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Full text of "Sitzungsberichte der Königl. Bayerischen Akademie der Wissenschaften zu München"

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Sitzungsberichte 

der 

köuigl.  bayer.  Akademie  der  Wissenschaften 

S       zu  München. 


Jahrgang  1867.  Band  11. 


München. 

Akademische  Bnohdrackerei  von  F.  Straub. 

1867. 

Ib  CommUfioA  bei  0.  Frani. 


L^ocmyr 


Uebersicht  des  Inhaltes. 


Bm  mit  *  beseichnetoii  Yoririg«  sind  ohne  luiiif. 

Mos<>phi8chrphilol.  Classe.  Siteung  vom  1.  Juni  1867. 

Seite 
iorer:  Die  QaellenzeagnisBe  über  das  erste  Landreoht  und 
die  Ordnung  der  Bezirksverfassung  des  isländischen 
Freistaates ^         1 

&<:  Eine  mitteldeutsche  Beschwörungsformel  (Nachtsegen) 

aus  dem  XIII./XIY.  Jahrhundert 1 

tk:  Chronologisclie  Grundlage  der  alten  chinesischen  Ge- 
schichte         19 

Qth:  Ueber  den  Ägyptischen  Ursprung  unserer  Buchstaben 

und  Ziffism  (mit  einer  Tafel) 84 


^^^atisch-physiJcal  Classe,    SiUmg  vom  1.  Juni  1867. 

^kner:  Nene  chemische  Untersuchung  des  Mineralwassers 

ZTL  Neumarkt  in  der  Oberpfalz 125 


IV 


Buhl:  1 )  Ueber  die  Bildung  von  Eiterkörpern  in  Gefässepithelien 
2)  Notiz  über  primäre  ästige  Osteome  der  Lunge      . 

Gümbel:   Weitere  Mittheilungen  über  das  Vorkommen     von 
Phosphorsäure  in  den  Schichtgesteinen  Bayern*s 


Historische  Classe,    Sitzung  vom  1.  Juni  1867. 

*Roth:  Ueber  Keltische  und  Germanische  Wehrverfassong' 

*Elnckhohn:  Erzählung  von  der  Verschwörung  zu  Bayonne 
im  Jahre  1565 


Nachtrag  eur  Sitzung  der  philos.-phihl  Classe  vom  1.  J 
Hof  mann:  Bemerkungen  cum  Nachtsegen 


PhilosophiscJi-philöl.  Classe.  Sitzung  vom  6.  Juli  1867 

P  r  antl:  Ueber  die  Literatur  der  Auctoritates  in  der  Philosophie 
Hof  mann:    1)  Zam    altromanischen  Leiden  Christi  und  zum 

Leodegar      

2)  Zur  Gudrun 

„          Berichtigender  Nachtrag  zu    Heft  I.    S.  171    der 
Sitzungsberichte 


Seite 

Maihematisch-physikulische  Classe.  Sitzung  vom  6,  Juli  1867, 

Seidel:   £in   Beitrag  zur  Befltimmung    der  Grenze  der  mit 

der  Wage  gegenwärtig  erreichbaren  Genauigkeit      .      231 

Kühn:  Bemerkungen  über  Blitzschläge 247 

T.  Eobell:  Ueber  den  Glaukodot  von  Hakanabö  in  Schweden  276 

Voit:  Ueber  das  Zustandäkommen  der  Harnsäuresedimente    .  279 

A.  St  ein  heil:  Ueber  Berechnung  optischer  Construktionen    .  284 


Historische  Classe.  Sitzung  vom  6.  Juli  1867, 

Bockinger:  üeber  drei  mit  einem  Anhange  zum  Landrechte 
vermehrte  Handschriften  des  sogen.  Schwaben- 
spiogels  auf  der  Staatsbibliothek  zu  München  207 

*Riehl:  Ueber  Sebastian  Bach   und   dessen  Stellung   zu  den 

tbeologischen  Parteien  seiner  Zeit 336 

^Kluckhohn:  Die  Wittenberger  Theologen'  nach  Melanch- 

thon*B  Tode 886 


Oeffentliche  Sitzung  zur  Vorfeier  des  Allerhöchsten 
GehurtS'  und  Namensfestes  Seiner  Majestät  des 
Königs  Ludwig  IL  am  25.  Juli  1867    ....     887 

Neuwahlen    ...*.' 887 


TI 


Seite 

Einsendungen  von  Druckschriften      .    .    .    .    • 840 


Philosophischrphilol.  Glosse.  Sitzung  vom  9.  November  1867. 

Hof  mann:  2'ar  Gudrun 357 

„  Zeugnisse  über  Berthold  yon  Begensburg    .    .     .  374 

Nachtrag  dazu 459 

*  Pia th :  üeber  Krause's  Unsterblichkeitslehre 894 

*  Müller:  Ueber  mehrere  Nummern  des  türkischen  in  London 

erscheinenden  Journals  *Mukhbir*  .......      894 

Mathematisch'physikdl.  Classe.    Sitzung  vom  9.  'Nov,  1867. 

Buchner:    Ueber   die  Bildung    von   Schwefelarsenik  in   den 

Leichen  mit  arseniger  Säure  Yergifteteter  .    .    .      895 
Voit:  Ueber  die  Fettbildung  im  Thierkörper 402 

*  Wagner:  Ueber  die  Entdeckung  von  Spuren  des  Menschen 

in   den    neogenen   Tertiärschichten   von  Mittel- 
frankreich     407 

*  S  e  i  d  e  1 :  üeber  eine  Darstellung  des  Kreisbogens,  des  Loga- 

rithmus und  des  elliptischen  Integrales  erster  Art 
mittelst  unendlicher  Produkte 407 


Historische  Classe.     Sitzung  vom  9.  November  1867. 

Rockinger:  Zur  näheren  Bestimmung  der  Zeit  der  Abfassung 

des  sogenannten  Schwaben  spiegeis 408 

*6rafv.  Hundt:  Beiträge  zur  Feststellung  der  historischen  Orts- 
namen von  Bayern,  insbesondere  des  ursprüng- 
lichen Besitzers  des  Hauses  Witteisbach    .    .     .      450 


VII 


8«ito 

Einseodangen  von  Druckschriften 451 


?Mlasoph%8ch-phü6l.  Glosse.  Sitzung  vom  7.  Dez.  1867. 

Zingerle:  Bemerkungen  zum  Nachtsegen 461 

„         Meraner  Fracrmente  der  Eneide  Von  Heinrich  von 

Veldeken     .    .    .    : 471 

Hofmann:    Eine  Anzahl   altfranzösischer  lyrischer  Gedichte 

ans  dem  Berner  Codex  889 486 

Lsath:  Die  Achiver  (Achäer)  in  Aegypten 528 


Maihematisch'physikdl.  Glosse.  Sitzung  vom7. Dezember  1867. 

T.  Martins:   Beiträge  zur  Ethnographie  and  Sprachenknnde 

Amerika*s,  zumal  Brasiliens       559 

▼.  Eohell:  Ueber  die  typischen  und  empirischen  Formeln  in 

der  Mineralogie 563 

T.  Pettenkofer:  Ueber  den  Stoffverbrauch  eines  Znckerham- 

ruhr-Kranken  von  ihm  und  Hrn.  Carl  Voit      572 
Bachner:    Ueber    die  Beschaffenheit  des  Blutes  nach  einer 

Vergiftung  mit  Blausäure 591 

Vogel:  Gerding's  Geschichte  der  Chemie  .    .    ^ 601 

Gümbel:  Ueber  die  geognostischen  Verhältnisse  des  Mont- 
Blanc  und  seiner  Nachbarschaft  nach  der  Dar- 
stellung von  Prof.  Alph.  Favre  und  ihre  Bezieh- 
ungen zn  den  benachbarten  Ostalpen 603 


VIII 


Seit« 

Historische  Glosse,     Sitzung  vom  7.  Dezember  1867. 

^Rockinger:  Zur  äassern  Geschichte  der  Entwicklung  der 
bayerischen  Landesgesetzgebung  von  Kaiser 
Ludwig's  oberbayerischen  Landrechten  bis  in 
den  Beginn  des  16.  Jahrhunderts       .    .    *    .      637 


Sitzungsberichte 


der 


kOnigl.  bayer.  Akademie  der  Wissensohaften. 


Philosophisch -philologische  Classe. 

Sitzung  Tom  1.  Juni  1867. 


Herr  Maurer  bebandelte: 

„Die  Quellenzengnisse  über  das  erste  Land- 
recht und  die  Ordnung  der  Bezirksve^- 
fassnng  des  isländischen  Freistaates''. 

Diese  Abhandlung  wird  zum  Druck  in  den  Denkschriften 


Herr  Hofmann  bespricht    eine    von    Herrn  Director 
Halm  entdeckte  und  von  Herrn  Keinz  bearbeitete 

„mitteldeutsche  Beschwörungsformel  (Nacht- 
segen) aus  dem  Xin./XIV.  Jahrhundert." 

Bei  den  Vorarbeiten  fiir  die  seinerzeitige  Drucklegi^ng 
des  Katalogs   der   lateinischen  Handschriften   der    hiesigen 
[1867.il  1.]  1 


2  Siigung  der  phüos.'phiM.  CUme  vom  L  Juni  1667. 

k.  Hof-  and  Staatsbibliothek  war  vor  kurzer  Zeit  Herr 
DirectorDr.  Halm  so  glücklich,  ein  merkwürdiges  deutsches 
Stück  zu  entdecken,  welches  nach  den  yorliegenden  Ver- 
zeichnissen bisher  der  Aufmerksamkeit  der  Beschreibenden 
entgangen^)  und  daher  gänzlich  unbekannt  war.  Eine  ge- 
naue Untersuchung  des  zum  Theil  schwer  lesbaren  Textes 
ergab,  dass  hier  eine  durch  ihren  verhältnissmässig  reichen 
Inhalt  sehr  beachtenswerthe  Beschwörungsformel  aus  dem 
Ende  des  XIII.  oder  Anfang  des  XIV.  Jahrhunderts  vorliege. 
Die  Handschrift  trägt  jetzt  die  Bezeichnung  Cod.  lat. 
monac.  615  und  zählt  127  Blätter  meist  glatten  und  ziem- 
lich starken  Pergaments  in  klein  Quart.  Der  feste  alte 
Einband,  etwa  aus  dem  XV.  Jahrhundert  herrührend,  be- 
steht aus  Holzdeckeln,    mit    weichem  grüngefarbtem  Leder 


1)  Ueber  die  (700)  Handschriften  der  alten  churförstlichen  Bib- 
liothek ist  ein,   was  die  lateinischen  Stücke  betrifft,   ungemein  aos- 
iührlicher  Katalog  von  dem  kgL  Bibliothekar  Ign.  Hardt  vorhanden. 
Zu  bedauern  ist  dabei  nur,   dass  Hardt,  wie    es  scheint,  für    die 
kleineren  hie  und  da  vorkommenden  deutschen  Stücke  kein  Interesse 
hatte;  wenigstens   sind  dieselben  in  den  meisten  Fällen  höchst  un- 
genügend behandelt,  nicht  selten  gar  nicht  erwähnt.    Letzteres  ist 
nun  auch   bei  dem  hier  in  Betracht  kommenden  Stücke  der  Fall. 
Schmeller  aber  fand,   als  er  an  die  ungeheure  Arbeit  ^er  Beschreib- 
ung sämmtlicher  hiesigen  Handschriften  gieng,  diesen  Katalog  vor 
und  glaubte  bei  der  Genauigkeit,   die  demselben  in  obenerwähnter 
Weise  eignet,  von  einer  erneuten  Durchsicht  der  Handschriften  Um- 
gang nehmen   und  sich  für  den  von  ihm  anzulegenden  Katalog  mit 
einem  blossen  Auszug  aus  dem  genannten  Yerzeichniss  begnügen  zu 
können.    Für   diese  auch  sonst  feststehende  Thatsache  liefert  ge- 
rade die  hier  zu  besprechende  Handschrift  einen  Beleg.  Hardt  giebt 
nämlich  die  Anzahl  der  Blätter  verfehlt  an:    101  statt  127  Blätter, 
während  er  den  Inhalt  der  Handschrift  bis  zu  Blatt  126^  beschreibt; 
genau  derselbe  Mangel  kehrt  bei  Schmeller  wieder.    Daraus  erklärt 
sich  von  selbst,  dass   unsere  Formel,  nachdem  Hardt  sie  nicht  er- 
wähnenswerth  gefunden   hatte,  auch  in   dem  Schmeller^schen  Ver- 
zeichnisse fehlen  muss. 


.    Keins:  Eine  miUddetOsc^  Beschwörungtfarmd.  3 

aberzogen,  das  darch  eisgepresste  Linien  verziert  ist.  Von 
desa  Beschlagen  sind  nur  mehr  zwei  kleine  messingene 
Schliessen  yoriianden. 

Ueber  die  Herkunft  des  Codex  fehlen  alle  genaueren 
AnhaUspnnkte.  Für  das  hier  zu  behandelnde  Stück  indess 
igt  die  Heimat  wenigstens  durch  die  Mundart  festgestellt, 
welche  es  als  dem  mittleren  Deutschland  angdiörig  erweist. 
Derselben  Mundart  dürften  auch  die  weiter  zu  erwähnenden 
Ist-deutschen  Vocabularien  angehören  und  da  diese  von 
andern  Händen,  als  die  Beschwörungsformel  sind,  so  kann 
man  wohl  schliessen,  dass  wenigstens  der  grossere  Theil  der 
Handschrift  aus  jenen  Gegenden  stamme.  Weniger  möchte 
sich  daraus  entnehmen  lassen,  dass  eine  Hand  des  15.  Jahr- 
hunderts auf  f.  125  a  den  Namen  henricus  d'  prusia  (nebst 
einigai  nicht  mehr  deutlich  lesbaren  Buchstaben)  einge-. 
trsgßa  hat. 

Der  Codex  ist  zusammengebunden  aus  vier  (resp.  5) 
Ton  einander  unabhängigen,  von  verschiedenen  Händen  her- 
rührenden Handschriften  (f.  1—39,  40—73,  74—102, 
103—127).  Davon  enthält  das  1.  Stück  'Aristotelis  secre- 
tum  secretonun  ad  Alexandrum  Johanne  Patrizii  filio  inter- 
prete';  das  2.  Medizinisches,  darunter  (f.  68^ — 72*)  ein  lat.- 
deutsdies  alphabetisches  Vocabular  von  Kräutern;  das 
3.  Physikalisches  und  Naturwissenschaftliches.  Das  4.  Stück 
soll  als  das  zunächst  wichtige  in  folgendem  seine  besondere 
Beschreibung  finden. 

Dasselbe  besteht  aus  3  Lagen,  von  denen  die  erste 
6  Bl.  =  3  Doppelbl.,  die  zweite  10  Bl.  =  5  Doppelbl., 
die  dritte  9  Bl.  =:^  3  Doppelbl.  mit  3  einzelnen  durdi  Falze 
innen  in  die  Lage  eingenähten  Blättern  enthält.  Die  ^ste 
Lage  kann  wieder  als  ein  besonderes  Stück  betrachtet 
werden,  da  sie  dne  für  sich  bestehende  Abhandlung  *Ameti 
(Amati)  filii  Abraham  epistola'  de  variis  arcanis  (ohne 
Scbluss),  femer  anderes  Pergament,  andere  Hand,  nur  zwei 


Spidten  zeigt  Oio  Anzahl  der  Linien  i9t  zwar  die  gleiche, 
wie  bei  den  zunächst  folgenden  Seiten  (38),  aber  es  fehlen 
die  in  den  beiden  folgenden  Lagen  am  obersten  fhinde  ge- 
zogenen Doppellinien,  nnd  ist  nur  die  erste  und  letzte  Linie 
jeder  Seite  bis  ans  Ende  gezogen,  was  bei  der  Mehrzahl 
der  folgenden  Seiten  anch   mit  der  Dritten  geschehen    ist. 

Die  2.  nnd  3.  Lage  zeigen  glaches  Pergament  und 
gleiche  Liniirnng,  nt^r  zählen  die  ersteren  Seiten  38,  die 
späteren  39  Linien.  Die  Blätter  109*— 119^  sind  dreispaltig, 
die  übrigen  vierspaltig.  Die  dreispaltigen  Blätter  enthalten 
das  lat.  Vocabular 'Circa  instans*,  die  Blätter  119^— 124*  ein 
lat.-deatsches  Yocabular  von  Kräutern,  BL  124*— 125*  mor- 
borum  nomine,  Bl.  125* — 126*"  nomina  herbarumi  corticum, 
florum,  salium  etc.  (lat).,  die  erste  Seite  des  letzten  Blattes 
(127*)  endlich  unsere  Beschwörungsformel,  die  zweite  Seite 
desselben  ein  lat.  Verzeichniss  von  gewissen  Fasttagen  und 
einige  Zeilen  anderer  Schrift,  die  aber  so  sorgfaltig  radirt 
ist,  dass  auch  nach  Anwendung  eines  chemischen  Reagens 
ausser  einzelnen  Buchstaben  nichts  mehr  zu  erkennen  war. 

Auch  auf  diesem  letzten  Blatte  sind  die  5  doppelten 
Verticallinien,  durch  welche  die  4  Spalten  begränzt  werden, 
gezogen,  so  dass  es  also  ursprünglich  für  die  Vocabularien 
bestimmt  war,  und  dann,  als  leer  gebliebenes  Blatt  für  den 
erwähnten  Zweck  benützt  wurde. 

Nach  dem  Vorausgeschickten  erübrigt  für  die  ausser- 
liehe  Beschreibung  dieses  Blattes  nur  wenig.  Von  den 
39  Linien  liess  der  Schreiber  die  oberste  in  beiden  Spalten 
ganz  frei;  in  der  zweiten  Spalte  ist  auch  die  zweite  Linie 
frei,  zeigt  aber  Rasur,  welche  indess  mit  ziemlicher  Sicher* 
heit  noch  erkennen  iässt,  dass  der  Schreiber  hier  die  erste 
Zeile  zweimal  schrieb  und  dann  die  obere  radirte.  Die 
Zeilen  8 — 10  zeigen  dunkle  Flecken,  deren  Ursache  sich 
erst  bei  genauer  Betrachtung  mit  Sicherheit  herausstellta 
Der  gegenüberliegende  leere  Raum  liess  nämlich  eine  soig- 


Kekit:  Slme  miiMämtiche  Beschwörunggformd.  i 

filtige  BasQr  erkennen,  atfs  def  du  Reftij^ns  die  Ursprung'* 
Mie  Schrift  zam  Vorschein  brachte.  Es  stand  da  die  be- 
kaante  Formel  sator  arepo  tenet  opera  rotas,  einmal  in  ge- 
trennten symmetrisch  geordneten  fiochstaben,  dann  in  den 
ToUen  Worten;  letztere  Jiatten  sich,  wie  aus  dem  Platze 
und  selbst  aus  einzehen  fiudistabenumrissen  hinlänglich  er- 
kennbar, fibergedruckt. 

Das  ganze  in  sich  abgeschlossene  Stück  wurde  von 
dner  beeondem  Hand  auf  die  leere  Seite  ebgetragen.  Die 
phunpe  Schrift,  weldie  hie  und  da  die  Lesung  einzelner 
Bndistaben  und  Silben  sehr  erschwerte'),  die  ungleidie 
Orthographie,  die  mehrfachen  Correcturen,  lassen  einen 
wenig  geübten  Sdireiber  Termuthen;  die  Schrift  weist  auf 
die  erwähnte  Zelt,  einzelne  Reime  wie  41  :  42  mutir :  gute, 
51:52   sugen :  schuhen    deuten    selbst    auf  frühere  üeber- 


Die  Verse  sind  abgesetzt  und  die  Anfangsbuchstaben 
nur  in  einzelnen  Fällen  durch  einen  geringen  unterschied 
der  Grösse,  nicht  durch  besondere  Form  ausgezeichnet.  In 
letzterer  Beziehung  findet  sich  eine  Ausnahme  nur  bei  V.  18, 
der  mit  dem  Eigennamen  Truttan  beginnt  und  in  diesem 
die  gewöhnliche  Form  der  Majuskel  T  zeigt. 

Die  mitteldeutsche  Mundart  erhellt  zur  Genüge  aus  der 
Art  einzelner  Vocale  in  den  Stämmen  und  Endungen,  sowie 
aas  einzelnen  Reimen. 

Eine  genaue  Beschreibung  der  Handschrift  habe  ich  bei 
der  Wichtigkeit  des  mitzutheilenden  Stückes  sowie  aus 
andern  nahdiegenden  Gründen  für  nöthig  gehalten,  damit 
Forscher,  die  nicht  in  der  Lage  sind,  den  Codex  selbst  ein- 


2)  Dahin  gehören  namentlich  die  Buchstaben  ni  und  n,  deren 
Striche  häufig  unten  verhunden  sind,  die  Aehnlichkeit  von  c,  e,  o, 
von  c,  r  und  t,  die  Schreibweise  cz  und  zc  für  das  harte  z  u.  s.  w. 


6  Siisfung  der  phüoa.-phOöL  Ckase  vom  1,  Jum  1867. 

zusehen,  sich  eine  möglichst  genaue  VorsteUung  davon 
bilden  können.  Zu  erklären  bleibt  noch  yerschiedenes  an 
dem  Inhalt  unserer  Formel  und  es  wäre  daher  zu  wünschen, 
dass  sich  unsere  bewährten  Sagenkenner  näher  damit  be- 
schäftigen möchten. 

Im  Nachfolgenden  gebe  ich  nun  den  Text  des  Stückes 
nach  getreuer  Abschrift,  auch  mit  Beibehaltung  der  offen- 
baren oder  wahrscheinlichen  Fehler,  deren  Beseitigung  sich 
für  den  ersten  Abdruck  nicht  empfahl,  da  sie  grösstentheils 
entweder  sehr  leicht  ist  oder  gefahrlich  sein  könnte.  Von 
den  wenigen  Abkürzungen  habe  ich  als  störend  au^elöst: 
Z.  1  d's  =  deus  10  b'ge  19  h'  24  leng'  38  m'  41  h'brant 
71  t'nitat  Z.  57  profüdis  (auch  mit  der  gewöhnlichen  Ab- 
kürzung für  pro).  In  der  10.  und  38.  Z.  des  Originals  ist 
die  letzte  Silbe  in  die  obere  Zeile  hinaufgeschrieben.  Von 
Angabe  der  erwähnten  Correkturen,  welche  sich  in  Z.  15, 
73  und  57  finden,  glaubte  ich  Umgang  nehmen  zu  dürfen. 
Den  Abdruck  habe  ich  mehrmals  mit  der  Handschrift  ver- 
glichen und  daher  die  Beigabe  der  üblichen  W  für  ent- 
behrlich gehalten. 

Hinter  dem  Texte  lasse  ich  zu  einigen  Stellen  noch 
Bemerkungen  folgen,  welche  sich  auf  ihr  Ausdehen  in  der 
Handschrift  beziehen;  ausserdem  eine  Anzahl  Erklärungen, 
diese  jedoch,  um  nicht  blosse  Abschriften  geben  zu  müssen, 
in  den  meisten  Fällen  nur  in  Form  von  Verweisungen  auf 
bekannte  tüchtige  Werke,  welche  über  die  betreffenden  Ge- 
genstände hinlänglich  Auüschluss  ertheilen.  Für  manchen 
Hinweis  in  dieser  Beziehung  bin  ich  Hrn.  Prof.  Hofmann  zu 
Dank  verpflichtet,  welcher  auch  am  Schlüsse  dieses  Heftes 
über  die  in  den  Versen  14  - 18  vorkommenden  Ausdrücke 
besondere  Erklärungen  bringen  wird. 


KeinM:  Eine  wUMdeiOscTiiB  Beiehwörung^ürmd. 


daz  faltir  dcos  brunnon, 
dazhoyfte  nam'  dyauion, 
daz  heylige  fancte  rpiritus, 
daz  fahis  fanct*  dominus, 

5  daz  mze  mich  nooh  hint 
bewarn 
vor  den  boren  nach  yarn 
?n  rnnze  mich  bicrizen 
ror  den  fvaroen  Tnd'  wizen, 
dy  di  guten  fin  genant 

10  Tnde  zu  dtem  broehelfberge 
fln  gerant. 
Tor  den  pilewizze, 
Yor  den  mon  ezzen, 
vor  den  w6ge  fchriten, 
vor  den  zcun  riten, 

15  vor  den  cluigeden  golden, 
vor  allen  vneholden, 
gloozan  vnde  lodowan, 
Tmttan  vnde  wutan, 
wntanes  her  ri   alle  line 
man, 

20  dy  di  reder  Vn   dy  wit 
tragen 
geradebrech  vn  irhangin, 
ir  folt  won  hinnen  gangen, 
alb  vnde  elbelin 
ir  falt  nich  lenger  bliben 
hin: 

^^albes  fyestir  vn  vatir 
ir  fnlt  uz  varen  obir  de 

gatir: 
albes  murir  trute  vä  mar 
ir  folt  uz  zu  de  virfte  vare: 


noc  mich  dy  mare  druche, 

SO  noc  midi  dy  trute  zeiche, 
noc  mich  dy  mare  rite, 
noc  mich  dy  mare  befcrite. 

'   alb  mit  diner  crummen 
nafen, 
ich  vorbithe  dir  aneblafen, 

86  ich  vorbite  dir  alb  ruche 
cruchen  vn   anehuccheo. 
albes  kind'  ir  vrithdin 
lazet  Twer  taftin  noch  mir 

Bin. 
Vn  du  clage  mutir 

40  gedenke  min  zu  gute, 
herbrote  vn  herbrant 
vart  uz  in  eyn  andir  laut, 
du  vngetruwe  molken  ftellen 
du  faltminir  turvorvelen, 

45  daz  biner  vn  daz  vuz  fpor 
daz  blibe  mit  dir  do  vor: 
du  salt  mich  nich  beruren, 
du  salt  mich  nich  zuwuren, 
du  salt  midi  nich  enfcehen, 

50  de  lebenden  fnz  abemehen, 
daz  herce  nicht  uz  fugen, 
eynen  Itrofwizfl  dorin  fchu- 

ben; 
ich  vorfpige  dich  hüte  vn 

alle  tage, 
ich  trete  dich  bas  wan 

ich  dich  trage; 

55  nv  hin  balde   du  vnreyniz 


8            8itHmg  der  pkRoi.^h%M.  Ohm  Hom  1.  Jtmi  1867. 

wan  da  weufenr  hy  moht  bi  dem  Tooe  metis, 

haf ;  bi  dem  de  profiindisy 

ich  befoere  didi  Tngebure  bi  dem   baben  cohoun- 

bi  dem  wazsär  Tn  bi   de  t«8, 

fnre,  bi  dem  nfic  dimitds^ 

Yn  alle  dine  genozen  70  bi  dem  benedictus, 

60  bi  de  nainen  grozen  bi  dem  magnlfieat^ 

des  filTeSj  der  da  zelebrant  bi  den  aller  trinitat, 

an  der  messe  wirt  genant.  bi  dem  reMn  alfo  her: 

ich  befnere  didi  yil  eere  daz  da  vares  obir  mer 

bi  dem  miserere,  75  tb  mich  gorores  nim'mer« 

66  bi  dem  laudem  deos,  amen 


Bemerkungen. 

V.  1  ßaltir  wohl  =  Psalter.  Das  1  ist  hiUier  als  gewöhnlich 
(eben  so  das  d  yon  daz  und  das  b  in  brunnon)  nnd 
oben  nach  links  gezogen  i  während  es  sonst  die  gerade 
Linie  hat.  Hinter  jedem  dieser  drei  Buchstaben  ist  oben 
der  r-Hacken  angebracht,  bei  dem  ersten  in  bedeutender 
Grösse,  was  in  allen  drei  Fällen  wohl  nur  die  Bedeutung 
von  Verzierangen  haben  soll.  In  andern  Zeilen  als  d^ 
ersten  würde  diess  mehr  auffallen. 

1—8  Von  den  ungewöhnlichen  Worten  der  beiden  ersteu 
Zeilen  ist  nur  hoyfte  (das  für  höhiste  stehen  könnte)  ganz 
sicher;  in  brunnon  könnten  die  6  Striche  Ton  utm  yiel- 
Idcht  auch  anders  zu  verbinden  sein;  von  num^  ist  die 
Zahl  der  geraden  Striche  nicht  bestimmt  zu  behaup- 
ten, da  nur  die  ersten  6  leicht  erkennbar  sind,  der  7. 
sich  aber  nur  sehr  schwach  zeigt:  auch  ihre  Vei^bJÄdtmg, 
besonders  bei  den  letzten,  ist  nicht  deutlich;  das  letzte 
Wort  der  Z.  2  scheint  dyuuion  zuheissen,  das  i  ist  aber 
nachträglich  eingefügt.  Die  Woit^  siäd  vielleidht,  ^e  die 


Keku^:  Eitle  mhtdäeutsehe  Beadmörwigtfomd,  9 

iä  V.  64—71  stehenden  lat.  Worte  Anfänge  von  PsiJmen 
oder  damals  bekannten  Gebeten,  möglicher  Webe  aadi 
sonst  fremdspradiliche  Benennangen  der  Gottheit  Nach 
der  dritten  Zeile  zn  schliessen,  dürfte  sich  die  erste  anf 
Gott  den  Vater,  die  zweite  auf  Gott  den  Sohn  beziehen^ 
Anhaltspunkte  für  die  Erklärong  konnte  ich  weder  aus 
sonst  bekannten  Formehf  noch  aas  den  fielen  Exords- 
men  entnehmen,  welche  im  'Malleas  maleficaram*  (ich 
benutzte  £e  Frankfurter  8®  Ausgabe  von  1598)  im  dritten 
Tlagelliim  daemonnm'  fibersduiebenen  Absdmitt  des 
zweiten  Bandes  enthalten  shid. 
6  mize  wohl  Schreibfehler  für  mnze  vgl.  V.  7;  hint  =  heate 
Nacht,  dagegen  V.  58  hnte  =  heute. 

6  nadi  Tarn  wohl  =  nahtvam.  Ueber  die  Hexenfahrten 
(nahtrarä)  s.  Grimms  Myth.  101 1. 

7  bicrizen.  Die  Bedeutong  des  Wortes  ist  hier  jedenfalls 
'sdiätzeo,  sicher  stellen';  die  Etymologie  aber  ist  unklar; 
weder  an  kreiz  noch  an  orinz  erlaubt  der  durch  den 
Reim  gesicherte  Vocal  zu  denken.  —  Fiir  bi  als  Vor- 
sylbe  hat  der  Schreiber  sonst  knmer  be  (V.  5,  32,  47, 
57,  63). 

8  Ueber  die  swarzen  und  wlzen  vgl.  Myth.  412  ff. 

10  brochelsberg.  Grimm  sagt  über  ihn  im  Wörterbuch :  'Zu- 
erst taucht  der  name  auf  in  einer  geistlidien  abhandlung 
ans  der  mitte  des  15  Jb.,  die  sich  in  Breslauer  Weimarer 
und  Amorbaisfaer  hss.  erhalten  hat  und  in  Hoffioiannd 
schles.  monatsschr.  s.  753,  in  Kellers  fastn.  sp.  s.  1463 
und  in  Wolft  mytih.  zeitechr.  1,6  ausgezogen  ist*.  Mit 
obiger  Stelle  hätten  wir  also  ein  etwa  anderthalb  Jahr- 
hunderte älteres  Zeugniss  'für  den  sicher  in  weit  ältere 
Zeiten  rdcheoden  Volksglauben'  (Myfh.  1004). 

Eine  Zusammenstellung  ded  wissenswerthesten  fiber 
den  Blocksberg  bietet  die  Inatigural- Dissertation  von 
Hsinrich  IVdhb:    De  BUicteri  nomifiibds  ei  de  ^abulis 


10  SitMimg  der  phOoa.'pMM.  Gaaae  vom  L  Juni  1967. 

quae  ad  eam  montem  pertinent,  Wernigerodae  MDCCCLV 
wozu  noch  die  Eecension  darüber  in  Wolfb  (und  Mann- 
hardts)  Zeitschr.  für  deatBche  Mythologie  III,  319  ß.  ver- 
glichen werden  kann. 
U  pilewiz.  lieber  den  Bilwiz  vgl.  Or.  Mythol.  441  ff., 
Schmellers  Wörtb.  I,  168  und  IV,  187  f.,  Sohönwerth 
(Aus  der  Oberpfalz.  Sitten  und  Sagen)  I,  426—448. 
(Letzterer  behandelt  indess  nur  eine  beeondete  Art 
der  Bilwize,  den  im  südöstlichen  Deutschland  sehr  be- 
kannten Bilmesschneider).  Einen  sehr  beachtenswerthen 
Versuch  über  die  Ableitung  des  Wortes  -hat  Jul.  Feifalik 
in  der  Zeitschr.  für  die  österr.  Gymnasien  1858  p.  406  ff. 
niedergelegt,  in  welchem  er  für  die  slavische  AbstammuDg 
des  Wortes  und  Gedankens  eintritt. 

12  mon  ezzen  (o  hier  für  kurzes,  wie  in  V.  38  für  langes  a) 
=^  Mann -essen,  Menschenfresser.  Im  Nordischen  ist  die 
mannaeta  bekannt,  im  eigentlichen  Deutschen  möchte 
ausser  der  bekannten  Notkerischen  Stelle  die  yorliegende 
der  eimdge  Beleg  für  das  Compositum  sein.  In  jener 
Stelle,  die  Grimm  Myth.  S.  1034  (sie  steht  auch  in 
GrafiiB  Sprachschatz  I.  p.  LH.)  anfuhrt,  fügt  Notker,  die 
ambrones  und  anthropophagi  erwähnend,  bei  *alsd  man 
diit,  taz  ouh  hazessa  hier  in  lande  tuen*.  Vgl.  übrigens 
auch  die  zu  V.  61.  52  ausgezogenen  und  die  übrigen 
Myth.  1.  0.  angeführten  Stellen. 

13  wege  schriten  =  die  an  den  Kreuzwegen  hausenden? 
Unter  den  Namen  des  Teufels  führt  Grimm  (Myth.  1015) 
auch  'Wegetrit'  auf,  freilieh  mit  Beziehung  auf  die  Pflanze 
dieses  Namens. 

14—16  Ueber  die  zun  riten,  die  dingenden  golden»  sowie 
über  die  Namen  Gloczan,  Lodowan,  Truttan  vergleiche 
die  Erklärungen  am  Schlüsse  des  Heftes.  (Das  Wort 
zun  ist  nur  yermuthet;  man  könnte  die  scfaleohten  Buch- 
staben auch  zoim  oder  zeun  lesen,  ich  nahm  sie  furzcun). 


KeiHM:  Eine  wtUUUmtBche  BeBakKanmfftfomd.  11 

18  fiber  Watan  and  Wotaiu»  her  (wüthendes  Heer,  wildes 
Heer  u.  b.  w.)  im  Sinne  nnarer  Zeilen  s.  Myth.  871  ff., 
ScbonwQith  II  143  ff. 

20a.2i  Die  Geräderten  und  die  Erhängten  gehören  znm 
watbenden  Heer,  da,  wie  Grimm  (Myth.  872)  nach  Geiler 
T.  Keieersbevg  anführt,  alle  eines  gewaltsamen  Todes  ge- 
storbenen in  dasselbe  kommen. 

23  üeber  die  Elbe  s.  Myth.  411  ff. 

36  gatir  s.  Schmeller  II,  80  f. 

2711.80  tarnte.  Ueber  die  Tmden  s.  Myth.  998  (a.  394). 
SchmeUer  I,  476 ff.  Schönwerth  I,  208— 282.— In  V.  30 
sieht  der  erste  Buchstabe,  |Weil  etwas  zerflossen,  einem  t 
ahnlidk,  doch  wird  diess  kaum  zu  Zweifeln  berechtigen, 
morir  in  Z.  27  Schreibfehler  für  mntir. 

270.30  mar.  Die  älteste  Belegstelle  für  das  Wort  dfiifte  wohl 
die  desEmerammer  Codex  Clm  14804  I.  112%  aus  dem 
9.  Jhd.  seiui  wo  sdtropodes  (Oxv&Q^nö^fjg)  mit  mara,  tmta 
glossirt  ist  (Graff  II,  819).  Jetzt  ist  das  Wort  nur  mehr 
erhalten  in  'Nachtmahre'.  Die  m  V.  29  erwähnte  Thätig- 
keit  der  Mahre,  beisst  jetzt  gewöhnlich  das  'Drud-drucken* 
hd.  das  Alpdrücken,  das  schon  im  Vocab.  theuton.  t.  1482 
(Graff  1.  c)  auf  natürlichem  Wege  ^klärt  wird. 

90zdche  dem  Beime  nach  wohl  Schreibfehler  für  zuche 
(zudie). 

38  'Krummnasig'  ist  nach  UjÜx.  1028  ein  gewöhnliches  F^- 
dikat  der  'Hexan'.  'Krumme  Nase,  spitzes  Kinn,  sitzt 
der  Teufel  ganz  darin'.  Myth.  1029  Anm.  1.  Ein  an- 
deres Seitenstüok  wäre  etwa  die  Frau  Precht  mit  der 
langen  uas.  Myth.  265.  (Von  dem  vorderen  m  in  crum- 
men  ist  der  erste  Strich  oben  und  unten  gegen  den 
zweiten  gesogen,  so  dass  sie  zusammen  ein  schlechtes  o 
hOden.  Es  wird  indess  an  obiger  Lesart  kaum  zu  zwei- 
feln sein.) 


13  SiUmig  der  pkShB.-phiM,  CkuH  «OM  1^  Jmi  MS7, 

U  aneblasen.  Za  diesem,  wie  m  V.  38  tastin,  47  bmü-M 
vgl.  Myth.  429.  *Ihre  (der  Elbe)  berührüng,  ibi*  anhatech 
kann  menschen  und  thieren  krankheit  oder  den  t^^  fer- 
orBachen'. 

86tt.86  räche  =r  ranber,  behaarter:  Grimm  fohlt  Mjth.  447 
besonders  die  Bilwize  als  die  behaarten,  sttlippigen  Elbe 
an;  cruchen  =  mit  einer  Kmoke,  einem  Hacken  fangen? 
anehucchen  =  aufhocken  also  wohl  auch  das  Alpdrücken. 

87  withelin  oder  wichelin  wohl  Sehi^ibfehler  fBr  wihtelin. 
IV,  18.  lieber  die  Wichtel  s.  Myth.  408  ff.  428  Anm., 
Sohmeller  IV,  18. 

38  tastin  s.  34. 

80  dage  mutir.  Deber  die  tflagemutter,  diö  Klagefranen, 
Holzweiblein  und  ämliche  ^Vesen  s.  Hyth.  408  d.  1088, 
Schönwerth  I,  266  f.  Aus  dem  Althochd.  gehört  hidier 
die  holzmuoja  =  lamia,  ulula  deren  Name  sich  als  Moi, 
Moije  nach  Panzer  (Bayer.  Sagen  I,  66.  67)  noch  bis 
jetzt  erhalten  hat.  (Das  d  von  du  ist  müf  aus  dem  obem 
schrägen  Strich  vermuthet;  der  fibrige  llieil  des  Buch- 
staben ist  verschwunden). 

4i  Die  beiden  Wörter  sind  wohl  nur  als  Kamen  aufzufassen. 
Schwierig  dürfte  aber  dann  die  Erklärung  s^,  wie  diese 
Namen  der  Heldensage  (Herbrot  für  Herbort)  in  solche 
^Gesellschaft  gerathen  sind. 

48  molken  stelen  =  Milch  Diebin,  nach  Myth.  1026  üW- 
haupt  ein  Name  der  Hexen.  In  der  su  V.  10  enriOlmten 
Stelle  des  Orim mischen  Wörterbuchs  sind  unter  ded  zum 
Brocken  fahrenden  Unholden  eigens  die  ^Mülkenstel^rin- 
nen  aufgeführt.  Dass  die  Milch  ein  Hauptgegenstand  der 
Wirksamkeit  der  Hexen  ist,  kann  als  weit  verbreiteter 
Aberglaube  angegeben  werden,  wovon  z.  B.  bei  Schön- 
weith  viele  Fälle  gesammelt  sind.  Selbst  ihi'e  besondem 
Abzeichen  erhalten  die  Hexen  davon,  z.  B.  ^Wer  in  der 
Christnacht  während    der  Metten  auf  einem  Schämmd 


TOQ  neoBerley  Hole  knieefc,  sieht  alle  Httoeo,  die  MUch- 
metteni  aaf  dom  Koj^«  (Sohönw.  I,  366.) 
45  biner.  So  vie  das  Wort  i&  der  Hb.  ttussieht»  ist  a&  der 
richtigeii  Lesung  desselben  aidit  zu  zweifeln.  Eine  Er- 
klSmng  davon  kann  ich  zur  Zeit  nidit  geben.  Möglicher- 
weise IcMnte  es  das  Milchgescfairr  der  Heoce  bezeidinen. 
Auch  über  die  genaue  Bedeutung  von  vnz  spor  habe  ich 
keine  mit  Sieherbeit  mi  begritadende  VermuthiiDg.  Wenn 
es  sich  auf  einen  Zauber  besieht»  den  die  Hexe  an  den 
Fassen  des  Viehs  ansttht,  so  wäre  Tielleioht  im  spor 
ScfamellerB  *spör'  (Ifl,  575  t)  zu  vergleichen. 

47  beruTM  8.  oben  V.  88. 

48  zuwaren  wohl  für  das  seost  gewöhnliche  zedieren,  wozu 
auch  der  fieiia:  bemren  stimmt  (aueh  in  V.  22  setzte 
der  Sdureibar  ein  w  statt  v).  Ueber  die  Neigung  der 
Elbe,  dem  lAoasoben  da,s  Haar  zu  verwirren,  zu  verfilzen 
(Wichtelzopf  WeichselzcqpOt  oder  in  Knoten  zu  wickeln 
&  Myth.  433,    Dasselbe  vom  pilwiz  s.  Myih.  442. 

49  enscehen  halte  ich  für  Schreibfehler  statt  des  gewöhn- 
hdien  entsehen,  von  dem  Grimm  (Myth.  430)  sagt  'gleich 
dem  anhaudi  hat  der  blosse  bück  der  elbe  bezaubernde 
kraft:  das^  nennt  unsere  alte  spräche  intsehan  (torve 
intueri,  gramm.  2,810)  mhd.  entsehen\  Vgl.  auch  Myth. 
1063  f.  der  böse  Blick.  Den  letztem  Gegenstand  in  der 
Ansdiauungsweioe  der  Alten  bdbandelt  0.  Jahn  in  den 
Berichten  der  k.  sädbs.  Ges.  der  Wiss.  (PhiL-hist  Gl.) 
Bd.  Vn.8,  28—111. 

60dai  lebende  iuz  abemehen,  em  Analogön  zu  dieaar 
Stelle  ist  mir  nicht  vorgekommen.  Dass  der  Bilmes- 
schneider  mit  der  am  Fasse  unier  dem  Knie  angebun- 
denen Sichel  durch  die  Felder  schreitet,  ist  bdcaAut, 
dürfte  sich  aber  mit  dieser  Redensart  nicht  in  Verbindung 
bringen  lassen. 

610.68  Dass  die  Hexen  den  Leuten  das  Herz  aus  dem  Leibe 


14         Sitsmig  der  phäas.'-phfM.  (Hasse  wm  i.  Jim»  1867, 

essen,  bezeichnet  Grimm  Myäi.  1034  als  in  ansern  Hexen* 
sagen  schon  zarücktr^end ,  dagegen  in  der  alterthum- 
lichen  serbischen  Volksansicht  als  ganz  Toranstehend. 
Als  Beispiele  giebt  er  indess: 

unsere  Bercbta,  die  den  Knechten  den  Leib  aaf- 
schneidet  nnd  mit  HeckerUng  füUt,  nnd  die  besonders  zu 
obigen  Worten  stimmenden  Stellen  a)  aus  Barchard  (Anh. 
S.  XXXIX.)  ut  credas  te  .  .  .  homines  interficere  et  de 
coctis  camibus  eornm  vos  comedere  et  in  loco  cordis 
eoram^  stramen  ant  lignum  ant  aliqaod  hninsmodi 
ponere  •  .  .  b)  aas  einem  Gedicht  von  Stricker  oder 
einem  seiner  Lands-  nnd  Zeitgenossen'):  wie  zaeme  daz 
einem  vibe,  daz  si  snite  üz  einem  übe  ein  herze, 
und  stieze  dar  in  strö  c)  die  Anspielang  aaf  diesen 
AbetgUiaben  von  Seiten  eines  VerUebten  (Herbort  9318  ff.) 
si  h&t  min  herze  mit  ir  .  .  •  ich  h&n  niht  in  dem 
libe,  da  m!n  herze  solde  wesen,  da  trage  ich  eine  lihte 
vesen,  oder  ein  strd,  oder  einen  wisch;  and  andere 
mehr. 

68  vorspigen  ==  verspeien,  kaum  als  Zeichen  der  Veracht- 
nng  za  n^men,  sondern  wohl  nach  Myth.  1056  als  Ge- 
genmittel gegen  Zaaber  aufrafassen,  wofür  Grimm  Be- 
lege aus  Gebräachen  verschiedener  Völker  anfuhrt.  Aus 
Osterode  am  Harz  fiihrt  er  in  der  ersten  Auflage  der 
Myth.  Anh.  Aberglauben  Nr.  756  an:  Vird  die  kuh  vor 
dem  haus  einer  hexe  hergetrieben,  spuke  der  treiber  drei- 
mal aus.' 

54  bal  statt  baz  wie  umgekdirt  55  getuaz  statt  getuas.  Der 
Sinn  wird  sein:  ehe  ich  mich  bequeme  dich  zu  tragen, 
oder  mich  von  dir  drficken  zu  lassen,  will  ich  dich  lieber 
treten.    Vielleicht  galt  treten  auch  als  Sicherungsmittel 


8)  AuB  der  Wiener  Hs.  428  (s.  die  SteUe  Myth.  S.  1901  Z.19^21). 


Keine:  Eine  ndtUHdeiasehe  Bem3m4rungtf&rmd,  15 

gegen  die  Grewalt  des  anehaochenden  elbes,  wie  ja  Orimm 
auch  erwähnt,  dass  'man  unbedenklich  die  Hexe  schlagen 
soll,  dass  Blut  flieset'. 
55  getuas  führt  Grimm  MyÜi.  433  als  eine  nachtheilige  Be- 
nennung elbischer  Wesen  (und  später  den  Teufels)  auf; 
ebenda   S.  867  vergleicht  er  dazu  litthauisch  dwase  Ge- 


56  weuseos''  wohl  Schreibfehler  statt  Wesens  wie  in  Z.  58 
wazzeir  statt  wazzer. 

61  Die  mystische  Bezeichnung  'Fisch'  wird  hier  wahrschein- 
lich im  Sinne  der  alten  cluistlichen  Symbolik  auf  Christus 
zu  beziehen  sein,  wozu  auch  der  Beisatz  foelebrantO 
stimmt,  da  QiristuB  der  oberste  Darbringer  des  Mess- 
oi^ers  ist 

Vgl.  hiezu  Wolfgang  Menzels  'Christliche  Symbolik 
(Begensburg  1854)'  Bd.  I  S.  286—292  und  besonders 
S.  288  'Christus  selbst  wird  unter  /lem  Sinnbild  des 
Fisdies  dargestellt'  u.  s.  f.  und  S.  289  'In  der  Kart- 
hause von  Granada  befindet  sich  eiu  Bild  des  Abend- 
mahles, auf  welchem  statt  des  Lammes  ein  Fisch  in  der 
Sehfissel  liegt';  femer  J.  B.  Pitra*B  Spidlegium  Soles- 
mense  (Parisiis  MDCCCLV)  Tomus  III  p.  499—584 
7X91^2  sive  de  pisce  allegorioo  et  symbolico',  wo  sämmt- 
liehe  vorchristhche  und  altchristlidie  Ansdiauungen  und 
Sagen  über  diesen  Gegenstand  quellenmässig  zusammen- 
gestellt und  behandelt  sind. 

64—71  Die  in  Riesen  8  Zeilen  folgenden  Wörter  sind  gröss- 
tentheils  Psalmenanfaoge,  das  nunc  dimittis  der  Aufang 
des  bekannten  Gebets  Simeons;  laudem  deus  und  voce 
mens  mögen  (yielleicht  fehlerhafb  verstanden)  Anfänge 
?on  bekannten  Gebeten  gewesen  sein. 

Unklar  bleibt  nur  V.  68,  an  dessen  haben  cohountus 
alle  Deutungsversuche  erfolglos  blieben.  Das  erstere 
Wort  steht  deutlich  genug  da,   das  zweite  dagegen  riel 


16        SiUmitg  der  pküoB.-fhSol.  CUuh  «nü  t  Jwni  1897. 

weniger;  nndentlieh  ist  schon  der  erste  Bachstabe  des* 
selben,  femer  das  h,  welches  allenfalk  auch  li  gelasen 
werden  konnte  (olio  untus  =  unotos  macht  den  ersten 
Buchstaben  überflüssig  und  scheint  auch  nicht  zu  den 
Psalmenanfangen  zu  passen);  am  undeutlidisten  ist  das 
zweite  u,  dessen  zweitem  Striche  eine  Krümmung  beige- 
fugt ist,  als  ob  der  Schreiber  daraus  ein  e  oder  ie  hätte 
machen  wollen.  Doch  betrachte  ich  gerade  die  Endung 
US  hier  als  sicher  und  den  Vers  als  mit  den  folgenden 
verstellt,  da  auf  das  sichere  profundis  das  ebenfalls  iin« 
zweifelhafte  dimittis  reimt,  wodurch  dann  ein  Beim  auf 
benedictus  nothwendig  wird. 

72  Der  letzte  Buchstabe  ron  'aller'  ist  ganz  undeutlich,  weil 
verklext,  man  kann  n,  u,  r,  o  vermuthen,  für  k^es  aber 
ist  besondere  Berechtigung  zu  erweisen. 

78  reaalin.  Ich  las  das  Wort  anfangs  irsalm  =  Jerusalem; 
aber  eine  genaue  Betrachtung  und  Vergleichung  erwies 
diese  Lesart  als  falsch.  An  dem  re  der  ersten  Sylbe  ist 
nicht  zu  zweifeb;  hinter  dem  1  stehen  drei  Striche  und 
über  diesen,  vom  ersten  an  etwas  nach  aufwärts  gezogen 
ein  Querstrich,  wie  ihn  der  Schreiber  regelmässig  über 
das  i  macht,  was  dann  in  (oder  iu)  ergibt.  Für  dieses 
Wort  habe  ich  keine  Deutung:  vielleicht  könnte  auch  so 
die  erste  Vermuthung  nicht  ganz  zu  verwerfen  sein. 

75  in  nim'  mer  hat  das  zweite  m  einen  Strich  zu  vieL 


Aus  einer  andern  Handschrift  der  hiesigen  Bibliothek 
möchte  ich  bei  dieser  Gelegenheit  einen  Wurmsegen  mit- 
theilen, dessen  Unbekanntheit  ich  daraus  schliesse,  dass  er 
in  der  Sammlung  altdeutscher  'Denkmäler  von  Müllenhof 
und  Boherer'  bei  der  Besprechung  des  Orazer  Wurmscgens 


XMmi  j  Eine  miHMagtHhä  Be$chwörungaf()mA  17 

Nr.  48,2  (Test  p.  140  £   Abhandtong  p.  412  ff.)    niobt  er- 
wähnt ist,  za  dem  fr  ein  Seitoastiiek  bildet    Er  lautet 

Job  läge  in  d€  milte.  er  rief  ze  crifte.  er  chot.  du  gnadige/ 
crUt.  da  Sr  in  demo  himile  bift.  du  buoze  demo  mennif/ 
ken  def  wrmif.  N.  Durch  die  iobef  bet.e.  dier  zuo  dir  tete.  / 
doer  in  demo  miste  14g.    doer  in  demo  milte  rief,    zuo/ 
demo  heiligin  crist     der  wrm  iil  tot.     tot  ift  der  wrm./ 
Eiriel  X  E  Fat.  n.  t'b*   nicib;.  or  .  Actionef  nraf.  qs.  dne.  a. 

Der  S^gen  ist  enthalten  in  einer  Handschrift  der 
froheren  diurTdretUoben  Bibliothek^),  jetzt  Glm.  536, 
XII.  Jhd.  4<^  137  BII.  Er  enthält  unter  andern  Stücken 
einen  lat.  Ehjrsiologus  f.  82^-*88^  eine  deutsche  Abhandlung 
Ton  yerschiedenen  Steinen  und  ihren  Kräften,  f.  86^—87 
eine  eben  solche  von  Kräutern  und  f.  89^  eine  deutsche 
Diebiibeschwörung,  diese  von  späterer  Hand  (XHI.  Jhd.). 
Die  3  deutschen  Stücke  sind  in  der  Germania  VIII,  300—303 
abgedrudct.  Obiger  Segen  findet  sich  f.  84*  also  zwischen  dem 
ersten  und  zweiten  Stück.  Zu  der  erwähnten  Diebsbeschwör- 
QDg  ist  zu  bemerken,  dass  sich  bei  der  Mittheilung  ein 
Versehen  eingeschlichen  hat.  Die  Worte  nämlich,  welche 
der  Beschwörende  zu  sprechen  hat,  folgten  unmittelbar  nach 
dem  Text  Nach  den  darüber  angebrachten  Kreuzen  waien 
es  7  Worte.  Davon  sind  aber  die  ersten  6,  in  der  zunächst 
folgenden  Zeile  stehend,  so  vollständig  radirt,  dass  auch 
chemische  Reagentien  ausser  dem  letzten  Worte  keine  er- 
kennbaren Umrisse  mehr  zum  Vorschein  brachten:  dieses 
scheint  aleruba  gelautet'  zu   haben;     darauf  folgt   in    der 


4)  Die  aber  nach  einer  Eintraguig  aof  p.  102*  Xiber  sancti 
Titi  Praole*  arsprfinglich  ans  dem  Kloster  Prahl  bei  Begensbnrg 
stammt. 

[1867.  n.l.]  2 


18         Stttung  der  pMoB.-phiM.  Clam  «om  1.  Jvni  1867. 

nächsten  Zeile  *ipö  -f  calcat*.  Die  im  Druck  angegebenen 
(ungenau  gelesenen)  Worte  pedo  perdo  pecho  *  peoho  perdo 
pedo  stehen  am  untersten  Bande  der  Seite,  während  die 
deutsche  Beschwörung  oben  anfängt  und  darauf  noch  eine 
lat.  derartige  Formel  folgt.  Nach  ihrem  ganzen  Aussehen 
kann  ich  diese  abseits  stehenden  6  Worte  nur  für  eine 
Federprobe  halten.  (In  der  gedruckten  Formel  selbst  ist 
hinter  enspin  das  Wort  *stech.'  zu  ergänzen.)  —  Dass  die 
nämliche  Handschrift,  ebenso  wie  derTegernseer  Clm  18546.2 
auch  die  Visio  Wettini  monachi  in  der  Bearbeitung  von 
Haito  enthält,  mag  als  Ergänzung  zu  dem  bei  Potthast, 
Wegweiser  etc.  p.  565*  gegebenen  Verzachnisse  der  Hand- 
schriften über  diesen  Gegenstand  erwähnt  werden. 


Platt:  OMMtog.  Ofmdlage  der  dUm  dUne$,  Oß$AiAU.      19 


Herr  Plath  trägt  vor: 
„Chronologische  Grundlage  der  alten  chine- 
sischen Geschichte." 

Unter  der  alten  diinesisdien  Geschichte  Tcrstehen  wir 
dieTonYaonndSchän  und  die  der  drei  ersten  Djmastioi;  über 
die  frohere  Geschichte  fehlen  znyerlässliche  UeberlieferangeD 
imd  die  späteren  Angaben  über  diese  erfordern  eine  beson- 
dere ünteisachnng. 

Wir  haben  in  onsern  bis  jetzt  gedruckten  Abhandlungen, 
wo  einzelne  Zeitangaben  zu  machen  waren,  diese  immer 
Bscfa  der  gewöhnlichen  Annahme  gegeben,  dabei  aber  auch 
Bdion  bemerkt,  dass  diese  nicht  durchaus  zuverlässig  sei. 
Es  ist  nothig,  sich  über  die  Grundlage  der  alten  chinesisdieB 
Chronologie  klar  zu  werden,  um  so  mehr,  als  Sinologen 
emerseits  allzusehr  auf  die  Zuverlässigkeit  der  chronologi- 
schen Angaben  in  der  alten  chinesischen  Geschichte  poditen, 
anderseits  sonst  achtbare  Geschichtschreiber  sie  allzusehr 
herabsetzten.  Und  doch  hatte  schon  früher  Fröret  schätz- 
bare Untersuchungen  desshalb  angestellt  und  besonders  der 
gelehrte  Jesuit  P.  Gaubil  das  schatzbarste  Material  aus 
den  chinesischen  Quellen  fast  vollständig  geliefert  Ideler 
in  seber  in  der  Berliner  Akademie  der  Wissenschaft  vor- 
getragenen Abhandlung  konnte  ohne  Kenntniss  des  Chinesisdien 
nur  eben  Auszug  aus  ihm  geben.    Legge^)  hat  jüngst  den 


1)  K.  Fr 6ret  De  rantiqaitö  et  de  la  certitade  de  la  Chronologie 
Chinoiie,  inMto.  de  l'Acad.  R.  d.  Iiucr.P.l  T.X  p.877  Paris  1780 
P.n  T.XY  p.  696.  Paris  1763  n.  P.  UI  ib.  T.XYm  Mem.  p.  178  Par. 
177a,  auch  in  Freret's  Oeavres;  Paris  A^  4  (1796)  12<»  T.  18.  p.  116—381 
Qnd  T.  14  p.  1—268.    P.  Oanbil  in  Obsenrations  mathematiques, 


20  SHjnmg  der  phdoB.^hikd.  Clam  imi  i.  Acm  16&7. 

Gegenstand  aber  nur  kurz  behandelt.  Da  die  Chinesen 
nächst  den  Aegyptern  das  älteste  historische  Volk  mit  sind, 
so  ist  es  schon  von  allgemeinem  Interesse  aach  für  die 
Universal  -  Geschichte  zu  wissen,  wie  hoch  die  traditionelle 
Geschichte  derselben  hinaufreicht. 

Man  muss  aber  zu  dem  Ende  auf  die  chinesischen 
Quellen  selbst  zurückgehen.  Fröret  konnte  nächst  den  Ab- 
handlungen Ton  Gaubil  und  andern  in  der  Handschrift  nur 
die  mangelhaften  Uebersetzungen  der  älteren  Missionare^ 
die,  wie  P.  Noel,  Texte  und  Schollen  nicht  unterschieden, 
benutzen;  Gaubil  benutzte  die  Quellen  selbst,  fuhrt,  wie  Biet 
schon  bemerkt,  die  chinesischen  Autoren  aber  nur  im  allge- 
meinen, z.  B.  Meng«tseu,  Yo^tseuu.  s.  w.  an,  soheintauch  meh- 
rere zu  hoch  anzuschlagen.  Wir  haben  daher  die  Ton  ihm 
angezogenen  Stellen  zunächst  nadi  den  chinesiBchen  Quellen 
▼erifizirt,')  dann  die  einzelnen  Autoren  ihrer  Bedeutung  nach 
genauer  zu  wiirdigen  gesucht  und  zuletzt,  was  die  astrono- 
misdien  Data  betriflFt,   die  er  .für  die  Chronologie  benutzt, 


E8tronomiqu68 ,  geographiqties ,  chronologiqües  et  physiqaee  Ton 
P.  Sonoiet  Paris  1729— 1732.  SB.  in  4;  dann  teinaHistoirederAstronomie 
chinoiae  in  Ld^tfes  ^difiaatee  1788  T  26,  neue  Aafl.  Lyon  1819  T.  14 
and  besonders  sein  Trait^  de  la  Chronologie^  publik  par  8.  de  Sapy. 
Paris  1814  4^  auch  in  d.  Mem.  cona  la  Chine  T.  XYI.  Ideler  über 
die  Zeitrechnung  der  Chinesen  in  den  Abhandlung,  d.  Berl.  Akad. 
aus  d.  J.  1887  Hist.  Ci.  p.  199—869  4P  und  sehr  vermehrt  Berlin  1889 
in  4.  Tgl.  darüber  6  Artikel  von  Biot  im  Journal  des  savaatt  1889 
und  ^840  von  Desember  bis  Mai,  und  S  ter  n  Götüng.  gel  Ana.  1840 
Nr.  201— 204.  The  Chinese  Classicsby.  James  Legge.  Hong-kong  1866 
VoL  ni  P.  1  Proleg.  p.  81—90. 

2)  Dieses  ist  sehr  mühsam,  da  die  Ausgaben  der  ohinesischen 
Originale  zwar  gute  Inhaitsanceigen  der  mnaefaien  Bücher,  aber  keine 
Indioes  haben,  so  dass  man!,  um  eine  einEelne  Angabe  aiofzufindea, 
ganze  Theile  des  Werkes  wiederholt  durehgohen  muss. 


BM:  Chnmolog.  Ofundlage  der  aUen  cMnea.  Oe$ekiehte,      21 

die  Ergebnisse  der  spfiteren  Forachmigen  in  dieser  Hinsieht 
berfiGksichtigL 

Wir  müssen  znnäehst  einige  Bemerkungen  über  die 
Geschichtsohreibung  and  die  Chronologie  der  alten 
Chinesen,  namentlich  über  ihre  Gycleu  und  deren  Alter 
und  Anwendung  voraussohicken  und  werden  dann  L  die 
allgemeinen  Angaben  über  die  Dauer  der  drei  ersten 
Dynastien  discutiren,  2.  die  verschiedenen  Angaben» 
aber  die  Folge  und  die  Dauer  der  Regierungen  der 
einzelnen  Kaiser  der  drei  ersten  Dynastien  kurs  or* 
ortem,  und  3.  die  einzelnen  astronomischen  und 
CyoluB-Angaben,  mittelst  welcher  man  eine  feste  Grund- 
lage (tir  die  alte  chinesische  Chronologie  gewinnen  zu  können» 
gememt  hat,  besprechen. 

Was  zunächst  die  Geschichtschreibung  der  Chinesen 
bekrifik,  so  unterliegt  es  wohl  keinem  Zweifel,  dass  die  Chinesen, 
im  Besitze  einer  alten  Bilder*  und  Zeichenschrift,  wie  die  alten 
Aegypter,  schon  früh  historische  Aufzeichnungen  gemacht 
haben  werden  und  viel  früher  als  die  Völker,  welche,  wie 
die  Inder  u.  a«,  erst  später  eine  aus  der  Bilderschrift  het- 
vollgegangene  Buchstabenschrift  erhielten.  Unter  der  dritten 
Dynastie  Tsdieu,  seit  dem  Anfange  des  11.  Jahrhunderts 
vor  Christo  g^b  es  nach  dem  Tschen-li  u.  a.  besendero 
Aemter  von  verschiedenen  Annalisten  oder  Historiographeut 
die  alles  aufzeichneten,  nicht  nur  am  Kaiserhofe,  sondern 
spater  auch  bei  den  ein^lnen  Vasallenfüi'sten.  Für  die 
ttste  und  zweite  Dynastie  nahmen  die  chinesischen  Kritiker 
dergleiehen  auch  an,  so  Ma-tuan-lin  in  B.  51  scfao^  seit 
Hoang-ti  und  er  erwähnt  des  Annalisten  (Tai-sse)  Tschung^ku 
Qater  der  1.  Dynastie  Hia  und  Hiang-sche  unter  der  2.  Dyna* 
stieSchang.  Legge  Fr.  p.  12  meint  aber,  diese  Namen  hätten 
nur  die  Chronik  des  Bambubuches  und  Liu-schi's  Tsciihün- 
thaien  aus  der  Zeit  ThsJn  Schi-hoang«ti'B,  diese  seien  aber  zi; 
Ben  and  kcjne  genügende. Autorität.  Das  Bambubucb  berichtet: 


22  aUgimg  ä»  phaoa-phUoL  Oam  vcm  1.  Jmi  t867. 

,,imter  dem  letzten  Kaiser  der  1.  Dynastie  End  anno  28 
yerliess  der  Tai-sse  Tschung-ka  ihn  und  floh  nach  Schang" 
nnd  ebenso  heisst  es  später  unter  dem  letzten  Kaiser  der 

2.  Dynastie  Ti*sin  anno  47 :  „der  Nni-sse  Hiang-tsohi  ging 
weg  von  ihm  nnd  floh  zu  Tsoheu/'  Dasselbe  sagt  Lifi«sohi 
im  I-sse  B.  20  f.  17  t.  und  von  dorn  Qesohiditschreiber  der 
ersten  Dynastie  im  I-sse  B.  14  f.  17  t.  Wichtiger  scheint 
Legge  die  Stelle  im  Sohu-kin^  V,  10,  13,  wo  Fung  die 
früheren  Beamten  der  2.  Dynastie  Yn  und  darunter  auch  den 
Tai-sse  und  den  Nui-sse  Tor  der  Trunkenheit  warnt;  ihre 
Thätigkeit  als  Geschichtschreiber  erhelle  freilich  aus  diesen 
Stellen  nicht  und  Legge  T.  UI  p.  410  möchte  den  Titel 
daher  lieber  Recorders'  als  *annalist9'  übersetzen.  Unter  der 

3.  Dynastie  kommen  dieselben  Aemtemamen  und  noch 
mehrere  andere  wiederholt  vor,  und  wenn  wir  von  ihrer 
damaligen  Thätigkeit  auf  die  frühere  Zeit  scbliessen  konnten, 
so  fanden  wir  eine  grosse  geschichtliche  Thätigkeit,  obwohl 
ihr  Amt  nicht  auf  die  Geschichtschreibung  speziell  beschrankt 
war.  Es  gab  unter  der  8.  Dynastie  mehrere  Arten:  den 
GrossannaUsten  (Tai-sse),  den  Geschichtsschreiber  der 
Rechten  und  Linken  (Teu-sse  und  Tso-sse).  „Wenn 
der  Kaiser  sich  bewegt  (etwas  thut)  —  heisst  es  im 
Li-ki  Gap.  Yü-tsao  13  f.  2  (12  p.  69)  —  schreibt  der  Ge- 
schichtschreiber der  Linken  es  auf,  wenn  er  etwas  spricht, 
verzeichnet  es  der  der  Rechten."  Ausser  dem  grossini  An- 
nalisten (Tai-sse)  gab  es  audi  einen  kleinen  (Siao-sse),  der 
nach  dem  Tscheu -li  26  f.  11  fg.  die  Dokumente  unter  sidi 
hatte^  welche  sich  auf  die  Gesdiichte  und  Genealogie  der 
Vasallenfui:sten  bezogen.  Der  Annalist  des  Innern  (Nui-sse) 
hatte  nach  26  f.  27  fg.  es  mit  den  8  Attributen  der  kai6e^ 
liehen  Gewalt,  der  Ernennung  zu  Aemtem,  der  Aussetzung 
der  Gehalte,  Absetzungen  —  Bestätigungen,  Hinrichtungen, 
Begnadigungen,  Gratifikationen  und  Reduktionen  zu  thon; 
von  allen  Reglements  bewahrte  er  Kopien  auf  i   nahm  Ve^ 


Flaih:  Chronölog,  Grundlage  der  älien  chine$.  GeBchiehie.      23 

stellaDgeD  an,  registrirte  die  VerleihiiDg  von  Fürsten-  qnd 
Beamtentiteln,  las  alle  Eingaben  und  schrieb  alle  Erlasse 
des  Kaisers  in  Dnplo.  Der  Annalist  des  Aeussem  (Wai-sse) 
hatte  nadi  26  f.  3  alle  Schriften  unter  sich ,  welche  die 
Geechichte  der  4  Theile  des  Reiches  betrafen,  auch  die 
Ordonnanzen,  die  sie  angiengen.  Ausser  diesen  kommen 
andi  nodi  andere  vor.  Wir  wollen  aber  hier  darüber  nicht 
weitläufiger  werden,  da  wir  in  unserer  Abhandluug  über  die 
Yer&ssung  unc(  Verwaltung  Ghina's  unter  den  3  ersten  Dy- 
nastien (Abh.  d.  1.  Gl.  d.  k.  Akad.  d.  Wiss.  X.  Bd.  n.  Abth. 
S.  579—582)  über  diese  Aemter  bereits  des  Weitere  mit- 
getheilt  haben.  Wir  erwähnten  auch  schon,  dass  seit  dem 
Yerialle  der  Kaisermacht  alle  oder  doch  mehrere  dieser 
Aemt^  auch  in  den  einzelnen  Vasallenreichen  vorkommen; 
80  erwähnt  der  Sse-ki  B.  5  f.  6  v. ,  dass  in  Thsin  unter 
Wen-kung  A.  13  (753  v.  C!hr.)  man  anfing  Annalisten  zu  haben, 
um  die  Begebenheiten  zu  verzeichnen. 

Dass  die  Erlasse  der  Kaiser  und  Minister  auch  unter 
den  zwei  ersten  Dynastien  bereits  aufgeschrieben  wurden, 
sagt  Legge,  ergiebt  sich  aus  Schu-king  IV,  8,  1,^2,  wo 
Wu-ting  (1321  V.  Chr.)  seinen  Traum  seinen  Ministem  in 
einer  Schrift  mittheilt  (Wang  yung  tso  schu  i  kao)  und  aus 
IV,  5,  1,2,  wo  schon  über  400  Jahre  früher,  Y-yn  dem 
jangoD  Kaiser  der  2.  Dynastie  Thai-kia  schriftlidi  Vor« 
Btellimgen  macht  (tso  schu  yuei)  und  schon  unter  dem 
Kaiser  Tschung-khang  (seit  2158  v,  Chr.)  der  1.  Dynastie 
Hia  heisst  es  in,  4,  4 :  die  Begierungsstatuten  bestimmen 
(tscbing  tien  yuei),  und  im  Gesänge  der  5  Söhne  (III,  2,  8) 
Morleachtet  war  unser  Ahn  (Yü),  er  hatte  Statuten  und 
Regeb,  die  er  seinen  Nachkommen  überlieferte  (Yen  tien, 
yea  tse,  i  kue  tseu  sün)'' ;  der  Ausdruck  §  6  hiün  yeu  tschi 
könnte  freilicii  auch  bloss  auf  eine  mündliche  Ueberlieferung 
m. 

Dass  man  Kunde  vom  Alter thume  hatte,   ergiebt 


24  Sitiung  der  phaoa.-phiM.  €la$se  v(m  1.  Jwm  1867^ 

6dion  die  EinleitaDg  za  den  4  ersten  Kapiteln  des  Scha-Idiig: 
„die  den  alten  Kaiser  Yao,  Schün  n.  s.  w.  untersacbt  haben, 
sagen'';  ohne  vorhandene  Denkmäler  ging  das  nicht.  Nach 
Scho-king  V,  27,  7  wnsste  Kaiser  Mu-wang  von  der  3.  D. 
selbst  von  den  Unordnungen  Tschi-yea's  (unter  Hoang-ti,  vor 
Yao)  nach  alten  Belehrnngöi  (jo  ku  yeu  hiiin)  und  nach 
Schu-king  V,  15,  4  —  7  hatte  Tscheu-kung  zu  Anfange  der 
der  3.  Dynastie  Kunde  yon  den  früheren  Kaisem  der  2.  Dy- 
nastie und  wusste  z.  &.,  dass  Tschung-tsung  75  Jahre,  Kao- 
tsung  59  Jahre,  Tsu-kia  33  Jahre,  spätere  Kaiser  derselben  nur 
10,  7—8,  5—6,  3— 4  Jahre  regiert  hatten.  AusV,  16,  2,  7 
sehen  wir,  dass  derselbe  nicht  nur  die  Folge  mehrerer 
Kaiser  der  2.  Dynastie,  sondern  auch  ihre  Minister  kannte, 
Der  Stifter  der  2.  Dynastie  Tsching-thang  hatte  den  Y-yn, 
Kaiser  Thai-kia  den  Pao^heng,  Kaiser  Thai-meu  den  Y-tschi, 
Tschin-hu  und  Wu-hien,  Kaiser  Tsu-i  den  Wu-hien  und  Kaiser 
Wu-ting  den  Kan-puan  zu  Ministem.  Sie  werden  da  noch 
weiter  oharakterisirt,  was  wir  hier  aber  übergehen  müssen. 
Da  das  Papier  in  China  damals  noch  nicht  erfunden 
war,  schrieb  man  auf  Bambu*Taf ein,  wie  die  Sduiftzeicfaeii 
schon  andeuten.  Confudus  im  Tschung-yung  20,  2  sagt  aber 
ausdrücklich:  „die  Regierung  von  Wen-  und  Wu  (den  Stiftern 
der  3.  Dynastie)  ist  entfaltet  auf  Bambu-Tafeln  (Pu  tsai  fang 
tse) ;  der  letzte  Charakter,  aus  Bambu  und  Dom  zusammen- 
gesetzt, zeigt,  dass  man  ursprünglich  die  Nachrichten  auf 
Bambu  einritzte;  Fang  sollen  hölzerne  Tafeln  sein,  Tsej 
was  sonst  Kien,  Bambustreifen ,  die  zusammen  gebunden 
wurden,  bezeichnen.  Meng-tseu  VII  2,  3,  2  spricht  von  2—3 
Tse  des  Kapitels  Wu-tsching  im  Schu-king  (V,  36).  Der 
Charakter  Schu:  Schrift,  Buch,  ans  Cl.  129,  der  Pinsel  and 
Cl.  73  Mund,  Wort  gebildet,  weiset  daraufhin,  dass  die 
Nachrichten  auch  aufgeschrieben  oder  aufgezeidinet  wurden. 
Es  wurden  aber  auch  Begebenheiten  in  Erz  eingegraben« 
5ö4y.Chr.8agtTso*chiSiaDg-kungA.19f.a8y.,S.B.  188.  ISOfg. 


nKÜk:  CkfctHOog.  Orundiagt  ätr  aUen  (Aines.  Qe^clM^,      25 

Terfertigte  man  am  der  Beute  Oetfithe  des  Ahnentempels 
and  grab  in  Erz  die  glänzenden  Verdienste  ein,  sie  zn  ver- 
kündigen den  Söhnen  und  Enkeln/'  Siehe  weiteres  in  unserer 
Abfaandkng  über  die  Glaubwürdigkeit  der  alt.  chin.  Oe<* 
whichte  (Sit2..Ber.    1866  I,   4  S.  563  fg.  (42.) 

So  sollte  man  denken,  dass  wir  riele  geschichtliche  Nach- 
riditen,  selbst  ans  den  ältesten  Zeiten  China's  überliefert  erhalten 
hatten ;  aber  bei  den  Eriken  und  Unruhen  ist  &8t  alles  aus 
der  ersten  Zeit  verloren  gegangen  und  zum  Theil  absiditlidi 
lentöit  wordcD.  Meng'tseu  V,  2,  2,  2  klagt  schon  „dass  die 
Fendalfursten  zu  seiner  Zeit  aus  Interesse  viele  alte  Denkmäler 
vernichtet  hätten,  daher  er'  das  Detail  der  alten  Einrich- 
tongen  nicht  mehr  wissen  könne,  doch  kenne  er  den  Umriss 
dersdben  (Tschu  heu  wu  khi  hai  Uli  70,  eul  kiai  kiü  khi 
tse").  Der  letzte  Charakter  ergiebt,  dass  sie  auf  Bambu- 
tafeln  verzeidinet  waren  und  nach  VI,  2,  8,  5  waren  diese 
Statute  im  Ahnensaale  aufbewahrt  (Tsung  miao  tschi  tien). 
Zu  Gonfocius  Zeit  regierten  in  dem  kleinen  Reiche  Khi  nodi 
Nachkommen  des  Stifters  der  1.  Dynastie  Tu  und  im  Beidie 
äiDg  Nadikommen  des  Stirters  der  2.  Dynastie  und  es 
hatten  sich  nodi  Institutionen  derselboi,  aber  nur  fragmen- 
tarisch, dort  erhalten;  diese  genügten  ihm  daher  nicht.  Er 
sagt  im  Lün*iü  S,  9  „Hia's  Gebräuche,  ich  kann  davon 
redra,  aber  Ki  ist  kern  genügendes  Zeugniss  dafür;  Yü^s 
Gebräuehe,  ich  kann  davon  reden,  aber  Sung  ist  kein  genü- 
gendes Zeugniss  dafür".  Vergleiche  auch  Tschung-ynng  28, 
5  Q.  Sse-ki  B.  47  f.  24.  So  haben  wir  denn  aus  der  1.  und 
2.  Dynastie  nur  sehr  spärliche  Nachrichten ,  die  Naohnchten 
über  Yao,  Sdiün  und  Yü  ausgenommen,  fast  nur  die  über 
deo  Sturz  der  Dynastien  und  das  Aufkommen  der  neuen. 

Es  ist  überhaupt  zwar  öfter  von  der  geschichtlichen 
Aufzeichnung  von  Gesetzen,  Verträgen  und  Aktenstücken  der 
Archive  die  Rede;  es  mögen  auch  mit  der  Zeit  geschichtliche 
Anüzeichnungea  i»  chronologischer  Folge,   Anaalen   oder 


26  HiUung  der  pkOoB.-pkM.  Oam  9(m  L  Jmn  1867. 

ChronikenyerfasBtwordeiiBeiii,  wir  wissen  aber  wenig  dariiber. 
In  der  Chronik  des  Bambnbnches  P.  151  heisst  es:  „Kaiser 
Ma-wang  A.  24  befahl  dem  Geschichtschreiber  der  Linken 
(Tso-sse)  Jnng-fa  eine  Oironik  ahnifassen;  so  iibersetzt 
man  die  Worte  „tso  ki"  and  meint^  es  sei  eine  Geschidite 
aber  das  Emporkommen  und  den  Verfall  der  Staaten  bis 
zom  Anfange  der  3.  Dynastie  Tsdiea  gewesen.  Die  älteste 
chinesische  Chronik,  die  wir  haben,  ist  Gonfncins  Tschhün- 
thsien,  eine  Chronik  seines  Vaterlandes  La,  in  Schan*tong. 
Von  seinem  Zeitgenossen  Tso-kiea-miog  hat  man  nodi  zwei 
Werke,  den  Tso-tschaen,  den  man  anpassend  einen  Com- 
mentar  daza  nennt  —  es  sind  vielmehr  einzelne,  ansföhrlicfae 
Geschichten  nach  der  Folge  seiner  Chronik  —  and  dann 
den  Eue-ifL  Nach  Meng-tsea  IV,  2,  21,  1  gab  es  n  seiner 
Zeit  anch  eine  ahnlidie  Chronik,  wie  die  des  Conftadas  von 
La,  so  vom  Reiche  Tsin,  das  Viergespann  (Tsching)  and  vom 
Reiche  Tscha  eine  von  einem  wilden  Thiere  Tao-ao  genannt. 
Nach  dem  Tso-tschaen  hätte  es  532  v.  Chr.  noch  alte  Ge- 
schiditwerke ,  selbst  ans  der  Zdt  vor  Yao  gegeben.  Unter 
La  Tschao*kang  A.  12  f.  61  v.,  W.  Sits-Ber.  21  S.  203 
rühmt  ling-wang,  der  König  von  Tscha,  da  „sänen  Ge- 
schichtsdireiber  der  Linken  (Tso-sse)  I-siang;')  er  könne 
lesen  die  San-fen,  ü-tien,  Pa-so  and  Khiea-khiea".  Es  sind 
diess  alte  Bficher,  die  dort  nicht  weiter  bezeichnet  werden. 
Nach  Kang-ngan-kae  bei  Legge  Prol.  T.  III  p.  14  vergl.  Ganbil 
Tr.  p.  97  handelten  die  San-(3)fen  von  den  3  Hoang  (Fa- 
hi,  Schin-nang  and  Hoang-ti);  die  U-(5)tien  waroi  Bacher 
über  die  5  Kaiser  (Schao-hao,  Tschaen-hiü,  Ti-ko,  Tao  and 
Schiin);  die  beiden  letztem  sollen  noch  in  den  beiden  ersten 
Kapiteln  des  Scha-king,  dem  Yao-  and  Schün-tien  erhalten 
sein.    Die  Pa-(8)so  sollen  von  dm  acht  Kaa's  gdiandelt 


8)  Om  erwähnt  such  der  Kne-it  6  f.  4,  6  v.  uid  9* 


IM^:  ChnmuHof,  Onmdiage  der  oHm  ehmei,  OuekMie.      27 

babeo;  die  Khien-khieii  endlioh,  d.  i.  die  9  Hügel,  sollen 
eine  Beechreibaiig  der  9  Provinzen  Ghina's  enthalten  haben« 

Nach  dem  Tschen^li  26  fr.  81  fg  hatten  die  Annalisten 
des  Aeuseem  der  Dynastie  Tschen  unter  sich  die  Geschichte 
der  4  llieile  des  Reiches  und  die  Bücher  der  San-(3)Hoang 
und  U-(5)Ti  (Kaiser).  Diess  sollen  nach  den  Schol.  der 
San-fen  und  D-tien  gewesen  sein.  Im  ersten  Jahrhun- 
derte n.  Chr.  wurde  ein  kleines  Werk  unter  dem  Titel 
San-fen  entdeckt,  man  wagte  aber  nicht,  es  iiir  das  alte  zu 
halten.  De  Guignes  Pref.  zum  Ghou-king  p.  XX  spricht 
davon.  Nach  P.  Premare  discours  prel.  zum  Chou-king 
p.  LXXXVn  erwähnt  Lo«pi  es  öfters;  es  erschien  erst  nach 
Pan-ku  und  er  giebt  p.  GXVII  fg.  einige  Auszüge  daraus. 
Der  I-*88e  B.  3  f.  3  v.  giebt  die  Stelle  über  Fu-hi,  B.  4 
t  3  T.  fg.  über  Schin«nung  und  B.  5  f.  6  y.  fg.  über' 
Hoang-ti. 

Das  älteste  ohinesische  Geschichtswerk,  welches  sich 
theQweise  erhalten  hat,  der  Schu-king,  ist  nicht,  wie  man 
vielfach  noch  meint,  eine  alte  chinesische  (beschichte,  sondern 
nur  eme  Sammlung  einzelner  alter  geschichtlicher  Dokumente 
von  Kaiser  Tao  bis  Ping-wang,  nach  der  gewöhnlichen  Zeit- 
bestimmung von  2357  —  720  v.  Chr.  Hr  giebt  also'  keine 
dironologische  üebersicht,  sondern  nur  bei  einzelnen  Kaisem 
die  Daner  ihrer  Begierungsjahre  an.  Confudus'  Chronik,  der 
Tsdihfin-thsien,  giebt,  wie  gesagt,  die  Chronik  seines  Vater- 
bndes  Lu  von  721—480  nach  den  einzelnen  Fürsten,  Jahr 
for  Jahr,  mit  Angabe  merkwürdiger  gleichzeitiger  Begeben- 
heiten m  den  andern  kleinen  Reichen  des  damaligen  Ghina's. 

Wir  müssen  jetzt  die  chronologische  Bezeichnung 
der  Chinesen  spezieller  ins  Auge  fassen.  Sie  haben,  wie 
rinst  die  Griechen,  ein  Mondjahr,  das  sie  durch  einen  Ton 
Zeit  zu  Zeit  eingeschalteten  Monat  mit  dem  Laufe  der  Sonne 
aosgleichen.  Zu  diesem  Ende  bedienen  sie  sich  eines  Sonnen- 
Jahres,  Yon  welchem  sie  im  bürgerlichen  Leben  aber  fast 


38         Bitimg  der  phOoB.-phiM.  dam  vom  1.  Juni  1867. 

keinen  Gebraudi  madien.  Sie  haben  seit  den  ältesten  Zeiten 
dnrch  Beobaohtang  des  Mittagschattens  mit  dem  Onomon 
den  Tag  der  Winter -Sonnenwende  m  bestimmen  gesucht, 
auch  lange  ihr  Mondjahr  in  der  entsprechenden  Gegend  der 
Sonnenbahn  angefangen.  Den  bürgerlichen  Tag  fingen  sie 
nach  Oanbil  Lettr.  edif.  p.  330,  337  n.  Tr.  p.  34  unter  der 

1.  Dynastie  Hia  mit  Sonnenaufgang,  unter  der  2.  Dynastie 
Schang  mit  dem  Mittage,  seit  der  3.  Dynastie  l^heu  mit 
der  Mitternacht,  ihren  Monat  mit  dem  Tage  des  neuen  Mon- 
des an.  Ihr  Monat  hat  bald  29,  bald  30 Tage;  der  Schaltr 
monat  wird  unter  der  Nummer  des  vorhergehenden  Monats 
mitinbegriffen.  Die  Einschaltung  war  nach  Chalmers  bei 
Legge  p.  99  tmter  der  3.  Dynastie  Tscheu  sehr  unregel- 
mässig; sie  sollte  zwischen  dem  22.  November  und  22.  De- 
zember beginnen;  er  zeigt  aber,  dass  sie  in  den  Jahren  719, 
703,  688,  685,  658,  626  den  16.,  20.,  4.,  1.,  3.,  S.Januar, 
in  den  Jahren  605,  583,  556,  540,  529,  526  den  18.,  16., 
17.,  19.,  18.,  15.  November  stattfand.  Man  redinete  nach 
Decaden,  (Sinn),  wie  wir  nach  Wochen  Schu-king  I  §  8,  (II, 
2, 21,  m,  3, 1.  u.  V,  9, 12.)  Nach  dem  Schol.  zum  Tscheu-B  26, 4 
soll  Sui  das  Sonnenjahr  von  365  V«  Tagen,  Nien  das  Mondjahr 
von  354  Tagen  ursprünglich  bezeichnen.  Der  Eul-ya  Sehe- 
thien  8  f.  16  v.  sagt :  unter  Thang  und  Yü  (d.  l  Yao  und  Schün) 
sagte  man  Tsai;  unter  der  1.  Dynastie  Hia  Sni;  unter  der 

2.  Dynastie  Schang  Sse;  unter  der  3.  Dynastie  Tscheu  Nien. 
Aber  man  kann  nur  sagen,  Tsai  kommt  im  Schu-king  m  der 
Geschichte  Yao*8  und  Schün's  (B.  lundll),  Sse  im  Schang- 
schu  (B.  III)  vorzugsweise  vor.  S.  den  Index  von  L^;ge. 
Gewöhnlich  sagt  man:  Die  Dynastie  Hia  begann  das 
Jahr  mit  dem  2.  FrühUngsmonate  (jn),  die  Dynastie 
Schang  mit  dem  letzten  Wintermonate  (tscheu),  die  Dyna- 
nastie  Tscheu  mit  dem  2.  Wintermonate  (tseu),  (Legge  III, 
p.  192  und  282).  Dies  bezweifelt  aber  Chalmers  ib.  p.  93. 
Der  Calender  gerieth   in   grosse  Unordnung;    775  v.  Cüir. 


TMki  Chnmolog,  OrumdUtge  der  dUm  dUneg.  Oe$eMdUe,      29 

bigaim  cbs  Jahr  im  Deaember,  60  Jahr  später  mit  Jannar. 
Man  Bifllit  leicht,  welche  Schwierigkeiten  in  beiden  Fällen 
daraas  für  die  Chronologie  entstehen. 

Die  Zeit  wird  gewöhnlich  nach  den. Regierangsjahren 
der  Kaiser  bestimmt;  das  Todesjahr  derselben  wnrde  nadi 
Tachai  anter  der  3.  Dynastie  Tschen  ganz  dem  verstor- 
beoea  Kaiser  zogerechnet  and  die  Regierang  seines  Nadi- 
folgeiB  datirte  erst  vom  folgenden  Neujahr  an;  anders  soll 
es  aber  onter  der  2.  Dynastie  Behang  gehalten  worden  sein 
(Legge  p.  192). 

Eine  sichere  Chronologie  za  erhalten i  haben,  die  Chi- 
neBen  spater  den  60theiligen  Cyklas  eingeführt, #der 
ans  dem  10*  and  12th«iligen  sasammengesetst  wird«  Die 
Charaktm  des  ersten  beissen  die  10  Stämme^)  (Kan),  die 
des  2.  die  J2  Zweige^)  (Tscbi);  verbindet  man  beide,  so 
kahren  sie  za  derselben  ersten  Qrappe  Kia^tseu  erst  zorück, 
Dsdidem  der  Dezimal  -  Oyklas  6  mal  and  der  Daodezimal- 
Cyklas  5  mal  abgelanfen  ist;  man  nennt  den  60theiligen 
Cyklas  nach  dem  ersten  Charakter  aaoh  Kia-tsen« 

Dieser  60theilige  Cyklas ,  der  jetzt  in  den  chineeisdien 
Qeschichtswerken  allgemein  angewendet  wird,  kommt  aber 
zur  Bezeichnang  der  Jahre  in  alter  Zeit  noch  nidit  vor.  Im 
Schtt-king  wird  er  nur  zur  Bezeichang  der  Tage  verwendet 
und  zwar  zaerst  im  Kapitel  Y-hiün  IV,  4,  1  anter  Kaiser 
Thai-kia  von  d^  2.  Dynastie  (1753  —  21  v.  Chr.)  der 
Qiarakter  T — tschea;  fHiher  scheint,  wie  Chalmers  bei  Legge 
T.  nipprol.  p.  96  bemerkt,  im  Kapitel  T-tsi  U,  4, 1, 8  der  Cyklas 
TOD  10  allein  zur  Bezeichnung  der  Tage  verwendet  worden  zu 
seiiu  Da  sagt  Yä:  „Als  ich  auf  dem  Berge  Tha-schan  heurathete, 


4)  Der   lO  tlieiliga  Cyklus  ist:   1.  Kia,   2.  Y,  S.  Fing,  4.  Ting, 
6  Meo,  6.  Ki,  7.  Kang,  8.  Sin,  9.  Jin,  10.  j(aei. 

5)  Der  12  th.  Qykliii  ist:   1.  Tsea,  2.  Tschkau,  8.  Yn,  4.  Mao, 
ßTickin,  e.  8m,  7.  Wo,  B.  W«,  9.  Schin,  10.  Yen,  11.  Siü,  12.  Hai. 


30         Siigung  der  phÜoe.-phüoL  Ckuae  vorn  t  Jum  1867. 

(blieb  idi  zur  Hanse  nur  die  Tage)  Sin,  Jin,  Eaei  und  Kia. 
Diess  sind  4  aufeinander  folgende  Zeichen  des  GyUns  von  10.  Be- 
merkenswerth  ist,  dass  im  Schu-king  Cäp.  H-ming  V,  24,  3 
Tscheu-kung  einmal  sagt:  3  Ei  seien  verflossen;  diese  soll 
eine  Periode  von  je  12  Jahren,  also  36  Jahre,  sein  und  es 
eine  Umlanfiseit  des  Planeten  Jupiter  bezeichnen.*)  Von  der 
Benutzung  des  Gyklus  von  60  zur  Bezeichnung  der  Jahre» 
sagt  Gaubil  Tr.  p.  271,  sieht  man  noch  keine  Spur  in  der 
Geschichte  der  Thsin,  in  der  Ghronik  von  Litt*pu-wei  (etwa 
240  V.  Ghr.)f  im  Eue-tseu,  im  Eue-iu,  im  Tso-tschuen,  im 
Tschhün-thsieu  und  im  Schu-king.  Was  den  Tschhün-thsien 
vo^K/onfucius  betrifft,  so  sagte  P.  Yisdelon  zwar,  dass  Gon- 
fucius  in  dieser  seiner  Ghronik  bereits  den  60jährige&  Cyklus 
zur  Bezeichnung  der  Jahre  angewandt  habe,  aber  Gaubil 
Tr.  p.  144  bemerkt,  dass  die  GyUuszeichen  daselbst  erst 
vom  Astronomen  Tu-yu  aus  der  Dynastie  Tsin  (266  —  422 


e)  Stern  Gott.  g.  A.  1840,  p.  2011  meint,  dast  urspronglioh  die  Zahl 
der  Tage,  wie  noch  jetst  in  China  nach  Decaden  mit  dem  Cyklns  von 
10  and  die  Jahre  mit  dem  von  12  beieiohnet  worden  seien,  luid 
bezieht  sich  ausser  Gaubil  Tr.  p.  Y  dabei  auf  Biot  Joum.  de  Sayans 
1840  p.  143,  der  2  Stellen  anzieht  ans  dem  Tscheu-li  B.  28,  16  und 
B.  37  f.  40.  Jene  lautet:  „Der  Fung  siang  sohi  beschäftigt  sich  mit 
den  12  Jahren,  den  12  Monaten,  den  12  Stunden,  den  10  Tagen  und 
der  Lage  der  28  Stembilderf'.  Die  2.  Stelle  lautet:  „Der  Thi-tao<eohi 
schreibt  auf  Tafdn  die  Namen  der  10  Tage,  der  12  Stunden,  der 
12  Monate,  der  12  Jahre  und  jder  28  Sternbilder*'.  Wir  haben  schon 
bemerkt,  dass  für  die  Tage  in  der  ältesten  Stelle  des  Schu-king  der 
10  tägige  Cyklus  allein  angewandt  wurde,  den  12  theiligen  f&r  Jahre 
könnte  man  nur  einmal  in  den  8  Ki  sehen,  aber  sonst  wird  im 
Schu-king  nur  der  60  jährige  Cyklus  und  zwar  bloss  zur  Beseichniuig 
der  Tage  angewandt  Chalmers  p.  96  meint ,  der  12  theilige  Cyklai 
sei  erfunden,  to  distinguish  the  12  Spaces,  into  which  the  horizon  is 
divided ;  von  ihrer  Anwendung  auf  die  12  Monate  dann  auf  die  12  (Dop- 
pel-)Stunden  des  Tages  scheine  nur  ein  Schritt;  aber  diese  kam  nach 
den  Chinesen  erst  unter  der  Dynastie  Han  vor.  Vgl.  Gaubil  Tr.  p  24S. 


BaA:  Ckhmolog.  Ormdlage  der  äUe»  Ainei.  QeiekkhU.      31 

n.  Chr.),  der  einen  gnten  Gommentar  daznsdmeb,  hinzogesetrt 
worden  seien. 

Die  sog.  Chronik  des  Bambubaches  (Tschn-scha-ki^Dien), 
welche  284  n.  Chr.  im  Grabe  der  Fürsten  yon  Wei  gefun- 
den worde,  und  wie  man  annimmt,  eine  Kaiser-Chronik  der 
Gesduchtschreiber  von  Wei  ist,  die  von  Hoang-ti  bis  Tschen 
Yn-wang  A.  20  (293  y.  Chr.)  geht,  hat  neben  der  Zeitangabe 
nach  Jahren  der  Regierang  der  Kaiser  von  Yao  A.  1  an  zu 
Aaiang  der  Regierung  eines  jeden  Kaisers  auch  noch  die 
Beseidmung  mit  dem  Cykluszeichen  und  zwar  zuerst  mit 
dem  Zeidien  Ping-tseu.  Damach  müsste  die  Anwendung  des 
eojahngen  CyUus  alter  als  die  5  Dynastie  Han  sein. 

Aber  die  Zeitangabe  nach  Cykluszeichen  stimmt  da  nicht 
mit  den  Angabeil  der  R^erung^ahre  im  Einzelnen  und  im 
Oanzen.  Dass  die  Annalen  des  Bambubuches  untergeschoben 
seien,  wie  mehrere  Chinesen  meinten,  glaubt  auch  Legge 
nicht,  nimmt  aber  mit  Qaubil  Tr.  p.  221  eine  Verderbniss 
des  Textes,  namentlich  in  der  Chronologie  an,  und  mein^ 
dass  die  Cykluszeichen  von  Yao  an  auch  hier  erst  später  zu- 
geaetzt  seien,  —  Fröret  T.  14  p.  95  fg.  hielt  sie  für  acht 
nnd  alt  —  da  sie  auch  nach  seiner  Annahme  erst  seit  den 
qätern  Han  angewendet  worden ;  mehrere  Gyklusdaten  (z.  B. 
S.  120)  standen  nur  in  den  Noten  und  diese  seien  daher 
wohl  jedenfalls  erst  in  verschiedenen  Zeiten  hinzugesetzt 
worden;  die  ältesten  Citate  der  Annalen  aus  der  Dynastie 
Tdn  uni  noch  spätere  enthielten  die  Cyklusdaten  noch  nicht; 
dsfi  sei  entscheidend.  Hung  I-hiuen,  aus  der  Zeit  der  jetzigen 
Dynastie,  sage  bestimmt,  „die  Bücher,  welche  die  Bambu- 
umalea  anführten,  thäten  es  alle  ohne  die  Cykluszeichen; 
erst  m  der  Geschichte  der  Dynastie  Sui  (Sui-schu)  in  der 
Chronologie  fände  man  das  erste  Jahr  Yao's  mit  dem  Qyklus- 
seichen  King-tseu  und  erst  später  unter  der  Dynastie  Sung 
in  einem  Commentare  zur  Nachgeschichte  des  Lu-sse  (Lu- 
Bse  heu-ki-tschu)  sei  das  erste  Jahr  Yao's  mit  dem  Cykluszeichen 


32  aUmng  der  phüo$.^kaoL  dam  wm  i.  JtaU  16€7. 

Pbg-tsea  beseidmet,  wie  jetzt  im  Bambobaohe.  L^ggep.  181 
giebt  den  chinesischeii  Text  der  Stelle. 

Die  Angaboi,  welche  die  Anwendang  des  60  jährigen 
Ciyklns  eehon  dem  Ta-nao,  einem  Beamten  des  alten  Kaisers 
Hoang-ti,  zuschrieben,  bemerkt  Legge  p.  82  seien  alle  sehr 
neu,  erst  aus  der  Zeit  der  4.  nnd  5.  Dynastie  Tshin  und 
Han,  also  2000  Jahre  nach  seiner  Zeit  Er  giebt  die  Stellen 
aus  dem  Schi-pen,  —  die  Stelle  findet  sich  anch  in  I-sse 
B.  5,  f.  6  ▼.  —  ans  Liä-sdii's  Tschhün-thsieu,  Hoang-ti's 
Nni  Tsdinen  und  dem  Ynd  ling  tschang  ken  chinesisch.  — 
Der  Thnng-kien-kaDg«mn  B.  1  f.  S  schreibt  die  Anwendung 
derselben  sogar  schon  Fn-hi  zn  (tso  kia  11), «-  aber  En-yen-wa 
aus  der  jetzigen  Dynastie  sagt  ausdrücklich:  Die  Alten  hätten 
den  60  jährigen  Qyklus  nicht  zur  Bezeichnung  der  Jahre 
angewandt.  (Kn  jin  pu  kia-tseu  ming  sui)  und  nach  der  Vor- 
rede zum  Wai*ki,  einem  Supplemente  zu  Sse-ma-knang's 
Abriss  der  chine^hen  Geschidite,  fing  man  erst  unter  dem 
Usurpator  Wang-mang  (9—22  v.  C3ir.)  an,  ihn  anzuwenden. 
Sse-ma-kuang  setzte  die  Oykluszeichen  aufwärts  nur  bis  zur 
Regentschaft  Eung-ho  (840  t.  Chr.) ;  bis  zu  Yao's  erstem 
Jahre  erst  Schao«khang-tsie.  Audi  Sse-ma-tsien's  Werk  hat 
später  Zusätze  erhalten.  Der  Art  sind  die  cyklisdien  Zeichen 
in  seben  chronologischen  Tafeln  (Sse-ki  B.  12  f.  4  v.)i 
aber  auch  da  stehen  sie  nur  Yom  Jahre  840  t.  Chr.  ab- 
wärts. Das  1.  Jahr  hat  den  Charakter  Eeng-scbin.  Sie 
kommen  vor  unter  der  Dynastie  Tsin  (266  ^  419  n.  Chr.)  bei 
Bifi-kuang  und  Torher  sdion  bei  Hoang-fti-mi  (starb  282  n.  Qur.) 
(Chalmers  bei  Legge  Prol.  98);  nacll  Gaubil  Tr.  p.  143  gibt  er 
Yao's  1.  Jahre  den  Charakter  Eia-tschin  zuerst.  S.  die  Stelle 
aus  seinem  Ti-wang  Schi-ki  im  I-sse  B.  9  f.  9. 

Wir  haben  uns  über  die  Anwendung  des  60  jährigen 
Cyklus  in  der  diinesisohen  Geschichte  weitläufiger  aasgelaeses, 
da  noch  Bnnsen  (Aegyptens  Weltstellung  B.  5,  5  8.276) 
meint,  der  60  jährige  Cyklns  sei  uralt  im  chinesiecben  Systeme 


Ha^i  Ckmnohg.  Orunähge  der  alten  chinea.  Oeichiehte.      38 

nd  die  Slteete  Form  einer  uralteo,  sehr  einfachen  Glelchong 
des  Sennen-  and  Mondjahres,  die  auch  bei  den  Aegyptem, 
Chaldäern  und  Juden  yorkomme.  ^) 

Bemerkenswerth  ist  noch,  dass  nadi  dem  erwähnten 
Ea-yea^wa  statt  der  jetzigen  Gykluszeiohen  zur  Bez^'chnung 
der  Jahre  erst  andere  fremdartig  lautende  und  erst  später 
die  jetzigen  angewandt  wurden.  Chalmers  bei  Legge  Pr. 
p.  97  giebt  die  Liste  derselben  aus  Sse-ma-tsien's^)  Tafeln  für 
die  Interkalation  fdr  76  Jahre  von  103  y.  Chr.  an.  Er 
meint,  sie  müssten  aus  einer  fremden  Sprache  sein,  wie  auch 
die Göttemamen  da,  ob  indisch?  und  legt  darauf  ein  beson- 
deres Gewicht,  dass  im  2.  Jahrhunderte  y.  Chr.  die  Chinesen 
ihre  Verbindung  mit  dem  Westen  eröfiheten.  Da  diese 
Zeichen  aber  in  der  chinesischen  Geschichte  nie  angewendet 
worden  sind,  können  wir  sie  hier  füglich  übergehen. 

Wir  kommen  nun  nach  dieser  Einleitung  zur  Abhand- 
lang selbst,  und  zunächst  1)  zu  den  allgemeinen  An- 
gaben über  die  D  auer  der  3  ersten  Dynastien.  Die  all- 
gemeinste und  älteste  ist  wohl  die  bei  Meng-tseu  (VII,  2,  38) : 
„Von  Yao  und  Schün  bis  Thang,    sagt  er  da,   waren  über 


7)  Dus  Bwischen  der  Astronomie  und  Zeitrechnung  der  Chinesen 
Q&d  derChaldäer  ein  noch  yiel  innigerer  und  UtqrerZasammenhang 
lUttgeAinden  habe,  sucht  Stern  Götting.  g.  A.  1840  S.  202e— 88  zu  zeigen 
and  zwar  meint  er  S. 2033  schon  vor  1766  v.  Chr.,  da  die  Chinesen 
nor  unter  der  1.  Dynastie  Hia  (2205  y.  Chr.)  den  Tag  mit  Sonnen- 
aufgang begonnen,  wie, die  Chaldäer,  unter  der  2.  Dynastie  Schang 
leit  1766  nicht  mehr,  sondern  mit  Mittag.  Wir  müssen  das. Weitere 
omerer  Abhandlung:  Ueber  die  Astronomie  der  alten  Chinesen 
Torbehalten. 

8)  Sse-ki  Li-schu  B.  26  f.  5  y.  fg. ;    sie  kommen  schon  in  dem  ^ 
alten  Wörterbuche  Enl-ya  Kap.  SchirthiemS,  f.  16  y.  mit  einigen  Ab- 
vaohiingen  yom  Sse-ki,  wo  der  Scholiastve«  auoh  oitirt,  yor.    Auch 
der  I-ise  B.  161  f.  14  f.  g.  giebt  die  Stelle  des  Eol-ya. 

[1867.  Hl.]  3 


84         SiUung  der  phüoi.'phiM.  CUuae  vom  1.  Jmi  1867. 

500  Jahre.  Yä  and  Eao-yao')  sahen  sie  (jene)  selbst  und 
kannten  sie  so;  Thang  hörte  von  ihnen  (ihren  Prinzipien) 
und  kannte  sie  80*\ 

„Von  Thang  bis  Wen-wang  waren  (wieder)  aber  500  Jahre; 
Y-yn  und  Lao-tschu  sahen  ihn  (Thang)  und  kannten  ihn 
(seine  Prinzipien)  so.  Wen-wang  hörte  von  ihm  und  kannte 
sie  SO'" 

„Von  Wen-wang  bis  Confiicius  waren  (wieder)  über 
500  Jahre;  Thai-kong  Wang  und  San-i-seng  sah^  ihn  und 
kannten  sie  so.  Gonfucius  hörte  von  ihm  und  kannte 
sie  so." 

„Von  Goniucias  bis  jetzt  sind  über  100  Jahre.  (Meine) 
Entfernniig  von  des  Heiligen  (Gonfucius)  Zeitalter  ist  nicht 
so  weit;  sein  Aufenthaltsort  war  (dem  meinigen)  nahe; 
ist  denn  nicht  einer  (bin  ich  nicht)  da  im  Stande,  seine 
Lehre  zu  überliefern?" 

Gaubil  Tr.  p.  250  nennt  Meng^tseu:  un  ecrivaiü  d'une 
tres-grande  autorite  et  qui  parlait  en  cons6quence  de  ce  qu'U 
lisait  dans  Thistoire.  Was  dann  die  Bedeutung  der  Stelle  für 
die  Feststellung  der  alten  Ghronologie  betrifft,  so  bemerkt 
er  p.  92,  Meng-tseu  werde  zwischen  372  bis  74  v.  Ghr. 
geboren  sein,  er  kam  336  v.  Ghr.  an  den  Hof  von  Wei  und 
zog  sich  314  vom  Hofe  des  Fürsten  von  Tsi  zurück  (seinen 
Tod  setzt  Legge  Prol.  T.  II  p.  17  in  das  Jahr  288  v.  Chr.) 
Von  seiner  Zeit  bis  Yao  redinete  Mebg-tseu  über  1600  Jahre; 
es  sei  das  allerdings  keine  sehr  sichere  Angabe,  aber  sie 
gewähre  doch  im  Allgemeinen  eine  ziemlich  klare  Anschauung 
der  Zeitverhältnisse.     • 

Wir  müssen  aber  dagegen  bemerken,  Meng-tseu  ist  kein 
Geschichtsforscher,  sondern  ein  Moralist  und  Politiker.    Es 


9)  Diese  und  die  im  Folgenden  Genannten  waren  Minister  der 
Kaiser;  b.  Legge  P  II  p.878;  den  San-i-seng  erwähnt  des  Scbu-king 
V,  16,  12. 


PUtih:  Chr&ndlög.  Grundlage  der  äUm  ekine$.  GuMekU.      35 

sind  clarchans  nur  ganz  allgemein  gehaltene  rande  Zahlen; 
toan  weiss  weder,  von  wo  er  den  Anfang,  noch  wie  er  das 
Ende  einer  Periode  rechnet,  ob  von  der  Geburt,  dem  Tode 
oder  dem  Regierungsantritte  der  Kaiser  an.  Gonfucius  Geburt 
fallt  nach  dem  Sse-ld  B.  47  f.  2  unter  Lu  Siang«kung 
a.22,  sein  Tod  nach  f.  28  y.  unter  Ln  Ngai-kung  a.16,  d.i. 
jene  in  das  Jahr  551,  sein  Tod  479  nach  Legge  Prot.  T.I 
p.  59;  Meng-tsen's  Geburt,  wie  gesagt,  372.  Von  479  (Con- 
fiicios  Todesjahr)  bis  372  (Meng-tseu  Geburtsjahr)  sind 
107  Jahre.  Wenn  Meng-tseu  also  sagt:  Ton  Gonfucius  bis 
jetzt  sind  über  100  Jahre,  so  versteht  er  wohl,  wie  auch 
Freret  Oeuvr.  T.  14  p.  65  annimmt,  von  Gonfucius  Tode  bis 
zu  Meng-tseu's  Geburt  und  so  wird  man  dann  ähnlich  auch 
bei  den  andern  Angaben  rechnen  müssen,  und  so  rechnet 
auch  Freret  p.  109  die  500  Jahre  von  Wu-wang  (der  Text 
hat  aber  \Ven-wang)  bis  zu  Gonfucius  Geburt.  Aber  Meng- 
tseu  will  die  Dauer  der  beiden  ersten  Dynastien  gar  nicht 
angeben,^)  sonst  hätte  er  nicht  von  Yao  und  Schün,  sondern 
von  Tü's  und  Wu-wang's  B^erungsantriit  rechnen  mfissen. 
Dessen  Vater  Wen-wang  regierte  nur  in  seiner  Herrschaft 
Tscheu  und  Wu-wang  gelangte  auf  den  Kaiserthron  der 
3.  Dynastie  erst  seit  seinem  13.  Kegierungsjahre  im 
Reiche  Tscheu.  ^)  Die  Dynastie  Tscheu  war  zu  Gonfucius 
and  Meng-tseu's  Zeit  in  Verfall.  In  gewissen  Zeitperioden, 
meinten  sie  nun ,  erstanden  immer  grosse  Kaiser ,  die  mit 
ihren  weisen  Ministern  die  ächten  Prinzipien,  die  in  Verfall 
gerathen  waren,   wiederherstellten.     Solche  waren  Yao  un4 


7)  Irrig  sagt  Legge  Prol.  T.  III  p.  85  wohl  von  König  Wen  bis 
Confocios  solle  heissen:  vom  Anfange  der  Dynastie  Tschen;  von 
Tao  und  Scbün  bis  Thang,  meint  er  p.  86,  solle  die  150  Jahre 
jenes  nnd  die  431  oder  489  Jähre  der  Dynastie  Hia  in  sich  begreifen. 

8)  So  wird  die  Stelle  im  Soha-king  Kap.  Thai-tschi  Y,  1,  1,  1 
<a  verstehen  sein,  s.  Legge. 

8* 


86         IH^hmg  dir  phUoB.-j^hikl  Oobm  vom  L  Jim»  18^7. 

Sflhiin,  Wen-wang  und  Wa-wang,  ygL  Sdii-king  IV,  1,  1. 
Die  Zeitperiode,  8agt  er  nun,  wäre  echon  mehr  als  verflosseD; 
sollte  ich  nun  nicht  der  Mann  sein,  der  zur  Wiederherstellung 
der  äehten  Prinzipien  bestimmt  wäre?  Dass  diess  sein  Ge- 
dankengang ist,  zeigt  deutlich  die  Stelle  Meng-tseu  II,  2, 13 : 
„Als  Meng-tseu  Thsi  verUess,  heisst  es  da,  fragte  ihn  Tschhang- 
yii  auf  dem  Wege:  Meister,  dein  Aussehen  erscheint  unbe- 
friedigt; vordem  hörte  ich  den  Meister  sagen,  der  Weise 
murrt  nicbt  gegen  den  Himmel,  grollt  nicht  den  Menschen. 
Meng-tseu  erwiederte:  das  war  zu  einer  Zeit,  diess  ist  eine 
andere:  in  500  Jahren  erstand  immer  ein  grosser  König 
(Wang),  und  in  der  Zwischenzeit  gab  es  sicher  berühmte 
Geschlechter  (Mingschi);  seit  dem  Beginne  der  Dynastie 
Tscheu  bis  jetzt  sind  nun  schon  über  700  Jahre;  was  die 
2ahl  (der  Jahre)  betrifft,  ist  sie  schon  vorbei;  was  die 
(jetzigen)  Zeitverhältnisse  betrifft,  wenn  man  die  untersucht, 
so  köunte  man  wohl  (das  Auftreten  solcher  Männer  erwarten), 
aber  der  Himmel  will  (offenbar)  noch  nicht,  dass  das  Reich 
WC  Ruhe  gelange :  wollte  er  das  in  dieser  Zeit,  wer  könnte 
das  bewirken  als  ich;  wie  sollte  ich  darum  nicht  beküm- 
mert sein/' 

Hier  rechnet  er  über  700  Jahre  von  seiner  Zeit  bis 
zum  Anfonge  der  Dynastie  Tscheu,  aber  man  weiss  nicht, 
welchen  Zeitpunkt  in  seinem  Leben  er  meint  Legge  Prol. 
P*  U  p.  24  meint,  es  gehe  auf  seinen  ersten  Weggang  aus 
Thsi  uud  setzt  diesen  323  v.  Chr.,  aber  nur  nach  der  an- 
gegebenen Daner  der  Dynastie  Tscheu  von  700  Jahren ;  seinen 
zweiten  Aufenthalt  in  Thsi  setzt  er  p.  34  in  das  Jahr  311 
V.  Chr.,  weil  das  Reich  Yen  damals  gegen  Thsi  aufstand, 
was  Meng-tseu  I,  2,  10  fg.  und  U,  2,  8  fg.  erwähne«.  Meng- 
tseu  verkehrte  damals  nach  dieser  Stelle  mit  Thsi's  König 
Siuen-wang;  nach  dem  Sseki  fand  aber  der  Aufstand  erst 
«untOT  dessen  Nachfolger  Min-wang  323  bis  282  statt  Diese 


Bathi  Chranolog.  Grundlage  der  aUen  ehmes.  OtsMehte.      ST 

Stelle  gewShrt  uns  also  auch  keine  sichere  Angabe  auch  nur 
über  den  Anfang  der  3.  Dynastie  Tscheu.  « 

Eine  Sie  Stelle  bei  Meng-tsen  IV,  2,  1,  S  hilft  auch 
nicht  yiel.  Er  sagt  da :  „Schiin  wurde  geboren  in  Schu-fung, 
zog  fort  nach  Fn-hia  und  starb  in  Ming-thiao,  ein  Mann 
nnter  den  Ost-Barbaren;  Wen-wang,  wurde  geboren  am 
Berge  Khi  in  Tscheu  und  starb  in  Pi-yng,  ein  Mann  nnter 
den  West-Barbaren.  Die  Entfernung  der  Länder  betrug  über 
1000  Li,  ddas  Zeitalter  des  letzteren  war  über  1000  Jahr 
sjater,  aber  ihre  Absicht  beim  Walten  im  Reiche  der  Mitte 
war  wie  wenn  man  2  Siegelhälften  zusammenfBgt;  der 
frühem  und  der  spätem  Heiligen  Principien  waren  ein«  und 
dieselben  (i)". 

