuren  einer  früheren  iberischen  Bevölkerung  Ita- 
liens i)  sicher  wären,  dieser  Stamm,  nachdem  er  durch  den  Andrang 
anderer  Volker,  die  vom  Norden  her  in  die  apenninische  Halbinsel 
herabkamen,  genöthigt  worden  sei,  Italien  zu  verlassen  und  zur  See 
weiter  zu  ziehen.  Damit  Hesse  sich  Humboldts  freilich  nur  hin- 
geworfener Gedanke,  die  Iberer  hätten  sich  von  der  grossen  Völ- 
kerstrasse  Thrakiens  südlich  gewendet  <),  vereinigen.  Wäre  es 
nicht  zu  bedenklich,  aus  der  Übereinstimmung  von  ein  paar  Namen 
gleich  Schlüsse  zu  ziehen,  so  konnte  man  daraus  auch  einen  Finger- 
zeig für  einen  froheren  Aufenthalt  der  Iberer  in  Italien  entnehmen  ?); 
doch  das  lassen  wir  bei  Seite. 

Wer  also  geneigt  ist  anzunehmen,  die  Iberer  seien  über  das 
Mittelmeer  nach  Hispanien  gelangt,  hätte  dann  noch  die  Wahl,  ob  er 
He  über  Thrakien  und  Illyrien  nach  Italien  ziehen  oder  direct  von 
den  Ostküsten  jenes  Meeres,  unbestimmt  freilich  von  welchem  Punkte 
aijs^),  dieses  befahren  und  endlich  die  pyrenäische  Halbinsel  er- 
reichen lassen  wollte.  In  dem  einen,  wie  in  dem  anderen  Falle  würden 
die  Iberer  gleichsam  als  die  Vorläufer  der  Phönizier  und  der  Griechen 
anzusehen  sein  und  gleich   diesen  Volkern  Italien  und  die  benach- 


*)  Vergl.  oben  II.  S.  10. 

^)  ^c*^!*  Humboldt,  PnifaDg  der  Untersucbaogen.  S.  111.  —  Mabn,  Denk- 
niler  der*  baakiscben  Spracbe,  S.  VII.,  ist  sogar  der  Meinung,  dass  das  nicht-indo- 
earopiische  Element  im  Lateiniscben  iberisch  sei,  was  sieb  aus  den  früheren 
Wohnsitzen  der  Iberer  leicht  erkläre. 

*)  S.  oben  H.  S.  17. 

^)  Vergl.  ▼.  H  u  m  b  o  1  d  t  a.  a.  0.  S.  118. 

*)  Allenfalls  aneh  von  Kleinasien  aus. 


542  Phillips 

harten  Inseln,  vielleicht  auch  afrikanische  Küstenländer,  Hispanien 
und  das  sudliche  Gallien,  theils  vorübergehend,  theils  dauernd  in 
Besitz  genommen  haben.  Jedenfalls  fanden  aber  die  Kelten,  als  sie 
über  die  Pyrenäen  in  die  Halbinsel  hinabstiegen,  die  Iberer  hier 
schon  in  festen  Wohnsitzen  vor  *).  Das  hätte  freilich  auch  dann  ein- 
treten können,  wenn  die  Iberer  vor  den  Kelten  auf  dem  Landwege 
vorausgezogen  wären,  indessen  der  Seeweg  war,  wenn  es  auch  auf 
demselben  viel  Aufenthalt  gab,  offenbar  der  viel  kürzere,  wenigstens 
für  ein  Volk,  welches  auf  seiner  Wanderung  schon  bis  in  die  Nähe 
der  Ostküste  des  Mittelmeeres  gelangt  war.  Aus  diesem  Grunde  wäre 
es  unter  jenen  Voraussetzungen  sehr  wohl  möglich,  dass  der  Auf- 
bruch der  Kelten  aus  der  asiatischen  Urheimath  früher  erfolgt  war. 
als  der  der  Iberer,  diese  aber  dennoch  um  Vieles  früher  nach 
Hispanien  gelangten,  als  jene;  es  würde  demnach  die  oben  erwähnte 
Äusserung  Jacob  Grimm's  über  die  Chronologie  in  der  Wanderung 
der  Völker  eine  Modification  erfahren. 

Es  haben  denn  auch  in  der  That  bereits  in  früherer  Zeit  mehrere 
Gelehrte  die  Ansicht  aufgestellt,  die  Iberer  seien  zu  Schiffe  nach 
Hispanien  gekommen.  Schon  L  e  i  b  n  i  t  z  <<>)  war  der  Meinung,  sie  seien 
aus  Afrika  dahin  gelangt  und  auch  Niebuhr  führt  sie  den  Weg  über 
das  Mittelmeer,  steht  aber  mit  seiner  Ansicht,  die  Kelten  seien 
bereits  vor  den  Iberern  in  die  pyrenäische  Halbinsel  eingewandert  *<). 
allein.  In  neuester  Zeit  haben  auch  französische  Gelehrte,  namentlich 
€hahoi>)  und  Boudard<*)  diese  Ansicht  von  der  Ankunft  der 
Iberer  über*s  Meer  aufgestellt,  sie  sehen  diess  eigentlich  bereits  als 
eine  ausgemachte  Sache  an  i^).   Boudard  hat  sogar  den  Versuch 


*)  8.  unten  S.  U. 

^®)  L  e  t  b  n  i  t  z.  Opera  philosophica  (edid.  E  r  d  m  «  n  n.)  An  dicemu«,  Hiap«- 
ntam  ante  Celtorum  adventum  ab  A-frorum-  propagine  habitatam,  atque  inde  Vas- 
cones  auperfuisse. 

11)  N  i  e  b  a  h  f.  Rom.  Gescbicbte.  Bd.  2.  S.  M)3.  u.  ff. 

1')   Vergl.  C  b  a  b  o  ,  Histoire  primitive  des  Euakariena-Basqaes.  p.  163. 

1')  Boudard,  Numiamatique  Ib^rienue.  p.  2.  Der  Verfasser  beabaicbtlgte  (s.  ebeod. 
Note  4)  diese  Frage  in  einem  besonderen  Werke  zu  behandein,  welches  tbsr  bis 
jetzt  noch  nicht  erschienen  ist. 

i*>  Auch  Broca  bei  Vogt,  Vorlesungen  Bd.  2.  S.  828  entscheidet  sieh  ws 
kraneologischen  Grfinden  dafür,  allein  diese  scheinen  denn  doch  nicht  viel  Sicher- 
heit zu  bieten. 


Die  Einwanderung  der  Iberer  in  die  pyreniiscbe  Halbinsel.  543 

gemacht,  fast  in  der  Weise  der  alten  Autoren  hierbei  die  entschie- 
densten Gegensätze  mit  einander  zu  vereinigen.  Auch  er  hält  dafür, 
dass  Afrika  eine  Zeit  lang  der  Wohnsitz  der  Iberer  gewesen  sei,  von 
wo  aas  sie  dann  sich  in  Hispanien  niederliessen.  Dann  aber  lässt  er 
sie  von  da  aus  zunächst  eine  Wanderung  bis  zur  Loire  und  über  die 
Alpen  machen  und  sich  hierauf  über  Italien  und  die  Inseln  des  Mittel- 
meeres ausbreiten.  Nur  in  Hispanien  haben  sie  sich,  wie  Boudard 
weiter  bemerkt,  gegen  die  Kelten  als  herrschende  Nation  behauptet, 
während  sie  in  allen  jenen  übrigen  Gegenden  andern  Völkern  unter- 
legen sind.    —     Der   neueste    franzosische    Schriftsteller  Garat, 
dessen  Buch :  Origines  des  Basques  de  France  et  d*Espagne  so  eben 
die  Presse  verlassen  hat,  sieht  die  heutigen  Basken  als  die  Nach- 
kommen der  Cantabrer  für  eine  phönizische  Colonie  an,  ohne  sich  auf 
die  Frage,  woher  die  Iberer  stammen,  einzulassen.  Da  wir  die  Frage 
nach  der  Zusammengehörigkeit  der  Basken  mit  den  Iberern  hier  gar 
nicht  behandeln,  sondern   nur  die:  auf  welchem  Wege  die  Iberer 
nach  Hispanien  gekommen  sind?  so  bemerken  wir  Ober  jene  Ansicht 
Garat's  nur  ein  paar  Worte.  Der  genannte  Schriftsteller  ist  auch  der 
Meinung:  die  Cantabrer,  auf  welche  dann  der  Name  der  ihnen  be- 
naehbarteD  Vascones  übergegangen  sein  soll,  seien  zur  See  gekommen 
und  zwar  habe  diese  Ansiedlung  aus  Phöniziern  mit  ihren  semitischen 
Hilfstruppen   aus  Baktriana  und  Sogdiana  bestanden  i»);  diese  letz- 
teren hätten   hier  den  eigentlichen   Kern  der  Bevölkerung  gebildet 
unter  denen  nach  und  nach  die  Phönizier  verschwunden  seien;  eben 
darum  sei  auch  die  baskische  Sprache  eine  semitische.  Die  Ansied- 
lung selbst  sei  aber  in  so  fern  nicht  von  Osten  her  erfolgt,  als  die 
Phönizier  vom  atlantischen  Ocean  aus  sich  in  Biscaya  niedergelas- 
sen hätten. 

Indem  wir  also  die  oben  berührte  Frage  gänzlich  bei  Seite 
lassen»  wird  dennoch  die  andere:  von  woher  und  wie  die  Iberer  auf 
dem  Seewege  nach  der  pyrenäischen  Halbinsel  gekommen?  um  so 
mehr  nahe  gerückt;  ihrer  Lösung  stehen  aber  in  vielen  Einzeln- 
heiten nicht  unbeträchtliche  Schwierigkeiten  hindernd  entgegen,  die 
wohl  nur  durch  tiefgehende  linguistische  Studien  beseitigt  werden 
können.  Insbesondere  kommt  hier  die  weitere  Frage  in  Betracht, 
welchen  Antheil  eine  zuvor  in  Nordafrika  sesshafte  Bevölkerung  an 


^)  Garat  a.  a.  O.  p.  92  u.  f. 


544  Phillips 

der  Occupation  Hispaniens  gehabt  habe?  Die  Stammeseinheit  mit 
dieser  würde  dadurch  an  sieh  nicht  ausgeschlossen,  wenn  auch  ein 
Theil  der  Einwanderer  in  jenem  Lande  nicht  von  Afrika,  wenigstens 
nicht  von  dem  nachmals  Zeugitana  genannten  Lande  her  gekommen 
wäre,  sondern  sich  auf  seinen  Fahrten  gleich  Anfangs  mehr  nordlicher 
gehalten  und  sich  zuYor  auf  den  Inseln  des  Mittelmeeres  nieder- 
gelassen hätte. 

Es  unterliegt  keinem  Zweifel,  dass  längst  vor  den  Phöniziern 
grosse  Schaaren  von  Völkern  von  dem  Orient  aus  das  mittelländische 
Meer,  an  dessen  Küste  sie  von  nachwandernden  Stämmen,  vielleicht 
zum  Theile  von  den  Phöniziern  gedrängt  worden  waren,  durchzogen 
haben  und  bereits  vor  den  Agyptiern  auch  die  ersten  Ansiedler  in 
Nordafrika  gewurden  sind  («).  Diese  Einwanderung  ist  eben  darum 


14)  Vergl.    Qaatremere    »ur  les  Numides  bei  1  u  d  a  •  ^tude  denonatnlive  de 
la    lantfue    pheoicieiine    et    de    la  langve    libjrque.   p.    214:    II  est  certain  qae 
longtemps  avant  retablissement  des  colonies  pheniciennes  aar  les  cdtes  da  nord 
de  TAfrique  les  provioces  septentrionales  de   ce   continent  etaient   occup^es  par 
une  populatton  indig^oe  (?)  et  oomade,  parlant  une  langue  i  part,  qui  probable- 
ment,n*aTait  aucaii  rapport  avev  la  ph^nicien.  L*arrivee  lesTyrienStdesSidontensfor 
les  riva^es  de  rAfriqae,les  rapports  qu*ils  eurent  avee  leura  sauvag«s  vol8iDa,diireat 
faire  connattre  ä  ces  derniers  des  nooTeaux  besoina  ei  par  suite,  iotroduire  dans  lear 
idione  des  terroes  qui  leur  etaient  etran^ers.  Mais  &  coupsAr,ce8  causesoepasassei 
puissants   pour   eneager   ces    nomades  A  qtiitter  leur  idiome  maternel  pour  adopter 
celui    de   ces   marchands   asiatiques   qui   venaient    leur  demander  des   terres  et 
deTsient  bientdt  s*  eriger  en  conquerants  et  en  despotes.  Un  peuple  pastenr  ae 
change  janais  ni   son   laogage  ni  sea  faabitudea;  c^eat  ainai  que  lea  cooqneraats 
arabes  o'oiit  pu  reussir  a  naturaliser  leur  langue  au  niilieu  des  ces  peupladea  qoi 
ocGupent  encore   aujourd*hui   le    nord  de  l'Afrique.  Or  il   a  eziste  et  il  existe 
encore,  de   nos  jours,  un   laogage   qui  est  parle  arec  tres  peu  de  dilTerence  dani 
uoe  immense  etendue  des  pays  depuis  TJ^gypte  jusqu"  aux  ri?ages  de  fOc^an  aUaa- 
tique.    Cet    idiome,    que  dous  d^signons,  k   Pexemple  des  Arabes,  par  le  nom  de 
berbere,  mais  qoi  cbex  lea  naturels  des  paya,  porte  le  nom  de   a  e  h  i  1  a  b  oa 
tamazigt,   ne  reasemble  &  aucun  autre ;  tont  atteste  aoa  antiquit^:  tl  aiaBqBe 
de  beauGoup  de  mots,  que  des  peuples  etrangers  ä  la  vie  paatorale  auraient  iofailli- 
blement  connus ;  il  n*a  ete  dans  cette  contr^e  par  aucun  des  peuples  qui  en  on  fait 
ou  tente  la  conquite.  On   peut  donc  croire,  aTec  toute  apparence  de  y^rite,  qae 
cette  langue  etait  parl^e,  des  les  temps  les  plus  anciens  par  les  peuples  nomades 
repandus   sur  le  continent  de  TAfirique  aeptentrionale.  Probablement  lea  Naoiidee, 
c'est  h  dire  les  Massyliens  et  les  Mass^yliens  employaient  le  mdne  Idiome,  qai, 
malgr^  tant  de  re?olutions  et  des  conquetes,  s^est  maintenu  jusqu'i  nos  jowrs  a?ec 
une  admirable   pers^verance.   —    S.   nocb  M  o  ?  e  r  s ,  Geschichte  der  Phönizier 
Th.  2.  Bd.  368.  u.  ff.    Schröder,  die  pbdnizische  Sprache.  S.  39. 


Die  Einwanderaii(f  der   Iberer  in  die  pyreniische  HalbiDsel.  545 

Dicht  erst  in  die  Zeit  Josua's  zu  setzen,  wenn  es  auch  richtig  ist^dass 
die  Besitznahme  Kanaanes  durch  die  Israeliten  und  durch  ihren  Ver- 
Qichtungskampf  gegen    die  bisherigen    Bewohner  jener  Gegenden 
Veranlassung  zu  neuen  Auswanderungen  geworden  ist,  wovon  sich 
Traditionen  bis  in  yiel  spätere  Zeiten  erhalten  habe^  <7).  So  mag  denn 
auch  Hispanien  bald  nach  jenen  ersten  Auswanderungen  im  weiteren 
Fortschreiten  solcher  Schaarenyon  den  Inseln  oder  von  Afrika  her  er- 
reicht und  in  Besitz  genommen  worden  sein.  Dass  nun  ein,  sei  es  un- 
mittelbarer oder  mittelbarer  Zusammenhang  zwischen  Nordafrika  und 
Hispaniea  und  zwar  ein  solcher  stattgefunden  habe,  der  in  eine  vor- 
phönizischeZeit  zurückreicht,  lässt  sich  in  derThat  aus  verschiedenen 
umständen  entnehmen.  Es  kommen  hierbei   vornamlich   diejenigen 
nordafrikanischen  Stämme  in  Betracht,  welche,  am  meisten  westlich 
wohnend,  vorzugsweise  mit  dem  Namen  der  Libyer  bezeichnet  wer- 
den, obschon  dieser  Name  im  weiteren  Sinne  die  gesammte  Bevölke- 
rung Nordafrikas  von  Aegypten  bis  zu  den  Säulen  des  Hercules  be- 
teiehnet  <«).  Diese  waren,  wenn  man  von  den  südlicher  wohnenden 
ihnen  stammverwandten  Völkern  absieht,  nicht  bloss  Nomaden,  sondern 
grösstentheils  Ackerbauer  und  befanden  sich  überhaupt  in  einem  nicht 
QogOnstigen  Culturzustande  <*).  Auch  besassen  sie  eine  Schriftsprache 
welche  Verwandtschaft  mit  der  phönizischen  hat;  sie  trägt  auch  einen 
älteren  Typus  an  sich,   ob   sie  aber  von  letzterer  unabhängig  und 
nur  mit  ihr  aus  einer  gemeinsamen  Quelle  entsprungen  ist,  *<^)  müssen 
wir  dahin  gestellt  sein  lassen. 

Auffallend  ist  es,  dass  die  Römer  diejenigen  Cülturgegenstände, 
die  ihnen  aus  Afrika  zukamen,  mit  Ausdrücken  bezeichneten,  welche 
der  libyschen  Sprache  entlehnt  zu  sein  scheinen  at^.  In  wiefern 
diese  Sprache,  von  der  nur  sehr  wenige  Kunde  aus  dem  Alterthum 
auf  unsere  Zeit  gekommen  ist,  mit  der  heutigen  Berbersprache,  na- 
mentlich mit  dem  sogenannten  Schilach  oder  Tamazight  oder 
Tamachek'  zusammenstimme,  muss  unsererseits  freilich  dahingestellt 


*^  MoTere. ,  «.  a.  0.    S.   413.   u.    ff.   S.    429. 

S  e  h  r  Ö  d  e  r  a.  •.  0. 
'^  II  o  ▼  e  r  a  a.  a.  0.  S.   863  u.  ff. 
^*)  Movere  a.  a.  0.  8.  401  n.  ff. 
'<»>  II  o  T  e  r  a  a.  a.  0.  8.   407. 
'0  MoTera  •.  a.  0.  8.  410. 

SiUb.  d.  phil.-hiat.  Ol.  LXV.  Bd.  Wh  Hll.  37 


546  Pb  i  1  li  pa 

bleiben,  doch  scheint  es  vermuthet  werden  zu  dürfen  <«).  Kenner 
wollen  auch  in  diesen  eine  Erinnerung  an  semitische  Sprachen  fin- 
den  *<).  Eine  gewisse  Ähnlichkeit  einzelner  Buchstaben  auf  der 
Tuggensis  bilinguis  **)  mit  solchen  aus  dem  Alphabete  des  Tamazight 
kann  man  kaum  in  Abrede  stellen  >»). 

Wir  müssen  uns  daher  darauf  beschränken,  auf  eine  große 
Ähnlichkeit  und  theilweise  wirkliche  Übereinstimmung  zwischen 
nordafrikanischen  und  althispanischen  Namen  hinzuweisen.  Wir 
legen  darauf  kein  grosses  Gewicht,  dass  Ptolomäus  einen  Stamm  in 
Tingitana  unter  dem  Namen  Nect-iberes  erwähnt  <«)  und  dass  ande- 
rerseits in  Hispanien  Namen  vorkommen,  welche  an  Libyen  zu  er- 
innern scheinen.  Dahin  gehört:  Julia  Libyca  bei  Ptolomäus  *7)  und 
Libia  zwischen  Caesaraugusta  und  Legio  VII  *') ;  diesem  Orte,  im 
Lande  der  Autrigonen  belegen,  ist  auch  wohl  die  Münzlegende 
Lbiemkn  <*)  (Libiemekin)  zuzuschreiben;  der  Vollständigkeit  wegen 
möge  auch  Libisosia  «<')  erwähnt  werden.  Doch  wie  gesagt,  hierauf 
scheint  kein  Gewicht  zu  legen  zu  sein;  auffallender  ist  die  Über- 
einstimmung libyscher  und  hispanischer  Namen  in  dem  Gleichlaut 
mehrerer  auf  einander  folgender  Sylben.  Hispanien  hat  sein  Bil- 
bilis'i),  Singilis's),  Illicis«<)  und  Intibilis*^);  dem  steht  gegenüber 


S.  Quatreinere  in  Note  16. 
*')  Fr.    M  u  1 1  e  r ,   linguistischer    Thetl    der    Reise    der  dsterreichischen   Fregatt« 

Norara.  S.  51. 
^^)  G  e  8  e  n  i  tt  s  ,  Scrtpturae  linguaeque  phöniciae  Monumenta.  p.  183.  sqq.  Tab.  19. 

20.  46.  I  u  d  a  s  a.  a.  0.  p.  205.  pl.  51.  ~   Sc  h  r  5  d  e  r  a.  a.  O.  S.  257.  Taf.  4. 
^^)  So  entspricht  z.  B.  das  fl  0),  \\  (l)  und  ^  (t)  der  Tuggensis  gans  diesen  Bnch> 

Stäben  in  dem  Alphabete  des  Tamazight.  Vergl.  Hanoteaui  Essai  de  Grammaire 

de  la  langue  TamiTthek  (Paris.  1860).  p.  8  u.  4. 
>•)  Ptolem.  Geograph  (ed.  Wildberg.  Essend.  1888).  Lib.  IV.  cap.  1.  p.  251,  21. 
*7)  Ptolem.  a.  a.  0.  Lib.  II.  cap.  5.  p.  13  bis  18. 

'B)  1 1  i  n  e  r.    A  n  t  o  n.   p.  394.  —  Vergl.  Hühner,  Inscr.  Hisp.  Lat  n.  439. 
<*)  S.  Leg.  176. 177.  indem  Verzeichnisse  in  derAbhandlung  Ober  das  iber.  Alphabet  S.188. 
'<0)  Plin.   H.  N.  IIL  4.  —  Ptolem  I.e.  p.  128,  3  (Libisoca).   1 1  i  n  e  r.  An  ton. 

p.    446.    —  Vergl.    Hühner    1.   c.   p.   434  a.   n.   323%.   n.  4254.    —   Noch 

Hessen  sich  hinzufügen:  Libnnca   (Ptolem.  L  c.  p.   121,  21),  Libora  (p.  126, 

26),  Libana  (p.  127,  23). 
<1)  Leg.  236. 

*>)  P  I  i  n.  1.  c.  Vergl.  H  üb  n  e  r  1.  c.  p.  272. 
**)  P  1 0  1  e  m.    1.  c.  p.  129.    7. 
<^)  Liv.  XXIII.  29.  VergL  auch  Forbiger,  Handbuch  der  alten  Geographie.  Bd.  3. 

S.  67  und  71. 


Dif    fiinwaDderang  der  lber«r  in  die  pjrreniiacbe  Ualbtosel.  547 

Tibilis  >*)  in  Numidien.  Tingis  <•)  nebst  Igilgilis  *?)  in  Mauretanien: 
dahin  ist  ferner  zu  zählen  Trisidis  «s)  in  Tingitana,  Tigis  •*) 
Githis**).  Thilinis*!).  Nigitimi*«),  Sitiphi*«)  Timici**)und  der  Berg 
Thizibi  «»)  iu  Mauretanien,  während  dort  wieder  ein  Silbis  *«)  und 
Limici  «f)  aufgewiesen  werden  kann.  Manche  Namen  ?on  Orten  in 
Nordafrika  kehren  aber  geradezu  in  Hispanien  wieder;  kennen  jene 
Gegenden  drei  Städte  mit  Namen  Hippo,  so  hat  auch  Hispanien  eine 
im  Gebiete  der  Carpetaner  belegene  Stadt  dieses  Namens.  Dass  diese 
Hippo  nora  heisst  und  demnach  der  Name  als  Femininum  gebraucht 
wird,  während  die  nachmalige  Bischofsstadt  in  Afrika  Hippo  regius 
sich  nennt,  macht  in  dieser  Hinsicht  keinen  Unterschied ;  erseheint 
ja  auch  der  Name  Saguntum  bald  als  Femininum  bald  als  Neutrum  *«). 
An  Hippo  reiht  sich  aber  eine  ganze  Menge  althispanischer  Städte- 
namen an,  welche  sämmtlich  das  Suffix  -ipo  oder  'ippo  haben,  z.  B. 
Acinipo,  Baesippo,  Basilippo,  ColHppo,  Irippo,  Lacippo,  Oiisipo, 
Ostippo,  Serippo,  Ventipo,  in  Betreff  deren  Humboldt  die  Bemerkung 
macht,  dass  er  dafür  keine  irgend  wahrscheinliche  Erklärung  aus 
dem  Baskischen  kenne  *•).  Auch  er  weist  auf  die  auffallende  Erschei- 
nung, dass  mit  Ausschluss  von  Hippo  nova,  alle  diese  Städte  in  der 
Nahe  des  Meeres  und  zwar  vorzugsweise  in  Bätica  belegen  sind.  — 
Eine  in  beiden  Ländern  ebenfalls  wiederkehrende  Endung  und  zwar 
TOD  Stammesnamen  ist  —  uli;  in  Hispanien  z.  B.  Barduli,  Bartuli, 
Torduli  und  MaaauXot »<»),  in  Afrika:  Gaetuli,  Edulii;  dort  wäre  noch 


*^)  P  t  o  1  e  m.    1.  c.  IV.  2. 

'•)  P  t  o  1  e  B.    I.  c.  p.  250,  14.  p.  259,  14. 

'^)P  tote  Ol.    1.  c.  p.  25$,  11. 

'«)  P  t  o  1 «  n.    1.  c.  p.  252,  27. 

^*j  P  t  o  1  e  ■.    I   c.  p.  259,  14. 

^)  P  t  o  1  e  m.    1.  c.  p.  263,  3. 

^t)  Ptolen.    1.  c.  p.  259,  6. 

♦«>  P  t  o  1  e  m.    1.  c.  p.  260,  7. 

^•)  P  t  o  1  e  m.    1.  e.  p.  260,  7. 

^M  P  t  o  1  e  m.    I.  c.  p.  257,  17. 

^^)  P  t  o  1  e  m.    1.  c.  p.  265,  2. 

*•>  8.  Ug.  56. 

*^i  Ptoiem.    I.   c.   U.  5.    p.    123,   24.    —    PI  in.    H.   N.  IV.   20.  34.   —  Verg 

H  i  b  o  e  r  1.  c.  p.  350.  n.  2516  sq. 
^*)  Vergl.  H  ii  b  II  e  r  ,  1.  c.  p.  511. 
^*)  Hainboldt,  Untenucbmigen.  S.  64. 
^)  Diese  enrihot  S  t  e  p  h.   B  y  s.  als  eio  libjsches  Volk. 

37» 


54S  Phillips 

der  Name  der  Stadt  Baetulo  und  der  des  Berges  Edulius  beizufugeo. 
Nicht  minder  ^ind  auffallend  die  hier  wie  dort  häufig  wiederkehrenden 
Ableitungssylben  -et  und  -it,  woran  sich  gewöhnlich  noch  das 
Suffix  anschliesst.  Beispiele  dafür  bieten  Aoibis-it  »<) «  Aor-et  »s), 
Bet-ut»<),  Bastetanit  Carpetani,  Edetani«  Contestani,  Cosetani, 
Lusitani  u.  s.  w.  in  Hispanien,  Tingitani,  Mauretani«  Zeugitani  ia 
Afrika.  Völlig  übereinstimmend  finden  sich  in  beiden  Ländern  die 
Namen  Leptis  ^) ,  Oleastrum  >») ,  Rubricatus  <*) ,  Subur  »^  ^^^ 
Urci  &«)  vor;  an  das  libysche  Cretes  erinnert  Chretima»  an  Collope: 
Collippo,  an  Cotes:  Cotinissa,  anPintuaria:  Pintia»  anSisara:  Sisaraea, 
an  Taladusii:  Talamina»  an  Tingis:  Tingentera,  an  Vacca:  Vaccaei» 
Zilia :  Zili  >•).  Eine  so  vielfache  Übereinstimmung  von  Namen  kann 
doch  nicht  auf  blossem  Zufalle  beruhen,  sondern  sie  nothigt  dazu, 
dass  man  entweder  annehmen  muss,  derselbe  Stamm  habe  sieh 
gleichzeitig  in  Nordafrika  und  in  Hispanien  niedergelassen  oder  er 
sei  von  dort  nach  der  pyrenäischen  Halbinsel  herübergekommen. 


C. 

Excurs  über  die  iberische  Bevölkerung  des  südlichen 

Galliens. 

Auf  dem  Gange  unserer  Betrachtungen  gesellt  sich  nunmehr  aucb 
das  südliche  Gallien  hinzu ;  dass  auch  hier  die  Iberer  ihre  Wohn  sitze  und 


^1)  Le^.  es.  a.  ff. 

*a)  Leg.  77. 

*«)  L«g.  206.  297. 

^^)  Das   afrikaoiscbe   LepUs  iat  bekannt;  das   bispaniscbe  lag  an  recbten  Ufer  4t9- 

Baetis.  Vergl.  H  i  r  t  i  u  s  Bell.  Alei.  571. 
&^)  S.  Ptolem.  1.  c.   4.   14.  —    ein  anderes  Ol.  im  Ikin.  Anton,  p.  399.  --  VcrgL 

Ptolem.  Lib.  iV.  cap.  1.  p.  250,  24. 
^^  S.  Ptolem.  Lib.  IL  6.  IS.  —  VergL  Oesenios,  1.  c.  p.  426. 
'^  SUdt  und  Flass  in  TIngitana  (S.  P  t  o  1  e  m.  Lib.  IV.  cap.  1.  p.  249,  12  p.  252^  16) 

nnd  Stadt  in  Hispanien  im  Lande  der  Laetaner.  (Ptolem.  Lib.  H.  cap.  6.) 
^*)  Wegen   Hispanien  s.  Leg.  296 ;  wegen  Afrika  S.  Ptolem.  I.   c.  IV.  3.  p.  261, 

24 ;  Steph.  B  y  i  a  n  t.  flibrt  nocb  eine  libyscbe  Stadt  Namens   *lrv7nj   (Iclntere 

als  tyrische  Colonie)  an;  der  Name  erinnert  an  den  iberiscben  Volfcsstnmm   der 

Itnci*  Femer  sind   sn  vergleicben   der  Ucubis  In  Baetica  (Bell.  Hisp.   c    7)  mit 

Ucibi  in  Numidien.  S.  Ptolem.  1.  c.  IV.  3.  p.  267,  18. 
&*)  Leg.  306.  307. 


Die  Einwanderung  der  Iberer  in  die  pjrreniitche  Halbinsel.  049 

zwar  vom  sudöstlichen    Winkel    am  Oeean  bis  zur  Rhone  gehabt 
haben,  unterliegt  keinem  Zweifel.    Schon  Herodot^)  kennt   die 
Rhone  hier   als  die  Grenze   und  Skylax  <)    lässt   in  Gallien   bis 
zu  diesem   Flusse  Iberer  und  Ligurer  vermischt  wohnen,   von   da 
an  nach   Osten   nur  die  letzteren.  Dem  entsprechend    bezeichnet 
Arien  US   die  Rhone  als   die  Grenzscheide  zwischen  Iberern  und 
Liguren  s)  und  daher  konnte  auch  Aesehylus  die  Rhone   (als 
Eridanus)  fiir  einen  in  Iberien  fliessenden  Strom  halten^),  so  wie 
man  auch  eben  desshalb  das  Land  im   Westen  der  Rhone  Ibe- 
nen  nannte  &).   Di«  Erscheinung,  dass  das  südliche  Gallien  eine 
iberische  Revolkerung  hatte  •),  llsst  sich  mit  jeder  der  verschiedenen 
Annahmen  in  Betreff  des  Weges,  den  dieser  Stamm  auf  seiner  Wan- 
derung eingeschlagen,  vereinigen.  Zogen  die  Iberer  vor  den  Kelten 
einher,  so  hätten  die  in  Gallien  Wohnenden  die  letzten  Schaaren  auf 
der  Wanderung  gebildet ;  waren  jene  auf  dem  Seewege  gekommen, 
so  lasst  sich  jene  Erscheinung  auch  noch  auf  doppelte  Weise  erkia* 
ren.  Die  Besitznahme  des  sudlichen  Galliens  durch  Iberer  konnte  ent- 
weder so  vor  sich  gehen,  dass  sie  auch  hieher  gleichzeitig  mit  denen 
welche  Hispanien  bevölkerten,  zu  Schiffe  dorthin  kamen  oder  dass  sie 
Ton  der  Halbinsel  aus  über  die  Pyrenäen  zogen,  oder  es  konnte  auch 
allenfalls  Beides  geschehen.    Man  hat  aber  in  dieser  Hinsicht  auch 
eine  ganz  entgegengesetzte  Ansicht  aufgestellt,   die  nämlich,   dass 
erst  im  sechsten  Jahrhunderte  christlicher  Zeitrechnung  das  südliche 
Frankreich  einen  Theil  seiner  Bevölkerung  von  jenseits  der  Pyrenäen 
her  erhalten  habe ;  es  seien  damals  die  Basken  in  das  Frankenreich 
eingebrochen  und  hätten  sich  hier  Wohnsitze  erkämpft  ^).  Allein  ab- 
gesehen von  jenen  Nachrichten  der  Alten»  lässt  sich  noch  ein  anderer 
wichtiger  Umstand  dafür  hervorheben,  dass  es  schon  sehr  frühzeitig 


0  H  e  r  o  d.    I.  168. 

*)  Scjl«c.  Caryand.  Peripl.  Z,  u.  8.  (edid.  K 1  a  o  «  e  n.  Berol.  1S31)  p.  164. 
*)  A  T  i  e  D.    Ora  marik.    v.   609. 

Higus  (Rhodanl)  alreo 

Ibera  tellus  atque  Ligarea  aaperi 

Interaecantur. 

1)  P I  i  B.    fliat.  Bat.  XXXVII.  2. 

*)  S  t  r  a  b  0  ,  Geogr.  Lib.  III.  cap.  4.  f.  19.  p.  138. 

<)  Auch   H  «  in  b  o  I  d  t ,  Unttrauehuogen  S.  92  beseiebnet  Aquitanieii  ala  eine  Fort- 

aeUiiBg  ib«ria«ker  Wobnaitse. 
^)  Hiaftoire  g^n^rale  de  Languedoc.  Tom  I.  p.  821. 


550  '        Phillips 

im  südlichen  Gallien  eine  iberische  Bevölkerung  gab.  Ganz  ähnlieh, 
wie  es  in  dem  in  Hispanien  unfern  von  den  Pyrenäen  belegenen 
Emporium  ausser  der  griechischen  Colonie  auch  noch  eine  einhei- 
mische Gemeinde  gab»  welche  hier  den  Namen  Tonizocose  s)  fahrte, 
finden  sich  auch  in  gallischen  Städten  solche  Doppelgemeinden, 
was  insbesondere  von  Narbo  und  Nemausus  gilt.  Wie  wir  aus  narbo* 
^lensischen  Münzen  wissen^  hiess  die  iberische  Gemeinde  Nedhena*), 
in  dem  heutigen  Nismes  hiess  sie  Nemu  ^^y  Im  Übrigen  können  wir 
in  Betreff  der  Unrichtigkeit  der  Ansicht,  die  Basken  hätten  sich  erst 
im  sechsten  Jahrhundert  nach  Christus  in  Gallien  und  zwar  specieil 
in  Aquitanien  niedergelassen,  auf  Fauriel»  Histoire  de  la  Gaule 
meridionale  ^i)  verweisen,  wo  jene  vollständig  widerlegt  wird. 
Damit  soll  jedoch  keineswegs  in  Abrede  gestellt  werden,  dass  nicht 
damals  und  später  viele  Basken  von  jenseits  der  Pyrenäen  mit  Waffen- 
gewalt in  Frankreich  eingebrochen  seien;  machten  ja  doch  die  vor 
den  Mauren  flüchtigen  sogenannten  Hispani  auch  noch  den  Karolin- 
gern  viel  zu  schaffen.  Übrigens  findet  sich  unter  den  in  der  betref- 
fenden  Verordnung  KarKs  des  Grossen  angegebenen  Namen,  ausser 
Wasco  kaum  einer,  etwa  Zate  ausgenommen,  der  einen  baskischen 
Anklang  hätte  und  auch  bei  diesem  könnte  man,  um  so  mehr  da  neben 
ihm  auch  ein  Zoleimam  genannt  wird,  auf  arabischen  Ursprung 
schliessen  i«). 

B. 

Einwanderung  der  Iberer  aus  Amerika. 

Die  beiden  bisher  entwickelten  Ansichten  über  die  Einwande- 
rung der  Iberer  in  Hispanien  und  Gallien  Hessen  Asien  als  die  Ur- 
heimath  dieses  Stammes  erscheinen  und  somit  denselben  von  dorther 


^)  Boudard,  Numismatique  IberlenDC«  p.  2S5.  u.  ff. 
*)  Boudard,  a.  a.  0.  p.  237. 
10)  Boudard,  a.  a.  0.  p.  151. 
<0  Paris  1836.  4   Vol.    8.    Über  dieaen   Gegenstand    bandelt   Tornebmlicb    VoL   II. 

pag^.  238  Q.  ff. 
<^)  Vergl.  K  a  r  o  I  i  M. ,  Praeceptum  pro  Hispanis.  ann.  812.   (Walter,  Corp,  jar . 
gern.   Tom.   11.   p.   255).   —   L  u  d  o  r.  P.   Prae«.   pro  Hisp.  ann.  815.  (ebesd. 
p.  290.) 


Die  Einwanderung  der  Iberer  in  die  pyrenaieche  Halbinsel.  551 

aus  nach  Westen  hin  seinen  Zug  nach  dem  Abendlande  beginnen. 
Hierbei  konnte  es  einstweilen  ausser  Anschlag  bleiben,  ob  die  Iberer 
vielleicht  auch  noch  in  dem  Asien  und  Europa  benachbarten  Welt- 
theile  Afrika  vorübergehend  Wohnsitze  aufgeschlagen  haben.  Eine 
dritte  Ansicht  schliesst  zwar  Asien  als .  ursprüngliche  Heimath  des 
Stammes  nicht  aus»  lässt  aber  die  Basken  und  damit  voraus* 
setzlich  die  Iberer  aus  einem  ganz  andern  Welttheile,  nämlich  aus 
Amerika  nach  Hispanien  und  somit  von  Westen  nach  Osten  ein- 
wandern. 

Gegen  das  Herüberkommen  eines  Volksstammes  aus  Amerika 
oach  Europa  liesse  sich  von  vornherein  ein  scheinbar  unbedingt  zu- 
treffender Einwand  erheben»  der  nämlich»  dass  es  in  jenen  Urzeiten» 
in  welchen  sich  das  Ereigniss  zugetragen  haben  müsste,  noch  gänz- 
lich an  der  erforderlichen  Schifffahrtskunde  gebrach »  um  die  Aus- 
wanderung von  Amerika  nach  Europa  überhaupt  nur  möglich  zu 
machen.  Dieser  Einwand  ist  von  Denjenigen  leicht  zu  beseitigen» 
welche  dafür  halten»  dass  in  alten  Zeiten  zwischen  Europa  und 
Amerika  noch  ein  grosses  Zwischenland  dagewesen  sei;  man  hat 
demselben  den  Namen  Atlantis  gegeben.  Dieses  Land»  von  welchem 
auch  die  Alten  namentlich  Solon  und  Plato  Kunde  gehabt»  habe 
sich»  so  wird  angenommen,  von  den  Azorischen  Inseln  bis  weit  hinauf 
nach  dem  Norden  erstreckt  und  zum  Übergänge  vieler  Pflanzen- 
gattungen von  Amerika  nach  Europa  gedient;  erst  später  sei  dann 
der  Untergang  dieser  Atlantis  erfolgt.  Uns  steht  über  diese  Frage 
kein  Urtheil  zu ;  Alexander  von  Humboldt  <)  und  in  neuester 
Zeit  Friedrich  Unger  s)  haben  sich  für  die  ehemalige  Existenz 
dieses  Zwischenlandes  ausgesprochen.  Allein  auch  abgesehen  von 
der  Existenz  oder  Nichtexistenz  dieser  Atlantis  scheint  die  Sache 
mit  der'vermeintlichen  Unkenntniss  der  Schifffahrtskunde  allein  doch 
nicht  so  ohne  Weiteres  abgethan  zusein.  Diefenbach»  der  die 
Ansicht  von  der  amerikanischen  Einwanderung  nach  Europa  nicht 
theilt»  lenkt  indessen  doch  die  Aufmerksamkeit  auf  diese  ihm  nicht 


')  Alex,  de  Homboldt,  Histoire  de  la  Geof^raphieda  nouTeau  continent.  Ton.  I. 

p.  IST.  Deutecbe  Übers.  Tb.  US.  155.  u.  f.  S.  163.  S.  424. 
')  F.  Unger,    die  Terichwiindene   Intel  AUantit.    Wien  1860.   —   S.  auch  noch 

P  a  a  ]  i ,  Realencyklopfidie.  Bd.  1 .  Abth.  2.  S.  2034. 


552  Phillips 

ganz  unbedeutsam  scheinende  Frage  hin  «).  Auch  Karl  Vogt  in 
seinen  Vorlesungen  über  den  Menschen,  erklart  sich  gar  nicht  abge- 
neigt an  eine  solche  Einwanderung  zu  glauben  ^)  und  traut  also  sei- 
nen Aifensprösslingen  in  ihrem  damaligen  Entwicklungsstadiuro  doch 
schon  genügenden  Verstand  zu  einem  solchen  Unternehmen  zu.  Es 
mag  seine  Richtigkeit  haben,  dass  in  alten  Zeiten  bei  den  uns  be- 
kannten Völkern  sich  anfanglich  nur  eine  KQstenschifiTahrt  ausge- 
bildet hat,  aber  daraus  folgt  noch  nicht,  dass  sie  bloss  eine  solche 
geblieben  sei.  Die  Seefahrten  der  Phönizier  beweisen  das  Gegenthei) 
und  der  Verkehr,  welchen  Salamon  mit  Ophir  angeknöpft  hatte, 
konnte  keine  blosse  Küstenschifffahrt  sein  »).  Als  solche  können 
auch  nicht  die  Fahrten  von  Hispanien  nach  Irland  gelten,  wohin  der 
Sage  nach  auch  die  Iberer  gekommen  sein  sollten  •),  und  von  ihrer 
grünen  Insel  gelangten  die  Iren  bis  nach  Island  v).  Wer  hat  femer 
den  Normannen  den  Weg  nach  Amerika  gezeigt?  und  doch  fuhren 
schon  im  neunten  und  zehnten  Jahrhunderte  die  kühnen  Söhne  des 
Nordens  nach  dem  erst  späterhin  von  Columbus  neu  entdeckten 
Welttheile  hinüber,  wie  denn  auch  weite  Strecken  der  Ostköste 
Amerikas  mit  Reihen  von  Grabhügeln  bedeckt  waren,  welche  nur 
normannische  Inschriften  trugen  «).  —  Auch  aus  einem  allgemeinen 
Mangel  an  Cultur  bei  den  amerikanischen  Volkern  lässt  sieh  kein 


')  D  i  e  f  e  n  b  «  G  h,  a.  a.  0.  8.  110.  Hier  wird  Fol^eodet  bemerkt:  «Die  Annabine 
einer  BinwaodeniDg  ans  Amerika  über  den  Oeean  wire,  wenn  auch  Mehr,  als  jene 
djnamische  und  nicht  alliunahe  Ähnlichkeit  der  Sprache  (s.  unten)  dorthin  wiese, 
wohl  auch  nur  durch  eine  Überbruckung  des  atlantischen  Meeres  rermitteUt  der 
platonischen  Atlantis  möglich,  auch  wenn  diese  nur  in  einer  Ansahl  tob 
Inseln  Stationen  fSr  die  Ranoes  der  seitdem  gebleichten  Rothhiute  abge^ehea 
haben  würde.  Übrigens  bietet  die  polynesisclle  BeTöIkemng  in  der  sSdliebea 
Wasserwelt  noch  viel  grössere  Wunder.** 

^)  Vogt,  Vorlesungen  Bd.  2.  S.  171. 

^)  Vorausgesetzt  dass  Ophir  in  Indien  zu  suchen  ist  und  nicht  in  Arabien.  Es  ist  di«9 
eine  Controrerse ;  für  Indien  erklfirt  sich  Ritter,  Erdkunde  Asiens.  I.  S.  116. 
202.  für  Arabien   F  o  r  b  i  g  e  r  ,  Handbuch.  Bd.  2.  S.  7S3. 

•)  S.  Nenn  ins,  Histor.  Briton  C.  13.  (edld.  San  Marte.  p.  34).  —  Ver^l 
P  i  c  t  e  t .  Iran  und  Arier  bei  Kuhn  und  Schleicher,  Beitrfige.  Bd.  1- 
8.  95. 

7)  Vergl.  Diefenbach  a.  a.  0.  8.  193.  —  8.  auch  K.  Maurer,  die  Bekeh- 
rung des  norwegischen  Stammes  zum  Christenthume.  Bd.  1.  8.  43  u.  f. 

')  Vergl.   über  diesen  Gegenstand :    Kunstmann,   die  Entdeckung   Amerika*» 
(München  1859.)  8.  25  u.  f. 


Die  EtnwandeniDg  der  Iberer  in  ^die  pyrenfiische  Halbiosel.  So3 

genügender  Einwand  hernehmen ;  der  Zustand  freilich^  in  welchem 
Colambus  sie  zu  Ausgang  des  fünfzehnten  Jahrhunderts  antraf,  würde 
Jenes  bestätigen;  aber  dieser  Zustand  war,  wie  bei  vielen  ins  Hei- 
denthum  versunkenen  Volkern,  der  des  Verfalles  aus  besserer  Zeit  *), 
Ton  welcher  allein  schon  die  grossen  mexikanischen  Bauten  Zeugniss 
geben  <«).  Nicht  bloss  bei  den  Griechen  ging  dem  ehernen  Zeitalter 
ein  silbernes  und  diesem  ein  goldenes  voran,  sondern  hierin  spiegelt 
sieb  die  Geschichte  des  ganzen  Menschengeschlechtes  ab.  Wie  muss 
mam  staunen  über  die  Kunstfertigkeiten  .der  Chinesen  in  frühester 
Zeit  und  wenn  wir  diese  oder  jene  Erfindung  mit  Stolz  in  die  Annalen 
unserer  Geschichte  eintragen,  siehe  da!  die  Chinesen  haben  dieselbe 
schon  vor  Jahrhunderten  gemacht !  Zieht  man  diese  verschiedenen 
Gesichtspunkte  in  Erwägung,  so  wäre  an  sich  eine  Überfahrt,  selbst 
eine  Übersiedlung  eines  ganzen  Stammes,  auch  noch  anders  als 
durch  eine  Atlantis  oder  durch  ein  blosses  Wunder  zu  erklären. 

Wir  bemerkten  schon  oben,  dass  wir  uns  auf  jene  Seite  der 
Sache,  so  weit  sie  sich  auf  die  grossen  auch  noch  postdiluvianischen 
Veränderungen  bezieht,  welche  unser  Erdball  erfahren  haben  mag  ^i), 
aus  Hangel  an  Kenntnissen  nicht  einlassen  können.  Uns  kam  es  nur 
darauf  an,  den  Gedanken  an  die  gänzliche  Unmöglichkeit  einer  Ein- 
wanderung aus  Amerika  zurückzuweisen,  ohne  zu  behaupten,  sie  sei 
geschehen.  Im  Gegentheile  scheint  uns  der  Umstand  entschieden  da- 
gegen zu  sprechen,  dass  sich  bei  keinem  andern  Lande  Europas 
auch  nur  die  leiseste  Veranlassung  findet,  eine  solche  Behauptung 
zu  unterstützen.  Dass  man  aber  in  Betreff  Hispaniens  auf  diese  Fährte 
—  wenn  man  sich  so  ausdrücken  darf-—  gekommen  ist  i<},  hat  seinen 
Grund  vornehmlich  in  der  Ähnlichkeit,  welche  man  zwischen  dem 
Baskischen  und  den  amerikanischen  Sprachen  entdeckt  haben  will  i») : 
auch  diese  sind  wie  jene  agglutinirende  Sprachen  und  beobachten 
in  ihrer  Conjugation  das  Princip  der  Einverleibung.  Wir  sind  der 
amerikanischen  Sprachen  nicht  kundig  und  können  daher  nicht  be- 
urtheilen  wie  weit  diese  Übereinstimmung  reicht.    Wilhelm  von 


*)  Ver^l.  meine:  Vermischte  Schrifteo.  Bd.  1.  S.  SS  u.  ff. 
<®)  Verf i.  Le D o  i r ,  Antiquität  Mezicnines. 
^<)  Vergl.  r,  Humboldt,  Untertoehungren.  8.  174,  175. 

•*)  S.  Job.  S  e  T.  Vater,  Untersucbungeo  über  Amerika*«  Berdlkerung.  Leipig, 
1810.  8.  210. 


554  Phillips 

Humboldt  i')  erkennt  allerdings  auch  eine  gewisse  Ähnlichkeit  an, 
hält  sie  aber  doch  nicht  für  so  gross,  als  dass  daraus  auf  eine  wirk- 
liche gemeinsame  Abstammung  des  Baskischen  und  der  amerikani- 
schen Sprachen  geschlossen  werden  dürfte.  Auch  Steinthal  t«)  hält 
dafür»  dass  diese  Übereinstimmung  eine  bloss  äusserliche  und  daher 
über  die  Frage  nicht  entscheidend  sei.  Eben  so  erklärt  sich  Pott 
gegen  eine  solche  Verwandtschaft,  indem  er  sagt:  is)  ^Anders  frei- 
lich läge  der  Fall,  wenn  das  Baskische  und  irgend  eine  der  amerika- 
nischen Sprachen  eine  solche  Übereinkunft  nicht  bloss  in  Wortbil- 
dung und  grammatischer  Umbildung  überhaupt,  nach  der  rein  gei- 
stigen Seite  hin,  sondern  auch  zugleich  in  deren  hörbarem  Ausdrucke, 
in  den  Lauten,  solchergestalt  offenbarten^  dass  man  hierdurch  der 
Annahme  eines  etymologischen,  d.  h.  auch  genealogischen  Bandes 
zwischen  ihnen  auszuweichen  in  die  Unmöglichkeit  versetzt  würde. 
Dieses  Demonstrandum  harrt  aber  noch  des  Beweises  und  so  weit 
ich  beim  jetzigen  Stande  der  Wissenschaft  glaube  urtheilen  zu 
müssen,  auf  immer  vergebens*'.  Damit  wird  freilich  viel  gefordert, 
vornehmlich  wenn  man  berücksichtigt,  dass  es  gerade  bei  den  ame- 
rikanischen Stämmen  so  häufig  vorkommt;  dass  die  sich  von  einan- 
der absondernden  Zweige  von  Familien  sich  nach  zwei  Generationen 
nicht  mehr  recht  mit  einander  verständigen  können  >*)  und  da 
sollte  noch  Übereinstimmung  im  hörbaren  Ausdruck  und  im  Laute 
zwischen  Basken  und  Amerikanern,  die  sich  vor  Jahrtausenden  ge- 
trennt haben  müssten,  gefordert  werden  können?  Indessen,  es  kommt 
uns  nicht  darauf  an,  eine  Übereinstimmung  zwischen  diesen  Sprachen 
ZU  vertreten  und  bemerken  nur  noch,  dass,  wenn  eine  solche  Über- 
einstimmung wirklich  bestünde,  sie  nicht  nothwendig  durch  eine  Ein- 
wanderung amerikanischer  Stämme  nach  Hispanien  erklärt  werden 
müsste,  sondern  möglicherweise  auch  darin  ihren  Ursprung  haben 
könnte,  dass  aus  der  ursprünglichen  Heimath  Asien  von  verwandten 
Stämmen  sich  die  Einen  nach  Westen  gewendet  haben  und  bis  zum 
äussersten  Abendlande  gewandert,  die  Andern  den  Weg  nach 
Osten  eingeschlagen  haben  und  nach  Amerika  gekommen  sind. 


<S)  Humboldt,  a.  a.  0.  S.  175. 

1^)  8  t  e  i  0  t  h  a  I ,  Clasaification  der  Sprachen.  S.  90. 

*^)  Pott,  die   Ungleichheit  der  menschlichen  Rassen   (Leipa.  u.   Detmold.   1S5S) 

S.  261. 
1«)  Max  M  u  1 1  e  r  ,  Vorlesungen.  Bd.  1.  S.  49  u.  f. 


Die  EinwanderuDg  der  Iberer  in  die  pyreniiaclie  Halbinael.  uSS 

Ausserdem  hat  man  noch  aus  einem  andern  Umstände  eine  Ver- 
wandtschaft der  Iberer  mit  amerikanischen  Stämmen '  entnehmen 
«ollen,  daraus  nämlich»  dass,  wieStraho  ^0  berichtet» auch  bei  ihnen 
wie  bei  diesen  der  Gebrauch  vorkommt»  nach  welchem  nach  einer 
Eotbindung  statt  der  Frau  der  Mann  sich  ins  Bett  legt  und  die  Glück- 
wunsche der  Verwandten  empfängt  <s). 

Schliesslich  mag  bei  dieser  Gelegenheit  erwähnt  werden ,  dass 
man»  auf  die  nämlichen  Grunde  gestützt»  der  Meinung  von  einer  Ein- 
wanderung der  Ibero-Basken  aus  Amerika  die  andere  gegenüberge- 
stellt hat,  die  Bevölkerung  Amerikas  sei  von  den  europäischen  Ibe- 
rern ausgegangen  i*).  Der  vorhin  erwähnte  neueste  Schriftsteller 
über  Ale  Basken»  Garat»  scheint  dieser  Meinung  ebenfalls  zu 
huldigen  20). 

V. 
Namen  der  ältesten  Bevölkerung  Hispaniens« 

Die  Frage  nach  dem  Namen  des  Volksstammes,  welcher  zuerst 
vor  allen  andern  in  die  pyrenäische  Halbinsel  eingewandert,  scheint 
eine  durchaus  verspätete  zu  sein,  da  derselbe  bisher  stets  ohne  alle 
weitere  Bemerkung  als  der  Iberische  bezeichnet  worden  ist. 
Dessenungeachtet  ist  diese  Frage  keineswegs  zu  einer  müssigen  ge- 
worden» als  es  sich  auch  um  die  Erklärung  dieses  Namens  handelt. 
Mit  Rücksicht  auf  die  ursprüngliche  Heimath  des  Stammes  wird  man 
zunächst  darauf  hingewiesen»  auch  den  Ursprung  des  Namens  dort 
zu  suchen  und  sobald  wirklich  eine  Zusammengehörigkeit  der  Ost- 
und  West-Iberer  anzunehmen  ist,  so  konnte  er  auch  in  der  That  nur 
dort  gefunden  werden ;  alsdann  hätte  der  Stamm  den  Namen  schon 
aus  Asien  mitgebracht  und  in  die  neuen  Wohnsitze  verpflanzt  >). 
In  dieser  Hinsicht  ist  schon  die  Gleichstellung  des  Namens  Iberer 


I ')  S  t  r  a  b  o  ,  I.  c.  lU.  c.  4.  f.  17.  p.  137. 

'^)  Vergl.  Eug.  Cordier,  Snr  rorganimtion  de  la  famiUe  che»  leaBasques  p.  12. 
**)  ▼ergl.  darüber :  Dlefenbach,  Celtica.  ü.  2.  S.  14. 
'*)  Garat,  Origine    de§   Basquea.    >-    Baadrimont  1.   c.  p.  175. 
0  Eine  etymologiache  Gleichstellung^  der   beiden  Iberien  und  zwar  durch  eine  Ver- 
mitteJong   mit  dem   alten  Volke  der  Iren  veriucht  P  i  c  t  e  t ,  Iren  nnd  Arier  bei 
Kahn   o.  Schleicher,  BeitrSge  Bd.   1.  S.  94  n.  i.  f. 


556  P  h  i  I  t  i  ps 

und  Hebräer  in  Vorschlag  gebracht  ii^orden  <).  Auf  Heber  *)  als  den 
gemeinsamen  Stammvater  der  Iberer  und  Juden  hat  vornehmlich 
Ewald  in  seiner  Geschichte  der  Juden  hingewiesen  *).  Er  geht 
davon  aus,  dass  der  Name  Hebräer  im  Alterthume  weit  mehr  Stämme 
als  bloss  das  Volk  Israel  umfasst  habe.  „Und  hier  drängt  sich",  be- 
merkt er»  „der  Name  der  noch  etwas  nordlicher  wohnenden  Iberer 
so  unwillkürlich  auf»  dass  wir  nicht  umhin  können,  bei  ihnen  an 
einen  solchen  Zusammenhang  zu  denken.  Ewald  bringt  damit  dann 
noch  weiter  den  Namen  Abraham*s  und  der  Araber  (?)  in  Verbindung 
und  erklärt  demgemäss  die  Iberer  und  ihre  Sprache  für  semitisch : 
es  möge  hei  dieser  Gelegenheit  noch  bemerkt  werden,  dass  im  Kau- 
kasus der  Name  Ihr  auch  noch  in  neuerer  Zeit  eitlen  Juden  bezeich- 
net 5).  Sollte  zwischen  den  Ost-  und  West-Iberern  kein  ethnologi- 
scher Zusammenhang  stattfinden,  so  würde  natürlich  diese  Ansicht 
Ewald's  um  so  weniger  sich  auf  die  West-Iberer  beziehen. 

So  lange  nun  aber  dieser  Zusammenhang  nicht  feststeht,  ist  man 
natürlich  auch  berechtigt,  sich  nach  anderen  Erklärungen  des  Namens 
Iberer  umzusehen.  Brachte  der  Stamm  seinen  Namen  nicht  aus  der  Hei- 
math mit,  so  hat  er  denselben  unterwegs  oder  in  Folge  seiner  Ansied- 
lung  auf  der  pyrenäischen  Halbinsel  erhalten,  in  welcher  Hinsicht  die 
weitere  Frage  entstehen  könnte,  ob  er  sich  den  Namen  selbst  gege- 
ben habe  oder  ob  ihm  derselbe  von  andern  Völkern  beigelegt  worden  sei  ? 
eben  so  möchte  es  fraglich  sein,  ob  „Iberer**  ein  gemeinsamer 
Stammname  gewesen  sei,  oder  ob  vielleicht  der  besondere  Name 
eines  kleineren  Stammes  sich  allmählig  zum  allgemeinen  ausgedehnt 
habe.  Dafür,  dass  der  Name  dem  Stamme  von  andern  Völkern  bei- 
gelegt worden  sei,  spräche  die  Analogie  mancher  anderer  Völker- 
namen, wie  z.  B.  die  Bezeichnung  Germani  wohl  kaum  für  eine 
deutsche  gelten  kann,  sondern  Rir  eine  keltische  anzusehen  ist  *). 
Wenn  dies  aber  auch  bei  den  Iberern  zutreffen  sollte  ?),  so  sehliesst 

2)  S.  oben  IV. 

8)  Genes.,  X.  21.  24.  25;  XI.  16.  17. 

^)  Bd.  1.  S.  3ai  u.  f. 

^)  S.  Eich  wald,  Alte  Geographie  des  casptschen  Meeres.  Berlin  1S38. 

*)  Grimm,  Geschichte  der  deutschen  Sprache.  S.  707.  —  S.  auch,  wenn  gleich  in 

der  Erklärung  abweichend,  Z  e  u  s  s  ,  Grammatica  celtica.  p.  785.  Note  **. 
"^y  Dies  nimmt  Pott,  Etymologische  Forschungen.   1.  Aufl.  Th.  2.  S.  137.  2.   AuS. 

H.  2.   S.  S72  an ;  ebenso  D  i  e  f  e  n  b  a  c  h  ,  Celtica.  II.  S.  5,  indem  beide  dea 

Namen  für  keltisch  halten. 


Die  Einwanderung  der  Iberer  in  die    pyreniiiche  Hutbinsel.  557 

dies  doch  nicht  aus,  dass  der  Name  nicht  aus  deren  eigener  Sprache 
entlehnt  sein  konnte.  Was  die  Ausdehnung  eines  Einzelnnamens  auf 
den  ganzen  Stamm  anbetrifft^  so  bietet  auch  dafür  die  Geschichte 
manehe  nahe  liegende  Beispiele.  Tacitus  behauptet  auch  dies  von 
dem  Namen  Germani,  die  Franzosen  bezeichnen  die  Deutschen  noch 
jetzt  als  Aliemands,  in  Ungarn  heissen  die  Deutschen  Schwaben»  in 
der  Türkei :  Franken. 

Als  ersten  Anhaltspunkt  zur  Erklärung  des  Namens  Iberer  bietet 
sich  jener  grösste  Fluss  der  Halbinsel:  Iberus  oder  Hiberus;  hat  der 
eiawandernde  Stamm  ihm  seinen  Namen  gegeben  oder  ist  der  Name 
des  Flusses  die  Veranlassung  zur  Bezeichnung  des  Stammes  ge- 
wesen? Zunächst  Humboldt  erklärte  sich  fQr  das  Erstere.  Sollte 
sich  aus  entscheidenden  Gründen  der  Zusammenhang  des  Baskischen 
mit  dem  Iberischen  bewähren»  so  hätte  es  allerdings  den  Anschein, 
als  ob  jene  Sprache  mit  Erfolg  zur  Erklärung  des  Namens  Iberer 
benutzt  werden  könne.  Im  Baskischen  nämlich  heisst  ibai  oder 
kibai  „Fluss**,  mit  dem  sufiigirten  Artikel  a:  ibaya  „der  Fluss**;  es 
wäre  dies  also  der  Fluss  xar*  i^o^nv,  wie  auf  Sicilien  der  Aetna 
il  monte  heisst.  Humboldt  ^)  zieht  zum  Vergleiche  noch  den  Namen 
des  Ibia  •),  eines  im  Nordwesten  Hispaniens  in  den  Ocean  sich  er- 
^iessenden  Flusses  und  die  beiden  Städtenamen  Ibylla  i*)  und  Iba<i) 
herbei;  letzterer  findet  sich  auch  auf  Münzlegenden  i^).  Ausserdem 
gedenkt  derselbe  Autor  der  baskischen  Worter:  ibarra  „das  Thal"* 
und  ihilU:  „sich  fortbewegen»  gehen**.  Demnach  wurde  man  —  um 
uns  noch  für  einen  Augenblick  auf  dem  baskischen  Sprachgebiete 
aufzuhalten  —  in  der  Wurzel  t6,  auch  ohne  sie  mit  der  deutschen 
ah  gleichzustellen»),  den  Begriff  „des  abwärts  sich  Neigenden**  er- 
kennen dürfen  und  ibaya  wäre  der  abwärts,  thalwärts  hinab  sich  be- 
wegende Fluss.  Man  braucht,  wollte  man  den  Flussnamen  Iberus  aus 
dem  Baskischeu  erklären,  nicht  mit  Astarloa  zu  dem  Worte  ibaya 


*>  Verf I.  H  a  m  b  o  I  d  t ,  Onteriachoagea  S.  60  u.  f. 

*)  Pomp.  Heia,  HI.  1.  9.  •-  W«§  et  für  ein  Bewandtnies  mit  dem  Iberus  australia 
hat  (s.  oben  8.  533),  mäsaen  wir  auf  eich  beruhen  laaaeo. 
<•)  Stepb.  Bya.  Ethnic.  p.  143. 

<0  LiT.  xivni.  tl. 

'')  Bondard,  Nomiamatiquo  Ib^rienne.  p.  202. 

<*)  VergL    Z  7  r  o    in  Knhn*a    Zeilaehrift    für   vergleiehende    Sprachkunde.    Bd.    2. 
9.  439.  n.  ff. 


558  Phillips 

(Fluss)  noch  eroa  (schäumend)  hinzuzufügen  i^)  oder  es  als 
nothwendig  anzunehmen,  die  Griechen  hätten  zur  Vermeidung  des 
Triphthongen  ein  euphonisches  r  eingeschaltet.  Das  Wort  ibar  bedeutet 
MThal**»  denn  im  obigen  ibarra  ist  a  der  Artikel,  vor  welchem  das  r 
regelmässig  verdoppelt  wird  i«).  Es  wäre  daher  möglich,  dass  die 
Griechen,  als  sie  die  Urbewohner  Hispauiens  kennen  lernten  und  die 
Worte  ibar  und  ibai  vernahmen,  jene  als  ''Ißiop^sg  oder  auch  ''Ißr^p-ot 
und  das  Thalland,  in  welchem  sie  dieselben  antrafen,  'I/3np*ea  und 
darnach  auch  den  Fluss  'Ißi^p  nannten  i*).  Diesen  Namen  'Ißr^fie^ 
kennt  schon  Hekatäus  <?)  ums  Jahr  500  vor  Christi  Geburt,  aber  wir 
wüssten  damit  doch  nur  so  viel,  wie  die  Griechen  den  Stamm  ge- 
nannt haben,  nicht  aber  mit  Bestimmtheit  ob  dieser  sich  nicht  selbst 
mit  einem  andern  Namen  bezeichnete.  Es  werden  nun  im  Laufe  der 
Zeit  eine  grosse  Menge  einzelner  Stammes-  und  Gemeindenamen 
von  den  alten  Autoren  erwähnt  und  da  wäre  es  denkbar,  dass  auch  der 
der  Iberer  anfänglich  nur  ein  solcher  einzelner  Stammname  gewesen 
sei,  der  erst  allmählig  seine  Ausdehnung  auf  das  ganze  Land  erhal- 
ten habe.  Dahin  scheint  eine  Bemerkung  des  Strabo  zu  zielen,  welcher 
sagt,  dass  eigentlich  nur  das  Land  zwischen  dem  Ebro  und  Pyrenäen 
Iberien  genannt  worden  sei  i«).  Allein  derselbe  Schriftsteller  <*)  ge- 
braucht nicht  nur  selbst  den  Ausdruck  'Ißnpea  fortwährend  für  die 
ganze  pyrenäische  Halbinsel ,  sondern  erzählt  auch  noch  obendrein 
dass  mit  diesem  Namen  einstmals  alles  Land  im  Westen  des  Rhodanus 
bezeichnet  und  erst  später  darunter  nur  das  Land  im  Süden  der 
Pyrenäen  verstanden  worden  sei  ><>).  Die  Römer  gebrauchten  die  Be- 
zeichnungen Iberia  und  Hispania  abwechselnd  *9*  ^^^  Sache  hat 
sich  indessen  allmählig  dahin  gestaltet,  dass,  während  die  Griechen 


1^)  Vergl.  Humboldt,«,  a.0. 

'*)  Vergl.  T  »  o  E  7  §  § ,  Ems!  d*anc  granmaire  de  U  Ungue  basque.  p.  S. 

**)  Aucb   möge  bemerkt  werden,  daes  e§  in  den  baekiachen  Provinaen  mehrere  hieber 

gehörige  Peraonennamen  gibt,  s.  B.  lbürrüf^lb*rrondo  von  ibär  und  ontfe(daafraaz. 

touehe)  oder  ondocn,  (aupreti)  and  IbMtabäi  (Thal-offen,  Thal-flach). 
17)  H  e  e  a  t. ,  11—18  (ed.   K  I  a  u  a  e  n.   Berl.  1831.)  p.  44  sqq. 
1«)  Strabo,  1.  c.  Lib.  III.  cap.  4.  |.  19.  p.  188. 
'*)  S.  oben  8.  5tl.    p.  164.  Vergl.   8  c  y  1  a  c.  Periplus.  n.  2. 
SO)  Vergleiche    A  r  t  e  m  i  d  o  r   bei    Stepb.    B  7 1  a  n  t.    t.    *lßi9ptot.  p.    liS.    — 

Vergl.  aoch  Humboldt,  a.   a.   0.   8.   61.  —  Banmatark,  Hiapaai«    bti 

Pauli,  Roalencyklopidie.   Bd.   8.    S.   1892. 
««)  Horat. ,  Od.  IV.  «.  27. 


Die  Einwanderung  der  Iberer  in  die  pyrenaische  Halbinsel.  559 

Ton  den  beiden  Iberien  sprechen,  die  Romer  deren  abendländiscbes 
Iberien  lieber  Hispania  nannten  ><). 

Beror  wir  uns  jedoch  mit  letzterem  Namen  des  Näheren  be- 
schäftigen, ist  es  noch  erforderlich  auf  eine  Bezeichnung  der  pyre- 
Däisehen  Halbinsel  oder  eines  bedeutenden  Theiles  derselben  auf- 
merksam machen,  die  riel  früher  als  selbst  ^Ißr^pia  gebraucht  wird. 
Die  Phönizier  nämlich  scheinen  dem  Stamme,  beziehungsweise  dem 
Lande,  Tielleicht  auch  dem  Flusse,  weicher  nachmals  Baetis  hiess, 
den  Namen  Tharsis  gegeben  zu  haben  **),  denn  gerade  ihre  Fahrten 
naich  Tharsis  waren  unbedingt  nach  Hispanien  gerichtet.  Das  öfters 
in  der  heiligen  Schrift  vorkommende  Tharsis  >^)  ist  jedenfalls  keine 
Stadt,  sondern  ein  Land;  die  Tharsis-Fahrten  der  Juden  unter 
Salamon  und  seinen  Nachfolgern  weisen  bald  nach  dem  Osten,  bald 
Dach  dem  Westen  hin  >») ;  Tharsis  war  aber  eines  der  Hauptländer, 
nach  welchen  die  Phönizier  ihren  Handel  trieben  und  nur  mit  deren 
Hilfe  konnten  auch  die  Juden  dahin  gelangen.  Wenn  also  bisweilen  auch 
eine  Fahrt  nach  Osten  —  Ophir  sei  in  Indien  oder  Arabien  zu 
suchen  >•)  — Tharsisfahrt  genannt  wird,  so  kann  dies  nur  uneigentlich 
geschehen,  indem  sie  eben  auf  grossen  phönizischen  TharsisschifTen 
unternommen  wurden  s?).  Ist  nun  mit  dem  Ausdrucke  Tharsis  nicht 
ganz  Hispanien,  sondern  nur  ein  Theil  davon  gemeint,  so  ist  dies 
Turdetania,  das  nachmalige  Baetica.  Indem  wir  hierauf  bei  anderer 
Gelegenheit  zu  sprechen  kommen  werden,  möge  hier  nur  auf  den^ 
Umstand  noch  aufmerksam  gemacht  werden,  dass  Tharsis  auch  einer 
derjenigen  Namen  ist,  welcher  sich  auf  der  Völkertafel  der  Genesis 
vorfindet  >«).  Man  hat  diesen  Tharsis  als  den  Stammvater  der  »Tyr- 
senen,  Etrusker  oder  Tusker**  gedeutet  und  damit  den  etruskischen 
Heros    eponymus,    Tarko   oder  Tareso,  die  etruskische  Stadt 


*^)  So  Mmeatlich  Tacitus.  8.  Annal.  VI.  89.  sqq.  XU.  4. 

'*)  S.  M  o  T  e  r  •  ,  Geschichte  der  Phöniiier.  Bd.  2.  Th.  2.  S.  592  n.  ff. 

*^>  3.  R  c  ;.  X.  22.    —  2.  P  •  r  a  I  i  p.  IX.   21 ;  XX.   36.  37.  J  n  d  i  t  h.  II.  13.  — 

Psalm.  XLVn.   8;   LXXI.   10.  Isai  II.    16.  —   J  e  r  e  m.  X.  9.  —Stech. 

XXXVIII.  13.  —  Jon.   1.  3;  IV.  2. 
**)  Ver^l.    Weite   im   Freiburger  KirchenlexUlon.    Bd.    4.    8.    854.    (Handel   der 

Hebrier.) 
**)  8.  oben  8. 552. 

*')  M  0  ▼  e  r  •  ,  a.  a.  0.  Bd.  3.  Th.   1.  8.   164.  a.  ff. 
**)  Genes.,  X.  4.  —  1   P  a  r  a  I  i  p.,  I.  7. 


560  Phillips 

Tarconia  und  Tarquinii»  so  wie  die  bispanische  Tarrago  in  Ver- 
bindung gebracht  ^v).  Wir  fugen  noch  hinzu',  dass  die  Namen  Tar- 
cinus,  Targellius,  vielleicht  auch  Tarquinius  sich  auf  hispanischen 
Inschriften  finden  *<»)  und  lassen  im  Übrigen  die  Richtigkeit  jener 
Annahmen,  die  auf  einen  Zusammenhang  der  Iberer  mit  den  Etrus- 
kern  hindeuten  würden,  mit  allen  ihren  übrigen  Consequenzen  einst- 
weilen auf  sich  beruhen. 

Was  nun  den  Namen  Hispania  anbetrifft»  so  kommt  derselbe 
nicht  Yor  dem  zweiten  punischen  Kriege  vor.  Es  fragt  sich,  weicher 
Sprache  dieser  Name  angehört.  Humboldt  führt  die  ihm  selbst  wenig 
zusagende  Erklärung  Ästarloa*s  durch  das  baskische  „ezpana**  an<<), 
welches  so  viel  als  «Lippe'',  «Saum**  bedeute  und  es  wäre  dem- 
nach das  Land  so  genannt  worden,  weil  es  gleichsam  der  Saum 
Europas  sei.  Eher  konnte  noch  ein  Hinweis  auf  die  imBaskischen 
häufig  vorkommenden  Sylben  -asp  ^esp  -isp  und  ^osp"  statthaft 
seinss),  worin  man  etwas  „Dahinter,  Fernliegendes'*  erkennen  will; 
allein  man  würde  sich  bei  diesen  in  eine  Menge  nutzloser  Ver- 
muthungen  verlieren;  doch  möge  es  bemerkt  werden,  dass  diese 
Sylben  sich  auch  sonst  noch  in  Namen  aus  romisQher  Zeit 
in  Hispanien  vorfinden  z.  B.  A9palnca  <<),  Corentispo  <^),  Hüpalü, 
Bospo  *»),  Orospeda,  Auch  hat  man  wohl  die  Erklärung  des  Namens 
Hispaniens  aus  dem  phönizischen  oder  punischen  Worte  Span  ent- 
nehmen zu  können  geglaubt;  dasselbe  bedeutet  nämlich  ^^Kanin- 
chen*', an  welchen  Thieren  insbesondere  Südspanien  und  die  Balearen 
einen  solchen  Oberfluss  hatten,  dass  derselbe  allerdings  den  Kartha- 
gern auffallen  konnte  ><).   Vielleicht  Hesse  sich  noch  ein   anderer 


*•)  K  n  o  h  e  1 ,  4i«  Völkertafel  der  Geneiis.  8.  56  a.  f. 

S<»)  H  a  b  n  e  r  ,   Inscript.  Hi§p.  Lat.  o.  3964.  o.  336.  n.  2227.  n.  2430. 

**)  Humboldt,  a.  a.  0.  8.  60.  —  F  o  r  b  i  ^  e  r ,  Handbuch  der  alten  Geographie 

Bd.  3.  8.  5.  Note  15  legt  unrichtig  dieee  Ableituig  Homboldt  aelbat  bei. 
*B)  Vergl.  F  a  u  r  i  e  1 ,  Hiatoire  de   In   Gaale  m^ridionale.  VoU.  1.  App.  11.  p.  50^ 

511.   514.  515.  518  u.  ff.  Unter  den   hier  angefahrten   fieiepielen    findet    aieh 

keinea  tod  —  oap. 
*')  Auf  der  Strasse  Ton  CSsaraugoata  nach  Behearnum.  S.  1 1  i  n  e  r  An  t  o  n.  ed  WeaeeL 

p.  453. 
s^)  H  a  b  n  e  r  ,  I.  c.  n.  3528. 
<»)  Hühner,  1.  c.  4970,  89. 
**)  Vergl.    Her  od.    1.   192.  —  Strabo,    1.    c.  Üb.  III.  cap.  2.  {.  6.  p.    119: 

cap.  5.  |.  2.  p.  140. 


Die  CinwAiiderung  der  Iberer  in  die  pjreoiitche  Halbinael.  o61 

Umstand  zur  Worterklarung  benutzen.  Auch  Uispanien  wird  gleich 
Italien  mit  dem  Namen  H-e^p-eria  bezeichnet  *?),  ja  es  wird»  freilich 
rou  einem  spätem  Schrittsteller,  als  die  «^cra  Hesperia**  charakteri- 
sirts^.  Darnach  wäre  es  das  am  meisten  nach  Abend  gelegene 
Laad.  Sollte  H-isp^ania  selbst  schon  den  Begriff  des^  nach  Westen 
hin  liegenden  Landes  enthalten  und  eben  darnach  ganz  ähnlich 
wie  in  Amerika'  „the  far  west**  bezeichnet  worden  sein?  hiermit 
begegnet  sich  auch  eine  Deutung  sogar  des  Namens  Iberia  als  West- 
iaod  oder  Abendland,  wie  sie  insbesondere  Pott  gegeben  hat**); 
es  wurde  dann  auch  der  oben  gegebene  Begriff  ib  nicht  wider- 
sprechen .*•). 

VI. 

Mnthmassliche  Art  und  Weise  der  Niederlassung  der 
Iberer  apf  der  pyrenäischen 


Man  wird  sich  den  Hergang  der  Ansiedelung  dei'  Iberer  in  dem 
Lande,  welches  seither  ihre  Heimath  wurde,  verschieden  zu  denken 
haben»  je  nachdem  mau  annimmt,  sie  seien  zu  Lande  und  zwar  zuerst 
nach  dem  südlichen  Gallien,  dann  uach  Hispanien  gekommen,  oder 
zur  See  daselbst  angelangt  Im  ersteren  Falle  würde  man  diese 
Occupation  mit  den  Ansiedelungen  der  Kelten  in  Gallien  oder  der 
Germanen  im  heutigen  Deutschland  in  Parallele  zu  stellen  haben.  Es 
ist  nämlich  wohl  mit  Bestimmtheit  anzunehmen,  dass  die  zu  Lande 
einwandernden  Völker  stets  viel  planmässiger  zu  Werke  gegangen 
sind,  auch  besser  organisirt  waren,  und  mehr  ein  zusammen- 
hangendes Ganzes  gebildet  haben»  als  dies  bei  denen  der  Fall  war, 
welche  zur  See  gekommen  und  hier  und  dort  in  einzelnen  Scharen 
an  den  Küsten  landeten. 

Wir  glauben  nun  aus  den  oben  angeführten  Gründen  uns  hiefür 
erklären  zu  müssen,  dass  die  Iberer  zu  Schiffe  nach  ihrem  neuen  Vater- 


>0  Horat.  Od.   I.  36. 

^^>  Hob.    Mauri,  de    UaiTerso.    Üb.    XU.    cap.   4    (bei    M  i  g^o  e ,    Putrologie. 

Tob.  CXI.  col.  350) ;  Hispani»  prioa  ab  Ibero  amne  Iberia  noneapata  est.  Postea 

ab  HiapaJo  Uiapaoia  cogBominaU  ett.  Ipta   e§t  rcra  Heaperia  ab  Heapero  ateHa 

occideotali  dicta. 
"*>  Pott,    Etymologjiche  Forachnngen.    firate  Aufl.  Th.   2.   S.   187.  Zweite  Aofl. 

Tb.  i.  8.  515.  Tb.  2.  8.  S79  o.  ff. 
««)  S.  oben  S.  557. 

Sitxb.  d.  pbil.-bist.  Gl.  LXV.  Bd.  111.  Hfl.  38 


562  Phillips' 

lande  gelangt  sind  <)•  Sieht  man  sich  hier  nach  einer  Parallele  um,  so 
scheint  sich  eine  solche  in  der  Eroberung  Britanniens  durch  die 
Angeisachsen  zu  bieten.  In  so  fern  waren  die  Verhältnisse  ver- 
schieden, als  die  rasch  aufeinanderfolgenden  ^.Schiffsheere'*  der 
Angelsachsen  >)  dort  eine  bereits  ansässige  Bevölkerung  vorfanden, 
während  die  Iberer,  als  die  ersten  Ansiedler  der  pyrenäischen  Halb- 
insel, diese  noch  unbewohnt  antrafen  und  daher  bei  ihrer  Besitzes- 
ergreifung keine  anderen  Hindernisse  zu  überwinden  fanden,  als  die- 
jenigen, welche  ihnen  die  natürliche  Beschaflienheit  des  Landes  ent- 
gegenstellte. So  lange  es  also  unter  den  Eingewanderten  selbst  nicht 
zu  Streitigkeiten  kam,  war  die  nLandnahme**  —  ein  guter  germa- 
nischer Ausdruck  für  Occupation  >)  —  eine  ganz  friedliche. 

Jener  Vergleich  mit  den  Angelsachsen  lässt  sich  auch  wohl 
hier  ganz  passend  ziehen»  als  wahrscheinlich  verschiedene  iberische 
Scharen  auch  auf  verschiedenen  Punkten  der  Halbinsel  landeten.  Es 
ist  nicht  zu  bezweifeln,  dass  manche  derselben  auch  über  die 
Säulen  des  Hercules  hinausgefahren  sind  und  sich  dann  auf  der 
Westküste  Hispaniens  niedergelassen  haben.  Hiebei  versteht  es  sich 
gewissermasseu  von  selbst,  dass  die  Mündungen  der  Flüsse  in 
dieser  Hinsicht  am  einladendsten  waren,  wie  ja  auch  nachmals  die 
Normannen  gewöhnlich  mit  der  Einfahrt  in  die  grosseren  Ströme 
ihre  verheerenden  Kämpfe  gegen  das  Frankenreich  begannen^). 

Man  scheint  es  nicht  in  Zweifel  ziehen  zu  dürfen ,  dass 
der  iberische  Volksstamm  sich  über  die  ganze  pyrenäische  Halbinsel 
verbreitet  hat,  d.  h.  dass  auf  den  verschiedensten  Punkten  derselben 
Niederlassungen  stattgefunden  haben  und  dass  von  diesen  aus 
bei  Zunahme  der  Bevölkerung,  d.  h.  beim  Anwachsen  der  ein- 
zelnen ansässig  gewordenen  Geschlechter  (gentilitates)  eine  wei- 
tere Verbreitung  stattgefunden  hat.  Ob  aber  dies  so  zu  verstehen  ist, 
als  ob  wirklich  das  altcHispanien  ganz  und  gar  von  Iberern  bevölkert 
worden  ist,  mochte  doch  nicht  mit  Bestimmtheit  anzugeben  sein.  Es 
hat  in  der  That  den  Anschein,  als  ob  die  Iberer  verhältnissmässig  nicht 
sehr  zahlreich  gewesen  seien  und  daher  auch  noch  für  andere  später 


1)  8.  ob«n  IV.  B.  8.  540. 

*)  Chrono  1.  Sazonica,  ann.  477.  496.  501. 

')  sie  gehört  dem  Ulindiechen   an  und   ist  suerat  von  B  I  nn  t  a  c  h  1  i ,  Kritisehe 

Überschau.  Bd.  2.  S.  312.  in  die  deutsche  Rechtaaprache  eingeführt 
^)  ^^cgl*  meine  englische  Reichs-  und  Rechtsgeschichte.  Bd.  1.  S.  14^-29. 


Die  Eiowanderuog  der  Iberer  in  die  pfreniische  Halbinsel.  563 

einwandernde  Stamine  —  wir  meinen  hier  ganz  eigentlich  die  Kelten 
—  Platz  gelassen  hätten.  Wir  finden  nachmals  die  keltische  Bevöl- 
kerung Hispaniens  in  einem  sehr  eigenthumlichen  Verhältnisse  zu  der 
iberischen,  indem  beide  streckenweise  durch-  und  nebeneinander 
wohnen.  Es  kann  dies  allerdings  auch  Folge  einer  kriegerischen  Erobe- 
rang  sein,  bei  welcher  die  Kelten  die  Iberer  in  einzelnen  Gegenden 
Hispaniens  als  die  Besiegten  unterwarfen  oder  sie  ausrotteten,  allein 
dennoch  bleibt  die  Art  und  Weise  der  Vertheilung  der  Kelten  über 
die  pyrenaische  Halbinsel  sehr  merkwürdig;  sie  wohnen  im  Norden 
und  wohnen  im  Süden  und  wohnen  in  der  Mitte  Hispaniens,  die 
Iberer  aber  auch.  Dass  aber  diese  wirklich  in  der  vorhin  bezeich- 
neten Weise  über  das  ganze  Land  verbreitet  waren,  dafür  hat  Hum- 
boldt in  seinen  Untersuchungen  den  vollständigen  Beweis  geliefert, 
denn  so  sehr  auch  die  Romer  die  iberischen  Namen  corrumpirt  haben, 
so  haben  sie  ihnen  doch  ihren  eigenthumlichen  Charakter  nicht  ge- 
nommen. Man  ist  daher  im  Stande  von  vielen  dieser  Namen,  eben 
wegen  ihrer  EigenthQmlichkeit,  zu  sagen,  dass  sie  sicherlich  nicht 
keltisch  sind,  eben  so  wenig  als  sie  dem  Phönizischen  und  Griechischen 
zugeschrieben  werden  können.  Darf  man  also  nach  dieser  Richtung 
bin  den  Beweis  Humboldts  als  durchaus  gelungen  ansehen,  so  findet 
derselbe  noch  eine  kräftige  Bestätigung  durch  die  iberischen  Münz- 
legenden, die  in  dem  Verzeichnisse,  welches  in  der  Abhandlung 
über  das  iberische  Alphabet  mitgetheilt  worden  ist,  enthalten  sind. 
Auch  unter  ihnen  befinden  sich  etliche,  die  man  als  keltisch  anspre- 
chen durfte,  wie  überhaupt  so  sicher  man  auch  für  viele  Namen  den 
iberischen  Charakter  heraus  erkennen  kann,  für  manche  Fälle  man  keine 
solche  Gewissheit  haben  kann.  In  dieser  Beziehung  haben  wir  schon 
früher  als  auf  eine  besondere  Aufgabe  der  Wissenschaft  hingewiesen, 
die  Scheidung  zwischen  dem  keltischen  und  iberischen  Element  in 
den  verschiedenen  Eigennamen  des  alten  Hispaniens  nach  bestimmten 
Grundsätzen  zu  vollziehen.  So  wenig  wir  uns  dieser  Aufgabe  ge- 
wachsen fühlen,  so  wollen  wir  doch  das  uns  zu  Gebote  stehende 
Material  zu  diesem  Zwecke  gelegentlich  zusammenstellen,  um  wenig- 
stens in  solcher  Weise  zur  Lösung  jener  Aufgabe  vorbereitend  mit- 
zuwirken. 


38 


564    Phillip«,  Die  Einwandernng  der  Iberer  in  die  pyrenüische  Halbineel. 


NACHTRAG 

(5.  October). 

Gegenstand  weiterer  Darstellung  wird  nunmehr  insbesondere 
die  Einwanderuug  der  Kelten  in  die  pyren|[ische  Halbinsel  sein.  In 
Betreif  derselben  ist  oben(S.  842)  bemerkt  worden,  dass  Niebu  hr 
mit  seiner  Ansicht,  die  Kelten  seien  früher  in  Hispanien  eingewan- 
dert als  die  Iberer,  aliein  stehe.  Hätte  er  Recht  so  würde  sich  die 
Erscheinung  der  vielfältigen  Vereinzelung  der  Kelten  in  Hispanien 
fast  leichter  erklären  lassen,  als  diess  auf  S.  563  versucht  ist  — 
Schliesslich  sei  es  noch  erlaubt  auf  zwei  Entgegnungen  aufmerksam 
zu  machen,  welche  das  Werk  von  Blad^,  £tudes  sur  Torigine 
des  Basques  hervorgerufen  hat  (s.  Iber.  Alphabet.  S.  165.  Note*), 
nämlich  die  eine  in  der  Revue  critique  d'histoire  et  de  la  litt^rature. 
N.  12.  u.  13.  (19.  26  Mars  1870),  die  andere  von  Boudard,  Note 
sur  les  ^tudes  de  Mr.  Blad^.  Beziers  1870. 


K  Ji  ra  j  a  n.  Zu  Seifried  Helhlin^  und  Ottacker  von  Steiermark.  ODd 


Zu  Seifried  Heibiing  und  Ottacker  von  Steiermark, 

Vom  w.  M.  Theodor  Ritter  v.  Karajan. 


IL 
Zu  Ottacker  von  Steiermark. 

Das  einzige  Blatt  einer   zierlichen  Pergamenthandschrift   der 
österreichischen  Reimchronik  dieses  Dichters,  welches  dem  ausge- 
henden dreizehnten,  höchstens  beginnenden  vierzehnten  Jahrhundert 
angehört,  hab  ich  vor  längerer  Zeit  durch  gutige  Vermittelung  eines 
damals  in  Graz  weilenden  Collegen  erworben.  Es  stammt  aus  Klagen- 
fnrt,  wo  es  einst  in  dem  noch  bestehenden  Capuciner-Kloster,  das  im 
Jahre  1649  gegründet  wurde,  einem  Klein -Octav-Bande  als  Decke 
diente.  Die  Sparen  dieser  Verwendung  sind  auf  der  Rückseite  des 
Blattes  leider  nur  zu  deutlich  sichtbar.  In  der  Mitte  desselben  zeigt 
sich  nämlich  querüber  ein  dunkler  Streifen,  der  1 1/4''  breit  einst  den 
Rücken  des  Klein-Octav-Bandes  umkleidete,  und  wahrend  er  selbst 
den  Band  schützte,  dafür  der  Einwirkung  von  Staub,  Rauch   und 
Unbilden  aller  Art  schonungslos   während   einer  langen  Reihe  von 
Jahren  preisgegeben  war.  Der  übrige  Theil  des  Blattes,  welcher  die 
Seitenwande  des  Bandes  nach  Aussen  zu  schützen  hatte,  wurde  durch 
den  häufigen  Gebrauch  des  Buches  arg  mitgenommen.  Trotzdem  sind 
die  auf  ihm  erhaltenen  Schriftzüge  bis  auf  wenige  kleine  Stellen  noch 
lesbar*  während  jene  des  Rückens  mit  Ausnahme  einzelner  Buchstaben 
es  nicht  mehr  sind.  Die  aufgeleimt  gewesene  Stirnseite  des  Blattes 


566  R  a  r  a  j  a  n 

dagegen  hat  sich,  bis  aufsein  paar  kleine  Lücken,  welche  die  vortre* 
tenden  Rückenbünde  veranlassten,  ganz  gut  erhalten. 

Die  auf  starkes  Pergament  geschriebene  Handschrift  hatte 
ursprünglich  bei  10%''  Höhe  und  bei  7%"  Breite.  Jede  der  beiden 
Spalten  der  Seiten  bestand  aus  47  Zeilen.  Die  Anfangsbuchstaben  der 
einzelnen  sind  wie  gewöhnlich  roth  durchstrichen,  nur  bei  Vers  122 
zeigt  sich  eine  grössere  Initiale;  am  unteren  Rande  der  Stirnseite  des 
Blattes  aber  gegen  die  rechte  Ecke  hin  von  alter  Hand  in  römischen 
Ziffern  geschrieben  die  Bezeichnung  der  Lage,*  welcher  unser  Blatt 
einst  angehörte.  Es  bildete  darnach  das  erste  Blatt  der  'XXVHL'  Lage 
der  Handschrift. 

Diese  Wahrnehmung  ist  lehrreich.  Nimmt  man  nämlich  für  die 
Handschrift  eine  Eintheilung  nach  Quinternionen  an,  also  nach  Lagen 
von  fünf  Doppelblättern,  eine  bei  Quarthandschriften  jener  Zeit  häufig 
vorkommende,  so  ergibt  diess,  bei  vier  Spalten  von  je  47  Zeilen  auf 
dem  Blatte,  für  jedes  derselben  eine  Verszahl  von  188  als  Regel, 
denn  zuweilen  stehen  auch  zwei  kürzere  Verse  auf  einer  Zeile,  för 
die  Lage  also  beiläufig  1880  Verse,  eher  mehr  als  weniger.  Die 
27  Lagen  also»  die  unserem  Bruchstücke  ursprünglich  vorangieugen 
enthielten  also  etwa  50,760  Verse ,  von  denen  man  aber  etwa 
3000  Zeilen  wird  abziehen  müssen  für  die  436  Capitel-Überschriftea, 
welche  der  Pezische  Druck,  nach  der  ^inen  der  Wiener  Handschriften, 
wie  die  Admonter  und  die  Jenaer  enthalten.  Es  bleiben  somit  rund 
47,700  Zeilen  übrig,  die  unserem  Bruchstücke  einst,  wie  zu  ver- 
muthen  ist,  vorangiengen. 

Vergleicht  man  nun  diese  annähernde  Ziffer  mit  der  Zahl  der 
Verse  die  im  Pezischen  Drucke  der  Eintrittsstelle  unseres  Bruch- 
stückes wirklich  vorangehen  und  erwägt  man,  dass  grössere  leere 
Zwischenräume  vor  und  nach  der  Eingangsrede  der  Chronik  die 
Gesammtziffer  leicht  um  ein  paar  100  Verse  vermindern  konnten,  so 
stellt  sich  ein  lehrreiches  Ergebniss  heraus.  Man  kommt  übrigens 
beim  Pezischen  Druck  auf  die  annähernd  richtige  Ziffer,  weaa  man 
nach  Abzug  der  Seiten  1  bis  14,  welche  Pez's  Vorrede  und  ein 
zweiter  Titel  einnehmen,  die  übrig  bleibenden  408  Seiten  des  Textes 
bis  zu  unserem  Bruchstücke,  mit  den  124  Versen  jeder  Seite  raulti- 
pliciert  und  von  der  Gesammtsumme  die  436  Capitel-Uberschriften 
von  je  7  Zeilen  abzieht.  Also  408x124  gibt  80,592.  Davon  ab 
436x7  das  ist  3052,  ergibt  eine  Verszahl  von  rund  47,540,  welche 


Zu  Seifried  Helbling  und  Ottacker  von  Stetermark.  567 

za  obigen  47,700  gehalten  schliessen  lässt,  dass  die  Tollständige 
Haudschrift»  was  ihre  vordere  Hältlte  betrifft,  beiläufig  dasselbe  ent* 
hielt,  was  uns  in  der  einen  Wiener  ganz,  in  der  zweiten  wie  der 
Admonter,  Jenaer,  Wolfenbüttler  und  Stockholmer  zum  Theile  er- 
halten ist. 

Was  aber  wissenschaftlich  ungleich  wichtiger  erscheint,  abge- 
sehen Yon  der  inneren  und  äusseren  Beschaffenheit  der  neuen  Hand- 
schrift, ist  Folgendes.  Diese  lehrt  nämlich  durch  ihr  Alter  und  die 
Beachtung  der  Lagen-Nummer  am  unteren  Rande  des  Blattes,  dass 
schon  zur  Zeit  des  Dichters  jene  beliebte  Erzählung  von  der  Belage- 
rung von  Accon,  bei  8000  Zeilen  füllend,  welche  später  wiederholt 
einzeln  in  Handschriflten  zu  Jena,  Wolfenböttel  und  S.  Gallen  <) 
begegnet,  und  möglicherweise  auch  später  in  das  grössere  Reimwerk 
eingeschoben  sein  könnte,  schon  damals  einen  Bestandtheil  von 
Ottackers  Chronik  bildete. 

Ich  schreite  nun  zur  näheren  Betrachtung  der  sprachlichen 
Eigenthumlichkeiten  des  neu  gewonnenen  Klagenfurter  Bruch- 
stückes, das  ich  mit  K  bezeichnen  werde,  will  dessen  Verhältniss  zu 
W,  das  ist  der  Wiener  Handschrift  Nr.  3047  erörtern,  der  einen 
nämlich ,  welche  den  Inhalt  von  K  bietet,  zugleich  aber  auch  die 
Abweichungen  der  Wolfenbüttler,  die  ich  mit  G  (Guelferbitanus) 
bezeichne,  einreihen.  Ich  schildere  zuerst  die  Verhältnisse  des 
Vocalismus  in  der  neuen  Handschrift  in  seinem  Verhalten  zu  den 
anderen,  lasse  den  Consonantismus  folgen,  verzeichne  darnach  vom 
Schreiber  mit  Vorliebe  gebrauchte  Formen  einiger  Wörter,  sowie 
bedeutendere  Abweichungen  von  den  übrigen  Handschriften,  betrachte 
femer  das  Verhalten  dieser  Niederschrift  in  metrischer  Beziehung, 
und  schliesse  endlich  mit  der  Bezeichnung  einiger  Abgänge  und 
Zusätze  von  K  im  Verhältnisse  zu  W  und  G. 

Die  Abweichungen  von  K\n  der  Stockholmer  und  Jenaer  Hand- 
schrift konnten  aus  folgenden  Gründen  nicht  hinzugefügt  werden. 
Die  Stockholmer  Handschrift  nämlich,  welche  sich  jetzt  in  vollstän- 
diger Abschrift  auch  an  der  Wiener  Hofbibliothek  unter  der 
Nummer  14,978  vorfindet,  umfasst  von  Ottackers  Chronik  nach  dem 
Pezischen  Druck  nur  das  Stück  von  Capitel  652,  Spalte  a.  Zeile  26 


*)  6.   Scherer  S.   Galieache   HS6.  8.  36  ff.  Die  Handschrift  ist  mir  leider  im  Augen- 
blicke nicht  sugSngltch. 


Öno  K  «  r  «  j  s  n 

» 

an  bis  Capitel  829   Sp.  a.  Zeile  16.  Das  zu  vergleichende  Stuck  jf 
fehlt  also  in  ihr. 

Die  Jenaer  Handschrift  aber  ist  von  Wiedeburg  i)  nur  in  Bezug 
auf  jene  Stellen  von  G  ausgezogen  worden,  welche  in  dieser  letzteren 
nicht  enthalten  sind.  Es  fehlt  also  auch  in  dieser  Quelle  der  Inhalt 
von  JT»  da  er  im  Abdnicke  von  G*)  vorhanden  ist.  Eine  vollständige 
Abschrift  der  Jenaer  HS.  steht  mir  aber  dermal  nicht  zu  Gebote. 

K  verwendet  zuweilen  a  f.  o,  so  in  warhti  varht  106.  107 
gegen  W  und  G;  d  f.  o  und  zwar  mit  vollem  Rechte  in  warheit  164. 
gegen  das  mundartliche  worhait  von  C  was  auch  ebenda  als  ohende* 
für  das  richtige  ahents  in  JTTl  wiederkehrt. 

K  verwendet  ganz  richtig  ae  f.  e  in  Venediaer  53,  spitlaer  88. 
Jenvaer  54.  Akersaer  58,  waem  56,  chaem  84,  templaer  89.  wo 
TFund  G  Gberall  e  zeigen,  an  ein  paar  Stellen,  56  und  84,  sogar  völlig 
unentschuldbar. 

Gegen  das  entschieden  dialektische  o  f.  e,  das  G  in  tposten  f 
Westen  91  zeigt  und  in  der  wiederkehrenden  Verwendung  der  Anlaut- 
partikel ver-  als  vor-  in  vorlos  178,  vormiten  92,  vorzofft  97  beibe- 
halt, hat  K  ganz  richtig  überall  e  f.  o. 

In  f  zeigen  sich  ferner  ei  f.  t  in  geleich  47,  leidn:  vermeid» 
28  und  29;  streit:  zeit  30  und  31;  reiten:  streiten  76  und  77 
abwechselnd  gegen  W  und  G,  obwohl  allenthalben  es  auch  nicht  an 
zahlreichen  Beispielen  der  richtigen  Beibehaltung  von  t  als  t  fehlt. 
Dagegen  ganz  richtig  ei  f.  ai  in  ein  60.  W.  und  in  der  Regel  gegen 
G. ;  daneben  aber  auch  ai  f.  ei  in  maister  68.  haidn  90  und  zwar 
gegen  W. ;  so  auch  ciei  f.  ei  in  gneistlichen  80  und  zwar  gegen 
geistlichen  der  Handschrift  W. 

eu  f.  au  der  Handschrift  G.  hat  ^^  in  meul  f.  maul  131.  und  zwar 
auf  das  im  Plural  erforderliche  miule  hinweisend. 

I  f.  ie  bietet  K  allenthalben  richtig  an  den  Stellen,  wo  der  weit 
mehr  dialektisch  schreibende  Copist  von  G.  vorwiegend  ie  verwendet. 
So  in  vih  138.  vihe  149.  wir  statt  wier.  14.  20.  22.  27.  45.  Dane- 


<)  In  den  oben  ang^effihrten    Nachrichten  von   einigen   alten   teutachen   poetiacken 

Mannacrtpten  auf  8.  05  bia  116. 
^)  Bei    Eccard    Corpus    hiat.    med.    nevi    verg'i.    oben,    und    «war  auf  de«  Spcilea 

1503  bis  1506. 


Zu  Seifried  Helblin^  und  Ottacker  von  Steiermark  569 

ben  begegnen  aber  auch   vereinzelte  mer  17.44.  wieri  34.  in  K 
gegen  mr,  wirf  in  G. 

Die  Verwendung  Ton  y  f.  ie  und  ye  f.  ie,  die  bei  G.  in  dy  112, 
dij,8y  113  tyer  138oQdl51  begegnen,  remoeidet  JT allenthalben,  wie 
es  auch  das  richtige  tr.  f.  y.  verwendet  in  div  81  und  138. 

0  f.  au  oder  aw  zeigt  K  in  mowr  f.  mawr  1 27  TT.  Schoteen  f. 
Schauwen  72  und  getrowen  f.  getrauwen  73  gegen  6.  Ebenso 
gebraucht  JiTofi  f.  au  gegen  TT.  und  Gin  oficA  2  j^r^foiiAeralOl.  /or- 
ten/ 152  douht  162.  Letztere  beiden  Formen  für  mhd.  tüsetü  und 
(/«A^^  begegnen  in  österreichischen  Denkmahlern  häufig. 

Das  richtige  tio  f.  tte  zeigt  K  in  hmodet*  3  gegen  TT.;  guot  114 
gegen  (?.  Ebenso  auch  das  richtige  uo  f.  u  \fi  fuorn:  swuom  14 
und  15  gegen  W,;  dar  zuo  135  truogn  153  gegen  dnrtzu  und  /rii^n 
der  Handschrift  (7. 

Besondere  Vorliebe  hat  K  fär  die  Hinweglassung  stummer  e. 
So  begegnen:  ersehn:  geachehn  34  und  35.  lehn:  strebn  62  und 
(13  ^oÄn  128.  t9tf«7i  160.  redn  164.  «a^n  175.  /ein:  ehn  178  und  ^ 
179.  und  zwar  gegen  W. ;  regl  16.  hahn  38.  /«/>/t  61.  jrraAii  155. 
161.  //i^it:  «a^n  174  und  175  gegen  G. 

Tonlose  e  erscheinen  in  K  des  Metrums  wegen  hie  und  da  aus- 
geworfen, so  in  fuom:  amiorn  14  und  15.  leidn:  meidn  28  und  29 
und  zwar  gegen  W  und  6.;  in  erfundn:  oherwundn  117,  getoinn 
132  gegen  G.  Andere  Mahle  aus  demselben  Grunde  beibehalten.  So 
in  telde  64,  hete  69,  misshelung  82.  groze  guete  113  tnohte  132, 
Starehe  134  gegen  W.;  in  hafide  13,  TF4?/2&  28,  dikche  47,  r^M^ 
^4,  A^«  69,   groze  aise  103.  starche  134  gegen  (?. 

Nichts  desto  weniger  zeigen  sich  in  K  auch  Verstösse  gegen 
diese  dem  Metrum  dienende  mhd.  Regel,  indem  tonlose  e  gegen  das- 
selbe ausgeworfen  erscheinen.  So  z.  B.  in  em:  verkern  18  und  19, 
in  gevellt:  gesellt  38  und  39,  begundn  63,  liezn  72,  haidn  90,  troMit 
95,  verwazn  105  und  zwar  gegen  TF;  mselhnZ^  Sprachn  4,  hertzn 
^,dunchi  31,  AntV/it  42,  58,  65.  volchs  60,  michll^,  ernst  90. 
voldn  95,  verwazn  105,  dehainn  115,  gemainchlichn  130,  holtzs 
140,  gewundn  145,  toerdn  181,  gegen  6. 

Zur  Betrachtung  des  Consonantismus  übergehend  bemerke  ich 
im  Allgemeinen,  dass  JT  Consonanzhsiufungen  meidet,  wie  sie  so  wohl 
in  W  wie  in  G.  begegnen.  So  in  dinkch  7.  W.  tzagheit  33.  106 
vortzagt  97.  dartzv  135.  to/  rehten.  59.   (?  wo   in  Ä'  überall  die 


570  K  a  r  a  j  a  u 

einfachen  Consonanten  begegaea.  Einmahl  nur  findet  sich  emptzichlich 
f.  entzichleich  153»  gegen  G,  enczichleich  W. 

Dem  ähnlich  liebt  K  auch  sonst  die  Verwendung  milderer  Con- 
sonanten an  der  Stelle  schärferer.  So  hat  sie  bruoderschaft  80  gegen 
pruederschaft  G.  bewag  12,  wogegen  6.  pewag»  pereit  bietet,  und 
nur  hie  und  da  begegnen  geschärfte  Anlaute  wie  pekag  ^,  pereit 
32  und  pringen  101  gegen  G. 

Auch  h  f.  cht  also  auch  der  mildere  Consonant  gegen  den  schär- 
feren inlautend  nach  streng  mhd.  Regel  findet  sich  allenthalben  in 
K  gegen  W  und  G*  So  in  furht  6.  fehlen:  gerehten  58  und  59. 
niht  20.  92.  181.  geschiht  21,  sieht  176  chneht  177,  hohvart  94, 
hohvertiger  188,  vorihten  81,  moA/  99  rtA«  149. 

Auch  9.  f.  z.  wird  nach  mhd.  Regel  in  K.  gerne  gesetzt.  So  in 
was  61.  161.  Z)^s  66  des  31,  tros  61  gegen  W.  und  C,  die  an  all 
diesen  Stellen  fehlerhaftes  z  verwenden.  Dagegen  gebraucht  K  z 
wohlweislich  da  wo  G  fehlerhaftes  s  hat.  So  in  Swaz  1,  dar  ouz  144. 

tr.  f.  b  und  j9.  und  zwar  gegen  G  hat  K  in  Olwendin  131  für 
olbentifif  und  gevmnden  f.  gepunden  in  145. 

Von  Formen  die  von  j'  mit  Vorliebe  verwendet  werden  merke 
ich  an:  dehein  f.  chain  115  und  33  gegen  W  und  G;  ez  f.  »«  57 
und  66.  gegen  G;  der  grabe  (.graben  163,  176,  179.  183  gegen 
W.  und  6. ;  iemen  f.  yeman  gegen  W  temant  gegen  G. ;  wand  i 
wan  99.  111, 161  gegen  G;  endlich  allenthalben  ze  f.  %uo  und  zu  3. 
7.  40.  58.  84.  91  und  142  gegen  TT  und  G. 

Gänzlich  abweichend  erscheinen  nur  wenige  Worte  und  Stellen 
in  JiT.  von  den  bisherigen  Handschriften.  So  hat  ^'in  z.  133.  Chama- 
iober  für  chembel  W  und  Chemmel  G. ;  auf  z.  59  gerehten  f.  tzu  reh- 
ten  G.  emptzichlich  153;  vnlang  f.  niht  lang  158.  gegen  G.,  daz 
lebn  f.  sein  leben  178.  G. 

Zu  den  Zeilen  48  und  1 59  haben  W  sowohl  wie  G  den  Zusati 
des  Viertes  tool  der  in  der  ersteren  Zeile  nach  dem  eingefügt,  in  der 
zweiten  nach  halt  dem  Verse  dient.  In  der  Zeile  68  dagegen  hat 
sowohl  W  wie  G  nach  Maister  den  Artikel  der  eingeschaltet,  der  das 
Metrum  stört  und  mit  allem  Rechte  in  K  fehlt,  wo  teatscher  Herren 
zu  schreiben  sein  wird.  Endlich  ergänzt  noch  die  neue  Handschrift 
eine  Zeile,  welche  in  W.  fehlt,  in  G.  aber  nicht,  nämlich  die  Zeile  89 
*  Vnd  ottch  die  tem piaer.' 


Za  Seifried  Belbling  und  Ottacker  von  Steiermark.  57  t 

Ich  habe  das'Pergameatbiatt»  dessen  Erörterung  ich  hiermit 
schliesse,  so  eben  der  hiesigen  Hofbibliothek  verehrt,  die  von  nun  an 
unter  den  reichen  Schätzen  altdeutscher  Literatur»  die  sie  verwart, 
neben  den  Bruchstücken  der  einzigen  gleiehzeitigen  Handschrift 
Helblings  auch  dieses  leider  einzige  Blatt  Ottackers  kommenden  Jahr- 
hunderten erhalten  möge.  Ich  werde  es  daselbst  unter  Nr.Suppl.  279ä 
einreihen.  Es  folgt  nun  das  Bruchstuck  getreu  nach  der  Handschrift 
wiedergegeben : 

Sp.  a.  ^waz  man  dort  rernam.         Pez.  SS.  eap.  CCCCXXXfj. 
Ihz  wart  in  euch  chont.  sp.  422^  z.  1 6.  t.  u. 

Die  selbn  brueder  sa  zestant 
iSprachn  ich  sag  e?  wie. 

/st  iemen  so  getaner  hie.  5. 

Dev  sich  furht  so  hart. 

Der  hab  ander  dinch  ze  wart 
5waz  wir  mugen  rol  enden. 

Mit  hertzn  und  mit  henden. 
Des  gel  an  tds  niht  ab.  iO. 

Des  leibs  md  der  hab. 
Do  bewag  wir  yns  gar. 

An  allerhande  rar. 
Do  wir  in  disen  orden  fuorn. 

Tnd  die  gehorsam  swuom.  1^. 

Z^es  selbn  ordens  regl  sait. 

Wier  schulten  die  phaffhait. 
ifit  gehorsam  em. 

wil  ms  daz  iemen  rerehem. 
DvLT  Tmb  laz  wir  sein  niht.  20. 

waz  halt  ms  da  Ton  geschiht 
H^r  werden  nimmer  gram. 

Dem  pabst  noch  yngehorsam. 
Svrem  daz  niht  pehag. 

Der  selbe  seinen  orden  trag.  25. 

S  wie  so  im    .  elust. 

Gewin  ynd  vlust. 
^elle  wir  mit  er  leidn. 

Fnd  wellen  niht  vermeidn. 


Ö9^  Knrftjan 

ilfrt  den  haiden  ainen  streit.  30. 

iS'wenn  ev  des  duncht  zeit. 
So  sei  wir  pereit 

Dehzln  zaghait. 
Wievt  an  Tns  ersehn. 

1^  z  ist  ^  gesehehn.  35. 

/>az  wir  mit  chlainer  chraft. 

^roezeT  her  der  haidensehaft. 
/Tabn  oft  geTellt. 

^0  sich  got  hat  gesellt. 
Ze  Tns  mit  seiner  helf.  40. 

iSwie  gar  in  Traidiger  gelf. 
Die  baidn  da  Tor  wueten. 

Si  cbnnnen  sich  des  niht  behreten. 
Wiev  gewinnen  in  an  ein  spiL 

Z>az  wir  fr  slaben  ril.  45. 

^I  Tns  got  bei  gestan. 
ills  er  dikche  bat  getan. 
Sp.  b.  Si  reten  dem  geleich. 

Do  8  .    .    80  maennlich. 
Si  sahen  geparn.  50. 

Di  dar  cbomen  warn. 
Durch  got  her  Tber  mer. 

Fnd  der  Tcne  .    .    .  aer  her. 
Fnd  daz  dez  JenTaer. 

Si  manten  di  Akersa^r.  55. 

D21  si  waern  berait. 

•Z>es  morgens  so  ez  tait. 
ifit  den  haidn  ze  Tchten. 

Nf  begandn  sich  gerehten. 
Des  Tolchs  ein  michl  tail.  60. 

Vhd  der  lebn  nu  was  Tail. 
Fmb  daz  ewige  lebn. 

Die  begunden  dar  nach  strebn. 
Alz  man  ze  Tclde  rit 

Fnd  mit  den  haidn  strit.  65. 

Des  moergens  do  ez  tagt, 
als  ich  I.  sagt. 


Zu  Seifried  Uelblio;  und  OtUcker  von  Steiermurk.  573 

Der  maister  teutschen  herren.  (so) 

Hit  den  seinen  hete  gern, 
(reriten  in  den  toet.  70. 

Dexk  man  des  abents  gepoet. 
Dvi  si  sich  liezn  schowen. 
wes  man  mobt  getrowen 
Z>a  man  ouf  seilen  solt. 

Der  selbn  ain  michl  tail  wolt  75. 

fVr  die  stat  nindert  reiten. 

/>Qrch  dehain  streiten. 
El  ward  ^  ain  ainunge. 

Zwischen  der  samnunge. 
Der  gaestiichn  bruederschaft  80. 

S\  vorhten  ward  div  haidnschaft. 
Der  missehelung  inne. 

Z>ie  81  beten  dort  inne. 
/^z  ehaem  in  ze  ynstaten. 

Etlicb  die  sich  berait  baten.  85. 

Die  cherten  do  wider 

/>och  sagt  man  vns  sider. 
Htitn  die  Spitlaer. 

Vnd  euch  die  tempiaer. 
/)er  haidn  ernst  gewest.  90. 

^ts  si  ez  Westen  7em  lest 
S\  beten  belf  niht  vermiten. 
/>az  Ton  in  wart  gepiten. 
/>Trcb  ein  bohvart  daz  ergie 

S\  woldn  warten  wie.  95. 

Sp.  c.     .  an  ir  belf  chlagt. 

Do  daz  Toleh  so  yerzagt 
D  .    .    .    eraw  .    .    siv  sere 

^and  man  mobt e:  . 

Z>az  Tol  .  .  mit neu  dingen.      100. 

Ah  dem  gelorben  pringen. 
/r  belf  wart  mit  gnntervait. 

So  groeze  aise  man  in  sait. 
Von  der  groezn  fberchraft 
Der  Terwazn  baidenscbaft.  105. 


S74  K  a  r  a  j  R  n 


/>ew  zaghait  do  wahrt 

Au  den  üvten  solhe  rarbt  ^ 

/>az  61  furbaz  beten  niht 

Cbain  ander  zwTersiht 
Wie  81  sieb  ernerten  1 10. 

toand  ob  si  erwerten. 
Den  baiden  vor  die  stat. 

Der  groese  gvete  die  si  hat. 
Dey  t'Ios  in  ere  vnd  grot 

Si  enheten  des  decbainn  moot.  115. 

Db%  die  baiden  niht  des  erfundn. 

D^L  mit  si  rber  wundn. 

S 


N. 

D 


• 


120.  Pez.  eap. 
CCCCXXX>'Ij 


125. 


^e  man  die  mow*  nider  stiez. 

Fnd  in  den  andern  grabn  liez 
Do  biez  der  soldan  vil  Yrro 

^emainehlicbn  greifen  zvo  130. 

E  ,  ,  \  meul  rnd  Oiwendin. 

£iwa  .  man  d  .  .  mobte  gewinn 
/^romedaris  ehamaiob'Tn  m'  rind'.  (so) 

5tarehe  lert  yu  nicht  ebinder. 
/>ar  zTo  geschaffen  worden.  135. 

Die  mit  groezen  purden. 
Anoden  ril  schier. 

Dm  Tib  vn  dir  tier. 
Dey  ich  ban  genant. 

5waz  man  holtzs  vant  140' 

iStro  wasen  rnd  gras 
Sp.  d.  Dbz  ze  fuem  gvet  was. 


Zu  Seifiried  Helbltng  ond  OtUcker  Ton  Steiermark.  575 

Malier  ror  rnd  laub 

Dw  ouz  manich  groeser  sohawb. 
/)a  gewundn  wart  sa  145. 

▼nd  an  derselbn  stat  da. 
^art  in  den  grabn  gelegt 

^roezer  schal  sich  erwegt. 
Do  leTt  Tnd  rihe  ouf. 

chomen  .  .  .  ouf  150. 

Der  tyer  was  an  der  zal. 

Woi  dreizzich  tOTSent  rber  al. 
Die  da  traogn  emptzichlich. 

T9ig  Ynd  naht  geleich. 
Zy  den  Grabn  den  last.  155. 

Ynd  swelhero  geprast. 
Der  chraft  von  dem  gedrang. 

/>az  ertzent  man  Tnlang. 
Daz  halt  wol  waer  genesen. 

Duz  mvost  des  toedes  wesn. '  160. 

Wund  man  ez  in  den  grabn  stiez. 

Sey  donht  ein  groezer  geniez. 
Ob  da  mit  wart  der  grabe  vol. 

5o  man  die  warheit  redn  sol. 
S 165. 


• 


170. 


/n  Tierzehn  tagn. 

^ort  ich  do  sagn.  175. 

ITart  der  Grabe  siecht. 

ifanich  heidennischer  chneht. 
Ferloes  dar  vnder  daz  lehn. 

E  der  Grabe  wart  ebn. 
^0  gemacht  mit  der  erden.  180. 


57tf  Karajun,  Zu  S«ifried  UelbJing  und  Ottacker  von  Steiermark. 

Ez  moht  niht  laider  werdn. 
D  en  Christen  in  der  stat. 

Do  der  Gabe  so  drat. 
i^art  gefüllt  Ton  de  .    .  .  idn. 

illler  erst  begund  laiden.  185. 

illten  tH  iungen. 

Der  bruod'  missbellüge 
Knd  ir  bobrertiger  sit 

Der  in  het  gewont  mit.  189.  Pes.,  cap. 

CCCCXXXVll.  sp.  424'  z..  17  t.  a. 


U  ö  f  I  e  r.  Über  die  richti'^'e  Abgreozuii^  der  alteo  Geschichte  etc.         O T T 


Abhandlungen 
ans  dem  Oebiete  der  alten  Oeschichte. 


IV. 

Iber  die  richtige  Abgrenzung  der  alten  Geschichte  gegen 

das  Mittelalter. 

Von  C.  Höfler. 

Die  Frage  über  den  richtigen  Sehluss  der  alten  Geschichte  ist 
nichts  weniger  denn  mössig.  Schliesst  eine  der  massgebendsten 
Perioden  der  Entwicklung  der  Weltgeschichte  mit  gieichgiltigen 
Ereignissen  ab,  die  vielleicht  nur  auf  einen  geringen  Theil  der  dama- 
ligen Welt  einen  selbst  auch  nur  vorfibergehenden  Einfluss  aus- 
übten oder  geht  die  Sonne  nach  einem  prachtvollen  Tage  majestä- 
tisch unter,  wie  sie  am  Himmel  flammte,  unwillkürlich  wird  sich  der 
Gedanke  bilden,  der  Sehluss  muss  mit  der  Entwicklung  des  Ganzen 
in  Harmonie  stehen.  Ein  grosses  Drama  darf  nicht  in  ein  Lustspiel 
ausgehen,  das  grosse  Epos  nicht  damit  enden,  dass  der  Dulder  Odys- 
seus  schlafend  nach  Ithaka  kommt  und,  als  er  erwacht,  seine  Heimath 
nicht  erkennt.  Man  hat  selbst  ein  Recht  von  dem  Ende  auf  die 
innere  Harmonie  des  Ganzen  einen  Rückschluss  zu  ziehen  und  zu 
sagen,  dass,  wenn  das  Ende  nicht  der  Mitte,  der  Höhepunkt  nicht 
dem  Anfange  entspricht,  ein  Fehler  in  der  Anordnung  stattgefunden 
haben  muss. 

Eine  der  geläufigsten  Annahmen  über  die  Scheidung  des  Alter- 
thums  ?om  Hittelalter  besteht  darin,  das  Jahr  476,  in  welchem 
angeblich  der  letzte  romische  Kaiser  Romulus  Augustulus  Momyllus 
Ton  Odoaker  entthront  wurde,  als  den  natürlichen  Sehluss  des  Alter- 

SiUb.  d.  phiL-hist.  Ol.  LXV.  Bd.  HI.  Hft.  39 


578  HÄfler 

thuras  zu  betrachten  <).    So  oft  aber  auch  diese  Annahme  ausgespro- 
chen  und  ich  möchte  sagen  gedankenlos  nachgeschrieben  wurde,  so 
wenig  bewahrt  sie  sich  bei  näherer  Prüfung.    Sie  setzt  voraus,  dass 
das  römische  Reich  von  dem  Besitze  Italiens  abhängig  war,  der  Herr 
Italiens  auch  der  rechtmässige  Besitzer  des  römischen  Reiches  war. 
während  seit  Constantin  I.  Italien  Tom  Stammlande  römischer  Herr- 
schaft zum  Nebenlande  herabgesunken  war,  das  römische  Reich  seine 
naturliche  Fortsetzung  in  Constantinopel  gefunden  hatte,  und  das- 
selbe fortdauerte,   nicht  als  oströmisches,   sondern  als  römisches 
Reich ,  auch  wenn  im  Westen ,  in  Gallien  und  Italien ,  zeitweise  Ent- 
thronungen stattfanden  oder  die  erst  seit  395  bestende  Reihenfolge 
abendländischer  Kaiser  zeitweilig  ganz  aufhörte.    Seit  das  Haus  des 
Theodosius  erloschen,  Italien  die  Beute  germanischer  Heerführer  ge- 
worden war,  gab  es  im  Abendlande  factisehe  Kaiser  (Usurpatoren) 
und   rechtmässige.    Zu  den  letzteren  gehörten  Avitus  (455),  den 
Marcian,  Gemahl  der  Pulcheria,  der  Enkelin  des  Theodosius,  be- 
stätigte,   Majorian   (ermordet  461),    Anthemius,   welchen  K.  Leo 
bestätigte  (ermordet  472) ,  und  JuHus  Nepos,  der  gleichfisills  voro 
kaiserlichen  Hofe  die  Bestätigung  erlangte,  nicht  aber  Libius  Sererus 
die  Creatur  des  Sueven  Ricimer  (461 — 465);  ob  Olybrius,  den  der 
Vandalen-König  Geiserich  dem  Anthemius  entgegenstellte,  kann  mit 
Recht  bezweifelt  werden.  Gewiss  nicht  Glycerius,  den  nach  des  Oly- 
brius Tode  472  Gundobald  Ricimers  Neffe  erhob ;  gewiss  nicht  der 
Gothe  Orestes  und  ebensowenig  dessen  Söhnlein  Romulus,  von  dem 
es  heisst,  Odoacer  deposuit  Augustulum  de  regno  (Excerpta  de 
Odoacro).    Der  rechtmässige  Kaiser  des  Imperium  Italicum  Juliu» 
Nepos  wurde  in  Dalmatien  480  ermordet ,  die  Insignien  des  west- 
römischen Kaiserthums  wurden  Kaiser  Zeno  zurückgeschickt,  welcher 
somit  das  doppelte  Kaiserthum  wieder  einigte.  Auf  die  formelle  Eini- 
gung folgte  unter  Justinian  die  factisehe,  als  erst  durch  eine  prag- 
matische  Sanction  Theodorich  dem  Ostgothen  Italien  zugewiesen 
worden  war»  dann  der  Bruch  der  Erbfolgeordnung,   die  Ermordung 
der  Königin  Amalasuntha,  Theodorichs  Tochter,  dem  römischen  ond 
nicht  oströmischen  Kaiser  Veranlassung  gegeben  hatte,  sich  in  die 


0  Sie  beruht  eigentlich  auf  einer  miuTerttandenen   Stelle  bei  Panl  Diecoaos  IVI. 
der  nach  der  Abdication  des  Romulus  sagt  .*  ita  Romanorum  apud  Ronam  ti 
1S98  a.  a.  0.  475  a  Christo  periit. 


über  die  richtif^e  Abgrenzung  der  ilteo  Geschichte  etc.  579 

Angelegenheiten  des  ostgothischen  Reiches  mit  WafTengewalt  einzu- 
mischen. 

Nun  hatte  aber  das  Ereigniss  des  Jahres  476  gar  keine  univer- 
sal-historische Bedeutung,  selbst  für  Italien  nur  eine  vorübergehende, 
da  die  Herrschaft  Odoakers  zu  kurze  Zeit  dauerte  und  von  der  der 
Ostgothen  ebenso  nach  17  Jahren  (493)  beseitigt  wurde,  wie  die 
letzter  554  von  der  römischen,  worauf  erst  die  Wiederherstellung 
des  römischen  Reiches  erfolgte.  Ist  es  doch  höchst  bezeichnend,  daß 
Zonaras  von  diesem  welthistorischen  Factum  des  Jahres  476  gar 
nichts  berichtet! 

Man  kann  sich  nicht  der  Hoffnung  Raum  geben ,  dass  Andere, 
welche  als  Scheidepunkt  den  Tod  des  Theodosius  und  die  Theilung 
des  römischen  Reiches  in  zwei  Hälften ,  eine  östliche  und  eine  west- 
liche, annahmen,  von  dem  Gedanken  erfallt  waren,  die  Periodisirung 
nach  dem  Jahre  476  biete  zu  wenige  Anhaltspunkte  dar;  denn  welche 
die  nach  dem  Jahre  395  oder  gar  408  bieten  solle,  vermag  Niemand 
eiozuseheri.  Es  mfisste  nur  sein,  dass  man  dem  Wahne  huldigte,  erst 
damals  sei  eine  derartige  Scheidung  erfolgt,  wShrend  dieselbe  doch 
bis  auf  Marc  Anton  den  Triumviren  zurückgeht  und  abgesehen  von 
den  Zeiten  der  Antonine  und  des  Diocietian  sich  bei  den  Flaviern 
und  der  pannonischeu  Dynastie  vorfindet,  ja  Regel  ist. 

Es  ist  auch  vollständig  begreiflich,  dass  tiefer  Denkende  von 
solchen  äusseren  Veranlassungen  und  vorübergehenden  Thatsachen 
abstrahirten  und  auf  wichtigere  Momente,  welche  ein  wahrhaft  welt- 
historisches Gepräge  an  sich  trugen,  die  Scheidung  der  Welten  zu 
begründen  suchten.  Dass  unter  diesen  die  Völkerwanderung  eine 
hervorragende  Redeutung  einnehme,  wird  Niemand  Ifiugnen  wollen. 
Dass  dem  verderbten  Geschlechte,  welchem  selbst  das  Christen- 
thum  in  seiner  Jugendblüthe  nicht  mehr  Rettung  brachte ,  ein  wenn 
auch  rohes ,  doch  besseres  an  die  Seite  gesetzt ,  es  von  diesem  ver- 
drangt werden  müsse,  wenn  es  sich  nicht  bessere,  ist  nicht  blos  die 
Ansicht  neuerer  Geschichtschreiber  und  Philosophen,  sondern  durch- 
dringt auch  jene  Zeit  selbst»  wenngleich  sicher  ist,  dass  ein  plötz- 
licher Rruch  mit  der  Vergangenheit ,  eine  Zerstörung  jener  Cultur- 
elemente,  welche  das  römische  Reich  aus  den  beiden  Welten  des 
Alterthums,  der  hellenisch-polytheistischen  und  der  hebräisch-mono- 
theistischen mit  herübergebracht  hat »  das  sicherste  Mittel  gewesen 

39  • 


580  HöfUr 

wäre,   den  neuen  Völkern  alle  Cuiturelemente  zu  entziehen,  nicht 
aber  sie  mit  diesen  zu  befruchten. 

Allein  die  Völkerwanderung  war  ja  selbst  nur  ein  Moment  unter 
vielen,   welche  eine  neue  Zeit  herbeiführten,  wenngleich  ein  sehr 
wesentliches.    Sie  war  nicht  blos  eine  germanische,  noch  eine  blos 
hunnische,  sie  war  eine  slavisch-avarische,  eine  arabische,  zuletzt 
eine  mongolische  und  türkische  (seldschukische  und  osmanischej 
wie  eine  berberische.    Es  ist  nicht  nur  aqsserordentlich  schwer  zu 
sagen,  wann  die  Völkerwanderung  aufhörte,  da  sie  sich  stossweise 
durch  das  ganze  Mittelalter  hindurchzieht,  sondern  ebenso  schwer 
zu  sagen»  wann  sie  beginnt.    Mit  welchem  Rechte  da  zum  Jahre  37S 
gegriffen  wird,   dem   Hunnensturme,    wahrend  nicht  die   Hunnen, 
sondern  die  Germanen  den  Sturz  des  römischen  Reiches  entschieden 
und  die  Hunnen,  nachdem  sie  die  Gothenreiche  zertrümmert,  60 
Jahre  lang  sich  ruhig  verhalten,  ist  schwer  auszumitteln.    Die  ger- 
manische Völkerwanderung,  d.  h.  der  Einbruch  der  Germanen  in  das 
römische  Reich,  beginnt  aber  nicht  nur  früher,  lange  vor  375  und 
dauert  bis  669;  er  findet  nicht  blos  an  der  Donau,  sondern  auch  am 
Rhein  und  von  der  Maas  her  statt,  indem  die  Franken  nach  Gallien 
dringen  und  ein  Reich  begründen,  mit  welchem  sich  später  die  Wieder- 
herstellung des  römischen  Reiches  verknüpft.  Will  man  die  Gi*enz- 
scheide  zwischen  Alterthum   und  Mittelalter  mit  einem  Jahre  be- 
zeichnen, das  den  Eintritt  der  Völkerwanderung  als  massgebendes 
Ereigniss  darstellen  soll,  so  hat  man  den  wilden  Hunnen  mit  ihren 
Schildgesichtern  und   Beinen  wie  Brückenpfählen  zu  viel  Ehre  er- 
wiesen, als  man  ihren  Einbruch  auf  die  Gothen  als  Ausgangspunkt 
von  Ereignissen  nahm ,  die  vor  ihnen  schon  im  vollsten  Kommen  be- 
gritfen  waren,  nach  ihnen  und  unabhängig  von  ihnen   noch  Jahr- 
hunderte erfüllten.    Was  hat  denn  etwa  der  Hunnensturm  für  einen 
Einfluss  auf  den  Verlust  Britanniens,  auf  die  Eroberung  Afrika'.^ 
durch  die  Vandalen,  Spaniens  durch  die  WestgotJien,  Galliens  durch 
Burgunder,  Westgothen  und  Franken  ausgeübt?  Handelt  es  sich  am 
einen  universalhistorischeu  Abschnitt,   um   die   Begründung   einer 
neuen  Ära,  so  darf  nicht  ein  Ereigniss  dazu  verwendet  werden,  das 
selbst  dem  Wellenschlage  zu  vergleichen  ist,  der  ruhelos  hin  und 
herwogt. 

Es  ist  nun  kein  Grund  vorhanden,  warum  dazu  nicht  Ereignisse 
dienen  sollten,  welche  aut  das  römische  Reich  einen  nachhaltigen 


über  die  richtige  Abgrenzung:  der  alten  Geschichte  etc.  58t 

Eiiifluss  ausgeübt  haben,  nachdem  dieses  sich  mit  dem  Bestände 
<ier  ciTilisirten  Welt  identificirt  hatte  und  selbst  den  Chinesen, 
welehe  im  aussersten  Osten  Asiens  das  Gesicht  dem  grossten  aller 
Oceane  zugewendet,  ihre  Jahrtausende  zählende  Cultur  wahrten, 
Ehrerbietung  einftosste.  Nur  muss,  wie  Stoddart  richtig  bemerkte, 
mIs  Eintheilungsgrund  eine  Thatsache^  genommen  werden ,  die  für 
die  orientalische  Welt  eine  ebenso  grosse  Bedeutung  gewann ,  als 
für  die  occidentale.  Sie  muss,  mochte  ich  hinzusetzen,  auT  den 
grossen  Weltenkampf  zwischen  Orient  und  Occident,  der  sich  in  der 
alten  Geschichte  vollzieht,  einen  ebenso  grossen  Einfluss  gewinnen, 
als  sie  andererseits  einen  Gegensatz  zu  der  ganzen  bisherigen 
Entwicklung  bezeichnen  muss,  an  welc,hen  sich  naturgemäss  die 
neue  Entwicklung  ebenso  anschliesst  als  die  altere  davon  nichts 
wissen  wollte. 

Das  erste  Moment  nun,  auf  den  Orient  gleichmassig  wie  auf  den 
Occident  eingewirkt  zu  haben  und  zugleich  auch  im  innei*sten 
Zusammenhange  mit  der  romischen  Geschichte  gestanden  zu  sein, 
kommt  vor  Allem  der  Verlegung  der  Residenz  romischer 
Kaiser  von  Rom  und  Italien,  von  der  Nahe  der  Küste  von  Kar- 
thago, von  dem  Sudabhange  der  Alpen  nach  der  Schwelle  von 
Europa  und  Asien,  nach  Konstantinopel  zu,  das  im  Angesichte  des 
Orientes  an  den  Ausläufern  des  schwarzen  und  des  mittelländischen 
Meeres  gebaut  eine  fortwährende  Drohunsr  für  den  Orient  und  dessen 
bedeutendstes  Reich  der  damaligen  Zeit,  da»  neupersische  war  <)• 
Konstantinopel  setzte  zu  seinem  Bestände  einen  Wall  asiatischer 
Provinzen  voraus.  Es  war  unschwer  einzusehen,  dass  ein  Reich,  dessen 
Hauptstadt  auf  dem  Grunde  von  Byzantion  gebaut  war  und  ringsum 
griechische  Städte  zu  Nachbarn  hatte,  nicht  im  lateinischen,  sondern 
im  griechischen  Theile  des  Reiches  lag  und  eine  vorzugsweise  griechi- 
sche Bevölkerung  erlangte,  auch  diesem  Element  des  römischen  Reiches 
eine  Stärkung  verschaffen  werde,  wenn  auch  die  Gründung  von 
Konstantinopel  noch  nicht  unmittelbar  voraussetzte,  dass  das  Reich 
selbst  ein  griechisches  werden  würde.  Dazu  war  damals  das  lateini- 
sche' Element  noch  zu  sehr  überwiegend  und  es  bedurfte  dazu  Er- 
eignisse, welche  sich  im  Jahre  330,  dem  Gründungsjahre  von  Kon- 


0  Ver^l.  Lesire  de  Phere  bist.  d^Arm^nie.  V.  Lun^iois  collection  des  historiens  ancient 
et  modernet  de  TAroi^nie.  T.  11.  p.  261. 


582  Hdfler 

stantinopel,  noch  gar  nicht  ahnen  Hessen,  um  diese  neue  Kaiser- 
stadt, Roma  uova,  zur  Hauptstadt  eines  griechischen  Reiches  zu 
machen.  Wie  bedeutend  aber  diese  That  für  den  Orient  seihst  war, 
hat  das  Auttreten  desselben  in  mehr  als  eilfhundert  Jahren  sattsam 
bewiesen.  Weicher  Pfahl  im  Fleische  damit  gegeben  war,  haben  die 
Perser,  die  Araber,  die  Seldschuken,  die  Osmanen  durch  ihre  unab- 
lässigen Angriffe  auf  Konstantinopel  gezeigt,  während  eine  gleiche 
Feindschaft  der  Hunnen,  der  Avaren,  der  Bulgaren,  der  Gräco- 
slaven,  der  Normanen  die  ungeheure  Bedeutung  dieser  Stadt  fQr  das 
Abendland  bewies.  Sie  war  ein  Wellenbrecher  morgen-  und  abend- 
ländischer Völlierwanderung.  Als  der  Untergang  Alt-Roms  „durch 
Erdbeben  und  Blitzstrahlen**  bestimmt  zu  sein  schien,  erhielt 
sich  Neu-Rom  und  wurde  es  die  prachtvollste  Stadt  nicht  blos 
Europa*s,  von  wo  dem  staunenden  Auge  das  Wunder  moderner  Bau- 
kunst, die  Hagia  Sophia,  entgegenleuchtete.  Es  hatte  im  weite» 
Westen  nicht  seines  Gleichen;  nur  die  Kalifenstädte,  die  aber  ferne 
vom  Zauber  des  Meeres  sich  in  unermesslichem  Schimmer  ausbreite- 
ten, konnten  an  Ausdehnung,  orientalischer  Pracht,  wenn  auch  nicht 
an  Schönheit  der  landschaftlichen  Umgebung,  an  Festigkeit  und 
Stärke  mit  Konstantinopel  wetteifern.  Keine  sah  Jahrhundert  für 
Jahrhundert  die  Völker  vor  ihren  Mauern  sich  zum  Kampfe  rüsten, 
die  See  mit  ihren  Flotten  bedecken  und  eben  so  oft  Land  und  Heer 
in  ein  weites  Leichentuch  ihrer  Dränger  und  Bedrücker  umgewandelt. 
Alles  dieses  aber  reicht  nicht  aus,  die  Gründung  von  Konstantinopel 
als  ein  weltgeschichtliches  Ereigniss  zu  kennzeichnen ,  stark  genug, 
als  Marksäule  zwischen  Alterthum  und  neuer  Zeit  bleibend  aufge- 
richtet zu  werden. 

Die  alte  Geschichte  trägt  den  Charakter  eines  zweifachen 
Dualismus  an  sich.  Der  eine,  der  Kampf  zwischen  Orient  und 
Occident,  ist  seit  den  Tagen  von  Marathon,  Salamis  und  Platäa, 
seit  dem  Auftreten  der  Römermacht  zu  Gun.sten  des  Occideutes 
entschieden,  obwohl  die  Macht  des  Orientes  selbst  den  macedoni- 
schen  Sieger  in  ihren  geheimnissvollen  Zauberkreis  zu  ziehen  ver- 
mochte und  der  König,  welcher  Persepolis  den  Flammen  übergab, 
doch  von  Babylon  aus  die  Welt  zu  regieren  gedachte.  Gegen  das 
Ende  der  alten  Welt  war  das  neupersische  Reich ,  die  Sassaniden- 
herrschaft  mit  all  den  Traditionen  von  Weltherrschaft,  die  das 
frühere  Achämenidenreich  besass,  mit  der  Feindschaft  gegen  den 


über  die  ricbtigt;  Abgreniung  der  alten  ßescbichte  etc.  583 

hellenischen  Polytheismus,  mit  dem  GefOhle  entstanden,  die  besiegte 
Welt  an  dem  römischen  Sieger  zu  rächen,   gegen   welche   einst 
Mithradates  Könige  und  Völker  Asiens  zu  den  Waffen  gerufen  hatte. 
Hatten  die  Parther  den  Triumvir  Crassus  gefangen  und  getödtet, 
so  kam  jetzt  der  Kaiser  Gailienus  in  die  Gefangenschaft  der  Perser 
und  diente   sein  Rücken   dem   siegreichen   Könige   als   Steigbügel 
sein  Schlachtross  zu  besteigen.   In  diesem  Kampfe,  welcher  den 
alten  Dualismus  erneute,   war  die  Begründung  von  Konstantinopel 
ein  Moment,  so  wichtig  wie  einer  der  glänzendsten  Feldzüge  Tra- 
jaas  oder  des  Eroberers  von  Palmyra.    Sie  verlegte  den  Schwer- 
punkt des  römischen  Erdkreises   von  der  Mitte  nach  dem  Osten, 
erhöhte  in  dieser  Beziehung  die  VertheidigungsKhigkeit  desselben 
ganz  ausserordentlich,  machte  das  Heer  zwischen  Europa  und  Klein- 
asien  zum  römischen  Kriegshafen  und  letzteres  selbst  zum  Glacis 
einer  der  stärksten  Festungen  der  Welt,  zur  weiten  Ausfallbröcke 
an  den  Kaukasus  und  die  Höhen  von  Iran,  nach  Ungarn  und  Italien. 
Allein  das  Wichtigste  folgte  erst  nach.  Von  den  mythologischen 
Religionen,  in  welche  sich  die' Völker  des  Alterthums  getheilt,  waren 
die  wenigsten  ihrer  Natur  nach   geeignet,   Propaganda  zu  machen 
and   auf  andere  Völker  einzuwirken.     Der  Polytheismus  Ägyptens 
war  so   verschwistert   mit   dem   Nilthale,    dem    grossen   Strome, 
den    Felsengräbern,  und    Bergen    zu    vergleichenden    Grabstätten 
in  der  Ebene»  dass  ausserhalb  Ägyptens  für  seine  Götter  kein  Platz 
war.   Sie  fanden  nirgends  die  rechte  Lebensluft,  die  Götter  nicht 
ihre  Wohnungen,  die  Menschen  nicht  ihre  Gräber,  die  Thiere  nicht 
ihre  Pflege  und  Tempel.   In  ähnlicher  Art  war  es  mit  dem  Pantheis- 
mas  der  Inder,  welcher  des  Ganges,  seiner  Blumen,  Wälder,  seiner 
Sonne,   seiner   Thierwelt  bedurfte,   für  Menschen  ausserhalb  der 
indischen  Welt   war  er  nicht   geschaffen.    Erst   der  Buddhismus, 
weicher  sich  von  der  Brahminenlehre  losgerissen  und  einen  allge- 
meinen Charakter  angenommen  hatte,  drang  auch  ausserhalb  Indiens 
und  nahm  einen   welterobemden,   welthistorischen   Charakter   an.. 
Das  Gleiche  that  der  Hellenismus  mit  seinen  mehr  humanen ,  allge- 
mein menschlichen  Satzungen ,  indem  er  seit  Alexander  d.  G.  wilder 
orientalischer  Sitte  ebenso  entgegen  trat,  wie  das  Römerthum  die 
blutigen  Altäre  gallischer  Celten  umwarf.   In  dem  grossen  Kampfe» 
der  sich  zwischen  Monotheismus,  den  die  Semiten  vertraten,  und  dem 
Polytheismus ,  dem  Erbe  der  Chamiten  und  Japhetiden  hinzog  und 


584  Höfler 

die  alte  Welt  umtasste,  war  ab«r  der  erste  erlegen.  Der  Poly- 
theismus triumphirte,  seit  die  Burg  des  Monotheismus,  Jerusalem, 
durch  Titas  niedergeworfen  wurde  und  die  heiligen  Gefässe  des 
Tempels  von  dem  Sieger  nach  der  Weltstadt  Rom  gebracht  worden 
waren.  Seitdem  war  aber  im  Polytheismus  selbst  eine  Veränderuag 
hervorgegangen.  Er  hatte  keinen  Nebenbuhler,  vermochte  aber  ia 
seiner  einsamen  Siegesgrosse  mit  der  überwundenen  Welt  nichts 
anzufangen.  Er  schuf  sich  selbst  eine  künstliche  Einheit;  er  wurde 
grausam  und  blutdürstig  gegen  diejenigen,  welche  ohne  ihn,  ja 
vor  ihm  und  gegen  ihn  zu  einer  Einheit  gekommen  waren;  er  hatte 
das  Gefühl  seines  Ungenügenden,  empfand  den  Mangel,  die  Ud- 
möglichkeit  die  Geister  zu  befriedigen  und  erfüllte  die  Welt  mit 
sinnlosen  und  abergläubischen  Ceremonien,  die  er  borgte,  wo  es 
möglich  war,  und  je  mehr  er  nach  dieser  Seite  hin  that,  desto 
mehr  entfremdete  er  sich  diejenigen,  welche  sich  von  seiner  inneren 
Leere  abgestossen  fühlten,  die  Empfindung  des  Ekels  über  sein 
hohles  nichtiges  Wesen  nicht  von  sich  stossen  konnten.  Er  fühlte, 
dass  eine  grossartige  Veränderung  von  unberechenbarer  Tragweite 
im  Zuge  sei,  ohne  den  unsichtbaren  Feind  bewältigen  zu  können. 
Er  fand  sich  bald  an  allen  Orten  angegriffen,  im  Hause,  im  öffent- 
lichen Cultus  und  Leben,  in  Kunst  und  Wissenschaft  und  konnte 
sich  doch  seines  Feindes  nicht  erwehren.  Er  entfaltete  das  gauze 
Gepränge  materieller  Waffen,  qualvoller  Hinrichtungen,  ausge- 
suchter  Verfolgungen  und  das  Übel  wurde  nur  noch  ärger.  Es  war 
ein  Kampf  im  romischen  Reiche,  länger,  beharrlicher,  gefährlicher 
als  jeder  vorhergehende  und  er  war  auch  zugleich  kein  römischer, 
da  er  an  allen  Orten  auftauchte ,  von  den  Wüsteneien  Afrika*s  bis 
zu  den  Wäldern  und  Sümpfen  Germaniens,  von  Indien  bis  zu  den 
Säulen  des  Herkules.  Die  jüdischen  Gemeinden,  welche  über  alle 
Welt  zerstreut  waren ,  hatten  dem  Feinde  den  Weg  bereitet ;  als 
sie  sich  gegen  die  neue  Bewegung  erklärten,  bedurfte  sie  ihrer 
nicht  mehr  und  ergriff  sie  die  Heiden.  Als  diese  sie  verfolgten« 
flüchtete  sie  in  die  Katakomben  und  barg  Cultus  und  Dogma  in  den 
Eiugeweiden  der  Erde.  Da  ward  bald  kein  Ausgleich  mehr  möglieh, 
keine  Versöhnung;  es  hiess  siegen  oder  untergehen.  Eine  Vital- 
frage war  an  das  römische  Reich,  an  die  ganze  Menschheit  heran- 
getreten; man  musste  sich  für  oder  wider  entscheiden  und  toq  der 
Entscheidung  hing  die  Zukunft  ab.    Wer  es  zuerst  mit  Erfolg  that. 


Cher  die  richtige  Abgreniung  der  alten  Geschichte  etc.  585 

blieb  Sieger,  Römer  oder  Nicbtromer.  Brachte  aber  das  Zaudern  wie 
das  Verfolgungssystem  der  Romer  hervor ,  dass  das  Christentbum, 
denn  darum  bandelte  es  sich »  auch  von  anderen  Völkern  und  viel- 
leicht noch  früher  als  von  den  Römern  angenommen  wurde,  nun 
so  gehorte  die  Zukunft  nicht  mehr  den  Römern  aliein  und  es  mnsste 
sieh  dann  nur  mehr  herausstellen,  wie  sich  die  christlich  römische 
Welt  zur  christlichen  Nicht -Römerwelt  verhalten  werde.  Das 
vierte  Jahrhundert,  welches  im  Anfange  noch  die  härteste  Christen- 
Verfolgung  sah,  fruchtlos  sah,  musste  diese  Entscheidung  bringen. 
Länger  konnte  und  durfte  sie  nicht  hinausgeschoben  werden. 

Allein  die  Frage  war  für  das  römische  Reich  bei  seiner  eigen- 
thürolichen  Vergangenheit  und  der  innigen  Verbindung  seines  poly- 
theistischen Cultus  mit  Staat  und  Reich  nichts  weniger  als  leicht 
oder  einfach  zu  lösen.  Auf  welche  Seite  sollte  sich  ein  Kaiser  mit 
dem  ganzen  Gewichte  seines  Ansehens  und  seiner  Macht  werfen? 
Brach  er  mit  den  alten  Göttern,  wer  stand  dafür,  dass  die  von 
ihm  getroffene  Wahl  eine  glückliche  war,  nachdem  unter  den 
Gottern,  die  er  jetzt  verschmähte,  Rom  gegründet,  Roms  Macht 
sieh  erhoben,  zur  Weltmacht  gediehen  war?  That  er  es  nicht,  so 
hatte  er  es  eben  mit  einer  unsichtbaren  Macht  zu  thun,  welche 
sich  nicht  mehr  bewältigen,  nicht  mehr  berechnen  liess.  Die  Resul- 
tate einer  welthistorischen  Bewegung,  die  bis  in  die  Wurzeln  und 
Anfange  der  Geschichte  hinaufreichten,  drängten  aber  auch  ihn 
gewaltsam  zu  einer  Entscheidung.  Sie  bestimmte  nicht  blos  die 
Zukunft  Roms,  sondern  der  ganzen  Welt. 

Das  Edict  von  Mailand  hatte  die  politische  Gleichstellung  der 
beiden  Culte,  dieser  unversöhnlichen  Gegensätze  ausgesprochen, 
somit  war  vor  dem  Staate  die  Gleichheit  des  innerlich  abgestorbenen 
Polytheismus,  welcher  nothgedrungen  seine  Verfolgungen  einstellen 
musste,  und  des  lebensfrischen  Christenthums  ausgesprochen,  das 
in  seinem  Gegner,  seinem  ohnmächtigen  Verfolger,  in  dem  Poly- 
theismus nur  mehr  „ein  Werk  des  Teufels*«  gewahrte  und  jetzt 
sah,  dass  der  Staat  die  Lüge  der  Wahrheit,  „Christus  dem  Belial"* 
gleichberechtigt  zur  Seite  stelle.  Was  hatten  die  Christen  bisher  von 
dem  Staate  gehabt?  Entziehung  der  einfachsten ,  der  natürlichen 
Gerechtigkeit.  Der  Staat  selbst  aber  war  ein  Mechanismus  der 
eomplicirtesten  Art  geworden ,  der  sich  und  Anderen  zur  Last  war 
und  dessen  Leitung  selbst  ein  Diocietian,  der  verkörperte  Gott  Roms, 


586  Hxöfler 

nicht  mehr  fortzufahren  den  Muth  hatte.  Dieser  Zustand  der  Dinge 
liess  sich  in  die  Länge  nicht  mehr  ertragen.  Aufstrebendes  und 
Niederstürzendes  lässt  sich  nicht  an  denselben  Wagen  spannen. 
Siebenzehn  Jahre  schleppte  sich  dieser  Zustand  noch  fort .  bis  Con- 
stantin  als  Alleinherrscher ,  fünf  Jahre  nach  dem  grossen  Concil  von 
Nicäa,  das  alle  Vorstände  der  christlichen  Welt  um  den  Kaiser  ver- 
sammelt sah,  den  Entschluss  fasste  und  ausführte,  eine  neue  Haupt- 
stadt des  romischen  Erdkreises  aufzurichten  und  mit  allen  seinen 
polytheistischen  Traditionen  und  mit  alledem,  viras  sich,  seit  dem 
Zwillingspaare  die  einweihenden  Adler  erschienen  waren  •  begeben 
hatte,  offen  zu  brechen. 

Es  war  einer  der  feierlichsten  Augenblicke  der  Weltgeschichte, 
als  die  christliche  Stadt  des  Erdkreises  330  begründet  vmrde  und 
nun  von  den  verlassenen  Tempeln    und  Culturstätten   die    antiken 
Götterbilder  Gefangenen  gleich  und  zur  Verherrlichung  des  Sieges 
des  Kreuzes  nach  Konstantinopel  gebracht  wurden  >).  Mochte  Con- 
stantin  selbst  auf  seinen  Münzen  noch  der  heidnischen  Hälfte  der  Be- 
völkerung zu  Liebe,  deren  Cäsar  et  pontifex  er  war,  den  sol  invictus 
bewahren,  sie  zeigten  ebenso  auch  das  Labarum,  das  Symbol  des  zum 
Siege  gekommenen  Christenthumes,   neben  welchem  für  den 
Polytheismus  keine  Stätte  war.   Er  hatte  seitdem  nur  mehr 
zu  sterben,  der  Grundcharakter  des  Alterthums  war  überwunden, 
der  Zauber  der  Mythologie  gelost.   Sie  stand  da  wie  ein  entblätterter 
Baum,  wie  ein  lebloses  Nichts,  das  keine  Zukunft  vor  sich  und  nur 
eine  grossartige  Täuschung  der  Welt  hinter  sich  hatte.  Was  seit  300 
Jahren  im  Stillen  sich  vorbereitet  hatte,  war  jetzt  zum  Durchbruebe 
gekommen,  eine  neue  Ära  eingetreten,  die  Welt  ward  seitdem  eine 
andere.    Die  Brücke  zum  Verständnisse  mit  den  grimmigen  Feinden 
Rom*s,  mit  den  barbarischen  Volkern  war  geschlagen  und  es  lag 
nur  mehr  an  den  christlich  römischen  Kaisern,  wenn  sie  wollten, 
den  Umbau  ihres  Reiches  mit  neuen  Ideen,    neuen   Institutionen, 
neuen  Völkern  in  Ausführung  zu  bringen;  was  zum  Absterben  be- 
stimmt war.  was  den  Tod  im  Herzen  trug  zu  beseitigen  und  die 
Erneueruifg  der  Welt  im  grossartigsten  Maassstabe  durchzuführen. 


<)  E»  war  das  welthistorische  Gegeostuck  zu  dem  was  Eusebius  io  der  Kirchen^«- 
schichte  H.  U  von  dem  hl.  Petrus  sagte:  ^fxjropiov  toö  voijrou  ywrof  d 
dtvaroXuy  rot;  xara  duffcv  cxofjii^cv. 


über  die  richtige  Ahgreniuiig  der  Riten  Geschichte  etc.  587 

Das  Alterthum  war  zu  Ende  gekommeu.  Es  erwies  sich  als  eine  für 
sich  abgeschlossene  Periode,  deren  Ideenkreis  Niemand  zu  erwecken 
vermag,  die  selbst  nur  an  einen  geringen  Kreis  von  Völkern  ge- 
bunden war,  von  welchen  die  einen  in  völliger  Isolirung  von  ein- 
ander tbeilnamslos  um  das  Geschick  anderer  und  ohne  einen  Trieb, 
aul'  diese  einzuwirken ,  Jahrtausende  lang  ihr  Einsiedlerleben  fort- 
führten,  die  anderen  nur  vorhanden  zu  sein  schienen,  um  vorausge- 
gangene Existenzen  zu  zertrümmern  und  auf  ihren  Grabern  die  eigene 
Grösse  zu  begründen.   Diesem  Zustande  der  Herrschaft  der  Gewalt, 
der  successiven  Entwicklung  einzelner  Volker  ohne  Rücksieht  auf  ein 
geroeinsames  Ganzes  musste  ein  Ende  bereitet  werden.  Der  Gedanke 
einer  gemeinsamen  Aufgabe  Aller,  des  Zusammenwirkens  der  ver- 
schiedensten Volker  zu  einem  Ziele  musste  an  die  Stelle  der  bisherigen 
Isolirtheit  treten ;  die  Einheit  der  rohen  Gewalt  einer  höheren ,  mehr 
idealen  Macht  Platz  machen;  eine  so  viel  als  mdgUch  gleichmässige 
Cultur  Aller  auf  gemeinsamer  Grundlage   gewonnen   werden   und, 
während  bisher  die  NationalitSt  alles  war,  zum  Besondern  und  Tren- 
nenden, sich  das  Allen  gemeinsame,  das  Alle  vereinigende  Moment 
hinzugesellen«  Gelang  es  dem  von  Konstantinopel  aus  neuorganisirten 
römischen  Reiche  diese  fruchtbaren  Ideen  sich  eigen  zu  machen,  die 
nationale  Scheidewand  niederzureissen,  die  bisherigen  Barbaren  durch 
das  Band  des  gemeinsamen  Cultus  an  sich  zu  knüpfen,  so  geborte 
dem  Römerreiche  auf*s  Neue  die  Welt;  und  war  das  Reich 
vor  330  der  langsame  Tod  der  alten  Welt  gewesen,  so  feierte  jetzt 
das  Römerreich,  verjüngt  durch  neue  Völker,  durchgeistet  von  neuen 
Ideen  eine  Palingenesie  ohne  Gleichen.  Reichte  aber  dazu  das  Maass 
der  Einsicht  nicht  hin  oder  war  der  Tod  schon  zu  weit  gedi*ungen,  der 
Verwesungsprocess  unaufhaltsam ,  so  musste  sich  freilich  über  kurz 
oder  laug  eine  Scheidung  zwischen  den  alten  und  den  neuen  christ- 
iicben  Völkern  bilden,  abgesehen  von  dem  Umstände,  dass  ja  die 
antike  Welt  noch  eine  Anzahl  lange  behüteter  Völker   in  ihrem 
Schosse  geborgen  hatte,  deren  Stunde  auch  schlug,  die  auch  einen 
Antheil  an  der  Weltgeschichte  nehmen  wollten^  so  gut  wie  jene 
Hunnen,  Avaren,  PetschenegeU;  Tataren  und  Mongolen,  welche  von 
der  Mitte  Asiens  nach  dem  Westen  stürmten.   Die  Franken  nannten 
sich  gens  autore  Deo  condita.   Auch  die  Söhne  Ismaels  glaubten  an 
eine  Verheissung,  und  hatte  die  alte  Welt  die  Hebräer  politisch  ver- 
nichtet, so  konnte  es  die  neue  und  diristliche  Ära  treffen,  sich  mit 


OOO       HÖH  er,  n>er  flie  riclitig^e   Ai>gren7.iiii|^  der  »Heu   Geschii-hte  etc. 

der  isinaelitisch-arabisvheu  Welt  ku   messen  und  einen  Kampf  zu 
bestehen,  der  an  die  Tage  von  Salamis  und  Gaugamela  eriunem 
musste.  Die  Gestaltung  des  ersten  grossen  Zeitabschnittes  der  christ- 
lichen Ära  hing  wesentlich  davon  ab,  wie  man  im  Kaiserpalaste  zu 
Konstantinopel  die  Weltaufgabe  erfasste.    Hier  ruhten  die  Würfel, 
die  ober  das  Geschick  von  Jahrhunderten  entschieden.   Als  die  ger- 
manischen Volker  von  der  unteren  Donau  aus  sich  gegen  das  romiscbr 
Reich  in  Bewegung  setzten,  konnten  sie  von  der  Hauptstadt  abge- 
leitet werden;  man  gab  theilweise  den  Westen  preis,  um  ihn  bei  ge- 
legener Zeit  wieder  zu  holen.  Als  die  Hunnen  zum  zweiten  Maie  herein- 
brachen •  wurden  sie  von  Kanstantinopel  weg  und  nach  dem  Westen 
getrieben,  der  bereits  die  Vereinigung  von  Römern  und  Germanen  sah 
und  dadurch  Attila  von  sich  abwehrte.  Als  die  Avaren,  die  Bulgaren, 
die  Slaven  kamen ,  der  Westen  bereits  seine  Herren  hatte  und  die 
neuen  Angriffe  der  illyrischen  Präfectur  galten,  wurde  all  ihr  Be- 
ginnen dadurch  vereitelt,  dass  keines  von  diesen  Völkern  Konstanti- 
nopei  gewinnen  konnte;  als  die  Perser,  die   Araber  losstürmten, 
hing  die  Herrschaft  der  Welt  vom  Besitze  von  Konstantinopel  ab. 
Als  sie  es  nicht  erlangten ,  zerschellten  die  Einen ,  zersplitterte  sich 
die  Macht  der  Andern  und  rettete  dieser  Felsen,  den  Constantin  aut- 
gethürmt,  die  übrige  Welt,  das  christliche  Europa,  nachdem  die 
asiatische  und  afrikanische  Christenheit  schon  in  die  Hände  der 
Moslim  gefallen  war.    Er  schützte ,  ob  mit  ob  gegen  seinen  Willen, 
die  Wiege  abendiftndischer  Cultur,  welche  hinter  ihm  erstarkte  und 
den  endlichen  Untergang  Konstantinopels  mit  seinem  Herzblute  be- 
zahlen musste.    Damit,  mit  der  Losreissung  des  Zauberringes  vom 
christlichen  Europa  begann  dann  auch  die  zweite  Ära  der  neueren 
Zeit,  in  welcher  die  Riegel  der  alten  Welt,  in  deren  Verschluss  sich 
noch  das  Mittelalter  bewegt  hatte,  völlig  gesprengt  wurden. 


f 


Müller.  Bemerkungen  über  zwei  armenische  KeiMn-tchriften.  589 


Bemerkungen  Ober  zwei  armenische  Keil-Inschriften. 

Von  Dl*.  Friedrich  MQller, 

ProfnMr  aa  der  Wiener  Uaiverfitlt. 

Die  armenische,  im  Kloster  Ed8chiniailsin(^£ir^Mf^^lEr)  gedruckte 
Moaatschrift  Ararat  (uipoiputa,  atJuut^p)  theilt  im  October-Novem- 
ber-Hefte  1869.  pag.  138  und  im  Februar-Hefte  1870,  pag.  248 
zwei  Keil-In3chriften  (p&i^a.mjf,fip^)  mit ,  von  denen  die  erstere  in 
den  Trümmern  der  alten  Stadt  Armavir  {utpiTmuffp    vide  Leon  Ali- 

sehanean  at&qui^p  ^tf^S  «^^«^^  f^E-  ^^>  §•  ^^9)'  ^'^  zweite  in 
der  Stadt  Zolakert  (^o^j^&pm},  dem  heutigen  Tasch-burun  gefunden 
worden  ist.  Da  diese  Inschriften  der  armenischen  Keilscbriftengattuug 
angehören,  von  welcher  bisher  wenige  Denkmäler  genau  publicirt 
worden  sind  und  deren  Erklärung,  so  viel  mir  bekannt,  noch  von 
Niemandem  mit  Erfolg  versucht  worden  ist,  so  erlaube  ich  mir  diese 
beiden  Texte  hier  zu  reproduciren ,  in  der  festen  Überzeugung,  dass 
die  oben  erwähnte  Monatschrift  ohnedies  wenigen  Gelehrten  zugäng- 
iieh  sein  durfte  und  ich  einige  nicht  unwesentliche  Punkte  gefunden 
zu  haben  glaube,  welche  die  Entzifferung  der  in  Rede  stehenden 
Denkmäler  fordern  könnten. 

Die  erste  der  beiden  Inschritlen,  aus  dreizehn  Zeilen  bestehend. 
Von  denen  auf  jede  zehn  bis  zwölf  Zeichen  kommen,  beflndet  sich 
gegenwärtig,  wie  der  Entdecker  derselben,  Dr.  Mesrob  Sembateanz 
(iT&upn^^  tfmpt^atlhm  uJpmuibmltß)  berichtet,  im  Muscum  des 
Klosters  Edsclimiadsin;  die  zweite,  welche  aus  nur  zwei  Zeilen 
besteht,  reprasentirt  blos  den  Anfang  und  das  Ende  einer  aus  vier 
und  zwanzig  Zeilen  bestehenden  Inschrift,  von  welcher  sehr  zu 
wünschen  ist,  dass  sie  auch  gleich  der  ersten  in  sichere  Hände 
gelangen  und  publicirt  werden  möge. 


J 


590  Mnller 

Zunächst  einige  Bemerkungen  über  einzelne  Zeichen. 

A.  X.  8  ist  mit  A.  XI.  8  und  A.  VI.  8  identisch:  der  links- 
stehende Horizontal-Keii  ist  nur  etwas  mehr  aus  einander  gezogen. 

A.  XI.  II  ist  dasselbe  Zeichen  wie  A.  X.  10  und  A.  VI.  10. 
Daher  muss  auch  A.  VI.  9  mit  A.  X.  9  und  A.  XI.  9  identisch  sein. 

A.  XI.  hat  iin  vorletzten  Zeichen  (XI.  10)  mehr  gegenüber  X 
und  VI.  welche  Zeichen,  VI.  7  —  10.  X.  7  —  10,  XI.  7— 11.  eine 
Wortform  bilden  müssen;  daher  kann  A.  XI.  10  nur  ein  Vocal- 
z eichen  zu  der  vorhergehenden  Sylbe  sein. 

Auf  gleiche  Weise  finden  wir  in  A.  V.  das  letzte  Zeichen  (V.  10) 
gegenüber  den  beiden  Parallelen  A.  X.  1  und  A.  XI.  1  überschussig: 
es  kann  also  A.  V.  5  nur  als  Vocalzeicheu  zu  dem  vorhergehenden 
Sylbenzeichen  aufgefasst  werden.  In  derselben  Bedeutung  finden  wir 
dasselbe  Zeichen  in  A.  XII.  als  XII.  4  gegenüber  Z.  11,  indem  in 
beiden  Inschriften  A.  XII.  2^-6  und  Z.  11.  2 — 5  ein  und  dasselbe 
Wort  bilden. 

Wenn  wir  ferner  A.  VI.  gegenüber  von  A.  X.  und  A.  XI.  be- 
trachten, so  erscheint  in  dem  ersteren  das  Zeichen  VT.  6  gegenüber 
den  beiden  Parallelen  überschüssig;  es  scheint  also  auch  als  Vocal- 
zeichen  aufgefasst  werden  zu  müssen.  Somit  hätten  wir  drei  Vor- 
zeichen, nämlich  VI,  »yT*-  und  ^^  aus  der  Reihe  der  Keilfiguren 
ausgesondert. 

Über  die  Bedeutung  der  einzelnen  Zeichen  sich  auszusprechen, 
ist  ziemlich  schwer;  man  kann  nur  sagen,  das  zweite  Zeichen  müsse 
einen  unter  den  Vocalen  am  häufigsten  in  der  Sprache  vorkom- 
menden Vocal  bezeichnen  (s.  d.  Verzeichniss),  das  letzte  Zeichen 
dagegen  einen  Vocal ,  der  in  der  Sprache  nur  selten  zur  Anwendung 
kommt. 

Wir  geben  nun  einige  Bemerkungen  über  einzelne  in  den 
Inschriften  vorkommende  Worte. 

Das  Wichtigste  derselben  scheint  mir  in  A.  XII.  2 — 6  zu  stecken, 
da  es  auch  in  Z.  11.  2 — 6  wiederkehrt.  —  In  A.  XII.  finden  wir  den 
Vocal  der  zweiten  Sylbe  vollständig  ausgedrückt,  während  er  in 
Z.  II.  nur  durch  das  betreffende  Sylbenzeichen  wiedergegeben  wird. 
Das  betreffende  Wort  muss  denselben  Consonanten  sowohl  im 
An-  als  auch  im  Auslaut  besitzen. 

Ob  A.  XII.  7 — 8  ein  Wort  bildet,  ist  mir  etwas  zweifelhaft: 
wenn  es  aber  der  Fall  ist»  so  ist  es  mit  Z.  I.  1 — 2  identisch  und 


Bemerkungen  über  zwei  nrnienische  KeiUlnachrifteo.  59  I 

könnte  vielleicht,  vorausgesetzt  dass  Z.  in  ihrem  Anfange  nicht  ver- 
stümmelt ist,  das  Pronomen  der  ersten  Person  singul.  (arm.  ^i/?) 
darstellen. 

Das  Zeichen  Z.  ü.  6  kann  nur  ein  Partikel  oder  Flexionsendung 
repräsentiren,  da  wir  es  A.  XII.  1  zwischen  den  beiden  Wortformen 
A.  XI.  i  Bnde  und  A.  XII.  2—6  wiederfinden. 

Eine  sehr  wichtige  Wortreihe,  welche  sich  in  A.  dreimal 
wiederholt,  steckt  in  A.  6  und  in  den  Parallelen  A.  X.  2—10  und 
A.  XI.  2 — 11.  Dass  dies  wenigstens  zwei  Worte  sein  müssen,  dies 
ist  mehr  als  sicher;  wo  aber  das  eine  Wort  aufbort  und  das 
andere  beginnt,  vermag  ich  nicht  zu  entscheiden. 

Was  nun  den  Charakter  der  armenischen  Keilschrift  anlangt, 
so  ist  sie  eine  Sylbenschrift  i)  und  steht  als  solche  der  Quelle 
näher  als  die  altpersische.  Sie  hat  mit  der  letzteren  keine  Ver- 
wandtschaft; wie  sie  mit  den  anderen  Keilschriften,  der  assyri- 
schen, babylonischen,  der  sogenannten  scythischen  und  der  susischen 
zusammenhängt,  kann  vor  der  Hand  nicht  entschieden  werden. 


Cbersieht  der  in  beiden  Inschriften  vorkonnenden  Keichen. 

I.  Zeichen,  welche  aus  einem  Keile  bestehen  : 

I  A.  I.  5,  A.  XII.  8.  Z.  I.  2. 
3-  A.  VI.  6. 
(  A.  III.  2. 

II.  Zeichen,  welche  aus  zwei  Keilen  bestehen : 

^  A.  XIII.  3. 
^~  Z.  I.  o,  Z.  I.  9, 
J  A.  ü.  5,  A.  IV.  3. 
f^  A.  V.  6. 


<)  Dies  f  eht  «u  der  »latUicheo  Anuhl  tod  Terachiedenen  Zeichen  Iterror ,   welche 
«ckOB  die  heidea  tarnen  ratchriften  liefern. 


S92  Mfliler 

III.  Zeichen,  welche  aus  drei  Keilen  hestehen: 

Y  A.  II.  1. 

^  A.  II.  9,  A.  III.  3.  A.  V.  5,  A.  VI.  1 ,  A.  VIII.  4,  A.  X. 2. 

A.  XI.  2.  A.  XI.  10.  Z.  II.  1. 

fffZ.  I.  II. 

4  Z.  I.  6. 

^  A.  I.  9. 

£:y  A.  I.  1,  Z.  I.  8. 

^]f>  A.  III.  6.  A.  XI.  8. 

>^]f.<  A.  XIII.  4. 

^^^  A  VI.  8,  A.  VIII.  9,  A.  XII.  9. 

-cjl^  A.  XII.  10. 

=5^  A.  VIII.  3. 

>.)(  A.  I.  2. 

^^  A.  X.  8. 

IV.  Zeichen,  welche  aus  vier  Keilen  bestehen : 

n  A.  I.  7,  A.  III.  6. 

£:ff  A.  IV.  9,  A.  VII.  9.  A.  XIII.  1,  Z.  I.  7. 

^K-cy  A.  IV.  2. 

,— .(y  A.  II.  7. 

^y  A.  I.  4. 

Hjl  A.  VIII.  8. 

öf  Z.  I.  6. 

S:  :3  A.  VI.  3,  A.  X.  4.  A.  XI.  4. 

^  ^  A.  IX.  1. 

)^  A.  xni.  8. 

^^  A.  I.  3,  A.  VIII.  7. 

V.  Zeichen,  welche  aus  ffinf  Keilen  bestehen: 

S:yi  A.  IV.  8,  A.  V.  1,  A.  VII.  8,  A.  VIII.  2,  A.  K.  2,  A.  X.  U. 
A.  Xil.  5.  A.  XII.  12,  A.  Xin.  12. 


Bemerkangen  fibcr  zwei  «rnenUche  ReiHotchriften.  593 

^^  A.  I.  8.  A.  I.  10.  A-  n.  4.  A.  II.  10,  A.  III.  4,  A.  III.  7. 
A.  IV.  6,  A.  IV.  7,  A.  IV.  10,  A.  V.  10,  A.  VII.  2, 
A.  VII.  7,  A.  IX.  3.  A.  XII.  4.  A.  XIII.  2.  A.  XIII.  II. 

Z.  [.  1 1  Z*  !•  o. 
^^  k.  IV.  8. 

y^l»:  Z.  I.  1 2. 

^■Q  A.  V.  3, 

i^-*\  A.  VII.  o. 

^  ^y  A.  VII.  3,  A.  XI.  9. 

(^]f  A.  VI.  9. 

>^:3  Z.  II.  8. 

^^  A.  VII.  1,  A.  VII.  10,  A.  VHI.  8.  A.  IX.  8.  A.  XII.  3. 

"^  A.  Xni.  10.  Z.  II.  3. 
^15  A.  IX.  7. 

VI.  Zeichen,  welche  aus  sechs  Keilen  bestehen: 

^llfl  A.  II.  2. 
Üjrr-c  A.  VII.  4. 

ty    1^  A.  XIII.  7. 
^|f^  A.  IX.  9. 

j5f^  A.  IX.  S. 
^^  A.  V.  2. 

VII.  Zeichen,  welche  aus  sieben  Keilen  bestehen: 

^^(^  A.  IL  3,  A.  U.  6.  A.  Vin.  1,  A.  VIII.  6,  A.  IX.  3,  A.  XII.  2, 

A.  XII.  6,  Z.  II.  2,  Z.  IL  8. 
^*^^  A.  IV.  4. 

^iJjf  A.  VL  7.  A.  X.  7.  A.  XI.  7,  Z.  I.  3. 
I^yjf  A.  XII.  1,  A.  XIIL  9,  Z.  IL  tf. 

jj^ry^;  A.  III.  10. 

<fS:fS:  A.  VI.  4,  A.  X.  8.  A.  XL  8. 

SiUb.  d.  phU.-hitt.  Cl.  LXV.  Bd.  III.  Hft.  40 


594  Müller,  Bemerkongeo  über  iwei  armenisdie  KeiHnschriften. 

:,^£y\*A.  ni.  1. 
^If  Af  A.  vin.  10. 

)tf  Af  A.  V.  4,  A.  VII.  6. 

,rbf,-y  A.  VI.  2,  Z.  II.  7. 

,-^y-cy  A.  V.  7,  A.  VI.  10.  A.  X.  1,  A.  X.  3.  A.  X.  10.  A.  XI 1. 

'^        A.  XI.  8,  A.  XII.  11. 
)^y-.y  A.  XI.  11. 
.Tjy^^  A.  III.  8. 
^*:fl  A.  II.  8. 

^K^  A.  VI.  8,  A.  X.  6.  A  XI.  «. 

VIII.  Zeichen,  welche  aus  acht  Keilen  bestehen : 

y^^yjfjf  A.  III.  9, 
^<»^y,>  A.  I.  6. 

j:^^^-c  A.  IV.  1. 

IX.   Zeichen,  welches  aus  eilf  Keilen  besteht,  oder  swei  Zeichen, 

oder  Ligatur  (?) : 

ftfSrSr^f  A.  XIII.  5,  6. 


138). 


10 


11 


12 


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in     H' 


(2a  Seite  594.) 


T.  Schulte.     Die  Compilutionen  Gilberts  und  AUnus.  595 


Die  CompilatioDeD  Gilberts  und  Alanus. 

Von  Dr.  Job.  Friedrich  Ritter  v.  Schulte. 


Erstes  Capitel, 
•ie  StMMliigen  des  frilbertis  iid  Altnis. 

I.  Stand  der  Sache. 

I.  Bisher  ist  keine  dieser  beiden  Sammlungen  mit  Sicherheit 
bekannt  gemacht  oder  doch  so  beschrieben  worden,  daß  man  daraus 
-einen  genugenden  Einblick  in  deren  Beschaffenheit  einerseits  und 
deren  YerbSltniss  2u  der  s.  g.  Campilatio  Becunda^  tertia  und 
quarta  andererseits  gewinnen  kann.  Augustin  Theineri)  be- 
haoptet  im  Brüsseler  Cod.  nr.  433  die  Sammlung  des  Gilbertus 
aufgefunden  zu  haben  *).  Sein  einziger  Beweisgrund  besteht  darin» 
daß  Tan c red  die  Decretale  quodquidam  [c.  1.  de  poen.  et  remiss. 
V.  17.  Comp.  IL]  aus  der  Sammlung  von  Alanus  anführe«  die  Comp. 
11.  aber  aus  der  von  Gilbert  und  Alanus  gemacht  sei,  die  Decretale 
quod  quidam  aber  nicht  im  Brüsseler  Codex  stehe.  Das  wurde  freilich 
beweisen,  wenn  es  überhaupt  feststände,  dass  1.  es  nur  zwei  Samm- 
lungen gäbe,  2.  Johannes  Galensis  nur  aus  diesen  beiden  geschöpft 
hätte.  Bevor  dieser  Beweis  erbracht  ist,  erscheint  jener  Schluß  be- 
weislos. Thei  ner  hat  nun  ihn  annehmend  eine  kurze  Schilderung 
•dessen  gegeben,  wodurch  die  Comp.   11.   sich  von  der  des  Codei 


M  Disqojtitiones  criticae  in   pniecipuM  canonum  et  deGretaliam  colleetioae«  cet. 

Ronue  1836.  4*.  pag.  17  m^.  113  tqq. 
^1  I,  c:  p«g.  iZe.   *6ilbertiiiii  itaqoe  haiiu,  de  qua  quaeriaua,  collectioais  auctoren 

esse,  extra  onnem  controvertiam  collocaBdum  eat\ 

40» 


596  V.  Schulte 

Bruxellanus  unterscheidet.  Unter  derUnsicherheit  der  Annahme  leidet 
auch  die  Richtigkeit  der  Schilderung.  Er  hat  zugleich  eine  synop- 
tische Tabelle  beigefugt  9>  welche  den  Ort  der  einzelnen  Capitel  des 
Cod.  Brux.  in  der  Comp.  II.  u.  s.  w.  darthut,  aber  leider  fast  wertb- 
los  ist  a)  und  deshalb  auch  nicht  einmal  ein  volles  Urtheil  über  den 
Codex  Brux.  gestattet.  Der  innere  Grund  für  Theiner*s  Annahme 
war  offenbar  dieser:  der  Cod.  Brux.  bietet  so  viele  Ähnlichkeit  mit  der 
Comp.  II.,  hat  die  Mehrzahl  von  deren  Capiteln,  daß  man  schließen 
darf,  er  enthält  die  Collection  Gilberts.  Ob  der  Cod.  Brux.  nicht  eine 
der  überarbeiteten  Form»  wie  sie  der  Cod.  Fuldensis  D.  5.  hat,  ganz 
gleiche  Sammlung  enthält,  kann  ich  aus  den  leider  ungenauen  An- 
gaben nicht  feststellen.  Daß  sie  nicht  bedeutend  von  einander  ab- 
weichen, lehrt  der  Augenschein. 

Meine  Darstellung  selbst  wird  die  Gründe  für  diese  Behauptun- 
gen bieten.  Ich  habe,  um  nicht  unterbrechen  zu  müssen,  geglaubt, 
diese  Kritik  voranschicken  zu  sollen.  Aus  dem  gleichen  Grunde  muss 
ich  eine  zweite  Annahme  Theiner*s  abweisen  <). 

II.  Derselbe  glaubt  nemlich  das  Inhaltsverzeichniss  von 
desAlanus  Sammlung  in  einem  Codex  der  Universitätsbibliothek 
zu  Halle  entdeckt  zu  haben  und  theilt  es  mit^).  Hierfür  hat  er  als 
Anhalt:  das  Verzeichniss  schliesse  sich  bald  mehr  an  Johannes 
Galensis,  bald  mehr  an  Beruh.  Compost.  an,  bald  an  Gilbert,  sei 
junger  als  letzterer,  aber  älter  als  Bernhard,  der  einige  Rub- 


i)  I.  c.  pag.  123  sqq.  NoU  9. 

^)  Um  diet  zo  xeigea,  gebe  ich  in  der  Beilage  H.  eil  Stück  derselben,  welches  ick 
genau  in  tabellarischer  Form  nach  ihr  xasamnengeetellt  habe.  Wie  soll 
nun  z.  B.  das  eap.  1.  de  eo  qui  milt.  H.  8.  Comp.  II.  als  cap.  7.  [ia  dem  Coi. 
Brux.]  de  aeL  et  quäl,  praeficiendorum  I.  0.  kommen  ?,  da  nach  der  Tabelle  T!t  9« 
dem  Tit.  8.  des  1.  Buchs  der  Comp.  U.  entspricht?  Was  nfitst  eine  TabeOe,  dit 
über  capp.  4.  8.  im  Tit.  2,  cap.  7.  8  im  III.,  5  in  IV.,  1.  2.  in  VU.,  6  in  IX..  4.  ^ 
in  X.,  den  Titel  XUI.,  1  in  XIV.,  2.  5.  6.  in  XV.  u.  s.  w.  nichts  sagt?  Dtna 
wimmelt  sie  von  offenbaren  Druckfehlern. 

^)  Was  bisher  anaser  von  The  in  er  über  diesen  Gegenstand  geechrieb«B  wurde, 
stfitzt  sich  lediglich  auf  die  wenigen  Zeilen,  welche  Johannes  Andreae  retp. 
Gull.  Durantis  und  Tancredus  enthalten;  deshalb  ist  es  nnndthig,  Htera* 
rische  Angaben  zu  machen. 

^)  1.  c.  pag.  126.  Nota  14.  Den  Codex  gibt  er  nieht  an.  Ich  habe  sowobi  daa  Ye  52 
als  Ye  80  im  Hanse  gehabt,  aber  unterlassen,  zu  notiren,  in  welche«  ron  beid«a 
es  steht  (in  einem  sicher). 


bie  Compilationea  Gitkerts  und  Alanus.  597 

riken  daher  entlehnt  habei)*  Ks  braucht  wohl  nicht  weiter 
gesagt  zu  werden,  dass  diese  Momente  gar  zu  wag  sind.  Theiuer's 
Annahroe  ist  unzweifelhaft  grundlos.  Mir  scheint,  die  einfache 
Erwägung,  dass  es  für  einen  Titel  de  summa  triniiate  vor  der 
Comp.  IV.  nach  dem  J.  1190  doch  kein  eigentliches  Material  gab, 
hätte  ihn  von  seiner  Ansicht  abbringen  müssen. 

UI.  Ich  werde  nunmehr  zunächst  kurz  angeben,  was  man  bisher 
über  diese  Sammlungen  wusste.  Tan c red  sagt  in  der  Einleitung 
zum  Apparate  über  die  Comp.  III.,  der,  wie  ich  an  einem  anderen 
Orte  beweisen  Merde,  bald  nach  1216,  etwa  1217  gemacht  ist,  über 
die  Abfassung  der  Compitationes  antiquae,  wörtlich  Folgendes»): 
'Et  post  illam  compilationem  [B.  Pap.]  quaedam  aliae  deeretales  a 
diversis  apostolicis  emanarunt,quas  mag.  Gilbe  rtus  ad  instar  primae 
compil.  sub  titulis  collocavit.  Post  illum  vero  mag.  Alanus  suam 
siffliliter  compilationem  effecit,  tandem'  mag.  BernardusCompost. 
archidiaconos  in  Rom.  curia,  in  qua  curia  moram  faciens  aliquantum 
de  regestis  domini  Innocentii  papae  unam  fecit  decretalium  compil., 
quam  Bononiae  studentes  Rom.  Compil.  aliquanto  tempore  vocare- 
ruDt.  Verum  quia  in  ipsa  compil.  quaedam  reperiebantur  deeretales, 
quas  Rom.  curia  refutabat»  sicut  hodie  quaedam  sunt  in  secundis, 
quas  curia  ipsa  non  recipit,  idcirco  fei.  record.  dom.  Inn.  III.  suas 
deeretales  usque  ad  annum  XII.  editas  per  mag.  F.  Benevent. 
Dotar.  suum  in  praesenti  opere  compilatas  Bononiae  studentibus  des- 
tiuavit.  Post  illarum  receptionem  mag.  Johannes  Galensis  deere- 
tales omnium  apostolicorum,  qui  praecesserant  Innocentium,  de  dictis 
compilationibus  Gilberti  et  Alani  extrahens  quandam  compil.  ordinavit, 
quae  hodie  mediae  sive  secundae  deeretales  dicuntur.' 

Tancred  hat  die  Compilatio  II.  III.  und  IV.  wohl  fast  werden 
sehen,  stand  den  übrigen  so  nahe,  dass  seinem  Zeugnisse  gegenüber 
daraus,  dass  Johann ps  Andreae  vom  historischen  Gesichtspunkte 


'I  Solche  Rvbrikea  ttnd  sam  TheU  tehr  alt,  den  de  primmtu  »edit  apott  bat  schon 
Raynerin*  Pompot.  Tit.  111.  —  pag.  131  folgert  Th  ein  er  f&r  die  Annahme 
▼on  Gilberti  Sammlnng  aui  den  Citaten  bei  Bernh.  Compost.  Nur  vermag  er 
anch  hier  wieder  Ton  7  Citaten  bloss  drei  nachzuweisen. 

^)  Nach  Cod.  Bamberg.  P.  11.6.  Die  Abwetchnngen  (ich  habe  xehn  Handschriften 
genan  Tcrglichen)  sind  unbedeutend  und  ohne  Einfluss  auf  den  Sinn. 


598  ▼•  Schulte   • 

ans  die  Sache  ungenau  darstellt,  nichts  zu  folgern  ist  <)•  Halten  wir 
uns  an  Tancfed,  so  dürfen  wir  annehmen : 

1.  Johannes  Galen sis  hat  im  Wesientlichen  so  sehr  aus 
Gilbert  und  Alanus  geschöpft,  dass  seine  Sammlung  sich  als  ein 
AusEugaus  beiden  darstellt. 

2.  Gilbert  und  Alanus  haben  nach  dem  Vorbilde  Bernhards 
('ad  instar  primae  compilationis',  'similiter')  die  ihrigen  gemacht,  so 
dass  die  Eintheilung  in  Bucher,  Titel  und  Capitel  dadurch  feststeht. 

3.  Johannes  zog  die  Decretalen  aller  Papste  vor  Innocenz  HL 
aus  den  Sammlungen  von  Gilbert  und  Alanus. 

4.  Über  das  Verhältniss  der  Sammlung  Gilberts  zu  der  des 
Alanus  erfahren  wir  nur,  dass  letztere  später  gemacht  ist. 

Dies  lässt  vermuthen; 

Gilbert  habe  zahlreichere  Decretalen  der  Päpste  vor  Inno* 
cenz  III.  und  Alanus  mehr  eine  Nachlese  gehalten. 

5.  Ob  Johann  nur  aus  den  beiden  Sammlungen  geschöpft  hat, 
wird  nicht  gesagt.  Diese  Frage  hatte  für  den  Zeitgenossen,  welchem 
beide  zu  Gebote  standen,  keine  Wichtigkeit. 

6.  Über  die  Hülfsmittel  beider  erfahren  wir  nichts. 

Es  soll  nun  im  Folgenden  ausschliesslich  auf  Handschriften  ge- 
stützt geliefert  werden  eine  Beschreibung  der  Sammlungen  beider, 
der  allmäligen  Erweiterungen,  des  Verhältnisses  beider  zu  der 
Comp.  IL,  KL,  IV.,  sodann  der  Entstehung  derselben.  Daran  mag  sich 
noch  eine  kurze  Erörterung  über  die  sonstigen  Quellen  der  Comp.  IIL 
und  IV.  schliessen.  Damit  darf  ich  die  Geschichte  der  Compilationes 
antiquae,  soweit  sie  hier  berühi*t  wird,  bis  zum  gewissen  Grade  als 
abgeschlossen  betrachten,  da  die  Darstellung  selbst  ergeben  dürfte» 
dass,  was  man  etwa  Neues  noch  auffinden  werde,  nicht  von  wesent- 
licher Bedeutung  sein  kann. 


*)  Pmk  tisch  aber  genügend,  d«  er  nur  die  5  Comp,  totique  ntch  einander  be* 
sprieht,  wodurch  der  Schein  enUteht,  als  habe  Job.  Galensis  vor  Petras  ron  Be- 
nevent seine  Sammlung  gemacht.  Dadurch  hat  sich  Antonius  Augustinus  ver- 
Jeiten  lassen.  Diesen  Punkt  hat  schon  Theiner  p.  25  sqq.  hinliegliGh  beleuchtet. 


Die  Compilationen  Gilberts  und  Ahn».  599 


11.  Gilbertus. 


Die  Fulda  er  Handschrift  der  ehemaligen  Benedictinerabtei 
Weingarten^),  mbr.,  8^  aus  dem  Anfange  des  XIII.  Jahrhunderts» 
signirt  D.  14»  [ältere  H.  78.]  enthält  auf  den  ersten  31  Blattern  die 
sehr  zierlich  geschriebene  und  gut  corrigirte  Sammlung  von  Gilbert 
nebst  einem  sich  unmittelbar  an  dieselbe  anschliessenden  Anhange 
?oa  Extravaganten.  Soll  deren  Gestalt  klar  werden  und  tlber- 
haupt  meine  Mittheilung  jedem  die  Möglichkeit  geben,  die  Richtigkeit 
meiner  Angaben  zu  prQfen  und  das  Gebotene  selbst  zu  benutzen,  so 
muss  die  Angabe  sämmtlicher  Capitel  erfolgen.  Um  aber  die  Qbrigen 
Fragen  auch  äusserlich  sofort  zu  lösen,  gebe  ich  hier  und  ffir  die  an- 
deren Sammlungen  in  synoptischen  Tabellen  die  Vergleichung  der 
einzelnen  Sammlungen.  Mit  Rucksicht  auf  diese,  wie  der  mit  solchen 
Studien  Vertraute  weiss,  äusserst  zeitraubende  und  mühevolle  Arbeit 
darf  ich  hier  um  so  kurzer  sein,  weil  die  blosse  Vergleichung  mit  der 
Ausgabe  der  CompilaHones  antiquae  *)  über  jeden  Punkt  sofort  Auf- 
sehluss  gibt.  Dass  diese  Handschrift  wirklich  des  Gil- 
bertus Sammlung  enthält,  wird  bewiesen  durch  folgende  Um- 
stände. 

1.  Die  ausdrückliche  Angabe  der  Handschrift.  Der  Name  Gili- 
bertus  ist  vom  Rubrikator  geschrieben.  Er  steht,  wie  die  Tabelle  A. 
zeigt,  am  Anfange  von  Buch  I.  und  III.  An  sich  muss  eine  solche  An- 
gabe einer  Handschrift,  welche  gewiss  aus  dem  ersten  Drittel  des 


*)  WeiBgarten  warde  im  f.  U  des  ReichadepuUtioiitbaaptachl.  v.  1808  dem  Ffir- 
•ten  TOD  Nttsau- Dillenburg  gegeben.  Dieser  lies«  die  BibUothek  nacb  dem 
ibm  im  selben  f.  gegebenen  Fulda  bringen.  Die  Fnldaer  Bibliothek  hat  nun  aueh 
noch  die  meisten  Handachr.  Wie  es  kommt,  dass  einielne  sich  in  der  kdnigl.  Hand- 
bibliotlMk  au  Stuttgart  befinden.  Termag  ich  nicht  an  sagen. 

Abnr  wo  sind  die  Handschriften  der  alten  Fuldaer  Bibliothek?  Nach  dem 
Catolog  ron  1561  hatte  sie  783  filanuscripte,  tum  Theite  sehr  werthTolle.  In  Fulda 
(die  3  Codd.  Bonifaciani  sind  Bigenthum  der  Cathedrale  und  nur  dauernd  an  die 
Bibl.  abgegeben)  sind  sie  nicht,  in  Cassel,  Göttingen,  HannoTer,  Wolfenbfittel, 
Leipsig  ist  nichts  davon. 

2)  Ich  benntse  meist  das  mir  selbst  gehörige  und  tob  mir  sorgfiltig  corrigirte  Exem- 
plnr  der  Ausgabe  Antiquae  Collectiones  Decretalium.  Cum  Anton ii  Augustini 
Epaacopi  llerdenais  notis.  Barcinone  1592.  kl.  fol.  Cbrigena  habe  ich  in  der  Regel 
auch  die  Ton  1621.  Paris,  fol.  verglichen.  Ausserdem  stehen  mir  fBr  Jede  der 
Comp.  ant.  meine  Notate  von  mindestena  sehn  Handschriften  au  Gebote;  mehrere 
Haadachriften  liegen  andern  auf  meinem  flache. 


600  V.  Schulte 

XIK.  Jahrb.  stammt,  allein  genügen,  wofern  nicht  innere  Grunde  vor- 
liegen, welche  die  Angabe  als  irrig  erkennen  lassen.  Hier  bestätigt 
Alles  deren  Richtigkeit. 

2.  In  dem  Buche  ID.  werden  zwischen  den  Titeln  de  decimu 
und  de  regtäaribus  einige  Stucke  eingeschaltet,  vor  denen  am 
Randevon  der  Hand  des  Correctors  geschrieben  ist  fol.  13**: 'tn 
secundo  libro  in  compilatione  alant.  Dieselbe  Hand  schrieb  an  den 
Schluss  dieses  Einschiebsels:  ^haec  perimetU  ad  eompilationem 
tdant .  Der  Grund  von  diesen  Bemerkungen  liegt  dai*in,  dass  nach 
dem  letzten  Titel  des  Einschiebsels:  ^de  eonfirtnatione  utili  vel 
itmtilV  die  trotz  der  Rasuren  nicht  ganz  verwischte  Rubrik  steht  : 
^alani  de  confirmatione  utili  vel  inuiilL  Inno.  IH\  Weil  man  somit 
die  voraufgehende  dem  Gilbertus  beilegen  konnte,  schrieb  er  nach 
derselben  an  den  Rand :  *atf  audientiam  et  c.  ex  parte  hie  deesf  und 
nach  dieser  Notiz  die  so  eben  mitgetheilte.  Aus  demselben  Grunde 
steht  auch  noch  fol.  14*  im  Anfange  als  Rubrik:  'alani.  in  secundo 
libro,  quod  i*  d'  e  £d.  h.  quod  ibidem  est]  hie  ponitur*.  Es  ist  also 
evident,  dass  die  Abschrift  gemacht  wurde  aus  einem  Codex  der 
nach  der  Comp.  Gilbert!  die  des  Alanus  enthielt.  Weil  er  beide  bei 
diesem  Passus  verwechselt  hatte,  folgt  die  sorgfSltige  Correctur,  die 
zugleich  bürgt  für  die  Genauigkeit  des  Textes. 

3.  Von  den  331  Capiteln  der  Compilatio  secunda  des  Johannes 
Galensis  stehen  162  in  dieser  Sammlung,  also  beinahe  die  Hälfte. 

4.  Zu  dieser  Sammlung  verhalten  sich,  wie  die  Tabellen  auf  den 
ersten  Blick  lehren,  die  späteren  bis  auf  Johannes  Galensis  le- 
diglich ergänzend. 

III.  Anhang  zur  Comp.  Gilberti. 

Zur  Sammlung  Gilberts  ist  ein  Anhang  gemacht,  der  in  der 
Tab.  B.  beschrieben  ist.  Ich  nehme  an,  derselbe  röhre  von  Gilbert 
selbst  her. 

Bei  dieser  Annahme  leiten  mich  folgende  Umstände.  Der  Anhang 
folgt  auf  die  Sammlung  ohne  jede  Unterbrechung  mit  Angabe  der 
Titel,  so  dass  die  Einfügung  bez.  Benutzung  ohne  Schwierigkeit  war. 
Er  ist  geradeso  in  der  vermehrten  Sammlung  (Tabula  C.)  beibehalten 
und  nur  vermehrt  worden.  Dass  diese  letztere  am  Ende  unvollständig 
ist,  thut  der  Beweisführung  keiten  Eintrag.  Alanus  hat  die  darin  be- 


Die  Coropilütioneii  Gilberts  uod  AUnu«.  BO 1 

Südlichen  Extravaganten  nicht  aufzunehmen  für  nothwendig  befunden» 
wodurch  dieseihen  offenbar  als  Theile  einer  recipirten  Sammlung  er- 
scheinen. 

Endlich  spricht  mit  voller  Beweiskraft  dafür  der  Umstand,  dass 
dieser  Anhang  gleich  der  Hauptsammlung  in  der  vermehrten  Gestalt 
^lossirt  worden  ist.  In  diesem  Anhange  sind  vier  weitere  Capitel 
der  Comp.  II.  des  Johannes  enthalten. 

IV.  Die  vermehrte  Sammlung  des  Gilbertus. 

(.  Sie  ist  enthalten  in  dem  ehemals  We ingart n er,  jetzt  der 
Fulda  er  Bibliothek  gehörigen  Codex  in  fol.,  membr.^  saec.  XIIL 
ioeip.,  signirt  D.  5.  [H.  24.  alte  Signatur,   137  Catalogsnummer], 

foL84'  -  132*1)- 

Wie  sich  aus  der  synoptischen  Tabelle  sofort  ergibt,  hat  sie  die 
ganze  Sammlung  Gilberts  aufgenommen,  eine  Anzahl  von  neuen 
iStücken  hinzugefugt,  so  dass  sie  von  den  Capiteln  der  Compilatio  II. 
bereits  198  umfasst,  ungerechnet  die  im  Anhange  enthaltenen. 
Diese  Sammlung  ist,  wie  ich  schon  angedeutet  habe  und  sich  auch 
aus  der  in  Tabula  H.  enthaltenen  Vergleichung  des  ersten  Buches 
ergibt,  mit  der  von  Tbeiner  im  Brüsseler  Codex  aufgefundenen  ziem- 
lich identisch ;  letztere  hat  noch  weitere  Zusätze. 

Man  könnte  nun  möglicherweise  versucht  sein,  diese  Sammlung 
für  die  des  Gilbertus,  die  des  Cod.  Fuldensis  D.  14.  für  einen  Aus- 
zug aus  der  Sammlung  Gilberts  zu  halten.  Mir  scheint  eine  Wider- 
legung dessen  nicht  nöthig,  weil  sich  gar  keine  Methode  und  Absieht 
erkennen  lässt.  Ein  Andres  wäre  es,  wenn  die  Decretalen  eines 
Papstes  zusammengefOgt  würden,  wie  in  der  Comp.  IIL  Ausserdem 
konnte  man  unmöglich  darauf  ausgehen,  abzusehneiden,  sondern  man 
musste  vervollständigen. 


*)  Vorher  geht  die  ComfUatio  prima  mit  der  unteo  fortliafeadeD  Sunme  Berohurd's 
voa  Paria  oad  alter  6l0Ma.  Die  Handschrift  ist  dem  Herausgeber  der  Snmma 
(Lagptfret)  Mbst  einer  AnaaU  anderer  in  devtachen  BiMiotheken  bewahrter 
Ha»4achriflen  unbekannt  geblieben. 

Im  Deckel  steht  die  interessante  Notit :  ^Aono  donini  millesimo  trecentesimo 
tricenimo  octavo  iigatus  est  iste  Über,  qaem  fecit  ligari  dominus  Johannes  de 
Nerapnrg  ordinis  sancti  Benedieti  custos  in  Wingarte'. 


602  V.  Schulte 

Endlich  trägt  die  Sammlung  schon  deshalb  nicht  den  Charakter 
eines  Auszugs»  weil  in  beiden  Inscriptionen  und  Umfang  durchweg 
übereinstimmen.  Es  liegt  somit  die  Compilation  Gilberts  in  erwei- 
terter Gestalt  vor. 

II.  Die  Vermehrung  fällt  vor  Abfassung  der  Compilation  des 
Alanus»  wie  sich  daraus  unzweifelhaft  ergibt»  dass  die  in  der  ver- 
mehrten Gestalt  sammt  ihrem  Anhange  enthaltenen  spater  in  die 
Comp.  II.  Qbergegangenen  Decretalen  bez.  Stocke  derselben  bei 
Alanus  nicht  vorkommen '). 

Dieses  lässt  sich  mit  Rücksicht  auf  die  zahlreichen  sicher  zum 
Theil  allgemein  bekannten  Decretalen  nur  dadurch  erklären»  dass 
Alanus  jene  vor  Augen  hatte.  Zugleich  durfte  aus  diesem  Umstände 
sich  als  höchst  wahrscheinlich  ergeben,  dass  Gil  her l  selbst  die  Um- 
arbeitung später  vorgenommen  hat.  Für  diese  Annahme  sprechen 
noch  zwei  Momente.  Erstens  fiele  es  auf»  dass  Tancred  nur  des 
Gilbertus  gedenkt»  aber  keines  Fortsetzers ;  nimmt  man  die  Überar- 
beitung als  Werk  Gilberts»  so  ist  nichts  Auffallendes  vorhanden. 
Zweitens  ist  diese  erweiterte  Sammlung  glossirt»  dies  beweist  einen 
ständigen  Gebrauch»  welcher  nur  auf  Gilbert  deutet 

Was  die  Vermehrung  selbst  betrifft»  so  besteht  sie  in  einer  An- 
zahl von  Decretalen  der  Päpste  vor  innocenz  III.»  sodann  von  Decre- 
talen des  letzteren. 

III.  Wie  mit  der  Hauptsammlung  verhält  es  sich  hier  mit  dem 
fol.  132^  —  139^  befindlichen  ohne  jeden  Zwischenraum  sich  an- 
schliessenden und  am  oberen  Rande  der  Handschrift  mit  Extra 
Titulos  bezeichneten  Anhange  (Tabula  D.).  Wähi*end  alle  im  An- 
hange zur  ersten  Gestalt  befindlichen  Decretalen  aufgenommen 
worden  sind»  ist  bereits  in  dem  vorhandenen  Stucke  die  Vermehrung 
bedeutend;  31  kommen  auf  23  in  dem  ersten.  Der  Anhang  ist  leider 


*)  Dies  erleidet  gering  Autnabneo.  Wie  die  Tebellen  ergebeu,  komoil  bei  A  lanas 
in  der  Form  £.  mis  Gilbert  <X  Ton  den  in  der  Conpiintio  II.  des  Job.  6«l.  ent- 
baltenen  Decretolen  vor:  I.  II.  2.,  I.  12.  2.»  II.  18.  4.,  V.  I.  1..  V.  19.  8.«  in  G. 
eilt  Alenus;  II.  1.  1.,  II.  0.  2.,  II.  19.  6.  n.  7.,  n.  de  c»nee  ilia  onde  (de  priTÜ.)» 
ans  den  in  der  Comp.  III.  entbaltenen  hat  AUnna  von  bereit«  bei  Gilbert  Toründ- 
lieben  in  Form  £.:  I.  18.  2.,  I.  18.  5.  u.  6.,  I.  24.  3.,  I.  25.  2.,  II.  12.  6.,  11.  18. 
S.,  III.  2.  1.,  ans  D,  nnm.  12.  F, :  I.  23.  1.,  V.  4.  1.,  G  aber:  I.  18.  S.,  I.  SO.  4.« 
III.  5.  1.,  V.  18.  1.  Die  meisten  davon  sind  aber  ans  den  Anhingen. 


Die  Compiliitionen  Gilberts  und  Alanus.  d03 

unvollständig»  weshalb  nicht  mit  Gewissheit  behauptet  werden  kann, 
ob  er  nicht  vielleicht  auch  die  wenigen  in  der  Comp.  11.  enthaltenen 
Capitel  enthalten  habe,  welche  sich  aus  Gilbert  und  Alanus  nicht 
nachweisen  lassen. 

• 

V.  Alanus. 

In  demselben  Codex  Fnldensis  D.  S.  steht  fol.  140'  bis  198^ 
die  in  der  synoptischen  Tabula  E.  beschriebene  Sammlung,  welche 
von  demselben  Schreiber  geschrieben  ist,  der  die  vorhergehende 
Sammlangund  das  Breviarium  des  Bernhard  von  Pavia  schrieb.  Diese 
Sammlung  darf  unbedenklich  als  die  Compilatio  Alani  bezeichnet 
werden  aus  folgenden  Gründen. 

1.  Die  im  Cod.  Fuld.  D.  14.  fol.  13^  bis  14^  eingeschalteten  und 
dort  (siehe  dieses  Capitels  nun.  II.)  als  dem  Alanus  gehörig  ange- 
gebenen Capitel  \^Quia  nos  elegiU  Ex  conquesiione  b.  clerici,  Ap^ 
peliationis  inhibitioj  Cortstitutus  in  praes.  n.»  Tua  nuper,  Adhaect 
Ex  parte  tua  fuü  propos.,  Conquerente  «/.  presb.^  Ad  aud.  n..  Ex 
parte'^  stehen  sämmtlich  in  gleicher  Reihenfolge  hier.  Am  Schlüsse 
derselben  steht  im  Cod.  D.  14.  die  Notiz,  im  Texte: 

'§.  hie  sequitur  tertius  quaternus,  qui  sie  incipit:  Inn.  III.  t't* 
sei  laurent.  in  lucina  presbytero  card.  apostolicae  sedis  legato.  Quod 
translaiionem\ 

Gerade  so  fahrt  in  Cod.  D.  5.  der  Text  fort.  Zufällig  ist  auch  in 
unserem  Codex  D.  o.  dieser  Quaternio,  auf  dessen  erster  Seite  die 
Rubrik  de  transL  eprm.  und  das  eben  bezeichnete  Capital  steht, 
unten  mit  HI.  bezeichnet  *).   Dass  dieser  äussere  Umstand  sehr  ins 


*)  Die«  ist  aacb  gins  richtig.  Fol.  1 — 139  maeheii  •in  Stück  mit,  dcuei» 
Lagen  nnten  mit  Zahlen  nicht  bexeichnet  aind.  Fol.  140  beginnt  einnenes;  am 
Eade  Ton  f.  147^  steht  richtig  I.,  anf  der  ersten  Seite  Ton  148*  unten  II.,  so  dass 
Fol.  154'  auch  III.  beginnen  muss.  Damach  unterliegt  es  auch  keinen  Zweifel« 
dass  D.  14.  Abschrift  eines  Codex  ist,  aus  dem  auch  D.  5.  geflossen  ist.  Denn  D. 
14«  ist  nicht  Abschrift  Ton  D.  5.,  i.  weil  die  Handschrift  In  D.  14.  ilter  ist, 
2.  weil  der  Qnnternio  III.  inD.  5.  nicht  anf  das  eop.  ex  p^rie  Um  folgt, 
sondern  schon  anf  denselben  ein  Stück  Ton  ed  owi.  steht,  dann  ex  parte  nnd  noch 
de  emuem  mile,  hierauf  erst  de  traneUt,  ep,  Innoe.  111.  u.  s.  w. 

Bs  ergibt  sich  aus  der  Tibelle  B,  sofort,  dass  eine  kleine  Versetiung  des 
Titels  de  mppettüi.  bei  der  Abschrift  stattgefunden  hat  Vielleicht  hatte  auch  der 
zur  Abschrift  gebrauchte  Codex  bereits  eine  solche. 


604  V.  Schulte 

Gewicht  fällt  für  die  Autorschaft  von  Alanus,  unterliegt  keinem 
Zweifel. 

2.  Aus  der  vorhin  als  Comp.  Gilbert!  nachgewiesenen  und  dieser 
Sammlung  lässt  sieh,  zunächst  abgesehen  von  den  Anhangen,  fast  die 
ganze  Compilation  des  Johannes  Galensis  construiren.  Die  hier  be- 
sprochene Sammlung  enthält  88  in  der  Comp.  IL  enthaltene  Capitei. 
Die  Tabula  J.  zeigt  genan,  wie  die  Compilation  von  Johannes  Ga- 
lensis sich  aus  Gilbertus  und  Alanus  zusammenstellt;  sie  weist  eben- 
falls die  allmälige  Vermehrung  der  Hauptsammlungen  nach. 

Hat  Alanus*  Sammlung  somit  für  die  Compilation  des  Johannes 
ihre  grosse  Bedeutung,  so  hat  sie  gleichfalls  eine  solche  furdieCom- 
pilatio  tertia  des  Petrus  von  Benevent.   Ich  komme  hierauf  zurück. 

VI.  Anhang  zur  Compilatio  Alani. 

Im  Cod.  Fuld.  D.  5.  steht  i)  von  Fol.  199^  an  der  in  Tabula  F. 
genau  beschriebene  Anhang.  Leider  ist  derselbe  nicht  vollständig; 
das  hat  jedoch  für  meine  Untersuchung  keinen  Nachtheil,  weil  sich 
aus  dem  Codex  Fuld.  D.  14.  das  Fehlende  erganzen  lässt. 

Was  die  erste  mit  L.  VI.  bezeichnete  Partie  betrifft,  so  ent- 
hielt sie  noch  mindestens  die  acht  von  mir  aus  Cod.  Fuld.  D.  3*  zu- 
gefügten, durch  den  Druck  unterschiedenen  Decretalen,  Solches  ist 
auch  dadurch  wahrscheinlich,  dass  Codex  Fuld.  I>.  14.  dieselben  hat. 

Der  übrige  Theil  des  Anhangs  enthält  wie  der  erste  eine  oCTen- 
bare  Ergänzung  aus  Innocenz  III.  Decretalen;  er  ist  besonders  inter- 
essant dadurch,  dass  er  die  große  Decretale  Paataralis  zum  Elrsten- 
male  unter  die  Titel  vertheilt.  Wiederholungen  von  Stücken,  die 
schon  in  früheren  stehen,  sind  kaum  erwähnenswerth.  Auch  hierin 
zeigt  sich  von  Neuem,  dass  die  Abfassung  der  späteren  mit  steter  Be- 
rücksichtigung der  früheren  geschah. 


0  net  AUotts  Samnlung  schliesst  ohne  Explicit  auf  dem  7.  BUUe  de«  8.  Qnetermio 
des  Denen  mit  f.  140  beginnenden  TheUes;  das  echte  Blatt  ist  aosgeecluiltCen. 
Dies  muss  beim  Einbinden  geaebchen  sein,  da  am  Schlüsse  des  Codex  atcht  FoU» 
ZiS  mit  arabischen  Ziffern.  Aber  Fol.  199  ff.  haben  früher  dasn  gehftrt,  weil  aaf 
Fol.  199'  unten  richtig  Villi,  steht  Die  Schrift  tob  Fol.  199  bis  an  Kode  iaft  eine 

ron  der  früheren  Tersehiedene,  gans  stehend  und  scharf,  wahrend  die  frühere  mehr 

* 

abgerundet  ist. 


Die  Compilationen  Gilberts  und  Alanits.  60S 

VII.  Die  vermehrte  Sammlung  des  Alanus. 

Codex  Fuldensis  D.  14.  bietet  die  Sammlung  des  Alanus  in 
einer  vermehrten  Gestalt  dar:  die  Zusätze  sind  sämmtiich  in  Tabula 
6.  nachgewiesen. 

Eine  selbst  nur  oberflächliche  Betrachtung  dieser  synoptischen 
Tabelle  ergibt,  dass  die  Sammlung  in  D.  14.  eine  Überarbeitung  der 
von  D.  5.  ist,  weil  sie  zwischen  dieselbe  die  neuen  Stucke  dergestalt 
einschiebt,  daß  sie  die  erste  Form  ganz  hat  und  auch  genau  ihre 
Reihenfolge  einhält.  Für  den  Anhang  gilt  ganz  dasselbe.  Er  ist  ganz 
aufgenommen  und  liefert  genau  den  Faden  der  Sammlung.  Dass  die 
Capitel  44  bis  S3  in  die  in  D.  8.*  offenbar  im  Vergleiche  zu  den 
Titeln  der  Compilaiio  prima  unvollständige  Sammlung  eingefögt 
worden  und  die  Capitel  54.  56.  nicht  in  der  Reihenfolge  der  ersten 
Form  stehen,  thut  nichts  zur  Sache,  weil  solche  geringe  Abweichun- 
gen auf  mannigfachen  Gründen  beruhen  können. 

Mir  scheint,  es  verhalte  sich  mit  dieser  Überarbeitung  wie  mit 
der  Gilberts,  sie  könne  mit  Fug  Alanus  selbst  zugeschrieben  werden. 
Die  erstere  Form  für  einen  Auszug  zu  halten  geht  nicht  an,  weil  dann 
geradezu  unbegreiflich  wäre,  weshalb  einzelne  Materien  ganz  ausge- 
lassen worden  sind,  wie  es  thatsächlich  der  Fall  ist.    Auch  lag  für 
eine  solche  Umarbeitung  bei  der  Fruchtbarkeit  der  Gesetzgebung 
innoeenz'  III.  schon  nach  wenigen  Jahren  ein  dringendes  Bedurfniss 
vor.  Dass  der  Anhang  hingegen  allmälig  vermehrt  wurde,  lehrt  die 
Wiederholung  derselben  Titel.  Dies  zeigt  zugleich,  wie  man  damals 
sofort  jede  neu  bekannt  gewordene  Deeretale  unter  den  stehenden 
Titel  einfugte.  Man  braucht,  um  diese  Art  der  Ergänzung  zu  be- 
greifen, sieh  nur  daran  zu  erinnern,  dass  noch  später  Bonifaz  VIU. 
in  der  Bulle  Saeroiandae  Rom.  EccL  als  Zweck  der  Abfassung 
einer  eignen  Sammlung  angibt:  er  wolle   nicht,  dass  die  zahllose 
Menge  von  Exemplaren  der  Gregorianischen  zerstört  oder  der  Ankauf 
allzusehr  vertheuert  werde.  Deshalb  fand  ja  auch  die  Zufügung  der 
spätem  Decretalen  in  die  Gregorianische  Sammlung   nur  so  selten 
statt  1). 


*)  Meine  Abhendlnng:  Die  DecreUlen  swischenden  Decret.  Greg.  IX.  a.  I.ib.  VI. 
Wien  1S67  (diese  Berielite  LV.  Bd.)  8.  759  tt,  leb  kenne  jetzt  gegen  50  Hend- 
srkriltcn,  welebe  die  Decretiilen  Innocens  IV.  enthalten,  darunter  etwa  10,  die  sie 
in  die  Snainlong  Gregor**«  IX.  einfilgen. 


606  V-  Schulte 

Ich  brauche  wohl  dem  Einwaode  kaum  zu  begegnen,  als  könne 
man  die  vermehrte  Form  als  eine  Compilation  aus  der  Comp.  IL  und 
III.  ansehen.  Die  Comp.  IH.  erschien  früher  als  die  II.  und  war 
offiziell.  Ihr  ganzer  Zweck  bestand  darin,  die  ächten  Decretalen 
Innocenz'  HI.  bis  zum  12.  Regierungsjahre  authentisch  zu  publizireu. 
Die  Comp.  II.  schied  danach  die  der  früheren  zu  einer  eigenen  Samm- 
lung aus.  Wie  nun  Jemand  dazu  hatte  kommen  sollen  trotzdem  die 
apocryphen  Decretalen  aufzunehmen«),  dann  die  sofort  von  der  Schule 
recipirte  Sammlung  des  Johannes  Galensis  wieder  zu  ignoriren,  ist 
geradezu  unbegreiflich.  A I  a n u  s  hat  die  Comp.  II.  und  III.  glossirt; 
er  hätte  sicherlich  keine  Ergänzung  seiner  Compilation  aus  denselben 
vorgenommen.  Als  ein  rein  äusseres  Moment  für  die  Autorschaft  von 
Alanus  mag  noch  bemerkt  werden,  dass,  wie  Th einer  angibt, 
Tancred  die  Decretale  quod  quidam  aus  Alanus  citirt  <),  diese  aber 
in  der  That  in  unserer  Saihmlung  V.  14.  4.  steht. 


Zweites  Capitel. 

Vefh&ltilss  iir  C^MplltlU  seeiidt  des  J^htnies  dtlensls  iid  tertb 

des  Petns  Beieventtnis. 

I.  Es  ist  meine  Absicht  nicht,  an  diesem  Orte  dieBeschafFeoheit 
dieser  Sammlungen  an  sich,  ihr  Verhältnlss  zu  der  Gregorianischen 
und  noch  ausfuhrlicher  das  zu  Gilbert  und  Alanus  darzustellen.  Da 
meine  Tabellen  aufs  genaueste  letzteres  ersichtlich  machen,  darf  ich 
diesen  Punkt  als  erschöpft  ansehen.  Was  die  beiden  anderen  Punkte 
betrifft,  so  hat  Th  einer  darüber  bereits  ausführlich  gesprochen; 
auch  braucht  man  nur  die  Rubriken  zu  vergleichen,  um  einen  ge- 
nauen   Einblick  zu  erhalten.    Hier  soll  nur  ein   Beitrag  geliefert 


<)  nie  am  Ende  der  Comp.  HI.  als  wahrscheinlich  von  Tancred  herrührende  Notis 
über  dfMelben  bei  Antonios  Augnstinus  weist  7  aaf,  Ton  denen  ich  die  mit 
Sicherheit  als  gemeint  festsustellenden  beseichnet  habe. 
^)  Woher  diese  Notia  stammt,  weiss  ich  nicht.  Die  vor  mir  liegendon  glosairten 
Handschr.  der  Comp.  U.  haben  die  Notis  hiebt,  ebensowenig  die  der  Comp.  1.  «nd 
HI.  SU  diesem  Titel.  Natfirlich  kann  ich  nieht  bestreiten,  daee  sie  niciit  doc^ 
anderwirts  in  der  Glosse  oder  in  Handschriften  vorkomme.  MisaUch  ist  es  aber, 
die  Quelle  nicht  ansugeben  bei  Notisen,  die  man  als  Beweise  beontxt. 


Die  Compiliitionen  Gilberte  und  Alanu«.  607 

werdeu  su  derBeui'theilung  des  Verdieustes,  welches  die  beiden  Com- 
piiatoren  haben. 

II.  Gilbert  und  Alanus  enthaken,  wie  die  Tabelle  J.  zeigt,  das 
Material  der  Compilatio  II.  so  vollständig,  dass  hinsiehtlieh  dessen 
Johannes  keine  Arbeit  übrig  blieb.  Denn  die  Zuf&gung  der  12. Ca- 
pitel  könnte  kaum  eine  solche  genannt  werden,  wenn  wirklich  diese 
Deeretalen  Gilbert  und  Alanus  fremd  wären.  Nun  sind  aber  yerschie- 
dene  [e.  3.  I.  2.,  c.  2.  II.  I.,  c.  S.  II  12.,  c.  3.  IL  Iß.,  c.  2.  II.  19.. 
c.  un.  V.  20.]  davon  Stucke  anderer,  welche  jene  haben.  Wie  es 
nun  in  den  von  mir  benutzten  Handschriflen  sehr  häufig  der  Fall  ist, 
dass  die  Decretale  ganz  unter  einem  Titel  steht,  wohin  nur  ein 
Theil  gehört,  oder  dass  einzelne  Theile  mehrroalen  vorkommen, 
oder  dass  auch  nur  das  bereits  zugestutzte  StQck  sich  findet,  wo 
Johannes  in  der  Ansgabe  mehr  hat«):  ebensogut  kann  er  diese  De- 
eretalen aus  den  ihm  vorliegenden  Handschriften  haben.  Die  wenigen, 
welche  nicht  auf  solche  Art  nachgewiesen  sind,  können  sehr  gut  in 
einigen  Handschriften  stehen.  Es  bliebe  mithin  für  Johannes  noch 


«J  In  den  Notae  der  Tabellen  eind  Teracbiedene  Fälle  nach^wieaen  worden,  in 
denen  das  eine  oder  andere  sutrifll.  Intereasante  Fille  abgekürzter  Deeretalen 
•ind  a.  B.  in  der  Termehrten  Form  Gilberte  (C)**  tx  tenore  de  teatam;  venien$. 
Ute  ibid.;  cum  olim,  cum  dii.  de  fide  inatrum.,  pro  iUor.  prov,  de  praeb.,  iiUeroi 
ve»trmt  ibid.  u.  s.  w.,  andere  aind  linger,  s.  B.  mitdiHi  de  praeacript.,  pr&posuit 
de  praeb..  ut  n0$trMm  de  aeenaat.  Die  letite  iat  rollatindiger  ala  in  allen  anderen 
Samnlnngen.  —  Bemerkt  aei  noeb:  1.  daaa  die  Inacriptionen  der  Fnidaer  Hand- 
scbriflen  wiederholt  abweicben,  ancb  Varianten  baben,  die  nirgenda  notirt  aind, 
s.  B.  in  C:  e.  düeret.  de  eo  qni  cognorit,  wo  Ant.  Angoatinua  lieat  Magde- 
bnrgenai.  Ich  habe  deahalb  die  volle  Inacription  oft  mitgetheilt;  %  dass  die 
Anfinge  hiufig  abweichen,  z.  B.  (in  C.)  licet  fro  tUMC  . . .  pbatalaati  de  apons.  Dm 
ich  eelbatrentindlicb  genau  Terglichen  habe,  darf  dieser  Ümatand  nicht  stören. 
Paast  ein  Citat  nicht,  ao  liegt  ein  Druckfehler  Tor;  ich  hoffe  jedoch  solche  an  Tcr- 
meiden.  Freilich  kann  bei  aolchen  Maasen  auch  ein  Schreibfehler  Torkommen. 
Obrigeaa  gibt  die  MittheUung  der  AnAnge  achlieaalich  daa  Mittel  der  Prüfung. 
S.  Die  Namen  weichen  mebrfiich  ah.  8o  haben  die  Fuldaer  Codices  in  dem  c.  Ve- 
nUnt  üd  M.  ü.  de  apona.  Witmanaua. 

Im  Hinblicke  auf  alle  diese  Umstlnde  und  darauf,  daSs  die  Ausgabe  der  Com- 
pflalioBea  antiquae  Ton  Agostino  aich  nur  auf  wenige  Handschriften  stfltit,  dass  ich 
in  alten  Handschriften  der  Comp.  ant.  aehr  bedeutende  Abweichungen  in  jeder  Be- 
xichong  geftinden  habe,  darf  Ich  wohl  wünschen,  daas  beieinerallfillige.i 
neuen  Ausgabe   der  Compilationes   antiquae   oder   der  Deereta- 
len Gregor*a  IX.  die  Codices  Fuldenses  benutxt  werden  mögen. 


608  V.    Schulte 

eine  dreifache  Arbeit.  Erstens  das  Zusammenstellender  Decretalen 
der  Päpste  vor  Innocenz  III.  Dieses  ist  eine  ziemlieh  mechanische 
Arbeit»  deren  Verdienst  nicht  hoch  anzuschlagen  wSre.  Zweitens 
die  Untersuchung :  ob  die  bestimmte  Decretale  dem  Papste  wirklieh 
angehört»  welchem  sie  beigelegt  wnrde.  Ich  habe  die  Fälle,  wo  die 
Comp.  II.  einen  anderen  Papst  hat  i),  ziemlich  genau  bemerkt;  ebenso 
ergeben  die  Tabelleii  lie  wenigen  Fälle»  in  denen  angeblich  vor  In- 
nocenz fallende  Decretalen  ausgeschieden  sind»  weil  sie  Innocenz  an- 
gehören *)»  wie  umgekehrt  angeblich  Innocenz  angehörende  aufge- 
nommen wurden,  weil  sie  altern  zustehen  >).  Diese  Thätigkeit  ist  an 
sieh  verdienstlich,  übrigens  bei  der  im  Ganzen  herrschenden  Über- 
einstimmung nicht  sehr  ausgedehnt.  Drittens  nach  dem  Vorgange 
der  älteren  Sammlungen  und  Bernhards  von  Pavia  das  Zerlegen  der 
Decretalen  in  die  unter  die  Rubriken  passenden  Stöcke.  Hierffir  war 
im  Ganzen,  wie  der  Augenschein  lehrt,  wenig  zu  thun.  Übrigens 
findet  sich  überhaupt  seit  dem  Ausgange  des  XII.  Jahrhunderts  die 
Sitte»  neue  ausführliche  Decretalen  sofort  unter  die  Rubriken  zu  ver- 
theilen.  Die  Fuldaer  Handschriften  enthalten  einzelne  Decretalen  in 
einer  Weise  präparirt,  dass  es  scheint,  Raymund  von  Penna- 
forte  habe  auch  die  Compilation  von  Gilbert  und  Alanus  zu  Rathe 
gezogen  ^). 


0  Seibstrcdend  habe  ich  mich  an  die  Ausgabe  gehaUen.  Da  die  HandichrifteB  der 
Conip.  ant  in  diesem  Punkte  auch  biiweilen  abweichen,  da  die  Angaben  bei  J  a  f fe 
Reg.  Pont,  bisweilen  auch  nur  auf  denen  gedruckter  Werke  ruhen,  da  die  Origi- 
nalregesten nicht  sftmmtlich  mehr  vorhanden  sind,  so  wird  für  einzelne  Falle  der 
Zweifel  stets  bleiben. 

2)  Siehe  in  GUbert  Tab.  C:  c.  4.  I.  5.,  c.  6.  Hl.  17.,  c.  3.  4.  III.  20.,  c.  t.  iV.  1., 
c.  15.  16.  V.  14. 

3)  Siebe  in  Tab.  C:  c.  3.  I.  2.,  c.  3.  I.  7.,  c.  1.  I.  S.,  c.  4.  111.  la»  c.  3.  4.  V.  1. 

^)  Ich  weise  nur  hin  auf  cum  olim  de  renim  permut.  [c.  un  III.  11.  in  B.],  e^nttümiMs 
de  spons.  [c.  5.  iV.  1.  ibid.],  per  tUM  Uti,  de  condit.  appos.  [c.  un.  iV.  3.  ibid.], 
die  fast  g«nau  $o  in  den  Gregorianischen  Decretalen  stehen.  Um  jedoch  diese 
Vermnthung  zur  Gewissheit  zu  erheben,  mvlsste  festgestellt  werden,  dass  die  alten 
Handschriften  der  Comp.  li.  durchgehende  die  Tollere  Form  haben.  Da  ich  diese 
aber  in  vielen  fand,  so  darf  ich  mindestens  eine  Vermuthnng  aussprechen,  velche 
die  WahrscheinUchkeit  für  sich  hat.  Vielleicht  bietet  auch  das  in  6.  Anhang  4t. 
iUf  autem  qui  [e-  7.  X.  I.  21.  vide  notam  Ricbteri] ,  ferner  das  in  E.  II.  Üi.  14. 
c.  4.  [c.  29.  X.  II.  24.]  Enthaltene  ein  Argument.  Vergl.  die  Note  dazu. 


Die  Compilationen  Gilbert«  und  Alaoua.  609 

II.  Zu  dieser  Tbätigkeit  gesellt  sich  noch  die  hioflichüich  der 
Rubriken  nach  einer  zweifachen  Richtung.  Wie  die  Tabellen  er* 
geben ;  haben  die  Compilationen  Gilberts  und  Alanus*  einzelne 
Rubriken»  welche  von  der  Comp.  IL  und  den  späteren  aufgegeben 
worden  sind.  Dahin  gehört  bei  Gilbert  die  Rubrik  de  snpplenda 
negligeniia  clericorum^),  de  senienüa  inierdidi,  de  eo  gut 
gerit  rieem  aUerius  [lib.  I.  tit.  18.],  bei  Alanus  die  Rubrik:  de  pe^ 
titmibue  Papae  offerendi^  [lib.  I.  tit.  2.  in  E.].  de  jure  doiiumt  de 
ifirituali  redemiione  [L.  V.  tit.  2.  in  E.],  de  violenüa  clericis 
iltata  [in  F.J.  Andere  Rubriken  hat  Johannes  Galensis  aufgenommen, 
während  sie  später  yerlassen  wurden :  de  officio  advocaiorum,  de 
coHversione  infideliumf  de  bapHsmo  pUeromm.  Noch  andere  Ru- 
briken lauten  anders.  So  —  abgesehen  Ton  kleineren  Abweichungen 
—  de  falsariis  [in  Comp.  II.  et  III.  aufgenommen],  ufocoiM^cra^toit« 
eucharUiiae  cet,  de  translatione  episcoporum  [in  Comp.  III.  u. 
Greg.  IX.  aufgenommen],  de  peregrinationibus  [bei  A I  a n  u  s],  ife  con- 
iugio  infideliwn  ad  fidem  convertefUium.  Im  Zusammenhange  mit 
dieseoÄuderungen  steht,  obwohl  die  meisten  Capitel,  wie  die  Tabellen 
ausweisen,  denselben  Platz  in  der  Comp.  II.  behalten  haben,  die  Ver- 
setzung mancher  Capitel  unter  andere  Titel.  Was  diesen  Punkt  be- 
triflt,  so  lässt  sich  nicht  bestreiten,  dass  eine  Anzahl  derselben  zweck- 
mässiger gestellt  worden  sind.  Da  die  Ordnung  der  Comp.  II.  mit 
sehr  wenigen  Ausnahmen  von  Raymund  von  Pennaforte  in  den 
Gregorianischen  Deeretalen  beibehalten  wurde,  ist  Johannes 
Galensis  auch  hierdurch  für  letztere  von  Bedeutung  geworden, 
zumal  einzeln  mit  der  veränderten  Stellung  auch  der  Sinn  vielleicht 
gegen  den  ursprünglichen  alterirt  wurde. 

Endlich  mdge  noch  hervorgehoben  werden,  dass  Jobannes 
Galensis  sich  an  die  Methode  seiner  Vorgänger  haltend  regelmässig 
Ort  und  Datum  des  Schreibens  auslässt.  Da  dieses  dieSammlungen 
einzelner  Deeretalen  vor  Gilbert  so  consequent  nicht  thun,  scheint 
mir  hierin  ein  neuer  Beweis  dafür  zu  liegen,  dass  Johannes  sich 
lediglich  an  Gilbert  und  Alanus  gehalten  hat. 


*)  Wir  haben  es  nicht  mit  einem  Schreibfehler  zu  thun  für  praelatorum,  weil  Capitel, 
die  QBter  letzteren  gehören  wurden,  vielfach  unter  anderen  Titeln  atchen. 

Silzb.  d.  phil.-hiat.  Gl.  LXV.  Bd.UI.  Hfl.  M 


61 U  V.   S  c  h  u  It  e 

Ob  Johannes  unmittelbar  aus  Alanus  uud  Gilbert  geschöpft«  oder 
eine  vermittelnde  Sammlung  zwischen  liegt,  ist  Gegenstand  der 
Erörterung  des  vierten  Capitels. 

lU.  In  der  Bulle  DevoHoni  vestrae*  womit  P.  Innocenz  lll.  die 
s.  g.  Compilatio  III.  der  Universität  zu  Bologna  übersandte,  wird 
gesagt:  *Die  von  Petrus  getreu  compilirteu  und  unter  die  gehörigen 
Rubriken  gestellten  Deeretalen  seien  enthalten  in  den  Regesten  bis 
zum  Xü.  Regierungsjahre',  d.  h.  da  Innocenz  am  8.  oder  9.  Jan.  1198 
gewählt  worden  ist,  bis  zum  Anfange  des  Jahres  1210.  Ob 
Petrus  sie  aus  den  Regesten  selbst  oder  anders  woher  genommen 
habe,  wird  nicht  gesagt.  Fest  steht,  dass  Sammlungen  päpstlicher 
Deeretalen  je  nach  dem  Bedürfnisse  fortwährend  gemacht  wurden, 
dass  dadurch  gewisse  als  in  der  Schule  recipirt  erschienen,  hierdurch 
ihren  particulären  Charakter  verlierend  allgemeine  Geltung  erlangten. 
Zugleich  war  durch  diese  Sammlungen  ihnen  der  Ort  im  Systeme 
angewiesen.  Die  grössten  derartigen  Sammlungen  liefern  für  Innocenz 
Deeretalen  Gilbert,  besonders  Alanus. 

Die  Sammlung  des  Petrus  enthält  482  Capitel.  Die  Tabellen  er- 
geben davon  fast  300  als  in  den  verschiedenen  Formen  der  bisher 
besprochenen  Sammlungen  befindlich.  Wenn  Petrus  die  im  4.  Ca- 
pitel zu  besprechende  Fuldaer  Sammlung  kannte,  waren  von  dort 
wiederum  verschiedene  zu  holen.  Indessen  ist  es  viel  wahrschein- 
licher, dass  er  nicht  aus  Gilbert  und  Alanus,  sondern  aus  Bernarduü 
Compostellanus  bis  zum  10.  Regierungsjahre,  für  die  vom  10.  bis 
zum  12.  aus  den  Regesten  gesammelt  hat,  wofern  nicht  auch  letztere 
schon  in  den  Sammlungen  meist  beigefügt  waren.  Indirect  aber  ist 
denn  doch  wieder  Gilbert  und  Alanus  Quelle,  weil  ausser  Frage 
steht,  dass  Bernardus  Compostellanus  beide  Sammlungen  kennt  und 
benutzt. 

Theineri),  welcher  Bernhards  Sammlung  genau  beschrieben 
hat,  gibt  als  darin  befindlich  folgende  Citate  an : 

1.  L.  I.  t.  6.  c.  9.  Idem  archiepiscopo  cantuariensi.  hiiotuit 
nobis  olim  et  inf.  In  secunda  compilatione  tit.  Defiliis  pre^byterorum 
libro  primo  quaere  decretalem  istam'. 


1)  DUqaUiUooM  pig.  129—136,  die  CiUte  stehen  181  NoU  6,  eioe  «inoptiscik« 
Tabelle  der  Comp.  Bernardi  und  Petri  BeneT.,  aber  leider  wieder  nicbt  in  tabella- 
riacher  Form,  p.  135  Note  13,  endlich  eine  Nachweisnng  aus  den  Re^itea  biasvm 
10.  Jahr  p.  136. 


Die  Compilatiooen  Gilberts  and  AUour.  611 

Wie  die  Tab.  C.  ergibt,  passt  dies  Citat  genau  auf  die  ver- 
mehrte Comp.  Gilberti»  aber  auch  auf  die  im  nächsten  Cap. 
zu  besprechende  des  Cod.  Fuld.  D.  3\  In  der  Comp.  III.  des 
Petrus  Benev.  steht  das  Capitel  im  tit.  De  eleeiione. 

2.  L.  L  t  7.  c.  2.  'Idem  midrosiensi  archiep.  Qnod  in  dubiis  et 
ifif.  supra  in  secunda  compilatione  titulo  De  renuniiaiione  quaere  de- 
eretalem  istam'. 

Steht  genau  so  in  C.  und  Cod.  Fuld.  D.  3%  nicht  bei  Job. 
6al.,  wohl  in  der  Comp,  tertia. 

3.  L.  1. 1. 7.  e.  11.  'IdemMutinensiepiscopo»  iitteras  vestrae  et  inf. 
Quaere  decretalem  istam  in  sec.  comp.  tit.  De  film  presbyteramm. 

Steht  genau  so  i)  in  C.  und  D.  3\  Die  Compilatio  tertia  des 
Petrus  Beney.  hat  diesen  Titel  gar  nicht. 

4.  L.  L  t.  7.  c.  3.  *Idem  turonensi  archpiscopo.  Duo  ^mul  et 
IqL  Hanc  decr.  quaere  in  tit.  De  offi  ei  potjud.  ord,\ 

So  in  C.  undD.  3*. 

5.  L.  I.  t.  7.  c.  4.  'Idem,  idem.  Quod  s.  apostolica  et  inf.  Quaere 
haoc  dec.  tit.  de  eo  qui  agit  vieea  aUerius' . 

Genau  so  in  C.  I.  tit.  18.  undD.  3\  Dieser  Titel  ist  nicht 
in  die  Comp.  IL,  III.,  IV.  aufgenommen.  Er  hat  nur  dies  eine  Capitel 
in  beiden  Sammlungen  <). 

6.  L.  I.  t.  17.  c.  10.  'Idem  arch.  et  archid.  tiberiensi.  Expec- 
tans  expectavi.  Istam  decret.  quaere  in  sec.  comp.  tit.  de  deposiiione 
episcoporum\ 

Diese  Decretale  nebst  der  Titelrubrik  steht  nicht  in  den  beiden 
Fuldaer  Handschriften «). 

7.  L.  1. 1 14.  c.  un.  ^).  *Idem  cancellario  et  mag.  L.  parisiensi.  Di- 
lecti  filii  et  inf.  Quaere  istam  decretalem  in  sec.  comp.  tit.  de  arbüris\ 

Fehlt  in  den  beiden  Codices.  Erwägt  man  nun,  dass  von  diesen 
7  Citaten  5  genau  passen,  dass  sie  nur  auf  diese  Compilationen  passen. 


^)  Nach  Thei  Der*s  Angabe  steht  ea  oicht  in  der  Ton  ihm  lU  die  Sammlung  Gilbert« 

angenommenen  Brüsseler  Handscbr.,  wo  die   zwei  vorhergehenden  stehen,  ebenso 

das  folgende. 
*)  Steht  nach  Th einer  im  Cod.  Bruxell.  nicht. 
*>  Nach*Theiner    in  einem   späteren  Zusätze   am   Ende  des  Brüsseler   Codex.     Er 

•ehliesst  daraus,  Bernard  habe  diese  Sammlung  vor  Augen  gehabt. 
*J  Fehlt  im  Brüsseler  Codex.  Es  ist  von  The  in  er  nicht  gesagt,  ob  die  7  Citate  die 

einzigen  sind. 

4l» 


612  V.  Schul  tc 

dass  Bernhard  vor  Petrus  Beneyentanus  und  noch  mehr  vor  Johannes 
Galensis  die  seinige  machte,  dass  die  Erweiterung  der  Compilationen 
durch  Anhäoge  und  Ergänzungen  feststeht,  dass  die  Unvollständigkeit 
des  Anhanges  gerade  der  Fuldaer  Handschriften  ersichtlich  ist  <),  so 
glaube  ich  berechtigt  su  sein,  folgende  Schlösse  tn  ziehen : 

a)  Bernhard  hat  die  Sammlung  Gilberts  in  der  erweiterten  Ge- 
stalt C,  oder  die  des  Cod.  Fuld.  D.  3%  was  auf  Eins  hinausifiuft,  vor 
Augen  gehabt,  jedoch  enthielt  die  von  ihm  benutzte  Handschrift  noch 
Erweiterungen,  sei  es  im  Haupttheile  oder  in  Anhängen. 

bj  Diese  Sammlung  nannte  man  vor  dem  Erscheinen  der 
des  Johannes  Galensis  Compilatio  seeunda.  Nach  dem  Erschei- 
nen der  Sammlung  desJoh.Gal.  übertrug  man  auf  sie  jenen  Aasdruck. 

Da  nun  unzweifelhaft  Petrus  Beneventanus  aus  Bernhard  schöpft, 
die  Samjoilung  des  letztern  mir  selbst  nicht  vorliegt,  so  darf  ich  mit 
den  obigen  Andeutungen  mich  begnügen. 

Schliesslich  möge  noch  hervorgehoben  werden,  dass  eine  .An- 
zahl von  Decretalen  Innocenz  III.,  welche  besonders  Alanus  hat,  nicht 
in  die  Comp.  HL  und  IV.  übergegangen  sind.  Da  mir  nicht  alle  Hfilfs* 
mittel  >)  zu  Gebote  stehen,  konnte  ich  den  vollständigen  Nachweis 
über  die  Quelle  derselben  nicht  liefern. 


Drittes  Capitel. 


Sntstehangsieit  and  taellei  der  CaMpilatianes  Mlbertl  iid  AlaaK 

Masse  der  Camp.  CMfterll. 

I.  Aus  den  Nachweisen  der  Tab.  A.  bis  D.  ergibt  sich>  dass 
Gilbert  auch  in  der  erweiterten  Form  keine  jüngere  Decretalen  auf- 
genommen hat,  als  jene,  die  in  der  Sammlung  des  Rainer  Ton 
Pomp  OS  i  stehen «).  Auf  die  vier  nicht  genauer  nachgewiesenen  kann 
kaum  etwas  ankommen.  Mit  Ausschluss  einer  einzigen  des  Anhanges 


^)  Diea«r  Punkt  wird  aus  dem  in  Cup.  III.  snb  num.  II.  Angefahrten  bewiesen 
werden. 

2)  So  ist  s.  B.  Brequigny  et  La  Forte  du  7%m7  Diplomat«,  ehnrtae,  epiat  cet.  Par.  1791. 
fol.,  wo  die  bei  Baluae  fehlenden  Regesten  stehen,  weder  auf  der  Prager  noch 
der  Wiener  UniTersititabibliothek  vorhanden.  So  weit  nicht  Citate  bei  andere« 
(a.  B.  Richter  Corp.  jur.  can.)  stehen,  war  ich  also  verlassen. 

2)  Abgedruckt  in  Steph.  Baluze  Epistolamm  Innocentii  ül.  R.  P.  Libri  aadecim. 
Paris.  16S2  fol.  2  voll.  T.  I.  pag.  S43— 606.  Citirt  in  den  Notae  der  Tabellen 
Rayn. 


Die  Compilationen  Gilberts  und  Alanus.  6 1  S 

D.  cum  tibi  de  benignitate^  welche  in  das  8.  Jahr  (Anfang  1204  bis 
1205)  fallt,  gehören  alle  dem  1.  2.  3.  Jahre  an.  Rainer  sagt  in  der 
Vorrede  ausdrücklich,  dass  er  Decretalen  aus  den  drei  ersten  Jahren 
xusammenstelle.  Es  kann  daher  wohl  keinem  ZweifeT  unterliegen,  dass 
Gilbert  seine  Sammlung  im  Jahre  1201  oder  1202  zuerst  gemacht, 
imJ.  1204  oder  1^05  erweitert  hat.  Damit  stimmt  vortrefflich,  dass 
Bernardus  Compostellanus  antiquus,  der  in  seine  Comp. 
Romana  Decretalen  bis  ins  11.  Reg^erungsjahr  (aus  dem  eilften  eine) 
aufnahm  «)»  sie  benutzt  und  als  Cotnpilatio  iecunda  bezeichnet.  Es 
setzt  dieses  offenbar  eine  gewisse  Reception  voraus  a). 

II.  Dass  eine  solche  erfolgt  ist,  beweist  die  im  Cod.  Puld.  D.  8. 
zur  vermehrten  Sammlung  des  Gilbert  vorfindliche  Glosse'). 

Die  Glosse  erstreckt  sich  auf  die  Hauptsammlung  (Tab.  C.) 
und  deren  Anhang  (Tab.  D.),  ist  im  ganzen  nicht  sehr  reichlich, 
besteht  meistens  in  Citaten  ans  dem  romischen  Rechte,  Verweisungen 
aaf  das  Decret  und  die  Compilatio  prima.  Letztere  sind  dadurch  für 
uns  von  Bedeutung,  dass  sie  den  Beweis  liefern,  dass  der  Glossator 
die  Comp.  Bern.  Pap.  als  prima  ansieht,  woraus  von  selbst  folgt,  dass 
er  die  glossirte  als  secunda  betrachtet.  So  lautet  gleich  die  zweite 
Glosse,  die  erste  zu  c.  1.  de  rescr.: 


>>  The  in  er  Dinquieitiones  p.  18Z. 

*)  leb  erlaube  mir  bier  auf  einen  Punkt  die  Aufmerksamkeit  Jener  tu  lenken,  depen 
etwa  Handackriften  der  Comp.  I.  in  die  Hand  kommen,  welche  mit  Sicherheit 
Tor  dem  Jahre  1210  g-eschrieben  aind.  Denn  aus  den  Gloaaen  aolcher  Hesse 
•ich  Gewisaheit  heratellen.  Preilich  dfirften  aolcbe  Randscbriften  luaserst  selten 
sein,  md^licberwetae  nicht -mehr  exiaiiren. 

')  Von  einer  aolchen  hat  man  biaher  nichta  ^ewuaat.  Tan  er  ad  apricht  nicht  aus- 
dnicklich  daTon,  aber  aus  den  Worten:  ^superquarum  [diea  besieht  aich  aU^emein 
auf  alle  Torgenannten  Sammlungen  des  Gilbertus,  Alanua,  Bemardus,  Petrus, 
Johannes]  expositionibus  plures  doctores  Bononiae  studentes  glosas  plurimas,  va- 
rias  et  diveraas poanerunt  et  appantus  super  eia  acripaerunt*  kann  man  seine 
Befcanntachaft  damit  folgern.  Br  hatte,  nachdem  die  Coli.  Oilb.  u.  Alani  antiqntrt 
waren,  keinen  Grond,  niher  darauf  einsngehen.  Johannes  Andrei  deutet  nichta 
daron  an.  Es  ist  sehr  wahracheinlich,  daaa  er  es  nicht  wusste,  keine  solche  Hand- 
ackriflen  kannte.  Ich  schliesse  dies  daraus,  daaa  er  sonst  sehr  genau  intereasante 
NoUsen  mittheilt.  Dass  er  mehrere  Werke  nicht  kennt,  ist  bekannt 

Geachrleben  ist  die  Glosse  sehr  klein  aber  unendlich  zierUch  und  aicher 
fr€lMr  ala  der  Ton  einer  gintlich  Terachiedenen  und  apiteren  Hand  geschriebene 
Test.  Die  Glosse  der  Comp.  I.  teigt  dieselbe  Hand,  der  Text  dieselbe  mit  den 
fol^nden  Sammlungen.  — 

Auaaer  den  Nachweisen,  welche  folgen,  bieten  die  mitgetheilten  Stellen  für 
jo4ea  Punkt  hinlingliche  Belege. 


614  V.   Schulte 

'Adverte  Privilegium  Cistrensium  in  decimis  laborum  suoram 
non  praestandis,  ut  $upra  L  L  t  de  decimis  ex  parie\  d.  h.  c.  10. 
de  decimis  III.  26.  Comp.  L 

Die  zweite  Glosse  zu  demselben  Capitel  v.  ardinis  ift: 

'nam  nominis  suppressio  suspitionem  inducit,  nt  supra  de  rei- 
criptis,  ad  aures  1.  I.»  supra  de  dolo  et  contumacia  c.  II.,  \.  V. 

Ebenso  citirt  die  4.  7.  8.  Glosse  zu  demselben  Titel  und  un- 
zählige andere. 

Consequent  wird  dann  auch  häufig  diese  Sammlung  mit  liber 
idem,  abgekflrzt  1.  e.»  bezeichnet,  z.  B.  Gloss.  ad  c.  2.  de  off.  et  pol 
sud.  del.  'ut  s.  [supra]  de  filiis  presb.  c.  ult  /.  e.\  zu  c.  un.  de  eo  qui 
yices  gerit  alterius :  c  s.  de  elect  Si  archiep.  I.  I.  [d.  h.  c.  9.  de 
elect.  I.  4.  Compil.  I.]»  s.  de  elect.  Suffraganeis  L  «/  d.  h.  c.  1.  de 
elect.  I.  4.  bei  Gilbert. 

Dass  der  Glossator  diese  Sammlung  als  eine  zur  Comp.  I.  hinzu* 
tretende»  mithin  gewissermassen  als  verbunden  betrachtet,  ergibt 
schon  die  Citirart  supra  und  infra ;  wo  kein  Zweifel  entsteht,  findet 
sich  daher  auch  wohl  blos  supra.  So  z.  B.  Gl.  zu  c.  2.  de  off.  et 
pot.  iud.  del.  'ut  supra  de  test.  quamvis  simus'  [c.  13.  II.  29.  Comp. 
L]  und  'ut  s.  de  off.  iud.  del.  praeterea  1.  I.'  Letzteres  Citat  war 
nbthig,  weil  man  ja  dasselbe  möglicherweise  auf  Gilbert  beziehen 
konnte,  was  beim  ersten  unmöglich  war,  da  der  Titel  de  testibus  ein 
späterer  ist ,  folglich  supra  nur  auf  eine  andere  Sammlung  gehen 
kann.  Er  ist  darin  so  genau,  dass,  wo  er  mit  Zahlen  oder  unbestimmt 
citirt,  er  sogar  für  diese  Sammlung  die  genaue  Bezeichnung  wählt, 
z.  B.  zu  c.  2.  de  off.  et  pot  jud.  del.  'ut«.  de  filiis  presb.  /.  e!^  nicht 
zu  c.  2.  de  bigamis:  'ut  infra  de conversioneinfidelium,  Gaudemus'. 
da  infra  nur  auf  sie  gehen  kann. 

Dieses  letzte  Citat  passt  ausschliesslich  auf  diese  Compilation, 
da  die  Comp.  III.  das  Capitel  im  tit  de  divortiis  hat  Sie  liefert  also 
zugleich  den  Beweis,  d a s s  die  Glosse  zu  dieser  Sammlung 
gemacht,  nicht  etwa  von  anderwärtsher  zugesetzt  ist.  Ganz  das- 
selbe folgt  aus  der  letzten  Glossa  zum  1.  Cap.  des  Anhangs:  *ut 
infra  de  eo  qui  vices  gerit  alterius\  denn  dieser  Titel  existirt  über- 
haupt nur  in  ihr  <). 


*)  Nebenbei  lei  bemerkt,  daM  CiUte  blosser  Titel,  wenn  diese  nur  ein  Capitel 
in  unserer  Ssmrolnn^haben,  mebrfach  vorkomnen,  s.  B.  auch  m  c.  14.  des 


Die  Compilationen  Gilberts  uad  Alanus.  615 

Mit  diesem  Citate  ist  nun  auch  der  Beweis  geliefert,  dass 
Hauptsammliing  und  Anhang  als  ein  Ganzes  erscheinen. 
Denn  wenn  beide  mit  infra  und  9upra  bezeichnet  werden»  wie  es 
hier  geschehen  konnte,  weil  der  Titel  de  elect  früher  steht  als  der 
de  eo  qui  vicesgerü  alt.  und  der  letztere  Titel  in  der  Hauptsammlung, 
die  Glosse  aber  zum  erstem  im  Anhange  vorkommt:  so  müssen  sie 
als  Einheit  gelten.  Solcher  Belege  lassen  sich  sehr  viele  beibringen, 
einige  mögen  noch  Platz  finden.  Gl.  ad  c.  7.  Anhang,  'ut  in  eüptra, 
de  testibus  j^orro  et  infra  de  except.  detiique.  Erstere  Stelle  kommt 
nicht  vor,  letztere  steht  in  der  Hauptsamfnlung  als  c.  2  de  except.  IL 
12.,  fn  c.  10.  'sed  contra  supra  e,  t.  [eodem  titulo]  gnod  ad 
comtiltationeni  d.  h.  c.  3.  de  sent.  et  re  jud.  IL  17.  Ebenso  wird 
für  den  Anhang  selbst  das  frühere  mit  supra,  das  spätere  mit  iih- 
fra  citirt.  Um  vollends  jeden  Zweifel  auszuschliessen ,  sei  noch 
hervorgehoben,  dass  auch  die  Comp.  L  im  Anhange  einfach  mit 
mfMra  citirt  wird,  mithin  als  das  einfache  Prius  ihm  gegenüber 
erscheint,  z.  B.  zu  c.  6.  'ut  8upra  de  homic.  $icut  dignum  §.  casus 
vero\  [c.  7.  V.  10.  Comp.  L]. 

Dem  Verfasser  lag  zur  Zeit  der  Abfassung  der  Glosse  schon 
eine  reiche  und  in  Titel  eingetheilte  Extravagantensammlung  vor,  da 
er  über  50  citirt.  Sie  ist  aber  nicht  die  Sammlung  des  Alanus,  weil 
sehr  viele  derselben  sich  dort  nicht  finden,  kh  halte  es  aber  nicht 
für  meine  Aufgabe,  hier  diesen  Punkt  weiter  zu  verfolgen. 

Folgende  Schriftsteller  werden  in  der  Glosse  citirt : 

aj  zu  c.  3.  Cum  non  ab  hom.  de  jurej.  IL  1 6.  Clem.  IIL  verbo  absol^ 
verunt:  'et  tarnen  mortaliter  peccant,  si  juramentum  non  servent,  sed 
ideo  non  ita  graviter  puniuntur,  ne  pena  illorum  incentivum  delin- 
quendi  pariat  malefactoribus,  cum  propter  hoc  essent  ad  inferendum 
violentias  promtiores.  Bazianus  tamen  dicebat,  extortum  juramen- 
tum non  esse  Obligatorium,  nee  aliquem  peccare,  si  veniat  in  contra- 
rium.  Quod  in  juramentis  promissionis  locum  habet ,  secus  in  asser- 
toriis,  ad  qaae  facienda  nulla  conditione  debet  quis  duci'  <). 

Aabangea:  *ut  X.  de  aacceitionibus  ab  inteatato',  waa  aof  die  UoToilaifindigkeit  dea 
Anbaaga  deutet  Daa  zeigen  auch  andere  s.  B.  die  zweite  Gl.  zum  1.  Cap.  dea  An- 
haaga:  *at  infra  de  capeUia  luooachor.  vobi^t  infra  de  elect.  Qtm  ex  utHusgue'. 
Letalere  SteUe  hat  unaer  Codex,  eratere  nicht. 
<)  Zu  deaaelben  Worte  ateht  vorher  folg.  intereaaante  Gloaae:  *i.  e.  abaoiutoa  i.  e.non 
lif^toa  oatenderunt :  et  hoc  verum  eat  de  hia,  qui  inviti  jaraverunt,  le  daturos  rea 
eccieaiaaticaa.  Simile  supra  de  appell.  ad praetentiam  [Comp.  I.].  Sed  quid,  ai  rea 


1 


616  V.    S  ch  u  1  t  e 

b)  Tax  c.  9.  quia  reqniaivisti  de  appell.  11.  18.  Coel,  III.  v.  dies 
'suprade  off.  jud.  del.  ad  haec  1. 1.»  s.  de  appell.  adhaec.  Magister 
WiV  i)  intelligit  illud  c.  de  pluribus  eleetis  tali  modo:  *elegimus  p. 
et  si  ille  aliquo  casu  intenreniente  non  potest  esse,  eligimus  M.  et  ita 
de  ceteris'.  Quod  bene  fieri  potest  et  istis  acquiritur  jus  ex  tali  no- 
minatione:  *  Argumentum  infra  LXXXV.  Archidiaconum  et  LXI. 
Studiivestri\ 

Zu  c.  15.  a  nobis  est  de  sent.  exe.  V.  14.  CoeL  III.  v.  abso- 
lutio  a  sedeap.  requiratur:  \sed  hoc  habet  locum  in  mortuis  tan- 
tum,  illud  autem  in  mortis  articulo  eonstitutis,  qui,  ex  quo  penitent, 
reconciliandi  sunt»  ut  viatico  non  prirentur,  ut  d.  L.  Penitentes.  Ma- 
gister GwiL  dieit»  quod  urgente  mortis  articulo  ille»  qui  incidit  in 
canonem  late  sententie,  etiam  a  laico  instante  ultima  neeessitate, 
reconciliari  et  absolvi  possit  ita  quod«  etiamsi  supervixerit  postmodum 
et  convaluerit,  non  egeat  absolutione  summi  pontificis,  debet  tarnen 
modum  penitentie  et  satisfactionis  a  papa  suscipere  et  hoc  argumen- 
tum illius  c.  de  con.  di.  III.  Sanctum  est  baptisma\ 

c)  Zu  c.  1.  Vestra  de  cohab.  der.  et  mul.  III.  1.  Luc.  lU. 
verbo  eondempnatur:  'Insufficiens  est  ista  descriptio,  cum  non 
omne  notorium  sit  tale;  nam  ante  sententiam  potest  esse  notorium,  ut 
s.  de  divortiis  Porro,  s.  de  fiiiis  presb.  c.  ult.  I.  Die  ergo,  ut  notavit 
R.  s.  de  sortilegio  Ea^  tuaruwt  *). 

d)  c.  fraiemitatis  un.  Qui  cler.  vel  voventes  IV.  4.  v.  lotigi" 
^tiifo: 'Similiter  I.  I.  t.  e.   [libro  I.   titulo  eodem]   consuluit  contra. 


propriu  •«  datoros  jurarerunt?  Videtur,  quod  tenentor  ut  ZV.  q.  I.  Merito^  npr* 

de  Jur^.  «tvero;  ZXU. q. III.  tt  siiqitidi  et  peccet  mortaliter,  qui  cootra  jarameatiiD 

Tenit,  lieet  peoam  non  soetineat  debitam   pro   mortali.   SiinUe  XXVII.   di.   «i  vir. 

Haec  eat  communis  opiaio  theologorum. 

Tancred  hatin  dem  Apparate  xur  Comp.  II.  die  Glosse  vor  Au^en  gehabt  bei 

beiden  Stellen,  da  er  Einzelnes  wörtlich  daraus  entnimmt. 
0  Welcher  Wilhelm  dies  ist,  lisst  sich  schwer  skgen.  Sarti  nennt  mehrere  dieses 

Namens  (vgl.  mein  Lehrbuch  S.  KK  Note  40).  Meines  Wissens  sind  bisher  nirgends 

Glossen  ron  einem  solchen  mitgetheilt  worden. 
*}  Apparat  Tancrediad  Comp.  II.  ^  .  .  Patet  autem  quod  non  omne  tale  compre- 

henditnr  snb  hac  diffinitione,  nam  multa  sunt  ante  sententiam  notoria:  II.  q.  I-  de 

manife.,  s.  de  flliis  presb.  c.    ult.   I.  (.,  s.  de  divor.  porro.,  s.  de  sorti.  c.  ult.  1.  1 

Nach  Cod.  Bamb.  P.  II.  6.  Dies  selgt  die  Benutsung  deutlich. 

R.  Ist  wohl  unzweifelhaft  RichardusAnglicus,  dessen  Glosse  also  in  den 

Anfang  des  XHI.  oder  das  Ende  des  ZU.  Jahrh.  flillt. 
Über  R  o  d  o  1  c  u  s  mein  Lehrb.  S.  49. 


Die  Compilationen  Gilberts  und  Aianus.  .6  1  7 

eadem  est  solutio,  yel,  ut  dicit  Ro.  ratioue  temporis  et  filiorum  ibi 
Toluit  dispensare,  vel  ibi  sine  questione  manserunt,  hie  secus.  Et 
oota,quod  quandoque  favor  filiorum  et  temporis  dispensationem  faeit, 
uts.  XXXV.  q.  VIII.  c.  1.,  C.  de  ritu  nuptiar.  qni  in  pravincia^  «. 
de  eo,  qui  duxit  in  matrimonium  c.  1.»  infra  de  cognatione  apirituali, 
Lmdabilem,  s,  de  symonia  Non  satu*  s.  qui  matr.  aecusare  non 
possunt  Ex  litteris  contra.  Sed  ibi  repelKtur  aecusator  tanquam 
suspectus»  quia  tanto  tempore  tacuit,  nee  fuit  illud  matrimonii  appro- 
batio,  sed  accusatoris  suspitio'. 

Zu  c.  4.  De  regulär,  de  sym.  V.  2.  Clem.  III.  verbo  adeant: 
'oumquid  propria  auctoritate  transire  poterit?  Videtur,  quod  non,  nisi 
crimen  publicum  fuit  ut  X Villi,  q.  UI.  Mandamus ;  Statuimns.  Abbas 
ergo  episcopi  auctoritate  hoc  faciat.  Ro.  dicit,  propria  auctoritate 
hoc  posse  fieri:  arg.  s.  de  regularibus  et  transeuntibus  ad  religionem 
Sane  1.  L,  s.  XVIIIl.  q.  u.  Due: 

An  zwei  Stellen  citirt  er  Seneca  (fol.  137'  und  138*).  Als  in- 
teressant und  cur  Feststellung  für  die  Glosse  der  Comp,  antiquae  mögen 
ooch  einige  Glossen  Platz  finden. 

Zu  c.  ad  aures  un.  de  bis.  quae  vi.  I.  19.  Coelest,  lU.  v.  jura- 
menio:  'S.  de  rest.  exspol.  c.  I.  I.  I.  Contra  ibih.  nonrecipitur  jura- 
mentom  ab  exspoliato  prestitum,  sed  ibiinprestationejuramentiiliata 
fuit  violentia,  hie  post  illatam  violentiam  spontanee  juravit,  et  ideo 
secus,  ut  C.  de  bis  que  vi  metusve  causa  fiunt  i.  IL  Vel  ibi  agitur  de 
jure  jam  acquisito,  hie  autem  de  acquirendo.  Et  facilius  repellitur 
promovendus  quam  deitiatur  promotus  ut  XV.  q.  I.  %.  ult  i).  Hie  non 
fuit  exspoliatus«  cum  nunquam  fuisset  institutus.  §.  s.  de  jurejurando 
Sivero»  XV.  q.  VI.  c.  1.  contra  infra  de  jurejur.  verum  contra.  Sed 
hie  metus  non  fuit  tantus,  qui  excusationem  induceret,  ut  ibi,  et  hie 
non  in  ipso  metu  fuit  juratum,  sed  postea.  Tarnen  opinio  est  theo- 
logorum,  ut  quantumcunque  invitus  aliquis  juravit«  obligetur  ut  XV.  q. 
I.  merito\ 

Zu   c.  directae  10.   de    appell.  IL  18.  Clem.  IIL  v.  secunda 
iurisd^    S.  e.  t.  proximo  contra.,  s.  de  appell.  personas  contra,  s.  de 


1)   Soweit  steht  die  GloMe  fast  wörtlich  bes.  so  das«  man  siebt,   sie  war  die  Quelle, 
im  eiaer  mit  n.  ^eseichnetea  des  Cod.  B  am  b.  P.  I(.  6.  cur  Comp.  (f. 


618  T.   S  eh  u  I  t  e 

oif.  ju.  or.  ad  haec  contra  I.  I.  Solutio:  Hoc  locum  habet,  quando  non 
prosequens  appeliationem  suam  nihilominus  admittitur  ad  causam 
suam  peragendam.  Nam  elapso  termino  appellationis  de  jure  suo 
judex,  appellatione  remota,  posset  procedere,  ut  patet  ex  contrariis  et 
j.  e.  sepe  contingit  Vel  dicas,  quod,  si  elapso  termino  appellationis 
iterum  appelletur,  ne  judex  procedat,  non  vaiet  hujusmodi  appellatio, 
ut  ex  contrariis  patet.  Si  vero  post  primam  appeliationem  elapsam  in 
processu  negotii  vel  in  sententia  gravamen  aliquod  parti  immineat, 
audietur  appellans,  ut  hie,  nisi  contra  absentem  per  contumaciam  fuerit 
sententiatum  ut  i  [nfra]  e.  [ödem]  t.  [ituloj. 

Zu  c.  Tertio  6.  de  spons.  IV.  1.  Clemens  HL  v.  credere:  'Sed 
videtur,  quod  sufficiens  non  erit  hoc  testimonium,  cum  secundum 
conscientiam,  non  secundum  credulitatem  debeant  confiteri  et  testi- 
ficari  ut  HI.  q.  IX.  Testes*  nisi  ubi  de  consanguinitate  probanda  agi- 
tur,  ut  s.  de  prole  suseepta  ex  secundis  nuptiis  c.  II.  Sed  dico  ubi 
agitur  ad  separationem  matrimonii  sufficit  per  rerisimiles  probationes 
et  praesuroptiones  fornicationem  probari  ut  s.  XXXII.  q.  I.  Dixii 
dominus^ . 

C.  un.  cum  sis  de  cland.  desp.  IV.  10.  Clem.  III.  v.  tenuerit: 
'Si  quaeras,  quamdiu  daret  interdictum,  respondeo,  quamdiu  durat 
causa,  propter  quam  specialiter  datum  est  interdictum  ut  d.  XXXI. 
5t  laicus,  alioquin  ubi  causa  non  ad  haec  et  Vitium  non  imputatur,  ut 
s.  d.  LXI.  Neophiius.  Non  tenuerit  ipso  iure  et  hoc  impediente  inter- 
dicto  ecciesiastico  tam  publice  et  tarn  sollempniter  facto  ut  s.  de 
sponsa  duor.  c.  ult.  1.  I.  Refert  ergo,  an  fuerit  sollempne  interdictum 
vel  privatum.  In  primo  casu  non  erit  matrimonium,  nisi  ex  consensu 
novo  contrahatur,  in  secundo  secus.  Et  sie  solve  contraria  signata. 
ut  s.  de  sponsal.  I.  I.  de  muliere*  de  matr.  contr.  contra  interd.  ecci. 
c.  1.  et  ult.  1.  I.  Alii  dicunt,  quod  non  tenuerit  quantum  ad  ecclesie 
presumptionem  et  si  teneat  ipso  iure  nisi  alia  causa  perpetue  probi- 
bitionis  subsit,  et  sie  soivunt  contraria'. 

Zu  c.  1.  de  const.  I.  1.  praeterea  Clem.  III.  v.  respondere: 
'Sed  nonne  precise  potuit  respondere,  quod,  qui  tamdiu,  non  solum  a 
possessione  cadat  cum  sufBciat  in  rebus  ecclesiasticis  si  quis  non 
solvent  per  biennium  ut  X.  q.  H.  hoc  ins.  por,  Qui  res  iam.  In  rebus 
privatorum  per  biennium  ut  C.  de  jure  emph.  1.  II.  Resp.  hoc  forte 
ideo  dicit,  quia  possessor  ignoravit  possessionem  fuisse  censualero. 


Die  Compilationen  Gilberts  und  Alanut.  619 

et  ideo  non  solum  excusatur.  Justam  autem  ignorantie  causam  habere 
potuit,  si  in  locuiQ  alterius  successit»  ut  d.  de  regulis  juris,  vel  quia 
ignorabat  prescriptionem  juris  ut  C.  de  prescr.  XXX.  vel  XL.  anno- 
rum;  sed  hoc  non  valet,  cum  tantum  XL  annorum  preseriptio  currat 
ecclesie  ut  s.  de  prescript. ;  vel  propter  scandalum  vitandum  dili- 
genter  prius  voluit  veritatem  exagitare  quam  sententiare*. 

Wer  Verfasser  der  Glosse  sei,  ISsst  sich  schwer  sagen. 
Bedenkt  man  aber,  dass  Bernhard  von  Pavia  selbst  die  Comp.  L 
glossirt  hat,  dass  nirgends  eine  Sigle  sich  vorfindet,  dass  die  Glosse 
nur  die  auf  die  Comp.  L  sich  beziehende  älteste  Literatur  berück- 
sichtigt, in  ihrem  Charakter  der  überwiegenden  Citate  von  Stellen 
des  canonischen  und  römischen  Rechts  sich  als  ersten  Versuch  zu  er- 
kennen gibt:  so  braucht  man  wohl  keinen  Anstand  zu  nehmen, 
Gilbert  US  selbst  für  den  Verfasser  zu  halten.  Ui  dem  so,  dann  hat 
er  das  Verdienst,  für  einen  grossen  Theil  derDecretalen  derComp.IL 
die  Grundlage  der  Glosse  geliefert  zu  haben  <). 

IIL  Fasst  man  des  Alanus  Sammlung  ins  Auge,  so  zeigt  sich, 
dass  ihr  jüngstes  Stuck  dem  Jahre  1208  angehört.  Damit  dürfte  die 
Zeit  der  Entstehung  wohl  ziemlich  zusammenfallen.  Da  Petrus  von 
Benevent  seine  Compilation  wohl  im  zwölften  Jahre,  also  etwa 
1210  gemacht  hat,  blieb  für  die  Bearbeitung  jener  kaum  die  erforder- 
liche Zeit  übrig.  Von  einer  solchen  findet  sich  dann  auch  in  unserem 
Codex  keine  Spur. 

IV^.  Was  die  Quellen  der  Compilation  Gilberts  betrifft, 
so  lasst  sich  von  vornherein  annehmen,  dass  nach  der  Comp.  L  eben- 
solche Sammlungen  angelegt  wurden,  als  dies  nach  dem  Dekrete  der 
Fall  war*).  Von  derartigen  Sammlungen  mögen  zwei  in  Kürze  ange- 
geben werden. 


0  Der  Glossator  hat  sich  zu  Rom  aufgehalten,  er  sagt  in  der  letzten  Glosse  (zu  c.  38. 
des  Anhangs.  Darauf  folgen  nur  noch  2  Citate) ;  'huius  falsitatis  auctor  in  data 
comprehendi  potest,  et  hoc  vidi  aliquando  fieri  rome^* 

Eine  Erwfihnung  mftge  noch  finden,  dass  fol.  124a  snr  Decretale  vergentiM 
steht:  ^dM  lant  und  sorchint  dasselbe  hindan*.  Fol.  126b  am  Rand  neben  dem  Ein- 
gänge von  deelerico  maUdieo.  Fnnoiuit  steht:  *das  lant*. 

S)  Meine  Quellen  des  Rirchenrechts  S.  332.  fg.  Eine  andere  in  meinem  2.  Beitr. 
zur  Gesch.  der  Literatur  Qber  das  Dekret  Gratians  S.  46  ff.  (Sitz.-Ber.  LIV. 
8.    93  S,), 


620 


Y.    Schulte 


1.  Cod.  bibl.  Universit.  HaUefiHs.  Ye  80.  fol.  mbr.saec.  XllP)- 
Nach  dem  ^Expüeiuni  decretales  inflra  titulos'  fplgt  auf  die  Com- 
pilatio  prima  mit  der  Überschrift:'  Incipiunt  decretalea  exira  titu- 
lo9'  Eine  Sammlung  von  88  Decretalen ,  welche  wohl  uater  (Titel) 
Rubriken  gebracht  sind,  aber  nicht  in  der  Ordnung  Bernhards.  Die 
Rubriken  sind  oft  sehr  ausführlich.  Ich  stelle  sie  in  der  folgenden 
Tabelle  in  Vergleichung  mit  der  Coliectio  Gilbert!  unter  Angabe  des 
Ortes,  wo  sie  aufgenommen  sind,  falls  sie  in  der  Coli.  Gilbert!  sich 
nicht  finden. 


• 

6 

a 

• 

Cod.  Fald. 

• 

mm 

Cod.  Fald. 

Cod.  Fttld. 

• 
Ol 

i 
Cod.  Fold. 

"3 

aa 

D.  14. 

vS 

» 

D.  14. 

B 

0.  14. 

B 

D.  14. 

o 

o 

• 

5 

1 

1 

in.  11.  un. 

11 

V.  14.'  5. 

23 

IV.  1.  4. 

35 

•) 

2 

II.  3.  1. 

12 

IV.  8.  1. 

24 

») 

36 

♦) 

2 

11.  18.  11. 

13 

IV.  3.  DD. 

25 

II.  1.  1. 

37 

») 

2 

L  13.  2- 

14 

IV.  1.  4. 

26 

IV.  10.    UD. 

38 

•) 

3 

III.  22. 2. 

15 

III.  3.  UD. 

27 

V.  14.  1. 

39 

V.  14. 11.     1 

4 

.  V.  2.  4. 

16 

V.  14.  4. 

28 

I.  9.  4. 

40 

V.  8.  1. 

5 

V.  5.  4. 

17 

V.  10.  2. 

29 

n.  18.6. 

41 

») 

6 

V.  S.  2. 

18 

IV-  12.  3. 

30 

in.  18. 1. 

42 

•)    ; 

7 

III.  12.  2. 

19 

V.  13.  3. 

31 

IV.  6.  2. 

43 

II.  2.  UD. 

8 

IV.  2.  un. 

20 

n.  5.  uo. 

32 

V.  14.  10. 

U 

IV.  i.  2. 

9 

V.  13.  2. 

21 

IL  17.  1. 

33 

IV.  7.  2. 

45 

V.  13.  1. 

10 

ni.  20. 1. 

22 

IV.  1.  5. 

34 

n.  18. 11.    . 

46 

V.  1.  2.         1 

^)  Donselbeo  beacbreibt  tchon  Latpojrres  Bernard i Pap.  Summa  decretalinm.  RaCisb. 
1S60  pag.  XXXII.  sqq.  Er  gibt  die  Zabl  der  Decretalen  im  Anbange  mit  S5  an,  weil 
ibm  die  LQcke  awiachen  7.  und  S.  entgangen  iat  and  er  swei  Capitel  äbersehen 
bat  In  diesen  SS  aind  nocb  15,  welcbe  in  der  Comp.  II.  und  HI.  Stöcke  aolclier 
sind;  folglicb  kommen  als  Quelle  jener.  Comp.  108  beraus.  Die  Sammlung  ist  na- 
▼ollstindig,  es  fiel  eine  Lage  aus.  Die  letste  Seite  jener,  wo  die  7.  Decretale  en- 
digt, bat  die  alte  Nnmmer  Xl\,  was  stimmt,  die  folgende  aber  XHI.  Sie  nmfasat 
jettt  17  Blitter,  ein  Drittel  durfte  somit  feblen. 

*)  Ist  c.  i.  de  purg.  rulg.  V.  16.  Comp.  U.  —  ')  c.  2.  de  spons.  IV.  i.ibid.  — 
*)  Stebt  in  Tab.  E.  IV.  7.  1.  ~  •)  Stebt  in  Tab.  F.  num.  22.  —  <)  Clein.  III. 
Cassibn.  srcb.  Cum  ad  sed.  ap.  et  j.  Super  boc  itaque  tua  p.  —  7)  c.  1.  de  fil.  preab. 
1.  9.  Comp.  II.  —  8)  c.  0.  de  jud.  II.  1.  Comp,  primae. 


Die  Compil«tloo6ii  Gilberta  und  Alanus. 


621 


• 

e 

3 

z 

■ 

3 

Cod.  Fuld. 
D.  14. 

• 

B 

Cod.  Fnld. 
D.  14. 

• 

Tb 

s 

Cod.  Fuld. 
D.  14. 

t 

Cod.  Fuld. 
D.  14. 

• 

m 

o 

l 

47 

0 

57 

II.  12.1. 

68 

•) 

79 

") 

48 

U.  19.  UD. 

58 

IIL  20.  4. 

69 

11.  8. 1. 

80 

") 

49 

V.  7.  3. 

59 

III.  20.  3. 

70 

1«) 

81 

'*) 

50 

V.  14.  13. 

60 

V.  14.  5. 

71 

") 

82 

V.  14.  16. 

50 

n.  18. 8. 

61 

I.  13.  5. 

72 

I.  7.  2. 

82 

L  12.  %. 

51 

») 

62 

in.  24.  4. 

73 

III.  16.  UD. 

83 

V.  2.  3. 

52 

•) 

63 

V.  15.  1. 

74 

IV.  1.  7. 

84 

») 

53 

*) 

64 

«) 

75 

II.  7.  un. 

85 

ü.  Ift.  7, 

54 

II.  18.  9. 

65 

IV.  1.  2. 

76 

V.  14.  9. 

86 

«•) 

55 

III.  17.  1. 

66 

') 

77 

V.  16.  2. 

87 

V.  7.  5. 

56 

*) 

67 

«^3 

78 

II.  18.  10. 

88 

") 

2.  Eine  Sammlang  von  Decretalen  dieser  Art  ist  edirt  von 
Mansi  in  Steph.  Baluzii  Tutelensi.s  Miscellanea  .  .  .  opera  ac 
studio  Jo.  Dam.  Mansi  Lucensis.  Tom.  tertius  foU  Lucae  MDCCLXII. 
pag.  368—391.  In  der  ersten  Ausgabe  steht;  sie  nicht.  Sie  hat  die 
meisten  Decretalen  mit  der  eben  beschriebenen  gemein»  auch  ein- 
zelne, welche  in  derCoDectio  Alani  stehen,  nicht  aber  in  der  Comp.  II. 
oder  in. ««) 

Ich  habe  noch  in  einigen  Handschriften  als  Anhänge  zur  Comp.  I. 
(ebenso  zu  den  folgenden)  derartige  Extravagantensammlungen  ge- 
funden, aber  leider  sie  genauer  zu  notiren  vergessen. 


^)  c.   15  de  »eilt.  exe.  V.  19.  und  c.  2.  de  big.  I*  11.  Comp.  II.  —  ')  c.  3.  de  pr.  II. 

15.  ihid.  —  >>  c.    1.  de  immun.  III.  27.  ibid.  —  *)  e.  2.  de  procur.  II.  18.  ihid, 

^)  c.  1.  de  sepult.  fll.  15.  ihid,  —  ^)  c.   1.  de  his  q.  conc.  III.  11.  Comp.  III.  — 

^  fnn.  III.  Martscan.  epo.  Signif.  nob.  p.  t.  lit.  quod  cum  B.  —  ^)  Id.  Ad  «od.  n.  te 

eigralf.  —  ^)  c.  1.  de  viU  et  hon.  III.   1.  Comp.  III.  —   ^^)  c.  un.  de  puriflcftt.  Hl. 

36.  Comp.  ni.  —   ^'>  €.  2.  de  praeb.  III.  5.  iltid.  —    ^^)  Coel.  lil.  Raven.  arcb. 

Ex  lit.  d.f.  n.  capitoli  ecd.Cremon.  —  <*)  c.  4.  de  resr.  II.  I.  Comp.  II.  —  ^*)  Inn. 

III.   Officii  oostri  deb.  et  »oll.  —   ^^)  c.  3-  de  excess.  prael.  V.  13.  Comp.  II.  — 

f  •)  e.  4.  de  regulär,  ni.  18.  Comp.  II.  —  ^7)  In  eollectione  Raynerii  tit.  24.  Licet 

is  «ttt.  —  19)  Citirt  in  den  Tabellen  mit  Mi  ac  eil. 


622  V.    Schulte 


Viertes  Capitel. 
Bie  Cmpilati«!  des  C^d.  Vald.  D.  3\ 

Diese  Handschrift,  mbr.  fol.  saec.  XIII.  sehr  schön  mit  der  ge- 
wissen dünnen  und  stehenden  Schrift,  gehörte  ebenfalls  dem  Kloster 
Weingarten,  ist  mit  dessen  Bibliothek  in  die  von  Fulda  gekom- 
men. Sie  hat  86  Blätter  mit  breiten  Rändern,  je  2  Col.  mit  71  Zeilen, 
ist  sowohl  im  Texte  als  in  den  Rubriken  sehr  gut  ausgeführt. 

Sie  enthält  eine  Sammlung,  die  zusammengesetzt  ist  aus  der 
Compilation  des  Gilbertus  und  Alanus,  jedoch  vermehrt  mit  einigen 
nicht  darin  (wenigstens  nicht  im  Cod.  Fuld.  D.  S.  bez.  D.  14.)  be- 
findlichen Stücken.  Die  Zusammenstellung  hat  regelmässig  folgende 
Gestalt.  Unter  der  Titelrubrik,  welche  häufig  vor  jeder  Decretale 
wieder  steht,  namentlich  aber  dann,  wenn  die  Stücke  aus  der  zweiten 
Sammlung  beginnen,  folgen  zuerst  die  Capitel  aus  A.,  dann  B.,  C. 
u.  s.  w.  Sie  nimmt  mit  einer  Ausnahme  alle  Rubriken  der  beiden  auf; 
z.  B.  nach  verschiedenen  Capiteln  unter  der  Rubrik  de  sent.  excomm. 
hat  sie  die  Rubrik  de  violeniia  clericis  iHaiOf  worauf  sie  mit  der  de 
sent.  exe.  fortführt;  auch  de  sent.  ifiterdicH  schiebt  sie  ein.  Sie  hat 
die  Titel :  de  fahcUoribus,  de  falsariist  de  crimine  falsh  auch  schon 
de  novi  operis  mint.  Das  Stück  Müsurus  steht  im  tit.  de  haereiicis. 
Es  kann  mithin  gar  keinem  Zweifel  unterligen,  dass  sie  aus  den  ge- 
nannten Sammlungen  gemacht  wurde.  Die  nicht  darin  stehenden 
Stücke  hat  sie  vielleicht  aus  demselben  Anhange,  den  die  Glosse  zu 
C.  und  D.  vor  sich  hatte.  Manche  sind  dort  citii*t. 

Um  einen  vollen  Einblick  zu  gestatten,  theile  ich  die  Zusammen- 
setzung von  Buch  I.  und  4  mit,  die  Sammlungen  der  Kürze  halber 
mit  den  den  Tabellen  vorgesetzten  Buchstaben  bezeichnend,  als  erste 
Zahl  die  des  Buches,  als  zweite  Zahl  die  des  Titels,  darauf  die  der 
Capitel  setzend.  Für  den  Anhang  zu  G.  setze  ich  die  blossen  Ziffern, 
im  4.  Buche  lasse  ich  die  Buchzahl  fort,  weit  alle  demselben  ange- 
hören. 

*Incipit  Liber  I.  De  Coustitntionibus.  E.  I.  1.  cap.  2.  3  De 
rescr,  C.  I.  2.  1—3.  E.  I.  3.  1—10,  F.  38\  porrecta  [Comp.  III.  I. 
2.  1],  cum  dilecta  [ibid.  10.],  G.  \.  De  petit.  Papae  off".  E.  I.  2. 
un.  De  consuet.  E.  I.  4.  1 — 4.  De  postuL  et  translat,  E.  I.  5.  1  — 5. 


Die  Compilatiooen  Gilbert«  und  Alanus.  623 

Tit.  II.  c.  1 — 5.  De  tranalat,  praeL  C.  I.  6.  c.  1.   2.,  Comp.  III. 

L.  I.  5.  3.  4.  De  elect.  C.  I.  2.  c.  1—8,  D.  1.  2.,  E.  I.  6.  1—10, 

G.  I.  6.  11—13,  Comp.  III.  I.  6.  c.  1.,  10.  11.  14.  18.  De  renun- 

tiat,  C.  I.  5.  1 — 6;  nisi  cum  pridem;  post  translat.  t.  Raven.  De  usu 

falü  C.  I.  6.  c.  1.  2.  D.  27.;  nisi  speeiaiis;  ad   honor.   dei;   ex  t. 

teoore  lit.  accep.  q.  cum  f.  in  c.  p.  De  suppL  negL  praeL  C.   I.  7. 

1—3,  G.  hoc  titulo  1—3  und  Anh.  54.  55.  De  temp.  ordin.  C.  I.  8. 

1—3,  G.  I.  8.  1.2.;  dil.  f.  W.  Ymol.  can.;  ex  p.  t.  f.  cor.nob.  prop. 

q.  q.  p.;  E.  I.  14.  1.;  a  multis  multoties.  De  aetaie  et  quäl.  C.  I.  9. 

1—7,  D.  28.  41.  De  sacra  unct.  cum  ven.  ad  a.  p.  v.  f.  n.  brand. 

epc.  Defiliüpresb,  C.  I.  10.  1 — 4  G.  ibid.  c.  1.  2.  De  eervis  non 

ord,  E.  I.  8.  un. ;  eo  libentius.  adjecisti.  De  clericis  ab  abbatibus 

toHiurandis.  Comp.  lY.  L.  I.  12.  3.  De  corp.  viiiaHs.  C.  1. 1 1. 1.,  E. 

9.  1 — 3,  F.  24.  De  bigamis  C.  I.  13.  1.  2.;  quia  circa  min.  et  max. 

De  clericis  peregr.  F»  30.,  Inter  quatuor  animalia  et  j.  Consuluit  nos 

nup.  t.  f. ;  Tuae  f.  discr.  post.  De  off*,  arch.  Ad  hoc  nos  dominus  etc. 

Sane  consuluit;  Significasti  et  j.  Interdicas.  De  off,  et  pol.  jud,  del. 

C.  I.  13.  und  I.  14.  D.  1.  2.  E.  1.  10.  1.  2.  F,  31—33.  38%  c,  1.; 

Cum  sup.  abb.  mon.;  Cum  in  jure;  Cum  olim  d.  f.  abbas  et  conv., 

Nisi  spec.  lila  dilectio  quae;  Cum  olim  quaestio  quae  int.  dil.  f.  Arch., 

Cum  R.  can.  Launensis  causam  pecuniariam;  Cum  contingat  int.  quod 

laici  etc.  Insuper  requis.  sumus;  Const  in  n.  p.  d.  f.  V.  der.;  Quanto 

de  votis  religiosor. ;  Licet  in  corrig.  excessibus.  De  maj  et  obed.  C. 

l  15.  1 — 4.  E.  I.  15.  1 — 5.  Solitae  benignit.  affectus  recepimus  litt. 

De  procurat.  C.  I.  17.  1 — 4.  In  n.  p.  const  v.  f.   n.  Tüllen,  epc. 

lacrimabiliter.  De  eo  qui  gerit  mcem   alterius  C.  I.  18.  un.  De  his 

quae  vi  C.  I.  19.  un.  D.  3.  4.  F.  34.  De  arbitris  D.  5.;  cum  dil.  etc. 

unde  utr.  coram  arbitr.  reconv.    Der  tit.  de   transactionibus 

fehlt. 

Liber  IV.  De  sporn.  C.  1.  c.  1—8  D.  21.  E.  1.  1—6;  dil.  fil. 
milea  Alex.;  Tuae  f.  post.  ins.  edoc. ;  T.  n.  exhib.  litt,  cont.;  Sicut 
ex  litt  t.  f.  accepimus;  T.  n.  duxit  frat.  Consequenter;  cum  in.t.  dioec. 
et  j.  Saoe  quia.  De  desp.  imp.  C.  un„  E.  un.  De  clandestina  des- 
ponsai.  C.  tit  3.  c.  un.  tit  10.  un.  E.  9.  1.  2.  De  cond.  appos.  E. 
tit  3.  un.  Qui  cier.  Tel  vot.  C.  un.  E.  un.  De  eo  qui  duxit  C.  tit.  5. 
1 — 3.  De  cone.  serv.  E.  un.  De  cogn,  spir.  C.  tit  6.  1 — 3.  E.  tit.  7. 
1 — 2.  Ven.  ad  p.  n.  E.  Angl.  nat.  De  eo  qui  cognov.  C.  tit  7.  1. 
4.  E.  t  10.  1 — 4.  F.  22.  Frat  t.  sup.  trib.  cap.;  Ex  litt,  t  f.  accep. 


624  ▼.   S  eh  u  1  te 

et  6.  lator  earund.  De  cohs.  et  off,  C.  tit.  8.  un.  E.  c.  1 — 3;  Ex  ten.  lit. 
t.  accep.  q.  cum  Petras  et  M. ;  Tua  n.  d.  f.  consulendos  atrum  ill.  suff. 
teat.  De  frig.  et  nudef.  C.  1 — 3.  h.  t..  De  impotentia  coeundi.  f.  t. 
litt.  reo.  contin.  [Comp.  III.  c.  un.  h.  t.  IV.  11.].  Qui  fil  sint  legit. 
C.  h.  t.  1.  2.  E.  h.  t.  1—6.  Qui  matr.  accus.  C.  h.  t.  1—4.  E.  h.  t. 
1  —  4.;  Cum  in  tua  dioec.  et  j.  Si  rero  p.  contr.  De  dhort.  C.  h.  t. 
1 — 4.  D.  22.  23.  Desecund,  nupt  C.  h.  t.  un.  E.  h.t.  un. 

Mir  scheint,  dass  eine  genaue  Betrachtung  der  Sammlung  zu 
folgenden  Resultaten  fuhrt: 

1.  Die  Sammlung  ruhet  auf  den  von  Gilbert  und  Alanus. 
Hiefür  glaube  ich  weitere  Grönde  nicht  anführen  zu  sollen,  da  der 
Augenschein  zu  deutlich  spricht. 

2.  Die  Abfassung  fallt  vor  die  der  Compilation  des  Petrus  ron 
Benevent  und  Johannes  Galensis.  Dass  Jemand  nach  diesen  Samm- 
lungen wieder  in  solcher  Art  sollte  eine  Zusammenstellung  gemacht 
haben,  ist  ganz  undenkbar. 

Noch  genauer  die  Zeit  zu  bestimmen,  wann  sie  gemacht  ist,  ist 
unmöglich.  Bedenkt  man  aber,  dass  die  nicht  bei  Gilbert  und  Alanus 
vorkommenden  Stucke  sehr  wenig  zahlreich  sind,  dass  sich  derCom- 
pilator  so  sehr  an  jene  beiden  hielt,  dass  er  die  Verbindung  der 
verschiedenen  Rubriken  für  dieselbe  Sache  nicht  scheute,  so  dürfte 
die  Abfassung  wohl  bald  nach  Alanus  zu  setzen  sein. 

Ich  glaube  der  Sammler  hat  den  Cod.  Fuld.  D.  5.   selbst  vor 
Augen  gehabt,  wobei  ich  gerade  nicht  an  das  mir  vorliegende  Exem- 
plar, sondern  an  ein  solches  denke,  von  welchem  jenes  sich  als  ge- 
naue Abschrift  darstellt.  Das  gar  nicht  daher  gehörende   Stuck  Mis- 
8uru8f  welches  eine  Einleitung  zum  Decret  Gratians  enthält,  steht 
in  D.  8.  nach  den  Decretalen  de  haereticis  in  der  Abtheilung  extra 
tituloB  (nach  der  Decretale  Vergentis)  und  schliesst  dies  Stück  ab, 
das  offenbar  unvollständig  ist.  Der  Sammler  von  D.*"  hat  nun  das- 
selbe mit  in  den  Titel  de  haereticis  aufgenommen,  darauf  die  übri- 
gen folgen  lassen.  Ein  zweites  Moment  ist,  dass  er  die  in  D.  5.  unter 
L.  VI.  stehenden  Decretalen  auch  mit  L.  VI.  an  den  Schluss  hängt  i^ ; 
er  hat  noch  einige  mehr  <),  weil   er  unzweifelhaft   die  fehlenden 
Blätter  noch  vor  sich  hatte,  die  in  dem  vor  mir  liegenden  Exemplare 


^  Dum  in  D.  5.  der  Buchbinder  im  J.  133S  verkehrt  gebunden  hat,   ergibt  sich   yoi 
selbst. 


Die  Compiiationen  Gilberte  und  Alanus.  025 

scheinbar  schon  zur  Zeit  des  Einbandes  von  1338  fehlten.  Fasse 
ich  diese  Momente  ins  Auge,  so  dürfte  es  vielleicht  auch  nicht  ge- 
wagt sein,  anzunehmen,  die  Anhänge  seien  ursprünglich  grSsser 
gewesen.  Ob  nun  Petrus  fieneventanus  und  Johannes  Galensis  diese 
Sammlung  vor  Augen  hatten,  das  möge  dahingestellt  bleiben. 


Der  Vollständigkeit  halber  sei  mitgetheilt,  dass  im  Codex  D.  6. 
aof  die  Colectio  Alani  und  nach  dem  Stücke  JUisaurus  auf  dem 
folgenden  Blatte  eineSammlungbeginnt,  welche  einen  Aus- 
zug aus  der  Compüaiio  iertia  des  Petrus  von  Benevent  ent- 
hält. Voran  geht  die  Bulle  Innocenz  III.  Devotiani,  In  dem  Aus- 
zuge fehlen: 

Liber  I.  Die  Titel  bez.  Capitel:  I.;  H.  c.  3—9,11,12;  ID. IV.; 
V.  c.  1.  2;  VI.  c.  2.-9,  12,  13,  16—17;  Vffl.  1.  2.;  IX.  2.  4.  5. 
7;  X.  Xn.  XHL  XIV.  1.  XVII.  XVIII.  1.  3—9;  XIX.2— S;XX.2-Ö; 

XXI.  1.  3—5.  XXII.  2.  XXIII.  XXIV.  XXV.  1.  2.  4.  XXVI. 
Liber  IL  I.  3,  IL  1.  3.  5.,ra.-XIV.,  XV.  1.  2.  4—10.  XVL 

XVÜ.,  XVIIL  1—7.  9—11.  13,  XK.  1.  2.  8—7.  10.  11.  XX.  2. 
Liber  IIL  I.  1.'  2.,  U.  bis  XVIIL  XIX.   1.  2.  XX.   XXL  1.   3. 

XXII.  XXIIL  XXIV.  1-3.  8.  7.  XXV.  2.  XXVL   1.  4.  8.  XXVU. 
XXVIII.  2.  XXK.  XXX..  XXXL  2.,  XXXIL,  XXXIIL   1—8.  XXXIV. 

1.  3.,  XXXV— xxxvü.  xxxvm.  3. 

Liber  IV.  L  1-3,  H.  1,  III- VIL,  VIIL  2.,  K.  1.  4.,  X.  XIL 
bis  XVI. 

Liber  V.  I.  1.  3.  [In  diesem  Capitel  bri6ht  die  Seite  ab  und 
fehlen  zwei  Blätter  (die  Art  des  Einbandes  lässt  aber  auch  die  An- 
nahme zu,  dass  nur  eins  fehlt);  auf  dem  folgenden  setzt  der  Codex 
fort  mit  ^utroque  consüiai'  in  c.  1.  de  adult  V.  8.],  IX.  bis  XL  XIII. 
XIV.  1.  2.  4.  XVL  1—4.  6.  8.  9.  XVIL  2.  XVIIL  XIX.  XX.  2.,  XXI. 
2_10.  14.  18.  XXIIL  1—4.  6. 

Hieraufsteht  ohne  jeden  Zwischenraum,  oben  wieder  mit  Extra 
tii,  bezeichnet,  eine  Extravagantensammlung,  enthaltend  die  folgenden 


f}  leb  halte  lie  in  E.  tat  D.  3^   tufgenommeD. 

Sitsb.  d.  pbU.-lii8t.  Cl.  LXV.  Bd.  Hl.  Hfl.  42 


626  ▼•   Schulte 

ia  der  Comp.  III.  befiadlichea  und  io  dieser  Reihenfolge  im  Codex 
vorkommenden  Oecretalen : 

I.  2.  12;  L  4.  1.;  L  6.  17.  [aber  ganz  abgekürzt].  IL  8. 1.,  III. 
8.  4  und  K;  III.  28.  2.;  III.  30.  3.;  IV.  L  1.,  in  welcher  die  leUte 
Seite  des  Codex  abbricht. 

Welche  Absicht  diesem  Excerpte  zu  Grunde  liegt,  kann  ich  nicht 
eruiren.  Es  liesse  sich  nur  die  eine  annehmen,  er  habe  die  nicht  in 
der  Coli.  Gilberti  und  Alani  enthaltenen  Oecretalen  aus  der  Comp.  UL 
exöerpiren  wollen,  um  seinen  Codex  zu  yervollständigen.  Aber  im 
trifft  nicht  zu,  weil,  wie  die  einfachste  Vergleichung  mit  der  Tabelle 
J.  lehrt,  viele  nicht  aufgenommen  sind,  die  auch  nicht  in  jenen 
stehen,  umgekehrt  einige  aufgenommen  sind,  welche  auch  in  jenen 
stehen.  Oder  sollte  eine  Sammlung  vorliegen,  welcher  der  Abschreiber, 
der  nach  dem  Erscheinen  der  Comp.  III.  schrieb,  die  Bulle  Innocenz 
III.  vorgesetzt  hat? 

Im  Cod.  Fuld.  D.  14.  endlich  stehen  in  einem  zugebundenen 
Stücke  von  gänzlich  verschiedener  Hand  die  Schlüsse  des  4.  Latera- 
nensischen  Concils  von  121 K. 


Die  CompUatioaea  Gllberta  und  Alaaus. 


627 


Tabula  A. 


GilibUi.  l.  L  I.  De  rescriptis. 
Lucios  in.  Ad  haee  etc.  Sumus 

II.  De  elect.  et  eleeti  pot 

i.  Alex.  III.  Suffraganeis 

2.  Clem.  IILCttin  te 

3.  Idem.  Transmisean 

4.  Ion.  DI.  Cum  ad  nostram 

5.  Ion.  III.  QuoDiam  electus 

6.  Ido.  in.  Cum  ex  utriusque 

111.  [De  ustt  pallii]. 
Item  Celest.  Ad  haec  quaes 

IV.  [De  reauntiatione]. 

1.  Clem.  in.  Ex  ine.  t.  nob.  innot 

2.  Clem.  in.  Super  eo  quod 

3.  Idem  Quod  in  dubiis 

V.  De  translat.  praelat. 

Innoc  Intcr  corporalia 

VI.  De  suppl.  negl.  clericorum. 

1.  loD.  in.  Quatnam  diversit  ...       

2.  Idd.  in.  Sicut  nobis  tut 

VII.  De  temporibus  ordinationum. 

1.  Idem.  Tua  quidem 

2.  hm,  in.  Lttteras  v.  recep . 

YIII.  De  aetate  et  quäl,  praef. 

1.  Clem.  ni.  Ad  eures 

2.  Idem.  Ex  t.  f.  percep 

3.  Idem.  Cum  saeros.  Ro.  ecd 

4.  Coel.  in.  Cum.  bon.  mem.  Cl 

5.  Inn.  in.  Petrus  diacoDus 

6.  Coel.  III.  iDsinnatum 

7.  Ion.  m.  Ex  litt  dil.  6lior 


Codei  FvUeatft  D.  5. 
CoU.  A. 


1.    2.    2. 


L  3.  1. 

I.  3.  2. 

1.  3.  5. 

I.  3.  6. 

I.  3.  7. 

I.  3.  8. 


I.    4.    2. 


I.  5.  2. 
I.  5.  3. 
I.   5.    4. 


I.    6.    1. 


I. 

7. 

1. 

I. 

7. 

3. 

1. 

8. 

1. 

1. 

8. 

3. 

I. 

9. 

1. 

I. 

9. 

2. 

I. 

9. 

3. 

I. 

9. 

4. 

I. 

9. 

5. 

I. 

9. 

6. 

I. 

.9. 

7. 

42- 


628 


T.    Schulte 


Collectio  CodieU  Fnldeoait  D.  14. 

IX.  De  filiis  presb.  ordinandis  Tel  non. 

1.  Clemens  Dl.  Ad  haee  ex  t  p 

2.  Idem.  Litt  v.  di].  ace 

X.  De  bigamis. 
Idd.  III.  Tertios 

XL  De  off.  et  pot  iad.  del. 

I.Alex.  III.  Cum  te  cont 

2..  Coel.  ni.  Pnidentiam  t 

XU.  De  tranaactionibut. 

1.  Alex.  ni.  Super  hoe  quod 

2.  Coe).  m.  p.  e.  b.  m.  Praeterea 

Xm.  De  procoratoribus. 
Clem.  in.  Si  matrim.  causa 

XIV.  De  bis  quae  y\  metus?e  c.  f. 
Coel.  ni.  Ad  eures  nostras 

Seeundus  Über.  I.  D  e  i  u  d  i  c  i  s. 

1.  Clem.  m.  Cum  non  ab  b 

2.  Inu.  IIL  Cum  ab  omni 

n.  De  mutuis  petitionib. 
Coel.  III.  Prud.  t  debiU 

III.  De  dilationibus. 
Coel.  in.  p.  e.  pler.  Praet 

IV.  De  causa  propriet. 
Clem.  ni.  p.  c.  b.  m.  Ad  ult 

V.  De  restit.  expol. 
Coel.  in.  Gravis 

VI.  De  eo  qui  mitt  in  poss. 
Clem.  in.  Cum  sicut 

Vn.  Ut  lite  pendt  nib.  inn. 
Coel.  m.  Landab.  Qnaeris 


Codei  Fuldentia  D.  6. 
CoU.  A. 


I.  10.    1. 
1.10.    2. 


I.  f2.    2. 


I.  13.    1. 
I.  18.    2. 


1.14.    2. 
I.  14.    4. 


I.  16.    2. 


L  18.    un. 


n.    1.    1. 
H.    1.   2. 


U.    3.    un. 


n.    4.    un. 


U.    6.    un. 


n.    7.    un. 


n.    9.    un. 


n.  10.  2. 


Di«  CompiUtioaen  Gilbertf  and  AUniu. 


629 


Vni.  De  probationibut. 

1.  Claa.  III.  Joravit  quidam 

2.  Ibd.  III.  De  testibos  qai 

3.  Coel.  in.  p.  c.  Laud.  Deniqoe 

4.  lan.  in.  FiDem  litib 

5.  Coel.  in.  p.  c.  Laud.  Praet.  e,  q 

6.  Id.  p.  c.  sign.  Praet.  si  t 

7.  Clem.  III.  Perventt 

IX.  De  testibus  cogendts. 
Id.  p.  e.  sign.  Cetenim 

X.  De  praesertpt. 

1.  Alex.  ni.  Penrenit  a.  a.  n 

lld.  Litteris  t. f. 

XI.  De  iureiurando. 

1.  Greg.  y.  Ex  adoiinistrat 

2.  Id.  p.  e.  Cum  non  ab  h.  Verum 

3.  Coel.  ni.  p.  c.  eignif.  Item  Si  quis 

4.  Urb.  in.  Sieut  ex  litterö 

5.  loD.  in.  Brevi  sed.  ap 

Xn.  De  sententiis  et  re  iud. 

1.  Clem.  m.  Tenor  litt 

2.  Id.  Consangninei  E.  latr. 

3.  Inn.  ni.  Quid  ad  eons.  etc.  Adid 

Xin.be  appellationibus. 

1.  Alex.  III.  De  priore  qui  non 

2.  Id.  Super  co  quod  a  nobis 

3.  Id.  Cum  in  eccieaia 

4.  Id.  Licet  appellat 

5.  Coel.  in.  p.  c.  a  nob.  fuit  Praet  req.    .   •   . 

6.  Coel.  m.  p.  c.  Quia  requis 

7.  Clem.  in.  Directae  nobis 

8.  Coel.  in.  p.  c.  Secundo  req 

9.  Coel.  An  sit  deferendum  ap 

10.  Inn  in.  Saepe  contingit 

XIV.  De  confirm.  utili  Tel  inutili. 
Coel.  UL  Bon.  mem.  Alanus 


Codei  Foldens/i  D.  5. 
Coli.  A. 


11.11.  t. 

IL  12.  1. 

n.  12.  2. 

IL  12.  S. 

n.  13  2. 

n.  18.  3. 

n.  13.  4. 


11.  14.    un. 


11.15.    2. 
n.  15.    3. 


n.16.  2. 

n.  16.  3. 

U.  16.  4. 

n.  16.  5. 

n.  16.  6. 


n.  17.  1. 

IL  17.    2. 

n.  17.  3. 


IL  18.    2. 

n.18.  3. 
n.  18.  6. 

IL  18.    7. 

n.  18.  8. 
n.  18.  9. 
n.  18. 10. 

IL  18. 11. 
IL  18.  12. 

n.  18. 18. 


n.  19.    un. 


630 


r.  Schölte 


Colleetio  Codieii  Fnldentis  D.  14. 

I.  ßiiib*ti  de  inctitutionibas  über  HI. 
Non  amplius 

II.  De  coneess.  praeb.  non.  vac. 

1.  Luc.  IIL  Ad  aures  nottras 

2.  Coel.  m.  Ea  noseitur.  Ex  taa 

in.  De  bis  q.  f .  a  prael.  t.  eone.  der. 
CoeL  in.  Ea  noseitur.  Ext  s.  n.  e.  p 

IV.  De  bis  q.  f.  a  maiori  parte  cap. 
Coel.  m.  Praternitatis  t  prud 

V.  De  rerum  permutatione. 
Clem.  ni.  Ad  quaeat  aol? 

VI.  De  sepulturis. 
Alex.  ni.  Certi6eari 

Vn«  Ce  deeirois. 

1.  Non  est  in  potestate 

2.  Idem.  Ex  iranemissa  9 

Vni.  De  regulär,  et  trans.  ad  rel. 

1.  Cum  Tirum  te  pnid 

2.*Coe].  III.  Cum  eimua  . . .  Snne 

3.  Inn.  m.  Ad  ap.  sed  .  . .  Ex  p.  t 

4.  bn.  DI.  Referente 

5.  Ion.  III.  Ex  p.  t.  noatro 

IX.  De  conversione  eoniagatorum. 

1.  Contnluit  nos  6.  aacerdoa 

2.  Coel.  m.  Placet  nobta 

X.  De  eonTeraaone  infidelinm. 

1.  Coel.  in.  Interrogatum  est 

2.  Id.  Laudabilem  etc.  Quid  enim 

3.  Id.  Quanfo  te  magis  •  .  Sane 

4.  Id.  De  infidelibas 

5.  Inn.  in.  Gaudemus 


I  Codti  Fnldeiiufl  D.  5. 
Coli.  A. 

ni.  5.  1. 


ni  6.  1. 

UL   6.   2. 


in.    7.  un. 

HI.    8.  1. 

in.  12.  2. 

ni.  15.  un. 

ffl.  17.  1. 

III.  17.  5. 


m.  18.  1. 

111.18.  2. 

m.  18.  3. 

III.  18.  6. 

III.  18.  7. 


ni.  19.    2. 
in.  19.    3. 


m.  20.  1. 

in.  20.  2. 

m.  20.  3. 

m.  20.  4. 

m.  20.  5. 


0  Bie  imeruntur  decretüiei  guaedam  de  gitihui  mipra  pag.  6.  Oetum  est. 


Die  Compilationeo  Gilbert«  ond  Alann«. 


631 


Colleetio  Codicie  Fuldensie  D.  14. 


Codei  Faldeoaia  D.  5. 
CoU.  A. 


XI.  De  Toto  et  Toti  redemt 

1.  Clem.  m.  Perpendimuf 

2.  Alei.  in.  Si  cum  aliquo 

Xn.  De  statu  regalariom. 
Clem.  in.  Super  qoed.  ctnon 

XIII.  De  cappellia  monachor. 
Coel.  in.  De  minori  possemus 

XIV.  De  iure  patronatua. 

1.  Alex.  in.  Dil.  f.  n.  Transmisaa 

2.  Clem«  m.  Nobis  fuit  Praet 

3.  Ion.  Per  nostras  lit 

4.  Id.  Cum  propter  diaeord 

XV.  De  cenaibua. 
Clem.  in.  Gravia  admodum 

XVI.  De  eccieaiia  aedificandis. 
Alex.  m.  Si  boapiUle 

I.  De  eponaaliboa  et  roatr.  Uh\IllL 

1.  Alex.  in.  Veniena  ad  noa  

2.  Clem.  in.  Inter  opera 

3.  Id.  Nobta  ex 

4.  Id.  Ad  id  quod 

5.  Gem,ni.  p.  c.  Nartinoe  B. .  Teiüo    .   .   .   . 

6.  Idd.  ni.  Alioq. .  .  A  nobia  inq 

n.  De  eo  q.  d.  in  matr.  quam  p.  p.  ad. 

1.  Clem.  ni.  Ex  Htterarum 

2.  Ion.  m.  SignilicMtia 

in.  De  cognatione  apir. 

1.  Clem.  ni.  Mertinua  Bertam 

2.  Id.  CoDtracto  roatr 

3.  Id.  Coel.  m.  Laudabilem 

rv.  De  eo  qui  cogn.  cons.  ux.  suae. 

i.  Coel.  in.  Tranamiasae  nobis 

2.  Id.  p.  c.  M.  B.  Super  alio  vero 


m.  21.    un. 
in.  22.    I. 


nL22.    2. 


HL  23.    un. 


in.  24.  1. 

in.  24.  % 

m.  24.  8. 

III.  24.  4. 


ni.  25.    im. 


DL  26.    un. 


IV.  1.  i. 

ly.  1.  3. 

IV.  1.  4. 

IV.  1.  5. 

IV.  1.  5. 


IV.    5.    1. 


IV.  6.  1. 
IV.  6.  2. 
IV.    6.    3. 


IV.    7.    1. 
IV.    7.    2. 


632 


r.   Schulte 


Collectio  Codicis  Foldensit  D.  14. 

3.  Alex.  Super  eo  quod 

4.  Id.  De  illo  aatem  qui  se 

V.  De  frig.  et  malef.  etimp.  coeundt. 
Coel.  ni.  Laudabilem  .  .  Sollicite 

VI.  Qui  matr.  accus,  poss. 

1.  CJem.  DI.  El  litt,  t  f 

2.  Id.  Dil.  f.  D.  arehip 

3.  »    Praeterea  quia  (p.  c.  A  nobis) 

4.  0    Sicut  ei  litteris , 

VII.  De  dtvorttis. 

1.  Alex.  ni.  Ad  auret 

2.  Clem.  III.  Cornea  W 

3.  Coel.  ni.  Plerumque 

Liber  V.  Deaymonia. 

1.  Alex«  III.  Venieua  ad  n.  T.  aimpl 

2.  Coel.  in.  Super  eo  vero  quod 

3.  Inn.  III.  Quamvis  ad  abol.  

4.  Alex.  III.  Ex  tuae  f. 

5.  Coel.  in.  Nobia  fuit  ex  p 

II.  De  haereticis.  ' 
Idd.  in.  Vergentia 

in.  De  bomicidio. 
Id,  Cum  monaaterium 

IV.  De  elericii  pugnant.  in  duello. 

1.  Coel.  UI.  Ulricua  preab 

2.  Id.  Cura 

3.  Inn.  HL  Quod  in  dubiis  . .  Quia 

V.  De  falaariia. 
Inn.  m.  Ad  falaariorum 

VI.  De  clericis  pugnantibua. 
Coel.  in.  Continentia  litt 

VII.  De  clerico  maledico. 

Id.  Innotuit  nobia  . .  Ad  ult 


Codex  Fnldenais  D.  5. 
CoU.  A. 


IV.    7.    3. 
IV.    7.    4. 


IV.    9.    1. 


IV.  11.  2. 

IV.  12.  1. 

IV.  12,  3. 

IV.  12.  4. 


IV.  13.  1. 
IV.  13.  2. 
IV.  13.    3. 


V.  2.  I. 

V.  2-  2. 

V.  2.  3. 

V.  2.  5. 

V.  2.  6. 


V.    4.    un. 


V.    5.    2. 


V.  6.  1. 
V.  6.  2. 
V.    «.    3. 


V.    7.    fi. 


V.    8.    an. 


V.    9.    US. 


Die  Compilationen  Gilberts  und  Alanus. 


633 


Collectio  Codiei«  Faldenais  D.  14. 


VIII.  De  eo  qui  fartive  ord.  suscepit 

1.  Id.  Cuin  H.  lator  praet 

i.  Id.  loDotuit  Dobit 


IX.  De  excess.  prael.  in  aubditos. 
Ina.  in.  Com  ad  quonindam 


X.  De  privilegtit. 
Idb.  m.  De  causa  illa  unde 


XI.  De  poenit.  et  remtaaionibua. 


1.  Alex.  III.  De  nraltere  quae. 

2.  Clem.  III.  Quaeaitum  est .    . 

3.  Coel.  III.  Perpendimua     .   . 


XD.  De  sent.  eicom.  et  absol. 


1.  Clem.  ni.  Ea  noacitur  .  .  Quod  itaque 

2.  Clem.  Inspectis  litterts 

3.  Clem.  DI.  Cum  non  ab  bomtne    .   .   . 

4.  Id.  Cum  desideres 

5.  „    Veoieus  ad  ap.  aed 

6.  »    Penrenit 

7.  jp    SifnificaTit 

8.  .    Tua 


9.  „    Sicut  autem  (p.  c.  Ad  em.) 

10.  Coel.  III.  UniTersitatia     .    .    . 

11.  Coei.  ni.  In  audientia  ..... 

12.  Coel.  m.  Quod  de  bis  ...   . 

13.  Clem.  m.  A  nobia  fuit     .   .   . 

14.  Inn.  DI.  Cum  illorum    .    .   .   . 

15.  Inn.  in.  A  nobia  est  saepe   •   . 


De  sent.  excommunicationia. 

16.  Idem.  Nuper  a  nobis 

17.  Id.  [Quod  in  dubia]  Nee  exe.  Iteet  quod  stet     .   . 

XIII.  De  sententia  tnterdicti. 
lan.  Com  in  parttbua 


Codex  Fuldensis  D.  5. 
Coli.  A. 


V.  10.    1. 
V.  10.    2. 


V.  11.    un. 


V.  12.    UD. 


V.  13.  1. 
V.  13.  2. 
V.  18.    3. 


V.  14.  1. 
V.  14.  2. 
V.U.  3. 
V.  14.  4. 
V.  14.  6. 
V.  14.  6. 
V.U.  7. 
V.  14.  8. 
V.  14.  9. 
V.  14. 10. 
V.  14. 11. 
V.  14.  12. 
V.  14.  13. 
V.  14.  14. 
V.  U.  15. 


V.  14.  16. 
V.  14. 17. 


V.  15.    1. 


634 


y.   Schulte 


Collectio  Codic»  Foldentit  D.  14. 

Codm  FaldeBsU  D.  5. 
Coli.  A. 

XIV.  De  baptismo  puerorum. 

1.  Idd.  in.  Da  qatbus  dubium 

2.  Idem  Si  quis  sane  ^) 

V.  16.    1. 
V.  16.    2. 

Tabula  B. 


Collectio  Codicie  FaldeaiU  D.  14. 

De  off.  et  pot  iod  del. 

1.  Ion.  III.  Coram  dilecto 

De  bis  q..Ti  metusve  e.  f. 

2.  Ion.  Ad  audientiam 

De  reetitut.  extpol. 

3.  Id.  Olim  nobis 

4.  Id.  Dil.  f.  n.  abbas  de  F 

De  sent  et  re  iod. 

5.  Ion.  III.  Sicut  nobit 

6.  Id.  In  nostra  praea ^ .    .   .   . 

De  appelltt. 

7.  Id.  DU.  fil.  J.  et  H 

8.  Id.  Com  tibi  de  benign 

De  diTortiia. 

9.  Id.  Discretionemtuam 

10.  Id  Accedena  ad  p.  n 

De  usuris. 

11.  Id.Dnduro  ei  parte 

12.  Id.  Post  miaerab  . .  Judeoa     .... 


Fttldeaais  D.  5. 
Appendix. 


1 


10 
12 


13 
14 

23 
24 

27 

28 


0  Hoc  Caput  nt  in  Codice  Foldeosi  D.  5.  ante  cap.  *de  quibus^  poiitom  est,  aed  m 
utrogue  eodiee  aiteritcus  monstrat,  poat  illnd  esse  ponettdam. 


Die  CompilatioMD  Gilbert«  und  Alaous. 


63  S 


Collectio  Codicia  Fnldeniis  D.  14. 

De  sent.  excorom. 

13.  Id.  loter  ea  quae     .   • 

De  ser?it  non  ordinandis. 

14.  Ion.  in  registro.  Hiraroor  n.  m 

De  corpore  vitiatis. 

11  Ion.  Expotuiati  nobia 

16.  Ins.  Tarn  litt,  veatria  q.  depos.  Quia  vero     .   .   • 

17.  Coel.  HL  p.  e.  Quod  de  hia.  De  bigamia  presbyt 

De  off.  et  pot.  iud.  del. 

18.inn.  DL  Qnaerenti  quid 

19.  Lttciua  III.  Qoaea.  eat  a  nobia 

De  appeDationibua. 

20.  Inn.  m.  Super  quaeationum 

21.  Lac.  III.  Super  eo  autem  qnod  aententiam    •   .   . 

22.  Inn.  III.  Quia  tarnen  iudicia  animus 

23.  Inn.  Cum  dil.  et  j.  Quia  nobia  conatitit  evidenter. 

Ende  fol.  31^ 


Fuldeaiia  D.  5. 
Appendix. 


31 


Tabula  C. 


Codei  Foldenala  D.  5. 

CooDpil. 
II. 

ConapU. 
UI. 

Compil. 
IV. 

N  0  t  a  e 

I.  De    eonatitutionibua 

über  primua. 

Clem.  DI.  Praeterea  .... 

I.    l.un. 

— 

— 

II.  De  reacriptia. 

.  1.  AI.  ni.  Cum  ordinem  .   . 

1.    2.  1. 

— . 

— 

2.  Lac.  III.  Ad  haec     .   .   . 

I.    2.  4. 

— 

— 

3.  Inaoe.  IV.  Ad  aud.  n. .   • 

1 

I.    2.  5. 

-■" 

^— 

In  Comp.  II. 
Lue.  III. 

IIL   De  elect.    et  electi 

poteatate. 

• 

1.  Alex.  III.  Suffiraganeia  .   . 

4 

L    3.  1. 

— 

— 

636 


r.   Schulte 


Codei  PoldeMis  D.  5. 

2.  Clem.  m.  Cum  ie    .    .   . 

3.  Coelest.  III.  Cum  monatt. 

4.  M       Cum  terra     •   . 

5.  Idem.  TraDcmiasam  .   .   . 

6.  Iddoc.   ni.  Cum  ad   no- 
stram 

7.  Innoc.  UI.  Quon.  eleetus  a 
Tobis 

8.  Iddoc.  IH.  Com  ex  utriua- 
que 

rV.  De  usu  pallii. 

1.  Clem.  III.  Cum  super  .   . 

2.  Coelest  Ad  haec  .... 

V.  De  reouDtiatione. 

1.  Alex.  in.  De  multa  .   .   . 

2.  Clem.  III.  Ex  iotiDuat.     . 

3.  „     in.  Super  eo  quod 

4.  Idem.  Quod  in  dubiis  .   . 

5.  Iddoc.  IU.  Cum  ex  illo    . 

VI.  De    translatioDc 
praelatorum. 

1.  Innoc.  iDter  corporalia  . 

2.  Id.  pars  e.    Id   dub.  Hi 
praet 

VII.    De    suppl.    neglig. 
c  1  e  r  i  c  0  r. 

1.  Innoc.  III.  QttOD.  dirers. 
corp 


2.  Idem.  Audivimus.    .   •   • 


CompiL 

n. 


I.  3.  4. 

I.  3.  5. 

I.  3.  6. 

I.  3.  7. 


Compil. 

ni. 


I. 

4.  1. 

I. 

4.  2. 

I. 

5.  1. 

I. 

5.  2. 

I. 

5.  3. 

Compil. 
IV. 


I.    6.  4. 


I.    8.  1. 


I.    5.  i. 


I.    5.  2. 
I.    8.  1. 


m.  8.  2. 


I.  3.  3. 


N  o  t  a  e 


Apud  Aot  Aug. 
Clem. 

Bai.  I.  523. 

AnniineertL 

RtynerU 

Coli.  IV. 

Bai.  n.  277. 


Anni  primi 

Innoc.  in.  est. 

Anni  primi. 


'Quin' in  edi- 

tione. 

AnniII.Bia.a60. 

Bai.  Miseell. 

pag.  389. 


Die  CompUationen  Gilberts  und  Alaniu. 


Ö37 


Codex  Fnldeasit  D.  5. 


3.  Idooc.  in.  Sicot  nobia  t  f. 

?ni.  De  temporibus  or- 
dinaHonum. 

1.  Idem.  Tua  quid,  signif.   . 

2.  dem.  Com  see.  eceles.  . 

3.  iDDoe.  in.  Lit  V.  recepi- 
mu8 

IX.. De   aetate   et  qua], 
praefic. 

i.  Clem.  ni.  Ad  eures  n.  t.  s. 

2.  „     III.  Ex  tuae  f.  perc. 

3.  Clem.   in.  Cum    sacros. 
eeel 

4.  Coelest.  in.  Cum  bonae 
mem 

5.  Innoe.  III.  Petrus  diac.    . 

6.  Coel.  m.  Intimatum  est . 

7.  Lmoe.  ni.  Ex  1.  d.  f.  cap. 
eeel.  Evon 


Compil. 
11. 


I.    6.  2. 


f  I.    7.  2. 
I.    7.  I. 


I.    8.  2. 
I.    8.  3. 

I.    8.  4. 


I.    8.  5. 
I.    8.  6. 


X.  De  filiis  presb.  ordi- 

nandis  Yel  non. 

1.  Clem.  m.'Ad  baee  .   .    . 

2.  Coei.  in.  Miebael  presb.  . 

3.  Id.  Lit  T.  d.  accep.  .    .   . 

4.  Iddoc.    III.    Innot.   nobis 
olim 

XI.  De  eorpore  Titiatis. 
1.  CoeL  ni.  Ex  parte  Bar.   . 

Xn.  De  bigamis. 

1.  Idem.  Ex  lit  t  f.  aecep.  . 

2.  Innoe.  in.  p.  nuper  a  nob. 
Tertius 


I.  9.  3. 
I.  9.  4. 
I.    9.  5. 


1. 10.  un. 


I.  II.  1. 


Compil. 
111. 


Compil. 
IV. 


I.    9.  5. 


V.  6.  1. 


I.    6.  5. 


L  14.  1. 


N  0  t  t  e 


Clem.  ni. 


Clem.  III. 
Coelest  ni. 

Anni    incerti. 


Bai.  I.  323. 


Apoerypha  ex 
nota  in  fine 

Comp.  in.  edit. 
Ant  Aug. 


Clem.  in. 

«    m. 

Coli.  Rayn.  t  4. 


Clem.  III. 


Bai.  II.  66. 


638 


V.   Schalte 


Codex  Faldeaut  D.  S. 


CompU. 
II. 


Xni.  De  off.  et  pot  iad. 
deleg. 

1.  Alex.  ni.  Com  te  eonsul. 

2.  Coel.  in.  PrudeDfiam  .   • 

3.  Innoe.  III.  Licet  is  cui  can- 
MC 

XIV.  De  off.  lud.  ord. 

1.  Coel.  in.  Signif.  nobis  1. 1 

2.  lanoe.  DL  Duo  simul.  .   • 

XV.    De    majoritate    et 
obedientia. 

1.  Coel.  in.  Sane  d.  f.  n. 
Jord.     ...   


De  traoMCtioubiis. 

2.  Alex.  in.  Super  hoc  quod 

3.  Id.  Veniena  ad  p.  n.    .   • 

4.  Coel.  III.  ps  c.  bon.  mem. 
Praeterea 

XVI.  De  off.    ad?ocato- 

rum. 

1.  Coel.  III.  Ut  in  ciTitde  . 

XVII.  De    proeuratioDi- 

bus. 

1.  Alex.  in.  Querelam  .   .   • 

2.  Clem.    ni.    Si    matrim. 
causa   

3.  Clem.  III.  Ex  insinuat     . 

4.  Innoc.  HI.  Com  pro  causa 

XVni.    De    eo  qui    gerit 
?ieem  alterios. 

I.  Innoc.  III.  Quod.  sed.  ap. 
eons 


I.  12.  i. 
I.  12.  3. 


1. 14.  2. 


1. 15.  oa 


I.  16.  1. 
I.  16.  2. 

I.  le.  5. 


1. 17.  un. 


I.  18.  1. 


1. 18.  2. 


1. 18.  3. 


CompU. 
III. 


I.  20.  3. 


I.  20.  4. 


CompU. 
IV. 


N  o  t  •  e 


Raynerii  Coli. 
T.  XXI. 


Bai.  I.  S15. 


I.  16.  1. 


Biaa  pars  ia 
Rayn.  t  31. 


Bai.  n.  77. 


Die  Compilatiooeo  Gilbert«  und  Alunos. 


639 


Codex  FuldensU  D.  5. 


XIX.  De  bis  quae  ?i  me- 
tusve  eausa  fiant. 

1.  Coel.  HI.  Ad  aures  n.  te  s. 

De  indieiis  lib*.  IL 

1.  Clem.  IIL  Cum  ab  homine 

2.  Innoe.  IIL  Cum  ab  omni 

IL  De  foro  competenti. 
Alex.  in.  Licet  uoir.    .   .   . 

IIL  De  mutttis  petitioni- 
bu8. 

Coel.  in.  Prud.  t.  debita  .   . 

IV.  De  dilatioDibus. 
Coel.  IIL  Praet  in  tuo  proc. 

V.  De  ferits. 
Clem.  in.  CapelL  tuus  .   .   . 

VL    De    causa   poss.    et 
propriet. 

Clem.  IIL  Ad  ultimum  •   .   . 

VIL    De    restitutione 
ezspoi. 

Coel.  III.  Gravis  dos  querela 

Vni.  De  dolo  et  contu- 
macia. 

1.  Inn.  in.  Ad  haec.  deus    . 

2.  Id.  Veritatis  est  verb.  .   . 

EL  De  60    qui    mitt.    in 
posfl.  c.  r.  8. 

Clem.  in.  Cum.  sicut  aecep. 

X.   Ut  lite   pend.   nibil. 
innoT. 

1.  Alex.  in.  A  mem.  n.  exe. 
Z.  CoeL  ni.  Laudabilem  .   • 


Compil. 
II. 


Compil. 
IIL 


L  19.  un. 


U.    1.  8. 


n.    2.  1. 


IL    3.  1. 


IL.  4.  un. 


IL    5.  4. 


n.  6.  un. 


IL    7.  5. 


UL  1.  1. 


Compil. 
IV. 


n.  3.1. 


U.    8.  2. 


IL    9.  1. 
IL    9.  2. 


IL  6.  1. 


No  ta  e 


Clem.  in. 


Bai.  I.  376. 


Coel.  in. 


Bai.  L  362. 

Differt  a  capite 

in  edita. 

Annt  incertL 
Plura  continet 


640 


V.    Schulte 


Codex  FuIdeasJs  D.  5. 


Compil. 
II. 


Compil. 
III. 


Compil. 
IV. 


Notae 


XL  De  probationi  bus. 

1.  Clem.  IIL  Tertio  quip- 
po  s  n«     ••••••• 

2.  Clem.   III.    luravit    qai- 
dam ,   . 

XII.  De  eieeptiODibus. 

1.  Idd.  HL  De  testibus  qui  . 

2.  Clem.  lil.  Denique   .   .    . 

3.  Inn.  m.  Finem  litibas  .   • 

XIII.  De  lest  et  attestat. 

1.  Clem.  III.  Series  tui  scripti 

2.  CoeL  III.  Praet  com  .   . 

3.  y,     ni.  Praet  si  testes 

4.  Clem.  ni.  Pervenit  ad  nos 

XIV.  De  testibus  cogeD* 

dis. 

Id.  Ceterum  quod  snp.  cons. 

XV.  De  fide  instrumen- 

torum. 

1.  Alex.  in.  El  lit.  quas  no- 
bis 

2.  Alex.  III.  Pervenit  ad  n. 
a.  quod 

3.  Alex.  111.  Litteris  t.  f.  re- 
ceptis 

XVI.  De  iureiurando. 

1.  Clem.  ni.  Veritatis  amica 

2.  Greg.  V.  Ex  administra 
tioois 

3.  Id.  pars  c.  Cum  non  ab  b 
—  Verum 

4.  Coel.  III.  Item  si  quis  . 

5.  Urban.  ID.  Sicut  ex  litte- 

6.  Inn.  in.  Brevi  sed.  ap. 


II.  10.  3. 
n  10.  4. 


IL  11.  un. 


IL  12.  3. 

n.  12.  4. 

n.  13.  3. 

II.  13.  1. 


IL  12.  2. 


U.    7.  1. 


BaL  L  513. 

Plura  coni'net 

CoeL  ni. 

Ray.  t  28. 


n.  13.  2 


U.  14.  1. 

n.  15.  1. 

n.  15.  2. 

n.  16.  5. 

IL  16.  4. 

0. 16.  6. 

n.  16.  7. 

n.  16.  3. 


IL  15.  2. 


Clem.  UL 


BaL  I.  389. 


Die  Compilationen  Gilberts  ood  Alanus. 


641 


Codex  FuldeDAis  D.  5. 


Compil. 
II. 


7.  Inn.  III.  Ad  o.  n.  aud.  penr. 


iVn.    De    sententiis    et 
re  iudicata. 

1.  Clem.    m.    Tenor  litter. 
tuar  .    •  

2.  Clem.  IIL    CoDsaaguinei 
E.  latricis 

3.  loDoe.  in.  Quod  ad  con- 
soltat 

XVin.    De    appellationi- 
bu8. 

1.  Alex.  DI.  Consnluit  nos 
».■.•....•••• 

2.  Alex.  ni.  De  Priore  qui 
non  def. 

3.  Alex.  in.  Super  eo  quod 

4.  Clem.  m.  Significayit    . 

5.  n    m.   Tenor    lit    t. 
apoat 

6.  Clem.  ni.  Cum  in  ecele- 

7.  Clem.  in.  Licet  appell. 
remed«   . 

8.  Coel.ni.Praeirequisssti 

9.  Qttia  requisstti  .... 
10.  Clem.  Ul.  Directae  tuae 

D0DI8  ••...... 

il.  Coel.  ni.  Seenndo  in- 
quiris 

12.  Coel.  m.  An  sit  deferen- 
dnm 

13.  hin.  IIL  Saepe  contingit 

XK.   De    eonfirmatione 
utili  vel  inut. 

Coel.  UL  Bonae  roemoriae   • 


Compil. 
III. 


Compil. 
IV. 


IL  18.  5. 
n.  18.  6. 


IL  19.  1. 

n.  19.  3. 
E  19.  4. 
IL  19.  9. 

n.  19. 10. 


IL  19. 11. 

U.  19. 12. 
IL  19. 14. 
IL  19.  IS. 

IL  19.13. 

n.19.16. 

n.  19. 17. 


U.  21.  UD. 


IL  15.  8. 


n.  18.  5. 


n.  19.  2. 


N*o  t  R  e 


Bai.  L  415. 

Dat  Ut  XVIIL 

Kai.  Dec. 


Ray.  t.  24. 


Coel.  in. 


Clem.  m. 


Anni  incerti. 


Sitsb.  d.  pbil.-hist.  Cl.  LXV.  Bd.  III.  Hft. 


43 


642 


T.   Schulte 


Codex  Faldenais  D.  5. 


Compil. 
II. 


Compil. 
III. 


Compil. 
IV. 


N  o  t  •  e 


T 


Liber    Hl.    De    cohabit 
cleric  et  mal. 

1.  Laciut  in.  Vestra  dnxlt 
deyotio 

%.  Ion.  HI.  Tua  not  duzit 
frtt 

IL    De    elertcis    cotiu- 

gatis. 
Coel.  in.  Ea  est  sedis  ap.    . 

n.  De  praebendis. 
Coel.  in.  Ad  aud.  n.  perv. 

cogo 

IV.  De    clerico    aegro- 

tante. 
i.  Clem.  in.  Signif.   nobis 
re?.  arehip 

2,  Coel.  in.  Tua  n.  d.  f.  con- 

V.  De    institutionibus. 

1.  NoD  amplius   snaeipian- 
tur 

2.  In  cQngregandis  clericis 

3.  In  eeelesia  vestra    .   .   . 

4.  Idem.  Ea  noseitur  .   .   . 

.?I.    De  concess.  praeb. 
non  vac. 

1.  Lue.  in.  Ad  aures  n.  C. 
clerico 

2.  Coel.  in.  Ea  notcttur.  Ex 
tua   .«•«..•.• 

Vn.  De  bis  q.  f.  a  prael. 
sine  cons.  cleric. 

Coel.  m.  Ea  nose.  Ex  tua  sig. 
nob 


Vm.  De  bis  q.  £  a  majore 
parte  cap. 

1.  Coel.  ni.  F.  i  pruden- 
tiaro     .   .    . 


.... 


in.  1.  un. 


HL    2.  2. 


HI.   4.  3. 


III.    S.  1. 
III.   5.  2. 


ni.  6.  1. 

ni.  6.  2. 

m.  6.  3. 

m.  6.  4. 


ni.  7.  2. 

III.   7.  3. 


ni.  8.  an. 


ni.  9. 1. 


UI.    2.  1. 


Balui.  n.  6S. 


Clem.  in. 


Cone.  Arel. 
Aug. 
Aug. 


Clem.  m. 


Clem.  m. 


Die  Compiliktlonen  Gilberts  und  Alenus. 


643 


Codex  Fnldeneis  D.  5. 


2.  Coel.  m.  Quaes.  a  nob.  t. 
dUig. 

IX.  Derebufi  eecLalien. 
vel.  non. 

Iden.  Ut  super  aliqna  .   .   . 

IL  De   emtione   et   ven- 
ditione. 

Coel.  III.  Penr.  ad  dos  ex  in- 

XL  De  loeatione  et  con- 
duct 

CoeL  ni.  Ex  reser.  litterar. 

XII.  De  rerum  permuta- 
tione. 

1.  Urb.  in.  Quaes.  est  ex  par- 
te t 

2.  Clem.  ni.  Ad  questiones 

soiir«      ■•..•••• 

3.  Ion.  in.  Com  unirersor. 
fidel 

Xni.  De  pignoribus. 
Inn.  III.  Signifieante  dil.  f.  P. 

XIV.   De  testamentis. 
Alex.  DI.  Ad.  aud.  apostolatus 

XV.  De  sepolturis. 
Clem.  ni.  Certifieari  Toloisti 

XVI.  De  paroeh.  et  alie- 
nis  parochian. 

Coel.  m.  Significant  nobis  . 
XVIL  De  decimis. 

4 

1.  Non  est  in  potestate  .  • . 

2.  Coel.  in.   Ex  parte  dil. 
ulior.    >••..... 

3b  Alex.    m.    Qaamvis    sit 

IC  ■  ■  *  O      .■••*•■•■ 


Compii. 
11. 


m.   9.  2. 


in.  10. 1. 


III.  11.  2. 


Compil. 
UI. 


Compil. 
IV. 


III.i2.on. 


m.  13.  1. 
m.  13.  2. 


in.  14. 1 


in.  15.  3. 


in.  5.  t 


N  0  t  ee 


in.  7.  un. 


ni.  16.  un. 
in.  17.  4. 

in.  17. 5. 
ni.  17.  2. 


Clem.  in. 


Baloi.  I.  84. 


Bai.  I.  35. 


Clem.  III. 


Coel.  in. 


43 


644 


▼.   Schalte 


Codex  Faldensis  D.  5. 

4.  Coel.  III.  Perv.  ad  aud.  n. 

5.  Coel,  in.  Ex  trantmissa 
querela 

6.  Alex.  m.  Cum  apostolici 
• . .  Sane  sicot 

XVm.   De    regulär,    et 
trans.  ad  relig. 

1.  dem.  III.  Cum  Tirum  te 
prud.    •..••.•.. 

2.  Coel.  m.  Cum  simus  . . . 

98ue       •••••••• 

3.  Inn.  in.  Ad  ap.  aed  .  . . 
Ex  parte  siq 

4.  Idem.    Porrectum    uobis 

5.  Idem.    Sicnt    nobia    est 

6.  Inn.  in.  Referente  d.  f. 
fratre  Bern 

7.  Idem.  Ex  parte  t  nostro ' 
fuit  ap 

8.  Id.  Sicut  tenor  lit  tuar. 

XIX.    De   conversione 
contugator. 

i.  in.  Karisa.  in  Ch.  f.  n.    . 

2.  Conauluit  noa  6.  aacef- 
doa 

3.  Coel.  in.  Plaeet  nobia  t  p. 

XX.  De  conversione  in- 
fidel ium. 

1.  Coel.  in.  Interrogatum  eat 

2.  Id.  Laudabilem    .... 

3.  Id«  Qoanto   te  magis  .  . 
Sane 

4.  Id.  De  infidel,  ad  fid.conv. 

5.  Inn.  in.  Gaudemua  iu  dorn. 


Covpil.      Cooipil. 


II. 


m.  17.  6. 
m.  17.  7. 


IIL  18.  3. 
III.  18.  5. 


m.  18.  4. 


ni.  19.  3. 
ni.  19.  2. 

m  19. 4. 


Ul.  20.  1. 
III.  20.  2. 


III. 


Compil. 
IV. 


N  o  ta  e 


ni.  24.  t. 
m.  24.  3. 


III.  24.  1 


IV.  14.  1 

IV.  10.  1. 
IV.  14w  2. 


Inn.  in.  In  coli. 
RaynerüT.XL 


BaL  I.  45S. 

Clem.  m. 

Bai.  I.  517. 

Raynerii  Coli 
T.  XXXVffl. 


Bai.  I.  36. 


Coel.  ni. 


Clem.  HI. 


Bai.  n.  50. 

Innoe.  lü. 

Bai.  I.  514. 

Rayn.  t  40. 


Die  CompiUtioneB  6ilb«rt8  und  Alaniu. 


645 


Code^  FuldenaU  D.  5. 


XXI.  De  Toto  et  voti  re- 
^emt. 

Clem.  in.  Perpehdirous  . .  . 
Ceterum 

XXn.  De    statu   regula- 
rium. 

1.  Alex.  HL  Si  cum  aliquo 
Teatnim 

2.  Clem.  III.  Super  quodam 

XUL    De    capellis    mo- 
naehorum. 

CoeL  III.  De  miaori  posse- 
XXIY.  De  iure  patrona- 

tU8. 

1.  Alex.  DL    Dil.  f.  n.    S. 
tranam 

2.  Clem.  III.  Nobis  fuit ... 
Praeterea     

3.  Innoe.    Per   aostras    lii 
post,     .       

4.  Idem.  Cum  propter  dts^ 
eord 

XXV.  De  censibus. 
Clem.  Ol.  Gravis  admodum. 

XXYL  De  eeclesils  aedi- 
ficandis. 

Alex.  IB.  Si  hospitale  ia  .   . 

Lib.    iUL   De    spODsall- 
bus. 

1.  Alex.  III.  Veniens  ad  nos 
W.  lator • 

2.  Clem.  in.  Sieut  ex  lii  t  f. 

3.  Id.  later  opera  caritat.    . 


Compil. 
II. 


Compil. 
III. 


Compil. 
IV. 


ni.  21.  4. 


ni.  22.  1. 

in.  22.  6. 


UI.  23.  2. 


m.  24.  1. 
m.  24.  2. 


m.25.  4. 


nL26.  1. 


IV.    i.  2. 


IV.    1.  5. 


IR.  30.  1. 
HL  30.  2. 


IV.    1,  1. 


N  o  t  •  e 


Clem.  IIL 


Alex.  m. 
Bai.  I.  264. 
Bai.  I.  l»i. 


Bai.  I.  29. 
Idd.  HL 


646 


▼.  Schalte 


Codex  Fuldenais  D.  S. 

Compil. 

Compil. 

Compil. 

If  0  t  a  e 

II. 

lil. 

IV. 

4.  Id.  Nob,  ex  tuar*  ianot  . 

IV.    i.  6. 

„.v 

,  1, 

5.    „  Ad  id  quod  nobis  per 

m 

lit 

IV.    1.  8. 

— 

— 

6.  Id  Tertio  loeo  quaes.  .   . 

IV.    1.  8. 

— 

— 

7.  Innoc.  III,  Com  apud  sed. 

BD 



IV.    i.  3. 

Bai.  I.  333. 

"r*     ••«     

8.    Idooc.  III.  Alioqain  etc. 

M    w    9               9  9         W# 

■  >€ai«    ••   mrW* 

A  nob.  inquir 

^■" 

^■^ 

^^ 

Rayner.T. 
XXXIX. 

11.  De  desponsatioD  e 

impab. 

• 

Clem.  III.  Duo  pueri  W.  et . 

IV.    t.  i. 

— 

— 

ni.  De  claDdestina 

desp. 

Id.  El  lit.  tiiit  aecep.   .   .   . 

IV.    3.  3. 

— 

— 

y 

IV.  Qui  der.  vel  vo?. 

matr.  cont.  u.  p. 

Coel.  III.  F.  t.  ree.  litteris   . 

IV.    4.  1. 



— 

V.  De  eoq.  dux.  in  matr. 

q.  p.  p.  a. 

1.  Clem.  III.  Ex  lit  t.  iDsi* 

nuat 

IV.    S.  i. 

— 

— 

2,  Coel.  ni.  Cum  haberet    . 

IV.    5.  2. 

_ 

— 

3.  Ina.  III.  Signifieastia  no- 

bis     

— 

IV.    6.  1. 

— 

Bai.  1. 102. 

VI.  De  eognatione  spi- 

1 

rit. 

1.  Clem.  III.  Martinua  Ber* 

tum 

IV.    6.  i. 

i.— 

— 

2.  Id.  Contraeto  matrim.     . 

IV.    6.  2. 

— 

— 

3.  Coel.ni.Laudabilempont. 

off. 

IV.    6.  8. 

— 

— 

VlLDe  eo  qui  eogn.  eons. 

UX.   8. 

1.  Coel.    111.     Tranamisaae 

nob.  1 1 

IV.   7.  3. 

... 

'— 

2.  Id.  Super  alio  yero  .   .   . 

IV.    7.  4. 

•  — 

— 

Die  Compilationen  Gilberts  und  Alanns. 


647 


Codex  Fnldensie  D.  5. 


Compil. 
U. 


Compil. 
III. 


Compil. 
IV. 


N  o  t  a  e 


3.  Alex.  III.  Saper  eo  <iuod 
soll,  t . 

4.  Id.  De  illo  aatem  qui  8e  . 

Yin.    De    eoDsang.    et 
affin. 

Coel.  IIL  Qnod  dil. .  t.  Quae- 
sisti 


IV.    7.  1 


IV.    7.  2. 


IV.    8.  2. 


IX.  De  frig.  et  malefic. 
et  impot. 

i.  Coel.  in.  Laudabilem  •  . 
Sollieite 

2.  Alex.  III.  Ex  lit  t  aeeep. 

3.  Loc.  in.  CoDsiilt.  i  qua  nos 

X.    De    claDdestioa 
deap.  0  •   ■   •   • 

Clem.  ni.  Cum  sis  praeditve 

XL  Qoi   filii   sint  legi- 
tim i. 

1.  Ion.  ni.  Per  tuas  nob.  lit. 

2.  Clem.  m.  Ex  lit  t  f.  acc. 

XIL  Qai   matr.   aceut. 
poss. 

1.  Clem.  in.  Dil.  f.  n.  arehip. 

2.  Coel.  UI.  Inanper  adie- 
eiati 

3.  Idem.  A  nobia  est  exp.   . 

4.  Idem  Sieot  ex  lit  tnis 

Xni.  De  diTortiis. 

1.  Alex.  III.  Ad  am^a  . .  F. 
I.  p.  s.  ...•..•• 

2.  Clem.  ni.  Comes  W.  de 
Romere 


IV.  9.  3. 
IV.  9.  1. 
IV.    9.  2. 


De  matr.  eontra 
interd.  eeei  cont 


IV.  10.  an. 


IV.  12.  1. 


IV.  12.  1. 


Bai.  I.  322. 
Rubrica. 


IV.  12.  2. 


iV.  12.  3. 
IV.  12.  4. 
IV.  12.  B. 


Clem.  ni. 

.   ni. 


IV.  13.  i. 
IV.  13.  2. 


0  reetios:  dr  nuttrim,  eontraeto  eontru  interdietum  eeeletiäe. 


648 


▼.   Schult« 


Codex  Fttldensit  D.  H. 


3.  Coel.  m.  Plerumqoe  acci- 
dit 

4.  Ido.  in.  De  pnid.  v.  valde 


Conpil. 
II. 


XIV.    De    aecundis  nup- 

t»  • 
118. 

Alei.  III.  Capell.  nihilom.    . 

Liber  F.  De  accusatio- 
Dibus. 

Alex.  ID.  Meminimus.  .    .   . 

II.  De  symonia. 

1.  Alex.  ni.  Veniens  ad 
no8  F 

2.  Coel.  m.  Super  eo  vero 
quod 

3.  Ion.  ni.  Quamvia  ad  abol. 

4.  Id.  De  regulär,  canon.    . 

5.  Alex.  m.  Ex  t  f.  litteria  . 

6.  Coel.  m.  Nob.  fiiit  ex 
parte 

7.  Clem.  in.  Veo.  ad  elem. 
sed.  ap 

8.  Inn.  in.  pars  e.  quamvia 
ad  abolendam.  Signtfi- 
castil—  conc.  faeult.  .   • 

ni.  De  iudeia  et  sarra- 
cenia. 

1.  Alex.  m.  Conauluit  .  . « 
ludeoa  

2.  Clem.  m.  Quam  aitland.  .. 
Tuis 

3.  niiquoque 


IV.  14.  2. 


IV.  14.  1. 


IV.  IK.un. 


Compii. 
III. 


V.  1.  a. 


V.    2.  1 


V.  2.  5. 

V.  2.  6. 

V.  2.  7. 

V.  2.  2. 


V.    2.  9. 

V.    2.  8. 


IV.  De  baereticie. 
Innoc.  in.  Vergentia  .... 


V,    4.  1 


V.    4.  4. 
V.    4.  S. 


V.    4.    1. 


Compii. 
IV. 


N  o  t  •  e 


De  dote  post 
divort  Riibr. 
vide  notam  ia 
fine  Comp.  HI. 
editae  ab  Ant 
Aoguatino. 


Clem.  m. 

Clem.  ni. 
Id. 


Clem.  m. 


Bai.  n.  1. 


Die  Compilfetionen  Gilberts  und  Alanua. 


649 


Co4ax  FnldeMis  D.  5. 


Conpil. 
II. 


V.  De  homic.  ciisuali  Tel 
vol. 

1.  Clein.III.Ad  aud.Bpo8t  D. 

2.  Id.  Cum  monast. . .  Super 

3.  .  Scripsisfi  nobis  .    .    . 

4.  «  Suggestam    est   aur. 
5t    9  lospectia 

VI.  De  elericia  pugn. 
in  daello. 

1.  Coel.  DI.  Ulricna  presb.  . 

2.  Id.  Cara  auacepti  reg.    . 

3.  Inn.  III.  Quod  in   dab  . . 
Qoia  Tero 

Vn.  De  falaariis. 

1.  Lac.  III.  Improba  peatia  . 

2.  Urb.  m.  Ad  aad.  n.  te 
sign.     . 

3.  Coel.  in.  Per  falsarioa    . 

4.  Ina.  OL  Dura  aaepe  man- 
data  . . .  Accidit  .... 

5.  Idd.  DI.  Ad  falsariorum 
malit. 

Vin.  De  clerieis  png- 
oantibna.     .    .   . 

Coei.  III.  Cpntinentia  litter  . 

IX.  De   clerico   male- 

dico. 
Id.  Inoot.  nobis  ....  Ad  ult. 

I.  ••••■*.•••• 

X.  De  eo  qui  furtive 

ord.  suscepit. 

1.  Id.  Cum  H.  lator  praes.  . 

2.  Id.  Innot.  nob.  ex  tenore 

XL  De  ezceaa.  prael.  in 
subdiios. 

Ina.  m.  Cum  ad  quonindam 
mal 


Oonpil. 
HI. 


Compii, 
IV. 


V.  6.  i. 

V.  6.  2. 

V.  6.  3. 

V.  6.  4. 

V.  6.  5. 


V.    8.  i. 
V.    8.  2. 


V.    9.  1. 


V.    9.  2, 


V.    9.  3, 


V.  10.  ua. 


V.  ll.un. 


V.  19.  un. 


V.  11.  4. 


• 


V.  12.  1. 
V.  12.  2. 


N  o  t  •  e 


Henricua  presb. 
Quia  suse.  reg. 

Bai.  I.  381. 


Bai.  I.  235. 
Raya.  t.  14. 

De  clerico  per- 
cuasore. 


Clem.  III. 


Clem.  in. 
Idem. 


Raynerii  Coli. 
T.  IX. 


6S0 


T.  Schalte 


Codex  Fttldenaia  D.  5. 


Compil. 
II. 


ConpU. 
III. 


CoBpil. 
IV. 


N  0  1 1  e 


XII.  De  privilegiia. 
Inn.  III.  De  causa  illa  unde 

XIII.  De  poenitentiis 
et  remissionibas. 

1 .  Alex.  ni.  De  maliere  «piae 

2.  Clem.  III.   Quaea.    eat  a 
nobis 

3.  Coe).  HL  Perpendimaa  ex 
lit 

XIV.  De   aent.   excom. 
abaolutionia. 

i.  Clem.  III.  Ba  Doaeitur  . . 
Quod  utique 

2.  Clem.  DI.  Inapectia    •   . 

3.  „     III.    Cum  Don  ab 
homine 

4.  Clem.  in.  Cum  deaiderea 

5.  Clem.  in.  Veniena  ad  ap. 
aed 

6—9.  Penrenit  Signif.  Tua. 

Ad  em. 

10—12.  Coei.  in.  UniT.  la- 
aud.  Quod  de  hia  .   .   . 

13.  Clem.  in.  A  nobia  fuit  . 

14.  Inn.  IIK   Cum  illor.  ait 
absei . 

15.  Coel.  III.   A  nobia  eat 
aaepe  quaes 

16.  Id.  Nuper  a  nobia  .   .    . 

17.  Id  Nee  exe.  licet  quod 
stet 

18.  Inn.  abb.    et   conv.  8. 
Germ.  Graria 


V.  17.  3. 
V.  17.  2. 
V.18.12. 


V.  18.  1. 

V.  18.  2. 

V.  18.  3. 

V.  18.  4. 

V.  18.  5. 


V.  la.  6—9. 


V.18.1S.15. 

V.  18.  10. 


... 


XV.  De  aenteatia  inter- 

dicti. 
1.  Inn.  ni.  Cum  in  part  yea- 
tria 


V.  21.  5. 
V.  21.  2. 
V.  21.  3. 
V.  21.  9. 


V.  23.  1. 


Alex.  m. 


—  Rayn.  t  32.     i 

I 

I 
Innoe.  HI.  Bai.  n.; 

61. 
Idem.  Bai.  IL  66. 


Ex  c.  Quod  in 
dub.  Bai.  L  S8f . 

Rayn  er.  Coli. 
T.  XXXL 


Bai.  I.  SS4. 


Die  Compilttionen  Gilberts  und  Alanus. 


651 


Codex  Fnldensia  D.  5. 


Compil. 
II. 


2.  Inn«  in.  Officii  D08tri  de- 
bitum 


lYI.  De   baptisroo  pue- 
ror. 

1.  Alex.  ID.  De  qoibus  dn- 
biniD     ........ 

2.  Alex.  III.  Si  qüiB  sane 


V.  19.  i. 
V.  19.  2. 


Compil. 

ni. 


Compil. 
IV. 


If  o  t  •  e 


NoD  est  c.  15. 
de  seilt,  exe.  in 

« 

eomp.  III.  neque 
Bai.  XI.  262. 


Tabula  D. 
EXTRA      TITULOS: 


Codex  Fttldeosis  D.  5. 


DeeUctiooe  et  eleeti  po- 
testafe. 

1.  Idd.  DI.  epo  et  can.  Sntri- 
Dis.  Dil.  fil.  der 

De  off.  et  pot.  indieis  de- 
legati. 

2.  las.  ID.  Coram  dil.  etc.  Item 

De   bis    qoae    vi    meta8?e 
cansa  fiunt 

3.  Ins.  III.  Ad  aud.  n.  dU.  fil. 

«Mgwif« *  • 

4.  lan.  III.  Com  dil.  fil.  abbas 

de  Flor. 

DearHtn'9, 5.  Ina.^IlI.  Com.  t.  b. 

Qu«    .   .   / 

De  resi.  ex^poL  6.  Ion.  ID.  Olim 
vobis  dedisse 


m.  22.  un. 


1.23.  1. 
1.23.  2. 
1.25.    2. 


RaynerüCoMT.XVn, 


Anni  iaeerti. 


n.  3. 1 


Bai.  U.  282. 
Bai.  II.  91. 
Bai.  I.  317. 
Bai.  I.  239. 


«52 


V.   Schulte 


Co4ex  Foldensia  D.  5. 


Compil. 


111. 


Compil. 
IV. 


7.  Inn.  HL  Dil.  fil.  n.  abbas  de 

Flor.  conq.  —  n.babentur. 

De  iitrei.  8.  Inn.  III.  Ex  ten.  lit. 

t.  D.  innot 

De  sent.  et   re    iudicatt, 

9.  Inn.  III.  Sicut  nobis  v.  lit 

intimastis        

10. Inn. III.  Cuminter.  .  .Quan- 
tum —  celebrata  .... 

11.  Inn.  p.  etc.  Licet  igitur  ind. 
impon 

De  appetlationibus. 

12.  Inn.  III.  Dil.   fi).   I.  et  H. 
nuntii  ecci.     ...... 

13.  Inn.  III.  Cum  dil.  fll. . .  Si 
Tobis  constit 

14.  Inn.  III.  Cum  tibi  de  benign, 
sed.  ap.  .    .  * 

De  deeimie.  15.  Inn.  IIL  Expo- 
suisti  tu  nobis 

16.  Inn.  in.  Tua  nob.  f.  inti- 
roa?it  quod 

17.  Inn.  IIL  A  nobis  tua  frat. 
requisirit 

De  reg.  et  trans.  ad  rel.  18.  Inn. 

in.  Quod  dei 

De  centib.  19.  Inn.  in.  Quanto. 

—  Cum  inst 

De  emun,  ecd.  20.  IIL  Inter  alia 
Despotie.  21.  Inn.  IIL  Exp.  t. 

recepimus 


IL  18.    6. 
n.  18.    3. 


Dedivori.  22.  Inn.  ni.  Diseret. 

t.  in  domino 

23.  Inn.  m.  Jan.  arehiepo.  Ac- 

cedens  ad  p.  n.  D.  mul.    . 

QuifU  9.  leg.  24.  Inn.  IH.  Ad  n. 


nov.  a.  perv. 


.   •   .    •   « 


IL  19. 10. 


V.  23.    2. 


IIL  23.    2. 

in.23.    1. 

IIL  27.    1. 

in.  37. 1.2. 
ni.  32.  an. 

IV.    3.    1. 


IV.    9.    1. 


N  0  ta  e 


itayiKT.  CoILT.IVIII 
Raynerii  CoMT.Wi. 


IIL  13.    2. 


Bai.  \l  48. 

Rayn.  t.  30. 

Comp.  IL  1.5. 4. 


Bai.  I.  351. 

Anniincftrti. 

Bai.  V.  39. 

Ragneriue  T.  XI. 

BaJ.  IL242.DiffertiB 
fine. 

Bat.  n.  229. 

Rayn.  t.  37. 

Bai.  L  135. 
Ray.  t.  35. 

Rayn.  t.  40.  In  prin- 
cipio  diflert. 

Rayn.  t.  40. 

Rogner,  Coli.  T.  XL. 

A^fier.CoU.T.XLI. 


Die  Compilationes  Gilbert«  und  Alanua. 


633 


Codex  Fnldensis  D.  8. 


De  hom.  eas,  25.  Inn.  III.  Dil  fll. 

ei  capell 

De  tuura.  26.  Inn.  III.  IdDodum. 

—  27.  Pos*  miserab.  .  . 
De  faUar.  28.  Inn.  III.  Licet  ad 

regimen 


DepriviL  29.  Inn.  III.Taar.  nos 
literar 

De  %ent,  exe.  30.  Inn.  III.  Inter 
et.  —  31.  Cum  pro  causa 


Compil. 
III. 


V.    7.    i. 


V.  10.3.2. 
V.U.    2. 


V.  16.    1, 
V,  21.4.1. 


Compil. 
IV. 


N  o  t  a  e 


Rayn.  t.  34. 

Rayn.  i.  26. 

Bai.  I.  349.  Cod.  am- 
pliorem  habet 


Bat.  I.  450. 


Rayn.  t.  31. 


Tabula  E. 


Codex  Fnldensis  D.  8. 

Compil. 

Compil. 

N  0  t  a  e 

11. 

III. 

LIBER    PRIMUS. 

Incipit  Liber  1.  De  conatitu- 

tionibus. 

1.  Inn.  m.  in  regiatro  W.  Re> 

1         menai  arch.  Olim  nobis  re- 

1         galis  magnificentia     .    .    . 

— 

— 

Robrica  capituli  ex 
cod.  Puld.  D.  14. 

2.  InnocIII.  in  reg.Cenethen. 

ep.  Quae  in 

— 

I.    2.    2. 

Bai.  II.  7. 

3.  Innoe.  III.   in   reg.  Cum 

oranes 

— 

I.    2.    1. 

Bai.  I.  192. 

II.  De  petitionibus  papae 

offerendia. 

Id  in  reg.  Nullua  notarius. 

III.  De  reaeriptis. 

1.  Cbm.  III.  Ex  parte  S.preab. 

I.    2.    8. 

— 

2.  Inn.  in.  Apost.  sed.  con- 

BU6V 

— 

I.    2.    4. 

Br^q.  VI.  190. 

654 


r.  Schölte 


Codei  Fiildeiifis  D.  5. 


3.  Inn.  in.  in  reg.  Cum  adeo 
scripta 

4.  Ion.  III.  in  reg.  Causam 
qaae  inter 

5.  Greg.  VIII.  Quoniam  ad 
epise 

6.  Coel.  III.  Sciseitatus  es  .   . 

7.  Alex.  III.  Accepta  conquest 

8.  Lue.  ni.  R.  de  Colump- 
nellis 

9.  Inn.  IIL  in  reg.  Ex  tenore 
litter 

10.  Inn.  ni.  in  reg.  Cant  arch. 
Ex  multa 

IV.  De  consuetudine. 

i.  Inn.  in.  in  reg.  Ad  n.  no- 
▼eris  aud 

2.  Inn.  ni.  in  reg.  pars  c.  litte- 
ras.  Proposuisti  praet  .  . 
consuetudo  inolefitvUtlec- 
tisternia 

3.  Inn.  in.  in  reg.  Astorie. 
deeano.  Dil.  f.  cap.  Ast    . 

4.  Inn.  in.  in  reg.  Ex  litteris 
quas 

V.  De  postulatione  et 
translat. 

1.  Inn.  m.  in  reg.  Gratum 
gerimus 

2.  Inn.  Ol.  in  reg.  Bonae  mem. 


CoBpil. 
II. 


I.  2.  7. 

I.  2.  9. 

I.  2.  2. 

I.  2.  6. 


C.  arch.  .   . 


•    •   •    •   • 


3.  Inn.  in.  in  reg.  In  causis 
quae  ad  ap 

4.  Inn.  III.  Bonae  mem.   W. 
archiep 


Compil. 
III. 


1.    2.    7. 
1.    2.    8. 


I.    2.    5. 
III.  26.    5. 


I.    3.    2. 


I.    3.    1. 


I.    4.    2. 


I.    6.    8. 


I.    6.  15. 


I.    4.    3. 


No  tae 


Bai.  I.  279. 
Bai.  I.  62. 


Br^q.  VI.  120. 

Anni  incerti.  usqae 
ad  Secundo. 


Bai.  I.  571. 


Bol.  I.  422. 


A.  1200.  cf.  Richter 
ad  c.  2.  X.  I.  5. 

Br^.  XI.  14.  ttsque 
^app,  obst,  canf\ 

Anni  incerti.  ^d'dee. 
pen.  irrii*. 

A.  1202.  Breq.  V.  6. 


Die  Compilationea  GUberU  und  Alanut. 


655 


Codex  Fnldeiuis  D.  5. 


5.  lim.  in.  in  reg.  Ad  hoc  in 
beato  Petro 


•    •   ■   • 


VI.  De  electione  et  electi 
polest. 

1.  Ino.  ni.    Cum  int.  dil. .  . 
Postquam 

2.  Inn.  m.  in  reg.  Vic.  tp. 
Conet.  In  etusis     .... 

3.  Inn.  in.  in  reg.  de  eellt  sei 
Petri  et  moreo.  Abbatibua 
et  praeb.  Udin.  Cum  inter- 
dictum  etc.  Quia  vero 
constitit 

4.  lanoc.  III.  in  reg.  Ex  ore 
sedentis 

5.  Ciem.  III.  Super  eo  vero 
qnod 

6.  Alex.  m.  Quia  requisistis  • 

7.  Inn.  III.  in  reg.  Aquilej. 
patr.  Inn.  p.  const.    .    .   . 

8.  Inn.  m.  in  reg.  Quod  sicut 
ex  litt.    .   .    . 


CoaipU. 
II. 


CompU. 
III, 


I.    4.     1. 


I.    6.    6. 


N  o  ta  e 


A.  1200.  Richter 
ad  c  1.  X.  I.  5. 


I.    3. 


I.    3. 


3. 
2. 


•    •   • 


9.  Inn.  UL  in  reg.  Cum  cau- 
sam q.  i 

10.  Ina.  in.  in  reg.  Qualiterarch. 


VU.  [De  filiis  presbyte- 
rorum]. 

Lue.  in.  Quon.  ex  plenit  potest 

Vm.  De  serTis  non  ordi- 
nandis. 

Inn.  DI.  in  reg.  Miramar  nonmod. 


I.    0.    2. 


n.  18.    9. 


in.  12.  un. 


I.    6.  13. 


I.    6.  12. 
ni.  4.    1. 


Anni  iaeerli.  Jam  in 
Comp.  I. 

Solum  inithim. 


Bai.  I.  290.  In  codiee 
brerior. 


Breq.  V.  83.  ad  tum 
mod.  ine,  detr. 

Breq.  VI.  112. 

Brdq.  y.  17.  fol.  Bnit 

V.  uiira  q,  adest  in 

cod  lacuna. 


Init  utrum  s,  de 
sacerd. 


Apocrypha  ex  nota 
apud.  Ani.  AuguttAn 
6ne  Comp.  in. 


656 


V.   Schalte 


Codex  Foldensis  D.  5. 


CoBpil. 
11. 


Compil. 
UI. 


Notae 


IX.  De  corpore  vitiatie. 

1.  Inn.  in.  Ezposuisti  nobie   . 

2.  Inn.  in.  in  reg.  Tarn  litt.  . . 
Qui» 


3.  Coel.  in.  pars  c.  quod  de 
bis.  De  big 

X.  De  off.  et  pot  iud. 
d  e  1  e  g. 

i,  Inn.  III.  Quaerenti  quid 
per  cens 

2.  Luc.  III.  Quaeeitnin  est  a 
nob 


f.  13.    2. 


n.  12.    6. 


Bai.  I.  307. 

Br6q.  VI.  S8.  _  In 

cod.  asque  ad  perhü. 

verüati 


I.  11.    2. 


I.  18.    5. 


1.12.    2. 


XI.  De  appellationibua. 

1.  Inn.in.inreg.Superquae8t. 
art.     •   .  

2.  Id.  Cum  tudici  de  communi 
con8>   .       ....... 

3.  Id.  Quoniam  quidem  H,can. 

4.  Inn.  III.    CoTentr.   ep.   et 
priori  de  Cb*  Causa  .    .   . 

5.  Lac.  m.  Super  eo  autem  . 

6.  Inn.  in.  abbat!  et  conv.  s. 
Zen.  Com  inter 

7.  In»,  ni.  in  reg.  Caunam  quae 
inter 

8.  Ion.  IILAeeedena  et  j.  Cum 
igitor  nobis  pleb 

9.  Inn.  HL  Ad  probandum  q. 
proc.  d.  etc.  Vos  aut.    .    . 

10.  Inn.  in.  Inter  monaat.  etc. 
His  igitur  <) 

11.  Inn.  in.  Ex  lii  diL  f.  abb. 
deCal 


I.  18.    6. 


n.  18.    2. 

n.  18.    3. 
IL  18.    4. 


IL  18.    3. 

n.  f8.    4. 


IL  18.  10. 
L24.    3. 


Anni  incerti. 


Breq.  VII.  29. 

Alex.  III. 
Alex.  HL 

Rayn.  tit.  30. 
Bai.  I.  4$1. 


Bai.  IL  81. 
Anni  incerti. 


^)  Patet  unan  foliam  excidisse  propter  titvlomm  diTertitatem. 


Die  Compilationen  Gilberts  and  Alanus. 


657 


Codex  Fuldeiuis  D.  5. 

De  appellationibus. 

12.  Alex.  m.  Quia  dos  elegit  . 

13.  Lue.  DI.  ßx  conqaett  B. 
der, 

14.  Coel.  IIL  AppellatioDis  in- 
hib.     ...  

15.  lDii.in.  Lucensi  ep.  et  abb. 
Emelon.  Cum  dil.  et  j.  Nos 
igitar  sup.  praed 

16.  lau.  ni.  filyensi  ep.  pars  e. 
paatoralis  off,  Postulasti 
pneterea 

17.  Inn.  IIL  in  reg.  Coostit. 
Nos  ig 

18.  Ihd.  in.  Metensi  arcbid. 
Tua  Duper  et  j.  Ad  haec 

•  ex  parte  taa  fuit  nostris 
aur.  quaest.diffie.  reservan- 
tur 


Compil. 
II. 


II.  19.    5. 


11.19.    8. 


IL  19.  18. 


Coapil. 
III. 


N  0  t  a  e 


19.  Inn.  ID.  Ex  parte  tua  fuit 
Prop 

20.1no.  in.  in  reg.  Cabil.  et 
SÜT.  Ep.  et  abbati   triam 
fontium.  Yen.    ad  ap*    s 
diLt       


XIL  DeperegrinatioDibus 

1.  Coel.  in.  Abiensi  ep.  Conq 

J.  presb 

,  2.  Idd.  m.  Cum  olim  0.  der  . 
Ceter.  eod.  d 

3.  Idd.  m.  DiL  fiL  prior  et 
moD.  eeel.  Caoi     .... 

Xni.  De  eonfirmatione  ut. 
Tel inuL 

I.  Ion.   in.    Cum  M.    Ferar. 
Qoi« 


SiUb.  d.  phil.-hist  CL  LXV.  Bd.  III.  Hft. 


IL  20.  un. 


L  18.    7. 


n.  18.    4. 


U.  18.    5. 


IL    7.    3. 
IL  19.  10. 


n.    1.  5. 


In  codiee  pars:/V>- 
Mtulatti,  —  discuasa. 

Anni  ineerti. 


Huiua  capitis  alia 

pars  est  Comp.  ni. 

L.  m.  10.  2.  Est  anni 

ineerti. 

Bai.  V.  22. 


Bai.  I.  364. 
Bai.  L  351. 


Bai.  I.  98. 


44 


658 


T,  Schulte 


Codex  Faldensi«  D.  5. 

Compil. 

Compil. 

N  ot  ae           ' 

II. 

III. 

2.  Inn.  Ad  aud.  n.  dil.  f.  N. 

__ 

n.  20.   2. 

Anni  iacerti. 

3.  Inn.  Ep.  Auson.  Eip.  t.  f. 

1 

q.  a.  n.  utnim 

— 

— 

1 

4.  Eugen.  Mediol.ep.Deeaun 

unda    >••.•.•■■ 

" 

XIV.  De  translatione  epi- 

■ 

scopor. 

1.  Inn.    III.    Quod    iranslat 

pont.   ..•••.... 

_ 

I.  19.    2. 

A.  1200.  Richter  ad  i 

c.  11.  X.MI. 

2.  Inn.  in  reir.  Colloe.  ep.  Me- 

1 

diator  dei 

— 

— 

1 

t 

3.  Inn.  Pars  c.  quod  aup.  bis. 

1 

SimiUet.  abb 

"■^ 

*"• 

Ex  Bai.  n.  261.  Vi. 
Comp.  L  14  1. 

4.  Luc.  m.  Cum  te  consulente 

L  14.   1. 

— 

i 

5.  Inn.  m.  Ad  reprim.  malit.  . 

— 

1.20.    2. 

Bai.  I.  228. 

XV.  De  inaiorii  et  obedi- 

1 

entia. 

1.  Inn.in.Norit  qui  nil  ignorat 

— 

IL    1.    3. 

Breq.  VII.  42. 

2.  Inn.  ni.  Cum  in  eecl.  St. 

' 

1 

1 

Viet, 





Anni  incerti.  Comp. 
IV.  I.  14.  2. 

T    V^«W                •               ■■               ■•*••■ 

3.  Inn.  III.  in  reg.  praepositino 

, 

magn.    acol.    Credebamus 

i 

hactenus  quod  aapientia   . 

— 

— 

4.  Inn.  in  reg.  Dil.  fil.  n.  syn- 

dieua  ecci.  ▼.     ..... 

— 

m.  29.  un. 

Anni  incerU. 

5.  Inn.  in.  in  reg.  Si  terrar. 

prine.  et  j.  flinc  est.  .   .   . 

— 

— 

XVI.  De  tranaactionibuä. 

1 

1*  Alex.  m.  Veniena  ad  ap. 

;                         1 

aed.  dem 

L  16.    3. 

— 

1 

2.  Luc.  III.  Praeterea  quando 

L16.    4. 

— 

1 

3.  Innoc.  III.  i.  r.  Pars  c.  Past. 

— 

— 

Veniena  ad  a  s.  dil.  f.  n.  G. 

i 

arcbid.  Claromontanus  .   . 

4.  Inn.  in.  Insinuante  V.  nobile 

— 

IV.  5.  un. 

Bai.  n.  232. 

XVII.  De  arbitris. 

1.  Alex.  HL  Non  sine  multa  . 

L20.    1. 

— 

Die  CompUationen  GilberU  ond  Alanus. 


6S9 


Codex  Foldensb  D.  5. 


2.  Alex.  III.  Pervenit  ad  nos  . 

3.  Coel.  m.  Quia  V.  qui  viol.  . 

4.  Inn.  in.  Cum  illius  etc.  Nos 
igitur 

II.Liberde  foro  competenti. 

I.  Alex.  in.  Ex  transmissa 
t.  Ina.  in.  p.  c.  Quod  aap. 
bis.  Capell.  praet  .... 

3.  Alex.  in.  Verum  quoniam  . 

4.  Luc.  III.  Cum  sit  generale 
a.  Coel.  ni.  Quod  clerici . . 

Nullua  epiac 

6.  Inn.  ni.  in  reg. .  Licet  q. 
legalia 


Compil. 
II. 


L20.    2. 
n.   1.   4. 


n.   2.   2. 


n.  Ut  certum  petatur. 
Ion.  III.  SigDi6cantibtt8  T.  et  R. 

m.  De  feriis. 

1.  Alex.  in.  Signif.  nobis  v.  r. 

2.  Alfix«  nL  Quoniam  i.  p. .  . 
Vestram 

3.  Alex.  ni.  Licet  tarn  veteris 

rv.  Decausapoaa. etpropr. 
in  eodem  iud.  mota. 

1.  Inn.  III  in  reg.  Cumqu.  sup. 
elect 

2.  Inn.  II!.  Signißcaverunt .   . 

3.  Ion.  i.  r.  Ferrar.  epo.  Refe- 
rentihua  dil.  in  Ch.  filiabus. 
Sane  moniales  —  faciens 
abbat! Bsam  etc 

V.  De  reatitutione  expoli- 
atorom. 

1.  Alex.  ni.  Conq.  nobis  R. 
derico 


U.    2.    3. 
n.    2.    4. 

n.   2.   5. 


Compil. 

in. 


11.18.    1. 


N  o  t  B  e 


n.  19.  7. 


n.  5.  1. 


u. 
n. 


5.    2. 
5.    3. 


n.  5.  2. 
n.  12.  9. 


Bai.  I.  109. 


Bai.  IL  261 


Anni  incerti.  Comp. 
IV.  II.  2.  4.  differt  in 
6ne. 


Anni  incerti. 


Rayn.  t.  27.  Differt 

in  princ. 

Breq.  VI.  77.  a  1203. 


n.    7.    1.        — 


U 


660 


T.  Schölte 


Codex  Foldeatis  D.  5. 


2.  Alex.  III.  Conquestus     .    . 

3.  Alex«  nU  Ex  trantmissa 

4.  Inn.  in.  1.  r.  Litterat  .   .    . 

VI.  De  acquirenda.  vel 
aminittenda  poaaeaa. 
i.  Alex,  in«  Exonenai  epo  et 

abbat!  de  Ferd.  (cum  ven- 

issent  ad  nos)  Destinatua  . 

a  cap.  s.  triD.  6.  can.     .    . 
2.  [Ion.  HL]  Olin  inter  te  pro 

abbatia  tua 


3.  Inn.  HI.   Machomon.    epo. 
Accedena    

4.  Inn.  in.  Olim  cauaam  . . . 
Cum  autem — excesa.    .   . 

VII.  [De  eo  qui  mitt.  in  posa. 
c.  r.  aer?.] 

1.  Alex.  III.  Prior  et  monachi 
silvae 

2.  Inn.  III.  Cum  renissent .  . 
Noa  igitur 

VIIL  De  dolo  et  cont.  alte- 
rius  partia   punienda. 

1.  Inn.  III.  p.  e.  ex  parte  tuae. 
Super  eo  aut     ..... 

2.  Inn.  IIL  Brixien.  ep.  P.  c. 
licet.  Conauluiati  p.  .   .   . 

IX.  De  probationibua. 

1.  Alex.  HI.  Sicut  conauetudo 

2.  Greg.  VIH.  Propoauiati  nobia 

3.  Inn.  in.  i.  r.  areh.  Cefald. 
Cum  causa 

4.  Inn.  in.  p.  c.  pastoralis  ^), 
Cum  ecel.  et  j.  Ceteria  .   . 


Compil. 
11. 


Compil. 
III. 


H. 

n. 


7. 
7. 


2. 
3. 


n.    7.    4. 


U.    8.    1. 


IL  10. 
H.  10. 


1. 
2. 


U.    6.    3. 


V.    9.  un. 


n.  6.   2. 


n.    8.    2. 


L18.    1. 


n.  16.    2. 


No  ta  e 


Anni  ineerCi. 


Anni  incerti  Comp. 
IV.  0.  3.  2.  aed, 
differt  ab  edita. 

Anni  incerti. 

Anni  incerti 


Anni  incerti. 


Bai.  L  231. 

Apud  Baluxe  l  39. 
minima  pars  alias  esü 


0  HIc  eseidit  caput  guomam  autem  et  mbrict  •eqaentis :  Jnn.  III.  c«t. 


Die  Compilationen  Gilhcrto  und  Alanut. 


»61 


Codex  Fuldenets  D.  5. 


CbmpU. 
H. 


5.  Ion.  DI.  in  reg.  Praenestino 
epo  ap.  8ed.  legato.  Aece- 
«lentes  td  p.  n.  dil.  f.  n.  R. 
et  mag.  H.  aeol. 


•   •   •   • 


X.  De  testibus  et  attesta- 
tionibus 

1.  Ex  cone.  Maticen.  Placuit 

2.  Alex.  in.  Saper  eo     .   .   . 

3.  Inn.  in.  Ex  tenore  lit  Verum 

4.  Inn.  UI.  Magdeb.  et  Salisb. 
areh.  et  praep.  s.  Crueis. 
Constitutus  in  p.  n.  dil.  f.  n. 
procurator 

5.  Inn.  in.  ep.  Bon.  Ad  aud.  n. 
Graidanoeive 

6.  Inn.  in.  Braear.  arch.  Per 
t  n.  lit.  int.  te  ptur.   .   .   . 

7.  Inn.  III.  in  reg.  decano  J.  et 
N.  etc.  Cum  boni  iud.    .    . 

8.  Inn.  in.  in  reg.  p.  e.  veniens 
Lite  igitur 

XI.  [De  fide  instruroen- 
torum]. 

1.  Inii.III.Eborac.  arch.Acce- 
pimus 

2.  Inn.  ni.  Cum  olim  .... 

3.  Inn.  ni.  Cum  dil.  fil.  abbas 

4.  Inn.  in.  Cum  a  nobis  pe- 
titur 

5.  Inn.  ni.  Coro  temp.  bonae 
mem 

Xn.  De  iureiurando. 

1.  Alex.  ID.  p.  c.  eommanis. 
Bind 

2.  Loe.  in.  Toa  noe    .... 

3.  Coel.  ni.  Constitutis  .   .   . 


0.  12.    1. 
n.  12.    2. 


n.  14.    2. 


n.  16.  1. 


11.16.    2. 
n.  16.   8. 


Compil. 
III. 


n.  12.  8. 


V.  2.    4. 


II.  12.  11. 


V.  16.    2. 
in.  18.    3. 

n.  12.    1. 

1.25.    2. 


N  0  t  a  e 


A.  1203.  Differt  mul- 
tum. 


Breq.  VI.  2U. 


a.  1204. 


Est  Alex.  in. 
a.  1199.  Brevier, 
a.  1204.  Brevier. 

a.  1198. 

a.  1198.  Multum 

diflfert. 


»62 


V.  Schulte 


Codex  Fuldensii  0.  5. 


CompU. 
II. 


CompU. 
Hl. 


N  otae 


4.  Inn.  III«  Sicut  oblatus  dil.' 
fil 

5.  Ino.  111.  Herbipol.  ep.  Offi- 
cium creditae 

6.  Inn.  III.  in  reg.  AreUt  epo. 
Qttintavall 

7.  Inn.  ni.  Super  consulatione 
quam 


8.  Inn.  lU.  Veniens  ad  p.  n.    . 

9.  Inn.  m.  iudici  Turnt.  Ad  n. 
noTeris  aud  per?,  iuraaae  te 
olim  ad  inatantiam  Pisa- 
norum  —  aeqaanimiter  to- 
lerare     

10.  Inn.  m.  in  reg.  Dilig.  pii 
patria  .  .  Ad  praeatundum 
vero  iuramentum 

IUI.  DepraeacriptionibuB. 

1.  Alex.  III.  p.cCumaintbom. 
—  Diud 

2.  Id.  Quia  indieante  .... 

3.  Luc.  m.  Significavit  .   .   . 

4.  Inn.lII.i.r.  Cum  non  licent 

5.  Inn.  ni.  Auditia  etintellectia 

6.  Alex.  III.  Dil.  fil.  n.  abbas 
et  fr 


Liber  UI.  I.  De  honeatate 
elerieorum. 

1.  Inn.  III.  Deus  qui    .   .    . 

2.  Inn.  in.  Signfficaati    .    . 


n.  15.    9. 


n.  1$.    1. 


n.  17.  1, 


n.  17.  2. 
n.  17.  8. 


n.  17.  2. 

11.17.    5. 


IL  18.    1. 


IIL    1.    2. 


Alibi,  ut  aciam,  non 
exUtit  1). 


1204. 

Apnorypba  ex  nota 

apud.  Ant,  Augutt  in 

fine  Comp.  III. 

1198. 


a.  1199. 
a.  1205.  Longior. 


Rayn.  t  40. 

a.  1199.  Para  ultima 

cap.  eat  in  Comp.  IV. 

I.  11.  2. 


0  Biehief%9  in  edit.  corp.  jnr.  can.  ad  c.  19.  X.  de  inreisr.  II.  24.  ex  cod.  Fil- 
denai,  commanicante  BikeüOt  reatituit. 


Die  CompiUtioDea  Gilberts  und  AI«DOt. 


663 


Codex  Fvldenfis  D.  5. 

Compii. 

Compii. 

N  0  t  ae 

u. 

III. 

II.  De  clericis  eoniugatis 

1.  Alex.  ni.  Sane  sacerdotes  . 

ni. 

2.    1. 

— 

2.  Iimoc.  in.  Norrie,  ep.  Diver- 

818  faJUciis 

— 

in.  2.  1. 

a.  1203. 

• 

lU.  De  clericis  non  resid. 

iO'  ecci.  praeb. 

1.  Alex.  ni.  PratermUti     .   . 

m. 

3.    1. 

— 

2.  Coe).  ni.  Ex  parte     .   .   . 

m. 

3.    3. 

— 

3.  Alex.  111.  Conquerente  .   . 

• 

m. 

3.    2. 

— 

IV.  De  praebendis. 

1.  Alex.    111.  p.   c.    Veniena. 

Cetenim 

m. 

4.    2. 

2.  Inn.  ni.  Proposuit  .  Lieet 

— 

m.  8.  1. 

a.  1198. 

3.  Alex..  III.  Cum  non  ignores 

m. 

4.    1. 

— 

4.  Innoc  lU.  Inter  cetera  .   . 

— 

m.  5.  3. 

a.  1198.     . 

5.  Innoc.  HI.  Cum  sec  doc- 

trinam 

— 

m.  5.  4. 

cf.  notamBaiui. 
I.  p.  57.  —  a.  1198. 

6.  Innoc.  Ol.  Pro  illomm  pro- 

• 

- 

' 

Tisione 

— 

m.  s.  9. 

Anni  incerti.  Brevior. 
in  cod. 

7.  Innoc«  arch.  Senon.  et  F.  s. 

' 

Mariae  in  vialatadiae.  card. 

• 

a.  s.  1.  —  Constitutua  in  p. 

dil.  f.  nri  6.  s.  Angeli  diac. 

8.  Inn.  111.  Lit.  ▼.  accepimus  . 

— 

m.  8.  6. 

a.  1205. 

9.  Inn.  III.  Eugenio  ean.  Vastin. 

Cum  auper  praeb 

— 

— 

V.  De  clerico  aegrotante. 

• 

Inn.  m.  abbat!  de  N.  Acced. 

. 

ad  p.  n.  6 . 

— 

— 

\ 

VI.  De  institutionibut. 

^ 

i.  Inn.  UL   abbatiss.  et  man. 

Rabarien.  Occurrere  debet 

np.  8.  —  dCTolvatur.  .    .    . 

— 

— 

/ 

2.  Luc  m.  Veniena. .  Interim 

m. 

6.    5. 

— 

3.  Ion.  HI.  Cum  veni88ent .    . 

— 

DI.    7.    3. 

664 


V.   Schalt 


e 


4.  Inn.  III.  Brixien.  ep.  pars 

c.  Licet.  Praeterea  quae- 
si?isti.Ciim  saepe  cootingat 

Vn.  De  concess.  ecci.  non 
vacaatis. 

1.  Alex.  IIL  Ex  transmissa  .   . 

2.  Inn.  III.  Accedens  ad  p.  n. 

d.  f.  n.  G 

3.  Inn.  in.  Cum.  nostris  .   .   . 

4.  Inn.  in.   Cum.  pro  quae- 
stione 

5.  Inn.  ni.  Constitutns   .   .   . 

6.  Coel.  III.  Insinuavit    .   .   . 

7.  Inn.  III.  Dil.  fil.  6.  clerieus 

8.  Inn.  in.  i.  r.  Ap.  sed.  beni- 
gnitas  iIlo8 

9.  Inn.  ni.  Ex  p.  dil.  f.  H.  dia- 
coni  nostris 

10.  Inn.  in.  i.  r.  Tua  nuper  et 
j.  Adieciati 

fl  1.  Inn.  ni.  Ep.  Veron.  Cum 
olim  quaeatio 

Vni.  Dehia  quaefiunta 
maiore  parte  eap. 

Inn.  m.  Ex  p.  t.  frater  arch. . 


ni.  7.  1. 


m.  7.   4. 


m.  8.   3. 

m.  8.  5. 
m.  8.  8. 


Comp.  IV.  m.  3.  3. 
Lon^or  in  eod. 


a.  1202.  —  Longior. 
a.l204. 

Comp.  IV.  ffl.  3.  4. 


W.U.    2. 


IX.  De  rebua  eccl.  non 
alienandia. 

1.  Coel.  III.  Ad  aud.  n.  noveria 

2.  Inn.in.abbatib.  et  abbatiaa. 
et  aliia  ecciea.  praelatia 
eccl.  Neapel.  Cum  aaeria 
canonibua  eaveatur.  .   .   . 

X.  De  emtione  et  vendi- 
tione. 

Alex.  ni.  Conatitutua.     .   .   . 


1804.  —  C.  IV.  ffl. 
I.  12.  1. 


m.io.  2. 


ni.  11.  1. 


1198.  -  c.  IV.  in. 

.   4.  on. 


Die  CompiiaÜoaen  Gilbert«  und  Altinu«. 


665 


Codex  Fuldenait  D.  5, 


Compil. 
H. 


Compil. 
III. 


XI.  De  reruin  permuta- 
tione. 

Inn.  III.  Cum  olim  ad  n.  a.  .   . 

Xn.  De  testamentis. 

1.  Ino.  III.  Cuin.  dil.  fil.  abbat 
de  baxia  ........ 

2.  Inn.  in.  pars  c.  OfBcii.  Se- 
eundo  qoaeaiv 

3.  Inn.  in.  in  r.  abb.  et  frat 
s.  Mar.  foris  portam  favent. 
Proposuiati  nobis  fili  abbas 

4.  Inn.  in.  t.  r.  illustri  Anglo- 
rani  regi.  Super  negotio 
carias.  in  Ch.  fil.  nepotis 
tili  regia  Ottoois  in  Ro.  imp. 
eleeti  antic.  v 

XIII.  De  aepulturis. 

i.  Alex.  III.  Ex  parte.  —  Cum 
liberum 

2.  Inn.  m.  i.  r.  epo  civitatis 
caateilanae.  Honestatem  ci- 
atrensis  ord.  et  j.  Litis  ma- 
teria  intelleeta 

XIV.  De  decimis. 

i.  Alex.  in.  Cum.  sintbominea 

2.  Inn.  in.  Ex.  p.  d.  f.  capell. 
Albun.    • 

3.  Clem.   III.  Ad   aud.  n.  te 

sign 

4.  Hier.  Deeimam  partem  .   . 

5.  Inn.  IIL  Non  sine  multa  ad- 
mirat  auditur  et  ereditur 
—  quod  feeerunt.  .... 

6.  Inn.  ni.  in  r.  unir.  babitator. 
terrae  Jeroaol.  Licet  quis- 
que  teneatur  voturo  dorn  ino 

7.  hm,  praep.  et  conr.  Hootis 
aereni.  Exposuisti  nobis 
fili  p.  i.  n.  p.  c.  quod     .    . 


ffl.  15.i.2 


UL17.    3. 


ni.  17.    8. 
ni.  17.    1. 


in.  15.  un. 


in.  20.  un. 
nL19.    2. 


N  o  t  a  e 


1202. 


1198. 


Baluxe  V.  10. 


666 


V.  Schulte 


Codex  Fuldensis  D.  5. 


Compil.         CompiL 


II. 


8.  Alei.  m.  Recolentes  .    .   . 

9.  Alex.  m.  Dil  fil.  n 

10.  Inn.  ID.  i.  r.  Cum  nobis  li* 
cet  immeritis 

11.  Inn.  in.  Cum  ad  mon.  Sub- 
lacense  

XV.  De  capellis  mona- 
chorum. 

Luc.  III.  Ex  transroissa  .    .   . 

XVI.  De  iure  patronatua. 

Inn.  III.  8.  N.  et  a.  Leonia  abba- 
tibua.  Dllectua  fil.  R.  Me- 
tenais can.  nobis  bura.  .    . 

XVII.  De  cena.  et  exact  et 
procurat. 

1.  Luc.  III.  SignificaYit  .    .    . 

2.  (Jrb.  III.  Querelam     .   .   . 

3.  Inn.  III.  Cum  ex  officii  aui 
debito 

4.  Luc.  III.  Sopitae  iudicio   . 

XVin.  De  aedifieandia 
eccleaiis. 

Alex.  III.  Litteraa  tuae  f.    .   . 

XIX.  De  emunitate  eccle- 
aiarum. 

i.  Coel.  lU.  Tua  noa  duxit  f. 

2.  Luc.  III.  Cum  ecdesiaadei 

3.  Turon.  conc.  Quoniam  au- 
perren 

XX.  Ne  clerici  imroiaceant 
ae  aaecular.  negotiia. 

Inn.  in.  Ex  p.  t.  fuit  propositum 

Liber  rV.    I.  De  aponaal.  et 
matrimonio. 

1.  Inn.  III.  Ad  diasolvendum   . 

2.  Inn.  III.  Quam  ait  grave  .    . 


nL22.    2. 
m.22.    3. 


in.  23.    1. 


III. 


in.  27.    2. 


N  o  ta  e 


m.  25.    1. 
in.  25.    3. 


ni.25.    2. 


m.  26.    2. 


UI.26.    5 
ni.27.    2. 

III.  27.    1, 


n.  17.    6. 


a.  1202.  Longior  est 
in  Cod. 


nL38.    3. 


IV.  2.    1. 

V.  14.    2. 


Brevier  in  cod. 
1198w 


Die  Compilationen  Gilberts  und  Alanu«. 


667 


Codex  Fuldeasis  D.  5. 


Compil. 
II. 


3.  EzconcTribur.  DeFrancia 

4.  Inn.  III.  Liber.  —  Postu- 
last!  iDsuper 

$.  Coiwtitutus  in  n.  p.B.mon- 
stravit 

6.  Ina.  ni.  i.  r.  Biturie.  arcb. 
Veniena  ad  a.  a.  dil,  f.  n. 
Witmaonoa — sit  agendam. 

il.  De  deaponaatione  im- 

poberum. 
Ion.  UI.  Postulavit  a  nobia  dil, 
f.  n.V.priDcepBNorwag.  at 

IIL  De  eoDdit.appoait.vel 
appon. 
Inn.  DI.  Per  tuas  litteraa    .   . 

IV.  Qai  eier.  vel  vov.  matr. 
eont.  p. 
Coei.  III.  p.  e.  laudabiJe.  Rur- 
aua 


V.  De  eoniugio  aervorum. 
Inn.  III.  Ad  noatram  nov.    .   • 

VI.  De  coDJ.  infidel,  ad 
fidem  yenient 

Inn.  Hl.  p.  c.  Deua  qui . .  Quia 

VII.  De  cognatione  spiri- 
tuali. 

1.  Inn.  ni.  Papieiisi  elvi.  Per 
taaa  nob.iii  indleaBti  quod  ei 

2.  Inn.  m.  Tua  not  doxit  frat. 

Vm.  De  frigidia  et  male- 
fieiatis. 

Inn.  HL  Sicut  ex  litteria  tuis 
nobia  praeaent  aceep.  cum 


IV.    i.    1. 


IV.    4.    2. 


Compil. 
lU. 


IV.    1.    6. 
m.  25.    2. 


IV.  13.    1. 


IV.    4.un. 


IV.    7.  an. 


IV.  14.    3. 


N  o  t  a  e 


1206  t). 
Differt. 

Bah  V.  51.— A.  1202. 


A.  1203. 


Brevior  eat  in  cod. 


IV.    8.    2. 


1202.  Differt  in  in- 
acript. 


0  in  Conp.  III.  et  In  Reg.  incipit  Taae  fraterniUti. 


668 


T.   Schult« 


IX.  De  claodesti  Jiis  des- 
poos. 

1.  Alex  111.  Coosuluit .    .   .   . 

2.  Alex.  in.  Null  US 

X.  De  eo  qui  cogo.  consang. 
uxor.  s. 

1.  Inn.  III.  io  reg.  priori  de 
Osin.  Per  tuas  nob.  lii  in- 
timasti  q.  W.  lator     .   .   . 

2.  Iqo.  III.  iudici  SaUmitano. 
Veniens 

XI.  De  consang.  et  affi- 
nitate. 

1 .  Urb.  ni.  Super  eo  quod  .    . 

2.  Idd.  in.  Quod  super  .   .   . 


3.  Ino.  in.   Sup.  coDsult   — 
Quod  vero  in  fine  consult 
annectere  stud 


IV.    3.    1. 
IV.    3.    2. 


XII.  Qui  filii  sint  legitimi 

1.  Coel.  HI.  Referente    .   . 

2.  Inn.  III.  Per  vener.  fir.  arch 

3.  Inn.  ni.  Ex  tenore  .   .   . 

4.  Coel.  IIL  Pervenit .  .   . 

5.  Inn.  in.  Sane  quin  eontingit 

6.  Inn.  in.  illustri  regi  Fran- 
eorum.  Ap.  s.  quae  dispon. 
domino 

XUL  Qui  matr.  accusare 
poss.  vel  testif. 

1.  Innoe.  lU.  Signilicante  .   • 

2.  Innoc.  HL  p.  c.  Licet  Con- 
suluit  insuper 

3.  Innoc.  lU.  Per  t.  nobis  1. 
intimastt 

4.  Innoc.  IIL  Tua  nos  daidt 
fraf 


IV.    9.    4. 


IV.    8.    1. 


IV.  10.    2. 


1203. 


IV.  11.    1. 


IV.  11.   2. 


IV.  12.    2. 
IV.  12.    3. 


Brevier  in  cod.  — 

Esta.  1190.  (H.  Kai. 

Jan.  a.  H.) 


A.  1205. 


IV.  13.    3. 

L22.    2. 

IV.  13.    2. 

n.  15.  10. 


Baluze  T.Lp.  684. 
Est  anni  1201. 


A.  1204. 
A.  1206. 


A.  1203. 


Die  Comptlationen  Gilberts  und  Alanus. 


669 


Codex  Fuldenaia  D.  5. 


De  iure  dotiuro. 

5.  Innoc.  DI.  arcbid.  s.  Andr. 
de  Seotia.  Super  hoc  quod 
a  nobis  tua  deTOtio  requis. 


N  o  t  a  e 


UV.  De  secondis  nuptiis. 

6.  Innoc.  111.  Com  secundum 

1 

apostolum 

— 

loetpit  1.    V.  de    aecusatio- 

albus  denunciat.  et  inqui- 

sitionibut. 

i.  Idd.  III.  Si  coDstiterit    .   . 

V. 

1. 

1. 

2.  Ion.  DL  Licet  in  beato  Petro 

^^^^ 

3.  Inn.  in.  Dil.  f.  n.  mag.  A.  . 

.^ 

4.  Inn.  III.  Super  Nis  .    .    .    . 

— 

5.  Inn.  IIL  Veniens  ad  s.  a.  d. 

f.  A.  •  rag[ 

— 

6.  Inn.  III.  Asinali-ep.  et  abb. 

8.  PetriPerusini.  Cum  civit. 

Perusin.  inter  alias    •    .    . 

.^ 

7.  Inn.  in.  Cum  dil.  61.  etc. 

loquiratis 

— . 

8.  Ion.  ni.  Mediol.  areb.   Ut 

noatrum  procedat  .... 

^- 

9.  Inn.  III.  In  tantom  peccatia 

— 

10.  Inn.  in.  Sicut  nobis    .    .    . 

— 

n.  De  spirituali  redem- 

tione. 

1.  Alex.  in.  Ad  nostram  no- 

▼cris 

V. 

2. 

3. 

2.  Luc.  ni.  Ad  eures  .... 

V. 

2. 

4. 

3.  Coel.  ni.  Dil.  61.  n.  R.    .   . 

V. 

2. 

10. 

IV.  15.    2. 


IV.  16.  un. 


V.  1.  1. 
V.  2.  2. 
V.    1.    3. 


V.    1.    2. 


III.  10.  un. 
V.U.  1. 
V.    2.    5. 


Princ.  et  titulus  in 
Comp.  in.  diflfert 


Immo  Coel.  lU.  al. 

Alei.  ni. 

M98. 

A.  1202.  Plenior  in 
cod. 

A.  1202. 


Comp.  IV.  V.  1.  i 

A.  1198  >)• 

1199. 

A.  1 199. 


')  la  Boatro  Cod.  decretalia  eontiDet  qoae  habentor  in  Comp.  III.  et  in  IV.  L.  1. 
T.  XI.  e.  8.  et  flnem. 


670 


r    Schulte 


Codex  Fuldenait  D.  5. 


No  ta  e 


m.  Demagistrisetnealiq. 
oxig.  p.  1.  d. 

Alex.  in.  Pervenit 

IV.   De  ludeis   et  sarra- 
c  e  n  i  8. 

1.  Alex.  III.  Ad  haec  .    .   .    . 

2.  Clem.  m.  Quod  olim   .    .    . 

3.  Inn.  ni.  Stcut  lud  ei     .    .    . 


V.  De  scbisroaticia. 

1.  Ino.  DI.  Priorem.  (p.  c. 
Fratern.) 

2.  Ion.  m.  ludorsien.  areb. 
Nee  tu  nobis  absque  .    .    . 

VI.  De  homieidio   casuali. 

1.  Inn.  m.  Significasti  nobis  . 

2.  Inn.  in.  Ex  parte  tua  noatris 

VII.  De  torneameutis. 
Alex.  in.  Ad  a.  n.  noveris. 

Vni.  De  usurariia. 

1.  Inn.  ni.  Quam  perniciosum 

2.  Inn.  m.  Ad  n.  a.  n.  p.  p. 
c.  R 

3.  Inn.  in.  Illo  V08  credimus  . 

4.  Inn.  in.  Ad  n.  n.  a.  p.  q. 
c.  J 

5  Inn.  m.  p.  c.  Licet.  Ceterum 
quaesiv.  p.  a.  ap.  edoceri 
ai  debitor  proprio.     .    .    . 

IX.  De  falsariis. 

1.  Inn.  in.  Accedens  ad  p.  n.  P. 

2.  Inn.  m.  Ex  eonscientia  .   . 


V.    3.    1 


V.  4.  2. 
V.  4.  6. 
V.    4.    3. 


V.    5.  un. 


V.    7.  un. 


V. 
V. 


7.    4. 
7.    5. 


V.  10.  1. 

ni.  14.  1. 

ni.  17.  1. 

II.  15.  6. 


Decretalis  codicis 
eatCIem.  in.<). 


A.  1203. 


A.  1198. 

A.  1203. 
A.  1203. 

A.  1205. 


Comp.  nr.  V.  8. 1 

ibid.  c.  2. 


1)  Inn.  in.  eain  denao  eonfirmaTit.  Vide  Balus  e  Bp.  II.  Wl. 


Di«  Compilationen  GilberU  und  Alu»  119. 


671 


Codex  Fttldensis  D.  5. 

X.  De  elerico  eicom.  mi- 
ni st  r. 

1.  loD.  ni.  Veniens  ad  ap.  s.  d. 
f.  P 

2.  Ion.  [Q.  p.  c.  frat.  Preab. 
autem.     .    .   '. 

XI.  De  excesa.  prael.  in 
aubditos. 

i.  Luc  ni.  Retulit 

2.  Alex.  m.  Sane  ai  ep.  .    .    . 

3.  Ino.  ni.  p.   c.   lo  nooDioe 
NoUus  reetp.  ecci.    .   .   . 

Xn.  De  privile^iia. 

1  Si  gratis  tibi  factam  .   .    . 

2.  Ino.  in.  i.  r.  Colobrioo  epo. 
Prafrum 

3.  Ino.  m.  ep.   Floreot.  Per 
1. 1.  intimasti 

Xin.  De  purgatiooe   caoo- 
oica. 

Clem.  IH.  Veniens  ad  nos  R. 
can 


Compil. 
U. 


V.  13.    2. 
V.  13.    1. 


V.  15.  UD. 


Compil. 
III. 


V.  12.    2. 


1.21.    3. 


Tabula  F. 


Codex  Foldentia  D.  5. 


L.  VI. 

De  sacranieo«to  baptismi. 
iooo.  m.  in  regtstro  libri  VI.  . 
i.  Maiores  ecciesiae  .... 

De  eonsecr.  eid*e  eueha- 
ristie. 
2.  Inn.  DI.  Logd.  arch.  Cum 
Marthe    ........ 


Conpil. 

n. 


Compil. 
III. 


m.  34.  1. 


111.33.  5. 


N  o  t  a  e 


A.  1203. 


A.  1206. 


N  0  t  a  e 


In  comp.  m.  deest  'io 
r.  I.  Vr.  A.  1204. 


A.  1202. 


672 


V.   Schulte 


Codex  FuJdensU  D.  5. 

3.  Inn.  m.  p.  c.  Ex  parte.  In- 
super  postul 

4.  Inn.  in.  Non  ut  apponeres  . 

5.  Inn.  HI.  Quanto  de  benign. . 
Pervenit 

6.  Inn.   III.   p.   e..  Ex   parte. 
Post.  pr.  edoc  <) 

7.  Inn.  DI.  p.  c.  Sieut  ex  litt 
Super  eo  aut.  *)     .... 

8.  Inn.  1II./I.  c.  Exp.  U  Quaea, 
praeL  

9.  Inn.  10.  Cum  ven.  ad  p,  n. 
p.  /.  n,  B,'  a.  8»  leg,    .    .    . 

10.  Inn.  III.  Ex  p.  v.  f,  quae^ 
süum 

An  in  omnibus  apostol.sit  ieium. 

11.  Inn.  in.  CoMÜlum  nostrum 
sab,  quib 

12.  Alex.  in.  Audwimus    .    . 

13.  Inn.    ni.     De    homine  .  . 
Quaeaiv 

14.  Inn.    III.    In  quadam  na^ 
atra  ep 

15.  Inn.  in.  Debüum  paat,  of, 

Bitra  lltilts. 

Id.    [Inn.     in.     Officii  veairi 

laud de]  fensari    et 

consilio  quorundnm  —  ma- 
lignorum 

17.  Inn.  in.  Cum  oliro  ad  n.  p. 
a.  q.  can 

18.  De  cone,  Inn.  in.  Dil.  abbas 

19.  Inn.  in.  Per  tuas  litt.  Lat. 
Xn.  Kai.  MartPone.  n.a.V. 


V.  21.  an. 


in.  33.  4. 

in.  34.  3. 

I.  3.  3. 

in.  33.  3. 


III.  3S.  1. 


ni.  35.  2. 


111.33.  6. 

ni.  33.  7. 

111.34.  2. 


A.  1204. 
A.  1206. 

A.  1199. 

Finit'orare  ae*. 


A.  1204. 


A.  1206. 


A.  1208. 


— 

Comp.  IV.  I.  3. 4 

III.  3.  2. 

A.  1203. 

1.25.  1. 

A.  1202. 

V.  21.  14. 

A.  1203. 

')  Duo  folia  teguentia  exciderunt. 

')  Haec  epittola  et  teptem  »equentes  deaumtae  aont  es  alio  Codice  FaldeMi  D.  3* 
prioa  1 58.  Cf.  sopra  pag.  10. 


Die  Compilationen  Gilberts  and  Ahnua. 


673 


Codex  Fuldentia  D.  5. 


20.  Inn.  riL  Pastoralis  off.  de- 
bitom 

21.  De  Spans.  Inn.  Ol.  Signifi- 
easti 

22.  De  eo  qui  cogn.  Cleiii.  HI. 
Ex  lit  toae  discr.  aec.  quod 
cum  6.  a  te 

Liber  seeundus  de 
accusat 

23.  Inn.  IIL  Licet  Hely     .    .    . 

24.  De  hom.  Id.  Exposuit  nob. 
d.f.  M 

25.  De  harn.  Ex  lit.  t  f.  acce- 
pimua      

26.  De  faieariü.  Id.  Quam 
gravi  

27.  De  U9U  paUii.  Colest  HI. 
Com  818 

28.  De  quäl,  ard.  IniuOLQuae- 
ris  a  nobis 


29.  De  eorp.  vüiatis.  Alex.  IH. 
Ex  parte 

30.  De  der.  peregr,  Coel.  III. 
Petitorio  nob.  por.    .   .   . 

31.  De  of.  jud.  deL  Coel.  ID. 
Studoisti 

32.  De  of.  jud.  deL  Coel.  Ol. 
Sicnt  

33.  De  of,  jud.  del.  Miramur 
oon  modicum 

34.  De  hü  q.  vi  metueve  c.  f. 
Coei.  Com  olim.  .  Foleo    . 

35.  De  causa  poss.  et  propr. 
Coel.  Com  r.  f.  n.  a.  Medic. 

36.  De  deemus.  Adrian.  Ex  p. 
d.  f.  n.  1.  lator 


Compil. 
II. 


—  I.  13.  un. 


SiUb.  d.  phiU  hitt.  Cl.  LXV.  Bd.  III.  Hft. 


Compil. 
III. 


IL    5.    3. 
IV.    i.    2. 


N  0  ta  e 


—        V.    2.    3. 


Miscell.  p.  378. 


A.  1199. 


—         V.    7.    2. 


—         V.  11.    3. 


In  boe  cap.  Cod.  babet 
defectum. 

Comp.  IV.  L  4.  on. 

Alex.  m.  in  Comp.  IL 

Sed  non  est  Innoe.  III. 

ex  nota  apud  Anton. 

August  in  fine 

Comp.  m. 

Inn.  1198. 


Miscell.  p.  391. 


45 


674 


T.  Schalte 


Codex  Fnldentis  D.  5. 


ConpiL 
II. 


Compil. 

ni. 


No  tae 


37.  De  fxtto  et  voH  red.  Inn.  ÜI. 
P.  i  Bei  Blareelli  pretb.  C. 
Qoaes.  sane  de  h.  .   .   .   . 

38.  Inn.  ÜI.  Eliensi  epitcopo. 
Pastoralit  ofBeii  diligentia. 

aj  De  of,  wd.  deh  Fast.  Dia- 
cuasa 

h)  De  reecr.  Fast  Praeterea 

req 

cj  De  of,  lud.  dei.  Fast  Quia 

Tero  aaepe 

dj  De  oppeiL  Paat  Quaes.  — 

denegaTerit 

ej  De  iure  pair.  Fast.  Cum 

autem 

f)  De  prw.  et  exe,  p.  Fast 

Interrog.  praet. 

gj  De  hü  q.  f.  ab  ep.  Fast  Solli- 

cite  praet 


h)  De  (^eeimw.  Fast  Explicari 
i)  De  eanetitut.  Fast.  Qoaes. 

eiiam 

kj  De  except.  Fast.  Quoniam 

autem 

IJ  De  of.  iud.  dei.  Fast  Sta- 

tuimus  —  prorogari.  .  .  • 
mj  Denan  ord.  mmietr.  Fast 

Propterea  noa 

39.  DetcmrwInn.ni.Quiafrustra 

40.  De  excom.  Id.  Quantae 
praesumt 

41.  De  aet.  et  quäl,  ord.  Id. 
Tollet  arch.  et  abbati  s. 
Leocadiae.  Aceedens  ad  p. 
n.  d.  f.  N,  d.  Fanp.  sac.  sua 
nobis .   . 

4!ft,  De  eonf.  ut.  velima.  Id.  Ad 
hoc  unxit 


1. 18.  7. 5. 
I.  20.    5. 

I.    t.    3. 

I.  18.    7. 

II.  19.  11. 
m.  SO.    4. 

V.  16.    9. 

ni.  11.  3. 
IL  18.  4. 
ÜL  28.   S. 

n.  13.    3. 

n.  16.  a 


V.  10.    4. 


A.  It04. 


Comp.  IV.  V.  IS.  )• 


n.  9.  un. 


1198.  In  e»diee  toti 
ep.  adest 


Die  Coinpilattonen  Gilberte  und  Alaaot. 


d7S 


Codei  Foldenait  i>.  5. 

Compil. 

Compil. 

N  0  t  a  e 

II. 

III. 

43.  De  viöl.  dericis  iU.  Id.  Ut 

fanuie 

— 

V.  Äl.   -8. 

A.  1203. 

44.  Dejnirg,  can,  Inn.  IIl.  Cum 

dil.  fil 

— ~ 

V.  17.    2. 

In  eodtce  tota. 

45.  De  furg,  can,  Vnti.  IH.  St 

beoe  (yere) 

— 

V.21.    7. 

Longior  in  cod. 

46l  De  purg,  etm.  Inn.  IU.  Sftcris 

• 

. 

est  Cfto 

^■^ 

m.21.    3. 
I.  23.    1. 

^  ^m  V     ^^^»  ■•  ••••»••p* 

47.  De  purg.  can.  Ex  parte  dil. 

in  Christo 

— 

V.23.    7. 

In  cod.  brerior. 

48.  Inn.  Ol.  Arch.  Toll,  insiau- 

arunt  n.  fr 

• 

— 

49.  Inn.  III.  i.  r.  B.  mag.  scohur. 

et  N.  CSD.  Dar.  Super  eo 

qnod  nos  v.  discr.  requi- 

sirit 

— 

— 

V.  18.  11. 

— 

Sl.  Inn.  IU.  De  monialibus  .   . 

— 

V.21.    6. 

52.  Inn.  HI.  Saepe  contingit    . 

— 

V.  21. 10. 

A.  1207. 

53.  Inn.  IU.  Tuae  diaeretionia 

— 

III.   1.  3. 

IV.  10.    4. 

Insuper  in  cod. 
longior. 

54.  De  haerei.  Inn.  IU.  Ei  in- 

ianeto  nobis 

— 

V.    4.    3. 

A.  1199. 

55.  Id.  ep.    et   eap.   Metensi. 

Siqitesol.  prael 

— 

— 

56.  Id.  Vergentts  —  mercena- 

rio  eomparemur 

•"^ 

V.    4.    1. 

Unmittelbar  daran  eine  Jf t't 

§uru9  in  f 

nundum  hi 

»ginnende  Vorrede  um 

Dekret  Gratian«. 

" 

45 


676 


▼.  Schölte 


Tabula  6. 

Nachweis  über  die  Entstehung  der  vermehrten  Com- 

pilation  des  Alanus. 


Codex  Foldensia 
D.  14.  Vermehrte 

Cod.  Fold.  D.  5. 

Compil. 
Joh.  Oal. 

CompU. 
Petri  Ben. 

ConpU. 

Notae 

Sammlong  dee  Cod. 
Fuld.  D.  5. 

Haupt- 
aammlnng 

Anhang 

n. 

III. 

IV. 

L.  I.  Tit  I.-VI.  10. 

I.  I— VI. 

^^ 

^^ 

^^ 

1 

Cep.  11. 

— 

— 

— 

I.  19.  3. 

— 

12. 

— 

• 

— 

I.    6.  3. 

13. 

— 

— 

I.    8.  3. 

^- 

De    suppl.   neg. 

prael.  e.  1. 

— 

— 

I.    6.    i. 

— 

— 

2. 

— 

— 

— 

ni.  8  7. 

— 

Inn.  ni.  i.  r.  3.. 

— 

-^ 

— . 

-^ 

I.    6.    2. 

l.[Deterop.or- 

diir.JPertuas 

Dob.  lit  int 

quod  V.  can. 

— 

—- 

— 

•— 

-' 

2.  Inn.  Bracar. 

arch.  Aece- 

pirnnt  .   .   . 

— 

— 

— 

— 

I.    8.    3. 

De  filiis  presby- 

terorum .   .   . 

— 

— 

— 

— 

— 

1.  Alex.  m.  Ad 

extirpandas    . 

— 

— 

I.   9.    1. 

— 

2. 

I.  Vn.  un. 

— 

— 

— 

— 

De  trantlati- 

oneepisco- 

pibis  n.  Tit. 

VI 

I.  XIV. 

^— 

_ . 

— . 

De  dolo  et  cont. 

bis  II.  VI. 

•— 

— 

—. 

— . 

alterius    pari 

puD.  .... 

I.  Inn.  i.  r.  Dulro. 

epo.  Cum.  d.  f. 

G.  arch.     .   . 

— 

— 

— . 

— 

— 

2.  3. 

— 

■ 

in.8.1.2. 

— 

— 

Die  CompiUtionen  Gilberts  und  Alanut. 


677 


Codex  FaldenfU 

D.  i4.  Vermehrte 

SanBlvigdesCod. 

Fiild.  D.  5. 


Cod.  Fttld.  D.  5. 


Heupt- 
•enmlung 


tt-l— 3.  .  . 
4. 
5. 
6. 
X.  1—7. 
8. 
XI.  XU.  1—5. 

6.  Inn.  ni.  ep.  et 
ean.  s.  Y.  Ex 
teoore  litterar. 
fritris  n.  epi  et 
ex  p.  y.  .   .   . 


7—11. 

m.  Ht  I— VII. 
1-9.     .   .   . 


Anhang 


n.9.1— 8. 


IL    9.    S. 
X.  10. 1.7. 

X.10.8. 

XI.  XU. 

1—5. 


38.  k. 


Compil. 

Joh.  Gel. 

II. 


XII.  6  bis 
10. 


II.  I— m 
1—9. 


10. 

vn.li— xiv.1.2. 

3. 
4. 


5. 

6— a 

XV.  De  regul.  et 

tr«iij.adrel.l. 

2. 


VU.10bis 
XIV.1.2. 


XIV.  3.  5. 


Compil. 

Petri  Ben. 

III. 


U.  16.   2. 


Compil. 
IV. 


UI.  18.  2. 
UI.  18.  6. 


III.  11.  3. 


UI.  23.  1. 
UI.  23.  2. 


IIL  23.  5. 


Notae 


Id  margine 

Cod.  Va- 

cat*. 


la  margine 
Codicis  ad 
Tit  VU:  'l 

I.  lit  de 
praebendis 

maiori- 
bus*. 

Taeat. 


'yacat*. 
Id  marg. 

Cod. 
•vaeaf. 
Vacaf. 


678 


T.  Schulte 


• 

: 

Codex  Fuldenaia 

D.  14.  Vermehrte 

Sammlui^l^  deaCod. 

Fold.  D.  5. 

Cod.  Fold.  D.  5. 

Compil. 

Job.  Gal. 

II. 

Compil. 

PetriBon. 

III. 

ConpU. 
IV. 

Notae 

Haopt- 
•anralong 

Anhang 

3. 

.^ 

__ 

m.  24.  7. 

^.^ 

Coel.m.[Inn.]4. 

— 

— 

lU.  27. 1. 

— 

▼aeit. 

5.  Ion.  III.  i.  r. 

■bb.  et  conv. 

eiise  mar.  .    . 

— 

— 

— . 

— 

— 

In  praes.  d.  f.  n. 

6.  8.  Adriani 

diac 

— 

— 

-~ 

— 

— 

6. 

— 

— 

ni.  19. 1. 

— 

— 

7. 

— 

— 

— 

— 

ni.  11. 1. 

XVI.  De  voto  et 

Toti    redemt. 

4-3. 

— 

— 

m.  21. 1 

bis  3. 

4.  5.  6. 

-^ 

— 

— 

in.  26.1. 

K.4. 

7. 

— 

— 

— 

IL  13.    2. 

-~. 

8.9. 

III.  14. 

6.  7. 

— 

— 

— 

— 

IVIL   De    statu 

monac.  1. 2.  . 

ni.  14. 

S.  9. 

— 

— 

— 

— 

3.  Inn.  III.  Lieet 

multitudini 

— 

._ 

-i. 

— 

.— 

4.  5.  XVIIL  un. 

XIX.  1.  .   .    . 

10.  11. 

» 

XV.  XVI. 

— 

— 

— 

2. 

— - 

— 

— 

m.  30.  4. 

— . 

XX.  1-4.  .   .   . 

in.  17. 

— 

-^ 

" 

~. 

5.  6.  7. 

— 

— 

— * 

in.  87.  s. 

1.2. 

Wicaf. 

8. 

— 

— 

-.• 

m.  28.  2. 

— 

•vaeaf. 

XXI.  1 

in.  18. 1. 

— 

-~ 

— 

— . 

2. 

— 

— 

UI.  26.  i. 

— 

— 

'vaeat*. 

3. 

m.  19. 1. 

— 

— 

— 

— 

Lueias  HI. 

(Idd.)  4. 

— 

— 

ni.  26.  s. 

— 

— 

•vacit. 

XXn.    De   emu- 

nitate  eecl.    . 

— 

— ' 

— 

— 

— 

Die  ConpiUtioneD  Gilberts  and  AUnot. 


679 


Codex  Fnldensis 

D.  14.  Verniebrte 

SaBmlaagdeeCod. 

Fnid.  D.  5. 

Cod.  FoM.  D.  5. 

CompU. 

Job.  Gel. 

II. 

Conpil. 

PetriBeo. 

III. 

Compil. 
IV. 

Notae 

Haopt- 
•aauBlmii^ 

AnbaBg 

i.A]ex.ni.(Inn.) 

Inter  alia   .   . 

— 

— 

-. 

ni.32.un. 

.. 

.       2.3. 

ni.19.23. 

mm. 

.i^ 

-.. 

— . 

XXni.  un. 

nL20.un. 

,m^ 

.1. 

... 

... 

L  IV.  Tit  1.  eap. 

!■    S*     •      .      •      • 

IV.  1.1.2. 

._ 

_ 

— 

— . 

e 

3.  Ion.  epo.  Cum 

• 

omaia  orU.    . 

— 

— 

^mm 

— 

.— 

'vaeat*. 

4^6.     bis    Tit 

Xlll.  UD.      .     . 

3— 6  bis 

XID.  S. 

.. 

_ 

^-. 

.• 

XIV.Dedotepost 

diTort       .   . 

— 

«— . 

«^ 

_ 

w^ 

Ion.  m.  Compost. 

ftreh.  Cum  ti 

neceMe .   .   . 

— 

_ 

— » 

.- 

-^ 

*yaear. 

XY.  on. 

IV.  13.  un. 

— 

.— 

.— 

.. 

L.  V.  Tit  I.  i.  2. 

V.  i.  1.  2. 

._ . 

..» 

.- 

.. 

S.IniLlII.Neapol. 

■ 

areh.  .  .  Nihil 

p«De  eat  quod 

magit  debeat 

— 

— 

— 

— 

— 

'yaeai*. 

4—6. 

V.l.  3-5. 

7. 

— 

«^ 

— 

V.    2.    5. 

^^^ 

Vacaf. 

8—12.  IL  1—8. 

6-10.  n. 

1—3. 

•. 

„^ 

—- 

.» 

Ibd.  BD.  Expoau- 

isti  nob.  d.  f. 

abbat.  4.    .   . 

— 

.«-. 

— 

— > 

..-.. 

Tteat 

in.  IV.  1—3. 

in.iv.  1 

bis  3. 

.—. 

— 

.— 

.« 

V.  De  baeretieis. 

un 

— 

S6 

... 

— 

.m^ 

VI— IX 

V.-VIIl. 

.—. 

_ 

— . 

-^ 

IX.  De  ialaariis. 

1.  Inn.  III.  .    . 

— 

_ 

... 

<— 

~^ 

DitfiliiB.  eantor 

• 

H.  et  R«    •   . 

— 



— 

— 



▼aeat 

2. 

— 

— 

— ' 

V.  11.  2. 

•^ 

yacat 

i 

680 


V.  Schalte 


Codex  FttIdeDaia 

D.  14.  Vennehrta 

Sammlung  dea  Cod. 

FdM.  D.  5. 


Cod.  Fald.  D.  5. 


3.  4. 
5.  Inn.  in.  illustri 

regi  ÜDg.  ,  . 
InaudiUm   hae- 

tenus  tpeciem 
X.  1. 2.  XI.  1. 2. 

3. 

XI.  4.  xn.  1. 


X.  1. 2. 

XI.  1.  2. 

XI.  3. 

xn.  1. 


2.  3. 


V.  13.  un. 


2. 
8.  4. 
5. 
Xni.  De  purgat 
can.  1. 
2. 
3.  Inn.  III.  Si  Ae- 
des ap . .  Cum 
aui  8up.  his  .  I      — 

s. 

XIV.  De  poenit. 

et  remissioni- 

bus  1. 

2. 

3.Inn.in.Archad. 

epo.  Ex  litt  t. 

f.  acceptmus 

quod  I.  laieus 

lator  .... 

4.  Alex.  m.  Bel- 

Tae.  epo.  Quod 

guuUun  .   .   , 

ö.  Inn.  m.  Ad  ap. 

sed.    elemen- 

tiam 

XY.  De  sententia 
ezcDmm.  1. 


44 


Coopil. 
Petri  Bea. 

ni. 


Compil. 
IV. 


Notae 


V.  15.  UQ. 

V.  16.    ij 
ni.  37.  6. 

V.  17.   2. 


▼aeaL 


yaeat. 


?aeat 


V.  18.  un. 


y.  20.  2.       — 


V.  13.  1. 


V.U.  3. 


V.  17.  1. 


—       V.  15.  2. 


raeat 


Die  Compilatioaen  Gilbert«  und  Aliinua. 


681 


Codex  Fuldenais 
D.  14w  Vermehrte 

Cod.  Fnld.  D.  5. 

Compil. 

Compil. 

Compil. 
lY. 

Saamluo^  dea  Cod. 
Fuld.  D.  5. 

Haupt- 
aammlong 

Job.  Gel. 
Aahang         ''■ 

PetriBea. 
III. 

No  t  ae 

2.  3. 

— . 

— 

— 

V.  21. 13 
15. 

1          ■ 

4. 

— 

— 

-i— 

.. 

V.  15.  4. 

5.  loD.  III   i.  r. 

de  lucellar.et 

de  caritate 

. 

abbat   Aece- 

dens  ad  a.  s.  d. 

f.  n.  nob.  vir. 

W.  de  monie 

beilegarde 

— 

— 

.^ 

_ 

«.« 

6. 

— 

45 

^» 

,1,^ 

■^^■^ 

7.  Ido.  m.  i.  r. 

LezoT.ep.Sicut 

ea  qaae  paeem 

. .  Cetenim  ut 

tu  ipse   .    .   . 

-r 

— 

.» 

— . 

~. 

vaeat. 

8.  15. 



46-53 

_ 

... 

Ineipit  Hb,  VI 

• 

de  eaeram. 

haptiamu 

1. 

— 

— 

... 

._ 

.. 

II.  De  conaeera- 

tione  eocbar.' 

1-4. 



2-6 

... 

^_ 

„„^ 

S.  Qoidam  etiam 

6—10. 

— 

.. 

V.  22.  2. 

.... 

,^— 

vaeat. 

m.  An  10  omni- 

■ 

bua  apoat.  rigil. 

aitiei.  1.2.   . 

-^ 

11.12 

.. 

.^ 

.^ 

3.  Inn.  ni.  Cum 

dil.  f.  coneaoo- 

aiena  .... 

— 

— 

— 

'— 

— 

vacai 

De  rescriptis  et 

0 

Interpret,  eo- 

• 

nim 



— 

— 

— 

-. 

1. 



— 

S.  23.  3. 

... 

2.  Id.Conqaerente 

dil.  fil.P.  Comp. 

— 

— 

— 

— 

— 

1 

682 


▼.   Schulte 


Codex  Faldenaia 

Cod.  Fttid.  D.  5. 

Conpil. 

Compil. 

D.  14.  Vennebrte 

Joh.  Gal. 

PetriBen. 

Compil. 

Notae 

Sammloog  dea  Cod. 
Fold.  D.  5. 

Haopt* 
aammlnng 

Anhang 

11. 

III. 

IV. 

3. 

- 

1.    1.    1. 

^^ 

▼aeat 

4. 

— 

— 

V.  2.    5. 

— 

vacat 

5. 

_ 

.^- 

— > 

n.  16.  t. 

— 

Taeat 

6. 

-^ 

.— 

— 

exm.5.3. 

— 

vacat. 

7. 

•— > 

.— 

— 

in.  5.  9. 

— 

Taeat 

8.  Id.  epo   etc. 

Laiid.    Consti» 

- 

tutus  i.  p.  n.  d. 

f.  n.H.8ubd.  V. 

ecd 

.— . 

— 

— 

— 

— 

9.  Alei.  III.  Re- 

cepimus     . 

— 

— 

V.  14.   1. 

— 

^^^M 

10.Inn.III.  Super 

eo  q.  ditcr.  t. 

« 

req.  Tide),  quid 

fac.  tit.  de  hie 

qai  captioDi 

b.  m 

.— 

— 

^- 

— 

— 

Taeat 

11. 

— . 

— 

» 

V.  21.  15. 

— 

Taeat 

12.  Id.  Päd.  epo. 

Intel),  ex  1.  t 

quod  cam  N. 

moDachus  s. 

Stephan!    .   . 

— 

tm^^ 

— 

— 

— 

13. 

ID.  9.  2. 

— 

— 

— 

Taeat 

j  De  consuetudine 

14—17. 

-. 

ift-19 

..— 

— 

— 

18. 

mm^ 

-~ 

—. 

V.    1.    3. 

— 

Taeat 

19. 

.— 

20 

— > 

— 

— 

20. 

— . 

— — 

— 

11.  17.  6. 

— 

21. 

_ . 

21 

-* 

-^ 

— 

22. 

— . 

— 

— 

m.  25.  2. 

— 

Tacit 

23. 

IV.  2.  an. 

— 

— 

— 

— 

Taeit 

24. 

IV.    I.   1. 

— 

— 

— 

— 

Taeat 

25. 

IV.  XI.  2. 

— 

— 

— 

— 

Tacit 

De  eo  qni  eogn. 

# 

cont.  uxor.  26. 

22 

Die  CompilalioDen  Gilberts  ond  Alanut. 


683 


Codex  Fuldeotis 

D.  14.  Vermehrte 

SammJvDirdesCod. 

Fold.  D.  5. 

Cod.  Fnld.  D.  5. 

Gompil. 

Joh.  Gal. 

II. 

Compil. 

PetriBen. 

III. 

Compil. 
lY. 

N  0  t  a  e 

Haupt- 
BammluBg 

Aohang 

De  matr.  eontra 

iDteeel.contr. 

CoeLIIL  Insin. 

nobis  q.  quid, 
paroeh.  27. 

— 

— 

— 

— 

— 

Bfiteell. 
p.373. 

Liber   tecundus 

- 

de  acensatt 

28. 

— 

23 

-« 

— 

— 

29. 

V.    1.   4. 

— 

— . 

— 

— 

Taeat 

30.Id.Sen.QiiOD. 

ex  dictie  tet- 

tiatn  .   .    •   * 

.- 

— 

— 

— 

— 

▼  aeat. 

31. 

— 

... 

— 

V.   1.    1. 

— 

▼aeat. 

De  tymonia.  32. 

Id.  Neapol.    . 

— 

— 

— 

— 

^ 

— 

areh.  et  e.  S. 

Laur.  in  Lq- 

eina 

— 

— 

— 

— 

— 

— 

p.  e.  Ap.  8.  le. 

Dil.f.in.Andr. 

prop.  t.  .   .   . 

— 

— 

— 

— 

— 

vaeat. 

De    iadeia.   33. 

Alex.  111.  p.  e. 

adhoeuniTer- 

sor.  Autt.  ap. 

inhib.  ne  qnis 

— 

— 

— 

— 

— 

vaeat. 

De   baereticis. 

34.  35. 

— 

54.  55. 

— 

V.    4.   3. 

— 

Tacat. 

De   bomieidio. 

36.  De  Infant 

— 

— 

V.   5.  un. 

— 

— 

raeat. 

37.  38. 

— 

24.  25. 

^^■^ 

— 

— 

39.  Id.  Cum  in- 

punitaa  teele- 

mm 

— 

— 

— 

— 

— 

▼aeat. 

De  aduHerii84a 

^^^ 

— 

— 

V-14.    2, 

^"^ 

▼  aeat. 

De  falsariis.  41. 

— 

26 

— 

— 

— 

De  eler.  non 

ord«  ministr.  42. 

— 

•^ 

•^ 

— — 

■^ 

) 

004 

F.     S 

ich  Ol  t« 

1 

Codei  Fttldentit 

D.  14.  Vermehrte 

Sammlong  des  Cod. 

Fuld.  D.  5. 

Cod.  Fold.  D.  5. 

Compil. 

Joh.  Gal. 

II. 

Compil. 

Petri  Ben. 

HI. 

Compil. 
IV. 

Notae 

Haopt- 
aammlong 

Anhang 

Id.  ep.  Lemovic. 

A  nob.  f.  ex 

• 

t.  p.  qaaes. 

quid  tibi  ftci- 

endum  erit  de 

quod.  u.  darin 

nie  autem 

qui  [c.  7.  X. 

1.21.]   .   .   . 

— 

— 

— 

— 

— 

De  eo  qui  fürt 

ord.  suscepit 

43. 

— 

— 

— 

— 

— 

Id.  epo  8.  Andr. 

Signißcantev. 

f.  n.  Andeg.   . 

— 

— 

—               — 

— 

De   priTilegiis. 

44.'€ontiDgit. 

Coel 

— 

— 

n.  14.  3. 

_ 

— . 

Alex.  m.  Patent. 

litt.  45. 

— 

— 

V.  14.  2. 

^^_ 

-— 

46. 

— 

_ 

.— 

I.    2.  5. 

... 

vaeat 

De  senf.  exconi. 

et  interdieto. 

47. 

— 

— 

_. 

.— 

_• 

Coel.  ni.  abba- 

tistae  de  Apia. 

ComproeaiMa 

quae  int.  dil. 

fil.    et   infra. 

Reete  agis  .    . 

Qaaeris  autem 

per  quem.  48. 

Inn.  III.  Ex  in- 

sin.  T.f.n.Co- 

limbric.  .   .   . 

— 

~ 

—. 

— 

i— ~ 

49. 

— 

— . 

y.  21.  9. 

... 

50. 

— 

— 

~.- 

[n.36.an. 

... 

51. 

— 

— 

— 

m.  16. 1. 

— 

52. 

^— 

— 

_           1 

V.  15.  t. 

raeai 

Dia  CompibtioneB  Gilberts  und  Alanut. 


685 


Codex  Fitldentis 

D.  14.  Vennelirte 

Sammlang  des  Cod. 

Fnld.  D.  5. 

Cod.  Fnld 

.  D.  5. 

Compil. 

Joh.  Oal. 

11. 

Compil. 

Petri  Ben. 

III. 

Haopt* 
Sammlung 

Anhang 

53. 

.^_ 

ai^i. 

, 

1.18.    3. 

De  supplenda 

negl.  praei.  •  ' 

— 



— 

— 

Idd.  III.  Elieen. 

Det  LiDt  arcb. 

Dorfa.  Lieet  d. 

f.mag.H.arch. 

Richem.  et  R. 
54. 
55. 

.... 

^^V 

, 

ni.  5.  1. 

Deretcripti8.56. 

Ne    promoti- 

m 

onis    .... 



^- 

— 

De  eoDSuetadine. 

, 

56. 

— 

— 

.m— 

I.  3.   3. 

Deelectione.  57. 





— > 

nL12.un. 

58. 



"^"^ 

.._ 

1.20.   4. 

De  usu  pallii  59. 



27 

..^ 

— 

De  qua! it.  ordi* 

■ 

nandor.      60. 



28 

— 

— 

De  eorpore  ti- 

tiatis         61. 

— 

29 

.— 

— 

De  clerieia  pe- 

regrin.       62. 

— 

30 

— 

— 

De   offieio   iadi- 

* 

eis  delegati.  . 



— 

— 

— 

63—66. 

1.  3.  c. 

3—6. 

— - 

— 

— 

Lac.  lU.  Noten. 

ep.  Quaes.  est 

ex  p.t,si  index 

Ordinarius  vel 

euimd.del.67. 

— 

— 

— 

— 

68.  69. 

31.  32. 

^^^^ 

CoeLAntiq.Ebo- 

racecel.dign. 

70.71. 

1 

— 

^^ 

Notae 


▼acat 

vaeat. 
Taeat. 
Taeat. 


▼  aeat 


vaeat 

mise.  p. 

375. 


686 


r.   8  0  h  «  1  t  e 


Codei  Fuldensis 

D.  14.  Vermehrte 

Sammlang  des  Cod. 

FuM.  D.  5. 

Cod.  Fnld.  D.  5. 

Compil. 
Job.  Gal. 

n. 

Compil. 
PetriBen. 

ni. 

Compil. 
IV. 

PCotae 

Haapt- 
sammlang 

Anhang 

De  his  qute  v.  m. 

c.  f.     72. 

— 

33.  34. 

-;— 

_ 

_. 

Deiudiciis.Älex. 

III.  Auct  »post. 

73. 

— 

— 

n.  1.  1. 

— 

— 

vacat 

De  causa  possei. 

etpropriet74. 

— 

35 

— 

— 

— 

75. 

n.  4.  1. 

— 

— > 

_ 

^ 

De  tesUmentis. 

Id.  Cantuar. 

areh.  etep.Ci- 

strensi.  Retulit 

D.A.presb.7^. 

— 

— 

_ 

_^ 

._ 

De  restit.  spoli- 

ttor.  J.  in.  ep. 

Mtttin.  et  mag. 

Amaneo.  Ex  1. 

d.    f.  arehid. 

Bon.          77. 

— 

— 

.. 

^.^ 

_ 

De   iureiarando 

78. 

11.12.   7. 

— 

^- 

— 

•— 

Tacat. 

79. 

— 

— 

— 

I.  1.    3. 

— 

De  sent.   et  re 

iud.  Coel.  HL 

In  his        80. 

^ 

— - 

V.  23.  an. 

.— . 

De  appellat.  Coel. 

m.    Licet  Sit 

•P 

— 

— 

n.  19. 19. 

.M 

.^ 

Honor.RsT.areh. 

Qoerim.  P.  du- 

cis.            81. 

—- 

_ 

M— 

^^ 

_^ 

Alex.  III.  Ad  au- 

res            81 

— 

„.^ 

11.19.   6. 

_ 

_ 

Alex.    in.     Ad 

and.           88. 

_» 

— 

n.  19.   7. 

«. 

mm^ 

De  eonf.  tttili  ?el 

inut.          84. 

I.  13.  4. 

^^^^^ 

— 

— 

— 

Tide  A. 

de  pritil.  1 

i 

Die  CompiUtioneo  Gilberts  ond  Alanut. 


887 


Codex  Foldenais 

D.  14.  Vennebrte 

Sinmhuig  de«  Cod. 

Fuld.  D.  5. 

Cod.  Fold.  D.  5. 

CompU. 

Job.  Gal. 

11. 

eompii. 

Petri  ^B. 

III. 

Conpil. 
IV. 

Notae 

Haopi- 
•unmlung 

Aabang 

De  bis  q.  f.  eb 

epo  eine  cons. 
eap.           85. 

— 

— 

n.  9.   2. 

— 

— 

Id  cod. 
InD.  m. 
Aquil.  p. 

• 

Id.  Ex  parte 

canonicor. 
Btigubinae. 

86. 

ni.i5.  1. 

De  decimis.  87. 
Ion.  III.  Ex  p.  dil. 
filior.  cap.alb*i 
88. 

36 

vacat. 

De    eooversioDe 
eoniugat  Urb. 
in.    priori    s. 
crucis.Exp.d. 
f.  n.  abb.   s. 
Petri         89. 

Mise.  p. 
876. 

De    TOto   et  voti 
redemt   .... 
90—93. 

— 

37-40 

— 

— 

— 

De    praebendis. 
94. 

fl^^» 

•» 

_ 

^^^ 

in.  3.  4. 

Tacat. 

De  aet.  et  qoal. 

praef.        9S. 
De  eonf.  uK  Tel 

iiiiit    96.97. 

— 

41 
42.  43 

^■^ 

— 

— 

De    rescriptis. 
98. 

OTB^ 

^^^ 

I.    2.   4 

• 

Tscat. 

De  ioreturando 
99. 

_ 

1 

^^ 

>.■» 

in.  7.  un 

▼  acat 

Id.  Nihil  est  pene 

qnod  magis  deb. 

form.O    100. 



— 

— 

— 

▼  aeai 

*>  Itai  rapra  ia 

Q.  V.  1.  ad 

eft. 

688 


T.   Schult 


Codex  Fnldensis 

D.  14.  Vermehrte 

Sammlong  dea  Cod. 

FQld.  D.  8. 


Cod.  Fold.  D.  5. 


De  test.  et  at- 
test         101. 
De  reguJaribut. 
102. 
Inn.  Cum    licet 
et  j.  Ei  p.  t 
quaes.estquod 
cum  N.  antf- 
cessor    tuus 
moo.        103. 
De  rescr.  Alex. 
IIL  Cum  cau- 
sam . .  Si  vero. 
104. 
Alex.    in.   Sup, 
consult.  et  j. 
Qood   enim 
105. 
106. 
Inn.    m.    Quam 
periculosum  . 
Inde  107. 
Mit 9 ur US  in 
mundum. 


HaupU 
samnBlung 


Anhang 


CoQpil. 

Joh.  Gal. 

II. 


Compil. 

PetriBen. 

III. 


n.  12.    4. 

m.  24.  7. 


pars,  c. 
I.   2.    5. 

pari  c.  V. 
10.  1. 


Conpil. 
IV. 


Natae 


raeai 

vacat 


vacaL 


vacat. 


vacat 
vacat 


vacat 


Die  Coapilationto  Gilberte  vnd  Alanoe. 


689 


Tabula  H. 


Cod.  Bruellamu 
bei  Theiaer 

Eatspridht  oach  Tbeiner  den  Capitela  der 

Die  Capp.  M» 
Comp».  11.,  UI., 

• 

IV.  tteben  Im 
Cod.  FoId.D.  5. 

Compil.  11. 

--      ■■           ■  -     ■     ^ 

Compil.  111. 

• 

CoapU.  IV. 

Buehl. 

• 

• 

Tit  i.  e.  an.  . 

I.    1.  un. 

.  "■" 

—  ' 

I.    i.  un. 

,    n.1.  • 

I.    2.1 

• 

. — _ 

* 

I.    2.  1 

II.  2.    . 

2.4 

• 

• 

2.  2 

n. 3.  . 

2.8 

• 

• 

4.    . 

— 

— 

— 

• 

5  .    . 

• 

*"^ 

— 

■  •■    • 

6.   . 

2.9 

•   • 

m 

• 

.  «                              ■      , 

Tit  m.  1  .  . 

3.1 

* 



I.    3,  1 

2  .   . 

3.4 

•             • 

• 

8.  2 

3  .    . 

5 

« 



3.  3 

.  4.   . 

6 

— 

*  — 

3.4   . 

5  .    . 

7 

.     .1  1 

• 

3/5 

6.  . 

7.  . 

8.  . 

• 
• 

— 

1.  3.  5 «) 

• 

.„_ 

„„^ 

• 

• 

9.    . 

— ^  • 

I.  6.    8 

• 

•  ■   • 

10.   . 

% 

I.  6. 13 

— 

1  • 

.  •    •         • 

11  •    . 

— 

1.5.    4 

-:— ' 

- 

Tit  IV.  1  ..    . 

I.    4.1. 

— 

I.    4.1 

2.    . 

4.2 

.— 

•     * 

4.2 

.     V.l.    . 

I.    5.  1 

— 

• — 

I.    5.1 

V.2.    . 

5.2 

• 

— 

1.    5.2  . 

3.    . 

3 

— 

■   — 

I.    5.  3  . 

4.   . 

• 

1.7.    1 

■    • — 

• 

5.   . 

-^ 

• 

m 

4 

6.    . 

— 

1.5.    1 

• 

I.    5.  5 

Vi.  UD.     . 

— 

1.5.    2 

' 

6.1 

Vll.  4  .   . 

— 

— 

^^^^— 

■ 

2.   . 

1 

• 

0  YieUeiebt 

1 

Dmekfebler  anati 

itt  8.,  die  Cod.  1 

^M,  als  1.  a.  6. 

bat 

• 

SiUb.  d.  phil.-bitt  Cl.  LXV.  Bd.  Hl.  Hft. 


46 


«90 


V.   8  c  h  H  1 1  e 


Cod.  Bnaelliuttt 
bei  Theiner 

•      • 

Entepriclit  nach  Theiaer  den  Capiteln  der  - 

1 
Die  Capp.  su 

Compil.  11.,  Hl., 

IV.  stehen  in 

Cod.  Fvld.  D.  5. 

Coinpil.  U. 

Compil.  ni. 

Compil.  IV. 

Bach  1. 

• 

TitVn.  3.   • 

I.    6.2 

— 

— 

7.3 

Vffl.  1  .   . 

I.    7.2 

— 

— 

ai 

2.   . 

7.1 

— 

— 

8.2 

3.   . 

— 

1.    9.5 

— 

8.3 

IX.  1  .   . 

I.    8.2 

— 

* 

9.1 

2.   . 

8.3 

—1- 

• 

9.2 

3.   . 

,       8.4 

— 

,9.3 

4.   . 

8.5 

— 

9.4 

5.   . 

— 

^- 

V.    6.1 

9.5 

6.   . 

— 

— 

— 

7.   . 

— 

II.   8.  1 «) 

— 

X.  1  .   . 

I.    9.3 

— 

— 

1. 10. 1 

• 

2.    . 

9.4 

— 

— 

10.2 

.   3.   . 

9.5 

— . 

— 

10.3 

4.   . 

— 

■ — 

— 

5.   . 

HI..  4.3 

— 

— 

in.  2.00. 

6.   . 

— 

"^"^  . 

— 

7,   . 

I.    9.1 

— 

— 

XL  un.    . 

1. 10.  an. 

— 

— 

Xn.  UD.    • 

I.  11. 1 

— 

— 

1. 12.  an. 

xm.  UD.  . 

— 

— 

— 

XIV.  1  .   . 

— 

— 

— 

2.    . 

— 

— 

1.23.8 

• 

XV.  1  .   . 

U.  18. 1 

_  — 

. 

2.   . 

— 

— 

— 

8.   . 

U.    2.7 

•  ^^ 

—^ 

4.   . 

I.  12.  3 

— 

• 

L1S.2 

5.   . 

— 

— 

— 

6.   . 

— 

— 

— 

7.   . 

V.  18.  9 

— 

— 

XVI.  1  .   . 

L14.2 

— 

— 

I.  14.  1 

2.   . 

— 

1.20.3 

— 

14.2 

XVII.  an.  . 

1. 15.  un. 

I.  15.  1 

^)  VieUeicht  Druckfehler  fOr  1. 

» 

,  8.  1.,  das  Cod.  Fttid.  als  I.  6.  2. 

1 
hat  Anf  gleidi« 

Weise  m« 

g  wegen  Druckfei 

ilem  EUnaelnes  n 

icht  stiOMMo. 

Die  Compilationen  Gilbert«  und  Alanus. 


691 


Cod.  BmzelUniu 
bei  Theiner 

Entspricht  nach  Theiner  den  Capiteln  der 

Die  Gap.  ans 
Compil.  11.,  III., 

IV.  stehen  im 
Cod.  Fuld.  D.  5. 

Compil.  II. 

Compil.  III. 

Compil.  IV. 

Buehl. 

TitXVffl.  1  .    . 

I.  16.  4 

— 

— 

2  .    . 

16.2 

— 

— 

15.3 

3.    . 

16.5 

— 

— 

15.4 

XIX.  UQ.     . 

1. 17.  un. 

— 

— 

16.  un. 

XX.  1  .    . 

I.  18. 1 

— 

-i 

17.  1 

2.    . 

18.3 

— 

— 

17.3 

3  .    . 

V.  21.  1 

— 

Anh.  31. 

4  .   . 

— 

I.  20.  4 

— 

1. 18.  un. 

XXI.  1  .    . 

I.  19.  un. 

— 

— 

19.  un. 

2  .    . 

— 

I.  23.  1 

— 

:                3.    . 

— 

I.  23.  3 

— 

1     xxn.  1 .  . 

— 

I.  25.  2 

— 

2.  . 

1 

1 

I.  20.  2 

— 

—- 

Tabula  I. 
Zasammenseteung  der  Comp.  IL  aus  Gilbert  und  Alanus. 


Der 
Comp. 
11. 

4 

Capitel  stehen  zuerst  in  der  CompUatio 

Gilbertus 

Gilbertus 

Alanus 

Alanus  C. 

Nicht  nach- 
gewiesen 
sind 

2 

• 

Tab.  A. 

ß. 

Tab.  C. 

Tab.  E. 

F. 

Haupt- 
Sammlung 

Anhang 

I. 

1 

_„^ 

-, 

cap.  un. 

^^^ 

^M^M 

^>^ 

2 

4 

— 

cap.  1.  5 

2.  ^-9 



— 

— 

3 

3 

4 
5 
6 

1.  4.  7 

2 

2.  3. 

2 

^ 

5.  6 

1 
1 

2.  3 



— 

— 

4 

— 



1 

— 

7 
8 

2 
2-6 

— 

1 

-^ 

1 

— 

9 

3.5 

— 

4 

2 



1 

— 

46* 


692 


ni. 

19 
»0 
21 

3.4.11-17 

- 

1. 9. 10 

2 

3 
1.2 

S.  8.  18 
an. 

1 
1—3 
1.2 

- 

- 

8.7.18 

Die  CompilatioDen  Gilbert«  und  Alanue. 


693 


Der 

Conp. 

II. 

Capitel  ateheo  snerat  in  der  Coapilatio 

Gilbertns 

Alanua 

Nicht  nach- 

gewieaen 

aind 

« 

in. 

• 

6 

Tab.  A. 

Tab.  C. 

Tab.  E. 

F. 

G.  Haapt- 
aammlung 

Anhang 

1 

2—4 

5 

_ 

^^^ 

7 
8 
9 

2.3 

— 

1.4 

— 

— 

110. 

1 

2 

^.^ 

__ 

„^ 

.^ 

10 

1 

2 

— 

— 

— 

11 

— 

2 

1 

— 

— 

— 

1 

12 

— 

UD. 

— 

m^^ 

— 

— 

13 

2 

1 

— 

— 

— 

— 

14 

— 

1 

— 

«^—v 

— 

— 

2 

IS 

3 

— 

1.2 



— 

— 

16 

— 

un. 

— 



— 

— 

17 

4.7 

2.  5.  6 

1.3.8 

— 

— 

— 

18 

3.5 

4 

— . 

— 

2.6 

— 

1 

19 

2.4 

3 

._ 

.^_ 

1 

— 

20 

1.2 

— 

— . 

^m^ 

— 

— 

21 

4 

— 

«_ 

__ 

1—3 

— 

22 

1.6 

— 

2.3 

__ 

— 

— 

4.5 

23 

2 

— 

1 

__ 

— 

— 

24 

1.2 

— 

— . 

•_ 

— 

— 

25 

4 

— 

1— S 

_ 

— 

— 

26 

1 

— 

2.5 

— ^ 

— 

3.4 

27 

— 

— 

1.2 

_ 

— 

•— 

IV. 

1 

2.5—8 

— 

1 



— 

— 

3.4 

2 

— 

an. 

— 

— 

— 

— 

3 

— 

8 

1.2 

— 

— 

— 

4 

— 

1 

2 



— 

— 

5 

1 

2 

— 



— 

— 

6 

1—3 

.— 

.i.. 

_- 

— 

— 

7 

1—4 

— > 

^— 

._ 

— 

— 

8 

— 

2 

1 

._ 

— . 

— 

9 

3 

1.2 

— 



— 

— 

10 

— 

vn. 

-^-B 

—^ 

— 

— 

11 

— 

— 

1.2 

— 

— 

— 

12 

1.2.4.5 

3 

-— 

_ 

— 

— 

13 

1.2 

— 

— 



— 

— 

14 

2 

1 





— 

— 

15 

"^^ 

un. 

^■~ 

■^~ 

"^ 

^■^ 

694 


T.  Schalte 


Der 

Comp. 

U. 

-   Capitel  etehen  soerst  io  4er  CorapUatio 

Gilbertot 

Alanoa 

Nicht  nach- 

gewietea 

sind 

%m 

1 

n3 

i 

Tab.  A. 

Tab.  0. 

Tab.  B. 

F. 

G.  Hanpf- 
•ammluBg 

Anhang 

V. 

1 

2 

3 

4 

5 

6 

7 

8 

9 

10 

11 

12' 

13 

14 

15 

16 

17 

18 

19 

20 

21 

22 

23 

1.2.5.6.9 

2 

1.2 

uo. 
un. 
1.2 
31) 

[un.«] 

3.2 

i— 10. 12-15 

1.2 

1.2 

7.8 

1.4.5 
l.a-5 

1—3 

3.  4. 10 

un. 
2.3.6 

un. 

1.2 

un. 

4 

11 

un. 

1 
2 

un. 

• 

1.2 
un. 

un. 
1 

») 

Hoc 
ria 
Hoe 
pUa 

cap.  in  CoB^.  U 
m  exstaty  ad  rer 

capvt  ideal  est  q 
tione  ir.  bia  habe 

.  ■•eribitnr  Clem.  III.,  in  Cod.  Ion.  111.  Qaod  apud  Rnyne- 
bora  consonat.  Ino.  111.  fortaaae  Clem.  decretalem  iBBOTtfit 
aod  in  V.  8.  2.  habetur,  qaare  repeti  non  opoKebat ;  in  com- 
tar. 

Die  Coropilationeo  Gilberts  nnd  Alanua. 


695 


Tabula  K. 

Zusammensetzung  der  Compil.  III.  aus  Gilbert 

und  Alanus. 


Der 
Covp. 

Capitel  kommen  bereits  (saerst) 

•                    1 

Tor  In  GoIlecUooe 

m. 

Oilberti 

' 

Alaot 

HatiD 
d.  Com- 

• 

3 

Tab.  A. 

B. 

Tab.  C. 

D. 

Tab.  E. 

Tab.  F. 

Tab.  6. 

1 

pil.  III. 

•j 

H 

^ 

Capitel 

I. 

i 

^>^ 

^^^ 

H^H* 

1 

3 

5 

2 

— 

— 

^ 

— 

1.24.5.7.8 

— 

— 

— 

13 

• 

3 

— 

— 

— 

_ 

1.2 

3 

-r- 

— 

7 

4 

— . 

— 

— 

— 

1.2.3 

— 



— 

5 

5 

— 

— 

1.2 

— 

.    12. 13 

— 



— 

4 

6 

4 

— 

6 

-i- 

6. 8. 16 

—^ 

3 

— 

19 

7 

— 

— 

— 

— 

—— 

.. 

— 

— 

3 

8 

1.2 

— 

— 

— 

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3 

— 

3 

9 

5 

— 

— 

— 

~— 

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— 

6 

10 

— 

— 

^— 

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... 

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— 

UD. 

11 

— 

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— 

— 

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— 

— 

uo. 

1 

12 

— 

— 

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._ 

.. 

„.^ 

• 

un. 

13 

— 

2 

— 

— 

1 

— 

— 

2 

14 

1 

-^ 

— 

— 

— 

• 

— 

2 

15 

— 

— 

— 

— 

*.. 

_ 

— 

— 

an. 

16 

— . 

~— 

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K^ 

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2 

— 

2 

17 

— 

>— 

« 

1-^ 

.^ 

» 

... 

— 

un. 

18 

— 

5.6 

• 

•  .— 

1.7 

7 

_ 

3 

11 

19 

— 

— 

■—— 

— 

2 

^.■ 

3 

^ 

5 

20 

• 

— 

3.4 

— 

2.5 

~— 

• — 

— 

6 

21 

— 

— 

-^^ 

... 

3 

-m» 

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— 

5 

22 

■  — 

— 

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2 

m^m. 

— 

— 

2 

23 

— 

1 

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2 

■  ^^ 

— 

— 

— 

3 

24 

— 

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— . 

• 

8 

_ 

— 

— 

4 

25 

« 

— 

.... 

2 

^_ 

1 

— 

— 

4 

n. 

26 
1 
2 

— 

— 

— 

— 

8 

• 

— 

— 

— 

un. 
3 
5 

„^ 

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3 

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1 

... 

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— 

— 

5 

4 

M*. 

— 

— 

— 

— 

* 

■  — 

— 

un. . 

Ir  1 

CipiUI 

koam«. 

bar 

iU  (iMrit)  TOt  1 

.        1 

Bilii 

r 

pfl.m. 

CipIM 

- 

4 

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Die  Compilationen  GilberU  und  Alanot. 


697 


Der 

Comp. 

III. 

Capitel  kommen  bereits  (tuerst) 

Tor  in  Collectione 

Gilbert! 

Alani 

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Tab.  C. 

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Tab.  E. 

Tab.  F. 

Tab.  6. 

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698 


y.    Schulte,    Die  CompilatioDen  Gilberts  und  Alaniu. 


Der 

Capltel  komnen  bereits  (laerst) 

▼or  iD  Collectione 

Comp. 

m. 

Gilbert! 

Aluii 

Hat  in 

• 

3 

Tab.  A. 

B. 

Tab.  C. 

D. 

Tab.  E. 

Tab.  F. 

Tab.  0. 

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10 

S a  c  h  a Q ,  Zur  fiUesten  Geacbichte  dea  muhammedanischen  Rechts.        609 


Zur    ältesten   Geschichte    des   muhammedanischen 

Rechts. 

Von  Ed.  Sachau. 

Alles  muhammedanische  Recht  ist  in  letzter  Instanz  auf  zwei 
Grundlagen  zurückzufuhren:  auf  geschriebenes  Gesetz  und  Prä- 
cedenz.  Das  erstere  ist  der  Koran,  d.  h.  nach  muhammedanischer 
Auffassung  «die  durch  Mul^ammad  geoffenbarte  göttliche  Welt- 
ordnuDg**»  das  zweite  ist  das  Leben  des  Propheten,  die  Richtschnur» 
der  Weg  (SunnaJ  für  alle  seine  Anhänger»  oder  genauer  definirt: 
seine  sämmtlichen  mundlichen  wie  schriftlichen  Ausspruche  und 
Verordnungen  («JyiSI)»  alle  Acte  seines  öffentlichen  wie  privaten  Le- 
bens (^JmÄII);  alle  diejenigen  Fälle»  in  denen  er  weder  durch  einen 
Ausspruch  noch  durch  ein  actives  Eingreifen  ein  Präcedenz  schuf» 
sondern  durch  ^Stillschweigen*  seine  Übereinstimmung  und  Sanc- 
tion  ertheilte  (jf^ull).  Durch  die  Reihenfolge  dieser  drei  Bestand- 
theile  der  Sunna  —  l^aulj  fi*ly  takrtr  —  ist  zugleich  die  graduelle 
Verschiedenheit  in  der  Beweiskraft  derselben  für  die  Rechtsdeduc- 
tion  {^j^\)  angezeigt «). 


<)  Dictionaiy  of  TeehnietI  Terms ,  S.  V*r  ,  erUIrt  Sunni    i#d  Vlil  ^^  J  J^^  ^ 

j,j:^\  J-i^l  ^jJ.\  J^^  Jy  ^  Ji^^j^  1-5  aJc  aUIj 

ITiMÜCi  begreift  im  Gegensats  za  Sonni  nur  den  4ratf/i.  i.  0.,  S.  V*l,  Z.  8    J^^ 

i  i-jj.1 .  y  jlJI  .  jyiij  >üi  g,u  ^jJLi  -^  pl  (.c.  iui) 

JLiill  1)  Jj^-    Ober    J»yt3l    in   dleaer   Bedeutang  Tergl.    Seleebqry,    On 

•  •• 

the  aelence  of  MntUm  tradition  in  Joamal  of  the  American  Oriental  Society  VH,  86: 


700  Sachau 

Hit  dem  Koran,  der  kurz  nach  Huhammad*s  Tode  gesammelt, 
dann  aber  A.  H.  30  (651)  in  einer  kanonischen  Redaction  für  alle 
Zeiten  festgestellt  wurde,  und  mit  einer  grösseren  oder  geringeren 
Anzahl  von  Traditionen  im  Gedaehtniss »  zogen  die  ältesten  Anhinger 
der  neuen  Lehre,  die  welche  Muhammad  persönlich  gekannt  ^die 
Genossen** <)  noch  zu  seinen  Lebzeiten  und  unter  seinen  Nachfolgern 
über  die  Grenzen  Arabiens  hinaus,  um  innerhalb  eines  Jahrhunderts 
Asien  und  Afrika  vom  Oxus  und  Indus  bis  Marokko  zu  überfluthen 
und  überall  den  Islam  als  allein  herrschendes  Gesetz  zur  Aner- 
kennung zu  bringen.  Die  kleine  Theokratie  in  Medina ,  die  man  sich 
etwa  wie  das  Wahhabiten-Reich  um  die  Mitte  des  vorigen  Jahrhun- 
derts zu  denken  hat,  war  zu  einem  Weltreich  geworden.  Wer  nickt 
zum  neuen  Glauben  vom  einigen  Gott  und  seinem  letzten  Propheten 
übertrat,  konnte  sich  durch  freiwillige  Unterwerfung  eine  Art  Meto- 
kenthum  erkaufen,  das  ihm  Sicherheit  der  Person  und  des  Eigen» 
thums  garantirte;  that  er  keins  von  beiden,  so  musste  das  Schwert 
zwischen  Tod  oder  Leben,  Freiheit  oder  Sklaverei  entscheiden. 
Nach  dem  Koran  und  der  Sunna  wurde  über  jeden  streitigen  Fall 
zwischen  den  Gläubigen,  wie  zwischen  Gläubigen  und  Ungläubigen 
abgeurtheilt. 


Slaoe,   Ibn  Rhald(kn*8   Prolegomenen ,   Obertetiany   HI,   S.  7  aad    477;    Die- 
tionary   of  Technical  Termt  S.   ffA  u.  d.  W.    &U>Jil  wird  Sanna  umschrieben 

djirch^yiZlI^O^CJlji  JUsil  ^i  Jlyi^l  Cber  die  rertchiedeoe  Beveit- 

kran    der   drei   TbeUe  t.  Dictionary  8.   V*1:  J^  ^^-^1^  kS^  Jj*^^^ 

.Das  »Wort*  hat  ttirkere  Beweiskraft  fflr  die  Rechtsdednction  nls  die  .Thal«. 
weil  die  «That*  sich  immerhin  als  ein  ausschliesslich  dem  Propheten  eigentkSndiches 
darstetten  kann;  die  j^That"  ist  stirker  in  dieser  Besiehnng  als  die  lyStacUoB  dorcb 
Stillschweigen*  ,  weil  bei  dieser  MögUchkeiten  (der  Dentnng)  sich  ergeben,  die 
bei  der  „That*  nicht  Torkommen  können.*  Deshalb  sei  anch  von  einigen  die 
Beweiskraft  des  Takrtr  im  allgemeinen  bestritten. 

*)  Die  technische  Erktirung  Ton  «Genoase''  ist    1p  OU^  ^  \^y*  2^   «^  ü^ 

A  jL»jl  „wer  mit  dem  Propheten  snsammengetroffen  und  swar  glaubend  sn  iha 

(d.  h.  seine  göttliche  Mission),  und  im  Islam  gestorben  ist*.  Dictionary  of  Teehnicil 
Terms  8.  A»V. 


Zur  iltesten  Geschichte  des  mubammedanischeii  Rechts.  70  i 

Die  Generation  der  MGenossen**»  der  einzigen  Auetoritäten  der 
zweiten  Quelle  des  muslimischen  Rechtes ,  starben  aus  mit  dem 
Jahre  100  d.  Fl.  i)  Die  nächste  Generation  derer,  die  die  Genossen 
kannten  —  „die  Nachfolger**  —  nahmen  in  den  zahilosen  Rechts- 
tallen, für  die  ia  Koran  und  Sunna  nicht  vorgesehen  war  und 
naturgemäss  nicht  vorgesehen  sein  konnte»  ihre  Zuflucht  zu  solchen 
Ansichten  und  Verordnungen  der  Genossen ,  die  von  diesen  einhellig 
getheilt  und  bei  ähnlichen  Anlässen  verordnet  waren  (L\tC^\  9\^  <}. 
Die  Verehrung  gegen  den  Propheten  wurde  auf  die,  die  ihm  nahe 
gestanden,  ausgedehnt  und  dasjenige,  was  sie  gesprochen  und 
gethan,  als  von  seinem  Geiste  gefragten  aufgefasst  und  zum 
Gesetz  erhoben.  Diese  ^Übereinstimmung  der  Genossen**  ist  ein 
ergänzender  und  commentirender  Nachtrag  zu  Koran  und  Sunna, 
der  von  den  Muhammedanern  als  dritte  Rechtsquelle  bezeichnet  zu 
werden  pflegt.  Shahristjint  >)  und  Ihn  Khaldün  suchen  die  Gesetzes- 
kraft derselben  durch  die  „Infallibilität  der  Gemeinde  der  Gläu- 
bigen**  (apI^I  Ac^^p,  IZ^  il»\i\  Ä^^l  Prolegomenen ,  ed. 
Quatrem^re  III,  17.   19)  zu  erhärten,  wogegen  aber  einzuwenden 


*)    AIm  den  xnietzt  gestorbenen  Ton  den  Genossen  bexeichnet  Ihn  Katsib«,  c^w 

KJfj\A\  S.  IVr  den  *Ab(k-'ltufai] ;  er  starb  nach  100  d.  Fl.;  das  Jahr  ist  nicht 

bekennt. 
<)   ^dr-atoharfat  ('Ubaid-allAh  b.  Mas' Ad  Almahb&br  Albuhlrf,  gest.  747)  erkürt  den 

'Ifcmi'  als  Jj^  r^=^  J^X^^  J  X^l^  ^  J'J^'  J^"l 
0 Übereinstimmung  der  Mugtahids  unter  der  Gemeinde  Mu^ammad*s  in  einem 
Zeitalter  über  eine  rechUiche  Bestimmung*'  Dictionary  of  Technical  Terms,  S.  XTK 
Von  besonderer  Bedeutung  sind  hier  die  Entscheidungen  der  ersten  Wer  Chalifen, 
die  bei  aUen  wichtigen  Angelegenheiten  die  Genossen  zu  Rathe  zogen,  z.  B.*AbA  Bakr 

über  die  Bekfimpfnng  der  dJ^I  ,J>1  (DamM,  c>[^i  ^l«>^  «  U  S.  4.) ,    'Omar 

bei  der  Vertheilung  der  Dotation  aus  dem  Staatsschatz  und  der  zu  diesem  Behuf 
anzulegenden   Register    aUer    derer,    die     darauf    Anspruch    hatten    (BalAjurt 

^jliiil  i^Uj  ,    ed.  de  Goeje  8.  ii^). 
<)  Shnhristilnr    (J^^^  J^'  ^^^  ^^'  ^^i^^^on  S.    SoV)  stutzt  seinen  Beweis  auf 

eine  Tradition  Äl^UJI  ^  ^1  M^  1.  Bine  Tradition  ihnlichen  Inhalts 
citirt  Muhammad  b.  Alhasan  (Sprenger,  Zeitschrift  der  Deutschen  MorgenlSn- 
dinchen   Gesellschaft   X,  6)  ^^^«»-  aUI  ^  y^  \^m^  Ü^iUI  ^Ij  ^- 


702  Sachau 

ist,  dass   die  Genossen   nicht  ,,die   Gemeinde^,  sondern  nur  ein 
kleiner  Bruchtheil  derselben  waren. 

In  diesem  Jahrhundert  der  Genossen,  Sem  ersten  der  Flucht 
sehen  wir  die  frühesten  Keime  sprossen,  aus  denen  sich  später  die 
Wissenschaften  der  Muhammedaner  entwickelt  haben.  Im  allge- 
meinen war  dies  Zeitalter  des  unausgesetzten  Kampfes  gegen  die 
Ungläubigen,  des  Umsturzes  alter  und  der  Begründung  neuer 
Reiche,  sowie  der  heftigsten  ParteikSmpfe  dem  Aufkommen  von 
Bestrebungen  geistiger  Art  durchaus  feindselig.  Auch  waren  die 
meisten  der  Genossen  nach  dem  Muster  des  Propheten  selbst  des 
Lesens  und  Schreibens  unkundig;  und  dazu  kommt  noch,  dass  bei 
vielen  die  Religion  nur  Aushängeschild ,  dagegen  Selbstbereicherung 
um  jeden  Preis  der  wahre  Zweck  aller  Bemühungen  gewesen  zu 
sein  scheint.  „Ihr  Hauptgeschäft  war  ausschliesslich  die  Bekämpfung 
der  Griechen  und  Perser.  Und  Gott  Hess  die  Gläubigen  viele  Ero- 
berungen machen,  und  gi*oss  wurde  die  Zahl  der  Gefangenen  und 
die  Masse  der  Beute**.  Shahrist&nf  S.  \T 

Dieselben  Ursachen  aber,  iii  dem  Aufblühen  von  Wissen- 
schaften im  allgemeinen  ungünstig  waren ,  liessen  frühzeitig  ein  Ein- 
gehen auf  Rechtsfragen ,  die  Entwickelung  der  in  Koran  und  Sunna 
vorhandenen  rechtlichen  Elemente,  kurz  die  Begründung  einer 
Rechtswissenschaft  als  praktisches  Bedürfniss  empfinden.  Unermess- 
liche  Reichthümer  strömten  aus  den  eroberten  Provinzen  nach 
Medina^}  und  später  nach  Damaskus.  Wenn  ein  Muslim  im 
Kampfe  fiel,  in  welchen  Quoten  war  die  Erbmasse  unter  die  oft  sehr 
zahlreichen  Mitglieder  seiner  Familie,  die  Ascendenten  und  Descen- 
denten  der  verschiedenen  Frauen  zu  vertheilen?  Konnte  eine  schwan- 
gere Frau  für  ihr  noch  ungebornes  Kind  einen  Erbtheil  bean- 
spruchen? und  welchen?  u.  s.  w.  In  der  That  ist  das  Erbrecht,  das 
späterhin  wegen  der  dazu  erforderlichen  Fertigkeit  und  Kenntniss 
der  Rechnenkunst  (i^Lj.)  Iß)  als  eine  besondere  Wissenschaft 
betrachtet  wurde»),  früher  als  irgend  ein  anderes  von  den  Huham- 
medanern  ausgebildet.  Von  Zaid  b.  Täbit,  dem  Secretär  Muhammad*«; 


0   Einen  annähernden  Begriff  davon  g-ibt    das  Capitel  fiber  den   'AfA'  bei  BnlAd«rw 

^^1  ^\^  S.  ÜA  ff. 
*)   Vgl.  n>n  RbaldAn,  Prolegomenen ,  Übertetzung  III,  S.  21.  ISS. 


Zur  filtesteo  Geschiebte  des  mohsinroedaDischen  Rechts.  703 

und  der  ersten  drei  Chalifen,  heisstes,  dass  er  unter  den  Genossen 

der  beste  Kenner  des  Erbrechts  (pf*^^)  gewesen  sei;  auch  dem 
Vetter  des  Propheten  Ihn  'AbbAs  wird  ein  gleiches  nachgesagt  0- 
^Und  wir  sehen ,  mit  welchem  Bemuhen  die  Genossen  durch  Analo- 
gien Rechtsnormen  zu  eruiren  suchten,  speciell  in  erbrechtlichen 
Fragen,  z.  B.  Ober  das  Erbrecht  der  Bruder  mit  dem  Grossrater  und 
über  das  Erbrecht  der  ferneren  .Verwandten**.  So  Shahristänt  11 
und  derselbe  S.  \  T  „Zur  Zeit  Omar 's  kamen  viele  Differenzen  auf 
Ober  Fragen  der  Erbschaft  des  Grossvaters,  der  Brüder  und  der 
ferneren  Verwandten;  Ober  die  für  Verwundung  der  Finger,  für 
ausgeschlagene  Zähne  zu  leistende  Sühne  und  über  einige  andere 
Punkte  des  Strafrechts ,  Ober  die  kein  Text  (in  Koran  und  Sunna) 
Torkam'*.  —  Ausser  dem  Erbrecht  waren  es  die  Verhältnisse  zu  den 

Unterworfenen,  die  sich  auf  Grund  eines  Vertrages  (U^)  ergeben 

hatten  oder  mit  Gewalt  (^^)  bezwungen  waren,  Verträge  zwischen 
Muslims  und  solche  zwischen  Muslims  und  Fremden,  überhaupt  die 
tausendfachen  Beziehungen  einer  Familie  nebst  Sklaven  und  dienten 
(Jl^),  eines  sich  constituirenden  Staates  bestehend  aus  den  Herren 
des  Landes  .und  Metöken  (f^  j)  —  sämmtlich  Dinge,  über  die  in  Koran 
undTradition  sich  mehr  oder  weniger  ausfuhrliche  Vorschriften  finden, 
die  mSchtigsten  Triebfedern  für  den  Ausbau  der  gesamroten  Juris- 
prudenz. Die  Unzulänglichkeit  der  beiden  Rechtsquellen  Koran  und 
Sunna  nebst  der  Übereinstimmung  der  Genossen  wurde  allgemein 
empfunden,  und  man  bemühte  sich  nach  bestem  Wissen  und  Gewissen 
aus  den  vorhandenen  Textstellen  (^^y^)  für  diejenigen  Fälle, 
Ober  die  kein  Text  vorhanden  war,  rechtliche  Bestimmungen  abzu- 
leiten. Und  hiermit  sind  wir  an  dem  Punkte  angelangt ,  wo  sich  die 
Rechtskunde  als  ein  selbstständiges  Moment  von  der  blossen  Kenntniss 
des  Korans  und  der  Tradition  ausscheidet. 

Bevor  wir  nun  bis  zur  Ausbildung  der  ersten  Systeme  des  ge- 
sammten  Rechts  in  der  ersten  Hälfte  des  zweiten  Jahrhunderts  diesen 
Faden  weiter  verfolgen,  wird  es  forderlich  sein,  den  Zustand  der 


0  Nawewt  »UwÜ  wuj^  c^llTs.  Xö\  und  ö\. ,  Z.  10;  S.  TOl 


704  Süchau 

praktischen  Rechtspflege  während   dieses  Zeitraoms  in  die  Unter- 
suchong  hineinzuziehen. 

Justiz  und  Administration  scheinen  ursprunglich  bis  zu  einem 
gewissen  Grade. getrennt  gewesen  zu  sein ;  schon  in  der  ältesten  Zeit 
wurden  Richter  neben  den  Gouverneuren  in  die  Provinzen  ge- 
schickt. So  erzahlt  ShahristAnt  S.  too,  dasr  Muhammad  seioen 
Schwiegersohn  'Alt  als  Richter  — -  Kidt  —  nach  Jemen  gesandt 
habe<).  Lehrreich  ist  die  durch  die  beiden  Sal^t|i  verbürgte  Nach- 
richt (Nawawt  olt  Z.  1.  ShahristAnt  a.  a.  0.*)»  dass  der  Prophet 
den  Hu*2d  b.  Gabal  nach  Jemen  sandte  und  ihm  die  richteriiche 
Instruction  ertheilte :  in  allen  streitigen  Fällen  in  erster  Instanz  nach 
dem  Koran,  in  zweiter  nach  der  Sunna,  in  dritter  nach  eigenem 
besten  Wissen  und  Gewissen  zu  entscheiden.  Mit  Recht  bemerkt 
Ihn  KhaldOn  (Slane*s  Übersetzung  S.  2),  dass  nicht  alle  Genossen 
eine  solche  Kenntniss  der  Offenbarung  und  der  Sunna  besassen ,  die 
sie  zur  Lösung  von  Rechtsfragen  befähigte,  sondern  dass  dies  le- 
diglich denen  zufiel,  die  den  Koran  wussten,  den  sogenannten 
^Lesern**.  Einige  von  ihnen  werden  als  besonders  geschickt  in  der 
Unterscheidung  zwischen  Recht  und  Unrecht  bezeichnet;  unter 
diesen   der   eben  erwähnte  Mu'idb.  Gabal,  von  dem  Nawawt  o*V* 

Z.  9  sagt:  J^  ^  jU,  ^1^1^  J^l  (sc.  iljll)  -«U^^.  ond  o"V» . 

z.  1 :  *111  J^— y  a»ft  Je  ö^  lylT  j,jJI  j».|  *:*  M  j^^  JL*.^ 

„Und  Mu'id  war  einer  von  denen ,  die  zur  Zeit  des  Propheten  Rechts- 
bescheide ertheilten."  M.  kämpfte  für  den  Islam  schon  bei  Badr  und 
wurde  im  Jordanlande  hinweggerafft  von  der  grossen  Pest  A.  H.  18, 
die  sich  von  'Amawis  zwischen  Jerusalem  und  Ramla  über  ganz 
Syrien  ausbreitete,  und  der  so  viele  der  Genossen  zum  Opfer  fielen 
(Ihn  Kutaiba  \X .  und  \\\ \  JAkAt  Vl^).  Mu'äd  starb  in  einem 
Alter  von  33,  nach  andrer  Angabe  (WäVidt)  von  38  Jahren. 

Als  rechtskundige  Männer  werden  ferner  angeführt   von  den 
Muhä^irs:  'Omar,  'Otmän,  'Alt,  von  den  'Ansär:  'Ubai  b.  Ka^b  und 


1)    MAwardt  8.  III. 

*)  Vgl.  BalAdnHS.1^Z.  5.  4.  t.u.;  MlwirdtS.  1 1 .  Über  die  lostnictioii ,  die  'Omar  de« 

*Abft  MAsA  Arub'artflber  denselbcD  Gegenstand  ertbeilte,  s.  J.  t.  Hamnier,  Ober  die 

Lindenrerwaltnng  unter  dem  Cbalifate ,  S.  206. 


Zur  ältesten  Geschichte  des  mahammedRaischen  Rechts.  705 

Zaid  b.  Täbit  (Nawawf  olt).  Der  Überlieferer  Masrük  (gest.  64) 
lässt 'Otmiu  aus  und  fügt  hinzu:  „*AbdallJih  (b.  Mas'äd)  und  *Abä 
Msi  Al^ash'ari  (Nawawt  U I  Z.  3  v.  u.).  'Abdallah  (gest.  32) 
verwaltete  das  Riehteramt  und  den  Staatsschatz  Ton  Küfa  för  'Omar 
und  zu  Anfang  der  Regierung  *OtmJin*s  (Ibn  Kutaiba  \  TA).  'Ali  b. 
Almadfnt  (gest.  258)  hebt  besonders  die  drei:  'Abdallah  b.  Mis'Qd, 
Zaid  b.  Tibit  und  Ibn  'Abbäs  hervor  t).**  Von  dem  letzteren  heisst  es 
(Nawawl  Tof)  ,  dass  er  „gut  bewandert  war  in  den  Entschei- 
dungen des  'Abä  Bakr^  'Omar  und  'Otmin** ,  und  dass  er  mehr  als 
irgend  ein  anderer  der  Genossen  Rechtsbescheide  ertheilte  (Nawawt 
ToT).  Dass  Ibn  Abbäs,  besonders  aber  Zaid  b.  Täbit  die  Auetori- 
täten  für  erbrechtliche  Fragen  waren,  ist  bereits  oben  erwähnt. 

Die  Verdienste  'Omar*s  um  die  Entwickelung  des  muhammeda- 
nischen   Staates  harren   noch  einer  eingehenden  Darstellung   und 
Würdigung.  Sowie  er  die  Finanzen  des  stets  «anwachsenden  Staats- 
kolosses ordnete  und  das  Steuerwesen  aller  Provinzen  organisirte^ 
wandte  er  auch  seine  Sorgfalt  der  Rechtspflege  zu.  In  alle  Städte 
von   einiger  Bedeutung  sandte  er  nebst  den  Statthaltern  Richter; 
auch   den  einzelnen  Heerhaufen  wurden  Richter  beigegeben.   Die 
Awä'il  -  Literatur    hat  uns  eine  Notiz  über  die  ersten  Richter  des 
Islams  erhalten  (Ihn  Kutaiba  TVl).  Danach  war  der  erste  in  Medina 
Abdalldb  b.  Naufal,  in  'IrJik  und  zwar  in  Madä*in  Salmän  b.  Rabt*a 
(Ibn  Kutaiba  TTI);  unter  den  Stämmen,  die  Käfa  gründeten  (Ende 
16  d.  Fl.)  'Abu  Karra  Alkindt,  nach  ihm  Shuraih  b.  Alhirit  Alkindl 
(gest.  79  —  Ibn  K:utaiba  a.  a.  0. ;  <J>U1  J^  ed.  de  Jong  S.  At) ; 
in  Ba^ra  Ka'b  b.  Suwär  Al'azdt  (Ibn  Kut.   XWy  Ka'bfielin  der 


1)   Damlri,  i>\j^\  11^  (ed.  BaJak.  1284)  I,  S.  1^:  J^  ^  sS^  O^  O^  S^ 
SiUb.  d.  phiL-hist.  Ol.  LXV.  Bd.  111.  Hit.  47 


706  Sachau 

j^Kameelsschlacht*"  Ä.  H.  36;  das  Recht  der  vierten  Nacht  (s.  Tor- 
nauWy  das  moslemische  Recht  S.  72)  durfte  auf  ihn  zurOckzofuhren 
sein.   *AbA   MAsä  AKash^art  fungirte  für  'Omar  als  Richter,  später 
als  Statthalter;  sein  Sohn  *Abü  Burda  (gest.  103)  war  Richter  Ton 
Küfa  und  dessen  Sohn  Biläl  h.  *Abt  Burda  Richter  von  Ba^ra  (Ibn 
Kutaiba   TAY  und    Ifl;  Latä*if-almalrif  1).  Als  ein  instnictives' 
Beispiel  eines  Richters  dieser  Zeit»  der  an  der  Spitze  eines  Heeres 
die  Ungläubigen  bekämpfte »  zur  Zeit  der  Ruhe  ftir  streitende  Par- 
teien zu  Gericht  sass  und  daneben  noch  Zeit  fand ,  über  juridische 
Oistinctionen  nachzudenken,  fuhren  wir  den  obengenannten  Salinen 
b.  Rabf  a  Albähilt  oder  Salmän  Alhail  an.  Als  gegen  Ende  der  Re- 
gierung *AbA  Bakr*s  die  Armee  in  Mesopotamien  unter  dem  Oberbefehl 
des  *Abü 'Ubaid  vernichtet  war,  sandte  *Omar  den  Sa'd  b.  *Abt  Wakküs 
dahin  (A.  H-  1^)  und  befahl,  dass  von  der  syrischen  Armee  ihm  ein 
Hülfscorps   zugesendet   werde.   Unter    diesem   Corps   befand    sich 
Salmän,  der  sich  vordem  an  der  Eroberung  Syrien's  betheiligt  hatte. 
Er  kämpfte  in  der  siegreichen  Schlacht  «bei  Kädesia  (A.  H.  16), 
wo  er  eine  persische  Standarte  nahm,  zog  dann  mit  in  Madd*in  ein 
und  verwaltete  hier  das  Richteramt.   Madä*in  wurde  nach  kurzem 
Aufenthalt  wieder  geräumt  und  Salmän  als  Richter  nach  Kflfa  ge- 
sandt (vermuthlich  Anfang  17   d.   FL).    Hier    blieb    er   aber   nur 
40  Tage  und  kein  einziger  Streit  kam  vor  sein  Forum.  Nun  veriieren 
wir  Salm&n  für  einige  Jahre  aus  den  Augen.  Als  dann  späterhin 
Habtb  b.  Maslama  Alfihrt  gegen  die  Armenier  und  ihre  Verbündeten 
von  'Otm&n  Hülfe  verlangte ,  bekam  SalmAn  in  KAfa  den  Befehl,  an 
der  Spitze  von  6000  Kufensern  nach  Armenien  zu  marschiren.  In 
der  Zwischenzeit  änderte  sich  aber  Ij[abtb*s  Lage  der  Art,  dass  er 
Salmän*s  Hülfe  nicht  mehr  bedurfte.  Dieser  zog  nun  allein  nordwärts 
und  drang  vor  gegen  den  südlichen  Kaukasus  über  den  Kur  in  Shir- 
wän  hinein.   Zuerst  ergaben  sich  ihm  einige  Städte  und  Fürsten; 
dann  aber  (A.H.  29,  30  oder  31  —  Nawawl  XM.)  von  dem  Ha- 
kan der  Hazaren  auf  allen  Seiten  eingeschlossen,  wurde  er  mit- 
sammt    seinen   4000  Mann  erschlagen.   ^Und  da  horte  man  auf 
ihrem  Schlachtfelde  rufen:  *Alläh  'akbar  (Gott  ist  gross)**  fugt  der 
Chronist  hinzu  (BaUduri  X.t,  \  l^,  Xo\;  Ibn  Kutaiba  XX  \ ;  J4küt 
Vf^).  Von  seiner  juristischen  Bedeutung  bemerkt  Ibn  Kutaiba  a.  a.O.. 


Zur  filtesten  Geschichte  des  niohrnnmedanischeo  Rechts.  707 

dass    er  zuerst  den  Unterschied  zwischen    jllp  (Verhältniss  eines 

Freigelassenen)  und  ,yi^  (VerhSItniss  eines  Ton  einem  freien  Vater 
mit  einer  Sklavin  erzeugten  Individuums)  festgestellt  habe. 

Grossen  Rufes  ferner  erfreuten  sich  die  sieben  Medinensischen 
Juristen:  Sa'td  b.  Almusajjab  (gest.  93  oder  94),  'Urwa  b.  Alzubair 
(gest.  94  oder  99) ,  'Ubaidalläh  b.  'Abdallah  (gest  98  oder  99), 
'Utba  b.  Mas'üd  (gest.  unter  Omar),  Häri^a  b.  Zaid  (gest.  100) 
Sulaimln  b.  Jasär  (gest.  109  oder  103)  und  der  letzte  derselben 
Kdsim  b.  Muhammad,  der  A.  H.  112  starb  <).  Unter  den  berühmtesten 
Vertretern  der  Rechtspflege  dieser  Epoche  sind  schliesslich  zu 
nennen:  *Abd*ldardA*  (gest.  32),  Richter  von  Damaskus  unter 
'Otmän  (Nawawt  V\rs)  und  *Abü*raswad  Aldu*alt  in  Ba^ra  (gest. 
69  —  Nawawt  \o\). 

Es  war  nicht  unsere  Absicht  über  die  praktische  Rechtspflege 
und  ihre  Vertreter  während  des  ersten  Jahrhunderts  der  Flucht 
erschöpfendes  zu  geben  *) ;  nur  das  war  zu  zeigen ,  dass  in  dieser 
Zeit»  wo  das  Recht  noch  nicht  selbstständig  entwickelt  und  zu  einem 
System  ausgebildet,  wo  die  Jurisprudenz  lediglich  angewandte 
Koran  -  und  Sunna-Kenntniss  war,  für  die  praktische  Rechtspflege 
immerhin  eine  grosse  Sorgfalt  entwickelt  wurde  und  dass  viele  Män- 
ner speciell  in  diesem  Fach  zu  grosser  Berühmtheit  gelangten.  — 
Kehren  wir  zurück  zur  Entwickelung  der  Rechtskunde  als  Wissen- 
schaft. Wir  haben  bereits  oben  gesehen,  dass  durch  die  systema- 


1)  Ab  SteUe  des  SulaimlD  b.  Jasir  werden  «nch  drei  «ndei^  gensoDt  —  SAliin  b. 
*AbdaUlh  b.  'Omar  oder  *Abft  Salima  b.  'Abd-alrabmAn  (gest.  94)  oder  'AbA  Bakr 
b.    'Abd-alrabmin    b.  Alhlrit   b.  Hishlm    (gest.  «4  Ntwawt   8.    XXT),     Damlrf 

(i>l^l  4^  I,  S.   1^)   ia   einer  Notii  ^    J^yjJl    m^\    J^l   ^y^  ^ 

XI^jIL  J^ajÜI  Utst  'utba  b.  Has*Ad  aus,  nnd  nennt  an  seiner  Stelle  *Ab4  Bakr 
*      «      *•   • 

b.  'Abd-alrahmän.  Nach  dem  Fihrist  (Handschrift  der  HofbibUothek  N.  F.  412  Bl.  5S  b 
schrieb  'Abd  -  alrahmän  b.  *Abf-*liin(id  (gest  174)  ein  Werk  i\^\  ^^J  i^UT 

*>  Ibn  Kbald&n  (Übersetzung  B.  19,  1 ,  448)  Usst  ihn  den  ersten  Richter  von  Me- 
dinn  unter  *Omar  sein ,  wShrend  Ibn  ^utaiba  fVl  'Abdallah  b.  Naufal  als  solchen 
b«seichnet.  Grössere  Stidte  haben  Termuthlich  sehr  frfih  mehrere  Richter  gehabt. 

^y    Vgl.  benondcrs  Ibn  Qa^r^Äil^^l  i^llT (Calcntta  18M)  8.  W 

47* 


708  Sachau 

tische  Behandlung  der  Confrontation  der  Thatsachen  mit  den  Be* 
Stimmungen  des  Korans  und  der  Sunna  die  Jurisprudenz  sich  als 
eine  selbststandige  Wissenschaft  gegenQber  der  Kenntniss  dieser 
beiden  Urquellen  des  gesammten  Islams  constituirte.  In  der  Ge- 
schichte einer  Wissenschaft  repräsentiren  die  Termini  technici 
Hauptmomente  der  Entwickelung»  wie  im  Geweih  und  im  Rohr  die 
Knoten ;  ein  solcher  Knotenpunkt  ist  in  der  Geschichte  der  arabischen 
Jurisprudenz  das  Wort  ra't  (c5'J')« 

Nach  dem  Ableben  der  Genossen  folgte  die  Zeit  des  Sammelns 
der  Traditionen  und  späterhin  die  des  Sichtens ;  gesammelt  wurde 
in  der  Weise,  dass  für  jede  Tradition  eine  ununterbrochene  Reihe 
von  Gewährsmännern  von  dem  Erzählenden  bis  auf  den  Augenzeugen 
zurück  hergestellt  wurde.  Späterhin  war  es  dann  die  Aufgabe  sich- 
tender Kritik»  die  Authentie  dieser  Überlieferungsketten  zu  prüfen 
und  die  Welt  vor  Irrthümern  und  absichtlichen  Fälschungen,  zu 
denen  die  dynastischen  Verhältnisse  der  ersten  zwei  Jahrhunderte 
so  viel  Veranlassung  boten,  zu  bewahren  <).  Zu  dem  Studium  der 
Traditionen  drängten  sich  besonders  die  Freigelassenen  heran,  die 
als  homines  novi  sich  hierdurch  den  Weg  zu  einflussreichen  Stel- 
lungen und  grossen  Reichthümern  bahnten  <).  Sie  wurden  bezeichnet 
'asj^b-nlhadit;  diejenigen  aber,  die  sich  Tornehmlich  mit  der 
Anwendung  der  Traditionen  (und  des  Korans)  auf  rechtliche  Ver- 
hältnisse beschäftigten  und  hierin  andere  unterrichteten,  wurden 
''a8hdb-alra^ji(jj[^\  c-»U^l)  genannt. 

Da  in  der  späteren  Geschichte  der  Jurisprudenz  der  Ausdruck 
t^yi  fast  antiquirt  und  zum  Theil  in  Parteiinteresse  seiner  ursprüng- 
lichen allgemeinen  Bedeutung  entkleidet  wurde,  so  scheint  es  zweck- 
dienlich, hier  näher  auf  denselben  einzugehen,  «^yi  ist  weder 
identisch  mit  jI^Ü  noch  mit  aaäII;  es  bedeutet  seinem  Inhalte  nach 

« 

nicht  Jurisprudenz,  sondern  diejenige  geistige  Thätigkeit  resp.  Fer- 
tigkeit, durch  die  sich  der  Jurist  von  dem  Käri^  und  dem  Sihib-al- 
badtt  unterscheidet,  die  späterhin  unter  dem  Namen  ^Liil  als  vierte 


1)   Vgl.  0.  Loth,   Ursprung  und  Bedeutong  der  TabaUt  in  Z.  d.  D.  M.   G.  XXIU, 

594  ff. 
')  Vgl.  Slane,  IbaRhallikln,  Übersetzung  B.  H  ,  Einleitung  S.  VUl — X. 


Zur   ilte«ten  Geschichte  dse   muhAmmedanischen  Rechts.  709 

und  letzte  Quelle  des  gesammten  muhammedanisehen  Rechtes  be- 
trachtet wurde  und  wird.  Die  arabischen  Lexikographen,  deren 
Werke  mir  zur  Verfügung  stehen,  fuhren  meistens  das  Wort  in 
dieser  technischen  Bedeutung  gar  nicht  an;  in  dem  Speciallexikon 
fär  Terminologie  oblOl  von  Alkalfawt  (Handschrift  der  Hof- 
bibliothek Mixt.  40)  ist  es  nur  sehi*  mangelhaft  erklärt  und  in  dem 
Dictionary  of  technical  terms  (Bibliotheca  Indica,  Caicutta  1862)  fehlt 
es  ganzlich.  ,^^1  heisst  das  Sehen;  das  Für-gut-befinden, 
und  passivisch  gewandt:  das  was  gesehen,  für  gut  befunden 
worden  ist  — wird  — werden  wird.  Alkaffawt  erklärt  es  El. 244: 

J^l  Üp  jc  jCaux}]  j^\  ^^\  ^Itpl  J\J\.  ^^ßj\  bedeutet,  dass 

der  Verstand  einen  von  zwei  Gegensätzen  als  richtig  annimmt,  je 
nachdem  sich  das  individuelle  Dafürhalten  für  das  eine  oder  andere 
entscheidet«*  (Ansicht).  Für  diese  allgemeine  Bedeutung,  die 
durchaus  nicht  selten  vorkommt,  vergleiche  man  Koran  11,  29;  Ihn 
Kutaiba    X..    1.  Z.;  Balftdurt  T.l    Z.  12;  TTo    I.  Z.;  X%\  Z.  2, 

tlA  Z.  5;  XX  Z.  2;  Damtrl's  OUL|  X^>.  ed.  Bulak.  I  S.  1\ 
Z.  1 2,  Muhammad  b.  ishsik  Alnadtm  nennt  im  Fihrist  (Handschrift 
der  Hofbibliothek  N.  F.  412  Bl,  41  b.)  unter  den  Werken  AbA 
Jüsuf's  ^J  \.\£  iff^J^  Jip  ^^  jJU  ^  ^  aJI  ^^  ^uT 

^  '^\^  c^ll^  ^Ull  J3li^l  aJ  „Kitäb-al^wftmi*.  Er  verfasste 
es  für  Ja^jä  b.  Hälid  (den  Barmekiden)  in  40  Büchern,  in  denen 
er  die  Meinungsverschiedenheit  der  Leute  (über  juridische  Fragen) 
und  die  Ansicht,  an  der  man  festhält,  auseinandersetzt^.  Ibn 
Khaldäns  Prolegomenen ,  ed.  Quatrem^re  III,  12.  Z.  12.  13:  pÄll^ 
jjidl  o^j  %  LiU  JlTol^  :^\  Jjbl  ^ünd  die  Leute  waren  In- 
haber eines,  obschon  begi-änzten  'l^häd,  die  den  Takltd  nicht  für 
angemessen  erachteten"!). 

Für  die  technische   Bedeutung  die   folgenden  Beweisstellen: 
Ibn  Kutaiba  (gest.  276)  führt  in  seinem  JjUI  sJd^  S.  TIA  ff.  die 

oamhaflesten  der  ältesten  Juristen  unter  dem  Titel  ^JJl  <^l.tf^^l  auf: 
xar*   ii^yyi^  heisst  'Abd  Hantfa  J\Ji  ^^.aXe>   „der  Jurist«'  a.  a.  0. 


«)    V|5l.  8 1  a  n  e*  8  OberseUnnp  HI,  8.  19 :  sie  waren  ^1^1  J>1 ,  nicht  ^1^*1  J>1 


710  Sacbau 

Z.19  undS.  r«  l  Z.  13;  Alhattb  (gest.  463)  nennt  ihn  bei  Nawawt 

S.  WK  i^J\  c-»U^^l  »U.  Ferner  ^^yi^i  „Jurist**  in  einem  Verse  aus 

der  Zeit  MamAn*s,  Ihn  Kutaiba  ^l^  Z.  7  <);  derselbe  Gebrauch  vou 
j]j\  l^W^^I  bei  Alnadtm»  der  seinen  Fihrist  vom  J.377datirt,  Bi.40a 

^yi  l^Wi^^  JOl^l  i»lcA^  Ü:>.  J^->^'  J   wnJ  «»t'rt  bei  Ibu 

l^utlAbugä  ^\ji^\  ^  ed.  Flügel  Nr.  80.  Von  Ihn  'Abt  Laild 
(gest.  148)  sagt  Ihn  Kutaiba  TIA:  JJ\j  Uju  —  o^^  und  Fihrist 

Bl.  41a  ii^  Ji  J-5  ^Jl  Jji*  o^  w«»*  pflegte  auf  Grund  des 
ra'i  Rechtsbescheide  zu  ertheilen  schon  vor  *AbA  Hantfa.« 

^J\  im  Gegensatz  zu  JujJLI:  Ihn  Kutaiba  Xo\  Z.  5.  10 
„*Abü  YAsuf  beschäftigte  sich  mit  der  Traditionskunde,  dano 
aber  zog  ihn  grossere  Neigung  zu  ^ßj\  und  er  wurde  Richter  von 
Bagdad*'.  Dasselbe  war  der  Fall  mit  Zufar  b.  Alhudail  (a.  a.  0.  Xi\ 
Z.  1 6  und  Fihrist  Bl.  41  a  >)  und  Muhammad  b.  Alhasau  Alshaibint 
(Ihn  Kut.  toi);  von  diesem  heisst  es:  „er  ging  nach  Bagdad  und 
man  hörte  bei  ihm  Tradition  und  ißj\*'  d.  h.  Tradition  und  die  An- 
wendung derselben  (und  des  Korans)  auf  Rechtsfragen ,  also  Juris- 
prudenz, soweit  die  Methode,  nicht  der  Inhalt  betroffen  ist.  Ihn 
Mu'tn  (gest.  233)  bei  Ihn   Kutlübugä  S.  41  Z.  1.  2:  J>l  o^J 

l»\^  ip  ^Wenn  die  Cberlieferer  in  der  Tradition  so  redlich  wären 
wie  Muhammad  b.  Simd'a  im  Jus ,  so  würden  sie  darin  das  Höchste 
leisten**  und  ebendas.  Z.  6:  'Ahmad  b.  Hanbai  unterscheidet  bei 
Nawawt  ofl  Z.  2.  3  den  hadtt  und  den  ra'i  des  Mälik  b.  'Anas. 
j;\J\  im  Gegensatz  zu  jl^;»^^!:  Muhammad  b.  Alhasan  (gest  189) 
Fihrist   Bl.  42  b  und  'U&  b.  *Abdn  (gest.  200)  schrieben  jeder  ein 


0  Diese  Vene  MusAwir's  finden  sich  auch  im  Fihrist  Bl.  40«  ^^....»^i^^Uil  Jl») 
AaJ>-  Li  >-^3yyiJjU-«*).,^^Z.  5  verstösst  gegen  das  Metram;  in  der 
Handschrift  der'Hofl»ibliothek  (Wfittenfeld,  Vorwort  8.  IV)  Mixt.  188  kann 
das  Wort  mehj^  (j'^)  gelesen  werden;  der  Pihrist  hat  jrdi  (,/ÜC). 


»   -^ 


2)  Hier  hat  die  sehr  ansorerlissige  Handschrift  J;\^\  aJIc  «.JLP.  aLu^   —  Ter- 

»  *    **         * 

motblieh  verschrieben  f&r  fJU)  aJp  wJlP^  c1>J»£  • 


Zur  ältesten  Geschichte  des  iDuhammedanischen  Rechts.  7 1*1 

Ji)\  :\^\  ^\^  Im  Dictionary  of  Technical  Terms  S.   \  \h  wird 

jl^l  erklärt  als  ^^1  ^^/^^   ,*die  Erschöpfung  der  ganzen  Kraft** 

(Ä»iyi  ^Ic  Jjü  aUji4^)  bis  zu  dem  Grade,  dass  man  das  GefQhl  hau 
hierüber»  d.  h.  über  den  erreichten  Grad  der  Anstrengung  und  das 
dadurch  erzielte  Resultat  nicht  hinauszukonnen  <);  die  Erklärung 
'Äffiidrs  specialisirt  das  Objeet  dieser  Bemühung  als  die  rechtlichen 
Satzungen  der  Religion  a.  a.  0.   Z.  12.  13:  «-JJ»   i  «w^l  ^\/u>A 

aJIp.  Während  ^J\  die  Thätigkeit  des  betrachtenden  und  unter- 
scheidenden Verstandes  bezeichnet,  drückt  ^J\  :\^\  den  höchsten 
Grad  ihrer  Intensivität  aus.  —  Aus  dem  gesagten  dürfte  sich  die 
allgemeine  wie  technische  Bedeutung  von  ij[)\  in  seinem  engeren 

und  weiteren  Gebrauch  zur  Genüge  darthun;  es  ist  inhaltlich  nicht 
identisch  mit  Rechtswissenschaft »  wurde  aber  in  freierem  Sprach- 
gebrauch als  Hauptkriterium  oder  als  pars  pro  toto  auch  allgemein  für' 
„Jurisprudenz**  gebraucht;  daher  ^Si^\sJ^^  u.  s.  w.  „Juristen'». 

Der  classische  Ausdruck  für  die  gesammte  Jurisprudenz  mit 
Ausschluss  des  Erbrechts  —  istAiutl\.  Es  heisst  ursprünglich  „das 
Erkennen*';  ob  dies  auf  analytischem  oder  synthetischem  Wege 

geschieht ,  ist  nicht  indicirt  *),  während  sich  in  ,^yi  dieselbe  Thä- 
tigkeit durch  Analyse  Tollzieht;  passivisch  gewandt  „das  was  er- 
kannt wordenist — wird  —  werden  wird**.  Zamahs)iart  führt  in 
Asäs-albaliga  (Handschrift  der  Hofbibliothek)  BI.  379  b  folgende 
Tradition  an:  j*jJ\  j  Ayiil  [rji.  A*  aUI  jj)  ^  J^-xJLl  j^  „Wem 
Gott  wohl  will,  dem  gibt  er  Einsicht  in  Sachen  der  Religion.*'  Bevor 
aber  der  Ausdruck  sich  in  dieser  seiner  Domäne  festgesetzt  hat , 
scheint  er  wesentlichen  Schwankungen  unterworfen  gewesen  zu 
sein;  es  ist  sogar  wahrscheinlich,  dass  er  in  der  ältesten  Periode 
etwa  bis  200  d.  Fl.  nicht  „Jurisprudenz** ,  sondern  „Glaubenslehre** 
bezeichnete ,  also  mit  Kalim  identisch  war.  Es  findet  sich  nämlich 


<)  über  den  weiteren  Gebranch  Ton  JIy<>>i  in  den   W^ul^alflkh  Tgl.  Kizem-Beg, 

Nottee  tor  la  merche  et  les  progris  de  la  jarisprudence  parmi  let  sectes  ortho- 
dozea  Mnaolmanea  im  Journal  Aaiatiqne  IV.  Bit.  tom  ZV  8.  158  ff. 
*)  Trots  der  Grundbedeutung  dea  „Spaltena'' ,  die  der  Wurzel  /|r  in  aUen  aemitiachen 
Dialekten  inhSrirt. 


712  S sc  hau 

folgende  Noti7.  Gazzälfs  (gest.  &06)  bei  Kaffawt  Bl.  360  b;  Higi 
Haltfa  IV,  457   und Oietionary  of  Technical  Terms  S.   r\:    ^\^ 

m 

üi\\  ^\  J  ^Ü\  JJ^  f  \^j\\  lj\iL^  l/ä\  Jjl  Jp  ^\\^ 

^1  ^jUJJI  ijKi  h^i^a:^  „Der  Name  iiiil\  bedeutete  in  der  ältesten  Zeit 
allgemein  die  Kenntniss  vom  Jenseits  und  das  minutiöse  Wissen  tod 
den  Gebresten  der  Seele ,  die  Erkenntniss  von  der  Erhabenheit  des 
Jenseits  und  von  der  Niedrigkeit  dieser  Welt.  Dann  aber  beschrank- 
te man  den  Namen  AJuiSl  willkürlich  auf  die  Wissenschaft  der 
Rechtsbescheide^  u.  s.  w.  Nicht  unwahrscheinlich  beruht  diese  Notiz 
Gazzälfs  auf  einer  Definition ,  die  allgemein  auf  *Abd  Hantfa  selbst 
zurückgeführt  wird;   er  soll   nämlich  den  Kalam^;^!  aäaII  genannt 

und  AJuill  \s>  auf  folgende  Weise  erklärt  haben :  ^^j^  i^^^^  ajuJI  Ip 

L-yJLp  U^  l^  U  „Die  Erkenntniss  der  Seele  mit  Bezug  auf  das,  was 
ihr  zukommt  und  was  ihr  obliegt"*;  Dictionary  of  Technical  Terms 
S.  l  loV;  XX  und  T*  (hier  mit  ausßlhrlichem  Commentar).  Diese 
Definition  passt  genau  zu  dem  Inhalt  der  *AbA  Hantfa  beigelegten 
Schrift  ^il  AJull ,  die  wir  als  eine  regula  fidei  Muslimieae  bezeichnen 
können.  Mag  sie  nun  acht  d.  h.  von  *Abü  Hantfa  selbst  verfasst  sein 
oder  nicht ,  jedenfalls  gehört  sie  der  ältesten  Periode  der  arabischen 
Litteratur  an,  da  sie  schon  im  Fihrist  unter  seinen  Schriften  auf- 
geführt wird  (N.  F.  412  Bl.  40  bi). 


1)    Vgl.  A.  V.  Kremer,  Geschichte  der  herrschenden  Ideen  des  IsUms  S.  89  Anm.  2. 

Die  Ächtheit  der  Schrift  wird  zwar  ron  Hagf  Haltfs  nicht  bezweifelt .  wolil  aber 

die  der  gleichninigen  Schrift  ron  AlshAfi't  (IV ,  459).  Die  Torhin  angefihrt«  Tn- 

ditton    f.\  fj-i^\  ^^^/^^  ^^^  (^  fi»^«^  »ich  ni^^ht  i«  dertelben.  wohl  aber  die 

▼on Shahristant  (I  »0  Z.ll)angrefahrte Erkifiranpdes Glavbens  ^i Ju^l  yb   ij\ci\ 

joiuj     i^  JnJ«     i   yb^     wJLilli     (Handschrift  der  Hofbibliothek  ff.  F.  S15 

Bl.  104  Z.  3  V.  u.)  Der  Protest  gegen  die  Margiten,  auf  den  Herr  t.  Kremer  seine 

Ansicht  ron  derUniehtheit  stfitit,  findet  sich  Bl.  103b.  UiL^i»  Ol  1^1  ^^)yü  1^ 

<ll  il^^l  JylTdjyüa«  UTbLj  Äi^.    Als  RAwf  der  Schrift  wird    \Aba 

Mu|r  Alhakam  b/Abdalllh ,  Richter  ron  Balh  (gest  197)  angeführt  ron  Ibn  Knflö- 


Zur  ilteaten  Geschichte  des  muhammediinisGhen  Rechts.  713 

Bei  Ibu  Kutaiba  tTA,  Z.  2  v.  u.;  WX  1.  Z.  kann  unter  ^t 
möglicherweise  MGlaubenslehre**  verstanden  werden;  jedoch  scheint 
zu  dieser  Zeit,  d.  h.  im  dritten  Jahrhundert,  die  jetzige  Bedeutung 
schon  allgemein  üblich  gewesen  zu  sein;  davon  dliu  „Becht  stu- 
dieren**  Ibn  Kutaiba  ToV,  Z.  14.  Gauhari  (gest.  393)  erwähnt 
unter  aäaII  nur  die  Bedeutung  „Jurisprudenz".  Ob  demnach  die 
Bemerkung  Gazzäifs  dem  Sachverhalt  entspricht  oder  nicht,  muss 
einstweilen  dahingestellt  bleiben;  jedenfalls  ist  das  Schweigen  der 
späteren  Lexikographen  and  Literaturhistoriker  kein  sehr  starker 
Gegenbeweis ,  da  diese  in  vielen  Fällen  die  zu  ihrer  Zeit  üblichen 
Termini  ohne  Unterschied  auf  die  ältesten  Zeiten  übertrugen.  Einen 
Fall  dieser  Art  bietet  Ibn  Khalddn  (SIane*s  Übersetzung,  III,  S.  24, 
139):  In  der  von  'Abu  Huraira  überlieferten  Tradition  JJ>*  (j^J/^il 

ijJt  hatten  einige  nach  dem  späteren  Sprachgebrauch  ^^I^aII  als 
„Erbrecht"  erklärt,  während  Ibn  Khaldün  ihm  gewiss  mit  Becht 
seine  ursprüngliche  allgemeine  Bedeutung  „prescriptions  legales" 
vindicirt 

Indem  wir  in  al-ra'i  den  Faden  der  Entwickelung  wieder  auf- 
nehmen, haben  wir  zunächst  eine  Unterscheidung  Shahristänt*s  zu 
betrachten,  nach  der  es  scheinen  konnte,  als  ob  ^J\  nicht  die 
Jurisprudenz  im  allgemeinen,  sondern  eine  besondere  Bichtung 
derselben^  und  zwar  die  hanefitische  bezeichnete.  Shahristänt 
(gest.  548}  theilt  in  dem  Capitel  über  die  Origines  der  Jurisprudenz 
die  ältesten  Juristen  in  zwei  Classen  ein,  die  Higäzener  oder  ^Akl^ 
alhadit  und  die  'Irälcaner  oder  ''Ahl-alraji.  Er  rechnet  zu  den  erste- 
ren  Mälik  b.  'Anas,  Shäfi't,  Sufjän  Altaurt,  'Ahmad  b.  Hanbai  und 


bfi^l  Nr.  269.  Bei  Beuriheilang  der  literarischen  Thfttigkeit  *Abtk  Hiintrii*8  ist 
JedenfaUs  naher  auf  seinen  Enkel  ^smA  tl  b.  HammAd,  Richter  von  Basra  und  Rakka 
Cgest.  212)  einzugehen ,  da  er  die  meisten  Schriften  seines  Orossvaters  redigirt 
haben  soU  (Ibn  ^oflAbugA  Nr.  46).  Ein  schwer  wiegender  Umstand  gegen  die 
Äehtbeit  der  Schrift  scheint  mir  übrigens  der  zu  sein,  dass  die  iltesten 
Commentare,  die  H.  g.  anzufßhren  weiss,  erst  aus  den  Jahren  91S,  939,  953«  1016 
stammen.  WSre  das  Werk  wirklich  von  dem  Grunder  der  hanefitischen  Lehre  rer- 

t 

tuBst,  SO  bitten  viele  seiner  Schüler  es  von  ihm  überliefert,  und  die  folgenden 
Jahrhunderte  hStten  Commentare  zu  Dutzenden  und  Hunderten  producirt;  von 
dem  allen  ist  aber  keine  Spur  vorhanden. 


714  Sachau 

Di'üd  b. 'Alt  Arisfahint  sammt  ihren  ADhängern,  und  den  Nameu 
J^jjLl  Jjbl  erklärt  er  daraus,  dass  sie  vorzüglich  Tniditiouen  zu 
erlangen  suchten,  um  hierauf  die  Entscheidung  eines  streitigen 
Falles  zu  basiren ,  dass  sie  aber  zum  Kijfts  nur  dann  ihre  Zuflucht 
nahmen,  wenn  Koran  und  Sunna  nicht  den  gewünschten  Anhalts- 
punkt gewährten.  Als  Vertreter  der  zweiten  Classe  nennt  er  'Ab4 
^anffa,  Muhammad  b.  Alhasan,  'Abu  Jüsuf,  Zufar  b.  Alhudail, 
Hasan  b.  Zijäd  AlluMu't,  Ihn  Simä'a,  'Äfija  Al^ädt,  'Abu  Mutr 
Aibaiht  und  Bishr  Almartst  sammt  Anhangern.  Zur  Rechtfertigung 
des  Namens  «jyl  J>l  behauptet  er,  dass  sie  bemuht  gewesen  seieo, 
durch  den  Kijäs  und  aus  dem  allgemeinen  Princip,  das  sich  in  den 
einzelnen  Satzungen  zu  erkennen  gibt,  einen  Entscheidungsgrund 
zu  gewinnen,  um  hierauf  die  Traditionen  (d.  h.  die  Interpretatiou 
derselben)  zu  basiren  —  und  dass  sie  oft  den  Kijäs  solchen  Tradi- 
tionen, die  nur  durch  einen  Genossen  verbürgt  waren»  also  mit 
einigem  Recht  kritisch  beanstandet  werden  konnten,  vorgezogen 
hätten. 

Diese  die  Geschichte  der  Rechtswissenschaft  mehr  verwirrende 
denn  entwirrende  Distinction  hat  merkwürdigerweise  einen  Verbrei- 
ter gefunden  in  keinem  geringern  als  Ihn  Khaldün  (Slane^s  Über- 
setzung III,  S.  2)  i).  Zunächst  ist  zu  bemerken ,  dass  von  der  erste- 
ren  Classe  nur  ein  einziger,  nämlich  Mälik  b.  'Anas  passend  als 
Hi^izener  bezeichnet  werden  kann;  bei  allen  andern  macht  Geburts- 
wie  Vk^ohnort  eine  solche  Bezeichnung  geradezu  widersinnig.   Ein 
principieller  Unterschied  —  ferner  —  ergibt  sich  nicht  aus  Sbah- 
ristinfs  Erklärung;  beide  gebrauchen  Hadtt  wie  Kij4s  (oder  Ra'i), 
wo  der  Koran  nicht  ausreicht,  die  letzteren  —  wie  es  scheint  —  mit 
mehr  Geist  und  Kritik.  Dass  aber  diese  Distinction  nicht  eine  schon 
in  alter  Zeit  allgemein  recipirte  war,  dass  nicht  etwa  rai  nur  auf 
die  Hanefiten  Anwendung   findet  (vgl.  S.   12,  Z:  23),   lässt   sich 
daraus  beweisen,  dass  Ihn  Klutaiba  unter  den  fJ[)\.sJ>^^\   neben 
'AbA  Hanffa  auch  gerade  Milik  b.'Anas  und  Sutjän  Altauri  nennt, 
und  dass  Vorgänger  von  'Abu  Hantfa  schon  als  «JJl  s^\^^\  bezeich- 
net   werden,   so   Rabt'at-alra'ji    (gest.    136)   und   Ibn  'Abi    Laila 


0  Vpl.  ferner  Slane,  Ibn  KhalliUo,  Übersetzung:,  Einleitung,  S.  XXV,  XXVI. 


Zur  filtesten  Geschichte  des  muhammedanischen  Rechts  715 

gest.  148)  i).  Wollte  Shahristinl  uns  lehren,  dass  die  grössere  Be- 
deutung der  ersteren  auf  dem  Gebiet  der  Traditionswissenscbaft  zu 
suchen  sei  —  man  denke  an  die  Sammlungen  von  M^lik,  Shifil  und 
*Ahmad  b.  Hanbai  —  so  gehörte  dies  nicht  in  die  Geschichte  der 
Jurisprudenz.  Wollte  er  dagegen  auf  den  freieren  Gebrauch  der 
Vierten  Rechtsquelle  von  Seiten  der  Hanefiten  im  Gegensatz  zu  den 
anderen  Schulen  aufmerksam  machen ,  so  war  der  Ausdruck  s^W^^l 
j^l  schlecht  gewählt ,  weil  in  diesem  Namen  beide  Classen  in  glei- 
cher Weise  inbegriffen  sind.  —  Correct  dagegen  ist  das  Verfahren 
des  Muhammad  b.   'Isl]i4l|:  im  Fihrist»  der  die  Juristen  (»Iv^l)  im 

allgemeinen  bespricht  und  dann  ein  besonderes  Kapitel  gibt  jl»^!  ^ 
J^  jüJi  v^k^^  X^  (Bl.  58  a)  »über  diejenigen  von  den  Juristen»  die 
zugleich  Traditionatoren  waren**.  SuQän  und  Milik  waren  gross  auf 
beiden  Gebieten ,  während  *Abfl  Hantfa  und  seine  nächsten  Anhänger 
tür  die  Tradition  nichts  wesentliches  geleistet  haben. 

Dieser  Sprachgebrauch  der  ältesten  Zeit  hat  dann  aber  in  spä- 
teren Jahrhunderten  eine  Änderung  erfahren ;  ^yi  Jjbl  (und  JaI 
j^Jt)  bezeichnet  besonders  bei  nicht  hanefitischen  Schriftstellern, 
soweit  der  Ausdruck  überhaupt  noch  gebraucht  wurde ,  die  Anhänger 
Wbü  Hanifa*s.  Wie  es  geschah,  dass  «^yi  ausser  Gebrauch  kam, 
erklärt  sich  unschwer;  das  Wort  war  eben  —  weil  ein  gewisses 
Mass  von  Selbstständigkeit  oder  individueller  Willkür  gegenüber 
dem  Gebote  Gottes  und  seines  Propheten  einschliessend — sehr  leicht 
orthodoxer   Missdeutung   und   Verdrehung   ausgesetzt.    Nach   dem 

Täg-arards  bei  Lane  werden  unter  ^yi  Jj^l  sogar  die  Häretiker  des 

Islams ,  die  Hawäri^  bezeichnet.  ^^  ist  völlig  ersetzt  und  antiquirt 
durch  Alkijds,  das  inhaltlich  genau  dasselbe  bezeichnet;  der  tür- 
kische K4müs  erklärt  fj\j\  ^Wr^l  durch  ^U  v^W^l  Mit  einer 
einzigen  Ausnahme  >)  stimmen  die  juristischen  Schulen  aller  Zeiten 


0  Vgl.  S.  710,  z.  6. 

S)    Da*Ad  b.  'All  Al'itfahilot  (gest.  270  in  Bngdiid) ;  der  Fihrist  Bl.  51  b  segt  Ton  ihm  : 

^Ull^  c5y'  O*  ^^  cSr*   ^  J^J  ^^^  sJtSX  jßi.1^  über  die 

Zweitbeilnng  der  ^Uül  aUj*  vgl.  Mflwardf  S.  111  Z.  5.  Folgender,  gegen  den 
KgAs  gerichteter  Ausaproch  wird  foo  einigen  dem  SuJ^jAn  b.  'Uyiina   (gest.  198) 


716  Stichau 

und  Länder  in  diesem  Princip  d.  h.  in  der  Annahme  des  Kij&s  als 
vierte  Rechtsquelle  uberein,  die  Schulen  Ton  *Abü  Hantfa,  Mälik, 
SuQ4n  Altaurt,  Shäfi't,  Ahmad  b.  Hanbai,  Tabart,  Sunniten  wie 
Schiiten  i);  nur  in  der  häufigeren  oder  selteneren  Anwendung  des- 
selben weichen  sie  von  einander  ab.  Von  den  vier  Doctrinen  •  die  den 
orthodoxen  Islam  beherrschen,  ist  die  hanefitische  die  freisinnigste 
in  der  Handhabung  des  Kij4s»  die  sklavischeste  Anhängerin  von  Ko- 
ran und  Sunna  die  (lanbalitische ;  jenen  nähern  sich  die  Schafiiten, 
diesen  die  Milikiten. 

Wie  nun  aus  diesen  vier  Rechtsquellen  —  Koran,  Sunna,  Über- 
einstimmung   der   Genossen   und  Kijäs  —  von  den  „Nachfolgern*" 

(Cjyü^l)  und  den  «Nachfolgern  der  Nachfolger"  (u^^^^^)  bis 
zur  Zeit  'Abä  Hantfa*s  ein  ganzes  Rechtssystem  aufgebaut  wurde, 
lässt  sich  aus  den  vorhandenen  Nachrichten  noch  theilweise  er- 
kennen. Der  künftige  Historiker  des  muhammedanischen  Rechts  wird, 
um  zu  einer  exacten  Würdigung  desselben  zu  gelangen,  zunächst 
retrospectiv  eine  vollgültige  Antwort  auf  die  Frage  «Was  hat  Mu- 
hammad aus  dem  Heidenthum  entnommen?*'  zu  geben  haben;  und 
hierüber  gibt  es  mancherlei  Anbaltspuncte  und  positive  Nachrichten, 
die  nur  gesammelt  und  gesichtet  sein  wollen a).   Wie  Muhammad 


beigelegt  (».  OjUll   cjitUal  ed.  de  Jong  S.  1*):  ^  JJI  ül*  ^Lill  j    i^W 


„Hütet  euch  Tor  dem  ^i^ä  (Analogieschlass) ,  denn  der  erste,  der  ihn  anweodete. 
wnr  Satan,  als  er  sprach  (su  Gott):  ^Ich  bin  besser  als  er  (Adam);  mich  hast  du 
aus  Feuer  geschaffen ,  ihn  aber  nur  aus  Thon*. 
^)  Zu  dieseu  Schulen  sind  noch  swel  hinsuxn fügen :  die  eine ,  eine  Absweignog  ron  der 
shafiitischen ,  begründet  durch  *AbtkTaar  (*lbrAhlm  b.  HAUd  b.  AljamAn  Alfakth  Alkatbi) 
einen  Schiller  Shafi*ia;  er  starb  240.  Die  meisten  der  Bewohner  von  Adnritatgan 
und  Armenten  folgten  setner  Lehre.  Als  seine  Schuler,  die  sein  System  weiter  rer^ 
breiteten,  werden  genannt:  Ihn  Algunaid,  AI'ijAlt  nnd  Man^&r  b.  *fsmA*U  Almi^ri. 
Vgl.  Fihrist  Bl.  49  a ;  Nawawt  S.  1V^ 

Ein  besonderes  System  haben  nach  Fihrist  Bl.  65  b  auch  die  „Juristen  der  Shu- 

rAf*  (d.  c.  HawArig)  l\j^\  »l^üd  ausgebildet;  es  war  rerbreitet  in    'OmAn,  Si- 

gistAn,  Adarbaig'An  und  swischen  dem  Tigris,  dem  unteren  Zab  und  den  medischen 

Gebirgen  in  den  Gegenden  ron  Alsinn,  Albam-Astg,  Karb  GuddAn,Tall    'Ukharl. 

Haxia  nnd  ShahrazAr. 

I  2)   SbahristAni  S.  ff.  —  YW  berichtet  fiber  einige  Dinge  aus  dem  Ehereeht.  roa 

I  den  im  Mekkantschen  Tempel  üblichen  Ceremonien ,  von  der  Reinigung,  Ton  der 


Zur  ältesten  Geschichte  des  mahammedanischen  Rechts.  717 

nachweislich  vieles  von  seinen  dogmatischen  Ansichten  und  von  sei- 
nen Legenden  den  Juden  und  Christen  entlehnte,  so  scheint  et*  be- 
sonders, was  religiöse  Gebrauche  und  die  weltliche  Gesetzgebung 
betrifft,  aus  dem  Heidenthum  geschoptit  zu  haben.  Für  die  älteste 
Entwicklung  im  Islam  \^erden  die  biographischen  Werke  über  die 
Genossen  und  Nachfolger  zu  consultiren  sein ,  in  denen  sich  viel- 
fache kurze  Notizen  des  Inhalts  finden ,  dass  dieser  oder  jener  eine 
juristische  Ansicht  oder  Distinction  zuerst  gelehrt  habe;  es  liegt 
nahe  anzunehmen ,  dass  hier  nur  von  solchen  Ansichten  die  Rede  ist, 


Behandlung  der  Todten  u.  s.  w. ,  die  schon  im  Heidenthum  in  der  Art  bestanden, 
wie  sie  im  Islam  zum  Gesets  erhoben  wurden.* 

Nach  Ihn  fLutaiba  S.  fVT  wurde  snerst  fon  *AbA  SiüJAra  AI'adwAnf,  nach  an- 
deren Ton  'Abd-ninntfniib  die  Diya  (die  Sfihne  für  Mord  oder  absiehtUcfae  Ver- 
letsuttg)  anf  100  Kameeiinnen  bestimmt.  Zuerst  nahmen  die  Knraischiten  und  nach 
ihnen  aU«  Araber  diesen  Rechtsbraucb  an;  Muhammad  behielt  ihn  bei. 

A.  a.  0.  wird  weiter  berichtet,  dass  Alwalid  b.  Mugtra  suerst  die  KasAma  (Eid) 
zuerkannte;  d.  h.  wenn  eine  Leiche  mit  sichtlichen  Spuren  gewaltsamer  Tödtung 
gefunden  wurde,  der  Thiter  aber  unbekannt  war,  so  konnte  der,  der  das  Blut- 
geld IM  fordern  hatte,  50  Mann  von  den  Bewohnern  jener  Gegend  oder  jenes 
Orte«,  wo  die  Leiche  gefnnden  war,  auswihlen  und  sie  schwören  lassen ,  dass 
sie  die  That  nicht  begnngen  und  nichts  ron  dem  Thiter  wussten ;  war  dies  ge- 
schehen ,  so  qiusste  die  Gesammtheit  der  Bewohner  solidarisch  die  Sühne  leisten. 

Maltnkl  -  al*nbhnr  (Constantinopel  A.    H.   1271)    S.    \\\:      3  JC^  J>^  b\ 

Derselbe  Walld  soll  snerst  die  Strafe  des  Hand-Abhauens  für  Diebstahl  ein- 
geführt haben  —  Ihn  Kataiba  a.  a.  0. 

Ihn  Kataiba  S.  rVf :  'Amir  b.  Alzarib  AradwAu!  bestimmte  suerst,  dass  die 
Frage,  ob  ein  Hermaphrodit  als  Mann  oder  als  Weib  su  betrachten  sei  (also  s.  B. 
ob  er  den  Erbtheil  eines  Sohnes  oder  einer  Tochter  su  bekommen  habe)  danach 

ealsebiedea  werden  solle,  ans  welchem    GUede  er   nrinire   {^^^S^    3  ^j^- 

jUjl  cUu).  N.  ▼.  Tornanw,  das  Moslemische  Recht  S.  211.    Diese  Bestim- 

muBgen  oder  Rechtsg^brluche  sind  alle  von  Muhammad  in  den  Islam  herii her- 
genommen. 


7lO  Sachau 

die  zu  einer  grösseren  Verbreitung,  vielleicht  zu  allgemeiner  Aner- 
kennung gelangten. 

Drei  Männer  sind  es  vorzüglich,  welche  das  seit  der  Gründung 
des  Islams  bis  in  die  Mitte  der  ersten  Hälfte  des  zweiten  Jahrhunderts 
angesammelte  Material  zuerst  zu  vollständigen  Rechtssystemen  ver- 
arbeiteten und  vereinigten,  wie  sie  noch  zu  unserer  Zeit  mit  ver- 
hältnissmässig  geringfügigen  Modificationen  die  Rechtsbasis  in  dem 
Leben  aller  muhammedanischen  Nationen  bilden;  ihre  Lehren  haben 
sich  zuerst — getragen  durch  eine  zahlreiche  Schülerzahl  über  ganze 
Provinzen  des  Chalifenreichs  ausgebreitet  und  sind  zuerst  mit  kano- 
nischem Ansehen  ausgestattet  Diese  drei  Männer  sind:  *Abü  Hanffa 
in  Irak  (gest.  ISO)  AlauzA^  in  Syrien  (gest.  1S7)0  und  Mälik  b. 
'Anas  im  Hi^äz  (gest.  179).  Das  ganze  Rechtsgebäude  ruht  auf  ihren 
Schultern.  Die  Bestimmungen  über  die  practischen  Glaubeuswerke, 
die  für  alle  Muslims  gleich  verbindlich  den  einzelnen  in  seinen  Be- 
ziehungen zu  Gott  und  zur  Gemeinde  der  Gläubigen  darstellen;  das 
gesammte  bürgerliche  Recht,  Erbrecht,  Process,  Strafrecht,  das 
jus  inter  cives  Muslimos  et  peregrinos,  das  Kriegsrecht,  das  Staats- 
recht, sowie  die  rechtlichen  Grundlagen  der  Administration  —  alle 
diese  Gegenstände  sind  von  ihnen  in  extenso  behandelt,  und  nach 
einem  feststehenden  Princip  für  alle  zweifelhaften  Fälle  rechtliche 
Bestimmungen  eruirt  und   begründet.   Während    die  Lehren    'Abu 
Hantfa's  Mesopotamien  und  den  Osten  eroberten,  verbreitete  sich 
das  System  'Auzä*t*s,  des  Imäm's  von  Syrien,  über  sein  Heimatland 
und  über  den  ganzen  Westen    bis  Marokko  und  Andalusien.   Es 
scheint  sich  aber  keines  langen  Bestehens  erfreut  zu  haben;  zunächst 
wurde  es  bedrängt  von  dem  hanefitischen,  das  besonders  unter  den 


1)  Von  dieMD  ist  'AniA't  am  wenigsten  bekannt.  Sein  roUer  Name  iat  'Abft  '  Aar 
'Abdalrahmln  b.  *Amr  b.  Tuhmid  Al*ansA't  Alsha^mf  Aldimish^ ;  er  ist  geboren  im 
Ba*albak  A.  H.  85  od.  88,  lebte  in  Damaskus  vnd  darauf  in  Bairftt,  wo  er  1S7  starb. 

Nawawt  S.  TAf  sagt  ron  ibm:  J-i  AJbjL,  J^  ^-i/^^^  f^'  sJ^'  ^^ 
aUI  A^^-j  JlIU   w^ju     j1   ^Ulil  und  'Abnlmahlsin  8.  fTV:   J^\  aJI» 

\cji    i:JP\jA\    aJI    ^.^    Jji\  jjyS   w^öll    wO^U»^    Nnben   *AbA 

HanfA,  'AnsAI  und  MAiik  ist  Ton  gr«sster  Bedeutung  SuQAn  Altaurt  (geaL  161); 
icb  finde  aber  nicht»  dass  sein  System  su  irgend  einer  Zeit  von  eimem  ganaen 
Lande  oder  einer  Prof  ins  angenommen  worden  ist. 


Zur  filtesteo  Geschichte  des  mahaniinedaniachen  Rechts.  719 

Regierungen  von  Mahdt,  Hädt  und  Ma  mün  durch  den  persönlichen 
Einfluss  *Abü  JAsuFs  sich  weit  ausbreitete;  dann  aber  wurde  dieses 
wie  jenes  von  dem  malikitischen  überwuchert  <) ,  und  diesem  wieder 
von  dem  späteren  schafiitischen  der  Boden  streitig  gemacht.  Wie  die 
Schichten  der  Erde  haben  sich  die  Hauptrechtssysteme  der  Muham- 
medaner  zu  verschiedenen  Zeiten  verschieden  zu  einander  gelagert; 
in  der  Gegenwart  herrscht  die  Lehre  ShäfiTs  in  Ägjpten  und  im 
holländischen  Indien,  die  Mälik's  dagegen  in  Tunis,  Algier  und 
Marokko. 

Von  rein  juridischen  Werken  dieser  drei  Manner,  denen  sich 
später  Shäfi't  und  *Ahmad  b.  Hanbai  zugesellten  —  soweit  sie  über- 
haupt solche  schrieben  —  ist  unseres  Wissens  nichts  erhalten ;  da- 
gegen bildet  die  mündliche  wie  schriftliche  Überlieferung,  die  Ci- 
tate  ihrer  Ansichten  die  Grundlage  der  gesammten  muhammeda- 
nischen  Rechtsliteratur  von  der  ältesten  Zeit  bis  auf  die  Gegenwart. 

Die  Frage  nach  der  Art  der  Fortpflanzung  juridischer  Kennt- 
nisse ist  auf  das  engste  mit  der  über  die  älteste  Aufzeichnung  ver- 
bunden. Es  ist  bereits  oben  erwähnt,  dass  die  kanonische  Koranre- 
daction  im  Jahre  d.  Fl.  3('  niedergeschrieben  wurde;  bei  mehreren 
der  Genossen  wird  ausdrücklich  bemerkt ,  dass  sie  auch  schon  vor 
der  Zeit  des  Islams  geschrieben  haben,  so  dass  Muhammad  b.  Al- 
hasan  die  Schreibekunst  mit  Recht  als  eine  unter  den  Arabern 
übliche,  von  den  Vorvätern  ererbte  bezeichnen  konnte*).  Balädurt 
(^^^1  1^1:5^  tVt)  hat  uns  eine  Nachricht  von  Ihn  Sa'd  und  Wä- 
kidf  aufbewahrt,  nach  welcher  zur  Zeit  der  Gründung  des  Islam 
unter  den  Kuraishiten  17  Männer')  des  Schreibens  kundig  gewesen 
sein  sollen.  Wäf^idt  berichtet  ferner  a.  a.  0.  S.  IVf,  dass  unter  den 


^)   Dies  geschah  unter  dem  dritten  omigjadischen  Beherrscher  Spaniens,  Alhakam  h. 

HishAm;  erster  Apostel  der  maUkitischen  Lehre  war  ein  Schüler  MAlik*s,  Zljid  b. 

'Abd-alrahroan   Allahmt   (gest.  A.  H.  204  oder  193,  192,  199).  Vgl.  Makkarl  1, 

t<^«  und  11,8.  IOt< 
S)    Z   d.  D.  M.  G.  X.  S.  6 
*)    Diese  sind  'Omar,  'Alt,  'Otmln,  'AbA  'Ubaida  b.  Al^rrAh,  T«l^>>  ^^^^^  >>•   'Abt 

SaQAn,  'Ab6  Ha^aifa  b.  'Utba ,  HAfib  b.  'Amr,  'Ab&  Salima  b.  'Abdafasad  Almah- 

sAmt,  'AbAn  b.  Said,  Hfllid  b.  Sa'td,  'Abd-aUAh  b.  Sa'd  b.  ^bl  Sar^  Al'Amtrt, 

Huwaiflb  b.  'Abd-alSixz«  Al'Amirt ,   AbA  SufjAn  b.  Harb ,  Mu'lwija  b.  'Abt  SnQAn, 

Gahaim  b.  Al^alt.  Al'aU'  b.  Al^adramt. 


720  SAchau 

Stämmen  *Aus  und  Hazrag  das  Schreiben  des  Arabischen  Yon  den 
Juden  erlernt  wurde,  und  dass  sich  unter  diesen,  also  in  Medina,  als 
Muhammad  dorthin  flüchtete ,  eine  Anzahl  des  Schreibens  kundiger 
Männer  vorfand  <).  Ibn  Kutaiba  erwähnt  unter  den  Genossen  beson- 
ders Sa'd  b.  'Üb4da  (gest.  16  S.  »ff),  'übai  b.  Ka'b  (gest.  22  od. 
30  S.  trr)  und  *Abd  ^Absb.  Gabr(gest.  34  S.  Hl)  als  solche,  die 
schon  vor  dem  Islam  schrieben,  über  Hanzala  Alkätib  (gest.  unter 
Mu'äwiya)  und  'Abdallah  b.  Sa'd  b.  *Abt  Sarh  den  Eroberer  Afrika*$ 
(gest.  36)  vgl.  a.  a.  0.  lot  Damtrt  (Jl^l  Ij^  I  S.  ^\)  gibt  ein 
Verzeichniss  von  den  Schreibern  Mu(iammad*s  s). 

Was  nun  das  Aufschreiben  von  Traditionen  in  der  ältesten  Zeit 
des  Islaips  betrifil ') ,  so  herrschte  bei  sehr  vielen  ein  Zweifel  dar- 
über» ob  eine  geschriebene  Tradition  auf  kanonische  Gültigkeit 
Anspruch  machen  könne,  was  noch  z.  B.  Mälik  b.  *Anas  in  Abrede 
gestellt  zu  haben  scheint  (Sprenger,  a.  a.  0.  X  S.  2).  Dieselbe 
Sache  wiederholte  sich  unter  anderen  Verhältnissen  in  den  zwan- 
ziger Jahren  des  vorigen  Jahrhunderts  in  Constantinopel ,  als  Sa'id 
Efendi,  der  Sohn  des  Gesandten  in  Paris,  und  Ibrähtm  Efendt  die 
Buchdruckerei  von  Paris  aus  einführten*);  die  Ulemas  erklärten  sie 
für  eine  religionswidrige  Neuerung  im  Vergleich  zu  der  üblichen 
Fortpflanzung  der  Wissenschaften  durch  Abschreiben.  Wenn  sie  es 
auch  nicht  verhindern  konnten,  dass  Bücher  weltlichen  Inhalts  ge- 
druckt wurden,  so  ist  es  doch  ihrem  Einfluss  zuzuschreiben,  dass 
der  Koran  in  Constantinopel  nicht  gedruckt  werden  durfte.  Schliess- 
lich ist  mit  Bezug  auf  den  Fortschritt  der  Wissenschaften  in  dieser 
ältesten  Periode  noch  in  Betracht  zu  ziehen ,  dass  sie  sich  von  Seiten 


1)  Er  nennt  Sa'd  b.  'UbAda,  Almundir  b.  'Amr,  'Ubai  b.  Ra'b,  Zatd  b.  T^bit,  Rifi' 
b.  MAHk.  'Uaaid  b.  ^ndair,  Ma'n  b.  'Adt  Albalawf ,  Baabtr  b.  Sa'd,  Sa'd  b.  AI- 
rabf ,  'Aus  b.  Hawailt,  'AbdallAh  b.  JUbai  AJmundfik. 

^^*  sy,  ^j^  ^  r^cT  J/y^^  r^of  S-^^^  J^^  ^^^ 

J^IU*j  i^^Juwil  f^-^J>\  ^j»  aIIiäj  ijLiut  ^\  ^  Ai^l«M  j  3^^^^^ 

S)   Vgl.  den  Aofaatx  von  A.  Sprenger,  Über  das  Traditionsweaen  bei  den  Arabern. 

in  der  Z.  d.  D.  M.  6.  X.  8.  IIT. 
*)    Vgl.  Meninsky  (ed.  seeunda  1780),  Einleitung  S.  84 — 87. 


Zur  ilUtten  tieschichta  des  nnhammedanitclien  Rechte  721 

der  Omajjadischen  Chaiifen  keinerlei  Protection  eu  erfreuen  hatten. 
Hiervon  macht  allerdings  'Omar  b.  'Abd-al'aztz  (A.  H.   98>-101 
od.  717  —  720)  eine  Ausnahme;  aber  seine  Regierung  war  zu  kurz* 
als  dass  sie  von  nachhaltigem  Einfluss  in  dieser  Richtung  hfttte  sein 
können.  Trotzdem  scheint  schon  im  dritten  Decennium  des  2.  Jahr- 
hunderts die  Aufzeichnung  grosserer  Quantitäten  von  Traditionen 
begonnen  und  dies  sich  zwischen  den  Jahren  120  —  150  als  allge- 
meine, weniger  als  gesetzlich  denn  nothwendig  anerkannte  Art  der 
Fortpflanzung  durchgekämpft  zu  hftben,  obgleich  wohl  zu  bemerken 
ist,  dass  noch  für  lange  Zeit  bis  zum  Ende  des  zweiten  Jahrhunderts 
and  'später  die  mundliche  Überlieferung  als   die   klassische ,  dem 
Geist   des  Islam  mehr  conforme  angesehen  wurde ,  und  dass  man 
selbst  in  der  schriftlichen  Überlieferung  die  Formen  der  mundlichen 
nachahmte. 