Wenn  in  der  ersten  Stelle  von  Yao  und  Schfin  bis 
Wen-wang  über  1000  Jahre  gerechnet  werden,  so  hier  von 
Schün  allein,  aber  die  1000  Jahre,  die  sie  von  einander  ent- 
fernt gelebt  haben  sollen,  möchten  keine  viel  sichere  Be* 
Stimmung  sein,  als  die  Angabe  der  Entfernung  ihrer  Geburts« 
oder  Sterbeorte  auf  1000  Li  s.  Legge  p.  192  und  die 
Terschiedenen  Angaben  über  den  Ort,  wo  Schün  starb,  im 
I*88e  B.  10  f.  14  y.  Man  kann  daher  aus  diesen  Stellen 
nur  im  Allgemeinen  entnehmen,  dass  Meng-tseu  von  Yao 
nnd  Schun,  vielleicht  von  Schün's  Tode  bis  Thang,  dann  von 
diesem  bis  Wen-wang  und  von  diesem  wieder  bis  Gonfudus 
3ber  je  500  Jahre,  also  zusammen  über  1500  Jahre  und 
Ton  da  bis  zu  seiner  Zeit  noch  über  100  Jahre,  also  im 
Ganzen  über  1600  Jahre,  an  einer  andern  Stelle  aber  von 
Schün  bis  Wen-wang  1000  Jahre  und  an  einer  Sten  Stelle  vtfn 
der  Gründung  der  Dynastie  Tscheu  bis  zu  seiner  Zeit,  S2S 
oder  31 1  v.  Chr.,  über  700  Jahre  rechnete ;  welchen  Glauben 
er  aber  verdient,  bleibt  dabei  immer  noch  dahingestellt«  Legge 
T.  n  p.  378  sagt:  Von  Anfang  der  Regierung  Schün's  bis 
ZQ  der-Thang's  waren  nach  der  reciiHrten  Annahme  489  Jahre^ 


38         ßiUung  der  pMUa.-phüol,  CUuse  vom  1.  Juni  1867. 

Ton  da  bis  zar  Gründung  der  Dynastie  Tscheu  644  Jahre. 
Wir  -werden  die  andern  Angaben  weiter  unten  prüfen. 

Der  2te  Autor  ist  der  Verfasser  des  Tsö-tschuen.  Qaubil 
Tr.  p.  252  sagt:  L'antorite  du  Tso-tschouen  est  d'un 
grand  poids  et  bien  au-dessus  .de  oelle  du  Tchou-chou.  Er 
lege  nun  der  Dynastie  Schang  eine  Dauer  von  600  Jah- 
ren bei,  Tielleicht  rechne  er  aber  den  Anfang  von  Wen- 
wang  an. 

Aber  Tso-schi  ist  auch  kein  kritischer  jßeschichts- 
forsoher,  sondern  das  Werk  unter  seinem  Namen,  wie 
schon  erwähnt,  nur  eine  Sammlung  von  Geschichten  aus 
der  Zeit  des  Tschhün-thsieu  in  chronologischer  Folge.  Die 
obige  chron(rfogische  Angabe  beruht  aber  auf  gar  keiner 
eigenen  Angabe  yon  ihm  selbst.  Man  muss  die  Stelle*) 
wieder  im  Zusammenhange  mittheilen,  was  Gaubil  immer 
nicht  thut.  Ein  Gesandter  des  Königs  Tschuang  -  wang  von 
Tschu  fragt  da  606  v.  Chr.  nach  den  Urnen  Yü's,  deren 
Besitz,  wie  wir  schon  anderswo  erwähnt  haben,  (Sitz.*Ber. 
1866 1, 4  S.  564  (42)  für  ein  Palladium  der  Herrschaft  über 
das  Kaiserreich  galt,  und  der  Kaiser-Enkel  Muan  ant- 
wortete ihm:  „Kie  (der  letzte  Kaiser  der  1.  Dynastie)  besass 
keine  Tugend  und  die  Urnen  gingen  über  an  die  (2.  Dynastie) 
Schang.  Es  vergingen  (dann)  600  Jahre.  Scheu  (der  letzte 
Kaiser  der  2.  Dynastie  Schang)  war  gewaltthätig  und  grau- 
sam und  die  Urnen  gingen  über  an  (die  3.  Dynastie)  Tschen 
(Ting  tshien  iü  Schang,  tsai  ki  lo  pe.  Scheu  pao  nio,  ting 
tsbien  iü  Tscheu).  —  Einst  gab  Tsching-wang  (der  Nachfolger 
Wu-wang's)  eine  bleibende  Stätte  den  Urnen  in  Kia-jo,  er 
brannte  die  Schildkrötenschale  (po)  und  befragte  sie  hinsichts 


9)  T80-8chi  Siuen-kung  A.  8  f.  5,  S.  6. 17  S.  28  (auob  bei  Bazin 
im  Jonm.  Ab.  1889  Ser.  III  T.  8  p.  868  und  Legge  Prol.  T.  III  p.  67 
not)  und  damos  wohl  in  Sse-ki  Tscha  Schi-kia  B.  40  f.  9  ▼.,  S. 
B.  44  p.  85. 


IfM:  Chranolog.  Grundlage  der  (dien  ehines,  Geiehichte,      S9 

der  Geschlechtsalter,  (welche  die  Dynastie  Tschea  dauern 
würde)  und  erhielt  denn  30;  er  brannte  sie  (und  befragte 
sie)  nach  der  Zahl  der  Jahre  und  erhielt  700  Jahre.  So 
wurde  es  durch  den  Himmel  bestimmt;  ist  nun  auch  die 
Tagend  der  Tsoheu  jetzt  geschwunden,  so  ist  das  Mandat 
des  Himmels  doch  noch  nicht  geändert*^  Letzteres,  eine  blosse 
Weissagung,  die  auch  nicht  eintraf,  wie  wir  sehen  werden, 
hat  gar  keinen  chronologischen  Werth  und  die  Angabe  über 
die  600jäbrige  Dauer  der  2.  Dynastie  ist  wenigstens  sehr 
problematisch.  Die  Uebertragung  der  Urnen  fand  auch  wohl 
nidit  gerade  im  1.  Jahre  der  neuen  Dynastie  statt ;  erst  Tsching- 
wang  (Wu-wang's  Nachfolger)  gab  ihnen  so  eine  bleibende 
Stätte,  nach  dem  Bambubuche  p.  146  erst  in  seinem  18.  Jahre 
in  Lo,  24  Jahre  nach  der  Gründung  der  Dynastie  Tschea 
nach  der  Note  p.  158. 

Als  eine  andere  Autorität  für  die  mehr  als  600jährige 
Dauer  der  2.  Dynastie  führt  Gaubil  Tr.  p.  253  den  Yo-tseu 
an,  der  ?om  ersten  Jahre  Tsching-thang'sy  des  Stifters  der 
2.  Dynastie,  bis  zum  ersten  Jahre  des  letzten  Kaisers  dieser  D, 
576  Jahre  rechne,  des  letzteren  Herrschaft  währte  nodi  52, 
nach  andern  32  Jahre,  die  Dauer  der  ganzen  Dynastie  betrug 
darnach  also  an  oder  über  600  Jahre.  Die  ganze  Stelle 
Yo-tseu's  steht  im  I-sse  B.  14,  f.  16y.  und  lautet  so:  „Als 
Thang  das  Kaiserreich  regierte,  erhielt  er  den  Khing-fu,  den 
Y-yn  und  Hoang4i,  am  Ostthore  den  Hiü,  am  Südthore 
den  Tuen ,  am  Westthore  den  Tseu  und  am  Nordthore  den 
Tse  und  besass  so  7  Grossbeamte  (Ta-fu) ,  ihn  bei  der  Re- 
gierang  des  Reiches  zu  unterstützen  und  das  Reich  war 
wohl  regiert  27  Generationen  hindurch,  zusammen  576  Jahre, 
bis  auf  Sdien."  Die  Dauer  yon  dessen  Regierung,  bemerkt 
Gaobil,  giebt  er  nicht  an. 

Hier  fragt  sieh  nun  yor  allem,  wer  ist  dieser  To-tsea  und  welche 
ADtoritat  hat  seine  Schrift  Ganbil  p.  96  sagt:  er  gilt  för  einen 
Kaelikonimen  Kaiaer  Tschuen-hiü'a,  lebte  cur  Zeit  Wen-  und  Wn-wang's 


40         BiUfimg  der  phOoi.'phüol.  CIobu  «o»  1.  Jum  186f. 

(1 122  T.  Chr.)  und  beide  befragten  ihn  über  die  Regierung  und  hörten  ihn 
gerne  über  das  Alterthum  und  die  Wiasenschaften  reden ;  er  galt  für 
sehr  gelehrt.  Man  habe  von  ihm  nur  das  Fragment  eines  Buches  über 
die  Moral  Und  die  Regierung.  Er  setzt  aber  in  der  Anmerkung 
hinzu,  die  Tao-sse  rechneten  ihn  zu  den  ihrigen,  obwohl  er  nach 
Obigem  vor  Lao-tseu  gelebt  und  hfttten  das  Fragment,  welöhes  rou 
seinem  Buche  erhalten  sei,  herausgegeben.  Diess  körnig  Terdächtigen, 
was  man  ihn  über  die  Moral  sagen  lasse,  er  sehe  aber  nicht  ein,  wie 
auch  das  wenige,  was  er  Chronologisches  anführe,  da  es  keine  Be- 
ziehung zur  Sekte  der  Tao-sse  habe.  P.  253  sagt  er  aber,  obwohl 
das  Bruchstück  des  Buches  unter  dem  Namen  Tielleicht  nicht  von 
dem  Zeitgenossen  Wen-  und  Wu-wang's  sei,  habe  es  doch  einige 
Autorität  für  die  Chronologie,  da  es  aus  der  Zeit  vor  dem  Bücher- 
brande herrühre. 

Ich  yermisse  bei  ihm  aber  jeden  Beweis  für  dieses  Alter  des- 
selben. Lie-tseu  im  I-sse  B.  ID  f.  9  führt  ihn  als  To-hiung  und  Yo- 
tsen  auf;  nach  den  Scholien  echreibt  man  den  Namen  auf  beide  Arten, 
er  gehöre  zur  Secte  der  Tao,  wie  auch  Lie^tseu,  dessen  Werk  nach 
einigen  ohinesischen  Autoren  im  4  Jahre  von  Tscheu  Ngan-wang 
(398  Y.  Chr.)  herauskam. 

Dieser  Yo-hiung-tseu  wird  unter  den  Vorfahren  der  Könige  von 
Tschu  aufgeführt,  die  ihr  Geschlecht  vom  alten  Kaiser  Tschuen-hiü 
herleiteten.  Der  ßse-ki  Tschu  Schi-kia  B.  40  f.  2  ▼.,  S.  B.  44  S.  72  sagt: 
„Zur  Zeit  Tsohen  Wen-wang's  lebte  ton  den  Nachkommen  Ki^-lien's 
einer,  der  hiess  Yo-hiung  Tseu,  der  diente  Wen-wang  und  starb 
früh,^^  und  im  Tsoheu  Pen-ki  B.  4  f.  4  nennt  er  den  Yo-tseu  unter 
den  Grossen,  welche  sich  Wen-wang  alsbald  anschlössen,  Tgl.  auch 
I-8»e  B.  21  f.  11  u.  17.  Die  Schrift,  in  welcher  seine  Gespr&che  mit  Wen- 
wang  enthalten  sind,  ist  aber'  offenbar  ein  sp&teres  untergeschobenes 
Werk;  der  I-sse  B.  19  £.7 — 9  enthalt  eolobe  angeblichen  moralische 
Gespr&che  desselben  mit  Wen-wang,  B.  22  f.  32  y.  führt  aus  ihm  einen 
Ausspruch  Tscheu-kung*s  an  und  B.  25  f.  1 — 2  v.  werden  aus  dem 
Sin-schu  Gespräche  von  ihm  mit  Tscheu-kong  und  B.  20  f.  3  t.  mit 
Wu-wang  angeführt 

Sft  könnte  nun  freilich  auch  ein  untergeschobenes  späteres  Werk 
immerhin  hietorisohe  Notiaen  von  Werth  eathalten.  Wir  müssen  also 
diese  specieller  untersuchen.  Ganbil  Tr.  p.  95  sagt:  er  spreche 
von  den  5  Kaisern  (U-ti)  vor  Yao,  die  er  einzeln  nicht  nenne  und  den 
8  Königen  (8an*>wang)  YH,  Tiohing<>thang  und  Wu-wang.  Im  I-sse 
finde  ich  folgende  AusEüge  aus  ihm.  B.5  £  1  eagt  er:  „Hoang-U  kannte 
im    10.   Jahre   Sohiti-nUng'e    Sohleohtigkeii   und    reformirto   sein« 


nuh:  Chronolog.  QrunHagt  der  alten  dune».  OeeehiäUe.      41 

Begierang/'  B.  7  f.  1  y/'  eiaat,  da  der  Kaiser  Tschaen-biü  16  Jahre  alt 
war,  anterstützie  er  Hoang-ti,  im  22.  Jahre  regierte  er  das  Reich. 
Seine  Regiemng  des  Reiches  war  so:  nach  oben  befolgte  er  Hoang- 
ti's  Prinzipien  (Tao)  nnd  übte  sie  ans  (hing),  er  stndirte  Hoang-ti't 
Printipien  und  machte  sie  snm  best&ndigen  GeeetBe  (enl  tsohang 
tsehiV'  Aehnüoh  heisst  es  dann  B.8  f.  1:  „einst,  da  Ti-ko  15  Jahre 
aU  war,  unterstütze  er  Tschnen-hiü  und  im  30.  Jahr  regierte  er  das 
Reich.  Seine  Regierung  war  so:  nach  oben  befolgte  er  Hoang-ti's 
Principien  und  stellte  sie  in*s  Licht;  er  studirte  Kaiser  Tshuen-hiü's 
Prinzipien,  um  sie  auszuüben." 

Man  flieht,  in  diesen  Stellen  ist  wenig  reell  gesohiohtliohet.  Noch 

phantatiacher  ist,  was  er  B.  12  £  5  t.  von  Kaiser  Yü  sagt.  Die  erste 

Stelle  ist  zu  lang,  um  sie  hier  ganz  mitzutheilen.    „Yü's   Regierung 

des  Reiches  —  beginnt  er^    war  so:   auf  die  5  Tonarten  zu  boren, 

liiog  er  am  Thore  auf  die  Glocken  die  Trommeln,  die  grosse  Glocke 

(Tbc)  und  den  Masikstein  (Khing)  nnd  regelte  sie  mit  der  Hand- 

trommel  (Thao),  um  zu  erlangen  die  Beamten  (Sse)  innerhalb  der 

4,Meere  des  Reiches u.  b.w.''  Die  2.  Stelle  giebt  positivere  Angaben. 

«Tü^s  Regierung  des  Reiches  war  so:  er  erlangte  den  Kao-yao,  den 

Ta-tsea-nie,  den  Ki-tseu,  den  Schi-tseu  Ngan,  den  Ki-tseu-ning,  den 

Yan-tseu  Schin  und  den  King-tseu-yü ;   nachdem  er  diese   7  Ta-fu 

erlangt  hatte,   ihn  bei  der  Regierang  zu  unterstützen,   brauchte  er 

sie,  das  Reich  zu  regieren.*'  Die  Stelle  Yo-tseu's  über  Tsohing-thang 

and  die  7  Ta-fu,  die  ihn  bei  der  Regiemng  nach  B.  14  £  16  t.  unter- 

siätzten ,  ist  schon  oben  .  S.  39^  angeführt«    Wir  wissen  nichti  woher 

er  diese  Namen  hat,  da  im  Scha-king  und  bei  Gonfuoius  nnd  seinen 

Schülea-n  von  jenen  Beamten  Yü's  nur  Kao-yao,  von  denen  Thang^s 

nur  Y-yn  vorkamen.    Von  Wu-wang  sagt  er  B.  20  f.  25:   „Wu-wang 

föhrte  die  Kriegswagen  an  (so),  um  Scheu  anzugreifen;    der  Tiger- 

cohorten  (Hu-liü,    von  je  500  Mann)   waren  eine  Jdillion  (Pe^wMi) 

uid  er  stellte  sie  anf  in  Schang's  Vorstadt  (Kiao);    er  begann  mit 

dem  gelben  Vogel  bis  zur  rothen  Axt    Die  Soldaten  der  8  Heere, 

die  zerstreut  waren,  verloren  nicht  ihre  Haltung.    Wu-wang  befahl 

Thai-kung,  sich  zu  bemächtigen  der  weissen  Fahne  und  sie  als  Signal 

ca  verwenden  nnd  Scheu's  Heer  kehrte  allein  zurück."    B.  21  f.  11 

ist  noah  eine  Stelle  über  Tsoheu-kung.  Doch  genug  zur  Charakteristik 

des  Autors.     Wir  haben  die  historischen  Stellen  aus  ihm,  auf  welche 

Gaubil  sich  nur  im  Allgemeinen  bezieht,  genau  mitgetheilt,  da  man 

10  erst  sich  ein  ürtheil  über  ihn  bilden  kann.    Wir  glauben  nicht, 

daas  es  günstig  ausfWt. 


42  SUtung  der  pküoß.-phüdl.  OZoMe  vom  1.  Jwd  1867. 

Gaabil  Tr.  p.  96,  104  and  268  erwähnt  noch  aas 
dem  Kue-iü  von  Tso-schi  einige  mehr  genealogische  An« 
gaben  über  die  Kaiser  der  3  ersten  Dynastien. 

loh  finde  folgende  Stellen;  im  Tscheu-itt  1  f.  30  v.  heisst  es: 
„Einst  brachte  Emig-kia  die  (1.  Dynastie)  Hia  in  Unordnung 
und  in  der  4.  Generation  ging  sie  zu  Grande.  Hiaen-wang^^) 
strebte  für  Sebang  und  in  der  14.  Gt^neration  von  ihm  er* 
hob  es  sich  (unter  Tsching-thang).  Kaiser  Ti-kia  (d.  i.  Tsu- 
kia)  verwirrte- es  und  in  der  7.  Generation  unter  Schea-sin 
ging  (die  2.  Dynastie)  zu  Grunde.  Heu-tsi  (der  Ahn  der 
3.  Dynastie)  strebte  für  Tscheu;  in  der  15.  Generation  er* 
hob  sich  (die  3.  Dynastie);  Yeu-wang,  der  12.  Kaiser  der 
Tscheu,  brachte  sie  in  Verwirrung.  Dass  bis  zur  14.  Genera- 
tion ein  Schatz  bewahrt  wird  (Scheu-fu),  ist  viel :  so  konnten 
(die  neuen  Dynastien  sich  erheben)."  Die  Stelle,  sieht  man, 
giebt  keinen  chronologischen  Anhalt,  sondern  nur  die  Genea- 
logien, deren  Unhaltbarkeit,  was  die  Anfange  bis  zu  den 
Stiftern  der  Dynastien  betri£ft,  de  Guignes  diso,  prel  z.  Chou- 
king  p*  GXXXIU  schon  gezeigt  hat. 

Die  2.  Stelle  unter  Tscheu  Ling-wang  1  f.  27  sagt: 
„Von  Heu-tsi  bis  jetzt  gab  es  bald  Ruhe,  bald  Unruhen 
(Ning  loen).  Bis  Wen-  Wu-  Tsching-  und  Khang-wang  wurde 
mit  Mühe  gekämpft,  das  Volk  zu  beruhigen/' 

,,Seit  Heu-tsi  begann,  den  Grund  zu  legen,  dem  Volke 
Rahe  zu  schaffen  (Tsing  min),  und  nadidem  15  Könige 
gewesen  waren,  begann  Wen-wang  es  zu  beruhigen  (Fing- 
tschi),  und  der  18.  König  (von  Heu-tsi)  Khaiig(-wang)  erlangte 
es  erst,  es  völlig  zu  beschwichtigen  (Khe  ngan  tschi):  so 
schwer  war  das.  Li  (-wang)  fing  an,  die  Gesetze  zu  ändem 
(Ke  tien).     Seitdem  sind  wieder  (bis  Ling-wang)  14  Könige 


10)  D.  i.  Sie,  der  Minister  Tao's  und  Schün's  und  der  angebliche 
Ahn  der  Dynastie  Schang,  s.  Schi-king  Schang-sang  IV,  8,  4  p.216. 


TfaOk:  Chronotog.  Orunälage  der  aUem  eMnes.  GeieMehU,      43 

gewesen.  Nachdem  der  Orund  zur  Tugend  gelegt  war, 
begann  unter  dem  J5.  Könige  erst  die  Ruhe  und  als  der 
Grund  zum  Verfalle  gelegt  war,  war  erst  unter  dem  15. 
keine  Hilfe/^  Man  sieht,  es  sind  hier  mehr  Spekulationen 
über  den  Anfang  des  Aufkommens  und  Verfalles  der  Dyna- 
stien nach  einer  bestimmten  Anzahl  von  Geschlechtern,  als 
chronologische  Data. 

Auch  der  Sse-ki  yon  Sse-ma-tsien  hat  keine  sichern 
chronologischen  Angaben,  sondern  nur  einige  Angaben  nach 
den  Generationen  und  in  runden  Summen.  So  sagt  er  B.  13 
f.  5  San  Tai  Schi  Piao :  von  Yü  bis  Kie  (dem  letzten  Kaiser 
der  1.  Dynastie)  seien  17  Generationen  (Schi),  von  Hoang-ti 
bis  Kie  20  Generationen,  von  Hoang-ti  bis  Thang  sind  nach 
der  Anmerkung  17  Generationen,  von  Thang  nach  f  6  v« 
bis  Scheu  (dem  letzten  Kaiser  der  2.  Dynastie)  39  Genera- 
tionen, von  Hoang-ti  bis  Scheu  46  Generationen  (vgl.  Gaubil 
Tr.  p.  125),  nach  der  Anmerkung  ganz  unwahrscheinlich  von 
Hoang-ti  bis  Tscheu  Wu-wang  nur  19  Generationen.. 

Nadi  Tsiao-tscheu  beim  Scholiasten  zum  Sse-ki  zum 
Yn  Pen-ki  B.  3  f.  11  y.  dauerte  die  2.  Dynastie  Yn  über- 
haapt  31  Generationen  über  600  Jahre.  Ob  Gaubil  Tr, 
p.  129  diese  Stelle  nicht  meint,  wenn  er  sagt:  Sse-ma-tsien 
sage,  die  Dynastie  Schang  habe  600  Jahre  gedauert?  denn  diese 
Angabe  finde  ich  im  Sse-ki  selbst  nicht.  Seine  Angabe,  Sse- 
ma-tsien  sage :  seit  dem  Tode  Tscheu-knng's  bis  zur  Geburt 
des  Confncius  seien  500  Jahre  verflossen,  steht  im  Sse-ki 
B.  130  f.  8  Y. ;  er  setzt  da  hinzu ;  „von  Gonfucius  Tode  bis  jetzt 
seien  wieder  500  Jahre,  und  mwa  könne  verketten  die  klaren 
Generationen  (schao  ming  schi),   d.  h.   die  Folge  derselben 


Gaubirs  Angabe:  Sse-ma-tsien  sage  von  Heu-tsi  (dem 
Ahnen  der  Dynastie  Tscheu),  bis  Wen-wang  seien  1000  Jahre 
verflossen,  steht  B.  13  f.  8  v.  fg.  Die  ganze  Stelle  lautet: 
»Yao  wusste,   dass  Sie   (der  Ahn  der  2.  Dynastie)  und  Tsi 


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44  BUtumg  der  phüo$,-phM.  Claue  wm  t  /«m  1867. 

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alle  beide  weise  Männer  seien,  die  der  Himmel  schaf.  Dabei 
belehnte  er  Sie  mit  70  Li  und  nach  mehr  als  10  Genenr* 
tionen  ward  sein  Nachkomme  Thang  Kaiser  über  das  ganz« 
Reich  (Wang  thien«hia).  Yao  wusste,  dass  dje  Nachkommen 
der  Söhne  and  Enkel  Heu-tsi's  Kaiser  werden*  würden;  daher' 
belehnte  er  auch  ihn  mit  100  Li  nnd  sein  späteres  Oeschlecht 
nach  1000  Jahren  gelangte  an  Wen-wang,  der  das  ganze 
Reich  inne  hatte."  Diese  weniger  chronologischen  Angaben, 
sieht  man,  kommen  nur  gelegentlich  und  serstreut  vor  und  | 
es  sind  immer  nur  runde  Zahlen.  > 

Wie  Sse-ma-tflien,  der  eigentlich  der  erste  genauere  chinesische 
Getchicht-Forscher  und  Schreiber  ist,  den  wir  haben,  nnr  chronolo- 
gische Angaben  in  runden  Summen  giebt,  seigt  besonders  noch  seise 
Gesofaiehte  der  Hiung*nu  (Hiung-nu  U  tschnen  B.  110  f.  2 — 6),  die 
Gaubil  nicht  anfahrt.  „Als  Hia's  Prinzipien  in  Verfall  gefietheu,  gab 
Kung-lieu  (?  1797  ▼.  Chr.)  sein  Amt  als  Aufseher  über  den  Ackerbau 
(Tsi-kuan)  auf,  begab  sich  unter  die  Westbarbaren  (Si  Jung)  and 
gründete  eine  Stadt  in  Pin.  Von  seinen  Nachkommen,  —  mehr  als 
MO  Jahre  darnach,  •—  griffen  die  West-  und  Nordbarbaren  den  Thai* 
waag  Tan-fu  (1S27  v.  Chr.)  an;  dieser  zog  weg  und  kam  an  den 
Fuss  des  (Berges)  Ki.  Die  Leate  von  Pin  aber  folgten  ihm  Alle  zu- 
sammen und  ergründete  da  eine  Stadt.  Einer  seiner  Nachkommen,  — 
nach  mehr  als  100  Jahren  (1168),  —  Tscheu,  der  Führer  des  Westens, 
(SiPe)  Tschang  (d.  i.  Wen-wang)  schlag  dann  die  Kiaen-I  (Barbaren). 
Nach  mehr  als  10  Jahren  (?  1122)  schlug  Wu-wang  (den  letzten 
Kaiser  der  2.  Dynastie)  Scheu.  Mehr  als  200  Jahre  darnach  (967) 
geriethen  Tscheu's  Prinzipien  in  Verfall  und  Mu-wang  griff  die  Kiuen- 
Jang  (Westbarbaren)  an  —  Mu-wang*s  Nachkomme  —  nach  mehr 
als  200  Jahren  (771)  —  Yeu-wang  überwarf  sich  aus  Anlass  der 
Pao-ase  mit  dem  Schin-heu ;  der  griff  mit  den  Einen- Jung  ihn  an,  — 
Thsin  Slaog-kung  kam  den  Tsdleu  zu  Hilfe  und  schlug  die  Jung 
(770);  65  Jahre  später  (706)  griffen  die  Berg^ Jung  Thsi  an;  44  Jahre 
sp&ter  (664)  dieselben  Yen.  Thsi  Huan-kang  schlag  sie.  Ueber  20  Jahre 
später  (649)  kamen  die  Jung  and  Ti  bis  zur  Stadt  Lo  (-yang)  und 
schlugen  den  Kaiser  Tscheu  Siang-wang.  -^  Nach  mehr  als  100  Jahren, 
da  die  Jung  sich  getheilt  hatten,  waren  sie  geschwächt  und  vermoch- 
ten nichts.    Von  da  an  und  (wieder  mehr)  als  100  Jahren  spater 


lUh:  Ckronölog.  Orumdlage  dar  aUm  cMttM.  OiaehiekU.      46 

nndte  Ttiii  Tao-kang  den  Wei-khioiig,  die  Jnng  nnd  Tbi  so  ver- 

einigea*^)  und  sie  kamen  an  den  Hof  (von  Tsin).  Wieder  nach  mehr 
als  100  Jahren  (475)"}  überschritt  Tschao  Siang-tseu  den  Berg  Ken 
und  bemächtigte  sich  des  (barbarischen  Eeiches)  TaL^^  Um  zn  zeigen, 
wie  yiel  oder  wenig  diese  Angabe  in  mnden  Stimmen  mit  den 
bestimmten  Angaben  nach  der  reoipirten  Annahme  übereinstimmt, 
bben  wir  diese  in  Parenthese  hinzngesetst, 

Ueber  die  Dauer  der  1.  nnd  2.  Dynastie  nach  dem 
Bambabuche  im  Ganzen  hat  nur  die  Sc&Iusenote  bei  der 
1.  und  2.  Dynastie  eine  Angabe.  Von  Yä  bis  Kie  (der 
1.  Dynastie)  waren  nach  p.  124  17  Geschlechter  oder  Genera- 
tionen (Schi)  und  die  Könige  regierten  mit  den  Interregnums 
(Wang  iü  pu  wang)  471  Jahre.  Die  Cykluszeichen  er- 
geben nach  Legge  p.  181  aber  nur  431  Jahre.  Freret 
B.U  f.  101  vereinigt  beide  Zahlen^  indem  er  die  471  Jahre 
Ton  Yü's  Erhebung  zum  Fürsten  eines  abhängigen  Reiches 
darch  Scfaün  a.  13  an  rechnet.  Das  fiambubuch  p.  115  sagt 
aber  nur:  in  Schihi's  14.  Jahre  befahl  er  Yü,  statt  seiner 
di^  Geschäfte  zu  fuhren  (ming  Yü  tai  Yfi  (d.  i.  SdiSn^s)  sse). 

Die  zweite  Dynastie  betreffend,  sagt  die  Note  p.  141 
„Von  der  Vernichtung  der  Dynastie  Hia  bis  Sdieu  {dem 
letzten  Schang)  waren  29  Könige  in  496  Jabren,  die  Cy- 
kloszeidieu  aber  ergeben  508.  Freret  fi.  14  pagina  102  fg. 
und  Biot  Journal  As.  B.  12  pagina  578  bringen  beide 
Zahlen  wieder  in  Uebereinstimmung  durch  die  Annahme, 
die  Note  rechne  nur  bis  zur  Absetzung  Schen's  a.  41  und 
Wen-wang's  Erhebung  zum  Regenten,  12  Jahre  vor  der 
gänzlichen  Besiegung  Scheu's,  aber  A.  41  ist  im  Bambubudie 
nur  Yom  Tode  Tschhang's  (d.  iP  Wen-wang's)  die  Rede.  Der 


U)  Nseb  Sae-ki  Tsin  Pen-ki  B.  89  uter  Tsia  Tao-kwg  «,  }|> 
das  ist  aber  561  y.  Chr. 

12)  Sse^ki  Tsehao  Schi-kia  B.  84  I.  18  ▼.  Pfiniaier't  Geidiiohte 
von  Tschao  S.  16. 


46  Siigwig  der  phüaa.-phüöß.  Clasae  wm  1.  Juni  1867. 

Ti^wang  Schi-ki  im  I-sse  B.  19  f.  22  y.  sagt  zwar  schon 
Aehnliches :  „Als  Wen-wang  42  Jahre  auf  dem  Throne  (von 
Tscheu)  war,  —  erhielt  er  das  Mandat  und  es  war  das 
l.  Jahr,  wo  er  anfing,  Kaiser  (Wang)  betitelt  zu  werden/* 
Aber  der  SchoL  setzt  schon  hiezu :  „Eine  ganz  falsche  Erklärung 
(Kiai  wang  sehne)*'.  Legge  p.  181  bemerkt  noch,  dass  auf- 
fallender Weise  in  der  Geschichte  von  Schu-se  (lie  tschuen 
B.  1  21)  angegeben  werde^  dass  im  BambubucheJ)der  Jahre  der 
Dynastie  Hia  mehr  seien,  als  die  der  2.  Dynastie  Schang 
oder  Yn  (Hia  nien  tho  Yn),  während  es  jetzt  umgekehrt 
sei.  Ich  finde  noch  im  I-sse  B.  19  f.  12  zu  Ende  der  2.  Dy- 
nastie ans  dem  (Tschu-schu)  Ki-nien  die  Notitz,  die  Legge 
und  fiiot  nicht  haben,  von  Pan-keng  bis  zur  Vernichtung 
(des  letzten  Kaisers  der  2.  Dynastie)  Scheu  waren  273  Jahre. 
Von  der  Dauer  der  3.  Dynastie  kann  das  Bambubuch 
die  Summen  nicht  angeben,  da  es  nicht  bis  zum  Ende  der- 
selben hinabgeht.  Aber  zu  Ende  der  Regierung  Yeu-wang's, 
des  12ten  Kaisers,  ist  p.  158  die  Note:  Als  Wu-wang  die  Dy- 
nastie Yn  vernichtete,  war  das  Jahr  Keng-yn;  24.  Jahre 
(später)  (im  Jahre)  Kia-yn*')  wurden  die  (9)  Urnen  in  der 
Stadt  Lp  fest  aufgestellt.  (Von  da)  bis  Yeu-wang  waren 
257  Jahre,  zusammen  (mit  den  24)  281  Jahre;  vom  Jahre 
Ki-mao^^),  dem  1.  Jahre  Wu-wang's,  bis  zum  Jahre  Keng-n, 
(dem  letzten)  Yeu-wang's,  waren  292  Jahre.  Freret  B.  14 
p.  106  fg.  bespricht  die  Stelle,  und  bemerkt,  das  Jahr 
Ki-mao  entspreche  Ti-sin's  A.  41 ,  wo  Wen-wang's  Tod  be- 
merkt werde  und  die  Summen  stimmten  mit  dem  Gyklos- 


18)  Kia-yn  ist  aber  das  4te  Jahr,  das  24 te  Kia-siü.  8.  Ideler 
8. 64.  Die  Anfstellcmg  der  Urnen  in  Lo  setzt  das  Bambnbnch  p.  146 
indess  auch  unter  Tschhing-wang  A.  18  and  da  Wn-wang  6  Jahre 
regierte,  ist  das  24  Jahre  nach  Yemichtung  der  2.  Dynastie  Tn. 

14)  So  p.  168.  Das  Bambabaoh  p.  144  hat  aber  Sin-mao  ood 
so  L^ge  in  der  Uebersetsong. 


Math:  Chnm6U>g.  Grundlage  am  fUtUn  ehina.  OetekiekU.      47 

xeidieii  and  der  Dauer  der  einzelnen  Begiernngen  nadi  dem 
Bambobache,  werde  also  acht  sein  und  stimme  mit  Meng- 
tseu's  und  Sse-ma-tsien's  Angaben,  die  Wu-wang's  erstes  Jahr 
nur  500  Jahre  yor  Confucius  Geburt  j(550  y.  Chr.),  also  1050 
Y.  Chr.  setzten.  Dies  möge  also  damalige  Annahme  gewesen 
sein;  dass  sie  aber  darum  richtig,  glaubt  er  selbst  nicht. 

Pan-ku,  der  unter  Hau  Ming«ti  (58 — 70  n.  Chr.)  an 
der  Spitze  des  Tribunals  der  Geschichte  stand,    gibt  mit 
Benutzung  yon  Schriften,  die  der  Astronom  und  Geschicht- 
schreiber Lieu-hin  kurz  yor  Christi  Geburt  hinterlassen  hatte, 
seine  Gesdiichte   der    früheren  Dynastie    Hau    (Tsien   Han 
Sehn).     B.  20  Ku  kin  jin  piao  giebt  die  Namen  der  Kaiser 
Ton  Thai-hao  oder  Fu-hi  an  mit  ihren  Frauen,  Ministem  u.  s.  w., 
unter  der  8.  Dynastie  auch  die  der  Vasallenfiirsten,  berühmten 
Männer,  Weisen,  wie  Confucius  und  seiner  Schüler,  aber  ohne 
alle  weitere  Zeitangabe.  B.21  (Liu  li  tschi  hia)  f.  16  fg.  giebt 
er  nur  die  Gesammtdauer  der  Dynastien,  nicht  die  Liste  der 
einzelnen  Fürsten   und  nur  einzelne  ausnahmsweise  mit  den 
Regierungsjahren.     Vgl.  Gaubil  Tr.  p.  135—  137   und  237. 
So    regierte    nach    ihm    Yao    70  Jahre,    Schün    darauf 
50  Jahre;    Yü  gründete  dann  die  erste  Dynastie  Hia,    die 
17  Kaiser  in   432  Jahren  zählte.    Tschhing-thang  besiegte 
den  letzten  Kaiser  derselben  Kie  und  gründete  die  2.  Dy- 
luistte  Schang  oder  Yn,  die  unter  31  Kaisern  629^^)  Jahre 
dauerte.    Fälschlich,   sagt  er  f.  16  y.,  rechne  man  sie  nur 
n  446  Jahren.  Gaubil  Tr.  p.  137  sagt,  er  glaubte  irrig  die 
Zeit  Tai-faVs  durch  Vergleidiung  der  Winter-Solstize  b^tim* 
nen  zu  können.  Tschhing-thang  regierte  nach  ihm  13  Jahre, 
Wn-wang,  der  Sohn  Wen-wang's,  besiegte  den  lotsten  Kaiser 
dieser  2.   Dynastie  Scheu    und  gründete  die   3.  Dynastie 
Tsdieu.    Wu-wang  regierte  7  Jahre,  dann  irar  Tscheu-kutg 
(sdn  Brader)   7  Jahre  Regent  und  darauf  folgte  Wu-wang*s 


15)  Niekt  629  Jshre,  wie  Legge  ProL  T.  III  p.  86  sagt 


48  SUemg  äer  phüos.-phüol.  Omm  fnm  1.  Juni  1867. 

Sohn  Tsching-wang  SO  Jahre;  die  3.  Dynastie  Tsohea  daaerte 
anter  36  Kaisern  867  Jahre  nach  f.  21  ▼.  Die  Daaer  der 
3.  Dynastie  Tscheii,  sagt  Gaubil  .Tr.  136,  entnahm  er,  wie 
er  sagt,  den  Annalen.  der  Fürsten  von  Lu  —  die  er  voll- 
ständiger giebt,  als  der  Sse-ki  bis  znm  Stifter.  Vom  Anfange 
des  «Tschhün-thsieu  oder  Lu  Yn-kung  A.  1  (722  v.  Chr.) 
bis  Wu-wang  A.  1  rechne  er  400  Jahre;  wie  der  Sse-ki, 
setzte  er  den  also  1122  v.  Chr.  B.  21  f.  19  sagt  er:  „Von 
Pe-kin  in  Lu,  dem  Sohne  Tscheu-kung^s,  bis  zum  Tschhün- 
thsieu  sind  386  Jahre.  —  Vom  1.  Jahre  (Yn-knng^s)  auf- 
wärts bis  zum  AngrifiFe  auf  Scheu  sind  400  Jahre.^'  Thsin 
Tschao-wang  A.  51  begann  nach  f.  21  v.  die  Vernichtung 
Tscheu's.  5  Jahre  war  kein  Kaiser.  (Thsin)  Hiao-wen-wang 
regierte  1  Jahr;  nach  dem  Ende  der  Tsoheu  Thsin 
Tschuang  siang-wang  3  Jahre,  Schi  hoang-ti  dapn  37,  sein 
Sohn  Bukschi  noch  3  Jahre,  im  Ganzen  die  D.  Thsin  5  Ge- 
sdilechter  49  Jahre ;  mit  ihm  ging  die  4.  Dynastie  zu  Grunde, 
auf  welche  die  6.  Dynastie  Han  folgte. 

In  der  Geschichte  der  Gst-Han  wurde  Pan-ku  yorge- 
worfen,  die  Dauer  der  3  Dynastien  zu  lang  angesetzt  zu 
haben,  man  sagt  aber  nicht,  in  wie  ferne  und  aus  welchem 
Grunde  das  behauptet  wurde;  es  sdieint,  dass  man  seine 
-Annahme  der  Dauer  der  2.  Dynastie  zu  lang  fand.  Dem 
Pan-ku  folgten  unter  den  Ost*Han  Tschao-ki  in  seinem  Com- 
mentar  zum  Meng-tseu,  im  Ganzen  nach  Gaubil  auch  Hoang- 
ftt-mi  (t  282  n.  Chr.),  nach  p.  145  Tsiao-tscheu  zu  Ende 
der  8  Reiche;  nach  p.  155  Sse-ma-kuang  (f  1086),  nach 
p.  161  Su-tseu  aus  der  Dynastie  der  spätem  Sungu. s.w. 

Hoang-fu-mi,  der  kurzyor  der  Entdeckung  desBambn- 
•buohes  starb,  schrieb  nach  Gaubil  Tr.  p.  142  einen  Abriss 
des  Lebens  mehrerer  berühmten  Chinesen  Ton  Tao  bis  aaf 
seine  Zeit  (Kao  See  tschuen)  und  eine  Cihronik  der  Kaiser 
und  Könige  (Ti-wang  Schi-ki);  ein  Anhänger  der  Tao-sse 
habe  er  deren  Fabeln  fiber  die  Geburt  der  Kaiser ,  aber 


UM*:  Cknmolog.  OrtmUage  der  alten  ehines,  Qe$Mekie.      49 

nicht  ihre  phantastische  Chronologie;  er  gebe  die  meisten 
Begienmgsjahre  vom  Ende  der  8.  Dynastie  Tscheu  aufwärts 
bis  Sdhin-nung,  man  wisse  nicht  aas  welcher  Quelle  und  eben- 
sowenig, auf  welchen  Grund  hin,  er  das  erste  Jahr  Yao's 
merst  mit  dem  Cykluszeichen  Kia^tschin  bezeichne;  —  die 
Stdle  hat  der  I-sse  B.  9  f.  1  —  die  Cykluszeichen  der 
Regierungen,  die  man  von  ihm  anfiihre,  stimmten  nicht  mit 
den  Totalsummen  dieser  Regierungen;  dies  letztere  Werk 
desselben  ezistire  jetzt  nicht  mehr,  sondern  nur  Fragmente 
davon  bei  andern  Geschichtschreibem ;  sein  anderes  Werk 
existire  noch,  enthalte  aber  nichts  chronologisches.  Die 
Dauer  der  3.  Dynastien  ist  nadi  Gaubil  bei  ihm,  wie  bei 
Pin-ku,  nur  einige  Jahre  länger.  Ich  finde  von  ihm  nur 
die  Dauer  der  Dynastie  Tscheu  beim  Scholiasten  zum  Sse-ki 
B.  4  f.  33  V.  angegeben :  37  Könige  in  867  Jahren,  wie  bei 
Pan-ku.  Vor  Yao  nimmt  er  viele  Regierungen  an,  darunter 
Fa-hi  mit  110  Jahren  (im  I-sse  B.  3  f.  4),  Schin-nung  mit 
120  Jahren  (B.  4  f.  5  v.),  Hoang*ti  und  Schao-hao  jeden 
mit  100  Jahren  (B.  5  f.  30  v.  und  6  f.  20)  u.  s.  w.  Doch 
brandien  wir  in  die  Einzelheiten  dieser  Vorzeit  hier  nicht 
einzugehen.  Legge  Prol.  T.III  p.  77  hat  seine  Angabe  über 
die  angebliche  Bevölkerung  Ghina's  unter  Yü  schon  der 
Kritik  unterworfen,  und  wir  haben  anderweitig  in  unserer 
Abhandlung  über  die  Glaubwürdigkeit  der  ältesten  chinesi* 
8dien  Gesdiichte  Sitz.-Ber.  1866  I  4  S.  571  ig.  davon  schon 
gesprochen.  --  .  Auszüge  aus  dem  Eao  sse  tschuen  hat  der 
I-sse  B.  119  f.  22  v.  u.  s.  w. 

Spätere  Angaben  über  die  Dauer  der  3  ersten  Dy- 
nastien beruhen  wohl,  wie  schon  zum  Theil  die  Pan-ku*s,  nur 
anf  astronomischen  Annahmen ,  auf  welche  wir  unten  noch 
za  sprechen  kommen.  Zur  Zeit  von  Tsin  Hoai-ti,  sagt  Gaubil 
p.  145,  hatte  man  eine  Steintafel,  auf  der  die  Jahre  von  Yao 
bis  Hoai-ti  (309  n.  Chr.)  zu  2721  Jahren  angegeben  waren. 
Der  Astronom  Yü-hi,  der  Zeitgenosse  Tu*yü's,  unter  derD. 
[1867.  n.l.]  4 


50  SUsung  der  phOoi.'phiM.  (Hasse  vom  t  Juni  1867. 

Tsin  (2  66 — 420),  rechnete  Ton  Yao  bis  zu  seiner  Zeit  2700  Jahre ; 
der  Bonze  und  Astronom  Y-hang  unter  Thang  Hiuen-tsnng 
(seit  713)  setzte  das  erste  Jahr  von  Yao  2320  v.  Chr.,  das 
erste  Jahr  von  Yii  oder  der  Dynastie  Hia  2170  v.Chr.  Der 
Dynastie  Hia  gab  er  432  Jahre,  der  2.  Dynastie  Schang 
628,  nur  1  Jahr  weniger  als  Pan-ku.  Wu-wang's  erstes  Jahr 
zu  Anfange  der  3.  D.  Tscheu  setzte  er  1111  v.Chr.  s.  S.  68. 

Schao-yung  (f  1077)  gab  nach  Gaubil  der  Dynastie 
Tscheu  dieselbe  Dauer  wie  Pan-ku.  Der  1.  und  2.  Dynastie 
gab  er  einige  Jahre  mehr. 

Hiü-heng  unter  Kublai  (seit  1280)  folgte  ihm  nach 
Gaubil  Tr.  p.  165  in  der  Chronologie  und  rechnete  die 
Dynastie  Hia  vom  Tode  Schün's  441  Jahre,  von  Yü's  An- 
nahme zum  lliitregenten  aber  457  Jahre,  die  Dauer  der 
der  2.  Dynastie  Schang  644  Jahre,  die  der  3.  Dynastie 
Ticheu  874  Jahre,  immer  nach  astronomischen  Annahmen. 
Ihm  folgte  Ma-tuan-lin(t  1322).  DerTseu  tschi  tungkien 
kang  mu,  aus  der  Zeit  der  Dynastie  Ming,  rechnet  B.  4  f.  35  v. 
(vgl.  Gaubil  p.  173)  die  Dynastie  1  Hia  Yü  439  Jahre,  von 
2206  V.  Chr.  mit  dem  Cykluszeichen  Ping-tseu  an,  die  Dynastie 
2  Schang  B.  6  f.  35  zu  644  Jahre,  seit  1766  v.  Chr.  mit 
dem  Cykluszeichen  (Y-wey)  an,  die  3.  Dynastie  Tscheu  874 
Jahre  seit  1122  v.  Chr.  mit  dem  Cykluszeichen  Y-mao. 

Ueberblicken  wir  alle  diese  Angaben  über  die  Dauer 
der  3  ersten  Dynastien,  so  finden  wir  keine  sichern 
Angaben.  Die  ältesten  Angaben  sind  nur  runde  Summen 
von  Nichthistorikem.  Sse-ma-tsien,  der  erste  bekannte 
Geschichtschreiber  China's,  hat  gar  keine  Angabe  über  deren 
Dauer.  Pan-ku  giebt  nur  gelegentlich  eine,  man  weiss  aber 
nicht,  worauf  sie  beruht.  Im  älteren,  aber  erst  später  auf- 
gefundenen Bambubuche  giebt  nur  eine  Note  die  Summen 
der  1.  und  2.  Dynastie,  und  sie  stimmen  weder  mit  den 
Jahren  der  einzelnen  R^erungen,  noch  mit  den,  wie  man 
meint,    erst  später  zugesetzten  Cykluszeichen  und  alle  diese 


Flaih:  Chrondlag.  Orundiagß  der  aUe»  «Mnes.  (hBehkikU.      51 

?erschiedenen  Angaben  weichen  von  einander  ab,  so  audi 
spatere,  die  mm  Theil  erst  auf  astronomischen  Bestimmungen 
bemhec.  Wir  müssen  nun  2.  die  Jahresangaben  der  ein- 
zelnen Regierungen  vergleichen. 

Wir  beginnen  mit  der  3.  Dynastie,  In  der  spä- 
tern  Zeit  lassen  die  gleichzeitigen  Geschichtswerke  keinen 
Zweifel  übrig.  Aach  die  Regierungsjahre  der  4.  Dynastie 
Thsin  stehen  fest  Die  Jahre  sind  schon  oben  S.  48  angegeben. 

Wir  geben  zunächst  die  Liste  der  Kaiser  mit  den 
Jahren  ihrer  Regierung  a)  nach  der  recipirten  Annahme 
des  Thung  kien  kang  mu  b)  nach  dem  fiambubuche.") 

a)  Wu  7  Jahre,  Tsching  37,  Khang  26,  Tschao  51,  Mu  55, 

b)  6  37  26  19  55 
a)  Kung  12,  Y  25,  Hiao  15,  I  16,  Li  51,  Siuen  46,  Yen  11, 


b) 

12 

25 

9 

8 

16 

46 

11 

a)  Phing 

51, 

Haan 

28, 

Tschaang  15, 

Hi 

5, 

Hoei 

25, 

b) 

51 

23 

15 

Li 

5 

25 

a)  Siang 

33, 

Khing 

6, 

Khnang 

6,     Ting 

21, 

Kien 

u, 

b) 

33 

6 

6 

21 

14 

a)  Ling 

27,   ] 

Siog  25, 

King  44,   Yuen  7, 

,    Tsching-ting 

28, 

b) 

27 

25 

•  44 

7 

28 

a)  Khao 

15, 

Wei-lie 

24, 

,    Ngan 

26,    ] 

Lie 

7, 

Hien 

48, 

b) 

15 

24 

26 

7 

48 

a)  Schin-tsing 

6,  Nan  59. 

b) 

6   Yn 

16)  Nachdem  de  Guignes  dasBambubnch  vom  Schu-king  schon 
bis  znm  Ende  dieses  697  y.  Chr.  ausgezogen  hatte,  hat  Biot  Joum.  As.  1841 
Ser.  ni.  T.  12  und  IS  nach  2  Sammlungen  %&  übersetzt  und  Legge 
Prol.  T.  III  p.  108  — - 176  den  chinesischen  Text  dann  mit  den  An» 
merkimgen  und  einer  Uebersetzung  ToUst&ndiger  herausgegeben.  Wir 
benutzten  noch  eine  kleine  Ausgabe  der  Staatsbibliothek.  Der  I-sse 
giebt  Auszuge  daraus  unter  dem  Titel  Ki-nien,  scheint  B.  26  f.  1  bei 
Tflchao-wang  aber  ein  noch  vollständigeres  Exemplar  benutzt  zu 
Ittben.  Der  Schluss  der  Chronik  ergiebt  seine  Abfassung  unter  Yn* 
vaikg  s.  S.  52. 

4* 


52  SiUmig  der  phOoB^-phiM.  CkMe  mn»  1.  Jtmi  1867. 

Was  nun  zunächst  die  Nam  en  und  die  Folge  der  Kaiser 
betrifft,  so  sieht  man,  dass  die  des  Bambubuches  fast  überall 
mit  den  recipirten,  wie  sie  schon  im  Sse-ki  vorkommen,  über- 
einstimmen; im  Bambubuche  haben  wir  nur  Li  statt  Hi,  was 
aber  auch  im  Sse-ki  B.  4  f.  23  ?.  sich  findet,  und  der  Scho- 
liast  sagt:  jenes  laute  hier  HL  Dann  lautet  der  Name  des 
letzten  Kaisers  Yn  statt  Nan  im  Sse-ki.  Eine  Note  zum 
Tschu-schu  p.  175  bemerkt,  diess  müsse  daher  kommen,  dass 
beide  Charaktere  ähnlich  lauteten. 

Was  dann  die  Regierungsjahre  betrifft,  so  endet  die 
Chronikdes  Bambubuches  mitdem  20.  Jahre  „unseres  jetzigen 
Kaisers  [Yn]  (kin-wang)''.  Der  Sse*ki  B.4f.  33  fg.  giebt  dem 
letzten  Kaiser  Nan  59  Jahre  und  lässt  dann  die  Dynastie  Tschea 
7  Jahre  darauf  yernichtet  werden.  Was  die  früheren  Kaiser 
betrifft,  so  stimmen,  wie  man  sieht,  bis  Siuen-wang  aufwärts 
auch  die  Regieruugsjahre  im  Bambubuche  mit  der  recipirten 
Annahme  und  auch  mit  den  Sse-ki  ganz  oder  bis  auf  eine  unbe- 
deutende Differenz,  wie  Gaubil  Tr.  p.  234  bemerkt,  übereio. 

Der  Sse-ki  giebt  Siang  32  Jahre,  King  42,  Yuen  8, 
das  Bambubuch  33  44  7; 

das  erste  und  letzte  Jahr  gleichen  sich  aus ;  der  Unterschied 
ist  also  nur  2  Jahre.  Auch  die  Gykluszeicben  stimmeo 
überein. 

Weiter  hinauf  gibt  der  Sse-ki  die  Regierungsjahre  der 
Kaiser  der  3.  Dynastie  eben  so  wenig  als  die  der  1.  and 
2.  Dynastie  an,  nur  Wu-wang  giebt  er  2,  Mu  55  und  Li 
37  Jahre.  Gaubil  p.  127  sagt,  er  wisse  nicht,  woher  er 
diese  3  Zahlen  genommen  habe.  Wenn  er  Wu  nur  2  Jahre 
giebt,  so  ist  dies  offenbar  falsch  und  beruht  auf  Schu-king 
V,  6,  1:  ,.2  Jahf-e  nach  der  Eroberung  Schang's  erkrankt« 
der  König  (Wu)",  da  das  Folgende  ergiebt,  dass  er  nachdem 
wieder  genass.     üeber  die  37  Jahre  Li-wang's  s.  S.  65. 

Von  den  Begierungsjahren  der  ersten  10  Kaiser  der 
Dynastie  Tscheu  weichen  nun  aber  namentlich  4  bedeutend  ab. 


PEaft:  Ckronohg.  Grundlage  der  cMen  chmes.  QwMehU.       S8 

Nadider  recip.  Annahme  a)  Wu  7,  Tschao  51,  Hfao  15, 
im  Bambubuche  b)         6  19  9 

a)  I  16,  Li  61  Jahre. 

b)  8         26. 

Wir  wissen  weder,  worauf  die  Angabe  des  Bambubuches, 
noch  worauf  die  später  recipirte  Angabe  sich  stützt.  7  Jahre 
geben  Wu  Pan-ku  B.  21  f.  17  v  (vgl.  Gaubil  Tr.  p.  135), 
ebenso  Knan-tseu  und  Y-hang  später  nach  Tr.  p.  228. 

Einige  dieser  Abweichungen  könnte  man  durch  einen 
Ausfall  oder  eine  Verwechslung  der  zum  Theil  ähnlichen  chine* 
dschen  Zahlzeichen  ausgleichen,  aber  man  weiss  nach  Ver* 
gleichung  der  blossen  Regierungsjahre  nicht,  welcher  Zahl 
man  den  Vorzug  geben  soll.  Die  Cykluszeichen  stimmen 
natürlich  hier  im  Bambubuche  mit  der  redpirten  Annahme 
auch  nicht.     Von  Gaubils  Aushülfe  s.  unten  S.  66. 

Seit  der  Regentschaft  Kung*  ho  war  die  Kaisermaohtgesehwächt; 
mehrere  grössere  Yasallenreiche  bildeten  sich.  Sie  hatten,  wie  bemerkt, 
«ach  eigene  Geschichtschreiber  und  so  begreift  sich,  wie  wir  in  Sse*ki 
neben  der  Kaiserchronik  B.  1  bis  5  eine  Chronik  der  vomehmstea 
einzelnen  Yasallenfarsten  B.  31 — 47  vgl.  I-sse  B.  28,  mit  Angabe  der 
Begiemngsdauer  einer  jeden  haben.  Da  in  der  Geschichte  der  ein- 
zebien  Reiche  immer  auf  andere  Bezug  genommen  wird>  so  gewähren 
diese  Angaben  in  der  Geschichte  der  verschiedenen  Reiche  eine  Con- 
trolle  und  Bestätigung  der  einzelnen  chronologischen  Angaben  nach 
841 V.  Chr.  So  bemeikt  Gaubil  Tr.  p.  209,  dass  wenn  im  Sse-ki  Lu  Pen-ki 
B.  33  £  21 V.  Confucius  Tod  unter  Lu  Ngai-kung  A.  16,  d.  i.  479  v.  Chr., 
im  Tshin  Pen-ki  B.  5  f.  15  aber  desselben  Tod  unter  Tshin  Tao-kung 
A  12  gesetzt  werde,  diess  wieder  das  Jahr  479  ergebe,  und  so  wird 
namentlich  die  Zeit  der  Regentschaft  I(ung-ho  in  den  einzelnen 
Chroniken  wiederholt  übereinstimmend  angegeben.  Der  AnfSang,  wo  den 
Kamen  der  einzelnen  Fürsten,  deren  Ursprung  meist  bis  auf  den 
Stifter  der  3.  Dynastie  hinaufgeht,  die  Jahre  ihrer  Regierung  beigesetzt 
Bind,  ist  in  verschiedenen  Reichen  verschieden.  Am  weitesten  gehen 
sie  hinauf  im  Reiche  Lu  in  Schau- tung.  De  Mailla's  Regententafel 
T.  1  giebt  die  sämmtlichen  Fürsten  von  Tscheu-kung  mit  7  Jahren 
und  seinem  Sohne  Pe-kin  mit  53  Jahren  an;  der  Sse-ki  B.  33 
f.  7  hat  für  beeide  keine  Angabe  der  Jahre ;  nur  die  Note  sagt:  Tsching* 


54  SüMung  der  pMo$.'ph%loL  CIobh  wm  1.  Juni  1867. 

wang  A.  1  belehnte  Pe-kin  and  dieser  starb  im  46  Jahre  unter  Kaiser 
Kang-wang  A.  16;  37  und  16  Jahre  geben  53  Jahre  and  so  hat  der 
Ti-wang  Schi-ki  and  Han-schu  im  I-sse  B.  28  f.  1.  Am  Schiasse  der 
Chronik  von  La,  sagt  der  Sse-ki  83  f.  23  nnr:  von  Tschea-knng  bis 
sam  letsten  Fürsten  Khing-knng  waren  34  Generationen;  Pan-ku 
B.  21  hia  f.  18v.  — 21y.  ^ebt,  wie  gesagt,  die  Reihe  der  Fürsten 
von  La  mit  den  Jahren  ihrer  Regierang  vollständiger  als  der  Sse-ki, 
n&mlioh  von  An&ng  an,  nach  Ganbil  Tr.  p.  135  wohl  nach  später 
noch  erlangten  Qaellen ;  s.  oben  S.  48. 

Im  Reiche  Thsin  in  Scfaen-si  giebt  de  Mailla  dem  Thain-Yng 
40  Jahre;  der  Sse-ki  K  5  f.  4  fg.  hat  aber  erst  beim  folgenden  Thsin- 
hea  10  Jahre. 

Im  Reiche  Thsi  in  Schan-tnng  virar  der  Stifter  der  Dynastie 
Thai-knng;  seinen  Tod  setzt  das  Bambnbach  anter  Khang-wang  a.  6. 
Die  Regierangsjahre  seiner  Nachfolger  giebt  aach  de  Mailla  nicht,  bis  auf 
Ha-kang  mit  19  Jahren;  der  Sse-ki  B.  82  f.  6,  S  B.  40  hat  erst  dessen 
Nachfolger  Hien-kang  mit  9  J.  and  dann  die  folgenden.  Hier  mag  noch 
bemerkt  werden,  dass  nach  Ganbil  Tr.  p.  112  Yo-y,  der  Feldherr  Yen's, 
als  er  280  v.  Chr.  dis  Haaptstadt  Thsi's  einnahm,  in  einer  Denkschrift 
an  den  Fürsten  von  Yen  sagt:  man  habe  die  Schätze  genommen,  die 
dort  seit  800  Jahren  anfgehäoft  warden.  Darnach  fiele  die  Gründung 
der  Stadt  anter  Thai-knng  1080  v.  Chr.  Ich  habe  die  Stelle  noch 
nicht  gefanden,  indess  sieht  man,  ist  anf  diese  rande  Zahl  in  einer 
militärischen'  Denkschrift  nicht  viel  zn  geben. 

Das  Reich  Yen  in  Pe-tschi-li  nahm  im  Ganzen  wenig  Antheil  an 
den  Begebenheiten  China's.  Der  Sse-ki  6.  34,  S.  B.  41  kennt  den 
Stifter  Kang-scho ,  aber  erst  von  dessen  10.  Nachfolger  Hoei-kang  mit 
88  Jahren  führt  er  die  Jahre  an,  in  seinem  23  Jahre  fiel  die 
Flacht  Kaiser  Li-wang's  and  der  Anfang  der  Regentschaft  Enng-ho, 
^von  welcher  überhanpt  erst  die  genaneren  chronologischen  Angaben 
datiren.  Pan-ka  B.  20  f.  32—68  fg.  giebt  bei  der  Zasammensteilung 
der  Kaiser  and  Vasallenfärsten  der  Sten  Dynastie  —  and  zwar  nnr 
bei  Yen  —  bei  jedem  Fürsten  die  Zahl  der  Geschlechter  an;  der 
Letzte  ist  der  43te. 

Der  Stifter  des  Reiches  Tsin.  in  Schan-si  war  Thang-sefao, 
Wa-wang's  Brnder,  aber  von  seine  5  ersten  Nachfolgern  gibt  der 
Sse-ki  B.  39,  S.  B.  48  wieder  bloss  die  Namen,  ohne  Angabe  ihrer  Be- 
gierangsjahre.  Der  erste  mit  solchen  ist  Tsin-hea  mit  18  Jahren, 
da  in  seinem  17.  Jahre  die  Flacht  Li-wang's  fällt.  Später  traten  an 
Tsin*8  Stelle  die  8  Reiche  Tschao  (Sse-ki  B.  43),  Wei  (B.  44)  nnd 
Ban  (B.  46).    Das  Geschlecht  der  Fürsten  von  Tschao  wollte  r^^ 


PUOh:  Chnmohg.  Grundlage  der  alten  Mnee.  GetehiMe.       55 

dem  Ste-ld  yom  alten  Kaiser  Tschnen-hiü  (2800  t.  Chr.)  abstammen; 
einige  Ahnen  werden  genannt,  so  Tsao-fu,  der  Wagenlenker  nnter 
Tschea  Mn-wang  (950  v.  Chr.);  sein  6ter  Nachfolger  rettete  Kaiser 
Siaen-wang  das  Leben.  Abhängig  von  Tsin,  wurden  die  Fürsten 
dieser  3  Reiche  erst  später  selbstständig;  es  ist  daher  nicht  nöthig, 
in  ihre  Chronologie  weiter  einzugehen. 

Ein  anderes  Wei,  —  verschieden  geschrieben,  —  (Sse-ki  B.  87 
Sitz.-Ber.  B.  41)  lag  in  Ho-nan  und  stand  unter  Nachkommen  Ehang- 
scho's,  eines  Bruder  Wu-wang's.  Auch  hier  sind  die  6  ersten  Nach- 
folger im  Sse-ki  ohne  Angabe  der  Begierungsjahre,  erst  Khing-heu 
hat  solche  mit  22  Jahren. 

Wir  brauchen  in  die  Chronologie  der  andern  kleinen  Beiohe 
Tsai,  Tschin  (Sse-ki  B.  48),  Khi,  Sung(B.88),  Hifi  und  Tsching 
(B.  42),  alle  in  Ho-nan  und  Tsao  in  Schau- tung  u.  s.  w.  hier  nicht 
weiter  einzugehen;  es  genügt  die  Bemerkung,  dass  die  Angaben  der 
Regiemngsjahre  ihrer  Fürsten  alle  nicht  höher  hinauf  gehen. 

In  Hu-kuang  war  später  das  bedeutende  Beich  Tschu  oder  Tsu 
i  Sse-ki  6. 40,  S.  B.  44),de8senFürsten  auch  ihr  Geschlecht  vom  alten  Kaiser 
Tschuen-hitt  durch  Hiung-yn,  dem  Zeitgenossen  des  Stifters  der 
3.  Dynastie,  herleiteten.  Seine  4  Nachfolger  sind  ohne  Angabe  der 
Begienmgsjahre;  erst  der  5te  Hiung-khiü  hat  bei  Mailla  10  Jahre,  im 
Sse-ki  f.  4  aber  erst  dessen  3  ter  Nachfolger  Hiung-yung  10  Jahre  und 
dann  die  folgenden. 

Die  Fürsten  des  Beich  es  U  in  Kiang-nan  leiteten  nach  dem 
Sse-ki  B.  31  ihr  Geschlecht  von  Thai-pe,  dem  Oheime  Wen-wang's,  ab, 
aber  sie  treten  erst  sehr  spät  in  der  chinesischen  Geschichte  auf, 
nemlich  mit  Scheu-mung  (585  bis  560)  und  schon  unter  dessen  6ten 
Nachfolger  Fu-tscha  wurde  das  Beich  von  Yuei  erobert.  Von  den 
Vorgängern  Scheu-mung*s  hat  man  nur  die  blossen  Namen.  Der 
WkiB.  31  f.  8  rechnet  von  Thai-pe  bis  Scheu-mung  19  Generationen. 
Pan-ku  B.  20  f.  44  v.  rechnet  von  Scheu-mung  bis  Tschung-yung,  dem 
Nachfolger  Thai-pe's,  aufwärts  nur  15  Generationen. 

In  Tsche-king  war  das  Reich  Yuei  (Sse-ki  B.  41,  Sitz.-Ber.  44). 
Der  Ahn  der  Fürsten  soll  ein  Sohn  von  Schao-khang  von  der  ersten 
Dynastie  gewesen  sein.'  Das  Reich  tritt  aber  auch  erst  spät  in  die 
Geschichte  ein.  Yon  Wu-yü  giebt  der  Sse-ki  20  Generationen  bis 
Tan-tsohang;  bedeutend  wurde  es  aber  erst  unter  dessen  Nachfolger 
Ken-tsien  seit  496  v.  Chr.  Erst  von  ihm  und  seinen  Nachfolgern 
werden  die  Regierungsjahre  angemerkt.  Pan-ku  B.  20  f.  65  rechnet 
Tom  letzten  Könige  Wu-kiang   bis  Keu-tsien   10  Geschlechter,   der 


56  SÜMung  der  phüoi.-phüol.  C^atK  vom  1  Juni  186T. 

Sse-ki  B.  41  f.  6  giebt  von  5  Nachfolgern  bis  Wn-kiang  die  blossen 
Namen;  das  Bambnbuch  auch  ihre  Regierungsjahre. 

Nach  Tschao-hao,  dem  Verfasser  der  Geschichte  vonll  undYuei 
(ü  Yuei  Tchhün-thsieu)  aus  der  Zeit  der  Ost-Han  (26—220  n.  Chr.) 
bei  Gaubil  Tr.  p.  140  endete  das  Reich  Yuei  224  Jahre  nach   dem 
27ten  Jahre  von  Keu-tsien,  d.  i.  nach  der  Geschichte  von  Lu  470  v.  Chr., 
also  wurde  das  Reich  vernichtet  246  v.  Chr.  Nach  Tschao-hao  hatte 
Kaiser  Schhao-khang  (der  6te  der  Dynastie  Ilia)  das  Land  Yuet  seinem 
Sohne  Wu-yn   gegeben  und   dessen  Nachkommen  regierten  es   nach 
ihm  1922  Jahre.    Vom  ersten  Jahre  Schhao-khang's  bis  zum  ersten 
Jahre  von  Kaiser  Tschuen-hiü  waren  nach  ihm  424  Jahre  verflossen, 
also  bis   zum  Ende  des  Reiches  2346  und  Tschuen-hiü  erstes  Jahr 
wäre  darnach  2592  v.  Chr.   Der  Sse-kiB.  41  f.  1,  Bits  -Ber.  44  p.  198  fg. 
sagft,  dass  Keu-tsien's  Vorfahren  Nachkommen  Yü*s  waren,  und  dass 
der  Kaiser  der  Dynastie  Hia  Schhao-khang  seinen  Sohn  mit  Hoei-ki 
belehnt  habe,   um  die  Opfer,   die  Yü  dargebracht  wurden,    fortzu- 
setzen   und   über   20  Generationen  später  habe  Yün-tschang  gelebt. 
Der  Scholiast  führt  dasselbe  aus  den  üYuei  Tschhün-thsieu  an,  — 
vollständiger  steht  die  Stelle  im  I-sse   B.  18   f.  8  v.   —  Der  Sohn 
Schhao-khang's  heisst  da  Wu-yü,  aber  beide  haben  nicht  die  Zeitangabe 
Gaubils   Nach  der  Geschichte  von  Hoei-ki  hiess  dieser  SohnYü-yuei: 
das  ist  aber  der  Name'  des  Landes.    Nach  einer  andern  Nachricht 
beim  Scholiasten  zum  Sse-ki  f.  1  v.  waren  über  30  Geschlechter  (Ye, 
eigentlich  Blätter)  der  Fürsten  von  Yuei  bis  unter  Kaiser  King-wang 
'  (618  bis  474)  der  Sohn  von  Yün7tschang  (starb  495)  bedeutend  wurde. 
Auch   in  I-sse  B   96  Yuei  mie  U  finde  ich  die  Zeitangabe  Gaubils 
nicht  und  sie  hat  wohl   wenig  Werth,   da,   wenn  die  Abstammung 
der  Fürsten  von  Yuei  von  Schhao-khang  auch  sicher  wäre,  die  Zeit- 
angabe wohl   erst  aus  der  angenommenen  Zeitbestimmung  Schhao- 
khang's  abgeleitet  ist. 

Wir  kommen  nun  zur  2.  Dynastie  Schang  oder  Yn. 
Die  wenigen  Stücke  im  Schu-king  betreffen  nur  den  Stifter 
Thang  (IV  1—3),  seinen  2.  Nachfolger  Thai-kia  (IV  4—6), 
den  19.  Pan-keng  (IV,  7),  den  22.  Wu-ting  (oder  Kao-tsung) 
(IV,  8  und  9),  endlich  den  letzten  Ti-sin  oder  Scheu,  unter 
welchem  die  Dynastie  von  den  Tscheu  vernichtet  wurde 
(IV,  10). 

Wir  geben  wieder  erst  die  Liste  der  Kaiser  mit  deu 


IHath:  Chrondlog.  Qrundlage  der  dten  chines.  Geachiehie.       57 

Jahren  ihrer  Regierung  a)  nach  der  recipirten  Annahme  im 
Tong-kien-kang-mu  B.  5  f.  1  fgg.  und  b)  nach  dem  Bambu- 
buche. 

a)  Thang   13,  Thai-kia  33, 

b)  12*^  Wai-ping2,T8chung.jin4,  12 

a)  Yo-ting  29,  Thai-khang  25,  Siao-kia    17,     Yung-ki  12, 

b)  19    Siao-keng      5  17  12 

a)  Thai-meu  75,  Tschung-ting  13,  Wai-jin  15,  Ho-than-kia  9, 

b)  75  9  10  9 

a)  Tsu-y  19,  Tßu-sin  16,  Yo-kia  25,  Tsu-ting  32,  Nan-keng25, 

b)  19  14Khai-kla5  9  6 

a)  Yang-kia  7,    Pnan-keng  28,     Siao-sin  21,     Siao-y,  28, 

b)  4,  .28  3  10 

a)  Wu-ting  59,  Tsu-keng  7,  Tsu-kia  33,  Li n-Bin6,  Keng-ting  21, 

b)  59  11  33Fung-8in4  8 

a)  Wu-y  4,  Thai-ting   3,  Ti-y  38,  Scheu-8in32. 

b)  35    Wen-tingl3  9    Ti-sin        52. 

Was  zunächst  die  Namen  der  Kaiser  und  deren  Folge 
betrifft,  so  sieht  man,  sind  diese  bis  auf  wenige  wieder  über- 
einstimmend, nur  zwischen  dem  Stifter  Thang  und  Thai-kia 
hat  das  Bambubuch,  wie  der  Sse-ki  nach  Meng-tseu,  noch 
die  2  kurzen  Regierungen  Wai-ping  2  Jahre  und  Tschung- 
jin  4  Jahre.  Der  Schu-king  erwähnt  sie  nicht  und  desshalb 
bat  man  sie  später  wohl  ausgelassen.  Die  Stelle  des  Meng- 
tseu  V,  1,  6,  5  lautet:  „Yü  stand  Thang  bei,  so  dass  er 
Kaiser  (Wang)  wurde  über  das  ganze  Reich.  Als  Thang 
gestorben  war,  war  Thai-ting  (bereits  todt)  nicht  auf  den 
Thron  gelangt,    Wai-ping   2  Jahre,   Tschung-jin   4  Jahre." 


17)  Wenn  das  Bambubuch  p.  129  Tscbbing-thang  in  seinem  18.  Jahre 
Knei-bai  den  Tbron  besteigen  lässt,  so  sind  die  Jahre  da  nach  dem 
Antritte  seiner  Herrschaft  in  seinem  Fürstenthmne  Sohang  gerechnet 


58  Siteung  der  phüoa.'pUilol.  Glosse  wm  1,  Juni  1867, 

Einige  verstehen  nun :  bo  lange  regierten  sie,   andere  aber: 
sie  waren  erst  2  und  4  Jahi*e   alt   und   desshalb  folgte  der 
ältere  Thai-kia.    Meng-tseu  fährt  fort:  „Thai-kia  stürzte  die 
Verordnungen   und  Gesetze   von  Thang  um.     Y-yn  entfernte 
ihn  daher  3  Jahr  in  den  Palast  Thung/^  Die  Chinesen  sind 
selber  nicht  einig,  welche  von  beiden  Erklärungen  die  bessere 
sei.      Von   den    andern   Namen   sind   eigentlich    nur   Thai- 
kbang    und    Siao-keng,     Yo-kia    und   Ehai-kia,    dann 
Li n -sin  und  Fung-sin,  diese  2  nur  im  ersten  Charakter  ab- 
weichend.    Was  Siao-keng  betrifft,  so  könnte  das  Siao  im 
Bambubuche  statt  Thai    aus   dem   folgenden   Siao-kia   ver- 
dorben sein,  wenn  nicht  einer  zur  Unterscheidung  der  beiden 
Siao  in  der  recipirten  Annahme  statt  Siao  klein,  Thai  gross  ge- 
setzt hat.    Ehang  und  Eeng,  im  2.  Gliede,  liessen  sich  bei 
der  Aehnlichkeit  der  beiden  Charaktere  (2535  u.  2512)  und 
Laute   leicht  verwechseln.     So   mag  auch  der  Unterschied 
zwischen    Wen-ting   und   Thai-ting   bloss   auf  einer    Ver- 
wechslung  der  beiden  ähnlichen   ersten  Charaktere  (Cl.  67 
und  Nr.  1799)  beruhen.    Wenn  der  letzte  Eaiser  im  Bambu- 
buche Ti-sin   statt  Scheu-sin   heisst,    so   ist  diess  keine  Ab- 
weichung ;  Ti  heisst  bloss  der  Eaiser,  Scheu  war  sein  Name. 
Welcher  von  den   abweichenden  Namen   der  richtige  ist,  ist 
schwer  zu  sagen,  auch  von  keiner  grossen  Bedeutung.     Der 
Kue-iü  I  1  80  v.   sagt  Ti-(Tsu)-Kia  verwirrte  Schang  und  in 
der  7ten  Generationen  (ihn  inbegriffen)  ging  die  Dynastie  zu 
Grunde.    Diess  stimmt  zu  beiden  Angaben. 

Aber  sehr  abweichend  ist  die  Zahl  der  Regierungs- 
jahre in  beiden  Listen,  wie  man  sieht.  Der  Sse-ki  giebt 
bis  auf  den  Stifter,  wie  bemerkt,  gar  keine  Regierungsjahre 
und  woher  die  abweichende  Jahresangabe  in  der  recipirten 
Annahme  genommen  ist,  weiss  man  eben  so  wenig,  als  wo- 
her die  des  Bambubuches.  Gaubil  Tr.  p.  120  sagt,  die 
Liste  der  Eaiser  des  Bambubuches  von  Nan-wang  aufwärts 
bis  Hoang-ti  ist  conform  der  des  Buches  Schi-pen  aus  dem 


Pkah:  Ckrmdog.  Grundlage  der  alten  eftttie».  Qe$chichU,      59 

Ende  der  Dynastie  Tscheu,  aber  er  sagt,  er  habe  das  Buch 
selber  nicht  gesehen  und  kenne  es  nur  aus  Citaten;  es  ent- 
halte Genealogien  von  ELaisern,  FUrsten  und  angesehenen  Per- 
sonen ;    die  Genealogien  kritisirten  die  Chinesen ,   aber  die 
Listen   der   Kaiser   habe  noch  keiner  in  Zweifel   gezogen; 
der  Schi-pen   gebe  Schao  84  Jahre,    setze  den  Gyklus   von 
60  Jahren  schon  unter  Hoang-ti,  vor  dessen  Zeit  Schin-nung 
und  Fu-hi  regiert  hätten."    Diess  Alles  spricht  nicht  beson- 
ders für  dessen  GlanbwUrdigkdt.    Uns  steht  dieses  Werk  auch 
nicht  zu  Gebote.    Der  I-sse  giebt  eine  Menge  kurze  Stellen 
daraus;  B87, 1  f.  3  v.  u.  101  f.  1  wohl  Genealogien,  aber  nur  B.  28 
f.  8  V.  Zeitangaben  der  Regierungen  der  Fürsten  von  Khi;  ich 
wdss  also  nicht,  ob  Gaubil  recht  berichtet  war,  seine  histo- 
rischen Angaben  bewähren  sich  sonst  immer.    Im  Schu-king 
V,  15,    4   und   daraus  wohl  im   Sse-ki  B.  83  f.  5  fg.  giebt 
Tschen-knng,   wie  schon  gesagt,   dem  Kaiser  Tschung-tsung 
oder  Thai-mcu  eine   Regierung   von   75  Jahren,   Kao-tsung 
(Wu-ting)  von  59  Jahren,   Tsu-kia  von  33  Jahren  und  die- 
selben Jahresangaben  haben  beide  Listen.     Spätere  Kaiser, 
sagt  er,   ergaben   sich   den  Vergnügen   und  regierten  daher 
nur  10,  7 — 8,  5—6,  4 — 3  Jahre.    Welche  diese  sein  sollen, 
ist  aus  den  Listen  nicht  ersichtlich,  eher  frühere. 

Einige  Abweichungen  in  Zahlen  könnten  leicht  verschrieben 
sem,  indem  ein  Zahlzeichen  (2 — 5 — 10)  hinzugesetzt  oder  weg- 
gelassen worden;  so  wenn  Yo-ting29  und  19,  Thai-khang  (oder 
Siao-keng)  25  und  15,  Wai-jin  15  und  10,  Yo-  (oderKhai-)  kia 
25  und  15  Jahre,  endlich  Thai-  oder  Wen-ting  3  und  13  Jahre 
beigelegt  werden;  es  ist  aber  aus  den  beiden  Listen  allein 
uicht  zu  entnehmen,  welche  Zahl  die  richtige  sei,  und  das 
umso  weniger,  als  die  Summen  der  Jahre  der  ganzen  Dynastie, 
wie  wir  sahen,  so  verschieden,  von  Meng-tsen  zu  mehr  als  500, 
bei  Tso-schi  zu  600,  von  Yo-tseu  ohne  dem  letzten  Kaiser 
Scheu  zu  576,  von  Pan-ku  zu  629  Jahren  angegeben  wird 
ond  die  Cykluszahlen   des  Bambubuches  und  die  Jahre  der 


60  Siteung  der  philM.'phnol.  Oasse  wm  1.  Jmn  1867. 

einzelneD  ßegierangen  mit  der  Gesammtsiunme  der  Noten 
auch  nicht  stimmen,  indem  jene  508,  diese  nur  496  Jahre 
angeben.  Gaubil  Tr.  p.  237  fg.  meint  es  seien  im  Bambubuche 
auch  bei  der  Dynastie  Schang  die  Jahresangaben  verdorben. 

Es  bleibt  uns  noch  die  erste  Dynastie  Hia.  Im 
Schu-king  haben  wir  wieder  nur  wenige  Dokumente,  aus 
der  Zeit  der  ersten  Dynastie;  ausser  den  ersten  Kapiteln,  die 
Yao,  Schün  und  Yü  betreffen,  geht  III,  2  auf  seinen  Nach- 
folger iOii,  III,  3  auf  Thai-khang  und  III,  4  auf  Tschung- 
khang. 

Wir  stellen  auch  hier  erst  wieder  die  beiden  Listen, 
die  recipirte  nach  dem  Thung  kien  kang  mu  B.  4  f.  7  —  25 
und  die  des  Bambubuches  einander  als  a  und  b  gegenüber; 
da  die  Gykluszahlen  bei  dieser  Dynastie  aber  von  den  Be* 
giemngsjahren  im  Bambubuche  abweichen,  und  an  diese  Fre- 
ret  T.  14  p.  97  sich  hält,  setzten  wir  diese  noch  als  c  hinzu. 

a)  Yü8,  Khi  9,  Thai-khang  29,  Tschung-kfaanglS,  Siang27, 


b)        8         16 

4                              7             28 

c)       11         20 

6                              9             28 

a)  UsurpatioQ  40, 

Schao-khang  22,     Tschu  17,     Hoai  26, 

b)                     40 

21                 17     Fen   44 

c)                     40 

23                  19                44 

a)  Mang    18,     Sie 

16,     Pu-kiang   59,     Pien   21,    Kin  21, 

b)              58 

25                      59               18               8 

c)              59 

28                      59                21              16 

a)  Khung-kia  31,  Kao  11,  Fa  19,  Kuei  52. 

b)  9    Hao    3  7  31. 

c)  35  5  7  31. 

Die  Namen  der  Kaiser,  sieht  man,  stimmen  auch  hier 
wieder  fast  bis  auf  einen  Hoai,  wofür  das  Bambubuch  Fen 
hat,  überein.  Kao  und  Hao  lauten  so  ähnlich,  als  die  beiden 
Charaktere  (8670  u.  3888)  es  sind ;  welcher  der  rechte  sei,  lässt  sich 
aber  schwer  sagen.  Auch  die  Folge  der  Kaiser  steht  fest  Der 


PkUh:  ChrotwU^.  Grundlage  der  alten  chines.  Geschichte.       61 

Kae>iü  I,  f.  30  v.  sagt:  Khai)g«kia  verwirrte  Hia  nnd  in 
der  4teD  Generation  (ihn  inbegriffen)  ging  die  Dynastie  zu 
Grunde.     Diess  stimmt  wieder  mit  den  Listen. 

Was  aber  die  Regierungsjahre  der  einzelnen  Kaiser 
betriff);,  so  jst  hier  die  Uebereinstimmung  der  beiden  Listen 
noch  geringer  als  bei  der  2.  Dynastie.  Sie  fiodet  sich  nur 
beim  Stifter  Yü,  bei  Tschu,  bei  Pu-kiang  und  der  Usur- 
pation. Bei  Siang  ist  der  Unterschied  von  27  und  28  Jahren 
gering  und  gleicht  sich  aus  durch  Schao-khang's  22  und 
21  Jahre;  wenn  Mang  18  und  58  Jahre  hat,  könnte  eine 
Zahl  verschrieben  sein.  Aber  diess  genügt  nicht  zu  zu  einer 
dehem  Herstellung  der  Listen,  da  im  Bambubuche,  wie 
Legge  p.  181  bemerkt,  die  Cykluszahlen^®)  und  die  einzelnen 
Regierungen  nicht  stimmen  und  eben  so  wenig  die  Summe, 
welche  die  Note  angiebt.  Diese  hat  p.  127:  471  Jahre,  die 
Cykloszeichen  geben  nur  431 ,  die  Regierungsjahre  nur  403. 


18)  Za  bemerken  ist,  dass  im  Bambabuche  und  zwar  nur  bei  der 
1.  Dynastie  Hia  nach  P^rerefs  Bemerkung  B  14  p.  92  fg.  bei  15  Re- 
gierungen die  cyklische  Note  des  Regierangsanfanges  eines  Kaisers 
nicht  die  auf  der  des  letzten  Jahres  seines  Vorgängers  folgende  ist, 
sondern  ein  Zwischenraum  bei  8  Regierungen  von  je  8.  Jahren, 
beiden  andern  von  1 — 2 — 4  Jahren  stattfindet.  S.  bei  de  Maiila 
B.  I  p.  CXLIX  die  Tafel,  z.  B.  Yfi  starb  nach  p.  118  im  8.  Jahre 
Jin-Uea  (das  ist  1981),  das  1.  Jahr  seines  Nachfolgers  Khi  ist  aber  erst 
das  Jahr  Euei-hai  (1978).  Die  Note  sagt:  Dieser  trat  die  Herrschaft 
an,  als  die  Sj&hrige  Trauer  vorüber  war,  und  eben  so  bei  Schün  und 
Yü,  und  so  erklart  es  auch  Fröret.  Bei  Yao^s  Tode  sagt  dasselbe 
Ton  Schün  Meng-tseuY,  1,  4,  1  u.  6,  7  und  bei  Schunds  Tode  von  Yü 
derselbe  YIl,  1,  39  und  40,  2.  Wurde  die  Trauerzeit  nicht  immer 
gleichmässig  eingehalten  oder  gerechnet?  In  der  2.  und  3.  Dynastie 
enthielt  der  neue  Kaiser  die  3  Trauerjahre  über  sich  auch  der  Re- 
gierung, die  der  Premier-Minister  führte — so  nach  Lün-iü  14, 43  unter 
Kao-tsnng  (1323—1268),  —  aber  sie  werden  nicht  abgerechnet. 


62  Sitzung  der  phihs^-phiM.  Gasse  vom  1,  Juni  18^, 

Pan-ku  giebt  der  1.  Dynastie  432  Jahre,  Meng-tseu  in  runder 
Summe  über  500  Jahre. 

Yao's  und  Schunds  Regierung  vor  Yü  nehmen  beide 
Listen  zu  100  und  50  Jahre  nach  dem  Schu*king  an. 

So  sehen  wir,  ist  durch  Vergleichung  der  einzelnen  Re- 
gierungsjahre der  Listen  zu  einer  sichern  Chronologie  im 
Einzelnen  und  im  Ganzen  ,noch  weniger  zu  gelangen,  als 
durch  die  der  blossen  Summen.  Es  bleibt  uns  nur  3.  noch  zu 
sehen,  ob  die  astronomischen  Data  und  Gyklusanguben 
uns  nicht  zu  sicheren  Resultaten  verhelfen  können,  wie 
die  Chinesen  schon  vielfach  versucht  haben. 

Zur  Bestätigung  der  bestimmten  Epochen  dienen  nun 
die  Sonnenfinsternisse,  die  in  der  spätem  Zeit,  wie 
Gaubil  Tr.  p.  198  fg.  bemerkt,  fast  immer  genau  nach 
Jahr,  Monat  und  Tag  bemerkt  sind,  so  dass  wir  sie  verifi- 
ziren  können. 

Wir  übergehen  die,  welche  Gaubil  aus  der  Zeit  der 
Ost-Han  am  10.  Mai  31  v.  Chr.  und  aus  der  Zeit  der  West- 
Hau  am  7.  August  198  v.  Chr.  anführt;  wir  haben  gleich- 
zeitige Geschichten,  welche  über  die  Chronologie  dieser  Zeit 
keinen  Zweifel  übrig  lassen.  Da  die  Geschichte  der  4.  Dy- 
nastie Thsin  sich  erhalten  hat,  ist  auch  deren  Chronologie 
sicher.  Das  Ende  der  3.  Dynastie  Tscheu  wird  249  v.  Chr. 
gesetzt.  Im  Jahre  nachher  (248  v.  Chr.)  setzt  der  Tung 
kien  kang  mu  eine  Sonnenfinsterniss  im  Jahre  Euei-tschea 
im  3.  Monat;  aber  diese  kann  nach  Gaubil  Tr.  p.  206  nicht 
zur  Bestimmung  des  Endes  der  Dynastie  Tscheu  dienen,  da 
wir  keine  astronomische  Angabe  aus  der  4.  Dynastie  Thsin 
haben,  der  Text  nicht  den  Stand  der  Sonne  in  den  Stern- 
bildern angiebt  und  mau  auch  nicht  weiss,  in  welchem  Grade 
einer  Constellation  das  Wiuter-Solstiz  angesetzt  wurde. 

In  der  3.  Dynastie  giebt  der  Sse-ki,  wie  bemerkt,  von 
Kaiser  Li-wang  an  die  Regierungsjahre  und  von  der  darauf- 
folgenden Regentschaft  Kung-ho  an  stimmt  das  Bambubuch 


JlalA:  Chronohg.  Grundlage  der  alten  ehines.  Geschichte.      63 

ganz  mit  dem  Sse-ki  und  der  redpirten  Annahme,  auch  bei 
den  einzelnen  Regierungen.  Diese  lassen  sich  nun  auch  durch 
die  von  Confiicius  in  seinem  Tschhün-thsieu  angeführten  36 
Sonnenfinsternisse  sicher  stellen.  Sie  werden  nach  den 
Jahren  der  Fürsten  yon  Lu,  deren  Residenz  in  Yen-tscheu- 
fo  in  Schan-tung  war,  bezeichnet  und  da  wir  aus  dem 
Sse-ki  auch  die  Namen  der  andern  alten  Fürsten  kennen,  so 
können  wir  auch  die  Jahre  dieser  und  der  Kaiser  angeben, 
in  welchen  sie  erfolgten.  So  soll  die  erste  im  3.  Jahre  von 
Lu  Tn-knng  am  Gyklustage  Ki-sse  sich  ereignet  haben.  Diese 
war  unter  Kaiser  Ping-wang  A.  51  oder  720  y.  Chr.  am 
22.  Februar  und  da  ist  Morgens  10  Uhr  und  einige  Minuten 
wirklich  eine  bedeutende  Sonnenfinstemiss  in  Schan-tung  ein- 
getreten, 8.  Gaubil  Obs.  T.  11  p.  156  fg.  Tr.  p.  210  fg. 
Die  zwischenliegenden  führt  Gaubil  Obs.  T.  III  p.  239  fg. 
und  Lettres  ed.  T.  14  p.  371  auf  und  verificirt  sie.  Gialmers 
bei  Legge  Proleg.  Tr.  UI  p.  103  giebt  eine  üebersicht  der- 
selben, aber  mit  einigen  Abweichungen ;  einige  wären  darnach 
freilieb  in  Schan-tung  nicht  sichtbar  gewesen. 

Mit  dem  14ten  Jahre  Ngai-kung's  von  Lu  endet  die  Chronik 
des  Confucius,  sie  beginnt  mit  Yn-kung  A.  1,  242  zuYor;  in 
dessen  3te8  Jahr  fällt  der  Tod  Kaisers  Ping-wang  720  v.  Chr. 
Aber  über  das  gedachte  Jahr  hinaus  fehlen  Angabe-n  von 
Sonnenfinsternissen   fast  gänzlich,    so  dass   die  hin  und 
wieder  ausgesprochene  Behauptung,  die  Geschichte   der  Chi- 
nesen beruhe  durchgehens  auf  der  Gewährleistung  aufgezeich- 
neter Sonnenfinsternisse,  nur  bis  zum  8.  Jahrhunderte  v.  Chr. 
richtig  ist.   Aus  den  2000  Jahren  vor  der  Zeit  des  Tschhün- 
thsieu  sind  nur  2  aufgezeichnet,  von  denen  eine  noch  dazu 
ziemlich   problematisch   ist.     Die   andere   wird-  in  Schi-king 
Siao-ya  II,  4,  9  in  einer  Ode  aus  der  Zeit  des  Kaisers  Yeu- 
»wang,   des  Vorgängers  von  Ping-wang  —  den  das  Lied  aber 
nicht  nennt,   —   erwähnt.     Es  heisst  da:     „Kiao   des    10. 
Monats,  am  1.  Tage  Sin-mao   war  eine  Sonnenfinstemiss.^' 


64  SiUung  der  philaB.'philol.  Clasge  vom  1.  Jumi  1867. 

^^ 
Eiao  bezeichnet  nach  Ganbil  Obs.  T.  II  p.  151  i^.  und  Tr. 

p.  215  fg.  in  der  älteren  chinesischen  Astronomie  die  Knoten 
der  Mondbahn,    in   deren  Nähe  sich  die  Finsternisse  allein 
ereignen  können.     Nach   dem  Kue-iü  I,   f.  9  und  Sse-ki  re- 
gierte  Yeu-wang    11    Jahre  und   nach   der   Geschichte   der 
Thsin  (Sse-ki  B.  5  f.  5)  fiel  er  in  einer  Schlacht  gegen  die 
Tataren    im    7.  Jahre   von  Thsin  Siang-kang  771  v.  Chr.); 
er  kam  also  781  zur  Regierung.     Während  dieser  Zeit  war 
aber  in  Si-ngan-fu ,  in  Schen-si ,  der  damaligen  Residenz  der 
Dynastie  Tscheu,  nur  eine   Sonnenfinsterniss    sichtbar    und 
zwar   nach  Gaubil  den  6.  September  776,  am  ersten  Tage 
des    10.  Monats   nach   dem  Kalender   der   Dynastie  Tschen, 
gleich  dem    8.  jetzigen  Monate,    der  wirklich  der  Tag  Sin- 
mao  war;    diese  müsse  also  gemeint  sein.     Diess   bestätige 
auch  das  Bambubuch,  das  am  Tage  Sin-mao  den  ersten  des 
10.  Monats  im  6.  Jahre  von  Yeu-wang  im  Winter  die  einzige 
Sonnenfinsterniss  erwähnt  Diese  Berechnung  nach  P.  Adam 
Schall,   P.  Kegler  und  Gaubil  haben  auch  Lacharme  zum 
Schi-king  p.  284  und  de  Maiila  T.  2  p.  57 ;   ich  weiss  nicht, 
wie  Ghalmers  p.  103  und  nach  ihm  Legge  p.  85  sie  auf  den 
29.  August  775  ▼.  Chr.  berechnet  und  dann  sagt,    dass  sie 
früh  Morgens  kaum  sichtbar  war. 

Vor  Phing-wang  regierte  nach  beiden  Listen  Yeu-wang 
11  Jahre  und  vor  diesem  Siuen-wang  46  Jahre;  bei  der 
Regierung  der  10  Vorgänger  Siuen-wang's  weichen  die  Be- 
gierungsjahre in  beiden  Listen  aber,  wie  S.  53  bemerkt,  sehr  ab, 
namentlich  was  die  Regierung  des  4ten  Tschao  (51  und  19), 
des  8ten  Hiao  (15  und  9),  des  9ten  J  (16  und  8)  und  des 
loten  Li  (51  und  26)  betrifft. 

Die  Geschichte  von  Thsin  geht  bis  857  v.  Chr.  hinauf, 
wo  Thsin-heu  zur  Regierung  gelangte.  Bis  Li-wang  giebt 
^er  Sse-ki  die  Regierungsdauer  der  Kaiser  übereiustimmeo(l 
mit  dem  Bambubuche  an  und  da  die  zahlreichen  Angaben  über 
Sonnenfinsternisse  im  Tschhün-thsieü  seit  720  diese  bestätigen. 


Pfafh:  Chranolog,  Grundlage  der  (üUn  chinea,  Oeschiehie.      65 

80  kann  man  auch  ohne  Bedenken  die  CSironologie  der  8.  Dy« 
nastie  Tsoheu  von  der  Regentschaft  Eung-ho  abwärts  als 
wohl  begründet  betrachten;  sie' trat  841  v.  Chr.  ein,  nach* 
dem  Li-wang  im  37.  Jahre  seiner  Regierung  wegen  seines 
schlechten  Betragens  entthront  worden  war.  Die  beiden 
Minister  Tschao-  und  Tscheu-kung  retteten  nach  der  Flucht 
des  Kaisers  den  Erbprinzen  vor  der  Wuth  des  erbitterten 
Volkes  und  Tührten  14  Jahre  die  Regentschaft,  Eung-ho  ge* 
nannty  d.  i.  Eintracht  und  Harmonie,  und  übergaben  dann 
die  Regierung  seinem  Sohne  Siuen-wang.  Die  14.  Jahre  zu 
den  37  Jahren  Li-wang's  im  Sse-ki  geben  die  51  Jahre  des- 
selben in  der  redpirten  Annahme. 

Die  Regierungsjahre  der  Vorgänger  Li-wang's  sind  aus 
der  Liste  zu  ersehen.     Eine  Stelle,  um  diese  controliren  zu. 
können,  findet  sich  nur  in  Schu-king  im   Eap.  Pi*ming  (V, 
24,  1)  aus  der  Zeit  des  3ten  Eaisers  Ehang-wang.  Da  heisst 
es:    „in  seinem  12.  Jahre,  im  6.  Monate,  am  Tage  Eeng*u 
erschien  die  Helligkeit  (die  erste  Mondphase);    der  3te  Tag 
oacfaher  war  Jin-schin.''    Lieu-hin  und  Pan-ku  nehmen  den 
Ausdruck,  die  Helligkeit  erschien,  wie  die  Chinesen  allgemeii^ 
für  den   3.  Tag  des  Monats;    der  Charakter  Pu   oder  wie 
Legge  lieaet,   Fei  kommt  im  Schu-king  auch  V,  12,  2  vor 
und  ist  zusammengesetzt  aus  CI.  74  Mond  und  Tschu  hei^ 
vorgehen.  Die  recipirte  Meinung  lässt  Ehang-wang  1078  bis 
1052  r^eren.    Damach  wäre  diess  im  Jahre  1067  v.  Chr. 
den  16.  Mai  gewesen,   aber  da  war  der  Cyklustag  Eeng-u 
kein  3ter  Monatstag.   Der  chinesische  Astronom  Y-hang,  im 
8.  Jahrhunderte  n.  Chr.,  nahm  daher  das  Jahr  1056  v.  Chr, 
den  18.  Mai  an,  wo  der  Neumond  den  16.  und  der  Cyklus- 
tag Eeng-u    der   18.  Mai  war   und    ihm    folgt  Gaubil   Tr. 
p.  223  fg.    Damit  stimmt  aber  ^gar  nicht  die  Chronologie 
des  Bambubuches.  Dieses  setzt  das  erste  Jahr  Ehang-wang's 
1007  T.  Chr.    und   sein    12.  Jahr  ist  also  996   (60  Jahre 
spater).     Diess   reimt  sich  aber   durchaus  nicht  mit  dem 
[1867.  IL  1.]  5 


66  SUsung  der  phila8.'phü6l.  CUuse  vom  1.  Juni  1867. 

Scha-king  and  Gaabil  Tr.  p.  225  und  ebenso  Freret  T.  14 
p.  113  meinen  daher,  man  mfisde  einen  ganzen  Gyklus  von 
60  Jahren  hinzusetzen,  —  und  zwar  dieser  in  den  4  Re- 
giemngen  zwischen  Kong-  und  Sinen-wang,  —  so  erhalte 
man  dasselbe  Jahr  1056  ▼.  Chr.  Das  Bambnbnch  erwähnt 
da  dieselbe  Begebenheit  so:  „im  12.  Jahre  im  Sommer  im 
6.  Monat,  am  Tage  Jin-schin  kam  der  Eonig  nach  Fanj 
und  ertheilte  ein  Amt  dem  Pi-kung.'*  Legge  UI  p.  570  hebt 
hervor,  dass  dieses  Kapitel  des  Schn-king  nur  im  alten 
Texte  sich  finde  und  bezweifelt  werde,  aber  ein  Citat  in 
Pan-ku's  Geschichte  der  Han  (Lifi-U  tschi  B.  21  hia  f.  18) 
scheine  den  Text  im  Wesentlichsten  zu  bestätigen. 

Wenn  diese  Annahme  richtig,  wäre  das  erste  Jahr 
Ehang-wang's  1068  v.  Chr.  (statt  1078  oder  1007)  und  man 
müsste  die  Regierungsjahre  darnach  ändern,  in  der  recipir- 
ten  Chronologie  abwärts  bis  zur  Regentschaft  Enng-bo 
10  Jahre  absetzen,  im  Bambnbuche  aber  60  Jahre  hinzu- 
setzen und  zwar  wohl  bei  den  oben  angeführten  Regierungen, 
wo  die  Regierungsjahre  beider  Listen  von  einander  ab- 
weichen. 

Die  2te  Stelle  des  Schu-king's,  die  man  zur  Controlle 
der  Listen  benutzt,  im  Kap.  Tschao-kao  (V,  12,  2)  lautet  §  1: 
„im  2.  Monate,  am  Tage  Y-wei,  dem  6.  nach  dem  Vollmonde, 
ging  der  König  Morgens  von  Tscheu  aus  und  kam  nadi 
Fung''  —  und  §  2:  „im  3.  Monate,  nachdem  am  Tage 
Ping-wu  der  Neumond  erschienen  war,  am  Tage  Meu-schm 
kam  der  Thai-pao  Morgens  nach  Lo.''  Es  handelt  sich  hier  um 
das  7.  Jahr  der  Regentschaft  Tscheu-kung's  unter  Kaiser  Tsching- 
wang.  Pan-ku  und  Lieu-hin  deuteten  es  auf  das  Jahr  1109 
V.  Chr.,  aber  nach  T-hang,  dem  Gaubil  p.  226  und  Freret 
p.  75  fg.  folgen,  entspricht  es  dem  Jahre  1098  v.  Chr. ;  denn 
der  2.  Februar  1109  könne  nicht  der  SteTag  des  3.  Monats 
nach  dem  Kalender  der  Tscheu  sein^  wohl  aber  der  4.  Fe- 
bruar 1098  der  Tag  Ping-wu  und  der  3te  des  3.  Monats;  i^ 


FUUh:  Chrondlog.  Grundlage  der  <üten  ehines.  Geaehiehte,      67 

diesem  Jahre  war  im  2.  M.  den   18.  Januar  Vollmond  und 
6  Tage  später  der  Tag  Y-wei,  was  beides  viele  Jahre  vor  und 
nachher  nicht  wieder  vorkomme.    Dies^  stimmt  aber  wieder 
Licht  mit  dem  Bambubuche.    Nach  diesem  regierte  Tsching* 
wang  1043  bis  1006  und  sein  7tes  Jahr  wäre  demnach  1038 
(vielmehr  1037),  diess  passe  aber  in  keiner  Weise.    Das  Jahr 
habe  den  Gyklus-Charakter  Euei-mao,   denselben  habe  aber 
auch  das  Jahr  1098 ;  es  scheine  also  wieder  ein  Cyklns  von 
60  Jahren  da  ausgelassen.     Diess  zeige   sich  aber  auch  bei 
seiner  Angabe  des  Todes  Tsching-wang's.     Das  Bambubuch 
p.  148  lasse  ihn,  wie  die  recipirte  Meinung,  37  Jahre  regie- 
ren und  im  Sommer  im  4.  Monate,  am  Tage  Y-tschheu  sterben; 
der  Scha-king  im  Kap.  Eu-ming  V,  22,  1  setze  auch  seinen 
Tod  am  Tage  Y-tschheu,  im  4ten  Monate,  aber  den  Tag  nach 
dem  Vollmonde.    §  1  heisst  es:  „im  4.  Monat,  da  der  Mond 
begann  abzunehmen,  war  der  Eaiser  unwohl;  §  2  am  Tage 
Kia-tseu  wusch  sich  der  Eaiser  Hand  und  Gesicht,    die  Be- 
amten setzten  ihm  den  Hut  auf,  zogen  ihn  an  u.  s.  w.  und 
§  10  am  nächsten  Tage  Y-tschheu  starb  der  Kaiser.*'    Im 
Jahre  1008  v.  Chr.,  sagt  Gaubil,  war  der  Tag  Y-tschheu  der 
2te  März  zwar  im  4.  Monate,  aber  mehrere  Tage  vor  der 
Opposition ;  es  passt  also  das  Jahr  nicht,  wohl  aber  war  in 
China  1068  den  16.  März  die  Opposition  im  4ten  Monate  und 
im  4  den  17.  März  war  der  Tag  Y-tsöhheu ;     beide  Jahre 
hätten  den  Cyklus-Gharakter  Kuci-yeu  und  es  werde  wieder 
iui  Bambubuche  ein  Cyklus  von  60  Jahren  ausgefallen  sein. 
Das  erste  Jahr  Tsching-wang's  wäre  demnach  1104  v.  Chr., 
dieses  Jahr   hat   das   Gykluszeichen   Ting-yeu;    dieses  giebt 
ihm  auch  das  Bambubuch  p.  145,   aber  im   unkorrigirten 
Texte  ist  es  da  das  Jahr  1044. 

Auf  die  Regierung  Wu-wang's,  des  Vaters  und  Vor- 
gängers von  Tsching-wang ,  rechnet  der  Sse-ki  (wie  schon 
bemerkt,  wohl  irrig)  nur  2  Jahr;  Pan-ku  B.  21  f.  17  v.  und 
Lieu-hin,  auch  Kuan-tseu  7   Jahre,   so   auch  die  recipirte 


6B  Sitzung  der  phüos.-phüol.  Classe  vom  1.  Juni  1867. 

Annahme.   Dieses  nimmt  anch  Ganbil  mit  Y-hang  an.  Dann 
wäre  sein  erstes  Jahr  wahrscheinlich,  meint  er  p.  231,  aber 
nicht  gewiss  1111  v.  Chr.,  statt  nach  der  recipirten  Meinung 
1122.   Das  Bambubuch  rechnet  6  Jahre.    Im  Schu-king  im 
Kap.  Wu-tsching   (V,  3,  1)   heisst  es:    ,.im   ersten   Monate 
am  Tage  Jin-tchin  war  der  Tag  nach  der  Gonjunktion;  den 
folgenden  Tag  Kuei-ki  zog  der  Kaiser  des  Morgens  von  Tscheu 
aus,  Schang  anzugreifen  und  zu  bestrafen."  §  2 :  im  4ten  Monate, 
als  der  Mond  zuerst  wieder  erschien,  gieng  der  Kaiser  yod 
Schang  nach  Fung;     §  3   am  Tage  Ting-wei   opferte  er  im 
Ahnentempel    der   Tscheu    und   3   Tage    darauf   am    Tage 
Keng-siü  brachte  er  ein  Brandopfer  dar  und  verkündete  das 
Ende  des  Krieges;   §  4  als  der  Mond  b^ann  abzunehmen, 
erhielten   die  Vasallenfürsten    ihre  Anstellung   von   Tscheu. 
(Der  Kaiser  hält  dann  §5—8  eine  Anrede  an  diese).  §  9  heisst  es: 
„am  Tage  Meu-wu  ging  das  Heer  über  die  Furt  von  Meng, 
am  Tage  Kuei-hai  hielt  er  eine  Beviie  über  dasselbe  in  der 
Vorstadt  oder  an  der  Grenze  (Kiao)   von  Schang  und  er- 
wartete des  Himmels  ruhigen  Befehl;  am  Tage  Kia-tsen  bei 
Tagesgrauen  iiihrte  Scheu  sein  Heer  heran,  wie  einen  Wald 
und  versammelte  sie  in  den  Gefielden  von  Mu,  aber  es  leistete 
keinen  Widerstand  unserm  Heere.'^    Diess  sind  die  Cjklas- 
zeichen,  die  in  diesem  Kapitel  erwähnt  werden.  Gaubil  sagt, 
es  muss  damals  zwischen  dem  ersten  und  4.  Monate  einen 
Schaltmonat  gegeben  haben;    es  handelt  sich  hier  von  dem 
Jahre,  wo  Wu-wang  den  letzten  Kaiser  der  Dynastie  Schang 
schlug,    also   im    1.  Jahre  seiner  Regierung.     Lieu-hin  und 
Pan-ku  nahmen  nach  Gaubil  irrig  dafür  das  Jahr  1122  an, 
1128  (1122)  sei   der  Tag  Sin-mao  (27.  November)  der  erste 
des  1.  Monats,   der  Tag  Jin-tschin  der  2.,   der  Tag  Ki-wei 
(25.  December),  der  des  Solstizes,  der  Schaltmonat  zwischen 
dem   1.  und  4.  Monat  gewesen,    aber  da  müsste  man  sich 
1123  um  3  Tage   geirrt  haben,    denn  die  Gonjunction  fand 
den  30.  November  statt.     Gaubil  nimmt  daher  mit  Y-hang 


Plaih:  Chronohg.  Grundlage  der  alten  chines.  Oeschichte.     69 

dafiir  das  Jahr  1112  an.  Am  Tage  Eeng-yn  sei  da  die  Gon- 
JQnction  gewesen,  es  treffe  diess  nicht  ganz  genau  zu,  doch 
hat  es  nach  Gaubil  Wahrscheinlichkeit.  Nach  dem  Tschhün- 
thideu  von  Liü-pu-wei  (im  I-sse  B.  146  hia  f.  5)  war  Wu-wang 
schon  12  Jahre  Fürst  von  Tscheu,  als  er  Kaiser  wurde  — 
und  damit  stimmt  der  Schu-king  Kap.  Thai-tschi  (V,  1,  1): 
„im  ISten  Jahre  im  Frühlinge  war  die  grosse  Vereinigung 
an  der  Furt  von  Meng(-tsin)."  Nach  Gaubil  starb  syn  Vater 
Weu-wang,  also  12  Jahre  vor  1111,  d.  i.  1123  v.  Chr.; 
er  regierte  aber  (in  seinem  Lande  Tscheu)  nach  dem  Schu- 
king  Kap.  Wu-i  V,  15,  §  11 :  50  Jahre. 

V^enn  nach  diesem  Systeme  GaubiPs  Tr.  p.  233  die  Jahre 
der  Regentschaft  Kung-ho  (841  v.  Chr.)  bis  zum  ersten 
Jahre  Tsching-wang's  (1104)  und  auch  bis  zum  ersten  Wu- 
wang's  (1112)  im  Ganzen  sicher  sind,  so  ist  diess  nicht  so 
der  Fall  mit  der  Vertheilung  der  Jahre  zwischen  den  ein- 
zelnen Regierungen.  Tsching-wang  regierte  nach  allen  Nach- 
richten 37  Jahre,  Khang-wang  nach  beiden  Listen  26,  ebenso 
Mu-wang  auch  nach  dem  Sse-ki  55  Jahre,  Kung-wang  nach 
beiden  Listen  12  Jahre,  und  sein  Nachfolger  Y-wang  25  Jahre ; 
aber  wegen  der  Anderen  4  bestehen  zwischen  beiden  Listen 
Abweichungen  und  die  Entscheidung  über  die  Dauer  der 
einzelnen  Regierungen  ist  schwierig. 

Eine  Note  zum  Bambubuche  p.  149,  welche  lautet: 
„von  König  Wu-wang  bis  Kaiser  Mu-wang  wurde  das  Reich 
100  Jahre,  (wie  man  meint  von  Tscheu)  besessen''  scheint 
einen  Anhalt  zu  gewähren  zu  der  Annahme,  dass  von  Wu- 
wang  bis  Mu-wang  100  Jahre  verflossen  waren;  allein  hier 
wird  bloss  die  Stelle  des  SchU-king  im  Kap.  Liu-hing  (V, 
27,  1)  zu  Grunde  Hegen,  wo  derselbe  Ausdruck  hiang- 
kue  vorkommt.  Legge  übersetzte  es  da :  „der  Kaiser  hatte  das 
Reich  inne  100  Jahre  alt  (mao),"  obwohl  nach  V,  15,  4,  5  und  6 
(ohnemao)  näher  läge  die  üeborsetzung :  „er  hatte  den  Thron 
100  Jahr  inne,"  wie  auch  andere  chinesische  Ausleger  annehmen,  * 


70  Sitzung  der  pküos^-phiM.  Classe  vom  1.  Juni  1867, 

während  der  Sse-ki  ilm  50  Jahre  alt  den  Thron  besteigen 
lässt.  Nun  sagt  die  Geschichte  von  Tsin  (Tsin-schu)  im 
I-S8e26  f.  Iv.  ,,Mu-wang  lebte  nicht  100  Jahre  lang''  und 
es  scheint  daher,  dass  der  Notenschreiber,  der  ünwahrschein- 
lichkeit  der  langen  Lebensdauer  desselben  zu  entgehen,  die 
100  Jahre  nur  auf  die  Zeit  von  Wu-wang  bis  Mu-wang  ge- 
deutet habe;  dann  kann  die  Note  natürlich  nichts  helfen. 
Die  Note  des  Bambubuches  hinter  den  12ten  Kaiser  Yeu-wang 
p.  158  y  die  vom  1.  Jahre  Wu's  Sin-mao  bis  zum  letzten 
Yeu's  Keng-u  292  Jahre  rechnet,  ist  oben  S.  46  schon  an- 
gezogen. Die  Summe  stimmt  nicht  zu  den  einzelnen  Regie- 
rungen ;  die  einzelnen  Regierungsjahre  des  Bambubuches  geben 
nur  269,  die  Cykluszeichen  279  Jahre,  also  23  oder  13  Jahre 
weniger.  Die  Regierungsjahre  Tschao's,  Hiao's,  J's  und  Li's 
sind  im  Bambubuche  geringer,  als  in  der  recipirten  Annahme, 
aber  welchen  Regierungen  die  Jahre  zulegen?  Bis  Siucn- 
wang  A.  826  stimmen  beide  Listen.  Auf  seine  Vorgänger 
rechnet  die  redpirte  Annahme  bis  1121:  295  Jahre,  das 
Bambubuch  nur  223  Jahre,  wie  Legge  Prol.  T.  III  p.  85 
hat;  bei  5  dieser  Regierungen  stiibmen  beide  Listen  überein, 
bei  5  nicht.  Man  sieht  aber  keinen  Grund,  sich  für  die  An- 
gabe der  einen  oder  andern  zu  entscheiden.  Wenn  Meng-tseu, 
sagt  Legge,  die  500  Jahre  und  mehr  von  Confucius  bis  Wen 
bis  zum  Anfange  dei^  Dynastie  Tscheu  rechne,  (was  aber  nicht 
anzunehmen,)  falle  dieser  1051  —  1161;  die  recipirte  An- 
nahme möge  sich  der  Wahrheit  nähern,  die  des  Bambubuches 
sei  zu  spät.  ,51  Jahre  werden  Tschao-wang,  mit  dem  Namen 
Hia,  auch  in  einem  Werke  Tao-kien-lo,  welches  Uebersetz- 
ungen  von  alten  Inschriften  auf  Schwertern  zu  enthalten 
scheint,  im  I-sse  B.  26  f.  1  beigelegt,  aber  da  die  Inschrift 
aus  dem  2.  Jahre  des  Kaisers  sein  soll,  ist  diese  Angabe 
des  unbekannten  Autors  wieder  von  keiner  Bedeutung.  Es 
lässt  sich  also  die  Dauer  der  Regierungen,  bei  welchen 
beide  Listen  von  einander  abweichen,  nicht  genau  bestimmen. 


IWh:  Ckrtmohg,  Qruindlage  der  Mm  ehines.  OeschichU.     71 

Was  die  2te  Dynastie  betri£ft,  so  steht  damit  die  Sache 
noch  sohlimmer.    Wir  haben  gesehen,   wie  verschieden  die 
Summe  der  Daner  der  ganzen  Dynastie  angegeben  wird,  von 
Meng-tBeu  znmehrals  500  Jahren,  bei  Tso-schiza  600  Jahren,  von 
To-tsea  bis  zum  letzten  Kaiser  Scheu  exclusive  zu  570  Jahren, 
von  Pan-ka  zu  629  Jahren.    Die  Summe  der  Note  des  Bam- 
babuches  p.  141  496  Jahre   stimmt  nicht  mit  den  Jahren, 
welche,  die  einzeben  Regierungen  und  die  Cykluszeichen  er* 
geben*    Die  recipirte  Annahme  rechnet  644  Jahre  bis  1765 
T.  C!hr.    Von  den  einzelnen  Kaisern  führt  der  Schu-king  im 
Kap.  Wa-i  (V,  15),  wie  gesagt,  nur  an  Tschung-tsung  mit 
75,  Wn-ting  mit  59    und  Tsu-kia  mit   33  Jahren,    andere 
nach  diesen  hatten  nur  10,  7—8,  5—6,  4—3  Jahre  regiert; 
sie  werden  nicht  genannt.  —  Diese  Zahlen  möchten  aber 
für  die  kleineren  Zahlen  der  Regierungsjahre  der  5  nächsten 
Nachfolger  Tsu-kia's  der  Listen  S.  57  sprechen.    Die  Stelle 
des  Kue-iä  I,  f.  30  y.,   oben  S.  42   sagt  nur:  von  Ti-kia 
bis  zum  Ver&lle  der  Dynastie  sind  7  Generationen ;  Meng- 
tseu  n,   1,    1,   8  sagt:    „vom   Stifter  Thang  bis  Wu-ting 
gab  es  6—7  weise  und  heilige  Fürsten.     Scheu,  der  letzte, 
war  nicht  weit  von  Wu-ting.    Dass  Meng-tseu  (Y,  1,  6,  5) 
zwischen  dem  Stifter  Thang  und  Thai-kia  noch  zwei  Regie- 
rangen der  Brüder  Wai-ping  2  Jahre  und  Tschung-jin  4  J.  setzt, 
^rahrend  andere  sie  wegglassen,  ist  S.  57  schon  erwähnt.  Diese 
stützten  sich  auf  den  Schu-king  im  Kap.  Y-hifin  (IV,  4,  1); 
da  heisst  es:  „in  Thai-kia'B  erstem  Jahre,  im  12.  Monate, 
m  Tage  Y-tschheu  opferte  Y-yn  dem  Könige  Vorfahren  und 
prasentirte  respektvoll  den  König-Nachfolger  seinen  Ahnen,** 
ond  dann  auf  die  Vorrede  zum  Schu-king  §  18:  „Nachdem  Thang 
gestorben  in  Thai-kia's  Istem  Jahre,  verfasste  Y-yn  (das  Cap.) 
Y-hifin/'    Nach  dem  Tso-tschuen  war  der  erste  Monat  der 
Dynastie  Schang  der  12  te  im  Kalender  der  Hia  und  der  2te 
u^  dem  der  Tschoi. 

Pan-ku  B.  21  hia  f.  16  i^.  wollte  aus  dieser  Stelle  das 


72  Sitsung  der  phitos.-philol  Claase  v<m  1.  Juni  1867.  , 

Jahr  1738  y.  Chr.  als  das  erste  Jahr  yon  Thai-kia   und  da' 
tsching-thang  13  Jahre  regierte,  1751  v.  Chr.  als  das  erste 
Jahr  desselben  ermitteln.  Es  stimmt  aber  nicht  damit,  dass  er 
an  einer  andern  Stelle  (B.  20  f.  18  v.)  Wai-ping  und  Tschang* 
jin  zwischen  beiden  annimmt  und  Gaubil  Tr.  p.  240  bemerkt, 
derSchu-king  sage  nicht,  dassder  Tag  T-tschheader  Tag  des 
Winter-Solstizes,  noch  dass  er  der  erste  des  Monats  gewesen 
sei,   worauf  Pan-ku  sich  stützte.     Gaubil  nimmt  191t   dem, 
Bambubuche  52  Jahre   für  den  letzten  Kaiser  (der  2.  Dy* 
nastie)  Scheu  an,   rechnet  mit  To-tseu  bis  zu  diesem  576 
Jahre,  lässt  Thai-kia  unmittelbar  auf  Thang  folgen,   nimmt 
so  628  Jahre  für  die  ganze  2.  Dynastie  an  und  setzt  daher 
ihren  Anfang  Tr.  p.  242 :  1739?.  Chr.;  aber  so  wenig  sicher, 
dass   er  später  in  seinar  Geschichte  der  Astronomie  Lettr. 
6dif.  T.  14  p.  332  dafür  das  Jahr  1760  annahm.     Weitere 
Cykluszeichen  zu  einer  Conti'ole   der  Jahre  der  2.  Dynastie 
giebt  es  nicht,  daher  man  über  ihre  Dauer  oder  die  der  ein- 
zelnen Regierungen  derselben  bei  der  versdiiedenen  Angabe  der 
Listen  nicht  entscheiden  kann.  Legge Prol. III  p. 86  sagt:  aas 
der  Summe  von  600  Jahren  bei  Tso-tschuen  und  500  und 
mehr  bei  Meng-tseu  lasse  sich  nur  schliessen,   dass  die  re- 
cipirte  Annahme  von  644  Jahren  zu  gross,  die  des  Bambo- 
buches  von  508  Jahren  (die  Note  hat  nur  496)  zu  gering  sei. 
Gleiche    Dngewissheit    herrscht    über   die    Dauer    der 
ersten  Dynastie  Hia.    Der  Schu-king  im  Kap.  Yn-tsching 
(III,  4,  4)   gedenkt  einer  Sonnenfinsterniss,    die  sich  unter 
dem  4ten  Kaiser  derselben  Tschung-khang  ereignet  haben 
soll.   Die  Stelle  hat  der  Tso-tschuen  Tschao-kung  A.  17  f.  10. 
Liesse  sich  das  Jahr  derselben   mit  Sicherheit   bestimmen, 
80   würde  sie  ein  Lichtpunkt   für  die   älteste   Chronologie 
Ghina's  sein.    Die  Worte    sind   aber   zu   unbestimmt,    8ie 
lauten:    „am  ersten  Tage  des   letzten  Herbstmonats  waren 
Sonne   und  Mond  in  ihrer  Conjunktion  nicht  in  Harmonie 


Hath:  Ckronohg.  Grundlage  der  alten  chines*  Geschichte.      73 

in  Fang  (tschin  fei  tsi  iü  Fang)^');    der  Blinde  rührte  die 
Trommel  (wie  bei  einer  Sonnenfinstemiss  üblich),  die  untern 
Beamten  und  das  Volk  rannten  bestürzt  umher".    Nach  dem 
Tso-tschuen  ist  eine  sichtbare  Finsterniss  hier  gemeint.  Der 
Hof  war  damals   in  Ho-nan,    bei   dem   jetzigen  Thai-kang 
Wen  34*  4'  der  Br.  8'  westlich   von  Pe-king.    Der  cyklische 
Tag   der  Finsterniss   wird   aber   nicht   angegeben   und  ihre 
Epoche  steht  daher  keineswegs  fest.   Der  Thung  kien  kang  mo 
B.  4  f.  13  setzt  sie  in  Tschung-khang's  A.  1,  das  Bambubuch 
in    A.  5 ;    diese  und  andere  sind  aber  alles   spätere  will- 
kürliche Bestimmungen.  Gaubil,  der  sie  mehrmals  in  Unter- 
suchong  gezogen  hat  (Observ.  T.  II,  p.  140,  hinter  s.  üeber- 
setzung  des  Schu-king  p.  372—380,    Traite  p.  242  fg.  und 
Lettres  edif.  T.  14  p.  316)  meinte,  sie  habe  im  ersten  Jahre 
Tschung-khang's  stattgefunden   und  zwar   den   12.  October 
2155  V.  Chr.*®,  wo  sie  nach  Flamsteeds  Tafeln  beim  Aufgange 
der  Sonne  3Vs  Zoll  betrug;  diese  sei  die  eiuzige,  aufweiche 
die  Angabe  des  Schu-king  passe.    Das   Winter-Solstiz  war 
damals  den  7  oder  8.  Januar  2154,  das  Herbstaequinoctium 
den  8.  oder  9.  October  2155  nach  chinesischer  Bestimmungs- 
weise,  so  dass  sich  nach  ihnen  die  Sonne  am  12.  October 
3— 4*  östlich  vom  Herbstpunkte  befand. 

Die  Finsterniss  ereignete  sich  nach  ihm  also  wirklich 
im  9.  Monate  und  zugleich  in  der  Station  Fang ,  wenn  diese 
sdion  damals,  wie  später,  bestimmt  wurde.  Aber  Delambre 


19)  Dieser  Ausdrack  für  eine  SonnenfinstemisB,  bemerkt  Chalmer's 
p.  101,  ist  ungewöhnlich;  später  heisse  es  immer:  Ji  yeu  schi  tsohi; 
der  Charakter  Fang  im  Tso-tschuen  sei  sichtlich  uicht  das  Sternbild, 
di8  jetst  so  heisse,  sondern  das  jetsige  Sehe,  und  hiess  früher  Ho 
(Scorpion),  Fang  nur  im  Li-ki  genannt 

^)  Legge  T.III  p.  167  sagt  irrig  2169  oder  2158.  — Der  Unter- 
Bckied  eines  Jahres  hier  und  sonst  rührt  nur  daher,  ob  man  das 
Jahr  ton  Christi  Geburt  als  erstes  mitrechnet  oder  nicht 


74  Sitsung  der  phOaa.-phüol,  Classe  tHMi  1.  Juni  1867. 

Histoire  de  Tastronomie  T.I  p.  363fg.  weodet  dagegen  schon 
ein,   dass  die  angenommene  Finstemiss  nur  klein  war  and 
nicht  geeignet,  das  Volk  zu  erschrecken.  Eben  so  sagt  Ideler 
S.  324,  sie  betrag  nur  1.  Zoll  und  nach  Largeteau  bei  Biot 
Journal  des  Savans  1840  arril,    der  sich  der  verbesaerten 
Mondtafeln  bedient  hat,   war  sie  in  China  gar  nicht  sicht- 
bar und  so  auch  nach  Chalmers  bei  Legge  T.  3  p.  168. 
Die  Chinesen  schwanken  selber  in  ihrer  Bestimmung.     Das 
Bambubuch  p.  119  setzt  sie,  wie  gesagt,  unter  Tschung-khang 
A.  5  im  Herbste,  im  9.  Monate,  am  Tage  Eeng-siü,  nach  den 
Cykluszablen  des  Jahres  und  Tages  den  28.  October  1948, 
wo  es  aber  gar  keine  Conjunktion,   geschweige  denn  eine 
ecliptische  gab.    Y-hang  unter  der  Dynastie  Thang  und  Ko- 
scheu-king  unter  der  Dynastie  Yuan  behielten  die  CyUuBzeichen 
Yon  Tag  und  Jahr  des  Bambubuches  bei,  nalimen  aber  ao, 
dass  3  Cyklus  von  60  Jahren  ausgefallen  seien,    eine,    wie 
schon  oben  angenommen,  unter  der  Dynastie  Tschea  und  2 
unter  der  Dynastie  Schang  und  erklärten  sich  für  den  13. 
October  2128.  An  diesem  Tage  war  eine  Finstemiss.   Chal- 
mers p.  102  fand,    es  gab  Sonnenfinsternisse  in  oder  beim 
jetzigen  Fang,  d.  i.  dem  Scorpion,2135  (oder  2136),  2127  (oder 
2128)  und  2108  (oder  2109),  davon  war  die  im  Jahre  2127 
(oder  2128)  in  China  sichtbar.    Rothmann,  der  sie  1837  in 
den  Trans,  of  the  Astron.  Soc.  T.  XI  berechnete,   glaubte 
die  Angabe  der  chinesischen  Astronomen  bestätigt  zu  sehen, 
aber  Largeteau  bei  Biot  Journ.  d.  Sav.  1840  p.  241,   der 
sie  nochmals  berechnete,   hat  gefunden,    dass  sie  in  China 
unter  34®  oder  35®  Br.,   wo  der  Kaiser   seinen  Hof  haben 
mochte,  eben  so  wem*g  sichtbar  war,  als  die  Sonnenfinstemiss 
vom  28.  October  1948. 

Mit  dem  Zusätze  eines  Cyklus  von  60  Jahren  zu  den 
Jahren  des  Bambubuches  kommt  man  auf  das*  Jahr  2007 
(oder  2008.)  Die  bedeutende  von  Cassini  berechnete  Fin- 
stemiss  vom   Morgen    des  25.   October  2007  v.   Chr.  im 


Utah:  Chrtmolog.  Grundlage  der  alten  chines.  Oeachichie.     75 

6. JahreTschnng-khang's,  welcheFreretOeuvr.  T.14p.l43— 173 
für  die  richtige  hält,  und  die  noch  Bunsen  (Aegyptens  Stelle 
in  der  Weltgeschichte  B.  5  Abth,  4  S.  285)  annahm,  verwarf 
Gaubil  p.  249  schon  aus  mehreren  Gründen,  besonders  weil 
sie  sich  nicht  in  der  Station  Fang  zutrug,  wobei  er  aber 
lemerkte,  dass  die  jetzige  Bestimmung  der  Sieu  oder  Sn, 
de  aus  den  Zeiten  der  Dynastie  Han  herrührt,  auf  die 
frühere  Zeit  nicht  sicher  schliessen  lasse.  Auch  diese  war 
aber,  wie  Largeteau  sagt,  der  sie  nach  den  jetztigen  Tafeln 
Terificirt  hat,  in  China  nicht  sichtbar.  Nach  allem  diesen 
w^iss  man  keine  Sonnenfinstemiss ,  auf  die  die  Angabe  des 
Scha-king  passte.  Biot  £tudes  377  fg.  bemerkt,  die  secu- 
läre  Beschleunigung  der  mittleren  Bewegung  dieses  Satel- 
liten, die  einen  so  grossen  Einfluss  auf  die  Berechnung 
alter  Ortsangaben  habe,  sei  nach  den  Mondtafeln  Damoi- 
seau's  und  den  Sonnentafeln  Delambre's,  die  bisher  die 
genauesten  waren,  neuerdings  von  Adams  in  England  und 
Delaunay  neuen  Untersuchungen  unterzogen  und  er  hofit  von 
solchen  künftig  noch  eine  Bestimmung  der  im  Schu-king  an- 
geführten Sonnenfinstemiss.  Aber  sie  stimmen  unter  sich  und 
mit  Hansen  noch  nicht  völlig  überein  und  ehe  diese  nicht 
feststeht,  ist  nach  Lamont  an  eine  sichere  Anwendung  auf 
alte  chronologische  Data  nicht  zu  denken.  Dennoch  hat  J.  v. 
Gampach*^)  neuerdings  den  22.  October  2156  v,  Chr.  für  diese 
Finstemiss  angenommen;  in  jenem  Jahre  falle  der  Winter- 
anfang auf  den  21.  November  und  ebenso  der  Neumond.  Der 
Torhergehende  Neumond  des  22.  October  sei  also  in  der  That 
der  letzte  des  Herbstes  und  der  erste  Tag  des  9.  Monats  des 
Jalires;  die  Sonne  stand  am  Ende  der  Aequatorial- Abtheilung 
Fang,  sie  fiel  in  das  4.  Jahr  Tschung-khang's,  ereignete  sich 

21)  Ueber  die  älteste  in  der  chinesischen  Geschichte  erwähnte 
Sonnenfinstemiss,  in  dessen  Grundzügen  einer  neuen  Weltlehre. 
Mönchen  1860  B.  1  Anhang  8.  S.  390  —  452.  Sein  Buch  hat  aber 
bekanntlich  Fiasco  gemacht. 


76  Sitzung  der  phüoa.-phüöl.  Classe  vom  1,  Juni  1867. 

in  der  Höhe   des  Mittags  zu  Tschen-siin  und  war  jedenfalls 
sehr  bedeutend  und  beglaubige  so  die  überlieferte  Chronologie 
bis  an  das  23.  Jahrhundert  vor  Chr.     Es  fehlen  so  bisher 
uns  die  Mittel,  die  Dauer  der  1.  Dynastie  Hia  zu  bestimmen. 
Die  redpirte  Annahme  rechnet  439  Jahre  auf  die  Dynastie 
Hia,   das  Bambubuch  431,  die  Note  471.   Der  Unterschied, 
bemerkt  Legge  p.  86,    ist  nicht  gross,   obwohl   sie   nur  in 
der  Dauer  von  3  Regierungen  übereinstimmen;    Meng-tseu's 
Angabe,    von  Yao  und  Schün  bis  Thang  seien  über  500 
Jahre,  begreife  deren  Zeit  wohl  nicht  mit.    Rechnete  er  auf 
diese  auch  150  Jahre,  so  seien  es  mit  den  431—439  Jahren 
unter  600;  die  gewöhnliche  Annahme  der  Dauer  der  Dynastie 
Hia  zu  439  möge  daher  von  der  Wahrheit  nicht  ferne  sein. 
Was   die  beiden  Vorgänger  des  Stifters  der  ersten 
Dynastie  Yü  betrifft,  so  sagt  der  Schu-king  I,  §  12,  dass  Yao 
70  Jahre   regiert  hatte,   als   er  Schün  zum  Nachfolger  be- 
stimmte, er  prüfte  ihn  nach  11,  1  §  3 :  3  Jahre,  nahm  ihn  dann 
zum  Mitregenten  an  und  starb  nach  II,  1  §  13  und  Meng- 
tseu  V,  1, 4, 1:  28  Jahr  später  und  50  Jahr  später  dann  Schün. 
Die  Regierung  beider   soll   also   150  Jahr  gedauert  haben. 
Darin  stimmen  Sse-ma-kuang  und  das  Bambubuch  p.  113  und 
116  überein.  Pan-ku  (Tsien  Hau  schu  Liü  li  tschi  hia  B.  21 
f.  15)    rechnet  nur  70  Jahre  auf  Yao's  Regierung   und  50 
auf  Schün's  und  lässt  die  30  Jahre  gemeinsamer  Regierung 
ausfallen.     Diese  lange  Regierung  und  das  hohe  Alter,  wel- 
ches ihnen  beigelegt  wird,   ist  schon  bedenklich,  noch  mehr 
sind  es  die  Genealogien  der  Stifter  der  3  Dynastien,  die  alle  von 
Hoang-ti  abstammen  sollen.    De  Guignes   (Mem.  de  Tacad- 
^des  inscr.  T.  36  p.  178)  hat  schon  auf  die  ünwahrschein- 
lichkeiten   darin   aufmerksam  gemacht.     Wir  brauchen  aber 
hier  nicht  weiter  darauf  einzugehen.    Der  Schi-king  Tscheu- 
sung  (IV,  4,  2,  4)  feiert  zwar  schon  den  Heu-tsi,  den  Mini- 
ster Yao's  und  Schün's,  als  den  Ahn  der  3  Dynastie  Tscheu 
und  im  Schang-sung  (IV,  3,  4)  ebenso  den  Hiuen-wang  (d.  i. 


Plath:  Chronciog,  Gnmdlage  der  alten  chines,  OeschtQhte      77 

Sie)  als  den  Ahn  der  2.  Dynastie  Schang,  aber  ohne  Angabe 
der  Generationen,  die  man  erst  später  hinzugesetzt  haben  mag, 
Gaubil  Tr.   p.  255   setzt   das   erste  Jahr   der  Dynastie 
Hia  2191  V.  Chr.  und  demnach  das  erste  Jahr  Yao's  2341 
Y.  Chr.,  Lettr.  ed.  T.  14  p.  307  —  320  aber  2361;   die  reci- 
pirte  Meinnng  setzt  es  2357  ^  das  Bambubuch  2145  y.  Chr. 
Granbil  bezieht  sich  für  Yao's  Zeit  und   deren  Bestim- 
mung noch   auf  die   Stelle   im  Schu-king   Kap.  Yao-tien  I. 
§  3  fgg.,  wo  Yao  die  beiden  Solstizien  und  die  beiden  Aequi- 
noctien  nach  den  Constellationen,  das  FrühUngs-Aequinoctium 
nach  der   Constellation  Niao,   das  Sommersolstiz   nach  der 
Constellation  Ho,  das  Herbst- Aequinoctium  nach  der  Gonstel- 
ktion  Hiü  und  «das   Wintersolstiz   nach   der   Constellation 
Mao  bestimmt,   aber  Gaubil   Tr.  p.  258  sagt  selbst,  wenn 
diese  Stelle  fiir  ein  hohes  Altertbum  der  Himmelsbeobach- 
toDgen  der  Chinesen  spreche,  könne  man  aus  ihr  doch  keine 
bestimmte  Zeitepoche  gewinnen,  denn  es  sei  nicht  gesagt,  in 
welchem  Jahre  der  Regierung  Yao's   diese  Bestimmung   ge- 
stroff^  sei,  und  mau  könne  nicht  sicher  sein,   dass  man  in 
so  alter  Zeit  bereits  im  Stande  gewesen  sei ,   genaue  Beob- 
achtungen zu  machen^   welche   eine  so  grosse  Präcision  er- 
forderten.   Biot  Etudes  p.  363  fg.  giebt  die  Uebersetzung 
der  ganzen  Stelle  von  St.  Julien.    „Yao  befahl  dem  Hi  und 
Ho,  sorgfaltig  die  Bewegungen  von  Sonne  und  Mond  und 
die  Zwischenräume  zwischen  den  Sternen  zu  beobachten  und 
die  Zeiten   und  Jahreszeiten   dem  Volke  kennen   zu   lehren. 
Er  befahl   dem  Hi-tschung  zu  weilen  in  Yü-i ,    genannt  das 
glänzende  Thal,    und  da  respektvoll  wie  einen  Gast  zu  em- 
pfangen die  heraustretende  Sonne  und  gleichmässig  zu  regeln 
die  Arbeiten  des  Ostens  (Frühlings).   Es  ist  da  der  Tag  von 
mittlerer  (Länge),    der   (culminirende)  Stern  ist  Niao   (der 
Vogel),  um  genau  zu  bestimmen,    die  Mitte  des  Frühlings, 
^as  Volk  zerstreut  sich  da;    Vögel    und  Wild  brüten  und 
paaren  sich," 


78  Sitzung  der  phüos.-phüd.  Classe  vom  1.  Juni  1867. 

„Er  befahl  weiter  dem  Hi-tscho,  za  weilen  in  Nan-kiao 
(an  der  Südgrenze),  um  genau  zu  regeln,  die  Veränderungen 
des  Südens  (Sommers)  und  ehrfurchtsvoll  zu  beobachten  den 
äussersten  (höchsten)  Punkt  der  Sonnenbahn.  Man  sieht  da 
(das  Sternbild)  Ho  (das  Feuer),  um  genau  zu  bestimmen 
des  Sommers  Mitte.  Das  Volk  zerstreut  sich  da  noch  weiter ; 
Vögel  und  Wild  haben  da  ein  dünnes  Fell." 

„Er  erliess  den  Befehl  an  Ho-tschung,  zu  weilen  im 
Westen,  in  dem  das  dunkle  Thal  (Mci-ku)  genannten  Orte, 
respektvoll  zu  geleiten  die  einkehrende  (untergehende)  Sonne 
und  zu  regeln  die  Schlussarbeiten  des  Westen  (Herbstes). 
Die  Nacht  hat  da  eine  mittlere  Länge ;  der  Stern  Hiü  dient 
zur  Bestimmung  der  Mitte  des  Herbstes. "  Das  Volk  fühlt 
sich  wohl.  Der  Vögel  und  des  Wildes  Haare  und  Felle 
sind  in  gutem  Zustande." 

„Weiter  befahl  er  dem  Ho-tscho,  zu  weilen  in  der  Nord- 
gegend, genannt  die  dunkle  Residenz  (Yeu-tu),  und  dort 
sorgfaltig  zu  untersuchen  den  Wechsel  des  Nordens  (Win- 
ters). Der  Tag  ist  da  der  kürzeste,  der  Stern  Mao  dient 
zur  Bestimmung  der  Mitte  des  Winters.  Das  Volk  zieht 
sich  zurück,  die  Vögel  und  das  Wild  haben  ein  dichtes  Ge- 
fieder und  Felle." 

„Der  Kaiser  sagte:  0  ihr  Hi  und  Ho!  ein. volles  Jahr 
hat  366  Tage  (eigentlich  365  V«,  das  4te  Schaltjahr  dann  366); 
mittels  des  Schaltmonats  stellt  fest  die  4  Jahreszeiten  und 
bestimmt  genau  das  Jahr  u.  s.  w.*' 

Wir  haben  die  Stelle  vollständiger  mitgetheilt  als  Biet, 
was  nöthig  war;  er  lässt  die  populären  Bezeichnungen  der 
4  Jahreszeiten  nach  dem  Paaren,  Mausern  der  Vögel  u.  s.  w. 
weg;  die  zeigen  aber  gerade,  wie  Legge  Pr.p.  89  bemerkt,  dass 
hier  nur  von  einer  populären  Anweisung,  nicht  von  einer 
cxacten  astronomischen  Bestimmung  die  Rede  ist.  Wir  fügen 
nur  das  Nothwendigste  zur  Erläuterung  hinzu.  Was  die 
Sternbilder  betrifit,  so  ist  Niao  nach  den  Astronomen  der 


PUUh:  Chronollog.  Grundlage  der  alten  chinea.  Oeachichte.    /79 

Dynastie  Han  das  damals  Sing  genannte  Sternbild,   nicht 
der  Name    eines   Sternes,    sondern   eines    Himmelsraames, 
welcher  sich  fiber  112  Qrad  erstreckt  and  7  Sternbilder  des 
Süd-Qoartieres  begreift;  man  kann  aber  nur  einen  Stern  in  der 
Mitte  daraus  hier  annehmen.    Ein  gelehrter  Chinese  verstand 
danmter  den  Stern  Schin-ho,  nach  Legge  das  Herz  der  Hydra. 
In  der  Amnerknng  zu  seiner  Uebersetznng  des  Schu-king's 
p.  4  sagt  Medhurst:    wenn  beim  Frühlings- Aeqoinoctium  zu 
Yao^s  Zeit  das  Herz  der  Hydra  bei  Sonnenaufgang  culminirte, 
60  musste  die  Constellation  im  Meridiane  Mittags ,  die  Pleja- 
den  im  Taurus  (Stiere)  sein.   Da  nun  nach  dem  Zurückgehen 
der  Aequinoctien  die  Sterne  des  Thierkreises  in  2000  Jahren 
nur  um  ein  ganzes  Zeichen  zurückgehen,   so  musste  es  vor 
4000  Jahren  sein,    dass  die  Sonne  beim  Frühlings- Aequi- 
noctium  in    den   Plejaden  stand,    und  diess  bestätige  die 
Glaubwürdigkeit    der    redpirten    chinesischen    Chronologie; 
denn  1800  n.  Chr.  waren  die  Plejaden  56  Vs  Grad  von  dem 
Punkte  entfernt,    wo  das  Aequinoctium   die  Ecliptik  durch- 
schnitt, da  das  Aequinoctium  jährlich  50Vio  Minuten  zurück- 
gehe,  erfordere  das  4050  Jahre.    Tao's  Regierung  endeite 
nach  den  Chinesen  aber  2254  v.  Chr«;    dazu   1800  gebe: 
4054  Jahre. 

Der  2te  culminirende  Stern  am  Sommer-Solstiz  Ho*') 
(das  Feuer),  das  Sternbild  Fang  unter  den  Han,  war  nach 
Legge  der  Centralstern  im  azurnen  Drachen  (Tsang  -  lung), 
der  7  Sternbilder  des  Ostquartieres  begriff  und  dem  Herze  des 
Scorpions  entspreche.  Nach  einem  chines.  Schol.  in  der  Ausgabe 
des  Schu-king  von  1730  n.  Chr.  war  die  Sonne  am  Sommer- 


22)  Chabners  p.  92  bemerkt,  dass  noch  unter  der  8.  Dynastie 
Tflcheu  der  Ho  ein  wichtiger  Führer  zur  Bestimmung  der  Jahreszeiten 
*v;  die«  sehe  mfin  aus  dem  Tso-tschuen,  Kue-iü  und  Schi-king 
^iafimg  a,  16,  1  P-  66). 


80  SiUfung  der  pMos.-fhikil.  CUuH  vom  h  Juni  1867. 

Solstize  zu  Yao'aZeit  im  Sing  {a.  Hydrae  Alphard),  wahrend 
1730  n.  Chr.  im  Tsui  (X  Orion). 

Der  3te  culminirende  Stern  Hiü  war  in  der  Mitte  des 
Hiuen-wu  (des  dunkeln  Kriegers),  der  die  sieben  GoDstella- 
tionen  des  Nordquartieres  begriff  und  entsprach  dem  ß  des 
Wassermannes.  Nach  dem  chin.  Schol.  stand  am  Herbst- 
Aeqninoctium  unter  Yao  die  Sonne  in  Fang  (ß  d  n  ^  des 
Scorpions),    1730  n.  Chr.  dag^en  in  J  (a  Crat^is  (Alkes). 

Das  4te  Sternbild  Mao  war  im  Gentrum  des  Pe-hu 
(weissen  Tigers),  welcher  die  7  Sternbilder  des  Westquartieres 
begreift  und  entspricht  unsem  Plejaden.  Am  Winter-Solstiz 
stand  nach  dem  chinesischen  Schol.  unter  Yao  die  Sonne  in 
Hiü  (ß  des  Wassermannes),  dagegen  1730  n.  Chr.  in  Ei  (/  des 
Schützen^').  Es  wird  aber  immer  die  Frage  sein,  ob  diese 
Bestimmungen  richtig  sind ;  nur  2,  Mao  und  Hiü,  finden  sich 
unter  den  Sieu  wieder;  Niao  und  Ho  identifidren  nur  die 
Ausleger  aus  der  Zeit  des  Han  mit  dem  damaligen  Sing 
und  Fang'*). 

Die  geographischen  Angaben  sind  noch  yager  und  noch 
schwerer  zu  bestimmen.  Die  erste  Yu-i  kommt  auch  im 
Kapitel  Yü-kung  (HI,  1,  1,  23)  vor.  Einige  setzen  es  nach 
Teng-tscheu  in  Schan-tung,  Legge  p.  18  meint  aber,  es 
müsse  weiter  östlich  (?)  in  Corea  liegen.  Nan-kiao,  der  2te  Ort, 
wird  wohl  mit  Unrecht  auf  Annam  oder  Cochinchina  ge- 
deutet, weil  diess  auch  Kiao-tschi  hiess,  alleiu  diesen  Nameu 
Querzehe  hatten  früher  auch  die  Bewohner  von  Süd-China. 
Den  3ten  Ort,  das  dunkle  Thal,  im  Westen  setzt  man  nach 


23)  Diese  Bestimmungen  nach  John  Reeves  Chinese  Names 
of  Stars  and  constellations  in  Morrison's  cbiu.  dict  P.  II  Vol  1 
p.  1063—1090. 

24)  S.  A.  Weber  die  vedischen  Kachrichten  von  den  Kaxatra 
Abh.  der  BerL  Akad  1860.  4  S.  287  fg.; 


Fiaüi:  Clmmdlog.  OrundHage  der  aütm^  dWne».  OttdiitlkU,      Bl 

Sdien-si  und  die  danUe  Hauptstadt  (Yeu-tu)   im  Norden 
nadi  Pe-tachi-li. 

Biot  £tad.  p.  363  fg.  meint  auch  nodi,  die  4  angegebenen 
Sternbilder  seien  gerade  die  gewesen,  worin  2357  v.  Cbr.  die 
Frühling-  und  Herbst-Aequinoctien  und  Sommer-  und  Winter- 
Solstitz^i   sich  befunden  haben  müssten.     Erfanden  könne 
Coofacius  sie  nicht  haben,    da  zu  seiner  Zeit  (500  ▼.  Chr.) 
die  4  Sternbilder  des  Schu-king  nicht  mehr  die  4  Cardinal- 
Punkte  der  Sonnenbahn  bildeten.    Das  Winter-Solstiz  z.  B. 
hatte  das  Sternbild  Hiü  (das  22  ste)  verlassen,  war  durch  das 
21.  Niü,  worin  es  sich  unter  Tscheu-kung  befand,  gegangen 
nnd  stand  damals  im  20.  Sternbilde  Nieuund  so  waren  auch  die 
3  andern   dieser  Bew^ung   gefolgt.     Confudus   und   seine 
Zeitgenossen  und  eben  so  wenig  die  Astronomen  der  Dynastie 
Han  seien  aber  nicht  im  Stande  gewesen ,  die  frühere  Stel- 
Itmg  derselben  rückwärts  zu  berechnen.   Ideler  S.  104  sagt: 
Ich  habe  die  gerade  Aufsteigung,   welche  die  4  Sterne  vor 
2000  Jahren  hatten,   berechnet    indem  ich  die  Vorrücknng 
der  Machtgleichen  wie   oben,  und  die  Schiefe  der  Ecliptik 
äof  24  Grad  gesetzt  habe.  —  Hiernadi  trafen  das  Sommer- 
und  Winter-Solstizium  wirklich  auf  Sing  und  Hiü,  das  Früh- 
lings- und  Herbst  -  Aequinoctium  gingen  nahe  vor  Mao  und 
Fang  her.    Aber  natürlich  läast  sich  umgekehrt  auf  eine  so 
schwankende  Basis  eine  Berechnung  der  Epoche  des  Yao  nicht 
gründen,  da  es  sich  nur  um  ganze  Stationen  handelt  u.  s.  w. 
Eben  so  urtheilt  auch  Stnhr  Untersuchungen  über  die  ürsprüng- 
lichkeit  und  das  Altei  thum  der  Sternkunde  unter  den  Chinesen 
and  Indern.  Berlin  1831  S.  28.  Auch  Chalmers  p.  92  meint  ab 
Bestätigung  der  Chronologie  sei  der  Werth  dieser  astrono- 
mischen Angabe  sehr  überschätzt.     Eine  Tradition   der  Art 
müsse  der  Verfasser  des  Kapitels  Yao-tien  wohl  vorgefunden 
haben.  Yao  möge  die  Bestimmung  als  Tradition  überkommen 
haben,  denn  sehen  hätten  3  der  Astronomen  jene  Sterne  zu 
Yao's  Zeit  nicht  können,  nur  der  nach  Norden  gesandte  etwa. 
[1867.  IL  1.]  6 


82  SUnmg  der  phOoa.'philol.  Clasae  vom  1.  JwU  1867. 

Weiter  als  Yao,  wie  schon  zn  Anfang  bemerkt,  wollen 
wir  hier  nicht  hinaufgehen.  Wir  wollen  daher  nor  noch 
hinzufügen,  dass  wenn  Bansen  p.  281,  wie  de  Mailla  T.  I 
p.  CXXVIII,  noch  sehr  viel  auf  die  angeblich  überlieferte 
Beobachtung  einer  Conjunction  der  5  Planeten,  unter 
welchen  Sonne  und  Mond  genannt  werden,  unter  Tschuan-hiü, 
die  nach  Bunsen  auf  das  Jahr  2375  v.  Chr.  zutreffe  —  de 
Mailla  T.  I  p.  34  setzt  sie  aber  2461  v.  Ghr.l  —  giebt, 
Gaubil  Tr.  p.  269  und  auch  Chalmers  bei  Legge  Prol.  p.  101 
schon  bemerken,  dass  nur  neuere  chinesische  Geschichten 
Yon  einer  solchen  Conjunction  der  5  Planeten  unter  Tschnan- 
hiü  —  das  Jahr  werde  nicht  angegeben  —  am  Tage  des 
Li-tschün  (15^  des  Wassermannes)  im  Sternenbilde  Sehe 
sprächen ;  weder  Pan-ku  noch  Sse-ma-tsien,  noch  irgend  ein 
Werk  aus  der  Zeit  vor  dem  Bücherbrande  erwähnten  sie, 
sie  sei  nicht  historisch,  sondern  eine  erdichtete  Epoche,  die 
man  nicht  verificiren  könne;  Kirch  und  Cassini  hätten  sie 
daher  yergeblich  zu  berechnen  unternommen.  Ich  finde  sie 
im  I-sse  B.  7  fol.  1  nur  aus  dem  Werke  Ku-sse-kao  er- 
wähnt; es  ist  aber  nicht  nöthig,  hier  weiter  darauf  ein- 
zugehen. 

Ueberblicken  wir  die  ganze  Untersuchung,  so 
ergiebt  sich,  dass  man  bis  zum  1.  Jahre  der  Regentschaft 
Kung^ho  (841  y.  Chr.)  eine  auch  im  Einzelnen  sichere  Chro- 
nologie hat,  und  den  Anfang  der  3.  Dynastie  nach  der  re- 
dpirten  Meinung  1122  oder,  wie  Gaubil  annimmt,  1111 
V.  Chr.  noch  mit  ziemlicher  Sicherheit  wird  annehmen  können 
und  die  Jahre  der  einzelnen  Regierungen  nur  einzeln  einige 
Schwierigkeiten  bieten,  obwohl  Legge  p.  89  meint,  das  älteste 
sichere  Datum  gehe  nur  bis  775  y.  Chr.,  das  bestimmte 
Jahr  des  Anfanges  der  3.  Dynastie  Tscheu  wisse  man  nicht. 
Anders  aber  ist  es  mit  der  Chronologie  der  1.  und 
2.  Dynastie  und  der  Zeit  Yao's  und  Schün's  bei  den  grossen 
Abweichungen  in  den  Angaben  der  Summen  der  Dauer  der 


IMh:  Chronolog.  Grundlage  der  alten  ehinea.  Geaehiehte.      83 

ganzen  Dynastien  und  der  der  einzelnen  Regierangen  derselben 
und  dem  Mangel  an  sicheren  astronomischen  und  cjklischen 
Anhaltspunkten,  welche  znr  Feststellung  derselben  dienen 
könnten.  Legge  meint,  man  könne  nur  den  Anfang  der  1. 
Dynastie  Hia  in  das  19.  Jahrhundert  und  Yao  und  Scbün 
in  das  20.  Jahrhundert  y.  Chr.  setzen.  Man  wird  daher  am 
Sichersten  gehen,  wenn  man,  wo  das  genügt,  bei  solchen  all- 
gemeinen Zeitangaben  stehen  bleibt.  Wenn  wir,  wo  eine 
bestimmtere  chronologische  Angabe  nöthig  ist,  bei  der  reci- 
pirten  Annahme  bleiben,  so  ist  es  daher  nicht,  weil  wir  sie 
für  sicher  halten,  sondern  nur,  um  irgend  eine  relative  An- 
gabe zu  geben,  da  wir  ja  wissen,  dass  auch  unsere  Zeit- 
rechnung nach  Christi  Geburt  nicht  ganz  riditig  ist,  sondern 
freilich  nur  um  mehrere  Jahre  fehlgeht. 

Das  Resultat  unserer  Untersuchung  ist  freilich  ein  mehr 
negatives.  Aber  zu  wissen,  was  man  weiss  und  was  nicht,  und 
auf  welchem  Grunde  unser  Wissen  beruht,  ist  auch  wissen. 
Wo  keine  sichere  Geschichtsüberlieferung  ist,  kann  man  keine 
g^ben.  Abweichende  Angaben  künstlich  zu  vereinigen,  wird 
oft  viel  Zeit  und  Kraft  verschwendet ;  das  Gebiet  der  sichern 
Geschichte  ist  aber  so  weit  und  gross,  dass  beide  besser 
auf  deren  Anbau  verwendet  werden. 


84  Süßmg  i»  pMos.'phiM,  Clam  «om  1.  Jtim  1867, 


Herr  Prof.  Lauth  trägt  vor: 

„üeber    den    ägyptischen   Ursprung    nnserer 
Buchstaben  und  Ziffern'*. 
(Mit  einer  Tafel.) 

In  unserer  bewegten  Gegenwart,  wo  die  wichtigen  Er- 
findungen der  Photographie,  Telegraphie  und  Stenographie 
Bild  und  Schrift  mit  früher  nie  geahnter  Schnelligkeit  ver- 
▼ielföltigen  und  räumlich  verbreiten,  dürfte  ein  Rückblid 
auf  die  Entwicklung  der  graphischen  Kunst  überhaupt  am 
Platze  sein,  um,  wo  möglich,  der  Genesis  unserer  Buch- 
staben und  Ziffern  auf  die  Spur  zu  kommen.  Schon  der 
fiasserliche  Umstand,  dass  wir  bis  jetzt  keine  älteren  Schrift- 
denkmäler kennen  und  besitzen,  als  die  ägyptischen, 
spricht  zu  Gunsten  der  Herkunft  unseres  Alphabets  und 
unseres  Zahlensystems  aus  dem  merkwürdigen  und  uner- 
Bchöpflichen  Nilthale. 

Bereits  im  Jahre  1855  hatte  ich  in  meinem  Werke 
„das  vollständige  Universalalphabet,  auf  der  physiolo- 
gisch-historischen Grundlage  des  hebräischen  Systems  zu 
erbauen  versucht^'  an  mehreren  Stellen  den  ägyptischen  Ur- 
sprung unserer  Schriftzeichen  wahrscheinhch  gefunden  z.  13. 
pp.  8  lin.  21—23,  151  lin.  3,  158  lin.  23,  besonders  p.  55 
„das  alte  Buchstaben-System,  (das  ich  den  Aegyptern  — 
nicht  wegen  der  Pyramidenform  —  Forml  —  einstweilen 
zuschreiben  möchte  etc.)'^  In  meinem  „Germanischen  Runeo- 
fudark"  (1857)  konnte  ich  mich,  weil  bereits  mit  den  Hiero- 
glyphen beschäftigt,  noch  bestimmter  ausdrücken  p.  185: 
„Diese  (Griechen)  aber  empfingen  die  Schrift  von  den  semi- 
tischen Phoenikem,  welche  ihrerseits  selbst  wieder  nicht  die 
ersten  Erfinder  der  Sdirift  und    (Ordner?)  des  Alphabets 


Lauth:  Der  ägypt  Ursprung  umerer  Buehstäbm  etc,        85 

gewesen  sind,  sondern  Beides  von  den  tiefsinnigen  Aegyptem 
empfangen  haben". 

Das  letzte  Jahrzehend  hat  diese  von  mir  zuerst  ausge- 
sprochene Ansicht  hauptsächlich  durch  den  Fortschritt  in  def 
Entafferaug  der  hieratischen  Papyrus    so   ziemlich   zur   all* 
gemeinen     Ueberzeagung    erhoben,     wenigstens    unter    deü 
Aegyptologen.  So  hat  z.  B.  Brugsch  in  der  Zeitschrift  für 
Stenographie  (1864)    die  ngyptischen  Buchstaben  mit.  denen 
des   phoenikischen    Alphabets    zusammengestellt,     nachdem 
schon   vorher  Vicomte   de   Roug'6   1859    in   der  Academie 
des  Inscriptions   unter  dem  Titel:    „Memoire   sur    l'origine 
egyptienne  de  V  aiphabet  phenicien''   die  nämlichen  Grund- 
sätze veröffentlicht  hatte.     Letzterer  stützte  sich  hiebei  vor*- 
nehmlich  auf  die  phoenikischen  Schriftzüge  des  Sarkophages 
von  Aschmunezer   im  Zusammenhalte  mit  den  sehr  alter- 
thiimlichen    Zeichen   des    hieratischen  Papyrus  Prisse, 
welcher    der  XI.   Dyn..    d.   h.   mindestens    dem   25.   Jahr- 
hunderte   vor   unserer  Zeitrechnung   angehört.    Die  neueste 
Arbeit  des  Hnrrn  FranQois  Lenormant   über   den   Urspruug 
des  phoenikischen  Alphabets,  meines  Wissens  mit  dem  priz 
Vobey  belohnt,    geht  von  dem  nämh'chen  Standpunkte  aus. 
Die  genannten  Versuche  genügen  wohl,  um  die  Ableit'^ 
ung  der  phoenikischen  Schriftzeichen   aus  dem  Hieratischen 
plausibel  erscheinen  zu  lassen;   allein  zur  Begründung  einer 
wissenschaftlichen  üeberzeugung   sind   sie   bei  Weitem  nicht 
ausreichend.     Ich  werde  daher  meine  Untersuchung  da,   wo 
ich  sie  vor  zehn  Jahren  gelassen,  wieder  aufnehmen,  die  auf 
der  beifolgenden  Tafel  (A)  befindliche  Zusammenstellung  im 
Einzelnen  besprechen,   hiebei   auf  das   Koptische   die  ge- 
bührende Rücksicht  nehmen,  nach  den  Schriftcharakteren 
die  Frage   wegen   des    ägyptischen    Alphabets    behandeln 
^d  am    Schlüsse   auch    die    ohnehin  naheliegenden   Zahl- 
zeichen beiziehen. 

Wird  durch  meinen  detaUlirten  Nacbwds  die  Herkunft 


86  SüMung  der  pkilo8.'phü6l,  Claaae  vom  1.  Juni  1867. 

des  phoenikischen  Alphabets  aus  der  hieratischen  Schrift 
der  Aegypter,  wie  ich  hofife,  unzweifelhaft  dargethan,  so 
lässt  sich  die  Frage :  was  man  yod  den  vielgeplagten  Namen  ^ 
Aleph,  Beth  etc.  zu  halten  habe,  leicht  dahin  entscheiden^ 
dass  sie  nur  Gedächtnisswörter  mit  den  betreffenden 
Anlauten'  sein  können,  und  dass  die  Gestalt  der  ihnen  ent- 
sprechenden Schriftzeichen  nichts  mit  ihrer  Bedeutung  zu 
schaffen  hat.  Nach  dieser  nicht  unnöthigen  Vorbemerkung 
gehe  ich  zur  Erklärung  der  einzeliien  Buchstaben  über, 
wobei  ich,  wie  auf  der  Tafel,  die  Ordnung  des  koptischen 
Alphabets  beobachte.  Bekanntlich  ist  dieses,  analog  dem 
Gothischen,  das  sich  aus  den  Runen  ergänzte,  nichts 
weiter  als  das  griechische'),  aber  um  sieben  Buchstaben 
vermehrt,  welche,  weil  ihre  Laute  dem  Griechischen  mau- 
gelten, aus  der  demotischen  Schriftart  beigezogen  wurden. 
a.  Prototyp  ist  der  hieratische  Adler  oder  Falke. 
Welchen  Namen  dieses  Schriftzeichen  bei  den  Aegyptern 
geführt  habe,  lässt  sich  jetzt  noch  nicht  bestimmen;  aber 
so  viel  ist  sicher,  dass  er  nicht  ächom  (aquila)  geheissen 
haben  kann,  weil  dieses  Wort  stets  mit  dem  vertieften  ä 
(dem  Arme)  anlautet.  Eher  liese  sich  an  das  koptische 
cUradj  falco  denken,  wenn  man  es  nur  in  älteren  Texten 
nachweisen  könnte.  Indess,  die  Frage  nach  den  Namen  der 
Buchstaben  wird  weiterhin  noch  ausführlictier  besprochen 
werden,  wo  es  sich  um  das  ägyptische  Alphabet  handelt. 
Für  jetzt  genügt  die  Thatsache ,  dass  die  Schreiber  kopti- 
scher Handschriften*)  das  aus  dem  griechischen  Alphabete 
entnommene  A  (i^)  durch  Rand  Verzierungen  zu  einem  Adler 
oder   Falken    gestalteten.      Hiezu  konnte    sie    nicht    der 


1)  Daher  die  unverkennbare  Aehnlicbkeit  des  gothischen  Alpha- 
bets mit  dem  koptischen  —  beider  Anfange  fallen  der  Zeit  nach 
fast  zasammen. 

2)  Schwartze:  „das  alte  Aegypten'*,  am  Ende. 


Lauih:  Der  ägypi.  Ür9prung  unserer  Buehetaben  etc,        87 

griechische  Name  Shpa^  wohl  aber  die  ErinnernDg  an  den 
Vogel  ihres  einheimischen  Alphabetes  veranlassen.  Dieser 
Umstand  beweist,  dass  die  Aegypter  eigentHche  Bachstaben 
mit  Eigennamen  besassen. 

fr.  Herr  firugsch  hat  das  Zeichen  mit  der  Lautung 
va  dem  h  gegenübergestellt,  sowohl  aus  palaeographischem 
Grunde,  als  weil  das  koptische  ßf^va  (Bida)  die  Lautung 
Vida  behaupte.  Allein  das  fragliche  Zeichen,  schon  in  den 
Hieroglyphen  äusserst  selten,  hat  sich  im  Hieratischen  und 
Demotischen  fast  ganz  yerloren.  Palaeographisch  empfiehlt 
sich  ebensowohl  der  hieratische  Ba-vogel,  mit  <1em  z.  B. 
das  Wort  ha  die  Seele  (Horapollo's  ßät)  geschrieben  wird. 
Was  mich  zu  dieser  von  De  Rouge  zuerst  aufgestellten  An- 
sicht besonders  bestimmt,  ist  die  Thatsache,  dass  in  der 
akrophonischen  Litanei  an  die  Hatbor,  welche  Herr  Mariette 
zn  Denderah  entdeckt  hat  und  die  ich  weiterhin  wegen  der 
Alphabetsfrage  näher  betrachten  werde,  der  frLaut  durch 
eben  diesen  &a- Vogel  vertreten  ist.  Uebrigens  ist  die  E]> 
weichung  des  b  zti  v  eine  ziemlich  allgemeine  Erscheinung 
in  der  Linguistik. 

g.  Dem  semitischen  Gimel  fand  Brugsch  meist  ein 
ägyptisches  Zeichen  entsprechend,  welches  eine  Art  Eimer 
vorstellt.  Die  characteristischen  Striche  dieses  Zeichens 
finden  sich  in  derselben  Reihenfolge  und  Symmetrie,  sämmt- 
lidi  in  dem  Ghiiuel  der  Quadratschrift  wieder,  welche  in 
diesem  speciellen  Falle  eine  sehr  alterthümliche  Form  dar- 
zustellen  scheint.  Wenn  man  aus  dem  Verschwinden  des 
/a/i/ua-Lautes  in  koptischen  Wörtern  bis  auf  wenige  Spuren 
'  (z.  B.  ang  =  anok  ich)  den  Schluss  gezogen  hat,  dass  den 
alten  Aegyptem  der  ^-Laut  überhaupt  fremd  gewesen,  so 
▼ergisst  man,  dass  sehr  viele  Gutturalen  in  die  Quetschlaute 
djandjia  und  c'ima  übergegangen  sind.  Für  die  constante 
Vertretung  unseres   Zeichens    durch  ^  citire   ich  bloss  De 


88  Bitmmg  der  j»Mot.<jpMoI.  (Mane  wm  1.  Juni  1867, 

Rouge's')  Aasspruch:  „^  ^t  ^  (sh)  sont  presque  toujoars 
rendos  par''  (folgt  die  Hieroglyphe,  welche  unserem  dritten 
Buchstaben  entspricht). 

d.  Dieser  Laut  wird  dem  Altägyptischen  ebenfalls  ab- 
gesprochen, weil  er  nur  in  griechischen  Wörtern  und  Namen 
nicht  aber  in  eigentlich  koptischen  erscheine.  Allein  mit 
grösserem  Rechte  als  die  Media  d,  könnte  man  die  Tenuis 
t  ihm  absprechen,  da  die  Kopten,  obgleich  %aS  schreibend, 
den  Buchstaben  doch  Dau*')  benennen.  Es  ist  eben  im 
Koptischen,  wie  in  yielen  andern  Sprachen,  Media  und  Tennis 
ia  einen  Zwischenlaut  fibergegangen,  den  auch  die  Süd- 
deutschen besitzen  —  ist  aber  desswegen  der  Unterschied 
dreier  Dentalen  im  Gothischen  (d,  t,  th)  ein  willkürlicher, 
oder  nicht  lautlich  vorhanden  gewesen?  Zum  Beweise  abei-, 
dass  bei  den  alten  Aegyptern  die  Media  d  bekannt  mid 
üblich  war,  erinnere  idi  bloss  an  die  Bemerkung  De  Rouge^s:^) 
„le  1  est  transscrit  par  (die  Hieroglyphe  Hand)  avec  une 
prefSrence  marquee*',  sowie  an  die  weitere  Thatsache  vod 
höchster  Wichtigkeit  für  die  Palaeographie,  dass  die  hierati- 
sche Hand  (tot  oder  dod)  mit  dem  hieratischen  Mund  (ro) 
graphisch  so  sehr  zusammenfallt,  dass  die  gründlichste 
Kenntniss  der  Gruppen  dazu  gehört,  um  sie  nicht  bestandig 
mit  einander  zu  verwechseln.  Wem  fallt  hiebei  nicht  die 
Aehnhchkeit  von  Daleth  1  mit  Resch  n  ein  ?  Diese  einzige  That- 
sache dürfte  genügen,  den  Ursprung  der  semitischen  Buch- 
staben aus  dem  Aegyptischen  und  speciell  dem  Hieratischen, 
bereits  als  sehr  wahrscheinlich  zu  empfehlen.  Das  Delta 
heisst  im  Aethiopischen  Dent. 

S  u.  S.  Die  Kopten  nennen  diese  zwei  Buchstaben  M  u.  hida, 


8)  Girettomatbie  igyptienne  p.  80. 

4)  Tuki:  Rudimenta  lingnae  ooptae  tive  Aegyptiacae  (Rom.  1778). 

5)  pag.  88  feiner  Chrestomathie. 


Land^:  Der  Agfp$.  ür$prung  um$erer  Buchstaben  eU.         89 

genau  dem  Altgriechisohen  entsprechend  und  mit  einer  Andent- 
ong,  dass  ihnen  die  ursprüngliche  Bedeutung  des  H  als  einer 
Gattnralis,  (wie  im  latein.  Alphabete  H)  noch  nicht  entschwun- 
den war.  Die  palaeographische  Herleitung  des  phoeuikischen  ke 
und  ehet  ans  den  hieratischen  Zeichen  (der  maeandrischen  Figur 
und  des  sogenannten  Siebes)  kann  daher,  nachdem  der  laut- 
liche Uebergang  im  Yocale   durch   anderweitige  Analogieen 
fermittelt    ist,   um   so   weniger   einer  Beanstandung  unter- 
liegen.    Aber  die  Frage,  ob  die  alten  Aegypter  unter  ihren 
phonetischen  Hieroglyphen  auch  eine  für  den  e-Laut  gehabt 
und    gebraucht   haben ,    ist   damit  noch   nicht  beantwortet. 
Debrigens  ist  dieser  Punkt  dahin  zu  erledigen,    dass  dem  e 
ein  0  parallel    zu  gehen   pflegt   und   dieses  letztere    in  der 
älteren  Zeit  eben  so  wenig  sich  ausgebildet  hatte,    als  das 
erstere.     Die    alten  Aegypter   kannten  —  und   dieser  Um- 
stand spricht  sehr  zu  Gunsten  der  Alterthümlichkeit    ihres 
Schriftsystems  —  nur  die  drei  Grundvokale  a,  «,  u,    deren 
pyramidale  Entstehung  ich   am  Schlüsse  etwas  gründlicher, 
als  es  bisher  geschehen  ist,  untersuchen  werde.  DieZwischen- 
^okale  e  und  o  inhaerirten   entweder  gewissen  Gonsonanten, 
oder  sie  blieben,  weil  in  der  Sprache  nicht  anlautend,  unbe- 
zeidmet.   oder  sie  wurden  in  Ausnahmsfällen  durch    eigene 
Zeichen  ausgedrückt.     Auf  das  9  zurück  zu  kommen,   muss 
man  es  dem  Altagyptischen  einerseits  absprechen,   anderer- 
seits   ein   Analogen    dazu    in  dem    Rohrblatte  erkennen, 
welches  desshalb  in  gewissen  Wörtern  (z.  B.  atef  im  Vergleiche 
mit  irf  Vater)    als  leichtester  Vocal  stehen   und   wegfallen 
mochte.     Verdoppelt  ergiebt   dieses  Rohrblatt  den  Laut  i 
wie   im  Englischen  ee  =  i').     Auch  im  Devanagari    wird 
das  ursprünglich  allen  Gonsonanten  nachschlagende  a  später 


6)  De  BoQg^  findet  es  p.  26   seiner  Chrestomathie  wahrscheüi- 
lich,  dass  daa  Bohrblatt  allein  schon  dem  i-Laate  aahe  gestanden. 


90  SUgung  der  phüos.-phüdl.  Claase  wm  1,  Juni  18$7. 

za  ^  oder  8,  während  e  und  o  als  Diphthonge  zu  betrach- 
ten sind.  Wie  wandelbar  die  ägyptischen  Vokale  gewesen, 
ergiebt  sich  ans  der  Präposition  au  (ad),  die  im  Koptischen 
zu  S  (^  geworden  ist.  Ob  ein  langes  e  allenfalls  darch 
Verbindung  eines  a  mit  »  zu  ai  =  e  oder  sonstwie  hervor- 
gebracht wurde,  lässt  sich  jetzt  noch  nicht  bestimmen.  Das 
1]  von  ^Aqciv6ri  wird  wenigstens  einmal  (Lepsius:  Königs- 
buch  Nr.  695)  durch  ai  bezeichnet. 

80  und  zida.  So  nennen  die  Kopten  den  6.  und  7. 
Buchstaben  ihres  Alphabets;  in  der  Sprache  selbst  ist 
ersteres  nicht,  sondern  nur  als  Zahlzeichen  für  6  gebräuch- 
lich. Aber  es  verdient  Beachtung,  dass  der  Anlaut  s^  den 
sie  diesem  Zeichen  geben,  ähnlich  wie  das  griechische  O^t 
(0<fi),  dem  semitischen  sajin  noch  entspricht.  Was  das 
Zeichen  betrifft,  das  sogenannte  Smorjfxov  ßav^  so  werde 
ich  unten  beim  fei  darauf  zurückkommen.  Das  dem  Laute 
des  80  (sajin)  zu  Grunde  liegende  hieratische  Zeichen  ent- 
spricht palaeographisch  dem  Z;  es  ist  nämlich  der  junge 
Adler,  welcher  nach  Horapollo  (II,  2)  unter  anderen  Be- 
deutungen auch  die  von  dqqevoyovov  hatte,  was  durch  die 
Texte  bestätigt  wird.  Es  wechselt  dieses  Zeichen  häufig 
mit  den  dem  eade  constant  entsprechenden  Homophonen, 
die  ich  unter  Djandja  besprechen  werde,  gerade  wie  im 
Semitischen  sajin  und  trade'')  sich  beständig  gegenseitig 
vertreten. 

thida.  Dieser  neunte  Buchstabe,  aus  dem  zangen- 
artigen  Werkzeuge  entstanden,  wechselt  bisweilen  mit  dem 
sogenannten  Halbkreise  (t)  und  dem  Zeichen  für  den  Laut 
ihy  erscheint  dagegen   in  gewissen  Gruppen   constant,    also 


7)  Wenn  im  koptischen  anzSbS  (sohola)  ausnahmsweise  ein 
z  erscheint,  so  lehren  alte  Inschriften  z.  B.  das  Ostrakon  des  Münchner 
Antiquariums,  daas  dieses  Wot  in  a-nt-sebe  ,,Haas  des  Unterrichts*' 
za  zerlegen  and  also  z  =  ts  zu  lesen  ist. 


Lauih:  Der  ägypt.  Ursprung  unser  er  Buchetaben  ete.         91 

als  eigenthümlicher  Laut,  den  ich  mit  dh  amschreibe.  Er 
nähert  sich  palaeographisch  dem  d  (Hand)  r  (Mund)  so 
wie  dem  ans  dem  s^ment  de  sphere  entstandenen  hierati- 
schen Zeichen  für  t.  (Dass  letzteres  nicht  ins  phönikische 
Alphabet  überg^angen  ist,  erklärt  sich  aus  seiner  Rolle 
als  Artic.  femin.  postpos.  und  weil  es  bisweilen  stumm  oder 
expIetiY  ist).  Oesshalb  ist  der  an  der  Biegung  angebrachte 
Strich,  wenn  auch  nicht  willkürlich,  doch  in  gewissem  Sinne 
diakritisch  wid  hat  sich  derselbe  bis  in's  Demotische  ^)  herab 
erhalten.  Am  deutlichsten  zeigt  sich  dieser  Strich  in  dem 
dh  des  Peschito  und  des  Kufi,  weniger  im  phönikischen  und 
hebräischen  dh  £0,  weil  in  diesen  beiden  die  Zange  nach 
oben  gerichtet  erscheint. 

joiuda.      So    nennen   die  Kopten   das  'Kra  —  ob  aus 
Reminiscenz    an   den  Namen    des  i  in   ihrem  einheimischen 
Alphabete?     Wie  schon   oben  bemerkt,    entsteht  das  ägyp- 
tische i  durch  Verdoppelung  des  Rohrblattes,  im  Demotischen 
sind  es  drei  senkrechte  Striche,    und  erst  aus  dieser  Form 
scheinen  sich   das  phoenikische,    aramaeische    und   Samara* 
tanische  i  mit  je  drei  Strichen  zu  erklären.  Dagegen  weisen 
alle  anderen  Entwicklungen  auf  das  Doppelblatt,  beziehungs- 
weise sogar  auf  das  einfache  Uohi  blatt  zurück ,    weil  dieses 
durch  einen  schrägen  Querstrich  in  drei  Theile  zerlegt  wird. 
Es  gab  übrigens  schon  im  Altägyptischen  der  Hieroglyphen 
ein  vereinfachtes  t,   nämlich  zwei  kleine  schräge  Striche  (so 
gestellt,   um  die  Verwechslung  mit  dem  Numerale  für  2  zu 
vermeiden)  und  diese  bildeten  in  der  mehr  cursiven  hierati* 
sehen    Schreibweise    einen    zusammenhängenden    Schriftzug, 
aos  dem  sich  alle  andern  Formen   mit  Leichtigkeit  ableiten 


8)  De  Bonge  Chrestöm.  ögypt.  pag.  60.  pl.  II  unter  t  hat  dieses 
demotiache  Zeichen  nicht,  sondern  dafür  das  aus  th  entstanden» 


92      '    Sitaung  der  phüos.'phOol.  Ckuse  vom  1.  Juni  1867. 

lassen.     Das   aethiop.  jaman    „rechte  Hand'S   hängt  ver- 
mnthUch  mit  dem  Eopt.  ionam  dextra  zusammen. 

k^  genannt  kabba.  Man  hat  bisher  zwischen  dem  so- 
genannten Henkelkorbe  and  dem  hebräischen  Kaph  keine 
rechte  Aehnlichkeit  entdeckt,  die  doch  wegen  der  Lant- 
congruenz  zu  erwarten  stand,  weil  man  die  bekannten  Ke- 
phuloth  oder  Endbuchstaben  nicht  gehörig  berücksichtigte. 
Sobald  man  diess  thut,  entsteht  eine  nicht  zu  verkennende 
Identität  zwischen  beiden.  Im  Koptischen  &ima  (siehe  weiter 
unten)  ist  der  K-Laut  gequetscht,  wie  das  italienische  c  und 
daher  die  Entlehnung  dieses  Zeichens  aus  dem  einheimischen 
Alphabete,  während  für  den  Laut  k  das  griechische  xdnna 
verwendet  wurde.  Dieses  K  mit  seinen  zwei  WinkelstricheD, 
wo  man  nur  einen  erwarten  sollte,  erklärt  sich  ans  der 
Quadratschrift,  wo  eine  Basis  hinzugefügt  wurde,  die  dann 
etwas  höher  binaufrückte,  z.  B.  schon  im  phoenikischen  K. 
In  den  älteren  Inschriften  z.  B.  der  Pyramidengräber  bilden 
die  beiden  erhobenen  Arme  eine  häufige  Variante  des  Henkel- 
korbes; später  wechselt  dieses  k  mit  dem  winkelartigen 
Zeichen  für  q.  Dieser,  obgleich  seltenere  Wechsel,  sowie 
die  Gruppirung  qk  ist  aus  der  Vermengung  der  gutturalen 
Liquida  mit  der  Tennis  gutturalis  zu  erklären,  wie  man 
sich  schon  aus  der  Schreibung  des  Namens  Scheschaq 
überzeugen  kann,  der  im  Aegyptischen  als  Scheschaq  und 
Scheschanq  erscheint,  während  ihn  Manetho  mit  Säaoyx^ 
umschreibt.  Wenn  daher  das  ägyptische  hoqer  (fames)  mit 
unserm  ,,Hunger^^  stammverwandt  sein  sollte ,  so  liesse 
sich  der  Mangel  des  n  leicht  aus  der  Natur  der  gutturalen 
Liquida  begreifen.  Eben  so  erklärt  sich  das  allmälige  Ver- 
schwinden dieser  gutturalen  Liquida  aus  dem  Alphabete 
durch  die  Neigung  der  Liquida  n,  sich  selbständig  zu  machen. 
Daher  ward  xonna  im  Giiechischen  nur  als  noch  Zahl- 
zeichen (infotjfiov)  für  90  gebraucht;  die  Kopten  verwende- 


Lau(h:  Der  ägffpt.  Ursprung  muerer  JiutMäbM  de.       98 

ten  zn  diesem  Zweoke  ihr  /e»,   weil  es  palaeographisch  mit 
xoj^na  zusammenfiel. 

l  m  n  r.    Diese  vier  Liquidae,    von   denen  die   erste 
ond  letzte  sich  im  Aegyptischen    so  häufig  lautlich   gegen- 
seitig vertreten,    liefern   den   augenscheinlichsten  Beweis  für 
die  Herkunft  des  phoenikischeh  Alphabetes  aus  dem  Aegyp* 
tischen.     Was  zuerst  das  l  betrifft,  qq  ist  kein  Zweifel,  dass 
der  hieratische  Löwe   das  Vorbild  des  Lamed  Xd^ßda  etc. 
gewesen  und  es  möchte  sogar  der  koptische  Name  laula  so 
wie  das  aethiopische  Lawi  noch    eine  Andeutung  enthalten, 
dass  den  späteren  Aegyptern  der  Ursprung  des  betreffenden 
Zeichens  noch    geläufig  war.    In  der  That  mussten  die  Ge- 
bildeteren, welche  nach  Clemens  mit  der  demotischen  Schrift 
anfingen  und  durch  die  Mittelstufe   des  Hieratischen  zu  den 
Hieroglyphen   selbst    aufstiegen,     die   ursprünglichen  Bilder 
wohl  kennen    und  da  lahi  oder  lom  der  Name  des  Löwen 
war,    so   konnte    mit    Rücksicht   darauf   hi^ßda    zu  lauia 
werden.    Dass  die  Nachteule    (kopt.  muladj)    den  m-Laut 
bezeichnet,  ist  bekannt;    ob   aber  der  Name  iiv  (Kopt.  mi) 
aus  dem  semitischen  mem  verkürzt   oder  aus  einem  älteren 
nm  entstanden  ist,  lässt  sich  noch  nicht  entscheiden.     Nach 
HorapoUo   bezeichnet    der   wxzixofaS   unter  imderu    auch 
Hvo:fog  und  die  Denkmäler  bestätigen  diese  Angabe,  indem 
die  Nachteule,  mit  den  Deutbildern  der  Erdscholle  und  des 
abwehrenden  Mannes  oder  dem  Determinatice  desUebels  be-. 
gleitet,  stets  Tod  oder  sterben  bedeutet  (kopt.  «»u^mors 
imd  mori).     Die  palaeographische  Vermittlung  zwischen  der 
hieratischen  Nachteule   und   dem   semitischen   m  ist  einfach 
QDd  leidit  zu  finden ;  man  braucht  nur  die  ältesten  Formen, 
die  im  Papyi-us  Prisse  nebeneinander  vorkommen,   in  ihrem 
oberen  Theile  zu  combiniren  und  zu  bedenken,  dass  das  m 
der  Qaadratschrift,    (sogar  das  Kephuloth-m)   einen  unteren 
Qaerstrich  als  Basis  erhalten  hat.     Dasselbe  gilt  vom   niiii, 
nur  dass  das  Kephuloth-n    diesen  unteren  Querstrich  nicht 


94  Sitmmg  der  phüos  -phüd.  Glosse  vom  i.  Juni  186T. 

aufweist,  wie  es  auch  in  der  Ordnung  ist.  Denn  das  n  ent- 
steht palaeographisch  aus  der  Wellenlinie,  die  im  Hierati- 
schen zu  einer  wagrechten  Geraden  wird,  nur  dass  Anfang 
und  Ende  gewahrt  sind,  woraus  dann  ein  gezogenes  fsa 
sich  mit  Nothwendigkeit  ergab.  Unser  deutsches  Schreib-n 
ist  sogar  zufallig  wieder  zu  der  wellenförmigen  Linie  zu- 
rückgekehrt. Der  Name  nun  (vv  kopt.  m)  könnte  daher 
recht  gut  altägyptisch  sein,  da  nach  Horapollo  (I,  21),  den 
Denkmälern  und  dem  Koptischen  vovv  oder  vov  den  Nil*) 
oder  abyssus  überhaupt  bedeutet,  üeber  r  als  Vertreter 
des  l  habe  ich  schon  oben  gesprochen  und  werde  weiter 
unten  darauf  zurückkommen. 

exi  und  ebsi.     Diese   beiden   Doppelkonsonanten,    dem 
^  und  tp  entsprechend,    finden    sich  natürlich  im  Altägypti- 
schen nicht;     sie   sind  ja   auch   im  griechischen  Alphabete 
eine  ziemlich  späte  Erscheinung.     Aber    ^  nimmt  die  Stelle 
des  samech   ein,    dessen  Name  (Oiy/jux)  das  alte  oäv  ver- 
drängt hat,    und   es  fragt  sich  daher,    welches  hieratische 
Zeichen   dem    alten    Samech   entspricht.      Lässt   man    vom 
samech  der  Quadratschrift   die  Basis  weg,    so   entsteht   ein 
Zeichen,  das  dem  hieratischen  siphon  genau  entspricht  uud 
sich  dem  aramäischen   samech  auffallend  nähert.     Anderer- 
seits  wird   das    hieratische    Zeichen    zu    dem    sogenannten 
nXdxafwg  oder  S  neben  S.    Auf    einen   ähnlichen  Vorgang 
weist  der  Gebrauch  eines  Schluss<y/yiwa  g  neben  tf,    so  wie 
unser  langes  f  neben  s. 

s.  Für  den  5-Laut  verwendeten  die  Kopten  das  ofyi^ 
lunatum  (G)  unter  der  Benennung  sima.  Es  scheint,  dass 
die  graphische  Verwandtschaft   des  G  mit  dem  c'ima  aucli 


9)  Mit  Hinzofügong  von  hd  (her  =  superior)  wird  daraos  Kob^li 
Nahal,  Ntilof.  i 


Laitthi  Der  ägypt,  Ursprung  unserer  Buehstahen  etc.        95 

die  Namensformimg  beemflnsst  hat.  Hier  will  ich  nur  noch 
darauf  hinweisen ,  dass  der  Vorschlag  eines  Vokales  vor 
Sibilanten  am  Anfange  eines  Wortes,  wie  er  im  Koptischen 
so  häufig  erscheint,  auf  eine  alte  Gewohnheit  zurückgehen 
könnte,  nach  der  wir  den  Buchstaben  ebenfalls  es^  nicht  se 
m  benennen  pflegen. 

o.     Dem  semitischen  Ain  (Oin)  y  entspricht  in  Trans- 
soriptionen  Ton  Namen  constant  der  ägyptische  Arm,  dessen 
Biegung  am  Ende   zu  der  runden  Form  unseres  o  geführt 
hat    Das  Wort  ani,  dem  hebr.  ]^y    entsprechend,  erscheint 
mit  der  nämlichen  Bedeutung  (Auge)   schon  sehr  frühzeitig. 
jp.     Alle  Formen   des   semitischen  pe   entstammen  dem 
bieratischen  Bilde   der  Matte,     besonders    wenn    man   das 
Kephuloth-p  berücksichtigt.    Es  ist  nicht  ein  conventionelles 
Bild  des  Himmels,    wie  ich   selbst   früher ^^)    mit  Anderen 
angenommen  hatte ,  weil  pe  (im  Koptischen  „der  HimmerO 
durch  seine  Gestalt  an  das  n  der  Griechen  eiinnert,  sondern 
em  Geflecht  mit  AbtheUung  in  der  Mitte,  wie  man  es  unter 
den  Bastarbeiten  noch  antrifft.     Der  homophonisch    dafür 
eintretende  Vogel    mit  ausgebt  eiteten   Flügeln    wurde    dem 
hieratischen  &a-Vogel  zu  ähnlich,  als  dass  nicht  daraus  schon 
in  uralter    Zeit   Verwechslungen    entstanden    sein    sollten. 
Ueber  die  nach  pe  folgenden  sfade  und  qoph  vergleiche  man 
das  oben   Gesagte    und   das  weiterhin   unter  cHma    Beizu- 
bringende. 

ro.  So  nennen  die  Kopten  mit  den  Griechen  (^eS)  den 
dem  semitischen  resch  entsprechenden  Buchstaben.  Es  ver* 
dient  gewiss  Beachtung,  dass  der  Mund,  dessen  Bild  die 
Hieroglyphe  und  das  daraus  entstandene  hieratische  Zeichen 
darstellt,  im  Koptischen  noch  ro  heisst.  Ueber  die  graphische 
Verwandtschaft  dieses  Buchstabs  habe  ich  oben  gesprochen, 


10)  UniTenal-Alphabet  p.  61. 


96  SUmmg  der  phüos.-pküoL  Claue  vom  1.  Juni  1867. 

ebenso  über  die  gegenseitige  VertretuDg  tod  {  and  r.  Im 
Demotischen  wird  der  Löwe,  als  einfacher  schräger  Stridi 
gebildet ,  auch  zur  Bezeichnung  des  Wortes  re  (pars)  ver- 
wendet und  erzeugt  zuletzt  den  Bruchstrich,  dessen  wir 
uns  fortwährend  bedienen,  wie  denn  auch  ein  hieroglyphiaches 
/»  =   V»  ist. 

t  Der  Name  %av  wird  von  den  Kopten  dau  lautirt, 
woraus  aber  gegen  die  ursprüngliche  Geltung  des  t  als 
einer  tenuis  nichts  gefolgert  werden  darf.  Denn  das  hiera- 
tische Zeichen,  welches  ich  dem  n  gegenübergestellt  habe, 
entspricht  diesem  palaeograpliisch  und  phonetisch  zu  r^el* 
massig,  als  dass  man  ihrer  Identität  zweifeln  dürfte.  Mit 
den  sonstigen  Uebergängen  in  verwandte  Dentalen  habe  ich 
mich  hier  nicht  zu  befassen,  nachdem  ich  oben  unter  thida 
das  Nöthige  beigebracht  habe.  Dass  Thav  nicht  das  Kreae 
bedeutet  hat,  wenigstens  nicht  im  Aegyptischen,  und  dass 
es  daher  nicht  nothwendig  den  Schluss  bezeichnet,  um,  wie 
man  gemeint  hat,  die  Signatur  des  Alphabet-Erfinders  vor- 
zustellen, lehrt  ein  Blick  auf  das  betreffende  hieratische 
Zeichen.  Es  scheint  eine  Art  Beutel  zu  sein,  und  dann 
liesse  sich  das  koptische  thetn  (loculus)  zur  Erklärung  bei- 
ziehen. 

r.  Das  V  tfßdöv  benennen  die  Kopten  he,  wohl  nur  dess- 
halb,  weil  v  als  Anlaut  im  Griechischen  nie  ohne  den  Spi- 
ritus asper  auftritt.  Dass  v  ursprünglich  die  Lautung  u 
gehabt,  beweist  die  Stelle  dieses  Buchstabs  im  lateinischen 
Alphabet  hinter  t,  nicht  minder  aber  auch  die  sprachliche 
Analogie,  wonach  u  zu  ü  (v)  wird,  so  dass  man  dann  geuöthigt 
ist,  aus  o  +  v  ^ov  sich  ein  neues  Zeichen  für  den  IT-Laut  ZQ 
formiren.  Dieses  nahmen  die  Kopten  mit  dem  griech.  Alphabete 
herüber  obgleich  ihre  einheimische  Schrift  ein  eigenes  und 
einfaches  Zeichen  für  den  ti*Laut  gehabt  ^  haben  muss,  da 
er  noch  im  koptischen  Lexikon  statistisch  der  häufigste 
Vokal  ist.  In  der  That  zeigen  die  altägjptischen  Wörter  fast 


XoiiA:  Der  dgypt.  Ursprung  unserer  Buehetaben  etc.        97 

sammtliGh  den  Vocal  u  und  zwar  unter  der  Gestalt  des 
Pharaonenhühnchensy  wie  ich  schon  früher  ^^)  behauptet 
hatte.  Vergleicht  man  nämlich  die  hieratische  Form  dieses 
Vogels  mit  V  und  Y/  so  wird  die  grosse  Analogie  derselben 
eioleochten«  Wie  es  gekommen,  dass  dieser  Vokal  aus  dem 
semitischen  Alphabet  yerschwunden  ist  und  in  dem  akro- 
phoniachen  Psalme  durch  eine  Wiederholung  des  pe  nur 
schwadi  angedeutet  ercheint,  habe  ich  ebendaselbst  erörtert: 
die  nahe  lautliche  Verwandtschaft  mit  dem  Faf  (ßaff)  be- 
weg dazu;  sie  ist  auch  Schuld,  dass  wir  dem  v  noch  immer 
den  Namen  vau  beilegen. 

Ueber  phij  cM^  ebsi  {tpl)  und  eS  fiäya  brauche  ich  hier 
nichts  zu  sagen:  ihre  graphische  Entstehung  durch  DiiSeren- 
zirung,  Entlehnung  der  Zahlzeichen  oder  Verdoppelung  habe 
ich  im  Uniyersal-Alphabete  zur  Genüge  behandelt.  Es  ver- 
steht  sich  von  selbst,  dass  wir  die  Prototype  dieser  Buch« 
Stäben  nur  im  semitisch-griechischen,  nicht  aber  im  alt- 
ägyptischen  Alphabete  zu  suchen  haben. 

Es  folgen  nun  die  sieben  letzten  Buchstaben  des  kopti- 
schen Alphabets,  d.  h.  diejenigen,  welche,  weil  spedfisch 
ägyptische  Laute  yertretend,  die  das  Griechische  nicht  be- 
sass,  aus  dem  einheimischen  Alphabete  entnommen  wurden. 
Wie  sicher  man  hiebei  verfuhr,  beweist  am  besten  das  zu- 
Bädist  folgende  schei.  Die  Griechen  hatten  diesen  breiten 
Zischlaut  aufgegeben,  aber  das  dorische  oäv,  das  später  als 
inUhifkov  für  900  verwendet  wurde,  was  ist  es  anders  als 
V?  Die  Kopten  griffen  auf  ihr  schei  zurück,  weil  sie  ein 
Zeichen  für  diesen  in  ihrer  Sprache  so  häufigen  Laut  nöthig 
hatten,  gerade  wie  GyriUus  für  die  slavischen  Idiome  das 
hebräische  schin  entlehnte.  Dass  dieses  slavische  sdh  an 
Gestalt  dem  koptischen  schei  so  identisch  ist,    rührt  daher^ 


11)  Üniveraal-Alphabet  pag.  17. 
[1867.  n.i.] 


98  8Ummg  det  pMUm.-phM,  Clasae  vom  t  Juni  1867. 

weil  auch  das  semitisdie  seh,  wie  das  koptische,  ans  den 
hieratischen  entnommen  war.  Dieser  Bachstabe  bildet  einen 
starken  Beweis  fiir  die  Herkunft  des  phoeaikischen  Alpha- 
bets aus  dem  ägyptischen. 

Nicht  minder  das  nun  folgende  fei.  Aus  der  gehöra« 
ten  Schlange  (xsfdatrjg)  entwickelte  sich  ein  hieratisches 
Zeichen,  welches  dem  Faf  0),  dem  sogenannten  Digamms 
(richtiger  Bav),  dem  lateinischen  F,  dem  runischen  /e, 
ebenso  zu  Grunde  liegt,  wie  dem  koptischen  fei.  Dag^en 
ist  der  nächste  Buchstab,  nämlich  das  chei  (khei),  zum 
Ausdrucke  der  starken  Aspirata  guttnralis  bestimmt ,  von 
"Xf  etwas  verschieden,  und  da  die  Aspiraten  sich  auch  im 
Griechischen  erst  spät  entwickelt  haben,  auf  das  ägyptische 
Sprach-  und  Schriftgebiet  eingeschränkt  gewesen.  Hier  aber 
treffen  wir  das  Zeichen  in  doppelter  Geltung:  als  Buchstab 
und  als  Zahlzeichen  für  1000  mit  der  Lautung  scho,  aUo 
sibilirt.  Auch  palaeographisch  erleidet  es  in  letzterer  Be- 
ziehung eine  grössere  Veränderung,  sobald  die  Zahlen 
2000—9000  dadurch  ausgedrückt  werden.  Aber  als  Bach- 
stab khei  ist  es  fast  unverändert  aus  dem  ägyptischen  in 
das  koptische  Alphabet  übergegangen. 

An  dieses  khei  schliesst  sich  h  mit  dem  Namen  Aon. 
£8  ist  vorderhand  noch  zwitifelhaft ,  ob  das  koptische  hori 
aus  der  maeandrischen  Figur  oder  aus  dem  sogenannteo 
Stricke  sich  entwickelt  hat;  vielleicht  verhilft  uns  in  der 
nächsten  Abtheilung  sein  Name  auf  die  richtige  Spur. 

Nunmehr  kommen  zwei  Quetschlaute:  djandja  und 
eUma.  Ihre  nahe  Verwandtschaft  wird  durch  ihren  häufigen 
Wechsel  nahe  gelegt;  dass  aber  ursprünglich  eine  grossere 
Verschiedenheit  zwischen  beiden  bestanden  hat,  beweisen  die 
älteren  Inschriften,  wo  ihre  Prototype  niemals  wediseln.  Es 
ist  nämlich  die  Hieroglyphe,  aus  der  das  djandja  entspron- 
den  ist  (ChampoUion  übersetzt  den  Namen  mit  „Demoiselle 
de  Nttbie*')   der  constante  Vertreter  des  aade.  Aber  palaeo- 


LaiAhi  Der  ä^ypt.  Ursprung  untenr  Buehttaben  ete-        99 

graphisch  ist  juade^  besondera  in  seiner  Kephuloth-Form  y, 
die  Schlange  (djatfi) ,  welche  als  Homophone  Hir  eben 
jenes  djandja,  sowie  für  das  oben  erläuterte  Prototyp  des 
sajin  einzutreten  pflegt.  Erst  in  der  jüngsten  Epoche  steht 
bisweilen,  z.  B.  gerade  in  dem  Namen  der  Schlange  (djatfi) 
der  Anlaat  c'  (c'atfi),  aus  welchem  urspi  ünglichen  K-Laute, 
wie  im  Italienischen,  der  Quetschlaut  geworden  ist.  Daraus 
erklären  sich  alle  gegenseitigen  Vertauschungen  in  befriedi- 
gender Weise. 

Den  Schluss  des  koptischen  Alphabets  bildet  das  dat, 
ein  Sylbenzeichen»  analog  dem  thav  des  semitischen 
Alphabets,  aber  durch  seine  Syllabität  auf  den  alten  Cha- 
rakter des  ägyptischen  Alphabets  als  eines  Syllabariums 
noch  dentlich  hinweisend.  Die  Aussprache  di^  welche  Tuki 
dem  Zeichen  giebt,  wird  jetzt  allgemein  angenommen  gegen 
die  frühere  ti,  welche  aus  der  unrichtigen  Annahme  einer 
Ligatur  aus  T  -f  I  entstanden  war.  Dieses  Sylbenzeichen 
dt  ist  das  nämliche,  von  welchem  Diodor  (III,  p.  101  Steph.) 
spricht  mit  den  Worten:  jSäv  i^dxQvnrjqCtov  tj  fiiv  ie^ia^ 
%ovg  icunvXovg  ixtszaiiävovg  I%ovOa  or^fAah'H  ßlov  tto- 
QiOjAov^^  In  der  Tbat  bedeutet  di  (früher  da)  beständig 
darcy  oder  vielmehr  Möt^m  und  vii^ävcu  zugleich,  wie  ja 
auch  das  lat.  do  beide  Bedeutungen  enthält  (z.  B.  in  ab- 
Bcondo). 

Mit  der  Annahme  des  griechischen  Alphabets  haben 
also  die  Kopten  nur  ein  uraltes  Eigcnthnm  ihrer  Vorfahren 
wieder  an  sich  gezogen  und  mit  den  nöthig  gewordenen  Zu- 
Batzen aus  eigenem  Schatze  versehen,  sich  daraus  ein  Al- 
pbabd;  gebildet,  das  auch  uns  bedeutsame  Winke  für  das 
gjiyptische  Altertbum  gibt. 


100        Sitgung  der  phüos.-phüöl.  Glosse  wm  1.  Juni  1867. 

Indem  ich  nunmehr  zur  Beantwortung  der  Frage  über- 
gehe, ob  die  alten  Aegjpter  ein  Alphabet,  wenn  auch  yor- 
erst  nur  in  dem  Sinne  eines  Sjllabar's,  gekannt  haben,  Ter- 
hehle  ich  mir  die  Schwierigkeiten  des  Unternehmens  keines- 
wegs. Uebrigens  dürfte  der  Umstand,  dass  uns  zuletzt 
sieben  Buchstaben  mit  Eigennamen  begegnet  sind,  ein 
günstiges  Vorurtheil  für  die  bejahende  Entscheidung  bilden. 
Von  dem  letzten  Zeichen  dei  ist  es  gewiss,  dass  es  der 
alten  Schrift  entnommen  ist;  nur  der  Punkt  bleibt  zweifel- 
halt, ob  zur  Zeit  der  Entlehnung  des  griechischen  Alphabets 
durch  die  Kopten  die  media  dentalis  nur  noch  mit  dem  in- 
haerirenden  Vocale  {  vorkam,  oder  ob  sie  auch  sonst  noch 
gebräuchlich  war.  Der  auf  speciell  gidechische  Wörter  ein- 
geschränkte Gebrauch  des  J  (<f)  beweist,  dass  ein  da,  de^ 
do,  du  nur  in  dem  Sinne  gelten  konnte,  als  sie,  wie  fav 
zu  dau^  von  der  Tennis  zur  Media  gesunken  waren.  Weit 
entfernt  also,  dass  die  koptische  Sprache  der  Media  entbehrt 
hätte,  besass  sie  dieselbe  sogar  in  grösserem  Umfange,  als 
das  Altägyptische.  Um  die  verwickelten  Erscheinungen  des 
Wechsels  der  Dentalen  etwas  besser  zu  begreifen,  darf  man 
auch  nicht  vergessen,  dass  sich  frühzeitig  dialektische  Ver- 
schiedenheiten ausgebildet  hatten,  so  dass  z.  B.  dem  tbe- 
banischen  (sahidischen)  p,  k,  t  oft  ein  memphitisches  q>  %, 
^  entspricht,  während  die  baschmurische  Mundart  dem  r 
der  beiden  andern  Dialekte  fast  regelmässig  ein  l  gegen- 
überstellt. 

Es  wird   uns  jetzt  vielleicht  der  Name  hori  etwas  ver- 
ständlicher   werden.      Unter    den   Neuem    hat    Lepsins**) 
«  dieses  hori   auf  den  Namen    des  Horus  gedeutet    und  ich 
war  früher  selbst^*)   geneigt,  diess  anzunehmen,    weil   auch 


12)  Zwei  Bprachvergleichende  Abhandlangen  p.  68. 

13)  Universal- Alphabet  p.  168,  169. 


LaiUh:  Der  ägypL  Unprung  uMerer  Buehgtahm  etc,      101 

im  Aethiopischen  der  erste  Buchstab  hat  heisst.  Allein  ich 
Terhehlte  mir  nicht,  dass  im  Armenischen  das  Alphabet  mit 
aib  oder  ipe  beginnt,  welches  zu  nahe  an  den  von  Plutarch 
als  ersten  Buchstab  des  ägyptischen  Alphabets  genannten 
Ibis  anklingt.  Allerdings  treffen  wir  den  Namen  Horus  auch 
phonetisch  geschrieben,  aber  meist  wird  er  durch  sein  Sym- 
bol, den  Sperber^  vertreten,  der  nicht  zu  den  alphabetischen 
Zeichen  gehört.  Ich  glaube  desshalb,  dass  wir,  wie  beim 
cki,  den  Namen  hori  als  das  nomen  proprium  des  Zeichens 
selbst  zu  betrachten  haben.  Unter  dieser  Voraussetzung 
bietet  sich  das  in  den  koptischen  Gompositis  Ar^-schi,  (tor- 
qaes)  eigentlich  funis  mensurae  —  und  aschie-Am  (catena) 
eig.  longitado  funis  erscheinende  hrei  als  passendes  Substrat 
für  das  strickartige  Zeichen,  aus  dessen  demotischer  Form 
sich  das  koptische  hori  leicht  entwickeln  mochte. 

Halten  wir  diesen  Gedanken  fest,  dass  die  Namen  der 
Zeichen  von  der  bezeichneten  Sache  hergenommen  wurden, 
so  wird  sich  jetzt  auch  c'ima  erledigen.  Im  Koptischen  be- 
deutet €*oome  tortum  esse  und  wirklich  ist  der  Henkel- 
korb, das  Prototyp  des  Buchstabs  c'ima,  ein  Geflecht,  ge- 
rade wie  der  Halsschmuck  nebt  {nebti  =  implexio  filorum, 
opus  cont^ztum)  dargestellt  wird,  der  bekanntlich  die  Sylbe 
iid>  in  Ncxravsßaig  ausdrückt.  Dieser  Parallelismus  gereicht 
dem  c'ima  zu  einiger  Empfehlung. 

Schwieriger  ist  die  Herleitung  des  Namens  djandja.  Die 
vdemoiselle  de  Nubie''  kann  natürlich  nicht  befriedigen.  Der 
Gegaistand  selb&t,  den  die  Hieroglyphe  vorstellt,  scheint  ein 
Gewächs  zu  sein,  das  sich  aus  einer  Ebene  mit  Seitenlappen 
erhebt.  Sonderbarerweise  klingt  hier  das  C^CävMv  (lolium) 
verführerisch  an,  und  wenn  auch  das  nämliche  Kraut  im 
Koptischen  entedj  (djentedj)  lautet,  so  wäre  es  immerhin 
denkbar,  dass  C$Cäviov  für  ein  älteres  C^vCiov  stünde,  wel- 
dies  dem   djandja  sehr  nahe  kommt. 

Das  mit  diesem  djandja  homophone  c^atfi  (Schlange),  das 


102         SiiMung  der  phüoa.-phUol.  Claaae  wm  1.  Juni  1867. 

'  Vorbild  des  semitischen  £ade^  erscheint  im  koptischen  Al- 
phabete nicht  mehr,  theils  weil  es  durch  djandja  schon  yer- 
treten  ist,  theils  wegen  seiner  partiellen  Ersetzung  durch 
aida  (Crra). 

Der  Name  fei  für  die  gehörnte  Schlange  {xe^äar/jg) 
ist  mir  im  Demotischen  **)  und  zwar  in  der  Verbinduog 
seehi  en  fei  =  fei  (bilis)  serpentis**,  unter  der  Reduplicativ- 
form  fetfet  **)  als  Variante  zu  c'atfi  und  hoß  {py)t^)  begegnet. 
Die  nasalirte  Form,  welche  die  häufigste  ist,  lautete  feni 
(vermis).  Alle  drei  Gruppen  sind  durch  die  gehörnte 
Schlange  determinirt.  Es  scheint  mir  daher,  dass  der  ältere 
Name  dieses  Buchstabs  fent  gewesen  ist. 

Das  sckei  stellt  eine  mit  Blumen  und  Knospen  bewadi- 
sene  Fläche  dar.  Da  nun  schi^  und  schS  planta  und  hortos 
bedeuten,  so  brauchen  wir  nach  einem  andern  Etymon  nicht 
weiter  zu  suchen. 

Eben  so  sicher  ist  khei  (chei)  eine  Pflanze  mit  riegel- 
haubenartiger  Blüthe.  Der  Umstand,  dkss  dieses  Zeichen, 
wo  es  für  die  Zahl  1000  gebraucht  wurde,  in  die  Sibilation 
übergetreten  ist  (scho  =  mille),  während  es  als  Buch- 
stabennamen  constant  khei  lautete,  bestimmt  mich,  es  in 
dem  so  häufigen  khaui  (vegetabile)  wieder  zu  erkennen, 
welches  in  den  ägyptischen  Kecepten,  besonders  bei  der 
Summirung  der  Ingredienzien,  regelmässig  getroffen  wird. 

Sind  die  bisherigen  Ableitungen  der  Namen  aus  den 
bezeichneten  Gegenständen  nicht  von  der  Hand  zu  weiseo« 
so  wird  es  nunmehr  gestattet  sein,  die  Gesammtheit  der 
phonetischen  Hieroglyphen  nach  Art  eines  Alphabets  mit 
ihren  Eigennamen  vorzuführen.  Ich  befolge  hiebei  immer 
noch  die  koptische  Ordnung. 


14)  Papyr.  gnost.  Leydens.  col.  XVII. 

15)  Todtenbuch  cap.  154  col.  8. 


Ltmih:  Der  ägypi.  Utnpnmg  umaerer  ßuchOabm  ete.        103 

0.  ä.  Das  Bohrblatt  iiki  (kopt.  ake  =  calamns)  zur 
BezeichnuDg  des  kurzen  Uryokales,  das  Prototyp  des  duroh 
Verdoppelung  daraus  entstehenden  i.  loh  habe  ihm  dess- 
halb  keine  eigene  Nummer  gegeben. 

1.  ä.  Der  Falke  atrodj,  oft  durch  das  Rohrblatt  ein* 
geleitet:  ää. 

2.  b.  Der  JSa- Vogel,  als  dessen  Vertreter  und  Ein* 
läter  oft  das  Bein,  manchmal  auch  der  Hauswidder  (&ch 
em-pe)  erscheint.  Von  den  in  der  jüngeren  Epoche  auf- 
tretenden Variauten  für  diese  und  andere  Hieroglyphen  ist 
hier  nicht  der  Ort  zu  handeln.  Ich  habe  in  einem  Auf- 
sätze^*) gezeigt,  dass  sie  einer  sehr  alten  aenigmatischen 
Schriftart  entnommen  sind. 

3.  g.  Der  Gegenstand  gaty  in  dem  demotischen  Texte 
der  Inschrift  von  Rosette  öfter  für  vaög  gebraucht.  Er 
könnte  übrigens  auch  einen  Eimer ^^)  vorstellen,  und  dann 
wäre  das  koptische  kadji  situla  zu  vergleichen. 

4.  d.  Die  Hand  dod.  Im  jüngeren  Dialekte^*)  sogar 
zu  djidj  gequetscht.  So  ist  z.  B.  sim-enrgHg^  mit  der  grie- 
chisch sein  sollenden  Uebersetzung  N  TAKT  versehen,  wel- 
ches man  zu  „sim  N^  idxrvXog^^  zu  ergänzen  und  zu  ver- 
bessern hat.  Es  ist  nämlich  die  Pflanze  Digitalis  gemeint. 
Man  sieht,  wie  dem  koptischen  Schreiber  sein  erstes  Tav  =  d 
lautete. 

5.  e.  Die  maeandrische  Figur  mit  dem  Namen  hau^ 
kopt  hye  =  mansio. 

6.  dj.  Der  junge  Adler  mit  der  Aussprache  dje  («V 
^o/oi^Dg),  dem  sajin  und  jrida  entsprechend. 


16)  Zeitschrift  für  aegypt  Sprache  nnd  Alterthamswiasenschaft. 
April  1866. 

17)  Wie  Pap.  d'Orbiney:  ,,ein  Eimer  (gai)  frischen  Wasaers",  wo 
Chabas  Melanges  IT,  246  „plat  d'ean  fraiche*'  übersetat. 

18)  Papyr.  gnost.  Leyd.  Col.  YIII  lia.  6. 


104        aUmmg  der  phOas.-phüdl.  CUuse  wm  1,  Juni  1867. 

7.  eh.  Das  Sieb  oder  d.er  Rost  eher  (chera  bei  Eir- 
dier  craticula). 

8.  dh.  Dieser  Laut  wurde  später  fast  immer  gequetscht, 
daher  dhi  (capere)  zu  dji  ward  und  das  Instrument  dM 
(forceps  die  Zange)  im  Koptischen  zu  edjo,  edju,  edjau. 

9.  i.  Der  Anlaut  i  kommt  eigentlich  nur  in  den  zwei 
Zeitwörtern  i(u)  gehen  und  iä  waschen  vor;  denn  Wörter 
wie  tuma  =  mare  (Dl^)  sind  entlehnt.  Aber  eine  Steile 
des  Todtenbuchs  (c.  102,4)  und  ein  geschichtlicher  Tezt^*) 
bieten  ein  Substautivum  w,  determinirt  durch  die  Aehre, 
ein  Holz  oder  ein  Gerüst.  Da  nun  iot  im  Koptischen  hör- 
deum  bedeutet  und  die  Soldaten  das  Doppelgewächs  des  % 
wenn  auch  in  symmetrischerer  Ordnung,  auf  dem  ¥hp!e 
tragen,  so  scheint  dieses  iu  mit  der  Bedeutung  insigne  der 
Name  des  Buchstabs  gewesen  zu  sein. 

10.  q  (ng).  Der  Winkel  Kopt.  höh  (kenhe,  keldje). 
Vergleiche  weiter  unter  Nr.  25  cHma. 

IIa.  {.  Der  Name  Idbi  (Löwe)  klingt  noch  im  kopt 
latüa  nach. 

12.  m.  Die  Nachteule  mulag*^  vielleidit  ein  Composi- 
tum mit  dem  einfacheren  und  älteren  mu. 

13.  n.    Die  Wellenlinie  mit  der  Lautung  nu  oder  imn. 

14.  8.  Entweder  as  der  Sitz,  oder  die  Stuhllehne,  die 
im  kopt  80%  dorsum  erhalten  sein  könnte,  für  das  siphon- 
artige  Zeichen.  Für  den  Riegel  8he  pessulus.  Vergl.  das 
Aethiop.  8at. 

15.  0.  Die  Phonetik  des  Armes  ist  noch  nicht  er- 
mittelt. Doch  könnte  dreh  concludere,  vergl.  mit  armus,  zu 
Grunde  liegen. 

16.  jp.     Der  mit  pa  oder  pu  bezeichnete  Gegenstand, 


19)  Dümiohen:  Histor.  InsohriftoD,  Taf.  V,  coL  62. 


Lmrih:  Der  ägypt  ünprung  tmaerer  Bnehttaben  etc.        105 

eine  Art  Matte  aos  Bast,  könnte  mit  pars  oder  frisch  storea 
zasammenhangen. 

IIb.  r.  ro  „DerMond^'  hat  o£fenbar  dieser  Buchstabe 
geheissen. 

17.  t.  Ich  habe  oben  thevi  loculas  'vermnthet  Der 
Halbkreis  tritt  sowohl  für  ^,  als  d,  als  die  Aspiraten  dh 
und  ih  ein.  Seine  arsprüngliche  Bedeutung  noch  unermittelt, 
^eUeicht  ikba  tnmulus. 

18.  u.  Das  Pharaonenhähnchen  mit  der  Aussprache  «t, 
tielleicht  in  ui  „alere^'  educare  des  Koptischen  der  Wurzel 
nach  bewahrt. 

19—26.  Die  sieben  oben  ausführlich  erläuterten  Namen 
Ton  sehet  bis  dei.  Da  letzteres  ein  Sylbenzeichen ,  und  l 
mit  r  homophon,  so  ergiebt  sich  die  Zahl  von  25  eigent* 
Sehen  Articulationen  oder  Buchstaben. 


Die  hier  unabhängig  gewonnenen  Laute,  25  an  der 
Zahl,  werden  sofort  die  Stelle  Plutarch's  '®)  in  das  Gedächt- 
niss  rufen,  wo  er  sagt,  „die  Fünf  (aber)  bildet  ein  Quadrat 
(25),  so  gross  als  die  Menge  der  Buchstaben  bei  den  Aegyp- 
tem  ist''.  Man  hat  dieses  Zeugniss  auf  das  Alphabet  der 
christlichen  Kopten  bezogen,  ohne  zu  bedenken,  dass  der 
SchrifUteller  diese  Zahl  von  25  Buchstaben  mit  den  Lebens- 
jahren des  Stieres  Apis,  also  eines  heidnischen  6ötzen,  zu- 
sammenstellt. Auch  zeigt  das  kopt.  Alphabet  31,  nicht  25 
Bachstaben.  Nach  meiner  oben  gegebenen  Untersuchung 
irird  man  daher  um  so  geneigter  sein,  die  Stelle  Plutarchs 
aof  das  altägyptische  Alphabet    zu  beziehen,    als    ohnehin 


20)  De  Ib.  et  Onr.   c.  56.    Vergl.  mein  üniv.  Alphabet  p.  167. 


106        SiUung  dar  phOoi.'phiM.  dam  wm  1.  Jmi  1867. 

aasser  den  25  phonetischen  Hieroglyphen  meinea 
Verzeichnisses  keine  weiteren  Zeicheq  yorkommen} 
die  man  eigentliche  Bachstaben  nennen  könnte. 
Hatte  Champollion  noch  mehrere  Hundert  angenommen,  so 
wurde  diese  Deb^zahl  durch  Lepsius'^)  auf  ein  beschei- 
denes Maass  zurückgeführt.  Wenn  aber  dieser  Forscher 
und  andre  Aegyptologen  in  neuerer  Zeit  die  altägyptischen 
Articulationen  auf  16  oder  15  reduciren,  so  kann  ich  aas 
obigen  Gründen  ihnen  nicht  folgen**). 

Hiemit  ist  die  Frage,  ob  die  alten  Aegypter  ein  wirk- 
liches Alphabet  gekannt  haben,  so  ziemlich  in  affirmati?em 
Sinne  entschieden,  selbst  wenn  man  die  Herleitung  der 
phoenikischen  Zeichen  aus  den  hieratischen  nicht  gelten 
lassen  wollte.  Mit  der  Existenz  des  Alphabetes  ist  aber 
zugleich  eine  gewisse  Ordnung  der  Buchstaben  bedingt.  £s 
erhellt  diess  zunächst  aus  einer  andern  Stelle  Plutarch's*'), 
wo  er  sagt,  dass  „die  Aegypter  dem  Hermes  (Thod)  als 
dem  ersten  Erfinder  der  Schrift  zu  Ehren  den  Ibis  (sein 
Symbol)  als  ersten  Buchstab  schreiben*^ 

Diese  Worte  haben  eine  mehrfache  Auslegung  erfahren. 
Birch,  der  verdienstvolle  Aegyptologe  *^),  erklärte  sie  ans 
der  Schreibung  des  Wortes  aah  (kopt.  ioh)  Lunus,  wie  der 
Gott  Thod  so  häufig  genannt  und  alsdann  mit  einer  Mond- 
scheibe oder  Mondsichel  auf  seinem  Ibiskopfe  ausgezeichnet 
wird.  Jenes  ääh  wird  geschrieben  mit  Rohrblatt  Arm  Kette. 
Allein  das  ist  nicht  der  Name  des  Ibis.     Ueberhaupt  ge* 


21)  In  seinem  Briefe  von  J.  1887  an  Rosellini  in  dem  Bolletiiio. 

22)  Aehnlich  hatte  man  früher  das  nordisohe  Futhork  von  16 
Runen  für  alter  gehalten  als  das  von  24,  bis  ich  den  entgegen- 
gesetzten Sachverhalt  au&eigte. 

23)  SympoB.  IX.  8. 

24)  In  seiner  Introduction  to  the  study  of  hierogl.  Anhang  ta 
Wittdnson's  „Kgypt  in  the  time  of  the  Pharaohs*'. 


Zaiähz  J)0r  ägypt,  TJnf/mng  unaerer  S^ehttdbm  ete.        107 

bort  der  Ibis  nicht  zu  den  phonetischen  und  alphabetischen, 
sondern  zn  den  symbolischen  Hieroglyphen.  Dazu  kommt, 
dass  die  Auffassung  des  ägyptischen  Hermes  als  einer  Mond* 
gottheit  (Lnnus)  sich  nicht  sdir  hoch  in^s  Altertham  zurück 
verfolgen  lässt.  Auch  aus  diesem  Grunde  muss  man  also 
den  &sh  als  ersten  Buchstab  aufgeben. 

Die  zweite  Ansicht,  welche  U.  Deveria  aufgestellt  hat, 
bezieht  sich   auf  die  hieratische  Schreibung  des  Ibis,  näm- 
lich mittels  eines  Zeichens,  das  dem  hieratischen  Rohrblatte 
identisch  zn  sein  scheine.    Sie  kommt  der  Wahrheit  schon 
um  desBwillen   näher,    weil   wir    bisher  die   hieratischen 
Zeichen  massgebend  gefunden  haben«    Demnach  würde   also 
Plulardi  entweder  gesagt    haben:     „Das  Alphabet    beginnt 
mit  dem   Rohrblatte,    welches    die  Lautung  a  hat'^    oder: 
„An  der  Spitze  des  Alphabets    steht  der  hieratische  Ibis" 
~  ob  aber  als  Buchstabe  ?  Wenn  irgendwo  in  einem  Texte 
das  ägyptische  Alphabet    als    solches  aufgeführt  wurde,    so 
ist  kein  Zweifel,  dass  es  als  Erfindung  des  Ibis-Thod  dar- 
gestellt wurde,  der  ja  beständig  „Herr  der  göttlichen  Worte" 
betitelt  wird. 

Eine  dritte  Ansicht  hat  neulich'^)  H;  Mariette  ver- 
öffentlicht. Er-  entdeckte  nämlich  am  Tempel  zn  Denderah 
eine  Art  Litanei  an  die  eponyme  Gottheit  Hathor,  deren 
Prädikate  in  dem  bekannten  bombastischen  Style  in  ein- 
zelnen Reihen  von  Gruppen  aufgeführt  werden,  je  mit  an- 
drem Anlaute  versehen.  Die  Ordnung  nun,  in  welcher  diese 
gesdiieht,  ergiebt  folgende  16  Buchstaben: 

tsouvfhapmnchhn  seh  b 
Damit  man  nicht  wieder  meine,  die  alte  Hypothese  von 
einem    16theiligen  Uralphabet    erhalte    hiedurch  eine  neue 
Stätze,  bemerke  ich,  dass  h  und  n  sich  wiederholen,  sowie, 


25)  Revue  areheol.  Avrü  1867. 


108         Sitswng  der  phHas.-phüol.  Classe  wm  1,  Jum  1867. 

dasB  wesentliche  Bachstaben,  wie:  l  r  s  h  %  etc.  fehlen.  Es 
scheint  also,  auch  mit  Hinzunahme  der  folgenden  Columnen, 
die  nach  Mariette    keine   durchsichtige  Ordnung   mehr  dar- 
bieten,   kein  eigentliches  Alphabet  beabsichtigt    zu    sein, 
sondern  nur  eine  Reihe  von  Alliterationen,  welche  natür- 
lich indirekt  für  das   Bewusstsein    eigentlicher    Buchstaben 
zeugen.  Dm  nun  wieder  auf  den  Ibis  als  Anfang  der  Buch- 
staben zurückzukommen,   so   meint   Mariette,    der  Umstand, 
dass  der  erste  Anlaut  ein  t  sei,    lasse  sich  auf  obige  Stelle 
Plutarch's  beziehen.     Dass  der  Ibis  Taaud   lautirt  werden 
konnte,  beweisen  die  vielen  Eigennamen,  in  denen  der  Name 
Sa>v&  als  Gräcisirung  des  Ibis  erscheint.     Allein  diese  An- 
sicht entfernt  uns  wieder  zu   weit    von  dem  Wortlaute  der 
Stelle  Tttfy  Yfafjtfiävmv  ÄlyvTtxwi  nqmtov  Ißiv  yQä^ovOi^ 
da  ein  Buchstabe,  nicht    ein    Name   damit    gemeint  ist. 
Wollte  man  zweifeln,  ob  Plutarch  überhaupt  von  einem  Al- 
phabete spreche,    so  belehrt  der  weitere  Zusatz  ov»  oQ&tSg 
3unä  ye  vr^v  ifojv  iö^av,  dvavi^  xal  dg>&6YYV  ^(osifiav 
iv  YQdfifiaaw  dnod6vT€g,  dass  es  sich  um  den  Vorsitz  unter 
den  Buchstaben,    also    um    eine    alphabetische  Reihenfolge 
handelt.     Mich  wundert ,    dass  Mariette   sich  nicht    auf  die 
6  (7)   Zusatzbuchstaben    des  koptischen  Alphabets    berufen 
hat,  da  dieses  chei  und  hori  benachbart  zeigt,  wie  die  Akro* 
phonien  der  Hathor.     Freilich    beweist  dieser  einzelne  Fall 
nichts   und  andererseits    sind    ja    auch  sonstige  Verwandte, 
wie  o  u  f  V,  %  a,  fn,  n^  zusammengruppirt.     Dass  t  und  s 
beisammen  stehen,    deutet  wenigstens    auf  physiologisches 
Verfahren**). 