Als   denjenigen,   der   zuerst  Traditionen    niederschrieb,   be- 
zeichnen die  Araber  den  Muhammad  b.  Muslim  Alzuhrt  in  Medina, 
gewohnlich  Ihn  Shihib  Alzuhrt  genannt  <)^  der  zu  den  Chaiifen  'Abd- 
aimalik  b«  Marwän  und  Hishäm  b.  'Abd-almalik  in  Beziehung  stand 
and  unter  Jaztd  b.  'Abd-alfnalik  als  Richter  fungirte;  er  starb  124 
(742).  Damals  scheint  die  verbreitetste  Methode  des  Unterrichts  die 
gewesen  zu  sein »  dass  der  Muhaddit  aus  dem  Gedächtniss  recitirte 
oder  aas  seinen  Heften  dictirte,  und  seine  Zuhörer  niederschrieben» 
um  dann  das  Geschriebene  ihm  vorzulesen ,  damit  er  etwaige  Fehler 
corrigire.  Durch  einen  Schritt  weiter  kam  man  dahin,  dass  auch  solche 
Traditionen  als  gültig  betrachtet  wurden,  die  nicht  dem  Lehrer 
vorgelesen  resp.  von  ihm  corrigirt  waren,  z.  B.  brieflich  mitge- 
theilte.  Folgendes  ist  ein  instructiver  Nachtrag  zu  Sprenger  (a.  a. 
0.  8.  8.  9):  Ihn  |(utaiba  erzahlt  (S.  ril),   dass  Ihn  6urai|  in 
Mekka    (geot.   154  =  771),  der  erste  der  wirkliche  Bucher  ge- 
schrieben haben  solK  zu  Hishäm  b.  'Urwa  gesagt  habe:  „0  *AbA 
Mundir,  ist  das  Blatt,  das  du  dem  N.  N.  gegeben  hast,  deine  Tradi- 
tion?**   Er  erwiedert   »Ja»*.    Wä^idf.    der   dies  überliefert,    fugt 
hinzu:   Seit  der  Zeit  hörte  ich  den  Ibn  Guraig  sagen:  „Hishäm  b. 
Urwa  hat  mir  überliefert*'   in  unzähligen  Fällen*'.  Ich  fragte  ihn 
über  das  Vorlesen  einer  Tradition  vor  dem  Muhaddit;  er  erwiderte: 


^)    ibn  Kutaiba  8.  IT^;  Sprenger  a.  a.  0.  S.  7. 
SJUb.  d.  phil-hist.  Ol.  LXV.  Bd.  Ui.  Hfl.  48 


722  Sachatt 

„Ein  Mann  wie  du  fragt  noch  danach?  Man  streitet  sich  nur  Ober 
ein  Blatt  (eine  schriftlich  mitgetheilte  Tradition),  das  man  bekommt 
iind  spricht:  „ich  überliefere  was  darin  steht**  ohne  es  (dem Muhaddit) 
vorgelesen  zu  haben.  Wenn  er  es  aber  vorliest,  so  ist  dies  (die 
schriftliche)  und  die  mündliche  Mittheilung  ganz  gleich."*  —  Nach 
Ahmad  b.  Hanbai  (Nawawt  S.  YAY)  waren  Ihn  Gurai^  und  der  bas- 
rensische,  IS6  gestorbene  Oberlieferer  Sa'td  b.  'Abt  'ArAba  die 
ersten,  die  Bücher  verfassten.  Eine  auf  Aldahabt  (gest  748)  zu- 
rückgehende, ans  *Abulmah4sin  S.  TAA  entnommene  Notiz  über  die- 
jenigen, die  zuerst  in  den  verschiedenen  Städten  des  Islams  Bücher 
verfassten,  ist  von  Slane  (Ibn  Khallikän,  Einleitung  S.  XXIV)  mit- 
getheilt.  Einen  Bericht  aus  älterer  Quelle  (Alhatfb  Albagdädt  gest. 
463)  über  denselben  Gegenstand  gibt  Hägt  Haltfa  I  S.  80.  81.  Nach 
diesem  schrieben  zuerst  Ibn  Guraig  (so  ist  zu  lesen  für  Ibn  Garih) 
und  Said  b.  'Abt  'Arüba;  dagegen  Rabfa  b.  Sabth  (!)  (gest.  160) 
nach  'Abu  .Muhammad  b.  Rämahurmuzt. 

• 

Diesen  schliessen  sich  an: 

Suljän  b.  'üjaina  (gest.  198) )  .    „   „ 

Mälikb/Anas  (gest.  179)     '}""««*''"» 

'Abdallah  b.  Wahb  (gest  197)  in  Aegypten 

Ma'mar  (gest.  183)  ) 

'Abd-alrazzäk  (gest.  211)  )  "^  " 

Sufjän  Altaur  (gest.  161)  i  '    Kif 

Muhammad  b.  Fudail  b.  Gazwän  (gest.  195)  ) 

Hammdd  b.  Salima  (gest.  1 67)  \ 

Röh  b.  Xfbäda  (gest.  205)  }  "*  ^^^^^ 

Hushalm  (gest.  183)  in  Wäsit 

'Abdallah  b.  Mubarak  (gest.  181)  in  Hurftsan. 

Hiermit  ist  der  Bericht  des  Fihrist  über  eine  in  Hadtta  gefun- 
dene Bibliothek  zu  vergleichen,  in  der  sich  auch  Autographen  son 
Sutjän  b.  'üyaina,  Sufjän  AUaurt  und 'Auzä't  befunden  haben  solleo 
(Flügel,  Grammatische  Schulen  der  Araber  S.  26).  Nach  dem 
Fihrist  sollen  ferner  schon  Mugfra  b.  Miksam  (gest.  136)  und  Mu- 
hammad b.  'Abt  Lailä  (gest.  148)  über  Erbrecht  (ein  Ji£lji\  ^i 
geschrieben  haben  (N.  F.  412  Bl.  41a).  Obgleich  der  Inhalt  dieser 
Aufzeichnungen  wohl  zum  griissten  Theil  aus  Traditionen  bestand, 
so  ist  doch  zu  berücksichtigen,  dass  sich  in   diesem  Verxeiehnissr 


Zur  ilieaten  Geschichte  des  mahammedaBiscfaeii  Rechts.  723 

mehrere  Männer  befinden,  deren  grösste  Verdienste  auf  dem  Gebiet 
der  Jurisprudenz  zu  suchen  sind,  z.  B.  Rabfat-alra  ji »  'Auzd1,  *Abü 
Hanifa  und  *Abü  Jüsuf.  —  Was  die  Art  dieser  Aufzeichnungen  der  äl- 
testen Zeit  anbetrifil,  so  darf  man  schwerlich  an  vollständige;  ge- 
ordnete Bucher  denken  (Sprenger  a.  a.  0.  S.  8);  von  einer  sy- 
stematischen Eintheilung  des  Stoffes  war  sicherlich  noch  nicht  die 
Rede.  Vor  143  trug  man  vor  aus  dem  Gedäcbtniss  ^und  man  über- 
lieferte   die  Wissenschaft  aus  correcten,  aber  ungeordneten  Blät- 
tern''>).   Nach  einer  Bemerkung   Slane*s   (Ihn  Khaldün»   Über- 
setzung III.  S.  5  Note  3)  war  es  auf  muhammedanischen  Schulen 
Sitte,  die  Schriften  erst  dann  einzubinden,  wenn  sie  nicht  mehr  ge- 
braucht wurden.  Zwischen  den  Jahren  140  —  ISO  begann  eine  ge- 
ordnete Aufzeichnung  und  eine  Eintheilung  der  einzelnen  Wissen- 
schaften.   Der   characteristische   Name   dieser   Literatur   ist   p^\ 
^.Uictat**;  der  Lehrer  dictirte  ein  Heft,  und  von  diesem  schrieben 
wieder  andere  ab  —  oder  der  Schüler  machte  sich  eine  Abschrift 
von  dem  Heft  des  Lehrers  und  las  sie  ihm  vor;  dieser  corrigirte  dann 
selbst  oder  Hess  sie  durch  einen  andern  nach  seinem  Heft  corrigir^n. 
(Sprenger  a.  a.  0.  S.  12).  Diese  letztere  war  die  Lehrmethode 
Abä  Hantfa's.    Weder  dieser  noch  sein  geistiger  Erbe  *Abd  Jusuf 
haben  ihr  juristisches  System  in  einem  eigentlichen  Buche  deponirt ; 
nur  in  Collegien- Heften  und  im  Gedäcbtniss  ihrer  Schüler  kam  es 
auf  die  Nachwelt.  *Abü  JAsuf  scheint  sogar  ein  Gegner  schriftlicher 
Abfassung  gewesen  zu  sein,  wenn  wir  der  von  *Abü-Mlait  Alsamar- 
kandf  im  Bustin  erzählten  Nachricht,  dass  er  Muhammad  b.  Alhasan 
desshalb  getadelt  habe,  Glauben  schenken  dürfen  (Sprenger  S.  6). 
Der  eigentliche  Begründer  der  hanefitischen  und  mittelbar  der 
gesammten   muhammedanischen  Bechtsliteratur   ist  Muhammad   b. 
Alhasan  Alshaibini,  au  dessen  Grösse  sich  die  Juristen  aller  fol- 
genden  Generationen  wie  am  Eichbaum  der  Epheu  emporgearbeitet 
haben. 


.c^^ 


ff  >» 


^)    'Abolmaliinn  S.  TAA:    Den  Qeg^ensats  sn  dieaea  A«^  j^  i^A^   bildea  ^«%0 

t\'tCi-^^  d.  h.  in  ^jiß^  oder  ^y^^  (Kapitel,  Abschnitte)  eingetheUte , fiberhaapt 

nach  den  Gegenttllnden  geordnete  und  ausgearbeitete  Werke.  Die  Grundbedeutung 
der  Wnrael  Mt  «ausaounenwickeln-winden^,  daher  ilDJX  „Kniuel** ,  DDJXD 
«Turban^. 


48 


VerMtckaiM  dtr  «isi^egaiigeiieB  Druck«p|iriflaB.  7  2b 


VBRZEICINISS 

DER  EINGEGANGENEN  DRUCKSCHRIFTEN. 

(JttBi  1870.) 

Acad^mie  Imperiale  des  Sciences  de  St.  P^terisbourg:  Memoires. 

Tome  XVI,  Part  2.  St.  P^tersbourg,  1870;  8«.  (Russisch.) 
Academy,  The  Royal  Irish:  Transactions.  Vol.  XXIV.   Science: 

Parts  IX— XV;  Antiquities:  Part  VIII;  Polite  Literature :  Part  IV. 

Dublin,  1867-1870;  4«. 
Accademia    delle  Scienze   deli*  Istituto   di   Bologna:    Memorie. 

Serie  II.  Tomo  IX,  Fase.  3.  Bologna,  1870;  4». 
Akademie  der  Wissenschaften  und  Künste,  südslavische :  Arbeiten. 

Band  XI.  Agram,  1870;  8«. 

—  der  Wissenschaften ,  Konigl.  Bayer. ,  zu  Mönchen :  Sitzungsbe- 
richte. 1869.  IL  Heft  3— 4;  1870.  I.  Heft  1.  München;  8». 

—  der  Wissenschaften,  Konigl.  Preuss.,  zu  Berlin:  Monatsbericht. 
Män-April  1870.  Berlin;  8». 

Bihlioiheca  manuacripta  ad  S.  Mord  Veneiiarum.  Codices  nus. 
latini  Tom.  I.  et  IL   Venetiis,  MDCCCLXX;  8«. 

Central-Commission,k.k. statistische :  Mittheilangen. XVII.  Jahr- 
gang, 2.  u.  3.  Heft.  Wien,  1870;  4». 

Gesellschaft,  Anthropologische,  in  Wien:  Mittheilungen.  I.  Bd., 
Nr.  3.  Wien,  1870;  8«. 

—  geographische,    in  Wien:    Mittheilungen.    N.  F.  3.,  Nr.  8. 
Wien.  1870;  9P, 

H  a  m  e  I  i  t  z.  X.  Jahrgang,  Nr.  17  —  19.  Odessa,  1 870 ;  4«. 
Institute  di  corrispondenza  archeologica :  Annali.  Vol.  XLI.  Roma, 

1869;  8«.  —  Bullettino  per  Tanno  1869.  Roma;  8».  —  Monu- 

menti  inediti.  Vol.  IX,  Tay.  1 — 12.  gr.  Folio. 


T26  VencichMiM  d«r  eingvgangeiicA  Dincksdiriften. 

• 

instituut,  Koninkl.,  voor  de  Taal-,  Land-  eii  Volkenkunde  van 
Nederlaiidsch  iiidie:  Bijdragen.  III.  Volgreeks',  IV.  Deel, 
4'  Stuk.  *S  Gravenhage,  1870;  8«.  —  Bloemlezing  uitMa- 
laische  Geschriften.  I.  Stuk.  Door  G.  K.  Nie  mann.  *SGra- 
venhage,  1870;  8«. 

Istituto,  Reale,  Veneto  di  Scienze,  Lettere  ed  Arti:  Atti.  Tomo 
XV".  Serie  111%  Disp.  5'-6*.    Venezia,  1869-70;  8^ 

Jabornegg-Altenfels,  Mich.  F.  v.,  Kärntens  römische  .4lter- 
thumer.  (Herausgegeben  mit  Unterstützung  der  kais.  Akademie 
der  Wissenschaften  in  Wien.)  Klagenfurt,  1870;  4». 

Janärdan  Sakhäram  Gadgil,  A  complet  Collection  of  the 
Poems  ot'Tukirama.  Vol.  I.  Bombay,  1869;  8«. 

Mittheilungen  der  k.  k.  Central-Commission  zur  Ertoi-schung und 
Erhaltung  der  Baudenkraale.  XV.  Jahrg.  Mai^Juni  1870.  Wien;  4«. 

—  aus  J.  Perthes*  geographischer  Anstalt.  16.  Bd.,  1870,  Heft  5. 
Gotha;  4o. 

Revue  des  cours  scientifiques  et  litteraires  de  la  France  et  de 

Tetranger,    VII*   Aunee,    Nrs.   25—29;    Paris  &  Bruielles, 

1870;  4o. 
Scientific  Opinion.  Part  XIX.  Vol.  Uli  London,  1870;  4». 
Society,  The  Asiatic  of  Bengal:  Proceedings.   1869,  Nrs.  2—3. 

Caicutta;  8«. 
Verein,   histor.,   für  Niederbayeru :    Verbandlungen.    XIV.  Band, 

1.— 4.  Heft.  Landshut,  1869;  8«. 

—  siebenburgischer,  für  romanische  Literatur  und  Cultur  des  roma- 
nischen Volkes:  Transilvania.  Anulu  UI,  Nr.  8— 11.  KroosUdt 
1870;  4o, 

—  histor.,  von  Unterfrauken  und  Aschaffenburg:  Archiv.  XX.  Bd.. 
3.  Heft.  Würzburg,  1870;  8o. 

Weinhold,  Karl,  Die  gothische  Sprache  im  Dienste  des  Kristen- 
thums.  Halle,  1870;  8«.  —  G.  F.  E.  Schoenborns  Auf- 
zeichnungen über  Erlebtes.  Mit  Einleitung  und  Beigaben  voa 
K.  W.  Kiel;  8«. 


SITZUNGSBERICHTE 


DRR 


KAISERLICHEN  AKADEMIE  DER  WISSENSCHAFTEN. 


PHILOSOPHISGH-HISTORISCBE   CLASSE. 


LIV.  BAND.  IV.  HKIT. 


JAHRGANG  1870.  —  JULI. 


49 


Commissionsbericht.  729 


SITZUNG  VOM  6.  JULI  1870. 


Herr  Dr.  Franz  Kürschner  ersucht  um  eine  Subvention  zur 
Drucklegung  seiner  Schrift:  „Eger  und  Böhmen.  Die  sUato- 
rechilichen  Verhältnisse  in  ihrer  historischen  Entwicklung"*. 


SITZUNG  VOM  18.  JULI  18T0. 


Der  Leiter  des  k.  und  k.  Handelsministeriums  zeigt  mit  Note 
vom  7.  Juli  c.  an,  dass  der  geographisch-commercielle  Congress  in 
der  Zeit  vom  14.  bis  21.  August  in  Antwerpen  stattfindet. 

Der  wissenschaftliche  Leiter  der  ostasiatischen  Expedition»  Herr 
Hofrath  Ritter  v.  Scherzer,  sendet  ein  ihm  von  einem  französischen 
Missionar  in  Peking  übermitteltes  Wörterverzeichniss  der  mongoli- 
schen Sprache. 

Herr  Prof.  Dr.  Bippart  in  Prag  sendet  eine  Abhandlung:  ,,Uber 
Bau-  und  Gliedenuig  des  Hexameters**, mit  dem  Gesuche  um  Aufnahme 
derselben  in  die  Sitzungsberichte. 


49 


730  Conmittiontherichl. 

Herr  Prof.  Dr.  Ritter  t.  Schulte  in  Prag  sendet  eine  Abhand- 
lung: „Literaturgeschichte  der  Compilationes  antiquae,  besonders  der 
drei  ersten **,  mit  dem  Gesuche  um  Aufnahme  derselben  in  die  Sitzungs- 
berichte. 


SITZUNG  VOM  20.  JULI  1870. 


Der  prov.  Seeretir  legt  vor  eine  Einladung  zum  Beitritt  eu  dem 
Congres  international  d'arch^ologie  pr^historique  zu  Kopenhagen. 

Das  w.  M.  Herr  Dr.  Pf iz maier  legt  eine  für  die  Sitzungs- 
berichte bestimmte  Abhandlung  vor  unter  dem  Titel:  «Die  Anwen- 
dung und  die  Zufälligkeiten  des  Feuers  in  dem  alten  China^. 


Das  w.  M.  Herr  Regierungsrath  Hofler  sendet  eine  ffirdie 
Denkschriften  bestimmte  Abhandlung,  betitelt:  „Anna  von  Luxem- 
burg, Kaiser  Karl's  IV.  Tochter,  K.  Richard*s  II.  Gemalin,  Konigin 
von  England.  1382—1394*«. 


Der  Privatdocent  Herr  Dr.  F.  Hof  mann  in  Wien  ersucht  uro 
Aufnahme  seiner  im  Manuscript  vorgelegten  Abhandlung  »»Über  den 
Verlobungs-  und  den  Trauring*«  in  die  Sitzungsberichte. 


Der  proT.  Secretär  legt  Tor  eine  yon  Dr^  Alois  Goldbacher. 
Professor  am  Gymnasium  in  Graz,  fibersendete  Abhandlung:  »Bei- 
träge zur  Kritik  und  Erklärung  von  Apuleius  de  dogmate  Piatonis«*. 


Phillips,  Eine  btskiscbe  Spmcbprobe  nebst  Einleitung  u.  Comroentar.    731 


Eine  baskisehe  Sprachprobe  nebst  Einleitung*  und 

Commentar. 

Vom  w.  M.  Hofrath  Dr.  6.  Phillips. 


Einleitung. 

I. 

Stadium  der  baskischen  Sprache  in  Deutschland. 

Wilhelm  von  Humboldt *s  berühmtes  Werk:  „Prüfung  der 
Untersuchungen  über  die  Urbewohner  Hispaniens  vermittelst  der  vas- 
kischeu  Sprache**  erschien  im  Jahre  1821.  Schon  neun  Jahre  früher 
(1812)  hatte  derselbe  Gelehrte  durch  die  Ankündigung  einer  leider 
niemals  erschienenen  Schrift  „über  die  yaskische  Sprache  und  Na- 
tion**^),  und  sodann  in  seinen  „Berichtigungen  und  Zusätzen  zum 
Hithridates** <),  welche  im  Jahre  1817  von  Job.  Nep.  Vater  heraus- 
gegeben wurden,  auf  die  grosse  wissenschaftliche  Bedeutung  und  auf 
die  merkwürdigen  Eigenthümlichkeiten  der  baskischen  Sprache  die 
allgemeine  Aufmerksamkeit  hingelenkt.    Seine  Berichtigungen   und 


*)  «Aüknndi^uBg  einer  Schrift  Qber  die  basliische  Spreche  und  Netion  nebet  Angabe 
dae  Geeichtsponlites  undlnheltee  dereelben"  (Fr.  Schjegel,  deuteches  MutevB. 
Bd.  2.  —  each  im  Königsberger  Archir  für  Philoaopkie,  Theologie,  Sprachknnde  und 
Geschichte.  1812.)  —  Da  diese  Ankündigangv  die  selbst  eine  schöne  Abhandlung  ist, 
in  die  gesamoielten  Werke  Humboldts  keine  Auftiahme  geftinden  hat,  so  ist  es  ein 
bosoBderes  Verdienst,  welches  sich  Mahn  erworben  hat,  dass  er  dieselbe  in  seinen 
DenkmSIem  der  baskischen  Sprache  S.  X — XIX  hat  wieder  abdrucken  lassen. 

<)  Hithridates  oder  allgemeine  Sprachenkunde  ron  Job.  Chr.  Adelung  fortgeführt 
▼on  Job.  Se?.  Vater.  Bd.  4.  8.  273—360. 


732  Phillips 

Zusätze  enthielten  aber  viel  mehr»  als  man  aus  dem  Titel  sehliessen 
konnte,  nämlich  eine  „ Auswahl  vaskischer  Wörter  in  alphabetischer 
Ordnung**,  dann  vieles  Ober  den  Bau  der  Sprache,  vomehmlieh  über 
deren  merkwürdige  Conjugatlon,  ferner  eine  Übersicht  der  auf  die- 
selbe bezüglichen  Literatur  und  endlich  einige  interessante  Sprach- 
proben. 

Seit  jener  Zeit  ist  mehr  als  ein  halbes  Jahrhundert  yerflossen 
und  gegen  alles  Erwarten  haben  die  Arbeiten  Humboldt's  auf  diesem 
Gebiete  bei  uns  lange  gar  keine  Nachfolge  gehabt;  man  begnügte 
sich  mit  dem  von  Humboldt  Geleisteten  und  hielt  den  Beweis,  dass 
die  Basken  die  Nachkommen  der  alten  Iberer  seien,  für  so  vollständig 
erbracht,  dass  man  auch  dem  leisesten  Zweifel  dagegen  keinen  Raum 
gab.  Auch  jetzt  sind  nicht  gar  viele  Namen  deutscher  Gelehrten  an- 
zugeben, welche  sich  eingehend  mit  dem  Baskischen  beschäftigt 
haben.  Di ez  hat  oft  Gelegenheit  gefunden  in  seinem  ^Etymologischen 
Wörterbuche  der  romanischen  Sprachen**  auch  das  Baskische  zu  be- 
rücksichtigen, und  gibt  in  der  Vorrede  seines  Werkes  manche  in 
dieser  Beziehung  sehr  brauchbare  Fingerzeige*).  Namentlich  ist 
aber  C.  A.  F.  Mahn  zu  nennen,  der  sowohl  in  der  Einleitung  za 
seiner  Schrift:  „Denkmäler  der  baskischen  Sprache**  (Berlin.  1857)» 
als  auch  in  seinen  »Etymologischen  Untersuchungen  auf  dem  Ge- 
biete der  romanischen  Sprachen**  (Berlin,  1863)  so  wichtige  und 
dankenswerthe  Beiträge  für  das  Studium  des  Baskischen  geliefert 
hat,  dass  man  nur  wünschen  kann,  es  möge  dem  tüchtigen  Forseber 
gegönnt  sein,  diese  Arbeiten  fortzusetzen  und  die  Wissenschaft  mit 
dem  von  ihm  verheissenen  Wörterbuche  der  baskischen  Sprache  zu 
bereichern  *). 

Ausser  diesen  beiden  Gelehrten  hat  sich  seit  Humboldt  Niemand 
in  Deutschland »)  ex  professo  mit  der  baskischen  Sprache  abgegeben, 
wenigstens  ist  —  unseres  Wissens  —  keine  irgendwie  bedeutende 


»)  Vorrede  S.  X— XIV.     ' 

^)  Aach  röhrt  der  Artikel .-BttkenbeiBIaDtechli,  deotsebee  StaaUvörterbacb, 
Bd.  '2.  S.  659 — 673  ron  Mahn  her ;  in  demaelben  finden  lich  «ehr  braaefabarc  lfo> 
tiaeh  6ber  jenen  Volkastamm  anaammengeatellt 

^)  Wir  haben  aber  einatweilen  nur  Deutschland  im  Auge;  anf  die  Arbeitea  flranxd- 
siacber  Gelehrten  über  die  baakische  Sprache  wird  spiterhin  in  eiaer  besonde- 
ren Abhandlang  über  die  Literatur  derselben  eingegangen  werden. 


Eine  bnskische  Spracbprobe  nebtt  Einteilung  und  Commentar.  733 

Schrift«)  darüber  erschienen ?)•  Es  hat  jedoch  Pott  an  verschiede- 
neo  Stellen  seiner  Werke  diese  Sprache ,  namentlich  deren  Zahlen- 
system berflcksichtigt s)  und  auch  Theodor  Benfey  hat  ihr  i^ 
seinem  neuesten  Werke  einige  Aufmerksamkeit  geschenkt*).  Wir 
sind  weit  eutfemt,  der  deutschen  Wissenschaft  aus  dieser  nicht  sehr 
lebhaften  Theilnahme  für  das  Baskische  einen  Vorwurf  zu  machen; 
aber  dass  diese  Erscheinung  auffallend  ist,  kann  nicht  in  Abrede  ge« 
stellt  werden,  wie  dies  aus  einigen  Gegensfttsen  leicht  erhellen  wird : 
Ein  Castr^n  bereiste  in  seinem  Eifer  fSr  die  Erforschung  unbc'» 
kannter  Sprachen  Jahre  lang  und  unter  lebensgefShrlichen  Anstren- 
gungen «die  Sehneefelder  Sibiriens  und  die  Küsten  des  Polarmeeres, 
brachte  ganze  Winter  in  Höhlen  von  Eis  und  in  den  rauchigen  Hütten 
fettschmutziger  Samojeden  zu,  arbeitete  sieh  dann  durch  mongolische 
Sandsteppen  durch,  fuhr  über  den  Baikalsee  und  kehrte  von  den 


*>  Es  kann  una  freilich  leicht  eine  Schrift  der  Art  entgangen  sein,  nnd  wir  werden, 
darüber  belehrt,  die  Gelegenheit  nicht  vorfibergehen  lassen,  nnsem  Irrtham  zu  be- 
richtigen. Eben  so  wenig  sind  wir  in  der  Lage  sn  wissen,  ob  nicht  irgend  ein 
tftchtiger  Sprachforscher  sich  eingehend  mit  der  btskischen  Sprache  beschifUgt 
hat,  ohne  dass  er  bisher  sich  geneigt  fand,  seine  Studien  su  Teröffantlichen.  — 
Noch  nag  einer  etwas  filteren  Schrift  auch  hier  gedacht  werden,  welche  schon  im 
Jahre  1S07  erschien,  aber  anch  den  Anfordemngen,  welche  dsmals  gemacht  worden, 
nicht  ganx  entsprechen  soll ;  es  ist  diess :  Georg.  Ang.  Fried.  G  o  I  d  m  a  n  n ,  Commen- 
tatio,  qua  trinarum  Linguamm  Yasconnm,  Belgamm  et  Celtamm,  qnamm  Reliqniae 
in  Unguis  Tasconica,  Cymry  et  Oeelica  snpersnnt,  diserimen  et  dirersa  e^josqae 
indoles  docetar,  in  certamlne  literario  eirinm  Academiae  Oeorgiae  Augnstae  1S07 
praenio  omata.  Götting  4.  —  Es  ist  uns  nicht  gelnngen,  diese  Schrift  su  Gesicht 
zu  bekommen.  Vergl.  über  sie  W.  v.  Humboldt,  Berichtigungen.  S.  337. 

"0  Unser  rerstorbener  Freund  Dr.  Guido  Gör  res  hat  im  Jahre  IStS  mit  rier  Andern 
in  einer  ungedruckt  gebliebenen  lateinischen  Abhandlung  (Structura  grammaticae 
lingnae  Hbpanorum  Teterum  indigenae  id  est  Yasconicae  phQosophice  eiplicata  nee 
oon  comptrata  rariis  tam  Orientis  quam  Occidentis  Unguis,  mit  dem  Motto :  L'es 
diulectes  vtrl^  du  langage  hnmain  sont  autant  de  nyons  par  lesquels  se  refleehit  le 
soieil,  qui  edaire  notre  intelligence)  um  den  Volney VPreis  concurrirt.  Darrigol 
(8.  Seite  736)  trug  den  Sieg  dsTon.  Durch  die  Gefifligkeit  des  Herrn  Mohl 
wurde  uns  eine  Einsicht  in  jene  Abhandlung  gestattet,  in  welcher  der  damals  noch 
sehr  junge  Gelehrte  sein  grosses  und  entschiedenes  Talent  für  dergleichen  sprach- 
forschlicbe  Untenuchungen  bekundet  hat. 

*)  S.  insbesondere  Pott,  die  Spnchrertchiedenheit  in  Buropa  an  den  EahlwSrtem 
nachgewiesen.  (HaUe  1S6S.)  S.  9  a.  f. 

*)  Benfey,  Geschichte  der  Sprachwissenschaft  und  orientalischen  Philologie  in 
Deutschland.  (Minchen  1S69.)  8.  76S.  u.  f. 


734  Phillip« 

GräDzen  Chiua*s  heim,  um  —  bald  darauf  zu  sterben^  i«) !  EId 
Sjögren  brachte  aU  Lohn  für  seine  Studien  der  Sprache  der  Osse- 
ten im  Kaukasus  ein  erblindetes  Auge  und  erfrorene  Glieder  mit"), 
und  wer  die  Bauernwirthschaften  Litthauens  kennt»  wird  »Unge- 
mach und  Entbehrung**  zu  würdigen  wissen,  welche  der  leider  zu 
frfih  verstorbene  Schleicher  auf  seiner  wissenschaftlichen  Reise 
zur  Erforschung  der  Sprache  jenes  Landes  hat  erdulden  müssen  «>). 
Keiner  unserer  Landsleute  ist  aber  dem  Beispiele  Humboldt*s  dariD 
gefolgt,  dass  er  dem  biederen  Volke  der  Basken  in  den  schonen  Ge- 
birgen Ton  Guipuzcoa  und  Biscaya  einen  längeren  Besuch  abgestat- 
tet <*)  oder  auch  nur  an  dem  herrlichen  Meeresstrand  von  St.  Jean 
de  Luz  oder  in  Cambo  t*)  zu  dem  Zweck  sich  aufgehalten  hätte,  um 
tiefer  in  den  Geist  der  Euskuara,  wie  die  Basken  ihre  Sprache  nennen, 
einzudringen! 

Wie  lässt  sich  das  erklären?  Ist  man  etwa  zu  der  Überzeugung 
gelangt,  dass  die  baskische  Sprache  für  die  Linguistik  nicht  die  hohe 
Bedeutung  habe,  wie  man  sie  ihr  früher  beilegen  zu  müssen  glaubte? 
Keineswegs,  es  wird  die  Wichtigkeit  dieser  Sprache  nach  wie  vor 
allgemein  anerkannt,  einer  Sprache,  von  welcher  Humboldt  es  rühmt, 
dass  sie  in  ihrem  Wortbau  und  in  ihrer  RedefOgung  eine  ganz  be- 
sondere Kühnheit  des  Ausdruckes  besitze  <0-  Nur  eine  auf  dem  Ge- 
biete der  Linguistik  sehr  geschätzte  Auetorität  scheint  etwas  weniger 
günstig  über  den  Werth  dieses  merkwürdigen  Idioms  zu  urtheilen. 
In  einer  Anzeige  des  oben  an  erster  Stelle  erwähnten  Buches  vou 


10)  Vergl.  Max  Mfiller,  Ust  ResulU  of  the  Turanian  Reaearches.  p.  274  (b«i 
Bunaen,  Chriatiaaity  and  Mankiod.  Vol.  III.).  —  S.  aach  Schiefner  in  der  Vor- 
rede M  Caakrjn'a  Samojedischer Grammatik. 

1*)  S.  Sjögren,  Oaaetttche  Sprachlehre.  Vorrede  S.  IX. 

<*)  Schleicher,  Briefe  über  die  Erfolgte  einer  wiaaenaohafUichen  Reiae  nach 
Litauen.  8.  S.  (Sitznngaberichte  der  kaia.  Akademie  der  Wiaaenachaften.  J%hrg.  1SS2. 
Bd.  9.  S.  529). 

l>)  Eine  Ausnahme  macht  W.  v.  Lademann  (Zuge  durch  die  Hochgebirge  mad 
Thaler  der  Pyrenäen  im  Jahre  1822.  Berlin  182$),  allein  seine  Untemichuagen  in 
Betreff  der  Sprache  und  die  darüber  gemachten  Mittheilungen  (S.  313 — S27)  sind 
doch  nur  etwas  oberflichlich  auagefallen 

1^)  S.  C.  Duvoisin,  Cambo  et  ses  alentours.  Bayonne  1858;  eine  in  rieler  Beaiehing 
inleressante  Schrift. 

t5)  W.  V.  Humboldt.  Über  die  Kawi-Sprache  auf  der  Insel  Java.  Bd.  1.  Kinleitang 
S.  CCVI. 


Eine  baskische  Spruchprohe  nebst  Kinleituog  und  Comiiienlar.  735 

Hahn  sagt  St  eint  halt«)  von  den  Kelten  und  Iberern,  weich  letz- 
tere auch  er  för  die  Vorfahren  der  Basken  ansieht,  dass  sie  ,, Volker 
von  schwachem  Geiste,  ohne  historisches  Bewusstsein,  mehr  Wilde 
als  Barbaren  gewesen,  und  erst  durch  Mischung  mit  germanischem 
Klut  und  Geist  fähig  geworden  seien,  thätigen  Antheil  an  der  Ge- 
schichte zu  nehmen*'.  In  wie  weit  dieses  Urtheil  in  Betreff  der  Iberer 
sich  rechtfertigen  lässt  oder  nicht,  kommt  hier  nicht  in  Betracht, 
was  aber  die  Basken  angeht,  denen  wohl  ausserordentlich  wenig 
germanisches  Blut  beigemischt  worden  sein  möchte,  so  scheint  man 
um  so  weniger  auf  eine  dem  entsprechende  Ansicht  jenes  Gelehrten 
in  Beziehung  auf  die  Sprache  derselben  schliessen  zu  sollen,  als 
Steinthal  hinsichtlich  ihrer  von  Mahn's  Buch  den  freilich  sehr  allge- 
mein lautenden  Ausdruck  gebraucht:  „es  gebe  dem  Sprachforscher 
viel  zu  denken**.  Indessen  berechtigt  vielleicht  ein  anderer  Umstand 
zu  dem  Schlüsse,  dass  Steinthal  doch  nur  einen  verhältnissmässig 
geringen  Werth  auf  die  baskische  Sprache  legt  oder  wenigstens 
früher  ihr  eine  grossere  Bedeutung  zugesprochen  hat.  In  seiner  im 
Jahre  1850  erschienenen  Schrift:  „Die  Classification  der  Sprachen, 
dargestellt  als  die  Entwicklung  der  Spracbidee**  hat  Steinthal  die 
baskische  Sprache  in  die  höhere  Kategorie  der  „Stoff  und  Form 
scheidenden  Sprachen**  und  unter  diesen  wiederum  in  die  Classe 
derjenigen  gestellt,  welche  „Nomen  und  Verbum  scheiden**,  so  dass 
dieselbe  in  seiner  von  unten  aufsteigenden  Classification  unter  drei- 
zehn Sprachfamilien  die  zehnte  Stelle  einnimmt  i?).  Dagegen  hat 
derselbe  Gelehrte  in  seiner  „Charakteristik  der  hauptsächlichsten 
Typen  des  Sprachbaues**,  welche  die  zweite  Auflage  jener  andern 
Schrift  bildet  <»),  die  baskische  Sprache  gänzlich  mit  Stillschweigen 
übergangen.  Da  nun,  wenn  anders  die  obige  Auffassung  von  Stein- 
thal's  Ansicht  die  richtige  ist,  dieser  mit  seiner  Beurtheilung  der 
baskischen  Sprache  in  einen  Gegensatz  zu  andern,  und  zwar  gerade 
auch  sehr  angesehenen  Sprachforschern  treten  würde,  so  liegt  hierin 
eine  um  so  stärkere  Aufforderung  dazu,  die  Geschicke  und  den  Geist 
des  baskischen  Volkes,  insbesondere  aber  dessen  Sprache  mehr  als 


^<)  Kuhn    und    Schleicheff    Beitrige   zur  vergleichenden   Sprachkunde.     Bd.    1. 

S.  300. 
<7)s.  Steinthfil,  Classification,  S.  90. 
<S)  BerUn  1S60. 


736  Phillips 

bisher  geschehen»  zu  erforschen.  Denn,  man  muss  sich  allerdings 
verwundern,  dass  die  baskische  Sprache  so  oft  als  äasserst  merk- 
würdig erwähnt  und  dennoch  von  unsern  deutschen  Gelehrten  nur 
so  ganz  nebenher  berücksichtigt  wird.  Hält  doch  Max  Muller, 
den  wir  mit  Fug  und  Recht  zu  diesen  zählen,  die  baskische  Sprache 
för  so  ausserordentlich  wichtig,,  dass  er  sie  in  Beziehung  auf  die  be- 
stimmte Bedeutung  der  Wurzeln  in  ihr,  als  ^the  very  type  and  per- 
fedion  of  a  Turanian  language**  bezeichnet  i*) ,  was  hier  um  so 
mehr  sagen  will,  als  Müller  die  Dreitheilung  der  Sprachen  in  Arische, 
Semitische  und  Turanische  vorzugsweise  vertritt.  Und  dennoch  ist 
dieser  ausgezeichnete  Gelehrte  in  seinen  Mittheilungen  über  die  bas- 
kische Sprache  sehr  karg,  indem  er  sich  fast  nur  damit  begnügt, 
eine  Stelle  aus  der  im  Jahre  1828  mit  dem  Vnlney 'sehen  Preise  ge- 
krönten «Dissertation  critique  et  apolog^tique  sur  la  langue  Basque*' 
des  noch  vor  dem  Erscheinen  seiner  Schrift  verstorbenen  Abb^  Dar- 
rigol wiederzugeben  <<»). 

Wenn  nun  die  Erscheinung,  dass  das  Baskische  seit  Humboldt 
bis  jetzt  in  Deutschland  keine  verhältnissmässig  grosse  Cultur  gefun- 
den hat,  sich  nicht  aus  der  Unterschätzung  dieses  Idioms  erklärt, 
so  wäre  es  nunmehr  doch  an  der  Zeit,  dass  unsere  deutschen  Lin- 
guisten sich  nicht  gänzlich  von  dem  Anbau  dieses  Gebietes  entfernt 
halten  wollten.   Von  Spanien  ist  in  Beziehung  hierauf  freilich  gar 
nichts   €u    erwarten,    denn    bis    dorthin    ist    die   Linguistik   noch 
gar  nicht  vorgedrungen,  aber  ganz  anders  stehen  die  Dinge  in  Frank- 
reich, wo  es  in  der  That  eine  nicht  geringe  Anzahl  von  Männern  gibt, 
die  sich  mit  grossem  Ernst  und  Eifer  auf  das  wissenschaftliche  Stu- 
dium der  baskischen  Sprache  verlegt  haben.  Wir  nennen  in  dieser 
Hinsicht  ausser  dem  bereits  erwähnten  Darrigol,  vomämlich  Du- 
voisin  und  Jnchauspe,  Charencey,  Vinson  und  Blad^<i); 
auch  hat  das  Studium  der  baskischen  Sprache  einen  sich  lebhaft 
für  sie  interessirenden  Protector  in  der  Person  des  Prinzen  Louis 


1»)  Max  MuIJer  I.  c.  p.  289. 

*^)  Vorletaigen  fiber  die  Wissenschaft  der  Sprache.  Bd.  2.  S.  17  und  dasu  die  Note  30. 
S.  536. 

29  ^*i>*  werden  auf  die  Arbeiten  dieser  französischen  Gelehrten  bei  anderer  Gelegen- 
heit au  sprechen  kommen. 


Eine  haskische  Sprachprohe  nebat  EiDleitang:  und  CommenUr.  737 

Liician  Bonaparte  gefunden <<).  Der  Grund,  warum  eine  gleiche 
Theilnahme  für  das  interessante  Idiom  in  Deutschland  noch  nicht 
so  rege  geworden  ist»  liegt  wohl  hauptsächlich  darin»  dass,  seitdem 
Bopp  die  neue  Bahn  der  Linguistik  gebrochen  bat»  die  Kräfte  zu* 
nächst  und  vorzugsweise  l'Or  den  Ausbau  der  Arischen  und  der  den 
historischen  Studien  nahe  liegenden  Semitischen  Sprachen  verwen* 
4et  werden  mussten ;  das  Baskische  lag  aber  davon  zu  fern  ab»  ja 
stand  noch  viel  vereinzelter  da»  als  das  Etruskische.  Oder  hat  man 
sich  etwa  auf  der  von  Humboldt  gelegten  und  in  jeder  Beziehung  als 
unwiderlegbar  erachteten  Basis  nicht  so  ganz  sicher  gefühlt»  so  dass 
man  weder  festen  Fusses  sie  zu  betreten»  noch  einen  andern  Weg 
einzuschlagen  wagte?  Für  einen  Linguisten  ist  auch  in  der  That  das 
Geständniss  viel  schwerer»  dass  man  aus  einem  Idiom  nicht  viel 
herausbringen  könne»  als  fQr  Jemand»  der  in  dieser  Beziehung  an 
seinem  Rufe  Nichts  zu  verlieren  hat;  dadurch  wird  ein  Versuch 
auch  eines  Unberufenen »  so  viel  als  bei  schwachen  Kräften  möglich 
ist  herauszubringen»  einigermassen  entschuldigt  erscheinen.  Zu  die- 
sem Zweck  soll  hier  eine  Sprachprobe  und  zwar  jene  Lauretanische 
Litanei  mitgetheilt  werden »  die  uns  als  der  erste  Schlüssel  dazu 
diente»  um  uns  einige  Bekanntschaft  mit  dem  Baskischen  zu  ver- 
schaiTen.  Ks  erscheint  aber  geeignet  zunächst  noch  einige  Bemer- 
kungen über  das  Sprachgebiet  des  Baskischen»  so  wie  über  einzelne 
Eigenthumlichkeiten  dieser  Sprache  voranzustellen»  wodurch  der  die 
Litanei  begleitende  Commentar  an  Verständlichkeit  gewinnen  durfte; 
wir  beschränken  uns  indessen  hier  nur  auf  eine  ganz  fluchtige  Über- 
schau. 

II. 

Das  Sprachgebiet  des  Baskischen. 

Wie  das  Volk  der  Basken  ein  ethnologisches,  so  ist  seine 
Sprache  ein  linguistisches  Räthsel.   Es  kann  keinem  gegründeten 


*^)  Um  aoch  eioeo  transatlantischen  Gelehrten  su  erwibnen,  ao  möge  auf  Dwight 
Whitney»  Language  and  tbe  Stndj  of  languag«  hingewiesen  werden.  Er  spricht 
an  Terschiedenen  Stellen  seines  Buches  auch  von  den  Baaken,  deren  Sprache  er 
«a  whollj-isolated  and  probleraatic  Langue"  nennt  (p.  101);  er  hilt  sie  (p.  353) 
für  „n  sole  surriring  remnant  of  the  speech  of  an  aboriginal  race^  und  macht 
dann  anf  ihren  poljsynthetischen  Charakter  und  ihre  Ähnlichkeit  mit  amerikanischen 
Sprachen  aufmerksam. 


738  Phillips 

Zweifel  unterliegen,  dass  die  heutigen  Basken  in  einein  historisehen 
Zusammenhange  mit  den  den  Romern  bekannten  Vascones  —  ein 
Name,  der  vieileieht  nur  einer  römischen  Corruption  des  Eask  in 
Euskara  seinen  Ursprung  verdankt <)  —  stehen,  die  ihre  Wohn- 
sitze zwischen  dem  oberen  Ebro  und  dem  südwestlichen  Abhänge  der 
Pyrenäen  hatten.  Allein  nicht  nur  diese,  sondern  auch  andere  ihnen 
benachbarte  Stamme  haben  mit  ihnen  wohl  eine  und  dieselbe  Sprache 
geredet,  wenigstens  ist  das  Gebiet,  in  weichem  heut  zu  Tage  bas- 
kiseh  gesprochen  wird,  ein  viel  grosseres  als  das  jener  Vasconen. 
Im  Übrigen  wollen  wir  der  Frage  über  den  Ursprung  der  Basken 
einstweilen  aus  dem  Wege  gehen  und  unsern  Blick  auf  das  jetzt 
lebende  Volk  und  seine  Sprache  werfen. 

Das  Volk  der  Basken  hat  zwar  keine  so  gewaltsame  Unter- 
drückung und  Zerreissung  erfahren,  wie  die  Polen,  dennoeh  aber 
ist  sein  ihm  angestammtes  Land  durch  eine  politische 'Grenze  zer- 
trennt; ein  Theil  desselben  steht  unter  der  Herrschaft  Spaniens, 
der  andere  gehört  zu  Frankreich.  Es  sind  nämlich  die  spanischen 
Provinzen  Biscaya,  Guipuzcoa,  Alava  und  Ober-Navarra 
und  die  französischen  Cantone  Nieder-Navarra,  Souie  unü 
Labourd,  im  „Departement  des  Basses-Pyren^es**,  in  denen  noch 
heut  zu  Tage  eine  baskische  Bevölkerung  angetroffen  und  die  bas- 
kische Sprache  gesprochen  wird.  Beides  Sllt  nicht  ganz  zusammeu, 
indem  auch  in  jenen  Gegenden  ein  Theil  der  Basken  sich  dem  An- 
drängen der  spanischen  und  französischen  Sprache,  beziehungsweise 
dem  Patois,  nicht  hat  erwehren  können  und  sein  eigenes  Idiom  auf- 
gegeben hat.  Insbesondere  hat  in  Ober-Navarra  und  in  Alava  das 
Baskische  sehr  viel  an  Terrain  verloren  <),  und  es  nimmt  dasselbe 
auch  in  dem  französischen  Theile  des  Baskenlandes  immer  mehr  ab. 
Eine  Sprachgrenze  lässt  sich  in  dieser  Hinsicht  nicht  ziehen,  indem 
die  einheimische  Sprache  vorzugsweise  in  den  wenigen  nicht  in  den 
allgemeinen  Verkehr  hineingezogenen  Ortschaften »  namentlich  in  dea 
hochgelegenen,  sich  erhält,  während  es  in  dem  Flachlande  immer 


*)  Vergl.  Humboldt,  (jBtertucbungen.  S.  54. 

*)  HieTon  gibt  sogtr  die  Prinumerationsliste  der  von  Zaasua  besorgten  Beu«ii  Anagab« 
von  Lammendre  Diccionario  trilingae  ein  Zeugnis»,  welches  wohl  kann  auf 
einem  blossen  Zufall  beruht.  Die  Zahl  der  Subscribenten  betrigt  in  Guipuzcoa  46S, 
in  Biscaja  144,  in  Nnvarra  S4  und  in  Alava  gar  nor  11. 


Eine  buskische  Spnicbprobe  nebst  Einleitunfr  und  ConineDUr.  730 

< 

mehr  sieh  verliert.  Ja,  es  kommt  vor,  dass  in  manchen  Gemeinden 
die  angeborene  Sprache  von  einzelnen  Familien  bewahrt,  von  andern 
aufgegeben  wird  >).  Es  gibt  daher  heut  zu  Tage  manche  Orte  mit 
baskischem  Namen,  wo,  ausser  den  aus  der  Umgebung  hereingekom- 
menen Dienstboten,  fast  Niemand  mehr  baskisch  spricht;  Bayonne 
und  Biarritz  bieten  daför  das  Beispiel. 

Die  baskische  Sprache  theilt  sich  in  mehrere  Dialekte;  die 
Einen  nehmen  drei,  das  Biscayi'sche,  das  Guipuzcoanische  und  La- 
bourdinische,  als  Hauptdialekte  an  ^);  Andere  zählen  dad  Souletini- 
sche  als  einen  besonderen  vierten  >),  noch  Andere  auch  das  Nieder- 
Navarrische  als  einen  fünften  <)  und  Andere  das  Ober-Navarrische 
als  einen  sechsten  f)  Dialekt  hinzu;  noch  weiter  darf  man  hierin  aber 
wohl  nicht  gehen,  denn  zuletzt  Hessen  sich  auch  die  beiden  Hauptdia- 
lekte des  spanischen  Baskenlandes  noch  in  eine  Menge  Nebendialekte 
zerspalten.  Die  Eintheilung  in  bloss  zwei  Sprachgebiete»  je  nachdem 
das  eine  den  Spiritus  asper  h  besitzt ,  das  andere  nicht ,  die  aller- 
dings in  anderer  Beziehung  viel  für  sich  hat,  da  sie  so  ziemlich  mit 
der  Pyrenäengrenze  zusammentrifft,  dürfte  darum  doch  nicht  ganz 
zutreffend  sein,  weil  in  der  Tliat  zwischen  der  Sprache  von  Gui- 
puzcoa  und  der  von  Biscaya,  denen  beiden  der  Spiritus  asper  fehlt, 
ganz  andere  und  so  grosse  Verschiedenheiten  obwalten ,  dass  die 
Bewohner  jenes  Landes  sich  mit  denen  des  Senoirio^s  —  so  wird 
Biscaya  genannt  ~  oft  nicht  recht  verständigen  können  s). 

Von  ganz  besonders  nachtheiligem  Einflüsse  auf  die  Sprache 
ist  gerade  jene  Zertheilung  der  Basken  unter  zwei  verschiedene 
Regierungen  gewesen,  wenn  gleich  das  Volk  trotz  der  verschieden- 
farbigen Schlagbaume  sich  doch  noch  immer  als  Eines  betrachtet. 
Ein  schöner,  wohlgebildeter  Volkstamm*)  hat  ihn  der  Kampf  mit 


')  Rheins  in  dw  uotan  (S.  Note  13)  ang^ebenen  Abhandlung  8.  5. 

^)  Lnrramcndi,  ].  c.  Prolog.  P.  1.  cap.  14.  p.  XXIVrhier  tin^  die  Dialeete  von  Bis- 

caja  Gntpoicoa  nnd  Navarra  pnterscbieden  und  diesem  letaleren  auch  das  fran- 

sosiaehe  Baskenland  äberwiesen.  —  S.  auch  Humboldt  Berichtigungen.  S.  8. 

Vergl.  L  Jcluae,  Grammaire  basque.  p.  30.  u.  s.  w. 
*>  So  Chabo.  Vgl.  Sa  Über  ri,  Vocabnlaire  de  mota  Basqnes  Bas-NaTarTa*8  p.  XVn. 
*)  L.  L.  Bonaparte,  bei  Blad^,  jftudes  aur  l'origine  dea  Basqnes.  p.  SOS  note   1. 
''I  RIdc  Beiiehung  darauf:  Bonaparte  a.  a.  0.  p.  304. 
^)  Lecluse  a.  a.  0.  p.  80. 
*)  Dieaa  soll  jedoch  nach  Rheins  in  der  unten  angeführten  Abhandlung  p.  17  weniger 

gelten  Ton  der  baakiacben  Bevölkerung  dea  Thaies  vonS.  Bngrace  und  einiger  anderen 

Gegenden  der  PyrennSen. 


740  Phillips 

den  Elementen  gestählt;  Meer  und  Gebirge  haben  ihm  Kraft  und  Ge- 
wandtheit verliehen.  Ausdauernd  im  Kampfe  für  ihre  angestammteu 
Rechte  haben  die  Basken  selbst  «dem  grossen  Capitan**  Gonsalvo  de 
Cordova  das  Wort  entlockt :  „Lieber  wollte  ich  Löwen  bändigen  als 
Basken **  «<»).  Und  dennoch  sind  die  Basken  ein  gutmfithiges  und  fröh- 
liches Volk,  und  Nichts  ist  anmuthiger  zu  schauen,  als  ihr  Spiel  h) 
und  ihr  Tanz  «) ;  daher  charakterisirte  Voltaire  die  Basken  durch  den 
Ausspruch:  ^ce  petit  peuple,  qui  saute  et  danse  au  haut  des  Pyre- 
n^es**. 

Leider  ist  die  baskiscbe  Bevölkerung  in  progressiver  Abnahme 
begriffen  und  noch  mehr  verliert,  wie  schon  angedeutet  wurde,  ihre 
Sprache  von  Jahr  zu  Jahr  an  ihrem  Gebiete ;  eine  Erscheinung,  über 
welche  eine  interessante  Abhandlung  von  Elistfe  R^clus  in  der 
Revue  des  deux  mondes  nachgelesen  zu  werden  verdient,  welche  die 
nur  zu  wahre  Überschrift  fQhrt:  „Les  Basques,  un  peuple  qui  s'en 
va^  i>).  Es  sind  jetzt  im  Ganzen  kaum  mehr  600,000  Menschen, 
welche  die  baskische  Sprache  reden  i^),  von  denen  etwa  120,000  auf 
das  franzosische  Baskenland  kommen  <»).  Einen  grossen  Antheil  a» 


i<»)  Vergl.  Bf  ahn  bei  Blutschli  (s.  oben  I.  Notoi). 

*^)  Vorifiglicb  geecbickt  find  die  Basken  im  Ballspiel  (PiloU),  auch  ist  die  bei  ibnes 
flbliche  Jagd  auf  Ringeltauben  sebr  merkwfirdig,  8.  darüber  C.  Duroisin  Caabo 
et  »t»  alentours.  (Bayonne  ISSS).  p.  153  u.  s.  w.  —  S.  aucb  v.  LudeoBann,  Zift 
dorcb  die  Hochgebirge  und  die  Thiler  der  Pjrenien  im  Jahre  182t.  (Berlin  1825) 
S.  307.  u.  f. 

1^)  An  dem  Tanse  nehmen  aber  die  Franenummer  in  der  Regel  nicht,  wohl  aber  bit- 
weilen die  Priester  Theil.  So  berichtet  Garat,  Origines  des  Basques  de  France 
et  d*Bspagne.  p.  32.  —  Die  Musikbegleitung  besteht  in  dem  Tamboorin  and  in  4«r 
Chirola,  einer  Flöte  mit  drei  Löchern. 

>')  Revue  des  deux  mondes.  Tome.  LXVHI.  p.  313 — 340.  (Hieraus  schöpfen  aaek 
mehrere  kleinere  Anfsftxe  in  deutschen  Zeitschriften  s.  B.  Globus.  Bd.  11.(1867) 
8.  367. 

1^)  Einen  recht  hflbschen  Artikel  über  die  Basken  entbfilt  auch  der  Jahrgang  ISST 
der  Augsb.  Allg.  Zeitung.  Beilage  Nr.  280.  Nr.  283;  ebenso  Norddeutsche 
allg.  Zeitung  ▼.  23.  Februar  1868.  Zur  Kenntniss  der  Basken  dient  auch  die  kleine 
Schrift :  Dasconaguerre«  Les  Behos  du  Pas  de  Rolaad.  Paris  1868.  —  Vergl. 
noch  Lfidemann  a.  a.  O.  8.  279.  u.  ff.  so  wie  den  mehrfach  erwihnten  Artikel 
von   Mahn. 

1^)  Mit  Rficksicht  auf  die  Abhandlang  von  Rheins  scheinen  die  Zahlen  bei  Ma  bn  n 
hoch  gegriffen  au  sein.  Dieser  gibt  S.  661  die  BevÖlkening  des  frunöaische« 
Baskenlandes  auf  (90  Q Meilen)   130.000  Seelen  an ;  das  spanische    K6ugreirk 


Eine  baskUche  SpfHchprobe  nebst  Einleitung  und  Commentar.  741 

dieser  Minderung  haben  die  Auswanderungen  nach  SQdamerika«*), 
wo  sich  die  Basken  eben  sehr  bald  unter  der  dortigen  Bevölkerung 
Terlieren.  In  der  Heimath  tragen  zur  Verminderung  des  Gebrauches 
der  baskischeu  Sprache  yerschiedene  Umstände  bei ;  in  Frankreich 
findet  beinahe  kein  Schulunterricht  in  der  eigentlichen  Landessprache 
statt,  müssen  alle  Processe  bei  den  Gerichten  in  französischer  Sprache 
gef&hrt  werden  i^),  sodass  der  Bevölkerung  ausserdem  Verkehre  inner- 
halb seiner  selbst,  nur  noch  der  Katechismus  und  die  Predigt  in  der 
Landessprache  fibrig  bleibt  i^).  Nicht  viel  besser  ist  es  in  Spanien ;  hier 
soll  —  wenn  anders  die  Sache  Glauben  verdient  —  vor  nicht  gar 
langer  Zeit  in  den  Schulen  ein  wunderliches  Mittel  angewendet  worden 
sein,  um  den  baskischen  Kindern  ihre  Muttersprache  auszutreiben «»). 
Derjenige  Knabe  nämlich,  welcher  der  Erste  in  einer  Woche  sich  darin 
verfehlte,  dass  er  baskisch  sprach,  bekam  eine  Marke;  diese  musste 
er  baldmögliehst  wieder  anzubringen  versuchen,  indem  er  sie  sofort 
demjenigen  seiner  Mitschüler  gab,  welcher  sich  unvorsichtiger  Weise 
m  baskischer  Sprache  hatte  vernehmen  lassen.  Dieser  musste  nun  zu- 
sehen, in  gleicher  Weise  die  Marke  loszuwerden;  bei  wem  sie  aber 
am  Samstag  gefunden  wurde,  der  bekam  die  Strafe  für  Alle. 

Die  baskische  Sprache  wird  von  den  Eingebornen  Euskuara 
genannt;  diejenigen,  welche  sie  sprechen,  heissen  Euskaldunak,  im 
Gegensatze  zu  den  Erdaldunak,  welche  die  allgemeine  Landessprache 
(Romance),  nfimlich  dasCastilianische  oder  Französische  reden  s«).  Die 
Sprache  selbst  ist  wegen  ihres  eigenthümlichen  Baues  ganz  beson- 


NammiHirde  danach  auf  145  QMeilen  281.000.  Biscaya  auf  60  QMeilen  150.000, 
Gnipvseoa  anf  20  QMeUen  14.200,  Alava  endlich  auf  51  QMeilen  80.000  Einwohner 
sihlen;  dieaa  gäbe  die  Geaammtanninie  von  763.000  Basken,  allein  diese  aprechen 
nicht  mehr  alle  baakiseh. 

^*)  Niherta  bei  R^clua  t.  ii.0.p.  3SZ.  Es  «ollen  sich  schon  mindestens 50.000  Basken 
•B  Rio  de  la  Plata  angesiedelt  haben ;  aUein  ans  Bajonne  und  Bordeaux  gingen 
in  Jahre  1865  nicht  weniger  als  50  Schiffe  mit  2.609  baskiachen  Auswanderern  nach 
Baeno«  Ajres. 

^7)  8o  geschah  es  schon  seit  lingerer  Zeit  bei  den  Gerichten  tu  Bajonne  und  Ais; 
indessen  es  nnsste  doch  dafBr  Sorge  getragen  werden,  dass  bei  den  einaelnen  Ge- 
richten Notare  angestellt  wnrden,  welche  der  baskischen  Sprache  mirhtig  waren, 
8.  Francisqne  Michel,  Le  pays  basqne.  p.  9. 

*^}  Aneb  der  grSsste  Theil  der  Literatur  besteht  in  Erbauungsbfiohern. 

<*)  So  hericbtet  Van  Byss  a.  a.  0.  p.  1.  — 

>^>  Vergl.  Humboldt  a.  a.  O.  S.  54.  S.  58. 


742  Philips 

ders  merkwürdig;  man  hat  in  Betreff  ihrer  auf  manche  Analogien 
mit  dem  Magyarischen  und  dem  Finnischen,  andererseits  auch  mit 
den  amerikanischen  Sprachen  hingewiesen  und  sie  mit  diesen  in  die 
Reihe  der  aggiutinirenden  Sprachen  gestellt.  Alle  diese  Fragen  bei 
Seite  lassend,  wollen  wir  hier  nur  mit  wenigen  Worten  der  Begeiste- 
rung gedenken,  zu  welcher  sich  manche  Basken  für  ihre  Sprache 
haben  hinreissen  lassen.  Mehrere  haben  sich  nicht  damit  begnügt, 
die  vielen  und  in  der  That  anzuerkennenden  Vorzüge  des  Baskiscben 
vor  andern  Sprachen  hervorzuheben,  sondern  haben  sich  zu  einer 
wahrhaft  schwindelnden  Höhe  in  dieser  Hinsicht  emporgeschwungen; 
alle    andern    übertrifft   hierin   Chaho,    obschon    auch    vor    ihm 
Larramendi  viel  in  dieser  Beziehung  geleistet  hatte.  In  der  Vor- 
rede zu  seinem  Dictionnairesi)  führt  letzterer  aus,  dass  schon  die 
Griechen  und  Römer,  um  so  mehr  die  Franzosen,.  Italiener  und 
Spanier  ihren  Wortschatz  aus  dem  Baskischen  bereichert  hätten,  ins- 
besondere will  Larramendi  im  Castilianischen  nicht  minder  als  1951 
baskische   Worter   neben    538S   lateinischen   zählen.     Astarloa 
rechnete   zu   den  grossen  Vorzügen  des  Baskischen  auch  seinen 
Reichthum  an  Wörtern  «>),  die  er — die  mehr  als  drei  Sylben  zählenden 
ausgeschlossen  —  auf  nicht  minder  als  auf  4  Billionen  nebst  126 
und  einer  halben  Million  berechnete.  Am  Begeistersten  ist  aberChatao, 
der  unter  Anderm  von  der  Vollkommenheit  der  baskischen  Conjuga- 
tionen  so  durchdrungeif  ist.  dass  er  von  ihr  sagt:  ^sie  könne  nicht 
noch  weiter  gehen  und  Gott  selbst  würde,  wenn  er  mit  den  Men- 
schen sprechen  wollte,  kein  feenhafteres  Verbum  anwenden   kön- 
nen**  <>).   Dagegen  ist  die  Meinung  der  Spanier  in  dieser  Hinsicht 


«1)  p.  ex. 

**)  Astarloa,  ApoIogU.  p.  57.  —  Vergl,  darfiber  Lecluae  a.  a.  O.  p.  174,  wo  aork 
ein  hieraof  bsauglicbea  baakischn  Epigramm  in  franaöaiaeher  Übersetsang  ait- 
getheit  wird ;  das  Original  folgt  p.  216. 

S8)  Wir  theilen  die  betreffende  Stelle  im  Originale  mit:  Abbadie  et  Cb  ah  o,  ilades 
grammaticales  sur  la  leugne  Bnskarienne:  p.  84:  „Si  la  coqjngaiaoB  de  In  foroe 
verbale  N  i  z  etale  une  profoaion  de  richesaes  inconnues  li  tontea  les  autren  kiga^s 
humaines,  celle  de  la  forme  Dut  est  plus  roerreillense  encore;  eile  oaarqae  les 
diverse«  relations  des  personnes  avec  la  m^me  ezactitude  et  la  m^me  regvlarite. 
que  la  premiere,et  combine  en  autre  dans  sa  contezture  syllakique  jeaqii^A  U  espr«*- 
sion  de  denx  r^gimes;  la  perfection  ideale,  sp^culative  ne  pent  aller  %«-deii:  Oie« 
lui-m^me,  parlant  aux  hommea,  ne  saurait  emplojer  nn  verbe  plua  fe«ri^«e.*  — 
Äbniiche  Äusserungen  finden  sieb  ancb  in  anderen  Werken  Chabo^s  nameBtlicb  is 


Eine  baskische  Sprachprobe  nebst  Einleitung  und  Commentar.  743 

längst  eine  andere  geworden;  ganz  im  Gegensatz  zu  Scariger*^), 
welcher  den  „Cantabrismus*',  wie  er  das  Baskische  nannte,  als  eine 
«lingua  lenissima  et  suavissima**  bezeichnete,  will  Mariana  nicht 
viel  von  ihr  wissen,  indem  er  sie  als  „rudis  et  barbara**  und  Mcultum 
abhorrens**  auf  eine  sehr  niedere  Stufe  stellt »).  Aus  diesem  Wider- 
willen der  Spanier  gegen  die  baskische  Sprache  rührt  auch  die 
Volkssage  von  der  Verzweiflung  des  Teufels  in  der  Erlernung  des 
Baskischen  her  a«).  Es  ist  daher  begreiflich,  wie  die  spanische  Aka- 
demie in  ihrem  Dictionnaire  dem  Worte  MVascuencC  die  metaphorische 
Bedeutung  beilegt:  „lo  que  esti  tan  confuso  y  oscuro  que  no  ne 
puede  entender** "). 

Ganz  anders  wiederum  als  die  Spanier  urtheilen  unsere  Sprach- 
forscher Humboldt,  Mahn  und  Max  Müller  über  das  Baskische,  ohne 
sich  zu  den  Phantasien  einzelner  Eingebornen  zu  versteigen,  welche 
sogar  ihre  Sprache  zur  etymologischen  Grundlage  des  Latein  machen 
wollen**).  Es  sei  uns  vergönnt  in  mehreren  spSter  nachfolgenden 
Abhandlungen  das  baskische  Alphabet  und  einzelne  andere  Bestand- 
theile  der  baskischen  Grammatik  zu  besprechen,  hier  aber  nur  ein- 


dem  ersten  Bande  der  von  Belsunce  fortgesetzten  Histoire  desBasques.  Damit  ist 

zn  Tergleichen,  was  Chaho  a.  a.  0.  p.  3.  von  der   baskiscben  Sprache   überhaupt 

sagt:  „La  langne  euskarienne  date  des  premiers  si^cles  de  notre  temps  historiqne ; 

eile  naqoit,  durant  le  premier  Ige,  dans  le  midi ;  sa  vocalisation  vierge  est  divine, 

sa  n'^menclatnre  est  originale  et  sans  aelange;  Tarchitectare  merveilleusement  r^- 

guliire  et  sbnple  de  son  Systeme  grammatical  acbeve  d'en  faire  le  dialecte  le  plus 

ybilosopbiqne,  le  plus  complete  du  verbe  humain.'Conservee  jnsqn*an  milien  deTAge 

ancien,  par  les  Aphotbomites,  les  Anberrites,  les  Cbnrites,  les  Muthnrgores  et  autres 

peaplades  de  la  Mauritanie  primitive,  cette  langue  fleurit  en  Bspagne  pendaut  trois 

rnille  ans  avec  les  Iberes-Euskariens ,  JQSqu*ä  rinvasion  des  Celtes  ou  Tartares  (1), 

dont  lea  dialectes  grossiers  et  tenebrenx  enfanterent  dans  nos  contr^es  m^ridionales 

In  eonfnsion  de  Babel.  II  est  donc  vrai  de  dire  en  aUegorie,q«e  la  langue  Euskuara 

bien  anterienre  k  T  eUblissemeut  des  Barbares  dans  le  midi,tire  son  origine  d'  Adam 

poiaque  cette  mytbe  gen^sique  repr^sente  l'humanit^  des  Premiers  Ages  " 

«♦)  Scaliger,  Tract.  de  Enropaeorum  Unguis.  —  Vergl.  Gib  enart,  Notitia  ntri- 
luqne  Vasconiae.  Tom.  I.  cap.  11.  p.  36. 

s^l  Mariana,  Hiat  Hitp.  Lib.  1.  cap.  8. 

2«>  M  abn,  Denkmiler  der  haakiscben  Sprache.  S.  VI. 

27)  DiecioBario  de  la  Academia  Espanola;  adicion  abbreviada  por  D.  Vincento  Gonsalea 
Arnao  (Paris  1S26)  P.  II.  p.  1479. 

2*>  8.  ob«n  Seite  742. 

SiUb.  d.  phil.-hist.  Ol.  LXV.  Bd.  IV.  Rft.  SO 


744  Phillips 

zelne    besonders    charakteristische   Eigeiithümlichkeiten  >*)    dieser 
Sprache  hervorzuheben. 

Es  findet  sich  in  dem  heutigen  Baskischen  ein  harmonisches 
VerhSltniss  zwischen  Vokalen  und  Consonanten.  Die  Sprache,  deren 
Pronunciation  Deutschen  freilich  einige  Schwierigkeit  bietet,  h5rt 
sich  im  Vortrage  und  Gesprach  ganz  gut  an;  nur  der  häufig  vorkom- 
mende Laut  üz  ist  fbr  unsere  Ohren  nicht  angenehm,  und  wer  das 
spanische  ch  nicht  liebt,  wird  dessen  Übertragung  ins  Baskische  auch 
nicht  erfreuen.  Mit  vielen  andern  Sprachen  hat  das  Baskische  es 
gemein,  statt  der  Präpositionen  nur  Postpositionen  zu  gebrauchen 
und  ist  überhaupt  sehr  reich  an  Suffixen.  Mehrere  dieser  Suffixe  sind 
noch  jetzt  als  Substantive  zu  erkennen  »<»);  so  heisst  gäbe  so  viel 
als  ^MangeH,  ^Entbehrung^,  und  hat  daher,  wenn  es  als  Suffix  zu 
einem  andern  Substantiv  gesetzt  wird,  die  Bedeutung:  Mohne''. 
Z.  B.  ogigabe  heisst  wörtlich  „Brod-Mangel'',  dann:  „ohne  Brod^. 
„brodlos^.  Es  mögen  daher  ihrem  ersten  nicht  mehr  erkennbarem 
Ursprünge  nach  manche  andere  Suffixe  auch  in  diese  Kategorie  zu 
stellen  sein.  Überhaupt  aber  gehört  das  Suffigirungsprinzip  so  sehr 
zum  Wesen  der  baskischen  Sprache,  dass  man  oft  einen  zweizeiligen 
Satz,  wenn  man  ihn  in  eine  unserer  Sprachen  übersetzen  will,  ganz 
getrost  bei  der  letzten  Sylbe  des  letzten  Wortes  der  zweiten  Zeile 
anfangen,  dann  von  rechts  nach  links  Sylbe  für  Sylbe  oder  Wort  für 
Wort  in  gleicher  Weise  anreihen  und  bei  dem  ersten  W^orte  der 
ersten  Zeile  schliessen  kann.  Als  Beispiel  mögen  die  Worte  dienen: 

„mir  scheint  einer  der  besten  Wege ,  um  die  Thüren  gegen 

die  Bosheit  der  Menschen  zu  schliessen''  u.  s.  m\ 
Diese  würden  in  baskischer  Aufeinanderfolge  also  lauten: 

„Menschen  der  Bosheit  die  gegen  Thüren  die  schliessen  um 

Wege  besten  der  einer,  scheint  mir** 
Der  baskische  Text  dazu  ist:  ^ 

gizonaren  gaiztoqueriari  aieak  isteko,  bide  onotietatik  bat. 

diriizat^^y 


3')  Mfthn,  a.  a.  0.  zihtt  drei  ond  swansig  solcher  Ei^nthfimlichkeitea  aaf. 
'®)  Vergl.  V in 8011  In  der  Rerue  de  lingroiatiqiie  Tom.  III.*  p.  13. 
'0  nie  Forteetsttng  des  Saties  lautet:  Das  ist  das  Wissen,  was  Gott  für  den  Menschfo 
gethfett  hat**,  in  baskischer  Wortfolge :  „Gott,  Mensch  der  fSr  gethnn  hat  das  «at 
Wissen   das  ist,'*  baskisch:     ^Janngaikoak    gizonagathk    egain    dneo«. 
.    jaquitea  da la*.  Vergl.  van  Ejrss  a.  a.  0.  p.  129. 


Eine  haakische  Spnichprobe  nehst  Einleitung  und  Commentar.  745 

Die  baskisehe  Sprache  hat  zwar  einen  bestimmten  und  einen 
unbestimmten  Artikel,  a  und  bai,  aber  sie  unterscheidet  kein  Ge- 
schlecht; nur  für  die  weibliehen  Thiere  bedient  sie  sich  des  Surro- 
gates, dass  sie  zu  dem  Namen  des  Thieres  das  Wort,  welches 
„Weib**  bedeutet,  nämlich  ema,  hinzufügt.  So  heisst  z.  B.  karza  >«): 
der  Bär,  harza  ema:  die  Barin  <>).  Dem  entsprechend  wird  auch 
in  der  Bibelübersetzung  von  Duvoisin  mrago  durch  giz~ema  wieder- 
gegeben <^).  Der  Artikel  dient  aber  wesentlich  auch  zur  Formation 
neuer  Substantira ,  wozu  eben  jedes  Wort  im  Baskischen  fähig  ist. 
So  heisst  aüa  Vater,  aita-a  contr.  aita:  der  Vater,  aitareiu  des 
Vaters,  aitaren^a,  das  des  Vaters.  Ganz  dem  ähnlich  ist  es,  dass 
man  durch  Hinzufugung  der  Sylbe  -tu^  jedes  Wort  zu  einem  Verbum 
machen  kann,  z.  B.  aus  dem  oben  erwähnten  aitarena  wird  dadurch 
aitarenatu:  ^zu  dem  des  Vaters  machen'',  d.  h.  Etwas  zu  des  Vaters 
Eigenthum  machen  <»);  eine  Bildsamkeit  der  Sprache,  die  man  aber 
nicht  missbrauchen  und  durch  längere  Fortsetzung  dieses  Verfahrens 
lächerlich  und  abgeschmackt  machen  darf  <<). 

Für  die  Zahlen  dient  als  Grundlage  ein  combinirtes  Decimal- 
ünd  Vigesimalsystem  s?)  und  zwar  in  der  Vk^eise,  dass  jede  der  Zah- 


*')  Die  hier  gevihlten  Beispiele  gehören,  wenn  nicht  etwiis  anderes  dabei  bemerkt  wird, 

den  laburdinischen  Dialekte  an,  der  cwar  nicht  von  den  meisten  Basken  gesprochen 

wird,  aber  die  meiste  Literatur  aufzuweisen  hat;  es   werden    demgemass   mehrere 

Wörter  mit  einem  anlautenden  h  angeführt,  welches  in  dem  spanischen  Baskenlande 

.  nicht  gebrauchlich  ist  (s.  S.  739),  so  auch  harta^  gnipug.  arta, 

*')  Dem  entsprechend  wird  im  Ossetischen  das  den  ,,Mann''  beaelchnende  Wort  eben- 
falls bei  dem  Namen  der  minnlichen  Thiere  hinzugefugt;  hier  heisst  arss  Bir, 
n  a  1  -  a  r  8  8 ;  der  (minnliche)  Bir,  s  u  1  -  a  r  s :  die  Bärin.  Vergl.  S j  ö g  r  e  n .  Ossetische 
Sprachlehre.  S.  4SI.  —  Es  möge  noch  hinzugeffigt  werden,  dass  wir  hier  von  der 
etwsigen  Verwandtschaft  der  baskischen  mit  anderen  Sprachen  nicht  handeln 
wollen,  auch  wenn  hier,  wie  in  anderen  Füllen,  eine  gewisse  Süssere  Ähnlichkeit 
berantrite. 

*^)  Genes.  11.  23:  hau  deithuko  da  gizema:  Diese  ist  genannt  zu  werden 
MSnnin. 

*^)  Tergl.  Mahn,  Denkmaler  S.  XXIV. 

'*)  Aristophanes  konnte  es  als  einem  Komiker  freilich  ifcstattet  sein,  ein  W^ort  Ton 
77  Sjlben  zu  fabriciren.  Vergl.  Leclnse  a.  a.  0.  p.  42.  —  S.  auch  ran  Eyss 
a.  a.  0.  p.  16. 

'^)  Vergl.  Pott,  die  Sprachrerscbiedenheit  in  Europa  an  den  Zahlwörtern  nachge- 
wiesen. Halle  1868. 

50' 


746  p  h  i  1 1  i  p  • 

len  von  1  bis  10  ihreu  eigenen  Namen  hat««)  und  dass  die  Zahlen 
Yon  11  bis  19  durch  Hinzurechnung  von  1,  2  u.  s.  w.  zu  10  bezeich- 
net werden««);  20  hat  wieder  seinen  eigenen  Namen,  der  aber  zu 
10  in  keiner  Beziehung  steht;  10  nämlich  heisst  hamar»  20:  hogoü 
Alsdann  werden  die  Zahlen  von  21  bis  39  durch  Hinzuzählen  von 
1  bis  19  zu  20  bestimmt,  worauf  dann  40  als  2mal  20,  nämlich 
berrogei  folgt;  41  ist  2mal  20 -|- 1  u.  s.  w.;  60  ist  3mal  20,  kirurth' 
geiy  80  wie  im  französischen,  4mal  20:  laurogei;  100  hat  seine 
eigene  Benennung,  nämlich  eun  ^<^). 

Eine  der  wichtigsten  Fragen  in  BetreiF  des  Baskischen  ist  aber 
die,  ob  diese  Sprache  eine  Flexion  habe,  und  ob  nicht  vielleicht 
gerade  der  Mangel  einer  solchen  ein  besonderes  unterscheidendes 
Merkmal  derselben  sei.  In  dieser  Beziehung  besteht  nicht  eine 
Grundverschiedenheit  zwischen  dem  Baskischen  und  den  arischen 
Sprachen;  ursprünglich  entbehrten  auch  diese  jeder  Declination  und 
auch  in  ihnen  dienten  die  SuflTixe  zum  Ausdrucke  der  verschiedenen 
Verhältnisse,  in  welchen  ein  Gegenstand  zu  denken  war^«).  Diese 
Suffixe  haben  sich  in  Endungen  verwandelt»  die  an  sich  nicht  mehr 
eine  selbststandige  Bedeutung  behielten,  und  auch  diese  haben  sich 
in  mancher  dieser  Sprachen  gänzlich  abgeschlüFen,  was  doch  wohl 
nur  mit  Unrecht  für  eine  sprachliche  Schönheit  zu  halten  sein  möchte. 


««)  Nimlich: 

bat  eins 

bi  Ewei 

hiru  drei 

iaur  vier 

bortz  fünf 

tei  sechs 

zazpi  sieben 

xorzi  acht 

bederatzi    neun 
hamar         zehn. 
Unter  diesen  Zahlen  hat  6t'  eine  Ähnlichkeit  mit  lat.  bis,  #et  mit  lat.  sei,  x%zfi  mit 
lat.   Septem ;  hiru  (3)  mit  magjar.  harom^  hatnar  mit  meraou  (10)  in  der  Sprache 
der  Tamaschek,  auch  mit  griech.  yLitpiai. 
^^)  Mit  Ausnahme  von  11,  welches  hamaika  statt  hamabat  heisst. 

^0)  im  Ossetischen,  wo  sich  dieses  System  ebenfalls  vorfindet,  wird  auch  100  aU  5mal  tO 
bezeichnet;  fonz  =  ü,  taez  =  20,  fonzii  taeziij  s»   100.    Vergl.    Sjögren 
a.  a.  0.  S.  102. 
^0  Vergl.  Vinson  a.  a.  0.  p.  6. 


Eine  baskische  Sprachprobe  nebst  EinleituDj^  and  Commentar.  747 

Mahn  bemerkt  in  dieser  Beziehung  sehr  richtig»  man  möge  doch 
ja  ^die  Flexion,  die,  abgesehen  von  dem  inneren  Lautwandel,  nur  ein 
Kind  der  Agglutination  ist,  nicht  zu  hoch»  und  die  Agglutination  nicht 
zu  niedrig  anschlagen**»  und  kommt  zu  dem  Resultate,  dass  eigent- 
lich der  Unterschied  zwischen  Flexion  und  Agglutination  keinen  be- 
sondern Werth  habe^*).  Hat  nun  das  Baskische  die  Flexion  im  Sinne 
der  arischen  Sprachen,  die  zum  Theil  auch  noch  erkennbare  Reste 
der  Agglutination  aufbewahrt  haben,  nicht  entwickeU,  so  hat  es  denn 
doch  auch  schon  diesen  Weg  betreten,  indem  es  verschiedene  Casus 
sowohl  im  Singular  als  auch  im  Plural  ausdrükt  ^<),  wobei  weiter  zu 
bemerken  ist,  dass,  wenn  der  bestimmte  Artikel  hinzutritt,  nur  dieser, 
nicht  das  Substantiv  declinirt  wird. 

Am  allereigenthümlichsten  ist  aber  die  Conjugation;  diese  hat 
nicht  bloss  eine  Flexion  mittelst  der  suflTigirten  Fürwörter  und  zwar 
als  Subjecten»  sondern  sie  druckt  auch  die  objectiven  Verbält- 
nisse durch  Präfigirung  oder  SufHgirung  solcher  Fürwörter  aus; 
man  hat  daher  diese  Art  der  Conjugation  auch  wohl  mit  dem  Kunst- 
ausdrucke „einverleibend''  bezeichnet.  Auf  den  ersten  Anblick  könnte 
man  freilich  erschrecken»  wenn  man  auf  auxiliäre  Verbalformen,  wie 
gttzaikenielakoz^)  stösst  und  dazu  vernimmt»  dass  das  Baskische 
nicht  weniger  als  206  Conjugationen  habe^s).  Indessen  die  Sache 
sieht  gefahrlicher  aus,  als  sie  ist;  es  herrscht  in  dem  ganzen  Con- 
jugationssystem  eine  solche  Einfachheit,  dass  man  auch  wohl  hat 
sagen  können:  das  Baskische  habe  nur  Eine  Conjugation ^<).  Jene 
Mannigfaltigkeit  liegt  in  der  Verschiedenheit  der  Einverleibung.  So 
ist  z.  B.  die  Conjugation  von  det:  tf^eh  habe  es**  eine  andere,  als 
die  von  dutut:  „ich  habe  sie"  (Plural;  franz.  je  les  ai);  eben  so 
eine  andere,  wenn  «ich  habe  es  Ihnen^  {duzut),  als  wenn:  ^ich  habe 
es  ihm"  (dioi)  conjugirt  werden  soll.  Eine  andere  Merkwürdigkeit  ist 
hierbei  noch  die,  dass  die  Form  bei  der  nämlichen  Person  eine  andere 
wird,  je  nach  der  Person»  zu  welcher  sie  spricht.  So  ist  z.  B.  ni% 


^2)  Hahn  a.  a.  0.  S. 

^^)  Wir  werden  anf  dieaen  Gegenstand  apSter  zurfickkommen  und  rerwoisen  einatweilen 

avf  DoToisin,  Etode  aur  la  d^clinaison  basque.  Baronne  1S06. 
^^>  D.  b.  weÜ  wir  dir  (o  Fran!)  sein  werden. 
^^}  Dies  war  noch  die  Meinung  von  Aatarloa,  a.  a.  0.  p.   151.  —  Vergl.   Hnmboldt, 

Berichtigungen  und  Znsitze  inm  Mitfaridates.  S.  52. 
^^)  Inchauape,  Le  rerb«  baaqne.  p.  1.   —   Cbaho,  Etudes  grammaticalea  p.  S2. 


748  Phillips 

„ich  biu''  ganz  im  Allgemeinen  gesprochen;  wenn  man  aber  »ich 
bin"  zu  einer  Person  sagen  will,  der  man  Ehrfurcht  schuldet  ^7),  so 
heisst  es  nuzu;  steht  man  jedoch  mit  der  anzuredenden  Person  auf 
vertraulichem  Fusse  und  ist  sie  weiblichen  Geschlechts,  so  sagt  man 
nun,  wenn  mSnnlichen:  nuk.  Dem  ähnlich  ist  es,  dass  ein  Bruder 
seine  Schwester  arreba,  eine  Schwester  aber  dieselbe  ahizpa  nennt. 

Wenn  manche  jener  Verbalformen  auch  recht  lang  sind,  so 
lasst  sich  doch  die  Kürze  des  Ausdruckes  im  Baskischen  rühmen,  die 
insbesondere  dadurch  befördert  i/vird,  dass  die  Hinzufugung  eines 
einzelnen  Buchstabens  erkennen  lässt,  ob  der  Gegenstand,  von  wel- 
chem die  Rede  ist,  thfitig  oder  leidend  gedacht  werden  soll.  So 
heisst  gizon  schlechthin:  Mensch,  gizona:  der  Mensch,  gizonak: 
der  Mensch  als  handelnd  gedacht.  Dem  entsprechend  hat  man  im 
Baskischen  ein  von  Humboldt  ^s)  mitgetheiltes  Sprichwort,  welches 
hergenommen  ist  von  jenen  grossrädrigen  speichenlosen  widerwärtig 
knarrenden  mit  Ochsen  bespannten  Wagen,  denen  man  dort  so  oft 
begegnet.  Dasselbe  will  sagen :  ^eigentlich  sollte  sich  der  Ochs  be- 
klagen, aber  der  Wagen  thut  es  statt  seiner*.  Diess  wird  ganz  kurz 
durch  die  Worte:  idiak  erassi  beharrean  gtirdiak,  d.  h.:  der  Ochs 
sollte  klagen,  der  Wagen^.  Diese  Kürze  des  Ausdruckes,  durch 
welche  ein  Verbum  erspart  wird»  bewirkt  das  bei  dem  Worte 
gurdia  hinzugefügte  Ar. 

Diese,  wenn  auch  kurzen,  nur  andeutungsweise  gemachten  Be- 
merkungen werden  doch  schon  genügen ,  um  die  ISigenthümlichkeit 
des  baskischen  Sprache  zu  kennzeichnen.  Wir  wenden  uns  nunmehr 
zu  der  oben  erwähnten  Sprachprobe  selbst. 


*7)  Chaho  a.  t.  0.  p.  5tK.  —  van  EjrsB  a.  a.  0.  p.  64.  —  Ver^.  Humboldt 
a.  a.  0.  8.  55.  —  Welchen  Einflusa  die  Ehrfurcht  auf  die  Sprachform  iiusert, 
davon  liefern  dfe  Sprachen  einiger  australiacher  Völker  merkwürdige  Beweise,  na> 
*  nentHch  den,  daaa  wenigttena  eine  S/lbe  dea  Namena  dea  regierenden  HiupUüigt 
fSr  die  Zeit  aeiner  Herrachafl  ans  der  gewÖhnUchen  Sprache  verbaniit  wird.  So 
geachah  es  auch  bei  der  bekannten  Königin  Pomare;  das  Wort  »Po*«  welches 
„Nacht"  bedeutet,  durfte  nicht  mehr  gebraucht  werden  und  ea  wurde  ein  uideres 
Mi,  an  die  Stelle  gesetzt.  Vergl.  Max  Müller,  Vorlesungen  über  Sprachwiaaea- 
Schaft.  Bd.  2.  i$.  29. 

^^)  Humboldt,  Reiseskiaien  aus  Biscaya.  (GesammeUe  Werke.  Bd.  3.  S.  Z33. 
Note.) 


749 


1  3.  Guipuzkoanischer  Dialect. 

j^Eacu-Liburua.  Tolosan.  1864.  p.  274.) 
Aioa  Vtrglnarea  LeUnla.  Easqverrai  *). 
Kirie  elel^  erruqui  zaitc. 
Christe  e^  erruqui  zäite. 

Kyrie  ela  erruqui  zaite.  5 

Christe  a,  adigaitzatzu. 
Christe  e^^  entzun  gaitzatzu. 
Pater  de  ^q  xHa  Jaungoicoa,  erruqui  zaite  guzaz. 

■ 

Uli  rede^apen  Redentore  Seme  Jaungoicoa,  erruqui 

Spiritus  ^u  Sant  u  Jaungoicoa»  err.  z.  g.  lo 

Sancta  T|ade  Santu,  Jaungoico  bat  cerana,  err.  -z.  g. 

Sancta  Ii^  Santa,  erregu  ezazu  gugatic. 

Sancta  IHieoaren  Ama  Santa» 

Sancta  VL^  Virgina  Santa, 

Mater  ChLen  Ama, 
Mater  dim|  Jangoicozcoaren  Ama, 
Mater  puiuztiz  garbia, 
Mater  ca»uztiz  castoa. 
Mater  intja  ceralarie  Ama, 
Mater  intkcharic  gabea, 

iortzetic  garbia  *), 
Mater  am^aita-garria, 
Mater  ad^iragarria, 
Mater  CHallearen  Ama. 
Mater  Safeallearen  Ama, 
Virgo  pria  gustiz  beguiratua, 
Vii^o  ve^  veneragarria, 

Virgo  pr4a  alabagarria. 


15 


'S 


S   20 


oq 

e 

'S 


2S 


H 


j 


i)  Wir  g  kdBBen.   Eine  besondere  Abhandlong  Ober  da«  baskische 

Alpba  «nische  mit  B  bexeicbnet. 
S)  In  bei4   Q^Q^r^Q  Litaniae,  in  dem  anderen:  Maria  San- 

tiss< 

utter  Gottes,  wenn  aoch  in  etwas  anderer  Form,  ang^ 


e 


9» 


} 

ititutfu 

Jauna. 
b-  bar, 

bekh. 


Escu  andico  Virgina, 
Virgina  biotz  berea, 
Virgina  leyala, 
Virtute  guztien  ispillua, 
Jaquinduriaren  eserlecua, 
Gure  poz  emaliea, 
Ontzi  espirituala, 
Ontzi  errespetagarria, 
Devocioaren  ontzi  andia, 
Arrosa  misteriosoa, 
Daviden  torrea, 
Marfillezco  torrea, 
Urrezco  Echea, 
Battasunaren  Cucha, 
Cerueo  Atea, 
Egun  sentico  Izarra, 
Erien  Osasuna, 
Pecatarien  Igues  lecua, 
Estuasunen  Consueloa, 
Cristauen  Lagunizallea, 
Aingueruen  Erreguiiia, 
Patriarquen  Erreguina, 
Profeten  Erreguiiia, 
Apostoluen  Erreguina, 
Martinen  Erreguina, 
Confesoreen  Erreguiiia, 
Virginen  Erreguina, 
Santa  guzien  Erreguina, 


o 

OQ 


CR 

CA 

99 


Jaungoicoaren  bildots  munduco  pecatuec  quentzen 

dituzuna,  barca  eiguzn,  Jauna. 
Jaungoicoaren    bildots   mund.   pec.    quentz.  dit.» 

enzun  gaitzazu  Jauna. 
Jaungoicoaren  bildots  mnnd.  pec«  quentz  dit.  enru- 

qui  zaite  guzaz. 


Eine  baskische  Sprnchprobe  nehst  Einleitung  nnd  Coromentar. 


751 


Gommentar. 

Andredena.  Schon  das  erste  Wort  macht  einige  Schwierig-  a.  i. 
keit.  L^cluse  in  seinem  baskisch-franzosischen  Wörterbuche  giebt 
Andrea  durch  Dame  und  Demoiselle,  dann  Andredqna  Maria  durch 
Vierge  Marie  und  in  dem  französisch-baskischen  Theile  vierge 
durch  birgina  und  dana,  endlich  vierge  Marie  durch  andredana 
Maria  wieder.  Wir  wissen  nicht,  ob  die  beiden  Ausdrücke  Andre» 
dena,  wie  auch  Larramendi  (Dicc.  y.  Maria)  schreibt,  und  Andredana 
abwechselnd  gebraucht  werden,  doch  ist  es  auffallend,  dass  der  zu- 
erst genannte  Autor  in  dem  ersten  Theile  seines  Wörterbuches  gar 
kein  <faiia=:  vierge  angiebt;  dieser  Umstand  erregt  allerdings  eini- 
ges Bedenken.  Man  sollte  glauben,  dass  man  die  beste  Auskunft  über 
diese  Frage  in  der  baskischen  Bibelübersetzung  finden  würde,  allein 
diess  ist  nicht  der  Fall.  Wir  geben  einige  Stellen  der  heiligen  Schrift, 
an  welchen  die  Vulgata  die  Worte  virgo  und  virginitas  gebraucht: 
Genes,  XXIV.  16:  virgo  pulcher-      =»  dontzella  osoki  ederra. 

rima 

43 :  yirgo  quae  egredieb'a- 

'  tur  ad  hauriendam  aquam 
Deuter.  XXII.  14.  non  inreni  vir- 
ginem 

—  15:  Signa  virginitatis 

XXXII.  25 :  juvenem  simul 

ac  virginem 
Judic.  3[X.  24:  habeo  filiam  vir- 
ginem 

XXI.  11.  virgines  autem 

reserrate 

3  Heg,  I.  2:  adolescentuiam  vir- 

ginem 

4  Beg.  XIX  21.  virgo  filia  Sion 
Tob-  VI.  22 :  accipies  virginem 
E^ih.  I.  2:  puellae  virgines   et 

speciosae : 
—    3.    puellas    speciosas   ac 
virgines : 
Is.   VII.  14.  ecee  virgo  concipiet 
et  pariet  filium 


=»  dontzella    urketara  athera- 

tuko  dena. 
»=  ez  dut  dontzella  aurkitu. 

=»  dotäzellatuauneko  haizak. 
=^  gizon^gaztea  eta  nenkatcha, 

=  badnt  alaba  bat  dontzella. 

SS  bairan  birjinak  begira. 

SS  neskatcha  gazte  dontzella. 

=s  Siongo  alaba  garbia. 
=s  neskatcha  hartako  duzu. 
neskatcha  dontzella  eta  ederrak. 

neskatcha  eder  eta  dontzellak. 

SS  hune  Birgina  bat  amatuko 
eta  seme  batez  erdiko  da. 


7o2  Phillips 

i-  Ä.  Math.  I.  23:  ecce  virgo  in  utero      »  hune  birjina  baten  sabelean 
habebit  et  pariet  filium  izenen  duela  seme  bat, 

Luc,  I.  27:  ad  virginem  despou-      =  birjina   baten  gana»  zeina 

satam  viro  eskontzaz  emana  baitzen. 

et  nomen  virginis  Maria         »>    eta  Maria    zen    birjinaren 

izena. 

Durch  diese  ZusammeDstellung  wird  man  enttäuscht,  wenn  man 
glaubte  ein  echt  baskisches  Wort  für  virgo  und  virginitas  zu  finden; 
garbia  (17.  80)  hat  die  allgemeine  Bedeutung  von  Mkettsch**  und 
Mrein**,  während  neskatcha  ein  junges  Mädchen  überhaupt  bezeich- 
net Das  Wort  andrea  oder  andredena  findet  sich  gar  nicht  vor, 
sondern  der  eigentliche  Ausdruck  für  ^Jungfrau**  ist  dontzeUa, 
wie  auch  die  „Jungfrauschaft**  dontzellatasuna  genannt  wird; 
Larramendi  hat  dafür  auch  die  Ausdrücke:  ponizeltasuna  und 
batsaitasuna;  pontzela  (Jungfrau)»  woTon  das  Erstere  abzuleiten,  ist 
das  romanische  pulcella,  batsaya  in  gleicher  Bedeutung  bleibt,  wenn 
nicht  durch  bat  etwa  Unversehrtheit  ausgedrückt  werden  soll ,  un- 
verständlich. Für  die  heilige  Jungfrau,  auf  die  sich  das  Andredena 
unserer  Litanei  bezieht,  wird  aber  wie  in  der  Prophezie  des  Isaias, 
der  Ausdruck  birjina  angewendet»  während  derselbe  sonst  viel  selte- 
ner vorkommt.  Man  kann  es  offenbar  nicht  für  eine  Verschönerung 
der  Sprache  halten,  wenn  das  einheimische  Wort  für  Jungfrau  dem 
lateinischen  dondceUa,  französisch  demoiselle,  hat  weichen  müssen. 

Was  bedeutet  nun  aber  das  dena  in  Andredena?  Liegt  darin 
etwa  Dona»  wie  man  nach  Larramendi  glauben  sollte»  welcher  Dana 
Maria  6  Dena  Maria  «»  Sancta  Maria  als  gleichbedeutend  neben 
einander  stellt?  Ist  ja  doch  Don  oder  Dane  die  gewöhnliche  Be- 
zeichnung der  Heiligen;  z.  B.  Donoatia:  Sanct  Sebastian,  Done 
Juane:  Sanct  Johann»  auch  Jaundone  Josepe,  d.  h.  Seuor  San  Jose  <). 
Wir  wagen»  da  es  an  den  erforderlichen  Hilfsmitteln  fehlt,  keine  Ent- 
scheidung, können  aber  doch  nicht  die  Bemerkung  unterdrücken,  dass 
dieser  Zusammenhang  uns  nicht  ganz  wahrscheinlich  vorkommt.  Auch 
ist  es  auffallend,  dass  im  Spanischen  die  Bezeichnung  der  Heiligen 
nicht  durch  Don,  sondern  durch  San  geschieht  und  aus  dem  Spani- 
schen jenes  Don»  wenn  es  mit  dem  lateinischen  Dominus  zusammen- 
hängt» ins  Baskische  hinübergekommen  sein  muss.  Allerdings  sagt 


')  Larramendi,  Oice.  •.  v.  Senor. 


Eine  hnskisclie  Sprachprobe  neh«t  Einleitung  und  Commentar.  753 

Larramendi  (v.  Don) :  „titulo  honorifico  que  empezö  ä  darse  anti-  A.  i, 
quamente  ä  los  que  per  su  dignidad  habien  de  ser  venerables  y  san- 
tos  y  asi  no  viene  de)  „Dominus"  latino,  sino  don»  done  baseongado, 
que  hoy  ha  quedado  en  la  significacion  de  Santo'' ;  indessen  der  Um- 
stand, die  Heiligen  seien«  ausser  der  Dona  xar*  i^fy^v^  imSpani- 
schen  allgemein  mit  Don  bezeichnet  worden,  ist  wohl  nur  darum  her- 
vorgehoben worden,  um  das  spanische  Don  von  einem  don^  done  abzu- 
leiten, was  doch  baskisch  zu  sein  und  «»heilig*'  zu  bedeuten  scheint.  Die 
Worter:  donentsi  (sacrilegium)«  donede  (religio),  daneffui  (sancti- 
ficare),  doneguiUe  (sacerdos)  und  andere  finden  sich  auch  in  dem 
Dictionnaire  basque,  franf  ais,  espagnol  et  latin  von  Chaho  >),  wo  sie 
aber  sämmtlich  auf  Dominus  zurückgeflihrt  werden. 

Unter  diesen  Umstanden  möge  es  erlaubt  sein,  in  Betreff  des 
dena  in  Andredena  eine  andere  Vermuthung  aufzustellen,  aufweiche 
sich  auch  bei  Chaho  <)  eine  Hinweisung  findet,  wenn  er  sie  auch  aus 
einem  Missrerstandnisse  herleitet.  Das  Wort  dena  bedeutet  auch 
so  viel  als  „die  (da)  ist,  die  seiende**^);  eben  diess  gilt  auch  von 
dana  &),  daher  aei  dana  »  erescens  qui  est,  adolescens  (sp.  adulto) ; 
hiernach  wäre  Andredena  zu  erklären:  die  (da)  ist  Jungfrau.  Chaho 
meint  nur,  das  baskisehe  Volk  habe  das  spanische  dona  als  dena 
(quae  est)  anfgefasst*). 


')  Leider  ist  diaM  fleisnge  Arbeit  sieht  su  Ende  gefuhrt ;  der  Verfasser  starb,  OMh- 
deiD  dieselbe  bis  tor  seehsundfünfsigsteii  Lieferung  (Bajonne  1856)  bis  inm  Worte 
Letora  fortgefBhrt  war.  Unfrluelilicherweise  hatte  Chaho  sein  Werk  damit  ange- 
fangen, vor  allen  Übrigen  diejenigen  WArter  cusaroroenanstellen,  welche  er  aus  dem 
Lateinischen  oder  Romanischen  sbleiten  au  müssen  gisobte  und  somit  ist  das  Buch 
fir  das  eigentlich  Baskische  gar  nicht  zu  gebrauchen. 

*)  Chaho  a.  a.  O.  r.  Dona.  p.  tSS, 

*)  8.  oben  im  Text:  Genes.  XXIV.  48» 

')  Vergl.  L^cluse,  Grammaire  basque.  p.  58<  p.  97. 

* )  Eine  nachträglich  hierüber  durch  die  Güte  Herrn  D  u  r  o  i  s  i  n  *s  (zu  Bsyonne)  erhaltene 
Auskunft  darf  nicht  vorenthalten  werden :  sie  lautet :  AndredenaMaria  ou  dana 
constitae  nne  alteration,  tont  comme  j  o  n  d  o  n  i ,  mot  qui  pr^c^de  ches  nous  les 
nonia  de  quelques  saints.  On  disait  anciennement  j a u n  dona  Paulo  (saint  Paul), 
andre  dona  Maria  (sainte  Marie).  Plus  tard  on  a  dit  jondoni,  andredena. 
Les  Basques  d'Espagne  nnt  laiss^  tombar  cas  nota,  sauf  dans  les  noms  de  liaux,  et 
les  ont  remplüc^s  par  san,  santa.  IVous,  nous  employons  san,  saota  tont  en 
conservant  jondoni  pour  quelques  saints  du  1er  aieele.  C*est  une  habitade  qui 
s^est  perpetn^e.  Jaun  done  Paule,  Andre  dona  Maria  signifialent  seignear 
•sint  Paul,  dame  sainte  Marie. 


7S4  Phillips 

^*  ^-  Mariaren  \  eigentlich  Maria-en  mit  Einschaltung  des  euphoni- 

schen r. 

Litaniac  \  könnte  auch  Litania  heissen;  das  c  {K)  wird  dann  hin- 
zugefügt, wenn  dasSubject  als  handelnd  gedacht  wird;  in  dem  Texte 
B  lautet  die  Überschrift  Ama  <)  Virgiharen  Leiania,  d.  h.  die  Litanei 
der  ^»Jungfrau*'    Mutter.    Auch    die    beiden    andern   Überschriften 
[s.  oben  Sprachpr.  Note  2)  verdienen  Berücksichtigung;  zunacht  ist 
zu  benierken,  dass,  wie  in  Biryina  Sainduaren  LH-  es  hervortritt,  von 
zweien  zusammengehörenden  Worten  das  erste  unverSndert  bleibt 
und  nur  das  zweite  die  von  einem  nachfolgenden  Subjecte  bestimmte 
Genitivform  annimmt,  also  nicht:  bir3finaren  Sainduaren;  sodann  ist 
es  merkwürdig,  wie  man  das  lateinische  Wort:   sanctus  auch  in 
der  Form  des  Superlativs  hinübergenommen  hat  und  diese  dann  bas- 
kisch declinirt:  Maria  Saniissimaren  Litania. 
2,  A.B.         Jatina  \  heisst  der  Herr.  Baskische  Gelehrte  erklären  das  Wort 
aus  Jao^on^a^  welches  dahin  ausgelegt  wird :  Jao  bedeute  Wesen, 
on :  gut  und  a  ist  der  Artikel  ?).  Chafao  insbesondere  will  in  dem  Joo 
den  Ausruf  der  Bewunderung  erkennen,  mit  welchem  der  Mensch  un- 
mittelbar nach  seiner  ErschaiFung  den  ^Ewigen**  begrüsst  habe»). 
Wir  müssen  diese  Ideen   auf  sich  beruhen  lassen  und  verweisen 
nur  noch  auf  die  Bemerkungen,  welche  weiter  unten  in  Betreff  des 
Wortes  Jaincoa  (Z.  8)  zu  machen  sind  *).  Für  eben  jene  Gelehrte 
liegt    in    der    Bezeichnung   Gottes    mit   einem   ^längst    vor    dem 
Christenthum  vorhandenen   Worte^   ein  Grund  zu   der  Annahme, 
für  die  man  auch  eine  Stelle  aus  Strabo  herbeizieht  i«),  dass  die  Vor- 
fahren der  Basken,  für  welche  ihnen  die  Iberer  gelten,   sich  von 
jeher  nur  zu  einem  Einigen  Gotte  bekannt  hätten.  Dieses   Argu- 
ment würde  wohl  eben  so  gut  auf  die  meisten  heidnischen  Volker, 
z.  B.  auf  die  Germanen  passen,  deren  Wort  „Gott*  auch  Slter  ist 
als  das  Christenthum,  und  würde  höchstens  so  viel  beweisen,  dass 
alle  Vielgötterei  von  einem  ursprünglichen  Monotheismus  auigegau- 


*)  S.  unten  Commenttr  tu  Z.  13. 

7)  Vergl.  Chaho,  Diottonnaire.  Introd.  p.  66. 

^)  Chaho,  Etndea  ^rammat.  p.  14.  —  Erwihnt  mag  dabei  werden,  dnaa  Diod.  Sic. 

Lib.  i.  cap.  94  berichtet,  die  Jnden  bitten  ihren  Gott  loc^  genannt. 
»)  8.  756. 
i<^)  Strabo,  Geograph.  Lib.  Hl.  cap.  4.  f.  16. 


Eine  baskiache  Sprachprobe  nebst  Einleituog  ond  Conimentar.  755 

gen  ist.  Abgesehen  von  jener  Äusserung  Strabo*s,  die  mit  anderen  ^.^.2< 
Stellen  desselben  Schriftstellers  gar  nicht  im  Einklänge  steht,  wird 
die  Yermeintliche  Gotteseinheit,  zu  welcher  sich  die  alten  Iberer  be- 
kannt haben  sollen,  doch  eigentlich  nur  durch  Hinzufugung  des  Ar- 
tikels gebildet,  wie  auch  wir  von  Gott  sagen:  „der  Herr",  oder  wie 
weiter  erklart  wird  Jaincoa:  „der  Herr  in  der  Höhe**.  Nach  diesem  Ar- 
tikel wäre  Jaincoa  doch  immer  nur  —  vorausgesetzt  die  Richtigkeit 
jener  Interpretation  —  ein  Wesen  in  der  Hohe,  und  mit  dieser  Anrede 
konnte  man  jeden  Gott,  der  nicht  zum  Reiche  Poseidons  oder  des 
Hades,  oder  in  die  Classe  der  Dryaden  und  Oreaden  gehörte,  be- 
grossen. 

unncal  \  ist  ein  verbales  Substantiv,  welches  „Mitleiden,  Mitleid"*  a.  2. 
bedeutet;  davon  auch  urrikalpena:  misericordia  (Psalm.  XX.  8). 

gakizkägu  \  Über  dieses  Wort  kann  man  sich  um  so  eher 
weidlich  den  köpf  zerbrechen,  als  es  falsch  ist.  Die  Stelle  bei 
Tob.  VIII.  10.  wo  Sara  sagt:  Miserere  nobis.  Domine,  miserere 
nobis  übersetzt  Duvoisin:  urrical  zakizkigu,  Jatma,  urrikal  za^ 
kizkigu,  und  da  der  Anfang  des  fünfzigsten  Busspsalms  mit  urrical 
zakizkit  (miserere  mei)  wiedergegeben  wird,  auch  in  dem  Buche, 
dem  die  Litanei  entnommen  ist,  an  einer  andern  Stelle  ausdrücklich  das 
Miserere  nobis  als  urrical  gdkUzkigu  erscheint,  so  unterliegt  der 
Irrthum  keinem  Zweifel.  In  diesem  gakitzkigu  steckt  nun  aber  in  Ab- 
leitung von  euki  das  „Haben**  (it),  sodann  sind  darin,  und  zwar 
durch  pa  und  gu  ausgedrückt,  die  persönlichen  Fürworter  „Du**  und 
„uns**  enthalten  i<). 

erruqui  \  gehört  zum  nSmlicben  Wortstamm  wie  urrical  und  b.  2. 
hat  auch  die  nSmIiche  Bedeutung. 

zaite  I  enthält  keine  solche  Relation  wie  sie  in  gakUzkigu  sich 
findet;  es  ist  die  erste  Person  des  Imperativs  im  Plural  von  izaüea: 
sein;  daher:  sei  (im)  Mitleid. 

JesU'Cristo  \  Es  ist  auffallend,  wie  der  Name  des  Heilands  nacb^d. 
Verschiedenheit  der  Dialekte  verschieden  ausgesprochen  wird ;  im 
Souletinischen  nacb  französischer,  im  Labourd  nach  deutscher  Art 
und  in  Guipuzkoa  lautet  er  ungefähr  wie  mit  einem  deutschen,  aber 
nicht  zu  harten  ch  gesprochen  i*). 


^*)  Vergl.  Inchautpe)  Le  verbe  basque.  p.  468. 
^*)  L^clute,  Grammaire  basque.  p.  15. 


756  Phillips 

6. A.B.  adi gaitgatgu;  \  nicht /i^i  ist  ist  für  den   Imperativ  za  halten* 

obschon  es  einen  solchen  gibt,  der  im  Labourdinischen  auch  in  der 

'  Form  hadi  vorkommt  und  zu   dem  Verbum  izan  gehört  <<).  Obiges 

■ 

adi  ist  ein   Fremdwort,  das  lat.  audire,   und  der  Imperativ  ist  in 
gaitgatgu  enthalten  und  zwar  in  itga ;  ga  ist  das  persönliche  Fürwort 
erster  Person  im  Plural,  gu  ist  Du;  es  heisst  also  das  Ganze:  (im) 
„Hören  uns  sei  Du**. 
7.A,B.         entzun  gaägatgu;  \  das  erste  Wort  hat  wie  adi  die  Bedeutung 

von  M hören'';  es  wird  z.  B.  gesagt:  meza  entzuni  Messe  hören. 
S.  A.  B.  Ceruco  \ ;  ceru  ist  das  lateinische  Wort  coelum.  Alle  Ortsnamen 
so  wie  die  Bezeichnungen  von  Sachen,  werden  mit  wenigen  Ausnahmen 
anders  declinirt,  als  die  der  Personen.  Während  der  Genitiv  von 
Maria  Mariaren  lautet,  beugt  sich  Bayona  nicht  Bayonaren  ab. 
sondern  Bayonaco;  dem  entsprechend  iat  ceruco:  des  Himmels. 

Aita  I  Vater;  ein  Wort,  für  welches  sich  in  verschiedenen 
anderen  Sprachen  Anklänge  finden,  z.  B.  im  Griech.  und  Lat.  atia^ 
altir.  alte  (Pflegvater)  mag.  atya^  läpp.  aJttje  u.  s.  w.  h).  S.  unten 
Ama.  Z.  13. 
S,  A.  ceina  \  cein  ist  das  Pronomen  relativum ,  welches  aber  regel- 
mässig mit  dem  bestimmten  Artikel  verbunden  wird. 

baitgare  |  ist  eine  Verbindung  des  Verbums  izan  (zare:  Du  bist) 
mit  der  Affirmation  bai:  Ja";  baiigare  heisst  also,  ja,  wahrlieh, 
wirklich  bist  Du  <&).  Dem  ähnlich  in  anderen  Gebeten:  zeren  egia  bere 
baitzare  der  Du  der  wirklich  (allein)  Wahre  bist;  zeren  baitzare 
osoki  maithagarria  „der  Du  ganz  und  gar  liebenswürdig  isf.  Jenes 
6ai  erhält  in  dergleichen  Compositionen  die  Bedeutung  von  Mweil": 
parceque  vous  £tes. 

Jaincoa  j  Es  ist  oben  (Z.  2)  die  Erklärung  mitgetheilt  worden, 
welche  von  mehreren  baskischen  Gelehrten  dem  Worte  Jauna  ge- 
geben wird.  Chaho,  welcher  einer  der  Vertreter  der  dort 
ausgesprochenen  Ansicht  ist,  stellt  Jain  in  Jaincoa  mit  Jawi  gleich 
und  lässt  Jaincoa  aus  Jaingoica  entstehen,  in  welchem  Worte  noch 


*')  Vergl.  Lecluse  a.  a.  0.  p.  57.  —  raa  Eysa  a.  a.   0.  p.  89.  p.  90. 
*^}  Vergl.  Grimm,  Geschichte  der  deuUcben  Sprache.  S.  267. 

*')  Vergl.  Abbadie  et  Chaho,  ^tade«  grarom.   p.  16S.  —  Vergl.   Mch   L^clsse 
a.  a.  0.  p.  56.  —  ran  Eyas  a.  a.  0.  p.  46. 


Eine  baskiBche  Sprachprobe  oebst  Einleitung  ond  Commentar.  757 

der  Begriff  »hoch**  in  dem — goi —  hinzugetreten  sein  soll;  demnach  a,  8. 
wäre  Jaingoicoa   und   Jaineoa  „das  gute  Wesen  in  der  Höhe**  oder 
schlechthin  «das  höchste  Wesen**  auch  im  idealen  Sinne.   Wir  haben 
einige  Zweifel  an  dieser  Identität  von  Jaun  und  Jaineoa :  das  Erstere 
hat  durchaus  nur  die  Bedeutung  von  „^evr^,  das  Letztere  nur  die 
voü  „Gotf.  Es  ist,  ganz  abgesehen  von  der  baskischen  Sprache, 
auffallend,  dass  in  dem  ersten  Capitel  der  Genesis,  welches  die  Schöp- 
fungsgeschichte darstellt,  nur  das  Wort  Deus  gebraucht  wird,  im 
zweiten  aber,  welches  die  bis  zur  Erschaffung  des  Menschen  voll- 
endete Schöpfung  voraussetzt,  tritt   zuerst  der  Ausdruck  Dominus 
Deus  hervor.  Dem  entsprechend  findet    sich  in   der  Du voisin*  sehen 
Bibelübersetzung  in  dem  ersten  Capitel  der  Genesis  niemals  das  Wort 
Jauna,  sondern  Jainko  und  zwar  mit  dem  Thätigkeitsartikel  —  ak» 
Jamkoakt  erst  im  zweiten  Jainko  Jauna  d.  i.  Gott  der  Herr.  Was 
nun  das  goi  in  der  Bedeutung  von  Mhoch"*    anbetrifft,   so  ist  diese 
nicht  zu  bestreiten,  wie  denn  auch  goitücea,  goititu  sich  erheben» 
aufstehen  heisst,  womit  vielleicht  goiza  der  Morgen  zusammenhangt. 
Sonst  aber  findet  sich  in  jener  Bedeutung  gewöhnlich  gora,  so  auch 
in  der  Bibel fibersetzung  z.  B.  Exod.  XXV.  28:  lau  erdi  gora:  vier 
Finger  hoch.  Es  scheint  ein  erheblicher  Unterschied  zwischen  beiden 
zu  bestehen,   indem  goiti  auf  das  Erheben,  gora  auf  das  Oben- 
sein sich  bezieht.  So  wird  ^otVt  Judic.  XX.   38   von  dem   aufstei- 
genden Rauch,  Job.  XXXIX.  18  von  dem  Flügelschlag  des  Strausses 
mi  goitUaeak  xoi  V ^.  XCII.  4  von  dem  Wellenschlag  des  Meeres 
gebraucht.  Deutlich  zeigt  sich  der  Gegensatz  in  Proverb.  XXX.  13, 
wo  der  Text  der  Vulgata:  generatlo,  cujus  excelsi  sunt  oculi  (begi) 
et  palpebrae  (bekhoki)  ejus  in  alta  surrectae  wiedergegeben   wird 
durch  eihorki  bcUek  begi  gorak  eta  bekhoki  goUituak  daduzka* 
l^m  noch  andere  Beispiele  anzuführen,  so  wird  Ps.  XCII.  4.  mirabilis 
in  altis   Dominus  durch  ederesgarria  da  Jauna  lekhua  goretan, 
Ps.  CXIL  fi.  qui  in  altis  habitat  durch :  zeinak  hergoretan  baitu  bere 
egoitza   und   Ps.   CXXXVII.   7.  quoniam  excelsus  Dominus    durch: 
Jauna  gora  dela  wiedergegeben.    Dem  entsprechend  tritt  für  das 
lat.  Altissimus  im  Baskischen  Guciz-Gora  oder  Gudz-gorenak  (der 
Allcr-Höehste)  ein  (vergl.  Num.  XXIV.  16.  Deut,  XXXII.  8.  Psalm. 
IX.  3}.  Aus  dieser  Begriffsverschiedenheit  durfte  es  fast  bedenklich 
erscheinen  da^  goi  in  Jaingoicoa  als  ^in  der  Höhe  befindlich"  zu  er- 
klären, es  sei  denn,  das»  beide  Worte  in  sofern  zusammengehörten, 


758  pb  iu  i  p» 

^.  ^.  als  das  r  in  gora  fCiv  goia  stünde;   nach   bisheriger   Schreibweise 
müsste  es  heissen  goya- 

urrical  gakizkitgu  \  s.  Z.  2. 

erruqui  zaite  |  s.  Z.  2. 
S,  B.         guzaz  \  gu  mit  dexaSutfix zaz^^).  Während  fokizkigu  bereits  die 
Relation  in  sich  aufnimmt,  ist  diess  bei  zaite  nicht  der  Fall ;  sie  folgt 
hier  in  guzaz  nach. 
^'^  Semea:  \  dev  Sohn:  Genitiv  mit  declinirtem    Artikel   und  eu- 

phonischem r:  Semearen.  Man  darf  bei  diesem  Worte  sieh  nicht  ins 
Etymologisiren  einlassen  und  nach  Analogien  in  andern  Sprachen 
suchen,  so  sehr  man  auch  dazu  verlockt  werden  könnte. 

munduaren  bedarf  keiner  Erklärung. 

Salbatgaüea  \  eine  hybride  Composition:  das  ^ailea  bedeutet 
„Derjenige  der  etwas  thut**  und  entspricht  der  Bedeutung  nach  dem 
lat.  —  ator  in  Salvator.  Unten  Z.  24  folgt  ein  ähnliches  Wort 
Creatgailea. 
iO,A.B.  Ispiritu;  Espiritu  |  Über  den  vokalischen  Vorschlag  vor  dem 
8  impurum,  der  wohl  aus  dem  Spanischen  und  französischen  ins  Bas- 
kische hinübergekommen  ist,  wird  an  einem  andern  Orte  gehandelt 
werden  "). 

Saindua,   Santu;  \  es  genügt  auf  diese   Verschiedenheit  der 
beiden  Dialekte  aufmerksam  gemacht  zu  haben. 
^1'  ^'  backhoch  bat  |  backhoch  bedeutet  s.  a.  a.  ^  Jeder,  chacun,  cada: 

bat  ist  hier  nicht  der  unbestimmte  Artikel,  sondern  das  Zahlwort  Ein. 
Die  Anrufung  lautet:    Dreifaltigkeit  heilige,  welche  du  Gott  bist. 
Jeder  Einer,  erbarme   dich   unser**.    Etwas   anderes    im  guipuicoa- 
nischen  Texte. 
ii.  //.  Jaungoico  bat  cerana;  \  cera  heisst  du  hhUcerana  der  du  bist; 

also  hier:  heilige  Dreifaltigkeit,  die  du  bist  Ein  Gott. 
1Z,A,  othoitz  I  gehört  zu    othoithcea:    beten,   bitten;   es   bedeute: 

Gebet. 

eguitzu  \  von  eguitea,  machen,  thun. 

guretzat:  \  der  Suffix  tzat  bedeutet  „für^,  guretzat  «für  un<*: 
die  ganze  Construction  ist:  „mache  Gebet  für  uns**.  Auch  bei  diesem 
Suffix  möchte  man,  wie  bei  gäbe  (s.  oben  H.  S.  744),   an   eine   ur- 


'^)  S.  van  E  yss,  a.  a.  0.  p.  48. 

*?)  In  einer  bald  nachfolg^enden  Abhandlung^  über  da»  lateinische  ElemeBt  in    der  ha«- 
kischen  Sprache. 


Eine  baskisehe  Spnicbprobe  neb«t  Einleitung  und  CoromenUr.  759 

sprunglich  subjective  bedeutuug  denken ;  zatia  (zathia)  heisst  pars,  .4. 12. 
partis  und  könnte  daher  soviel  als:  ^Zutheilung**,  ^zukommender  An- 
theih  bedeuten. 

erregu  \  ist  das  lat.  rogare  ^^),  B.  i2, 

ezazu  I  ist  der  Imperativ :  habe  i»). 

gugatic  \  gu  (wir,  uns)  mit  dem  Sufßx  gatik,  weiches  unserem 
Deutschen  „um*"  „wegen**  entspricht.  Die  Worte  etregu  ezazu 
gugatic  bedeuten  also:  „Gebet  habe  unsertwegen **,  wo  wir  das 
„wegen*',  welches  unbedenklich  auf  das  Substantiv  „Weg''  hinweist, 
auch  als  Suffix  gebrauchen. 

Jaincoaren  Ama  \  :   Gottes  Mutter.   Diez^o)  ist  der  Meinung,  ^4.^.yd. 
das  W^ort  ama  sei  aus  dem  Baskischen  in  das  Spanische  hinüber 
gekommen;   es  bezeichnet  vornehmlich  die   „Herrin  des  Hauses**, 
wovon  dann  amo,  der  Hausherr,  abgeleitet  sei.  Weib  im  Allgemeinen 
wird  im  Baskischen  durch  ema  ausgedruckt  (s.  oben  H.  S.  745) ;  das 
Verbum  emeatcea  heisst  „besänftigen,  calmer,  adoueir**,  emea  auch 
„angenehm*',  emaztea  und  emacumea  die  verheirathete  Frau.  Das 
emeatcea  in  der  Bedeutung  „besänftigen"   durfte   dem   deutschen 
„stillen**  in  dem  Sinne  entsprechen:   „ein   schreiendes  Kind  durch 
Geben  der  Brust  beruhigen**.  Es  ist  schwer  zu  widerstehen,  hier  auf 
einige  Ähnlichkeiten  hinzuweisen.   Im  Finnischen  heisst  die  Mutter 
äiti  (vergl.  oben  Z.  8)   und  emäf  im  Esthnischen  emma,  im  Lappi- 
schen ednef  im  Magyarischen  anya,  im  Tungusischen,  wo  der  Vater 
ama  genannt  wird,  änä-   Im  Jakutischen  bedeutet  ämii  Brust,  Zitze, 
im  Tartarischen  emei  die  Brustwarze;   auch  im  Jenisei-Ostjakischen 
wird  die  Mutter  am^  ama  und  im  Deutschen   speciell  die  Säugerin : 
„Amme*'  genannt.   Wir  lassen  es  dahingestellt,  wie  viel  in  diesen 
Worten  sich  Naturlaute,  die  bei  allen  Völkern  wiederkehren  können, 
kund  geben. 

Biryinen  Biryina  Saindua  \  :   Der  Jungfrauen  Jungfrau  heilige.  A.B.14. 
S.  oben  Zeile  1.  Biryinen  ist  der  regelmässige  Genitiv  im  Plural. 

Gracia  Jaingoicozcoaren  Ama  \ .  Auch  diese  Invocation  möge  B-  i^» 
zum  Beispiel  dafür  dienen,  wie  immer  von  zwei  zusammengehörenden 
Worten  nur  das  letzte  declinirt  wird.   Jangoicozcoaren  hat  offenbar 


IS)  Vergh  Chaho,  Dictionn.  p.  311. 

1*)  Vergl.  Abbadie  et  Chnho  a.  a.  0.  p.  146.  ^  ran  Eyss  a.  a.  0.  p.  65. 

20)  Wörterboch  der  ronaniachen  Sprachen.  S.  45S. 


760  Ph  ill  i  p  • 

i6,  B.  eine  adjectiyisehe  Bedeutung»  indem  es  dem  dibinoaren  in  dem 
labourdinisehen  Texte  entspricht.  Das  eingeschobene  coz  scheint  con- 
trahirt  zu  sein  aus  co,  und  tzai^^)  bedeutet  so  viel  als  das  franz.  bien 
que,  pour,  wofQr  man  im  Deutschen  etwa  sagen  wurde:  „dafür, 
dass**,  z.  B.  „dafür  dass  er  ein  Fürst  ist,  ist  er  sehr  herablassend**. 
Ein  baskisches  Beispiel  ist :  ain  aberatz  izatekoiz  eskua  laJbur  d.  h. 
so  reich  sein  für  Hand  kurz  =s  dafQr  dass  er  so  reich  ist,  hat  er  eine 

« 

kurze  Hand.  Es  kommt  dieses  koz  in  der  Bedeutung  von  „weil''  oder 
„da"*  auch  bei  den  Zeitwortern  vor»  z.  B.  nizala:  que  je  suis,  niza" 
lakoz:  parceque  je  suis»).  Ob  jene  Deutung  richtig  sei,  wagen 
wir  nicht  zu  entscheiden. 

i7.Ä,B.  guciz  |;  analog  mit  dem  „aller*',  wie  wir  es  vor  dem  Superlativ 
zu  setzen  pflegen ;  auch  die  Wortbedeutung  ist  dieselbe,  gud  oder 
gtizi  heisst  „ganz  und  gar*'.  Im  Baskischen  verstärkt  es  aber  nicht  den 
Superlativ,  sondern  bildet  denselben,  wie  sonst  auch  das  Wort  ckü. 
chahua  \  steht  hier  wohl  an  unrechter  Stelle  und  gehört  wie  im 
Texte  B.  castoa  in  die  Z.  18. 

iS.A,  B.  garbia  heisst  rein,  sauber  und  ist  auch  vermuthlich  das  eigent- 
lich baskische  Wort  för  „keusch*^. 
i9.  A,  hoguen  gabea  \  scheint  nicht  ganz  den  Begrifr„inviolata''  wieder- 
zugeben, denn  hoguen  bezeichnet  „Schuld**  im  Allgemeinen  und  mit 
gabe-a  (s.  I.  S.  14)  zusammengesetzt:  die  „Schuldlose*'.  Der  Teil 
B.  hat  auch  nicht  das  dort  gebrauchliche  Wort  oguen  gebraucht»  son- 
dern sagt: 
^-  Virgina  ceralaric  Ätna   \    eine  eigenthümliche  Umschreibung, 

durch  welche  das  Wort  Virgo  auch  schon  in  die  Reihe  der  Invoca- 
tionen,  die  sich  auf  die  Mutterschaft  Mariens  beziehen,  hineintritt. 
Ceralaric  hat  eine  participiale  Bedeutung  ••) :  cera  (zera,  ziraj 
heisst  „Du  bist**,  ceralaric:  „Du  seiende**,  also:  „Jungfrau  Du 
seiende  Mutter*'  oder  wenn  man  es  umkehren  will :  „Mutter  Du  seiende 
Jungfrau",  womit  dann  allerdings  Mater  inviolata  vollkommen  wieder- 
gegeben wird. 

20,A.B,         tatcharic  gabea  |  tatcha  ist  das  franz.   tache,   hier  mit   dem 
Sufßx  -ic  und  dem  euphonischen  r.   Das  Suffix  hat  die  Bedeutung 


*0  Vergl.  van  Eyss  a.  a.  0.  p.  46. 
>3)  Abbadie  et  Chabo  a.  a.  0.  p.  52. 
>^)  Abbadie  et  Cbaboa.  a.  0.  p.  $4. 
24)  s.  Ob  ah  o,  Dict.  p.  399. 


'Eine  baakische  Sprachprobe  nebst  Einleitung  and  Commentar.  761 

^Yon**,  näher:  „etwas  davon**,  daher  ^afcAariV;   „Etwas  von  einem^4.i7.2(7. 
Flecken**;  dazu  ^a6^a,  heisst  dann:  „Die  ohne  (irgend)  Etwas  von 
einem  Flecken**. 

sortzetic  garbia  |  aofizea  heisst:   „EmpfSngniss**,   dann  auch  b.  2/. 
„Geburt** ;^ar6ta  (s.  Z.  18):  «»rein**,  also:  von  Empfangniss  her  rein. 
Diese  Invocation  findet  sich  in  dem  Labourdinischen  Texte  Z.  57. 

maühagarria  |;  maithatcea  heisst  „lieben**,  das  Wort  —  garriaA.B,22. 
druckt  ganz  das  aus,  was  das  lat.  —  (i)bilis,  maithagarria  ist  daher 
ganz  das  Nämliche  mit  amabilis.  L^cluse  erklärt  garria  als  „zu  Etwas 
verhelfend**  und  fuhrt  edergafTta  (qui  aide  ä  embellir)  handigarria 
(qui  aide  k  agrandir)  und  onetagarria  (qui  aide  ä  aimer)  als  Bei- 
spiele an.  Dadurch  scheint  denn  doch  der  eigentliche  Begriff 
nicht  ausgedruckt  zu  werden,  bei  welchem  die  deutsche  Sprache 
sich  bis  zum  „(liebens)würdig**  emporhebt  und  damit  also  sagt,  dass 
der  Gegenstand  verdiene  geliebt  oder  geehrt  zu  werden.  Das  lat. 
Suffix  scheint  eine  gerundiale  Bedeutung  zu  haben  und  amabilis  ist 
so  viel  als  amandus,  was  zu  lieben  ist.  Es  scheint  demgemäss  in  dem 
garria  mehr  der  Gedanke  des  Veranlassens,  des  Erregens  zu  liegen, 
denn  sonst  wurde  das  Wort  edergarria  oder  ederesgarria,  welches 
im  Baskischen  zur  Bezeichnung  des  lat.  admirabilis  dient,  zuletzt 
noch  ein  Beiwort  der  Schminke  werden.  —  An  einem  weiteren  An- 
haltspunkte für  die  etymologische  Erklärung  des  Wortes  garria  fehlt 
es.  und  wir  entschlagen  uns  aller  Hypothesen. 

miragarria  \  wieder  eine  hybride  Zusammensetzung  wie  auch^i.B.^^. 

Creatgaüearen  und  Salbatzaliearen  Äma,  \  S.  oben  Z.  9.  A.B.24,2^. 

guciz  |.  Z.  17. 

^hurra  {  bedeutet:  weise;   daher  Zuhurtzia:  Weisheit,  wie a, 26. 
auch  das  Buch  Salamons  jene  Überschrift  fuhrt. 

beguiratua  \  ein  interessantes  Wort;  es  stammt  her  von  begiaB.26. 
das  Auge,  beguiratua  heisst  daher  wörtlich:   „die  mit  Augen  ver- 
sehene**; unser  „vorsichtig**   entspricht  zwar  dem  franz.  prudent, 
aber  nicht  dem  lat.  prudens. 

oharagarria  und  veneragarria  \  Wegen  garria  s.  Z.  21;  diese  a.B,  27, 
ebenfalls  hybride  Composita  sind  leicht  zu  erkennen;   das  lat.  honor 
ist  in  verschiedenen  Formen  in  das  Baskische  aufgenommen:  honra^ 
ohare^  uhura  u.  s.  w. 

SiUb.  d.  pbii.-bist.  Cl.  LXV.  Bd.  IV.  Hfl.  51 


762  Phillip« 

28.A,B.  laudagarria  und  alabagarria  \  Das  Letztere  ist  aus  dem  Spani- 
schen aiabar  entnommen»  was  Diez*»)  aus  dem  nur  bei  Plautus 
Yorkommendeii  allaudare,  Chaho*«)  aus  elevare  ableitet. 

29.  A.         puchanta.  |  Wenn  man  sich  an  das  französische  puissant  erin-* 

nert,  wird  man  leichter  geneigt  sein,  jenes  Wt)rt  als  ein  baskisirtes 
potens  anzuerkennen.  Immerhin  ist  es  auffallend,  dass  man  hier  nicht 
eine  andere  Form,  die  ebenfalls  mit  potens  zusammenhängt,  antrifft,  da 
dieselbe  sonst  im  Baskischen  gebräuchlich  ist,  nämlich  botheretsua, 
von  botharea  s.  u.  a.  Macht  Übrigens  hat  das  Baskische  auch  eio 
einheimisches  Wort  für  denselben  Begriff  bewahrt;  das  Können  und 
Vermögen  wird  auch  durch  ahala  ausgedruckt  In  der  Bibelüber- 
setzung werden  beide  Bezeichnungen  neben  einander  gebraucht;  z.  B. 
Sapient  VIII.  11:  et  in  conspecta  potentium  admirabilis  ero: 
ederesgarri (s.  S.  31)  izanen  naiz  botheretauen  aitzinean;  Psalm. 
XXII.  8:  Dominus  fortis  et  potens,  iDominus  potens  in  proelio:  Jawia 
haakar  eta  ahalduna»  Jaun  guduetan^'')  ahalduna;  so  auch  für 
omnipotens:  Genes.  XVII.  1 :  ego  Dens  omnipotens:  Ni  fiaizJainio 
guziz  boiheretsua  und  XXXV.  1 1 :  Ni  naiz  Jainko  guziz  akatdima^ 
Merkwürdig  ist  aber  insbesondere,  wie  der  guipuzkoanische  Text 
den  Begriff  Virgo  potens  wiedergibt,  nämlich  durch : 

Zd,B.  ^^^  andico    Virgifka  \  wörtlich:    „Hand  grosser  Jungfrau", 

also:  M Jungfrau  (von)  grosser  Hand**.  Wegen  der  Declination  Ton 
andi  s.  Z.  8. 

SO,A.         amulisua  \  Dies  Wort  bedeutet:  »zart,  sanft**.  Das  Suffix  '4sua 
drückt  regelmässig  eine  Fülle  aus. 

30,  B,  bioiz  beraa  \ ;  biotz  (labourd.  bihotz)  heisst  das  Herz ;   bera 

oder  vielmehr  beraii  ist  dasjenige  Wort,  welches  auch  in  der  Bibel- 
übersetzung für  „Clemens"  gebraucht  wird,  z.  B.  Ex  od.  xXJÜil.  19: 
Clemens  ero:  bertUi  izanen  naiz.  XXXIV.  6:  misericors  et  Clemens: 
urrtkalmendetfma  eta  beratia> 
3i.A.B,  leyala  \  firanz,  loyale. 
32,  A,  miraüa  \  prov.  miraihe,  franz.  miroir«^).  Der  guipuzkoanische 
Text  hat  dafür: 


*ft)  Dies,  a.  a.  0.  S.  400. 

*6)  Chahoa.  a.  0.  p.  102. 

27)  Gudua:  Kampf  erinnert  an  ^oth.  gund.  Vgl.  Grimm,  Deutsche  Gmmmatik.  Bd.  2. 

S.  467. 
SS)  Vergl.  Dies  a.  a.  0.  8.  689. 


Eine  baskiscbe  Spracbprobe  nebst  Einleitung  und  Commentsr.  763 

ispiUua  I  Span,  espejo  *»).  B.  82. 

virtute  guxiien  |  Tugenden  aller;  wieder  eine  Umschreibung.      B.  32. 

Quhariciaren  alkhia  \  Wegen  dea  ersteren  Wortes  s.  oben^i.  d^. 
Z.  26.  Wegen  alkhia^  welches  Wort  „Sitz**  bedeutet,  yergl.  Matth. 
XIX.  28.  in  sede  majestatis  suae :  bere  ospezko  alkhian.  Ganz  ver- 
schieden davon  der  andere  Text : 

Jaquinduriaren  eserlecua  \ .  üas  Wort  jaquitea  heisst  „wissen^*  ^.  SS. 
davon  jaquiniasuna:  Wissenschaft   In   eserlecuüf    welches   auch 
Larramendi  als  Übersetzung  von  asiento  bringt»  ist  eser  wohl  durch 
das  souiet.  ezar:  mettre,  placer  zu  erklären;  lecua  bedeutet  s.  a.  a 
Ort.  S.  unten  Z.  46. 

Gure  hozearioarea  {•  Bazkaria  heisst  die  Freude,  bozteax  sich  A.  34. 
erfreuen «<»).  Vergl.  Deut.  XV.  16:  erisque  in  laetitia:  eta  bozkario- 
tan  iutneu  zare;  gure  ist  j^unsrer**. 

ühurburua  \  ein  bildlicher  Ausdruck  für  causa;  ühurri  heisst* 
„Quelle*',  buru:  Haupt,  mithin  das  Ganze:  „Hauptquelle  unserer 
Freude''.  Übrigens  hangt  das  Wort  ithurria  mit  eitorrcea  zusam- 
men» welches  „entspringen,  herkommen,  kommen"  bedeutet;  daher 
3.  Reg.  XI.  27  haec  est  causa  rebellionis:  eta  huntarrik  ethori  zen 
hären  bihurritza  d.  h.  und  von  daher  (im)  Kommen  war  seiner  Auf- 
lehnung die  (die  Auflehnung  seiner). 

poz  \  guipuzc.  für  bozy  wo  poztu  »erfreuen*'  heisst.  B.  34. 

emallea  \  muss  wohl  die  Bedeutung  causa  haben;  indessen  war 
<)as  Wort  in  keinem  Dictionnaire  aufzufinden.  Dasselbe  scheint  eigentlich 
die  Bedeutung  von  MGeberin**  zu  haben;  Larramendi  fibersetzt 
abrazador  durch  laztan  (amplecti)  emaUea;  ist  dies  von  eman 
(geben)  herzuleiten?  in  diesem  Falle  wäre  paz  emallea:  die  Freude- 
Verleiherin. 

untci  und  ontzi  |  GefSss.  Vergl.  Genes.  XXIV.  83:  prolatisque i4.£rO 
vasis  argenteis  et  aureis;  gero  (nachdem)  atheraturia  zillarrezko 
eta  urhezko*^)  untziak.   Auch  j,  Schiff,  vaisseau**  wird  durch  untzi 
übersetzt.  S.  Genes.  XLIX.  13. 

oharagarria  |  s.  Z.  27.  4.  s6. 


>•)  Vergl.  Dies  a.  a.  0.  S.  327. 
'^)  Vergl.  Larramendi,  Die«,  s.  ▼.  alegria. 

^  *)  S.  anten  Z.  41.  Das  io  der  citirten Stelle TorkomiDeodeZUlaria erinnert unwUlkuhrlich 
an  das  deutsche  »Silber". 

51  • 


764  Phil  n  p • 

34,  B.         errespetagarria  \  d.  h.  respectabilis;  vergl.  oben.  S.  31. 

57.-4.  debocionearen  untci  miresgarria  |  bedarf  keiner  weiteren  Er- 

klärung. 

S7.  B,         andia  \ :  gross. 
SS,A,B.         Arroaa  \ »  wie  oben  errespetagarria.  Im  Baskisehen  fSngt  kein 
Wort  mit  r  an;  das  r  wird  verdoppelt  und  erhält  einen  vocalisehen 
Vorsehlag. 

S9.  A,  Dabiten  \  ist  der  Genitiv. 

40.  A,  distiania  I .  Das  Zeitwort  distiäatcea  heisst  »glänzen^  (briller) 

oder  wie  Salaberri  es  wiedergibt :  „eclater  de  lumiere*,  was  freilich 
auf  Elfenbein  nur  uneigentlieh  angewendet  werden  kann.  Die  bas- 
kische Sprache  hat  kein  einheimisches  Wort  fQr  ^Blephant  und 
Elfenbein^.  Das  Thier  selbst  wird  regelmässig  »elefanf*  genannt, 
z^B.  3  Reg.  X.  22;  1.  Marc.  1.  18.  Für  das  Elfenbein  wird  »o/m 
gebraucht,  welches  aus  dem  Lat.  ebur  gebildet  ist,  wie  fulia  aus 
furia.  Vergl.  3  Reg.  X.  18.  Paralip.  IX.  21.  c.  auch  3  Reg.  XXU. 
18:  Domus  eburnea:  boliazko  etchea.  Der  zweite  Text  sagt: 

40.  B,         Marfillaxco  torrea  \ ;  marfil  oder  yielmebr  nabfil  ist  ein  arabi- 
sches ins  Spanische  übergegangenes  Wort;  nab  heisst  Zahn,  fiU 
Elephant  <«). 
41. A.B.  Urhezco   etchea   \  .Haus    von   Gold;   urrea  heisst  das  Gold, 

urraida:  Kupfer  (urre^ahaideot  dem  Golde  verwandt),  welches  Larra- 
mendi  auch  als  urregorria,  rothes  Gold,  bezeichnet.  Kommt  urrea 
von  aurum  her  oder  besteht  hier  eine  collaterale  Verwandtschaft? 

42.  A.  Alientciaco  arkha  \  erklärt  sich  von  selbst. 

42.  B.         Battasunarefi  cucha  \ .  Bat  bedeutet  «Ein*«,  davon  nbaita^una'* 
Vereinigung.  Cucha  ist  „der  Kasten**,  das  baskische  Wort  für  arca. 
4S.A.B.         Ceruco  athea  \  Wegen  ceruco  s.  Z.  8;  athea  heisst  die  Thure: 
davon  atheratcea:  „zur  Thure  hinausgehen*',  sortir. 

44,  A.  Goizeco  igarra  i  geiz  heisst  der  „Morgen*«,  ein  Wort,  welches 

sich  gleich  zu  Anfang  der  heiligen  Schrift  häufig  wiederholt,  z.  B. 
Genes.  I.  13.  Et  factum  est  vespere  et  mane  tertius  dies:  Eta 
arratsetik  etagoizetik  egin  izan  zen  hirugarren  eguna:  igarra:  der 
Stern.  , 

44.  B.  Egun  sentico  \  seniico,  welches  etwaz  romanisch  klingt  und 

sich  in  den  Wörterbüchern  nicht  antreffen  lässt,  muss  irgend  weiche 


")  Verg^l.  DioE  a.  a.  0.  S.  311. 


Eine  batkische  Sprachprobe  nebal  Einleitung  und  Commentar.  765 

Beziehung  auf  den  Tagesanbruch  haben.  Larramendi  gibt  als  bas-  R-  ^^^ 
kisehe  Bezeichnung  für  aurora:  egunttentia    und  fdr  span.   sentir 
(z.  B.  padecer  dolor)  im  bask.  sentitu  an.  Stella  matutina  wird  sonst 
auch  z.  B.  Apoe.  IL  28  durch  artizarra  und  Apoc.  XXII.  16  durch 
izar  goizekoa  übersetzt. 

Erten  08agarria\.  Erien  ist  der  gen.  piur.  von  ^rta  krank;  ^•'^^* 
Osagarria  hat  mit : 

Osasuna  \  die  nämliche  Bedeutung,  es  heisst:  Gesundheit;  ver-i'-'^^- 
muthlich  von  oao:  ganz»  entier.  Die  oft  im  Baskischen  vorkomiuende 
Endung  -suna  (vergl.  Z.  42)- erinnert  an  die  griechische  -(jOvtj, 

Bekhatareen  ikea^lekhua  \  ^-  ^^' 

Pecatarien  iguea  leoua  | .   Während  das  erste  Wort  seinen  ß- 
römischen  Ursprung  deutlich  verräth,   dQrfte  auch  lekhu  oder  leku 
gleich  dem  lateinischen  locus  sein:  da  nun  ihes  »Flucht **  bedeutet, 
so  ist  ihes^lekhu:  j^Zufluchtsstätte". 

Aisecabeiuen  gogoa  |;  atsekhabea  heisst  Bedrängniss»  afilictio,  A.47. 
und  gogoa  Freude,  Genuss,  jouissance;  der  Text  B  hat  dafür 

Esiuaaunen  \ ;  Larramendi  gibt  unter  afligir  neben  ataecabetu  ^*  ^7. 
auch  estuiu  an.  Atse  heisst  eigentlich  soviel  als  »Aufathmisn,  Respira- 
tion, Vergnügen"*,  das  gäbe  bedeutet  „ohne",  also  atsegabe:  „ohne 
Freude;    Trauer,  Trübsal**.  Vergl.   Hahn,   Etymologische  Unter- 
suchungen. S.  145.  Nro.  CXV. 

Consueloa  \ ,  das  dem  lat.  consolatrix  entspricht 

Guiristinoen  laguntga  |;  das  letztere  Wort  bedeutet  nHülfe''; '^•4^- 
im  Texte  B. 

Christauen  Laguntzallea  \  d.  h.  die  Hilfebringerin,  die  Helfe-  B.  48. 
rin.   Christauen  ist  natürlich  nur  eine  andere  Form  *>)  als  die  des 
Textes  A. 

Aingueren  Erreguinä  \  Ainguera  ist,  wie  leicht  zu  ersehen,  das  A.B.49. 
lat.  angelus,  erreguinä  das  lat  regina  mit  Verdopplung  des  r  und 
Toealischem  Vorschlag.  Über  diese  und  die  nächstfolgenden  Invoca- 
tionen  ist  nichts  weiter  zu  bemerken. 

notharic  gäbe  j  ist  mit  taicharic  gäbe  zu  vergleichen;  nothaA,S7. 
ist  das  lat  nota  in  der  Bedeutung  von  Makel. 

Jaincoaren' bildoisa  1:  Gottes  Lamm.  A.B.S8. 


">  Vergl.  darüber  C  h  a  h  o  ».  a.  O.  p.  146. 


7Ö6    Phillips,  Eine  baskische  Sprachprobe  nebst  Einleitung  n.  Commentar. 

iS8.  A,  ceinac  \  s.  Z.  8.  Hier  ist  noch  das  c  als  Thätigkeitsartikel  hin- 
zugefügt. 

khentcen  \ ;  khencea  oder  khen-tu  hat  die  Bedeutung  von  «hin- 
wegnehroen**,  franz.  6ter. 

baiitttägu  \  muss  heissen  baiditucu;  dituzu  (soul.  duhtzu)»  hat 
auf  französisch  die  Bedeutung:  vous  les  avez;  dessen  ungeachtet  ist 
dies  das  Präsens;  so  wie  z.  B.  bilcen  dat:  «todten  ich  habe^  nicht 
heisst:  „ich  habe  getödtet",  sondern  „ich  todte**.  so  heisst  auch 
khencen  dittizu  nicht:  „Du  hast  htnweggenoromen"»  sondern  Du 
nimmst  hinweg**,  eigentlich:  Du  hast  im  Hinwegnehmen.  Hierzu 
tritt  dann  noch  die  Bekräftigung  bai  (s.  oben  Z.  8). 

SS.  B.         dituzuna  \ ;  hierbei  ist  nur  auf  das  Suffix  na  aufmerksam  zu 
machen,  welches  auch  sonst  nicht  selten  vorkommt  und  eine  kaum 
merkliche  Modification  bildet;  wie  nSmIich  für  da  ist,  dena  (s.  oben 
Z.  1)  und  duena  gebraucht  wird,  so  steht  dUuzuna  ftlr  diiuzu. 
manduaren  bekhatuac  |:  Der  Welt  Sünden. 

$S.  A,  barkha  degagugu  \ .  Im  ersteren  Worte  erkennt  man  leicht  da» 
latparcere;  das  zweite  ist  ein  Optativ:  dezadan  heisst:  dass  ich 
\\9AX%^'dezagun  dass  wir  hätten,  dezaguxu:  dass  du  hättest  (für) 
uns,  nämlich :  das  Verschonen. 

öS,  B.  eiffuzu  \  In  diesem  Worte  scheint  sich  ein  Druckfehler  zu  befin* 
den;  die  beiden  letzten  Sylben  stimmen  mit  jenem  Optativ  degagugu 
Qberein;  es  soll  wohl  diguzu  heissen,  und  barca  diguzu  bedeutete: 
„habe  du  uns  Verschonen**. 

ii9*  A,         entzum  gaitgafu  \  s.  Z.  7. 

60.  A.  urrical  gakizkttzu  \  s.  Z.  2. 

60,  B.         errugui  zaite  guzaz  s.  Z.  8. 

6i,  A.  cuii  gaitgagu  \  s.  Z.  6. 


Pfizmaier,  Die  Anwend.  u.  d.  Zofälligk.  d.  Feuer«  in  d.  alt.  China.     767 


Die  Anwendung*  und  die  Zufölligkeiten  des  Feuers 

in  dem  alten  China. 

Vom  w.  M.  Dr.  A.  PfiEinaier. 

Die  vorliegende  Abhandlung  enthält,  mit  Ausschluss  des  in  den 
nicht  mehr  unbekannten  Werken  Tscheu-li  und  Li-ki  Vorkommen- 

» 

den,  eine  Reihe  in  alten  Schriftstellern,  vorzüglich  Geschichtschrei* 
beni  vorhandener  Nachrichten  von  der  Anwendung  des  Feuers,  so 
wie  Ton  den  zur  Hervorbringung  desselben  dienenden  Gegenstanden 
in  dem  früheren  China..  Nebstdem  werden  einige  auf  das  Feuer  be- 
zügliche Ereignisse,  öffentliche  und  häusliche  Verhältnisse  erwähnt, 
und  auch  auf  das  natürliche  Feuer,  wie  es  beispielsweise  in  den 
sogenannten  »Feuerbrunnen**  beobachtet  wird,  und  gewisse  Pro- 
ducte  desselben  Rucksicht  genommen.  In  letzterer  Hinsicht  ward 
selbst  manches  Fabelhafte  oder  Ungewisse,  wie  die  Angaben  über 
die  ehemals  als  seltene  Kostbarkeit  betrachteten,  „im  Feuer  gewa- 
schenen Tücher'',  der  Mittheilung  nicht  unwerth  gehalten. 

Die  einzelnen  Abtheilungen  der  Abhandlung  sind :  Denkwürdiges 
ober  das  Feuer  im  Allgemeinen.  Denkwürdiges  über  Lampen.  Denk- 
würdiges über  Kerzen.  Denkwürdiges  über  Fackeln.  Denkwürdiges 
aber  die  Leuchtfeuer  des  Vorhofes.  Denkwürdiges  über  den  Rauch* 
Denkwürdiges  über  Kohlen.  Denkwürdiges  über  Asche. 

Denkwürdiges  über  das  Feuer  im  Allgemeinen. 

Die  Konigin  (Kaiser)  Hiao^ping's,  die  Tochter  Wang-mang*s, 
beharrte  fest  bei  ihren  Vorsätzen.  Als  die  Streitkräfte  von  Han  über 
Wang-mang  Strafe  verhängten  und  den  Palast  Wi-yang  verbrannten, 
sprach  die  Königin :  Mit  welchem  Angesicht  kann  ich  das  Haus  der 
Han  sehen?  —  Hiermit  stürzte  sie  sich  in  das  Feuer  und  starb  <). 


<}    Ans  dem  Bache  der  Han. 


768  Pfisnaier 

Die  Streitkräfte  von  Hau  hattea  Waog-mang  eiogesehlosseo. 
Die  JÖDglinge  in  der  Feste,  Fang-t8chu,  Tschang-yö  und  Andere 
fürchteten  Gefangennahme  und  PlGnderung.  Sie  verbrannten  eigen- 
mächtig ein  von  ihnen  errichtetes  inneres  Haus  und  riefen  an  dem 
Thore:  Wir  werden  gefangen!  Warum  kommt  Wang-mang  nicht 
hervor?  —  Als  das  Feuer  die  Seitenflügel  erreichte,  ging  Mang  dem 
Feuer  aus  dem  Wege.  Er  umwandelte  die  Halle  vor  dem  innereD 
Hause.  Das  Feuer  folgte  ihm  alsbald  auf  dem  Fusse  <). 

Auf  dem  fernen  Feuerberge  des  V'ersamnüungshauses  von  Lieo- 
hoen  befindet  sich  der  Feuerbrunnen.  Derselbe  ist  so  tief,  daß  um 
seinen  Bod^n  nicht  sehen  kann.  Der  feurige  Dunst  erhebt  sich  immer 
gleich  kleinen  Blitzen.  Wirft  man  als  Brennstoff  Gräser  hinzu,  so 
steigt  Rauch  auf  und  Feuer  bricht  hervor.  Der  Berg  hat  dann  das 
Aussehen,  als  ob  das  Feuer  aus  der  Erde  hervorkäme.  Desswegen 
nennt  man  ihn  mit  Namen:  die  beleuchtete  Erdstufe *). 

Liang-hung  hütete  die  Schweine  im  Thiergarten  von  Schang- 
ün  in  Tschang-ngan.  Er  Hess  Feuer  auskommen,  das  die  Häuser  der 
Menschen  ergriff.  Er  erkundigte  sich,  was  für  Werthgegenstande 
verbrannt  seien,  und  gab  zum  Ersätze  alle  Schweine  hin.  Sein  Herr 
sagte,  dass  dieses  zu  wenig  sei.  Hung  äusserte  den  Wunsch,  mit 
seinem  Leibe  thätig  sein  zu  können,  und  er  verrichtete  eigenhändig 
die  nöthigen  Arbeiten«}. 

In  Tschang-scha  lebte  ein  gerechter  Mann,  Namens  Ku-thsc. 
Derselbe  hatte  die  Trauer  um  den  Vater.  Ehe  das  Begräbniss  statt- 
gefunden, entstand  bei  dem  Nachbar  Feuer,  welches  das  Haus  Thsas 
erreichte.  Der  Sarg  konnte  nicht  fortgeschafft  werden.  Thsu  ver- 
deckte das  Feuer  und  legte  sich  über  den  Sarg.  Das  Feuer  wurde 
hierauf  geloscht«). 

Lien-fan  führte  den  Junglingsnamen  Scho-t5  und  war  Statt- 
halter der  Provinz  Scho.  Der  Boden  der  Hauptstadt  Tsching-tu  war 
beengt,  die  Häuser  schmal.  Die  hundert  Geschlechter  waren  in  der 
Nacht  thätig  und  verschafften  sich  auf  diese  Weise  Kleider  und 
Speise.  Zudem  war  es  verboten,  Feuer  anzuzünden.  Das  Volk  ver- 
deckte es  und  schlug  es  nieder.    Dass  man  Feuer  auskommen  liess. 


1)  Aus  dem  Buche  der  Han. 

')  Die  Denkwürdigkeiten  der  Provinzen  und  Reiche. 

'J  Die  Geschichte  der  Han  von  der  ösUichen  Warte. 

^)  Die  Geschichte  der  Han  von  der  östlichen  Warte. 


i 


Die  Aiiweiiilung  and  die  Zufiillig keifen  des  Feuers  in  dem  alten  China.       T69 

ereignete  sich  täglich.  Fan  befahl  jetzt,  dass  mau  bei  nächtlichen 
Arbeiten  bloss  Wasser  vorräthig  haben  solle.  Die  hundert  Geschlech- 
ter freuten  sich  darüber  und  sangen  das  folgende  Lied :  Lien-schö-to, 
warum  ist  er  gekommen?  Am  Abend  verbietet  man  nicht  das' Feuer, 
das  Volk  ist  zufrieden.  In  früheren  Tagen  hatte  es  kein  Hemd,  jetzt 
hat  es  fünf  Beinkleider  i). 

Der  Fürst  von  Thsin  zog  auf  die  Jagd.  Als  er  nach  Hien-yang 
gelangte,  strömte  Feuer  herab  und  verwandelte  sich  in  weisse  Sper- 
linge. Dieselben  hielten  in  den  Schnabeln^  Verzeichnisse  und  mennig- 
rotbe  Schriften.   Sie  sammelten  sich  auf  dem  Wagen  des  Fürsten  >). 

Tsehang-tschao  führte  den  Jünglingsnamen  Tse-pu.  Weil  Kung- 
sün-yuen  sich  fllr  das  Gehege  ausgab,  schickte  Sün-kiuen  die  Abge- 
sandten Tschnng-ni  und  Hiü-yen  nach  Liao-tung  und  ernannte  Yuen 
zum  Könige  von  Yen.  Tschao  machte  Kiuen  dagegen  Vorstellungen. 
Dieser  befolgte  es  nicht.  Tschao  wurde  unwillig,  er  schützte  eine 
Krankheit  vor  und  erschien  nicht  an  dem  Hofe.  Kiuen  war  dieses 
zuwider,  und  er  versperrte  mit  Erde  dessen  Thor.  Tschao  Verschloss 
es  auch  nach  innen  durch  einen  Erdwall.  Yuen  tödtete  wirklich  Ni 
und  Yen.  Kiuen  brachte  mehrmals  besänftigende  Worte  und.  Ent- 
schuldigungen vor.  Tschao  erhob  sich  schlechterdings  nicht.  Kiuen 
zog  aus  und  kam  zu  dessen  Thore  hinüber.  Er  rief  Tschao.  Dieser 
entschuldigte  sich  wegen  ernstlicher  Krankheit.  Kiuen  verbrannte 
dessen  Thor  und  wollte  ihm  dadurch  Furcht  einflössen.  Tschao  ver- 
schloss nochmals  die  Thüre.  Kiuen  hiess  Leute  das  Feuer  löschen. 
Er  ging  hin  und  erkundigte  sich.  Nach  längerer  Zeit  hielten  die 
Söhne  Tschao*s  ihren  Vater  mit  den  Händen  fest  und  erhoben  sich. 
Kiuen  setzte  ihn  in  den  Wagei;  und  kehrte  mit  ihm  in  den  Palast 
zurück  s). 

Hin,  der  zum  Nachfolger  Hoai's  bestimmte  Sohn  Y5,  tlQhrte  den 
Jünglingsnamen  Hi-tsu.  Er  war  der  älteste  Sohn  des  Kaisers  Hoei. 
In  dem  Palaste  hatte  man  einst  in  der  Nacht  Feuer  auskommen  las- 
sen. Kaiser  Wu  bestieg  das  Stockwerk  und  betrachtete  das  Feuer. 
Der  Nachfolger  war  um  die  Zeit  fünf  Jahre  alt.  Er  zog  den  Kaiser 
an  der  Schleppe  des  Kleides  und  hiess  ihn  in  die  Dunkelheit  treten. 


^)  Die  Geschichte  der  Baa  yon  der  östlichen  Warte. 
*)  Die  ksrsgefassten  Denkwärdig^keiten  Ton  Wei. 
^)  Die  Denkwürdigkeiten  ron  U. 


770  Pfizmaier 

Der  Kaiser  fragte  uro  die  Ursache.  Der  Nachfolger  sprach :  In  der 
Nacht  ist  man  voll  Bestürzung.  Es  siemt  sich,  gegen  das  Ungewöhn- 
liche Vorkehrungen  zu  treffen.  Es  ziemt  sich  nicht,  dass  man  sich 
beleuchten  lässt  und  von  den  Menschen  gesehen  wird.  —  Man  hielt 
ihn  desswegen  für  ein  wunderbares  Wesen  <}. 

Tschang-hoa  führte  den  Jungiingsnamen  Meo-sien.  In  der  Rüst- 
kammer des  Krieges  brach  Feuer  aus.  Hoa  fürchtete,  dass  hierdurch 
Veränderungen  entstehen  konnten.  Er  stellte  die  Krieger  in  Reihen 
und  setzte  alles  in  guten  Vertheidigungsstand.  Dann  erst  brachte  er 
Hilfe.  Die  Kostbarkeiten  mehrerer  Geschlechtsalter,  so  wie  das 
Schwert,  mit  welchem  Kao-tsu  von  Han  die  Schlange  zerhaaen  hatte, 
das  Haupt  Wang-mang*s,  die  Schuhe  Khung-tse*s  und  andere  Gegen- 
stünde  wurden  gSnzlich  von  dem  Feuer  verzehrt*). 

Das  Haus  Han-khang-pe*s  war  arm  und  dürftig.  Pe  war  einige 
Jahre  alt,  und  man  hatte  die  Zeit  der  grossen  Kfilte.  Seine  Mutter 
verfertigte  eben  ffir  ihn  ein  Hemd.  Sie  hiess  Pe  das  Bfigeleisen  weg- 
werfen und  sagte  zu  ihm :  Ziehe  einstweilen  das  Hemd  an.  Ich  werde 
dir  sogleich  doppelte  Beinkleider  verfertigen.  —  Pe  sprach :  Es  ist 
nicht  mehr  nothig.  —  Die  Mutter  fragte  um  die  Ursache.  Er  ant- 
wortete: Das  Feuer  befindet  sich  in  dem  Bügeleisen,  und  der  Stiel 
ist  noch  heiss.  Wenn  ich  jetzt  das  Hemd  angezogen  habe»  muss  der 
untere  Theil  auch  warm  sein.  —  Die  Mutter  war  über  diese  Worte 
sehr  erstaunt*). 

Wang«-hien-tschi  befand  sich  mit  seinem  älteren  Bruder  Hoei- 
tschi  gemeinschaftlich  in  einem  inneren  Hause.  Plötzlich  kam  Feuer 
zum  Ausbruch.  Hoei-tschi  lief  hastig  hinaus  und  hatte  nicht  Zeit» 
seine  Schuhe  zu  nehmen.  Hien-tschi  zeigte  eine  geistvolle  Miene  und 
blieb  ruhig.  Er  rief  bedächtig  die  Leute  der  Umgebung,  stutite  sieh 
auf  sie  und  trat  hinaus  ^). 

Ko-po  führte  den  Junglingsnamen  King-schOn.  Ein  Mensch 
seines  Thores,  Namens  Tschao-tai  hatte  ihm  die  in  einem  g^nen 
Sacke  enthaltenen  Bücher  gestohlen.  Derselbe  hatte  sie  noch  nicht 
gelesen,  al^  die  Bücher  von  dem  Feuer  verzehrt  wurden »). 


<)  Das  Bach  der  TsId. 

*)  Dm  Buch  der  Ttin. 

*)  Das  Buch  der  Tiin. 

*)  Das  Buch  der  Tsin» 

^)  Das  Buch  der  Tsin. 


Di«  Anweoiluoft  und  die  Zuf51Ii|rkeiten  de«  Feuers  in  dem  ülten  China.      771 

Yu-liang  hielt  Wu-tschang  nieder  und  blickte  um  Mitternacht 
auf  die  Stadt.  Er  sah  innerhalb  der  Stadtmauern  mehrere  Fackel- 
lichter, die  Yon  der  Hohe  der  Stadtmauern  austraten.  Gegenstände 
gleich  grossen  Wagen  mit  Vorhängen  und  Dachern  von  weissem 
Tuche  traten  mit  den  Feuern  zugleich  aus  und  zogen  im  Nordosten 
der  Stadtmauern  weiter.  Als  die  Feuer  zu  dem  Strome  gelangten, 
verlöschten  sie  i). 

Fö-thu-tsching  bestieg  einst  mit  Schf-ki-lung  die  mittlere  Erd- 
stufe. Tsching  erschrack  plötzlich,  war  verändert  und  sprach:  In 
Yeu-tseheu  ist  eben  eine  Feuersbrunst  ausgebrochen.  —  Er  nahm 
Wein  und  sprudelte  ihn  von  sich.  Nach  längerer  Zeit  lachte  er  und 
sprach :  Die  Hilfe  ist  bereits  zu  Theil  geworden.  —  Ki-Iung  schickte 
Leute  nach  Yeu«-tscheu,  um  sich  zu  überzeugen.  Man  sagte:  An  dem-* 
selben  Tage  entstand  eine  Feuersbrunst  an  allen  vier  Thoren.  Da 
erschien  im  Sudwesten  eine  schwarze  Wolke,  sie  kam  herbei  und 
ein  Platzregen  löschte  das  Feuer.  Der  Regen  hatte  auch  etwas 
Weingeruch  «). 

Ki-khang  folgte  Sün-teng  auf  dessen  Wanderungen.  Nach  drei 
Jahren  fragte  Khang,  wie  es  sich  mit  ihm  verhalte.  Jener  gab  durch- 
aus keine  Antwort.  Khang  stiess  jedesmal  Seufzer  aus.  Er  nahm  ihn 
bei  Seite  und  sagte  zu  ihm  besonders:  Hast  du,  o  FrGhgeborner, 
denn  gar  keine  Worte?  —  Teng  sagte  jetzt:  Kennst  du  wohl  das 
Feuer?  Es  entsteht  und  besitztLicht,  es  bandelt  sich  wirklich  darum, 
daas  man  das  Licht  verwendet.  Ein  Mensch  besitzt  Gaben,  man  ver- 
wendet nicht  die  Gaben,  aber  es  bandelt  sich  wirklich  um  die  Ver- 
wendung der  Gaben.  Desswegen  besteht  die  Verwendung  des  Lich- 
tes darin,  dass  man  Brennholz  erlangt.  Hierdurch  bewahrt  man  sein 
glänzendes  Licht.  Die  Verwendung  der  Gaben  besteht  darin,  dass 
man  das  Wahre  erkennt.  Hierdurch  erhält  man  unversehrt  seine 
Jahre.  Jetzt  sind  deiner  Gaben  viele,  aber  deiner  Kenntnisse  sind 
wenige.  Es  ist  schwer,  dass  du  dem  gegenwärtigen  Zeitalter  ent- 
kommst. Mögest  du  nicht  darnach  trachten.  —  Khang  war  nicht 
fähig,  diesen  Rath  zu  befolgen.  Er  erfuhr  wirklich  ein  unrechtes 
Lebenslooss). 


*}  Dm  Bach  der  Tain. 
<)  Das  Boch  der  Tsin. 
*)    Das  Bach  der  Tain. 


7  I  2  P  f  i  K  III  ft  i  e  r 

Uu-mu-fu-tschi  kam  unter  das  Thor  des  Statthalters  von  Ho- 
nan  und  wollte  daselbst  Wein  trinken.  Er  hiess  Wang-tse-p&,  einen 
der  Leute  des  Thores»  Feuer  holen.  Tse-po  sprach:  Mir,  als  einem 
der  Leute  des  Thores,  ist  es  bloss  darum  zu  thun,  dass  ieh  es  in 
meinen  Geschäften  an  nichts  fehlen  lasse.  Wie  wäre  ich  im  Stande,  für 
Menschen  Auftrage  zu  übernehmen?  —  Fu-tschi  sprach  mit  ihm  und 
setzte  seufzend  hinzu:  Ich  habe  es  nicht  so  weit  gebi*acht.  —  Er 
sprach  hierauf  mit  dem  Statthalter  von  Ho-nan ,  und  dieser  ernannte 
Tse-po  zu  einem  verdienstvollen  Richter  i). 

Yin-hao  unternahm  im  Norden  den  Eroberangszug  *).  Kiang-yeu 
war  ältester  Vermerker.  Derselbe  nahm  einige  hundert  Huhner. 
umwickelte  ihre  Ffisse  mit  langen  Schnüren  und  band  an  jedes  Uuho 
einen  Feuerbrand.  Er  scheuchte  sie  und  liess  sie  mit  einem  Male 
los.  Sie  setzten  über  die  Gräben  und  sammelten  sich  in  dem  Lager. 
Sie  steckten  daselbst  alles  in  Brand  *).  • 

Tscbeu-lang  war  innerer  Vermerker  von  LiQ-ling.  Später  ver- 
ödete die  Provinz,  und  es  gab  ziemlich  viele  wilde  Thiere.  Seine 
Mutter  von  dem  Geschlechte  Sie  wflnschte  eine  Jagd  zu  sehen.  Lang 
umzingelte  die  zusammengetriebenen  Thiere,  legte  Feuer  an  und 
hiess  die  Mutter  es  sehen.  Das  Feuer  ergriff  in  Folge  von  Nach- 
lässigkeit öffentliche  Gebäude.  Lang  verwendete  den  ganzen  Reis 
seines  Amtes  zum  Aufbau  der  Dächer  und  ersetzte,  was  von  dem 
Feuer  verbrannt  worden*).  . 

Das  Haus  Yuen-hiao-tschü's  war  arm,  und  er  hatte  nichts,  um 
den  Kessel  zu  heizen.  Sein  Mädchen  stahl  das  Reisig  des  Nachbars 
und  unterhielt  damit  das  Feuer.  Hiao-tschü  erfuhr  dieses,  und  er 
ass  desswegen  nichts.  Er  Hess  das  Dach  durchbrechen  und  noch- 
mals kochen  >). 

Tsu-ying  liebte  das  Lernen  ond  setzte  dieses  Tag  und  Nacht 
fort.    Seine  Eltern  fbrchteten,  dass  er  sich  eine  Krankheit  suzieheu 


^)  Die  Ton  T«ng^-Uan  rerfaute  Oeachichte  der  Han. 

*)  Yin-hao,  ein  HeerfGlirer  dea  Raiaera  Md  aoa  dem  Hauae  der  GaUichca  Tsin,  ••t«r- 
nahm  im  neunten  Jahre  dea  Zeitraumea  Yung-ho  (353  n.  Chr.)  einen  Eroberuop- 
tag  im  Norden.  Yao-aiang ,  der  Sohn  Yao-yT-tachong^a,  Heerführern  der  apaterea 
Tachao,  rerlegte  ihm  den  Weg  und  achlug  ihn. 

')  Daa  Buch  der  mittleren  Erhebung  ron  Tain. 

^)  Das  Buch  der  Sung. 

^)  Das  Buch  der  Liang. 


Die  Anwendung  und  die  Zufälligkeiten  des  Feuert  in  dem  «t.ten  China.       773 

könne  und  verboten  es  ihm.  Später  zündete  er  ein  Feuer  an  und  las 
Bücher.  Er  verhüllte  und  verstopfte  das  Fenster  und  die  Thüre  mit 
Kleidern  und  Decken,  indem  er  fürchtete,  dass  er  von  den  Haus- 
genossen bemerkt  werden  könnte  <). 

Siao-luan  entsandte  Lu-khang-tsu  mit  dem  Auftrage,  in  die  ' 
Ausgange  von  Taitbsang  zu  dringen«).  Fu-yung  hielt  sich  an  den 
Umstand,  dass,  wenn  die  Räuber  in  der  Nacht  ankommen,  sie  sich 
an  den  Ausgängen,  wo  der  Übergang  über  den  Hoai  stattfindet,  ins 
Einvernehmen  setzen  und  an  den  Feuern  die  seiefiten  Stellen  erken- 
nen können.  Nachdem  er  einen  Hinterhalt  gelegt,  gab  er  Leuten 
insgeheim  den  Auftrag,  Körbisse  mit  Feuerstoffen  zu  fölleii,  zu  der 
südlichen  Uferbank  des  Hoai  hinQber  zu  setzen  und  die  Gegenstände 
an  einer  tiefen  Stelle  niederzulegen.  Dabei  ertheilte  er  ihnen  die 
Weisung,  dass,  sobald  Feuer  auflodern  wurde,  sie  ebenfalls  die 
Feuer  anzünden  mögen.  In  derselben  Nacht  stellten  sich  Khang-tsu 
und  Andere  wirklich  an  die  Spitze  ihrer  Schaaren  und  kamen  zu 
einem  plötzlichen  Angriff  herbei.  Die  beiden  östlich  und  westlich  von 
dem  Lager  Yuiig*s  im  Hinterhalte  liegenden  Heeresabtheilungen  fass« 
ten  sie  von  zwei  Seiten  und  griffen  sie  ungestüm  an.  Khang-tsu  und 
dessen  Genossen  ergriffen  ohne  Weiteres  die  Flucht.  Da  die  Feuer 
an  dem  Flusse  Hoai  bereits  um  die  Wette  aufloderten,  konnten  sie 
die  Stelle,  wo  der  eigentliche  Übergang  war,  nicht  erkennen.  Sie 
erblickten  sofort  die  von  Yung  aufgestellten  Feuer  und  versuchten 
wetteifernd  den  Obergang.  Da  das  Wasser  daselbst  tief  war,  ertran- 
ken sie.  Man  schlug  mehrere  tausend  Häupter  ab  s). 

Tschang-Iiang  bewachte  Ho-tscheu.  Kaiser  Wen  von  Tscheu 
liess  in  der  oberen  Strömung  Feuerschiffe  los  und  wollte  die  Brücke 
über  den  Fluss  verbrennen.  Liang  hielt  hundert  kleine  Nachen  in 
Bereitschaft,  die  er  mit  langen  Ketten  belud.  Die  Enden  der  Ketten 
versah  er  mit  Nägeln.  Als  die  Feuerschiffe  ankommen  sollten, 
sprengte  man  sofort  zu  den  kleinen  Nachen  hin,  schlug  die  Nägel 
in  die  Feuerschiffe  und  zog  die  Ketten  gegen  die  Uferbank.  DieFeuer- 


<)   Das  Buch  der  spateren  Wei. 

2)  Slao-luan  ist  Kaiser  Ming  von  Tsi.  Derselbe  drang  im  vierten  Jnhre  des  Zeit- 
raumes Kien-wa  (497  n.  Chr.)  in  die  Ausginge  von  Tai-thsang  iu  Wei  und 
wurde  durch  Wei  geschlagen. 

^)   Das  Buch  der  spateren  Wei. 


774r  Pficinaier 

schiffe   konnten  nicht  herankommen.    Dass   die  Brücke   unversehrt 
blieb,  war  eine  Folge  der  Berechnung  Liang*s  i). 

Scbl-Il  verbot  das  Feuer.  Die  hundert  Geschlechter  waren 
dadurch  gequält.  Wer  Feuer  anzündete,  erhielt  hundert  Peitschen- 
hiebe. Wenn  das  Feuer  sich  verbreitete  und  ein  Haus  ergriff,  liesj» 
er  den  Aufseher  für  die  Hauptstadt  der  fünf  Abtheilungen  eut- 
haupten«). 

Kö-hien,  von  der  südlichen  Vorstadt  ausgehend,  nahm  Wein  in 
den  Mund  und  sprudelte  ihn  dreimal  in  nordostlicher  Richtung  aus. 
Er  sagte,  in  Tsi  sei  Feuer  ausgekommen,  und  er  unterdrücke  es 
dadurch.  Später  meldete  Tsi  wirklich  eine  Feuersbrunst  >). 

Tsai-kiün-tschung  hatte  ein  äusserst  elterniiebeudes  Herz.  Als 
seine  Mutter  starb,  befand  sich  der  Sarg  in  der  Halle.  In  dem  west- 
lichen Hause  kam  Feuer  aus.  Als  das  Feuer  herannahte,  warf  sieh 
Kiün-tschung  über  den  Leichnam,  rief  mit  lauter  Stimme  und  klagte. 
Das  Feuer  übersprang  das  Haus  und  wandte  sieh  zu  dem  ostlicheu 
Hause  ^). 

Yuen  war  siebzehn  Jahre  alt  und  befand  sich  in  dem  Hause.  Er 
sah,  dass  ein  grosser  Sturmwind  sich  erhob.  Er  begab  sich  zu  dem 
Districte  nnd  sprach :  Zu  einer  gewissen  Stunde  wird  eine  Feuers- 
brunst entstehen.  Man  soll  den  Vorfahren  des  Feuers  opfern,  das 
Böse  bannen,  in  grosser  Ausdehnung  Verbote  erlassen  und  Vorkeh- 
rungen treffen.  —  Um  die  Zeit  brach  das  Feuer  wirklich  aus,  aber 
es  verursachte  keinen  Schaden  &). 

Ying  lebte  verborgen  in  dem  Gebirge  von  Yuen.  Einst  erhob 
sich  ein  schwarzer  Sturmwind  aus  der  Gegend  des  Westens.  Ying 
sagte  zu  den  Lernenden :  Auf  dem  Markte  von  Tsching-tu  ist  Feuer 
ausgebrochen,  und  zwar  in  grosser  Ausdehnung.  —  Dabei  nahm  er 
W^asser  in  den  Mund,  wandte  sich  gegen  Westen  und  sprudelte  e^ 
aus.  Hierauf  hiess  er  diesen  Tag  verzeichnen.  Später  hatte  man 
Gäste,  die  aus  Schö  angekommen  waren.  Dieselben  sagten,  dass  au 
jenem  Tage  ein  grosses  Feuer  gewesen.  Eine  schwarze  Wolke  habe 


<)  Das  Buch  der  nördlichen  Tsi. 

^)  Die  Verseichnisse  des  spiteren  Tschao. 

')  Die  Überliefening^en  von  früheren  W^eisen  aus  Ho-nan. 

^)  Die  Oberiiefoningen  Ton  früheren  Weisen  aus  Ho-nan. 

^)  Die  besonderen  Überlieferungen  ron  Tsching-yuen. 


Die  Anwendung  uud  die  Zuffilllgkeiten  des  Feuers  in  dem  Hiten  China.      775 

sich  bei  Tagesanbruch  aus  Osten  erhoben  und  es  sei  alsbald  ein 
starker  Regen  gefallen.  Das  Feuer  sei  hierauf  gelöscht  worden  i). 

Der  Fürst  der  Unsterblichen  befand  sich  im  Gespräche  mit 
Gästen.  Um  die  Zeit  war  das  Wetter  kalt.  Der  Fürst  sagte  zu  den 
Gasten :  Ich  lebe  in  Armuth  und  bin  nicht  ini  Stande,  das  Feuer  des 
Ofens  zu  erlangen.  Ich  bitte,  ein  grosses  Feuer  anmachen  zu  dürfen. 
—  Der  Fürst  hauchte  mit  dem  Munde,  das  Feuer  trat  rothglühend 
aus  dem  Munde  heraus.  Nach  einer  Weile  erfüllte  Feuer  das  innere 
Haus.  Den  sitzenden  Gästen  wurde  warm,  und  sie  zogen  die  Klei- 
der aus  s). 

Luan-pa  war  der  Richtige  des  obersten  Buchfuhrers.  Als  er 
einmal  Wein  erhielt,  wandte  er  sich  nach  Westen  und  sprudelte  ihn 
aus.  Er  sagte,  dass  in  Tsching-tu  Feuer  ausgekommen  sei.  Durch 
das  Aussprudeln  bringe  er  Regen  hervor.  —  Als  die  Post  ankam, 
war  es  wirklich  so,  wie  er  gesagt  hatte  »). 

In  dem  inneren  Hause  der  Muhme  von  dem  Geschlechte  TsiS  in 
Liang  kam  Feuer  aus.  Der  Sohn  ihres  älteren  Bruders  und  ihr 
eigener  Sohn  befanden  sich  in  dem  Inneren.  Sie  wollte  den  Sohn 
ihres  älteren  Bruders  mit  sich  nehmen,  erfasste  aber  unversehens 
den  eigenen  Sohn.  Das  Feuer  nahm  überhand,  und  man  konnte 
nicht  mehr  eintreten.  Das  Weib  sprach :  Wie  könnte  man  in  dem 
Reiche  Liang  von  Thüre  zu  Thüre  den  Menschen  die  Meldung  brin- 
gen, damit  sie  es  wissen?  Mit  dem  Namen  der  Ungerechtigkeit  be- 
zeichnet, mit  welchem  Angesicht,  mit  welchem  Auge  könnte  ich  die 
Menschen  des  Hauses  meiner  älteren  und  jüngeren  Brüder  sehen?  — 
Hierauf  lief  sie  zu  dem  Feuer  und  fand  den  Tod  «). 

Mi'tscho  kehrte  einst  aus  Lö  heim.  Er  hatte  sein  Haus  noch 
nicht  erreicht  und  war  von  diesem  etliche  zehn  Weglängen  entfernt, 
als  er  an  einer  Stelle  des  Weges  eine  schöne  Braut  erblickte.  Die- 
selbe folgte  ihm  und  verlangte,  dass  er  sie  in  den  Wagen  nehme. 
Nachdem  er  zwanzig  Weglängen  fortgezogen,  bedairicte  sich  die 
Braut  und  sprach:    Ich  bin  eine  Abgesandte  des  Himmels.    Ich  soll 


')   Die  besonderen  OberUeferuniron  %'on  Puan-jing. 

*)  Die   besonderen   Oberlieferungen  von   dem    unsterblichen  Fürsten   voq  dem  Ge- 

sclilecbte  Kö. 
')  Die  Überlieferungen  von  Unsterblichen. 
^)  Die  Überlieferangen  von  Weibern  der  Reihe. 


776   .  P  f  i  »  m  a  i  e  r 

ausziehen  und  das  Haus  des  Geschlechtes  Mi  in  Tung-hai  vPTbren- 
nen.  Es  hat  mich  gerührt,  dass  ich  durch  dich  in  den  Wagen  ge- 
nommen wurde.  Desswegen  sagte  ich  es  dir.  —  Tschö  wandte  sich 
bei  dieser  Gelegenheit  an  sie  mit  Bitten.  Sie  sprach:  Ich  kann  nicht 
anders  als  es  verbrennen.  Wenn  du  hurtig  dich  entfernst,  werde  ieh 
langsam  gehen.  Wenn  ieh  gehe,  muss  das  Feuer  um  Mittag  aas- 
hrechen.  —  Tscho  zog  jetzt  schleunig  weiter.  Er  Ycrständigte  das 
Haus  und  liess  die  kostbaren  Gegenstände  herausschaffen.  Um  Mit- 
tag kam  ein  grosses  Feuer  zum  Ausbruch  i). 

In  den  südlichen  Gegenden  befindet  sich  der  Flammenberg.  Der- 
selbe liegt  im  Süden  des  Reiches  Fu-uan,  im  Norden  des  Kia-jing.  im 
Westen  des  Reiches  Tschü-pö.  Von  dem  vierten  Monate  des  Jahres  an- 
gefangen, entsteht  das  Feuer.  Im  zwölften  Monate  des  Jahres  erlischt 
das  Feuer.  Im  ersten,  zweiten  und  dritten  Monate  .des  Jahres  entzündet 
es  sich  nicht.  Die  Hohe  des  Berges  entwickelt  bloss  Wolkenduast, 
und  an  Pflanzen  und  Bäume  wachsen  Äste  und  Zweige.  Bis  zu  dem 
vierten  Monate  des  Jahres  entzündet  sich  das  Feuer.  Die  Blätter 
der  Pflanzen  und  Bäume  fallen,  gleichwie  in  dem  mittleren  Reiche 
zur  Zeit  der  Kälte  die  Blätter  der  Pflanzen  und  Bäume  fallen.  Im 
ersten,  zweiten  und  dritten  Monate  des  Jahres  wandern  die  wan- 
dernden Menschen  an  den  Fuss  dieses  Berges,  nehmen  diese  Bäume 
und  gebrauchen  sie  als  Brennholz.  Sie  lassen  es  nicht  ausbrennen, 
nehmen  dann  die  Rinde,  spinnen  sie  und  bereiten  daraus  „im  Feuer 
gewaschene  Tücher**  '). 

Die  Flammeninsel  liegt  in  dem  südlichen  Meere.  Ihr  Boden  hat 
im  Cmt'ange  zweitausend  Weglängen.  Sie  ist  von  den  Uferbänken 
neunmal  zehntausend  Weglängen  entfernt.  Auf  der  Höhe  derselben 
lebt  ein  Thier,  das  aus  dem  Winde  entsteht.  Dasselbe  hat  Ahaiicb- 
keit  mit  einem  Leoparden,  ist  von  grüner  Farbe  und  so  gross  wie  ein 
Dachs.  Man  nimmt  es  mit  Gewalt,  häuft  mehrere  Wagen  Brennhoii 
und  verbrennt  es  damit.  Wenn  das  Brennholz  zu  Ende  ist,  be6udet 
sich  dieses  Thier  in  dem  Feuer  und  ist  nicht  verbrannt.  Man  stamptl 
mit  einer  eisernen  Mörserkeule  zehnmal  auf  sein  Haupt,  worauf  es 
stirbt.  Kehrt  man  seinen  Mund  gegen  den  Wind ,  so  wird  es  wieder 
lebendig  und  steht  auf.    Man  verschliesst  ihm  mit  dem  auf  Felsen 


*)  Die  Geschichte  des  Sachens  der  Götter. 
3)  Die  Geschichte  von  Yuen-tschung. 


Die  AoweDdnn^  und  die  Zuf8Ih'gkeiten  des  Feuers  in  dem  alten  China.      777 

wachsenden  Magenwurz  den  Mund,  und  es  ist  todt.  Man  nimmt  sein 
Hirn  und  gebraucht  es  mit  den  Blüthen  der  Goldblume  als  Arznei. 
Wenn  man  zehn  Pfund  verbraucht,  bringt  man  es  dahin»  dass  man 
fünfhundert  Jahre  lebt. 

Femer  befindet  sich  daselbst  das  Gebirge  des  Feuerwaldes.  In 
diesem  Gebirge  lebt  das  Feuerthier.  Dasselbe  ist  so  gross  wie  eine 
Ratte.  Sein  Haar  ist  drei  bis  vier  Zoll  lang,  zumTheileroth,  zum  Theile 
weiß.  Das  Gebirge  mag  zweihundert  Weglängen  im  Umfange  haben. 
Bei  Dunkelheit  sieht  man  in  der  Ferne  die  Wälder  des  Gebirges, 
und  das  Licht  dieses  Thieres  leuchtet  den  Menschen  wie  ein  Feuer. 
Man  nimmt  das  Haar  des  Thieres,  spinnt  und  bereitet  daraus  Tücher, 
die  mit  dem  Namen  »ini  Feuer  gewaschene  Tücher**  bezeichnet 
werden.  Die  Menschen  des  Reiches  tragen  sie.  Wenn  diese  Tücher 
schmutzig  werden,  brennt  man  sie  bloss  im  Feuer.  Nachdem  die 
Tücher  zweimal  verzehrt  worden,  nimmt  man  sie  heraus  und 
schüttelt  sie.  Der  Schmutz  ist  dann  verschwunden,  und  sie  sind  rein 
weiss  wie  Schnee  *). 

Tscheu-yü  hielt  Kiang-hia  nieder.  Tsao-tsao  wollte  von  der 
rothen  Wand  nach  Kiang-nan  übersetzen  und  hatte  keine  Schiffe. 
Er  bestieg  Fähren  und  schiffte  auf  den  W^assern  des  Han  abwärts. 
An  der  Mündung  des  Pu  angekommen,  setzte  er  nicht  sogleich  über. 
Yü  entsandte  in  der  Nacht  heimlich  hundert  leichte  Boote  und  lau- 
fende grosse  Schiffe.  Bei  jedem  Schiffe  befanden  sich  fünfzig 
Menschen,  die  es  fortzogen  und  in  Bewegung  setzten.  Die  Leute 
hielten  in  den  Händen  brennende  Fackeln.  Mehrere  tausend  Menschen, 
die  in  den  Händen  Feuerbrände  hielten,  standen  auf  den  Schiffen 
und  sammelten  sich  vor  den  Fähren,  welche  ankamen.  Sie  legten 
jetzt  Feuer  an.  Als  das  Feuer  angezündet  war ,  drehten  sie  die 
Schiffe  und  entflohen.  In  kurzer  Zeit  hatten  sie  mehrere  tausend 
Fähren  verbrannt.  Das  Licht  des  auflodernden  Feuers  erhellte  den 
Himmel.  Tsao  zog  noch  in  der  Nacht  ab «). 

Im  siebenten  Jahre  des  Kaisers  Hoei  (188  v.  Chr.),  zur  Zeit 
des  Sommers,  brach  auf  dem  Berge  Tschin-nan  Feuer  aus.  Mehrere 
tausend  Stämme  des  Waldes  wurden  bis  zu  den  Spitzen  in  Brand 
gesteckt.  Am  Fusse  desselben,  auf  einer  Fläche  von  mehreren  zehn 


^y  Die  Gettthichte  der  zehn  Inseln. 

*}  Die  Geschichte  de«  Ruhmes  und  der  Männlichkeit 

Sitsb.  d.  phil.-hist.  Cl.  LXY.  Bd.  IV.  Hft.  52 


778  P  f  i  z  in  a  i  e  r 

Morgen,  waren  die  Pflanzen  versengt  und  gelb.  Hundert  Tage  später 
begaben  sieh  die  Hausgenossen  an  die  Stelle  und  fanden  eine  Vor- 
richtung Drachenknochen,  zwei  Vorrichtungen  Rochenknochen «). 

Kuai,  der  Heerführer  von  dem  Geschlechte  Puan,  stellte  an 
Lö-ku  die  Frage:  Seit  dem  Alterthum  sagen  die  Gebieter  der 
Menschen,  dass  sie  den  Befehl  Ton  dem  Himmel  empfangen.  Sie 
sagen,  dass  es  das  Entsprechende  glücklicher  Zeichen  gebe.  Sollte 
sich  dieses  so  verhalten?  —  Ku  sprach:  Es  verhält  sich  so.  Drehen 
sich  die  Augen,  so  erlangt  man  Wein  und  Speise.  Erblüht  das  Feuer, 
so  erlangt  man  Gold  und  Kostbarkeiten.  Wenn  daher  die  Augen 
sich  drehen,  so  beschwört  man  sie.  Wenn  das  Feuer  erblüht,  so 
verehrt  man  es.  Um  wie  viel  mehr  ist  diess  der  Fall  bei  den  grossen 
Kostbarkeiten  der  Welt,  bei  der  wichtigen  Rangstufe  eines  Gebieters 
der  Menschen!  Wenn  nicht  durch  den  Befehl  des  Himmels,  wie 
könnte  man  sie  erlangen  >)? 

Im  Osten  des  Berges  Tai  liegen  tausend  Weglängen  mit  Ab- 
gründen der  Wasser.   In  dem  ersten  Monate  des  Sommers  sprudelt 
das  Wasser  empor.  Wenn  man  Metalle  oder  Steine  hineinwirtl,  so 
zerfallen  sie  wie  Erde.  Im  ersten  Monate  des  Winters  versiegt  es 
allmälig  und  vertrocknet.  In  der  Mitte  desselben  erscheint  ein  gelber 
Rauch,  der  aus  der  Erde  hervorkommt  Nachdem  er  einige  Klafter 
hoch  aufgestiegen,  zeigt  die  Farbe  des  Rauches  zehntausend  Ab- 
wechslungen.  Die  Bewohner  des  Berges   graben   die   Stelle  auf. 
Wenn  sie  einige  Schuh  tief  in  die  Erde  eingedrungen  sind,  finden 
sie  verbrannte  Steine,  die  den  Kohlen  gleichen.  Einige  derselben 
sind  zermalmt.  Das  Feuer  ist  wie  ein  gewöhnliches  Feuer.  Daselbst 
wächst  eine  Pflanze,  deren  Name  Mang-hoang  (das  Pflanzenlicht). 
Die  Blätter  derselben  sind  rund  gleich  denjenigen  der  Wasserlilie. 
In  einer  Entternung  von  zehn  Schritten  röstet  sie  die  Kleider  der 
Menschen,  so  dass  sie  verbrannt  werden.  Die  Vögel  und  wilden 
Thiere  getrauen  sich  nicht,  ihr  zu  nahen.  Man  schneidet  sie  ab  und 
bereitet  aus  ihr  Matten,  die  im  Winter  wärmer  sind.  Reibt  man  ihre 
Zweige  gegen  einander,  so  kommt  Feuer  hervor  >). 


^)  Die  vermiachten  Berichte  Ton  der  weetiichen  MuttersUdt. 
*)  Die  vermischten  Berichte  von  der  westlichen  Matterstadt. 
^)  Die  Geschichte  des  AuileseM  des  Hinterlassenen  von  Wangr-tse-nien. 


Die  Anwendung  und  die  ZuflUigkoiten  de«  Feuers  in  dem  alten  China.      779 

Einst  folgte  Pe-yö  den  tiefen  Rinnsälen  der  Berge,  bewerk- 
stelligte seinen  Auszug  von  den  Steinhaufen,  meisselte  das  Drachen- 
tbor  und  gelangte  zu  der  verschlossenenHöhle.  Als  er  in  die  verschlossene 
Hohle  trat,  betrug  deren  Öffnung  acht  Schuh.  Er  trat  allmälig  ein, 
aber  es  war  finster,  und  er  konnte  nicht  weiter  gehen.  Yü  trug  jetzt 
Feuer  herbei  und  trat  ein.  Es  befand  sich  daselbst  eine  schwarze 
Schlange,  die  zehn  Klafter  lang  war.  Dieselbe  hatte  auf  ihrem 
Haupte  ein  Hörn.  Sie  hielt  in  dem  Munde  eine  in  der  Nacht  leuch- 
tende Perle  und  zeigte  Yü  den  Wegi). 

Der  Berg  der  gezählten  Bergspitzen  heisst  mit  Namen:  die 
Anhohe  des  Ringes.  Daselbst  befinden  sich  Wolkensteine,  die  fünf** 
hundert  Weglängen  breit  sind.  Einige  messen  vierzig  bis  fünfzig, 
Weglängen.  Zerschlägt  man  sie  in  Stücke,  so  kommen  dichte 
Wolken  hervor,  die  sich  mit  Schnelligkeit  rings  umher  verbreiten 
und  die  Welt  befeuchten.  Daselbst  ist  ein  Baum,  dessen  Name: 
der  Maulbeerbaum  der  Lehne.  Ferner  findet  man  Seidenraupen  des 
Eises.  Dieselben  sind  sieben  Zoll  lang,  besitzen  Homer  von  schwarzer 
Farbe  und  sind  geschuppt.  Erst  wenn  man  sie  mit  Reif  und  Schnee 
überdeckt,  verfertigen  sie  Gespinnste.  Diese  sind  einen  Schuh  lang 
und  von  fünferlei  Farbe.  Man  webt  aus  ihnen  goldgestickte  Seiden- 
stoffe mit  Streifen.  Wenn  man  sie  in  das  Wasser  taucht,  so  werden 
sie  nicht  benetzt.  Ihr  Stoff  ist  leicht,  weich  und  geschmeidig.  Wirft 
man  sie  in  das  Feuer,  so  zündet  man  die  ganze  Nacht  kein  Leucht- 
feuer an.  In  dem  Zeitalter  von  Thang-yao  brachten  die  Menschen 
des  Meeres  sie  zum  Geschenk  <). 

Der  Kaiser  des  Anfangs  liebte  die  Sache  der  göttlichen  Un- 
sterblichen. Er  suchte  die  ausserordentlichen  Künste  der  Welt. 
Menschen  des  Volkes  von  Yuen-khiü  bestiegen  ein  Kürbissschiff, 
schwammen  auf  dem  schwarzen  Wasser  und  gelangten  zu  den  Ab- 
theilungen von  ,Yung.  Der  Kaiser  des  Anfangs  sprach  mit  ihnen. 
Als  die  Rede  von  den  Zeiten  war,  in  welchen  Himmel  und  Erde  noch 
nicht  erschlossen  waren,  sprachen  sie  davon  mit  einer  Lebhaftigkeit, 
als  ob  sie  es  selbst  gesehen  hätten.  Der  Kaiser  fragte  sie:  Ich  habe 
gehört,  dass  ihr  deutlich  das  Ferne  sehet  Ich  möchte  diese  Kunst 


*)  Die  Getchichte  des  Auflosens  des  Hintorlassenon. 
*)  Die  Geschichte  des  Auflesens  des  Hinterlasseaen. 

52' 


780  P  f  i  X  m  a  i  e  r 

hören.  —  Sie  antworteten:  Unser  Reich  ist  von  dem  Teiche  Hien, 
dem  Orte,  wo  die  Sonne  versinkt,  neunmal  zehntausend  Weglängen 
entfernt.  Es  wird  von  der  Sonne  und  dem  Monde  nicht  beleuchtet, 
und  seine  Nächte  dauern  zehntausend  Jahre.  Wenn  es  in  ihm  Tag 
ist,  öffnet  sich  der  Himmel  in  der  Mitte  weit  in  einer  Aasdehnung 
von  mehreren  hundert  Klaftern.  Nach  zehntausend  Jahren  schliesst 
er  sich  wieder,  und  dieses  ist  ein  einziger  Tag.  Wenn  es  Nacht  ist, 
bearbeitet  man  Zundsteine  und  ersetzt  dadurch  das  Licht  der  Sonne. 
Diese  Steine  kommen  von  dem  zündenden  Berge.  Die  Steine  auf 
dessen  Boden  leuchten  von  selbst.  Man  schlägt  davon  Stifte  ab,  aus 
denen  Feuer  hervorkommt.  Dasselbe  ist  von  der  Grösse  der  Hirse- 
körner und  erleuchtet  das  ganze  innere  Haus.  Zu  den  Zeiten  des 
Flammenkaisers  machten  einst  die  Menschen  des  Reiches  Ta-schi 
diese  Steine  zum  Geschenk  <)« 

Das  Reich  Schin-mi  ist  von  der  Provinz  zehntausend   Weg- 
längen entfernt.  In  dem  Reiche  des  Lichtes  des  Feuerzeuges  kennt 
man  nicht  die  vier  Jahreszeiten,  nicht  den  Tag  und  die  Nacht.  Die 
Bewohner  desselben  sterben  nicht.    Wenn  sie  des  Zeitalters  fiber^ 
drüssig  sind,  steigen  sie  zu  dem  Himmel   empor.  In  dem  Reiche 
findet  man  den  Feuerbaum.  Derselbe  heisst  mit  Namen :   der  Baum 
des  Feuerzeuges.  Er  krQmmt  sich  in  einer  Ausdehnung  von  zehn- 
tausend Klaftern.  Wolken  und  Nebel  kommen  aus  seiner  Mitte  her- 
vor.  Wenn  man  die  Aste  bricht  und  gegen  einander  reibt,  so  kommt 
Feuer  hervor.  Die  höchstweisen  Menschen  der  späteren  Zeitalter  ver- 
änderten den  Geschmack  des  rohen  Fleisches,  sie  wanderten  in  die 
Gegenden  jenseits  der  Sonne  und  des  Mondes,  sie  versahen  dadurch 
mit  Speise  und  retteten  die  zehntausend  Wesen.  Sie  gelangten  jetzt 
zum .  Süden  und  Hessen  die  Augen  herab  auf  die  Wunder   dieses 
Baumes.  Daselbst  ist  ein  Vogel,  der  einem  Sperber  gleicht   Wenn 
dieser  mit  dem  Schnabel  in  den  Baum  pickt,  kommt  vielfach  Feuer 
hervor.  Die  höchstweisen  Menschen    entstanden.    Sie  nahmen  bei 
diesem  Anlasse  kleine  Äste  und  rieben  damit  Feuer.  Man  nannte  sie 
das  Geschlecht  der  Menschen   des   Feuerzeuges.  Dieselben  lebten 
vor  Fö*hi,  und  es  ist  seitdem  Sitte,  mit  Feuer  zubereitete  Speisen 
zu  gemessen »}. 


^)  Die  Geschichte  des  Aufleaens  de«  HinUrlMsaaen. 
2j  Die  Geschichte  de«  Auflesen«  de«  HiDterlMsenen. 


Bie  Anwendung  und  die  Zuffilligkeiten  des  Feuert  in  dem  alten  China.       781 

Tschl-ki  führte  den  Jünglingsnamen  KiQn-tschin.  Derselbe  hatte 
die  Trauer  um  einen  Angehörigen  und  erschöpfte  die  Gebräuche. 
Er  wohnte  yon  dem  Grabe  einhundert  Weglängen  entfernt,  und 
machte  sich  jede  Nacht  auf  den  Weg.  Es  waren  Vögel,  die  in  den 
Schnäbeln  Feuer  hielten  und  ihn  in  die  Mitte  nahlmen  i). 

Tschao-siang-tse  stellte  sich  an  die  Spitze  von  zehnmal  zehn- 
tausend Menschen  und  hielt  eine  Winterjagd  in  Tschung-schan.  Er 
trat  auf  das  hohe  Gras  und  steckte  die  Wälder  in  Brand.  Er  fachte 
die  Gluth  auf  einer  Strecke  von  hundert  Weglängen.  Es  war  ein 
Mensch,  der  von  einer  Felsenwand  dem  verglimmenden  Feuer  auf 
Höhen  und  in  Tiefen  nachfolgte.  Alle  glaubten,  dass  es  ein  dämon- 
artiges Wesen  sei.  Als  das  Feuer  hinüberzog,  ging  er  langsam  und 
kam  hervor,  als  ob  er  nirgends  hindurch  gegangen  wäre.  Siang-tse 
staunte  und  hielt  ihn  zurück.  Er  durchforschte  ihn  mit  Müsse.  Nach 
Gestalt  und  Aussehen  war  es  ein  Mensch  mit  sieben  Öffnungen. 
Nach  Luft  und  Athem  war  es  ein  Mensch  des  Lautes  und  der  Stimme. 
Er  fragte  ihn,  auf  welchem  Wege  er  in  das  Feuer  getreten  sei. 
Jener  Mensch  sprach :  Welchen  Gegenstand  nennst  du  die  Felsen? 
Welchen  Gegenstand  nennst  du  das  Feuer?  —  Siang-tse  sprach: 
In  der  Richtung,  wo  du  beim  Kommen  hervortratest,  sind  die  Felsen. 
In  der  Richtung  jedoch,  wo  du  hindurch  gingst,  ist  das  Feuer.  — 
Jener  Mensch  sprach :  Ich  weiss  es  nicht  <). 

Lu  verbrannte  die  gehäuften  Sümpfe.  An  dem  Himmel  erhob 
sich  ein  Nordwind,  das  Feuer  -drängte  sich  nach  Süden.  Man 
fürchtete,  dass  es  das  Reich  ergreifen  werde.  Fürst  Ngai  gerieth 
in  Angst.  Er  eilte  in  eigener  Person  an  der  Spitze  der  Menge 
hinzu  und  brachte  Hilfe.  Von  den  Leuten  seiner  Umgebung  war 
keiner  zugegen.  Sie  alle  verfolgten  die  wilden  Thiere  und  kamen  nicht 
zu  Hilfe.  Der  Fürst  berief  Tschung-ni  zu  sich  und  fragte  ihn. 
Tschong-ni  sprach :  Die  wilden  Thiere  verfolgen,  ist  ein  Vergnügen, 
und  man  erleidet  keine  Strafe.  Bei  dem  Feuer  zu  Hilfe  kommen, 
ist  beschwerlich,  und  man  erhält  keine  Belohnung.  Aus  diesem  Grunde 
kommen  sie  bei  dem  Feuer  nicht  zu  Hilfe.  Da  die  Sache  dringend 
ist,  so  werden  sie  durch  die  Strafe  nicht  erreicht.  Wollte  man  sie 


^)  Die  Geschichte  des  Auflesens  des  Hinterlassen en. 
<)  Das  Buch  Lij^-tse. 


782  Pfisoiaier 

alle  belohnen,  so  wurde  das  ganze  Reich  zur  Belohnung  nicht 
geniigen.  Man  bringe  bei  den  Mensehen  des  Volkes  und  den  Ge- 
nossen der  Scharen  die  Strafe  in  Anwendung.  —  Man  Hess  jetzt 
einen  Befehl  herabgelangen,  worin  es  hiess:  Wer  bei  dem  Feuer 
nicht  zu  Hilfe  kommt,  macht  sich  eines  so  grossen  Verbrechens 
schuldig,  als  wenn  er  sich  dem  Norden  ergäbe.  —  Der  Befehl  war 
noch  nicht  allerwftrts  herab  gelangt,  als  das  Feuer  bereits  gelöscht 
war «). 

In  dem  sudlichen  Meere,  auf  der  Anhöhe  von  Siao  befindet  sich 
ein  von  selbst  entstehendes  Feuer.  Dasselbe  erhebt  sich  im  FrQhlinge 
und  erlischt  im  Herbste.   Die  Anhohe  hat  im  Umfange  eintausend 
Weglängen.  Zur  Zeit,  wo  das  Feuer  sich  erhebt,  erfüllt  es  diese 
Anhöhe.  Der  Boden  bringt  überall  einen  gewissen  Baum   hervor. 
Wenn  das  Feuer  sich  erhebt,  legt  es  sich  gerade  an  diesen  Baum. 
Obgleich  dieser  Baum  von  Feuer  umlagert  ist,  wird  er  nur  ein  wenig 
verbrannt  und  ist  schwarz.    Die  Menschen  erlangen  ihn  bisweilen 
und  gebrauchen  ihn  als  Brennholz.  Er  fangt  Feuer  wie  gewohnliches 
Brennholz,  nur  mit  dem  Unterschiede,  dass  er  keine  Kohlen  gibt. 
Wenn  man  gekocht  hat,  übergiesst  man  ihn  mit  Wasser  und  loscht 
ihn  aus.  Später  gebraucht  man  ihn  nochmals  und  verfahrt  so  ohne 
Aufhören.  Ferner  nehmen  die  Menschen  der  Fremdgebiete  die  Blätben 
dieses  Baumes  und  weben  daraus  »im  Feuer  gewaschene  TOcher". 
Die  Binde  des  Baumes  wird  ebenfalls  abgeschält,  mit  Asche  geröstet 
und  daraus  TQeher  bereitet.   Dieselben  sind  aber  nicht  so  fein  und 
gut  wie  diejenigen,  die  aus  den  Bluthen  bereitet  werden.  Gross- 
schweifige  Batten,  die  mehrere  Pfunde  schwer  und  deren  Haar  drei 
Zoll  lang  ist,  leben  in  den  hohlen  Bäumen.   Aus  deren  Haar  kann 
man  ebenfalls  Tucher  weben.  Desswegen  gibt  es  drei  Gattungen  „im 
Feuer  gewaschener  Tucher«* «). 

In  den  Tagen  des  begründeten  Sommers  gebraucht  man  die 
Beglaubigungsmarke  der  sechs  Zeichen  Jin,  der  sechs  Zeichen  Koei. 
Man  gebraucht  auch  das  Pulver  des  fliegenden  Beiffrostes,  und  man 
hat  dann  nicht  heiss.  Yeu-pe-tse  und  Seng-tschung-tu,  diese  zwei 
Menschen  bekleidete  man  mit  schweren  Pelzen,  man  setzte  sie  der 


1)  Dm  Boch  Han-U«. 
*)  Das  Buch  Pao-pö-Ue. 


Die  Anwendung^  und  die  Zufüliifrkeiten  des  Feuers  in  dem  alten  China.      783 

Sonne  aus  an  einem  Sommertage,  man  umgab  sie  mit  dem  Feuer 
von  zehn  Öfen.  Ihr  Mund  klagte  nicht  über  Hitze»  ihr  Leib  vergoss 
keinen  Schweiss.  Sie  hatten  nämlich  dieses  Heilmittel  gebraucht  <). 

Kuan-ning  zog  nach  Liao-tung  und  kehrte  zurück.  Auf  dem 
Meere  überfiel  ihn  ein  heftiger  Sturm.  Die  übrigen  Schiffe  scheiter- 
ten, und  nur  das  Schiff  Ning's  blieb  unversehrt.  Da  die  Nacht 
dunkel  war,  geriethen  alle  Menschen  des  Schiffes  in  Verwirrung, 
und  keiner  wusste  einen  Ankerplatz.  Plötzlich  erblickten  sie  in  der 
Feme  den  Glanz  eines  Feuers.  Sie  eilten  diesem  zu  und  fanden 
eine  Insel.  Dieselbe  hatte  keine  Bewohner  und  auch  keine  Feuer- 
öfen. Die  Reisenden  staunten  hierüber  und  meinten,  dass  dieses  die 
Hilfe  des  göttlichen  Lichtes  sei.  Hoang-fu  sprach:  Es  ist  das  Ent- 
sprechende des  gehäuften  Guten  >). 

In  Lin-khiung  befand  sich  ein  Feuerbrunnen.  Derselbe  mochte 
fünf  Schuh  breit  und  zwei  bis  drei  Klafter  tief  sein.  Er  befand  sich 
einhundert  Weglängen  südlich  von  dem  Hauptorte  des  Districtes. 
Ehemals  warfen  die  Menschen  Bambusstäbe  und  Hölzer  hinein  und 
verschafften  sich  dadurch  Feuer.  Die  Reichsgehilfe  von  dem  Ge- 
schlechte Tschü-ko  ging  hin  und  besichtigte  ihn.  Später  nahm  das 
Feuer  überhand.  Man  stellte  Schüsseln  über  den  Brunnen  und 
röstete  Salz.  Man  erlangte  gekochtes  Salz.  Die  späteren  Menschen 
warfen  Hauskerzen  und  Feuer  in  den  Brunnen.  Das  Feuer  erlosch 
sogleich  und  hat  sich  bis  zu  dem  heutigen  Tage  nicht  mehr  ent- 
zündet *). 

In  Lin-khiung  befindet  sich  ein  Feuerbrunnen,  der  sechzig 
Klafter  tief  ist.  Das  Licht  des  Feuers  kommt  nach  oben  zum  Vor- 
schein. Die  Menschen  füllen  das  Feuer  in  Röhren.  Wenn  sie  hundert 
Weglängen  weit  gehen,  lässt  es  sich  noch  immer  entzünden  «). 

Wenn  man  Oel  in  Mengen  von  zehntausend  Centnern  anhäuft, 
so  macht  es  von  selbst  Feuer  entstehen.  In  dem  Zeiträume  Tai-schi 
von  Tsin  (265  bis  274  n.  Chr.)  brach  in  der  Rüstkammer  des 
Krieges  Feuer  aus.  Es  war  durch  angehäuftes  Oel  veranlasst »). 


1)  Das  Bach  Pao-pö-tse. 

>)  Pas  Buch  Fu-tse. 

')  Die  Denkwfirdigkeiten  vielseitiger  Dioge. 

*>  Die  Denkwürdigkeiten  Tielseitiger  Dinge. 

^)  Die  Denkwürdigkeiten  yielseitiger  Dinge. 


784  P  f  i  z  m  «  i  e  r 

In  Kuang-tscheu  findet  map  einen  grossen  Baum,  durch  den 
man  sieh  vor  dem  Feuer  schützen  kann.  In  Schan-pe  nennt  man  ihn 
den  über  das  Feuer  Wachenden.  Die  Menschen  häufen  die  Bäume 
der  Dächer.  In  Kuang-nan  gibt  es  keinen  Reif  und  Schnee.  Des- 
wegen bringt  das  Land  die  Bäume  zur  Vollendung  <)• 

An  dem  Thore  der  Feste  kam  Feuer  aus.  Das  Unglück  erreichte 
die  Fische  des  Teiches.  Nach  den  Büchern  der  hundert  Häuser  kam 
an  dem  Thore  der  Feste  von  Sung  Feuer  aus.  Man  schöpfte  das 
Wasser  in  dem  Teiche  aus  und  begoss  es  damit.  Die  Fische  kamen 
sämmtlich  zum  Vorschein.  Man  ging  blos  hin  und  fing  sie  *). 

Jenseits  der  Wüste  des  Südens  liegt  der  Feuerberg.  Derselbe 
ist  vierzig  Weglängen  lang  und  vier  bis  fünf  Weglängen  breit.  Die 
Bäume,  die  auf  ihm  wachsen,  brennen  Tag  und  Nacht  als  Feuer. 
Wird  ihnen  Sturm  und  Regen  zu  Theil,  so  wird  das  Feuer  nicht  ge- 
löscht. In  dem  Feuer  findet  man  Ratten,  die  hundert  Pfund  schwer 
sind.  Ihr  Haar  ist  sieben  Schuh  lang  und  fein  wie  Seide.  Man  kann 
daraus  Tücher  verfertigen »). 

Kaiser  Yuen  von  Han  suchte  weit  und  breit  Männer  der  Arznei- 
kunst.  Wang-tsChung-tu,  ein  Mensch  des  Weges  aus  Han-tschung, 
sagte,  dass  er  blos  Hitze  und  Kälte  ertragen  könne.  Im  strengen 
Winter,  an  dem  Ufer  des  Teiches  Kuen-ming  in  Schang*lin  blieb 
sein  Aussehen  unverändert.  Im  Sommer,  bei  heisser  Witterung  liess 
man  ihn  in  der  Sonne  sitzen  und  umringte  ihn  mit  dem  Feuer  von 
zehn  Öfen.  Er  vergoss  keinen  Schweiss*). 

Der  Kaiser  des  Anfangs  aus  dem  Hause  Thsin  wurde  auf  dem 
Berge  Li  begraben.  Binnen  sechs  Jahren  wurde  das  Grab  durch 
Hiang-tsI  geöffnet.  Ein  Schafhirt  liess  ein  Schaf  in  den  Grabhügel 
fallen.  Er  zündete  ein  Feuer  an  und  suchte  das  Schaf.  Dabei  ver- 
brannte er  den  Sarg  und  die  aufbewahrten  Gegenstände  s). 


<)   Die  Denkwürdii^keiten  des  sudlichen  Yue. 

^)  Das  Durchdringen  der  Gewohnheiten.  Der  Garten  des  Gespriches  sagt:  DerBe- 
ruhiger  des  Vorstehers  des  Thores  führte  den  Geschlechtsnamen  Tsehi  (Teicii)  »d 
den  Namen  Yfi  (Fisch).  An  dem  Thore  der  Feste  entstand  Feuer.  Er  kam  so  Uütt 
und  yerbrannte.  Daher  diese  Sage. 

*)  Das  Buch  der  göttlichen  Merkwürdigkeiten. 

^)  Die  neuen  Erörtemngen. 

^)  Die  gelben  Abbildungen  der  drei  stätienden  Prorinsen. 


Die  Anwendung  und  die  ZufSlligkeiten  des  Feuere  in  dem  alten  Chint.      785 

Kaiser  Wu  von  Wei  sagte  in  einem  Erla&se:  Ich  habe  gehört, 
dass  man  in  Tai-yuen,  Schang-thang»  Si-ho  und  Yen-men  nach  der 
Ankunft  des  Winters  durch  hundert  und  fünf  Tage  das  Feuer  ver- 
bietet und  die  Speisen  kalt  verzehrt.  Man  sagt,  es  sei  wegen 
Kiai-tse-tui  9.  Tse-siü  versank  in  dem  Strome,  und  die  Menschen 
von  U  wurden  noch  nicht  des  Wassers  beraubt.  Erst  wegen 
Tui  verzehrt  man  die  Speisen  kalt.  Sollte  dieses  nicht  parteilich 
sein«)? 

Als  Tschi-pe  geschlagen  war,  wollte  er  aus  dem  Lande  fliehen. 
Er  träumte,  dass  in  der  Gegend  des  Westens  ein  Feuer  erschien. 
Als  er  nach  Thsin  geflohen  war,  träumte  er  wieder,  dass  in 
der  Gegend  des  Südens  ein  Feuer  erschien.  Er  floh  sofort  nach 
Tsu  «). 

Zu  den  Zeiten  des  Kaisers  Siuen,  im  ersten  Jahre  des  Zeit- 
raumes Ti-tsiS  (69  V.  Chr.),  zeigte  sich  in  der  oberen  Provinz  im 
Sande  nächtlich  ein  Feuer.  Dasselbe  kam  gleich  Hirsekörnern  hervor 
und  war  nicht  heiss  ^). 

Das  Feuerzeug  des  Yang  verfertigt  man  aus  Kupfer.  Dasselbe 
ist  wie  ein  Spiegel  gestaltet  Kehrt  man  es  gegen  die  Sonne,  so 
entsteht  Feuer.  Wenn  man  es  mit  einem  Dochte  aus  Beifuss  aufhängt, 
so  erhält  man  Feuer  &). 

Ein  gewisser  Kiä  wurde  in  der  Nacht  plötzlich  unpass.  Die 
Menschen  des  Thores  rieben  Feuer.  Die  Nacht  war  finster,  und 
sie  hatten  noch  kein  Feuer.  Jener  trieb  sie  zur  Eile  an.  Ein  Mensch 
des  Thores  wurde  unwillig  und  sprach:  Dass  du  die  Menschen 
schiltst»  ist  auch  eine  grosse  Unzukömmlichkeit.  Die  Nacht  ist  jetzt 
schwarz  wie  Pech.  Warum  ergreifst  du  nicht  das  Feuer  und 
leuchtest  uns,  damit  wir  das  Geräthe  zum  Reiben  des  Feuers  suchen 
können  *)? 


*)  Kiai-tse-tui  venchmihte  es,   von   dem  Ffirsten   Wen  von  Tsin  einen  Gehalt  su 

Terlangen  und  starb  an  einem  unbekannten  Orte  in  der  Verborgenheit. 

2)  Der  Erlas«  des  Kaisers  Wu  tou  Wei  fiber  die  leichten  Strafen. 

')  Die  Worte  dos  Edelsteines  Tsao. 

^)  Die  weiteren  Brklirnngen  des  Alterthnms  und  der  Gegenwart. 

^)  Die  weiteren  ErUirungen  des  Alterthums  und  der  Gegenwart. 

^)  Der  Wald  des  Lachens. 


786  P  f  i  z  m  «  i  e  r 

Denkwürdiges  über  Lampen. 

Wang-mang  liebte  die  Veränderungen.  Er  wechselte  mit  den 
Einrichtungen,  mit  den  Erlässen  der  Lenkung,  und  es  gab  viele 
Belästigungen.  Er  unterhielt  immer  kaiserliches  Lampenlicht  bis  zum 
Tagesanbruch  <). 

Kaiser  Kuang-wu  kehrte  von  Tschang-ngan  heim.  Er  zog 
durch  Kien  und  besuchte  das  Lager  Tsi-tsün*s.  Die  Menge  der 
Kriegsmänner  ftthrte  die  kriegerische  Musik  des  gelben  Thores  auf. 
Als  die  Nacht  kam,  unterhielten  sie  kaiserliches  Lampenlicht  <). 

Wen-kiao  umkreiste  Wu-tschang  und  gelangte  zu  den  Stauuo- 
gen  des  Flussarmes  der  Rinder.  Das  Wasser  war  unermesslich  tief- 
In  dem  Zeitalter  sagte  man,  dass  es  in  der  Tiefe  viele  wunderbare 
Wesen  gebe.  Kiao  zündete  sofort  eine  Lampe  von  Rhinoceroshom 
an  und  beleuchtete  die  Stelle.  Alsbald  sah  er  seltsame  Gestalten  uod 
ungewöhnliche  Gattungen  der  Wassergeschlechter.  Unter  ihoen 
waren  einige,  die  Wagen  bestiegen,  auf  Pferden  ritten  und  rothe 
Kleider  trugen.  Kiao  träumte  in  dieser  Nacht,  dass  ein  Mensch  zu 
ihm  sagte:  Wir  waren  von  dir  durch  die  Wege  der  Dunkelheit  und 
des  Lichtes  geschieden.  Warum  hast  du  uns  beleuchtet?  —  Dieses 
war  ihm  in  seinem  Gemüthe  sehr  zuwider.  Er  kam  dazu,  die  Stadt 
niederzuhalten.  Es  waren  noch  nicht  zehn  Tage  vergangen,  als  er 
starb »). 

Hoang-fu-wu-yl  war  ältester  Vermerker  von  Tl-tscheu.  Er 
übernachtete  einst  in  dem  Hause  eines  Menschen,  als  der  Docht  der 
Lampe  zu  Ende  ging.  Der  Wirth  wollte  ihn  verlängern.  Wu-yi  zog 
das  Messer  des  Gurtelgehänges,  schnitt  den  Gürtel  seines  Kleides 
durch  und  verfertigte  einen  Docht.  Seine  Uneigennützigkeit  und  sein 
Eigensinn  waren  derart^). 

Kaiser  Jui-tsung  liebte  die  Musik.  Rei  ihrem  Anhören  vergass 
er  auf  die  Müdigkeit.   Kaiser  Yuen-tsung&)  war  ebenfalls  in  deo 


0  Daa  Buch  der  Han. 

^)  Die  Geschichte  der  Han  Ton  der  östlichen  Warte. 
*)  Das  Buch  der  Tsin. 
*)  Das  Bach  der  Thang. 

^)  Ynen-tsung^  war  der  Sohn   Jui-tsung*s  und  folgte  seinem  Vater  noch  bei  dessM 
LebKeiten. 


Die  Anwendung  und  die  ZufiUlgkeiten  ^es  Feuers  in  dem  alten  China.      787 

Abschnitten  der  Töne  bewandert.  Im  ersten  Monate  des  zweiten 
Jahres  des  Zeitraumes  Sien-thien  (713  n.  Chr.)  bat  So-to-po,  der 
nach  der  Sonne  blickende  Bonze  von  Hu,  dass  man  in  der  Nacht  das 
Thor  öffne  und  einhundert  tausend  Lampen  anzünde.  Jui-tsung 
begab  sich  zu  dem  Thore  der  verlängerten  Freude  und  hörte  die 
Musik.  Wenn  vier  Tage  vorüber  waren,  schlosp  er  sich  an  das 
grosse  Weiufest.  Jui-tsung  begab  sich  zu  dem  Stockwerke  des 
Thores  des  ruhigen  Glückes  und  sah  das  Weinfest  der  hundert 
Vorsteher.  Er  verbrachte  so  einen  Monat  hindurch  Tag  und  Nacht  i). 
Die  Königsmutter  des  Westens  schickte  einen  Gesandten  und 
liess  dem  Kaiser  Wu  von  Han  sagen:  Am  siebenten  Tage  des  sieben- 
ten Monats  werde  ich  sofort  kommen.  —  Der  Kaiser  sprach:  Man 
fege  und  reinige  das  Innere  des  Palastes  und  zünde  Lampen  des 
neunfachen  Lichtes  an«). 

Siün-tsai»  die  Tochter  Schuang's,  war  die  Gattin  Yin-yü's,  jedoch 
ihr  Mann  starb  frühzeitig.  Sie  wurde  gedrängt,  sich  mit  Kö-y!  von 
Tai-yuen  zu  vermalen.  Tsai  trat  in  das  innere  Haus  des  Geschlechtes 
K5.  Als  es  Abend  wurde,  entfernte  sie  die  Vorhänge,  stellte  vier 
Lampen  auf,  sammelte  sich  und  setzte  sich  genau  in  der  Mitte 
nieder.  Der  Mann  von  dem  Geschlechte  K5  getraute  sich  nicht,  sie 
zu  drangen»). 

In  dem  Grabe  des  Kaisers  des  Anfangs  brannte  man  Lampen, 
die  mit  Wallfischfett  gefüllt  waren*). 

Als  Schi -hu  eine  Versammlung  der  Richtigen  veranstaltete, 
stellte  er  vor  die  Vorhalle  einhundert  zwanzig  Lampen.  Dieselben 
waren  aus  Eisen  verfertigt »).     . 

Ting-hoan,  ein  Künstler  von  Tschang-ngan,  verfertigte  das 
Wunder  beständig  gefüllter  Lampen.  Es  waren  sieben  Drachen, 
fünf  Paradiesvögel,  gemengt  mit  den  Blüthen  und  Wurzeln  der 
Wasserlilie «). 


0  Dm  Bach  der  Than;. 


t)  D 
*)  D 
*)D 


e  inneren  Überlieferungen  von  Wu  von  Han. 

e  Überlieferungen  von  Sifin-tsai. 

e  Oesehichte  der  drei  Thsio. 

e  Geaehichte  der  Begebenheiten  in  Nie. 

e  Termtschten  ErsShlungen  der  Mutterstadt. 


788  P  f  i  2  m  a  i  e  r 

Als  Kao-tsu  zum  ersten  Male  in  den  Palast  von  Hien-yang  trat, 
wandelte  er  in  den  Versammlungshausern  und  Rüstkammern  umher. 
Das  Gold,  die  Edelsteine  und  seltenen  Kostbarkeiten  waren  nicht  zu 
beschreiben.  Das  Merkwürdigste  war  eine  Lampe  von  grünem  Edel- 
stein. Dieselbe  war  sieben  Schuh  fünf  Zoll  hoch.  An  dem  unteren 
Theile  war  ein  gekrümmter  gelber  Drache  angebracht,  der  die  Lampe 
in  dem  Munde  hielt.  Wenn  die  Lampe  angezündet  wurde,  regten 
sich  die  Schuppen,  und  Feuerglanz  wie  von  Sternen  erfüllte  das 
innere  Haus  9* 

Mark  des  mennigrothen  Leoparden,  Fett  des  weissen  Paradies- 
vogels und  geschliffenes  grünes  Zinn  werden  zerrieben  und  mit 
echtem  Basilicumöl  versetzt.  Dieses  beleuchtet  den  göttlichen  Erd- 
altar. Wenn  in  der  Nacht  Platzregen  flllt,  wird  das  Licht  der 
Lampe  nicht  ausgelöscht «). 

In  Han  gab  es,  immervolle  Lampen.  Ohne  dass  man  etwas  hin- 
zugab, waren  sie  immer  voll,  und  ihr  Licht  erlosch  nicht*). 

Im  Osten  des  Weges  des  geistigen  Hauses  in  dem  Reiche  Sche- 
wei  befindet  sich  das  Himmelskloster  des  äusseren  Weges.  Dasselbe 
heisst :  Die  Uberdeckung  des  Schattens.  Es  liegt  dem  Orte  der  Er- 
örterungen und  Berathungen  Fo*s,  dem  zu  beiden  Seiten  einschlies- 
senden  Wege  des  geistigen  Hauses  gegenüber  und  ist  ebenfalls  sechs 
Klafter  hoch.  Die  Ursache,  weswegen  es  die  Überdeckung  des 
Schattens  heisst,  ist  folgende :  Wenn  die  Sonne  im  Westen  steht, 
verdunkelt  der  Schatten  des  geistigen  Hauses  F8*s  das  Himmels- 
kloster des  äusseren  Weges.  Wenn  die  Sonne  im  Osten  steht,  fallt 
der  Schatten  des  Himmelsklosters  des  äusseren  Weges  nach  Norden 
und  kann  das  geistige  Haus  Fo*s  nicfat  verdunkeln.  Der  äussere  Weg 
schickte  immer  Menschen,  welche  das  Himmelskloster  bewachten, 
sprengten,  fegten,  Weihrauch  brannten,  eine  Lampe  anzündeten  und 
das  Opfer  darbrachten.  Am  nächsten  Morgen  war  die  Lampe  ohne 
weiteres  fortgeschafft  und  befand  sich  in  dem  geistigen  Hause  Fo's. 
Der  So-lo-men  sagte  unwillig:  Die  Schamanen  nehmen  unsere 
Lampe  und  bringen  Fo  das  Opfer.  —  Der  So-lo-men  war  in  der  Nacht 
selbst  auf  der  Lauer.  Er  sah,  dass  ein  Gott  des  Himmels  die  Lampe 


^)  Die  Termitchten  Enfiblongen  der  MattenUdt. 
*)  Die  Oetchichte  der  Donkelbeit  der  Tiefen. 
')  Die  Geichlcbte  dei  Berges  des  Sehifheuptes. 


Die  Anwendung  und  die  ZofiUigkeiten  des  Feuers  in  dem  alten  China.    T 80 

ergriff,  das  geistige  Haus  Fö*s  dreimal  umkreiste  und  Fo  das  Opfer 
brachte.  Als  er  dies  gethan,  war  er  plötzlich  unsichtbar.  Der 
So-lo-men  erkannte  jetzt,  dass  dei'  Geist  Fo's  das  Haus  zurückgesetzt 
und  den  Weg  betreten  habe  i)* 

Tung-yen  legte  sieh  gewöhnlich  in  dem  inneren  Hause  nieder. 
Er  hatte  ein  Bett  von  gemalten  Steinen.  Dasselbe  war  drei  Schuh 
hoch  und  sechs  Schuh  breit.  Der  Stoff  der  Steine  war  sehr  leicht, 
es  waren  die  Steine,  die  das  Reich  Tschl*tschi  zum  Geschenk  ge- 
macht hatte.  An  dem  oberen  Ende  stellte  er  einen  Windschirm  von 
purpurnem  Bergkrystall  und  eine  Reihe  goldener  Hanrdilampen  auf. 
Die  Lampen  hatten  die  Gestalt  gekrümmter  Drachen  und  waren  aus 
verschiedenen  Kostbarkeiten  verfertigt.  Die  aufwartenden  Menschen 
sahen  blos  das  Lampenlicht  und  meinten,  dass  ihnen  nichts  im 
Wege  stehe.  Sie  fächelten  ihm  daher  ausserhalb  des  Wiudschirmes 
Luft  zu.  Yen  sprach :  Wie  könnte  ich,  wenn  den  Edelsteinen  Luft 
zugefächelt  wird,  reine  Kühle  haben?  —  Die  aufwartenden  Menschen 
griffen  jetzt  mit  den  Händen  hin  und  erkannten,  dass  ihnen  der 
Wiiidschirm  im  Wege  stehe  »). 

Konig  Mo  gelangte  im  Osten  zu  dem  Thale  von  Ta-ki.  Daselbst 
erbaute  er  den  Palast  der  Frühlingsschlossen.  Er  versammelte  die 
Männer  der  Heilmittel  und  fi*agte  sie  nach  dem  Wege  und  den  Vor- 
schritten Fö*s.  Um  die  Zeit  wollte  es  bereits  Nacht  werden.  Man 
hörte  den  rollenden  Ton  des  Donners,  und  dfe  versteckten  Wesen 
geriethen  in- Bewegung.  Alsbald  zeigte  sich  ein  strömender  Glanz, 
der  das  Innere  des  Palastes  erleuchtete.  Der  Konig  stellte  wieder 
die  Lampen  des  immerwährenden  Lebens  auf.  Dieselben  heissen 
auch  das  beständige  Licht.  Ausserdem  hatte  man  noch  Lampen  des 
Hirnes  des  Paradiesvogels.  Blumen  von  eisigem  Seidenflor  mit  ein- 
genähten Wasserlilien  waren  oben  von  den  Lampen  sieben  bis  acht 
Schuh  entfernt.  Man  wollte  keinen  Rauch  entstehen  lassen,  und  das 
Licht  sollte  nicht  in  die  Ferne  leuchten.  Die  Königsmutter  des 
Westens  kam  auf  einem  Handwagen  des  Eisvogels  und  Paradiesvogels. 
Sie  nahm  an  dem  Trinkgelage  des  Königs  Theil  >). 


*}  Die  Geschiehte  der  Offenkundigkeit  der  Vorschrift. 

2>   Die  Geschichte  des  Aoflesens  des  Hinterlassenen  von  Wang-tse*nien. 

*)   Die  Geschichte  des  Auflesens  des  Hinterlassenen. 


790  Pf i  z  m  «  i  e  r 

Zu  den  Zeiten  des  Königs  Tschao  von  Yen  bestiegen  Menschen 
des  Meeres  ein  Schiff  des  rothen  Wolkendunstes,  föllten  gemeisselte 
Töpfe  mit  dem  Fette  des  aufsteigenden  Drachen  und  reichten  es 
dem  Könige  Tschao  als  ein  Geschenk.  Der  König  sass  in  der  Halle 
der  verkehrenden  Wolken.  Dieselbe  heisst  auch  die  Erdstufe  des 
verkehrenden  rothen  W^olkendunstes.  Er  verwendete  das  Lampenfett 
zu  Larapen,  die  auf  einer  Strecke  von  hundert  Weglängen  leuchteten. 
Die  Farbe  des  Rauches  war  mennigroth  und  purpurn.  Die  Mensehen 
des  Reiches,  die  es  sahen,  sagten  insgesammt,  dass  der  Glanz  eines 
glucklichen  Zeichens  sich  von  ferne  angelegt  habe  ,  und  sie  ver- 
ehrten es.  Man  verfertigte  angeschlungene  Dochte  von  ^im  Feuer 
gewaschenem  Tuche**.  Das  Licht  erfüllte  das  Innere  des  Palastes  i)* 

Was  den  Baum  der  Lampe  der  fünf  Blumen  betrifft,  so  stellte 
man  ihn  in  dem  ersten  Monate  des  Jahres,  an  dem  ersten  Tage  des 
Neumondes,  wenn  man  an  dem  Hofe  Gluck  wünschte,  auf  den  Boden 
vor  die  drei  Stufen.  Der  Mond  leuchtete,  die  Sterne  glänzten,  und 
obgleich  es  Nacht  war,  hatte  man  noch  immer  Tag<). 

Wenn  man  Eidechsenfett  nimmt,  dasselbe  zu  Lampen  ver- 
wendet und  etwas  in  das  Feuer  stellt,  so  sieht  man  sofort  die  Dinge  <). 

Ki-tschung-san  spielte  die  Cither  unter  der  Lampe.  Piötzlieb 
erschien  vor  ihm  ein  Mensch,  der  sehr  klein  war.  Nach  einer  Weile 
wurde  er  grösser  und  war  alsbald  eine  Klafter  hoch.  Er  trug  ein 
einfaches  Kleid  und  einen  ledernen  Gürtel.  Der  Mann  yon  dem  Ge- 
schlechte Ki  betrachtete  ihn.  Nachdem  er  ihn  genau  gesehen,  blies 
er  die  Lampe  aus  und  sprach :  Ich  schäme  mich,  mit  einem  Dämon 
und  Unhold  um  das  Licht  zu  streiten  ^). 

Fu-tse  sagt :  Wer  mit  seinem  dunklen  Dasein  nicht  zufrieden 
ist,  sondern  Freude  hat  an  dem  Glänze,  ist  gleichsam  ein  Nacht- 
schmetterling, der  die  Finsterniss  verlässt,  sich  auf  die  Lampe 
stürzt  und  stirbt »). 

Thsin-tse  sagt:  Ist  viel  Verstand  und  Einsicht  vorhanden,  $o 
ziehen  sie  an  sich  Blut  und  Luft  gleichwie  das  Feuer  der  Lampe  das 


1)  Die  Oeachicbte  des  Aufletens  des  Hinterlasseoeu. 

^)  Wanp-laog*s  Alterthöroer  tob  Tbsin. 

')  Die  simmüichen  sehnUnsend  Rdnste  tou  Hosi-ntn. 

^)  Der  Wald  der  Worte. 

^)  Da»  Buch  Fa-tse. 


Die  Anwendung  und  die  ZufSlligkeiten  des  Feuers  in  dem  alten  China.      791 

Fett  der  Finsterniss  verzehrt.  Der  Docht  ist  gross  und  leuchtend.  Ist 
er  leuchtend,  so  wird  das  Fett  verzehrt.  Der  Docht  ist  klein  und 
dunkel.  Ist  er  dunkel»  so  bleibt  er  ruhig.  Das  Fett  dauert  dann 
lange  <). 

Konig  Tschuang  von  Tsu  beschenkte  seine  Diener  mit  Wein. 
Am  Abend,  als  die  Lampen  und  Kerzen  bereits  ausgelöscht  waren, 
zog  Einer  von  ihnen  eine  Schöne  an  dem  Kleide.  Die  Schöne  zerrte 
und  zerriss  die  Schnure  seiner  Mütze  *). 

Die  neuen  Erörterungen  sagen :  Ich  sass  mit  Lieu-pe-sse  in  der 
Nacht  beisammen.  Der  Fettdocht  in  der  Lampe  brannte  aus  und 
wollte  erloschen.  Ich  sagte  zu  Pe-sse :  Wenn  der  Mensch  hinfällig 
und  alt  ist,  gleicht  er  ebenfalls  diesem  ausbrennenden  Dochte.  —  Pe- 
sse  sprach :  Wenn  der  Mensch  hinfallig  und  alt  ist,  ziemt  es  sich, 
dass  er  sich  verlängert.  —  Ich  sprach:  Wenn  man  die  angeborne 
Eigenschaft  vermehrt,  kann  man  bewirken,  dass  das  weisse  Haupt* 
haar  wieder  schwarz  wird.  Zu  der  Gipfelung  des  langen  Lebens  ge- 
langt, stirbt  man  ebenfalls  >). 


Denkwflrdiges  über  Kerzen. 

Kan-meu  entfernte  sich  aus  Thsin  und  begab  sich  nach  Tsi. 
Er  trat  aus  dem  Grenzpasse  und  begegnete  Su-tse,  zu  dem  er 
sprach :  Hast  du  von  den  Na6htmädchen  an  den  Ufern  des  Stromes 
gehört?  Unter  den  Nachtmftdchen  an  den  Ufern  des  Stromes  war 
eines,  dessen  Haus  arm  war  und  das  keine  Kerze  besass.  Die  Nacht- 
mädchen  kamen  gegenseitig  überein  und  wollten  es  entfernen.  Das- 
jenige, das  keine  Kerze  besass,  sprach:  Weil  ein  Mädchen  keine 
Kerze  besitzt,  kommt  es  gewohnlich  früher,  fegt  das  innere  Haus 
und  breitet  den  Teppich.  Warum  spart  man  das  überflüssige  Licht 
an  der  östlichen  Mauer,  das  die  westliche  Mauer  beleuclitet?  Es  ist 
ein  Gluck,  wenn  ihr  damit  das  Mädchen  beschenket.  Warum  solltet 
ihr  euch  entfernen?  —  Die  Mädchen  hielten   dies  für  richtig  und 


1)   Da«  Bnch  Thsin-tse. 

*)    Der  Garten  der  Gespriche. 

*}   Die  neuen  Erftrtemnpen  Ton  Boan-tan. 


792  P  f  i  z  ni  a  i  e  r 

behielten  es.  Jetzt  werde  ich  zurückgesetzt»  vertrieben  aus  Tfasin 
und  trete  aus  dem  Grenzpasse.  Ich  fege  för  dich  das  innere  Haus 
und  breite  den  Teppich.  Es  ist  ein  GlQck«  wenn  du  mich  nicht  ?er- 
treibst.  —  Su-tse  sprach :  Vortrefflich  «) ! 

Pa-tschi  war  stechender  Verroerker  von  Yang- tscheu.  Er  sass 
mit  den  Gästen  im  Finstern  und  zündete  keine  obrigkeitlichen 
Kerzen  an  *). 

Sung,  der  jüngere  Bruder  Tscheu-Fs,  riss  einst  in  Folge  des 
Weines  zornig  die  Augen  auf  und  sagte  zu  I:  Deine  Begabung 
erreicht  nicht  diejenige  des  jüngeren  Bruders.  Warum  hast  du  da 
durch  Querzüge  einen  bedeutenden  Namen  erlangt?  —  Er  warf  nach 
ihm  eine  Wachskerze,  die  er  mit  der  Hand  erfasst  hatte.  I  zeigte 
eine  geistvolle  Miene  und  widerstrebte  nicht.  Er  sprach  gelasseo: 
Die  0-nu  bewerkstelligen  einen  Überfall  mit  Feuer.  Man  muss  ernste 
lieh  ausrücken  und  die  Tafeln  herabsenden  >). 

Liang,  der  Sohn  des  Königs  von  King-Iing,  versammelte  ge- 
wöhnlich die  Männer  des  Lernens.  Er  schnitt  in  Kerzen  Gedichte 
ein.  Vier  Endlaute,  Z)igleich  eingeschnitten,  betrugen  einen  Zoll. 
Er  hielt  dieses  für  etwas  Ausserordentliches.  Siao-wen-yin  sprach: 
Wenn  man  einen  Zoll  von  der  Kerze  verbrennt,  so  ist  dieses  ein 
Gedicht  mit  vier  Endlauten.  W^elche  Schwierigkeit  könnte  es  dabei 
geben?  —  Er  schlug  jetzt  in  Gemeinschaft  mit  Khieu-kiai  und 
Kiang-hung  kupferne  Becken,  auf  denen  Gedichte  mit  fünf  Endlauten 
angefertigt  waren.  Wenn  der  Ton  verklungen  war,  konnte  man  die 
Gedichte  sehend). 

Kao-tsu  besuchte  einst  die  Halle  der  reinen  Fahnen.  Er  befahl 
Thsui-kü<ing,  dem  Leibwächter  des  gelben  Thores,  ferner  K&-]rd  von 
Yf,  Thsui-hieu  von  Hing-luan  und  Anderen,  ein  bilderloses  Gedieht 
zu  verfassen.  Er  sagte  dabei  dessen  Gedanken.  Als  die  Kerzen 
kamen,  nahmen  die  Fürsten  und  Reichsminister  Abschied  und  zogen 
sich  zurück.  Kao-tsu  sprach:  Bei  der  Ankunft  der  Kerzen  Abschied 
nehmen  und  sich  zurückziehen,  ist  Brauch  der  fremden  Geschlechter. 
Derselbe  hat  den  Sinn,  dass  man  bei  Nacht  die  Weise  der  Seiten- 


^)  Die  Tafeln  der  kimpfendeo  Reiche. 

^)  Drs  von  Sie-sching  rerfasate  Buch  der  spiteren  Hao. 

')  Das  Buch  der  Tsio. 

^)  Das  Buch  der  Tai. 


Die  Anwendung  und  die  Zufliiii^keiten  des  Feuers  in  dem  alten  China.      793 

geschlechter  des  Stammhauses  untersucht.  Moget  ihr  einstweilen 
zurückkehren.  Ich,  der  Kaiser,  will  mit  den  Königen,  den  Stamm- 
häusern und  inneren  Häusern  das  Trinkfest  dieser  fifacht  zu  Stande 
bringen  i). 

Als  Lang-meu  fünfzehn  Jahre  alt  war,  diente  er  als  seinem 
Lehrer  einem  der  Söhne  des  Reiches,  dem  vielseitigen  Gelehrten 
Kiuen-hoei  von  Ho-kien.  Er  lernte  von  diesem  die  Gedichte,  die  Ver- 
wandlungen, die  dreierlei  Gebräuche,  die  Namen  der  ursprünglichen 
Gestalten  und  der  Strafen,  so  dass  er  zuletzt  auf  den  Schlaf  und  das 
Essen  vergass.  Die  Menschen  des  Hauses  fürchteten,  er  könne 
erkranken.  Sie  verkürzten  ihm  bestfindig  die  Kerzen  *). 

Lieu-mien  war  ein  kleiner  Hiao  der  Redlichkeit  und  des  Kriegs- 
muthes.  Er  folgte  Li-kuang-yen  auf  dessen  strafendem  Zuge  nach 
dem  Westen  des  Hoai  in  der  Eigenschaft  eines  gefangen  nehmenden 
Anführecs.  Er  stiess  zu  verschiedenen  Zeiten  auf  die  Räuber,  mit 
denen  er  sich  in  blutige  Kämpfe  einliess.  Dass  er  durch  die  Spitze 
und   die  Schneide  des  Schwertes  verwundet  wurde  und  beinahe 
gestorben  wäre,  ereignete  sich  viermal.   Er  lag  einst  schwer  ver- 
wundet in  den  Gräsern.  Der  Mond  war  lichtlos,  und  er  kannte  nicht 
den   Weg,  der  ihn  heimführte.   Betäubt  schlief  er  ein.  Da  träumte 
ihnQ,  dass  ein  Mensch  ihm  ein  Paar  Kerzen  übergab  und  sprach :  Du 
bist  eben  sehr  vornehm.  Wenn  du  hier  gehst,  hast  du  nichts  zu 
besorgen.  Du  kannst  sie  in  den  Händen  halten  und  zurückkehren.  — 
Als  er  sich  aufgemacht  hatte,  erschienen  vor  ihm  ein  Paar  Lichter. 
Seit  dieser  Zeit  schlug  er  die  Hiung-nu's  und  bestand  Gefahren.  So 
oft  er  auszog,  hatten  sich  vor  ihm  diese  Lichter  befunden.  Als  er 
es    aufgeben  musste,  niederzuhalten,  war  das  Paar  Lichter  sofort 
erloschen*). 

Der  Han-lin  Kiuen-tschung,  Fürst  von  Lieu,  die  bei  den 
BQcbem  Aufwartenden  und  die  Männer  des  Lernens  wurden  an 
jedem  Neumonde  und  Vollmonde  berufen.  Die  gegenüber  fortbren- 


^)    Dm  Bach  der  späteren  Wei. 

2)    Da«  Buch  der  nördlichen  Tai. 

*)  Da«  Buch  der  Thang.  Dieselbe  Ersihinng  findet  sich  mit  eigenen  Kiirsangeii  in  der 
Abhendlong:  „Aus  dem  Tranmleben  der  Chinesen",  in  dem  Abschnitte  Ton  den 
g^lnckllchen  Triumen.  Eine  daselbst  vorkommende  Unrichtigkeit  ist  hier  ver- 
heasert. 

Sitxb.  d.  phil.-bist.  Cl.  LXV.  Bd.  IV.  Hft.  53 


794  P  f i  X  m  a  i  er 

iienden  Kerzen  zeigten  das  untere  Ende.  Das  Gespräch  borle  noch 
immer  nicht  auf,  und  man  wollte  keine  anderen  nehmen.  Die 
Menschen  des  Palastes  drehten  mit  Wacbsthranen  Papier  und 
machten  sie  fortbrennen  <). 

Sching-ke  wurde  zum  Beruhiger  des  Vorhofes  ernannt.  In 
seiner  Gemfithsart  war  viel  Menschlichkeit  und  Güte.  Sein  Streben 
bestand  in  Grossmuth  und  Erbarmen.  In  dem  Monate  des  ankont- 
menden  Winters  sollte  immer  über  die  M'cgen  eines  Verbrechens 
eingekerkerten  Menschen  das  Urtheil  geßllt  werden.  Seine  Gattin 
erfasste  eine  Kerze,  Ke  hielt  in  der  Hand  den  mennigrothen  Pinsel. 
Mann  und  Weib  standen  einander  gegenüber  und  vergossen 
Thränen  «). 

Tschin-sieu  führte  den  Junglingsnamen  Fung-tsieii  und  war 
ein  Eingeborner  von  U^schang.  Er  wurde  Statthalter  von  Yu-tschaag. 
Die  Gemüthsart  Sieu's  war  rein  und  lauter.  Er  betrat  die  W^ege  der 
Umschränkung»  Ehrfurcht  und  Sparsamkeit.  In  zehn  Tagen  kochte 
er  ein  einziges  Mal.  Er  zündete  keine  obrigkeitlichen  Kerzen 
ans). 

Kaiser  Tschang  von  Hau  wandte  sich  an  Lieu-ping  mit  der 
Frage:  An  dem  Fusse  der  Vorhalle  befindet  sich  ein  wundervolles 
Wesen.  Es  war  mit  einem  hellrothen  Kleide  angethan,  von  seinem 
Haupthaar  bedeckt  und  hielt  in  der  Hand  eine  Kerze.  Es  folgte  mir 
nach  und  entlief.  Kann  man  es  bezwingen  oder  nicht?  —  Ping 
sprach :  Man  kann  es.  —  Der  Kaiser  hiess  jetzt  Leute  falschlich  als 
wundervolles  Wiesen  auftreten.  Ping  schleuderte  gegen  sie  eine 
Beglaubigungsmarke,  und  mehrere  Menschen  stürzten  zu  Boden. 
Der  Kaiser  rief  erschrocken :  Ich  habe  dich  blos  auf  die  Probe  ge- 
stellt! —  Hierauf  erklärte  er  es«). 

Der  König  von  Min-yue  machte  dem  Kaiser  Kao  fünf  SeheiTel 
Steinhonig  und  zweihundert  Stück  Honigkerzen  zum  Geschenk  &). 

Khuang-heng  lernte  mit  Eifer,  aber  er  besass  keine  Kerzen.  Im 
benachbarten  Hause  besass  man  Kerzen.  Er  durchbohrte  die  Mauer, 


1)  Das  Buch  der  Than;. 

*)  Die  Veneichniase  der  VorbUder  Ton  Kuei-ki. 

*)  Die  Verseichniaae  der  Vorbilder  tod  Koei-ki. 

«)  Die  Überlieferungen  ron  göttlichen  Unaterblichen. 

^)  Die  rermiachten  Ertfihlungen  der  weatlichen  MuUersladt. 


Die  Anwendung  und  die  ZnfSIligkeiten  dea  Feuers  in  dem  alten  China.    T 95 

leitete  das  Licht  herüber  und  schrieb.  Bei  dem  verborgenen  Lichte 
las  er  i). 

Im  Westen  von  Yung-kao  findet  man  die  das  Licht  schntelzende 
Pflanze.  Dieselbe  wächst  in  Büschen  und  besitzt  tausend  Blätter. 
Sie  beschattet  ein  Gebiet  von  mehreren  Morgen.  In  der  Nacht  ge- 
wahrt sie  einen  Anblick  wie  Reihen  von  Kerzen.  Am  Tage  ist  alles 
erloschen  «). 

Der  Kuen-lün  ist  der  Berg  Pe-mi  der  westlichen  Gegenden. 
Derselbe  liegt  gegenüber  der  Stelle,  wo  die  sieben  Sterne  herab- 
steigen und  in  dem  lasurblauen  Meere  zum  Vorschein  kommen.  Wenn 
man  in  der  Nacht  auf  das  Wasser  blickt,  so  leuchtet  es  auf  der 
Oberfläche  hell  wie  Kerzen  >). 

Pao-po-tse  sagt:  Wer  das  Böse  bewundert,  ist  gleichsam  ein 
Ndchtinsekt,  das  sich  in  die  glänzende  Kerze  stürzt. 

Wenn  die  glänzende  Kerze  in  der  Nacht  angezündet  wird,  so 
erheben  sich  die  fliegenden  Insekten  in  Scharen. 

Das  Sein  entsteht  aus  dem  Nichtsein.  Die  Gestalt  wartet  auf 
den  Geist  und  wird  begründet.  Das  Sein  ist  der  Palast  des  Nicht- 
seins. Die  Gestalt  ist  das  Wohnhaus  des  Geistes.  Desshalb  ver- 
gleicht man  dieses  mit  einem  Graben.  Wird  der  Graben  zerstört, 
so  fliesst  kein  Wasser.  Man  vergleicht  es  mit  einer  Kerze.  Wenn 
die  Kerze  zu  Ende  ist,  so  hat  das  Feuer  keinen  Wohnplatz  ^). 

Wen-tse  sagt:^  Die  tönende  grosse  Glocke  zerstört  sich 
selbst  durch  Tönen.  Die  Fettkerze  verzehrt  sich  selbst  durch 
Leuchten »). 

Unter  den  Menschen  von  Ying  war  einer,  der  an  den  Reichs- 
gehilfen von  Yen  ein  Schreiben  schickte.  Er  schrieb  es  in  der  Nacht, 
und  das  Feuer  brannte  nicht  hell.  Er  sagte  desshalb  zu  demjenigen, 
der  die  Kerze  hielt :  Man  zündet  eine  Kerze  an  und  schreibt  fehler- 
haft. Eine  Kerze  anzünden,  hat  nicht  den  Sinn  des  Schreibens.  — 
Der  Reichsgehilfe  von  Yen  empfing  das  Schreiben  und  fand  daran 
Gefallen.   Er  sprach:  Diejenigen,    die  eine  Kerze  anzünden,   sind 


*}  Die  TArmiachten  Erzfihlnngen  der  «reaUichen  Mntteratadt. 

*y  Die  Geachichte  dea  Aulleaena  dea  Hinterlaaaenen  Ton  Wanfr-tae-nien. 

*>  Die  Geachichte  dea  Anfleaena  des  Hinterlaaaenen. 

*)  Daa  Buch  Pao-pÖ-tae. 

^)  Daa  Buch  Wen-tae. 

53  • 


796  Pfizmaier 

erleuchtet.  Die  Hohen  und  Erleuchteten  erbeben  die  Weisen  und  be* 
trauen  sie.  Das  Reich  wird  dadurch  verwaltet  9. 

Hdai-nan-tse  sagt :  In  der  Welt  hat  man  uro  die  Zeit  die  Sorge» 
dass  roan  blind  und  unüberlegt  sich  selbst  ausser  Acht  lisst  Dieses 
ist  etwas  von  der  Art  der  Fettkerze.  Je  mehr  das  Feuer  sieh  ent* 
zündet,  um  so  schneller  wird  sie  verzehrt  >). 

Fing,  Fürst  von  Tsin,  befragte  den  Lehrmeister  Khuang  und 
sprach :  Ich  bin  siebzig  Jahre  alt  und  möchte  gerne  lernen.  Ich 
fürchte,  es  ist  bereits  Abend.  —  Der  Lehrmeister  Khuang  sprach: 
In  der  Jugend  lernen,  ist  gleich  dem  Glänze  des  Sonnenaufgangs. 
In  reifen  Jahren  lernen,  ist  gleich  dem  Glänze  des  Mittags.  Im  Alter 
lernen,  ist  gleich  dem  Lichte  der  Handkerze.  Im  Alter  nicht  lernen, 
ist  Finsterniss  und  gleich  dem  Wandeln  in  Nacht  Was  ist  wohl 
besser:  das  Licht  der  Handkerze,  oder  das  Wandeln  in  Nacht?  — 
Der  Fürst  sprach :  VortrelTlich ») ! 

Wang-I,  dessen  Jfinglingsname  Kidn-fu,  erhitzte  die  Kessel 
mit  Grütze.  Schl-ki-lun  briet  und  kochte  mit  Kerzenfeuer  ^). 

Der  Frühling  und  Herbst  von  Yueri-ngan  sagt:  Ich  las  die 
Überlieferungen  von  den  Hiung-nu's  in  dem  Buche  der  Han.  Ich 
verstand  nicht  die  Worte  Tscheng-li-ku-tu.  Ich  hatte  einen  Sclaven 
von  Hu,  der  die  Kerze  hielt.  Ich  kehrte  mich  nach  ihm  um  uad 
fragte  ihn.  Der  Sciave  sprach :  Tscheng-Ii  ist  der  Himmelssohn.  Es 
besagt,  dass  die  Hiong-nu's  den  Schen-yu  so  benennen,  gleichsam 
wie  die  Menschen  von  Han  einen  Himmelssohn  haben.  —  Hierdurch 
ging  mir  ein  helles  Licht  auf. 

Die  Erörterungen  von  Tsien-fu  sagen: 

Die  Kerzen  des  Winkels  spenden  Licht  in  dem  dunklen  inneren 
Hause.  Die  vorderen  Kerzen  beleuchten  es  gänzlich.  Die  rückwärts 
brennenden  Kerzen  vermehren  das  Licht.  Beide  benützen  einander 
und  bringen  ein  grosses  Feuer  zu  Wege. 

Die  klaren  Erörterungen  der  Verwandlungen  von  Tsai-schi 
sagen :  Der  Drache  FÖ-hi*s  ist  nicht  mein  Pferd.  Die  weisse  Sonne 


')  Das  Buch  Han-tte. 
2)  Das  Bach  Hoai-nan-tse. 
*)  Der  Garten  der  Gespriche. 

^)  Die  Gespriche  des  Zeitalters.  Das  hier  Angegebene  wird  als  denkwird%e  Ter^ 
schwendangssacht  betrachtet. 


i 


Die  Anwenduog  und  die  ZufilligkeUen  des  Feuers  io  dem  iilten  China.     797 

ist  nicht  meine  Kerze.  Wenn  ich  es  verberge,  wenn  ich  es  verbeim- 
liebe,  so  bewahre  ich  diesen  Rohstoff. 

Ein  altes  Gedicht  sagt:  Der  Mensch  lebt  nicht  volle  hundert 
Jahre.  Er  trägt  beständig  in  dem  Busen  den  Kummer  von  tausend 
Jahren.  Der  Tag  ist  kurz  und  mühselig,  die  Nacht  lang.  Warum 
wandelt  er  nicht  mit  einer  Handkerze  umher? 

Ein  Gedicht  Lieu-tsching's  sagt:  Himmel  und  Erde  haben  kein 
Ende,  das  im  voraus  bestimmt  wäre.  Das  Leben  des  Volkes  ist  sehr 
gekrümmt  und  beengt.  Nennt  man  als  Lebensdauer  hundert  Jahre, 
wer  ist  im  Stande,  dieser  Verzeichnung  zu  entsprechen?  Sich  sen- 
kend und  sich  erhebend,  flackert  es,  entfernt  sich  plötzlich.  Das 
Licht  ist  gleich  der  Kerze  in  dem  Winde. 

Die  Inschrift  der  Kerzen  von  Fu-yuen  lautet:  Hellglänzend  die 
menaigrothe  Kerze!  Flammend  ein  fliBgendes  Licht!  Nimmt  man  sie, 
so  ist  sie  der  Drachenscbatten.  Vergleicht  man  sie,  so  ist  sie  ge- 
bildet gleich  dem  Fu-sang.  Sie  erleuchtet  jene  ursprüngliche  Nacht, 
glühend  wie  der  Lichtstoff  des  Morgens.  Verbrennt  man  ihre  Gestalt, 
80  beaufsichtigt  sie  das  Zeitalter.  Ohne  Dunkelheit  hat  sie  keinen 
Schimmer. 


Denkwürdiges  über  Fackeln. 

Kuang-wu  beruhigte  Ho-pe.  Jin-kuang  und  Pe-king  drangen 
am  Abend  in  Thang-yang.  Die  dahinschwebenden  Reiter  trugen 
brennende  Fackeln,  Himmel  und  Erde  erglühten  überall  in  rothem 
Lichte.  Thang-yang  erschrack  und  ward  von  Furcht  ergriffen.  Es 
ergab  sich  in  der  Nacht  >). 

Muan-tschung  führte  den  Jünglingsnamen  Pe-ning.  Derselbe 
diente  mit  den  von  dem  froheren  Heerführer  und  dem  Beruhiger  der 
Hauptstadt  befehligten  Kriegsheeren  von  Yang-tscheu.  Sun-kiuen 
befehligte  eine  Menge  von  angeblich  zehnmal  zehntausend  Kriegern 
und  gelangte  zu  Ho-fei  und  Sin-tsching^).  Tschung  eilte  sogleiqh 
herbei.  Er  Hess  an  etliche  zehn  starke  Kriegsmänner  die  Aufforde- 


1)  Die  Geschichte  der  Han  Ton  der  östlichen  Warte. 

^)  Im  xweiten  Jahre  des  Zeitraames  Kia-ho  Ton  U  (233  n.  Chr.)  überfiel  Sun-kitten, 
Kaiser  tod  U,  in  eigener  Person  die  Feste  Sin-tsching  in  Wei,  richtet«  aber  nichts 
ans.  In  gleicher  Weise  inisslang  ein  im  nächsten  Jahre  unternommener  Angriff  auf 
Ho-fei  in  Wei. 


798  Pfizmaier 

rung  ergehen,  Fichten  abzubrechen  und  daraus  fackeln  zu  ver- 
fertigen. Man  begoss  diese  mit  Hanföl»  legte  in  der  Richtung  des 
Windes  Feuer  und  verbrannte  die  zum  Angriffe  dienenden  Geräth- 
Schäften  der  Rauber.  Man  erschoss  Tai,  den  jüngeren  Bruder  KiuenV 
Die  Räuber  traten  hierauf  den  Rückzug  an  i). 

Wang-I  führte  den  Jünglingsnamen  Tschung-te  und  stammte 
aus  Tai-yuen.  Zur  Zeit  der  Niederlage  des  Geschlechtes  Fu  war 
Tschung-te  siebzehn  Jahre  alt.  Er  griff  zugleich  mit  seinem  alteren 
Bruder  Jui  zu  den  gerechten  Waffen,  kämpfte  mit  Mu-yung-tschui 
und  wurde  geschlagen.  Tschung-te  wurde  verwundet,  entfloh  auf^s 
Gerathewohl  und  gelangte  zu  der  glatten  Erdstufe.  Daselbst  wurde 
er  wieder  durch  Tl-Iiao  aufgehalten.  Dieser  wollte  ihn  bewegen,  als 
Anführer  aufzutreten.  Allein  Tschung-te  war  gesonnen,  nach  Süden 
zurückzukehren.  Er  verliess  Liao  und  floh  zu  dem  Tai-schan.  Die 
ihn  verfolgenden  Reiter  Liao^s  kamen  in  grosser  Eile,  und  er  gerieth 
bei  seinem  nächtlichen  Wandern  in  Bedrangniss.  Da  erblickte  er 
vor  sich  hellbrennende  Fackeln,  die  ihm  den  Weg  zeigten.  Es  ward 
ihm  dadurch  möglich,  dem  Unheil  zu  entkommen^). 

'  Hiü-kia  führte  den  Jünglingsnamen  Te-tschin.  Er  diente  dem 
verdienstvollcQ  Richter  der  Provinz  als  kleiner  Angestellter.  Er  hielt 
beständig  ein  Schwert,  indess  er  aufwartete.  Bei  dem  Hofe,  den  der 
verdienstvolle  Richter  an  dem  ersten  Tage  des  Monats  um  sich  ver- 
sammelte, hielt  er  zugleich  eine  Fackel.  Kia  ward  jetzt  zornig  und 
rief:  Ich,  der  männliche  Diener,  bin  ein  Angestellter.  Ich  entkomme 
nicht  den  niedrigen  Dienstleistungen.  —  Er  warf  das  Feuer  in  den 
Teich,  gürtete  das  Schwert  um  einen  Sophorabaum  und  begab  sich 
schnellen  Schrittes  zu  dem  Thore  des  Versammlungshauses.  Der 
Vorgesetzte  fragte  ihn  um  die  Ursache.  Er  antwortete :  Ich  entfernte 
mich  ursprünglich  von  den  Futterschneidern  und  Hirten,  kam  hierher 
und  trat  an  den  grossen  Hof,  um  zu  sehen  die  Verwandlungen  der 
Schule.  Jetzt  halte  ich  in  der  rechten  Hand  ein  Schwert,  mit  der 
linken  Hand  erfasse  ich  eine  Fackel.  Unter  solchen  Umständen  bitte 
ich,  dass  es  mir  vergönnt  sei ,  Strafe  zu  empfangen  und  nach  Hause 
zurückzukehren  >). 


1)  Die  Denkwürdigkeiten  von  Wei. 

*)  Dai  Buch  der  Sunp. 

^)  Die  Überlieferungen  von  früheren  Weisen  aus  Jii-n«n. 


Die  Anwendung  und  die  Zufälligkeiten  de«  Feuers  in  dem  alten  China.     799 

Wang-yao  führte  den  Jünglingsnamen  Pe-Iiao.  Wenn  in  der 
Nacht  starker  Regen  fiel  und  Finsterniss  herrschte,  trat  er  aus  dem 
Hause  und  wandelte  umher,  ohne  benetzt  zu  werden.  Es  waren  zwei 
Faekellichter,  die  sich  immer  vor  ihm  befanden  <). 

Die  sechs  Köcher  sagen:  Wenn  drei  Kriegsheere  ausziehen, 
leitet  man  die  Kriegsmänner  und  die  Menge.  Am  Morgen  hat  man 
die  Fernsicht  der  Wolkenleitern.  In  der  Nacht  stellt  man  zehn- 
tausend Fackeln  des  Wolkenfeuers. 

Hoai-nan-tse  sagt:  Der  Flüchtling  wagt  es  nicht,  in  der  Nacht 
eine  Fackel  zu  erheben. 


DenkwtLrdiges  über  die  Leuchtfeuer  des  Vorhofes. 

Das  Schuo-wen  sagt:  Das  Leuchtfeuer  des  Vorhofes  ist  eine 
grosse  Kerze. 

Die  Gebräuche  sagen:  Hundert  Leuchtfeuer  des  Vorhofes  sind 
durch  den  Fürsten  Hoan  von  Tsi  in  Gebrauch  gekommen  <). 

Zu  den  Zeiten  des  Kaisers  Ngai,  im  ersten  Jahre  des  Zeitraumes 
Hing-ning  (363  n.  Chr.),  erging  eine  höchste  Verkündung,  der  zu 
Folge  das  Leuchtfeuer  des  Vorhofes  innerhalb  des  äussersten  Thores 
gestellt  werden  sollte  >). 

Zu  den  Zeiten  des  Kaisers  Tsching,  im  zwölften  Monate  des 
achten  Jahres  des  Zeitraumes  Hien-ho  (333  n.  Chr.),  meldeten  die 
Inhaber  der  Vorsteheramter  an  dem  Hofe :  Das  Leuchtfeuer  des  Vor- 
hofes befindet  sich  ansserhalh  des  Thores  der  öffentlichen  Wagen. 
Nach  den  Berathungen,  die  jetzt  wieder  gesammelt  sind,  befindet 
es  sich  innerhalb  des  äussersten  Thores.  Man  halte  sich  daran,  dass 
es  innerhalb  des  alten  Thores  sei.  —  Eine  erlassene  höchste  Ver- 
kündung sagte:  Der  oberste  Buchführer  brachte  an  dem  Hofe  eine 
Meldung,  der  zu  Folge  im  neunten  Jahre  das  Leuchtfeuer  des  Vor- 


0  nie  ÜberUeferangen  ?on  göttlichen  Unsterblichen. 

*)  Ffirst  Honn  Ton  Tsi  masste  sich  die  Rechte  des  Himoielssohnes  sn.  Was  den  Unter- 
schied der  Lenchtfeoer  des  Vorhofes  betrifft,  so  hat  ein  Lehensfilrst  erster  Classe 
deren  ffinfslg,  die  LehensfSrsten  zweiter,  dritter,  rierter  und  fSnfler  Classe 
dreissig. 

^)  Das  Bnch  der  Erhebung  Ton  Tsin. 


800  P  f  i  z  m  a  i  e  r 

hofes  sich  innerhalb  des  äussersteu  Thores  befinden  solle.  Zu  dea 
Zeiten  des  Kaisers  Ming  befand  es  sich  innerhalb  des  Thores  der 
öffentlichen  Wagen.  Mau  kann  sich  an  die  alte  Bequemlichkeit 
halten  f). 

Schl-ll  liess  Leuchtfeuer  yerfertigen,  die  zehn  Klafter  hoch 
waren.  Auf  die  obere  *  Schüssel  stellte  man  das  Leuchtfeuer.  Die 
untere  Schüssel  fasste  bequem  einen  Menschen.  Man  umwickelte 
den  oberen  und  den  unteren  Theil  mit  dem  Zugseile  des  Leucht- 
feuers «). 

SchT-hu  stellte  in  den  Vorhof  der  Vorhalle  der  Zusammenkunft 
der  Richtigen,  ausserhalb  des  äussersten  Thores  und  vor  das  Him- 
melsthor Leuchtfeuer  des  Vorhofes,  je  zu  zweien  an  sechs  Orte. 
Dieselben  waren  sechs  Klafter  hoch  >). 

Hoan,  Fürst  von  Tsi,  errichtete  ein  Leuchtfeuer  des  Vorhofes. 
Es  war  um  der  Torzöglichen  Männer  willen,  denen  er  entgegengehen 
und  die  er  empfangen  wollte.  Nach  einem  Jahre  waren  die  vorzug- 
lichen Männer  nicht  angekommen.  Es  war  der  Mensch  einer  Laad- 
Stadt  des  östlichen  freien  Feldes,  der  sich  wegen  der  Rechenkunst 
vorstellte.  Fürst  Hoau  sprach :  Ist  die  Rechenkunst  werth,  dass  man 
ihretwegen  sich  vorstellt?  —  Jener  antwortete:  Ich  stelle  mich  nickt 
vor,  weil  die  Rechenkunst  es  werth  ist.  leh  habe  gehört,  dass  der 
Vorgesetzte  und  Gebieter  ein  Leuchtfeuer  des  Vorhofes  errichtet 
hat  und  auf  die  vorzüglichen  Männer  wartet.  Nach  einem  Jahre  sind 
sie  noch  nicht  angekommen.  Dass  die  vorzüglichen  Männer  nicht  an- 
kommen, ist  desswegen,  weil  der  Gebieter  der  weiseste  Gebieter 
der  Welt  ist.  Die  vorzüglichen  Männer  der  vier  Gegenden  meinen« 
dass  sie  den  Gebieter  nicht  erreichen.  Aus  diesem  Grunde  kommen 
sie  nicht.  Der  Rechner  besitzt  nur  unbedeutende  Fähigkeit,  und  der 
Gebieter  ehrt  ihn  noch  immer.  Um  wie  viel  mehr  wird  er  dieses  bei 
denjenigen  thun,  die  weiser  sind  als  der  Rechner?  —  Fürst  Hoan 
fand  dieses  gut  und  ehrte  ihn.  Nach  einem  Monate  kamen  die  vor- 
züglichen Männer^). 


0  Die  weiteren  Erkliniigea  der  Untemehmungeii  toü  Tsia. 

2)  Dm  Baeh  der  Tschao. 

^)  Die  Getchtchte  Scht-hu*«  in  Y2. 

^)  Der  Garten  der  Gesprfiche. 


Die  Anwendung  und  die  Zufälligkeiten  des  Feuers  in  dem  alten  China.     801 


Denkwürdiges  über  den  Bauch. 

Zu  den  Zeiten  des  Kaisers  Yueii  sangen  die  Junglinge  das  fol- 
gende Lied :  Das  Wasser  des  Brunnens  überströmt  und  löscht  den 
Rauch  des  Herdes.  Es  ergiesst  sich  in  die  Edelsteinhalle  und  fliesst 
zu  dem  goldenen  Thor  <). 

Siu-siang  aus  derProvinzU  war  Statthalter  von  Tschang-scha. 
Er  ass  immer  trockenen  Reis  und  Hess  keinen  Rauch  und  kein  Kessel- 
feuer zum  Vorschein  kommen  <). 

Hoan-yuen  hiess  Hoan-kien  an  den  Ausgängen  von  Tung-ling 
die  Streitmacht  sammeln.  Pien-fan-tschi  sammelte  die  Streitmacht 
im  Westen  des  Berges  des  umgestürzten  Schiffes.  Kao-tsu  ging  in 
eigener  Person  voran,  die  Anführer  und  Kriegsmänner  liefen  ihm  zu. 
Der  Nordwestwind  wehte  heftig.  Kao-tsu  gab  den  Befehl,  Feuer  an- 
zulegen. Der  Rauch  umspannte  jetzt  den  Himmel  <). 

Mai  führte  in  seiner  Jugend  den  Namen  Ying.  Yen-king  von 
Kao-ping  und  Andere  begaben  sich  zu  ihm  und  empfingen  ihre  Voll- 
endung. Ying  sprach :  Der  Gebieter  von  dem  Geschlechte  Yen  kann 
die  Luft  gebrauchen  und  die  Brodfrucht  abtrennen.  Der  Gebieter 
Ton  dem  Geschlechte  Peng  soll  Arzneien  als  Lockspeise  gebrauchen 
und  die  Luft  vermehren.  —  Als  King  und  die  Anderen  sich  entfernen 
wollten,  verbrannte  Ying  Wohlgerüche  und  trat  in  einem  fünfiarbi- 
gen  Rauche  hinaus.  Ying  entfernte  sich  ebenfalls,  und  Niemand 
wusste,  wo  er  sich  befand  ^). 

Ning-fung-tse  lebte  zu  den  Zeiten  des  gelben  Kaisers  und  war 
bei  dem  Kaiser  der  Richtige  der  Töpfergeschirre.  Er  begegnete 
einem  göttlichen  Menschen.  Er  handhabte  jetzt  das  Feuer  und  war 
im  Stande,  fünffarbigen  Rauch  hervorzubringen »). 

Der  Kaiser  des  Anfangs  aus  dem  Hause  Thsin  ward  auf  dem 
Berge  Li  begraben.  Ein  junger  Schafhirt  liess  Feuer  auskommen  und 


<>  Dm  Buch  der  Han. 

^y  Das  Ton  Sie^scbing  verfasste  Buch  der  späteren  Han. 

^  Das  TOB  Tschin-y5  ver&sste  Buch  der  Sung. 

^>  Die  besonderen  Überlieferungen  von  Hiu-mai. 

*y  Die  Überlieferungen  von  Unsterblichen. 


802  P  f  i  z  in  a  i  e  r 

steckte  die  Steile  in  Brand.   Durch  drei  Monate 'qualmte  der  Rauch 
ohne  Unterbrechung  <). 

Aus  der  Wand  des  Gemaches  Sung-hiifs ,  kaiserlichen  Ver- 
merkers zu  den  Zeiten  des  früheren  Liang,  drang  Rauch  hervor.  Als 
man  die  Stelle  aufgrub  und  nachsah,  war  ein  besonderer  Pfeileria 
Brand  gerathen.  Hiu  sagte  zu  seinem  jüngeren  Bruder  Tsebing: 
Bei  dem  Pfeiler  als  Schriftzeichen  befindet  sieh  zur  Rechten  des 
Holzes  der  Vorgesetztes).  Das  Wort  Sung  enthält  Holz').  Das  Holz 
ist  in  Brand  gerathen.  Das  Geschlecht  Sung  wird  zerstört»  jedoch 
der  Vol'gesetzte  bleibt  am  Leben.  Diess  ist  das  grösste  der  unheil- 
vollen Ereignisse.  Man  sollte  daran  denken,  wie  es  abzuwehren  ist. 
—  Später  Hess  Tschang-hu  die  Genossen  Sung-hoen*s  hinrichten^). 

Vierhundert  Weglängen  von  dem  Berge  der  gezählten  Ber^- 
spitzen  befindet  sich  ein  Teich,  der  eintausend  Weglängen  im  Um- 
fange hat.  Die  Farbe  desselben  verändert  sich  nach  den  vier  Jahres- 
zeiten. In  ihm  findet  man  eine  gottliche  Schildkröte  mit  acht  Füsseo 
und  sechs  Augen.  Auf  dem  Rücken  trägt  sie  die  Abbildungen  der 
sieben  Sterne,  der  Sonne,  des  Mondes  und  der  acht  Gegenden.  Fer- 
ner sind  daselbst  vier  Kerzen,  die  zu  Zeiten  über  glühenden  Steinen 
hervorkommen.  Erblickt  man  sie  in  der  Höhe,  so  glänzen  sie  wie 
Reihen  von  Sternen.  In  der  Dunkelheit  und  wenn  es  regnet,  ist  ihr 
Glanz  noch  heller.  Diese  Steine  schwimmen  immer  an  dem  Rande 
des  Wassers  in  einer  Ausdehnung  von  mehreren  hundert  Weglän- 
gen. Sie  sind  von  Farbe  stark  rothweiss.  Wenn  man  sie  brennt,  so 
entsteht  Rauch  auf  einer  Strecke  von  mehreren  hundert  W^eglängen 
und  steigt  zu  dem  Himmel.  Er  bildet  dann  wohlriechende  Wolken. 
Wenn  die  wohlriechenden  Wolken  ringsumher  befeuchten,  so  bilden 
sie  wohlriechenden  Regen  ^). 

Wen,  Fürst  von  Tsin,  verbrannte  den  Wald,  um  Kiai-tui  aufzu- 
suchen. Es  erschienen  weisse  Krähen,  die  den  Rauch  umkreisten  und 


1)  Die  Geschichte  der  drei  Theln. 

*)  Das  Wort  It  Tschu  „Pfeiler"  ist  aus  "^  Mo  „Hola*   und   zt   Tschi  .Vor- 
gesetzter* zusammengesetzt. 
3)   '-TJn    Song,  hier  ein  Geschlechtsname,  zeigt  unter  einem  Dache  das  Wort  ^^ 

Mo  »Holi". 
*)  Die  erweiterte  Geschichte  der  fünf  Grundstoffe   in   der  alten  und  gcgeavirfifen 

Zeit. 
^)  Das  Auflesen  des  Hinterlassenen  Ton  Wang- tse-nien. 


Die  Anwendung  und  die  Zuflilligkeiken  des  Feuers  in  dem  alten  China.     803 

schrien.  Einige  sammelten  sieh  neben  Kiai-tse,  und  das  Feuer  konnte 
ihn  nicht  verbrennen.  Die  Menschen  von  Tsin  hielten  dieses  für  ein 
gutes  Zeichen.  Sie  errichteten  für  ihn  eine  Erdstufe  und  nannten 
sie :  den  unterdrückten  Rauch  i)- 

Im  Westen  von  Thsin  liegt  ein  Reich,  Namens  I-khiü,  Wenn 
daselbst  nahe  Verwandte  sterben,  so  sammelt  man  Brennholz,  häuft 
es  und  verbrennt  sie.  W^enn  der  Rauch  sich  erhebt,  so  nennt  man 
dieses:  in  die  Ferne  steigen.  Dann  erst  ist  man  ein  elternliebender 
Sohn  geworden  «). 

Hoai-nan-tse  sagt:  Bei  der  Ankunft  des  Winters,  an  dem  Tage 
Kiä-tse  (1),  wenn  man  die  Einrichtungen  erhält  und  das  Holz  zu 
den  Geschäften  gebraucht  wird,  ist  der  Rauch  des  Feuers  grün. 
Nach  zwei  und  siebzig  Tagen,  an  dem  Tage  Ping-tse  (13),  wenn 
man  die  Einrichtungen  erhalt  und  das  Feuer  zu  den  Geschäften  ge- 
braucht wird,  ist  der  Rauch  des  Feuers  roth.  Nach  zwei  und  siebzig 
Tagen,  an  dem  Tage  Meu-tse  (25),  wenn  man  die  Einrichtungen 
erhält  und  die  Erde  zu  den  Geschäften  gebraucht  wird,  ist  der  Rauch 
des  Feuers  gelb.  Nach  zwei  und  siebzig  Tagen,  an  dem  Tage  Keiig- 
tse  (37),  wenn  man  die  Einrichtungen  erhält  und  das  Metall  zu  den 
Geschäften  gebraucht  wird,  ist  der  Rauch  des  Feuers  weiss.  Nach 
zwei  und  siebzig  Tagen,  an  dem  Tage  Jin-tse  (49),  wenn  man  die 
Einrichtungen  erhält  und  das  Wasser  zu  den  Geschäften  gebraucht 
wird,  ist  der  Rauch  des  Feuers  schwarz  >). 

In  dem  Reiche  Khio-thse  liegt  ein  Berg.  In  der  Nacht  zeigt 
sich  auf  ihm  ein  glänzendes  Feuer.  Am  Tage  steigt  fortwährend 
Rauch  auf«). 

Die  richtigen  Verkundungen  von  Yen-yen  sagen :  Das  Feuer 
enthält  Rauch,  aber  der  Rauch  steht  dem  Feuer  im  Wege.  Der 
Zimmtbaum  birgt  in  sich  Holzwurmer,  aber  die  Holzwürmer  zerstören 
den  Zimmtbaum.  Wenn  die  Holzwürmer  gross  sind,  ist  der  Zimmt- 
baum gebrochen. 


1)  Da«  Anflesen  des  Hinierlassenen. 

2)  Das  Buch  Lie-tse. 

^)  Dse  Bach  Hoai-nan-tse. 

*)  Die  Denkwürdigkeiten  von  den  Reichen  der  westlichen  Grenzen. 


804  P  f  i  E  m  a  i  e  r. 

Denkwürdiges  über  Kohlen. 

Die  Gebräuche  sagen:  In  dem  letzten  Monate  des  Herbstes 
werden  Pflanzen  und  Baume  gelb,  und  die  BiStter  fallen.  Man  fallt 
jetzt  Brennholz  und  erzeugt  Kohlen. 

Der  Fürst  von  Tschu  befand  sieh  auf  der  Erdstufe  des  Thores 
und  blickte  auf  den  Vorhof  herab.  Der  Pfortner  begoss  mit  dem 
Wasser  eines  Kruges  den  Vorhof.  Der  Fürst  von  Tschu  sah  dieses 
und  gerieth  in  Zorn.  Der  Pförtner  sprach:  I-yNku  hat  Wasser  ge- 
lassen. —  Der  Fürst  gab  Befehl,  Yl-ku  zu  ergreifen.  Man  fand  ihn 
nicht,  und  der  Fürst  zürnte  immer  mehr.  Er  warf  sich  auf  das 
Bett,  fiel  in  die  Kohlen  des  Ofens  und  verbrannte  sich.  Hierauf 
starb  er*). 

Bei  dem  Tode  des  Fürsten  Wen  von  Sung  machte  man  deo 
Anfang  mit  der  prunkvollen  Bestattung.  Man  verwendete  rerkoblte 
Austern «). 

Yuen,  Fürst  von  Sung,  fasste  den  kleinen  Diener  Lieu  und 
wollte  ihn  tödten.  Als  der  Fürst  die  Trauer  hatte,  erhitzte  Lieu  Koh- 
len unter  dem  fursth'chen  Sitze  *).  Wenn  der  Fürst  kommen  sollte, 
entfernte  er  sie  ^).  Zur  Zeit  der  Bestattung  ward  er  Gberdiess  der 
Gunst  theilhaftig  ft). 

Schao-kiüii,  die  jüngere  Schwester  der  Kaiserin  von  dem  Ge- 
schlechte Tu,  ward  durch  Menschen  abgemachter  Weise  verrathen. 
Sie  trat  für  die  Gebieterin  des  Hauses  in  das  Gebirge  und  bereitete 
Kohlen.  Die  Uferbank,  auf  der  sie  sich  am  Abend  niederlegte,  stürzte. 
Über  hundert  Menschen  wurden  erdrückt.  Schao-kiün  allein  entkam 
dem  Tode »). 

Das  Buch  der  Han  sagt :  Früher  als  um  die  Zeit  der  Ankunft 
des  Winters  und  des  Sommers  hängt  man  Eisen  und  Kohlen  je  an 
ein  Ende  des  Wagebalkens  und  bewirkt,  dass  sie  ins  Gleichgewicht 
kommen.  Wenn  im  Winter  die  Luft  des  Yang  ankommt,  so  steigen 


>)  Die  Überlieferungen  Tso  's. 

*)  Die  Überliererungen  Tso^s.    Man  verbrannte  Austern  su  Koblen  and  opferte  damit 

an  der  ölTkiung  des  Grabes. 
*)  Er  woUte  dadurch  den  Boden  erwirmen. 

^)  Er  bewerksteUigte,  dass  der  Fürst  sieb  an  dem  Orte  niedersetzen  konnte. 
^)  Fürst  Ynen  liebte  und  hasste  auf  ungewöhnliche  Weise. 
«)  Das  Sse-ki. 


Die  ADweodung  und  die  Zufilligkeiten  des  Feuers  in  dem  nlien  China.     805 

die  Kohlen  nach  aufwärts,  jedoch  da«  Eisen  sinkt  abwärts.  Wenn 
im  Sommer  die  Luft  des  Yin  ankommt,  so  sinken  die  Kohlen  nach 
abwärts,  jedoch  das  Eisen  steigt  aufwärts.  Man  beobachtet  hierdurch 
die  zwei  Ankünfte. 

Wang-tschin  war  stechender  Vermerker  von  Yö-tschang.  Er 
Hess  eine  Aufforderung  herab  gelangen,  ihn  darüber  zu  belehren,  wie  ' 
er  geraderedende  Männer  suchen  könne.  TsehtVlio-yin,  der  Voi^ 
gesetzte  der  Register,  erwog  dieses  und  sprach:  Dass  Yao»  Schün 
und  der  Fürst  von  Tscheu  veranlassen  konnten  redliche  Vorstellun« 
gen,  ist  desswegen,  weil  ihr  wahrhaftiges  Herz  offenkundig  war.  Eis 
und  Kohle  sprechen  nicht,  dass  aber  ihre  kalte  und  heisse  Wesen- 
heit sich  ins  Licht  stellt,  ist  desawegen,  weil  sie  die  Wirklichkeit 
haben.  Liebt  man  Redlichkeit  und  Geradheit  gleichwie  Eis  und 
Kohle  von  selbst  sind,  was  sie  sind,  so  werden  die  geraderedenden 
Diener  in  grossen  Mengen  die  Vorhalle  erfüllen.  Die  dem  Ohre  zu- 
wideren Worte  werden,  ohne  dass  man  sie  sucht,  von  selbst  her- 
beikommen <)• 

Sün-teng  weilte  auf  den  Bergen  von  I-yang.  Ein  Köhler  sah 
ihn  und  erkannte,  dass  Jener  ein  ungewöhnlicher  Mensch  sei.  Er 
redete  ihn  an.  Teng  antwortete  ihm  nicht  s). 

Als  Kao-thsung  starb,  hatte  er  zehn  Buhlerinnen.  Einige  von 
ihnen  hatten  Kinder,  andere  waren  kinderlos.  Er  hiess  sie  die  Finger 
verbrennen,  Kohlen  verschlucken,  aus  dem  Hause  treten  und  Nonnen 
werden  •). 

Schaortsching  führte  den  Jünglingsnamen  Te-fang  und  stammte 
aus  Scban-ytn.  Er  war  von  Gemüthsart  bedächtig.  Als  man  zu  der 
Bestattung  des  Mannes  von  dem  Geschlechte  Tschang  eilte,  liess 
Jemand  glühende  Kohlen  in  den  Schuh  des  Gebieters  fallen.  Die 
sitzenden  Menschen  glaubten,  dass  der  Gebieter  es  nicht  gesehen 
habe.  Sie  riefen  ihm  schnell  zu.  Der  Gebieter  kehrte  sich  nicht  ein- 
mal um^). 

Yen-tsing  war  ein  Eingebomer  von  Kuei-ki.  Er  brannte  in 
dem   Gebirge  Kohlen.    Plötzlich   erschien  ein  Mensch,   der  ihm  ein 


0  Das  Buch  der  Tain. 

2)  Das  Bach  der  Tsin. 

')  Da«  B«ch  der  spfiteren  Wei. 

*)  Die  Überlieferungen  von  dem  Hause  des  Geschlechtes  Schao. 


o06  P  f  i  z  iti  a  i  e  r 

aus  einer  Rolle  bestehendes  ungeschmucktes  Buch  gab  und  dabei 
sprach :  Deine  Knochen  sind  derart,  dass  du  den  Weg  erlangst  und 
lange  lebst.  Desswegen  übergebe  ich  dir  ein  gottliches  Buch  i). 

An  dem  im  Sudosten  von  Tsi  befindlichen  Flusse  Lu  trifft  mau 
zur  Seite  des  Wassers  den  das  Feuer  überwindenden  Baum.  Die 
*  Menschen  der  Gegend  bezeichnen  ihn  gemeiniglich  durch  die  Laute 
Ting-mö  (der  ausgezogene  Baum).  Wenn  man  über  das  freie  Feld 
geht  ui>d  ihn  verbrennt,  so  stirbt  er  nicht  ab.  Die  Kohle  erlischt  auch 
nicht.  In  den  östlichen  Gegenden  gibt  es  einen  aschenlosen  BsHim'). 

In  dem  Districte  Fung-tsching,  Bezirk  Kö,  findet  man  Stein- 
kohlen auf  einer  Strecke  von  zweihundert  Hundertmorgen  Landes. 
Man  kann  sie  anzönden,  mit  ihnen  kochen  und  die  Kessel  heizen*). 

Auf  dem  Berge  Tsao-teu  (dem  Berge  des  Herdhauptes)»  an  der 
Stelle,  wo  die  Mensc|ien  von  Yue  kochen  und  die  Kessel  heizen, 
gräbt  man  die  Erde  auf  und  findet  Kohlen «). 

Hoai-nan-tse  sagt:  Es  lässt  sich  vergleichen  mit  Eis  und  Kohle, 
mit  dem  Hakigen  und  Schuurgleichen.  Wann  können  sich  diese  ver- 
einigen &)? 

Man  hängt  Flögelfedern  mit  Kohlen  auf  und  kennt  die  troekeoe 
und  die  feuchte  Luft  <). 

Wenn  die  Feuchtigkeit  ankommt,  sieht  Niemand  deren  Gestalt, 
aber  die  Kohlen  sind  bereits  schwer.  Wenn  der  Wind  ankommt,  sieht 
Niemand  dessen  Bild,  aber  die  Bäume  bewegen  sich  durch  ihn  ?). 

In  der  Welt  ist  nichts,  das  sich  gegenseitig  mehr  hasst,  als 
Leim  und  Pech>),   und  nichts,   das  sich  gegenseitig  mehr  liebt,  als 


1)  Die  ÜberliefernDgen  von  göttlichen  Unsterblichen. 

^)  Die  Geschichte  des  Landes  von  Tsi. 

')  Die  Geschichte  Ton  Yü-tschang. 

^)  Die  Geschichte  ron  Kiao-tscheu. 

*)  Das  Buch  Hoai-nan-tse.  Das  Eis  ist  kalt,  die  Kohle  heiss.  Sie  können  sich  ^«tch> 

wie  das  JCnimme  und  Gerade  niemals  rereinig^en. 
*)  Das  Buch  Hoai-nan-tse.    Durch  Trockenheit   werden   die   Kohlen    leicht,  dnrck 

Feuchtigkeit  werden  sie  schwer. 
'^)  Das  Buch  Hoai-nan-tse. 
®)  Leim  und  Pech  halten  einander   fest  und  lösen  sich  nicht.    Desswegen  heisst  e>: 

Sie  hassen  sich.  Einige  sagen:    Wenn  Leim   in  das  Pech   dringt,  so  rcrdirbl  er. 

Wenn  Pech  in  den  Leim  dringt,  so  Tcrdirbt  er  ebenfaUs.  Leim  und  Pech,  sam  es 

grosse  oder  kleine  Mengen,    hfilt  man  ron  einander  fem.    Desswegen  engt  oms  : 

Sie  hassen  einander. 


Die  Anwendung  und  die  Zufälligkeiten  des  Feuers  in  dem  alten  ChiuM.      80 T 

Eis  und  Kohlen  >).  Leim  und  Pech  morden  einander.  Eis  und  Kohlen 
beleben  einander«). 

Pao-po-tse  sagt:  Das  Weidenholz  ist  ein  Gegenstand,  der 
schnell  verfault.  Brennt  man  aber  daraus  Kohlen»  so  sind  diese  in 
hundert  tausend  Jahren  nicht  verdorben  *). 

Yü-jang  wollte  sich  an  Siang-tse  rächen.  Er  zerstörte  seinen 
Haarschopf,  entfernte  die  Augenbrauen  und  veränderte  seine  Gestalt. 
Er  trat  als  Bettler  auf,  ging  hin  und  bettelte  bei  seiner  Gattin.  Diese 
sprach :  Diess  ist  Jemand,  dessen  Äusseres  keine  Ähnlichkeit  mit 
demjenigen  meines  Mannes  hat.  Warum  hat  seine  Stimme  mit  der- 
jenigen meines  Mannes  so  grosse  Ähnlichkeit?  —  Siang  verschluckte 
jetzt  Kohlen  und  veränderte  seine  Stimme*). 

Als  Tsching-hoei  von  Sin-ngan  jung  war,  stieg  er  zu  der  vor- 
deren Brücke  und  ging  auf  und  ab.  Er  sah  einen  Greis,  der  ihm 
einen  kleinen  Beutel  gab  und  sagte:  Dieses  ist  dein  Lebensloos. 
Hute  dich,  dass  du  es  nicht  fallen  lassest.  Wenn  es  zersprengt  oder 
zerbröckelt  wird,  so  ist  dieses  ein  Zeichen  sofortigen  Unheils.  — 
Als  der  Greis  ausgeredet  hatte,  war  dessen  Spur  verloren.  Hoei 
öffnete  heimlich  den  Beutel  und  sah  hinein.  Es  war  darin  ein  Stück 
Kohle.  Er  beschloss  jetzt,  es  zu  verlieimlichen,  und  selbst  seine 
Hausgenossen  wussten  davon  nichts.  Im  dritten  Jahre  des  Zeitraumes 
Yuiig-thsu  (109  n.  Chr.),  als  er  sechzig  Jahre  alt  war,  erkrankte 
er  ernstlich.  Er  sagte  zu  seinen  Schülern :  Meine  Jahre  sind  zu 
Ende.  Ihr  könnet  versuchsweise  diesen  Beutel  öffnen.  —  Man  sah, 
dass  die  Kohle  zerbröckelt  war.  Bald  hierauf  starb  er^). 

Die  Erörterungen  über  Salz  und  Eisen  sagen :  Eis  und  Kohlen 
können  nicht  in  einem  gemeinschaftlichen  Geßsse  sich  befinden. 

Die  Kohlen  der  Bäume  des  kleinen  Waldes  unter  dem  Flusse 
Lü  sind  nur  gleich  Hirsekörnern.  Yang-sieu  war  stolz  und  gewaltig. 
Er  zerstiess  die  kleinen  Kohlen  zu  Pulver,  versetzte  dieses  mit  eini- 
gen Gegenständen  und  verfertigte  daraus  Thiergestalten.  Später 
waren  die  Genossen,   die  er  unter  einem  Vorwande  zu  sich  berief. 


^)  Wenn  das  Eis  Kohlen  erhfilt,  so  löst  es  sich.  Wenn  es  sieh  löst,  so  wird  es  sn 
Wasser  und  erlangt  seine  ursprfingliche  Eigenschaft  wiederv  Wenn  die  Kohlen  Eis 
erhalten,  so  bewahren  sie  sich  als  Kohlen.  Desswegen  sagt  mau:  Sie  lieben  einander. 

S|  Das  Buch  Hoai-nan-tse. 

*)  Das  Buch  Pao-pö-tse. 

*)  Der  Frühling  und  Herbst  des  Geschlechtes  Liü. 

^)  Der  Garten  der  Merkwürdigkeiten. 


808  Pfiimaier 

versammelt.  Er  zündete  diese  Gestalten  bei  dem  Feuer  des  warmen 
Weines  an.  Sobald  dieses  gescheh^en  war,  öffneten  die  wilden  Thiere 
den  Mund,  wendeten  sich  gegen  die  Menschen  und  erglühten.  Die 
gewaltigen  Männer  schätzten  ihn  hoch.  Sie  unterwarten  sich  und 
richteten  sich  nach  ihm  i). 

Das  Ton  Ku*I  Terfasste  bilderlose  Gedicht  auf  den  Nachtvogel 
sagt:  Himmel  und  Erde  sind  ein  Ofen»  die  schaffenden  Verwandlun- 
gen sind  der  Kunstler.  Das  Yin  und  Yang  sind  die  Kohlen,  die  zehn- 
tausend Wesen  sind  das  Kupfer. 


Denkwürdiges  über  Asche. 

Schang-yang  von  Thsin  gab  qualerische  Gesetze!  Wer  Asche 
auf  den  Weg  warf,  wurde  gestraft«). 

Han-ngan-kuö  ward  in  Anklagestand  versetzt,  und  man  ging 
seinem  Verbrechen  gemäss  vor.  Tien-kiä,  ein  Angestellter  des  Ge- 
fängnisses, beschimpfte  ihn.  Ngan-kuo  sprach :  Wird  die  todte  Asche 
allein  nicht  wieder  entzündet?  —  Kiä  sprach:  Wenn  sie  sich  ent- 
zündet, lässt  man  auf  sie  sogleich  Wasser  *). 

Kaiser  Wu  grub  den  Teich  von  Kuen-ming  und  fand  schwarze 
Asche.  Ein  Mensch  des  auswärtigen  Reiches  Hu  sagte :  Dieses  ist 
das  Überbleibsel  der  bedrohenden  Asche  des  Himmels  und  der  Erde. 
—  Man  fragte  Tung-fang-so.  Dieser  hielt  es  für  glaubwürdig*). 

Yang-yo  war  Statthalter  von  Ling-ling.  Um  die  Zeit  machten 
die  Räuber  von  Thsang-wu  Gbert^älle  und  bedrohten.  Yo  verfertigte 
etliche  zehn  Wagen  und  belud  sie  mit  Asche.  Er  streute  die  Asche 
in  der  Richtung  des  Windes  aus.  Die  Rauber  konnten  nicht  sehen» 
und  durch  dieses  Mittel  schlug  er  sie  s). 

Wen-kin  war  Statthalter  von  Liü-kiang.  Er  wurde  von  Wang- 
ling,  dem  Beruhiger  der  Hauptstadt,  zum  Gegenstande  einer  Meldung 
an  dem  Hofe  gemacht.  Kin  beklagte  sich  bei  Tschao-schuaiig. 
Schuang  sprach:  Ling  nimmt  es  dir  übel,  dass  du  zwei  Schiffe  mit 
Asche  beladen  hast.  Doch  was  hat  dieses  zu  bedeuten?  Ich  habe  ge- 


1)  Der  Waid  der  Gesprilche. 

*)  DMSse-ki. 

^)  Das  Buch  der  Han. 

^)   Das  Buch  der  Han. 

^)  Das  Buch  der  späteren  Han. 


Die  Anwendung  und  die  ZufSUigkeiten  des  Feuers  in  dem  alten  China.     800 

hurt,  dass  du  ein  Färbehaus  errichtet  hast,  und  aus  diesem  Grunde 
brennst  du  Asche  i). 

Tsehang-khiü  führte  den  Jönglingsnamen  Tse-tsing  und  war 
Statthalter  von  Keu-tschang.  Daselbst  war  ein  Weib,  welches  ihren 
Mann  tödtete.  Sie  zündete  dabei  das  Haus  an  und  sagte,  dass  er  ver* 
brannt  sei.  Sein  jüngerer  Bruder  schöpfte  Verdacht  und  klagte  sie 
an.  Khiü  untersuchte  den  Leichnam,  öffnete  dessen  Mund  und  be- 
trachtete ihn.  Es  fand  sich  in  ihm  keine  Asche.  Er  hiess  Leute  zwei 
Schweine  nehmen,  das  eine  tödten  und  das  andere  lebendig  zugleich 
mit  diesem  verbrennen.  Er  öffnete  und  betrachtete  deren  Mund.  Bei 
demjem'gen,  das  man  getödtet  hatte,  fand  mau  keine  Asche.  Bei  dem- 
jenigen, das  lebendig  gewesen,  fand  man  Asche.  Es  war  jetzt  offen* 
bar,  dass  das  Weib  den  Mann  früher  getödtet  und  dann  verbrannt 
hatte.  Hierauf  gestand  erst  das  Weib  ^). 

Kieu-mo-io-schl  war  ein  Mensch  von  Thien-tschö.    Tschang* 
thse,  der  Aufseher  der  Bucher  der  Mitte,  erkrankte.    Liü-kuang,  der 
Heerführer  der  kühnen  Reiter,  bemühte  sich  auf  alle  Weise  um  des- 
sen Herstellung.  Lo-tscha,  ein  Mensch  des  Weges  aus  den  auswär- 
tigen Reichen ,  sagte ,  dass  er  die  Krankheit  Thse*s  heilen  könne. 
Kuang  freute  sich  und  beschenkte  ihn  sehr  reichlich.    Lo-schi  mel- 
dete Thse,  dass  Jener  gelogen  habe  und  sprach :  Tscha  kann  keinen 
Nutzen  bringen.    Er  verursacht  bloss  Ungelegenheit  und  Auslagen. 
Die  dunklen  Kreisläufe  sind  zwar  verborgen ,  allein  man  kann  es 
durch   etwas  versuchen.  —  Er  verfertigte  jetzt  aus  fünfiärbiger 
Seide  eine  Schnur,  knüpfte  sie  und  verbrannte  sie  zu  Asche.   Das 
Pulver  warf  er  in  das  Wasser.  Wenn  die  Asche  aus  dem  Wasser 
herauskommen  und  wieder  zur  Schnur  werden  sollte,  so  würde  die 
Krankheit  unheilbar  sein.    In  wenigen  Augenblicken  sammelte  sich 
die  Asche,  schwamm  heraus  und  ward  wieder  zur  Schnur.  Die  Hei- 
lung durch  Tscha  fand  sich  wirklich  nicht  bestätigt.    Nach  wenigen 
Tagen  starb  Thse  <). 

Sitt-tu-fang  aus  Schin-wu,  zu  den  Zeiten  der  Tsi  Richter  von 
Pa— fu-tien  und  dritter  Zugetheilter  des  Kriegsheeres,  hatte  sinnreiche 
Gedanken.  Er  war  im  Stande,  mit  einem  Rohre  die  Luft  zu  erspähen 
uod  emporblickend  die  Farbe  der  Wolken  zu  beobachten.  Er  befand 


<3    ^*^  abgekfinten  Denkwürdigkeiten  von  Wei. 
*y    Die  Yeneichnitfe  ron  U. 
^y    Dm  Bach  der  Ttin. 

Sitxb.  d.  phU  -bist.  Cl.  LXV.  Bd.  IV.  Hft.  54 


810  Pfizmaier 

sieh  einst  Mensciien  gegenüber  im  Gespräche.  Er  blickte  empor, 
zeigte  zu  dem  Himmel  und  sprach:  Die  Luft  des  ersten  Monates 
des  Frühlings  ist  angekommen.  —  Die  Menschen  gingen  hin,  überzeug- 
ten sich  durch  das  Rohr,  und  die  fliegende  Asche  hatte  bereits  ent- 
sprochen. Indem  er  sagte,  was  er  allmonatlich  erspähte,  befand  er 
sich  niemals  im  Irrthum.  Er  verfertigte  ferner  vier  und  zwanzig 
Radfacher,  vergrub  sie  in  die  Erde  und  ergründete  dadurch  die  vier- 
und  zwanzig  Lüfte.  So  oft  eine  Luft  angeregt  ward,  bewegte  sieh 
ein  Fächer,  jedoch  ilie  anderen  Fächer  lagen  still.  Dieses  entsprach 
der  Asche  des  Rohres  gleich  einer  Beglaubigungsmarke  <). 

Im  neunten  Jahre  des  Zeitraumes  Khai-hoaug  (S89  o.  Chr.), 
nachdem  man  Tschin  beruhigt  hatte,  entsandte  Kao-tsu  die  Männer 
Mao-schuangy  Tsai-tse-yuen,  Yü-pu-ming  und  Andere,  damit  sie  die 
Abschnitte  der  Luft  erspähen.  Dieselben  hielten  sich  an  das  Alter- 
thum.  In  dem  dreifachen  versteckten  inneren  Hause  verfertigten  sie 
aus  Holz  zwölf  Bänke.  Sie  nahmen  regelmässig  die  Rohre  der  Musik- 
tone, legten  sie  nach  den  Rangstufen  der  zwölf  Sternbilder  auf  die 
Bänke  und  bargen  sie  mit  Erde.  Nach  oben  machte  man  sie  mit  der 
Erde  gleich.  In  der  Mitte  füllte  man  sie  mit  Asche  von  Binsenhaut. 
Mit  leichter  rothgelber  Leinwand  überdeckte  man  einfach  die  Mun- 
dung des  Stimmrohres.  So  oft  die  Luft  des  Monates  ankam  und  sieb 
mit'  dem  Stimmrohr  dunkel  in  Verbindung  setzte ,  flog  die  Asche 
ungestüm  auf,  zerstob  einfach  nach  aussen,  und  die  Luft  entsprach. 
Man  hatte  die  Unterschiede  der  frühen  und  späten  Zeit.  Die  Asehe 
flog  in  grossen  und  kleinen  Mengen  auf.  Bisweilen  geschah  dieses, 
sobald  man  in  den  Monat  trat,  und  die  Luft  entsprach  sogleich.  Bis- 
weilen erreignete  es  sich,  dass  in  der  mittleren  und  unteren  Decade 
die  Luft  erst  entsprach.  Bisweilen  flog  die  Asche  drei  bis  fünf  Nächte 
und  war  dann  zu  Ende.  Bisweilen  flog  sie  einen  ganzen  Monat  in 
kleinen  Mengen.  Kao-tsu  wunderte  sich  darüber,  und  er  fragte  dess- 
halb  Nieu-hung.  Hung  antwortete :  Wenn  die  Asche  zur  Hälfte  her- 
ausfliegt, so  ist  dieses  die  einmüthige  Luft.  Wenn  es  die  ganze  Asehe 
herausbläst,  so  ist  dieses  die  rasende  Luft.  Wenn  es  die  Asche  nickt 
herausblasen  kann,  so  ist  dieses  die  schwindende  Luft  W^enn  die  ein- 
müthige Lutt  entspricht,  so  ist  die  Lenkung  friedlich.  Weon  die 
rasende  Luft  entspricht,  so  sind   die  Diener  fahrlässig.   Wenn  die 


0  Das  Buch  der  Sui. 


Die  Anweodung  und  die  ZufiilUgkeitan  des  Feuers  in  dem  «Iten  Chioa.     811 

schwindende  Luft  eutsprieht,  so  ist  der  Gebieter  ein  Bedrücker.  — 
Kao-tsu  bestritt  dieses  und  sprach :  Wenn  die  Diener  fahrlässig  sind, 
der  Gebieter  ein  Bedrücker  und  die  Lenkung  nicht  friedlich»  so  ist 
dieses  nicht  nach  Monaten  getrennt  und  verschieden.  Jetzt  sind  die 
Entsprechungen  der  Stimmrohre  der  zwölf  Monate  binnen  einem 
Jahre  nicht  die  nämlichen.  Wie  wäre  es  möglich,  dass  es  mit  dem 
bedrückenden  Gebieter,  den  fahrlässigen  Dienern  so  arg  ist?  —  Hung 
konnte  nicht  antworten  <). 

In  Tsching  lebte  ein  Zauberer,  Namens  Ki-hien.  Derselbe 
bannte  Leben  und  Tod,  Fortbestand  und  Untergang,  Glück  und  Un- 
glück, das  lange  und  das  kurze  Leben  der  Menschen.  Er  bestimmte 
die  Zeit  nach  Jahren,  Monaten,  Decaden  und  Tagen  gleich  einem 
Gotte.  Die  Menschen  von  Tsehing,  die  ihn  sahen,  verliessen  ihn  und 
entliefen.  Lie-tse  sah  ihn,  und  sein  Herz  war  trunken.  Er  kehrte 
heim  und  erzählte  es  Uu-tse.  Dieser  sprach:  Ich  werde  es  ver- 
suchen und  mit  dir  hinkommen.  Mögest  du  mich  ihm  zeigen.  —  Den 
nächsten  Tag  erschien  LiS-tse  mit  ihm  zum  Besuche.  Hu-tse  trat 
hinaas,  undUien  sagte  zu  Lie-tse :  Dein  Frühgeborner  ist  leider  todt,  er 
ist  nicht  lebendig.  Man  kann  es  nicht  nach  Decaden  zählen.  Ich  habe 
etwas  Wunderbares  gesehen.    Ich  habe  feuchte  Asche  gesehen  <). 

Nan-kö-tse  sass  auf  einer  mit  Seide  gestickten  verborgenen 
Bank.  Er  blickte  zu  dem  Himmel  und  blies  die  Luft  von  sich.  Er 
war  ganz  aufgelöst,  als  ob  er  seine  Gefährten  verloren  hätte.  Yen- 
tse  brachte  seine  Wanderung  zu  Stande.  Er  stand  aufwartend  vor 
ihm  und  sprach:  Warum  ist  dieses?  Ist  die  Gestalt  in  Sicherheit,  so 
kann  man  bewirken,  dass  man  gleich  dem  dürren  Baume  ist.  Ist  aber 
das  Herz  in  Sicherheit,  so  kann  man  bewirken,  dass  man  gleich  der 
todten  Asche  ist  <). 

In  dem  Zeitalter  von  U  besasa  Yao-kuang  die  Kunst  des  Feuers. 
Der  Vorgesetzte  von  U  stellte  ihn  auf  die  Probe.  Er  häufte  mehrere 
tausend  Bündel  Binsen,  wickelte  ihn  in  sie  und  verbrannte  sie  bei 
einem  heftigen  Feuer.  Als  die  Binsen  gänzlich  verbrannt  waren, 
glaubte  man,  dass  Kuang  bereits  in  Rauch  und  Brandreste  verwan- 
delt sein  müs$e.    Allein  Kuang  sass  mitten  in  der  Asche,   schüttelte 


0   Da«  Bach  der  Sui. 

*)   Daa  Bnch  Tscbaang^-tse.  Feuchte  Asche  bewerkstelligt  die  VenraDdlang  der  stiUea 

dunklen  Seele.  Es  Ist  um  die  Zeit,  wo  der  Mensch  ohne  Anre^ng  ist. 
*)    Daa  Buch  Tschuang-ts«.  „Dfirrer  Baam**  und  „todte  Asche*   beieichnet  die  Ruhe 

und  das  Freisein  run  Leidenschaft. 

54* 


812    PrisiDiier,Die  Anwead.  a.  d.  Zafilligk.  d.  Fevers  in  d.  alt.  Cbiaa. 

die  Kleider  und  stand  auf.  Er  hielt  in  der  Hand  eine  Rolle  Schriften. 
Der  Vorgesetzte  von  U  nahm  die  Schriften  und  blickte  in  sie.  Er 
war  nicht  im  Stande,  sie  zu  entziffern  i}. 

König  Wu  richtete  den  Angriff  gegen  Yin.  Er  fand  zwei  Grosse 
und  fragte  sie:  Wird  das  Reich  der  Yin  zu  Grunde  gehen,  und  hat 
es  auch  Ungeheuerlichkeiten?  —  Der  Eine  dieser  Manner  antwor- 
tete :  In  dem  Reiche  der  Yin  regnet  es  beständig  Blut.  Es  regnet 
Asche  und  blutige  Steine.  —  König  Wu  sprach :  Grosse  Unwetter 
sind  eine  Ungeheuerlichkeit.  —  Der  andere  Mann  sprach :  Dieses  ist 
keine  grosse  Ungeheuerlichkeit  Die  grossen  Ungeheuerlichkeitea 
des  Reiches  der  Yin  füllen  sieben  und  dreissig  Abschnitte,  aber  das 
Regnen  von  Asche,  das  Regnen  von  Blut  und  Steinen  mochte  ich  nicht 
für  Ungeheuerlichkeiten  und  Unwetter  halten.  —  König  Wu  war  in 
die  Enge  gebracht  und  fragte  nach  den  Ungeheuerlichkeiten  in 
sieben  und  dreissig  Abschnitten.  Jener  antwortete:  Der  Gebieter 
der  Yin  liebt  es,  nach  den  Menschen  zu  schiessen.  Er  hat  Freude 
daran,  mit  Menschen  die  Tiger  zu  speisen.  Er  hat  Freude  daran,  die 
Herzen  der  Menschen  zu  zerschneiden.  Er  hat  Freude  daran, 
Weiber  zu  tödten.  Er  hat  Freude  daran,  die  Väter  der  Menschen  zu 
tödten  und  die  Söhne  der  Menschen  zu  Waisen  zu  machen  *). 

Tschang-pe  von  Tsching-to  in  der  Provinz  Scho  trat  in  einem 
Alter  von  zehn  Jahren  als  Mann  des  Weges  auf.  Er  verkehrte  mit 
dem  Reingeistigen  und  hatte  ferne  Spiegelung.  Er  trank  um  die  Zeit 
zehn  Gantang  dicker  Lauge.  Er  sagte,  dass  er  damit  die  Eingeweide 
wasche  und  Krankheiten  heile  *). 

Die  Geschichte  des  Anschlusses  an  den  Eroberungszug  sagt: 
Die  naturliche  Asche  hat  das  Aussehen  von  gelber  Asche.  Sie  ent- 
steht an  dem  Ufer  des  Meeres.  Man  wirft  sie  in  das  Wasser 
und  wäscht  Kleider.  Man  braucht  diese  nicht  mit  Wasser  zu  be- 
giessen. 

Die  Erörterungen  der  Ordnung  der  Dinge  sagen:  Aus  dem 
Bambus  des  Berges  des  goldenen  Thores  in  dem  Districte  I-yang 
verfertigt  man  Stimmröhre.  Aus  der  Binsenhaut  von  Ho-nei  brennt 
man  A^che.  Man  kann  durch  diese  die  Lufl  erspähen. 

0  Das  Buch  Pao-pd-Ue. 

')  Die  »ecke  Röcker. 

*)  Die  Geschickle  der  eraihltea  Merkwärdigkeitea. 


H'örier«   Ano«  von  Luieroburg  etc.  813 


Anna  von  Luxemburg, 

Kaiser    Earrs  IV.    Tochter,    König    Richard's  IL   Gemahlin, 

Königin  von  England.    1382—1394. 

4 

(Abhandlung  für  die  Dtnk»ekritlen  der  k.  k.  Akademie  der  Witeenechaften.J 

Von  C.  Höflcr. 

Dem  aufmerksamen  Forscher  der  Geschichte  des  Mittelalters 
kann  es  nicht  entgehen,  dass  mit  dem  Ende  der  Siebeuziger  Jahre 
des  XIV.  Jahrhundertes  eine  Veränderung  sich  bemerkbar  macht,  wie 
man  sie  bis  dahin  nicht  beobachtete.  Alle  früheren  Krisen  lassen  auf 
eine  Besserung  der  Zustände  hoffen;  die  mit  dem  Jahre  1377/8  ein- 
getretene trägt  die  Worte  jener  Grabschrift  an  sich: 

spes  et  fortuna  valete. 

Es  ist  nicht  blos  das  rasche  Absterben  massgebender  Persön- 
lichkeiten, welche  wie  auf  gemeinsame  Verabredung  beinahe  gleich- 
zeitig den  Schauplatz  ihrer  Thaten  verlassen.  Erst  Papst  Gregor *s  XI. 
des  Besten  unter  den  avignonesischen  Päpsten,  welcher,  überzeugt, 
dass  ein  lang  gefibtes  Unrecht  gut  gemacht  werden  müsse,  und  deshalb 
entschlossen,  nach  Rom  zurückzukehren,  über  die  eigene  Mutter  hin- 
wegschritt, als  diese  in  übertriebener  Zärtlichkeit  ihren  Sohn  von 
dem  entscheidenden  Schritte  zurückhalten  wollte,  der  aber  nach  Rom 
zurückgekehrt  unter  den  trübsten  Vorahnungen  einer  schlimmen  Zu- 
kunft 27.  März  1378  stirbt.  Nicht  blos  der  um  neun  Monate  früher 
fallende  Tod  Konig  Eduards  III.  von  England,  der  den  eigenen 
Sohn,  den  Sieger  von  Poitiefs,  wie  die  eigene  Grösse  überlebend  am 
21.  Juni  1377  starb.  Nicht  blos  der  verhältnissmässig  frühe  Tod  Kaiser 


814  H  ö  f 1  er 

Kar]*s  IV.  (1378),  weichet*  mit  grosser  Vorsicht  Alles  aufgeboten 
hatte,  den  Übergang  seiner  Regierung  zu  der  des  Knaben  Wenzel  s  IV. 
so  unmerklich  als  möglich  zu  machen.  Auch  nicht  der  Umstand,  dass 
in  Frankreich  1382  König  Karl  V.,  in  Ungarn  1382  Konig  Ludwig 
der  Grosse  starben,  das  deutsche  Reich,  England,  Frankreich  fast 
gleichzeitig  in  die  Hände  dreier  Unmündigen,  —  Wenzel,  Richard  und 
Karl  VI.  —  Ungarn,  Polen,  Neapel  in  den  Besitz  dreier  Frauen  aus  dem 
Hause  Anjou  kamen  —  Maria,  Hedwig  und  Johanna- —  reicht  hin  zu 
erklären,  warum  nur  Ein  Getuhl  den  Beobachter  beschleicht,  das, 
dass  unaufhaltsam  Alles  in  Trümmer  gehe^  keine  Rettung 
mehr  möglich  sei.  Selbst  darin  liegt  nicht  das  volle  Übel ,  dass  für 
lange  lange  Zeit  sich  keine  überwältigende  Persönlichkeit,  ju  über- 
haupt keine  wahrhaft  bedeutende  auf  den  Thronen  vorfand,  oder 
wenn  diess  der  Fall  war,  sich  zu  kurze  Zeit  erhielt,  als  dass  s\e 
einen  nachhaltigen  Einfluss  gewinnen  konnte.  Als  es  nach  längerer 
Pause  wieder  zu  eigentlichen  Königscharakteren  kommt,  tragen 
sie  wie  Georg  von  Podiebrad,  Ludwig  XL  von  Frankreich,  ein 
anderes  Gepräge  an  sich.  Das  Mittelalter  ist  unterdessen  zu  Ende 
gekommen. 

Was  aber  die  Katastrophe  herbeiführte,  war  die  unwiederbring- 
liche Einbusse  an  aller  und  jeder  inneren  Einheit,  seit  im  Jahre  1378 
die  letzte  y  welche  sich  eigentlich  zum  Stutzpunkte  des  Mittelalters 
gemacht  hatte,  das  Papstthum  gespalten,  das  grosse  Schisma  der 
Päpste  entstanden  war.  So  weit  sie  konnten,  hatten  letztere  alle  Macht 
und  alle  Herrlichkeit  an  sich  gezogen  und  in  sich  vereinigt.  Sie  hatten 
nicht  blos  ein  eigenes  Staatensystem  begründet,  zu  welchem  noch 
Papst  Clemens  VI.  1344  das  Förstenthum  der  glGcklichen  Inseln 
ausserhalb  der  Grenzen  der  alten  Continente  hinzufugte  <).  Sie  hatten 
sich  feierlich  alle  Macht  der  Erde  beigelegt  und  die  Vereinigung  der 
höchsten  geistlichen  und  irdischen  Gewalt  in  ihrer  Person  als  Glaa- 
benssatz  bezeichnet,  ja  die  Nichtanerkennung  desselben  mit  dem 
Anathem  belegt.  Das  Kaiserthum  war  nur  mehr  in  der  Art  wieder 
hergestellt  worden,  wie  die  Päpste  es  in  ihrem  Interesse  für  gut 
fanden.  Da  sie  es  so  schwach  wie  möglich  gemacht,  war  es  auch 


^)  Siehe  die  luk^e  Rede  des  Papstes  im  Codex  sermonum  P.  Clementis.  Bibl.  PiUt. 
Vindob.  o.  4195.  f.  i50. 


Anna  von  Luiemburg  etc.  8  I  5 

kein  Wunder,  wenn  sie  daran  keine  Stütze  fanden ,  als  sie  sich  um 
diese  umzusehen  gezwungen  sahen.  Als  sie  aber  nun  selbst  unter 
einander  haderten,  sich  gegenseitig  bekriegten  und  nicht  blos  die 
Kirche,  sondern  auch  die  gesammte  christliehe  Weit  spalteten ,  sie 
statt  zu  einigen  nur  trennten,  wurden  sie  selbst  die  Urheber  der  Auf- 
lösung jenes  grossen  mittelalterlichen  Gebäudes»  zu  dessen  Auffiih- 
rung  sie  Jahrhunderte  voll  unermesslicher  Anstrengung  benöthigt,  zu 
dessen  Wahrung  sie  (1245)  das  alte  Kaiserthum  in  den  Staub  ge- 
stürzt hatten  und  über  dessen  Fortführung  sie   nun  in  Betreff  der 

• 

Frage  haderten,  ob  sie  in  Rom  oder  in  Avignon,  durch  einen  Italiener 
oder  einen  Franzosen  stattzufinden  habe.  Als  sich  nun  zum  Kriege 
der  Päpste  ein  Krieg  des  Clerus  gegen  sie,  zum  Schisma  der  Häupter 
die  „hussitische''  Bewegung  unter  den  Geistlichen  gesellte,  und  es 
langer  Zeit,  schwerer  Erfahrungen  bedurfte,  bis  endlich  sich  unter  den 
gewaltigen  Schlägen  der  Zeit  so  viele  Gemeinsamkeit  bildete ,  dass 
iij  den  Coneilien  das  Heilmittel  für  den  Schaden  gefunden  wurde, 
den  die  Päpste  in  der  Kirche  angerichtet  hatten,  und  auch  dieses 
Mittel  sich  zuletzt  der  Grösse  des  Übels  nicht  gewachsen  zeigte, 
so  trat  der  Untergang  der  alten  Ordnung  der  Dinge  mit  reissenden 
Schritten  ein. 

Das  ist  mit  wenigen  Worten  gesagt  der  äussere  Rahmen,  von 
welchem  sich  das  nachfolgende  Bild  abhebt.  Ganz  abgesehen  von 
den  Persönlichkeiten,  weiche  darin  eine  Rolle  finden,  handelt  es  sich 
um  ein  Stück  Weltgeschichte ,  weiches  im  äussersten  nordwestlichen 
Winkel  von  Europa  sich  abspielt  und  die  Häuser  Plantagenet,  Luxem- 
burg und  Valois  in  seinen  Bereich  zieht  Es  wäre  ein  Leichtes  gewesen, 
auch  die  spanischen  Wirren  jeuer  Tage  in  den  Kreis  hineinzuziehen; 
ich  fiirchtete  aber,  es  möchte  dieses  auf  Kosten  der  Deutlichkeit 
geschehen  und  unterliess  es,  Johann  von  Gaunt,  Herzog  von  Lan- 
cester  auf  seinen  Fahrten  nach  Castilien  das  Geleit  zu  geben.  Wohl 
hielt  ich  es  aber  für  angemessen,  die  Darstellung  der  particularen 
Verhältnisse  Englands  möglichst  im  Zusammenhange  mit  dem  allge- 
meinen Gange  der  Dinge  zu  halten.  Ein  merkwürdiges  Geschick 
hatte  das  Reich  der  Angelsachsen  wider  seinen  Willen  in  eine  Ver- 
bindung mit  dem  Continente  gebracht,  die  einer  Kette  glich,  von 
welcher  sich  England  nicht  mehr  zu  lösen  vermochte.  Nicht  blos, 
daas  es  von  da  an  eine  französische  Dynastie,  die  König  Wilhelm*s  er- 
hielt, auch  Stephan  Graf  von  Blois,  der  Nachfolger  König  Heinrich*s  I. 


816  H  ö  ri  e  r 

aus  dem  Stamme  Wilhelm  des  Eroberers,  war  Franzose  und  ebenso  der 
Begründer  des  Hauses  Plantagenet,  aus  welchem  die  nachdrücklich- 
sten Feinde  der  franzosischen  Krone  herrorgingen.  Ja  hätte  nicht 
der  Besitz  eines  fremden  Thrones  die  Franzosen  in  Gegner  ihres 
Vaterlandes  umgewandelt,  wer  hfttte  im  Mittelalter  französischer 
Umstrickung  entgehen  können?  Gab  es  doch  seit  Alfons  VIII.  in  Casti- 
lien  ein  Burgundisches  (französisches)  Königshaus,  in  Portugal  nicht 
minder,  in  Sicilien  seit  Karl  von  Anjou,  in  Ungarn  seit  Karl  Robert, 
Morea  wurde  in  ein  Neufrankreich  umgewandelt  Es  fehlte  nur  noch  das 
gemeinsame  französische  Interesse,  welches  die  französischen  Pipste 
im  Xni.  und  XIV.  Jahrhunderte  nicht  TcrlSugneten ,  und  die  christ- 
liehe  Welt  ward  den  Franzosen  eigen.  Um  so  bedeutender  war  es, 
dass  gerade  England  den  Zauberring  zu  zerschlagen  sich  bemühte, 
welchen  Frankreich  um  jene  geschmiedet,  und,  wie  erst  der  Besitz  der 
Normandie,  dann  auch  der  der  Guyenne  den  Engländern  Anlass  gab, 
sich  in  die  französischen  Verhältnisse  einzumischen,  ja  geradezu 
einen  Hebel,  das  Reich  selbst  aus  seinen  Fugen  zu  bringen. 

So  viel  im  Allgemeinen. 

Die  gegenwärtige  Schrift  hat  es  mit  nicht  weniger  als  drei 
bedeutenden  Persönlichkeiten  zu  thun ,  ihnen  den  gebührenden  Platz 
in  der  Geschichte  festzustellen.    Zuerst  mit  Anna  von  Luxemburg, 
der  Tochter  Kaiser  Karl's  IV.   und    Gemahlin   König  Richard*s  II. 
von  England,  mit  welchem  die  Primogeniturlinie  des  grossen  könig- 
lichen  Helden   Eduard's   III.   im   Jahre    1400   unglücklich   endete. 
Anna  ist  in  der  englischen  Geschichte  und  in  England  überhaupt 
besser  bekannt  als  in  Deutschland.  Nicht  blos  Vaughan  (the  life  and 
opinions  of  John  de  WycliiTe.  Zweite  Ausgabe  Bd.  II.  1831.  S.  130) 
sondern    überhaupt    die    englischen    Schriftsteller,     welche     über 
Wycliffe  schrieben,   machen   die  luxemburgische  Kaisertochter   zu 
einer   Gönnerin    und    Gesinnungsgenossin   des   berühmten   Lehrer? 
von   Oxford   und    weisen   ihr   somit    eine    hervorragende   Stellung 
unter  den  König^nen  Englands»  ja  unter  denjenigen  Personen  an« 
die   sich   ein  Denkmal  in  der  Reformationsgeschichte  setzten,  wie 
denn  auch  Miss  Strickland  in  ihren  Lebensbeschreibungen  der  Köni- 
ginen  von  England  dieses  gethan  hat.  Dass  durch  Anna  Böhmen  in 
eine  verhängnissvolle  Verbindung  mit  England  gesetzt  wurde»  die 
nicht  ohne  grossen  und  mannigfaltigen  Einfluß  auf  die  Entstehung 
der  hussitischen   Bewegung  geblieben   sei,    ist  so   oft  wiederholt 


Anna  von   Luiemburg  etc.  817 

worden,  dass  man  schon  aus  diesem  Grunde  gewillt  ist,  die  Sache 
ffir  wahr  anzunehmen.  Welehe  Rolle  aber  umgekehrt  unter  Anna 
die  Böhmen  in  England  spielten  und  welch*  denkwürdige  und  weit- 
tragende Revolution  auf  englischem  Boden  durch  die  mit  der  Königin 
herübergekommenen  Böhmen  veranlasst  wurde,  ist  freilich  noch  nicht 
hervorgehoben  worde%;  sowenig  als  welchen  Einfluss  die  harten 
Leiden  der  Königin  und  ihr  früher  Tod  auf  Richard  IL  und  die  wech- 
selvolle  Entwicklung  seiner  Regierung  ausübten. 

Die  zweite  Persönlichkeit  ist  Richard  selbst. 

Diese  ist  dem.  deutschen  Publikum  durch  Shakespeare's  gleich- 
namiges Drama  hinlänglich  bekannt.  Allein  der  englische  Dichter 
beschäftigte  sich  nicht  damit,  das  erschütternde  Drama  des  früheren 
Lebens  dieses  unglücklichen  Fürsten  vorzufuhren , .  wie  es  hier  ge- 
schieht, sondern  nur  mit  seinem  Sturz  und  Untergang.  Es  ist  aber  sehr 
wohl  möglich,  neben  Shakespeare*s  Richard  IL  auf  das  reiche  Mate- 
rial so  acht  dramatischen  Inhaltes,  wie  es  das  ganze  Leben  des  früh 
gemordeten  Königs  darbietet,  noch  einen  andern  Richard  II.  zu 
dichten,  und  zwar  von  ergreifendster  Wirkung.  Fast  möchte  es  selbst 
leichter  sein ,  einen  Richard  II.  zu  dichten,  als  ihn  historisch  zu  be- 
handeln.  Sein  Vetter  Heinrich  IV. ,  der  Begründer  der  unheilvollen 
Königslinie  Lancaster,  hat  ihn  nicht  blos  einmal,  er  hat  ihn  zweifach 
gemordet.  Denn  um  die  Usurpation  des  Thrones  und  den  Sturz  der 
Primogeniturlinie  zu  beschönigen,  wurde  Alles  aufgeboten,  diejenigen 
zu  gewinnen,  welche  für  Richard  zeugen  konnten.  Natürlich,  je 
düsterer  er  selbst  dastand,  desto  heller  trat  Heinrich  Bolingbroke 
hervur  und  desto  gerechtfertigter  war  es,  den  rechtmässigen  Erben 
Eduard 's  III.  vom  Throne  gestossen  zu  haben.  In  Richard*s  Zeit 
wurzelt  der  Streit  der  weissen  und  der  rothen  Rose.  Dem  Hause 
Lancaster  geschah  nur,  wie  es  selbst  dem  Sohne  des  schwarzen 
Prinzen  gethan.  Da  ist  es  leicht  über  Richard  s  Falschheit  zu  decla- 
roiren,  wie  es  Erzb.  Arundel  gethan.  Aber  wer  hat  denn  ihn, 
den  fröhlichen  unbefangenen  jungen  Fürsten  zum  falschen  Hanne 
gemaeht?,  wer  ihn  gezwungen  sich  zu  verstellen,  seine  wahren 
Gefühle  zu  verbergen  und  endlich  Jahre  lang  auf  den  Sturz  der- 
jenigen zu  sinnen,  welche  ihm  das  grösste  Leid  zugefügt  hatten» 
eines  Gloeester,  Warwik  und  Arundel?  Es  ist  doch  Zeit  sich  auf  einen 
anderen  Standpunkt  bei  BeurtheilungRichard*s  zu  stellen,  als  auf  den 
seiner  Gegner,  des  zu  seinem  Sturze  früh  verschworenen  hohen  Adels! 


818  H  ö  n  er 

Es  darf  uns  selbst  nicht  wundern,  wenn  die  englischen  Schrtfl- 
steller,  welche  unter  Heinrich  IV.  lebten,  auf  Seite  des  Hauses  Lan- 
caster  standen .  da ,  für  Richard  Partei  zu  nehmen ,  mit  der  Goefahr 
verbunden  war,  geschleift,  gehangt,  ausgeweidet,  geköpft  und  dann 
noch  geviertheilt  zu  werden,  das  gewohnliche  Schicksal,  welches  in 
England  die  Gegner  des  siegenden  KönigsstatRmes  traf.  Diesem  Loose 
aber  sich  auszusetzen,  musste  Jeder  gerechtes  Bedenken  tragen. 
Darin  hatten  Thomas  Walsingham  und  Thomas  Holgill  von  Richard 
ein  Geschenk  von  Lfindereien  erhalten,  welches  sie  verloren,  wenn 
sie  sich  unter  seinem  siegreichen  Gegner  dankbar  erwiesen.  Die 
Klugheit  lehrte  Walsingham  Partei  gegen  seinen  Wohlthater  zu 
nehmen ,  als  er  nicht  mehr  lebte ,  und  für  Heinrich  zu  sein ,  der  ihm 
schaden  konnte.  Der  englische  Dichter  Chaucer  hatte  eine  Schwester 
der  Katharina  Swynford  geheirathet,  welche  erst  Geliebte  Johann's 
von  Gaunt,  dann  dessen  Gemahlin  und  somit  Stiefmutter  des  Königs 
Heinrich*s  IV.  wurde.  Letzterer  bedachte  seinen  neuen  Verwandten 
freigebig.  Kein  Wunder,  dass  er  auf  seine  Seite  trat.  Auch  Gower 
hat  sich  der  aufgehenden  Sonne  angeschlossen.  Richard  moderte  im 
Grabe ,  von  ihm  war  nichts  zu  befurchten.  Als  der  Konig  zur  Zeit 
einer  Hungersnoth  täglich  10000  Menschen  aus  der  kuniglicbeo 
Köche  zu  essen  gab ,  ward  ihm  von  Holinshed  daraus  ein  Vorwurf 
gemacht  und  die  Sache  als  Verschwendung  des  Hofhaltes  hingestellt. 
Es  ist  daher  ganz  begreiflich ,  dass  wir  zeitweise  auch  zu  franzosi- 
schen Quellen  unsere  Zuflucht  nehmen  müssen,  da  die  einheimischen 
sich  als  nichts  weniger  denn  unparteiisch  erweisen.  Nur  musste 
Froissart  mit  der  gr5ssten  Vorsicht  benutzt  werden. 

Wie  die  Quellen  sich  gegenseitig  ergänzen ,  sind  es  auch  die 
einschlägigen  Thatsachen. 

Nicht  die  religiöse  Bewegung  in  den  Tagen  König  Richard's  IL 
steht  allein  und  für  sich  abgesondert  da,  nicht  die  sociale,  nicht  die 
politische.  Die  deutschen  Forsten  hatten  das  Kaisertbum  von  sich 
abhängig  gemacht  und  der  Sohn  Kaiser  KarPs  IV.  sah  sich  trotz 
goldener  Bulle  wiederholt  mit  Absetzung  bedroht.  Der  Kampf  zwi- 
schen dem  Konigthum  und  dem  Adel  war  in  allen  Ländern  ausge- 
brochen ,  drängte  überall  zu  gleicher  Entscheidung.  Wenn  aber  die 
höheren  Ordnungen  mit  einander  im  Streite  befangen  waren,  darf 
man  sich  nicht  wundern,  dass  die  niederen  gleichfalls  sich  regten. 
Nicht  blos  in  England ,  in  Frankreich  wie  in  Flandern  röhrten  sich 


Anna   von   Luiemburg  etc.  O  I  9 

<Jie  unteren  Massen.  Es  fehite,  um  das  Bild  der  Auflosung  dessen, 
was  das  Mittelalter  gesehaffen,  zu  vollenden,  nur  noch,  dass  der 
allgemeine  Krieg  auch  auf  dem  geistlichen  Gebiete  entbrannte,  auch 
hier,  unter  dem  Clerus,  welcher  mehr  als  jeder  andere  Stand  das 
Princip  der  Einheit  und  inneren  Abgeschlossenheit  reprSsentirt ,  der 
Bürgerkrieg  entbrannte  und  der  allgemeine  Umsturz  der  mittelalter- 
lichen Ordnung  war  fertig,  dann  näherte  sich  das  Mittelalter  mit 
Biesenschritten  seinem  Ende  und  eine  neue  Zeit,  welche  dasselbe 
abzulösen  bestimmt  war,  war  nothwendig  geworden.  Nicht  blos  die 
Keime  der  Auflosung  zeigten  sich.  Das  Geftige  des  Mittelalters  war 
derart,  dass,  nachdem  das  Kaiserthum  bereits  zur  Formalitat  gewor- 
den war,  nur  noch  an  die  Stelle  der  Einheit  des  Papstthums  die 
Zweiheit,  das  Schisma  treten  durfte  und  der  Bau,  welcher  von 
Gregor  VII.  und  seinen  Nachfolgern  mit  aller  Consequenz  aufgeführt 
worden  war,  erlitt  einen  ßiss  von  Oben  nach  Unten,  den  Niemand 
wieder  herstellen  konnte. 

Die  dritte  hervorragende  Persönlichkeit  in  dem  Drama,  welches 
sich  hier  abspielt,  ist  John  de  Wycliffe  (Wyclif),  der  Beformator, 
der  Prophet,  wie  ihn  noch  Pauli  auffasst,  der  scblimmste  aller  Häre- 
tiker, wie  ihn  seine  kirchlichen  Gegner  uns  überlieferten,  eine  von 
jenen  Gestalten  des  spateren  Mittelalters,  welche  beinahe  weniger 
ihrer   Zeit   als  derjenigen  angeboren,   in  welcher  ihre  Ideen    zum 
Durchbrnche  kamen,  ein  Professor  und  Prediger,  welcher  es  mit  dem 
Zauber  von  Schrift  und  Bede  seiner  Umgebung  wie  magisch  angethan 
hat,  und  nicht  nach  dem  gewöhnlichen  Massstabe  gemessen  werden 
darf.   Mich  selbst  hat  Wyclifle  in  so  hohem  Grade  interessirt,  dass 
ich  lange  Zeit  erwog,  solle  ich  nicht  den  Titel  der  Schrift  dahin 
ändern :  Königin  Anna  und  John  de  Wyclifle,  und  nur  das  Bedenken, 
dass  unser  Leserkreis  fOr  die  theologischen  Streitigkeiten  des  Mittel- 
alters wenig  Empfänglichkeit  und  noch  weniger  Geduld  besitzt,  hielt 
mich  davon  ab.  Dazu  kam,  dass,  wenn  auch  jetzt  Shirley  das  Ver- 
zeichniss  der  Schriften  WycliiTe's  zusammenstellte  und  Lechler  sich 
durch  Herausgabe  des  Trialogus  und  Pastorale*s  Wycliffe*s   grosse 
Verdienste  erwarb,  doch,  so  lange  nicht  seine  höchst  zahlreichen 
Schriften  in  chronologischer  Folge  vor  uns  liegen ,  die  inneren  Ent- 
wickluiigsstadien  des  merkwürdigen  Mannes ,  seine  geistige  Genesis 
nicht  .so  klar  hervortritt,  dass  der  Historiker  mit  einiger  Befriedigung 
auf  das  Besultat  seiner  Forschungen  blicken  kann.  Ich  habe  aus  dem 


820  Höfler 

ersten  Grunde  eine  genaue  Erörterung  der  18  Punkte  Wyeliffe*s  aus 
dem  Texte  verwiesen ,  obwohl  ich  sie  der  Darstellung  Böhringer*s  i) 
gegenüber  für  nothwendig  hielt.  Ich  habe  aus  dem  zweiten  Grunde 
mich  darauf  beschräukt ,  so  weit  ich  es  Termochte,  die  innere  Berech- 
tigung des  Auftretens  Wycliffe*s  nachzuweisen.  Die  Behandlung  des 
so  merkwürdigen  Gegenstandes  durch  die  Engländer  bewirkte  neue 
Schwierigkeiten.   Da  müssen  alle  Gönner  und  Freunde  Wycliffe's« 
welche  von  dem  Geiste»  dem  Patriotismus,  der  Gelehrsamkeit  und 
Brauchbarkeit  des  Mannes  sich  angezogen  fühlten  und  keine  Lust 
hatten,  ihn  ausserhalb  Englands  schaffen  und  dort  verurtheilen  zo 
lassen,  Wycliffiten ,  Anhänger  seiner  Lehre  gewesen  sein ,  oder  wie 
man  dieses  hinstellte,  Zeugen  evangelischer  Wahrheit  eines  Zeitalter 
der  Finsterniss.  Wycliffe*s  religiöses  System  entwickelte  sich  nicht 
mit  einem  Male;  der  Trialogus  wurde  nicht  bei  seinem  ersten  Auf- 
treten, sondern  am  Abende  seines  bewegten  Lebens  geschriebeo. 
Gar  viele  von  seinen  wichtigsten  Sätzen  sind  gewiss  nur  von  gelehr- 
ten aber  nicht  von  seinen  ritterlichen  oder  fürstlichen  Freunden  ver- 
standen worden  und  die  Eucharistie  zum  Hohne   der  katholischeD 
Kirche  mit  Austern  zu  essen,  wie  es  einer  der  ersten  that,  ist  jeden- 
falls noch  kein  Beweis  evangelischer  Gesinnung.  Wenn  ferner  die 
Cardinäle  das  Recht  hatten  •  das  unheilvolle  Schisma  der  Päpste  za 
erzeugen,  zuerst  der  Welt  anzukündigen,  sie  hatten  auf  Antrieb  des 
heiligen  Geistes  Papst  Urban  VI.  gewählt,  um  dann  wieder  auf  Antrieb 
des  heiligen  Geistes  Urban  VI.  abzusetzen ,  Clemens  Vli.  zu  wählen 
und  aus  Italien,   dessen  Weine  den  französischen  Cardinälen  nicht 
mundeten,  dessen  Fische  französischen  Mägen  nicht  behagten  und 
dessen   Luft  ihren  Respirationsorganen   schädlich   war,    nach  den 
Fleischtopfen  von  Avignon   zurückzukehren,  so  hatte  Wycliffe  ein 
Recht  und  nicht  er  sondern  auch  wir  Alle,  dieses  Treiben  (ur  sehr 
unrecht  zu  erklären  und  die  vermeintliche  „Impeccabilität**  der  Päpste 
als  lächerlich  zu  bekämpfen.  Wie  er  auch  ganz  Recht  hatte ,  weun 
er  den  thörichten  Kreuzzug  des  Bischofs  von  Norvich  gegen  Cle- 
mens VII.  als  das  darstellt,  als  welches  er  sich  erwies,   als  ein 
kopfloses  Unternehmen.  Überhaupt  muss  Wycliffe  anders  aufgefosst 
werden  als  bisher,  er  wie  Huss  müssen  von  der  PastorenanschauoDg 


0  Die  Vorrerormatoren  de$  XIV.  und  XV.  Jahrhunderts.  Bd.  IV,  f. 


Anna  von  Luiemburg^  etc.  82 1 

emancipirt  werden.  Wycliff  tritt  auch  in  der  That  ganz  anders  her- 
vur,  seit  sicher  ist,  dass  die  Schrift:  the  last  age  of  the  world  nicht 
von  ihm  ist,   er  kein  sentimentaler  Schwärmer  war,    sondern   ein 
höchst  klarer,  scharfsinniger  und  berechnender  Kopf.  Wenn  sich  nun 
zeigt,  dass  sein  Ausgangspunkt  in  dem  Nachhalle  des  grossen  Streites 
der  Verbündeten  Kaiser  Ludwig  des  Baiern  gegen  Johann  XXII.,  der 
Minoriten^  zu  suchen  ist,  seine  reformatorischen  Principien  sehr  stark 
an  die  Francesco^s  d'Assisi  erinnern;  dass  nach  jedem  noch  so  hefti- 
gem Angriffe  gegen  die  Kirche,  ihre  Lehre  und  Einrichtungen,  regel- 
massig  eine  Unterwerfungsformel  folgte,  —  er  unterwerfe  sich  nicht 
nur  der  Autorität  sondern  auch   der  Besserung  (correctioni)  der 
Kirche;  —  dass  sein  nöchterner  Sinn  bis  gegen  das  Ende  seiner  Tage 
regelmässig  vorzog,  sich  in  Conflicten  mit  der  Kirche  durch  zeit- 
gemfisse  Unterwerfung  zu  retten,  als  durch  das  Entgegengesetzte  dem 
Kerker  oder  gar  dem  Tode  zu  verfallen,  so  mag  er  dadurch  etwas  an 
dem  Nimbus  seiner  Heiligkeit  verlieren,  aber  wie  ich  glaube  an  histo- 
rischer Wahrheit  um  so  mehr  gewinnen.  Die  Frage ,  ob  er  das  Bis* 
tbum  Worcester  zu  erlangen  strebte  und  die  Verweigerung  desselben 
auf  seine  Handlungsweise  einen  Einfluss  gewann,   habe   ich  nicht 
weiter  erörtert.  Dass  er  hundertfach  würdiger  gewesen  wäre,  als  so 
mancher  englische  Bischof  jener  Zeit,  von  welchen  Einer  nicht  einmal 
die  lateinischen  Formeln  bei  seiner  Inthronisation  nachbeten  konnte, 
wird  wohl  Niemand  leugnen  wollen.    Möglich  auch  dass,  wenn  er 
Bischof  geworden  wäre  „vom  erhabenen  Pfuhle**  die  kirchliche  Welt 
sich  ihm  vielfach  anders  dargestellt  hätte,  als  von  der  Ebene  aus, 
von   der  er  zu  den  Bergen  hinanblicken  musste.  Mir  seihst  ist  noch 
niemals -die  Tragweite  der  geistigen  Bewegung  unter  Kaiser  Ludwig 
so  klar  geworden  als  bei  diesen  Studien.  Frfih  oder  später  musste, 
als  die  Kirche  auf  dem  Punkte  stand ,  den  Staat  im  Allgemeinen  zu 
verschlingen,  wie  sie  das  Imperium  verschlungen  hatte ,  jedes  katho- 
lische Land,  fast  jeder  Einzelne  eine  Stellung  zu  der  Hauptfrage  der 
Zeit,    die  Berechtigung  des  kirchlichen  Besitzstandes   und  ob  der 
wahre  Christ  nicht  in  Armnth  zu  verweilen  habe,  nehmen,  wie  wir  in 
unseren  Tagen  plötzlich  eine  Frage  auftauchen  sahen,  der  gegenOber 
auch    jeder  Denkende   eine  eigene  Überzeugung  gewinnen   muss. 
England  hatte  unter  den  Wirren  in  den  Tagen  Eduard*s  II.  und  in 
den  Kriegen  Eduard*s  III.»  welche  die  Nation  ganz  in  den  Racenkampf 
mit  Frankreich  hineinzogen ,  verabsäumt,  an  den  grossen  geistigen 


822  Uöfler 

Kämpfen  den  ihm  gebührenden  Antheil  zu  nehmen.  Es  war  selbst 
durch  die  noch  immer  niclit  gelöste  Abhängigkeit  seiner  Krone  vom 
päpstlichen  Stuhle  ein  Zwitter  geworden.  Der  Tag  musste  kommen, 
an  welchem  der  lang  aufgehäufte  Stoff  von  Zerwürfnissen  jeder  Art 
seine  Bewältigung  gebieterisch  verlangte.  Freilich  war  die  Ausein- 
andersetzung dann  um  so  schwieriger,  je  länger  sie  verschobeu 
worden  war. 

Unter  diesen  Verhältnissen  tritt  die  WyclifB'sche  Bewegung  als 
eine  echt  englische  hervor;  ihr  Urheber  wusste  ihr  aber  eine  allge- 
meine Bedeutung  zu  geben,  während  sein  cechischer  Nacheiferer 
aus  der  allgemeinen  eine  cechisch -nationale  machte  und  da- 
durch ihren  Wirkungskreis  selbst  verengte.  Hat  sich  mit  letzterem 
der  eigenthümliche  Nimbus  des  Martyriums  verbunden,  der  bis  zum 
heutigen  Tage  die  nationale  Feindschaft  vergessen  machte,  deren 
Träger  er  war,  so  übertraf  ihnWyclifle  bei  weitem  an  Genialität,  Wissen 
und  Eloquenz.  Diese  Eigenschaften  bewirkten  auch,  dass  die  Anhänger 
des  Huss  ihn,  den  Teutonicus,  wie  man  ihn  seiner  Abkunft  nach  als 
Angelsachsen  bezeichnete,  als  fünften  Evangelisten  verehrten,  in  seinen 
Bahnen  die  Führer  des  cechischen  Volkes  sich  bewegten.  Mau  konnle 
sagen,  die  grossen  Erfolge  des  Einen  knüpfen  sich  an  seinen  Tod, 
die  des  Andern  an  sein  Leben  und  seine  geistige  Thätigkeit  au.  Nur 
ist  es  im  hohen  Grade  auffallend ,  dass  über  die  geistige  Bedeutung 
Wyciiffe's  auch  seine  entschiedensten  Gegner  Nichts  sagen  können, 
was  sie  zu  beeinträchtigen  vermöchte.  Man  hasste  ihn,  aber  sein 
Scharfsinn,  seine  Kühnheit,  seine  Gelehrsamkeit  imponirten.  Hau 
konnte  seine  Gebeine  verbrennen ,  aber  es  blieb  das  Andenken  einer 
bedeutenden  Persönlichkeit  zurück  und  der  höbe  Clerus  beeilte  sich 
unter  Heinrich  V.  England  aufs  Neue  in  den  französischen  Krieg  zu 
stürzen,  um  dadurch  der  noch  immer  drohenden  Bewegung  zu  ent- 
gehen. Nur  diejenigen  enthoben  sich  Wycliffe  zu  achten,  welche  au 
die  Aufrichtigkeit  seiner  Unterwerfungen  nicht  glaubten!  Anders  «ar 
es  mit  Huss ,  welcher  wie  durch  einen  Zauber  festgebannt ,  sich  in 
Wycliffe*s  Bahnen  als  Nachtreter  bewegte.  Die  Achtung  vor  ihm 
schwand  auf  der  Versammlung  der  gelehrtesten  und  ausgezeichnetsten 
Persönlichkeiten  Europas  immer  mehr.  Ich  erinnere  mich  nicht,  d-dss 
Jemand  gegen  Wycliffe  den  Vorwurf  schleuderte,  wie  es  gegen  Johann 
von  Hussinetz  und  Hieronymus  von  Prag  in  Constanz  geschah,  dass 
wenn  der  Eine  auch  nicht  dem  Trünke  noch  fleischlichen  Ausscbwei- 


AniiM  Viin  Luxttinburg  etc.  o23 

fungeil  ergeben  war,  der  Andere  Kenntnisse  kesass  (sciolus  war),  sie 
denn  doeh  Bauern  (oder  bäuerisch)  seien  und  zu  Mordthaten  Ver^ 
anlassung  gegeben  hatten  i).  Selbst  bei  Gelegenheit  des  Bauernauf- 
standes im  Jahre  1381  wagte  man  es  nicht,  solche  Dinge  gegen 
W  ycliffe  vorzubringen,  wie  sie  am  30.  Mai  1416  in  Constanz  ausge- 
sprochen wurden.  Sie  bewiesen,  dass  der  Eindruck,  welchen  diese 
Männer  auf  dem  Concil  machten,  ein  anderer  war,  als  man  uns 
glauben  machen  mochte  und  dass  die  Anschauung  Foggio's  von 
Hieronymus  nicht  von  Allen  getheilt  wurde. 

Die  drei  Persönlichkeiten,  König,  Königin  und  Johann  von 
Wycliffe  in  das  richtige  Licht  zu  stellen  und  die  Schatten  zu  ver- 
theilen,  wie  das  strenge  Gesetz  historischer  Forschung  es  gebietet, 
war  an  und  für  sich  Aufgabe  genug  und  ich  bin  froh,  wenn  ich  sie 
würdig  löse.  Dazu  kamen  nun  die  schweren  Verwicklungen  der  Zeit, 
der  Bauernaufstand  und  die  nahe  bevorstehende  Umwandlung  des 
Fundamentes  der  englischen  Verfassung,  endlich  der  grosse  innere 
Kampf,  welchen  die  böhmische  Helena  veranlasste  und  der  zur  Ge- 
rangennahme  des  Königs  und  der  Königin,  zur  Hinrichtung  ihrer 
Getreuen,  zur  Sprengung  des  königlichen  Hofstaates  führte  —  ein 
tragisch-ergreifender  Vorgang,  welcher  zwischen  der  glücklichen 
Jugend  und  einer  kummervollen  Zukunft  einen  breiten  Blutgraben 
Zug.  Dann  der  Ernst  der  nächsten  Jahre ,  die  weitreichenden  staats- 
rechtlichen Erklärungen,  welche  dem  päpstlichen  Staatensysteme,  in 
wie  ferne  es  auf  England  ausgedehnt  war,  ein  Ende  bereiteten,  der 
neue  Aufschwung  friedlichen  Glücks  und  sein  plötzliches  Erlöschen 
durch  den  unvermutheten  Tod  der  Königin ,  welcher  den  Eintritt  der 
unheilvollen  Periode  Richard 's  II.  bezeichnet,  ein  reicher  Wechsel 
fröhlicher  und  kummervoller  Tage,  wilder,  grausamer  Scenen  und 
glänzender  Feste,  kirchlicher  und  socialer  Zerwürfnisse,  parlamenta- 
rischer Kämpfe,  roher  Ausbrüche  des  Faustrechts,  grossartiger  Pläne 
und  schwer  getragener  Ernüchterung,  in  wenigen  Jahrzehnten  ein 


O  qvanti  mali  fuit  radix  horum  duoniin  ratticorum  priie»uintio  —  viles  plebi^i 
infimi  ortiuque  igaoti.  LeUterei  galt  natfirlich  Tor  AUem  Hum,  wihrend  der  Vorwurf 
homicidia  procoraM«  vor  Allem  dem  Hieronymus,  aber  auch  Hiisdrücklich  dem  Huss 
galt. 

Jacobi  epUcopi  Laudenais  publica  oratio  is  supplicium  Hieronjrmi.  Ap.  Van  der 
Uardt  rerum  coBcilil  Oeciimenici  Contt.  II,  p.  S9. 


824  Höfler,  Anna  Ton  Laxemburg. 

Stuck  Weltgeschichte  voll.  Spannung,  Leben  und  Interesse.  So  drin- 
gen sich  mit  einem  Maie  die  Fäden  merkwürdiger  Begebenheiten  an 
dem  Hofe  des  kinderlosen  Königs  zusammen.  So  bricht»  weniger 
unter  der  Schwere  eigener  Schuld  als  der  von  Aussen  hereingetra- 
genen die  Primogeniturlinie  Eduards  III.  in  sich  selbst  zusammen. 
So  bildet  sich  unter  Richard  11.  der  Anfang  jener  blutigen  Zerwürf- 
nisse,  die  das  XV.  Jahrhundert  hindurch  England  zu  keiner  Ruhe 
mehr  kommen  lassen  und  das  Haus  Plantagenet  seinem  Untergange 
zuführten. 


H  o  f  m  •  n  n  ,  Über  den  Verlobangs-  ond  den  Trauring.  825 


Über  den  Verlobiings-  und  den  Trauring. 

Von  Dr.  F.  Hofmann, 

Privatdocenten  in  Wien. 

f  i. 

Das  Problem. 

Seit  Jahrhunderten  ist  bei  allen  germanischen  Völkern  Ring- 
wechsel das  feierliche  Zeichen  des  geschlossenen  Eheverlöbnisses,  i) 
Heute  gehört  der  Ringwechsel  zum  feststehenden  Ceremoniell  einer 
jeden  Trauung,  während  bezüglich  der  Verlobung  eine  so  all- 
gemeine Sitte  nicht  herrscht.  Mit  diesem  feierlichen  Akte  verbinden 
wir  die  Vorstellung,  dass  der  ernstliche  Wille  der  Betheiiigten ,  ein- 
ander anzugehören,  mit  einander  verbunden  zu  sein,  symbolisch  mani- 
festirt  werden  soll.  In  diesem  Sinne  tauschen  sie  Ringe  aus;  und 
zwar  in  der  Regel  goldeneRinge,  —  nicht  des  Schmuckes  wegen, 
sondern  weil  der  Ring  das  Zeichen   eines  feierlichen  Gelöbnisses, 
der  verpfändeten  Treue  ist,  und  auch  das  Gold  Treue  und  Wahr- 
haftigkeit bedeutet.   Auf  goldene  Ringe  legte  der  alte  Skandinavier 
den  feierlichsten  Eid  ab  <) ;  auf  goldene  Tafeln  schreibt  die  Asynie 
Var  die  Eide  der  Menschen,   namentlich  die  Versprechungen  der 
Treue,  welche  Mann  und  W^eib  einander  machen  s);  „rein  und  echt 


<)  Grimm,  R.  A.,  S.  177. 

')  Grimm,  R.  A.,  II.  HSIfle,  8.  895  fg.  Der  Schwörende  fasste  ^in  SkandinaTi'en 
....  einen  im  Tempel  bewahrten,  vom  godi  dargebotenen,  mit  Opferblnt  geröthe- 
ten  Ring,  der  dem  Gotte  Ullr  geweiht  war;  daher  schwören   «at   hringi  Ullar" 
.  .  .  ."  (Folgen  Belegstellen.) 
')   Damm  ruft  FVithiof,  als  er  ron  Ingeborg  sieh  betrogen  glaubt: 

»Da  höga  Var, 
som  med  din  grilTel  kring  jorden  far 
och  $krif»er  eder  pS  gyÜne  tkifvü^ 
lit  bli  det  narrspei,  lit  bli  at  skrifva. 

SiUb.  d.  phil.-hist  Cl.  LXV.  Bd.  IV.  Hft.  55 


o20  H  o  f  m  a  n  n 

wie  Gold**  nennt  der  Volksmund  einen  zuverlässigen  Charakter.  So 
vereinigen  sich  beim  Goldring  Stoff  und  Form  zu  einer  symboli- 
schen Bedeutung,  die  sich  ebenso  mit  der  Wahrhaftigkeit  des  feier- 
lichen Versprechens,  als  mit  der  Treue  der  Neigung  in  VerbinduDg 
bringen  Idsst. 

So  allgemein  nun  jene  Sitte,  so  naheliegend  diese  Deutung  ist, 
so  ist  doch  jene  keine  einheimische,  und  diese  nicht  die  ur- 
sprüngliche. Vielmehr  ist  die  Beringung  mit  dem  Christenthume 
nach  Mittel-Europa  gedrungen,  und  die  Erklärung  für  die  ursprung- 
liche Bedeutung  des  Ringes  ist  nicht  in  dem  ethischen  Gehalte  der 
Ehe,  sondern  in  der  Form  des  Frauenkaufes  zu  suchen.  Beides 
zu  erweisen,  ist  die  Aufgabe  dieser  Untersuchung. 

§.2. 

Der  Frauenkauf. 

»Die  eheliche  Gewalt  ist  auf  niederen  Reehtsstufen 

nur  die  auf  eine  Rechtsregel  gebrachte  Übermacht  des  stärkeren 
Theiles''  <).  Das  Weib  ist  ^die  Magd»  das  Lastthier  des  Mannes  und 
sein  Eigenthum^  *).  Entweder  wird  es  einem  fremden  Stamme  durch 
Eroberung  oder  Raub  entrissen«),  oder  es  wird  innerhalb  dts 
eigenen  Stammes  gegen  Entgelt^)  erworben.  Die  Erinnerung  an 
diese  Urzustände  erhielt  sich  lange  in  Sagen  ^)  und  in  dem  Ceremo- 
niell  der  Eheschliessung«). 


Med  Idgner  rittiir  da  skifvan  füll, 
det  skada  Ir  pa  det  trogna  guiit' 
(TegD^r '•  Frithiof  Saga,  XU,  v.  127^182.) 

<)  TreBdelenburg,  Natorrecht  auf  dem  Gninde  der  Bthik,  8.  258. 

«)  6.  Rlemm,  Allgen.  Culturgeschichte  der  Mestchheit,  I,  S.  2ä5. 

')  So  heute  noch  bei  maschen  Stimmen  Neuhoilanda:  Klemm  III,  S.  288. 

^)  Dem  Vater  werden  fSr  die  Tochter  Werthgegenatinde ,  DtenatleiatuBfen ,  «piter 
Geldsummen  gewihrt. 

*)  Z.  B.  Raub  der  Sabinerinnen.  Herodot*»  Geschichtswerk  beg^innt  mitSa^en  iber 
Weiberraab  (1,  c  1 — 6).  —  Auf  wirklichem  Raub  beruht  die  Raxasa-Ehe  der  la- 
der (Rossbach  Unters,  üb.  d.  röm.  Ehe,  8.207  fg)  (Kalthoff  Jos  matr.  ▼«(. 
Indor.  p.  29). 

^)  Scheinranb  findet  sich  unter  den Hochseitgebriuchen  der  Römer  (Roaabach. 
Unters,  fib.  d.  röm.  Ehe,  8.  328  fg.),  der  Spartaner  (SchÖmann,  griech. 
Altert.  2.  Aufl.  I,  S.  274),  der  alten  Slaren  (Maciejowski,  slarisehe  Reeht»- 
gesch.  11,  f.  189)  und  der  Beduinen  (Klemm  IV,  S.  148).  Noch  riel  bSsiger 
ist  der  Schein  kauf  als  Form  der  Eheschliessung  (s.  Text). 


über  den  Verlobung^-  und  den  Trauring.  827 

Während  der  Frauen  raub  dem  erwachenden  sittlichen  Be- 
DTusstaein  weichen  muss,  erhält  sich  der  Braut  kauf?)  sehr  lange, 
weil  seine  Bedeutung  sich  der  steigenden  Gesittung  anzupassen  ver- 
mag. Anfangs  vom  Sclavenkauf  wenig  verschieden ^  ergreift  er  das 
Weib  als  willenloses  Objecto  das  dem  Vater  vom  Hanne  abgekauft 
wird,  der  es  seinerseits  wieder  verkaufen  kann 8).  Hier  geht  die 
Verehelichung  im  Kaufe  auf.  Sobald  aber  eine  würdigere  Auffassung 
der  Ehe  sich  geltend  macht,  erscheint  der  Kauf  als  etwas  Neben- 
sächliches, Äusserliches,  das  auf  die  Wahl  der  Verbindung  keinen 
Einfluss  haben  kann.  Anfangs  eine  Art  Entschädigung,  welche  dem 
Vater  für  den  Verlust  geleistet  wird,  den  er  in  wirthscbaftlicher*) 
und  gemüthlicher  Beziehung  erleidet,  wird  der  Kaufpreis  später  zum 
blossen  Zeichen,  dass  die  Gewalt  über  die  Braut  vom  Vater  auf 
den  Mann  übergehe:  aus  dem  wirklichen  Kaufe  wird  ein  Schein- 
kauf, eine  Soleonität  von  juristischer  Bedeutung. 

Das  Weib  wird  vom  Manne  ihrem  Vater  abgekauft.  Mit  grosser 
Wahrscheinlichkeit  kann  man  behaupten,  dass  dies  die  ursprüngliche 
Art  der  Eheschliessung  war  bei  allen  Völkern  aller  Rassen. 

Noch  heute  finden  wir  diesen  Kauf  in  ganz  sächlicher  Auffas- 
sung bei  den  verschiedensten  Stämmen  Nord-  ^o)  und.SOd- Ameri- 
kas ^i),  Afrikas«')  und  Polynesiens i>).  Nach  der  vorange- 
j>cfiickten  Bemerkung  kann  es  nicht  befremden,  dass  auch  in  der 
alten  Heimat  der  Cultur  iex  Brautkauf  ganz  allgemein  ist  oder  doch 
war.  Noch  heute  kennt  ihn  das  ganze  mohamedanische  Mor- 


^)  So  nenne  ich  der  Körae  wegen  den  Erwerb  der  Braut  gegen  Entgelt  (s.  Mr.  4). 
®)   Dieses  Verkaofsrecht  bestand   bei   den  Chinesen   (Unger,   die  Ehe  in   ihrer 
welthistorischen  Entwicklng,  S.  16),  bei  den  Rassen,  welche  noch  1024  bei 
einer  Hnngersnoth  in  Sosdal  dayon  Gebrauch  gemacht  luben  (E  wers  Studien  fiber 
die  Voneit  Russlands,  S.  11),  bei  den  Germanen  (Wein hold,  die  deutschen 
*-   Frauen,  S.  209,  Nr.  3).  Eine  Spur  daron  ist  ,Jener  bei  dem  gewöhnlichen  Volke 
(in  England)  noch  immer  nicht  ausgetriebene  Glaube,  ^»»  der  Mann  seine  Frau 
rerfcaufen  kdnne**.  (Priedberg,  das  Recht  der  Eheschliessung,  S.  45,  Nr.  4.) 
Vgl.  Globus,  IUI.  Jahrg.  S.  32. 
*)   So  lange  jeder  Hausgenosse  eine  Arbeitskraft  darstellt. 
^•)   Klemm,  U.,  S.  79.  Vgl.  Globus  (Ztschft.  f.  Linder-  und  VöUerkunde)  XIV, 

S.  i«S. 
ti)  Klemm,  I.  S.  235,  II.  S.  75. 
<S)  Klemm,  in.  S.  260. 
1')  Klemm,  IV.  8.  300. 

55- 


828  H  o  f  m  •  n  0 

genlandi«)  und  die  hinterasiatische  Welt,  namentlich  China i&) 
und  Japan  1«).  Auch  bei  den  Juden  wurde  die  Ehe  durch  einen 
Kauf  hegründet,  der  später  zu  einem  symboh'schen  Akte  ward  «'').  Im 
Hebräischen  und  Syrischen  bedeutet  dasselbe  Wort  (machar) 
verkaufen  und  verheiraten,  weil  dem  Brautvater  ein  Preis,  eine  Gabe 
(hehr.,  syrisch  und  arab.  mohar  =»  l^vov)  gegeben  wurde.  Bei 
den  Indern  war  dieser  Kauf  einst  ganz  allgemein;  später  kam  er, 
zuerst  bei  den  Brahmanen,  ab.  Von  den  acht  Formen  indischer  Ehe- 
schliessung ist  die  Asura-Ehe  ein  wirklicher,  die  Arscha*Ehe  ein 
symbolischer  Kaufes).  Von  den  Babylon iern  berichtet  H^odot 
(l,  196)  und  von  den  Assyriern  Alian  (var.  bist.  IV,  1),  die  Mäd- 
chen seien  in  öffentlicher  Versteigerung  zu  Hausfrauen  verkauft  wor- 
den. Bei  den  Griechen  wurde  „in  der  Urzeit  die  Frau  gekauft, 
später  wird  dieser  Kauf  zum  Symbole,  endlich  erlischt  er  völlig''  <*). 
„Dass  die  Braut  vom  Vater  oder  }L(jpiog  erkauft  wurde,  war  gewiss 
im  alten  Italien  ebenso  Sitte,  wie  in  Griechenland  und  fast  Qber^ 
alh*<»).  Dieselbe  Erscheinung  kehrt  bei  den  alten  Germanen 
wieder.  „Die  Skandinavier,  die  Angelsachsen,  die  Friesen,  die  Nieder- 
Sachsen  stimmen  hierin  mit  den  Alemannen,  Franken  und  Lango- 
barden überein.  Sie  unterscheiden  sich  nur  dadurch,  dass,  während 
der  Kauf  bei  dem  einen  Volke  noch  ein  wirkliches  Geldgeschäft  ist 


<^)  Pert«r,  Türken  u.  ».  w.  (Rlemni)  VII.  109  f|^.) 

1^)  Ed.  Reich,  Gesch.  des  ehe].  Lebens,  S.  190;  Klemm,  VI,  S.  106,  107.  Eia 
eigentlicher  Kaufpreis  wird  heute  nur  unter  Personen  niederen  Randes  ge- 
zahlt ;  in  den  höheren  Schichten  der  Gesellschaft  ist  der  Rauf  nur  eine  ForaanlitXt. 

!•)  Klemm,  VI,  S.  515. 

^7)  Genesis  34,  v.  11,  12;  Exodus  21,  r.  7;  22,  v.  16,  17t  da«  Entgelt  konnte 
auch  in  Dienstleistungen  bestehen:  Genesis  29,  v.  15 — 29;  I,  Sannel.  IS* 
T.  25 — 27.  —  Über  das  heutige  Recht  s.  Mendelssohn,  Ritualgesetse  der  Jndea 
(Ausg.  T.  lt78)  S.  93  fg.;  Friedberg  S.  20,  Nr.  1. 

^S)  Rossbach,  8.  199  fg.,  8.206,  210.  Vgl.  Kalthoff,  Jus  matrimonii  Tetenm 
Indoruro  (1829)  p.  29  (die  |,Rishia  formula*  und  die  »Asnria  fonnnln*).  Seia 
Widerspruch  auf  p.  54  erkürt  sich  daraus ,  dass  er  dabei  an  einen  sehimpflieh«« 
Handel  mit  den  eigenen  Töchtern  denkt. 

1»)  Rossbaeh,  8.  212.  —  Aristot.  Polit.  II,  5,  11:  rort  ol  "EkXfrn^  xod  rig 
l^jvalxag  ieovoOvro  irop'  aXXi^Xojv.  In  der  homerischen  Zeit  waren  di«  i^a  oft 
sehr  bedeutend,  der  Preis  also  noch  nicht  symbolisch:  Rossbaeb,  S.  220; 
Schömann,  grieoh.  Alterth.  (2.  Aufl.)  I,  S.  52 ;  Hermann,  griech.  P.  A.  $.  30, 

20)  0.  Müller,  Etrusker  I,  S.  386. 


über  den  Yerlobnng^s-  und  den  Trauring.  8  2!  9 

«r  bei  dem  anderen  zum  Symbole  geworden^  **).  Dasselbe  wieder- 
holt sich  bei  den  Galliern  »)  und  den  alten  Slaven  «a). 

Diese  Daten  gentigen  zur  Begründung  der  obigen  Behauptung. 
Sie  zeigen»  wie  bei  den  minderbegabten  Stammen  heutiger  Zustand 
ist,  was  bei  den  langlebigen  Culturvölkern  langst  der  Vorzeit  an- 
gehört. So  wird  uns  hier  das  Nacheinander  der  Geschichte  durch 
das  Nebeneinander  der  Ethnographie  yeranschanlicht. 

§.   3. 

Der  römische  Frauenkauf. 

In  patriarchalischen  Zuständen  erscheint  jedes  Hauswesen  als 
ein  kleines  Reich,  in  welchem  der  Hausherr  unbeschränkter  Uerr^ 
scher  ist.  So  gab  es  gewiss  auch  in  Rom  eine  Zeit,  in  der  familia 
and  bona,  potestas  und  dominium  noch  nicht  unterschiedene  Begriffe 
waren,  vielmehr  alle  zu  einer  Wirthschaft  gehörigen  Personen  und 
Sachen   gleichmSssig   der   manus    des  pater  familias   unterlagen  t). 
Wenn  eine  Person  oder  Sache  aus  der  Herrschaft  des  Einen  in  die 
des  Anderen   gelangen   soll,   so   giebt   der  Letztere  dem  Ersteren, 
dessen  Machtgebiet  dadurch  geschmälert  wird,  einen  Ersatz.    Von 
diesem  Standpunkt  aus  erscheint  der  Brautkauf  als  etwas  Selbstver- 
ständliches, und  unbedenklich  dürfen  wir  annehmen,  dass  er  auch  bei 
den  ältesten  Römern  bestanden  habe  <).    ^Was'  in  den  Priyatkreis 
eines  Römers  eintrat,  wusste  der  einfache  und  ungelenke  Rechtssinn 
der  alten  Zeit  nicht  anders  rechtlich  zu  stellen,  als  dass  er  es  als 
Rechtsobject  verstand :   auch  die  Gattin,  so  würdig  ihr  Walten  im 
Haus    und   am  Heerd  nach   ehrwürdiger  Vätersitte  war,   erschien 
rechtlich  als  Object  der  Gewalt  eines  Anderen  ..."*).    Eine  schiefe 
Anschauung  ist  es,  welche  obige  Annahme,  als  der  Römer  unwürdig, 
mit  einer  gewissen  Entrüstung  zurückweist.  Selbst  für  eine  gemüth- 


<M  Uoaabach,  S.  19%. 

<<)  Klemm  V1H,S.  2S. 

^')  Ewert,  das  lltaste  Recht  der  Rnaaen,  S.  226  tg;  Ewers,  Stadien  sur  Kennt* 

niaa  der  Vorseit  RuaaUnda,  8.  9;    M aci  ejowski    H.  S.  225  und  8  193,1)1.  235. 

Sparen   des   Braatkavfea    in    kleinrnaaiachen   llochxeitaachenen;    Friedber^, 

8.  20,  N.  1. 
)>  y^L  Knntze,  Cursoa  §f.  56,  57,  83,  89  und  Excurae,  8.  91. 
*)  S.  auch  Roaabach,  8.  87  fg^.,  8.  251  fg. 
*)  Kuntxe,  Cnrana  8.  609. 


o30  fl  o  f  m  «  n  n 

liehe  Betrachtung  kann  es  nichts  Verietzendes  haben,  dass  der  Mann 
ein  Geldopfer  bringt;  dass  er,  der  sieh  als  den  Gewinnenden  ßhlt» 
dem  verlierenden  Vater  eine  Art  Entschädigung  «)  leistet  Sollen  wir 
Vergleichungen  ansteilen  mit  dem  umgekehrten  Verhältnisse,  das 
bei  so  mancher  modernen  Ehe  stattfindet »)? 

Während  also  dieser  Einwand  sehr  leicht  zu  widerlegen  ist, 
sprechen  für  jene  Annahme  die  gewichtigsten  GrQnde.  Es  ist  an 
sich  unglaublich,  dass  die  Römer  allein  eine  Ausnahme  gemacht 
hätten,  während  die  anderen  Völker,  insbesondere  alle  indogermani- 
schen Völker,  bezüglich  des  Brautkaufes  eine  so  grosse  Übereinstim- 
mung zeigen «).  Um  so  weniger  kann  man  dies  annehmen,  als  die 
coämtio  auf  eine  Zeit  hindeutet^  wo  dieser  Akt  noch  kein  blosser 
Scheinkauf  war.  Ist  doch  auch  bei  den  Griechen,  Germanen 
und  Slaven,  bei  den  Juden,  und  theilweise  auch  bei  den  Chi- 
nesen und  Indern  aus  dem  wirklichen  Brautkaufe  im  Verlaufe 
der  Zeit  ein  symbolischer  Akt  geworden«  Endlieh  stimmen  auch 
die  Nachrichten  über  die  Sponsalien  zu  jener  Annahme. 

Die  Sponsalien. 

Die  Mancipation  war  das  Kaufgeschäft  in  der  ursprQngliehen 
Einfachheit.   An  den  Tausch  sieh  anlehnend,  wird  es  sofort  Zug  um 


^)  Vgl.  Rostbaeh,  S.  145. 

^)  Rotsbach  widmet  jener  Ansicht  eine  aMrfihrliche  Widerlegnng  (S.  89—91),  ie 
der   er  auch   auf  die  Germanen   hinweist,  bei  denen  die  Fraaen  gewist  aidit 
weniger  geachtet  waren,  als  bei  den  Römern.  Man  kann  hincafSgen :   ?Cock  beste 
besteht  emstlieher  Braatkaaf  bei  denTscherkessen,  obwohl  sie  das  wetblieh« 
Geschlecht  nicht  uBwflrdIg  behandeln  (Klemm  IV,  S.  21  fg.);  ebenso  bei  des 
Beduinen,   trots  ihren  bekannten  romantiachen  UebesTerhiltniasen   (Kleas 
IV,  S.  146).    —    Was   das   moderne  Gefahl   wirklich   verletst,  ist  die  Tdllig« 
Gleichgfiltigkeit   gegen  die   Wfinsche  und  Neigvngen  der  Tochter;   und  geraie 
diese  willenlose  PassiWtit  der  Brsat  tritt  noch  Im  Justinianischen  Geaetxbaeh 
(in  der  I.  IZ  D.  ZXIU,  1)  in  so  frappanter  Weise  hervor.    —    Dass  aber  die  Eiters 
ihre  Kinder,  ohne  diese   zu   fragen,  Terbeirateten,  schien  den  alten  Völken  so 
natürlich,   dass  Diodor.  SieuL  (XIX,  33)  es  als  etwas  ganx  besonderes  ersihlt: 
bei  den  Indern  heirateten  die  Leute  nach  eigener  Wahl  anstatt  «des  T^  tw 
«yov^eov  xpienta^  ntmXa^ai  rdv  ^afiov".    —    Über   die  Voraussetrangeo.  unter 
denen   die   indischen  MIdchen  das  Recht  freier  Gattenwahl   (sTayamvara)  bsttes 
8.  R althoff,  p.  60  sq. 

«)  Rossbach,  S.  192. 


über  den  VerlobungS'  und  den  Trauring.  831 

Zug  vollzogen  i).  Das  dingliche  und  obligatorische  Element  liegen 
hier  noch  ununterschieden  beisammen  >).  Als  das  obligatorische 
Element  in  andere  Formen  sich  zurückzog»  wurde  die  Mancipation 
zu  einem  sachenrechtlichen  Formalact.  Sie  konnte  nunmehr  als  so* 
lenne  Übereignongsform  auch  zur  Erfüllung  der  Verbindlichkeit  des 
Verkäufers  verwendet  werden.  Wo  auf  diese  Weise  obligatio  und 
solutio  zeitlieh  auseinander  fallert  sollten»  konnte  die  obligatio  des 
Verkäufers  und  die  des  Käufers  auch  in  der  Form  der  alten 
feierlichen  sponam  sowie  später  durch  Stipulationen,  begründet 
werden  »). 

Vergleichen  wir  nun  damit  die  Nachricht  des  Gellius  (N.  A.  IV,  4) 
über  die  Sponsalien  der  alten  Latiner«): 

Sponsalia  in  ea  parte  Italiae,  quae  Latium  appellatur,  hoc  more 
atque  iure  solita  fieri,  scripsit  Servius  Sulpicius  in  libro,  quem  (in)- 
scripsit  de  doHbusi  „Qui  uxorem**,  inquit»  „ducturus  erat,  ab  eo» 
unde  ducenda  erat,  stibulabatur,  eam  in  matrimonium  daturum; 
(ductum)  iri,  qui  ducturus  erat»  itidem  spondebat »).  Is  contractus 
stipulationum  sponsionumque  dicebatur  'sponsalia'.  Tum,  quae  pro* 
missa  erat»  'sponsa'  appellabatur»  qui  spoponderat  ducturum  'spon- 
sus\  Sed  si  post  eas  stipulationes  uxor  non  dabatur  aut  non  duce-* 
batur,  qui  stipulabatur»  ex  sponsu  agebat.  ludices  cognoscebant 
Iudex»  qnamobrem  data  acceptave  non  esset  uxor»  quaerebat.  Si  nihil 
iustae  causae  videbatur»  litem  pecunia  aestimabat,  quantique  inter- 
fuerat  eam  uxorem  accipi  aut  dari»  eum  qui  spoponderat  [ei,  qui 
stipulatus  erat]  condemnabat^.  —  Hoc  ius  sponsaliorum  observatum 
dicit  Servius  ad  id   tempus,   quo  civitas  universo  Latio  lege  Julia 


^>  KoBtse,  Excursa,  S.  127. 

^)  Malier  IntUtut.   949,  N.  10;  Kar  Iowa,  die  Formen  der  römischen  Ebe  und 

Maaus,  S.  46  tf;, 
^)  Übrigena  Itoaae  aicb  auch  für  ein«  Zeit,  wo  bei  der  mancipatio  noch  wirklich  fir& 

züg^wogtn  wurde,  eine  aolehe  Obligation  als  TorangeheDd  denken.   Dann  wSre  die 

MaDoipation  die  gleichzeitige  ErfSUnng  der  beiderseitigen  Verbindlichkeiten  (dea 

RSnfers  and  des  VerkSttflers)  gewesen. 
^)  Diea«  Notiz  ist  um  so  werthToiler,  als  Gellius  seinen  Gewährsmann  Servins 

S  n  I  p  i  c  i  n  s ,  den  berühmten  Zeit^enoasen  C  i  c  e r o's ,  wörtlich  anfuhrt. 
*)  Anagnbe  von  M.  Herta  (v.  I  p.  142)  Hnschke   restitnirt:    „ipsi   (ipse   ei),   qui 

daturns  erat,  spondebat  ducturum"  (Ztschft.   f.   gesch.  R.  W.  X,  S.  318) ;  wieder 

anders  Lachmann  (s.  ebd.  S.  317). 


832  H  o  f  m  a  n  n 

data  est.  Haec  eadem  Neratius  scripsit  iu  eo  libro,  quem  de  nuptiis 
composuit  •). 

Die  Sponsalien  bestanden  hienach  in  dem  Versprechen  des 
Brautvaters ,  die  Tochter  dem  Promissar  zur  Gattin  zu  geben,  und 
in  dem  Versprechen  des  Letzteren,  sie  zur  Gattin  zu  nehmen.  Wenn 
man  annehmen  darf,  dass  es  eine  Zeit  gab,  wo  der  Vater  die  Hingabe 
der  Tochter  für  einen  (in  Rindern,  Erz.  u.  dgl.  bestehenden)  Preis, 
der  Freier  die  Zahlung  dieses  Preises  ftlr  sie  spondirte,  so  wäre  die 
actio  ex  sponsu  und  die  Geldcondemnation  eine  Reminisceoz  an  jenen 
Zustand. 

Den  Römern  muss,  nach  obiger  Stelle,  ein  solches  Sponsalien- 
recht  zur  Zeit  der  lex  Julia  (a.  u.  664)  fremd  gewesen  sein.  Doch 
darf  man  daraus  keinen  voreiligen  Schluss  für  die  Vorzeit  ziehen. 
Dass  auch  in  Rom  in  alter  Zeit  die  Sponsalien  klagbar  waren  (a.  ex 
sponsu),  beweist  eine  Stelle  aus  Plutarch  (Cato  minor  cap.  7)  ?), 
zusammengehalten  mit  Varro  de  L.  L.  VI,  §.  70  sq.  s)  („non  enim 
si  nolebat  non  dahat »),  quod  yponsu  erat  alligaiusf  quod  tum  et 
praetorium  ins  ad  legem  et  censorium  iudicium  ad  aequom  existima- 
batur**).  Offenbar  spricht  Varro  von  einer  uralten  Sitte;  denn  schon 
zu  seiner  Zeit  (116 — 27  vor  Chr.)  war  sie  lang  ausser  Gebrauch, 
da  er  von  ihr  als  einer  Antiquität  seinen  Zeitgenossen  erzählt: 
„Spondebatur  pecunia  aut  filia  nuptiarum  causa,  nam  et  comoediis 
vides    dici : 


<)  Üher  die  ganze  Stelle:  Huschke  a.  a.  0.  S.  315-326.  —  »Stipolatio*  unä 
^sponsio''  hezeichnen  in  unserer  Stelle  nicht  Terachiedene  Formen,  aonder«  die 
beiden  Seiten  eines  und  desselben  Alites.  Promittent  Ist  ^is,  qni  spopondent*, 
Promissar  „is,  qui  stipuUtus  erat*  (Huschke  8.  318).  —  Höchst  wafamckeialicb 
wird  dieser  I  a  t  i  n  i  s  c  h  e  Akt  Anfangs  auch  eine  sacrale  Bedeutong  gehabt  haben, 
gleich  der  alten  römischen  sponsio.  Gerade  bei  BheTerlöbnissen  U^  dies  nabe. 
Dass  die  Römer  jeden,  der  nicht  römischer  Bürger  war,  für  unfShIg  an  ihrer 
sponsio  erkürten,  hindert  nicht  die  Annahme,  dass  die  Latiner  im  Verkehr«  viiter 
einander  eine  gans  gleiche  Vertragsform  gekannt  bitten.  (A.  M.  Haachke. 
S.  324—326).  Bei  der  nationalen  Verwandtschaft  der  Latiner  and  Römer  iat  dies 
nicht  unwahrscheinlich.  Vgl.  auch  Puchta,  Gewohnheitsrecht  I,  S.  27. 

')  C.   R.   Sontag  de  sponsalibvs  apud  Romanos  (dlss.  inang.  Halae  1860)  p.  21  aq. 
Rudorff  in  PnchWs  Institut  III  f.  258  N.  n. 

^)  Ausgabe  von  Mfiller,  p.  100  sq.    Daxu  Huschke  in  d.  ZtschCl.  a.  gesch.  R.  W. 
X,  327—339  und  Sontag  p.  19.  sq. 

^)  Andere  lesen:   «non  enim,  ii  volebat";  der  Sinn  bleibt  derselbe. 


über  den  Verlobung«*  und  den  Trauring.  833 

Spouden*  tuam  gnatam  filio  uxorem  meu? 

Appellabatur  et  pecunia  et  quae  desponsa  erat,  spoma;  quae 
pecunia  intei*  se  contra  sponsum  rogata  erat,  dicta  sponsio  ....  ^^)^ 
Selbst  wenn  es  wahr  ist,  dass  das  „nuptiarum  causa"  sich  nur  auf 
fih'a,  nicht  auf  pecunia  bezieht  ii);  wenn  wirklich  Varro  von  ganz 
heterogenen  Dingen  in  einem  Athemzug  spricht  und  nicht  von 
einem  Geschäft,  wo  von  einer  Seite  die  filia,  von  der  anderen  Seite 
die  pecunia  versprochen  wurde;  —  selbst  dann  noch  liegt  in  dieser 
Stelle  wenigstens  eine  deutliche  Hinweisung  auf  die  a.  ex  sponsu 
(„sponsu  alligatus")  und  die  Geldcondemnation  („ad  legem**  sc. 
sponsionis;  „quae  pecunia . . .  contra  sponsum  rogata  erat**)  <*).  Und 
auch  diese  Spur  deutet  wieder  auf  eine  Zeit  hin,  wo  es  auch  in  Rom 
wirklichen  Brautkauf  gegeben  hat.  Sehr  frühzeitig  verschwand  der 
wirkliche  Entgelt,  Während  die  alten  Rechtsformen  beibehalten  wurden. 

Diese  Sitte,  die  Töchter  zu  spondiren,  ist  auch  sonst  vielfach 
bezeugt:  Plautus,  Aul.  II.  2;  III,  5,  2;  Curcul.  V,  2,  74;  Poen. 
V.  4,  fin;  Trin.  IL  4,98;  V,  2,  33  fg.*»);  insbesondere  1.  2,  3  D. 
de  spons.  XXIII,  1  (Ulp.  und  Florent.)  Dabei  waren  Anfangs  die 
beiderseitigen  Väter  dieContrahenten*^)  (wie  schon  die  obige  Stelle 
zeigt,  vergl.  Terent.  Afer,  Andria  I,  1,  72 — 78)«*).  Später  war 
der  Bräutigam  selbst  der  Promissar. 

Allerdings  hätte  die  Mancipation  hingereicht,  den  Übergang 
der  Bi*aut  aus  der  Hand  des  Vaters  in  die  des  Mannes  zu  bewirken. 
Doch  mochte  ein  so  unvorbereitetes  Hingeben  der  Tochter  den  Römern 
ebenso  unwürdig  erscheinen,  wie  den  Griechen,  welche  eine  Ehe 
ohne   vorausgegangene  Verlobung  für  eine  Barbarenehe,  unwürdig 


^*)    M  Contra  sponsam  rogaU  videtnr  ea  pecunia,  quam  alter  ab  altero  stlpolatiis  est,  si 

spoDsam  Ule  sibi  non  traderet .  .  .  .*  (Anmerk.  ron  M  G  1 1  e  r  p.  100). 
1 0  H  n  s  c  h  k  e  a.  a.  0.  8.  381 ;  beistimmend  S  o  n  t  a  g  p.  20. 
<*)  A.   M.  H  u  s  c  h  k  e.  Das  Resultat  xu  welchem  er  gelangt  (S.  835  fg.)  scheint  mir 

an  sich  unwahrscheinlich  und  mit  der  Stelle  unrerelnbar.  -—  Vgl.  auch  S  o  n  t  a  g 

p.  14.  sq. 
IS)   Diese  Stellen  sind  sttsammengestellt  bei  Becker  Gallus  (2.  Ausg.)  II,  8.  83. 
1^)   S.   So  n  tag  p.  0   sq.,  auch  Bachofen,  das  Mntterrecht  8.  93,  insbes.  N.  *) 

fanders  Huscbke  S.  384  fg.) 
'i^)   Damus    erklirt   sich   auch   der  Sprachgebrauch,   das«  nicht  nur  rom  künftigen 

Schwiegerrater,  sondern  auch  Tom  Vater  des  Bräutigams  gesagt  wird:  .despondity 

ei  Tirginem"   (Terent.    Hecyra  I,  2,  49,  cf.  Adelphi  IV,  6,  16—17:  Hlcio  ist 

ZiebYater  des  Brintigams.) 


834  H  o  f  m  «  &  n 

eines  Helleneu,  erklärten,  ja  die  iyyOnaig  für  die  Voraussetzung 
einer  rechtmässigen  Eheschliessung  ansahen  *•). 

Parallele  zwischen  Kauf  und  Eheschliessung. 

Nicht  der  materiellen  Bedeutung  und  Behandlung  <),  wohl  aber 
der  Form  nach  gehen  Kauf  einer  res  mancipi  und  Eheschliessung 
ganz  parallel.  Eheschliessung  war  eben  (Anfangs  wirklicher,  spater 
symbolischer)  Brautkauf. 

I.  Nimmt  man  eine  ältere  Gestalt  der  Mancipation  an 
(mit  wirklichem  pretium,  s.  Kuntze,  Excurse  S.  127),  so  enthielt 
diese  die  gleichzeitige  Erfüllung  der  beiderseitigen  Verbindlichkeiten. 
Beim  Brautkauf  wurde  sie  vorbereitet  durch  eine  feierliche 
Sponsin*),  und  auch  beim  Sachenkauf  konnte  dies  geschehen. 
Sponsion  und  Mancipation,  Verlobung  und  Hingabe  der  Tochter  zum 
Weibe  verhielten  sich  wie  obligatio  und  solutio  s). 

IL  An  die  Stelle  der  sacralen  sponsio  tritt  die  profane  stipulatio 
(Kuntze  Exe.  S.  474);  durch  die  Mancipation  in  ihrer  späteren 
Gestalt  (mit  blossem  raudusculum)  erf&Ilt  der  Verkäufer,  bez.  der 


<•)  Klemm  VUl,  84;  Bekker  a.  a.  0.;  Sontag  p.  26;  Rosaback 
S.  21S,  228;  Scbdmanii,  Oriech.  AlterUifin.  li.  S.  AW,  —  Bei  dea  Bornen 
gebot  nicht  da«  Recht,  wohl  aber  die  Sitte  die  Sponialiea  (P  u  c  h  t  a  Inatit.  Ul. 
f.  290.) 

1)  Denn  in  historischer  Zeit  wird  bei  der  Rheschliessung  kein  Preis  gesablt,  dock 
das  raudttscnlum  vertritt  foraeU  die  Stelle  des  pretiam.  Ein  fernerer  Unterschied 
liegt  in  dem  frfihieitig  aufgekommenen  Rechtssats,  data  aua  Sponsalion  nicht  ge^ 
klagt  werden  kann  (Rossbach,  S.  394 ;  über  die  Wandinngen,  die  dat 
rSmische  Recht  in  dieser  Beziehung  dnrcbgeroacbt  hat*  s.  S  o  n  t  a  g  p«  74 — 76.)  — 
Wenn  es  wahr  ist,  dass  die  Braut  selbst  das  raudnscnlom  entgegennahm,  so  lige 
darin  auch  ein  formaler  Unterschied.  Doch  könnte  dies  jedenfalls  erst  in  spiter 
Zeit  anfgekommen  sein  (a.  M.  K  a  r  I  o  w  a  ,  S.  5S — 57,  wo  die  rerschledansa 
Ansichten  zusammengestellt  sind ;  dagegen  s.  über  die  allerdinga  anfaUende  Stell« 
ans  Nonius  Mareellus  anch  Rossbacb,  S.  75  und  S.  376.) 

>)  Ein  sacraler  Ritus :  s.   K  u  n  t  s  e  ,  Cursus  f.  649. 

')  Dass  sponsalia  und  coemtio  Irgendwie  susammenhingen,  hat  anch  schon  G  ö  1 1- 
1  i  n  g  (Gesch.  d.  röm.  Staatsverf.  8.  91)  angedeutet.  Indem  er  die  Sponsalica 
«ein  kleines  Vorbild  der  Coemptio"  nennt.  Der  Ausdruck  ist  doppelsinnig  aad 
Göttling  hat  keine  klare  Vorstellung  über  das  Verhiltniss  gehabt  (irie  denn  sciac 

« 

nbrigen    Bemerkungen    über  die  coemtio,   8.   90->92y   unhaltbar  sind);  es  kann 


über  den  Verlobungs-  und  den  Tranriog.  83 S 

Brautvater,     seine     Verbindlichkeit  ^).    Der    Käufer    erwirbt    das 
dominium,  der  Bräutigam  die  manus. 

III.  Die  Maneipation  bleibt  das  Mittel,  um  das  Eigenthum  an 
der  Sache  (Gaius,  II,  §.  22)  bez.  die  Gewalt  über  die  Braut 
(Gaius,  I,  §.  113)  zu  Übertragen.  Die  Verpflichtung  aber  zur 
Maneipation  (venditio  —  sponsalia)  wird  durch  formloses  Verspre- 
chen begründet  (yergL  einerseits  pr..  §.  1  Inst.  III,  22  und  1.  1  §.  2 
D.  XVIil,  i,  andererseits  I.  4  D.  XXIII,  1). 

Doch  nicht  nur  in  diesem  geschichtlichen  Entwicklungsgange, 
auch  in  manchen  Einzelheiten  tritt  dieser  Parallelismus  hervor.  Der 
praeses  provineiae  darf  während  seines  Amtes,  der  miies,  so  lange 
er  in  der  Provinz  stationirt  ist,  keine  Provinoialin  heiraten;  beide 
sind  in  dieser  Zeit  auch  im  Rechte  Käufe  in  der  Provinz  abzu- 
sehliessen,  beschrankt.  (Vergl.  I.  38-  pr.  D,  XXill,  2, 1.  un.  Cod.  V,  2 
mit  1.  6  §.  3  D.  I.,  16;  I.  46  f  2  D.  XLIX,  14;  dann  I.  63 
D.  XXIII»  2  mit  1.  62  pr.  D.  XVIII,  1).  Doch  dies  sei  nur  nebenbei 
erwähnt,  da  es  nicht  die  formelle  Seite  betrifft,  und  auch  das  legis- 
lative Motiv  in  beiden  Fällen  leicht  einzusehen  ist.  Wichtiger  ist  die 
folgende  Übereinstimmung. 

Bekanntlich  wird  die  arrha  fast  nur  beim  Kaufe  &)  und  bei  den 
Sponsalien«)  erwähnt.  Die  Römer,  welche  diesen  Gebrauch  im 
griechischen  Unteritalien  mochten  kennen  gelernt  haben  ^),  machten 
zwar  die  Perfection  des  Kaufes  nicht  von  der  Übergabe  der  arrha 


daher  nicht  noffiiUen,  dasi  Rossbaoh  (S.  181  f^.)  da«  Richtige  in  jener  Be- 
merliang  fibersehen  hat.  —  Einen  Zuaammenhanp  gibt  in  unbeitimmtem  Ausdruck 
ala  möglich  zu   K  a  r  1  o  w  a   die  Form  der  röm.  Ehe  S.  3. 

^)   B«fm  wirklichen  (Sacben-)Kanf  muM  nun  der  KinflBr  daneben  ein  Pretinm  lahlen ; 

**     beim  symbAliacben  Braut kanf  genSgt  das  raudnaculnm. 

^)  In  einer  griechischen  oft  wiederholten  Definition  des  ap|»aj3cby  ist  nur  rom  Kauf 
die  Rede  s.  8  n  i  d  ■  e  Lexicon  (Aosg.  t.  Gaisford  und  Bemhardy)  I,  683 ;  Tgl. 
den  Thesaurus  ron  Stephanns  (in  der  Bearbeitung  ron  Dindorf  u.  A.)  I,  2, 
eol.  2087. 

<)  Cod.  V,  tit.  1 !  de  sponsslibus  et  arrhis  sponsalitiis  ...  —  Die  Sponsalien  selbst 
werden  ron  den  Spitgriechen  snweilen  appaj3ätivi(  genannt:  „fAv^orpov  6  roO 
7d(iov  ippatßw^  (Hesjch.)  und  Tiele  Andere  bei  8 1  e  p  k  a  n  u  s  I.  c.  zusammen- 
getragene stellen. 

7)  Darauf  deutet  auch  derOmstand  hin,  dass  die  Xlteren  Schriftsteller  (s.  B.  PI  an  tu  s) 
durchweg  den  griechischen  Ausdruck  Marrabo*  gebrauchen;  die  Spiteren  sogen 
das  kfinere  „arra**  vor  (6  e  II  i  u  s  N.  A.  XVII,  2,  21).  Über  die  Rolle  des 
appaßdtv  im  griechischen  RechtsTcrkehrs.    H  o  f  m  a  n  n  ,    Beitrige  8.  104  f|^. 


836  H  0  f  in  a  n  n 

abhängig  (daan  wäre  der  Kaufcontraet  kein  formloser  Vertrag  mehr 
gewesen),  aber  sie  bedienten  sieh  ihrer  gerne  (Msaepe"  1. 35D.XV1I1, 
1)   als   eines   „argumentum    emtionis    et    venditionis    eontraetae*' 
(Gaius  UI,  ^.  139,  pr.  Inst.  III,  23),  damit  der  ernstliche  Vertrags- 
Wille  „evidentius  probari  possit«'  (1.  35  D.  cit);  und  zwar  thaten  sie 
dies  um  so  lieber,  als  eben  bei  formlosen  Verträgen  das  Bedürfniss 
nach  einer  sinnenfälligen  Harkiruug  des  entscheidenden  Zeitpunktes 
sich  oft  fühlbar  macht.  Diesem  genügt  offenbar  jede  noch  so  kleine 
Münze,  jeder  noch  so  geringe  'Gegenstand.  Soll  freilich  die  arrha 
zugleich  eine  factische  Garantie  der  Vertragstreue  sein,  dann  muss 
sie  einen  Werth  haben,  dessen  Verlust  in  Betracht  kommen  kann 9. 
Dass  ein  ungenauer  Sprachgebrauch  arrha  uud  pignus  •}  Ter- 
wechselt  <<»),  erklärt  sich  daraus,  dass  auch  die  arrha  ihren  Zw^eck 
nicht  in  sich  trägt,  sondern  zur  Garantie  für  eine  Verbindlichkeit 
gegeben  wird,  bei  deren  Aufhören  sie  zurückzugeben  ist  *  0-  ^^^^  ^^^ 
in  Geld  bestehende  arrha,   wenn   es  zur  Erfüllung  des  Vertrages 
kommt,  nicht  zurückgegeben,  sondern  eingerechnet  (als  Anzahluog 
behandelt)  wird,  ist  nur  ein  abgekürztes  Verfahren.  Der  Contractu 
brüchige  dagegen  kann  die  arrha  so  wenig  zurückverlangen,  wie  ein 
pignus. 

Auch  bei  den  Sponsalien  begegnen  wir  der  arrha  (a.  spon- 
salitia).  Nicht  von  beiden  Seiten,  nur  vom  Bräutigam  wird  sie  in  der 
Regel  gegeben  **),  gleichwie  beim  Kaufe  nur  von  Seite  des  Käufers. 


*)  Ver^l.  H  o  f  m  ■  0  n  a.  a.  0.  S.  B5  u.  S.  105.  —  Mao  kdonle  diesen  Untereehied 
vieUeicht  mit  dea  Ausdrücken  «formelle  und  materielle  Fnnetioa 
der  Arrha"  bezeichnen. 
*)  Auch  beim  pignns  war  der  ursprfingliche  Gedanke  nicht:  dem  Gläubiger  eia 
Befriedigungsmittel  su  gewXbren,  sondern:  einen  Dmck  auf  den  Willen  dt* 
Schuldners  anssnfiben  (K  u  n  1 1  e  ,  Cursus  f.  5$0).  Auch  heutsutage  tritt  dieser 
Gedanke  noch  hervor,  wenn  Sachen  ohne  Verkanfswerth  (s.  B.  Doctordiplome)  «ver- 
setzt"  werden,  wo  ron  einem  Pfandrecht  im  teckn.  Sinne  keine  Rede  sein 
kann.  Vergl.  damit  H  e  r  o  d  o  t  II.  13tf,  wo  crziblt  wird,  der  ägyptiseke  Konig 
Asychis  habe  zur  Zeit  einer  Geldkrisis  gestattet,  dass  der  Schuldner  den  Leichnan 
seines  Vaters  rerpAnde. 

'®)  Ober  den  Unterschied  ron  arrha  und  pignus  s.    Dernburg,  Pfuidrecht  1. 
8.  99  fg. 

'0  Am  reinsten  tritt  die  Natur  der  arrha  gerade  in  den  seltenen  Pillen  herror,  wo  sie 
in  einer  Sache  besteht. 

<*)  S  0  n  t  a  g  p.  50  sq.  —  Eben  so  war  es  im  Mittelalter;  zahlreiche  BelegsteUen  bei 
W  o  1  f  f  a.  (f.  11,  N.  3)  a.  0.,  p.  S  sq. 


über  den  Verlohnnga-  uod  den  Tmiiringf  837 

Auch  dort  konnte  sie  denselben  Zwecken  dienen  d.  h.  bald  nur  ein 
äusseres  Zeichen  des  gereiften  Entschlusses,  sich  zu  binden,  sein 
{».  <§.  6),  bald  zugleich  eine  Pression  auf  den  Promittenten  bezwecken, 
in  letzterem  Falle  galten  för  sie  die  nämlichen  Vorschriften,  wie  für 
die  arrha  emtionis.  Vergi.  I.  3  Cod.  de  sponsalibus  V,  1 :  ,,Arrhis 
sponsaliorum  nomine  datis,  si  interea  sponsus  Tel  sponsa  decesserit, 
quae  data  sunt  iubemus  restitni**  mit  i.  11  §.  6  D.  de  act.  emti  et 
rend.  XIX»  1  und  I.  2  Cod.  quando  lic.  ab  emt.  disced.  IV,  45 ;  dann 
1.  5  Cod.  V.  1 :  ,»Mulier  iuris  sui  constituta  arrharum  sponsalium 
nomine  usque  ad  duplum  teneatur,  id  est  in  id,  quod  accepit  et  aliud 
tantumdem  .  .  .**  mit  I.  17.  Cod  de  fide  instrum.  IV,  21  ^.  .  .  si  quae 

arrhae  super  facienda  emtione  .  .  .  data  sunt ,  venditionem 

recusans     in    duplum    eas    reddere    cogatur  .  .  .**;     ebenso     pr. 
Inst.  Ill,  23. «»). 

Dass  die  arrha  sponsalitia,  wenn  die  Ehe  zu  Stande  kam»  nicht 
zurückgefordert,  sondern  der  Frau  als  Geschenk  belassen  wurde,  ist 
eine  in  der  Natur  des  Verhältnisses  begründete  Modificatioh,  welche 
den  Begriff  der  arrha  keineswegs  aufhebt i^).  Dass  sie  später  der 
Braut  selbst  gegeben  wurde  und  deshalb  gewöhnlich  in  Schmuck- 
sachen bestand,  darf  uns  so  wenig  beirren,  als  die  Bemerkung  des 
Gloss.  Cavense  »*),  die  „meta**  werde  der  „uxor"  gegeben,  über  den 
germanischen  Brautkauf  Jemanden  irre  führen  wird.  Gewiss  wurde 
ursprünglich  jene  arrha  und  diese  meta  dem  Brautvater  gegeben  <<<). 
Dass  die  arrha  sponsalitia  später  bei  jeder  Ehe  Anwendung  finden 
konnte,  nicht  bloss  bei  einer  durch  sponsio  Torbereiteten  co^mtio, 
kann  nicht  eingewendet  werden  gegen  eine  Untersuchung,  die  sich 
mit  dem  Ursprünge  der  arrha  sponsalitia  beschäftigt. 

Zur  Stützung  der  hier  vorgetragenen  Ansicht  kann  auch  der 
Sprachgebrauch  angeführt  werden.  Für  sponsa  kommt  nämlich 
zuweilen  der  Ausdruck  deatinaia  vor;  destinare  sibi  aliquid  aber 
wird  von  demjenigen  gesagt,  der  etwas  kaufweise  zu  erwerben  beah* 


1')  Vergl.  noch  I.  1  fin.  Cod.  V,  8;  1.  16  Cod.  T,  4;  1.  S  Cod.  V,  1.  —  Über  die  Wand- 
langen des  röm.  Rechte  hinsichtlich  der  arrha  eponsaUtia  s.  8  o  n  t  a  g  ,  p.  40  sq. 
(Tgl.  hier  f.  5,  N.  1). 

'^)   Dien  gegen  8  o  n  t  a  g  ,  p.  48. 

i^j   Bmi    Z  ö  p  f  1  Deutsche  Reehtsgescb.  (3.  Aufl.)  f.  81a,  N.  5. 

'*)  Die  Meta  war  Anfangs  Muntsohatz  (Schröder  I,  S.  26  »g.yf  und  wurde  spiter 
XU  einer  Znwendung  an  die  Braut  (i,  8.  40  fg). 


838  H  o  f  m  «  n  n 

sichtigt  (s.  K.  B.  Cicero  ad  Div.  Vil,  23,  3;  Plautus  Mostel  III, 
1,113),  sohin  auch  Yon  demjenigen,  der  in  solcher  Absicht  eine 
arrha  gibt  (Plaut.  Rudens,  proi.  v.  4S,  Persa  IV,  4,  115). 

Die  Gaben  eines  Bräutigams  können  sehr  rerschiedener  recht- 
licher Natur  sei.  Man  muss  unterscheiden:  1.  die  arrha  sp.  als 
blosses  Zeichen  des  Willens,  sich  zu  binden;  2.  die  arrha  sp.,  die 
durch  ihren  Vermögenswerth  dem  Bräutigam  den  Rucktritt  er- 
schweren soll  <7) :  diese  erscheint  vom  Standpunkt  einer  verfeinerten 
Gesittung  anstössig;  3.  die  donatio  sponsalitia  oder  don.  ante  nup- 
tias, eine  Schenkung  unter  Verlobten,  mit  Rücksicht  auf  die  beab^ 
sichtigte  Ehe  gemacht  (1.  7  Cod.  V,  3).  Bei  der  arrha  (2)  erscheint 
es  als  eine  Modification  (s.  vorne),  dass  sie  oft  nicht  zurückgegeben 
wild;  bei  dieser  donatio  erklärt  sich  die  Bestimniung,  dass  sie  bei 
Auflösung  des  Verlöbnisses  zurückzugeben  ist,  aus  der  L^hre  tob 
der  Voraussetzung;  4.  eine  einfache  gewöhnliche  Schenkung,  ohne 
jene  Rücksichtnahme  (1.  11  Cod.  V,  3);  5.  die  nur  des  Namens 
wegen  hier  zu  erwähnende  donatio  propter  nuptias  (Arndts 
§■  413). 

§.  6. 

Der  anulus  arrhae  und  der  anulus  pronubus. 

Bei  der  Verlobung  gab  der  Bräutigam  der  Braut  einen  Finger- 
ring. Schmucksachen  der  Braut  zu  schenken,  ist  wohl  in  aller  Welt 
Sitte;  aber  so  darf  diese  Gabe  nicht  aufgefasst  werden.  Denn  der 
anulus  pronubus  war  ein  schmuckloser  Eisenreif,  und  zwar  nicht 
bloss  in  der  guten  alten  Zeit  (denn  damals  trugen  die  Römer,  gleich 
den  Spartanern,  überhaupt  keine  anderen  als  eiserne  Ringe  *),  son- 
dern selbst  noch  zur  Zeit  eines  unmässigen  Luxus.  Noch  Pli  ii  ius  >j 
sagt:  „etiamnunc  sponsae  muneris  vice  ferreus  anulus  mittitur,  isque 
sine  gemma"  ').  Also  nicht  um  einen  Schmuckgegenstand  handelt 
es  sich  hier,  sondern  um  ein  Symbol.  Dieses  aber  kann  nicht  die 
Bedeutung  gehabt  haben,  die  wir  heute  mit  den  Verlobungs-  und  den 


^"f)  Zugleich  kann  si«  aber  aneh  den  unter  1.  angegebenen  Zweck  erfiliea. 
<)  Plinius  bUt.  nat.  XZXUI,  1,  4;  Macrob.  SaUrnai.  VK,  c.  13. 
<)  Plinius  1.  c.  (in  der  Anag.  y.  SilUg  rol.  V  p.  64). 
')  Auch  unser  Trauring  ist  ohne  Edelstein  und  Zierrat. 


über  den  VerlobvDga-  nnH  den  TrMurin^.  839 

TrauriDgen  verbiaden.  Denn  sonst  waren  Ringe  gewechselt 
worden,  während  in  Wirklichkeit  nur  der  Bräutigam  einen  Ring 
gab.  Vielmehr  war  der  Ring  eine  arrha  sponsalitia  in  der  ersten 
Bedeutung  (s.  oben)  d.  h.  die  Markiruug  des  Augenblickes,  in  wel- 
chem man  sich  gegenseitig  durch  ernstes  Versprechen  bindet.  Ju  ve- 
nalis  (sat.  VI.  v.  25  sq.): 

Conventum  tarnen  et  pactum  et  sponsalia  nostra 
Tempestate  paras,  iamque  a  tonsore  magistro 
Pecteris  et  digito  pignus  fortasse  dedisti: 
Certe  sanus  eras?  uxorem  Posthume  ducis?. . . 

Tertuiiianus  (Apolog.  cap.  6)  hält  seinen  entarteten  Zeit- 
genossen die  Sittenreinheit  und  Einfachheit  ihrer  Ahnen  Tor,  ron 
deren  Frauen  er  sagt:  „aurum  ^)  nulla  norat,  praeter  unico  digito, 
quemsfonsusoppignor aaset  annulo  pronubo**.  Vgl.  noch  1.36 
§  1  D.  de  donat.  int.  vir.  et  uxor.  XXIV,  1  (Paulus)  und  Isidor. 
Orig.  XIX.  32,  5. 

Also  eine  Arrha  war  ursprünglich  der  Ring  und  zwar  eine 
Arrha  des  symbolischen  Brautkaufes  s).  Es  ist  die  Krönung 
des  oben  nachgewiesenen  Parallelismus,  dass  sogar  dieses  formelle 
Detail,  das  auf  den  ersten  Blick  dem  Verlobungsritus  eigenthümlich 
zu  sein  scheint,  auch  beim  ge  wohnlichen  Kaufe  sich  nachweisen 
lässt  *). 

Bemerkenswerth  ist  es,  dass  wir  auch  diese  Art  von  Arrha 
zuerst  bei  einem  griechischen  ?)  Schriftsteller  erwähnt  finden. 
Aus  einer  Stelle  des  Theophrast^)  ersieht  man  nämlich,  dass  einen 


^}   Richtiger  wäre :   aanulum  nnlla  norat"  (Tgl.  N.  1  und  2). 

*y  Vgl.  GdttlingS.  91:  ....  i^Die  römischen  Sponsaüen,  durch  welche  rorlfiafig 
ein  Monn  ror  der  Ehe  dadnrch  sich  einer  Frau  rersprtch,  daa«  er  ihr  oder  ihrem 

Vater  Oder  Tutor eine   Arrha  gab,   bestehend   in  einem  Geldstficli 

oder  einem  anderen  Geechenke,  t,  B.  einem  Ringe,  weicher  auch  bei  anderen 
Veripreehnngen  in  Gebrauch  war*   .  .  . 

*)  Aneh  schon  Sontag  (1.  c.  p.  48,  75)  hat  auf  diesen  Zusammenhang  kura  hinge- 
wiesen. Mir  war  seine  fleissig  gearbeitete  Dissertations-Scbrift,  deren  Resultaten 
ich  übrigens  nicht  überall  beiiustimmen  vermag,  unbekannt,  als  ich  an  die  Aus- 
arbeHnng  dieser  Abhandlung  gieog. 

7)    Vgl.  hier  f  S,  N.  6. 

9)  Bei  Stobfius  Florileg.  XLIV,  22  (in  der  Ausgabe  Ton  Meineke  rol.  11,  p.  167, 
Z.  31). 


84Q  H  o  f m ■ o  n 

Fingerring  als  Arrha  beim  Kaufe  zu  verwenden  nichts  Seltenes 
gewesen  sein  kann  •).  Dazu  kommen  zwei  Stellen  aus  Ulpian:  die 
I.  5  §  15  D.  de  instit.  act  XIV,  3  (aus  üb.  28  ad  Edictum):  „Item 
si  institor,  quum  oleum  yendidisset,  anulum  arrhae  nomine  aceeperit, 
neque  eum  reddat»  dominum  institoria  teneri, . . .  .quare  si  pignut 
institor  ob  pretium  aeeeperit,  institoriae  locus  erit"  i®);   —   dann 

I.  11  ^.  6.  D.   de  act.  emt  et  rend.  XIX,  1    (aus  1.  32  ad  Edict): 

nis,  qui  vina  emit,  arrhae  nomine  certam  summam  dedit, si 

anulus  datus  sit  arrhae  nominCf  ....''  Wahrscheinlich  gehört 
hierher  auch  die  Notiz  bei  Plinius  n),  dass  hinter  Scipionem 
(Caepionem?)  quoqiie  et  Drusum  ex  anulo  in  auetione  venali  ini'^ 
micitiae  coepere,  unde  origo  socialis  belli . . . " :  denn  dass  der 
Fingerring  Obj  ect  der  Versteigerung  gewesen  sei,  hat  für  jene  Zeit 
(um  das  J.  90  vor  Chr.)  sehr  wenig  Wahrscheinlichkeit.  — Vielleicht 
lasst  sich  hieraus  auch  die  räthselhafte  Stelle  cap.  11  X.  de  praesum. 

II.  23  erklären,  in  welcher  verschiedene  ,»adminicula*  erörtert 
werden,  „quibus  probatur  matrimonium^.  A  behauptet  mit  der  B 
Tcrheirathet  zu  sein;  sie  läugnet  es.  Nachdem  verschiedenes  für  und 
gegen  die  Behauptung  des  A  vorgebracht  wurde  „y'w.  . . .  quibusdam 
testibus,  qui  viderant  eam  annidos  deferentem,  ipsam  probavit  uxo- 
rem*'  <•);  wogegen  die  Frau  der  nicht  wegzulaugnenden  Thatsaehe 
eine  andere  Deutung  zu  geben  sucht:  „sed  ipulier  de  more  illarum« 
quae  panes  vendunU  sc  anulos  detulisse  dicebat^. 

Von  entschiedener  Wichtigkeit  aber  ist  folgende,  m.  W.  bisher 
noch  nicht  benutzte  Stelle  aus  Plinius«):  „Celebratior  quidem 
usus  cum  foenore  eoepisse  debet;  argumento  est  consuetudu  volgi. 


*)  Hofmano,  B«itripe  S.  106. 

^®)  Diese  ZittammensteUaiig  tod  arrha  uod  pignii«  bestlUgt  das  oben  (f  8)  Gesagt«. 

<0  H.  N.  XXXIII,  cap.  I,  s.  6. 

^')  Nach  kanonischem  R.  „le  don  de  rannean  etablissait  une  presomption  de  ■Bariafr^'^ 
und  swar:  »livre  dam  la  tnaison  par  T^poos,  c'eUit  une  preure  de  fiaafaiJlea,  et 
dan§  Cigliae  par  le  pritre,  nn  indice  de  mariage".  (Abbe  Texier,  dietioBBair^ 
d'orf^rrerie,  de  gravnre  et  de  ciselure  chr^tiennes«  col.  13S;  27.  Bd.  der  S.  Serie 
▼on  des  Abb^  Migne  Encyclop^die  Theotogique). 

1*)  L.  c.  fin.  (in  der  Ansg.  t.  Sillig  v.  V,  p.  72).  Plinins  giebi  dort  niaUcli  eine 
Geschichte  der  Sitte  des  Ringtragens  bei  den  Römern  and  scbUeest  sie  mit  des 
obigen  Satxe. 


über  den  Verlobnogs-  uod  den  Trauring.  841 

ad  sponsiones  etiam  nunc  antilo  exsiliente  ^^'),   tracta  ab   eo 
tempore,  quo  nondum  erat  arra  velocior,  ut  plane  adfirmare  possi- 
mus  nummos  ante  apud  nos,  mox  anulos  coepisse**.  Mit  »sponsiones'' 
sind  hier  nar  Wetten,  nicht  andere  Geschäfte  in  Stipulationsform, 
gemeint  (sonst  wäre  der  Ausdruck  „volgi**  unmotivirt),  wie  die  Ver- 
gleichung  mit  1.  17  <§.  5  D.   de  praesc.  rerb.  XIX,  5   (abermals  aus 
Ulpian^s  I.  28  ad  Edictum)   zeigt:    „Si  quis  sponsionia  causa 
anulos  acceperit,  nee  reddit  victori*'. .  Die  Stelle  aus  Piinius  liesse 
sieb  so  erklären,  dass  die  anuli  nicht  der  Wetteinsatz  waren,  sondern 
ihre  Übergabe  dasselbe  sagen  wollte,  was  h.  z.  T.  in  gleichem  Falle 
der  Handschlag  sagt  — :  »Top!  es  gilt^.  Hiefür  spricht  nicht  nur 
die  symbolische  Bedeutung  des  Ringes  (ßdes  anuli,  s.  unten),  son- 
dern der  ganze  Zusammenhang,  da  ja  Piinius  von  einer  allgemeinen 
Verwendung  des  Ringes  als  einer  Arrha  spricht  und  die  Volkssitte 
bei  Wetten  nur  als  einen  schwachen « Rest  zur  Illustration  anführt. 
Dagegen  scheint  die  1.  17  §  5  cit.  am  leichtesten  so  erklärt  werden 
zu  können,  dass  von  beiden  Seiten  einem  Dritten  (iudex  sponsionis) 
je  ein  Ring  gegeben  wurde;    der  Sieger  konnte  dann  beide  (d.  h. 
seinen  und  den  fremden  Ring)  dem  Dritten  abfordern ;  lag  aber  der 
Wette  eine  inhonesta  causa  zu  Grunde,  nur  den  seinen  ( „«ut  anuli 
duntaxat  repetitio  erit*)  i').  Dann  hätte  Piinius  sein  Beispiel  nicht 
glücklich  gewählt;    es   würde    ihm   dabei    folgende   Verwechslung 
unterlaufen  sein:    „pignus*'   bedeutet  „Pfand"*,  aber  auch  „Wett- 
einsatz*« ^•);  die  „arrha *«  wird  bildlich  auch  ein  „pignus**  genannt 
(s.   oben);  möglicher  Weise  kam  eine  solche  Verwechslung  auch 
in    umgekehrter  Weise   vor,  so  dass  auch  der  Wetteinsatz  „arrha** 
genannt  w^orden  wäre.  Dass  wir  hier  in  der  That  an  einen  Wettein- 
satz zu  denken  haben,  dafür  spricht  auch  eine  Stelle  aus   PI  au  tu  s 
(Cureu).  II,  3,  76  fg.),  wo  Jemand,  von  einem  Würfelspiel  erzählend, 
sagt: 

„Pono  pallium; 

nie  suom  anulum  opposivif* .... 


''*)   SoU  ea  nicht  rielleicht  heissen:  »consuetudo  volgi  ad  iponsiones  etiamnunc  anulos 
exigenti$  ? . .  . 

^^)   Vgl.  VaDgerow,  Hl,  {  673,  Anm.  2. 

^^3   Dernborg,  Pfandrecht!.  8.49. 
SiUb.  d.  phU.-hist.  CI.  LXV.  Bd.  IV.  Hft.  56 


842  H  o  f  m  «  n  n 

PI  iiiius  würde hienach  erst  von  der  Arrha  im  technischen  Sinne 
reden,  dann  aber  ein  Beispiel  anfuhren,  wo  der  Ring  auch  als  „arrha"*, 
aber  in  einem  nicht-technischen  Sinne  Torkäme. 

Doch  dies  ist  nebensächlich.  Wie  immer  man  darüber  denken 
mag,  aus  jener  an  Belehrung  reichen  Stelle  geht  ganz  klar  folgendes 
hervor:  1.  Der  Gebrauch  des  „anulus  arrhae  nomine  datus*'  ist  ein 
sehr  alter,  er  ist  nicht  etwa  erst  zu  Ulpian*s  Zeiten  in  Aufnahme 
gekommen.  Jene  Volkssitte  wird  als  eine  Spur  bezeichnet,  die  8ieh 
noch  (etiamnunc)  erhalten  hat  („tracta  ab  eo  tempore  ....**). 
Dies  kann  nicht  auffallen,  da  in  Griechenland  derselbe  Gebrauch  für 
die  Zeit  des  Aristoteles  bezeugt  ist  (s.  oben).  Plinius  sagt,  die 
Sitte  sei  in  Rom  nicht  viel  jüngeren  Datums,  als  der  Gebrauch  aus- 
gemünzten Metalls.  2.  Diese  Art,  den  Ring  zu  verwenden,  mass 
früher  in  Rom  sehr  gewöhnlich  gewesen  sein,  sonst  hätte  Pli- 
nius die  grossere  Verbreitung  des  Ringtragens  nicht  mit  der  Auf- 
nahme der  Geldgeschäfte  in  ursächlichen  Zusammenhang  bringeo 
können  (^nCelebrcUior  —  .  usus  cum  foenore  <?)  coepisse  debet*"). 
3.  Daraus  folgt  von  selbst,  dass  die  Arrha  überhaupt  bei  den  Römern 
in  häufigem  Gebrauche  war.  Für  die  Geld-Arrha  folgt  es 
überdies  arg.  a  contr.  aus  den  Worten:  „eo  tempore,  quo  wmdum 
erat  arra  i^)  velocior*'.  Damit  stimmt  überein  die  häufige  Erwäh- 
nung des  arrabo  in  den  Comödien  des  Plautus;  und  für  eine  viel 
spätere  Zeit  wird  es  bestätigt  durch  das  ausdrückliche  Zeugniss  des 
Gajus  in  I.  35  pr.  D.  XVIII,  1:  „Quod  9aepe  arrhae  nomine  pro 
emtione  datur^  ....  Dies  wurde  hier  desshalb  ausdrücklich  hervor- 
gehoben, weil  noch  neuerdings  das  Gegentheil  in  einem  vorzüglichem 
Werke  behauptet  wird  *•). 


^'')  „Cum  foenore^  ist  hier  in  der  weitesten  Bedeutung  gebraucht,  m  Bes«ichB«iif 
einer  Periode,  in  welcher  da«  Geld  anfieng  ein  gestaltender  Factor  in  der  Volkt- 
wirthschaft  zu  werden,  in  welcher  also  namentlich  der  Tausch  durch  den  Kaiaf  ii 
den  Hintergrund  gedringt  wurde. 

*^)  Darunter  ist  hier  speciell  die  Geld -Arrha,  im  Gegensatae  lur  Rin^Arrha,  n 
verstehen. 

^^)  Kuntxe,  Ezcurse,  S.  491  :  »Es  scheint  nicht,  dass  diese  Sitte  de«  Bömera 
sehr  geläufig  gewesen  sei ;  denn  nur  von  Gigus .  •  .  . ,  dem  ProHniia(|iiriatea,  wiri 
bemerkt,  dass  das  Handgeld  hfiufig  sei."  —  Woxu  dann  die  wiederholte  Versiche- 
rung, die  Arrha  sei  nicht  ünerlisslich  sur  Perfection  des  Kaufgeeckfiftes  ?  Bm 
1.  35  oit.  könnte  man  noch  allenfalls  sagen,  sie  sei  ja  dem  Connentar  xaa 
Provinzial-Edict  entnommen.    Dass  aber  im  Lehrbuche  des  Gaius  (ill,  f.  XW 


über  deu  Verlobung«*  «od  den  Trauriog.  843 

Hiemit  ist  der  Beweis  erbracht,  dass  die  ursprüngliche 
Bedeutung  des  römischen  anuius  pronubus  nicht  in  dem  ethischen 
Gehalte  der  Ehe,  sondern  in  der  uralten  Form  des  Frauenkaufes 
zu  suchen  ist.  Dass  in  der  Zeit  des  sinkenden  Römerthums  aus  dem 
schmucklosen  Eisenreife  ein  Goldring  wurde»  der  zuweilen  einen 
grossen  Werth  repräsentirte,  kann  nicht  auffallen.  Der  Ring  wurde 
ein  Theil  jener  Geschenke,  in  welchen  sich  die  „sponsalitia  largitas^ 
seit  jeher  gefällt  *<>).  Schon  viel  früher  dürfte  die  nüchterne  juris- 
tische Bedeutung  des  Ringes  meistens  dem  Bewusstsein  der  Bethei- 
ligten  durch  eine  mehr  zum  Gemüthe  sprechende  Deutung  verhüllt 
gewesen  sein.  Bei  einem  Liebeshandel  nennt  Plautus  (Miles  glor. 
IV,  1,  11)  den  von  einer  Frau  gesendeten  Ring  „arrhabo  primus 
amoris";  eine  ähnliche  Vorstellung  mochte  ^ich  allmählig  auch 
bezüglich  des  Verlobungsringes  geltend  gemacht  haben. 

§.  7. 
Der  Ring  als  Symbol. 

Hiemit  ist  aber  die  Frage  nach  der  ursprünglichen  Bedeutung 
des  Ringes  nicht  gelöst,  sondern  nur  weiter  zurückgelegt.  Es  ent- 
steht eben  die  andere  Frage:  was  soll  der  Ring  beim  Kaufe? 
Thatsaehe  ist:  die  Arrha  mit  formeller  Function  (§  8,  Nr.  7)  konnte 
in  einer  oder  einigen  Münzen  bestehen  oder  auch  in  einem  Ringe. 

Dies  gilt  sowohl  vom  griechischen  und  rön|ischen  Kaufe,  als 
von  den  römischen  Sponsalien  (^6,  N.  5);  und  derselben  Erscheinung 
begegnen  wir  beim  symbolischen  Brautkauf  der  Israeliten  «und 
der  germanischen  Völker  i). 


uod  ebenso  io  den  Juatioiiinisehen  Institutioneo  (pr.  Inst.  HI,  23)  diese  Bemerkang 
an  die  Spitze  der  Lehre  rom  Raafe  gestellt  ist,  bliebe  bei  der  gegeatbeiligen 
Annahme  geradezu  unbegreiflich. 
*^)  Die  kostbaren  Scbmueksachea,  die  Maziminus  Junior  seiner  Braut  schenkte, 
nennt  Capitolinus  (c.  1)  „arrhae  regiae*  und  hebt  es  beeonders  benror,  dass 
sie,  obgleich  sich  das  Verhültniss  zerschlug,  der  Beschenkten  gelassen  wurden. 
*)  Mendelssohn,  Ritnalgesetze  der  Juden  (Ausg.  r.  177S)  S.  93  fg.  Der 
Scheinpreis  besteht  in  einem  Gelde  (einer  Münze)  oder  Geldes  werth ;  «man 
pflegt  dazu  einen  Ring  Ton  Gold  oder  Silber  ohne  Stein  zu  nehmen,  den  drr 
Bräutigam  der  Braut  an  den  Finger  steckt".  —  ,ln  den  Niederlanden  und  in 
F  r  i  e  s  1  a  n  d   gab   der  BriuUgam   der   Braut  entweder  einen  Tmu-Pfenaig  oder 

56  • 


844  H  o  f  in  ■  n  n. 

Dabei  ist  zunächst  auf  die  Thatsache  autroerksam  zu  machen, 
dass  Münzen  und  Ringe  nicht  bloss  die  Kreisgestalt  mit  ein- 
ander gemein  haben.  Zu  verschiedenen  Zeiten  wurden  bei  verschie- 
denen Volkern  neben  den  Münzen  Ringbarren  als  Tauschmittel 
verwendet.  „Bei  den  Ägyptern  vertraten goldene  und  sil- 
berne Ringe  die  Stelle  des  Geldes;  sie  wurden  abgewogen''  *).  Im 
Arabischen  wird  gemünztes  Gold  metonynisch  »Ring  Gottes'' 
genannt  >).  Schröder  ^)  spricht  von  der  »im  früheren  Mittel- 
alter so  allgemein  gebräuchlichen  Bezeichnung  des  Geldes  mit 
»Ringe**,  sei  es  nun,  dass  ursprünglich  wirklich  Ringe  die  Stelle 
von  Münzen  vertraten  s),  oder  dass  dies  ein  blosser  Sprachgebrauch 
war". 

Dürfte  es  sich  nun  schon  hieraus  erklären,  warum  zur  Arrha 
alternativ  Münze  oder  Ring  gefordert  wurde,  so  sprach  noch  für 
letzteren  seine  symbolische  Beziehung  zur  Treue  und 
Wahrhaftigkeit,  vermöge  welcher  er  als  feierliche  Bekräftigung 
eines  Versprechens  erscheint  Und  daraus  wieder  erklärt  sich, 
warum  der  Verlobuugs-  (und  später  der  Trau-)  Ring  die  Verwen- 
dung des  Ringes  bei  Kaufgeschäften  überlebte,  bis  eine  naheliegende 
rmdeutung  den  geschichtlichen  Zusammenhang  vergessen  liess. 


einen  Trau-R i n g  (^trowen  op  den  penning",  „trowen  op  den  ring"):  Fried- 
berg, S.  S6,  N.  2.  —  Aus  dieser  Übereinstimmung  erkUri  sich  wohl  RicL 
S  c  h  r  d  d  e  r*s  Vermuthung,  dass  die  Deutschen  den  Trtnring  aua  dem  jüdjicbf« 
Rechte  überkommen  hfitten  (Gesch.  d.  ebel.  Güterrechts  I,  S.  58).  Er  fibersah  die 
ganz  analoge  römische  Erscheinung.  Vgl.  übrigens  hier  |«  10. 

*)  Dr.  Friedrich  Kenner,  die  Anfinge  des  Geldes  imAlterthum  (Wien  1864),  S.97. 
—  ^Ferner  werden  Ohrringe  «vuria  geradezu  ffi*yXai  genannt,  was  also  dartsf 
leitet,  dass  man  in  Ägypten  Ringbarren  im  Gewichte  des  Shekels  batte"  u.  s.  v. 
(S.  98). 

*)  Ztschft.  d.  Deutsch,  morgenl.  Gesellscb.  V,  S.  180  (Auszug  Hammer-Porg- 
stalTs  aus  einem  Buche  Saalebi*s.) 

^)  A.  a.  0. 1.  S.  57  fg.  Damit  will  er  den  Namen  j^reipas**  erkliren.  Die  rorfaer  all- 
gemeine Bezeichnung  sei  «Tielleicht  io  Folge  des  aus  dem  jüdischen  Rechte 
überkommenen  Trauringes  bei  dem  Verlohn issgelde  festgehalten*  worden.  .Mas 
spraeh  tou  „Ringen**,  als  nur  noch  bestimmte  Geldstücke  gegeben  wurden*:  — 
eine  m.  E.  unrichtige  Verknüpfung  an  sich  richtiger  Tbatsachen. 

*)  HiefQr  werden  freilich  als  Belege  missTerstindlich  SteUeo  angeführt,  wo  nm  wirt- 
lieben Verlobungf-  und  Tranringen  die  Rede  ist. 


über  deo  Verlobuogs-  und  den  Trauriog.  84 S 

Wie  die  Ki-eislinie  seit  jeher  die  Phantasie  der  Völker  beschäf- 
tigt hat,  so  ist  auch  der  Ring  ein  Symbol  mythischen  Ursprungs  •); 
und  damit  hängt  es  wohl  zusammen»  wenn  Pingerringen  zuweilen 
mystische  Kräfte  zugeschrieben  wurden  ?).  Es  ist  natürlich  hier  nicht 
der  Ort,  eine  Zusammenstellung  der  hier  einschlägigen  religiösen 
Ahnungen,  abergläubischen  Gebräuche  und  sinnbildlichen  Deutungen  ^) 
zu  geben.  Nur  zwei  der  letzteren  verdienen  hier  hervorgehoben  zu 
werden,  weil  sie  sich  in  den  Schriften  des  classischen  Alterthums  oft 
erwähnt  finden  und  noch  heut  zu  Tage  allbekannten  Sitten  und 
Ceremonien  zu  Grunde  liegen.  Der  Ring  bedeutet  nämlich  einmal 
Herrschermacht  und  dann  Wahrhaftigkeit. 

Die  erste  Bedeutung,  die  schon  dem  orientalischen  Alterthum 
angehört  «),  ist  für  das  classische  vielfach  bezeugt.  Der  sterbende 
Alexander  gibt  seinen  Fingerring  dem  Perdikkas,  „ex  quo  omnes 
coniecerant,  cum  regnum  ei  commisisse^  (Cornel.  Nep.  Eumenes 
cap.  2);  der  sterbende  Tiberius  zog  den  Ring  vom  Finger,  als  ob 
er  ihn  Jemandem  übergeben  wollte,  dann  aber,  sich  anders  besinnend, 
steckte  er  ihn  wieder  an  und  schloss  fest  die  linke  Hand  (Sueton. 
Tiber.  73).  Wie  Regenten  ihrem  designirten  Nachfolger,  so  fiber- 
gaben auch  Private  dem  disignirten  Erben  ihren  Siegelring  ^o)  (Flav. 
Vopisc,  Aurelianus  c.  SO;  Val.  Max.  VII,  cap.  8  §  5  und  §  9.). 
Dabei   konnte  dieser  Akt  zugleich   denselben  factischen   Zweck 


0)    8.  Globvs,  XIII,  S.  833. 

7>  Die  Zanberringe  in  alten  und  neuen  Sagen  (a.  B.  Gjges,  Salomon).  —  Über  Ring- 
weiisagnngen  bei  den  Griecben,  Scb5niann  Griech.  Alterth.  (2.  Auil.)  H, 
S.  260.  —  Der  Siegelring  in  dem  von  Pansanias  (I.  c.  17)  erzfihlten  Gottes- 
nrtbeil  ist  wohl  aacb  nicht  gana  infSlUg.  —  Unter  den  gottesdienatlicben  Gerith- 
•chaften  der  Paraen  wird  auch  ein  Ring  genannt;  doch  über  seine  Verwendung 
weiss  Spiegel  (Avesta  II,  S.  LXIX)  keinen  Aufschinas  lu  geben. 

S)    8.   z.  B.  Bachofen,  Mntterrecht  S.  894  fg. 

*)  Der  Ring  der  Weltherrschaft  (s.  N.  6).  Der  Ring  Salomon^s  wird  ron  Saalebi 
(s.  N.  3)  als  das  Sjmbol  der  Herrscher  macht  beseichnet,  weil  demselbeA  alle 
Menschen  und  Dschinnen  gehorchten ;  Ton  demselben  stammen  die  Ringe  der 
Könige  als  Symbole  der  Herrschaft.  —  Als  Pharao  den  Joseph  fiber  gans  Ägypten 
•«tat,  steckt  er  ihm  seinen  eigenen  Ring  an  den  Finger  (I  Moses,  41,  t.  41,  42). 
Als  Ahasver  dem  Haman  die  Vollmacht  gibt,  alle  Juden  vertilgen  an  lassen,  thut 
er  dasselbe  (Esther  3,  r.  10),  was  freilich  auch  noch  den  Sinn  hatte,  dass  mit 
dem  Ring  des  Königs  die  Befehlschreiben  gesiegelt  wurden  (v.  12). 
10)  Minner  trugen  in  der  guten  Zeit  keinen  anderen  Ring,  da  Schmuck  (lu  welchem 
der  Siegelring  nicht  gerechnet  wird,    1.  74  D.  L,  16)  nur  Frauen  ziemt. 


846  H  o  f  m  a  n  0 

haben,  wie  bei  uns  die  Einbändigung  der  Schlüssel,  da  bei  Grie- 
chen i<)  und  Römern  <«)  das  Versiegeln  häufig  die  Stelle  des 
Verschliessens  vertrat;  ja  die  Übergabe  konnte  auch  lediglich 
diesen  Zweck  haben  ohne  jene  symbolische  Bedeutung.  Hieraus 
erklärt  sich  nun  vollständig  I.  77  ^21  D.  XXXI  (Papiuiau.):  Pater 
pluribus  filiis  heredibus  institntis  moriens  clave»  et  annlum  cuBta- 
diae  causa,  maiori  natu  filiae  tradidit,  et  libertum  eidem  61iae, 
qui  praesens  erat»  res,  quas  sub  cura  sua  habuit,  assignare  iussit; 
commune  filiorum  negotium  gestum  intelligebatur,  nee  ob  eam  rem 
apud  arbitrum  divisionis  praeeipuam  causam  fiUae  fore**. 

Unter  den  lahlreichen  Spuren  dieser  Bedeutung  im  Mittelalter 
soll  nur  an  die  Verwendung  des  Fingerringes  bei  Übergabe  grosser 
Domänen  <>)  und  an  die  damit  zusammenhängende  Belehnung  „mit 
Ring  und  Stab"  erinnert  werden"*.  ,,Anulus  est  signum  investiturae 
et  investitura  est  signum  traditae  potestatis*'  i*). 

Was  die  andere  Bedeutung,  d.  h.  die  symbolische  Beziehung 
des  Ringes  zu  Treue  und  Glauben  betrifll,  so  kann  auch  hier 
zuerst  auf  den  Orient,  auf  die  Schwurringe  der  arischen 
Volker  undauf  dicThatsache  verwiesen  werden,  dass  Ringe  von  der 
jenen  eigenthumlichen  auffallenden  Gestalt  in  dem  weiten  Räume  -vom 
iranischen  Hochland  bis  zum  skandinavischen  Norden  an  sehr  vielen 
Stellen  ausgegraben  wurden  i^). 

Für  den  römischen  Verkehr  ist  diese  Bedeutung  vielfach 
bezeugt;  und  da  ist  vor  allem  als  classischer  Zeuge  AteiusCapito 
anzuführen,  der  nponüficii  iuris  interprimos  peritus"  war  (M aerob. 


**)  Hermano,  Oriech.  AlterUiamer,  %  22,  N.  88  t%, 

**)  PI  ID.  hiat  nat.  33,  cap.  I,  s.  6.  Val.  M az.  L  c.  Taeit  annal  II,  %  (,ae  TiU«ta* 
utansilittin  «nda  eUmsa^)» 

**)  8.  die  Belegstellen  bei  Da  Gange  a.  ▼.  inTeatitara. 

1^)  Taxier,  dict.  d'orf^Trerie,  eol.  144;  rgl.  cap.  12  X   de  aeat.  et  re  Ind.  IL  27; 
cap.  3  X  de  bis,  qnae  flont  a  mai.  III,  11 ;  cap.  4.  X  de  cone.  praeb.  II,  8. 

^*)  »lobaa,  Bd.  Xlll.  8.  329  fg.;  Bd.  XIV,  S.  176^180.  —  Klenm  apriekt  la 
xwei  stellen  (Ciilturgeacbichte,  IX,  8.  32  und  »die  Frauen«  U,  8.  152)  die  Clcr- 
leugung  aua,  daaa  ein  groaaer  Theil  der  der  ▼aterlindiachen  Erde  eathob^a«* 
Bronieringe  ala  Tranringe  gedient  haben  mag.  Das  ist  ein  Irrtbam,  der  aar 
dadurch  begreiilioh  wird,  dasa  Klemm  der  Ursprung  und  die  Gesehiekte  d« 
Trauringes  unbekannt  war.  Vielmehr  dSrften  viele  dieser  Ringe  —  nimliek  di« 
grossen,  nicht  geschlossenen,  mit  Wülsten  und  scharf  herroriretenden  Reifea  rsr- 
zierten  —  eben  Schwnrringe  gewesen  sein. 


über  den  Verlobung«-  und  den  Trauring.  84  i 

Saturn.  VII.  c.  13).  »Veteres'*  sagt  er  (I.  c.)  „non  ornatus,  sed  sig- 
oaDcli  causa  (cf.  1.  74  D.  L.  16)  anulum  secum  circumferebant. 
Unde  nee  plus  habere  quam  unum  licebat,  nee  cuiquam  nisi  libero: 
(fios  so\os  fi des  decereif  quae  signaculo  continetur;  ideo  ius 
anulorum  famuli  uon  babebant**  «•). 

Auch  noch  im  Mittelalter  finden  sich  Spuren  dieser  Bedeutung  i^). 
Darum  dient  1.  der  Ring^zur  Bekräftigung  eines  Versprechens,  und 
2.  das  beigedruekte  Siegel  zu  gleichem  Zwecke  und  auch  zur 
Solennisirung  eines  Zeugnisses.  Darum  sollen  Testamentszeugeu  nicht 
mit  einem  beliebigen  Petschaft,  sondern  mit  einem  Ringe  siegeln: 
1.  22,  ^  5  D.  qui  testam.  XXVIII,  1  (Ulpian.)  „Signum  autem  utrum 
annulo  tantum  impressum  adhibemus,  an  vero  et  si  non  annulo,  verum 
alio  quodam  impresso?  —  varie  enim  homines  signant.  Et  magis 
esip  ut  tantum  antüo  quia  possit  aignare^  dum  tamen  habeat 
yapaKTrjpa,  [signum]**.  Vgl.  Seneca,  epist.  I,  8:  „tabulis  testa- 
menti  anulum  imprimere*'.  Auch  bei  anderen  Urkunden  (namentlich 
den  zur  Beglaubigung  dienenden)  war  diese  Art  zu  siegeln  gebräuch- 
lich,   s.  z.  B.  Plaut  US,  Curcul.  II,  3,  67: 

^ . . .  ei  mandavi,  qui  anulo 

Meo  tabellas  obsignatas  attulisset** 
vgl.  Tacit  annal  XVI,  19;  wie  denn  die  römischen  principes  nicht 
anders  siegelten,  als  mit  einem  Ringe  i»).  Die  Beziehung  zur 
fides  erhieltalso  nicht  etwa  der  Siegelring  durch  das 
Siegeln,  sondern  umgekehrt  dieses  durch  den  Ring. 
—  Die  „signata  iura"  bei  Lucanus  (III,  301)  werden  bei  Faccio^ 
lati'Forcellini  (totius  latinitatis  lex.  IV,  p.  HO)  mit  „foedera  sancita 
et  quasi  sigillo  impresso  utrinque  firmata**  erklärt  <»). 


**)  BedentMm  ist,  daM  Macrobius  die  fides  »ignaeuli  und  das  pontifieium  tu* 
dadurch  in  ZueammenhaBg  bringt,dass  er  unmittelbar  Tordem  Citat  aus  A  t.  Ca  p  i  t  o 
ausdrücklich  herrorhebt,  sein  Gewihrsmann  sei  im  pontificischen  Recht  vorzüglich 
unterrichtet  gewesen.  Dass  alle  derartigen  symbolischen  Deutungen  im  letzten 
Grunde  mit  religiösen  Ahnungen  zusammenhängen,  ist  nicht  zu  bezweifeln. 

*^)  Dem  neuen  Bischof  wird  nach   dem   römischen  Pontificale   bei   der  Übergabe   des 

Ringes  gesagt :    „Accipe  anulum  fidei  signaculum *    (Tezierdict. 

d'orfevr.  col.  143). 

^^)   Daher  vom  Siegelbewahrer   gesagt   wird:    w<ini«/i  curam   habere"   {Jftstinus,  bist. 
phil.  43,  c.  5  in  f.). 

**)   Pnchta    (Gew.    R.    II,    72)    irrt    also,     wenn     er     —     auf    den    Unterschied 
zwischen    der   modernen    und    der    römischen    Testamentsiegelung    hinweisend 


848  H  0  f  m  a  o  n 

Beide  Bedeutungen  (Ringübergabe  zur  Bezeichnung  des  Erben 
und  zugleich  als  Bekräftigung  eines  Versprechens)  erscheineo 
verschmolzen  bei  Val.  Max.  VII.  c.  8  §.  K,  wo  er' mit  Entrüstung 
von  einem  Romer  erzählt,  der  Jemandem  wiederholt  Tersprochen 
hatte,  ihn  zum  Erben  einzusetzen  und  „nioriens  eiiam  anulos  ei  suos 
tradidisset**,  und  doch  sein  Vermögen  einem  Andern  zuwendete;  das 
erbitterte  Volk  habe  .»fallacis  et  insidiosi  cadaver*'  durch  die  Gassen 
geschleift.  —  Zu  diesen  beiden  tritt  auch  noch  die  dritte  oben  er- 
wähnte Bedeutung  (Ringübergabe  =  Schlüsselübergabe)  hinzu  in 
§.  9  cit. :  ein  Senator  habe  noch  sterbend  sich  den  frivolen  Sehen 
erlaubt.  Jemanden  mit  der  Versicherung,  er  habe  ihn  zum  Erben 
eingesetzt,  zum  Besten  zu  haben ;  ^insuperque  antUoa  quoque  suos 
ei  tradidit,  videlicet  ne  quid  ex  ea  hereditate,  quam  non  erat  aditiirus, 
amitteret**.  Dass  aber  Val.  Max.  bei  der  Ringübergabe  zugleich  an 
eine  feierliche  Bekräftigung  des  Versprechens  denkt»  zeigt  die  Er- 
zählung von  der  ungewöhnlichen  Erbitterung  des  Volkes  und  seine 
eigene  Entrüstung. 

In  d  i  e  s  e  r  Bedeutung  nun,  in  dieser  symbolischen  Beziehung  des 
Ringes  zu  Treue  und  Glauben  liegt  der  tiefere  Grund,  warum  man  in  alter 
Zeit  zur  Arrha  bei  Kaufgeschäften  gerne  einen  Ring  wäUte. 

Die  Münze  war  nur  ein  „argumentum**  des  Willens,  nicht 
mehr  zurückzutreten ;  der  Ring  enthielt  zugleich  eine  solenne  Be- 
kräftigung des  darauf  abzielenden  V^ersprechens. 

Um  so  mehr  musste  sich  der  Ring  als  Arrha  bei  den  Spo  n sa- 
li en  empfehlen;  und  da  konnte  es  nicht  ausbleiben,  dass  in  dem 
Masse,  als  die  Erinnerung  an  die  Form  des  symbolischen  Brautkaufes 
zurücktrat,  die  Beziehung  auf  die  Treue  der  Neigung  geläufiger 
wurde.  In  der  romischen  Zeit  vorbereitet,  geht  die  Entwicklung  im 
Mittelalter  dahin,  dass  allmählig  der  Gedanke  an  die  Vertragstreae, 
an  die  Unverbrüchlichkeit  des  gegebenen  Wortes  durch  den  Gedanken 
an  die  Treue  und  Unverbrüchlichkeit  der  vorbereiteten  oder  geschlos- 
senen ,  alle  Lebensbeziehungen  umfassenden  Einigung  verdrängt 
wird.  Nicht  mehr  „anuli  fides**,  sondern  „fidei  anulus*'  <«)  ist  der 
Ausdruck  für  diese  veränderte  Anschauung. 


20 


—   aUgemein   behauptet:  das  „BegUttbigungsaieifel''  sei  deo  Römern  uibektaat 
gewesen. 

>  Nicolaus  PP.,   epist.   ad.  Bulgaros:   „Postquam   orrhiM  sponsam    sibi  sponsos  per 
digitum   fidei   anulo    insignitum    desponderit"  ....   (^Du    Cangt,   glMSarisB 


über  den  Verlobung^a-  uod  den  Truiiring.  o49 

§.8. 
Ursprung  der  germanischen  Sitte. 

Auch,  bei  den  Germanen  kaufte  ursprünglich  der  Mann  dem 
Vater  die  Tochter  ab.  Dieser  Kauf,  durch  den  die  M  u  n  1 1)  vom  Vater 
auf  den  Mann  überging,  findet  sich  bei  allen  germanischen  Völker- 
schaften: bei  den  Gothen,  Skandinaviern,  Sachsen,  Angelsachsen 
und  den  hochdeutschen  Stammen,  Franken,  Burgundern,  Lango- 
barden. Dass  er  einst  ein  wirklicher  Kauf  gewesen,  leidet  keinen 
Zweifel*).  Bei  den  Ditmarsen  erhielt  er  sich  bis  ins  IS.  Jahrhun- 
dert s),  während  er  bei  den  meisten  Stämmen  frühzeitig  zu  einem 
blossen  Scheinkauf  wurde«).  Langobardische  Quellen  geden- 
ken nicht  blos  der  Preiszahlung,  sondern  auch  einer  formlichen  Tra- 
dition der  Braut  an  den  Mann  0.  Allmälig  erlosch  ^ber  nicht  nur  der 
wirkliche,  sondern  auch  der  symbolische  Brautkauf,  doch  nicht  ohne 
Spuren  in  der  Sprache  und  in  den  die  Eheschliessungen  betreffenden 
Gebräuchen  zurückzulassen.  In  der  Sprache:  bis  ins  späte  Mittelalter 
erhielt  sich  die  Redensart  „ein  Weib  kaufen**«);  in  gewissen  Ge- 
bräuchen: dahin  gehören  namentlich,  wie  unten  dargethan  werden 
wird,  der  Verlobangs-  und  der  Trauri ng. 


mediae  et  infimae  ]atin.,  Aua^.  v.  1840,  I,  p.  266).  Der  Nonne  wird  bei  der  Ein- 
weihung nach  dem  römiachen  Pontificale  gesagt:  „Accipe  ergo  amtlMm  fidei.  .  .  ., 
nt  tporua  Dei  Toceria**.  (Texter,  dict  d^orf^yrerie,  goI.  144). 
<)  Kravt,  Vornundechaft  I,  $.  t.  —  Über  dasselbe  VerhSItoiss  im  indischen 
Recht  a.  Kalthoff  p.  53:  «Pater  .  .  .  poatquam  nuptui  conaenait,  filiam  collo- 
cabat  atque  in  poteatatero  tradebat  ei,  cuiua  sponsa  erat"  (unter  Berufung  auf 
Manu  IX,  99). 

^}  Roasbach,  S.  230;  Schröder  l,  82;  Friedberg,  daa  Recht  der  Eheschiies- 
•ttBg  (1865),  8.  18  u.  ebd.  N.  2,  4,  5;  8.  33  fg.;  S.  71 ;  S.  75. 

s>    Friedberg  S. .19,  N.  6. 

^>  Friedberg,  S.  19  fg.;  Grimm,  D.  R.  A.  I,  S.  420  fg. ;  Zöpfl,  f.  8U.  — 
Diese  Umwandlung  wurde  von  der  Kirche  gewünscht  und  befördert :  S  c  h  r  ö  d  e  r  1, 79. 

^>  «Nam  aliter  sine  traditione  nuUam  rerum  dicimua  subsistere  firmitatem*  s.  bei 
ZÖpfl  §.  81a,  N.  16;  rgl.  Schröder,  I,  179.  Gleichwohl  trat  gerade  bsi  den 
Langobarden  fi^hzeitig  die  auffallende  Modification  ein,  dass  daf  Kaufgeld  an  die 
freigeborene  Frau  selbst  gegeben  wurde.  Zöpfl,  a.  a.  0.,  N.  5. 

€)  Grimm  R.  A.  S.  421;  Unger,  die  Ehe,  S.  112,  N.  5:  »In  Niedersaehsen  nennt 
man  noch  jetzt  die  Verlobung  „Brudkop'',  d.  i.  Brautkauf";  Tgl.  Schröder. 
U  S.  79  insb.  N.  10. 


850  H  o  f  m  a  n  n 

Diesen  Zusammenbang  der  Beringung  mit  dem  Brautkauf  vor- 
ausgesetzt, konnte  man  um  so  mehr  geneigt  sein,  jene  Sitte  für  eine 
ursprungliche  zu  halten;  denn  in  der  That  lässt  sich  gerade  hier  aus 
der  blossen  Übereinstimmung  nicht  auf  eine  Entlehnung  schliessen. 
Der  Brautkauf  ist  sicherlich  nicht  entlehnt  und  ebenso  wenig  brauchte 
es  der  Brautring  zu  sein.  Dennoch  darf  man  als  erwiesen  ansehen, 
dass  dieser  letztere  » undeutsch  und  erst  seit  dem  Christenthuine 
eingeführt  ist**  7^.  Dafür  sprechen  folgende  Gründe: 

1.  «Die  alten  Gesetze  schweigen  ihrer**  (nämlich  der  Sitte,  der 
Braut  einen  Ring  zu  geben)  „init  Ausnahme  der  langobardischen 
und  westgothischen,  in  welchen  fremder  Einfluss  leicht  erklärlich 
wäre**  >).  Ihre  Verbreitung  geht  der  des  Christenthums  parallel. 

2.  Die  Form  des  Brautkaufs  hatten  die  Germanen  allerdings  mit 
den  Römern  gemein;  in  BetreiT  des  Ringtragens  aber  stimmten  ihre 
Sitten  nicht  überein.  Dem  alten  Römer  galt  der  anulus  ferreus  als 
ein  Ehrenzeichen,  das  er  nicht  Jedem  gönnte  (Macrob.  Saturn. 
VII.  c.  13);  dem  alten  Germanen  war  er  schimpflich;  wenn  ein 
Tapferer  ihn  ansteckte,  so  war  dies  eine  Art  Gelübde:  die  freiwillig 
übernommene  Demüthigung  sollte  ihn  anspornen,  sich  bald  durch 
eine  Kriegsthat  ihrer  zu  entledigen  (Tacitus  Germ.  c.  31). 

3.  Spricht  für  diese  Annahme  auch  der  Umstand,  dass  der 
Brautring  bei  den  christlich-germanischen  Volkern  von  Anfang  an 
auf  dem  noch  heut  zu  Tage  sog.  Ringfinger,  und  zwar  regel- 
massig an  der  dem  Herzen  näheren  linken  Hand  •),  getragen  wurde. 
Auf  dem  nämlichen  Finger  derselben  Hand  trugen  aber  auch  die  Alten 
(Ägypter,  Griechen,  Romer)  den  Ring ;  und,  was  das  wichtigste  ist 
—  die  mittelalterliche  Sitte  wird  gerade  so  motivirt,  wie  es  bei  den 
alten  Schriftstellern  bezüglich  der  ihren  geschieht: 

c.  7  §.  3  C.  XXX,  qu.  5 :  ,»Item,  quod  in  primis  negotiis  anulu» 
a  sponso  sponsae  datur»  fit  hoc  nimirum  vel  propter  mutuae  fidei 
Signum,  vel  propter  id  magis,  ut  eodem  pignore  eorum  eorda  iungan- 
tur.  Unde  etinquarto  digito  anulus  idem  inseritur,  qtiod  üi  eo 
Vena  quaedam,  ut  fertur^  sanguinis  ad  cor  usque  perveniat". 


7)  Grimm,  S.  178. 

^)  GrI  mm,  «.  a.  0. 

*)  S.  die  kölnische  Verlobungaformel  aus  dem  14.  Jahrb.  bei  Friedber^,  S.  29. 


über  den  Verlohungs-  and  den  Trauring^.  85  t 

Damit  Tgl.  Macrob.  Saturn.  VII,  c.  13:  In  einer  Gesellschaft 
wird  die  FVage  aufgeworfen,  warum  man  allgemein  den  Ring  auf  der 
linken  Hand  19 in  digito,  qui  minimo  vicinus  est**  trage;  worauf 
Einer  die  Ansicht  der  Ägypter  anfuhrt:  n^ervuin  quendam  de  corde 
natum  priorsum  pergere  usque  ad  digitum  manus  »inistrae  minimo 

proximum et  ideo  visum  veteribus,  ut  ille  digitus  anulo, 

tanquam  Corona,  circumdaretur" «®).  —  Gellius  N.  A.  X,  10 
berichtet:  ^Veteres  Graecos  anulum  habuisse  in  digito  aceepimus 
sinistrae  manus,  qui  minimo  est  proximus.  Romanos 
quoque  homines  aiunt  sie  plerumque  anulis  usitatos.  Causam  esse 
hui4is  rei  Apion  in  I  ibris  Aegy  ptiacis  banc  dicit. . . .:  nervum 
quendam  tenuissimum  ab  eo  tino  digito . , .  ad  cor  hominis  pergere 
et  pervenire**.  Vgl.  auch  Isidor.  Orig.  XIX,  32,  3  und  PI  in  ins, 
H.  N.  33.  cap.  I,  4. 

Diese  Erwägungen  nun  schliessen  den  Gedanken  an  ein  zufälliges 
Zusammentreffen  aus  und  begründen  die  Behauptung,  dass  der 
Brautring««)»  gleich  dem  Kranz««)  und  dem  Schleier «»)   der 


«®)  Daniaf  bemerkt  ein  Zweiter,  er  habe  eine  andere  Brklirung  gelesen  »de  hac  eadem 
causa  apad  Ateiiim  Capitonem,  pontiflcii  iuris  inter  primoa  peritum*'.  Als  die 
Römer  statt  der  ursprünglichen  Eisenringe  kostbare  Goldringe  zu  tragen  begannen, 
hütten  sie  die  weniger  beschiftigte  Unke  Hand  dasu  gewfihlt,  um  die  Ringe  nicht 
so  sehnen  abzunutxen.  Aus  demselben  Grunde  habe  man  den  Daumen,  den  kleinen 
«nd  den  Zeigefini^er  Termieden,  von  den  beiden  fibrigen  Fingern  aber  dem  kleineren 
(rierten)  den  Vorzug  gegeben.  »Hae  sunt,  quae  lectio  pontifiealis  habet;  unus- 
quisque,  ut  volet,  rel  Etruscam  vel  Aegyptiacam  opinionem  sequatur".  —  Da  jene 
anatomische  Fabel  von  den  Ärzten  schon  vor  Jahrhunderten  als  solche  erkannt 
wurde,  bUligt  Cyprius  (tract.  de  spons.)  die  nüchterne  Erklirung  des  Römers 
(s.  Wolff  a.  f.  11.  N.  3  a.  0..  p.  17).  Als  ob  eine  Sitte  nicht  ebensogut  auf 
einer  irrigen,  wie  auf  einer  richtigen  Meinung  beruhen  könnte ! 

1  *)  Mit  Absicht  ist  dieser  Ausdruck  gewihlt,  der  ebenso  auf  den  Verlobungs-,  wie  auf 
den  Trauring  passt.  —  FGr  die  obige  Ansicht  auch  Friedberg,  8.  26,  N.  3: 
M  Der  Trauring  ist  kein  ursprfinglich  deutsches  Symbol,  vielmehr  der  anulus  pro- 
nubus,  den  die  Kirche  adoptirt  und  auch  in  Deutschland  eingeführt  hat*.  Dabei  ist 
nur  zu  bemerken,  dass  der  anulus  pronubus  zunickst  nur  Verlobungs-  und 
nicht  Trauring  war.  Über  die  Entwicklung  des  letzteren  aus  dem  ersteren 
s.  unten* 

IS)  Vgl.  Friedberg,  S.  97,  N.  2  mit  Rossbach,  S.  292  fg. 

1*)  Klemm  (die  Frauen  H.  Bd.)  sagt,  dass  der  Ring  beiden  Römern  wie  bei  den  Ger- 
manen Symbol  ehelicher  Verlobung  war  (8.  150) ;  dass  er  am  Finger  nicbst  dem 
kleinen  Finger  getragen  wurde  (8.  151);  dass  auch  die  griechischen  und  römi- 


852  H  0  f  iD  a  n  o 

Braut,  von  Italien  aus  sich  mit  dem  Christenthume  nordwärts  ver- 
breitete. Bei  dieser  Verpflanzung  erhielt  sich  nicht  nur  die  alte  Be- 
deutung des  anulus  pronubus,  sondern  sie  wurde  aufgefrischt 
bei  Völkern,  bei  denen  der  symbolische  Brautkaufdie  einzige  Form 
der  Eheschliessung  war;  bei  Stammen,  die  selbst  erst  kürzlich  das 
Stadium  des  wirklichen  Brautkaufes  überwunden  hatten,  und  die  bei 
ihren  Nachharn  ihn  noch  immer  in  lebendiger  Übung  sahen. 

Gewiss  nimmt  ein  Volk  eine  derartige  Sitte  nicht  oft  und  leicht 
von  einem  anderen  an.   Wo  auch  sollte  das  Volksthum  seine  Trieb- 
kraft und  Eigenthümlichkeit  erweisen,  wenn  nicht  in  den  Gebrauchen, 
mit  welchen  der  Mensch  die  drei  ernsten  Marksteine  des  irdischen 
Daseins:  Geburt,  Heirat,  Tod —  zu  umgeben  liebt?  Hier  heischen 
Forderungen  des  Gemüthes  Genüge  —  und  das  Gemüth  ist  ja  doch  vor- 
zugsweise das  Individuaiisirende  bei  Volkern  wie  hei  Einzelnen  — ;  hier 
findet  die  symbolisirende  Phantasie  ein  weites  Feld  und  einen  dank- 
baren StoiT.  Und  in  der  That  sind  Hochzeitsgebräuche  meistens 
ursprünglich.  Anders  bei  Trauungsfei>erlichkeiten.  Hier  kann 
die  Verpflanzung  einer  Sitte  nicht  auflallen,  die  gleichsam  im  Gefolge 
des  sich   verbreitenden   Christenthums   ins  Land   drang.   Denn  die 
Kirche  suchte  begreiflicherweise  dort,  wo  sie  nicht  mehr  räumlich 
vorwärts  zu  dringen  brauchte,   mit  ihrem  Einfluss  tiefer  und  tiefer 
in  die  Lebensverhaltnisse  ihrer  Bekenner  zu  dringen;  ebenso  natür- 
lich ist  es,  dass  ihr  Absehn  hierbei  vor  allem  auf  jene  drei  Momente 
gerichtet  war.   Und  da  rcKgiöse  Überzeugungen  und  Bedürfnisse  mit 
den  Vorgängen  im  Familienleben  viel   näher  zusammenhängen,  als 
mit  den  Geschäften   des  profanen  Verkehrs,  so  kann  es  uns  nicht 
wundern,  dass  die  Kirche  an  der  Ehesc]iliessung  frühzeitig  Antheil 
nahm,  wenn  gleich  diesem  an  sich  keine  juristische  Bedeutung  bei- 
zulegen ist  1*). 

§9. 

Der  Verlobungsring. 

Um  so  weniger  kann  das  Eindringen  des  anulus  pronubus  in  die 
germanischen  Länder  auffallen,  als  er  dort  auf  .Verhältnisse  traf,  die 


sehen  Braute  am  Traoongsta^e  Kraoa  and  Schleier   trugen  (S.   16t);  ron  itm 
geschichtlichen  Zusammenhange  war  ihm  nichts  hekannt 
1*)  Denn  dieNothwendigkeit  kirchlicher  Einsegnung,  die  kirchliche  Bheschlieüni- 
ist  Tiei  spSteren  Datums.  Vgl.  Kraut  Vormundschaft  I,  S.  176.  Ein  reiches  Material 


über  deD  Verlobung«-  und  den  Trauring.    ^  853 

in  allem  Wesentlichen  mit  denjenigen  übereinstimmten,  denen  er 
seine  Entstehung  verdankt.  Hier  wie  dort  der  Braut  kauf  (ob  wirk- 
licher oder  symbolischer,  ist  zunächst  gleichgiltig) ;  hier  wie  dort  ein 
obligatorischer  Act,  der  die  von  beiden  Seiten  beabsichtigten  Wir- 
kungen Torbereiteti).  „Der  Vormund  willigt  bei  der  Verlobung^) 
in  die  Übertragung  der  Braut  und  seiner  vormundschaftlichen 
Rechte  an  den  Bräutigam ....  Der  letztere  verspricht  bei  der  Ver- 
lobung die  Zahlung  des  Muntschatzes  und  die  Aufnahme  der 


ist  zusumoiengesteUt  bei  Fried berg  im  I.  Buch,  5.  Absehn.:  „die  Reception  der 
kirchlicben  Trauung  in  den  einzelnen  Ländern^. 

M  Vgl.   z.   B.    Die    langobardische  Formel  bei  Sc  bröder  I,  179roit  Gellius, 
N.  A.  IV,  4. 

^)  Wenn  dieses  Wort   in  der  «Ugemein  gebrfiuchUcheo  Bedeutung  zu  nehmen   ist, 
dann  ist  der  vorhergehende  Satz:  aDarum  ist  für  jede  rechte  Ehe  die  Verlobung 
ein    unumgängliches  Erforderniss ;   denn   sie  enthfilt  eben   die  Anerkennung   des 
Tormundschaftlichen  Rechtes'* —  ,  wenigstens  was  die  Schlüssigkeit  seiner  Begrün«- 
dung  betrifft,  nicht  recht  einleuchtend.    Wird  denn  etwa  bei  einem  sofort  Zug  um 
Zug  Tollzogenen  Kauf  das  Verf&gnngsrecht  des  Verkäufers  weniger  anerkannt,  als 
sonst?  Die  obige  Äusserung  Schröder 's  (S.  S)  hat  nur  dann  einen  Sinn,    wenn 
man   annimmt,   dass  bei  der  Eheschliessung  andere  Personen   die  eigentlichen 
Contrahenten  sind,  als  bei  ^er  Verlobung;   nSralich  dort:    Bräutigam  und  Braut; 
hier:  Bräutigam  und  Vormund  der  Braut  (im  weitesten  Sinne).   Aus  Schröder 's 
eigener  Darstellung  aber  geht  hervor,   dass  die  Eheschliessung  ursprünglich  nichts 
andei'es   war,   als  die  Erfüllung  jenes,   „Verlobung"   genannten,   Kaufcontractes. 
Die  Braut  war  also,  juristisch    betrachtet,  hier   wie    dort   Ohject.    Des    Wort 
«Trauung**  selbst  bedeutet  ursprünglich  wohl  nichts  anderes,  als  „die  Übergabe 
der  Braut  an  den  Bräutigam  durch  ihren  Vormund  .  .  .  ,  indem  die  Braut  hierbei 
von   diesem  jenem  anvertraut  wird**.    (Kraut,  Vormundschuft  I,  S.  176.)  —   Es 
widerspricht  daher  nicht  dem  Wesen  des  Muntkaufes,   wenn   Zöpfl  (S.  587)  in 
B«zug  auf  die  Franken  behauptet,    „Verlobung  und  Ehe  wurden  .  .  .  in  juristi- 
•eher  Beziehung  nicht  unterzcbieden".    Nur  darum  ist  der  Satz  zu  beanstanden, 
weil  zur  Vollziehung  der  Ehe  das  Beilager  noUiwendig  war.  Setzt  man  aber  anstatt 
„Ebe",  „VermShlung",  und  denkt  bei  den  Worten:  „in  juristischer  BeEiehung** 
an  die  materiellen  Wirkungen,  so   ist  gegen  den  Satz  kaum  etwas  einzuwenden. 
Denkt  man  freilich  an  die  Form   (an  den  Kauf),  dann  verhalten  sich    Verlobung 
und    Vermfihlung  wie   obligatio  und  solutio;   sie  konnten  aber  (wie  beim  wirk- 
lichen Kaufe)  der  Zeit  nach  zusammenfallen,  d.  b.  ausserlicb  als  e  i  n  Act  erscheinen. 
Insofern  i«t  diese  und  die  allgemein  lautende  Behauptung  Friedberg's  (S.  21) 
uBgeuan;  doeh  geht  wieder  aueh  Ilinschius'  Kritik  gegen  Letzteren    (Krit. 
V.   J.  Schft.  IX,  S.  6  fg.)  zu  weit,  da  bei  „VermShlung*  nicht  an  das  Beilager, 
•oodem   nur  an   die  WiUenaerkIfimngen  am  Hochzeitstage  zu  denken  ist,  welche 
zur  Perfection  der  Ehe  so  weuig  genfigen,  als  die  Verlobung. 


854  H  o  f  ai  II  D  D 

Braut,  und  umgekehrt  verpflichtet  der  Vormund  sich,  ihm  die  Braut 
mit  sammt  ihrem  Vermögen  zu  übertragen.  So  wird  ein  beiderseits 
durch  Burgen  befestigtes  obligatorisches  Verhältniss  begründet''*). 
Dieser  Conlract  wird  erfüllt  von  Seiten  des  Bräutigams  durch  Zahlung 
des  (wirklichen  oder  symbolischen)  Muntschatzes,  von  Seiten  des 
Vormundes  durch  Übergabe  der  Braut  (Trauung)^)  und  die  damit 
vollzogene  Übertragung  der  Munt.  Die  Verlobung  entspricht  also 
den  altrömischen  Sponsalien,  die  .Trauung  der  mancipatio  bei  der 
cogmtio. 

Wie  in  der  primitivsten  Form  des  Kaufes  obligatorische  und 
sachenrechtliche  Momente  ununterschieden  beisammenliegen,  wie  auch 
heut  zu  Tage  im  Kleinverkehr  Schliessung  und  Eiföllung  des  Kauf- 
vertrages äusserlich  zu  einem  Acte  verschmelzen,  —  so  erforderte 
auch  die  Form  des  Brautkaufes  nicht  nothwendig  die  Vorbereitung 
der  Trauung  durch  eine  Verlobung  (s.  Note  1).  Da  war  es  eben  die 
Kirche,  welche  auf  die  vorherige  Abschliessung  von  Verlöbnissen 
drang  &).  Nicht  als  ob  die  Kirche  damit  eine  Neuerung  eingeführt 
hätte;  aber  unter  kirchlichem  Einfluss  verbreitete  und  befestigte  sich 
die  Überzeugung,  dass  eine  solche  Vorbereitung  zu  einer  würdigen 
Eheschliessung  unerlässlich  sei. 

Nach  all  dem  Gesagten  hat  es  nun  gar  nichts  Auffallendes  an 
sich,  dass  unter  solchen  Umständen  der  anulus  pronubus  auch 
in  Deutschland  eingebürgert  wurde.  Nun  findet  sich  in  germani- 
schen Quellen  wirklich  die  oben  vorgetragene  Auffassung  dieses 
Ringes  wieder,  und  da  kann  man  denn  bei  dem  eben  erwähnten  Ent- 
lehnungsverhältnisse sagen,  dass  die  oben  beigebrachten  Quellen- 
belege  und  die  nun  hier  anzuführenden  einander  gegenseitig  unter- 
stützen. Hier  aber  tritt  die  ursprüngliche  Bedeutung  um  so  schärfer 
hervor,  da  die  Germanen  es  mit  der  Verlobung  viel  ernster  nahmen. 
als  die  Römer«).  Wie  beim  Kaufe  war  auch  bei  der  Verlobung  die 


')  Schröder  Bd.  1.  8.  9. 

^)  S.  d.  Note  2. 

^)  Schröder  S.  9,  N.  42. 

«)  Mit  deren  Anffatsang  auch  die  moderne  ubereiDsHmint.  Vgl.  Hioschins  ia  i 
krit.  i.  Schft.  IX.  Bd.,  8.  6.  —  Bei  den  Parsen   besteht  die  YerloboBg  eUfeek 
darin,  data  die  Binde  der  lo  Verlobenden  xvsammengelegt  werden,    wodlvrcb  eis 
Mithra  (Vertrag)  entsteht,  der  nicht  mehr  gebrochen  werden  kann,  adbet  wena 
die  Verlobten  noch  Kinder  sind  (Spiegel,  Avesta  U,  8.  XXX). 


Ober  den  Verlobmigs-  und  den  Trauring.  855 

arrha  das  Zeichen  der  Perfektion  des  Vertrags.   Dies  ist  mit  klaren 
Worten  gesagt  in  der  lex  Wisignthorum  III,  tit.  I,  3:  „, ,  .cum 
inter  eos,  qiü  äispondandi  sunt»  sive  eoram  parentes . . .  pro  filiorum 
nuptiis  coram  testibus  praecesserit  definitio,   et  anulus  arrarum 
nomine  datus  fuerit  Tel  acceptus,   quamvis  scripturae  non  inter- 
currant,  nullatenus  promissio  violetur,  cum  qua  datus  est  anulus  et 
definitio  facta  coram  testibus.  Non  liceat  uni  parti  suam  immutare . . . 
voluntatem,   si   pars   altera   praebere   consensum   noluerit**  ...  7^. 
Damit  ist  zu  vergleichen  Liutprand  30  (=  V,  1):  Eine  Frauens- 
person zu  beirathen,  die  Nonne  werden  wollte,  ist  verboten,  sobald 
sie  Nonnentracht  angelegt  hat,  wenngleich  sie  noch  nicht  zur  Nonne 
geweiht  ist.  Dabei  wird  die  Einweihung  der  Trauung,  das  Gelübde 
und   die  Anlegung  der  Nonnentracht  der  Verlobung  verglichen. 
Wenix  ein  Mann  ein  Mädchen  nSponsaUcum  solo  anulo  eam  subarrhai 
et  suam  facit,  et  si  postea  aliam  uxorem  duxerit,  culpabilis  invenitur 
solid.  D.   Quanto  magis  debet  causa  Dei . . .  amplior  esse,  ut  quae 
ipsum  velamen  vel  habitum  in  se  suscipiunt,  in  eodem  debeant  per- 
manere^^).  Bei  der  Verlobung  einer  salischen  Witwe »)  heisst  es :  »Quo 
facto  tunc  Fabius  eam  subarret  anulo  ...**  Viel  später  noch  bedeutet 
das  Wort  Treuschatz   oder  Trauschatz  sowohl  die  Verkaufs- 
arrha,  als  die  Verlobungsarrha  ^o).    Hierher  gehört  wohl  auch  das 
langobardiscbe  LaunechLldii);    Urkunde  von  770:    „suscipi  in 
persona  vostra  launechild. .  .anulo  aureo  uno. . .  **  1*).   Von  Kaiser 
Otto  IV.  Verlobung  (1209)  heisst  es  in  des  Arnold  von  Lübeck 
Chron.    Slav.   VII,   19:    »Proferens   anulum  eam   coram   omnibus 
subarrha  vit  et  in  osculo  recepit**  i<J.  Vgl.  auch  cap.  10  X  de  sent. 
et  re  iud.  II,  27  («desponsationis  anulu  subarrhare*"). 


^)   In  Waiter'a  Corpu«  iuris  germ.  antiqui  I,  p.  466,  467. 
B>   A.  a.  0.  I,  p.  770  sq. 

*)   Die  Urkunde  stellt  bei  CanciaBi   v.  II,   p.  477  col.  1   und   bei  Schröder  I, 

S.  181. 

^^)   Haltans,  Gloas.  German. :    „Treaschatz  ,  Trauschatx   arrha, .sponsaiitia  in 

•pecie,  .  .  .  i.  e.,  qnod  datur   pro  certitudine  alicuios  contractos,   cum   seilicet 

«liquid  Tenditur  vel  emitur  .  .  " 

ii>   Schröder  I,  S.  39:    ».  .  .  auch  bei  der  VerlobuBfc  •  •  .  (erhielt)  der  Vormund 

.  .  •  Ton  dem  Brintigam  ein  Launechild'*. 
t<)   Bei  Schröder  1,"  8.  58,  N.  13. 
13)   Grimm  R.  A.,  S.  432  und  Friedber^,  S.  t8,  N.  1. 


OdO  II  o  f  OB  a  o  n 

Hieraus  erklärt  es  sich,  warum  damals  nicht  wie  heute,  Ringe 
gewechselt  wurden,  sondern  (wie  in  Rom)  nur  der  Bräutigam 
der  Braut  einen  Ring  gab,  —  ein  Umstand,  der  schon  Grimm  auf- 
gefallen ist  <*). 

f  10. 

Der  Trauring. 

Als  der  Brautkaut'  ein  symbolischer  Act,  der  Muntschatz 
also  ein  Scheinpreis  geworden  war,  konnte  die  arrha  um  so 
leichter  mit  diesem  verwechselt  werden,  als  der  Eheschliessung  nicht 
nothwendig  ein  Verlobniss  voranzugehen  brauchte.  In  Rom,  wo  eine 
Vorbereitung  der  Ehe  durch  Sponsalien  von  der  Sitte  immer  gefordert 
war,  konnte  eine  solche  Verwechslung  nicht  Platz  greifen;  um  so 
weniger,  als  bei  der  strengen  Einhaltung  juristischer  Formen  keinem 
Römer  je  einfallen  konnte,  bei  der  mancipatio  an  die  Stelle  des 
raudusculum  etwas  anderes  zu  setzen.  Bei  den  germanischen  Völkern 
hingegen  (namentlich  von  den  Franken  gilt  dies)  wurden  nachdem 
Verschwinden  des  wirklichen  Kaufpreises  Verlobung  und  Ver- 
mälung  nicht  immer  auseinandergehalten  <),  was  sich  in  dem  Sprach- 
gebrauche abspiegelt.  Mit  denselben  Ausdrucken  und  Wendungen 
wird  von  der  Trauung,  wie  von  der  Verlobung  gesprochen ;  beispiels- 
weise  wird  mit  „despondere  (dispondare)**  sowohl  die  Übergabe  der 
Arrha,  «nis  die  des  Scheinpreises  bezeichnet «).  Und  so  wird  in  ger- 
manischen (namentlich  in  fränkischen)  Quellen  der  Schein- 
preis beim  Brautkauf  geradezu  „arrha**  oder  „arrhabo**  genannt  s). 
Da  man  aber  als  Arrha  Ringe  oder  Münzen  verwenden  konnte,  so  ist 
es  nicht  auffallend,  dass  man  später  auch  beim  Scheinpreis  Ringe 
an  die  Stelle  der  Münzen  treten  Hess  oder  neben  diesen  in  Verwen- 
dung brachte.  Daneben  kamen  zuweilen  noch  andere  kleine  V^^erth- 
gegenstände  sowohl  als  Arrha,  wie  als  Scheinpreis  vor. 


**)  R.  A.,  8.  177. 

1)  Vgl.  f.  9,  N.  1. 

*)  Daraus  erkifirt  sich  folgende  incongnienx  in  den  romaniaehen  Sprachen:  das 
frans,  epoux  und  daa  apan.  und  portug.  etpoto  bedeuten  nicht  (wie  die  Ab- 
stammung vom  latein.  tpofuus  erwarten  liesse)  den  Bräutigam,  aonderv  dea 
Gatten;  während  das  italien.  tpoto  und  das  e n g  1.  «peiwtf  beide  Bedeata»g«a 
Haben. 

*)  Schröder  I,  S.  85;  Zöpfl  i.  81a,  N.  7. 


über  den  VerlobuogB-  und  den  Trauring.  'KoT 

So  "«^arde  allmSlig  aus  dem  Verlobungsring  ein  Tranring 
ujid  auch  dem  letzteren  blieben  die  Namen»  die  eigentlich  nur  auf 
den  ersteren  passten.  Als  im  Laufe  der  Jahrhunderte  auch  die 
Form  des  symbolischen  Brautkaufes  in  Vergessenheit  gerieth»  erhielt 
sich  der  Trauring  als  wesentlicher  Bestandtheil  des  stehenden 
Ceremoniels;  während  der  Verlobungsriug,  in  das  Gebiet  des 
individuellen  Beliebens  gestellt,  zum  blossen  Geschenke  wurde,  bei 
dem  jede  Spur  einer  juristischen  Bedeutung  verschwunden  ist*). 
Dass  auch  diese  Verwandlung  unter  dem  Einflüsse  der  Kirche  erfolgte» 
Terateht  sich  Yon  selbst,  und  da  mag  wohl  der  Umstand  mit- 
gewirkt haben,  dass  auch  bei  der  jüdischen  Trauung 
der  Ring  vorkommt^). 

Der  Ring  wird  in  den  Quellen  wiederholt  „maehelscaz*' 
„gemahelschatz"  genannt  •)  und  der  Mahlschatz  selbst  wieder  n^rrha 
sponsionis**  7).  Später  findet  sich  wohl  auch  geradezu  der  Ausdruck 
„anulus  pretii"^). 

Bei  den  Franken  musste  der  Bräutigam  einer  Witwe  an  die 
nächsten  Erben  des  verstorbenen  Mannes  derselben  einen  »^reipus** 
entrichten.  J.  Grimm  erklärt  das  Wort  (identisch  mit  unserem 
„Reif*')  mit  Fingerring«)  und  vermuthet,  dass  Anfangs  drei  Ringe 
gegeben  wurden,  an  deren  Stelle  später  die  drei  solidi  (und  1  Denar) 
getreten  wären.  Sonach  hätten  wir  auch  da  einen  Scheinpreis  in 
Ringen  bestehend  «<>). 


^)  „Seit  dem  16.  Jahrh.  gestalteten  sich  die  Verlobungsringe  oft  zu  niedlichen 
Kanstwerken"  (Klemm,  die  Frauen  II,  S.  152);  der  Trfturing  dagegen  blieb 
bi«  naf  den  heutigen  Tag  ein  schlichter  Goldreif.  Wolff  (1670)  bebt  ausdrficUich 
dieaen  Unterschied  hervor:  der  Verlobungsring  «plurimum  solet  esse  pretiosus 
variisqoe  ezpolitns  gemmis",  der  Trauring  dagegen  nS<iepios  gemro«  caret*  (a. 
f.  11,  N.  8,  a.  0.  p.  16).  —  Nach  einem  alten  Pariser  Rituale  musste  der  Trauring 
von  Silber  sein  »sans  gravure  et  sans  pierreries"  (A.  Tezier,  Dicttonnaire  d^orf^- 
rrerie  .  •  .  col.  136). 

»>   S.  hier  f.  7,  M.  i. 

*)   erimm  R.  A.,  8.  4S2. 

7)   Zöpfl,  f.  S1«,N.  13. 

»)  J.  Merkel,  Fragm.  iuris  SicuU  (Hai.  1856)  c.  XXVII. 

*)   Vorrede  xn  MerkePs  Lex  Salica,  p.  LIII  fg.   Diese  Erklining  dfirfle  riehtiger 

•eis»  •<•  die  mit  .QfirleU»and*  (Zöpfl,  f.  81a,  M.  35,  86). 
1«^   Vgl.  Schröder  I,  8.  56—58. 

Sitsit.  «1.  phil.-hist.  Ol.  LXV.  Bd.  IV.  Hfl.  $7 


858  H  o  f  m  « ■ n 

So  viel  Aber  steht  fest:  dass  durch  das  ganze  Mittelalter  hin- 
durch bei  den  christlich  germanischen  Stammen  als  Trauungssymbole 
▼orkommen:  1.  Gold-  oder  Silbermunsen  <<),  2.  goldene  Ringe, 
3.  andere  kleine  Werthgegenstfinde  «*).  Dieser  Umstand  selbst  und 
die  Art,  wie  in  den  Quellen  hierüber  geredet  wird,  passen  völlig  zu 
der  hier  versuchten  Erklärung  der  ursprQnglichen  Bedeutung  des 
Trauringes. 

Beispiele  1.  »Cum  bis  petiis  argenti  iearrho...  in  com- 
municationem  bonorum  spiritualium  et  temporalium*'.  Formel  bei  de 
Vert,  Tract.  de  cerimon.  p.  231  (citirt  bei  Du  Gange,  neueste 
Aufl.  l  414). 

2.  In  französischen  Ritualien  spricht  der  Bräutigam  zur  Braut: 
»de  isto  anulo  te  sponso,  et  de  isto  auro  te  honoro,  et  de  ista  dote 
te  doto^  oder:  »de  cet  anneau  t'espouse*'  (»de  cest  annel  je 
t*espouse)  etc.  (Fried berg  S.  61,  62,  95.) 

3.  Rituale  Sarisbur.  »Interrogat  sacerdos  dotem  mulieris,  vide- 
licet  arras  sponsales;  et  dicuntur  arro«:  anuli  vel  pecunia  vel 
aliae  res  dandae  sponsae*'.  (Schröder,  I,  S.  58,  Nr.  13.)  Alle 
diese  drei  Arten  von  Symbolen  finden  wir  cumulirt  im  Parochiale  des 
Ezb.  Ernst  V.  Köln  fQr  die  Diöcese  Löwen  (v.  J.  1592);  »deinde 
anulum  sibi  dari  a  sponso  petet  (sc.  sacerdos),  simul  .  •  .  chiro- 
thecas's),  quibus  insint  tres  nummuli  argentei,  loco  arrhae 
sponsae  dandae**. . .  (bei  Friedberg,  S.  94). 

Es  Hessen  sich  diese  Belegstellen  leicht  sehr  vermehren.  Doch 
dürften  schon  die  mitgetheilten  für  unseren  Zweck  genügen;  wer 
reicheres  Material  verlangt,  der  findet  esin  Friedberg*s  mit  grossem 
Fleiss  geschriebenem  Werke:  »Das  Recht  der  Eheschliessung*'»  und 
zwar  an  folgenden  Stellen: 

1.  Für  die  skandinavischen  Länder,  S.  31  fg.  („anuli 
impositio**); 

2.  für  England:  S.  36,  38,  insbes.  N.  3,  N.  4;  S.  41  fg: 
46  fg.  (»a  ring  and  other  tokens  of  spousage,  as  gold  or  silver"); 


'^}  lo  Frankreich  gtb  es  zo  diesem  Zweck  eigene,  in  den  Kirchen  anfbewahrteMtnse« 

(abgebildet  bei  Friedber|f ,  8.  96). 
1*)  Vgl.  Orim m  a.  znletzf  a.  0. ;  zu  p.  LIV  (,nezt,  nexti*  safibnla)  Tgl.  B  «-eh  o  f«a, 

Mntterrecht,  S.  75  fg. 
^')  Dieses    Sjmbols   bediente  man  sieh  bekanntlich  nach    bei   der  Anflaaavng: 

Schulte  Reichs-  und  Rechtsgesch.  $.  148,  N.  6,  8,  24. 


über  den  Verlobung«-  und  den  Trauring.  8o9 

3.  für  Frankreich:  S.  61,  62,  94—96; 

4.  fflr  die  Niederlande  und  Friesland:  S.  66,  N.  2; 

5.  für  das  übrige  Deutschland:  S.  81,  97  ««). 

§.  il. 

Die  Meinungen  über  den  Ring. 

Gewohnlich  betrachtet  man  den  Ring  als  ein  der  Eheschliessung 
eigentbümliches  Symbol,  dessen  Bedeutung  man  aus  dem  Wesen  der 
Ehe  zu  erklären  sucht.  Die  gewechselten  Ringe  sollen  bald  ein  Zeichen 
des  geschlossenen  Bundes,  bald  ein  Sinnbild  der  ehelichen  Treue 
sein  i) ;  und  insoferne  diese  Erklärungen  nur  die  Meinung  bezeichnen 
wollen,  in  welcher  heut  zu  Tage  die  Ringe  gewechselt  werden ,  sind 
sie  auch  richtig. 

Die  Phantasie  findet  hier  einen  weiten  Spielraum.    So  heisst  es 
in  einem  Gedicht  Frischlings: 

„Darnach  Tom  Bräutigam  hegert 
Den  Fingerring  und  das  erklärt 
Wie  der  Ring  sei  von  guttem  Gold, 
So  solle  sein  der  Mann  gar  hold. 


Die  Liebe  soll  auch  sein  rotund 
Gleichwie  der  Ring ••»). 

Die  letzte  wunderliche  Wendung  will  nichts  anderes  sagen, 
als:  der  kreisrunde  Ring  diene  „ad  ostendendum,  quod  amor  ille 
debet  habere  perpetuitatem,  quod  nunquam  finiatur  nisi  per  mortem*' 

(Herolt)»). 


t*)  Vgl.  dMU  Schröder  II,  1.  Abth.,  S.  1,  N.  3. 

^)  Aach  Tesier  (dict.  d*orferr.  coL  137  an  it.)  weiss  Aber  den  «anneau  ouptiat*' 
nur  SU  eageo,  dass  er  ein  «symbole  de  la  fidelite  coigugale^  sei,  von  der  Kirche 
geweiht  wurde  und  in  das  frohe  Mittelalter  luruckreiche.  Das  beigebrachte  Material 
ist  aoffailend  spirlich,  die  Behandlnog  oberflüchllch.  Die  richtigere  Bemerkung 
§i»er  den  rdnuschen  an«  pronubtts  (coK  137)  wird  oicht  rerwerthet. 

2)  Bei  Friedberg  8.  97. 

*)   Bei  Friedberg  8.  97,  N.4. 

87  • 


800  H  0  f  m  a  D  a 

Ahnlich  erklärt  Bon finius  die  Beringung,  „({uod  duo  animi 
hoc  vinculo  constringantur  perpetuo  et  indissolubiliter;  forma  quippe 
rotunda  perpetuam  coniunctionero  et  fine  carentem  significat* ^). 

In  c.  7  §.3  C.  XXX.  qu.  5  werden  zwei  Deutungen  zur  Aus- 
wahl neben  einander  gestellt:  der  Ring  werde  gegeben  als  niutuae 
fidei  Signum,  oder  als  pignus,  quo  „eorum  corda  iungantur"*. 

Auch  wird  gewohnlich  geglaubt,  die  Beringung  sei  eine  ursprüng- 
lich einheimische  Volkssitte.  J.  Grimm  (R.  A.,  S.  178)  schien  dies 
zweifelhaft;  Schröder  (I,  88)  glaubt,  der  Trauring  sei  aus  dem 
jüdischen  Recht  eingedrungen;  Friedberg  erkannte  in  dem  ver- 
meintlichen deutsehen  Symbol  richtig  den  römischen  anulus  pronubas 
(S.  26,  N.  3),  spricht  auch  von  einer  „Verwandtschaft  mit  dem 
Scheinpreise^  (S.  27,  Nr.  3),  und  hebt  mit  Recht  den  Umstand  her- 
vor, dass  im  Mittelalter  nur  e  i  n  Ring  gegeben  wurde  und  zwar  vom 
Bräutigam  an  die  Brdut  (S.  38).  Ware  ihm  die  ursprungliche  Be- 
deutung des  römischen  anulus  pronubus  bekannt  gewesen,  so  wäre 
ihm  der  ganze  geschichtliche  Zusammenhang  klar  geworden.  —  Die 
meisten  Schriftsteller  gehen  aber  stillschweigend  über  diese  Frage 
hinweg. 

Und  doch  hat  schon  ein  Schriftsteller  des  16.  Jahrb.  im  Wesent- 
lichen dieselbe  Ansicht  aufgestellt,  die  hier  dargelegt  wurde.  Der 
gelehrte  Baron ius  bemerkt  in  seinen  Annales  Ecciesiastici  zum 
J.  57  unter  n.  52»):  „testatur  Clemens  Alexandrinus,  consuevisse 
Christianas  mulieres  anulos  aureos  gestare:  dari  vero  eos  solitos 
a  sponsis  arrhae  nomine  usus  docet  Quod  autem  non  tantum  in 
nuptiis  contrahendis,  sed  in  qualibet  pactione  loco  arrhae 
anulus  traderetur,  testatur  Plinius  . . .  Porro  . . .  non  tantum 
olim  apud  Romanos,  sed  antiquissimos  Hebraeorum  dari  solitum  anu- 


^)  Bei  Justin 08  W^olff,  de  arrhis  spoMtUUis,  1670  (wieder  abgedruckt  1738) 
p.  16.  Diese  Differtatioo  ist  zwar  fleissig  geschrieben,  e&tbtlt  aber  aber  ansere 
Frage  fast  nichts  brauchbares.  Folgende  Probe  wird  genügen:  Hahlsehatz  wird 
fp.  5,  6)  erklart  als  «ein  Zeichen  oder  Mahl,  baue  Tel  illan  hnios  rel  UUas  fere 
Sponsam  oder  SchatBl"  (»amlclssima  vocabula,  qua  spoiisi  .  .  .  soas  sotoat  bland« 
Tocitare  sponsas  .  .  .*).  — Gar  nichts  zur  Sache  enthiit,  trotz  den  Titel,  Pdeh. 
Wolf,  disp.  de  ritu  et  solemnibus  nuptiarum  (1727).  —  J.  A.  Meyer,  die  hoch- 
zeitlichen Symbole  (1818)  konnte  ich  mir  leider!  nirgends 

^)  In  der  Ausg.  v.  1612  (Antwerpen),  p.  45B  sq. 


Ober  den  Verloboogi-  iind  den  Tranring.  OUJ 

tum  loco  arrhae  •) .  .  .Ex  eiusmodi  igitur  usu  fluxisse  Tidetur,  ut 
cum  spondentur  nuptiae,  sponsus  loco  arrhae  sponsae  det  anulum*'. 
Darauf  ßhrt  er  fort  (an  sieh  ganz  richtiges  in  ungehöriger  Weise 
verquickend) :  der  Ring  sei  ursprünglich  von  Eisen  gewesen  und  hahe 
nicht  als  Schmuck,  sondern  zum  Verschliessen  gedient;  es  sei  also 
dasselbe  gewesen,  als  wenn  der  Mann  der  Frau  die  Schlüssel  über- 
geben hatte.  Diese  praktische  Bedeutung  habe  zugleich  der  Ring 
gehabt 7),  der  juristisch  als  „loco  arrhae  datus  anulus**  anzu- 
sehen sei. 

lu  n.  K3  I.  c.  handelt  er  von  den  verschiedenen  auf  Ringen  ein- 
gegrabenen Zeichen,  und  sagt  u.a.:  „- •  •  apud  Christianos  anti- 
quus  obtinuit  usus,  ut  sponsalis  anulus  signo  fidei,  quod  est 
hieroglyphicum  mutui  foederis  atque  concordiae,,  sculperetur»  id 
enim  prae  se  fenint  coniunctae  simul  dexterae^),  oec  apud 
Christianos  tantum,  sed  Judaeos,  Romanos,  aliasque  cemplures 
barbaras  etiam  nationes*^  •). 


')  Folgt  eine  unpasaende  Berufung  auf  Genesis  38.  Dort  ist  nicht  von  einer  Arrha, 
sondern  Ton  einem  Pfände  die  Rede;  unter  anderen  Gegenständen  wird  auch  ein 
Ring  versetzt ;  Thamar  begehrt  aber  (v.  18)  solche  Sachen,  die  ihr  am  geeignetsten 
scheinen,  dereinst  als  Beweismitl«!  und  Erkennungszeichen  zu  dienen  (v.  Vi}, 

''>  Abgesehen  davon,  dass  eine  so  schillernde  Deutung  keine  ursprfingliche  sein  konnte, 
hnHcht  nur  daran  erinnert  zn  werden :  1.  dass  der  anulus  pronubus  bei  der  Ver- 
lobung, und  nicht  hei  der  Vermihlnng  der  Braut  gegeben  wnrde ,  und  2.  duiis 
dieser  Ring  ilteren  Ursprungs  ist,  als  die  Sitte,  die  Schrünke  zu  versiegeln, 
welche  PI  in  ins  (h.  n.  83,  e.  1,  s.  6)  aU  ein  Zeichen  von  Sittenverd<*rbniss 
anführt. 

*j  Ohne  die  Richtigkeit  dieser  Deutung  In  Abrede  zu  stellen,  darf  man  doch  darauf 
hinweisen,  data  auch  dieses  Symbol  einer  doppelten  Deutung  fihig  ist:  es  kann 
ebenso  auf  die  Vertragstreue,  wie  auf  die  T  r  e  u  «  der  ehelichen  Ver- 
ein ig  ung,  ebenso  auf  den  Abschluss  des  Vertrages,  wie  auf  die  Eingehuog  der 
innigsten  Verbindung  (Ehe  =  Bund !)  bezogen  werden.  Denn  mit  dem  Handschlag 
hekrSfligt  man  sein  Versprechen;  verschlungene  Hunde  versinnlichen  die  ernstliche 
Willenteinignng.  8.  Haltaus,  Glos«.  Germ.  v.  „Treue";  vgl.  hier  f.  9,  N.  6. 

')  Bei  den  Parsen  werden  nicht  nur  bei  der  Trauung  (Spiegel,  Avesta  II, 
S.  XXVI  fg.),  sondern  auch  bei  der  Verlobung  (8.  XXX)  die  HSnde  der  Ver- 
lobten vereinigt  (s.  hier  $.9,  N.  6).  Bfi  den  ladern  wurden  die  ineinander 
getoftea  Hinde  mit  heiligen  Grate  nmwmden  (Rosshach,8.  208).  UawUlkQr- 
lieh  wird  man  daran  erinuert  durch  den  Mannlus  de  tnaco"  in  der  eonat.  Ricardi 
Ep.  Sarisbur.  bei  Du  Can^e  I,  207. 


862  H  o  f  m  a  n  o 

f  12. 

S  c  h  ]  u  s  8. 

Aus  dem  Verlobungsring  war  ein  Trauring  geworden, 
aus  dem  „anulus  arrhae**  ein  „anulus  pretii**.  Aber  dabei  blieb  die  Um- 
wandlung nicht  stehn.  Die  ursprüngliche  Bedeutung  des  Ringes  er- 
fuhr eine  vollständige  Umdeutung  in  der  Art,  die  schon  obeo 
(§.  11)  angegeben  wurde.  Die  ursprungliche  Symbolik  bezog  sich 
auf  die  formelle  Seite  der  Verehelichung  (den  Brautkauf),  sie  war 
juristisch,  nüchtern;  die  moderne  Deutung  bringt  den  Ring  in  Zu- 
sammenhang mit  dem  roaterielJen,  sittlichen  Gehalte  der  ehelichen 
Verbindung;  sie  ist  poetisch,  gemüthlich.  Auch  hier  mag  die  Ver- 
änderung keine  plötzliche  gewesen  sein.  An  die  juristische  Deutung 
schloss  sich  die  ethisch-symbolisirende,  bis  nach  und  nach  der  pro- 
saische  Kern  von  der  poetischen  Umhüllung  für  das  Bewusstsein  des 
Volkes  völlig  verdeckt  wurde.  Dabei  dürfte  auch  die  kirchliche  Lehre 
von  der  sakramentalen  Natur  der  Ehe  mitgewirkt  haben. 

Ermöglicht  wurde  diese  Umdeutung  durch  das  Verschwinden 
des  symbolischen  Brautkaufs.  Wie  der  Übergang  vom  wirklichen 
zum  Scheinkaufe,  so  vollzog  sich  auch  diese  Änderung  in  verschiede- 
nen Ländern  zu  verschiedenen  Zeiten.  In  England  wird  noch  1608 
in  einer  Kirchbuch-Eiutragung  auf  die  Dahingabe  von  Geldstücken 
ein  besonderes  Gewicht  gelegt  >) ;  während  in  vielen  Gegenden 
Deutschi and*s  schon  yie\  früher  jene  Erinnerung  erloschen  war; 
sonst  hätte  es  nicht  vorkommen  können,  dass  der  Verlobungsring  von 
Seiten  des  Verlobers,  also  von  Seiten  der  Braut,  gegeben  wurde*). 
Ein  sicheres  Zeichen  der  im  modernen  Sinne  vollzogenen  Umdeu- 
tung») ist  es  überall,  wenn  an  die  Stelle  des  einen  vom  Bräutigam 
zu  gebenden  Ringes  der  Ringwechsel  getreten  ist*). 

Doch  länger  als  des  Volkes  Erinnerung  an  den  Brautkauf, 
erhielten  sich  dessen  Spuren &).  Es  „mag  .  .  •  daran  erinnert  wer- 


0  Friedbergr  S.  45. 

>)  Wein  hold,  die  deutschen  Frauen  im  Mittelalter,  8.  Z12,  N.  4  uad  S.  t25. 

')  Klar  apricht  diese  aich  ana  in  der  Formel  bei  Weinhold,  8.  226. 

4)  In  Frankreich  sind   zwei   Ring«  beseufrt  für  das  J.  1596   (Friedberg  S.  61, 

N.  2);  —  über  Deutschland  s.  Weinhold,  8.  226. 
^)  Wegen  Frankreich  s.  Fr  iedberg  8.  96,  N.  3. 


über  den  Verlobiings-  uod  den  Tniaring.  863 

den,  dass  auch  in  Deutschland  selbst  am  Ende  des  16.  Jahrhunderts 
zuweilen  bei  der  Trauung  nur  ein  Ring  vom  Bräutigam  an  die 
Braut  gegeben  wurde.  Freih'ch  war  man  sich  der  wahren  Bedeutung 
dieses  Actes  nicht  mehr  bewusst,  ja  suchte  ihn  im  Gegentheil  durch 
eine  kunstliche  Symbolik  zu  erklären,  aber  man  bewahrte  doch  so 
unwillkürlich  die  Continuität  des  alten  Rechts**  •).  Die  Sprache 
bewahrt  noch  manches  Wort  und  manche  Wendung,  die  aus  der 
Zeit  des  Brautkaufes  stammen.  Und  heute  noch  kennt  jeder  Rechts* 
kundige  das  Sprüchwort,  in  das  wir  schliesslich  wie  in  ein  Motto 
diese  Ansicht  von  der  ursprünglichen  rechtlichen  Bedeutung  des 
Brautringes  zusammenfassen  können :  „Ist  der  Finger  beringt,  so  ist 
die  Jungfer  bedingt**. 


So  bildet  sich  in  der  Sprache,  im  Rechtsleben,  in  den  Volks- 
gebräuchen eine  Ablagerung  von  Formen ,  welche  einer  früheren 
Cultur-Epoche  angeboren  und  aus  denen  das  Leben  entwichen  ist. 
Aus  dem  Zusammenhange  der  ursprünglichen  Umgebung  gerissen, 
werden  sie  unverständlich  dem  Volke,  das  den  anfanglichen  Sinn 
derselben  vergessen  hat,  und  nun  keinen  oder  einen  ganz  anderen 
mit  ihnen  verbindet.  Aber  vor  den  Augen  des  Forschenden  beleben 
sich  diese  todten  Rückstände  wieder,  um  Zeugniss  zu  geben  von  ver- 
gangenen Zuständen.  Im  Sprachschatze,  in  Sprüchwortem,  Liedern 
und  Gebräuchen  geht  die  Wissenschaft  der  Geschichte  —  hierin  der 
Geologie  vergleichbar  —  unscheinbaren  Spuren  nach,  aus  denen 
sie  das  Bild  einer  vergangenen  Zeit  wiederherzustellen  sich  bemüht 


*)  Fri  ed  herp,  S.  97.  Wegen  England  s.  ebd.  S.  38. 


VeneieliniM  der  eiogegangenea  Dnicluclirifton.  86ff 


VKftZEICHNISS 

DER  EINGEGANGENEN  DRUCKSCHRIFTEN. 

(JULI  1870.) 

Acad^mie  Royale  de  Belgique:  Bulletin.  38*  Ann^e,  2*  S^rie, 
Tomes  XXVU  &  XXVHI  (1869).  Bruxelles;  8«-  -  M^moires 
couronn^s  in  4».  Tome  XXXIV.  1867—1870.  Bruxelles,  1870. 
—  M^moires  couronn^s  in  8®.  Tome  XXI.  Bruxelles»  1870.  7- 
Annuaire.  1870.  kl.  8^  —  Compte  rendu  des  s^ances  de  la 
Commission  Royale  d'histoire.  3*  SMe,  Tome  XI",  l*"" — 4*  et 
6*  Bulletins.  Bruxelles,  1869;  8^  —  Table  g^n^rale  des  No- 
tices  eoncernant  Thistoire  de  Belgique  dans  les  revues  beiges» 
de  1830  ä  1865.  Par  M.  Ernest  van  Bruyssel.  Bruxelles» 
1869;  80.  —  Snellaert»  F.  A.»  Nederlandsche  Gedichten 
Yan  Jan  Boendale,  Hein  van  Aken  en  anderen.  Brüssel» 
1869;  gr.  8«. 
—  Imperiale  des  Sciences  de  St.  P^tersbnurg:  M^moires.  Vll'S^rie» 
Tome  Xin,  Nr.  8  (1869);  Tome  XIV,  Nrs;  1  —  14  (1869); 
Tome  XV,  Nrs.  1—4  (1869—1870).  St.  Petersbourg;  4«.  — 
H^moires  in  80.  Tome  XIV,  2;  Tome  XVI,  1  (1869).  —  Bulle- 
tin. Tome  XIV,  Nrs.  1-6.  St.  Petersbourg,  1870;  4<». 

Accademia  delle  Scienze  di  Torino:  Atti.  Vol.  IV,  Disp.  1' — 7*. 
Torino,  1869;  8^  —  Sunti  dei  lavori  scientific!  letti  e  dis- 
cussi  nella  classe  di  Scienze  morali,  storiche  e  filo^ogiche  dal 
18K9  al  1865,  da  Gasp.  Garresio.  Torino,  1868;  8«. 

Akademie  der  Wissenschaften,  Königl.  Preuss.,  zu  Berlin:  Monats- 
bericht. Mai  1870.  Berlin;  8^ 

Association,  The  British,  Tor  the  Adrancement  of  Science :  Report 
of  the  39"*  Meeting  held  at  Exeter  in  August  1869.  London, 
1870;  8«.  • 

Sitzb.  d.  |iliil.-hist.  Cl.  LXV.  Bd.  IV.  Hft.    '  58 


8 DD  Veneiehniss  der  einge^ang^enen  Drackiohriften. 

d^Avezac,  Relation  authentique  du  voyage  du  Capitaine  de  Gonne- 
ville  ^s  nouvelles  terres  des  Indes.  Paris,  1869;  8^ 

Basel,  Universität:  Akademische  Gelegenheitsschriften  aus  dem 
Jahre  1869.  4«. 

Erlangen,  Universität:  Akademische  Gelegenheitsschriften  aus 
dem  Jahre  1869.  4«  &  8o. 

Gagliardi,  Ferdinande,  Saggio  storico - critico  suUa  dottrina  di 
Malthus.  Firenze,  1870;  8o. 

Gesellschaft  der  Wissenschaften,  Königl.  Böhm.,  in  Prag:  Ab- 
handlungen. Sechste  Folge.  III.  Band.  Prag,  1870;  4^  — 
Sitzungsberichte.  Jahrgang  1869.  Prag;  8^  —  Repertorium 
sämmtlicher  Schriften  der  k.  b.  Ges.  d.  Wiss.  1869;  8». — 
Codex  jttris  Bohemi^L  Tomi  IL  pars  2.  Edidit  Hermenegü- 
du8  Jirecek-  Pragae^  1870.  8«. 

—  —  Königl.,  zu  Gottingen:  Abhandlungen.  XIV.  Band.  Got- 
tingen, 1869;  4«.  —  Gelehrte  Anzeigen.  1869.  L  &  U.  Bd.  8«. 

—  Nachrichten  aus  d.  J.  1869.  Guttingen;  8®.  —  Astro- 
nomische Hittheilungen  von  der  k.  Sternwarte  zu  Göttingeo. 
I.  Theil.  Göttingen,  1869;  4«. 

—  —  Königl.  Dänische:  Skrifter.  S  Raekke,  naturvidensk.  og 
mathem.  Afd.  VIII.  Bd.,  Nr.  3—8.  Kj»benhavn,  1869;  4«.  - 
Oversigt.  Aaret  1868,  Nr.  5;  Aaret  1869,  Nr.  2.  Kj«ben- 
havn;  8<>. 

—  Geographische,  in  Wien:  Mittheiiungen.  N.  F.  3.  Nr.  9.  Wien, 

1870;  8o. 

—  Provinzial  Utrecht*sche,  für  Kunst  und  Wissenschaft :  Verslag. 

1869.  Utrecht;  8o.   —  Aaoteckeningen.  1869.   Utrecht;  8«. 

—  Haeckel,  Ernst,  Zur  Entwickelungsgeschichte  der  Sipho- 
nophoren.  Gekrönte  Preisschrift«  Utrecht,  1869;  4^. 

Gottingen,   Universität:   Akademische  Gelegenheitsschrtfteo  aus 

dem  Jahre  1868/9.  4o  &  8o. 
Greifswald,  Universität:  Akademische  Gelegenheitsschriften  aus 

dem  Jahre  1869.  4^  &  8». 
Halle,   Universität:    Akademische   Gelegenheitsschriften   aus   dem 

Jahi-e  1869.  4<'  &  8«. 
Hamburg,  Stadtbibliothek:   Gelegenheitsschriften  aus  dem  Jahre 

1869.  40. 


Verzeiclinisa  der  eingegangenen  Drvekscbriften.  867 

Hamelitz.  X.  Jahrgang,  Nr.  2Q— 23.  Odessa,  1870;  4«. 

Haug,  Martin,  An  old  Pahlavi-PaKand  Glossary  byDesturHos- 
hangji  Jamaspji  Asa.  Bombay  &  London,  1870;  gr.  8^ 

Institution,  The  Royal,  of  Great  Britain:  Proeeedings.  Vol.  V, 
Parts  g— 7.  London,  1869;  8«.  —  List  of  the  Members  etc. 
1868.  80. 

Institute,  R.,  Lombarde  di  Scienze  e  Lettere:  Memorie.  Classe 
di  Lettere  e  Scienze  morali  e  politiche.  Vol.  XI.  (II.  della  serie 
III.)  Fase.  1 — 2;  Classe  di  Scienze  mathemat.  e  naturali. 
Vol.  XI.  (II.  della  serie  III.)  Fase.  1--2.  Milane,  1868  &  1869; 
4o.  _  Rendiconti.  Serie  II.  Vol.  I,  Fase.  11—20.  (1868); 
Vol.  II,  Fase.  1—16.  (1869.)  Milano;  8«.  —  Annuario.  1868. 
Hilauo;  12o.  —  Solenpi  adunanze.  1864,  1865,  1868.  Mi- 
lano; 8o.  —  Atti  della  fondazione  scientifica  Cagnola.  Vol.  V, 
Parte  1.  1867—1869;  8o. 

L  e  y  d  e  n ,  Universität :  Annales  academici  ,  MDCCCLXIV — 
MDCCCLXV.  Lugduni-Batavorum,  1869 ;  4o. 

Mission  scientifiqiie  au  Mexique  et  dans  TAmerique  Centrale. 
OuTrage  publik  par  ordre  de  S.  M.  TEmpereur  et  par  les  soins 
du  ministre  de  Tinstruction  publique.  Linguistique.  Manuscrit 
Troano.  Par  M.  Brasseur  de  Bourbourg.  Tome  I.  Paris, 
1869;  Folio. 

Peabody  Institute:  III"^  Annual  Report  of  the  Provust.  Baltimore, 
1870;  8o. 

Quetelet,  Ad.,  Physique  sociale  ou  essai  sur  le  developpement 
des  facultas  de  l'homme.  Tome  IL  BruxelieSt  Paris,  St.  P^ters- 
bourg,  1869;  gr.  8«.  —  Notice  sur  le  Congi*&s  statistique  de 
Florence  en  1867.  4». 

Rausch,  Friedlieb,  Geschichte  der  Literatur  des  Rhäto- Romani- 
schen Volkes.  Frankfurt  a.  M.,  1870;  8». 

Reumont,  Alfred  v.,  Geschichte  der  Stadt  Rom.  lU.  Bd.,  2.  Abth. 
Berlin,  1870;  gr.  8«.  —  Manfredini  und  Carletti.  Eine  Episode 
der  Revolutionszeit.  8«. 

Revue  des  cours  scientifiques  et  litteraires  de  la  France  et  de 
rftranger.  VII*  Annee,Nrs.  30—33.  Paris  &BruxeIles,  1870;  4«. 

Scientific  Opinion.  Part  XX,  Vol.  Hl.  London,  1870;  4o. 

Societas,  Regia ^  scientianim  Upsalensis:  Nova  acta,  Seriei  IIL 
Vol.  VII  fasc.  L  1869.  üpaaliae;  4». 

08  • 


868  Verseicbnist  der  eingegangenen  Druckicbriftea. 

Soci6t^,   R. »   des  antiquaires  du  Nord:   M^moires.   N.  S.  1867. 

Copenhague;  8».  —  Aarb^ger.- 1868,  3.  &  4.  Hefte  &  Tiilaag. 

8^  —  Renseignements  sur  les  premiers  habitants  de  la  cdte 

occidentfile  du  Groenland.  Par  Carl  Cbristian  Rafn,  tradoits 

eil  Groenlandais  par  S.  Kleinscbmidt.  4^ 
Society,  The  Royal,  of  London:  Philosophical  Transactions  for 

the  Year  1869.  VoK  159,  ParU  1  &2.  London,  1869  &  1870; 

4a.  _  Proceedings.   Vol.  XVII,  Nrs.   109—113;  Vol.  XVDI,  ' 

Nrs.  114—118.  London,  1869  &  1870;  8«. 

—  The  Anthropological :  Anthropological  Review.  Nrs.  27—29. 
London,  1869  &  1870;  8o.  —  Memoirs.  1867-^8—9.  VoLffl. 
London,  1870;  8^ 

—  of  Antiquaries  of  London:  Archaeologia.  Vol.  XLII.  Loodon, 
1869;  4^  —  Proceedings.  Seeond  Series.  Vol.  IV,  Nrs.  3-6. 
London,  1868  &  1869;  8o. 

—  The  Cambridge  Philosophical:  Transactions.  Vol.  XI,  Part  2. 
Cambridge,  1869;  4«.  —  Proceedings.  Parts  III— VI.  8«. 

—  The  Royal,  of  Edinburgh:  Transactions.  Vol.  XXV.  Part  2. 
1868—69.  4«.  —  Proceedings.  Vol.  VI,  Nrs.  77—79.  1868 
—1869;  8o. 

—  The  Asiatic,  of  Bengal:  Bibliotheca  Indien.  N.  S.  Nrs.  164— 
171,  174-176.  Caleutta,  1869;  4»  &  8o. 

Sundby,  Thor.,  Brünette  Latinos  lernet  og  skrifter.  KjehenhaiD, 

1869;  8<». 
Tübingen,   Universität:    Akademische  Gelegenbeitsschrifteo  ans 

d.  J.  1869.  4»  &  8o. 
Verein,  histor.,  fOr  Niedersachsen:   Zeitschrift.  Jahi^ang  1868. 

Hannover,  1869;  8o.  —  XXXL  Nachricht.  Hannover,  1869;  8*. 
Waltuch,    Marco,    Psicografia    con   figure   analogiche.    Napoli, 

1870;  80. 


SITZ  UNGSBERICHTE 


HEB  KAISiSKLICilEN 


AKAIEMIE  DEE  WISSEJfSCHAFTEU. 


PHILOSOPHISCH -HISTORISCHE  CUSSE 


8ECH8UN08ECHZIQSTER  BAND. 


WIEN. 

AUS  DER  K.  K.  UOF-  UND  STAATSDRUCKEREI. 


l(f  COMMlSilON  BKl  KARL  OBROLD'S  60HN,  BDCHHiNDLKR  DIR  KAISKRUCHElf  ▲KA.DBHtB 

ORR  WISSENSCHAFTKM. 


1871. 


SITZUNGSBERICHTE 


DER 


PHILOSOPHISCH-HISTOEISCHEN  CLASSE 


DER  KAISERLICHEN 


AKADEMIE  DER  WISSENSCHAFTEN. 


8ECH8UN0SECH2IQ8TER    BAND. 

Jahrgang  1870.  —  Heft  I  bis  III. 


WIEN. 

AUS  DER  K.  K.  HOF-  UND  STAATSDRUCKEREI. 

in  COMMISflOR  BBl  KARL  OKHOLD*8  SOHN,  BUCHHÄIVDLKR  DICH  KAI8RRLICHBK  AKADKMIR 

DBR  WIS8E1V8CHAFTBR. 

1871. 


INHALT. 


SriU 

Sitamig;  vom  5.  October  1870 3 

9itean§;  vom  12.  October  1870 5 

Siteang  vom  19.  October  1870 5 

FhüHp»,  Über  das  baskische  Alphabet 7 

Sekuite^  Literaturgescbichte  der  Compilationes  antiqnae,  besoadera  der 

drei  ersten 51 

Goldbteher,  Zur  Kritik  und  ErklSnisg  von  L.  Apoleius  de  dogmate  Pla- 

tonis  1.  I.  und  II 159 

Müller,  Zur  SuflSzlehre  des  indogermaiiischen  Verbaais.  IL  ....    .  193 

—  Die  Vocalsteigerang  der  iDdogermaiiischeii  Sprachen   ....  213 

—  Ober  das  lateinische  Perfectum 225 

VerteiehnUs  der  eingegangenen  Dmckschriflen 229 


vom  2.  November  1870 235 

vom  9.  November  1870 235 

Mtsanff  vom  16.  November  1870 236 

vom  30.  November  1870 237 

FhiU^t  Ober  das  lateinische  nnd  romanische  Element  in  der  baskischen 

Sprache , 239 

MüUer^  Armeniaca.  111 261 

ZingerU,  Beitrige  inr  ilteren  tirolisehen  Literatur.  IL  Hans  Vintler  .  279 

Verxeiehnitg  der  eingegangenen  Drockschriflen 353 


II 

Seil« 

SitKung  Tom  7.  December  1870 359 

SStKung  vom  14.  December  1870 380 

Müller,  ErAuic« 361 

Verteiekniä»  der  eiog^egaBgenen  Dnickschrifleii 373 


SITZUNGSBERICHTE 


DER 


KAISERLICHEN  AKADEMIE  DER  WISSENSCHAFTEN 


PHILOSOPHISCH-HISTORISCHE  CLASSE. 


LIVI.  BAND.  I.  lErr. 


JAHRGANG  1870.  —  OCTOBER. 


Commisslonaheri  cht. 


SITZUNG  VOM  5.  OCTOBER  1870. 


Der  Vicepräsident  begrOsst  die  neu  eingetretenen  Mitglieder 
der  Akademie  und  gibt  sodann  Nachrieht  von  dem  Ableben  zweier 
auswärtiger  correspondirender  Mitglieder,  des  Professor  Dr.  Gustav 
Fluge]  in  Dresden  und  des  Conte  Giovanni  Antonio  Luigi  Cibra- 
rio  in  Turin.  Die  Mitglieder  erheben  sich  zum  Zeichen  des  Beilei- 
des von  den  Sitzen. 

Der  Secretär  legt  vor: 

1.  Ein  Dankschreiben  des  Herrn  Dr.  Franz  Kürschner  fSr  die 
ihm  gewährte  Subvention; 

2.  Dankschreiben  von  den  Herren  Professoren  Dr.  Theodor 
Benfey  in  Gottingen,  Dr.  Theod.  Mommsen  in  Berlin,  Dr.  Gin- 
dely  in  Prag  für  ihre  Wahl  zu  Mitgliedern  der  kais.  Akademie. 

3.  Eine  Mittheilung  des  k.  k.  Handelsministeriums,  dass  der  auf 
August  1870  angesetzt  gewesene  internationale  geographisch-com- 
mercielle  Congress  in  Antwerpen  auf  Mitte  August  1871  vertagt 
worden  ist 


Die  k.  k.  Landesregierung  in  Salzburg  theilt  mit,  dass  im  dor- 
tigen Central archive  neuerdings  acht  altsalzburgische  Weisthumer 
aufgefunden  wurden. 


1 


wurden 

TOD  Herrn  Albin  Ciernj»  r^nl.  Chorherm  Ton  St  FloriaD 
ond  Kbliothekar»  drei  Briefimaiinliingen  des  XV.  Jahrhunderts  aas 
den  Manaseripten  der  Bibliothek  and  des  Archirs  St  Florian ; 

Ton  Herrn  Theod.  Majr hofer.  Chorherm  ond  Professor  io 
Stift  Neostift,  der  iweiteTheQ  seines  Codex  diplomatieosNeoeelleiutt; 

Ton  dem  eorr.  MitgL  Herrn  Prof.  Dr.  A.  Haber  in  Innsbruck 
eine  Abhandlni^  «Gber  die  MSnxgesehichte  österreiehs  im  XUI.  ood 
XIV.  Jahrb.« 


Die  k.  k.  Central -Commissioa  xnr  Erforsehnng  and  Erhaitong 
der  Bandenkmaie  in  Wien  übermittelt  den  Bericht  des  Pforrers  Fram 
Oberleitner  Ober  die  Aosgrabugen  in  Windisehgarsten. 

Der  kais.  Rath  Herr  Dr.  Lodwig  Ritter  ron  Köehel  ersaeht 
am  eine  SnbTention  snro  Zwecke  der  Dnieklcgang  seines  Werkes: 
Johann  Joseph  Fax ,  Hof-Compositor  and  Capellmeister  tod 
1698—1740«. 

Herr  Dr.  A.  Kohnt,  Ober -Rabbiner  in  Stahl  weissenbnrg  er- 
sacht am  eine  Subrention  snr  Heraasgabe  seines  Werkes:  «Kritisclie 
Beleochtong  der  persischen  Ptentateach-Übersetxang  von  Jacob  beo 
Josef  Tawns«. 


Das  w.   M.  Herr  Prof.   Fried.  Maller  legt  für  die  Sitsangs- 
berichte  xwei  Abbandlangen  Tor: 

1.  Zur  Soffixlebre  des  indogermanischen  Verboms  D. 

2.  Ober  das  lateinische  PeKectnm. 


Commissionsberieht. 


SITZUNG  VOM  12.  OCTOBER  1870. 


Der  Secretar  legt  Dankschreiben  vor  von  den  Herren  Profes- 
soren Dr.  Bernhard  J  u  I  g  in  Innsbruck  und  Dr.  Adam  W  o  I  f  in  Graz 
fär  ihre  Wahl  su  correspondirenden  Mitgliedern  der  kais.  Akademie. 


SITZUNG  VOM  19.  OCTOBER  1870. 


Der  Secretar  legt  vor: 

1)  ein  Dankschreiben  des  Bibliothekars  Ton  San  Marco  in 
Venedig  Herrn  Valentine lli  für  die  der  dortigen  Bibliothek  ge- 
währte fortgesetzte  Zusendung  der  akademischen  Publicationen; 

2)  ein  Gesuch  des  Herrn  Dr.  Ernst  Trumpp  in  Reutlingen  um 
Bewilligung  einer  Subvention  zur  Herausgabe  seines  Werkes:  ^Gram- 
matik  der  afghanischen  Sprache**. 


Das  w.  M.  Herr  Dr.  Pfizroaier  legt  eine  für  die  Denkschrif- 
ten bestimmte  Abhandlung:  MÜber  den  Text  eines  japanischen 
Drama's.  II.  Abtheilung**  (Schluss)  vor. 


6  CommitsioMbericht. 

Das  w.  M.  Herr  kais,  Rath  Fiedler  legt  vor:  MActeostöcke 
zui*  Geschichte  Franz  Räköczy's  und  seiner  Verbindungen  mit  den 
Auslande*. 

Das  w.  M.  Herr  Prof.  Dr.  Friedrich  M filier  legt  eine  für  die 
Sitzungsberichte  bestimmte  Abhandlung  vor:  „Die  Vocalsteigeraog 
der  indogermanischen  Sprachen". 


Phillips,  Üh(>r  dNS  bnsk lache  Alphabet. 


Über  das  baskisehe  Alphabet"^). 

Von  dem  w.  M.  Hofrath  PhiHips. 


I. 

Einleitang. 

Die  baskisehe  Sprache  bietet  in  sich  selbst  einen  sehr  merk- 
würdigen Gegensatz  dar,  in  welchem  sich  die  Geschicke  des  vortreff- 
lichen Volkes  •  dem  sie  eigenthumlich  ist,  abspiegeln.  Unberührt  in 
ihrem  Organismus  und  ihrem  Baue,  steht  diese  wunderbare  Sprache 
gleich  einem  alten,  aber  noch  bewohnten  Felsenschlosse  da.  Allen 
Zeitsturmen  hat  es  getrotzt,  seine  Mauern,  Zinnen,  Thürme  sind  noch 
die  alten,  wie  vor  grauen  Jahrhunderten,  aber  der  Hausrath  darinnen 
ist  im  Laufe  der  Jahrhunderte,  je  nach  den  Zeiten  modernisirt 
worden;  viel  Altes  ist  auch  hier  noch  vorhanden.  Vieles  davon  is: 
hinausgeworfen  und  durch  minder  Dauerhaftes,  minder  Schönes  und 
Gutes  und  weniger  zum  Ganzen  Passendes  ersetzt  worden.  Da  sieht 
es  denn  freilich  etwas  bunt  darin  aus;  dort  noch  eine  Menge  ehrwür- 
diger Reliquien  aus  den  Zeiten  der  Kriege  der  Ahnen  der  Basken  mit  den 
Römern  und  aus  den  Tagen  der  Kämpfe  der  tapferen  Vasconen,  welche 
im  Thal  von  Roncevaux  die  Franken  besiegten  und  Karls  Palatin,  den 
Roland,  erschlugen;  hier  die  Spuren  römischer  Einquartirung,  die 
sich  wohnlich  nach  ihrer  Weise  in  dem  Schlosse  eingerichtet  hatte; 


*)  Ifacb  der  Vorlage  dieser  AbhandloDg  sind  dem  Verfasser  noch  manche  wichtige 
Fingerseige  in  Beireff  des  Gegenstandes  derselben  von  dem  gründlichen  Kenner 
der  baskiscben  Sprache,  Herni  CMpitin  Duvoisin  (s.  die  Abhandlung  fiber  das 
iberische  Alphabet,  S.  3)  zugegangen ;  soviel  wie  möglich  sind  diese  Fingerseige 
an  geeigneter  Stelle  benötzt  und  durch  das  Zeichen  e  kenntlich  gemacht  worden. 


8  Phillips 

dort  wiederum  ist  die  Burg  auf  spanische,  hier  auf  frausösiscbe 
Manier  ausgestattet  worden.  Soll  man  historisch  ergrunden,  wohio 
das  Eine  und  wohin  das  Andere  gehört«  so  ist  oft  die  Sichtung  ia 
diesem  wirren  Durcheinander  schwer;  gleicher  Staub  des  Alterthmns 
deckt  Urbaskisches  und  Romisches  und  man  muss  yiel  fegen  uod 
poliren  um  zu  erkennen,  was  an  dem  Geräth  echt  einheimisch  ist  und 
was  fremd').  Wie  die  Sprache,  so  auch  das  Volk;  noch  steht  dasselbe 
mit  einer  mehr  als  zweitausendjShrigen  Geschichte  hinter  sich  da, 
noch  hat  es  einen  grossen  Theil  seiner  Eigenthumlichkeit  bewahrt, 
aber  Iftngst  schon  hat  sich  Fremdes,  so  vielen  Widerstand  es  aueb 
fand,  nach  und  nach  eingedrängt  und  Schritt  für  Schritt  wird  dem 
Volke  sein  Boden  abgewonnen ,  bis  es  zuletzt  doch  noch  dahia 
kommen  wird ,  dass  man  in  der  Sprache  den  Basken  jenseits  der 
Pyrenften  nicht  mehr  Ton  dem  Spanier  und  diesseits  nicht  mehr  tob 
dem  Franzosen  wird  unterscheiden  können,  wenn  gleich  das  edle 
Blut  seiner  Ahnen  in  seinen  Adern  rollt.  Un  peuple,  qtd  s^en  va!*). 
Doch  zur  Sache  selbst  t  Man  kann  sich  keine  deutlichere  Vor- 
stellung Ton  dem  Zustande  der  Verwirrung  machen,  in  welchen  die 
baski^che  Sprache  durch  den  Einfluss  fremder  Elemente  —  nnier 
denen  auch  noch  das  Keltische  herauszusuchen  wäre  —  gerathen  ist, 
als  wenn  man  das  baskische  Alphabet  betrachtet.  Die  einst  reine 
und  unvermischte  baskische  Sprache  hat  nothwendig  und  naturiieb 
auch  ihr  den  ihr  angehörenden  Lauten  entsprechendes  Alphabet 
gehabt.  Zu  der  Zeit  aber  wo  eine  baskische  Literatur  ihren  Anfang 
nimmt,  war  jenes  Alphabet  nicht  mehr  vorhanden.  In  Betreff  des 
Beginnens  dieser  Literatur  waltet  ein  grosser  Irrthum  ob,  indem  maD 
dasselbe  in  eine  viel  zu  frühe  Zeit  setzt.  Alles,  was  man  von  Helden- 
liedern aus  der  Zeit  des  Hannibal  und  des  Augustus  entdeckt  haben 
will,  ist  nichts  als  Fabel  *);  insbesondere  gilt  dies  auch  von  dem  Klag- 
liede  Ober  den  Tod  jenes  Leio,  eines  cantabrischen  Agamemnon, 


')  Geviss  wird  auf  den  ersten  Blick  Jedermann  geneigt  sein,  des  Wort  izetm,  veleke» 
n Namen"  bedeutet,  fQr  ein  echt  baskische«  au  halten.  Wir  wagen  nicht  la 
widersprechen,  wenn  es  dnrch  das  lateinische  signnm  mit  vorgescMagenem  •  ci^ 
kllrt  wird.  S.  Bla  de  Etudea  (Note  3),  p.  275.  Note  t. 

*)  S.  die  Abhandinog:  Eine  baskische  Sprachprobe.  S.  10. 

a)  Vgl.  darfiber  Blad^.  Dissertation  sur  lea  ehants  hdroiqnes  des  Basqnes.  PariSf 
1SS6  und  neuerdings:  ^tudes  sur  rorigine  des  Basqnes  (Parle.  t8$9X  P-  M-  ■•  '- 


Ober  dM  bMkitche  Alphiibet.  9 

der  seine  Klytemnestra  und  seinen  Agysthos  im  eigenen  Weibe  und 
deren  Buhlen  fand«  Hamboldt  bat  dieses  Lied  nach  einem  Hanus- 
cripte  herausgegeben*);  der  darin  stets  wiederkehrende  Refrain: 
nLelOt  Letol"*  hat  dasselbe  in  ungunstiger  Weise  berflhmt,  ja  sprueh- 
wortlieh  gemacht,  indem  man  die  Langeweile  mit  dem  Aosdrucke  : 
nbäico  Ldo**  *),  .»der  ewige  Lelo^  bezeichnet.  Das  Lied  ist  keines- 
wegs sehr  all  und  reicht  kaum  Ober  die  sonstigen  Auffinge  der  bas* 
kischen  Literatur  hinaus,  die  in  keine  frühere  Zeit  als  in  das  Ende 
des  fünfzehnten  Jahrhunderts  gesetzt  werden  dürfen  •). 

Damals  also  und  schon  längst  zuTor  gab  es  kein  einheimisches 
Alphabet  mehr,  sondern  dieses  war  onter  dem  octroyirten  lateinischen 
erstorben;  damit  waren  aber  die  baskischen  Laute  nicht  ertddtet. 
Sie  dauerten  fort  trotz  dem  fremdartigen  Alphabete,  welches  auf  die 
Sprache  selbst  so  wenig  passte,  wie  —  man  rerzeihe  den  höchst 
trivialen  Ausdruck  ^  wie  die  Faust  aufs  Auge. 

Die  einheimischen  Sprachforscher,  namentlich  im  französischen 
Baskenlande,  haben  schon  seit  längerer  Zeit  sieh  damit  beschäftigt, 
Alphabete  für  ihre  Muttersprache  aufzustellen;  wegen  der  Ver- 
schiedenheit der  Dialecte  kann  man  eben  die  Mehrzahl  nicht  rer- 
meiden.  Wenn  man  mit  diesen  Versuchen  noch  diejenigen  Alphabete 
vergleicht,  deren  man  sich  in  den  gewöhnlichen  Druckschriften  be- 
dient, so  tritt  eine  ausserordentliche  Verschiedenheit  hervor.  Man 
mag  bei  dem  Widerstreit  der  Meinungen  es  als  einen  etwas  zu  weit 
getriebenen  Scherz  bezeichnen,  wenn  Chaho  sein  Dietionnaire  baaque^ 
frangaü,  espagnol  et  latin'')  (Bayonne  18K6)  mit  einem  Artikel 
unter  der  Überschrift:  „La  guerre  des  alphabets**  eröffnet  und  hier 
die  einzelnen  Buchstaben  in  einer  parlamentarischen  Sitzung  sich  so 
sehr  gegen  einander  erhitzen  lässt,  dass  sie  öfters  zu  einem  Glase 


*)  W.  V.  Hnnboldt  legi«  Boch  eiaea  hoben  Wertb  auf  dieeea  Lelolied  uid  bat 
daeeelbe  io  aeinen  BericbUgungeB  oad  ZaaXUeii  snn  Mitbridatee  (Bd.  2^  Abacbn.  I, 
8.  es  a<  ff.)  nach  einen  ihm  mitgeUieilten  Maniiacript  heranagegeben.  Eben  «o  iat 
der  Geaang  ?on  Altabiacar  und  daa  Lied  anf  Haanibal  uneebt. 

*)  Salaberri,  Voeabolaire  p.  117  gibt  daa  Wort   Leio  dwcb  uiuge^  käbitude 


*)  8.  Biadd,  Btndea,  p.  MO. 

')  Daa  Werk  iat  leider  anvollendet  geblieben,  ea  reicht  bia  snm  Worte  ^Letitra''  in 

der  Reihe  der  aua  dem  Lateiniaehen  reripirten  Wörter ;  die  eigentlich  baakiachen 

waren  einem  apiteren  Bande  aufbehalten. 


10  Phillips 

Wasser  ihre  Zuflucht   nehmen    müssen;   indessen,  in.  der  Haup 
saebe  hat  er  Recht,  als  in  dieser  Hinsicht  wirklich  alles  durch  ein- 
ander geht 

Als  dem  Sprachgebiete  des  Baskischen  entrückt,  können  wir 
nur  das  Torhandene  Material  vorlegen  und  beginnen  mit  einer  Zu- 
sammenstellung der  auf  dem  vorher  bezeichneten  Wege  entstandenen 
verschiedenen  baskischen  Alphabete. 

IL 
Zusammexistellung  verschiedener  baakisoher  Alphabete. 

Eine  Zusammenstellung  der  einzelnen  Alphabete,  wie  sie  theils 
im  spanischen,  theils  im  franzosischen  Baskenlande  gebrauchlich 
sind«  wird  dazu  dienen,  um  einstweilen  zu  zeigen,  wie  weit  diese 
auseinander  gehen;  eine  Prüfung  derselben  soll  erst  nachher 
stattfinden.  Für  das  spanische  Baskenland  kommen  hier  zunächst 
die  Alphabete  von  Larramendi^»  Lardizabal*)  und  van 
Eyss«)  in  Betracht,  sodann  eine  zu  San  Sebastian  im  Jahre  1847 
gedruckte  Schrift  von  Yztueta^),  nebst  mehreren  zu  Tolosa*)  und 
Vitoria  •)  herausgegebenen  Andachtsbüchern,  die  mit  einander  ziem- 
lich übereinstimmen.  Hinsichtlich  des  französischen  Baskenlaades 
sind  es  vornehmlich  ein  unter  dem  Namen  Tresora  zu  Bayonne  sre- 
drucktes  Vocabularium''),0Thenart8),  L^cluse»),  Darrigol  «•). 


')  In  seinein  Diccioatrio  trilingue. 

^)   GmmmaUoa  VatieoDgadii. 

*)  Essai  d'une  Grammaire  hasque  2.  edition. 

*)  Der  Titel  lautet:  Ouipuzeoaeo  Frovindarett  Condaira  edo  Hüterin.  Ihn^HU,  1847. 

*)  BtcU'Idburua  ceiiean  dauden  eritaharen  eguneroco  ßjereieioae.  ToUnan,  1894. 

*)  Guia-'Manual  det  Ungute  para  uto  de  Im  vUjero»  en  et  paie  vaeeo.  Vitoria  1868. 

^)  Der  vollatindi^  Titel  lautet :  Treeora  Mraur  letiffuaietagma^  p-aneeea^  etpmgwim  eu 
hmeguara,  Obra  ena  eU  neeetearia  nore  deeiraeen  bayton  eranden  Lenfuii  horrmfoi. 
Batfonan,  Franee»  Baurdöt^  Lib&ureu  BguitUrea  eehiatt.  1642.  Die  kaiaerlickc 
Bibliothek  beai^t  dies  Bocli  (73.  M.  117)  und  es  ist  darin  mit  Bleistift  Limrig  als 
der  Verfaistr  beseichnet  Vgl.  v.  Humboldt,  Berichtiguogeii  und  Zoaitxe,  S.  €3. 
8.  noch  Prancisque  Michel  in  der  Introduction  xu  seiner Ansgabr  roo  OiheBart. 
Proverbes  basques  p.  XXVI. 

*)  Oihenart,  Proverbes  basqoes.  Preface. 

')   Leeluse^  Grammaire  hasque,  p.  13. 
*®)  (Darrigol),  DIssertMtion  critique  et  apologeliquf  sur  la  langue  basque.  p    8. 