Die  phonetische  Schreibung  des  Namens  Taa/ud*^  (en 


26)  Wie  ich  es  im  Umyersal-Alphabet  p.  64  lin.  1.  und  2. 
unten,  ausgesprochen  habe. 

27)  Bragrach  Geogr.  I  Nr.  680  verglichen  mit  641— 64S. 


LatOh:  Der  äg^,  ünprung  unserer  Buehttäben  ete.        109 

Pnabs)  ist  bis  jetzt  nur  ein  einziges  Mal  getroffen  worden. 
Ich  habe  diesen  Namen  zuerst  mit  dem  semitischen  HO  cor, 
Thaddaeus  =  Lebbaeus  identifizirt,  nicht  nur,  weil  die  Be- 
deutung ,,Hei^^^  aIs  der  Sitz  der  Intelligenz  nach  orientali- 
scher Anschauung,  zusagt,  und  so  das  „Taautes  Phoenix 
ütteras  invenif'  bestätigt,  sondern  weil  die  Alten  einstimmig 
dem  Ibis  in  einer  gewissen  Stellung,  Aehnlichkeit  mit  einem 
Herzen  zuschreiben.  So  sagt  HorapoUo  I,  36:  KaffiCav 
ßovXöfJuvoi  y^ipeiVy  Ißiv  Cfoy^a^povOi'  %6  ydq  Zwov  ^EQ/ifj 
^iwtcUj  ndarjg  xaqiia^  tuxC  Xoyuffiov  d€0n6%'jßj  insl  xal 
fj  Jßig  avTo  xa-d'*  ai%6  %^  »aqiCff  iö%lv  €fAg>€Qijg'  •neql  ov 
ioyog  iari  TtXstotog  naq  AlyvTtrCo^g  g>eQdfJUVog^^),  Neuere 
Legenden,  die  man  gefunden,  bestätigen,  ausser  den  herz- 
förmigen  Mumien  der  Ibis,  durch  die  Phonetik  selbst  die 
Nachricht  der  Alten  in  dieser  Beziehung.  Herr  Pleyte  hat 
nämlich  statt  der  gewöhnlichen  Gruppe  het  (cor)  mehrere- 
mal  ab  angetroffen  und  ich  habe'')  den  Namen  der  Stadt 
Athribis  auf  Grund  dieser  Wahrnehmung  nach  allen  seinen 
Bestandtheilen  zu  erklären  vermocht.  Während  nämUch  das 
Etjmologicon  magnum  den  vofidg  *A^Q$ßfjg  wegen  seiner 
Lage  inmitten  des  Delta  mit-  xa^dCa  übersetzt,  zeigt  die 
^üeroglyphische  Schreibung  die  Gruppe  Hat-to«her->ab  „Haus 
des  Landes  der  Herzensmitte' S  woraus  "Äd-qtßHg  entstan- 
den ist.  Hier  haben  wir  bereits  den  Uebergang  des  a&, 
mit  dem  vagen  Vocale  des  Bohrblattes  geschrieben,  in  t&, 
woher  %bis  und  damit  zugleich  einen  Beleg  für  die  Gleich- 
nng  Rohrblatt  =  i. 


28)  Aach  Aelian.  I  c.  n.  die  Schollen  zu  Platon's    Phaedras  p. 
356  sprechen  von  der  herzförmigen  Gestalt  des  Ibis. 

29)  In    einem   für   die   aegyptologische  Zeitschrift  bestimmten 

Anfigatze. 


110       SiUfWig  der  phüos.-phüci.  Gasae  vom  1.  JwU  1867. 

Aber  der  constante  Name  des  Ibis  lautet  hab(u)  (mäan- 
drische Figur,  Aar,  Bein)  was  nidit  befremden  kann,  wenn 
man  bedenkt,  dass  das  Rohrblatt  selbst  aake  (an  zweiter 
Stelle  mit  dem  Aar  geschrieben)  lautete,  und  dass  die  Ad- 
spiration  des  maeandrischen  Zeichens  eine  sehr  gelinde«  ein 
wirklicher  Spiritus  lenis  war,  wesshalb  es  in  die  semitischen 
Alphabete  als  he^  in  das  griechische  als  I  überging.  Ein 
Zusammenhang  beider  Wörter  ist  ^Iso  sehr  wahrscheinlich 
und  als  Verbalwurzel  habe  ich  früher  schon*®)  das  so  häu- 
fige ab  vermuthet,  dessen  Verwandtschaft  mit  dem  latein. 
avere  rfnd  T\^  (velle,  cupere)  jetzt  vielleicht  nicht  mehr 
beanstandet  wird.  Ich  war  eine  Zeit  lang  geneigt,  in  diesem 
hahu^  ah  (Ibis,  Herz)  eine  Bestätigung  für  das  System 
meines  Universal-Alphabetes  zu  erblicken,  welches  mit  Spi- 
ritus lenis  und  Urvokal,  als  den  Vertretern  der  Conso- 
nanten  und  Vocale,  beginnt.  Damit  ich  mir  aber  nicht  den 
Vorwurf  der  Rechthaberei  zuziehe,  muss  ich  schliesslich  noch 
einer  andern  Möglichkeit  gedenken,  das  Plutarchische  Uns- 
zeichen  an  der  Spitze  des  ägyptischen  Alphabets  zu  ei^ 
klären. 

Der  ägyptische  Hermes  heisst  bekanntUch  'fftgfAäyuftog^ 
in  der  Inschrift  von  Rosette  /Jtiyag  xai  fiäyag.  Das  Cap.  125 
des  TodtenbucheSy  ein  sehr  wichtiges  und  sehr  altes  Haapt- 
stück  dieser  Sammlung,  fährt  den  Qott  Thod  coli.  61,  62 
mit  den  Worten  ein :  „Nicht  lasse  ich  dich  (den  VerstorbeueD) 
passiren  durch  meine  Wacht,  bevor  du  gen.mnt  mir  meinen 
Namen^^  Der  Verstorbene  sagt  hierauf:  „Kenner  der  Herzen, 
Prüfer  der  Eingeweide  (Leiber)  ist  dein  Name**.  Man  fragt 
ihn  weiter:  „Wer  ist  der  Gott  in  aeiner  Stunde,  welcher  ist 
es?''  Die  Antwort  lautet:  „Der  Gott  ia  seiner  Stunde,  den 
du  genannt  hast,  ist  der  Grosse  (tennu)  der  beiden  Welten.** 


80)  Manetho  und  der  Tariner-Königspapyras  pp.  46,  63,  64. 


Xa«^:  Der  ägfypt.  Ursprung  uMerer  Buchstaben  etc.      111 

„Wer  18t  der  Grosse  der  beiden  Welten?"     „Es  ist  TÄod" 
(geschrieben  mit  dem  Ibis).  Die  demotisebe  Redaction  dieses 
Capitels,   welche  die  Bibliotheqae  Imperiale  zu  Paris'*)  be- 
sitzt, bietet  unter  vielen  andern  werthvollen  Varianten  statt 
des  Wortes  tennu  das  Wort  cta^  dessen  Bedeutung  gross 
langst   erhärtet   ist.     Femer  heisst  Thod  in  den    bilinguen 
Rhind-papyri,  im  Papyrns  Senkowski  und  in   vielen  andern 
Quellen   Äs-tetmu   „der  grosse  As."     Damit  wir  wegen  der 
Vieldeutigkeit  des  Wortes  as  nicht  lange  zu  suchen  brauchen, 
erinnere  ich  an  das  kopt.  as  antiquus,  woher  auch  Isis  nach 
Diodor  als  nttXaui  erklärt  wurde  und  an  die  Stelle  HorapoUo's 
1,30:  *Aq%aioyov(av  dh  yqä^oVTBg^  nanvqov  C^Q^^^vO^ 
iäafAtjv,     Also  eine  Papyrusrolle  bedeutet  d^xaioyovial   In 
der  That  erscheint  das  Rohrblatt  und  der  Siphon(a^),  womit 
jener  Name  As-(tennu)  geschrieben  wird,  häufig  mit  dem  Deut- 
bilde der  Papyrusrolle,  um  den  Begriff  alt  auszudrücken, 
80  z.  B.  in  der  „Bauurkunde  von  Denderah",'')  wo  gesagt 
vird,  dass  „der  Urplan  von  An  et  (Denderah)  gefunden  wai*d 
io  alter  Schrift".     Eine  solche  Papyrusrolle  hält  aber  der 
Gott  Thod  als  beständiges  Attribut  in  seiner  Hand,  und  so 
(mag denn)  As-tennu  ihn  als  den  „grossen  Alten"  bezeichnen. 
Daraus  würde  auch  sein  hieratisches,  dem  Rohrblatte  gleiches 
Siglum,  vielleicht  als  Abkürzung  des  Namens  Astennu  er- 
klärlich   werden.      Thatsächlich    steht    das   hieroglyphische 
Rohrblatt  a  mit   dem  Zeichen  für  Gott  über  dem  Ibis;") 
also  ist  das  eigentliche  a  der  Anfang  des  Alphabetes,  nicht 
das  Siglum  des  Ibis.    Die  Stelle  Plutarch's  verhilft  uns  somit,  ^ 
wegen  ihrer  Vieldeutigkeit,  höchstens  zu  der  Wahrscheinlichkeit, 
dasa  der   leichte  Vokal  a  den  Anfang  des  ägyptischen  Al- 


31)  Vergl.  Bragseb.:  Demo  tische  Urkunden  Taf.  YU. 

33)  Dümichen  Taf.  XV  col.  87. 

38)  Dfimichen:  Ealender-Inaehriften  Taf.  CKYIU^S. 


112         Siitung  der  phOos^-phUol.  CUuae  wm  1,  Jum  1867. 

phabets  gebildet  habe.  Mariette's  Akrophonien  beweisen  nur, 
was  schon  die  altägyptischen  Wortspiele  nahe  legen,  dass 
die  Aegypter  das  Bewusstsein  alphabetischer  Zeichen  hatten. 
Es  fragt  sich,  ob  uns  keine  andern  Qaellen  zu  Gebote 
stehen. 

Der  gnostische  Papyrus  von  Leyden  enthält  in  Coli.  XVIII 
und  XX  drei  oder  vier  Alphabete,  theils  griechischen,  (kop- 
tischen?) theils  ganz  willkürlichen  Charakters.  Sie  scheinen, 
wie  die  bei  den  Ingredienzien  im  Texte  angewendeten  Zeichen, 
einer  Geheimschrift  anzugehören,  wie  ja  auch  die  gnostisdien 
Scarabäen  solche  Spielereien  aufweisen.  An  ein  altagyptisches 
Alphabet  ist  dabei  überall  nicht  zu  denken,  weil  schon  die 
Reihenfolge  der  übergesetzten  Buchstaben  beweist,  dass  man 
das  griechische  Alphabet  geben  wollte.  Mehr  Wichtigkeit 
dürfte  der  Papyrus  Grey'*)  beanspruchen,  wenn  die  anf 
seiner  Vorderseite  befindlichen  24  oder  25  Zeichen  wirklich 
ein  demotisches  Alphabet  vorstellen  sollen.  Die  Urkunde 
ist  datirt  vom  28.  Jahre  des  Ptolemäus  Philometor  (118 
V.  Chr.)  und  das  fragliche  Alphabet  beginnt  rechts  mit  dem 
demotischen  a  (Aar)  und  schliesst  links  mit  einem  ^,  so  dass 
die  Vermuthung  nahe  gelegt  wird,  als  ob  Aleph*ThaT,  also 
wesentlich  das  phoenikische  Alphabet  gegeben-  sei.  Allein 
eine  nähere  Betrachtung  lässt  die  Sache  in  einem  andern 
Lichte  erscheinen.  Schon  das  zweite  Zeichen  gehört  nicht 
zu  den  alphabetischen,  sondern  ist  das  Sylbenzeichen  fM. 
Nr.  3,  4  und  5  entsprechen  allenfalls  einem  jp,  das  4.  dem 
syllabischen  to,  das  5.  einem  o  (?),  Nr.  7  einem  &,  Nr.  9 
einem  ^,  10  einem  &,  11  wie  2  =  ru,  dann  folgen  ziemlich 
deutlich  n,  m,  n,  ch  (?),  w,  5,  cÄ,  /*,  a,  n,  A,  a,  t.  Man 
sieht,  dass  sich  mehrere  Buchstaben  wiederholen,  während 
andere   gar  nicht  vertreten  sind,    so   dass   also  aus  dieser 


34)  Young,  Hieroglyphica  pl.  XXXIV. 


Lauth:  Der  ägypt.  Ursprung  unserer  Buchstaben  ete.       113 

Zasammenstellung  von  Buchstaben  eich  keine  Folgerung  anf 
das  altagyptische  Alphabet  ziehen  läest. 

Gleichwohl  dürfen  wir  an  der  dereinstigen  Entdeckung 
des  ägyptischen  Alphabets  auf  irgend  einem  Denkmale  oder 
in   einem  Papyrus   nicht   verzweifeln.    Die  Aegyptologie  hat 
schon  manche  Ueberraschung  gebracht,  so  z.  B.  die  Phonetik 
der  Zahlwörter  im  Pap.  Leydens.  I,  350,  wovon  ich  weiter- 
bin noch  zu  sprechen  habe.  So  gut  nun  in  diesem  Documente 
die  Zahlen  nach  ihrer  natürlichen  Ordnung  aufgeführt  sind, 
ebensowohl  könnte   etwas   Aehnliches   iu'  Betreff  der  Buch- 
staben stattgeftmden  haben.  Ausserdem  liegt  die  Möglichkeit 
nahe,    dass   die  Aegypter  ihrem   Hange  zum   Symbolismus 
nachgebend,  heilige  Embleme  zu  Repräsentanten  der  nqSva 
aifn%sZa  gewählt   haben.     Die  Vignette  zu  Gap.  1 — 15  des 
Todtenbuches  zeigt  analog   Schakal  («),  Ibis  (ab),   Sperber 
(^nk),  Stier  (X;a),  Geier  (lihretui  kopt.),    die  Locke  (Aolk), 
die  Doppelfeder,  erinnernd  an  den  häufigen  Titel  df/ai-chuj, 
Träger  der  Fahne,  endlich  die  Adlermumie.     Ich  behaupte 
Dun  nicht,   dass  hiemit  die  ersten  acht  Buchstaben  gegeben 
seien;    denn    eine   Vergleichung   mit    vollständigeren   Listen 
dieser  Embleme**)  würde  den  Versuch,  obgleich  24  solcher 
auftreten,    bald   scheitern   machen.      Aber   etwas   Analoges 
dürften  wir,    unter  der   Aegide  des   Thod,    irgendwo   an- 
zutreffen erwarten. 

Dass  die  Aegypter  eine  gewisse  Ordnung  der  Buchstaben 
kannten  und  befolgten ,  möchte  sich  auch  aus  Folgendem 
ergeben.  Das  Berliner  Museum  besitzt  unter  andern  einen 
griechischen  Papyrus,  d&r  mit  allerlei  mystischen  Figuren 
bedeckt  ist  und  besonders  den  Vocalen  eine  geheime  Wir- 
hing beilegt.  Da  die  sieben  Vocale  des  griechischen  Alpha- 
bets darin  erscheinen,  so  wird  man  nicht  fehlgreifen,  wenn 


35)  Z,  B.  Toimg,  Hierogl.  II,  67. 

11867.  IL  1.] 


114       Sittwng  der  phüos.^üöl.  Gasae  vom  1.  Jtmi  1867. 

man  ihn  als  gno8tisch  bezeichnet;  in  der  That  ist  darin 
von  einer  Zauberlampe  (Xvx^og)  die  Rede,  gerade  wie  in 
dem  demotischen  Papyrus  von  Leyden  gnostischen  Inhalts. 
Ich  setze  die  neun  ersten  Zeilen  her,  mit  dem  BemerkeD^ 
dass  die  Urkunde  stellenweise  zerrissen  ist. 

nocQüaQixmg  TtQog coaCe  avra  fifjwCri  Co& 

QrjTtog  X €iTai  0o»  xai  ov  y 

naOag  Oov  rag  TQtx^g . .  •  rjvrjg  xcu  kaßwv  icfoxa  lOf 

Ttaiov  anodmOov  «i^ vrjg  avfu^aOcev 

xm  [Äsv  Ta  Tixoi devOov  avtov  Qaxs 

axQfOTiöTtag  noOi avrovg  ovvxag  Oov  Gw  xai/g 

-^QiS^  x(u  Xaßünv yqaqis  av%l  o  xe^ieva 

xai  Ti^€ig  avtovg x^Qi^i  xat  xoig  ovv^ixcu  ccvccnla— 

aov  avtov  Xißavta • , , , axiip  a   ee   VVV   ^^^^   ooooo 

Man  sieht,  dass  es  sich  um  die  Anbringung  magischer 
Charaktere   handelt.     Unmittelbar  daran  schliessen  sidi  die 
zuletzt    in    arithmetischer   Progression    aufgeführten    sieben 
Vocale  noch  einmal,  aber  in  folgender  Doppelfigur: 
a  mwwoiwww 

B  €  V  V  V  V  V  V 

fjrjrj  o  0  o  oj> 

i  i  i  &  i  t  $  $ 

0  0  0  0  0  VW 

V  VV  V  V  V  €  C 

.    «10001(0(00001  a* 

Begleitet  sind  diese  Figuren  von  den  Worten :  xcu  Xaß^ 
To  yala  Ow  %m,..v%i  anoß'i  xsiqivov  und  anderen  minder 
lesbaren.  Es  folgt:  xai  keys  %ov  nQoxeifievov  Jioyov,  ver- 
bunden mit  der  oben  Zeile  9  gegebenen  arithm.  Prog.  der 
7  Vocale  und  dann  heisst  es :  ifxe  fioi  ceya&e  Fetale  aya^i 
« . . . .  fjuv  aqne q>^  ßqivtcnrjvai^Qi^^)  ßQiOxvkfia  aQOva 

36)  Dieser  Name  findet  sich  öfter  im  guost.  P»pyras  von  Leydeo. 


iMudh:  Ber  ägypt  Ur$prung  unserer  ButMabem  etc.       115 

io^« . . .  ^v . . .  %ov  iuxfA9VfAamg>.  rjxe  fioi  ofwg  Si(f$m m- 

fuvog  SV  ra  ßmQxoitjXe  xcu  wvhviovikevog  eto. 

Diese  Steilen,  so  werthloB  sie  sonst  auch  sein  mögea, 
bestätigen  doch  im  Allgemeinen  die  Nachricht:  iv  Äiyvmff 
ih  xfti  %odQ  '9-soüq  vfAvoikU  Siä  %ßv  iirrd  gHovtjdvtwv.^'') 

Als  ich  Obiges  za  Berlin  1863  copirte,  war  mein  Uni- 
Tersal-Alphabet  bereits  seit  acht  Jahren  erschienen.  Um  so 
aehr  war  ich  ?on  der  pyramidalen  Anordnung  der  Buch- 
staben überrascht.  Dass  nur  die  Vocale  in  der  Figur  rar^ 
treten  sind,  erklärt  sich  zur  Genüge  daraus,  dass  diese  Cha- 
raktere Torschriftsmässig  gerufen'^)  werden  sollten,  was 
bei  dun  Consonauten  eben  nicht  möglich  ist. 

Aber  auch  die  altägyptische  Bezeichnung  der  drei 
HauptYokale  fuhrt  zu  dem  pyramidalen  Systeme,  wie  ich  es 
in  memem  Uniyersal-Alphabet  zuerst  aufgestellt  habe.  Es  er- 
schemt  nämlich  als  Vertreter  oder  als  Vereinfachung  des 
Bobrblattes  a  der  senkrechte  Strich  l ,  für  die  Verdoppelung 
desselben  der  Doppelstrich,  entweder  schräg  gestellt,  um  die 
Verwechslung  mit  der  Ziffer  2  zu  vermeiden,  oder  auch 
senkrecht  1 1 ;  als  beständiges  Aequivalent  des  u  der  dreifache 
Stridi  III,   so  dass  die  drei  Hauptvocale  das  Grundschema 

i'i*l  d.  h,  die  pyramidale  Figur  prototypisch  u.  deutlich  aus- 
drficien.  NachderstatistischeoHäafigkeitdesVocalesti  imAegjp- 


87)  Jablonski  Prolegg.  p.  LV—LIX. 
*  88)  Darauf  beliehen  sieh  wahrsoheinlioh  auch  die  7  Hexame- 
ter CoL  V: 

'OQXiCtj  MiipaXata  ^€ov  om^  ieriy  OXvfAifog 
*OqxtXioi  a<pQaxida  ^coti  on€Q  sarw  oqae^ 
*OqxijC(o  jf«^«  df^in^iir  ^(^?)  xoüfiog  (y?)  iviex^i 
'Ö^ietim  x^n^^  '&€ov  nXovToy  xat^x^^^ 
*Oqxt!t^io  ^eoy  mwytov  auoya  rc  narranf 
'Ogx^oi  ipveuf  avro^ri  xqaxunoy  Adtjyai(oy) 
Y>^jt4(ai  dvyoyta  xai  ayt§3iXoytm  EXtiHiu{oy) 

8* 


116        Sitmmg  der  phOos.-phüdl.  Qane  wm  1.  Juni  1867. 

tischen  könnte  man  den  alten  Aegyptern  einen  gewifisen 
Labialismns  eigenthümlicb  finden,  wie  der  Guttnralismas 
(a)  den  Semiten  nnd  der  Gerebralismns  (i)  den  Enropäem 
eignet.  Dieselben  1. 2. 3?  Striche  dienen  auch  zur  Bezeichnung 
von  Singniaris,  Dualis  und  Plnralis.  Hiemit  ist  der  üeber- 
gang  zu  den  eigentlichen  Ziffern  gegeben,  Ton  denen  ich 
schliesslich  noch  Einiges  beibringen  will,  um  die  üeber- 
Zeugung  zu  begründen,  dass  auch  unsere  sogenannten  arabi- 
schen Ziffern  aus  Aegjpten  stammen. 

Die  aegyptischen  Ziffern.**) 

Der  senkrechte  Strich,  schon  im  Hieroglyphiscfaen  fSr 
die  Zahl  1  (ua,  auch  unbestimmter  Artikel)  gebräuchUch, 
bleibt  es  auch  im  Hieratischen.  Wird  er  verdoppelt  und 
verdreifacht,  wagrecht  gelegt  und  durch  Schleifung  zu  einem 
Ganzen  gestaltet,  so  entstehen  die  Ziffern  J2  (snau)  und 
3  (schämt).  Auch  die  Ziffer  4  verläugnet  diesen  Ursprung 
aus  Strichen  noch  nicht  und  man  könnte  behaupten,  dass 
unsere  vier  ersten  Ziffern  eben  so  gut  aus  dem  Chinesischen 
als  aus  dem  Aegyptischen  gezogen  sein  könnten.  Das  ent- 
sprechende Zahlwort  für  4  lautet  afdu. 

Allein  mit  der  Ziffer  5  befinden  wir  uns  entschieden 
auf  ägyptischem  Boden.  Der  Stern,  nach  HorapoIIo  und  den 
Denkmälern  für  5  gebraucht,  und  regelmässig  mit  5  Strahlen 
dargestellt,  wird  hieratisch  zu  einer  Figur,  deren  nahe  Be- 
ziehung zur  Ziffer  5  unverkennbar  ist.  In  dem  uralten  Pa- 
pyrus Prisse  z.  B.  wird  in  dem  Worte  sebaii  (Unterweising) 
die  erste  Sylbe  schon  durch  diesen  Stern  (Eopt.  siv)  be- 
zeichnet. Wie  es  gekommen,  dass  das  Zahlwort  5  dennoch 
eine  andere  Wurzel  darbietet,  mag  hier  unerörtert  bleiben; 
genug,  dass  dem  koptischen  tiu  (quinque)  entsprechend,  der 


89)  Yergl.  die  Tafel  B. 


LoMih:  Der  ägypt.  Ursprung  unserer  Buchstaben  etc.        117 

Pap.  Leydens.  I,  350^^)  dafür  die  phonetische  Gruppe  tiau 
bietet  Da  nun  auch  die  Hand  (tot)  vor  der  Zahl  5  als 
phonetisches  Zeichen  erscheint,  so  hatte  ich  doch  Recht,  in 
memem  Buche  „les  zodiaques  de  Denderah"  zu  behaupten, 
dass  der  Ausdrudc  teytei'O  in  teyt-hro  zu  zerlegen  und  auf 
die  fünf  Epagomenen  zu  deuten  sei.  Wird  nicht  auch 
ponischa  {näiine)  von  Einigen  als  Hand  (mit  fünf  Fingern) 
aa%efas8t  ? 

Die  Ziffer  6  findet  sich  so,   wie  wir  sie  haben,  im  De- 
motischen;   das   hieratische  Zeichen    hat    gewöhnlich    noch 
zwei  Stridie  daneben,    zum  deutlichen  fieweise,    dass  diese 
Ziffer  aus   2X3  Strichen    zusammengesetzt  gedacht  wurde. 
Ihre  Phonetik  wai*  sas  und  scLseh  (sex,  schesch).  Bei  der  Ziffer  7 
sehe  ich  mich  genöthigt,  von  Lepsius  und  Pleyte  in  der  £r- 
Uärong  abzuweichen.     Letzterer  nimmt  nämlich  an,  der  in 
den  Hieroglyphen  dafür  eintretende  Kopf  en  profil  sei  eine 
inthümliche     („fautive'^)     Transscription     des    hieratischen 
Zeichens.     Allein   unter    dieser  Voraussetzung  müsste   man 
den  Irrthum  fast  als  Regel  erklären,  da  der  Kopf  für  7  so 
haofig  getroffen   wird.     Mehrere  Stellen  beweisen,  dass  die 
hieratische  7  eben   so  gut  als  der  hieroglyphische  Kopf  mit 
dieser  Zahlbedeutung    auf  einer   altägyptischen  Anschauung 
beruht,    wonach   dem  Kopfe  sieben  Mündung^  (ro)  zuge« 
schrieben  wurden,   wohl  keine  andern  als   Augen,  Ohren, 
Nüstern,    Mund.     So  heisst   es  im   Pap.  Leydens  I.  345 
6  3:  seine  2  Lippen,  welche  zum  Sprechen;  seine  2  Augen, 
welche  zum  Sehen;     die  Siebenheit   der  Mündungen   seines 
Kopfes".    Die  nämlichen  7  ouvertures    de  la  tete  begegnen 
uns  in  den  Rhind^papyri  V,  6*^).    Mit    der  Phonetik   des 


40)  Von  Herrn  Goodwin  (Zeitechrift  für  Aegyptologie  1864)  zu- 
^t  in  seiner  Wichtigkeit  für  die  Zahlwörter  erkannt  Vgl.  in 
denelben  Zeitschrift  Pleyte  1867,  1-3.  Hefl 

41)  Vgl.  Bmgsoh:  Materiaoz  p.  61. 


118        Siteung  der  phfhs.-pMM,  Ctasse  vom  1.  Jvni  1667. 

Zahlwortes  hat  dieser  Kopf  nichts  za  schaffen.  Die  Biblio- 
tiieksgöttin  Safch,  häufig  mit  dem  siebenstrahligen  Sterne 
geschrieben,  wird  im  Pap.  Leyd.  I  350  durch  die  phoneti- 
sche Gruppe  safch  vertreten,  deren  Verwandtschaft  mit  dem 
kopt.  sasehfe  und  dem  indogermanischen,  ja  dem  semitisdien 
Zahlworte  für  7  ziemlich  einleuchtend  ist. 

Die  Ziffer  8,  noch  in  den  beiden  aufeinanderstehenden 
Rauten  unserer  älteren  Quellen  *•)  als  2X4  erkenntlich, 
yerläugnet  ihren  Ursprung  aus  Strichen  nicht.  Namen  mit 
griechischen  Transscriptionen  ergeben  die  Lautung  xofiv^ 
kopt.  sibilirt  zu  schmun  =  octo,  aber  in  chemne  octoginta, 
noch  getreuer  erhalten.  Merkwürdig  ist,  dass  in  der  so  häufig 
erwähnten  Achtstadt  (Aschmunein=  Hermopolis)  die  hiero- 
glyphische und  die  hieratische  Schreibung  des  Zahlwortes 
(auch  im  Leydens.  I  350)  constant  ^^^ennu  lautet.  Wie  mochte 
dieses  sesennu  zu  schmoun  (semit.  schmoneh)  werden?  Ich 
habe  längst  die  Zahlsymbolismen:  „2.  der  Isis,  3.  der  Neph- 
ihys*'  auf  die  Phonetik  gedeutet.  Snau  Ojtt^)  heisst  zwei 
und  son  „Bruder'';  (s)cham  (t)  drei  und  sehofn  (Dö) 
„Schwager'^,  so  dass  also  die  Stelle  besagen  würde:  ,Jdi 
(Osiris)  bin  Bruder  der  Isis,  Schwager  (olxcTög)  der  Neph- 
Öiys".  Aehnliche  Zahlsymbolismen  z.  B.  5  oder  9  Striche  für 
die  Wörter  tiau  und  pest  Ruhm ,  Glanz  sind  auch  sonst 
nicht  selten.  So  könnte  auch  sesennu,  das  bisweilen  in  der 
Schreibung  sensennu  gefunden  wird,  „die  Verbrüderungen, 
Verschwägerungen"  bedeutet  haben.  Der  Wechsel  des  n  mit 
,m  erklärt  sich,  wie  der  Monatsname  PAarmu^i  aus  PAarefimf/t. 

Ein  ähnlicher  Lautwandel  scheint  bei  dem  Zahlwort 
für  9  stattgefunden  zn  haben.  Ursprünglich  paut^  durch 
ein  Opferbrod  vorgestellt,  das  auch  den  ersten  Tag  des 
Monats  oder  den  Neumond  bedeutet,    lautet  es  im  Kopti- 


42)  Z.  B.    des  Codex  Ratisbonenflis   der  Manchener  BibKotkek, 
von  dem  ich  p.  45  meines  Runenfcdftrk  gpesproohea  habe. 


LeuUk:  Der  ägypL  Uriprung  unatrer  BuehiUnben  etc.        119 

sdien  psU  und  wird  schon  in  der  jüogeren  Periode  der 
Hieroglyphen  durdi  die  strahlende  Sonne  vertreten,  weil 
psef  =  strahlen.  Aber  ein  drittes  Zeichen,  eine  Art  Sense, 
ans  welchem  offenbar  das  hieratische  Zeichen  für  9  und 
unser  9  entstanden  ist,  erscheint  als  Detenuinativ  zu  paut. 
Merkwürdig  ist  nun,  dass  diese  Sense  («u>t;acul4  das  Scheer- 
Besser?)  häufig  zur  Schreibung  des  Wortes  neu  (maut)  yer- 
i^endet  wird,  und  dass  in  den  indogermau.  Sprachen  eben- 
&lls  ein  Zusammenhang  zwischen  neu  und  neun  (novus, 
noTem)  zu  bestehen  scheint.  Sollte  vielleicht  die  Verwandt* 
Schaft  von  paut  und  tnaut  zur  Wahl  des  Zeichens  für  9 
geleitet  haben? 

Die  Aegypter  kannten  die  Null  nicht,  desshalb  trennen 
sich  von  hier  an  die  beiden  Systeme,  indem  das  unsrige 
(indische?)  für  10  schon  einet  Zusammenselzung  anwendet, 
während  die  Aegypter*»)  für  10,  100,  1000  etc.  eigene 
Zeichen  gebrauchten. 

Man  hat  das  hufeisenförmige  Zeichen,  mit  dessen  Hülfe 
alle  Ziffern  von  10 — 90  incL  gebildet  werden,  für  die 
Hälfte  eines  Eönjgsschildes  gehalten  und  daraus  das  kopt. 
meU  (decem  und  dimidium)  erklären  wollen.  Allein  dies 
scheitert  an  der  Unmöglichkeit,  das  eckige  Zeichen  fl  zu 
erklären,  das  z.  B.  in  der  Inschrift  von  Rosette  für  10 
vorkommt.  Ich  glaube,  dass  die  alte  Bedeutung  und  Laut- 
ung der  Hand  (ma  geben)  Dual  mati,  das  koptische  Zahlwort 
fnäi  decem,  besonders  in  Rücksicht  auf  teut  =  quinque 
(tma  manus)  besser  empfiehlt.  Was  sodann  die  Figur  der 
Ziffer  10  (fl)  betrifft,  so  ist  sie  nichts  anderes  als  ein  po* 
tenzirtes  1 1  mit  einem  Querstriche,  gleich  als  wenn  man  hätte 
ausdrucken  wollen,  dass  es  die  zweite  Stufe  der  Zahlen  vorstellt, 
wie  HorapoUo  II,  30:  Ffafifi^  d^^  fu^  Sfut  YQafiftfg 
intxsTuxfAfi^VTi  iixa  Yfofi/juig  ininiiovq  Orjfialvovai  andeutet. 


43)  YgL  die  Tafel  C. 


120        SitMung  der  phüae.-phüoa,  Claaae  vom  1.  Jum  1867. 

Diese  Erklärung  erhält  ein  bedeutendes  Gewicht  durch 
das  Zeichen  fiir  100.  Es  ist  nichts  Anderes  als  das  for 
das  Pharaonenhähnchen  eintretende  u.  Wie  konnte  aber  u 
=  100  bedeuten?  An  sich  wohl  nicht;  aber  mit  Rücksicht 
auf  III  =  tt.  In  der  Absicht  derAegjpter  lag  es,  so  die  Zahl 
100  als  die  dritte  Stufe  darzustellen,  ohne  damit  das  Zahl* 
wort  sehe  ausdrücken  zu  wollen.  Im  pap.  Leydens.  I  350 
ist  schao  als  die  Phonetik  yon  100  angegeben;  ich  habe 
das  Zahlzeichen  für  100,  mit  dem  phonetischen  Werthe 
sche^^)  in  dem  Woite  äsche  (Ceder)  angetroffen.  Sollte 
letztere  etwa  wegen  ihrer  sprüchwörtlichen  Erhabenheit  den 
Namen  asche  (kopt.  multa,  abundans)  empfangen  haben? 

Behalten  wir  die  gewonnene^  Scala  bei,  so  erledigt  sich 
auch  das  Zejchen  für  1000,  nämlich  die  oben  schon  bei  dem 
Buchstaben  (khei)  besprochene  Pflanze  khaui.  Das  kopt 
Wort  für  1000:  scho  ist  durch  Sibilation  daraus  entstanden. 
Mit  dem  ^Stamme  multus  (ascho)  ist  es,  wie  aus  dem  eben 
über  asche  bemerkten  zu  ersehen  ist,  nicht  verwandt;  H. 
Pleyte  vermengt  beide  Bedeutungen,  wenn  er  es  für  möglich 
hält,  qu'on  a  pris  la  plante  comme  symbole  du  nom  de 
nombre  mille,  a  cause  de  la  tnultitude  des  vegetans.  Das 
Zeichen  ist  eben  kein  Symbol,  sondern  phonetisch  und  seine 
ursprüngliche  Bedeutung  messen.  Wäre  es  nicht  mögUch, 
dass  das  Messen  mit  vier  Fingern  oder  der  Fausthöhe 
dieses  kha  veranlasst  habe,  als  wollte  man  sagen,  dass 
1000  die  vierte  Stufe  der  Zahlen  sei? 

Der  Finger  oder  vielmehr  der  Daumen  (in  den 
grösseren  und  ausführlicheren  Darstellungen)  mit  der  Laut- 
ung tab,  steht  für  10,000.  Wenn  H.  Pleyte  sagt:  ,je  ne 
connais  pas  de  point  de  rapport  entre  la  signification  da 
signe  et  la  pronondation^S  so   hat   er   nur  der  allgemeinen 


44)  Dümichett  Kai.  Ins.  Taf.  LXVII,    c.  7;    Brugsch,  Geogr.  IH, 
Nr.  188,  189. 


Lauih:  Der  ägypt.  Unpnmg  umaerer  BmMaben  He.        121 

bisherigen  Unkonde  Aasdmck  gegeben.  Nimmt  man  mit 
mir  an,  dass  nach  der  Faust,  als  fünfte  Stufe  der  Zahlen, 
der  Dauuien  gewählt  worden  sei,  so  schwindet  das  Dunkel 
in  jeder  Beziehung. 

So  hatten  also  die  Aegypter  mittels  der  zehn  Finger 
der  Hand  und  allenfalls  mit  Hinzunahme  der  Fusszehen, 
weil  20  eaut^  (djuot)  30  mapu  (map)  40  htne  nicht  als 
Muldplicate  von  10  in  der  Phonetik  erscheinen,  ihr  Zahlen- 
system bis  zu  10,000  resp.  99,999  zu  führen  Termocht. 
Jenseits  dieser  Grenze  treffen  wir  noch  drei  Zeichen:  die 
Kaulquappe  (hefennu)  =  100,000;  den  Mann  mit  er- 
hobenen Armen  (hah)  =  1^000,000  und  den  Siegelring 
(chen)  für  10^000,000.  Diesen  drei  Begriffen  ist  die  Bedeut- 
ung einer  grossen  Menge  (hah  z.  B.  =  multus)  gemeinsam. 
Durch  Zusammensetzung  mehrerer  dieser  Zeichen  war  es 
möglich,  alle  denkbaren  Grössen  auszudrücken. 

Ueber  die  Herkunft  unseres  Bruchstrichs  /  aus  dem 
demotisdien   re  Theil    habe   ich    schon    oben    gesprochen; 

selbst  hierofflyphisch  erscheint  z.  B.  die  Gruppe  Theil  =  Vi- 

IUI 

Ueber  die  Aussprache  der  Brüche,  die  oft  durch  wun- 
derliche Zusammensetzungen  (z.  B.  */6  =  V«  +  *M  +  */i«) 
gebildet  werden,  gebricht  es  uns  bis  jetzt  an  monumen- 
talen Haltpunkten;  einige  Winke  des  kopt.  Lexicon's  z.  B. 
mtsi  =  pars  quarta,  deuten  darauf  hin,  dass  sie  Eigen- 
namen einfacher  Art  gefuhrt  haben.  Dagegen  besitzen  wir 
in  dem  papyrus  Leydens.  I  350  für  die  Zehner  und  Hun- 
derter ziemlich  durchsichtige  Ausdrücke,  die  vor  allem  die 
wichtige*Thatsache  darthon,  dass  (wie  im  Semitischen)  die 
Zahlen  50,  60,  70,  80,  90  als  Plurale  der  Zahlwörter  für 
5—9  erscheinen,  während  die  entsprechenden  Zahlzeichen 
als  Maltiplicate  (5  X  10  etc)  gebildet  sind  und  insofeme  den 
indogermanischen  Zahlwörtern  quinquaginta  (=  quinque- 
decemta)  vergleichbar  sind.  Das  nämliche  Verfahren  wieder-^ 


122        Sünmg  der  phOot^^pkOol,  Okuu  vom  i.  Juni  1867. 

hok  sich  bei  den  Hondertern  ood  Tausenden  in  Spradbe 
und  Zeichen.  Um  so  auffallender  ist  es,  dass  die  Zahl« 
Wörter  für  20,  30  und  40,  obschon  die  entsprechenden 
Zahlzeichen  ebenfalls  ifls  2  X  10,  3  X  10,  4  X  10  sich  dar- 
stellen, weder  als  Plarale  der  betreffenden  Einer,  noch  als 
Gompositionen  mit  meti  (zehn)  erklärt  werden  können.  Der 
Papyrus  giebt  für  20  die  Phonetik  gatU  (Kopt.  djuöt)  — 
und  zwar  als  Participium  des  Verbum's  0a  peragrare,  mit 
dem  Deutbilde  des  Schiffes  begleitet.  Es  versteht  sich 
Yon  selbst,  dass  damit  nur  die  Lautung,  nidit  die  ursprüng- 
liche Bedeutung  des  Zahlwortes  aaut  geboten  werden 
sollte. 

So  viel  ist  klar,  dass  die  ägyptischen  Ziffern  und  Zahl- 
wörter auf  dem  uralten  Decimalsysteme  beruhen.  Nehmen 
vrir  nun  an,  dass.  wie  bei  einigen  andern  Völkern,  mit  Hin- 
zunähme  der  zehn  Fusszehen  (digitus,  iäKivlog^  däna) 
eine  höhere  Einheit  von  Zwanzig  (score  im  Englischen) 
begründet  wurde,  so  würde  sich  in  dem  Verbum  djtt, 
djto  =  sopire,  reclinare,  eigentlich  „alle  Viere  von  sich 
strecken**  ein  passendes  Etymon  zu  dem  oben  räthselhaft  er- 
schienenen djuot  (zaut)  vermuthen  lassen. 

Die  Phonetik  des  Zahlwortes  für  30  lautete  mapu  (kopl. 
map),  wie  H.  Chabas  scharfsinnig  in  dem  Pap.  Anastasi  I. 
wiederholt  gefunden  hat.  Da  nun  nach  Diodor  I,  75  das 
Richtercollegium  der  „Dreissig^*  (3  X  10  aus  Theben,  Meia- 
phis  und  Heliopolis)  in  Uebereinstimuiung  steht  mit  den  ia 
ägyptischen  Texten  so  häufig  erwähnten  „Dreissigern'S  so 
ist  an  dieser  Phonetik  mapu  für  30  nicht  zu  zweifeln, 
wenn  gleich  uns  hier  der  Pap.  Lcyd.  I  350  im  $tidhe  lässt. 
Aber  die  Erklärung  dieses  mapul  Das  einzige  hier  an- 
klingende kopt.  Wort  i^t  mpo  mutus  und  man  könnte  ve^ 
muthen,  dass  Horapollo  I,  28,  wo  er  d^uivia  :=  (eV,  og 
%^%i&%pvg  iou  XQovov  dqtS-fJLoq  schreibt,  miss verständlich 
aus  ^aer  älteren  Quelle  entnommen  habe,  wo  mpo  =  %H^ 


Xatfth:  B&r  ägypt.  Ursprung  wnserer  Buchtkihm  «fo.        123 

xowcc^g  gestanden.  Dadurch  wäre  aber  hödistens  die 
Laatung  mapu  bestätigt,  nicht  das  Wort  erklärt.  Wenn  es 
erlaubt  ist^  das  Griechische  beiznziehen,  so  dfirfte  das  He- 
siodische  fulnm  „taste,  berühre^*  mit  mapu  stammverwandt 
sein,  and  dieses  dann  die  dreimalige  Wiederholung  der 
beiden  Hände,  also  3  X  10  um  so  passender  ausdrücken,  alf) 
die  Endung  u  ohnehin  pluralisch  ist'  und  der  Plural  im 
Aegyptischen  durch  Verdreifachung  ausgedrückt  wird.  Viel- 
leicht hat  sich  in  tnep-ouosch  desiderium,  verglichen  mit 
auosch,  voluntis  (Wunsch)  der  alte  Stamm  mapu  als  Verbal- 
Wurzel  noch  wirksam  erhalten. 

Nun  ist  es  auch  gestattet,  das  bisher  unerklärte  hme 
=  40  in  Angriff  zu  nehmen.  Im  Pap.  Leyd.  I,  150  ist  die 
betreff^de  Gruppe  undeutlich,  wenigstens  in  ihrem  Anfange; 
der  Schluss  wird  durch  ein  sicheres  m  gebildet.  So  viel 
dürfte  schon  hieraus  erhellen,  dass  das  altägyptische  Zahl- 
wort für  40  dem  kopt.  kme  identisch  gewesen.  Ich  habe 
in  einem  Denkmal  des  Pharao  Hophra  {Ovag>fig,  Unfitjg)^^) 
die  Stelle  „ar  ham  renpetu''  getroffen,  welche  bedeutet  „Es 
sind  40  Jahre^',  wenn  die  Gruppe  kam^  determinirt  durch 
den  Pelikan,  mit  40  übersetzt  werden  darf.  Leider  ist  der 
Text  sehr  lückenhaft,  so  dass  uns  der  Zusammenhang  nod 
der  daraus  zu  entnehmende  Beweis  entgeht.  Was  aber 
meine  Auffassung  empfiehlt,  ist  der  Umstand,  dass  der 
Pelikan  im  Kopt.  eben  auch  hme  heisst.  Die  dialektischen 
Varr.  hmS,  hemi,  hymS,  fähren  auf  das  Verbum  homi  oal* 
eare,  so  dass  demnach  die  Zahl  vierzig  ägyptisch  entweder 
▼on  der  Wiederholung  des  Auftretens  mit  den  zehn  Zehen  der 
Fasse  oder  zugleich  dem  Tasten  der  Hände  benannt  wäre^^). 


45)  Bmgsch  Recueil  PL  III,  lin.  4  yon  unten. 

46}  H.  Pleyte,  in  der  oben  citirten  Abhandlung,  denkt  beizaut, 
mapu,  hme.  an  Entstehung  aus  fremden  Sprachen;  allein  bis  jetzt 
zeigen  sich  diese  Zahlwörter  sonst  nirgends. 


124        SUgung  der  phOoa.-phM.  Claase  vom  L  Jwid  1S67. 

Die  Zahlwörter  von  50—90  sind  Plaralformeii  der  ent- 
sprechenden Einerbenennungen.  Für  60  erscheint  statt  der 
sechsmaligen  Wiederholung  des  Zehnerzeichens  ein  Quadrat, 
für  80  die  sonst  ^cAep  gelesene  Eüeroglyphe.  Beide  scheinen 
Rückbildungen  aus  den  hieratischen  Zügen  zu  sein,  deren 
Gomposition  aus  6  X  10,  8  X  10  wenigstens  wahrschein- 
lich ist. 

Für  200  bietet  der  Pap.  Leyd.  I  350  schetüy  während 
er  für  100  8chcu>  giebt,  gerade  wie  im  Eopt.  sehe  und  schit 
aufeinander  folgen.  Wir  werden  nicht  fehlschliessen,  wenn 
wir  das  letztere  für  den  Dual  des  ersteren  ansehen. 

Wie  sonderbar  die  Aegypter  bisweilen  ihre  Ziffern 
phonetisch  verwendeten,  ergiebt  sich  z.B.  aus  der  Schreib- 
ung des  herodotischen  TcacofAtpaS.  In  einer  Ptolemaeer-In- 
Bchrift,  die  sich  auf  den  Jwisxaaxoivog  bezieht, ^^)  ist  die 
Entfernung  von  Suen  (Syene)  bis  Takamsu  zu  12  ar  an- 
gegeben. Die  letzte  Sylbe  dieses  Namens  (su=^0(S)  ist  durch 
sechsmalige  Wiederholung  des  Zahlzeichens  für  100  bezeichnet, 
während  das  koptische  saii-sche  sez-centi  bietet  Der  ägyp- 
tische Schreiber  spielt  mit  dem  Doppelsinne  des  Zeicheas 
der  Schlinge,  welches  als  Vocal  =  u,  als  Zahlzeichen  sehe 
lautet  und  hundert  bedeutet,  so  dass  er  sü  (ato)  gelesen 
wissen  wollte,  obgleich  er  st^sche  geschrieben  hatte.  Solche 
Spielereien  sind  in  der  jüngeren  Epoche  nicht  selten  und 
bisweilen  von  bedeutendem  Werthe  für  die  Ermittlung  der 
Phonetik.  Aber  auch  die  älteren  Texte  wimmeln  von  Wort- 
spielen, sei  es  zu  dichterischen  Zwecken,  oder  dem  Hange 
zur  Symbolik  nachgebend,  die  in  dem  ägyptischen  Schrift- 
systeme,  wie  in  keinem  andern,  ihre  Blüthen  getrieben  hat. 


47)  Bragsch:  Geogr.  I,  70  Nr.  366. 


Buekner:  Minerähikuser  mu  NeimarU  t.  d.  Oberpfdä,        125 

Mathematisch-physikalische  Glasse. 

Sitsung  vom  1.  Juni  1867. 


Herr  Bnchner  theilt  mit: 
yyNeae  chemische  Untersuchung  des  Mineral- 
wassers zu  Neumarkt  in  der  Oberpfalz*'. 

Das  Mineralwasser  des  eine  Viertelstunde  von  Neumarkt 
in  der  Oberpfalz  entfernt  liegenden  altbekannten  Wildbades 
ist  seit  mehr  als  vierzig  Jahren  kein  Gegenstand  genauer 
chemischer  Beobachtung  mehr  gewesen.  Der  verehrte  Senior 
der  k.  Akademie,  Hr.  A.  Vogel  der  Vater,  hat  es  zuletzt 
in  Jahre  1826  untersucht  und  das  Resultat  seiner  Analyse, 
welche  uns  zuerst  die  Natur  dieses  Wassers  genau  kennen 
lehrte,  in  seinerSchrift  „Die  Mineralquellen  des  König- 
reichs Bayern.  München  1829''  bekannt  gemacht. 

Einer  an  mich  im  verflossenen  Jahre  ergangenen  Ein- 
ladung, genanntes  Wasser  einer  nen€&  chemischen  Unter- 
sachung  zu  unterwerfen,  habe  ich  schon  desshalb  gern 
Folge  geleistet,  weil,  abgesehen  von  den  jetzigen  verbesser- 
ten chemisch-analytischen  Methoden ,  welche  eine  genauere 
qualitative  und  quantitative  Bestimmung  der  in  einem 
Mineralwasser  aufgelösten  Stoffe  gestatten,  gerade  die  so- 
genannte Trinkquelle,  welche  ich  als  die  gehaltreichste 
Ton  den  dortigen  Quellen  erkannt  habe  und  welche,  lange 
Tenchiittet ,  erst  in  neuerer  Zeit  wieder  besonders  zur 
Trinkkur  benutzbar  gemacht  wurde,  bisher  noch  keiner  ge- 
nauen chemischen  Untersuchung  unterworfen  worden  war. 

Es  entspringen  nämlich  mehrere  Heilquellen  im  Neu- 
markter  Wildbade.  Einige  davon,  fünf  an  der  Zahl,  ver- 
billigen sich  am  Grunde  der  im  Eurhause  unter  der  Kapelle 
befindlichen  gezimmerten  Brunnstube.  Eine  andere  Quelle, 
üe  sogenannte  Kapuzinerquelle,  entspringt  in  einem 
oberhalb  des  Bades,  am  Fusse  des  sogenannten  Weinberges 


126         SUetmg  der  maiK-phifs,  CUuse  wm  1.  Juni  1667, 

befindlichen  Felsenkeller  und  wird  ebenialls  in  die  Bronn- 
Stube  des  Kurhauses  geleitet  und  mit  den  zuerst  erwähnten 
Quellen  zum  Baden  verwendet.  Wieder  eine  andere  Quelle, 
die  W&ldquelle,  liegt  in  einem  Wäldchen  unweit  dem 
Bade  und  wird  nur  zum  Trinken  benützt,  zu  welchem  Zwecke 
das  Wasser  aus  einem  zehn  Fuss  tiefen  Brunnen,  wonn 
eigentlich  zwei  Quellen  zusammenfliessen,  gepumpt  wird.  Die 
gehaltreichste  Quelle  endlich,  womit  die  nachstehende  Analyse 
▼orgenommen  wurde  und  welche  vorzugsweise  zum  Trinken 
benützt  wird,  in  welcher  Hinsicht  ^e  unstreitig  den  meisten 
Werth  hat,  oder  richtiger  gesagt,  der  Zusammenfluss  von 
drei  solchen  Quellen  in  einem  15  Fuss  tiefen,  auch  mit 
einem  Pumpwerke  versehenen  Brunnen,  befindet  sich  in  einer 
neben  dem  Eurhause  erbauten  bedeckten  Bahn. 

Das  Wasser  der  genannten  verschiedenen  Brunnen  zeigt 
bei  ungleichem  Gehalte  an  darin  aufgelösten  Stoffen  doch 
keine  wesentliche  qualitative  Verschiedenheit.  Es  gehört  2U 
jenen  sonderbaren  W^assern,  welche  Eisen  und  Schwefel- 
wasserstoff zugleich  enthalten.  Kaum  ist  das  ursprünglicli 
klare  und  farblose,  stark  nach  Schwefelwasserstoff  riechende 
Wasser  geschöpft  und  der  Luft  ausgesetzt,  so  färbt  es  sieb 
unter  schwacher  Trübung  grünUch-schwarz ,  was  von  der 
Bildung  von  Schwefeleisen  herrührt.  Der  am  Grunde  der 
Brunnstube  befindliche  schwarze  Schlamm  entwickelt  daher 
beim  Uebergiessen  mit  Salzsäure  Schwefelwasserstoff,  e^ 
kennbar  sowohl  durch  den  Geruch  als  auch  durch  die 
schwarzbraune  Färbung  eines  über  die  Flüssigkeit  gehaltenen 
mit  Bleiauflösung  befeuchteten  Papiers.  Bei  längerem  Stehen 
an  der  Luft  verschwindet  diese  grünlicb-schwarze  Färbnng 
des  Wassers  und  die  Wände  des  Gefässes  bedecken  sich  mit 
einem  bräunlichen  ockerigen  Absätze  nebst  zahlreichen  Gas- 
bläachen.  Dies  rührt  daher,  dass  das  gebildete  Schwefel* 
eisen  durch  den  Sauerstoff  der  Luft  zu  schwefelsaurem  Eisen- 
ozydul   und   dieses  dann  noch  weiter   zu   basisch-ecbwefel- 


Büchner :  MinercUwasser  mu  NeumatH  t.  d.  OberpfaUf.        127 

Baorem  Eisenozyd  ozydirt  wird,  welches  sich  nebst  dem 
durch  Oxydation  des  überschüssigen  kohlensauren  Eisen- 
ozjdnls  entstehenden  Eisenoxy dhydrat  nach  und  nach  aus- 
scheidet. 

Ich  bin  überzeugt,  dass  auf  dieser  Art  der  Zersetzung 
zum  Theil  die  schon  oft  beobachtete  wohlthätige  stärkende 
Wirkung  des  Neumarkter  Mineralwassers  auf  den  Darm- 
kanal beruht,  denn  das  getrunkene  Wasser  wird  sicherlioh 
im  Darmkanal  auf  gleiche  Weise  und  ebenso  rasch,  wenn 
nicht  rascher  zersetzt  werden  als  ausserhalb  desselben  und 
das  hiebe!  im  Zustande  feinster  Zertheilung  sich  ausschei- 
dende und  wieder  oxydirende  amorphe  Schwefeleisen  and 
Eisenoxydhydrat  werden,  indem  sie  mit  der  Schleimhaut  des 
Darmkanales  in  Berührung  kommen,  auf  diese  gelind  ad- 
stringirend  wirken. 

Die    Beobachtung    der    Schwärzung    des    Neumarkter 

Mineralwassers  an  der  Luft  ist  schon  längst  gemacht  worden, 

denn  schon  der  dortige  Stadtphysikus  Dr.  Conrad  Rumel 

sagt  in   seiner  1598   auf  Befehl   eines  löblichen  Magistrates 

herausgegebenen  und  1682  von  dem  Physikus  Dr.  Scheffler 

neu  aufgelegten  Beschreibung  des  neu  erbauten  mineralischen 

Bades   der  churfürstlichen  Stadt  Neuenmarkt  in  der  Obern 

Pfalz,   dass  das  Wasser  den  Sand,    da  wo   es  bich  heraus 

begibt,  schwarz  mache.  Allein  die  richtige  Erklärung  dieser 

Erscheinung  hat  erst  Herr  A.  Vogel  sen.  gegeben;    dieser 

Chemiker  hat  zuerst  gefunden,    dass   der  schwarze  Nieder- 

sdüag,   welchen  das  Wasser  nach  kurzer  Zeit  absetzt,  sich 

grösstentheils    wie  Schwefeleisen    verhält;    bei   Erwähnung 

dieser  Beobachtung  in  seiner  oben  erwähnten  Schrift  macht 

er  darauf  aufmerksam,  dass  ein  freiwilliges  Niederfallen  von 

Schwefeleisen  aus  einigen  Mineralwassern  in  Frankreich  auch 

BchoD  von  Longcharop,  Henry  und  Vauquelin  beobachtet 

worden  sei. 

Der  soeben  geschilderten  Erscheinung  will  ich,  um  den 


128         SitMung  der  matK-phifs.  Ctas$e  wm  1.  Jumi  1867. 

wesentlichen  Charakter  des  Nenmarkter  Mineralwassers  vor- 
laufig  weiter  za  kennzeichnen,  sogleich  hinzufügen,  dass  das- 
selbe ausser  Eisen  und  Schwefelwasserstoff  eine  ziemlid 
grosse  Menge  schwefelsaurer  Salze,  namentlich  schwefelsauren 
Kalk,  schwefelsaure  Magnesia  und  schwefelsaure  Alkalien, 
femer  verhältnissmässig  viel  kohlensauren  Kalk  nebst  etwas 
kohlensaurer  Magnesia,  die  beiden  letzteren  mit  Hülfe  freier 
Kohlensäure  aufgelöst,  enthält. 

Das  frisch  geschöpfte  Wasser  von  der  Trinkquelle  hatte 
im  April  1866  eine  Temperatur  von  nur  +  6)^^  K-  oder 
4-  8®  G.  Es  schmeckt  daher,  an  der  Quelle  getrunken,  kühl, 
übrigens  hepatisch,  dann  schwach  bitterlich-salzig  und  zu- 
sammenziehend, eisenartig. 

Das  specifische  Gewicht  des  Wassers  von  der  Trink- 
quelle wurde  als  Mittel  mehrerer  bei  einer  Temperatur  von 
+  14  bis  16^  R.  vorgenommener  und  sehr  genau  überein- 
stimmender Versuche  =  1,0021  gefunden.  Ein  Liter  dieses 
Wassers  wiegt  demnach  bei  mittlerer  Temperatur  1002,1 
Grammen. 

Das  Wasser  von  der  Waldquelle  zeigte  ein  spedfisches 
Gewicht  von  nur  1,00041,  woraus  sich  schon  ergiebt,  dass 
dasselbe  viel  ärmer  an  fixen  Stoffen  ist  als  das  Wasser  von 
der  Trinkquelle. 

Eine  Auflösung  von  Gerbsäure  erzeugt  im  frisch  ge- 
schöpften Wasser  von  der  Trinkquelle  schon  im  ersten  Augen- 
bUck  eine  röthlich-violette  Färbung  und  unmittelbar  darauf 
eine  geringe  Trübung.  Später  setzt  sich  in  der  Flüssigkeit 
ein  violett-rother  flockiger  Niederschlag  zu  Boden. 

Das  Wasser  von  der  Waldquelle  (auch  Stahlquelle  ge- 
nannt) giebt  mit  Gerbsäure  auch  eine  solche,  aber  weniger 
intensive  Färbung,  was  beweist,  dass  dieses  Wasser  weniger 
Eisen  aufgelöst  enthält  als  dasjenige  von  der  Trinkquelle. 

Das  Wasser  von  der  Kapuzinerqnelle  wird  durch  Oerb- 
säure  nur  sehr  schwach  violett  gefärbt. 


BuduMr:  MineräkoasBer  gu  Neumarkt  t.  d.  Oberpfäle.        129 

Beim  Schütteln  perlt  das  Wasser,  aber  in  der  Ruhe 
versdiwinden  die  Perlen  sogleich  wieder.  Beim  Erwärmen 
bilden  sich  ziemlich  viele,  an  der  Wand  des  Oefässes  ad- 
härireode  Gasbläschen  ron  Kohlensäure. 

Beim  Eindampfen  trübt  dch  das  Wasser  zuerst  schwach 
braunlich  und  scheidet  Eisenozydhydrat  aus.  Hierauf  schlägt 
sidi  unter  weiterer  Entwickelung  von  Kohlensäure  kohlen- 
saurer  Kalk  und  kohlensaure  Magnesia  nieder.  Der  Ver- 
dampfangsrückstand  sieht  bräunlich-weiss ,  krystalUnisch  aus. 
Beim  Glühen  schwärzt  er  sich  vorübergehend  wegen  der 
Zerstörung  einer  darin  befindlichen  organischen  humusartigen 
Substanz. 

Die  einzelnen  Bestandtheile ,  welche  bei  der  näheren 
Onterouchung  sowohl  des  Mineralwassers  als  auch  seines 
Verdampfungsrückstandes  aufgefunden  werden  konnten,  sind: 

Basen:  Säuren  oder  diese  vertretendeElemente: 


KaU, 

Schwefelwasserstoff, 

Natron, 

Chlor, 

Lithion, 

Schwefelsäure, 

Ammoniak, 

Salpetersäure, 

Kalk, 

Phosphorsäure, 

Magnesia, 

Kohlensäure,  sowohl  freie  als  auch 

Thonerde, 

chemisch  gebundene, 

Eisenozydul, 

Kieselsäure, 

Maganozydul. 

oi^anische  humusartige  Substanz. 

Es  war  mir  daran  gelegen,  die  Frage  bestimmt  beant- 
worten zu  können,  ob  das  Eisen  im  Mineralwasser  zu  Neu- 
markt als  schwefelsaures  oder  als  kohlensaures  Eisenozydul 
ao^loet  sei?  Aus  den  geognostischen  Verhältnissen  der 
Seimarkter  Oegeiid  glaube  ich  schUessen  zu  müssen,  dass 
das  Eisen  als  schwefelsaures  und  nicht  als  kohlensaures  Salz 
[1867.  IL  1.]  9 


130         Sitßung  der  math.'phff8.  vom  Olasse  1.  Juni  1867. 

in  das  Wasser  gelange.  Es  ist  nicht  meine  Angabe,  diese 
Verhältnisse  hier  näher  zu  schildern.  Der  frühere  Gewehr- 
fabrikdirektor im  Amberg,  Herr  Oberbergrath  J.  von  Voit) 
hat  dieselben  klar  beschrieben  in  der  1840  erschienenen  vor- 
züglichen Badschrift  ,,Das  Mineralbad  zu  Neumarkt  in 
der  Oberpfalz  des  Königreichs  Bayern.  Nürnberg. 
J.  A.  Stein'sche  Buchhandlung"  des  Hm.  Dr.  J.  Bapt. 
Schrauth,  welcher  sich  überhaupt  um  Neumarkt  und  dessen 
Mineralbad  sehr  verdient  gemacht  hat,  und  Hr.  Oümbel 
hat  in  neuester  Zeit  die  Neumarkter  Gegend  ebenfalls  zum 
Gegenstand  seiner  genauen  geognostischen  Forschungen  ge- 
macht. Ich  will  zum  Verständniss  der  Sache  nur  erwähnen, 
dass  der  Thalkessel,  in  welchem  Neumarkt  liegt,  in  die 
Liasformation  eingesenkt  ist  und  dass  der  Gmncl^ 
worin  die  Bildung  des  Mineralwassers  vor  sich  geht,  am 
mergeligem  Kalkstein  besteht,  welcher  ausser  Bitamen  ood 
anderen  organischen  Ueberresten  Schwefelkies  in  grosser 
Menge  beigemengt  enthält.  Der  in  dieser  Gegend  so  häufig 
sich  findende,  leicht  verwitternde  Schwefelkies  muss  als  der 
Ausgangspunkt  der  Bildung  nicht  nur  des  in  Nestern  dort 
Torkommenden  Gypses  und  anderer  Mineralien,  sondern  auch 
der  wesentlichen  Bestandtheile  des  Mineralwassers  angesehen 
werden.  Indem  er  bei  seiner  Verwitterung  in  schwefelsaures 
Eisenoxydul  verwandelt  wird,  gelangt  das  Eisen  zunächst 
als  dieses  Salz  in  das  hinzukommende  Wasser,  um  dann 
weiter  zersetzt  zu  werden  und  andere  Zersetzungen  zu  be- 
wirken. 

Zu  diesen  Zersetzungen  gehört  besonders  die  umwand- 
lung  des  schwefelsauren  Eisenoxyduls  in  kohlensaures  Sak 
•mittels  des  im  Wasser  mit  Hülfe  freier  Kohlensäure  auf- 
gelösten kohlensauren  Kalkes.  Dass  diese  Umwandlung 
erfolgt  und  dass  das  Eisen  im  Neumarkter  Mineralwasser 
als  kohlensaures  und  nicht  als  schwefelsaures  vorhanden  ist, 


Buthner:  MinerahoaiKr  mu  NeimarH  %.  d,  Oherf^^.       131 

^nbe  kh  durch  folgende  Wahrnehmungen  auf  das  Bestimm- 
teste beweisen  zu  können: 

Setzt  man  eine  Auflösang  von  sohwefelsanrem  Eisen- 
ozydnl  der  Luft  aus,  so  bleibt  die  Flüssigkeit  ziemlich  lange 
klar  und  £Eurblo8 ;  erst  nach  mehreren  Stunden  färbt  sie  sich 
schwach  bräunlich  und  trabt  sich  unter  Ausscheidung  von 
basisch-schwefelsaurem  Eisenoj^d.  Eine  Flfissigkeit,  welche 
kohlensaures  Eisenozydul  enthält,  trübt  sich  hingegen  an. 
der  Luft  sehr  rasch  und  scheidet  gelbbraunes  Eisenozyd- 
hydrat  aus. 

Wird  eine  frisch  bereitete  Auflösung  Ton  schwefelsaurem 
Eisenozydul  mit  Gerbsäurelösung  vermischt  und  an  die  Luft 
gestellt,  so  ist  anfangs  gar  keine  Veränderung  siditbar;  erst 
nach  einigen  Minuten  kommt  eine  schwache  röthlich^yiolette 
Färbung  zum  Vorschein,  deren  Intensität  nach  und  nadi  in 
dem  Masse  zunimmt,  als  die  höhere  Oxydation  der  Eisen- 
lösung fortschreitet.  Wird  aber  zu  einer  Auflösung  von 
kohlensaurem  Eisenoxydul  Gerbsäure  gesetzt,  so  färbt  sich 
die  Flüssigkeit  so  zu  sagen  augenblicklich  violett  und  die 
Färbung  erreicht  hier  schon  nach  wenigen  Secunden  eine 
grossere  Litensität  als  diejenige  der  Auflösung  des  schwefel- 
sauren Eisens  nach  mehreren  Minuten. 

Schwefelwasserstoff  bringt  in  einer  Auflösung  von 
schwefelsaurem  Eisenoxydul  in  reinem  Wasser  keine  Ver- 
änderung hervor,  setzt  man  aber  zu  einer  Auflösung  von 
kohlensaurem  Eisenoxydul  Schwefelwasserstoff -Wasser,  so 
färbt  und  trübt  sich  die  der  Luft  ausgesetzte  Flüssigkeit 
in  kürzester  Zeit  grünschwarz  unter  Ausscheidung  von 
Scfawefeleisen. 

Vermischt  man  eine  reine  Lösung  von  schwefelsaurem 
Eisenoxydul  mit  Brunnenwasser,  welches  doppeltkohlensauren 
Kalk  aufgelöst  enthält,  oder  löst  man  Eisenvitriol  in  solchem 
Wasser  auf,  so  verhält  sich  die  Flüssigkeit  genau  so  wie 
eine  Auflösung  von  kohlensaurem  Eisenozydul :  sie  trübt  sidi 


1S2        mBvmg  dtr  WuUh.-^phißS,  Glaste  wm  1.  Juni  1867. 

-an  der  Luft  ungemein  rasch  and  scheidet  einen  ockerigen  i 
Niederschlag  ab ;  mit  Gerbsäure  wird  darin  schleich  die  rio-   j 
lette  Färbung  erzeugt  und  auf  Zusatz  Yon  Schwefelwasser 
Stoff  wird  sie    unter   Bildung    von   Sohwefeleisen   schwan  i 
gefärbt.  I 

Aus  diesen  Reactionen  muss  also  gefolgert  werden,  dass 
sdiwefelsaures  Eisenozydul,  wenn  es  mit  einem  Wasser  zu- 
sammenkommt, welches,  wie  das  mit  den  meisten  Quell- 
Wassern  der  Fall  ist,  doppelt-kohlensauren  Kalk  in  genügen- 
der Mei^ge  enthält,  nicht  unzersetzt  vom  Wasser  gelöst 
'  wird,  dass  schwefelsaures  Eibenoxydul  und  kohlensaurer  Kalk 
in  wässerigen  Lösungen  nicht  neben  einander  bestehen  können, 
sondern  sich  in  äquivalenter  Menge  in  schwefelsauren  Kalk 
und  kohlensaures  Eisenoxydul  umsetzen,  welches  letztere  mit 
Hülfe  freier  Kohlensäure,  so  lange  die  Luft  abgeschlossen 
ist,  gelöst  bleibt. 

Das  Neumarkter  Mineralwasser  enthält,  wie  bereits  er- 
wähnt, eine  ziemlich  grosse  Menge  kohlensauren  Kalkes 
aufgelöst;  es  zeigt  femer  ganz  entschieden  die  Reactionen 
des  kohlensauren  Eisenoxy duls,  das  Eisen  ist  mithin  als  Ga^ 
bonat  darin  vorhanden  trotz  der  nicht  besonders  grossen 
Menge  freier  Kohlensäure,  welche  in  diesem  Wasser  nicht 
mehr  oder  kaum  mehr  beträgt  als  zur  Umwandlung  der 
darin  befindlichen  Garbonate  in  lösliche  Bicarbonate  for- 
derlich ist 

Dass  übrigens  nicht  aller  im  Wasser  an%elöste  schwefel- 
saure Kalk  nebst  den  übrigen  Sulfaten  erst  im  Wasser  selbst 
durch  die  besprochene  Umsetzung  des  schwefelsauren  Eisens 
seine  Entstehung  findet,  sondern  grösstentheils  auf  solche 
Weise  schon  vorher  gebildet  in  das  Wasser  gelangt,  ergibt 
sich  aus  der  grossen  Menge  dieses  und  der  andern  schwefel- 
sauren Salze  im  Vergleiche  zu  der  verhältnissmässig  geringen 
Eisenmenge.  Die  Bildung  der  im  Wasser  aus  dem  Gesteine 
sich  auflösenden  schwefelsauren  Magnesia  ist  sicherlich  auf 


Buchner:  Mineralieasur  mu  Kemkttfe^  i.  d.  OherpfaU.        18S 

Shnliohe  Weise  erfolgt  wie  diejenige  des  schwefelsanres 
Kalkes,  nämlich  dnrch  die  zersetaende  Einwirkung  des  ver^ 
witternden  Schwefelkieses  resp.  des  '  darans  entstandenen 
schwefelsaaren  Eisens  auf  die  im  dolomitischen  Kalksteine 
enthaltene  kohlensaore  Bittererde. 

Was  die  Bildung  des  im  Neumarkter  Mineralwasser  Yor* 
handenen  Sdiwefelwasserstoffes  betrifft,  so  unterliegt  es  kaum 
einem  Zweifel,  dass  dieser  aus  dem  schwefelsauren  Kalke  entstehti 
denn  es  ist  bekannt,  dass  dieses  Salz  im  Wasser  unter  dem 
Einflösse  darin  befindlicher  und  in  Verwesung  begriffener  oi> 
ganischer  Stoffe  (Humusstoffe)  neben  Bildung  von  Kohlensäure  zu 
Sdiwefelcalcium  reducirt  und  dass  dieses  durch  die  im  Wasser 
geloste  Kohlensäure  unter  Entbmdung  von  Schwefelwasser« 
Stoff  zersetzt  wird.  Ware  während  der  Bildung  des  Schwefel« 
Calciums  schon  Eisen  im  Wasser  gelöst  yorhanden,  so  müsste 
dieses  als  Schwefeleisen  ganz  oder  theilweise,  je  nach  der 
Menge  desselben,  Finder  ausgeschieden  werden.  Aber  amor- 
phes Schwefeleisen  wird,  wie  ich  mich  überzeugt  habe,  von 
kohlensäurehaltigem  Wasser  seinerseits  wieder  zersetzt  und 
in  kohlensaures  Eisenozydul  verwandelt.  Trägt  man  frisch 
pracipitirtes  und  hinlänglich  ausgewaschenes  Schwefeleisen 
noch  feucht  in  freie  Kohlensäure  enthaltendes  Wasser  ein 
und  schüttelt  die  Mischung  in  einem  verschlosäenen  Oefibse 
nur  kurze  Zeit ,  so  wird  man  in  der  filtrirten  Flüssigkeit 
kohlensaures  Eisenoxydul  in  mehr  oder  minder  grosser  Menge, 
je  nadh  der  Quantität  der  vorhandenen  Kohlensäure,  auf« 
gelost  finden. 

Aus  der  Thatsache,  dass  Schwefelcalcium  oder'Caldum* 
snlfhydrat  und  ein  Eisensalz  nicht  unzersetzt  neben  einander 
bestehen  können,  ergibt  sich  schon,  dass  der  im  Neumarkter 
Mineralwasser  enthaltene  Schwefelwasserstoff  nicht  im  ge- 
bimdenen,  sondern  nur  im  freien  Zustande  vorhanden  ist* 
Diess  muss  auch  daraus  geschlossen  werden,  dasa  man  aua 
üßB/em  Wassei^  allen  Schwefelwasserstoff  austreiben  kanui 


134         Sittm^g  der  malh.'phffs,  Clasae  vom  1.  JiM  1S67. 

wenn  man  hinlänglich  lange  Wassergtofl^as  hindnrch  leitet, 
und  dass  Nitroprassidnatriom  nicht  die  geringste  blaue  Fär- 
bung darin  bewirkt. 

Frühere  Beobachtungen  sprechen  dafür,  dass  dsenhaltiges 
und  schwefelwassersto£Ehaltiges  Wasser  am  genannten  Wild- 
bade gesondert  entstehen  und  sich  erst  in  der  Bnmnstube 
oder  im  Brunnenschachte  veremigen.  So  sollen  eine  eisen- 
haltige Quelle  von  Süden  und  zwei  schwefelhaltige  tob 
Nordost  her  aus  den  Seitenwänden  der  Brunnstube  zum 
Vorschein  kommen  und  sich  in  dieser  mit  zwei  anderen,  auf 
dem  Grunde  entspringenden  eisenhaltigen  yermischoi. 

Nach  der  im  Vorhergehenden  gemachten  Beschreibung 
des  Neumarkter  Ifineralwassers  ist  es  kaum  mehr  nöthig  zu 
erwähnen,  dass,  nachdem  während  des  Eindampfens  dieses 
Wassers  Eisenozyd,  kohlensaurer  Kalk  und  kohlensaure  Ma- 
gnesia nebst  geringen  Mengen  von  Thonerde  und  Kieselsänre 
und  Spuren  von  Mangan  und  Phosphorsäure  unter  Entwicke- 
lung  von  Kohlensäure  niedergefallen  sind,  sich  bei  weiterem 
Verdampfen  Kryställchen  von  Gyps  und  darauf  schöne  Pris- 
men von  Bittersalz  auscheiden,  während  die  übrigen  Schwefel- 
samren  Salze  nebst  einer  sehr  geringen  Menge  Ghlomatriums 
und  Spuren  eines  salpetersauren  Salzes  in  der  Mutterlauge 
bleiben,  welche  durch  einen  humusartigen  Bestandtheil 
gelblich  gefärbt  ist.  Letzterer  wird  auch  von  kochendem 
Weingeist  aufgelost. 

Die  quantitative  Bestimmung  der  in  diesem  Mineral- 
wasser in  wägbarer  Menge  vorhandenen  Sto£Ee  wurde 
nach  bekannten  bewährten  analytischen  Methoden  vorge- 
nommen. 

100  C.  G.  Wasser  von  der  Trinkquelle  hinterliessen  beim 
Eindampfen  als  Mittel  mehrerer  Bestimmungen  0,2410  Grm. 
scharf  ausgetrodpaieten  und  0,2225  Orm.  sdiwach  geglühten 
Rückstandes. 

100  G.  G.  Wasser  von  der  Waldquelle  'gaben  aber  nur 


Buefmer:  Minerahoaaaer  zu  Neumarkt  i.  d,  Oberpfäle.        135 

0,040  Gnn.  ungeglühten  und  0,039  Grm.  schwach  geglühten 
Bückstandee. 

Die  Menge  des  Schwefelwasserstoffes  wurde  mittelst 
äner  wässerigen  Jodlösnng,  die  in  einem  Liter  1,27  Grm. 
(=  0,01  Mg.)  Jod  enthielt,  bestimmt.  Hiebei  ergab  sich, 
dass  das  Wasser  von  der  Trinkquelle  nahezu  22  Mal  mehr 
Schwefelwasserstoff  enthält  als  das  Wasser  von  den  Quellen 
in  der  Brunnstube  und  fast  26  Mal  mehr  als  dasjenige  von 
der  Eapuzinerquelle.  Am  ärmsten  an  Schwefelwasserstoff  ist 
das  Wasser  von  der  Waldquelle. 

Die  Quantität  der  im  Wasser  der  Trinkquelle  vorhan- 
denen  freien  Kohlensäure  wurde  nach  der  nun  hinlänglich 
bekannten  vortrefflichen  Methode  v.  Pettenkofer's  *)  fest- 
gestellt, nur  wurde  das  Mineralwasser  wegen  etwa  vorhan- 
dener grösserer  Eohlensäuremenge  mit  mehr  Kalkwasser  und 
wegen  der  ziemlich  grossen  Menge  Magnesia  mit  etwas  mehr 
Salmiaklösung  vermischt,  als  v.  Pettenkofer  für  die  Bestim- 
mung der  freien  Kohlensäure  im  gewöhnlichen  Trinkwasser 
nehmen  lässt. 

In  100  C.C.  frischen  Wassers  wurde  0,0182  und  in  der 
gleichen  Menge  Wasser  nach  mehrwöchentlidiem  Stehen  in 
einer  verkorkten  Flasche  0,0166  Grm.,  mithin  für  1  Liter 
0,182  und  0,166  Grm.  freier  Kohlensäure  gefunden.  Da 
nun  die  in  einem  Liter  gefundene  Menge  der  an  Kalk,  Ma- 
gnesia und  Eisenoxjdul  gebundenen  Kohlensäure  0,16888  Grm. 
beträgt,  so  ergibt  sich,  dass  dieses  Mineralwasser  kaum  mehr 
freie  Kohlensäure  enthält  als  nothwendig  ist,  um  diese  kohlen- 
Baoren  Salze  als  Bicarbonate  aufgelöst  zu  halten. 

Die  Menge  der  in  diesem  Wasser  vorhandenen  orga- 
Bischen  Substanz  konnte  nur  auf  approximative  Weise 
geschätzt  werden.    Ich  nehme  nämlich  an,  dass  der  gelind 


1)  8.  SitsnngBberichte  1860.  Hea  Hl,  S.  289. 


136 


Sitsmig  der  math,'phi^,  OUuh  vüm  1.  Juni  1667, 


geglühte  VerdampfungBrädM^Qd  des  Waasdrs  bestdic  «v 
dem  bei  180^  G.  ausgetrockneten  Verdampfungsruckstande 
minus  der  Kohlensäure  der  kohlensauren  Magnesia ,  dem 
Hydratwasser  des  im  Rückstande  befindlichen  Eisenoxydes 
und  der  Thonerde,  dem  schwefelsauren  Ammcmozyde,  wel* 
ches  sich  indessen  schon  während  des  Eindampfens  in 
flüchtiges  kohlensaures  Amnion  umsetzt,  und  der  organisdien 
Substanz.  Die  Menge  der  letzterei)  ergiebt  sich  mithin  an- 
nähernd genau  aus  der  Differenz  zwischen  der  Menge  des 
ungeglühten  und  derjenigen  des  geglühten  Rückstandes,  zo 
welcher  man  die  Grössen  der  oben  erwähnten  Stoffe  mit 
Ausnahme  der  noch  zu  sudienden  für  die  organische  Sub- 
stanz addirt  hat. 


Zusammenstellung  des  Resultates  der  chemischen 
Analyse  des  Wassers  von  der  Trinkqnelle. 

Die  folgende  Zusammenstellung  enthält  die  Menge  der 
in  1  Liter  (=  1002,1  Grammen)  des  Wassers  von  der 
Trinkquelle  aufgefundenen  wägbaren  Stoffe  in  Grammen  aas- 
gedrückt. 

Es  wurden  gefunden: 

Schwefelwasserstoff 
Chlor 


Schwefelsäure 
Kohlensäure,  freie 

„  gebundene 

Ejeselsäure 
Thonerde     . 
Eisenoxydul 
Kalk 


Kali    . 
Natron 


0,00500  Qtm. 

0,00765     „ 

1,11468     „ 

0,18200 

0,16888 

0,00118 

0,00104 

0,00953 

0,54474 

0,30190 

0,01860 

0,01496 


Mhi^akMmer  9u  Nemnarm  i.  d.  Oherpfdig.        137 

Aaimottoxyd        ....    0,00175  Grm. 
Organische  humusartige  SabstaiKB    0,1 5638    „ 

In  imwägbarer  oder  nicht  genan  wägbarer  Menge  wurden 
gefanden:  "" 

Salpetersäure, 
Phosphorsäure, 
Hanganoxydul, 
lithion.*) 

Folgende  Tabelle  gibt  die  in  diesem  Wasser  enthaltenen 
Destantltheile ,  die  Basen  und  Säuren  zu  Salzen  verbunden, 
sowie  deren  Menge  sowohl  in  1  Liter  in  Grammen  als  auch 
in  1  Pfunde  zu  16  Unzen  (=  7680  Oranen)  in  Granen 
berechnet  an.  Bei  der  geringen  Differenz  zwischen  dem 
spec.  Gewichte  von  reinem  Wasser  und  demjenigen  des 
nntersuchten  Mineralwassers  kann  man,  ohne  einen  erheb* 
lidien  Fehler  zu  buchen,  die  in  1  Liter  enthaltene  Menge 
der  einzelnen  Bestandtheile  auch  für  1000  Grammen  Wassers 
gelten  lassen« 

Es  sind  enthalten: 

In  1  Liter:        In  lPfd.=7680Gpn. 
A.  Gasförmige  Bestandtheile: 

Schwefelwasserstoff        .  0,00500  Grm.      0,03832  Gran 

=  3,38  C.  C.         =  0, 1  iCubikzoU 
Freie  Kohlensäure  0,18200    „  1,39483  Gran 

=  95,03  C.  C.       =  3,04Cubikz.«) 

•  — — ^ 

2)  Et  braucht  kaum  erwähnt  zu  werden,  dass  das  zur  quantita- 
tiven Bettlnmang  des  Kalis  hergestellte  Kaliumplatinohlorid  besonders 
auch  auf  Caesinm  undRabidinm  mittelst  der  Speotndanalyse  und  dass 
der  eisenhaltige  Schlamm  aus  dem  Brunnen  auf  Arsenik  untersucht 
wurde.  Aber  es  war  nicht  möglich,  Spuren  dieser  Sto£fe  deutlich  su 
erkennen. 

8)  Die  oben  angegebenen  Zahlen  ffir  das  Volumen  des  Schwefel- 
wMierstoff*  und  kohlensauren  Oases  sind  berechnet  für  die  Quellen- 
teoiperatiir  (=-f  8®C.)  und  700""  Barometerstand. 


138 


Sitgung  der  math.-phyB,  Olaaae  vom  1.  JutU  18$7, 


In  1  Liter:    InlPfd.=7680Gm. 


0,01261  Orm.  0,09664  Gran 


0,01896 

n 

0,14531 

n 

0,03439 

n 

0,26356 

r 

0,00444 

n 

0,03403 

?» 

0,88944 

11 

6,81658 

iy 

0,84348 

»> 

6,46435 

1) 

0,01535 

n 

0,11764 

)> 

0,31875 

» 

2,44287 

)} 

0,04355 

n 

0,33376 

)• 

0,00104 

n 

0,00797 

J» 

0,00118 

n 

0,00904 

)} 

0,15638 

n 

.  1,19848 

>i 

6.  Fixe  Bestandtheile: 

a.  In  wägbarer  Menge: 

Chlomatrium 

Schwefelsaures  Natron   . 

Schwefelsaures  Kali 

Schwefelsaures  Ammonoxyd    . 

Schwefelsaurer  Kalk 

Schwefelsaure  Magnesia 

Kohlensaures  Eisenoxydul 

Kohlensaurer  Kalk 

Kohlensaure  Magnesia    . 

Thonerde       .... 

Kieselsäure    .... 

Organische  humusartige  Sub- 
stanz .... 

Summe    der   wägbaren    fixen 
Bestandtheile      .  .     2,33957Grm.  17,93023Gran. 

b.  In  unwägbarer  oder  nicht  genau  wägbarer  Menge: 

Schwefelsaures  Lithion, 

Salpetersaures  Kali,     . 

Phosphorsaurer  Kalk, 

Kohlensaures  Manganoxydul. 
Das  untersuchte  Mineralwasser  muss  demnach  zu  den 
schwefelwasserstofifhaltigen  Eisenwassem  mit  schwefelsauren 
und  kohlensauren  Salzen,  worunter  die  schwefelsaure  Magnesia, 
der  schwefelsaure  und  kohlensaure  Kalk  vorherrschen,  gezählt 
werden.  Die  darin  vorhandene  Menge  kohlensauren  Eisen- 
oxyduls, in  einem  Pfunde  nicht  viel  über  V^o  Gran  betragend, 
ist  zwar  nicht  so  gross  als  in  manchen  anderen  Eisenwassem, 
aber  immerhin  gross  genug,  um,  wie  die  Erfahrung  hinläng- 
lich gelehrt  hat,  bei  gehörigem  Gebrauche  des  Wassers  eine 
heilkraftige   Wirkung  in  mehreren  Krankheiten   ausziröbeiL 


BuM:  Bildung  vtm  EUerkörpern.        "  139 


Herr  Buhl  macht  Mittheilong : * 

1)  „Ucber    die   Bildung    von  Eiterkörpern    in 
Gefässepithelien/' 

Vor  Karzern  wurde  mir  ein  Stack  Leber  Tön  einer  an 
Pjlephlebitis  verstorbenen  Person  zur  Ansicht  überbracht. 
Leider  kann  ich  über  den  Fall  weiter  nichts  mittheilen,  als 
eben  das  Resultat  der  mikroskopischen  Untersuchung,  welche 
ich  an  dem  Leberstücke  ausführte. 

Das  Lebergefuge  war  brüchiger  als  gewöhnlich,  gelblich 
tingirt,  wie  bei  akuter  Atrophie    und    die   sämmtlich   darin 
verlaufenden  Pfortadergefässe  mit  dickflüssigem  Eiter  gefüllt. 
Thrombose    oder    überhaupt    Oerinsel    fanden    sich    nicht. 
Gallengänge,  Arterien  und  Venen    waren    ohne   erwähnens- 
werthe  Veränderung.    Die  Leber  entsprach  auch  mikrosko- 
pisch einer  in  akuter  Atrophie  begriffenen,  denn  ihre  Zellen 
waren  reichlich  mit  gallegefärbten  Fettkömchen  gefällt,  klein, 
dem  Zerfalle   nahe  oder  wirklich  zerfallen;     aus   letzterem 
Umstände  dürfte  sich  die  Anwesenheit  einer  grossen  Menge 
freier  Fettmoleküle  erklären.     Zwischen  diesen  fanden   sich 
aach   kuglige    cytoide    Körper  von    der  Beschaffenheit  der 
Lymph-  oder  farblosen  Blutkörper  oder  wenn  man  will  der 
Eiterkorper.    Denn  der  Inhalt  der  Pfortaderäste  würde  von 
Niemanden   für  etwas  anderes,    als    für   Eiter   ausgegeben 
worden  sein  und  so  mögen  die  cytoiden  Körperchen  in  der 
Lebersubstanz  —  obgleich  sich  solche  nach  meinen  Erfahr- 
ongen    bei  jeder    akuten  Atrophie  finden  —  denn  auch  für 
Eiterkörper  genommen  werden. 

Der  Eiter  der  Pfortaderäste  enthielt  ausser  den 
Eiterkörpem,  d.  h.  ausser  cytoiden  kugligen  Körpern  von 
der  Grösse  der  Eiterkörper   mit    einem    durch  Essigsäure 


140         Sitzung  der  math.-phys.  Classe  vom  1  Juni  1867, 

deutlich  hervortretenden  Inhalt  von  1 — 3  Kernen,  mit  Feti- 
körnchen  im  Protoplasma,  auch  noch  andere  relativ  grosse 
Körper,  nämlich  Zellen  von  Spindelform  mit  ungewöhnlichem! 
Breite-Durchmesser,  gewöhnlich  in  starker  Fettdegeneration, 
die  keine  anderen  sein  konnten  und  waren  —  wie  unmittel- 
bares Abkratzen  von  der  Innenwand  des  Gefässes  erwies  — 
als  Epithelzellen  der  Pfortader.  Weniger  aber  durch  die 
Fettdegeneration  war  das  dickbäuchige  Ansehen  hervor- 
gebracht, als  vielmehr  durch  Eiterkörper,  welche  zu  1—5 
and  mehr  innerhalb  derselben  beherbergt  waren.  Da  die 
Eiterkörper  mit  den  Fettkömem  der  Zellen  umhüllt  waren, 
so  fiel  der  eigenthümliche  Inhalt  zunächst  in  solohen  auf, 
wo  die  Fettdegeneration  unbedeutend  war.  Hier  liess  sich 
auch  hie  und  da  bei  guter  Lagerung  der  Zellenkem  er- 
kennen. Es  war  somit  kein  Zweifel,  dass  eine  endogene 
freie  Bildung  von  Eiterkörpern  in  Epithelien  vorlag. 

Die  Sache  hat  ein  mehrfaches  Interesse.  Sie  ist  nicht 
bloss  ein  neuer  Beleg  für  die  Wahrheit  des  ang^ebenen 
Modus  der  Entstehung  der  Eiterkörper  in  Epithelzellen 
überhaupt,  sondern  bekömmt,  wie  ich  zu  zeigen  versacheo 
will,  Bedeutung  für  die  Vorgänge  im  Innern  der  Gefasse 
und  namentlich  auf  deren  abnormen  Inhalt. 

Glaubt  man  den  Eiter  von  blut  und  Lymphe  wohl 
trennen  zu  können,  weniger  durch  den  Mangel  an  gefärbten 
Körpern,  die  zufällig  auch  dem  Eiter  beigemischt,  weniger 
durch  die  absolute  Menge  der  weissen  Körper,  die  ja  za- 
sammengedrängt  sein  können,  und  weniger  auch  durch  den 
Mangel  an  gerinnbarem  Stoff,  der  im  Blute  fehlen  könne, 
und  endlich  weniger  durch  das  emulsive,  rahmige,  gelblich- 
weisse  Ansehen,  ein  Produkt  der  rasch  sich  geltend  machen- 
den Fettdegeneration  der  Körperchen,  die  in  Thromben  andi 
beobachtet  wird:  so  war  man  doch  nur  dann  sicher  über- 
zeugt davon,  dass  eine  fragliche  Flüssigkeit  Eiter  sei  and 
nichts  anderes  sein  könne ,    wenn    dieselbe    ausserhalb  der 


Buhl:  BMung  von  Eümiiarpem.  141 

Gfefasse  gelten  war.  Innerhalb  der  geschlossenen  Blatbahn 
gestaltet  sich  die  Sache  im  entgegengesetzten  Sinne.  Denn 
ia  man  keine  mikroskopischen  Unterscheidungsmerkmale 
ewisdien  Eiterkörpem  und  farblosen  Blut-  oder  Lyinph- 
körpem  wnsste,  so  durfte  hier  auch  die  eiterahnlichsie 
Flüssigkeit  für  keinen  Eiter  angesehen  werden;  denn  hier 
waren  es  die  farblosen  Blutkörper ,  die  sich  massenhaft  au- 
sammen-  und  die  gefärbten  yerdrängt  hatten,  hier  war  der 
sie  zusammenhaltende  Faserstoff  durch  Fettd^eneration  zer- 
&Uen,  welche  letztere  Degeneration  auch  dem  Ganzen  ein 
emnlsives  milchiges  Ansehen,  selbst  die  gleiche  Farbe  gab. 
Innerhalb  der  Blutbahn  war  also  die  bezeichnete  Flüssigkeit 
immer  nur  verändertes  Blut,  ausserhalb  der  Blutbahn  war 
sie  immer  Eiter. 

Die  Anschauung  war  neu  und  bequem,  ob  aber  richtig, 
ist  eine    andere  Frage.    Immer    taucht  einerseits  auch  — 
doch  ohne    besonderen  Anklang  zu  finden  —  der  Gedanke 
wieder  auf,    die  Eiterkörper  ausserhalb  der  Blutbahn  nicht 
nur  ihrer  mikroskopischen  Identität,    sondern  auch    wegen 
ihrer  Entstehung    und   ihres  Sitzes    eigentlich   für  Lymph- 
körper anzusehen,  obgleich  man  nicht  nur  den  Entstahungs- 
modus,  sondern  auch  den  Entstehungssitz  der  Lymphkörper 
viel  wenijger  kennt,   als  den  der  Eiterkörper.     Und  immer 
behauptet    man    andrerseits     „unter  gewissen   Umständen" 
wieder,  es  sei  Eiter  in  den  Gefässen  und  nicht  Blut,   wenn 
man   sich  auch  keine  Rechenschaft  darüber  geben    konnte, 
wie  denn  der  Eiter  darin  entstehe.    Gerade  die  Entzündung 
Qüd  damit   bezeichnet  man  ja  den  Process,    unter  dessen 
Wirksamkeit  Eiter   erscheint,    gerade   die  Entzündung  der 
Geiasswand,  deren  gefasshaltige  bei  der  Entzündung  beson- 
ders bethätigte  Schichte  nach  aussen  liegt  und  deren  Höhle 
nadi  innen  durch    eine- feste  Epithelschichte  geschützt  sei, 
war  ein  Hindemiss,    die  Entstehung  der  Eiterkörper  inner- 
halb der  Blutbahn  zuzulassen. 


142  SiUung  der  matK^phys.  Classe  vom  1,  Juni  1867. 

Durch  meine  oben  mitgetheilte  Beobachtung  ist  man 
jedoch  gezwangen,  die  Funktion  des  Oefassepithek  nicht 
nur  als  schützende  Decke  zu  betrachten,  die  bloss  durch 
Imbibition,  sei  es  vom  Blute,  das  in  der  Gefassröhre  strömt, 
sei  es  vom  Blute  in  der  Adventitia  der  Gefasswand,  nur  nutritiv 
erhalten  wird,  sondern  das  Epithel  tritt,  wie  das  Epithel 
überall  im  Körper,  auch  hier  bildend,  producirend  auf,  seine 
Zellen  sind  fähig  durch  einen  im  osmotisch  anfgenommenen 
Safte  enthaltenen  Reiz  ihre  lebendige  Thätigkeit  zu  entfalten 
und  zur  Bildung  neuer  zelliger  Körper  zu  verwenden.  Diese 
Körper  sind  im  gegebenen  Falle  Eiterkörper;  allein  einmal 
eine  bildende  Thätigkeit  in  ihnen  thatsächlich  erwiesen,  so 
ist  damit  der  Anstoss  gegeben,  in  allen  Vorgängen  inner- 
halb des  Gefässrohres  nach  der  aktiven  Theilnahme  der 
Gefässepithelien  zu  fragen. 

Ausser  dem  pathologischen  Interesse  tritt  uns  auch  ein 
physiologisches  vor  Augen;  denn  im  gesunden  Zustande 
giebt  es  schon  Körperchen  im  Blute,  welche  histologisch 
von  sämmtlichen  Forschem  mit  den  Etterkörpem  identifizirt 
werden  und  desshalb  histogenetisch  auf  den  gleichen  Ursprang 
denken  lassen.  Manche  Autoren  haben  auch  wirklich  den 
Gefässepithelien,  insonderheit  der  Milz,  die  Bestimmung  za- 
erkannt,  die  farblosen  Blutkörper  zu  erzeugen.  Analoges 
dürfte  vom  Epithel  der  Lymphgefasse  in  Bezug  auf  die  Ent- 
wicklungsstätte der  Lymphkörper  gesagt  werden.  Die  Schwank- 
ungen in  der  Menge  dieser  Körperchen  und  noch  im  Be- 
reiche des  Normalen  (im  nüchternen  Zustande  und  in  der 
Verdauungszeit)  dürften  auf  vorübergehende  normale  Beize 
bezogen  werden.  Vielleicht  giebt  die  Untersuchung  eines 
Falles  von  Leukaemie  die  nöthigen  Anhaltspunkte,  ob  nicht 
die  absolute,  krankhafte  Vermehrung  derselben  wirklich  von 
abnorm  gesteigerter  Bildungsthätigkeit  der  Gefissepithelien 
herrührt,  die  hier  in  Bezug  auf  die  Milz,  Leber,  die  Lymph- 


BuM:  BOdung  von  EUeriörpem.  /  14B 

drüsen  nichtB  anderes  als  die  Mittheilnahme  der  gesteigerten . 
Bild^ngsthätigkeit  im  ganzen  Organe  ansdrilcken  würde. 

Die  Pfortader  and  ihre  Aeste,  von  welchen  obige  Be- 
obachtang  stammt,  gehören  zum  Venensysteme.  Eiter  findet 
sich  fast  nie  in  Arterien.  Man  dürfte  daher  schliessen, 
dass  die  Eigenschaft«  farblose  Blut-  und  Eiter- 
körper zu  erzeugen,  fast  ausschliesslich  dem  Venen- 
nnd  dem  Lymphgefässepithel,  nicht  aber  dem  Arterien- 
epithele  zukomme. 

Der  Zweifel,    ob    man   gegebenen    Falles  Eiterkörper 
oder  angehäufte  Lymph-  oder  farblose  Blutkörper    vor  sich 
habe,  könnte  somit  gehoben  werden,  wenn  man  sich  zu  der 
Ansdiauung  bequemen  wollte,  dass  die  Bildung  sämmtlicher 
genannter  Körperchen  ausser-  wie  innerhalb  der  Blutbahn 
auf   gleichen  Bedingungen   beruht.     Bei    übermässiger  Ver- 
mehrung wird   da,    wie  dort  die  sie  enthaltende  Flüssigkeit 
Eiter  zu    nennen  sein,     d.  h.    es   giebt    zwischen  Eiter- 
körpern  und    farblosen   Blut-    oder  Lymphkörpern 
(auch  Schleim-,  Speichelkörper  etc.  gehören  hieher)  keinen 
anderen  und  keinen  schärfer  zu  begrenzenden  Unter- 
schied als  einen  quantitativen;    ursprünglich   sind  die 
Körperchen   qualitativ    identisch,    weichen    aber   durch   die 
Menge,    in  der  sie  vorhanden    sind    und  dadurch  in  ihren 
weiteren  Schicksalen  von  einander  ab. 

Die  gesicherte  Thatsache,  dass  innerhalb  der  Adventitia 
der  Gefässe,  wie  im  übrigen  Bindegewebe  des  Körpers,  sich 
auch  Eiter  bilden  könne,  wird  damit  weder  bestritten  noch 
beeinträchtigt*  Gleichwohl  ist  in  Acht  zu  nehmen,  dass  im 
Bindegewebe  Venen  und  Lymphgefässe  verlaufen.  Es  käme 
in  Frage,  ob  ausser  der  Milz  und  anderen  blutbereitenden 
Organen,  nicht  jedes  Organ  und  Gewebe  durch  den  Besitz 
an  Venen  und  Lymphgefässen  geeignet  wäre,  farblose  Blut- 
kqiper  zu  erzeugen  und  kann  man  meines  Erachtens  darüber 
nicht  absprechen,  ob  bei  eiterndem  Bindegewebe  nicht  ein 


144  SiUfung  der  matk^phyB,  Claem  vom  1.  Juni  1867. 

Thdl  des  Eiters  im  Epithel  der  Venen  und  Lymphgefiisie 
gebildet  werde. 

Im  normalen  Zustande  mag  allerdings  die  Bildung  der 
farblosen  Blntkörper  auf  kleine  bestimmte  yenöse  Gapillar* 
bezirke  (auf  die  Milz  z«  B.)  beschränkt  sein ;  unter  patho- 
logischen Verhältnissen  aber  kann  die  gleiche  Thatigkeit 
in  yielen  Punkten  des  Körpers  erweckt  werden  and  ▼om 
capillaren  Lymphgeiass-  und  Venensysteme  aus  mStk  über 
die  Lymphgefasse  selbst  und  die  grösseren  Venenäste  aas- 
dehnen. Die  fortgesetzte  Phlebitis  und  Lymphangitis  und 
die  damit  Hand  in  Hand  gehende  Thrombose  sowohl  wie 
die  Pyaemie  und  ihre  multiplen  Herde  würden  einer  sach- 
gemässen  Erklärung  zugängig  werden. 


2)  „Notiz   über  primäre  ästige  Osteome    der 
Lunge". 

Kalkige,  eine  Knochenstruktur  nicht  besitzende  Oebilde 
der  Lunge  sind  häufig  zu  sehen;  wirkliche  Knochen  in 
diesem  Organe  immer  eine  Seltenheit.  Letztere  kommen 
in  der  Regel  nur  sekundär  vor;  es  sind  bald  Narben,  weiche 
nachträglich  va'knöehem,  bald  sind  es-?on  einem  Körper- 
theile  aus  in  die  Lunge  transportirte,  mit  Knochengerüste 
versehene  Neubildungen  (sogenannte  Osteoide),  nämlich 
Krebse,  Enchondrome,  Fibrosarkome.  Die  grosste  Seltenheit 
jedoch  sind  primäre  Knochenbildungen  im  Lungengewebe. 

Von  den  2  Formen,  der  ästigen  und  knotigen,  hatte 
ich  jüngst  bei  einem  58jährigen  Manne,  der  an  eronpöser 
Pneumonie  starb,  Gelegenheit,  die  erstere  zu  beobachten 
und  will  ich  sofort  den  Befund  der  yerehrten  Classe  mi- 
iheilen. 

Verästigte  Knodienbilduageti  in  der  Ltmge  worden  «rohl 
von  Luschka' (Virohow's  hxfkkn  10  Bd.  p.  500)   «Herst  ge- 


SM:  Primäre  (Mige  0»teome  der  Lunge.  145 

Daa^  bMchrieben,   wenn  sie   auch  ficbon  Anderen  vor  ilim 
bekannt    waren.     Ich    kann    seiner   getreuen    Beschreibung 
kaom  etwas  beifugen.    Bei  meinem  Falle  waren    es    indess 
nidit   die  Unterlappen  der  Lungen    (Rokitansky,    Virdiow, 
Förster  geben   ak   stetigen  Sitz    den  ünterlappen   an),    in 
welchem    beim  Befühlen  die  spitzigen  Knochenäste  sich  be- 
mwklich   machten ,    sondern  einzig    und   allein   der  rechte 
Oberlappen,  dessen  Pleuraüberzug  glatt,  glänzend,  nur  unbe- 
deutend   verwachsen    war.     Das   ödematöse   Lungengewebe 
coUabirte  beim   Einschneiden   schwer,    war    etwas   dichter, 
pigmentreicfa ,    seine  Bläschen  ungleich  erweitert,    die  Bron- 
chien mit  starkem  Catarrh  versehen.    Von  den  anderen  Or- 
ganen    ist  nichts  Erhebliches   mitzutheilen ;     das   Herz  war 
etwas  fettig  degenerirt,   der  Magen  in  seinem  Pförtnertheile 
bfperlropisch  (etat  mammelonne);  der  Bauchfelläberzug  von 
Leber  und  Milz  verdickt.     Der    grösste  Theil    der   ästigen 
Lnngenknochen  wurde  herausgeschnitten  und  der  Maceration 
anterworfen   und  erhielt  ich  auf  diese  Weise  eine  ziemliche 
Anzahl    grösserer    und   kleinerer  Präparate.     Die  kleineren 
hatten    oft   nur   2—3  spitze  gerade  Ausläufer   der   Aeste, 
andere  verliefen  gebogen;    wieder  andere   endigten   anstatt 
spitz  in  ein  granulöses,  blumenkohlähnliches  Eölbchen.    Die 
gr&seren    bildeten   geschlossene,    einfache    und    mehrfache 
Bogen  und  verzogene  Ereise  grösseren  oder  kleineren  Durch- 
messers.    Die    Hauptbalken    massen    dabei    2 — 5  m/m    im 
Durchmesser.   Luschka  hat  schon  jene  blumenkohl-ähnlichen 
Kölbchen   mit   den   Lungenbläschen,    die  Ereise  und  Bogen 
mit  den  Alveolarwänden  verglichen  —  in   der  That    dieser 
Vergleich  trifft  zu. 

Unter  den  verschiedenen  Methoden,  welche  behufe  einer 
mikroskopischen  Untersuchung  angewandt  wurden ,  erwiesen 
sich  die  wenn  auch  schwierig  auszuführenden  Schliffe  am 
besten.  Man  sieht  die  schönsten  Enochenkörperchen,  lamel- 
löse  Anordnung  derselben ,  meist  der  Länge  nach ,  seltner 
[1867.  IL  1.]  XO 


146         SUtung  der  math-phys.  dofse  vom  1.  Juni  1867, 

concentrisoh  um  einen  obliterirten  oder  offenen  HanerB^scbeD 
Kanal  hemm.  An  die  Hohlwand  des  letzteren  war  meist 
eine  ziemliche  Menge  schwarzen  Pigments  eingelagert  Aadi 
die  von  Loschka  mit  dem  Hirnsande  yerglichenen  KalUkomer 
(mikroskopisch  durchsichtige  glänzende  Ringe  mit  donUem 
könügem  Inhalte)  fanden  sich;  sie  lehnten  sich  unmittelbar 
an  die  Enochenbälkchen  an.  Anf  sie  erst  folgten  die  Weich- 
theile»  d«  h.  farblose  oder  pigmentreiche  Bindegewebzäge. 

Wie  Lasebka,  Förster  etc.,  bin  auch  ich  der  Meinimg, 
dasB  die  beschriebenen  Osteome  ursprünglich  auf  einer  V6^ 
knöcherung  des  interstitiellen  Bindegewebes,  der  AWeoleih 
und  Bronchuolenwände  beruhen  und  ?on  den  etwas  grosseren 
Gefässzweigen  ausgehen.  Doch  bleibt  die  Bfldmig  u'cfat 
dabei  stehen ;  denn  anstatt  der  regelmässigen,  nur  zu  Knodieo 
umgewandelten  Zeichnung  jener  Theile  sieht  man  yiehnehr 
die  grösste  Unregelmässigkeit  und  insbesondere  mikros- 
kopische epostosenähnliche  Verdickungen ;  auch  in  den  durch 
die  Enochenkörperchen  augedeuteten  Lagerungen  und  Zügen 
wird  es  deutlich,  dass  eine  wirkliche  Enochenneubild- 
ung  vorliegt  Wie  die  Hirnsand-ähnlichen  Bildungen  zu  er- 
klären sind,  möchte  ich  nicht  wagen  zu  entscheiden. 


Oümbd:  Vofhmmm  von  PhoephorBÜure.  147 


Herr  Gfimbel  gibt: 

,,Weitere  Mittheilungen  über  das  Vorkommen 
von'Phosphorsäure  in  den  Schichtgesteinen 
Bayern's." 

In  dner  früheren  Mittheilong  (Sitzongsber.  d.  k.  Akade- 
mie d.  Wiss.  in  München  1864  Bd.  II.  S.  325)  wurde  von 
mir  zuerst  auf  den  hohen  Phosphorsäuregehalt  gewisser 
knolliger    Goncretionen    in    verschiedenen   jurassischen 
Schichten    der   fränkischen  Alb    aufmerksam    gemacht   und 
nachzuweisen   versucht,    dass   diese   Eigenthümlichkeit  sich 
nicht  nur  innerhalb  eines  sehr  mächtigen  Schichtencomplexes 
vielfach  wiederholt,   sondern  auch  über  sehr  ausgedehnte 
Länderstrecken  verbreitet  zeigt.    Die  Kenntniss  dieses  Vor- 
kommens hat  sich  inzwischen  beträchtlich  erweitert  und  wir 
wissen  nun,    dass   ein  mehr  oder  weniger  hoher  Gehalt  an 
Phosphorsäure  —  namentlich   an  Kalkerde  gebunden  — 
iibgesehen  von  der  Knochen-reichen  Bonebedlage  der  rhätischen 
Stnfe  der  Trias  bereits  in  den  Knollen  der  Angulatus-Schichten 
des  untersten  Lias  beginnt,  durch  die  verschiedenen  Stufen 
des  unteren  und   mittleren  Lias  fortdauert,  in  den  Knollen 
der  Mergel  mit  Ämmonites  tnargariiatus  sehr  reichlich  an- 
gehäuft  vorkommt,    dann   fast  in   gleicher   Menge  in    den 
obersten  liasschichten  mit  Ämmonites  radians  wiederkehrt 
und  ganz  insbesonders   die  Goncretionen  innerhalb  der  sog. 
Ornatenthone  ausgezeichnet.  Dergleichen  Knollen  finden  sich 
nach  meinen  Beobachtungen   während  der  vorjährigen  Oe- 
birgsontersuchung  überall  im  fränkischen  Jura,   wo  die  ent- 
sprechenden Mergellagen  zu  Tag  ausgehen.    Sie  haben  aber 
nicht  bloss  eine    ganz   allgemeine   Verbreitung   in   unserm 
Frankenjura,    sondern    lassen   sich  in  ganz  gleicher  Weise 

10» 


148  Siteung  der  math-phys,  ClasH  T<m  1.  Juni  1867. 

auch  in  den  jurassischen  Ablagerungen  von  Württemberg, 
Baden,  im  Allgäuer  Jura,  femer  bei  Braunschweig,  im 
Wesergebirge,  auf  beiden  Seiten  des  Teutobui^er  Waldes, 
endlich  auch  in  den  ausgedehnten  Zügen  der  Juraformation 
Frankreichs  und  Englands  nachweisen.  Dadurch,  dass  sie  in 
den  etwa  der  Stufe  mit  Ämmonites  macrocephalus  entspre- 
chenden Ablagerungen  des  Himalaya-Gebirgs,  von  woher  sie 
die  Hrn.  Gebrüder  y.  Schlagintweit  brachten,  gleichfalls 
reich  an  Phosphorsäure  vorkommen,  scheint  die  Annahme, 
dass  derartige  Phosphorsäure-reiche  Enollenausscheidungen 
den  jurassischen  Ablagerungen  in  allen  ihren  Verbreitongs* 
gebieten  eigenthümlich  ist,  eine  wichtige  Unterstützung  zn 
gewinnen. 

Die  Häufigkeit  und  allgemeine  Verbreitung  dieser  Phos- 
phorsäure-haltigen Knollen  legen  uns  zunächst  die  Frage 
nahe,  ob  man  dieselben  nicht  mit  Vortheil  für  Agricultor- 
zwecke  verwenden  könne.  Bei  Beantwortung  dieser  Frage 
dürfen  hauptsächlich  zwei  Punkte,  welche  von  entscheidendem 
Einflüsse  sind,  ins  Auge  zu  fassen  sein: 

1)  ob  diese  Phosphorsäure  hauptsächlich  als  phospbor- 
sauren  Kalk  (3  GaO,  PO^)  enthaltenden  thonigen  und  zugleich 
auch  an  kohlensauren  Kalk-reichen  Knollen  —  die  thonigen 
Phosphorite  —  für  die  Landwirthschaft  nutzbar  und  mit 
Vortheil  verwendet  werden  können,  ohne  erst  den  phos* 
phorsauren  Kalk  vor  seiner  Verwendung  in  Super- 
phosphat  zu  verwandeln  und 

2)  ob  diese  thonigen  Phosphorite  sich  in  der  Natur 
in  zureichender  Menge  und  in  einer  Weise  gelagert  vor- 
finden, dass  ihre  Gewinnung  eine  andauernde,  massenhafte 
und  wohlfeile  —  d.  i.  eine  ökonomisch  lohnende  sein  kann. 