über  dM  ba«£isehe  Alphabet.  1  1 

ChahoK),  DuYoisinis),  Inchauspe  <•) ,  Francisque- 
Micheh*),  Salaberriis)  undPruner-Bey<*),  deren  Arbeiten  das 
Material  su  diesem  Zwecke  liefern,  womit  dann  die  Alphabete  einiger 
Druckschriften  zu  vergleichen  sind,  namentlich  Axular,  Gueroco 
guero  (oder  de  non  procrastinanda  poetiitenHat  woi*tlich  des  Nach- 
herigen Nachher  oder  des  Zukunftigen  Zukunftiges),  welches  Buch 
zuerst  1642  und  dann  in  zweiter  Auflage  1864  zu  Bayonne  er- 
schien 17).  Die  interessante  Zusammenstellung  des  Gesanges  der 
drei  Männer  im  feurigen  Ofen,  welche  der  Prinz  Bonaparte  gemacht 
hat  18),  kann  leider  für  diesen  Zweck  nicht  benutzt  werden,  da  bei 
der  steten  Wiederholung  des  benedicite  und  laudaie  unter  Hinzu- 
fugung  einzelner  Substantiva  kein^  Sicherheit  geboten  wird,  ob 
säromtliche  Buchstaben  des  Alphabets  darin  vorkommen,  wie  denn 
namentlich  das  f  vermisst  wird  i*). 

Wir  lassen  nunmehr  eine  tabellarische  Übersicht  dieser  ver- 
schiedenen Alphabete  folgen: 


*t)  Chslio,  DictiooDaire  (s.  I.  8.  8);  latroduction  philolofrique  p.  8. 

*')  MeMoger  de  Bajonne,  1856.  Vgl.  Boodard,  Nomiamatiqve  Ib^rienne,  p.  63. 

I*)  iDchaaspcLe  verbe  besque  (Ptris.  I850),  p.  Xi.  XII. 

^*)  FraBCisque-Miehel,  Le  paya  batqae.  p.  19. 

*^)  Salaberri  (d'Ibarrol  le),  Vocabnlaire  de  Mola  buques-oavarraia  tradoiia  en 
laagroo  fhiDfalae.  Bayoune.  1856. 

'*)  Proner-Bey.  Lecture  aar  la  langue  esscaara  im  Bulletio  de  la  soci^t^  d'aothro- 
pologie  de  Paria.  Noov.  S^r.  Vol.  II  (1867).  p.  39.  46. 

^')   8.  über  den  Verfaaaer  Francisque-Miehel  a.  a.  0.  p.  477. 

1^)  Canticum  triam  pueroram  io  XI  Vaaconiae  lioguae  dialectos  ab  varietatea  veraum. 
Coilegii  et  oorae  ortbographiae  aecommodavit  LodoTlcua  Lucianua  Booaparte. 
EdiUo  altera.  Londini.  1858.  4. 

'*)  Die  Arbeiten  dea  Abb^  Jaurretche,  welcher  oaeb  einer  mir  angegangenen NoUs 
•«sfBhrlieber  über  daa  baakiacbe  Alphabet  geachrieben  und  aehr  geeignete  Pria- 
cipien  ffir  daaaelbe  aufgeseiehnet  haben  aoll,  waren  mir  nicht  suginglicht  Ina- 
benoadere  aoU  deraelbe  in  einem  Anhange  an  einem  nicht  mehr  im  Buchhandel  ror- 
hniidenen  Andachtabuche  dieaen  Oegenatand  dargeatellt  haben. 


12 


Phillips 


Spftalseheo  lMkeiilfli4. 


Irauioloohos 


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13 


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über  da«  baskiscba  Alphubel. 


15 


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Duvoiain  1856. 

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Salaberri 
1856. 

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Axolar.  Druck 
▼.1864. 

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16 


Phillip« 


Sptaiscles  iMkenlaa^. 

IranililMkei 

Laramendi 
1745. 

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27 

Ober  das  baskiache  Alphabet. 


17 


lukeiluJ. 


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Duvoisin  1856. 

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Salaberri 
1856. 

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Pruner-Bey. 
1867. 

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33 

StUb.  d.  phil.-hist.  Cl.  LXVI.  Bd.  I.  Hft. 


18  Phillip« 

Wenn  man  nun  diese  Alphabete  zunächst  nur  in  Betreff  der 
Zahl  der  Buchstaben,  die  zu  jedem  einzelnen  gehören»  mit  einander 
vergleicht,  so  wird  man  gewahr,  wie  dieselben  im  allgemeinen  bei 
denen  des  spanischen  Baskenlandes  eine  geringere  ist,  als  bei 
denen,  welche  auf  französischem  Boden  Geltung  gewonnen  haben. 
Während  dort  keines  bis  zu  dreissig  Buchstaben  emporsteigt,  unter 
denen  sich  auch  das  in  diesen  Gegenden  kaum  hörbare  h  befindet, 
so  überschreiten  hier  mehrere  die  genannte  Zahl. 

Eine  andere  sogleich  in  die  Augen  fallende  Verschiedenheit 
zwischen  den  franzosischen  und  den  spanischen  Alphabeten  ist  die, 
dass  dort  weit  mehr  die  Aspiraten  beliebt  sind  als  hier,  wo  ohne- 
dies das  h  mehr  geschrieben  als  gesprochen  wird. 

Ein  weiterer  Vergleich  zeigt,  dass  neunzehn  Buchstaben  in  allen 
sechzehn  Alphabeten  sich  finden,  nämlich  a,  b,  d*  e,  /*•  g*  h,  >•  /»  tn, 
n,  »,  Op  p,  r,  8,  U  u  und  z.  Dagegen  andere :  d\  fh,  l\  l\  r\  rr,  sh  und 
S8,  jedes  nur  einmal  vorkommt;  r  fehlt  in  den  franzosischen  Alpha- 
beten fast  ganz  und  ist  auch  in  den  spanischen  nicht  häufig;  sein  Laut 
wird  durrh  b  vertreten.  Dagegen  haben  jene  ausschliesslich  die 
Buchstaben:  g,  kh^  ph,  ich  und  tt,  obschon  sich  ich  der  Aussprache 
nach  auch  in  Spanien  findet,  wo  ch  diese  Bedeutung  hat.  Die  beiden 
Buchstaben  c  und  q  haben  so  ziemlich  das  gleiche  Schicksal  gehabt; 
im  französischen  Baskenlande  herrscht  das  Bestreben,  sie  zu  rer- 
bannen;  nur  vier  der  aus  dieser  Gegend  mitgetheilten  Alphabete 
haben  noch  das  c,  nur  zwei  das  q  beibehalten;  van  Eyss  verwirft  aus- 
nahmsweise auch  für  Guipuzcoa  beide.  Dagegen  gewährt  eben  dieser 
Schriftsteller  in  dem  von  ihm  aufgestellten  Alphabete  dem  k  eine 
Stelle,  welches  sonst  jenseits  der  Pyrenäen  nicht  beliebt  ist,  während 
es  diesseits  allgemein  anerkannt  wird.  Sieht  man  Ton  diesem  der 
französischen  Sprache  völlig  fremden  Buchstaben  ab,  so  macht  ein 
erster  flüchtiger  Blick  auf  diese  Alphabete  mit  ihrem  p,  U  und  n  den 
Eindruck,  als  habe  man  es  hier  nur  mit  Dialekten  des  Französischen  oder 
Spanischen  zu  thun.  Dieser  Eindruck  wird  freilich  bei  näherer  Ein- 
sicht völlig  verwischt;  es  kann  daher  keinen  grosseren  Inrthum 
geben,  als  den,  in  welchen  Pierquin  verfallen  ist,  der  in  einem 
Artikel  der  France  littiraire  vom  Jahre  183S  die  Behauptung  auf- 
stellt s<^),  dass  die  baskische  Sprache,  die  nur  eine  Species   des 

'®)  ^?l*  Fraocisqu e-M i c h e I  in  der  Einleitung  sn  seiner  Avsgabe  Ton  OTkennrt, 
Prorerbee  Baaqnes.  p.  XXI.  XXU. 


über  daa  baakitche  Alphabet.  1  9 

romanischen  Patoia  sei,  ihren  Ursprung  nicht  weiter  als  höchstens 
bisEum  zehnten  Jahrhundert  zuruckdatiren  könne;  welch  ein  Gegen- 
sats  zu  der  excentrischen  Ansicht,  Gott  habe  schon  im  Paradiese  zu 
Adam  und  Era  in  der  baskischen  Sprache  geredet»)! 


III. 

Das  bei  Feststellung  des  baskischen  Alphabets  zu 

beobachtende  Verfahren*). 

Bei  der  Feststellung  des  baskischen  Alphabets  muss  man  von 
der  Thatsache  ausgehen,  dass   die  Euskuara  durch  den  Hinzutritt 
fremder  Elemente  grossen  Eintrag  erlitten  und  dass  demgemäss  auch 
das   Alphabet   seine   Gestaltung    gewonnen    hat.     Das   lateinische 
Alphabet  passte  auf  die  baskische  Sprache  nicht  und  passt  auch  heut 
zu  Tage   nicht,   wovon  das  Leben  selbst  Zeugniss  gibt,  indem  die 
gesprochene  Sprache  vielfältig  von  der  geschriebenen  sich  unter- 
scheidet und  zwar  nicht  etwa  in  der  Weise,  wie  ein  Dialekt  sich  zur 
Schriftsprache  verhält,  sondern   weil  jene  so  manche   Laute   hat, 
welche  die  Schrift  nicht  zur  Genüge  wiederzugeben  vermag.   Es  be- 
greift sich  aber,  dass  man  bei  dieser  Unzulänglichkeit  des  lateinischen 
Alphabets  darnach  strebte ,  die  Lücken  in  dem  aufgedrungenen  Ge- 
schenk   möglichst    zu   ergänzen.    Da  es   hiebei   aber  an  leitenden 
Principien  fehlte  und  in  Folge  dessen  manche  Willkur  waltete ,  so 
hat  dies  eine  ziemliche  Verwilderung  des  baskischen  Alphabetes  zur 
Folge  gehabt.  Waren  mit  den  fremden  Worten  auch  fremde  Laute 
in  das  Baskische  hineingekommen  und  hatten  sich  diese  hier  einge- 
bürgert, so   waren   sie  dadurch  auch  berechtigt  worden,  in  dem 
Alphabete  reprSsentirt  zu  werden.  Aber  um  so  mehr  verstand  es  sich 
von  selbst,  dass  die  einheimischen  Laute,  denen  das  lateinische 
Alphabet  keinen  Ausdruck  zu  geben  vermochte,  doch  in  einem  für 
die    baskische  Sprache    bestimmten  Alphabete   ihre  Stelle   haben 


<t)   Vpl.  Blia.  Reelnaein  der  ReTue  dea  denz  mondea.  Tom.  LXVUI.  p.  StZ. 
*)   Wir  haben  bei  dei  nacbatehenden  Bemerkungen  Torau^weiae  die  ciapjrreniiacben 

Dialekte  im  Aage;   die   dea  apaniaehen  BHakenlandea  werden  ateta   aaadrficklioli 

M-wilint. 


20  Phillips 

musiiteii ,'  aber  gerade  dieser  Proeess'  konnte  kaum  anders  als  in 
vieler  Beziehung  unglücklich  ausfallen,  da  durch  die  Verschiedenheit 
der  Dialekte  die  Aussprache  sehr  schwankend  geworden  war. 

Es  fragt  sich  demnach,  worin  nach  dem  gegenwartigen  Stande 
der  Dinge  die  Aufgabe  des  Sprachforschers  zu  bestehen  habe »  um 
ein  wirklich  entsprechendes  Alphabet  för  die  baskische  Sprache 
festzustellen.  An  eine  historische  Construction  eines  solchen  Alpha- 
betes ist  wohl  kaum  mehr  zu  denken;  einestheils  ist  dazu  die  bas- 
kische Literatur  zu  jung»  anderntheils  sind  auch  fast  alle  Fäden  des 
Zusammenhanges  mit  einer  früheren  Vergangenheit  abgerissen.  Ja 
sogar,  wenn  es  gelänge  darzuthun.  dass  das  baskische  Alphabet 
seinem  Ursprünge  nach  mit  dem  iberischen  und  dadurch  mittelbar  dem 
phonizischen  zusammengehöre,  so  wflrde  damit  doch  für  die  einzelnen 
Lautnüancirungen  wenig  gewonnen  sein,  da  diese  in  dem  Baskischen 
in  einer  solchen  Fülle  dastehen,  wie  sie  aus  jenen  Alphabeten  wenig- 
stens nicht  erkennbar  ist.  Für  die  Zeit  des  siebzehnten  Jahrhunderts 
gibt  Olhenart  einige  Anhaltspunkte <),  allein  diese  wollen  doch  um 
so  weniger  genügen,  als  des  genannten  Schriftstellers  leitendes  Prin- 
cip  das  ist:  ne  pas  trop  choquer  Fusage  des  langues  voisinea*). 
Zudem  gebort  Oihenart,  wie  auch  diese  Äusserung  hinlänglich  be- 
zeugt, einer  Zeit  an,  wo  das  baskische  Alphabet  bereits  eine  starke 
Corruption  erfahren  hatte.  Dessenungeachtet  muss  anerkannt  werden, 
dass  dieser  Schriftsteller  eine  sehr  klare  Anschauung  von  dem  Be- 
dürfnisse seiner  Muttersprache,  mit  einem  wohlgeordneten  Alphabete 
versehen  zu  werden  hat,  und  man  darf  sagen»  dass  die  meisten  seiner 
Vorschläge,  die  er  zu  diesem  Zwecke  macht,  auch  fQr  die  Gegenwart 
keineswegs  von  der  Hand  zu  weisen  sind. 

Während  nun  die  Geschichte  keine  Aushülfe  bietet,  so  kann 
man  eben  nur  auf  den  unmittelbar  vorliegenden  siattu  quo  RQcksicht 
nehmen  und  muss  hauptsächlich  darnach  streben,  den  wirklich  prak- 
tischen Bedürfnissen  gerecht  zu  werden.  Hält  man  diesen  Gesichts- 
punkt fest,  so  zerfällt  jene  Aufgabe  in  zwei  Bestandtheile :  erstens 
Entfernung  aller  überflüssigen  Buchstaben  aus  dem  Alphabete  und 
zweitens   sichere  Feststellung  der  wirklich  noch  im  spraehlieben 


*)  Olhenart,  Prorerbes  basqaes.  Preface. 
')  OTbeiart,  a.  a.  0.  p.  6. 


über  dM  hMkiAcbe  Alphiibel.  'i  I 

Leben  exiatirenden  Laute  durch  geeignete  Zeichen.  Dieser  letztere 
Bestandtheil  der  Aufgabe  ist  natürlicher  Weise  der  bei  Weitem 
schwierigere. 

1.  Entfernung  der  uberflQssigen  Buchstaben  aus  dem 

baskischen  Alphabete. 

Schon  OThenart  hat  darauf  aufmerksam  gemacht,  dass  mehrere 
Buchstaben  in  dem  baskischen  Alphabete  entbehrt  werden  könnten 
Er  geht  von  dem  Gesichtspunkte  aus»  dass  die  Basken  ihre  eigene 
gchrift  vor  alten  Zeiten  gehabt,  sie  aber  unter  römischem  Einflüsse 
mit  der  lateinischen  umgetauscht  hätten »  demnach  stimme  das  latei- 
nische Alphabet  mit  der  baskischen  Sprache  nicht  überein*).  Die  Zahl 
der  Buchstaben  jedoch,  die  er  fQr  entbehrlich  erklärt,  wäre  grosser, 
wenn  er  es  nicht  fQr  angemessen  hielte,  die  an  sich  ihm  überflüssig 
erscheinenden  anderweitig  zu  yerwenden.  Er  erklärt  demnach  k  und 
qj  V,  X  und  y  für  entbehrlich,  verwirn  jedoch  Yon  diesen  nur  v  und 
y,  weil  ihm  zweckdienlich  erscheint,  k  und  q  vor  e  und  t  statt  des  c, 
und  X  statt  des  eh  zu  gebrauchen. 

In  neuerer  Zeit  haben  insbesondere  Darrigol  und  Duvoisin, 
$ü  wie  Inchauspe  eine  Purification  des  Alphabets  vorgenommen. 
Der  zuerst  Genannte  hat  die  Buchstaben  c,  9,  v  und  y  gänzlich  ver- 
worfen und  zugleich  die  französische  Aussprache  des  g^  j  und  %  ganz 
oder  theilweise  lur  unzulässig  erklärt  Auffallend  ist  es,  dass  Darrigol 
das  (!  beibehalten  hat,  denn  auf  diesen  ganz  franzosischen  Buch- 
staben dürfte  gewiss  der  von  ihm  angezogene  Satz  des  Picinus 
passen:  „quod primum  non  esU  non  est  gimplex'*^}.  Der  genannte 
Schriftsteller  hat  in  seiner  apologetischen  Dissertation  nicht  eigent- 
lich das  baskische  Alphabet  festgestellt,  sondern  hat  sich  nur  mit 
einigen  sehr  treffenden  Bemerkungen  darüber  begnügt.  Erst  aus  den 
sprachlichen  Beispielen  und  Schematen,  die  er  in  seine  Abhandlung 
einflicht,  muss  man  sich  das  von  ihm  angenommene  Alphabet  zusam- 
menstellen, ohne  dadurch  zu  der  wünschenswerthen  Sicherheit 
darüber  zu  gelangen,  welche  Laute  Darrigol  als  nothwendig  in  das 
Alphabet  gehörend  erscheinen. 


*^   Ofhenart,  a,  a.  O.  p.  3- 

^)   Dar  rigol,  DisserUtioa  apolog^tiqu«  de  la  lang««  basqiu*.  |>.  U. 


22  Phillip» 

Mit  Fug  und  Recht  hat  denn  auch  Duvoisiu*).  nicht  minder 
Incbauspe«),  das  {; aus  dem  baakischen  Alphabete  hinaasgewiesen; 
ausserdem  hält  Jener  das  c»  q,  v  und  a:  tür  überflGssig^).  Auch 
Chaho  ist  der  Meinung,  dass  das  c  gut  entbehrt  werden  konnte  und 
nur  aus  Respect  vor  dem  etymologischen  Ursprünge,  insbesondere 
von  Namen,  wie  Caesar,  mochte  er  es  beibehalten^);  dasc  ist  aber 
eben  deshalb  überflüssig,  weil  es  ja  nach  der  Verschiedenheit  seiner 
Aussprache,  die  vor  e  und  i  sicherlich  nicht  genuin  baskisch  ist,  durch 
einen  andern  Buchstaben  ersetzt  wird,  durch  k  nämlich  and  durchs; 
statt  ca,  CO  und  cu  hat  man  ka,  ko,  ku,  statt  ce  und  ci,  ze  und  zi  za 
schreiben. 

Sehr  epuristisch  ist  in  Betreff  des  Alphabetes  die  Verfahningsweise 
in  dem  angeführten  Werke  von  Yztueta  und  die  des  Herausgebers  des 
Axular*).  Beide  schliessen,  mit  Ausnahme  des  f,  diejenigen  Buchstabeo 
a\is,  die  Oihenart  zum  Theil  für  andere  Zwecke  beibehält»  nämlich 
kt  V  und  X  und  ausserdem  noch  j  und  U;  allerdings  wird  auf  dem  Titel- 
blatt des  Gueroco  Guero  der  Name  des  Verfassers  Axular  geschrieben, 
aber  es  kommt  sonst  im  ganzen  Buche  kein  j;  vor.  Auffallend  ist  es,  dass 
das  g  auch  hier  beibehalten  ist,  so  wie  jenes  u,  welches  blos  als 
Sicherungsmittel  der  richtigen  baskischen,  gegen  die  französische 
Aussprache  des  g  vor  e  und  t  dient,  wofür  Chaho  italianisirend  das  k 
in  Vorschlag  gebracht  hatte  ^o).  Es  hat  nämlich  im  Baskischen  das 
g  ganz  gleichmässig  vor  allen  Vokalen  zu  lauten;  daher  dort  das  g  in 
gero  (nachmals)  und  gizon  (Mensch),  gerade  so  wie  in  garbi  und  es 
ist  durchaus  nicht  nöthig  guero  und  guizon  zu  schreiben.  Duvoisio 
hat  dieses  ti  aus  dem  baskischen  Alphabete  ausgewiesen  <<}.  Pruner« 
B  ey  ist  der  Meinung,  dass  auch  das  f  zu  beseitigen  sei  ><),  da  es  nor 
in  Fremdwörtern  vorkomme;  allein  dieser  Grund,  der  allerdings  seine 


B)  MeMtger  de  Bayonac.  25  Mars.  185S.  n.  7S0. 

*)  Incbauspe,  La  Terbe  baaqoe.  p.  XI. 

^)  I  n  c  b  a  n  a  p  c  (p.  XII)  nimmt  to«  diea«Q  Bucbataben  iiir  daa  «,  jedoch  mchl  ala  kt 
aondero  rIb  ts  an. 

^)  Cbabo,  Dictionnaire.  C.  p.  167. 

*)  8.  oben  II.  8.  11. 
<<^)  Cbabo,  a  a.  O.  p.  11. 
^0  So  ancb  Oarrigol  I.  c.  p.  IK. 
12)  Bulletin  de  la  Soei^t^  d'antbropolofpie,  Nouv.-S^rie.  Tom.  II.  >.  37. 


über  daA  baskitche  Alphabet.  23 

historische  Berechtigung  hat,  kann  für  die  Gegenwart  wohl  nicht 
mehr  geltend  gemacht  werden  «). 

Demgemäss  erscheinen  von  dem  lateinischen  Alphabet  neunzehn 
Bachstaben»  wenn  auch  nicht  durchwegs  in  unveränderter  Aus- 
sprache» anwendbar,  nämlich :  a,  b,  d»  e,  /*»  g*  A,  f»  k,  l,  m,  n,  o,  p, 
r,  8,  iy  u  und  z. 

Schliesslich  entsteht  noch  die  Frage,  ob  die  mit  der  Aspiratron 
h  versehenen  Buchstaben,  wie  kh»  ph*  ih^  als  besondere  Zeichen 
nicht  vielleicht  entbehrlich  wären,  da  im  Baskischen  die  Aussprache 
des  h  auch  bei  ihnen  eine  ganz  selbständige  bleibt  <*)  und  daher 
z.  B.  apheza  (der  Priester)  nicht  afeza,  sondern  ap-heza  lautet. 
Wenn  dies  eine  absolute  Wahrheit  ist,  wie  Darrigol  sie  hinstellt  <»), 
so  könnte  man  in  der  That  alle  diese  mit  h  componirten,  oder  wie 
jener  sich  ausdruckt,  mit  h  vermählten  Buchstaben  als  selbständig 
aufzofflhrende  Lautzeichen  entbehren,  da  die  blosse  Zusammen- 
stellung in  der  Schrift  schon  dasselbe  Besultat  liefert. 

2.  Vervollständigung  des  latino-baskischen  Alphabets» 

Das  sehr  naturliche  Streben  nach  Vereinfachung  und  Abkür- 
zung des  Alphabetes  hat  aber  auch  seine  Bedenklichkeiten ,  denn  es 
bringt  die  Gefahr  milt  sich,  dass  im  Laufe  der  Zeit  die  Lauteigen- 
thumlichkeiten  der  baskischen  Sprache  unterdrQckt  und  beseitigt 
werden  durften.  Eben  darin  würde  nun  der  zweite  Theil  der  vorhin 
bezeichneten  Aufgabe  des  Sprachforschers  bestehen,  den  echt  natio- 
nalen Lauten  auch  in  dem  Alphabete  zu  einer  Repräsentanz  zu  verhel- 
fen. Es  treten  aber  auch  hier  Schwierigkeiten  eigener  Art  entgegen, 
denn  eigentlich  musste  diese  Arbeit  für  jeden  Dialekt  besonders  ge- 
macht  werden,  da  ein  für  sie  alle  passendes  Alphabet  sich  nicht  her- 
stellen lässt ;  es  würde  für  den  einen  Dialekt  icu  viel,  für  den  andern 
zu  wenig  bieten.  Es  bleibt  daher  nichts  anders  übrig ,  als  die  vor- 
handenen Laute,  so  weit  möglich  zusammenzustellen  und  bei  jedem 


tl)  8.  oben  8.  19. 

<*)  So  sagt  auch  Schleieher,  Conpendium  der  rcrglefchenden  GraminaUk.  2.  Aufl. 
S.  11.  §•  !•  Adr). 2.a. G.  »Die  Aspiranten  sind  Doppellaute;  beide  Laute,  aus  denen 
sie  bestehen,  der    Torausgehende    momentane    Consunant    nnd  der   nachfolgende 
Hnuch  miisspn  bei  der  Aussprache  gehört  werden". 
1*}  Dar  rigol,  a.  a.  0.  p.  9. 


24  Phillip« 

ZU  bemerken,  was  daran  gemeinsam  ist  und  was  einem  einzelneo 
Dialekte  angehört;  zunächst  hat  man  also  seine  Aufmerksamkeit  dahiu 
zu  wenden,  dass  man  jedem  Laute  seine  Stellung  in  dem  Alphabete 
anweist.    Man  kann  sich  daher  nur  wundern,  dass  Chaho,  welcher 
ein  baskisches  Alphabet  von  26  Buchstaben  aufstellte,  sich  dieser 
Aufgabe  zwar  nicht  entzog,  aber  doch  solche  Laute,  yon  denen  er 
bemerkt,  sie  würden,  wenn  man  ein  eigentlich  nationales  Alphabet 
besässe,  durch  besondere  Zeichen  ausgedruckt  werden  müssen^*),  nur 
ausnahmsweise  behandelt  i?)  und  nicht  in  das  Alphabet  selbst  aufge- 
nommen hat  Derartige  Laute  sind  in  nicht  geringer  Zahl  Torhandeo, 
wie  denn  auch  Duvoisin  sagt:  *  »Das  lateinische  Alphabet  ist  für  uns 
in  hohem  Grade  ungenügend ;  um  allein  das  Baskische  im  Labourd 
nach  einer  wissenschaftlichen  Theorie  zu  schreiben,  bedurfte  man 
nicht  weniger  als  fünfzig  Buchstaben  und  dann  müssten  diese  Docb 
mit  Zeichen    versehen    werden,    durch    welche  VerschiedenheiteD 
kenntlich  gemacht  würden*"*.   Es  wäre  also  wissenschaftlich  voll- 
kommen gerechtfertigt,  wenn  man  für  solche  Laute  neue  Buchstaben 
erfände.  In  derThat,  schon  allein  vom  theoretischen  Standpunkte  aus 
betrachtet,  mflsste  ein  solcher  Versuch  gemacht  werden;  er  würde 
freilich  ins  Leben  nicht  übergehen,  denn  es  mochte  fast  unmoglieh 
sein,  für  solche  neu  erfundene  Zeichen  conventionell  eine  Anerken- 
nung zu  finden. 

Bereits  Oihenart  hatte  einige  Versuche  der  Art  gemacht  Indem 
er  darauf  hinwies,  dass  dem  lateinischen  Alphabete  mehrere  Buch- 
staben fehlten,  die  im  Baskischen  gebräuchlich  seien,  fuhrt  er  zu- 
nächst die  nachstehenden,  von  ihm  zur  Unterscheidung  mit  einem 
Punkte  versehenen  an^s),  nämlich:  d\  l\  n'  und  i\  Damit  soll  ange- 
deutet werden,  dass  ihre  Aussprache  von  der  lateinischen  abweiche, 
und  zwar  hat  diese  Differenz  noch  diirin  ihre  besondere  Bedeutung, 
dass  dadurch  eine  Deminutivirung  im  Begriffe  ausgedrückt  werden 
soll.  Er  gibt  in  dieser  Beziehung  an,  dass  sein  /'  mit  dem  italieni- 
schen gl  in  doglia  oder  dem  französischen  iU  in  faülir,  beziehungs- 
weise dem  spanischen  //  in  haUar  übereinstimme,  eben  so  das  n 
mit  dem  italienischen   uud  franzosischen  gn  in  bisogno  und  gagner 


1*)  Chuho,  a.  a.  0.  p.  3. 
1?)  Chiiho,  a.  a.  O.  p.  7. 
1^)   OThena  rt,  a.  a.  O.  p.  3. 


Oher  daa  baskiache  A!phsbet«  2S 

und  dem  spanischen  n  in  taner.  Darnach  ist  OYhenart  offenbai'  der 
Meinung»  dass  die  Laute»  welche  gegenwartig  durch  //  und  h  aus- 
gedrückt werden,  schon  ihrem  Ursprünge  nach  baskisch  und  nicht 
erst  aus  fremden  Sprachen  recipirt  worden  seien;  es  wäre  dies  aller- 
dings nicht  unmöglich.  Besondere  Aufmerksamkeit  wendet  der  ge- 
dachte Schriftsteller  dem  d'  und  dem  t'  zu.  Es  sind  dies  nach  ihm  die 
beiden  Dentalen  d  und  i,  deren  Eigenthumlichkeit  in  der  Deminutiv- 
form darin  bestehe,  dass  sie  einen  weichen  und  gebrochenen  Klang 
hätten ;  in  Betreff  des  d'  bemerkt  er  insbesondere »  dass  dieser  Laut 
dadurch  gebildet  werde,  dass  man  die  Zunge  gegen  die  Zähne  stosse, 
ohne  sie  auch  nur  im  Geringsten  zu  erheben ;  als  Beispiel  dafür  gibt 
er  amand%  welches  einen  kleinen  „Zaunkönig'',  und  t'ipi*  welches 
überhaupt  „klein^  bedeutet.  Wie  bei  den  genapnten  Buchstaben 
hebt  Oihenart  auch  eine  Deminutivform  des  S  hervor  und  befolgt  in 
der  Schreibart  die  Verschiedenheit,  dass  f  für  die  Primitivform,  s 
für  die  Deminutive  angewendet  wird.  Wir  erlauben  uns  hinsichtlich 
dieser  Deminutivirung  Duvoisin  sprechen  zu  lassen:  *  «Dies  Ver- 
fahren erstreckt  sich  auch  auf  g  und  auf  z,  welche  zu  ch  werden.  In 
der  Conversation,  besonders  mit  Kindern  i*),  werden  diese  Ver- 
änderungen sehr  häufig  angewendet,  sie  kommen  jedoch  in  den 
Buchern  nicht  vor.  Wie  aber  das  Baskische  aus  dem  s  und  z  eine 
Deminutive  in  ch  bilden  kann,  so  aber  auch  aus  dem  ch  eine  Aug- 
mentative  in  s  und  z.  Daher  wird  aus  chichia  (Nadelstich) :  sisto, 
welches  mehr  besagt;  eben  so  wird  aus  churia  (weiss):  «urta,  aus 
chakhurra  (Hund):  zakhurra;  es  hängt  die  Anwendung  der 
Deminutive  und  der  Augmentative  von  einer  Regel  des  Geschmackes 
und  der  Situation  ab,  weshalb  ich  den  Hund  des  Tobias *<>)  chak- 
hurra und  die  Hunde ,  welche  die  nichtswürdige  Jezabel  auffras- 
sen*^}  zaUiurrak  genannt  habe''  *.  Wir  fügen  dem  noch  einige  andere 
Beispiele  hinzu:  chabal  hat  die  Bedeutung  von  „flsich'*  für  einen 
Gegenstand  von  nicht  grosser  Ausdehnung,  zabal,  wenn  derselbe 
grosseren  Umfang  hat;  chahar  heisst  »alt'*,  wenn  die  Sache  klein, 
zahar,   wenn  sie  gross  ist;   denselben  Gegensatz   bilden   chikhin 


I*)  Ansfäbrlich  und  «nmutbig  httndelt  bierTon  Cbiibo  r.  a.  O.  In  guerre  des  alphabets 

p.  15.  col.  1. 
20)  Tob.  VI.  i,Xl.  9. 
2<)  Reff.  XXI.  23. 


26  j>  h  i  1 1  i  p  8 

(schmutzig)  und  »ikhin^  chirchil  (nachlässig,  unordentlich)  und 
zirziU  gaicho  (bemitleidenswerth)  und  gaizo*  gichon  (ein  kleiner 
Mensch)  und  gizon,  gocho  (von  gutem  Geschmack)  und  gozo^  goichko 
(ein  wenig  zu  früh)  und  goiz  (früh),  guiichko  (sehr  wenig)  und 
gtitiz  (wenig),  kichkü  ein  Ausdruck  der  Verachtung  gegen  eine 
kleine  und  kizkil  gegen  eine  grosse  Person,  muleho  eine  kleine  und 
mulzo  eine  grosse  Gruppe. 

Zu  den  Buchstaben,  welche  dem  lateinischen  Alphabete*  fehlen, 
rechnet  dann  Oihenart  weiter  die  Aspiraten,  die  er  lieber  geradem 
durch  den  beigefügten  griechischen  Spiritus  asper,  als  durch  h  be- 
zeichnet wissen  will**).  Er  zählt  dahin  c\  l\  n\  p\  r*  und  t\  wo- 
für er  aK4  Beispiele  ic'ara  (zitternd),  eCe  (Gespräch),  un'e  (müde), 
ep'e  (Aufschub),  ero  (dumm)  und  aVe  (Thüre)  anführt  G^en  die 
Sehreibweise  icAara  erklärt  sich  OThenart  deshalb,  weil  die  Beifügung 
des  h  zum  c,  diesem  Buchstaben  eine  andere  Bedeutung  Terieihe; 
dies  wird  freilich  rermieden,  wenn  man  das  c  ganz  aus  dem  Alpha- 
bete yerbannt. 

Da  der  Laut»  welchen  das  deutsche  seh  ausdrückt,  dem  lateini- 
nischen  Alphabete,  aber  nicht  der  baskischen  Sprache  fremd  ist,  so 
bedarf  auch  er  eines  besonderen  Zeichens.  Oihenart  bringt  dafür  das 
ihm  sonst  unbrauchbar  erscheinende  x  in  Vorschlag»)  und  will  diesen 
Buchstaben  dann  mit  einem  Punkt  rersehen  und  x*  schreiben,  wenn 
der  Laut  noch  mit  einem  voraufgehenden  t  ausgesprochen  werden 
soll.  OVhenart  ist  hier  von  dem  ganz  richtigen  Gefühle  durchdrungen, 
wie  ungeeignet  hier  das  französische  ch,  so  wie  auch  fSr  den  zweiten 
Fall  das  spanische  ch  sei;  ein  Gegenstand,  der  noch  weiter  unten  zu 
berücksichtigen  sein  wird. 

Aus  allen  diesen  bisher  gemachten  Bemerkungen  geht  zur 
Genüge  hervor,  welche  grossen  Schwierigkeiten  der  sicheren  Fest- 
stellung eines  baskischen  Alphabetes  im  Wege  stehen.  Und  dennoch 
ist  es  die  Aufgabe  der  Wissenschaft,  hier  abzuhelfen.  Dies  scheint 
wenigstens  minder  schwierig  für  die  Dialekte  des  französischen  Bas- 
kenlandes zu*sein,  als  für  die  des  spanischen.  In  Frankreich  gibt  es 
gründlich  gebildete  Kenner  der  baskischen  Sprache,  die  dem  Volke 
nicht  erst  die  Laute  abzulauschen  brauchen,   um  sie  dann  in  ein 


*')  OiheDnr  t,  «.  n.  O.  p.  5. 
*')  Oiheiiart,  n*  a.  0.  p.  S. 


über  dns  bflakitch«  Alphabet.  27 

wissenschaftliches  System  zu  bringen»  während  es  in  Spanien  doch 
an  eigentlicher  Sprachkunde  fehlt.  Man  muss  es  daher  dem  Hollander 
vanEyss  Dank  wissen,  dass  er  sein  eifrigstes  Bestreben  auf  die 
Constatirung  der  Laute  selbst,  vornehmlich  im  Guipuzcoanischen.  ge- 
richtet hat;  ob  es  ihm  gelungen  ist,  das  Ziel  in  dieser  Hinsicht  voll- 
ständig zu  erreichen,  vermögen  wir  nicht  zu  beurtheilen.  So  lange  wir 
nicht  selbst  unser  Ohr  in  Beziehung  auf  die  baskischen  Laute  ge- 
hörig geübt  und  gebildet  haben,  wäre  es  unsererseits  sehr  vermessen, 
wenn  wir  den  einheimischen  Sprachforschern  in  der  Organisation 
ihrer  Lautlehre  vorgreifen  wollten.  Wir  können  daher  nicht  dringend 
genug  an  die  Sprachforscher  des  cispyrenäischen  Baskenlandes  die 
Aufforderung  aussprechen»  doch  recht  bald  die  Wissenschaft  mit 
einer    umfassenden    baskischen  Lautlehre  zu  bereichern.     Solche, 
wenn  auch  kurze  Verzeichnisse»  wie  z.  B.  Tnchauspe  in  seinem  Werke 
aber  das  baskische  Zeitwort  deren  eines  gibt,  sind  zwar  dankbar 
anzunehmen,  aber  sie  genügen  nicht.  Was  aber  insbesondere  die 
Bezeichnung  der  Laute  anbetriflFt,  wodurch  eben  die  feineren  Nuan- 
cirungen  derselben  anzugeben  wären,  so  ist  hier  freilich  schwer  der 
richtige  Weg  zu  finden.  Neu  erfundene  Zeichen  würden,  als  völlig 
ungewöhnlich,  gar  zu  sehr  gegen  den  allgemeinen  Gebrauch   Ver- 
stössen. Fast  mochte  es  noch  scheinen,  als  ob  der  von  OThenart  ein- 
geschlagene Weg  weitaus  der  geignetste  sei.   Er  fand  es  gerathen, 
einzelne  Buchstaben  des  lateinischen  Alphabetes,  sobald  sie  einen 
andern  aber  verwandten  Laut  ausdrücken  sollten,  mit  einem  Punkte 
zu  versehen.  Ein  solcher  Punkt  oberhalb  oder  unterhalb  eines  Buch- 
stabens, ein  Strich  über,  unter  oder  durch  denselben  ersetzt,  wenn 
man  sich  einmal  dber  die  beabsichtigte  Wirkung  geeinigt  hat,  hin- 
länglich die  völlig  neuen  Zeichen  und  bewahrt  auch  vor  mancherlei 
Inconsequenz;  von  einer  solchen  bietet  der  weiter  unten  noch  aus- 
fuhrlicher zu  berOcksichtigende  fatale  Eindringling  ch  ein  sehr  auf- 
fallendes Beispiel.  In  neuester  Zeit  hat  Prinz  Louis  Lucian  Bonaparte 
einen  ähnlichen  Weg  wie  Oihenart  eingeschlagen  <*),  indem  er  theils 
durch  einen  Punkt  über  dem  Buchstaben,  theils  durch  ein  an  dem- 
selben  angebrachtes  Ringelehen  die  Nuancirung  des  Lautes  ange- 
deutet hat,  z.  B.  8  und  ^,  z  und  z^. 


^}   CaBticum  Krium  pucrorum  (s.  I.  Note  18).  AdiioUttiinciilii. 


28  P  h  i  1  M  p  R 


IV. 
Die  eilizelzien  Buchstaben  und  ihre  AuBsprache. 


Das  Wort  Buchstabe  wird  im  Baskischen  durch  bechi  wieder- 
gegebeui)''  der  Vokal  heisst  becliaoa,  wortlich  „Hundbuebstabe'', 
der  Consonant  otzkidea,  von  oisa  «der  Laut,  das  Geräusch*  und 
kide  „von  gleicher  Beschaffenheit**  >). 


Die      Vokale. 

1. 
Einfache  Vokale. 

Die  baskische  Sprache  hat  fQnf  einfache  Vokale : 

Was  die  Aussprache  derselben  anbetrifft»  so  stimmt  sie  mit  der 
deutschen,  so  weit  diese  nicht  in  einzelnen  Dialekten  eine  ab- 
weichende wird,  fast  mehr  fiberein,  als  mit  der  der  Nachbar- 
sprachen. Demnach  hat  das  Baskische  weder  das  franzosische 
e  in  der  Aussprache  eines  dumpfen  ö»  noch  das  französische 
u;  nur  in  Soule*)  und  in  einem  Theile  Ton  Nieder-Navarra  (pajft 
de  Mixe  *) ,  Amikuxe  &)  im  Baskischen)  wird  ü  gesprochen  *)• 
weshalb  der  Prinz  Bonaparte  auch    die  Schreibweise  ü  fQr  diese 


0  Vgl.  hierüber  Boodard,  NainUaiatiqne  Ib^rieone.  p.  65. 

')  8.  Salaberri,  Vocabulaire,  h.  ▼. :  pareil,  aeoiblable,  de  coodition  efpale. 

*)   Vgl.  Inchau8pe,le  Verbe  baaque.  p.  XII. 

^J  Dieaes  Dennt  L.  L.  Bonaparte  ala  die  Gegend  des  nennten  Dialektes. 

^)  Salaberri,  Vocabulaire  h.  r. 

')  Salaberri  nennt  in  dieser  Bealebang  Sonle  nnd  den  Canton  8.  Paiain.  -*  Man 
ateUt  In  Betreff  dea  Lantea  ti  binfig  die  Kranaoaen  mit  den  Türken  aoaammeB  (x.  B. 
Leclnse,  Orammaire  pag.  6.  Chaho,  Dtctionnaire  pag.  5);  ikre  Vorlisfer 
waren  hierin  die  Griechen,  unter  deren  Einflnas  indessen  schon  CSsar  wid  Cicero 
den  kursen  tf-Laut  sehr  nahe  dem  griechischen  u  aussprachen.  Vgl.  Corssea, 
Über  Aussprache.  Vokalismas  und  Betonung  der  lateinischen  Sprache,  2.  Aal. 
Bd.  I.  S.  339. 


über  daa  batkische  Alphabet.  29 

Gegenden  anwendet.  Eine  Zeit  lang  hat  man,  gerade  um  den  Gegen- 
satz zum  Franzosischen  hervorzuheben,  diesen  Vokal  auch  ou  ge- 
schrieben, doch  ist  dies  neuerdings  und  mit  Recht  wieder 
aufgegeben  ''),  Es  darf  aber  nicht  ausser  Acht  gelassen 
werden,  dass  auch  o  öfters  wie  u  ausgesprochen  wird  und  zwar 
nicht  blos,  wenn  ein  Vokal,  sondern  auch,  wenn  ein  Consonant 
darauf  folgte);  z.  B.  Javikoa  (der  Herr),  gaistoen  (gen.  plur.  von 
geisioa  schlecht), noii; (wann),  iion(wo),  nor (wer?)  tauten:  Jainkua 
gaistnen,  nutz»  nun,  nur. 

Ausserdem  ist  aber  noch  eine  Besonderheit  in  Betreff  des  i  zu 
bemerken»  die  sich  im  guipuzcoanischen  Dialekt  findet.  Vi^eun  näm- 
lich auf  dasselbe  ein  Vokal  folgt»),  so  verändert  sich  dessen  Aus- 
sprache in  die  eines  deutschen  j,  ähnlich  wie  es  im  französischen 
Dieu  oder  wie  das  y  im  Magyarischen  (z.  B.  nagy)  ausgesprochen 
wird.  So  heisst  andu  gross,  mit  dem  bestimmten  Artikel  a:  andia. 
Dies  lautet  aber  nicht  an-dini,  sondern  andd-ja.  Kommt  t  zwischen 
zwei  Vocale  zu  stehen,  so  wird  statt  seiner  ein  y  geschrieben ;  z.  B. 
zaip  welches  einen  „ Aufseher,  Hater**  bedeutet,  wird ,  wenn  der  be- 
stimmte Artikel  a  hinzutritt,  nicht  zaia,  sondern  zaya  geschrieben. 
Auf  die  Entbehrlichkeit  des  y  hatten  schon  Etcheberri  (1630)  und 
Oihenart  hingewiesen  ^^')  und  in  der  That  erscheint  es  im  allge- 
meinen eben  so  überflüssig,  wie  in  der  deutschen  Sehreib  weise 
„seyen**  für  „seien''.  Das  Guipuzcoanische  <i)  behandelt  das  y  auch 
in  der  Beziehung  gleich  dem  t,  dass  es,  wo  es  (an  Stelle  des  t)  zwi- 
schen zweien  Vokalen  steht,  in  ein  (deutsches)  j' oder  wenn  man  will 
in  ein  erweichtes  d  übergeht;  z.  B.  turmoi  „Donner^,  turmoia  (ge- 
schrieben turmoya)  »der  Donner**  lautet  turmodja.  Nur  im  labour- 
diuischen  Dialekt  lautet  das  y  im  Anlaute  gleich  einem  doppelten  i; 
Prinz  Bonaparte  will  <•)  daher  zwei  verwandte  Buchstaben  y  und  y 
unterscheiden,  von  denen  der  erstere  dem  y  im  französischen  payer 
gleichkommen,  der  letztere  ein  härterer  Gaumenlaut  sein  soll. 


7>  D«rrigol,  Diaaertation.  p.  15. 

')  I  n  c  b  a  II «  p  « ,  a.  a.  O.  p.  XII. 

*)  S.  V.  Bvaa,  Baaai  d*uoe  Orammair«  de  de  la  lan^ue  baaque.  p.  6. 

<0j  S.  obea  111.  S.  21. 

ii>  Tau  Bys«,  a.  a.  O.  p.  13. 

IS)  Caaticam  (Ui.  Noi«  13)  AdnotaliauiuU. 


30  Pb  illipa 

Im  Allgemeinen  haben  die  Vokale  eine,  wenn  man  so  sagen 
darf,  mittlere  Aussprache,  weder  sehr  lang,  noch  sehr  kurz;  dast 
vor  einem  Vokale  ist  zu  dehnen;  z.  B.  argia *» argi-ia  ^*). 

2. 
Diphthonge. 

Nimmt  mau  den  Ausdruck  „Diphthonge**  in  dem  beschrankten 
Sinne,  dass  zwei  neben  einander  stehende  Vokale  so  mit  einander 
verschmelzen,  dass  sie  zusammen  nur  Einen  Laut  geben,  so  sind 
deren  imBaskiscben  nicht  viele  anzutreffen;  es  walten  aber  auch  hier 
Dialektsverschiedenheiten  ob»  wie  wir  sie  ja  auch  im  Deutseben 
haben,  z.  B.  in  Schwaben  der  Diphthong  ei  als  e-i  gebort 
wird.  Nach  den  Beispielen,  wie  sie  Inchauspe  angibt«*),  durfte  es 
doch  fast  als  die  Regel  anzusehen  sein,  dass  die  beiden  nebenein- 
ander stehenden  Vokale  nicht  als  Diphthonge  anzusehen  sind.  Dem- 
gemäss  wird  ai  als  a-t  ausgesprochen,  wie  in  dem  franzosischen 
Addlatde^  au:  a-u,  wie  im  italienischen  ba-tUa»  eu:  e-ti,  wie  im 
italienischen  £-tirofia,  oe:  o-e,  nicht  ö»  etwa  so  wie  das  westphäiische 
Soest  nicht  Söst,  sondern  SoUt  auszusprechen  ist;  endlich  lautet  ot 
gleich  o-t,  wie  im  französischen  ovoide»  epherolde;  ein  Beispiel  hie- 
für  ist  auch  der  oft  erwähnte  Name  Oihenart.  Es  mag  sein,  dass 
Inchauspe  hier  vorzugsweise  den  souletinischen  Dialekt  vor  Augen 
gehabt  hat«»);  van  Eyss  gibt  über  diesen  Punkt  keine  Auskunft, 
eben  so  wenig  Lecluse.  Je  weniger  Diphthonge,  desto  mehr  hat  das 
Baskische  Vokalgruppen  aufzuweisen. 

3. 

?§  kalgrnppen  ^*). 

Über  diese  gibt  nachstehende,  wohl  noch  zu  vervollständigende 
Übersicht  Auskunft : 


«>)  S.  Chaho,  a.  a.  O.  p.  7. 

«*)  Inchauspe,  a.  a.  O.  p.  XH. 

«»)  In   wie   weit  die  Abweichungen  hei  Pruner-B«y  (8.  5),  der  aieb   \m  ÜWi^oi  an 

das  Alphabet    von    Inchauspe  anschliesst,   richtig   seien,    «nee    dakia   gcstent 

bleiben. 
^*)  Eine  solche  Zusammenstellung  gibt  auch  Bondard,  Nvaitmatiqn«  Ibfrinaan  ^JS. 


Ob«r  da*  baskische  Alphabet.  31 


a)  Gruppen  von  zwei  Vokalen. 

aa:  Laaban  (bibl.  Name)"). 

ae:  galbaetu  <s)  (sieben,  als  Zeitwort). 

ai:  aita  (Vater). 

ao:  ao/2t  (Schnabel). 

au:  auizo  (Nachbar). 

ea:  emea  (die  Frau). 

ee:  abereen  (Vieh,  gen.  plur.). 

ei:  neitu  (aufboren),  sei  (sechs),  zein  (welcher). 

eoi  eo  (mahlen  auf  der  MQhle),  beorra  (die  Stute).. 

eu :  deu8  (etwas),  neurria  .(das  Mass). 

ia:  erdian  (in  der  Mitte),  ja  (die  Binse),  idia  (der  Ochs). 

ie:  darabilazie   (Sie  machen   ihn  gehen,  vou$   le  faites  aller), 

bethiere  (immer). 
ü:  lAtW«  «•)  (Thau). 
io:  biotza  (das  Herz). 
tu:  biucundia  (die  Bekehrung). 
oa:  a$toa  (der  Esel). 
oe:  loegitea  (schlaffen). 
oi:  oilhar  (Hahn),  osoa  (gesund,  heil). 
oo:  prootchu*^)  (Vortheil,  Geminn). 
ou:  s.  oua. 

ua:  ab&ztua  (Augustmonat). 
ue:  eguerdi  (Mittag). 
ui:  ahuina  (Zickel),  muina  (Gehirn). 


*7)  Boedard,  a. a.O.  p.  65  fuhrt  egaOf  Flügel,  als  Beispiel  auf,  was  gniapnacoaDiscb 
richtig  sein  mag;  ▼.  Humboldt,  Beriehtigingea  S. 21,  bat  die  drei  Formen  egna, 
egmla  und  egoa;  unter  diesen  ist  egaU  oder  kegalOt  wenigstens  diesseits  der  Pjrre- 
■fien,  die  fibliche. 

*^  8.  Larramendi,  Diccionario  trllingne.  ▼.  eribar.  Boudard,  a.  a.  O.  p.  65 
hat  bähe  (crible),  was  im  Labourdinischen  bahia  lautet. 

<*)  In  Ermangelung  eines  anderen  Wortes  mnss  hier  dies  gewfihlt  werden,  obscbon  die 
beiden  t  durch  ein  h  getrennt  sind,  was  ft'eilich  für  den  transpjreniiscb-baskischen 
Dialekt  keine  Bedeutung  hat.  Verbannt  man  das  y  aus  dem  Alphabete,  so  böte 
sich  linkoa  (Gott),  jin  (kommen). 

**)   Diese  Form  gibt  Boudard,  a.  a.  O.  p.  65  an;  die  regelmissige  \»t  progoUehu. 


32  Phillips 

uo:  diruostea  {GMmmiua). 
tm:  chuHT'^)  (sparsam). 

bj  Gruppen  von  drei  Vokalen. 

Auch  diese  Gruppen  sind,  besonders  in  den  Zeitwörtern,  sehr 
haußg;  wir  begnügen  uns  mit  einigen  Beispielen,  bei  denen  wir  uns 
für  die  Conjugationsformen  der  grosseren  Deutlichkeit  wegen  der 
französischen  Übersetzung  bedienen. 
aea:  galbaea  (das  Sieb). 
aia :  ibaia  (der  Fluss),  batsaia  (die  Jungfrau). 
aie:  zeikadaien  (ils  me  Favaieni  eu)^ 
aio:  bizaio  (ayez  lui), 
aoa :  aoa  (der  Mund),  azcMa  (die  Garbe). 
aua:  gaua  (die  Nacht). 

aue:  diraueno  (während),  gauerdi  (Mitternacht). 
eia:  zizeia  (il  le  leur  avaitj»  beia  (die  Kuh). 
eie:  Tuenden  (vous  le  leur  aviezj. 
eio:  leiorra  (Obdach,  Schutz). 
ioa:  amodioa  (die  Liebe). 
ioe:  zioen  (ü  le  lui  avaitj, 
ioi:  indioiloa  (Indian,  Puterhahn). 
oea :  oea  (das  Bett). 

oia:  doidoia  (sogleich),  goia  (hoch),  lezoia  (die  Grube). 
oua:  dizoua  (que  tu  le  lui  aiesj, 
uea :  guea  (der  Rauch). 
Uta :  suia  (der  Eidam),  echnia  (das  Niesen). 

c)  Gruppen  von  vier  und  fünf  Vokalen. 

ieia:  zieia  {il  le  leur  avaü). 

iüia:  zioia  (il  le  lui  avaitj. 

itiai:  iuaitea  (entwischen). 

eioue:  zeikeiouen  (ils  le  lui  auraienl  euj. 


'<)  Auch  hier  (t^I.  Note  19)  g^ewöbiilich  mit  dem  treimendeo  h:  ekukur  s.  B.  2.  C«r. 

IX.  G. 


über  das  batkitche  Alphabet.  33 


HalbYokale. 

Als  Halbvokale  pflegen  verzeichnet  zu  werden 

Jund  K 
Wir   erlauben    uns,   diese   Erörterung    mit    einigen  Worten 
Schlei  ehe  r*s  zu  beginnen.  Derselbe  sagt  <)  in  Betreff  der  indo- 
germanischen Sprachen:  ^Der  häufigste  Vokal,  a,  bildet  eine  Classe 
für  sich;  i  und  u  sind  sich  in  ihrem  Wesen  sehr  ähnlich  und  stehen 
dem  a  als  grundverschieden  gegenüber.  Beide  haben  die  ihnen  nahe 
stehenden  Consonanten  j,  v  zur  Seite,  während  das  a  in  keinen 
consonantischen  Laut  übergehen  kann  und  demnach  die  vokalische 
Natur  in  höherem  Grade  an  sich  Irägt,  als  i  und  u,  weTche  den  Con- 
sonanten näher  stehen.  **  Diese  Bemerkung  findet  in  gewissem  Masse 
auch   auf  das  Baskische  ihre  Anwendung;   a  ist  der  bei    weitem 
häufigste  Vokal,  während  die  selteneren  i  und  u  ebenfalls  eine  ge- 
wisse Neigung  zum  Consonantismus  zeigen.  Diese  Neigung  ist  jedoch 
eigentlich  in  Betreff  des  i  nur  im  labourdinischeu  Dialekt  vorherr- 
schend,  aber  selbst  in   Büchern,  die  in   Bayonne  gedruckt  sind, 
namentlich  in  der  zweiten  Aufgabe  des  Axnlar^^^  hat  man  es  für 
zweckmässig   gefunden,    das  j  gänzlich    zu    beseitigen    und    den 
eigentlichen  Vokal  i  wieder  eintreten    zu   lassen*).    Auch   Chaho 
würde,   sobald    es  sich  um    die  Aufstellung    eines    mustergiltigen 
Alphabetes  für  die  gesammte  baskische  Sprache  handelte,  das  j 
gern  vermieden  wissen^).  Prinz  Bonaparte  aber,  welcher  der  von  dem  t 
abweichenden  Aussprache  des  j  gerecht  werden  will,  hat  zu  diesem 
Zwecke  folgende  drei  Zeichen  gewählt  >):j  ohne  Punkt  für  die  fran- 
zosische und  j  mit  dem  Punkte  für  die  spanische  und  /  mit  dem 
Punkte  und  mit  einer  kleiner  Ringelung  für  die  mehr  nationale  Aus* 


*)  In     aeiDein^  Compendium   der  vergleicbeoden   Grammatik   der   iodoj^ermaiiischen 

Spmcben.  2.  Aufl.  S.  12. 
«)   S.  obei  I.  S.  11. 
^)    Nur  !■  fremden  Namen  hat  man  e«  beibehalten ;  z.  B.  Jacob,  Joaeph ;  dag^e^en  /o/n- 

eomc  und  londone. 
^)   Chaho,  Dietionnaire  p.  7. 
*)    Canticiim  (I.  Note  IS)  Adiiot. 

9itxb.  d.  phil.-hiat.  Ol.  LXVl.  Bd.  1,  H  ft.  3 


34  phiii'ipi 

Sprache;  allein  sowohl  die  spanische,  als  auch  die  franzosische  Aus- 
sprache sind  dem  Genius  der  baskischen  Sprache  fremd  und  die 
labourdinische  neigt  sich  am  meisten  zu  einem  erweichten  dhin*). 
Was  sodann  das 

^ 

anhetrifft»  so  ist  dies  ein  dem  Baskischen  fremder  Buchstabe  und 
kann  daher  in  jeder  Hinsicht  entbehrt  werden.  Als  Consonant  nimmt 
das  weich  auszusprechende  b  selbst  da  die  Stelle  des  v  ein,  wo  aus 
etymologischen  Gründen  bei  fremden  Namen  und  Wörtern  in  der 
Schreibweise  das  v  beibehalten  worden  ist  7);  als  Vokal  ist  v  nur 
eine  arfdere  Form  für  u.  Im  transpyrenäiscÜen  Baskenlande  hat  sieh 
das  V,  wohl  unter  dem  Einflüsse  des  Spanischen»  als  ein  ffalbyokal 
erhalten.  In  denjenigen  Fällen  nämlich,  v^o  das  u  zwischen  zwei 
anderen  Voka]^n  zu  stehen  kommt,  tritt  v  an  seine  Stelle;  z.  B  in 
dem  Grusse  gau  on  »tgute  Nacht"  schreibt  man  gav  on^)\  hier 
verwandelt  sich  u  Termuthlich  auf  Grund  des  Hiatus,  obschon  das 
Baskische  nicht  sehr  empfintllich  gegen  diesen  ist,  in  einen  halb- 
^okaUschen  Laut,  der  in  der  Aussprache  wohl  auch  dem  weicheu  6 
nahekommt. 

f. 

Der  Spiritus  asper  H. 

Der  Buchstabe  h  hat  im  Baskischen  durchaus  die  Bedeutung 
des  Spiritus  asper.  Er  findet  sieh  vorzüglich  nur  in  den  frawLosiscb* 
baskisehen  Dialekten;  in  den  spanischen  fehlt  er  zwar  nicht  guiz, 
wird  aber  doch  meistens  nicht  ausgesprochen  <) ;  dieser  Umstaud 
verleibt  hier  der  Sprache,  besonders  im  Mnnde  der  Fraueo»  eine 
besondere  Sanftheit  *).  Diesseits  der  Pyrenäen  kommt  dieser  Spiritus 
asper  nicht  blos  im  Aulaute,  sondern  auch  im  Inlaute  vor;  es  wird 
daher  nicht  blos  hatsa  gleich  araa  gesprochen,  sondern  auch  pkazfv 
(Ostern)  lautet  ;r-äCxo,  sinhestea  (Glaube)   (7ev-£<7r£a.   Das  h  aucii 


«)  V|^1.  oben  8.  t9. 

7)  Chafao,  a.  t.  O.  p.  4.  8. 

•)  van  Eysa,  Eaaai  p.  11.  —  Chaho.  a.  a.  O.  p.  11.  12. 

<)   van  Eyss,  Raaai  p.  5. 

*)  Chaho,  R.  a.  0.  p.  11. 


Ober  dM  bnakiacbe  Alpbtibet.  3S 

noch  anderweitig  zu  Terwenden^,  namentlich  um  dem  g  die  Aus 
spräche  Tor  dem  c  und  t  zu  sichern  *)  oder  durch  Verbindung  mit 
c  ein  Zeichen  für  einen  Zischlaut  zu  machen^  muss  man  demnach 
doch  als  sehr  inconsequent  hezeichnen,  letzteres  um  so  mehr»  wenn 
man  das  c  aus  dem  haskischen  Alphabete  verbannt^).  —  Ober  den 
Ursprung  des  baskischen  A,  insbesondere  ob  dieser  Buchstabe  aus 
einem  Guttural  heryorgegangen  sei,  lässt  sich  schwer  Etwas  ermit- 
teln. Für  einen  solchen  gutturalen  Ursprung  Hessen  sich  etwa  die 
Composita  mit  dem  Worte  htane  (Kind»  Junges)  anfuhren»  indem 
sich  hier  das  A  in  ifc  verwandelt»);  z.  B.  ari  (Schaf),  arkume 
(Lamm),  zar  (alt,  gebrechlich),  zarkume  (ein  schwächliches  Kind); 
van  Eyss  bringt  damit  emakume  (Frau)  in  Verbindung  und  leitet  es 
von  eman  (geben)  und  hume  (Kind)  ab^  so  dass  es  „die  Kinder 
Gebende**  bedeuten  würde. 


ü. 

Die  Consonauten. 

1. 
Me  eliielne«  C««M«a«le«. 

Die  iuUuraleo. 

Die  Buchstaben,  welche  je  nach  verschiedenen  Gebrauche  in 
diese  Classe  gestellt  werden  oder  den  Anschein  haben,  hieher  ge- 
zahlt werden  zu  sollen,  sind : 

C,  Ch,  G,  (Gh,  GuJ,  K,  Kh,  Q  und  X 

Es  ist  hier  jedoch  ein  Pnrificationsprocess  vorzunehmen,  der 
insbesondere  gleich  die  beiden  ersten  der  genannten  Laatzeichen 
betrifft 


')  S.  obeD  8.  1%. 
^>  S,  unten  8.  36. 
*}  S.  Tan  E  jft,  a.  a.  0.  p.  7. 


3ä  Phillip« 


c. 


Schon  oben  wurde  darauf  aufmerksam  gemacht*),  dass  dieser 
Buchstabe»  wenigstens  nach  der  gegenwartigen  Beschaffenheit  der 
baskischen  Sprache,  gänzlich  überflössig  sei,  indem  dieselbe  zwei 
andere  Lautzeichen  besitze,  welche  seine  Stelle  vertreten:  vor  a,  o 
und  u:  k,  vor  e  und  t;  z.  Offenbar  ist  die  Aussprache  des  c  gleich 
z ,    Tor   e  und    t    im    Baskischen    nicht    ursprunglich ,     sondern 
hängt    vielmehr   mit    den   Schicksalen    der    lateinischen   Sprache 
zusammen.   Bekanntlich  kam  die  ältere  Aussprache  des  c,  als  der 
Media,  der  Tenuis  k  im  Lateinischen  sehr  nahe,  und  hat  jene  die^e 
fast  ganz  verdrängt*).    Die  Vorfahren  der  Basken  haben  aber  ge- 
wiss eben  so  wenig,   wie  die  Germanen,   von  den  Romern  Zaesar, 
carzer,  zella,  zerasus  und  glozio  aussprechen  gehört,    sondern 
kaesatf  karker^  kellot  kerams    und  glokio.    Wie    die   Germanen 
daraus  Kaiser,  Kerker,  Keller  und  Kirsche  gemacht  haben  und  wie 
bei  allen  Völkern    die  Hühner  nicht  gloz,  gloz  geschrieen  haben, 
sondern  in  dem  dies  Geschrei  bezeichnenden  Worte  der  Naturlaut 
durch  gluk^  gluk  wiedergegeben  wird,  so  werden  auch  wohl  die  Vas- 
konen an  jener  Entartung  der  lateinischen  Sprache  keine  Schuld 
tragen.  Erst  seit  dem  siebenten  Jahrhunderte  nach  Christus  ist  diese 
bei  den  romanischen  Völkern  eingetreten  >)  und  hat  demgemäss  von 
daher  auch  ihren  verderblichen  fiinfluss  auf  das  Baskische  geübt; 
darum  ist  auch  hier  aus  dem  lateinischen  coelum  (spr.  koetum)i 
zeru  geworden.    Es  ist  dies  jedoch  nicht  allgemein  durchgeführt, 
denn  pox,  pacis  ist  pake  oder  bakheat  VincetUius:  Vtkenti  ^e- 
blieben*). 

CA 

ist  in  der  heutigen  baskischen  Sprache  gar  kein  Guttural,  sondern 
ein  Sibilant;  dieses,  freilich  eingebürgerte,  Zeichen  müsste  eigent- 
lich völlig  vertilgt  werden,  wenn  überhaupt  eine  Consequenz  in   das 

*)  S.  oben  S.  22. 

*)  ^?1*   Coriien.    Über  Aussprache,  Vokaliamu«   und  Betonung  der  lateiataclieB 

Sprache.  I.  Bd.  2.  Aufl.  S.  43  u.  ff. 
«)  Vgl.  Corsaen,  a.  a.  0.  S.  277. 
*)  Vgl.  OThenart,  Hroverbe«  baaques.  Pref.  p.  ß. 


über  das  baskiscbe  AlphiihH.  37 

baskische  Alphabet  kommen   soll.    Es  wird  von  demselben    weiter 
unten  bei  den  Sibilanten  die  Rede  sein  s). 

G. 

Schon  im  Lateinischen  hatte  das  neu  entstandene  g  allmählig 
die  Stelle  der  Media  übernommen  •).    Es  möchte  wohl  kaum  einem 
Zweifel  zu  unterziehen  sein ,  dass  g  ohne  Rucksicht  auf  den  nach- 
folgenden Vokal  stets  die  gleiche  Aussprache  mit  dem  deutschen  g^ 
so  weit  dies  nicht  in  einzelnen  Dialekten  zu  einem  j  oder  ch  (z.  B. 
Jott  in  Berlin,  Chott  '\i\  Gottingen)  gemacht  wird,  gehabt  habe.  Es 
ist  daher,  wie  schon  oben  bemerkt  wurde,  nichts  weiter,  als  eine 
sehr  zu  misshilligende  Convenienz  gegen  die  spanische  und  franzö- 
sische Aussprache  des  g  gewesen,  dass  man  demselben  Tor  e  und  t 
ein  h   oder  u  beigefügt  hat?).    Darrigol,  Duvoisin  und  Inchauspe 
haben  diese  beiden  letzteren  Buchstaben  gänzlich  eliminirt.    Hiermit 
sind  jedoch  diejenigen  Fälle  nicht  zu  verwechseln,  wo  das  u  nach 
dem  g  keinen  solchen  fremdartigen  Ursprung  hat,  sondern'  echt  bas- 
kisch ist;  alsdann  ist  es  durchaus  selbstständig  auszusprechen.  So 
lautet  z.  B.  eguerdi  (Mittag)  nicht  egerdU  sondern  egu-erdi;  das 
Wort  kommt  her  von   egun  (Tag)   und  ei'di  (halb).   Es  ist  dies 
jedoch  eine  Ausnahme;  im  allgemeinen  mag  man  in  den  Worten,  in 
welchen  auf  ein  g  ein  u  folgt,  sie  seien  fremden  Ursprunges  oder 
nicht,  das  u  getrost  ausstreichen.  So  in  dem  seinem  Ursprünge  nach 
romanischen  alequitzea  =  alleguer  und  in  dem  baskischen  aguerzea 
(erscheinen),   aguinza   (Versprechen),    argui   (Licht),    harguin 
(Maurer),   iguel  (Frosch),    ieguia   (Aufenthaltsort).    Hierauf  hat 
schon  Darrigol  aufmerksam  gemacht    und  Duvoisin  hat  dies  prak- 
tisch durchgeführt 

K  und  Q. 

Wenn  vielleicht  in  älterer  Zeit  ein  Unterschied  in  der  Aus- 
sprache des  k  und  des  q  stattgefunden  haben  mag,  so  ist  dieser  in 
der  jetzigen  Sprache  gänzlich  verwischt.  Eine  wirkliche  Verschieden- 
heit hat  sich  bisher  auch  nicht  entdecken  lassen  und  so  möchte  das 


*)  S.  obeo  8.  ZI, 
')  8.  Comten,  a.  a.  0.  8    77. 

')  Daa  A  hatte  vornehmlich  Ohaho»  a.  a.  0.  p.  11  eingeführt,  war  damit  aber  nicht 
dorcbgedrangen. 


38  p  h  i IM  p  ■  / 

•  ♦ 

q,  so  vielfach  es  auch  gebraucht  wird »  überflussig  geworden  sein «). 

Die  Aussprache  des  k  ist  ganz  mit  der  deutsehen  übereinstimmeiid. 

Van  Eyss,  der  sich  entschieden  für  die  Aufnahme  des  k  in  das  bas* 

kische  Alphabet  mit  -Beseitigung  des  c  und  g  ausgesprochen  hat, 

trägt  nur  ein  Bedenken  dagegen').    Das  Baskische  nämlich  kennt 

ausser  dem  rr  keine  Consonantenverdoppelung;  diese  würde  aber 

auch  bei   dem  k  entstehen,  wenn  die  Postposition  kin  mit  einem 

Worte  Tcrbunden  wird,  welches  auf -it  endet;  indessen  dies  Bedenken 

dürfte  doch  irrelevant  sein  und  es  mochte  keine  Schwierigkeit  haben, 

das  erstere  k  zu  eliminiren. 

£h. 

Von  der  Aussprache  des  kh,  welches  sowohl  von  Lecluse,  als 
auch   von  Darrigol,  Duvoisin  und  Inchauspe  als  auch  von  andern 
Neuern  (jedoch   nicht   von  Chaho}  für  die  französisch-baskischen 
Dialekte   anerkannt  wird,  gilt  dasselbe,  was  bereits  oben  in  Betreff 
der  Aspiration  überhaupt  bemerkt  worden  ist  <o).  Darrigol  macht  mit 
Recht  darauf  aufmerksam,  dass  die  Aspiration  eines  Buchstabens 
nicht  den  Zweck  habe,  aus  ihm  einen  andern  zu  machen,  sondern 
der  aspirirte  Buchstabe  soll  trotz  der  Aspiration  in  seiner  ursprüng- 
lichen Natur  erkannt  werden  <<);  daher  sei  das  aspirirte  k  nicht  aus- 
zusprechen, wie  das  deutsche  cA,  sondern  als  ein  i,  an  welches  sich 
ein  Hauch  anschliesst,  wie  denn  auch  Oihenart  für  diesen  Zweck  ge- 
radezu den  griechischen  Spiritus  asper  zur  Anwendung  gebracht  hat  «>). 
Indem   wir   dieser  Ansicht,  die  auch  Duvoisin  vertritt,  beistimmen, 
glauben  wir  bemerken  zu  dürfen,  dass  man  vielleicht  in  so  fern  in 
dem  baskischen  Alphabet  ein  Ersparniss  machen  könnte,   als  man 
diese  componirten  Buchstaben,  wie  kh,  in  ihre  beiden  Bestandtheile 
aufloste.  Soll  aber  jeder  von  beiden  ausgesprochen  werden,  so  be* 
darf  es  in  der  alphabetiscbea  Aufzählung  gar  nicht  eines  besoaderen 
Buchstabens  kh,  beziehungsweise  /%,  ph  und  th  und  wie  Otheiiart 


9)  Chaho,  a.  a.  0.  p.  11. 

°)  van  fiysf,  a.  a.  0.  p.  3. 

10)  S.  ohen  S.  23. 

11)  8.  Schleicher,  Compeiidium   der    vergleichenden  Grammatik.    S.  lt.    («.  o1»ea 
111.  Note  14. 

12)  Oihenart,  m.  m.  U.  p.  ä. 


r 


über  di8  baskisehi*  Al|»habet.  39 

will  Ih  und  itA.  Sobald  einmal  t'e&tsteht»  dass  h  auch  im  Inlaut  die 
Aspiration  ausdrückt,  so  braucht  man  eben  auch  in  der  Schreibweise 
nur  den  mit  h  bezeichneten  Hauch  auf  k  folgen  lassen«  wenn  man  es 
nicht  i?oraiebt,  tfur  solche  aspirirle  Buchstaben  nach  Analogie  des 
griechischen  ^,  f  und  y^  heBOwdene  Zeichen  zu  wählen.  Chaho 
wünscht  dies  in  Betreff  des  ih  i<),  warom  nicht  auch  fftr  ih  und  p/i? 

X. 

Das  or  als  As  T^  dem  'Baskisdien  ganz  und  gar  fremd ;  'bei  Ter- 
sehiedenen  Namen  des  classisrchen  Altherfhums  wie  Kenaphan,  Xeno^ 
cratesj  Xir/üfi/Tp«  möchte  Chaho  «s^beibehalteii  wissen*^).  Dies  mag 
man  thun,  wie  man  ja  auch  allenfalls  Washington  «nd  Wellington 
im  Baskischeu  mit  TF  schreiben  dDrfte,  obgleich  dies  kein  baskischer 
Bac'hsta^be  t^tt  beMH  man  alier  Qbcnrhaupt  dastund  zwar  als  is  oder 
statt  des  th  bei ,  so  wäre  jene  Schreibart  durchaus  zu  misAilligen. 
07henart  nfamlrdh  will  das  x  zur  13ezeidnnmg  d*es  ZIscMaoftes  ge- 
brauchen» *wiäleher  sonst  durch  dh  wiedergegeben  wird  und  ihm,  mit 
einem  Punkte  Tersdien ,  stlso  x^  die  'Bedeutung  des  Zischlautes  ich 
beilegen  1»);  sfllerdings  wäre  jener  Laut  eines  besonderen  Zeichens 
hedtirftig  und  es  i^  zu  bedanern»  dass  '07henai1-s  Beispiel  keine 
Nachahmung  gefunden  hat,  wie  wir  überhaupt  nicht  getmg  hervor- 
heben können,  dass  gerade  er  Tor  allen  andern  Gelehrten  bis  auf  die 
Neuzeit  die  ricfhtigsten  Anschauungen  Aber  das  basische  Alphabet 
gehabt  hat.  Regelmässig  wird  x  im  BaAisdien  ts  ausgesprochen  «•). 

Fasst  man  nun  in  Kurze  die  hier  Ober  die  einzelnen  Guttural- 
zeichen gemacbten  Bemerkungen  zusammen,  so  ergibt  sich,  dass 
jene  sich  auf  eine  viel  geringere  Zahl  zurückführen  lassen.  Es 
scheiden  aus:  c,  ch  {gh,  gu),  q  und  x  und  es  bleiben  übrig:  g,  k 
undkh;  selbst  letzteres  könnte,  wenn  die  oben  gezogene  Consequenz 
nicht  irrthümlich  ist,  als  besonderes  Zeichen  entbehrt  oder  sollte 
durcTi  ein  besonderes  Zeichen  ersetzt  werden. 


iS)   C  k  aho,  a.  1.  O.  p.  3.  13. 


IS)  C  k  aho,  a.  ■.  O.  p.  3.  13. 

'*)  C  habo  a.  a.  O.  p.  4  und  ebd.  L«  jcuerre  des  AlpliMbeia.  p.  3. 

1^)  Ol  haiiart,  a.  a.  0.  p.  5. 

"}  Darrig'ol,  Dissertation,  p.  15.  —    Inehuuspf .  m.  a.  O.  p.  XII. 


4U  Phillip« 

b. 

Die  Labialeo« 

Als  in  diese  Kategorie  gehörig  erseheinen  die  Buchstaben: 

P,  PK  A  F,  Fh, 
Über  die  Aussprache  des 

P 
ist  nichts  Besonderes  zu  bemerken;  auch  Ober 

Ph 
ist  bereits  oben  das  Erforderliche  mitgetheilt  worden 1 7),  nur  ist  nock 
hinzuzufügen,  dass  Oihenart  allein»  aber  hierin   wohl   irrthumlich 
im  Gegensatze  zu  allen  übrigen  Schriftstellern,  dem  ph  die  Aus- 
sprache des  f  geben  will  »). 

B 
hat  die  Aussprache  eines  sanften  o,  und  es  dürfte  kein  entscheideoder 
Grund  vorhanden  sein,  durch  v  das  b  zu  ersetzen ;  es  ist  aber  daher 
auch  inconsequenty  wenn  man  in  einzelnen  aus  dem  Latein  recipirten 
Wörtern  das  v  beibehalten  und  z.  B.  virgina  statt  birgina  schreiben 
will  1*),  Wollte  man  sich  in  der  Schreibweise  durchaus  an  die  oben 
angegebene  Aussprache  des  b  accomodiren,  so  hätte  man  nach  dem 
Beispiele  Humboldts»  dem  auch  Pott  folgt,  „Vasken'  und  .»vaskisch** 
zu  schreiben. 

F 
ist  eigentlich  kein  baskischer  Buchstabe,  sondern  wird  meistens  und 
eigentlich  nur  in  Fremdwörtern  gebraucht,  wesshalb  Pruner-Bey  ihn 
ganz  beseitigen  will  *^) ;  man  thate  wenigstens  wohl  daran,  das  f  aus 
den  Wörtern  baskischen  Ursprunges,  wenn  noch  möglich»  zu  Ter- 
bannen.  Vermuthlich  ist  f  hier  an  die  Stelle  eines,  vielleicht  aspirirten, 
p  getreten.  Aber  selbst  bei  den  Fremdwörtern  wird  f  öfters  fort- 
geworfen; man  schreibt  daher  z.  B.  irina  (ürfarina»  lama  für  flamma, 
loria  für /2o«.  Bisweilen  tritt  /'auch  an  die  Stelle  des  lateinischen  v, 
so  ist  z.  B.  ferde  das  lateinische  viridua,  öfters  wechselt  /*auch  mit 
b  ab;  z.  B    lautet  das  baskische  Wort  für  .»lachen'*:  farra  und 


<')  S.  oben  S.  23. 
1^)  üihenairt,  a.  a.  0.  p.  9. 
1*)  S.  Chaho,  a.  a.  0.  p.  S. 
20)  S.  obeo  S.  22. 


über  diis  baskinche  Alphabet.  .4 1 

barra^^^t  aber  auch  pharra  »*).   Bisweilen»  wenn  auch  selten,  wird 
f  aspirirt  und  dann 

Fh 

geschrieben.  So  erscheint  bei  Duvoisin  in  seiner  Bibelübersetzung 
als  das  baskische  Wort  für  rapHm,  mit  sich  fortreissend  (von  einem 
Strom):  fharraata**),  welches  auch  yon  dem  Auskehren  mit  dem 
Besen,  in  der  heiligen  Schrift  bildlich  Yon  der  Zerstörung  Babylons, 
gebraucht  wird  a^).  In  einzelnen  Dialekten  wird  an  Stelle  des  f 
gleich  die  Aspiration  A,  bisweilen  auch  p  gesetzt,  wofür  Chaho  als 
Beispiele  angibt:  auher^  alper ^  a^er  (trage)  und  auharh  aiharU 
afdri  (Nachtessen)  angibt  *&).  Unter  den  Labialen  würden  also  6,  f 
und  p  in  das  Alphabet  aufzunehmen  sein. 

c. 
Die  Denttleo. 

in  diese  Classe  sind  folgende  Buchstaben  zu  stellen: 

D.  Ä.  r.  T,  und  Th. 

In  Betreff  der  Aussprache  des  d  ist  nur  die  Verschiedenheit  des 
d'  Ton  dem  gewöhnlichen  d  hervorzuheben.  Hiervon,  als  von  einer 
Deminutivform,  war  schon  oben  die  Bede««)  und  es  ist  nur  noch  zu 
bemerken,  dass  dieses  d'  in  der  Aussprache  fast  ganz  dem  j  gleich- 
kommt. SoiAtdeuB:  »»Etwas'',  deminutivisch  «{'mi«,  in  der  Aussprache 
ungefähr  jeus*'').  Eben  so  hat  das  Baskische  ein  erweichtes  ^ 
welches  man  consequenter  Weise  nach  dem  Vorgange  Oihenarts  <>) 
lieber  i'  als  tt  schreiben  sollte.  Das 

Th 
bat  man  sich  nicht  gleich  dem  englischen  th  zu  denken  »*),  vielmehr 
sind  auch  hier  i  und  h  zu  trennen;  man  sagt  daher  z.  B.  ai-^hea  ^die 
Thur-. 


*0  8.  Till  ^J»^,  I.  i.  O.  p.  7. 

23}  S.  Fabre,  DietioDn.  finnpait-btsque.  y.  rire. 

a«>  Job.  vi.  15. 

s«)  1s.  XIV.  23.  —  Salaberri,  Vocabulaire,  acbreibl  das  Wort  farratte. 

**}  Chaho,  a.  a.  0.  p.  11. 

*•)  S.  oben  S.  2A. 

^"0  Chaho,  a.  a.  0.  p.  U. 

99y  Oihenart,  a.  a.  0.  p.  4. 

**}  O  a  r  r  i  g  o  I ,  a.  a.  0.  p.  9. 


42  Phillips 

Weeo  man  in  diese«  iK  «k  einefli  Compositum,  /  und  k  von 
einander  trennt,  so  stellen  sieb  zu  dem  baskischen  Alpkdbet  die  vier 
Dentalen :  d^  d,  t  und  i. 

d. 
Die  LI^uMm: 

L.  L\  LI  M,  K  N.  A  Är, 
denen  nach  Oihenartso}  noch 

IX  Nk.  und  Rk  oder  vietechr  L\  N".  und  R 
beizufügen  wären.  In  Betreff  dieser  Aspiratioa  ist  iMreits  oben  das 
Erforderliche  bemerkt  worden,  12  uid  ai  konunen  hin  und  wieder 
auch  als  Deminutivtbrmen  vor;  in  der  Aussprache  tritt  aber  aueh  eio 
dem  deutschen  j  ahnlich  tönender  Laut  hinzu,  wie  in  den  französi- 
schen Worten  bouiUon  (wenn  es  nicht  zu  sehr  und  falschlich«) 
nach  dem  j  hin  gesprochen  wird)  und  miguard.  Es  wäre  am  zweck- 
mässigsten,  weni)  man  auch  hier  V  und  n*  statt  //  und  n  schriebe,  die 
zu  sehr  an  die  Nachharsprachen  erinnern.  Während  in  Betreff  des  m 
keine  Besonderheit  hervorzuheben  ist,  hat  hinsichtlich  des 

R 

die  baskisehe  Sprache  die  Eigeoibfimliehkeit,  dass  sie  kein  Wort  iwl 
diesem  Buohatabea  anfangea  läsatM).  Es  haben  sieh  daher  alte 
Fremdwoirter,  die  ek  r  ini  Anlaute  habea,  bei  ihrer  BeeeptiMi  9mr 
jiahmslos  enar  UmwandJimg  unterwerfen  müssea  und  wenn  Larra- 
mendi  in  seinem  Dictionnaire  das  Wort  Babima  aafihrt,  so  ist  dies 
sichei'lich  ein  blosses  Versehen.  Das  Verfahren,  welches  mit  jenen 
Fremdwörtern  eingescUagen  worden  ist,  war  ein  versohiedenes; 
bald  lausehte  man  eiD&efa*den  auf  das  r  folgeaden  Vokal  mit  diesen 
um  und  machte  z.  B.  aus  dem  lateinischen  rector:  ertora^^),  bald 
veränderte  man  den  Vokal,  wenn  er  nicht  schon  a  war,  in  diesen, 
z.  B.  reinette  wurde  amet  (aber  auch  emet),  renegaius:  amegat. 
Am  häufigsten  aber  verdoppelte  man  das  anlautende  r  und  schlug 


*0)  Oihenart,  «.  «.  O.  p.  5. 

*')  Littrc,  Dictionntire.   Pref. 

'2)  Chaho»  a.  a.  0.  p.  12.  —  va  n  Eyss,  a.  a.  0.  p.  S. 

<*)  Vgl.  Chaho,  a.  a.  0.  p.  13. 


über  das  basische  Alphpbet.  43 

diesem  dann  noch  einen  Vokal  und  zwar  a  oder  e  vor.  Dass  sich  ein 

Unterschied  dahin  hestimmen  lasse ,  dass  diesseits  der  Pyrenäen  das 

a,  jenseits  das  e  als  Vorschlag  üblich  sei,  darf  nicht  angenommen 

werden,  vielmehr  wird  der  Vorschlag  regelmässig  durch  den  auf  das 

r  folgenden  Vokal  bestimmt;   ist  dies  ein  e  oder  t»  so  ist  auch  der 

vorsoschlagende  Vokal  ein  e;  z.  B.  errege  (rex),  erremedio  (reme- 

dium),  erriza  (Reiss),  auch  erret&ra^  sonst  meistens  ein  a;  daher 

arraxa  (fr.  race),  arroda  (rota),  arrosa  (rosa);  doch  finden  sich 

auch  Ausnahmen  von  Beidem  vor;  z.  B.  errahia  (rabies)  VLXkAErroma 

(Roma).  Zweifelhaft  möchte  es  sein,  ob  auch  t  als  vorschlagender 

Vokal  in  dergieicben  Fällen  verwendet  werde;  allerdings  scheint 

irria  das  lat.  ridere  zu  sein,  m&chte  aber  doch  wohl  eher  dem  lat 

irridere  entsprecheji ;  dagegen  darf  man  in  hirrieetia  (Gefahr)  doch 

wohl  das  französische  risque,  das  ital.  risico  erkennen. 

Es  ist  schwer  zu  bestimmen,  woher  sich  diese  ganze  Erschei- 
nung schreibt.    Sie  geht  durchaus  nicht  Hand  in  Hand  mit  jener 
andern,  dass  im  Baskischen  auch  kein  Wort  mit  einem  s  impurum  im 
Anlaute  geduldet  wird,  sondern  auch  ein  solches  einen  vokalischen 
Vorschlag,  der  bald  ein  e  bald  ein  t  ist,  fordert   Diese  Eigenschaft 
hat  das  Baskische  mit  mehreren  anderen  Sprachen,  namentlich  mit 
dem   Spanischen    und  Französischen  gemein.    Dagegen   den   oben 
beschriebenen  Gebrauch  in  Betreff  des  r,  theilt  das  Baskische  nur 
mit    den    Idiomen    seiner    unmittelbaren    französischen   Nachbarn, 
namentlich  mit  den  Bewohnern  der  Gascogne  **).  Haben  nun  diese  die 
erwähnte   EigenthQmlichkeit   von  den  Basken  angenommen,   oder 
haben  sie  sie  ihnen  mitgetheilt?  Da  aber  auch  die  spanischen  Basken 
das  Princip  des  vokalischen  Vorschlages  vor  dem  r  durchaus  fest- 
halten,  so  ist  wohl  eher  anzunehmen,  dass  dieser  Gebrauch  bas- 
kischen Ursprunges  sei.  Nimmt  man  hierzu  den  Umstand,  dass  heut  ' 
zu  Tage  die  baskische  Sprache  immer  mehr  an  Terrain  verliert  <>) 
ond  wie  es  jetzt  schon  viele  dem  Blute  und  der  Abstammung  nach 
echte  Basken  gibt,  welche  nicht  mehr  baskisch  reden,  so  tritt  wohl 
die  Möglichkeit  nahe,  dass  ehedem  diese  Sprache  auch  über  jene 
Gegenden  verbreitet  war  und   dass  sich  in  jener  Sitte  des  voka- 
lischen Vorschlages   vor   dem  r  sich  auch  dort   ein   Rest  der  alten 


*^)    VgrI.  Blade,  EUdes  sur  Toriifine  des  Bitques.  p.  Z71.  270. 
9^)   S.  die  Abhandlunfir:  Eine  büskische  Spriicbprobe.  8.  10 


44  F  h  i 1 I t  pa 

Sprache  erhalten  habe;  trifft  Letzteres  nicht  zu,  so  ist  doch  jeden- 
falls die  Entlehnung  dieser  Sitte  in  der  noch  den  Namen  der  Baskea 
tragenden  Gascogne  aus  dem  Baskischen  anzunehmen. 

Was  im  Übrigen  die  Aussprache  des  r  anbetrifft,  so  ist  es 
stets  weich  zwischen  zweien  Vokalen  *•)  z.  B.  in  bataren  (Gen.  von 
bai^  ein),  dagegen  hart  in  allen  andern  Fällen.  Tritt  zu  einem 
auslautenden  r  der  bestimmte  Artikel  hinzu,  so  wird  jenes  verdoppelt, 
z.  B.  /fir,  Erde,  /tirra,  die  Erde»  gar^  Flamme,  garra,  die  Flaniiue. 
Dieses  Doppel  jB  ist  hart  auszusprechen.  Ist  es  als  ein  von  dem  ein- 
fachen harten  r  verschiedener  Laut  zu  betrachten?  Inchauspe  und 
Duvoisin  nehmen  dies  an;  je  nachdem  mau  dieser  Ansicht  ist  oder 
nicht»  wird  man  sieben  oder  sechs  liquide  Consonanten  zu  unter- 
scheiden haben»  nämlich  /,  /*,  ni,  it,  n'   und  r,  beziehungsweise  rr. 


e. 

Die  SlbÜtnteo. 

In  den   verschiedenen  baskischen  Alphabeten  sind   viele  Sibi- 
lanten verzeichnet,  namentlich : 

Ä  Sh,  S«,  CA,  Tch,  (7,  Z,  Ts,  X  Tz,  X, 

Wenn  man  zuerst 

S,  Sh  und  Ss 
ins  Auge  fasst,  so  kommt  hier  eine  Äusserung  OThenart*s  in  Betracht, 
welcher  von  der  Definitivform  des  S  bemerkt,  dass  sie  in  der  Aus- 
sprache dem  französischen  z^  beziehungsweise  dem  f  gleichkomme^?), 
er  bedient  sich  des  kleinen  runden  «,  um  eben  diese  Deminutirform 
und  des  langen  /*,  um  den  gewöhnlichen  Laut  des  lateinischen  S  aus- 
zudrücken. Es  hat  aber  überhaupt  dieser  Buchstabe  im  Baskischen 
einen  volleren  Laut  als  im  Franzosischen  und  wird,  wie  Inchauspe 
hervorhebt,  ohne  Mitwirken  der  Zähne  ausgesprochen  m^  ;  nur  im 
Souletinischen  hat  das  S  in  einigen  Worten,  z.  B.  in  Jegua  eineo 
weicheren  Ton.  Für  das  Guipuzcoanische  gibt  van  Eyss  die  Regel**); 


**)  Chiho,  I.  I.  O.  p.  12.  —  ran  fijss,  a.  a.  O.  p.  6 
*7j  Oihenart,  a.  a.  0.  p.  4. 
*S)  Inchauspe,  a.  a.  O.  p.  XI. 
**)  vnn  EjBt,  a.  a.  0.  p.  5. 


rber  das  btskisch«  Alphnbet.  4S 

dass  das  s  dem  es  im  Französischen  nahe  komme,  jedenfalls  näher 
als  dem  französischen  chy  so  dass  man  sicherer  gehe  8  als  eh  aus- 
zusprechen, man  werde  leichter  verstanden,  wenn  man  nagarra^  als 
wenn  man  chagarra  sage.   Es  ist  demnach  ikusi  (sehen),  so  aus- 
zusprechen, als  wenn  es  ikusai  geschrieben  wäre.  Nach  der  Schreib- 
weise des  freilich   nicht  sehr  zuverlässigen  Tresara^^^  findet  sich 
der  Gegensatz  zwischen'^dem  Oihenartschen  s  und  f  durch  ß  und  g 
ausgedrückt,  z.  B.  ic-hußidie  (ils  ont  tm)  und  biaaya  (visage). 
Auch  Chaho  kommt  auf  die  Aussprache  des  s  zu  reden  und  be- 
merkt ^i),  dass  die  Franzosen  diesen  Laut  fast  immer  schlecht  aus- 
sprächen; für  es  sagten  sie  iche  und  für  sa:  cha.   Er  gibt  zugleich 
eine  Methode,  um  es  richtig  auszusprechen,  an,  die  darin  besteht,  dass 
man  die  Zungenspitze  vom  oberen  Zahnkiefer  her  gegen  den  Gaumen 
bewegt  und  dann  einen  Zischlaut  ausstösst «»).  Duvoisin  weicht  darin 
von  Inchauspe  und  Anderen  ab,   dass  er  nach  dem  Beispiele  älterer 
Schriftsteller  ss  als  besonderen  Buchstaben   in  das  Alphabet  auf- 
genommen hat,  während  Pruner-Bey  und  vor  ihm  Francisque-Hichel 
dem  8  noch  ein  h  beiordnet  und  davon  bemerkt,  dass  gerade  dies 
ein   dem  Baskischen  ganz  eigenthumlicher  Laut  sei^s),  der  sich 
zwischen   dem  franzosischen  s  und  ch  bewege.    Dies  kommt  aber 
wieder  auf  die  oben  angegebene  Angabe  von  van  Eyss  heraus  und  es 
möchte  sein,  dass  dem  s  in  derThat  sich  ein  leiser  Hauch  anschlösse, 
der  dann  das  h  rechtfertigen  würde.  Oihenart  hat  für  diesen  eigen- 
thümlichen  Laut  das  Zeichen  s  schlechthin  und  fiir  den  gewöhnlichen 
Laut  f  empfohlen. 

CA.  Tch,  X  X\ 
Die  Bezeichnung  eines  Zischlautes  mit  ch  ist  eine  doppelte 
Inconsequenz,  sobald  man  das  c  aus  dem  baskischen  Alphabete  ver* 
bannt  und  das  A  für  das  eigentliche  Aspirationszeichen  erklärt  hat.  Es  ist 
dies  eine,  freilich  schon  inveterirte,  Concession  an  das  Französische, 
mit  der  man  aber  fQr  die  spanisch -baskischen  Dialekte  deshalb 
nicht  ausreicht,  weil  in  diesen  das  ch  nicht  auf  französische ,  son- 
dern auf  spanische  Weise  ausgesprochen  wird.    Gerade  in  solchen 


«O)  Tresora  (a.  II.  Note  7). 

^<)  Chiho,  a.  a.  0.  p.  13. 

^^)  Cbabo,  a.  a.  0.  p.  13  handelt  hienilier  aunführJirli. 

^*)  Pruner-Bey  (i.  n.  Note  16). 


46  Phillip 

Verhaltnissen  zeigt  sich  die  Verworrenheit  in  der  baskischen  Ortho- 
graphie, daher  auch  ran  Eyss  bemerkt  *«),  dass  dies  dem  Umstand* 
dass  das  französische  eh  in  Spanien  unbekannt  ist,  za  verdanken  sei, 
daher  schreibe  der  Eine  sA,  der  Andere  s,  ein  dritter  a?  oder  gar  fA, 
z.  B.  arise  oder  arixe,  orUhe^  oHche.  För  dies  eh  sollte  man  in  der 
Tbat  ein  anderes  Zeichen  haben  und  es  war  daher  gar  kein  übler 
Voraehhig  OThenarts«»)»  wenn  er  daf&r  das  Zeichen  a^  und  für  tfk 
das  Zeichen  x-  empfahl,  was  dann  freilieh  keine  Naehabmung  fand. 
Auch 

ist  ein  des  Exils  würdiger  blos  französischer  Buchstabe»  dessen 
Stelle  durch 

Z 

vollständig  ersetzt  wird.  Dieses  z  hat  aber  einen  etwas  sanfteren 
Laut  als  das  franzosische  und  entspricht  mehr  dem  c  in  de/^*)- 
Will  man  aus 

Ts  und  Tz 
besondere   Buchstaben   machen,    so   ^ird   man   doch   anerkennen 
müssen,  dass  in  jeder  dieser  Vereinigungen  der  einzelne  Buchstabe 
selbständig  ausgesprochen  wird^^j.    Heut   zu   Tage  wird  nun  all- 
gemein angenommen,  dass 

X 

als  ts  auszusprechen  sei  ^s^.  Dies  ist  in  der  That  eine  reine  Willkur. 
für  die  man  freilich  in  der  Pronunciation,  die  die  Italiener  dem  latei- 
nischen j?angedeihen  lassen,  eine  Analogie  finden  könnte.  Für  dasei, 
durch  welches  unter  dem  Schutze  des  h  für  das  verbannte  c  ein  unge- 
rechtes Postliminium  erwirkt  wird,  wäre  das  x  nach  dem  erwähnten 
Vorschlage  Oilienart's  viel  mehr  an  seinem  Platze. 

Demgemäss  wurde  es  uns  am  meisten  zusagen,  die  Sibilanten 
auf  folgende  zurückzuführen:  /*,  s,  x,  x  und  «»  oder  wenn  nao 
durchaus  das  ch  nicht  mehr  hinausweisen  kann :  /*,  «,  dk,  IcA«  und  z. 


*^)  Tan  Eysf,  a.  a.  0.  p.  2. 

4&)  OThenart,  a.  a.  O.  p.  5. 

**)  Inohanipe,  a.  a.  0.  p.  XII. 

^f)   Inchauape,  a.  a.  0.  p.  XII.  —  ran  Kf^  a.  a.  O.  p.  6. 

^«)  S.  obeo  S.  16. 


über  dts  baskisehe  Alphabet.  47 

—  Es  erübrigt  in  Betreff  der  Consonanten  noch  ehir^  Regeln 
hinzuzufügen.  Gleichwie  das  Bsskiscbe  kern  Wort  ntit  einem  r 
anfangen  lässt,  so  gibt  es  mehrere  C<m»enanten,  welehe  niemals 
ihre  Stelle  im  Auslaut  haben  können.  Es  sind  dies  die  Buchstaben  ft» 
d,  /*»  g  und  nt.  So  wenig  empfindlich  im  Ganzen  die  baskische 
Sprache  gegen  einen  Hiatus  ist  *•),  ab  und  zu  aber  einen 
euphonischen  Consonanten  einschaltet •<>),  so  vermeidet  sie  doch 
gern  eine  Anhäufung  von  Consonanten  durch  Einschiehung  eines 
Vokales;  z.  B.  lan  (Arbeit)  mit  dem  Suffix  -ian  (in)  wird  taneian; 
diesem  Verfahren  haben  sieb  auch  öfters  die  Fremdwörter  fugen 
müssen;  z.  B.  Aprüü,  bask.  ApirilU  parogatcea  (probctre) ^^'). 

Im  Allgemeinen  darf  es  als  eine  Regel  angesehen  werden,  dass 
in  einer  Sylbe  nicht  zwei  Consonanten  auf  einander  folgen.  Aus- 
nahmen finden  sich  meistens  in  Fremdwortern:  agradarria  (ange- 
nehm), ftrtima  (Nebel),  «E^ftrtin  (diabohis) ,  froga  (?rohe) ,  globa 
(Gedicht),  progatchua  (profit).  Dagegen  entstehen  durch  Zusammen- 
stossen  zweier  Sylben  hin  und  wieder  aber  auch  durch  Hinwegfallen 
eines  Vokals  (z.  B.  cdrrea  für  abered)  Consonantengruppen.  Als  Bei- 
spiele dafQr  mögen  ausser  den  vorhin  angeführten  Fremdwörtern 
noch  folgende  dienen : 

Id:  büdotsa  (Lamm),  ildoa  (Furche),  zaldia  (Pferd). 

lg:  odolgia  (Blutwurst). 

Ik:  alkhia  (Sitz),  ibükunza  (Spaziergang). 

Ip:  tdporchak  (Quersack). 

U:  ichiltawna  (Stillschweigen). 

Iz:  afalzea  (zu  Nacht  essen),  güza  (Schlüssel). 

mp:  sutumpa^^  (Kanone). 

nch:  urchaincha  (Eichhörnchen). 


**)  Vgl.  oben  IV.  A.  3.  S.  S.  23. 

^*)  Z.  B.  der  GeniUr  des  Artikels  Isuiete  eigenttlcfa  aen,  doch  tritt  hier  ein  euphooi- 

scbes  r  dazwischen. 
&')  Vgl.  vsn  Byss,  s.  s.  0.  p.  7. 
^S)  Dies  Wort  hst  Termuthlich  Larraaeadi  gemacht  (vgl.  Chaho,  a.  a.  0.  La  guerre 

des  alphabets  p.  11);  es  ist  xusammengesetst  ans  tu  Mpener**  und  ftifi^a,  welches 

Wort  Sa  \aberri,Vocabnlaire,  in  folgender  Weise  wiedergibt:  rtCoup  peu  violent 

mais  fMant  un  eertain  bruit". 


48'  Phillips 

nd:  abendoa  (December,  Advent),  ondoan  (darauf). 

ndr:  andrea  für  anderen  (Jungfrau). 

ng:  gangaila  (Zäpfchen),  maingtia  (lahm). 

nk:  Boinkidea  (Genosse),  tinkhazea  (knebeln). 

nl:  gonlekhia  (Heimat). 

ns:  adinsua  (alt). 

nt:  minta9una  (Verdruss),  iontoa  (dumm). 

nz:  hainzvrra  (Spaten),  ibenzea  (auflegen),  umia  (Schiff}. 

rb:  berbera  (allein),  garbia  (keusch). 

rch:  cliirchila  (Quai-ksalber),  urchaincha  (Eichhörnchen). 

rd:  berdanza  (Förster),  gauerdi  (Mitternacht). 

rg:  bizargilea  (Barbier),  gargara  (schon). 

rk:  abarka  (Sandale),  hirurkakoa  (Dreizack). 

rl:  erlea  (Biene),  gurloa  (Kranich). 

rm :  bermea  (Versprechen),  lauma  (der  je  Vierte). 

rp:  harpia  (Grotte). 

rs:  uraoa  (Taube). 

rt:  agortasuna  (Unfruchtbarkeit),  utihe  (Jahr). 

rtz:  bortz  (fünf). 

rz:  zahartzea  (alt  werden). 

sk:  adiskidea  (Freund),  peskiza  (Hoffnung). 

skl:  esklaboa  (Sklave). 

8l:  eroalea  (Käufer). 

sn:  gaana  (Käse). 

ap :  erospena  (Kauf). 

8t :  abostoa  (August),  ustaäa  (Jahreszeit). 

ich:  baratchuria  (Knoblauch),  eichen  (Haus). 

tr:  trebatua  (gewöhnt),  trebesia  (Widerwärtigkeit). 

i8 :  itsuaia  (bässlich),  harrabotaa  (Glockenspiel). 

tz:  goaetzea  (hungern),  ^a/«a  (Salz). 

zd:  ikuzdura  (Waschung). 

zg:  tazgarria  (erschrecklich). 

zk:  chitezkoa  (vertraut),  hizkunza  (Sprache),  izkila  (Glocke). 

zm:  zizmina  (Beleidigung). 

zp:  ezpela  (Buchsbaum),  zazpi  (sieben). 

zt:  boztea  (sich  erfreuen),  ireztea  (kämmen). 


über  das  baskiache  Alphabet.  49 

3. 

Schluss. 

Fasst  man  das  Resultat  dieser  Untersuchungen  zusammen,  so 
liesse  sich  ein  baskisches  Alphabet,  ohne  dass  man  ndthig  hatte 
ganz  neue  Zeichen  zu  erfinden,  in  folgender  Weise  zusammen- 
stellen : 

a,  e,  I,  0,  u 

9 

3 
h 

g,  *,  (kh), 

^-  P^  (Ph).  /;  (fh) 
rf,  d\  i,  r  (th) 

l\  /',  wi,  »,  n\  r,  (rr) 

/;  «,  X  (ch).  z 

oder  nach  gewöhnlicher  Reihenfolge : 

a,  6,  A  d\  «,  /;  ^,  A.  t,  j,  Ar,  /,  /',  iw,  «,  «',  o,  p,  r,  /;  «,  o?,  /, 

Vy       U,       Zp 

Demnach  hätte  das  baskische  Alphabet  26  Buchstaben  zu  zählen; 
rechnet  man  noch  die  aspirirten  und  zusammengesetzten  Buch- 
staben : 

khf  /Ä,  ph,  th,  rr^  x'  (ich)^  ts  und  tz 
hinzu,  so  steigt  die  Zahl  auf  34. 

Über  den  im  Baskischen  nicht  gerade  sehr  häufigen  Consonanten- 
wechsel  und  den  Consonantenschwund  behält  man   sich  Yor,  bei 
anderer  Gelegenheit  zu  handeln  und  erlaubt  sich  nur  noch   einen 
fluchtigen  Blick  in  eine  ferne  Vergangenheit  zu  werfen,  nämlich  auf 
das  iberische  Alphabet.    Es  lässt  sich  freilich  nicht  der  Werth  der 
einzelnen    iberischen    Buchstaben    mit    YÖlliger    Genauigkeit     be- 
stimmen. Eine  Parallele  zwischen  jenem  und  dem  baskischen  Alpha- 
bet findet  in  dem  Mangel  des  f  statt,  denn  dieser  Buchstabe  ist  auch 
letzterem  fremd,  was  in  gewisser  Weise  auch  von  dem  v  gilt.  Es  hat 
ferner  das  Iberische  ebenfalls  vier  Sibilanten;  dem  Zade  durften; 
dem  Zain:  8,  dem  Samech:  f  und  dem  Schin:  x  (d.  h.  ch)  ent- 
sprechen 5>).    Dagegen   fehlt  dem  Iberischen  das  g\  auch  ist  ihm 


»*)   S.  die  Abhandlung:  Über  das  iberische  Alphabet.  S.  61. 
SUzb.  d.  phil.-hist.  Ol.  LXVI.  Bd.  i.  Uft. 


50  Phillips,  Über  dM  batkiache  Alphabet. 

der  Yokaliscbe  Vorschlag  vor  dem  r  unbekannt,  wie  mehrere  Namen, 
z.  B.  Roekho,  zu  erkennen  geben  »^);  sollte  also  das  Baskische  in 
irgend  einem  Zusammenhange  stehen,  so  müsste  sich  dieser  Vor- 
schlag wie  der  andere  vor  dem  s  impurum  erst  in  späterer  Zeit  ge- 
bildet haben. 


>^)  S.  ebend.  S.  25.  Leg.  267.  u.  IT. 


▼.  Schulte,  Literaturg«scliicbie  der  Coniiiil-.itiones  antiquae  etc.  5  1 


Literaturgeschichte    der    Compilationes    antiquae, 

besonders  der  drei  ersten. 

Von  Dr.  Joh.  Friedrich  Ritter  v.  Schulte. 


Erstes  Capitel. 

Die  monographische   Literatur  zu   den  Compilationes 

antiquae. 

Die  Schriften  der  Glossatorenzeit  zu  den  Compilationes  an- 
tiquae tragen  denselben  Charakter,  wenn  man  die  äussere  Form 
in  Betracht  zieht,  als  die  über  das  Decret,  welche  wiederum  die 
Methode  der  Legisten  befolgten  <).  Wir  besitzen  Schriften  dieser 
verschiedenen  Arten,  zu  denen  sich  wie  beim  Decret  die  Excerpta 
oder  Noiabilia  gesellen,  Yon  denen   zuerst  gehandelt  werden  soll. 

I.  Notabilia. 

1.  Unter  diesem  Titel  besitzen  wir  handschriftlich  eine  Menge 
von  Schriften,  deren  Zweck  ahnlich  als  bei  den  Excerpta  Decretorum 
u.  s.  w.  darin  besteht:  den  hauptsächlichsten  Inhalt  der  einzelnen 
Decretalcn  auf  den  kürzesten  Ausdruck  gebracht  allgemein  zugäng- 
lich zu  machen.  Sie  bilden  mithin  einerseits  quellenmässige,  ganz 
kurze   Lehrbücher    über    den    Inhalt   der    Decretalensammlung, 


1)  Den  specifiaeheo  Charakter  des  Apparatus  bei  y.  Sarigny  Gesch.  d.  röm. 
RechU  UI.  S.  565  f.,  Leetara  das.  8.  539,  Summa  S.  552,  Casus,  Quae- 
•  tiones,  Brocarda  das.  —  Allen  Handschriften,  die  ich  nicht 
selbst   benutzt   habe,    ist   ein  Sternchen  Torgesetzt  worden. 

4* 


I>2  V.  Seil  tt  I  tc 


> 


andererseits  Repertorien  Über  diese  seihst.  Jedoch  ist  mir  ein 
derartiges  Werk  in  alphabetischer  Form  bisher  nicht  vorgekommen; 
es  erklart  sich  dies  leicht  aus  dem  ungleich  geringeren  Umfange  der 
einzelnen  Sammlung  sowie  daraus,  dass,  nachdem  die  Gesammtmasse 
gross  geworden  war,  die  neu  erschienene  Coropilation  Gregors  IX. 
die  altern  Sammlungen  der  Geschichte  fiberwies.  Den  praktischen 
Grund  solcher  Schriften  sehe  ich  wie  bei  denen  Gber  das  Decret 
in  dem  Bestreben,  das  so  wichtige  neue  Material  auf  die  billigste 
Art  allgemein  zugänglich  zu  machen.  Die  Methode  ist  bei  allen  diesen 
Schriften  dieselbe,  so  dass  die  Kenntniss  einer  einzigen  vollkommen 
genügt,  um  sie  zu  verstehen. 

Es  finden  sich  Schriften  dieser  Art  in  doppelter  Gestalt:  über 
eine  einzelne  Compilation  und  über  mehrere  zusammen  in  einem 
Werke.  Aus  unmittelbarer  Kenntniss  von  Handschriften  sind  mir 
folgende  Werke  bekannt  geworden. 

1.  Notabilia  ad  Comp.  I.  sive  Apostillae. 

2.  Am  häufigsten  kommt  ein  Werk  vor,  das  beginnt : 

*Ju8te  iudicate  (Vorrede  des  Breviarium  Extra vaganti um  Bern- 
hardi  Papiensis).  Nota,  quod  istud  proemiuro  compositum  est  t\ 
diversis  auctoritatibus.  Prima  est  prophetae  dicentis  juste  .  .  . 

Canonea  (cap.  i.  Tit.  I.  L.  L).  Nota,  canones  ab  omnihus  custo- 
diri  dehent  et  in  suo  sensu  duci  debent? 

Handschriften  i): 

Angers  Stadtb.  num.  361.  s.  XIII. 

•Königsberg  Univ.  num.  37«). 


<)  Die  Röni^abe r|? er  Handschriften  ciUre  ich  nich:  SteffenhiigeD  Cttologiis 

codicum  manntcriptor.  bibl.  reg.  et  univ.  Regiomoni.  faac.  I.  codd.  ad  jarispmd. 

pert.  cct.  Regim.  1861.  4.,  —   die  von  mir  eing-etehenen  französisehen  nach' 

Srhiilte  leer  gallicum  Wien  1868  (Sitz.-Ber.  d.  kais.  Akad.  d.   Wisa.  hiat  phil. 

Cl.  LIX.  S.  355  IT.);  dazu  meine  Abb.    Die  Recbtahandacbr.    der  Stiftsbibl.   etc. 

Wien    1868   (das.    LVII.    8.   559  IT.);  fSr  Italien:   BUhme    Bibl.  libror.    as 

italica.  «ölt.  1834. 
2)  s'te  ffen  ha  gen  gibt  unter  XXXVÜ.  num.  2.    dies,  num.   5.   dera.  Handschr.   ein 

aweites  Werk  als  verschieden  an.    Nach    der  Mittheilung  seheint  aber  üb  2. 

bloR  der  Anfang  zu  fehlen,  da  die  nota  au  cap.  1.  wesentlich   gleich   ist,  ninlieh: 
^Canones  dehent  ab  omnibns  observari  et  eornm  aucloritate  in  iadiciis  debel 

procedi.' 


Llteratargeschichte  der  Compilattones  anliquie  etc.  Do 

*GratÄ  *V»i  0- 

*Paris  lat.  3922,  Compiegne  95. 

Leipzig  Univ.  Bibl.  975  fol.  154—159  s.  XIV.  ex.  Anfang 
wie  die  Konigsberger. 

3.  Ganz  verschieden  ist,  obwohl  gleichen  Charakters,  ein  Werk 
mit  dem  Anfange: 

'Jusfe.  Nota  mulierihus  non  esse  concessum  officium  iudicandi 
HI.  q.  VII.  §.  tria  [dict.  Grat.  post.  c.  1.].  Motus  judicis  in  reritate 
tanturo,  non  in  superficie  postulantis  subsistit,  ut  I.  q.  I.  Marcion. 
Item  qui  exercet  justitiam,  deum  sc  ostendit  diligere,  et  sie  per 
exteriora  intelliguntur  interiora:  infra  de  sent  excom,  a  nobis  .* 
ilL,  XLI.  Di.  §.  ult.  Item  qui  alterum  iadicat,  deum  iudicem  suum 
prae  oculis  habeat:  C.  de  jud,  rem  non  novam.  Item  qua  men- 
sura  mensi  fueritis,  remetietur  vobis.  Item  de  officio  et  potestate 
nostra  deo  sumus  rationem  reddituri.* 

Handschrift : 

Wien,  Hofbibl.  num.  2080.  fol.  mbr.  s.  XIV,  fol.  134*— 138* 
(hört  auf  in  c.  27.  de  jurepatr.  III.  33.). 

2.  Notabilia  Pauli  Ungari  ad  IL  et  IlL  Comp. 

4.  Der  Cod.  ms.  975  miscell.*)  der  Leipziger  Universitäts- 
bibliothek enthält  fol.  209'— 216'  mit  der  Überschrift  der  gleichzeiti- 
gen Hand  des  XIV.  Jahrb.  'Incipiunt  notabilia  secundarum*  und  dem 


*)  Dieser  und  die  beiden  folg.  (ron  Laspeyreep.  LH.  nota  106  nach  einer  Mit- 
theilung Ton  Ma  aasen  angeführt)  haben  den  Anfang  dea  Königaberger  in  der 
vorbei^.  Anmerkung. 

*)  Derselbe,  ans  dem  A.  L.  Richter  (de  inedlta  decretaUum  colleetione  Lipaiensi. 
Lipa.  1836)  die  ^eoUectio  IdpHtntU^  beachrieben  hat. 

Dieaer  Codex  enthält  auch,  wie  Richter  achon  p.  2.  nota  6  angab,  fol.  79^ — 
96'  von  einer  Hand  des  XIV.  Jahrb.  die  ditt,  Lambertini  de  Bampouihns  sum  Dig. 
vetus,  deren  Exiatens  r.  Sarigny  auch  in  der  2.  Aufl.  nicht  kennt.  Der  Codex 
beginnt:  'incipinnt  diatinctionea  ff.  veteris  per  iambertum.  U  e  vivi  in  ti.  ff.  de 
ioati.  et  lur.  uumquid  sit  licitum  judici  deaistere,  dist.^  an  iudex  infert  sibi  Tiden- 
tiam  iuate,  an  iniuate,'  'expiiciunt  diatinctionea  ff.  yeteria.^  —  fol.  96* — 115^ 
a.  XIV.  die  diet.  Codieit  deaaelben.  ^Incipiunt  diatinctionea  codicia  de  Summ»  t. 
0t  fi.  c — a.  Si  quaeratnr  ai  fiat  aliquod  statntum  in  civitate  iata,  an  adTcnae  ligen- 
tut  hoc  atatuto.^  *expliciunt  diatinctionia  codicia  domini  lamberti.'  Dasselbe  Werk 
habe  ich  (Iter  Gallicum  p.  475)  im  Cod.  329  der  Stadtb.  von  Chart  res  mit  dea 
LambertuB  Namen  gefunden,  so  duss  wohl   k«*in  Zweifel   mehr    obwalten   kann. 


54  T.  S  c  ii  II  I  l  e 

Schlüsse  'Expliciunt  notabilia /lafi/r  ein  Werk  dieser  Art  über  die 
2.  und  3.  Compilatio  antiqua.  Da  aus  Johannes  Andreaei)  die 
Zusammenstellung  von  Notabilia  durch  Paulus  Ungarns  zur 
Comp.  II.  und  III.  bekundet  wird,  diese  selben  Notabilia  uns  auch  io 
anderen  älteren  Handschriften  begegnen,  so  darf  wohl  die  Autor- 
schaft des  Paulus  mit  Sicherheit  angenommen  werden. 

Die  zur  Comp.  II.  fangen  an:  'De  reacriptis.  Praeierea. 
Nota,  quod  non  possumus  iudicare  de  facto  nisi  plene  intelligamus. 
Et  est  contra  iudices,  qui  repente  procedunt.  Item  nee  respondere 
quaestioni,  nisi  totam  audiamus:  Et  est  contra  scolares,  qui  prius 
respondent,  quam  eis  opponatur.  Item  nee  respondere  legi  vel  canoni, 
nisi  prius  inspiciamus.  Et  est  contra  magistros,  qui  r^spoi^dent,  ante- 
quam  inspiciant  vel  sciant.  Cum  ord.  Nota,  quod  non  valet  rescriptum, 
si  non  fiat  ibi  mentio  ordinis  yel  dignitatis.  Accepta.  Nota,  quod  noo 
(lebet  causa  remitti  ad  cum,  a  quo  est  appellatum,  nisi.utraque  pars 
consentiat.' 

K.  Anfang  der  Notabilia  III. 

'Devotioni  etc.  Nota,  quod  tituli  decretalium  sunt  autentici. 
Item  bulla  vel  sigillum  praestat  auctoritatem.  Cum  omnes  etc.  Nota, 
contra  malos  campsores,  qui  maius  pondus  habent  ad  accipiendum, 
et  minus  ad  dandum.  Item  constitutio  in  praeiudicium  absentium  et 
futurorum  non  potest  Oeri.  Item  in  praebendis  percipiendis  aequaliter 
vel  inaequaliter,  totaliter  vel  particulariter  consuetudo  ecciesiaede- 
bet  observari.  Item  duae  regulae:  quod  quisque  etc.  et  patere  le. 
etc.  Item  si  fuerit  consuetudo,  quod  omnes  pariter  et  aequaliter  habe- 
ant  praebendas,  et  si  est  immutatum,  debet  reformari.' 

Diese  Notab.  zur  Comp.  II.  stehen  noch  in  der  Handschrift  von  : 

Angers,  Stadtbibl.  361. 

Die  Notab.  zur  Comp.  III,  hat  auch  die  Handschrift: 

Angers,  Stadtbibl.  361. 

Ob  eine  der  anderen  Formen  zur  Comp.  I.  und  IL,  und  welche, 
Bernardus  Comp.  ant.  angehört,  vermag  ich  nicht  zu  sagen,  da  ieh 
bisher  in  keiner  Handschrift  seinen  Namen  bei  ihnen  gefunden  habe. 


1)   Adtlitio  ad  Goil.  Dur»iiCis  Speculum,  Prooeiiiittm :   'quin   Panlum   Unf^aruai.q« 

iiotahilia  secuodae  et  tertiae  coropilHtionis  Ordinate  collegerat,  non  expretsi.  . .  • 

Bernardus  Compostelinniia,  quia  uon  diu   vig^uit  sua  compilatio,  noa 

halienius  *|Uüd  illam  glossMvitf  .led  iegerat  duas  prlmas  compilatioaea  et  aposfa'Uai 

dedei'ttt  super  illis.^ 


Literatargeschichte  der  Compilationes  antiquae  etc.  55 

6.  Andere  Notabilia   zur  Comp.  IL 

Praeterea.  QuaesiTit  Anconitanus  episcopus,  quid  esset  facien- 
dum  de  lege,  quam  ciyes  sibi  statuerunt,  seil,  ui  siquis  etc.  Cum  lex 
illa  juri  communi  contradicat»  dicit  papa,  quod  respondere  non  potest, 
donec  illam  legem  yideat,  vel  aliter  probetur,  eos  ita  statuisse/ 

Leipzig,  Univ.  975  fol.  159'— 164'  s.  XIV. 

Fulda,  0.  10.  fol.  mbr.  s.  XIII.  auf  XIV.  ebemals  Wein- 
garten, neuntes  Stuck. 

Praeterea.  Cires  incomtam  [inconsuetam?]  constitutionem  edi- 
derunt 

^Königsberg  num.  37. 

3.  Zur  Comp.  III. 

7.  Devotioni.  Scribit  magistris  papa  et  scolaribus,  ut  utantur 
istis  decretalibus  tarn  in  scolis,  quam  in  iudiciis.  Cum  omnes. 
Trecenses  canonici  duas  constitutiones  fecerunt.' 

Leipzig,  üniY.  975.  fol.  164'— 170'  s.  XIV.  ('Incipiunt  casus 
tertiarum'). 

8.  Eine  andere  Form  beginnt: 

*Cum  omnes»  In  prima  parte  istius  capituli  reprobatur  invidia 
et  commendatur  aequalitas.' 

FuldB  cit.  Cod.  D.  10.  zehntes  StücL 

4.  Zur  Comp.  IV. 

9.  'Firmiter.  In  prima  parte  dicitur,  quod  credere  debemus  et 
confiteri  unum  deum  incommutabilem.' 

*Königsberg  num.  37. 

10.  *Firmüer.  Primo  dicitur,  quod  debemus  credere,  quod 
unus  est  deus  et  tres  personae  et  unus  creator  omnium'  etc. 

Leipzig,  Univ.  975.  fol  170' — 172'  ('Incipiunt  casus  quartae 
compilationis'). 

11.  Ähnlich  eine  etwas  anders  beginnende  Form:  'Firmiter. 
Dividitur  c.  in  tres  partes/ 

Fulda,  cit.  Cod.  0.  10.  eilftes  Stück. 

5.  Zu  mehreren. 

12.  Solche  gibt  es  zu  den  drei  ersten  in  der  Handschrift: 
Berlin  Staatsbibl.  cod.  ms.  lat.   fol.   231    s.   XIIL  ine.   fol. 

122' — 195'  (nach  dem  Breviarium  Extra vagantium).  Bald  enthält  sie 


S6  ▼•  Schulte 

unter  dem  betreflfenden  Titel  Excerpte  nur  einer,  bald  von  zwei,  bald 
der  drei.  Sie  ist  defect  und  beginnt  im  Tit.  de  electionibus.  Am 
Rande  stehen  Glossen  bis  fol.  1 33',  weiche  meist  mit  Jud>'  bezeich- 
net eine  kurze  Darstellung  des  Falles  (Casus)  enthalten.  Von  fol« 
1 33"  ab  stehen  nur  einzelne  Glossen  zu  Kapiteln  der  Comp.  OL  mit 
den  Sigeln  Jo.  (Johannes  Galensis).  F.  196  fg.  enthalten  zwei 
Titel  als  Nachtrage. 

Lyon  Stadtbibl.  num.  271  (411)  s.  Xin. 

Diese  fangt  an :  *In  nomine  s.  trinitatis  incifiunt  eacceptionei 
decretalium  trium  compilationum ,  quarum  prima  incipit  jutie* 
secunda  praeterea,  tertia  devotioni.  anno  pontificatus  domini  Inno- 
centii  IIL  XIII.  Ex  concilio  Heldensi.  Ex  const  Canones  ab  omnünu 
letzte :  de  privil.  simili  modo. 

13.  Über  die  Verfasser  dieser  Notabilia  oder  Apostillae  ist  es 
schwer  ein  bestimmtes  Urtheil  zu  fällen.  Da  Johannes  Andreae  den 
Anfang  bei  keinem  mittheilt,  dies  auch  nicht  von  andern  geschieht, 
so  viel  mir  bekannt  geworden,  so  war  es  lediglich  dem  Zufalle  zu 
danken,  dassbei  Paulus  eine  Handschrift  dessen  Namen  hat,  diesen 
als  Verfasser  zu  bestimmen.  Die  Namen  der  übrigen  zu  eruiren  ist 
mir  auch  aus  Glossen  nicht  gelungen,  da  diese  nach  der  Natnr  der 
Sache  nicht  diese  Apostillae,  sondern  die  Glossen  zum  reinen  Texte 
benutzen.  Soviel  aber  geht  aus  jener  Mittheilung  hervor,  dass  diese 
Art  von  Schriften  zu  der  ältesteten  Decretalenliteratur  geboren.  Das 
beweist  auch  der  Berliner  Codex,  welcher  unzweifelhaft  den  ersten 
Decennien  des  XIII.  Jahrhunderts  angehört. 

n.  Casus. 

Diese  Sammlungen  treffen  zum  Theile  mit  den  vorhin  beschrie- 
benen zusammen  und  gehen  zurück  auf  den  Verfasser  des  Breriarium 
Extravagantium  Bernhard   YOn   Paria. 

1 .  Casus  Bernhardt  Papiensis  ')• 

14.  Diese  Casus  bestehen  nicht  blos  in  der  Aufstellung  von 
Rechtsfallen  bez.  Angabe  des  Casus  der  Decretale,  sondern  auch   in 


*)  Laspeyrea  Bemaudi  Papiensis  .  .  Summa  Decretalium.  Ratisb.  1S60  pag.  XLIX. 
sqq.  beweist  die  Autorschaft  Bernhardts  und  theilt  p.  827  sqq.  eine  AasahJ  aül 
unter  synoptischer  M  ittheilung  der  entsprechenden  des  RichardusAnglicns. 


Literaturgeschichte  der  Compilaiinne»  aniiquae  etc.  57 

Aufstellung  vou  Rechtsfragen,  Hervorhebung  einzelner  praktischer 
Anwendungen  der  ausgesprochenen  Sätze  u.  dgl.  m.  Für  die  prakti- 
sche Gestaltung  des  Rechts  sind  sie  von  grossem  Werthe  gewesen. 

Handschriften: 

^Frankfurt  a.  M.  vol.  43.  (Laspeyres  pag.  XLIX.). 

Berlin  cod.  ms.  lat.  fol.  350  s.  XHI  i). 

Leipzig»  Universitätsbibl.  Cod.  984.,  mbr.  fol.  s.  XHI. 
d  ritt  es  Stück  fol.  67 — 89'.  Zum  Schlüsse  genau  wie  im  Berliner 
Haec  vobü  etc.,  dann  dieselben  Verse. 

Fulda  ÖfTentl.  Bibl.  D.  5.  (unten  §.  40,) 

2.  Casus  Ricardi  Anglici, 

15.  Sie  haben  zum  Theil  mit  der  ersteren  eine  grosse  Ähnlich- 
keit, sind  jedoch  kurzer  und  selbstständig,  ja  auch  älter,  als  die 
Bernhards,  der  sie  vor  Augen  hatte  «). 

Handschriften  : 

*H uneben  num.  16083  (S.  Nico!.  Pat.  num.  83.  Laspeyres 
L  c.  pag.  XLIX.). 


>)  Dieser  Laspeyres  unbekannte  Codex  enthält  die  Summe  Bernhards  Ton 
Pavia  rerbnnden  mit  den  Caaas.  RegelmS^sig  (nur  als  ttt.  3.  I.  I.  stehen  blos 
die  casus,  ebenso  als  4.  de  eieet.,  darauf  nach  dem  tit  de  elect.  kommt  die  summa 
de  eonM.  und  de  eleeu,  so  dass  wohl  ein  Versehen  des  Abschreibers  rorliegt)  steht 
erst  die  Snmme,  dann  folgt  ohne  jeden  Übergang  der  eow«.  Der  Codex  ist  sehr 
werthvoU  und  hat  oft  entschieden  bessere  Lesarten  als  die  Ausgabe.  Nach  der 
Vorrede  steht  die  Einleitung  der  Casus:  ^fioret  apparuerunt-pottuiata,^  Tit  1. 
heisst  es:  ^Aux.  deo  de  const.  ecclesiasticis  tractaturi.^  Der  Schluss  lautet:  ^Haec 
vobis,  dilectissimi,  a  nostra  insufficientia  in  mensa  vestrae  propositionts  post  pri- 
innm  decretalium  et  secundum  summae,  tertium  ferculum  hilari  Tultu  de  proterva 
nostrae  paupertatis  oblatum  solita  benignitate  snmatis  ut  et  tos  nohiscum  divinae 
bonitati  de  unirersis  beneflciis  suis  gratias  indesinenter  agamua. 

Flavia    cepit  opus  consummaTitque  Papia, 

Contulit  auxilium  de  coelo  summa  aophia, 

Corrigat  haec  dicta  nee  sit  dilectio  ficta. 

Ob  tres  res  gestas  tibi  gloria  trina  potestas/ 

Die  tres  res  sind :  Breviariutn,  «irmma,  easu».  Sicher  ist  die  Hanilscbrift  eine 
der  interessantesten  aller  bekannten. 
^)  Dies  beweist  die  von  Laspeyres  p.  LI.  nota  99.  mitgetheilte  Stelle  Bern- 
hards, worin  dieser  (Glossa  ad  c.  2  Legebatur  de  miy.  et  ob.  I.  25.)  sagt:  Ma- 
feister  B.  sie  ponit  casum.  ^  Im  herrlichen  Codex  Fuld  l>.  5.  steht  dazu  eine  nicht 
«ignirte  Glosse,  die  dna  inhaltlich,  iiteht  wortlieh,  enthalt,  was  als  Rirbards  Fall 
angegeben  wird. 


S8 


T.   Schulte 


•Venedig  St.  Markus  num.  2S.  (Bluhme  pag.  14.). 

16.  Die  Zeit  der  Entstehung  lässt  sich  fQr  diese  Casus 
bis  zu  einem  gewissen  Grade  feststellen.  Ich  habe  in  der  Abhand- 
lung Ober  'die  Compilationen  Gilberts  und  Alanus'  [Sitz. -Berichte 
LXV.  Bd.,  Seite  22]  gezeigt,  dass  Richardus  bereits  citirt  wird 
in  einer  Glosse  zur  Comp.  Gilbert!,  welche  gewiss  dem  Anfange 
des  XIII.  Jahrhunderts  angehört.  Da  nun  diese  Glosse  die  der 
Comp.  I.  kennt,  letzere  aber  wohl  bald  von  Bernhard  selbst  glossirt 
wurde,  Bernhard  1213  starb,  so  dürften  die  Casus  des  Richardus 
zu  dessen  früheren  Werken  zählen  und  noch  dem  XII.  Jahrhundert 
angehören. 

m  Quaestiones. 

17.  Von  solchen  finden  sich  mehrfache.  Eine  Sammlung  ent- 
halten folgende  Handschriften : 

Bamberg  er  kön.  Bibl.  mbr.  fol.  P.  II.  4.  saec.  XIII  von  fol. 
23—39  in  2  Col.  zu  je  70  Zeilen. 

Leipzig  Universitätsbibi.  984.  von  fol.  90  an,  s.  XIII.  mit  dem 
Anfange  'Incipiunt  Quaestiones.* 

♦Königsberg  Univ.  Bibl.  num.  XXXVI. 

Da  ich  vom  letzteren  Codex  nur  den  genau  mit  den  anderen 
timmenden  Anfang  kenne.  Cod.  Bamb.  sehr  vollständig  ist,  lege  ieh 
diesen  der  Beschreibung  zu  Grunde. 

Anfang:  'Sancti  spiritus  assit  nobis  gratia.*  'De  quaestiombm 
decretalibva  tr^ci^tUTi  ad  cursum  loquentis  expeditiorem  etaudientium 
intelligentiam  faciliorem  eas  utile  duximus  8ub  tripartita  coUigere 
distincHone:  prima  continet  quaestiones  ad  ordinem  judiciarium 
pertinentes,  11*  decretales  meras  ad  ministros  altaris  et  roinisteria 
spectantes,  HP  matrimoniales.  In  prima  igitur  distinctione,  quae 
ordinem  judiciarium  tangit,  eo  ordine  quaestiones  quaestionibiis 
eontinuemus,  quo  in  quotidianis  judiciis  successive  de  facto  solent 
proponi.  Sed  quia  in  omni  negotio  instituendo  qui  adversarium  vuit 
convenire  ad  maiorem  cautelam  lescripto  summi  pontificis  partem 
8uam  consuevit  munire,  ideo  de  rescripto  praemittimus,  fingentes 
aliquem  spoliatum ,  qui  ad  postulandam  restitutiouem  reseriptum 
summi  pont.  ad  judicem  delegatum  deportavit.  Sciendum  ergo  est, 
quod  multa  sunt,  quae  reseriptum  summi   pontificis   impediuiit:  quia 


Literator^eschichtA  der  CompilaUoiies  »ntiquae  etc.  o9 

falnitatis  obiectio,  veritatis  suppressio,  si  iuri  communi  sit  contrarium, 

* 

si  in  eo  sit  erratum,  si  circa  personam  sire  ofßcium  sive  circa  rem, 
sive  circa  causam,  Tel  si  posterius  fuerit  impetratum  non  habita  men- 
tione  prioris,  si  non  fuerit  bullatum.  De  singulis  ei^o  capitulis  yidea- 
mus.  §•  De  primo  quaeriiur^  si  adjectum  sit  sen.  an  eo  probato 
exspiret  judicis  iurisdictio,  et  videtur,  quia  sub  hac  couditione: 
si  preces  veritate  nitantur»  committitur  Jurisdiction  ut  XXV.  q.  IL 
universa »  immo  semper  subintelligitur ,  etiam  si  non  apponatur, 
ut  extra  de  reacriptis  ex  parte,  Sed  bic  non  subest  conditio, 
ergo  exspirat  jurisdictio.  .  .  .* 

Die  Sammlung  enthält  äusserlich  keine  Abtbeilong  nacb  den 
drei  Tbeilen ;  die  einzelnen  Erörterungen  werden  mit  dem  Yorher- 
gehenden  verbunden  durch  Übergänge  als: 

*Praemisimus  de  rescripto;  si  ergo  in  r.  nullum  praedictorum 
impedimentorum  invenitur,  eius  auctoritate  restitutio  efBcaciter 
potest  peti.  Sed  quoniam  multa  sunt,  quae  restitutionem  possunt 
impedire,  videamus,  quae  sint  illa,  ut  sie  perpendatur,  an  iure  restitui 
debeat';  'Restituta  possessione  potest  is,  qui  spoliator  fuit,  a  quo  vis 
aceusari.  Sed  quoniam  criminum  quaedam  sunt  occulta,  quaedam 
manifesta,  item  q.  raantf.  q  notoria,  q.  non  adeo  nota  vel  certa, 
de  Dotoriis  primo  yidearaus';  *praemisimus  de  not,  videamus  de 
uccultis\  Ich  gebe  im  Folgenden  die  behandelten  Materien  nach  den 
Abtheilungen  der  Einleitung  an  nach  selbst  gemachten  der  Sache 
und  dem  Werke  entlehnten  Rubriken. 

I.  Quaestiones  judiciales. 

I.  de  rescriptis.  2.  de  restitutione  spoliatorum.  3.  de  crimini- 
bus  notoriis.  4.  de  occultis;  S.  de  manifestis  non  notoriis.  6.  de 
excominunicatione.  7.  de  transactione.  8.  de  sacramento  calumniae. 
9.  de  iuramentis.  10.  de  accusationis  forma.  11.  de  infamia  et  infa- 
mibus.  12.  de  purgatione.  13.  de  testibus.  14. 

II.  Quaest.  ad  ministros  et  ministeria  spect. 

1.  de  symoniace  ordinatis.  2.  de  haereticis.  3.  de  sacramento 
eucharistiae  ab  haereticis  miiiistr.  4.  utrum  haeretici  habeant  potes- 
tatem  ligandi  et  solvendi.  5.  de  clavium  potestate.  S.  de  episco- 
pali  eleetione  et  ordinatione.  6.  de  continentia.  7.  de  reguiis  aposto» 
licis  oportet  episcopum  esse  sine  criniine.  de  criminosis  non  ord. 
8.  de  bigamis  non  ordinandis.  9.  u.  10.  11.  de  vita  et  honest,  cleri- 
corum.  als  Theil  des  tract.  de  irregularitate:   12.  de  servis  non  ordi- 


60  V-    Schulte 

DHndis.   13.  de  electione.   14.  de  iure  patronatus.    15.  de  conseera- 
tione  episcoporum  et  ordinatione  clerieorum. 

III.  Quaestiones  matrimoniales. 

1.  Dejurenaturali.  2.  deprohibitionibus.  3.  desponsalibiis.  4.  De 
matrimonio:  quid  sit,  quae  de  substantia  sint  m.,  quae  impediant  m. 
K.  de  matr.  rato.  6.  quaestiones  speciales.  7.  de  di?ortio.  8.  de  im- 
pedimentis  matrimonii.  9.  de  eagnatione  spirituali.  10.  de  cogna- 
tione  legali.  11.  de  consanguinitate  et  affiuitate.  12.  dedispari  eahu. 
13.  de  errore.  14.  de  errore  conditionis.  Darin  bort  das  Werk  auf 
ohne  Schlussvermerk  mit  den  Worten:  'Nobis  autem  videtur»  com- 
munes  esse  debere.' 

Als  Beleg  der  Methode  gebe  ich  eine  der  kürzeren,  die  de  jure 
patronatus. 

Traemisimus  de  electione  episcopi,  cuius  electionis  libera  citri 
est,  cum  in  episcopali  ecclesia  neceasario  habeat  ius  patronatus. 
Ceterum  cum  in  monasterium  jus  patronus  habeatur,  poterit  patnv- 
niis  vacante  abbatia  cum  fratribus  eligere,  ut  XVUI.  q.  II.  abbatest 
In  ecclesia  vero  parochiali  patronus  solus  eligit  ut  XVI.  q.  VIL 
decrevimus.  De  hoc  jure  patronatus  quaeritur,  ulrum  sit  spirituaie 
vel  corporale  vel  mixtum.  Spirituaie  non  videtur,  quia  per  succes- 
sionem  transfertur  ad  heredes  sanguinis,  ut  XVI.  q.  ult.  quieunque 
filiis,  at  spiritualia  non  sunt  successiva  ut  Vlil.  q.  I.  Moyses,  aposto- 
lici  licet  sig*.  Item  corporale  non  videtur,  quia  patronatus  ius  ad  quoslibet 
potest  trausferri,  quod  non  contingit  de  jure  patr.  Mixtum  non  Tide- 
tur,  quia  si,  patronatus  jus  posset  vendi  sicut  cetera  jura  ecelesiastira 
utpote  praedia  et  huiusmodi,  quae  sunt  corporalia  et  ecciesiastica. 
Item  si  esset  mixtum  i.  e.  seculare  et  ecclesiasticum,  possent  prin- 
cipes  statuerCf  ne  laici  de  cetero  in  ecclesiis  baberent  jus  patnma- 
tus,  sicut  potest  statuere,  ne  praescriberet  contra  ecciesiam,  et  jw 
praescriptionis  similiter  jus  mixtum  dicitur.  Quid  ergo?  Solatio^ 
Dicatur,  quod  est  mixtum  ecclesiasticum,  seil,  quod  de  ecclesia 
habetur  et  peudet,  unde  non  transit  ad  extraneas  personas  sicat  et 
privatum ,  quia  privilegiatae  personae  competit.  Unde  transit  ad 
successores  sanguinis,  ergo  cerporale.  Sed  nee  aliquando  ad  omnes 
patronatus  jus  transfertur.  Est  et  spirituaie,  sed  non  de  [offenbar  eine 
Lücke],  alioquin  ad  nullos  omnino  trnnsiret  nee  est  simile  de  praediis». 
cum  illa  licet  sint  ecciesiastica  proprie  tamen  corporalia  et  passiin 
subjacent  venditioni,  quod  de  jure   patronatus   non  contingit.   N<hi 


Literaturgeachichle  der  compilntionet  antiquae  etc.  0 1 

est  simile  de  praescriptione,  quiie  licet  circa  spiritualia  nonnumquam 
versetur.  nunquam  jus  spirituaie  licet  ecciesiasticum  potest  censeri, 
et  cum  ju9  praescriptionis  originem  traxerit  a  jure  forensi  jus  patro- 
natus  a  mero  sacro,  unde,  licet  princeps  circa  praescriptionem  aliquid 
possit  immutare,  non  tarnen  circa  jus  p.  aliquid  potest  statuere  vel 
secuDdum  seil,  jus  patro.  Et  verum  est  spirituaie  nee  de  mero  pate. 
sed  dontaxat  ex  dispeusatione  canonum  est,  quod  defertur  per  suc- 
cessionem.  Quicquid  ergo  de  jure  p.  quoad  laicos  in  canonibus 
reperitur  dispensaiione  indultum  ex  grafia  canonum  dieatur.  ut 
XVI.  q.  y.  c.  1.  Casus  ergo  in  canonibus  reperti  teneantur;  novi  non 
introducantur  cum  ex  dispeusatione  regula  fieri  non  debeat,  nee  dis- 
pensatio  ad  consequeutiam  trahenda  ut  XXIII.  q.  II.  in  adolesceniia. 
Ar.  di.  XXXnn.  lector. 

Item  quaeritur,  utrum  j.  p.  yendatur?  Quod  si  universitas  venda- 
tur  et  j.  p.  transit,  ut  in  esira-  de  jure  patro.  cum  saeculum.  Ergo 
ex  vendito  potest  possideri»  ergo  potest  vendi.  Econtra  res  est  spiri- 
tualia vel  spirituali  annexa,  ergo  non  subjacet  venditioni  ut  I.  q.  III. 
si  quis  obiecerüf  in  esrira.  de  j.  p.  ad  aures.  Solutio:  licet  transeat 
occasione  rei  venditae,  non  tarnen  vendi  potest  per  se  instar  fiindi 
dotalis. 

Item  filio  patroni  instituto  ad   praesentationem   patroni»   quod 

licitum  sit  ar.  IIL  q.  II.  quisquis,  di  LXXXVI.  nonsaiis;  quaer.  si  ad 

ipsum  devolvaturj.p.patre  mortuo  cumbonishereditariis?  utrum  possit 

retiiiere  et  videtur,  quia  eeclesia  juste  adepta  non  potest  privari  utXVI. 

q.  VI.  imminentem.  Item  hereditate  privari  non  potest.  Item  non  est 

novum  quod  semei  utiliter  etc.  ut  C.  de  reg.  jur.  non  esi  novum; 

ar.  di  LV.  praecepia.  E  contra  hoc  solum   religiosis  conceditur,  ut 

uti  possint  temporalibus  et  habere  j.  p.  ut  in  extra^    de  j.   p.  pat. 

[muss  heissen  de  cetero,  nämlich  c.  23.].   Item   isti   sutlficiant  bona 

hereditaria,  unde  si  percipiat  ecclesiastica,  sacrilegium  incurrit,  ut 

XVI.  q.  I.  c*  ultimo  in  fiiie,  I.  q.  III.  clericus  pastor.  Sed  posito  ipsum 

dum  esset  in   minoribus  ordinibus   de   legitimo    patrimonio   vivente 

patrem  suscepisse  filium  et  maxime  vel  uxore  mortua  ut  dictum  est 

ad  praesentationem  patris  fuisse  institutum  et  mortuo  patre  ipsum 

habere  bona  hereditaria  cum  jure   p.    et   ecclesiam,   quaer.    utrum 

assignata  eeclesia  possit  episcopus  fieri,  immo  dignuro   et  inhibitum 

ad  eius  praesentationem  instituere,  et  utrum  cum  sit  de  legitimo  matr. 

uatus,  et  digiius  quare  repellitur.  Contra  videtur  quod  repelli  debeat. 


62  V.    S  r  h  n  I  t  e 

tarnen  ne  iterum  fiat  confusio  patroni  et  et  ecciesiae  taineo  quia 
edietum  de  filiis  sacerdotum  post  patres  instituendis  videtoresse 
generale  tarn  de  filiis  natis  ex  legitima  conjunctione  quam  de  si»- 
ceptis  ex  fornicatione.  Solutio.  Ad  primum  diei  potest,  eam  ecciesiam 
de  consilio  resignare  debere,  licet  de  stricto  jure  ad  hoc  cogi  dod 
possit.  Ad  secundum  dici  potest,  esse  repellendum,  ne  videaotur  ec- 
ctcsiastica  esse  successoria,  ut  VIII.  q.  I.  apostolica  nam  generale 
videtur  illud  edietum«  ut  in  extreu  de  ordinat  «t  so. 

Item  quaer.  si  duo  ditayerint,  utrura  alter  plus  juris  quam  alter 
in  j.  p.  habere  possit.    Et  videtur  posito  quod  alter  in  majori  abuo- 
dantia  contulit  qoam  reliquus,  uterque  tarnen  ad  sufficientiam.   Ecce 
utrique  est  acquisitum  j.  p.  ditatione,  alter  magis  ditavitquam  reliquos 
ergo  plus  juris  habet.  E  contra  res  est  spiritualis  ergo  sectionem  oon 
ajdmittit  ut  XX'.  q.  L  quia  si  alter,  ergo  plus  juris  habere  potest  quam 
reliquus.  Solutio.  dici  potest  neutrum  plus  altero  juris   habere  et  ita 
j.  p.  ab  istis  habetur  quod  a  neutro  licet  non  obstet  dici    ab  utroque 
haberi  in  solidum  neutrum  tamen  per  sc  posse  praesentare.  Similiter 
ilicatur  de  eo  quod  quaer.  si  civitas  ecclesiam  fundet,  quod  ibi  nuilus 
ei  vis  est  patronus,  sed  tota  unitersitas,  ar.  XII.  q.  II.  quae  manundt- 
tnntur.    Item  quaer.  utrum  j.  p.   inter  heredes  possit  dividi,  puta  si 
plures  sint  ecciesiae  ut  singuli  singularum  sint  ecclesiarum  patroni. 
Et  videtur,  quia  fiat  distributio  praediorum,  simul  cum  praediis  trao- 
sibit  j.  p.»  persimile  eius  quod  dicitur  de  universitate  vendita  ita  et 
hoc  satis  potest  concedi.  Sed  numquid  jus  simplex  potest  dividi  noa 
facta  divisione  praediorum  ?   Non  videtur  nam  jus  privatae  persooae 
conferri  non  potest  ut  XVI.  q.  VII.  nemini.  In  monasterio  jus  simplex 
conferri  potest  ut  in  extra  de  j.  p.  illud.  Sed  nonne  patronus  praedi- 
um  retento  sibi   patronatu  potest  alienare  I    Resp.  j.  p.  simplex  ab 
aliquo  private  haberi  potest,  fieri  autem  non  potest  sicut  mancipium 
christiaiium  in  dominio  gentili  esse  potest.  Item  quaer.  utrum  clericus 
de  manu  laici  beneficium  adipisci  possit  ecciesiasticum?  Non  videtur 
ut  XVI.   q.   VII.   quomam,  ubi  excommunic»tur  talis,  c.  si  quidem 
episcopus,  ibi  deponitur  talis.   E  contra  videtur  quod  talis  se  tuen 
possit  si   longa   fuerit  praescriptione  munitus   ut  in  extra  de  j.  p- 
cum  pastorali,  sed   directo  videtur  nulla  praescriptione  se  posse 
tueri.  Coustat  enim  in  hoc  casu  iniuste  fuisse  praescriptionis   exor- 
dium.   Nulla  ergo  praescriptio  in  hoc  casu  locum  habet  ut  XIU.  di. 
xc.  III.  di.  illud  et  di  (:.  contra  morem  XXXII.  q.  V.  quidam.  Solutio. 


Literftturgesebichte  der  compiUtiones  antiquae  etc.  68 

dici  potest  quod  se  tueri  possit  non  momento  longae  praescriptionis 
sed  praetextu    diuturnae    episcopalis    taciturnitatis,    qua    episcopus 
videbatur  consensisse  et  negotium  ratum  habuisse.    Vel  legatur  illud 
.vel  in  eadem  deeretali  sequitur  prout  et  planum  erit. 

Item  quaer.  si  unus  in  sua  possessione  ecclesiam  fundaverit  et 
alius  eam  ditaverit,  quis  eorum  patronus  censeri  debeat?  Et  videtur 
quod  dominus  possidens,  ut  XVIII.  q.  II.  abbatem.  cum  j.  p.  hoc  modo 
quidem  substantialiter  acquiritur  quia  possessioni  cohaeret  per  dita- 
tionem  vero  accidentaliter  utpote  per  extrinseca  adminicula.  Contra 
per  ditationem'  potius  videtur  acquiri,  cum  nisi  sufiicienter  esset 
ditata,  consecrari  minime  deberet  ut  XVI.  q.  VI.  piae,  cum  etiam  nisi 
ministris  suflficere  possit  alii  ecclesiae  supponetur  ut  X.  q.  III.  vivo 
et  ita  fieret  cappella  et  ancilla  quae  modo  est  per  eum  qui  ditavit 
mater  et  libera.  Quid  ergo?  Solutio;  dici  potest,  dominum  posses- 
sionis esse  patronum  quoad  jus  praesentandi.  Numquid  aliquid  iuris 
alii  est  acquisitum?  Resp.  est  licet  enim  nil  habeat  honoris  habet 
tarnen  aliquid  commodi  honoris  ut  XVI.  q.  VII.  cuicunque  Gliis  I.  q.  I. 
constituerunt  quod  etiam  habet  et  reliquus. 

Item  posito  quod  ecclesia  ad  alium  locum  transferatur,  quaer. 
utrum  esse  debeat  patronus  novae  qui  fuit  patronus  veteris?  Ei 
videtur  quod  sie  praesertim  si  ex  ditatione  j.  p.  fuit  acquisitum»  eum 
divinaepossessionescum  his,  quae  ecclesiae  erantconcollata  simul  tran- 
seant,  cum  id  juris  simul  esse  debeat  in  accessorio,  quod  est  in  pi  in- 
cipali.  Sed  contra  videtur  quod  is  cuius  possessione  constituitur  ec- 
clesia patronus  esse  debeat  cum  is  ceteris  in  jure  praesentandi  prae- 
ferri  debeat  secundum  praemissam  rationem.  Quod  quidem  verum 
est.  Nam  possessionis  dominus  erit  patronus  quoad  jus  praesentandi, 
alius  vero  quoad  alia. 

Sed  quid  si  haereticus  excommunicatus  praesentet,  numquid 
tenetur  admittere?  Resp.  nequaquam  ar.  XVI.  q.  VII.  Frugentius. 
Quid  ergo  faciet  episcopus  elapsis  duobus  vel  tribus  mensibus  vel 
secundum  quod  ei  melius  visum  fuerit?  Poterit  eam  ordinäre  ut  in 
eartra.  de  jure  p.  quon. 

Item  quaer.  si  dominus  non  praesentet  et  episcopus  constituat 
aiitequam  ex  post  facto  comperto  quod  supra  patronus  non  fuerit 
possit  amoveri?  videtur  quod  non,  nam  sola  episcopalis  institutio 
absque  omni  praeiudicio  praevalet,  unde  in  extra  de  j.  p.  dilecti 
longe   magis  cum  autem  praecesserit  ut  in  extra  t.  e.  de  cetero. 


64  V.   Schulte 

E  contra  qiiod  fit  in  huiusmodi  praesentatione  patroni,  ratum  non 
habetur  ut  XIII.  q.  VII.  deorevimus.  Item  expressum  ar.  in  extra,  de 
j.  p.  dilectus.  Solutio.  Si  is,  qui  praesentat,  in  possessione  sit  patm- 
nus  et  eredatur  patronus  non  irritatur  institutio,  licet  alius  j.  p.  evi- 
cerit,  sit  patronatus  postmodum  ei,  in  quo  casu  loquitur  idem  capi- 
tulum  d^  ceterOf  secus  qiiando  is  praesentat,  qui  non  est  in  posses- 
sione vel  saltem  non  creditur  esse  patronus,  quo  casu  loquitur  capi- 
tulum  dilectu9»  Item  ibi  sufficit  sola  institutio  episcopi  ubi  nullum 
praesentat  patronus  vel  ex  injusta  causa  praeseutationein  differt  iit 
in  illo  c.  dilectu  uti  nulla  est  institutio,  ubi  spreto  patrono  instituitur 
ut  in  illo  c.  decrevimu8\ 

über  den  Verfasser  lässt  sich  weder  aus  dem  Werke  selbst 
noch  aus  anderweitigen  Nachrichten  eine  Vermuthung  aufsteilen,  da- 
gegen die  Zeit  der  Abfassung  ziemlich  genau  bestimmen.  Die 
Compilatio  prima  wird  in  jeder  Quästion  citirt,  dagegen  keine  der 
anderen,  auch  nicht  einzelne  darin  enthaltene  Decretalen.  Solches 
war  aber  nur  möglich,  wenn  die  Schrift  im  Anfange  der  90ger  Jahre 
des  XII.  Jahrhunderts  gemacht  wurde,  da  sich  bei  der  Wichtigkeit 
vieler  für  fast  jede  behandelte  Materie  ein  Übergehen  nicht  denken 
lässt,  eine  Unbekanntschaft  mit  denselben  aber  vollends  bei  einem 
Autor  nicht  angenommen  werden  kann,  der,  wie  sein  Werk  beweist, 
eine  umfassende  Rechtsbilduiig  besitzt.  Die  Schrill  ist  werthvoll 
und  bietet  jedenfalls  die  umfassendsten  Erörterungen  aus  jener 
Zeit  zu  den  betreffenden  Materien.  Schriftsteller,  ausser  Johannes, 
womit  nur  Job.  Faventinus  gemeint  ist,  werden  nicht  citirt,  dagegen 
oft  von  den  verschiedenen  Ansichten  gehandelt. 

18.  Eine  zweite  Sammlung  enthält  derselbe  Bamberger 
Codex  fol.  41 — 56.  Sie  ist  von  einem  anderen  Verfasser,  wie  die 
durchaus  verschiedene  Methode  lehrt,  aber  aus  gleichen  Gründen 
in  dieselbe  Zeit  zu  verlegen.  Ob  sie  voltständig  ist,  kann  ich  nicht 
behaupten.  Sie  umfasst  100  Stuck.  Jn  auch  durch  Absätze  genau 
geschiedenen  Abtheilungen  wird  jedesmal  der  Fall  dai^estellt,  darauf 
folgt  die  Auseinandersetzung  der  bejahenden,  dann  der  verneinenden 
Grunde,  endlich  die  stets  ganz  decidirte  Solutio.  Sie  erstrecken  sieh 
ziemlich  auf  alle  Hauptmaterien  der  Decretalen.  Die  ersten  sind: 

An  potestas  invita  civitate  post  monachatus  possit  revoeari? 
Veniens  quidam  ad  regnum  civitatis  juravit  se  bona  fide  rectaram 
civitatem  usque  ad  annum.  Medio  vero  tempore  sui  regiminis  nuUiu5 


Literaturgeschichte  der  coinpilatiooes  anliquae  etc.  OO 

requisita  licentia  intravit  monasterium . . .  2.  de  praescriptione.  3.  de 
privilegiis,  in  quibus  aliorum  fit  mentio.  4.  de  presbytero  peregri- 
nante  invito  episcopo.  5.  an  episc.  possit  indicere  bellum.  6.  an  ee- 
clesia  in  laicos  compromittere  possit  in  spiritualibus.  7.  de  negotio 
pluribus  commisso  et  in  unius  absentia  finito.  8.  an  electus  teneatur 
solvere  sumptus  factos  in  definitione  electionis.  9.  an  clerici  cappel- 
larom  debeant  interesse  electioni  archipresbyteri.  10.  an  sacerdos 
compelli  possit  ad  purgationem,  qui  voTit,  se  non  juraturum.  11.  an 
cauponibus  danda  sit  eueharistia.  12.  an  revocari  possit  quod  a  ficto 
berede  datur  eeclesiae.  13^  de  praescriptione.  14.  de  hereditate  filio 
in  contentione  positi.  15.  de  jure  patronatus  et  praescriptione  mixta. 
16.  de  eo  qui  fecit  sibi  relinqui,  quod  ille  volebat  eeclesiae  relin- 
quere.  Letzte:  Quidam  intravit  monasterium  ea  conditione  inter- 
posita,  ut  usumfructum  praedii  unius  sibi  reservaret. 

Alle  Qttästionen  behandeln  einzelne  durchaus  praktische  Fragen. 
Diese  Sammlungen  unter  Hinzunahme  der  altern  beweisen,  dass  die 
späteren  im  Wesentlichen  nur  Wiederholungen  Qber  die  bereits 
früher  behandelten  Materien  sind.  Was  in  den  Quästionen  des 
XIII.  Jahrhunderts  Neues  sich  vorfindet,  besteht  vielfach  lediglich 
in  dem  Ergänzen  der  rationes  pro  und  contra  aus  den  neuen  Dekre- 
talen  und  diesen  entsprechend  ab  und  zu  in  anderen  Entscheidungen; 
auch  sind  die  späteren  oft  viel  ausführlicher.  Dagegen  kann  man 
nicht  behaupten,  dass  sie  durchgehends  geistvoller  behandelt  sind 
und  von  unbefangener  juristischer  Auffassung  zeugen. 

19.  Quaestiones  Damasi.  Über  sie  werde  ich  bei  dessen 
Schriften  ausführlicher  reden. 


IV.  Sumxnae. 

20.  Mit  diesem  Namen  bezeichnet  man  jeneClasse  von  Schriften, 
welche  sich  nicht  an  die  einzelnen  Capitel  anlehnen»  sondern  die  in 
den  einzelnen  Titeln  behandelte  Materie  lediglich  in  der  Reihenfolge 
der  Titel,  daher  auch  Summae  titulorfim  genannt,  nach  selbst  ge- 
wählter Ordnung  darstellen.  Sie  bilden  mithin  De  kr etalenl  ehr- 
bü eher  im  eigentlichen  Sinne,  welche  sich  von  den  späteren  syste- 
matischen lediglich  durch  die  äussere  Ordnung  unterscheiden.  Es 
sind  folgende  bekannt. 

Sttb.  d.  phil.-hist.  Ol.  LXVI.  Bd.  I.  Hfl.  5 


66  Y.    S  c  b  u  1  t  e 

1.  Summa  iitularum  Bemliardi  Papiensis. 

Handschriften:  7  sind  angeführt  in  der  gleich  zu  nennenden 
Ausgabe  i).  Dazu  kommen  die  dem  Herausgeber  unbekannten  : 

Berlin  Kon.  Bibl.  num.  SSO.  (bereits  naher  beschrieben). 

Bamberg  P.  IL  4.  fol.  8—23,  saec.  XIV.  Cberschrift  'Inäpit 
summa  bemardi  episcopi  faventint  ,  Schlussverse  wie  in  der  Aus- 
gabe. 

Fulda  öffentl.  Bibliothek  D.  5.,  mbr.  fol.  s.  XIÜ.  Sie  läuft 
in  demselben  wie  im  Casseler  am  unteren  Rande  des  Breriars  fort 
untl  hat  regelmässig  bei  jedem  Absatz  trotz  der  Rubrik  im  Anfange 
B.  neben  sich. 

♦Trier  Stadtbibl.  num.  908,  fol.  B,  XV.  (nach  dem  mir  voi^ 
liegenden  Kataloge  *) 

Ausgabe:  Bemardi  Papiensis  Faventini  Episcopi  Summa 
Decretalium.  Ad  librorum  manuscriptorum  fidem  cum  aliis  eiusdem 
scriptis  edidit  Ern.  Ad.  The  od.  Laspeyres.  Ratisb.  1860. 

Die  Ausgabe  erörtert  die  in  Betracht  kommenden  Punkte  ein- 
gehend, weshalb  ich  mich  des  Weiteren  nicht  darauf  einzulassen 
brauche.  Soweit  ich  mit  einzelnen  Punkten  nicht  übereinstimme, 
wird  sich  die  Gelegenheit  ergeben,  dies  hervorzuheben. 

2.  Summa  titulorum  Damast. 

Über  sie  soll  unten  im  Zusammenhange  seiner  Schriften  ge- 
handelt werden. 

V.  Die  Tractatas. 

21.  Zu  diesen  dürfen  gerechnet  werden : 

1.  Summa  de  matrimomo  des  Bernhard  von  Paria.  In  der 
Ausgabe  von  Laspeyres  p.  XLVII.  sqq.  besprochen  und  p.  287  bi^ 
306  edirt.   Fast  gleichzeitig   edirt  von  Kunstmann  in:  v.   Moy 


0  Im  Cataloi^«  gininl  des  maniucriU  de«  bUküotheques  pobUqoM  des  d^prtewi'ih' 
Vol.  IL  (Par.  1855)  pag.  59  und  174  werden  Codd.  als  Swamm  Benib.  de  jm 
can.  bezeichnet;  nach  den  dort  mitgetheilten  AnAngen  au  sclüieasen  sind  sie  niete 
die  Summe,  sondern  das  Breriarium. 

*)  Da  dieser  aber,  wie  ich  bei  anderen  selbst  eing-esehenen  Handschriften  fiiAd.  aic^t 
rerlissUch,  muss  ich  die  Richtigkeit  der  Angabe  dahingestellt  sein  lassen. 


Literaturgeschichte  der  conipilatioues  aottquae  etc.  D  i 

uud  Vering  Archiv  f.  kath.  Kirchenrecht  Bd.  VI.  (1861)  S.  223  bis 
262  mit  vorautgehender  Einleitung. 

2.  Bernhards  Summa  de  electione,  besprochen  bei  Las- 
peyres  I.  c.  und  gedruckt  pag.  307—323. 

3.  Tancredus  Summa  de  matrimonio.  Letzte  Ausgabe: 
Tancredi  Summa  de  matrimonio  edidit  Agathon  Wunderlich.  Gott. 
1841.  Diese  bespricht  die  einzelnen  Punkte.  Weitere  Handschriften 
zu  nennen  ist  unnöthig. 

Übrigens  tussen  diese  Schriften»  wie  die  Ordines  judiciarii 
aus  dieser  Periode,  nicht  blos  auf  den  Compilationes  antiquae,  sind 
aber  sicher  durch  die  massenhaften  Decretalen  hervorgerufen  worden. 
Deshalb  habe  ich  sie  erwähnen  zu  sollen  geglaubt,  obwohl  meine 
Absicht  nur  darauf  ausgeht,  in  diesen  Abhandlungen  aus  Handschrif- 
ten Neues  zu  bieten. 

VL  Brocarda. 

Mir  sind  nur  die  des  Damasus  bekannt  geworden,  die  ich  unter 
dessen  Schriften  besprechen  werde. 


Zweites  Capital. 

Die  eigentliche  Glossenliteratur.  Apparatus,  leeturae, 

glossae  i). 

I.  Emleitong. 

22.  Um  das,  was  ich  biete,  richtig  beurtheilen  zu  können,  muss 
man  sich  daran  erinnern,  was  bisher  über  diesen  Gegenstand  ge- 
schrieben wurde.  Dies  ist  sehr  wenig.  Tancred  in  der  Einleitung 


'^)  über  diesen  Gegenstand  spricht  Sar  ti  gelegenUich  bei  den  einselnen  Glossatoren 
Wie  ich  mich  vielfach  zu  uberzengen  Gelegenheit  fand,  hat  Sartis  verdienstvolles 
Werk  nur  selbststindigen  Werth  für  die  Lebensgeschichte  der  Glossatoren,  für 
welche  es  meist  aus  Urkunden  schöpft ;  in  die  Schriften  selbst  hat  er  bei  den  nicht 
allbekannten  oft  kaum  einen  Blick  getban,  eine  Prüfung  der  Glossen  ist  nicht 
in  seinem  Plane  gelegen,  auch  standen  ihm,  nach  seinen  Citaten  xu  schliessen, 
wenige  Handschriften  zu  Gebote.  DiphvatäeeiuSi  Pttmirohu,  DotijMt  u.  A.  gehen 
auf  die  Glosse  als  solche  ebensowenig  ein.  Von  Neuem  gibt  Phillips  Kirchen« 
recht  Bd.  4.  einige  Notizen,   ebenso  mein  Lehrbuch  die  bis  dahin  ausführlichsten 


68  V.    S  c  h  u  I  t  e 

zum  Apparate  der  Compilatio  III,  die  sich  in  vielen  Handschriflen 
findet,  sagt  blos.  Verschiedene  hätten  die  genannten  Compilatiooen 
glossirt  oder  mit  Apparaten  versehen. 

Johannes  Andreae^)  gibt  folgende  Mittheilung  über  die 
CompUationes  antiquae:  'Antiquarum  eniro  compilationum  habuimus 
recolendae  memoriae  notatores;  Ber.  Papi.,  Jo.  Galensem  ValtSranum. 
antiquum  B.  Compo.»  Rufinum,  Silvestrum,  Ricardum,  Rodoyearo, 
Petrum  hispanum,  Bertran.,  Dama.,  Ala.,  Lau.»  Vin.,  Jo.  theutonicum. 
Tan.,  6.  Naso.,  Jac.  de  Alben.,  de  quorum  apparatUms^  scriptü  et 
reportationibuB^  aliquibus.  additis,  Bernardus  Parmensis,  canonieos 
Bo.,  super  hac  compilatione  apparatum,  quo  nunc  utimur,  compila- 
vit*.  Diese  Notizen  ergänzt  er  noch  dahin  <):  'Bazianum  et  Gan- 
dulphum,  ....  quorum  scripta  super  compilationibus  illis  non 
habemus,  ...  praetermisi'  <).   Bernardus  Papiensis,  Johan* 


Nachweise.  Die  Abhandlung  Laurin's  im  Archiv  f.  kath.  Kirchenr.  too  Mo 7  nad 
Vering  XU.  S.  361  ff.  ist  nur  eine  ZuaammrnsteUung  fremder  Aaaa|iräche;  der- 
selbe hat  keine  einaige  Handschrift  vor  Augen  gehabt  Ich  darf  daher  sagen,  dats, 
abgesehen  von  der  Angabe  von  ?(amen,  eigentlich  bisher  nichts  geschriebea  ist. 

^)  Novella  in  decret.  proem. :  oddit,  ad  Guii.  Dur,  Speeui.  proem.  Daaa  die  m 
proem.  der  NoveUa  genannten  als  Glossatoren  der  Compilationes  anti- 
quae aufgeführt  werden,  sagt  er  am  sweiten  Orte  mit  den  Worten:  'Non  mireris. 
si  omnes  supra  scriptos  in  prooemio  Novellae  non  descripsi:  cum  ibi  in  versic. 
aniiquarum  solum  de  bis,  qui  scripserant  super  quinque  antiqnis  compilaUonibos. 
vel  altera  illarum,  facerem  mentionem^. 

*)  Addit.  ad  Speeui,  Prooem.  Er  corrigirt  hier  IrrthQmer  von  Durantis.  vdcbe 
beweisen,  dass  schon  damals  selbst  solchen  Gelehrten  ezacte  Renntniss  der  Lite- 
ratur fehlte. 

')  Diese  Bemerkung  hiitte  Laspeyres  p.  XXXVII.  n.  74.  veranlassen  soUen,  t« 
prüfen,  ob  wirklich  derselbe  als  Glossator  der  Comp.  I.  erscheinen  kann.  Lauria 
S.  364. fuhrt  ihn  nach  Lasp.  ohne  Bedenken  auf,  wagt  nur  nicht  Gandnlphes 
bestimmt  anzunehmen.  Sonderbarerwelse  wird  von  diesem  die  Stelle  ans  der  IfpteUa 
gar  nicht  citirt!  Savigny  freilich  hatte  keinen  Grund,  sie  im  3.  Bande  abdrackra 
zu  lassen,  wie  er  es  mit  der  anderen  that,  die  sich  auf  die  Proxessnalistea  besof. 
Bei  Laur  in  ist  auch  Johann  es  Fa  ve  ntlnus  [von  dem  aber  sogar  Ja.  Am^^eat 
in  der  von  Laurin  citirten  SteUe  sagt,  er  citire  keine  Decretale,  was 
objectiv  bekannUich  nicht  ganx  richtig  ist],  Rufinus  [nur  wird  die  IdeBtitit  mit 
dem  Verfasser  der  Summe  des  Decrets  ungewiss  gelassen],  Sylvester,  Jo- 
hannes Hispanus  [die  beide  nach  Job.  Andr.  keine  Decretalen  citirea,  aoa- 
dem  nur  nach  einem  on  dit  'certas  compilationes'  gelesen  haben J,  Buge, 
[den  nicht  einmal  Andrefi  als  Glossator  der  Comp,  nennt,  sondern  nar  als  aie  ge- 
sehen habend  anfuhrt],  als  Glossator  der  Comp.  1.  genannt 


Literaturgeschichte  der  compilatioiies  antiqiiae  etc.  69 

nes  Gaiensis  et  antiquus  Bernardus  Comp,  waren  'compila- 
tores  non  solum  glossarum,  sed  textuum',  desshalb  habe  er  sie  vor 
RuSdus  und  Silvester  gesetzt.    Bern  .  . .   fecit  summam  .  . .   fecit 

etiam  super  illa  (compilatione)  paucas  glosaellas.  Job.  Gal 

aliquns  glossaa  fecit  Bern.  Comp.  ...  legerat  duas  priroas  com- 
f\\9MovLQ%  ei  apostillaa  dederat  super  Ulis.  'Rufinus  (de  quo  in 
9.  quaest.  1.  in  summa,  3.  qu.  4.  in  summa  de  poen.»  dist.  I.  c.  quis 
aliquando  §.  illud  autem,  de  bigamis  cap.  2.  in  4.  glossa)  et  Syl~ 
vesier^emns  fuerant  duae  primae  glossae  decretalis  ad  nostram 
de  consuet.)  et  Joannes  Hispanus  fecerunt  leeturas  super 
Decreto,  in  quibus  nullam  decretalem  allegant.  Idem  dico  de  Joanne 
Faventino. . .  Praevenerunt  enim  compilationes,  de  quibus  supra. 
Dicuntur  tarnen  primi  duo  superrixis^e,  et  certas  compilationes 
legisse,  et  sie  reportatas  post  eos  aliquas  apostillas.  Hugo  certum 
est,  quod  vidit  primam  et  secundam  compilationem;  in  sua  tamen 
summa  rarissime  decretales  allegat , , .  Richardi  Anglici  videtur 
fuisse  glossa  ultima  decr.  ea?  lit  et  infra,  de  spons.  Rodoicus 
habuit  cognomen  Modicipassus  ...  sibi  etiam multae  glossae 
signantur  . . .  (er  sagt  dann  R.  könne  auf  ihn.  Ruf.  und  Rod. 
gehen). 

De  Meten do  not.  19.  d.  e.  seeundum,  27.  q.  I.  e.  virg.,  et  de 
serv.  non  ord.  c.  nullus,  et  de  accus,  veniens  in  1.  gl. 

De  Petro  Hispano  de  appel.  c.  pastoralis,  in  gl.  haec  ratio,  et 
50.  d.  in  summa,  11,  q.  III.  c.  nemo  cond.,  33.  q.  I.  c.  siquis  accep., 
. .  .Bertrandi  glossae  fuerunt. . . 

Damasus  fecit  summam  super  primam  comp,  et  librum  Quaest. 
super  multis  Decretalibus  et  Brocarda;  et  hunc  allegat  gl.  2.  in 
decr.  ad  haeCt  de  rescriptis. 

Älanit  Laure?itiif  Vincentii,  Johannis  Teut.,  et 
Tancr»   glossas  abundanter  habemus. 

Vinc.  autem,  qui  scripserat  super  quarta  comp.,  facta  comp. 
Gregorii  glossavit  illam.  Tancr.  autem  in  ant.  comp,  allegat  Vincen- 
tium  et  ipse  Vinc.  in  comp.  Greg,  allegat  Tancredum.  Bazianum 
miror  per  auctorem  omissum :  de  quo  multae  glossae  loquuntur .... 
De  Gandulpho  idem  dico  ...  GuiL  Nasonis  reportationes 
TMiUas  habuimus,  et  de  ipso  loquitur  glossa  decr.  ad  hoc  quon.,  de 
appiU.  Jac.  de  AI,  magister  Hostiensis,  ^/oMavtV  Jlonortana«.' 


70  Y.    S  c  h  o  1 1  e 

23.  Verbindet  man  diese  Stellen  mit  einander  und  prüft  sie 
genau,  so  ergibt  sich  einmal,  dass  Johannes  Andrea  in  der  That  io 
mancher  Beziehung  sehr  exact  ist,  sodann  die  volle  Unstichhaltigkeit 
der  gewohnlichen  Aufzählungen  schon  aus  Johannes  Andreas  Worten. 
Werden  dann  die  wirklichen  thatsächlichen  Angaben  von  Johannes 
durch  die  Handschriften  unterstützt,  so  durfte  soweit  ein  unbedingt 
sicheres  Resultat  vorliegen.  Um  aber  hier  nicht  fehl  zu  gehen,  muss 
der  Zweck  der  doppelten  Notiz  ins  Auge  gefasst  werden.  Er  sagt 
in  der  Novella  ausdrücklich  i),  aus  den  'apparatus^  scripta,  repor- 
tatiofiea'  der  von  ihm  Genannten  und  einigen  Zusätzen  habe  Beroard 
von  Parma  seinen  Apparat  gemacht.  Also  sind  alle  apparaim,  dann 
Schriften  jeder  Art,  reporiaiionea  d.  h.  Comment^re,  Noten  <)  Ton 
Schriftstellern  gemeint,  die  Bernard  von  den  älteren  benutzt. 
Diejenigen,  welche  nach  Abfassung  der  Gregorianischen  Dekretalen 
geschrieben  haben,  zählt  er  nachher  auf;  unter  diesen  kommen  auch 
nicht  blos  Glossatoren  der  Comp.  Greg.  vor.  In  den  Addit.  ad  Spec* 
corrigirt  und  ergänzt  er  Duraniisp  der  überhaupt  die  Canonisten 
aufzählt.  Johannes  hat  also  hier  gar  nicht  die  Absicht,  etwa  die 
Glossatoren  der  Comp,  antiquae  aufzuzählen.  Folglich  ist  es  verkehrt. 
Einen  zu  den  Glossatoren  der  Comp.  ant.  zu  rechnen,  weil  ihn  Job. 
Andrea  an  der  einen  oder  anderen  Stelle  nennt. 

24.  Prüfen  wir  nunmehr  seine  sachlichen  Angaben.  Als  Glossa- 
toren der  Comp.  ant.  ohne  weitere  Bestimmung  nennt 
er  ausdrücklich:  Johannes  Galensis,  Rodoicus  Modici-Passus, 
Bertrandus,  Alanus,  Laurentius,  Vincentius,  Job.  Teutonicus,  Tanc- 
redus. 

Glossen  zur  Comp.  I.   schreibt  er  zu:   Bernardus  Pap. 

'    Glossen  zur  Comp.  V.  schreibt  er  zu :  Jac.  de  Albenga. 

Mit  keinem  Worte    sagt    er,    dass    die  Comp.  ant. 

glossirt    hätten:  Rufinus  <),  Sylvester,  Johannes  Hispanus,  Joh. 

*)  In  der  additio  ad  spec.  druckt  er  sich  ungenaa  aus,  weon  er  angibt,  er  habe  in  der 
Novella  jene  erwlhnt,  welche  über  die  comp.  ant.  geschrieben  bitten. 

^)  Siehe  Ducangre  sub.  h.  r.  u.  Katalog  der  Stationarien,  wo  für  ^reprobatioae» 
Gaidonis  de  znzarici  super  ff.  vetus^  offenbar  rfportaftbnM  tu  lesen  ist. 

^)  Er  fShrt  nur  an  (d  e  quo),  wo  derselbe  erwähnt  sei.  Untersucht  man  bei  dies« 
und  den  folgenden  genauer,  so  findet  man,  dass  die  betreffenden  Bfittheflanfea 
überall  auf  deren  Summen  tum  Dekret  sich  stutzen.  Für  Rafinus,  Hugo,  Joh.  Ftv. 
kann  dies  leicht  erwiesen  werden.  Ich  unterlasse  indessen  die  Stellen  der  Glosse 
und  die  besüglicben  der  Summen  herznsetcen,  um  nicht  aUzu  ausführlich  tu  werd««- 


Literaturgeschichte  der  CompiUtiones  antiquae  etc.  7 1 

Fayentinus  i) ,  Huguccio,    Melendus,    Petrus  Hispanus,    Damasus, 
Bazianus«  Gandulphus. 

Unbestimmt  ist,  was  er  sagt  über:  Guil.  Naso'),  Ri- 
eardus  Anglicus,  bei  welchem  letzteren  er  übrigens  ebenso  gut  an 
dessen  casus  denken  kann. 

25.  Hat  sich  auf  diese  Weise  der  Kreis  der  wirklichen  Bear- 
beiter der  Glossatoren  der  alten  Compilationen  bei  ihm  verengt,  so 
sind  andererseits  die  bis  jetzt  mitgetheilten  Angaben  von  Johannes 
Andrea  noch  nicht  erschöpfend.  Es  fehlt  Laborans<),  Gratia 
Aretinus*),  Lanfrancus  Cremensis»)  (f  1229). 

Einen  nennt  er,  den  Paulus  Ungarns«)  aber  nicht  als  selbst- 
standigen  Schriftsteller,  sondern  als  blossen  Sammler  Ton  notabilia 
zur  Comp.  II.  et  III. 

Mit  diesen  Angaben  von  Johannes  Andrea  stimmen  meine  handr 
schriftlichen  Studien  überein;  jedoch  werden  jene  bedeutend  zu 
ergänzen  sein.  Auch  ist  zu  bedenken,  dass  ihm  die  Glossen  nicht 
nach  ihrer  literarhistorischen  Seite  Interesse  einflossten,  noch  wegen 
der  Dogmengeschichte,  sondern  nur  wegen  ihrer  Bedeutung  für  das 
geltende  Recht,  das  man  allein  damals  im  Auge  hatte. 

Hieraus  dürfte  sich  auch  wohl  zur  Genüge  schliessen  lassen, 
dass  man  kaum  damals  die  Handschriften  genau  prüfte. 

26.  Aus  Handschriften  lässt  sich  aber  wohl  einzig  und  allein 
feststellen,  wer  eine  Compilatio  glossirt  hat.  Denn  die  Anführung  der 


1)  Sa|(t  er  noch  obendrein,  sie  seien  Slter  als  die  Comp,  ant.,  eitirten  keine 
Dekretalen  —  was  freilich  nicht  wörtlich  zu  nehmen  ist  —  so  ist  für  Joh. 
H  i  s  p.  u.  J  o  h.  F  a  V.  gar  kein  Zweifel.  Die  Einschränkung  bes&glich  R  n  f  i  n  n  s 
und  Sylvester  fnsst  auf  einem  soll  und  enthilt  soletst  nur,  dass  einige 
apostillae  nach  ihnen  abgeschrieben  wfirden.  Folgt  aber  daraus,  dass  man 
Z  us2tae  aus  deren  Summen  machte,  etwas  f&r  ihre  Autorschaft  Ton  Glossen? 

2)  Ihm  legt  er  viele  reportationes  bei,  aber  keine  Glossen  au  den  Comp.  ant. 
Wahrscheinlich  hat  er  einxelne  Dekretalen  commentirt.  Dies  scheint  mir  auch 
aus  seiner  Lectura,  über  die  ich  später  berichten  werde,  hervorsugehen,  weil  diese 
eine  Zusammenstellung  von  solchen  Erörterungen  ist. 

')  Sar t  i  I.  p.  314  und  Append.  pag.  191  gibt  den  Cod.  Vatic.  num.  1378  ab  dessen 
Glossen  enthaltend  zur  Comp.  HI.  in  einer  MTeise  an,  dass  kein  Zweifel  bleibt. 

^)  Sarti  11.  pag.  28,  der  die  Citate  von  Durantis   Spec.  tit.  de  pro  cur.   f.   nt 
antem  n.  15.,  de  teste  f.  1.  opponitipr  n.  73  anfuhrt. 

*)  Sarti  1.  p.  317. 

')  Vgl.  das  oben  Cap.  1.  num.  1.  2.  angefahrte  Citat. 


72  V.    S  e  h  u  1  t  e 

Glossa  ordinaria  beweist  nur  dann,  wenn  sie  zugleich  sagt,  dass  das 
Citat  eine  Glosse  zu  einer  der  Comp,  antiquae  enthält 
und  wir  nicht  den  Irrthunv  nachweisen  können.  Dass  die  blosse  An- 
fuhrung nicht  genfigt,  ergibt  sich  einfach  aus  der  Erwägung,  dass 
sehr  viele  Dekretalen  über  Gegenstande  handeln,  die  auch  im  Dekret 
vorkommen.  Wenn  nun  bei  solchen  die  Meinung  aus  einer  Glossa  oder 
Summe  zum  Dekret  angeführt  wird,  so  ist  deren  Autor  damit  nicht 
zum  Glossator  der  Comp.  ant.  erhoben  worden  i).  Weiter  kommt  in 
Betracht,  dass  die  Glossa  ordinaria  zu  den  Dekretalen  Gregors  IX. 
in  der  Gestalt,  wie  wir  sie  durchweg  in  Handschriften  besitzen  <). 
überhaupt  kein  sicherer  Führer  ist.  Zwischen  ihr  und  den  meisten 
Schriften  über  die  Comp.  ant.  liegen  oO  Jahre.  Dass  Bernhard  seine 
Glossen  nicht  sämmtlich  aus  Glossen  im  eigentlichen  Sinne,  d.  h. 
aus  Zusätzen  von  Handschriften  entnommen,  ist  gewiss;  er  hat  sie 
vielfach  entnommen  aus  Summen  n.  dgL  Wie  leicht  aber  bei  der 
Verarbeitung,  bei  häufigem  Abschreiben  sich  Irrthümer  einschleichen 
ist  Jedem  bekannt,  der  solche  Studien  gemacht  hat. 

Auch  möge  hervorgehoben  werden,  dass  Bernhard  die  Meinung 
eines  Schriftstellers  zu  irgend  einer  in  einer  der  Compilationes  anti- 
quae enthaltenen  Dekretale  anführen  kann,  ohne  dass  daraus  im  Ent- 
ferntesten folgt,  derselbe  habe  die  Comp.  ant.  glossirt 

Endlich  ist  nicht  zu  übersehen,  dass  die  Chronologie  mit  zu  den 
schwächsten  Punkten  der  älteren  Literatur  gehört,  wie  die  einzige 
Thatsache  zur  Genüge  beweist,  dass  man  schon  im  12.  Jahrhundert, 
noch  mehr  im  13.  über  die  Zeit  der  Entstehung  des  Dekretes  nicht 
im  Reinen  war.    Aus  diesen  Gründen  haben  die  meisten  bisherigeu 


*)  Man  darf  also  nicht  jene  für  Glossatoren  ansehen,  die  in  der  Glosse  genannt 

den,  sondern  denen  die  Glosse  zugeschrieben  wird.  Aber  auch  in  die- 
sem Falle  muss  man  noch  untersuchen ,  ob  nicht  etwa  die  Dekretale  nnd  die  «b«r 
sie  ausgesprochene  Ansicht  sich  rorfindet  in  einer  Arbeit  über  das  Dekret.  Dieses 
aber  trifft  in  bei  verschiedenen  spSter  in  die  Comp.  I.  aufgenommenen  Dekretalen. 

*)  Es  ist  bisher  mit  Sicherheit  keine  Handschrift  nachgewiesen,  welche  die  Glosse 
etwa  in  der  ihr  suerst  von  Bernhard  de  Botone  gegebenen  Gestalt  enthilt.  Uwu 
er  aber  sehr  lange  daran  gearbeitet  bes.  sie  umgearbeitet  hat,  steht  fest.  Die 
Ausgaben  der  Glossa  ordinaria  sind  durchweg  grSulich.  Aus  dem  Wüste  tob 
Zusfitzen  des  Guido  de  Baysio,  Jo.  Andr.  u.  s.  w.  ISsst  sich  kaum  zurechtfindea. 
Man  muss  sich  auch  im  19.  Jahrhundert  einfach  an  Handschriften  des  XIII.  Jahr- 
hunderts halten,  wenn  man  nur  entfernt  sicher  gehen  will. 


Literaturgeschichte  der  Compilatioues  antiquae  etc.  73 

bald  nur  auf  fremde  Mittheilungen  desselben  Charakters  bald  höch- 
stens auf  die  eine  oder  andere  Handschrift  gestützten  Untersuchun- 
gen für  die  Literaturgeschichte  nur  einen  sehr  untergeordneten 
Werth  i).  Es  kommt  mir  nicht  in  den  Sinn,  meine  Untersuchung  für 
abschliessend  zu  halten;  immerhin  aher  glaube  ich,  dass  dieselbe, 
gestützt  auf  eine  Anzahl  alter  Handschriften  der  verschiedensten 
Lander  und  Bibliotheken  über  die  aus  diesen  gezogenen  Resultate 
entscheidend  ist. 

Bei  dieser  Untersuchung  berücksichtige  ich  nicht  diejenigen 
Namen,  welche  nur  in  Glossen  citirt  werden,  weil  dies 
nach  dem  Obigen  keine  Gewähr  bietet,  sondern  lediglich  jene,  mit 
deren  Namen  die  Glossen  gezeichnet  sind  und  zwar  bloss 
dann,  wenn  diese  Glossen  in  Handschriften  der  Comp, 
antiquae  sich  vorfinden.  Für  diesen  Fall  hat  man  einen  festen 
Boden,  weil  die  Abschreiber  von  Profession  wohl  Schreibfehler 
machten,  aber  nichts  zuthaten.  Stimmt  mit  den  also  gewonnenen 
Resultaten  die  Angabe  von  Alteren  uberein,  so  hat  man  wohl  Sicher- 
heit. Wir  sind  dabei  in  keiner  ungünstigeren,  vielleicht  in  einer 
günstigeren  Lage  als  Johannes  Andrea.  Denn  es  ist  sehr  zu  bezwei- 
feln, dass  dieser  nur  sehr  alte  Handschriften  gehabt  habe,  vielmehr 
wahrscheinlich,  dass  die  alten  ausser  Cours  kamen,  die  neuen  be- 
liebter waren.  Ein  Beweis  dafür  dürfte  darin  liegen,  dass  Johannes 
Andrea  mehr  als  ein  älteres  Werk  nicht  kennt,  das  noch  jetzt  in  deut- 
sehen Bibliotheken  liegt,  wohin  es  offenbar  früh  aus  Italien  ge- 


*)  Ant.  Aujfustinus  Prooem.  nennt  für  die  Comp.  1.:  Bern.,  Vinc,  Alan..  Tancr., 
Lanr.,  Rogerius,  Ruf.,  8ilv.,  Joh.  Hisp.,  Joh.  Far ,  gibt  aber  an,  er  habe  die 
Schriften  der  4  letzteren  nicht  geaehen,  fuhrt  auch  nicht  an,  wie  bei  den  anderen, 
dass  mit  ihrem  Nansen  bezeichnete  Scholien  rorkommen.  Zur  Comp.  II.  gibt  er 
an:  Joh.  Gal.,  Hugo  Ferrar.  Episc,  Bern.  Comp.,  sagt  dann  aher  ausdrucklich: 
geseichnete  Scholien  habe  er  nur  gesehen  von  Vinc,  Tan.,  Alan.,  I^Jiur.  und 
manche  ohne  Siglen,  die  er  Joh.  Gal.  zuschreibe.  Zur  Comp.  III.  habe  er  nur  die- 
selben Namen  gesehen,  Joh.  Andr.  nenne  aber  auch  als  interpres  den  Paulus 
Hungarus  (dies  ist  ungenau).  Zur  Comp.  IV.  habe  er  nur  Joh.,  Jacob.,  Roh.  oder 
Rog.  gelesen,  es  werde  aber  auch  Vinc.  angegeben.  Die  Comp.  V.  habe  Jaeobus 
Albanus  glossirt.  Somit  stimmen  des  A n t.  Aug.  auf  eigene  Renntniss  gestützte 
Angaben  mit  meinen  Forschungen,  die  auf  Joh.  Andr.  und  Durantts  gestutz- 
ten sind  Folge  einer  ungenauen  Leetüre. 


74  V.    Schulte 

bracht  wurde,  j^  dass  gerade  die  Bibliotheken  zu  Bologna  sehr 
wenige  i)  alte  Handschriften  besitzen. 

Ein  Umstand  ist  bei  dieser  Untersuchung  von  Bedeutung.  In 
den  meisten  Handschriften  kehren  dieselben  Glossen  mit  denselben 
Siglen  wieder.  Das  deutet  offenbar  darauf  hin,  dass  sich  allmälig 
vor  Entstehung  der  Compilation  Gregors  IX.  ein  stehender  Apparat 
zu  den  einzelnen  Comp.  ant.  bildete.  Denn  dass  nach  Entstehung 
der  Gregoriana  eine  Comp.  ant.  noch  bearbeitet  worden  wäre,'  ist 
gegen  positive  Nachrichten  <)  und  widerspricht  der  Natur  der  Sache. 
Alle  Handschriften  sind  also  offenbar  Abschriften  von  solchen  aus 
der  Zeit  vor  1234,  oder  sind,  was  bei  verschiedenen  zutrifft,  älter. 
Auf  Angaben  dritter  nach  Handschriften  nehme  ich  nur  insoweit 
Rücksicht,  als  die  Art  und  der  Zweck  der  Mittheilung  eine  Gewahr 
bietet  für  eine  wirkliche  Untersuchung  der  Handschriß. 

Selbstverständlich  beweist  eine  nicht  signirte  Glosse,  sobald 
ihr  Inhalt  als  solcher  genau  durch  sichere  Glossen  anderer  Verfasser 
einer  bestimmten  Person  zugeschrieben  wird.  Damit  habe  ich  die 
Grundsätze  für  meine  Untersuchung  dargelegt. 

n.  Die  Handschriften  0* 

27.  Handschriften  der  Compilatio  prima  mit 
Glossen: 


0  nies  ergibt  z.  B.  der  Katalog  von  B 1  u  h  m  e.  Et  erhellet  daaselhe  an«  dem  bei 
Sarti  App.  pag.  214  tqq.  ond  r.  Stvi  gny  MI.  S.  649  ff.  abgedmckten  Veneie^ 
nias  der  Stationarien,  worin  nicht  viele  alte  Werke  vorkommen. 

2)  Job.  Andreae. 

3j  Bei  den  von  Bluhme  Bibl.,  —  im  Catalogne  gen.  des  manoscriU  des  d«p. 
(mit  der  spfiter  hervorgehobenen  Ausnahme),  Hinel  Catalogus,  —  Bandini 
Catal.  Codd.  Laur.  u.  a.  aufgeführten  Handschriften  ist  jede  B«angiiahBe  aaf 
Glossen  nnterblieben,  oder  doch  so  ungenav,  dass  es  überflüssig  ist,  darauf  Rick- 
sieht  tu  nehmen.  Eine  grosse  Zahl  von  Handschriften  der  Comp.  I.  und  auch  der 
anderen  haben  keine  Glossen.  Sarti  gibt  mehrmals  (s.  B.  bei  Vinceati  os  1. 
p.  344)  an,  er  habe  Handschriften  mit  der  Glosse  dieses  oder  jenes  im  Yatican 
u.  dgl.  gesehen,  ohne  die  Handschrift  au  beaeichnen.  Ich  beabsichtige  hier  nicht, 
die  mir  bekannten  Handschriften  mit  Glossen  aufousiihlen,  sondern  nur  jene,  irelche 
ich  zum  Theiie  einem  sehr  eingehenden  Studium  unterzogen  habe ;  genas  hahe 
ich  alle  eingesehen.  Es  möge  hier  noch  die  Bemerkung  Platz  finden,  daas  g^g^m- 
über  der  Ausgabe  manche  Handschriften  z.  B.  die  Trier,  Fuldaer  u.  s.  v.  Ver^ 
«ohiedenheiten  in  der  Zahl,  Stellung  der  Capitel,  Inscriptionen  u.  s.  w.  darbiete«. 


LiteratargeschiGhte  der  Compilutiones  antiquae  etc.  7S 

1.  Berlin  i)y  Staatsbibl.  num. 231.  (unzweifelhaft  aus  dem  ersten 
Anfange  des  XIII.  Jahrh.)  fol.  1  —  119  b. 

2.  Melk,  Stiftsbihl.  F.  33.  mbr.  fol.  s.  XIU. 

3.  Toulouse,  Stadtbibl.  B.  36.  mbr.  fol.  s.  XIII. 

4.  Angers,  Stadtbibl.  num.  362.  mbr.  fol.  s.  XIII. 
K.  Chartres,  Stadtbibl.  num.  356.  mbr.  fol.  s.  XIII. 

6.  Chartres  num.  462.  mbr.  fol.  s.  XIII.  ex. 

7.  Bamberg  P.  II.  7.  fol.  mbr.  s.  XIV. 

8.  Bamberg  P.  IL  10.  fol.  mbr.  s.  XIII. 

9.  Bamberg  P.  II.  6.  fol.  mbr.  s.  XIII. 

10.  Bonn  (Bibl.  B5cking*s).  fol.  mbr.  saec.  XIII. 

11.  Trier,  Stadtbibl.  Nr.  864.  mbr.  fol.  saec.  XIII. 

12.  Halle,  Universitätsbibl.  Te  80.,  fol.  mbr.  saec.  XIII. 

13;  Halle,  Uniy.  Bibl.  Cod.  mbr.  fol.  Ye  62.  saec.  XIV.  DemBre- 
Tiarium  gehen  vor  und  folgen  nach  allerhand  andere  Stücke. 

14.  Leipzig,  Universitätsbibliothek  Nr.  983.,  fol.,  mbr. 
saec.  XIII  auf  XIV. 

16,  Dieselbe  Bibl.  Num.  968.  fol.  mbr.  s.  XIV. 

16.  Fulda,  öffentl.  Bibl.,  D.  6.,  mbr.  fol.,  saec.  XIII.  auf  XIV. 
(ehemals  Weingarten  gehörig). 

17.  Fulda,  D.  6.,  in  4^  mbr.  s.  XIII.   (ehemals  Weingarten 

gehörig). 

.* 
28.  Um  nun  zunächst  den  allgemeinen  Überblick  zu  verschaf- 
fen, stelle  ich  die  vorkommenden  Siglen  zusammen  mit  Angabe  der 
Handschriften,  in  denen  sie  vorkommen,  nach  den  obigen  Nummern. 

A.  a.  al  ala.  alanus:  1.  3.  4.  6.  6.  8.  9.  10.  11.  12.  13.  17. 

B.:  b.  b\  be  (8):  2.  3.  4.  7.  8.  11.  12.  13.  17. 

Jo.:  1.  10. 

L.  L:  1.  2.  3.4.  8.  9.  10.  11. 

La.  la.  Fa.:  6.  9.  10.  11.  15. 

Lau.  law.:  2.  4.  6.  6.  8.  10.  11.  17. 

/>.:  1.  3.  11.  17. 

R.:  1.  2.  4.  6.  6.  8.  9.  10.  11.  12.  13.  17. 


^)  Vergl.  diis  oben  Cap.  I.  S.  85  tieaa^te.  Ich  füge  hinzu,  data  die  Folge  der  Capitel 
gegenfiber  dem  Abdrucke  TOn  Aiit  Anguatlnna  mehrfach  abweicht.  Z.  B.  im 
Tit.  36.  L.  V.  fehlen  c.  13,  14;  im  Tit.  37  folgen  sie  also:  c.  8,  4,  8,  6,  7,  9— 
12;   13.  14  fehlen. 


76  *  V.    8  c  h  tt  1  t  e 

F.  ri.  mnc.  vn.:  1.  2.  3.  4.  5.  6.  8.  9.  10.  11.  12.  13.  17. 
71  tan.  tancr.:  1.  2.  3.  4.  5.  6.  8.  9.  10.  11.  15.  17. 

«r.   8. 

Den  Apparat  des  Tancred  enthalten  mit  Sicherheit: 
1.  3.  4.  5.  6.  8.  9.  10.  Iß.  17. 

Den  Apparat  des  Vincentius  enthält  14. 

Über  jene,  die  des  Alanus  Apparat  bieten,  spreche  ich  dem- 
nächst besonders. 

29.  Handschriften    der    Compilatio    secunda     mit 
Glossen. 

1.  Toulouse  (sub  27.  num.  3). 

2.  Chartres  3K5  (num.  5). 

3.  Chartres  462  (num.  6). 

4.  Bamberg  (num.  7). 

5.  Bamberg  (num.  8). 

6.  Bamberg  (num.  9). 

7.  Bonn  (num.  10). 

8.  Leipzig  968  (num.  15). 

9.  Fulda  D.  6.  (num.  17). 

10.  Chartres  364,  mbr.  fbl.  saec.  XUI. 

11.  Marburg,  Universitatsbibl.  C.2.,  fol.  mbr.  s.  XIII.  fol.  1—71. 

30.  Die  vorher  angegebenen  Siglen  fähren  folgende  Hand- 
schriften. 

A.  1.  2.  3.4.  6.  7.  10.  11. 

B.  2.  5. 
Jo.  7.  11. 

L.  1.  2.  3.4.  5.  7.  9.  11. 
La.  3.  5.  6.  9. 
Lau,  5.  6.  11. 

G.  3.  6.  9.  10. 
Ä.  3. 

V.  3. 

T.  1.  2.  3.  4.  5.  6.  7.  8.  9. 

ac.  9. 

Den  Apparat  Tancreds  enthalten  die  Nummern:  2.  4. 5. 6.  7. 
8.  9.  11. 

31.  Handschriften   der  Compilatio   tertiamit 
Glossen. 


Literaturgeschichte  der  Compilationes  antiqnae  etc.  77 

1.  Melk  (sub  27.  num.  2). 

2.  Toulouse  (num.  3). 

3.  Chart  res  3SS  (num.  S). 

4.  Chartres  462  (num.  6). 

8.  Bamberg  P.  II.  7  (num,  7). 

6.  Bamberg  P.  II.  6.  (num.  9). 

7.  Leipzig  983  (num.  14). 

8.  Leipzig  968  (num.  16). 

9.  Fulda  D.  6.  (num.  17). 
10.  Chartres  364. 

Siglen  stehen  in  folgenden  Glossen  und  zwar  von : 
Jo.  2.  4.  6.  8.  9. 
L.  1.  4. 

La.  2.  4.  6.  8.  9. 
Lau.  1.  2.  9. 
F:  1.  2.  3.  4.  B.  6.  8.  9. 
T.  1.  2.  3.  4.  6.  9. 
siL  4.  6. 

Den  Apparat  Tancreds  enthalten  3.  6.  8.  9.,  den  des  Lau- 
rentius  2,  des  Vincentius  3.  7. 

32.  Handschriften  der  Compilatio  quarta  mit  der 
Glosse  des  Johannes  Teutonieus. 

1.  Chartres  385  (sub  27.  num.  8). 

2.  Bamberg  (num.  9). 

3.  Bonn  (num.  10). 

4.  Leipzig  (num.  18). 
8.  Fulda  (num,  17). 
6.  Marburg  C.  2. 

Dahin  ist  auch  zu  rechnen  der  Abdruck  nach  einem  Codex  von 
Palermo  und  Collationen  solcher  von  Tarragona  und  Barcelona  in 
der  Ausgabe  von  Antonius  Augustinus <). 

33.  Handschriften  der  Compilatio  quinta  mit  der 
Glosse  3):  Chartres  462.  Sie  hat  die  Siglen  Ja.  Jac.  la\  ac. 

<)  Ausg.  BarcinoDe  1592  am  Ende,  ofaoe  Foliiruog;  edit  Paris.  1621  pag.  797  sqq. 
Vgl.  daselbst  p.  733. 

*)  CIronios  lo  seioer  Ausgabe  Prtef.  sagt,  er  habe  keine  Handschrifl  mit  der 
Glosse  des  *Joh.  Albanus^  gesehen,  dem  Joh.  Andreae  sie  saschreibe.  Dass  die- 
ser Job.  Albanus  nur  ein  Schreib-  oder  Dmekfehler  für  Jacobus  de  Albenga  oder 
Albing.  sein  kann,  scheint  ihm  entgangen  zu  sein. 


78  V.    Schulte 


m.  Die  Apparate  und  Glossen  der  Compilatio  prima. 

Wir  besitzen  die  Glosse  der  Compilatio  prima  in  einer  Weise 
in  alten  Handschriften  aufbewahrt,  dass  wir  kaum  einen  Punkt  der 
Literaturgeschichte  deutlicher  verfolgen  können.  Da  nun  die  Be- 
trachtung der  ältesten  nothwendig  bedingt  ist  durch  eine  genaue 
Kenntniss  der  sie  enthaltenden  Handschritlen,  und  da  es  sich  hier 
um  ein  gänzlich  unkultivirtes  Feld  handelt,  so  muss  ich  mir  eriauben« 
auf  einige  Codices  und  damit  zugleich  auf  die  verschiedenen  Formen 
der  Apparate  genau  einzugehen  «). 

A.  Codex  Hallensis  Ye.  80. 

34.  Der  Codex  der  kön.  Universitätsbibliothek  zu  Halle  Ye  80.. 
mbr.  fol.  saec.  XIII.,  enthält  die  Compilatio  prima  in  einer  eigen- 
thümlichen  Gestalt.  Auf  dem  unteren  Rande  läuft  nämlich  in  Gestalt 
eines  Commeutars  die  Summa  des  Bernhard  von  Pavia,  andern 
oberen  und  den  Seitenrändern  sind  Glossen  zugeschrieben  *).  Letz- 
tere haben  nur  die  Siglen:  b.  6*.,  welche  offenbar  Bernardus 
bedeuten,  oder  gar  keine;  dieses  ist  bei  den  meisten  der  Fall.  Es  ist 
gewiss  kein  Grund,  die  signirten  Glossen  nicht  Bernhard  von 
Pavia  zuzuschreiben,  zumal  der  Codex  gerade  dessen  Summe  zu- 
gleich enthält.  Dafür  spricht  auch,  was  Laspeyres  bereits  hervor- 
hebt, dass  in  den  Glossen  keine  Decretalen  von  Innocenz  ID., 
sondern  nur  von  Clemens  HI.  und  Cölestin  IIL.  aber  fast  nur 
mit  dem  Namen  des  Papstes,  nicht  als  Citate  einer  Sammlung  ange- 
führt werden.  Denn  daraus  darf  wohl  mit  Sicherheit  geschlossen 
werden,  dass  das  Original  dieser  Handschrift  vor  1198  bez.  vor 
Abfassung  der  Comp.  III.  und  IL,  d.  h.  vor  das  Ende  von  1210  föllt. 
Ersteres,  dass  es  vor  1198  oder  doch  in  die  ersten  Regierungsjahre 


^)  Mit  Rücksicht  «of  die  im  Laufe  der  DarsteUuog  nöthigen  Venreisangen  fruker 
▼orkommender  Stellen  nnmerire  ich  dieselben  fär  jeden  Codex  fortlaafeod. 

*)  Laspeyres  in  «einer  Ausgabe  pag.  XXXH.  sqq.  hat  diesen  Codex  gena«  be- 
schrieben und  pag.  3^ — 326  die  mit  b  signirten  Glossen  abdrucken  lasnen.  Sr 
fuhrt  auch  die  Citate  der  Glossen  an,  spricht  fiber  den  Anhang  und  gibt  den  Cba- 
rakter  der  Glossen  an.  Mit  Unrecht  sagt  er  aber  p.  XTYV.,  die  Siegle  b.  f»»* 
nur  auf  Bemb.  Pap.,  da  sie  auch  auf  Bern.  Compostell.  sen.  passen  kdnnte.  —  leb 
habe  den  Codex  einem  eingehenden  Studium  unterzogen. 


Literaturgeschichte  der  compilMtiones  Hntiquae  etc.  i  u 

Innoceuz  III.  fallt,  ist  aus  dem  Grunde  wahrscheinlich,  weil  bei 
der  Wichtigkeit  mancher  Decretalen  desselben  deren  Nichtbeaehten 
kaum  erklärlich  wäre.  Übrigens  ist  immerhin  möglich,  dass  bei  Ab- 
fassung bez.  Zusammenstellung  der  Glossen  schon  eine  Sammlung 
Yon  Extra>'^ganten,  ähnlich  dem  Appendix  dieses  Codex,  vorhanden 
war.  Denn  ein  Citat  ohne  den  Namen  des  späteren  Papstes  steht 
z.  B.  c.  1.  qui  clerici  vel  voventes  mit  den  Worten:  *ut  extra  per^ 
venif,  d.  h.  c.  6.  de  seut.  excom.  Compil  IL  zu  c.  3.  de  eo  qui 
cognov.:  'extra  super  eo  quod  8ollicitudo\  d.  h.  c.  1.  I.  IV.  7. 
Comp,  IL,  zu  c.  2.  de  cons.  v.  quaestionem:  Hn  novella,  a  nobis 
ex parte%A.  contra',  d.h.  c.4.  qui  matr.  accus.  IV.  12.  Comp.  IL 
Gewiss  aber  existirte  die  bei  Tancred,  Laurentius  u.  s.  w.  vorkom- 
mende technische  Bezeichnung  Liber  IL,  III,  noch  nicht.  Ja  ich 
glaube  auch  daraus,  dass  nur  extra  nicht  aber  zugleich  eine 
Rubrik  citirt  wird,  im  Hinblicke  auf  die  sonst  regelmässig  befolgte 
Methode  schliesseu  zu  dürfen,  dass  die  Glosse  mindestens  vor  eine 
irgendwie  angenommene  Sammlung,  d.  h.  vor  Gilbert  fällt.  Man 
darf  sie  also  immerhin  dem  XII.  Jahrhundert  zuschreiben.  Mit  dieser 
Annahme  stimmen  die  Citate,  von  Canonisten:  Huguccio,  Job. 
Faventinus^f  Bazianus,  Legisten:  Bulgarus,  Job.  Bassia- 
nus,  Alberieus,  Aldricus,  Martinus,  da  diese  sämmtlicb  vor 
das  Ende  des  12.  Jahrhunderts  fallen. 

35.  Dass  von  den  nichtsignirten  Glossen  manche  Bernh.  Pap. 
nicht  angeboren,  hat  Laspeyres  bereits  daraus  bewiesen,  dass  sie 
denselben  tadeln,  ergänzen,  geradezu  anführen.  Wem  sie  aber  ange- 
hören, lässt  er  unentschieden.  Gewiss  ist  nun,  dass  verschiedene 
Glossen  angehören  R,  (Ricardus  Anglicus).  Dies  beweist: 

1.  dass  eine  Anzahl  derselben  in  anderen  Handschriften  die 
Sigle  R.  haben.  So  die  aus  dem  Trierer  Cod.  864.  mitge- 
theilten  zu  c.  3.  de  rescr.  v.  in  expensis  ar.  victum  etc.,  die 
wörtlich  bis  auf  einige  Varianten  steht,  zu  c.  in  cunctis  de  elect.  v. 


^)  Lispeyres  lästt  unenUchieden,  ob  Job.  Fiv.  oder  Teut.  gemeint  oei,  vermuthet 
aber  dis  Erstere.  Dies  ist  gewiss,  weil  die  Stellen  in  der  Thst  in  des  Fiventinus 
Summe  stehen.  Laspeyres  begebt  unsShIigemalen  den  Fehler,  Vermuthungen 
anftttstellen,  t.  B.  selbst  aus  den  Angaben  in  HaeneFs  Catalogus,  der  ja  nur  eine 
erste  Orientimng  besweekt.  Treffen  auch  solche  sufillig  su,  so  sind  sie  doch 
absolut  werthlos,  wenn  keine  inneren  Grunde  dafür  sprechen. 


80 


T.    Schulte 


titputa  factus  est  etc.  Dies  stimmt  bei  einer  ganzen  Menge.  Nicht 
blos  die  Autorität  des  Trier*schen  Codex  bürgt  dafür,  sondern  auch 
der  Codex  Ye  82.  der  Hallenser  Universitätsbibl.  hat  einige,  welche 
sowohl  in  ihm  als  in  dem  von  Trier  die  Sigln  R.  haben,  im  Cod.  Ye  80. 
aber  ohne  Sigle  sind,  z.  B.  zu  e.  ex  multvpliei  17.  de  deeimis  IH. 
26.  V.  quietat^:  'Ar.  quod  rebus  nondumhabitis  possit  quis  renuntiare: 
if.  de  acquir.  he.,  ü  quL  Contra  if.  de  regulis  juris,  qui  pot.  Solutio, 
non  potest  quis  renuntiare  juri  suo,  antequam  sibi  competat,  ut  ibi, 
pacisei  tamen  potest,  ut  hie  et  if.  de  pactis,  et  heredi  §.  filia  [1.  21. 
§.  3.  Dig.  H.  14.  Das  Citat  ist  nur  in  Ye  80.  richtig  geschrieben]. 
R"  Auch  im  Cod.  Bamb.  P.  0.  6.  hat  diese  Glosse  die  Sigie  A 
Im  Cod.  Fuld.  D.  5.  ist  die  Glosse  nicht  signirt,  das  Digesten- 
citat  fehlt. 

2.  Das«  der  Glossator  in  verschiedenen  Stellen  ein  Werk  von 
sich  citirt,  dies  aber  auCRichardus  passt,  wie  die  neben  einander 
gestellten  Citate  beweisen : 


Glossa  zu  c.  de  peregrin.  1.  de 
voto  et  voti  red.  v  accepta  : 

a)  'Nota  hie  compensationem  voti 
ad  melius  admittendam,  quod 
\n  di.  plene  notavi.  quando 
admittatur  compensatio,  di. 
LV.  si  eoangelica- 

b)  Zu  c.  2.  de  accus,  v.  exilium: 
exilium  distingue,  ut  in  summa 
distinctionum  scripsi  11.  q.  I. 
xnprimiB. 


Di  LV.  c. 
uU,  com- 
pensatio 
habetur 


Richardi^)  Distinctiones  super 
decretis  (Cod.  Musei  bohemiei 
Pragae  I.  B.  4). 

(  minoris  mali  ad  maias 
malub.  haec  in  di- 
yersis  personis  pro- 
hibetur  .  . ,  in  eadeni 
permittitur  u.  s.  w. 
retrusionis ,  qoando 
eertus  locus  ascribitur 
XVI.  q.  I.  probrum 
et  omnis  alius  negatur 
latae  fugae  quando 
eertus  locus  interdiei- 
tur  et  omnis  alius  eon- 
cediturevagationis. . . 
circumscript. 


II.  q.  in 
primis  di- 
citur  exi- 
lium 


1)  Es  genügt  hier  der  Beweis   der  Autorschaft,  wesh«rb  ich  die  DitÜDctioBen  seihst 
nur  andeute. 


Litenitargeschicbte  der  Compilatioaes  antiquiie  etc. 


81 


c)  Zu  c.  3.  de  usuris  v.  prohib. : 
'Solatio  nunquam  praetextu 
boni  est  malum  faciendum,  et 
sie  intelligo  primum  generale. 
Non  poteat  autem  dici  malum 
quod  fit  canonis  auctoritate 
tune  autem  locus  est  coinpen- 
sationi,  sicut  patet  per  haec 
contraria.  Cum  locus  est  dis- 
pensationi  dispensandum  est 
aut  cum  suadet  pietas,  cum 
publica  necessitas»  cum  blan- 
ditur  atilitas,  quod  verum  est, 
nisi ,  dissuaserit  enormitas 
eommissoruro,  vel  cautela  fu- 
lurorum,  ut  plenius  distinxi 
I.  q.  VIL  §.  muliorum'  [in 
dicto  post  c.  5]. 


I.  q.  VU. 
multorum 

no.  di- 
spensa- 

tionem 
factam 


contra  apostolum,  qui 
dicit»  decet  omnem 
episcopum  monoga- 
mum  esse  in  arcbie- 
piseopo  panormitano. 
contra  jus  naturale, 
ttbi  dicitur:  Tovete  et 
reddite  etc.,  XXXIII. 
q.  V.  manifestum, 
exira  de  roto  et  vo. 
red.  magnae. 
contra  statutum  uni- 
versalis eccL,  ut  in 
spiritualibus  probibe- 
tur  successoris  de- 
signatio  VIII.  q.  .  I. 
apostolica,  sed  con- 
tra VII.  q.  I.  petisti. 
contra  canones  apo- 
stoiorum,  quibus  de- 
ponitur'presbyter  for- 
nicatus ,  sed  contra 
prbr  si  for. 
contra  evangelium  et 
ius  natur.,  quae  prae- 
cip.  decimas  dare  etc. 
contra  IUI.  principalia 
concilia  .  .  . 

36.  Bei  einer  ganzen  Zahl  Ton  Stellen  lässt  sieh  zeigen,  dass 

der  Autor  der  Glossen  und  Distinctionen  derselbe  Richardus  ist 

Das  angeführte  Citat  in  der  Distinction  zu  C.  I.  q.  VII.  ist  c.  magnae 

3.  de  voto  et  Toti  red.  III.  26.  der  CompilaHo  ierüa.   Hieraus  folgt, 

ÖBS»  Richardus  bei  Abfassung  der  Distinctionen  schon  eine  Sammlung 

vor    sich  hatte,  in  welcher  dieses  Kapitel  unter  den  Titel  de  voto 

eingefügt  war.   Er  citirt  übrigens  auch  in  seinem  Ordo  judidarius 

SIellaii  der  Comp.  II.  nach  Titeln  (z.  B.  c.  1.  de  fide  iustrum.  ex 

literis  quae  nobis  (Witte  Programm  v.  1851  Halle  p.  33).   Aber 

nirgends  hat  er  den  Ausdruck  Liber  IL  oder  III. 


Siixl»-  d-  pbil  -bist.  Cl.  LXVI.  Bd.  I.  aft 


6 


82  V.    S  c  h  u  I  t  e 

Andere  Glossen  ausser  den  mit  seiner  Siegle  versehenen  und 
von  Laspe}  res  abgedruckten  gehören  an  AlanuSf  wie  folgende  Daten 
beweisen : 

aj  Im  Cod.  Ye  52  Halle  steht  zu  c.  3.  de  jad.: 
'Hie  eipresse  habetur,  quod  judex  Ordinarius  potest  reeusari. 
Quod  verum  est  secundum  canones,  ut  HI.  q.  V.  quod  suspecH,  II. 
q.  VI.  placuüf  et  etiam  secundum  leges  videtur,  ut  C.  de  jurisd. 
G.  1.  Ar.  contra.  HI.  q.  IHI.  §.  offeratur,  C.  Imper.  inter  1.  1.  [C. 
quando  imp.  int.  pup.  HI.  14.]  A.'  [in  Bamb.  P.  II.  €.  ist  sie  ge- 
ändert und  t,  signirt]. 

bj  Im  Cod.  Ye  80.  heisst  es  dazu : 

'Ar.  judicem  ordinarium  reeusari  posse:  UI.  q.  V.  quodsuspeetif 
J.  de  appell.c.  si  in  una  (?),  C.  de  jud.»  apertissimi  [I.  16.  CHI.  1.], 
J.  de  foro  c.  V.,  J.  11.  q.  VI.  placuit«  C;  de  jurisd.  c.  1.  nemo. 
§.  Ar.  contra.  AT.  ad  munic.  I.  1.,  (T.  de  legat.  III.  si  quando^  C.  si 
quac.  praed.  pot.  I.  1.,  C.  quando  imp.  int.  pup.  I.  1.,  ff.  de  liberali 
causa  si  pariter,  Solutio:  dico  cum  Martino,  ordinarium  reeusari 
posse,  et  mecum  dicunt  canones*  <)• 

c)  zu  c.  IS.  de  apellat.  v.  injectionem: 

Cod.  Ye  52.    'supra  XVII.  q.  IUI.   si  quis  suadente.  Ar.  contra. 

hoc  quod  dielt  g  (gratianus)  XI.  q.  III.  §.  evidenter  et  contra  Jo.  et 
bnr.9  qui   dicunt,   quod   vapulator   cljsricorum   tantum   communione 
sacramentorum  privatur  ipso  jure,  sed  non  communione  6delium.  et 
similiter  contra  eos  est  ar.  infra  c.  proximum  et  c.  proposuit  A' 
Gerade  so  ist  es  in  Ye  80  aufgenommen. 

d)  zu  c.  19.  ibid.  v.  deferendum: 

Cod.  Ye  52.  Cod.  Ye  80. 

'Quam  sie  non  admisit,  secun-  'Quam  si  non  adniiserit  depo- 

dum    canones   depouitur,    ut  II.  nitur,  ut  II.  q.  V.  decreto,  aut  in 

q.  VI.  decreto,  secundum  leges  bannis  efficitur,  ut  C.  de  appelL 

XXX.  pon.  auri  mulctatur,  ut  C.  I.  a  proeonstäibus  [i.  19  ibid.]. 

A^Bpfe\\,,qfioniamjudices[\.2\.  aut  L.   libris  punitur,  ul    C.  de 

C.  Vil.  62.],  nisi  sit  casus,  ubi  episcop.  aud.  I.  IL.  nisisit  casus. 


')  Ich  halte  nach  der  Art  des  Cttirens  für  nnsweifelhaft,  daM  hier  nithU  ^' 
Laapeyres  p.  XXXVIll.  meint,  ein  Canonist  M.«  sondern  der  bekamte  liCfist 
gemeint  ist. 


Liternfurßfeschichte  der  Compiiationes  antiquae  etc. 


83 


appellatio  vel  a  principe  vel  a 
lege  vel  canone  appellare  pro- 
hibeatur;  qui  notari  so- 
lent  II  q.  VI,  in  prineipio;  in 
quibus  casibus  judex  appellationi 
non  deferens  non  punitur,  appel- 
latio tarnen  quandoque  tenet 
quantum  ad  appellantem,  ut  infra 
inyenies  e.  t.  in  eminenii.  A.' 
In  Bamb.  P.  IL  6.  verändert 
mit  t. 

ej  Zu  c.  21.  ibid.  v.  sua  maliiia: 


ubi  lege  vel  canone  appellare 
prohibeatur,  ut  in  distinctione, 
quam  posui^  II.  q.  VI.;  inhibetur 
appellatio  et  quae  etc.'  Dies  passt 
wieder  genau  auf  Richard's 
Distinctionen  [Cod.  Prag.  fol. 
280"]. 


Cod.  Ye  52. 

*Nota  quod  non  tenet  appel- 
latio hiterposita  ad  fovendam  ma- 
litiam  manifestam.  A.  8.  e  cum 
Bit  Romana,  consuluit  A' 


Cod.  Ye  80.  [Bamb.  P.  IL  6.] 

'Nota  quod  appellatio  non 
tenet  ad  fovendam  malitiam  mani- 
festam interposita  s.  e.  cum  sit, 
consuluit  et  c.  [/ervenit,  c.  prae- 
terea,  qui  ex  quaerimoniis'.  Im 
Trierer  Codex  864  ist  diese 
Glosse  gez.  R, 

Dass  viele  Glossen  der  beiden  Codices  sich  zu  einander  so  ver- 
balten, dass  der  eine  aus  dem  anderen  geschöpft  hat,  ist  unzweifel- 
haft, wie  die  folgenden  Beispiele  ergeben : 

f)  Zu  c.  literas  2.  de  renunt.  I.  5.  v.  absque  nostra  permiss. 
Cod.  Ye  82.  Cod.  Ye  80. 


'Hinc  videtur,  quod  episcopus 
non  possit  transire  ad  religionem 
sine  licentia  papae:  ar.  VII.  q.  L 
mutafiones.  Quod  quidam  conce- 
dunt.  Similiter  nee  canonicus 
regularis  ad  districtiorem  religio- 
nem   sine   licentia   praelati    sui: 

ar.  XIX.   q.   IIL   c.  I.  et  IL   Alii 

dicunt,  quod  licet:  ar  XIX.  q.  II. 

dfiae^  infra  de  trans.  ad  rel.  c.  I. 

et  c.  9ane^  et  secundum  eos  hoc 


'§.  Ar.  quod  non  posMt  in- 
gredi  monasterium  sine  licentia 
papae:  VII.  q.  I.  mutationes. 
Quod  multi  simpliciter  fatentur. 
At  ego  credo,  quod  possit:  ar. 
XIX.  q.  IL  duae^  q.  VII.  petnis 
poiestatem^  infra  de  regulär,  hinc 
c.  quia  consilium  est,  quod  probo 
per  verba  hie  posita  rogandum 
et  monendum  etc.  per  verhum 
quietis  et  nq  relaxari,  infra  de 

6* 


84  T.    S  c  h  a  1 1  • 

c.  ioquttur  de  consilio;  vel  iioluit     regulär,  trans.  ad  reLßanein  fine, 

iste  transire  ad  religionem,  sicut      VII.  q.  I.  mne.' 

nee  ille>  de  quo  loquitur  praece- 

dens  c.  Similiier  secundum  eos 

illa  c.  XIX.  q.  III.  c.  I.  et  11.  in- 

telligunturdetranseuntibus  cauBa 

leyitatis.' 

gj  Zu  c.  6.  de  judaeis  V.  5.  v.  servos. 

Ye  80.  Ye  62. 

'Nota  Servituten!  de  jure  natu-  'Nota  noYum  genus  senritutis 

rali  introduetam:  di.  XXXV.  sexto     a  eanonibus  introductum  infra  ti- 
§.  item  de  jure  gentium,  ut  infra     tulo    proximo    de    imbUionibus 
di.  I.  ius  gent.  §.  item  de  jure      [Brabanxonibus],   supra  XX.  q. 
civili  ff.  a  quib.  ad  libert.  proel.      ult.  cum  multum.* 
non  po8.   I.  1.  §.  item  de  jure 
canonico  XV.  q.  VI.  cum  muUum. 
§•  item  jure  decreiali  ut  hie»  in- 
fra t.  I.  de  braiban  [c.  7.  de 
Brabamonibus]' 

Im  Trierer  Codex  u.  a.  steht  diese  Steile  wie  in  Ye  80, 
aber  noch  vermehrt  und  am  Schlüsse  mit  der  Siegle  Tancreds.  In 
Bamb.  P.  II.  6.  hat  sie  die  Sieglet. 

Vi^örtlich  steht  in  beiden  Handschriften  gleichlautend  unter 
anderen  Stellen: 

h)  Tax  c.  43.  de  appellat.  v.  suapectum.  (nach  Ye  S2). 

'§.  Ar.  iudicem  ordinarium  posse  recusari,  ut  supra  de  iad. 
c.  in.,  III.  q.  V.  quod  suspecH.  Quod  verum  est,  et  debet  fieri  in 
scriptis  haec  recusatio»  ut  II.  q.  VI.  H  guis  in  quacunque  Hie,  et  si 
absens  fuerit  iudex,  qui  recusatur,  coram  majori  judice  civitatis  re- 
cusetur,  ut  C.  de  jud.,  cum  speCt  et  potest  fieri  post  acceptain 
libeUum  conventionaliter  infra  XX.  dies,  ut  IUI.  q.  III.  efferaiur,  sed 
infra  triduum  post  recusationem  compellitur»  arbitros  eligere,  ut  C. 
de  jud  cum  apec.f  aperiissimi.  Ä.  Im  Trierer  Codex  trägt  diese 
Stelle  die  Siegle  A,  ebenso  Bamb.  P.  II.  6. 

ij  Zu  c.  2.  de  der.  pugn.  in  duello  V.  12.  v.  depreeb.: 
*Hec  Caput  positum  est  et  expositum  supra  de  corpore  vitiatis*. 
Diese  Bemerkung  hat  ebenso  der  Trierer. 


Literatorgeachichte  der  GonipiUUones  antiquae  eic.  85 

Dass  auch  ausser  den  mit  6.  sigoirten  manche  andere  Bern- 
hardusPapiensis  angehören»  halte  ich  nach  der  gleichen  Methode 
für  unzweifelhaft. 

übrigens  deuten  darauf  noch  genauere  Anzeichen.  So  heisst  es 
zu  c.  3.  de  institut. : 

kj  *s.  de  officio  archid.  in  summa^ 
was  doch  nur  auf  Bernhards  Summe  gehen  kann.    GehSren  einzelne 
Glossen  Bernhard  nicht  direct  an»  so  'sind  sie  doch  nach  sotchen 
gemacht.   So  steht  im  Cod.  Ye  S2.  zu  c.  4.  de  dericis  conjug.  y. 
eeeles.  benef.  folgende : 

l)  's.  di.  XXXil.  si  quis  vero.  Sed  illud  locum  habet,  ubi  eadem 
est  consuetttdo,  ut  in  minoribus  ordinibus  conjugati  eoclesiae  deser- 
viant»  hoc  autem  locum  habet,  ubi  non  est  illa  consuetudo.  A*.' 

m)  Im  Cod.  Ye  80.  heisst  es  zur  selben  Stelle: 

'Solutio  (nach  den  Citaten),  hoc  distinguendum  est  seoundum 
diversarum  ecclesiarum  consuetudinem'. 

nj  Zu  c.  3.  de  cond.  appos.  ist  eine  Glosse  am  Ende  gezeichnet 
*it.  «T,  was  auf  Richardus  und  Job.  Galensis  gehen  kann. 

37.  Einige  wenige  Glossen  mögen  noch  als  interessant  Platz 
finden. 

a)  Zu  c.  1.  de  sponsa  duorum: 

*Nisi  mala  consuetudo  bononiae  istud  inducat,  quae  permittit, 
eum  cum  secunda  manere,  si  primam  non  cognovit,  sed  secundam'. 

Hieraus  ersehen  wir  also,  dass  die  schlechte  Gewohnheit,  über 
welche  Huguedo  ad.  c.  45.  C.  XXVII.  q.  2.  dict  Grat,  klagt  [diese 
Stelle  ist  abgedruckt  inHaassen  Paucapalea  S.  22]  sich  auch  noch 
am  Ende  des  XIL  Jahrhunderts  erhalten  hatte. 

b)  Zu  c.  tenieiu  (ult.)  qui  clerici  vel  Toventes  matr.  contr. 
n.   p. : 

*Nota,  quod  Yotum  simplex  multoties  reperitur  ut  hie  et  supra 
G.  prox.  et  di.  XXVII.  §.  ult.  Sed  haec  yerba  votnm  solenne  nusquam 
in  auctoritatibus  reperiuntur^  unde  pro  Gratiani  yerbo  ab  Alexandre 
▼ocatum  est.  simplex  Totum  quod  si  per  verba  de  futuro.  Verba  autem 
Dostra  referuntur  ad  usum :  ut  XXVII.  q.  II.  genuit 

c)  Zu  c.  iania  est  vis,  qui  fil.  sint  legit.: 

' .  . .  Solutio.  Magister  Hugo  dieit  et  bene,  quod  a  solo  deo  habet 
potestatem  in  temporaHbus  et  papa  in  spirituaiibus,  et  sie  divisa  est 


88  r<    8  e  b  o  I  t  • 

f}  C.  10.  ex  parte  de  dedmis  v.  fere:  'pro  quibas  dieatnr» 
ignoro,  vel  est  philosophicum  temperamentum.  A\  [In  Bann b.  P.D.  6. 
▼erindert  mit  #.]. 

gj  C.  11.  licet  de  benign^  de  decimis:  'quibus  loquatur  papa, 
debuit  compilator  expressiase.  Si  eaim  albis  moDacbisvel  boapitalariis 
vel  templariia  loquitur  generaliter,  est  verom,  quod  hie  dicitar;  si 
aliis,  restringendum  est  circa  uoTalia  et  hortos  et  foetus  animaUum, 
si  proximum  caput  tenere  dixerit.  Ä.  Benutzt  in  einer  Glosse  T., 
die  Cod.  Bamb.  P.  II.  6.  hat. 

hj  c.  sane  labar.  12  ibid.  *. .  .sed  quaerit  an  possit  similiter 
iaico  saeculari  concedere  (decimas)?  Resp.  utique.  Sed  numquid 
Omnibus?  Nequaquam,  nisi  forte  ad  tempus  ex  causa,  ut  fiiit  con- 
cessum  gallicis.  A\ 

i)  Zu  c.  10.  ibid.  v.  indtaii.  'Supra  c.  fraiemitaiem  contra. 
Solutio:  primo  Alexander  omnibus  religiosis  laborum  saorom  decimai 
concessit  secundum  quod  lequitur  illud  cap.,  et  ideo  ibi  Adrianua 
notavit,  postmodum  haec  immutavit  et  Adrianum  iniitatus  est  seciji- 
dum  quod  bic  dicitar.  et  secundum  tempus  illud  loquitur  caput  si|in 
dilecti  et  c.  suggeatum  et  continet  hoc  caput  hodie  ius  commuie  et 
derogat  isti  A\ 

k)  Zu  c.  repreh.  cit.  de  appell.  v.  nki:  'in  hoc  casu  ncn  est 
necessaria  praecedens  ammonitio.  Quod  Tcrum  est,  ubicunque  sen- 
tentia  fertur  a  jure»  sed  ubi  a  judice  est  ferenda,  debet  praeisedere, 
illud  autem  minus  quam  nihil  fuit,  quod  dixerant  plurimi,  qvod  mo- 
nentur  a  canone,  ubi  canon  est  datae  sententiae.  Ä . 

l)  Zu  c.  si  her  ed.  11.  de  testam. :  'ergo  causa  testamentaria  ad 
episcopalem  pertinet  audientiam :  ar.  infra  c.  prox.  et  FU.  et  hoc 
verum  est,  licet  quandoque  pertinet  ad  judicem  saecuTarem,  sicut 
matrimonialis  causa.  Secus  est  de  causa  successionis  ab  intestato  ut 
infra  qui  fil.  sint  leg.,  quae  inter.  R.  posset  tarnen  dici,  quod  illa 
causa  testamentaria  solum  spectat  ad  ecclesiam,  ubi  quid  ad  pias 
causas  est  relictum.  A\ 

m)  Zu  c.  mon.  1.  de  sepult.  'per  confratemitatem,  quam  quis 
saecularis  habet  in  domo  religiosa  a  iure  prorinciali  non  eximitor, 
ut  infra  de  priv.  et  excess.  priv.,  cum  et  plantare',  [in  B  a  m  b.  P.  II.  6.  f.j. 

n)  Zu  c.  in  lit.  super  illa  5.  de  restit  spol.  v.  prins: 

'ff,  de  judi.  si  dem.,  C,  de  appell.  I.  1 .  contra  hoc  ordinatum  est. 
Sunt  autem  casus,   in  quibus   aute   restitutionem  de  principali  causa 


Literituri^eschicht«  der  C^mpiUlioBes  mtiqiiae  etc.  80 

cognoftcitur»  ubi  crimen  enorme  commissum  dicitur,  ut  IL  q.  V.  9uper 
eamOt  ubi  propter  dilapidationem  spoliatur»  ut  IIL  q.  11.  quia  ea,  ubi 
ex  restitutione  scandalum  generatur,  ut  II.  q.  i.  in  primis,  III.  q.  VI. 
ho€  quippe»  ubi  crimen,  pro  quo  est  spoliatum,  est  notorium,  ut  IL 
q.L  manifettuim.  Ulud  tarnen  quidam  dicunt'specialein  papa,  utXXIIL 
di  in  nomine.  Sunt  praeterae  duae  exceptiones,  quae  petenti  restitu- 
tionem  cum  effectu  obviantur:  exceptio  rei  iudicatae  super  posses- 
sione:  ar.  supra  eod.  audUa,  et  recusatio,  ut  s.  e.  c.  II.  A\ 

o)  ibid.  ▼.  can.  instiiuiione.  'si  tarnen  de  jure  institutionis 
iudici  liqueat»  de  utroque  insimul  potest  pronuntiare,  ut  extra  diledi 
fUU  et  yidetur,  quod  de  boc  potentem  restitutione  possit  reconvenire : 
ut  extra  bo.  mem.  §.  ult.  §.  hie  tarnen  habetur  contra  Ä. 

p)  Zu  c.  si  duobtts  7.  de  appellat.  y.  juris  entwickelt  er  fol- 
gende staatsrechtliche  Theorie  «),  welche  später  sehr  prakisch 
wurde :  "Supple  ad  hoc  gtahUi.  §.  Ar.  quod  Imperator  gladium  non 
habeat  a  papa :  XCVI.  di.  st  imperaiou  XXIII.  legimus,  XXIII.  q.  IIIL 
quaesiium.  Ar.  contra  XXIII.  di.  c.  IL,  XCVL  duae^  XV.  q.  VI.  alius. 
Ad  haec  dicunt  quidam,  quod  potestatem  et  gladium  habet  tantum 
a  principibus,  quorum  est  imperatorem  eligere  ex  jure  cpnsuetudi- 
nario;  sub  papa  consentientibus  principibus  accusari  potest  et  etiam 
deponi,  subest  tarnen  papae  quoad  spiritualia.  Verum  tamen  papa 
imperatori  non  subest  nee  quoad  spiritualia  nee  quoad  temporalia. 
Ecclesia  enim  et  (mknen  res  eins  a  laica  potedtate  sunt  exemtae,  ut 
XXVI.  benet  X.  q.  I.  noverit,  licet  eas  defendere  teneatur,  ut  XXIIl. 
q.  V.  tä  principest  XI.  q.  IIL  noliict  Verius  est  quod  gladium  habeat 
a  papa.  Est  enim  corpus  unum  ecciesiae,  ergo  unum  solum  caput 
habere  debet.  Item  dominus  utroque  gladio  usus  est  ut  XCVI  cum 
ad  verum,  L  q.  III.  ex  multis.  Sed  Petrum  vicarinm  suum  in  terris  in 
solidum  constituit,  ergo  utrumque  gladium  ei  reliquit.  Item  si  domi« 
nus  materialem  gladium  habuit,  dicas,  quem  principem  sibi  vicarium 
in  hoc  constituit.  Item  Moyses  utrumque  habuit,  cuius  successor  est 
papa  in  novo  testamento.  Item  ipse  Petrus  dixit  domino :  Ecce  duo 
gladiihic;  ergo  ilK  gladii  aput  Petrum  tunc  fuenmt.  Itemsi  quoad  tem- 
poralia Imperator  sub  papa  non  fuisset,  ergo  de  eis  sub  papa  respon- 


^)  Die  Autorschaft  des  Atanut  ist  durch  das  frühere  Citat  von  Tancred  auaser  Zweifel 
f^es  teilt. 


/ 


90  '       ^.  V.    S  c  h  H  1  t  e 

dere  non  teneretur,  at  in  iieutra  princeps  a  papa  depositos  ut  XV. 
q.  VI.  alius.  Propter  hoc  dicatur,  quod  gladium  materialem  habet 
a  papa.  Canonica  tarnen  canoniconim  electio  sibi  tribuit.  Si  ei^ 
papa  iudex  Ordinarius  est  et  quoad  spiritualia  et  quoad  temporalia, 
potest  ab  eo  deponi  imperator  et  eodem  modo  quilibet  laicus  habens 
potestatem  yel  dignitatem  aliquam  sub  imperatore,  si  plenitudinem 
potestatis  siiae  uti  vellet.  Sed  numquid  pro  omni  crimine  potast 
deponi  imperator?  Respondeo:  immo  pro  nuUo,  nisi  persistere  in 
illo  eontenderit.  Sed  nee  tune  forte  pro  omni,  sed  soium  pro  taii, 
qood  scandalum  inducit,  ut  est  haeresis,  symonia,  diseorJßa  canünua 
et  si  qua  sunt  similia.  Sub  ipso  tamen  principe s  constituti  pro  minori 
causa  deponi  possunt.  Sed  numquid  papa  materialem  gladium  sibi 
posset  retinere?  Resp.  non,  dominus  enim  gladios  dirisit,  ut  XCVl. 
di.  cum  ad  verum^  et  praeterea  ecciesia  ex  hoc  plurimum  turbaretur. 
Et  quod  dictum  est  de  imperatore,  dictum  babeatur  de  quoUbet  rege 
vel  principe»  qui  nulli  eubeet.  Unusquisque  enim  tantum  juris  habet 
in  regno  suo,  quantum  imperator  in  imperio.  Divisio  enim  regnorum 
de  jure  gentium  introductum  (a)  a  papa  approbatur,  licet  antiquo 
jure  gentium  imperator  unus  in  orbe  esse  deberet.  A\  Es  zeigt  sieh, 
dass  die  Vorgange  der  Zeit  (1198  ff.)  wirkten,  dass  Alanus  eine 
Theorie  entwickelt,  welche  die  von  Bonifaciue  VUI.  in  der  Bolle 
Vnam  sanctam  bis  auf  die  Grunde  nur  als  eine  Copie  erscheinen 
ISsst,  die  zum  Theile  in  ihren  Argumenten  noch  schwächer  ist 

q)  Zu  c.  ut  nullus  1.  de  praeb.  y.  jure\  'Quid  de  militibas 
Galliae,  qui  jure  hereditario  decimas  percipiunt?  Resp.  speciali 
gaudent  consuetudine»  quam  papa  seit  et  tolerat.  Habent  hoc  ex 
jure  patronatus  nimis  pingui  A.^  Diese  Stelle  ist  interessant  für  die 
Auffassung  der  Consuetudo  und  des  Patronats.  Ich  habe  sie  citirt 
gefunden  in  der  bisher  nicht  bekannten  Summa  titulorum  des  Jo- 
hannes  Hispanus  (nicht  Joh.  de  Deo),  über  welche  ich  in  einer 
spätem  Abhandlung  berichten  werde,  die  eine  Anzahl  von  Schrift- 
stellern über  die  Dekretalen  Gregors  IX.  bespricht. 

Die  nicht  signirten  Glossen  gehören  Alanus  wohl  auch  zum 
Theile  an,  einige  aber  Bernhardus.  So  z.  B.  ist  die  Gl.  ad  e.  1* 
de  commodato. 

rj  'haec  et  alia,  quae  de  textu  pentateuci  huic  inserui  volu- 
mini,   ad   hoc  apposui,   ut  sciatur,   quid  de  talibus  fuerit  in  veteri 


LiUriturgeschichte  der  Compilationes  antiquae  etc.  9 1 

lege   statutum,  non  quod  omnia  credam  ad  literam  esse  servanda,  ut 
supra  di  VI.  §.  his  ita' 

im  Trierer  Codex  864  und  Bamb.  P.  IL  6  mi  b.  gezeichnet,  was 
schon  der  Inhalt  als  richtig  ergibt. 

Einige  Glossen  haben  Bernhards  Sigle,  z.  B. 

8}  ZU  c.  2.  de  clericis  pugn.  in  duello  V,  12.  (die  Rubrik  ist 
ausgeblieben)  V.  gravis  iu/mo£/tim ;  *Ad  hunc  t.  pertinet  s.  XXXII. 
nullus  praeter,  ad  haec  vero  et  di.  LXXXI.  tantis»  si  quis  clericus 
romanus  si  qui  sunt,  si  q.  amodo.  si  q.  sacer.,  et  supra  di.  L.  si  quis 
diaconus  et  supra  XXXII.  q,  I.  in  plerisque  c.  et  q.  et  qu.  VII.  quae 
sunt  info  etc  usque  §.  his  quae  aucto  A.' 

t)  Zu  c.  2.  de  concess.  praeb.  in  auten.  De  scis  epis  §.  V. 
supra  IX.  q.  3.  cum  simus  contra.  Solutio :  ea,  quae  per  canonicos 
expediri  possunt,  per  eos  expedientur  ut  hie,  quae  non  possunt  per 
metropolitanum  expedientur  ut  ibi.  b\' 

u)  C.  meminimu8  6.  de  clericis  conjug.  'Hoc  c.  et  sequens  de 
eadem  materia  loguuntur  et  ex  dispensatione  secundum  6.,  qui  dicit, 
se  camilium  et  auxilium  hoc  impetranti  praeatitiMe.  A.*  Diese 
Notiz  ist  auch  im  TVierer  Codex  aufgenommen  mit  der  Variante  per" 
Mona  anstatt  materia  und  mit  der  Sigle  ala  yerbunden  mit  dessen 
nächster  Glosse  dazu. 

Eine  Unzahl  der  Glossen  Alanus*  stehen  auch  im  Cod.  Tre- 
vir.  864  und  in  anderen  mit  seiner  Sigle,  wie  jeder  auf  den  ersten 
Blick  selbst  sehen  kann.  Für  die  Geschichte  der  Glosse  zur  Comp.  I. 
und  damit  der  zu  den  Dekretalen  Gregorys  IX. ,  ja  für  eine  Ausgabe 
der  Compilatio  prima  selbst,  wie  sie  den  heutigen  Anforderungen 
entsprechend  sein  sollte,  sind  die  beiden  Hallenser  Codices  so  wich- 
tig, dass  ich  ihnen  kaum  andere  vorziehen  mochte  i). 

C.  Cod.  Hallensis  Ye.  52.  alia  pars. 

39.  Derselbe  Codex  Te  S2,  der  Universitätsbibl.  zu  Halle  ent- 
hält als  drittletztes  Stock  einen  Apparat  zu  den  Dekretalen 
der  Comp.  I.  auf  OVs  Seiten  mit  zwei  Col.  zu  je.  114  Zeilen.  So 
kurz  derselbe  regelmässig  ist,  so   bietet  er  sehr  viel  Interessantes. 


^)  Es  ist  eigenthumlich,  das«  gerade  iollalberatadt,  wo  früher  diese  Handschrif- 
ten waren,  »ich  diese  SUesten  OloSvsea  erhielten.  Sollten  sie  hier  etwa  nach 
solchen  copirl  sein,  die  Johannes  Teutonicus  als  Propst  dorthin  brachte? 


92  V.   S  e  h  u  1  t  e 

Er  setzt  das  vierte  Buch  zuerst  und   begiunt  ohne  gleichzeitige 
Überschrift : 

*  Ad  audieniiam,  desponsabatur.  Haec  aiectio  nulla  ftiit;  nam 
ex  quo  desponsabatur  ad  hopus  unius  fratrum»  alter  eam 
abere  non  potest 

An  das  vierte  Buch  schliesst  sich  unmittelbar  das  zweite,  daran 
das  dritte  ('Incipit  liber  secundus  de  judiciis.'  'Inc.  über  tertios  de 
Tita  et  honestate  clericorum"),  in  dessen  Titel  de  testamentis  in  e. 
no8  quidem  leider  dies  Stück  abbricht.  Da  derselbe  nur  die  Comp.  I. 
citirt,  auch  nur  einige  der  unzweifelhaft  Sltesten  Glossatoren  dersel- 
ben :  80  darf  man  ihn  kühn  in  das  Ende  des  XII.  oder  den  Anfang 
des  XIII.  Jahrhunderts  setzen.  Ich  werde  nun  aus  dem  Texte  und 
aus  einigen  Zusfitzen  am  Rande  jene  Stellen  mittheilen»  die  für  die 
Literaturgeschichte  Werth  *  haben.  Zugleich  ist  damit  die  Methode 
beleuchtet.  Vorher  sei  noch  erwähnt,  dass  sehr  oft  nach  einer  Er- 
örterung die  Siglen  stehen,  am  häufigsten  p.  ys.,  ich  habe  ausser  in 
den  mitzutheilenden  Stellen  sie  noch  in  gegen  20  anderen  gefunden, 
mag  aber  auch  die  eine  oder  andere  anzumerken  unterlassen  haben; 
danach  findet  sich  sehr  oft  die  Bernhards  von  Pavia  b.  auch  Rich- 
ards R.  oder  Hi.,  weiter  p.  (in  6  Stellen,  wenn  ich  richtig  gezahlt 
habe). 

1.  Zu  c.  2.  de  despons.  imp.  v.  debet:  'debito  honestatis,  non 
necessitatis.  6.' 

2.  Zusatz  am  Rande  zu  de  eondit  appos.:  *§.  Super 
rubrica.  Est  conditio,  sine  qua  matrimonium  contrahi  non  potest,  ut 
XXVIII.  q.  I.  non  oportet.  Est  conditio»  cum  qua  nullatenus  esse 
valet,  ut  XXXn.  q.  II.  solet.  Est  conditio  indifferens»  quae  apponitur 
aut  in  matrimonio  aut  in  desponsatione.  Si  in  matrimonio  nulla,  ui 
hiCf  si  in  desponsatione  aut  licite  aut  illicite.  Si  licita  vel  honesta 
observetur,  si  illicita  vel  inhonesta  frangatur.  p.  ye.* 

3.  Zu  c.  4.  qui  der.  IV.  6.  'M.  Ugug.  intelligit  ^  capitulara 
de  laico  promoto  in  subdiaconum  de  facto,  quia  in   veritate  non 


0  HogQCCio  in  Snmmi  [Cod.  Bamb.  P.  U.  tS.]  id  c.  Heut  D.  XL.  *Si  ergo  bic«« 
de  facto  in  aacro  nihil  ordinia  accipit:  ar.  in  extrm  cum  inttiiiaaet  et  ar.  hie, 
ita  enim  argumentatur  a  aimili  aiciit  conaenaoa  dnonim  facit  nntriBoninn,  dtrie»^ 
tna  et  aacerdotiam  faeiunt  preabjteniin  "*  PSr  daa  Folgende  Tgl.  noeii  dena.  ad  c. 
tüUieiiudö  diät.  LH.    Er  aetat  anch  die  abweichende  Anaieht   der  mtü  amaeinaader. 


Literaturi^sehichte  der  Gompilationes  aotiquae  etc.  93 

potest  suseipi  aliqais  sacer  ordo»  nisi  habuerit  aliquem  de  minoribus 
(nam  sacri  ordines,  qualiter  voeentur,  averte  supra  de  cokab,  der, 
si  quispiam}»  ad  quorum  collationem  necessarium  est  aliquem  de 
minoribus  adesse»  ut  di.  XL.  sicuiviri.  ^.  nimU  enormiter,  quia 
noadum  baptiz^tus  erat  vel  etiam  per  inordinatos  saltus  ad  subdia- 
conatum  ascenderat»  amissis  aliis  ordinibus  vel  de  illiterato  penitus. 
hug.  p.  yspa.  dieit,  quia  se  ingesserat»  sed  nunquam  aceepit  ordi- 
Des  vel  ordinem  aceepit  ab  eo,  qui  dare  non  poterat :  co.  di.  LXVIII. 
presbyteri  .  .  .' «). 

4.  Zu  e.  1.  de  eo  qui  dux.  IV.  7.  'Quaeritur,  an  matrimonium 
esset  inter  istos.  Si  dieas,  quod  matr.  erat,  ergo  ab  invicem  separari 
non  poterant,  nisi  causa  fornicationis  interveniente;  ut  XXXII.  q.  I. 
dixit.  Si  dicas,  quod  matr.  non  erat«  ergo  aeque  ad  petitionem  viri 
otpote  ad  mulieris  intercessionem  divortium  celebrari  poterat.  Dice- 
bat  bati,t  quod  nunquam  fuit  dekretalis.  Si  placet  hoc  dicere  auc- 
toremque  suumque  tueatur  habet;  ego  autem  dico,  quod  matr.  non 
erat  inter  istos,  et  inde  ad  viri  petitionem  minime  separabuntur  nee 
indedici  potest,  quod  invitus  eogitur  matr.  contrahere,  quoniam» 
quaecunque  sibi  acciderunt  ex  delicto  suo,  sibi  contingunt.  Et  sie 
dico,  quod  per  sequentem  consensum  poterat  dici  matr.,  etiamsi  non 
consentiat,  praesumitur  ibi  consensus  praesumtivus :  ar.  CL  si  aliena 
res  pignori  data  sit,i.  cum  res,' 

5.  Am  Rande  zu  c.  3.  de  cogn.  spir.  IV.  11.  v.  consuetudi' 
nem,  *§.  Dicit  /{.,  *)  quod  consuetudo  bene  facit,  quod  matr.  inter 


<)  Im  Cod.  Fald.  D.  S  steht:  'U^accio  dieit,  quod  pape  circa  Totum  non  poaait  dis- 
ponaaro  et  hoc.  c.  intelligit  de  eo,  qnl  earacterem  in  ordinatione  bob  recepenC, 
Tel  quia  praeter  forman  eodeaie  ordinatnr,  Tel  qui»  nalliim  de  minoribua  ordini- 
bof  priiia  receperat,  et  ideo  aecundnm  eum  nullam  maiorem  recipere  potoit. 
p.  jftpmnua  dicit,  se  andiTisse  ab  illo,  cni  credere  potnit,  qui  qualiter  istod  fac- 
ton  processerat,  noTcrat,  quod  hoc  c.  de  papae  conscientia  non  emanarit  Vel, 
•i  placet,  dicator,  quod  ordinem  receperat,  sed  papa  com  eo  nt  axorem  duceret 
dispensavit.  Qnod  facere  potuit  mazime  aecundnm  opinionem,  qne  aseerit,  qnod 
derlei  solum  per  ecdesiasticam  constitntionem  sunt  astricti  continentie,  non  per 
Totum  aliquod  prescriptum,  nisi  expresse  TOTeatur.  ^ 

*)  Im  Codex  Halentii  Ye  80  tarntet  die  nichtsii^ nirte  Glosse  an  dieser  Stelle: 
'Consnetndo  enim,  qnae  Teint  canon  specialis  iUius  loci  eat,  potest  facere,  nt 
ietae  personae  legitioMe  Tel  iUegitimae,  de  qnibus  nihil  praeeepit  canon:  di.  Xl. 
emikoliem,  äi  X\l.  mt  eontuemäinem.*  Bin  nener  Beweis,  dasaVeSO.  den 
Apparat  des  Richardns  enthSIt.  Im  Cod.  Ye  62  (dem  friiher  behandelten 
und   AI  an  US  angesprochenen  Apparate   steht   die   nicht  signirte  Glosse   dazu:) 


94  T.    S  c  h  o  1  t  e 

istos  non  est.  Hug,  autein  dicit  <),  hanc  non  esse  decretalem,  yel  si 
est,  loeutus  est  ut  magister  non  ut  papa,  vel  alio  modo  dicere  possu- 
mus ;  ubi  dicitur,  quod  separari  debent,  si  consuetudo  obstat  Yenim 
est  ad  tempus  et  hoc  propter  scandalum;  dignum  est  enim,  at  in  eo 
puniantur,  in  quo  deliquerunt.  Et  nota,  quia  hie  reprehendit  Ug. 
Alexandrum,  quia  consuetudo  validum  impedimentum  non  est  ad 
roatr.  reseindendum.  Sed  dico,  quod  bic  loquitur  de  contrahendo, 
quo  casu  non  miror,  sed  contraria  consuetudo  et  scandalum  impedi- 
unt  contrahendum.  p.  §.  Aut  dices:  matr.  fuisse  inter  istos  aut  non; 
si  fuit,  ergo  nullatenus  separandi  erant,  nisi  ob  causam  fomicationis, 
ut  j.  de  conj.  leprosi  c.  IL  Male  igitur  dicit  papa,  quod  tUe  intrarit 
locum.  Re.  et  ipsam  nubere  potest.  Si  dicas,  non  fuisse,  quoniam 
roatrimonium  praecessit,  hoc  planum  est.  Sed  id  quod  dicitur.  quod 
propter  naturalem  frigiditatem  Romana  ecclesia  nullos  separare  con- 
suevit,  intelligas  secundum  glosam  ibi  positam.  Vel  potes  dicere, 
matr.  fuisse  inter  illos,  sed  sie  quomodo  per  yerba  tantum  contrac- 
tum,  et  non  per  carnalem  copulam  consummatum,  intrarit  igitor 
u.  m.  qm.  a  canone  sibi  erat  concessum  et  lepra  intenreniente.  p.  ys' 

6.  Am  Rande  zu  c.  1.  de  frig.  et  malef.  'et  in  exir.  nava 
laudabilem  [c.  3.  IV.  9.  Comp.  II.  von  Coelestin  III],  ubi  dici- 
tur, quod  usque  ad  tres  annos  debent  mauere  insimul'.  Ein  Beweis, 
dass  der  Commentar  Tor  Innocenz  III.  fallt,  ja  wohl  in  die  ersten 
90ger  Jahre,  da  man  mit  diesem  Worte  nur  eine  kurz  vorher  er- 
schienene Dekretale  bezeichnen  kann. 

7.  Ibidem  im  Texte,  'vel  melius  secundum  hug^  cum  hoc 
capitulum  non  habeat  auctorem  non  est  autbenticum.* 

8.  Zu  c.  tanta  6.  qui  fiL  sini.  legü.  IV.  18.  'Dicit  tarnen  hug.* 
quia  proles  haec  est  legitima  ad  successionem ,  sed  non  ad  promo- 
tionem,  sed  ego  nou  distinguo,  quia  nee  canon.* 

9.  Zu  c.  1.  de  divort.  IV.  20.  'derogatum  est  huic  capitulo 
secundum  m.  p  ys*" 


'Nota,  consaetudinem  ficere  legitlmM  peraonat  ad  cootrahendam  miava  lefriÜmii, 
ut  aeqnenti  c.  et  «c.  et  j.  de  fk-ig:.  et  malet.  $uper  eo.,  qood  aedem,  quod  consae- 
tado,   licet  qaidam,  ut  I3g,  in  hoc  articulo  Alexandniin   reprehendaiit\    Blaa  darC 
wohl  ata  Quelle  dieaer  Gloaae  den  hier  beaprochenen  Apparat  anaehen. 
')  Ich  hnbe  diesea  Citat  von   Ho^nccio    in  den  beiden  citirten  Distinction«i  aiehC 
gefunden.  Daa  beweilt  naturlich  nicht,  daaa  es  nicht  anderwärts  ateht. 


Literaturfi^ejichichte  der  Compilntiones  antiquae  etc.  95 

10.  Zu  c.  accepta  2.  de  restit.  spoliat.  II.  q,  'spontanea.  Hoc 
intelligo,  quando  non  erat  exspoliatus.  alias  semper  invitus  reputare- 
tur.  ut  extra  de  renuntiatione  per  totum.  p.  ps/ 

11.  Zu  c.  4:  super  eo  de  lest.  cog.  II.  14.  * humaniiurü,  C. 
de  test  siquando.  Hoc  refertur  quoad  personas  non  quoad  cau- 
sas,  nam  in  civili  eompelli  possunt,  verum  in  criminali  non  seeundum 
dominum  pilium,  p»  ys." 

12.  Zu  e.<  1,  de  fide  instrum.  'sola  sigilla  testium  testamento 
apponuntur  non  ad  fidem,  sed  ad  solemnitatem,  bulla  vero  apponitur 
ad  fidem  imponendam.  6/ 

13.  Zu  c.  S.  de  praesumt.  *9ibL  Nota  sibi,  nam  causa  purga- 
tionis  servandae  religionis  ipsum  cogere  potest,  sed  sibi  non  potest 
praelatus,  nisi  sit  prout  bic  dicitur.  p,  ys.' 

14.  Zu  c.  qua  fronte  41.  de  appellat.  '  interponat.  ar.  quia  non 
tenet  appellatio  in  bis,   quae  dilationem  non  capiunt,  ut  II.  q.  VI.  §. 
de  posse.   [vide  §.  18.  in  dicto  Grat,  ad  c.  41.],  ff.   de  feriis  1.  I. 
§.  IL»  ).  seiet,  decons.  di.  Uli.  quando  quis  [c.  128];  ar.  I.  e.  c.  px. 
c.  80.  i.  [solutionibus  ibi].  reguläre  est,  ut  pendente  appeil.  nil  inno- 
vetur  et  quid  recipiatur,   nisi  in  casibus,   in  quibus  non  admittitur 
app.,   et  inter  cos  est  seil.,   ubi  res  dilationem  non   capit.   §.  vero 
sequens  consuevit  legi  de  usurariis  vel,  quod  verius  credo,   illius 
regni   tangit  consuetudinem,  vel  aliter,  licet  jus  strictum  prohibeat 
aliquid  innovari  pendente  app.,  tarnen  praeponderet  aequitas  in  con- 
trarium,  ut  C.  de  judic,  placuü,   et  maxiroe  in  hac  causa,  ut  ff.  de 
relig.  sunt  personae.  §.  C.  de  sepulcro  violato  1.  ult.  contra.    Refert, 
an  sit  religiosa  persona  au  non.    Si  rel.  pers.,   quae  debitum  petit, 
tunc  habet  locum,  quod  hie  dicitur;  sin  autem  aliter  est  non  credi- 
mus  locum  habere.   Nam   hie  in  favorem  religiosarum  personarum 
dictum  esse  credimus,  et  hoc  notata  litera  religiosae  personae.  Vel 
refert,  utrum  debitum  sit  publicum  aut  non.    Si   publ.  locum  habet, 
quod  hie  dicitur,  si  occultum  quod  ibi.    Vel  distinguas:  aut  heredes 
sunt  vagipalantes  et  de  quibus  suspicio  habetur,  ne  solvere  debeant 
utputa  cum  sunt  potentes  et  tunc  habet  locum  quod  hie  dicitur.    Vel 
dicas  quod   si  haec  decretalis  legi   non   contradicit,   quoniam  lex  de 
app.   non  loquitur,   quoniam  in  tali  casu  lex  appeil.*   non  admitteret, 
cum  nondum  sit  lis  coutestata,  canon  autem  bene  admittit,   ut  II.  q. 
\l.  non  ita.   Vel  dicamus   quia  canon  praejudicat  legi,  bacianus 


06  T.   S  c  h  II  1 1  e 

tarnen  totum  dicebat  contra  et  clamabiit  hanc  nunquam  fuisse  decre- 
talem.  p.  jf«.* 

Von  wem  diese  LectHra  gemacht  sei,  ist  schwer  tu  sagen,  zu 
den  ftltesten  gehört  sie  sicher.  G.  kann  der  in  der  Glosaa  m  Gilbert*» 
Compilation  gemeinte  Guil.  sein,  oder  Gilbert  selbst,  oder  Ger* 
ardus  [Sarti  I.  p.  287),  an  spätere  ist  nicht  lu  denken.  P.,  der 
Ton  p.  y8.  sehr  genau,  auch  in  derselben  Glosse,  gesehieden  wird, 
ist  wohl  der  nicht  weiter  bekannte  Petras  magister,  der  Canonieus 
zu  Bologna  war  und  1189  in  Urkunden  Torkommt  [Sarti  1.  c.]. 

D.  Codex  Fuldensis  D.  5. 

40.  Es  ist  die  Handschrift,  aus  der  ich  die  Collectio  Gilberts 
in  der  zweiten,  Alanus'  in  der  ersten  'Gestalt  bekannt  gemacht  habe. 

Die  Handschrift  gehört  auch  ftir  den  Text  der  Compilatio  prima 
zu  den  interessantesten.  So  fehlen  jene  6  Kapitel «),  welche  die  erste 
Ausgabe  Ton  Antonius  Augustinus  nach  den  Scholien  zur 
Comp.  I.  unter  der  Rubrik  Praetermissa  nachtragt.  Sie  dürften 
mithin  in  manchen  der  ältesten  gefehlt  haben. 

Geschrieben  ist  der  ganze  Apparat  Tiel  früher  als  der  Text 
Daher  war  es  oft  unmöglich  zu  sorgen,  dass  der  Text  neben  die  be- 
treffende Glosse  kam.  Um  nun  das  Auffinden  zu  erleichtern,  ist 
unzählige  Male  durch  Kapitalbuchstaben  neben  dem  Texte  und  am 
Kopfe  der  betreffenden  Glosse  geholfen.  Dazu  wählt  er  willkOrlieh 
bald  diesen,  bald  jenen  ausser  B  aus  dem  gleich  ersichtlich  zu  ma- 
chenden Grunde.  Man  muss  sich  also  böten,  diese  Kapitalbuch- 
staben,  auch  wenn  sie  am  Schlüsse  der  Glosse  scheinbar  als  Siglen 
stehen,  ftlr  solche  anzusehen.  Mit  Siglen  am  Ende  sind  nur 
einige  wenige  Glossen  Tersehen,  die  die  Sigle  R.  tragen  >). 

Als  Glosse  läuft  nun  erstens  am  untern  Rande  die  Summa 
Bernhardi  Papiensis  durch.    Sie  beginnt  mit  dem  Prooemian 


<)  Nlmlich  L.  I.  Tit.  9.  c.  9.   dignnm  Tit.  12.  e.  2.  dilect««,  T.  16.  c  4.  prae 
cipinas,  T.  19.  c.  1.  •tadeant,  L.  IV.  T.  4.  e.  4.  aolet,  e.  S.  de  iis. 

*)  Si  siad  SU  «.  3.  de  eoMtitnt  der  unter  des  Berakerdas  Papu  ■fohaeJr 
Caaua  Sacerdotiam,  der  sa  c.  tt.  ib.,  c.  7.  ibid.  Aber  dieee  drei  liabaa 
sugleicb  am  Kopfe  eio  B.  Da  inib  aea  enderee  Hendaehrifteii  featatelit,  daaa  di«i* 
gleichlaateod  bei  Bernhard  nnd  Riehardu«  aind  [rgl.  Laapejrei 
I.  c.  pag.  St9],  ao  wird  dadurch  die  ungemeine  Genauigkeit  dea  Codex  bewiesea, 
Mglejcb  B.  als  S  i  g  1  e  fiir  Bernhard  ansaer  Zweifel  geatellt. 


Literaturgeschichte  der  Compiiationea  antiqnae  etc.  97 

(In  Christi  nomine')  oben  links  neben  dem  Texte ;  es  ist  offenbar 
für  sie  die  Rubrik  ausgeblieben.  Mit  Ausnahme  der  ersten  Seite,  fSr 
weiche  die  fehlende  Rubrik  Ersatz  bot,  steht  stets  bei  jedem  Ab- 
schnitte an  dessen  Kopfe  B.  Sie  schliesst  nach  'gratias  referamus' 
mit  'EjFplicit  summa  magiatti  b^nardL'  Das  beweist  offenbar  das 
Fehlen  der  Rubrik  im  Anfange.  Zweitens  bietet  der  Codex  in  Form 
der  Glosse  die  Casus  Bernhardi  Papiensis,  jedoch  nicht  ganz 
Tollständig,  was  wohl  durchgehends  dem  Mangel  an  Raum  zuzu- 
schreiben ist  i).  Vor  einem  jeden  steht  am  Kopfe  links  B. 

Neben  diesen  Stücken»  die  allein  einem  doppelten  Apparate 
gleichkommen,  hat  der  Codex  den  vollständigen  Apparat  des 
Alan  US,  der  jedoch  niemals  eine  Sigle  tragt  Dass  wir  einen  vollen 
Apparatus  haben,  beweist  die  der  letzten  Glosse  angehängte  Schluss- 
klausel 'benedicamus  domino.  alleluja\  Den  Beweis  für  die  Autor- 
schaft des  Alanus  liefern  folgende  Daten: 

1.  Es  fehlen  die  im  §.  36.  als  Richardus  angehörigen  a»  A,  c, 
die  im  ^.  36.  sub  b,  g,  k  (welche  Bernard  bez.'  Vinc.  angehört),  I. 
(die  Bernard  gehört),  die  aber  Grundlage  einer  vorfindlichen  wurde ; 
ferner  aus  §.  37.  die  Alanus  nicht  angehörigen  a>  A,  c,  aus  §.  38. 
num.  r,  «,  ^  welche  Bernard  gehören  s). 

2.  Der  Codex  enthält  die  unzweifelhaft  Alanus  angehörigisn 
im  ^.  36.  num.  a,  c, — ft  h,  u  die  Alanus  angehörigen  des  §.  38. 
sub  num.  a.  bis  q.  und  ti.,  die  im  §.  39.  num.  5.  Note  mitgetheilte 
Glosse  des  Alanus. 

3.  Die  in  der  Glossa  ord,  zu  c.  1.  de  rescr.  v.  ut  libere  mit  den 
Worten  Jii^a  vidulgentia^  dann  die  bei.Tancred  in  allen  Hand- 
schriften mit  den  Worten  'Ate  derogat  secundum  primo'  beginnende 


1)  Es  fehlt  di«  fiiiil«itang,  fiir  die  kein  PUtz  anf  der  ersten  Seile  wer,  denn  [um 
den  Vergleich  jedem  so  ermöglichen,  halte  ich  mich  hieran,  nicht  an  die  Leipziger 
Handschrift]  die  Casus  zu  c.  1.  2.  de  consUtnt.,  c.  2 — 6.  de  rescr.,  de  consnet., 
de  restit  spoliat.,  de  test  c.  1^0,  8 — 11.,  de  despous.  impab.  c.  4.  6.,  de  homic. 
c.  1.  6.,  meist  die  Vermerke  patet  per  u  und  ihnliche,  nebst  einer  Anzahl  andrer. 
Die  weitaas  meisten  und  insbesondere  die  zum  VerstSndniss  beitragenden  hat  er. 
Die  Anfinge  sind  bisweilen  abgekiirst,  die  Lesarten  gut.  So  schliesst  der  zu  e.  7. 
de  testam.,  den  Laspeyres  p.  3S9  am  Ende  defect  hat:  ^personas;  unde  rersus: 
presbyter,  ecciesia,  coivianzit  honor,  nnus  et  uns,  ut  Di.  LXZXVini.  HngulA. 

')   Von  allen  beiLaspeyres  pag.  323—326  abgedruckten  Glossen  mit  der  Sigle  6 
hat  der  Codex  nur  num.  i.  mit  Citat  erweitert. 

SiUb.  d.  phU.-hist.  Gl.  LXVL  Bd.  I.  Hft.  7 


98  ▼•    Schulte 

sind  bei  Tancred  mit  ala,  gezeichnet;  sie  stehen  in  unserem  Codex, 
ebenso  gl.  hoc  ideo  mandai  zu  c.  2.  das.,  infra  de  o/f*.  et  pot  jud, 
del.  cei,  das.,  ergo  in  aliguo  casu  etc.  zu  c.  ult.  ibid.,  die  bei 
Tancred  ala.  haben.  Ich  habe  Dutzende  Ton  grossen  und  kleinen 
Glossen,  welche  bei  Tancred  mit  o.,  ala.  gezeichnet  sind,  verglicheD 
und  sie  gefunden.  Mit  Toller  Zuversicht  darf  ich  behaupten:  Der 
Codex  bietet  den  reinen  und  vollen  Apparat  Alanus'. 

Wie  alle  Nachfolger  hat  er  fremde  Glossen  bald  nur  erweitert, 
bald  umgeändert  zu  den  seinigen  gemacht.  Einige  Beispiele  genügen. 
Die  im  §.  39.  num.  1.  befindliche  lautet  ^}: 

'debet.  non  debito  necessitatis  sed  debito  honestatis;  ei  ita 
non  contradicii  s.  XX.  F77.  Q>  1»  §*  i.*  Zu  num.  3.  das.  ist  bereits 
die  Stelle  mitgetheilt  in  der  Note.  Die  Stelle  zu  Num.  8.  daselbst  in 
der  Note  ist  ein  weiterer  Beleg  >). 