Bezüglich  des  ersten  Punktes  ist  zu  bemerken,  dass 
bekanntlich  der  basische  phosphorsaure  Kalk,  wie  er  in 
der  Natur  vorkommt,  um  grössere  Löslichkeit  zu  erzielen,  fiir 


Qümbd:  Vorkommen  w>n  I%09phar8äure.  149 

die  Zwedce  der  Landwirtbscbaft,  vor  seiner  Verwendang  erst 
in  Snperphosphat  verwandelt  wird. 

Bei  unserem  thonigen  Phosphorit  ist  dieses  Verfahren 
ökonomisch  unstatthaft.  Denn  da  derselbe  neben  phosphor« 
saurem  Kalk  zugleich  auch  kohlensauren  Kalk  in  beträchtlicher 
Menge  enthält,  so  würde  die  zur  Herstellung  des  Super- 
phosphats  verwendete  Schwefelsäure  zuerst  den  kohlen- 
sauren Kalk  angreifen  und  in  Gyps  verwandeln,  der  auf 
diese  Weise  erzeugt,  viel  zu  theuer  wäre.  Die  darauf  ver- 
wendete Schwefelsäure  wäre  gleichsam  verloren  und  bei  dem 
hohen  Preis  der  Schwefelsäure  würde  das  weiter  erzeugte 
Saperphosphat  kaum  ein  entsprechendes  Werthäquivalent 
geben.  Es  sind  mir  zwar  keine  direkten  Versuche  hierüber 
bekannt,  indess  scheint  diess  schon  von  vomeher  mehr  als 
wahrscheinlich. 

Die  rentable  Verwendung  der  Knollen  des  thonig-kalkigen 
Phosphorites  für  Agrikulturzwecke  dürfte  demnach  davon  ab- 
^gig    sein,    ob   das    bezeichnete    Phosphorsäure •  haltige 
Gestern  an  sich  schon,    ohne  vorher  mit  Schwefelsäure  be- 
bandelt worden  zu  sein,   entweder  einfach  zu  feinem  Pulver 
gepocht,   oder  erst  gebrannt  und   dann  gepulvert  und  der 
Ackerkrume  beigemengt,  einen  dem  Aufwand  für  Herstellung 
dieses  künstlichen   Düngermittels  entsprechenden  günstigen 
Einfloss  auf  die  Vegetation  auszuüben  im  Stande  sei  oder 
mdit.  Versuche,  welche  man  mit  dem  Phosphorit  (nicht  Su- 
perphosphat)  angestellt  hat,  sprechen  für  einen  sehr  geringen 
^d  sehr  langsamen  Einfluss.     Vielleicht  würden  grössere 
Quantitäten  aus  tnöglichst  feinem  Pulver  günstiger  wirken. 
Auch  dürfte  der  Gehalt  an  Thon  und  kohlensaurem  Kalk 
^uueres  KnoUenphospborits  günstig  auf  seine  raschere  Zer- 
Mteimg  einwirken.  Das  Brennen  und  nachherige  Zerkleinern 
inöchte  ganz  insbesondere  ins  Auge  zu  fassen  sein,  weil  durch 
^  Broftuen  der  kohlensaure  Kalk  kaustisch  und  die  ganze 
Masse  aufgeschlossen  wird ,  zugleich  auch ,  weil  die  Knollen 


150  Sitzung  der  matK-phys.  Classe  vom  1.  Jttni  1867. 

im  ungebrannten  Zustande  sehr  zäh  und  schwierig  zu  pocbei 
oder  mahlen  sind.  Vielleicht  würde  auch  das  Einstreuen  des 
Pulvers  in  den  Dünger  günstig  auf  einen  rascheren  Aufschloss 
wirken.  Es  wäre  sehr  zu  wünschen,  dass  in  diesen  Richtungen 
praktische  Versuche  von  Landwirthen  oder  landwirthschaft« 
liehen  Versuchsstationen  angestellt  würden,  weil  von  der 
Lösung  dieser  Vorfrage  alles  üebrige  abhängig  ist 

In  Bezug  auf  den  zweiten  Punkt,  welcher  sich  auf  die 
Häufigkeit  des  Vorkommens  dcsthonigen  Phosphorits  bezieht, 
habe  ich  Gelegenheit  genommen ,    in   den   Sommermonateu 
der  zwei  letzten  Jahre  eingehende  Untersuchungen  innerhalb 
des  ganzen  Gebiets  der  fränkischen  Alb  anzustellen.     Das 
Resultat  ausgedehnter  Gebirgsbegehungen  hat  zwar  das  reich- 
liche Vorkommen  des  thonigen  Phosphorits  in  dem  obenge- 
nannten Omatenthon  an   sehr  vielen  Stellen  ausser  Zweifel 
gestellt.    Indess  glaubte  ich  mich  nicht  damit  beruhigen  zu 
dürfen,  sondern  direktere  Versuche  vornehmen  zu  sollen.  An 
einem   der  dem   äusseren  Ansehen  nach  ergiebigsten  FoDd- 
punkte   unseres   Gebirgs,    am   sog.   Zogenreuther  Berg  bei 
Auerbach  (a.  0.  S.  344)  in  der  Oberpfalz  am  Ostfusse  der 
fränkischen  Alb,  da,  wo  auf  der  Höhe  des  nördlichen  Berg- 
gehängs  die  Atmosphärilien  den  die  Knollen  einhüllenden  Mergel 
durch  Jahrhundert  lange  Einwirkung  weggewaschen  und  auf 
diesß  Weise  die  Knollen  an  der  Oberfläche  sich  massenhaft  ange 
häuft  haben,  Hess  ich  die  frei  auf  einer  Oedung  liegenden  Knollen 
aufsammeln.     Ein  Arbeiter   konnte  hier  durchschnittlich  in 
einer  Zeitstunde  zwei  Zentner  solcher  Knollen  sammeln. 
Von  diesem   eingesammelten  Material  hatte  Hr.  Prof.  Vol- 
hard  die  Güte,    durch   den  Assistenten  bei    der  landwirth- 
schaftlichen  Versuchsstation  in  München,   Hr.  Dr.  Röttger, 
eine  vollständige  Analyse   herstellen   zu  lassen  und  die  Re- 
sultate derselben  mir  gefälligst  mitzutheilen.  Um  den  durd- 
schnittlichen  Gehalt  dieser  Knollen  zu  ermitteln,   wurde  zu 


OümM:   Vorhmmm  wm  Phosphonäure,  161 

dieser  Dorobschiiittsaiialyse  aus  65  Pfd.  Knollen  die  Probe 

genoounen. 

Demnach  enthalten  die  Knollen  des  thonigen  Phos* 

phorits  von  Auerbach  im  Durchschnitt: 

Fhosphorsäure 22,92 

Schwefelsäure 1,62 

Chlor 0,03 

Fhor 2,92 

Kohlensaure 11,64 

Kalkerde 44,22 

Bittererde 0,77 

Eisenozjd 4,85 

Eisenozydul 0,86 

Unlösliches,  Thon,  Kieselerde  etc.  .      9,97 

99,80 

Die  Untersuchung  auf  Jod  hat  dessen  Abwesenheit 
eigeben.  Der  hohe  Gehalt  an  Fluor  ist  besotiders  bemerkens- 
werth.  Es  scheint  demnach  der  thonige  Knollenjphos- 
phori t  aus  einem  dem  Fluorapatitentsprechenden  Kalkphosphat 
zu  bestehen,  das  mit  Thon  und  kohlensaurem  Kalk  nebst 
geringer  Menge  kohlensaurer  Bittererde  und  Eisenozydul 
Tenmreinigt  ist.  Die  Schwefelsaure  hat  ihren  Ursprung  in 
ebem  schon  mit  dem  Auge  zuweilen  erkennbarem  Gehalt 
an  Schwefelkies. 

Die  Arbeitsleistung  eines  Mannes,  welcher  die  an  der 
Oberfläche  ausgewaschenen  Knollen  sammelt,  entspridit  mit- 
lun  m  der  Stunde  dem  Werthe  von  23  Pfd.  Phosphorsäure. 
Es  sdieint  diesem  nach  kaum  zweifelhaft,  dass  ein  solches 
Aofsammeb  ein  yerhältnissmSssig  äusserst  lohnenBes  Ge* 
sdiSft  wäre.  Es  bedarf  aber  kaum  der  Bemerkung,  dass 
schon  nach  wenigen  Stunden  der  Aufsammelarbeit  die  Knollen 
iaUbar  seltener  zu  finden  sind,  dass  der  Vorrath  an  Knollen, 
wdcben  die  Arbeit  des  Regens  von  Jahrhunderten  erzeugt 


152         SUeung  der  fM^.^hys.  Clam  vom  t  Jmd  1867. 

hat,  sich  in  ganz  kurzer  Zeit  auf  weitere  Fläche  erschuft 
und  damit  die  Aufsammelarbeit  ihr  Ende  erreicht.  Es  ist 
an  sich  klar,  dass  nach  diesem  Versuche  die  Frage  der 
lohnenden  Gewinnbarkeit  sich  nicht  beurtheilen  lässt. 

Man  muss  die  Versuche  auf  die  Gewinnung  der  Knoilen 
in  ihrer  ursprünglichen  Lagerstätte,  wo  sie  zerstreut  im 
Mergel  eingehüllt  yorkommen,  ausdehnen.  Hiei^r  scheinen 
vor  Allem  solche  Stellen  sich  zu  eignen,  wo  die  Knollen- 
führenden  Mergelschicbten  unmittelbar  an  der  Oberfläche 
ausgebreitet  liegen  und  eine  weitere  Abdeckaibeit  darüber 
liegender  Schichten  nicht  nothwendig-  ist.  Ein  unterirdi- 
scher Abbau '  dürfte  wegen  seiner  Kostspieligkeit  ohnehin 
nicht  in  Betracht  kommen. 

Der  thonige  Knollenphosphorit  bildet  nämlich 
kein  geschlossenes  Flötz  oder  Lager,  sondern  findet  sich 
zwar  lagerweise  auf  gleichen  Schichten,  aber  immer  mehr 
oder  weniger  zerstreut  in  unregelmässig^Iänglich  runden  Con- 
oretionen  im  Mergel  eingebettet.  Man  muss  dessbalb  behub 
seiner  Gewinnung  die  gesammte  Mergelmasse  hereinhauen 
und  die  Knollen  einzeln  aus  der  bröcklichen,  zähen,  thonig- 
mergeligen  Hauptmasse  herauslesen.  An  der  genannten,  für 
diese  Art  der  Gewinnung  vergleichsweise  günstigen  Stelle 
bei  Auerbach  kann  ein  Arbeiter  in  10  Arbeitsstunden  dordi- 
schnittlich  Vs  Zentner  Knollen  rem  gewinnen  und  sammeb; 
mithin  nur  den  V«o  Theil  der  Arbeitsleistung  beim  Zusam- 
menlesen der  auf  der  Oberfläche  ausgewaschenen  Knollen 
zu  Stande  bringen.  Jedoch  ist  anzundimen,  dass  diese  Ge- 
winnung nachhaltig  stattfinden  könnte. 

Ob  diese  Menge  von  Phosphorsäure,  welche  dürdi  Ge- 
winnung der  Knollen  auf  ursprünglicher  Lageratätte  durdi 
eine  tägliche  Arbeitsleistung  aufgebracht  werden  kann,  die 
durchschnittlich  etwa  13  Pfund  Phosphorsäure  entspricht» 
hinreichend  gross  ist,  um  die  Kosten  für  den  Taglohn,  Ent- 
schädigung   an  den  Grundbesitzer,    Verbringung    des  Boh- 


OümM:  Varkarnmen  wm  Phosphorsäun,  153 

inat6rial  zur  Stampf,  des  Pochens  oder  des  Brennens  und 
Pochens,  endlich  der  Verfrachtung  des  Pulvers  bis  zum  Orte 
der  Verwendung  zu  decken  und  einen  kleinen  Gewinn  in 
Aossicht  zu  stellen,  ist  natürlich  abhängig  ron  der  Brauch- 
barkeit des  erzeugten  Produkts  für  die  Landwirthschaft  und 
lässt  sich  erst  nach  Feststellung  der  letzteren  sicher  beur- 
theilen.  Jedenfalls  aber  scheint  es  eine  wichtige  Aufgabe  zu 
bleiben,  noch  weitere  Versuche  behufs  Auffindung  von  Phos- 
phorsäure-haltigen Gesteinslagen,  welche  etwa  in  geschlossenen 
ond  mächtigen  Lagen  auftreten,  anzustellen. 

Die  Wahrnehmung,  dass  die  knolligen  Gonoretionen  der 
jurassischen  Gbbilde  fast  durchgehends  reich  an  Phosphor- 
säure sind,  legt  die  Vermuthung  nahe,  dass  ähnliche  Ge- 
bilde auch  innerhalb  anderer  Formationen  sich'  ähnlich  zu- 
Bommengesetzt  zeigen  würden. 

Ich  habe  bereits    in  meinem  ersten  Aufsatze   (a.  a.  0. 
S.  330    und   331)    das    Vorkommen    von    Phosphorsäure- 
haltigen Knollen  in  Silurschichten  Kanada's,    sowie   in  den 
Kreideschichten  Englands   und  Böhmens  angeführt,    welches 
Vorkommen  die  obige  Annahme  zu  bestätigen    scheint.    In 
der  nach    allen  Richtungen   hin   so   reichhaltigen    und    im 
höchsten   Grade    belehrenden    Pariser    Internationalen- Aus- 
stellung   von   1867     sah    ich    in    der    französischen    Ab- 
theilong  der  V.  Gruppe  40  Klasse  Nr.  23    von  dem  Mini- 
sterium für  Agrikultur,    Handel   und  öffentlichen  Arbeiten 
eme  Sammlung  von  Knollen  und  Steinkemen  aus  sehr  zahl- 
reichen Orten  Frankreichs  aufgestellt,  welche  als  sehr  reich 
an  Phosphorsäure  bezeichnet  sind  und  durch  die  Menge  der 
ausgestellten  Proben  den  Beweis  liefern,  welch'  hohen  Werth 
man  bereits  auf  dieses  Rohmaterial  in  Frankreich  legt.    Es 
sollen  sehr  grosse  Mengen  dieser  Knollen  bereits  an  vielen 
Punkten     gewonnen     und    zur    Herstellung     von     Super- 
phosphat  yerwendet  werden.     Es  wurde  behauptet,  dass  sie 
sogar  bereits  nach  England  und  ins  Ausland  den  Weg  ge- 


154  SiUmng  der  ma^,'phys.  CUuse  vom  1,  Juni  1867. 

fanden  haben  sollen,  und  als  Snperphosphat,  gemengt  mit 
reichhaltigeren  Stoffen,  von  England  aus  wieder  weiter  in 
den  Handel  gebracht  werden.  Viel&cfa  hört  man  diese 
Knollen  als  Koprolithen  bezeidmen.  Diess  ist  aber  ganz 
falsch;  es  sind  nor  Concretionen  und  die  Ausfiillungsmasse 
yon  Schalthieren  sog.  Steinkeme. 

Eine  beigesetzte  Analyse  giebt  die  Zusammensetzung 
dieser  französischen  thonigen  Phosphorite  eines  Vorkommens 
von  Apremont  in  folgender  Weise  an: 

Phosphorsaure        ....    27,76 
Thonerde,  Eisenoxyd  und  an  Phos- 
phorsäure gebundene  Basen  46,64 

Kalkerde 7,80 

Wasser,  Kohlensäure  etc.  .     10,60    . 

Bfickstand  in  Säuren  unlöslich         .      7,20 

100,00 
Diese  Knollen,  welche  bereits  Verwendung  finden,  ent- 
halten also  nur  um  weniges  mehr  Phosphorsäure,  als  unsere 
jurassischen  Concretionen  aus  Franken  im  Mittel.  Es  ist 
sehr  wahrscheinlich,  dass  das  Mittel  bei  den  französischen 
Knollen  auch  nicht  höher  geht,  da  ja  einzelne  unsem  fränki- 
sdien  Knollen  einen  Gehalt  an  Phosphorsäure  bis  zu  S6,I 
und  40,0  ®/o  aufzuweisen  haben. 

Ein  aus    der  Lahngegend  gleichfalls  in  Paris   ausge- 
stelltes! dem  Amberger  Phosphorit  sehr  ähnlich  aussehendes 
Material  enthält  nach  der  beigesetzten  Analyse: 
Phosphorsauren  Kalk        65,00 
Eisenoxyd     .         .        •      3,00 
Fluor  ....       2,00 
Kohlensaurer  Kalke      .     16,00 
Bittererde  und  Alkalien      2,00 
Wasser,  Jod  und  Silikate  12,00 

100,00 
mithin   gegen    13<^/o    mehr  phosphorsauren  Kalk,   dagegen 


OümM:  Vorkommen  von  Phoiphor$äure,  ISS 

weniger,  aber  doch  immerhin  eine  beträchtliche  Quantität 
kohlensauren  Kalks,  so  dass  immerhin  die  ökonomische 
Möglichkeit  der  Benützung  unseres  fränkischen  Phosphorits 
lioch  im  Äuge  zu  behalten  wäre. 

Die  Substanz  der  französischen  Knollen,  welche  dem 
in  Frankreich  so  weit  verbreiteten  sog.  Galtgränsand- 
stein  der  unteren  Procän-  oder  Kreideformation  angehören, 
gleicht  in  auffallender  Weise  einer  Masse,  welche  auch  bei 
ims  in  dem  geognostisch  gleichstehenden  Galtgrfinsandstein 
unseres  Alpengebirgs  vorkommt.  Ich  durfte  daher  auch  in 
diesen  einen  Inhalt  an  Phosphorsäure  vermuthen.  Diess 
hat  sich  in  der  That  bestätigt. 

Auch  der  in  den  bayrischen,  yorarlbergischen 
and  namentlich  schweizerischen  Alpen  so  weit  ver- 
breitete und  in  mächtigen  Felsen  anstehende  Oalt- 
grünsand  ist  in  gewissen  Lagen  verhältnissmässig 
reich  an  Phosphorsäure. 

Ich  habe  mehrere  derartige  Gesteinsproben,  wie  sie 
gerade  zufallig  als  versteinerungsfuhrend  von  mir  in  den 
AllgSner  Alpen  gesammelt  worden  waren  (natürlich  ohne 
Rücksicht  auf  den  damals  noch  unbekannten  Gehalt  an  Phos- 
phorsaure-haltigen  Concretionen)  untersucht.  Diese  Proben 
stammen  von  der  sog.  Schanze  am  Fusse  des  Grünten  bei 
Sonthofen  und  aus  der  Nähe  von  Langenwang  und  Tiefen- 
bach bei  Oberstdorf  und  ergaben  einen  Phosphorsäuregehalt 
von  5,7—16^/0  im  ganzen  Gestein  ohne  Sonderung  der  knol- 
ligen Concretionen. 

Es  ist  diess  jedoch  bloss  die  Phosphorsäure,  die  im 
Gestein  an  Kalkerde  gebunden  ist,  da  ja  nur  diese  bei  der 
Fr^e  über  die  Verwendbarkeit  zu  Agrikulturzwecken  zu 
berücksichtigen  sein  dürfte.  Ausserdem  enthält  das  Gestein 
noch  Phosphorsäure,  welche  an  andere  Basen  gebunden  ist 
,  Obwohl  der  Gehalt  vom  6 — 16^/o  ein  anscheinend  ge- 
ringer ist,   so  mnss  doch  bemerkt  werden ^    dass  die  zur 


156         Sitzung  der  ma(h,'phys,  Classe  vom  L  Juni  1867^ 

Analyse  verwendeten  Proben  rein  zufallig  und  ohne  Rücksicht 
auf  die  vorliegeude  Frage  gesammelt   waren.    Ich  zweifle 
nicht,  dass,  wenn  man  die  in  unsem  Allgäuer  Alpen  an  so 
vielen  Orten  zu  Tag  ausstreichenden  Galtgriinsandstdjilagen 
(vgl.  mein  Alpenwerk  S.  530  und  ff.  und  Kartenblatt  Sont- 
hofen)  näher  zu  dem  Zwecke  untersuchen  würde,    um  mög- 
lichst  reichhaltige   Schichten   oder   Stellen   aufzufinden,    es 
gelingen  wird,  Gesteinsproben  von  weit  grösserem  Gehalt  an 
Phosphorsäure  als  die  oben  angeführten  ausfindig  zu  machen. 
Diess  dürfte  schon  nach  dem  blossen  äusseren  Aussehen  des 
Gesteins  leicht  ^u  beurtheilen  sein.  Denn  ich  habe  gefunden, 
dass  der  Gehalt  an  Phosphorsäure  in  dem  Galtgrunsandstein 
wesentlich  gebunden  ist  an  die  dunkelfarbigen  Concretionen, 
Flecken  und  Steinkeme,  welche  der  Grünsandstein  einschliesst 
und  die  sich  sehr  deutlich  von  der  Hauptgesteinsmasae  unter- 
scheiden lassen.  Je  häufiger  diese  Concretionen  eingoschlossen 
sind,   desto  stärker  ist  der  Phosphorsäuregehalt  des  ganzen 
Gesteins  oder  je  mehr  dunkelfarbige  Flecken  zum  Vorschein 
kommen,  desto  reicher  erweist  sich  das  Material.    Diess  lässt 
sich  leicht  nach  dem  Augenmaass  beurtheilen. 

Diese  Gesteinsbildung  besitzen  wir  namentlich  in  den 
Allgäuer  *Alpen  in  weiter  Verbreitung  und  in  grosses 
Felsmassen,  welche  oft  in  hohen  Riffen  aufragen  und  eine 
möglichst  einfache  und  wohlfeile  Gewinnung  des  Gesteins 
mittelst  Steinbrucharbeit  gestatten.  Ich  glaube  daher  nidit 
unterlassen  zu  sollen,  auf  diese  neue  (Quelle  von  Phosphor- 
säure die  Aufmerksamkeit  namentlich  unserer  rationellea 
Allgäuer  Landwirthe  hinzulenken,  um  praktisch  zu  versuchen, 
ob  die  Landwirthschaft  Nutzen  aus  diesem  Vorkommen 
schöpfen  könne.  Insbesondere  gewinnt  dieser  Gegenstand 
für  die  Schweiz  grosse  Wichtigkeit,  weil  dort  solche  knollen- 
reiche Galtschichten  in  besonderer  Mächtigkeit  und  Ausdeh- 
nung vorkommen  und  eine  sehr  ausgebreitete  Benützung 
gestatten  würde.  Es  verdient  dabei  noch  erwähnt  zu  werden, 


Oümbd:  Vorhmmen  wm  Phoaphorsäure.  157 

dass  dieses  Material  zugleich  vielen  Glauconit  enthält,  der 
bekanntlich  ziemlich  reich  an  Kali  ist,  so  dass  durch  dessen 
Zersetzung  wahrscheinlich  dem  Boden  auch  Kali  zugeführt 
werden  könnte. 

Die   eigenthümlich  charakteristische  Beschaffenheit  der 
Masse,  aus   welcher  die  Phosphorsäure-haltigen  Steinkeme 
dieses  Galtgrünsandsteines  und  gewisse  Knollen  des  Omaten- 
Mergels  bestehen,  leiteten  mich  weiter  auf  die  Untersuchung 
Ton  Steinkernen  aus  anderen  Gesteinslagen,  welche  aus  einer 
ähnlichen,  stets  dunkelfarbigen,  im  Vergleiche  zu  Kalk  här- 
teren, spröderen  und  schwereren  Substanz  zusammengesetzt 
sind.    Solche  Steinkeme  trifft   man   in  den   Procän-   oder 
Kreidegebilden  von  Regensburg  Läufig,  sie  kehren  besonders 
aasgezeichnet    in    den   Kressenberger   Nummulitenschichten 
wieder.    Es  muss  ausdrücklich  bemerkt  werden,  dass  nicht 
alle  Steinkerne  die  beschriebene  Beschaffenheit  besitzen,  son- 
dern  nur   ein  Theil  derselben.     Meistentheils  bestehen  sie 
bloss  aus  kohlensaurem  Kalk,    namentlich  die  Nummuliten 
und  die  noch  mit  Schale  versehenen  Schalthierüberreste  und 
auch  viele  Stemkeme  der  Eisenerzflötze. 

Die  dichten  schweren  Steinkerne  aus  dem  Nebengestein 
der  Kressenberger  Eisenerzflötze   ergaben   mir  in  der  That 
einen  Gehalt  an  Phosphorsäure  von  5,68®/o 
und  gleichartige  Steinkeme   aus   dem  Grünsandmergel   des 
Galgenberges  südlich  von  Regensburg    8,19^/o. 

Fortgesetzte  Versuche  werden,  wie  ich  bereits  zu  ver- 
muthen  Grund  habe,  lehren,  dass  nicht  nur  die  meisten  Con- 
cretionen  namentlich  die  Galtschichten  in  Norddeutschland, 
am  Harzrande,  selbst  die  Geoden  und  Steinkeme  aus  den 
Kreidebildungen  Indiens  Phosphorsäure  in  grösserer  Menge 
enthalten,  sondern  dass  wir  auch  noch  andere  an  dieser 
Säure  reiche  Niederlagen  in  verschiedenen  Schichten  der 
Sedimentformationen  besitzen,  die  wir  vielleicht  nutzbar 
machen  können. 


158  Sitgung  der  histor.  CUme  vom  1.  Jn»i  1867. 


Historische  Classe. 

Sitsong  vom  1.  Juni  1867. 


Herr  Roth  hielt  emen  Vortrag: 

„üeber   Keltische    and    Germanische    Wehr- 
yerfassang*^ 

Herr  Eluckhohn  machte  Mittheilong  über  die 

„Erzählung  von  der  Verschwörung  zu  Bayonne 
im  Jahre  1565". 

Die  Abhandlung  wird  für  die  Denkschriften  der  Classe 
bestimmt. 


Hofmam:  Senmkungen  tmn  Naditßtgm^  159 


Nachtrag 
zur  Sitzung  der  philos.-philol.  Glafise  vom  1.  Juni. 

(Vgl  oben  Seite  &) 

Herr  G.  Hofmann  äbergibt  folgende 

„Bemerkungen  zum  Nachtsegen*'. 

Ich  habe  seit  der  Sitzung,  in  welcher  ich  die  Hand- 
schrift und  die  Arbeit  des  Herrn  Keinz  der  Claese  vorlegte, 
über  manches  weiter  geforscht  und  das  Manuscript  selbst 
noch  einmal  genauer  angesehen,  als  ich  beides  in  der  Eile 
des  ersten  Fundes  thun  konnte.    Früher  hatte  ich  nur  den 
Naditsegen  berücksichtigen  können,   jetzt  bei  Einsicht   des 
übrigen  manchfaltigen  Inhalts  finde  ich  allerlei,  was  der  Mit- 
tbeilimg  werth  sein  und  die  Forschung  weiter  führen  dürfte. 
Zoerst  in  dem  unmittelbar  Torausgehenden  lateinisch-deutschen 
Pflanzenverzeichniss  finde  ich  S.  119  V^  Affodillus  golde  Adera 
idem.  In  dem  ersten  Erauteiglossar  S.  69  V®  wird  affodillus 
erUirt  durch  goldewrz,  und  da  schon  Frisch  Goldwurz  mit 
Asphodelus  bulbosus,  dann  chelidonium  erklärt  (I.  361),  so 
^rissen  wir  also  jetzt,  dass  golde  =  asphodelos,  die  bereits 
mythologische  Kartoffel  der  Hellenen  ist    Ich  kann  freilich 
nicht  behaupten,  dass  die  dingenden  golden  in  Vers  15 
des  Nachtsegens  damit  identisch  seien;  aber  wenn  man  er- 
wägt, dass  eia  anderes  Knollengewächs,  die  Mandragora  oder 
Alraun  im  Aberglauben  eine  heryorragende  Rolle  spielt^  so 
bnn  man  Zusammenhang  vermuthen ;  denn,  wenn  die  Alraun 
menschlich  aussehen,  leuchten  und  reden  kann  (vgl.  Grimm 
DM.  1153—5),  so  darf  wohl  der  Affodill  audi  „klingen". 


160       SiUmg  der  ph^.-ph%M.  Gaste  vom  1,  Juni  1867, 

Ich  enthalte  mich,  die  Sache  jetzt  irgend  weiter  zu  yerfolgen, 
da  es  immer  höchst  misslich  ist,  auf  blosse  Wörter  hin  mytho- 
logischen Dingen  nachgehen  zu  wollen.  So  musste  sich  ja 
z.  B.  der  Bernstein  auf  Grund  eines  einfachen  Druckfehlers 
zu  einem  Zauberstein  erheben  lassen.  Frisch  citirt  aus  dem 
Vocabular  von  1482  unter  Zober  (II.  480)  Zoberstein,  Bern- 
stein alveus  lapideus.  Wackernagel  in  Haupts  Zeitschrift 
IX.  567.  fand  in  diesem  Zoberstein  einen  Zauberstein 
und  mit  dieser  Erklärung  ging  der  Bernstein  in  das  mhd.  WB. 
II.  II.  617  ein,  welches  glücklicherweise  das  richtige  bor  n- 
stein  unmittelbar  daneben  setzt.  Ein  alveus  lapideus  ist 
einfach  ein  Brunnenstein,  Zuberstein  oder  deutlicher, 
steinerner  Brunnentrog.  Alrun  =  mandragora  kommt 
übrigens  in  unserem  ersten  Eräuterverzeichniss  (S.  70, v^,  b) 
ebenfalls  vor. 

Die  Sprache  des  Nachtsegens  ist,  wie  man  sieht,  mittel- 
deutsch; so  ist  auch  die  der  beiden  Glossare.  Aber  die 
Handschrift  gibt  uns  Anhaltspunkte,  die  noch  viel  weiter 
fuhren.  Auf  Seite  125  r^  (also  bloss  um  ein  Blatt  vom 
Nachtsegen  entfernt)  steht,  wie  schon  ob^  von  Hrn.  Eeinz 
bemerkt  ist,  von  einer  Hand  des  14/15  Th.  Henricus  de 
Prusia  vid.  de  Rado  oder  Gado  (das  letzte  Wort  undeutlich) 
und  das  erste  der  Pflanzenglossare  enthält  im  Anfang  neben 
den  deutschen  Namen  eine  Anzahl  polnischer,  wo  bei 
einem  ausdrücklich  noch  zugesetzt  ist,  es  sei  in  polonico  and 
bei  einem  zweiten  polschy  (==  polski),  nämlich  bei  anetum, 
tille,  polschy  copr  S.  68 v^  a.  Z.  10  von  oben  (polnisch 
Eopr  =  Dillkraut).  Die  polnischen  Glossen  lauten  in  ihrer 
Gesammtheit  so: 

S.  68  v^  Incipiunt  nomina  herbarum,  quarum  suntlatimi 
quaedam,  barbara  uero  alia,  ut  patz  (patet  od.  patebit?) 

Artemisia  uel  matricaria  est  mater  herbarum,  qaae 
vocatur  biwz,  inpolouicabiliza  (polnisch bylica=:Be]fu68.) 

Abrotanum«  ebireyce.  böse  dreuno.  (poln.  bos^drzirica 


Bofmann:  Bemerhmgen  tum  NaehUegen.  161 

Stabwun,  eig.  Oottesbänmchen,  weil  die  Eberesche  bekannt- 
lid)  heilig  gehalten  wird.) 

Absintiiun.  wennat.  polyn.  (poln.  piolan  =  WermaÜi.) 
Am  Rande  roth  eberwrc. 

Azarabacara.  haselwrc.  copitnik  (poln.  Eopytnik  := 
Haselwnrz. 

Amoglossa.  plantago.  centeaxna  ?ocatar  wegebreit, 
scorocel. 

Am  Rande  roth  vegede. 

Anetam.  tille.  polschy  copr  (s.  oben). 

Alleam.  scordinm.  Enoblach.  Zosnek  (poln.  czosnek 
Knoblauch). 

Äcant  igrida.  nesle.  coprinj.  (verschrieben  für  pocrini, 
poln.  pokn^a  Nessel). 

Ätrapassa  holander,  bezoua  (poln.  bez.  Hollnnder 
(f^69.  a)  Baldemonia.  berwrz.  olesnik  (poln.  olesnik  Bär- 
warz),  ebenso  wird  mit  olesnik  (70  y^)  herba  thnris  erklärt 
71?^,  mit  olesnik  pencedannm. 

Das  ist,  was  ich  an  polnischen  Wörtern  bemerkt  habe. 
Der  Theil  der  Handschrift  freilich,  welcher  den  Nachtsegen 
enthält,  ist  von  anderer  Hand  geschrieben,  als  der,  in  weU 
ehern  die  polnischen  Glossen  stehen.  Die  verschiedenen  Theile 
der  Handschrift  worden  erst  später  zusammengebunden ;  denn 
dem  ersten  Glossar  sind  an  den  Rändern  von  jüngerer  Hand 
Globen  zugefügt,  die  zum  grossen  Theil  vom  Buchbinder 
beim  Beschneiden  beschädigt  wurden.  Auch  ist  die  Zurich- 
tung des  Pergaments  bei  beiden  Pflanzenglossaren  eine 
^enchiedene.  Das  erstere  hat  zwar  39  Querzeilen,  wie  das 
zweite,  dagegen  stehen  sie  um  vieles  enger  beisammen  und 
sind  in  vertikaler  Richtung  nur  durch  5  Linien  geschieden, 
bei  letzterem  durch  10.  Doch  ist  der  Charakter  der  Schrift- 
ZQge  homogen  und  gleichzeitig  und  wir  werden  also  nicht 
weit  irren ,  wenn  wir  die  Entstehung  der  beiden  Glossare 
nebst  dem  zum  zweiten  gehörigen  und  natürlich  etwas  jüngeren 
(1867.  ai.]  11 


162       SiUung  der  fiMtöa.-pMM,  Ciasee  vom  1.  Jwd  1867. 

Nachtsegen  in  die  Gegend  setzen,  wo  im  13/14.  Jh.  das 
deutsche  nnd  das  polnische  Sprachgebiet  sich  beröhrten. 
Dass  sie  auch  längere  Zeit  dort  geblieben,  scheint  die  schon 
erwähnte  Einzeichnang ,  Henricus  de  Prasia,  zu  beweisen, 
die  am  vieles  jünger  ist,  als  die  beiden  Glossare  xmi  unge- 
ßhr  gleichzeitig  mit  der  Hand,  welche  auf  S.  71  v^  ganx 
unten  am  Rande  eingetragen  hat  scrophalaria  est  nomen 
herbae  contra  vermes.  Zwischen  dieser  Hand  und  der  des 
ersten  Glossars  finden  sich  Einträge  von  4  verschiedenen 
anderen  Händen.  Wie  das  Arznei-  und  Zauberbudi  (s.  Note 
auf  pg.  169),  so  lässt  sich  sein  Gesammtinhalt  am  kursesten 
bezeichnen,  aus  den  Händen  des  Henricus  de  Prusia  in  die 
ohurfiirstl.  Bibliothek  nach  München  gekommen,  wer  dieser 
Henricus  de  Prusia  selbst  gewesen,  das  wäre  weither  Aufklär- 
ung eben  so  werth  als  bedürftig. 

Wenn  es  schon  an  sich  interessant  ist,  hier  Reste  ältester 
polnischer  Sprache  zu  finden,    so  wird  der  Umstand  beson- 
ders   wichtig    für   den    Nachtsegen    und  die  fremdartigen, 
sicherlich  aus   anderer  Sprache  entlehnten  Wörter,   die  er 
bietet.     Wir  haben  nach  aller  Wahrscheinlichkeit  ihre  Er- 
klärung   im    Polnischen  zu  suchen.     Gloczan,    Lodowan, 
Truttan  bieten    in    der  That  polnischen  Stammesausgang. 
Das  Suffix  an  kommt  im  Poln.  z.  B.  in  balwan  Block,  Götze, 
bocian   Storch    buzdygan    Streitkolben    roztruchan    grosser 
Pocal  u.  s.  w.  vor.  (üeber  das  sehr  häufige  Suffix  an  vergl. 
ACklosich  Personennamen  S.  10.)    Sie  sind  Masculina.    Ffir 
Lodowan  bietet  sich    der    Stamm  lod  (in  allen  anderen 
slawischen  Sprachen  led,  altslawisch  ledü  xq^OfuIXo^  vergl 
Miklosich  Lex.  palaeosloven.  p.  335)  =  Eis,  und  Bildungeo 
daraus  mit  w,  lodowaty  eisartig,  lodowaciec  zu  Eis  werden, 
lodowiec  Eisstein,   lodownia  Eisgrube.     Dahin   könnte  andi 
unser  Lodowan   (der  Eiskalte?)   gehören.     Gloczan  könnte 
zum  Stamme  glöd  Hunger   (=  goth.  grddus)   oder  der  Ab- 
leitung nach  wohl  noch  eher  zu  gol  (unser  kahl)  gehören 


Bpfmann:  Bemerhunffen  Mnm  Nmsht^m.  168 

(altsl.   golu  YVfWifs  goloti   ft^tSaifaXlog  Mikl.    p.  135)    Q&4 
for  golocan  steheo.    Andere  Bildungen  des  Stammes  smd 
golocic  entblössen,  berauben,  golota  armer  Teufel»  goly  nackt, 
arm  o.  s.  w.     Auffallend  ist,   dass  beide  in  der  Bedeutung 
Eis   zusammentreffen.    Truttan,   ebenso   gebildet,    wie   die 
zwei  andern,  macht  Bedenken,  weil  es  durch  das  reimende 
Wutan   verändert   sein   kann.      Das   Pohiische   bietet   trut 
Purgirkraut,  trutka  Gift,  truten  Drohne,  Tölpel,  trud  Mühsal, 
letzteres  gleich  latein.  trudo,  goth.  ^rjutan,  deutsch  driezen 
(b  verdriüssen)  ftruts-fill  länqa.    Letzterer  Stamm   dürfte 
am  ehesten  hier  zur  Anwendung  kommen.   Auch  altsl.  finden 
sich  diese  Wörter  (bei  MikL  p.  1019)  tratu  crabro,  tradfi 
i^evtfQCa  troudü  (p.  1005)  növog^  trouditi  vexare.  Truttim 
würde  also  etwa  der  Quäler  heissen.    Man  muss  hier  die 
Frage  aufwei-fen,    ob  unsere  deutsche  Drud  (Trud)   nicht 
überhaupt  aus  dem  Slawischen  entlehnt  ist.   An  die  Druiden 
vird  heutzutage  Niemand  mehr  denken  und  eine  genügende 
Ableitung   aus  dem  Germanischen  gibt  es   meines  Wissens 
nicht,  während  die  von  slaw.  trud  quälen  mir  sehr  passend 
erscheint.    Die  germanische  Form  wäre  druz.    Was  schliess- 
lich das  verschiedene  Geschlecht  des  Truttan  und  der  Trut 
angeht,  so  führe  ich  als  Analogon  an,  dass  Jungmann  (ich 
eatnehme   das    Citat  aus    Hanusch   Slaw.   Mythus   S.  333), 
einer  der  grössten  böhmischen  Gelehrten,    den  Mor&s  für 
dasselbe  erklärte,  wie  die  Mura  oder  Mara  (die  Mar)   den 
drückenden  Alp,  nur  männlich  gedacht.    (Auch  in  Thelle- 
marken  heisst  die  Mar  Muro.) 

So  stünde  denn  unser  Nachtsegen  mit  einem  Fusse  auf 
slawischem  Boden,  während  er  anderseits  mit  seinen  Zaun- 
ritten  (zcunriten)  in  Vers  14  bis  an  die  alte  tldda  hinauf- 
reicht, wo  diese  luftreitenden  Wesen  im  H&vam&l  Str.  158 
zum  erstenmale  als  t6nri6ur  vorkommen,  in  einer  sonst 
isolirten  und  schwierigen  Stelle,  deren  grammatische  Gon- 
stmction  dadnrdr  bedenklich  ist,  dass  auf  das  Feminin  tun« 


164       8Ugung  der  phiioe.'phaöL  CUuse  wm  1.  JutU  1867. 

ri&ur  das  Pronomen  und  Adjeotiv    im    Mascalinnm    folgen, 
nämlich  I»eir  villir.     Was  in  der  grossen  Gopenhagener  Aus- 
gabe III,  140.  zur  Erklärung  beigebracht  wird,  verstehe  idi 
nicht.    Es  heisst:  fteir  villir  in  gen.  masc.  omnes  Codices, 
etsi  praecessit  Ritor  faeminina  terminatione,  nempe  cum  re 
constructio  fit  non  cum  verbo,  uti  interdum  alias.  Wenn  das 
etwa  hassen  soll,   dass   die  tünriSur  männliche  Wesen  mit 
weiblicher  Bezeichnung  gewesen  seien,  so  erscheint  das  höchst 
bedenklich,  da  die  nächstverwandten  kveldriSa  und  myrkri&a 
unabänderlich  Feminina  sind   und  auch  im  Jiexicon  mytho- 
logicum  p.  754  ist  von  einer  constructio  cum  re  weiter  keine 
Rede.    Sveinbjöm  Egilsson  beruft  sich  im  Lexioon  poeticum 
wie  gewöhnlich  leider  nur  auf  die  Gopenhagener  Ausgabe 
und  setzt  bloss  hinzu:    guod  vertunt  sublimes  equites  id 
non    secuüdum    etymologiam    est.     Petersen    (Nord.   Mytb. 
S.  150)  übersetzt  tünriSur  einfach  mit  Hexen  nnd   bringt 
weiter  Nichts  zur  Erklärung  der  Stelle  bei.    Fritzner  s.  r. 
sagt:   „einer  der  Geister,  von  denen  man  annahm,  dass  sie 
zu  gewissen  Zeiten  durch  die  Luft  ritten  und  die  Höfe  (tun) 
zur  Nachtzeit  besuchten ,    gleich    der    Aaske   —   oder  Aas- 
gaardsreid  nach  dem  nordischen  Volksglauben.''     Dabei  ver- 
weist er  noch  auf  Flöamanna  Saga  Gap.  22,  wo  aber  weder 
das  Wort  tünriSa  noch  sonst  etwas  vorkömmt,  was  zur  Auf- 
klärung sonderlich  beitragen  könnte.     Es  ist  dort  von  dem 
Winteraufenthalt   einiger  Isländer   in    Grönland    die    Rede, 
zur  Jolzeit  hören  sie  Nachts  einen  grossen  Schlag  an  der 
Thüre,  einer  springt  hinaus,  wird  wahnsinnig  und  stirbt  am 
folgenden  Morgen.    Am  anderen  Abend  geschieht  das  Gleiche, 
es  wird  ein  zweiter  Mann  wahnsinnig  und  erzählt  noch,  dass 
er  den  Verstorbenen  gegen  sich  habe  springen  sehen.    Was 
der  zuerst  im  Wahnsinn  Gestorbene  gesehen,  wird  nidit  ge- 
sagt.    So  stirbt  ein  grosser  Theil  der  Gesellschaft  und  alle 
Todten  werden  Wiedergänger  oder  gehen   um ,    bis  endlich 
^orgils,  der  überlebende  Hausherr,  ihre  Leichen  gegen  den 


Büfmann:  Semerhungm  gmn  Nachitegen,  165 

FrfiUhig  auf  einem  Schdterhaafen  verbrennen  lasst,  worauf 
es  mhig  wird.    Man  sieht ,  dieser  Bericht  ist  zwar  für  den 
VollEBglaaben  recht  interessant,    lehrt   uns  aber  nichts  über 
die  tünriSur,  Fritzner  müsste  denn  angenommen  haben,  der 
zuerst  gestorbene  Mann   hätte    sie   draussen    in    der   Luft 
&hreu  sehen  oder  hören  und   sei  davon  wahnsinnig  gewor- 
d^.    Indess  steht  nichts  dergleichen  im  Bericht,    mit  dem 
wir  ans  daher  anch  nicht  weiter  beschäftigen  wollen.     Die 
andere  Verweisung  auf  Aaskereia  trifPt  näher  zur  Sache, 
denn  diess  ist  einfach  die  wilde  Jagd,  die  aus  den  Seelen 
nichtsnutziger  Leute  besteht,  die  für  den  Himmel  zu  schlecht 
und  für  die  Hölle   zu  gut  sind  und  ihr  Fegfeuer  im  Luftr 
ritte,  hauptsächlich  um  Weihnachten,  durchzumachen  haben. 
Was  nun  für  unseren  Fall  passt,  ist  dieses :  in  einem  Bezirk 
von  Norwegen,  in  Saetersdal,   herrscht  der  Glaube,    dass, 
wenn  einer  sich  nicht  niederwirft,  sobald  er  das  Lufgereite 
hört,  seine  Seele  mitfahren    muss,    während    sein    Körper 
liegen  bleibt     Wenn  die  Seele  zum  Leibe  zurückkehrt,   ist 
dieser  ganz  abgemattet  und  bleibt  nachher  immerfort  kränk- 
lich.   Auch  Pferde  werden  mitgenommen  und   kehren  übel 
zugerichtet  zurück  (Faye  S.  71).  Das  letztere  stimmt  insofeme 
gQt  zu  unserer  Eddastelle ,   als  hier  Oiiinn  offenbar  nichts 
anderes  sagt,  als:    „wenn  die  tünriSur  ihren  Leib  und  ihre 
Heimaih  verlassen  haben  und  über  mir  in  der  Luft  reiten, 
80  verwirre  ich  ihre  Seelen,  dass  sie  ihre  Körper  und  Woh- 
nangen  nicht  wieder  finden  hönnen.^^ 

So  weit  gut,  aber  damit  ist  immer  noch  nicht  erklärt 
wie  das  Fem.  tünrilSur  und  das  Masc.  ^eir  villir  ucben- 
einander  bestehen  können.  Lüning  findet  freilich  einen 
leichten  Ausweg,  indem  er  (S.  293)  sagt:  „Entweder  muss 
es  tunriSar  oder  ^aer  villar  heissen/^  So  viel  hätten  die 
früheren  Schreiber,  Herausgeber,  und  Erklärer  der  Edda 
wohl  auch  gewusst ;  aber  es  ist  keinem  eingefallen ,  mit 
einem   so   wohlfeilen   Mittel  der  Schwierigkeit   abhelfen  zu 


166        Sitzung  der  phüos.-phiM.  Okuße  wm  1.  Juni  1867. 

wollen.       Die     Sache    mnss     tiefer    aogogriffen     werden. 
Zwischen  Entstehung  und  Aufzeichnung  der  Eddalieder  liegt 
ein  mehr  oder  weniger  grosser  Zeitraum,  in   welchem  die 
norroenische  Sprache  fortschreiten  und  manche  Form  erst 
archaistisch,   dann  unverständlich  werden  musste,   die  bei 
Abfassung  der  Lieder    noch  der  lebenden  Sprache  angehört 
hatte.    Hier  ist  der  entscheidende  Punkt,  wo  die  allgemein 
germanische  Philologie  der  specifisch  nordischen  zu  Hülfe 
kommen  kann  und  muss.    Das  viel  höhere  Alter  der  gothi- 
schen,  angelsächsischen,  althochdeutschen  und  altsächsisdien 
Denkmäler,    denen    der   Norden    nur    einige   der    ältesten 
Buneninschriften  (vor  Allem  die  Blekinger)  an  die  Seite  zu 
setzen  hat,    lässt  gewisse  Erscheinungen  in  vollkommener 
Klarheit    erkennen ,    die   vom   Standpunkte  des   nordischen 
Sprachbetriebes  verdunkelt  und    unlösbar  ersdieinen.    Idi 
beschäftige    midi    seit    längerer    Zeit    mit    einer    kritisch- 
exegetischen   Arbeit   über  die  alte  Edda    hauptsächlich  in 
dieser  Richtung,  und  hebe  hier  anticipando  zwei  Fälle  unr 
darum   aus,    weil   das   plötzliche   und   überraschende  Auf- 
tauchen der  zünriten  im  Nachtsegen  mich  fast  dazu  zwingt 
Archaismen  der  alten  Edda  sind  für  uns  natürUch  am  fass- 
barsten, wenn  sie  sich  auf  Flexionsverhältnisse  beziehen,  and 
werden  am  leichtesten  erkannt,    wenn  der  überlieferte  Text 
eine   auffallende   Sinnstörung  zeigt,    wie  hier  und  in  dem 
zweiten  analogen  Beispiele.    Nehmen  wir  das  Adj.  villr,  so 
wissen  wir,  dass  es  das  gothische  vil^eis,   althochd.  uoildi, 
altsächs.  uuildi,  ist,   dass  ee  folglich  ein  dem  Worte  selbst 
angehöriges  radicales  i  hat,  zur  i-Deklination  gehört  und  so 
zeigt  sich  denn  ganz  consequent,    dass   das  Femininum  im 
Plural  auch  der  i-Deklination  folgt   und   villir  (nicht  rillar) 
hat.    ^eir  kann  dann  gar  kein  Bedenken   machen,    da  die 
graphische  Verwechslung  von  ae  und  ei  bekannt   und  kon- 
statirt  ist ,   vgl.  Eonrä6  Gislason,   um  frumparta  p.  183  £, 
wo  gerade   ^ir  hervorgehoben  wird.    Es  ist  also  in  Wirk- 


Hofmatm:  Bemerhmngm  tum  Naehtsegen.  167 

lichkeit  an  unserer  Stelle  gar  nichts  zu  ändern  and  einfach 

^aer  TÜIir  zu  lesen.     Die  zweite  vollkommen  analoge  Stelle 

findet  sich  AtlakviSa,  18.  vinir  Borganda,  ein  Unsinn,  wenn 

man  Tinir  als  Nom.  plnr.  auf  die  Hannen  bezieht,  die  (nach 

Luning)  dessw^en  so  heissen  sollen,  „weil  Atli  durch  Qudrun 

mit  den  Bai^nnden  verwandt  ist.^^  Wie  schwierig  die  Sache 

den  gewissenhaften  Herausgebern  früherer  Zeit  vorkam,  sieht 

man  aas  der  langen  Anmerkung,  welche  die  Arnamagnäanische 

Ausgabe  (11,  383)  zur   Stelle  hat.    Nun  hat  vin  oder  vinr 

em  radicales  i  gehabt;   denn  es  heisst  alihochd.  uuini,  alts. 

nuini,  ags.  vine.    Der  archaistische  Accusativ  von  vinr  hiess 

natürlich  vini,    and    das  mussten  die  Schreiber  nothwendig 

als  vinir  missverstehen,  wenn  ihnen  einmal  die  Formen  der 

i-Deklination  ausser  Gebrauch  gekommen  waren,    vini  Boi^ 

gunda  ist  also  Aoc.  und  Apposition  za  Gunnar.  vine  Borgenda 

heisst  nun  bekanntlich  der  ags.  Dichtersprache  gemäss  Qunnarr 

(Gft&here)  im  Valdhere  II,  14  und  wenn  im  Nordischen  zd- 

iallig  vinr  mit  folgendem  Genetiv  des  Volkes  nicht  als  Königs- 

bezeichnung  erhalten  ist,  so  findet  sich  vinr  drengja,  gaeSinga, 

gotna,  alda,  skatna  und  hoUvinr  (Holdfreund)  herjar,  lofSda, 

8.  Gröndal  p.  235.    Die  Stelle  der  AtlakviSa  Str.  18  heisst 

also,  sehr  einfach:   die  Hunnen  banden  Günther,  den  König 

der  Burgunden  (wörtlich,  den  Freund  der  Burgunden). 

Der  Nachtsegen  lehrt  uns  den  Namen  des  Hexenberges 
in  der  ältesten  bis  jetzt  vorgekommenen  Form  kennen ,  die 
wir  für  ebenso  authentisch  halten  dürfen,  wie  die  des  höch- 
sten Göttemamens,  gut  mitteldeutsch  Wfitan,  Gen.  Wütanes. 
Wir  ersehen  nun,  was  J.  Grimm  DM.  1004  schon  ausge- 
sprochen, dass  r  statt  1  der  urprüngliche  Laut  ist,  wie 
bereits  Leonhard  Frisch  bezeugt  (I,  111):  „Blocksberg, 
besser  Brocksberg,  wie  er  in  und  an  den  Braunschweigischen 
Landen  heisst",  wobei  allerdings  zu  vermuthen,  dass  er  das 
r  nur  wegen  der  falschen,  auch  heute  noch  nicht  ganz  auf« 


168       Sitzung  der  phihs.^hüoH,  CkUBe  fxm  1.  Jtmi  1867. 

aufgegebenen  Ableitung  von  mons  Bractenis  für  richtiger  ge- 
halten habe.  Unter  den  bisher  versuchten  Deutungen  ist  meines 
WisseuB  keine,  die  besonders  besser  wäre,  als  die  genannte 
und  ich  erlaube  mir  daher  zum  Schlüsse  meine  eigene  tof- 
zutragen.    Dass  der  Name  mehreren  Bergen  in  Deutschland 
gemeinsam   ist,  hat  J.  Grimm  DM.  S.  1004  u.  1232  nach* 
gewiesen.    Die  Erklärung  darf  also  nicht  den  Ausdruck  dea 
Hexenconyentikels  in  dem  Worte  suchen,  wofür  sich  sonst 
das  edd.  broka^kvinna  anbieten  würde.  Gsmuss  yielmehr  ein 
natürlicher  Grund  der  Benennung  gesucht  werden,  und  diesen 
finde  ich  in  einem  Worte ,  welches .  sich  im  Isländischen  er^ 
halten   hat.    Nach  Björn  Haldopsen  bedeutet  das  Neutnun 
brok  nubes  albidae,  juga  montium  tegentes.     Die  Berge, 
welche  die  höchsten  ihrer  Gegend  sind,  sammeln  bekanntlich 
an  ihrem  Gipfel  die  Wolken,  was  namentlich  beim  Brodces 
der  Fall  ist  und  so  scheint  der  Name  Wolkenberg  passend 
für  unsern.  wie  für  manchen  andern.    Im  Schwedischen  ist 
das  Wort  gleichfalls  vorhanden,  Bietz  im  Dialektwörterbach 
hat  unter   brok  m.  2.  die  Bedeutung  dunkler  Fleck  (mörk 
fläck),    brok  1,    heisst   bei  ihm   so    viel   als   brokig  hast 
(=  geflecktes  Pferd),  brokug,  (bei  Ihre  I,  272)  variegatus. 
Auch  das  Dänische  hat  broget,  bunt,  verschiedenfarbig,  ge- 
fleckt.   Wegen   des  Begriffsübergangs  verweise    ich  auf  den 
identischen    mhd.    Fall,     wo    sprachel    Abschneidsei    ahd. 
sprehbiloht   mhd.   spreckeleht  gefleckt  bedeutet,    Mhd.  Wb. 
S.  521.  Man  wird   brock  einfach  von  der  Wurzel  brik  ab- 
leiten dürfen,    also  =   fragmentum,  Stück  einer  grösseren 
Wolke,     brochel  ist  davon  das  Deminutivum ,  welches  ober- 
deutsch wohl  brüchel  heissen  würde.     Brochelsberg  hiesse 
also  wörtlich  =  Wölkchenberg.    Man  wird  hiebei  von  selbst 
an  den  schwedischen  Hexenberg  Bläknlla  in  der  Meerenge 
zwischen  Smäland  und  Oeland  denken  ^  der  seinen  Namen 
ebenfalls  von  seiner  physischen  Erscheinung  hat  (=  die  blaue 
Kuppe),  und  noch  passender  an  den  schweizerischen  Pilatus, 


Hafmatm:  Bemerkungen  iwn  Naehttegen.  169 

deo  Behüteten  (Pileatns),  wie  man  ihn,  sei  es  mit  Recht 
oder  nicht,  w^en  seines  oft  umwölkten  Scheitels  deutet, 
was  neben  der  Zerrissenheit  seines  Gehänges  (daher  der 
alte  Name  Fragmunt  =  fractns  mons)  der  hervortretendste 
Zog  an  ihm  ist. 


(Note  sa  pag.  162.)  Es  ist  wohl  der  Mühe  werth,  den  Inhalt 
der  merkwürdigen  Sammelhandachrift,  nach  sachlichen  Gruppen  ge* 
ordnet,  etwas  genauer  zu  oharakterisiren.  Sie  enthält  (abgesehen 
▼on  dem  Eintrag  über  Fasttage  auf  der  allerletzten  Seite)  18  Num- 
mern, die  sich  inhaltlich  in  folgender  Weise  ordnen.  I.  Als  Ein- 
leitung nun  Gänsen,  gewissermassen  als  Encyolopadie  geht  voraus 
ein  Psendo-Aristotelicum,  Secretum  Secretorum,  aus  dem  Arabi- 
schen übersetzt  und  in  dieser  Sprache  wahrscheinlich  auch  ursprüng- 
lich ver&sst.  Die  hiesige  Staatsbibliothek  besitzt  den  arabischen 
Text)  TgL  Flügel,  Handschriften  der  Münchner  Bibliothek  im  An- 
letgeblatt  der  Wiener  Jahrbücher  XLVJL  Bd.  S.  23,  und  Aumer, 
Gstalog  der  arab.  HSS.  S.  26&— 6.  Das  Werk  ist  auch  für  die  ger- 
manische Literaturgeschichte  von  Bedeutung,  denn  Jakob  von  Maer- 
l^t,  der  „Yater  der  niederländischen  Dichtkunst*'^  hat  es  in  seiner 
Heymelichede  der  heimelicheit  bei  v.  Kausler,  Denkmäler  11, 
S.  483 — 566)  poetisch  verarbeitet,  „vorausgesetzt,  dass  er  nach  den 
Bedenken,  die  Ciarisse  gegen  seine  Urheberschaft  vorbringt,  noch 
aU  der  Yerfasser  gelten  kann''.  Da  Kausler  ebendas.  III  8.  289  £ 
STündlich  und  gelehrt,  wie  er  pflegt,  den  ganzen  Gegenstand  be- 
handelt hat,  so  kann  ich  auf  ihn  verweisen,  und  will  nur  noch  über 
die  Herkunft  unserer  HS.  eine  Vermuthung  äussern.  Sie  scheint 
mir  ans  Südfrankreioh  zu  stammen,  wenigstens  stimmt  sie  mit  allen 
provenzaHschen  Handschriften,  die  ich  kennen  gelernt  habe,  in  der 
Bondung  der  Schrift,  Weisse  und  Glätte  des  Pergaments,  Blässe  der 
Tinte,  dann  in  besonders  charakteristischen  Zügen,  wie  z,  vollkom- 
men  überein.  Die  Zahl  der  Gapitel  ist ,  wie  in  dem  von  Kausler 
»ngeföhrten  Drucke  73. 

An  dieses  einleitende  Werk,  eines  jener  absurdeni  aber  allge- 
Qttn  studierten  Gompendien,  welche  das  nach  manchen  Richtungen 
so  gewaltige  und  aohtungffwerthe  Mittelalter  gerade  für  naturwissem- 
BchaitHche  Dinge  in  unwürdigem  Aberglauben  erhielten,  reihen  sich 
l>Dgsre  oder  kfkrsere,  botanische,  astronomische  und  medizinische 
[1867.n.l.l  11** 


170         Sitmng  der  phOos.-phiM,  Gasae  wm  1  Juni  1867, 

Tractate,  endliöh  das  weitaas  mörkwiirdigste  Stück  der  ganzen 
Sammhiiig,  ein  arabisches  Zauberbacb,  leider  nn vollständig ,  da  ec 
mitten  in  der  „Wonderlampe^^  abbricht.  Auf  das  Pflanzenreidi  be- 
ziehen  sich  Nr.  3,  das  erwähnte  Pflanzenglossar  mit  deutschen  und 
polnischen  Erklämngen,  (N^  4  {P  72)  lateinische  Homonymen  der 
Pflanzennamen,  N^  14,  das  zweite  deutsche  Eräuterglossar  (F  119 
Y^  ~  124  r^.)  Am  umfangreichsten  und  wichtigsten  ist  in  diesem 
Zweige  der  Naturkunde  das  Obst-  und  Weinbuch  {f9  68 — lOlX 
ein  ganz  der  Praxis  angehöriges  Compendium,  unter  dem  Titel  In* 
cipit  liber  de  insertione  arborum  et  earum  fructuum.  Von  wem 
Grundlage  und  Weiterfiihmng  der  Arbeit  stamme,  zeigen  die  ein- 
leitenden leoninischen  Yerse  an: 

Palladii  librum  J^reviatum  per  Godefridum 

Accipe  ourta  volens  rustiea  rura  colens 

Palladium  tantum  non  hie  sequor  aut  Galienum 

Pingitur  et  cespis  floribus  iste  meis 

Ordine  sub  certo  nullo  pereunte  reperto 

Scita  prius  religo  munus  et  hoc  tibi  do. 
Das  Ganze  hat  4  Tractatus.  1.  de  plantationibus  arborum  2.  de 
▼itibus.  3.  de  conservatione  fructuum.  4.  de  yino.  Der  erste  Tractat 
ist  durch  zwei  Federzeichnungen,  den  geraden  und  den  schiefen 
Oculirschnitt  vorstellend,  illustrirt.  Im  vierten  Tractat  finden  sich 
die  interessanten  Paragraphe,  wie  man  erkennt  si  aqua  sit  in  vino 
und  wie  aqua  de  vino  separetur,  dann  de  deceptione  gnstus  (nicht 
durch  Gallisiren),  endlich  de  reformatione  vini  corrupti.  Die  zweite 
Gruppe  bilden  Astrologica.  N^  8  (P  75)  de  efiectibus  planetarum 
f*  80,  v^  die  sogenannten  arabischenZiffem,  N<^  9  (f*  81)  Capitnlum 
in  narratione  Satumi  (am  Rande  von  jüngerer  Hand  Tractatus  Sem 
filii  Haym).  N^  10  (f^  83)  Tractatns  alius,  von  den  Monaten  und 
ihrem  Einfluss  auf  das  Schicksal  der  Geburten  in  physischer  und 
psychischer  Richtung  bei  beiden  Geschlechtern.  Die  dritte  am  zahl- 
reichsten vertretene  Gruppe  ist  die  medizinische,  zuerst  N^  2.  Petri 
Hispani  medicina  (f>  41—68),  N<>  6  (f  78).  Ueber  Arzneidosen. 
woran  sich  ironisch  N.^  6  Signa  morientium  unmittelbar  anschliesst 
Diess  ist  ein  Stück  deutscher  Herkunft,  denn  vom  üringlase  helut 
es  in  summo  staupo  {=^  stouf  Becher,  poculum  maius.)  N®  7,  ein 
einzelnes  Blatt  de  phlebotomia  N^  13  (^  109)  Circa  instans,  ein 
Stück  eines  mediziuisch-pharmakologischen  Glossars,  N^  16  (f^  1^^) 
Definitionen  von  Krankheiten,  N^  16  (f^  127)  Vegetabilische  Arznei- 
dosen N^17  (f^  125)  eine  Pharmakopoe  in  14  Abtheilungen.  1.  Ver- 
Bohiedenes  (26  Species),  2.  Kräuter  (103),  8.  Rinden  (10),  4.  Blüthen  (U), 


Hofmann:  Bemerkungen  tum  Nachtsegtn,  171 

5.  Hölxer  (6),  6.  Wimeln  (68),  7.  Sftfte  (58),  8.  Hurze  (28),  9.  Knochen  (6), 
10.  MeUUe  (7),  11.  Steine  (80),    12.  Sslxe  (8),   18.  Fleieohsorten  (13) 
darunter  Löwen-   und  Seepferdfleisch  und  Wolfsleber.  14.    Confeo- 
tionee   dorae  (18).    Man  rieht   also,   880  Simplicia   enthielt  diese 
älteste  Pharmacopoea  bomssica,   deren  ▼ollständige  Mittheilong  für 
Fachgenossen  ebenso  belehrend  wie  unterhaltend   sein  dflrfte.  Dem 
Gebiet  der  Zauberei    endlich    gehört  ausser    unserem  Nachtsegen 
noch  ein  Spruch  von  jüngerer  Hand  an,    f9  109  am  unteren  Rand: 
Contra  pirdl  stribraras  f  iob  traeson  scorobon  oonnubia  iob  f  et  pone 
eqv,  hier  ist   das  üebrige   vom  Buchbinder  abgeschnitten  darüber 
t  esa  .  .  .  Wegen  des  üebels  pircil,  gegen  welches  der  Spruch  ge- 
richtet  ist,    TgL   man  Frisch  unter  bürzel  Seuche   und  besonders 
unter  gunbyrselen,  wo  der  merkwürdige  An&chluss  gegeben  wird, 
dasB  im  Jahre  1887  die  in  Augsburg  von  dieser  Epidemie  Beiallenen 
onter  heftigen  Schweissen  (molestissimis  destillationibus)  4^—6  Tage 
gerast  hätten  und  dann  in  den  meisten  Fällen  Genesung  eingetreten 
sei.    Besonders  ausgiebig  vertreten  ist  es  durch  das  aus  dem  Arabi- 
schen übersetzte  Zauberbuch  f9  108^108  mit   der  üeberschrift  Epi- 
siola  Amati  filii  Abraham  qui  dignus  est  vocari  filius  Ifacellarii  wie 
za  lesen  ist,  wiewohl  ein  Ahmad  ihn  Ibrahim  ibnul  Qa^^äb,  wie  der 
Autor  auf  Arabisch  heissen    müsste,   rieh  nicht  bei  Hadji  Khalifa, 
dem  moslimischen  Jöcher,  findet.    Zahlreiche  arabische  Wörter,  be- 
sonders Namen  von  Hölzern,  die  zu  Bäucherungen  verwendet  werden, 
dann  die  Anfahrung  arabischer  Autoren,  der  Styl  endlich,  selbst  im 
lateinischen  Gewände  von  unverkennbarer  Fremdartigkrit,  lassen  in- 
dess  keinen  Zweifel  übrig,  dass  wir  es  hier  wirklich  mit  einer  arabi- 
Beben  Schrift  zu  thun  haben.    Der  absonderliche  Inhalt,  so  wie  der 
zufällige  Nebenumstand,    dass  das  Stück   mit  sehr  zahlreichen  und 
starken  Abkürzungen  geschrieben  ist,  die  Beschädigung  mehrerer 
Blätter  durch  Schmutz  und  Abreibung  machen  die  Abschrift  ungemein 
aebwierig.  Das  Qa,nze  theilt  sich  wieder  in  zwei  Theile,  der  1.  handelt 
voo  Heilungen  durch  Zauberei  und  Sympathie,  der  zweite  von  eigent- 
liehen  Zaubereien.    Ich   begnüge  mich,    den  Inhalt  dieses  letzteren 
Theiles  anzugeben,  und  ein  paar  charakteristische  Stellen  auszuheben. 
Die  Kapitel  handeln   1.  Vom  Bienenmachen.    2.  Von  einer  Häuoher» 
ong,  die  bewirkt,  dass  videbis  orientem  totqm  jam  esse  rubeum  et 
aerem  totum  igneum  aut  videbis  equites  cum  hastilibus  atque  equos 
et  saper  cos  homines  ex  igne.  8.  EineBaucherung:  quando  tu  fumi- 
gabis  in  die  manifeste  cum   ea,   obtenebrabitnr  mundus   et  videbis 
Stellas  omnes   et  lunam  donec  timeat  mundus    ex  illo.    4.  fumigium 
at  Tideatur  luna  dividi  per  medium.  6.  operatio  ftunigii  ad  eclipsim 


172         Sitzung  der  phnos-phüd.  Clause  vom  1,  Juni  1867. 

Innae  fkoiendam.  6.  operatio  ut  in  ooelo  videantiir  forme  fltnpe- 
fkoienies.  7.  suffumigatio  ut  in  coelo  videantor  gfigantea.  8i  raffu- 
migaüo  ut  in  ooelo  aint  formae  magnae.  9.  ad  faciendam  plnTiani. 
10.  ad  faeiendam  plaviam.  11.  de  remotione  plnviae.  12.  Modu 
domorom  qni  est  fiuaentibue  mirabilia,  d.  h.  ein  Hana  durch  Bänoher 
ung  80  zuzurichten,  dass  die  Eintretenden  nach  Verlauf  einer  Stunde 
Boheintodt  werden  und  sie  dann  wieder  zu  erwedcen.  Es  wird  bei- 
gefügt, der  Messias  solle  nach  der  Aussage  einiger  nach  diesen 
altum  capitulum  Wunder  gewirkt  haben,  sed  non  est  ita.  Am  Bande 
Inquid  Hunayn.  18.  Operation  um  die  Sonne  oder  ein  Licht  grösser 
als  die  Sonne  bei  Nacht  zu  sehen,  angewandt  yon  solchen,  die  fkh 
für  Propheten  und  Weissager  ausgeben.  14.  Operatio  um  die  Sonne 
in  Flammen  stehend  zu  sehen.  15.  cum  volueris  convertere  fonnim 
hominis  in  formam  symii.  Hiebei  noch  ein  capitulum  mirabile;  qanm 
▼olueris  ut  vidas  homines  et  non  videant  te,  et  tu  ambulabis  in 
medio  eorum,  et  per  hoc  capitulum  operantnr  Uli  qui  attnbnnnt 
sibi  prophetiam  et  qui  ascribunt  sibi  divinationem.  ib.  si  vis  yidere 
ut  homines  at  invicem  sint  nigrarum  speoierum,  d.  h.  dass  die  Leote 
einander  schwarz  vorkommen.  17.  Lampas  mirabilis.  ffier  bricht, 
wie  gesagt,  das  MS.  ab.  Obige  Auszüge  und  Inhaltsangabe  werden 
für  den  vorliegenden  Zweck  wohl  genügend  sein. 

Zum  Schlüsse  habe  ich  nur  noch  eine  Beobachtung  mitzntheileiL 
die  sich  auf  diie  Geschichte  der  HS.  bezieht.  Auf  dem  Rücken  ist 
ein  rundes  blaues  Schildchea  aufgeklebt.  Diess  bedeutet,  dass  Dooeo 
sie  untersucht  und  Glossen  in  ihr  gefunden  hat,  die  er  sich  ßr 
künftigen  eigenen  Gebrauch  in  solcher  Weise  zu  notiren  pflegte.  Ob 
er  den  Nachtsegen  übersehen  oder  gleich  dem  Muspilli  für  einstige 
Heransgabe  zurückgestellt,  kann  ich  nioht  entscheiden. 


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Sitzungsberichte 


der 


königL  bayer.  Akademie  der  Wissenschaften. 


Philosophisch -philologische  Classe. 

Sitzung  vom  6.  Juli  1867. 


Herr  Prantl  trägt  yor: 

,,XJeber  die  Literatur  der  Auctoritates  in  der 
Philosophie". 

Schon  in  den  ersten  Jahren  einer  reichhaltigeren  Ent- 
faltang  der  Buchdruckerkunst  und  in  den  nächsten  darauf- 
folgenden Jahrzehenten  treffen  wir  eine  ansehnliche  Zahl 
von  Drucken,  meistens  ziemlich  kleinen  Umfanges,  welche 
unter  dem  Titel  „Auctoritates^'  oder  „B^P^^ri^iiQ''  oder 
,,Dicta  notabtlia^'  u.  dgl.  eine  Blumenlese  philosophischer 
Sätze,  zumeist  aus  Aristoteles,  enthalten  und  sich  in  manig- 
fachen  Wieder}iolungen  oder  Variationen  sogar  bis  in  das 
17.  Jahrhundert  fortsetzen.  Versuchen  wir  nun,  diesen 
ganzen  Zweig  der  Literatur  im  Interesse  der  Geschichte  der 
Philosophie  zum  Gegenstande  einer  näheren  Untersuchung 
zu  machen,  so  wird  hiebei  selbstverständlicher  Weise  von 
den  gleichzeitigen  „Auctoritates  theologiae"  und  den  gleich- 
falls auftauchenden  „Auctoritates  Galeni"  völlig  abgesehen. 
[1867.  n.  2.]      .  12 


174        Sitzung  der  phüos.-phüdl.  Clause  vom  6,  Juli  1867. 

Was  das  Material  selbst  betrifft,  so  standen  mir  38 
Drucke  zu  Gebote,  welche  sich  in  folgender  Weise  in  Grapi>en 
bringen  lassen: 

A.  1)  Repertorium  sive  tabula  generalis  auctoritataxn  are- 
stotelis  cum  commentö  per  modum  alphabeti  et 
philo§ophorüm.  Nürnberg  1490.  Petrus  Wagner  4. 

2)  Repertorium  sive  tabula  generalis  auctoritatam  are- 
stotelis  et  philosophorum  cum  commentö  per  mo- 
dum alphabeti.     Goloniae  1494.  Henr.  Qaentel.  4. 

3)  Ebenso  ebend.  1495.   4. 

4)  Auctoritates  Aristotelis  et  aliorum  philosophorum 
per  modum  alphabeti  cum  notabili  commentö.  Liptzk. 
1503.  Wolfgang  Monacensis.  4. 

5)  Ebenso  ebend.  1510.  4. 

6)  Repertorium  sive  tabula  generalis  aüthoritatam  Ari- 
stotelis et  philosophorum  cum  commeuto  per  mo- 
dum alphabeti.  Paris  1513.  Officina  Ascensiana.  4. 

7)  Axiomata  philosophica  Venerabilis  Bedae ex 

Aristotele  et  aUis  praestantibus  philosophis  etc. 
studio  Joannis  Kroeselii.  Ingolstadt  1583.  Wolfg. 
Eder.     8. 

8)  Axiomata  philosophica  Venerabilis  Bedae ex 

Aristotele    et    aliis   praestantibus    philosophis 

Quibus  accessere   theses in  diversis  Academiis 

disputatae.  Coloniae  1605.  Bemard  Gualtherus.    8. 

9)  Reverendi  et  clarissimi  viri  Bedae  Presbyteri  Axio- 
mata philosophica  ex  Aristotele  aliisque  praeclarissi- 
mis  Philosophis.  etc.  S.  1.  1608.     8. 

10)  wie  8)  Colon  1616.  Bern.  Gualtherus. 

11)  ebenso  ebend.  1623. 

12)  Bedae  Vener.  Opera  omnia.  Basel.  1563.  Vol.  I. 

13)  desgleichen  Colon.  1612.  Vol.  I. 

14)  und  ebend.  1688.  Vol.  I. 

B.     1)  Incipit   prologus    de    propositionibus  .universalibas 


PranU:  Literatur  der  „Äudoritatei''.  175 

Aristotelis.  S.  1.  et  a.  4.  ein  äasserst  alter  Druck 
ans  einer  oberitalischen  Offizin).  Am  Schlasse  sind 
beigedruckt  Notabilia  artis  physionomice,  und  unter 
W^lassung  dieser  ist  gleichlautend: 

2)  Ebenso.  Bononiae.  1488.  Ugo  Bugerius.   4. 

3)  Propositiones  Aristotelis.  Venetiis.  S.  a.    4. 

1)  Autoritates  Arestotelis,  Senece,  Boetii,  Piatonis, 
Apulei  Affricani,  Porphirii  et  Gilberti  Porritani. 
S.  1.  s.  a.  4'  (äusserst  alt  aus  einer  deutschen 
Offizin). 

2)  Ebenso.  S.  l.  s.  a.  4.  (etwas  jünger). 

3)  Ebenso.  S.  1.  s.  a.  4.  (wieder  aus  einer  andern 
Druckerei). 

4}  Ebenso.  Coloniae.  1487.  Job.  Guldenschaeflf.  folio. 

5)  Ebenso.  Reutlingen.  1488.  Michael  Gryff.     4. 

6)  Ebenso.  Spirae.  1496.  Conrad  Eist.   4. 

7)  Ebenso,  mit  dem  Beisatz  denuo  summa  cum  dili- 
gentia revise  et  correcte.  S.  1.  1498.  4  (sicher 
Coloniae  bei  H.  Quentel). 

8)  Ebenso.  S.  1.  1503.4  (gleichfalls  sicher  bei  Quentel). 

9)  Autoritates  Anstotelis  omnium  recte  philosophan- 
tium  facile  principis,  insuper  et  platonis,  Boetii 
Senece,  Apulei  Aphricani,  Porphirii,  Averroys,  Gil- 
berti Poritani  nee  non  quorundam  aliorum  novis- 
sime  castiori  studio  recognite  et  pigmeniate.  Co- 
loniae. 1504.  Henr.  Quentel.     4. 

10)  Ebenso  ebend.  1507.     4. 

11)  Ebenso  ebend.  1509.     4. 

D.  1)  Repertorium  dictorum  Aristotelis,  Averoys,  aliorum- 
que  philosophorum  (in  der  Dedications-Epistel  an 
Hyeronimus  Tostinus  de  Florentiola  nennt  sich  An- 
dreas Victorius  Bononiensis  als  Verfasser).  Bononiae. 
1491.  Impensa  Benedicti  de  Hectoreis  ....  et  dili- 
gentia Bazalerii  de  Bazaleriis.    4. 

12* 


176         Sitzung  der  phOos.-phüd,  Classe  wm  6.  Jidi  1867, 

2)  Prepositiones  [sie]  ex  omnibus  Aristotelis  libris  philo- 
Sophie.  Moralis.  Naturalis,  et  prime.  nee  non  dia- 
lectice.  Rhetorice.  et  ppetieae.  diligentissdme  ex- 
eerpte.  et  ad  certa  rerum  capita  palcherimo  ordine 
per  tabellam  additam  redacte.  (Zuerst  folgt  das 
alphabetische  Register  von  Benedictus  Soncinas  ver- 

fasst,    dann   die    Prepositiones coUectae   per 

fratrem  Theophilum  de  Ferrariis  Gremonensem.) 
Venetiis.  1493.  Joannes  et  Gregorius  de  Gregoriis.  4. 

E.  1)  Dieta  notabilia)  et  in  thesaurum  memoriae  reponenda, 

Piatonis.  Aristotelis.  Gommentatoris.  Porphirii.  6il- 
berti  Poretani.  Boetii.  Senece.  Apulei,  recens  im- 
pressa Quibus  addita  sunt  stupenda  Aristo- 
telis problemata  philosophis  ae  medieis  multam 
utilia  etc.  Venetiis  1532.  Sebastianus  Vineentinus.  6. 

2)  Dicta  notabilia  Aristotelis    et   aliorum  quam    plori* 

njum  [sie] Quibus  de  recenti  Addita  sunt  Mar- 

ciantonii  Zimarae  Problemata,  una  cum  CCG  Arist. 
et  Averr.  propositionibus  etc.  Venetiis  1536.  Divus 
Bernardinus.     8. 

3)  Ebenso  ebend.  1541.     8. 

4)  Aristotelis,  et  philosophorum  eomplurium  aliorum 
Sententiae  omnes  undiquaque  selectissimae.  Basileae. 
1541.  Robert  Winter.  8.  (Ein  Nachdruck  von  1  mit 

"  Weglassung  der  Problemata.) 

5)  Dicta  notabilia   sive  illustriores  sententiae e^ 

Piatone,  Aristotele,  et  aliis  quam  pluribus  selectae 
etc.  Venetiis.  1551.  Hieron.  Calepinus.    8. 

F.  1)  Florum    iliustriorüm    Aristotelis    ex    universa   eius 

philosophia  collectorum libri  tres.  Per  Jaco- 

bum  Bouchereau  Parisinum.  Paris  1563.  Hier,  de 
Mariief.     8. 

2)  Ebenso.   Francofurdi.  1585.    Joannes  Wechel.    8. 

3)  Ebenso.  Argentinae.  1598.  Lazarus  Zetzner.     8. 


^anü:  Literatur  der  „Äudoritates'^.  177 

Betrachten/  wir  nun  an  diesen  Drucken  vorerst  die 
äosserliehen  literarischen  Momente,  um  hernach  auch  ein 
paar  Blicke  auf  Eigenthümlichkeiten  des  Inhaltes  zu  werfen^ 
m  ergibt  sich  aus  manigfacher  Vergleichung  zunächst, 
dass  der  Gmppe  A  eine  andere  Entstehung  zu  Grunde 
liegt,  als  den  Gruppen  B  und  C,  aber  doch  die  beid(fn  ur- 
sprünglich verschiedenen  Sammlungen  alsbald  wechsel- 
seitige Entlehnungen  und  Interpolationen  erfuhren,  und 
aasserdem  erhellt,  dass  der  Gruppe  A  die  zeitliche  Priorität 
gebort. 

Nämlich  die   alphabetisch   geordneten  Auctoritates  ent- 
halten einen  ursprünglichen  Kern,    welcher    oflFenbar  bis  in 
das   14.   Jahrhundert    zurückfällt.     Ja   dieser  Kern  beruht 
nicht  einmal  auf  Lektüre  der  aristotelischen  Schriften  selbst, 
sondern  ist  aus  der  Gontrovers-Literatur  des  genannten  Jahr* 
hondertee  entnommen,    d.  h.    wer  sich  in  jene  Periode  der 
Gesdiichte  der  Philosophie  vollständig  eingelebt  hat,  erkennt 
sofort,    das8  nur  diejenigen   Stellen-Citate   aus   Aristoteles,' 
welche  seit  Thomas  und  Scotus  am  häufigsten  in  den  zahl- 
reichen  Controversen   benützt   und   als   „Auctoritäten'^   den 
Gegnern  gleichsam  an  deli  -Kopf  geschleudert  wurden,  hier 
in  ein  kleines  Büchlein  zusammengetragen  sind.     Und  des- 
gldchen  erweisen  sich  die  kürzeren  oder  längeren  Erläuter- 
ungen,  welche   den    einzelnen   Auctoritates    oder  Aziomata 
beigefügt  sind,  als  Excerpte  aus  den  betreffenden  Stellen,  in 
welchen  z.  B.  Albertus  Magnus  oder  Thomas  v.  Aquin  oder 
Robert  V.  Lincoln  u.  A.  ein  aristotelisches  Citat  besprochen 
hatte.    Eine  gewisse  Tendenz  aber  ist  hiebei  darin  bemerk- 
bar,  dass  die  Richtung,    welche   mit  Duns  Scotus  beginnt 
Qnd  durch  Occam  einen  gewissen  Abschluss  erhält,  bei  dem 
Compilator   der   Auctoritates    keineswegs    Beifall    gefunden 
haben  muss,    sondern    derselbe    im    Gegentheile  mehr  der 
thomistischen  Strömung  folgte.     Der  Gedanke,  aristotelische 
^Qctoritäts-Stellen  auf  solche  Weise  zu  Bammeln   und   dann 


178         Sitzung  der  phüos.-philöl,  Glosse  vom  6.  Juli  1867. 

alphabetisch  zu  ordnen,  war  für  jene  Zeit  gewiss  nicht  un- 
praktisch ;  denn  so  konnte  nnn  zum  Behufe  einer  Schul- 
Disputation  auch  der  Unbelesenste  in  geschwindester  Manier 
eine  staunenswerthe  Gelehrsamkeit  zur  Schau  tragen  (ähn- 
lich wie  es  fiir  die  Parlaments-Redner  Englands  noch  jetzt 
Zusammenstellungen  von  loci  communes  gibt,  aus  weldien 
der  Glanz  einer  ausgedehnten  Belesenheit  in  classischer 
Literatur  geschöpft  werden  kann). 

In  Folge  solcher  Entstehung  enthielt  die  alphabetische 
Sammlung  ursprünglich  auch  nur  solche  Auctoritäts-Stellen, 
welche  schon  vor  der  Renaissance-Periode  zugänglich  and 
in  Umlauf  waren.  So  sind  es  natürlich  vor  Allem  Citate 
aus  Aristoteles,  zu  welchen  erklärlicher  Weise  das  Orgauon 
(mit  Einschluss  des  Porphyrius  und  des  Gilbertus  Porre- 
tanus), die  Metaphysik,  die  Physik  und  die  Bücher  De 
anima  das  grösste  Gontingent  liefern,  während  die  Bücher 
De  coelo  bereits  eine  geringere,  die  Bücher  D.  gener.  et 
corr.  wieder  eine  geringere  und  Meteor.  Die  geringste  Ver- 
tretung finden.  An  diesen  Bruchtheil  der  Gesammtschriften 
des  Aristoteles  mussten  sich  nicht  bloss  das  Buch  De  causis, 
sondern  hauptsächlich  auch  die  Gommentare  des  Averroes 
zu  den  genannten  aristotelischen  Werken  und  auch  die 
Schrift  De  substantia  orbis  anreihen.  Ausserdem  aber  finden 
wir,  —  um  von  einigen  Dutzend  herrenloser  Citate  oder 
solcher,  welche  als  „communis  regula^'  bezeichnet  sind,  ab- 
zusehen —  noch  angeführt :  Aristoteles  D.  gener.  an..  Prob!., 
Pseudo-Arist.  D.  propr.  elem.,  Secreta  secr.,  Boethiiis  D. 
divis.,  D.  defin.  D.  diff.  top.,  Euklides,  Priscianus,  Augo- 
stinus,  Anastasius,  Isidorus,  Anseimus,  Hugo  v.  S.  Victor, 
Alanus^  Avicenna,  die  „ Alchimisten' %  Wilhelm  v.  Paris, 
Robert  v.  Lincoln,  Albertus  Magnus,  Thomas  y.  AqoiO} 
Petrus  HispanuSy  A^idius  Romanus,  Sacroboscus  (jedoch 
sämmtliche  nur  je  Ein,  höchstens  zwei  Mal,  und  Avicenna 
fünf  Mal).     Und  sowie  wir  bedenken  müssen,  dass  all  diese 


PranÜ:  Literatwr  der  „Äuctoritßtef^K  179 

Aatoren    im   14.  Jahrb.    als  Anctoritäten    äasserst    geläufig 
wareD,    so  ist  auch  sehr  zu  beachten,    dass  in  sämmtlichen 
übrigen  Gruppen  dieser  Auctoritates-Literatur  Icein  einziges 
yon  diesen    letzteren   Üitaten   wiederkehrt.     Dass    übrigens 
der  Verfasser  einer  Gompilation,  welche  auch  die  genannten 
Schriftsteller  des  13.   und  14.  Jahrhunderts   anfuhrt,   nicht 
Beda  Venerabilis,    welcher  im  Jahre  735  starb,  sein  könne, 
bedarf  keiner  ausdrücklichen  Erwähnung ;     auch   hat   schon 
der  äusserst  fleissige  Oudin    (Scriptt.  eccl.  Vol.  I,  p.  1687) 
dieses    chronologische    Missverhältniss   bemerkt.     Möglicher 
Weise  war  es  irgend   ein    „Presbyter  Beda",    welcher   im 
14.  Jahrh.    ein  solches  Schriftchen  zusammenstoppelte    und 
hiedurch  die  Verwechslung  hervorrief,   vermöge  deren  auch 
ic  den   Drucken   A,    1—6    auf   der  nach    dem  Titelblatte 
folgenden  Seite  stets  yenerabilis  Beda  presbyter  als  Heraus- 
gebe genannt  ist;  aber  mir  wenigstens  ist  ein  Autor  dieses 
Namens  aus  jener  Zeit  nicht  begegnet. 

Aber    dieser    ursprüngliche    Kern    der    alphabetischen 
^actoritates,  welcher  nur  mittelalterlich-aristotelische  Litera- 
tur enthielt,  wurde  zur  Zeit  der  Renaissance  allmälig  durch 
neue  Zusätze    bereichert,    wahrscheinlich  schon    in   Hand- 
schriften,   sicher  aber    in  den  ersten  Drucken.     Und  sowie 
tir  Grund  zur  Vermuthung  haben ,    dass  die  primitive  Ge- 
stalt dieser  Auctoritates    in   den  Thomistischcn  Schulen  zu 
Paris  und  namentlich  zu  Gök   entstanden,    so   dürften  wir 
schwerlich  irren,  wenn  wir  annehmen,  dass  die  Bereicherung 
and  Interpolation  von  Oberitalien    aus   stattfand.    Zunächst 
schon  äusserlich  kündigen   sich  Zusätze  dadurch    an ,    dass 
am  Schlüsse  der  einzelnen  Buchstaben  noch  zahlreiche  Auc- 
toritäts-Stellen  beigefügt  sind,    welche  im  Gegensatze  gegen 
die  übrigen  eines  Commentares  entbehren  und  zuweilen  auch 
unter  der  Ueberschrift   „Sequuntur   auctoritates    simpliciter 
verae"  eingeführt    sind.    Der  Buchstabe  0    ist   der    letzte, 
weldier  eine  soldie  Vermehrung  zeigt,   und  bei  den  folgen- 


180        Sitzung  der  pMhs.'phiUiL  Glaste  wm  6.  Mi  1867, 

den  war  der  Interpolator  offenbar  schon  etwas  ermüdet.  So- 
dann aber  bestätigt  sich  der  Charakter  der  Interpolation 
dnroh  den  Nachweis  der  Herkunft  dieser  Zusätze,  welcher 
durch  folgende  Erwägung  sich  ergiebt :  Die  Gruppe  A,  d.  h. 
die  alphabetischen  Drucke,  enthält  nahezu  1 100  Auotoritäts- 
Stenen,  während  die  Gruppen  B  und  C  deren  gegen  2700 
aufzeigen ;  dabei  aber  ist  es  selbstverständlich,  dass  mehrere 
Stellen  beiden  Sammlungen  gemeinsam  sind,  und  zwar  ist 
diess  in  dem  ursprünglichen  Kerne  der  alphabetischeo 
Sammlung  bei  ungefähr  175  Stellen  der  Fall;  hingegen  die 
erwähnten  Zusätze,  welche  am  Schlüsse  den  einzelnen  Bocli* 
Stäben  beigefügt  sind,  und  deren  Zahl  zusammen  210  be- 
trägt, kehren  nahezu  sämmtlich  (d.  h.  207  unter  den  210) 
in  der  anderen  Sammlung  wieder.  Und  es  wird  dieser  Um- 
stand um  80  entscheidender,^  da  ein  kleinerer  Theil  dieser 
Zusätze  aus  Schriftwerken  excerpirt  ist,  welche  genau  in 
der  nämlichen  Stellen-Zahl  in  den  Gruppen  B  und  G  Te^ 
treten  sind,  nämlich  aus  des  Aristoteles  Hist.  an.,  Oecon. 
und  Poet.,  aus  den  pseudo-aristotelischen  Schriften  De  bona 
fortuna.  De  pomo  et  morte.  De  regimine  priDcipum,  ans 
dem  platonischen  Timäus  (d.  h.  Chalcidius)  und  aus  Apn- 
lejus  D.  deo  Soor,  zusammen  sind  es  36  Stellen,  deren  Auf- 
treten in  der  alphabetischen  Sammlung  schlechterdings  da« 
mit  zusammentrifft,  dass  dieselben  auch  der  nicht-alphabeti- 
sdien  Sammlung  gemeinsam  sind.  Und  bei  einer  anderen 
Glasse  von  Gitaten  besteht  das  nämliche  Verhältniss,  nur 
in  geringerem  Grade,  indem  von  ungefähr  245  Stellen, 
welche  aus  des  Aristoteles  Parv.  nat.,  Eth.  Nie,  Polit., 
Rhet.,  aus  Seneca,  aus  Boethius  D.  cons.  phil.,  und  aas 
Pseudo-Boethius  D.  diso,  schol.  zusammen  entnommen  sind, 
etwa  sieben  Zehntel  (d.h.  ungefähr^  170)  zur  Zahl  der 
späteren  Zusätze  gehören,  welche  den  beiderseitigen  Samm- 
lungen gemeinsam  sind. 

So  nöthigt  uns  gleichsam    eine  statistische  Betrachtung 


Prima:  Literahtr  der  ..Äuetcritaies".  181 


IV 


der  Stellen  beider  Sammlungen  zu  dem  Schlüsse,  dass  der 
urspräDgliche  Kern  der  Gruppe  A  schon  früh  ans  den 
Gruppen  B  und  G  bereichert  wurde,  indem  man  von  dort 
her  einen  neuen  Umkreis  aristotelischer  Werke  und  anderer 
bis  dahin  nicht  benutzter  Autoren  behufs  der  „Auctoritates'' 
bdzog.  Seit  einer  solchen  ersten  Verschmelzung  zweier  ur- 
sprunglidi  yersciiiedener  Sammlungen  wurde  dann  in  einigen 
ziemlich  unbedeutenden  Einzelnheiten  auch  wieder  die  nicht« 
alphabetische  Sammlung  aus  der  alphabetischen  bei^ichert, 
80  dass  die  vorhin  erwähnten  Zahlen-Verhältnisse  in  ein« 
zdnen  Drucken  kleine  Schwankungen  zeigen. 

Diese  Gruppen  B  und  G  nun,  welche  unter  sich  in  ver« 
waadtsdiaftlichem  Zusammenhange  stehen,  weisen  örtlich 
auf  Italien  und  inhaltlich  auf  ein  von  der  Gruppe  A  ver- 
schiedenes Entstehungs-Motiv  hin.  Nemlich  innerhalb  der 
Gruppe  B  gdiört  der  älteste  Druck  (Bl)  ebenso  gewie» 
einer  sehr  frühen  Periode  der  Typographie  als  einer  italieni- 
schen Offizin  an,  und  er  ist  überhaupt  die  älteste  unter  den 
nicht-alphabetischen  Sammlungen,  in  welchen  die  „Auetori- 
tates''  oder,  —  wie  man  sie  in  Italien  lieber  genannt  zu 
haben  scheint  — ,  die  „Propositiones  universales^'  nach  einer 
gewissen  Reihenfolge  der  Bücher,  denen  sie  entnommen 
waren,  geordnet  erscheinen.  So  finden  wir  in  diesem  und 
in  dem  mit  ihm  gleichlautenden  Bologneser  Drucke  (B2) 
Aactorität8*Stellen  aus:  Arist.  Metaph.,  Phys.  ausc,  D.  coel., 
B.  gen«  et  corr.,  Meteor.,  D.  an.,  Parv.  nat.,  wobei  nach 
jedem  einzelnen  dieser  Bücher,'  mit  Ausnahme  der  vier 
Bücher  Meteor«,  jedesmal  einige  Stellen  aus  dem  betreffen- 
den Commentare  des  Averroes  folgen,  dann  aus  dem  Buche 
De  causis,  dann  Arist.  Eth.  Nie,  D.  bon.  fort,  Oecen., 
Polit.,  Rhet.t  Poet.,  nach  welch  letzterer  wieder  Averroes, 
hierauf  aus  Pseudo-Arist.,  -  Secr.  secr.,  D.  reg.  princ,  D. 
pomo  et  morte,  sodann  aus  dem  Organen  mit  Einschluss 
dfö  Porphyrius    und    des    Gilbertus,    hernach    aus  Arist. 


182         Sitgung  der  phao8.-philoL  Gasse  vom-  6.  Juli  1867. 

Eist,  an.,  Averr.  D.  gabst,  orb.,  Seneca  ad.  Luc,  de  mor., 
d.  form,  vit.,  d.  benef.,  d.  remed.  fort.,  Boeth.  D.  oons., 
D.  disc.  schoL,  Plato  Tim.  xmd  aus  Apul.  d.  deo  Socr.  Der 
Druck  B  3,  welcher  von  Pary.  nat.  an  die  Reihenfolge  mehr- 
fach ändert  und  insbesondere  Poet.,  Bhet.,  and  das  Organen 
an  den  Schiass  des  Ganzen  stellt,  fügt  auch  noch  Arist  De 
mot.  anim.  und  Ps.-Arist.  De  plantis  und  De  proprietatibns 
elementorum  ein.^  Und  mit  diesem  letzteren  Drucke  ist  nan 
die  ganze  in  Deutschland  gedruckte  Gruppe  C  wesentlich 
identisch,  nur  ist  die  Schrift  D.  pl'opr.  elem.  wieder  weg- 
gelassen und  die  Reihenfolge  der  Bücher  in  einigen  Punkten 
geändert,  sowie  auch  Averr.  zu  Meteor  beigezogen  und  ausser- 
dem kehrt  hier  die  Titel-Bezeichnung  des  Ganzen  als  „Auetori- 
tates"  meder.  Es  sind  nemlich  die  sämmtlichen  Drucke, 
welche  zur  Gruppe  C  gehören,  in  Zahl,  Reihenfolge  und 
Formulirung  der  Autoritäts-Stellen  unter  sich  völlig  gleidi, 
und  die  in  dieser  Beziehung  waltende  Uniformität  ist  da- 
durch nicht  gestört,  dass  die  bei  Heinrich  Quentel  erschie- 
nenen Drucke,  d.  h.  C,  8 — 11,  einige  Eigenthümlichkeiten 
zeigen.  Nemlich  in  denselben  ist  die  erklärende  Begründung 
der  einzelnen  Stellen  manchmal  durch  kleine  Zusätze  be- 
reichert, und  am  Schlüsse  des  Ganzen  eine  Gommendatio 
philosophiae  Aristotelis  cum  eiusdem  vita  et  moribus  nebst 
einem  (gräulichen)  Carmen  de  operosa  virtute  beigefügt; 
und  jener  thomistische  Aristotelismus,  dessen  hauptsächliche 
typographische  Stütze  damals  Quentel's  Offizin  war  (—  mehrere 
anderweitige  Drucke  QuentePs  zeigen  auf  dem  Titelblatte 
ein  Bildniss  des  Thomas  v.  Aquin,  aus  dessen  Munde  sich 
ein  Zettel  mit  der  Aufschrift  entfaltet,  dass  ausschliesslich 
nur  Thomas  die  Quelle  aller  philosophischen  Wahrheit 
sei  — ),  zeigt  sich  hier  darin,  dass  vor  den  der  Politik  des 
Aristoteles  entnommenen  Auctoritäts- Stellen  eine  ziemlich 
heftig  geschriebene  „Ezplosio  Piatonis''  eingefügt  ist;  aber 
auch  die  anerkenneuswerthe  Neuerung  finden  wir  in  diesen 


FranÜ:  LüeraHtr  der  „Audariiaiea'*,  188' 

Dracken,  dass  als  Verfasser  der  Schrift  De  discipl.  scho- 
lariam  hier  nicht  m^hr  Boethias,  sondern  Thomas  Braban- 
tinos  genannt  ist. 

Jener  schon  erwähnte  Umstand  aber,  dass  innerhalb 
der  Orappen  B  nnd  C  der  älteste  Druck  ans  einer  ober- 
italienischen  Druckerei  hervorgieng,  ist  weder  zufällig  noch 
yereinzelnt,  sowie  überhaupt  für  das  Ende  des  15.  und  den 
Anfang  des  16.  Jahrhunderts  die  Beachtung  der  Druckorte 
manchen  interessanten  Blick  auf  die  örtliche  Verbreitung 
verschiedener  Partei- Ansichten  werfen  lässt.  Italien,  die 
früheste  und  hervorragendste  Oertlichkeit  der  Renaissance, 
lieferte  die  ersten  Gesammt-  und  Special-Ausgaben  der 
aristotelischen  Werke,  und  hier  zuerst  lernte  man,  —  ab- 
gesehen  vom  Organen  — ,  den  Aristoteles  nicht  aus  den 
Commentaren  und  Gontroversen  eines  Thomas  und  Scotus 
und  Anderer,  sondern  aus  dem  Texte  selbst  kennen.  So 
auch  schuf  man  sich  zum  Behufe  der  üblichen  Schul-Dispu- 
taüonen  eine  Sammlung  aristotelischer  Auctoritäts-Stellen, 
welche  unmittelbar  aus  den  Diucken  aristotelischer  Schriften 
selbst  geschöpft  war,  ein  Geschäft,  welches  damals  jeder 
Setzer  oder  wenigstens  jeder  Vorsteher  einer  Druckerei  be- 
sorgen konnte,  denn  diese  Leute  standen  hinreichend  auf 
der  gelehrten  Bildung  ihrer  Zeit,  um  sich  während  des 
Druckes  oder  der  Correctur  hauptsächliche  und  hervor- 
stechende Stellen  des  Autors,  welchen  sie  druckten,  zu 
notiren  und  zusammenzuschreiben.  Für  d^n  Leser  solcher 
Samminngen  war  allerdings  auch  diess  eine  wohlfeil  errun- 
gene Belesenheit,  wenn  er  in  etwa  3000  Zeilen  den  ganzen 
Aristoteles,  Averroes,  Boethius,  den  halben  Seneca  und  noch 
ein  paar  andere  vielgenannte  Schiiftwerke  beisammen  hatte. 
Aber  während  hierin  an  praktischer  Brauchbarkeit  die 
Gnippen  B  und  C  dem  alphabetisch  geordneten  Stoffe  der 
Grnppe  A  nicht  nachstanden,  hatten  sie  den  Vorzug,  dass 
sie  aus   den  betreffenden  Quellenschriften    selbst  geschöpft 


184        Sitzung  der  jphüoa.-^hüdi.  Glosse  wm  6.  Juli  1867. 

waren.  Ja  man  hat  es  in  italienischen  Druckereien  (z.  B. 
in  der  OfiSzin  der  Gebrüder  de  Gregoriis  zn  Venedig)  zu- 
weilen auch  zweckdienlich  gefunden,  dem  Text-Abdrucke 
einer  lateinischen  Uebersetzung  eines  aristotelischen  Werkes 
noch  die  betre£Fenden  „Auctoritates**  aus  demselben  nach- 
folgen zu  lassen,  welche  dann  im  Ganzen  so  sehr  mit  den 
Stellen  in  den  Gruppen  B  und  C  übereinstimmen,  dass  man 
auf  den  Gedanken  kommen  könnte,  diese  letzteren  seien 
überhaupt  nur  Abdrücke  solcher  Zusammenstellungen,  welche 
am  Schlüsse  einzelner  Text-Ausgaben  sich  finden.  Jedoch 
erscheinen  derartige  „Auctoritates'^  in  den  Drucken  der 
aristotelischen  Texte,  viel  zu  selten,  um  eine  solche  An- 
nahme möglich  zu  machen,  und  weit  eher  ist  an  das  um- 
gekehrte ^erhältniss  zu  denken,  d.  h.  dass  die  Sammlangen 
der  Auctoritates  benützt  wurden,  um  die  Ausgabe  eines  ein- 
zelnen Buches  am  Schlüsse  mit  den  es  betreffenden  Aucto- 
ritäts-Stellen  zu  schmücken. 

Unter  Bewahrung  einer  gewissen  Selbstständigkeit  knüpft« 
an  die  Gruppe  B,  d.  h.  an  die  italienischen  Drucke,  dei 
Bolognese  Andreas  Victorius  (D,  1)  an,  welcher  nicht  bloss 
die  Schrift  De  reg.  princ,  sondern  auch  Boeth.  D.  cons. 
und  De  disc.  schol.  und  den  platonischen  Timaeus  bei  Seite 
liess,  und  ausserdem  das  üebrige  in  einer  zuweilen  umge- 
stellten Reihenfolge  vorführte.  Und  gleichfalls  auf  der 
italienisdien  Grundlage  baute  Theophilus  de  Ferrariis  (D,  2) 
fort,  welcher  unter  Wiederaufnahme  des  dort  üblicheren 
Titels  „Propositiones^^  nun  ausser  Boethius  und  Plato  auch 
den  Seneca  und  den  Apulejus  hinwegliess  und  somit  sich 
wesentlich  auf  die  eigentlich  aristotelische  Literatur  (d.  h. 
mit  Einschluss  des  Ayerroes,  Porphyrius  und  Gilbertus  Por- 
retanus) beschränkte,  wobei  uns  nur  auffallen  mag,  dass 
die  Poetik  hier  unberücksichtigt  blieb ,  während  sogar  die 
sog.  grosse  Ethik  beigezogen  ist.  Eben  aber  innerhalb  der 
Beschränkung   auf  Aristoteles    ist  diese  Auctoritäten-Samip- 


Branä:  tAteraiwr  äer  „AuetoHtate^.  185 

long  bei  weitem  die  reichhaltigBte  von  allen;  und  indem 
gleichsam  eämmtliche  citirbaren  Kernstellen  in  der  Reihe, 
wie  sie  in  den  Texten  nacheinander  folgen,  zusammengestellt 
sind,  kann  man  das  Ganze,  welches  nahezu  10,000  Stellen 
enthält  (z.  B.  aus  dem  Organen  bei  2100,  aus  Metaph., 
Phys.  ausc.,  Eth.  Nie.  ungefähr  je  1100  u.  s.  f.),  als  einen 
ziemlich  vollständigen  und  auf  Text-Lectüre  beruhenden 
Aaszug  aller  aristotelischen  Werke  bezeichnen.  Zugleich 
aber  wurde  mit  diesem  Vorzuge  grösster  Ausführlichkeit 
auch  das  praktische  Motiv  der  alphabetischen  Sammlungen 
verbunden,  indem  Benedikt  Soncinas  jene  10,000  Stellen 
nach  ihren  Schlagworten  in  alphabetische  Ordnung  brachte, 
and  somit  zur  Bequemlichkeit  des  Auffindens  brauchbarer 
Anctoritäts-Stellen  ein  Register,  welches  allein  102  Seiten 
lallt,  vorangedruckt  wurde.  Dass  die  philosophische  Partei- 
stellung auch  bei  dieser  Sammlung  dem  Thomismus  zu- 
gewendet war,  erhellt  aus  mehreren  Stellen  derselben;  ja 
aach  Gratiadei  von  Ascoli  findet  hier  eine  reichliche  Ver- 
woidung. 

Hingegen  wieder  eine  Rückkehr  zur  Gruppe  B  hat 
stattgefunden  in  der  Gruppe  E,  wo  wir  die  sämmtliohen 
anderweitigen  Autoren  wie  dort  aufgenommen  finden.  Nur 
ist  die  Reihenfolge  der  Abschnitte  darin  wesentlich  geändert, 
dass  mit  Poet,  und  Rhet.  begonnen  wird  und  dann  sogleich 
das  Organen  folgt;  auch  sind  bei  einigen  aristotelischen 
Schriften  nicht  sämmtliche  Stellen  aufgenommen,  welche  in 
jener  älteren  Sammlung  sich  finden,  hingegen  z.  B.  bei 
Seneea  ein  paar  neue  Stellen  hinzugefügt. 

Endlich  insoferne  in  Bouchereau's  Sammlung  (Gruppe  F), 
welche  sich  wieder  ausschliesslich  auf  Aristoteles  beschränkt, 
eine  Auswahl  aus  dem  reichen  Materiale  des  Theophilus  de 
Ferrariis  in  inhaltliche  Gesichtspunkte  zusammengestellt  ist, 
entfernt  sich  dieselbe  bereits  einigermassen  von  dem  eigent- 
lidien  Charakter  der    früheren   j^Auctoritates"    und  nähert 


186         Sitzung  der  phüos.-phtM.  Classe  wm  6.  JuM  1867. 

sich  eher  einein  selbstständigen  Werke,  welches  nach  Masa- 
gabe  und  Fähigkeit  des  16.  Jahrhunderts  eine  Darstellung 
der  gesammten  aristotelischen  Philosophie  genannt  werden 
könnte. 

In  h'terargeschichtlicher  Beziehung  aber  muss  noch  be- 
sonders hervorgehoben  werden,  dass  der  ganze  Complex  der 
Anctoritates  in  verwandtschaftlicher  Weise  mit  zwei  ander- 
weitigen Zweigen  von  Schriften  zusammenhängt.  Vorerst 
nemlich  ist  es  die  Literatur  der  damals  sogenannten  Pro- 
blemata  ( —  oder  wie  die  Schreibweise  häufig  lautete,  ,,Pro- 
bleumata*')  Aristotelis,  welche  ja  auch  in  obigem  Drucke 
E,  1  eine  Aufnahme  unmittelbar  neben  den  Dicta  notabilia 
gefunden  hatten.  Und  in  der  That  war  diess  nicht  eine 
bloss  äusserliche  Zusammengehörigkrit,  sondern  diese  Pro- 
blemata  bildeten  wirklich  eine  Ergänzung  der  üblichen 
„Auctoritates^S  insoferne  jenes  eigenthümliche  Sammelwerk, 
welches  unter  dem  Titel  „Problemata'^  in  den  aristotelischen 
Schriften  enthalten  ist,  durchaus  nie  zu  den  Sammlungen 
der  Auctoritäts-Stellen  benützt  worden  war.  Aber  diese 
aus  dem  Alterthume  überlieferten  Probleme  des  Aristoteles 
waren  nur  die  äussere  Veranlassung  der  sog.  „Problenmata 
Aristotelis'',  und  diese  letzteren,  welche  in  der  Incunabel- 
Zeit  und  den  nächstfolgenden  Jahrzehenten  äusserst  häufig 
gedruckt  wurden  (•—  mir  kamen  34  Drucke,  darunter  4 
deutsche  Uebersetzungen,  vor  — ),  sind  Nichts  weniger,  als 
etwa  Ausgaben  der  aristotelischen  Probleme,  sondern  es 
sind  Fragen,  deren  wohl  sehr  viele  dorther  entnommen 
werden  konnten,  aber  deren  wieder  ein  grosser  anderer 
Theil  aus  anderweitigen  naturwissenschaftlichen  Schriften 
des  Aristoteles  geschöpft  ist.  Und  die  Beantwortung  dieser 
Fragen,  welche  zuweilen  aus  Aristoteles  selbst,  aber  häufiger 
aus.  Avicenna ,  Averroes,  Galenus,  einige  Male  auch  ans 
Albertus  Magnus  entlehnt  ist,  zeigt  uns  deutlich,  dass  diese 
ganze  Ergänzung  der  Anctoritates  von  der  damaligen  medi- 


PranÜ:  LUeratur  der  ^uetarüate^'.  187 

cmischen  Wissenschaft  ausgieng.  Aber  eine  erklärliche  Rüok- 
anknüpfiiDg  an  die  Richtung  der  Auctoritates  erkennen  wir 
darin,  dass  in  einem  Theile  dieser  Ausgaben  der  Probleu- 
nata  die  oben  erwähnte  Abhandlung  de  Aristotelis  vita  et 
noribus  ans  den  Kölner-Drucken  in  metrischer  Bearbeitung 
Aufiaahme  fand  und  hinwiderum  in  mehreren  anderen  Aus- 
gaben die  Problemata  des  Marcus  Antonius  Zimara  nebst 
der  Yon  eben  demselben  veranstalteten  Sammlung  von  300 
SSAz&L  des  Aristoteles  und  des  Averroes  beigefügt  wurden. 

Ein  zweiter  Zweig  aber,  mit  welchem  im  damaligen 
Schulbetriebe  die  „Auctoritates''  zusammenhiengen,  war  die 
höchst  ausgedehnte  Literatur  der  sog.  Thesen.  Und  sowie 
die  oben  erwähnten  Drucke  A,  8,  10  und  11,  welche  auf 
dem  Titelblatte  das  bekannte  Jesuiten-Zeichen  tragen,  un-  , 
mittelbar  an  die  Axiomata  eine  lange  Reihe  von  Thesen 
anknüpfen,  welche  seit  1592  in  verschiedenen  Jesuiten- 
Schulen  verhandelt  worden  waren  (— Theses  disputatae — ), 
60  treffen  wir  in  der  That  fast  eine  Unzahl  von  Thesen- 
Drucken,  welche  bald  Proposita,  bald  Assertiones,  bald 
Positiones  betitelt  sind,  und  disputable  Sätze  aus  aristoteli- 
scher Logik,  Physik  und  Ethik  in  näherem  oder  entfern- 
terem Ansdilusse  an  die  üblichen  „Auctoritates"  enthalten. 
Dass  diese  Praxis  der  Schul-Disputationen  sich  allmälig  in 
abgeschwächter  Form  zu  den  noch  jetzt  üblichen  Promo- 
tions-Thesen umgestaltete,  ist  ebenso  selbstverständb'ch,  als 
dass  auch  die  protestantischen  Universitäten,  welche  als 
Universitäten  überhaupt  den  Scholasticismus  der  Vorzeit 
nur  in  das  Protestantische  übersetzten,  an  dieser  formellen 
Tradition  sich  reichlich  betheiligten.  Hingegen  ein  tieferer 
culturgeschichtlicher  Faden  liegt  darin,  dass  der  Standpunkt 
der  Jesuiten,  aus  deren  Schulen  im  16.  und  17.  Jahrb.  bei 
weitem  die  grössere  Zahl  der  Thesen-Literatur  hervorgieng, 
im  Allgemeinen  nur  eine  getreue  Fortsetzung  des  Thomis- 
mos    (d.  h.  der  Dominikaner)   war.    Und    diese  Erwägung 


188         SiUmg  der  phOaa.'phüdl.  Clasae  vom  6.  Juli  1867, 

mag  uns  den  Uebergang  zu  einigen  inhaltlichen  Betradii- 
ungen  machen,  welche  dem  Leser  der  Literatur  der  ,,Aac- 
toritates^'  sich  aufdrängen. 