Die  bei  Laspeyres  p.  324.  num.  12.  abgedruckte  Glosse 
lautet: 

'Ergo  a  sensu  contrario,  si  stipendtis  ecclene  non  Busieniantwr^ 
possunt  coramjudiee  aeculari  advocare;  quod  coneedo,  non  tarnen 
in  causa  criminali  ....  SoluHo :  per  hoc  c.  puio  saeerdoiei  ei 
episcopoa  escipiendoB.  Sed  numquid  coram  ecclesiasHco  posmmi^ 
Certum  enU  guod  epieeopus  non  ut  V.  q.  HL  quia  sacerdotis;  de 
presbytero  heeito  *). 

a)  Zu  c.  31.  de  appeli.  steht  folgendes,  bei  dem  das  bei  Las- 
peyres num.  13.  ihm  auch  vorlag: 

's.  c.  prox.  contra«  Solutio:  ibi  juravit  stare  mandato  eeclesie, 
hie  vero  specialiter  ipsius  episcopi;  vel  ibi  erat  excommunicatas  ex 
incerta  ^)  causa,  hie  ex  certa,  secundum  A.  Vel.  hie  expone:  iiaüm 
i.  e.  post  XL  dies,  ut  hoc  ab  illo  determinationem  recipiat  secundum 
p.  Vel  hie  appellavit,  ne  aliquid  ab  ecciesia  sibi  iniungatur,  ibi  ne 
ab  illa  persona,  quam  forte  suspectum  habuit  secundum  r.  Vel  hoc  c 


*)  leb  lasse  die  Zasitxe  bez.  Äaderunf^ea  cutsIt  dnieken.  Von  der  in  Cod.  slekeB^ca 

(la  c.  2.  de  desp.  imp.)  ergo  fuberta»  etc.    bat  TaDcred  die  2.  Hüft»    ^tnd  m 

eippareät  mit  A,  gOEelebnet. 
*)  Diese  bat  Tancrred  niebt,  aber  die  andre  Glosse  iVe.  qu/od  Ueet  cet  ndt  JL, 
')  Bei  Tancred  (s.  B.  im  Cod.  Bamb.  P.  II.  6.)   stebt  wieder  die  Glosse  gcmnm  vie 

sie  Laspeyres  bat,  mit  einem  Citat  rermebrt  und  la.  geseicbnet. 
^)  Laspeyres  löst  ineU  nnglficklicb  in  ittitm  auf;   unser  Codex  bat  icta» 

keinen  Zweifel  lisst,  an  Eweiter  Stelle  certa  ausffescbrieben. 


Literaturgeschichte  der  CompiUtiones  «ntiquae  etc.  99 

preiudicat  illi  secundum  ug.  St\  hie  cum  appellat,  ne  faciat  id,  quod 
se  faeturum  juravit,  iilud  est  ob  aliud.  Quid  ergo  juravit.  attendatur 
et  super  quo  appellet»  et  secundum  hoc  appellatio  recipiatur  Tel 
non.  Haec  solutio  colligitur  ex  verbo  huius  capitis  que  iuramenio. 
Vel  hie  cum  frustratorie  appellat,  ibi  cum  ex  iusta  causa.  Hanc  magis 
approbo'  *). 

b)  c.  42.  ib.  Repreh.  v.  recompensationem :  'antequam  in 
negotio  procedatur,  ut  extra  t,  Innoc.  III.  aepe  contingit  et  ar.  C. 
dejudi.  s]ancimus\ 

'  '  Zu  c.  4.  de  sponsa  duorum  erwähnt  er  die  schlechte  Gewohn- 
heit der  banonienaeUf  die  Ehe  mit  der  zweiten  erkannten,  wenn  die 
erste  blos  per  spons.  de  praesenti  genommen  und  nicht  erkannt  war, 
aufrecht  zu  halten. 

Für  die  folgende  Ui)tersuchung  sind  noch  wichtig  die  Citate. 
Wie  in  der  so  eben  zu  c.  42.  de  appell.  mitgetheilten  Stelle  steht 
auch  in  der  §.  38.  num.  a.  mitgetheilten  im  Codex  'extra  t.  cum 
causam',  in  einer  zu  c.  1.  de  institut.  *extra  t.  tua  nos',  in  der  §.  38. 
num.  0.  auch  'extra  t.  dil.  fil.\  *extra  t.  hon.  mem.' 

Es  ist  wohl  unzweifelhaft,  dass  damit  angedeutet  werden  soll, 
dis  Extravagante  stehe  unter  dem  gleichen  Titel.  Es 
ist  damit  also  jedenfalls  eine  Sammlung  gemeint.  Die  Dekretale 
Innocenz  III.  saepe  contingit  steht  nicht  in  der  Sammlung  Rainers, 
dagegen  stehen  alle  citirten  Extravaganten  in  der  Sammlung  Gilberts 
bez.  des  Alanus  selbst.  Ich  halte  daher  für  ausgemacht,  dass  diese, 
wahrscheinlich  Gilbert  gemeint  ist.  Dass  die  Comp.  n.  oder  III.  nicht 
gemeint  ist,  bedarf  kaum  der  Erwähnung,  übrigens  stehen  die 
citirten  Dekretalen  in  denselben,  wie  bereits  bemerkt  wurde,  nicht 
alle  unter  dem  gleichen  Titel. 

E.   Die  späteren  Glossatoren  und  Apparate,  ins- 
besondere der  Tancreds. 

41.  Ausser  den  Siglen  der  bisher  behandelten  Glossatoren  ent- 
halten die  Handschriften  noch  einige  wenige,  mindestens  im  Ver- 
gleiche zur  Gesammtmasse  nicht  zahlreiche,  von  Jo.  oder  J.    Da  in 

1}   Laspeyres   nam.    15.   steht   auch,   aber   mit  i2.  ala  Sigle   am  Ende,  so  daas  es 
Richard  wohl  von  B.  entlehnt  hat. 

Nam.  16.  ist  bedeutend  erweitert;  num  18.  19.  21.  sind  verarbeitet  worden. 
Zu  c.  non  tatii  de  sym.  steht  eine  der  wenigen  Glossen  mit  M. 


100        .  V.     S  c  h  u  1  t  e 

die  Zeit  des  beginnenden  dreizehnten  Jahrhunderts  kein  anderer 
Kanonist  dieses  Namens  fallt,  da  Johannes  Andrea  seine  Autorschaft 
ausdrucklich  bekundet,  da  endlich  —  und  dies  Ai^ument  ist  schlagend 
—  in  den  Apparaten  derselbe  mit  vollem  Natnen  vorkommt:  so  ist  nicht 
daran  zu  zweifeln,  dass  die  also  gezeichneten  Glossen  Johannes 
Galen sis  angeboren.  Keinenfalls  hat  er  aber  einen  formlichen 
Apparat  dazu  gemacht,  sondern  nur  einzelne  Glossen  zugefugt.  Be- 
weisen lässt  sich  diese  Negation  allerdings  nicht.  Es  wäre  aber 
mit  Rucksicht  darauf,  dass  wir  die  Apparate  der  anderen  haben  und 
von  ihm  nur  so.  wenige  Glossen,  sonderbar,  dass  gerade  nur  sein 
Apparat  etwa  verloren  gegangen  wäre.  Allerdings  könnte  er  noch  in 
irgend  welchen  Handschritten  verborgen  liegen.  Aber  wie  käme  es 
dann,  dass  der  Zeitgenosse  Tancred  ihn  fast  gar  nicht  citirt? 

42.  Einen  vollständigen  Apparat  fertigte  an  der  Lehrer  Tan- 
M*eds  Laurentius  Hispanus.  Enthält  auch  keine  der  mir  bekann- 
ten Handschriften  seinen  Apparat  ungemischt,  so  lässt  sich  nicht  blos 
aus  den  massenhaften  mit  seinem  Namen  gezeichneten  Glossen  in 
den  Handschriften  folgern,  dass  er  einen  solchen  gemacht  hat,  son- 
dern dies  ergibt  auch  der  Charakter  seiner  Glossen  selbst,  welche 
die  Gestalt  deduzirender  und  regelmässig  in  einander  greifender 
Erklärungen  angenommen  haben.  Neben  ihm  darf  Vincentius 
Hispanus  als  derjenige  bezeichnet  werden,  der  vor  Tancred  einen 
Apparat  gemacht  hat.  Dieser  ist  es,  der  mit  den  Zusätzen  und  Um- 
änderungen Tancreds  in  den  meisten  Handschriften  vorkommt 
Ihm  gehört  an  der  Eingang  'Formavit  dem  hominem'  u.  s.  w.  Diese 
zuletzt  Genannten  haben  für  die  Bearbeitung  der  Compilatio  prima 
wesentlich  folgende  Thätigkeit  entwickelt:  Erstens  ergangen  sie 
die  Citate  der  altern,  tragen  die  in  Folge  neuerer  Dekretalen 
stattfindenden  Abweichungen  vor  und  machen  an  den  Glossen  selbst, 
welche  sie  beibehalten,  die  nothw«ndigen  Abänderungen.  Zwei- 
tens ändern  sie  die  Citate  der  Extravaganten  um.  Wenn  man  daher 
jetzt  in  Handschriften  der  Comp.  I.  Glossen  von  B.  R.  P.  mit  Citaten 
wie  Über  IL  IIL  extra  findet,  so  darf  dies  nicht  beirren.  Man 
machte  es  eben  damals,  wie  es  auch  heute  noch  Herausgeber  ge- 
macht haben,  indem  sie  die  Citate  der  Comp,  einfach  in  die  der 
Gregorianischen  SamTnlung  übersetzen.  Die  eigentliche  Arbeit  war 
vor  den  letzten  Apparaten  gethan.  Ich  gestehe,  dass  ich  nicht  finde, 
dass  sie  ihre  Vorgänger  ausstechen.  Aber  an  Breite  haben  die  Appa- 
rate gewonnen. 


Literaturgeftchichte  der  Compilaliones  «ntiquie  etc.  IUI 

43.  Einige  Punkte  müssen  noch  erledigt  werden,  bevor  ich  die 
Erörterung  über  die  Connpilatio  prima  mit  Tancreds  Apparat  und  der 
Frage  nach  der  Zeit  der  Abfassung  schliessen  kann.  In  verschiedenen 
Glossen  wird,  wie  sieh  gezeigt  hat,  Huguccio,  Jo.  (Faventinus), 
Basianusu.  a.  citirt.  Haben  diese  sie  glossirt?  Nein.  Bezuglich 
des  Job.  Fav.  bedarf  dies  keiner  Erwähnung,  da  er  die  Compilatio 
prima  gar  nicht  mehr  erlebt  hat,  es  aber  überflüssig  ist,  wegen  der 
corrupten  Lesarten  der  Ausgaben  und  einzelner  Handschriften  der 
Glossa  ord.  auf  die  Widerlegung  von  einem  anderen  einzugehen. 
Ebensowenig  ist  es  nothig,  für  Rufinus,  Silvester  weiter  zu 
widerlegen.  Von  Huguccio,  Bazianus,  Gandulphus,  Melen- 
dus,  Rodoicus  u.  a.  finden  sich  keine  Siglen  vor.  Wenn  Johnnnes 
Andreae  meint,  R.  könne  auf  Richardus,  Rufinus  und  Rodoicus  gehen, 
so  begeht  er  einen  Verstoss.  Man  war  nicht  so  ungenau.  Ich  habe 
stets  Ro.  R.  und  Ru.  bei  Citaten  sehr  gut  unterschieden  gefunden 
und  glaube  daher  absolut  das  Vorkommen  anderer  Siglen  als  der  auf 
Richardus  passenden  bestreiten  zu  dürfen.  Man  setzt  dem  vielleicht 
entgegen :  splche  konnten  in  anderen  Handschriften  als  den  von  mir 
eingesehenen  stehen.  Das  ist  möglich;  aber  wenn  17  Handschriften, 
welche  die  Glosse  in  allen  Gestalten  von  der  ältesten  bis  zur  jüngsten 
aufweisen,  eine  Ansicht  bestärken,  geht  sie  wohl  von  der  Behaupfaing 
zur  ziemlichen  Gewissheit  über.  Dazu  kommt,  wie  ich  bereits  früher 
angedeutet  habe,  dass  die  citirten  Stellen  sich  auf  Materien  oder 
Capitel  beziehen,  die  im  Dekrete  stehen.  In  der  That  lassen  sich 
denn  auch  die  Citate  Ton  Huguccio  u.  s.  w.  aus  seiner  Summe  er- 
weisem).  Was  Bazianus,  Gandulphus,  Melendus  u.  A.  be- 
trifft, so  liegt  die  Schwierigkeit  darin,  dass  man  bisher  weder  ihre 
Summen  kennt,  noch  ausgiebige  Kenntniss  von  ihren  Glossen  zum 
Dekrete  besitzt.  Ich  werde  in  einer  späteren  Abhandlung  bis  zu  einem 
gewissen  Grade  dem  abhelfen  und  dann  auch  für  manche  Citate  die 
Nachweise  liefern. 


<)  Habe  ich  dM  nicht  hei  aUen  fethan,  so  liegt  der  Grnnd  darin,  data  ein  aolches 
Citat  aich  an  den  Terachiedenaten  Stellen  finden  kann;  man  kann  aich  nnn  wohl 
bei  der  planroSaai^n  Lectfire  alle  SteUen  anmerken,  aber  nicht,  wenn  man  eine 
Stelle  ancht,  ein  Bnch  ton  474  Blittem  groaa  fol.,  das  unendlich  abgekfirit  ge- 
schrieben ist  (ao  Tiel  enthilt-aie  in  der  mir  gerade  vorliegenden  Bamb.  Handschr. 
P.  11.  2S.),  jedesmal  durchlesen. 


102  V.    Sc  hu  11  e 

44.  Wie  die  Zusammenstellung  des  %.  28  lehrt,  kommen  in  den 
meisten  Handschriften  die  Siglen  I.  la.  lau.  laur.  vor;  ein  Blick  in 
irgend  eine  Handschrift  mit  solchen  lehrt,  dass  dies  nicht  etwa  das 
eine  oder  andere  mal  and  somit  vielleicht  aus  Liebhaberei  des  Ab- 
schreibers geschieht,  sondern  stehend  ist,  dass  auf  derselben  Seite 
diese  Siglen  variiren.  Jedoch  sei  erwähnt,  dass  die  Sigle  la.  in  der 
Comp.  I.  zahlreicher  ist  als  lau.»  was  sich  auch  aus  dem  Folgenden 
erklärt.  Ich  habe  lange  darüber  geschwankt,  ob  die  Siglen  sämmt- 
lieh  auf  Laurent ius  gehen  oder  nicht,  bin  aber  jetzt  im  Reinen 
darüber,  dass  dies  nicht  der  Fall  ist,  aus  folgenden  Gründen: 

1.  Jede  Sigle  setzt  voraus,  dass  der  allgemeine  Usus  sie  auf 
eine  bestimmte  Person  beziehe.  Wäre  dem  nicht  so,  entstände  lauter 
Verwirrung.  In  der  That  finden  wir  dies  auch  im  römischen  wie  im 
canonischen  Rechte.  Nun  kann  aber  1.  la.  an  sich  auf  Lanfrancus, 
Laborans,  Laurentius  gehen,  I  a  u.  nur  auf  letzteren.  Es  wäre  also  in 
der  That  sonderbar,  für  diesen  eine  andere  Sigle  zu  gebrauchen,  als 
die  ihn  unzweifelhaft  bezeichnende  lau.  laur. 

2.  lau.  und  laur.  kommt  so  häufig  vor,  dass  man  kaum  an- 
nehmen kann,  man  habe  zur  Abwechslung  auch  1.  und  la.  geschrieben. 

3.  la.  lan.  ist  eine  hergebrachte  Abkürzung  für  Lanfran- 
cus/). Es  ist  nun  ausser  Zweifel,  dass  gerade  Lanfrancus  zu- 
gleich Civilist  und  Canonist  war*).   Ich  werde  dies  aus  der  dem- 
nächst bekannt  zu  machenden  Summa  des  Johannes  Hispanus  noch 
näher  darthun.  Dieser  citirt  ihii  als  Civilisten  stets  mit  dominus 
la.  oder  1  a n.,  als  Canonisten  schlechtweg  la.   oder  lan.   auf  gegen 
50  Seiten,  den  lau.  auf  33  Seiten  stets  constant,  und  setzt  wieder- 
holt in  derselben  Stelle  la.  und  lau.  in  Gegensatz  zu  einander.   Zu- 
gleich ist  daraus  der  Beweis  zu  liefern,  dass  I.  und  la.  identisch 
sind.  Es  bedarf  keines  Wortes  darüber,  dass  dieser  Schriftsteller» 
der  1236  schrieb,  nur  herkömmliche  Zeichen  gebrauchte.    Wenn 
man  nun  für  den  Canonisten  Lanfrancus  dieselbe  Sigle  I.  la.  lan.  ge- 
brauchte, die  dem  Civilisten  Lanfrancus,  d.  h.  derselben  Person  zu- 
kam, so  verstand  sich  das  wohl  von  selbst.  Ich  stelle  nun  zum  Be- 
weise des  Gesagten  ein  paar  entscheidende  Stellen  nebeneinandt^. 


0  T.  Savigay  6e«cb.  V.  8.  78  ff.  b«8.  Note  e.  f.  g. 
*)  Surigikj  «.  a.  0. 


r 


Litenturgescbichle  der  ComptUtiones  antiqnae  etc. 


103 


Apparatus  Tancredi.  Cod. 
Bamb.  P.  IL  6. 

ad  Tit.  de  in  iniegr,  resüt 

'semper  i.  e.  in  quolibet 
contractu  ubicumque  enormiter 
leditur  et  istud  semper.  Non  no- 
tat  tempus,  sed  humerum  et  mo- 
dum.  Quo  modo  ecciesia  resti- 
tuenda  est?  infra  quadriennium 
a  die  celebrati  contractus  et  non 
post»  quia  omnis  restitutio  fisci 
vel  privati  infra  quadriennium 
terminatur,  ut  C.  de  tempor.  in 
integr.  rest  I.  ult,  C.  de  sacros. 
ecci.  ut  inter  divinum.  Et  hoc 
dictum  approbat  la.  et  vin.  sed 
ala.  dixit,  quod  in  infinitum  resti- 
tuenda  est  sine  temporis  prefini- 
tione.  Alii  dixerunt,  quod  usque 
ad  XXVIIII.  annos,  ponentes  ec- 
clesiam  in  primo  die  minoris  eta- 
tis;  alii  usque  ad  XV.  an.  ponen- 
tes eam  in  anno  XIIII.  Sed  prios 
dictum  prevalet.' 


Summa  Johannis  HispanL 

Tit.  de  in  integr.  restit, 

l{estituitur  cum  est  minor 
at  factus  maioi"  infra  tantum  tem- 
pus»  quanto  est  lesus,  ...  et  hoc 
secundum  azo  et  dominumJo.  plac' 
et  alii  dixemni^  eam  semper 
usque  ad  quadriennium  posse. 
Hanc  credo  veriorem.  ut  C.  de 
tempo.»  invite  restit.  Numquid 
ultra  quadriennium  a  tempore 
lesionis?  L  et  t.  et  vin.  dixerunt, 
quod  non,  quia  amnis  restitutio 
infra  quadriennium  termmaturs 
ut  in  lege  praeallegata.  Sed 
obstat  eis  infra  eodem  c.  1 .  Sed 
ipsi  dicunt,  eam  uti  jure  minoris 
facti  majoris,  et  exponitur:  sem- 
per t.  e.  ubicunque  enormiter 
leditur.  alati  sine  prefinitione 
temporis  dixit  ecciesiam  restitu- 
endam»  quandocunque  probaret 
se  lesam;  alii  ponunt  ecciesiam 
in  priiAo  anni  minoris  et  dicunt, 
eam  posse  restitui  usque  ad 
XXIX  annos;  alii  dicunt,  eam 
restitui  usque  ad  XV*  annum  po- 
nentes in  XIIII.  anno.  Memini  me 
vidisse  decretalem  domini  6re- 
gorii  confirmantem  sententiam 
la.  et  suorum  sequacium»  sed 
quia  non  fuit  in  eompilatione 
posita,  presumo»  eam  cum  rero- 
casse.  Et  ideo  adherens  prime 
decretali  istius  tituli  dico  cum 
/ati.,  ecciesiam  sine  temporis 
prefinitione  posse  restitui'  cet. 


104 


▼.    Schulte 


Dass  Johannes  den  Tanered  vor  Augen  hat,  erhellt  sofort,  nur 
hat  er  nicht  blos  diesen  vor  Augen,  sondern  die  Glossen  unmittel- 
bar. Wenn  er  nun  1.  und  la.  für  identisch  nimmt,  la.  die  Mei- 
nung hatte,  die  Restitution  sei  hinsichtlieh  der  Zeit  beschränkt  auf 
das  quadriennium,  lau.  hingegen  sie  unbeschränkt  zugesteht,  wenn 
endlich  la.  ihm  den  Ciyilisten  und  Canonisten  Lanfrancus  bedeutet: 
so  ist  die  Identität  von  I.  und  la.  sowie  die  Verschiedenheit  beider 
von  lau.  ausser  Zweifel. 

Dasselbe  Resultat  ergibt  folgende  Stelle: 


Tancredus:  ad  c.  de  rector.  3.  de 
der.  aegrot.  Comp.  I. 

'Nou  ergo  prirabitur  prae- 
latus,  quia  non  sunt  ecclesiastica 
beneficia  temporalia  LV.  di.  pre* 
cepta,  ff.  de  adopt  siti.  .ff.  de 
hered.  insti.  hereditas,  ff.  de  reg. 
jur.  actus  legit.,  ff.  de  ma.  testa. 
libertas,  ff.  de  pec.  si  peculium 
§.  n.  Quod  verum  est.  kt^ 
gumentum  contra:  ff.  de  offi. 
pres.  si  forte,  VII.  Q.  I.  pastora- 
lis»  XII.  Q.  II.  vobis,  infra  de 
cterico  egrotante,  tua 
libri  11  i  contra:  infra  de 
concess.  preb,  ex  irans^ 
miasa  contra  /.  //.  Solutio: 
Hug.^y  dixit,  quod  nunquam 
substituitur  alius  vivo,  nisi  eo  re- 
nunciante.  baz.*)  distinxit,  utrum 


Johannes  Hispanus. 

'Quod  supra  dictum  est,  non 
'esse  aliquem  propter  egritudinem 
sine  culpa  sua  proveniente  remo- 
yendum,  sed  dando  [dandum]  ei 
coadjutorem,  verum  est  secun- 
dum  nos  in  omni  egritudine  in- 
distincte,  et  in  hac  sententia  fuit 
h>  et  lan.  Alii  sicut  ala,  et  t 
exceperunt  leprosum,  inducentes 
pro  se  infra  e.  tua,  sed  expresse 
eos  confundit  infra  e.  de  rectori" 
bus,  nee  illa  decretalis,  quam 
pro  se  inducunt,  eos  juvat.  Nam 
secundum  quod  dicit  lau.  [Dies 
ist  offenbarer  Schreibfehler  for 
lan.,  da  das  Folgende  wortlich 
die  Gründe  enthält,  die  für  des 
laq.   Ansicht  sprechen  und  die 


^)  Die  hier  H«g.  beigelegte  Meinung  steht  in  deeaen  Samme  ad  c.  robis  XTI.  q*  2, 
wo  auch  die  Worte  ^n«  afflictio  adderetur  afflicto'  Torkommen. 

<)  Im  Cod.  Trerir.  906  des  Decr.  Grat,  steht  au  c.  4.  C.  VU.  q.  1.  folgende  Gloaae: 
V.  abjieiendii  ^Vacst  p'oQ(.  traditio  aaaerentiuoi  incurabillter  egrotanten  ad  re- 
nuntiandum  ecdeaie  poaae  compelll  et  eo  potente  rel  non  petente  aliam  poaie 
atitui.  cum  nnlli  ante  peccatnm  pena  ait  infligenda  .  .  .  Bar.^  Zo  dem  Worte 
eipiendutn  ateht  ron  deraeiben  Hand :  *ar.  qnod,  cnm  dicitnr,  aljnm  in  locaai  riren- 
tia  epiacopi  non  poaae  aubatitui,  inteUigi  debet  de  cnrabiU  egritudine.^ 


Literaturgeschichte  der  Compilationes  aotiquae  etc. 


105 


bei  Tancred  die  mit  1.  gezeich- 
nete Glosse  entwickelt],  si  pre- 
cipitur,  quod  remoYeatur  lepro- 
sus  ab  administratione,  que  in 
jus  resonat  tale  enim  retinebat, 
sed  remoTetur  ab  illa,  que  con- 
sistit  in  actu'  cet. 


morbus  sit  curabilis  nee  ne,  ?ios 
dicimus,  quod,  quamdiu  po- 
test  remanere  in  suo  collegio» 
non  substituitur  ei  alius»  ut  hie; 
si  vero  non  poterit,  suhstituitur 
ut  ibi.  Sic  etiam  mutatur  judex» 
si  operam  iudicio  dare  non  potest 
infirmitate  vel  alia  causa,  ut  ff. 
de  judic.  si  longius.  De  hac  ma- 
teria  plene  notavi  infra  eodem 
tiiulo  libri  II.  t." 

Ad  c.  tua  de  der.  aegrot. 
Comp.  II.  Tidetur  ergo,  quod 
debeat  amoveri  a  dignitate  prop- 
ter  lepram.  Quod  in  lepra  dicunt 
quidam  esse  speciale  ut  bic;  in- 
fra de  concess.  praeb.  et  ec.  non 
va.  ex  transmissa.  Ego  potius 
dicerem,  ne  addatur  afflicto 
aÜDictio,  eum  adhuc  remanere 
prelatum,  et  quod  dicit  hie: 
'adminkiraiionis  officio  etc,\ 
die,  quod  seil,  est  in  actu,  officium 
autem  administrationis,  quod  in 
ius  resonat,  retinebit,  et  dabitur 
ei  coadjutor:  infra  e.  t.  c.  uno 
libri  III.  /.  §.  Sed  prima 
opinio  mihi  melior  vide- 
tur,  ut  pro  lepra  removeatur  ah 
administratione  et  alius  substi- 
tuatur,  sicut  nuper  factum  vidi- 
mus  de  cappellano  sancte  iuste 
bon.,  quod  approbatum  fuit,  sicut 
accepimusy  per  dominum  papam^ 
et  pro  Visum  fuit  in  victu  [?]  de 
rebus  ecclesie  donec  vixit  • . .  // 

Tancred  (Cod.  Bamb.  P.  II.  6.)  zu  c.   quaestioni  de  appell. 
Comp.  I.  V.  reducendis:  'cum  ist!  redigantur  in  priorem  sententiam; 


106  V.    Schul  te 

numquid  iterum  exigetur  ab  eis  juramentum  standi  judicio  ecclesie, 
cum  semel  dejeraverit?  lau.  dicit  quod  ita.  Ar.  contra  XXII.  Q.  V. 
parvuli,  sed  ibi  non  admittuntur  ad  commodum  suum.  Item  ar. 
contra  II.  Q.  VII.  non  poterit,  sed  illud  autequam  peniteant.  la.  Mihi 
videtur,  quod  aliam  cautionera  pignoratitiam  Tel  fidejussoriam  pre- 
stabit»  quoniam  decretalis»  que  in  hoc  eodem  easu  loquitur,  dicit  quod 
ydoneam  et  sufficientem  eautionem  prestare  debet;  infra  e.  t.  signi" 
ficavit  I.  IL,  et  nomine  ydonee  cautionis  pignoratia  vel  fidejussoria 
intelligatur  .  .  .  t* 

Nach  diesen  Beweisen  halte  ich  für  ausgemacht,  dass  Lan- 
francus  und  Laurentius  Glossen  ^gemacht  haben. 

45.  In  den  Handschriften  kommen  Siglen  vor  mit  P.,  p.  und  es 
fragt  sich,  ob  diese  auf  Petrus  Hispanus,  einen  älteren  oder  auf 
Petrus  Collivacinus  gehen?  Im  Hinblicke  darauf,  dass  im  §.  39  dar- 
gethan  ist,  dass  Petrus  Hispanus  selbst  einen  Petrus  citirt,  auch 
sonst  der  erstere  mit  dem  Beiworte  Hispanus  bezeichnet  wird  (§.  39. 
num.  3.  Note),  dass  an  Petrus  Colliyacinus  nicht  zu  denken  ist,  da 
Alanus  den  P.  citirt.  darf  man  die  Sigle  P.  unbedenklich  auf  den 
altern  Petrus  beziehen. 

46.  Zum  Schlüsse  soll  noch  in  Kurze  eine  Beschreibung  des 
Apparates  von  Tancred  folgen.  In  vielen  Handschriften,  z.  B.  den 
unter  3.,  4.9.  genannten,  hat  der  Apparat  die  Schlussworte :  ^ExpUeit 
9umma  TancredV  Obwohl  andere  (Trierer  Codex  864.  Bamb. 
P.  IL  6.)  diese  nicht  haben,  ist  ihnen  dieselbe  Einleitung  gemeinsam 
und  enthalten  sie  unzweifelhaft  Tancreds  Apparat.  Die  von  Vincen- 
tius  herrührende  Einleitung  lautet : 

Juste  htdicate  filii.  Formavit  deus  hominem  ad  imaginem  et 
similitudinem  suam,  ut  XXXIII.  q.  V.  haec  imago,  Fuit  autem  crea- 
tus  in  prefecta  aetate  seil,  virili,  ut  de  pe.  di.  IL  §.  Romanos,  in 
illo  versiculo  nemo.  Fuit  ergo  necessarium,  ut  haberet  jura,  per 
quae  regeretur,  et  ideo  creatum  fuit  ius  naturale  in  principio,  ut  d. 
h.  §.  1 .  h.  et.  plura  erant  negotia  quam  Tocabula  ideo  constitutiones 
necessariae  erant.  Habuerunt  enim  initium  a  Moyse,  ut  d.  VII. 
Moy  ses,  deinde  a  sanctis  patribus,  ut  XV.  d.  c.  L  et  quia  non  omnia 
poterant  comprehendi  in  decretorum  corpore,  ut  d.  XIX.  n  roma- 
norum»,  ideo  magister  B.  Papiensis  praepositus  hoc  opus  comp!- 
lavit,  cuius  intentio  est  extravagantia  Romanorum  pontificum  et  aueto- 
ritates  novi  et  veteris  testamenti  compilare  sub  titulis.  Materia  sunt 


Literaturgeschichte  der  CompiUtionea  antiquae  etc.  107 

istae  constitukiones  seu  decretales;  utüiias^  ut  sciamus  discernere 
inter  aequum  et  iniquum.  Modus  agendi  talis  est:  diridit  opus  in 
quinque  partes,  in  prima  tractat  de  constitutionibus  et  rescriptis  et 
judicibus  et  offieiis  eorum»  in  secunda  de  judieiis  et  cooperationibus 
ad  judicia,  seil,  testibus  et  instramentis,  in  tertia  de  vita  et  honestate 
clericorum  et  rebus  eorum»  in  quarta  de  spons.  et  inatrim.  et  impedi- 
mentis  eorum,  in  quinta  de  aceusationibus  clericorum  et  criminibus 
6t  poenis  eorum.  Dicit  ergo  juste  jud»  etc.  Vin,*  Auf  diese  Einlei- 
tung beginnt  der  Apparat  also :  §.  casus  in  prima  parte  ponit  aucto- 
ritatem  evangelicam,  in  secunda  officium  jurisperiti,  in  tertia  inten- 
tionem  suam.  Vin.  fadem,  i.  e.  superficiem.  Sed  cuncta  rimari 
debet,  ut  XXX.  q.  V.  judicantem  [c.  11.],  vel  litigantium,  ut  ff.  de 
officio  praesidis,  obserrandum  [I.  19.  Dig.  I.  18.]  et  XXIIL  q.  Uli. 
est  iniusta  [c.  33],  yel  faciem  alterius  partis,  paritas  enim  obser- 
vanda  est  in  iudiciis  IUI.  q.  IUI.'  c.  1.,  extra  lU.  de  iud.  novit  [cap. 
3.  de  jud.  IL  1.  CompUaiumis  tertiae^.  C.  de  praepositissacrorum 
scriniorum  in  sacris  1.  XII.  [ist  1.  12.  C.  XII.  19.].  £/  Folgen  noch 
Glossen  zum  Eingange  von  £.  und  Vin. 

§.  Canonum  non  abrogatorum;  abrogati  enim  non  sunt  ser- 
vandi,  qualis  est  ille  XXYI.  d.  c.  1.  et  XXXVI.  q.  ult.  c.  ult.  et  §. 
ult.,  j.  de  purgatione  vulgari  c.  ult  t.  ab  omnibus  subditis,  nam 
Imperator  et  papa  legibus  non  sunt  ligati,  ut  C.  de  legibus,  digna 
Tox  p.  4.  C.  I.  14.],  VIII.  d.  quae  contra  [c.  2.].  t.* 

Zu  c.  3.  de  rescr.  yerbo  in  expensis,  ar.  victum  rictori  in  ex- 
pensis  condemnandum,  ut  lU.  q.  I.  in  primis  [c.  1.]  UI.  q.  III.  quod 
tieri  non  debet,  j.  de  appell.  reprehensibile,  C.  de  judic.  pro^ 
perandum  §.  sive  alter.  [1.  13.  §.  6.  C.  III.  1.],  ar.  contrarium 
a  sensu  contrario  ff.  dejud.,  eum  qui  temere»  C.  de  fructibus  et 
litis  expensis,  non  ignoramus.  Solutto:  cum  utraque  pars  bona  fide 
litiget,  neutra  pars  alteri  reficit  expeusas,  secus  cum  altera  pars 
temere  litigaverit,  ut  innuitur  in  aut,  de  judieiis*  %>  oportet.  [Not. 
82.  c.  10.].  In  hac  opinione  sunt  hodie  multi,  bona  enim  fides 
praesumiter  ex  quo  iurarit  de  calumnia,  donec  probetur  con- 
trarium. /{.' 

Zu  c.  Cum  ineunctis  16.  de  elect  [c.  7.  x.  I.  6.]  rerbo  remo' 
ceantur  <):  'supra  LXXIIII.  d.  consuluit  contra.   Solutio:  cum  iste 


*)  Auch  in  die  Gloasa  ordinaria  auf^eaomnen. 


108  T.    Schulte 

susceperit  alterum  connexorum,  tenetur  ad  reliquum,  in  aliis  autem 

clericis  secus.  R canones  ut  puta  factus  est  irregularis  sine 

culpa  sua  post  investituram.  R. 

Zu  c.  2.  Sane  super  eo,  de  iemp.  erd.  [c.  2.  x.  I.  11.].  verbo 
mtUtUudo  9>  'ftr*  quod.  multitudo  dispensationem  inducit  d.  L.  ut 
constitueretur,  I.  q.  VII.  quotiens,  v.  ob  populum  multum  crimen 
transibit  inultum  ut  XLUI.  [recte  XLIV.  c.  1.]  d.  comessaiiones.  In 
multitudine  tarnen  illis  non  parcetur,  quos  magis  causam  delicti  esse 
constiterit,  j.  de  clerico  excom.  ministrante»  latores.  i.  §.  ecce,  quod 
ob  scaudalum  aiiquid  omittitur  impunitunit  quod  alias  omittendum 
non  erat ,  quod  ita  deinde  recte  fit,  ut  veritas  non  offendatur,  quae 
triplex  est,  seil,  iustitiae,  doctrinae  et  bonae  yitae;  iustitiae  quoad 
judicem,  doctrinae  ad  praelatum,  bonae  vitae  ad  quemlibet  pertinet, 
quum  utilius  scandaluni  nasci  permittatur,  quam  veritas  reiinquatur: 
j.  de  reguiis  juris»  qui  scandalizaverit.  p. 

Was  die  Glossa  ord.  zu  c.  7.  x.  de  fil.  presb.  I.  17,  v.  media 
von  'nota*  bis  'sunt  specialia'  hat,  ist  mit  R.  gezeichnet.  Dieselbe 
Sigle  (R.)  ti*ägt  das  in  der  Glossa  ord.  ad  c.  4.  de  causis  X.  de  off. 
et  pct.  jud.  de),  verbo  eandem  infligas,  zu  c.  1.  de  maj.  et  obed.  t. 
fuerii  'ar.  qui  potior*  cet.,  zu  c.  3.  X.  de  pactis  u.  s.  w.  Mit  p.  ist 
gezeichnet  die  in  der  Glossa  ord.  zu  c.  1.  X.  de  frig.  et  matef.  sub 
V.  probari  enthaltene.  Die  in  der  Glossa  ord.  mit  Bern,  gezeichnete 
Glosse  zu  c.  significasti  5.  X.  de  adult.  et  stupro  \,  16.  v.  imponens 
ist  auch  hier  mit  b*  gezeichnet. 

Einige  grössere  Glossen  werden  die  Methode  Tancreds  noch 
besser  veranschaulichen. 

Zu  c.  1.  de  restitut.  spoliat. 

'SoUicite.  Spoliattant  Eo  ipso  quod  spoliatus  renuntiavit,  prae- 
sumitur,  quod  invitus  et  coactus  renuntiavit  et  ideo,  quia  praesumtio 
est  pro  eo,  ideo  prius  sunt  audiendi  testes  iilius«  quam  partis  ad- 
versae.  Si  vero  non  erat  spoliatus,  non  est  praes.  pro  eo,  etillo  casu 
adversae  partis  prius  audiuntur,  ut  dicetur  in  eontr.  j.  e.  t.  si  per 
hoc  I.  [libri]  IL  t  Si  pluribus  forte  videtur  esse  aliud  si  pluribus 
vicibus  renuntiavit  ar.  VI.  q.  I.  imitdtae;  sed  idem  est  ac  si  s^el: 
ff.  de  verb»  oblig.  qui  bis  idem  [I.  18.],  ff.  de  leg.  I.,  sed  ita  quis, 
XXXL  q.  II.  L  0 1  h  a  r  i  u  s.  1^  I  it  0.  De  iuramento.  Qualiter  contra  iuram. 


1)  Siehe  dieselbe  10011  Id  der  Glossa  ordinsri«. 


Li temt Urgeschichte  der  CompÜationes  aiitiquiie  etc.  1  09 

tuum  venire  permittatur,  quaere  infra  de  jurej.  verum,  1.  IL,  ihi  plene 
notatum  invenies,  quid  juris  sit  de  iuramento  metu  extorto.  t  Simife. 
infra. e.  e.  prox.  contra,  Solutio  ibi.  qtiod  violenter],  e.  t.  conquestus 
contra  1.  III.  Solutio:  licet  in  utroque  dicatur,  quod  spoliatus  renunti- 
averit,  tamei)  hie  dicebat,  se  metu  renuntiasse,  quod  probare  volebat, 
ibi  yero  non  allegabat  rnetam,  Tel  si  allegabat  nolebat  probare.  t. 
spoliatus.  Quid  si  spoliatus  aliquis  fuerit  per  annum  nee  egit,  ut 
restitoeretur»  numquid  postea  aget?  Videtur  quod  non,  quia  inter- 
dictum  actio  praetoria  est,  temporariae  actiones  anno  exspirant: 
Inst,  de  perp.  et  temp.  act.,  in  prini.  Resp.  praetoriae  actiones  tem- 
porales sunt  quoad  poenam,  perpetuae  quoad  rei  persecutionem :  IT. 
de  act.  et  obl.,  in  honorariiSf  ff.  de  iu  et  iu.  ar.  1.  I.  in  prin.,  immo 
secnndum  canones  dico,  etiam  ad  damnum  sive  poenam  perpetuo  agi 
posse,  quia  conditio  temporis  opponi  potest :  III.  q.  I.  reintegranda. 
laur.* 

c.  31.  qua  fronte  de  appellat.  ' conqueruntur  tibi  o  archiepis- 
cope  et  est  ar.  quod,  si  per  querelam  excommunicatio  ad  superiorem 
deferatur,  potest  ab  eo  absolvi.  ar.  IX.  q.  IUI.  nunc  vero  et  VIII.  q. 
III.  Artaldus^  supra  de  off.  jud.  ord..  quacsitum,  infra  de  sent.  excom. 

per  tüas  I.  III,  ala.^} [folgen  Gl.  von  t.  und  laur.]  .  .  ^ra- 

dendum.  videtur  quod  hoc  stare  non  posset,  quoniam  ei  vivo  com- 
municamus,  ergo  et  mortuo  communicare  debemus  ut  XIX.  q.  IL  sane. 
Item  alia  sacramenta  ei  concessa  sunt,  ergo  et  illud  non  debet  ei 
denegari.  Praeterea  heres  non  capit  dilationem,  ergo  non  tenet 
appellatio,  ut  ff.  de  appell.  recip.  1.  II.,  1.  ult.  et  snpra  §.  prox.  et 
leges  buic  loco  expresse  contradicunt:  C.  de  sepulcro  violato  I.  ult., 
in  outen,  ut  cum  de  appellat.  cogno.,  %,  meminimus  coli.  VIII.,  in 
auten.  ut  defuncti  seu  fund.  coli.  V.  Solutio :  quod  supra  dictum  est, 
jus  commune  est  enim  hie  dominus  papa  respondet  secundum  consue- 
tudinem  Anglicorum  et  hoc  notaverunt  B,  et  ala„  quibus  tanquam 
anglicis  est  credendum.  vinc*),  Distinxit,  utrum  ex  contractu  teneatur 
et  sie  non  debet  impediri  sepultura,  an  ex  maleficio  et  tunc  impeditur 


t>  Der  Apparat  des  Alan o 8  in  Cod.  Hai.  Ye  S2  hat  die  beiden  letzten  Citate  nicht. 

Schon  hieraua  und  daraus,  data  Alanos  nie  üb.  H.   oder  III.   citirt,  folgt,  das« 

Tan  cred  die  Citate  der  iltem  Glossatoren  erginzt. 
2)    Alanas  hebt  blos  herror,  dass  der  Papst  Secundum  consnetudinis  alicuius  regio- 

nis^  rede. 


110  V.    Schulte 

Tel  istud  cum  praesumitur  de  malitia  heredum.  Ego  credo,  hoc  qaod 
hie  dicitur,  locum  habere,  quando  defunctus  fuit  condemnatus  in  tita 
de  iiirto,  rapina  vel  usura,  vel  crimen  eius  erat  notorium  et  noloit 
satisfacere  in  vita,  et  quod  in  contrariis  dicitur»  obtinet  regulariter, 
hoc  autem  casuale  vel  locale.  t\ 

Zu  c.  ult.  de  praescript.:  'Causam.  Concessione.  'aupple  de 
nova  facta  post  constitutionem  Lateranensis  concilii,  quam  habes 
iftfra  de  decimis  prohibemus;  indecorum  eniro,  quod  toleratur. 
laicos  habere  decimas :  extra  III.  de  decimis  tua  nobü.  t  ecclesioi- 
ticae.  quaero,  an  ex  dispensatione  episcopus  possit  decimas  iaico 
concedere?  vel  aliud  beneficium  ecciesiasticum.  Resp.  non  quod 
titulum  habeat  ad  modum  clerici :  exira  IL  de  instit.  in  ecdesia. 
Non  canonice  posset  ad  tempus  ex  iusta  causa»  puta  causa  alimoniae, 
si  est  pauper,  sed  non  in  perpetuum,  ut  X.  q.  I.  c,  penult.  et  c.  ult.. 
infra  de  decimis  quamvis  grave  I.  IL  ala.  detinere  ciriliter»  nsm 
naturaliter  possidebat ;  exigitur  ergo  civilis  possessio  ad  praescrip- 
tionem,  quia,  ut  domini  legistae  dicunt,  illa  sola  germinat  prolem: 
ar.  Inst,  per  quas  pers.  nob.  acquir.  §.  Sed  bonae  fidei.  lanr 
praeseribere  quam  memo  obicit,  nisi  qui  possidet:  supra  de  probat. 
ex  litteriSf  nee  procedit  sine  possessione :  ff.  de  usucap.  I.  IIL  f.* 

Der  Cod.  Bamb«  P.  IL  6.  enthält  im  Ganzen  den  Apparat 
Tancreds  gerade  so»  wie  er  hier  beschrieben  ist.  Im  Einzelnen 
ist  jedoch  vielfach  eine  Abkürzung  zu  bemerken,  eine  Nachtragnng 
der  Citate  spaterer  Dekretalen,  die  Anpassung  der  Citate  (x.  L,  I.  L) 
auf  die  Zeit  nach  dem  Erscheinen  der  Comp.  IL  und  IIL  In  ihm 
sind  dann  noch  viel  später  zahlreiche  Nachträge  gemacht,  weiche 
zum  Theile  mit  d-  gezeichnet  sind.  Diese  haben  mit  der  Glosse  als 
solcher  nichts  zu  thun,  weshalb  ich  sie  übergehe. 

F.  Resultate.  Entstehungszeit  mit  der  Glosse. 

47.  Im  Vorliegenden  ist  bewiesen,  dass  als  eigentliche  Glossa- 
toren der  Comp,  prima  bez.  als  Verfasser  von  Apparatus  oder 
Lecturae  über  sie  anzusehen  sind:  Bernardus  Papiensis, 
Richardus  Anglicus,  Petrus,  Petrus  Hispanus,  Gilber- 
tus,  Alanus,  «Tohannes  Galensis,  Lanfrancus,  Lauren- 
tius,  Vincentius,  Tancredus.  Ob  Bernardus  Compostel- 
lanus  (antiquus)  sie  auch  glossirt  hat,  konnte  ich  mit  Sicherheit 
trotz   der  Menge  von  Handschriften,   welche  mir  zu  Gebote  stand. 


Literaturgeschichte  der  Compilationes  antiquae  etc.  111 

nicht  direct  aus  den  glossirten  Handschriften  der  Comp.  I.  mit 
Sicherheit  feststellen.  Denn  die  Sigle  b.  he.  b.'  bn.  paßt  auf 
beide.  Citate  von  Dekretalen  Innocenz  III.,  die  Bemardus  Papien- 
sis  nicht  hätte  kennen  können,  habe  ich  in  seinen  Glossen  nicht 
gefunden.  Wäre  dem  aber  auch  also  und  wollte  man  nicht  an- 
nehmen —  ich  thue  dies  auch  nicht,  —  dass  Bernhard  in  späteren 
Jahren  etwa  sie  revidirt  habe:  so  bildete  ein  solches  Vorkommen 
keinen  Beweis,  weil,  wie  sich  bereits  wiederholt  gezeigt  hat,  Citate 
von  Späteren  in  den  altern  Glossen  zugesetzt  wurden.  Gleichwohl 
halte  ich  für  sicher,  dass  er  darüber  gelehrt  und  deshalb  auch 
Glossen  dazu  gemacht  hat,  da  er  bei  Späteren,  insbesondere  Job. 
Hispanus,  wie  ich  in  einer  anderen  Abhandlung  darthun  werde, 
und  Johannes  Andreae  ausdrucklich  genannt  wird.  Ein  Gleiches 
gilt  von  Guilelmus  Naso,  der  vielleicht  nicht  als  Glossator  im 
eigentlichen  Sinne  erscheint,  aber  sicher,  wie  ich  darthun  werde, 
eine  lectura  gemacht  hat,  woraus  Bernardus  Parmensis  schöpfte. 
Signirte  Glossen  finden  sich  in  den  vom  mir  benutzten  Handschriften 
nicht  Damasus  hat  schwerlich  eigentliche  Glossen  geschrieben; 
die  Citate  beziehen  sich  auf  Stellen  aus  der  Summe  und  den 
Quästionen. 

Alle  anderen  früher  genannten :  Huguccio,  Bazianus,  Silvester 
Rufinus,  Gandulphus,  Melendus,  Johannes  Faventinus  u.  s.  w.  können 
nicht  als  Glossatoren  der  Comp.  I.  erscheinen.  Die  meisten  haben 
sie  gar  nicht  gesehen;  die  Citate  der  übrigen  beziehen  sich  auf 
Erörterungen  in  ihren  Summen  bez.  Apparaten  zum  Dekret. 

48.  Was  die  Zeit  der  Abfassung  betriflft,  so  halte  ich  für 
sicher,  dass  Bernhard  von  Pavia  als  erster  Glossator  anzu- 
sehen ist,  weil  1.  seine  Glossen  durchweg  den  primitivsten  Charakter 
haben,  meist  in  Citaten  und  kurzen  Erklärungen  bestehen ;  2.  seine 
Thätigkeit,  wie  die  Summa  und  Casus  zeigen,  sich  ganz  auf  die 
Sammlung  concentrirte  und  es  jedenfalls  eigenthümlich  wäre,  wenn 
er  sie  nicht  auch  als  Lehrer  behandelt  hatte;  3.  er  von  den  Spätem 
anfangend  von  Richardus  citirt  wird.  Seine  Glosse  selbst  dürfte  in 
die  erste  Zeit  nach  dem  Erscheinen  zu  setzen  sein,  weil  1.  sie  sich 
ziemlich  gleich  in  den  Handschriften  findet,  2.  es  unwahrschein- 
lich ist,  dass  er  als  Bischof  noch  gelehrt  habe,  die  eigentliche 
Glosse  aber  dies  behufs  ihrer  Verbreitung  offenbar  voraussetzte, 
3.  deren  Citate  über  die  Comp.  I.  nicht  hinaufgehen,  4.  kein  voll- 


112  V.    S  c^h  u  I  t  e 

ständiger  Apparat  vorliegt.  An  Bernhard  sehliesst  sich  Richard, 
dessen  Glosse  in  das  Ende  der  90ger  Jahre  des  XII.  Jahrhunderts 
fallen  dürfte <).  Grönde  dafür  sind:  Die  Benutzung  in  der  Glosse 
zur  Collectio  Gilberti,  die  frühen  Citate  aus  ihr  und  selbst  tod 
Huguccio»  der  Charakter  der  Glosse  und  die  Unbekanntschaft  mit 
Dekretalen  von  Innocenz  III.  In  das  Ende  des  XIL,  den  Anfang  des 
XIII.  Jahrhunderts  fallt  die*  Glosse  des  altern  Petrus,  den  Petrus 
Hispanus  und  Aianus  citiren;  diese  beiden  selbst  dürften  als  Glossa- 
toren» neben  denen  Gilbert  wohl  gleichzeitig  erscheint,  im  ersten 
Dezennium  des  XIII.  Jahrhundert  gewirkt  haben.  Die  Wirksamkeit 
aller  übrigen  fällt  etwa  von  1208  aufwärts.  Aianus  hat  seinen 
Apparat  bestimmt  vor  1210  gemacht,  da  er  die  Comp.  II.  und  HI. 
nicht  kennt,  wie  obeh  wiederholt  gezeigt  wurde.  Die  von  ihm  be- 
nutzte Sammlung  der  Dekretalen  der  Päpste  vor  Innocenz  III., 
welche  nicht  in  der  Comp.  II.  stehen,  und  der  von  Innocenz  III.  selbst, 
ist  die  Sammlung  Gilberts  und  seine  eigene.  LaurenCius  hat  wohl  am 
dieselbe  Zeit  gelehrt,  was  sich  schon  daraus  ergibt,  dass  er  Lehrer 
Tancreds  war.  Lanfrancus  ist  Zeitgenosse  von  Aianus,  Lau- 
rentius,  Vincentius  und  Tancred.  Vincentius  und  Tan- 
cred  haben  ihre  Apparate  wohl  ziemlich  gleichzeitig  gemacht, 
jedoch  ist  der  des  letztern  der  spätere,  da  er  den  von  Vincentius  er- 
gänzt. Letzterer  fällt  ohne  Zweifel  nach  1210,  weil  er  nach  allen 
Handschriften  die  Comp.  II.  und  III.  fortwährend  citirt.  Tancreds 
Apparat  selbst  fallt  vor  das  vierte  lateranensische  Concil  (11.  bis 
30.  November  1218),  weil  er  keine  der  wichtigen  auf  demselben 
erlassenen  Dekretalen  über  die  Ehe,  den  Process  u.  s.  w.  citirt. 
Dies  aber  zu  unterlassen,  wenn  sie  bereits  esistirt  hätten,  wäre 
geradezu  unmöglich  für  einen  Mann  von  Tancreds  Bedeutung  ge- 
wesen. Somit  dürfte  er  in  die  Jahre  1214,  121o  fallen,  was  durch 
seine  eignen  später  anzuführenden  Andeutungen  bewiesen  wird. 

Tancreds  Apparat  sah  man  bis  auf  die  Gregorianische  Com- 
pilation  als  stehenden,  als  Glossa  ordinaria  an.  In  ihm  war  auch  in 


')  FOr  seine  ThMtigkeit  durfte  aich  als  sicher  auf  Grundlage  der  obigen  Daten  nad 
der  über  die  Sammlnng  Gilberts  gemachten  Glosse  (SÜs.  Ber.  1.  c.  Seite  19  f.)  h«r- 
aosstellen,  dass  er  xnerst  die  Distinctionen  machte,  die  im  Gänsen  ao* 
S  i  c  h  a  r  d  entnommen  sind  und  auch  den  Charakter  ton  Glosaen  haben,  so  weit 
man  Parallelstellen  u.  s.  w,  dahin  rechnet,  dann  die  Glosse  und  xuletst  seinen 
Ordo  judieiariut. 


Literatorj^eschichte  der  ConipiUtione.i  antiquae  etc.  113 

der  That  auf  Grundlage  der  vorausgehenden  Literatur  enthalten, 
was  irgendwie  auf  dem  engen  Rauroe  einer  Glosse  sich  über  die 
Dekretalen  sagen  Hess.  Er  hatte  zudem  einen  Umfang  gewonnen, 
der  kaum  auszudehnen  war.  Es  kann  uns  daher  nicht  wundern, 
wenn  wir  später  Citate  finden,  die  von  einer  glossa  prima^  secunda 
u.  s.  w.  zu  irgend  einem  Capitel  reden,  bevor  die  Gregorianischen 
Dekretalen  erschienen  waren.  Nachdem  diese  eine  Glossa  ordi- 
naria  erhalten,  hört  die  unmittelbare  Benutzung  der  früheren  Appa« 
rate  zum  Schaden  der  Jurisprudenz  mehr  und  mehr  auf. 

IV.  Glossen  und  Apparate  der  Gompilatio  secunda. 

49.  Ungleich  rascher  vollzog  sich  die  Abfassung  von  erschöp- 
fenden Apparaten  zur  Compilatio  «secunda  und  tertia;  der  Zeitraum, 
welchen  ihre  Abfassung  umfasst,  ist  ein  sehr  kurzer,  wie  sich  bald 
zeigen  wird.  Für  beide  findet  die  Glosse  in  der  allgemein  aner- 
kannten Form  ihren  Abschluss  mit  Tancreds  Apparat.  Was  später 
hinzukam,  das  besteht,  wie  die  Handschriften  lehren,  nur  in  Excerpten 
aus  altern  und  neueren  Summen,  Nachträgen  von  Citaten  u.  dgl.  m. 
Es  kann  diese  auf  wenige  Jahre  eingeschränkte  Thätigkeit  kaum 
Verwunderung  erregen,  wenn  man  bedenkt,  daß  alle  in  die  Comp.  II, 
aufgenommenen  Dekretalen  längst  bekannt  waren,  in  Sammlungen, 
die  allgemein  zugänglich  waren,  standen  und  so  in  den  Apparaten 
zur  Comp.  I.  ihre  Würdigung  gefunden  hatten.  Mit  den  Dekretalen 
der  Comp.  III.  verhält  es  sich  im  Wesentlichen  geradeso.  Dies  aber 
hat  bewirkt,  dass  wir  sehr  wenige  Handschriften  mit  anderen  als 
Tancreds  Apparaten  finden.  Ich  darf  daher  diesen  Apparat  meiner 
Beschreibung  bei  beiden  Compilationen  zu  Grunde  legen. 

50.  Die  Arbeit  Tancreds <)  besteht  nach  dessen  eigner  An- 
gabe in  einer  Benutzung  aller  früheren  Glossen,  bietet  uns  deshalb 
für  die  Feststellung  mancher  Punkte  sichere  Daten.  Aus  diesem 
Grunde  theile  ich  vorzugsweise  solche  Stellen  mit,  die  zugleich  ein 
weiteres  literarhistorisches  Interesse  haben. 

Tancred  hat  seiner  Angabe  gemäss«)  die  von  anderen  her- 
rührenden   Glossen    mit    deren    Siglen    versehen,    selbst    wenn 


^)  In  «inxelnen  Handschriften  (x.  B.  Bamb.  P.  II.  10.)  endigt  der  Apparat  mit  ^Expli- 

cit  tumma  Taneredi,^ 
^)  Die  Steile  iat  abgedruckt  in  dem  folg^endeu  Abschnitte. 

SiUb.  d.  phil.-hist.  Cl.  LXVI.  Bd.  I.  Hft.  8 


114  T.  8  ch  ttl  te 

mehrere  Glossen  rorhanden  waren.  Wir  finden  nun  auch  in  der 
That  in  diesen  Handschriften  viele  Stellen»  in  denen  mehrere  Namen 
vorkommen,  z.  B.  im  cap.  Super  eo  de  transact  v.  meminimus,  cap. 
significavU  de  clerico  aegrot.  vel  debilit. «)  stehen  ü.  L  a.  (fol.  11* 
des  Cod.  Marb.),  c.  Robertus  de  rescriptis  v.  noii  desisiat;  R. 
L  L.9  so  dass  Tanered  nichts  that,  als  sie  einfach  hersetzen.  Sehr 
viele  Glossen  in  diesen  Handschriften  tragen  daher  blos  eine  Sigie, 
die  meisten  von  Alanus  und  Laurentius,  abgesehen  Yon  denen, 
welche  mit  Tancreds  Sigle  versehen  sind,  oder  gar  keine  haben. 
Rucksichtlich  der  Glossen  Tancreds  scheint  kein  consequentes  Ver- 
fahren obzuwalten.  Denn  bald  steht  seine  Sigle  am  Ende,  wenn  die 
Glosse  sich  auf  Fremde  stutzt,  bald  nicht;  bald  steht  sie  unter  neuen 
Glossen,  bald  nicht.  Die  folgenden  Glossen  geben  hinlängliche  Aus- 
kunft über  diese  und  andere  Punkte  *). 

1.  'cul  aud.  n,  te  sign,  de  rescr.  [c.  11.  x  L  3.]  v.  tu  eon- 
strucHone:  c.  lau.  notavit,  quod  instrumenta  vel  privilegia  propter 
falsum  latinum  non  vitiantur.  ar.  de  cons.  di  IIIL  si  non  sanctificatur, 
ff.  de  manumissis  t  qui  habebat  [}.  54.  D.  XL.  4.],  si  rescripti 
inutilia  iu.  dicuntur  propter  Vitium  simile  constitutionis  ratione  posita 
in  glosa  albertf^y 

2.  Zu  c.  in  pres.  de  reuunt.  v.  praesumi  [c.  6.  X.  I.  9.] 
* .  . .  Contra  Jo.  b.  [der  Legist  Johannes  Bassianwi]  qui  dixit,  in 
causa  ap.  victorem  necesse  habere  probare  iustam  esse  sententiam: 
ut  videtur  dicere  lex,  quod  non  aliter  potiantur  victores  sententüs 
quam  si  eas  recte  habere  monstraverint.  in  outen,  de  his  qui  ingre- 
diuntur  ad  ap.  §.  illud.  Ergo  melius  est  dicere,  quod  semper  seo- 
tentiae  standum  sit,  nisi  appellans  doceat,  se  iuste  appellasse,  ut 
C.  de  ap.  qui  ad  dviUa^  et  arg.  C.  ut  causa  pubert.,  assit  tuiar: 


<)  ^mimtterio  praeter  mi$$9m^  ut  petitum  est  «imUe  j.  de  der.  aegrot.  L  111.  ei 
parte  [d.  h.  cap.  an.  III.  6.  Conpil.  111.]  et  est  diapeoaatio,  qnla  depoai  aieretnr. 
qoia  iniuato  tenore  [timore]  raperataa  ae  ipaam  abacidit,  at  di.  bo.  51»  fsw  «Im^ 
derit  qui  pmrtem  s.  di.  XXXIII.  mmHium  [c.  2.  D.  8S.  der  Text  ist  corraoipirt] 
NoD  enim  licet  alicai  «CTire  in  se,  cnm  non  sit  dominas  membreraaB  soora».  ^ 
f.  ad  le.  aqnl.  Über  Aeino.  J7.  /.  a.^ 

*)  Der  Abdruck  geschiebt  nacb  dem  Codei  MmrhurgenaiM.  Die  VariaKten  aad<rcr 
sind  nicbt  so  bedeutend,  um  sie,  so  weit  mein  Zweck  in  Betracht  komait,  mitaa- 
theilen,  da  es  sich  nicht  uro  eine  Edition  handelt. 

*)  Benutst  in  der  Gtossa  erd.  von  Bern.  Perm. 


Litenturgescilicbie  des  Compilation««  Motiquae  ele.  115 

detegereeniindebetiniquitatemsententiae,^.«jp^iM/^n/eap./.  /.^.  i., 
et  docere,  se  iuste  appellasse,  ut  ea;tra  IL   de  ap.  cum  in  ecclesia.' 

3.  c.  Quaeris  de  aet  et  quäl.  v.  utilüas  [e.  6.  X.  LH.]. 
'Ergo  propter  utilitatem  ecciesiae  potest  privari  officio  et  benefieio 
et  sie  perit  definitio  magistri  alani  in  LXXIIIII.  di.  >)  quod,  cum 
exigit  atilitas  officio,  cum  vero  necessitas  ecclesiastico  benefieio,  nisi 
ordines  suscipiat,  est  privandus;  potes  et  hie  illam  sustinere  red- 
dendo  singula  singulis.' 

4.  Ibid.  c.  Cum  bonae  mem.  [c.  8.  X.].  'Super  hoc  diversae 
sunt  opiniones.  Quidaih  dicunt:  qualecunque  sit  peccatum,  dummodo 
occulturo  sit,  acta  poenitentia  potest  remanere  in  susceptis  ordinibus 
et  ad  maiores  ascendere,  ut  di.  L.  de  his.  In  qua  opinione  fuit 
MelenduBt  et  lau,  ei  favere  videtur,  unde  dicit,  quod  pp  hoc 
discole  respondet.  Alii  dicunt,  quod  nuUus  mortaliter  peccans  etiam 
acta  poenitentia  promoveri  potent  yel  in  susceptis  ministrare,  ut 
XXV.  d.  primum.  Tertii  dicunt,  quorum  dictum  amplector,  quod,  si 
crimen  est  occultum,  acta  poenitentia  potest  in  susceptis  ordinibus 
ministrare  et  ad  maiores  ascendere,  ut  s.  e,  i.  ex  tuarum  L  /.,  si 
manifestum  nequaquam,  ut  du  L.  de  his  vero»  Si  autem  enorme 
est,  siye  occultum  sive  manifestum,  similiter  non  potest,  in  quo  casu 
istam  decretalem  intelligo:  ar.  di  L.  miror.  Hanc  solutionem  habes 
XXV.  c.  ult.  in  glo.* «). 

8.  c.  Intimatum  ib.  'Omnes,  qui  ante  me  super  scripserunt, 
quorum  scripta  vidi,  excepto  Jo.,  notaverunt  in  hoc  loco,  quod 
dispensationem  continuit  haec  decretalis  .^  .    .  .' 

6.  c.  ad  exslirpandas  de  filiis  presb.  [c.  11.  X.  I.  17.].  'filii 
vel  etiam  nepotes  vel  inferiorum  quilibet,  quorum  est  prima  causa 
succedendi,  ut  inst,  de  hered.  qual.  et  dicta.  Sin  autem  in  collatera- 
libus  non  ita  prohibetur:  Arg.  X.  I.  deoff.jud,  deL^  ex  parte  \  in 
modico  quemlibet  repellendum  in  quocunque  gradu  sit  qui  quasi  ex 
iure  succedendi  sibi  vendicat  aliquod  eo  benefieio  ut  infra  c.  proximo 
expressum  est  ex  alani  de  insti.  occu,  d.  L.,  X.  de  insti.  ad 
decorem.  lau/ 


<)  Entweder  hui  Alu  uns  also  auch   Diatinctionen  gemacht  oder  er  bezieht  sich  auf 
eine  Glosse  desselben.  Ersteres  ist  wahrscheinlich.  Vgl.  das  Citat  6. 

*)  Dieses  Citat  der  Glosse  schlechtweg  setzt  ofenbar  voraus  eine  als  stehend  ange- 
nommene, m!t  anderen  Worten  die  Stelle  mit  nach  der  Olossa  des  Job.  Teu- 
tonicns. 

8» 


116  V.  Schalte 

7.  c.  quum  ex  plenü.  ib.  *personarum.  rectorem  ecciesiae  et 
est  vulgare  Angliae.' 

8.  c.  ad  aures  de  bis  quae  roet  v.  interposiia  [c.  3.  X.  L  40.] 
innuitur  ex  loco  boc,  quod  licet  metu  interTenieote  aliquis  beneficio 
vel  eeclesiae  renuntiet,  si  iuramentum  intervenerit,  eam  repetere 
non  potest.  simile  extra  de  jurej.f  si  vero  aliquis,  X.  I.  de  re$t 
iipol.9  accepia;  X.  IL  de  re.  spo,,  conquesti,  \rg.  contr.  XXII.  q.  IUI. 
e.  1.  2.  et  3.,  extra  L  de  const.  iud,  deL  pervenii.  Contra  extra 
Ldehi8,q,met.c.f>abba8;  contra  X  /.  dereat.apoLaollicite.  Contra- 
rior  solutio.  Quidam  sicut  albert us  et  laur.  notaverunt,  quod 
illud,  quod  dicitur:  in  contrariis  dispensatio  (uit  (quod  vero  bie  non 
similibus  dicitur),  ius  esse  commune  vel  ibi  cum  erat  spoliatus, 
renuntiavit,  hie  non ;  vel  bic  agitur  de  obtinendo  beneficio,  ibi  de 
iam  obtento.  Sed  quoYiiam  praedictae  solutiones  ad  omnia  praedicta 
contraria  sedanda  non  suflFiciunt,  ideo  cum  alano  et  quibusdam 
aliis  magnae  auctoritatis  viris  dico,  quod,  nisi  tiilis  metus  inlerfuit, 
qui  potuit  cadere  in  constantem  virum,  si  per  talem  metum  quis 
renuntiavit  vel  abiuravit,  ecclesiam  suam  non  obstante  illa  renon- 
tiatione  vel  iuramento  eam  potest  repetere,  nisi  praestiterit  sponte 
iuramentum,  vel  alias  ratum  babuerit  renuntiationem,  in  quo  casu 
loquuntur  omnia  contraria.  Si  vanus  fuit  metus,  tarnen  eius  nulla  sit 
excusatio,  ut  ff.  quod  metus  L  metum  an-,  ff.  de  re  iu.  si  quis  ab 
alioi  vel  ratum  babuerit  sponte,  quod  fecerat  per  timorem,  tunc 
repetere  non  potest,  ut  bic  et  in  similibus  dicitur.  Et  banc  solu- 
tionem  innuit  dominus  papa  extra  III.  e.  t.  c.  1.  t.  ubi  maltum  est  de 
bac  materia  in  glo.' 

9.  Zu  c.  ex  transmissa  de  foro  comp,  [c,  6.  X.  II.  2.)  wird 
citirt  *  const.  friderici  de  leodis.' 

10.  c.  Ad  ultimum  de  causa  poss.  [c.  2.  X.  II.  12.].  "... 
propter  quae  iura  Job.  [Job.  Bass.]  et  sequaces  eius  dixerunt» 
cognitionem  possessionis  praemittendam  fore  cognitioni  proprietatis, 
et  hoc,  quod  bic  dicitur,  admittunt.  Dominus  vero  M.  [Marti nus] 
et  bi,  qui  eum  sequuntur,  dicunt,  quod  bic  licite  potest  fieri,  quod 
simul  de  proprietate  et  poss.  agi  potest,  et  leges  illas  intelligunt« 
cum  agitur  per  interdictum  uti  possidetis  vel  utrobique,  quod  est  de 
retinenda  possessione.  Nos  autem  secundum  canonicam  aequitatem 
aperte  dicere  debemus,  quod  causa  poss.  et  propr.  simul  in  eodem 
iudicio  tractari  possunt  et  una  sententia  debet  terminari,  ut  sjptra 


Lilemtur^enchichte  der  CompiIi«tiones  aotiquae  etc.  117 

///.  e,  t  cum  super  elect.  et  c.  ult.  Et  hoc  habet  locum,  sive  ab 
utraque  parte  sunt  intentatae  seil,  causa  poss.  ab  actore  et  causa 
propr.  a  reo,  ut  X  ///.  e,  t  cum  ecclesia,  sive  ambae  ab  eadem,  ut 
extra  IIL  de  cap.  man-  c,  a.  Quod  intelligo,  verum  esse,  quando  de 
recuperanda  poss.  agitur,  quoniam  actor  utroque  modo  tunc  agere 
potest.  Se4;us  est,  cum  de  retinenda  possess.  certatur,  quoniam  qui 
possidet  rem  eam  vendicare  non  potest,  quia  possessio  unius  parit 
alterius  in  rem  actionem,  ut  s.  de  alienat.  ju.  mut.  L  /.,  J.  de 
action,  §.  et  contra.' 

11.  c.  Directae  de  appeil.  [c.  39.  X.  11.  28.].  '  .  s.  II.  q.  VI.  si 
quh  in  guocunque.f  C.  ne  liceat  in  una  ead,  causa  L  i-,  J.  e,  ^  quia 
requisisti.  1.  e.  Contra  $.  e,  t  personas  et  C.  de  appelL ;  contra  «.  de 
off,  iud.  ord.  ad  haec  contra.  Solutio :  ubi  post  primam  appellationem 
contumax  is  qui  appellavit,  quia  nee  in  causa  processit  nee  fuit  appella- 
tionem prosecutus»,  non  auditur  si  iterum  velit  appellare  ut  IL  q.  VI. 
§.  diffinitam.  §.  sunt  quorum;  in  quo  casu  loquuntur  contraria.  Ubi 
vero  primae  appellationirenuntiavit  et  iterum  egerit,  si  gravetur,  iterum 
appellare  poterit,  cum  liceat  secundum  jura  iterum  appellare  nee  est 
contumax.  Hanc  credo  veram  solutionem,  quam  proponam  [es  steht 

aber  mit  der  gewöhnlichen  Abkürzung  des  pro  propam.]    G.    et   io. 

Aiii  dicunt,  hoc  speciale  esse  in  ma.  Lau.  dicit,  hanc  non  esse  de- 
eretalem  et  cum  fuerit  alias  magnus  hie  de  tuis  omnibus  dixit.  t,' 

12.  Zu  c.  ex  transmissa  de  decimis  v.  licite  [c.  23.  X.  III.  30.] 
^  .  .  ego  credo,  meretricem  ad  decimam  de  eo  lucro  teneri,  sacer- 
dos  tamen  non  debet  eam  recipere,  ne  videatur  impunitatem  praes- 
tare.  Sic  etiam  quandoque  oblationes  aliquorum  respuuntur  ratione 
eriminis,  ut  XC.  di  oblationis^  XVII.  Q.  4.  miror.  Idem  dicerem  in 
foeneratore  de  lucro  usurario,  nisi  repetitio  contra  cum  daretur. 
Decimae  autem ,  quae  daotur  ratione  praediorum ,  iuste  accipit 
ecclesia  a  quocunque  etiam  invasore.  ex  quo  non  dantur  ratione 
personae,  ecclesia  enim  suum  accipit;  sed  personales  non,  nisi  cum 
dominium  translatum  est,  nee  competit  repetitio,  exceptis  casibus  a 
iure  prohibitis,  ut.  dixi  in  meretrice,  cui,  cum  poenitentiam  egerit, 
poterit  sacerdos  injungere,  ut  illam  decimam  det  in  remissionem 
peccatorum  suorum,  vel  ipsam  recipiat,  ex  quo  iam  desiit  esse  mere- 
trix.  i: 

13.  c.  Siquidem  de  conv.  infid.  'Siq.  eadem.  i.  de  conv.  conju. 
c.  1.1.  III.,  contra  infra  de  divort.  quanto  te,  contra,  sed  hoc  suc- 


118  T.  Sclialte 

cumbit  et  illud  praevalet.  Unde  magister  p.  posuit  super  illo  para- 
grapho  versiculum  suum:  "cetera  coniinendo,  quod  dicitar  hie 
reprehendo'*.  /.' 

14.  Zu  c.  Intelleximus  de  nori  oper.  nunc.  [e.  l.«X.  V.  32.]. 
'nota  leges  posse  in  caasa  ecclesiastiea  allegari  et  secuodam  eas 
debere  iudicari  ....  Solutio:  praecise  diGendum  est,  quod  in 
causis  ecclesiae  indifferenter  utendum  est  legibus  sicut  cauonibus» 
ut  hie  traditur,  nisi  contradicant  canones,  quia  tunc  non  est  eis 
utendum    .../.' 

15.  e.  Nobis  ex  tuar.  innot.  de  spons.  'traduxit.  eo  ipsu  prae- 
sumitur  uxor,  quod  in  domum  yiri  traducta  est.  ff^.  de  riin  nJpt 
mulierem.  Si  tarnen  maior  XII.  annis,  ut  e.  t  minorem,  et  jf!  de 
adult  si  uxor.  §.  Si  minor.  Et  dixit  Jo.  6.,  quod,  si  ante  ducatur 
et  cognoscatur,  iam  tarnen  est  uxor,  licet  sit  arg.  cont.  ff.  de  Terb. 
ob),  eontinuis  cum  ita  stipulatus  in  fine  et  expcessum  est  infra  c. 
prox.  s.  de  spons.  impub.  a  nobis.  L' 

16.  Zu  c.  Placei  nobis  de  conv.  conj.  [c.  12.  X.  III.  32.] 
cogendam  0*  Sed  pone  quod  mulier  ista  contrahit,  numquid  tenebit 
matrimonium?  .  .  .  licet  albertus  notarerit,  quod  tale  matri* 
monium  non  tenebat»  tarnen  ab  ore  JoKis  GaT.  magistrimei 
audivi  et  ita  firmum  teneo  quod  matrimonium  tenet,  licet  coutrahere 
non  debuerit,  nee  contradicit  ilia  decretalis  quidam,  ubi  dicitur» 
quod  non  debet  contrahere.  Quod  de  ista  concedo,  sed  non  dicitur» 
quod  contractum  separetur.' 

Im  Cod.  Bamb.  P.  II.  6.  folgt  'ut  ad  illam  ex  parte,  quae  est 
prima  huius  tituli.  Respondetur  quia  rotum  ejus  fuit  solempne  non 
potuit  exire  de  monasterio  nee  contrahere,  sicut  ibi  dicitur.  t.\ 
während  Cod.  M  a  r  b.  die  Sigle  auslässt. 

17.  c.  Secundo  quaeris  de  appell.  v.  tanquam.  '  .  .  hoc 
yerbum  tangit  melius  Jo.  II.  q.  VI.  qtwtiens  in  glo.*  *). 

18.  Buguccio  (h.  hug.)  wird  citirt  tu  Stellen  des  Dekrets  in 
den  Glossen  zu  c.   praeterea  requis.   fuimus   de  appell.,  laudabil. 


^)  Zo  c.  Quon.  nov.  iuperv.  de  imoun.  ecci.  v.  *«d  id  guod  XL  et  ita  XU.  «mno« 
poterlt  esse  oior  licet  J  o,  contradixerit,  ut  di  XI.,  •.  c.  prox.  ^^  Hier  ist  ra- 
zweifelhaft  Johannes  Farentinus  gemeint. 

*)  Beweit,  daA  Tancred  nicht  blot  die'Somme,  aondern  auch  die  Gloaae  vaa  Joh. 
Farent.  ror  sich  hatte. 


Literaturgeschichte  der  Compilationes  antiqoae  etc.  119 

pont.  off.  de  cngn.  spir.  ('dixit  hug,  et  sequaces  eius,  sicut  albertus 
et  alii  .  .  .  tertii  dicunt  seil.  l.  et  Jo.  SaL*  et  quidam  alii,  cum 
quibiLS  sentio  .  .'),  c.  de  quibus  de  bapt.  pueror. 

19.  c.  an  sit  deferendum  de  appell.  'Sed  numquid  appellatio 
contemta  in  una  causa  repellit  contemtorem  in  alia?  Videtur  quod 
sie:  arg.  extra  IIL  de  elect.  bonae  mem.  in  fine,  immo  si  contra 
alium  appellat.  ar.  j.  de  usuris  ftusira  L  IIL,  ff.  quod  quüque  juris 
L  IIL  §,  haec  poena.  Solutio:  nee  ab  alio  nee  in  alia  causa  repel- 
letur,  sufficit  enim  quod  semel  punitur  arg.  extra  III.  de  elect.  cum 
Winton.  ecci.  Sedquid  si  secundo  appellaret  in  alio  casu,  posset 
iste  contemtus  iterum  cum  repellere,  quem  semel  repulit?  arg.  est 
quod  non  praedicta  decretalis  cum  Winton.  eccL  Cum  enim  noo' 
repellatur  ibi  in  tota  electione  videtur  idem  hie  in  tota  causa.  Jo.'  <). 

20.  c.  Ea;  insin.  diL  flL  n,  de  procurat.  'G,  notavit,  hoc  ideo 
fieri,  quia  praemortuus  clericus  super  hoc,  licet  in  alio  iudicio  intro- 
ductus  fuerat;  valet  dictum  eius  in  secundo'.  c.  significavii  de  der. 
aegrot.  'ministet^ium.  sicut  baptizare,  praedicare,  cathezizare,  poeni- 
tentiam  iniungere  et  similia,  quae  sacerdotibus  sunt  attributa  ut 
XVI.  Q.  I.  adicimus.  e.  con.  di.  IUI.  constat.  G.*  —  c.  certificari 
de  sepult.  v.  comuetudo.  'Quid  si  de  consuetudine  dubitetur,  vel 
variae  sint  in  vicinis  ecclesiis  consuetudines?  De  minor!  summa  erit 
intelligendum,  ffi  de  arbitr.  diem  proferre  §.  si  plures.  C  —  c. 
Porrectum  nobis  de  regul.  trans.  'familiäres  dicuntur  quidam 
officiales  ecclesiae.  G,  vel  nomine  familiae  omnes  consanguinei,  servi 
atque  liberi  intelliguntur  ut  C.  de  verb.  sign.  l.  ult.  et  etiam  alii 
cohabitantes.  arg.  s.  de  testibus  in  literiSf  extra  IIL  de  of  deleg. 
insinuante.  t.'  —  c.  Tertio  loco  de  imnum.,  eccI.  'et  per  solUeitU" 
dines.  nota  ratione  loci  sinistram  induci  opinionem  et  suspicionem» 
ut  in  aut  ut  liceat  matri  et  aviae  §,  his  quoque  et  s.  de  praesumpt 
c.  ult.  1.  e.  s.  XXXy.  Q.  VI.  ab  isto  die.  G.'  Andere  mit  6.  gezeich- 
nete selbststdndige  Glossen  zu  c,  Duo  pueri  de  despons.  impub. 
c.  dil.  fiL  lt.  arch,  de  his  q.  matr.  accus.,  c.  a  nobis  fuit  ex  parte 
ibid.»  c.  ad  nostram  naveris  de  sym.,  c.  perven.  ad  dem.  ap.  sed. 
ibid.,  c.  cum  monast.  de  homic.  volunt.,  c.  audivimus  quod  quidam 
de  venerat.  sanctorum. 


')  Nach  Ban  b.  P.  II.  6.  sind  offenbare  Schreibfehler  emendirt  worden. 


12U  V.  S  c  b  u  It  e 

21.  In<)  einer  mit  ^  signirten  Glosse  zu  c.  bonae  mem.  de 
eonf.  ut.  citirt:  'extra  IIII.  oblatae*  [e.  1.  II.  12.  Comp.  IV.],  zu  c.  ad 
aud.  noBtram  de  praeb.  in  einer  nicht  gezeichneten:  'extra  IIII. 
e.  t.  c.  I.' 

5i.  Diese  Mittheilungen,  welche  natürlich  noch  bedeutend 
vermehrt  werden  können,  steilen  Folgendes  ausser  Zweifel.  Wir 
besitzen  zur  Comp.  II.  Glossen  von  Alanus«),  Jobannes  Galen- 
sis*),  Laurentius,  Tancredus,  Vincentius^),  einem  Glossa* 
tor  G. »)  Zunächst  fragt  sich,  wer  dieser  6.  ist.  Aus  Johannes  An- 
dreae's  Notizen  könnte  man  nur  auf  Guüelmus  Naso  schtiessen. 
Möglich  ist  dies  allerdings,  ich  bezweifle  es  jedoch,  weil  uns  in 
einem  später  zu  beschreibenden  Codex  die  Glossen  desselben  zur 
Gregorianischen  Compilation  erhalten  sind  und  ich  darunter  keine 
der  mitgetheilten  finde.  Meiner  Meinung  nach  gehören  die  mit  G. 
gezeichneten  zum  Theil  Gilbert  an,  in  welchem  Falle  sie  der 
Glosse  zu  seiner  Sammlung  eutnommen  sind,  in  der  die  meisteo 
Capitel  der  Comp.  II.  enthalten  waren,  zum  Theil  —  und  dies  gilt 
unzweifelhaft  von  den  mit  g.  signirten  —  Graiia  Äretinus  <).  Dafür 
spricht  die  Sigle,  indem  Naso  entweder  mit  Natto  oder  Guil.  Naw 
angeführt  wird«  mit  Guil.  oder  G.  allein  nur  dort,  wo  kein  Zweifel 
obwalten  kann ;  da  Äretinus  blos  das  Vaterland  bezeichnet,  ist  auch 
die  Sigle  G.  ohnehin  die  natürliche,  zumal  wohl  zu  seiner  Zeit  bei 
seiner  Berühmtheit,  in  Folge  deren  er  1219  Archidiacon  in  Bologna 
wurde,   kein  Zweifel   aufkommen   konnte.  —  Über  die  Glossen  mit 


^)  über  diese  ond  ^leicbe  CiUteTon  DekreUlen  Innocens  nach  1215  nnd  der  SehliU»« 

des  UiertiD.  CodciUt.  1215  «.  unten. 
^)  Dessen   Siple   ist   a.  bU.  ;  in  Anderen    heisst  er  regelmissig  almnu*.    Da  es    einea 

zweiten  nicht  gibt,   auf  den   diese   Sigle  a,  bezogen  werden  könnte,  so  ist  jede 

weitere  Untersuchong  fiberllGssig.  Von  AUnut  enthalten  aUe  Handschriften  Glonsca. 
^)  Da  es  gar  keinem  Bedenken  unterliegt,  dass  die  in  num.  5.  11.  18.  und  19.  mitg«- 

theilte  ihm  gehört.  Die   Angaben  der  Glossa  ord.,  an  welche  sich  Phillip«  «ad 

meist  Sarti   hält,   ziehe  ich  nur  heran,  wenn  sie   zur  Beleuchtung  bandschrifl- 

lieber  dienen. 
^)  Ist  dorch  Cod.   Carnot.   462,  nnd  die  sonstigen  Angaben  ausser  Zweifel  ^evtellt. 
^)   Vgl.  die  Angaben  der  num.  11.,  20.  Handschriften  mit  der  Sigle  g.  Chartres   3S4; 

G.  Chartres  462.,  Bamberg  P.  II.  10.  Die  Sigle  g.   kann   nie   auf  Gnilelmvn,    »i 

aber  auf  einen  anfangend  Gra,  gehen. 
*)   Vgl.  filier  ihn  Sarti   II.  p.  22  sqq. 


Litemtur^eschichte  der  Compilationes  Mntiquue  etc.  12l 

den  Sigleii  1.  la.  lau.  laur.  gilt  das  im  §.  44.  Gesagte  i).  Denn  Lan- 
francus  starb  erst  1229.  Die  Glossa  ordinaria  scheint  aber  all^ 
Siglen  dieser  Art  Laurent! us  beizulegen»  da  sie  diesen  mit  vollem 
Namen  wiederholt  in  Fällen  citirt,  wo  die  Handschriften  blos  I.  haben. 
Man  vergleiche  z.  B.  zu  c.  40.  X.  II.  28.  gl.  saiisfeceris^  impedire, 
c.  41.  ibid.  gl.  debens  cogu  die  im  Cod.  Marb.  sämmtlich  mit  I.  ge- 
zeichnet sind.  Mit  Rücksicht  auf  die  frühere  Auseinandersetzung  lege 
ich  dem  kein  Gewicht  bei.  —  Die  Citate  mit  R.  im  Cod.  Carnot.  462 
beruhen  wohl  auf  einem  Versehen  beziehungsweise  auf  Bemerkun- 
gen zur  Comp.  I.,  da  Richard  kaum  die  Comp.  II.  glossirt  hat. 

Es  werden  noch  genannt,  wie  die  abgedruckten  Stellen  be- 
weisen,  Albertus,  Petrus,  Melendus*).  Was  Albertus  be- 
trifft, so  sind  die  Citate  der  Art,  dass  man  sie  auch  auf  den  Legisten 
dieses  Namens*)  beziehen  könnte,  vielleicht  auf  Albertus  Beneven^ 
ianus  (Gregor  VIII.),  worauf  die  Verbindung  mit  Huguccio  führen 
konnte.  Da  ich  aber  auch  später  bei  Job.  Hispanus  einen  Cano- 
nisten  Albertus  erwähnt  finde,  der  in  diese  Zeit  gebort*),  muß 
ich  diesen  Punkt  als  noch  nicht  liquid  hinstellen.  Melendusist 
unzweifelhaft,  wie  sich  aus  dem  Citate  selbst  schon  ergibt,  nur  als 
Glossator  des  Dekrets  citirt.  Dagegen  lässt  das  Citat  P.  (in  num.  13.) 
mit  Sicherheit  auf  einen  Glossator  der  Extravaganten  schliessen.  Da 
ich  nach  der  früheren  Erörterung  nicht  an  Petrus  Hispanus 
denken  kann,  so  dürfte  entweder  der  ältere  Petrus  gemeint  sein, 
oder  Petrus  Collivacinus,  wofern  nicht  beide  identisch  sind  s). 


^)  Im  Cod.  Marb.  sind  die  selbttsUndigeD  Gloisen  bald  mit  1.  oder  dem  gestrichenen 
I.,  bald  mit  lao.  ond  laur.,  in  den  Citaten  Tanereds  reirAlmiBsig  mit  lau.  oder  laar. 
beieichnet.  Tgl.  noch  c.  »eeundo  quaerit^  tua  not  de  der.  aegrot.,  cum  sint  de 
decim.  Cod.  Tolos.,  Carnot.  355  haben  1.,  Carnot.  462  1.  la.,  Bamb.  P.  11.  6.  la.  lau., 
P.  II.  10.  1.  la.  lau.  Gewisa  kommt  viel  auf  die  Abschreiber. 

*)  Dass  in  num.  10.  Martinus  gemeint  ist,  liegt  anf  der  Hand ;  übrigens  steht 
diese  Meinvng  ancb  in  den  Dissensiones  dominorom  bei  H  a  e  n  e  1  pag.  888  oben. 
Ebensowenig  ist  nAthig,  weiter  nachzuweisen,  dass  in  num.  2.  10.  25.  der  Legist 
Job.  Bass.  mit  Jo.  b.  und  Job.  gemeint  ist  (Vgl.  t.  Savigny  IV.  8.  289),  dass 
besiglich  Huguccio s,  der  die  Comp.  II.  kaum  gesehen  hat,nur  an  seine  Summe 
gedacht  werden  darf. 

*)  Alhertu»  PtpienMÜ  bei  t.  Sarigny  V.  8.  78  fg. 

4)  Von  den  bei  Sartl  mit  diesem  Namen  angefahrten  passt  keiner. 

^)  Dies  lisst  sich  aas  den  Daten  bei  Sarti  I.  p.  314  oben  schliessen,  da  Petrus  da- 
nach zu  Bologna  lehrte,  beror  er  bei  der  Curie  beschüftigt  war. 


1  22  V.  S  c  h  u  1  t  e 

in  einigen  Handschriften  <)  kommen  Glossen  mit  der  Sigle  b. 
vor.  Da  Johannes  Andrea  sagt,  der  ältere  Bernardus  Compostel- 
lanushabe  über  die  beiden  ersten  Compilationen  gelesen,  dürfte 
derselbe  gemeint  sein.  Endlich  finden  sich  auch  in  Handschriften*) 
Glossen  von  Vincent  ins,  dessen  Autorschaft  nach  den  Nach- 
richten Yon  Johannes  Andrea  nicht  zu  bezweifeln  ist.  Das  seltene 
Vorkommen  dürfte  aber  vermuthen  lassen,  daß  er  keinen  förmlichen 
Apparat  gemacht  habe  wie  zur  ersten. 

Tancreds  Apparat  fusst,  wenn  man  die  in  den  mit  t.  signirteu 
Stellen  aufgenommenen  Glossen  anderer  ins  Auge  faßt,  auf  den 
Arbeiten  von  Johannes  Galensis,  Alanus,  Petrus,  Laurentius  und 
Gratia*).  Von  Albertus  gilt  dasselbe,  wenn  er  überhaupt  als  Glossa- 
tor dieser  Sammlung  anzusehen  ist.  Von  einer  Benutzung  der 
Glossen  des  Bernardus  durch  Tancred  habe  ich  bisher  keinen 
directen  formalen  Beleg.  Da  aber  alle  genannten  Zeitgenossen 
waren,  ja  die  sämmtlichen  Arbeiten  über  diese  Compilation  in  den 
verhältnissmässig  kurzen  Zeitraum  von  1210  bis  1230  fallen,  ist 
eine  rege  Bearbeitung  ersichtlich.  Vincentius  gebort  zweifeis- 
ohne  zu  den  spätesten  Glossatoren  derselben. 

c.  Wir  haben  in  den  meisten  alten  Handschriften,  insbesondere 
in  denen  mit  Tancreds  Apparat  ein  abgeschlossenes  Ganzes.  Dies 
beweisen  auch  die  sich  regelmässig  findenden  Schlussvermerke. 
So  endigt  der  Cod.  Marburg  zum  c.  In  his  quae  ambiguitü" 
tem  de  verb.  sign.  v.  archiep,  also :  'non  eodem  die,  quo  sententiam 
tulit,  potuit  interpretari  et  supplere,  ut  ff.  de  re  iudic.  paulus  si 
minus  non  interpres  deus  est,  qui  gratiam  interpretandi  cui  Vult  in 
spiritu  sancto  apostolo  testante  concedit,  cui  gioriam  et  honorem 
reddimus  per  infinita  saecula  saeculorum.  Amen.'  ^). 

Über  die  Zeit,  wann  der  Apparat  von  Tancred  abgefasst  ist, 
werde  ich  beim  Schlüsse  der  Erörterung  über  die  Comp.  III. 
reden. 


0  Chartrea  3o5,  Bamberg  P.  U.  10. 

<)  Chartrea  462. 

*)  Denn  Laorentiaa  kennt  Alanua  (nom.  6.)  vnd  Petnia  (13.),  Taaered  aber  aiaa^r 

Laarentina   (i,  4,   8,   11.)  Job.   Gal.   (5,   11),  Alanna  (6),  Gratia  (II), 

Albertua. 
M  Derselbe  Schloaa  findet  aich  in  fiamb.  P.  II.  6.,  Leipsig  nnm.  968. 


Liter<ilarg«tcbicbte  d«r  CompÜationes  antiquae  etc.  123 

V.  Oompilatio  tertia. 

52.  Die  Glosse  zur  Compilatio  tertia  lässt  sieh  aus  gleichen 
Gründen  wie  bei  der  Compilatio  seeunda  am  Besten  darstellen  an  der 
Hand  des  Apparates  von  Tancred^  den  die  meisten  Handschriften 
enthalten.  Er  leitet  denselben  ein  mit  folgendem  Vorworte  i) : 

Tost  compilationem  decretorum  ßtctam  a  Gratiano  multae  a 
Romana  curia  decretales  epistolae  emauarerant,  quas  magister  B., 
tunc  praepositus»  postmodum  episcopus  Papiensis,  ad  studentium  uti- 
litatem  sub  competentibus  titulis  collocavit,  quaedam  antiquiora  in- 
terserendo,  et  ?ocatur  compilatio  prima.  Et  post  illam  compilationem 
quaedam  aliae  decretales  a  diversis  apostoiicis  emanaverunt,  quas 
magister  Gilberius  ad  instar  primae  compilationis  sub  titulis  col- 
locavit. Post  iiium  vero  magister  Alanus  suam  similiter  compila- 
tionem effecit,  tandem  magister  Bernardus  CompostellanuSf 
archidiaconus  in  Romana  curia,  in  qua  curia  moram  faciens  ali- 
quantum,  de  regestis  domini  Innocentii  papae  unam  fecit  decretalium 
compilationem,  quam  Bononiae  studentes  Romanam  compilationem 
aliquanto  tempore  vocaverunt.  Verum  quia  in  ipsa  compilatione 
quaedam  reperiebantur  decretales,  quas  Romana  curia  refutabat,  sicut 
hodie  quaedam  sunt  in  secundis,  quas  curia  ip$a  non  recipit^ 
idcirco  felicis  recordationis  dominus  Innocentius  papa  HI.  suas  de- 
cretales usque  ad  annum  XII.  editas  per  magistrum  P.  Benev Cu- 
tanum notarium  suum  in  praesenti  opere  compilatas  Bononiae  stu- 
dentibus  destinavit.  Post  illarum  receptionem  magister  Johannes 
6ra/^ii«f«  decretales  omnium  apostolicorum,  qui  praecesserant  In- 
nocentium,  de  dictis  compilationibua  Gilberti  et  Alani  extrahens 
quandam  compilationem  ordinavit,  quae  hodie  mediae  sive  aecundae 
decretales  dicuntur.  Super  quarum  expositionibus  plures  doctores 
Bononiae  studentes  ^losas  plurimas,  varias  et  diversas  posuerunt  et 
apparatus  super  eis  scripserunt  Et  quia  de  dictis  apparatibus  opi- 
niones  studentium  erant  diversae,  sententiaeque  confusae:  idcirco 
ego  Tancredus  Bononiensis  canonieus  qualiscunque  decretorum 


*)  Die  Abdrucke  überhaupt.  Dach  Cod.  Bamb.  P.  II.  6.,  mit  dem  genau  stimmt  Cod. 
voo  Chartres  462.  Im  Gauen  sind  die  Varianten  nicht  bedeutend.  — 

Dies  Vorwort  ist  zuerst  abgedruckt  worden  in  Bouquet  Adnot.  ad  epist. 
innoc.  Hl.  Lib.  I.  ep.  71.,  daraus  bei  8ar  ti  I.  p.  257  not«  a.  und  nochmals  II.  p.  82. 


1  24  V.    S  c  h  II  I  t  e 

magister  ad  multam  instantiam  sociorum  meorum  meliora  et  utiltora 
de  dictis  apparatibus  colligens,  et  ex  ingenio  meo  quaedani  inter- 
serendo»  sicut  ex  signis  glosularum  singularum  demonstraiur, 
priroas  et  secundas  decretales,  prout  melius  potui  glosvlavL  Sed 
super  praesenti  tertia  compilatione  apparatum  non  fecu  sed  audi- 
endo  aique  legendo  quaedam  in  libro  meo  notavi,  quae  scolares  qui- 
dam  absque  conscientia  mea  de  libro  meo  extraxerunt  et  pro  apparatu 
tertiarum  illud  mihi  intitularerunt.  Tunc  autem  docendi  officio  ad 
multorum  instantiam  reassumto  praesentem  tertiam  eompilationem 
cum  diligentia  domino  favente  glosabo  et  eonstitutiones  concilii  pro- 
xime  celebrati  et  jura  a  domino  Innocentio  papa  III.  post.  XII.  annum 
edita  tam  in  apparatibus  a  me  factis  quam  in  hoc,  quem  ordinäre 
dispono,  diligentissime  collocabo.  t,* 

Der  Schluss  lautet  gleichmässig  in  verschiedenen  Hand- 
schriften : 

'Si  alienis«)  honoribus  invidus  exstitissem  vel  ex«)  alieno  labor^ 
glosatoris  laudem  mihi  acquirere  vojuissem,  alienas  glosas  mihi  prae- 
sumpsissem  ascribere,  aut  de  loco  ad  locum,  sicut  quidam  fecerunt. 
inutiliter  transmutare.  Sed  noiens  facere  aliis,  quod  mihi  fieri  detes- 
tarer,  sie  primas  et  secundas  et  tertias  de  scriptis  meis  et  alieniss) 
glosavi,  ut  quod  alienum  non^)  [dele]  erat,  mihi  non  appropriari,  et 
quod  unius  fuerat,  alii  non  ascripsi,  glosas  vero  quaslibet  propriis 
auctoribus  assignavi.  Unde  contingit^  quod,  si  duas  vel  tres  glosu- 
las  coniunxi,  tot  magistrorum  signa  et  tot  divisiones  in  glosula  feci. 
Et  si  de  duarum  sententia ')  unam  glosam  composui,  duorum  magi- 
strorum signa  in  fine  glosae  designavi.  Ita  quod«  nisi «)  vitio  scrip- 
toris  contingat,  dictum  unius  a  dicto  alterius  discernitur  manifeste.  ^* 

53.  Es  soll  im  Folgenden  eine  Anzahl  von  Glossen  Tancreds 
und  anderer  mitgetheilt  werden,  welche  einen  Einblick  in  dieselben 
gestatten  und  zur  Beantwortung  der  für  diesen  Gegenstand  und  die 


<)  AUorwn :  Caroot.  462. 

')  Ins  Carnot. 

')  Et  ülienit  omittit:  Ciirnot.,  mit    Unrecht,    da  schon    die    Vorrede    datselbe  M|:t 

und  ea  implicite  achon  im  Eiof^an^e  dieses  Scblusswortes  steht. 
^)  Recte  omittit :  Carnot. 
^)  mmteria  in  Carnot. 
*j  Non  .  .  eonilngit'  Caruot. 


Literiiturgeschiehte  der  Compilationcs  aiitiquae  t>tr.  1  «O 

Glussa  orüinaria  der  Üekretalen  Gregors  IX.  in  Betracht  kommenden 
Fragen  geeignet  sind. 

1.  c.  2.  de  const.  v.  quassamus,  'et  nihilominus  excommunl- 
candi  sunt  constitntores,  nee  valent  eorum  statuta,  ut  >)  in  concilio 
Lateran.  Innoe.  papa  III.  cum  laicis,  tJ* 

2.  c.  4.  ib.  [c.  8.  X.  eod.  I.  2.]  v.  constitutum.  'Sed  numquid 
canonici  per  se  cum  episcopo  suo  possent  minuere  praebendas  vel 
dignitates  sine  auctoritate  domini  papae?  Videtur  quod  uon,  quia  uec 
augere  possunt:  ar.  infra  de  consuetudine,  cum  olim,  et  quia  bonor 
ecclesiae  potius  dehet  augeri  quam  minui,  ut  de  cons.  di.  L  vaaa,  et 
quia  temporibus  nostris  potius  addi  cupimus,  ut  XXV.  q.  i.  quae  ad 
perpetuam  et  q.  2.  quaecunque.  Unde  nee  episcopus  potest  omittere, 
quill  instituatur  arcbipresbyter  quasi  ipse  solus  ad  haec  sufßciat  ut 
extra  I.  de  off.  archipresbyteri  c.  ult. ;  et  melius  est,  qualemcunque 
eligere,  quam  ordinem  non  esse  plenum,  ut  ff.  de  decur.,  generaliter 
§.  ult.  Ad  hoc  dico,  quod  canonici  cum  episcopo  ex  causa  possunt 
minuere  ut  supra  de  instittU.  c.  i.  et  2.  Über  IL  et  in  e.  prox.»  et 
XXI.  dt.  y  in  novo  test.  Et  quod  possent  unam  dignitatem  diminuere 
et  dividere,  vel  mutare,  vel  penilus  tollere,  pi^obatur  XVI.  q.  I.  prue- 
cipimus,  ff.  communia  praedior.,  si  cum  duas,  ff.  de  neg.  gest.,, 
cfim  alicuif  infra  de  praeb.  c.  vacante  I.  IUI.  et  LXIII.  di.  §.  verum, 
et  LXVIII.  di.  quorum  oices.  Jo.* 

3.  zu  c.  1.  ibid.  v.  constitutum  [c.  6.  x.  I.  2.].  'Sed  noniie  isti 
praesentes  poterant  omnia  statuere  aliis  irrequisitis?Utique,  ut  supra 
X.  q.  2.  hoc  jus,  et  VII.  q.  1.  f  actus  est,  infra  de  elect.,  cum  ifiter 
universas.  Sed  hoc  ideo  non  valuit,  quia  in  praejudicium  aliorum  et 
malo  zelo  et  contra  approbatam  consuetudinem  ecclesiae  hoc  tecerunt. 
Alioquando  enim  contra  consuetudinem  venire  non  licet  sine  licentia 
domini  papae,  ut  j.  de  regul.  et  trans.  c.  exposuisti,  et  contemtores 
consuetudinum  habendi  sunt  sicut  praevaricatores  legum,  ut  s.  di.  XI. 
in  his  rebus.  Adbuc  objicitur,  quod  maior  pars  facit,  totum  facere 
videtur,  ut  s.  de  Ins  quae  fiunt  a  ma.  parte  cap.  c.  1.  L.  L  Tu  die: 
si  aliquid  est  commune  pluribus  non  ut  collegiatis  sed  singulis,  quod 
fit  a  maiori  parte  eorum  nihil  est  nisi  omnes  consentiant,  ut  ff.  de  ser^ 
vit.  ru.  praed.,  per  fundum^  nisi  concedam  rem  in  naturali  usu,  quod 
potest  facere  unus  invitis  sociis  et  contradicentibus,  ut  in  Instit.  de 


1)  Am  Rande  von  spfiterer  Hand;  *de  rebus  ecci.  aiien.   rel  non  I.  UU.^ 


126  T.    S  c  h  u  I  t  e 

rer.  div.  §.  reUgiosum,  nisi  in  casu  j.  de  jure  pairon.  poätulagii  I. 
III.  Si  vero  sunt  plures  ut  collegium,  distingue.  Facienda  sunt  ei 
necessitate,  sicut  alienationes,  electiones,  institutiones,  sufBcit  quod 
facit  maior  pars,  ut  s.  de  eleei.,  licet  1.  I.  et  s.  de  his  q.  f.  a.  m.  p. 
c,  cum  in  cunctist  dummodo  non  contemnant  eos,  qui  vocari  debent, 
ut  j.  de  elect.f  quod  ticut^  venerabäem.  In  aliis,  quae  ex  neeessitate 
non  geruntur,  puta  cum  dividitur  praebenda,  nihil  fieri  potest,  nisi 
omnes  consentiant  ut  hie  et  in  lege  per  fundum*  et  constitaere  de- 
bent  ut  coUegium,  non  tanquam  singuli.  ut  j.  de  consOi-^^  cum  M. 
Ferrariensis.   Vic' 

4.  Zu  c.  2.  ib.  T.  alienandi  feudum,  *Qui  feudum  alienat,  eadit  a 
jure  feudi,  et  dominus  illud  alii  polest  concedere»  ut  j.  de  feudis  c. 
2. 1.  e.  [libro  eodem].  Et  melius  habetur  in  librofeudamm  c.  si  cUen- 
tulus,  et  in  constUai.  domini  Lotharii  imperiali.  t.  Nee  feudum  dari 
potest  in  dotem,  nisi  adsit  voluutas  domini,  ut  J.  de  dote.  poMi  divor- 
iium  restitut  nuper,  sicut  nee  usuarius  potest  usum  suum  vendere 
irrequisito  doroino,  ut  in  J.  de  U9U  ei  hab.  in  princ.  Et  in  hoc  differt 
feudatarius  [supra:  usuarius]  ab  emphiteota,  quia  emphiteota  potest 
iu  perpetuum  vendere  emponemata  sua:  C.  de  jure  emphi.  1.  3.  Jo' 

5.  ib.  V.  pers.  assensu.  'Nee  sufficeret  omnium  consensus  in 
hoc  casu»  quoniam  alienatio  consensu  omnium  facta  circa  formaro 
debitam  nulla  est,  ar.  XII.  q.  2.  sine  exceptione  et  C.  de  saeros. 
eccLf  juhemus  in  fine,  et  X.  q.  %,hoc  jus,  Sed  si  communis  forma 
esset  servata  et  laesa  esset  ecciesia,  teneret  alienatio«  sed  posset 
ecciesia  restitui,  ut  s.  de  his  quae  fiunt  ab  «p.,  cum  vos  I.  I.,  et  s. 
de  emt.  et  vend.  c.  ult.  et  s.  de  rest.  in  ini.,  requisivit  I.  I.  Jo/ 

6.  ibid.  c.  4.  r.  coniranenerini.  *Hinc  collige,  quod  si  quis  semel 
facit  contra  Privilegium  suum,  perdit  illud  ut  j.  c.  prox»  et.j.  depraeb. 
pro  iUorumf  et  s  XI.  Q.  III.  prieilegtum*  et  C  de  jure  do.  impesi  ere^ 
ditor.  Argum.  contra:  C.  de  episc.  et  der.»  aut.  generalüer  quoniam 
delictum  personae  etc.  ut  XVI.  Q,  IIIL  Si  episc.  et  j.  de  arbitris.  am 
temp.  et  j.  deprivil.  accedent;  quia,  ut  ibi  dicitur»  non  perditur  Privi- 
legium nisi  praescriptum  sit  contra  illud  per  XL.  annos.  Solutio: 
notarit  iu  loco  isto  vic,  quod  Privilegium  aut  datur  ad  facieadun 
aut  ad  non  faciendum.  Si  datur  ad  faciendum  et  is  qui  impetravit 
non  utitur  spatio  X  annoruni  perdit  illud,  ut  ff.  de  nundinie  L  H^  si 
vero  consistit  in  non  faciendo,  si  papa  reservavit  aliquid  sibi  jurb  in 


Literaturgeschichte  der  Compilationes  aiitiquae  etc.  127 

eo,  DOD  potest  tali  privilegio  expresse  renuntiari :  j.  de  arbitr.  cum 
tempore^  sed  tacite  potest»  ut  j.  de  priviL  accedeniibus,  et  in  tali 
casu  potest  opponi  Privilegium,  ne  fiat  praejudicium  Roroanae  eccle- 
siae  etiam  post  sententiam,  ut  j.  de  priv.  cum  olim  1.  III.  circa  finem 
versu  quia  vero.,  si  vero  papa  nihil  sibi  in  illo  privilegio  reservavit, 
potest  illi  renuntiari,  ut  VII.  q.  I.  quam  periculosum  et  8.  de  prm, 
si  de  terra,  Sed  Jo.  tectonicua  notat  hie,  quod,  si  ille  qui  impe- 
travit  Privilegium  directe  faciat  contra  ipsum  etiam  semel  perdit 
ipsum  ut  hic:j.  de  praeb,  pro  iUarum,  C.  de  pactis  inter  emU  et 
vend.  L  commissorie;  si  vero  non  servat  Privilegium  vel  non  tuetur 
se  illo,  tunc  perit  privilegium  legitimo  tempore  ut  j.  de  priv.  acce- 
dentibus.  Magis  enim  delinquit  qui  directe  venit  contra  Privilegium 
quam  si  non  utitur  illo  etc.  Ad  hoc  ar.  LXXXIV.  di,  quisquia  et  8.  de 
vitaet  ho.  cler.^  8tatuimu8fj>  de  seni.  excom.^  contingü  et  C  de 
excu8at,  tu.  L  voluntarie  et  C.  de  hi8  qui  sponte  munera  8ub,  I.  I. 
libri  XL,  quoniam  levi  argumento  perditur  Privilegium  ut  j/*.  de  divor. 
/.  uU.  Hanc  ultimam  opinionem  magis  ampleclor.  Verum  tamen  quia 
quaelibet  praedicta  distinctionum  impugnari  potest,  ideo  alii  dicunt, 
quod,  si  Privilegium  est  odiosum,  perditur  per  unicum  contrarium 
actum,  si  favorabile,  non  perditur  nisi  legitimo  tempore  praescribatur 
contra  privilegium,  vel  melius,  si  Privilegium  datum  est  in  favorem 
personae  seu  personarüm,  si  semel  veniunt  contra  privilegium  per- 
dunt  illud,  sed  si  datum  est  in  favorem  ecclesiae  non  perditur  nisi 
contra  illud  fuerit  praescriptum  legitimo  tempore.  In  quibus  et  quot 
casibus  perditur  privilegium  notatum  est  8.  de  transact,  sugges- 
tum.  t' 

7.  c.  1.  de  cousuet.  y.  observantiam^y  Secundum  legalem  ob- 
servantiam  regulariter  in  testamentis  exiguntur  VII.  testes  ...  in 
codicillo  vero  exiguntur  V.  testes  .  .  .  Haec  solemnitas  remittitur 
rusticis  propter  penuriam  hominum,  ut  in  eorum  testamentis  suffici- 
unt  V.  testes  .  .  .  item  militibus  remittitur  haec  solemnitas,  dum  sunt 
expeditione  occupati .  .  .  Alia  est  canonica  observantia,  ut  habes 
eartra  de  testam.  cum  esses  et  c.  relatum.  Primum  tamen  c.  volunt 
quidam  restringere  per  secundum,  ut  loquatur,  cum  aliquid  ecclesiae 


<)  leh  laaae  die  rdmiachrechU.  Citate  aus,  weil  sie  nicht  weiter  nbihig  alod,  ab  um 
ihre  Art  so  coBftatiren;  die  caaoBiachrechU.  laase  ich.  {^leiehfalla  aua,  soweit  aie 
nicht  zur  Conttatining^  einielaer  Punkte  dienen. 


128  V.    S  c  h  u  1  t  e 

relinquitur,  maxime  quia  de  eodem   loco   loquuntur,    ut   ex  tute  le 
[offenbar  titulo  legis]  colligitur.  siL' 

8.  c.  4.  de  rescript.  v.  nee.  üceat  occas.  gen,  Trovidet  hie 
dominus  papa,  ne  diversae  personac  iitigatorum  vexatiouibus  afSci- 
antur,  ar.  C.  mandati  per  diversaa,  melius  j.  in  eoneilio  lateran^ 
nonuUi  gratia.  Si  propositum  enim  ejus  est,  materiam  litibus  auferre 
.  .  .  alias  enim  hoc  uomen  aliia  bene  includeret  majores  personas, 
nam  nomine  plebis  etiam  senatores  eontinentur  .  .  .  nee  semper  hoc 
nomen  alits  positionem  facit  ut  LVJ.  Cenomanetisem ;  ar.  ff.  de  con- 
st  it.  pec.  l.  L  §.  debitum  .  .  .  .  la.' 

9.  e.  4.  de  consuet.  v.  interdicto  supponere.  'Sie  ergo  ecele- 
sia  supponit  ah'quem  loeum  interdicto.  Similiter  solus  decanus  ut  /. 
de  appelL  dil.  filio.  Arg.  contra:  s.  de excess.  prael.  c  I.  L  /.,  ubi 
dictum,  quod  solus  episcopus  hoc  non  potest  sine  consensu  capituli; 
simile  supra  de  his.  q.  f.  a  ma.  p.  c.  quaesivit  l.  II.  Jo.  Ad  hoc 
dicendum,  quod  nee  episcopus  nee  aliquis  inferiorum  praelatorum 
potest  hoc  facere  sine  consensu  capituli  sui,  nisi  hoc  obtineat  ex 
privilegio  vel  consuetudine  speciali  jam  praescripta.  Ar.  ad  hoc  XV. 
Q.  VII.  episc.  nullius  causam,  s.  de  excess.  prael.  ad  haec  L  I.  /.* 

10.  c.  3.  de  postul.  v.  vobis  dedimus  in  mandatis:  'hoc  obtinet 
et  de  consuetudine  in  ecclesia  ravennatc,  quod  mortuo  archiepiscopo 
non  proceditur  ad  electionem  futuri  pootificis,  nisi  prius  signifieata 
morte  ejus  domino  papae  et  licentia  eligendi  ab  eo  recepta.  la.^ 

11.  c.  2.  de  translat.  episc.  v.  vicarium:  'licet  alias  dieatur 
successor  piscatoris :  XXIV.  Q.  I.  quoniam  vetus.  Similiter  quilibet 
episcopus  est  vicarius  Christi:  XXXIII.  Q.  v.  mulieretn^  et  episcopi 
sunt  successores  apostolorum:  LXVIII.  quorum  vices.  la.^ 

12.  c.  2.  de  elect.  in  iine:  'et  R.  seniori  adjudicavit  custodiam 
prout  oratum,  sicut  continetur  in  compilatione  /.'.  licet  desit  hie. 
laur. 

13.  c.  7.  ibid.  v.  num.  f'aciebnt.  'Sed  pone  omnes  alias  circum- 
stantjas  esse  aequales,  nisi  quia  unus  ditior  est  numquid  praeferlur 
dives?  videtur  quod  sie;  nam  dicit  lex,  quod  melior  efGcitur«  qui 
ditior  eflficitur,  ut  ff.  de  reb.  eor.  qui  sub  tu.*  si  pupillorum  §.  si 
praetor^  ar.  di.  XXX.  haec  scripsimus.  Praeterea  praefcrtur  dives 
pauperi  in  actione  in  testamento  ut  II.  Q.  L  In  primis  et  L.  prohi- 
beniur  et  ff.  de  actio.  L  nonnulU.  Sed  videtur  ideo  postponendas 
exemplo  Soeratis,  qui  non  putavit  cum  divitiis  virtutes  posse  possi- 


LiteratiirgrscMchte  der  CoiDptlatioites  antiquae  etc.  1  l^d 

dere  ut  XII.  Q.  IL  gloria,  nam  istud  debet  primo  profiteri  philosophus 
pecuniaiD  spernere  ut  ff.  de  variis  et  eatra  ca,  cogni.  1.  I.  §.  I.  cum 
per  hoc  quidam  detectus  fuit  non  esse  philosophus»  qui  pecuniam 
voluit  retinere :  ut  C  de  muneribus  pairimoniorum,  professio  tua. 
Ergo  perferrem  [prof.]  divitem,  si  ecclesia,  eui  praeficitur,  indiget, 
et  praesumerein,  quod  de  bouis  suis  ibi  expenderet'. 

In  einer  daselbst  anfangend  ar.  a  contrario  sensu  und  t  signirt 
ist  das  Citat:  'ut  in  constit.  domini  Innoc.  quia  per  diversas  in  iine' 
d.  h.  c.  9.  de  elect.  Compilationis  IV. 

14.  Ibid.  'Sed  pone  quod  scio  in  ecciesia  duos  meliores  Omni- 
bus sunt  pares  inter  se;  data  est  mihi  postestas  eligendi,  quaeritur 
quem  eligere  debeani?  Ar.  quod  uterque  est  in  Obligationen/*,  de  V. 
0.  ai  duo  rel;  sed  quod  unus  determinate  sit  in  electione:  ff.  quando 
dies  le,  ce.  cum  illud.  In  primo  credo  quod  gratifieare  possim  et 
eligere  quem  voluero :  ar.  LXIU.  di.  e.  ult.  et  servus  in  periculo 
mortis  potest  subvenire  uni  ex  dominis,  quem  maluerit  ut  ff.  sill. 
sen.  cons.  si  quis  in  gravi  §.  sicut  onmis;  et  ita  unum  eligendo 
liberor  ah  eo,  quod  teneor  faeere:  XXIII.  Q.  IV.  ipsa  pietas.  Quod 
verum  est  etiam  si  juravi  eligere  meliorem.  vic' 

15.  c.  8.  ibid.  v.  spoliandus:  'per  sententiam:  et  ita  adhue 
remanet  episeopus  prioris  ecclesiae  ut  j.  de  renunt.  c.  1,  L  e.  et 
s.  de  iranskU.  epi,  inier  corp,  in  f.  L  e.  Unde  ei  Interim  obedire, 
tenentur,  quia  nondiim  vacat  de  facto.  licet  vacet  de  jure  ut  j.  de 
conc.  praeb.  lüteras  L  e.  lau.' 

16.  c.  8.  ibid.  y.  quor.  alier  proeurator:  'bene  tarnen  potue- 

runt  utrumque  dare  procuratorem  in  solidum:  IL  Q.  VL  %,  forma, 

et  supra  de  testibus^  insuper  L  I.»  non  tamen  simul  agere  possent: 

ff.  de  procurat.9  pluribust  ff.  de  amm.  t.,  decreto  §.  i.,  sed  ille  est 

potior  qui  prior  occupat  ut  in  illa  lege  pluribus  ff.  et  hoc  cum 

simul  eos  dat;  si  vero  diversis  temporibus,  dando  secundum  remo- 

veret   priorem:  ff.  de  procurai.,  quisquis  §.  iift.,  nisi  in  dando 

secundum  exprimat,    quod  priorem  volt  durare  in   procuratorem: 

ffl  de  /.  h  plur^us.  Ad  unam  autem  litem  plurium  personarum  et 

unum  procuratorem  dare  possunt  plures  ut;/*.  deproeurat.^  si  quis 

§.    unius.  Quandoque  tamen  plures  non  nisi  per  unum  experiri  vel 

agere  possunt  seu  defendere»  ut  ubi  plures  fidejussores  sunt  et  volunt 

defendere  cum,  pro  quo  fidejusserunt  judicatum  solyi  ut  ff.  judica- 

tum  solvi  l.  V.  §.  si  unus^  et  in  redhibitoria:  ff.  de  aedil.  c.  quod 

SiCxb.  4.  phil.-hist.  Ol.  LXVI.  Bd.  I.  Hft.  9 


130  V.  Seil  u  1 1  e 

91  nolii.  ^.  8%  plures,  et  idem  ubi  quis  agebat  judicio  familiae  her- 
ciscundae  pluribus  heredibus  relictis,  quia  omnes  unum  procuratorem 
ad  Judicium  dabunt  wXff,  fam.  herc.  L  fam,  habere,  vic.' 

17.  c.  13.  ibid  v.  sec*  appelL  inierpositam:  'sie  j.  e.  t.  c.  ult 
V.  exercuit»  aut  denuntiationis  officium :  LXIII,  du  obeuntibus ;  s.  de 
off.  deleg.f  causam  L  /.;  j.  de  arbUr,  r.  ult,\  ff.  de  reeepti»^  iiem 
si  unuM  §.  ult  la.  Addunt  quidam,  ui  v ine  nisi  id  fiat  in  absentia, 
quod  absens  concederat»  si  esset  praesens,  nt  ff.  de  donat..  ei  tibi 
remf  ff.  de  rüu  it.,  ei  filius.  Obstat  enim  tali  doli  exceptio  ut  ff.  de 
doli  except.  apud  Celeumt  ff.  de  peculio,  non  nolum.  Quandoque 
tarnen  plus  impedit  contradictio  praesentis  quam  absentis  ut  di.  LIV. 
quie  aut  leges*  ff.  de  curatore  fu.,  si  cum  ßlw  %.  u\t  ,  ff.  de  reg. 
jur.t  qui  polest.  Jo.  t' 

18.  ibid.   y.  curav.   conseniire.    Sed   numquid   iu    hoc    casu 
possunt  primi  electores  ab  electione  sua  resilire,  si  absentes  volunt 
consentire?  Videtur  quod  sie,  maxime  si  diffidunt  de  jure   suo  .    . 
Sed  dicendum  est,   quod   nou  .    .    .    Pone,   quod  illi  qui  conteroti 
t'uerunt  mortui  sunt,  et  alii  loco  eorum  substituti,  numquid  exigritur 
consensus  substitutorum    ita  quod   si  non  consentiani-electio  irrite- 
tur?  Vinc.  dicit  quod  non  est  necessarius  substitutorum  assensus 
nee  possunt  electionem  irritare,  nisi   episcopi  vel    abbates  essent 
contemti,  quibus  aiii  succederent  in  onere  et  honore,  quia  tales  una 
persona  censentur  .        .     Item  pone ,    quod  ilH  qui  cousenserunt 
mortui  sunt  et  alii   substituti,   numquid  sufficit,  si  contemti  relint 
modo  consentire?  Dixit  Jo.  Walensis  quod  non.  quia  non  inveniunt 
consensus,  quos  confirment,  ar.  ff.  commuma  praed»  receptum,  ubi 
dicitur,  quod  quidam  ex  coberedibus  cesserunt  ?iam  et  quidam  non  et 
mortui   sunt,  qui  cesserunt,   non   confirmatur    cessio  si  superstites 
cedunt.    Vinc.  dicit  contrarium  et  alia  est  ratio' in  lege  et  alia  hie. 
quia  in  cessione  viae  ultima  cessio  tantum  valet,  ac  si  tunc  omnes 
cederent,    quando  ultimus  cedit;  sed  secus  est  bic,  quia   perinde 
habetur  consensus  istorum  ac  si  omnes  retro  consensissent,  qoia  ad 
tempus  electionis  fit  relatio  ut  s.  e.  t.  dudum  circa  finem.  /.* 

19.  c.  14.  ib  .  .  'solvitur  ista  contrarietas  in  glosa  Jo.  qoae 
incipit  hie  electio  quae  nulla  est  etc.  Ego  vero  solri  eam  s.  de  eteet. 
considerammns  l.  I.  t'  Hierauf  folgt  des  Johannes  Glosse. 

20.  c.  19.  ibid.  v.  in  germanos.  'Sie  ergo  regnum  niuodi 
translatum  est   ad  teutonieos,   nam  et  habent  regnum  Bamanae 


Literaturgreschichte  der  Con)|iiUiioaes  antiquae  etc.  1 3  1 

-eccleaiae,  ut  de  cons.  d.  F.  in  die:  et  sie  patet,  quod  imperium  non 
«st  apud  graecos,  licet  largo  nomine  appelletur  imperator  ut  j.  de 
majnrilate,  solitae,  sicut  rex  francorum,  quoniam  extra  Ro.  ecelesiam 
non  est  imperium  ut  XXIV.  Q.  1.  §.  sed  illud.  Est  autem  imperator 
ille  super  omnes  reges  ut  VII.  Q.  I.  In  apibus,  et  omnes  nationes 
.sub  eo  sunt  ut  XI.  Q.  I.  §.  hoc  si  quia  v.  volumus-  Ipse  enim  est 
princeps  mundi  et  dominus  ut  ff.  ad  L  Ro.  depraecatio,  immo  etiam 
judaei  sub  eo  sunt:  C.  de  iudaeis,  judaei,  et  omnes  provinciae,  ut 
LXIII.  di.  Adrianus.  Item  omiiia  sunt  in  potestate  imperatoris  ut  VIII. 
di.  quo  iur.»  XXIII.  Q.  VIII.  convenior,  C.  de  quadrien,  prnescrip.* 
bene  a  Zenone  etc.  Jo.' 

21.  ibid.  V.  advocato.  'Advoeatus  ecclesiae  non  est  patronus, 

»ei  eomparatur  illi  tutori,  qui  datur  pupillo»  ut  defendat  illum  ab 

infestatione  aliorum  et  appellatur  honorarius  ut  ff  de  8oL,  quod  ai 

/orte,  nee  eomputatur  talis  tulela  in  numero  trium  tutelarum,  sed 

est  causa  honoris  tantum:  ff.  de  ritu  n.,  si  quistutor.  la.' 

Da  es  sich  hier  nur  um  Feststellung  der  Glossatoren  und  des 
Charakters  ihrer  Glossen  handeln  kann,  nicht  aber  die  Absicht  vor- 
liegt, die  wichtigeren  Glossen  mitzutheilen,  so  mögen  obige  Beispiele 
genügen.  Betrachtet  man  das  Verhaltniß  der  Glossen  zu  einander,  so 
haben  offenbar  Johannes  Galensis  und  Vincentius  vollstän- 
dige Apparate  gemacht,  welche  dann  der  von  Tancred  ergänzt.  Viel- 
leicht hat  auch  Lanfrancus  einen  solchen  abgefasst,  während  von 
Liaurentius  verhältnissmässig  nicht  viele  Glossen  herrühren,  min- 
destens in  den  Handschriften  seine  Sigle  tragen.  Wer  «i/.  ist,  von 
welchem  einige  Glossen  vorkommen,  kann  wohl  nach  der  Erklärung 
von  Johannes  Andreae,  dass  Silvester  di^  zwei  ersten  Glossen  zu 
c.  ad  nostram  de  consuetudine  angehorten,  nicht  zweifelhaft  sein, 
obwohl  die  Glosse  sil.  nicht  zu  diesem  zweiten,  sondern  dem  voran- 
gehenden Capitel  setzt,  da  die  Sigle  selbst  deutlich  ist.  Nichts 
zwingt  uns  aber,  Silvester  als  Glossator  der  Comp.  III.  anzusehen, 
weil  die  Glosse  offenbar  ganz  gut  aus  einer  Summa  decreti  geflossen 
sein  kann  und  die  beiden  citirten  Dekretalen  in  der  Compilatio  prima 
stehen.  Es  dürfte  sich  somit  der  Kreis  der  Glossatoren  auf  Laurentius, 
Johannes,  Lanfrancus,  Vincentius,  Tancred  beschränken. 


9 


132  r.  S  c  h  u  I  t  e 

VI.  Abfassungszeit  der  Apparate  zur  Comp.  U  und  HE. 

84.  Die  Zeit  der  Abfassung  der  Apparate  laßt  sich  bis  zu 
einem  gewissen  Grade  genau  bestimmen.  Tanered  gibt  in  der  im 
§.  S2.  abgedruckten  Vorrede  zum  Apparate  der  3.  Compilation  an: 

1.  Er  beginne  denselben  nach  Innocenz  III.  Tode  (felicis  recor- 
dationis  dom.  Innoc.  papa  UL).  Folglich  hat  er  denselben  begonnen 
nach  dem  16.  oder  17.  Juli  1216. 

2.  Er  nennt  sich  darin  canonicum  Bononiensis.  Da  er  am 
31.  Jan.  1226  zum  Archidiacon  erhoben  wurde'),  wurde  dies 
der  äusserste  Endpunkt  sein. 

3.  er  spricht  von  den  'constitutiones  eoncilii  proxime  cele- 
brati',  womit  er  die  des  4.  Lateranensischen  meint  <).  D^s  proxime 
kann  sich  nur  auf  die  Zeit  nach  dem  lateran.  beziehen»  weil  vor 
1227  kein  neues  römisches  Concil  abgehalten  worden  ist.  Das  4. 
Lateranische  ist  gehalten  worden  vom  11.  bis  30.  November  1215. 
Wenn  nun  Tanered  bald  nach  Innocenz  IH.  Tode  seinen  Apparat 
begann»  so  durfte  er  noch  proxime  sagen.  Bei  dieser  Auffassung 
dürfte  man  etwa  die  Abfassung  in  das  Ende  des  Jahres  1216  und 
in  das  Jahr  1217  verlegen.  Wollte  man  aber  interpretireu:  zuletzt 
abgehaltenes  Concil,  so  könnte  man  allerdings  die  Abfassung 
hinausschieben.  Dies  geht  aber  nicht.  Denn 

4.  er  gibt  an»  daß  er  auch  in  den  bereits  von  ihm  ge- 
machten Apparaten  ('tam  in  apparatibus  a  me  factis  quam  in 
hoc,  quem  ordinäre  dispono^)  und  in  dem  zur  Comp.  III.  die  Erlasse 
von  Innocenz  III.  und  die  Schlüsse  des  Concils  hinstellen  werde 
(^collocabo'y  Da  dies  »ich  aufgemachte  mit  bezieht,  kann  es  für 
sie  nur  ein  Nachtragen  sein»  weil  er  keine  Änderung  beabsichtigt. 
Hieraus  folgt  nun  evident  : 

1.  Daß  der  Apparat  zur  Comp.  I.  und  II.  vor  dem  4.  Codcü 
vom  Lateran»  also  vor  11.  November  1215  vollendet  war. 

2.  Daß  er  nach  1210»  nach  dem  Erscheinen  der  Comp.  III.,  die 
secunda  glossirt  haben  muß,  weil  diese  nach  der  tertia  erschien. 


0  Sarti  n.  p.  29.  der  das  Schraibeo  HoDoriua  IH.  Tom  31.  Jfio.  1226  da«,  pa^.  181 
abdruckt.  Am  Schlüsse  der  Urk.  steht  ^9ecundo  Ral.  Febr.\  was  kanai  deakbar  tat, 
Sarti  gibt  im  Texte  p.  29  pridie  an. 

3)  Maasseo  io  Jahrb.  III.  S.  244  Note  42.  hat  nuperrime.  Im  Bamb.  Cod.  P.  IK 
6.,  den  er  citirt,  steht  dies  nicht;  ob  in  dem  zweiten  (Gratxer),  den  er  ««eh 
citirt,  weiss  ich  nicht.   Sarti  (Bouquet)  hat  auch  proxime. 


Literaturgeschichte  der  CompUatioiies  antiqune  etc.  133 

3.  Das8  in  dem  Apparate  zur  Comp.  I.  und  II.  die  Citate  von 
Dekretalen  Innocenz  III.,  die  in  der  Comp.  IV.  stehen,  später  nach- 
getragen worden  sind. 

Nimmt  man  zu  diesen  Daten  hinzu,  daß  Tancred  im  Apparate 
zu  I.  II.  III.  die  Compilatio  IV.  nicht  kennte),  die  er  auch  mit 
keinem  Worte  erwähnt,  obwohl  die  Comp.  IV.  nicht  sehr  lange 
nach  Innocenz  III.  Tode  gemacht  sein  kann,  so  dürfte  nicht  zu  be* 
zweifeln  sein,  daß  das  Jahr  1217  als  das  richtige  erscheint 

Aus  den  eigenen  Angaben  Tancreds  folgt  weiter: 

1.  Dass  er  den  Apparat  zur  Comp.  I.  zuerst  gemacht  hat.  Wäre 
dem  nicht  also,  so  würde  er  dies  sicher  hervorgehoben  haben,  weil 
Jeder  das  Gegentheil  aus  seinen  Worten  folgern  wird. 

2.  Dass  die  Citate  in  dem  Apparate  zur  Comp.  I.  aus  der 
Comp.  II.  und  III. 2)  nicht  später  von  ihm  hinzugefugt  worden 
sind,  sondern  gleich  anfänglich  darin  standen.  Dies  sagt  er  freilich 
nicht  direct.  Aber  wenn  er  so  sorgsam  die  Ergänzung  der  Citate 
aus  den  Dekretalen  nach  dem  8.  oder  9.  Jänner  1210  [womit  das 
Xil.  Jahr  Innocenz  III.  endigt]  hervorhebt,  hätte  er  gewiss  bei  dieser 
Gelegenheit  auch  eine  solche  Hervorhebung  gemacht  für  die  Comp, 
prima  rücksichtlich  der  Citate  aus  der  secunda  und  tertia. 

Endlich  kommt  noch  ein  Umstand  in  Betracht.  Er  sagt  aus- 
drücklich in  dem  Vorworte  zur  Comp.  III.,  nachdem  er  die  Comp.  1. 
und  IL  glossirt,  habe  er  in  seinem  Exemplare  der  Comp.  III.  Notate 
gemacht  beim  Hören  und  Lesen,  welche  seine  Schüler  ohne  sein 
Wissen  abgeschrieben  und  als  seinen  Apparat  der  Comp.  HI.  in  Um- 
lauf gesetzt  hätten.  Nach  Wiederaufnahme  des  Lehramts 
wolle  er  nun  die  tertia  wirklich  mit  einem  Apparate  versehen.  Folg- 
lich fällt  diese  Wiederaufnahme  des  Lehramts  später,  als  die  Glossi- 
rung  der  Compilatio  I.  und  II.  Sarti  hat  Tancred  zuerst  in  einer 
Urkunde  vom  J.  1214.  Spt.  14.  als  magiater  decretoi^m  gefunden »), 


*)  Das«  jetit  in  Haodschrifteo  /.  IV.  sich  Torfindet,  tbut  nichts  zur  Sache,  weil  man 
•piter  die  Citate  mandg^erecht  machte.  Hfttte  ihm  die  Comp.  IV.  beim  Anfange 
oder  Schlosiie  seines  Unternehmens  vorgelegen,  so  liesse  sich  absolut  nicht  be- 
greifen, wie  er  in  der  Vorrede,  die  am  Genauesten  auf  die  Geschichte  der  Com- 
pilationen  eingebt,  oder  in  dem  Epilog  darüber  hinweggehen  konnte. 

*)  Dass  solche  in  dem  zur  prima  rorkommen,  ergeben  die  abgedruckten  Glossen. 

';  Siehe  Ssrti  11.  p.  29  und  den  Abdruck  das.  p.  181. 


1  34  v>   Schulte 

von  wo  ab  er  bis  1234  zu  Bologna  erscheint.  In  diesem  Doeumente- 
wird  er  nicht  canonicus  genannt. 

In  der  SummtUa  de  matrimonio,  die  vor  dem  Concil  von  1215 
gemacht  ist  <)»  nennt  sich  Taucred  auch  noch  nicht  maffUier»  son- 
dern blos  T.  Bononiensis.  Dieselbe  ist  gewidmet  dem  Propste 
Otto  von  Gurk,  der  1214  starb  als  gewählter  Bischof,  hat  eine 
Formel  von  1210  und  ist  unzweifelhaft  1210  oder  1211  gemacht 
worden.  Der  Ordo  judicmrius  WWX  aber  nach  30.  Nov.  1215.  da 
wiederholt  (gleich  im  Eingange  §.  Jtidieiortim  siquidem  ordo)  das 
4.  Concil  vom  Lateran  genannt  ist.  Hiemach  scheint  Folgendes 
angenommen  werden  zu  müssen'): 

1.  Tancred  hat  die  Comp.  I.  nicht  vor  dem  Erscheinen  der 
III.,  also  nicht  vor  1210  glossirt»  aber  jedenfalls  vor  1215. 

Die  Apparate  von  Aianus,  Laurentius,  Vincentius, 
welche  von  Tancred  benutzt  worden  sind,  fallen  also  vor  den  von 
Tancred.  Da  in  diesen  vor  Tancred  fallenden  Apparaten  die  Comp. 
II.  und  III.  citirt  werden,  so  folgt,  dass  deren  Vollendung  nach  1210 
füllt.  Wir  dürften  also  etwa  mit  Annahme  der  Zeit  von  1212 — 1215 
der  Abfassung  des  von  Tancred  das  Richtige  treffen. 

2.  Die  Glossirung  der  Comp.  II.  durch  Tancred  fallt  eben- 
falls zwischen  1212  und  1215.  Benutzt  hat  Tancred  die  vor  ihn 
fallenden,  mithin  entweder  1210  oder  1211  oder  1212  gemachten 
Apparate  bez.  Glossen  von  Lanfrancus,  Alanus,  Johannes  Ga- 
lensis,  Laurentius,  Vincentius,  Gratia. 

3.  Die  Comp.  IIL  ist  von  Tancred  nach  1216  aber  wohl  bald, 
etwa  121 7  glossirt  worden,  abervordem  Erscheinen  der  Compilatio  IV. 


■)  Deno  YOB  deMen  Satsungen  ober  die  Ehe  keoat  sie  nicht«.  Et  ist  ein  Fehler,  de«» 
Wooderiich  TaDcredi  summa  de  matrimoaio,  Gett.  1S41  in  seuier  aeast  treff- 
liehen  Edition  die  in  Uandachriften  am  Rande  und  aonst  eiagesehaltete  Conat. 
aber  die  Affiaitlt  hat  abdrucken  laaten  (p.  55). 

*)  Zugleich  sind  wir  durch  die  eigenen  Mittheilungen  Tancreds  ober  «eine  Tkitigkeit 
beaser  belehrt,  als  aus  den  sonstigen  Angaben.  Er  hat  also  iwiaehen  1210  and 
Not.  Itl5  schon  gelehrt,  aber  auch  noch  gehört,  war  1210  oder  Itli  noch  nicht 
Magister,  wohl  im  Sept.  1214.  Es  iSsst  sich  daraus  wohl  also  schliefen :  Die 
SummiUa  de  matrimonio  ist  eine  Scbulerarbeit,  er  promorirte  etwa  121t  oder 
1213,  dozirte  ein  bia  zwei  Jahre,  machte  theils  als  Schüler,  tbetls  in  dieaer  eratea 
Lehrzeit  und  wihrend  der  Müsse,  die  Tielieicht  durch  das  neue  Amt  eines  Cano- 
nicus bewirkt  war,  die  Apparate  zu  Comp.  I.  und  II.  den  Ordo  judieirnu^  nahm 
nach  1216  das  Lehramt  wieder  auf. 


Literaturg-eschiehte  der  Compilakiones  «Dtiquae  elc.  I  3o 


Vn.  Die  Glosse  zur  Coxnpüatio  qnarta. 

SS.  In  den  Handschriften  der  Compilatio  IV.  finden  sich»  wie 
die  mir  bekannten  Handschriften  zeigen  und  auch  die  Mittheilungen 
anderer  ergeben,  nur  Glossen  mit  der  Sigle  Jo,  oder  solche  ohne 
Sigle.  Dass  dieser  Apparat  JohannesTeutonicus  zum  Verfasser 
hat,  ist  bekannt  und  bedarf  keines  weitern  Nachweises;  übrigens 
liegt  er  in  der  folgenden  Darstellung.  Da  dieser  Apparat  gedruckt 
vorliegt,  halte  ich  an  diesem  Orte  ein  näheres  Eingehen  fQr  über- 
flüssig und  beschränke  mich  darauf,  die  Zeit  seiner  Abfassung  ge- 
nauer festzustellen,  weil  diese  zugleich  entscheidend  ist  für  die  Zeit, 
wann  der  Apparat  des  Johannes  zum  Dekret  Gratians  abgefasst 
wurde.  Johannes  citirt  öfter  seine  Glosse  zum  Dekrete  Gratians  i). 
Alle  Ausführungen,  auf  welche  er  sich  beruft,  stehen  in  jenen  Hand- 
schriften des  Dekrets,  welche  seine  Glosse  rein  haben «)  bez.  vor 
die  Glossa  ord.  des  Bartholomäus  von  Brescia  fallen  und  allein  oder 
mit  anderen  die  des  Johannes  bieten,  ebenso  in  der  Gl.  ord.,  jedoch 
hier  vielfach  mit  Zusätzen  des  Bartholomaeus  Brixiensis.  Obwohl 
somit  die  Identität  beider  gar  nicht  zu  bezweifeln  ist,  möge  doch  ein 
Citat  ausgeführt  werden.  Job.  ad  Comp.  IV.  in  c.  2.  de  elect.  v. 
arcere.  'Generale  enim  est  quod  ad  citationem,  quae  a  iure  repro- 
batur  non  tenet  venire  citatus  etiam  ut  alleget  Privilegium :  ut  notavi 
HI.  q.  II.  «I  episcopm.  Jo.^  Im  Cod.  T  r  e  v  i  r.  906  steht  nun  zu  III.  q.  2. 
ai  epc.  V.  convocari  folgende  Glosse :  'Sed  numquid  veniet  allegare  Pri- 
vilegium ut  extra  de  appelL^  comparavil  Resp.  non  cum  constat  eum 
esse  spoliatum,  sie  ff.  de  peculiot  eo  tempore.  Scias  ergo  quod,  ubi 
evidens  est  citationem  non  valere,  reus  non  tenetur  venire  etiam  ad 
allegandum  Privilegium;  scias  ergo,  quod   quandoque  eitatio  non 


1)  Z.  B.  c.  honae  mem.  2.  de  elect.  v.  areere,  c.  6.  Mcriptmm  ibid.  ▼.  duplo  nmjor : 
*de  bac  nateri«  notavi  plene  63.  dist.  c.  ull.^ ;  e.  9.  quia  profttr  ibid.  ▼.  »ii  Ueo : 
*pront  Botari  7.  q.  1.  faetns^;  c  e9MtituiȤ  4.  de  off.  jud.  dele;.  ^de  boc  plenins 
noUTi  3.  q.  5.  c.  iiod.\  c.  mucümiü  im.  de  ia  iDtegr.  rettit.  *et  in  aliia  casibni, 
quos  notaTi  II.  q.  3.  cwn  uput  etc.  AJle  diese  und  andere  Citate  ateben  in  tfimmt- 
iiehen  genannten  Handschriften  und  der  Ausgabe,  sind  auclr  regelmfissig  mit  der 
Sigle  Jo.  Terseben. 

S)  Z.  B.  im  Cod.  bibl.  civit.  TreTir.  906,  bibl.  Barab.  P.  I.  16. 


1  36  V.    Schulte- 

valet,  quia  infra  angusta  tempora  (it.  .  .  .  quia  non  expriniatur 
causa,  quare  fiat  .  .  .  quia  nimis  maturatur  peremtorium  .  .  .  ratione 
temporis,  si  fiat  die  feriato  .  .  ratione  loci,  ut  si  citatur  ex  provin- 
cia  ultra  duas  dicutas  ut  extra  de  res  er,  nonnulli  Tel  si 
citatur  ad  locum  periculosum  vel  inhonestum  ut  extra  IIL  de 
appelL  exparte^)  etc.  etc. 

Da  nun  feststeht  (§.  54.),  dass  bei  Abfassung  des  Apparats 
zur  Comp.  IV.  der  Apparat  zum  Dekret  fertig  war,  da  in  diesem 
Apparate  Canones  des  vierten  lateranensischen  Concils  citirt  werden, 
da  Tancred  in  seinem  Apparate  zur  Comp.  III.  den  Apparat  zum 
Dekrete  kennt  (§.  53.  num.  6.).  aber  nicht  die  Comp.  IV.,  da 
sicher  ist,  dass  Tancreds  Apparat  nicht  nach  1226  gemacht  ist,  so 
folgt  daraus  mit  Gewissheit: 

1.  Der  Apparat  zum  Dekret  ist  vollendet  nach  30.  Nov. 
1215,  sicher  vor  1226. 

2.  Die  Comp.  IV.  ist  nicht  sofort  nach  dem  Concil  gemacht 
worden. 

Wahrscheinlich  ist,  dass  die  Compilatio  quarta  etwa  ins 
Jahr  1217  oder  1218,  der  Apparat  zu  ihr  in  dieselbe  Zeit  falle. 

Zugleich  ist  damit  der  Beweis  geliefert,  dass  die  Glosse  des 
Accursius,  welche  nicht  vor  1 234  vollendet  sein  kann  (v.  S  a  v  i  g  n  y 
V.  S.  282)  jfinger  ist  als  die  Glosse  des  Johannes  Teutonicus, 
das  Dekret  mithin  früher  einen  einheitlichen  Apparat  hatte  als  die 
römischen  Rechts büclier,  das  Verdienst  der  ersten  einheitlichen 
Arbeit  dieser  Art  —  wenn  man  absieht  von  den  im  Vergleiche  zum 
Dekrete  kleinen  Arbeiten  zu  den  Compilationes  antiquae  —  einem 
Deutschen  zukommt*).  Zur  noch  grossem  Unterstützung  sei 
zugefugt,  dass  die  Qomp.  V.  im  J.  1226  an  Tancred  vom  P.  Hono- 
rius  III.  ubersandt  wurde,  vorher  die  quarta  ihre  Glosse  und  ihren 
Namen  hatte,  dass  aber  Accursius  erst  1221  mit  Sicherheit  als 
Lehrer  erscheint.  Wenn  er  nun  auch  wirklich  1220  an  der  Glosse 


*)  Dm  erste  Cittt  Ut  c.  nonnulli  5.  derescr.  der  Comp.  IV.  nod  paMt  aar  auf  dieses. 
Das  zweite  Citat  beweist  durch  die  Angabe  des  extra  III.,  dass  es  aus  der  redpirten 
dritten  Collection  genommen  wurde,  cap.  nonnulli  konnte  mit  de  retcr.  citirt 
werden,  weil  die  Canones  des  4.  lateran.  Concils  in  den  Sammlungen  nach  des 
filteren  Vorgingen  regelmfissig  unter  die  betreffende  Rubrik  gesteUt  sind. 

*)  Ich  habe  diese  Ansicht  als  wahrscheinlich  gegen  t.  Sarigny  schon  in  der  erstes 
Auflage  meines  Lehrbucht  des  Kirchenrerhts  aufgestellt  (S.  50,  sweite  S.  54  fg.). 


Literaturgeschichte  der  Compilationes  antiquae  etc.  137 

ZU  den  Authentikeii  schrieb  (v.  Savigny  V,  S.  200),  auch  an  der 
zu  den  Institutionen  sehr  jung  arbeitete:  so  ist  geradezu  undenkbar, 
dass  Johannes  Teutonicus ,  dessen  Glosse  zum  Dekrete  eine  Arbeit 
ist»  die  gewiss  einige  Jahre  erforderte,  welche  aber  1217  als  voll- 
endet angenommen  werden  darf')»  seine  Idee  dem  Schuler  ent- 
lehnt habe. 

Vni.  Die  Glosse  zur  Ooxnpilatio  quinta  0* 

56.  Jacobus  de  Albenga  hat  nach  Johannes  AndreS*s  aus- 
drücklichem Zeugnisse  die  Comp.  V.  glossirt «).  Handschriften  mit 
der  Glosse  sind  äusserst  selten,  wie  denn  oben  bereits  bemerkt 
wurde,  dass  Cironius  keine  zu  Gesicht  bekommen  hat  Ebenso- 
wenig  hat  der  neue  Herausgeber  Riegger  solche  gesehen.  Mir  ist 
bisher  nur  die  oben  genannte  Handschrift  von  Chartres  bekannt 
geworden  *).  Auf  diese  Glosse  gehe  ich  hier  nicht  näher  ein,  da  sie 
lediglich  für  die  Glosse  zu  den  Dekretalen  Gregors  IX.  eine  Bedeu- 
tung hat,  bei  deren  Darstellung  ich  auf  sie  zurückkommen  werde. 


0  Ich  habe  die  historische  Gewissheit  nicht  vor  1226  gesetzt,  dass  aber  der 
Apparat  ror  1226  langst  fertig  sein  musste,  folgt  aus  dem  Zusammenhalt  der  f.  54 
und  55  angeführten  Daten  wohl  unzweifelhaft. 

*)  Über  dieselbe  handelt  Cironius  in  der  Vorrede  zu  seiner  Ausgabe,  noch  aus- 
ffibrUeher  Riegger  in  der  zn  dem  neuen  (mit  Noten  u.  s.  w.)  vermehrten  Ab» 
drucke  von  M.  Jos.  Ant.  deRiegger  Wien  1761.  4.  Dass  dieser  vollstfiudig, 
die  Angabe  von  Laspeyres  (Summa  Bemardi  pag.  XVI.  n.  S.)  irrig  ist,  habe  ich 
in  meinem  Lehrbuche  des  Kirchenrechts  S.  2S.  Anm.  10.  bereits  gesagt. 

S)  Die  Stelle  ist  f.  22  am  Ende  mitgetheilt.  Vgl.  Sarti  I.  p.  330. 

4)  Vgl.  mein  Iter  Gallicum  S.  4S9. 


138  r.  Schulte 


Anhang!) 

Damasus O  und  seine  Schriften. 

Über  Vaterland,  Geburtsort  und  nähere  Lebensumstände  dieses 
Canonisten  schwebt  ein  Dunkel.  Denn  hinsichtlich  des  erstem  wird 
er  bald  Boemus  (von  Durantis),  bald  Ungarns  (von  Diplova- 
taccius)  genannt.  Aus  seinen  Werken  lässt  sich  keine  der  beiden 
Angaben  begründen.  Dagegen  ergibt  sich  aus  ihnen  für  die  Zeit 
seiner  ThStigkeit,  wie  sich  unten  zeigen  wird.  Genaueres. 

Als  seine  Werke  werden  von  JohannesAndrea  angeführt : 
Summa  super  primam  compilationem,  Brocarda,  über  quaestionum 
super multis  decretalibus,  Ordo  judiciarius,  von  Diplovaiacdus  noch 
Historiae  Decretorum.  Die  historische  Folge  dürfte  folgende 
sein:  Historiae/  Summa,  Quaestiones.  Dass  letztere  junger  sind» 
sagt  er  in  dem  unten  angeführten  Citate  selbst;  dass  die  historiae 
die  älteste  sind,  möchte  ich  daraus  schliessen ,  dass  mir  scheint. 
Jemand,  der  sich  einmal  mit  dem  Glossiren  und  Behandeln  schwerer 
Rechtsfragen  befasste,  habe  keine  Lust  mehr  gehabt  zu  einer  Arbeit, 
die  jeder  Schuler  machen  konnte.  Die  Brocardica  lassen  sich  kaum 
genauer  bestimmen. 

W^ährend  die  zweite  und  vierte  Schrift  allgemein  zugänglich 
ist,  bedürfen  die  anderen,  namentlich  die  erste  einer  genaueren  Er- 
örterung. 

L  Summa  decretalium. 

Handschriften: 

Berlin  num.  249  (ich  lege  sie  zu  Grunde  und  lasse  ihre  Be- 
schreibung folgen);  eine  zweite  das.  cod.  ms.  lat  theol.  440. 
Chart,  s.  XV. 


1)  Ich  fuge  diese  Brdrteruog  bei,  weil  a.  bisher  nirgeodt  eine  genügende  Erörtemg 
über  Damaens  Werke  gegeben  ist,  6.  derselbe  Tonugsweise  ein  Sckriftsteller  uU 
welcher   die  Compiiationes  antiqnae   in  seibststindigen  Schriften  bearbeitet  hat, 

e.  die  spiter  au  publicirenden  Arbeiten  mir  keine   Gelegenheit  geben,  aof  ihn  v» 
genau,  als  dies  nöthig  ist,  einsngehen. 

*)  Joh.  Andreae   in  Addit.  ad  Specnl.  Gnil.    Darantis    Proem,  DiploTatsfciai 

f.  152.    Sarti    I.  p.   306.   ▼.   Sayigny  V.  S.   162  ff.  Laspeyres  Bera.  Psp. 
Summa  decretai.  Praef.  p.  XL.  sq.  • 


Litersiturgesctiichte  der  ConpUationes  aotiquae  etc.  139 

Wien  Hot1)ibl.  num.  2080  fol.  mbr.  s.  XiV.  Fol.  97—107. 
(Am  Ende  richtig  summa  damasL  Im  Anfange  von  einer  Hand  des 
XV.  Jahrh.  Summa  Tancredi), 

Klosterneuburg  num.  1048  s.  XIII. 

«Basel  C.  !.  13  (Wunderlich  p.  35.). 

Leipzig  978.  s.  XIV.  fol.  172^— 184*i). 

«Oxford  Bodiej.  n.  1141  (Wund.  J.  c.) 

^Venedig  S.  Marci  num.  28. 

Angers  Stadtbibl.  n.  38t  s.  XIV. 

Die  Mittheilungen  gebe  ich  nach  dem  Codex  der  Berliner 
Staatsbibliothek  Coi/.  ms,  lat  foL  iVr.  249,  membran.,  saec. 
XIV.  ineunt.  Am  untern  Rande  des  2.  Bl.  von  einer  Hand  des 
18.  J.ahrh.  1iber  monachorum  sanctae  Mariae  de  Hymerod  ordinis 
Cisterciensis  Treverensis  dioecesis*.  Fol.  1 — 16*.  *lncipit  summa 
tiUUorum  a  magistro  Damaso  compilata. ' 

Anfang  des  Werkes:  'Juri  operam  daturus  prius  nosse 
oportet,  quid  sit  ius.*  Da  zum  Theile  schon  aus  der  Einleitung  ein- 
zelne Punkte  ihre  Begründung  finden,  soll  diese  zuerst  mitgetheilt 
werden. 

'Juri  operam  daturus  prius  nosse  oportet,  quid  sit  ius.  Est 
autem  ius  ars  boni  et  aequi,  h.  e.  scientia,  per  quam  bonum  discer- 
fiitur  a  malo  et  aequum  ab  iniquo,  ut  ff,  de  iusiiiia  ei  iure  1.  1 .  Juris 
autem  species  sunt  duae.  Est  enim  ius  naturale,  quod  natura  omnia 
animalia  docuit,  ut  instU.  de  iure  natur.  gent  et  civ,  in  princ.  Est 
autem  ius  positivum  s.  expositum  ab  bomine,  ut  sunt  leges  saecula-- 
res  et  constitutiones  eccfesia^iicae.  Jus  autem  naturale  coepit  a 
principio  rationabilis  animae,  et  est  plenum  et  perfectum,  cum  sit 
factum  a  deo,  qui  opus  imperfectionis  non  novit»  ut  eä?.  de  sacram. 
bapHsmi  maiores  I.  IIL  [c.  1.  de  bt^pt.  III.  33.  der  3»  compilaiio 
apäiqua.  Y  III.  ist  abgekürzt  fOr  libri  HI.  Die  Bezeichnung  liber 
war  die  technische.  Meine  Quellen  des  Kirehenr.  S.  334].  Et  est 
immutabile,  ut  di.  V.  §.  L  et  instit  de  iure  nat.  g.  et  civ.  §,  sed 
naturalia*  Jus  autem  positiyum  cum  inventum  sit  ab  homine,  est 
imperfectum,  quia  in  rebus  humanis  nihil  est  perfectum :  C.  de  veteri 
iure  enucleando  I.  II.  §.  Sed  quia  divinae,  et  immutatur  per  aliud 


0  Sie  Irört  auf  mit  dem  Titel  de  $eque$tftione.  'Explicit  aomma  danasi\ 


140  r.  S  c  h  11  1  l  e 

ius  postea  prolatum»  ut  extra  de  cons,  spirituali  c.  t.  libri  1.  Post 
compositionem  autem  decretorum  [d.  b.  des  Dekrets  Graitan's] 
vai'iis  temporibus  a  summis  pontifieibus  emanaveruiit  iura  vel  corri- 
geutia  iura  antiqua  vel  uovos  casus  deeidentia.  Et  quia  utile  erat 
studentibus  in  iure  huiusmodi  iura  sub  titulis  collocare ,  ex  eis 
compilationea  factae  sunt,  de  quibus  est  haec 

§.  Videamus  ergo,  quae  sit  materia  huius  libri,  quae  utilitas, 
et  quis  ordo  agendi,  et  cui  parti  philosophiae  supponatur.  Materia 
sunt  deci^etalea,  et  quaedam  utilia capitula,  quae  in  corpore  cano^ 
num,  registro  Gregorii  ei  Brocardo  [d.  h.  Burchard's  De- 
kret] reliquerat  Gratianus.  Intentio  summorum  pontificum,  qui  pro- 
mulgaveruut  has  constitutiones  contentis  9ub  isto  volumine,  est 
baec:  ut  metu  poenarum  in  eis  expressarum  humana  eoerceatur 
audacia  et  iusti  vivere  possint  in  quiete,  ut  IUI.  di.  factae  9unt 
[c.  1.  D.  IV.].  Utilitas  patet,  quia  per  huiusmodi  scientias  prom- 
tiores  erirous  ad  consulendum ,  allegandum  et  definienduin.  §. 
Ordo  agendi  talis  est:  diridito/m«  compilator  in  V.  libros.  In 
primo  tractatur  de  constitutionibus  ecclesiasticis,  et  de  ordiuationi- 
bus,  et  de  officiis  clericorum,  et  de  praeparatoriis  iudiciorum.  In 
seeundo  de  iudieiis,  et  de  processu  iudiciorum.  In  tertio  de  Tita  et 
honestate  clericorum,  et  de  rebus  eorum.  In  quarto  de  matrimoniis. 
et  de  eins  impedimentis.  In  quinto  de  criminibus  et  poenitentiis. 
Supponitur  ethicae,  ut  alii  libri  iuris.  De  constitutionibus, 

Auxiliante  deo  de  constitutionibus  eeclesiasticis  tractaturi  vide- 
amus, quid  sit  constitutio  .    . 

Aus  dieser  Einleitung  und  dem  Inhalte  des  Werkes  folgt : 

1.  Der  Verfasser  kennt  bereits  mehrere  Compilatioueii,  ond 
zwar  die  drei  technisch  genannten  libri  I.,  II.,  IIL  0  den  ersten  und 
dritten  über  citirt  er  schon  hier  als  I.  I.,  1.  III.  und  so  oft.  Die 
Citirart:  extra  de  [Inhalt  des  Titels  und  Anfangswort  des  Capitels. 
oder  die  Zahl  des  Capitels]  libri  I.  (II.  III.)  ist  stehend.  Ebenso 
citirt  er  die  Comp.  II.»  s.  B.  gleich  in  der  summa  zum  Titel  de  re- 
acriptis  et  eorum  interpretationibus  am  Ende :  ^ewtra  de  eonfimka^ 


')  Dies  haben  Mhon  Savigny  und  Laspeyres  bemerkt.  Diploratacc  ias 
spricht  von  'utraque  eoinpilaiio^.  Sarti  vermag  dies  nicht  su  eiilireo,  meiot 
aber  auch,  er  habe  die  von  H  o  n  o  r  i  u  s  gesehen.  Laspeyres  freilieh  beifiig^ead, 
er  habe  nicht  genauer  untersuchtf  meint  (p.  XLl  nota  25.)  diese  Summe  beziehe 
sieh  TorzOglich  'ad  tres  priores  fror  Bernhard)  compiIationefl\  was  falsch  iaf. 


LiterMtur<feschichte  der  CompÜHtiooes  antiqiiaa  eie.  141 

Hone  utilip  bonae  memoriae  V.  il.'  [d.  h.  c.  un.  de  conf.  ut.  IL  21. 
Compil.  2****]  und  öfter. 

2.  Die  Summe  behandelt  als  solche  nur  die  CompUatio  prima^ 
berücksichtigt  jedoch  die  secunda  und  teriia.  Worin  diese  Berück- 
sichtigung besteht,  ist  bisher  niemals  genauer  dargelegt  worden. 
Um  dies  zu  zeigen,  muss  der  Charakter  des  Werkes  geschildert 
werden. 

Damasus  gibt  keinen  Apparatus,  wie  die  meisten  vor  und 
nach  ihm,  zu  den  einzelnen  Capiteln,  sondern,  wie^lie  Überschrift 
unserer  Handschrift  richtig  sagt:  eine  summa  tUulorum^).  Er  er- 
örtert die  in  den  einzelnen  Titeln  enthaltene  Materie  und  liefert 
somit  ein  kurzes  Lehrbuch  des  caaonischen  Rechts  nach 
dem  Systeme  der  Libri.  Hierin  hat  er  sich  also  Bernhard 
zum  Vorbilde  genommen.  Damasus  beschrankt  seine  Darstellung 
nicht  auf  den  Liber  primus;  die  Rücksicht  auf  die  beiden  anderen 
besteht  nicht  blos  in  einem  Citiren  aus  denselben. 

Einmal  hat  er  nämlich  indenTextder  Summa  Titel 
aufgenommen  aus  der  2.  und  3.,  welche  in  der  Compi- 
lation  Bernhards  fehlen.  Es  sind  dies  die  Titel :  de  postuki- 
tione  als  4.  des  ersten  Buches  aus  Comp.  III.  L.  I.  tit.  4. ;  de  usu 
pallii  als  6.  des  I .  B.  aus  Comp.  II.  L.  I.  tit.  4. ;  de  scrutmio  in  ord, 
facienda  als  11.  des  1.  B.  aus  Comp.  III.  I.  10. 

Zweitens  sind  der  Summe  angehängt  nach  dem  Tit. 
de  reg.  juris  Erörterungen  über  die  folgenden  in  der 
Comp.  I.  fehlenden  Titel,  welche  nach  Buch  und  Titel  jener 
Compilation  bezeichnet  werden  sollen,  in  welcher  sie  zuerst  vor- 
kommen. 

de  trafislai*  praelat aus  Comp.  III.  Buch     I.  Tit.     5. 

ui  Ute  non  cani.  ad  def>  n.  p.  .      „      „      III.      »      II.    »       3. 

de  confessis „      „      III.      »      II.    »     10. 

de  exeepiionibus w       m       IL      m      II.    „     11. 

ut  aede  vac.  aliquid  n.  inn.      .    .      „      »      III.      ,.     HI.    „       9. 
ui  eccL  benef.  sine  dem.  conf.     .      «      n      HI.      „     IH.    ^     1 0. 

de  feudis 16. 

de  celebrat  miss.      .....  .    .  33* 


<)    über  den  Charakter  der  eigenUichen  Summae  s.  v.  Sarigoy  III.  S.  552,  V.  S.  241. 


142  r.  S  c  b  u  I  t  e 

de  bapt  ei  eiu9  effectu 34. 

de  novi  operis  nvntiatione     ....  ...  1 5. 

de  »equestratione  possensionis  .......        II.  9. 

In  unserer  Handsehrift  steht  aueh  erst  am  Schlüsse  dieser 
Erörterungen: 

'Damasus  hie  summam  finit  q  earmine  vivit.^ 
Drittens  fehlen  besondere  Erörterungen  zu  folgen- 
den Titeln    der   Compilation    Bernhards:    de  off.   archip.. 
primieerii,  sacristae  custpdis,  dieselben   werden  nur  berührt  in  der 
summa  zu  dem  Titel  de  off,  archidiaeoni- 

Viertens  fehlen  Erörterungen  zu  folgenden  Titeln 
derCompilatio  IL,  welche  diese  neu  (Bernhard  nicht)  hat:  Buch 
I.  Titel  6.  17.  Buch  IL  Tit.  4,  9.;  Buch  III.  Tit.  12,  20,  22.  Buch 
IV.  Tit.  7.  Buch  V.  Tit.  9.  11,  19,  20,  21,23,  —dann  zu 
folgenden  der  Comp.  III.:  Buch  L  Tit.  11,  12;  Buch  III.  Tit. 
31.  3S,  36.  Buch  V.  Tit.  13. 

3.  Die  Summe  ist  vollendet  vor  dem  vierten  lateranensischeu 
Concil  von  1215  [11.  bis  30.  November].  Es  ergibt  sich  dieses 
daraus,  dass  im  Titel  de  consang.  et  affin,  genau  das  alte  Recht 
behandelt  wird,  aber  von  dem  Schreiher  der  Handschrift  als  Ein- 
schiebsel in  den  Text«)  (so  dass  die  Hälfte  von  3  Zeilen  der 
Columne  damit  angefüllt  sind,  nebenher  der  Text  des  Damasus  geht) 
zunächst  rucksichtlich  der  Verwandtschaft  steht: 

'hodie  usque  ad   IUI.  gradum  tantum  extenditur  prohibitio 
consanguinitatis  et  offinitatis,  et  non  ultra,  ut  in  concilio 
lateran.  non  debet-^ 
Im  selben  Titel  heisst  es  dann : 

'Habet  autem  primum  genus  affinitatis  probibitionem 
usque  ad  VU.  gradum,  sicuti  consanguinitas :  XXXV.  q. 
III.  de  propinquis f  nullum  aequaliter.  Secunduw 
autem  prohibetur  usque  ad  tertium,  in  quarto  si  inTenti 
fuerint  coniuncti,  non  separantur,  ut  XXXV.  q.  III.  de 
propinquis  et  c.  et  hoc  quoque.  Tertium  autem  pro- 
hibetur usque  ad  secundum  gradum,  ut  XXXV.  q.  III 
porro,  Sed  Alanus  dicit,  tertium  genus  affinitatisnuiiquam 


*)  Diese  Elnschiftbsei  fehlen  in  den  meisten  «mleren.  s.  B.  Wien   2080. 


Literaturgeschichte  der  Compilatioiie«  anttquae  etc.  1  43 

prohiberi  et  iilud  c.  porro  legit  de  primo  genere  affini- 
tatis.  item  secundum  genus  affin,  ex  una  parte  appositum 
dicit ./.  nusquam  prohibitum  et  illud  c.  de  prapinqtits  et  e. 
et  hoc  quoque  legit  de  secundo  genere  affin,  ex  utraque 
parte  apposito  .  .  / 
dazu  ist  dann  als  Einschiebsel  in  den  Text  gesetzt: 

'hodie  secundum  et  tertium  genus  affi.  est  sublatum,  pri- 
mum  tantum  habet  prohibitionem  usque  ad  quartum  gradum 
inclusive,  ut  in  const.  later.  conc.  non  debet,^ 
und  am  Schlüsse  des  Titels  steht : 

'hodie  iste  titulus  est  sublatus  per  constitutionem  non 

'     debet.^ 

Es  bedarf  keines  Wortes,  dass  diese  Zusätze  nicht  von  Dama^us 

herrühren.  ÜieÄrt  des  Citirens  beweist  aber  offenbar,  dass  Jemand  in 

der  Handschrift  vor  Abfassung  der  Compilatio  quarta  bez.  Gregor  IX. 

jenes  zuschrieb  und  diese  Handschrift  Copie  einer  solchen  ist. 

Die  Comp.  III.  enthält  die  Dekretalen  Innocenz  HL  'usque  ad 
aimum  XII.*,  d.  h.   die  bis  zum  8.  oder"  9.  Jan.  1210   erlassenen. 
Folglich  kann  die  Summe  des  Damasus  nicht  vor  dem  Jahre  1210 
{gemacht  sein.  Nun  kommt  aber  im  tit.  de  elevt.  folgendes  Citat  vor: 
'hodie  autem  non  eligit  c.  (capitulum),  sed  vacante  ecclesia 
debent  compromittere  canonici  in  duos  vel  tres»  qui  eligant 
praelatum  et  eorum  electio  rata  erit,  ita  quod  electio 
maioris  partis  capituli  non  teneat,  nisi  totum  c.  consentiat 
coromuniter,  ut  habetur  in  constitutione  novella,  qune 
incipit:  qui a  propt er  diversas» 
Dieses  Capitel  ist  c.  42.  X.  de  elect.,  in  der  Comp.  IV.  das  9. 
des  Titels  de  elect,  und  wird,  so  viel  mir  bekannt  ist,  allenthalben 
[cf.  Hansi  Conc.  VJi^n.  col.  1011]  als  can.  24.  Conc.  Lat.  IV.  auf- 
geführt.   Entweder  ist  dies  Capitel  einer  früheren  Constitution  Inno- 
cenz III.  entnommen  und  unter  die  lateranensischen  Canones  auf- 
genommen, wie  das  ja  wiederholt  vorher  und  nachher  geschehen 
ist  ^),  —  und  in  diesem  Falle  kann  der  Satz  von  Damasns  herrühren ; 
oder  das  Capitel  ist  erst  auf  dem  Concil  gemacht,  —  und  dann  liegt 
ein  späterer  Zusatz  vor.  Ich  mochte  das  Erstere  annehmen,  weil 


*y  s.  B.  TOD  Inooceoz  IV,  und  Gregor  X.   Vgl.  meine  Abb.  über  die  Dekretalen 
xwiecben  Greg.  IX.  u.  Bonif.  Vlil.  S.  705  u.  717. 


144  y.    Schulte 

a)  am  Ende  desselben  Titels  dasselbe  caput  also  citirt  wird : 
*f.  Nota  autem,  quod  contrarietates  illarum  decretaliom, 

quae  sunt  infra videntur  hodie  sublatae,  ut  in  eonst. 

lat.  coue.  quin  propter  diversas.   Sed  non  est  ita,  ut  ibi 
notavi.' 
bj  wiederholt  Canones  des  4.  Lateran.  Concils  am  Schlüsse  der 
Titel  citirt  werden,  aber  nie  anders  als  mit  dieser  Angabe,  z.  B.  am 
Ende  des  tit.  de  appeUat. 

*hodie  autem  indistincte  et  delegatns  et  Ordinarius  non 
aliter  potest  recusari,  nisi  causa  assignetur  coram  illis,  qui 
recusantur,  et  probetur  apud  arbitros,  ut  in  constit  Laier* 
CüHc.  cum  apeciali  [c.  5.  Comp.  IV;  c.  61.  X.  h.  t;  ean. 
48.  Lat.]  nee  appellatio  admittitur,   nisi  causa  assignata 

apud  cum,  a  quo  appellatur ut  in  const.  Lat.  cone. 

ut  debitus  honor  [c.  3.  Comp.  IV;  c.  S9  X.  b.  t;  can. 
35.  Lat.J  .  .  .* 
cj  geradezu  unbegreiflich  wäre,  dass  Üamasus,  wenn  er  6jks 
4.  Concil  vom  Lateran  erlebt  oder  nach  demselben  seine  Summe 
geschrieben  hätte,  nicht  dessen  Beschlösse  über  die  Imped.  cons.  et 
affin«,  über  die  Verleihung  nicht  vacanter  Präbenden,  über  Aceu- 
sationen  u.  s.  w.  benutzt  hätte. 

Man  darf  daher  wohl  die  Zeit  der  Abfassung  zwischen  1210 
und  1215  setzen.  Möglich  ist  aber  doch,  dassDaraasus  selbst 
nach  dem  4.  lateran.  Concil  einzelne  Zusätze  gemacht  habe. 

Was  den  Werth  des  Werkes  betriftt,  so  ist  derselbe  nicht 
hoch  anzuschlagen.  Denn  erstens  hat  Damasns  in  Betreff  der  Com- 
mentirung  der  Titel  sich  lediglich  an  Bernhardts  Summe  gehalten. 
Zweitens  ist,  wie  schon  Laspeyres  [Bernardi  Pap.  .  .  Summa 
decretalium  .  .  .  Batisb.  1860.  Praef.  p.  XL.]  mit  Becht  vermuthet. 
die  Summe  grosstentheils  fast  wortlich  aus  der  Bernhards  abgeschrie- 
ben, wie  nur  einige  beliebig  gewählte  Stellen  zeigen. 

Summa  Damasi.  Summa  Bernardf. 

De  constitutionibus.  Auxiliante         Auxiliante  —   socialis  wört- 
deo  de  const   eccies.  tractaturi      lieh  gleichlautend, 
videamus,  quid   sit.   const.»    quis 
possit   constituere,    quae   causa 
faciendi  constitutionem,  quod  eins 
officium,  quae  cui   raleat  prae- 


Literaturgejichiehte  der  Compilationes  antiquae  etc. 


US 


iudicare.  Et  quoniam  difBcile  est, 
promere  definitiones,  si  quid  in 
eis     offendero     pareat     dileetio 
socialis.    Const.    est   ius   buma- 
num.  Ius  etenim  aliud  divinum, 
aliud  hum.,  a.  in  seriptis  redac- 
tum,  a.  solo  usu  utentium  appro- 
batum.  Quod  est  in  seriptis  redae- 
tum,  est  const,  quod  usu  uten- 
tium, consuetudo  rocatur.   Con- 
stituere    potest   in    saecularibus 
Imperator,  civitas    etiam    potest 
legem    municipalem    facere.    In 
eeelesiastieis  autem  potest  con- 
stituere    apostolicus    generalem 
const.  et  synodus  generdlis.  Item 
syn.  metropolltana  et  syn.  episco- 
paus  constituit,  non  tamen  gene- 
ralem facit  const.  Primum  proba- 
tur  extra  de  sent.  excom.,  inter 
alia  libri  III.,  secundum  VI.   di. 
quod  dicitis;  tertiumXVUI.  di.  c. 
ult.    Et  universitas  yidetur,  quod 
constituere   possit,    ut   extra  de 
const.  cum  accessisset  I.*  III.  et 
ex.    de  j)raeb.   significavit  I.'  L, 
dummodo  non  sit  const.  talis,  per 
quam  inferatur  onus  aliis  et  ad 
constituentes     non     extendatur, 
tunc  enim  non  valeret,  ut  ex.  de 
coDst.,  cum  omneg  1/  IH.  Causa 
constituendiest,  malitiae  coercitio, 
Qti  IIIL  di.  factae  sunt,  I.  q.  IL 
quam   pio,  et  novae  quaestionis 
iudicialis  definitio,  ut  in  autent. 
ut  factae  novae  consti.  in  princ. 
Officium  const.  duo  versiculi  com- 
prehendunt: 

SiUI».*  d.  phiL-hitt.  Ol.  LXVI.  Bd.  I.  Hft. 


Const.  est  j.  h.  in  seriptis  re- 
daetum. 

Das  Folgende,  abgesehen  von 
blosser  Wortstellung  wörtlich 
gleichlautend. 


In  eecl.  const.  pot  Apost,  syn. 
univ^  syn.  patriarchalis  el  syn. 
metrop.  Von  Item  bis  cum  omnes 
im  fehlt. 


Causa  faciendi  constitutionem 
est  malitiae  coertio  ,  et  novae  * 
quaestionis  jud.  def.,  ut  Di.  HD. 
factae  et  C.  I.  q.  2*  quam  pio  et 
in  Auth.  tit.  2.  in  pr.  Officium  bis 
anteriori  wortlich  gleichlau- 
tend. 


10 


146 


▼.   Behalte 


Quatuor  ex  rerbis  rirtutem  col- 

lige  legis : 

Permittit,  punit,  imperat  atque 

vetat. 
ut  di.  in.  omnis  lex.  t^eiudicat 
autem  conat.  posterior  anteriori, 
ut  ex.  de  cogn.  spir«  c.  1. 1.*  I.  et 
ff.  de  leg.  et  const.,  non  est  noTum, 
ut  priores  leges  ad  posteriores 
trahantur.  Posteriores  tarnen  se- 
cundum  priores  intelliguntur,  si 
eis  contrariae  non  inveniantur, 
ut  ff.  e.  9ed  et.  Posteriores  leges 
ad  priores  pertinent  nisi  contra- 
riae sint,  et  hoc  multis  argumen- 
tis  probatur.  Hoc  ita ,  si  manant 
const.  ab  eadem  auctoritate,  puta 
a  sedeapost.si  vero  a  diversisjlla 
praeiudieat,  quae  facta  est  ab  eo, 
qui  est  maioris  auctoritatis;  arg. 
IX.  Q.  III.  conquestus.* 

De  ordinaiü  ab  esto  qui  re- 
signami,  I.  9. 

*In  hoc  titulo  id  praecipue  no- 
tabile  invenitur,  quod,  qui  accipit 
minores  ordines  ab  episcopo,  qui 
episcopatui  et  ordini  episcopali 
renuntiaverat,  potest  oflficiis  suis 
uti ;  qui  vero  saeros,  non  potest, 
cum  tarnen  ex  ofScio  aut  utrosque 
aut  neutros  conferre  possit.  Sed 
quod  de  minoribus  ordinibus  dici- 
tur,  dispensative  intelligi  potest, 
uhi  etiam  notandum  est,  quod 
resignatio  non  abstulit  episcopo 
potestatem,  sed  executionem.' 

De  appellationibus  et  recusa" 
tionibus. 


ut  Dig.  eod.  non  eet  navtan 
et  infra  de  cogn.  spir.  c.  1 . ;  po- 
steriores tarnen  bis  9ed  ^gleich- 
lautend. 


Posteriores  —  probatur  fehlt. 


Hoc  ita  bis  conquestus  wort- 
lich  gleichlautend. 


Idem  iitnlus  L  7. 


ab  eot  qui  episcop.  et  ocd.  poa- 
tificali  .    . 


tarnen  de  ofßcio  .    • 
Sed  hoc  quod  de  .    . 
Sonst  wortlich  gleichlau- 
tend. 


Literaturgeschichte  der  Compilatiooet  antiqiuie  etc.  1  4T 

Audivimus  de  sententiis.  Sed 
quoniaTn  sententiae  saepe  iniustae 

per  appell.  relevantur,  accedimus  relevantur,  de  app.  audiamus. 
ad  tractatum  de  appell.  Videamus 
igitur,  quid  sit  ap. ,  quis  possit 
appellare ,  a  quibus ,  ad  quos, 
quando,  quoties»  infra  quod  tem- 
pus  fieri  debeat,  et  infra  q.  t.  6eri  potest 

prosequenda,  a  qua  sententia  pos- 
sit appeliari ,  et  a  qua  non ,  quis 
sit  effectus  app.,  quod  officium 
«ius,  qui  appellat  et  quod  eius,  a 
quo  appellatur,  et  quod  eius,  ad         visuri  postea. 
quem  appellatur,  visuri  praeterea.         Sonst  wörtlich  gleichlau- 
quis  iudex  et  ex  qua  causa  valeat     tend. 
recasari.  %,  Ap.  est  .    •    . 

Damasus  hat  das,  was  Bernhard  gibt,  im  Wesentlichen 
nur  mit  Citaten  aus  der  Comp.  II.  und  III.  ergänzt  Die  Erörterungen 
zu  den  bei  Bernhard  nicht  vorfindlichen  Titeln  sind  ganz  im  selben 
Geiste  gehalten.  Die  Bedeutung  seiner  Summe  liegt  mithin  lediglich 
darin,  dass  sie  nicht  blos  eine  der  alten Compilationen  berücksichtigt. 

n.  QuaesÜones. 

Handschriften : 

Berlin.  Num.  249  foL  39* — 45*.  'Incipiunt  quaestiones  damasi. 
de  constitutionibus'.  *Expliciunt  quaestiones  damasi.  finis  quaestionum 
damasi'. 

Bamberg  kon.  Bibl.  P.  IL  15.  mbr.  fol.  s.  XIV.  fol.  9—28.— 
Dieselbe  Bibliothek  P.  II.  4.  mbr.  saec.  XIV.  fol.  75  bis  zu  Ende. 

Wien.  2080.  fol.  107»»— 118*.- 

*  Königsberg Steff.  num.  37.  —  Klosterneuburg  n.  656. 
s.  XIV. 

*  Venedig  S.  Marci  num.  25. 

Leipzig.  Univ.  975  f.  197»— 208»*  ('Expliciunt  quaestiones 
yeneriaies  a  magistro  damaso  compilatae*). 
Angers,  Stadtbibl.  num.  381. 
Fulda  D.  10.  mbr.  fol.  s.  XIII.  auf  XIV.  drittes  Stfick. 

10* 


1  48  y-   Schulte 

Diese  sich  aa  die  Reihenfolge  der  Titel  der  Comp.  [.  anschlies- 
senden Quästionen  beginnen  regelmässig  mit  Quaeritur,  worin  die 
Rechtsfrage  aufgeworfen  wird,  geben  die  Grunde  der  bejahenden 
Meinung  an  (^et  videtur  quod),  der  verneinenden  {contra ,  sed 
conirajf  zulegt  die  soluiio.  Bisweilen  ersetzt  ein  Rechtsfall  {panej 
die  Frage. 

Anfang:  'Quaeritur,  an  episcopus  canonem  latae  sententiae 
condere  possit  inter  subditos  suos.*  Ende:  'Quid,  si  episcopus  sie  ex- 
communicet:  excommunico  te,  si  archipresbyter  non  eg^communicet 

te et  ideo    omitto,  quia  notavi  in  prinds  ejpirava^ 

gantibuSf  et  illam  similiter:  communico  Titium  et  Scium,  quis  eoruro 
Sit  excommunieatus*. 

Von   Canonisten   finde   ich   citirt:    Alanus,    Albertus» 
Hug.    (Huguccio),    Joannes    Galensis,    Vincentius,    ron 
Legisten:  Azo,  Jo.  (Joannes  Bassianus)  Placentinus.  Auch 
citirt  er  einmal  'magüiermeua].  Übrigens  sind  solche  Citate  selten, 
öfter  sagt  er:  'dicunt  quidam\  *alii  dicunf.  Meist  begnügt  er  sich 
mit  Anfuhrung  der  Gesetze  pro  und  contra  und  der  Angabe,  welche 
Meinung  richtig  sei.  Bisweilen  fehlt  auch  die  Lösung  und  scUiesst 
die  Exposition  mit  Bemerkungen  folgender  Art:   *istae  quaestiones, 
licet  sint  utiles  valde,  tamen  eas  omitto,  quia  sunt  legales,  et  si  quis 
eas  Yoluerit  scire,  inspiciat  notulas  meas  in  e*  t.  [eodem  titnio] 
r.  /.'  Diese  Bemerkung  im  tit.  de  foro  camp,  bezieht  sich  auf  die 
Summa,   wo  in  der  That  diese  FVagen  gelöst  sind 9*  —  Tit.  de 
tesi  et  attest.  *Item  quaeritur,  quomodo  intelligatur,  quod  dicit  prae- 
dicta  decretalis/iro^^^it/mni  [c.  4.  IL  12.  Comp.  III.]:   »quod  non 
de  facili  credatur,  si  quid  dixerat  pro  illo,  qui  protestatur,  se  obiec- 
turum".  Quod  studiosis  relinquo\  —  Tit.  de  reb.  eccL  alien,  erste 
Qu.:   'et  huic  ultimae  allegationi  stant  legistae*.  Tit.   Qui  der.  vel 
man.  matr.  contr.  posg.  2.  Qu.   'Sol.  satis  posset  diei,  quod  non 
teneretur.  Dubito  tamen  in  hoc  articulo\  —  Tit.  de  frig.  'Sol. 
quidam  dicunt,   esse  perpetuum,  alii,  quod  non  sit  perpetuum  et 
dicunt,  illud  c.  si  per  sortiarias  [c.  4.  C.  XXXIII.  q.  I.]  non  teuere'.  — 
Tit.  de  sym.  4.  Qu.  'Solutionem  huius  dubitantibus  relinquo'. 


0  Darch   diese«,   das  CiUt  am  Schlüsse  u.  aodere  ist  die  Autorschaft,  die  ohachia 
nicht  tu  beiweifeln  ist,  noch  starJter  bewieseo. 


Literalorgeschichte  der  Compilationes  antiquae  etc.  149 

Dass  Damasus  in  Bologna  dozirt  habe,  nahm  man  bisher  an, 
ohne  daftir  einen  anderen  Beleg  anzuführen,  als  [vgl.  y.  Savigny  V. 
S.  162.  Note  a]  die  Notiz  des  Ms.  Paris.  3925.  a.  incipit  Summa 
Magistri  Damasii  Bononiae  composita  de  ordine  iudiciario'.  In  diesen 
Quästionen  kommen  nun  einige  Äusserungen  vor,  welche  einen 
besseren  Beleg  geben.  Tit.  de  iudiciis.  'Solutio.  Si  in  extraneum 
iudicem  consentiat,  potest  resilire^  si  in  iudicem  suum,  non.  Puta, 
quia  in  uno  loco  habet  plures  iudices,  sicuti  Bononiae  habent  acolarea 
episcopum^  magistrum  suum,  etiam  potestatem  habent,  eligendi  ex 
illis,  quem  voluerint.  Et  si  consentiant  in  unum  iliorum  ante  litem 
contestatam,  non  poterunt  resilire,  ut  in  illa  «t  quis  in  (ij . 

Tit.  de  usuris.  'Item  pone,  quod  alicui  scolariy  qui  sub  usuris 

debet  peeuniam,  aportentur  de  domo  muUi  denarii,  et  alius  Scolaris 

accipiat  illos  denarios,  antequam  solvatur  pecunia  sub  usuris  debita, 

sub  hac  conditione»  quod  ipse  solvat  creditori  illius  Scolaris,  cui 

pecunia  fuit  allata,  sortem  et  usuras.   Quaeritur,  an  sit  haec  usura 

quantum'ad  scolarem,  cui  pecunia  fuit  allata?  Et  videtur,  quod  non, 

quia  Scolaris  ille  non  recipit  aliquod  emolumentum  de  accomodata 

pecunia  ultra  sortem.  Ergo  non  est  usurarius,  quia  usurarius  est  ille, 

qui  ultra  sortem  aliquid  exigit,  ut  XIIII.  Q.  Uli.  et  c.  plerique.  Item  si 

Scolaris  iste  pro  utilitate  alterius  solvisset  sortem,  et  sortem  et  usuras 

agendo  posset  consequi,  ut  extra  de  fideiussorihns ,  pervenit 

/.*  III.  et  c.  constitutua.  V  I.  Ergo  multo  fortius  poterit  ex- 

cipiendo  usuras  retinere,  cum  pecunia  processerit  in  utilitatem  illius, 

qui  recepit:   infra   eartra   de  iureiur.    quemadmodum   V   III. 

§.  Sed  contra  mirabile  quid  est,  quod  proponis.  Non  consideras, 

quae  cito  sequatur  conclusio.  Aut  Scolaris  iste  stipulatur  sibi  usuras, 

aut  creditori.  Si  sibi,  non  dubitat  aliquis,  cum  esse  usurarium;  si 

creditori,  hoc  est  impossibile,  quia  alteri  stipulari  nemo  potest,  ut 

Jn9t.  de  inuHli  stip,  §.  atteii^  et  usurae  circa  vinculum  inscriptionis 

non  debentur,  ut  C.  de  usuris,  quamvis,  §.  Solvat  qui  poterif. 

Dieses  und  andere  Beispiele  von  Scholaren  zusammengehalten 
mit  dem  Tone  der  Darstellung,  die  ofTeubar  Hörer  voraussetzt,  und 
Bemerkungen,  wie  im  Tit.  de  elect-  zur  1.  Qu.  'haec  consuevit  pro- 
poni  pro  dominicalt ,  beweisen  offenbar  sein  Lehramt  in  Bologna. 

Um  seine  Methode  noch  besser  zu  kennzeichnen,  mögen  einige 
interessante  Quftstionen  Platz  finden. 


il  50  ▼.   Schulte 

'De  his  quae  fiunt  a  maiore  parte  capiitäi. 
Quaeritur  de  illa  decretali  cum  in  cunctis  [c.  un.  h.  t.  Comp.  I.], 
utrum»  si  sit  consuetudo  talis  in  ecclesia,  quod  non  valeat  factum 
maioris  partia  c.  (capituli),  nisi  totum  consentiat  c.»  an  aiio  tempore 
valere  possit  consuetudo  talis?  Et  videtur,  quod  non,  per  illam  decret.. 
quae  dicit,  quod  etiam  iurata  consuetudo  talis  non  est  observanda,  ut 
ibi  dicitur,  et  ita  delinquunt  utentes  consuetudine  tali,  nee  potent 
confirmari:  extra  de  sym»»  non  satis  V  I.  [c.  7.  de  sym.  V.  2.  Comp. 
I.].  Item  jui  induxerunt  cousuetudinem  talem  contra  ius  et  ea  usi  sunt, 
non  potuerunt  bonam  fidem  haberep  et  ideo  non  potuU  iUa  con- 
suetudo praescrihu  ut  C  de  agricolis  et  censitiSf  quemadmodum 
p.  7.  C.  XI.  48],  quae  dicit:  „non  est  dubium,  eum  esse  malae  fidei 
possessorem,  qui  contra  leges  mercatur**.  Et  est  hoc  erpressum  extra 
i.  e.  t.  fratemüatü  [c.  1.  de  his  q.  f.  a.  m.  p.  c.  ni.  9.  Comp.  II.]. 
§.  Sed  contra.  Consuetudo  inducta  contra  canones,  si  praescripta 
sit,  praetudicat  canoni  in  eo  loco»  ubi  obtinet:  extra  IIL  de  eauM 
pos%,  et  propr.  c.  L  et  de  iudic.^  novit»  Item  dicit  decretfjis,  qnod 
coneessio  beneficiorum  non  debet  fieri  a  praelato  sine  consensu  capi- 
tuli,  ut  eoetra  dehisq.  f,  ab  episc.  sine  com»  Ccap.  penult  I.'  I.  Si 
tarnen  consuetudo  habeat  se  in  contrarium,  solus  confert,  ut  intn 
extra  de  elect,^  cum  ecclesia  Vulterana  [c.  16.  I.  6.  Comp.  III.]  et 
de  his  q.  /l  apraeL  sine  cons.  c,  ea  noscitur  V  II.  [c.  ua.  IIL  8. 
Comp.  II.].  Et  quamvis  consuetudine  contraria  tollatur  indobitatum 
est :  /f.  de  legib.  et  const.f  de  quibus  [fr.  32.  Dig.  I.  6.].  §.  Solutio. 
Si  consuetudo  inducatur  contra  ius  naturale,  seil,  praecepta  legis  et 
evangelii»  illa  consuetudo  nuUa  longinquitate  temporis  confirmatur, 
ut  in  illa  non  sane  [lege:  non  satis\  Et  hoc  est,  quod  dicit  out.: 
'male  adinventae  consuetudinis  nullo  tempore  confirmantur'  in  aut. 
ut  nulli  iudicum  [Auth.  Coli.  IX.  Tit.  X.]  §.  uulli  vero.  Si  Tero 
inducatur  contra  ius  canonum  consuetudo,  tunc^  si  inducatur  contra 
ius  tale,  quod  sit  inductum  in  favorem  utentium,  consuetudine  prae- 
iudicabit  iuri,  quia  possunt  renuntiare  iuri,  quod  pro  ipsis  est  induc- 
tum. Si  vero  inducatur  contra  ius  inductum  in  favorem  ecciesiae,  non 
praeiudicabit  iuri  consuetudo  talis,  nisi  confirmetur  a  papa,  ut  in  illa 
fi*aternitatis\  Diese  Stelle  bietet  zugleich  einen  interessanten  Beleg 
für  die  Auffassung  der  Glossatoren,  die  die  consuetudo  theüs  als 
Statut  fassen,  theils  an  Fälle  der  s.  g.  praescriptio  acqaisitiya 
denken.  Vgl.  meine  Quellen  S.  224  ff. 


Litentnrgescbicbte  der  Compilationes  antiqaae  etc.  151 

*De  spansalibus. 

Queritur  de  illa  exirav.  L  de  degpona,  impub.  de  illis  [c.  9. 
IV.  2.  Comp.  I.],  ubi  dicitar,  quod,  si  minor  coutrahat  cum  maiore, 
maior  non  poterit  resilire,  minor  autem,  quum  venerit  ad  legitimam 
aetatem»  reailire  poterit,  utrum  sint  inter  eos  sponsalia  vel  non?  Si 
sie»  qui  sie  eontrahunt,  nnllo  taiodo  potenint  resilire,  ex  quo  semel 
sponsalia  tenuerunt,  immo  per  exeommunicationem  cogendi  sunt 
seryare  illa»  ut  extra  L  de  »pons-,  ex  liiteris,  et  extra  II.  de  iure 
iwr.f  item  cum  qui».  Si  non  sint  sponsalia,  poterit  ergo  maior  cum 
alia  contrahere,  quia  sponsalia  de  facto  cum  minore  contracta  etiam 
cum  consanguinea  eiusdem  sponsae  matrimonium  vel  sponsalia  con- 
trahenda  impedire  non  possunt,  ut  extra  L  de  desp,  imp.f  litteras 
et  c.  aeeesait  Et  ita  videtur  deeretalis  illa  in  neutro  casu  posse 
intelligi,  et  ita  nihil  dicere,  licet  iuvetur  per  alias  sequentes  decretales 
eiusdem  tituli.  §.  Solutip.  Dicit  Bug.^  quod  tenuerunt  sponsalia 
habet  tamen  minor  hanc  praerogativam,  quod,  cum  venerit  ad  aetatem 
legitimam,  potest  rescindere.  Verior  autem  intelleetus  est  Laur-^ 
qui  intelligit  in  eo  casu,  ubi  nulla  fuerunt  sponsalia  et  tenetur  maior 
expectare  ratione  promissionis.  Nee  valet  baec  argumentatio.  Non 
tenuit  contractus,  ergo  resilire  poterit.  Recipit  enim  instantiam  boc 
argumentum,  puta :  si  ego  et  tu  babeamus  Aindum  communem  -et  tu 
sine  meo  eonsensu  concedas  in  illo  alicui  serritutem  non  valet  con- 
cessio;  tarnen  non  poteris  resilire,  usque  dum  ego  confirmem  illud, 
quod  actum:  ff.  de  Bereit,  ruet*  praed.,  per  fundum  [fr.  11.  Dig. 
VIII.  3.].' 

'Qui  cler.  eel  man.  matr.  contr.  poss, 

Qu.  I.  'Sdutio.  Dicunt  fere  omnes  doctores,  papam  posse  dispen- 
sare  cum  subdiacono  et  aliis  existentibus  in  saoris  ordinibus.  Bu. 
dicit,  quod  non  potest,  posset  tamen  constituere,  quod  illi,  qui  promo- 
ventur,  postea  non  tenerentur  continere.   Et  verum'  est,  quod  dicit' 

'De  sent.  excomm.  (K.  Qu.) 

Quaeritur  circa  illam  decr.  si  vero  üliquis  V  I.,  ubi  dicitur, 
quod,  si  quis  percusserit  clericum,  credens  cum  laicum,  non  tenetur, 
utrum,  st  quis  percutiat  laicum  credens  eum  clericum^ 
incidat  in  canonem?  Puta:  voluit  percutere  Titium  clericum  et  per- 
cussit  Martinum  laicum,  quem  credidit  esse  clericum,  utrum  incidat 
in  canonem  latae  sententiae.  Et  videtur,  quod  nulla  sit  ista  quaestio. 


1  52  T.   S  c  h  u  I  t  e 

Si  enim  attendas  diligenter»  probabo  per  litteram  illas  decr.  seil.«  ipsum 
esse  excommunicatum»  quia,  si  pereutiat  quis  clericum  et  credit»  illum, 
quem  pereutit,  esse  laieam,  non  ineidit  in  canonem.  Et  ita  indicatur 
secuadum  intentionem,  et  non  secundam  opus»  quia»  licet  percusserit 
clericum,  intendebat  tarnen  percutere  laicum.  Ei^o  et  ita  hie  ludiean- 
dus  est  secundum  intentionem,  quia,  licet  percusserit  laieum,  inten- 
debat tarnen  percutere  clericum.  Item  non  est  ambigendum  hie»  quia 
voluntas  cum  opere  locuro  facit  constitutioni  poenali»  ut  ejFira  de 
bigamis,  nuper  l/III.  Cum  ergo  sit  hie  voluntas  percutiendi  et  sequatur 
opus»  percussio  seil.,  licet  non  sequatur  percussio  in  clerico»  tarnen 
percutiens  censendus  est  excommunicatus  propter  yoluntatem  et  opus 
subsecutum.  §.  Sed  contra»  mirabile  quid  est»  quod  proponis.  Iste 
non  iniecit  manus  violentas  in  clericum»  ergo  ex  manuum  iniectione 
non  est  excommunicatus»  quia  dicit  canon:  'sit  excommunicatus,  qui 
iniecerit  manus  violentas  in  clericum*»  X\1I.  Q.  IUI.  at  quia  s^iadenie^ 
Item  non  nocet  hoc,  quod  cogitavit  iniicere  manum  in  clericum»  quia 
sola  cogitatio  non  facit  cum  excommunicatum  apud  ecciesiam»  quia 
cogitationis  poenam  nemo  meretur :  de  poen.  di  I.  %.  cogüaiionU. 
Item  quod  ailegasti  pro  regula»  quod  in  maleficii.H  voluntas  spectetur 
et  non  factum,  probo  tibi»  hoc  esse  falsum.  Pone:  volui  percutere 
Seium  et  percussi  Titium»  quem  non  intendebam  percutere»  in  quem 
intelligor  deliquisse  et  cui  competet  iniuriamm  actio?  Resp.  Titio, 
quem  percussi»  non  Seio,  quem  volui  percutere»  ut  ff.  de  iniwriü, 
eum  qui  §.  H  iniuriarum.  Et  ista  pars  tenenda  est  pro  solutione*. 

Im  Titel  de  off.  et  pot  jud.  ord.  wird  die  Frage  erörtert,  ob 
ein  Bischof»  welcher  die  Absolution  eines  Excommunicirten  um  einen 
Tag  verzögert  habe,  sie  noch  ertheilen  dürfe»  oder  vielmehr  in  Folge 
der  mora  der  Metropolit  competent  werde»  und  geschlossen:  'et  erat 
bonum  argumentum  in  6ernar  £fo.  licet*.  In  Bernhard 's  Sumoi» 
wird  zu  diesem  Titel  c.  licet  4.  D.  45.  citirt ;  aber  es  ist  nicht  abzu- 
sehen» wie  dies  passen  soll.  Passen  könnte  c.  licet  de  off.  jud.  ord. 
I.  26.  Comp.  III.  Die  Compilatio  III.  hat  aber  nichts  mit  Bernardus 
zu  thun.  Der  Schreibfehler  bemardo  für  brocardo  ist  nicht  anzu- 
nehmen» weil  unter  des  Damasus  brocarda  keines  mit  licet  beginnt. 

Als  Singularität  sei  noch  erwShnt,  dass  de  restii,  apoliai.  4. 
quaest.  das  sehr  seltene  Wort  (vgl.  Ducange  sub.  h.  v.)  baUaeäer 
für  alacriter»  audacter  gebraucht  wird. 


Literaturgeschichte  der  Compilntiones  antiquae  etc.  153 

Von  den  278  selbstständigen  Quästionen  schliessen  sieh  die 
meisten  an  Dekretalen  der  Comp.  I.  an,  verschiedene  jedoch  auch  an 
solche  der  IL  und  IIL 

Aus  dem  Vorhergehenden  folgt»  dass  dieses  Werk  junger  ist 
als  die  Summa. 

Vergleicht  man  beide  mit  einander,  so  muss  man  die  Quästionen 
yiel  höher  stellen,  weil  sie  selbststandige  Arbeiten  sind,  auf  die 
Literatur  eine  umfassende  Rucksicht  nehmen,  eine  frische  und 
praktische  Auffassung  bekunden.  Sie  haben  in  den  spateren  prakti- 
schen Arbeiten  des  XIII.  Jahrb.  reiche  Berücksichtigung  gefunden. 

nL  Brocarda  s.  regulae  canonicae  0- 

Handschriften:  a)  reine. 

Citirte  Berliner  249.  fol.  32^— 39»  (' Ea:pliciunt  brocardica 
damasi*.  Darunter  von  späterer  Hand:  *haec  brocardica  continent 
C.  et  XXV.' 

Wien  2080.  fol.  127— 134*  ('Expliciunt  brocarda  M.  dam/). 

Prag  Museum  I.  B.  3.  fol.  s.  XIV.  Bl.  146  ff. 

♦Bologna  (Albornot.  n.  217.)? 

Fulda  D.  10.  mbr.  fol.  s.  XIII.  auf  XIV.  (Weingarten), 
fönftes  Stfick. 

b)   in    der  Überarbeitung  des  Barthol.   Brixiensis. 

Bamberg  P.  II.  23.  fol.  mbr.  s.  XIV.  f.  95— 102\ 
Wien  Hofbibl.  2216  in  4«.  mbr.  s.  XIV.  fol.  79—89;  num. 
1463,  2107,  21S7. 

Prag  Univ.  Bibl.  III.  B.  21.  fol.  chart.  s.  XV.  fol.  149—160. 

^Königsberg  num.  75  und  81.  s.  XIV. 

MelkJ.  37.  s.  XIII. 

Halle  Univ.  Ye  fol.  num.  57.  —  Ye  52. 

Erlangen  Univ.  143  s.  XIII. 

Gotha  B.  330  chart  s.  XV. 

♦Troyes  Stadtbibl.  n.  456  u.  1751. 


<)  Ausgaben  nennt,  r.  SaTigny  8.  164.  (Antwerp.  1566,  Lugd.  1566,  Bm.  1567, 
Prankf.  1570,  Cot.  1668)  and  gibt  die  Differensen  mit  der  Berliner  Handschrift 
nnm.  249  an.  Ich  finde  wiederholt  eine  Aneg.  Angers  1566  angeführt,  habe  sie 
aber  nicht  selbst  gesehen. . 


154  V.   Schulte 

Berlin  209  mbr.  s.  XIV.  ex.  foi.  113—126. 

Leipzig  UniversitStsbibl.  num.  965,  fol.  mbr.  s.  XIV.  sechstes 
Stück;  —  num.  966.  fol.  mbr,  s.  XIV.  Drittes  Stück;  num.  969.  fol. 
mbr.  s.  XIV.  zweites  Stuck« 

Es  gibt  noch  zahlreiche  andere  Handschriften,  die  ich  übergehe. 

IV.  Historiae  Decretoram. 

Die  einzige  Nachricht  über  dieses  Werk  gibt  Diplovataecius. 
Handschriften,  welche  dasselbe  enthalten  und  mit  Sicherheit  Damasns 
zugeschrieben  werden  können,  sind  mir  nicht  bekannt  noch  von 
Anderen  angeführt.  Wohl  aber  kommt  ein  Werk  dieses  Namens  viel- 
fach unter  dem  Namen  des  Bartholomaeus  Brixiensis  vor. 
Von  diesem  vermuthet  bereits  Sarti,  dass  es  lediglich  eine  mit  Aus- 
lassung  des  Namens  seines  Verfassers  gemachte  Überarbeitung  des 
von  Damasus  sei.  Diese  Ansicht  hat  eine  ziemliche  Wahrschein- 
lichkeit für  sich  aus  folgenden  von  Sarti  schon  angedeuteten  Argu- 
menten:  1.  wegen  der  Vorrede,  worin  eine  solche  Überarbeitung 
angedeutet  ist;  2.  weil  die  hauptsächliche  Thätigkeit  des  Bartholo- 
mäus in  solchen  Überarbeitungen  besteht,  wie  die  Überarbeitung  der 
Glossades  Johannes  Teutonicus,  der  Brocarda  des  Oamasus, 
des  Ordo  judiciarius  von  Tancred,  der  Casus  des  Benencasa 
zur  Genüge  beweist.  Was  also  Bartholomäus  betrifft,  so  läge  kein 
Grund  vor,  zu  zweifeln.  Damit  ist  aber  noch  nicht  bewiesen,  dass 
Damasus  eine  solche  Schrift  überhaupt  geschrieben  hat.  Ja  ein 
Beweis  ist  durch  diese  Argumente  um  so  weniger  gegeben,  als  die 
ganze  Thätigkeit  desDamasus  sich  nicht  dem  Dekrete,  sondern 
den  Dekretalen  zuwendet.  Dazu  kommt,  dass  die  Abfassung  der 
Historiae  decrelarum  eine  durchaus  unjuristische  Arbeit  ist.  Denn 
dieselben  enthalten  nichts  als  eine  reine  Zusammenstellung  der  in 
den  Canones  und  Dicta  Gratiani  bezogenen  Erzählungen,  welche  zum 
allergrössten  Theile  der  Bibel  angeboren.  Sie  bestehen  in  einer 
nakten  Zusammenstellung  der  Erzählungen  nach  der  Reihenfolge  der 
Citate.  Um  jedoch  für  jeden  Fall  den  Charakter  genauer  zu  kenn- 
zeichnen, gehe  ich  näher  ein.  Von  des  Bartholomäus  Werke  sind 
folgende  Handschriften  mir  bekannt  geworden  : 


Literaturgeschichte  der  CompUationet  aotiqaae  etc.  155 

Wien  Hoflibl.  num.  2129  fol.  mbr.  s.XIV.  iuc.  f.  1010—109* 
und  num.  2070  (die  erstem  lege  ich  der  Beschreibung  zu  Grunde). 
Erlangen  Univ.  372. 

Die  für  dieses  höchst  unbedeutende  Werk  pomphafte  <)  Vorrede 
lautet: 

'Licet  merita  scientiae  non  respondeant  nee  opus  aliquod  suf- 
ficiant  adimplere,  ego  tarnen  Bartholomaeus  Brixiensis  divina  gratia 
ministrante  secundum  meae  scientiae  parvitatem  cupio  utilitatibus 
scolarium  providere;  idcirco  histariaa  decretorum  frequenies  et 
usitaias  duxi  pro  meis  viribus  cUiorum  et  interveniente  auxilio  cor- 
rigendas,  eas  certis  loeis  in  caima  et  distinctionibus  aasignatidot 
prout  communiter  consueverunt' 

Anfang :  'D.  VI.  Testamentum  hunc  poUutum.  Legitur  in  Levi- 
tico;  si  Sit,  inquit  dominus,  inter  vos  homo  pollutus'  .  .  . 

Es  sind  im  Ganzen  166  Historiae.  Davon  sind  alle  bis  auf  9  der 
Bibel  entnommen.  Diese  9  sind  aus :  gesta  Born,  zu  D.  XXI.  nunc 
autem,  Gesta  Rom.  Pont.  C.  8.  q.  1.»  dialogus  Gregorii  D.  45.; 
C.  15.  q.  1.,  C.  18.  q.  2.;  historia  Francarum  C.  15.  q.  6.;  liber 
dialogorum  C.  16.  q.  1.;  passio  8.  Dotniiiani  C.  28.  q.  1.;  ohne 
Quelle  C.  18.  q.  2.  'quod  de  b.  Greg,  legitur.'  Worin  die  That  des 
Bartholomäus  bestehe,  ist  nicht  abzusehen,  da  bei  Paucapalea,  Sie- 
phanus  u.  a.  die  historiae  selbst  stehen,  häufig  viel  genauer.  Wo  die 
Alten  ohne  Citat,  z.  B.  blos  *illud  veteris  testamenti'  u.  dgl.  anfuhren, 
geschieht  es  auch  hier.  Ob  wirklich  einige  neue  historiae  zugesetzt 
sind,  lohnt  kaum  der  Prüfung.  Vielleicht  besteht  sein  einziges  Ver- 
dienst in  der  Beisetzung  der  Zahl  der  Dist.  und  Causa. 

Ob  die  Handschriften,  welche  die  Vorrede  und  das  erste  Bei- 
spiel nicht  haben »),  dem  Bartholomäus  auch  angeboren,  vermag  ich 
nicht  zu  sagen. 

Die  Schrift  ist  für  die  Jurisprudenz  absolut  werthlos,  da  die 
zufälligen  Citate  biblischer  Beispiele  in  den  Quellen  unbedingt  ohne 
jeglichen  Einfluss  auf  die  Rechtsentwicklung  geblieben  sind. 


*)  Sehr  gut  bemerkt  t.  Sarigay  Y.  8.  12S,  daM  Barth,  'den  Namen  eines  fracht- 
baren  SckrifUtellera  mit  sehr  geringer  Mfihe  und  einigen  Vorreden  su  erkaufen 
strebte'. 

*)  fiine  solche  führt  Maassen  Paacapalea  S.  46.  Note  98  an  (Cod.  lat.  Monac. 
8013  —  Kaisersb.  113  — ). 


156  ▼•   Schalte 

V.  Smnoia  de  ordine  jndiciario.    ' 

Ausgabe:  Anecdota,  quae  processum  civilem  spectanted. 
Agathon  Wunderlich.  Bulgarus,  Damasus,  Bonaguida.  Gotting. 
1841  pag.  33-^44  Prolegomena,  p.  4S — 120  Summa. 

Andere  als  die  von  Wunderlieh  genannten  Handschrifteo 
sind  mir  nicht  bekannt. 

Das  Werk  ruhet  für  das  romische  Recht  zumeist  auf  PUlius, 
gibt  für  das  canonische  ausser  dem  Dekret  die  Sätze  der  drei  ersten 
Comp,  antiquae.  Es  bietet  eine  neue  Methode,  insofeme  es  eine  dem 
Gange  des  Verfahrens  sich  anschliessende,  alle  Theile  des  Verfohrens 
umfassende,  klare  Darstellung  enthalt. 


Liternturgeacbiclite  der  Compilationes  antiquae  ete.  1S7 


INHALT. 


Erstes  Capitel. 

Die  monographische  Literatur  zu  den  Compilationea 

antiquae. 

ff- 

I.  Notabilia.  Charakter 1 

1.  Not  ad  Comp,  1 2.  3. 

2.  Not.  Pauli  Ungari  ad  U.  et  IIL 4.  5. 

Andere  cur  Comp.  II 6. 

3.  Not.  sur  Comp.  III 7.  8. 

4.  Zur  Comp.  IV 9.  10.  11. 

5.  Zu  mehreren 12.  13. 

II.  Casus  Bernhardt,  Richardi 14 — 16. 

DL  Quaestiones :  anonyme,  Damasi 17^19. 

IV.  Summae:  Bernhardi,  Damasi 20. 

* 

V.  Traetatus:  Bemhardi.  Tancredi 21. 

VI.  Brocarda — 


Zweites  CapiteL 

Die  eigentliche  Glossatorenliteratur:  Apparatus» 

lecturae,  glossae. 

I.  Einleitung 22—26. 

II.  Die  Handschriften  mit  Glossen 27 — 33. 

III.  Die  Apparate  und  Glossen  der  Comp.  I. 

^.  Richardus  u.  Beruh.  Pap.  (Cod.  Hai.  Ye.  80) 34-37. 

B,  Alanus  (Cod.  Hai.  Ye  52) 38. 

C,  Cod.  Hai.  Ye  52.  alia  pars 39. 

D,  Cod.  Fuld.  D.  5 40. 

E,  Die  späteren  Glossen  und  Apparate 41^46. 

F,  Resultate,  fintstehungszeit 47 — 48. 


158      v^*  Schalte,   Literaturgeschichte  der  CenipItatioDee  antlqaae  etc. 


IV.  Compilatio  secuoda 49 — ^Sl. 

V.  Compilatio  tertia 52— S3. 

VI.  AbfaMungaieit  der  Apparate  zur  Comp.  II.  u.  III S4. 

Vn.  Apparat  cur  Comp,  quarta S$. 

VIII.  Die  Gloue  sur  Comp,  qoiota S6. 


• 


Anhantf .  • 

Damaaus  und  aeioe  Schrifteo. 


6  0 1  d  b  a  ch  er.  Zur  Kritik  und  Erklirung  tob  L.  Apulaiui  etc.  1  59 


Zur  Kritik  und  Erklärung  von  L.  Apuleius  de  dogmate 

Piatonis  L  I.  und  IL 

Von   Dr.   A.    Goldbacher. 

Zu  den  rielen  schwierigen  Fragen  in  Betreff  der  Auffassung 
und  Beurtheilung  der  philosophischen  Schriften  des  Apuleius,  zu 
deren  Beantwortung  noch  kaum  ein  Versuch  gemacht  ist,  kommt  noch 
ein  Cbelstand,  der  jedesfalls  zuerst  gehoben  werden  muss,  d.  i.  die 
höchst  verderbte  Gestalt  des  Textes.  Denn  wShrend  derselbe  in  den 
Metamorphosen  durch  die  eben  erschienene  Ausgabe  von  Fr.  Eyssen- 
hardt  (Berlin  1869)  und  in  der  Apologie  und  den  Floridis  durch 
Gust.  Krüger  (Berlin  1864  und  186K)  auf  Grundlage  einer  sorg- 
fältigen Collation  der  allein  massgebenden  Codices  Laur.  68,  2  und 
29,  2  eine  correctere  Gestalt  gewonnen  hat,  liegen  die  philosophi- 
schen Schriften  in  der  letzten  Hiidebrand' sehen  Ausgabe  noch  in 
einem  Zustande,  der,  abgesehen  von  der  Unerquicklichkeit  des  Stoffes, 
schon  an  und  für  sich  dem  Leser  nicht  selten  die  Leetüre  ver- 
leiden mag. 

Freilich  finden  wir  hier  auch  keinen  so  sicheren  Boden  wie  in 
den  drei  oben  genannten  Schriften;  denn  die  beiden  Florentiner 
Handschriften  enthalten  eben  nur  die  Metamorphosen ,  die  Apologie 
und  die  Florida.  Die  Texteskritik  der  philosophischen  Schriften  steht 
daher  noch  auf  derselben  Stufe,  auf  der  vor  wenigen  Jahren  sämmt- 
liche  Schriften  des  Apuleius  standen,  nur  dass  denselben  auch  von 
jeher  nicht  die  Aufmerksamkeit  und  Sorgfalt  geschenkt  wurde  wie 
den  Metamorphosen  oder  der  Apologie.  In  der  Benützung  des  hand- 
schriftlichen Materiales  herrscht  ziemlich  willkürlicher  Eklekticismus; 
denn  wenn  auch  einzelne  Herausgeber  von  der  Vorzüglichkeit  des 
einen  oder  anderen  Codex  überzeugt  waren,  so  war  doch  diese 


160  Ooldbacher 

Überzeugung  meist  zu  schwach,  um  in  der  Constituirung  des  Textes 
einen  sicheren  Haltpunkt  zu  bilden.  Wurde  also  schon  dadurch  viel- 
fach die  richtige  Leseart  verdrängt,  so  schadete  unserem  Autor  un- 
gleich mehr  ein  anderer  Umstand.  Dass  Apuleius  manches  veraltete 
Wort  und  manche  seltene  Wendung  hervorgezogen,  dass  die  Kühn- 
heit der  Diction  ihn  nicht  selten  bis  zur  Verschrobenheit  verleitet, 
dass  er  selbst  sich  manche  Neuerung  in  Fügung  und  Wortbildung 
erlaubt  habe,  können  wir  so  wenig  leugnen,  als  wir  andererseits  ge- 
stehen müssen,  dass  eben  dies  die  Kritik  des  Apuleius  in  eine  ganz 
falsche  Richtung  gebracht  habe.  So  klagt  schon  Hildebrand  in  der 
Vorrede  seiner  Ausgabe:  Denique  Beroaldus  a  perversitate  quadam 
non  über  fuit,  quam  omnes  fere  Apulei  interpretes  occupasse  eogno- 
scitur,  quaeque  accuratius  hie  eo  explicanda  erit,  quod  inde  perspici 
licet,  qua  ratione  scriptoris  totjes  tractati  libri  hodieque  tarn  mutilati 
et  depravati  sint.  est  enim  ista  tamquam  prurigo,  qua  obsoleta  quaeque 
et  pervetusta  Apuleio  vindicata  sunt,  quaeque  in  nullo  praeter  com, 
quantum  video,  scriptore  tam  magna  ac  tarn  pestifera  unquam  fhit, 
quamvis  Beroaldus  certis  vinculis  adstringi  se  passus  sit,  quae  tarnen 
secure  eius  imitatores  rumpere  soliti  sunt,  ut  ad  eam  progressi  sint 
iudicii  ac  mentis  perversitatem,  quam  non  doctrinae  affectationem  sed 
insaniam  rectius  nominaveris,  a  Wowerio  denique  et  Brantio  ad 

summum  fastigium  evectam est  autem  abominanda  mdis 

illa  et  incondita  doctrina,  quae  omnium  longe  est  facillima,  quum  sit 
nihil  tam  cassum,  nihil  tam  obsoletum,  nihil  tam  absurdum,  quod  tali 
scriptori  qualis  Apuleius  est,  intrudere  illi  non  conentur:  si  latina  non 
sufficiunt,  graeca  petunt,  si  Plautus  effugit,  Naevium  sectantur.  Und 
derselbe  Hiidebrand,  was  traut  er  nicht  selbst  alles  dem  Apuleius  zu! 
Wie  oft  geffillt  ihm  nicht  eine  Überlieferung  gerade  deshalb,  weil  der 
Ausdruck  selten  und  sonderbar  ist,  wie  oft  findet  er  nicht  selbst  Un- 
erhörtes bei  Apuleius  für  möglich  I  Zu  dem  kommt  bei  ihm  noch  ein 
ganz  verkehrter  Grundsatz  in  der  Verwerthung  des  kritischen  Mate- 
riales.  Man  braucht  nämlich  nicht  viele  Blätter  seiner  Ausgabe  xu 
lesen  um  einige  Male  zu  hören,  diese  oder  jene  Schreibweise  sei 
die  richtige,  weil  sie  schwieriger,  seltsamer,  ungewöhnlicher  sei  als 
eine  andere,  und  die  Abschreiber  gewiss  nicht  diese  in  jene  verändert 
haben  würden.  So  verschmäht  er  z.  B.  de  dogm.  PI.  ü.  c.  17,  p.  244 
iccircoque  (nocere)  prius  est  quam  noceri,  wo  prius  gewiss  nur  ein 
Versehen  für  peius  ist,  was  noch  überdies  zwei  Zeilen  unterhalb: 


Zar  Kritik  und  Erkürong'  von  L.  Apuleius  etc.  161 

sed  nocere  longe  peius  esse  bestätigt  wird»  diese  leichte  Änderung 
»propter  dictionis  frequentiam;  forsitan  'pravius\  cuius  comparativi 
forma  est  rarissima,  legendum  est**.  Ebenso  lässt  er  an  derselben  Stelle 
cum  nocere  alteri  malorum  omnium  noxium  (wofür  wohl  mit  einem  Cod. 
maximum  zu  schreiben  ist)  sit  das  noxium  stehen  j,quamquam  singu- 
iaris  est  haec  dictio**.  c.  21,  p.  250  wo  es  in  den  besseren  Hand- 
schriften heisst:  egestatem  namque  non  abstinentia  pecuniae  sed  prae- 
sentia  immoderatarum  cupidinum  gignit  nimmt  Hildebrand  wirklich 
an,  Apuleius  habe  auch  abstinentia  für  absentia  gebraucht,  weil  der- 
selbe Fehler  durch  dasselbe  Versehen  auch  Hetam.  1.  X.  c.  23  p.  722 
sich  findet,  und  bedauert  sogar,  dass  er  dort  abstinentia  in  dieser 
Bedeutung  verworfen  habe.  Doch  genug  davon ;  in  der  Folge  werden 
wir  dergleichen  noch  mehr  finden.  Diese  den  Abschreibern  fiberall 
zugemuthete  Absichtlichkeit  ist  einer  der  Hauptschäden  der  Hilde- 
brand^schen  Ausgabe.  Denn  die  Fehler  in  den  älteren  und  besseren 
Handschriften  beruhen  gewöhnlich  nur  auf  Versehen;  absichtliche 
Änderungen  sind  verhältnissmässig  selten  und  traten  meist  erst  dann 
ein,  wenn  der  grammatische  Zusammenhang  eines  Satzes  schon 
früher  irgendwie  zerrüttet  war. 

Wie  es  unter  solchen  Verhältnissen  mit  dem  Texte  der  Bücher 
de  dogm.  PI.  stehen  mag,  lässt  sich  leicht  denken.  Hildebrand  selbst 
hat  sich  damit  weniger  Mühe  gegeben,  wie  er  in   seiner  kritischen 
Anmerkung  zu  liqutdo  arbitratur  1.  U.  c.  17  p.   244  offen  gesteht, 
und  wir  ihm  ohne  Bedenken  bestätigen  können.  Man  darf  sich  daher 
nicht  wundern,  wenn  man  so  oft  auf  Stellen  stösst,   die  theils  dem 
Gedankengange  geradezu  widersprechen,  theils  aller  Anstrengung, 
ihnen  in  der  vorliegenden,  von  den  Kritikern  nicht  selten  unbeanstan- 
deten Gestalt  einen  gesunden  Sinn  oder  auch  nur  grammatischen 
Zusammenhang  zu  entlocken,  trotzen.  Victor  B^tolaud,  der  neueste 
Übersetzer  der  Werke  des  Apuleius  (Oeuvres  complStes  d*Apulee 
traduites  en  francais.  Paris,  Garnier  Freres  1862),  hätte  also  kein 
kleines  Stück  Arbeit  vor  sich  gehabt,  wenn  er  sich  nicht  nach  Fran- 
zosen Art  über  die  Schwierigkeiten  hinausgesetzt  und  ziemlich  unbe- 
kümmert um  den  unter  der  Übersetzung  stehenden  Bosscha'schen  Text 
seiner  Phantasie  freies  Spiel  gelassen  hätte. 

Was  nun  die  Handschriften  der  Bücher  de  dogmate  Piatonis 
betrifft,  so  kann  ich  nur  dasselbe  wiederholen,  was  ich  in  meiner 
Abhandlung  über  de  deo  Socratis  (Österr.   Gymn.  Zeitschrift  1868 

Sitzb.  d.  phiL-bist.  Cl.  LXVI.  Bd.  1.  Hft.  11 


162  Goldbicher 

S.  808  f.)  gesagt  und  dai^ethan  habe.  Sämmtliche  Codices  fuhren 
nSmlich  auf  eine  und  dieselbe  Quelle  zurück.  Dieser  zunächst  stehen 
die  beiden  in  der  Hildebrand'schen  Ausgabe  mit  F^  und  F,  (ß^ 
findet  sich  jedoch  nur  in  den  drei  ersten  Capiteln  des  ersten  Buches) 
bezeichneten  Florentiner  Handschriften.  Aus  diesen  sind  dann  die 
übrigen  Codices  geflossen.  Jede  Kritik  muss  daher  auf  die  Floren- 
tiner Handschriften  zurückgehen,  und  es  wäre  nur  zu  wünschen»  dass 
die  Angaben  des  Lindenbrogius  über  dieselben  genauer,  bestimmter 
und  klarer  wären.  Der  Nachweis  hießlr  wird  sich  aus  dem  Folgenden 
jedermann  leicht  von  selbst  ergeben;  ich  verweise  nur  auf  Stellen 
wie  z.  B.  I.  n.  c.  24,  p.  2K6.  Die  Florentiner  Handschriften  selbst 
sind  nicht  ohne  Fehler,  sondern  Dittographie,  BuchstabenTerweehs- 
lung.  Vertauschung  gleichklingender  Worte  und  ähnliche  Versehen 
finden  sich  oft,  selten  sind  Spuren  Ton  Correctionsversuchen ;  insbe- 
sondere aber  leiden  sie  an  häufen  Auslassungen  einzelner  Worte. 
Wo  spätere  Handschriften  einen  Fehler  der  Florentiner  yermieden 
haben,  sind  es  nur  leichte,  auf  der  Hand  Jiegende  Correcturen.  Bei 
ärgeren  Verderbnissen  und  Lücken  stimmen  sie  entweder  mit  ihrer 
Quelle  überein  oder  suchen  durch  Änderung  meist  unbekümmert  um 
den  Sinn  eine  wenigstens  formale  Concinnität. 

Für  die  ersten  vier  Capitel  des  ersten  Buches,  worin  uns  Apu- 
leius  einiges  über  die  Geburt  und  geistige  Entwickelung  Plato*s  mit- 
theilt,  bringe  ich  femer  eine  neue  noch  unbenutzte  Quelle  zur  Geltung, 
nämlich  den  Scholiasten  des  Lucanus  (M.  Annaei  Lucani  Commenta 
Bernensia  ed.  Herrn.  Usener  Lipsiae  1869),  der  in  seinem  Scholion 
zum  tSlsten  Verse  des  10.  Buches  die  Angaben  des  Apuleius  excer- 
pirt  hat. 

L  i  b  e  r  L 

Nachdem  Ap.  im  ersten  Capitel  von  der  Abkunft  Plato*s  und  dem 
wunderbaren  Traume  des  Sokrates  gesprochen  hat,  geht  er  im  zweiten 
auf  seine  Anlagen  und  seine  erste  Ausbildung  über,  nam  Speusippus, 
heisst  es  hier  im  Anfange  p.  183,  domesticis  instructus  documenti$ 
et  pueri  eins  acre  in  percipiendo  ingenium  et  admirandae  verecun- 
diae  indolem  laudat  Neben  dem  acre  in  percipiendo  ingenium  ist  hier 
die  Erwähnung  der  verecundia  gewiss  verdächtig;  man  erwartet  doch 
eher,  dass  daneben  die  Anlage  der  Wiedergabe  des  aufgenommenen 
Stoffes  erwähnt  werde  d.  i.  die  facundia.  So  wird  auch  am  Schlüsse 


Zur  Kritik  und  Erkllruiig  ron  L.  Apuleius  etc.  163 

dieses  Capitels  die  elegantia,  renustas  und  maiestas  der  platonischen 
Diction  rühmend  hervorgehoben. 

Auffallend  ist,  dass  sowohl  der  Grossvater  Plato*s  von  mütter- 
licher Seite  p.  180,  als  auch  sein  Bruder  p.  184  in  den  Handschr. 
des  Ap.  durchaus  nicht  Glauco  sondern  Glaucus  genannt  wird.  Diese 
Leseart  wird  auch  noch  bestätigt  durch  die  Comm.  Bern.,  wo  Usener 
das  überlieferte  cum  Glauco  in  cum  Glaucone  verändert  hat.  Eine 
Entscheidung  hierüber  ist  sehr  schwer,  da  Analogien  wie  Lampon 
und  Lampus,  Jasion  und  Jasius  weder  ganz  abzuweisen  sind,  noch 
hinreichende  Gewähr  bieten. 

Drei  Zeilen  unterhalb  überliefert  die  Florent.  Handschr.  ut  Pythta 
et  Isthmia  deluctata  certaverit.  Hildebrand  schreibt  de  luctatu.  Allein 
deluctata  ist  durch  eine  ganz  gewöhnliche  Dittographie  (s.  unten 
p.  186  Eurytatum  für  Eurytum)  aus  de  lucta  entstanden,  wie  auch  in 
späteren  Codd.  schon  richtig  gebessert  ist.  DerSchoIiast  des  Lucanus 
hat  ebenfalls  de  lucta  gelesen. 

Picturae  non  aspernatus  artem  tragoediis  et  dithyrambis  se 
utilem  finxit  heisst  es  weiter.  Für  et  dithyrambis  se  utilem  finxit  lesen 
wir  in  den  Comm.  Bern,  et  tibiistitulö  finxit,  das  Usener,  indem  er  die 
Leseart  bei  Ap.  für  verderbt  hält,  in  dithyrambis  stilum  finxit  ändert 
mit  der  Bemerkung»  dass  für  tibiis  vielleicht  lyricis  zu  schreiben  sei. 
Dithyrambis  gegen  die  Überlieferung  bei  Ap.  und  gegen  die  ausdrück- 
liche Erwähnung  der  Dithyramben  bei  Diog.  Laert.  vitae  phil.  UI,  5 
xae  JTOcf^jxara  iypa^s  xac  /rpcora  (uiv  oiävpdiißov^^  imtra  Se  xai 
IxiXri  xai  Tpayo}diag  in  lyricis  zu  ändern  möchte  wohl  sehr  gewagt 
erscheinen.  Aber  auch  die  zweite  Änderung  stilum  finxit,  so  an- 
sprechend sie  auch  ist,  kann  uns  doch  nicht  bestechen,  die  an  sich  un- 
anfechtbare Überlieferung  bei  Ap.  zu  verlassen,  um  eine  auf  dem 
Grunde  einer  stark  verderbten  Leseart  gebaute  Coniectur  an  die  Stelle 
zu  setzen. 

c.  3.  p.  186  lässt  Ap.  den  Plato  von  Italien  aus  nach  Cyrene 
und  Ägypten  reisen,  um  dort  die  Quellen  der  Pythagoreischen  Wissen- 
schaft aufzusuchen,  und  dann  wieder  nach  Italien  zurückkehren :  et 
ad  Italiam  iterum  venit  et  Pythagoreos  Eurytatum  Tarentinum  et  se- 
niorem  Archytam  sectatus.  So  F^,  die  Lesearten  der  übrigen  Hdschr. 
Euricacum,  Euricanum,  Euritanum,  Euritarum  sind  offenbar  nur  Va- 


1 64  Goldbucher 

riationen  der  Stanimhandschrift  i).  In  den  Comm.  Bern,  finden  wir 
pitagoreos  rit'tarentü.  Eine  Stelle  bei  Diog.  Laert.  vitae  phil.  III,  6 
xanelSsv  sig  'IraXcav  npdg  JluSayopiMijg  <I>üöXaov  xae  Ei/purcv 
macht  es  wahrscheinlich,  dass  wir  in  Eurytatum  nur  denselben 
Fehler  zu  suchen  haben  wie  oben  in  luctata,  und  dass  daher,  wie 
auch  fast  in  allen  Ausgaben  schon  geschehen  ist,  Eurytum  zu 
schreiben  sei. 

Atque  ad  Indos  et  Magos,  fährt  Ap.  fort,  intendisset  animum, 
nisi  tunc  cum  bella  vetuissent  Caletica.  quapropter  inventa  Parme- 
nidis  ac  Zenonis  studiosius  exsecutus  ita  omnibus,  quae  admiraticni 
sunt,  suos  libros  explevit,  ut  primus  tripartitam  philosophiam   copu- 
laret  etc.  Für  Caletica,  wie  es  in  allen  Handschr.  heisst,  lesen  wir  in 
den  Ausgaben  Asiatica,  was  durch  Diog.  Laert.  vitae  phil.   III,   7 
Siiyvd)  Sil  6  IlXdrcüv    xcti  roXg  Mdyoig  (7VfJi|xcCat   6tä   8i  roitg   riig 
'Aaia^  noAii^ovg  aniam   Bestätigung  zu   finden  scheint.    Um 
jedoch  der  handschriftlichen  Überlieferung  näher  zu  kommen,  ver- 
muthet  Oudendorp  Chaldaica,  Hildebrand  sogar  Halylica,  was  so  viel 
sein  soll  als  Lydia,  weil  von  Lydien  aus  der  jüngere  Cyrus  seinen 
Zug  gegen  Artaxerxes  unternommen  habe.   Es  unterliegt  aber  wol 
keinem  Zweifel,  dass  für  „Caletica*'  Ap.  „Dialectica"  geschrieben 
habe,  das  in  der  Verbindung  dialectica  quapropter  inventa  etc.  einen 
entsprechenden  Sinn  gibt.  Wir  finden  dabei  zugleich  auch  die  Ver- 
anlassung des  Irrthums  in  quapropter,  dessen  gewöhnliche  Stellung 
am  Anfange  des  Satzes  das  dialectica  verdrängt  hat.  Ap.  hingegen 
gibt  ihm  gerade  in  unserer  Schrift,  wie  es  scheint,  mit  Vorliebe  die 
zweite  Stelle,  so  der  handschriftlichen  Oberlieferung  nach  II  c.  1  p.  220 
divina  quapropter  esse;  c.  16  p.  242  pessimo  quapropter  deterri- 
moque;  zu  c.  4  p.  228  tres  quapropter  partes  animae  ist  die  Wort- 
stellung der  Florent.  Codd.  nicht  angegeben,  und  c.  15  p.   240  soll 
Fi  quapropter  vitium  illud  primum  mentibus  evenit  haben.    Vergl. 
noch  ausserdem  de  mundo  c.  5  p.  297  superna  quapropter  dii  superi 
sedes  habent,  wo  in  den  Ausgaben  vor  Vulcanius   superna  ebenfalls 
durch  quapropter  an  den  vorausgehenden  Satz  gedrängt  worden  ist. 


*)  Wenn  Usenerin  den  Comm.  Bern,  bemerkt,  die  nichtinterpolirten  Handechr.  det  Ap. 
haben  Pythagoreos  etiam  ritas  Tarentinum,  so  kann  diese  Angrabe  nur  auf  einea 
Versehen  bemhen,  indem  er  in  der  kritischen  Anm.  der  Hildebrand^scben  Antobe 
das  xur  roransgeh enden  Zeile  gehörige  etiam  ritns  hieher  beaog. 


Zur  Kritik  und  Erklirung  von  L.  Apaletas  etc.  4  6d 

Für  unsere  Vermuthung  sprechen  auch  die  Comm.  Bern,  quin  ad 
Indos  et  Magos  animum  intenderat,  nisi  tunc  eum  bella  retuissent,  in 
so  ferne  nämlich  mit  vetuissent  der  Satz  endet»  denn  das  Folgende 
fehlt  in  diesen  Excerpten. 

Durch  die  Herstellung  dieser  Stelle  haben  wir  nun  auch  einen 
Anhaltspunkt    zur    Ausfüllung    einer    Lficke    im    nächsten  Satze. 
Ap.  hat  uns  nämlich  im  Vorausgehenden  erzählt,  wie  Plato,  nachdem 
er  mit  Sokrates  näher  bekannt  geworden»  die  Poesie  aufgegeben  und 
sich  ganz  jenem  angeschlossen  habe,  wie  er  dann  nach  dessen  Tode 
sich  mit  der  Lehre  der  Pythagoreer  vertraut  machte,  deren  Quellen 
er  bis  nach  Cyrene  und  Ägypten  verfolgt  habe,  und  wie  er  endlich 
die  dialektischen  Speculationen  eines  Parmenides  und  Zeno  sich  an- 
eignete :  er  habe  daher,  indem  er  alles  das  selbstständig  verarbeitete 
und  vervoUkommnete,  zuerst  die  dreifache  Gliederung  der  Philosophie 
gelehrt,  nam  quamvis  de  diversis  officinis  haec  ei  essent  philosophiae 
membra  suscepta,  naturalis  a  Pythagoreis,  dialectica  rationalis  atque 
moralis  ex  ipso  Socratis  fönte,  unum  tarnen  ex  omnibus  et  quasi  pro- 
pra partus  corpus  effecit.  Es  lässt  sich  mit  Bestimmtheit  erwarten, 
dass  hier  Ap.  die  drei  Hauptquelten  der  platonischen  Philosophie,  von 
denen  er  oben  gesprochen  hat,  zusammenfasst.  Nun  fehlen  aber  einer- 
seits neben  Sokrates  und  den  Pythagoreern  die  Eleaten,  andererseits 
ist  von  den  in  F^  überlieferten  Worten :  dialectica  rationalis,  womit 
auch  sämmtliche  andere  Handschr.  bis  auf  einige  ganz  unbedeutende  Ab- 
weichungen übereinstimmen,  gewiss  das  eine  nur  Glosse  des  andern. 
Nach  unserer  obigen  Conieetur  werden  wir  nun  kein  Bedenken  tragen 
Oudendorp  und  Hildebrand  beizustimmen,  welche  in  richtigem  Takte 
das  letztere  für  eine  Glosse  des  ersteren  halten;  nur  fügen  wir  noch 
hinzu,  dass  nicht  bloss  rationalis  zu  beseitigen,  sondern  auch  das 
dadurch  verdrängte  ab  Eleaticis  an  die  Stelle  zu  setzen  sei.  Schliess- 
lich müssen  wir  uns  noch  gegen  diejenigen  Ausleger  erklären,  welche 
die  Auffassung  des  Ap.  nach  einer  Stelle  bei  Diog.  Laert.  vitae  phil.  HI, 
8  jüieCiv  rc  inofhaoLTO  ra»v  rc  'Hpax).c(rda)v  Xoytüv  xat  Il\jäayof>wSiv  xolI 
Scüxparuccüv*  rä  yiiv  yäp  aia^r^TO,  xa^'  *Hpax/c(rov,  rä  it  vorirä  xard 
HvSocyopav^  rä  Si  noXiriTid  xard  Sojxpdtn^v  ifiXoaofit  zu  corrigiren 
versuchen,  so  wie  gegen  diejenigen,  welche  an  dieser  Stelle  durch- 
aus den  Heraclit  erwähnt  haben  wollen.    Ap.  würdigt  eben  den  Ein«> 
fluss  der  Heracliteischen  Lehre  auf  Plato  zu  wenig,  was  man  schon 
daraus  ersehen  kann,  dass  er  oben  p.   185,  wo  er  vom  Verkehre 


166  Goldbacber 

Plato*s  mit  Sokrates  spricht,  nur  nebenbei  erwähnt  et  antea  quidem 
Heracliti  secta  fuerat  imbutus.  Für  die  Darstellung  des  Ap.  wird  eine 
treffende  Parallelstelle  aus  Photius  excerpt.  e  vit.  Pyth.  713  ange- 
fOhrt  n^v  |xiv  «dccüpvjrexi^v  xac  fvaixhv  Il^ccrcüvd  ^aae  Tcapä  roiv  iv 
MraXfqc  JluSayopitüv  ixiiaäeXv,  rf}v  ii  i^^cxi^v  iidh^ra  napa 
Scüxpdrou^,  T9jg  di  'koytxii^  anipfxara  xarocßaAelv  aur^  Zi^voeiva  xai 
UocpfjLSviiriv  roitg  ^EXidrag, 

Mit  dem  fünften  Capitel  beginnt  die  Darstellung  der  platonischen 
Naturphilosophie.  Prinzipien  alles  Seins  seien  Gott,  die  Ideen  und 
die  Materie.  In  der  Bestimmung  der  letzteren  heisst  es  p.  192,  sie 
sei  unbegrenzt,  sed  neque  corpoream,  sed  sane  incorpoream  esse  eon- 
cedit;  ideo  autem  non  putat  corpus»  quod  omne  corpus  specie  quali- 
cunque  non  careat;  sine  corpore  vero  esse  non  potest  dicere,  quia 
nihil  incorporale  corpus  exhibeat.  Die  Leseart  des  Cod.  Harlem.  sed 
ne  sane,  die  Oudendorp  billigt  und  Hildebrand  in  den  Text  aufge- 
nommen bat,  ist  sicher  nur  eine  Correctur  und  zwar,  wie  es  scheint, 
nicht  die  beste;  denn  die  rhetorische  Wiederholung  des  sed,  wie  es 
Hildebrand  auffasst*  ist  bei  dem  Gegensatze  zwischen  den  beiden 
Gliedern  unstatthatlt,  und  zudem  lasst  das  vorausgehende  neque  eine 
ganz  andere  Verbindung  erwarten ;  auch  ist  ne  ( =»  ne  quidem)  an 
dieser  Stelle  wohl  schwerlich  zu  erkISren.  Sed  sane  ist  daher  wahr- 
scheinlich nur  durch  ein  Versehen  in  Folge  des  yorangehenden  sed 
aus  nee  sane  entstanden. 

Atque-ideo,  heisst  es  über  die  Materie  weiter,  nee  actu  solo 
neque  tamen  sola  opinione  cogitationis  intelligi;  namque  corpora 
propter  insignem  evidentiam  sui  simiU  iudicio  cognosci,  sed  quae  sub- 
stantiam  non  habent  corpoream,  ea  cogitationibus  videri:  unde  adul- 
terata  opinione  ambiguam  materiae  huius  intelligi  qualitatero.  Was 
soll  actu  heissen?  Die  Erklärer  schweigen  hierüber,  und  B^toland 
trifft  mit  seiner  Übersetzung:  Mais  par  le  fait  seul  et  par  ie  seul  te* 
moignage  des  sens,  on  ne  saurait  arriver  k  cette  derniere  -eroyance 
weder  Text  noch  Sinn.  Der  Gedanke  ist  der:  Da  der  Materie  weder 
das  Prädikat  ^körperliche  noch  das  Prädikat  Munkorperlich**  zukommt» 
so  können  wir  auch  zur  Kenntniss  derselben  weder  durch  die  sinn- 
liche Wahrnehmung  (aTa^vjac^),  der  alles  körperliche  unterworfen 
ist,  kommen,  noch  durch  rein  geistige  Thätigkeit  (v^ncreO  ^^  ^^ 
den  Ideen,  sondern  wir  gelangen  zu  ihr  durch  eine  adulterata  opinione 
(Xo7(9|ui(f>  revc  v6«&a)).  In  actu  mfisste  daher  die  Bezeichnung  der 


Zar  Kritik  und  ErUiniDg  von  L.  Apnleiua  etc.  167 

sinnlichen  Wahrnehinung  liegen,  wozu  das  Wort  actus  unbrauchbar 
ist.  Dagegen  wird  die  sinnliche  Wahraehmung  ganz  gewöhnlich  durch 
die  beiden  Hauptrertreter  das  Gesicht  und  Getast  bezeichnet :  rä 
öpard  xat  anrd  und  bei  Ap.  c.  8,  p.  198  hine  et  tangitur  et  videtur 
sensibusque  corporeis  est  obyius  und  c.  9,  p.  200  quae  videri  oculis 
et  attingi  manu  possit.  Für  actu  muss  daher  tactu  geschrieben 
werden,  hinter  dem  vielleicht  ac  visu  oder  etwas  ähnliches  ausge- 
fallen ist. 

Nachdem  im  6.  Capitel  ron  den  Ideen  die  Rede  war,  beisst  es 
dort  p.  193  oMag^  quas  essenlias  dicimus,  duas  esse  ait,  per  quas 
cuncta  gignantur  mundusque  ipse,  quarum  una  cogitatione  sola  con- 
cipitur,  altera  sensibus  subiici  potest.  sed  illa,  quae  mentis  oculis 
comprehenditur,  semper  et  eodem  modo  et  sui  par  ac  similis  inveni- 
tur,  et  quae  vere  sit  atenim  altera  opinione  sensibili  et  irrationabili 
aestimanda  est,  quam  nasci  et  interire  ait  et  sicut  superior  vere 
esse  memorator,  hanc  non  esse  vere  possuraus  dicere.  et  primae 
quidem  substantiae  vel  essentiae  primum  deum  esse  et  meutern  for- 
masque  rerum  et  aoimam,  seeundae  substantiae  omnia,  quae  infor- 
mantur,  quaeque  gignuntur,  et  quae  ab  substantiae  superioris  exemplo 
originem  ducunt  Für  meutern  hat  Floridus  nach  der  Leseart  des 
Cod.  Thuan.  (matiem)  materiem  in  den  Text  gesetzt,  und  Oudendorp 
und  Hildebrand  haben  diese  Änderung  gebilligt.  Da  es  jedoch  oben 
von  der  ersten  essentia  heisst:  cogitatione  sola  concipitur,  von  der 
Materie  hingegen  im  vorhergehenden  Capitel :  neque  tamen  sola  opi- 
nione eogitationis  intelligi^  so  erhellt  schon  daraus,  dass  die  Materie 
unmöglich  zur  ersten  ouala  oder  essentia  gezählt  werden  kann.  Die- 
selbe hat  überhaupt  hier  keinen  Platz,  sondern  liegt  ihrer  Qualität 
nach  in  der  Mitte  zwischen  diesen  beiden  essentiis.  Der  Einwurf  den 
man  gegen  mentem  erhebt,  als  sei  dasselbe  mit  deum  oder  animam 
identisch,  wird  verschwinden,  wenn  man  c.  9,  p.  199  und  200  in 
Betracht  zieht:  unter  mens  (auch  anima  coelestis  genannt)  haben  wir 
nämlich  die  allgemeine  Weltseele  zu  verstehen,  deren  Ausfluss  nach 
der  Darstellung  unseres  Schriftstellers  die  Einzelseele  (anima)  sei. 
Die  Richtigkeit  dieser  Erklärung  bestätigt  auch  eine  Stelle  im  Anfange 
des  zweiten  Buches  p.  220  prima  bona  esse  deum  summum  mentem- 
que  illam,  quam  voOv  idem  vocat. 

c.  7,  p.  194  multimoda  multi  potestatum  coitione  ist  in  multi 
nichts  anderes  zu  suchen  als  ein  Versehen  durch  Wiederholung  des 


168  Goldbacker 

multi  in  multimoda.  Ahnliche  Fehler  haben  wir  schon  oben  c.  2, 
p.  184  und  c.  3,  p.  186  bemerkt. 

Über  die  Entstehung  der  Elemente  aus  der  Materie  lesen  wir 
c.7«p.  198  et  ignem  quidem  et  aera  et  aquam  habere  originem  atque 
principium  ex  trigone,  qui  6t  trianguli  {F^  und  andere  Codd.  un- 
richtig sit  anguli)  recti  non  paribus  angulis ;  terram  vero  directis 
quidem  angulis  trigonis  et  restigiis  paribus  esse,  et  prioris  quidem 
formae  tres  species  existere:  pyramidem,  octangulam  et  Tigintiangu- 
lam;  sphaeram  et  pyramidem  fignram  ignis  in  se  habere»  octangulam 
yero  aeris,  angulatam  vicies  sphaeram  aquae  dicatam  esse,  aequi- 
pedum  vero  trigonum  efficere  ex  sese  quadratum  cubum,  quae  (seil, 
figura)  terrae  sit  propria.  Das  erste  Bedenken  erregt  die  handschrift- 
lich überlieferte  und  durch  das  folgende  Relatirum  qui  gestützte 
Form  trigone  für  trigono.  Gleich  darauf  haben  wir  dieselbe  Form 
trigonis  für  trigoni.  Da  jedoch  im  zweiten  Falle  wegen  des  schon 
durch  quidem  angedeuteten  Gegensatzes  nothwendig  das  s  mit  et  zu 
sed  verbunden  werden  muss  und  weiter  unten  aequipedum  trigonnm 
überliefert  ist,  so  wird  wohl  auch  an  erster  Stelle  die  leichte  Ände- 
rung trigono  quod  nicht  zu  umgehen  sein.  Denn  trigon  kennen  wir 
nur  als  Bezeichnung  eines  Ballspieles  und  in  übertragener  Bedeutung 
des  dabei  gebrauchten  Balles,  und  wenn  es  auch  zu  dieser  Bedeutung 
eben  durch  die  triangeiformige  Aufstellung  der  drei  Spieler  gekom- 
men ist,  so  ist  es  doch  unerweislich  und  unwahrscheinlich,  dass 
trigon  auch  für  trigonum  gebraucht  worden  sei.  —  Femer  aber  ve- 
stigiis?  Was  sind  hier  vestigia?  Es  muss  doch  die  Gleichheit  der 
beiden  spitzen  Winkel  oder  der  beiden  Katheten  des  rechtwinkligen 
Dreieckes  bezeichnet  werden.  Wie  sich  da  die  Ausleger  bisher  mit 
restigiis  zurecht  finden  konnten,  weiss  ich  nicht  und  glaube  daher, 
Ap.  habe  fastigiis  geschrieben.  Dieselbe  Verwechslung  von  fastigiuro 
und  vestigium  wird  auch  bei  Curtius  Rufus  III,  12,  25  im  Cod.  Flor. 
C  bemerkt;  vergl.  noch  in  unserer  Schrift  oben.c.  2,  p.  183  vere- 
cundia  für  facundia.  —  Endlich  ist  noch  hinzuzufligen,  dass  sphaeram, 
welches  unbegreiflicher  Weise  überall  zu  et  pyramidem  gezogen  ist, 
mit  octangulam  et  vigintiangulam  zu  verbinde^,  und  daher  die  Inter- 
punction  nach  sphaeram  zu  setzen  sei. 

c.  8,  p.  196  sed  ne  (ne  fehlt  im  F,)  vim  quidem  eius  et  extrin- 
secus  inveniri  ist  et  unhaltbar  und  nur  eine  Wiederholung  der  Silbe 
ex,  80  wie  drei  Zeilen  oberhalb  im  F^  et  illa  mit  ex  illa  verwechselt 


Zur  Kritik  und  Erklärung  von  L.  Apuleius  etc.  1  69 

ist.  Man  vergleiche  nur  die  entsprechende  Stelle  Plato  Tim.  p.  32  C 

Die  aus  den  Elementen  zu  vollendeter  Schönheit  zusammenge- 
setzte Weit  sei  ewig  jung  und  von  unverwüstlicher  Kraft.  Dieser 
Vollkommenheit  entsprechend  sei  ihre  Gestalt  die  Kugelgestalt  und 
ihre  Bewegung  die  Kreisbewegung.  Letzteres  liegt  in  den  Worten 
c.  8,  p.  1 98  hinc  et  illud  etiam  Septem  motus  locorum  habeantur, 
Processus  (oder  progressus;  F^  prorsus)  et  retiftcessus,  dexterioris 
ac  sinistri,  sursum  deorsumque  nitentium»  et  quae  in  gyrum  circui- 
tumque  torquentur:  sex  superioribus  remotis  haec  una  mundo  re- 
ücta  est  sapientiae  et  prudentiae  propria,  ut  rationabiliter  volveretur. 
Der  Anfang  dieses  Satzes,  der  in  den  spateren  Handschr.  wegen  des 
folgenden  motus  in  hinfc  illi  etiam  verändert  ist,  bat  verschiedene 
Conjecturen  hervorgerufen,  die  ich  hier  übergehen  will.  Bei  den 
vielen  Lucken,  an  denen  unsere  Handschr,  leidet,  wird  die  auch 
sonst  vorkommende  Uberspringung  des  cum  hinter  etiam  (s.  Hand 
Turs.  n  p.  171)  niemanden  befremden.  Es  ist  also  zu  lesen:  hinc 
illud  etiam:  cum  septem  etc.  —  Und  wird  für  dexterioris  nicht  dex- 
teriores  (d.  i.  motus)  zu  schreiben  sein? 

c.  9,  p.  200  naturasque  rerum  binas  esse;  et  earum  alteram 
esse,  quae  veniat  in  mentem,  quam  quidem  So^aarriv  appellat  ille,  et 
quae  videri  oculis  et  attingi  manu  possit»  alteram  cogitabilem  et  in- 
telligibilem.  Hier  ist  nur,  wie  schon  Floridus  richtig  bemerkt  hat, 
der  Satz  quae  veniat  in  mentem  von  der  ihm  gebührenden  Stelle 
hinter  dem  zweiten  alteram  durch  ein  Versehen  hinter  alteram  esse 
hinaufgekommen;  im  Übrigen  ist  nichts  zu  ändern,  und  auch  die  von 
Fulvius  der  Symmetrie  wegen  vorgeschlagene  und  allgemein  ange- 
nommene Einschiebung  von  diavorinxiiv  vor  cogitabilem  überflüssig, 
abgesehen  davon,  dass  es  doch  dem  Sinne  und  dem  So^o^aTtiv  ent- 
sprechend nicht  Siavor^rtxiiv  sondern  voYiriiv  heissen  müsste. 

c.  10,  p.  201  heisst  es  in  den  alteren  Ausgaben  bis  auf  Ouden- 
dorp :  nostrae  enim  super  earum  (d.  i.  atellarum  errantium)  cursibus 
opiniones  disputationesque  possunt  in  errorem  intellectum  inducere, 
und  da  Lindenbrogius  nichts  dazu  bemerkt,  so  mag  es  wohl  auch  im 
Ft  stehen  und  das  incidere  (für  inducere)  einiger  anderer  Handschr. 
auf  einem  Irrthum  beruhen.  Dasselbe  scheint  der  Fall  zu  sein  bei  den 
im    folgenden   Paragraphe   von   Hildebrand   verdSchtigten   Worten 


170  üoldbicher 

horum  enumerationem  in  se  rerertentium  et  a  se  proficiscenUam  io- 
tellectu  cogitationis  invenit. 

Im  Folgenden  muss  in  dem  Satze  esse  autem  steUarum  nihilo 
minus  certos  ambitus  legitimis  currieulis  perpetuo  senratos»  quos  tix 
hominum  solertia  comprehendit  hinter  stellanun  unsweifeihaft  eete- 
rarum  ausgefallen  sein»  da  Ap.  eben  von  den  Kreisbewegungen  der 
Sonne  und  des  Mondes  gesprochen  hat  und  jetzt  auf  die  Regelmassig- 
keit in  der  Bewegung  der  übrigen  Sterne  kommt;  vei^leiche  oben 
p.  20 1  solis  quippe  et  iunae  globum  hoc  agere  ceterasque  Stellas  und 
unten  c.  11,  p.  204  qualem  solem  et  lunam  yidemus  ceterasque  si- 
derum  Stellas.  Auch  bei  Plato  heisst  es  an  der  entsprechenden  Stelle 
Tim.  p.  39Crci>v  d'aXXcov  ra^  nrcprödovg  oCx  iyvtvotixvrs^  ay^pon 
JTot^  TtAiiv  oAiyoi  rcüv  toXaojv,  ourc  cvofxdCov^ev  oi/r£  npog  däXiSAa 
^rjfjLiiiTpoOvrai  etc. 

e.  1 1 ,  p.  203  lam  ipsa  animantium  genera  in  quatuor  species 
dividuntur,  quarum  una  est  ex  natura  ignis  eiusmodi,  qualem  solem  et 
lunam  videmus  ceterasque  siderum  Stellas ;  alterum  ex  aeris  qualitate, 
hanc  etiam  daemonum  (F|  unrichtig  daemonem)  dicit;  tertium  ex 
aqua  terraque  coalescere  et  mortale  genus  corporum  ex  eo  dividi 
terrenum  atque  terrestre  —  sie  enim  ponenerteron  (so  F^  und  alle 
Handschr.  mit  unbedeutenden' Abweichungen)  ceusuit  nuncupanda  —, 
terrenumque  esse  arborum  ceterarumque  frug^m,  quae  humi  fixae 
vitam  trahunt»  terrestria  rero,  quae  alit  ac  sustinet  tellus.   Die  SteUe 
Plato*s  die  hier  Ap.  im  Sinne  hatte  ist  Tim.  p.  39  E  ^jrep  o{lv  vcO^ 
ivoxjaag  iSiag  rd)  ö  i^rt  (düov,  olai  re  Ivitat  xai  o^ac,  xaäopd^  rotaifrag 
xai  TO^aOrag  duvo-h^ri  deXv  xcti  roSi  ay(€iv.  thi  i^  rirrapEg^  }iia  ft£v 
orjpaviov  ästbv  yivog^  aXhi  di  rmnvdv  xai  depoTtopov^  rpirri  di  iyudp^yf 
€iSog^  /rsföv  di  xai  yispaaXov  riraprov.  roö  fxiv  oöv^seou  rtv  ir/«örnv 
iiiav  ix  nifpog  dnnpyd^ieTo  etc.  Es  ist  auf  den  ersten  Blick  klar,  dass 
Ap.  hier  wie  auch  sonst  öfters    von  Plato  abweicht.  Bei  Plato  er- 
wartet man,  da  er  im  Vorausgehenden  die  sichtbare  Welt  aus  den 
Tier  Elementen  hatte  entstehen  lassen  und  in  der  angeführten  Stelle 
als  die  erste  Art  lebender  Wesen  die  Gestirne  (o^pdvtov  J^edv  yivog) 
bezeichnet,  von  denen  er  gleich  darauf  sagt,  dass  sie  grosstentheiL« 
aus  Feuer  bestehen,  auch  im  Folgenden  eine  andere  Eintheilung  als 
die  nach  den  Wohnorten  in  Luft-,  Wasser-  und  Landthiere,   näm- 
lich in  Thiere  die  vorwiegend  aus  Luft  oder  Wasser   oder    Erde 
bestehen.  In  Rucksicht  darauf  und  da  unserem  Schriftsteller  die  Ge- 


Zur  Kritik  und  Erklirung  voo  L.  Apuleias  etc.  1 T  1 

legenheit  sehr  willkommen  war,  seinen  Dämonen  einen  Platz  in  der  Natur 
anzuweisen,  theilt  er  anders  als  Plato  die  lebenden  Wesen  in  dreiArten» 
die  wiederum  in  vier  Species  zerfallen.  Die  erste  Art  ist  von  der 
Natup  des  Feuers  und  enthält  eine  Species»  die  der  Gestirne;  die 
zweite  Art  ist  die  von  der  Natur  der  Luft  und  hat  wieder  nur  eine 
Species,  die  der  Dämonen ;  die  dritte  Art  bestehe  aus  einer  Verbin- 
dung von  Wasser  und  Erde  und  zerfalle  in  zwei  Species,  die  aber — 
denn  hier  kann  auch  er  den  Eintheilungsgrund  nicht  mehr  festhalten 
—  sich  nur  durch  die  Art  ihrer  Existenz  unterscheiden  in  terrena  und 
terrestria  d.  i.  in  solche  die  an  den  Boden  gebunden  sind,  (vergl. 
Plat.  Tim.  c.  34,  p.  77),  und  solche  die  eine  freie  Bewegung  haben. 
Das  ist  nun  alles  klar  und  rerständlieh  bis  auf  den  räthselhaften 
Zusatz  sie  enim  ponenerteron  censuit  nuncupanda.  Für  ponenerteron 
wird  geschrieben  ypixa  oder  nach  Plato  y^spfjalov  xcci  ntl^ov  und  irc^öv 
et  evudpcv.  Davon  ist  ersteres  ganz  aus  der  Luft  gegriiTen,  beim 
zweiten  soll  ns^ov  dem  terrestre  und  yipaaiov  dem  terrenum  ent- 
sprechen, was  nicht  wahr  ist;  gegen  Hildebrands  hitSpov  aber 
spricht  der  ganze  Zusammenhang,  da  von  Wasserthieren  hier  nir- 
gends die  Rede  ist.  Allein  die  Stelle  hat  noch  andere  Schwierigkeiten. 
Eine  directe  Berufung  auf  Plato  ist  hier  um  so  weniger  wahrschein- 
lich, je  weiter  Ap.  von  demselben  abweicht,  und  zweitens  sieht  die 
Form  des  Satzes  nicht  darnach  aus,  als  ob  bemerkt  werden  sollte, 
wie  die  hier  erwähnten  zwei  Species  Plato  bezeichnet  habe,  sondern 
vielmehr  wie  die  griechischen  Ausdrücke  lateinisch  bezeichnet  worden 
seien,  so  dass  nicht  censuit  sondern  censeo  zu  erwarten  wäre.  Man 
vergleiche  nur  den  Beisatz  im  zweiten  Buche  c.  8,  p.  231  sie  enim 
aAc7ov  Tptßiiv  elocuti  sumus  und  c.  4,  p.  226  döpyvialav  v60  sie 
interim  dixerim.  Fasst  man  das  alles  zusammen,  so  dringt  sich  die 
Vermuthung  auf,  dieser  Satz  sei  nichts  als  eine  Glosse,  die  jemand 
in  der  Meinung  beifugte,  Ap.  habe  das  platonische  ns^dv  xai  yspaalov 
mit  terrenum  und  terrestre  übersetzen  wollen.  Unter  dieser  Voraus- 
setzung wäre  censuit  erklärt,  so  wie  ne^dv  xai  yspaalov^  das  dem 
ponenerteron  immer  noch  am  nächsten  kommt. 

Nicht  alles  unterliege  der  Gewalt  des  Fatnms^  heisst  es  c.  12, 
p.  206 ;  einiges  komme  doch  auf  uns  an^  wenn  auch  der  Einfluss  der 
Fortuna  nicht  zu  verkennen  ist :  instabile  enim  quiddam  et  incurrens 
intercedere  solere,  quae  consilio  fuerint  et  meditatione  suscepta, 
quae  non  patiatur  meditata  ad  finem  venire.     Ich  stimme  Hildebrand 


172  Goldbacher 

yollkommen  bei,  wenn  er  gegen  eine  Änderung  des  zweiten  quae  (seit 
Wowerius  allgemein  quod;  Oudendorp  quia)  sich  ausspricht;  nur  ist 
seine  Erklärung,  dass  quae  mit  einer  Art  Anakoluth  auf  instabile 
quiddam  zu  beziehen  sei  und  dabei  fortuna  ergänzt  werden  müsse, 
unrichtig,  denn  quae  bezieht  sich  auf  den  vorhergehenden  Relatirsatz 
und  ist  Subiectsaccus.  zu  renire  (incurrere  solere  iis,  quae  coosUio 
fuerint  et  meditatione  suscepta,  neque  ea  meditata  ad  finem  renire 
pati). 

c.  1 3,  p.  208  spricht  Ap.  von  der  Stellung  des  Kopfes  zu  den 
übrigen  Gliedern.  So  viel  aus  der  ungenauen  Angabe  der  Überliefe- 
rung des  F^  zu  entnehmen  ist,  mag  die  Stelle  in  ihrer  ursprünglieben 
Gestalt  etwa  so  gelautet  haben:  cetera  enim  merobra  ancillari  et 
subservire  capiti,  cibos  et  alia  subniinistrare;  vectare  etiam  sublime 
positum  ut  dominum  atque  rectorem  providentiaque  eins  a  periculis 
vindicari. 

c.  14,  p.  209  gehtAp.  auf  die  Sinne  über.  Von  den  Augen  heisst 
es :  ac  primo  oculorum  acies  gemellas  perlucidas  esse,  quadam  luce 
visionis  illustres  noscendi  luminis  officium  teuere.  Das  Asyndeton 
beider  Satze  ist  unerträglich;  es  wird  daher  für  perlucidas  esse  wohl 
perlucidas  et  zu  schreiben  sein.  Diese  Änderung  ziehe  ich  der  einiger 
späterer  Codd.  perlucidas  esse  et  vor,  weil  dadurch  perlucidas  mit 
illustres  in  eine  angemessene  Verbindung  gesetzt  wird. 

Verwickelter  ist  dortselbst  die  Stelle,  die  über  den  Geruch 
handelt:  conversiones  (so  und  nicht  das  in  dieser  Bedeutung  g»r 
nicht  nachweisbare  conversationes  scheint  im  F^  zu  steheu)  autem 
mutationesque  odoratus  causas  dare,  easque  de  corruptis  vel  adustis 
vel  mitescentibus  vel  madefactis  sentiri,  cum  quidem  ea  quaeruntur 
vapore  vel  fumo  exhalantur  (oder  ezhalant?  die  Leseart  des  F^  ist 
nicht  genau  angegeben)  odore  in  bis  iudicium  sensusque  succedunt; 
nam  si  res  istent  aegrae  et  aer  purus,  nunquam  eiusmodi  aures  infi- 
ciunt  eos.  sensus  quidem  ipsi  nobis  communes  sunt  cum  ceteris  ani* 
mantibus.  In  Vergleich  mit  Plato  Tim.   p.  66  D  Sto  rovrwv  oCisig 

^i  ry;xojUi^vGi)v  %  ^viii^iiivcüv  yiyvGvreii  rcveov  hat  Colvius  für  mitescen- 
tibus, weil  es  dem  arinoiiivtav  am  besten  entspräche,  mucescentibus 
geschrieben  und  mit  seiner  Conjectur  auch  fast  allgemein  Beifall  ge- 
funden. Allein  wenn  man  in  Betracht  zieht,  dass  das  griechische 
ßpeX^jxivojv,  arinoiiiv(av  und  ^u|uiea>|xivciiv  mit  madefactis,   corniptis 


Zur  Kritik  und  Erklürung  von  L.  Apuleiu»  etc.  173 

und  adustis  wiedergegeben  ist,  und  nur  mehr  das  ry;xo|uiivei>v  des  ent- 
sprechenden Ausdruckes  harrt,  wofür   mucescentibus  unbrauchbar 
ist,  so  mag  das  überlieferte  mitescentibus  nicht  so  ganz  verwerflich 
erscheinen;  nur  muss  man  es  nicht  bloss  mit  Floridus  von  den  zur 
Reife  gelangenden  Fruehten  rerstehen,  sondern  allgemeiner  fassen, 
denn  auch  Tom  Sieden  und  Kochen  wird  es  gebraucht  Orid  Met.  1 5, 
78  sunt,  quae  mitescere  flamma  mollirique  queant.  —  Das  Folgende 
ist  arg  verderbt;  die  verschiedenen  Versuche  der  Wiederherstellung, 
von  denen  gewiss  keiner,  am   wenigsten  aber  der  Hildebrands  ge- 
nügen kann,  zu  beleuchten  würde  zu  weit  führen ;  wir  gehen  daher 
gleich  an  die  Sache  selbst.  Für  ea  quaeruntur  hat  unstreitig  Lennep 
mit  ea,  quae  vertuntur  das  Richtige  getroffen,   doch  verbinde   ich 
damit  sogleich  das  vapore  vel  fumo,  wodurch  der  Ausdruck  mit   den 
Worten  bei  Plato  an  der  oben  genannten  Stelle  /JicraßaXXcvro^  yäp 
Odarog  Eig  dipa  dipog  Tt  sig  öittip  iv  re^   jisra^O  rourcüv  ysyivaaiv^ 
tiai  ii  OfSiiai  ^ufknafjou  xocnvög  ^  öfxt^^Xv?  roOrcov  Si  rd  juiiv  i^  dipog 
sig  ö$(M}p  idv  ö|xe)(Xi9,  rd  $i  i^  fidoLtog  dg  dipa  xanv6g  grosse  Ähnlich- 
keit gewinnt.  Der  Ablativ  bei  verti  ist  wie  überhaupt  bei  den  Worten 
des  Wechseins,  Umtauschens  mutare,  com-  per-  mutare  nicht  selten. 
Nun  liegt  es  nahe,  auch  die  beiden  folgenden  Worte  zu  verbinden  zu 
exhalant  odores,  so  dass  also  der  Satz  lautet  cum  quidem  ea,  quae 
vertuntur  vapore  vel  fumo,  exhalant  odores,  in  bis  (d.  i.  odoribus) 
Judicium   sensusque   succedunt.  —  Die   nächsten   Worte   schreibt 
Hildebrand :  nam  si  res  istae  Stent  integrae   et  aer  purus^  nunquam 
eiusmodi  auras  inficiunt.    eos  sensus  quidem  ipsi  communes  nobis 
sunt  cum  ceteris  animantibus.  Da  res  istae,  wie  Oudendorp  conicirt 
hat,  in  Beziehung  auf  ea  gewiss  unmöglich  ist,  so  vermuthe  ich  nam 
si  resistunt  integra  et  aer  purus.  Sinnlos  ist  aber  auch  das  eiusmodi 
auras,  obwohl  sonderbarer  Weise  noch  niemand  dagegen  ein  Bedenken 
erhoben  hat,  und  da  auch  F|  nicht  auras,  sondern  aures  bietet,  so 
zweifle  ich  nicht,  dass  dafür  odores  zu  setzen  und  für  inficiunt  als 
Object  eos  herbeizuziehen  sei,  das  Hildebrand,  ich  weiss  nicht  wie, 
an  den  Anfang  des  folgenden  Satzes  gestellt  hat.  Restituirt  hiesse  es 
daher :  nam  si  resistunt  integra  et   aer   purus,   nunquam  eiusmodi 
odores  inficiunt  eos.  sensus  quidem  ipsi  etc.    So   glauben   wir   der 
Stelle  den  passenden  Sinn  gegeben  zu  haben:  indem  nSmIich  das, 
was  sich  umsetzt  in  Dunst  und  Rauch,  Gerüche  ausströmt,  fallt  es 


1 74  6oldbachi»r 

unter  das  Urtheil  der  sinnlichen  Wahrnehmung;  denn  bleibt  es  un- 
versehrt, und  die  Luft  rein,  so  reieen  niemals  dergleichen  Gerüche 
die  Sinne. 

Von  der  Lunge  lesen  wir  in  allen  BQchern  c.  15,  p.  212  pul- 
mones  loco  ac  sui  genere  cordi  plurimum  consulunt.  cum  exardeseit 
ira,  trepidansque  celerioribus  motibus  Vertex  cordis  ipsius  madens 
sanguine  pulmonum  excipitur  mollitia,  siti,  frigore.  Nur  Lipsius  hat 
gefühlt,  dass  der  zweite  Satz  hinke,  und  daher  trepidatque  conicirt 
Doch  ist  eine  Änderung  nicht  uothwendig,  nur  muss  man  ror  cum 
blos  ein  Comma  setzen,  so  dass  wir  einen  Hauptsatz  mit  zwei  tem- 
poralen Nebensätzen  erhalten;  ira  ist  dann  Ablativ,  und  cor  Subjeet 
zu  exardeseit. 