Insofeme  nemlich  in  dem  Paris-Kölner  und  dem  ober- 
italienischen Thomismus,  welch  letzterer  in  manchen  Ponk- 
ten  auch  mit  dem  Ayerroismus  einen  ziemlich  unyorsichtigen 
Frieden  eingieng,  der  inhaltliche  Grundton  der  sämmtlichen 
Auctoritates-Literatur  liegt,  kann  dieselbe  einen  kleinen 
Beitrag  zur  Kenntniss  der  Renaissance-Zeit  und  desI6.  Jahr- 
hundertes,  d.  b.  überhaupt  einer  Periode  liefern,  deren 
Detail-Erforschung  bezüglich  der  Philosophie  immerhin  nodi 
als  eine  der  Wissenschaft  erst  obliegende  Aufgabe  bezeich- 
net werden  darf.  Denn  sowie  man  bisher  in  der  Geschidite 
der  Philosophie  selbst  bei  ausführlicherer  Darstellung  den 
Uebergang  von  Occam  oder  etwa  auch  von  Johannes  Gerson 
und  Raimund  von  Sabunde  bis  zu  Baco  t.  Verulam  und 
Descartes  etwas  allzu  rasch  zu  bewerkstelligen  pflegt,  und 
auch  nur  sehr  wenige  Monographien  über  einzelne  der  da- 
zwischen liegenden  zahlreichen  Mittel-Formationen  verfasst 
wurden,  so  liegen  überhaupt  noch  (— ohne  Uebertreibung — ) 
Hunderte  yon  Drucken  aus  jener  Zeit  yor,  welche  wohl  ein 
lautes  Zeugniss  über  den  damaligen  eigenthümlidien  Zu- 
stand der  Philosophie  ablegen,  aber  bis  jetzt  für  die  ge- 
schichtliche Wissenschaft  noch  nicht  benützt  wurden.  Einen 
grossen  Theil  derselben  wird  allerdings  die  Geschichte  der 
Logik  noch  verwerthen  müssen,  aber  indem  dieselbe  die 
Gränzen  ihres  speziellen  Gegenstandes  nicht  überschreiten 
darf,  kann  sie  gewissermassen  nur  eine  Probe  oder  eine 
Anreizung  zur  Behandlung  des  übrigen  Restes  darbieten. 
Ein  unscheinbarer  Nebenpunkt  aber,  welcher  in  seiner  be- 
schränkten Weise  sich  auf  die  ganze  Philosophie  (d.  h.  auf 
Logik,  Metaphysik,  Physik,  Psychologie,  Ethik,  Politik)  er- 
gtreckt, beruht  in  der  Literatur  der  Auctoritates. 

Im  scholastischen  Mittelalter  war  theologisirende  Schul-. 


PranÜ:  Literatur  der  ..Äudaritates".  189 

Phflosophie  die  einzige  Existenzweise  der  Philosophie  über- 
haupt. Diess  änderte  sich  hernach,  insofeme  von  dem 
wiedererwachenden  AHerthume  und  von  Mathematik  und 
Naturstadium  her  in  freierer  Strömung  eine  anderartige 
2eit*I1iiIosophie  danebentrat;  aber  die  Aenderung  bestand 
nicht  darin,  dass  etwa,  wie  man  gemeinigh'ch  anzunehmen 
scheint,  seit  dem  Anfange  des  16.  Jahrhunderts  die  Scho- 
lastik zu  Grabe  getragen  sei  (oder,  wie  eine  beliebte  Phrase 
laatet,  dass  der  Tübinger  Oabriel  Biel  der  letzte  Schola- 
stiker gewesen  sei).  Den  besseren  Theil  hatten  in  jener 
denkwürdigen  Periode  der  Renaissance  jedenfalls  die  Hu- 
manisten erwählt,  aber  sie  übten  vorerst  keinen  unmittel- 
baren Einfluss  auf  die  Zeit-Philosophie  aus,  geschweige 
denn  überhaupt  irgend  einen  Einfluss  auf  die  Schul-Philo- 
sophie;  and  auch  die  platonische  Akademie  der  Mediceer 
brachte  in  der  Tradition  des  philosophischen  Schulunter- 
richtes noch  weit  weniger  eine  Aenderung  hervor,  als  ehe- 
dem das  analoge  Unternehmen  des  Julianus  Apostata.  Andrer- 
seits war  in  Naturkunde  und  insbesondere  Arzneiwissenschaft 
b^eits  während  der  scholastischen  Periode  neben  Avicenna 
auch  Galenus  getreten,  und  die  Renaissance  fügte  sofort 
die  Werke  des  Hippokrates  hinzu  (allerdings  vorerst  in 
laternischer  Uebersetzung  und  erst  3 — 4  Jahrzehente  später 
im  griechischen  Originale),  so  dass  in  der  That  eine  Reihe 
reformatorischer  Bestrebungen  in  der  Philosophie  auf  Chemie 
und  hippokiatische  Humoral  -  Theorie  zurückweist.  Aber 
wahrend  es  häufig  Unser  Staunen  erregt,  mit  welch  aus- 
gedehnter medizinischer  Belesenheit  im  16.  Jahrhundert 
z.  B.  die  psychologischen  Fragen  von  Averroisten  und  Anti- 
Averroisten ,  von  Nicht- Aristotelikern  und  auch  einigen  Ari- 
stotelikem  besprochen  wurden,  so  erfuhren  alle  dergleichen 
Grundsätze  und  Meinungen,  welche  sich  von  den  aristoteli- 
schen vier  Elementen  abwendeten  und  neue  physikalische 
Kategorien-Tafeln  oder  anderweitige  Grund-Elemente  auf- 
[1867.n.2.J  13 


190        Sitzung  der  phüos.-phüöl.  Classe  rom  6.  Juli  1867. 

zastellen  versuchten,  seitens  der  Schul-Philosophie   nur  eine 
gänzliche  und  principielle  Nichtbeachtung. 

Die  Katheder-Philosophie  war  nun  nicht  mehr,  wie  im 
Mittelalter,  zugleich  die  Zeitphilosophie,  und  die  Inhaber 
der  philosophischen  Lehrstühle  waren  nicht  die  Träger  des 
allmäligen  Fortschrittes  der  Philosophie,  sondern  nar  die 
Vertreter  ein^r  älteren  und  bereits  stagnirenden  Tradition. 
Und  indem  sich  der  fortschreitende  Aufschwung  der  Philo- 
sophie gerade  ausserhalb  der  Hörsäle  in  individuell  gefarb- 
ten  schriftlichen  Schöpfungen  vollzog,  erklärt  sich  sowohl 
die  Polemik  der  erwachenden  Selbstständigkeit  gegen  den 
Schul-Schlendrian  als  auch  die  Verfolgungswuth  der  Ka- 
theder-Philosophen gegen  die  kiihnen  Neuerer.  Was  der 
studirenden  Jugend,  welcher  z.  B.  auch  Plato  verschlossen 
blieb,  als  philosophischer  Unterricht  dargeboten  wurde,  be- 
stand immerfort  noch  entweder  in  thomistischem  oder  in 
scotistischem  Aristotelismus  oder  in  sonstigen  geistlosen  £x- 
cerpten  aus  Aristoteles  auf  Grundlage  der  verschiedenen 
sog.  Parvuli  (Parvulus  philosophiae  naturalis,  Parvulus  phi- 
losophiae  moralis).  Und  solch  magere  und  verschrobene 
aristotelische  Tradition  schleppte  sich  an  den  protestanti- 
schen Universitäten  ebenso  sehr  wie  an  den  katholischen  fort, 
während  und  nachdem  bereits  Baco,  Descartes,  Spinoza  und 
Leibniz  in  der  Literatur  aufgetreten  waren;  nur  in  Frank- 
reich fand  der  halbaugustinische  Cartesianismus  eine  Auf- 
nahme in  den  Hörsälen  und  Schulbüchern  der  Philosophio 
bis  weit  über  Port-Royal  hinab.  In  Deutschland  aber  war 
erst  seit  Wolff  der  Fortschritt  der  Philosophie  selbst  an  die 
Universitäts-Lehrstühle  geknüpft,  und  jene  nemliche  Zeit 
war  es  auch,  in  welcher  erst  eine  gründlichere  Beseitigung 
der  Scholastik  eintrat. 

Aber  eben  zu  jener  nach  dem  angeblichen  Tode  der 
Scholastik  noch  lange  fortlebenden  Scholastik  gehört  auch 
die  Literatur  der  Auetoritates.     Bedenkt  man,  dass  damals 


Pranü:  LiUra^r  der  „Äucioritatea^.  191 

nicht  das  geschichtliche  Interesse  der  Forschang  der  Be- 
stimmungsgruBd  war,  Etwas  durch  den  Druck  zu  yer- 
Tieifaltigen ,  sondern  dass  man  eben  druckte,  was  irgend- 
wie im  Gebrauch  war,  so  trifft  mit  der  langen  Daner 
der  Zeit,  in  welcher  „Auctoritates^'  gedruckt  wurden,  eine 
ebenso  lai^e  fortgesetzte  praktische  Benützung  derselben 
zusammen,  und  wir  werden  sicher  keinen  Fehlschluss 
machen,  wenn  wir  annehmen,  dass  auch  bereits  längere 
Zeit  vor  der  Praxis  der  Buchdruckerkunst  Aehnliches  hand- 
sdiriftlich  in  Umlauf  war.  Im  Gebrauche  aber  war  diese 
Literatur  bei  den  thomistischen  Prädikanten  sowohl  zum 
Behelfe  der  Prediger  als  auch  zur  philosophischen  Dressur 
der  Studirenden,  wie  diess  in  der  Vorrede  der  nicht-alpha- 
betischen Sammlungen    deutlich    ausgesprochen  wird:     „In- 

cipit  prologus  compendii  auctoritalum pro  usu  intro- 

ductionis  thematum  ipsorum  praedicatorum  ad  populum 
simul  ac  in  artibus  studere  yolentium.  Cum  enim  aristote- 
licae  sententiae  tarn  ad  populum  praedicanti  (an  einer 
anderen  Stelle  wird  hiefur  auch  das  Wort  arenga  gebraucht) 
quam  in  artibus  studenti  non  modicum  fulgontioris  cogni- 
tionis  cuiuslibet  scientiae  praebeant  robur  et  fulcimen,  ideo 
in  praesentiarum  pro  magistralibus  brevibusque  sermonum 
introdactionibus*-  etc.  etc.  (d.  h.  der  Satz  ist  ein  in  allen 
in  Deutschland  erschienenen  Drucken  gleichlautendes  Ana- 
koluth).  Reichen  sidi  so  der  homiletische  und  der  Schul- 
Zweck  gegenseitig  die  Hand  (s.  z.  B.  die  Verbindung  des 
Predigt-Stiles  und  der  Logik  bei  Antonius  Andreas;  m. 
Gesch.d.  Log.Bd.III,S.  277),  so  verhielt  sich  inhaltlich  diese 
ganze  Richtung  aus  Grundsatz  spröd  gegen  die  Renaissance 
und  deren  Wirkung  auf  die  Philosophie.  Denn  wenn  auch 
einige  rhetorische  „purpurei  panni**  aus  anderen  classischen 
Autoren  allmälig  in  diese  Schul-Literatur  Eingang  gefunden 
(z.  B.  die  allbekannten  horazischen  Worte  „ampullae"  und 
„sesquipedalia  verba")«    ^o  springt  in   philosophischer  Be- 

13* 


192        SiUung  der  phOos^is^Ulcl  Clam  vom  6.  JM  1867. 

Ziehung  vor  Allem  die  grundsätzliche  NiohtberüoksichtigttBg 
der  Schriften  PIato'8  in  die  Augen.  Indem  die  Auctoritäts- 
Stellen  aus  dem  Timäus  (d.  h*  aus  Ghaloidias)  hiegegen 
wahrlich  keinen  Einwand  liefern,  da  ja  bekanntlichst  die 
Uebersetzung  des  Chalcidius  dem  Mittelalter  vom  ersten 
Anfang  an  bekannt  war,  so  verbleiben  die  „Auctoritates" 
bezüglich  Plato's  gerade  vollends  bei  der  mittelalterlidien 
Tradition,  obwohl  die  platonische  Dialoge  bereits  seit  1483 
in  der  lateinischen  Uebersetzung  des  Marsilius  Ficinus  ge- 
druckt vorlagen  (Drucke  des  griechischen  Original-Textes 
erschienen  erst  30  Jahre  später),  und  obwohl  in  sdir  be- 
nachbarter Nähe  der  venetianischen  und  der  bologneser 
Druckereien  die  platonische  Akademie  der  Mediceer  eine 
reichhaltige^  und  fast  erschütternde  Bewegung  in  der  Philo- 
sophie hervorgerufen  hatte.  Diese  thomistischen  Prädicanten 
wiederholten  unbeirrt  nur  dasjenige,  was  seit  dem  Einfluss 
der  Araber  die  Majorität  des  ganzen  Mittelalters  stets  ge- 
than  hatte;  denn  alle  thomistischen  und  halb-thomistischen, 
sowie  alle  scotisüsohen  und  halb-scotistischen  Aristoteliker 
stimmten  in  logischer  Verwerfung  der  platonischen  Ideen- 
Lehre  überein  (s.  m.  Gesch.  d.  Log.  Bd.  III,  S.  125,  236, 
240,  249,  292  f.,  309,  316  ff.,  325,  358).  Auch  wurde  ja 
als  brauchbare  Beisteuer  zur  antiplatonischen  Tendenz  dem 
Kölner  Buchdrucker  Quentel  von  irgend  Jemandem  jene 
oben  erwähnte  „Explosio  Platonis^'  aus  Firmianus  (d.  h. 
Lactantius)  zur  Verfügung  gestellt,  in  welcher  die  platonische 
Ehe-  und  Kindergemeinschaft  vom  christlichen  Standpunkte 
aus  verurtheilt  ist.. 

Indem  man  somit  in  den  „Auctoritates^'  die  platonische 
Philosophie  überhaupt  grundsätzlich  ignorirte,  schöpfte  man 
nicht  einmal  die  vier  Gardinal-Tugenden  aus  der  ursprüng- 
lichen Quelle ,  sondern  merkwürdiger  Weise  ans  jenen  apo- 
kryphen Briefen  an-  den  Apostel  Paulus,  welche  im  ganzen 
Mittelalter  schon    seit  Johannes  von  Salesbury  für  ein  Er- 


Pirantl:  LUeraHar  der  „Auct^iaiet^.  193 

zeogniss  des  Seneca  gehalten  wurden.  Nemlich  während 
man  die  Lehre  von  den  Gardinal-Tugenden  natürlich  ans 
Angostinas  hätte  entnehmen  können,  welcher  bekanntlich  der 
Uriieber  dieser  christlichen  Wendung  der  platonischen  Ethik 
war,  scheint  m^n  die  Auetoritat  eines  „Philosophen '^  der- 
jenigen eines  Kirchenvaters  vorgezogen  zu  haben  und  so 
mochte  sich  neben  Boethius,  welcher  gleichfalls  als  Christ 
uod  als  Verfasser  der  Schrift  De  trinitate  galt,  ganz  be- 
sonders der  vermeintliche  Christ  Seneca  empfehlen,  auf 
dessen  übrige  Schriften  von  den  Pseudonymen  Büchern  her, 
deren  wirklicher  Verfasser  wahrscheinlich  der  Portugiese 
Martinas  von  Braga  im  6.  Jahrhundert  war,  der  christliche 
Nimbus  übertragen  wurde.  Wenn  somit  die  Beiziehung  des 
Seneca  hei  oberflächlichem  ersten  Blicke  wie  eine  Ausnahme 
von  der  Verschmähung  der  Renaissance  erscheint,  so  klärt 
sich  die  Sache  durch  die  im  Mittelalter  über  Seneca  all- 
gemein verbreitete  Meinung  völlig  auf,  und  wir  dürfen  mit 
Entschiedenheit  behaupten,  dass  die  Vertreter  der  Aue- 
toritates-Literatur  von  den  vorhergegangenen  und  gleich- 
zeitigen Strömungen  der  Renaissance  überhaupt  schlechter- 
dings Nichts  wissen  wollten.  Und  sowie  unter  allen  Drucken 
nur  der  einzige  jüngste  Venetianer  (E,  5  aus  d.  J.  1551)  es 
ist,  in  welchem  den  üblichen  aristotelischen  Auctoritäts- 
Stellen  einige  Bruchstücke  aus  Plato  unter  dem  Titel  „6em- 
mae  Platonis*'  vorangeschickt  sind,  so  müssen  wir  beachten, 
dass,  wie  oben  erwähnt,  in  anderen  Drucken  das  sichtliche 
Bestreben  obwaltete,  auch  den  platonischen  Timäus  und  den 
Boethius  sowie  den  Seneca  u.  s.  f.  zu  entfernen  und  so  das 
reine  Fahrwasser  des  scholastischen  Aristotelismus  zu  ge- 
winnen. 

Während  aber  die.  früheren  Scholastiker  in  den  Werken 
des  Aristoteles,  welche  sie  auch  grossentheils  mit  einläss- 
lichen  Commentaren  versahen,  wirklich  selbst  belesen  waren, 
(-—  mag  man  von  der  Art  und  Weise,  wie  sie  lasen,  denken 


194       Sitzung  äer  phüos^-phüol  Gasse  v<m  6.  Jult  1867. 

was  man  wolle  — ),  bo  sind  die  Drucke  der  „Auctoritates", 
vrenn  auch  die  Eine  Classe  derselben  aus  selbsteigener  Lee- 
tttre  herrorg^angen  war,  doch  nur  darauf  berechnet,  dass 
der  Leser  sich  nicht  mehr  der  Mühe  zu  unterziehen  braudie, 
den  Aristoteles  selbst  zur  Hand  zu  nehmen,  und  es  ge- 
staltet sich  die  im  Mittelalter  überhaupt  eingebürgeite  Ab- 
hängigkeit von  vorliegender  Ueberlieferung  hie/  formlich  zu 
einem  Auctoritäts*Schwiudel,  welcher  namentlich  im  Unter- 
richte der  Jugend  bezüglich  eines  jeden  geistigen  Auf- 
schwungesy  geschweige  denn  eines  Fortschrittes,  nur  lähmend 
und  niederdrückend  wirken  konnte. 

Und  hiemit  hängt  zusammen,  dass  die  „Auctoritates" 
in  manchen  Punkten  nur  eine  stagnirende  Tradition  jener 
Unwissenheit  und  Halb-Barbarei  waren,  welche  bei  Albertus 
Magnus  noch  verzeihlich  war,  aber  in  den  Jahrzehenteu  der 
Renaissance  keine  Entschuldigung  mehr  erwarten  darf.  So 
wenn  wir  in    der  Einleitung  über  Aristoteles  lesen:     „Eins 

ortus  primum  carpsit  huius  vitae  auras in  straguma, 

civitate  traciae, fuit  autem  filius  nicholneti    (an  einer 

anderen  Stelle  „nichometi  vel  anthomaci")  et  festiae,  qni 
ab    esculapio   descenderunt'' ,     oder    in    dem    Epiloge    des 

Ganzen :  „Philippus mittit  Alexandrum  grammatice  turic 

loquentem  certis  cum  oratoribus  Athenas  ad  Lyceum  in 
asianum  gymnasium  enizius  mandato  regis  Aristoteli  suppli- 
cantibus,  ut  suam  philosophiam  in  hoc  adolescente  dignare- 
tur  experimento  comprobare'S    oder  ebendaselbst:    „In  re- 

gionem    secessit  Euboicam, ubi  ....  in  urbe  Galchidc 

peripatum  instituens  reliquum  vitae  in  optimo  mentis 

vigore  gloriose  transegit,  in  quo  exilio  rerum  naturae  con« 
templationem    transcendens    stupendum    opus    Metaphysicen 

usque    ad  duodecim    libros    absolvit*\    Aehnlich  über 

Plato  als  Einleitung  zu  den  Stollen  aus  dem  Timäus^  ),Fuit 

autem  Plato  dvis  Atheniensis patre  ariston  de  genere 

neptuni,  matre  pardon  de  genere  sapieotissimi  Salomonis*\ 


l^'ünü'  lAteratur  der  ^^Auetoritatea'*.  195 

Aosserdem  sind  neb^  häufiger  NachläBsigkeit  der  Ci- 
tate  (z.  B.  die  allbekannte  Stelle  aus  An.  post.  I  „Gaü- 
deaut  universalia,  quae,  ei  sunt,  monstra  sunt''  wird  dem 
Porphyrios  zugeschrieben)  in  manchen  Drucken  einzehie 
AactoritätS'Stellen  durch  so  grobe  Druckfehler  entstellt,  dass 
mancher  Prädicant  und  mancher  Student  hierüber  in  die 
grössten  Verlegenheiten  gerathen  konnte.  Z.  B.  aus  Me- 
taph.  V :  Aliqua  (statt  Aqua)  est  materia  omnium  liquefacti- 
biliam;  ausD.  vita  et  m. :  Animalia  respirantur  (statt  suffo- 
cantur)  in  humido;  aus  Polit.  VII:  Bonum  est,  pueros  esse 
sine  vitio  (statt  yino);  aus  Polit.  I:  Consilium  muliemm 
est  invalidum,  pium  (statt  pueri)  autem  imperfectum;.  ebend.: 
Desiderium  dubium  (statt  divitiarum)  vadit  in  infinitum; 
ans  Metaph.  XII:  Entia  volunt  (statt  nolunt)  male  disponi; 
ans  Polit.  V:  Magnae  civitates  sunt  plus  (statt  plus  sedi- 
tiosae),  quam  paryae,  aus  Phys.  ausc.  I:  Quod  uon  (statt 
Tere)  est,  nulli  accidit;  aus  Apul.  d.  deoSocr. :  Gonversatio 
mutua  (statt  perpetua)  contemptum  parit;  u.  dgl.  m. 

Aber  auch  wenn  man  auf  solche  Dinge  als  auf  Zu- 
falUgkeiten  kein  Gewicht  legen  will,  so  ist  hingegen  von 
grösserem  Belange,  dass  der  Inhali  überhaupt  in  specula- 
ti?er  Beziehung  eine  bedauerliche  Schwäche  zeigt,  und  dass 
aus  einer  Jugend,  welcher  solche  Nahrung  des  Geistes  ge- 
boten wurde,  wahrscheinlich  keine  klaren  Denker  heryor- 
gehen  konnten.  Jene  thomistische  Denkweise ,  welche  so 
treffh'ch  darauf  eingerichtet  war^  Kamele  zu  yerschlucken 
und  Mucken  zu  seihen ,  blickt  in  den  „Auctoritates  ^  bei 
jeder  Gelegenheit  durch,  da  ja  die  unnatürliche  Verbindung 
des  Aristotelismus  und  der  Principien  des  Christenthumes 
in  den  Thomisten-Schulen  überhaupt  einmal  zur  süssen  Ge- 
wohnheit geworden  war.  Es  ist  nur  der  scholastisch  (oder 
auch  jesuitisch)  yerstandene  Aristotelismus ,  welchen  jene 
Leute  für  eine  „vegeta  solidaque  philosophia"  hielten,  ver- 
möge deren  man  sich   „yel   contra  Socratem  nihil  scientem 


196       Sitzung  der  phüas.-philas,  Claeee  um  $.  Juli  1867, 

• 
yel  Platonem  enygroata  cudeotem    aut  Thaletem  igniTomum 

aut  Democritam    atomis  ärcumfusuiu    et    item    omnigenaB 

philosophorum    hereses undeqaaque  contegere  et  vin- 

dicare^'    könne    (so  im    Epilog).     Und   wenn   sonach   jede 

andere  Phflosophie  als  Häresie  galt,  so  erschien  Aristoteles 

als  jener  Philosoph,  „qui  unum  deum,    qui  e&tium  uniTersi- 

tati  ut  autor  et  custos  sempiternae  vigiliae  praeesse,  ratione 

docere  tentaret",   woran  dann  folgende  Erzählung  geknüpft 

wird:  ,|Tanta  eiu»  philosophia  paucis  labentibus  annis  cepit 

auctoritate   complecti,   quod  Athenienses    ex  ea  BufBoienter 

persuasi  in  honorem  unius  dei,  quem  ignotum  appellitabant, 

statuam  publice  erigerent ;    quam   cum  ....  Paulas  Christi 

apostolud    coram    gentibus    nomen    dei  portaturus   Athenis 

offenderet,  illum  esse  diebus  suis  pro  salute  humani  generis 

natum  et  crudfixum illi  populo  gentili  ealubriter  ex- 

ponebat'^  (ebend.).    Bei  solch  letzterer  Anmdit  ist  es  dann 

nicht  zu  wundern,  wenn  femer  gesagt  wird:    „In  dubium  a 

nonnulis  est  quandoque  revocatum,    an  Aristoteles  de  factu 

fuerit    in    statu    salutis    vel    damnationis    aetemae 

Quod   autem  Aristoteles  poterat  sub  lege   naturae  salutem 

aetemae  beatitudinis  consequi,  non  yidetur  probatu  diffi- 

eile,  si  modo   advertamus,    deum   pro    omni  tempore  suffi* 

cienter  generi  humano  de  illo,  quod  ei  maxim«  uecessarium 

erat, providisse ; et  Paulus  vas  electionis  Timothei 

secundo  daniat:   Deus  vult,    omnes  homines  salvos  fieri  et 

ad  cognitioaem  veritatis,  i.  e.  dei,  pervenire  .....  Hie  vera 

philosophus  vitam  suain  a  teneris  unguiculis    ad   sapremam 

usqne  diem  pro  ea  re  et  cognitione  veri    et  boni  electione 

flagrans    inelFabili    studio    consumpsit.     Taceo     opprobria, 

quae  pro  unius  dei  cultu  accepit,  taceo  exilium,    quod  pro 

eodem  tarn  fortiter  pertulit,    taceo  frequentOB  elehemosjmae 

usque  ad  sui  inopiam  indigentibus  erogatas,    taceo  item  tot 

gentes,    tot  nrbes,    quas  vel  ab  excidio  sua  sapientia  prae- 

senravit   vei    disiectas    et  prostratas  ....  restituit  ....  Nee 


TroM:  Literatm  der  „Äitetoritate^'.  197 

obstat,  81  qoippiam  eab  lege  scripserit  natorae,    quod  fidea 

non  habet  orthodoxa Gentes  riquidem,    ut   vas  elco- 

tionis  Paulus  ad  Romanos  capite  secundo  testis  est,  noB 
habentes  legem  naturaliter  ea,  quae  sunt  legis,  faciunt  (diess 
die  bekannte  nentestamentlicbe  Stelle,  weldie  für  die  6e- 
scbidite  der  Rechtsphilosophie  eine  so  gi'osse  Rolle  spielt); 
sie  Aristoteles  ipse  sibi  erat  lex  ostendens  opus  legis,  quam 
m  Gorde  sno  soriptam  habebat. 

Von  diesem  Philosophen  nun,  welcher  in  solcher  Weise 
g^enüber  allen  übrigen  Heiden  mit  einer  schlechthin  unpro- 
portionalen  Milde  behandelt  wird  und  förmlichst  das  theo« 
logisdie  Prädieat  „beatus'*  zugetheilt  erhält  (so  daas  zur 
Heiligsprechong  nur  noch  Ein  Schritt  übrig  war),  nahm  die 
thomistiscbe  Schul-Tradition  in  unbeschreiblicher  Naivet&t 
auch  Grundsätze  auf,  welche  der  dbristlichen  Theologie  ge- 
radezu widerspredxen ;  und  ans  den  „Auctoritates^^  lässt  sich 
eine  ziemlidhe  Blumenlese  von  Stellen  erholen,  welche  entr 
weder  in  ihrem  Wortlaute  oder  in  ihren  Gonsequenzen 
nothwendig  zum  Schdterhaufen  hätten  führen  müssen.  So 
z.  B.,  um  nur  Einiges  anzuführen,  die  oft  wiederholte  Be- 
hauptung betrefis  der  Ewigkeit  der  Welt,  nemlich:  MunHus 
est  aetemus  (Phys.  ausc.  VlII.) ,  Goelum  est  ingenerabüe 
et  incorruplibile  (D.  coel.  I),  Non  est  tiinendum,  quod  coe^ 
lom  stet.  i.  e.  a  motu  quiescat  (Metaph.  IX),  Motus  coeli 
est  aetemus  (Meta|A.  XI  u.  Averr.  Comm.  D.  gen.  et 
eorr.  U),  stellaitim  natura  est  aetema  (Metaph.  XI),  oder 
der  entschiedene  Grundsatz,  dass  aus  Nichts  Nichts  wird: 
Ex  nihilo  nihil  fit  (Phys.  ausc.  I  und  D.  gen.  et  corr.  I) 
Impossibile  est,  aliquid  fieri  ex  non  ente  (Metaph.  III),  oder 
die  Hinweisung  auf  ^en  bekannten  tief-philosophischen  Aus- 
sprach Homo  generat  hominem  (z.  B.  Phys.  ausc.  II),  in 
welchem  das  Princip  des  Generatianisiuus  verkündet  ist, 
oder  die  aristotelische  Definition  der  Seele:  Anima  est 
actus  corporis  organici  physici  (D.  an.  II),  sogar  unter  Be- 


198        Sitzung  der  phil08.-phM.  Glosse  vom  6,  Jidi  1867, 

nfitzuiig  der  Stelle:  Anima  est  UQum  entium  nataralium 
rerum  (D.  an.  III),  oder  der  ebenso  acht  antike  als  anti- 
christliche  Grandsatz  Impossibile  est,  indigentem  operari 
bona  (EtL  Nie.  I). 

Nun  lag  allerdings  dariii,  dass  dergleichen  Satze  als 
Auctoritäts-Stellen  gedruckt  wurden,  nicht  etwa  gleichsam 
eine  kirchliche  Approbation  derselben,  sondern  man  war 
eben  in  Folge  der  Auctoritäts-Sucht  und  der  so  lange  dau- 
ernden Geltung  des  Spruches  „Ne  quid  adversus  Aristotc- 
lem'^  gegen  Aristoteles  unverhältnissmässig  nachsiditiger 
als  gegen  jeden  anderen  Philosophen.  Aber  solche  Halbheit 
war  dem  Mittelalter  überhaupt  eigenthümlich ,  bis  gegen 
Ende  desselben  Occam  (nicht  ohne  Anknüpfungspunkte  an 
Duns  Scotus)  mit  aller  Entschiedenheit  den  Aristotelismns 
neben  der  von  ihm  getrennte^  Dogmatik  hinstellte.  Jedoch 
Occam's  Lehre  wurde  aus  manchen,  hauptsächlich  politisdieD 
Gründen  von  der  Kirche  verdammt,  und  die  scholastische 
Halbheit  gewann  in  den  Schulen  auf  lange  Zeit  wied^ 
festen  Boden  und  conseiTirte  sich  von  Generation  zu  Ge- 
neration, so  dass  aus  derlei  Schulen  und  Universitäten  dei 
Geist  der  Neuzeit  nicht  hervorgieng,  sondern  der  Renaissance 
und  den  Naturwissenschaften  die  Aufgabe  der  Umbildung 
vorbehalten  blieb. 

Aber  eben  jenem  noch  lange  sich  fortspinnenden  Tho- 
uiismus  der  Schul-Philosophie  dienten  die  „Auctoritates'S 
welche  somit  wahrlich  kein  erfreuliches  Bild,  aber  einen 
Beitrag  zur  geistigen  Culturgeschichte  des  15.  und  16.  Jahr- 
bundertes  darbieten. 


JBo/ifiaim;  Zum  oUroman.  Leiden  Chrieti.  199 


Herr  Hofmann  giebt  Bemerkungen: 

1)  „Zum  altromanischen  Leiden  Christi    und 
zum  Leodegar*'. 

Die  hohe  Anerkennung,  welche  der  Gründer  und  Meister 
der  romanischen  Philologie  jüngst  (im  Jahrbuche  für 
romanische  und  englische  Literatur)  meinem  vor  12 
Jahren  in  den  Gelehrten  Anzeigen  unserer  Akademie  er- 
schienenen Versudie  zu  Theil  werden  Hess,  ermuthigt  mich, 
einen  Nachtrag  zu  yeröffentlichen,  die  Frudit  wiederholter 
Bebchäftigung  in  meinen  kritisch-exegetischen  CoUegien  über 
altromanische  Sprache  und  Literatur.  Da  Diez  den  grössten 
Tbdl  meiner  Gonjeoturen  gebilligt  hat,  so  bleibt  mir  nur 
noch  eine  Nachlese^  die  sich  freilich  meist  auf  die  schwierig- 
sten Stellen  bezieht,  und  daher  mit  um  so  grösserer  Nach- 
sidit  aufgenommen  zu  werden  wünscht. 

Leiden  Christi. 

Str.  19^1  1.  lo  880  tälantf  nach  der  gewöhnlichen  Vei*- 
dopplui^  des  anlautenden  Consonanten  zwischen  zwei  Vocalen 
verschiedener  Wörter. 

Str.  24  glaube  ich  dem  Sinne  entsprechender  umsetzen 
za  dürfen 

que  faire  cove  a  trestoz 
per  remembrar  sa  passiun. 

Str.  33,3  lies  Judas  fiir  Judeus. 

Str.  29,3.  culuned.  Hier  ist  zu  bemerken,  duss  Ede- 
lestand  du  Meril  (Formation  de  la  langue  frauQaise  1852), 
der  die  ersten  18  Strophen  des  Leodegar  mit  den  abweichen- 
den Lesarten  des  Hrn.  Desbonis,  Bibliothekar  von  Glermont- 
Ferrand   mittheilt,    in  der   16^  Stiophe  statt  advuat,    der 


200         Sitgung  der  phüos.-phtld,  Classe  vom  6.  JuH  1867. 

Lesung  des  Hrn.  Valet  de  Viriville,  gleichfalls  adanat  gibt, 
wodurch  die  Lesart  vollends  sicher  gestellt  wird.  Ich  habe 
die  Erklärung  von  Henschel  (aus  idoneare)  angeführt,  bin 
aber  jetzt  ToUkommen  überzeugt,  dass  die  urspriinglidie 
Deutung  von  Diez  (aus  ahd,  sih  einön)  die  allein  richtige 
und  in  jeder  Hinsicht  passende  ist.  Erstens  in  formeller 
Beziehung;  denn  adunare  ist  =  aduner.  Zweitens  für  den 
Sinn;  denn  genau  dieselbe  Bedeutung,  welche  in  unsem 
Stellen  für  s'aduner  passt,  hat  sih  einön  und  gaeinön  in 
mehreren  der  zahlreichen  von  Graff  I,  331  ff.  angeführten 
Belege,  sogar  in  Verbindung  mit  sprechen,  gerade,  wie  in 
unseren  romanischen  Denkmälern,  Leod.  16.  dist  et  adunat 
So  N.  Psalm.  38,2.  ih  chad  in  minemo  herzen,  unde  einoia 
mih  sus.  N.  101,8.  die  emdtan  sih  uuider  mir  jurabant. 
Mart.  geinuH  jurasse.  N.  118,106.  ih  suuör  unde  geeindta 
mih,  Em.  8.  kaeinot  adunat.  Offenbar  ist  aus  dem  Begriffe: 
eine  Vereinigung  beschwören,  die  allgemeinere  Bedeutung 
schworen,  versichern,  hervorgegangen,  die  in  unseren  beiden 
Stellen  so  vorzüglich  passt,  während  P.  Chr.  Str.  43,3  in 
adunovent  das  Wort  in  der  gewöhnlichen  Bedeutung  stdit. 
Es  ist  diess  einer,  der  vielen  Fälle,  wo  germanischer  und 
romanischer  Ausdruck  zusammenstimmen. 

Str.  44,4  fdilt  eine  Sylbe,  deren  Ergänzung  auf  dop- 
pelte Weise  versucht  werden  könnte,  einmal,  indem  man 
netd  (zweis.)  für  nul,  oder  fedre  (fecerat)  für  fdst  setzte; 
dieses  fedre  erscheint  nemlich  in  der  Str.  47,4,  wo  die 
Handschrift  to  hat,  was  ich  in  f  o  trenne  und  fedre,  (nach 
Analogie  von  medre  =  miserat)  als  fecerat  fasse  (nicht  als 
ferit),  also  =  wer  dir  diess  gethan  hat? 

Str.  76,3,4,  lese  und  ergänze  ich: 

öhi  per  humila  (=  humla)  confession 
cdpa  perdones  al  ladmn. 

Dass  in  hum  va  humil  stecken  müsse,  hat  Diez  schon 
gezeigt;  ich  glaube  nun  durch  humila  auch  den  Schriftzügen 


Hofmann:  Zum  aUraman.  Leiden  CkrieH.  201 

TottkommeQ  gerecht  zu  werden  ^  indem  ich  anndune,  dass 
humila  als  hnmna  (hum  ya  des  französischen  Herausgebers) 
verlesen  wurde.  Die  Aussprache  war  natürlich  zweisjlbig^ 
wenn  auch  humila  geschrieben  wurde. 

Str.  83,4.  Es  scheint  durchaus  nicht,  dass  fiir  inl$ 
eine  andere  Besserung  gefunden  werden  könnte,  als  die  von 
Diez  vorgeschlagene  täs^  man  müsste  denn  den  ganzen 
Beim  und  damit  murir  in  der  vorausgehenden  Zeile  ändern 
wollen. 

Str.  86,2  1.  que  lli  dones. 

Str.  88,4  lese  ich  ant  acel  temps  st.  anc  a  cel,  wie 
90,  1  fuc  für  fut  steht. 

Str.  93,0  regnet  poeime  aefena.  Wohl  die  verzweifeltste 
Stelle  des  ganzen  Denkmals.  Was  ich  früher  hingeworfen» 
war  nur  ein  flüchtiger  Einfall,  dem  ich  selbst  nicht  den 
geringsten  Werth  beilegte.  Der  Fehler  muss«  wenn  wir  uns 
aor  an  die  französische  Ausgabe  halten,  in  pocianz  ver- 
muthet  werden;  denn  dieses  hat  ChampolUon*Figeac  mit 
einem  Fragezeichen  versehen,  also  stund  nicht  so  in  der 
Handschrift  oder  es  stund  noch  etwas  dabei,  was  er  nicht 
herausbringen  konnte.  Da  der  Sobluss  des  Verses  fena  = 
fine  auf  audse  reimt,  so  lässt  sich  auch  daraus  schliesseui 
dass  die  fehlenden  zwei  Sjlben  vor  fena  gesucht  werden 
müssen.  Indem  ich  diess  erwäge  und  darauf  ausgehe, 
ohne  Aenderung  eines  einzigen  Buchstaben  den  Vers  zu 
Qganzai,  kann  ich  das  Ausgelassene  nur  in  Abkürzungs* 
zeichen  finden»  die  wieder  um  pocianz  herum  gestanden  haben 
müssen.  Annehmend  also,  dass  in  p  ein  Queerstrichelchen 
unten,  femer  über  dem  i  eines  oben  zu  ergänzen  ist ,  er- 
halte ich  perocmane^  dann  lese  ich  ne  statt  se  und  er- 
halte so: 

r^net  peroc  inane  ne  fina,  d.  h.  (obwohl  Christi  Leib 
getödtet  ist)  sein  Reich  darum  fortan  nicht  endet,  peroc 
(per  hoc)  und  inanz  (in  ante)  werden  kein  Bedenken  findeni 


202       SiUung  der  phiha.-phiM.  ClasBe  vm  6.  Mi  1867. 

ebenso  wenig  die  Aenderung  ne  für  ee.  Die  Weglassong 
des  Artikels  oder  des  Pron.  possess.  yor  regnet  ist  ein  Ar- 
chaismas, den  folgende  Strophen  bestätigen,  7.  prophetes, 
wenn  diess,  wie  ich  vermathe,  der  Singular  ist,  wo  dann 
dasVerbum  in  avie  oder  ayeit  zu  ändern  ist,  31  marrimenz. 
Da  indess  eigentlich  sos  bei  regnet  za  ergänzen  wäre,  so 
liesse  sich,  wenn  man  regnet  (=  sein  Reich)  beanstandet 
und  nicht  annehmen  will,  dass  das  de  lai  der  vorausgehen- 
den Zeile  auch  noch  für  diese  Wirkung  habe,  sehr  einfeich 
SOS  rengs  (Str.  74  en  ton  reng)  setzen.  Was  den  Sinn  der 
Yon  mir  emendirten  Stelle  betrifft,  glaube  ich,  dass  er  mit 
dem  vorausgehenden  Verse  in.  so  nothwendiger  Folge  steht, 
als  diess  nur  bei  einer  Conjectur  gewünscht  werden  kann: 
wiewohl  Christus  getödtet  ist,  so  hört  sein  Reich  darum 
doch  nicht  auf. 

Str.  98,2  8oes  scheint  mir  für  foes  verlesen,  weldies 
offenbar  =  fues  ist,  wie  es  in  78,4  steht  und  dort  schon 
von  Diez  in  ßiret  gebessert  ist.  Auch  an  unserer  Stelle  gibt 
füret  einen  ganz  richtigen  Sinn  und  Vers. 

Str.  105,1.  In  diesem  seinhe  scheint  die  Urform  des 
späteren  französischen  sire  zu  stecken,  nämlich  sinre^  welches 
in  seinhe  bis  auf  das  schliessende  r  provenzalisirt  warde. 

Str.  107,2  lese  ich  fiir  $oi  doi  im  Anschlüsse  an  Lucas, 
24,13. 

Str.  lll,ä,4.  Bei  der  Verwechslung  von  e  und  o,  die 
in  unserem  Stücke  nach  Ausweis  des  Facsimile  sehr  leicht 
vor  sich  gehen  konnte,  glaube  ich,  dass  der  früheste  Vor- 
schlag von  Diez:  sa  passion  peisons.  testat  ganz  unbedent 
lieh  aufgenommen  werden  muss,  so  trefflich  auch  die  Er- 
klärung von  Delius  sonst  für  tostas  passt;  denn  das  Haupt- 
gebrechen  dieser  Strophe,  der  Mangel  des  Verbums  wird 
dadurch  beseitigt.  Ich  gehe  noch  weiter  und  finde  auch 
im  4.  Verae  ein  solcheSi  indem  ich  statt  signa  de  lese  sig- 
nave  =  bezeichnete.  Ein  solches  Imperfectum  kömmt  zwar 


Eofmann:  Zum  dUr<man.  Leidm  CtriaH,  203 

zofilliger  Weise  nicht  in  unserem  Gedichte  yor;  aber  im 
Plural  erscheinen  die  Formen  auf  avent  =  event  neben« 
einander,  jene  in  der  Mehrzahl,  annavent,  nomnavent,  pgrta- 
vent,  menaven,  neben  eswardevet,  estevent.  Ein  zweites 
Verbum  aber  in  diese  letzte  Zeile  der  Strophe  einzuführen, 
scheint  mir  darum  unerlässlich,  weil  sonst  die  Verbindung 
nothwcndig  wäre  signa  testat  d.  h.  bezeichnete  das  Zeichen, 
was  logisch  schwerlich  zu  dulden  wäre.^ 

Str.  113,2  möchte  als  Ergänzung  des  2.  Verses  oon- 
verseii  il  =  verkehrte  er,  sich  am  besten  empfehlen.  Das 
in  dieser  Str.  V.  4  vorkommende  reguum  darf  ich  vielleicht 
auch  noch  als  Stütze  für  meine  Auffassung  von  Str.  93,4 
anführen. 

Str.  114,1  ist  eine  der  Stellen,  die  durch  Mangel  eines 
Verbums  das  meiste  Bedenken  erregen.  Da  dieses  nur  in 
eoal  gesucht  werden  kann,  so  vermuthe  ich  roa  h  =  rogat 
(oder  rogavit)  illos.  1  für  Is,  wie  in  113,1  fidel  für  fidels, 
Verwechslung  von  r  und  c,  hat  kein  grosses  Bedenken.  Dass 
man  roar  sagte,  beweist  roazo. 

Str.  125,1  ist  eine  sehr  schlimme  Stelle,  der  ich  jetzt 
durch  einfache  Emendation  von  lui  abhelfen  zu  können 
glaube.  Die  4  Striche  scheinen  mir  verlesen  und  sin  in  der 
HS.  zu  stehen,  also:  sin  qu^e  aiude  nuls  vendra  =  ohne 
dass  Jemand  (ihnen)  zu  Hülfe  kommen  wird,  wachsen  die 
Christen  um  so  mehr,  je  schlimmer  es  ihnen  der  Teufel 
madit. 

Str.  126,4  könnte  man  auch  sos  fidels  lesen  für  los 
den  fidels. 

Hiemit  sind,  so  viel  ich  sehe,  alle  Stellen  behandelt, 
die  im  Leiden  Christi  noch  bedeutenden  Schwierigkeiten 
unterlagen*  Im  Leodegar  ist  nur  eine  einzige  noch  nicht 
aufgeklärt,  nämlich  Str.  34,1:  il  mio  fraire,  miedra  me 
beuure,  Weün  man  medre  =  miserat,  fedre  =  fecerat, 
erwägt  und  daneben  die  Formen   fisdra  ~  fedre,    misdrent 


204        Sitzung  der  pfcikw.-i>Md2.  Classe  wm  6.  Juli  1867. 

=  medrent,  so  ergibt  sich,  dass  das  d  in  diesen  Fälleo  Tor 
r  einem  romamsehen  z  oder  sd,  und  einem  lateinischem  s 
oder  c  entspricht,  mied^a  wäre  also  =  misera  nnd  miedra 
me  =  misera  me  d.  h.  miserere  mei.  Somit  wäre  miedra 
eine  Uebeigangsform  zwischen  mizra  und  medra,  entspre<diend 
den  Torhandenen  misdrent  und  medre.  benure  beseitigt  sich 
einfach  als  Wiederholung  aus  dem  folgenden  Verse.  Nun 
bleibt  nur  noch  die  Schwierigkeit  einer  fehlenden  Sylbe, 
wenn  miedra,  wie  wahrscheinlich,  zweisylbig  ausgesprodien 
wurde.  War  es  dreisylbig,  so  braucht  der  Vers  keine  Er- 
gänzung, und  auch  der  Reim  me:  porter  genügt;  sonst 
könnte  man  vor  miedra  etwa  ear  (das  precative  doch)  ein- 
schalten. 

Hiemit  habe  idi  alle  wichtigen  Fälle  (nebst  einigen 
unwichtigen)  behandelt,  die  in  beiden  Oediohten  nach  ihrer 
bis  jetzt  bekannten  Lesung  noch  übrig  geblieben  waren.  Ich 
hielt  mich  überall  so  nahe  als  möglich  an  den  Buchetaben 
der  Ueberlieferung,  da  ich  überzeugt  bin,  dass  bei  einer  so 
grossen  und  deutlichen  Handsdirift  der  Fehler  immer  nur 
in  wenigen  missverstandenen  Buchstaben  liegen  kann.  Was 
den  Sinn  der  Torgeschlagenen  Emendationen  angeht,  wird 
man  mir,  glaube  ich,  zugeben,  dass  sie  sich  überall  unge- 
zwungen dem  sonst  sicheren  Zusammenhange  einfügen.  Der 
Schluss  der  ganzen  Untersuchung,  wissen  wir,  kann  erst 
dann  erfolgen,  wenn  eine  neue  kunstgerechte  Lesung,  oder 
noch  besser,  ein  (wo  möglich  photographisches)  Facsimile 
vorliegt,  wie  wir  sie  von  ähnlichen  wichtigen  Denkmälern 
unserer  alten  Sprache  längst  besitzen.  Gleichwohl  müssen 
wir  in  Deutschland  uns  damit  beschäftigen,  wäre  ed  auch 
nur,  weil  wir  diese  altromanischen  Denkmäler  in  den  Kreis 
unserer  akademischen  Lehrthätigkeit  aufgenommen  haben 
und  darin  eine  beständige  Nöthigung  finden,  aus  inneren 
Mitteln  zu  ersetzen,  was  äussere  Verhältnisse  U2is  ungunstig 
yerweigem.  


Bijfmann:  Zm  CHidrun. 


205 


2)  Zar  Gadran. 

Das  Drtheil  über  den  ästhetischen  Werth  der  Qadrnn- 
diehtang  steht  seit  langem  fest  and  an  dem,  was  W.  Grimm 
9  Jahre  nach  der  ersten  Bekanntmachung  des  Gedichtes 
(deutsche  Heldensage  S.  370)  mit  feinem  Sinne  vorgezeich- 
net,  hat  sich  seitdem  in  der  Hauptsache  durch  keinerlei 
Forschung  oder  Erwägung  etwas  Wesentliches  geändert 
Anders  mit  der  Tezteskritik  und  dem  Urtheil  über  die  Ent- 
stehung des  Werkes.  Je  unsicherer  der  Boden,  desto  schroffer 
stehen  sich  hier  die  Ansichten  gegenüber,  an  deren  Ver- 
söhnung niemals  gedacht  werden,  kann.  Dazu  kömmt,  dass 
die  Hoffnang,  welche  man  lange  auf  W.  Grimms  treue 
Pflege  des  Werkes  setzen  durfte,  sich  am  Ende  hinfällig 
gezeigt  hat.  Schon  J.  Grimm  sagte  mir  bei  seiner  letzten 
Anwesenheit  in  München,  dass  nichts  Fertiges  für  die  Gudrun 
TorgeAmden  sei  und  durch  Ernst  Martin  (Bemerkungen 
S.  6)  wird  diess  jetzt  weiter  bestätigt. 

Ich  bin  hier,  wie  überall,  meine  eigenen  Wege  gegan- 
geo,  d.  h.  idi  habe  den  Hagenschen  Abdruck  vorgenommen, 
Qud  zu  wiederholten  Malen  durchgearbeitet,  ohne  eine  der 
Ausgaben  oder  Uebersetzungen  aufzuschlagen.  Als  ich  später 
zur  Vergleichung  kam,  fand  ich,  dass  meine  Kritik  viel 
radicaler  war,  als  die  meiner  Vorgänger.  Ob  darin  Ver- 
dienst oder  Tadel  liegt,  hat  sich  zu  zeigen.  Mein  Absehen 
war  übrigens,  wie  sich  von  selbst  versteht,  ebenso  ein  exe- 
getisches, wie  ein  kritisches,  da  mir  vorkömmt,  dass  die 
Gadrun  dieser  Hülfe  so  bedürftig  sei,  wie  der  anderen,  und 
beide  Thätigkeiten  ja  auf  das  eine  höchste  Ziel  hinarbeiten,  den 
geistigen  Gennss,  wie  wir  ihn  an  unseren  besten  mittelhoch- 
deutschen G^ichten  haben,  mehr  und  mehr  zu  verfeinein, 
m  vertiefen  und  durch  diese  Läuterung  den  haimonischen 
[1867.  IL  2.]  U 


206        8it9ung  der  philaa.'phM.  Ckuse  vom  6.  Juli  1867. 

Eindruck  des  einzigeu  Werkes  auch  für  Laien  und  Lernende 
zu  erhöhen,  falls  nämlich  überhaupt  Jemand  noch  so  be- 
scheiden sein  sollte,  sich  zu  diesen  zu  rechnen,  bei  dem 
kolossalen  Aufschwung,  den  die  deutschen  Studien,  wie  man 
sagt,  seit  ihrer  Emancipation  von  den  früheren  verdriess- 
liehen  und  für  geniale  Köpfe  nur  störenden  Methoden  ge- 
nommen haben. 

Dass  ich  meine  Bemerkungen  auf  alleXheile  der  Gudrun 
ausdehne,  wird  wohl  Niemand  so  verstehen,  als  ob  ich  das 
Werk  in  seiner  vorliegenden  Gestalt  für  einheitlich  oder 
ursprünglich  hielte. 

Wie  die  Nibelunge  ist  es  durch  öde  und  weitschweifige 
iheils  einer  manirirt  höfischen,  theils  einer  niedern  Ge- 
schmacksrichtung schon  des  13.  Jahrhunderts  zur  Last 
fallende  Erweiterungen  das  geworden,  was  dem  modemi- 
sirenden  Schreiber  der.  Ambraser  Handschrift  vorgelegen, 
verzerrt  und  verschwommen,  aber  auch  so  ein  schwer  zu 
beklagender  und  zu  ersetzender  Verlust.  Diese  Vorlage 
wieder  herzustellen  ist  die  noch  immer  ungelöste  Aufgabe, 
zu  der  ich  hier  einen  Beitrag  gebe. 

Ehe  ich  zu  den  einzelnen  Stellen  übergehe,  habe  ich 
ein  bisher  in  Deutschland  unbeachtetes,  vielleicht  unbekannt 
gebliebenes  Zeugniss  über  Verbreitung  und  Fortleben  der 
Gudrunsage  einzutragen  und  meine  Folgemngen  daraus  vor- 
zulegen. Es  findet  sich  bei  Barry,  History  of  the  Orkney  Is- 
lands, London  1808,  S.  489—95  unter  dem  Titel:  a  ballad, 
taken  from  the  mouth  of  an  old  man  in  the  same  islao^ 
(nämlich  Fula),  the  subject  of  whicb  is  a  contest  between  a 
king  of  Norway  and  an  Earl  of  Orkney,  who  had  married 
the  kings  daughter,  in  her  fathers  absence,  and  without  bis 
consent.  Diese  ,, Ballade'*  in  35  vierzeiligen  Strophen  wurde 
im  Jahre  1774  dem  schottischen  Reisenden  Low  von  einem 
alten  norsischen  Bauern  (Ddaller)  in  der  norsischen  Sprache 
diktirt,    die   damals  noch   von  einigen  Personen    auf  dieser 


Eofimm:  Zur  Gudrun.  207 

gheüands*  Insel    gesprochen    wurde.     Ein    Blick    auf  die 
Karte   zeigt,  warum  die  alte  Sprache  sich  hier  am  längsten 
erhalten  konnte.  Fula  oder  Foul,  (norw.  Fugl  oder  Fngley) 
liegt  mit  seinen    5  konischen  Sandsteinhögeln  weit  draussen 
in  der  Westsee    und    ferne  von  der  eigentlichen  Shetlands- 
gruppe,   weshalb  man  auch  seinen  Namen  (Vögel)  von  der 
Aehnlichkeit  mit  einem  in  weiter  Ferne  schwimmenden  See- 
Yogel  ableitet.  Da  der  Anfzeichner  indess  der  Sprache  nicht 
kundig  war,  liess  er  sich  auch  noch  eine  Inhaltsangabe  des 
Gedichtes  yon  dem  Erzähler  mittheilen,  die  sich  glücklicher 
Weise  erhalten  hat    und  gedruckt  ist,    denn   das  norsische 
Original  ist  so  unverständlich,    dass  ohne  diese  Paraphrase 
sein  Inhalt  vielleicht  für  immer  verdunkelt  bleiben  müsste. 
Diese  weitere  Mittheilung  findet  sich  bei  Samuel  Hibbert, 
description  of  the  Shetland  islands,  Edinburgh  1822  p.66l£ 
Hibbert  berichtet :  It  was  not  many  years  before  Mr.  Low's 
Visit  to  Shetland    in  the  year  1774,    that  numerous  songs, 
nnder  the  name  of  Visecks,  formed  the  accompaniment  to 
danoes  that  would  amuse  a  festal  pariy  duriAg  a  long  win« 
ters  evening.  When  the  com  waters  of  Hamburgh  had  gone 
merrily  round,  when  the  gue,   an  ancient  two-stringed  vio- 
lin of  the  country,  was  aiding  the  conviviality  of  Jule,  then 
would  a  number  of  the  happy  sons  and  daughters  of  Hialt- 
land  take  each  other  by  the  band,  and  while  one  of  theim 
sang  a  Norn  (=  norrönisch)  viseck,  they  would  perform  a 
circular   dance,    their    steps  continually  changing  vrith    the 
tune.     Dazu    der  melancholische,    aber  in  allen    Ländern 
gleiche  Schluss:    In  the  middle   of  the  last  Century,    little 
of  the  Norwegian  language  remained   in  the  country,    and 
these  visedcs  being  soon  lost,    they   ^ere  followed,    as  a 
clergyman  of  Unst  informed  Mr.  Low,   by  playing  at  cards 
all    nightj    by   drinking  Flamburgh  waters   and  by   Scotish 
dances.     Von    diesen  Tanzliedern    nun,    die   sich   auf   den 
Färöern  zahlreich    und    bis   auf  den  heutigen  Tag  erhalten 


208       Biigung  der  phOoB^-fMoL  Ckim  vom  6.  Jtdi  1867. 

haben,  wusate  der  Baaer  William  Henry  von  Qottoria  anf 
Fula  ganz  allein  um  1774  noch  einige  auswendig  0,    nater 
diesen  unsre  Gudrunsage,   auf  welche  zuerst  P.  A.  Manch 
im  Jahre  1839  aufmerksam  machte  (Samlinger  til  det  Norske 
Folks  Sprog  og  Historie  6.  Bd.  Christiania),  in  seiner  grossen 
Abhandlung:  Geographiske  og  historiske  Notitser   bin   Ork- 
nöerne  og  Heiland.    Er  theilt  die  Ballade  mit,  sucht  sie  so 
gut  es  geht,    in  einigen  Stellen  zu.emendiren,   kommt  aber 
zu  dem  Resultate:  ,,Eine  genügende  Erklärung  des  Gedidites 
zu  geben,    ist  wohl  unmöglich,    aber  die  folgenden  Andeut- 
ungen werden  doch    eine  Idee  von  dessen  eigentlichem  In- 
halte geben*'.    8.  120  Note  1.  Er  erkannte  natürlich,  dasa 
hier  die  Hedinsage  vorliege,  worum  sich  weder  der  P&irer 
Barry  noch   der  Geognost  Hibbert  noch  der  Reisende  Low 
kümmern  konnten,  und  brachte  den  etwas  altmodisch  styli- 
sirten  englischen  Prosainhalt  in  die  Form^   welche  sich  für 
eine  germanische  Sage  eignet  und  die  ich  hier  wiedergebe. 
Es  heisst  also:  „Hiluge,  ein  vornehmer  Mann  am  nor- 
wegischen Hofe  freite  um  die  Königstochter  Hildina,  erhielt 
aber  einen  Korb,  obwohl  der  Vater  ihm  hold  war.  Als  ein- 
mal der  König  und  Hiluge  auf  einem  Kriegszuge  fort  waren, 
landete  der  Orkney-Jarl  in  Norwegen,  traf  Hildina,  verliebte 
sich  in  sie  und  sie  in  ihn,  sie  wurden  eins  und   flüchteten 
auf.  die  Orkneys,    wohin    ihnen    nach  ihrer  Rückkehr  vom 
Kriegszuge    der  erbitterte  Vater   und  Hiluge   mit   grossem 
Beere  folgten,  um  den  Raub  zu  rächen.    Hildina  überredete 
den  Jarly  unbewaffnet  dem  Könige  entgegenzugehen  und  um 


1)  Low  sagt:  It  (the  Korse)  was  evidenüy  mach  mixed  with 
English.  None  of  the  Natives  conld  write  the  ancient  langoage  and 
few  coald  speak  ii  The  best  phrases  were  lost,,  and  little  more  re- 
mained  than  the  names  of  a  few  objects  and  two  ar  three  remnanU 
of  Bongs,  which  an  old  man  (William  Henry)  of  Gattorm  conld  ro- 
peat,  thottgh  indistincUy. 


Eoifmaim\  SSwt  Guärun.  209 

Gnade  n  bitten;  er  liess  sich  riihren,  versieh  ond  gab 
sogar  seine  Einwilligung.  Kaum  war  der  Jarl  fort,  um 
Hildina  die  frohe  Kunde  zu  bringen,  als  Hiluge,  indem  er 
des  Jarls  VermesBenheit  aufs  Schlimmste  schalt,  den  König 
zu  neuem  Grimme  reizte  und  dahin  brachte,  alle  seine  Ge- 
lübde zurückzunehmen.  Es  kam  nun  zum  Zweikampfe  zwischen 
Hänge  und  dem  Jarl  und  dieser  fiel.  Sein  Haupt  warf 
Hiluge  mit  den  härtesten  Schmähungen  Hildina  ror  die 
Füsse,  die  ihm  mit  scharfer  Gegenrede  im  Herzen  blutige 
Badie  gelobte.  Sie  musste  ihm  nun  nach  Norwegen  folgen, 
wo  er  seine  Freierei  wieder  anfing.  Lange  weigerte  sie  ihre 
Hand;  aber  der  Vater  setzte  ihr  mit  Bitten  zu  und  endlidi 
gab  sie  ihr  Wort,  unter  der  Bedingung,  daas  sie  selber 
beim  Brautfeste  den  Wein  in  die  Becher  schenken  dürfe. 
Diess  wurde  zugestanden.  Als  die  Hoehzeitgäste  beisammen 
waren  und  zu  Tische  kamen,  schenkte  ihnen  Hildina  mit 
Schlafkräutem  Tersetzten  Wein  und  bald  lagen  Alle  in 
tiefem  Sdilummer.  Da  liess  sie  ihren  Vater  hinaustragen 
und  warf  Feuer  ins  Gästehaus.  Alle  wurden  darin  ver* 
brannt.  Hiluge,  der  beim  Krachen  der  Flammen  erwachte, 
bat  um  Gnade;  aber  Hildina  antwortete  ihm  so  hart,  wie 
er,  ab  er  ihr  des  Jarls  Haupt  brachte  und  liess  ihn  in  der 
Lohe  sterben".  Munch  bemerkt  dazu:  „Wenn  man  hier 
den  Jarl  Hedin  nennt,  und  annimmt,  was  nicht  so  unwahr- 
sdieinUch  ist,  dass  Högnis  Person  in  zwei  getheilt  ist,  den 
König  und  Hiluge,  um  die  Erzählung  romantischer  zu  machen, 
finden  wir  den  ersten  Theil  des  orkneyischen  Berichtes  bis 
zum  Kampf  in  hohem  Grade  mit  der  Sage  übereinstimmend. 
Hiluge  kann  leicht  eine  Entstellung  von  Högni ')   sein,    wie 


2)  Vom  Standpunkte  der  Chidmm  zos  mflssen  wir  es  natfirlich 
wakncbetnlicher  finden ,  daw  Hünge  =  Ludwig  seL  Ein'soloher 
Ludwig  (Lödrer)  kömmt  aadi  in  der  oroadisohen  Oesohiohte  Yor 
(MuMih  0,  182);  allein  noo&  n&her  li^  Hiluge  ein&oli  als  Qlugi 


210        SiUfung  der  phOos.'phiM.  Glosse  wm  6.  Jtdi  IS&T. 

Hildina  offenbar   eine   von  Hilde  ist.    Der  Schloss    scheint 
dagegen    eine  Nachahmung    der  Ritterromane    dee  13.  ond 
14.  Jahrhunderts,  wie  es  denn  überhaupt  nicht  unwahrschein- 
lich ist,    daas  die  Sage  benutzt  wurde,    um  als  Grandlage 
für    ein  damals    verfasstes   romantisches    Lied   zu    dienen. 
Uebrigens  ist  das  Oedicht  äusserst  merkwürdig,    denn  ans 
den  wenigen  Stellen,  die  man  verstehen  kann,  erhellt,    dass 
es  in  ziemlich  gutem  Norwegisch  war    und  bis  auf  das  ge- 
meinsame Versmaass  der  Eämpevise  fast  ganz  fibereinstim- 
mend mit   den   färöischen  Liedern.'^    Munchs  Bemerkungen 
sind  in  der  Hauptsache  vollkommen  richtig;   es  ist  die  alte 
Hedeningensage,  erweitert  durch  ein  jüngeres,  „romantisches'^ 
Element,  wie  er  es  nennt.    Gerade  dadurch    bildet    es  den 
Uebergang  zu  unserer  deutschen  Dichtung.  Wir  haben  hier  den 
gewaltigen  Stoff  der  Gudrunsage,  nur  mit  tragischem  Aus- 
gange und  in  jener  Gedrungenheit,    die  wir   an  den  besten 
epischen  Romanzen  der  Spanier    bewundem.    Die  tragische 
Wendung  entspricht   der  um  viele  Grade  düstreren  Grund- 
stimmung der  nordischen  Dichtung,    wie  ja  auch  die  Sage 
von  Hildebrand  und  Hadubrand,    die  in  der  späteren  dent- 
schen  Fassung  so  erheiternd  ausgeht,    im  Nordischen,    wie 
XJhland  zuerst  nachgewiesen,  mit  dem  Falle  des  Sohnes  und 
später  des  Vaters  durch  den  eigenen  Blutsverwandten  einen 
erschütternden  Ausgang  nimmt.  Freilich  ist  das  keine  durch- 
greifende Regel;    denn  die  Tristansage,  naturalisirt  und  ra- 
tionalisirt    im   zweiten   Theile   der  Sage  von  Grettir  dem 
Starken,  bekömmt  einen  frohen,    und    sogar  frommen  und 
erbaulichen  Schluss  in  der  Geschichte  von  Thorsteinn  und 
Spes.    Das  „romantische"  Element  ist  in  Wirklichkeit  das 


=  Hlhngi  =^  der  BösBinnige  zu  deuten.  Aach  för  die  böse  Gerlint, 
Ludwigs  Frau,  würde  es  auf  den  Oroaden  nicht  am  Vorbild  fehlen, 
nehmen  wir  nur  Erich  Blutazts  Wittwe  Gunnhild  und  ihre  Tochter 
Bagnhüd,   die  beide  der  römischen  Eaiserzeit  Ehre  gemacht  hsitflo* 


Hofitiatm:  Zur  Ouänm.  211 

christliche,  welches  in  der  Gudrun,  wie  in  den  Nibelungen 
an  die  Stelle  des  heidnischen  und  fatalistischen '  getreten  ist 
Ich  verstehe  hier  unter  christlich  nicht  den  christlichen 
Glauben,  wovon  in  die  Gudrun  so  wenig  wia  in  die  Nibe- 
lungen etwas  Anderes  eingegangen  ist  als  äussere  Zfige,  die 
zum  Kostüm  der  Zeit  gehören;  sondern  die  christliche 
Lebensanschauung,  welche,  auf  Dichtung  angewandt,  sich 
mit  der  fatalistisdien  Führung  der  Geschichte,  die  dem 
Heidenthuni  adäquat  ist,  ästhetisch  nicht  mehr  befriedigen 
konnte  und  dafür  eine  freiere  Selbstbestimmung  als  letzten 
Grand  der  Peripetie  verlangte.  Die  fatalistische  Führung 
ist  die  frühere  und  wo  sie  sich  jetzt  noch  findet,  die  archai- 
stische. Sie  herrscht  im  Indischen,  Arabischen  (100 1  Nacht) 
and  fiberHaupt  in  den  orientalischen  Literaturen,  die  unter 
indischen  Richtungen  und  Einflüssen  stehen,  im  Occident  in 
den  altnordischen  Dichtungen,  dei^  kymrischen  der  Mabino- 
gion,  obgleich  deren  Aufzeichnung  tief  in  die  christliche  Zeit 
fällt,  und  überall  im  Volksmährchen ,  welches  ohne  Präde- 
stmation  gar  nicht  zu  denken  ist,  und  seinen  Haupttjpus 
verlieren  würde. 

um  nun  auf  die  Gudrun  zurückzukommen,  so  sind  die 
sämmtlichen  nordischen  Fassungen  der  Sage  fatalistisch, 
1.  das  betre£fende  Capitel  der  jüngeren  Edda.  2.  Sörla 
>4ttr  (in  F.  S.  N.  I,  391  ff.  und  Flateyarbök  I,  275  flP.) 
mit  angeflicktem  christlichen  und  historisch  sein  sollenden 
Schluss.  3.  Die  Erzählung  des  Saxo  Grammaticus,  obwohl 
schon  zur  Hälfte  in  seiner  euhemerisirenden  Weise.  Ich 
werde  später  noch  einmal  auf  sie  zurückzukommen  haben.  , 
Das  Wesentliche,  worin  diesen  drei  Fassungen  unsere 
Gudrun  und-  die  Shetlandballade  gemeinsam  entgegenstehen, 
ist  die  Einführung  eines  Nebenbuhlers,  für  den  in 
der  alten  Sage  noch  kein  Platz  war,  den  aber  die  jüngere 
noth wendig  hatte,  um  das  veraltete  fatalistische  Motiv  zu 
ersetzen  und  somit  wieder  ein  Ganzes  hervorzubringen.  Auf 


212         Siitung  der  pkOoi.^ücH.  Oobu  9(m  6,  Juli  1867. 

eine  nähere  Veif  leichang  beider  unter  sich  will  idi  der 
Kürze  wegen  nicht  eingehen,  auch  würde  sie  kaum  za 
weiteren  sicheren  Resnltaten  führen,  als  denen,  die  sich  so- 
fort ungezwungen  dargeboten  liaben.  Das  Hauptmittelglied, 
die  äUere  Gudrundiohtung,  wie  sie  der  Verfasser  des  Alezander 
kannte,  fehlt  ja  zur  Vergleichung ,  wiewohl  so  viel  sicher 
scheint,  dass  es  in  der  Einfachheit  der  Handlung  auf  Seite 
des  Liedes,  nicht  des  (Gedichtes  stund;  denn,  wenn  idi  die 
Stelle  im  Alexander  recht  yerstehe,  so  sagt  sie  nur:  auf  dem 
Wolfenwerde  wurde  Hilden  Vater  Hagene  von  Wafc^i  er^ 
schlagen,  während  daneben  ihr  Bräut^m  Herwich  mit 
ihrem  Bruder  Wolfwin  kämpfte.  Dagegen  hat  mich  die 
norwegische  Ueberlieferung  veranlasst,  das  Geographische 
der  Gudrun  mit  Rücksicht  auf  die  Orcaden  zu  untersudien 
und  ich  habe  da  eine  Reihe  von  Thatsachen  gefondea,  die 
in  historischer  und  geographischer  Hinsicht  so  weit  znsam« 
menstimmen,  dass  ich  sie  als  Thesis  aufstellen  zu  dürfen 
glaube'). 

Idi  nehme  also  an,  dass  Ormanie  =  Orcanie,  nicht 
die  Normandie,  sondern  die  Orcaden  bedeutet,  deren  Marne 
Orcania  schon  in  den  besten  Handschriften  des  Nennins 
vorkömmt  und  dann  durch  das  ganze  Mittelalter  hindurdi- 
geht.  Nicht  daraus,  dass  die  Gudrunsage  sich  auf  Shetland 
bis  1774  erhalten  hat,  folgere  ich,  dass  die  Nachbarinsela 
ein  Haupttheil  des  ursprünglichen  Schauplatzes  sind,  denn 
da  schon  in  der  nordischen  Ueberlieferung  die  Orknejinsei 


8)  Wenn  ich  hiebei  auf  die  neuesten  Untenucfanngen  über  die 
Oudmngeographie  nicht  naher  eingehe ,  so  möge  Hr.  Joseph  Haupt 
nicht  glauben,  dass  ich  sein  Buch  nicht  gelesen  habe.  Ich  achte 
seinen  Scharfsinn,  seine  Gelehrsamkeit  und  vor  Allem  seine  mann- 
hafte Verachtung  aller  Clique  und  Reclame,  aber  zu  seinen  Besol- 
taten  kann  ich  nicht  gelangen. 


Büfmam:  Zwt  Chtdnm.  213 

H&qr^)  (das  heatige  H07,  allein  durch  seflSe  Berge  hervor* 
ragODd,  daher  seia  Name  Hochinsel)  als  Stelle  des  Kampfes 
zwiBcheu  Högüi  and  He6inn  (statt  des  späteren  Wülpen- 
sandes  an  der  S&ieldemündang)    vorkömmt,    so  wäre   das 


4)  Es  ist  kein  ZwMfel,  dsis  in  jeder  kriüklosea  und  phantaaie* 
ToUen  Zeit  aas  ein  paar  grammatisch  missverstandenen  Worten  sich 
Sagen  und  Legenden  entspinnen  können,  deren  erster  Keim  ein  Irr- 
thom,  deren  entwickelnde  Kraft  die  Logik  der  Phantasie  ist.  80  haben 
wir  zwei  christliche  Krenziegenden,  die  nur  i^af  diese  Art  entsprungen 
sind.  Die  eine  Tom  Kreuzstamme,  der  nrspranglich  ein  Zweiglein  vom 
Baume  de«  Lebens  war,  welches  dem  stisrbenden  Adam  in  den  Mond  ge- 
steckt wnrde,  geht  auf  eine  Stelle  des  Epiphanias  znrock,  die  bloss  erst 
sagt,  Christas  sei  über  dem  Grabe  Adams  gekr;ßazigt  worden.  Das  ist  noch 
nicht  das  erste  MissverständniBs ;  6  XQunog  ttnav^d^ti  vni^  lov  Udu/^ 
wie  wir  ans  die  ürstelle  etwa  denken  dürfen,  heisst  ebensowohl, 
Chxistos  wurde  für  Adam  (zu  seiner  Erlösnng)  als  er  wurde  über 
Adam  (über  seinem  Grabe)  gekreuzigt.  Wenn  wir  hier  die  letzte 
Quelle  des  Lrrthums  nur  mit  Wahrscheinlichkeit  vermuthen  konnei^ 
80  dürfen  wir  im  folgenden  Falle  mit  dem  Finger  auf  die  ipsissima 
Terba  des  Neuen  Testaments  deuten,  die  zur  Longinuslegende  ge- 
worden sind.  iiOnginns  heisst  es,  war  der  römische  Hauptmann, 
der  die  Seite  Christi  mit  der  Lanze  durchbohrte.  Er  war  blind  and 
wurde  sehend,  als  das  Blut  am  Schafte  herab  auf  seine  Augen  troff. 
Da  wurde  er  der  erste  Christ.  In  modemer  rationalistischer  Zeit  hat  man 
die  Legende  yemünftig  machen  wollen,  indem  man  sagte,  Longinus  sei 
nicht  blind,  sondern  schielend  gewesen.  Sehen  wir  nun  die  Stelle  Joh. 
19, 34 — 36  genauer  an,  so  zeigt  sich,  dass  man  zunächst  ^^yzv  ^  ^^* 
kürzoog^  oder  3l6yxil  f^t*  Ar  die  yoUe  Form  von  Aayyiivog  AoyyVvüt  = 
Longinus  genommen  und  cur  ttiy  «tqmi/uimv  ^yxfl  übersetzt  hat  unus 
militnm,  Longinus.  Was  der  E?angelist  im  nächsten  Satze  von  sich  selbst 
tagt:  xai  6  it»Q€txtas  f*tfia^TvQtpc€,  bezog  man  nun  ebenfalls  auf  Lon- 
ginus und  übersetzte:  und  dieser,  gesehen  habend,  gab  Zeug- 
niss.  Wenn  er  gesehen  hat,  so  muss  er  vorher  nicht  gesehen  haben. 
Wir  die  Consequenz,  also  war  er  blind  gewesen.  Was  konnte  ihn 
▼on  der  BHndheit  heilen,  als  das  Blut  Christi?  Er  gab  Zeugniss,  also 
Zeugniss  Ton  Christi  Gottheit,  folglich  wurde  er  Christ.  Diess  ist 
gewiss  ein  schlagendes  Beispiel  von  dem ,  was  ich  oben  Logik  der 
Phantasie  zu  nennen  mir  erlaubte,  und  wobei  ich  nur  bedaore,  dass  ich 


214        Sitsnmg  der  pJUUm.-phiM,  Oaue  wm  6.  Jtdi  1867. 

genügend  gewesen,  am  den  ScIiIqbs  des  Liedes  doithin  za 
▼erlegen.  Vielmehr  ziehe  ich  meinen  Schlass  ans  aner 
Beihe  von  Thatsachen,  die  ich  eben  nor  am  die  Orkneys 
heram  zosammeotreffend  finde.  Dass  Casltane,  die  Haupt- 
stadt Yon  Ormanie  auf  jeiner  Insel  liege,  wird  nicht  gesagt, 
daher  denn  überhaapt  die  Ansicht  dnrch  das  Gedicht  geht, 
Ormanie  liege  aof  dem  Festlande.  Die  Jarls  der  Orkney- 
inseln waren  nan  bekanntlich  norwegischer  Abkunft  und 
norwegische  Vasallen  geworden  durch  Harald  Sdiönhaar, 
der  es  der  )Iähe  werth  fand,  seine  flüchtigen  Landeskinder 
in  eigner  Person  auf  diesen  Inseln  zu  unterwerfen* and  hier 
das  Jarlthum  einzurichten  (um  872),  den  Stock  des  grossen 
und  ^merkwürdigen  Colonialreichs  des  nordischen  Mutter- 
landes, welches  Hjaltland,  Orkneys,  Färoer,  Hebriden,  Man, 
Theile  von  Irland  und  Schottland  b^riff.  Zunächst  unter 
den  Jarls  stund  nun  die  Nordostspitze  von  Schottland,  die 
eigentlichen  Reste  des  Pictenthums  gegen  das  von  Süden 
und  Westen  vordringende  Reich  der  aus  Irland  eingewan- 
derten Südschotten  oder  des  Kenedischen  Stammes.  Diesen 
Picten,  zu  deren  berühmtesten  Häuptlingen  Macbeth  gehörte, 
verdankt  ihren  Namen  die  stürmische  Meerenge  zwischen 
der  Südspitze  der  Orkneys  und  der  Nordspitze  Schottlands 
der  Pentlandfirth  oder  Frith,  welches  für  Pettland  =  Peht- 
land  steht,  dem  ags.  Peohtas  =  Picti  entsprechend.  Die 
Nordostspitze  Schottlands  besteht  ans  der  Grafschaft  Gaith- 
ness,  norwegisch  Eatanes  und  im  lateinischen  Namen  dieses 
pictischen  Wortes  finde  ich  unser  Cassiane.  Munch  theilt 
in  seiner  zweiten  ausfiihrlichen  Arbeit  über  diese  zwei  Insel- 


unsern  Mythographen ,  die  germanisches  Heidenthnm  überall,  nor 
nicht,  wo  es  wirklich  ist,  finden,  das  Vergnügen  geraubt  habe, 
den  blinden  Longinus  mit  dem  blinden  Höd'r,  und  folglich  Christas 
mit  dem  dorohbohrten  Baldr  zusammenzastellen ,  was  sonst  ein  so 
hübscher  und  besonders  so  wahrscheinlicher  Einfall  wäre. 


Hoftnann:  Zur  Gudrun.  215 

gnippen  (Annaler  for  Nord.  Oldk.  1857)  bisdiöfliche  Ur- 
knnden  mit,  die  sich  auf  die  vereinigten  Grafschaften  Ka- 
tanes  and  Sutherland  beziehen,  deren  Eathedralkirche  in 
Bomoch  in  Sntherland  lag,  während  der  Bischof  selbst 
dodi  episcopus'  Cathanensis  oder  ep.  Cathannie  hiess.  Ca- 
thannie  nnd  Cassiane,  wird  man  zugeben,  liegen  nicht  weit 
auseinander.  Ob  die  Aussprache  von  th  als  s  in  Anchl^ 
IQ  bringen,  bleibt  fraglich ;  doch  verweise  ich  auf  J.  Grimms 
Abhandlung  über  das  Necrologium  Augiense  (in  Ant.  Tid* 
skrift  1843  S.  67-75)  wo  das  nord.  {>  durch  z  (Thörr 
durch  Zor,  Zur  1852,  daneben  Dur  und  Tur,  auch  Thur 
und  Dhur)  wiedergegeben  wird.  Ebenda  finden  sich  auch 
Olaf,  Volaf,  Wolf  nebeneinander,  was  ich  bei  meiner  Er- 
klärung der  Blekinger  Runen  hätte  anfuhren  können  und 
S.  73  Z.  3  von  unten  der  ahd.  Name  unserer  Heldin, 
Uttüdrun^).    Die  Urkunden    sind    von  1223-45  und  1275. 


6)  Der  Name  Gundrun  findet  sich  auch  auf  der  letzten  Seite  der 
Fuflsener  HS.  der  Regula  S.  Benedioti  ans  dem  Anfange  des  IX.  Jh. 
Im  sogenannten  Strengalthocbdeutschen  lautet  diess  allerdings 
Kontnin  oder  Kundrun ,  die  jetzt  beliebte  Schreibung  Eudrun  aber 
entspricht  gar  keinem  wirklichen  Sprachstande;  denn  im  Nieder- 
deutschen, woher  unser  Name  gekommen,  heisst  es  Qudhrun  oder 
GndrAn  und  das  anlautende  6  veränderte  sich  nicht  mehr,  wenn  im 
12.  Jhd.  ein  solches  Wort  ins  Oberdeutsche  ubergieng,  Die  Schreib- 
QDg  Cbantrun  der  Ambraser  HS.  beweist  für  uns  gar  nichts,  als 
dftss  wir  Eütrün  schreiben  müssten,  wenn  wir  consequent  sein 
wollten.  Man  wird  sich  darauf  berufen,  dass  Zingerle  den  Namen 
in  Tirol  gefunden  habe:  (Pfeiffers  Germania  1866  S.  476)  der  swai- 
cbof  ze  Cautrawn  von  dem  röten  burggraven  giltet  16  phunt  aigen. 
Aber  ich  bin  überzeugt,  dass  wir  hier  entweder  eines  der  vielen 
rh&tischen  Wörter  auf  una  haben,  deren  massenhafte  Sammlung  ein 
Hauptverdienst* Steubs  ist,  oder  vielleicht  Umsetzung  aus  Caurtawn 
orsp.  Curtun  d.  h.  romanisch  cortone  =  Hof,  welches  in  der  Form 
Kardaun  bei  Steub  S.  125  aus  der  Gegend  von  Bozen  nachgewiesen 
ist,  und  dass  dieses  Cautrawn  so  wenig  aus  dem  deutschen  Sprach- 


216       Sitzung  der  p^Oof.-plWtol.  Clam  wm  6.  Juli  1867. 

In  Gathannia  hatten  zwar  nicht  aueschliesslich,  aber  häafig 
die  Jarls  ihren  Sitz  and  8o  musste  der  Name  hinlängUoh 
bekannt  seini  um  endlich  auch  in  die  Dichtang  einzagdien, 
mit  der  sehr  verzeihlichen  Modification,  dass  der  Name 
einer  Gregend  zum  Namen  einer  Burg  wurde.  Die  Fride- 
sdbotten  sind  dann  die  am  Frith  sitzenden  Schotten,  d.  h. 
eben  die  mit  Norwegern  vermischten  Picten  von  Kaithness 
und  Sutherland,  deren  Stellung  übrigens  nicht  mehr  klar 
genug  aus  den  Angaben  der  Gudrun  hervoigeht.  Str.  611 
sitzt  Ludwig  richtig  in  Frideschotten. 

Ein  Zug  hat  sich  fest  erhalten,  der  unseren  poetischen 
Herrn  von  Ormanie  mit  den  historischen  Herin  von  Or- 
cania  gemeinsam  ist,  ihr  Vasallenthum.  Freilich  wird  es 
vom  wirklichen  Eonig  von  Norwegen  auf  den  norwegischen 
König  in  Irland  übertragen,    indem  zu  wiederholten  Malen 


Bchatse  erklärbar  ist,  als  Hrn.  Prof  Schnelleres  Versach,  die  soge- 
nannten rhfitisohen  Inschriften  aus  dem  Griechischen  su  deuten, 
wirklichen  Bestand  haben  kann  bei  allem  „Spraohwits'S  den  er  «i- 
l&ngbar  darauf  verwendet.  Dagegen  findet  sich  in  Innebmek  selbst 
ein  Name  des  Ondrnnkreises.  Die  Vorstadt  Jenseits  des  Flusses 
heisst  Hölting,  alt  (XII.  Jh.)  Heteningen,  also  die  ürfortt  unserer 
Hegelinge,  altn.  QJad'nfngar.  Freilich  braucht  hier,  wie  bei  dem 
benachbarten  Mieming  (XI.  Jh.  Mieminga)  und  Heiming  die  german. 
Heldensage  nicht  direkt  vorausgesetzt  su  werden  i  denn  Hedin 
(unser  Hetel)  oberdeutsch  Hettin,  altn.  He^inn,  bei  Saxo  Hitbinus 
ist  ein  Wort  allgemeiner  Bedeutung  und  heisst  bloss  K&mpfer,  von 
derselben  Wurzel,  von  der  hadu  =  Kampf  kömmt,  durch  das  »eiive 
Participialsuffix  ana-s  (goth.  n<s,  altn.  in-n,  alts.  und  ags.  en)  ge- 
bildet und  vielleicht  schon  im  Völkernamen  Xanfc»^  vorhanden, 
(welche  Ptolemaeus  in  Stuty&la  neben  ^avoyai,  ^i^üiroi,  rovrm,  ^«9- 
Tcitayif  und  Aivwyoi  nennt)  wenn  man  deesen  ai  als  in  e  gebroohenea  i 
fassen  darf  und  nicht  vielmehr  mit  Zeus  (D.N.Si.  159)  von  hei^  in 
Heid'mörk  u.  s.  w.  ableitet,  welchem  widerspricht,  dass  If  hier  radi- 
cal  ist  (goth.  hatH,  ags  haed",  engl,  heath)  und  folglich  Ptolemaeos 
Jitti^iu^oi  hfttte  schreiben  mfissen. 


Bofmmm:  Zur  OudfWK  217 

gerade  der  Umetaiid  dem  Eburtmuot  als  Grand  seiner  Un- 
ebenbürtigkeit  vorgeworfen  wird,  dass  sein  Vater  Lehens- 
mann  von  Hagene  dem  König  von  Irland  gewesen  sei.  Allein 
die  Jarls  der  Orcaden  standen  mit  diesen  itisch-norwegischen 
Königen  in  vielfacher  Verbindung,  wie  denn  gleich  der 
sweite  Jarl  Sigurd  mit  König  Thorstein  dem  Rothen  von 
Dublin  sich  im  Vereine  bedeutende  Landstrecken  unter- 
irarf  and  auter  andern  einen  schottischen  Häuptling  oder 
Maormor,  Maeldun  erschlug.  Es  ist  klar,  dass  man  einen 
Jarl,  wenn  er  mit  einem  König  zusammen  in  den  Krieg  zog, 
als  den  Geringeren  ansehen  musste,  obwohl  historisch  das 
Beicfa  der  Orknejrjarle  sich  z.  B.  im  11.  Jh.  unter  Thorfinn 
sogar  über  einen  grossen  Theil  von  Irland  bis  nach  Dublin 
und  über  9  schottische  Grafschaften  erstreckte.  Ganz  genau 
genommen  stimmt  die  Geschichte  sogar  auch  darin  mit  dem 
Gedichte  fiberein,  dass  Thorfinn  der  Orkney-Jarl  Katanes 
und  Sutherland  von  seinem  Groesvater  mütterlicher  Seite 
König  Malcolm  IL  von  Sehottland  zu  Lehen  erhalten  hatte 
(vgl.  Manch  U,  649). 

Wie  hätte  man  auf  der  anderen  Seite  den  Herzog  von 
derNormandie  als  einen  irischen  Vasallen  behandeln  können, 
wenn  Ormanie  wirklich  die  Normandie  wäre?  So  viel 
OMUste  doch  auch  ein  mhd.  Dichter  wissen,  dass  die  Nor- 
mandie in  Frankreich  lag  und  man  dahin  ebenso  wenig 
lOOO  Meilen  zu  Wasser  hatte,  als  nach  Polen.  Für  poetische 
Zwecke  mag  das  Zusammentreffen  mit  der  Wirklichkeit 
immerhin  genügen.  So  wird  in  dem  verwandten  Gedichte 
von  Haveloc  der  Held  zum  Sohn  eines  dänischen  Königs 
fiirkabeyn  gemacht,  während  die  Birkebeiner  —  man  könnte 
es  mit  Sansculotten  übersetzen  —  in  Wirklichkeit  eine  po- 
litische Partei  in  Norwegen  waren,  an  deren  Spitze  König 
Sverrir,  der  norwegische  Napoleon,  auf  den  Thron  gelangte, 
ihn  behauptete  und  vererbte. 

Eine  zweite  Reihe  von  Thatsachen  ergiebt  sich  aus  dem 


218         Bittwtg  der  phäoa^-phOdl,  Cktm  vom  6.  Juli  1867. 

Seezage  der  Hegeliuge  and  ihrer  Verbündeten  nachOnnanie. 
Zu  Weihnachten  lässt  Hilde  das  Aufgebot  ergehn.  Ah  das 
Heer,  70,000  Mann,  beisammen  ist,  sieht  sie  es  ron  ihrer  Borg 
Matelane  aus,  abfahren.  Etmüiler  hat  für  Matelane  ein  ur- 
kundliches Matellia  (jetzt  Metelen)  zwischen  Rhein  und 
Maas  angeführt,  was  sehr  gut  passen  würde.  Es  ist  Hetels 
Burg  in  den  Niederlanden,  wohin  der  Wülpsensand  an  der 
Scheidemündung  noth wendig  weist  und  durch  welche  die 
Sage  ihren  Durchgang  genommen  haben  muss,  am  nach 
Mittel-  und  Oberdeutschland  zu  gelangen.  Zu  Matelane 
stimmt  die  Flotten  revue,  die  yor  der  letzten  Abfahrt  Tor 
dem  Wülpensande  gehalten  wird.  Dann  verschlagen  sie 
Südwinde  (Str.  1125)  und  sie  treiben  vor  den  Berg  za 
Oivers,  in  das  finstere  Meer,  wo  sie  von  den  Magnetsteinen 
angezogen  werden.  Nun  beginnt  Wate  ein  Schiffermährchen 
zu  erzählen,  ein  wazzermaere,  von  dem  Berge  Givers,  den 
die  Darstellung  in  der  Gudrun  mit  dem  wirklichen  Berge, 
vor  dem  sie  lagen  und  von  dem  sie  nicht  loskommen 
konnten,  confundirt.  Suchen  wir  zuerst  das  fabelhafte  Oivers 
auszuscheiden.  „Zu  Givers  in  dem  Berge,  erzählt  Wate, 
ist  ein  weites  Königreich  bewohnt,  so  reich,  dass  der  Sand 
silbern  und  die  Mauersteine  von  Gold  sind;  wen  die  Winde 
wieder  von  dem  Lande  heim  fuhren,  der  ist  sein  Leben  lang 
ein  i*eicher  Mann^^  Schlagen  wir  in  der  Fundgrube  mittel- 
{ilterlicher  Gelehrsamkeit,  im  Isidorus  nach,  so  finden  wir 
diese  Gold-  und  Silberinsel  oder  vielmehr  Inseln  im  XIV. 
Buch  6  Gap.  Ghryso  et  Argyre  insulae  in  Indico  Oceano 
sitae,  adeo  foecundae  copia  metallorum,  ut  plerique  eas 
auream  superficiem  et  argenteam  habere  prodiderint,  unde  et 
vocabula  sortitae  sunt.  Dass  diese  Gold-  und  Silberinsel 
wirklich  im  Norden  bekannt  waren,  beweist  nun  weiter  eine 
Stelle  aus  der  ungedruckten  Sage  von  Eirjalax  {xvQiog  jÜi- 
iiog),  von  welcher  Konr.  Gislason  (in  44  Proever  af  Old- 
nordisk  Sprog,    Kjöbouh.    1B60    p.  400—406)    gerade   das 


Hafmann:  Zwr  Gudrun.  219 

Studc  mitibellt,  welches  wir  bratfchen.  Es  heisst  dort:  Etwas 
spät^  rüstet  sich  Kirjalaz  vom  heiligen  Lande  (Jorsala- 
landi)  fortzasegeln  und  wendet  seine  Fahrt  nach  der  süd- 
lichen Erdhälfte.  Und  eines  Tages  sehen  sie  im  Meere  zwei 
Inseln,  die  ihnen  wunderbar  vorkamen;  denn  Nachts  erhob 
sich  von  ihnen  grosse  Helle,  von  der  einen  weiss,  von  der 
andern  roth.  Als  sie  den  Inseln  nahe  kamen,  da  fielen 
sie  steil  gegen  die  See  ab  und  waren  mit  Felsen  umschlossen, 
so  dass  sie  nicht  hinein  kommen  konnten.  Diese  Inseln 
nennt  Isidorus  in  seinem  Buche  Chrisen  und  Argiren,  darum, 
weil  die  eine  Gold  in  so  grossem  Ueberflusse  wie  Steine  auf 
den  Bergen  hat,  die  andere  ebenso  grossen  Ueberfluss  an 
Silber,  und  davon  entstund  die  grosse  Helle  am  Firmamente, 
welche  das  glänzende  Metall  von  sich  gab.  Von  da  segeln 
sie  an  Indiens  Seeküsten*^  Das  Weitere  braucht  nicht  mehr 
übersetzt  zu  werden,  es  handelt  vom  indischen  Golde, 
welches  ebenfalls  so  gemein,  wie  Bergsteine  ist,  von  Drachen 
und  Greifen,  Tom  Phönix,  von  den  Zimmetvögeln  (fuglar 
sem  dunami  heita),  Papageien,  endlich  einem  mörderischen 
Kampfe  der  Ritter  mit  Greifen.  Dieser  Kirjalax  hatte  die 
ganze  Welt  ausgefahren,  Asien,  Afrika  bis  zu  den  Säulen 
des  Herkules. 

Kein  Zweifel,  dass  wir  hier  das  Original  unseres  Givers 
vor  uns  haben;  sehen  wir  etwas  genauer  zu,  so  stellt  sich 
auch  das  Wort  ein.  Argiren  wurde  missverständlich  in  ar 
und  giren  getrennt,  indem  man  ersteres  für  die  nordische 
Präposition  at  =  zu  hielt  und  giren  als  givers  verlas.  Die  Zahl 
der  Züge  ist  gleich  und  die  Möglichkeit  des  Irrthums  so 
naheliegend,  als. man  es  in  einem  solchen  Falle  nur  wünschen 
kann.  Das  ist  also  das  wazzermaere  Watens.  Fassen  wir 
nun  den  übrigen  Inhalt  des  Gudrunberichtes,  nach  Aus- 
scheidung der  Gold-  und  Silberinsel,  schärfer  ins  Auge,  so 
enthält  er  gar  nichts,  was  nicht  ganz  genau  mit  den  wirk- 
lichen Meeresverhältnissen  an  der  Ostseite  der  Shetland--^  und 


220        SiUung  der  phüos.-pkäoL  CUu$e  vom  S,  Jtdi  1867. 

Orkneyinseln  übereinstimmte.    Die  Flotte  der  Hctfeling»  ist 
in  der  Nordsee,  will  nach  Gassiane,   d.  h,  an  die  Nordost» 
spitze  Yon  Schottland  segeln,   da  wird   sie  yoü  einem  Söd- 
wind  (Str.  1125  sanderwinde)  verschlagen,  (die  slaogens  Af 
den  se)  und  kommen  in  ein  Nebelmeer,    wo   sie  nicht  vor- 
wärts und  rückwärts  können,    was   sie   dem  EinfloBae   der 
unterseeischen  Magnetsteine  zuschreiben    (Str.  1126).     Eine 
solche  Stelle  findet    sich  nun  gerade  an  der  SüdspitBe  der 
Hauptinsel   von   Shetland    (Mainland).     Sie  heisst    io    nor- 
wegischer Zeit  Df  nrastarness,  jetzt  Dunrossnes,  hat  zwei  Land- 
spitzen, den  hohen  Vorberg  Fitfulhead,  früher  Fitfuglahofti 
im  Westen,  und  SunnboejarhöfSi  (Südbauspitze),  jetzt  Sam- 
burgh  Head  im  Osten.    Letzteres  ist  von  jeher  durch  seine 
Strömungen  und  Stürme  berüchtigt,   daher  der  Name  Dyn- 
röst  =  brausende  Strömung.     Man  lese   folgende  Schilder* 
ung   eines  Reisenden,    der  selbst  jene  Strömungen  in  einem 
Segelschi£fe  befahren  hat  (bei  Hibbert  S.  240).    Es  heisst: 
„Ein  Gentleman  theilte  mir  mit,  dass  er  fünf  Tage  in  einer 
Schaluppe    zwischen   Fitful  Head  und  Sumburgh  Head,    die 
bloss  drei  Meilen  von  einander  entfernt  sind,  Windstille  ge- 
habt habe  (had  been  beoalmed),  ohne  die  eine  oder  andere 
Spitze  passiren    zu   können,    indem  die   eine  Strömung  das 
Schiff  in  den  westlichen,  die  andere  in  den  östlichen  Ooean 
trieb.    Oft  wurde  die  Schaluppe    von  der  Fluth  ganz  nahe 
an  die  Küste  getrieben,  aber  die  Strömung  führte  sie  immer 
wieder  ab.     Wiewohl  von  Sumburgh   bis  Fair  Isle    (kleine 
Insel  gerade    in    der  Mitte  zwischen  Shetland  und  Orkiej) 
und  ohne  Zweifel  auch  von  dort    bis  Orkney   immer    eat- 
g^engesetzte  Strömungen  herrschen,    so  ist  doch  der  Bou&t 
derjenige  Theil  des  Stromes,    der   in    geringer  Eutfemong 
vom   Vorgebirge    liegt    und    dessen    Qewalt    wahrscheiolicb 
durch  die  Nähe  der  Küste    und  die  Seichtheit  des  Wassers 
vermehrt  wird". 

Man  vgl.  damit  Str.  1132  (die  Windstille)  und  beson- 


HoffMmn:  Zur  Oudnm.  221 

dersllSS,  wo  es  heisst:  vierTago  lang  and  mehr  standen 
die  Schiffe  an  einer  Stelle,  dass  sie  nicht  von  dannen 
konntmi.  Oaza  hatten  sie  Nebel,  der  in  jenen  Oegenden 
aaf  der  See  sehr  gewöhnlich  ist  and  schrieben  ihre  schlimme 
Lage  dem  Einflasse  von  Magneten  za,  was  die  Shetländer 
noch  jetzt  thnn  (vgl.  Hibbert  S.  564);  Felsen  nämlich,  die 
mehr  oder  weniger  nahe  an  die  Oberfläche  des  Meeres 
heraufreichen,  den  Fluthstrom  anterbrechen  and  dadurch 
die  Anstaaang  riesiger  Wellen  vernrsacheni  wird  eine  mag- 
netische Anziehangskraft  zngeschrieben^  und  in  dieser  An- 
sicht war  der  Beschreiber  der  Shetlandsinseln,  Debes,  (1673) 
derselben  Meinung  mit  denEingebornen:  I  have  been  assured*, 
sagt  Hibbei*t,  that  the  Shetlanders,  whose  imaginations  haye 
conceired  stränge  wonders,  entertain  similar  notions  of  the 
existence  of  submarine  magnetio  rocks. 

In  Str.  1134  kommt    nan   der  Westwind    und   befreit 
unsere  Gudrunfahrer;   natürlich,    denn    der  Ostwind  hätte 
sie  in  den  atlantischen  Ocean  hinaus  getrieben.    Es  kann 
keinem  Zweifel  unterliegen,  dass,  wenn  wir  die  Orkneys  und 
Kataaes  als  Ziel  der  Fahrt  annehmen,  sie  durch  einen  Süd- 
wind gerade  an  diese  Stelle  getrieben  werden  mussten,    wo 
die  Gegenwirkung  des  aufeinanderstossenden  Golfstroms  und 
Polarstroms  die  „brausende  Strömung*'  macht  und  dass  nur 
ein  Westwind  sie  wieder  losbringen  konnte.   Sie  segeln  nun 
gerade  auf  Ormanie  los,  fallen  aber  in  neueNoth  (Str.  1137 
—39),    indem  sie  in  einen  Weststurm  gerathen;    d.  h.    sie 
kommen  i3em  immer  stürmischen  Pentlandsfrith    zu    nahe 
und  ihr  Oluck  ist  nur,  wie  Fruote  Str.  1139  sagt,  dass  der 
Wind  aus  Westen  bläst,   sie  vom  Frith  abtreibt,  und  ihnen 
so  gestattet,  ihr  Ziel  an  der  Nordostspitze  Schottlands,  Cas- 
siane,  Cathannia  endlich  zu  erreichen.  Ich  habe  diese  Partie 
aosfohrlicher  behandelt,    weil  sich    hier  eine  Reihe  von  zu- 
sammenhängenden Thatsachen  verfolgen  lässt,    während  die 
übrigen    geographischen  Angaben  der  Gudrun  meist   wirr 
[1867.  H  2.]  16 


i 


222         Sitzung  der  philos.-phüol.  Glosse  vom  6,  Juli  1867. 

and  lose  durclieinandergehen,  was  ohne  Zweifel  der  Ueber- 
tragung  aus  Norwegen  nach  Nieder-,  yon .  da  nach  Ober- 
deutschland  zuzuschreiben  ist.  Karade,  Karadie  kann  Gaidigan 
sein,  Salme  vielleicht  Solway,  Hortland,  Ortland  dürfte  das 
norwegische  HöiSaland,  Moren  das  norw.  Moere  sein,  Cam- 
patille  hatte  ich  für  Entstellung  von  Eongahella,  dem  alten 
norwegischen  Königssitz  am  nördlichen  Ufer  der  Gaatelf, 
und  hart  an  der  ostgautischen  Gränze.  Bei  der  Uebertrag- 
ung  nach  dem  Niederlande  kam  dazu  die  zweite  Hauptstadt 
Matelane  zwischen  lihein  und  Maas,  wie  denn  auch  im 
Niederlande  ein  zweites  Nortmore  gefunden  ist  (Plönnies 
S.  308)  und  die  Verwechslung  der  dänischen  Hauptinsel 
Seeland  mit  der  Inselgruppe  Zeeland  an  der  ^cheldemünd- 
ung  kein  Bedenken  hätte.  Sehen  wir  somit  die  Sage  im 
Umkreise  des  norwegischen  Reiches  sich  abspielen,  so  dürfen 
wir  annehmen,  dass  sie  dort  auch  ihre  Weiterentwicklung 
gefunden  hat,  als  deren  Reflex  die  shetländische  Ballade 
erscheint,  die  absolut  keine  andere  als  norwegische  Herkunft 
haben  kann;  wir  dürfen  ferner  annehmen,  dass  sie  durch 
niederdeutsche  Kaufleute  aus  Norwegen  an  die  Scheide-  and 
Rheinmündungen  gekommen.  Bergen  war  der  Hauptsitz  der 
deutschen  Kaufleute,  und  wahrscheinlich  durch  diese  ge- 
langte die  norwegische  Gudrunsage  nach  dem  Süden,  wie 
umgekehrt  die  deutsche  Dietrichssage  durch  sie  nachweislich 
dem  Norden  vermittelt  wurde.  Ist  meine  Gleichung  Cam- 
patille  =  Kongahella  richtig,  so  muss  die  Bildung  der  Sage 
vor  1135  fallen;  denn  in  diesem  Jalire  wurde  Kongahella 
von  einer  grossen  wendischen  Raubflotte  überfallen,  geplün- 
dert und  verwüstet,  worauf  es  zur  Unbedeutendheit  herab- 
sank. Damit  stimmt  denn  auch  die  Erwähnung  der  Sage 
im  Alezanderliede.  Ich  gehe  nun  zu  unserer  Gudrun  über. 
Die  erste  und  zweite  Strophe  sind  durch  die  dreimalige 
Setzung  von  rieh  in  5  Zeilen  entstellt.  Diess  ist  bis  jetzt 
von  Niemand    hervorgehoben  worden;    hielt  man  es  nicht 


Ho/mam:  Zur  Gudrun.  223 

iSr  auffallend  oder  glaubte  man,  für  den  Zadichter  der 
QreifeDgeschichte  seien  solche  Strophen  gut  genug?  Ich 
könnte  den  zweiten  Grund  nicht  gelten  lassen,  denn  wenn 
auch  diese  Vorgeschichte  für  das  eigentliche  Gudrunwerk 
▼iel  zu  fabnlos  und  poetisch  zu  unbedeutend  ist,  und  daher 
Ton  ihm  getrennt  werden  muss,  so  darf  sie  doch  mit  anderen 
mhd.  Produkten  verglichen,  nicht  so  gering  geachtet  werden, 
dass  wir  nicht  yersuchen  sollten,  sie  von  elenden  Strophen 
zu  befreien.  Hier  ist  nun  die  Hülfe  noch  dazu  äusserst 
cinfacL  In  der  zweiten  Strophe  ist  riehen  ohnehin  zu  viel, 
der  Vers  verlangt  nur:  Gere  dem  hünige.  In  1,4  lese  ich 
riche  für  riehen^  d.  h.  der  Majestät  ziemte  ihre  Minne,  ein 
nicht  ungewöhnlicher  Ausdruck,  für  den  ich  zum  Ueberflusse . 
noch  Gerhart  115,  Grane  11 9. anführen  kann.  Im  ersten 
Falle  steht  Tcr&ne  unserm  riche  entsprechend  (vgl.  roemisch 
riche  V.  112)  ein  toip  diu  sünem  Ifbe  /  gejsam  und  auch  der 
irane.  richein  diesem  Sinne  m  u  sste  derSchreiber  missverstehen. 

Str.  2,2.  lese  ich,  er  het  streichend: 

siben  fürsten  lant 
dar  inne  het  er  recken  .  •  . 

Str.  3,4.  1.  da0  ers  möhte  ,deste  hast  geniezen. 

Str.  6,4  1.  den  edelen  Tcmiginnen.  was  nach  Sige- 
hande  wi. 

Nicht  seine  Mutter  kann  gemeint  sein;  denn  wton 
Bartsch  erklärt:  9,sie  konnte  ihn  nicht  entbehren",  so  wider- 
legt das  die  nächste  Zeile,  wo  sie  ihm  selber  räth,  ein  Weib 
ZQ  nehmen.  Den  Königstöchtern ,  die  er  jse  rehter  Siner  i 
minnen  mochte,  war  nach  ihm  weh. 

Str.  11,1.  bedecket  ist  nicht  zu  dulden,  es  steht  im 
Toraasgehenden  Verse  von  der  sträee  und  kann  nicht  in 
einem  Athem  wieder  von  bluomen  und  gras  gebraucht  werden. 
Ein  Wort,  welches  zertreten  bedeutet  (vgl.  Str.  183),  und 
dem  Abschreiber  als  ein  ausschliesslich  mittelhochdeutsches 
nicht  mehr  geläufig  war,    muss  hier  gesucht  werden.    Ein 

15* 


224         Siieung  der  phOoB.-phüol.  CtaSBt  t^om  6.  JtiU  1867. 

solches  ist  geweten  oder  gewetet^    vgl.  Otn.  383,  do  saA  er 
dae  grüen  gras  geweten  und  äberhatipt  Mhd.  WB.  111,535. 

Str.  21,3.  Hier  das  Komma  zu  tilgen  und  latd  zam 
Genetiv  2U  machen,  kann  nicht  angehen,  ist  auch  gar  nicht 
nöthig,  denn  es  ist  einfach  als  Accusativ  zu  fassen,  von 
Mergaebe  regiert. 

Str.  22,1  1.  inner  drten  jdren.  Dass  die  drei  Jahre  die 
nächsten  sind,  versteht  sich  von  selbst  und  ist  ein  Zusatz 
des  Abschreibers. 

Str.  23,4  1.  sah  für  sOten,  vergl.  Grimm  DG.  IV. 
198  ff.  und  Str.  141  jd  lonet  im  min  vater  und  min 
muoter. 

Str.  38,2  1.  dM  man  von  tcüdem  walde  muose  dar  ge- 
tragen, wilden  und  wdULe  zu  trennen,  geht  nicht  an,  nodi 
weniger,  den  ganz  spezifischen  und  bezeichnenden  Ausdruck 
zu  entfernen.  Die  Menge  der  zu  fertigenden  Sitze,  will  der 
Dichter  sagen,  war  so  gross,  dass  man  im  offenen  Walde 
grünes  Holz  dazu  schlagen  musste. 

WaU  bedeutet  eben  auch,  wie  das  gr.  vXti^  das  kt 
materia  (daher  der  Name  Madeira)  Nutzhob,  wie  eine 
zweite  Stelle  der  Gudrun  klar  zeigt,  wo  freilidi  erst  der 
aus  Vollmers  Phantasie  gewachsene,  dann  in  Bartschs  Ver- 
zeidmiss  der  Eigennamen  gewanderte  Westerwalt  als  mo- 
dernes Verderbniss  zu  beseitigen  ist.  In  der  Handschrift 
Str.  945  steht  fraw  man  sol  wenden  da  0U  dem  vesten 
wald.  Da  von  Schiffbanen  die  Rede  ist,  wozu  man  Hob 
braucht  und  da  Holz  schlagen  im  Mhd.  ausgedrückt  wird 
durch:  den  walt  swenden^  so  dürfte  wohl  auch  ein  Anfänger 
eingesehen  haben,  dass  es  sich  hier  nicht  um  Erfindung 
eines  geographischen  Namens,  sondern  nur  um  die  Restitu- 
tion des  mhd.  technischen  Ausdrucks  handeln  kann,  vesten 
walt  wäre  dann  gar  nicht  unbedingt  zu  verwerfen,  es  würde 
einfach  festes  Holz  bedeuten.  Allein,  da  sich  von  selbst 
versteht,    dass  man  zum  Schiffbau  festes  und  nidit  weidiei 


Sofmanm  Zur  Quihrun.  '   S26 

Eolz  nimmt,  dw  Ausdruck  somit  nichtssagend  wäre,  mts 
yAx  in  der  Gudrun  wo  möglich  vermeiden  müssen,  ao  lese 
idi  lestm^  also:  ttt-OKtoe,  fUMm  sol  swenden  da  mo  den  besten 
mU. 

Str.  40,4  ist  etwas  zu  ergänzen,  nicht  tr,  was  sich  auf 
die  Ritter  beziehen  würde,  sondern  c2er  trewK^en,  vgl.  Str.  36: 
si  gib  ich  beaunder  fünf  hundert  vromcen  Ueit.  vrawen  hat 
schon  V. 

Str.  48,3.  Hätten  die  Herausgeber  die  hässh'che  Wort- 
stellung doch  wohl  ändern  sollen  in:  die  vamde  diet  des 
mcUe  lüzgd  da  verdrießen.  Die  Wortfolge,  die  der  Ab- 
schreiber des  15./16.  Jhd.  seinem  Redegebrauch  gemässer 
&nd,  kann  nns  bei  Herstellung  fliessender  Verse,  und  solche 
Terlaogt  die  Gudrun  durchaus,  doch  nicht  im  Wege  stehen. 

Str.  52,4.  Per  Absdireiber  hat  hier  durch  Gleich- 
machung des  Reimes  mdgen^  phlägen  den  Sinn  tief  zerrüttet. 
Veqjleichen  wir  alle  übrigen  Stellen  des  Gedichtes,  wo  von 
dem  Verhältnisse  edler  Kinder  zu  ihren  mägen  die  Rede 
ist,  so  zeigt  sich,  dass  sie  immer  von  ihnen  oder  bei  ihnen 
erzogen  werden,  eme  Sitte,  die  besonders  tief  im  altnordi- 
schen Leben  wurzelt  und  dort  auf  Schritt  und  Tritt  be- 
gegnet. Man  Tergl/ besonders  Str.  98.  Hagene  erzog  sich 
selber,  denn  er  was  pUer  siner  mäge  eine  =  er  musste 
sich  seine  sämmtlichen  Mage  ersetzen,  femer  Str.  198, 
0.  8.  w.  Es  darf  also  in  unserer  Stelle  nicht  gesagt  sein, 
dass  die  Freunde  das  Eind  den  Magen  erziehen,  deiyi  beide 
zusammen  erziehen  es  nur  den  Eltern,  sondern  es  kann  bloss 
Ton  den  mägen  als  Erziehern  die  Rede  sein,  folglich  muss 
der  Nom.  mäge  stehen,  was  den  Reimen  der  Gudrun  be- 
kanntlich auch  sonst  entspricht.  Nun  ist  die  Emendation 
dxifftch:  sus  eugen  ee  mit  vlUse  Ane  mäge. 

Str.  85,2  braucht  groaea  nicht  getilgt  zu  werden,  wie 
E.  V.  B.  thun.    Man  lese: 


226         Sitgung  der  phihs.'phOol.  Claste  vom  6,  JvHi  1867, 

Ine  weie  von  weihen  enden  geflozzen  über  mer 

hom  zen  steinwenden  ein  grozez  gotes  her. 

Str.  91,3  1.  den  wolte  er  an  der  ztte  gerne  hän  vers- 
tunden. ZU  als  Dativ  möchte  ich  der  Gudrun  nicht  zu- 
trauen. 