Jene  Theile  des  Körpers,  die  durch  ein  reiches  Nervensystem 
für  die  sinnliche  Wahrnehmung  geschaffen  sind,  deckt  eine  geringere 
Schichte  von  Fleisch,  desgleichen  die  Gelenke:  illa  etiam,  quae  iuDC- 
turis  et  copulis  nexa  sunt,  ad  celeritatem  facilius  se  movenda  haud 
multis  impedita  sunt  visceribus  (c.  16,  p.*  214).  Oudendorp's  Ver- 
suche ad  celeriter  atque  facilius  se  movenda  oder  ad  celeritate  faci- 
lius se  movenda  weist  Hildebrand  mit  Recht  als  unlateinisch  zuruek; 
doch  zweifle  ich,  ob  er  mit  seinem  Vorschlage  quae  ....  nexa  sunt 
ad  celeritatem,  facilius  se  movendo  haud  etc.,  den  er  übrigens  mit 
Tac.  ann.  III,  31  Tiberius  quasi  firmandae  valetudini  in  Caropaniam 
concessit  viel  besser  hätte  stützen  können,  das  Richtige  getroffen 
habe.  In  movenda  steckt  wohl  ein  auf  celeritatem  bezuglicher  Aceu- 
sativ,  während  se  sein  s  von  facilius  haben  mag.  Wir  lesen  daher 
mit  Änderung  eines  einzigen  Buchstabens  ad  celeritatem  facilius 
emoliendam.  Vergleiche  den  Ausdruck  amorem,  odium,  iracundiam, 
invidiam,  misericordiam  etc.  moliri  bei  Cic.  de  or.  H,  51,  206. 

Nachdem  Ap.  von  den  Venen  und  Arterien  gesprochen  hat,  geht 
er  c.  16,  p.  215  zu  einer  dritten  Gattung  von  Adern  über,  den  Sa- 
menadern, die  er  abweichend  von  Plato,  der  den  Samen,  wie  es 
scheint,  im  Rückenmarke  enthalten  sein  lässt  (Tim.  p.  77  D ;  p.  86 
C;  p.  91  A),  von  der  Nackengegend  durch  die  Nieren  zu  den  Scham- 
theilen  führt.  So  viel  wenigstens  lässt  sich  entnehmen  aus  den  ver- 
derbten Worten:  venarum  diversae  sunt  qualitates,  quas  adproerean* 
dum  e  regione  cervicum  per  medullas  renum  commeare  et  suselpi 
inguinum  loco  certum  est;  et  rursum  venarum  genitale  seminiaoi 
humanitatis  exire.  Vor  Allem  ist  bisher  übersehen  worden,  dass  es 


Zur  Kritik  und  ErkUrun^  von  L.  Apuleius  etc.  175 

•■ 

für  qualitates  doch  qualitatis  heissen  müsse.  Im  übrigen  hat  Hilde- 
brand Recht»  wenn  er  in  seiner  Verzweiflung  über  die  Stelle  den 
Verdacht  auf  rursum  wirft,  denn  et  rursum  kann  leicht  dem  einige 
Zeilen  vorhergehenden  et  rursus  seine  Entstehung  verdanken.  Ich 
setze  an  die  Stelle  pruritu.  Die  Änderung  venarum  in  earum  wird 
wohl  unnöthig  sein. 

Dass  im  Anfange  des  folgenden  Capitels:  at  cum  totius  corporis 
dicat  esse  substantias»  primam  vult  videri  etc.  nothwendig  tres  ein- 
gesetzt werden  müsse,  hat  schon  Brant  richtig  bemerkt;  doch  lässt 
sich  die  Stelle,  wo  dies  zu  geschehen  habe,  schwer  errathen,  da  es 
entweder  hinter  cum  (cu  iii)  od.  nach  corpom  C^O  ^^*  ^ii<lli<^h 
zwischen  dicat  und  esse  leicht  ausgefallen  sein  kann. 

Lib.  II. 

Gleich  im  Anfange  des  zweiten  Buches,  das  über  die  platonische 
Ethik  handelt,  werden  wir  bei  den  Worten :  verum  ad  beatitudinem 
ante  alia  bonorum  finem  contingere  ut  ostendam,  quae  de  hoc  Piato 
senserit  um  so  weniger  Bedenken  tragen  mitOudendorp  anzunehmen, 
dass  vor  ostendam  ein  possis,  queas  oder  scias  ausgefallen  sei,  als 
wir  ähnlichen  Fehlern  in  diesem  Buche  noch  öfters  begegnen  werden. 
Wie  contingere  aufzufassen  sei,  zeigt  ein  Vergleich  mit  Stellen  wie 
praeteriti  futurique  aevi  ultimas  partes  attingere  (c.  20,  p.  248)  und 
obtutus  velocius  illustriora  contingit  (de  mundo  c.  15,  p.  321). 

Der  erste  Satz  des  zweiten  Capitels  ist  richtig  so  zu  interpun- 
giren:  bonum  primum  est  verum  et  divinum  illud,  Optimum  et  ama- 
bile  et  concupiscendum,  cuius  pulcritudinem  rationabiles  appetunt 
mentes  natura  duce,  instinctae  eadem  ineius  ardorem.  —  Am  Schlüsse 
desselben  muss  zuerst,  wie'  es  auch  B^tolaud  gethan  hat,  vor  et  illum 
eine  starke  Interpunction  stehen,  da  ein  ganz  neuer  Gedanke  folgt. 
Der  Satz  selbst  aber:  et  illum  quidem,  qui  natura  imbutus  est  ad 
sequendum  bonum,  non  modo  sibimet  intimatum  putat  sed  omnibus 
etiam  hominibus,  nee  pari  aut  simili  modo  verum  etiam  unumquemque 
acceptum  esse,  dehinc  proximis  et  mox  ceteris,  qui  familiari  usu  vel 
notitia  iunguntur  zeigt  wieder  durch  die  genaue'  Übereinstimmung  in 
der  Überlieferung,  wie  alle  Handschriften  auf  eine  bereits  verderbte 
Quelle  zurückführen.  Gewiss  ist,  dass  wir  darin  einen  ähnlichen  Ge- 
danken zu  suchen  haben,  wie  wir  ihn  bei  Plato  ep.  ad  Archyt.  p.  358  A 


1 


176  Goldbacher 

lesen  aXXd  xocxetvo  isX  at  h^[ktlaäaLU  cre  Ixaaro^  i^/&o5v  ovjr  a^ft» 
jxövov  yiyov€V^  dklä  rrig  yeviaitüg  >5]üi(Sv  t6  |xiv  n  ij  ffarpec  lupi^raif 
TÖ  öi  Tt  oe  7cvvr/<javr«^,  rö  ii  ot  ioea-oe  yfiot,  aroXld  4f  xac  toI^ 
TLOCipolg  iHorat  rol^  töv  ^tov  >5|üiwv  xaraXafAßdvouac.  So  richtig 
daher  Casaubonus  intimatum  in  ipsi  natum  gebessert  hat,  so  wenig 
können  wir  den  Versuchen,  die  bisher  mit  den  Worten  Tcniro 
etiam  unumquemque  acceptum  esse  gemacht  wurden,  beistimmen. 
Etiam  hat  das  vorhergehende  verum  verschuldet;  man  erwartet  dafür 
patriae,  civitati  od.  dgl.wenn  nicht  etwa  mehrere  Worte  ausgefallen 
sind,  denn  auch  ein  primum  scheint  man  in  dieser  Verbindung  kaum 
entbehren  zu  können.  Acceptum  aber  ist  wohl  nur  eine  durch  die 
Dative  patriae  etc.  herbeigeführte,  vielleicht  absichtliche  Änderung 
eines  Abschreibers  für  susceptum  (dvouptia^at  rcxvov);  so  z.  B. 
Cic.  Disp.  Tusc.  III,  1,  2  simul  atque  editi  in  lucem  et  suseepti 
sumus. 

Der  Mensch,  heisst  es  im  dritten  Capitel,  ist  von  Natur  weder 
absolut  gut  noch  absolut  schlecht,  sondern  die  Erziehung  leite  ihn 
entweder  nach  der  einen  oder  anderen  Seite  hin :  quare  praeter  cetera 
induci  ad  hoc  eos  oportere,  ut  sciant,  quae  sequenda  fugiendaque 
sint,  honesta  esse  ac  turpia :  illa  voluptatis  haec  laudis  hactenus  vero 
dedecoris  ac  turpitudinis.  Für  haec  laudis  ist  schon  langst  ae  laudis 
hergestellt;  hactenus  vero  aber,  wofür  die  Ausgaben  haec  vero  oder 
haec  tarnen  haben,  ist  fn  haec  enimvero  zu  Sndern.  So  gebraucht 
Ap.  enimvero  in  Entgegenstellungen  zur  Hervorhebung  des  zweiten 
Theiles  besonders  oft  in  den  Floridis,  so  z.  B.  1.  II.  Nr.  15,  p.  60 
gravioribus  viris  brevi  spatio  satis  videbatur  taciturnitas  modifieata, 
loquaciores  enimvero  ferme  in  quinquennium  velut  exilio  vocis  punie- 
bantur;  vergl.  noch  I.  I.  Nr.  2,  p.  7. 

Sehr  schwierig  ist  eine  Stelle  im  folgenden  Paragraphe  desselben 
Capitels.  Sie  heisst  in  der  Oberlieferung:  eiusmodi  quippe  medietates 
inter  virtutes  et  vitia  intercedere  dicebat  tertium  quiddam,  ex  quo 
alia  laudanda,  alia  culpanda  essent  inter  scientiam  validam  alteram 
falsam  pervicaciae  vanitate  iactatam,  inter  pudentiam  (so  Oud. ;  F, 
prudentiam)  libidinosamque  vitam  abstinentiam  et  intemperantiam 
posuit;  fortitudini  ac  timori  medios  pudorem  et  ignaviam  feeit 
Nach  dieser  Oberlieferung  sollte  man  glauben,  dass  Ap.  zwischen  die 
scientia  valida  und  falsa  die  scientia  pervicaciae  vanitate  iactata  ge- 
setzt habe.    Allein  die  Sache  hat   mancherlei   Bedenken.  Erstens 


Zur  Kritik  und  ErkiiruBg  von  L.  ApuUius  etc.  177 

nämlich  hat  Hildebrand  wohl  mit  Recht  bemerkt,  dass  scientia  raiida 
hier  sinnlos  sei;  zweitens  erwartete  man  doch  der  scientia  falsa  gegen- 
über eine  scientia  vera  (nicht  Talida) ;  drittens  ist  es  unbegreiflich, 
wie  Ap.  die  scientia  perricaciae  vanitate  iactata  als  medietas  zwischen 
die  scientia  valida  und  falsa  hätte  setzen  kSnnen;  yiertens  machen 
die  beiden  folgenden  Glieder»   in  denen  immer  je  zwei ,  medietates 
zwischen  die  virtus  und  das  ritium  gestellt  sind»  es  sehr  wahrschein- 
lich, dass  dasselbe  auch  im  ersten  Gliede  der  Fall  gewesen  sei.    Als 
solche  medietates  würden  nun  die  scientia  falsa  und  die  scientia  per- 
ricaciae vanitate  iactata  nicht  ganz  unpassend  sein ,  da  letztere  doch 
nicht  eine  blosse  Bestimmung  der  ersteren,  sondern  ein  tieferer  Grad 
ist,  als  jene;  beide  wären  daher  durch   eine  Coniunction  zu  verbin- 
den. An  die  Stelle  von  validam  mösste  dann  in  diesem  Falle  nach 
der  ganzen  Anlage  des  Satzes  zwei  Adjectiva  treten,  die  die  beiden 
Extreme  bezeichnen,  wie  z.  B.  solidam  et  vanam  (Yopiscus  Tac.^c.  6 
solidior  sapientia).    So  stunde  denn  dem  gediegenen  Wissen  und 
Scheinwissen  als  Gegenpaar  (altera)  das  unrichtige  Wissen  und  die 
Rechthaberei  entgegen.  Freilich  gehen  diese  Vermuthungen  zu  weit, 
und  wird  eine  Heilung  dieser  Stelle  immer  zu  gewaltsam  sein  müssen 
um  auf  Wahrscheinlichkeit  besonderen  Anspruch  machen  zu  können; 
doch  wir  sind  zufirieden,  wenn  wir  mit  diesen  wenigen  Worten  zum 
Verständniss  derselben  etwas  beigetragen  und  vielleicht  einem  glück- 
licheren Gedanken  den  Weg  gebahnt  haben  *). 

c.  4,  p.  225,  wo  von  der  malitia  die  Rede  ist,  wird  es  wohl 
heissen  müssen :  nee  solum  eam  inaequalitatis  vitio  clai|dicare  arbi- 
tratur  sed  incumbere  etiam  ad  dissimilitudinem  anstatt  der  handschr. 
Leseart  .  .  •  arbitratur  incumbere  sed  etiam  dissimilitudinem,  wo 
incumbere  und  sed  verstellt,  und  ad  ausgelassen  ist,  so  wie  weiter 
unten  in  demselben  Capitel:  iracundiam  audacia  (d.  i.  impugnat;  F^ 
durch  ein  Versehen  audaciam);  eius  comitatum  sequuntur  indignatio 
et  incommobilitas  (dopfinalav  voO  sie  Interim  dixerim). 

Aus  der  ersteren  dieser  beiden  Stellen  folgt  auch,  dass  im 
nächsten  Capitel  p.  227,  wo  es  von  der  virtus  im  Gegensatze  zur 


*)  Nach  einer  gütigen  Mittheilong  des  Herrn  Prof.  V  a  h  1  e  d,  welche  mir  wfihrend 
de«  Druckes  zakam,  ergänzt  derselbe  die  lückenhafte  Stelle  folgender  Massen: 
inter  scientiam  et  inscientiam  Talidam  alteram  opinionem,  alteram 
falsam  pervicaciae  Tanitate  iaetatam. 

SU&b.  d.  phil.-hist.  Cl.  LXVI.  Bd.  I.  Hft.  12 


178  6oldbaob*r 

malitia  heisst :  aec  solam  qualitas  verum  etiam  similitudo  cum  rirtutts 
ingenio  coniungitur  fQr  qualitaa  mit  Reiz  aequalitas  zu  schreibeD 
ist  (Tergl.  noch  c.  13,p.  238). 

Was  nun  die  einzelnen  Tugenden  betrifEt,  so  entsprechen  nach 
Plato  den  3  Theilen  der  Seele  die  drei  Tugenden :  Weisheit,  Tapfer- 
keit und  Enthaltsamkeit  (c.  6).  Die  Gerechtigkeit  hingegen  erstrecke 
sich  Qber  alle  drei  Theile  zugleich.  Von  der  letzteren  nun  lesen  wir 
c.  7,  p.  229  hanc  ille  heros  iustitiam  modo  nominat,  nunc  universae 
rirtutis  nuncupatione  complectitur,  et  item  fidelitatis  Tocabnlo  nuncupat ; 
sed  cum  ei,  a  quo  possidetur  est  utilis,  benirolentia  est»  at  cum  fons 
spectat  et  est  fida  speculatrix  utilitatis  alienae,  iustitia  nominatur.  So 
steht  es  in  sftmmtlichen  Ausgaben,  nur  dass  Hildebrand  f&r  a  quo 
bloss  quo  setzt  ohne  jedoch  an  dem  Gedanken  etwas  andern  xo 
wollen.  Mais  en  tout  cas,  übersetzt  B^tolaud,  consid^r^e  sous  le  poiat 
de  Tue  de  Tutilit^  qu'elle  proeure  a  son  possesseur.  eile  est  la  bien- 
veillance ;  consid^r^e  dans  les  rapports  ext^rieurs  et  comme  s'  occupaot 
avec  zele  de  ce  qui  est  utile  aux  autres,  c*  est  proprement  la  justice. 
Ist  es  aber  nicht  ein  höchst  sonderbarer  Gedanke,  die  Gerechtigkeit 
heisse  rücksichtlich  des  Nutzens»  den  sie  ihrem  Besitzer  verschalt, 
benivolentia?  Da  nun  die  Leseart  des  Cod.  F^  nicht  ausdrucklich  be- 
merkt ist,  und  der  Cod.  Voss.,  der  sonst  Tielfach  mit  jenem  fibereio- 
stimmt,  ei  quod  bietet,  so  ist  bei  der  Unzuverlässigkeit  der  CoUatio- 
nen  des  Lindenbrogius  der  Gedanke  nicht  ausgeschlossen,  dass  auch 
dort  dasselbe  stehe.   Wenigstens  gäbe  dies  den  ertraglichen  Sinn, 
Gerechtigkeit  gegen  das,  worauf  ich  ein  Besitzrecht  habe,  z.  B.  eine^ 
Königs   gegen  seine  Unterthanen   oder  des  Mannes  gegen  Weib, 
Kinder  und  Sclaven  sei  benirolentia,  wenn  sie  sich  dagegen  auf  etwas 
bezieht»  was  ausserhalb  desselben  liegt  (si  foras  spectat  et  est  fida 
speculatrix  utilitatis  alienae)  Gerechtigkeit  im  engeren  Sinne.  So 
heissen  ja  die  Gnadenakte  der  Kaiser  benevolentiae. 

Nicht  sicherer  ist  die  Überlieferung  des  Flor.  Cod.  im  nächsten 
Paragraphe,  wo  von  der  Gerechtigkeit  in  der  Vertheilung  des  Acker- 
landes gesprochen  wird.  Sollte  da  nicht  Ap.  ut  singulis  in  agros 
dominatus  congruens  deferatur  ac  servetur  bonis  opimior,  minor  non 
bonis  geschrieben  haben?  Für  opimior  finden  wir  nämlich  in  den 
Handschr.  optimis  optior,  was  leicht  durch  eine  Art  Dittographie  aus 
jenem  entstanden  sein  kann. 


i 


Zur  Kritik  und  BrklSrong  tod  L.  Apuleius  etc.  179 

Gerecht  ist  es,  heisst  es  c.  8»  p.  230,  dass  im  Staate  das  Gute 
9tets  gefördert,  das  Schlechte  aber  mit  seinen  Trägern  unterdrückt 
werde:  quod  facilius  obtinebitur,  si  duobus  exemplis  instruamur: 
unius  diTini  et  tranquilli  et  beati,  alterius  irreligiös!  et  inhumani  ac 
merito  intestabilis,  ut  pessiroo  quidem  alienus  et  aversus  a  recta 
Tivendi  ratione  facultates  suas  dirino  illi  (Handschr.  illo)  et  coelesti 
bonus  si  melior  esse  Telit.  Dass  si  melior  aus  simih'or  entstanden  und 
in  Beziehung  auf  facultates  suas  mit  Oudendorp  similiores  esse  zu 
schreiben  sei,  dürfte  wohl  kaum  bezweifelt  werden.  Allein  der  Ge- 
danke, den  dann  Oudendorp,  Hildebrand  u.  A.  darin  finden,  die  Bei- 
spiele des  Guten  und  Schlechten  wurden  aufgestellt,  damit  der  Gute 
dem  Guten,  der  Schlechte  deVn  Schlechten  nachzukommen  strebe,  ist 
jedesfalls  etwas  sonderbar,  da  doch  die  Beispiele  des  Schlechten  nur 
aufgestellt  werden  um  abzuschrecken,  nicht  aber  um  den  Schlechten 
ein  Muster  vorzuhalten,  dem  sie  nachzueifern  haben.  Ich  glaube 
daher,  dass  das  a  vor  recta  nur  Ton  einem  Abschreiber  wegen  des 
Torhergehenden  aversus  hinzugesetzt  sei,  dass  also  dasselbe  zu 
streichen  und  pessimo  mit  alienus  et  aversus  verbunden  werden 
müsse;  denn  jene  Beispiele  werden  aufgestellt,  damit  der  Gute  dem 
Schlechten  abhold  und  dadurch  abgeschreckt  durch  eine  richtige 
Lebensweise  sein  geistiges  Vermögen  jenem  gottlichen  und  himm- 
lischen Vorbilde  ähnlicher  zu  machen  bestrebt  sei.  Vergl.  noch  den 
Anfang  des  c.  1 1,  p.  236. 

Der Schluss  dieses  Capitels  über  die  Staatswissenschaft  ist  in  den 
Ausgaben  durch  mangelhafte  Interpunction  ganz  unverstandlich.  Ich 
ordne  mir  den  Satz  also:  civilitatem  vero, quam ;roXerexi^v  vocat, ita vult 
a  nobis  intelligi,  ut  eam  esse  ex  virtutum  numero  sentiamus,  nee  solum 
agentem  atque  in  ipsis  administrationibus  rerum :  spectari  ab  ea  universa 
atque  discerni;  nee  solum  providentiam  prodesse  civüibus  rebus,  sed 
omnem  sensum  eins  atque  propositum  fortunatum  et  beatum  Btatum 
faeere  civitati,  wenn  nicht  etwa,  was  mir  noch  wahrscheinlicher 
Torkommt,  spectari  zum  vorhergehenden  Satz  gehört ,  und  vor  ab 
«a  ein  oder  zwei  Worte  z.  B.  verum  provideri  ausgefallen  sind. 

Im  9.  Capitel  ist  ein  Irrthum  des  Ap.  zu  verzeichnen,  den  ich 
nirgends  bemerkt  finde.  Er  lässt  nämlich  Plato  der  Kochkunst  die 
Sophistik  und  der  Putzkunst  die  Rhetorik  gegenüberstellen,  während 
derselbe  Gorg.  p.  464  B  IT.  umgekehrt  der  Kochkunst  die  Rhetorik 
und  der  Putzkunst  die  Sophistik  entgegenhält. 

12* 


180  Goldbaeber 

Sehr  verdorben  ist  die  erste  Hfilfte  des  12.  Capitelsp.  237  cor* 
porum  saiiitatem,  vires,  indolentiam  ceteraque  eius  bona  cxtraria, 
item  divitias  et  cetera,  quae  fortunae  commoda  dueimus,  ea  non  sim- 
pliciter  bona  nuncupanda  sunt,  nam  si  quis  ea  possidens  usa  se 
abdicet,  ea  iili  inutilia  erunt;  si  quis  autem  eius  usum  converterit  ad 
malas  artes,  ea  ilii  etiam  noxia  videbuntur;  si  quis  autem  iis  abutitur 
vitiisque  subiectus  erit,  qui  ea  possidet»  haberi  haec  etiam  obit  unde 
eolligitur  simplieiter  bona  haec  dici  non  oportere,  ut  etiam  ea,  quae 
sunt  roorbosa  quae  pauperiem  ceteraque  existimari  oportet    Dass  in 
eius  bona  das  eius  sich  auf  corporum  bezieht  und  unten  bei  eins 
usum  zu  eius  ebenfalls  ziemlich  gewaltsam  fortunae  herabbezogen 
werden  muss,  kann  noch  ertriglich  erscheinen;  auch  die  AccusatiTe: 
sanitatem  etc.  neben  nuncupanda  sunt  lassen  sich  dadurch  erklaren, 
dass  sie  sich  an  ducimus  angeschlossen  haben  (urbem  quam  statoo, 
vestra  est  Verg.  Aen.  I,  573);  werden  sie  ja  doch  auch  durch  ea 
nochmals  aufgenommen.    Vor  allem  aber  verlangt  der  Satz  si  quis 
autem  iis  abutitur  vitiisque  subiectus  erit,  qui  ea  possidet,  haberi 
haec  etiam  obit  unsere  Aufmerksamkeit.  Für  abutitur  und  obit  schreibt 
Hildebrand  abutetur  und  oberit   Dadurch  ist  zwar  die  Concinnität 
des  Satzes  leicht  hergestellt  und  ein  leidlicher  Sinn  gewonnen,  allein 
erregt  schon  die  Wiederholung  des  si  quis  autem  unsern  Verdacht, 
so  können  wir  es  uns  auch  nicht  verbergeui  dass  dieser  ganze  Satz 
gar  nichts  Neues  bringt,  sondern  nur  die  platteste  Wiederholung  des 
Vorausgehenden  ist.  Bedenkt  man  nun  noch,  dass  man  dem  ganzen 
Zusammenhange  nach  einen  dritten  Fall  hier  durchaus  nicht  erwartet, 
und  diese  Worte  nicht  nur  ohne  Nachtheil  ganz  wegfallen  können, 
sondern  die  Darstellung  dadurch  nur  gewinnt,  so  liegt  die  Vermu- 
thung  einiger  Erklärer  sehr  nahe,  dass  wir  es  mit  nichts  anderem 
als  einem  verstfimmelten  Glossem  zu  thun  haben.  —  Das  Folgende  ist 
lückenhaft;  für  morbosa  quae  muss  ohne  Zweifel  morbos  atque  ge- 
schrieben  werden;  im  übrigen  mag  folgende  Ei^anzung  wenigstens 
dem  Sinne  der  Stelle  angemessen  sein:  unde  eolligitur  simplieiter 
bona  haec  dici  non  oportere,  ut  etiam  ea,  quae  sunt  contraria, 
morbos   atque  pauperiem  ceteraque    haud    simplieiter    mala 
existimari  oportet 

nam  qui  tenuis  est,  fahrt  Ap.  fort  si  modificetur  in  snmtibas, 
nullam  noxam  ex  eo  sentiet  et  qui  recte  pauperie  sua  utitur,  non 
solum  nihil  capiet  incomroodi^  verum  ad  toUenda  cetera  melioratum 


Zur  Kritik  und  Erklirung  von  L.  Apuleias  etc.  181 

praestantior  fiet.  Für  melioratum  schreibe  melior  ac  tum  (d.  i.  si 
sustulerit  cetera)  Mtüchtiget-  fQr  die  Beseitigung  der  übrigen  Fehler 
und  sodann  Yollkommener^.  Vergl.  unten  c.  1 4,  p.  240  meliores 
praestantioresque. 

Dieser  ganze  Abschnitt  über  das  an  und  fiir  sich  Gute  und  das 
an  und  für  sich  Schlechte  und  das,  was  weder  absolut  gut  noch  ab- 
solut schlecht  isty  sondern  bedingungsweise  sowohl  gut  als  auch 
schlecht  sein  kann,  schliesst  mit  den  Worten  non  solum  ritia  volun* 
täte  accidere  animis  et  venire  corporibus,  sed  esse  medium  quemdam 
statum,  qualis  est,  cum  abest  tristitia  nee  tarnen  laetitiam  adesse 
sentimus.  Dies  ist  durchaus  nicht  so  klar,  dassalle  Erklarer  darüber 
mit  Stillschweigen  hStten  hinweggehen  sollen.  So  wie  die  Gemüths- 
stimmung  nicht  gerade  immer  im  Affecte  der  Freude  oder  derTrauer 
sein  rouss,  so  gebe  es,  sagt  Ap.»  auch  für  die  moralische  Stimmung 
einen  medius  status,  der  die  Mitte  hSIt  zwischen  Tugend  und*  Laster 
{vergl.  unten  c.  19,  p.  246  und  247).  Neben  vitia  ist  daher  dem 
laetitiam  entsprechend  unbedingt  auch  virtutes  erfordert  und  da 
Toluntate  hier  nicht  nur  überflüssig,  sondern  auch  stdrend  ist,  so 
zweifle  ich  nicht,  dass  dafür  vel  virtutes  zu  setzen  sei. 

Am  Schlüsse  des  14.  Capitels  p.  240  ist  weder  eine  Änderung 
noch  die  gezwungene  Erklärung  Hildebrands  nöthig,  sondern  man 
interpungire  nur:  est  amoris  tertia  species,  quam  diximus  mediam, 
divini  atque  terreni  ppoiimitate  collectus  nexuque  et  consortio  parili 
copulatus;  et  ut  rationis  propinquus  est  divinus  ille,  ita  terrenus  ille 
«npidini  iunctus  est  voluptatis;  denn  amoris  species  .  .  .  collectus 
...  copulatus  ist  nicht  auffallender  als  andere  Constructionen 
nach  dem  Sinne. 

Mit  dem  15.  Capitel  kommt  Ap.  auf  Plato*s  Kritik  der  vier 
schlechten  Staatsverfassungen,  derTimokratie,  Oligarchie,  Demokratie 
und  Tyrannis,  die  eben  so  vielen  verkehrten  Richtungen  der  mensch- 
lichen Seele  entsprechen  (Plato  de  rep.  I.  VIII.) :  quapropter  Vitium 
illnd  primum  mentibus  evenit,  cum  vigor  rationis  elanguerit  supe- 
riorque  etrobustior  fuerit  animae  portio,in  qua  ira  dominatur.  et  quae 
Shyapx^^  dicitur,  ea  sie  nascitur,  cum  propter  pessimum  pastum  eius 
partis  animae,  quae  ex  cupiditatibus  constat,  non  solum  rationabilis 
et  irascentiae  loca  possidentur  sed  etiam  eius,  quae  non  necessaria 
cupidipe  sunt.  Die  Richtigkeit  von  et  quae  öXiyapy^ioi  dicitur  lasst 
sich  nicht  verbürgen;  ich  habe  es  daher  nur  in  Ermangelung  jeder 


182  Gol4bacber 

anderen  handschriftlichen  Angabe  aus  dem  Cod.  Bd.  mit  Hildebrand 
aufgenommen,  in  dessen  Ausgabe  aber  dieser  Satz  unbegreiflicher 
Weise  an  das  Vorhergehende  angeschlossen  ist  —  Die  Worte  sed 
etiam  eins,  quae  non  necessaria  cupidine  sunt  sind  verderbt,  und  die 
Vulgata:  non  necessarias  cupidines  aeuunt  nur  eine  Conjectur.  Vor 
allem  handelt  es  sich  um  den  Sinn  der  Stelle,  den  Hildebrand,  indem 
er  die  non  necessaria  cupido  als  effrenata  pecuniae  cupido  auflfasste, 
nicht  verstandep  hat.  Das  Wesen  der  oligarcbischenStaatsTerfassung 
rergleicht  Plato  de  rep.  VIII.  p.  660  C  ff.  mit  dem  Zustande  des  ctimp^ 

mm 

fikoyup-hyiOiTQ^.  Dieser  entsteht,  wenn  durch  ein  Überwuchern  des 
dritten  Theiles  der  Seele,  des  ijri^jxisnxöv,  nicht  nur  die  beiden 
ersten  Theile,  das  Xoycorcxöv  und  ^fiocidi^,  unterliegen,  sondern 
selbst  in  diesem  dritten  Theile  von  der  Habsucht  alle  andern  nicht 
unumgänglich  nothwendigen  Begierden  unterjocht  werden.  OOxcOv 
irpcorow  }kiv  ro»  YjpriiMfra  ntpi  «Xtlarou  nouXa^c^t  ofioioc  &v  ^h 
(d.  i.  6  6hyap)(^Lx6g)  ,*  IIco^  d'  oö ;  Kai  /x^v  r^  7e  fnitald^  tivai  xal 
ipydro^^  ra^  dvayxaiou^  Im^vikia^  jx6vov  röDv  nap  a6r^  dTtontiuAdg^ 
rd  ii  SXka  ovaXcüfAara  fi^  ;rapc)^6(Mvo^,  dXXd  ^oulovfuvo^  räc  oAxa^ 
im^lLla^  (b^  juiaracouc  (de  rep.  VIIL  p.  KK4  A).  Es  unterliegt 
keinem  Zweifel,  dass  wir  denselben  Gedanken  an  obiger  Stelle  des 
Ap.  zu  suchen  haben,  und  können  ihn  wohl  am  einfachsten  erreichen^ 
wenn  wir  schreiben :  sed  etiam  eins,  quae  non  necessariae  cupidines 
sunt  d.  i.  sed  etiam  eins  cupidines  illae,  quae  non  necessariae  sunt 
—  In  den  Schlussworten  hunc  palam  Plato  lucricupidinero  atque 
accipitrem  pecuniae  nominavit  ist  palam  schon  Ton  den  jüngeren 
Handschr.  richtig  in  talem  geändert,  da  hie  talis  eine  bei  Ap.  sehr 
beliebte  Verbindung  ist;  vergl.  in  unserer  Schrift  im  folgenden 
Capitel  p.  242;  c.  20,  p.  248;  c.  27,  p.  261  u.  a. 

Von  der  Demokratie  und  Tyrannis  heisst  es  ferner:  qualitas 
popularis  exsistit,  cum  indulgentia  cupidines  laboratae  non  solum 
iustis  desideriis  exardescunt,  sed  bis  etiam  quasi  (nach  Oudendorp; 
F|  ?)  obviae  atque  occursantes  et  illam  consiliariam  et  illam  alteram 
iratiorem  animam  condicionibus  suis  presserunt  (Fi  presseriat); 
tyrannidis  tenus  ex  luxuriosa  et  plena  libidinis  vita,  quae  ex  in6oitis 
et  diversis  et  illicitis  voluptatibus  conflata  mente  tota  dominatur.  Die 
Erklärungsversuche  von  cupidines  laboratae  bedürfen  keiner  Wider- 
legung; laboratae  ist  in  roboratae  zu  ändern,  so  wie  es  unten  c  28, 
p.  262  in  ganz  ähnlicher  Weise  popularis  factio  roboratur  heisst ; 


Zur  Kritik  ond  Erkliruog  voo  L.  Apoleius  etc.  183 

auch  Plato  sagt,  wo  er  Ton  der  Entstehung  der  Demokratie  aus  der 
Oligarehie  spricht«  de  rep.  VIII.  p.  860  A  a&i^ec  di,  orjuiai,  rc3v 
htnsaovad^v  ijrc^ujuiccov  akXai .  OTcorpcyöjuicvac  ^vyytveig  SC  cevcn:e- 
CTTsfuoaOviov  rpoytj^  narpd^  noXkai  re  xai  ^tf^upat  i7^ovTO.  —  An 
tyrannidis  tenus  ex  luxuriosa  et  plena  libidinis  vita  ist  viel  berum- 
eonjicirt  worden,  während  man  die  unzweifelhaft  richtige  Vermuthung 
des  Vulcanius:  genus  fflr  tenus  fibergangen  hat;  als  Verbum  ist 
exsistit  herabzubeziehen;  vergl.  c.  28,  p.  262  ultimum  (genus  est) 
dominationis  tyrannicae. 

Was  man  alles  erklären  zu  können  glaubt,  insbesondere  bei 
einem  Schriftsteiler  wie  Ap.,  das  zeigen  die  Bemerkungen  des 
Oudendorp  und  Hildebrand  zu  c.  16,  p.  242  quae  secundum  naturam 
sunt,  wo  secundum  nichts  weniger  als  in  der  Bedeutung  von  contra 
stehen  soll,  das  an  dieser  Stelle  durchaus  nothwendig  ist  Dass  contra 
in  den  Handschriften  mit  secundum  verwechselt  wird,  habe  ich 
schon  zu  de  deo  Socratis  p.  145  (Zeitsehr.  f.  d.  österr.  Gymn. 
1868.  XL  Heft  S.  816)  bemerkt. 

Am  homo  pessimus,  von  dem  Ap.  im  16.  17.  und  18.  Capitel 
spricht,  ist  Alles  schlecht ;  so  ist  auch  seine  Liebe  durch  und  durch 
verdorben  nicht  nur  wegen  ihrer  unersättlichen  Leidenschaftlichkeit 
sed  quod  etiam  formae  iudicio  irrationabili  errore  distrahitur  igno- 
rans  veram  pulcritudinem  et  corporis  effoetam  et  enervem  et  fluxam 
cutem  deamans,  nee  saltem  coloratos  sole  aut  exercitatione  solidatos 
et  opacos  umbra  vel  desidia  molles,  sed  cura  nimia  medullatos  artus 
magni  facit.  Das  artus  opacos  umbra  erklärt  Oudendorp  falsch 
mit  pingues  et  obesos  und  Hildebrand  mit  molles  ac  delicatos, 
während  doch  der  Gegensatz  coloratos  sole  deutlich  genug  erkennen 
lasst,  Ap.  habe  damit  die  fahle  Hautfarbe  derjenigen  bezeichnen 
wollen,  welche  besonders  in  Städten  im  Schatten  häuslicher  Be- 
schäftigung oder  ruhiger  Müsse  ihr  Leben  zubringen,  denn  qui  in 
solem  venit,  licet  non  in  hoc  venerit,  colorabitur.  Sen.  ep.  mor. 
I.  XVIII,  S  (108),  4;  vergl.  Cic.  de  or.  II,  14,  60  und  Quint. 
inst.  or.  V,  10,  81.  —  Dass  femer  für  medullatos  mit  Oudendorp 
emedullatos  zu  schreiben  sei,  ist  gewiss.  Ob  es  aber  für  et  opacos, 
wie  Bosscha  und  Hildebrand  wollen,  sed  opacos  heissen  müsse,  lasse 
ich  dahin  gestellt  sein:  nicht  die  Frische  gut  gefärbter,  durch  körper- 
liehe Arbeit  gekräftigter  Glieder,  noch  der  Reiz  bleicher  und  zarter 


.wj 


184  Goldbacher 

Gestalten  sei  nach  dem  Geschmacke  solcher  Leute,  sondern  nur  die 
Weichlichkeit  entnervter  Körper. 

Unrecht  thun  ist  schlimmer  als  Unrecht  leiden,  das  Schlimmste 
aber  ist,  wenn  man  Unrecht  gethan  hat,  nicht  bestraft  zu  werden: 
graTiusque  et  acerbius  est  omni  supplieio,  si  noxio  impunitas  de- 
feratur  nee  hominum  interim  animadversione  plectatur,  sicut  gra- 
vius  est  acerbissimorum  morborum  carere  medicina»  medentes 
f allere,  nee  uri  aut  secari  eas  partes,  quarum  dolore  ineolumitati 
residuarum  partium  consulatur  (c.  17,  p.  244).  Ganz  rerkehrt 
hat  diese  Stelle,  deren  Quelle  Plato  Gorg.  p.  474  ff.  ist,  Hilde- 
brand aufgefasst»  indem  er  carere  in  carentes  ändert  und  dann 
den  Sinn  mit  folgenden  Worten  wiedergibt:  grarius  est,  a  me* 
dentibus,  qui  acerbissimorum  morborum  medicina  careant,  faili  sc. 
aegrotos.  Nicht  das  wird  hier  als  das  Schlimmere  bezeichnet,  dass 
Ärzte  bei  unheilbaren  Krankheiten,  wogegen  sie  kein  Mittel  wissen, 
die  Kranken  täuschen  und  sich  hüten  dem  Übel  entgegenzutreten, 
weil  sie  es  dadurch  nur  verlängern  —  davon  handelt  der  Anfang 
des  folgenden  Capitels  — ,  sondern  Ap.  sagt,  schlimmer  als  jede 
Strafe  sei  Straflosigkeit»  so  wie  es  auch  schlimmer  sei,  wenn  kör- 
perlich Kranke  nicht  geheilt  werden,  dem  Arzte  zu  entgehen  suchen, 
die  krankhaften  Theile  weder  brennen  noch  schneiden  lassen. 
Eine  Änderung  dieser  Stelle  ist  daher  ganz  unnothig»  auch  die, 
welche  Oudendorp  vorschlägt  sie  vi  gravius  est;  denn  die  Angabe 
des  Gegenstandes  der  Vergleichung,  der  dem  obigen  omni  suppli- 

0 

cio  entspräche,  ist  hier  überflüssig,  da  sich  derselbe  aus  dem 
Zusammenhange  leicht  ergänzen  lässt  (quam  non  carere  medicina, 
medentes  non  fallere  etc.). 

c.  18,  p.  246  virum  pessimum  non  solum  deteriorem  etiam 
esse  dicebat,  quod  distrahatur  semper  editione  vitiorum  et,  si  de- 
siderium  aestibus  differtur,  qui  quanto  plurium  cupidior  sit,  tanto 
egentior  sibimet  et  propterea  aliis  videri  potest.  Das  non  solom 
•  .  .  etiam  und  die  folgenden  Sätze,  welche  beweisen,  dass  der 
Schlechte  auch  zugleich  unglücklieh  sein  müsse  (s.  Plat.  de  rep. 
p.  876  C  ap'  o5v,  ijv  J'iycü,  i'c  äv  yafvifjTat  jrowjpöraro^,  xat  cL^Xic*- 
rarc^  yavi^<7€rat ;),  zwingen  uns  anzunehmen,  dass  hinter  deteriOTem 
etwa  sed  miseriorem  ausgefallen  sei.  Qui  hingegen  scheint  bloss 
durch  Dittographie  aus  quanto  entstanden  zu  sein  und  ist  daher 
zu  entfernen. 


Zur  Kritik  und  Erklirong-  von  L.  Apuleius  etc.  1 85 

c.  19,  p.  247,  wo  Ap.  auf  die  homines  medie  moratos  zu 
sprechen  kommt,  d.  h.  auf  die  grosse  Zahl  derjenigen,  die  weder 
plane  optimi,  noch  oppi^o  deterrimi  sind,  wird  durch  eine  richtigere 
Interpunction  geholfen  werden  können.  Ich  setze  die  Steile  her,  wie 
ich  mir  dieselbe  zurecht  gelegt  habe:  herum  (d.  i.  medie  moratorum) 
Titia  nee  gravata  nee  intempestiva  sunt  aut  nimium  criminosa, 
quorum  (d.  i.  vitiorum)  substantia  est  ex  redundantia  vel  defectu. 
quibus  et  approbationis  integritas  et  modus  est  et,  qui  (=»  cum  ii) 
inter  laudem  vituperationemque  mediam  viam  vadant,  usque  rerum 
cappessendarum  eiusmodi  studio  excitantur,  ut  nunc  boni  atque 
honesti  eos  ratione  invitent,  nunc  inhonesta  lucra  et  turpes  illiciant 
Yoluptates. 

c.  20  bis  23  handeln  vom  Tollendeten  Weisen.  Das  erste  dieser 
Capitel  beginnt:  perfecte  sapientem  esse  non  posse  dicit  Plato,  nisi 
ceteris  ingenio  praestet,  artibus  et  prudentiae  partibus  absolutus 
atque  iis  iam  tum  a  puero  imbutus,  factis  congnientibus  et  dictis 
assuetus,  purgata  et  eifaecata  animi  voluptate,  eiectis  ex  animo  hinc 
abstinentia  atque  patientia  obque  doctrinas  ex  rerum  scientia  eloquen- 
tiaque  venientibus.  So  F^ ;  für  obque  doctrinas  haben  bis  auf  den 
Cod.  Voss,  (obque  doctrinis)  alle  anderen  Handschr.  in  dem  vielfach 
wahrzunehmenden  Bestreben  wenigstens  äüsserlich  einen  Zusammen- 
bang herzustellen  atque  doctrinis.  Dazu  hat  noch  Floridus  eiectis  in 
eiectis  verändert,  und  so  lesen  wir  die  Stelle  seitdem  in  allen  Aus- 
gaben. Betrachten  wir  aber  die  Überlieferung  des  F^  genauer,  so 
werden  wir  uns  bald  überzeugen,  dass  wir  nicht  irre  gehen,  wenn 
wir  auch  hier,  wie  wir  es  so  oft  in  dieser  Schrift  zu  thun  gezwungen 
sind,  eine  Lücke  annehmen.  Denn  da  es  im  Folgenden  heisst:  tum 
post  hoc  vitiis  exciusis  insertisque  et  immissis  Omnibus, 
quae  ad  beatam  vitam  fuerint,  non  ex  aliis  pendere  nee  ab  aliis 
deferri  sibi  posse  sed  in  sua  manu  esse  sapiens  recte  putat,  so  mochte 
eine  Änderung  von  eiectis  gegenüber  dem  venientibus  sehr  gewagt 
erscheinen.  Auch  hinc  deutet  auf  eine  Lücke  hinter  ex  animo,  da  das 
entsprechende  Glieds  welches  wohl  zugleich  Object  zu  eiectis  sein 
niuss,  fehlt.  Ferner  ist  an  obque  doctrinas  festzuhalten  und  daher 
auch  nach  patientia  etwas  zu  ergänzen.  Ich  denke  mir  den  Satz  etwa 
so:  eiectis  ex  animo  hinc  üb idine  et  impatientia,  illinc  (od. 
hinc)  abstinentia  atque  patientia  ob  prudentiam  obque  doctrinas 
ex  rerum  sciientia  eloquentiaque  venientibus. 


1 86  Goidbacber 

c.  21,  p.  250  divitem  hunc  solum  quidem  recte  patat  (d.  i. 
sapientero),  quippe  cum  thesauris  omoibus  pretioaiores  solus  ▼ideatur 
possidere  virtutum  opes.  etiam  quas  quod,  solus  sapiens  potest  in 
usibus  necessariis  regere,  videri  ditissimus  debet  Durch  eine  ein- 
fache Umstellung  von  etiam  quas  in  quas  etiam  lisst  sich  die  Stelle 
herstellen;  nur  ist  quas  auf  opes  überhaupt,  nicht  blos  auf  virtatim 
opes  zu  beziehen.  Solus  Yor  sapiens  haben  alle  übrigen  Haadsehr.; 
ich  habe  es  daher  in  den  Text  gesetzt,  weil  ich  vermuthe,  dass  es 
dem  Excerptor  des  F^  nur  durch  ein  Versehen  entfallen  ist 

c.  22,  p.  2S1  iure  igitur  putandum  est,  cum,  qui  sit  gnanis 
bonorum,  cupidum  quoque  eiusmodi  rerum  esse;  is  enim  soJus  boois 
desideriis  accenditur,  qui  bonum  illud  oculis  animi  videt,  hoc  esse 
sapientem.  istud  Yero  quoniam  est  ignarus,  osor  quoque  nee  amicus 
▼irtutum  sit  necesse  est.  Alle  Guten  oder  Weisen,  hörten  wir  im  An- 
fange dieses  Capitels,  sind  untereinander  bekannt  und  befreundet; 
die  Triebfeder  dieser  Freundschaft  ist  die  Weisheit;  körpeiiicbe 
Schönheit  oder  Hässlichkeit  hat  da  keinen  Einfluss.  Wer  nun  in  diesen 
Kreis  gebort  (gnarus  bonorum),  der  werde  auch  nach  Dingen  streben, 
die  demselben  angemessen  sind  (eiusmodi  rerum)  d.  i.  nach  guten, 
denn  nur  wer  jenes  Gute  d.  i.  den  Weisen  vor  Augen  hat,  werde 
auch  entflammt  von  edlen  Begierden ;  wer  hingegen  den  Guten  nicht 
kennt,  der  muss  auch  ein  Feind  der  Tugenden  sein.  Dies  scheint  der 
Gedanke  der  verderbten  Stelle  zu  sein.  Statt  hoc  esse  sapientem 
wird  es  daher  wohl  hoc  est  sapientem  heissen  müssen.  Schlimmer 
steht  es  mit  dem  Folgenden.  Sollte  in  quoniam  nicht  qui  boni  stecken? 
Für  istud  musste  dann  natürlich  iste  geschrieben  werden.  An  Klarheit 
würde  die  Darstellung  gewiss  auch  gewinnen  durch  die  unbedeutende 
Änderung  von  bonum  illud  in  bonum  illum. 

Der  Anfang  des  folgenden  Capitels  über  die  Gottäbnlichkeit  des 
Weisen  lautet  seit  der  zweiten  Ausgabe  des  Vulcanius,  mit  der  Lin- 
denbrog  seine  Collation  des  Flor.  Cod.  gemacht  hat :  sapientiae  finis 
est,  ut  ad  dei  meritum  sapiens  provehatur;  so  stehe  es  im  Cod.  Vosa. 
und  Bd. ;  für  ad  dei  meritum  wird  als  Variante  des  jF\  dei  merito  an- 
geführt ohne  bestimmte  Angabe,  ob  ad  sich  dort  finde  oder  fehle. 
Das  Verhältniss  der  Handschr.  berechtigt  uns  aber  zur  Annahme, 
dass  jene  Leseart  nur  ein  Correctionsversuch  der  Florentiner  Huid- 
Schrift  sei,  wie  wir  es  so  oft  schon  gefunden  haben,  und  dass  daher 
auch  in  dieser  ad  dei  merito  stehe,  in  welchem  Falle  wohl  derAusMl 


Zur  Kritik  und  Rrklirung  von  L.  Apnleios  etc.  IST 

von  similitudinem  oder  imaginem  zwischen  dei  und  merito  das  Wahr- 
scheinlicbste  ist.  —  Ich  fuge  noch  gleich  hinzu»  dass  einige  Zeilen 
unterhalb  in  quippe  perpetuum  naeh  quippe  im  Flor.  Cod.  cum 
ausgefallen  ist»  wofür  dann  die  spSteren  Handschr.  perpetuum  in  cum 
geändert  haben. 

In  demselben  Capitel  pl  2K3  betrachtet  Ap.  das  Glück  des 
Weisen  von  zwei  Seiten :  una  quidem  beatitudo  est,  cum  ingenii 
nostri  praesentia  tutamur,  quae  perficimus ;  alia,  cum  ad  perfectionem 
Yitae  nihil  deest,  atque  ipsa  sumus  contemplatione  contenti.  utrarum- 
que  autem  felicitatum  origo  ex  Yirtute  manat,  et  ad  ornamentum  qui- 
dem genialis  loci  ycI  virtutis  nullis  extrinsecus  eorum,  quae  bona 
dueimus,  adminiculis  indigemus.  Von  den  Erklärungen  des  Ausdruckes 
genialis  loci,  das  Floridus  mit  patria,  Bosscha  mit  locus,  in  quo  genius 
s.  Ingenium  s.  animus  residet,  wiedergibt,  verdient  erstere  gar  nicht 
in  Betracht  gezogen  zu  werden,  gegen  letztere  aber  genügt  die  Be- 
merkung, dass  sich  genialia  in  einer  solchen  oder  auch  nur  Shnlichen 
Bedeutung  nicht  nachweisen  lasst.  Da  läge  nun  die  Conjectur  des 
Lipsius :  ingenialis  loci  nahe,  da  ja  der  Ausfall  des  in  durch  das  vor- 
hergehende m  sich  leicht  erklären  liesse ;  allein  ingenialis  ist  ohne 
allen  Beleg,  und  abgesehen  davon  ist  loci  hier  überhaupt  gar  nicht  zu 
brauchen.  Gewiss  sind  also  beide  Worte  verderbt.  Da  nun  nach 
sokratisch-stoischen  Grundsätzen,  denen  Ap.  hier  huldigt,  das  Glück 
des  Menschen  einzig  und  allein  auf  seiner  Tugend  beruht,  ohne 
dass  er  dazu  der  Stütze  der  äusseren  Güter  bedarf,  so  ist  vor  vel 
virtutis  ein  mit  diesem  identischer  Begriff  zu  erwarten.  Mit  der 
Tugend  identisch  ist  aber  den  Sokratikern  das  Wissen,  denn  sie 
ist  die  praktische  Bethätigung  desselben,  die  bei  der  vorausge- 
setzten Einheit  von  Wissen  und  Wollen  nie  ausbleiben  kann.  Ich 
vermuthe  daher  ingenii  actuosi  (s.  oben :  ingenii  nostri  praesentia 
und  Cic.  de  nat.  deor.  I,  40,  HO  virtus  enim  actuosa). 

Gleich  darauf  lesen  wir :  non  solum  autem  oportet,  dum  vitam 
colit,  digna  discere  nee  ea  agere,  quae  eorum  maiestati  displiceant, 
verum  et  tune,  cum  corpus  relinquit.  Das  eorum  fordert  ein  voraus- 
gehendes diis,  weshalb  Stewechius:  digna  dis  dicere,  Hildebrand: 
digna  dis  discere  schrieb.  Zu  agere  stimmt  jedesfalls  dicere  besser, 
abgesehen  davon,  dass  discere  auch  zu  tunc,  cum  corpus  relinquit 
weniger  passt.  Wäre  aber  nicht  digna  dis  scire  sowohl  paläogra- 
pbisch,  als  auch  des  Sinnes  wegen  vorzuziehen,  indem  dadurch  das 


188  Goidbacher 

theoretische  Wissen  der  praktischen  Thätigkeit  entgegengestelH 
wurde?  Vergl.  oben:  unde  non  solum  in  perspectandi  cognitioDe 
verum  etiam  agendi  opera  sequi  eum  conTenit,  quae  düs  atque  homi- 
nibus  sint  probata  *). 

nam  etsi  in  eius  manu  est,  heisst  es  p.  254  weiter,  mortis 
facultas,  quamvis  sciat  se  terrenis  relictis  consecuturum  esse  meliora. 
nisi  necessario  perpetiendum  esse  istud  lex  divina  decreverit,  accersire 
sibi  tarnen  eum  mortem  eius  et  si  anteactae  ritae  ornamenta  cobone- 
stant,  honestiorem  (F^  unrichtig  honestior)  tarnen  et  rumoris  secondi 
oportet  esse,  cum  securus  de  posteritatis  suae  vita  ad  immortalitatein 
animam  ire  permittit.  eam,  quod  pie  rixerit,  praecipit  fortunatorum 
habituram  (F|  fehlerhaft  habiturum)  loca,  deorum  choreis  semideum- 
que  permixtam.  Für  mortem  eius  haben  jQngere  Handschriften 
mortem  non  debere,  was  offenbar  nur  ein  gewaltsamer  Versuch  ist, 
in  die  verderbte  Stelle  einen  Zusammenhang  zu  bringen.  Die  Unza- 
Iftssigkeit  des  Selbstmordes  flr  den  Weisen  ist  hier  zuerst  negatir, 
dann  positiv  ausgesprochen.  Das  s  des  vorhergehenden  eius  wird 
daher  wohl  dem  et  zurückgegeben  und  sed  geschrieben  werden 
müssen.  In  eiu  aber  vermuthe  ich  mit  Hildebrand  ein  Verbum;  jener 
rftth  auf  vitat,  ich  filnde  renuit  angemessener  (vergl.  Metam.  Hl,  9, 
1 89).  Dabei  kann  natürlich  accersire  sibi  tamen  eum,  das  auch  durch 
seine  Wortstellung  auflfSlIig  ist,  nicht  stehen  bleiben.  SoHte  es  nicht 
accersire  spontaneam  mortem  oder  accersire  sibi  spontaneam  mortem 
heissen? 

Von  c.  24  an  spricht  Ap.  von  Plato*s  Staat,  wie  er  in  dessen 
Republik  und  den  Gesetzen  uns  entgegentritt. 

iam  principio,  heisst  es  p.  285,  civitatis  formam  definit  ad  hunc 
modum :  civitatem  esse  coniunctam  inter  se  hominum  piurimonim,  in 
quibus  sint  regentes  alii,  alii  citeriores  (so  Stewechius ;  F^  regentes 
alii  ceteriores),  coniuncti  inter  se  concordia  et  invicem  sibi  opem 
atque  auxilium  deferentes,  iisdem  legibus,  rectis  tamen  offieia  sua 
temperantes,  unamque  civitatem  iisdem  moenibus  illam  futoram  et 
eadem  volle  atque  eadem  noUe  incolarum  mentes  assueverint.  Statt 
coniunctam,  wofür  die  schlechteren  Handschriften  coniunctionefo 
haben»  schreibt  Hildebrand  coniunctum  und  verweist  auf  Varro  de 
ling.  lat.  10,  1^4  sie  bfgae  sie  quadrigae  a  coniunctu  dictae;  das  vor- 


')  Vahlen:  digna  dis  gerere  (ger*e). 


Zur  Kritik  und  ErJilärang  von  L.  Apuleius  etc.  1  SO 

hergehende  ciTitatem  habe  den  Irrthum  veranlasst.   Allein  so  einfach 
auch  diese  Änderung  ist,  so  wagen  wir  es  doch  nicht  derselben  bei* 
zustimmen,  weil  das  Wort  selbst  an  und  für  sich  schon   nicht  ganz 
unbedenklich  ist,  und  auch  das  folgende  coniuncti  inter  se  dasselbe 
hier  unwahrscheinlich  macht.  Zudem  lautet  die  Stelle  Plato*s.  worauf 
sich  Ap.  beruft,  de  rep.  IL  p.  369  C  our<ü  Sii  &p»  Ttapakafißdvtav 
aAAog  äXkov  inr'aXXou,  rdv  d'  in^  äXXov  yuptiq^noXXCiv  dcöjxcvoe,  ;roXAoO^ 
iig  jxcav  wxviotv  dysipavr&g  Mtvtfivodg  r<  xai   ßoti^oCtg^   raCrg  ro 
^uvoixiq:  iäii^eJia  noXiv  SvoiLOL.  Vergleichen  wir  nun  noch  Cic.  de 
off.  III,  0,21  nam  principiotollit  convictum  huroanumet  societatem, 
so  liegt  der  Gedanke  sehr  nahe,  dass  Ap.  das  platonische  ^vvoexea 
mit  convictus  wiedergegeben  habe«  —  Weiter  unten  ist  auch  et 
eadem  fehlerhaft.   Floridus  und  mit  ihm  Oudeudorp  schreiben  et  si 
eadem,  Hildebrand  ut  (concessiv)  eadem.  Richtiger  wird  wohl  si  et 
eadem  sein.  Über  den  Wegfall  von  si  vor  oder  nach  m  s.  meine  Anzeige 
derKrügerschen  Apologie  osterr.  Gymn.  Zeitschr.  1867  S.41  und  42. 
Bald  darauflesen  wir:  magnam  sane  civitatem  non  (non  fehlt 
im  F^}  habitantium  muUitudine  eorumque  magis  viribus  uti  oportet 
vires  enim  non  corporis  nee  pecuniae  collectam  dominatione  multorum 
aestimandam  putat  cum  vecordia  impotentiaque,  sed  cum  decreto 
communi  virtutibus  omnibus  ornati  viri  et  omnes  iaeolae  fuodati 
legibus  obsequuntur.  So  F|.  Dagegen  wird  in  den  übrigen  Handschr., 
denen  auch  die  Herausgeber  bisher  gefolgt  sind,  der  Satz  so  über- 
liefert: vires  enim  non  corporis  nee  pecuniae  coUectas  dominationi 
(einige  noch  dominatione)  multorum  existimandas(theiisaestimandas) 
putat  cum  vecordia  impotentiaque,  sed  cum  decreto  communi  virtu- 
tibus omnibus  ornati  viri  incolae  et  omnes  fundati  legibus  obsequun- 
tur. Wie  sich  die  Erklärer  damit  zurecht  gefunden  haben,  weiss  ich 
nicht,  da  keiner  derselben  für  das  Verständniss  der  Stelle  etwas  be- 
merkt hat  Mir  ist  die  Sache  in  der  vorliegenden  Gestalt  unerklärbar, 
und  dass  es  dem  französischen  Übersetzer  nicht  anders  ergangen  sei, 
schliesse  ich  aus  seiner  Übersetzung:  car  les  forees  du  corps  et  la 
puissance  des  richesses  appliqu^es  au  commandement  d*  une  multi- 
tude  ne  m^ritent  aucune  estime  lorsque  c*est  le  d^sordre  et  le  despo- 
tisme  qui  en  d^terminent  Temploi.  U  faut  que  les  plus  ^clairds  d'une 
part  et  de   Tautre,  tous  les  citoyens  prot^g^s  par  la  loi   ob^issent 
k  un  pacte  commun.  Allein  selbst  wenn  die  Leseart  der  jüngeren 
Handschriften  klar  wäre  und  einen  geeigneten  Sinn  böte,  so  mQsste 


190  Goldbftcber 

doch  der  Kritiker  auf  die  Überlieferung  des  f  ,   zurückgehen.     Wir 
werden  sehen,  dass  aus  derselben  durch  Beseitigung  dreier  kleiofr. 
leicht  begreiflicher  Fehler  die  ursprflngiiche  Form  sich  wird  her- 
stellen lassen.    Die  Leseart  collectam  und  aestimandam  zeigt   uns 
nämlich,  dass  f&r  doroinatione  zu  schreiben  sei:  dominationem,  das 
sein  m  durch  das  folgende  muitorum  verloren  hat;  pecuniae  ist  durch 
den  vorhergehenden  Genetiv  corporis  aus  pecunia  entstanden :  bessern 
wir  endlich  noch  nach  Massgabe  des  Gegensatzes  sed  cum  deereto 
communiden  auf  einem  MissverstSndnisse  von  cum  beruhenden  Fehler 
cum  vecordia  impotentiaque,  so  lautet  es:  vires  enim  non  corporis 
nee  pecunia  collectam  dominationem  muitorum  aestimandam  putat, 
cum  vecordiae  impotentiaeque,  sed  cum  deereto  communi  virtutibus 
Omnibus  ornati  viri  et  omnes  incolae  fundati  legibus  obsequuntur. 
Die  Leseart  der  spftteren  Handschriften  ist  offenbar  ein  Emendations- 
versuch,  denn  nachdem  dominationem  in  dominatione  corrumpirt  war, 
hatten  collectam  und  aestimandam  ihre  Beziehung  verloren  und  wurden 
daher  an  vires  angeschlossen,  während  dominatione  in  den  Dativus 
des  Interesses  öbergiug.  Ich  habe  mich  an  dieser  Stelle  länger  auf- 
gehalten, als  es  vielleicht  die  Herstellung  derselben  zu  erfordern 
schien,  weil  sie  besonders  belehrend  ist  für  das  Yerhältniss  der  Hand- 
schriften zu  einander  und  uns  einen  klarc^u  Einblick  gewährt,  wie  oft 
von  geringen  Versehen  der  Stammhandschrift  ausgehend  durch  un- 
glackliche  Correcturen  der  Text  allmfthlig  immer  mehr  und  mehr 
zerrfittet  wurde. 

c.  26,  p.  2K8  lesen  wir,  nachdem  von  der  Ehe  die  Rede   war» 
über  die  Erziehung  der  Kinder:  et  qui  de  talibus  nuptiis  erunt   orti, 
studiis  congruentibus  imbuentur  et  optimis  discipiinis  communi  prae- 
ceptorum  magisterio  docebuntur  non  virile  secus  modo  verum   etiam 
feminarum,  quas  vult  Plato  omnibus  partibus,  quae  proprie  virorum 
putantur,  coniungendas  esse  bellicis  eis ;  quippe  utriusque  cum  natura 
una  sit,  eandem  esse  virtutem.  eiusmodi  civitatem  nullis  extrinsecus 
latis  legibus  indigere;  regiam  quippe  prudentiam  (so  wenigstens  die 
Codd.  Voss.  Vulc.  Bd.;  in  den  übrigen  Handschriften  regia  qaippe 
prudentia ;  F^  ist  nicht  ausdrucklich  erwähnt)  et  eiusmodi  instituti^ 
ac  moribus,  quibus  dictum  est  (?)  fundata  ceteras  leges  non  requirat 
Für  bellicis  eis  haben  schlechtere  Handschr.  bellicis  etiam,  was  gewiss 
nur  eineCorrectur  ist.  Eis  halte  ich  für  nichts  anderes  als  eineDitto- 
graphie  der  Silbe  eis  und  möchte   daher  den  Ausfall  eines    quoqui^ 


Zur  Kritik  und  Erkifirung  von  L.  Apateius  etc.  191 

vor  quippe  annehmen,  wenn  nicht  dieser  nachhinkende  Beisatz  be- 
sonders seiner  Stellung  wegen  den  Verdacht  erweckte,  es  sei  eine 
blosse  Glosse  ^).  Dasselbe  hat  unten  Ton  dictum  est  schon  Oudendorp 
yennuthet,  da  es  sich  in  drei  der  besseren  Codd.,  dem  Voss.  Vulc. 
und  Bd.,  nicht  finde;  über  den  F^  liegt  in  dieser  Beziehung  keine 
directe  Angabe  vor,  und  das  Schweigen  des  Lindenbrog  kann  uns 
keine  hinreichende  Gewähr  sein,  dass  es  dort  stehe.  Nicht  besser 
sind  wir  unterrichtet  über  regiam  quippe  prudentiam  oder  regia 
quippe  prudentia.  Ersteres  bieten  die  oben  genannten  drei  Hand- 
schriften, die  sonst  zunächst  mit  F^  übereinstimmen.  Regiam  änderte 
Oudendorp  treifend  in  regi  eam;  doch  stimme  ich  ihm  nicht  bei,  wenn 
er  vor  prudentiam  ein  per  einsetzt,  sondern  glaube  vielmehr  dass 
analog  den  folgenden  Ablativis  prudentia  zu  schreiben  sei,  und  stelle 
mir  den  Gang  des  Verderbnisses  so  vor :  regi  eam  quippe  prudentia 
wurde  zuerst  in  regiam  quippe  prudentia  verderbt,  woraus  dann,  je 
nachdem  man  das  regiam  dem  prudentia  oder  prudentia  dem  regiam 
anpasste,  theils  regiam  quippe  prudentiam,  theils  regia  quippe  pru- 
dentia entstanden  ist;  letzteres  können  auch  die  folgenden  Ablative 
hervorgerufen  haben.  Ist  nun  unsere  sonst  durchgehends  erprobte 
Theorie,  dass  alle  Handschriften  auf F|  zurückgehen,  richtig,  so  muss 
es  dort  regiam  quippe  prudentia  oder  regiam  quippe  prudentiam 
heissen,  da  sonst  die  Entstehung  des  Accusatives  kaum  erklärlich 
wäre. 

Von  Plato*s  Republik  geht  Ap.  c.  26  auf  dessen  Gesetze  über : 
est  et  alia  optima  quidem  et  satis  iusta  et  ipsa  quidem  specie  et 
dicis  causa  civitas  fabricata,  non  ut  superior  sine  evidenti,  sed  iam 
cum  aliqua  substantia.  Die  Erklärer  wägen  ab,  ob  für  evidenti  mit 
Wowerus  eridentia  zu  schreiben  sei,  oder  ob  evidenti  für  sich  als 
Neutrum  substantivisch  gebraucht  sein  könne.  Liegt  es  jedoch  nicht 
riel  näher,  dasselbe  als  Adjectiv  mit  substantia  zu  verbinden? 

Gegen  Ende  dieses  Capitels  heisst  es  p.  260  von  der  Erziehung: 
instituendos  vero  eos  esse,  utcunque  parentes  nee  ita  sexus  esse 
stratus  censuerint  civitatis.  Elmenhorst  hat  diese  folia  Sibyllae,  wie 
er  dergleichen  Stellen  zu  nennen  pflegt,  bis  auf  instituendos  vero  eos 


*)   Vahien  jedoch  ohne   Zweifel  richtig:  conitto^endas  esse  vel  bellicis.  eis  quippe, 
ntriasque  cum  netari  üb»  sit,  esndem  esse  Tirtotem. 


192         Goldbacher,  Zur  Kritik  und  Erklirunfp  tob  L.  Apnleias  ete. 

esse«  utcunque  parentes  censuerint  zugestutzt,  und  ihm  sind  die  Her- 
ausgeber bis  auf  Bosscha  gefolgt.  Oudendorp  yermuthet  utcunqoe 
parentes  nee  uti  magistratus  eenauerint  civitatis  und  Hilde- 
brand utcunque  parentes  nee  uti  sibi  ins  esse  magistratos 
censuerint  civitatis»  setzt  aber  selbst  hinzu:  quantum  autem  a  vero 
absim»  ipse  sentio.  Und  er  hat  Recht  Denn  vor  allem  geht  er  nnd 
sämmtliche  Erklärer  von  der  falschen  Anschauung  aus,  als  hätte Plato 
in  den  Gesetzen  im  Gegensatze  zum  Staate  die  Erziehung  den 
Eltern  anheim  gestellt  Sagt  ja  doch  Ap.  selbst  im  Anfange  dieses 
Capitels  in  hac  equidem  easdem  puerorum  nutricationes»  easdem 
vult  esse  artium  disciplinas.  Von  dem  Grundsatze,  dass  die  Er- 
ziehung der  Jugend  ganz  in  die  Hände  des  Staates  und  seiner 
Obrigkeiten  gelegt  werden  soll,  und  dass  hierin  selbst  die  Verschie- 
denheit des  Geschlechtes  keinen  Unterschied  machen  dürfe»  ist 
Plato  auch  in  seinen  Gesetzen  nicht  abgewichen  (vergl.  legg.  VL 
c.  11  und  12  und  VU  besonders  c.  4,  p.  794;  VIIL  c.  4,  p.  833 
D  und  andere).  Daraus  erhellt»  dass  vor  parentes  eine  Negation 
stehen  mfisse,  und  dass  es  nicht  gerathen  sei  sexus  fallen  zu  lassen. 
Esse  mag  aus  der  letzten  Silbe  des  vorhergehenden  Wortes  und 
sed  entstanden  sein.  Die  arg  verderbte  Stelle  möchte  daher 
wenigstens  dem  Sinne  nach  richtig  lauten  utcunque  non  parentes 
nee  uti  sexus»  sed  magistratus  censuerint  civitatis.  An  dem  Zeugma 
wird  wohl  niemand  Anstoss  nehmen. 


Möller,  Znr  Soffizlebre  des  indogermfiDitGbeii  Verbums.  11.  193 


Zur  Suffixlehre  des  indogermanisehen  Verbums. 

n. 

Von  Dr.  Friedrich  Muller, 

ProftMor  aa  der  WitAcr  Uahr«nitil. 

Über  die  wortbildenden  Suffixe  des  indogermanisehen  Verbums 
ist  bereits  von  mehreren  Sprachforschern  geschrieben  worden;  ich 
selbst  habe  in  einem  in  den  Sitzungsberichten  der  kais.  Akademie 
der  Wissenschaften  Band  XXXIV  abgedruckten  Aufsatze»  betitelt: 
^Zur  Suffixlehre  des  indogermanischen  Verbums*'  eine  von  der 
gewöhnlichen,  auf  Bopp  und  seine  engere  Schule  zurückgehenden 
Ansicht  abweichende  AuiTassung  darzulegen  und  zu  begründen  ver- 
sucht. Wie  es  scheint,  haben  meine  dort  entwickelten  Grunde  nicht 
völlig  überzeugt  <),  sie  wurden  aber  auch  bisher  nicht  widerlegt. 
Dies  bewegt  mich  auf  die  Sache  abermals  näher  einzugehen  und  im 
vorliegenden  Aufsatze  im  Anschlüsse  an  den  Anfangs  genannten  alles 
jenes,  was  sich  zur  Vertheidigung  meiner  Ansicht  noch  beibringen 
lässt,  in  kurzem  zusammenzustellen. 

Die  älteste  Form  der  verbalen  Pronominalsutlixe  hat  sich 
bekanntlich  in  den  beiden  Hauptrepräsentanten  des  asiatischen  Zwei- 


^)  Merkwürdiger  Weise  trifft  meine  Auffassong  der  Suffixe,  namentlich  ihres  Verhalt- 
nisaea  zu  einander,  mit  jener  R.  Westphar«  in  seiner  i^Philosophisch-historiachen 
Grammatik  der  deutschen  Sprache",  Jena  18S9  gegehenen,  welche  wohl  auch  die 
J.  Gildemeiater's  und  Ch.  Lasaen^s  (?)  ist,  ziemlich  genau  susammen,  wenn  ich  auch 
in  Betreff  der  Entstehung  der  Formen  gans  anderen  Grundsfitzen  huldigen  muss, 
als  jener  Gelehrte  es  thut.  —  Es  ist  dies  für  mich  ein  Beweis,  dass  die  von  Bopp 
aufgestellte  Ansicht  über  die  Personalsuffize  des  Verbums  nicht  derart  über  alle 
Zweifel  erhaben  ist,  als  es  seine  orthodoxen  Anhänger  zu  glauben  scheinen. 

Sitzb.  d.  phil.>hist.  Ol.  LXVI.  Bd.  I.  Hft.  13 


194  Maller 

ges  der  indogermanischen  Sprachen  (im  Alt-Indischen  und  im  Alt- 
Eränischen)  und  im  Griechischen  erhalten.  Bei  der  Feststellung  der 
Urformen  dieser  Suffixe  muss  daher  auf  diese  drei  Sprachen  zurück- 
gegangen werden. 

Bekanntlich  zerfallen  in  diesen  Sprachen  die  Pronominalsuffixe 
vor  allem  in  zwei  grosse  Gruppen.  In  der  einen  Gruppe  treffen  wir 
die  Suffixe  in  einer  vocalisch  leichteren,  in  der  andern  dagegen  in 
einer  schwereren  Auslautform  an.  Die  Suffixe  der  ersten  Gruppe  be- 
zeichnen die  Handlung  als  solche  schlechthin  (Activum),  die  Suffixe 
der  zweiten  Gruppe  dagegen  immer  als  in  einem  gewissen  Verhalt- 
nisse zum  handelnden  Subject  selbst  sich  befindend  (Medium). 

Innerhalb  dieser  beiden  Gruppen  theilen  sich  wieder  die  Suffixe 
in  zwei  Abtheilungen.  In  der  einen  Abtheilung  finden  wir  die  Suffixe 
theils  vocalisch  schliessend,  theils  etwas  voller  als  in  der  anderen, 
in  der  zweiten  Abtheilung  dagegen  theils  consonantisch  schliessend. 
theils  den  ersteren  gegenüber  etwas  kürzer  gebaut.  Mit  den  Suffixen 
der  ersten  Abtheilung  bekleiden  sich  das  Präsens»  das  Futurum 
und  ursprunglich  auch  das  Perfectum,  mit  den  Suffixen  der  zweiten 
Abtheilung  das  lAiperfectum,   die  Aoristbildungen  und  der  Optativ. 

über  die  Charakterlaute  dieser  Suffixe,  die  consonantischen  Be- 
standtheile  derselben,   nämlich  m  für  die  erste,  th,  dh*  s  für  die 
zweite  und  t  für  die  dritte  Person,  sowie  über  den  Zusammenhang 
derselben  mit  denPronominal-Stämmen  der  ersten  ^ma-^,  der  zweiten 
Ctva-J  und  der  dritten  Person  {ta-J  herrscht  kein  Zweifel,  darin 
stimmen  alle  Sprachforscher  uberein :  dagegen  gehen  in  Betreff  des 
Verhältnisses  der  verschiedenen  Suffix-Beihen  zu  einander  und  der 
Genesis  derselben  die  Ansichten  der  Sprachforscher  ziemlich   weit 
auseinander. 

Nach  der  am  meisten  verbreiteten,  auf  Bopp  zurückgehenden 
Ansicht  sind  die  Suffixe  des  Präsens  als  die  volleren  auch  als  die 
ursprünglichen,  die  Suffixe  des  Imperfects  und  des  Aorists 
dagegen  als  die  kürzeren  auch  als  die  secundären,  aus  den 
ersteren  abgeschwächten  zu  betrachten. 

Wir  k5nnen  nicht  umhin,  gleich  hier  diese  Ansicht  für  ein  u  n- 
begründetes  Dogma  zu  erklären  und  zu  bestreiten.  Wir  glaobeo. 
dass  beide  Suffixreihen  von  einander  völlig  unabhängig  sind,  da55 
beide  aus  einer  in   ihnen   noch  erkennbaren  Urform  durch  Dif- 


Zur  SuCfiilehre  des  indogerroanischen  Verbuns.  II.  1  9d 

fereiizirung  sich  entwickelt  haben;  wir  glauben  dies  aus 
dem  ganz  einfachen  Grunde,  weil  jenes  wirkende  Moment,  welches 
die  lautlichen  Veränderungen  innerhalb  der  Suffixe  hervorgebracht 
haben  soll,  in  der  ältesten  Form  der  Sprache  uns  gar  nicht  gegeben 
erscheint. 

Nach  der  gewohnlichen  Ansicht  war  es  das  Augment,  welches 
dadurch,  dass  es  den  Ton  auf  sich  zog,  eine  Verkürzung  der  Wort- 
form im  Auslaute  bewirkte.  Nun  aber  zeigen  gerade  die  ältesten 
Denkmäler  der  oben  genannten  drei  Sprachen  (des  Alt-Indischen,  des 
Alt-Erinischen  und  des  Alt-Griechischen),  dass  das  Augment  in 
jenen  Formen,  wo  die  spätere  Sprache  es  regelmässig  zu  setzen 
pflegt,  nicht  nur  fehlen  kann,  sondern  in  der  That  auch  meistens 
fehlt.  Dieses  Fehlen  des  Augments  erklärt  sich  leicht  aus  der  Natur 
desselben;  es  ist  eben  kein  Element,  welches  unmittelbar  zur  Verbal- 
form  selbst  gehört,  sondern  ein  Element,  welches  dieselbe  ähnlich  der 
Präposition  nur  determinirt.  Erst  die  spätere  Sprache  hat  dieses 
Element,  welches  die  ältere  Ausdrucksweise  dem  Verbum  zur  näheren 
V^erdeutlichung  der  zeitlichen  Anschauung  vorsetzte,  mit  demselben 
zu  einer  Einheit  verschmolzen.  Und  wie  die  Sprache  so  oft  gewisse 
Elemente,  welche  nicht  nothwendig  zur  Darstellung  des  Gedanken- 
ausdruckes geboren,  sondern  nur  in  einer  gewissen  Periode  (jener 
des  Ringens  nach  plastischer  Vollendung)  zur  Ausschmückung  des 
Sprachgebäudes  geschaffen  werden,  später,  nachdem  der  Gedanke 
den  Sprachstoff  zu  beherrschen  und  sich  dienstbar  zu  machen  ange- 
fangen, als  unnützen  Ballast  wieder  über  Bord  wirft,  eben  so  haben 
die  meisten  der  indogermanischen  Sprachen  (alle,  mit  Ausnahme  des 
Altindischen,  Erdnischen  und  Griechischen)  das  Augment  fallen 
gelassen.  Das  Augment  kann  demnach  in  der  Geschichte  der  Verbal- 
suffixe unmöglich  jene  wichtige  Rolle  spielen,  welche  ihm  die  meisten 
Vertreter  der  modernen  Sprachwissenschaft  zutheilen  möchten. 

Gesetzt  aber  auch,  eine  Schwächung  im  Auslaute  der  Suffixe 
durch  das  den  Verbalformen  des  Imperfects  und  des  Aorists  vortretende 
Augment  Hesse  sich  wirklich  nachweisen,  so  bleibt  es  völlig  unbe- 
greiflich, wie  eine  solche  in  den  Suffixen  des  Potentials  und  in  jenen 
des  Imperativs  eintreten  konnte.  Denn  die  Suffixe  des  Imperativs 
stimmen,  abgesehen  von  den  Suffixen  der  ersten  Person  aller  drei 
Zahlen,  im  Grossen  und  Ganzen  mit  jenen  des  Imperfect-Aorists  und 
des  Potentials  überein.  -8va  gegenüber  -thas  zeigt  keine  bedeutende 

13* 


196  Müller 

Differenz,  wenn  man  griechisches  -90  und  altbaktrisches  -^o,  -ia 
(beide  aus  ursprünglichem  -sva  entstanden)  herbeisieht  und  -^ti» 
^antu  fallen  auch  nicht  besonders  schwer  ins  Gewicht,  da  sie  gewiss 
von  'tu  -anti  unabhängig  und  nicht  aus  ihnen  entstanden  dind»  so 
dass  nur  'tdm  und  -antdm  Qbiig  bleiben,  welche  ebenso  wenig  aJs  die 
beiden  vorhergehenden,  aus  Präsensformen  (^'iaif  -aniaijf  besonders 
wenn  man  sich  die  über  die  Entstehung  letzterer  geltende  Ansieht 
vergegenwärtigt,  abgeleitet  werden  dürfen. 

Liegt  aber  auch  der  Grund  der  kürzeren  Form  der  Imperfect- 
Aorist-Suffixe  nicht  im  vortretenden  Augmente,  so  könnte  er  vielleicht 
in  dem  Triebe  der  Sprache  gesucht  werden,  den  Wortauslaut,  nament- 
lich in  seinen  vocalischen  Bestandtheilen,  zu  zerstören,  wornach  diese 
Sutlixe  aus  den  Präsenssuffixen  in  derselben  Weise  abgeschwächt 
sein  könnten ,  wie  etwa  die  Suffixe  des  Lateinischen,  der  germani- 
schen Sprachen  und  der  jüngeren  Sprachen  indischer  und  eriniseher 
Abstammung  aus  den  älteren  ihnen  zu  Grunde  liegenden  Formen  ent- 
standen sind.  Gegen  eine  solche  Ansicht  spricht  aber  die  Form  der  Suf- 
fixe selbst,  indem  sich  einerseits  der  schönste  Parallelismus  auf  beiden 
Seiten  nachweisen  lässt,  andererseits  eine  solche  Abschwächung,  die 
sich  nur  in  Sprachen  der  jfingeren  Periode  findet  —  mit  dem  Charakter 
der  alten  Sprache  sich  nicht  vereinigen  lässt.  Zudem  Hesse  sich,  da 
die  Sprache  des  täglichen  Lebens  (von  welcher  man  bei  solchen 
Fragen  auszugehen  hat)  sich  mehr  über  Dinge  der  Gegenwart  als 
über  jene  der  Vergangenheit  erstreckt,  eine  Schwächung  der  häufi- 
ger gebrauchten  Präsens-  und  Futurformen  eher  erwarten,  als  der 
gewiss  seltener  zur  Anwendung  kommenden  Imperfect-  und  Aorist- 
Formen. 

Nach  diesen  Erwägungen  betrachten  wir  die  beiden  Suffixreihen, 
nämlich  Präsens -Futurum  einerseits  und  Aorist-Imperfect-Optativ 
andererseits  von  einander  völlig  unabhängig,  d.  h.  in  ihrer  Entstehung 
setzt  keine  die  andere  voraus,  sondern  sie  sind  beide  aus  einer  ein- 
facheren Form,  einer  in  ihnen  aufgegangenen  Urform  durch  laut- 
liche Veränderungen  und  späteres  Hinzutreten  gewisser  semiotiseher 
Elemente  hervorgegangen. 

Ursprünglich  waren  die  Verbalsulfixe  mit  den  Pronominal- 
Stämmen  identisch  derart,  dass  ma  die  erste  Person  sowohl  ao 
und   für  sich  als  auch  mit  Bezug  auf  ein  bestimmtes  Prädicat  —  aus 


Zur  Suffix! eil re  de«  indogpen&aoi sehen  Verbuins.  II.  197 

Subject  bezeichnete.  Auch  tva  bedeutete  das  „Du**  sowohl  absolut  als 
auch  als  Subject  zu  einem  Pk*ädicat.  In  letzterem  Falle  veränderte 
sich  das  t  von  tva,  durch  das  folgende  v  beeinflnsst,  in  dh,  später 
nach  dem  theilweisen  Verschwinden  des  o  in  th  und  s.  Ebenso  galt 
fa  ursprünglich  für  ^Er**  im  absoluten  Sinne  als  auch  fQr  „Er"  als 
Subject  gegenüber  einem  Prädicat  <). 

Die  ursprünglichen  Formen  der  Suffixe  -fiia,  -tva,  -ta  gingen 
nach  dem  Principe  der  Flexion  (wie  -s  im  Nominativ  singul.  aus  so) 
durch  Schwächung  des  auslautenden  Vocals  a  zu  ^  in  -m^,  -tv?,  -se 
und  endlich  durch  Abfall  des  schliessenden  S  in  -fii,  'tv('8j,  -t  über. 

Eine  Schwächung  des  auslautenden  a  zu  t,  wie  sie  von 
Bopp  und  seinen  Anhängern  angenommen  wird,  erscheint  uns  aus 
folgenden  Gründen  unmöglich: 

I.  Zeigen  sämmtliche  indogermanischen  Sprachen,  welche 
die  vollen  auf  Vocale  schliessenden  Suffixe  kennen,  imAuslaute 
e  i  n  in  welches  im  Altbaktrischen  sogar  manchmal  gelängt  werden 
kann.  Darnach  mfisste  die  Schwächung  des  a  zu  t  schon  der  indo- 
germanischen Ursprache  angehören;  Schwächung  jedoch  eines  a  zu  f 
namentlich  am  Ende  von  Wort  formen  lässt  sich  in  der  indo- 
germanischen Ursprache  nicht  nachweisen. 

II.  Ist  die  Schwächung  des  a  zut  kein  unmittelbarer,  son- 
dern ein  mehrere  Mittelstufen  voraussetzender  Lautprocess,  von  denen 
sich  doch,  wenn  dieser  Process  wirklich  einmal  stattgefunden  hat,  in 
irgend  einer  der  indogermanischen  Sprachen  Spuren  finden  müssten. 


^)  OtM  der  NomiDatiT  singul.  der  ersten  Person  nicht  um,  sondern  aghüm  lautet, 
eboAso  data  der  Stamm  ta-  im  Nominattr  aingnlar.  mascul.  und  femin.  die  Formen 
M#,  §d  (gegenüber  dem  Neutrnm  tm-d  und  den  obliquen  Casnaformen,  welche 
simmtlich  den  Stamm  u-  leigen)  darbietet,  ist  ein  gewichtiger  Binwand  sowohl 
gegen  unsere,  als  auch  gegen  die  Ton  Bopp  aufjgestellte  Ansicht,  nach  welcher  Ton 
agham,  und  «o«,  »a  Sltere  Formen  wie  ma  (»uimf  nach  Analogie  Ton  tu-mmj,  to«, 
td  stillschweigend  rorausgesetnt  werden.  Oass  «o«,  m  ursprünglich  f«t,  td  gelautet 
haben,  ist  nicht  nur  nicht  unmöglich,  sondern  im  hSchsten  Grade  wahrscheinlich ; 
^*g^g^n  ist  die  Umformung  Ton  tos,  ta  tu  aa»-,  »d  sehr  alt  und  geht  in  die  Zeit 
vor  der  Sprachtrennnng  turflek.  In  Betreff  des  agham  wage  ich  keine  directe  Ent- 
scheidung; möglich,  dass  es  aus  magham  (ma-gha^atn)  wie  atma-  aus  tntiima- 
(vgl.  die  Bfittelform  voiifm  statt  meyam,  da  v  im  Anlaute  leicht  wegfillt)  schon 
TOr  der  Sprachtrennung  henrorgegangen  ist. 


198  Malier 

Für  uns  bilden  daher  nicht  die  Suffixe  -mt,  -«i\  -ii  die  Aus- 
gangspunkte der  Untersuchung,  sondern  die  Suffixe  -m,  -«,  -t  (laut- 
liche Entwicklungen  der  Urformen  -ma,  -tva^  -^a,  und  mit  den  imper- 
fect-Aorist-Suffixen  der  Form  nach  zusammenfallend). 

Sind  aber  -m,  -s,  -t  die  der  Zeit  nach  früheren  Formen»  so 
müssen  -mi,  -si,  'ti,  da  sie  weder  aus  '-ma»  ^tva,  -ta  noch  aus  -m, 
-s,  -/  durch  Annahme  ge wohnlicher  mechanischer  Lautpro- 
cesse  erklärt  werden  können,  durch  Hinzutreten  eines  i  aus  ihnen 
entstanden  sein. 

Damit  ist  auch  die  Erklärung  der  beiden  Suffixe  -masi  und  -anti 
und  jene  der  nach  Analogie  von  -masi  und  -anti  nothwendiger  Weise 
ursprünglich  gebildeten  ^vasi,  -thasi  und  -tasi  gegeben.  Diese 
Formen  müssen  demnach  in  m^aa-U  a-n-t-i»  r-o^i,  th-as-ü  i-as-i 
aufgelöst  und  demgemäss  erklärt  werden.  Es  ist  darin  das  schliessende 
I,  das  oben  bereits  in  m-i,  s-i,  t-i  gefundene  Element  und  -lu  das 
alte,  Plural  und  Dual  ohne  Unterschied  bezeichnende  Zahlzeichen. 

Was  nun  -anti  betrifft,  so  ist  es  zunächst  mit  -thOf  dessen 
älteste  Form  -thanä  lautet,  zusammenzuhalten.  Darin  tritt  -na^  ver- 
wandt mit  dem  -am,  am,  und  parallel  dem  -as  der  soeben  besproche- 
nen Formen,  als  Zahlzeichen  auf.  Die  Urform  von  -antt  dürfte  f-au-i 
gelautet  haben;  das  Vortreten  des  Nasals  vor  das  t  ist  ebenso  wie 
im  Plural  der  Neutra  consonantischer  Stamme  im  Altindiseben  zu 
erklären,  z.  B.  hr-n-di  statt  hrd-ni,  mand-^n-si  statt  mands^ffi.  Ein 
weiteres  Analogen  bieten  einige  Verba  der  VI.  und  jene  derVU.  Classe, 
z.  B.  lu-m-pati  statt  lup^na^ti,  yu^A^g-mas  statt  yug-n^mas.  Aus 
der  Urform  -tani  des  Suffixes  -anti  erklärt  sich  auch  sein  a,  welches, 
dem  Singular  -ii  gegenüber  sich  fast  schlechterdings  nicht  recht- 
fertigen lässt  <). 

Wie  aus  mehreren  Spuren  hervorgeht,  wurde  die  Mehrzahl  des 
indogermanischen  Verbums  in  der  zweiten  und  dritten  Person  ur- 
sprünglich auf  doppelte  Weise  gebildet,  nämlich  mittelst  der  beiden 
Suffixe  '09  und  -a;t,  so  dass  die  Parallelformen 


1)  Die  Annahme,  -anft  reprSBentire  gpegeonber  -ti  eine  ZuMinaienseUaag  inreier 
Stfimme,  nimlich  -ana  und  -fa  (parallel  mit  tM-tva^  tva^tvs)  ist  gnnx  grandios; 
wSre  sie  richtig,  so  müsste  der  Plural  von  -m«  auch  roa-m«  lauten.  Man  Bcrte 
wohl,  dass  die  Sprache  auch  in  Betreff  der  Stellung  der  eiaselnen  Theile  Geaelze 
hat  und  nicht  nach  Willkur  Tcrfihrt. 


Zur  Suffizlebre  des  indogermanischen  Verbums.  II.  1  90 

th-as'i  th-an-'a 

lauteten.  Die  Formen  mittelst  -a»  scheinen  die  älteren  zu  sein;  sie 
schliessen  sieh  an  die  Bildung  des  Neutrums  an  und  weisen,  da  sie 
sich  nur  in  der  zweiten  und  dritten  Person  finden,  auf  den  alten 
Gegensatz  der  ersten  Person  (das  Ich)  zu  den  beiden  anderen  (dem 
Nicht  Ich)  hin,  welcher  ja  auch  in  den  beiden  Stämmen  ta-  uiid 
iva^  (Ausserliches)  gegenüber  dem  Stamme  ma-  (Innerliches)  zu 
Tage  tritt.  Der  Sprache  erschien  eben  ursprunglieh  nur  das  Subject 
als  das  Spontane-Männliche,  alles  andere  dagegen,  diesem  gegen- 
über, als  Jleceptiv — Feminino-Neutral. 

Als  später  die  Genus-Ansehauuug  zum  vollen  Durchbruch  gelangte 
und  auch  innerhalb  der  Mehrheits-Anschauung  eine  Differenzirung 
eintrat,  wurden  die  vorhandenen  Formen,  welche  durch  A n ähn- 
lich ung  an  die  erste  Person  —  den  Verbalausdruck  xar'  i^o-^iv  — 
vermehrt  worden  waren  (ihxtsi  und  iasit  gebildet  nach  Analogie  von 
masij  vasij  dieser  Kategorie  dienstbar  gemacht.  Es  trat  dann  die 
eine  Form  für  den  Plural,  die  andere  für  den  Dual,  in  den  meisten 
Fällen  nur  eine  lautliche  Variation  des  Plurals,  eiu^ 

Gegen  diese  Auffassung  der  Sufßxe  des  Duals  und  Plurals  als 
formale  Mehrzahl-Bildungen  der  Suffixe  des  Singulars 
spricht  aber  die  unter  den  meisten  indogermanischen  Sprachforschern 
verbreitete  Ansicht,  wornach  die  Dual-  und  Plural^Suffixe  additionale 
Compositionen  zweier  Pronominalstämme,  wie  z.  B.  -masi  ,»wir*^  = 
ma  »ich*',  tvi  „Du**  (statt  iva)  sein  sollen.  Obwohl  diese  Ansicht 
von  vielen  Autoritäten  gestützt,  gemeiniglich  als  eine  über  allen 
Zweifel  erhabene  hingestellt  wird,  können  wir  dennoch  nicht  umhin, 
sie  als  ein  unbewiesenes  Dogma  zu  bezeichnen  und  zu  be- 
streiten, da  sie,  abgesehen  von  den  bereits  oben  erwähnten  lautlichen 
Schwierigkeiten,  eine  Reihe  sprachwissenschaftlicher  Erfahrungen 
gegen  sich  hat. 

Es  lässt  sich  nämlich  in  keiner  höher  organisirten  Sprache  der 
Welt  (einer  Formsprache !)  eine  Mehrheits-Bildung  des  Pronomens 
nachweisen,  welche  auf  eine  ein  fache  Addition  der  in  derTotal- 
Anschauung  liegenden  Theil-Anschauungen  zurückginge  (weil  dies 
keine  Form  ist)  und  sie  kann  am  allerwenigsten  für  den  Verbal- 
ausdruck der  indogermanischen  Sprachen  aus  den  Formen  des  selb- 


200  Mu  t  I  e  r 

ständigen  Pronomens  bewiesen  werden.  Im  Gegentheile  lässt  siich 
schon  aus  dem  letzteren  der  Nachweis  führen»  dass  eine  solche  Er- 
klärung der  Mehrzahl-Bildungen  vollkommen  unmöglich  ist. 

Betrachtet  man  die  Pluralbildungen  vayam,  yuyam,  iS  (tat) 
gegenüber  ihren  Singularformen,  so  lässt  sich  an  ihnen  am  aller- 
wenigsten eine  Zusammensetzung  von  zwei  Personal-Stämmen  nach- 
weisen. Gleichwie  te  {tat)  aus  dem  Stamme  ta-  und  dem  formalen 
Pluralzeichen  t  zusammengesetzt  ist,  müssen  auch  vayavu  yuyam  in 
va^i^anit  yü-^uam  9,  deren  -am  offenbar  dieselbe  Geltung  hat,  wie 
in  aham^  tvam,  ayam^  idatn,  mahyanif  tubkyam  etc.  aufgelost  wer- 
den. Ein  Gleiches  kann  man  auch  von  asmS,  yu^mi  behaupten, 
welche  nur  aus  a^sma^u  yu^^ma^t  *)  sich  genügend  erklären  lassen. 
Die  Behauptung,  in  dem  sma  dieser  Formen,  sowie  der  Plural- 
Stämme  asma',  yu^ma-  stecke  ein  Plural-Element,  ist  vollkommen 
aus  der  Luft  gegriffen,  da  dieses  sma  doch  kein  anderes  sein  kann, 
als  das  in  tasmdif  tasmäiy  tasmin  etc.  auftretende,  wo  es  doch  wohl 
keinen  Plural  bezeichnen  wird. 

Nach  unserer  Ansicht  ist  sma  ein  reines  Determinativ  und  spielt 
in  den  Formen :  tasmdu  tasmdt^  tasmint  asma-»  yu^ma-  etc.  dieselbe 
Rolle,  wie  das  an-  in  den  semitischen  Formen  an-ta»  an-tum. 
an-^kht,  anaynü  etc.«). 

Was  nun  unser  oben  gefundenes  Pluralzeichen  i  anlangt,  so 
wird  es  in  diesem  Sinne  von  den  meisten  Sprachforschem  geläugnet, 
indem  man  behauptet,  dass  dort,  wo  dieses  i  zu  Ende  der  Wörter 
auftritt,  das  eigentliche  Pluralzeichen  -o«  abgefallen  ist.  Wir  können 
nicht  umhin,  diese  Behauptung  als  eine  leere  Ausflucht  zu  bezeichnen, 
durch  welche  vorgefasste  Meinungen  gestützt  werden  sollen.  Was  in 
aller  Welt  berechtigt  denn  dazu,  den  Abfall  eines  Elementes  anzu- 
nehmen, von  dem  man  in  keiner  der  dahin  gehörigen  Formen  auch 
die  geringsten  Spuren  nachzuweisen  vermag?  Wie  kommt  es  denn, 
dass  nirgends  hinter  diesem  i  das  eigentliche  Pluralzeichen  sich 


*)  Für  fiM-i-am,  tva-i-am,  vayam  rerlifilt  sich  zu  nuiyam  wie  -vMt  m  -«•«»,  wie  das 

Suffix  "vant  xu  ~mant  u.  s.  w. 
^)  statt  ma-«ma-t,  fva-tma-t. 
*)  Vpl.  Benfey.  Über  einigte  Pluralbildangen  des  indo^reniianiacheii  Verboia.   8.  ft. 

(Abhandlno^en  der  k.  GeteUsebafl  der  Wiatentckaften  ui  Gdttingea,  Bd.  Zlll.) 


Zur  Suflixlehre  des  iiido^ermiinischen  Verbums.  II.  201 

erhalten  hat,  nachdem  gerade  diese  Formen  in  allen  indogermani- 
schen Sprachen  sich  nachweisen  lassen?  Offenbar  sträubt  man  sich 
gegen  die  Erklärung  der  Formen  iS  =  ia-'i,  yS  «  ya-t  (wo  t  Plural- 
zeichen) nur  deswegen,  um  neben  -a»  noch  ein  zweites  Pluralzeicheif 
nicht  annehmen  zu  müssen  und  um  alle  Formen  wo  möglich  unter 
einen  Hut  zu  bringen.  Was  soll  man  aber  mit  vayam,  yuyam  an- 
fangen»  in  denen  wohl  an  keinen  Abfall  des  ^as  gedacht  werden 
kann?  Nachdem  man  doch  annimmt,  in  den  alterthümlichen  Formen 
tnahyam,  tubhyam  seien  durch  das  folgende  am  die  Urformen 
mabhit  tubhi  geschützt  worden,  warum  sträubt  man  sich,  dies  auch 

4 

vayam,  yüyam  zuzugestehen? 

Um  jedoch  zu  zeigen,  dass  die  Ansicht  von<  einer  Zusammen- 
setzung der  Pluralbildungen  der  personlichen  Pronomina  aus  zwei 
Singularstämmen  in  der  Geschichte  der  Sprachen  nicht  die  geringste 
Bestätigung  findet,  wollen  wir  die  Pronominalformen  der  semitischen 
Sprachen  und  des  Türkischen  einer  kurzen  Betrachtung  unterziehen. 
Die  semitischen  Sprachen  geboren  mit  den  indogermanischen  zu 
den  flectirenden  und  sind  daher  für  die  Erkenntniss  dieser  unter 
allen  rorhandenen  Sprachen  am  lehrreichsten ;  das  Türkische  gehört 
zwar  nicht  zu  den  flectirenden  Sprachen,  steht  ihnen  aber  als  an- 
fügende (agglutinirende)  Sprache  sehr  nahe.  Daher  müssen  wir 
diesen  beiden  Sprachen  gerade  in  Fragen  wie  die  uns  nun  beschäf- 
tigende ein  viel  grosseres  Gewicht  einräumen,  als  einigen  mit  einer 
gewissen  Vorliebe  herbeigezogenen  Idiomen  der  niederen  Formation, 
welche  überdies  noch  von  jenen,  welche  sie  anzuführen  pflegen, 
höchst  mangelhaft  verstanden  zu  werden  scheinen. 

Wenn  wir  das  semitische  Personalpronomen  (in  der  Form  der 
Ursprache)  uns  vergegenwärtigen: 

t.  Person     Sing,     aud^khi  Plur.     aita-x-nti 

2.  Person     Sing,     an-ta  Plur.     ait-^ti-ntä 

3*  Person     Sing,     huwa  Plur.     hu^mü 

so  zweifelt  wohl  Niemand  daran,  dass  die  Pluralformen  von  den 
Singularformen  mittelst  eines  Suffixes  -mü  oder  -nü  abgeleitet  sind, 
und  dass  an  keine  Zusammensetzung  zweier  Pronominalstämme  gedacht 
werden  kann.  Das  Suffix  -mä  (-nü)  wird  man  zwar  unter  den  Zahl- 
zeichen beim  Nomen  vergeblich  suchen,  es  ist  aber,  wenn  man  der 


202  M  u I I e  r 

Sache  ein  wenig  tiefer  nachspurt,  mehr  als  wahrscheinlich,  dass  die 
Zahlzeichen  -ünat  'ina,  -dni,  -an,  ^im^  ^in,  welchen  wir  in  den  ein- 
zelnen semitischen  Dialekten  begegnen,  nichts  anderes  als  die  Ver- 
bindung des  beim  Pronomen  in  seiner  ältesten  Gestalt  erhaltenen 
Zahlzeichens  -mü  (-nu)  mit  dem  jedesmaligen  Casus-Exponeoteo 
(Nom.  ti.  Gen.  /,  Acc.  d}  reprasentiren.  Damit  wäre  aber  auch  der 
innige  Zusammenhang  zwischen  Pronominal-  und  Nominalflexion 
innerhalb  des  selbständigen  Pronomens  aufgezeigt  (vgl.  meine  Ab- 
handlung „Der  Verbalausdruck  im  semitischen  Sprachkreise"  519  ff). 

Dasselbe  lässt  sich  aber  auch  an  den  Pronominalsulfixea  de» 
Verbums  darthun.  Auch  hier  steht  dem  -ta  der  zweiten  Person  inner- 
halb der  Suffixe  im  Plural  ein  -tumü  gegenöber,  innerhalb  der  Präfixe 
ein  ia-una  (vgl.  qaial-ia  „du  hast  getödtet",  gatal-tumü  „ihr  habt 
getödtet^,  ta-gtuluni^  tödtest**,  ta-qtul'&na  „ihr  tddtet«*).  Gleiches 
findet  sich  auch  oder  lässt  sich  föglich  auch  nachweisen  bei  der 
ersten  und  dritten  Person,  wo  nirgends,  wie  jeder  Kenner  der 
semitischen  Sprachen  weiss,  zur  Bezeichnung  der  Mehrzahl  eine  Zu- 
sammensetzung zweier  persönlicher  Pronominalstämme  sich  nach- 
weisen lässt. 

Zu  demselben  Resulate  gelangen  wir  auch  durch  eine  Betrach- 
tung des  türkischen  Pronomens. 

Die  Formen  des  selbständigen  Pronomens  lauten : 

1.  Person     Sing.     ^    (bän)  Plur.    Jj      ^W*? 

2.  Person     Sing.     ^  (sän)  Plur.    J-#  (^iz) 

3.  Person     Sing.     J^l    (ol)  Plur.    J^  (anlar) 

Wie  das  Tschuwaschische  zeigt,  sind  die  Pluralformeu  biz^  sis 
aus  bir,  sir  entstanden,  welche  in  6-tr,  s-ir  aufgelöst  werden  müssen. 
Auch  bän  (aus  min  entstanden),  sän  müssen  in  b-än^  9-^n  zerlegt 
werden,  so  dass  6-,  «-  als  die  eigentlichen  Charakterlaute  der  beiden 
Pronomina  übrig  bleiben.  Nun  sind  aber  A-ir,  s-ir  von  den  Stämmen 
b'9  S'  nicht  durch  Zusammensetzung,  sondern  mittelst  des  Suffixes 
-tV  abgeleitet,  welches  gewiss  nichts  anderes  ist,  als  das  Suffix  -^r, 
welches  auch  beim  Nomen  zur  Bildung  des  Plurals  verwendet 
wird. 


Zur  Suffixlebre  des  indog^ermaDitcheo  Verbums.  li.  203 

Dasselbe 'Princip  der  Pluralbildung  herrscht  auch  innerhalb  des 

Verbums,  dessen  Aoristform  Jc^Ua«)   gewiss  einen  reinen  Verbal* 

ausdruck  ebenso  gut  repräsentirt,  als  es  das  indogermanische  oder 
das  semitische  Verbum  im  Stande  sind  (vgl.  meine  Anzeige  von 
Schleicher's  „Die  Unterscheidung  von  Nomen  und  Verbum  in  der 
lautlichen  Form''  in:  Beiträge  zur  vergleichenden  Sprachforschung 
von  Kuhn  und  Schleicher,  Bd.  V,  S.  241  ff.). 

Man  vergleiche: 

Singular.  Plural. 

1.  Person      »jj^  (sävär-imj  jjj^    (aävär^iz) 

2.  Person      Cx^jy*  (sävär^sin)      y^^y^  (^sävär-siiüizj 

3.  Person     j^    (sämrj  J^x*  Oävär-lärJ 

Hier  wird  gewiss  Niemand  -t«  (statt  -miz)  und  ^siAiz  für  Zu- 
sammensetzungen zweier  Pronominalstämme  halten,  sondern  wird 
ebenso  wie  beim  selbständigen  Pronomen  -iz  für  ein  rein  formales 
Pluralsuflix  erklären  müssen. 

Nach  diesen  kurzen  Betrachtungen  müssen  wir  behaupten,  dass 
die  Ansicht,  nach  welcher  in  den  Pluralformen  des  indogermanischen 
Pronomens  eine  additionale  Zusammensetzung  zweier  Pro- 
nominalstämme  vorliegen  soll,  in  der  Sprachgeschichte  keine 
Bestätigung  findet,  sondern  dass  man  von  ihnen  aus  im  Gegentheil  auf 
die  Ansicht,  dass  zwischen  Pronomen  und  Nomen  in  der  Behandlung 
gar  kein  Unterschied  existirt,  hingeführt  wird. 

Doch  auch  zugegeben,  ein  solcher  Vorgang,  nämlich  additionale 
Zusammensetzung  von  zwei  Pr^onominalstämmen  sei  in  den  Plural- 
bildungen des  indogermanischen  Pronomens  wirklich  gelegen,  so 
müsste  derselbe  aus  dem  Bau  der  indogermanischen  Sprachen 
gerechtfertigt  werden,  d.  h.  es  müsste  gezeigt  werden,  dass  diese 
ganz  eigenthümliche  Art  der  Zusammensetzung  innerhalb  der  indo- 
germanischen Sprachen  wenigstens  beim  Nomen  besonders  beliebt 
gewesen  war. 

Nun  lässt  sich  aber  zeigen,  dass  diese  Art  der  Zusammensetzung 
(im  Indischen  Dvandva  genannt)  nur  dem  Indischen  und   dem  mit 


204  M  n 1 1 e  r 

ihm  ganz  nahe  verwandten  Erinisehen  geläufig  ist,  in  den  übrigen 
indogermanischen  Sprachen  dagegen  bis  auf  eiozelne  zweifelhafte 
Spuren  sich  nicht  findet»  daher  erst  nach  der  Zeit  der  Lostrennung 
des  Indo-Erdnischeii  vom  gemeinsamen  Stamme  sich  entwickelt  haben 
muss.  Wäre  diese  Form  der  Zusammensetzung  der  indogermuniseben 
Ursprache  eigenthiimlich  gewesen,  so  hätte  sie  sich  gewiss  gleich 
den  übrigen  Arten  der  Zusammensetzung  in  allen  indogermanischen 
Sprachen  erhalten  <)• 

Es  lässt  sich  also  die  weit  verbreitete  Lehre,  dass  in  den  Plural- 
bildungen des  indogermanischen  Pronomens  additiouale  Zusammen- 
setzungen zweier  verschiedener  Pronominalstämme  vorliegen  (vgl. 
Schleicher:  Die  Unterscheidung  von  Nomen  und  Verbum  in  der  laut- 
lichen Form  18/51 !,  wo  sogar  ein  wesentliches  Charakteristikoo  des 
Indogermanischen  anderen  Sprachen  gegenüber  daraus  gemacht 
wird)  nicht  rechtfertigen,  sondern  im  Gegentheil  lässt  sich  sowoU 
aus  einer  näheren  Betrachtung  der  indogermanischen  Composition5- 
formen,  als  auch  einer  Untersuchung  der  Pronomina  der  hoher 
organisirten  Sprachen  der  Nachweis  ihrer  Grundlosigkeit  leicht  fuhren. 

Nachdem  wir  oben  -m,  -«»  -/  als  die  ursprunglichen  Formen  der 
PronominalsufGxe  des  Verbums  angenommen  haben,  aus  denen  -mü 
-«t,  Wt  durch  Zusatz  eines  i  entstanden  und  deren  Plurale  --masu 
^tasif  -anti  analog  den  Bildungen  der  Nomina  zu  erklären  sind,  haben 
wir  damit  auch  der  allgemein  angenommenen  Erklärung  der  Medial- 
sufGxe  -mat,  -sai,  -tni,  -ma,  -«a,  ^ta  aus  einer  Verdoppelung  der 
Activsuffixe  -nii,  -«t,  'ti  widersprochen. 

Wir  müssen  nun  auf  diesen  Punkt  etwas  näher  eingehen.  Wa< 
nämlich  das  Verhältniss  der  schweren  Medialsuffixe  zu  den  leichten 
ActivsufSxen  betrifft,  so  werden  nach  Bopps  Vorgange  die  ersteren 
als  Verdoppelungen  der  letzteren  erklärt,  also  mai  ^^  fnami. 
sai  =»  Basi,  tat  =  tati.  Von  den  beiden  in  der  Verdoppelung  liegen- 
den Theilen  soll  der  eine  das  Subject  des  Verbal ausdruckes  wie  im 
Activ  bezeichnen,  während  der  andere  auf  das  Object,  welches  in  dem 
hier  zu  bildenden  Reflexiv-Ausdrucke  mit  dem  Subject  selbst  xusam- 
menfallt,  zu  beziehen  ist. 


0  Vgl.  Benfey.   l^bcr  einige  Plurilbildungen   des  indogermanischen  Verbum.    S.  1«. 
(Abbsndlungen  d.  k.  Getelltchsfl  d.  Wissenschaften  in  OSttingen.  Bd.  XIII.) 


Zur  SufÜziehre  dea  iiidog^ennanischen  Verbun«.  II.  20S 

Ohne  die  höchst  auffallende  Ecscheinung  des  regelmässigen 
Ausfalles  von  m»  B(tv)  und  t  zwischen  zwei  Vo«a)eii  in  der  indo- 
germanischen Ursprache  zu  betonen,  eine  Erscheinung,  welche  im 
Prakrit  vollkonunen  begreiflich  wäre»  aber  in  jeder  anderen  indo- 
germanisehen  Sprache  stark  bezweifelt  werden  müsste»  können  wir 
uns  auf  diese  Weise  wohl  eine  Erklärung  der  drei  Singularsuffixe 
•mot,  'Sai*  -tai  zurechtlegen»  sind  aber  ausser  Stande»  uns  das  Ver- 
hältniss  der  Plural-  und  Dual-Suffixe  des  Mediums  zu  jenen  des 
Activums  irgendwie  Torzustellen.  Sind  -madhau  •atUai  aus  ursprüng- 
lichen matva-  maivif  anta-  anti  entstanden  zu  erklären»  wie  einige 
Sprachforscher  dem  einmal  angenommenen  Grundsatze  consequent» 
behaupten»  oder  ist  bei  ihnen  eine  andere  Erklärung  zu  versuchen? 
Kann  Jemand»  der  von  den  Lautgesetzen  der  Sprache  überhaupt  eine 
richtige  Vorstellung  hat,  solche  Verstümmelungen  wie  matüa-  matvh 
anta-  anti  zu  madhai»  aniai  innerhalb  der  indogermanischen  Ur- 
sprache für  möglich  halten?  i).  Doch  lassen  wir  diese  Fragen  laut- 
licher Natur  vor  der  Hand  bei  Seite  und  sehen  wir  uns  die  Singular- 
Formen  -mat»  ngat»  •tai  im  Verhältniss  zu  -mi,  -9t»  -ii  etwas  näher  an. 

Über  das  Verhältniss  dieser  beiden  Formen  zu  einander  kann 
eine  doppelte  Ansicht  vorgebracht  werden»  je  nachdem  man  in  ma" 
mi  =  ma-mot  tva-tvi  =  tva-iva»  ta^ti  ==»  ta^ta  entweder  das  erste 
Element  als  Subjects-  und  das  zweite  als  Objects-Ausdruck  oder 
umgekehrt  betrachtet.  Darnach  lautet  tudatai  »»er  schlägt  sich^  » 
tudu-ta-ta  entweder  »»schlägt  er  sich**  oder  »»schlägt  sich  er**,  d.  h. 
entweder  ist  das  an  erster  Stelle  stehende  -/a  Subject  zu  dem  Prä- 
dicate  tuda--  und  das  an  zweiter  Stelle  stehende  -ta  das  an  die  Activ- 
form  tudata  (NB*  zu  jener  Zeit,  wo  a  zu  Ende  noch  nicht  in  i 
geschwächt  worden  war!)  gehängte  Objectsuftix,  oder  ist  das  au 
zweiter  Stelle  stehende  ^ta  Ausdruck  des  Subjectes  und  das  vor  dem- 
selben stehende  -ta  der  das  von  der  Handlung»  welche  in  tuda',.Ma 
liegt,  abhängige  Object  bezeichnende  Ausdruck. 

Beinahe   alle   Sprachforscher»    wenigstens   alle,    welche   zur 
Bopp*schen  Schule  sich  zählen»  wie  Schleicher  u.  a.»  stimmen  nun  mit 


^)  So  lange  als  solche  monatröse  Bildungen  und  Zerstörungen  bef  der  ErklKrung  der 
Plnral-  und  Dual-Suffixe  und  der  Suffixe  des  Mediums  angenommen  werden,  so 
lange  ist  man  mit  Fug  berechtigt,  die  Erklfirungen  der  Singular-Suffixe,  und  mögen 
sie  vom  lautlichen  Standpunkte  noch  so  gut  begründet  sein,  für  rerfehlt  anzusehen. 


206  Müller 

mir  darin  öberein,  dass  tnda^»  bodka"  in  den  Verbalformen  des  indo- 
germanischen PrSsens  tuda-H,  bodha-ii  eine  mittelst  des  SufBies  -a 
aus  der  Wurzel  (^iud,  budh)  abgeleitete  primäre  Bildung  repräsen- 
tiren,  welche  als  solche  ihrer  Natur  nach  indifferent  ist,  d.  b.  weder 
ein  Verbum  noch  ein  Nomen  bezeichnet,  welches  sie  erst  dann  wird, 
je   nachdem  sie   entweder  mit  den  personlichen  Pronominalsudhen 
oder  mit  Casusendungeu  in  Verbindung  tritt.  Der  Unterschied  zwi- 
schen Verbum  und  Nomen  beruht  nach  dieser  Ansicht  nicht  auf  dem 
verschiedenen    Baue   des   beiden   zu   Grunde  liegenden,    auf  eine 
bestimmte  Stoff- Wurzel  zurückgehenden  Themas,  sondern  auf  der 
Behandlung  des  letzteren,  je  nachdem  es  mit  einem  zu  ihm  im  Ver- 
hältnisse des  Subjects  zum  Pradicate  stehenden  personlichen  Pro- 
nominalelemente, oder  mit  einem  es  naher  determinirenden,  ron  ihm 
abhängigen  deiktischen  oder  Raumelemente  verbunden  wird.   Wir 
haben  dann  im  ersteren  Falle  ein  Verbum,  im  letzteren  Falle  dagegen 
ein  Nomen  vor  uns  (vgl.  Schleicher,  Die  Unterscheidung  von  Nomen 
und  Verbum  in  der  lautlichen  Form   und   meine  Anzeige  desselben 
in:  Beiträge   zur  vergleichenden  Sprachforschung  von   Kuhn    und 
Schleicher,  Bd.  V,  ebenso  Schleicher,  Compendium.  II.  Aufl.  S.  512 
und  660  ff.). 

Gehen  wir  nun  an  der  Hand  dieser  gewiss  richtigen  Ansicht 
von  der  ersten  der  beiden  oben  gegebenen  Auffassungen  des  Medium 
aus  als  eines  Verbalausdruckes,  an  den  sich  wie  in  den  semitischen 
Sprachen  der  Ausdruck  des  Objectes,  sowohl  des  näheren  als  des 
entfernteren,  derart  geheftet  hat,  dass  er  mit  ihm  endlieh  zu  einer 
Einheit  verschmolz,  so  müssen  wir  die  Formen  iudamai  =»  tudä" 
ma-mu  tudasai  =  tuda^iva^tvi  etc.  parallel  den  semitischen  Formen 
^aial^^ia^ni,  qatal^ta*hu  etc.  als  active,  mit  Pronom in at Suf- 
fixen <)  versehene  Verbalformen  erklären.  Es  fragt  sich  dann,  ob 
sich  solche  Formen  innerhalb  der  indogermanischen  Sprachen  auch 
rechtfertigen  lassen. 

Solche  Formen  sind  aber,  wie  wir  ohne  Weiteres  bemerken 
können,  auf  dem  Gebiete  der  indogermanischen  Sprachen  ganz  und 
gar  unmöglich,  da  Possessiv- und  Objectssuffixe  (ausser  in  einigen 


*)  Suffixe  afisven  es  sein,  da  Mch  nur  elto  die  Schwichanf^  von  «  so  k«  w««b  ««fi 
«rheinbar.  rechtfertigen  lisst. 


Zur  SiifBxlehre  dea  indogerniftnitehen  Verbums.  II.  207 

neueren  erdnischen  and  indischen  Sprachen,  wo  sie  auf  semitische 
Einflösse  zurückgeführt  werden  müssen)  hier  nirgends  nachgewiesen 
werden  können. 

Wahrscheinlich  war  es  auch  diese  Wahrnehmung,  weiche  in 
Verbindung  mit  Erwägungen  lautlicher  Natur  die  meisten  Forscher 
in  neuester  Zeit  bewogen  hat,  die  Ausdrucke  tudamai,  fndasai, 
tudaiai,  in  tudorma-mh  tuda-aa-sh  tuda-ta-H  oder  in  tuda-md-mu 
tuda-sd-si,  tuda-fä-t^  derart  zu  zerlegen,  dass  in  den  schliessenden 
SufGxen  -mi,  -»,  -/i  die  das  Subject  des  Verbalausdruckes  bezeich- 
nenden persönlichen  Pronominalelemente  in  den  vorangehenden  mä, 
«a,  tat  dagegen  die  vom  Verbalausdrucke  abhängigen  Objectformeu 
stecken  sollen.  Es  fragt  sich  nun,  ob  diese  zweite  Auffassung  der 
Medialformen  sich  rechtfertigen  lässt,  ob  sie  mit  den  sonst  wahr- 
nehmbaren Gesetzen  der  indogermanischen  Sprachen  in  Überein- 
stimmung sich  befindet? 

Um  diese  Frage  gehörig  zu  entscheiden,  müssen  wir  uns  ver- 
gegenwärtigen, dass,  wie  wir  oben  gezeigt  haben,  der  im  Wurzel- 
theile  des  Verbums  steckende  Ausdruck  ein  indifferentes  Nominal- 
Verbal-Thema  reprasentirt ,  wornach  tudami  =  schlagend  -f  ^^^9 
tudasi  =  schlagend  +  du,  tudaii  =  schlagend  -f  ^^^  gegenüber 
von  tuda-8  schlagend  -{-  dieser,  tudn-sya  (auf)  schlagenden  -{-  Bezug 
habend  u.  s.  w.  bedeuten.  Darnach  sind  tuda-ma^mi,  tuda-äa-ai 
fuda-ta-ti  Verbindungen  der  subjectiven  Pronominalausdrücke  -miy 
'Sif  'ti  mit  den  Prädicatausdrücken  tuda-ma,  tuda^sa,  tuda-ta, 
welche  nichts  anderes  als  Zusammensetzungen  des  Themas  tuda^ 
mit  den  Pronominalstämmen  ma-,  «ar,  ta-  sein  können. 

Nun  sind  den  indogermanischen  Sprachen,  im  Gegensätze  zu 
anderen,  Wortzusammensetzungen  überaus  geläufig,  namentlich  die 
indogermanische  Ursprache  zeichnete  sich  durch  eine  Fülle  dieser 
überaus  plastischen  Bildungen  aus.  Diese  Wortzusammensetzungen 
sind  aber  in  |)etrefl^  der  Stellung  der  einzelnen  Glieder  zu  einander 
bestimmten  Gesetzen  unterworfen,  nach  welchen  das  abhängige 
stets  demjenigen,  von  welchem  es  abhängt,  vorangehen  muss.  Nur 
die  Participialbildungen  auf  -an^,  insoferne  sie  als  regierendes  Glied 
auftreten,  machen  eine  Ausnahme ;  sie  gehen  nämlich  demjenigen 
Ausdrucke,  welcher  von  ihnen  abhängig  gedacht  werden  muss,  vStets 
voran. 


208  M  u  1  l e  r 

Die  Participialbildungen  auf  ^ant  gehören  aber,  im  Vergleich  mit 
anderen  Bildungen,  einer  späteren  Periode  der  indogermanisebeD 
Ursprache  an,  was  schon  daraus  hervorgeht,  dass  sie  nicht,  wie  die 
Bildungen  in  -a,  -ya»  ^na*  -nu  u.  s.  w.  als  indifferente  Nominal-  und 
Verbalthemen  auftreten  können.  Sie  erscheinen  also  zwar  als  eine 
Ausnahme  vom  alten  indogermanischen  Compositionsgesetze,  sie  ver- 
rathen  sich  aber  sofort  eben  dadurch  als  ein  Product  einer  verhält- 
nissmässig  späteren  Periode.  • 

Betrachten  wir  nach  diesen  Erwägungen  die  supponirteo  Wort- 
zusammensetzungen tuda-mOf  tuda-sa»  tuda'4a»  so  müssen  wir 
gestehen,  dass  sie  als  solche  vollkommen  unmöglich  sind,  indem  sie 
den  Gesetzen  der  indogermanischen  Sprachen  geradezu  wider- 
sprechen. Ebenso  wenig  als  etwa  innerhalb  der  semitischen  Sprachen 
eine  im  Geiste  der  indogermanischen  Sprachen  ganz  correcte  Wort- 
zusammensetzung möglich  erscheint  (wie  z.  B.  /iia^  Jjob  IIL  S  aU 
„Schatten  des  Todes**»  während  es  von  q^  mittelst  des  Suffixes 
~uth  abgeleitet  werden  muss),  ebenso  wenig  kann  eine  Compositiou, 
in  weicher  das  regierende  Glied,  §ofern  es  kein  Participium  auf  Hiit/ 
ist,  die'  erste  und  das  regierte  Glied  die  zweite  Stelle  einaimmt, 
innerhalb  der  indogermanischen  Sprachen  überhaupt  als  richtig 
angesehen  werden.  Soll  eine  indogermanische  Wortzusammensetzung 
richtig  sein,  so  muss  unbedingt  das  regierte  Glied  an  erster,  das 
regierende  Glied  an  zweiter  Stelle  stehen.  Daher  musste  der  in  den 
eben  citirten  Formen  tudama-t  tudasa-,  tudaia-  supponirte  Aus- 
druck, soll  er  den  Gesetzen  der  indogermanischen  Sprachen  ent- 
sprechen, ganz  anders,  nämlich  umgekehrt  ma-tuda^  sa-tudüp  ta^-tuda 
(nach  späterer  indischer  Darstellung  mat-indat  tvaMuda,  iat-tuda) 
lauten. 

Indessen  bleibt  noch  ein  Ausweg  übrig,  nämlich  die  Formen 
tudamuu  hidasaif  hidatai  als  Verbindungen  des  activen  Verbalaus- 
druckes mit  dem  pronominalen  Objectsausdruck  zu  deuten,  indem 
man  dieselben  aus  tudamdu  tudasdu  tudatdi  ftudaf^dmu  tudasdn, 
tudatdti)  abgekürzt  erklärt  und  die  Elemente  md,  sd,  td  als  infigirte 
Accusativ-Ausdrücke  der  Stämme  ma-,  /ra-,  ^a-  betrachtet.  Damit 
müsste  man  zugleich  einen  durch  lange  Zeit  bestandenen  losen 
Zusammenhang  zwischen  dem  aus  der  Stoffwurzel  (tudj  gebil- 
deten Thema  (tud-a)  und  den  persönlichen  Suffixen  ('^miy  ^su  -ti) 
annehmen,  der  es  diesen  Accusativ-Elementen  zur  Zeit  der  Bildung 


Zur  Suffizlehre  des  indogerminisckeo  Verbums.  II.  209 

des  Mediums   gestattete,   zwischen    die   beiden   Bestandtheile   des 
activen  Verbalausdruckes  sich  einzudrSngen. 

Eine  solche  Annahme  ist  aber  aus  doppeltem  Grunde  nicht  statt- 
haft. Einerseits  widerspricht  ein  solcher  loser  Zusammenhang  zwi- 
schen den  beiden  Theilen  des  Verbalausdruckes  dem  Principe  der 
Flexion,  deren  Wirkungen  ja  überall  an  den  Suffixen  ganz  offen  zu 
Tage  treten,  andererseits  ISsst  sich  das  Princip  der  Infigirung,  auf 
welchem  diese  Formen  beruhen  müssten,  innerhalb  der  indogermani- 
schen Sprachen  nicht  nachweisen. 

Aber  noch  ein  Hauptgrund  spricht  entschieden  dagegen.  Sind 
nämlich  md,  »ä  (tvd),  td  Accusative  (und  ihre  Form  gegenüber  den 
Stämmen  mci-»  iva-^  ta^  schliesst  diese  Annahme  nothwendiger  Weise 
in  sich  ein),  so  ist  damit  auch  die  Ansicht  ausgesprochen,  dass  zu 
jener  Zeit,  in  welcher  sie  in  den  Verbalkorper  eindrangen,  die  Sprache 
fertige  Casusformen  bereits  kannte.  Ob  aber  mit  der  Annahme  TOn 
C  asusformen  ein  so  flüssiger  Zustand  des  Verbums  sich  rereinigen 
lässt,  wie  er  hier  postulirt  wird,  ist  eine  Frage,  welche  wohl  kaum 
irgend  ein  besonnener  Sprachforscher  bejahen  dürfte. 

Nach  diesen  Betrachtungen  bleibt  uns  noch  übrig,  unsere  Ansieht 
über  dieses  Thema  zu  präcisiren  und  namentlich  die  Entwicklungs- 
geschichte der  Suffixe  in  kurzem  darzulegen. 

Wir  unterscheiden  in  dieser  Beziehung  fünf  Perioden,  welche 
sämmtlich  in  die  indogermanische  Ursprache  fallen.  Es  sind  dies 
folgende: 

I.Periode.  Identität  der  Verbalsuffixe  mit  den  persönlichen 
Pronominalstämmen,  Mangel  einer  näheren  Zahl-  und  Zeitbestimmung. 
Die  Verbalformen  lauten:  tuda^ma*  tuda-tva,  tuda^ia. 

2.  Periode.  Inniges  Zusammenschi iessen  der  beiden,  den  Ver- 
balausdruck bildenden  Theile  zu  einer  Form,  womit  die  Verkürzun^r 
der  accentlosen  SufBxe  verbunden  ist.  Die  Verbalformen  lauten: 
tuda-m^  tuda-tv  (tnda-s)^  tuda-i. 

3.  Periode.  Entwicklung  der  Zahlbezeichnung  und  zwar 
zuerst  Gegensatz  zwischen  der  ersten  Person  einerseits  und  der 
zweiten  und  dritten  Person  andererseits.  Die  Verbalformen  lauten : 

1.  Person  Einz«     tuda-m  2.  Person  Einz.     tuda^-tv  (tuda-n) 

Mehrz.  tiida-mas  Mehrz.  luda^tvana 

SiUb.  d.  phil-hist.  Ol.  LXVI.  Bd.  1.  Hft.  i4 


210  Muller 

3.  Person     Einz.       tuda-t 

Mehrz.   tuda-^ana 

■ 

Später  bilden  sieh  nach  Analogie  von  fudamas  auch  die  Formen 
der  zweiten  und  dritten  Person:  tudatva»  und  tudatas^ 

Zuletzt  entwickelten  sich  durch  Differenzirung  der  Hehrheits- 
formen  der  Dual  und  der  Plural,  bei  welcher  Gelegenheit  auch  in 
der  ersten  Person  neben  "mas  eine  Form  -t?a«  (eine  lautliche 
Differenzirung  der  ersteren)  auftritt  t). 

4.  Periode.  Bildung  des  Reflexivausdruckes  mittelst  eines 
hinter  den  Verbalausdruck  gestellten  a  (Pronominalstamm  der  dritten 
Person).  Dieses  Element  steht  ursprünglich  mit  dem  Verbalausdruck 
in  keiner  näheren  Verbindung»  schmilzt  aber  in  der  Folge  mit  ihm, 
gleichwie  das  se  im  Latein  (vgl.  das  Slavische  und  Litauische)  zu- 
sammen. 

fi.  Periode.  Determinirung  des  Präsens  mittelst  eines  ange- 
fügten -j  (Pronominalstamm,  der  auf  das  Nächstgelegene  hinweist) 
gleichzeitig  mit  der  Determinirung  des  Imperfectums,  des  Aorists  etc. 
mittelst  eines  vorgesetzten  -a  (Prononünalstamm,  der  auf  Entferntes 
hinweist). 

Dabei  ist  zu  bemerken,  dass  nach  Vollendung  der  verschiedeneo 
Suffixformen  mehrere  derselben,  namentlich  die  consonantiscb 
schliessenden ,  den  sich  geltend  machenden,  zersetzenden  Laut- 
gesetzen anheimfielen.  So  wurde  aus  der  Form  -mas  frühzeitig  mo. 
während  in  mas'i  das  s  durch  das  folgende  i  geschützt  worden  tu 
sein  scheint. 

Gegen  manche  dieser  Annahmen  lassen  sich  wohl  Einwendungen 
erheben,  welche  durchgehends  lautlicher  Natur  sind.  Wir  wollen 
die  zwei  wichtigsten  derselben  etwas  näher  ins  Auge  fassen. 

L  Da  der  Activform  -mafn  die  Medialform  -madhai  (altind. 
"fnahS^  altbaktr.  -maidhS  oder  -maidi»  griech.  -fjie^^a)  gegenüber 
steht,  so  kann,  da  dh  aus  s  sich  nicht  erklären  lässt,  in  -a«-,  -a^ 
unmöglich  ein  Pluralzeichen  stecken,  sondern  die  Form  mass,  da  ik 


^)  ^gl*  Benfey.  Über  einige  Pluralbildungen   des  indogannaniecbcn  Verbttme.  5.  5  f 
(Abhindlungen  d.  k.  Geaelltchaft  d.  Wissentchiflen  in  GdttiB|r«n.  Bd.  XfU.) 


Zur  SuHfixlehre  des  indogerminischeo  Verbums.  11.  211 

oft  aus  tv  entsteht  (vgl.  das  Suffix  -ufAt  des  Imperativs,  ferner  die 
Suffixe  'dhvam.  -dhvS^  welche  mit  tva^  Eusammeahängen  müssen) 
als  Coropositioii  der  beiden  Stamme  ma  und  tva,  wornach  ^wir*'  »» 
ich  -f-  du,  aufgefasst  werden.  Gegen  diesen  Einwand  bemerken  wir, 
dass  das  dh  nicht  nothwendig  auf  eine  Form  ma-tva  hinfuhrt, 
sondern  dass  möglicher  Weise  im  Pronomen  der  ersten  Person 
eine  uralte  Zahlbildung  mittelst  dva  „zwei**  vorliegt  (vgl.  die  Bil- 
dungen der  polynesischen  Sprachen)  und  dass  aus  der  Form  ma-dva 
„ich  —  Ewei**  frühzeitig  mit  Anlehnung  an  das  Pluralsuffix 
»as  eine  Form  -mos  sich  bildete,  welche  später  in  die  Pluralform 
-man  und  in  die  Dualform  ^as  gespalten  wurde «). 

II.  Da  0  im  Griechischen,  falls  es  auslautet,  nie  altem  auslauten- 
den n  entapricht,  sondern  entweder  auf  den  Abfall  der  Consonanten 
8,  i^  d  oder  eines  t  schliessen  lässt,  so  kann  in  den  Suffixen  -ro  = 
altind.  -^a,  -ovro  =  altind.  -an/a,  das  schliessende  o  auch  nicht  ur- 
sprünglich im  Au^^laute  gestanden  haben,  sondern  es  muss  hinter 
demselben  einmal  ein  Laut  vorhanden  gewesen  sein  >).  Was  ist  nun 
einfacher,  als  anzunehmen  -ro,  -^a,  -ovro,  -ania  seien  aus  -taU 
-antat  abgekürzt?  Dies  zugegeben,  muss  an  der  Ursprünglichkeit  der 
Präsenssufßxe  -mt,  -«»,  -ti,  -mai^  -»ai,  -tat  etc.  festgehalten  werden, 
woraus  natürlich  auch  die  Verkürzung  der  Imperfect-Aorist-SufSxe 
aus  den  Prasenssuffixen  von  selbst  sich  ergibt. 

Dagegen  bemerken  wir,  dass  das  griechische  o  (das  altind.  a) 
zu  Ende  dieser  Medialformen  nicht  als  ein  ursprünglich  inte- 
grirender  Bestandtheil  der  Suffixe,  sondern  als  eine  erst  nach 
und  nach  mit  denselben  verwachsene  Partikel  zu  betrachten  ist.  Es 
ist  also  lautlich  nicht  mit  demselben  Masse  wie  ein  im  Auslaute 
stehender  Vocal  zu  messen.  Wenn  wir  annehmen,  a  bilde  für  sich 
einen  Bestandtheil  des  Suffixes,  so  begreifen  wir  auch  griechisch 
ai  SS  altind.  S  (ai)*  indem  auch  hier  die  beiden  Bestandtheile  des 


^)  Wenn  -mati  wirklich  lof  -ma  -\-  toi  hinfuhrt,  wofür  der  Beweis  in  der  Mediilform 
-madhai  stecken  soll,  warum  lautet  die  Aledialform  von  'tfuui  nicht  -thadhaif  leb 
glaube,  wenn  die  obige  Annahme  richtig  wire,  so  hätte  sich  die  Sprache  diesen 
schönen  Parailelismus,  der  auch  in  -mi,  -W,  -f«',  -masi,  -^nti  unverkennbar  vor- 
liegt, nicht  so  leicht  entgehen  lassen. 

')  Vgl.  Kuhn  in  der  Zeitschrift  für  vergleichende  Sprachforschung.  Bd.  XV.  8.  410. 


212  Maller,  Zur  SufBilehre  des  indogermaniacheii  Verbnoi«.  II. 

Diphthongs  a  und  t  erst  nach  und  nach  mit  einander  zu  einer  Einheit 
verschmolzen  worden  sind.  Das  griechische  at  in  -juicee,  «aae,  -rai  ist 
etwa  ebenso  wie  in  itaii*  oder  wie  das  oi  im  Optativ  der  schwachen 
Verba  entstanden  *). 


1)  De*  a  in  ai  der  griechiacben  Suffixe  -(A,ai,  -9ai,  -rat,  -vroct  Ut  bekannUieli 
kurz;  wfire  oci  =  at*,  wie  manche  Gelehrte  annehmen  lu  mfiaaen  glaobeo,  so 
musate  a  lang  eein  und  diese  Suffixe  müssten  dann  -{aqc,  -ffa,  -ro,  -vra  oder  -|t^, 
-9ip,  -np,  -vrp,  lanten  (vgl.  ofKOi  =»  altind.  vfyS  ^g^enuber  tod  otx«i=s««^' 
attind.  vepdff-ü). 


M  fi  M  «»  r,  Die  Voealsteigerun^  der  indogermaBiachen  Sprachen.  213 


Die  Vocalsteigerung;  der  indogermanischen  Sprachen. 

Von  Dr.  Friedrich  Muller, 

ProfMtor  aa  der  Wieaer  Uairantif  t. 

Eine  den  indogermanischen  Sprachen  ganz  eigenthOmliche  Er- 
scheinuogy  durch  welche  sie  vor  allen  andern  Sprachen  sich  aus- 
zeichnen, ist  die  Vocalsteigerung.  Auf  ihr  basirt  hauptsachlich  die 
indogermanische  Flexion,  jenes  Princip,  auf  welchem  die  indogermani- 
schen Sprachen  als  solche  beruhen.  Durch  die  Vocalsteigerung  stehen 
die  indogermanischen  Sprachen  zu  den  beiden  anderen  flectirenden, 
nämlich  den  semitischen  und  den  hamitischen  Sprachen,  in  einem 
förmlichen  Gegensatze. 

Wir  fassen  die  Flexion  als  eine  innige  Verbindung  tou  Stoff- 
und  Form-Elementen  zu  einer  die  Sprachform  begründenden  Einheit. 
Sie  existirt  also  nur  dort,  wo  die  Scheidung  zwischen  Stoff  und  Form 
Torhanden  ist  und  Stoff-  und  Formwurzeln  ?on  der  Sprache  strenge 
auseinander  gehalten  und  ihrer  Natur  nach  angewendet  werden. 
Sprachen,  welche  zwar  Stoff  und  Form  in  der  Rede  scheiden,  aber 
die  Form  lautlich  nicht  bezeichnen,  können  also  eine  Flexion  nicht 
besitzen. 

Eine  Scheidung  Ton  Stoff  und  Form  finden  wir  in  den  drei 
entwickeltsten   Sprachen    der    mittelländischen  Rasse,    den   indo- 
germanischen» semitischen  und  hamitischen  nSmIich.  durchgeführt. 
Von  einander  aber  sind  diese  drei  Sprachstämme  wieder  durch  die 
Behandlung  der  Stoffelemente  während  des  Processes  der  Formbil- 
dung streng  geschieden.  Die  hamitischen  Sprachen  Tcrwenden  dabei 
die  Stoffelemente  theils  in  ihrer  ursprünglichen  Einfachheit,  theils 
zu  concreten  Stämmen  entwickelt,  die  semitischen  Sprachen  nur  in 
der  letzteren,  in  ihrer  vollsten  Entwicklung  auftretenden  Form.  Dabei 
bleiben  wieder  die  Stoffelemente  in  ihren  lautlichen  Bestandtheiien 


214  Malier 

entweder  yollkommen  unverändert,  oder  werden  durch  vullige  Wand- 
lung ihrer  Vocale  modificirt. 

In  den  indogermanischen  Sprachen  dagegen  werden  die  Stoff- 
elemente, sobald  sie  mit  den  Formelementen  verbunden  werden,  in 
ihren  vocalischen  Bestandtheileu  gewissen  Gesetzen  unterworfen. 
Wenn  wir  auch  den  Grund  dieser  Gesetze  in  den  wenigsten  Fällen 
errathen  können,  so  scheint  es  dennoch  im  allgemeinen  gewiss  zu  sein, 
dass  jenes  Element,  welches  von  denselben  betroffen  ward,  als  das 
innerhalb  der  Wortform  wichtigste  angeseUbii  wurde. 

Unter  diesen  Gesetzen  ist  das  Gesetz  der  Vocalsteigeruug 
das  bedeutendste.  Dasselbe  besteht  in  der  regelmässigen  Verstärkung 
des  Vocals  der  Stoffwurzel  und  zwar  zunächst,  da  a  den  beiden 
andern  Vocalen  i  und  u  gegenöber  ohnedies  als  stärker  gilt,  iu  der 
Verstärkung  eines  t  und  u  der  Stoffwurzel  durch  ein  vortretendes  n. 
Dieses  a  stellt  nichts  anderes  dar,  als  das  kräftigere,  längere  Aus- 
holen der  im  Vocalansatz  befindlichen  Sprachorgane.  Die  auf  diese 
Weise  gewonnenen  Laute  ai,  au  sind  nicht  etwa  Doppellaute,  also 
a-^-i^a-^-Uf  sondern  einfache  Laute,  nämlich  t,  u  mit  einem  die  KraH 
der  dabei  betheiligten  Organe  bezeichnenden,  sie  einleitenden  a  9. 

Nach  unserer  Ansicht  war  innerhalb  der  indogermanischen  Ur- 
sprache die  Vocalsteigerung  1 .  ursprünglich  nur  den  beiden  Vocalen 
t  und  u  eigen  gewesen  und  hat  erst  später  nach  Analogie  dieser 
auch  bei  a  durchgegriffen»  2.  hat  sie  sich  stets  nur  auf  den  Wurzel- 
vocal  beschränkt  und  3.  war  sie  nur  eine  einfache  (die  erste). 

Diese  Ansicht  steht  mit  der  gangbaren  im  Widerspruche,  nach 
welcher  1.  die  Steigerung  sowohl  dem  t  und  u  als  auch  dem  a  ur- 
sprünglich zukommt,   2.  dieselbe  nicht  nur  innerhalb  der  Wurzel, 


*)  Man  wird  nach  uiuereii  Bemerkangeii  eioMheii,  dtu  die  von  Steinlhal  m  ««i««« 
trefflichen  Werke:  Chanikterietik  der  heuptsichlicbeB  Typen  des  Sprechbasei, 
S.  3Z7  gegebene  Bestimmung  der  drei  Sprackttfimme,  de»  indogermaaieeiieni. 
semitischen  and  hamitischeu  nicht  giinx  genau  ist.  Ich  wurde  dieselbe  etwa  also 
fassen:  B.  Formspracben  1.  Nebensetsend  (Chinesich),  t.  Abwanddnd:  m)  dvch 
Verbindung  des  graamatischeu  Elementes  (Pri-  oder  Sollxe)  mit  der  Wnrsel 
(Hamitiscb){  b)  dorch  Umbildung  der  Wursel  som  dreisilbigeu  Stamme*  regel- 
mtfsslge  Umwandlung  des  Vocales  desselben  und  Verbindung  mit  den  gramnatuehea 
Elementen,  PrS-  oder  Suffixen  (Semitisch)  ;  c)  durch  Verbindung  der  Saflixe  mit 
der  in  ihrem  yocalischen  Bestandtheile  afficirten  (gesteigerten  oder  gescfawichtea) 
Wurxel  (Indogermanisch). 


Die  Vocalsteigeruog  der  indogermanischen  Sprachen.  215 

soadern  auch  innerhalb  der  Suffixvocale  stattfindet,  und  3.  diese 
ursprünglich  eine  zweifache  war,  nämlich  eine  erste  (im  Altindi- 
schen Gui^a)  und  eine  zweite  (im  Altindischen  Vrddhi  genannt).  Vgl. 
Schleicher»  Compendium  2.  Auflage.  S.  11. 

Wir  werden  nun  im  Nachfolgenden  diese  drei  Streitfragen  der 
Reihe  nach  einer  Betrachtung^  unterziehen. 

I.  Die  Steigerung  kommt  ursprünglich  nur  den 
beiden  Vocalen  i  und  u  zu,  erst  später  hat  sich  nach 
und  nach  eine  Steigerung  des  a  entwickelt 

Dieses  Factum  geht  namentlich  aus  dem  Umstände  herTor,  dass 
wir  in  allen  indogermanischen  Sprachen  nur  die  Steigerungen  von  i 
und  u  gegenseitig  einander  entsprechen  sehen.  Dies  ist  bei  a  dagegen 
nicht  der  Fall,  sondern  hier  offenbart  sich  selbst  innerhalb  einer  ein- 
zelnen Sprache  ein  bedeutendes  Schwanken. 

Im  Altindischen  gilt  a  als  erste  Steigerung  ?on  a,  so  dass  a 
sowohl  den  Grundvocal  a  als  auch  den  Gnj^  desselben  darstellt 
Diese  Regel  ist  jedoch  nicht  ganz  zutreffend,  da  sich  zeigen  lässt, 
dass  neben  a  auch  d  als  Guna  von  a  auftritt. 

Das  primäre.  Suffix  ^aa  hat  im  Alt  indischen  erste  Steigerung 
des  Wurzelvocals  in  seiner  Begleitung.  Man  bildet  daher  von  der 
Wurzel  prtt-  die  Form  grav^as»  von  der  Wurzel  ti^^  die  Form 
t^y^as  (taig-asjf  von  der  Wurzel  gau"  die  Form  ^an-as,  von  der 
Wurzel  va^'  dagegen  die  Form  vd^aa  ^). 

Die  Causal  -  Verba  im  Altindischen  legen  der  Ableitung  mittelst 
des  secundären  Sutlfixes  -ya  ein  primäres  Nomen  in  -a  zu  Grunde, 
dessen  Vocal  regelmässig  durch  erste  Steigerung  aus  dem  einfachen 
Wurzel vocal  hervorgegangen  ist  So  bildet  man  von  der  Wurzel 
budh'  den  Causalstamm  bödha-ya-f  von  der  Wurzel  k^ip-  den  Causal- 
stamm  k^epa-ya-t  von  der  Wurzel  tarp-  (altindisch  unter  der  ver- 


^)  Man  Tergleiohe  Altindiech:  ^ei^iUi  tegoi,  tav'Ot,  por-o«,  pram-^u,  rnh-at^  vaS^at, 
rddh'M^  «of-M;  Althaktritch  :  dvaei-ahh,  /kaee-anh,  aog-anh,  öomM-mA,  r«<Kf-aiiik, 
frütk-anh,  matt'ahht  tini'anh^  nim-anh;  Griechiech:  «rd-o;,  veix-of,  af^-o^,  |Aia- 
OS»  C«w7-off»  «Ox-o«,  xOd-oj,  ©x-oj  (vgl.  ^x'^'VO*  xopoS  (vgl.  xara-xopiQc, 
;rpo j-xop-;^^  and  xop^vvujAi  =  xopi 9-vjfJii)  jrdpoc  (vgl.  ffrop^vvufu  =  aropig^ 
vu(A,i),  X^5-o^,  fx^^-oj,  fi^x-o;,  a^-oj,  oXy-of,  j3a^-oc,  ßdp-of  j3Xdj3-oj, 
Ko^'og^  nrXdr-oCt  ßA-o$,  ]3pf ^o(,  7^v-o(,  dip-oi,  pin^oi^  cX-o(,  ^er-o(,  cjpx- 
o(,  fiiv-0(,  vif'oq^  9T^v-o;,  reX-o^;  Latein:  foe&-U9  Cfoid-oiJ^  eorp'-us,  op-M, 
yenrit^i  AlUlaviseh:  »Unt^-tM,  a«ö-e#,  oe-M  (für  Qk~et). 


216  Mu 1 1 e  r 

kanten  Form  trp»  auftretend)  den  Causalstamm  tarpa''ya''9  vod  der 
Wurzel  voB'  dagegen  den  Causalstamm  väsa^yot  von  der  Wurzel 
sad'  den  Causalstamm  säda^ya  (im  Gotischen  saijan  steckt  dagegen 
der  Stamm  «aiia-ya)*).  Nach  Analogie  der  letzteren  bildete  man 
später  auch  von  gru-  den  Causalstamm  ^dva-ya^  von  iH  den  Causal- 
stamm cäya-ya  (neben  dem  auch  ^der  ältere  Stamm  öaya-ya  vor- 
kommt). 

Im  Griechischen,  wo  wir  den.Vocal  a  bald  als  reines  a  erhalten« 
(a),  bald  zu  i  geschwächt  (e),  bald  zu  o  verdumpft  sehen  (c), 
erscheint  an  der  Stelle  des  altindischen  gunirten  a  in  der  Regel  o, 
an  der  Stelle  des  altindischen  d  dagegen  ä,  v;  oder  eu.  Daher  kommt 
es,  dass  o  im  Griechischen  einen  zweifachen  Werth  hat,  nämlich 
jenen  des  Grundvocals  a  und  jenen  seiner  Steigerung,  welche  ebenso 
a  lautet. 

So  repräsentirt  o  in  den  Formen  no8*6^^  nöS^eg^  7röd-a^  durch- 
gehends  =»  altindischem  pad-as  den  Grundvocal  a,  während  es  in 
den  Formen  röx-o^f  fdp^og  einen  dem  altindischen  gunirten  a  ent- 
sprechenden Laut  darstellen  muss. 

Dass  aber  in  beiden  Sprachen,  sowohl  im  Altindischen  als  auch 
im  Griechischen,  die  Steigerung  des  Vocals  a  nicht  alt  sein  und 
keineswegs  in  die  Periode  der  indogermanischen  Ursprache  zurück- 
reichen kann,  dies  beweisen  Formen  wie  griechisch  jxivo^  ==  attind. 
manaSf  griechisch  yivog  =  altind.  ganaSf  wo  wir  das  a,  welches 
nach  Analogie  der  Bildungen  ^avas,  iS^aSj  siSo^,  ^eOyog  als  gesteigert 
aufgefasst  werden  sollte,  wie  ein  nicht  gesteigertes  kurzes  a  behan- 
delt finden. 

n.  Die  Vocalsteigerung  kommt  nur  innerhalb  der 
Wurzel  vor. 

Nachdem  wir  das  Vorkommen  der  Vocalsteigerung  nur  inner- 
halb der  Wurzel  behaupten,  müssen  wir  jene  Fälle,  welche  für  eine 
Steigerung  ausserhalb  der  Wurzel,  d.  i.  innerhalb  der  Suffixe,  sich 
beibringen  lassen,  einer  etwas  genaueren  Betrachtung  unterziehen. 

Diese  Fälle  bestehen  innerhalb  des  Nomens  in  den  auf  -«  und  -« 
ausgehenden  Stämmen,    innerhalb   des  Verbums   in  den   Präsens- 


0  Dass  man  Udha-ya^  nicht  aber  bodh^aya  abtheUra  maas,  diea  geht  i»aiiie»tnrk  ae» 
Airt^O)  ^  Atrid-jbi ,  aotkizü^fa  aa  ffoEXirc^-jcü  and  der  nrtprfinglicbeB  Meatitit 
der  primiren  nod  aecundiren  StammbÜdaogsaitffixe  henror.  —  Vgl  weiter  aBtcB. 


Die  VocaUteigeruDg  tler  iudogeriniini&cheD  Sprachen.  217 

Stämmen,  welche  mittelst  des  Suffixes  -nti  und  einer  Abart  desselben, 
des  Suffixes  u  nämlich,  gebiMet  werden. 

Die  auf-»  und  -ti  ausgehenden  Nominalstämme  haben  das  Eigen- 
thümliche,  dass  sie  in  einzelnen  Casusformen  Stämme  in  ^ay-,  -av- 
vor  den  jedesmaligen  Suffixen  darbieten.  Man  nimmt  an,  es  trete  hier 
eine  Steigerung  der  Auslaute  -t  und  --n  zu  -ay-,  -aV"  ein. 

Gegen  diese  Ansicht  lassen  sich  manche  gewichtige  Bedenken 
beibringen.  Fürs  erste  ist  es  sehr  auffallend,  dass  die  Steigerung 
gerade  vor  jenen  Suffixen  auftritt,  welche  innerhalb  der  consonanti- 
schenDeclination,  der  ursprunglichsten  von  allen,  eine  Schwächung 
des  Themas  fordern.  Während  nämlich  von  dem  Thema  hharant-  griech. 
yipovT-,  \9ie\j\.  ferent-  derAccusativ  bharnnt-am,  derDativ.AAar«/-^, 
der  Genitiv  bharai~as  lauten,  erscheinen  diese  Casusformen  von  den 
Themen  giri-  und  pagu-  in  folgender  Gestalt:  Accusativ:  giri^m, 
pa^u-m,  Dativ:  giray-if  pagav-S,  Genitiv:  gires  (sMt  giray-as), 
pagös  (statt  pagav-as).  —  Zweitens  begegnen  wir  im  Vocativ,  dieser 
Interjection  unter  den  Casusformen,  sonst  regelmässig  dem  reinen 
Thema,  während  wir  hier,  bei  den  Themen  in  -t  und  -Yi,  ein  in 
seinem  Ausgange  verstärktes  Thema  vor  uns  haben  sollen.  —  Die 
Themen  rägan-*  ddtar-  bilden  den  Vocativ  identisch  mit  dem  Thema 
selbst,  nämlich  rdgan,  ddtar,  der  Vocativ  von  giri-,  pagn-  dagegen 
lautet  girS  (giraij,  pago  (pagau). 

Drittens  erscheint  beim  Antritt  eines  folgenden  vocalisch  an- 
lautenden Suffixes  häufig  statt  des  schlusshaften  -u  ein  -av-,  dessen 
Vorhandensein  aus  der  Natur  des  folgenden  Suffixes  nicht  erklärt 
werden  kann.  So  bildet  man  von  laghu-  mittelst  des  secundären 
Suffixes  -a  die  Form  Idghav-a,  von  guru-  die  Form  gdurav-a,  wäh- 
rend von  mitra-f  müla-  dieselben  Formen  mditr-a*  mdul-a  lauten. 
Aus  dem  Suffixe  -^t/-,  das  unter  anderm  den  Infinitiv  bildet,  ent- 
springt durch  Anfügung  des  Secundärsuffixes  -ya  das  zusammen- 
gesetzte Suffix  'tav-ya-9  welches  Participia  der  Nothwendigkeit 
bildet. 

Nach  sorgfältiger  Erwägung  dieser  Bedenken  erscheint  uns  die 
Richtigkeit  der  Annahme  einer  Vocalsteigerung  in  allen  diesen  Fällen 
sehr  zweifelhaft.  Die  Steigerung  wäre  noch  einigermassen  bei  den 
Themen  in  -i*,  -ti  begreiflich,  wo  man  sie  als  Ersatz  der*  verschwun- 
denen Vocallänge  auffassen  konnte,  sie  ist  aber,  da  gerade  diese 


218  Müller 

Themen  an  der  Steigerung  nicht  theilnehmen,  bei  den  Tbemeo  in  -i 
und  -M  vollkommen  unbegreiflich. 

Wir  glauben  daher,  dass  in  allen  jenen  Fällen,  wo  man  bisher 
eine  Steigerung  des  schliessenden  Vocals  angenommen  hatte/ nichts 
anderes  als  die  ursprüngliche  Gestalt  des  Themas  vorliegt,  d.  h.  dass 
die  Themen  in  -t  und  -u  ehemals  in  -aya,  -ava  ausgelautet  haben. 

Die  Themen  in  -aya,  -ava  gingen  nach  und  nach  in  Themen  in 
-ay,  -av  und  von  da  aus  einerseits  in  spiche  in  -i,  -t/,  andererseits  in 
jene  in  -a  über.  Die  ersteren,  nämlich  in  -ay»  -av,  hielten  sich  vor 
einzelnen  Casussul'fixen  und  im  Vocativ  als  Ergänzungen  zu  den  t- 
und  f<- Themen,  während  die  letzteren,  nämlich  die  auf  -a,  sich  ganz 
von  dieser  Richtung  loslösten.  —  Man  kann  dieselben  nur  durch  Ver- 
gieichung*  der  einzelnen  indogermanischen  Sprachen  untereinander 
verfolgen. 

So  treffen  wir  den  Stamm  garaya-  als  i-Stamm  im  Altindischen 
und  Altbaktrischen  (altind.  giri  =  gari,  altbaktr.  gairi  =  jrori), 
während  das  Altslavische  in  der  Form  gora  bereits  einen  reinen 
a-Stamm  zeigt.  Der  Stamm  astaya  ist  im  Altindischen  ein  t'-Stamm 
geworden  {asthij,  im  Altbaktrischen  dagegen  erscheint  er  als 
a-Stamm  (agta). 

Eine  lehrreiche  Parallele  zur  Entwicklung  dieser  Stämme  liefern 
die  Feminin-Stämme  der  a-Themen.  Dieselben  wurden  ursprünglich 
mittelst  des  Suffixes  -yd,  gleich  den  consonantischen  Themen  (vgl. 
griech.  fipoitaa,  =  fipo^T-ia^  dagegen  altind.  bharant-U  wo  yd  zu  i 
zusammengezogen  erscheint)  von  dem  Masculin-Thema  abgeleitet. 
Die  Femininform  von  giva-  lautete  demnach  ursprünglich  gha-yd, 
welches  in  gieay-  und  mit  Ersatzdehnung  für  das  abgefallene  d  in 
gimty-^  nach  und  nach  endlich  in  givd  überging.  Während  üa<^ 
letztere,  da  es  im  Nominativ  singularis  auftritt,  bald  für  das  Thema 
selbst  substituirt -wurde,  erscheint  pii;%-  (und  (ivay-^  im  Instrumen- 
tal ;  givuy-d  und  Vocativ :  ^ivi  =  givay)  vor  mehreren  CasussufBxen, 
so  z.  B.  Genitiv:  givdy-ds,  Dativ:  givdy-di,  Local:  gimy-dm. 

Nachdem  wir  also  gefunden  haben,  dass  die  Nominal-Theroen 
in  -{  und  -m  ursprünglich  in  ^aya  und  -ava  ausgegangen  sind,  und 
dass  dort,  wo  man  bisher  eine  Steigerung  der  schliessenden  Vocale  i 
und  u  annehmen  zu  müssen  glaubte,  nichts  anderes,  als  die  ursprüng- 
liche Form  des  Stammes  vorliegt,  wäre  damit  auch  der  zweite,  das 
Verbum  betreffende  Fall,  in  welchem  nämlich  -/im  zu  -tmu,  -ii  zu 


Die  Vacalstelgerung  der  iDdogerniiioischen  Sprachen.  21^ 

gesteigert  erseheinen,  erledigt.  Wir  müssen  jedoch  wegen  einzelner 
etwas  fraglicher  Punkte,  welche  sich  an  ihn  knöpfen,  auf  denselben 
näher  eingehen. 

Da  dem  altind.  ^nau  im  Altbaktrischen  auch  -itti  und  im  Griechi- 
schen regelmässig  <-vO  gegenübersteht,  so  konnte  man  in  -nau,  wo 
es  vorkommt,  die  Steigerung  für  eine  Stellvertreterin  der  Länge 
halten.  Damit  stünden  aber  einerseits  diese  Formen  ganz  isolirt  da, 
andererseits  macht  der  innige  Zusammenhang,  welcher  zwischen 
Nominal-  und  Verbalthemen  stattfindet,  eine  solche  Annahme  unzu- 
lässig. Nachdem  wir  beim  Nomen  -i  und  -u  aus  ursprünglichen 
-aya,  -ava  hervorgehend  gefunden  haben,  müssen  wir  auch  folge- 
richtig -Ml/,  -ti  aus  älteren  -nava,  ^ava  entstanden  annehmen.  Bei 
dieser  Annahme  stehen  dann  auch  die  Präsensthemen  in  -ti  nicht  so 
vereinzelt  da,  sondern  sie  finden  in  lautlicher  Beziehung  in  den 
slavischen  Themen  in  -ot^rc  ihre  nächsten  Anverwandten.  Es  ver- 
hält sich  -nava  zu  -«i?«  (ind.  .V.  CK  zu  VIII.  CI.)  wie  griech.  •yo:')^0' 
(vgl.  Xa^jSdvcü  =  Xa^-vavcü)  und  altslavisch  'uaH'  (dvig-nq-ti  = 
dtig-nan-ti)  zu  -avo-,  -vo-  wie  -fnana  zu  -dna  u.  s.  w.  ^). 

Eine  Einwendung  gegen  diese  Erklärung  könnte  daraus  her- 
genommen werden»  dass,  gleichwie  von  ävi^  im  Singular  die  Formen 
dü^^mi  (dvai^mi)^  dvSk-^i  (dvaik^i)^  dv^f-H  (dvai$t%)  gebildet 
werden ,  deren  Stamm  doch  gegenüber  den  Pluralformen  dvi^-maSf 
dvif-'tha,  dvi^-anti  als  gesteigert  angesehen  wird,  man  auch  gak- 
iw-mi,  gak-'nd'^i,  gak-nd-ti  als  gesteigerte  Formen  des  Themas 
gak-nu  annehmen  müsse.  Diese  Einwendung  ist  aber  unbegründet, 
da  einerseits  in  der  Formbildung  nicht  nur  die  Verstärkung,  son- 
dern auch  die  Schwächung  eine  grosse  Rolle  spielt,  anderei*seits 
die  beiden  Falle,  da  in  dem  einen  Steigerung  innerhalb  der  Wurzel, 
in  dem  anderen  dagegen  Steigerung  innerhalb  eines  Suffixes  ange- 


*)  Der  Einwand,  das«  altind.  -u  und  slavbcb  -ova  mit  einander  nichts  zu  schaffen 
haben,  da  ersteres  primfir,  letzteres  aecifndir  ist,  wSre  ein  ganx  nichtiger.  Auch 
-fiti  ist  im  Altindischen  primär  (V.  CI.),  im  Griechischen  dagegen  in  Formen  wie 
oropfvvuf&c  (^  9rop(ff->vvfu),  xopsvvufAC  (ss  xopitf-vvfu)  seoindir.  Ebenso 
ist  -y«  in  naf^y^  fifs^ya^  in  xstpeu  =s  xepiea,  reivco  =  rfviea  primir,  in  ndpo-yo, 
harta-yun  in  rtfxdtoi),  fiXiu},  Atti^oj  (ss  cX;;($-jcu),  XGpuffffOi)  (=  xopu^-jci>) 
secundär.  Überhaupt  existirt  vom  lautlichen  Standpunkte  ein  Unterschied  zwischen 
primMren  und  secundfiren  Suffixen  nicht,  beide  werden  es  erst  durch  ihre  jeweilige 
Verwendung. 


220  Malier 

nommen  wird,  oicht  in  eine  Linie  gestellt  werden  dürfen.  Gerade  so 
wie  von  bibhar*  (dem  Stamme  ron  bhar  nach  der  III.  Classe)  die 
gesteigerte  Form  bibhar-,  von  dada-  (dem  Stamme  von  da  nach  der 
tu.  Classe)  die  gesteigerte  Form  dadd"  lautßt,  ebenso  kann  diese 
Form  von  ga-knav-^  selbst  wenn  dieses  von  der  Sprache  ganz  nach 
Analogie  von  bibhar-  bebandelt  wtU'de,  nicht  anders  als  gak-nav^ 
lauten.  Und  gerade  so  wie  bibhar^  zu  bibhr^,  dadd  zu  ditd^  sich 
verkurzen,  ebenso  muss  auch  goknav^  (nach  Analogie  von  8vap  = 
sup)  zu  gakuu"  verkürzt  werden. 

III.  Die  Vocalsteigeruug  war  ursprunglich  nur 
eine  einfache  (die  erste). 

Nach  unserer  Ansicht  war  in  der  indogermanischen  Ursprache 
nur  eine  einzige  Vocalsteigerung  vorhanden;  die  zweite  Steige- 
rung in  ihrer  consequenten  Entwicklung  als  Vrddhi  ist  ein  specifisch 
indisches  Product,  in  den  übrigen  indogermanischen  Sprachen  hat 
sie  sich  durch  Vocaldifferenzirung  erst  nach  der  Spaltung  des 
indogermanischen  Stammes  in  seine  einzelnen  Äste  ausgebildet. 

Der  Beweis  für  diese  Behauptung  ist  in  folgenden  Thatsachen 
gelegen : 

I.  Stimmt  das  Altbaktrische,  welches  doch  sonst  mit  dem  Alt- 
indischen  in  vollstem  Einklänge  sich  befindet,  in  Betreff  der  Vocal- 
steigerung mit  demselben  nicht  fiberein,  indem  es  nur  eine  Steigerung 
(die  erste,  den  sogenannten  Gu^a)  kennt,  von  der  zweiten  Steigerung 
dagegen  (der  Vfddhi),  welche  im  Indischen  bei  gewissen  Bildungen 
regelmässig  zur  Anwendung  kommt,  tiur  ganz  geringe  Spuren  aufweist 
(vgl.  Spiegel,  Grammatik  der  altbaktrischeu  Sprache,  S.  59).  Hiemit 
in  Übereinstimmung  kennt  auch  das  Altpersische  nur  die  beiden 
Diphtonge  ai,  au;  es  würde  gewiss,  wenn  die  Diphtonge  ai,  du 
existirt  hätten,  dieselben  auch  ausgedrückt  haben,  da  ja  die  Mittel 
hiezu  in  der  Schrift  vorhanden  waren. 

II.  Zeigt  das  Altindische  selbst  in  mehreren  Fällen  ganz  deut- 
lich, dass  die  zweite  Steigerung  ein  später  Lautprocess  ist,  indem 
dabei  gewisse  lautliche  Zerrüttungen,  welche  ein  specifisch  indisches 
Product  sind,  als  bereits  vorhanden  vorausgesetzt  werden.  So  lauten 
die  mittelst  des  Secundär- Suffixes  -a,  welches  zweite  Steigerung  des 
Wurzelvocals  erfordert,  gebildeten  Abstractformen  von^iirfi-,ytrrirft- 
und  iiifint-;  gdurava^,  yäuvana-,  mduna-.  Nun  sind  aber  die  Formen 


Die  Vociilflteigerung  der  iodo^eriuanischen  Sprachen.  22  1 

gnru'f  ytivan-,  muni--  speeifisch  indische  Producte  aus  garu  (vgl. 
Comparativ  gar-tyns-,  Superlativ  gar-i^tkor)  yaoan-  (vgl.  Compar. 
yav^iyas",  Superlat.  yaü-i^fha"  und  altbaktrisch  yavan-)  und  manU 
(von  der  Wurzel  man  ^denken^*  abgeleitet).  Von  giri-t  dessen  ältere 
Form  gari"  gelautet  haben  muss  (vgl.  altbaktr.  gairi^  statt  gari-) 
bildet  man  mittelst  des  Secundärsuffixes  -^ya,  welches  zweite  Steige* 
i*ung  des  Wurzelvocals  fordert«  die  Form  gdirSya-t  von  pura-,  wel- 
ches für  para-  steht  (vgl.  griechisch  noXt'  von  der  Wurzel  par- 
„anflillen''  abgeleitet)  bildet  man  die  Ableitung  pdura^.  Von  nigdf 
welches  sicher  statt  nagd-  steht  (vgl.  lateinisch  nocii-t  litauisch  nakti-, 
altslavisch  nosH-  von  der  Wurzel  nag-  abgeleitet)  wird  das  Adjectirum 
ndiga-  gebildet,  von  pürna-mdsa  (welches  statt  pama-mdsa  steht» 
Tgl.  altbaktr.  pSrena-^  tatein.  pleno-  und  altslav.  plünu)  kommt 
pdurna-mäsa,  von  puru-hüin  (welches  statt  parn-hüta  steht»  vgl. 
griech.  noXv-  und  altbaktr.  pouni-  statt  pam-)  kommt  pdurU'kAia. 

Bei  Wortzusammensetzungen,  deren  erstes  Glied  aus  einer 
Partikel  besteht,  hat  die  Sprache  die  Natur  derselben  so  weit  ver- 
gessen, dass  sie  dieselbe  geradeso  wie  ein  Thema,  das  aus  einer 
Verbalwurzel  hervorgegangen  ist,  betrachtet,  und  dem  gemäss  behan- 
delt. Dieser  Umstand  lässt  voraussetzen,  dass  die  Sprache  zu  jener 
Zeit,  als  sie  derartige  Bildungen  schuf,  in  denen  die  zweite  Vocal- 
steigerung  (Vrddhi)  gefordert  wird,  bereits  in  dem  Zustande  der 
fertig  abgeschlossenen  Wortbildung  sich  befand,  dass  mithin  diese 
Bildungen  in  eine  relativ  späte  Zeit,  sicher  aber  erst  in  die  specifiscb 
indische  Periode  versetzt  werden  müssen. 

Von  vi'klavaf  vi-guna,  deren  erstes  Glied  aus  der  Partikel  vi- 
besteht,  entspringen  die  Formen  vdiktao-ya*  vdigunrya,  von  utpailh 
uporni^ad  die  Formen  dutpaiti-'ka^  dupani^ad-a.  Am  auffallendsten 
jedoch  sind  Formen  wie  sdubhdgya  von  su-bhdga  (welches,  wie  das 
griechische  cO  =  fsou  zeigt,  aus  vasu-bhdga  verkürzt  ist),  welche 
erst  in  einer  Zeit  entstanden  sein  können,  wo  die  Sprachformen  einer- 
«seits  bereits  abgeschlossen^  andererseits  auch  manchen  lautlichen 
Zerrüttungen  anheimgefallen  gewesen  waren. 

III.  Zeigt  das  Griechische,  dessen  Lautverhältnisse  im  Ganzen 
klar  und  durchsichtig  vorliegen,  ganz  deutlich,  dass  namentlich  in 
jenen  Formen,  welche  der  indogermanischen  Ursprache  angehören, 
die  Richtigkeit  der  Ansicht  einer  doppelten  Steigerung  nicht  begründet 
werden  kann. 


222  Malier 

Nachdem  dem  altindisehen  ^i,  der  zweiten  Steigerung  von  t,  im 
Oriechischen  qL^x^,  c|>  entsprechen  müssten,  diese  aber  als  Steigerungen 
von  I  sieh  nicht  nachweisen  lassen,  so  wird  von  Schleicher  oi  als 
zweite  Steigerung  von  i  gegenüber  der  ersten  Steigerung,  deren 
Ausdruck  n,  seltener  at  lautet,  angesehen.  Diese  Ansicht  ist  aber 
gewiss  ganz  unrichtig,  ot  entspricht  regelrecht  altindisehem  ai  (i), 
der  ersten  Steigerung  von  i,  wie  die  Formen  gixo-^  «=  altind.  Wf  «-«, 
«r^a  =  altind..r^</a  ganz  deutlich  zeigen  <).  Dass  man  aber  auf  den 
Gedanken  kam«  oe  als  zweite  Steigerung  von  t  zu  fassen,  dies  hat  io 
der  Spaltung  des  Vocals  a  in  e,  a»  o  seinen  Grund.  Gerade  so  wie 
innerhalb  der  Sphäre  des  a- Vocals  c  als  Verkürzung,  a.  als  regel- 
rechter Vertreter  und  o  als  die  stärkste  Form  desselben  gilt,  ebenso 
wurden  auch  diese  Laute  innerhalb  des  Diphthongs  in  diesem  Sinne 
aufgefasst.  Darnach  ist  a  die  geschwächte,  ae  die  regelrechte,  wenn 
auch  seltener  zur  Anwendung  kommende  und  ot  die  stärkste  Form 
der  ersten  Steigerung  des  i,  d.  h.  des  altindogermanischen  m. 

Dasselbe  gilt  auch  von  der  Steigerung  des  n.  —  Hier  ent- 
sprechen derselben,  d.  h.  dem  altindogermanischen  au  die  drei  For- 
men £u,  av  (ebenso  selten  verwendet  wie  ae)  und  ou.  Darunter  mas^ 
<u  wie  fc  und  c  als  Schwächung^  oeu  wie  ai  und  a  als  regelrechter 
Vertreter  und  ou  wie  oe  und  o  als  die  stärkste  Form  des  altindo- 
gerroanischen  au  aufgefasst  werden. 

Mit  diesen  Erklärungen  ist  keineswegs  geläugnet,  dass  oc  und  o*j 
den  beiden  anderen  Reiben,  nämlich  et,  ai  und  €u,  au  gegenüber  für 
stärker  gelten  und  als  Verstärkungen  derselben  aufgefasst  werden 
können.  Alles  dieses  hat  eben  nur  so  lange  seine  Berechtigung,  als 
man  sich  auf  dem  griechischen  Boden  bewegt,  es  ist  jedoch  toII- 
kommen  unrichtig,  sobald  man  von  da  aus  auf  die  Form  der  indo- 
germanischen Ursprache  einen  Schluss  zu  ziehen  sich  erlaubt,  wie 
«s  Schleicher  in  seinem  Compendium  gethan  hat 


*)  Nachdem  den  g'riecbitchen  Vertretern  des  «-Laote«,  ninlich  f,  a,  o,  die  eltbaktn- 
•cfaen  Vertreter  derselben  in  a,  e  entsprechen,  so  mässte  man,  wenn  aMin  0i  ia 
Griechischen  als  s weite  Steigerang^  des  i  anffssst,  conseqoent  noch  «•  («\)  ia 
Aitbaktrischen  als  sweite  Steig-erung  des  t  ansehen.  Letsteres  aber  hat  Nieatad 
gethan,  wahrscheinlich  weil  die  Vrddhi  at  sporadisch  sich  nachweisen  lisst,  dcrea 
langes  a  nach  meiner  Überseugung  eine  speciell  aof  altbaktrischem  Gebiet«  est- 
jtandene  Dehnung  reprMsentirt. 


*  Die  Vocaisieiperung  der  indogermaniiicheQ  Sprachen.  223 

Wir  können  füglich  auch  zugeben,  dass  oe  und  ou  den  altindi- 
sehen  di  und  du  parallel  gehen,  wir  können  aber  nie  zugestehen, 
dass  sie  mit  denselben  identisch  sind,  welche  Erklärung  man  thun 
muss,  wenn  man  oe  und  ou  als  zweite  Steigerungen  von  i  und  u 
betrachtet.  Beide  sind  Producte  der  betreffenden  Sprachen  nach 
ihrer  Besonderung,  sie  haben  aber  in  der  indogermanischen  Ur- 
sprache keine  Wurzel. 

IV.  Genau  dasselbe  Verhältniss  wie  das  Griechische  bieten  auch 
andere  indogermanische  Sprachen,  wie  das  ans  Griechische  sich  eng 
anschliessende  Latein  und  das  Gotische  dar. 

Im  Latein  spaltet  sich  der  Vocal  a  in  die  Verkürzung  e,  in  den 
regelrechten  Vertreter  a  und  in  die  stärkste  Form  desselben  o. 
Diese  Verhältnisse  werden  auch  in  die  Steigerungen,  in  welchen  a 
das  erste  Element  bildet»  übertragen.  Daher  erscheinen  ei  (später  zu 
t  oder  S  zusammengezogen),  ai  (zpäter  zu  ae  geworden)  und  oi 
(später  zu  oe  und  zuletzt  zu  ü  geworden)  als  Vertreter  des  altindo- 
germanischen at,  und  eu  (später  zu  ii  geworden),  au  (später  zu  ö 
geworden)  und  ou  (spater  zu  ü  geworden)  als  Vertreter  des  altindo- 
frermanischen  au. 

Daron  sind  wieder,  wie  im  Griechischen,  oi  (ü)  Und  ou  (ü) 

stärker  als  ei  (u  O*  ^^  (^O  ^^^  ^^  C^)*  ^^  (O^  ^^^^  jedoch 
stricte  diesen  gegenüber  als  zweite  Steigerungen  des  t  und  u  gelten 
zu  können,  da  sie  mit  ihnen  zugleich  atis  einer  Quelle  auf  specifisch 
gräeo-italischem  Boden  durch  Vocaldifferenzirung  sich  entwickelt 
haben. 

Das  Gotische  stellt  dem  altindischen  a  entweder  a  oder  die 
beiden  aus  ihm  hervorgegangenen  Schwächungen  t,  u  (welche  den 
lateinischen  i,  u  parallel  gehen  und  um  eine  Stufe  tiefer  liegen  als 
die  griechischen  s,  o)  entgegen.  In  Betreff  der  Steigerung  des  a  beob- 
achtet das  Gotische  dasselbe  Verfahren  wie  das  Altindische,  indem 
es  bald  a,  bald  d  (im  Gotischen  als  i,  6  auftretend)  dafür  eintreten 
lässt.  Parallel  dem  a  <»  a,  t  gehen  die  Steigerungen  von  i  und  t/,  d.  h. 
ai  =B  ei  und  at  und  au  =  iu  und  au.  ei  steht  in  Betreff  seines  ersten 
Elementes  um  eine  Stufe  höher  als  t,  ein  Beweis,  dass  dieses  durch 
l  SS  altgriech.  e,  latein.  e  hindurchgegangen  ist;  iu  dagegen  steht 
mit  i  im  besten  Einklänge.  Auch  im  Gotischen  gelten  nun  at,  an  für 
stärker  als  W,  iu,  ohne  aber  efwa  zweite  Steigerungen  der  Laute  t,  u 
zu  sein,  da  sie  ja  mit  et,  tu  gleichzeitig  aus  einer  Quelle  geflossen  sind. 


224  Mültei*,   Die  Vocalsteig^eruDg  d»r  indo|penDiini9cben  Sprachen. 

Um  nun  schliesslich  auch  auf  das  Litauische  und  Altslavisehe 
überzugehen,  so  sehen  wir  den  Grundvocal  a  in  dem  ersteren  in  e^) 
und  a>  in  dem  letzteren  dagegen  gleichwie  im  Griechischen  und 
Latein  in  e^  a,  o  gespalten.  Daneben  kommt  noch  im  Altslavischen  « 
als  Schwächung  Ton  a  häufig  vor»  weiches  um  eine  Stufe  tiefer  liegt 
als  o  und  mit  dem  Gotischen  i  und  u  zu  vergleichen  ist  Cbrigens 
sind  auch  dem  Litauischen  i  und  u  als  Schwächungen  des  a  geläufig. 

Als  Steigerung  des  a  treffen  wir.  im  Litauischen  a  und  o,  im 
Altslavischen  dagegen  o,  i  und  a,  von  denen  lit.  a  und  altslav.  o  dem 
altindischen  a,  lit.  o  und  altslav.  a  dem  altindischen  d  parallel  gehen. 
Altslav.  4  ist  ebenso  wie  gotisches  4  als  Nebenform  von  d  zu  betrachten. 

Als  Steigerung  des  i  gelten  litauisch  S^  eU  ff'»  altslav.  S^  qf^  aj, 
als  Steigerung  von  u  litauisch  ü,  au  (vor  Vocalen  bald  av,  bald  ov), 
altslavisch  n  *)  (vor  Vocalen  bald  o&,  bald  av).  Davon  sind  nun 
litauisch  und  altslav.  ai  starker  als  lit  et,  altslav.  oj*  gerade  so  wie 
unter  den  /i- Vocalen  a  für  starker  gilt»  als  litauisch  e  und  altslav.  o. 
Und  ebenso  ist  litauisch  ov  stärker  als  av,  altslav.  av  dagfgen  stäriLcr 
als  09,  gerade  so  wie  unter  den  a- Vocalen  litauisch  o  starker  als  a 
und  altslavisch  a  stärker  als  o  sich  darstellen.  Litauisch  ai,  ov,  alt- 
slaviseh  aj,  av  sind  daher  als  die  stärksten  Formen  der  Steigerung 
von  t,  Uf  keineswegs  aber  als  zweite  Steigerungen  derselben  zu 
betrachten. 

Nach  diesen  Auseinandersetzungen  wird  sich,  wie  ich  hoffe. 
klar  herausgestellt  haben,  dass  die  indogermanische  Ursprache  nur 
eine  einzige  Vocalsteigerung  kannte,  nämlich  zunächst  a,  m, 
aUf  dann  später  d,  ai,  au  und  dass  die  Annahme  mancher  Sprach- 
forscher, die  indogermanische  Ursprache  habe  zwei  Steigernngeo 
besessen,  ganz  falsch,  weil  unbegründet  ist. 


0  Dieses  e  kano  auch   unter  gewissen  Bedingungen  su  e  werden,  wie  im  Altbaktrt« 

sehen  i  (0  zu  i  (()• 
')  Der  GundTocal  u  lautet   entweder  gleich  dem  griechischen  u.   wie  ü  (dnrch  y 

wiedergegeben)  oder  ▼erkunt  ü. 


Müller,  Cber  das  iHteiniscbe  Perfftctum.  225 


Über  das  lateinische  Perfeetum. 

Von  Dr.  Friedrich  Müller. 

Professor  an  d«r  Wiener  Universitil. 

Die  Bildung  des  lateinischen  Perfectums  ist  bekanntlich  von 
Seite  der  vergleichenden  Sprachforscher  in  verschiedener  Weise  zu 
erklären  yersucht  worden.  Wir  finden  diese  Erklärungen  alle  in 
Kürze  bei  Corssen :  Über  Aussprache,  Betonung  und  Vocalismus  der 
lateinischen  Sprache.  IL  Aufl.  Bd.  I.  S.  607  ff.  verzeichnet  und  vom 
Standpunkte  der  lateinischen  Lautlehre  gewürdigt.  Nachdem  sich  die 
meisten  derselben  als  ungenügend  herausgestellt  haben,  gibt  Corssen 
selbst  im  Anschluss  an  Aufrecht  und  Schleicher  eine  Erklärung,  nach 
welcher  das  lateinische  Perfeetum  mittelst  eines  gesteigerten  Bil- 
dungsvocales  t  (gleich  dem  ?  des  Sanskrit  im  Praesens,  Imperfectum 
und  Aorist)  und  in  einigen  Personen  (2.  Sing.  2.  und  3.  Plural)  mit- 
telst eines  8  gebildet  wird,  mithin  eine  innige  Verwandtschaft  mit 
dem  sogenannten  fünften  Aorist  des  Sanskrit  zeigt. 

Gegen  diese  Erklärung  lassen  sich  nach  meiner  Ansicht  fol- 
gende Einwendungen  erheben: 

I.  Ist  es  sehr  misslich  eine  ausschliesslich  sanskritische  Erschei- 
nung zur  Erklärung  lateinischer  Formen  heranzuziehen.  Den  Formen 
mit  dem  sogenannten  euphonischen  i  des  Sanskrit  (im  Praesens, 
Imperfectum,  Aorist  und  im  Infinitiv  summt  den  analogen  Bildungen) 
stellt  nämlich  keine  einzige  indogermanische  Sprache  wieder  Formen 
mit  diesem  i  entgegen,  nicht  einmal  im  Imperfectum  des  Verbum  sub- 
stantivum,  wo  man  bei  dem  hohen  Alter  dieser  Wurzel  und  dem 
Vorhandensein  derselben  in  allen  indogermanis'chen  Sprachen  eine 
gewisse  Übereinstimmung  mit  Recht  erwarten  könnte. 

SiUb.  d.'phiX  -bist.  Ol.  LXVI.  Bd.  1.  Hft.  15 


226  MuUer 

IL  Liesse  sich  t  noch  in  jenen  Formen  zur  Noth  begreifen,  in 
welchen  das  s  gleichwie  in  den  Sanskritformen  nicht  vorhanden  ist, 
also  in  den  Endungen  -t,  -tV,  -inius  (wie  im  Sanskrit  in  -tSp  -ü  und 
in  im  innerhalb  der  Vedasprache).  In  -istif  -istis,  -erutä  erscheint 
dagegen  die  Länge,  welche  doch  ursprünglich  vorhanden  war,  ganz 
anomal,  und  kann  aus  einer  Steigerung,  welche  man,  da  sie  inner- 
halb eines  Suffixes  vorkommt  (nur  die  arischen  Sprachen,  Sanskrit 
und  Altbaktrisch  setzen  in  Suffixen  den  Längen  der  anderen  ver- 
wandten Sprachen  Steigerungen  entgegen,  z.  B.  -iiati  =  -vv),  höchst 
bedenklich  finden  muss,  nicht  erklärt  werden. 

Ich  glaube  also  die  Erklärung  des  lateinischen  Perfectums  aus 
dem  fünften  Aorist  das  Sanskrit  aus  lautlichen  und  formellen  Gründen 
mit  Recht  bezweifeln  zu  können,  umsomelir  als  ich  eine  Erklärung 
vorbringen  werde,  welche  einerseits  mit  den  Lautgesetzen  des 
Lateinischen  in  vollem  Einklänge  steht,  andererseits  sie  sich  an 
Formen  sowohl  des  Latein  als  auch  mehrerer  verwandter  Sprachen 
aufs  Genaueste  anschliesst. 

Bekannt  ist,  dass  das  Latein  von  den  beiden  Wurzeln  as  und 
bhu  ein  Imperfectum  mittelst -aj^a  bildet,  welches,  wie  Schleicher  in 
der  zweiten  Auflage  seines  Compendiums  erkannt  hat,  sich  genau  an 
das  litauische  Perfectum  anschliesst.  Die  Formen  von  as  werden 
noch  selbstständig  gehraucht  (erdm  =  nsayam^  ei'ds  =»  asaya^. 
erdt  =  asayat  etc.)  während  jene  von  bhu  (-bum  =  fudm  = 
fovdm  =  bhavayam)  nur  in  Zusammensetzungen,  wo  sie  das 
Imperfectum  bilden  hellen,  nachgewiesen  werden  können  (amabam^ 
docebam,  legebam,  audiebam). 

Nach  Schleicher's  D.irstellung,  welcher  diese  Formen  als  Neu- 
bildungen einfacher  Tempus-Stämme  betrachtet,  sollte  man  glauben, 
dass  diese  Bildungen  in  -aya  nur  dem  Latein  und  dem  Litauischen 
eigenthümlich  sind,  wo  sie  sich  erst  nach  Abtrennung  der  betreffen- 
den Sprachen  vom  indogermanischen  Stamme  gebildet  haben  müssen. 

Dies  scheint  jedoch  nicht  der  Fall  zu  sein.  Wie  ich  in  meinem 
Aufsätze:  Armeniaca  11.  (Sitzungsberichte  Bd.  LXIV.  447)  nachge- 
wiesen habe,  findet  sich  die  Bildung  in  -aya  zur  Bezeichnung  von 
Zeitformen  der  Vergangenheit  nebst  dem  Lateinischen  und  Litauischen 
noch  im  Armciiischen  und  Altslavischcn,  kommt  also  im  Ganzen  vier 
indogermanischen  Sprachen  (Armenisch,  Lateinisch,  Litauisch,  Alt- 
slavisch)   oder    drei    Sprachzweigen    (dem    eränischen,  italischen. 


über  das  Utfiniscbe  Perfectum.  227 

slavo-iettischen)  zu.  Ich  schliesse  daraus »  dass  diese  Bildungen  in 
-aya  xu  den  alten  gehörten,  ursprunglich  vielleicht  allen  indoger- 
manischen Sprachen  gemeinsamen  waren  und  nach  und  nach  in  den 
einzelnen  derselben  spurlos  verloren  gegangen  sind. 

Auf  diesen  Stamm  in  -aya  nun  geht  nach  meiner  Überzeugung 
das  lateinische  Perfectum  nicht  nur  zurück,  sondern  stellt  eine  mit 
dem  slavischen  Imperfectum  vollkommen  identische  Bildung  dar. 
Der  einzige  Unterschied,  welcher  zwischen  diesen  beiden  Bildungen 
obwaltet,  ist  der,  dass  das  Lateinische  die  einzelnen  Formen  stark 
flectirt  (ohne  den  sogenannten  Bindevocal  gleichwie  das  Verbum 
substantivum  as),  während  das  Altslavische  bis  auf  die  zweite  und 
dritte  Person  Dual,  und  zweite  Person  Plural,  welche  auch  stark 
flectirt  werden,  schwache  Flexion  (mittelst  des  sogenannten  Binde- 
vocals)  eintreten  lässt  <)• 

Das  Verhältniss  des  lateinischen  Perfectum  zum  Imperfectum 
ist  dasselbe  wie  jenes  des  altslavischen  Imperfectum  zum  litauischen 
Perfectum.  Die  beiden  letzteren  (lateinisches  Imperfectum  und 
litauisches  Perfectum)  repräseutiren  eine  durch  Anfügung  der  Per- 
sonalsufTixe  an  den  Stamm  auf  ^aya  entstandene  Bildung,  während 
die  beiden  ersteren  (lateinisches  Perfectum  und  altslavisches  Imper- 
fectum) eine  Zusammensetzung  von  as  mit  dem  Stamme  auf  -aya 
darstellen. 

Das  Verhältniss  der  lateinischen  Urform  zur  altlateinischen  und 
classischen  ist  demnach  folgendes: 

Lateinische  Urform:  Altlateinisch:  classische  Form: 

cep-aya-s-m  cepei  cepi 

vg^.  petiei 
fecei 


^)  -aya  wurde  in  -es  und  dnnn  in  -i  ebenso  zusammengezogen,  wie  in  oveit^ovu  oder 
ovet  aus  acaya»  und  bei  den  Verben  der  IV.  CIssse ,  wo  -i  aus  -aya  entstanden 
ist.  Die  Verba  in  'äya  spalteten  sieb  im  Latein  in  solche  auf  -ao ,  ^eo ,  -ü» 
wie  im  Griechischen  iu  jeneu  auf  -aco,  -foj,  -ooi.  Das  Perfectum  Terhilt  sich 
in  Betreff  seines  Cbaraktervocals  zum  Imperfectum  wie  die  Verba  der  IV.  Classe 
zu  jener  der  I.  Ciasse  sich  verhalten.  Ich  weiss  wohl,  dass  diese  Bildungen  von 
Corssen  anders  erklart  werden,  ich  kann  aber  seinen  Gründen  nicht  jene  Wichtig- 
keit beilegen,  welche  er  in  ihnen  zu  linden  scheint. 


228  Müller.  Über  das  Uteioisch«  Perfectum. 


lateinische  Urform : 

Altlateiniseb : 

classische  Form: 

cep-aya-s-ta 

cepeisti 
vgl.  interieisti 

cepisii 

cep-aya-s-t 

.  cepeü 
vgl.  redieit 
venieii 
fuueit 

cepit 

cep-aya-s-maa 

cepeimus 

cepimus 

cep-aya-s-tas 

cepeisfis 

cepistis 

cep-aya-s-ant 

cepdront 

ceperunt 

cepire 

cepere. 

Das  Verhältniss  des  lateinischen  Perfectum  zum  slavischen 
Imperfectum  stellt  sieh  folgendermassen  dar: 

Latein:  Altslavisch: 

cep-aya-s-m  plet-aya-s-am  (pletSachuJ 

cep-aya-g-ta  plet-^ya-s-as  (pletSaie) 

cep-aya-s-t  plet-aya-a-ai  (pletSase) 

cep-aya-s-mas  plet-aya-s-amas  (pleteachomü) 

cep-ayas-tas  plet-aya-s-tas  (pletiaste) 

cep-aya-s-ant  plet-aya-s-ant  (pleteachq). 

Das  sogenannte  zusammengesetzte  Perfectum  des  Lateinischen 
repräsentirt  eine  Zusammensetzung  der  Wurzel  mit  dem  Perfectum 
von  as  oder  bhu.  Darnach  ist  äuxi  =  dnc-s-aya^s-m^  amavi  = 
ama-bhaV'-aya'S'm ,  deren  Flexion  mit  jener  von  cepi  vollkommen 
übereinstimmt. 


Verzeichnis  der  einge^^iingenen  Druckschriften.  229 


VKKZBICHNI8S 

HEB  EINGEGANGENEN  DRUCKSCHRIFTEN. 

(OCTOßER   1870.) 

Accademia  delle  Scienze  dell*  liistituto  di  Bologna:  Memorie. 
Serie  IL  Tomo  IX.  Fase.  4;  Tomo  X.  Fase.  1.  Bologna,  1870; 
4»,  ~  Rendiconto.  Anno  accademico  1868—1869  &  1869- 
1870.  Bologna,  1869  &  1870;  8«. 

Akademie  der  Wissenschaften  und  Künste,  Sudslavisehe :  i^lad. 
Knjiga  XII.  U  Zagrebu,  1870;  8«.  --  Starine.  Knjiga  II. 
U  Zagrebu,  1870;  8^  —  Monumenta  spectantia  historiam 
Slavorttm  meridionalium.  VoL  IL  U  Zagrebu,  1870;  8«.  — 
Stari  pisci  hravatski.  Knjiga  II.  U  Zagrebu,  1870;  8<>. 

Königl.    Bayer.,    zu   München:    Sitzungsberichte.     1870. 

l.  Heft  2— 4.  München;  8». 

American  Journal  of  Science  and  Arts.  Vol.  XLIX,  Nrs.  146  -  147. 
New  Haven,  1870;  8«. 

(l*Arbois  de  Jubainville,  Etüde  sur  la  declinaison  des  noms  pro- 
pres dans  la  langue  franque  ä  lepoque  Merovingienne.  Paris, 
1870;  8».  —  Encore  un  mot  sur  la  bataille  de  Mauriacus.  8«. 
(Extraits  de  la  Bibl.  de  TEcole  des  Chartcs,  Tome  XXXI.)  — 
Etnde  philologique  sur  le  mot  fran^ais  rossignol.  (Extr.  des 
M^m.  de  la  Soc.  Aeadcm.  de  TAube,  Tome  XXXIV,  1870.)  8«. 
—  Document  inedit  relatif  k  Thistoire  de  la  tutelle  testanien- 
taire.  (Extr.  de  la  Revue  de  Legislation  fran^aise  et  dtrangere. 
Nr.  de  Mai-Juni  1870.)  8«. 

Association  pour  l'encouragement  des  dtudes  grecques  cn  France: 
Annuaire.  4*  Annee,  1870.  Paris;  8». 


230  VeneichoiM  der  eingef^angenen  Drackichriflen. 

Barlow,  H.  C,  On  the  Vernon  Dante»  with  other  Dissertations. 
London,  1870;  8». 

Bericht  über  den  Handel,  die  Industrie  und  die  Verkehrsveriiält- 
nisse  in  Nieder -östereich  wahrend  des  Jahres  1869.  Wien, 
1870;  80. 

Central-Commission,  k.  k.  statistische:  Mittheilungen.  XYll 
Jahrgang,  4.  Heft.  Wien,  1870;  8«.  —  Tafeln  zur  Statistik 
der  österr. -Ungar.  Monarchie.  Üie  Jahre  1860 — 186S  umfas- 
send. VII.  Heft.  Wien,  1870;  Folio.  —  Summarische  Ergeb- 
nisse der  Volkszählung  vom  31.  December  1869.  kl.  4«. 

Chlebik,  Franz,  Die  Philosophie  des  Bewussten  und  die  Wahrheit 
des  Uubewussten  etc.  Berlin,  1870;  8«. 

Demogeot,  J.,  et  H.  Montucci,  De  Tenseignement  superieuren 
Angleterre  et  en  Ecosse.  Paris,  1870;  kl.  4^' 

Eichwald,  Eduard  von,  Nils  von  Nordeuskiold  und  Alexander 
von  Nordmann  nach  ihrem  Leben  und  Wirken  geschildert. 
St.  Petersburg,  1870;  8«. 

English  Mechanic  and  Mirror  of  Science  and  ^Scientific  Opinion*^. 
Vol.  XI,  Nrs.  276—283.  London,  1870;  Folio. 

Ergänzung  des  russischen  Gesetzbuches  von  1869.  kl.  4^  (Rus- 
sisch.) —  Ergänzung  der  administrativen  Reformen  des  Kau- 
kasus und  der  kaukasischen  Provinzen.  Petersburg,  1870; 
kl.  4o.  (Russisch.) 

Gelehrten-Gesellschaft,  Serbische,  zu  Belgrad:  Glasnik. 
XXVII.  Jahrgang.  Belgrad,  1870;  8». 

Gesellschaft,  Anthropologische,  in  Wien:  Mittheilungen.  1.  Bd.. 
Nr.  4.  Wien.  1870;  8«. 

—  Geographische,  in  Wien:  Mittheilungen.  N.  F.  3,  Nr.  10-12. 
Wien,  1870;  8o. 

—  Deutsche  Morgenländische:  Abhandlungen  für  die  Kunde  de« 
Morgenlandes.  V.  Band,  Nr.  3.  Leipzig,  1870;  8^  —  Zeit 
schritt.  XXIV.  Band,  3.  Heft.  Leipzig  1870;  8«. 

—  der  Wissenschaften,  Oberlausitzische:  Scriptores  rerum  Lusa- 
iiacarum.  N.  F.  IV.  Band.  Görlitz,  1870;  8«. 

—  Kais,  russische  geographische:  Bericht.  St.  Petersburg,  1870: 
8<i.  (Russisch.)  —  Übersicht  der  wichtigsten  geograpbisebeu  Ar- 
beiten in  Russland  im  Jahre  1867  und  1868.  St.  Petersbarj:. 
1870;  80.  (Russisch.) 


Verzelcbniss  der  eiogegangenen  Druckschriften.  231 

Goertz,  Carl,  Archäologische  Topographie  der  Halbinsel  Taman. 
Moskau,  1870;  4«. 

Hamelitz.  X.  Jahrgang,  Nr.  24—35.  Odessa,  1870;  4». 

Istitu to,  R.,  Veneto  di  Scienze,  Lettere  ed  Arti:  Memorie.  Vol.  XV, 
Parte  1.  Venezia.  1870;  4«.  —  Atti.  Torao  XV.,  Serie  IU% 
Disp.  V—9\  Venezia,  1869— 70;  8«. 

Jena,  Universität:  Akademische  Gelegenheitsschriften  aus  dem 
Halbjahre  1870.  4o  &  8». 

Katalog  sämmtlicher  in  dem  k.  k.  Kriegs -Archive  befindlichen 
gestochenen  Karten  und  Pläne,  nebst  Supplement.  Wien,  1889 
&  1870;  8o. 

M  i  k  1 0  s  i  c  h ,  Fr.,  et  Jos.  Müller,  Acta  et  diplomata  graeca  medii 
aevi  Sacra  et  prufana.  Vol.  IV-  Vindobonae^  MDCCCLXXI; 
Lex.  8». 

Mittheilungen  der  k.   k.   Central  -  Commission   zur  Erforschung 
und  Erhaltung  der  Baudenkmale.  XV.  Jahrgang,  Juli-October 
1870.  Wien;  4o. 
—  aus  J.    Perthes'    geographischer   Anstalt.     16.    Band,    1870. 
VI.— IX.  Heft.  Gotha;  4». 

Pest,  Universität:  Akademische  Gelegenheitsschriften  aus  dem 
Jahre  1869/70.  4»  &  8. 

PrantI,  Carl,  Geschichte  der  Logik  im  Abendlande.  IV.  Band. 
Leipzig,  1870;  8». 

Programme  und  Jahresberichte  der  Gymnasien  zu  Bistritz,  Brixen, 
Brunn,  Capodistria,  Eger,  Essek,  Feldkirch,  Hermannstadt, 
Iglau,  Kronstadt,  Böhm.-Leipa,  Leoben,  Marburg,  Meran,  Pilsen, 
Pressburg,  Rosenau,  Schässburg,  Trient,  Vinkovci,  Varasdin, 
des  akademischen  Gymnasiums  und  jenes  zu  den  Schotten  in 
Wien  und  des  Obergymnasiums  zu  Zengg,  sowie  der  Ober- 
real^chule  zuBohm.-Leipa.  derLandes-Unterreal-  und  Gewerbe- 
Schule  zu  Waidhofen  a.  d.  Ybbs,  der  Oberrealschule  am  Hohen- 
markt  in  Wien  und  des  k.  k.  polytechnischen  Institutes  in  Wien. 

Protokoll  über  die  Verhandlungen  der  am  31.  Mai  1870  abge- 
haltenen XLVI.  General -Versammlung  der  Actionäre  der  a.  pr. 
Kaiser  Ferdinands-Nordbahn.  Wien,  1870;  4«. 

Relazione  sui  manoscritti  d*Arborea  publicata  negli  atti  della 
R.  Academia  della  Scienze  diBerlino,  Gennajo  1870.  —  Osser- 
vazioni   intorno  alla  stessa  relazione,   del  Conte  Carlo  Baudi 


232  Veraeichnitt  der  eiog'egang'enen  Drucktchriften. 

di  Vesme.  —  Interno  all*esame  critico  delle  carte  d*Arborea, 

dl  Girolamo  Vitelli.  Torino-Firenze,  1870;  8». 
Revue   des  cours  scientifiques   et  litt^raires  de  la  France  et  de 

Tetranger.    Vü*    Annee,    Nrs.    34 — 41.    Paris    &    Bruxelies, 

1870;  40. 
S  0  c  i  d  t  e ,  d*histoire  et  d*arch^ologie  de  Geneve :  Memoires  et  doeu- 

ments  (in  8o).  Tome  XVII,  2*  Livraison.  Genere  &  Paris,  1870. 

—  Memoires  et  doeuments  (in  4»).  Tome  I,  Cahir  I.   Geneve 
&  Paris,  1870. 

-~  des  Sciences  de  Finlande:  Öfversigt.  XII.  1869—1870.  Helsing- 
fors;  8«  —  Bidrag  tili  Kännedom  of  Finlands  Natur  och  Folk. 
XV.  &  XVI.  Haftet.  Helsinglors,  1870;  8«. 

Society,  The  Asiatic,  ot'Bengai:  Journal.  Part.  I,  Nr.  1  &  4.  1S69. 
Calcutta,  1869  &  1870;  8«.  —  Proceedings  Nr.  11.  December 
1869,  Nrs.  1—2.  January-Fehniary  1870.  Calcutta;  8«. 

Stalin,  Christoph  Friedrich  Yon ,  Wirterobergische  Geschichte. 
IV.  Theil,  1.  Abtheilung.  Stuttgart,  1870;  8». 

Verein,  histor.,  zu  Bamberg:  30.  und  31.  Bericht  über  das  Wirken 
und  den  Stand  desselben.  1866/67  &  1868.  Bamberg,  1868;  8«. 

—  für  siebenbilrgische  Landeskunde:  Archiv.  N.  F.  VIII.  Band, 
3.  Heft  (1869);  IX.  Band,  1.  Heft  (1870).  Kronstadt;  8».  - 
Jahresbericht  für  das  Vereinsjahr  1868/9.  Hermannstadt;  8*. 

—  Hermannstädter  Local- Statuten.  Festgabe.  Hermannstadt: 
1869;  4«.  —  Zie^glauer,  Ferd.  v.,  Harteneck,  Graf  der 
sächsischen  Nation  und  die  siebenbörgisehcn  Parteikämpfe  seiner 
Zeit.  1691—1703.  Hermannstadt,  1869;  8«.  —  Trauscb. 
Jos. ,  Schriftsteller  -  Lexicon  oder  biographisch  -  literarische 
Denkblätter  der  Siebenbürger  Deutschen.  I.  Band.  Kronstadt. 
1868;  8o. 

—  siebenburgischer,  für  romanische  Literatur  und  CuUur  de.< 
romanischen  Volkes:  Transilvania.  Anulu  III,  Nr.  12 — 19. 
Kronstadt,  1870;  4«. 

Vintimille  de  Geraei,  Le  droit  des  contribuables  et  la  delte  pu- 
blique. Florence  &  Paris,  1870;  gr.  8o.  —  A  Pietro  Sbarbarv. 
Firenze,  1870;  gr.  8^  —  Le  leggi  senza  la  civilis  sono  impo- 
tenti  a  formare  il  benessere  sociale.  Milano,  1869;  gr.  8*  — 


N 


SITZUNGSBERICHTE 


DRR 


KAISERLICHEN  AKADEMIE  DER  WISSENSCHAFTEN. 


PHILOSOPHISCH-HISTORISCHE   GLASSR. 


LIVI.  BAND.  II.  HSVT. 


JAHRGANG  1870.  —  NOVEMBER. 


16 


^ 


\ 


Commissiontbericht.  235 


SITZUNG  VOM  2.  NOVEMBER  1870. 


Der  Secretär  legt  ror : 

1)  Danksehreiben  von  den  neugewählten  und  bestätigten  Mit- 
gliedern G.  B.  de  Rossi  in  Rom,  Professor  Dr.  Home y er  in  Berlin, 
Professor  Dr.  Büdinger  in  Zürich. 

2)  Zwei  Ton  dem  Herrn  Prof.  Dr.  Friedrich  ron  Schulte  ein- 
gesendete Abhandlungen,  um  deren  Aufnahme  in  die  Sitzungsbe- 
richte derselbe  ansucht. 

a)  n  Beiträge  zur  Literatur  über  die  Decretalen  Gregors  IX., 
Inuocenz  IV.,  Gregors  X.** 

b)  Die  Summa  Decreti  Lipsienstis  des  Codex  986  der  Leipziger 
Universitätsbibliothek''. 


SITZUNG  VOM  9.  NOVEMBER  18T0. 


Der  Secretär  legt  vor: 

1)  das  mit  Unterstützung  der  kais.  Akademie  herausgegebene 
Werk  von  Dr.  Franz  Kürschner  «Eger  und  Böhmen"; 

16» 


236  CommittioDsbericbt. 

2)  eine  von  Herrn  N.  Urban  t.  Urbanstadt»  k.  k.  Finanz- 
Bezirks-Commissär  in  Komotau  eingesendete  Abhandlung  unter  dem 
Titel  „Egergau,  Egerland  und  Stadt  Eger  bis  zur  Verpfändung  an 
die  Krone  Böhmens*'. 


Das   w.   M.  Herr  Prof.  Friedrieh  Möller  legt  vor  für  die 
Sitzungsberichte  MArroeniaea  III**. 


SITZUNG  VOM  16.  NOVEMBER  1870. 


Der  Secretär  legt  vor: 

1)  ein  Exemplar  des  I.  Bandes  der  von  der  kais.  Akademie 
herausgegebenen  Sammlung  österreichischer  Weisthuroer; 

2)  eine  Note  der  n.  o.  Handels-  und  Gewerbekammer,  womit 
dieselbe  die  kais.  Akademie  zur  Betheiligung  an  der  1871  in  London 
stattfindenden  internationalen  Kunst-  und  Industrie-Ausstellung  ein* 
ladet; 

3)  ein  von  dem  k.  k.  Oberfeldstabsarzt  Herrn  Dr.  Joh.  Honisch 
in  Graz  eingesendetes  Manuscript:  ^Monumenta  historica  ordinis 
sanctae  Mariae  Theutonicorum  Regni  Austriaco-Hungarici**. 


V 


CoinmiMioo<b«richt.  23  T 


SITZUNG  VOM  30.  NOVEMBER   1870. 


Der  Vicepräsident  gibt  Kunde  von  dem  Ableben  des  corr.  Mit- 
gliedes der  kais.  Akademie,  des  Herrn  Archivars  Carl  Jaromir  Erben 
in  Prag. 

Die  Mitglieder  erheben  sieh  zum  Zeichen  des  Beileides  von 
ihren  Sitzen. 

« 

Der  Secretär  legt  ein  Schreiben  des  Herrn  Professors  Dr.  Las- 
sen vor,  womit  derselbe  seinen  Dank  fQr  die  Wahl  zum  Ehrenmit- 
gliede  der  kais.  Akademie  ausspricht. 


Das  corr.  Mitglied  Herr  kaiserl.  Rath  Beda  Dud(k  in  Brunn 
sendet  zwei  Manuscripte  ein: 

1.  „Reformations- Artikeln  des  Erzbischofes  von  Prag,  Anton 
Brus,  aus  dem  Jahre  1564*'. 

2.  ^Regesten  über  den  österreichischen  Erbfolgekrieg  in  Schle- 
sien, Mähren  und  Böhmen  aus  den  Jahren  1741  und  1742.  Nach 
den  Acten  des  k.  k.  Kriegsarchivs  in  Wien**. 


Das  corr.  Mitglied  Herr  Professor  Dr.  J.  V.  Zingerle  in  Inns- 
bruck legt  eine  Abhandlung  über  Hans  Vintler  und  dessen  Werk: 
^  Die  pluemen  der  tugent**  zur  Aufnahme  in  die  Sitzungsberichte  vor. 


238  CommiMiontbericht. 

Der  Secretär  legt  vor  ein  Schreiben  des  Hofbibliothekars  Herrn 
Dr.  Barack  in  Donaueschingen,  womit  derselbe  unter  Zusendung 
des  'Aufrufs  zur  Neubegründung  einer  Bibliothek  in  Strassburg*  an 
die  philos.-historische  Classe  das  Ansuchen  stellt,  dieselbe  wolle  ihre 
Druckschriften  zu  dem  gedachten  Zwecke  widmen. 


Phillips,  Über  das  lateinische  and  romanische  Element  etc.  239 


Über  das  lateinische  und  romanische  Element  in  der 

baskischen  Sprache. 

Vom  w.  M.  Hofrath  Dr.  6.  Phillips. 

I. 

Einleitung. 

Wir  würden  dieser  Abhandlung,  welche  sich  zunächst  auf  die 
Lautlehre  der  baskischen  Sprache,  in  so  weit  diese  fremde  Elemente 
in  sich  aufgenommen,  bezieht,  gern  eine  weitere  Ausdehnung  und 
ihr  demgeinäss  die  Überschrift:  „das  indogermanische  (arische) 
Element  in  der  baskischen  Sprache**  gegeben  haben,  wenn  zu  den 
yielen  Lücken  in  unserm  Wissen  nicht  auch  der  Mangel  einer  näheren 
Bekanntschaft  mit  dem  Keltischen  gehörte.  Die  Untersuchung  über 
die  Einwirkung  des  Keltischen  auf  das  Baskische  müssen  wir  daher 
den  Fachmännern  überlassen,  und  uns  auf  das  lateinische,  beziehungs- 
weise romanische  Element  in  dieser  Sprache  beschränken.  Die  in 
einer  besonderen  Abhandlung  mitgetheilte  Lauretanische  Litanei 
liefert  schon  einen  Beweis  davon,  wie  weit  die  Latinisirung  in  dem 
Wortschatze  der  baskischen  Sprache  vorgeschritten  ist  9?  einen 
andern  bietet  das  Fragment  eines  Dictionnaire*s  von  C  h  a  h  o  *),  wel- 
ches auf  vierhundert  und  vierzig  Folioseiten,  deren  jede  in  drei 
Columnen  getheilt  ist,  nichts  anderes  als  nur  lateinische  und  roma- 
nische Wörter  zeigt,  welche  in  die  baskische  Sprache  Aufnahme  ge- 
funden haben. 


')  S.  die  Abhandlung:  Eine  bnskische  Sprachprobe  (S.  19  u.  f). 
2)  Vergl.  die  angefahrte  Abhandlung.  8.  23  Note  2. 


240  Phillip« 

Man  scheint  je  nach  der  Zeit  ihrer  Reception  hinsichtlich  dieser 
Fremdworter  drei  Verhältnisse  unterscheiden  zu  dürfen: 

1  .^  Eine  grosse  Menge  lateinischer  Wörter  sind  dem  Baskiseheo 
erst  durch  die  Kirche  zugeführt  urorden;  diese  hahen  ihre  Gestalt 
so  ziemlich  unverändert  bewahrt.  Ausser  vielen,  die  in  der  gedachten 
Litanei  vorkommen»  gehören  beispielsweise  hieher:  adorazionezko 
akta,  kontrizionea  u.  s.  w.  Alle  diese  tragen  den  Stempel  der  Lati- 
nität  unverkennbar  an  der  Stirne,  und  es  ist  daher  auch  für  die 
Folge  nicht  nöthig,  sie  in  den  Kreis  dieser  Untersuchungen  zu  ziehen. 

2.  Nicht  so  deutlich  tritt  aber  der  nämliche  Ursprung  in  andern 
Wörtern  hervor:  in  makhila  wird  man  nicht  gleich  das  lat.  bacalus 
erkennen,  landatu  auch  nicht  auf  den  ersten  Blick  für  plantare  hal- 
ten; eben  so  wenig  frogotchea  für  probare,  ainguru  für  ancora, 
barkhatu  für  parcere  u.  s.  w.  Diese  Wörter  durften  schon  viel  früher 
als  jene,  und  zwar  zur  Zeit  der  Herrschaft  der  Römer  über  Hispanien  in 
die  Sprache  der  Vorfahren  der  Basken  aufgenommen  worden  ^sein,  wäh- 
rend späterhin,  als  die  Kirche  mit  ihrem  Latein  hinzutrat  und  dieses 
die  gottesdienstliche  Sprache  wurde,  eben  dadurch  eine  solche  Laut- 
veränderung, wie  sie  sich  dort  zeigt,  ferngehalten  wurde.  Dass  bas- 
kische Schriftsteller,  namentlich  Larramendi,  die  Sache  geradezu 
umkehren,  wurde  schon  bei  anderer  Gelegenheit  erwähnt  *). 

3.  Eine  dritte  und  äusserst  zahlreiche  Classe  bilden  diejenigen 
Wörter,  welche  aus  den  benachbarten  Nachbarsprachen,  aus  dem 
Spanischen,  aus  dem  Französischen,  so  wie  besonders  reichlich  aus 
dem  Proven^alischen^)  in  das  Baskische  hinübergewandert  sind. 
Als  Beispiele  führen  wir  an:  abantaldea  <(fr.  avantage),  bisaia 
(fr.  visage),  ispiuna  (fr.  espion),  lekhasia  (fr.  laquais),  minagrea 
(vinaigre)  u.  s.  w.  Die  Menge  dieser  ins  Baskische  aufgenommenen 
Wörter  macht  es  begreiflich,  wie  man  auf  den  freilich  sehr  verkehr- 
ten Gedanken  kommen  konnte,  dass  das  Baskische  nichts  weiter  als 
französischer,  beziehungsweise  spanischer  Dialekt  sei^).  Da  nun 
auch  diese  Wörter  im  Baskischen  durch  Lautveränderung  eine  andere 
Gestalt  annehmen,  so  ist  es  nicht  immer  leicht,  genau  zu  bestimmen. 


')  S.  die  angefahrt«  Abhandlung.  S.  12. 

^)   Über  das  umfangreiche  Gebiet  des  Prorenxalischen ,  welches  auch  in  Spaaieii  sieb 
weit  verbreitet  hatte,  s.  Dies,  Grammatik  der  romanischen  Sprachen.  Bd.  1.  &  77 
^)  S.  die  Abhandlung:  Über  das  basktsche  Aiphabet.  S.  IZ. 


über  das  lateiniiche  u.  romanische  Element  ia  der  basktschen  Sprache.    241 

ob  ein  Wort  unmittelbar  aus  deAi  Lateinischen  oder  auf  dem  Umwege 
durch  eine  der  genannten  romanischen  Sprachen  in  das  Baskische 
hineingekommen  ist.  Man  wird  an  dem  unmittelbar  lateinischen  Ur- 
sprünge von  zeru  =  coelum,  dembora  =»  tempus,  -oris,  bolbora  == 
pulvis,  -eris,  gorphuiz,  nnch  gorphiiz  =  corpus,  khuma  «»  coma, 
loria  SS  gloria,  fulia  3»  furia  und  anderer  Wörter  nicht  zweifeln 
können,  wogegen  aire  =  aer,  choil  =»  solus,  chatte  =  sors,  eben 
sowohl  aus  dem  ursprünglich  lateinischen  Wort,  als  auch  aus  dem 
französischen  air,  seul  und  sort  gebildet  sein  können.  Bei  andern 
baskischen  Wörtern  waltet  hinsichtlich  ihres  Durchganges  aus  dem 
Lateinischen  durch  eine  der  romanischen  Sprachen  gar  kein  Zweifel 
ob,  z.  B.  auaenzia  ist  spanisch,  auaart  provenzalisch,  duda  (doute) 
französisch.  Im  Allgemeinen  darf  man  aber  wohl  aniiehmen,  dass 
unter  den  Nachbarsprachen  ehedem  wenigstens  das  Provenzalische 
den  meisten  Einfluss  auf  das  Baskische  geübt  hat,  das  Spanische 
weniger  als  dieses  und  als  das  Französische,  in  Betreff  dessen  es 
den  Anschein  hat,  als  ob  es  erst  in  neuerer  Zeit  in  viel  grösserem 
Masse  in  das  cispyrenäische  Baskisch  eingedrungen  ist;  ein  Umstand, 
welcher  für  den  Fremden  die  zu  diesem  gehörigen  Dialekte  leichter 
verständlich  macht.  Im  Übrigen  müsste  man,  selbst  wenn  man  jener 
vorhin  bezeichneten  irrigen  Ansicht  über  die  Gleichstellung  der  bas« 
kischen  Sprache  mit  romanischen  Dialekten  huldigt,  doch  noch  zuge- 
stehen, dass  das  Latein  in  ihr  verhältnissmassig  weniger  Lautver- 
änderung erlitten  hat,  als  in  jenen,  und  sie  insofern  dem  Lateinischen 
näher  steht. 

Es  ist  aber  auch  so  manche^s  baskische  Wort  in  diese  romani- 
sehen  Sprachen  übergegangen,  und  es  bedarf  daher  einiger  Vor- 
sicht, dass  man  nicht  jedem  französisch  oder  spanisch  lautenden 
Worte  seine  Originalität  abspreche.  Freilich  darf  man  es  nicht  wie 
Larramendi  machen,  der  keinen  Anstand  nimmt,  das  Wort  ^Artillerie*' 
aus  dem  Baskischen  herzuleiten,  nämlich  von  arte  „gerade  Richtung*' 
und  illeria  „Todesstreich*' <).  Diez  ist  der  Meinung,  dass  keine 
hundert  Wörter  aus  dem  Baskischen  ins  Spanische  aufgenommen 
seien?).  Mahn  ist  hierin  wohl  mit  Recht  anderer  Ansicht.  In  seinen 
^Etymologischen  Untersuchungen*',  die   sich  auf  die  romanischen 


*)  Er  sagt:  viene  del  bascuense  arte,  rectitud,  j  de  illeria  eofermedad  y  golpe  de 

muerte. 
7)  Diei,  Wörterbuch.  Vorr.  XUI. 


242  Phillips 

Sprachen  beziehen»  weist  er  auf  den  baskisehen  Ursprung  vieler 
Wörter  in  diesen  Sprachen  hin»  z.  B.  prov.  aib  oder  aip,  bask. 
aipiia «)  (Ruf,  Gericht) ;  franz.  aise,  von  bask.  ataa  •)  (Vergnügen, 
Wohlbehagen);  span.  askua  (glühende  Kohle)»  von  bask.  a»kua^*) 
(Kohlengluth);  span.  bazo»  schwärzlich  braun,  von  bask.  belza^^) 
(schwarz);  franz.  bizarre  (in  neuerer  Bedeutung:  ^.seltsam**)  von 
bizarra^*),  ursprunglich:  Bart,  als  Adjectiv:  iizarrap  bartig,  näm- 
lich: Haar  auf  den  Zähnen  habend;  span.  pjzarra  (Schiefer),  von 
bask.  pizarra^^),  gorra  (Mütze),  von  bask.  gorra  <*)  (roth). 

Dem  Versuche,  welchen  wir  hier  wagen,  die  Lautveranderun- 
gen, welche  die  Fremdwörter  im  Baskischen  erfahren ,  etwas  näher 
zu  erörtern,  stehen  aber  noch  manche  andere,  als  die  sclion  ange- 
deuteten Schwierigkeiten  entgegen.  Nicht  die  geringste  ist  diejenige, 
welche  in  der  corrumpirten  Orthographie  liegt,  wie  man  sie  in  den 
meisten  baskischen  Büchern  antrifft  i&).   Überhaupt  hat  sich  unter 
dem  Zusammenwirken  verschiedener  Umstände  kein  festes  und  gleich- 
massiges  System  für  die  Lautveränderung  des  Latein  im  Baskischen 
bilden  können,  und  zwar  ist  dies  vornehmlich  durch  die  Verschieden- 
heit der  Dialekte  verhindert  worden.  Es  fehlt  daher  hier  an  solchen 
festen  Gesetzen ,  wie  sie  für  das  Verhältniss  anderer  Sprachen  zam 
Latein  aufgestellt  werden  können.   Während  mau  z.  B.  mit  Gewiss- 
heit sagen  kann ,  dass  ein  in  die  deutsche  Sprache  aufgenommenes 
lateinisches  Wort,  welches  p  im  Anlaute  hat,  im  Deutschen  pf  er- 
hält ( —  wovon  nur  der  pfälzische  Dialekt  eine  Ausnahme  macht  —), 
daher  also  aus  porta  Pforte,  aus  pondus  Pfund  wird,  fehlt  es  dagegen 
bei  dem  Baskischen  ganz  an  solchen  Principien.  So  geht  z.  B.  lat.  t 
zwar  gewöhnlich  in  bask.  b  über,  daneben  bleibt  aber  lat  b  im  Bas- 
kischen ebenfalls  b;  zugleich  wandeln  sich  aber  auch  jei  und/* zu  i. 
während  ausserdem  noch  lat.  b,  p  und  v  zu  bask.  m  werden,  ohne 


^)  Mahn,  Etymologische  Uotertuchungen.  S.  4i.  n.  35. 

•)  Mahn    a.  a.  0.    S.  145.    n.    115.  —  Vergl.    die  Abhandlung:     Ein«    baskUcfee 

Sprach  probe.  S.  35. 
10)  Mahn  a.  a.  0.  S.  128.  n.  103. 
«0  Mahn  a.  a.  0.  S.  S7.  n.  72. 
IS)  Mahn  a.  a.  0.  S.  137.  n.  107. 
<S)  Mahn  a.  a.  0.  S.  87.  n.  71. 
1^)  .Mahn  a.  a.  0.  S.  15.  n.  12. 
1*)  S.  die  Abhandlung:  Über  das  baskische  Alphabet.  S.  2. 


über  das  lateinische  u.  romanische  Element  in  der  baskischen  Sprache.    243 

dass  sich  darüber  eine  bestimmte  Regel  aufstellen  liesse,  wann  das 
Eine  oder  Andere  einzutreten  hat.  Man  muss  sich  daher  in  diesen 
und  in  anderen  Fallen  mit  einer  Zusammenstellung  begnügen,  welche 
auf  dasjenige  in  der  Mannigfaltigkeit  hinweist,  was  das  Gewöhn- 
lichere ist. 

In  der  Grammatik  der  romanischen  Sprachen  ron  Diez  besitzen 
wir  ein  Fundamentalwerk  zur  Beurtheilung  des  Verhältnisses  des 
Latein  zu  jenen  Sprachen.  Das  erste  Buch  dieses  Werkes  behandelt 
die  Lautlehre  und  bietet  für  das  Verhältniss  des  Latein  zum  Baski- 
schen eine  lehrreiche  Parallele,  während  das  zweite,  welches  die 
Flexion  zum  Gegenstande  hat,  hier  wegen  des  ganz  eigenthiTknIichen 
Organismus,  welchen  die  baskische  Sprache  sich  bewahrt  hat,  keine 
derartige  Anwendung  erfahren  kann.  In  der  nachfolgenden  Zusam- 
menstellung haben  wir  uns,  eben  um  jener  Parallele  willen,  an  die 
Ordnung  in  gedachtem  Werke  angeschlossen. 

II. 

Die  Vokale  der  in  die  baskische  Sprache  aufgenom- 
menen lateinischen  und  romanischen  Wörter. 

1.  Das  lat.  a  bleibt  im  Baskischen,  sowohl  im  Anlaut  als  auch 
im  Inlaut»  in  der  Regel  unverändert;  als  Beispiele  können  dafür  dienen; 
anima,  bask.  alima  und  arima,  arca,  bask.  arkha^  cathedra,  bask. 
kadirat  charitas,  bask.  karitate,  clarus,  bask.  klaVy  pala  bask.  pliala. 
Was  den  Auslaut  anbetrifFt,  so  findet  sich  allerdings  auch  hier  das 
— a  wieder,  aber  dieses  bask.  a  ist  der  dem  Worte  beigesetzte 
Artikel. 

2.  Jene  Regel  erleidet  indessen  einige  Ausnahmen :  steht  näm- 
lich das  a  Tor  einem  n  *),  so  verwandelt  sich  dasselbe  in  at,  z.  B. 
ancora  wird  aingurup  angelus:  aingeruj  anguiila:  aingira^  sanctus: 
saindtia;  doch  steht  sangra  statt  des  franz.  saign^e.  Dieselbe  Er- 
scheinung der  Verwandlung  des  a  in  ai  findet  sich  auch  in  den  roma- 


1)   Vergl.  Di  ex,  Grammatik  der  romanischen  Sprachen.  Bd.  1.  S-  123,  u.  ff. 
3j  Vcrgl.  Dies  a.  a.  0.  S.  125. 


244  Phillip» 

nischen  Spi-achen  <),  wo  sich  a  auch  vor  m  erweitert,  was  im  Bas- 
kischen nicht  der  Fall  ist,  wo  z.  B.  amor  sich  als  atnodio  wieder 
findet.  Der  Übergang  des  a  in  ai  wird  auch  vor  q  und  /  angetroffen. 
Dahin  gehört  aqua  ardens  «->  aigardetiU  im  labourdinischen  Dialekt 
ngordienU  im  SQjiletinischen  augardient;  eben  so  fraide  für  frater 
(Klosterbruder).  Hiermit  kann  nicht  in  Parallele  gestellt  werden 
adamas,  welches  Wort  in  seiner  Bedeutung  fQr  ^.Magnet**  im  Bas- 
kischen wie  im  Französischen  aimant  lautet,  wonebeu  sich  freilich 
auch  bask.,  span.  und  port.  iman  findet.  Das  ai  in  aimant  ist  nicht 
aus  a  vor  einem  d  hervorgegangen,  sondern  in  dem  ai  ist  zugleich 
das  d  von  adamas  enthalten. 

3.  Hin  und  wieder  kennt  das  Baskische  den  Übergang  des  tat. 
a\i\  e\  z.  B.  lat.  arrha,  bask.  erres,  so  wie  auch  das  franz.  laquais 
sich  in  lekheisa  und  attacher  sich  in  estekaiu  verwandelt. 

4.  Häufiger  verändert  sich  lat.  a  in  t,  z.  B.  iat.  sarmentum, 
bask.  chirmendti. 

E.*) 

1.  Dieser  Vokal  bleibt  öfters  im  Anlaut  wie  im  Inlaut  unver- 
ändert, z.  B.  in  eUza,  worin  sich  ecclesia  verwandelt  hat,  wobei  es 
zweifelhaft  ist,  ob  franz.  egiise  oder  span.  iglesia  als  Vermittlung  ge- 
dient haben;  ferner  gehört  hierher  abendo:  lat.  adventus;  der  Name 
des  Decembermonate»,  nicht  minder  (er^rege  lat.  rex,  (er)regle  lat. 
regula. 

2.  Bisweilen  findet  sich  aber  auch  Übergang  des  e  in  a,  ^e 
denn  aus  lat.  emenda:  amanda^  aus  franz.  enchere:  anchera*  span. 
empecer,  franz.  empScher:  emphatchu  yfxvA^').  Ob  alabar^  welches 
zugleich  spanisch  ist,  sich  aus  elevare  ableiten  lasst,  erscheint  zwei- 
felhaft, aber  fast  noch  mehr,  ob  es  zu  dem  nur  plautinischen  allaa- 
dare  zu  stellen  sei*). 

3.  Wenn  lat.  e  sich  im  Baskischen  als  ai  wieder  findet,  z.  B. 
renes  als  (er)rainak  ^  so  rührt  dies  hier  doch  wohl  von  dem  Durch- 
gang durch  franz.  reins  her,  obschon  amurraina  =  murena. 


')  V'er^i.  Dies,  Wörterbuch  der  romaalschen  Spmchen.  S.  113. 

^J   Verg^l.  Diei,  Grammatik.  S.  127.  u.  ff. 

^)  Diez,  Wörterbuch.  S.  4S6  üsit  es  zweifelhaft,  ob  empecer  zum   lat.  inpedire 

grehört. 
<>)  Diez,  Wörterbuch.  S.  452. 


über  dM  lateinische  u.  romanische  Element  In  der  baskischen  Sprache.    245 

4.  Bisweilen  geht  lat.  e  auch  in  bask.  t  über,  z.  B.  iipula  als 
deminutiv  Ton  cepa. 

5.  Daneben  wandelt  sich  lat.  e  auch  in  o;  z.  B.  resina  ist  bask. 
{ar}rochina,  pulvis,  -eris:  bask.  bolbora. 

6.  Während  aus  regula  im  Baskischen  erregle  wird,  verwandelt 
sich  tegula  in  teila. 

7.  Nach  dem  bask.  Worte  briu  für  ebrius  zu  scbliessen,  wurde 
e  im  Anlaute  bisweilen  weggeworfen;  indessen  mag  Chaho  ?)  wohl 
Recht  haben,  dass  dies  ein  baskischer  Neologismus  sei,  um  so  mehr, 
da  die'  Sprache  för  diesen  Begriff  das  einheimische  Wort  ordia  oder 
hordia  hat. 

1.0 

1.  Im  Anlaute  wie  im  Inlaut  bleibt  i  unverändert,  z.  B.  imago: 
imachina,  scribere:  iskribatu,  und  viele  andere  Wörter. 

2.  Häufig  geht  es  in  e  über,  z.  B.  diabolus  wird  deabru  (auch 
debrü),  diminuere:  demenitUf  invidia:  embidia  (was  freilich  auch 
spanisch  ist),  impostor:  embustari  (span.  embustore),  invalidus: 
embaldi 

3.  Zuweilen  tritt  an  die  Stelle  des  t  der  Diphthong  eif  z.  B. 
für  linea:  leinua,  für  Signum,  signale:  seinhale,  fiir  vitrum:  beira. 

4.  Übereinstimmend  mit  dem  Spanischen  tritt  auch  bask.  a  nn 
die  Stelle  des  i  bei  der  Negation  m,  z.  B.  intrepidus:  bask.  atrebit 
(span.  atrevido). 

0..) 

t.  Das  lat.  0  findet  sich  auch  im  Baskischen  wieder,  wofür 
honor  in  seiner  Umgestaltung  zu  ohore,  dolor:  dolop  als  Beispiel 
dienen. 

2.  Übergang  in  a  zeigt  arloia  für  horologiun,  doch  kann  dies 
Wort  auch  anders  erklärt  werden  ^^).  Dem  analog  ist  das  mittellat. 
octrojare  (span.  otorgar)  zu  atroia  geworden. 


'')  Chaho,  Dictionnaire.  v.  brtu. 
^)  Dies,  Grammatik  a.  a.  0.  S.  131  n.  f. 
•)  Dies  a.  a.  0.  S.  136. 
^^)  S.  unten  bei  dem  Buchstaben  it. 


246  P  h  i  1  U  p  • 

3.  Wenn  das  bask.  lekhua  wirklich  aus  dem  iat.  locus  herzu- 
leiten ist,  so  wäre  dies  ein  Beispiel  einer  Wandlung  des  Iat.  o  in 
bask.  e. 

4.  Häufiger  ist  die  Erweiterung  des  o  in  oi,  welche  in  dieser 
Weise  in  den  romanischen  Sprachen  nicht  vorkommt.  So  ist  Iat.  leo, 
bask.  leoin  oder  lehoin»  solus:  choiL  Die  franzosischen  Wörter 
aumdne,  ratou,  rigole  lauten  baskisch:  amoith  (ar)ratoin*  (ar)ro\i 

5.  Auch  in  u  wandelt  sich  o»  wie  sich  dies  in  iAtcma  =  coma 
zeigt.  Insbesondere  gestaltete  sich  das  Iat.  con-  im  Baskischen  zu 
kunt'f  z.  B.  conversatio  zu  kumbersa^  convertere  zu  kumbertitu. 

6.  Für  den  Übergang  des  franz.  o  in  bask.  au  gibt  das  franz. 
Wort  Huguenot  als  bask.  Higanaut  ein  Beispiel. 

1.  Die  baskischen  Worter  mvndu^  muru  und  mutu  entsprechen 
den  lateinischen  mundus,  murus  und  mutus,  und  zeigen  somit  den 
Fortbestand  des  u. 

2.  Verwandlung  in  i  findet  sich  in  makhila  für  baculus,  in  büo^ 
für  vellus. 

3.  Daneben  findet  sich  Übergang  des  tc  in  o ;  z.  B.  humor:  omo- 
rea,  pilula:  pirola^  Augustus:  Aboztoa, 

4.  Franz.  m  geht  ebenfalls  int  über;  so  in  Huguenot,  husk.Higanaut. 

Ae.i«) 

1.  Der  Diphthong  ae  findet  sich  im  Baskischen  nicht  wieder, 
sondern  geht  in  ai  über;  so  ist  aire  das  Iat.  aer«'}*  Auch  hat  das 

Bask.  das  Iat.  Wort  aequalis  in  der  span.  Form  higual  recipirt. 

». 

2.  Ein  Übergang  des  ae  in  u  stellt  sieh  in  dem  Worte  burfiditi 
entgegen,  welches  einen  Menschen  von  übermässigem  Selbstvertrauen 
bedeutet  und  wohl  von  dem  Iat.  praefidens  herzuleiten  sein  durfte  i^). 


li)  Dies  a.  a.  D.S.  141  u.  IT. 

>2)  Dies  a.  a.  D.S.  147. 

IS)  S.  oben  S.  2U. 

14)  S.  Chaho,  Dictionnaire  t.  Burfiditi. 


über  daa  lateinische  u.  rnmanitche  Element  in  der  baskischen  Sprache.      247 

Au.  «5) 

1.  Der  Diphtong  au  ist  dem  Baskischen  nicht  fremd,  z.  B. 
auzoa  heisst  „der  Nachbar".  Er  dauert  daher  auch  in  mehreren 
recipirten  Wörtern  fort  z.  B.  laudatu^  Inndagarria,  so  auch  in 
solchen,  welche  den  Umweg  durch  die  romanischen  Sprachen  gemacht 
haben,  z.  B.  ausart  (kQhn,  waghalsig). 

2.  In  mehreren  Wörtern  ist  das  u  des  Diphtongs  fortgeworfen, 
z.  B.  audire  ist  zu  aditu  geworden;  daher  aditzallea  =»  aiiditor, 
nditzana  =  auditorium,  adiundea  =  audientia,  Aboztua  =  Augustus. 
Eben  so  wird  das  u  auch  in  den  durch  das  Französische  verwickelten 
Worten  beseitigt;  aus  aumdne  z.  B.  wird  amoin;  daneben  kommt, 
was  beiläufig  erwähnt  werden  mag,  auch  ein  direct  von  eleemosyna 
abgeleitetes  Wort  in  der  Form  en'emtisina  vor. 

3.  Das  lat.  alauda  findet  sich  bask.  als  aloeta  vor,  was  wohl 
aus  dem  fr.  alouette  entnommen  ist. 

III. 

Die  Oonsonanten  der  in  die  baskische  Sprache  auf- 
genommenen  lateinischen  und  romanischen  Wörter. 

1.  Die  Lippenlaute. 

1.  In  einigen  Wortern,  z.  B.  purga^  prozes,  bleibt  p  unver- 
ändert. 

2.  Sehr  häufig  geht  lat.  p  in  bask.  b  über  z.  B.  parcere :  bark- 
hatUt  pascha :  bazko,  peccatum :  bekhatut  pix :  bike,  porta :  borthe, 
pulvis:  bolbora^  capitulum:  kabildu»  sapo:  chaboh  sepia:  chibi, 
cupa :  kuba. 

3.  Bisweilen  wird  lat.  p  im  Baskischen  aspirirt;  z.  B.  pala: 
phala,  pausa:  phausa. 


«»)  Dies  a.  a.  O.  S.  148. 
!•)  Dies  a.  a.  O.  8.  177  ti.  ff. 


248  Phillipi 

4.  Hin  und  wieder  tritt  f  an  die  Stelle  des  p»  z.  B.  frogaizea: 
probare. 

5.  Übergang  des  p  in  m  findet  sich  in  mendecoste  für  penteeoste. 

B.  i^ 

1.  Lat.  b  dauert  sowohl  im  Anlaute,  als  auch  im  Inlaute  fort, 
z.  B.  blasfemio»  baba  (faba) ;  so  auch  in  französischen  Wörtern,  z.  B. 
bleu :  bask.  blu. 

2.  Übergang  des  b  in  p  findet  sich  in  (ar)ropa  für  franz.  roba. 

3.  öfters  wandelt  sich  b  in  m,  z.  B.  makhila  für  baculus,  bre^ 
menda  f&r  praebenda;  eben  so  ist  aud  dem  franz.  bain  das  bask. 
mainku  hervorgegangen. 

4.  Auch  bask.  g  tritt  an  die  Stelle  des  lat.  6,  z.  B.  frogaizea: 
probare. 

5.  Die  Consonantengruppe  bs  verwandelt  sich  in  z,  z.  B. 
absynthus :  azenxioa. 

F.«) 

1.  Der  Buchstabe  f  ist  ein  im  Baskischen  verhaltnissmassig 
seltener:  ursprünglich  fremd  hat  er  sich  jedoch  in  manchen  Wörtern 
erhalten  z.  B.  facti,  fedea»  feria,  fidauzia^  fulia.  Im  Inlaute  ist  schon 
im  Lateinischen  f  sehr  selten,  um  so  weniger  ist  es  an  dieser  Stelle 
im  Baskischen  anzutreffen,  doch  bietet  azufaife  ein  Beispiel  dafür. 

2.  Öfters  geht  finb  über,  z.  B.  festum  wird  beHa. 

3.  Aus  spanischem  Einflüsse  lässt  sich  wohl  lat.  f  =  bask.  h 
erklären,  z.  B.  hago  für  fagus,  hami  für  fames,  holtu  für  folium. 

4.  Häufig  wird  fim  Anlaute  gänzlich  fortgeworfen;  daher  wird 
aus  fervere  bask.  erber,  aus  ferrementum,  erremenie.  Wenn  dies  in 
den  angeführten  Beispielen  vor  einem  Vocal  geschieht,  so  kommt 
es  um  so  häuflger  bei  nachfolgendem  Consonanten  vor.  Demnach  ist 
flamma  bask.  lama»  flos:  lorea;  übrigens  steht/*  hierin  nicht  allein, 
sondern  auch  gloria  wird  zu  loria,  pluma  zu  luma. 


<^  Dies  a.  a.  CS.  ISO  n.  ff. 

<8)  Dies  a.  a.  0.  S.  184. 


über  das  lateinische  u.  romanitcbe  Element  in  der  beskisehen  Sprache.      249 

1.  Der  Buchstabe  v  ist  eigentlich  dem  Baskischen  nicht  bekannt; 
von  den  verschiedenen  Wandlungen,  welche  derselbe  in  den  lateini- 
sehen  dort  recipirten  Wörtern  erfahrt,  war  schon  oben  die  Rede  <^). 
Der  eigentliche  Stellvertreter  des  lat.  v  ist  bask.  6»  dessen  sanfte 
Aussprache  ihm  ebenfalls  ganz  nahe  kommt.  Dieselbe  Erscheinung 
findet  sich  aber  auch  in  altrömischen  Denkmälern  vor'i)  und  ist 
allen  romanischen  Sprachen  gemeinsam  *a^.  Als  Beispiele  aus  dem 
Baskischen  mögen  angeführt  werden:  Benus  für  Venus,  banaloria: 
vana  gloria,  bilos:  vellus,  bezpera:  vespera,  beztüu:  vestire,  6er- 
tude:  virtus,  bizio:  vitium,  borundaie:  voluntas,  botz:  vox.  Eben 
so  Verhaltes  sich  auch  im  Inlaute:  zerbitzu:  servire. 

2.  Des  Überganges  vom  lat.  v  in  m  geschah  ebenfalls  schon 
Erwähnung.  Als  Beispiele  gehören  hierher:  makhila:  baculus,  men-' 
dicaria;  vindicare,  lemania:  franz.  levain,  menhira:  Ventura. 

3.  Bisweilen  findet  sich  auch  ein  Übergang  des  v  in  ^,  z.  B. 
fagor  für  favor. 

1.  In  der  Regel  bleibt  m  im  Anlaut  unverändert,  doch  kommen 
mancherlei  Ausnahmen  vor,  indem  lat.  m  auch  zu  b  wird;  z.  B.  lat 
murmur  bask.  burrutna. 

2.  Im  Inlaute  kann  das  Baskische  das  m  vor  n  nicht  ertragen, 
sondern  hilft  sich  mit  Stellvertretung  durch  einen  Vocal.  Daher  wird 
lat  damnum  bask.  dainu. 

3.  Ebenso  duldet  das  transpyrenäische  Baskische  das  m  auch 
im  Auslaute  nicht,  sondern  verwandelt  es  in  n;  dem  haben  sich  auch 
die  biblischen  Namen  Adam,  Bileam,  Mesraim  unterwerfen  müssen, 
die  in  der  Form  Adan^  Bilean,  Mesrain  erscheinen.  Im  Labourdini- 
schen  wird  dies  nicht  beobachtet,  wenigstens  hat  Duvoisin  in  seiner 


«•)  Dies  a.  a.  0.  S.  1S6. 

*^)  S.  oben  1.  S.  UZ, 

*')  S.  Corssen,  Anssprache,  Vocaliimus  und  Betonung.   Bd.  1. 

SS)  Dies  a.  a.  0.  S.  1S6  u.  ff. 

23     Dies  a.  a.  O.  S.  188  n.  ff. 

Sitsb.  d.  phil.-hiit.  Cl.  LXVl.  Bd.  11.  Hft.  17 


280  Phillips 

BibelQbersetzung  4as  auslautende  m  in  solchen  Namen  beibehalten. 
Dennoch  tritt  die  Regel  insoferne  in  manchen  andern  Wortern 
hervor,  als  lat.  donum  z.  B.  bask.  zu  dohain  wird. 

4.  \yenn  fr.  murene  in  amurraina  der  baskischen  Bezeichnung 
für  lyForelle**  enthalten  ist,  so  böte  sich  hier  ein  Beispiel  eines  Vor- 
schlages des  a,  wie  er  sonst  vor  r  und  t  vorkommt. 

2.  Die  Kehllaute. 

1.  Vor  allem  muss  hier  von  der  Aussprache  des  c  als  eines 
Sibilanten  vor  e  und  i  abgesehen  werden,  die  dem  Lateinischen 
ursprünglich  ebenfalls  fremd  war  *»).  c  erscheint  im  Baskisehen  aneh 
Yor  a,  0  und  u,  so  wie  vor  einem  Consonanten  als  k  wieder,  nur  wird 
im  letzteren  Falle  regelmässig  zwischen  dem  k  und  dem  darauf 
folgenden  Consonanten  ein  Vocal  eingeschoben.  Als  Beispiele  mögen 
dienen:  calix:  bask.  kalüz,  cathedra:  kadira,  capeila:  kapera,  co- 
gnata:  konnata^  currere:  kurritu^^y  Häufig  wird  aber  das  k  im  Bas- 
kischen aspirirt,  z.  B.  catena:  khadirna,  Corona:  khoroa,  coma: 
khuma^  crux:  khurutze. 

2.  Eben  so  häufig  ist  der  Übergang  des  c  in  ^;  z.  B.  calx: 
galtz*  Camera :  ^aiit6^ra,  castelhim:  ^a2;fe/fi,  castigare:  gastigatu, 
cerasus:  gerezu  corpus:  gorphiäz,  crux:  gurutsu. 

3.  Auffallend  ist  im  Gegensatze  zu  dem  vorhin  gewählten  Bei- 
spiele cerasus:  gerezi  der  Übergang  des  c  in  dem  Worte  coelum  in 
bask.  zeru  (soulet.  zelui),  was  offenbar  späterer  Corruption  zuzu- 
schreiben ist. 

4.  Ein  Übergang  des  c  in  ^  findet  sich  in  dem  bask.  tiptUa,  was 
dem  lat.  caepula  entspricht. 

5.  Während  cc  im  Spanischen  und  Französischen  sich  in  g 
verwandelt,  z.  B.  ecciesia  in  iglesia  und  eglise,  wirft  das  ßas- 
kische  den  Gutturalen  ganz  fort  und  macht  daraus  SUza. 


3«)  Dies  a.  a.  O.  S.  191  u.  ff. 

>^)  8.  die  Abhandlung :  Über  das  batkitche  Alphabet  S.  30. 

**)  Wegen  des  Inlaates  s.  die  Beispiele  su  dem  Buchstaben  X  unter  2. 


über  das  lateinische  u.  romaoische  Element  in  der  baskischen  Sprache.      251 

« 

1.  Der  zusammengesetzte  Buchstabe  es  oder  x  ist  eigentlich 
dem  Baskischen  fremd»  obschon  das  Zeichen  w  in  neuerer  Zeit  im 
Schreiben  öfters  angewendet  wird.  Es  ist  aber  gewiss  richtiger,  wie 
man  aus  den  Beispielen  crux  =  gwnitinu  vox  =»  hotz  entnehmen 
kann,  wenn  man  lat.  x  als  bask.  ts  fasst  und  sollte  daher  nicht 
aberax  sondern  aberatZf  nicht  Axular,  sondern  Atzhlar  schreiben, 
wobei  an  die  Parallele  erinnert  werden  mag»  dass  auch  die  Italiener, 
wenn  sie  lateinisch  sprechen,  das  x  durch  ts  wiedergeben. 

2.  Das  in  dem  x  enthaltene  c  »  ^  tritt  im  Baskischen  doch 
öfters  hervor,  indem  z.  B.  pax,  -acis  zu  pake^  pix,  -icis  zu  pike 
geworden  ist. 

1.  Man  hat  in  der  neueren  Schreibweise  das  lat.  q  wohl  auch 
beibehalten,  aber  es  ist  meistens  als  überflüssig  beseitigt  a»)  und 
durch  kh  ersetzt  worden.  Daher  schreibt  man  quitanza  und  khitanza, 
quiloa  und  khiloa. 

2.  Statt  dessen  findet  sich  auch  der  Übergang  in  die  beiden 
Gutturalen  g  und  k.  Demnach  wird  aus  quatuor  tempora;  garta- 
dembora  und  aus  franz.  quitter:  g(uJaitaHi*^),  wogegen  das  lat. 
quasi  sich  in  kasik  verwandelt  hat;  auch  schreibt  man  für  quitter: 
kitatu. 

1.  Der  Buchstabe  g  bleibt  in  mehreren  Wortern  im  Inlaute 
auch  im  Baskischen  unverändert,  z.  B.  largus  bask.  largoa.  tm  An- 
laute wird  auch  wohl  aufiallender  Weise,  da  das  ^askische  di^9. 
sonst  vermeidet,  ein  r  eingeschoben,  z.  B.  gabella  findet  sich  in  der 
Form  grabela. 


«7)  Dies  a.a.  0.  S.  206  u.  ff. 

28)  Dies  a.  a.  0.  8.  212. 

3«)  S.  die  Abhandlung:  Über  das  baskische  Aiphabet.  S.  31. 

s®)  firklfirt  sich  daraus  oder  aus  guaita  (guetter)  der  Familiennime :  Guaita? 

S<)  Dies  a.  a.  0.  8.  214  u.  ff.  ' 

17* 


252  Pbillipa 

2.  Übergang  des  g  mk  bietet  kente  für  genus :  daneben  kommt 
aber  aucb  vor  gens  =  gente,  virgo  »=  birgina. 

3.  In  manchen  Fällen  geht  g  im  Inlaute  in  ch  ober,  z.  B.  afOigere : 
aflichi,  digerere :  dichiri^  imago :  imachina, 

1.  Dass  j  im  Anlaute  unverändert  bleibt,  zeigt  das  in  der 
lauretanischen  Litanei  vorkommende  Jt/^^iWareis  mürala;  eben  so  ist 
jocare  =  jocaiu, 

2.  Im  Inlaute  wandelt  sich  j\  gleich  dem  g^  in  ch^  z.  B.  ejicere 
wird  echatu. 

H.«0 

1.  Da  die  cispyrenäischen  Dialekte  die  Aspiration  durch  h  beson- 
ders lieben,  die  jenseits  der  Pyrenäen  aber  meiden,  so  ist  es  daraas 
erklärlich,  dass  demgemäss  das  lat.  h  eine  verschiedene  Behandlung 
erfuhr.  So  findet  man  z.  B.  histrio  bask.  histrudion  wieder,  auch 
wird  übereinstimmend  mit  dem  Spanischen  heredero  gesagt;  ja 
bisweilen  wird,  auch  im  Einklänge  mit  dem  Spanischen,  h  als  Spiri- 
tus asper  vorgeschlagen,  wo  er  im  Lateinischen  sich  nicht  findet; 
z.  B.  aequalis  wird  higuaL 

2.  Häufig  und  zwar  nicht  blos  in  den  transpyrenäischen  Dialekten 
wird  das  lat.  h  gänzlich  abgeworfen  (z.  B.  omorea:  humor)  oder 
aus  dem  Anlaute  an  die  zweite  Stelle  gesetzt  (z.  B.  ohorea :  honor). 
Dennoch  möchte  es  doch  nicht  so  ganz  gewiss  sein,  ob  die  bask. 
Worte  asta  und  aberea  von  dem  lat.  hasta  und  habere  herzuleiten 
seien,  obgleich  in  den  Begriffen  allerdings  eine  Verwandtschaft  vor- 
handen ist:  asta  bedeutet  nämlich  «die  Deichsel''  und  aberea  »das 
Vieh**,  »die  Viehheerde",  wozu  dann  aberax  »reich**,  d.  h.  »derVieh- 
heerden  Besitzende*'  \kxiiiaberax-tu  »reich  werden  **,  »sich  bereichern^ 
gehört. 

3.  Dass  lat.  herinaceus,  fr.  h^risson  in  sagarroia  fortlebe,  wie- 
hin  und  wieder  behauptet  wird,  ist  sehr  unwahrscheinlich. 


s<)  Dies  a.  a.  O.  S.  210  n.  ff. 
SS)  Diez  a.  a.  0.  S.  221  u.  ff. 


über  dat  lateiniache  u.  romaDitche  Element  id  der  baskischeo  Sprache.     253 

3.  Die  Zungenlaute. 

T.  und  Th.  »*) 

1 .  Es  lässt  sich  nicht  als  Regel  aufstellen,  dass  lat.  t  im  Bask. 
unverändert  bleibe,  es  kommen  jedoch  mancherlei  Beispiele  davon 
vor»  z.  B.  tela  (Leinwand),  tegula:  teila. 

2.  Häufiger  geht  t  in  d  über,  z.  B.  adventus:  abendoa,  catena: 
khadinna^  cathedra:  kadira  (prov.  cadeira),  rota:  (ar)rodaf  sanc- 
tus:  saindua^  tempus:  dembora,  taberna:  dafarruit  fr.  t^ton«  deutsch: 
Zitze  •>) :  dühi.  Auch  fr.  U  erfahrt  die  nämliche  Veränderung,  z.  B. 
debatte  wird  debadio, 

3.  Merkwürdig  ist  der  Übergang  des  t  in  cA,  z.  B.  meritum 
wird  zu  merechi,  ähnlich  wie  impedire  zu  der  Form  empecher  und 
im  bask.  emphatchu  gelangt  ist.  Obschon  dieses  ch  dem  Proven- 
zalischen  sehr  geläufig  ist,  z.  B.  profechar  für  lat.  proficere,  allachar 
für  allaiter,  so  findet  sich  dort  die  Form  merechi  nicht  vor,  sondern 
es  hat  sich  merite  erhalten.  Da  nun  das  Baskische  mehrere  solche 
romanische  Worter  aufgenommen  hat,  in  welchen  das  ch  an  die 
Stelle  eines  ursprünglichen  lat.  t  getreten  ist  (z.  B.  mesperetchu  für 
m^pris)»  so  dürfte  auch  alcha  <*),  alchatu  (analog  dem  ital.  alzare) 
auf  altus  (exaltare)  zurückzufuhren  sein. 

4.  Bisweilen  wird  dem  i  ein  a  vorgeschlagen,  z.  B.  theriaca 
bask.  afriaca,  thyunus,  bask.  (und  span.)  atun» 

D. ") 

1.  Im  .allgemeinen  ist  von  d  zu  bemerken,  dass  es  keine  Ver- 
änderung zu  erleiden  pflegt,  wie  dasselbe  sich  z.  B.  in  deabru, 
desideratut  donceila  erhalten  hat. 

2.  Bisweilen  findet  sich  Übergang  in  /,  z.  B.  differentia  ver- 
wandelt sich  in  liferenzia*  wohin  auch  f^anz.  danger  s=  bask.  lanier 
gehört. 


*^)  Dies  a.  a.  0.8.222. 

^^)  Ver^l.  Diez,  Wörterbuch.  8.  345  u.  a.  w.  tetU. 
**)  Vergl.  L.  Bonaparte,  Cantiettni  Canticorum. 
*"*)  Dies  a.  a.  0.8.  226. 


254  phi  in  p« 

1.  Wenn  sich  im  Baskischen  für  das  lat.  Zahlwort  sex  die  Be- 
zeichnung «W,  wie  im  Italienischen,  findet,  so  ist  dies  wohl  kaum 
aus  einer  Aufnahme  aus  dem  Lateinischen  zu  erklären,  sondern  man 
darf  hierbei  wohl  an  einen  weiter  hinaufreichenden  Zusammenhang 
denken.**).  Das  Gleiche  mochte  von  zazpi  gelten,  welches  das  Zahl- 
wort für  Septem  ist,  so  wie  von  dem  überall  wiederkehrenden  Worte 
Saccus  s=  bask.  zacua ,  was  auch  als  sacculus  »  sakhelu  in  ier 
Bedeutung  von  Tasche  vorkommt 

2.  Das  lat.  s  hat  sich  in  vielen  Wortern  erhalten,  z.  B.  saindua 
^  sanctus,  aalbo  >b  saivus,  saliga  «»  salix,  seda  »  seta  u.  s.  w. 
Beiläufig  mSge  bemerkt  werden,  dass  die  baskische  Sprache  in  dem 
Worte  aatelttf  welches  MSegel**  bedeutet,  an  das  Deutsche  anzu- 
klingen scheint. 

3.  Am  häufigsten  ist  der  Übergang  des  8  in  ch^^}  und  zwar 
sowohl  im  Anlaute,  wie  im  Inlaute.  Beispiele  dafür  sind :  sapo  (sp. 
jabon)  bask.  chaboif  sarmentum:  chirmendUf  solus:  cfcoJ4  sepia: 
chibit  bissextilis:  bichisto,  resina:  (^arjrochina,  Mars:  Marchoa; 
auch  dürfte  luscinia,  altfr.  lussignol,  sp.  rossignol  *<)  «  erre&hinalet 
hieher  zu  ziehen  sein.  Die  Wandlung  des  s  in  ch  findet  sich  aber 
auch  im  Auslaute,  z.  B.  franz.  au  moins,  bask.  omench. 

4.  Sodann  findet  sieh  8  im  Baskischen  auch  als  z  wieder,  z.  B. 
servire:  zerbUzatu,  sors:  zarihe  (aber  auch  charte).  Auch  das 
doppelte  88  verwandelt  sich  in  s,  z.  B.  missa:  bask.  meza. 

5.  Wichtig  ist  auch  der  im  Baskischen  verbreitete  Gebrauch, 
dem  8  impurum,  welches  auch  dann  öfters  in  ch  übergeht,  einen 
Vocal  vorzuschlagen.  Dieser  ist  entweder  ein  e  oder  ein  ^  z.  B. 
schola:  eakolüt  sperare:  eaperatu,  Spiritus:  i8piriiu,  scribere:  iskri" 
batUf  stuppa:  ichtupa.  Das  ch  ist  ausserdem  noch  in  denjenigen 
Fällen  gebräuchlich,  wo  dem  8  impurum  noch  die  lat  Präposition 


S8)  Diezii.  a.  0.  S.  230  u.  ff. 

'*)  Vergl.  vDten  bisfeitilit  ^  hiehUto,  wonaeh   lat.  sex  in  den  Wörteni  ybdrta 

wfirde,  welche  im  Batkischett  das  s  in  eh  wandelt. 
40)  Wegen  dieses  Lautes  s.  die  Abbandlnng:  Über  das  baskiache  Alphabet.  S.  19. 
*0  S.  Dies,  Wörterbuch.  S.  297. 


über  das  lateinische  u.  romanische  Element  in  der  baskischen  Sprache.      25S 

in  Toraufgeht;  z.  B.  instans  (fr.  instant)  wird  ichiant^  instinctus: 
ichtifäo. 

6.  Zweifelhaft  erscheint  der  Vorschlag  des  Vocals  vor  einem  8 
purum;  man  muss  ihn  annehmen,  wenn  lat.  siccare  :»  bask.  hekitUt 
Signum  =  izena,  sordes  =  izerdia  ist  ^<). 

N.  ")• 

1.  In  naturaleza  und  manchen  andern  Worten  bleibt  n  im  An- 
laute unverändert.  Dahin  ist  aber  negua  „der  Winter***^)  wohl 
nicht  zu  zählen,  obschon  eine  Verwandtschaft  mit  nix  Wohl  nicht 
ganz  Ton  der  Hand  zu  weisen  sein  dürfte. 

2.  Es  geht  aber  auch  n  sowohl  in  m  als  in  r  über,  wie  anima 
sowohl  alima,  als  auch  arima  im  Baskischen  lautet»  so  wie  alimal 
und  arimal  neben  einander  vorkommen. 

3.  In  dem  baskischen  Worte  eskidancha  oder  auch  eskudancha 
trifft  man  auch  ein  Beispiel  eines  Überganges  des  n  m  d  an,  indem 
mit  jenem  Worte  das  franz.  esquinancie  MHalsbräune**  wiedergegeben 
wird. 

4.  Auffallend  ist,  dass  man  keiner  Wandlung  des  n  in  m  begeg- 
net, da  diese  sonst  im  Baskischen  häufig  ist.  Beim  Zusammentreffen 
mit  b  und  mitp  wird  nämlich  n  ganz  regelmässig  zu  m,  z.  B.  nombait 
für  nonbait,  lehembizico  für  lehenbizico,  mempetu  für  menpetu^^), 

5.  Hin  und  wieder  wird  n  ganz  fortgeworfen,  z.  B.  aus  corona 
wird  khorottt  aus  honor:  ohorea. 

L.  *•)• 

1.  In  vielen  Wörtern  bleibt  l  bestehen,  z.  B.  largoa  ss  largos 
legea  =  lex,  legis,  leinua  =»  linea  u.  s.  w. 

2.  Im  Inlaute  hat  sich  l  häufig  in  r  verwandelt;  so  in  beladra 
SK  veratrum,  borondaie  ^  voluntas;  deabru  =  diabolus,  pirola  = 


^')  Vergl.  Blad^,  iftudes  snr  l*origine  desBasqaes.  p.  271.  not.  1. 
*S)  8.  Dies,  Grammatik.  Bd.  1.  S.  285, 

^^)  8.  die  Abhandlnng :  Über  die  Einwanderung  der  Iberer  in  die  pyreniische  Halb- 
insel. S.  19  n.  f. 
^*)  Vergl.  ran  Eyss,  Essai  d'nne  Grammaire  basque.  p.  7. 
^•)   Dies  a.  a.  O.  S.  240  u.  ff. 


256  Phillips 

pillula;  Tielleicht  gehört  auch  grinatu  hierher,  welches  Wort  in  der 
Bedeutung  von  (in)clinare  erscheint. 

3.  Das  //  wird  im  Baskischen,  wenn  nicht  r,  wie  in  pirala,  und 
kapera  für  capella,  zu  einem  einfachen  2;  z.  B.  castellum  bask. 
gaztelu,  vellus:  bilos.  Das  Wort  domicella  kommt  in  den  beiden 
Formen:  donzeüa  und  donzeila  vor. 


1.  Über  die  Erscheinung,  dass  das  Baskische  kein  r  im  Anlaute 
duldet  und  dass  daher  auch  alle  in  diese  Sprache  aufgenommenen 
Fremdworter  sich  dem  Gesetze  haben  fQgen  müssen,  dem  zu  ver- 
doppelnden r  einen  Vocal  vorzuschlagen,  ist  bereits  an  anderer  Stelle 
die  Rede  gewesen  ^s).  Es  mögen  hier  noch  zuvorderst  einige  Bei- 
spiele angeführt  werden:  arrabanja:  revindicare,  fr.  revanehe, 
arrabaska:  fr.  ra vager,  arrabota:  fr.  rabot,  arraka$ta:  fr.  requdte, 
arrachtä:  fr.  rechüte,  arraia:  lat.  radius,  fr.  raie,  arraUa:  fr.  railler. 
atramu:  lat.  ramus,  arranda:  fr.  rente,  arraposta  lat.  responsio, 
arraro:  lat.  rarus,  arrasa:  fr.  raser,  arraspa:  fr.  (pain)  lipe, 
arrastela:  fr.  rateler,  arraza:  fr.  race,  arrazoin:  lat.  ratio,  fr. 
raison,  arrega:  lat.  rigare,  span.  regar,  arrenkura:  lat.  raneor, 
arribant:  fr.  ruban,  arribera:  fr.  rivi&re,  arrachina:  lat.  resina 
arropa:  fr.  rohe,  arroda:  lat.  rota,  arroila:  fr.  rigole,  arrosa:  rosa, 
errabia:  lat.  rabies,  erramu:  lat.  ramus,  errebala:  fr.  rebeller. 
erreberenzia :  lat.  reuerentia,  errege:  lat.  rex,  erregina :  lat.  regina, 
errebut:  fr.  rebdt,  erremedio:  lat.  remedium»  errezibi:  lat.  recipere, 
sp.  recibir,  Erroma  »»  Roma,  hirrisku:  fr.  risque,  irri:  lat  ridere, 
fr.  rire. 

2.  Auf  die  Frage,  ob  dieser  Vorschlag  des  Voeals  baskiscbeo 
Ursprunges  sei,  ist  ebenfalls  schon  eingegangen  worden^*).  Es  findet 
sich  dieser  Gebrauch  im  Provenzalischen  auch  vor&<>),  z.  B.  arrapa 
und  arrabar:  rauben,  arrazo,  arrecebra,  arrega,  arrenc,  arrenda^O 


^7)  Dies  a.  a.  0.  S.  247. 

^*)  8.  die  Abhaidivn^  über  das  baskiscbe  Alphabet.  S.  86. 

**)  8.  ebendas.  S.  37. 

*^)  8.  Blad^  a.  a.  O. 

^^)  Versal.  Raynouard:  Leiiqae  RonatB.  Vol.  VI.  p.  S7. 


Üb«r  das  lateinische  u.  romanisch«  Element  in  der  baskischen  Sprache.     257 

u.  s.  w.  Für  den  baskischen  Ursprung  scheint  der  Umstand  zu 
sprechen,  dass  nur  in  dieser  Sprache  der  vocalische  Vorschlag  vor 
dem  r  ganz  allgemein  ist,  wahrend  das  Romanische  das  r  auch  im 
Anlaute  duldet»  sodann  auch  der,  dass  hier  nur  a,  nicht  aber  auch  e 
und  f  als  Vorschlag  bekannt  sind. 

3.  Auch  das  mag  der  Vollständigkeit  wegen  wiederholt  werden, 
dass  das  anlautende  r  im  Baskischen  auch  dadurch  beseitigt  wird 
dass  es  vom  Anlaute  zurücktreten  muss ;  daher  wird  aus  renegatus : 
amegatf  aus  reinette :  arnet.  Vielleicht  Hesse  sich  auf  diese  Art  auch 
der  Übergang  von  horologium  oder  vielmehr  des  span.  reloj  in  arloia 
erklären. 

4.  Im  Inlaute  und  Auslaute  geht  r  öfters  in  /  über,  z.  B.  furia 
in  fulia,  fr.  guerre  bask.  gerla,  arbor  bask.  arboL 

5.  Hin  und  wieder  findet  sich  auch  der  Übergang  des  r  in  d, 
z.  B.  amor:  amodio,  prima vera :  jirtman^a. 

6.  Im  Inlaute  wird  r  verdoppelt,  z.  B.  murena:  amurraina. 


IV. 


Vergleichende  Tabelle  s&mmtlicher  Buchstaben. 

1.  Vocale. 


Lateinisch 


a 


an 


ad^  m.  fr.  aim 

9 
aq.  sp.  ag 

e 


Baskiseb 

a 

e 
t 

aim 

ain 

aig 

e 

a 

ai 

t 

0 

ei 


258 


Phillips 


Lateinisch 


in  (Negation) 

0 


fr.  0 


u 


ae 


au 


Lateinisch 


ba 


2.  Consonanten. 


Baskisch 

e 

ei 

a 

a 

e 

oi 

u 

au 


u 


at 


au 


f 

u 


a 
oe 


Baskisch 

b 

ph 

m 

P 
m 

9 

z 

b 
h' 

b 
m 

9 


über  das  lateiDiscbe  o.  roouioiiche  Element  in  der  baskitchen  Sprache.     2S9 


LateiDitch 


m 


—Hl 

mn 


CS 

i 

9 


—9— 


w 

—J— 


U     th 


fr.  —  «- 


s 


BC 
ip 

8i 


n 


Baskiseh 

m 

(a)m 
b 

— n 
ai 

k 

9 
t 


ts 
k 


J 
h 

t 


n 


kh 

k 
eh 

ch 


d 
ch 
(a)t 
d 

l 

ch 

z,  (t)z? 

9 

e$k,  isk 

espf  isp 

est,  icht 

m 

r 
d 


260 


P  h  i  I  I  i  p  I .  Über  dt«  liUiaitcha  an4  roauUdie  Bltnent  ete. 


LateinUeh 


l 


-II- 


Baikiseh 
/ 

r 

/ 

Ca)rr 

(0(rr) 

(h)i(rr) 
l 

d 


M  n  i  I  «  r.    Arnieniacii  III.  261 


Anneniaca. 
IIL 

Von  Dr.  Friedrich  Müller, 

PrefCM«r  in  d«r  Wiener  UaiTertitiit. 


I.  Das  Auslaut-  und  Betonungsgesetz  der  armenischen 

Sprache. 

Bei  der  Betrachtung  der  Auslautgesetze  des  Armenischen 
sollte  eigentlich  von  jener  Sprache  ausgegangen  w.erden,  aus  welcher 
das  Armenische  sich  entwickelt  hat,  d.  i.  der  eränischen  Ursprache. 
Da  wir  jedoch  diese  nicht  kennen  und  auch  eine  nach  wissenschaft- 
lichen Grundsätzen  vorgenommene  Reconstruction  derselben  aus  den 
beiden  uns  näher  bekannten  alteränischen  Dialekten  M^egen  Unvoll- 
ständigkeit  des  überlieferten  Materials  etwas  gewagt  erscheint  „  so 
werden  wir  uns  im  Ganzen  an  diese  zwei  Dialekte  halten  müssen,  da 
sie  höchst  wahrscheinlich  Ton  jenem  Dialekte,  welcher  dem  Armeni- 
schen zu  Grunde  liegt,  nicht  allzusehr  abweichen  dürften. 

Von  diesen  beiden  alteränischen  Dialekten,  welche  wir  etwas 
genauer  kennen,  nämlich  Ost-Eränisch  ^Alt-Baktrisch)  und  West- 
Eränisch  (die  Sprache  der  Keilinschriften  der  achämenidischen  Konige) 
zeigt  der  erstere  dem  letzteren  gegenüber  einen  freieren  Auslaut.  Er 
schliesst  nämlich  seine  Wortformen,  ausser  mit  allen  Vokalen,  mit 
den  einfachen  Consonanten  n,  m,  f,  g,  s  (vor  7t,  m,  g  können  auch 
nasalirte  Vokale  stehen)  und'  mit  den  Consonantengruppen  ng^  khs, 
fSf  gtf  aU  rSf  khst. 

Die  Sprache  der  achämenidischen  Keilinschriften  schliesst  da- 
gegen ihre  Wortformen  nur  mit  Vokalen  und  den  beiden  einfachen 


262  Müller 

Consonanten  m  und  s,   yon  welchen  letzteres  nur  nach  Vokalen, 
welche  nicht  a  sind,  vorkommt. 

Als  das  Armenische  Yom  gemeinsamen  Stamme  sich  losloste, 
hatte  es  wahrscheinlich  Auslautformen,  welche  im  Ganzen  mit  jenen 
der  beiden  soeben  genannten  Dialekte  übereinstimmten;  es  ist  sogar 
nach  dem  übrigen  Charakter  der  Sprache  anzunehmen,  dass  das 
Armenische  in  dieser  Beziehung  dem  Altbaktrischen  naher  stand,  als 
der  Sprache  der  achamenidischen  Keilinschriften. 

Was  die  Betonung  der  alterdnischen  Sprachen  anlangt,  so  sind 
wir  darüber  gar  nicht  unterrichtet;  es  scheint  aber,  dass,  gleichwie 
in  dem  zunächst  mit  ihnen  verwandten  Altindischen,  der  Accent 
meistens  auf  einer  der  letzten  Silben  des  Wortes  sich  bewegte.  Zu 
dieser  Ansicht  fuhren  auch  einzelne  Vokal  -  Verlangerungen ,  für 
welche  ein  lautlicher  Grund  nicht  namhaft  gemacht  werden  kann, 
und  welche  daher  nur  dem  Gegenaccent  ihr  Dasein  verdanken  können, 
z.B.  '»O'^'A (vigpa)  Krvigpa  (=altind.  rif »«)» ^?**^^  (vtmano)  für 
vimanö  (wahrscheinlich  ==  dvi+manas),  -»•^f)  (bitya)  für  bitya 
(»altind.  dvitiyd),  j^^  (mhda)  für  mizda  etc.  if->>^v^  {vtdvä)  = 
vidta  (altind.  vidväs),  €f«vi^  (vtgSm)  =  vigem  (altind.  vigam), 
■-^i»?>C:  (yvkhta)^yukhta  (altind.  ytiit/a),  -^J^-  (gruta)=gruta 
(altind.  gruta,  griech.  xXuto-). 

Dieser  Accent,  welcher  an  eine  bestimmte  Stelle  nicht  ge- 
bunden war,  scheint  wahrend,  oder  bald  nach  jener  Zeit,  in 
welcher  das  Armenische  vom  gemeinsamen  Stamme  sich  loslöste, 
vielleicht  durch  den  Einfluss  eines  nicht-irischen  Volkes  auf  der 
vorletzten  Silbe,  und  in  jenen  Fällen,  wo  er  auf  ein  Flexions- 
Element  zu  stehen  gekommen  wäre,  auf  der  drittletzten  Silbe 
sich  festgesetzt  zu  haben  i). 


<)  In  der  Verinderung  des  Accentes  durch-  den  Einflnss  eines  sUmmfremdea  Volkes 
scbeint  der  nicht  geringste  AnUss  sur  Umwandlung  einer  Sprache  xu  liegvn.  «in 
Punkt,  welcher  bisher  Ton  den  wenigsten  Sprachforschern  nach  Gnbibr  gewürdigt 
worden  ist.  So  sind  die  romanischen  Sprachen  wohl  tnm  grösseren  Theile  anf  die 
durch  germanischen  und  keltischen  Mund  reranderte  Aussprache  der  röntisehen 
Volksdialekte  zuracksufuhren :  die  PrAkrit-Oialekte  und  die  neu-indischen  Idiome 
zeigen  in  Betreff  der  lautlichen  Seiten  starke  Btnflfisse  der  binterindischw  und 
Drarida-  Sprachen. 


ArroenUca  III.  263 

Mit  dieser  neuen  Stellung  desAccentes  trat  innerhalb  der  Wert- 
formen eine  Reihe  Ton  Veränderungen  ein,  welche  sieh  vor  allem  auf 
den' Auslaut  derselben  beziehen. 

Es  schwanden  nämlich  in  Folge  der  schnachen  Articu- 
lation  der  letzten  Sylbe  die  schliessenden  Consonanten, 
namentlich  m,  iy  s,  sowohl  einzeln  als  auch  als  Bestandtheil  der 
Lautgruppen,  nur  g  hielt  sich  nach  vorhergehendem  Nasal,  welcher 
dabei  verloren  ging,  so  dass  von  der  Gruppe  Nasal  -f-  Q  i^ur  f  allein 
übrig  blieb.  In  Folge  derselben  schwachen  Articulation  sanken 
sämmtliche  Vokale,  ob  nun  ursprunglich  schliessend,  oder  in  Folge 
des  Schwundes  ursprunglich  schliessender  Consonanten  in  den  Aus- 
laut gekommen,  zum  tonlosen  ^herunter,  welches  in  der  Schrift  gar 
nicht  ausgedruckt  wurde.  Nur  die  Diphthonge  S  (ai)  und  6  (uuj 
verkürzten  sich  zu  i  und  u.  Bei  betonter  drfttletzter  Silbe  wurde 
auch  der  Vokal  der  vorletzten  Silbe  häufig  in  S  geschwächt  und  folg- 
lich in  der  Schrift  ganz  fallen  gelassen. 

Auf  diese  Weise  wurden  die  meisten  Formen  der  Sprache  zu- 
letzt in  consonantisch  schliessende  und  auf  der  letzten 
Silbe  betonte  umgewandelt.  Formen,  wie  sie  die  gegenwärtige 
armenische  Sprache  darbietet. 

Indem  wir  nun  dieW^irkungen  dieses  Gesetzes  an  den  einzelnen 
Formen  betrachten,  werden  wir  die  letzteren  nach  den  beiden  Kate- 
gorien Nomen  und  Verbum  einer  kurzen  Musterung  unterziehen. 

I.  N^men. 

In  Betreff  des  Substantivums  kennt  das  Armenische  innerhalb 
der  Declinatioii  den  Unterschied  zwischen  consonantischen  und  voka- 
lischen  Themen,  welcher  auf  die  Gestaltung  der  auslautenden  Sullixe 
von  bedeutendem  Einfluss  ist.  Die  vokalischen  Themen  zerfallen 
v^ieder  nach  den  drei  Vokalen  t,  u  und  a  in  zwei  Reihen,  worunter 
wiederum  der  Vokal  a,  je  nachdem  er  als  a  oder  als  o  zu  Tage  tritt, 
zwei  Unterreihen  in  sich  befasst. 

Wir  haben  also  eine  consonantische,  eine  t-  und  u-Declination, 
eine  doppelte  a-Declination  und  endlich  eine,  aus  der  consonantischen 
und  der  t-  und  a-Declination  zusammengesetzte,  sogenannte  ge- 
mischte Declination  zu  unterscheiden. 


264  Malier 

A.   Consonantische  Declination. 

Die  Themen  serman-'t  astep^  lauteten  im  Nominativ  singul.  aN 
sprönglicb  serman^St  aatep^s  •  welche  Formen  auf  der  ersten  Sylbe 
betont  sind.  Nach  dem  oben  entwickelten  Gesetze  mussten  sie  in 
sermSn*  astSp  sich  verwandeln,  als  welche  sie  in  der  Schrift  durch 
ulrptTb  (sermn)t  mumq^  (^p)  wiedergegeben  werden. 

Der  Genitiv  singul.  lautete  ursprünglich  serman-as,  astep-^u, 
in  oster&nischer  Form  aerman-d,  tuiep-ö,  in  westeränischer  Form 
dagegen  serman^üf  astep-a,  mit  dem  Accent  auf  der  vorletzten 
Sylbe.  Daraus  muss  dem  obigen  Gesetze  zufolge  ulrp»fm%  (serman), 
mumkq^  (asUp)  wcrdcn. 

Der  Instrumental  singular.  hatte  ursprünglich  die  Form  «ennaii* 
bhij  asteo-^hi^  eränisch  serman'bu  oBtep^bi  im  Anschluss  an  die 
slavisch^litauische  Form  in  mi  für  denselben  Casus.  In  Folge  der 
Betonungauf  dervorletzten  Silbe  wurde  daraus  M&pJuttQifserfnam'b), 
muuiirqjp.  (astep'b)* 

Der  Ablativ  scheint  von  der  Form  aermanrddha,  asiep-^ka* 
welche  im  Altbaktrischen  für  diesen  Casus  sich  nachweisen  iässt 
(vgl.  Beitrage  zur  vergleichenden  Sprachforschung  von  Kuhn  und 
Schleicher  II,  28)»  ausgegangen  zu  sein.  In  Folge  des  Accentes  auf 
der  vorletzten  Sylbe  und  des  Überganges  von  dh  in  h  entstanden 
daraus  die  Formen  aerman-ah  (woraus  u&pJm%t  (»ermanS)  hervor- 
ging)» aatep-ah  (woraus  »uum&qt  C^step-S)  sich  entwickelte  9- 

Der  Dativ  wird  bekanntlich  beim  Substantivum  durch  den  Geni- 
tiv ersetzt  und  auch  für  den  Accusativ  singular.  tritt  der  mit  dem 
Präfix  q  verbundene  Nominativ  ein  <). 

Der  Nominativ  plural.  zeigt  uns  das  Übergreifen  der  ursprüng- 
lich nur   den  a-Themen  zukommenden  Endung  ^»  entstanden  aus 


0  Die  Ablativ-Form  to  ^  aaa  -ai  xu  erkISren,  wie  es  Bopp  thut  {y%\.  GramiB.  II.  Aai. 
Bd.  I,  357)  and  wie  ich  ancb  früher  g^ethan  habe  (Beitrfi^e  sur  De«lii»ti<n  det 
armenischen  Nomens,  S.  6)  ist  Tollkommen  unznlfisst|p,  da  einerseit«  t  xn  Ende  der 
Formen  stets  abfiUlt,  andererseits  4  nie  ans  blossem  a  (als  firsalsdebnan;,  wie 
Bopp  annimmt)  entstanden  sein  kann. 

*)  Dass  hier  der  alte  Nominativ,  nicht  der  alte  Accusativ  Torliegt,  dies  beweisen  dit 
coosonantischen  Themen,  welche  im  Accusativ  mwifm»  {z-üttp}^  imtirp/% 
(z^Mermh)  lauten.  Steckte  in  ihnen  der  alte  Accusativ,  so  könnten  sie  nicbt  aise 
lauten,  sondern  mussten  9LU^mutnh't^(7^ü9tep),^kpJmitCt»Mermmn^=sügtep'€m, 
Merman'üm  auftreten. 


ArmenUca  III.  )2dO 

altbakt  W)ir  (äfihdjt  altind.  d$a9  über  die  ganze  DecIination>).  Der 
Nominativ  plural.  von  den  Themen  serman-,  asiep-  lautet  demnach 
u&pJuA^CaermaH'q^Jf  mum&q^^  (astep-q')^  wie  wenn  die  Stämme 
sermana-f  astepU'  lauteten.  Dieses  ^  hängt  sich  auch  an  die  Form 
des  Instrumental  plural.  als  Zeichen  des  Plurals  Oberhaupt  an ,  da 
diese  Formen  serman-bi  (Singul.)  und  serman-bis  (Plural.)  beide 
nach  dem  Auslautsgesetze  zu  sermam^b,  welches»  wie  wir  oben 
gesehen  haben,  t'ur  den  Instrumental  singul.  gilt,  werden  müssen 
und  hier  also  der  Unterschied  zwischen  Singular-  und  Pluralform 
ganz  verwischt  worden  wäre  3). 

Auch  der  Accusativ  plural.  geht  von  einem  a-Thema  aus,  wor- 
nach  t^IrpJmbu  {z'SermuH-aJ,  quiumk^  (z'CLstep'B)  auf  die  Formen 
aermafiäg,  astepäg  {=  sermana  +  7W,  astepa  +  nsj  auf  der  vor- 
letzten Silbe  betont,  zurückgeführt  werden  müssen. 

Im  Genitiv  plural.  tritt  uns  eine  Form  entgegen,  welche  der 
Pronominal-Declination  entlehnt  ist  und  sich  an  die  griechisch-lateini- 
schen Formen  in  -auv,  -ariii»,  -oriim«»  altind.  -dadm  anschliesst. 
Die  Genitive  ubpJutbß  {serman-jjt  mum&qjf  (astep-^)  setzen  die 
erinischen  Urformen  sermanaeidm^  astepaeidm,  also  Genitive  der 
nach  der  Pronominal-Declination  flectirten  Themen  sermana--^  aatepa-, 
voraus,  aus  denen  sie  in  Folge  der  Betonung  auf  der  vorletzten 
Sylbe  hervorgegangen  sind. 

B,  i-  und  u-Declination. 

Die  alte  Form  des  Nominativ  siugular.  der  Themen  akliti-, 
gan^U'  (wahrscheinlich  auf  erdnischem  Gebiete  aus  ganC-ava  her- 
vorgegangen) lautete  akhii-s,  ganCu-8,  woraus  nach  dem  oben  ent- 
wickelten Auslautsgesetze  tafiiuf  (akht)j  if-mbl  (ganQ  werden 
müssen. 

Die  Form  des  Genitivs  lautete  ursprünglich  akhtais,  ganCaus 
(nach  westerdnischem  Vorbilde)  =»  altind.  -Ssy  -089  woraus  nach  der 
Regel  ut/uinfi  (akhti),  ^-mblnu  (ganCu)  wurden. 


m 


0  ^  =  ÄA  wie  a.=snA  in  ««vo.  alterAn.   zahha  =  altind.  Aan#a,  wie  ^=3^1 
«»<v«f«v«^«vtr^=»altbaktr.  pa»f»-paÄAa/ia  +  ya;^  aas  -a#  zu  trkifiren  (Bopp,vgI. 
Gramm.  2.  Aufl.  Bd.  I.  S.  430  nnd  444)  ist  nnstatthafl. 

2)  Anden  Bopp  (Tgl.  Gramm.   2.  Aufl.  Bd.  I.  8.  430),  welcher  -pa  mit  -Mi#  direct 
identiflcirt. 

Sitxh.  d.  phil-bist.  Gl.  LXVU  Bd.  II.  Hft.  18 


266  Malier 

» 

Die  Instromentaiform  lautete  ursprunglieh  akkti^i ,  ganZu-bi 
woraus  ut^uffit.  (akhtiv),  f^U«rc  (ganZov)  hervorgingen. 

Im  Ablativ  zeigen  die  u-Tbemen  eine  regelrechte,  mit|elst  des 
Suffixes  -ttdha  gebildete  Form:  ^m%imuk  CganCovSJ  ^ ganZüvddkü. 
In  den  meisten  Fällen  jedoeh  geht  die  Bildung  dieses  Casus  Ton  einem 
aus  den  i-  und  ti-Themen  yerkfirzten  a-Thema  aus,  daher:  m^k 
(akhtS)  =  akhtddha,  ^mtit  C9^nC0  »  ganCädha. 

Der  Plural  zeigt  Übertragung  der  Suffixe  der  a-Themen  auf  die 
t-  und  u-Themen,  wobei  letztere,  so  gut  es  eben  geht,  ihren  Charak- 
ter zu  bewahren  suchen.  —  Wir  haben  im  Nominativ  m^w^ 
(akhtq'J,  ifjubi4t  (9^^W)*  '^  Aecusativ  qm^mu  (z^akhU), 
anMtltlu  z-ganCO»  ^^^  wenn  die  zu  Grunde  liegenden  Stftmnie 
akhia-,  ganCa-  lauteten. 

Die  Formen  des  Genitivs  dagegen  ui^uffyf  (akkiifj,  ^aAXmug 
(ganCuj)  bewahren  wenigstens  ihren  Thema-Charakter,  wenn  sie 
auch  Aach  Analogie  der  a-Themen  gebildet  erscheinen. 

C.   a-DecIination. 

Die  Themen  trdata»,  marda^j  iepya-  lauteten  ursprGngHch  im 
Nominat.  singuK  trdatas,  mardas,  iepyaa*  alterftnisch  irdatah^  mar- 
dah,  tepyahf  woraus  nach  dem  Auslautgesetze  mpq,mfm  (trdai), 
Jiupq.  {mardj,  m&qjt  (iepi)  wurden. 

Der  Genitiv  derselben  drei  Themen  lautete  der  Reihe  nach 
ursprünglich  trdaiasya,  mardasya,  tepyagyiu  aherin.  trdaiahya, 
mardahyat  iepyahya.  Formen,  welche  im  Armenischen  zu  mp^jmmmj 
{trdatah),  tTmpqjtj  (mardoh)^  m&^nj  (iepvoh)^  durch  Übergang 
des  y  von  -ya  in  v  sich  entwickelten. 

Die  ursprQnglichen  Formen  des  Instrumentals  irdaia-bi,  marda- 
biy  tepya-bi  wurden  nach  den  Auslautgesetzen  in  a^gp^mmmu 
{trdatavjf  $/:Mipii.n^  (mardow)  und  mkq&mu  (tepeavj  verwandelt. 

Der  Ablativ  fallt  gegenwärtig  mit  dem  Genitiv  zusammen,  wenn- 
gleich seine  Form  (irdaiädha,  mardddha^  tepyädhaj  von  jener  des 
Genitivs  ursprünglich  verschieden  war. 

Der  Plural  bietet  uns  folgende  Formen :  Nominativ :  »np^mm^ 
(trdatq'J^  Jiupq.^  (mat^dq'J  »^Irq^^  O^P^i'J  entstanden  aus  alt- 
erinischen  trdaiärlhas  {trdatäAhdJy  marddAhas  Qnardwkki). 
tepydnhas  (tepydnhöj;    Genitiv:   mp,^mmuMß  C^datäj},  '^ffs 


Armeniaca  III.  267 

(^mardoj).  mlrq^lrmg  (tepyeü^)  entstanden  aus  alterftnischen  trda- 
iaesäms  mardaeiäm,  iepyaeidm;  Aceusativ:  fin^^ürmi»  {z^irdaUj, 
jgJmpqM  {z-mards),  qmirqhu  {z^teptsj^  entstanden  aus  trdatäg, 
tmrMg,  tepyäf  ;  Instrumental :  mpq,mmuii.^  ftrdataoq)*  Jimp^^n^^ 
{inardov^q'Jy  m&qjrm^^  (tepeavq')  entstanden  aus  irdaiabi9^q\ 
mardabis+q%  fepyabia+q*. 

D,   Gemischte  Deciination. 

Diese  Deciination  ist  eine  aus  den  Formen  der  drei  vorher- 
gehenden  zusammengesetzte.  Da  sie  denselben  gegenüber  nichts 
besonderes  darbietet»  so  kann  sie  hier,  wo  es  um  ein  allgemeines 
Oesetz  sich  handelt,  fuglich  ganz  übergangen  werden. 

Prenemen. 

Beim  Pronomen»  das  im  Ganzen  gleich  dem  Nomen  flectirt  wird, 
sind  in  Betreff  des  Auslautes  vor  allem  die  beiden  Nominative  Sin- 
gular, der  ersten  und  zweiten  Person  zu  betrachten,  nämlich  ku 
(^es)  und  ^/»«.  (du)t  welche  offenbar  aus  alterUnischen  axam 
(osterän.  azem)  und  iuam  (osterän.  tum  » tveni)  »=  altind.  aluim 
und  ivam  (yedisch  iuani)  hervorgegangen  sind. 

Den  Dativen  fiil  (inZ) »  ^^^  C^^)  scheinen  alteränische 
Formen  minza,  tvaxa  »  altindogerm.  manyha^  tvagha  zu  Grunde  zu 
liegen»  welche  vielleicht  von  den  Genitiven  maita»  tava  ausgegangen 
sein  dürften. 

In  den  Dativen  der  übrigen  Pronomina  auf  m,  z.  B.  fiJnLjr 
(imum)  von  ImTum^  {ima'J,  i^lUiT  (ajnm)  von  i^iu(aina')^p»rp^ 
(^imiq'J  von/^^  Oq')*  dürfte  wohl  ein  alter  Lokal  stecken  ssalterftn. 
^hmi  =»  altind.  -smtit.  Wären  nämlich  die  Formen  reine  Dative ,  so 
cnüssie  man  hinter  dem  ni  ein  i  als  Verkürzung  des  alten  at  erwarten. 

II.  Terbnm. 

Wie  beim  Nomen  in  Betreff  der  Auslautgesetze  nur  die  Casus - 
Suffixe  zu  betrachten  kamen,  ebenso  können  beim  Verbum  haupt- 
sächlich nur  die  Personalsuffixe  berücksichtigt  werden. 

Da  das  Armenische  ursprüngliche  starke  Verbalstämme»  welche  auf 
Consonanten  auslauten,  nicht  kennt,  bei  denen  durch  das  Zusammen- 

18* 


268  Malier 

treffen  des  schliessemlen  Wurzelconsouanten  mit  dem  Anfangs- 
consoiianten  des  Suffixes  irgend  welche  lautliche  VerSnderuDgen  ent- 
stunden ,  sondern  regelmassig  dem  Personalsuffixe  ein  Vokal  foran- 
geht,  dessen  Natur  aber  auf  die  Gestaltung  des  Suffixes  Ton  gar 
keinem  Einfluss  ist,  so  können  wir  von  dem  wurzelhaften  Theile  des 
Verbums  füglich  ganz  absehen  und  brauchen  fiir  unseren  Zweck  nur 
die  Persoiialsuffixe  einer  kurzen  Betrachtung  zu  unterziehen. 

Die  Personalsuffixe  des  Verbums  zerfallen  in  zwei  Reihen, 
nämlich  : 

(.  Suffixe  zur  Bildung  des  Präsens  und  der  damit  zusammen- 
hängenden Formen  (Conjunctiv,  Futurum). 

II.  Suffixe  zur  Bildung  des  Aorists,  Imperfectums. 

Die  Suffixe  der  ersten  Reihe  lauten  nach  den  von  mir  darüber 
angestellten  Untersuchungen: 

Da  nun  hinter  -m,  -«,  -ii  ursprünglich  Laute  vorhanden  gewesen 
sein  müssen,* so  kann  diese  Reihe  nur  auf  die  alten  Personalsuffixe 

-mi         -si         -41 
'masi     "ioBi     ^anti 
zurückgeführt  werden. 

^'Cß  >  ^j^  ^'"^  '^^  'mahif  -inhi,  entstanden ;  h  wurde ,  da 
man  es  als  integrirenden  Bestandtheil  des  Suffixes  fühlte,  wahr- 
scheinlich mit  Anlehnung  an  das  Pluraizeichen  des  Nomens  xu  ^ 
erhärtet  i). 

Das  Zeichen  der  zweiten  Person  singul.  ^a  steht  gleich  dem 
ossetischen  -s  insofern  anomal  da,  als  man,  entsprechend  alleri- 
nischem  -At  «=  altind.  st,  ein  A  erwarten  mochte. 


0  Oia  Erklinuig  ron  ^^(o  aot  -mo«,  wie  es  Bopp  tlmt  (vgl.  GraniB.  U.  A«fl.  Basd  U. 
S.  t73),  bernlit  traf  einem  gegen  die  LattUehre  dee  Anneniscbea  begangenen  argen 
VerstoMe.  Gleichwie  aua  ursprängiiclieni  rrdate-#,  erin.  trdmU^,  im  AraeninclMn 
ttma,mm§  (trdatj  enUtand,  müaate  aus  nraprfinglicbem  -m«#,  er4n,  «umA  im 
niachen  -m  eotatftnden  aein.  Oas^  von  «^A»  Ifiaat  aich  nur  erUaren,  wenn 
hinter  dem  #  von  -ma«  einen  VokMl  als  ursprünglich  annimmt,  daher  man  armen 
«Vi»  nicht  an  die  sanskritische  Snffiiform  -mos,  welche  gar  nicht  nraprnn^ck  ist 
(Tedisch  -maat),  sondern  an  die  erAniachen  Suflise,  altbaktr.  -mmhi,  altpera.  "mmkg 
anknApfen  mnas. 


ArmeBUCii  III.  269 

Die  Suffixe  der  zweiten  Reihe  lauten : 

Von  diesen  Suffixen  können  jene  der  ersten  und  zweiten  Person 
plural.  dem  alten  "tna,  -ia  unmöglich  entsprechen«  da  sie  sonst  .tT» 
^j  lauten  mQssten,  sondern  sie  sind  offenbare  Neubildungen  aus  den 
Präsenssuffixen  (ui^^^^arnq^^^  da  sieh  nur  auf  diese  Weise  ihr 
schliessendes  o  erklären  lasst. 

Dagegen  stecken  in  den  Suffixen  des  Singular  alte  Formen, 
welche,  wie  es  scheint,  ursprünglich  der  Reihe  der  Medialsuffixe 
angehören. 

Das  i  der  ersten  Person  ist  aus  S  entstanden  (vgl.  altbaktrisch 
|0«(1(0ji  (apSregt)  „ich  habe  mit  Jemanden  mich  in  Fragen  einge- 
lassen'') und  das  r  der  zweiten  und  dritten  Person  kann  nur  aus 
einem  Dental  befriedigend  erklärt  werden,  so  dass  ^^p  und  ^p  als 
Entwicklungen  der  Suffixe  ^thäs  und  -^a  betrachtet  werden  müssen. 
—  In  derselben  Weise  ist  auch  das  Suffix  der  zweiten  Person  singul. 
des  Imperativs  ^p  als  aus  dem  alten  ~dhi  hervorgegangen  zu  er- 
klären. 


n.  Zur  Etymologie  der  armenischen  Sprache. 


UitKUi 


*  C^^'^s)* 


fh-  C^r'a^)  „Regel,  Ordnung**,  dann  „Maxime,  Ausspruch, 
Sprichwort**  ist  dem  Sinne  nach  ganz  das  altbaktrische  (^«^ 
(räzarS),  der  Form  nach,  da  es  ein  t-Thema  ist  (Genitiv:  tun.uth-fi, 
Instrumental:  ufn.m^lii)f  das  altindische  rd^i  „Linie,  Reihe**  =»  altb. 

■^^^  (rdzaj  „Anordnung**.  Zur  Wurzel  räz  „anordnen**,  einem 
Causale  von  arSz,  (davon  SrSzu  =  altind.  rgii)  gehört  bekanntlich 
auch  tLutatT^r'azm),  t^tuutkputqtP (paterazmj „Sch\sic\ii^^  wortlich: 
Schlacht-Ordnung  =  altbaktr.  <*€»»1  (ragman)f  dem  eine  Form 

-^i^»  (arSza)^  von  der  Wurzel  ar?z  direct  abgeleitet ,  zur  Seite 
steht 


270  Mfllltr 


iuun 


(aar). 


mup  (a9r)  Genitiv:  mtmL.  {ami)  «Vliess,  Wolle*»  ist  gleich  den 
meisten  u-Themen  im  Armenischen  aus  einem  Thema  in  »ava  lasam- 
mengezogen,  setzt  also  eine  Form  iuava  voraus.  Das  -r  im  Nomi- 
nativ ist  ebenso  zu  erklaren,  wie  in  tPlnupt  Genitiv :  aPkq_nL.  und  ähn- 
lichen Fällen. 

Was  nun  die  Form  asava  anlangt,  so  erkläre  ich  sie  für  sata 
stehend  und  sehe  dieses  als  eine  Ableitung  vom  altbaktrischen  -■»«» 
(fava)y  CK}'*»«'  (gavafih)  „Nutzen**  an,  dem  ich  die  Bedeutung 
,, Schaf**  B  nützliches  Thier  vindicire.  Dass  namentlich  in  e»!*»»«» 
Cfavaikh}  eine  viel  eoncretere  Bedeutung  stecken  muss,  als  sie  in 
jenen  Stellen  hervortritt,  in  welchen  das  Wort  vorkommt,  geht  aus 
dem  Nomen  proprium  »ty»»^»  {gdvahijf  dem  Namen  eines  die 
Herden  beschützenden  Genius  ganz  deutlich  hervor.  Gleichwie 
*dvya  »Ei**  das  Product  des  Vogels  facij  bezeichnet,  ebenso  be- 
zeichnet *gdva  oder  *gavaAha  »Vliess,  Wolle**  das  Product  des 
Schafes  (gavaj.  Zu  dem  armenischen  Worte  scheint  auch  das 
griechische  xutag  (Plural  xci)ea)  gezogen  werden  zu  müssen,  welches 
also  statt  xcDfa^  (xc(»fca)  stehen  wurde.  Curtins  (Grundsätze  der 
griechischen  Etymologie)  zieht  es  bekanntlich  zur  Wurzel  ki  (griech. 
xer-jxac),  wornach  also  das  Wort  xoia^  (statt  xuyag}  ursprunglich 
M Schlafdecke**  bedeutet. 

P'uJp^2^  (bambis). 

Dieses  Wort,  welches  „Prinzessin,  edle  Dame  Oberhaupt**  be- 
deutet, finden  wir  im  Pehlewi  als  pe^ia)jfcea^&<Jnn6ti«rAaiiii^  wieder. 
Vgl.  darüber  Haug-Hoshangji,  Pahlawi-Pazand  glossary  pag.  96,  wo 
das  Wort  durch  bänboshne  umschrieben  wird.  Da  aber  das  Pehlewi- 
Wort  mit  dem  armenischen  /»»«i^/^  offenbar  identisch  ist  und  arme- 
nisches t  gleich  altem  u  oder  6  sich  nicht  nachweisen  lässt,  so  muss 
das  1  im  Pehlewi  einen  dem  ü  ähnlichen  Laut  darstellen,  wie  er  auch 
in  KIltM  (azüra)  „Schwein** «»  arani.  Vd'^m  hervortritt,  dessen  Aus- 
sprache azdrd  bei  Haug-Hoshangji  pag.  86  daher  gewiss  nicht 
richtig  sein  kann. 


AnDeniacB  III.  271 


tpspHii-i^  (erdnul). 

Das  Verbum    Itptfbni^  (erdnul)  «schworen**  sowie    das  ihm 
parallele  Nomen  l,p,^nL.J^  (erdumn)  ^Eid**  erklären  sich  aus  dem 

ossetischen  apA,  SipT  ^Eid**,  womit  merkwürdigerweise  altslavisch: 
rotü,  rata  »Eid**  und  rotiii  se  ^schworen''  übereinstimmen. 


Dieser  Ausdruck  für  den  Esel  steht  in  der  Reihe  der  indoger- 
manischen Ausdrücke  für  dasselbe  Thier  ziemlich  isolirt  da.  WSre 
^  »  a  (Ersatzdehnung),  wie  es  Bopp  in  der  dritten  Person  singul. 
des  Präsens  (pkpt "»  baraüi)  und  im  Ablativ  singul.  {ulrp»rm%k  "=» 
sermati'at)  annimmt,  so  Hesse  sich  ^  an  griecb.  Svog  =  oovog,  lat. 
asinust  lit.  cisilas,  slav.  08tlu,  got.  ost'/ti«  anknüpfen.  Da  aber  einer- 
seits Assimilation  der  Lautgruppe  9n  zu  s  im  Armenischen  unerhört 
ist»  andererseits«  wie  aus  dem  Genitiv  fi^n^  (isoh)  hervorgeht,  i  als 
Vokal  der  zu  Grunde  liegenden  Wurzel  feststeht»  so  ist  eine  solche 
Vermittlung  entschieden  abzuweisen.  Darnach  kann  armen.  ^  (ii) 
nur  einem  alterdnischen  aeia  oder  aesin  entsprechen.  Die  Wurzel 
ist  is  in  der  Bedeutung  «»begehren''  und  der  Esel  wäre  somit  „der 
Begehrliche»  Geile**,  wie  semitisch  ^li>^»  -non  von  ^/-i^»  lon. 

Von  dem  alten  Ausdruck  der  arischen  Sprachen  für  den  Esel» 
nämlich  altbaktr.  -«^«^  (khara),  neup.  ^  {kharj,  altind.  khara 
findet  sich  im  Armenischen  eine  deutliche  Spur  in  fumpuiqutb 
(kharazan}  Peitsche »  wortlich  Eselstachel»  welches  nach  Analogie 
von  tfmtLiuqmb  (guvazan)  Peitsche»  wörtlich  Ochsenstachel  »  aitb. 
^-"»-^  (gavdz)  einem  altbaktrischen  ^m^»^  (khardzj  ent- 
sprechen muss. 


iyu   (kojs). 

^^u  ist  vollkommen  synonym  mit  ^«r^«n^  (kopmn)  Seite.   Es 
setzt  ein  altbaktrisches,  nicht  nachweisbares  *kaofa  voraus»  von  der 


272  Muller 


Wurzel  ÄTttf-,  von  welcher  ku^a  „Seite"  {vt-kugra,  ham-ku^a) 
sich  nachweisen  lässt»  welches  im  Altbaktrischen  genau  denselben 
Sinn  wie  f^«  im  Armenischen  repräsentirt. 


^uäili  {/lani). 

Wahrend  ^fh  (hin)  „alt**  gegenüber  dem  altbaktrischen  -»{«v 
(hana)t  dem  griechischen  Ivn,  dem  latein.  aenex^  das  a  gleich  dem 
gotischen  sineiga  zu  t  geschwächt  hat»  ist  dieses  a  in  der  Form 
^tultl»  li^^^O  »fCrrossmutter*'  rein  erhalten.  ^uf%fi  entspricht  einem 
vorauszusetzenden  altbaktrischen  hanya  (statt  hanyä'),  einem  Femi- 
ninum der  Bildung  han-ya. 


Dieses  Wort  erscheint  deswegen  merkwürdig,  weil  in  dem- 
selben mehrere  ursprünglich  verschfedene  Formen  vereinigt  sind,  daher 
es  auch  mehrere  mit  einander  in  gar  keinem  Zusammenhange  stehende 
Bedeutungen  umfasst.  Es  ist  offenbar  von  einem  nicht  mehr  exi- 
stirenden  ^ar-  mittelst  des  Suffixes  -usi  abgeleitet.  Dieses  Aar- 
entspricht erstens  einem  altbaktrischen  >^>\o  (pduru)  „viel''=  altind.: 
ji^tini»  griech.:  nroXu-,  Urform:  pam^  mit  dem  ich  nun  auch  nach 
Ascoli's  Bemerkungen  darüber  (vgl.  Beitrage  zur  vergleichendei) 
Sprachforschung  von  Kuhn  und  Schleicher  V,  21 2),  die  bisher  rathsel- 
hafte  Form  ^utpfit^  (harinr)  „hundert*'  vermittle.  Aus  diesem 
ergibt  sich  die  eine  Bedeutung  von  ^mpntMm  „viel»  reich,  im  Über- 
flusse vorhanden*'.  In  der  zweiten  Bedeutung  von  ^mpniMut  9,ent- 
femt,  entlegen"  dürfte  ^ar-  an  das  gothische  fairra  anzuschliessen 
sein,  und  in  der  dritten  Bedeutung  desselben:  „alt*',  könnte  man  das 
im  gothischen  faimitha  „Alter",  im  altindischen  purdna  und  im 
griechischen  ndXat  steckende  Wurzelelement  vermuthen. 


IriL. 


CCn)- 


Das  Wort  Int.  {!!uJ^szCov  „Ei"  erscheint  im  Vergleiche  mit 
den  Ausdrücken  der  verwandten  Sprachen  ftir  denselben  Gegenstand 


Arroeniaca  III.  273 

auf  den  ersten  Anblick  ziemlich  dunkel  und  räthselhaft.  Indessen 
durfte  bei  genauerer  Betrachtung  ihm  doch  nichts  anderes  zu  Grunde 
liegen,  als  der  den  indogermanischen  Sprachen  von  Haus  aus  eigen- 
thfimlicbe  Ausdruck,  nach  welchem  das  Ei  als  das  Erzeugniss  des 
Vogels  betrachtet  wird. 

Die  Urform  dieses  Ausdruckes  lautete  d^ya-f  eine  Secunddr- 
bildung  von  avt-,  woraus  ebenso  das  griechische  4»öv»  das  lateinische 
Ovum  wie  das  altslavische  aice,  jaicef  das  deutsche  eu  agi  sich  ent- 
wickelt haben.  Auf  die  Form  ävya-  geht  auch  neupersisches  ^le^ 
(khdyah)  •  Kurmandschi  Kik,  Zaza  Kdk  zuriick,  welche,  wie  das 
ossetische  ^JK  beweist,  ffir  dyak  =  dvya'ka  stehen.  Das  aus  unor- 
ganischem h  im  Anlaut  entstandene  kh  ist  ebenso  zu  erklären,  wie  in 
Af^  (khisam)  =  altb.  -»«{jgK»«  (aeima)^  wie  in  Up-  (khurmd) 
Dattel  =  armen.  utpJutt.  (armav).  Über  den  Ausfall  von  v  vergleiche 

man  die  Fälle  ^ ,  Jb  ,  jlj  etc.  in  meinen  Beiträgen  zur  neuper- 
sischen  Lautlehre. 

Aus  dvya-  entstand  durch  Aphärese  des  anlautenden  Vokals 
auf  armenischem  Gebiete  rya^»  wie  im  altindischen  aus  avi-  die  Form 
vi-.  Durch  Metathese  der  Halbvokale  vy  zu  yv  entwickelte  sich 
endlich  aus  vya-  die  Form  yra-.  Obschon  nun  i  meistens  altem  gh 
entspricht,  so  finden  sich  doch  auch  Fälle,  in  denen  es  unzweifelhaft 
(wie  neupersich  9^')  altem  y  gleichzusetzen  ist,  wie  lun.tup  (^avar) 

Spelt  as.altbaktr.  ••»*>C  (V^^^)  ^^^^^^-  yava,  neup.»  y^  C9^^}* 
Hieher  scheint  auch  das  1  von  Xnu  zu  gehören,  welches  nach  dem 
so  eben  Bemerkten  sich  aus'j^rrx  entwickelt  hat. 

Einen  von  dem  aller  verwandten  Sprachen  abweichenden  Aus- 
druck für  das  Ei  besitzt  das  Altindische,  nämlich  anda.  Nachdem 
die  beiden  Laute  nd  nicht  primitiv  sein  können,  sondern  wahrschein- 
lich einem  nun  verschwundenen  r  ihr  Dasein  verdanken ,  so  dürfte 
für  anda  eine  ältere  Form  andra  vorauszusehen  sein.  Dieselbe  wird 
in  der  That  durch  das  Altslavische  jedro  ^nucleus**  be5$tätigt,  von 
welchem  bei  Miklosich,  Lexicon  palaeoalovenico-graeco-latinum 
pag.  1166  im  Compositum  jedino-jedrinu  juiövopj^«^,  unum  testi- 
culum  Habens  citirt  wird,  welches  einem  altindischen  Skdndat 
Skdndin  vollkommen  entsprechen  würde. 


274  Malier 


ioi  (C&n). 

Dieses  Wort,  welches  „Opfer,  Opfergabe **  bedeutet,  deckt  sich 
oach  Laut  und  Bedeutung  vollkommen  mit  dem  aitindischen  havana^ 
oder,  da  lob  ein  t-Thema  ist,  genauer  mit  einer  Form  havant  Auch 
das  Altbaktrische  kennt  das  Wort  zwMna  (als  Glied  eines  Compo- 
situms). 

Von  1^%  bildet  das  Armenische  das  Denominativ- Verbum  iokir^ 
(Zdnel)  „opfern*  und  das  Nomen  lo%l^  (CdnidhJ  „Opferer". 


tiuAmä,^  (manuk). 

Das  Wort  MiuAitL^  (manuk)  „Kind**  steht  für  manukn*  d.  h. 
fnanukan»  wie  sein  Genitiv  js^^^mA  (mankan)  beweist.  Der  Nomi- 
nativ des  Plural  Jiä/b^nub^  (mankunq')  steht  für  manukanq  oder 
vielleicht  manukunq'  mit  Assimilation  des  an  an  die  vorhergehende 
Silbe.  Zu  i/swibifcf  gehört  t/^^^  (manr)  „klein*«,  Genitiv  J^%mt. 
(manu).  Dieses,  ein  u-Thema,  ist  aus  manaca  entstanden,  einer 
Ableitung  von  mana-^  derselben  Form,  welche  dem  lateinischen 
minor  »*  minior^  dem  gotischen  mins  »weniger«*,  minniza  „junger", 
dem  altindischen  mandk  „wenig**  zu  Grunde  liegt.  Darnach  enthält 
manukn  drei'AbleitungssufSxe,  nämlich  1*  »ava^  2.  -ka  und  3.  an«. 


iTtttu»  (mena). 

So  nahe  es  liegt,  das  armenische  »TL'bui  (menaj,  welches  als 
erstes  Glied  in  Zusammensetzungen  dem  griechischen  fjLCv&-  ent- 
spricht, mit  diesem  auch  zu  identificiren,  wogegen  weder  von  laut- 
licher, noch  von  begriiTlicher  Seite  irgend  ein  Hinderuiss  vorhanden 
ist,  so  ist  dennoch  eine  solche  Identificirung,  welche  ich  früher 
selbst  für  richtig  gehalten  habe ,  mit  der  Entwicklung  dieser  Form 
im  Widerspruche.  Das  in  mena--  steckende  Thema  lautet  nämlich 
unabhängig  «r4%  (mSn)^  zeigt  uns  also,  dass  das  e  in  mena^  aus  i 
verkürzt  ist,  mithin,  wenn  wir  mena-  in  die  alten  Lautverhältnisse 
umzusetzen,  dasselbe  nicht  mana-  sb  griech.  fAovc-,  sondern  maima 


Armeniaca  III.  275 

lautet.  tTilb  selbst  ist  aber  keine  ursprungliehe  Bildung^  sondern 
geht  auf  Jf,  (mi).  »eins,  allein^  zurück,  von  dem  es  mittelst  des 
Suffixes  altbaktr.  -aenn  abgeleitet  ist. 


fUiUin 


(npast). 


Die  ursprüngliche  Bedeutung  dieses  Wortes  ist  MHilfe**,  woraus 
die  übrigen  Bedeutungen  „  Hilfsquelle,  Gunst,  Gnade  u.  s.  w.<«  sich 
entwickelt  haben.  Das  Wort  stimmt  in  dieser  Hinsicht  yollkommen 
mit  dem  altpersischen  upafid,  welches  in  den  Keilinschriften  mehrere 
Male  vorkommt  (vgl.  SpiegeFs  Ausgabe  derselben)  und  mit  dem  alt- 
baktrischen  upa^ta.  Ich  glaube,  dass  in  der  That  das  armenische 
Wort  mit  den  beiden  alteränischen  Formen  identisch  ist,  denen 
gegenüber  es  um  die  Präposition  ni  (vgl.  armen.  'bu&tT  «=  altind. 
gydmat  neup.  aL^  (siydh)^  altbaktr.  (ydvd)  vermehrt  erscheint. 
Überdies  ist  ^cy<oi#m  ein  t-Thema  und  setzt  also  als  solches  eine 
Form  *upagti  voraus. 

iutnfit      (tlStÜ)  • 

■ 

Das  Verbum  %uu9^  (natu)  »sich  niedersetzen,  wohnen**  ist» 
so  nahe  es  liegt,  dasselbe  mit  dem  altindischen  ni-^-aad  unmittelbar  zu 
yergleicheo,  dennoch  nicht  mit  ihm  identisch.  Abgesehen  davon, 
dass  altind.  iij-|-<^duf  eränischem  Gebiete  zu  ni-\-8ad  werden  roüsste» 
dessen  Ausdruck  im  Armenischen  %^f^£^  (nitil)  lauten  würde,  spricht 
das  Sttbstantivuro  %l,um  (9mt)  »Sitz,  Wohnung**  dafür,  dass  in 
itum/ii^  trotz  dem  Aorist  ibumtu^  ein  Denominativ- Verbum  vorliegt  — 
Das  Substantivum  Tbfium  (ein  i-Thema)  setzt  eine  alte  Form  nisti 
voraus,  welche  sicher  aus  niVs/i»alterin.  nisagti^ni-\-8ad'{'ti  ent- 
standen ist.  Es  ist  indem  m  Yon  %utnfi£^  nicht  das  d  von  sad,  sondern 
vielmehr  das  t  des  Suffixes  ti  von  der  Nominal  form  niiagti  zu  sehen. 

Dieses  Wort,  welches  ,» Zufall,  Begegniss,  Glück**  bedeutet, 
setzt,  so  wie  das  mit  ihm  identische  uiiumtu^nutn  (pcUahumn)t  ein 
altbaktrisches  *paitydfa  voraus,  dessen  Wurzel  of  in  der  Bedeutung 
TOn  «auf  etwas  losgehen,  vordringen**  dem  Altbaktrischen  ge- 
läa  fig  ist. 


276  Mroller 

u^ustn^uäii  Q>afkan). 

ufuitn^titb (patkan)  ^passend,  angemessen'',  davon:  ä^uMtn^amb^^ 
(patkanel)  «passend  machen**  und  u^una^iuiifi^  (patkanü)  »passend 
sein**  entspricht  Tollkommen  altindischem  pathya,  aus  dem  es  mit- 
telst   der    zwei    Determinativ  •Suffixe    --aka     und     -^na    weiter- 


gebildet ist. 


uu^fttntu^  fspitak). 


uuffimut^  (spitak)  »weiss*',  ursprQnglich  ^glänzend  überhaupt'', 
ist  aus  einem  vorauszusetzenden  *ua^&m  (9p4t)  =  altbaktrisch 
-•5r»*CH»  (gpaeta)^  neupers.  juui  (sipSd)  mittelst  des  Suffixes  -ai  = 

-aka  weitergebildet,  wie  oppba»^  (drinak)  aus  o/ifb  (6r4n).  In 
beiden  Fällen  wurde  der  Diphthong  ^,  da  er  in  eine  unbetonte  Silbe 
zu  stehen  kam»  in  t  verkürzt.  Abweichend  davon  zeigt  tt^^irutam^mn. 
(»petaphar'J  »edel,  herrlich**,  wörtlich:  »mit  glänzender  ^«,^^»«f 
=  «#iyfmM»)  Herrlichkeit  (i/,Mii)  versehen**,  Verkürzung  des  ^  zu  e, 
wie  in  ^^<.  fdev)  böser  Geist «  altbaktr.  -»hn»«^  (daeva) ,  JA»^  = 
JSI»u>^  von  Jl:%  (vgl.  oben). 

Eine  hieher  gehörende,  an  und  för  sieh  sonderbare  Form  bietet 
das  Ossetische  In  dem  Ausdrucke  fOr  Eisen :  D.  a^cejnar. ,  welche 
in  der  Reihe  der  Ausdrücke  für  dieses  Metall  ziemlich  vereinzelt 
dasteht.  a^ceJHar  ist  gewiss  nichts  anderes  als  das  Pehlewi  i^J^oo 
(gptndk)  »glänzend,  rein**,  avghänisch  Jj— »  Opin)  »weiss**.  Da 
beide  Worte  mit  dem  altbaktrischen  -»if»*©*  (gpaeta)^  neup-  ju*-« 
{ripSd)  verwandt  sind,  und  mit  demselben  auf  die  eränische  Wurzel 
^i  zurückgehen,  so  ist  in  ihnen  vor  denwr  alter  Guna,  mithin  eine 
Urform  gpaena  vorauszusetzen.  Von  diesem  Guna  hat  die  ossetische 
Form  in  ihrem  ej  noch  eine  Spur  erhalten. 


UitUl 


(tal). 


rnuii^  (tnl)  »geben**  =  altbaktr.  -»^  (dd)  hat  im  Aorist  ^»«c 
(ein)  =  etov ;  das  u  an  Stelle  des  a  zeigen  auch  mehrere  Ableitun- 
gen,  wie   mnLßß   O^^^^y    »Gabe**,    mivi/^     (tomöh)     »Geber*. 


Armeniaca  111.  277 

uiu^iutfilfiX  {tudhuthiunj  ^  tovöhuthiun  ^Schenkung,  Überlie- 
ferung*'. Eine  passende  Parallele  zu  dieser  Erscheinung  bietet  inner- 
halb derselben  Wurzel  das  Litauische..  Dort  lautet  von  da  der  Infi- 
nitiv =  dütit  das  Präteritum  äat^i-au.  Von  düti  kommt  dov-anä 
ytGabe*'.  ebenso  gebildet  wie  darg-anä  »»Regeuwetter**  von  dergii 
^regnerisch  sein,  verunreinigen**,  wie  rdg-anä  „Hexe**  von  reg^ti 
^»sehen'*. 

ilui^uA  (wahan). 

ifui^uth  (wahan)  «Schild**  entspricht  in  seinem  Anfaugsele- 
mente  wah  dem  altbaktrischen  ->1^(^(&  (vereihra)  im  Sinne  von 
wSchutz**.  Das  r  in  der  Mitte  ist  ebenso  ausgefallen  wie  in  tliu^unf^b 
(wahagn)  ss  altbaktr.  -»i^U{^(&  (vSrlthraghim)  und  in  armen. 
ilaLu,J^uinu<l  (wramiapu^)  =  Pehlewf  nniDNK^  j^nttni;  wafmn  ist 
mittelst  des  Determinativsuffixes  -an  aus  wah  weitergebildet  (über 
dieses  Suffix  vgl.  Beitrage  zur  vergleichenden  Sprachforschung  von 
Kuhn  und  Schleicher  III ,  483).  Zur  Wurzel  var  in  der  Bedeutung 
umhüllen»  bedecken**  gehört  auch  ilutpu»^^  (wartiq')  «Kleidungs- 
stück,  speciell  Beinkleid**»  welches  ein  altbaktrisches  *vareti  vor- 
aussetzt. 

4kir  (wem). 

Dieses  Wort  finden  wir  auch  im  Pehlewi  und  zwar  in  der  In- 
schrift von  Hadschiabad  £,  Zeile  6  wieder,  wo  zak  wim  durch 
„diesen  Fels**  übersetzt  werden  muss  (vgl. Haug-Hoshangji,  Pahlawi- 
Pazand  glossary,  pag.  58).  Die  altbaktrische  Form  dazu  lautet  -**cw«^ 
CvaemaJ.  Vendid.  IV.  150,  XIII.  102,  XV.  18,  wo  das  Wort  nach 
dem  armenischen  «^^iT  durch  „Fels,  Stein**  zu  übersetzen  ist, 
nicht  aber  durch  „Falle**  (Spiegel)  oder  „Schlinge**  (Justi). 


Fremdworte  im  Armenischen  und  aus  dem 

Armenischen. 

Zu  den  aus  dem  Aramäischen  ins  Armenische  eingedrungenen 
Fremdworten,  welche  ich  in  meinen  Beiträgen  zur  Lautlehre  der 
armenischen  Sprache  II.  erläutert  habe,  sind  noch  folgende  zu 
zählen : 


278  Müller,    Armeniaca. 

utpirqtuj  (abepah)  nMondi»  Laienbruder**  »b  aram.  {ton 
M Genosse,  Bruder**. 

UlPuij  (iothah)  „Kette"  i=  aram.  li^rhehv  «Kette«. 

^ni^uij  (Sukah)  «Markt«  =  aram.  Npw  «Markt«*;  vgl.  aach 
im  Pehlewi  M3ie^  (Haug  -  Hoshangji ,  Pahlawi-Pazand  glossary 
p.  214). 

iy«»b^#f(ry^  (pandoki)  «Gasthaus**  ist  dagegen  nicht  dem  aram. 
MpiaiDf  MpnjiD  (arab.  JJu»)  entlehnt,  sondern  direet  dem  grie- 
chischen n:av^ox€?ov,  jravdöxeov  entnommen,  worauf  schon  die  Endung 
hinfuhrt. 

Ein  weniger  bekanntes  Factum  dQrfte  es  sein,  dass  im  Zigeuner- 
Idiome  sich  auch  armenische  Ausdrucke  finden,  und  zwar  solche, 
welche  zu  den  häufiger  gebrauchten  zu  zShlen  sind.  Bis  jetzt  ist  es 
mir  gelungen,  folgende  sechs  nachzuweisen : 

takar  „König"  »  armen.  Pu$tf.uii.np  (thagavorj. 

kotor  «Stück*',  auch  koter  geschrieben,  (vgl.  Pott.  Zigeuner  IL 
S.  97)  =  armen,  ^ntnnp  (kotor). 

morthif  mortin  „Haut,  Leder*  =s  armen.  «A/v/9  (mor/A^ •  wie 
schon  Pott  (ibid.  II,  S.  4S3)  richtig  erkannt  hat. 

vodu  richtiger  vodi  j,Seele^  »armen,  n^  {ogO*  sprich  vogu 

vtt/ „Flachs**,  davon  vuitengero  «aus  Flachs  bereitet** scannen. 
tfni.^  (wui). 

pon  «Staub,  Sand**  »armen,  tf^n^  (pkoii). 


Z  i  Q  g  e  r  1  e  »  BeitrSge  zur  Slteren  tiroliachen  Literatur.  11.  279 


Beitrage  zur  älteren  tirolisehen  Literatur. 

IL 
Hans  Vintler. 

Von  Dr.  Ignaz  V.  Zingerle. 

I.  Handschriften. 

Wir  besitzen  von  Vintler's  Gedichte  vier  Handschriften  und 
überdies  in  einem  Innsbrucker  Codex  bedeutende  Auszuge  aus  dem- 
selben. Es  sind  folgende: 

1.  Die  Wiener  Handschrift  (TT.)  der  k.  k.  Hofbibliothek 
Nr.  13S67  olim  suppl.  1168.  Papier,  215  Bl.  in  Folio.  Sie  enthält 
BL  2*— 177''  Vintler^s  Gedicht  und  gehört  der  ersten  Hälfte  des 
IS.  Jahrhunderts  an»  ja  könnte  den  Schriftzügen  nach  noch  in  die 
Lebenszeit  des  Verfassers  zurückreichen.  Dass  sie  aber  vom  Dichter 
nicht  herrührt,  sondern  das  Werk  eines  Abschreibers  ist,  zeigt  uns 
der  Umstand,  dass  der  Schreiber  die  losen  Blätter  einer  vorliegenden 
Handschrift  auf  das  sinnloseste  manchmal  verwechselte  und  so  nicht 
zusammengehörige  Stellen  verband.  So  stehen  Bl.  24^  die  V.  1688 
bis  1704  und  V.  1852-1861,  Bl.  26'  die  V.  1862—1887,  Bl.  25»» 
die  V.  1888—1906  und  die  Fortsetzung  der  Bl.  24*^  unterbrochenen 
Erzählung  von  Alexander  und  dem  Seeräuber  V.  1705 — 1714.  — 
Bl.  30*  beginnt  mit  V.  1946  und  erst  Bl.  33"  nach  V.  2131  folgen 
die  Verse  1907  —  1915.  la  diesen  Fällen  kann  nicht  von  einem  Ver- 
binden der  Handschrift  die  Rede  sein^  da  die  ganz  störenden  Zusam- 
mensetzungen verschiedener  Stellen  mitten  auf  Blättern  begegnen. 

Der  Schreiber  kannte  auch  den  Namen  des  Dichters  nicht 
genau  und  schreibt  V.  5761.  10D91.  10103  Vinclär  und  V.  5370 


280  Zingerle 

sogar  y  ine  klär  und  ändert  desshalb  den  Vers  10104  ^des  pin  ich 
hübscher  fiiude  lär**  in  ^des  pin  ich  hübscher  freude  lär**.  Die  Hand- 
schrift ist  nicht  vollständig,  denn  der  Anfang  fehlt  bis  V.  611  inclu- 
sive, ferners  mangeln  V.  1208-1253,  2259—2297,  3037—3075, 
4386—4466,  6898—6931,  7790—7844.  Es  fehlen  somit  im  Ganzen 
über  900  Verse.  Diese  mit  vielen  werthvollen  Federzeichnungen 
geschmückte  Handschrift  ist  entschieden  die  älteste.  Von  Eigen- 
thümlichkeiten  der  Schreibweise  sind  zu  bemerken,  dass  %  häufig 
für  9  steht,  z.  ß.  laz,  waz,  verloz,  die  häufige  Verdoppelung  des  n: 
chlainnen  1860,  deinne  1984,  ainner  1728,  ainnem  3421,  seinnen 
1927,  2202,  seinne  3398,  wainnen  1861  und  öfter;  h  und cA  wechseln 
oft  im  Inlaute:  sechen  und  sehen,  fliechen,  verschmachen,entschlaehen, 
doch  meist  steht  noch  A.  Anstatt  des  älteren  sl,  sm,  sn  zeigt  sie 
immer  seht,  schm,  sehn.  Consequent  ist  awer  für  aber  geschrieben. 

2.  An  Alter  W  am  nächsten  ist  die  hiesige  Ferdinandeums- 
handschrift.  (F),  Papier,  200  Bl.  in  Kleinfolio.  Die  Schrift  hat  etwas 
Jüngern  Charakter,  gehört  aber  jedenfalls  noch  der  ersten  Hälfte  des 
15.  Jahrhunderts  an.  Einzelne  Parthien  zeigen  altern  Charakter,  z.  B. 
häufig  offenes  a.  und  eine  andere  Hand.  Bl.  200^  steht  am  Schlüsse: 
„Explicit  über  Conradi  Vintler"*  von  der  Hand,  die  den  grossteu  Theil 
geschrieben  hat.  Auch  diese  mit  gemalten  Bildern  geschmöckte 
Handschrift  ist  nicht  vollständig.  Es  fehlen  V.  49—168,  231—330, 
385—672.  899-947,  2402—2449,  3291—3347,  3442-3496. 
4010-4023,  5269—5348,  7536—7547.9124—9167.  somit  im 
Ganzen  858  V^erse.  Einzelne  anstössige  Wörter,  sowie  Nuditaten 
in  den  Bildern,  sind  radiert  oder  ausgeschnitten  worden.  Die  Hand- 
schrift ist  sehr  sorgfaltig  geschrieben.  Der  Schreiber  gebraucht 
meist  ch  für  h\  sechen,  spechen,  geschechen,  i(n  Anlaute  beinahe 
immer  eh  für  k\  chnabe,  chraft,  im  Auslaute  oft  gedoppeltes  n\ 
grozzenn.  lebenu,  belibenn,  perenn,  gerenn  (geren),  prechenn»  ste- 
chenn,  stann  (stän),  schadenn,  oft  gedoppeltes  s:  gewessen,  essel. 
hassen,  pössen,  gelessen;  und /:  seile  (sele),  spill;  manchmal  auch 
doppeltes  r:  lerrer,  partscherrer,  serre,  herr;  darr;  häufig  w  für  b\ 
ofTenwar,  wegabt,  wetruben,  wetrogen;  und  b  für  ir:  widerberükait« 
widerbertig,  albeg,  unbillen,  graben,  webachen  (f.  bewachen), 
becbsel,  furbar,  erberen,  etbas,  beib  (weih). 

Die  ältere  Schreibweise  s/,  «m,  %n  ist  beibehalten,  für  z  ist 
gewöhnlich  s,  für  z%  ss  oder  ß  gehraucht,  doch  findet  sich  ausnahms- 


Beitr&ge  zur  alteren  tirolischen  Literator.   II.  281 

weise:  gezzen,  grozzem,  gruzzern,  pezzern.  Für  Ar  steht  im  An-  und 
Inlaute  meist  ch^  seltener  it;  öfters  begegnet  tur  Ar  chek  oder  ckeh; 
z.  B.  marckcht,  sterekch,  pruehek. 

3.  Die  Handschrift  der  kon.  Bibliothek  in  Stockholm  (S.)  Nr.  29. 
Papier,  230  BiStter  in  KleinfoHo.  Unser  Gedicht  schliesst  Bl.  ^^2^ 
Sie  gehört  ungeflibr  der  Mitte  des  15.  Jahrhunderts  an«  Der  Raum 
für  Initialen  und  Bilder  ist  leer  gelassen.  In  ihr  fehlen  in  grösseren 
Parthien  nur  die  V.  Ü30— 552,  5333—5359,  9952—9966;  aus- 
serdem mangein  aus  Versehen  des  Schreibers  einzelne  Verse  z.  B. 
1721.  1722.  1723.  3343.  3344.  3345.  5220.  5221.  6015.  7612  bis 
7615.  9247—9250.  9415.  10,026.,  so  dass  im  Ganzen  beiläufig 
80  Verse  fehlen.  Sie  ist  sehr  reinlich  und  gleichmftssig  geschrieben, 
leidet  aber  an  vielen  Versehen  und  Verstössen,  z.  B.  alt  wachter/*. 
altväter  144.  sal  f.  säul  249.  ornet/*.  formet  254.  fleischleichen /: 
fleissichleichen  268.  stat  f.  sat  278.  zu  f.  zwo  323.    geschieht  f. 
gesiebt  365.  592.  entlagen  f.  entladen  526.  liebleicber  /.  leibleicher 
528.  frechsamleiche  f.  forchtsamleiche  596.  begehabest  /*.  begäbest 
706.  empholchen /*.  entflochen 908.  loben./*,  haben  1040.  ich/*,  nicht 
1 163.  gescheft/:  geselleschaft  1342.  gericht/l  geschieht  1421  u.  s.  f. 
—  Den  Schluss  dieser  Handschrift  Bl.    224"— 229*  bilden  lateini- 
sche Verse  mit  dem  Anfange : 

Principi  regi  scribit  nota  sibilla  salerni : 
Si  TIS  incolumem,  si  Tis  te  reddere  saoum, 
P.'irce  meroy  cenare  parnm,  non  sit  tibi  vanum 
^  Ludere  post  epulas,  sompnum  meridianum 
curas  etc. 

« 

4.  Die  Papierhandschrift  der  herzogl.  Bibliothek  zu  Gotha  (G) 
Nr.  594,  229  Blätter  in  Folio,  wovon  jedoch  2  Vorschlagblätter  sind. 
Am  Schlüsse  befinden  sich  noch  5  leere  Bl.  Auf  dem  ersten  der 
2  Vorscblagblätter  steht:  Anno  domini  1525  jarr  von  mir  Caspart 
Lechenhert  von  Lädert.  Behiet  mich  gott  in  aller  nott. 

Auf  der  inneren  Seite  desselben  Blattes  steht:  „Cont  foL 
CCXXVIIIL  Vier  folia  seind  ausgerissen,  aber  doch  an  ihrem  bis- 
herigen orte  eintzefn  hefindlich,  NB.  Diese  vier  Blätter  habe  ich 
mit  eigener  Hand  ergänzet  tmd  eingesetzt.  Joh,  Christ.  Gottsched 
P.  P.  Itp«.  Von  anderer  Hand  folgt:  „Di>  Zählung  des  Professors 

SiUk.  d.  phil.-hiat.  Ci.  LXVI.  Bd.  If.  Hft.  19 


282  Zingerl« 

Gottsched  stimmt,  lässt  man  die  S  leeren  Blätter  am  Schlüsse  hin- 
weg. Die  Paginierung  reicht  (vom  3.  Blatte  an)  bis  Seite  452 

Hievon  gehen  2  Seiten  ab,  indem  305  und  306  über- 
sprungen sind ....         2 

Rest  .    .    450 
Dagegen  sind  Seite  127  und  128, 165  und  166  zwei- 
mal paginirt,  und  es  gehen  tu 4  Seit. 

In  Summa  .    .    454  Seit. 
Dieses  gibt  .    .    227  Blatt. 
Hierzu  2  Vorblätter  .    .         2 


Gleichbedeutend  mit  Gottsched's  Angabe  .    .    229  Bl.^ 

Auf  dem  2.  Vorblatte^  liest  man: 
Jam  mala  finissem  leto,  sed  credula  vitam 
Spes  fovet  et  melius  cras  fore  semper  ait. 
Dum  spiro  spero,  mea  spes  est  unica  Christus.  Diess  scbrib 
ich  den  25.  Norember  ihm  Jahr  nach  Christi  gehurt  1585. 

Sustine  et  abstine. 

pag.  453  steht:      1560 

1411 


—  149  iar  ist  allt  diß  buech. 

Auf  der  innern  Seite  des  Hinterdeckels  findet  sich : 

Audi  multa,  loquo  pauca. 
Conradus  Gauttinger  1590. 

Die  mit  colorierten  Bildern  reich  ausgestattete  Handschrift 
stammt  aus  dem  Ende  des  15.  oder  Beginne  des  16.  Jahrhunderts, 
und  zeigt  nur  eine  grossere  Lficke  V.  930 — 958,  ausserdem  fehlen 
einzelne  Verse  oder  einzelne  Verspaare:  333.  334.  1279.  1505. 
5085.  7141.  8592.  8612.  8707.  9164.  9165.  9185.  9433.  9480. 
9481.  9702.  9743.  9909.  9910.  10008.  10016.  Umgestellt  sind 
V.  3516  und  3517,  9392  und  9393.  Die  Verse  9082  und  9083 
sind  hier  nach  9075  eingeschoben,  auch  V.  5310  und  531 1  folgen 
nach  V.  5313.  Es  ist  von  allen  Handschriften  die  vollständigste, 
steht  aber  an  Gute  den  andern  nach  und  verräth  öfters  eine  so  grosse 
Nachlässigkeit  des  Schreibers,  dass  der  blühendste  Unsinn  da  und 


Beitrüge  zur  filteren  tirolischen  Literatur.  II.  283 

dort  entsteht,  z.  B.  474.  861.  1889.  4»23.  6651.  7739.  7875.  9604. 
9921.  u  0.  Aber  V.  6457  h&t  6.  allein  das  riebtige:  der  des  scheffes 
nimet  gam  <). 

In  der  Schreibweise  lässt  der  Schreiber  seinen  Dialekt  frei 
walten.  Er  schreibt  lieby  203.  448.  981.  7651,  welchy  203.  purdy 
7307  puchly  10112  u.  ähnl.  Ge wohnlich  gebraucht  er  au  für  d,  z.  B. 
aubenteur  133.  praucht  135.  rauch  1015.  1539.  hernauch  6411. 
nauch  6447.  6474.  6482.  underlauß  6453.  mauß  6435.  6436.  6442. 
6449.  6452.  ubermauß  6441.  laut  6459.  maul  6471.  6472.  haut 
6485.  raut  6489.  fauchen  6498.  taut  6606.  haut  6572.  5677  u.  s.  f. 
Auch  für  a  begegnet  manchmal  au  z.  B.  naudel  6667.  naucht  7938. 
auß  (aß)  1735.  8308.  faucht  1564.  Anstatt  des  baierischen  ei  ist 
das  ;  oft  gebraucht  z.  B.  glich  6479.  schribt  6516.  tribt  6517.  lidet 
6552.  nidig  6558.  allzit  6565.  gelich  6566.  u.  s.  f.  Auch  das  ältere  u 
findet  sich  manchmal  für  auz.  B.  puren  öfters,  strucht  6511. 

u  begegnet  auch  für  o:  hunck  (honig)  2954.  6525.  e  st.  i  tritt 
oftin  send  für  sind  ein  z.  B.  6417.  6426.6429.  6615.6617.6626. 
Für  altes  i,  bair.  ei,  steht  e  in:  penigent  6430. 

Einschiebung  des  n*)  begegnet  conseqaent  in  den  Wörtern 
keusch  keuschait,  die  hier  kunsehe,  kunsehait,  kunschait  geschrie- 
ben sind. 

Zu  bemerken  ist  f'erners,  dass  die  zweite  Person  plur.  der  Verba 
durchaus  auf  ;i^  endet,  und  beachtenswerth  ist  die  Form  wend  für 
wellent  8871  und  der  Imperativ  gang  9336.  Der  Schreiber  hat  in 
solchen  Fallen  dem  Werke  seinen  alemannischen  Dialekt  aufge- 
drückt. Charakteristisch  für  unseren  Schreiber  ist  die  häufige  Ein- 
schiebung der  Wörter  auch  und  heiligen. 

5  Papierhandschrift  der  k.  k.  Ui)iversitätsbibliothek  zu  Inns- 
bruck. (J?)  Nr.  961.  3  Hefte  in  Dimidiatfolio. 

Das  erste  Heft  hat  36  beschriebene  Blätter,  von  denen  Bi.  1*  bis 
34^  Excerpte  aus  Vintler's  Gedichte  enthalten,  das  zweite  Heft  hat 
20  Blätter.  BI  3»  — 10'  bieten  Bruchstücke  aus  unserm  Gedichte,  wie 
das  ganze  dritte,  das  28  Blätter  zählt.  Die  unschöne  Handschrift  gehurt 
dem  Ende  des  15.  Jahrhunderts  an  und  röhrt  zweifelsohne  von  einem 


*)  nimet  gam]  meinant  gan  WS*  uinmet  gawint  F. 
2)  Vergl.  Weinbold  al.  Gr.  %.  201. 

19 


284  Zi Beerte 

Geistlichen  her,  der  fromme  Sentenzen  für  seine  Predigten  sammelte. 
Darauf  weisen  die  Stellen  aus  Freidank  und  die  lateinischen  Seo- 
tenzen  im  ersten  und  zweiten  Hefte  <).  Aus  Vintler*s  Werke  sind  nur 


*)  Dat  erste  Heft  enthSit  Bl.  36***  lateinische  Sprüche,  das  zweite  bietet  Bl.  2  «ad 
Bl.  12*  lateinische  SprQche  «nd  Terschtedene  Recepte,  auch  Deatscbea.  Ich  theiW 
einige  Proben  mit : 

Qui  timet  deom,  quot  non  dampoabitur, 

Vis  vel  nnnqoam  sabrabitur.  -*• 

Ve,  qnare  asamus  taUa,  q«e  noo  snnt  pennanencia, 

sed  florent  quasi  lilia,  qaarum  odor  et  folia 

relocitate  niroia  deficiant  sie  talia. 

Item  in  erangelio  domiiiica  extra  festom  pasee :  tgo  snm  paator  bonns,  eo;- 
nosco  ore»  meas  et  ipsi  me  co^oscunt.  Nt.  exemplum,  das  aanctvs  Petras  mit 
groiser  rew,  als  oft  er  an  sein  Tcrleugen  gedacht,  sein  snnde  bewejnet,  das  scia 
antlöts  Tol  mneal  und  die  engen  rot  und  nngescbalTen  waren,  wann  er  die  stStx 
mit  ain  tuchlein,  das  er  albeg  pei  im,  trnkben  mnst,  wie  w«i  in  die  tot  all  rer^ 
geben  waren.  Item  des  geleieh  aein  wir  all  schuldig  unser  Tergaagen  sinde  se 
betrachten  und  mit  rewe  ze  beweinen,  damit  wir  tailbaflig  werden  der  anbe- 
greifflichen  frewde  and  vertragen  der  hellischen  peine  etc.  Von  lafeiniachen  Kocb» 
recepten  gebe  ich  folgende :  Reeipe  duaa  ▼esicaa  bovinas  Tel  Taccinaa,  ex  hoc  fkcias 
uBura  oTum  in  calida  aqua  et  •  .  inponea  OTa  ad  Tesicam,  tnnc  liga  mlde  beae,  et 
sie  6ent  bona  ova. 

Reeipe  dura  ova  et  easeum  tritum  et  panem,  et  poatea  sex  moUin  ovn«  et  hoc 
Inricem  mlscuas,  et  erit  unum  rectum. 

Ova  de  Mandl:  reeipe  farinam  de  reys,  de  mandl,  reeipe  modinm  et  tempe- 
rabis  cum  farina  de  reys,  aliam  partem  fac  cum  croco  et  cum  petriciino  et  piatabis 
in  olio  in  patella;   hec  annt  ova  et  postea  bibe  bonnm  vinum  et  eris  sanna.  II 
Bl.  11*  entbilt: 

Zu  leib  und  zu  ael  ist  nicht  als  gat 
Ais  ain  wolbesinter  mut. 
Wer  hintz  got  lies  all  sein  saohe, 
Si  wir  wirdig  oder  swache  etc. 

Bl.  11^8ehluss: 

vnd  im  pilleich  an  dankchen  wftr. 
also  hat  geret  der  TeichnSr. 

II,  Bl.  15'  Johannes  i 

Wer  die  weit  also  chewst. 
Damit  er  got  verlewst. 
Wann  es  get  dann  an  ain  schaiden, 
so  ist  er  ledig  von  in  paiden  etc. 
fVergl.  Germania  II,  142.) 


BeitrSge  zur  älteren  tiroliacheo  Literatur.  U.  285 

Sprüche  ausgehoben  und  die  Erzählungen,  Einleitungen  etc.  ganz 
übergangen.  Es  fehlen  ausser  einzelnen  oder  wenigen  Versen: 

V.  i— 192,  772—788.  809-816,  823-848,  849—988, 
983-1002,  1043—1054,  1083-1114,  1143—1163,  1226  bis 
1238,  1250—1274,  1280—1291.  1316—1363,  1386—1403, 
1520—1601,  1620—1633.  1688—1751,  1768—1781,  1800  bis 
1879,  1916—1926,  2042—2119,  2136-2141,  2176—2223. 
2244-2253,  2298-2369,  2384—2401.  2416—2434,  2478  bis 
2505.  2530-2843.  2662—2705,  2709—2759.  2794—2815, 
2843—2931.  2946-2979,  3058—3209.  3240—3333.  3374  bis 
3396.  3418—3423.  4442—3509,  3520— 3545f  3570—3623, 
3694—3709.3784-3891,  3856—3865.  3886—3969.  4010  bis 
4023.   4032—4130.  4146-4159,  4194—4263,   4284—4367, 


n.  Bi.  17'. 

Maitfter  du  lerntt  mich  frömd«  kunst,  lern  mich,  das  ich  lugeattam  werde.  Do 
antwuri  der  matster  und  eprach :  eto. 

II  Bl.  ISTi 

Vil  schier  hat  Terloreo  ain  mau. 

Dm  er  in  langer  zeit  gewan. 

Du  müst  uns  auch  zeit  geben, 

Wlldu  mit  wirdichait  leben. 

Ze  fil  gute  nfiti  nicht. 

Pif  firo  mit  klninem  git  in  aller  geschieht. 

Hilf  deinen  gesellen, 

So  si  dir  her  wider  helfen  wellen  etc. 

Schluss  davon  20^ : 

Du  solt  der  freund  schoenen. 
Die  dir  dienen  und  loenen. 
Gedenkch,  das  ir  einer  ist 
Ain  mensch,  als  du  selber  bist. 
Schelkch  solt  du  meiden, 
Wilt  du  nicht  scheden  leiden. 

In  diesem  Hefte  steht  zwischen  Stellen  ron  Vintler  Bl.  10*  folgende  Tlturel- 
atrophe: 

Chain  gedenk  sol  alne 

nicht  ze  Worten  Choreen, 

Gedenk  ee,  was  er  meine, 

ob  er  dir  bring  schaden  oder  fromen. 

Ain  gedaac  sol  Ursprung  sein  (des)  worles, 

der  ander  in  belaite  nnd  hutten  wol  der  zungen  klaffen  ortes. 


286  Z  i  0  g:  e  r  1  a 

4386—4396,  4416—4483.  4488-4498,  4S06-45K3.  4578  bis 
4587,  4624—4652,  4656—4681,  4696—4725,  4862—5039, 
5058—5069,  5102-5170,  5178—5231,  5256—5275.  5288  bis 
5381,  5422—5430,  5438—5454,  5548—5594,  5742-5780^ 
5786—5803.  5814-5845,  5850—5858.  5878—5926,  5934  bis 
5947,  6004—6145,  6210—6224.  6297-6329,  6344—6431, 
6456—6467,  6478—6500,  6606—6858,6878—6911,  6932  bis 
7027.  7036—7049,  7076—7122,  7126—7171,  7181—7285. 
7288—7302,  7383-7402,  7430—8509.  9568—9781.  10066  bis 
10172. 

Diese  Lese^ beruht  auf  einer  sehr  guten  Vorlage  und  es  ist  zu 
bedauern,  dass  dieselbe  nicht  TollstSndiger  ist. 

6.  An  dieses  handschriftliche  Material  schliesst  sich  der  Augs- 
burger Druck  des  Johann  Plaubirer  vom  Jahre  1486  an.  Diese  Auf- 
gabe stimmt  mit  G  grosstentheils  aufs  genaueste  uberein.  ich  Ter- 
weise  nur  auf  V.  176.  807.  3294.  3384.  4206.  4227.  6644.  6700. 
6743.  6745.  6750.  6753.  6841.  6845.  7502.  7508.  7510.  7511. 
9665.  9671.  9694.  Die  Beispiele  üessen  sich  zu  mehreren  Hunderten 
häufen,  in  denen  der  Druck  und  G  übereinstimmen  und  von  den 
andern  Texten  abweichen.  Auch  die  Schreibweisen  strauffe  191. 
strauff  204.  straufft  206.  strauffen  194.  198.  mausz  1096.  laussen 
9686  begegnen  uns  im  Drucke,  doch  seltener  aU  in  6.  Man  würde 
sich  aber  irren,  wenn  man  G  als  die  Vorlage  des  Druckes  annehmen 
würde.  Denn  die  V.  92.  9164.  9165.  9185  u.  a.  fehlen  in  (7,  während 
sie  Dr.  bietet.  Dass  G  nicht  nach  dem  Drucke  gefertigt  sei,  ergibt 
sich  daraus,  dass  in  Dr.  Verse  mangeln,  die  G  bietet  z.  B.  8479. 
8480.  9632—9637.  9644—9649.  9659—9661. 

Der  Schreiber  von  G  und  der  Herausgeber  haben  aus  der  näm- 
lichen Vorlage  geschöpft.  Während  aber  ersterer  sich  an  dieselbe 
genau  gehalten  zu  haben  scheint,  änderte  letzterer  einzelne  Worter 
und  Stellen,  um  sie  seinen  Lesern  verständlich  zu  machen.  So  set2t 
er  statt  pargamast  4216.  4218  meszer,  st.  üren  4219  eimer.  Da 
ganm  ihm  unverständlich  schien,  druckt  er: 

„Darjn  do  waren  manigerlai  bom  zwar. 
Der  teuffel  sprach:  «cnun  nim  war**.  3296. 

statt : 


Beiträge  zur  älteren  tiroliscben  Literatur.  28 T 

9  Da  waren  inn  gar  maDigerlai  paum. 
Der  teufel  sprach:  „na  nim  gaum**. 

Die  V. 

9 Da  ron  so  wil  ich  pitten  eu, 
das  ir  es  peszert  an  alle  den, 
das  ir  wänet^  das  guet  sei**.  10123 

ändert  er  in : 

„DaTon  so  will  ich  euch  pitten, 
dz  ir  dz  pesseren  an  allem  dem, 
das  ir  wenent  das  gut  sey**. 

Die  Verse:  , 

„und  welcher  vil  gesmatz  chan  machen 
als  hfil  mit  tiltaffen''  9062 


gibt  er: 


„Und  welcher  ril  geschmetz  kan  machen 
Als  hüllen  un  närrisch  lachen^. 


und  lässt  die  zwei  folgenden  ganz  weg. 
Statt : 


„und  soltz  ain  andern  also  treiben  omb. 
so  hueb  sich  erst  ain  nnmerdum**.  9078 


setzt  er: 


„Und  solts  einand*  also  treiben  umb» 
so  wolten  sy  zumen  daramb*^. 

Statt : 

„wie  das  si  menen  mit  dem  gart**  6713 
liest  Dr.: 

„wie  das  si  niemen  mit  der  gert**. 
Manche  Verse  in  Dr.  sind  bis  zum  Unsinn  entstellt,  z.  B. 

und  erschrack  und  wasfro  3318  1.  unfro. 
doch  sy  do  die  katze  (1.  cherze)  hielt  6768 


288  Z  i  n  if  e  r  1  e 

wenn  der  mensch  (i.  teufel)  mit  seinem  triegen  68d6 
herre  got  dz  ist  dann  nit  on  spot  6927  1. 
das  ist  nicht  anders  wan  ain  spot, 

und  ähnliche  Fälle  finden  sich  sehr  oft.  Unter  den  Handschrifteo 
nehmen  F  und  TTden  ersten  Platz  ein,  die  unvollständige  B  schh'esst 
sich  meist  an  TT  an.  Allein  selbst  in  den  zwei  besten  und  ältesten 
Handschriften  hat  bald  die  Eine,  bald  die  Ändere  entschieden  Un- 
richtiges. Es  mögen  einige  Belege  genügen: 

und  doch  an  (ain  W  auf  &.)  flaischleich  lustichait  659 
senza  alcuno  carnale  diletto.  0  <)• 
und  machen  ain  war  (wider  W  B  S  G)  eriosung  721 
e  daro  verace  soluzione.  0. 
und  sprach  do:  geleieh  als  ain  mues.  F,  1591, 

wo  WS  G  das  Richtige : 

und  sprach:  geieich  also  maes. 

bieten. 

das  man  Rom  oder  [und  W  G\  Karthago  sieht  1595. 
darnach  ward  er  sein  ritter  [richter  /*]  nach  der  sag  i  727 
e  fecelo  d<*  suoi  caTalieri.  0. 

von  seinem  frennt  [seinen  freunten  BFSG]  auf  diser  erden 

2271 
dallo  amico  suo  0. 

wer  waisz,  du  macht  leicht  helfig  [salig  F]  sein  3279. 
und  darumb  sein  alt  frawen  und  man 
alsampt  [alzeit  B  F]  geren  in  arkwan  3655. 
Tutti  gli  recchi  sono  naturalmente  sospettosi  0, 
durch  lust  [iist  W  B  S  G],  als  man  sagt  3984 
le  bügie  ehe  si  dicono  per  diletto  0. 

Socrates  spricht:   „das  ist  ainO  Passer  (pöse  W B  S,  pössew  C) 
fraidichait  4172  maggiore  prodezza  k  0. 


0  Mit  0  beieichne  ich  das  Unlieniache  Original. 
*)  «in  fehlt  F. 


Beitrüge  lur  ilteren  ttrolUchen  Literatur.  IL  289 

mug  nicht  wereo  lange  stunt  46 1 3.  F  liest  zeit»  obwohl 

stunt  durch  den  Reim  gefordert  wird, 
wan  all  dein  dro  (drew  W^  trew  S  G)  noch  dein  guet 
mag  nicht  erwaichen  m^einen  muet.  4831 
lugulari  me^  inquit,  jube;  quia  nee  salutis  beneficio,  neque 
mortis  supplicio  adduci  possam.  Yal.  III,  8,  8. 
hat  gepeicht  sein  sund  all  49  i  5. 
W  G  S  lesen  alda,  was  dem  Reime  widerspricht. 
5077  lesen  FF  5  richtig: 
wan  es  liebt  dester  mer,  als  man  gieht, 

F  unrichtig:  beleibr,  G  lebt. 
V.  6000  liest  F  allein  richtig: 

es  wachset  gern  das  gröene  gras 
pei  dem  wasser,  als  er  sait. 

W  S  lesen :  wasen,  B  wasem. 

L*erba  verde  nasce  appresso  alFacque  0. 
Allein  Seht  gibt  auch  Fden  V.  6513: 

alle  untugent  zaumpt  die  mas. 

W  B,  alle  tugent  die  zäumt,  S.  alle  tugent  die  ziment,  G. 

alle  tagent  zament. 
cosi  si  rifrenano  tulti  i  vizj  per  la  moderanza  0. 

F.  liest  richtig: 

als  der  da  saichet  an  ain  want  6629. 

WGSDr.  haben  stiebet.  Vergl.  damit  V.  6639 

oder  man  gicht,  er  hab  gesaicht 
heuer  gen  der  sunnen  dar. 

Fliest  richtig: 

wan  maniger  maister  das  bedeut  7291 
W  S.  wan  Plato  der  maister  d.  b. 
G.  wenn  maister  uns  das  b. 
E  per5  dicono  i  Savi  0. 


290  ZiDgerle 

V.  9350  lesen  nur  F  G  richtig  : 

zum  Tierden  mal  mach  [mag  W  B  S^  ain  geleichnaß. 
Dagegen  haben  V.  93S3  W B  Gmt  das  Ächte: 

dein  red  beslieszen  gar  wol. 

F  liest  bedachtnuß,  S  gedenknuß. 
V.  9388  lesen  TV  £  5  &  richtig : 

so  tritel  nicht  umh  als  ain  huen,  F  falsch  «aU  ain  han' 

V.  9414  lesen  F 5  C: 

des  selben  muest  ich  also  schallen :  geTallen, 

unrichtig  liest  W,  lachen. 
Dagegen  liest  im  V. 

wan  frumme  frawen  sein  so  wert  9^03 

F  unrichtig  t'römde  st.  l'rumme. 
V.  9975  bieten  F  5  C  das  Ächte: 

als  ain  sumerleicher  schein, 

wo  W,  falsch  „ain  sunnenliechter*'  liest- 

V.  10019  liest  nur  F  richtig: 

die  ewig  ist  an  alles  lait^  wo  W  B  S 


»an  alles  ende**,  G,  »an  ende  lesen. 


Den  besten  Text»  abgesehen  von  der  Schreibweise »  bietet  im 
Ganzen  F,  zunächst  steht  W,  das  oft  das  Richtige  bietet,  wo  F  irrt  >)• 
W  am  meisten  verwandt  ist  B.  S  neigt  bald  zu  TF,  bald  zu  F.  —  G 
'schliesst  sich  am  meisten  5  an,  stimmt  aber  öfters  mit  F  oder  W 
überein.  Nach  meiner  Ansicht  ist  einer  Ausgabe  im  Ganzen  und 
Grossen  F  zu  Grunde  zu  legen;  da  aber  WCB)  in  vielen  Fällen 
das  Richtige  bietet,  muss  dieser  Handschrift  oft  gefolgt  werden.  Ja 
in  manchen  Fallen  muss  selbst  F  und  W  gegenüber  S  berücksichtigt 
werden,  da  diese  das  Achte  und  Ursprüngliehe  erhalten  hat,  z.  B. 


0  Z.  B.  765.  120S.  1591.  1604.  1727.  3228.  3279.  5077.  9353.  9388.  9503.  8925. 


Beitrüge  zur  SItefen  tirolischen  Literatur.  II.  291 

1624.  3463.  An  einigen  Stellen»  wo  die  Wahl  der  richtigen  Leseart 
schwer  fallen  durfte,  kommt  das  italienische  Original  zu  Hilfe  und 
lost  jeden  Zweifel. 

If.  Der  Verfasser. 

Der  Dichter  selbst  nennt  seinen  Namen  mehrmals: 

also  han  ich  Hans  Vintler*)  122. 
mein  Hans  Vintler  la  dervon<)  5370. 
sweiga,  mein  Hans  Vintlär  5761. 
ei  mein  lieber  Hans^)  Vintlär  10091. 
das  man  mich  haiszet  Vintlar^  10103. 

W  schreibt  Vinclär,  G  Dr.  haben  Vindler.  Ersteres  weist  auf 
Vintlär.  Auffallend  ist»  dass  F  V.  10091  Chunrat  setzt  und  dieselbe 
Handschrift  am  Schlüsse  h^t:  iDxplieit  liber  Conradi  Vintler,  während 
sie  an  den  drei  frühern  Stellen  durchaus  Hans  gebraucht.  Auch  im 
MVintlerischen  Stambuch"  ^)  wird  Conrad  als  Dichter  genannt:  «Ich 
finde  einen  Cunraden  Vintler,  welcher  de  anno  1411  ein  schönes  buch 
von  der  eitelkheit  der  weldt  gedieht  vndt  versweiß  beschrieben,  so 
noch  in  unseren  händten;  muß  ein  anderer  Cunrad  gewesen  sein^. 
Adam  Vintler,  der  Verfasser  desselben,  stützte  sich  auf  den  Schluss  der 
Handschrift  F,  wie  der  Verfasser  des  Aufsatzes  über  unser  Gedicht  im 
Tiroler  Boten  1824  Nr.  28.  29.  Diesem  folgte  Canonicus  Mayrhofen  in 
seinem  Stammbaume  der  Vintler«),  der  „Conrad  der  Poet"  1403. 
1412. 1414  aufführt.  Auch  B.  Weber  nennt  Conrad  alsDichter?).  Auch 
ich  folgte  dieser  Annahme  und  nahm  Conrad  als  Verfasser  an.  (Hauptes 


0  Hnns  der  V.  5. 

*)  Vinrklir  W, 

')  F.  liest  Chttorat. 

^)  hftiszet  den  V.  W  S  0. 

^)  Vintlerisches   Stambeiibucb.   Stemmatograpbiea    Vintlerianae   prosapiae  descriptio 

Ruthore  Adamo  Vintler  dePlatscb.  aus  dem  17.  Jb.  Eine  Abschrift  davon  im  Ferdinan» 

deum  S\\gik.  MS.  1087.  Dieae  Stelle  findet  ticb  p.  183. 
*j  Genealogien  des  tiroliscben  Adels  II.  Band. 
7)  Unter  welchem  sein  Vetter  Konrad  2u  Rungelst^in  Miunelieder  (I)  dichtete.  Tirol  II, 

262.  In  dieser  Einsamkeit  dichtete  Konrad  Vintler,   des  Nikolaus  Vetter,    seine 

didactisch-bistorischen  Lieder  (Ij,  welche  noch  rorbanden  (in  Bruneck  !  !)  sind. 

Meran  83.  u.  ihn!,  im  Werke :  Die  Stadt  Botzen  238. 


292  Z  i  tt  g  «  r 1 e 

Zeitschrilt  10,257).  Seitdem  ich  aber  in  sämmtlicheii  Handschriften 
mit  Ausnahme  einer  Stelle  in  F  consequeut  Hans  fand,  musste  ich  in 
meiner  Ansicht  schwankend  werden  und  bei  näherer  Nachforschung 
kam  ich  zur  festen  Überzeugung,  dass  Conrad  nicht  der  Dichter  sei. 
Die  Handschrift  F  liest  V.   122.  5370.  57G1  selbst  Hans  und  nur 
V.  10091   Conrad.   Aus   dem  Schlüsse    dieser  Handschrift,   die  im 
Vintlerischen  Familienbesitze  bis  in  die  zwanziger  Jahre  war  und 
dann  in  das  Ferdinandeum  kam,  entnahm  Adam  Vintler  seine  Angabe, 
sowie  der  Verfasser  des  Aufsatzes  im  Tiroler  Boten  1824.  Der  An- 
gabe des  letztern  folgten  dann  Mayrhofen  und  Beda  Weber  und  a. 
Der  Annahme  eines  Conrad  sind  aber  die  geschichtlichen  Überliefe- 
rungen auch  höchst  ungunstig.  Conrad  Vintler  I.  starb  schon  1352 
und  kann  nicht  in  Betracht  kommen;  Conrad  II.,  Sohn  Leopold*s, 
begegnet  uns  urkundlich  1426.   1427.  1439.  1446.   1452.  1454. 
1456.  1457.  1458.  1460.  1464  <)•  Von  diesem,  der  sonach  noch 
1464  lebte,  können  wir  doch  nidlit  annehmen,  dass  er  schon  1411 
ein  Werk  verfasst  habe,  in  dem  er  so  gereifte  Lebensansichten  und 
so  bedeutende  Bildung  zeigt.  Ich  glaube,  dass  der  Abschreiber  Ton  F 
der  diesen  berühmten  Conrad,  dessen  Macht  und  Ansehen  kannte, 
anstatt  Hans  am  Schlüsse  Conrad  untersch/)b.  Dagegen  finden  wir 
einen  Hans  Vintler,  gegen  den  als  Verfasser  unsers  Gedichtes 
keine  haltbaren  GrQnde  auftauchen. 

Es  ist  dies  Hans  Vintler  IL,  der  Sohn  Hans  des  ersten  (gest. 
1391),  welcher  im  Jahre  1407  als  Pfteger  des  Gerichtes  Stein  auf 
dem  Ritten  vorkommt.  Im  Gegensatze  zu  den  andern  Herren  Tirols« 
die  meist  feindlich  dem  Herzog  Friedrich  entgegenstunden,  hielt  er 
zu  diesem  und  erfreute  sich  seiner  Gunst.  Er  war  dessen  Amtmann 
an  der  Etsch  und  Schatzmeister  zu  Tirol.  Gerade  zu  seinem  Verhält- 
nisse zu  Friedrich  stimmen  die  Ausfälle  in  unserm  Werke  gegen  den 
stolzen,  ubermuthigen,  treulosen  Adel,  dem  er  Undank  und  Untreue 
gegen  seinen  Herren  vorwirft.  Im  Jahre  1417  ward  Hans  mit  Hein- 
rich Seldenhorn  von  seinem  Herzog  als  Gesandter  an  den  Dogen  von 
Venedig,  Thomas  Mocenigo,  geschickt,  um  ein  Bündniss  abzuschlies- 
sen.  Gerade  aus  diesem  ehrenvollen  Auftrage  ergibt  sich,  dass  dieser 
Vintler  der  italienischen  Sprache  kundig  war,  wie  der  Verfasser 
unsers  Werkes.  Ihm  verlieh  Kaiser  Sigismund  1415  Qber  dem  viot- 


0  Geschicbtafreund  (Brixeii  1666)  I,  311—313 


Beitrige  lur  alteren  tiroliscben  Literatur.  II.  293 

lerischen  Wappen  einen  mit  einer  Konigskrone  gezierten  Turnier- 
helm zu  fahren  i).  Er  starb  kinderlos  1419,  wie  Adam's  Stammbaum 
meldet.  Zu  gleicher  Zeit  mit  dem  genannten  lebte  Hans  IIL,  ein  Sohn 
des  Franz  Vintler,  1422  verehelicht  mit  Agnes  Gerlacher»  der  nach 
J.  Ladurner*s  Forschungen  schon  1428  starb,  nach  C.  Stampler*s 
Aufsatz  vermählte  er  sich  zum  zweiten  Male  mit  Apollonia  Schraten- 
berger  aus  Trient  und  starb  vor  1447.  Ich  glaube,  dass  unser  Werk, 
das  in  den  selbständigen  Theilen  einen  sehr  gereiften  Geist,  reich 
an  Welterfahrung  zeigt,  Hans  dem  zweiten  zuzuschreiben  sei.  Da  die 
Handschrift  F  Hans  und  Conrad  als  Verfasser  nennt,  so  könnte  man 
glauben,  dass  das  Werk  von  Zweien  gemeinschaftlich  abgefasst  sei, 
dass  der  eine  siqh  mehr  mit  der  Hbersetzung  des  Originals  befasste, 
der  andere»  die  selbständigen  Anrufungen,  Einleitungen  und  die 
originellen  satyrischen  Theile  schrieb.  Es  wurde  dies  der  Annahme 
Zanicke*s  entsprechen,  der  das  Gedicht  als  Arbeit  zweier  bezeichnen 
möchte  *).  Allein  selbst  in  der  Handschrift  F  wird  in  Einleitungen  und 
selbständigen  Theilen  der  Verfasser  mit  Ausnahme  d.  V.  10091 
auch  Hans  genannt  und  alle  die  dem  italienischen  Originale  zuge- 
setzten Stellen  zeigen  einen  selbständigen,  freiem,  schwunghaftem 
und  ^gänzlich  veränderten  Ton**. 

Es  darf  uns  dies  nicht  wundern,  denn  bei  der  Übersetzung 
schliesst  sich  Vintler  meist  knapp  und  ängstlich  an  das  italienische 
Original  an,  wo  er  aber  selbst  dichtet,  gibt  er  seinen  Ansichten,  Ge- 
danken und  Gefühlen  freiem,  bewegtem,  lebendigem  Ausdruck.  In 
Betreff  der  Sprache,  des  Verses  und  der  Reime  findet  man  aber  im 
Ganzen  keine  massgebenden  Abweichungen  und  Eigenheiten,  die 
auf  zwei  verschiedene  Verfasser  schliessen  Hessen.  Die  Einleitung,  in 
der  sich  der  Verfasser  V.  122  selbst  Hans  Vjntler  nennt,  sieht  den 
folgenden  Einleitungen  und  dem  Schlüsse  ähnlich,  wie  ein  Ei  dem 
andern,  und  doch  ist  sie  mit  dem  folgenden  Theile,  wo  die  einfachste 
Übersetzung  beginnt,  auf  das  innigste  durch  einen  glücklichen  Über- 
gang verbunden. 

Das  italienische  Original  sagt  am  Schlüsse  seiner  kurzen  Ein- 
leitung: e  sc  aicuno  difetto  ci  fosse.  che  sono  certo  che  egii  ne  ha, 


')  Ladurner,  Beitrfige  lur  beschichte  der  Pfarrkirche  von  ßotzen  10.  Geschichtsfreund 

I,  309. 
2)  HaupfA  Zeitschrift  9,  65  ff.  hes.  88. 


204  Z  i  n  g  e  r 1 « 

la  discrezione  di  coloro  che  leggeranno  si  remendi:  che  infino  a  ora 
io  mi  tengo  »IIa  loro  correzione,  e  lasso  lo  mio  f'allo.'' 

Dann  folgt:  capitolo  primo. 

Che  cosa  k  amore  e  henevolen/a. 

Amore  e  benevoienza  e  dilezione  e  quasi  una  cosa,  secondo  che 
prova  Fra  Tomroaso  nella  sua  somma  generalmente. 

Vintler  biethet  dafür: 

und  ob  an  dem  puchlein  icht  gepresten  ist, 

80  pit  ich  den.  der  es  da  list, 

das  er  das  wend,  wan  Ich  im's  gan. 
190  wan  ich  der  chunst  nicht  enhan, 

das  mein  geticht  sei  straffe  treu 

und  hiet  ich  aller  chOnste  krei, 

das  ich  die  chunde  laiten  wol, 

dannoch  man  mich  straffen  sol. 
19^  wan  wer  die  straffong  nicht  wil  han, 

der  ist  den  schänden  nndertan. 

als  das  her  Salomon  auch  spricht : 
.  ffWer  sich  wil  straffen  laßen  nicht, 

dem  ist  nicht  Tast  nach  tngenden  we, 
200  wan  straffting  macht  nur  tugent  me". 

auch  ist  straffung  manigerlai  sach. 

etleich  ist  guet  und  etleich  swach. 

aber  welche  straffung  von  liebe  chumpt. 

die  selbe  straffnng  raste  frumpt 
20^  und  pringt  darzue  ril  nutzperkait; 

aber  wer  da  straft  mit  kunterfait, 

da  selbs  ist  chaine  liebe  nit, 

wan  rechte  liebe  ist  da  quit. 


187  ^cprechen  G.  —  189  ««no  O  Dr.  im  et  iS  G.  im  dea  Dr,  —  190  nit  <7  Ür.  — 
192  mdfehliFSG  Dr,  biet  ich]  ich  baet  G  Dr.  ftller]  aber  FB.  —  193  chaad^j 
cbunste  F.  kund  B.  kunt  S.  —  195  nit  G.  —  198  w.  sy  nicht  wil  UO^b  ttraff«« 
n.  F.  —  199  nit  B  G.  nach  fehlt  F.  tugent  S.  tagende  G.  —  200  fehlt  ^.  nur]  m 
G.  —  202  g.  etleich  iat  8W.  BSG.  —  203  welchf  str.  von  ganEer  Uebj  G.  — 
204  selbig  F.  ttralT  B  S  Dr.  rast  F  B  S  G.  —  205  natsperichait  B.  ~  %06  ka»- 
terckait  F.  —  207  nicht  F  S.  —  208  recht  lieb  S.  rechtew  G. 


Beitritte  zur  filteren  tirolischen  Literatur,  ff.  2db 

wan  alle  ding  an  der  liebe  leit, 
210  als  uns  sand  Thomas  urehund  geit, 

das  lieb,  wolgevallenchait  und  der  lust 
sind  pei  einander  in  ainer  prust. 

Über  das  Verhältniss  unsers  Werkes  zum  ital.  Originale,  über 
die  Art  und  Weise  der  Bearbeitung  desselben  durch  Vintler  und  über 
dessen  Zuthaten  gebe  ich  später  ausfuhrlichen  Bericht. 

Unser  Dichter  bezeichnet  sich  als  Laien  10130 

ich  pin  ain  eitel  lai, 

der  teutsch  ain  chlain  lesen  chan. 

und  betont  in  seinem  Werke  wiederholt,  dass  er  kein  eigentlicher 
Dichter  sei,  dass  ihm  wahre  Kunst  und  Erfindung  mangeln,  und 
ersucht  die  Leser  deshalb  um  Nachsicht,  ich  gebe  nur  einige  Belege 
dafür: 

46  mein  sin  der  ist  verirret, 

das  ich  nicht  wol  getichten  chan 

das,  das  ich  in  dem  mnete  han, 

nnd  das  ich  geren  pracht  herfGr. 
SO  so  ist  Terslossen  mir  die  tür^ 

da  der  geist  des  getichtes  leit. 

also  hat  chunst  mit  unchunst  streit 

gen  mir  und  pricht  doch  unchunst  Hir, 

als  ich  es  in  meinen  sinnen  spür 

herre  got,  ich  pin  ain  chint, 
wan  mir  meine  sinne  sint 
65  ze  chrank,  das  ich  dein  lere 
an  dir  volpring.  so  tue  dein  ere 
an  mir  chunstlosen  man, 
als  du  auch  hast  getan 
Moyses,  dem  lieben  ebnechte  dein. 


211  lieb  gevallikait  S.  wollevfiiligkfktt  O,  —  2U  sdi  S.  seien  B  G.  ^  ^6  ist  fast 
T.  G.  Terwirret  S.  —  52  cbunst]  unchunst  S,  unchunst]  kunste  S.  —  6j  ehr.  so 
des  S.  —  66  volpring  nlizitt  so  G.  —  69  Mojrsen  G.  lieben  fehlt  S. 


296  Z  i  n  g  e  r 1 e 

das  man  mich  haisset  Vintlär, 

des  pin  ich  höbscher  funde  lar, 
10105  das  ich  nicht  wol  Tinden  rhan 

hübsche  funde,  mit  den  man 

die  weile  mug  tertreiben. 

ich  mneß  es  lan  peleiben, 

Ton  der  schuld,  das  ich  pin  lär 
10110  der  hfibschen  funde,  die  mir  xe  swär 

sein  xe  tichten  und  aus  xe  legen. 

ei  werde  diet,  ob  ich  nu  han 
10120  dem  puchlein  nicht  sein  recht  getan, 

das  ist  des  schuld,  das  mein  mund 

nicht  pessers  chnnt  ze  diser  stund; 

daron  so  wil  ich  piiten  eu, 

das  ir  es  pessert  an  alle  deu, 
10125  das  ir  wänet,  das  guet  sei. 

wan  mir  ist  die  chunst  nicht  pei, 

die  man  haist  gramatica. 

so  chan  ich  nicht  rethorica, 

die  hübsche  rede  pricht  enxwai. 

Er  nennt  bescheiden  sein  Werk  das  Büchlein,  das  kleine  Büch- 
lein, dies  kleine  Werk: 

puchlein  185.  188.  10084.  10112.  10120.  10138 
ditz  chlain  werk  7600.  mein  werk  das  chlain  7. 

Selten  gebraucht  er  dafür  den  Ausdruck  Buch ,  wie  am 
Schlüsse,  wo  er  uns  auch  das  Jahr  der  Vollendung  seines  Werkes 
angibt : 

hiemit  das  puech  gemachet  ist 
in  dem  namen  der  heiligen  dritalt, 
do  man  tausent  iar  zalt 


10119  eya  G.  werder  dyt  G.  —  10120  sein]  m  G  Dr.  —  10121  dM  fekllF. — 
10122  peuer  W  S.  cbftn  F.  zu  5  Dr.  —  10123  euch  G.  ich  euch  pittea  Dr,  — 
10124  ir  dfts  pesseren  an  allem  dem  Dr,  allem  G.  allen  S.  —  10126  Bit  F  6  Dr. 
10128  han  F.  auch  nit  G.  —  10129  red  die  p.  e.  F.  enpricht  S.  —  lOiM  i*] 
daa  G. 


fieitrige  zur  ilteren  tirolischen  Literatur.   II.  297 

10165  fon  gotes  gepurde  sicher  zwar 

and  Yierhandert  und  aindlif  lar. 

zehen  tag  in  dem  lunius, 

quarta  die  Idus, 

in  dem  zaiehen  aquario, 
10170  do  ward  das  puech  Tolpracht  also. 

des  lob  wir  got  und  seinen  namen 

und  sprechen  alle  amen. 

Aus  dieser  Bescheidenheit  und  Geringschätzung  seines  poe- 
tischen Talentes  erklären  sich  die  so  häufigen  Anrufungen  Gottes 
und  Maria  um  Hilfe  und  Beistand.  Als  Zweck  seines  Buches  be- 
zeichnet er  nützliche  Unterhaltung  und  bildenden  Zeitvertreib  für  ihn 
und  die  Belehrung  und  Besserung  Anderer. 

90  was  schadet  mir  was  iener  tuet, 

Ton  dem  ich  pesserung  nim  ? 

tuet  er  nicht  wol,  des  wirt  er  inn 

und  ist  sein  1er  doch  nutze  mir. 

dafon  so  wend  ich  meine  gir 
95  auf  hubscheu  edleu  mare, 

ungern  ich  sein  enpäre 

durch  tugentreiches  herzen  site, 

auch  mach  ich  mir  selbs  damite 

freude  und  churzweile  guet. 
100  wan  es  geit  mir  hohen  muet 

und  nimpt  mir  manig  fantasmata 

und  unnutz  melancolia, 

die  ich  all  damit  vertreib  gar  schon. 

also  nim  ich  mir  selb  den  Ion.  — 


10165  gepurt  Br.\  —  10166  das  erste  und  fehlt  P,  ailften  G,  und  im  ailften  Dr.  — 

10170  päcbUn  G  Dr*  Tolpracbt]  getlebtet  W.  yollendet  G  Dr.  aldo  P  S.  äo  G  Brt 

10171  loben  F  G  Dr,  —  10172  und]  nun  F,  tp,  wir  P.  sprechend  G  Dr.  — 
90  iener]  ainer  S.  —  91  neme  S  G,  —  92  fehlt  G,  des  wirt]  das  wir  S.  das  wir 
im  Dr.  inn]  niue  S,  —  95  hrobsche  edle  S.  hübsche  edle  Dr.  —  96  und  auch  ung. 
G,  enpere  S  Dr.  —  97  tugendliches  G  Dr.  -—  98  mir]  newer  S.  telbs  fehlt  Dr.  — 
99  eh.  vil  g.  G.  —  102  und  auch  vil  un.  G.  melancolica  S.  melencolia  Dr.  — 
103  alle  vertreib  damit  g.  S.  —  104  fehlt  S.  don  G  Dr. 

fiitzb.  d.  phil.-hist.  Cl.  LXVI.  Bd.  II.  Hfl.  20 


298  Z  i  D  g  e  r 1 e 

Des  chüm,  lieber  Ihesus^  in 
und  geus  in  mich  dein  weishait, 
damit  das  pGchlein  werd  berait 
10085  und  das  man  sich  pesser  daron 

und  das  ich  auch  Terdien  den  Ion, 
da  chain  freud  nicht  ende  hat. 

Mairia  möge  für  ihn  bitten,  wenn  er  etwa  auch  Ruhm  bei  seinem 
Werke  gesucht  habe. 

Ei  Maria,  mueter,  raine  mait 
10155  hilf  mir  gen  deinem  lieben  snn, 

ob  ich  icht  gesuechet  ruem 

hab  in  disem  getichte, 

das  er  mir  das  Terslichte 

mit  seiner  parmherzichait 
10160  gen  seiner  hohen  gerechtichait. 

Was  die  Bildung  des  Verfassers  belangt,  ist  dieselbe  nicht  so 
gering,  als  man  aus  V.  10131 : 

der  teutsch  ain  chlain  lesen  chan 

schliessen  möchte.  Er  war  des  Italienischen  kundig,  denn  er  über- 
setzte sein  Werk  grossentheils  aus  dem  Italienischen,  was  er  selbst 

ausdrücklich  sagt: 

« 

ich  han  durchsuecht  fiores  Tirtntum, 
das  do  ain  wälsches  puech  ist 
das  han  ich  gemacht  xe  diser  frist, 
das  es  teutsche  lunge  wol  rernimpt, 
130  wan  es  der  rechten  tngent  zimpt. 
daTon  han  ich  es  ze  teutsche  pracht, 


10082  in]  chym  W,  cfaunb  S,  kom  G,  —  iOOM  du  das  pvech  G  Dr.  --  1006S  Uan 
G,  peuer«  Dr.  —  10086  verdien  auch  F.  Terdieneo  d.  G.  • —  10087  da  dMia]  d«r 
die  G,  nicht]  kain  G  Dr.  ^  1154  Efa  G  Dr.  raioew  (7.  —  1156  taccte  G.  - 
1157  diaem]  deinem  G.  —  1158  mir]  nim  F.  das  fehlt  0  Dr.  —  115»  s.  hai]ir<n' 
p.  G.  —  s.  hejli^en  l>r.  —  1160  fehlte,  hohen  fehlt  F.  —  126  hah  S.  —  Vt^  «Utj 
da  8.  sue  G  Dr.  —  129  wol  fehlt  S  Dr.  —  130  geiimpt  S.  —  131  daron]  daniei 
Dr.  zn  S. 


Beitrige  zur  ilteren  tirolischen  Literatur.  II.  299 

und  was  die  Vergieichung  mit  dem  ital.  Original  schlagend  bestätigt. 
Er  verstand  aber  auch  etwas  Latein,  was  auch  folgende  lateinische 
Wörter,  die  er  gebraucht,  beweisen : 

sapiencia  14.  4276.  in  iubilo  25.  3035.  fantasmata  101.  duplex 
163.  karitas  314.  disputatio  324  .  325.  vanitas  354.  presencia  467. 
^505.  absencia468.  veritas  3881.  precepta  3827.  philosophus  2690. 
5147.  iniusticia  3214.  penitencia  3893.  timorosus  4438.  temperancia 
5143.  rererencia  5418.  diflTerencia  5639.  in  monte  Syon  5374.  gula 
5844.  nomina  5672.  fornicatio  6169.  raptus  6173.  adulterium  6175. 
incestus  6179.  stuprum  6183.  luxuria  6257.  6299.  6378.  altissimus 
1476.  6900.  6942.  6996.  occiput  7170.  cerebrum  und  sinciput 
7171.  polum  articum  7260.  centrum  7261.  usuram  7320.  sentenciis 
7478.  Spiritus  sancte  7624.  clementissime  7625.  principatus  7673. 
Tirtutes  7682.  invisibilis  7794.  characteres  7915.  virgineum  7916. 
dialogus  7797.  milleartifex  1064.  8236.  rex  8237.  in  mundo  9018. 
incantacio  9019.  exemplum  9283.  in  dem  concilio  Lugdunensi  9670. 
•et  cetera  9700.  epitafium  9775.  in  proverbio  9864.  quarta  die  Idus 
10168.  aquario  10169. 

Lateinisch  und  italienisch  sind:  memoria  13.  240.  3265.  vana 
gloria  5638.  obediencia  5673.  ^  avaricia  9701. 

Freilich  gibt  es  auch  viele  Stellen,  die  wie  Zarncke  schreibt,  es 
höchst  unwahrscheinlich  machen,  dass  Vintler  überhaupt  Latein  ver- 
stand«). Zu  dem  von  ihm  beigebrachten  Beispielen  fuge  ich  folgende 
hinzu: 

in  Valerio  Maximum  171. 

des  chunigs  tochter  Armoniam  genant  906. 

da  gewau  Armoniam  iunckfrau  so  grosse  swar  910. 

das  si  leget  an  Armoniam  chlait  912. 

und  do  sach  Armoniam  die  trewe  gros  920. 

die  philosophus  149. 

aifi  weib  Scipio  Africanus  942. 

in  dem  puech  Machabeo  1689. 


<)  Italienische  Spuren  sind:  perfette  4262.  humilta  5419.  dono  5539.  condicion  7115. 
Hier  mögen  noch  angeführt  werden  ze  fort  3447.  Der  lerer  fort  S966  (fortis  it 
forte),  con^cienzen  9S30.  consciencie  10041.  dencie  (dentium)  10042. 

*)  Haupts  Zeitschrift  IX,  116. 

2(r 


300  Zi  n  ge  r  le 

chaiser  Anastasia  403^. 
Marco  Regulo  seinem  rat  3617. 
in  dem  lant  Ceciliam  6057. 
chain  ander  animalia  5062. 

Gewöhnlich  stehen»  ausser  Armoniam  für  alle  Casus»  die  fehler- 
haften Wörter  im  Reime»  für  den  sich  Vintler  die  Endung  beliebig 
machte.  Was  die  Nominative  auf  o  st.  us  betrifft»  z.  B.  Yppolito,  Theo- 
dosio,  so  sind  diese  Formen  theils  dem  italienischen  Original  ent- 
nommen» theils  der  ital.  Form  nachgebildet.  So  steht  auch  das 
Bedenkliche  mit  usuram  im  Reime : 

sein  gnet  nieren  mit  usuram» 

wan  wuecher  pringet  schad  und  schäm  7320» 

dagegen  das  male»  chain  male  im  Innern  des  Verses : 

wan  das  male  ist  so  prait  7363. 

wan  chain  male  doch  niemant  frumpt.  7365. 

Nach  meiner  Ansicht  verstand  Vintler  leichtere  lateinische 
Schriftsteller»  ohne  der  Sprache  soweit  mächtig  zu  sein»  dieselbe 
selbst  correct  zu  schreiben. 

Von  den  in  der  Einleitung  genannten  lateinischen  Schriftstellern 
scheint  er  mir  den  Valerius  Maximus»  dem  er  viele  Erzählungen  ent- 
lehnt» genau  gekannt  zu  haben  i).  (cb  gebe  eine  Probe  seiner  Bear- 
beitung 3). 

1730  Von  der  parmherzichait  han  ich  gelesen» 
das  Symonides  der  poet  ist  gewesen 
als  gar  parmherzig»  hör  ich  sagen» 
das  er  die  toten  tet  begraben  3). 


*)  Ba  ist  wohl  anwahrtchctnlicb»  dass  er  die  Überseliung  des  H.  v.  Mq^üb  beadtzt 
habe. 

*)  Aeque  düs  immortalibus  accepto«  Simonides,  CHJna  saina  ab  immiaenti  czitio  defeasa, 
ruioae  quoqae  subtracta  est.  Coenanti  enim  apud  Seopam  in  Cranone»  qvod  eail  ia 
Theasalia  oppidam,  nuntiatum  est,  duos  iivenea  ad  januam  Tenisse,  nia^Bop«re 
rogantes,  ut  ad  eos  contiDuo  prodiret:  ad  quos  egressna»  neinineni  reperil  ibi.  Ce- 
teram,  eo  roomento  temporis,  tricUDium,  iti  qno  Scopas  epalabator»  collapstim»  H 
ipsum  et  omnes  coDTiras  oppressit.  Val.  Max.  I.  ].  c.  8,  7. 

<)  Vergl.  Val.  Max.  1.  I,  c.  7,  3. 


ßeitrige  sur  alteren  tirolischen  Literatur.  I(.  301 

der  selb  Symonides  ains  tages  sas 
,1735  mit  seinem  freunt  Scopia  und  as 

in  der  stat  Tramonia^ 

die  da  leit  in  dem  lani  Tesalia. 

do  chomen  zwen  iiingling;  für  die  tGr 

ond  rneften  iSymonides  her  für, 
1740  das  er  snell  chim  and  nicht  anders  tat, 

wan  das  er  zue  der  porten  trSt. 

also  gieng  Symonides  nach  dem  wort 

pald  und  resehlieh  zue  der  port, 

und  do  er  zue  der  porten  cham, 
1745  do  Tand  er  Tor  dem  tor  niemand  stan. 

do  wolt  er  zue  dem  haus  hin  wider, 

do  Tiel  es  hinter  sein  dernider 

und  slueg  alle,  die  darinn,  ze  tot. 

also  cham  Symonides  fon  der  not, 
1750  als  das  Valerius  Maximus  sait, 

das  in  nicht  schirmt,  denn  die  parmherzichait. 

Was  seine  Bekanntschaft  mit  der  deutschen  Literatur  betritn, 
so  lässt  er  uns  darüber  völlig  im  Unklaren.  Wenn  er  sagt: 

ich  han  gesuecht  in  Alexander, 
was  der  hie  auf  erd  getan  hat  136, 

so  konnte  der  Alexander  Ulrich's  von  Esehenbach  gemeint  sein, 
welchen  H.  Sentlinger  in  die  Christherrechronik  aufnahm,  welche 
er  zweimal  (1394.  1391))  für  die  Vintler  abschrieb«). 


^y  Viotler  beginnt  die  Ersihlung  von  Alexander  ond  dem  SeerSuber : 

Von  der  parmhenichait  list  man  also 
in  dem  puecb  Maehabeo  16S8. 

Sentlinger  schreibt: 

und  als  uns  sagt  an  ein  drum 

über  Machabeoruro. 

das  biiecb,  dns  also  ist  genant, 

das  tuet  uns  von  erat  erkaot 

▼on  Alexander  Macedo  Bl.  167  B  9 

und  flicht  Ulricb*s  Alexander  ein,  wo  Bl.  194  A  2  die  Geschichte  von  dem  Seeriuber 
erxihlt  wird. 


302  Zingerle 

Die  Verse: 

darunib  soi  manx  für  puet  han, 

wan  ich  es  han  getan  in  guet 

und  das  es  pringe  hohen  muet  10133. 

könnten  an  Tristan  6—8  und  Rudolfs  Einleitung  zum  guten  Gerbart 
und  Schluss  desselben  6879  ff.  erinnern.  Auch  bei  den  Versen: 

und  war  ich  halt  auf  den  sQßeu  perg  getreten, 

der  Elicon  mit  namen  haist, 

und  do  die  götter  aUermaist 

ir  allerhöchstes  geticht  Tinden  2905. 

könnte  Vintler  an  Tristan  4863  ff.  gedacht  haben. 

Einige  Male  erinnert  Vintler  an  Meier  Helmbrecht,  z.  B. 

ach  und  säch  ich  si  die  raben 

strälen  an  der  sunne, 

allererst  so  biet  ich  wunne  3473. 

d6  staelte  dir  dln  houbet 

zesweohalp  der  rabe  dd.  Helmbrecht  626. 

Die  Verse : 

6630  wan  er  denkt  in  seinem  sinn 

tag  und  nacht,  wie  er  in  pring 

umb  das  sein,  mit  soleichem  mort 

macht  er  pald  auf  in  ain  worf , 

das  im  wirt  ain  alefanz, 
6635  und  spricht,  er  woU  nicht  an  den  tani 

heuer  zu  der  tasnacht  gan. 

mit  soleichem  aufsatz  hat  man  dan 

den  gueten  armen  man  gelaicht, 

oder  man  gicht,  er  hab  gesaicht 
6640  heuer  gen  der  sunnen  dar, 

oder  man  gicht,  er  hab  das  iar 

gepadet  mer  denn  drei  stunt, 

damit  das  er  umb  das  sein  chumpt 


6630  im  in  seinem  G  JOr.  6633.  auf  in]  auch  im  F.  ain  fehlt  W  S,  66^4.   nlfans  F  S, 
6642  dann  F*  wenn  6.  6648.  damit]  e  S,  ee  6, 


Beitrage  sur  alteren  tiroJiscben  Literatur.  II*  303 

gemahnen  an  die  nichtigen  Vorwände»  aus  denen  Helmbrecht  raubt 
und  schädigt.  V.  1129—1178. 

Die  folgende  Stelle  erinnert  an  die  goldene  Schmiede  und  ähnl. 
Loblieder  an  Jesus  und  Maria. 

5318  herr  gib  mir  ain  soliche  maß, 

das  ich  dich  lob  mit  sand  Michel, 

wan  du  pist  in  der  gelaubigen  sei 

als  ain  prautigam  an  seinem  prautpet 

und  als  ain  chQnig  an  seiner  stet, 
5320  und  als  ain  turn  Ton  chüniges  stuele 

und  als  ain  maister  in  der  schneie, 

und  als  ain  liecht  in  ainer  Tinster. 

dein  gnade  geit  ain  solich  glinster, 

das  manig  sele  wirt  gar  wacker. 
5325  du  pist  der  schätz  in  dem  acker, 

du  pist  der  wein  in  dem  cheller, 

du  pist  der  sterkist  in  dir  selber, 

du  pist  der  chlar  karfunkelstain, 

der  da  leit  in  golde  rain ; 
5330  also  chanst  du  dich  ein  verbarken. 

du  pist  das  prot  in  der  archen, 

und  als  das  insigel  den  brief  chan  xieren, 

also  chanst  da  dich  ein  formieren, 

das  du  so  pist  an  manigen  steten. 
5335  du  pist  die  erznei  in  der  apoteken, ' 

du  pist  die  härphe  in  der  Wirtschaft. 

gedon  Tach,  merke  deine  chraft, 

das  du  so  nicht  pist  ain  triegel. 

du  pist  ain  pilde  in  dem  Spiegel, 


aSlS  herr  aber  g.  G.  SSia.  Miebahel  G.  —  531S  preutiger  G  Dr.  sein  S.  —  5S21 
der]  seiner  G.   —  5323  geit  fehlt  8  G.  --  53t7  aterheal  W.  die  tterk  G.  — 
5S2a  ftinkelatain  G,  —  5330  ein  fehlt  3.  rerwarken  W.  rerwerken  G,  —  5331  prat 
in  a.  S.  —  5333—5359  fehlen  S.  —  5334  ao  fehlt  (?.  —  Nach  3535  hat  Gi 
Adonay,  ich  merlie  dein  kraft, 
dax  die  geit  den  fmchtperlichen  aan 
und  tuest  daa  an  alles  triegen. 
5338  das]  da  W. 


304  Z  i  n  g  e  r 1 e 

5340  du  pist  der  sfisse  honigsairo, 

da  pist  der  Adam  macht  aus  laim, 

du  pifit  die  frucht  auf  dem  paum, 

des  nemen  alle  geste  gaum. 

du  pist  das  öle,  das  da  print 
5345  in  der  lampen  ane  underwint 

du  pist  die  lüie  in  dem  tale, 

du  pist  der  uns  nam  unser  quäle. 

du  pist  in  den  creattiren  wunderleich 

und  in  dem  menschen  roinnicleich, 
5350  und  in  den  engein  begirleich  xwar 

und  in  den  heiligen  lustig  gar, 

und  in  dir  selben  unbegreifletch 

und  in  den  posen  unleidleich, 

und  in  den  Tcrdampten  ain  erschreckung. 
5355  dannoch  so  lobent  si  dich  darumb, 

seit  du  denn  unleidleich  pist 

pei  den  pösen  le  aller  frist. 

wie  sul  wir  sunder  denne  tuen. 

das  wir  gewinnen  deinen  suen? 
5360  so  mues  uns  helfen  die  mait, 

die  da  an  trait  das  ehlait, 

in  der  driraUiehait  das  quater. 

ich  main  mit  abba  dem  vater 

und  mit  dem  sun  und  Ruha-gaist- 
5365  0  Maria,  ich  getrau  dir  allermaist, 

das  du  mir  helfest  fSr  dein  chint, 

das  da  lag  ? or  esel  und  Tor  rint 

und  den  der  engel  hiex  Ihesus 

und  dem  die  heiligen  sprechen:  sanctus,  sanctus. 

Reicher  als  an  solchen  Stellen,  die  auf  Bekanntschaft  mit  andern 
Dichtungen  deuten  könnten,  ist  Vintler  an  Sprichwortern»  die  er 
dem  Volksmunde  entlehnt,  z.  B. : 


5341  der  da  G.  mach  IT  G.  —  5342  aaß  G.  —  5343  d««]  dem  W,  den  G.  ^ct  G.  — 
5344  lampe  O,  —  5346  gilge  G.  —  5347  m  auGoam  aaO  dem  q.  G,  —  9348  ia] 
auC  G,  —  5351  dem  W,  luttUch  G.  —  5352  selber  G.  —  5355.  lobe*  aew  F. 
dich]  sich  G.  —  5356  daon  F.  anledig  W.  —  5358  aallen  F  G.  ^  5364  mit  vm 
dem  W.  Rnha]  fehlt  S,  hailigen  F  G  Dr.  —  5369  sprachen  S. 


Beitrage  sur  filteren  tirolischen  Literatnr.  II.  305 

als  der  da  wass.er  trug  m  den  Rein.  1889. 
als  das  wasser  erleseht  das  prinnent  feur, 
also  chainpt  das  almasen  der  sund  ze  stenr.  1930  ^ 
welcher  herr  seinen  rat 
an  zwen  sehSlke  lat> 
ist  der  herr  danne  selb  dapei^ 
so  seind  der  schälke  pilleieh  drei.  2650. 
man  spricht,  das  chain  Talsches  wort 
wer  nicht  lange  hie  noch  dort  3662. 
wer  ain  lug  beschönen  wil, 
der  bedarf  darzue  grosser  mGe  fil.  3874. 
onmaß  wüstet  alle  spil.  5785. 
Übermaß  wüstet  alle  spil.  6441. 
.    .  ze  wenig  und  ze  fil 
das  selbe  wGstet  alle  spil.  6522. 
den  deub  macht  deu  stat.  5974. 
wan  doch  ain  offens  wort  ist: 
wer  do  ze  palde  lauft, 
das  er  auch  dester  öfter  straucht.  6509. 
alte  Sunden  machen  newe  sehant*).  6529. 
wan  man  hat  das  oft  gehört: 
das  alter  sol  haben  weis  und  wort, 
das  es  der  schäm  mug  eutrinnen.  6572. 
so  haben  die  rät  den  Neithart, 
der  selb  der  wQstet  an  aller  stat 
alle  rät,  hör  ich  sagen.  6650. 
Unart  choppet  in  sein  art.  6754. 
adel  fleucht  der  schänden  spor, 
als  ir  oft  habt  gebort, 
so  tuet  unart  nach  seiner  art.  6789. 
wer  tH  waiß,  der  zweirelt  ril.  7153. 
wann  der  pogen  stat  gespannen 
ze  allen  Zeiten,  so  wirt  er  lamen.  7174. 
und  war  der  winter  noch  als  ehalt, 


<j  Yergl.  Freidank  39,  6. 

')  Wolkenttein  iS,  2,  9.— 103,  1,  1. 


306  Z  i  n  g  e  r I 0 

SO  singt  der  pfaff  an  underwint* 

die  weil  man  im  das  opfer  priogt  7269  0- 

pöse  werch  madien  pdses  end.  7407. 

pös  gewonhait  geit  posen  Ion.  7421. 

lueg,  wem  da  trauest  und  in  wen.  7440. 

wer  sich  geren  zue  dem  fewer  menget, 

der  selb  wirt  geren  besenget, 

und  wer  sich  geren  mischet  under  die  ehlein, 

den  essent  die  sau  mit  dem  prein  *)  74^6- 

si  tii^t  geleich  als  die  chatz, 

die  voren  leckt  und  binden  cbratzt.  8796. 

man  spricht:  zwo  gellen 

wurden  oft  guet  gesellen, 

aber  zwaier  prueder  weib 

beleiben  selten  ane  streit.  8954. 

süsse  antwnrt  priogt  sGsse  wort 

und  pricht  den  zorn  an  allem  ort.  8974. 

der  ander  leut  tadel  offen  wil, 

der  wirt  der  sein  auch  hören  tiI.  8994. 

wer  mit  gespötte  urobe  gat, 

der  wirt  ze  spot  an  aller  stai  9050. 

das  selb  sein  esel  mit  churzen  oren.  9074. 

doch  haben  die  alten  war  gesait: 

wenn  der  abt  die  wQrfel  (raitt 

so  spiln  die  münicb  alle  geren.  9099  *). 

unsaubre  wort  wilsten  guete  sit.  9129. 

die  narrin  die  erchent  sich  nicht.  9553. 

das  selb  sein  sinn  mit  langem  har.  9564. 

wenn  die  muck  wil  legen  ain  ai, 

als  die  henne,  so  pricht  si  entzwai.  9566. 

das  man  geren  halt  den  man 

nach  dem  und  er  sich  halten  chan.  9624  ^). 

aller  adel  am  ersten  cham 


0  Diutisca  I,  324. 

*)  Diutisca  1,  325.  Morolf  II,  307 

S)  Wolkenttein  XXVI,  32. 

*)  Vergl.  Freidank  108,  27. 


Beiträge  zur  ilteren  tiroliachen  Literatur.  II.  307 

von  Era  und  von  Adam.  9650. 

toten  hochfart  ist  ain  spot, 

wan  si  ist  alxeit  wider  got.  9780  0* 

ze  y\\  wüstet  alle  spil.  10064. 

mazze  fuegt  ze  allen  dingen.  1 0094« 

alle  ding  die  sein  unfruet, 

wenn  das  ende  nicht  istguet.  10099. 

Hiehergehören  auch  die  den  Proverbia.  nachgediehteten  Stellen: 

es  sein  Tier  ding,  als  man  gicht, 
6265  die  selben  erfüllt  man  nimmer  nicht. 

das  ist  die  hell  und  das  uncheusch  weih, 

die  erf&llt  man  nicht  ze  chainer  zeit. 

das  dritt  das  ist  das  ertreich, 

das  ist  genueg  wnnderleich, 
6270  das  es  sich  nicht  genuegen  lat 

des  Wassers  an  chainer  stat. 

so  ist  das  feur  auch  nngenuegsam. 

das  selb  spricht  nimmer  mer :  las  stan 

das  holzy  ich  han  ietzund  genueg  *). 
6275  noch  sein  Tier  ding  so  clueg 

und  die  ich  nicht  erchennen  chan  dapei: 

wa  der  weg  des  adlers  sei, 

wann  er  in  den  lüften  fleuget 

der  natem  weg  mich  auch  Tast  treuget» 
6280  wenn  si  sich  über  die  staine  slinget, 

und  wenn  das  scheff  im  mere  swimmet, 

der  selbe  weg  ist  mir  ze  her, 

und  des  chindes  weg  hin  und  her, 

so  es  in  seiner  iogent  ist  ')• 

An  Vergleiche,  die  beinahe  sprichwörtliche  Verbreitung  haben, 
mahnt  folgende  Stelle  ^) : 


0  Vergl.  Freidank  29,  6. 
>)  ProT.  30,  15.  16.  Freidank  69,  5. 

*)  Fror.  30,  18.  19.  Freidank  126.  6.  T.  Sion.  (Diatitca  3,  7.)  MSH.  II,  230\ 
*)  Vergl.   Herbort  11225.    Erec  2815.  Lichtenstein  610,  19.    Colmarer  Meisterlieder 
S.  288.  396.  MSH  II,  382. 


308  Z  i  n ; e  r 1 e 

het  ainer  alle  weishait  g^r, 

die  DaTid  het  und  Salomon, 
7245  und  war  als  starch  als  Sampson, 

all  sein  chunst  war  im  enwicht. 

da  Word  gesehen  die  weishait 

Salomonis  für  ain  torhait, 

und  da  wurd  die  snellichait 

Azahels  gesehen  für  ain  traghait, 
10000  und  da  war  her  Sampson 

gesehatzt  ain  kranker  man, 

und  da  war  Matusalems  leben 

ain  behender  tot  gegeben, 

und  da  war  das  grosse  guet 
10005  des  chaisers  Aogusti  ain  armuet. 

Hieher  zu  rechnen  ist  auch  die  Priamel : 

wenn  der  pischolf  den  topfe  treibt 

und  wenn  der  ritter  pficher  schreibt, 

und  das  der  mfinich  harnasch  trait, 
9475  und  wenn  ain  hfibsche  stolze  niait 

ze  rosse  sol  ain  schütze  sein, 

und  wenn  die  nunn  und  die  pagein 

wellent  zue  den  b5fen  waren, 

und  wenn  der  man  sol  spinnen  garen, 
9480  und  wenn  ain  achtzigiärig  man 

'sol  gen  schuel  umb  lernung  gan, 

und  wenn  ain  chint  mit  ainem  geren 

sol  stechen  ainen  alten  peren: 

das  selb  ist  alles  widerwärtig 
7485  und  wirt  nimmer  recht  artig. 

Eine  Reminiscenz  aus  Freidank  62,  10  bieten  die  Verse: 

das  maniger  petet  mit  dem  munt, 

das  doch  dem  herzen  ist  unchunt  6914. 

Die  schöne  Stelle  an  den  Pfennig,  (1213  ff.)  die  ich  später  mit- 
teile, begegnet  uns  beinahe  wörtlich  in  einem  Spruche  der  Wiltener 
Handschrift  Bl.  116' i).  Auf  Vintler's  Stelle: 


0  Sieh  meinen  Bericht  darüber  S.  50.  Sitzungsberichte   der  k.  Ak.  XXXVII,  97$. 


Beitrage  zur  filteren  tirolischen  Literatur.  II.  309 

SO  wissen  dise  das  vogel'  geschrai  7745  ff. 
beruht  der  Spruch : 

Welcher  mensch  do  gelaubt  an  Togel  geschrei  ff. 
der  uns  in  zwei  Wolfenbuttler  Handschriften  erhalten  ist  i). 

III.  Verhältniss  zum  italienischen  Werke. 

Vintler  nennt  uns  selbst  seine  Quelle: 

ich  han  durchsaecht  flores  virtutum, 

das  do  ain  wälsches  puech  ist, 

das  han  ich  gemacht  ze  diser  frist, 

das  es  teutsche  zunge  wol  yernimpt, 

wan  es  der  rechten  tugent  zimpt 

davon  han  ich  es  ze  teutsche  pracht.  126  ff. 

Er  nennt  hier  seine  Vorlage  ausdrucklich  ein  wälsches  d.  h. 
italienisches  Buch,  nachdem  er  auch  sein  Werk  benannt  wissen  will : 

daTon  wil  ich,  das  mein  werk  das  chlain 
haiß  die  pluemen  dertugent  rai^  7. 

Lappenberg  gebührt  das  Verdienst,  dies  italienische  Original» 
ein  um  das  Jahr  1320  geschriebenes  Werk,  welches  dem  Tomas o 
Leoni  zugeschriebeo  wird,  nachgewiesen  zu  haben.  (Haupt,  Zeit- 
schrift X,  258  ff)  a).  Wie  Vii^tler  seine  Vorlage  benutzte,  sich  bald 
ängstlich  an  dieselbe  anschloss,  ja  dieselbe  beinahe  wortlich  über- 
setzte, bald  aber  sich  freier  bewegte,  ja  stellenweise  ganz  seine 
eigenen  Wege  gieng,  bis  er  wieder  auf  das  Original  einlenkte,  mögen 
die  folgenden  Stellen  zeigen,  denen  ich  den  italienischen  Text  nach 
Gelli  beigebe. 


1)  Fastnachtspiele  111,  1382.  1438. 

2)  Zn  den  rielen  dort  aufgeführten  Ausgaben  trage  ich  nach : 

1.  Die  venesianer  Ausgabe  1493.  Ein  Exemplar  be6ndet  sich  auf  der  Bibliothek 
£tt  Gotha. 

Z.  Fiore  di  rirtik  ridotto  alla  sua  vera  lezione  tecondo  Pedixione  di  Roma  dtl 
1740.  Udine  1853. 

3.  Fiore  di  virtä,  testo  di  lingua  ridotto  a  corretta  lezione  per  Agenore  GelU. 
Firenze  1855.  Diese  Ausgabe  steht  unserm  Gedichte  am  nSchsten. 


310  Z  inger le 

Ho  fatto  come  colui,  ch'  i  in  uno  grandissimo  prato  di  fiori,  che 
elegge  e  coglie  tutta  la  cima  de*  fiori  per  fare  una  bella  ghirlanda; 
pero  voglio  che  questo  mio  piccolo  lavoretto  abbia  nome:  „Fiore  dt 
virtudi  e  di  costumi;  e  se  aleuno  difetto  ci  fosse,  che  sono  certo 
che  egii  iie  ha,  la  discrezione  di  coloro,  che  leggeranno,  si  Temendi; 
che  infino  a  ora  io  mi  tengo  alla  loro  corredsione,  e  lasso  lo  mio  fallo. 


Amore  e  benevolenza  e  dilezione  e  quasi  una  cosa,  secondo  che 
proTa  Fra  Tommaso  neila  sua  Somma  generalmente.  Lo  primo  mori- 
mento  di  ciascuno  amore  si  i  la  conoscenza;  e  cos\,  come  diceSanV 
Agostino»  nessuno  uomo  puote  amare  aicuna  cosa,  se  priroamente  non 
ha  qualche  conoscenza  della  cosa  che  vuole  amare;  e  discende  questo 
conoscimento  da  cinque  principali  sentimenti  del  corpo:  da  Tedere, 
che  e  negli  occhi;  da  udire»  che  e  nelle  orecchie;  da  odorare,  che 
e  nel  naso;  da  gustare,  che  e  uella  bocca;  dal  toccare,  che  e  nelle 
mani,  e  in  altre  parti  del  corpo ;  ovrero  dal  senno  intellettiTO,  eh*  e 
nello  immaginare  dello  intelletto. 


Beitrige  zur  ilteren  tiroUscheu  Literatur.  II.  311 

Ich  han  getan  recht  als  ain  man, 
der  do  cham  aaf  ainen  plan, 
do  er  vant  pluemen  manigerlai, 
als  si  pringen  mag  der  mai, 
5  und  der  die  plaemen  aller  pluemen  nimpt, 
ain  kränzlein  macht,  das  im  gezimpt. 
davon  wil  ich,  das  mein  werk  das  chlain 
haißt  die  pluemen  der  tugent  rain.  1 — 8. 

und  ob  an  dem  püchlein  icht  gepresten  ist, 
so  pit  ich  den,  der  es  da  list, 
das  er  das  wend>  wan  ich  im  es  gan; 
190  wan  ich  der  chunst  nicht  enhan, 

das  mein  geticht  sei  straiTe  frei.  187  — 191 

wan  alle  ding  an  der  liebe  leit, 
210  als  uns  sand  Thomas  urchund  geit, 

das  lieb,  wolgeyallenchait  und  der  iust 

sind  pei  einander  in  ainer  prust. 

wan  er  das  oifenleichen  spricht 

und  in  seiner  summ  ausricht, 
215  das  die  erst  bewegung  ainer  iegleichen  liebschaft, 

das  das  sei  die  yer^antnus  mit  ir  chraft. 

als  da  spricht  sand  Augustein : 

»chainem  menschen  mag  ain  ding  lieb  sein, 

er  hab  es  dann  vor  etwas  erchant^. 
220  das  selb  das  chumpt  von  der  fSnf  sinne  pant, 

also  das  sehen  mit  den  äugen, 

den  oren  das  gehörd,  das  ist  an  laugen, 

und  als  das  sniecken  mit  der  nasen, 

und  als  das  chosten  mit  dem  prasem, 
225  und  als  das  rfiren  mit  den  henden, 

wie  es  die  sinne  mein  wenden, 


3  do]  und  S.  —  6  iemen  »mpt  F.  im  wol  g.  (r.  —  7  ich  mein  w.  5.  —  8  haissen  S. 
pl8m  G.  —  187  geprechen  G.  —  189  wenn  G.  im  des  G.  —  211  lieb  geralükait 
S.  woUevSlIigkait  G.  —  212  sei  S,  seien  B  G,  —  213  offenleich  F  B  G.  —  215 
begirung  BSG.—  216  irer  B,  —  218  gesein  B  S.  ^  220  selb  eh.  S  G,  selbig  B. 
sinnen  BSG.  —  222  gehör  G.  —  223  fehlt  F.  224  den  F  S.  —  226  wie  sy  dy 
sinne  roainet  w.  S.  maine  B.  raainen  G. 


312  Z  ing  e  r  1  e 


e  questa  conoscenza  si  i  il  primiero  assalto  d*amoret  e  la  mag- 
gior  parte  discende  dagli  occhi,  secondo  lo  Füosofo»  che  imprima- 
mente  la  volontä  delle  persoae  si  muove  per  questa  coDOsceiua;  poi 
si  muta  nella  memoria»  e  converte  si  in  piacere  e  immaginamento. 


Questo  eotale  piacere  si  muove  da  uno  disiderio  del  euere  a 
disiderare  la  cosa  che  gii  e  piaciuta,  e  questo  disiderio  nasce  da  una 
speranza  che  viene  da  potere  avere  quello  che  gli  i  in  piacimento; 
e  di  questo  nasce  la  sommaria  virtü^  d*amore,  la  quäle  si  e  radiee,  o 
fondamento,  guida  e  chiave»  e  colonna  di  tutte  le  Tirtudi.  siccome 
scrisse  il  Filosofo.  E*l  detto  Frate  Tommaso  prova«  che  nessuna  rirti^ 
d*amore  puote  essere  senza  amore,  e  tutte  si  formano  ed  hanno  eo- 
minciamento  per  lei. 


Sicchi  ciascuno  che  vuole  conoscere  le  virtudi  da'  yisj»  gau^i 
pure  se  quello  ch'egli  vuol  fare  si  muove  dalla  virtü  d'amore 
0  si  0  no ;  e  di  ciö  poträ  conoscere  la  veritä.  E  questo  pu&  vedere 
manifestamente  ciascheduno  che  abbia  intendimento,  guardando  bene 
la  proprieti  de'  vizj  e  delle  virtudi.  Siecht  amore  si  puote  propria- 
mente  assomigliare  a  un  uccello  il  quale  ha  nome  calandra,  che  ha 
tale  proprietJi ,  che  egli  (&  portato  airinfermo  •  e  se  Tinfermo, 
dee  morire,  si  gli  volge  la  testa»  e  non  lo  guarda  mai;  e  se  egli 
dee  scampare,  si  il  guarda,  e  ogni  sua  malizia  gli  toglie  da  dosso ;  cosi 
fa  la   virtüi  d'amore.  ch*ella  non  guarda  mai  aicun  vizio»  e  schifo 


Beitrage  zur  altereu  tiroliacheu  Literatur.  II.  313 

wan  sie  es  doch  alles  regieren, 

and  in  dem  andern  tail  des  hieren, 

da  da  leit  der  Temnftig  gaist 
230  in  der  betrachtung  aiiermaist. 

wan  die  rerstantnas  ist  also  frei, 

das  ir  wont  guet  und  pös  pei, 

und  macht  ir  oft  selb  ain  lieb  urspring, 

als  ich  es  in  meinen  sinnen  Tind. 
2 3 IS  das  chumpt  alles  Ton  der  äugen  gesiebt, 

als  der  philosophus  auch  spricht: 

wenn  der  mensch  seinen  willen  naigt, 

das  er  dann  der  erchantnus  zaigt. 

das  selb  Ycrweehselt  sich  alda 
240  in  die  inner  memoria 

und  Terchert  sich  dann,  als  man  sait, 

in  ain  wolgeTallenchait. 

und  das  gCTallen  erwegt  die  pegir, 

das  im  die  sach  gevallet  schier. 
245  da  pirt  sich  dann  die  höchste  tugent. 

die  rechte  liebe  ist  so  mugent, 

das  si  ist  würz,  anevank  und  leben, 

wan  si  mißet  alle  ding  gar  eben. 

sie  ist  auch  ain  säul  aller  tugenthait, 
250  als  der  philosophus  uns  sait 

und  sand  Thomas  auch  bericht 

und  bewärt,  das  chain  tugent  nicht 

an  rechte  lieb  nit  mug  gesein, 

wan  si  formet  sich  so  ein 
255  und  macht  ir  ainen  anevank  durch  sei. 

und  wer  erchennen  wil  da  pei, 

ob  er  tugent  oder  laster  tue, 

so  wart  nur  das  ansehen  zue, 


227   wen  es  ai  d.  S.    —   229  anTernuAig  F,  Teraufft  G.  —  231—330  fehlen  F.  - 
232  §ruetx  und  auch  p.  6,  —  233  selb  fehlt  8  G,  ^  238  der  kantnns  S,  ers  erkant- 
nuss  denn  z.   G.  —  240  inner]  in  der  G.  —  242  wolIg^eTellikait  G.  ~  243  das 
fehlt  B,  —  244  gevallen  BS.  —  249  aal  S.  —  250  uns  anch  s.  G.  —  251  sanc- 
tu4  G.  —  254  oroet  S.  sei  formiert  G.  —  258  nur  fehlt  S.  nu  G. 

Sitzb.  (1.  phil..hi8t.  Cl.  LXVI.  Bd.  U.  Hft.  21 


314  Zingerle 

sempre  ogni  vi!  cosa,  e  diraora  colla  virtü.  E  ii  bene,  che  i  eosi  con- 
tinovo,  ripara  in  ciascheduno  cuore  gentile,  come  faiino  gii  uccelli  alla 
verdura  della  selva;  e  dimostra  la  sua  virtude.  come  fa  il  lume,  cbe 
i  posto  in  una  scuritä  che  aliumina  plA.  E,  secondo  lo  detto  Frale 
Tommaso,  e*  dee  essere  ordine  nelio  amore,  che  rroprimamente  Tuomo 
dee  amare  Iddio  sopra  tutte  le  cose;  e  dietro  si  dee  amare  se  stesso, 
pol  il  padre  e  ia  madre;  pui  la  patria  secondo  ii  grado;  poi  cias- 
cuno  secondo  lo  suo  essere;  e  innanzi  Ii  buoni  che  Ii  rei  dee  amare, 
ma  non  i  suoi  vizj,  siccome  dice  Santo  Agostino;  onde  primameute  io 
ragionerö  dello  amore  d*Iddio,  perchi  e  sovrano  a  tutti  gli  altri;  poi 
dirö  dello  amore  de*  parenti;  e  poi  conterö  dello  amore  degli  amici; 
e  alla  fine  parlerö  dello  amore  delle  donne. 


Beitrage  zur  «Heren  tirolischen  Literatur.   II.  315 

ob  es  Yon  der  tugent  her  gee, 
260  oder  ob  es  mit  dem  laster  bestee. 

Die  lieb  mag  ich  geleichen  wol 

dem  kaiander,  wan  der  sol 

ain  siechen  menschen  sehen  an, 

sol  im  die  sacht  nit  engan, 
26 d  so  chert  er  seine  äugen  Ton  im, 

sol  er  aber  des  siechtums  chomen  hin, 

so  chert  er  seine  äugen  dar 

und  nimpt  des  siechen  fleißichleichen  war, 

das  er  den  Siechtum  in  sich  zeucht. 
270  also  auch  die  tugent  fleucht, 

das  si  die  lasterperleieh  getat 

alzeit  scheuhet  an  aller  stat, 

und  also  tuet  ain  edel  gemut. 

das  zeucht  an  sich  mit  seiner  gut, 
275   das  si  es  begreifen  wirt  gar  pald, 

recht  als  die  Togcl  in  dem  wald, 

den  ir  begir  nach  laube  stat. 

also  sat  die  tugent  ir  sat. 

und  als  ain  Hecht  in  ainer  rinster, 
280  das  da  leucht  mit  seinem  glinster 

noch  Tester,  denn  ob  es  der  tag  an  schin, 

also  ist  dem  tugeiithaften  sein  sin. 

sand  Thomas  spricht  noch  me, 

das  die  recht  Ordnung  bestee. 
285  und  das  auch  die  ganze  liebe  ist, 

das  ist,  das  man  minne  Christ 

Tor  allen  dingen  hie  auf  erden 

und  das  du  bedenkst^wer  du  muest  werden. 

das  selb  macht,  das  man  sich  selber  mint, 
290  und  wer  das  selbig  recht  versint, 


263  fehlt  G.  —  264  so  im  die  s.  oit  sol  G.  —  266  siechtum  ß.  —  266  fleischleicheo 
S.  flissigklich  G.  —  271  sei  die  schantlichew  lasterparlichew  t.  (?.  —  274  zeucht 
fehlt  G.    -    277  ir  fehlt  G.  ~  278  also  stat  die  S.  —  281  denn  fehlt  S.  —  286 
Ihesum  Ch.  G.  — r  288  wer]  waz  G.  —  289  mach  8,  mint]  mät  S.  —  290  wer  fehlt 
G.  selb  S  G.  versunt  S. 

21  • 


31t)  Zineerle 

das  war  wol  ain  hoher  hört  gpenaeg. 

wao  wer  im  selben  hie  ist  clueg, 

der  mag  sich  wo!  Tor  sQnden  hueten. 

anch  sol  man  Yatter  und  mueter  gueten, 
29  S  das  man  die  in  eren  hab. 

den  nächsten  freunten  auch  guetes  trag, 

iegleichem  darnach,  als  er  dir  sei 

mit  seiner  sippe  nahen  pei. 

darnach  seit  du  ain  iegleichen  man 
300  nach  seinem  wesen  also  han, 

und  auch  ee  die  gueten  wan  die  pösen. 

auch  soitu  niemant  nicht  verosen 

sein  leumunt  noch  ander  leute  laster. 

wan  wer  das  tuet,  der  schent  sich  Taster, 
305  als  sand  Augustin  do  spricht. 

am  ersten  han  ich  ew  bericht 

von  der  gottes  lieb  urspring, 

darumb  das  er  ist  über  alle  ding. 

darnach  wil  ich  eu  sagen  me, 
310  wie  die  tailung  der  liebe  ste. 

darnach  so  offenbar  ich  eu 

Yon  der  lieb  und  von  der  frawen  treu. 

Es  mag  dieser  Vergleich  des  Anfanges  uns  zeigen»  wie  Vintler 
bei  seiner  Bearbeitung  im  allgemeinen  vorgieng.  Er  folgte,  wenn  er 
übertrug,  dem  Gegebenen  in  freier  Weise,  schloss  sieh  aber  genau 
dem  Inhalte  des  italienischen  Originals  an.  Wir  Gnden  sogar  Stelleu, 
in  denen  er  sich  auch  wörtlich  an  die  italienische  Vorlage  hält  und 
sogar  Reime  daraus  entlehnt;  z.  B.  disse  Taltro:  Messer  lo  Re  S.  81. 
herr  der  chünig  5179.  Seneca  dice:  Non  lodare  altrui  in  sua  pre- 
senza  S.  88.  • 

so  spricht  der  maister  Seneca : 

„nicht  lob  die  leut  in  presencia**  5504. 


291  ainer  S,  —  29t  selber  S.  selb  G.  —  294  gutten  S.  —  298  io  aUen  e.  G.  — 
297  als  er  dir]  uod  er  G,  —  299  nahent  S.  —  301  wan]  deno  G.  —  903  sei»» 
leunden  n.  G,  —  304  wer]  der  G.  scbent  sich  selber  Taste  G,  —  309  aa]  di«  £ 
euch  G»  —  307  orsprang  S  G.  —  308  sllew  G,  —  309  d.  so  w.  L  eaeb  G,  mt 
fehlt  6.  —  312  und  auch  von  der  falschen  fr.  G. 


BeitrSge  zur  Slteren  tirolischen  Literatur.  II.  '317 

Della  virtü  della  gratificazione   dice    Cnto:  Quando  aicuno  tuo 
povero  amico  ti  dh.  alcun  dono  S.  86. 

Ton  der  danknemichait  spricht  Catho : 

^wenn  dir  ain  mensch  geit  ain  clain  dono.**  5538. 

E  da  superbia  a  vanag/orta  si  i  grande  diffevenza,  S.  88. 

doch  zwischen  hochfart  und  vana  gloria 
ist  ain  groz  diiferencia  5638. 

Seneca  dice:  Se  tu  pensassi  il  fine  della  lussuria  S.  95. 

„awe!**  spricht  her  Seneca, 

„bedachtest  du  das  end  der  luxuria  6257. 

Del  vizio  della  lussuria  si  legge  nelle  storie  di  Roma,  che  lo 
imperadore  Teodosio  avea  un  suo  figliuolo  S.  95. 

man  list  von  der  luxuria 

in  der  historie  von  Roma, 

das  der  chaiser  Theodosio 

het  ainen  sun,  der  was  also  6378. 

Chi  Yuol  scampare  de  pericoli  del  mondo,  accompagnisi  con  la 
cortesia  S.  100. 

wer  da  hie  entrinnen  well 

der  sorgsamen  weit,  der  gesell 

sich  zue  der  curtosia  6588. 

* 
E  iniperö  dice  Salomone,  che  gli  uomini  e  le  bestie  sono  d*una 

condizione  e  fine.  S.  1 03. 

darum b  sprach  her  Salomon: 

nleut  und  tier  sein  ainer  condicion".  7114. 

Einen  wahrhaft  heitern  Eindruck  macht  die  Übertragung  fol- 
gender Stelle :  E  puossi  assimigliare  la  Yirlii  della  temperanza  a  una 
bestia,  che  si  chiama  cammello,  che  naturalmente  si  e  il  piüi  lussu- 
rioso  animale,  che  sia  al  mondo;  ch*egli  anderebbe  dieci  miglia  dietro 
a  una  cammella  solo  per  vederla.  S.  80. 

Die  mässichait  die  geleichet  man 
dem  chamlein,  als  ich  vernomen  han, 


318  Zin^erle 


[ 


Ovidio  dice:  Se  ogni  volta  che  le  persone  peccano»  fossono  po- 
nite,  in  poco  tempo  ne  sarieno  pochi.  Setieca  dice:  Pensa  d*avere 
fatta  la  tua  Vendetta,  se  tu  ti  se*  possuto  vendieare,  e  tu  gli  abbia 
perdonato  S.  34. 


Molte  persone  peccano  per  povertä.  üa  aliro  disse:  0  motte, 
come  tu  86  dolce  com  al  povero.  S.  39. 

Del  yizio  della  gola  si  legge  nella  Somma  de*  vizj,  che  tutti  gli 
mall  si  vengono  dalla  gola,  ch*e]la  toglie  la  memoria,  e  distrugge  ^ 
senno,  e  consuma  lo'ntelletto,  e  corompe  il  sangue,  turba  gli  ocebi, 
indebolisce  lo  spirito,  enfia  la  lingua,  guasta  il  corpo,  e  tutte  le  infer- 
mitJi  discendono  da  quella,  e  induce  lussuria  e  aecorcia  la  Tita  S.  91. 


QuirKo  disse :  Questi  e  quegli  che  signoreggiava  il  mondo  dal 
Levante  al  Ponente,  e  ora  si  contiene  in  due  passi  di  terra  G.  S.  27. 
Guilico  disse :  Colui  chi  signorigiaua  la  terra  da  leuante  a  ponente 
hora  i  doi  passi  d  terra  sta  soterato.  (1493)  Bl.  V. 


Beiträge  zur  älteren  tirolischen  Literatur.  II.  319 

das  selb  ist  tod  naturleichem  streit 

gar  uncheasch  ze  aller  zeit, 

wan  indert  chain  ander  a  n  i  m  a  1  i  a. 

waD  es  luif  ainer  c  a  m  a  1  i  a 

nach  mer  wan  hundert  meil, 

das  es  nuer  sei  sehen  solt  ain  weil  5058  ff. 

Ich  gebe  noch  einige  kleinere  Beispiele  der  Übersetzung,  die 
uns  manche  Schwachen  derselben  zeigen  mögen,  z.  B. 

Ofidius  der  hat  auch  gesprochen : 

^als  oft  der  mensch  in  die  sunde  Yall, 

solt  man  si  darumb  pessern  all, 

so  wurd  ir  wenig  in  churzer  zeit. 

gedenk,  haben  getan  dein  streit, 

so  du  si  wol  mochtest  haben  getan. 

wan  da  prüft  man  dein  tugent  an^.  1679 — 1685. 

vil  menschen  sunten  zwar 

ron  grosser  armuet,  das  ist  war. 

0  tod,  wie  ain  süsses  ding  ist  armuet !  1 990  ff. 

von  der  fraßbait  spricht  man  also, 

das  si  sei  ain  fundamento 

aller  poshait,  als  da  spricht  Isiderus: 

wan  si  zwingt  des  menschen  gedächtnuß 

und  zerpricht  das  naturleich  pluet. 

unmaß  ist  ze  nichte  guet, 

unmaß  irret  weises  reden, 

unmaß  wüstet  des  ganzen  menschen  leben 

und  alle  siechtumb  chomen 

Yon  der  unmaß,  han  ich  vernomen.  5860  ff. 

Einmal  begegnete  unserm  Dichter  das  Versehen,  den  Nachsatz 
auszulassen : 

Salomon  spricht:  „der  ist,  der  da  herschaft 

das  ertreich  yon  aufgang 

der  sunnen  unz  zu  ir  nidergang*'.   1235. 

Dass  aber  unser  Dichter  es  versteht,  das  italienische  Original  in 
der  Darstellung  zu  übertreffen,  mag  uns  folgende  Erzählung  zeigen : 


Lemme  (Gloria  1493),  figliuola  dello  imperadore  AoasUgio,  la  quäle 
si  s'  innamoro  d'uno  9uo  dooiello,  Gh'avea  nome  Aroantino  (Amooe 
1493),  e'l  donzello  non  voglieodo  scconsentiHe  per  paura  dello  impe- 
radore, costei  si  ptash  di  farlo  morire.  Sieche  passando  ud  di  dioaui 
all'  uscio  della  figliuola  del  re,  dov'  ella  giacea,  ella  cominciö  a  gri- 
dare:  „Accorrete,  accorete,  chd  Amantiuo  m'  harolutasforzare.  E  in- 
contaneote  fu  preso  il  dontello,  e  menato  dlnanzi  allo  imperadore.  e 
fu  domandato,  se  era  vero  quellu  che  dicea  la  donzella;  ed  egU  ri- 
spose  di  no.E  lo  imperadore  si  mandft  perla  ßgliuola.  e  domaDdö  coine 
era  stato  il  fatto,  ed  ella  Diente  risponde.  Ed  essendo  domandata  piü 
Tolte,  e  niente  HspoodeDdo,  disxe  un  barone  con  modo  di  beffa:  eil' 
aver  forse  perduta  la  lingua.  E  lo  imperadore  si  mara?ig)i&  forte  di 
cii,  e  feile  cercare  in  bocca,  e  trovossi  avere  perduta  la  lingua.  E  lo 
imperadore  veggendo  questo  miracolo,  si  fe  laseiare  il  donzello;  t 
allora  tomö  la  lingua  di  subito  alla  donzella,  ed  ella  manifestö  la 
Teritä  in  presenta  d'ogni  uomo ;  e  poi  entri  in  un  munistero,  e  fin\  la  sua 
Tita  alservigiod'lddio.  S.  69,  70. 


Beitrige  zur  ilteren  tirolischen  Literntur.  II.  321 

4032  Von  der  lug  list  man  in  römischer  tat, 

das  ze  Rom  in  der  stat 

was  aine»  hies  Jnrina, 
4035  und  was  des  chaisers  Anastasia 

tochter,  als  ich  han  Tcrnomen. 

die  was  in  ain  solich  lieb'e  chomen, 

das  81  sich  senet  tag  und  nacht  an  widerdries 

nach  ainem,  der  Amene  hies, 
4040  der  dem  chünig  was  ain  gehaimer 

und  was  der  edelen  iunkherren  ainer. 

des  wolt  der  selbe  iungeling 

nicht  tuen  umb  chaiaerlai  dtng> 

das  er  pei  ir  icht  wolt  ligen, 
4045  wan  es  war  dem  chaiser  doch  unTcrswigen. 

und  do  die  iunkfran  das  ersach, 

do  gedacht  si  ir  tag  und  nacht  darnach 

mit  allen  iren  sinnen. 

wie  si  den  iungiing  mocht  umbpringen. 
4050  das  traib  si  etleich  zeit  mit  iamer. 

ains  tages  gieng  si  für  sein  chamer 

und  schrai  da  auf  mit  lauter  stim : 

„lauft,  lauft,  ist  ieman  hinn, 

der  mir  retten  helf  mein  er! 
4055  Waffen  heut  und  immer  mer! 

das  ain  solicher  snoder  man 

sol  seinen  gewalt  an  mir  haben  getan, 

das  ist  doch  dem  chaiser  ain  schant^. 

do  lief  alles  volk  zne  ze  haut 
4060  und  yiengen  in,  als  si  het  gedacht. 

do  ward  er  f&r  den  chaiser  pracht. 

do  sprach  zue  im  der  chaiser  her: 

»eya  heut  und  immer  mer! 


4034  was  aine]  ain  iankfraw  die  G.  was  fehlt  8.  die  hies  F.  —  4030  Amore  G.  — 
4042  des]  da  G.  —  4044  icht]  nicht  F  S,  ^  4045  doch  fehlt  (7.  —  4051  tags 
da  g.  O,  —  4053  ein  lauft  fehlt  F.  --  4054  retten  wel  helfen  S.  —  4057  sein 
F  S  O,  —  4059  lief  an  a.  t.  se  h.  F.  sue  da  ze  G.  —  4060  het  fehlt  W  S  G.  — 
4062  d.  chaiser  zu  ihm  her  F. 


322  ZiDgerle 

auf  wen  sol  man  nu  pawen  ? 
4065  nu  hab  ich  dir  so  woi  getrawen, 

nu  ward  du  doch  mein  inrister  gehaimer. 

sag  an,  du  tu  unrainer, 

ist  es  war  oder  nicht, 

das  mein  tochter  Ton  dir  gicht?^ 
4070  do  sprach  er:  »herr,  ich  pin  pechlagt. 

tuet  so  wol,  fragt  selb  die  magt, 

das  ich  sein  unschuldig  pin, 

und  das  es  nie  cham  in  meinen  sin.** 

der  chaiser  schickt  an  der  stat 
4075  nach  seiner  schönen  tochter  drat 

do  cham  si  zue  dem  rater  nicht  gar  geren» 

aber  doch  muest  si  in  geweren, 

und  do  sei  der  rater  anesach, 

do  sprach  er:  , tochter,  wie  pistu  so  swach 
4080  pei  ainem  frömden  man  gelegen  I** 

do  wolt  si  im  chain  antwurt  geben. 

do  fragt  er  sei  aber  darumb, 

do  stuend  si  geleich  als  ain  stum. 

do  ward  dem  chaiser  gar  und  gar  zoren. 
4085  do  sprach  ainer:  ,»si  hat  leicht  die  zung  rerloren.' 

des  nam  den  chaisßr  groß  wunder 

und  hiez  die  tochter  füren  besunder, 

das  man  ir  schawet  in  den  mund. 

do  het  si  chain  zung  an  der  stund. 
4090  und  do  der  chaiser  das  wunder  sach, 

wider  sich  selben  er  do  sprach : 

„nu  sich  ich  wol,  das  diser  man 
•  an  der  sach  chain  schuld  nie  gewan. 

er  mues  ledig  sein  an  diser  vart.^ 
4095  und  do  die  iunkfrau  das  erhört, 


4066  war  du  P.  werd  du  G,  inriater]  in  eriater  F.  meiater  G,  indroater  G,  —  Vi^ 
spricht  FS  G,  —  4071  wol  und  fr.  G.  selber  W.  —  4073  es  fehlt  S,  —  4076  nit 
FC  —  4077  doch  so  m.  G.  —  4078  %\  W  8  G,  w  W  S  G,  —  4082  sy  IF  €.  - 
4083  si  ror  im  g.  G,  geleich  fehlt  F.  —  4084  das  was  G.  dem]  der  5.  snren  S.  — 
4085  villlcht  G.  —  4086  der  FG.—  4089  zungen  G,  —  4092  ou]  das  SG.- 
4004  sein  pald  auf  d.  G. 


BeitrSge  xur  älteren  tirolischen  Literatur.  II.  323 

do  ward  ir  die  zunge  ffirsich  wider, 

und  offenbaret  alles  das  sider 

Tor  manikleich  selber  die  warhait» 

wie  si  dem  inngeling  das  lait 
4100  het  gemacht  und  wie  es  alles  dar  cham. 

dar  nach  nam  si  an  sich  ain  solich  schäm, 

das  si  sich  in  ain  dosier  ergab, 

und  Terzeret  darinne  ir  lebtag 

in  gotes  dienst  an  underlas 
4105  von  dem  zaichen,  das  ir  widervaren  was. 

überhaupt  zeigt  der  Dichter  eine  ganz  geföllige  Erzählungs- 
gabe, die  sieh  z.  B.  in  der  Legende  von  St.  Germanus  V.  8000  ff. 
zu  raschem  Dialoge  und  dramatischem  Leben  steigert.  Er  begnügte 
sich  aber  nicht  damit,  die  fiore  dl  virtii  in  seiner  Weise  zu  übertragen, 
sondern  bestrebte  sich,  das  Originalwerk  zu  erweitern,  mit  anderswo 
gefundenen  Sprüchen  und  Erzählungen  zu  bereichern  und  zu 
schmücken  und  that  noch  manches  Eigene  dazu.  Er  selbst  sagt  dar- 
über in  der  Einleitung: 

so  hat  Tor  mein  auch  nie  chain  man 

alle  chunst  allain  mocht  han. 
115  es  hat  ainer  Ton  dem  andern  genomen, 

also  haben  si  die  chunst  uberchomen. 

also  han  alhie  getan  auch  ich. 

ich  han  gesnechet  des  geleich 

TOn  allen  maistern,  die  vor  mein 
120  gaben  hoher  chunste  schein 

und  die  uns  gaben  guete  1er. 

also  han  ich  Hans  Vintler 

die  red  gechlaubt  aus  manigen  puechen, 

und  die  ich  alle  muest  durch  suechen,    . 
125  ee  das  ich  die  red  pracht  ze  ainer  sum. 

ich  han  durchsuecht  flores  virtutum, 

das  do  ain  wälsches  puech  ist 

das  han  ich  gemacht  ze  diser  frist. 


4096  die  fehlt  W S  0.  hinwider  6.    ->  4098  m.  du  aelber  F.  —  4100  dar]  das  S 
^  4101  sich  seihen  aoleich  «am  F.  —  113  mir  G.  —  114  aUain  gehan  O  Dr,  — 
fiS  hat  aoch  allweg  n  G.  —  122  H.  der  V  S.  —  124  klaubet  G,  piichern  S.  0. 


324  Zingerie 

das  es  teutsche  zun^e  wol  vernimpt, 

1 30  wan  es  der  rechten  tugent  zimpt. 
daTOn  han  ich  es  ze  teutsche  pracht. 
auch  han  ich  darzue  gemacht 
Til  manig  ter  und  abentenr, 
die  ze  tugent  gebent  steur. 

1 35  die  han  ich  all  pracht  zue  einander, 
ich  han  gesuecht  in  Alexander, 
was  der  hie  auf  erd  getan  hat. 
darnach  suecht  ich  der  Römer  tat, 
was  die  wunders  habent  getriben, 
^    140  oder  was  die  propheten  habent  geschriben. 
wie  DaTid  und  Salomon  sprach» 
Osue,  Jeremias  und  Ibesus  Syrach, 
and  was  si  wunders  geschriben  haben, 
oder  was  die  piicher  der  altväter  sagen. 

145  das  han  ich  alles  sampt  durchsuecht, 
und  wie  got  Pharaone  fluecht 
und  Til,  was  in  der  bibel  geschriben  ist. 
darnach  suecht  ich  alle  list, 
die  haben  geschriben  die  philosophus 

150  Plato,  Aristotiles  und  TuUius, 

Ofidius,  Pharo,  Socrates  und  Catho, 
Pytagoras,  Galienus  und  Faceto, 
Tolomeus  und  Ypocras, 
Salustius,  der  auch  ain  maister  was, 

155  Magrobius  und  Ermogenes, 
und  ainer,  der  hiez  Ermes, 
Wasilliko  und  Cassiderus, 
Andronico  und  Longinus, 
Terencio  und  luTenale, 

160  Thomas  de  Aquino  und  Sermoniale. 


129  wol  fehlt  S*  Dr.  —  130  gezimpt  G.  —  133  mangew  G.  und  auch  G.  —  1S5  liaa 
ich  praocb  alle  G.  —  136  auch  in  G.  —  142  Sydrach  G.  Dr.  —  144  alt  wacht«* 
S.  —  14S  alle  G,  —  146  wie  fehlt  S.  —  147  was]  das  S.  wibleo  5.  —  146  aUea 
S.  alle  die  G.  —  149  die  da  h.  G.  Dr.  —  157  Waselliko  S. 


Beitrage  sur  ilteren  tirolischen  Literatur.   II.  325 

noch  han  ich  ^esuecht  der  maister  mere, 

oder  was  die  decret  (^ebent  lere 

oder  was  Aagustinus  und  Ambrosios, 

Gregorius  ond  Jeronimiis 
165  haben  geschriben  in  iren  sermonen, 

Beda,  Chrisostomus  iind  Orienem, 

die  all  geschriben  haben  manigerlai  figur, 

oder  was  das  puech  der  natiir  . 

inne  hat  von  allen  wesen, 
170  das  han  ich  alles  sampt  durchlesen. 

auch  han  ich  g^suecht  in  Valerie  Maximum 

und  ain  puech,  haist  gesta  Romanorum, 

was  Wunders  darin  geschriben  ist, 

oder  was  da  hat  gesprochen  Ihesus  Christ 
175  und  sand  Paul,  der  da  wart  bechart 

auch  hat  gesagt  sand  Perenhart 

▼il  Yon  der  gotes  gerechtikait. 

Isiderus  und  Boecius  sait, 

das  man  tue  von  der  weite  eher. 
180  noch  sind  der  maister  vil  und  vil  mer^ 

die  ich  nicht  alle  genennen  chan, 

wan  es  wnrd  verdriessen  etwan. 

doch  han  ich  sei  all  durch  chlaubt 

und  iegieichen  ain  wenig  be  raubt, 
185  damit  das  doch  ain  puchlein 

ist  Tolpracht  nach  dem  willen  mein. 

Mochte  der  Dichter  aus  andern  hier  genannten  Schriftstellern 
einige  Sentenzen  entlehnen,  so  benutzte  er  doch  vorzüglich  den  Va- 
lerius  Maximus,  aus  dem  er  viele  Exempel  nahm,  die  im  italienischen 
Original  fehlen.  Es  sind  folgende: 


163  u.  164  find  in  S.  zusammengezogen:  oder  was  Augustinus  und  Jeronimus.  — sant 
Aug.  G.  —  164  und  sant  F.  G»  —  168  der]  von  ^.  —  171  ich  han  auch  Q.  Dr. 
Valerios  S.  Maximi  SO,  —  172  RomanI  GS.  —  174  gesprochen  haut  (r.  Jesu  F  S. 

—  175  oder  s.  Peter  und  s.  P.  5.  und  sand  Peter  und  sand  Paul  F.  bekert  G*  Dr. 

—  176  und  waz  sand  Bernbardus  gesagt  bat  der  werd  G  Dr.  —  177  vil  fehlt 
G  Dr.  —  180  und  vil  fehlt  S.  —  181  nit  all  nemen  G.  —  182  etschwan  S.  — 
183  d.  so  han  si  alle  duricb  S.  —  184  iedleichen  F. 


I.  Emilia.  V.  941—959.  V.l.  I.  VI.  c.  7.  I. 

i.  Seminmii.  V.  ISS3— 1S69.  Val.  I.  IX.  c.  3.  4. 

3.  H«nnib«l.  V.  1610—1602.  V.l.  I.  IX.  c.  3.  2  und  3. 

4.  Svraoiiidei.  V.  1730-1750.  V.l.  I.  1,  c  8,  7. 
8.  Syll«.  V.  1800-1821.  V.l.  I.  IX.  c.  2.  I. 

«.  Hannib.r.  Gi'.usninli.il.  V.'  1822—1841.  V.l.  I.  IX.  c.  2.  2. 

7.  Tilus  Qulntm.  V.  2042-2069.  V.l.  I.  IV,  c.  8.  5. 

8.  Marcus  Cassiua.  V.  2176—2197.  V.l.  I.  IX,  c.  4.  2. 

9.  Camilluj.  V.  3168—3209.  V.l.  I.  VI,  c.  5.  I. 

10.  OcUviaiius  und  der  Lügner  V.  4106—4131.  Val.  I.  K, 
c.  15.  2. 

11.  Horalius  Code..  V.  4330—4367.  Val.  I.  III.  c.  2.  2. 

12.  Plalo.  V.  4S06— 4620.  Val.  I.  IV.  c.  2,  1. 

13.  Pyrrhus.  V.  4630-4663.  Val.  I.  VI,  c.  5.  1. 

14.  Panaanias.  V.  4662-4681.  Val.  I.  VIII.  c.  14.  4. 

16.  Aleiander  und  der  Kn.be  V.  4742—4771.  V.M.  lU.  c.  3. 1. 

16.  Menius.  V.  4818—4843.  Val.  1.  III.  e.  8.  8, 

17.  Marcus  Regulus.  V.  6054—6073. 

18.  Catilina.  V.  6368-6378.  Val.  I.  IX.  c.  I,  9. 

Der  ßicbter  nennt  meist  gewissenhall  diese  seine  Quelle: 

Ton  der  lieb  spriebl  aucb  Valerius  941. 

TOD  dem  loro  schreibt  uns  Valerius  1552. 

TOa  dem  loren  list  mao  in  Valerio  15T0. 

als  das  Valerius  Miximus  sait  1760. 

als  uns  sa|ft  Valerius  Maximns  1816. 

Ton  der  milt  schreibt  Valerius  2042. 

ah  UDS  schreibt  Valerius  Msximus  317t. 

TOD  der  starkmQtikait  schreibt  Valerius  4506 

als  Valerius  ssit.  4531. 

Too  der  slätichait  schreibt  Valerius  4742.  4818. 

Ton  der  cheosebait  schreibt  Valerius  6053. 


Beiträge  zur  älteren  ttroliscben  Literatur.  II.  327 

1.  Armonia.  V.   899—947.   Er  gibt  als  Quelle  eine   Chro- 
nik an  i). 

2.  Von  der  Grausamkeit  der  Bewohner  ron  Otoria  V.  1842 
bis  1851.  Er  beginnt:  „von  der  greuleichait  schreibt  man  das**. 

3.  Sokrates  und  der  Jungling  V.  2662— 268K  mit  dem  An- 
fange: „von  der  weishait  liset  man**. 

4.  Die  neugierige  Römerin  V.  4934 — 503K.  Die  Erzählung 
beginnt:  „von  der  unstät  schreibt  man  das*).*^ 

5.  Lucius  Emptinatus  V.  5102 — 5119:  »ron  der  mässichait 
sagt  die  historie'*. 

6.  Unbestechlichkeit  der  Romer  V.  5120—5142: 

„Ton  der  mässichait  list  man 
in  der  historie  Ton  Rom.^ 

7.  Latine  und  Ameno  Y.  5290—5313.  Der  Dichter  gibt  der 
Altväter  Leben  als  Quelle  an. 

8.  Alexanders  Enthaltsamkeit  V.  5814—5843.   Der  Dichter 
beginnt: 

„man  list  von  der  mässichait  also 
in  dem  puech  Machabeo. 

9.  Von  einem  keuschen  Einsiedler  V.  6074—6145«). 
10.  Salomon  und  die  Katze  V.  6755—6782. 

Drei  Erzählungen,  die  im  Originale  fehlen,  scheint  Vintler  von 
Hörensagen  geschöpft  zu  haben.  So  die  Sage  vom  Modeneser,  der 
dem  Teufel  eine  Kerze  opferte  V.  3246  —  3334*).  ^also  hör  ich 
von  im  sagen  etc  ,  die  Geschichte  von  dem  mörderischen  Bauern,  der 
seinem  Sohn  das  Sch^iv^ert  vermachte  V.  4194 — 4250  mit  dem  An- 
fange : 

„von  der  selben  fraidichait  maess  ich  sagen, 
das  da  geschehen  ist  in  churzen  tagen 
an  ainem  päurischen  man** 


')  ich  ban  geleaen  in  ainer  coronica  S99. 

')  Vergl.  Pauli,  Schimpf  und  Ernst  ed.  Ö«terl«f  S.  242. 

*)  8.  Selen  troist  Nr.  71,  ZeiUchrift  für  deutsche  Mundarten  11,  3. 

^)  Dieselbe  ErzShIung  enthilt  die  Berliner  Handschrift  II,  Nr.  33.  9,  MSH.  IV,  507. 


328  Z  i  n  g  e  r 1 e 


Tolomeo  dice:  Innanzi  che  tu  favelli,  fa  che  tu  conosea  ie  cod* 
dizioni  e  gli  costumi  della  persona  a  cui  intendi  di  favellare;  impe- 
rocch^  con  baroni  e  cavalieri  si  dee  parlare  cose  altissime  di  signorie» 
di  battaglie,  di  cortesie»  di  prodezze,  d*arme,  di  cavaili,  di  seile,  di 
cani  e  d*ogni  altra  gioja  e  diletto ;  con  donne  si  dee  contare  di  cose 
di  cortesia  e  di  allegrezza  e  d*aroore,  e  di  belle  gioje  e  di  Testimenta» 
e  di  case  e  di  masserizie;  con  donzello  si  dee  ragionare  cose  d*amore, 
di  cortesia,  d*allegrezza,  di  belle  cacce,  di  bagordare,  d'armeggiare; 
con  religiosi  e  con  persone  vecchie  si  dee  dire  d'onestade  e  di  ca^s- 
tit^,  di  temperanza,  di  scienza,  di  santitJi;  con  persone  di  popolo  si 
dee  ragionare  di  cose  ch'appartengono  al  suo  mestiero;  co*  villani  st 
dee  dire  cose  d*arare  e  di  Seminare  e  di  fare  fossati,  di  tagliare 
boschi,  di  rigne  e  di  bestiame;  con  matti  si  dee  dire  cose  di  pauia, 
imperocche  a  lui  non  piace  mai  se  non  cosa  che  si  affä  alla  sua  pazzia 
e  con  persone  tribolate  si  dee  dire  cose  di  pacienza  e  di  temperania 
e  di  misericordia;  e  cosi  secondo  le  condizioni  delle  persone  si  dee 
ragionare  cose  che  sieno  loro  a  piacimento.  (Gelli  p.  108). 


Beiträge  xur  ülteren  tirolischen  Literatur.  II.  329 

und  von  Albertus  Magnus,  der  sah,  wie  der  Teufel  vor  dem  Sakra- 
mente seine  Kappe  zog  V.  6890 — 6911,  wo  er  sagt:  „ich  han  gehört 
von  meinem  gesellen**.  In  der  bekannten  Legende:  Der  Engel  und 
der  Einsiedler  i)  V.  3058  ff.  weicht  er  von  der  Fassung  derselben  im 
Originale  ab.  Zwei  Erzählungen,  die  das  Original  im  Abschnitte  über 
den  Neid  gibt  (Gelli  S.  21  und  22),  übergeht  Vintler,  während  er 
sich  in  Betreff  der  übrigen  Beispiele  und  Gleichnisse  strenge  an  die 
italienische  Vorlage  hält.  In  Betreff  der  letztern  weicht  er  nur  einmal 
ab,  da  er  bei  der  Unmässigkeit  anstatt  des  Einhornes  (V.  82S6  bis 
527S)  den  Otter  als  Sinnbild  gebraucht.  Weniger  freie  Zuthaten  als 
bei  den  Erzählungen  finden  wir  im  andern  Theile  des  Gedichtes, 
solange  er  den  Fiore  di  virtü  folgt,  doch  auch  hier  gehören  folgende 
Stellen  dem  Dichter  an: 

V.  9—185.  1056—1068.  2090—2119.  2386—2416.  2843 
bis  2914.  3784-3799.  5316—5381.  5690—5763.  6626—6931 
und  andere  kleinere  Partien. 

Mit  Vers  7028  beginnt  der  Dichter  den  „Ammaesiramenti  de 
Filosofi**,  wie  die  ital.  Schrift  in  Gelli*s  Ausgabe  genannt  wird,  zu 
folgen  und  nicht  Albertano*s  von  Brescia  Abhandlungen:  Bella 
consolazione  e  del  consilio**  und  „Delle  sei  maniere  diparlare*'  oder 
^Ammaestramento  di  diree  di  tacere**  wie  Lappenbergs)  annimmt. 

Beispielshalber  gebe  ich  auch  eine  übersetzte  Stelle  dieses 
Theiles : 

8540  Tolomeos  spricht  in  seinem  tractat: 

«du  solt  nicht  sein  ze  drat 

ze  reden  mit  nieman, 

du  erchennest  denn  gar  wol  den  man 

und  sein  weise  und  sein  gestalt, 
8545  das  du  wissest,  was  du  reden  solt. 

darumb  sol  man  mit  grossen  herren 

reden  von  grossen  eren 

und  von  hohen  dingen 

und  von  weistum  und  von  sinnen, 


0  Vita  patrum  5,  93.  Gesta  Romanorum  lat.  60.   Pauli,  Sehimpf  uud  Ernst  S.  377. 

Eioe  Übersicht  der  Literatur  dieser  Legende  gibt  österiey  8.  550. 
3)  Zeitschrift  für  deutsches  AlUrthum  B.  10,  263  und  264. 
S540  gicht  W.  ->  S54i  chrat  W.  —  8542  ieman  G.  —  8546  so  sol  W  S  G.  —  8547 

r.  mit  sinn  ron  F.  —  8548  und  auch  F»  —  8549  yon  höflichen  s.  6, 

Sitxb.  d.  pbil.-hist.  CI.  LI  VI.  Bd.  II.  Hft.  22 


Beitrüge  zur  alteren  tirolischen  Literatur.  11.  331 

In  diesem  Theile  tritt  uaser  Dichter  viel  selbständiger  auf,  geht 
oft  seine  eigenen  Wege  und  dichtet  so  umfangreiche  Stellen  hinzu, 
so  dass  man  diese  Parthie  grossentheils  als  sein  eigenes  Werk  an- 
sehen muss. 

So  fehlen  im  Original  7172—7194,  7206-7271,7478-8510, 
8774—8787,  8810—8819,  8890— 89S7,  8960-8970,  9002  bis 
9025,  9050—9123,  9134—9167,  9282—9320,  9397  bis  zum 
Schlüsse  V.  10172.  Die  hier  eingestreuten  Erzählungen:  Socrates 
V.  7181-7194  (Valerius  M.  I.  VIII.  c.  8,  1),  Abt  Makarius 
V.  7487-75011),  Abt  Agatho  7536-7547,  der  Ritter,  der  ein 
Mönch  war  und  sich  stumm  stellte  V.  75  .8— 7593,  Bischof  Germa- 
nus »J  V.  7996—8167,  Thomas  Aquinus  V.  8246—8361,  Abt 
Makarius  und  die  zwei  Schwägerinnen  V.  8926 — 8953,  die  römi- 
schen Gesandten  zu  Tarent  V.  9280— 9315  s),  die  Frau  mit  dem 
langen  Rocke  und  der  Teufel  V.  9401 — 9415.  fehlen  durchaus  im 
Originale.  In  den  eigenen  Zuthaten,  namentlich  des  zweiten  Theiles, 
liegt  die  Hauptbedeutung  des  Werkes.  Es  scheint,  als  ob  dem  Dichter 
während  der  Abfassung  erst  allmählig  das  Selbstvertrauen,  Kraft  und 
Schwung,  Freimuth  und  Energie  gewachsen  seien.  Je  weiter  er  in 
seinem  Gedichte  vorwärts  schreitet,  desto  selbständiger  und  kühner 
wird  er.  Schon  Gervinus  betonte  diese  Erscheinung:  „Allmählig 
legt  der  Verfasser  seine  Riickhaltung  ab;  fast  furchts<im  spricht  er 
hier  und  da  von  Schmeichlern  und  Bauern  mit  einem  Blick  auf  die 
Zeitgenossen ,  und  von  der  Unfreigebigkeit  der  Fürsten ,  zieht  sich 
aber  sogleich  zurück,  und  will  seinen  Athem  sparen,  wo  er  nichts 
beßern  kann.  Weiterhin  aber  geht  er  in  einen  ganz  andern  Ton 
über,  wendet  sich  ganz  auf  seine  lebendige  Umgebung  und  Zeit  und 
geißelt  ihre  Fehler  mit  völliger  Verleugnung  der  früheren  Scheu. 
Hier  erinnert  er  eben  so  sehr,  wie  vorher  an  den  Geschmack  der 
Mystiker,  an  den  der  Satiriker,  an  Brant  und  an  Murner**  ^).  Vintler 
rügt  und  straft  mit  männlichem  Freimuthe,  mit  Kraft  und  Würde 
die  Gebrechen  seiner  Zeit,  vorzüglich  wendet  er  sich  aber  gegen  den 
Adel  und  die  Hochfahrt  der  Frauen.  Es  ist  für  unsern  Dichter,  der 


0  auch  liflt  man  in  der  altvStter  leben. 

*)  Ver^l.  der  Selen  troist  Nr.  3.  Zeitschrift  für  deutsche  Mundarten  I,  183 

*)  ain  exeroplum  list  man  in  der  Römir  tat.  9282. 

^)  Geschichte  der  deutachen  Dichtung  (1853)  11,  349. 

22* 


Beitrige  zur  Siteren  tirolischen  Literatur.  II.  333 

daTon  so  ist  notdorft  dapei, 
das  man  in  geh  ain  falsche  chrei, 
wo  si  wären  in  des  landes  ehrais, 
das  man  si  die  Talsehen  pauren  hais. 

Hier  meint  der  Dichter  bestimmte  Bauern,  die  ihre  Herren 
verrathen  hatten,  und  die  Stelle  ist  wohl  auf  jene  Bauern  zu  be- 
ziehen, die  zu  Herzog  Friedrich  gegen  den  Adel  hielten.  An  sie 
reihen  sich  folgende  Verse: 

Ach  moeht  man  die  Talschait 
378$   erweren  aller  christenhait ! 

wan  valschait  hat  alle  poshait  inn. 

wer  valsch  ist,  der  hat  valschen  sinn. 

Talschait  ist  der  poshait  fundament, 

Talschait  ist  des  teufeis  present. 
3790  der  hat  si  geben  in  aller  weite  ehrais 

ainem  Tolk,  das  man  pauren  haist; 

wan  die  selben  habent  si  frue  und  spat, 

als  sich  das  wol  enaiget  hat. 

aber  das  mich  niemant  Terdenket ! 
3795  der  sei  zwirhalb  ertrenket! 

ich  main  neur  die  Talschen  wicht, 

aber  den  frumen  wünsch  ich  nicht 

anders  zwar,  denn  eitel  guet. 

also  stet  mir  gen  in  mein  muet 

Es  zeigt  von  der  Gewissenhaftigkeit  und  Milde  des  Dichters, 
daß  er  beide  Male  nicht  den  ganzen  Stand  verwirft,  sondern  die 
Guten  ausnimmt,  und  später  einmal  sagt,  daß  drei  entartete  Edel- 
leute  nur  einen  Bauer  werth  sind : 

und  gelten  doch  neur  drei  ein  pauer.  6707. 


3486  80  fehlt  G.  nottnrftip  G.  —  3488  waren  W.  sei  raren  G.  dem  lande  krais  S. 
landkraifi  G.  —  3784  auch  WS.  man  erweren  die  v.  F.  —  3785  erweren]  ge- 
mainiclich  F.  —  3786  aUe  poshait  hat  inn  W,  hat  fehlt  S.  helt  G.  alle  die  p.  8.  — 
3787  wer]  der  5.  —  3780  presentz  F.  —  3790  sei  F.  aller  der  weit  WS.  chraise 
F.  —  8791  haisse  F.  —  3793  als  das  sich  W.  —  3794  iemant  W  S  G  Dr.  —  3795 
sei]  seu  F.  st  WSG.  zwirunlhalb  G  Dr.  —  3796  niier  F.  nur  G,  —  3797  den] 
ainem  W,  —  3798  anders  nicht  zwar  dann  F. 


Beiträge  zur  älteren  tirolischen  Literatur.   II.  335 

und  ob  ich  mich  denn  Tast  darumb  swend 
und  verlens  die  weil  all  meine  lend. 
wer  le^t  mir  denn  ab  den  schaden  mein? 
daTon  80  wil  ich  mit  gemache  sein. 

Gegen  die  Undankbarkeit,  Unbarmherzigkeit  und  Habsucht  der 
Herren  ist  auch  folgende  Stelle  gerichtet : 

4 

aber  etlich  herren  sein  so  frat, 

wenn  man  in  lang  gedienet  hat, 

das  ist  gen  in  als  wol  erchant, 

als  der  da  saichet  an  ain  want. 
6630  wan  er  denkt  in  seinem  sinn 

tag  und  nacht,  wie  er  in  pring 

amb  das  sein»  mit  soleichem  mort 

macht  er  pald  auf  in  ain  wort, 

das  im  wirt  ain  alefanz, 
6635  nnd  spricht^  er  wolt  nicht  an  den  tanz 

heuer  zae  der  vasnacht  gan. 

mit  soleichem  aufsatz  hat  man  dann 

den  goeten  armen  man  gelaicht, 

oder  man  gicht,  er  hab  gesaicht 
6640  heuer  gen  der  sunnen  dar, 

oder  man  gicht,  er  hab  das  iar 

gepadet  mer  denn  drei  stunt, 

damit  das  er  umb  das  sein  chumpt. 

so  haben  die  herren  etleich  rät. 
6645  die  selben  die  sein  eren  grat, 

wan  si  raten  auf  allefanz. 

man  Tindt  die  rate  selten  ganz. 

wie  sol  der  guetes  raten  icht, 

der  da  selber  ist  ze  nicht? 


2116  mich  fehlt  F.  dan  F.  —  2117  und  auch  y.  G,  verlor  F.  die  weil]  damit  5.  — 
2118  wer]  der  G.  ab  dan  den  F.  ab  denn  d,  S.  —  2119  so  fehlt  FS.  —  6626  sind 
F»  send  G»  —  6627  wann  F  S,  ^  6629  stiebet  W  G  8  Dr,  an]  in  5.  —  6630  im 
in  t.  G  Dr,  —  6633  anf  in]  auch  im  F.  ain  fehlt  WS.  —  6634  alfans  FS  — 
6642  dann  F.  wenn  G.  —  6643  damit]  e.  5.  ee.  G.  kum  G.  —  6644  etsllch  W  S, 
so  habent  denn  ettlich  herren  raut  G.  —  6645  selben  sein  S.  graut  G.  —  6646 
wenn  G.  sew  F.  alafanz  W  G. 


6650  so  hibeo  die  rät  den  Neilhart. 

der  selb  der  wtlstet  an  »Her  ttat 

alle  räte,  bOr  ich  sa^en; 

WRD  ea  wil  iegleicber  haben. 

und  ob  man  aineni  geit  dann  uer. 
66S6  das  selb  das  müet  den  aDdern  ser 

und  Wirt  dano  daraua  ain  neit, 

wan  das  ist  zu  aller  zeit, 

das  die  minnorn  neiden  ze  aller  stunt 

die  merorn,  das  ist  allen  chunl. 

Er  züfalt  nun  die  Tugenden  und  Voraüge  auf.  die  der  Adelige 
besitzen  soll,  um  diesen  Namen  zu  verdienen,  und  fahrt  dann  fort: 

6680  auch  grebürt  ain  edetman 

das  TOn  g'ot  alzeit  an, 

daa  er  beschirme  arm  und  reich, 

als  verr  er  mag.  das  ist  pilleich. 

aber  es  tuet  sich  vast  rercheren, 
6685  man  sieht  tÜ  wol  die  armen  scheren. 

das  selb  ist  nu  der  herren  ampt. 

pfui  bin,  pfui  hin,  der  grossen  schant! 

das  macht  den  adel  an  eren  wunt 

man  soll  si  haben  als  die  hont, 
9690  daa  si  sich  selber  wurden  erchennen. 

ich  wais  ir  vil,  solt  man  sie  nennen, 

die  da  nement  guet  für  er. 

die  selben  solt  man  nimmer  mer 

pei  dem  adel  lan  beleiben, 
6695  man  solt  si  mDglich  fuder  schreiben 

zue  den  lalsehen  pösen  wichten  etc. 

Mse  h>b  F.  ncjku-l  F.  —  MSt  adb  w.  F.  väit  WS.  ■ichicl  G.   —  USi  wcdb  «. 


Beitrige  zur  filteren  tirolisehen  Literatur.  If.  337 

Ich  Übergehe  das  Fernere,  da  Zarncke  diesen  Abschnitt  nach 
dem  alten  Drucke  in  der  Zeitschrift  für  deutsche  Alterthumskunde 
IX,  80—87  mitgetheilt  hat.  Ein  andermal  rügt  er  das  tolle  Treiben 
der  Herren,  die  Anstand  und  Wurde  ganz  vergeben,  sich  zu  den 
Thoren  gesellen  und  vielerlei  Unfug  treiben.  V.  90SS — 9123.  Am 
bittersten  spricht  er  sich  aber  gegen 'den  Stolz  der  Adeligen  aus,  die 
mit  ihren  Wappen  Kirchen  und  heilige  Gerfithe  zieren  und  sich  er- 
frechen, Grüfte  bei  den  Altären  zu  bauen. 

so  sein  etleich  also  gestalt. 
9645  die  selben  wellen  mit  gewalt 

die  leute  noten  darzu, 

das  man  in  nicht  spreche:  ,yda^, 

und  wissen  doch  wol  all  geleich, 

das  si  auch  sein  ertreich 
9650  und  das  aller  adel  am  ersten  cham 

TOD  E?a  und  ron  Adam. 

da  wil  sich  niemant  an  cheren. 

so  haben  ietzand  etleich  herren 

die  allersnödisten  hochfart, 
9655  als  si  ie  bechennet  wart, 

als  umb  die  schilt  und  panier 

und  ander  wunderleich  grojier, 

die  da  in  der  chirchen  stecket 

und  mit  dem  selben  so  wecket 
9660  man  neur  die  abgötterei 

und  Tcrgißt  man  got  dapei. 

wan  es  sieht  maniger  man 

die  Wappen  also  mit  rleis  an, 

das  er  vergißt  der  heilich ait  da, 
9665  als  da  gicht  Jeremia : 


9647  ntt  sa  sprach  tue  0.  —  9649  si]  wir  F.  sein  fehlt  F.  —  96S0  and  fehlt  S.  und 
dat]  wenn  Dr,  ^  9654  a.  snodist  F.  hoffart  S  G,  —  9655  ie  fehlt  F.  —  9650  die 
fehlt  ö.  —  9657  groyr  WS.  gewier  F.  wunderlichew  groyer  G.  —  965«  den  C. 
stecke  F.  steckent  WSG,—  9659  wecke  F.  weckent  WSG.  —  9660  man  fehlt 
G,  nvr  FG.  —  9661  n.  man  r.  F.  —  9663  als  S  —  9664  der  h.  verglast  da  F, 
haimlichait  W.  —  9665  gicht]  sUat  in  G. 


und  hat  mir  gechert  den  rucken  «ein". 

■0  scbreibt  uns  davon  alsns 

der  TJerde  pabst  Gregoriua 
9670  in  dem  concüio  Lugdunensi. 

so  liat  mao  es  auch  da  pei 

in  dem  capitel  und  in  der  summ, 

das  da  sagt  von  der  chirchen  freinng: 

^deinem  haus  iimpt  die  heilichait." 
967S   in  dem  capilel  besleusset  er  und  saÜ, 

das  alle  wellleiche  dingr, 

die  da  sint  der  sunden  urspring, 

die  sullen  alle  sein  hin  vor 

und  Dicbt  bechQmmem  den  gotleichen  chor, 
6680  wan  an  der  slat  aol  man 

ain  lergebnus  der  snnde  han, 

und  nicht  raitxen  da  die  sund. 

Wilhelmaa  tuet  uns  auch  chiint 

iu  seinem  puech  Raclonal, 
9685  das  etleich  edling  sein  so  cbai, 

die  sich  lassen  genuegen  nicht 

an  den  schönen  panier  licht, 

die  da  in  der  chirchen  hangeot 

es  mQssen  auch  ir  wappen  prangen 
9690  auf  den  kaseln  und  nmeral, 

da  man  gol  inne  wandeln  soI> 

so  sein  die  kelch  mit  wappen  geiiert. 

^a  man  got  inne  celebriert. 

das  verh engen  die  pfaflen  als  gerait 
969S  umb  aine  pGse  geitichait. 


BeitrSge  zur  älteren  tirolischen  Liieratar.  lt.  339 

als  das  auch  geschriben  stat 

in  dem  capitel  und  in  dem  rat, 

das  da  sag^t  Ton  der  begrebnus 

und  das  sich  anhebt  alsus: 
9700  der  selbe  schad  et  cetera. 

ach  wie  ein  pöse  araricia 

ist  ain  solich  simonei ! 

suüen  nu  pfalTen  ain  solich  chrei 

tragen  mit  den  spilleuten, 
9705  die  da  pfeifen  suUen  den  preuten, 

nnd  sullen  wappen  als  herolt  tragen ! 

sallen  si  des  ain  ere  haben, 

das  si  haben  der  pfeifer  ampt? 

pfui  hin,    pfui  hin  der  grossen  schant! 
9710  wissen  si  nicht,  das  das  racional 

hat  geordent  kasel  und  umeral 

das  iegleichs  sol  haben  ain  chreuz, 

das  da  sei  für  alle  scheuz. 

es  möcht  sichJeicht  also  faegen, 
9715  das  etleich  den  teufel  truegen, 

ob  er  in  wurd  auf  genät 

für  ain  wappen,  also  stat 

sein  si  an  dem  lieben  got, 

also  machen  si  in  ze  spot. 

9720  So  sein  etleich  in  disen  tagen, 

die  ir  begrebnus  pei  den  alteren  haben, 

und  haben  doch  gelebt  in  uncheosch 

und  in  wunderleichem  geteusch. 

warleich  so  war  pesser  das, 
9725   das  das  selbe  unrain  as 


9697  nnd  raut  G,  —  9698  das  da]  da  daz  G,  —  9699  das  fehlt  (7.  sich]  si  W,  — 
9702  fehlt  G,  —  Zwischen  9703  und  9794  hat  (?.  and  tribent  also  die  Symony. 
9704  damit  G.  —  9705  da  tribent  und  pfiffent  G,  da  fehlt  ^.  —  9706  sullen] 
soleich  F,  a.  ain  h.  G.  —  9707  ain  grosse  e.  G.  —  9709  pfil  |  pfiff  0,  —  9710  si 
fehlt  F.  —  0711  geomet  WS,  gaset  S.  und  fehlt  5  humeral  G,  —  9712  das] 
und  S,  iedleicbs  F,  -r-  9718  lebendigen  G.  —  9719  si  in  machen  ain  söllichen 
sp.  G.  —  9721  grebnus  Tor  dem  altar  wend  h.  G,  —  9724  werleich  WS, 


lag  pei  gemaiaen  leiiten, 

als  Aiigustioas  chan  bedeuten. 
Zurückhaltender  als  gegen  die  Herren  ist  unser  Dichter  gegen 
den  Clerug.  Au&er  der  angefülirlen  Stelle  9894  streift  er  einmal  im 
Vorbeigehen  diesen  Stand  in  den  Versen : 

der  Pfenning  ist  also  gestalt 

und  wir  der  vinter  noch  als  ehalt, 

so  singt  der  pfafT  an  underwint, 

die  ireil  man  im  das  opfer  pringt 
7268  S.  und  spricht  sich  im  Ahschnitte  von  der  Zauberei  ge^eo 
jene  Priester  aus,  die  solche  lehren  7701 — 7721. 

Von  den  Frauen  spricht  der  Dichter  anfangs  Gutes  720  und  ver- 
theidigt  sie  gegen  Salomons  ungerechten  Spruch,  dttss  er  nie  eine 
gute  gefunden  habe.  Es  sind  vor  und  nach  ihm  viele  urte,  reine 
Frauen  gewesen  und  Salomon  habe  dies  nur  im  Zorne  geschrieben. 
Besitzen  die  Frauen  üble  Seiten,  so  haben  sie  auch  viel  Gutes.  Es 
gibt  ja  auch  nur  gar  wenige  Mfinner,  die  tadellos  sind.  Wer  ein 
schönes,  hehresWeib,  die  ihm  Freude  und  hohen  Mulh  gewfihrt,  schilt, 
der  wQrde  besser  schweigen.  Ein  solcher  ist  ein  Narr  und  ein  Thor. 
804 — 849.  Später  geisselt  er  aber  die  Putzsucht  und  Hochfahrt  rieler 
Frauen  in  kräftigster  Weise  und  schildert  uns  das  Treiben  derselben. 

Mantge  frau  wil  haben  »in  chappen, 

die  sechs  eilen  hab  se  läppen, 

so  wil  die  dritt  ir  lotten  formieren 

mit  Tehem  ans,  das  sol  nu  zieren, 
9420  wenn  si  vast  im  chote  sweben. 

so  wil  die  Tierde  niemant  geben 


BeitrSge  zur  alteren  tirolischen  Literatur.   II.  34  1 

und  welche  die  allergrosteu  läppen 

in  dem  chot  lat  nach  slappen 
9430  und  die  vil  plunder  verwüsten  chan. 

so  sein  dann  etieich  frawen  man 

worden  ietzt  in  churzen  tagen, 

wan  was  die  man  an  tragen, 

das  wellen  si  alles  tragen  nach 
9435  und  dennoch  das  selb  wol  zwiTach« 

wil  der  man  ain  chappen  tragen, 

so  wil  si  zwier  ain  grösser  haben, 

oder  wil  der  man  tragen  an 

ain  langen  rock,  so  wil  si  han 
9440  ainen,  der  do  sei  tu  l'enger. 

wil  sich  dan  der  man  enger 

ziehen  in  sein  underiop, 

so  wil  si  ie  haben  selb  das  lob, 

das  si  wil  die  chlainist  sein. 
9445  wil  er  sich  dann  ziehen  ein 

mit  abgenäten  preisen, 

so  lat  si  sich  nicht  weisen, 

si  well  zwen  preise  also  han, 

die  mit  nesteln  sein  gechnupfet  an. 
9450  wil  dann  der  man  tragen  ain  chranz, 

so  wil  si  haben  ainen  schober  ganz 

von  pluemen  und  von  grfinem  gras. 

wil  er  dann  sagen  etwas 

abentewerlicher  spile, 
9455  so  chan  si  sein  zwier  als  vile^ 


9428  groasiaten  F.  —  9430  plundera  O,  —  9431  aeind  F.  dann]  doch  S,  fr.  aelba  m. 
0,  —  9432  ietznnd  FS.  ietz  fehlt  6,  —  9433  fehlt  O,  —  9435  dannoch  F,  dan- 
nocht  B  6,  zwiflach  O.  —  9437  ain  zwir  groaaerew  F,  —  9440  da  vil  aei  1.  B. 
do  fehlt  S,  —  9441  danne  F,  denn  W  G  S.  —  9442  nnderiope  W.  underioppen 
FS.  aeiner  underinppen  O,  —  9443  selb  fehlt  F B  S  6.  den  1.  W.  lobe  O.  — 
9444  klainoat  G.  —  9445  danne  F,  denn  W  G.  —  9447  nit  abweisen  G.  —  9443 
wil  S.  —  9449  seien  knepfet  an  G.  —  9450  denn  G.  —  9452  grünem  fehlt  BGS. 
andern  W.  —  9453  danne  F.  denn  W  G.  —  9454  spille  W.  spil  F.  —  9455  zwirot 
G.  vil  WBF. 


Beitrüge  zur  älteren  tirolischen  Literatur.  II.  343 

ob  man  ir  ratet  nutz  und  ere, 

so  spricht  si  für  sich :  „ich  pin  sere 
9510  edel  von  meinem  gestechte. 

wie  chund  ich  oder  möchte 

ich  das  geben  immer  enpfor, 

das  ain  soleich  hudel  vor 

soite  vor  mein  also  gan? 
9515  so  han  ich  als  ain  edlen  man,    . 

als  der  ir  immer  wirt. 

nu  secht  nur  zue,  wie  rain  uns  schirt 

die  arme  edel  in  disem  lant. 

so  wil  si  haben  ain  gewant 
9520  von  perlein  und  von  spangen. 

darinn  so  wil  si  prangen 

neben  der  hohen  fQrstin, 

und  hat  die  weil  ir  ehuchen  in 

nicht  als  vil,  das  man 
9525  geziehen  möcht  davon  ain  han, 

und  wil  dannoch  als  edel  sein 

und  mues  doch  oft  wasser  für  wein 

an  irem  tische  trinken 

und  manigen  darren  Schinken 
9530  mues  si  essen  von  dem  kastraun. 

das  ist  ir  wiltprat  und  kappann. 

aber  wollen  si  volgen  mir, 

so  wolt  ich  in  raten  schier, 

das  ir  lob  wurd  weit  erchant, 
9535  wenn  si  antruegen  gewant, 

das  da  het  maß  und  fueg, 

si  bieten  dannoch  adels  genueg, 


9512  ich  fehlt  G.  Immer  geben  FG.  empfore  W B  S  G.  —  9513  solcher  B  S.  sollicher 
G.  hulde  B.  vore  IT  G.  —  9514  wolt  ror  mir  G.  sold  also  vor  mein  g.  F,  — 
9515  «inen  edetn  B.  edel  F  G  S.  —  9517  sirt  W  B  S.  —  9518  der  arm  adel  (7. 
armen  B.  seinen  landen  8.  —  9521  so  fehlt  G.  si  fehlt  F.  wil  fehlt  W.  — 
9522  höchsten  G.  —  9523  hat  fehlt  IT.  chöchin  /*(?.  in  fehlt  (7.  —  9524  als 
das  man  G.  —  9525  davon  fehlt  G,  —  9526  dennoch  WS.  —  9527  doch  fehlt 
B,  —  9529  türen  schenkten  G.  —  9530  gastraun  F.  —  9531  fehlt  F.  —  9533  in] 
ir  F.  —  9535  wanne  F.  sj  nur  an  G.  —  9536  da]  das  G.  bat  ^  G.  das  mas  hiet  u. 
F,  —  9537  dennoch  WS. 


WBD  uer  piunaer  macni  oiemaD 
edel,  als  ich  gehört  hin. 
9$40  aber  schOne  lucht  die  maclit 
adel,  lugent  maniger  seachl. 
daion  ^rich  ich  auf  meinen  ait. 
das  chain  piiinder  pas  chlaid 
als  ain  wäre  diemnet 
954K  die  selb  ist  edel  und  gnel. 
si  6:ee  binden  oder  vor. 


Beiträge  zur  iltcren  tiroltsehen  Literatur.  II.  345 

schichte  und  Mythologie  so  hochwichtige  Abschnitt,  V.  7696—8497 
den  Zarncke  als  besonderes  Gedicht  bezeichnen  mochte «),  ist  Ton 
J.  Grimm  in  seiner  deutschen  Mythologie  (I.  Auflage,  AnhangLI— LVIII) 
nach  Codex  G  und  von  mir  nach  F  veröffentlicht  worden*).  Gervinus 
sagt,  diese  Steile  könne  als  eine  klassische  für  diese  Gegenstände 
gelten  und  der  Dichter,  eine  gar  gute  Seele,  yerrathe  an  dieser  Stelle 
so  yiel  frommen  Ärgers ,  als  sonst  frommen  Glaube  an  Legenden  und 
Heiligengeschichten  >).  Vintler  zeigt  hier,  wie  in  seinen  Stellen  fiber 
den  Adel,  dass  er  einen  scharfen  Blick  für  die  Gebrechen  seiner  Zeit 
habe ,  dass  er  unbeirrt  durch  Vorurtheile  auf  der  Höhe  seiner  Zeit 
stehe.  Sehr  bezeichnend  für  ihn  und  seine  Torgeschrittene  Bildung 
ist  die  Stelle  über  die  von  vielen  Tirolern  noch  heutzutage  geglaubten 
Hexenfahrten. : 

Sand  Angustinas  also  gicht : 

„es  Tert  chain  mensch  nicht 
8170  und  wänt  doch  maniger,  das  er  var**. 

das  mag  man  wol  nemen  war 

an  den  pösen  leuten  unrain, 

die  varen  und  sein  doch  da  haim, 

als  man  des  guet  beweisung  hat, 
8176  das  der  leib  nicht  chumpt  Ton  stat. 

aber  si  werden  yerzucket  im  sinn, 

das  si  wänen,  si  varen  dahin, 

und  mit  dem  bestrickt  si  Sathanas, 

das  si  im  gelauben  dester  pas. 
8180  wan  wer  sich  also  dem  teufel  ergeit, 

der  want,  er  vare  alle  zeit, 

wanne  doch  der  teufel  hat 

nicht  gewalt  an  chainer  stat 

hie  über  des  menschen  leben, 
8186  im  wellen  denn  die  menschen  selben  geben. 


<)  ZeitMhrift  nir  denUchet  Altertbum.  IX.  69. 

>}  Sitten,  Brinche  und  MeinuDgen  des  Tiroler  Volkes.  (1S87.)  S.  187— i9S. 

S)  Geschichte  der  deutschen  Dichtung.  U,  350. 

8168  such  s.  S.  Augnstln  such  F,  Angnstein  der  auch  G»  —  8173  hie  haim  WS.  — 
8174  guet  fehlt  F.  —  8175  entsncket  ^6.  —  8178  dem  so  stricket  G.  —  8180 
dem  t.  also  e.  G.  —  8182  wan  W  S  G.  teufel  der  h.  WSG.  —  8184  das  G.  — 
8185  den  WS.  wel  danne  der  menitch  selb  g.  F.  denn  sich  die  m.  G.  selber  WSG. 

Sitib.  d.  phil.-hi8t.  Ol.  LXVI.  Bd.  II.  Hft.  23 


und  über  die  rermeinten  Künste  alter  Weiber  spricht  er: 

und  ob  du  also  sein  soll, 
das  aio  altes  weib  got  iwingOD  wolt, 
8460  so  war  er  chnecht  and  si  wir  herr. 
nain  mar,  li  sein  der  warhait  Terr, 
die  soleich  ding  also  ^elauben. 

Wären  Viotler's  gesunde  Ansichten  durchgedrangeo ,  liätt«n 
nicht  so  Tiele  Opfer  auf  den  Scheiterhaufen  ihr  Leben  lassen  mSssea '}. 

An  Ausfüllen  gegen  die  entarteten  )ind  wirren  Veriiältniist 
seiner  Zeit,  fiber  die  Corruption  seiner  Zeitgenossen  im  AllgemeineD 
fehlt  es  nicht.  Stoff  hiexu  war  ja  genug  vorhanden  und  mussle  nnsern 
Dichter,  mochte  er  in  seinem  L'rtfaeile  noch  so  milde  sein,  zu  Entrfi- 
stung  und  ernstlicher  Rüge  stimmen.  Diese  entfaltet  sich  in  allen 
Scalen,  rom  leisen  Tadel  bis  inr  heftigsten  Verdammung.  V.  2386  S. 
klagt  er,  dass  die  Schmeichelei  und  Falschheil  an  die  Stelle  itr 
wahren  Preundschati  und  der  Aufrichtigkeit  getreten  sei. 

2386  wan  wer  die  sind,  die  geren  smaichea, 

die  wellenl  die  leut  nnr  «Ixeit  laichen 

und  machen  in  mit  Tabcher  red  freantsebaft. 

die  selbe  freuntscbafl  hat  doch  niefat  ehrafl 
2390  nnd  ist  ietiund  sin  pQser  sit, 

das  sieh  iederman  liebet  damit, 

paide  alt  und  auch  iunge.  etc. 

V.  3374  ff.  klagt  der  Dichter,  dass  die  Treue  abgenommen  habe 
und  Ungerechtigkeit  und  Falschheit  allenthalben  herrschen. 

Ach,  was  man  sein  doch  ietiond  pfligt,    - 
3375  das  niemant  trew  gen  trewen  wigt! 
wan  wer  iets  den  herren  recht  tuet, 
den  pringt  man  fSr  sieb  umb  sein  gaet; 


SWS  ■!>  psil  *itu  a. 

1)  Ober  Tirol  Jtrgi.  !■  di«Mr  B«ii«haDK:    Barbin  f^Bhlcrin  aal  Matkiaa   Perg 

Zv«i  BaiairroMHi.  Inaaliraek,  Wigiar  tSSS.  8.  VI.  VH. 
asae  aala  IT.  —  MM  iatuad]  dooh  l«ti  WSG.  grauer  WSB.  —  U91  »ith  tii 


Beitrige  »ar  ilteren  iiroUschen  Literatur.  II.  34T 

aber  wer  da  ist  ain  wuetrdch, 

und  der  rerderbet  arm  and  reich 
3380  wider  got  und  wider  recht, 

der  ist  den  herren  ain  lieber  chnecht, 

und  der  da  tÜ  smaicherred  chan, 

der  ist  den  herren  ain  lieber  man ; 

und  der  auch  nicht  achtet  treu  noch  er, 
338$  dem  geit  der  herr  sicher  mer, 

denne  er  ainem  frumen  tat> 

der  da  piderb  ist  und  stät. 

und  der  nicht  näm  alles  gnet, 

nur  das  er  solt  haben  den  muet, 
3390  das  er  iemant  betrQben  wolt, 

dem  selben  wirt  man  nimmer  holt 

und  ist  na  altfränkisch  genant. 

aber  nu  so  ist  ain  newe  hant, 

die  hat  ietz  gar  Tast  iren  lauf, 
3395  unz  das  die  rier  iehen:  «heb  auf!** 

da  ist  es  danne  alles  ab. 

wann  man  in  trait  zue  dem  grab, 

so  Tolgent  im  seine  werk  nach, 

si  sein  guet  oder  swach^ 

Besonders  eifert  Vintler  gegen  den  Geiz  und  die  Habsucht 
seiner  Zeitgenossen.  Eine  der  schönsten  und  kräftigsten  Stellen  ist  in 
dieser  Beziehung  die  folgende: 

was  doch  der  pfenning  wunders  tuet! 
7215  mein  her  pfenning  ir  seit  ze  fruet. 
mir  ist  laid,  das  man  ewer  gert 
so  geitecleich,  ir  seit  so  wert, 


3378  wer]  wa  G,  —  3379  der  da  v.  WS6.  —  3380  und  auch  w.  G.  —  3381  ist  ietz 
d.  G,  —  3382  smaichred  &  —  3384  achtet  fehlt  ff.  noch]  und  (7.  —  338S  sicher] 
schir  S.  —  3387  pider  FS.  and  auch  st.  6.  —  3389  haben  solt  S.  —  3390  das 
iemant  kain  b.  G.  —  3391  selben  dem  w.  W.  —  3392  und]  der  selb  F.  —  3393 
non  ist  so  F.  so  fehlt  S.  —  8894  hiit]  ist  F,  iefiund  F,  —  3395  hinta  W  S  G. 
sprechen  G,  —  3396  da]  das  W.  G.  denn  W8g.  --^  3897  in  fehlt  F.  ainen 
tregt  B.  —  7216  begert  G,  —  7217  geittideichen  F.  so]  sein  F. 

23* 


248  Z  i  n  ge  r  le 

das  ir  seit  in  hoher  furston  rat. 

ea  mfißen  die  weisen  geben  stat. 
7220  ir  chaufet  chirehen  und  caplan, 

ir  habet  maniger  frawen  laid  getank 

an  ir  ere,  hör  ich  sagten. 

ir  machet  manigen  grossen  zagen, 

ir  nempt  den  diep  ron  galgen  und  Ton  panne 
722$  und  seit  doch  nicht  als  groß,  als  ain  spanne. 

wer  stet  und  purg  gewinnen  wil, 

der  mueß  ie  haben  pfenning  tiL 

der  Pfenning  machet  ralsches  getichte, 

der  pfenning  wendet  gnet  gerichte, 
7230  der  pfenning  chaufet  allen  rat, 

er  chaufet  got,  der  uns  geschaffen  hat. 

nu  merket  alle,  ob  ir  wellet, 

was  der  pfenning  Wunders  stellet, 

das  er  den  f^umen  oft  schenhet 
723$  und  hin  zue  dem  posen  fleuhet! 

der  nie  gewan  preis  noch  lob, 

den  selben  setzet  er  nu  ob 

über  manigen  piderman. 

ei  zwar,  das  ist  nicht  wol  getan» 
7240  das  so  hoch  ist  dein  ampt. 

du  wirst  am  lesten  doch  verprant. 

ich  sprich  das  wol  und  ist  auch  war: 

biet  ainer  alle  weishait  gar, 

die  David  het  und  Salomon 
724$  und  war  als  starch  als  Sampson, 

all  sein  chunst  war  im  enwicht, 

und  biet  er  nu  der  pfenning  nicht 

hat  er  aber  gelt,  so  ist  er  lieb, 

er  sei  ranber  oder  dieb. 


7220  kapellan  WS,  —  7224  Yon  dem  {  Yon  den  G>  paamen  F.  —  7227  ie  fehlt  G.  — 
7231  uns  all  IT 5 6.  —  beschaffen  WS.  ^  7234  er  fehlt  G.  swechet  6.  — 
7235  fluechet  G,  —  7237  sitst  IT.  -^  7238  iegleichen  WSG,--  7239  das]  ea  G. 
Die  6.  —  7242  auch]  doch  F.  —  7244  and  auch  G.  —  7247  na]  nner  F,  —  7248 
h.  aber  er  WS.  golt  W. 


Beitrige  svr  ilieren  tirolischen  Literatur.   II.  349 

7250  und  wie  lieb  der  pfenning  immer  ist, 

80  ist  er  doch  noer  ain  mist. 

so  wais  ich  wol,  das  maniger  ist» 

und  chäm  ietzund  der  endechrist, 

das  er  pfenning  geben  wolt» 
7255  er  fund  ir  tu  an  seinem  solt, 

die  im  dienten  frue  und  spat, 

neur  das  si  pfenning  wurden  sat. 

ich'  glaub  auch,  biet  man  so  Til  gelt, 

das  man  erfüllen  möcht  die  weit 
7260  uns  auf  an  polum  artieum 

und  under  sich  unz  an  den  centrum, 

dannoch  fund  man  manigen  man, 

der  sich  nicht  lies  genuegen  daran, 

und  wissen  doch  all  für  war, 
7265  das  wir  nicht  leben  tausent  iar 

und  stellen  doch  darnach  alle  geleich, 

als  ob  wir  leben  wellen  ewideich. 

der  pfenning  ist  also  gestalt 

und  war  der  winter  noch  als  ehalt, 
7270  so  singt  der  pfaff  an  nnderwint 

die  weil  man  im  das  opfer  pringt  0* 

Dass  unser  Dichter  namentlich  gegen  die  Hochfahrt  elnielner 
Stande  eifert,  ist  schon  bemerkt  worden.  Am  schärfsten  spricht  er 
sich  aber  gegen  diese  Sunde  in  dem  nach  ihr  benannten  Abschnitte 
aus ,  wo  er  empört  über  diese  allgemein  verbreitete  Untugend  das 
baldige  Einbrechen  des  göttlichen  Strafgerichtes  in  schwunghafter 
Weise  wünscht. 


7250  doeh  immer  F.  —  7253  ietx  W  S  G.  anterchr  F.  —  7256  und  auch  0.  — 
7260  liints  WS.  pii&  G.  —  7261  und  auch  G.  antz  S.  pi6  G.  —  7263  benuegen  F. 
—  7264  doch  wo!  G.  —  7267  wellen  leben  G.  —  7269  alao  G.  —  7270  snn;  5. 

0  Diese  Stelle  erinnert  an  fihnliche  Riagen  fiber  die  Macht  des  Pfennigs,  z.  B. 
Freidank  U7,  17.  MSR.  II,  186*.  Ill,  166*.  Keller,  alte  gnte  Schwanke  8.  71. 
KeUer,  Fastnacbtspiele  III,  1183.  1437.  In  nnrerkennbarem  Zusammenhange  nlit 
unserer  stelle  steht  ein  Spruch  in  der  Kolmarer  und  WUtener  Handschrift  (s.  meinen 
Berieht  über  letstere,  Sitsnngsberichte  XXXVII,  8.  378),  der  manchmal  wörtlich 
stimmt 


starker  ^ot,  icik  piti  dich  nit  nier, 

daa  dein  gericht  rertiebe  sich. 
S745  chum,  strenger  Hehler,  rieht  und  rieh, 

tau  halt  die  loten  all  auf  sten, 

das  diser  wette  antren  laueß  lergen, 

geraech  ir  lalschait  stören. 

lafl,  almechtiger  got,  dein  coren, 
S7K0  lall  durch  die  grab  erhellen 

die  Johanoes  hören  und  erschellen ! 

wirf  aaf  Johannes  aupen, 

seit  si  an  dich  nicht  wellent  glanbenl 

sisch  mit  Johannes  swert, 
lt75S  wan  si  setient  dich  unwert! 

tritt  mit  Johannes  ßssen  garl 

Johannes  stim  laß  werden  offenbari 

das  es  h3ren,  was  menschen,  eogel.  teufel  sint! 

richter,  rieht  Ober  der  weite  chint, 
X760  seit  si  der  trewen  sint  so  lär. 

sweiga,  mein  Hans  ViDtlär! 

dn  macht  es  doch  nicht  erwenten. 

wararob  wildn  denn  dein  alem  swenten? 

Wenn  ihn  hier  seine  Entrüstung  tum  äußersten  treibt,  so  seigl 
er  sonst  in  der  Regel  ein  ruhiges ,  mildes  Gemüth ,  eiu  billig  abwä- 
gendes Urtheil  und  kennt  nur  einen  Zweck,  durch  seine  Schrift  m  be- 
lehren und  BU  bessern.  Ferne  liegt  es  seinem  Charakter,  als  Streiter, 
stolzer  Sittenrichter  über  andere  den  Stab  zu  brechen,  er  betont  zu 
wiederholten  Malen  seine  eigene  Schwäche  und  zeigt  sich  durchwegs 
als  einen  ernsten  und  gerechten,  aber  bescheidenen  und  liebeTollen 
Mann.  Nur  die  Fehler  und  Wirrnisse  seiner  Zeit  entrüsten  ihn  und 
zwingen  ihn  zu  feuriger  Rede  und  härteren  Worten.  An  poetischer 


Beitrage  sar  Slieren  tirolitehen  LiCeratw.  II. 


351 


Begabung  und  Bildung  steht  Vintier  weit  seinem  Zeitgenossen  Oswald 
von  Wolkenstein  nach»  überragt  ihn  aber  durch  den  Adel  seines 
Charakters,  durch  seine  sittliche  Lebensanschauung.  Bei  beiden 
Dichtern  zeigt  sich  der  Einfluss  italienischer  Literatur.  Vintier  be- 
arbeitet ein  wälsches  Buch»  Oswald  kennt  Dante  und  Petrarca. 
Lehnt  sich  aber  Vintier  an  seine  Quelle  meist  gewissenhaft,  ja  fingstlich 
an»  so  wandelt  der  VlTolkensteiner  selbständig  seine  eigenen  Wege. 
Besitzt  Vintlers  Werk  im  Ganzen  nicht  hohen  poetischen  Werth»  so 
ist  es  dagegen  für  die  Cultur-  und  Sittengeschichte  jener  Zeit  yon 
grosser  Bedeutung  und  biethetfur  dieKenntniss  der  damaligen  Sprache 
reiches  Material. 


VRBZEICHNIS8 

DER  EINGEGANGENEN  DRUCKSCHRIFTEN. 

(NOVEHBBH  1870.) 

Adama,  W.,  American  lateroceanic  Ship  Canals.  New  York, 
1870;  8». 

Akademie  der  WiaseDschaf^en,  Königl. Preuss.,  luEerlin:  Monats- 
bericht. Juli  1.870.  Berlin ;  8*. 

Association,  The  New  York,  lor  Improving  the  Condition  of  the 
Poor:  The  XXV"'  and  XXVI*  Annual  Reports,  for  the  Years 
1868  &  1869.  New  York:  8«. 

Elake.  William  P.,  Geographica!  Notes  upon  Russian  America  and 
the  Stickeen  River  etc.  Washington,  1868;  8«. 

Charter  of  the  City  ofAlbany,  as  amended  by  the  Legislature  of 
1870.  Albany;  8*. 

Covdin,  Elliot  C,  Report  to  the  Department  of  State  or  Silk  and 
Silk  Manufactures.   Washington,  1868;  8». 

Gelehrten-Gesellschaft,  k.  k.,  zu  Krakau:  Rocinik.  Tom 
XVI  &  XVII.  W  Krakowie,  1S69  &  1870;  8«.  —  Sprawoi- 
danie  komysyi  fizyografictn^j.  Tom  IV.  Krakow.  1870;  8».  — 
Hajer,  J.,.  Pami^tnik  pierwsiego  zjazdu  lekarzy  i  pnyrod- 
nik6w  polskicb  odbytego  w  r.  1869.  Krakow,  1870;  8". 

Gesellschaft,  ArehSologische ,  zu  Athen:  Archäologische  Zeit- 
schrift n.  Jahi^.  Jahr  I,  Heft  1—14.  (1862,  Januar-August; 
1863,  September-December;  1869  de  1870.)  Athen;  4«. 
—  Geographische,  in  Wien:  Mittheilungen.  N.  F.  3.  Nr.  13.  Wien, 
1870;  8». 

Hamelitt.  X.  Jahrgang,  Nr.  36—37.  Odessa,  1870;  4". 

Helsingfurs,  UniTersität:  Akademische  Gelegenheitsschriften  aus 
dem  Jahre  1869/70.  4"  de  8«. 


354  Veneichnias  der  eingegaogeneo  Drncktefarifteii. 

Honors»  Legislative»  to  the  Memory  of  President  Lincoln.  Albany, 
1865;  80. 

Instituut,  Koninkl.,  voor  de  Taal-»  Land-  en  Volkenkunde  van 
Nederiaudseh  Indiä :  Bijdragen  tot  de  Taal-,  Land-  en  Volken- 
kunde van  Nederlandsch  Indiä.  IIL  Volgreeks,  IV.  DeeK  1.  Stuk. 
*S  Gravenhage,  1870;  8«. 

Johnson,  Edwin  F.,  Railroad  to  the  Pacific.  Northern  Route.  Its 
General  Character,  Relative  Merits  etc.  New  York,  1854;  8*. 

Lewis,  Taylor,  State  Rights:  A  Photograph  from  the  Roins  of 
ancient  Greece,  with  appended  Dissertations  of  the  Ideas  of 
Nationality,  of  Sove-Reignty,  and  the  Right  of  Revolution.  AI- 
bany,  1865;  8«. 

Messnge,  Annual,  of  the  Governor  of  the  State  of  New  York. 
Albany,  1870;  8». 

M i 1 1 h e il u n g e n  aus  J.  Perthes*  geographischer  Anstalt.  1 6.  Bd.» 
1870,  Heft  X.  Gotha;  4». 

Proceedings  of  the  second  Annual  Meeting  of  the  National  Board 
of  Trade,  held  at  Richmond,  December,  1869.  Boston,  1870;  8^ 

Report,  Annual,  of  the  Adjutant  General  of  the  State  of  New  York. 
1863—1865.  Albany;  80. 

—  VIP,  VlII*^  &  X***  Annual,  of  the  Superintendent  of  the  Insurance 
Department.  State  of  New  York.  Albany,  1866, 1867  &  1869;  8^ 

—  Annual,  of  the  Comptroller  öf  the  State  of  New  York.  1870. 
Albany;  8<>. 

—  XX^  and  XXU*^  Annual,  of  the  Regents  of  the  University  of  the 
State  of  New  York  on  the  Condition  of  the  State  Cabinet  of 
Natural  History  and  the  Historical  and  Antiquarian  CoUection 
annexed  thereto.  1867  &  1869.  Albany;  8». 

—  Annual,  of  the  General  Agent  for  the  Relief  of  Sick  and  Wouii- 
ded  Soldiers  of  the  State  of  New  York.  Albany,  1865;  8». 

—  XV^^  Annual,  of  the  Superintendent  of  Public  Instruction  of  the 
State  of  New  York.  Albany.  1 869 ;  8». 

—  of  the  State  of  the  New  York  Hospital  and  RIoomingdale  Asy- 
lum,  for  the  Year  1869.  New  York,  1870;  80. 

—  IV***  &  V*^  Annual,  of  the  Metropolitan  Fire  Department  of  the 
City  üf  New  York.  New  York,  1869  &  1870;  8«. 


Terseicbniss  der  eingegangeBes  Drockschriflen.  355 

Report,  V*\  VIP  &  X'**  Aanual,  of  the  Trustecs  of  the  Cooper 
Union  for  the  Advancement  of  Science  and  Art.  New  York» 
1864.  1866  &  1869;  8«. 

—  XP  Annual,  of  the  Chamber  of  Commerce  of  the  State  of  New 
York,  for  the  Year  1868—69.  New  York.  1869;  8». 

—  on  Interoceanic  Canais  and  Railroads  between  the  Atlantic  and 
Pacific  Oceans.  Washington,  1867;  8«. 

Reports  of  Samuel  B.  Ruggies,  Delegate  to  the  International 
Statistical  Congress  at  Berlin ,  on  the  Resources  of  the  United 
States ,  and  on  a  uniform  System  of  Weights ,  Measures  and 
Cuins.  Albany,  1864;  8«. 

R  u  I  e  s  and  Regulations  of  the  Green-Wood  Cemetry :  Suggestions 
as  to  ImproTement  of  Lots,  Acts  of  Incorporation,  etc.  1870. 
New  York;  8o. 

Society,  The  American  Geographrcal  and  Statistical:  Journal. 
1870.  Vof.  IL  Part  2.  New  York;  8«. 

—  The  Asiatic,  ofBengal:  Journal.  Parti,  Nr.  1.  1870;  Part  IL 
Nr.  1.  1870.  Caicutta;  8».  —  Proceedings.  Nr.  III— IV.  March, 
April  1870.  Caicutta;  8«. 

Tehuantepec  Railway,  its  Location,  Features  and  Advantages 
under  the  La  Sere  Grant  of  1869.  New  York;  S». 

Verein  für  die  deutsche  Nordpolfahrt :  Berichte  über  die  Sitzungen 
nebst  Anlagen.  Bremen,  1870;  8^ 

—  siebenburgischer,  für  romanische  Literatur  und  Cultur  des  roma- 
nischen Volkes:  Transilvania.  Annlu  III,  Nr.  20.  Kronstadt, 
1870;  4o. 

—  historischer,  fQr  Niedersachsen:  Zeitschrift.  Jahrgang  1869. 
Hannover,  1870;  8«.  —  32.  Nachricht.  Hannover,  1870;  8». 

—  für  meklenburgische  Geschichte  und  Alterthumskunde :  Jahr- 
bücher und  Jahresbericht.  XXXV.  Jahrgang.  Schwerin, 
1870;  So. 

Wilson,  H.,  Trow's  New  York  City  Directory.  Vol.  LXXXL  for 
the  Year  endiiig  May  1,  1868.  New  York;  8«.  —  Wilson*s 
business  Directory.  1867—68.  New  York;  12o. 


SITZUNGSBERICHTE 


DER 


KAISERLICHEN  AKADEMIE  DER  WISSENSCHAFTEN. 


PHILOSOPHISCH-HISTORISCHE  CLAS8E. 


Li?i.  BAND.  III.  urr. 


JAHRGANG  1870.  —  DECEMBER. 


Commissionabertcht. 


359 


SITZUNG  VOM  7.  DECEMBER  1870. 


Der  Secretär  legt  vor: 

1}  den  im  Druck  vollendeten  4.  und  S.  Band  des  nCorpus  scrip- 
iorum  ecclesiasHcorum*^  (Vol.  III,  Pars  II  und  III,  die  zweite  Hälfte 
der  Schriften  Cyprians  nebst  Indices  und  Prolegomena  von  Prof. 
Hartel  enthaltend); 

2)  die  mit  Unterstützung  der  kais.  Akademie  herausgegebene 
Schrift  ytlncerti  auctoris  Ordo  JudidariuB**  Yon  Professor  Dr.  C. 
Gross  in  Innsbruck. 


Das  w.  M.  Herr  Prof.  Dr.  Friedrich  Muller  legt  eine  für  die 
Sitzungsberichte  bestimmte  Abhandlung  „Erdmca'*  vor. 


Herr  Dr.  Ignaz  Goldziherin  Leipzig  sendet  an  die  Classe  zur 
Aufnahme  in  die  Sitzungsberichte:  „Beiträge  zur  Geschichte  der 
Sprachgelehrsamkeit  bei  den  Arabern*'. 


SITZUNG  VOM  14.  DECEaiBER  1870. 


Der  SecretSr  legt  vor: 

1)  eine  Eioladuog  des  Grillparter-Daraencoinit^s  an  die  Hit- 
glieder der  Akademie  cur  Betheiligung  an  der  Grillpaner-Feier; 

2)  ein  Schreiben  des  Hofbibliothekars  Herrn  Dr.  Barack  io 
Donaueschingen,  worin  derselbe  seinen  Dank  ausspriebt  f3r  den  Be- 
schluss  der  Classe,  der  neu  lu  begrGndenden  Bibliothek  ta  Strass- 
burg  ihre  Publieationen  tu  widmen. 


Das  w.  M.  Herr  Prof.  Theodor  Sickel  )egt  eine  für  das  Archiv 
bestimmte  Abhandlung  vor:  „Das  Beformationslibell  des  Kaiser» 
Ferdinand  I.  vom  Jahre  1S62  bis  zur  Absendnng  nach  Trient". 


Müller,  ßrinica. 


3i 


Eränica. 


Von  Dr.  Friedrich  Möller, 

Professor  an  d«r  Wiener  UoiTersitiit. 


I.  Das  Auslaut-  und  Betonungsgesetz  des  Neu- 

.     persischen. 

Wie  die  Vergieichung  der  neupersischen  Schriftsprache  mi 
den  beiden  uns  überlieferten  Dialekten  des  alten  Erän  zeigt,  geh) 
dieselbe  nicht  so  sehr  auf  das  Altbaktrische(Ost-Eränische)  als  viel- 
mehr  auf  das  sogenannte  Altpersische  (die  Sprache  der  achämenidi- 
sehen  Keilinschriften)  zurück.  Damit  ist  aber  keineswegs  behauptet, 
dass  man  das  Neupersische  als  unmittelbare  Fortsetzung  der  Sprache 
der  Keilinschriften  betrachten  müsse,  sondern  es  ist  im  hohen  Grade 
wahrscheinlich,  dass  jener  alte  Dialekt,  auf  welchen  das  Neupersische 
zurückgeht,  uns  ganz  verloren  gegangen  ist. 

Wenn  wir  die  Gesetze  dieses  alten  Dialektes  in  Betreff  des 
Auslautes  der  einzelnen  Formen  uns  vergegenwärtigen  sollen,  so 
werden  wir  nicht  allzusehr  irren,  wenn  wir  für  dieselben,  da  sie  uns 
unbeksLuni  sind ,  jene  der  Sprache  der  Keilinschriften  substituiren. 
Denn  es  scheint,  dass  die  Abweichungen  des  hinter  dem  Neuper- 
sischen steckenden  Dialektes  von  der  Sprache  der  Keilinschriften 
nicht  so  sehr  auf  die  grammatischen  Formen,  als  vielmehr  auf  den 
Sprachschatz  sich  bezogen.  Im  tiefsten  Grunde  weicht  ja  auch  das 
Altbaktrische  von  der  Sprache  der  Keilinschriften  mehr  im  Lexikon, 
als  in  der  Grammatik  ab. 

Sit>b.  d.  phil.-hiflt.  Cl.  LXVr.  Bd.  III.  Hfl.  24 


nacD  dem  soeben  Uemerkten  war  das  Auslautgeseli  des  dem 
Neupersischen  su  Grunde  liegenden  alten  Dialektes,  in  Übereinslim- 
mung  mit  der  Sprache  der  Ketlinachriften,  folgendes: 

Ausser  allen  Vokalen  und  Diphthongen  waren  nur  die  beiden 
Consonanten  m  und  s,  und  letzterer  nur  nach  Vokalen,  welche  nicht 
a  waren,  im  Auslaute  gestattet  —  Auslautende  Consonantengruppen 
wurden  nicht  geduldet. 

Der  Ubei^ng  von  diesem  Gesetze  zu  dem  in  der  neupersischen 
Schriftsprache  geltenden,  nach  welchem  meistens  consoaantischer 
Auslaut  staltfindet  und  Consonantengruppen  im  Auslaut  geduldet 
werden,  geschah ,  wie  im  Armenischen,  durch  Veränderung  des 
Accentes. 

fn  welcher  Weise  die  Formen  der  alten  Sprache  accentuirt 
wurden,  ist  uns  rollstandig  unbekannt;  es  ist  aber  auch  eine  Kennt- 
nis» der  Accentgesetze  der  alten  Sprache  znm  Verständniss  des 
Wandt ungsprocesses,  welchen  in  Folge  des  veränderten  Accentes  die 
Auslautrormen  erfuhren ,  gar  nicht  nothwendig.  So  nel  steht  aber, 
aus  den  Veränderungen  der  letzteren  selbst  zu  schliessen,  fest,  dass 
einmal  in  jener  Zeit,  welche  zwischen  den  Formen  der  achämeni- 
dischen  Keilinschiiften  und  .den  Formen  des  sogenannten  Pelilewi 
liegt,  ein  Festsetzen  des  Accentes  auf  der  vorletzten  Silbe  statt- 
gefunden haben  muss. 

Mit  dieser  Veränderung  des  alten  Accentes  und  dem  Befestigen 
desgelben  auf  der  Torletzlen  Silbe  war  aber  der  Anlass  tu  einer 
Veränderung  de^  Auslautgesetzes  und  in  Folge  einer  dadurch  be- 
wirkten Beeinträchtigung  der  Formen  zu  einer  neuen  Sprachbildung 
gegeben. 

Da  nämlich,  wie  wir  sehen  werden,  die  einzelnen  Formen  in 
ihrem  Auslaute  bedeutende  Einbussen  erfuhren,  so  dass  dann  mehrere 
Formen,  weJcbe  von  einander  durch  den  Auslaut  streng  geschieden 
waren,  in  eine  einzige  Form  zusammenfiossea ,  trat  an  die  Sprache 
die  Forderung  heran,  dem  Bedürfnisse  nach  genauer  Unterscheidung 
der  in  ihr  liegenden  grammatischen  Kategorien  durch  äussere  Mittel 
abzuhelfen.  Dadurch  entstanden  neue  Bildungen,  welche  der  jün- 
geren Sprache  einen  von  der  filteren  ganz  abweichenden  Typus 
verliehen. 

Was  nun  die  Veränderungen  anbelangt,  welche  in  Folge  der 
Accentualion  der  vorletzten  Silbe  eintraten,  so  sind  es  folgende: 


EHinica.  3( 

Es  wurde  in  Ftflge  der  Hervorhebung  der  vorletzten  Silbe  d 
<larauf  folgende  letzte  mit  erschlaffter  Articulation  gesprochen ,  w 
<iurch  die  Consonanten  m,  8  in  der  Aussprache  fast  gar  nicht  gehii 
wurden,  so  dass  sie  endlich  spurlos  abfielen.  Die  Vokale  der  letzt« 
Silbe  sanken  ohne  Unterschied  zum  tonlosen  S  herab,  als  welch 
sie  endlich  ganz  fallen  gelassen  wurden. 

Durch  dieses  neue  Auslautgesetz  wurden  zuletzt  alle  einfache 
Formen  in  uxytonirte  und  consonantisch  sehiiessende  umgewandel 
Formen,  wie  sie  die  neupersische  Schriftsprache  grösstentheils  dai 
bietet. 

Nebst  dem  Schlüsse  mit  jedem  Consonanten,  gestattet  da 
Neupersische  bekanntlich  noch  Schluss  mit  Vokallangen  und  Diph 
thongen;  dagegen  kommt  der  Schluss  mit  Vokalkurzen  im  Neu 
persischen  nicht  vor.  Der  Schluss  mit  Vokallängen  und  Diphthongei 
ist  aber  kein  ursprünglicher,  d.  h.  aus  dem  Auslautgesetze  unmittel 
bar  folgender,  sondern  ist  in  Folge  von  Veränderungen  der  schlies- 
«enden  Consonanten  als  solcher  entstanden. 

So  ist  z.  B.  das  d  von  U^  (iumä)  erst  in  Folge  der  Verschlei- 
fung  eines  schliesseuden  h  in  den  Auslaut  gekommen  (vgl.  damit  die 
ossetische  Form  CMax),  da  aus  dem  altbaktrischen  ((j'^ccKJ^C 
{yüsmdhem)  nach  dem  Auslautgesetze  zunächst  eine  Form  (yu)- 
smdk  hervorgeht. 

Ebenso  ist  Üb  (ddnd)  erst  später  aus  der  Form  ^Ub  (ddndk) 
entstanden,  welche  das  Pehlewi  noch  darbietet,   ^jl*  (bdzü)^    sSjyJ 

(r6zi)  sind  erst  später  eingetretene  Entwicklungen  aus  2^^ 
(bdzük),  j)^jjj  (r6zik),  jl-^^  (rdöik)*  Formen,  welchen  wir  im 

Pehlewt  noch  begegnep.  ^\»  (pdi)  ist  zunächst  aus  pdy  entstanden, 
dessen  ^  aus  dem  dh  von  -»efio  (pddha)  nach  einem  eigenthüm- 
lichen  Lautgesetze  sich  entwickelt  hat.  Die  Form  J^^  (khdnagi) 
steht  zunächst  für  khdnakiy,  eine  Ableitung  von  khdnak  (ältere 
Form  für  ^U^)  mittelst  des  Suffixes  -iya. 

Indem  wir  nun  die  Wirkungen  des  Auslautgesetzes  an  den  ein- 
zelnen Formen  der  Sprache  betrachten  wollen,  werden  wir  dieselben 
nach  den  beiden  Kategorien  Nomen  und  Verbum  einer  kurzen 
Musterung  unterziehen. 

24* 


364  Müller 


A.  N«meB. 


Nach  dem  Zustande  der  Sprache,  seit  mehr  als  1000  Jahren,  zu 
urtheilen,  sind  dem  Nomen  beinahe  sämmtliche  Casusformen  Truh- 
zeitig  abhanden  gekommen.  Gegenwärtig  tritt,  mit  alleiniger  Aus- 
name der  alten  Themen  in  ^ar^  überall  das  seines  Auslautes  beraubte 
Thema  für  alle  Casusformen  des  Singulars  ein,  wodurch  Umschrei- 
bung der  Casus  durch  äussere  Mittel  nothwendig  wird  <).  Im  Plural 
tritt  der  Genitiv  als  Repräsentant  aller  Casus  auf,  wodurch  wiederum 
dasselbe  Bednrfniss  wie  im  Singular  hervortritt  *). 

Diese  Thatsache  findet  einerseits  in  dem  soeben  entwickelten 
Aus lautgeseize  ihre  Erklärung,  andererseits  in  dem  Verlust  einzelner 
Casusformen,  dem  wir  ja  schon  in  den  Keilinschriften  (wo  bekanntlich 
der  Dativ  ganz  fehlt)  begegnen.  So  scheint  der  Genitiv  Singularis, 
nachdem  das  mit  ihm  regelmässig  in  Verbindung  stehende  Relativum 
ya-  denselben  hinreichend  charakterisirte,  frühzeitig  verloren  gegan- 
gen zu  sein. 

Von  den  Themen  haben  auch  im  Persischen  jene  auf  a-,  als  die 
zahlreichsten,  sich  die  übrigen,  namentlich  die  consonantischen  assi- 
milirt.  So  entstanden  aus  altbaktr.  \»^»}!B^  (Tckiapan-J,  efl*fi>»^ 
(raoöaAh-) ,  die  Themen  khsapa-t  raodä^f  welche  gerade  so  wie 
martya-i  vehrka^  flectirt  und  dann,  gleich  diesen,  nach  dem  Auslaut- 
gesetze verändert  wurden. 

Die  Themen  in  -ar  gingen  nicht,  wie  im  Ossetischen  in  Themen 
auf  -a  über  (vgl.  ossetisch  ^if^^^pita-^  MaA  =  md/a-),  sondern 
wurden  in  Themen  auf  -ara  verwandelt.  So  entstand  aus  püar-  ein 
Thema  püara-,  aus  mdtar-  ein  Thema  mdtara-^  aus  q'mlhar-  ein 
Thema  q'afihara. 

Dem  Plural  sind  sämmtliche  Casusformen  bis  auf  den  Genitiv 
abhanden  gekommen  und  ist  derselbe  als  Grundlage  für  die  durch 


0  über  dieselben  Tgl.  meinen  Aufsatx :  ^Die  Declination  dea  Neupersiacben  nndOtse- 
tischen''  in  den  ^BettrSgen  zur  Tergleicbenden  Sprachforsch ang  ron  Kuhn  and 
Schleicher,  Bd.  V. 

^  Neup.  "An  kann  nur  "Andm  entsprechen  (nach  AbfaU  des  achliessenden  am) ,  nicht 
aber  'dm^  wie  Vnllers  (Grammatica  linguae  persicae  U.  ed.  pag.  162)  lehrt,  oder 
an  (Accus,  plnr.),  wie  Bopp  (vgl.  Gramm.  11.  Aufl.  I.  }.  240)  behauptet.  Letctere 
Ansicht  ist  schon  deswegen  abzuweisen ,  weil  der  Accus,  plur.,  welcher  im  Alt- 
baktriscben  wohl  auf  -^n  ausgeht  im  Altpersischen  auf  -a  auslautet. 


Erinica. 


365 


äussere  Mittel  gebildeten  Casus  eingetreten.  Nachdem  aber,  wie  wir 
gesehen  haben,  beinahe  sammtliche  Themen  in  solche  auf -a  yer- 
wandelt  werden,  so  ist  auch  überall  die  bei  den  Themen  in  -a  gel- 
tende Form  des  Genitivs  auf  -ändm  eingetreten  >). 

Nach  diesen  Auseinandersetzungen  lässt  sich  das  Verhältniss 
der  alten  Cosusformen  zu  den  nach  dem  Auslautgesetze  entstandenen 
neuen  ohne  grosse  Schwierigkeit  begt*eifen. 


Tb 

ema  agpa. 
Singular. 

Altbaktrisch. 

Altpersisch. 

Nom. 

agpag  (vor  da),  agpi 

i       agpa 

Acc. 

agpem 

agpam 

Abi. 

agpdt 

agpd 

Inst. 

afpd 

üQpd 

Loc. 

ofpe 

a^aiy 

Gen. 

agpaqydt  agpahi 

agpahya 

• 

Plural. 

Nom. 

agphfihö 

agpdha 

Acc. 

agpän 

agpd 

Instr. 

agpais 

agpaibis 

Local. 

agpaesu 

agpaisuv 

Genit. 

agpanäm 

agpdndm 

Neupersisch. 


\ 


1  (aap) 


verloren  gegangen. 


oIm^I  (aspdn) 


M  Oder  ist  der  Accotativ  singnlar.  alt  Grundlage  für  dieae  Formen  ansanehmen, 
Damach  wiren  neuperaitch  jJu  (pidmr)^  jSu  (mddar) ,  i/^j^  (kkFdhar) 
altbaktrischem  ((1«^«^  (pit*rimj,  Q^iMf^m^  (matarhn)^  (f)«^}««*      fq^ahhvhn) 

entsproMen.    Ebenso  nenpera.  jbb  (ddd&r)  =  altbaktr.  (('•»ff^  (d&Urim). 

—  Bei  dieser  Annahme  erklären  sich  dann  Fbrmen,  wie  OUwl  {dsmdn},  O'O 
(rawdn)^  0^  (iahdn)^  aus  den  AccuaatiTen,  alU>.  i\\»i»»  {apmanhn),  C({m»7> 

(urvÄnim)^  C{{'0'^(7  (khiapanhn)  gegenfiber  von  f^'^^'  i^dimj^  «j>>  (6arm), 
^  (tukhm)  =  jt^j^Mfi»  {SahnaJ,  -»iV^f»  (carhna)^  .«(^b«^  (taokhma)  auf 
eine  einfache  Weise.  —  Es  ist  mögUch,  ja  sogar  sehr  wahrscheinlich,  dass  der 
Accusatir  im  Singular  dieselbe  RoUe  spielt,  wie  der  Genitir  im  Plural. 


angehängten  Suflixe  (die  sogenannte  Idifath,  das  C/Ja-^y^\t,  das 
Suffix  tj)  sind  tonlos.  Nur  das  Suffii  U  (-kd)*),  welches  den  Plural 
uabelehter  Wesen  bildet,  gegenüber  dem  organischen  Suffixe  -an, 
welches  in  der  Regel  den  Plural  belebter  Wesen  bezeichnet,  zieht 
den  Ton  auf  sich,  daher  U  ^UL  (khäneh-hä)  von  tA»-  (kkän^h). 

AlIfctlTBai. 

Das  AdjectiTum  wird  im  Neupersischen  bekanntlich  nicht  flec- 
tirt,  d.  h.  e.«  werden  ihm  die  i^ach  Verlust  der  auslautenden  allen 
Flexionsendungen  dem  Nomen  angefügten  Casus-Partikeln  nicht  an- 
gehängt, welche  als  solche  nur  dem  Nomen  zukommen.  Seine  Ver- 
bindung mit  dem  Nomen,  falls  es  im  attributiven  Verhältnisse  zn 
demselben  steht,  wird  mittelst  derselben  Zeichen  wie  jene  des  Geni- 
tivs  mit  dem  ihn  regierenden  Casus  bewerkstelligt. 

Als  Steigern ngssufßx  gilt  fttr  den  CnmparaÜT  -tara  =  neup. 
ji  (tar)  und  für  den  Superlativ  entweder  das  SufGi  -aena  oder  das 
mittelst  des  Suffixes  -aena  von  dem  SufUxe  -tara  abgeleitete  -taraena 
^neiip.  ^y  (tarin}.  i>aher  lautet  von  neup.  ^J-  (butarg)^ 
altpers.  eaxraka,  der  Comparativ  J-Sjy  (buzurg-tar),  der  Super- 
lativ OyjJ'  (buxnrgin)  oder  ^Joj^    (buzurg-tarin). 

Dem  persönlichen  Pronomen  sind  in  der  neupersischen  Schrift- 
sprache sämmtliche  Casus-Formen,  bis  auf  den  Genitiv,  abhanden 
gekommen,  daher  auch,  wie  beim  Nomen  im  Plural,  der  Genitiv  als 
Thema  überhaupt  eintritt.  Das  Verhällniss  der  neuen  Formen  zu  den 
ülterfMi  Riftllt  «inh  fnlffenilpFni9.«<ien  dar* 


Er^nica. 


367 


Altbaktriseb.         Altpersiscb. 


1.  Pers.  singul. 

1.  Pers.  plur. 

2.  Pers.  singul. 
2.  Pers.  plur. 


mana 


mann 


amdkham 


Neupersisch. 
^  (man) 


\^(md) 

y  00 

Uw  (sumd) 


ahmdkem 

tava 

yuimdkSm 

Diese  Themen  werden,  sowie  die  übrigen  Pronominal-Themen, 
in  derselben  Weise  wie  jedes  andere  Nominal-Thema  behandelt. 

Merkwürdig  erscheinen  im  Neupersisehen  die  persönlichen 
Proueminalsuffixe,  welche  nicht  nur  dem  Nomen ,  wo  sie  im  Genitiv 
stehend  gedacht  werden  müssen»  sondern  auch  dem  Verbum,  wo  sie 
sowohl  das  nähere  (Accusativ),  als  auch  das  entferntere  Object 
(Dativ)  bezeichnen,  angehängt  werden;  z.  B.  0;Jb  (pidar-ai) 
«dein  Vater*',  J^juj  (didam-ai)  ,,ich  habe  Dich  gesehen*',  J^jb 
Cddäam-at)  „ich  habe  Dir  gegeben*'. 

Die  Singularformen  derselben : 

1.  Pers.  •  (-am) 

2.  Pers.  O  (-at) 


3.  Pers.  J* 


Oai) 


sind  aus  den  enklitischen  Formen  der  entsprechenden  Personen  im 
Altpersischen : 

1.  Pers.  maiy  (Genit.  Dat.),  ma  (Accus.) 

2.  Pers.  taiy  (Gen.  Dat.),  wahrscheinlich  thwoa  (Accus). 

3.  Pers.  saiy  (Gen.  Dat.),  sim  (Accus.) 
nach  dem  Auslautgesetze  hervorgegangen. 

Die  Pluralformen : 

1.  Pers.  JU-  (man) 

2.  Vtts.JC^  (idn) 

3.  Pers.  Jb.  (idn) 

lassen  sich  nur  als  unorganische,  nach  Analogie  der  Nominalbildungen 
aus  den  Singularformen  entstandene  Bildungen  begreifen,  worauf 
schon  ihre  meistens  stattfindende  Verbindung  mit  jenen  Formen,  an 
welche  sie  sich  anlehnen,  mittelst  der  sogenannten  Iddfäth  hinweist. 
Dass  aber  die  Ausbildung  der  enklitischen  Pronominalformen  zu 
förmlichen  Suffixen  wahrscheinlich  erst  durch  Einfluss  der  benach* 


Stellung  desAccentes  hervor,  welcher  auf  die  dem  jedesmaligea  Suf- 
fiie  vorhergehende  Silhe  (mit  Ausnahme  der  Formen  dea  Aorista)  tu 
stehen  kommt;  z.  B.  ^J^t  (pidär-am),  OjJ"  (pidär-at).  ^jlji. 
(piddr-ai) ,  öLt>ii  (piddrtnän  oder  piddr-i-män},  jLjJu  (pütär- 
fdn  oäer  pidär-i-fän),  OUijJki  (fnddr-iän  oAet  piddr-i-idn) ,  d^ 
(btndm-at),  dagegen  Ju>j  (didam-at). 

B.  VcrbiB. 

Das  neupersische  Verbum  teigt  dieselbe  Einfachheit  wie  das 
Nomen;  wie  dort  sind  auch  hier  die  alten  Formen  bis  auf  einige 
wenige  verloren  gegangen  und  müssen  nun  durch  neue  Bildungen 
ersetzt  werden. 

Nebst  den  InGnitiv,  der  auf  eine  alte,  nur  in  den  Keilinschriflen 
erhaltene  Form  zurückgeht,  hat  sich  blos  das  Präsens,  sowohl  in 
Beiug  auf  den  wurzelhatten  als  auch  auf  den  pronominalen  Suffii- 
theil  unversehrt  erhalten.  Alles  andere  muss  theils  durch  Nominal- 
bildungen, theils  durch  sogenannte  Hilfszeitwörter  umschrieben 
werden. 

Was  nun  den  Infinitiv  anlangt,  so  wurde  aus  der  alten,  in  den 
Keilinschriflen  nachweisharen  Infinitiv-Endung  -tanaiy  nach  dem 
obigen  Auslautgeaette  im  Neupersischen  -tan,  z,  B.  Oüj  (rafian)^ 
'hrap-tanaiy. 

Von  den  alten  Verbalsuflixen  findet  sich  im  Neupersischen  nur 
eine  einzige  Reihe,  nämlich  jene ,  welche  die  activen  PräsenssufGxe 
umfassl.  Um  nun  dasVerhaltniss  der  neuen  zu  den  alten  SufGxforineD 
in  kurzem  darzulegen,  wollen  wir  das  Präsens  activi  von  altb.  phif, 
altpers.  parf  folgen  lassen. 

Altbiktr.  Allpera.  Neupen. 

Singul.   t.  Pers.     pifrifdmi  parfdmiy  t'j>  {punam) 

2.  Pers.     pA-tffoAi  parfaky  ,j«y  (puni) 


ErftDica.  369 

Ausser  der  Präsensform  kann  noch  der  Aorist  fQr  eine  ein- 
fache Bildung  vom  Standpunkte  des  Neupersischen  gelten.  —  Er 
ist  aber  keineswegs  eine  ursprunglich  einfache  Form,  sondern  beruht 
auf  einer,  erst  in  späterer  Zeit  erfolgten  Zusammensetzung  des  Par- 
tieipium  perf..pass.  auf  ^a  mit  dem  Verbum  substantivum  i).  Nach- 
dem das  Participum  perf.  pass.  auf  der  letzten  Sylbe  betont  und  das 
angehängte  Verbum  substantivum  tonlos  ist,  so  erscheint  die  Aorist- 
form,  welche  (bis  auf  die  dritte  Person  singul.)  auf  der  vorletzten 
Sylbe  betont  wird,  als  eine  scheinbare  Ausnahme  Ton  dem  oben  ent- 
wickelten Betonungsgesetze. 

Um  das  Verhältniss  dieser  Form  zum  Präsens  in  Befreff  des 
Accentes  zu  übersehen,  lassen  wir  beide  neben  einander  gestellt, 
nachfolgen : 

Prfisens.  Aorist. 

Singul.  1.  Pers.        »^j  (ratodm)  iij  (rdftam) 

2.  Pers.       ^yj  (rawi)  J3j  (rdftS) 

3.  Pers.       jjj  (rawdd)  ^j  (rdft) 
Plur.       1.  Pers.       x^  (rawim)  ^j  (rdftim) 

2.  Pers.       J^^^  (rawid)  -Xji;  (rdftM) 

m  m 

3.  Pers.       j^jj  (rawnnd)  Juli;  (rdftandj 

n.  Über  das  Lautgesetz:  altbaktr.  /»alter&n.  rt. 

Ich  habe  in  den  „Beiträgen  für  yergleichende  Sprachforschung 
von  Kuhn  und  Schleicher**  Band  V,  S.  882,  ein  dem  Altbaktrischen 
eigenthümliches  Lautgesetz  besprochen,  nämlich  die  Vertretung 
eines  ursprünglischen  rt  durch  (£  (i).  Die  von  mir  für  dieses  Gesetz 
dort  angefahrten  Beispiele  sind:  -^»i^Q^i  (maiya)  „Mensches alt- 
pers.  marHyOt  altind.  martya,  -»^Bj^c  (mein)  „todt** » altind.  mrta 
(statt  marta)f  -»^{c«  (ameia)  „unsterblich^  «  altinn.  amrta  (statt 
amartd)^  -^l^Caia)  „wahr,  rein**  ^larSta,  altind.  r^a  (statt  arta), 
-•<*CBJo  (pesana)  „Schlacht**  =  altind./>r^an<i  (statt  partand)^  >cBj[ö 
(pesu)  „Fürth«*  =^pergtu  (statt  partu). 


')  Dies  beweist   theils  die  lltere  Sprache,  theils  die  rerwindten  Dialekte  (Rardisch 
Ossetisch  etc.). 


370  M  fi  11  e  r 

Obgleich  die  von  mir  für  dieses  Lautgesetz  angeführten  Beispiele 
manchen  Sprachforscher  (vgl.  Schleicher,  Indogerro.  Chrestomathie 
p.  3S2)  üherzeugt  haben,  glaubt  einer  der  gründlichsten  Kenner  der 
eränischen  Sprachen,  Spiegel,  da^  Vorhandensein  eines  solchen 
Lautgesetzes  bezweifeln  zu  müssen  (vgl.  Heidelberger  Jahrbücher  für 
Literatur  1869. 276)»  Diesem  Zweifel  gegenüber  bin  ich  in  der  Lage, 
zwei  schlagende  Beispiele  anführen  zu  können,  deren  Richtigkeit  um 
so  weniger  bezweifelt  werden  kann,  als  sie  ganz  concrete  Ausdrücke 
betreffen.  Es  sind  dies  der  Name  des  Amsehaspantts  Aia  vahista 
und  der  Ausdruck  fravaü.  Ersterer  Name,  welcher  uns  in  der  oben 
citirten  Gestalt  im  Altbaktrischen  entgegentritt,  lautet  im  Pehlewi 
v-^t^r  (anivahist) ,  im  Neupersischen  C^^  ,^jj1  {ardi-bahistj- 
Diese  beiden  Formen  können  aber  dem  altbaktrischen  Ausdrucke 
'^^•^*fy»k  --«02^  unmöglich  entsprossen  sein,  sondern  setzen  eine 
westerdnische  Form  a$'ta  vahista  voraus  <)• 

Was  nun  den  Ausdruck /rara^'  («Qg«»«^^)  betrifft,  so  lautet  er 
im  Neupersischen  jj^y  {farwarj,  im  Pehlewi  i«nD  Cfi'avdrJ, 
woraus  die  unsinnige  Parsi-Form  1«o^^^  (fröhar)  entstanden  ist, 
lauter  Formen,  welche  nothwendiger  Weise  ein  westerftnisches  fra- 
varti  voraussetzen,  welches  sich  auch  wirklich  als  Eigenname  in  den 
Keilinschriften  nachweisen  lässt. 

m.  üUj  (dahdn). 

Von  diesem  Worte,  welches  bald  öUj>  bald  rJ>.i,  bald  auch 
c>^J  geschrieben  wird,  finde  ich  nirgends  eine  Etymologie  ange- 
geben, daher  ich  es  für  angemessen  halte,  meine  Ansicht  über  seine 
Ableitung  in  Kurzem  auszusprechen. 

Wie  ich  vermuthe,  ist  'o\i^^  nichts  anderes  als  das  altbaktrische 
\»^  (zafan)  „Mund**;  vgl.  M<  (zafarS)  „Bachen**  und  altind. 
gambha  ,, Bachen**,  dann  „Zahn**  »  slav.  zqbu  und  griech.  yaim^ af, 


1)  Auch  die  Pehlewi-Ausdräcke  21irTM  (akraw)  =  altb.  {«»«Mg«  (aiavnn)  und 
IICliTM  {ahrmdkj  ===  m^mq^^m  (aiimaogha)  können  herbeigezogen  werden, 
insofern e  sie  westeranische  Formen  artavan,  artimaogha  voranssetxen.  Es  ist  hier 
früh  Transpotition  ron  rt  zu  tr  eingetreten  und  das  tr  wurde  wie  altind.  pttira, 
aJtbaktr.  ^1(9>e)  Cputhra)  =  Pehlewi  imo  (puhr)  in  hr  verwandelt. 


Erioica.  371 

yaixfri\al.  Nach  dem  Auslautgesetze  ward  aus  zafan  (Nom.  Ace. 
zafa)  in  der  neueren  Sprache  zunächst  zaf,  welches  im  dah  von 
jUj  steckt. 

Das  d  im  Neupersischen  gegenüber  dem  z  des  Altbaktrischen 
erklärt  sich  ebenso  wie  in  J.«^^  {dost)  =s  altb.  -»^»C  (zagta) ,  \»j^ 
(daryd)  &»  altbaktr.  o')««<«W  (zarayaüh)  und  andern  Formen; 
ebenso  ist  A—/*,  wie  im  neupersischen  ^  ^A:dA^=altpers.  kaufa, 
altb.  j»d^5  (kaofa)  zu  erklären. 

Das  Suffix  -dn  Ton  üUj  ist  dasselbe,  wie  in  oUj  (zabdn)  == 
altb.  ->>J»o'  (hizva),  altind.  ^t'AvtJ,  Ol^^  (§ihdn)  =  altb.  -»^Jo«®, 
{gaethaj,  altpers.  gaitha,  o]y\  CStüdnJ^iaiXBr.  y\  (Sw)t  ü^«^ 
(muslimdn)  =  arab.  i^.»^  (müslim)  und  anderen  Formen ,  welche 
ich  bereits  in  den  Beiträgen  fQr  vergleichende  Sprachforschung  von 
Kuhn  und  Schleicher,  Bd.  III,  483  besprochen  habe. 


VBRZBICHNISS 

DER  EINGEGANGENEN  DRUCKSCHRIFTEN. 

(DECKHBER   1S70.) 

Akademie  der  Wissenschaften,  K5nigl.  Preuss.,iu  Berlin:  Abhand- 
lungen aus  dem  Jahre  1869.  Bd.  I.  &  B.  Beriin  1870;  4«.  — 


374  VerKeichniss  der  eingegangenen  Oruckschriften. 

Harne) itz.  X.  Jahrgang,  Nr.  40—41.  Odessa,  1870;  4». 

Institut  Luxembourgeois:  Publications  de  la  Section  historique. 
Ann^e  1869—1870.  XXV.  (III.)  Luxembourg,  1870;  4». 

Lesererein,  akademischer,  an  der  k.  k.  Universität  und  st.  I.  tech- 
nischen Hochschule  in  Gras:  III.  Jahresbericht.  1870.  Graz;  8^. 

Mittheilungen  der  k.  k.  Central-Commission  zur  Erforschuiig  und 
Erhaltung  der  Baudenkmale.  XV.  Jahrg.  November— December 
1870.  Wien;  4«. 

—  aus  J.  Perthes*   geographischer  Anstalt.    16.  Band,   1870. 
XL  Heft  Gotha;  4«. 

Museum  Francisco  -  Carolinum  in  Linz:  XXIX.  Bericht.  Linz, 
1870;  8o. 

Sachau,  Ed.,  Inedita  Syriaca.  Eine  Sammlung  syrischer  Über- 
setzungen von  Schriften  griechischer  Profanliteratur.  Mit  einem 
Anhange.  (Mit  Unterstützung  der  kais.  Akademie  der  Wissen- 
schaften.) Wien.  1870;  gr.  8^ 

Verein,  siehenbörgischer,  für  romanische  Literatur  und  Cultur  des 
romanischen  Volkes:  Transilvania.  Anulu  III,  Nr.  21 — 23. 
Kronstadt,  1870;  4o. 

—  für  hamburgische  Geschichte :  Zeitschrift.  N.  F.  III.  Bd.,  2.  Hfl. 
Hamburg,  1870;  8«. 

Vesme,  Carlo,  Intorno  ad  una  canzone  e  ad  un  soneto  Italiani  del 
"  secolo  XII.  e  ad  una  canzone  Sarda  tratti  dalle  Carte  d*Arborea. 

Bologna,  1870;  8o. 
Viyenot,  Alfred  Bitter  ▼. •   Zur  Geschichte  des  Bastadter  Con- 

gresses.  Wien,  1871;  8^ 
Zittel,  Carl  Alfred,  Denkschrift  auf  Christ.  Erich  Hermann  von 

Mayer.  München,  1870;  4®. 


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