Str.  99,2.  Alle  Herausgeber  haben  hier  die  rvihen 
fische^  ein  Nonsens,  von  dem  noch  dazu  nichts  in  der  HS. 
steht  und  der  wahrlich  nicht  besser  wird,  wenn  B.  ihn  auch 
noch  erklärt:  y,rauh  wegen  der  Schuppen".  Im  Binnenlande 
gibt  es  keine  Fische  mit  rauhen  Schuppen,  und  die  dorti- 
gen Fische  kann  man  ihrer  Schuppen  wegen  nur  glatt 
nennen.  Sollte  man  dem  Dichter  der  Greifenat^en/ture 
etwa  die  Spitzfindigkeit  zumuthen,  er  hätte  die  Seefische  im 
Gegensatze  zu  den  glatten  Süsswasserfischen  sich  rauh  vor- 
gestellt? Aber  wir  brauchen  ihm  gar  Nichts  zuzumnthen, 
denn  er  hat  uns  hier  das  richtige  Wort  in  richtiger  mittel- 
hochdeutscher Form  überliefert,  rawhen  d.  h.  räwen  = 
rohen.  Die  rohen  Fische  konnte  Hagene  nicht  geniesseD, 
weil  seine  Küche  selten  rauchte,  d.  h.  weil  er  nodi  kein 
Feuer  hatte,  welches  er  erst  Str.  104  aus  dem  Felsen 
schlägt. 

Str.  108,4.  Den  Frauen  bringt  die  Noth  des  Schiffes, 
welches  sie  im  Sturme  erblicken,  die  Rettung;  ich  mochte 
daher  statt  frouwen  lesen  ferjen  =  den  Schiffern. 

Str.  116,3.  Diese  Strophe  hat  das  Schicksal  gehabt, 
ganz  Aisdrücklich  missverstanden  zu  werden,  wiewohl  sie 
einem  der  allgemeinsten  mittelalterlichen  Bräuche  ihre  Ent- 
stehung verdankt.  Gästen,  die  man  ehren  wollte,  gab  man 
Kleider  der  Hausgenossen  zum  Wechseln  gegen  ihre  eigenen. 
Der  Dichter  kann  also  nicht  mit  B.  gemeint  haben:  „sie 
würden  mir  weise  ei*scheinen,  wenn  sie  diese  ungewohnte 
Umgebung  als  eine  ihnen  angethane  Ehre  betraditeten'^,  son- 
dern er  will  einfach  einen  Witz  machen:  wären  sie  welt- 
läufig (wise)  gewesen,    so  hätten  sie  die  männlichen  Pilger- 


Hofmann:  Zur  Gudrun,  227 

katten,  die  ihnen  so  ungewohnt  vorkamen  unid  welche  sie 
eich  öchämten,  anzuziehen,  als  eine  4hrem  hohen  Stande  er- 
wiesene Ehre  (wirde)  hingenommen. 

Str.  121  lese  ich 
Do  sprach  der  ritter^edele:  ^^got  hat  vü  weil  getän^ 
SU  er  iuch  bi  den  mdgen  niht  enwclte  Idn; 
ff  Sit  mit  gkien  gnaden  üe  grösser  not  entbunden, 
Sit  ich  iuchy  meide,  so  schone  hän  an  disem  Stade  funden. 

Str.  127,1  1.  ist  so  stark  dtn  Itp. 

Str.  130,4  wohl  am  einfachsten:  in  herten  stürmen 
slahen  unde  vaheri. 

Str.  134,4.  Hier  darf  nicht  geholfen  werden,  indem 
man  für  leeret  umbe  das  gleichbedeutende,  aber  metrisch 
richtige  wendet  setzt,  was  ausserdem  auch  noch  widersinnig 
wäre,  weil  man  ein  Segelschiff  nicht  wie  einen  Wagen  oder 
einen  Dampfer  plötzlich  wenden  kann.  Der  Hauptgrund 
ist  übrigens  noch  der,  dass  der  Schreiber  der  Ambraser  HS. 
sicherlich  wendet  ebenso  gut  verstanden  hätte,  als  Jc^et 
umbe.  Entfernen  wir  den  unerlaubten  Auftakt  kSret,  so 
erhalten  wir  das  Richtige  der  volge  miner  Ure  \  urnbe  iuwer 
segele,  das.  man  gegen  Irlande  Mre;  denn  das  Schiff  ist 
wieder  ein  tautologisches  Einschiebsel  des  Abschreibers,  der 
den  mhd.  Gebrauch  des  absoluten  kSren  nicht  mehr  recht 
kannte,  wiewohl  er  es  zwei  Strophen  weiter  unangetastet 
gelassen  hat:  die  selben  schifliute  muosten  dö  gen  Irlande 
Uren. 

Str.  138,4  1.  tüme  driu  hundert,  was  einen  wohlklin- 
gendem  Vers  gibt. 

Str.  143,4  1.  vor  an  miner  brüste  bevinde.  v6r  an  ist 
za  hart. 

Str.  148,1  1.  Do  Voten  der'vrouwen  ditBe  wart  geseit 
im  Anschlüsse  an  die  HS. 

Str.  151,3  1.  u^  im  ein  grüeeen  taete^  fliessender. 

Str.  152,1  sin  in  sin  lant  ist  besonders  hässlich.    Ich 


228        Siieung  der  phüas.'phüol.  ClasH  wm  6.  Juli  1867. 

lese  der  hünec  in  mUekomen  hiea  wesm  in  ^n  lant,  da 
ich  mich  nicht  an  dem  stumpfen  Schiasse  des  ersten  Halb- 
yerses  unllekamen  stosse,  der  ja  durdi  Stellen  bewiesen 
wird,  wo  man  z.  B.  statt  nem  ein  vermeintliches  nerjen 
setzen  muss,  um  einen  scheinbar  klingenden  Ausgang  zu 
bekommen.  Es  ist  das  sicher  einer  der  Punkte ,  wo  man 
besser  thäte,  bei  dem,  was  Lachmann  gesagt,  stehen  zu 
bleiben. 

Str.  153,2.  Zu  gemach  bemerkt  B.  „Bequemlichkeit, 
bequeme  Gelegenheit;  der  Begriff  der  Absonderung  liegt 
darin".  Ich  bezweifle,  ob  dadurch  der  Sinn  der  Stelle 
deutlich  werde.  Der  König  sollte  die  Leute  zurücktreten 
heissen,  damit  sein  Sohn  Hagene  mit  Anstand  seine  Brost 
entblössen  und  seine  Mutter  das  Ereuzzeidien  auf  der  Haut 
sehen  konnte. 

Str.  155,3.    Die   Herausgeber   E.   V.    B.    haben    hier 
wieder    das  Adjectiv  vom  Substantiv  durch  die  Cäsur   ge- 
trennt,   was    auf  jede  Weise  zu  vermeiden   ist.    Man    lese 
v(m  ^nes  hensAi  Hebe  I  üz  sinen  ougen  vloe; 
im  viel  der  heizen  trähene  \  da  zetal  genuoc. 

Str.  159,4  1.  sU  wurden  sie  ee  fAnde  /  den  von  Irlande 
nimmer  miete.  Ob  man  die  nhd.  Wendung:  mit  einem 
Feind  oder  Freund  sein,  schon  im  Mhd.  gebraucht  hat ,  be- 
zweifle ich  einstweilen. 

Str.  177.  ^  9pr&chen^  sie  fragten  ist  eine  Unerträg- 
liche Tautologie,  zudem  steht  sprach  am  Anfange  der  vori- 
gen Strophe  imd  im  dritten  Verse  der  vorliegenden  noch 
einmal.    Man  lese: 

Wer  diu  vrouwe  waere^  des  fragten  sine  man, 
diu  vor  sinen  helden  ee  hove  sölde  gm. 

Str.^il96,3.4.  I)EL[vorgefane  bis  jetzt  nicht  gefunden 
ist,  so  darf  man  wohl  eine  kühnere  Vermuthung  wagen.  Ich 
lese,  indem  ich  er  hiee  aus  der  letzten  Zeile,  wo  es  über- 
flüssig steht,  heraufziehe: 


Hofmaimi:  Zur  Omdnm.  229 

er  hiez  von  af^en  vürhten  nähen  unde  verrm 
Väkmt  cXler  hün  ige  .  .  . 

fforhten  ist  die  Furcht,  welche  man  vor  HageneQ  hatte, 
▼gl.  Mhd.  WB.  III.  385,  b.    Noch  näher  läge  varhtsame. 

Str.  208,1.  Der  zweite  Halbsvers  ist  ebenso  sdilecht 
bei  y.  im  dient  waaiser  unde  lant  als  bei  B.  wazeer  unde 
lofrf,  die  ausser  der  Gonstruction' stehen  sollen  und  dgl. 
Statt  uHuzer  ist  einfach  mer  zn  setzen,  im  diente  fher  uni 
loii^,  vgl.  Str.  1669.  Dass  ich  hier  unt  setze,  gründet  sich 
aaf  Lachmann ,  der  zu  den  Nibel.  934,2  bemerkt:  „Die 
Lesart  von  A  darf  man  aussprechen  an  uns  sarge  unt  leit. 
Denn  gerade  vor  I  wird  unde  auch  an  dieser  Versstelle 
verkürzt,  bei  Walther  v.  d.  V.  vor  keinem  anderen  Conso- 
nanten  als  I". 

Str..  233.  l  Er  fragte^   ob  er  füeren  soUe  mit  im  dan 
heim  unde  briinne  od  iemen  ^ner  man. 
der  boten  sprach  dd  einer:  wir  enhMen  niht 
dasf  er  bedörfte  recken  u.  s.  w. 

Str.  246,4  finde  ich  nur  eine  kleine  Aenderung  des 
Ueberlieferten  nothwendig: 

der  mins  gemaches  väret^  der  sei  die  selben  triuwe  von 
mir  dulden  =  dem  will  ich  Gleiches  mit  Gleichem  ver- 
gelten, darum  miiset  audi  ihr  Jbeide  als  Boten  mit  mir  fahren. 

Str.  249,2.  ein  schif  von  ciperbotmen  kömmt  mir  ver- 
dächtig vor.  Warum  sollte  ein  Schiff  vom  Trauerbaum  fest 
and  gut  sein?  Ich  lese  cederboumen^  denn  der  Ceder  wird 
die  Eigenschaft  beigelegt ,  nicht  von  Würmern  angegriffen 
zu  werden,  gerade  was  ein  Seeschiff  am  meisten  braucht. 
Dass  sie  im  Lande  der  Hegelinge  weder  Zedern  noch  C7- 
pressen  zum  Schiffbau  hatten,  braucht  den  Dichter  nicht 
zu  kümmern. 

Str.  260,3.  Für  winters  braucht  nicht  meien  gesetzt 
zu  werden,  man  lese  nädi  des  winters  zUen  oder  vielleicht 
dem  Texte  naher:   von  des  w.  jt,  von  in  temporalem  Sinne. 


230         Sitzung  der  phüas.'phüöl,  Clasae  wm  6.  Juli  1867. 

Str.  264,4.  1.  wurden  wol  mit  süber  gebunden. 

Str.  271,4.  1.  ja  wären  sie  des  künec  Hetelen  hünne. 

Str.  281,2.3.  möchte  ich  lesen:  dojs  man  dojs  magedin 
mit  sMte  erwerben  solde^  ob  Sin  geschaehe  not 

•  üeber  den  Ausdruck  not  geschiht  vgl.  Mhd-  WB.  II, 
408  Nr.  4.  Mit  List  und  Streit  zugleich  konnten  die  Ge- 
waffneten  doch  die  Maid  nicht  erwerben  sollen.  Z.  4  könnte 
man  willige  lesen,  um  d^n  eigenthüm liehen  metrischen  Bau 
der  8.  Halbzeile  herzustellen,  vgl.  Grimm  DG.  III,  115. 

Str.  288.     Diese  Strophe  ist  sehr  wichtig,  denn  in  ihr 
deutet  der  Dichter    auf  eine  andere  Fassung  der  Sage  hin, 
die  er  verwirft.    Es  handelt   sich  um  die  richtige  Deutung 
von  Pciag.    Erwägt   man,   dass  im   15.  Jhd.   n  mit   dem 
zweiten  Striche  nach  unten  verlängert   vorkömmt,  so  ergibt 
Polay  Polan^  wohin  also  die  andere  Sage    den  Eönigssitz 
Hagenes  verlegte,   töbeltchej    meint  der  Dichter,    denn  nach 
Polen  hätten  die  Hegelinge  nicht  1000  Seemeilen  zu  fahren 
gehabt,  wie  nach  Irland.  Lassen  wir  Polan  gelten,  so  dürfte 
die  ganze  Strophe  so  zu  lesen  sein: 
Sie  het  wol  tüsent  mite  dae  waseer  dar  getragen 
hin  ee  Hagenen  bürge^  swie  wir  hoeren  sagen^ 
dae  er  herre  waere  ee  Polan  lasterliche, 
sie  liegent  tobeliche,  ee  enist  dem  maere  niht  geUche. 

Eine  Andeutung^  wie  die  Sage  den  Hagene  nach  Polen 
verlegen  konnte,  findet  sich  bei  Saxo  Grammaticus.  Er 
macht  den  Höginus^  einen  jütischen  Dnterkönig  (reguJus) 
zum  Vasallen  des  Frotho  UI,  dem  er  im  Kriege  gegen  die 
Slaven  hilft,  nach  deren  Besiegung  Frotho  ihr  Land  an 
seine  Unterkönige  vertheilt.  Es  wäre  möglich,  dass  man 
auch  dem  Höginus  eine  slawische  Provinz  zugetheilt  und 
dass  daraus  in  einer  weiter  foitgesponnenen  Er^Lhlung 
Polen  geworden.  Diess  wird  wohl  die  einzige  Stelle  sein, 
in  der  ich  von  Haupts  Gudrunemendationen  abweiche. 

(Der  Schluss  im  folgenden  Hefte). 


&mU:  GegemoärHge  Oenamgleni  der  Wägmgen.  231 


Mathematisch -physikaÜBche  Glasse. 

Sitzung  Yom  6.  Juli  1667. 


Herr  Seidel  hielt  eineu  Vortrag,  betr.: 
„Einen   Beitrag    zur  Bestimmung  der  Grenze 
der  mit  der  Wage  gegenwärtig  erreichbaren 
Genauigkeit". 

Die  Benrtheilang.der  Sicherheit,  welche  den  aas  Be- 
obaditnngen  abgeleiteten  Zahlengrössen  beigelegt  werden 
darf,  bildet  bekanntlich  in  den  vei*schiedenen  Zweigen  der 
Messknnst  keine  leichte  Aafgabe,  soferne  man  äberhanpt 
darauf  ansg^angen  ist,  die  Hilfsmittel  der  Beobachtung  und 
ihrer  Reduction  bis  zu  der  Grenze  äirer  Leistungsfähigkeit 
wirklich  in  Ansprudi  zu  nehmen.  Es  ist  eine  notorische 
Erfahrung,  dass,  aufeinanderfolgende  Messungen  ein  und 
tind  derselben  Grosse,  oder  überhaupt  Beobachtungen,  welche 
mit  einerlei  instrumentalen  Mitteln ,  unter  ähnlichen  Um« 
standen  gemacht  sind,  fast  jederzeit  genauer  unter  mix 
stimmen,  als,  nach  Berücfeichtigung  aller  Reductionen,  ihre 
Resultate  mit  denjenigen  zusammengehen,  welche  man  mit 
anderen  Hilfsmitteln  oder  nach  Verfluss  längerer  Zeit  erhält; 
—  so  dass  die  Zuverlässigkeit  der  Zahlen  beinahe  gewiss 
fiberschätzt  wird,  wenn  man  sie  lediglich  nach  dem  „wahr- 
scheinlichen Fehler''  taxiren  will,  wie  er  aus  dem  einseitigen 
Materiale  nach  der  Methode  der  kleinsten  Quadrate  sich  er- 
giebt.  Natürlich  folgt  hieraus  nicht,  dass  die  Wahrsdiein- 
lichkeitsrechnung,  in  welcher  die  genannte  Methode  begründet 
ist,  das  ürtheil  irre  fühi-t;  denn  es  ist  ja  eine  ausdrück- 
lidie  Voraussetzung,   die  bei  der  betreffenden  Probabilitäts* 


232         Sümmg  der  mm^-ph^i.  CIsm  wm  e.  Mi  1897. 

Untersachnng  m,  Grande  gelegt  wird,  dass  positiye  und 
negative  Beobachtt^ngsfehler  mit  gleicher  Leichtigkeit  sich 
ergeben  können,  —  oder  mit  andern  Worten:  dass  oon- 
stante  Fehler  ausgeschlossen  sind.  In  Wirklichkeit  ist  es 
kaum  jemals  möglich, .  diese  Bedingung  genau  zu  realisiren: 
Einflüsse  untergeordneter  Art,  welche  während  gewisser 
.  Zeit  oder  bei  dem  Oebrauche  der  gleichen  Instrumente  etc. 
in  oonstantem  Sinne  agiren,  werden  sich,  wenn  die  Sache 
genau  betrachtet  wird,  fast  immer  nicht  nur  als  möglidi, 
sondern  selbst  als  höchst  wahrscheinlich  vorhanden  erkennen 
lassen;  —  und  wenn  wir,  ungeachtet  der  Einsicht  hieven, 
doch  die  Methode  der  kleinsten  Quadrate  auf  derlei  Fälle 
anwenden,  die  ihren  Voraussefasungen  nicht  entsprechen,  so 
geschieht  es  deshalb,  weil  uns  die  Mittel  fehlen,  die  geseta- 
mässige  Art  des  Wirkens  jener  Einflüsse  bu  verfolgen,  oder 
auch  nur  zu  beurtheilen,  ob  in  dem  einzelnen  gerade  vor- 
liegenden Falle  die  Wahrscheinlichkeit  der  positiven  od« 
die  der  negativen  Beobachtungsfehler  durch  sie  ein  Uebcc^ 
gewicht  erhalten  hat.  Es  würde  überdies  unmöglich  sein, 
jedesmal  je  nach  de»  besonderen  Bedingihcdt  der  vorliegen- 
den Beobachtungen  die  ihr  individuell  entsprechende  Wahr- 
scheinliöhkeits-Aufgabe  strenge  zu  lösen,  so  wie  sie  fär 
jenen  einfiMdisten  und  gewissennassen  normalen  Fall  dordi 
die  Aufstellung  der  Methode  def  kleinsten  Quadrate  gelöst 
ist.  Immerhin  mag  man  auch  da,  wo  entstellende  Einwiiic- 
ungen  constanter  Art  nicht  undenkbar  sind,  den  sogenannten 
yfWahrscheinlichen  Fehler"  ableiten  und  ihn  aufführen  als 
einen  bequemen  und  allgemein  verständlichen  Gradmesser 
fiir  die  Uebereinstimmung  der  einzelnen  Messungen  unter 
sich:  nur  darf  man  nicht  sich  der  TUuschung  hingeben, 
(von  welcher  Niemand  entfernter  war,  als  die  grossen  Ur- 
heber jener  Methode),  als  ob  seine  Herleitung  die  sorg- 
fiUtige  Würdigung  der  Umstände  der  Messung  und  der  für 
die  Elimination  ooostanter  Fehler  getro£fenen  Gautelen  un- 


Setäd:  QtgtmfärHgt  Chmmißmt  i^  Wägmgm.  283 

nSAig  machte^  Dar  Fall  ist  sehr  wohl  denkbar^  dass  unter 
zwtterlei  Beobachtaogsresiiltateo ,  die  dordi  Terschiedene 
Methoden  fiir  dieseiboi  Grössen  erlangt  worden  sind,  die- 
jenigen, welche  einseitig  berechnet  den  kleineren  wahrsdieia* 
liehen  Fehler  zeigen,  gleich  TOn  ▼omherein  nnd  sogar  wegen 
der  Kleinheit  dieses  Fehlers  für  die  schlechteren  m  halten 
sind:  nemlich  dann,  wenn  Vwdacht  besteht,  dass  ihre  ge» 
Dane  Uebereinstimmong  desshalb  zu  Stande  kam,  weil 
Fehlerorsachen  constant  wirkten,  die  in  dem  besser  ein* 
geriditeten  Beobaditungssystem  bald  auf  die  eine  bald  anf 
die  andere  Seite  fallen  und  so  den  apparenten  wahrschein- 
liehen  Fehler  Tergrössem  mnssten;  —  ganz  so  wie  oater 
Umstand^,  ebenfalls. nach  den  Prindpien  der  Wahrscheitt* 
lidikeitslehre,  die  Anssagen  zweier  Zeugen  dämm  verdächtig 
worden  konnm,  weil  sie  gar  zu  genan  übereinkommen. 
Massen- Vergleichnngen  mittelst  der  Wage  gehören  in 
▼ielem  Betracht  zn  den  einfadisten  nnd  desshalb  begünstigten 
Beobaditongen.  Dennoch  ist  es  schwer,  wenn  man  die 
letzte  Genauigkeit  anstrebt,  bestimmt  festzustellen,  wie  weit 
sie  eigentlich  geht  Nach  einander  gemachte  Meesangen 
dersdben  Grewichtsdifferenz  zeigen  leicht  einen  hohen  Ghrad 
fon  Deberanstimmung:  ebenso  leidit  triSi  es  sich  aber, 
dass  man  an  einem  andern  Tage  aus  nicht  minder  gut 
unter  sich  harmonirenden  Bestimmungen  ein  Resultat  erhält, 
welches  nach  allen  Beductionen  um  das  Zehnfache  des  ein* 
fleitig  abgeleiteten  „wahrscheinlidien  Fehlers*'  tou  dem  erst 
gdundenen  abweicht.  Sdir  häufig  wird  eine  Dnsichezhdt 
über  das  genaue  Gewidit  der  von  den  aufgelegten  Massen 
rerdrangten  wasserhaltigen  Luft  die  Entstehung  saldier 
Differenzen  eiklären.  In  diesem  Falle  hat  man  einen  Theil 
der  Genauigkeit,  die  der  Akt  der  Wägung  an  sich  gewährt, 
verloren  durch  ihre  nothwendig  unvollkommene  Beduction. 
Wollte  man  aber  zur  Vermeidung  dieses  Uebelstaodes  die 
{e  in  ein  Vacuum  bringen,  so  wird  man  m  dßa  meisten 


234         SWnmg  der  fiMKft.-iiAy«.  Qam  wm  6.  JM  1867. 

Fällen  durch  die  Unbequemlichkeit  der  Einrichtiuig  Teran* 
lasst  sein,  die  Vergleichung  nicht  so  oft,  als  sonst  leiöht 
gesdiehen  könnte,  zu  wiederholen,  und  so  auf  anderer  Seite 
einen  Theil  der  erreidibaren  Genauigkeit  aufzuopfern.  Dazu 
kommt,  dass  es  überhaupt  schwer  ist,  sich  der  Unverander- 
lidikeit  der  Massen  bis  in  die  letzten  Grössen,  für  welche 
die  Wage  sensibel  ist,  zu  yersichem,  dass  man  also,  während 
der  Zeit  nach  sich  nahe  liegende  Beobachtungen  leicht  von 
oonstanten  Fehlern  entstellt  sind,  zwischen  solchen  entfern- 
terer Epochen  eine  Veränderung  an  den  gewogenen  Körpern 
als  möglich  in  Betracht  ziehen  muss.  Die  beiden  französi- 
schen Kilogramme-Etalons  von  Piatina,  der  Archive  und  der 
Sternwarte,  sind  bdcanntlich  von  der  mit  ihrer  Herstellung 
betrauten  Commission  fär  identisch  erklärt  worden,  waren 
also  urspiünglich  jedenfalls  um  weniger  als  ein  Milligramm 
▼erschiedeu:  im  Jahre  1837  ergaben  sieben  auf  Arago's 
VeranUssung  ?on  Gambey,  ISteinheil  und  von  ihm  selbst  an 
?ier  Tagen  vorgenommene  Vergleichungen  übereinstimmend 
einen  Unterschied  von  4,5  Milligrammen^),  der  wahrschein- 
lichsten Annahme  nach  herrührend  von  einer  allmählich 
eingetretenen  Verunreinigung  der  Oberfläche  des  Eilogram- 
mes  der  Sternwarte  (als  des  öfter  benutzten)  durch  adhäri- 
rende  fremde  Theilchen,  die  wegen  der  Weichheit  der 
Piatina  nicht  ohne  Gefahr  zu  entfernen  sein  würden.  Ge- 
wichte aus  anderen  Metallen  sind  aber  ähnlichen  Aender- 
ungen  aus  anderer  Ursache  ausgesetzt.  Ein  genau  aus- 
gewogener Kilogramm-Einsatz,  der  aus  13  Stucken  besteht, 
die  zusammen  einen  Würfel  bilden,  und  mit  welchem  Stein- 
heil und  ich  1843J4  viele  soif  faltige  Wägungen  ausführten, 
verlor  vom  9.  November  1843  bis  6.  Januar  1844  6,9  Milli- 
grammen; weiter  von  da  bis  Ende  Juni,    während  welcher 


1)  S.  SteinheiPs  Abhandlung  in  den  Denkschriften  der  Münchner 
Akademie.  1844.  p.  77. 


Seidel:  Gegenwärtige  Genauigkeit  der  Wägungen.  235 

Zeit  das  specifische  Gewicht  seiner  einzelnen  Stücke  be- 
stimmt worden  war,  7,6  M.;  dann  durch  einmaliges  Ab- 
waschen seiner  Stücke  wieder  4,3  M.;  im  Ganzen  also  in 
drei  Vierteljahren  18,8  M.  Ein  anderer  ähnlicher  Einsatz, 
dessen  Oberflächen  sämmtlich  zu  genauen  Ebenen  geschliffen, 
dann  auf  galyanischem  Wege  stark  vergoldet  und  zu  Spi^eln 
poUert  worden  waren,  nahm  zu  von  1844  Juli  12.  bis 
Novbr.  1.  um  3,2  M.  Am  27.  JuU  war  das  specifische  Ge« 
wicht  des  Halbkilogramm-Stückes  (zum  zweitenmale)  bestimmt 
worden,  sonst  aber  der  Einsatz  unberührt  und  wohl  ver- 
wahrt gestanden.  Durch  absichtlich  vorgenommenes  Ab* 
waschen  verloren  diese  Gewichte  am  3.  November  nur 
0,5  M.,  dann  am  gleichen  Tage  durch  ein  wiederholtes 
Waschen  mit  Seifenwasser  noch  0,6  M.;  also  zusammen 
1,1  M.,  so  dass  noch  immer  von  3Vs  Monaten  eine  Gewichts- 
zunahme um  2,1  M.  übrig  blieb,  welche  nicht  von  Unreinigkeit 
der  Oberfläche  herrühren  konnte  (die  einzelnen  Stücke  waren 
beim  Gebrauch  stets  ganz  blank  und  spiegelnd),  und  die 
vielleicht  am  ersten  auf  Rechnung  einer  unter  der  Vergold- 
aug  vor  sich  gehenden  Oxydation  des  Messings  zu  setzen 
ist.  Diese  und  noch  einige  ähnliche  Erfahrungen  über  die 
Yeränderlichkeit  der  Metallgewichte  gaben  damals  Veran- 
lassung, in  der  Werksätte  der  mathematisch-physikalischen 
Bammlung  einen  vollständigen  Einsatz  aus  Bergkrystall  her- 
stellen zu  lassen,  bestehend  aus  einem  Kilogramme-Stücke 
(welches  direct  mit  dem  vorher  in  Paris  durch  das  Original 
der  Archive  bestimmten  und  später  nach  Neapel  verkauften 
Repsold'schen  Bergkrystall- Kilogramme  verglichen  worden 
ist),  zwei  halben  Kilogrammen  etc.  bis  herab  zur  Gramme, 
in  Allem  15  Gylinder  (die  Kanten  durch  Kugelfacetten  ab- 
gerundet), von  höchst  vollkommener  Gestalt  und  Politur 
der  Oberflächen.  Da  wir  allen  Grund  hatten,  diesen  Ge- 
wichten, die  man  vor  dem  jedesmaligen  Gebi-auche  unbe- 
denklich mit  Weingeist  waschen  darf,    viel  grössere  Unver- 


286  SiUmng  der  matK-phifß.  Oasse  vom  6.  Jidi  1867. 

änderlichkeit  als  den  metallenen  zoznschreiben,  so  worden 
dann  im  Jahre  1846  durch  eine  grosse  Beobachtungsreihe, 
die  wesentirch  von  mir  herrührt,  ihre  Werthe  möglichst 
sorgfältig  bestimmt,  damit  für  weitere  Gewiditsnntersach- 
ungen  der  Apparat  ein  für  allemal  beigestellt  sei.  Ich 
setzte  mir  damals  zum  Ziel,  die  relativen  Werthe  dieser 
Stficke,  d.  h.  ihre  Verhältnisse  zum  grössten,  bis  auf  ein 
paar  Hondertmilliontel  des  letzteren  zu  bestimmen.  Die 
Unsicherheit  in  Betreff  der  Luftgewichte,  von  welcher  vorher 
die  Sprache  war,  fallt  nämlich  vollkommen  fort,  wenn  man 
Bergkrystall  mit  Bergkrystall  vergleicht,  weil  hier  gleiche 
Massen  auch  gleiche  Volumina  bedingen.  In  dieser  Beziehung 
lagen  uns,  schon  als  der  Einsatz  hergestellt  wurde  (dessen 
Stücke  übrigens  alle  von  demselben  Erystall-Blocke  her- 
rühren) die  Bestimmungen  der  specifisohen  Gewichte  von 
sechs  verschiedenen  Krystall-Körpem  vor,  deren  Einer  aus 
Brasilien,  ein  zweiter  aus  Madagaskar  stammte,  während 
die  übrigen  wahrscheinlich  europäischen  Ursprungs  sind;  — 
für  diese  alle  hatten  wir,  auf  so  viel  Stellen  als  überhaupt 
v^bürgt  werden  können,  gleiche  specifische  Gewichte  er- 
halten, indem  die  grösste  gefundene  Abweichung  vom  Mittel- 
weitii  sich  auf  0,00005  stellte,  welche  Differenz,  wenn  sie 
selbst  reell  wäre,  doch  bei  der  Masse  von  1  Kilogramm 
das  Gewicht  der  verdrängten  Luft  noch  nicht  um  0,01  M. 
verändern  würde').  Die  weiteren  Untersuchungen,  für 
weldie  die  Herstellung  jenes  Einsatzes  als  Vorarbeit  dienen 


2)  Unmittelbare  W&gungen  im  Waaser  von  der  grössten  Dichtig- 
keit geben  das  specifisohe  Gewicht  des  Bergkrystalls  =  2,65479. 
Ans  den  Wägongen  bei  höherer  Temperatur  hatten  wir  mittelst  der 
Hallström'schen,  von  Bessel  reprodacirten  Tafel  für  die  Ausdehnung 
des  Wassers  zuerst  einen  kleineren  Werth  abgeleitet  (vgl.  Steinheil 
a.  a.  0.)  in  Folge  der  Unrichtigkeit  dieser  Tafel. 


Seidel:  GegemoöfHge  OenauigJceii  der  W&gungen.  237 

sollte,  Bmd  nor  znm  Theil  ausgeführt  worden:  bei  ihrer 
Dnterbrechtmg  durch  Steinheil's  damalige  Uebersiedelung 
nach  Wien  bh'eben  die  mit  bedeutenden  Kosten  hergestellten 
Gewichte  sein  Privat-Eigenthum.  Neuerlich,  als  die  Verband* 
langen  wegen  eines  gemeinschaftlichen  deutschen  Maasses 
und  Gewichtes  dem  Gegenstand  ein  erneutes  Interesse  gaben, 
hat  die  betreffende  Gommission  der  II.  Classe  der  k.  Akad. 
d.  W.  Anlass  genommen,  der  k.  Staatsregierung  die  Er- 
werbung dieser  Stücke  für  Bayern  anzuempfehlen,  jedoch 
ist  den  desfallsigen  Entschliessungen  das  Oesterreichische 
Gouvernement  zuvorgekommen,  und  hat  die  Wiener  Aka- 
demie in  den  Besitz  derselben  gebrSM^t.  Sie  wurden  Ende 
März  an  den  österreichischen  Bevollmächtigten  übergeben; 
ehe  dies  geschah,  hat  mir  auf  meinen  Wunsch  das  bereit- 
willige Entg^enkommen  des  Hrn.  Professors  Schrötter, 
General-Sekretärs  der  kais.  Akademie,  und  des  Hm.  Ministerial- 
Raths  Steinheil  die  Gelegenheit  verschafft,  einige  meiner  alten 
Gewichtsvergleichungen  zu  wiederholen.  Es  lag  mir  daran, 
ehe  diese  Stücke  für  immer  von  hier  fort  kamen,  mich 
selbst  von  der  Genauigkeit  meiner  früheren  Arbeit  noch- 
mals zu  überzeugen,  und  es  schien  mir,  dass  es.  gegenüber 
den  mit  Metallgewichten  gemachten  Erfahrungen,  von  wesent- 
lichem Werthe  sein  würde,  wenn  der  positive  Nachweis  einer 
viel  grösseren  Unveränderlickeit  unserer  Erystallkörper  durch 
ebe  nach  zwanzig  Jahren  vorgenommene  Controlbestim- 
mnog  geführt  werden  könnte.  Dazu  kommt  noch,  dass  das 
Eine  der  zur  Vergleichung  gebrachten  Stücke  auch  noch 
für  uns  in  München  die  Continuität  mit  dem  Original-Ge- 
wichte der  Archive  in  Paris  erhält:  das  Halb-Kilogramm- 
Stück  war  nemlich  in  Bel^krystall  deshalb  in  duplo  her- 
gestdlt  worden,  weil  das  erste  Exemplar  in  Folge  zu  rascher 
Erkältung  nach  dem  Poliren  im  Innern  einen  irisirenden 
Sprung  erhalten  hatte,  der  sich  bis  an  die  Oberfläche  erstreckt, 
[1867.  U.  2.]  16 


238  SiUung  der  math-phys.  Classe  wm  6.  JüU  1867. 

obgleich  an  derselben  nicht  die  geringste  Unterbrechung  der 
Continuität  mit  dem  Nagel  zu  spuren  ist;  es  wurde  darum 
dem  jetzt  verkauften  Einsätze  nicht  einverleibt,  war  aber 
schon  in  die  alten  Vergleichungen  von  mir  mit  hineingezogen 
worden,  weil  sich  bald  zeigte,  dass  der  Sprung  seine  Un- 
veränderlichkeit  auf  der  Wage  nicht  beeinträchtigte.  Die 
Summe  der  beiden  halben  Kilogramme  hatte  ich  1846  be- 
sonders sicher,  durch  45  Abwägungen,  mit  dem  ganzen 
Kilogramme  verglichen:  für  ihre  Differenz  (die  allerdings 
bei  kleinerer  Belastung,  also  grösserer  Empfindlichkeit,  der 
Wage  gemessen  und  deshalb  schneller  mit  der  gleidien 
Genauigkeit  erhalten  wird)  lagen  viel  weniger  Beobachtungen 
vor,  und  die  Wiederholung  dieser  Vergleichuug,  zu  möglichst 
sicherer  Bestimmung  der  beiden  Halben  durch  das  Ganze, 
war  deshalb  zunächst  angezeigt.  Für  die  zweite  Controle 
wählte  ich  die  erneute  Vergleicbung  des  Stückes  von  zwei 
Hektogrammen  mit  den  beiden  von  ein  Hektogramm,  weil 
ich  in  den  Originalpapieren  der  alten  Wägungen  eine  1846 
gemachte  Notiruug  gefunden  hatte,  dass  diese  Verbindung, 
als  etwas  unsicherer  bestinunt,  gelegentlich  zu  wieder- 
holen sei. 

Meine  diesmaligen  Beobachtungen  fielen  in  die  Tage 
vom  13.  bis  27.  März  1867;  es  war  mir  dazu  der  südliche 
Saal  der  mathem.-physikal.  Sammlung  des  Staates,  in  wel- 
chem der  Heliostat  angebracht  ist,  eingeräumt,  und  in  dem- 
selben die  Steinheirsche  Schneidewage  an  der  Wand  gegen 
den  südöstlichen  Arbeitssaal  in  ihrem  Kasten  aufgestellt 
worden.  Beide  Säle  blieben  ungeheizt,  und  ich  hielt  die 
Läden  desjenigen,  in  welchem  die  Wage  stand,  grössten- 
theils  geschlossen,  und  verweilte  in  ihm  nur,  während  es 
zum  Ablesen  und  dann  zum  Umsetzen  der  Gewichte  nöthig 
war:  in  Folge  dieser  Vorsicht  zeigte  das  Reaumur'sche 
Thermometer  am  Barometer  kaum  Schwankungen  von 
Vio   Grad    während    der  Beobachtungen  eines  Vor-    oder 


Seidd:  GegemoärHge  GenauiglUU  der  Wägmgm.  239 

Nadiiiiittags.  Die  Tortreffliche  mit  drei  auf  Aohatplatten 
spielenden  Schneiden  yereehene  Wage,  die  schon  zir  den 
froheren  Bestimmungen  gedient  hatte  (Eine  von  mehreren 
ganz  ähnlich  hergestellten)  ist  von  Steinheil  an  anderem 
Orte  beschrieben;  ihr  Balken  trägt  über  seiner  Mitte 
einen  kleinen  Planspiegel,  der  auf  eine  etwa  12  Fuss 
entfernte  Scala  weist,  an  welcher  die  Ausschläge  nach 
dem  Poggendorf-Gauss'schen  Principe  durch  das  auf 
den  Spiegel  gerichtete  feststehende  Femrohr  abgelesen  wer- 
den. Es  galt  mir,  meinen  früheren  Erfahrungen  nach,  als 
Regel,  die  Wage  stets  nach  Umsetzen  der  Gewichte  eine 
Viertelstunde  lang  frei  schwingen  zu  lassen ,  während  sich 
Niemand  im  Zimmer  befand,  damit  im  Innern  ihres  Kastens 
die  Luftströmungen  sich  beruhigen  und  die  Temperaturen 
sich  ausgleichen  könnten;  nach  Ablauf  dieser  Zeit  zeigte 
sich  im  Femrohre  die  Ruhe  und  Gleichmässigkeit  der 
Schwingungen  nur  beeinträchtigt  durch  vorübergehende  in 
dem  Lokale  nicht  zu  vermeidende  Erschütterungen  von  vor- 
beifahrenden Wägen;  wenn  zwei  nach  derselben  Seite  er« 
folgende  Ausschläge  bis  auf  ein  paar  der  geschätzten  Zehntel 
eines  Scalentheils  gleiche  Ablesung  gaben  (wie  dies  bei 
nüiigem  Gange  der  Wage  immer  der  Fall  war),  so  wurde 
der  Mittelwerth  beider  mit  der  der  Zeit  nach  zwischen  sie 
fallenden  Ablesung  der  entgegengesetzten  äussersten  Elonga- 
tion  zu  einem  Mittel  verbunden ,  welches  als  die  Ablesung 
der  Gleichgewichtslage  der  Wage  galt.  Die  Abwägungen 
selbst  wurden  nach  der  Methode  von  Gauss  gemacht,  indem 
^e  beiden  zu  vergleichenden  Körper  sich  gleichzeitig  auf 
den  beiden  Schalen  der  Wage  befanden,  und  zwischen  den- 
selben alternirten.  Der  Werth  des  Ausochlags  von  einem 
Scalentheil  wurde  mittelst  der  sehr  genau  bekannten  kleinen 
Gewichte  von  Piatinadraht  bestimmt,  über  welche  ich  zu- 
I^zt  noch  Einiges  beibringen  werde ,  natürlich  zu  wieder- 
bolten  Malen   und   zwar  bald  durch  Umsetzen  des  kleinen 

16* 


240        SüMung  der  maÜL-phys.  Cüane  vom  6.  Juli  18$?. 

Qewichtes  allein,  bald  auf  die  Art,  dass  durch  Hinzafugoog 
eines  solchen  zu  der  leichteren  der  beiden  grösseren  Massen 
die  Differenz  auf  die  entgegengesetzte  Seite  gebracht  wurde. 
Dieses  letztere  Verfahren  ist  etwas  unbequemer  als  das 
erste,  giebt  aber  eine  vollkommnere  Elimination  der  von 
Unsicherheit  des  Scalenwerthes  herrührenden  Fehler,  üebri- 
gens  ist  bei  derselben  Wage  der  Scalenwerth  natürlich  ab- 
hängig von  der  Entfernung  zwischen  Scala  und  Wage  und 
von  der  Grösse  der  Belastung;  diesmal  wurde  er  für  Be- 
obachtungen nach  dem  Oanss'schen  Prindp  gefunden  wie  folgt: 
-  ...      ^  .        Gewichtsdiffer^z,  welcher  der  Aus- 

^  '    schlag  von  Ein  Sealentheil  entspricht 

0,5  Kilogramm  0,0403  Milligramm. 

0,2  „  .        .        0,0200  „ 

0,191      „  .         .        0,0184  „ 

Für  den  Gewichtsunterschied  der  beiden  Erystall- 
Cylinder  von  0,5  Kilogramm  (unter  weldien  der  mit  dem 
Sprung  der  schwerere  ist)  lagen  mir  folgende  alte  Beob- 
achtungen  vor: 

1)  4  direkte  Yergleichungen  vom  Jahre  1846 

hatten  ergeben 3,503  Milligr. 

2)  2  noch  früher   von  Steinheil  angestellte 

(etwas  weniger  sichere)  .        •        .        •     3,542       „ 

3)  10  weitere,  in  den  ersten  Monaten  1647 

von  mir  gemacht 3,431       „ 

4)  Aus  10  Yergleichungen  des  nicht  gesprun- 
genen Stückes  mit  der  Summe  aller 
kleineren  Krystallgewichte  und  aus  5,5 
solchen  des  andern  mit  derselben  Summe 
folgte   indirect,    mit  dem  Gewichte  von 

3,55  direkten  Yergleichungen  (1846)       .     3,410      „ 
Im  Hauptresultate  dieser  4  alten  Bestim- 
mungsreihen (20  Messungen)  ergab  sich,  mit 
Rücksicht  auf  ihre  Gewichte  .        .     3,453  Milligr. 


8ädd:  Qegem»ärtige  Qenauigheit  der  Wägungm.  241 

Am  3.  März  des  laufenden  Jahres  machte  M.-R.  Stein- 
heil mit  einer  in  seiner  Wohnung  aufgestellten  Wage  die 
ersten  neuen  Beobachtungen:  die  Gewichte  waren  zuvor 
soigfältig  abgewischt,  aber  nicht,  wie  es  mir  als  Regel  galt, 
auch  mit  Weingeist  abgewaschen  worden;  sie  schienen  ganz 
rein.  Der  Unterschied  fand  sich  jetzt  aus  5  Abwägungen 
=  3,557  M.  Da  diese  Vergrösserung  seines  Werthes  auffiel, 
60  untersuchte  Steinheil  die  Oberflächen  nochmals  genau, 
imd  fand  jetzt  auf  derjenigen  des  schwereren  Stückes  zwei 
Ueine,  wahrscheinlich  von  Fliegen  herrührende  Flecken^ 
welche  weggewaschen  wurden;  ein  paar  vorläufige Beobacht- 
angen  zeigten  sogleich,  dass  diese  schwer  wahrnehmbare 
Verunreinigung  die  Ursache  der  Differenz  gegen  das  alte 
Mittel  gewesen  war.  Die  Gewichte  kamen  jetzt  in  meine 
Hände;  es  ergaben  mir 

5)  12  Vergleichungen  von  März  13.  bis  16.     3,394  Milligr. 

In  den  nächstfolgenden  Tagen  wurde  vom  Mechaniker 
nodi  eine  Justirung  am  Sperrwerk  vorgenommen,  durch 
welches  jedesmal  zwischen  zwei  Beobachtungen  der  Wage- 
balken von  den  Achatplatten,  auf  welchen  seine  Schneide 
ruht,  und  die  Wagschalen,  die  ihrerseits  mit  Achatplatten 
über  den  beiden  Endschneiden  des  Balkens  spielen,  von 
diesen  letzteren  sich  abheben.  Beim  Lösen  dieser  Arretirung 
hatte  nemlich  zuweilen  die  eine  Schale  durch  eine  Reibung 
zwischen  dem  Arme  des  Sperrwerks  un^  der  Fassung  ihres 
Steines  einen  Anstoss  erhalten,  der  die  Regelmässigkeit  der 
Initialschwingungen  beeinträchtigte.  Unterdessen  unterzog 
ich  auch  die  Erystalle  nochmals  einer  sorgfältigen  Reinig« 
ung  mittelst  feiner  Seife,  die  vom  Ballen  der  Hand  aus 
nass  aufgerieben  und  dann  mit  reinem  Wasser  abgewaschen 
wurde,  und  mit  Weingeist.  Die  hiemach  am  21.  und  22.  März 
vorgenommenen  neuen  Wägungen  ergaben 

6)  mit  dem  Gewichte  von  14,5  Bestimmungen  3,455  Milligr. 
Daher  im  Mittel  aller  26,5  neuen  Wägungen  3,431      „ 


242         Sitsung  der  maih.-phyi.  Ckase  wm  6.  Juli  ISCT. 

wenn  man  dea  Einzelbeobachtaugen  der  Reihe  6,  bei  wel- 
cher die  Wage  in  besserer  Ordnung  war,  gegenüber  den* 
jenigen  der  Reihe  5  ein  im  Verhältnisse  ton  4 : 3  grösseres 
Gewicht  beilegt. 

Das  Hauptmittel  aus  allen  alten  und  neuen  Beobacht- 
ungen wird  dann  (da  ihre  Gesammtgewichte  sich  sehr  nahe 
wie  20:25  oder  wie  4:5  verhalten): 

3,440  M.; 
vom  Mittel  der  alten  allein  abweichend  um  — 0,013,  von 
dem  der  neuen  allein  um  +0,009.  Man  bemerkt  nodi, 
dass  unter  den  alten  Wägnngsreihen  die  sicherste  (Nr.  3) 
ein  Resultat  giebt,  welches  mit  dem  Mittel  aller  neuen 
(3,431)  genau  übereinstimmt;  umgekehrt  trifft  das Ergebniss 
der  sichersten  unter  den  beiden  neuen  Reihen  (3,455)  bis 
auf  0,002  M.  überein  mit  dem  Gesammtmittel  der  alten 
Reihen. 

Es  haben  also  hier  Wägungen,  welche  um 
20  Jahre  auseinanderliegen,  für  die  gesuchte  Ge- 
wichtsdifferenz Zahlen  gegeben,  die  keine  Spur 
eines  constanten  Unterschiedes  erkennen  lassen, 
und  völlig  ebenso  gut  zusammenstimmen,  als  die 
einzelnen  bald  nach  einander  erhaltenen  Reihen 
unter  sich.  Zugleich  darf  man,  da  das  definitive  Mittel 
bis  auf  +0,01  Milligrammen  mit  den  beiden  Separatmitteln 
übereinkommt,  demselben  einen  hohen  Grad  von  Sicherheit 
beilegen.  Der  wahrscheinliche  Fehler,  nach  den  Regeln  der 
Methode  der  kleinsten  Quadrate  berechnet,  findet  sich  für 
eine  einzelne  Bestimmung  0,0265  und  für  das  allgemeine 
Mittel  der  sechsundvierzig  Wägungen  0,00391;  wenn  man 
aber  auch  annimmt,  (wie  ich  es  thue),  dass  das  letztere 
noch  um  +  0,01  Miligrammen  unsicher  sein .  kann,  d.  h. 
um  soviel  als  es  von  jedem  der  beiden  einseitigen  Mittel 
abweicht,  —  so  macht  dies  nur  den  50  Millionsten  Theil 
einer  jeden  der  beiden    mit  einander  verglichenen   Massen 


Seidel:  OegemoärHge  GenamgJceU  der  Wöffungen,  248 

ans«  Man  verdankt  die  Möglichkeit,  solche  Genauigkeit  za 
erreichen^  der  chemischen  Unyeränderlichkeit  und  der  Härte 
des  Materiales  der  Gewichte,  durch  welche  allein  die  uner- 
lässlich  nothwendige  scrupulöseste  Reinhaltung  der  Ober- 
flächen unbedenklich  gemacht  wird.  Wo  die  günstigsten 
Umstände,  wie  in  unserem  Falle,  yorhanden  sind,  ist  man 
in  der  That  berechtigt  zu  sagen,  dass  die  Genauigkeit  der 
Wägangen  weiter  geht,  als  die  irgend  welcher  anderer 
Messungen.  Ein  fünfzig  Millionstel  des  Ganzen  würde  z.  B. 
auf  die  analytische  Einheit  des  Winkels,  nemlich  denjenigen, 
dessen  Bogen  dem  Radius  gleich  ist,  nur  ausmachen  0,004 
Bogensekunden,  d.  i.  eine  Grösse,  bis  zu  welcher  die  Un- 
sicherheit in  der  Messung  eines  solchen  Winkels  durchaus 
nicht  herabgebracht  werden  kann. 

Für  die  zweite  Controle  war,  wie  schon  oben  erwähnt, 
die  wiederholte  Yergleichung  des  Cylinders  von  0,2  Kilo- 
gramm mit  den  beiden  von  0,1  Kilogramm  ausgewählt 
worden.  Aus  drei  Wägungen  von  1846  war  das  erstere 
Gewicht  leichter  gefunden  worden  als  die  Summe  der  beiden 
anderen  um  1,787  Milligramme.  Sieben  neue  Bestimmungen 
(vom  22.  März  1867)  ergaben  identisch  dieselbe  Diflferenz, 
wobei  natürlich  der  Zufall  mit  im  Spiele  ist. 

Da  jede  Wage  nur  bei  einer  bestimmten  Belastung  das 
Maximum  ihre  Leistung  gewährt,  und  da  überdies  bei  ge- 
ringer Last  und  grosser  Empfindlichkeit  der  störende  Ein- 
floss  von  Luftströmungen  und  anderen  Fehlerui*sachen  zu- 
nehmen muss,  so  werden  nothwendig  die  Unsicherheiten  in 
der  Bestimmung  sehr  kleiner  Massen  verhältnissmässig 
grösser,  als  bei  massig  grossen.  Die  absoluten  Werthe 
der  Unsicherheiten  aber  nehmen  allerdings,-  auch  bei  unserer 
Wage,  für  kleinere  Gewichte  noch  wdter  ab.  Zum  Beweise 
kann  ich  die  Zahlen  anführen,  welche  durch  drei  verschie- 
dene und  Von  einander  ganz  unabhängige  Auswägungen  für 
die  Gewichte  der  Platin-Drahtstücke    erhalten  worden  sind, 


244         Sütung  der  mtUh.'phff$.  «am  Clotfe  6.  JyHi  1867, 

welche  zu  unserem  Bergkrystall-Einsatz  die  Tbeile  abwärts 
von  der  Gramme  repräsentiren ,  and  die  jetzt  auch  mit 
nach  Wien  gekommen  sind. 

Zum  erstenmal  wurden  die  betreffenden  Stacke  im 
Januar  1844  auf  die  Art  bestimmt,  dass  sie  einzeb  ab- 
gewogen wurden  gegen  Stücke  eines  ähnlichen  Einsatzes  yod 
Platindraht,  der  dem  Staatsrath  Schumacher  in  Altona 
gehörte  und,  dem  Dedmalsystem  entsprechend,  Vielfadie 
und  aliquote  Theile  von  dänischen  Grains  repräsentirte. 
Seine  Btücke  waren  von  Schumacher  1836  und  wiederholt 
1838  bestimmt  worden;  die  durchschnittliche  Differenz 
zwischen  beiden  Bestimmungen  (die  zusammengestellt  sind 
in  der  schon  citirten  Abhandlung  Steinheil's  von  1844,  p.55) 
war  0,013  Milligr.:  Einmal  erhebt  sich  der  Unterschied 
auf  0^039  M.  und  Einmal  ist  er  0,032  M.  Diese  Gewichte, 
welche  auch  schon  bei  SteinheiFs  Vergleichungen  der  Pariser 
Originale  gedient  hatten,  waren  durch  Schumacher's  Güte 
nach  München  geliehen  worden.  Ihre  Vergleichung  mit  den 
unsrigen  wurde  noch  nicht  mit  der  Schneidewage  Tor* 
genommen ,  sondern  mit  der  von  Steinheil  Anfangs  der 
vierziger  Jahre  construirten  Bandwage,  bei  welcher  statt 
der  drei  Schneiden  Suspensionen  an  kurzen  und  schmalen, 
oben  und  unten  festgeklemmten  Stückchen  von  dünnem 
Seidenband  angeordnet  waren.  —  Bei  der  zweiten  Ver- 
gleichung, im  Juli  1844,  diente  bereits  die  Schneidewage; 
diesmal  wurde  die  Summe  der  vier  die  Ordnung  der  Deci- 
grammen  repräsentirenden  Stücke  unserer  Platin-Drähte  in 
Verbindung  gesetzt  mit  der  Gramme  des  oben  erwähnten 
Kilogramm-Einsatzes  vqu  vergoldetem  Messing,  dessen  Ge- 
wichte damals  genau  bestimmt  worden  waren,  und  durdi 
Vergleichung  zwischen  den  einzelnen  Stücken  der  Uebergang 
zu  den  kleineren  Theilen  gemacht.  Nach  demselben  Principe 
und  gleichfalls  mittelst  der  Schneidewage  wurde  die  dritte 
Bestimmung    1846    ausgeführt,    nur    beruht    sie    auf   den 


&mM:  OegemoOHige  OemmigUU  der  Wä(ßm§mi. 


245 


Grammen  des  Bergkrystall-EiiKsatzes.  —  In  den  drei  ersten 
Colamnen  der  folgenden  Tabelle  sind  die  Werthe  neben 
einander  gestellt,  welche  darch  diese  yersebiedenen  Beob- 
achtangsreihen  für  dieselben  Gewichte  gefunden  wurden :  die 
vierte  Colamne  enthält  die  definitiv  angenommenen  Werthe: 


I. 

n. 

m. 

Def. 

M. 

M. 

M. 

M. 

399,868 

399,789 

399,780 

399,780 

299,690 

299,587 

299,580 

299,580 

199,370 

199,354 

199,340 

199,344 

100,676 

100,661 

100,665 

100,662 

40,100 

40,099 

40,097 

40,098 

30,881 

30,390 

30,397 

30,394 

20,118 

20,126 

20,126 

20,126 

10,292 

10,265 

10,257 

10,261 

3,877 

3,901 

3,907 

3,904 

2,921 

2,909 

2,905 

2,907 

2,005 

1,978 

1,969 

1,973 

0,902 

0,920 

0,931 

0,926 

Die  Zahlen  der  ersten  Reihe  können  mit  denen  der 
zweiten  und  dritten  nicht  concurriren:  denn  die  Bandwage, 
die  sich  durch  die  Wohlfeilheit  ihrer  Herstellung  empfiehlt, 
Btand  entschieden  hinter  der  Schneidewage  zurGck.  Andrer- 
seits waren  die  Schumacher'schen  Gewichtchen  selbst  nicht 
mit  der  Sicherheit  bestimmt,  wie  die  unsrigen  es  durch 
die  zweite  und  dritte  Reihe  sind,  da  in  diesen  die  Differenz 
nur  Einmal  den  Werth  0,0 14 M.  erreicht,  —  und  es  ist 
auch  die  Metliode  der  Bestimmung,  von  den  grösseren  Ge- 
wichten allmählich  herabzugehen,  besser  als  die,  Stück  für 
Stück  durch  Vergleichung  mit  bekannten  Massen  selbst- 
standig  zu  bestimmen,  üebrigens  wird  die  üebereinstim- 
mong  der  Zahlen  sub  I.  mit  den  übrigen  in  der  Ordnung 


246        Bitmng  <ler  mat%.-i%«.  O^out  vom  6.  Juli  1867. 

der  Dedgramtnen,  wo  die  ersten  durchweg  etwas  m  gross 
sind,  sehr  bedeutend  erhöht,  wenn  man  durch  einen  an 
«llen  Zahlen  dieser  Reihe  anzubringenden  corrigirenden 
Factor  die  Summe  der  vier  grössten  Stücke  auf  ihren  besst- 
bestimmten  Werth  999,366  M.  (wie  er  der  dritten  Reihe  zu- 
gehört) reducirt:  denn  die  Verhältnisse  der  einzdnen 
Gewichte  kommen  in  allen  dreien  noch  näher  überein  als 
die  absoluten  Werthe^).  Die  definitiv  angenommenen  Zahlen 
in  der  vierten  Columne  wurden  aus  den  angefahrten  Gründen 
blos  aus  II.  und  III.  abgeleitet:  sie  sind  einfache  Mittel 
aus  den  directen  Werthen  III  einerseits  und  den  durch 
eine  kleine  Reduction  der  eben  bezeichneten  Art  verbesserten 
Werthen  11.  andrerseits.  Nach  dieser  Reduction  der  Zahlen 
II.  (im  Verhältnisse  von  399,391 :  399,366)  beträgt  ihr  üntei^ 
schied,  sowie  derjenige  der  Zahlen  lU.,  von  den  definitiven 
Werthen  in  sechs  Fällen  kein  Tausendtel  eines  MiUigrammes, 
zweimal  nur  ein  Tausendtel,  etc.,  und  nur  Einmal  im 
Maximum  sechs  Tausendtel;  der  durchschnittliche  Werth 
für  die  Abweichung  der  definitiven  Zahl  von  den  beiden, 
deren  Mittel  sie  ist^,  beträgt  0,0026,  oder  ein  Vierhun- 
derttel  Milligramm.  Bis  auf  diese  Grösse  bei  den  ünter- 
abtheilungen  der  Gramme,  und  bis  auf  ein  Hundertel  Milli- 
gramm bei  verglichenen  Massen  von  *|s  Kilogramm  kann 
also  die  Unsicherheit  der  Bestimmung  zurückgedrängt  werden, 
und  es  ist  demnach  eine  berechtigte  Forderung,  dass  bei 
Gewichten,  die  nicht  allein  dem  öffentlichen  Verkehr  dienen, 
sondern  auch  für  wissenschaftliche  Prädsionsarbeiten  zor 
Grundlage  geeignet  sein  sollen,  für  die  faktisch  erreich- 
bare UnVeränderlichkeit  innerhalb  so  kleiner  Grossen  künftig 
immer  vorgesorgt  werde. 

8)  Es  versteht  sieh,  dass  bei  Berechnung  der  Reihen  U.  u.  IIL 
die  Laftgewichtsonterschiede  von  Platin  gegen  Messing  und  Berg- 
krystall  in  Rechnung  gezogen  sind. 


XMfi;  Bmerhmgm  übtr  BUUnchläge.  247 


Herr  Kuhn  trägt  vor: 

„BemerkuDgen  aber  Blitzschläge'S 

Vor  einem  Jahre  hatte  ich  die  Ehre,  der  hochverehr- 
lichen  Classe  über  zwei  Blitzesereignisse  zu  berichten  ^),  die 
als  geeignet  erschienen,  um  die  gewöhnh'chen  Vorstellungs- 
weisen über  die  Wirkung  von  Gewitterwolken  gegen  irdische 
Objecte  und  über  die  Entstehung  eines  sogenannten  Blitz- 
schlages in  sachgemässer  Weise  zu  berichtigen. 

Bei  jener  Gelegenheit  habe  ich  die  wesentlichen  jener 
GroDdsätze  hervorgehoben,  durch  welche  die  Wirksamkeit 
der  Blitzableiter  und  die  Beschädigung  irdischer  Objecte 
durch  Blitzschläge  ihre  sachgemässe  Erklärung  finden  kann. 
Ich  zeigte  dabei,  dass  bloss  die  von  Seite  der  Gewitter- 
wolke gegen  die  unterirdische  Wasserstrecke  ausgeübte  In- 
fluenz als  primitive  Ursache  eines  Blitzschlages  angesehen 
werden  müsse,,  und  dass  diesen  Influenzwirkungen,  die  be- 
bnntlich  entweder  selbst  wieder  die  Entstehung  von  Neben- 
wirkungen erzeugen,  oder  von  solchen  im  Augenblicke  der 
Entstehung  des  Entladungsstromes  begleitet  sein  können, 
alle  Erscheinungen  zugeschrieben  werden  müssen ,  welche 
während  des  Blitzer-eignisses  an  irdischen  Objecten  beob- 
achtet werden  können ;  mögen  diese  Erscheinungen  dabei 
als  noch  so  compUcirt  auftreten,  so  müssen  dieselben, 
wenn  alle  Umstände  gehörig  erhoben  werden  können,  den- 
noch ihre  einfache  und  naturgemässe  Erklärung  nach  den 
gedachten  principiellen  Grundlagen  finden  können. 

Bezüglich  der  Anordnung  der  Blitzableiter  wurde  unter 


1)  Sitzangsberichte  der  k.  b.  Akad.  d.  W.  1866,  Bd.  II,  p.  192. 
(Aufülirlicher  im  Polytechnischen  Journal,  Bd.  CLXXSJI,  S.  291.) 


248         BiUmng  ier  mt^,'phy$.  ObsM  vom  6.  JmU  1867. 

Anderm  bei  jener  Gelegenheit  Yon  mir  besonders  hervor- 
gehoben, dass  vermöge  der  gedachten  Principien  auf  die 
immittelbare  Ansleitang  in  das  Onind?rasser  zunächst  Be- 
dacht genommen  werden  müsse,  dass  es  fär  einzelne  Ge- 
bäude, die  sammtlioh  auf  der  gleichen  Terrainstrecke  sich 
befinden,  keinen  Blitzableiter  gibt,  der  alle  übrigen  oder 
auch  nur  eines  derselben  selbst  kleineres  Gebäude  gegen 
Blitzschläge  zu  schützen  vermag,  dass  man  vielmehr  in  allen 
solchen  Fällen  —  und  diess  sind  gerade  die  häufigsten  — 
ein  Blitzableiter-System  für  eine  jede  der  Gebäudegruppen 
gemeinschaftlich  in  sachgemässer  Weise  hei-zustellen  habe, 
dass  femer  die  noch  herrschende  Ansicht,  als  ob  ein  BUtz- 
ableiter  mit  hoher  Auffangstange  einen  sogenannten  Schutz- 
kreis  für  die  umgebenden  Objecto  darbiete,  als  nicht  stich- 
haltig bezeichnet  werden  müsse,  dass  es  vielmehr  eine 
Wirkungssphäre  in  dem  Sinne,  wie  man  eine  solche  ge- 
wöhnlich anzunehmen  pflegt,  gar  nicht  geben  könne. 

Obgleich  eine  grosse  Anzahl  von  Biitzesereignissen  auf- 
gewiesen werden  kann,  durch  welche  jene  Folgemngen  be 
stätiget  werden  können,  so  erscheint  es  dennoch  als  uner- 
lässlich,  durch  fortgesetzte  R^istrirung  von  authentisch 
nachgewiesenen  Blitzschlägen  an  irdischen  Objecten  die  er- 
wähnte principielle  ErUämngsweise  und  die  daraus  entnom- 
menen Folgerungen  wiederholt  zu  prüfen,  und-  die  in  Bede 
stehende  Angelegenheit  nunmehr  in  gründlicher  Weise  znr 
Erledigung  zu  bringen.  Hiefür  erscheint  es  aber  als  nner- 
lässlich,  nicht  bloss  die  Bahn  der  Entladung  an  allen  Stellen 
des  getroffenen  Objectes  zu  verfolgen,  sondern  auch  und 
zwar  insbesondere  den  discontinuirlichen  Leitungsbogen  auf- 
zusuchen, den  die  Entladung  vom  Boden  aus  bis  zur 
unterirdischen  Wasserstrecke  einschlug,  so  weit  als 
ihunlich  zu  verfolgen. 

Unter  den  im  Laufe  der  gegenwärtigen  Gewitterperiode 
mir  bekannt   gewordenen  Blitzesereignissen  dürften  einige 


Xuhm:  Bmerhmgen  Mer  BUtacMäge.  249 

als  interessant  genug  ersdieineD ,  lun  an  dieselben  die  oben 
gedachten  principiellen  Grundlagen  gleichsam  als  Prüfstein 
anlegen  zn  dürfen.  Anf  das  erste  der  Ereignisse,  die  hier 
betrachtet  werden  sollen,  wurde  ich  durch  eineNotix')  auf- 
merksam gemacht,  in  welcher  die  Verheerungen  geschildert 
wurden,  welche  die  am  24.  und  26«  Juni  im  Odenwald,  am 
Rhein  und  Main  bis  an  die  Lahn  stattgehabten  Gewitter 
zur  Folge  hatten  und  wobei  unter  Anderm  erwähnt  ward, 
dass  zahlreiche  Blitzschläge  in  der  Umgebung  Yon  Darm- 
Stadt  und  mehrere  in  Darmstadt  selbst  vorkamen.  Die 
Umstände,  unter  welchen  letztere  eintraten,  yeranlassten 
midi  zur  näheren  Erholung  der  Sachverhaltnisse.  Von  den 
15  Fragen,  welche  ich  zu  diesem  Zwecke  durdi  gefiQlige 
Vermittelung  der  Redacüon  der  Bayerischen  Zeitung  an  den 
Verfa^er  jenes  Artikels  richten  konnte,  konnten  mir  zwar 
die  wesenüichsten  nicht  näher  erörtert  werden;  ein  Theil 
aber  wurde  in  ausreichender  Weise  beantwortet.  Da  jener 
Herr  Correspondent  selbst  Interesse  genug  daran  fimd,  um 
die  mir  mitgetheilten  Schilderungen  in  mehreren  Artikeln 
nun  Gegenstand  einer  öffentlichen  Besprechung  (in  mehreren 
deotsdien  Zeitungen)  zu  machen,  so  mag  es  ausreichen, 
aus  dem  mir  zugekommenen  umfassenden  Berichte')  so  viel 
heiTorzuheben,  als  zur  Beurtheilung  der  in  Rede  stehenden 
Ereignisse  als  nöthig  erscheint. 

Die  (von  nnserem  Gewäbrsmanxi)  beobachteten  Gewitter  zogen 
Ton  Osten  nach  Westen,  und  traten  am  24.  und  25.  Jani  in  grosser 
Ausdehnung  und  mit  grosser  Heftigkeit  anf.  Derlei  Gewitter  gehören 
immer  za  den  seltenen  Erscheinungen;  der  normale  Zag  ist  fast  in 


2)  Bayeriiche  Zeitung,  Morgenanagabe  vom  80.  Jnni  1867. 

8)  Hiaf&r  habe  ioh  sowohl  dem  Herrn  H.  B.  in  Darmstadt,  als 
ftoflk  den  Herren:  Direotor  Dr.  Hügel,  Ingenieor  Zanbitz,  sowie 
doD  Prof.  Dr.  Bender  und  Dr.  Dreser,  welehe  bei  den  Ermitte* 
lasfoi  Rok  firaoadlieh  betheUigten,  meinen  Dank  ansauipcecheRi 


250         Sitzung  der  maih.'phy8,  Gasse  vom  6.  Juli  1867, 

ganz  Mitteleuropa  ans  8W.  nnd  W.  gen  NO.  and  0.  „In  Darmstadt 
erschien  das  erste  jener  Gewitter  am  24.  am  7  Uhr  Abends.  Ich 
sah  es  vom  grossen  Wog  aas^  einem  kleinen  See,  den  der  Darmbach 
östlich  von  Darmstadt  bildet  üeber  das  Darmtbälchen  kam  ein 
Wolkenzug,  der  lagerte  sich  (buchstäblich)  tintenschwarz  in  einem 
grossen  Bogen  über  das  Thal.  Unter  ihm  her  zogen  leichtere  weisse 
Wolken  dicht  wie  der  Dampf  in  einem  Dampfbad ,  wie  lange  Barte 
herabhangend;  sie  schienen  herunter  in  den  Wald  zu  reichen.  Lang- 
sam ging  das  Wetter  vorwärts.  Auf  einmal  ein  angeheurer  Blitz, 
der  den  ganzen  Bogen  von  S.  nach  N.  spaltete  (im  Winkel  von 
etwa  70^),  dann  in  den  Wald  herein  schlag.  Bald  darauf  mehrere 
gleiche  Schläge;  derHimmel  wurde  immer  schwärzer;  die  Blitze  leuch- 
teten wie  rothglühende  Strahlen  von  geschmolzenem  Eisen,  die  vom 
Himmel  sprühten;  oft  spielten  sie  ins  Violette  und  beleuchteten  die 
Gegend  weithin,  wie  mit  bengalischem  Feuer.  Nach  einer  Viertel- 
stunde kam  ein  sanfter  Wind,  der  den  See'  kräuselte,  darauf  ein 
leichter,  dann  ein  heftiger  strömender  Regen,  der  erst  zwischen  9 
und  10  Uhr  aufhörte,  währenddem  fortwährend  heftige  Sehläge, 
ich  zählte  deren  6^8,  die  in  der  Nähe  vorkamen.  Um  12  Uhr  kam 
ein  zweiter  Gewitterzug,  der  bis  nach  2  Uhr  (den  26.  Jani)  an- 
dauerte. Die  Blitzschläge  waren  noch  stärker  wie  am  Abend;  sie 
gingen  meist  senkrecht  wie  am  Abend,  sie  schienen  bläulich.  Ich 
zählte  wieder  etwa  6,  die  in  nächster  Nähe  einschlugen  (in  Nieder- 
Bamstadt  und  £berstadt).  Am  folgenden  Morgen  and  um  die 
Mittagszeit  donnerte  es  fortwährend  im  Westen;  es  war  ein  Gewitter 
in  Oppenheim,  Mainz  und  Wiesbaden.  Am  Abend  um  10  Uhr  kam 
der  dritte  Gewitterzug,  gleichfalls  aus  Osten.  GFeich  ein  furchtbarer 
Schlag,  wie  wenn  ein  ungeheurer  hohler  Thurm  in  sich  zusammen- 
stürzte ;  darauf  noch  mehrere,  alle  in  unmittelbarer  Nähe  .  .  .  Etwa 
fünf  Minuten  nachher  ein  neuer  Schlag,  wie  ein  heftiges  Rotten- 
feuer .  .  .  Ich  spürte  es  wie  einen  Schlag  mit  der  flachen  Hand  snf 
den  Kopf.  ...  Ich  hatte  dem  offenen  Fenster  zunächst  gesessen) 
und  gegen  eine  Commode  gelehnt;  vielleicht  mag  ich  dadurch  die 
Erschütterung  stärker  gespürt  haben.  Diess  war  der  letzte  Schlag; 
dann  fiel  ein  Platzregen,  wie  ich  ihn  nur  einmal  in  ähnlicher  Stärke 
in  dieser  Gegend  gesehen  habe.  —  Ich  wohne  fast  auf  dem  höchsten 
Punkte  von  Darmstadt;  kaum  ein  Dutzend  Häuser  stehen  bis  la 
dem  Höhenpunkte  der  hier  kreuzenden  Strassen  —  Sand-  and  Stein- 
strasse —,  die  ziemlich  rasch  abfallen.  Südöstlich  von  meiner  Wohn- 
ung —  in  einer  Entfernung  von  200  Fuss  —  hatte  der  Blitz  ein- 
geschlagen. Der  Blitz  war  zu  gleicher  Zeit  in  zwei  Häoser  gefahren, 


Kuhn:  Smerhmgm  über  BUiMtehUlge.  251 

in  dae  katholiBohe  Pfarrhaus  und  in  das  Sehalbaas,  die  90  F^ss  von 
einander  entfernt  stehen.  Ausserdem  schlug  der  Blite  in  das  Haus 
der  barmherzigen  Schwestern  und  in  einen  Hof  in  der  Waldstrasse, 
im  Ganzen  zweimal  in  auffallender  Weise  dicht  neben  Blitz- 
ableitern. Das  Schwesterhans  und  das  Pfarr-  und  Schulhans  liegen- 
auf  derselben  Anhöhe,  einem  hier  ton  Osten  nach  Westen  gehenden 
Aoslaofer  des  Neunkircher  Höhenzuges,  auf  der  südlichen  Seite  des 
Darmbaohes;  das  Hans  in  der  Waldstrasse  am  Ende  dieser  Anhöhe 
in  der  £n>ene.  Die  drei  Blitzorte  sind  je  6 — ^700  Schritte  von  ein- 
ander ent&mt.  Das  Schwesterhaas  liegt  etwa  800  Schritte  vom 
Wog  and  ebenso  weit  von  der  Gewerbschule.  Letztere  ist  mit  gut 
constroirten  Blitzableitern  yersehen;  auf  dem  Schwesterhause,  dann 
aaf  dem  Pfarr-  und  Schulhause  ist  kein  Blitzableiter,  hingegen  ist 
das  Nachbarhaus  nach  Süden,  das  (an  das  Pfarrhaus?)  angebaut  ist, 
mit  einem  Blitzableiter  versehen,  und  ebenso  steht  auf  dem  Hause 
in  der  Waldstrasse  ein  —  12  Fuss  hoher  —  Blitzableiter.  Auf  der 
Kirche  (im  Westen)  steht  ein  Blitzableiter,  in  horizontaler  Richtung 
bis  zum  Pfarrhaus  auf  150  Fuss  Entfernung.  Ferner  stehen  ringsum 
ntch  N.,  0.  und  S.  drei  Blitzableiter  auf  150  bis  200  F.,  noch  zwei 
nach  0.  und  W.  auf  800  F. ,  einer  auf  400  F.,  und  auf  500  F.  (in 
der  Högelstrasse)  eine  ganze  Reihe,  fftnf  nebeneinander  und  einer 
gegenüber.  Die  sämmtlichen  H&user  sind  fast  alle  50  bis  60  Fuss 
hoch,  die  Kirche  mit  der  Kuppel  ungefilLhr  150  F.,  der  Blitzableiter 
dsraof  S0--40  F.  hoch.  Ueberhaupt  ist  dieser  Stadttheil  wie  fast 
die  ganze  Neustadt  mit  Blitzableitern  reichlich  versehen.  Die  Blitz- 
ableiter bestehen  'fast  alle  aus  1  bis  iVt  Zoll  breiten  und  V«  Zoll 
dicken  Eisenstangen;  oben  ein  vergoldetes  Kreuz,  dann  Iftnft — aber 
meist  nur  ein  einziger  —  Ast  über  das  Dach  nach  dem  Boden  hin.  Auf 
dem  Palais  des  Prinzen  Ludwig  läuft  ein  kupferner  Blitzableiter  über 
das  ganze  Hans;  nach  8  Seiten  gehen  4  Aeste  von  V«  Zoll  starkem 
Knpferdraht  in  den  Boden.'^ 

Von  dem,  was  über  die  Spuren  der  Blitzesemtladungen  an  den 
uigeführten  vier  Objecten  mitgetheilt  wurde,  mag  Nachstehendes 
berrorgehoben  werden: 

„Das  Pfarrhaus  steht  an  der  Wühelminen-Strasse  50  Fuss  von 
der  katholischen  Kirche;  das  Schulhaus  hinter  diesem  getrennt  im 
Hof.  Das  Pfarrhaas  hat  ein  vierseitiges  Dach;  der  Blitz  schlug  in 
die  östliche  Wand.  Das  Schulhaus  hat  ein  zweiseitiges  Dach,  mit 
dem  Giebel  nach  dem  Pfarrhans;  der  Blitz  schlug  in  diesen  west- 
lichen OiebeL  Das  auf  der  südlichen  Seite^  an  das  Pfarrhaus  an- 
gebaute and  mit  diesem  von  gleicher  —  beiläufig  80  Fuss  —  Höhe  ist, 


352  Sitzung  der  matk^hys.  CUme  wm  6.  MU  1867. 

wie  erwihnt,  mit  einem  Blitzableiter  yersefaeQ;  hinter  dem  nord- 
Uchen  Nachbarhause  (des  Pfarrhauses)  steht  ein  mit  Zink  gedeckter 
kleiner  Anban,  dessen  Dach  mit  einem  Ban  yerbonden  ist,  an  wei- 
welchen  das  Schalhaas  mit  seiner  hinteren  östlichen  Seite  anstösst 
Das  Zinkdach,  von  beiden  Einscblagpunkten  im  Vorder-  und  Hinter- 
hans 80—40  Fuss  entfernt,  ward  als  unbeschädiget  befanden.  Ton 
dem  Pfarrhaus,  fahrt  vom  Treppenfenster  zwischen  dem  2.  und  3. 
Stocke  ein  Schellenzug  nach  dem  Fenster  der  Wohnung  des  Küsters 
im  Dachgeschosse  des  Schulhauses.  Beide  Fenster  sind  40  Fuss  Yom 
Boden;  an  beiden  Punkten  schlug  der  Blits  zugleich  ein.  Am  Vorder- 
haus fuhr  er  gerade  an  der  Oeffiaung,  durch  die  der  Olockenzag 
geht,  hinein,  am  Treppenbau  hinab,  Zickzack  hin  und  her,  dann 
durch  eine  Seitenwand  an  dem  Gussrohre  hinab,  in  die  Cloake.  Am 
Hinterhaus  fuhr  er  eine  Sxianne  von  dem  Schellendrahte  entfernt 
durch  ein  kleines  Loch  in  dem  Fensterbalken  in  das  Zimmer  nach 
dem  gegenüberstehenden  Ofen,  von  da  schlug  er  ein  kleines  Loch 
durch  die  Seitenwand,  ging  durch  die  untere  Wand  darch  die  zwei 
Stockwerke,  an  der  senkrechten  Wand  die  Verkleidung  los  schleissend 
und,  wie  mir  scheint  zur  Hausthüre  (?)  hinaus.  Der  Küster  und 
seine  Fran  (kamen  mit  dem  Schrecken  davon,  denn  sie)  waren  in 
der  an  die  Dachstube  anstossenden  Dachkammer  gesessen.  Die  Frau 
sah  den  Blitz  am  Boden  sich  hinbewegen;  sie  will  die  Erscheinung 
in  Gestalt  eines  Apfels  oder  einer  Birne,  als  Feuerkugel  gesehen 
haben.  Von  dem  Schrecken,  den  diese  Erscheinung  in  ihr  erregte, 
hatte  sich  die  Frau  erst  nach  acht  Tagen  wieder  erholt.  —  Die 
beiden  Blitzhftuser  haben  keine  Gas-  und  keine  Wasserleitung;  ein 
einfacher  verdeckter  Brunnen  ist  im  Hof  .  .  .^*  An  dem  Blitz- 
ableiter des  Nachbarhauses  sowie  auch  an  dem  der  katholischen  Kirche 
waren  keine  Spuren  der  Entladung  wahrzunehmen  Nachträglich 
wird  aber  im  Berichte  bemerkt,  „dass  der  Blitzableiter  des 
(angebauten)  Nachbarhauses  vor  dem  Einschlagen  gerasselt 
habe**. 

„Das  Haus  der  barmherzigen  Schwestern  ist  zweistöckig,  etwa 
50  Fuss  hoch,  steht  von  Süden  nach  Norden  und  ist  neu  aus  Steinen 
gebaut.  Der  Blitz  schlug  auf  der  Westseite  ins  Dach,  in  das  nörd- 
liche Dachzimmer,  spaltete  sich  dort,  ging  mit  einem  Zug  von 
einem  Balken  herab,  den  er  vom  Speis  entkleidete  und  wobei  einige 
Wäsche  an  einem  Nagel  gezündet  wurde,  und  gelangte  in  das  untere 
westlich  gelegene  Schlafzimmer  der  Schwestern,  wo  die  Spuren  in 
Zickzack  an  den  Betten  her  wahrgenommen  wurden,  und  von  wo 
aus  der  Weg  in  das  untere  Zimmer  der  Oberin  und  nach  dem 


Aiftn:  Semerhmgen  über  SUiBBcMgi,  253 

Ken«  ging.  Ein  zweiier  Zag  ging  naeh  der  andern  Seite  dnrok 
«Ue  Wand  nach  dem  Treppenhaas,  theilfce  sieh  da  wieder;  ein  Theil 
ging  am  Tre^penhaoe  herab,  ein  anderer  nach  dem  Gossrohre  in 
die  Cloake.  In  den  unteren  Stockwerken  geschah  ausser  dem  Zer- 
stören des  Schellendrahtes  und  dem  Abschleissen  der  Speis  kein 
weiterar  Schaden  ...  An  dem  Einschlag  walr  nichts  Aussergewöhn- 
hdies,  als  dass  er  nicht  auf  die  Spitae,  sondern  die  Seite  des  Haosei 
tnL  Merkwürdig  aber  war,  dass  bei  diesem  augenscheinlich  von 
Norden  kommenden  Strahl  (?)  eine  Feuerflamme  in  dem  südlichen 
Theil  des  Hauses  gesehen  wurde,'  der  von  dem  Strahl  sonst  gar 
nicht  getroffen  war.  Die  Frau  Oberin  —  welche  w&hrend  des  Er- 
eignisses in  der  Kapelle  auf  der  entgegengesetsten  südlichen  Seite 
sidi  aufhielt  —  will  gana  deutlich  eine  züngelnde  Flamme  um  die 
heüige  Lampe  gesehen  haben,  ehe  sie  den  Schlag  hörte^*. 

„In  der  Waldstrasse  fuhr  der  Blitz  etwa  12  F.  Tom  westlichen 
imd  4  F.  von  dem  südlichen  Flügel  herab  in  den  Basen ,  beschrieb 
im  Zickzack  einen  6  F.  langen,  4  F.  breiten  Dreiviertelovalring 
ttnd  versehwand  in  die  Erde.  Die  Furchen,  die  er  zog,  sind  ^fl  F. 
tief,  an  einzelnen  Stellen  sind  VJ9—2  F.  tiefe  Ldcher.  Die  Bicfatang 
geht  von  W.  nach  0.,  vom  Blitzableiter  her.  Der  Einschlagpunli^ 
ist  von  der  Auffangstange  kaum  24  F.  entfernt;  diese  sch&tzte  ich 
auf  12  F.  Höhe  .  .  .  Die  Theorie  (hier  meint  unser  Gewährsmann 
die  Charles'- Ar ago'sche  Regel  für  den  sogenannten  Sohutzkreis) 
wurde  nicht  vollkommen  entkräftet,  weil  der  Blitzableiter  ziemlich 
gerostet  ist,  und  nur  in  trockenes  sandiges  Erdreich  abgeleitet 
vird,  während  unter  dem  Einschlagpunkt  ein  Senkloch  sich  befindet^ 
das  den  Blitz  anziehen  ^onnte*^ 

Versuchen  wir  es  nim,  an  die  eben  erwähnten  Blitzes- 
ereignisse unsere  bei  früheren  Gelegenheiten  auseinander* 
gesetzte  Erklärungsweise  als  Prüfstein  anzulegen,  so  können 
wir  zunächst  bestätigen,  dass  die  am  Eingange  des  vorstehen* 
den  Berichtes  angegebenen  Erscheinungen  zu  den  wirkUchen 
Blitzschlägen  gehörten.  Vermöge  der  für  solche  Vorgänge 
uuserst  günstigen  Terrainbeschaffenheit  konnten  durch  die 
langsam  vorwärts  von  -0.  gen  W.  ziehenden  und  immer 
dichter  gewordenen  elektrisirten  Wolkenmassen  weit  aus- 
gedehnte unterirdische  Wasserstrecken  der  Influenz  ausgesetzt 
Werden,  mit  denen  sicherlich  einzeke  an  Abhängen  gelegene 
tl867.n.2.]  17 


254         Sitmng  der  ma&k-phya,  Clasäe  wm  6.  Jtdi  1867. 

Bäame  oder  Baumgruppen  des  getroffenen  Waldes  in  dis^ 
continüirlicher  leitender  Verbindung  stehen  mussten,  da  die 
Blitzesentladnng  nicht  direct  gegen  den  Wald,  sondern  in 
einem  langen  Bogen  statt  fand.  Erst  als  die  Wolken- 
gebilde auf  ihrem  Zuge  sich  tiefer  gesenkt  hatten,  konnte 
die  Bahn  des  kürzesten  Leitungswiderstandes  mittelst  der 
tief  herabhängenden  Wolken  zwischen  dem  elektrisirten  Ge- 
bilde und  der  unterirdischen  Wasserstrecke  durch  die  her- 
vorragendsten und  am  tiefsten  wurzelnden  etc.  Bäume  her- 
gestellt und  die  Ausgleichung  zwischen  der  negativ  mit  der 
Wolke  geladenen  oberirdischen  Strecke  und  einem  Theile 
der  Ladung  der  Wolke  als  eigentlicher  Blitz  auftreten.  Da 
diese  Blitzeserscheinungen  —  nach  der  oben  gegebenen  Be- 
schreibung —  nicht  von  momentaner  Dauer  waren,  so 
müssen  dieselben  als  eine  Folge  von  discontinuirlichen  rasch 
auf  einander  folgender  Entladungen  bei  jedem  der  am  An- 
fange statt  gehabten  Vorgänge  betrachtet  werden*).  Von 
den  während  der  Nacht  —  von  12  bis  2  ühr  —  aufgetre- 
tenen Ereignissen  wurde  ohnehin  die  directe  Entladung  der 
Gewitterwolken  gegen  die  Erde  durch  unmittelbare  Wahr- 
nehmung constatirt;  dieselbe  war  viel  heftiger,  „die  Qlitze 
gingen  meist  senkrecht,  wie  am  Abend  (?)",  es  waren  näm- 
lich die  Umstände  durch  den  schon  im  Voraus  stattgehabten 
starken  Regen  noch*  günstiger  vorbereitet,  wie  am  24.  Abends. 
Diesen  Vorgängen  mag  es  auch  zuzuschreiben  sein,  dass  die 
innerhalb  jener  zwei  ersten  Perioden  dundi  die  gleichen 
Oewitterzüge  ^)  aufgetretenen  Entladungen  an   oder  in   der 


4)  In  einem  der  ans  vorliegenden  Zeitungsberichte  heisst  ea 
unter  Anderm  (ans  Nidda)  bezüglich  dieser  Gewitter:  „Das  elek- 
trische Licht,  welches  oft  8 — 10  Sekunden  dauerte,  war  so  stark  und 
dicht,  dass  man  in  weiter  Ferne  beinahe  den  kleinsten  Gegenstand 
unterscheiden  konnte^^ 

5)  Am  24.  und  25.  Juni  kamen  in  den  gedachten  Gebieten 
mehrfach  Blitsschläge  vor.  Ob  aber  diese  sämmtlichen  Erscheinungen 


Kuhn:  Bemerhmgen  Über  BLiUseKläge.  256 

Nähe   Yon   Oebäuden    im    Allgemeinen   beine   bedeutenden 
Wirkungea  zum  Vorschein  kamen,    da    die  Gewitterwolken 


den  gleiclien  Gewittenügen  zageschrieben  werden  dürfen,  oder  ob 
letitere  von  einander  nnabhängig  auftraten,  IftMt  ticb  wohl  erst 
durch  eine  n&here  üntertnohung  entscheiden.  Yorliafig  dürften 
wohl  einige  Notixen  hierüber  nicht  nnintereseant  sein;  so  wird  ans 
Kidda  vom  25.  Jnni  geschrieben:  „Der  gestrige  Tag  —  Johanni- 
tsg  —  wird  Vielen  lang  im  Oedächtniss  bleiben.  Gestern  Vormittag 
■chon  nm  9  Uhr  donnerte  es  stark  und  Tiele  schwere  Wetter  stiegen 
im  Westen  aof  nnd  bewegten  sich  über  das  Niddathal  nach  Osten 
hin.  um  4 Vi  Uhr  yerkfindete  starker  Donner  nnd  Blits  die  Rück- 
kehr der  über  unsere  Stadt  hingesogenen  Gewitter....'*  — «  Ans 
Lang-Gönh  (16  Standen  nordwestlich  von  Nidda)  wird  anter  Anderm 
geschrieben:  „Unser  Ort  wurde  am  24.  d.  Mts.  von  sehr  starken 
Gewittern  heimgesn<^t.  Dieselben  währten  fast  annnterbrochen  von 
Morgens  bis  tief  in  die  Nacht  Fast  alle  kamen  von  Nordosten  her« 
angerogen  and  schienen  sich  nar  so  einander  absolösen.  Der  Blits 
Khlng  bei  dem  ersten  Gewitter,  das  nar  aas  drei  Sohl&gen  bestand, 
nnd  sich  in  anmittelbarer  Nähe  entwickelt  haben  mass, 
in  das  hiesige  Stationsgebäude  (an  der  Main-Nekar-Bahn,  2  Standen 

radlieh  Ton  Giessen)  ein" In  Neuwied  —  S  Standen  unterhalb 

der  Lahnmündong,  etwa  SO  Standen  östlich  Ton  Nidda  —  kamen 
die  Gewitter  mit  Verheerungen  zwischen  8  und  4  Uhr  tot.  Gleich* 
ceitig  finden  wir  ans  den .  vorliegenden  Berichten  über  die  Gewitter 
im  Odenwalde,  in  der  Wetterau,  u.  s.  w.,  dass  an  dem  gleichen 
Tige  starke  Gewitter  im  Schwaben,  in  der  Rheinpfalz,  im  Thüringer— 
wild,  dann  im  bayerischen  Oberfranken,  ferner  in  Mähren  u.  s.  w. 
sUUhatten;  es  dürfte  daher  vorläufig  anzunehmen  sein,  dass  diese 
•iffliBtlichen  Gewittererscheinungen,  welche  im  entferntesten  Osten 
noch  am  28.  Juni  noch  nicht  zu  Ende  waren,  wohl  einer  und  der« 
lelben  oder  vielmehr  einem  C!omplexe  primitiver  Entstehungsquellen 
ngeaehrieben  werden  dürfen,  dass  hingegen  von  dem  Zuge  eines 
nnd  desselben  Gewitters  innerhalb  der  Periode  vom  24.  mit  29.  Jani 
luine  Bede  sein  kann.  Eine  spätere  nähere  Untersuchung  wird  viel- 
mehr vermuthlich  herausstellen,  dass  jedes  einzelne  jener  Gewitter 
hauptsächlich  durch  locale  Wirkungen  bedingt  wurde,  und  dass 
daher  letztere  auf  eine  und  dieselbe  Grundursache  zurückzuführen 
Nin  dürften. 

17* 


256         Sitzung  äer  matk,-ph^8,  (Hasse  wm  6.  JuU  1867. 

scHon  vorher  auf  ihrem  Wege  aber  Wasserflächen,  Flass- 
tfaäler  und  Waldungen  einen  grossen  Thdl  ihrer  Ladung 
verloren  hatten  •). 


6}  Uniw  den  am  24  Jaxd  am  Tage  und  vom  24.  auf  den  26.  Juni 
vorgekommenen  Bliizachlägen  mögen  mehrere  hier  bloss  kvrs  auf- 
gesählt  werden:  In  Lang-Göns  wnrde  beim  ersten'  Gewitter  daa 
Stationagebäude  getroffen  und  der  Telegraphenapparat  cerotort,  beim 
zweiten  wurde  eine  Scheuer  getroffen;  in  beiden  Fällen  ohne  za 
ra^  zünden.    In  Neuwied   „schlug  ein  kalter  Blitzstrahl  gegen  halb 

4  Uhr  in  den  Thurm    der  katholischen  Kirche^' In  Gr&Ten« 

wiesbaoh  (4  St  westl.  von  Wetzlar,  9  St.  östl.  von  Nidda  an  der 
wfistl.  Abdachung  der  Taunushöhe)  „brannte  eine  vom  Blitze  g^ 
troffene  Scheune  ab  und  wurde  ein  Wohnhaus  beschädiget,  eine  Kuh 
verunglückte  dabei.  In  Echzell  (2  St.  südwestwestlich  von  Nidda) 
„fuhr  ein  Blitzstrahl  mit  furchtbarem  Krachen  auf  den  Exrchthurm*' 
ohne  zu  zünden;  in  Melbaoh  (8  St  südwestwestlioh  von  Nidda) 
wurde  eine  Scheuer  Tom  Blitze  in  Brand  versetzt,  eine  Wohnung 
von  einem  anderen  Schlage  getroffen  ohne  weitere  Beschadignngsa 
In  der  bei  Eberstadt  (1  St  südl.  von  Darmstadt)  gelegenen  Krugs- 
Mühle  ist  durch  den  Blitzschlag  eine  Scheuer  in  Brand  versetzt 
worden.  In  Nieder^Bamstadt  (gleichfalls  im  Modanthal,  1  St  von 
Darmstadt)  ,;Schlug  der  Blitz  in  den  Kirchthurm,  ohne  zu  zünden. 
In  der  Nähe  von  Darmstadt  wurden  mehrere  B&ume  vom  Blitae  ge* 
troffen'*.  —  In  nächster  Nähe  von  Nidda  wurden  während  der  beiden 
Oewitterzüge  8  verschiedene  Bäume  getroffen.  —  In  Weiterstadt 
(1  St.  von  Darmstadt  nordwestl.  von  der  Eisenbahn  nach  Mainz) 
schlug  der  Blitz  bei  Abgang  des  letzten  Eisenbahnzuges  am  24.  Juni 
in  eine  Signallateme  ...  Im  Walde  nahe  bei  Wiesbaden  wurde  am 
24.  Nachmittags  ein  jsnger  Mann  vom  Blitze  getroffen  und  bedeutend 
verletzt  In  Günsheim  (eine  halbe  Stunde  vom  linken  Bheinufer, 
6  St  von  Darmstadt)  hat  der  Blitz  am  26.  Juni  Vormittags  11  Uhr 
in  das  Pfarrhaus  eingeschlagen;  die  Bahn  ging  vom  Schornstein  zum 
geheizten  Heerd  und  von  der  Küche  in  die  Erde;  dabei  heisst  ei 
u.  A.:  „es  scheint,  als  ob  sich  die  Kraft  des  Blitzes  getheilt  habe, 
denn  hie  und  da  im  Hause  findet  man  kleine  Beschädigungen^ 
Weiter  kamen  Blitzschläge  vor,  in  Speyer  und  Neustadt  (Pfalz),  in 
Ettenbenem  (Schwaben),  in  Ebersdorf  (in  der  Rhön),  Brückenaa, 


Alte:  Bemerhmgen  Übir  BUtncMg^  257 

Was  nun  die  ia  Bede  stehenden  BlitaesereignisBe  vom 
25.  Juni  10  Uhr  Abends  betrifft,  so  muss  zunächst  ein 
Umstand  heryorgehoben  werden,  der  uns  als  besonders 
wichtig  erscheint.  Die  beiden  in  der  yorausgegangenen  Nacht 
yozgekommenen  Gewitter  hatten  nämlich  dieselbe  Richtung 
und  waren  von  nicht  geringerer  Intensität  als  das  am  Abend 
des  25.,  und  dennoch  wurden  bei  letzterem  solche  Objecto  von 
filitsMihlagen  heimgesucht,  wdche  vorher  yerschont  blieben, 
und  selbst  diessmal  hat  man  kein  Blitzesereigniss  an  den- 
jenigen benachbarten  Gebäuden  wahrnehmen  können,  deren 
BlitEableiter  weit  über  die  getroffenen  hervorragen.  Die  Ur- 
sache des  sogenannten  Einschlagens  darf  also  —  wie  wir  bei 
einer  {ruberen  Gelegenheit  ausführlich  erörtert  haben  —  nicht 
bloss  in  der  Anordnung  und  Beschiaffenheit  etc.  der  Ge- 
bäude und  anderer  irdischer  Objecto  gesucht  wurden,  aber 
velche  die  Gewitterwolke  hinwegzieht,  sondern  sie  muss 
hauptsächlich  von  der  Terrainbeschaffenheit  und  yon  der 
Lage  des  Objectes  bezüglich  der  Gewitterwolke  und  der 
aasgedehnten  unterirdischen  Wasserstrecken  abhängig  sttn. 
In  der  That  finden  wir  auch  aus  der  yorliegenden  Besdireib- 
ung,  dass  Gebäude  von  geringer  Höhe  vom  Blitzschlage  be- 
rührt wurden,  und  dass  selbst  an  jenen  die  Spuren  der 
Entladung  nicht  an  den  hervorragendsten  Stellen,  sondern 
nar  da  sich  vor&nden,  wo  sich  Strecken  von  Constructions- 
theUen  etc.  befinden,  die  der  elektrischen  Influenz  etc.  fähig 
sind.  Ausserdem  finden  wir  aber  noch  darin  den  wesent- 
Kdisten  Umstand,  dass  —  vermöge  der  uns  yorliegenden 
Zeitungsberichte  —  vom  24.  Juni  Nachmittags  bis  25. 
Morgens  2  Uhr  massenhafte  Niederschläge  in  jenen  Gebieten 
stattgefunden  haben,    und  zwar  in  solcher  Menge,  dass  tief 


Grossostheim  (bei  Aschaffenbarg)^  Gräfenberg,  Forchbeim  und  Selb 
(Oberfiranken)  u.  s.  w.,  die  wir  für  jetzt  bloss  vorübergebend  an- 
^kma;  über  den  in  Forchheim  wird  unten  beriohtet  werden. 


258         Bitgung  der  mM.-phy».  Classe  vom  6,  JM  1867. 

gelegene  Wohnungen  und  Keller  schon  während  der  Regen- 
gUsse  unter  Wasser  standen;  um  so  mehr  darf  also  an- 
genommen werden,  dass  nicht  bloss  die  oberen  Erdschichten 
an  den  Abhängen  noch  am  Abend  des  25.  Juni  reichlidi 
durchnässt  waren,  sondern  dass  auch  das  Niveau  des  untere 
irdischen  Wassers  auf  eine  bedeutende  Höhe  gestiegen  sein 
musste  und  yielleicht  sogar  noch  nicht  einmal  sdne  grosste 
Höhe  erreicht  hatte,  als  der  dritte  Gewitter2ug  herankam. 
Jene  Anomalie  kann  daher  nur  dadurch  ihre  erkleckliche 
Erklärung  finden,  wenn  wir  annehmen,  dass  die  an  der  ge- 
dachten Anhöhe  und  an  ihrem  Ende  befindlichen  Gebäude 
die  günstigsten  Umstände  für  die  bei  der  gegen  das  Grund- 
wasser von  Seite  der  Gewitterwolke  ausgeübten  Influenz  ein- 
getretenen Entladungserscheinungen  dargeboten  haben ,  dass 
also  jene  Objecto  in  nächster  Communication  mit  der  unter- 
irdischen Wasseratrecke  standen.  Dass  übrigens  jene  An- 
höhe auf  Grundwasser  ruhen  müsse,  zeigt  uns  schon  die 
Terraingestaltuog  jenes  Gebietes.  (In  der  Nähe  eines  der 
getro£fenen  Häuser  befindet  sich  ein  selbstständiger  Brunnen, 
wie  oben  erwähnt  wurde,  und  vermuthlich  sind  deren  noch 
mehrere  an  jenem  Abhänge  aufeufinden.) 

Unsere  Erklärung  der  obra  angeführten  Blitzesereignisse 
auf  der  von  Osten  nach  Westen  gehenden  Anhöhe  des 
Darmthaies  besteht  daher  beiläufig  in  Folgendem:  Die  von 
Osten  nach  Westen  gezogene  elektrisirte  Wolkenmasse  hat 
in  einer  grossen  Ausdehnung  die  unterirdischen  Gewässer, 
mit  >Yelcher  die  Thalsohle  in  leitender  Verbindung  stand, 
nebst  der  ganzen  darüber  befindlichen  Erdstrecke  durch 
Influenz  in  den  polarisch  elektrischen  Zustand  versetzt; 
in  Folge  der  g^enseitigen  Anziehung  der  Ladung  der 
Wolke  und  der  mit  ihr  ungleichnamigen  an  der  Wasser- 
oberfläche etc.  angehäuften  Elektricitätsmenge  wurde  letztere 
über  den  ganzen  Complex  der  oberirdischen  Objecto,  die 
selbst,  je  nach  ihrer  Leituugsfähigkeit   an  der  Influenz  An- 


Küfm:  Bmnhmgm  A(«r  BUUaM&ge.  259 

theil  nahmea,  verbreitet  und  aber  dieses  discontmoirliche 
Leitungssystein  in  der  Art  angesammelt,  wie  es  die  Vcq> 
theihing  unter  den  herrschenden  complicirten  Umstanden 
erforderte.  Fand  nun  die  Entladung  der  Wolke  durch  einen 
wirklichen  Blitzschlag  statt,  so  musste  die  Bahn  des  kürze- 
sten Leitungswiderstandes,  welche  schon*  während  der  In- 
fluenz gewählt  wurde,  als  Schliessungsleiter  die  ungeheuren 
Elektricitätsmengen  ^ron  dem  zugewendeten  Theile  der  Wolke 
aus  Ins  zum  Grundwasser  aufnehmen  und  zur  Ausgleichung 
faringen,  da  man  für  alle  hier  Yorliegenden  Fälle  wohl  an- 
nehmen darf,  dass  die  indifferente  Stelle  an  der  Wasser- 
oberfläche selbst  oder  in  deren  nächster  Nähe  sich  ver* 
mathUch  befinden  musste.  Geschah  aber  die  Entladung  der 
Wolke  in  der  Atmosphäre  selbst,  so  musste  in  diesem  Mo- 
mente die  ganze  durch  Influenz  nach  Oben  gedrängte  und 
ao  den  äussersten  Stellen  der  Gebäude  etc.  angehäufte 
Eleetricitätsmenge  in  die  unterirdische  Wasserstrecke  sidi 
eigiessen.  Ob  nun  die  Vorgänge  in  der  einen  oder  anderen 
Art  statt  fanden,  kann  aus  den  hierüber  bekannt  gewordenen 
Mittheilungen  nicht  beurtheilt  werden.  In  dem  einen  wie  in 
dem  anderen  Falle  würden  keinerlei  Wirkungen  im  Gebäude 
selbst  etc.  wahrgenommen  worden  sein,  wenn  die  für  die 
Influenz  ausgewählten  Strecken  continuirlich  und  von  hin- 
reichender Leitungsfahigkeit  gewesen  wären.  Dieser  Beding- 
ung wurde  aber  in  keinem  der  vorliegenden  Fälle  Genüge 
geleistet,  und  gerade  hierin  ist  die  Ursache  der  bei  den  Blitz- 
sdüagen  aufgetretenen  Erscheinungen  zu  suchen. 

Die  Bahn  des  kürzesten  Leitungswiderstandes  lässt  sich 
weder  bei  dem  Blitzesereignisse  am  Pfarr-  und  Schulhause 
noch  an  dem  im  Schwesterhause  mit  Hülfe  der  oben  an- 
gegebenen s.  g.  Spuren  des  Blitzes  angeben.  Mit  einiger 
Wahrscheinlichkeit  kann  vermuthet  werden,  dass  am  Pfarr- 
hause  diese  Bahn  direct  vom  Grundwasser  aus  durch  die 
dorchnässten  Erdschichten  an  der  Cloake  uud  endlich  durdi 


260         8iUun§  dar  «oOL-jribyi.  Oiaue  9om  €.  Mi  1S67. 

das  eberne  Gnssrohr  und  die  oberen  Theile  der  östlidien 
Manerwand  des  Hauses  yermittelt  wurde.  Da  diese  Bahn 
—  wie  es  soheint  —  nur  mm  geringsten  Theile  aas  gaien 
Leitern  (Oassrohr^  Klammem  in  den  Wänden  etc.)  be- 
stand, die  selbst  durdi  die  äbngen  Strecken  von  einander 
gleichsam  isolirt  waren,  so  konnten  die  in  der  discontinair- 
Uchen  Leitangsstrecke  befindlichen  elektrisirten  Leiter  selbst 
wieder  Inflaenzersoheinangen  hervorbringen,  welche  ihrel^ 
seits  die  anderen  der  beobachteten  Nebenwirkungen  zur 
Folge  hatten.  Naoh  den  Sparen  zu  urtheilen ,  die  sich  im 
Schalhause  Yor&nden  und  mitRficksicht  aof  die  discontinnir- 
lidhe  leitende  Verbindung,  welche  vom  westlichen  Qiebd 
dieses  Gebäudes  aus  —  theilweise  auch  von  dem  Zinkdache  — 
nach  dem  östlichen  Giebel  des  Pfarrhauses  geht,  dürfte  es 
übrigens  nicht  unmöglich  sein,  dass  in  dem  Augenblicke, 
in  welchem  der  eigentliche  Entladungsstrom  auf  dem  ge- 
nannten (vermutheten)  Wege  eintrat,  auf  der  zweiten  Bahn 
gegen  das  Schulhaus  hin  eine  Seitenentladnng  vorkam, 
welche  oben  als  ein  Zweig  des  Blitzstrahles  bezeichnet  wurden 
und  welchem  alle  auf  diesem  Woge  wahigenonunenen  Wirk- 
ungen dann  zuzuschreiben  wären.  Jedenfalls  aber  *  ist  das 
ganze  System  in  der  Nähe  dieser  Gebäude  und  daher  audi 
das  Nachbarhaus  mit  seinem  Blitzableiter  auf  directe  oder 
indirecte  Weise  in  den  influendrten  Zustand  versetzt  worden, 
so  dass  Entladungsströme  der  verschiedensten  Art  dabei 
voricommen  konnten;  die  dabei  beobachteten  physiologischen 
Wirkungen  deuten  darauf  hin,  dass  Bäckschläge  auf  einem 
grossen  Theile  der  beti*e£fenden  Erdstrecke  stattgefunden 
haben  mössen.  Jener  einzige  Blitzableiter  des  an  das  Pfiur- 
haus  angebauten  Nachbarhauses  würde  das  Eintreten  jener 
BlitzeswirkuDgen  verhütet  haben,  wenn  seine  Ausleitung  in 
die  unterirdische  Wasserstrecke  vorhanden  gewesen  und 
durch  Zweigleitungen  der  obere  Theil  desselbai  mit  den 
Giebeln  und  Dachkanten    der   angrenzenden  Häuser   in  ge- 


lioriger  Weise  verbunden  gewesen  wäre;  die  Höhe  der  knU 
fimgstaoge  selbst  hatte  dabei  im  Allgemeinen  keinen  maass* 
gebenden  Einflnss. 

Die  im  Hanse  der  barmherxigen  Schwestern  beobachte* 
ten  Erscheinungen  sind  nach  der  obigen  Schilderung  riel 
sa  compUcbt,  als  dass  es  ohne  nähere  Kenntniss  jener 
Baumlidikeiten  möglich  wäre^  die  Bahnen  des  eigmtlichen 
Entladnngsstaromes  Ton  denen  der  durch  diesen  sowie  durch 
Infloena  erzengten  Seiten-  und  getrennten  Entladungen  eta  Tei^ 
folgen  zu  können.  Die  eigentliche  Ausleitung  oder  vielmehr 
der  Weg  des  kürzesten  Leitungswiderstandes ,  auf  welchem 
TOr  dem  Einschlagen  die  Influenzelektricitat*  vom  Grund* 
Wasser  aus  durch  die  Erdschichten  sich  verbreitete,  kann 
sowohl  an  dar  Cloake  als  auch  am  Keller  angenommen 
werden;  ob  die  ungeheuren  hier  frei  gewordenen  Elektricitäts- 
mengen  beide  Wege  längs  der  an  den  Wänden  und  im 
Treppenhaas  sowie  am  Dadie  sich  vorfindenden  metallischen 
und  Halbleiter  etc.  gleidizeitig  angenommen  haben ,  lässt 
sich  wohl  vermuthen,  aber  nicht  mit  Sicherheit  behaupten. 
Alle  ihrigen  im  Schwesterhause  beobachteten  Ersdieinung^i 
durften  lediglich  den  durch  Inflnenz  in  grösseren  oder 
kleineren  Entfernungen  gegen  isolirte  discontinuirHche  Metall* 
siarecken  entstandenen  Entladungsströmen  zuzuschreiben  sein, 
.  deren  nähere  Präcisirung  weitere  Detailuntersuchungen  mi 
den  betreffenden  Orten  selbst  erfordern  würde. 

Die  Lichtersdieinungen ,  welche  an  den  beiden  söge» 
saunten  Blitzhänsem  am  fioden  und  überhaupt  in  den 
unteren  Bäumen  der  Oebäude  etc.  beobachtet  wurden, 
bieten  nichts  Sonderbares,  sie  mnssten  sogar  in  noch  grösserer 
Zahl  zum  Vorschein  kommen,  da  an  jeder  Unterbrechungs- 
steUe,  welche  einem  der  eingetretenen  Entladungsströme  dar- 
gä)oten  wurde,  solche  Liditerscheinungen  unter  sonst  gleichen 
Umständen  in  um  so  höherem  Grade  auftreten,  je  grösser 
^e  Menge   und  Dichte    der   an  ihren  ^nden  influenoirten 


262  Sitzung  der  maik-phys.  Cla98ß  wm  6.  JW»  1867. 

Elektricität  and  je  grösser  diese  Schlagweite  ist.  Ob  hiebei 
EUgleich  materielle  Substrate  im  feinst  vertheilten  Zustande 
innerhalb  des  stark  erhitzten  Luftstromes  von  einem  Ende 
der  Unterbrechungsstelle  zum  anderen  als  leuchtende  Materie 
geführt  werden  konnte,  dürfen  wir  —  bekannter  Thatsachen 
halber  —  nicht  in  Abrede  stellen ;  es  kann  daher  allerdings 
die  Frau  Eüsterin  eine  derartige  Erscheinung  am  Boden 
der  genannten  Dachstube  zwischen  dem  eisernen  Sdiamier 
am  Fenster  oder  irgend  einem  anderen  metallischen  Ob- 
jecto in  der  Nähe  des  Bodens  und  einer  kleineren  oder 
grösseren  Metallstrecke  am  Ofen  gesehen  haben,  über  deren 
Gestalt  wohl  schwerlich  eine  genaue  Angabe  zu  liefern  ist; 
eine  „Feuerkugel*'  in  gewöhnlichem  Sinne  dieses  Ausdrudces 
war  es  nicht.  Ebenso  ist  die  Möglichkeit  yorhanden,  dass 
bei  einer  .Ladung  von  so  mächtiger  Dichte  und  Menge  wie . 
sie  an  der  Umfassung  des  ganzen  Hauses  der  barmherzigen 
Schwestern  vorkam,  unmittelbar  vor  dem  Einschlagen  alle 
isolirt  aufgehängten  oder  sonst  wie  angeordneten  und  iso- 
lirten  metallischen  Objecto  durch  Influenz  elektrisirt  wurden, 
und  in  diesem  Zustande  elektrische  Lichtbüschel  an  Ketten 
und  anderen  metallischen  Objecten  wahrgenommen  werden 
konnten«  Die  züngelnde  Feuerflamme ,  welche  die  Frau 
Oberin  an  einer  Lampe  in  der  südlich  liegenden  Kapelle 
vor  dem  Einschlagen  gesehen  hat,  möchte  daher  einer  der- 
artigen Erscheinung  zuzuschreiben  sein;  letztere  musste 
auch  in  dem  AugenbUdce  wieder  versdiwinden,  in  welchem 
die  Entladungsströme  als  Blitzschlag  auftraten. 

Aus  den  mechanischen  Wirkungen  und  den  Detona- 
tionen, wie  sie  oben  geschildert  wurden,  können  wir  bloss 
entnehmen,  dass  nicht  allein  die  Menge  und  Dichte  der  zur 
Ausgleichung  gekommenen  Elektricitäten  von  mächtiger 
Stärke  gewesen  sein  müsse ,  sondern  dass  auch  gleichroitig 
Entladungsströme  an  sehr  vielen  Stellen  über  schlechte 
Leiter  —  Stein-  und  Sandschichten  etc.  —  von  der  ver- 


JEiffcti:  Bmerktmgen  Über  BUUtcUäge.  263 

schiedeDsten  Beschaffenheit  and  grosser  Ausdehnung  sidi 
rerbreiten  mussten.  Es  lässt  sich  daher  vermathen,  dass 
aach  die  nächst  liegenden  Gebäude  in  der  Sphäre  der  In- 
fluenz sich  befanden,  dass  jedoch  bei  diesen  die  Wirkungen 
nch  lediglich  auf  die  (im,  Boden  wahrscheinlich  vorgekom- 
menen Durdibohrnngen  u«  dgl.  und)  heftige  Erschütterungen 
nnd  Schallerscheinungen  sich  beschränkten,  weil  die  an  den- 
selben befindlichen  Blitzableiter  den  Ladungen  und  Ent- 
ladungen die  Bahn  schon  vollgeschrieben  hatten. 

Einfacher  erscheint  das  Ereigniss  an  der  Waldstrasse; 
hier  lässt  sich  mit  grosser  Wahrscheinlichkeit  vermutfaen, 
dass  die  Bahn  des  kürzesten  Leitungswiderstandes  von  dem 
oben  erwähnten  Senkloche  aus  —  das  vermuthlich  dem 
Niveau  des  Grundwassers  am  nächsten  lag—  in  den  feuchten 
£rd-  und  Sandschichten  unmittelbar  zum  unteren  Theile  des 
Blitzableiters  selbst  ging,  der  nicht  mit  dem  Grundwasser 
in  Gommunication  stand,  und  weshalb  jene  mechanischen 
Wirkungen  und  Erdaushebungen  den  Entladungsstrom  be- 


Die  vorliegenden  Thatsachen  über  die  in  Darmstadt 
vorgekommenen  —  Dank  der  Vorsehung  —  äusserst  seltenen 
Blitzesereignisse  haben  unsere  Betrachtung  insbesondere  des- 
halb in  so  umfassender  Weise  in  Anspruch  genommen,  weil 
dieselben  zu  den  wichtigsten  Belegen  gegen  die  Annahme 
gehören,  als  ob  der  Blitzstoff  —  wenn  wir  uns  dieses  Aus- 
druckes bedienen  dürfen  —  von  der  Wolke  g^en  die  Erde 
Strome  und  hier  in  der  verschiedenartigsten  Entladungsweise 
darch  die  im  Wege  stehenden  irdisdien  Objecto  gehen  müsse, 
um  endlich  in  den  Boden  selbst  gelangen  zu  können.  Unter 
Anwendung  der  einfachsten  und  längst  bekannten  Lehren 
luDgQgen  lässt  sich  mittelst  jener  Thatsachen  von  Neuem 
zeigen,  dass  die  Ursache  eines  jeden  Blitzschlages  in  der 
Influenzfahigkeit  der  Terrainschichten,  über  welche  die  Ge- 
witterwolke hinwegzieht,  zunächst  gesucht  werden,  also  von 


264         8iUtmg  der  moA.-pAy«.  Ckme  wm  6.  JvU  1867. 

der  Ausdelmai^;  und  der  Lage  des  Niveau^e  der  Waasav 
strecken  abhängig  sein  moss,  auf  oder  an  welohea  die  be- 
treffende Erdstrecke  sich  befindet;  dass  hingegen  die  aa 
der  Erde  selbst  in  Folge  des  Blitzschlages  zu  Stande  ge- 
kommenen Wirkungen  an  Gebäuden,  BUtzableitem  etc.  ledig- 
lich den  Entladungsecscheinungen  zogesdiriebea  werden  müssen, 
welche  jene  Influenz  zur  Folge  hatte.  Wenn  wir  so  unsere 
bei  früheren  Gelegenheiten  erörterte  Anschauungsweise  und 
die  dort  daraus  gezogenen  Folgerungen  wiederholt  ab  be- 
stätiget ansehen,  so  dürfte  nunmehr  auf  die  Umstände  selbst, 
unter  welchen  die  ihrer  Entstehungsweise  nach  als  bekannt 
anzusehenden  Blitzesentladungen  an  irdischen  Objecten  auf- 
treten, besonders  aufmerksam  zu  machen  sein.  Die  Wirk- 
ungen nämlich,  welche  hiebei  zum  Vorschein  kommen 
können,  sind  zum  Theile  noch  so  räthselhafter  Natur,  dass 
für  manche  dieser  Erscheinungen  eine  genügende  ErUärung 
nidit  gegeben  werden  kann,  ohne  dabei  Hypothesen  zu  Hülfe 
zu  nehmen,  welche  durch  Analogien  bis  jetzt  noch  nicht 
gerechtfertiget  werden  können.  Zu  diesen  Erscheinungen 
gehören  namentlich  die  mechanischen  und  Wärmewirknngen, 
und  die  sie  begleitenden  Schallerscheinungen,  deren  Auf- 
treten an  eine  Quelle  von  Explosionskräften  unwillkührlich 
erinnern  muss,  für  welche  uns  alle  Anhaltspunkte  für  jet^ 
noch  zu  fehlen  scheinen.  Es  ist  wohl  bekannt,  dass  alfe 
Wirkungen  eines  Entladungsstromes  von  seiner  Stärke,  von 
der  Art  und  Weise  der  Entladung,  von  der  Beschaffenheit 
und  Natur  der  im  Schliessungsbogen  enthaltenen  Stoffe,  von 
der  Anordnung  des  letzteren  u.  s.  w.  abhängig  sein  müssen; 
die  hierüber  bekannt  geword^ien  Untersuchungsresultate 
reichen  jedoch  nicht  aus,  um  die  bei  Blitzesentladungen  zu- 
weilen vorkommenden  Erscheinungen  genügend  erklären  zu 
können,  abgesehen  davon,  dass  wir  über  die  Vertheilnng 
und  Anordnung  der  Elektricität  an  den  durch  Influenz  von 


Kuhn:  Bemerhmgen  415er  ttUigsehtäffe.  265 

Seite  einer  Oewitterwolke    elektrisirten  Körpern  wobl   nie- 
mals pracise  Aufschlüsse  erhalten  werden. 

Unter  den  mir  bekannt  gewordenen  während  der  Ge- 
witter des  Monates  Juni  eingetretenen  Blitzschlägen  Yeidient 
ein  in  Forchhelm  Torgekommenes  Ereigniss  hier  noch  be- 
sonders hervorgehoben  zu  werden,  iheils  deshalb,  weil  es  unserer 
gedachten  Anschauungsweise  abermals  einen  wesentlichen  Be- 
leg liefert,  nicht  minder  aber  der  Wirkungen  halber,  welche 
die  Entladung  begleiteten.  Ueber  diesen  Fall  lasse  ich  hier 
einen  sehr  gründhdien. Bericht^)  im  Auszuge  folgen,  welcher 
die  Beantwortung  mehrerer  Fragen  enthält,  die  itber  die 
stattgehabten  Vorgänge  genügenden  Aufschluss  zu  geben  ge- 
stattet; leider  konnten  die  Spuren  im  Boden  selbst  nicht 
näher  yerfolgf  werden : 

„Das  Haus  zu  Forchheim,  in  welches  der  Blitz  am  24.  Jani  1867 
Abends  4  Uhr  einschlug,  wird  von  einem  Fallmeister  mit  Familie 
bewohnt,  and  steht,  wie  es  schon  des  Fallmeistergeschaftes  wegen 
sein  muss,  ganz  isolirt  anf  einem  Anwesen ,  das  von  anderen  Woh- 
nongen  ferne  liegt  In  der  Nähe  des  Hauses  —  72  bayr.  Fuss  davon 
entfernt  —  vereinigen  sich  zwei  Arme  des  Flosschens  Wiesent,  das 
lieh  dann  in  der  Nähe  in  die  Regniiz,  die  in  einer  Entfernung  von 
310  Fass  an  diesem  Hause  vorbeifliesst,  ergiesst  Der  Donau-Main- 
Kanal  dagegen  ist  2080  und  die  Eisenbalin  ist  gegen  2790  F.  von 
diesem  Hause  entfernt.  Das  Beairksamtsgebäude,  welches  innerhalb 
der  Festungsmauem  liegt  und  mit  Blitzableiter  versehen  ist,  —  die 
übrigen  Gebäude  daselbst  haben  keine  Blitzableiter  ^  ist  nördlich 
vom  Hause  des  Fallmeisters  und  in  gerader  Linie  1210  bis  1260  F. 
davon  entfernt.  Auf  die  gestellten  Fragen  wird  Folgendes  bemerkt: 


7)  Diesen  Bericht  habe  ich  meinem  Freunde,  dem  kgl.  Herrn  Ban- 
heamten  Hatzel  in  Bamberg  zu  verdanken.  Mein  Freund  bemühte 
iich  auf  mein  Ansuchen  selbst  nach  Forchheim,  und  nahm  hier  in 
ttchgemasser  Weise  die  Untersuchung  so  weit  vor,  als  es  die  herr- 
ichenden  Umstände  erlaubten.  Die  mir  freundlichst  angelegten 
vier  graphischen  Darstellungen  lassen  über  die  Spuren  der  Entlad- 
mg  nicht  den  mindesten  Zweifel  übrig. 


266         SitMung  der  maÜ^-phifB.  Clam  wm  6,  Mi  1867. 

1)  üeber  Bichtang,  Zng  and  Dauer  dee  Oewitien  am  24.  Jani  1667 
konnte  man  keine  genauen  und  zuTerlässigen  Mittheilungen  mebr 
erhalten.  2)  Das  vom  Blitz  getroffene  Gebäude  des  FallmeisterB  ist 
nicht  mit  Blitzableiter  yersehen.  8)  Dieses  Grebäude  ist  zweistöckig, 
und  hat  bis  zum  First  eine  Höhe  von  etwa  27  Fuss.  Die  sn  der 
Westseite  angebauten  Nebengebaude  sind  um  10  F.  niedriger,  zwei 
isolirt  südlich  davon  stehende  Nebengebäude  sind  nur  10  bis  12  F. 
hoch.  Die  östliche  —  oder  vielmehr  etwas  südöstliche  —  Giebelseite 
des  Hauses  wurde  allein  vom  Blitze  getroffen.  4)  Der  Hanssockel 
liegt  circa  6  Fuss  über  dem  Niveau  des  jetzigen  Wasserstandes  der 
Wiesent  und  Regnitz  (vom  18.  Juli).  Das  Terrain  um  das  Gebäude 
besteht  aus  Sand  (Alluvium).  5)  Im  Boden  sind  keine  Spuren  dee 
Blitzschlages  bemerkt  worden.  6)  Die  Bewohner  wurden  vom  Blitz- 
schlage  betäubt,  konnten  daher  keine  Aufschlüsse  über  die  Licht- 
erscheinungen  geben.  Von  anderen  Personen  wurde  der  Blitzschlag 
nicht  bemerkt,  da  das  Gebäude  ganz  isolirt  liegt.  (Die  beiden  ver- 
schont gebliebenen  Kinder  —  «.  unten  -^  dürften  jedenfalls  durch 
die  Lichterscheinungen  verscheucht  worden  seinV*. 

„Die  ümfangswände  des  Gebäudes  bestehen  aus  Riegelwerk  von 
0,6  Fuss  starkem  Holze,  deren  Fache  mit  Backsteinen  und  Sand- 
steinen ausgemauert  und  mit  Mörtel  verputzt  sind.  Die  Bahn  des 
Blitzschlages  zeigt  sich  an  allen  Stellen  der  Giebelwand  an  der 
inneren  Seite  der  Wandfläche,  nur  zwischen  dem  zweiten  und  ersten 
Stock  ist  die  Spur  an  der  Aussenseite  der  Wand  sichtbar.  Der  Blitz 
schlug  unter  dem  Giebelbrett  in  das  Haus  ein,  zertrümmerte  daselbst 
das  Giebelfenster  vollständig,  wovon  nur  noch  kleinere  Splitter  übrig 
geblieben  sind,  fuhr  dann  an  dem  rechtseitigen  Fensterpfosten  von 
Holz  herunter  bis  zu  einer  eisernen  Klammer  und  verseng^  das 
Holz  —  es  sind  schwarzbraune  Brandflecken  von  8  bis  4  Zoll  vor- 
handen — .  Die  eiserne  Klammer  circa  1  Fuss  lang  ist  mit  beiden 
Spitzen  in  das  Holz  geschlagen,  so  dass  der  Zwischentheil  1  Zoll 
weit  vom  Holze  absteht;  auf  der  Höhe  dieser  Klammer  sind  weder 
Brandflecken  noch  sonstige  Beschädigungen  des  Holzes  bemerkbar, 
vom  unteren  Ende  dieser  Klammer  abwärts  ist  jedoch  die  Bahn  des 
Blitzstrahles  wieder  durch  Brandflecken  bezeichnet.  Die  Verkohl nng 
beschränkt  sich  jedoch  an  allen  Stellen  nur  auf  die  Oberfläche  des 
Holzes  und  dringt  nirgends  tief  in  dasselbe  ein.  Das  Holzwerk  ist 
auch  nicht  in  Brand  geratheii.  Der  Blitz  fuhr  dann  durch  eine 
Fuge  zwischen  Giebel  wand  und  Dachgebälk  hindurch;  an  der  unteren 
Fläche  des  Dachgebälkes  werden  die  hinterlassenen  Spuren  desselben 
wieder  sichtbar,  indem  hier  ein  guadratformiges  Stück  Deckenverputs 


EMkn:  Bemerhmgen  «6ef  BliiBsMäffe.  267 

der  LaUeiiddcke  von  0,2  Fnss  Seitenlftnge  sohtrfkantig  wie  heraas- 
geschniitoD,  abgesprengt,  die  Latte   darunter  stark  geschwftnt  nnd 
eine  kleine  Yertielnng  eingebrannt  ist.  Ausserdem  ist  an  dem  recht- 
seitigen  Fensterpfosten  oben   an  der  Decke  ein   Stuckhok   0,66  F. 
liooh,    V*  Zoll  breit   und  tief  in  Form  einer  scharfkantigen  Rinne 
heraugesplittort,  deren  FUohen  jedoch  keine  Sparen  von  Verkohlang 
zeigen.      Yon  hier  aus    fuhr   der  Blitz  durch    den   zwischen  zwei 
Fenstern  hängenden  Spiegel  im  ersten  Stocke,  schlag  an  der  oberen 
Ecke  desselben  ein  Loch  0,4  F.  breit,  0,96  F.   hoch    in  denselben, 
ging  hinter  dem  Spiegel  diagonal  herunter,  hinterliess  Brandflecken 
aaf  der  hölzernen  Spiegelwand  und  auf  der  Hauswand  daselbst,  fuhr 
an  der  anteren  Ecke  des  Spiegels  durch  das  Glas  heraus  und  schlug 
daselbst  ein  Loch  0,1  F.  hoch   und  0,7  F.  breit  in  denselben.    Die 
Ränder  dieser   beiden  Locher  sind  in  unregelmassigen  Linien  aus- 
geiplitterty  die  vorstehenden  Spitzen  auswärts  etwas  aufgebogen,  und 
das  Glas  auf  0,06  F.  bis  0,16  F.  Breite   sehr   stark  angeschmolzen, 
so  dass  es  auf  diese  Breite  blind,  d.  h.  nicht  mehr  durchsichtig  ist. — 
Die  Fenster  beiderseits  des  Spiegels  sind  mit  eisernen  Winkelbändem 
bescbla^n,   die  an  den  Spitzen  ebenfalls  Spuren  von  Schmelzung 
zeigen.    Auf  dem  Tische  vor  dem  Spiegel  (der  Tisch  befand  sich 
ebenfalls  an  der  Wand  des  Zimmers)   lagen   einige  Kleidungsstücke, 
welche  in  Brand  geriethen  und  ein  tellergrosses,  V>  Zoll  tiefes  Loch 
in  den  Tisch  brannten.    Der  Blitz  fuhr  an  der  Ecke  zwischen  Tisch 
uid  Fenster  durch  eine  Fuge  zwischen  dem  Brus^egel  des  Fensters 
und  der  Faohausmauerung  hindurch,   splitterte  dabei  ein  Holzstüok 
ab  und  darunter  einige  Fensteraplitter  aus ;  nahm  dann  seinen  Weg 
auf  der  Anssenfläche  des  Hauses  bis  zum  Fenster  des  Erdgeschosses*^ 
[nAn   dieser   Stelle  der   von  der  Blitzesentladung  durchbrochenen 
Wand  soll  eine  rinnenformige  Vertiefung,  und  der  Mörtel  derselben 
«ie  geschmolzen  oder  salpetrig  gewesen  sein.    Diese  Stelle  ist  aber 
inzwischen  wieder  verpatzt  und  übertüncht  worden*'.]    >,Durch  das 
Fenster  (des  nordöstlichen   Zimmers)  des  Erdgeschosses    ging  die 
Entladung  hindurch,    schmolz  das   Blei  an   verschiedenen   Stellen, 
splitterte  Glasstücke  aus,  fuhr  in  das  Zimmer,   wo  sich  die  Familie 
befand,  hinterliess   am   Tisch  und   am  Fussboden   mehrere  kleine 
Brandflecken,    und  fuhr  durch  die  östliche  Wand  an   einer  Stelle 
bindarch,    wo   am  Hause  selbst  die    (aus  einer  schräg  an  das  Haus 
anliegenden  Steinplatte  bestandene)  Hundshütte  war.    In   letzterer 
1^  ein  grosser  Hanshund,  an   einer   7  Fass  langen  starken  Eisen- 
^ette  angebunden,  der  erschlagen  wurde.  Weitere  Spuren  des  Blitzes 
Tom  Hände  weg  am  Boden  etc.  sollen  (?)  nicht  bemerkbar  gewesen 


268      ^   8ügun§  der  matk-fk^.  Omm  vom  6,  JmU  1867. 

•em^'.  —  JSo  weit  gehen  die  Beobeehtaigeii,  die  ich  M  der  Loeel- 
erhebiiDg  machen  konnta  Ferner  hat  mir  der  Fellmeieter  Folgendef 
tber  die  Wirkong  det  Blitsschlages  erz&hlt.  Er  sei  mit  seiner 
Familie  hei  Feier  seines  Namenstages  am  Tisch  (im  nordöstlichen 
Zimmer  des  Erdgeschostes)  gesessen,  nnd  zwar:  eine  16jihrige 
Tochter  nnd  ein  ICjähriger  Knahe  seien  nnmittelbai^  am  (letst- 
erwähnten)  Fenster  anf  der  (an  der  öetlichen  Zimmerwand  hefind- 
Hohen)  Bank  gesessen,  nnd  vom  Blits,  der  —  wie  gesagt  —  dnrch 
dieses  Fenster  fnhr,  getödtet  worden;  die  Kleider  des  Knahen  hätten 
gehrannt  (derselbe  sei  anch  schwars  gehrannt  gewesen,  w&hrend  beim 
Mädchen  nnr  eine  geringe  Spnr  am  Arme  ersichtlich  war).  Seine 
Fran  sei  anf  dem  südlichen  Stnhl,  er  anf  dem  Stiele  gegenüber  der 
Kinder  nnd  ein  Gast  anf  der  Bank  an  der  nördlichen  Wand  des 
Zimmers  —  nnd  swar  alle  drei  nm  den  Tisch  hemm  mit  ihren 
Kindern  gesessen.  Alle  drei  —  Mntter,  Vater  nnd  Gast  —  seien 
▼om  Blitzschlag  betäubt  worden  nnd  in  gleicher  Richtung  (ron 
Korden  gen  Süden)  anf  den  Boden  gefallen,  seine  Fran  habe  eine 
Lähmung  am  linken  Bein,  wovon  jetzt  schwache  Spuren  zurndc- 
geblieben,  er  eine  vier  Tage  dauernde  Lähmung  am  rechten  Arm 
erlitten.  Zwei  auf  der  Bank  an  der  (dem  Fenster  gegenüberliegen- 
den) Rückwand  des  Zimmers  sitzende  Kinder  von  3  und  13  Jnhren 
seim  nicht  vom  Blitze  beschädiget  worden,  sondern  nach  dem  Blitz- 
schlage zur  Thüre  hinausgelaufen,  unter  der  Bank  am  Fenster,  auf 
welcher  die  von  der  Blitzesentladung  getödteten  zwei  Kinder  sassen, 
seien  drei  Hunde  gelegen,  die  ebenfalls  vom  Blitzschläge  erschlngen 
worden  seien.  Ausserdem  wurde,  wie  bereits  bemerkt,  der  Heus- 
hund ausserhalb  des  Hauses  —  der  unmittelbar  unter  diesem  Fenster 
am  Boden  lag  und  mit  der  genannten  Kette  (an  der  Wand  (?))  an- 
gebunden war  — -  in  der  Hundshütte  er8chlagen'^ 

Wenn  wir  die  Spuren  der  Entladungen  nach  der  eben 
vorgeführten  Beschreibung  (und  mittelst  der  uns  vorliegenden 
Abbildungen)  genau  durchgehen,  so  zeigt  es  sich|  dass  der 
eigentliche  Entladungsstrom  nicht  am  Dache,  sondern  erst 
unterhalb  des  Oiebelbrettes  seinen  Ausgangspunkt  hatte; 
von  da  aus  ist  seine  Bahn  durch  die  MetalHheile  am  Dach- 
fenster,  durch  mechanische  Wirkungen  bis  zur  Klammer 
des  QebälkeS)  von  hier  abermals  durch  mechanische  Wirk« 
ungen  und  Cnterbrechungsfunken    bis  zur  Spiegelfolie  nnd 


SMlm:  B«m«rhmgm  über  SUtMsMäge.  269 

d^  dfinnen  eisernen  Fensterbesohlägen,  hierauf  dardbi  eigen- 
thümliche  mechanische,  Wärme-  ond  Lichterscheinungen  in 
uBd  an  der  Mauerwand,  dann  durch  die  Metalltheile  und  die 
starken  mechanischen  Wirkungen  am  Fenster  des  Zimmers, 
am  Erdgeschosse  und  endlich  durch  die  —  vermuthlich  an 
der  Aussenseite  des  Hauses  befestigte  —  lange  starke  Kette 
des  Haushundes  und  durch  letzteren  selbst ,  der  auf  dem 
Boden  lag,  bezeichnet.  Wenn  wir  nun  in  Erwägung  ziehen, 
dass  die  nächste  Umgebung  von  Forchheim  ein  auf  grosse 
Ausddmung  flacher  Wiesengrund  (mit  vielfachen  Bewässer- 
ungskanälen) ist,  ^  dass  femer  jenes  Haus  ohnehin  fast  un- 
mittelbar an  grossen  Bächen  sich  befindet,  deren  Niveau 
selbst  am  18.  Juli  noch  5  Fuss  unter  d^m  Hause  lag,  wenn 
wir  femer  erwägen,  dass  die  im  Juni  stattgehabten  mehr- 
fachen Regengüsse  einen  weit  höheren  Wasserstand  am 
Johaonitage  vermuthen  lassen,  femer  berücksichtigen,  dass 
in  diesem  Sommer  das  Grundwasser  in  den  Brunnen  auf 
einem  grossen  Gebiete  in  unseren  —  und  vermuthlich 
auch  in  den  Main-  etc.  —  Gegenden  einen  ungewöhnlich 
hohen  Stand  zeigt,  so  müssen  wir  schon  daraus  vermuthen, 
dass  die  Ursache  jenes  Ereignisses  nicht  in  ^  einer  geringen 
Entfernung  des  unglücklichen  Hauses  von  der  Gewitterwolke 
oder  gar  am  Hause  selbst,  sondern  lediglich  in  den  Terrain- 
Terbältnissen  jenes  Stückes  Land,  über  welches  die  Gewitter- 
volkd  gezogen  und  in  der  vermuthlich  äusserst  starken 
dektriscfaen  Ladung  der  letzteren  gesucht  werden  müsse. 
Die  über  die  Bahn  der  Entladung  berührten  Umstände  so- 
wie die  Localerhebungen  zeigen  uns  aber,  dass  am  Dache 
selbst  keinerlei  Beschädigungen  vorkamen  und  dass  die  In- 
fluenzfahigkeit  der  am  Hause  und  an  seinen  Wänden  eta 
Torkommenden  Materialien  und  Objecto  hier  gar  nicht  in 
Ansddag  gebracht  werden  kann:  es  muss  also  die  unge- 
heure Elektricitätsmenge,  welche  beim  Blitzschlage  zur  Ent- 
ladung kam,  sich  lediglich  aus  der  durch  Influenz  elektri- 
[1867.  IL  3.]  18 


270  Sitzung  der  math.'phys,  Qaase  vom  6.  Mi  1867. 

sirten  onterirdisohen  Wasserstrecke  an  den  genannten  Theilen 
des  Hauses  von  unten  nach  oben  verbreitet  haben;  von  einem 
directen  Einschlagen  der  Gewitterwolke  oder  des  Blitzes 
dürfte  yermuthlich  hier  nicht  die  Rede  sein®).  Allem  Ansehen 
nach  zog  letztere  von  Osten  her,  die  ausgedehnte  Grund- 
wasserstrecke  konnte  eine  starke  influencirende  Wirkung  er- 
fahren; letztere  war  vermuthlioh  an  der  Stelle,  wo  der 
Kettenhund  lag,  dem  Boden  am  nächsten,  und  durch  diesen 
verbreitete  sich  nun  die  in  Beziehung  auf  die  Wolke  nega- 
tive Ladung  über  die  bereits  beschriebenen  Strecken,  um 
nach  genügend  grosser  Entfernung  der  influencirenden  Wolke 
oder  nach  der  Entladung  der  letzteren  in  der  Atmosphäre 
als  Entladungsstrom  innerhalb  der  discontinuirlichen  Leitungs- 
bahn ^bis  zum  Grundwasser  hin  aufzutreten.  Das  ganze  Er- 
eigniss  scheint  bloss  ein  sogenannter  kalter  Schlag,  also 
eigentlich  ein  Rückschlag  gewesen  zu  sein,  deren  ausserdem 
noch  mehrere  andere  in  secundärer  Weise  gleichzeitig  ein- 
getreten sein  konnten  ^).  Die  vorher  beschriebene  Bahn  ist 
nämlich  augenscheinlich  der  Weg  des  kürzesten  Leitungs- 
widerstandes   für  den  Ladungs-  und  Entladangsstrom  ge- 


8)  VergL  Polytechn.  Joura.  Bd.  CLXXXII,   S.  295. 

9)  Ein  ähnliches  jedoch  von  unwesentlichen  Wirkangen  und 
von  keinerlei  Unfall  begleitetes  Blitzesereigniss  kam  bei  einem 
schwachen  von  West  gen  Ost  ziehenden  Gewitter  "km  22.  Juli  d.  J. 
Abends  10  Uhr  am  nenen  Gottesacker  an  der  Tbalkirohner-Strasse 
zu  München  vor.  Die  Gewitterwolken  zogen  dabei  über  das  mit 
Grundwasser  reichlich  versehene  kleine  Thal  —  .zwischen  Ober- 
sendling  nnd  der  Isar  —  und  der  Blitzschlag  kam  an  dem  west- 
lichen Thorbogen  der  Umfassungsmauer  vor.  Die  Spuren  an  den 
unteren  beiden  Enden  des  Sockels,  an  dem  Bogen,  sowie  die  Ze^ 
Störung  des  aus  Backsteinen  bestehenden  Kreuzes  liessen  erkennen, 
dass  alle  hier  befindlichen  Metalltheile  —  Gitterthor,  eiserne  Staoge 
des  Kreuzes  etc.  —  die  discontinuirliche  Leitungsstrecke  für  die  in- 
fluencirte  Ladung  bildeten.  —  Diese  Entladung  soll  von  einem 
starken  (elektrischen  oder  Ozon-)  Geruch  begleitet  gewesen  sein. 


jSMfi:  Bemsrhmpin  Über  WiiUfaMäg^  271 

Wesen;  bei  einer  solch  in^eheuren  Elektaidtätsmenge  von 
so  bedeatender  Dichte,«  die  unmittelbar  vor  der  Entladung 
an  den  verschiedenen  Tbeilen  der  östlichen  Giebelwand  also 
aach  an  der  untersten  Fensterwand,  an  der  Fensterumfassung 
und  den  hier  befindlichen  Metalltheilen  sich  anhäufte,  konnte 
die  influencirende  Wirkung  gegen  die  beiden  unmittelbar  am 
Fenster  gesessenen  zwei  Kinder  sowie  gegen  die  übrigen  in 
deren  Nähe  befindlichen  Personen  und  Objecte  nicht  unter- 
bldben;  theilw^se  durch  ihre  Verbindung  mit  der  östlichen 
Wand,  theils  mit  dem  Boden  selbst,  konnten  die  getrennten 
Eotladungsströme  zu  Stande  kommen,  welche  natürlich  mit 
Bttcbicht  auf  die  Entfernung  von  der  Wand  bei  den  rer* 
QDglackten  Kindern  —  die  am  stärksten  inflnencirt  waren  — 
starker  ausfallen  mussten,  als  bei  den  übrigen  Personen. 
Betrachten  wir  jedoch  die  Anordnung  und^  Gruppirung  der 
getroffenen  Personen  (nach  dem  uns  vorliegenden  Grund* 
plan)  im  Erdgeschosse,  so  möchte  es  nicht  unmöglich  sein, 
dass  die  beiden  unmittelbar  an  devl  Schliessungsbogen  an- 
gelehnt gewesenen  zwei  Kinder,  sowie  die  drei  Hunde  unter 
der  Bank,  auf  welcher  jene  sassen,  durch  eine  Seitenent- 
ladong  getödtet  wurden,  da&s  hingegen  der  Entladungsstrom, 
welcher  die  drei  älteren  um  den  Tisch  herum  an  der 
at^ewendeten  Seite  in  einer  disoontinuirlichen  Kette  befind- 
lichen Personen  betäubt  und  oberflächlich  verletzt  hat,  vieU 
leicht  ein  secnndärer  oder  inducirter  war.  Mag  nun  die 
Natur  dieser  Ströme,  durch  welche  das  unglückliche  Er- 
eigniss  sich  manifbstirte,  von  der  einen  oder  anderen  Art 
gewesen  sein,  so  können  wir  immerhin  noch  ausserdem  mit 
der  grössten  Wahrscheinlichkeit  annehmen ,  dass  der  ganze 
Boden,  auf  dem  das  Haus  ruht,  an  der  Influenz  Antheil 
nehmen  musste;  der  Rückschlag  selbst  konnte  (laher  auch 
starke  erschütternde  Wirkungen  am  ganzen  Gebäude  und 
selbst  an  den  unverletzt  gebliebenen  zwei  Kindern,  die  an 
der  Rückwand   des  Zimmers  —  vermuthlich   mit  herunter** 

18*  . 


272         SUsunff  der  matK-phifs.  ChsH  vorn  $,  JM  1867. 

hängenden  Beinen  —  sassen,  anffareten:  sowohl  die  imZim- 
mer  wahrgenommenen  Entladungsftinken  als  auch  dne  etwas 
ungewöhnliche  Erschütterung  versöhenchte  dann  die  erschredc« 
ten  Kinder  aus  dem  Hause.  [Auffallend  ist  es,  dass  bei 
diesem  sowie  bei  den  oben  beschriebenen  Blitzes^reignissen 
der  eigenthümliche  Ozongeruch  selbst  in  der  nädisten  Dm* 
gebung  nicht  wahrgenommen  worden  ist.] 

Sowohl  die  physiologischen,  als  auch  die  mechanischen 
und  die  mit  diesen  yerbunden  gewesenen  äusserst  intensiven 
Wärmewirkungen,  wetdie  das  in  Forchheim  am  24.  Juni 
stattgehabte  Blitzesereigniss  b^Ieiteten,  sind  so  eigenthfim* 
lieber  Natur ,  dass  dieselben  einer  näheren  Untersuchung 
wohl  unterworfen  werden  dürften,  wenn  noch  weitere  Er- 
hebungen hiefür  möglich  gemacht  werden  könnten;  wir 
müssen  uns  auf  einige  Bemerkungen  hierüber  besdiränken. 
Die  im  Zimmer  der  Familie  des  Fallmeisters  vorgekommenen 
physiologischen  Wirkungen  dürften  uns  zunächst  zeigen,  dass 
[was  wir  übrigens  an  vielen  der  sch<m  früher  votigekom- 
menen  Fälle  dieser  Art  nachweisen  könnten]  die  Tödtung 
durch  einen  sogenannten  Blitzschlag  bei  verschiedenen  Per- 
sonen im  Allgemeinen  nicht  auf  ein  bestimmtes  Alter  odar 
Geschlecht  sich  beschränkt,  und  dass  überhaupt  von  einer 
Auswahl,  die  eine  Blitze6a[itladung  in  dieser  Beziehung  treffe, 
keine  Rede  sein  und  dass  ebenso  wenig  ein  derartiger  Unter- 
schied zwischen  Menschen  und  Thieren  geftanden  werden 
kann;  es  sind  lediglich  die  Umstände,  unter  welchen  die 
Influenz-  und  die  diese  b^leitenden  Nebenwirkungen  etc., 
sowie  die  aus  diesen  verschiedenartigen  Vorgängoi  ent- 
springenden Entladungssströme  zu  Stande  kommen  können, 
bei  der  physikalischen  Beurtheilung  eitles  derartigen  Falles 
ins  Auge  zu  fassen  ^^).    Statistische  Nachweise  solcher  Art, 


10)  Die  üntersncliang,   welcHe  an   der  Leiche  des    16jährigen 
Mädchens  und  deijenigen  des  10jährigen  Khabens  an  der  Unglücks- 


Kuhn:  Bmerhmigen  tite*  BUUaMäg^  2T9 

wie  sie  für  yorgekommene  Fälle  von  Tödtnngen  von  Per* 
Boam  durch  Blitzschläge  in  den  verschiedengten  Gebieten  eta 
Dodi  häufig  zusammen  gestellt  werden,  dürften  wohl  ihren 
ogeDthomlichen  Wertti  haben;  in  rein  physikalischer  sowie 
phydologisoher  Beaiehnng  aber  dürfte  ihre  Bedeutung  als 
zweifelhaft  ersdidnen.  —  Als  besonders  an£Eallend  möchten 
die  Producte  der  Wärme-  and  mechanisdien  Wirkungen  her« 
Torsoheben  sein,  welche  nach  dem  Blitzschlage  in  dem 
Wohnzimmer  der  Familie  aufgefunden  worden  sind,  sowie 
jene,  welche  in  der  Mauer  zwischen  dem  ersten  Stockwerke 
and  dem  gedachten  untersten  Fenster  yermuthungsweise 
sich  noch  vorfinden  sollen.  Der  mir  zugekommene  Bericht 
juemes  Freundes  spricht  sich  hierüber  in  nachstellender 
Weise  ans :  „Von  anderen  Personen,  die  das  Hans  am  darauf 
folgenden  Tage  besuchten,  hörte  ich  sagen,  dass  sie  form- 
Üdie  Bohren,  die  der  Blitz  dnrch  Holz  und  Maueiwerk  ge* 
bohrt  habe,  gesehen  hatten  (s.  o.  S.  267);  allein  dieses  be* 
ruht  auf  Täuschung  oder  falscher  Aufibssung  der  Sache, 
denn  es  sind  nur  ausgesplitterte  Rinnen  am  Holzwerk,  und 
Aassplitterungen  an  den  Fugen  zwischen  Hohe  und  Mauer- 
werk bemerklich.  Femer  soll  am  Fussboden  des  Wohn* 
Zimmers  Sand  gestreut  gewesen  sein  —  nadi  ländlicher 
Sitte  geschieht  diess  in  Oberfranken  am  Vorabende  emes  jeden 
Feier-  oder  Festtages  *-,  der  in  der  Richtung  des  Blits« 
Schlages  geschmohsen  und  sich  in  eine  Röhre  yerwandelt 
Ittben  soll  ...  .    An  den  Fnssbodenbrettem  sind  übrigens 


•iatte  vorgenommen  wurde,  hat  sich,  wie  es  den  Anschein  hat,  bloss 
tiif  ttne  oberflächliche  am  Leibe  u.  dgL  beschränkt  Die  Sparen 
ösr  Entladung  an  beiden  Kindern  möchten  wohl  am  Kopfe  ^  unter 
den  Haaren  —  oder  selbst  an  anderen  blossgdegten  earten  Organen 
•idi  Torfindan;  nur  durfte  sn  deren  üntersoheidiing,  da  sie  vermuth« 
lieh  in  schwachen  siebartigen  Dorohbohrongen  bestehen,  mindestens 
die  Anwendung  einer  Loupe  ndthig  gewesen  sein. 


274  SiUnmg  der  mM.-pkifs.  CIom«  vom  6.  JmU  1867. 

nar  ein  oder  zwei  Brandflecken  in  Kreoz^grösfie^'  (also  kein 
Loch  in  Thalergrösse  wie  diees  von  anderer  Seite  angegebai 
wurde)  „und  am  Tische  unten  nur  einige  Stellen ,  kaum 
merklich  versengt,  aber  kein  Strahl  mit  Brandflecken,  wie 
er  an  der  Wand  im  oberen  Stocke  rorhanden,  zu  bemerken 
ist".  Die  Entstehungsweise  des  am  Zimmerboden  der  Dn- 
glücksstelle  vorgefundenen  ,, röhrenförmigen  Concrements", 
von  welchem  durdi  ein  Fragment  ^^)  nachgewiesen  worden 
ist,  dasB  diess  eine  wirkliche  Blitzröhre  war,  muss  vor^ 
läuflg  als  ein  in  ein  Dunkel  verhülltes  Phänomen  angesehen 
werden;  ein  ähnHcher  Fall  ist  meines  Wissens  bis  jetzt  nodi 
nicht  bekannt  geworden.  Jenes  Fragment  ist  beiläufig  1  bayer. 
Dec.  Zoll  lang,  ganz  unregelmässig  gestaltet,  seine  Grund- 
form dürfte  etwa  als  ein  stumpfer  Kegel  mit  ovalen  Grund- 
flächen angesehen  werden ,  von  welchen  die  Hauptaxen  der 
grösser^  beiläufig  6'^'  und  2'^'  (b.  Dec.  M.),  jene  der 
kleineren  3'^'  und  Vjn"^  sind;  dieses  Röhrenstück  ist  sehr 
dünnwandig  (an  der  stärksten  Stelle  etwa  V^  hayr.  Dedmal- 
linie  dick)  an  verschiedenen  Stellen  mit  Ausbiegungen,  und 
Zacken  versehen,  im  Innern  vollkommen  verglast,  an  den 
Aussenflächen  rauh  und  mit  weissen  Sandkörnern  (?)  besetzt 
Unwillkührlich  taucht  beim  Anblicke  dieses  Gebildes  —  das 
mit  den  gewöhnlichen  Blitzröhren  volle  Aehnlichkeit  zeigt  — 
der  Gedanke  auf,  es  müsse  auf  dest  angeblich  zwei  Foss 
langen  Strecke  der  dünnen  SandscUcbte  am  Zimmerboden 
ein  bis  zum  höchsten  Glühgrade  erhitzter  Luftstrom  die 
Bahn  der  elektrischen  Entladung  bezeichnet  haben.  —  Eine 
Nachgrabung  im  Boden   ausserhalb  des  Hauses  wurde  bis 


11)  Pieses  Fragment  befindet  tioh  im  physikaliichen  Ckbinete 
des  Lycenm's  in  Bamberg;  es  Wurde  mir  durch  die  Oöte  meines  ge- 
ehrten CoUega  Herrn  Prof.  Dr.  Höh  enr  Ansicht  sngeeendet;  durch 
Yermittelnng  des  Untereachangsriohtera  Herrn  Bath  Miltner  uX 
dasselbe  in  seinen  Besits  gelangt. 


Kuhn:  Bemerkungen  üiber  BUUsdiläge.  275 

jetzt  nicht  yorgenommen ;  ob  man  hier  nicht  auf  Blitzröhren 
beiyorsichtiger  Bohrung  kommen  dürfte,  könnte  natürlich  nur 
als  eine  Vermuthung  hingestellt  werden. 

Durch  die  über  die  henrorgehobenen  Blitzesereignisse 
im  Vorstehenden  angestellten  Betrachtungen  dürfte  nunmehr 
die  Anschauungsweise  über  die  Entstehung  von  Blitzschlägen 
als  hinreichend  begründet  angesehen  werden.  Praktische 
Folgerungen  aus  den  durch  jene  Ereignisse  gewonnenen  Er- 
MruDgen  zu  ziehen,  dürfte  hier  als  unnöthig  erscheinen; 
die  oben  (S.  247)  angeführten  Sätze  erlangen  ohnehin  hie- 
dnreh  eine  neue  Bestätigung  ^').  Hingegen  mag  zum  Schlüsse 
noch  angeführt  werden,  dass  unsere  Erörterungen  vielleicht 
auch  fSr  die  Häufigkeit  der  Blitzschläge  neue  Anhaltspunkte 
liefern  können.  Es  scheint  uns  nämlich  daraus  hervorzu- 
gehen, dass  in  solchen  Jahren,  in  denen  durch  massenhafte 
Niederschläge  während  der  eigentlichen  Gewitterperioden  die 
Gewässer  überhaupt  sowie  namentlich  die  unterirdischen 
einen  hohen  Stand  annehmen ,  die  Zahl  der  Blitzschläge 
unter  sonst  gleichen  Umständen  —  also  auch  bei  gleicher 
Frequenz  und  Stärke  der  Gewitter  _—  grösser  sein  müsse, 
als  in  Frühlings-  und  Sommermonaten  von  geringer  Regen* 
menge.  Ebenso  scheint  aus  den  obigen  Betrachtungen  die 
Folgerung  gezogen  werden  zu  dürfen,  dass  bei  periodisch 
an  einem  und  demselben  oder  an  unmittelbar  auf  einander 
folgenden  Tagen  auftretenden  Gewittern  die  Wahrscheinlich- 
keit des  Eintretens  von  Blitzschlägen  bei  den  folgenden  Ge- 
wittern um  so  grösser  werden  müsse,  je  grösser  die  Regen- 
menge war,  welche  die  vorausgegangenen  Gewittererschein- 
ongen  als  Begleiter  und  zur  Folge  hatten. 


12)  Die  bei  meiner  Besprechang  über  die  neue  französische  In- 
Btraction  für  Blitzableiter  an  Pulvermagazinen  [s.  Polytechn.  Joum. 
Bd.  CLXXXIV,  S.  469,  Juni  1867]  erhobenen  Bedenken  werden 
darch  die  eben  beschriebenen  Blitzesereignisse  von  Neuem  gerecht- 
fertigei 


276         SiiBtmg  der  matK-pfiffs,  CUuu  wm  6.  JM  1867. 


Herr  y.  Kobell  hält  einen  Vortrag: 

„üeber    den    Glaukodot    von    Hakansbö  in 
Schweden". 

Ich  habe  kürzlich  den  Glaukodot  von  Hakansbö  nnter- 
suchty  welcher  sich  in  der  KrystaUisation  von  dem  Glauko» 
dot  Breithaupts  nur  dadurch  unterscheidet,  dass  die 
Spaltbarkeit  nach  der  basisdien  Fläche  bei  diesem  als  be- 
sonders deutlich  angegeben  wird,  während  sie  bei  jenem 
wenig  deutlidi  ist.  Die  KrystaUisation  ist  bekanntlich  die 
des  Arsenopyrits  und  konnte  ich  an  den'  Erystallen  ?on 
Hakanbö  ein  neues  Doma  2  F  oo  beobachten.  Meine  Analyse 
war  bereits  vollendet,  als  eine  Abhandlung  von  Tschermak 
über  dasselbe  Mineral  erschien,  worin  auch  eine  Analyse  von 
E.  Ludwig  mitgetheilt  wird.  Der  Inhalt  dieser  Abhandlung 
könnte  gegenwärtige  Publication  als  überflüssig  erscheinen 
lassen,  denn  ich  fand  wesentlich  ihre  Angaben  nur  bestätigt, 
gleichwohl  hat  die  Uebereinstimmung  zweier  unabhängig 
geführten  Untersuchungen  immer  einigen  Werth  und  nament- 
lich in  Bezug  auf  die  chemische  Analyse,  welche  nidit  so 
leicht  zu  revidiren  ist  als  die  krystallographischen  Verhältnisse. 
Ich  stelle  daher  hier  die  beiden  Analysen  1.  von  Ludwig 
und  2.  von  mir  zusammen. 


1. 

2, 

Schwefel 

19,80 

19,85 

1,24     S 

Arsenik 

44,03 

44,30 

0,59    As 

Eisen 

19,34 

19,07 

0,681  Fe 

Kobalt 

16,06 

15,00 

0,508  Co 

Nickel 

— 

0,80 

0,027  Ni 

Kieselerde 

— 

0,98 

99,23     100 


«.  KobOt:  Der  OkuOiod^  vom  Bakanibd.  277 

Die  Formel  ist  4C?{S;,  +  5 Fe{S;, 

Die  Differenz  betrifft  mir  ein  geringer  yon  nur  gefan« 
dener  Nickelgehalt.  Ich  habe  darauf  ein  besonderes  Augen- 
merk gerichtet,  weil  es  seltsam  ist,  dass  die  bisherigen  Ana- 
lysen kobalthaltiger  Arsenopyrite,  eine  emzige  von  Ph.  Kröber 
aufigenommen,  kein  Nickel  angeben,  wie  auch  keines  in  dem 
analog  zusammengesetzten  Kobaltin,  während  im  Smaltin 
fast  immer  eine  Vertretung  des  Kobalt  darch  Nickel  vor- 
kommt. Idi  trennte  die  beiden  Metalle  durch  salpetricht- 
BaoresKali.  Das  erhaltene  Nickelozyd  löste  sich  in  Salpeter- 
saure mit  grüner  Farbe  und  gab  mit  Ammoniak  im  Ueberschuss 
die  himmelblaue  Lösung.  Die  Kieselerde  fand  sich,  als  das 
mit  Wasserstoff  reducirte  Kobalt  in  Salpetersäure  gelöst 
wurde. 

Vor  dem  Löthrohr  auf  Kohle  entwickelt  das  Mineral 
anfangs  starken  Arsenikrauch,  ohne  zu  schmelzen,  nach 
längerem  Erhitzen  aber  schmilzt  es  ganz  leicht  zu  einer 
stahlgrauen  magnetischen  Perle,  welche  beim  ersten  Zu- 
sammenschmelzen mit  Borax  ein  grünlichblaues ,  bei  län- 
gerem Behandeln  im  Reductionsfeuer  ein  schön  kobaltblaues 
Glas  giebt.  —  Dieser  Glaukodot  ist  wie  der  Arsenopyrit 
ein  guter  electrischer  Leiter  und  fiberläuft,  mit  der  Zink- 
Uappe  in  Kupfervitriol  getaucht,  sogleich  mit  glänzendem 
metallischem  Kupfer. 

Als  Pulver  mit  Eisenpulver  gemengt  entwickelte  er  mit 
Salzsäure  reichlich  Schwefelwasserstoff. 

Mit  Salpetersäure  erhält  man,  unter  Ausscheidung  von 
Schwefel,  eine  schön  rothe  Lösung. 

Der  erwähnte  von  Kröber  analjsirte  nickelhaltige  Ar- 
Benopyrit  stammt  von  La  Paz  und  Yungas  in  Bolivia  und 
enthält  35  Procent  Eisen,  4,74  Nickel  und  nur  eine  Spur 
Ton  Kobalt.    Das  spec.  Gewicht  4,7  ist   auffallend   gering. 


278  Siteung  der  maUk-phys.  CUtsae  wm  6.  JvK  1867. 

Der  Glaukodot  von  Hakansbö  hat  nach  Tschexmak 
5,973,  nach  meiner  Wägung  6,96.  — 

Ich  stimme  der  Ansicht  Tschermak's  bei,  das  Mineral 
von  Hakanbö  zum  Glaukodot  zu  stellen  und  die  weniger 
Kobalt  enthaltenden  Verbindungen  dieser  Art  Danait  zu 
benennen.  Wo  bei  diesen  das  Kobaltblau  mit  Borax  nidit 
mehr  sicher  wahrzunehmen,  da  kann  man  sich  vom  Kobalt- 
gehalt überzeugen,  wenn  man  eine  feingeriebene  Probe  von 
etwa  1  Gramm  in  Salpetersäure  löst  und  die  stark  ver- 
dünnte Lösung  mit  ehem.  bereitetem  kohlensaurem  Kalk 
fällt.  Man  filtrirt  den  Niederschlag  des  arseniksauren  Eisen- 
oxyds und  versetzt  das  Filtrat  mit  Schwefelammonium;  er- 
hält man  kein  oder  ein  blass  gelblich  aussehendes  Präcipitat, 
so  ist  kein  Kobalt  vorhanden,  ist  aber  die  Trübung  oder 
der  Niederschlag  graulich  oder  schwarz,  so  säuert  man  die 
Flüssigkeit  mit  Salzsäure  an  und  lässt  sie  durch  einFiltmm 
laufen.  Ohne  weiteres  Auswaschen  trocknet  und  verbrennt 
man  dieses  Filtrum  und  schmilzt  den  Rückstand  im  Platin- 
drath  mit  Borax  zusammen.  Man  kann  so  die  kleinsten 
Mengen  von  Kobalt  in  den  Arsenik  und  Eisen  enthalten- 
den Erzen  nachweisen. 


VoU:  Ueber  HamaäuresedimenU,  279 


fierr  C.  Voit  berichtet  über  eine  in  seinem  Labora- 
torium and  unter  seiner  Leitung  von  Hm.  stud.  med.  Frz. 
Hof  mann  ausgeführte  Arbeit 

yiUebcr  das  Zustandekommen   der  Harnsäure- 
sedimente". 

Ein  Niederschlag  von  Harnsäure  oder  hamsauren  Salzen 
entsteht,  wie  schon  länger  bekannt  ist,  nur  in  seltenen  Fällen 
dadurch,  dass  der  Harn  wegen  Wassermangels  mit  diesen  Ver- 
bindungen bei  der  Temperatur  des  Körpers  gesättigt  ist  und  sie 
beim  Erkalten  herausfallen  lässt,  oder  dadurch,  dass  er  aus 
irgend  welchen  Ursachen  mehr  davon  enthält  als  gewöhnlich. 
Das  erstere  findet  nur  selten  statt,  weil  der  Niederachlag  meist 
erst  längere  Zeit  nach  der  Erkaltung  entsteht  und  beim  Er- 
warmen auf  38 ®C.  sich  nicht  wieder  löst;  das  letztere 
nicht,  weil  sich  beim  Auftreten  von  Sedimenten  meist 
keine  grössere  Quantität  Harnsäure  finde.t.  Und  doch  macht 
man  sich  nicht  immer  von  diesem  Vorurtheil  los,  dcfxn  man 
Bchliesst  nur  zu  ofb,  wenn  man  den  Boden  des  Hamglases 
mit  dem  bekannten  Ziegelmehl  bedeckt  findet,  auf  eine  ver- 
mehrte Hamsäureabscheidung.  Aber  auch  bei  dem  reichlich- 
sten Sedimrate  darf  man  diesen  Schluss  nicht  machen,  dasselbe 
sieht  nur  voluminös  aus,  denn  sobald  man  zum  Harn  etwas  Säure 
zogiesst,  verschwindet  alles  bis  auf  wenige  Harnsäurekrystalle. 
Die  Menge  der  Harnsäure,  die  ein  gesunder  Mensch  im 
Tag  liefert,  kann  zwischen  0.4—2.0  Gramm  schwanken;  ich 
habe  bei  Krankheiten  nie  mehr  beobachtet,  als  normal  auch 
anitreten  kann.  Schon  vor  Jahren  hab^  ich  einmal  den 
24stüud]gen  Harn  eines  Arthritikers  erhalten,  welchem  kalte 
Einwickinngen  gemacht  worden  waren ;  der  Harn  war  durch 
seine  ganze  Masse,  trüb,    voll  des  reichlichsten   amorphen 


280  SiUfung  der  tMUfL-phys.  Ckase  wm  6.  JM  t867. 

Sodimentes;  man  wollte  mir  damit  beweisen,  dass  unter  der 
angegebenen  Behandlung  die  Harnsäure  aus  dem  Körper  zur 
Ausscheidung  gebracht  werden  könne;  als  ich  aber  die 
quantitative  Bestimmung  machte,  war  die  Menge  der  Harn- 
säure unter  dem  Mittel. 

Die  Harnsäure  kann  nicht  als  solche  aus  der  Niere  abge- 
schieden werden,  da  sie  in  Wasser  nahezu  unlöslich  ist,  sie 
kann  nur  als  harnsaures  Salz  im  frischen  Harn  enthalten  sein, 
und  muss  also  irgend  woher  ihre  Basis,  meist  Natron,  nehmen. 
Dadurch  ist  die  Menge  der  in .  den  Harn  übergehenden  Harn- 
säure eine  sehr  beschränkte,  während  von  dem  in  Wasser 
leicht  löslichen  Harnstoff  unbegrenzte  Mengen  fortgeschafit 
werden  können;  jeder  Mensch  kann  im  Tage,  je  nach  der 
Menge  des  im  Körper  verffigbaren  Alkali's  nur  eine 
begrenzte  Harnsäuremenge  ausscheiden,  und  wenn  mehr 
erzeugt  wird,  als  entfernt  werden  kann,  so  muss  sie  zurück- 
bleiben. 

J.  Scherer  hatte  vor  längerer  Zeit  eine  Theorie  ab- 
wickelt, die  auf  die  Art  der  Bildung  der  betreffenden  Sedi- 
mente und  der  Harnsteine  das  hellste  Licht  zu  werfen  schien 
.und  die  noch  heute  allgemein  acceptirt  ist.  Man  war  da- 
mals von  dem  allgemeinen  Vorkommen  der  Milchsäure  iin 
Thierkörper  überzeugt.  Man  dachte  nicht  an  anorganische 
Säuren  und  man  hatte  die  Gegenwart  der  Milchsäure  in  der 
sauren  Mildi  erkannt  und  so  musste  überall,  wo  man  im 
Organismus  eine  saure  Reaktion  traf,  Milchsäure  die  Ursache 
sein.  Die  saure  Reaktion  des  Harns  leitete  man  daher  auch 
von  der  Milchsäure  ab;  und  da  man  wusste,  dass  auf  Zu- 
satz einer  Säure  zum  Harn  Harnsäure  niederfalle,  so  lag  nichts 
näher,  als  anzunehmen,  die  Sedimentbildung  käme  von  einer 
Vermehrung  der  Milchsäure  im  Harn  nach  der  Entleerung, 
von  einer  sauren  Gährung  des  Harns. 

Nun  kann  man  aber  im  Harn  weder  Milchsäure  finden, 
poch  eine  Vermehrung  der  Säure  beim  Stehen. 


VoH:  Ueber  HamgäureBeäimenU.  281 

Man  ist  nicht  im  Stande,  Milchsäure  im  Harn  nachzn« 
weisen.  Pettenkofer  bemühte  sich,  die  angebliche  Milchsäare 
darzustellen,  er  &nd  dieselbe  nicht,  jedoch  statt  ihrer  das 
Kreatinin.  Anch  Liebig  sagt  in  seiner  berühmten  Abhand- 
lang über  den  Harn  des  Menschen  und  der  Thiere,  dass  er 
nicht  eine  Spur  Milchsäure  entdecken  konnte;  er  that  aber 
dar,  dass  die  saure  Reaktion  des  Harns  von  sauren  Salzen 
herrühre,  sauren  phosphorsauren  Alkalien  und  alkalischen 
Erden,  sauren  harnsauren  und  hippursaueren  Salzen,  welche 
dorch  Einwirkung  der  letztgenannten  organischen  Säuren 
anf  das  basisch  phosphorsaure  Alkali  des  Bluts  entstan- 
den sind. 

Prüft  man  direkt  die  Säuremenge  des  Harns  durch  die 
Menge  Alkali,  die  zur  Neutralisation  erforderlich  ist,  so 
sieht  man  die  Menge  der  Säure  stetig  abnehmen  und  zu 
keinem  Zeitpunkte  sich  steigern;  es  existirt  keine  saure 
Gahrnng  des  Harns. 

Es  ist  das  saure  phosphorsaure  Natron,  welches  das 
im  Harn  gelöste  hamsaure  Alkali  allmählich  zersetzt.  Wenn 
man  ausserhalb  des  Körpers  die  Lösungen  beider  Salze  in 
äqai?alenter  Menge  zusammenbringt,  so  fallt  nach  einiger 
Zeit  Harnsäure  krystallinisch  heraus  und  die  Flüssigkeit 
reagirt  alkaUsch,  d.  h.  es  nimmt  das  saure  phosphorsaure 
Natron  ein  Aequivalent  Natron  von  der  Harnsäure  weg  und 
wird  zu  basisch  phosphorsaurem  Natron,  wie  es  im  Blute 
vorhanden  war  und  die  unlösliche  Harnsäure  muss  heraus- 
&llen.  Dieser  ümlagerungsprozess  geht  um  so  schneller 
vorwärts,  je  concentrirter  die  Lösung  des  sauren  phosphor* 
Bauren  Natrons  ist. 

Diese  Thatsachen  erklären  die  Entstehung  der  harn- 
Bfturen  Sedimente  vollkommen.  Gleich  nach  der  Bildung 
des  sauren  Harns  beginnt  die  Einwirkung  des  sauren  phos* 
phorsauren  Natrons  auf  das  hamsaure  Natron;  es  fällt  ham- 
ß&nres  Salz  und  dann  Harnsäure  ans  und  zwar  um  so  eher, 


282  Sitzung  der  fMOh.-phye.  Clasae  vom  6.  Juli  1867. 

je  mehr  der  Harn  saures  phosphorsaures  Natron  enthält.  Die 
Fällung  kann  schon  in  den  Hamwegen  oder  der  Blase  ge> 
Bchehen,  und  so  zu  Harngries  oder  Steinen  Veranlassung 
geben  oder  sie  geschieht  erst  ausserhalb  des  Körpers. 

Es  kann  eine  raschere  Umlagerung  entweder  durch 
reichlichere  Auscheidung  von  saurem  phosphorsaurem  Natron 
entstehen  oder  durch  eine  Concentration  des  Harns.  Das 
erstere  tritt  seltener  ein  und  kann  wohl  nur  bei  reichlidier 
Zersetzung  eiweissartiger  Stoffe  im  Körper  stattfinden;  so 
sieht  man  z.  B.  immer  nach  reichlicher  Aufnahme  BtickstoS- 
haltiger  Nahrung,  ohne  dass  weniger  Harn  entfernt  wird, 
ein  Sediment  von  Harnsäure  auftreten,  nur  veranlasst  durch 
die  grössere  Menge  des  sauren  phosphorsauren  Natrons  im 
Harn. 

In  den  meisten  Fällen  handelt  es  sich  aber  nur  um  eine 
Concentration  des  Harns  und  der  Lösung  des  sauren  phosphor- 
sauren Natrons  durch  eine  geringere  Wasserausscheidung.  Bei 
allen  Umständen,  bei  denen  dem  Harn  Wasser  entzogen  wird, 
treten  Sedimente  von  Harnsäure  auf,  ohne  dass  irgend  eine 
pathologische  Veränderung  vorhanden  zusein  braucht.  Haben 
wir  eine  Nacht  durch  getanzt,  so  bemerken  wir  im  Morgenharn 
ein  reichliches  Ziegelmehlsediment,  ebenso  wenn  wir  geschwitzt 
haben,  oder  wenn  durch  die  Haut  durch  Vorbeiströmen  kalter 
trockner  Luft,  wie  bei  uns  in  München,  viel  Wasser  m 
Dampfform  weggeht.  Geht  bei  Krankheiten  auf  anderen 
Wegen  Wasser  verloren,  so  bemerken  wir  die  Niederschläge;« 
bei  jedem  Nasenkatarrh  zeigt  sich  ein  saturirter  Harn  und 
ein  Sediment;  ebenso  wenn  bei  Entzündungen  sich  Wasser 
in  Organen  oder  Höhlen  anhäuft  oder  wenn  dabei  durch  die 
Haut  bei  reichlichem  Schwitzen  Wasser  entfernt  ivird;  in 
früherer  Zeit  hat  man  in  diesen  Fällen  von  kritischen 
Sedimenten  gesprochen. 

Aber  jeder  Harn  sedimentirt  zuletzt.  Eine  rasche  Wirk- 
ung des  sauren  phosphorsauren  Salzes  bewirkt  den  amorphen 


Vaüx  U^ber  HamBäiwreBedmeKU.  283 

Niederschlag,  eine  langsamere  scheidet  die  Harnsäure  kry- 
stallinisch  aas,  was  nur  keine   so  auffällige  Erscheinung  ist. 

Durch  die  beschriebene  Umwandlung  nimmt  die  saure 
Reaktion  des  Harns  nach  und  nach  ab.  Es  kann  schon 
bald  ohne  Zersetzung  des  Hlirnstoffes  und  ohne  Entstehung 
TOD  Ammoniak  eine  alkalische  Reaktion  auftreten,  wenn  nur 
gerade  so  viel  saures  phosphorsaures  Natron  vorhanden  ist, 
am  mit  dem  an  die  Harnsäure  gebundenen  Natron  basisches 
Salz  zu  bilden.  Ist  einmal  auf  diese  Weise  der  Harn  alka- 
lisch oder  schwach  sauer  geworden,  dann  beginnt  auch  die 
weitere  Zersetzung  desselben  unter  Einwirkung  der  Pilze 
und  greift  rasch  um  sich. 

Die  Ursache  der  Bildung  der  Harnsäuresedimente  wird 
somit  in  jedem  speciellen  Falle  leichten  finden  sein;  es 
handelt  sich  um  Prozesse,  die  in  jedem  Harn  vor  sich 
gehen  und  nur  manchmal  schneller  verlaufen,  was  aber  bei 
ganz  normalem  Körper  ebenso  geschehen  kann,  wie  bei  er- 
kranktem. — 

Die  näheren  Ausführungen  werden  in  einer  eigenen  Ab- 
handlung von  Hrn.  Hofmann  gegeben  werden. 


284  SiUung  der  mtM.-pkifs.  Oasse  «om  6.  Mi  1867. 


Herr  Seidel  berichtet  über  eiiien  Aii&ats  toh  Hm. 
Dr.  Adolph  Steinheil: 

„üeber  Berechnnng  optischer  Gonstraktionen^* 
indem  er  zugleich  Instrumente  (Camera  obscura  und  Mi- 
kroBCop-Objektiv)  vorzeigt,  welche  von  Herrn  Adolph  Stein- 
heil nach  den  in  dem  Aufsatz  dargelegten  Principien  con- 
struirt  worden  sind,  sowie  auch  Probe-Photographieen ,  die 
damit  erhalten  wurden. 

Nachdem  der  berühmte  fYauenhofer  durch  Entdeckimg 
und  Anwendung  der  fixen  Linien  im  Sonnenspektrnm  ge- 
zeigt hatte,  wie  sich  die  Eigenschaften  der  Olassorten  präcis 
durch  Zahlen  ausdrücken  lassen  und  dadurch  die  strenge 
Rechnung  in  der  Optik  möglich  gemacht  hatte ,  verwendete 
er  diese  in  der  Art  für  optische  Construktionen ,  dass  er 
die  Lichtstrahlen  durch  strenge  trigonometrische  Rechnung 
,  auf  ihrem  Wege  durch  ein  Linsensystem  verfolgte,  den  Ein- 
fluss  der  Halbmesser  und  Dicken  auf  die  Vereinigungsweitea 
verschiedener  Strahlen  bestimmte  und  diese  Kenntniss  zur 
Feststellung  derjenigen  Dimensionen  benutzte,  weldie  für 
gegebene  Glasarten  ein  möglichst  deutliches  Bild  eines  in 
der  Aze  gelegenen  leuchtenden  Punktes  ergeben. 

Seine  Untersuchungen  b^ogen  sich  zunächst  auf  das 
Femrohrobjektiv,  welches  er  in  zwei  Construktionen  aus- 
führte, sowie  auf  das  einfache  Mikroskopobjektiv.  Bei  letz- 
terem und  dem  für  kleinere  Dimensionen  angewendeten 
Femrohrobjektive  (mit  ineinanderpassenden  inneren  Flächen) 
waren  es  3  Bedingungen,  die  er  erfüllte;  nämlich:  Herstell- 
ung einer  vorher  bestimmten  Brennweite  bei  gleichzeitiger 
Hebung  des  Kugelgestalt-  und  Farben-Fehlers. 

Bei   dem  Femrohrobjektive    für  grössere  Dimensionen 


kam  ooeh  ehid  weitere  Bedingung  nnd^die  Wahl  der  Olas- 
sorten  in  Bezog  auf  Becondäres  Spektrum  dazn.  Welches 
die  vierte  Bedingung  wnr,  die  Fraaenhofer  zur  Annahme 
dieser  (onter  dem  Namen  Franenhofer^scbe  Gonstruktion  so 
berfilimt  gewordenen)  Form  des  Objektives  bestimmte, 
konnte,  trotz  der  gediegenen  Untersuchungen  in  dieser 
Sichtung,  leider  nicht  mit  Sicherheit  ^)  festgestellt  werden, 
da  seine  hinterlassenen  Arbeiten,  soweit  sie  nicht  vor  seinem 
Tode  pablicirt  waren,  als  Geheimniss  behandelt  wurden  und 
anderweitige  direkte  Angaben  von  ihm  fehlten.  Vielleicht 
aber  sind  gerade  durch  diesen  Umstand  die  Eigenschaften 
des  Objektives  g«[iauer  untersucht  und  bessar  bekannt  ge- 
worden« 

Das  Objektiv  errdllt: 

1)  Wie  HerscheP)  nadiwies,  sehr  nahe  die  Bedingung 
der  Hebung  des  Eugelgestaltfehlers  ffir  nahe  und  ferne 
Objekte. 

2)  Wie  Biot^)  zeigte,  ist  es  stabil  achromatisch;  d*  h. 
Strahlen  von  zweierlei  Farben,  welche  vor  der  Brechung  an 
der  ersteh  Fläche  des  Objektives  demselben  weissen  Strahl 
angehörten,  treten  nach  der  letzten  Brechung  nicht  nur 
nach  demselben  Punkte  zielend ,  sondern  auch  unter  dem- 
selben-Winkel  und  an  derselben  Stelle  aus  (wieder  einen 
weissen    Strahl    bildend).     Diese   Bedingung   ist   für   einen 


1)  Ein  Ansapmch  XTtzschneider's ,  das«  Fraaenhofer  die  Fehler 
8W  das  ganze  Gesicbtdfeld  moglicbst  zu  beben  bestrebt  gewesen 
Mif  lästt  die  sab  3)  angeführte  von  Prof.  Seidel  gefundene  Eigen- 
■chaft  mit  am  meisten  Wahnicbeinliohkeit  als  die  Bedingung  er- 
8clie;D6n,  welche  Fraaenhofer  erfüllte. 

2)  Herscbel,  Dioptrik. 

S)  TraiU  el^mentaire  d^stronemie  physique  par  J.  B.  Biet, 
Paris  1844.    Tome  deujöeme  p.  83.  r 

[1867.11.2.]  19 


1286         Süeung  äer  m(ah,-phff9.  dam  vom  6.  JuU  18S7. 

Punkt  der  Oeffnang  streng  erföllt  und  bedingt  zagMch  die 
Hebung  des  Farbenfi^ers  ausser  der  Aze. 

3)  zeigte  Prof.  Dr,  Seidel*)  datier,  •  dass  bei  dem 
Frauenbofer'schen  Objektiye  die  Bedingung  da:  gleicbzeitigen 
Hebung  der  Kugelgestalt  in  der  Mitte  und  am  Bande  des 
Gesichtsfeldes  sehr  nahe  erfüllt  ist. 

4)  fand  Hr.  Prof.  Seidel  (und  theilte  es  mir  mit  der 
Erlaubniss  zur  Veröffenlichung  in  dieser  Abhandlung  mit) 
dass  das  Frauenhofer'sche  Objektiv,  so  definirt,  wie  er  es 
in  den  astronom.  Nachrichten  Kr.  1029  angenommen  hat, 
vor  allen  anderen  die  Auszeichnung  geniesst,  dass  es  keine 
Brennflächen  erzeugt,  so  dass  die  klduen  Lichtscheibcheo, 
welche  man  je^  nach  der  Stellung  des  Okulares  sieht, 
gleichmässig  erleuchtet  erscheinen,  während  sie  bd  jedem 
andern  Objektive  (auch  abgesehen  von  dem  Effekte  der 
Diffraktion)  helle  Lichtsäume  (die  Durchschnitte  der  Brenn- 
fläche  mit  der  jedesmaligen  Ebene  des  deutlichen  Sehens) 
haben;  und  endlich 

5)  ergab  mir  die  trigonometrische  Rechnung,  dass  für 
den  Lichtbüschel  parallel  zur  Axe  der  Kugelgestaltfehler 
(sekundärer  Ordnung)  für  Strahlen,  die  bei  '/s  der  Oeffnang 
des  Objektives  auffallen,  bei  dieser  Construktion  ein  Mini- 
mum  ist;  wenn  man  Dicken  und  Abstand  der  Linsen  als 
Elemente  ausschliesst. 

Diese  grossen  Vortheile  erreichte  Frauenhofer,  ohne 
dass  er  mehr  als  2  Linsen  anwendete.  Dadurch  war  dieses 
Objektiv  ein  Triumph  der  Wissenschaft,  indem  es  bewies, 
dass  diese  eine  zuverlässigere  Führerin  ist,  um  unter  vielen 
Möglichkeiten  die  günstigste  zu  wählen,  als  die  Empirie. 


4)  Gelehrte  Anzeigen  der  k.  bayr.  Akademie  der  WisBenschaftea 
1865  Nr.  16  und  17.  Aflironom.  Nachrichten  Nr.  1027—1029. 


Stemkeü:  Bem^mmg  opi,  Gonslrukiionm.  287 

Bei  den  von  Franenhofer  gerechneten  Fällen  handelte 
es  sidi  mn  Instrumente ,  weiche  einen  geringen  Oe£fnungs- 
winkel  (Verhältniss  der  wirksamen  Oeffnnng  znr  Brennweite) 
hatten  nnd  bei  welchen  nnr  em  kleiner  Oesichtsfeldwinkel 
(Terhaltniss  der  benfiteten  Aosdehnong  des  Bildes  znr  Brenn- 
weite) znr  Anwendung  kam. 

Lttder  ward  Franenhofer  durch  seinen  frühen  Tod  Ter- 
hindert  eine  beabsiditigte  gründliche  Bearbeitung  der  Oku- 
hge  durchzuführen;  durch  welche  die  Bedingungen  für  ein 
grosses  Gesichtsfeld  festgestellt  und  erfüllt  worden  sollten. 

Trotz  der  grossen  Fortschritte,  welche  die  Theorie  der 
Optik  seit  Frauenhofer's  Tod  durch  die  Arbeiten  Ton  Qanss, 
Bessel,  Biet,  Petzwal,  Seidel  etc.  gemacht  hat,  wurde  sie 
doch  in  B^ug  auf  Construktionen  von  der  Empirie  überholt. 

Es  wurden  zusammengesetzte  Mikroskopobjektive  mit 
sehr  grossen  Oeffnungswinkeln  und  Photographenapparate 
mit  ausgedehntem  Gesichtsfelde  oonstruirt  Mikroskopobjek- 
tite  sowohl,  wie  Photographenapparate  wurden  in  den  yer- 
fidiiedensten  C!onstruktionen  hergestellt,  ohne  dass  behauptet 
werden  kann,  dass  die  einfachsten  und  günstigsten  Möglich- 
keiten dadurch  ermittelt  worden  wären.  Es  hat  eben  Frauen- 
hofer  keinen  Nachfolger  gefunden,  der  die  Lust  und  Aus* 
daaer  besass,  auf  dem  sicheren  aber  mühsamen  Wege  der 
trigonometrischen  Rechnung,  die  Eigenschaften  der  Bilder 
genau  kennen  zu  lernen  und  auf  diese  Eenntniss  gestützt 
unter  den  Möglichkeiten  zu  wählen. 

Dass  die  Theorie  nicht  direkte  Vorschriften  zur  Berech- 
nnng  Ton  Construktionen  geben  kann  liegt  in  der  Natur  der 
Angabe.  Während  schon  alle  Gleichungen,  die  den  4^  Qrad 
abersteigen  direkte  Lösung  auss^hliessen ,  ist  die  Zahl  der 
▼ariabeln  Elemente  und  der  zu  erfüllenden  Bedingungen  so 
gross,  dass  eine  Orientimng  sehr  schwierig  wird;  zumal 
wenn   man    bedenkt,    dass  die  Werthe  der  yariabeln  Ele- 

19* 


'i288  Skgmng  der  'maJOt.'ph^s,  Cßasäe  wm  S.  Jtäi  1867. 

nieDte^)  innerhalb  Torgeschriebeiier  Grenzen  gehalten  werden 
-müsBen  nnd  dass  die  zu  erfSUeaden  Bedingangen  Fehler- 
grenzen^) gestatten,  die  sich  nur  für  den  Bpedellen  Fall 
bestimmea  lassen. 

Bei  Berechnang  optischer  Systeme,  die  grossen  Oeff- 
nungswinkel  besitzen,  ist  es  nidit  genügend,  die  parallel 
>znr  Aze  auf  ein  System  fallenden  Strahlen  streng  in  einen 
-Punkt  zu  vereinigen,  selbst  wenn  ein  nur  sehr  kleiner  6&- 
sichtsfeldwinkel  benützt  wird ,  wie  z.  B.  bei  den  IGI70- 
skopen;  denn  es  kann  der  Fall  vorkommen,  dass  das  Bäd 
emes  ausser  der  Aze  gelegenen  Punktes  so  grossen  Durch- 
messer erhält,  dass  es  den  Bildpunkt  in  der  Aze  deckt  und 
dadurch  undeutlich  macht;  es  diEurf  also  in  solchen  Fällen 
.nicht  ohne  Rüdesicht  auf  einen  zweiten  Bildpunkt  vorge- 
gangen werden;  in  Fällen,  die  grosses <}0Bichtsfeid  verlangen, 
natürlich  noch  viel  weniger. 

Aus  Obigem  folgt  nun,  dass,  um  sichere  Resultate  zu 
-erzielen,  die  trigonometrische  Rechnung  auch  auf  etooi 
zweiten  Bildpunkt  ausgedehnt  werden  muss;  und  es  sollen 
nachfolgend  die  ^  Bedingungen  zusammengestellt  werden, 
-welche  an  die  beiden  Bildpunkte  zu  stellen  sind. 

Der  Bildpunkt  m  der  Aze,  von  einem  parallel  zu  dieser 


6)  Die  Breohongs*  und  Zer8trenang8co«lfioieiiten  münen  siob 
innerhalb  der  Grenzen  halten,  welche  durch  die  Anforderungen  der 
Dauerhaft if(keit  nnd  Farblosigkeit  der  Gläser  gesetzt  siud.  Die 
Längen  der  Halbmesser  sind  durch  die  nothigen  Oeffnungsmaasse 
beschränkt:  die  Dicken  einerseits  durch  diese,  andererseits  darch 
den  Kostenpunkt,  das  Gewicht,  die  lAchtabsorbtion  eto. 

6)  Es  ist  die  Empfindlichkeit  des  Angte  (oder  besser  dessen 
Unempfindlichkeit  gegen  kleine  Winkelfehler),  welche  diese  Grenze 
bildet,  je  nachdem  das  Auge  ein  Bild  direkt  oder  durch  eine  Loope 
bewaffnet,  betrachtet;  es  ist  der  absolute  Massstab  der  Instrumente, 
der  ihre  grössten  Fehler  über  oder  unter  die  Empfindlichkeitsgrenw 
des  Auges  bringt. 


SUinh^i  Bereehmmg  opt  CkmtWukHimm.  289' 

auf  das  System  fallenden  Liehtbascbel  gebildet,  bedingt  m^ 
näcbat  die  Brennweite  des  Sjstemes.  Ein,  in  diesem  licfat" 
bosdhel  liegender,  gana  nahe  der  Axe  einlallender  Strahl' 
ergibt  den  Brennpunkt  als  Ende  and  den  Hauptpunkt  als 
Anfang  d^  Brennweite;  .ersteren.dureh  seinen  Durchschnitt 
mit  der  Axe,  letzteren  durch  eine  sehr  einfache  Gonstruk* 
tioo.  Verlängert  man  nämUcb  den  einfallenden  Strahl  vof 
der  Brechung  an  der  ersten  Fläche  in  der  Richtung  seiner 
Bewegung  und  denselben  austretenden  Strahl  nach  der 
kteten  Brechung  gegen  die  Richtung  seiner  Bewegung,  bis 
sich  beide  schneiden,  so  ergibt  ein  Perpendikel  von  diesem 
Punkte  auf  die  Axe  den  Hauptpunkt^)  (oder  wahren  An- 
iuigspunkt  der  Brennweite)*  Hat  mit  diesem  Strahle  ein 
gleichfarbiger  in  grosserem  Abstände  von  der  Axe  einfallen«' 
der  denselben  Brennpunkt,  so  ist  der  Kugelgestaltfehler  ge-^ 
hoben  und  es  ist  diess  mit  dem  Farbenfshier  der  Fall, 
wenn  £eaef  nämliche  Breniipunkt,  auch  einem  Strahle  von 
anderer  Breehbarkeit  zukömmt. 

Das  Bild  eines  Punktes  ausser  der  Axe  muss  untersucht 
werden: 

1)  In  Besng  auf  seinen  Abstand  von  der  Axe, 

2)  in  Bezug  auf  seine  Form, 

3)  in    Bezug   auf  seinen    Abstand    Tom    Hauptpunkte 
(oder  Knotenpunkt). 

Die  Bedingungen    beaüglich   des   Abstandes   des   Bild- 
ponktes  von  der  Axe  ergeben  sich    aus   den  Eigensdhaften 


7)  Wie  Gauss  in  seinen  ^diopirisehen  Untereuohnngen*'  nach- 
gewiesen hat,  'btoitst  jedes  optieche  System  3  Haupt-  und  3  Breim- 
pankte,  je  nachdem  der  zar  Axe  parallele  Lichtbüschcl  von  der 
einen  oder  von  der  andern  Seite  auf  das  System  fallt.  Für  die 
Bildpankte  in  der  Axe  haben  die  Hauptpunhte  die  Bedeutung  der 
Anfangspnnkte  der  Brennweiten,  w&hrend  die  Brennpunkte  deren 
Enden  beseiohaedL 


290         SiUtmg  &r  nuUh.^hyi.  dam  wm  6.  JmU  1867. 

der  Hauptstrahlen.  -^  Ein  Hauptstrahl  ist  jeder  Strahl,  der 
vor  dem  Eintritt  in  ein  Lineensystem  denselben  Winkel  nut 
dessen  Axe  bädeti  wie  nach  seinem  Austritte  ans  demselben. 
Ist  bei  einem  Systeme  das  erste  und  letate  brechende  Me- 
dium das  gleiche,  so  werden  die  beiden  Punkte,  auf  welche 
ein,  nur  sehr  wenig  gegen  die  Aze  geneigter,  Hauptstrahl 
Tor  der  ersten  und  nach  der  letzten  Brechung  adelt,  mit 
denjenigen  zusammenfeiUen ,  welche  die  Anüsngspunkte  der 
beiden  Brennweiten  bilden;  diess  ist  die  zweite  Bedentong 
der  Gauss'schen  Hauptpunkte,  dass  sie  die  Tirtuellen  Kreus- 
ungspunkte  eines  Hauptsträhls  mit  der  Axe  sind. 

Ist  jedoch  der  Brechungscoeffident  des  ersten  und 
letzten  Mediums  verschieden,  so  heissen  die  Anfangspunkte 
der  Brennweiten  die  Hauptpunkte;  die  virtuellen  Kreuzungs- 
punkte  eines  Hauptstrahls  die  Knotenpunkte;  und  fallen 
nicht  zusammen. 

Die  VerzeiTung  ist  nun  bei  einem  optischen  Sjvteme 
gehoben,  wenn  bei  einem  Hauptstrahl,  der  einen  grossen 
Winkel  g^en  die  Axe  bildet,  die  virtuellen  Kreuzungspunkte 
mit  der  Axe  mit  den  Hauptpunkten  (oder  Knotenpunkten) 
zusammenfallen.  Die  beiden  Haupt-  oder  Knotenpunkte  haben 
in  einem  solchen  Systeme  die  Eigenschaft,  dass  vom  ersten 
aus  die  Objekte  unter  denselben  Winkeln  erscheinen,  wie 
vom  zweiten  aus  deren  Bilder. 

Haben  zwei  Hauptstrahlen  von  verschiedener  Brechbar- 
keit, welche  denselben  Winkel  gegen  die  Axe  bilden,  ge- 
meinsame Haupt*  oder  Knotenpunkte,  so  sind  die  Farben 
ausser  der  Axe  gehoben;  und  werden  hierdurch,  wenn  gleich- 
zeitig der  Farbenfehler  für  den  Brennpunkt  in  der  Axe  ge- 
haben ist,  die  verschieden  farbigen  Bilder  gleich  gross  sein 
und  an  derselben  Stelle  liegen,  also  sich  decken. 

Um  die  Form  des  Bildes  eines  Punktes  zu  bestimmen, 
ist  es  nöthig,  in  dem  Lichtbüschel,  der  den  Bildpunkt  ausser 
der  Axe  bildet,   ausser  dem  Hauptstrahle  noch  3  weitere 


AeMM:  Bereekumg  fp^  XJom^rukHtmen.  291 

Strahlen  anf  ihrem  Wege  duroh  das  optische  System  zu 
Terfolgen  und  ihren  Darchschnitt  mit  einer  zum  Haaptstrahl 
genkreditenSbene  in  dem  Punkte  za  bestimmen,  in  welchem 
sie  sich  einander  möglichst  nahe  gekommen  sind,  d.  h.  im 
Bildpnnkte. 

Von  diesen  3  Strahlen,  welche  in  gleichem  Abstände 
Tom  Hanptstrahl  anznnehmen  sind,  liegen  zwei  in  einer 
Ebene,  die  sich  durch  die  optische  Aze  des  S/stemea  und 
den  Hanptstrahl  legen  lässt.  Die  Ebene,  in  welcher  der 
dritte  li^,  enthält  ebenfalls  den  Hauptstrahl  und  steht 
senkrecht  zur  vorher  angenommenen.  In  dieser  Ebene  ge* 
nagt  ein  Strahl,  da  der  gegenüber  vom  Hauptstrahl  liegende 
mit  ihm  symmetrisch  geht. 

Liegen  im  Bildpunkte  diese  3  Strahlen  symmetrisch 
g^en  den  Hauptstrahl,  so  ist  kein  Astigmatismus  vorhanden. 
Als  Bildpnnkt  ist  stets  der  engste  Querschnitt  des  Licht- 
buschels  anzunehmen;  und  es  bedingt  der  Abstand  dieses 
Bfldpunktes  viHn  Haupt-  oder  Knotenpunkt  die  Form  der 
Bädflache.  Ist  dieser  Abstand  dem  entsprechenden  des 
Azenbildpunktes  gleich,  so  liegt  das  Bild  auf  einem  Kugel- 
segmente, das  aus  dem  Hauptpunkte  mit  der  Brennweite  als 
Badius  beschrieben  werden  kann;  und  das  Bild  ist  ein  ebenes, 
wenn  die  Distancen  vom  Hauptpunkte  im  Verhältnisse  zur 
Sekante  des  Winkels  wachsen,  den  der  entsprechende  Haupt- 
strahl mt  der  Axe  bildet. 

Der  Kugelgestaltfehler  ausser  der  Axe  kann  als  gehoben 
betraditet  werden,   wenn  der  Bilddurdimesser  vom  Haupt« 
punkte  aus  unter  keinem  grosseren  Winkel  erscheint,  als  der- . 
jemge  ist,  welcher  heim  Axenhildpunkte  unvermeidlich  bleibt. 

Die  Bestimmung  der  3  letzten  Elemente:  Astigmatismus,* 
Kugelgestaltfehler  ausser  der  Axe  und  Form  der  Bildfläche, 
wurde   mir    erst   durdb  die   von  Herrn  Froi.  Seidel  ent- 
widrelten: 

„Trigcmometifsdien  Formeln  für  den  allgememsten  Fall 


i9i:        8iUmg  der  mtHOK^kMß.  Chm  mmi  6L  JWtf  Uer. 

^er  Breobang  desLichtOB  w  oentrirt^  9pIuurisdi«D  Fladieo** 
möglidi. 

Bei  BerQoImuog    einer   optiseheo  Gonfitniktioo  miusen 
90|nit  folgende  Punkte  berückaichtigt  werdien: 
Bei  dem  Bildpunkte  in  der  Aze: 

1)  Brennweite. 

2)  HebniTg  des  Eugelgestaltfehlers. 

3)  Hebung  des  FarbenfeUers. 

Bei  dem  Bildpunkte  ausser  der  Aze: 

4)  Hebung  der  Verzerrung. 

6)  Hebung  der  Farben  ausser  der  Axe. 

6)  Bestimmung  der  Form  der  Bfldfläcbe. 

7)  Hebung  des  Astigmatismus. 

8)  Hebung  des  Kogelgestaltfehlers  ausser  der  Aze. 

Fiir  Fälle,  in  denen  ein  «ehr  grosser  OeffwuigswinkeL 
verlangt  wird,  milss^  den  3  QedingQugen  für  den  Licht- 
büschel in  der  Aze  noch  2  weitere  beigefugt  werden;  ^ 
ist  nämlich  nöthig,  den  Farbenfehler  und  de^  Kugelgestalt- 
fehler noch  für  einen  weiteren  Punkt  der  Oeffnung  sa  heben. 

Die  Hauptschwierigkeiten  bei  der  Bereehnupg  qptis^r 
Coastruktionen  liegen  darin,  die  richtige  Reihenfolge  m  fipdeo, 
in  welcher  die  Bedingungen  erfüllt  werden  müssen,  sowie  für 
die  Auswahl  direkt  veigleichbare  Fälle  henttstellen ;  beob« 
achtet  man  diese  beiden  Punkte  nicht,  so  tritt  sehr  \äM 
der  Fall  ein,  dass  einzelne  Fehler  wieder  wadiseuj  wälzend 
qian  der  Meinung  war,  alle  zu  yerklei^ern. 

Es  dürfte  kaum  gelingen,  die  Bedingungen  7)  und  8) 
streng  za  erfüllen,  wenn  ein  ebenes  Bild  von  grosser  (Winkel-) 
.Ausdehnung  yerlangt  wird;  während  diess  nicht  schwierig 
ist,  wenn  das  Bild  anf  einer  mit  der  Brennweite  als  Radi«i8 
beschriebenen  Kugelfläche  liegen  darf. 

Schliesslich  sei  es  mir  noch  gestattet,  einige,  eiqfscfae 
Consfaruktionen  zu  erwäbneni  welche  dnrcb  trigonametrische 


BleMM:  Ikreehmmg  opi.  (Jon»truMmmi.  29S 

Bedinimg  feittgesteBt  wurden  und  die  Elemente  ansaiiibreny 
welche  dabei  als  Teränderliche  Grössen  in  Betracht  kamen.' 

Bekanntfich  wäre  es  nnmöglich,  achromatische  Linsen 
mit  positiven  Brennweiten  hensasteUen,  wenn  bei  den  beidai: 
Terwendeteo  Glastrteii  das  Verhältniss  der  Brechungskräfte 
dem  der  Zerstrcnungskräfte  gleich  wäre;  wenn  a.  £.  ein 
FHotglas,  das  bei  gleichem  Prismenwinkel  die  Ausdehnung 
des  Spektmm's  noch  einmal  so  gross ,  gibt  als  ein  Crown- 
gl«S|  auch  einoi  noch  einmal  so  grossen  Brechungscoefficien- 
loa  hätte.  . 

Es  ist  ferner  unmöglich,  ein  achromatisches  Objektiv 
toB  zwei  verkitteten  Linsen  herzustellen,  welches  gleichzeitig 
die  Kugelgestalt  und  Farbenfehler  hebt,  wenn  diejenige  Glas- 
vt,  welche  die  stärkere  Zerstreuuogskraft  besitzt,  eine 
schwächere  firechnngskraft  hätte'). 

Hierane  folgt  die  grosse  Wichtigkeit,  welche  die  Wahl 
der  Olasarten  in  Bezug  auf  ihre  Brecbungs-  und  Zerstreu- 
ttngskräfte  fiir  optische  Construktionen  haben  muss. 

Beorüeksichtigt  man  nun  zur  Bestimmung  der  günstig- 
sten Form  eines  Doppelobjektives  die  Wahl  der  Glasarten 
is  der  angedeuteten  Weise  und  den  Eiiifluss  der  Reihenfolge 
der  Glaearten,  so  wii'd  man  auf: 

1)  ein  Doppelobjektiv  geführt,  bei  welohbin  die  Flint^ 
gladinse  vöraualiegt  und  das  den  Kugelgesfaltfehler  für  2 
venchiedene  Distancun  streng  hebt.  Dieses  Objektiv  erfüllt 
saiQintliehe  Bedingungen,  denen  das  Frauenhofer^sche  genügt 
Qod  ist  ift  Bezug  auf  die  Form  der  ^Bildfläche  besser,    Zunv 


Q)  Beim  .menschliobeu  Auge,  ist  die  Anordnang  der  brechenden 
dächen  und  die  Reibenfolge  der  Medien  eine  solche,  dass  dabei  der 
Kaftelgestaltfehler  nicht  gehoben  werden  kann;  denn  alle  Ablenk- 
sagen,  die  ein  parallel  zur  Axe  einfallender  Strahl  erleidet,  liegen 
>K  demUbstt  Biiüitung;  er  wird  itete  sur  Axe  gebrochen. 


294         Bitinmg  der  ma^-phyg.  Oam  wm  6.  JmU  1867. 

Gebrauche  der   opt  und  astron.  Werkatätte  ist  dassdbe  in 
Tafeln  gebracht  worden. 

2)  Das  monocentrische  Objecti?,  bei  weldiem  das  Bild 
auf  einer  Eugelfläche  liegt,  deren  Radios  die  Brennweite, 
deren  Mittelpunkt  der  gemeinschaftliche  Hauptpunkt  ist  (es 
üallen  nämlidi  die  beiden  Hauptpunkte  in  einen  zusanunen). 
Es  erfüllt  sämmtlicbe  8  oben  gestellten  Bedingungen  und 
es  ist  hiebei  nur  fiber  2  Radien,  die  Wahl  und  die  Reihen- 
folge der  Glasarten  rerfügt.  Es  besteht  aus  einer  Engel 
und  zwei  gleichen  Menisken,  in  deren  innem  Flächen  die 
Kugel  eingekittet  ist,  während  die  äusseren  mit  einem  (um 
die  Dicke)  längeren  Radius  aus  dem  Mittelpunkte  der  Kugel 
gezogen  sind.  In  dem  Meridian  der  Kugel,  der  senkrecht 
cur  optischen  Axe  des  Systemes  steht,  ist  eine  Blendung 
eingeschliffen.  Ein  parallel  zur  Axe  einfällender  Busohel 
erfüllt  die  Bedingungen  1)  bis  3);  alle  Hauptstrahlen  gehen 
ungebrochen  durch  das  System,  alle  gegen  die  Äse  geneig- 
ten  Lichtbüschel  erleiden  gleiche  Brechungen  wie  der  pa- 
rallel  zur  Axe.  Für  Fälle,  in  welchen  kein  grosseres  Ge- 
sichtsfeld verlangt  wird,  als  beim  Fernrohr-  oder  Mikroskop- 
objektiv  ist  die  Kugelform  der  Bildfläche  kein  Naöhtheil,  da 
die  Sicherheit  der  Einstellung  geringer  ist  als  die  Verstell- 
ung, welche  der  Rand  eines  solchen  Kldes  gq;en  die  Mitte 
erfordert.  Bei  schlechten  Construktionen  von  Mikroskop- 
objektiven ist  die  Krfimmung  der  Bildfläche  eine  aosser- 
ordentlich  viel  stärkere.  Das  Objektiv,  welches  der  Glasse 
Toigelegt  wurde,  hat  einen  Oeffhungswinkel  von  14^  =  V« 
der  Brennweite  und  4f"  Aequivalentbrennweite. 

3)  Das  aplanatische  Objektiv  mit  ebenem  Bilde  erfüllt 
die  Bedingungen  1)— 6)  streng;  7)  und  8)  sehr  nahe;  ist 
symmetrisch  gegen  den  optischen  Mittelpunkt  und  jede  Hälfte 
wird  gebildet  von  einem  verkitteten  Doppelobjektive,  das 
aus  einem  positiven  und  einem  negativen  Flintglaameniskns 
besteht 


BtektheU:  Beredhmmg  opi.  ConskukUonm^  295 

Zar  Beredinang  desselben  wurde  über  3  Radien,  einen 
Abstand,  sowie  über  die  Wahl  and  Reihenfolge  der  Olas- 
arten  als  veranderliobe  Elemente  verfugt.  Es  gestattet  bei 
etnem  Oeffnungswinkel  von  9^  10'  (gleidi  ^/r  Brennweite) 
die  Benutsning  eines  Gesichtsfeld  winkeis  von  36^;  nnd  durch 
Anwendung  einer  kleineren  Gentralblende  bei  einem  Oeff- 
nn^gsiriBkel  von  ca.  2®  gleich  V'o  Brennweite  die  Benutamng 
eines  Gesiohtsfeldwinkels  von  60^. 

Bei  diesem  Objektive  sind  ausser  den  für  die  Richtig- 
keit des  Bildes  nothwendigen  8  Bedingungen  noch  2  weitere 
eriullt,  weldie  die  Praxis  fordert  und  zwar: 

9)  möglichste  Vermeidung  von  Lichtverlusten  und 
10)  Vermeidung  störender  Reflezbilder. 

Da  das  aplanatische  Objektiv  zunächst  zu  photographi- 
sehen  Zwecken  bestimmt  ist,  so  sind  die  Helligkeit  und 
die  Tiefe*)  der  Bilder  zwei  sehr  wichtige  EigenschafteUf 
welche  beide  hauptsächlich  vom  Verhältnisse  der  Oe£Enung 
ZOT  Brennweite  abhängen.  Mit  der  Vergrösserung  der  Oeff- 
nong  im  Verhältnisse  zur  Brennweite  nimmt  die  Helligkeit 
m,  die  Tiefe  der  Bilder  jedoch  nothwendig  ab;  desshalb 
ist  es  wesentlich  den  Einfluss  derjenigen  Ursachen  zu  ver- 
mindern, welche,  ohne  die  Tiefe  zu  erhöhen,  die  Helligkeit 
der  Bilder  verkleinern.  Es  sind  diess  hauptsächlich  die 
Lichtyerluste  durch  Befleadon  an  den  GUisflächen  und  die 
Absorbtion  des  Lichtes  durch  die  Masse  des  Glases.  Da 
die  Verluste  durch  Reflexion  mit  der  Grösse  der  Einfalls- 
TOikel  und  derjenigen  des  Brechungsunterschiedes  der  Medien 
wachsen,    so    bietet  die  Verkittung    der   inneren   Flächen, 


9)  Ein  Apparat  gibt  tiefe  Bilder,  heisst,  er  besitzt  die  Fähigkeit 
?on  nngleich  entfernten  Objekten  gleichzeitig  ein  deutliches  Bild  in 
denelben  Ebene  sn  erzengen. 


29&         Sitzwtg  der  mMk-phys.  Ckwe  vom  ß,  Juli  1867. 

welche  viel  stärker  gekrümmt  sind  als  die  äusseren  and  der 
geringe  Unterschied  des  Brechuugscoefficienten  der  beiden 
verwendeten  Flintgläser  in  dieser  Beziehung  bedeutenden 
Vorthoil.  Der  geringe  Brechungsunterschied  der  verwende- 
ten Glasarten  bedingt  überdiess  noch  eine  Form  der  Linsen, 
die  bei  Herstellung  eines  ebenen  Bildes  einen  nur  geringen 
Abstand  der  beiden  Objektive  erfordert;  diess  gewährt  den 
Vortheil,  dass  auch  bei  Benutzung  eines  grossen  Sehfeldes 
die  linsen  nnr  uin  Weniges  grösser  zu  sein  brauchen,  als 
es  der  Oeffuungswinkel  (die  Helligkeit  des  Bildpunktes  in 
der  Axe)  erfordert;  und  es  ist  leicht  einzusehen,  dass 
kleinere  Linsen  mit  geringeren  Dicken  ausgeführt  werden 
können;  dadurch  ist  eine  Verminderung  der  Lichtverlaste 
durch  Absorbtion  erzielt.  Schliesslich  bietet  die  Menisken- 
form der  beiden  Objektive  den  Vortheil,  dass  die  Reflex- 
bilder, welche  von  Strahlen  gebildet  werden,  die  eine  gerade 
Anzahl  von  Reflexionen  erlitten  haben  und  desshalb  in  der 
Richtung  gegen  das  Bild  weiter  gehen,  sämmtlich  zvnschen 
oder  ganz  nahe  an  den  Linsen  liegen,  so  dass  das  von 
ihnen  ausgehende  diffuse  Licht  in  der  Bildebene  keine 
ötörende  Litensität  mehr  hat,  zumal  diese  Reflexbilder  sehr 
kleinen  Brennweiten  entsprechen.  Während  alle  bis  jetzt  ge- 
bräuchlichen Gonstruktionen ,  bei  welchen  der  Kugelgestalt- 
fehler  gehoben  ist,  wenigstens  6  Brechungen  von  Luft  in 
Glas  haben,  hat  das  aplanatische  Objektiv  deren  nur  4  und 
in  Folge  dessen  auch  weniger  reflektirtes  Licht. 

Die  beiden  als  Muster  der  Glasse  vorgelegten  Photo- 
graphien sind  mit  einem  solchen  Apparate  von  19"'  Oeff- 
nung  und  10''  Brennweite  aufgenonimen;  der  gleichfalls 
vorlag. 

4)  Die  aplanatische  Landschaftslinse,  für  Landsdiaften 
und  Architekturen  bestimmt  ist,  hat  als  grösste  Helligkeit 
nur  Vs«  Brennweite;  gewährt  aber  dabei  ein  ebenes  deut* 
liclies  Bild  von  80^   und  gestattet  bei  kleineren  Blendungen 


Bodiingeri  Brnndachnften  muh  ScMäbenspiegd.  ^297 

Gesichtsfeldwiiikel  Ton  105  Graden.  Es  gibt  bei  7''^  Oeff- 
nong  und  6''  Brennweite  Bilder  bis  16'^  Durchmesser.  Es 
erfüllt  die  gleichen  Bedingungen  wie  das  lichtstärkere  apla- 
natisdie  Objektiv ,  ist  aber  ans  anderen  Glasarten,  deren 
Brechungscoefficientea  nicht  '/s  Procente  Ton  einander  Ter- 
fichieden  sind. 


Hietorische  Classe. 

Siteung  rom  6.  Jnli  1867. 


Herr  Röckinger  spricht: 
„üeber   drei    mit    einem  Anhange  zum  Land- 
rechte   vermehrte  Handschriften    des  soge- 
nannten Schwabenspiegels    auf  der  Staats- 
bibliothek zu  Manchen.*^ 

In  den  deutschen  Rechtsbüchem  des  Mittelalters  und 
ihren  Handschriften  S.  38  und  44  bemerkt  Homejer,  dass 
in  einer  heidelberger  Handsdirift  des  sogenannten  Sohwaben- 
spiegels  (a.  a.  0.  Num.  317,  und  in  dem  der  Ausgabe  deis 
Freikerm  v.  Lasaberg  vorstehenden  Verzeidhnisse  der  Hand- 
schriften Num.  61)  das  bekannte  Buch  der  Könige  mit  eineo* 
),Her renlehre''  endigt,  das  ist  der  Geschichte  von  dor 
ZaUung  Israels  durch  David,  welcher  sich  dann  noch 
Rechtssätze  in  11  §§  anschliessen.  Ferner  dass  in  Hand- 
Kbriiten  zu  Fulda,  Königsberg,  und  einer  au^  dem  Stifte 
Weingarten  stammenden  aber  nun  zu  Stattgart  nicht  mehr 
torhandenan  (a.  a.  0.  Num.  206,  364,  649^  in  Endemimn's 


298  SiUfung  der  hithr.  (Masse  oom  e.  JuU  1S67. 

Einleitang  zum  Eaiserredit  S.  XLIX.  Nrnn.  6 ;  bei  Freiherm 
▼.  Lassberg  Nam.  150)  diese  11  §§  ein  eigenes  zweites 
Stück  nach  dem  Bache  der  Könige  bilden.  Weiter,  dass 
die  Handschrift  zu  Herisan,  der  cod.  germ.  553  der  Staats* 
bibliotbek  zn  Manchen,  und  zwei  der  öffentlichen  BibKothek 
zu  Stuttgart  (a.  a.  0.  Mum.  328,  475,  643,  644;  bei  Frei- 
herm  y.  Lassberg  Num.  69,  105,  146,  147)  die  Herrenldire 
mit  den  11  §§  ohne  das  Buch  der  Könige  enthalten,  die 
erstere  im  Eingange,  die  übrigen  am  Schlüsse  des  Land- 
rechtes. 

Zu  den  zuletzt  aufgeführten  zählen  ?on  Handschriften 
der  Staatsbibliothek  zu  München  neben  dem  cod.  germ. 
553  noch  zwei  weitere,  weiche  um  so  mehr  einer  kürzeren 
Erwähnung  werth  sein  dürften  als  eigentlich  nur  dar  eben 
bezeichnete  bisher  aus  der  Beschreibung  des  Freiherm  Yon 
Lassberg  Num.  105  näher  bekannt  ist,  der  cod.  germ.  3967 
sogar  am  eben  bemerkten  Orte  Num.  25  als  hier  nidit 
mehr  vorhanden  bezeichnet  wird,  des  cod.  germ.  4929 
aber  nirgends  sonst  genauer  gedacht  wird. 

Qleich  der  zuletzt  aufgeführte  =  I,  mit  Ausnahme  des 
ersten  und  zwölften  wie  des  (nunmehr  ausgeschnittenen) 
sechsten  und  des  siebenten  Blattes,  also  der  äusseren  und 
der  inneren  Lage  des  ersten  Sezternes,  welche  Pergament 
sind,  sonst  auf  Papier  in  Folio  zweispaltig  wohl  nodi  in 
der  ersten  Hälfte  des  fünfzehnten  Jahrhunderts  geschrieben, 
im  Jahre  1770  dem  „Joseph  Bernhard  Parth  Stattschreiber 
in  Mospurg''  gehörig,  enthält  von  fol.  1—63'  Sp.  1  das 
Landrecht,  welchem  unmittelbar  bis  fol.  64  Sp.  1  die  gute 
Herrenlehre  in  nachstehender  Fassung  folgt. 

Nu  sült  ir  edeln  tugentlichen  herren  an  disem  püdi 
pesserung  lernen  an  tugentlichem  leben,  vnd  sült  alle  zeit 
in  ewerem  herzen  tragen  ditz  vorbilde  das  ew  der  almachtig 
got  an  disen  kunigen  ynd  an  cbsen  herren  vnd  riditern  bat 
erzaiget,  das  ir  recht  geridite  habt  vnd  euch  arm  lewt  Ut 


Boekmger:  Bcmäsekrifteik  sum  SehwabeMpUgeL  299 

erparmeiil  die  kun  vbel  Tmb  e&ch  dienen,  jst  hallt  das  si 
ainvaltigklichen  schnldig  gen  ew  werdent,  dannoch  sfiUen  ei 
efich  eiparmen,  so  erparmt  sich  got  vber  each  an  eweren 
lesten  zdten.  ynd  ir  sült  got  Tor  angen  haben,  vnd  tült 
in  mTnnen  ynd  fdrchten,  so  Wachset  ewer  sälde  an  leib  md 
an  sei,  vnd  alle  ewer  lewte  vnd  das  land  ist  dester  saliger, 
als  an  disen  hefren  ofSte  schein  ist  worden  di  an  disem 
büdie  sind,  wann  das  hat  der  almächtig  got  an  manigen 
enden  erzaiget  in  der  heiligen  schrift,  alls  der  herre  gottes 
willen  tet,  das  alles  sein  lewt  vnd  alles  sein  land  dester 
ttliger  was.  ynd  als  der  herre  wider  got  icht  tet,  so  war 
er  selb  des  ersten  an  leibe  ynd  an  seile  vnsälig,  ynd  dar- 
nach alle  di  in  an  horten,  lewt  ynd  got  ynd  land. 

Das  hat  yns  got  erzeuget  an  dem  edden  heiligen  knnig 
Danid*  der  tet  ein  klaine  siind  wider  got.  ynd  mästen 
seiner  lent  manig  tansent  menschen  den  pitem  tod  dar 
TmbJeiden,  als  anch  hienor  yon  maniges  küniges  6chul4e 
geschadi. 

Her  Danid  der  knnig  hies  im  niwan  ze  einem  male  sein 
lewte  zelen  wie  yil  er  stritber  lewte  hetet  in  seinem  lande,  dar- 
omb  wolt  got  des  nicht  enpem,  er  mäst  dreyer  passe  aine  dar- 
nmb  leiden,  gern  oder  vngem.  wie  yil  herre  Daoid  sprach :  herre 
got,  genade,  yergib  mhr  diso  sünde,  ich  getun  es  nymmermer, 
vnd  yber  heb  midi  dirrer  dreier  passe,  das  half  nicht,  er 
mfiszte  ynd  mfize  dirrer  dreier  püzze  aine  nemen,  das  siben 
iar  hnnger  in  sdnem  lande  wäre,  oder  das  er  ynd  alle  die 
sein  dr^  moneyde  yor  seinen  yeinten  flühtich  mfisten  sein, 
oder  das  drey  tag  grosser  lantsterbe  in  seinem  lande  wäre, 
do  der  edel  ynd  der  weise  herre  das  yemam,  das  es  de* 
hain  rat  wa£l,  er  müst  der  dreier  passe  eine  nemen,  do 
sprach  der  tngendreiche  ynd  der  heilige  Danid  also,  nym 
ich  nn  di  sibcvi  hnnger  iar,  so  trawt  ich  doch  wol  etwas 
Tinden  das  ich  mich  hnngers  nerte.  owe,  herre,  so  stfirben 
awer  alle  mein  lewte  ynd  die  gar  ynschuldig  sind  an  dirre 


'sünJe.  näxu  ich  .  di  dcey  mbnede  ^  'so  ontrünnia  idi'  eltwo 
wül  meinen  veinden,  ioh  hab  gut  piirge  dan  kh  di  dref 
monede  wol  genäse  vor  meinen  yeindea.  owe,  henre,  so 
trarden  alle  mein  lewte  erslagen  di  an  meiner  siind  tb- 
sehuldig  sind,  herre  got,  ich  wil  der  zwaier  passe  mc^ 
seid  ies  kein  radt  ist,  so  wil  ich,  herre,  anf  dein  genadtsd 
auf  dein  erbärmde  di  drei  tag  den  lewt  stcfbän  neamrai.  so 
triffest  du,  herre,  mich  selben  als  schir  als  di  fremdta,  wann 
ich  pin  der  redit  schuldig,  herre ,  ioh  pin  der  dt  sünde 
getan  hat.  dauon  lassen  auch  dein  gericht  vnd.dein  räche 
vber  midi  armen  nach  deinen  genaden  geen. .  als  ^o  got 
•aein  trewe  also  laater  vnd  also  raine  sach,  do  tet  er  im  di 
genade:  .der  lewtsterbe  der  di  drey  tag  solte  han  ge^reii, 
der  werte  niwan  von  prime  vntis  her  A  teräe  seit. 

Als  genädig  ist  der  almäditig  got  noch  heute,  wer  ako 
beschaiden  rew  gein  im  hat  rmb  sein  sHüde«  vad  also  rer 
dinent  di  herren  noch  faewte  mit  iren  sunden,  das  in  iren 
lande  vrleugc  wirt,  oder  viehe  sterbe,  oder  hunger  iar,  oder 
ander  ?ngelüke.  danoh  süllen  si'sich  d^ter  halter  hüten 
-dm  eh  ir  sälichäit  leibes  vnd  seile  rnd  dardi  di  säligkait 
irer  lewte  und  ir  landes,   das  si  hie  vnd  d»ft  herren  sein. 

Des  helfe  vns  der  almäcbtig  got.    amen. 

Hieran  reiht  sich  nach  einem  ktetntito  leeren  Zwisqben- 
räume  von  £ol.  61  Sp.  1  auf  fol.  64  Sp.  2  der  aas  11  Ar- 
tikeln bestehende  Anhang  zum  L%ndrecht$i  den  wir  am 
Schlüsse  in  seinem  ganaen  Umfange  mittheüen;  bis  fol.  68 
Sp.  2.  Ihm  folgt,  wiederum  nach  einem  kleinen  leei*en 
.Zwischenraum  von  fol.  68  Sp.  2,  mit  foL  68'  Sp.  1  das 
.Lehenrecht  bis  fol.  93'  Sp.  1,  wovon  die  letzteren  Blätter 
wie  es  scheint  durch  anhaltende  Feaditigkeit  gebppodien  und 
vermo.dert  äind,  wie  deren  Schrift  theilweise  gan2  uad  gar 
unleserlich  geworden  und  audi  der  mit  rothem :  Leder 
überzogene  Holsdjeckelbaad  durch  und  durch  win*mstichig 
und  an  manchen  Stellei^  ganz  gebiöckelt  ist 


SoekUgeri  Mandachriften  xum  Schwahenapiegd.  SÖl 

Der  cod.  germ.  3967  =  II,  aus  dem  Stifte  St.  £m- 
meram  stammend^  von  woher  dem  Reichsfreiherrn  Ueinrich 
Christiim  y.  Senkenberg  die  Besdureibung  zuging  welche  er 
in  seinen  visiones  di?ersae  de  coUectionibus  legum  germani- 
camm  S.  188 — 190  mittheilte,  am  31.  Juli  des  Jahr^  1444 
?0Q  ,,Johannes  die  czeyt  kjrchner  czu  Weysselstorff  ge- 
besen''  anf  festem  Papiere  in  Folio  in  zwei  Spalten  vollendet, 
eDthalt  von  fol.  1—68'  Sp.  2  das  Landrecht,  welchem  ddi 
ohne  alle  und  jede  Unterbrechung  unmittelbar  bis  fol.  73' 
Sf.  1  der  Anhang  hiezu  anschliesst,  worauf  wieder  ohne 
Zwischenraum  bis  foL  74  Sp.  2  die  gute  Herrenlehre  folgt, 
welche  sogar  nach  den  auf  ihrem  Schluss  roth  hinbemerkten 
Worten  „dictum  est  explicit^'  noohmal  bis  zu  den  Worten 
f,df  kein  vbel  vmb  euch  dynen*^  angefangen  ist,  woran  dbne 
jede  Unterbrechung  der  Zeile  unmittelbar  der  zu  Punkt  9 
des  Anhangartikels  3  über  die  Handfestenialschung  gehörige 
Satz  „Ist  ein  czinser  an  ein  goczhawsz"  bis  zu. den  Worten 
„vber  svmeliche  sache  der  man  nicht  verkeret'*  gereiht  ist. 
Nachdem  noch  auffo}.  74  Sp.  2  der  kleine  leere  Raum  durch 
die  rothe  Ueberschrift  des  Lehenrechtes  „Hye  hebet  sich 
daz  lehen  buch  an''  und  den  gleichfalls  roth  geschriebenen 
Vers 

Amen  solamen. 

Si  deficit  fenum,  acdpe  stramen 
ausgefüllt  ist,  beginnt  das  Lehenrecht  selbst  mit  fol.  74'  Sp.  1 
und  reicht  bis  fol.  102'  Sp.  2,  an  dessen  Schlüsse  sich  die 
Verse 

Hie  hat  dicz  puch  ein  ent. 

Got  vns  seinen  gotlichen  segen  sent. 

Ezplicit,  expliciunt. 

Sprach  dy  kacz  czu  dem  hunt: 

dy  fladen  sein  dir  vngesvnt 
Qnd  die  Angabe  des  Schreibers    sammt  der  Datumsbezeich- 
nimg  finden  wovon  bereits  die  Rede  gewesen. 
[1867.E2.]  20 


302 


SiiMung  der  histor.  Olasse  vom  6.  Juli  1867. 


Der  cod.  germ.  553  ehdlich  =  III,  in  Folio  auf  Papier 
auch  noch  in  der  ersten  Hälfte  des  fünfzehnten  Jahrhunderts 
zweispaltig  geschrieben,  enthält  von  foL  1— 83  Sp.  1  das 
Landrecht  y  woran  sich  unmittelbai*  bis  fol.  83^  Sp.  2  die 
gute  Herrenlehre  anschliesst,  worauf  nach  kleinem  leeren 
Zwischenräume  der  Spalte  2  des  fol.  83  mit  fol.  84  der 
bemerkte  Anhang  zum  Landrechte  bis  fol.  89'  Sp.  2  folgt, 
welchem  sich  abermals  nach  kleinem  leeren  Zwischenräume 
der  Sp.  2  des  fol.  89  von  fol.  90  an  das  Lehenrecht  bis 
foL  122'  Sp.  2  anreiht,  wie  in  I  und  II  alles  unter  rothen 
Kapitelüberschriften  und  pait  rothen  Initialen  des  Textes  der 
Kapitel. 

Vergleichen  wir  nunmehr  genauer  den  Inhalt  des 
Land-  wie  des  Lehenrechtes  unserer  Gruppe^)  mit 
der  vom  Freiherrn  v.  Lassberg  besorgten  Ausgabe  des  so- 
genannten Schwabenspiegels,  so  stellt  sich  folgendes  Ergeb- 
niss  heraus. 


Das  Landrecht. 

L.      i.     IL     m. 

L. 

I. 

n. 

ni. 

Vorw.  a 

Vopw.g 

1 

1 

1 

-  b 

—  c 

Vorw.  Vorw,  Vorw. 

-."} 

2 

2 

2 

-  d 

2 

3 

3 

3 

—   e 

3 

4 

4 

4 

—    f      1          1          1 

4 

5«) 

5 

5 

1)  Vgl.  hierüber  F  ick  er  über  einen  Spiegel  deutscher  Leute 
und  dessen  Stellung  zum  Sachsen-  und  Sohwabenspiegel  S.  150  (2G6) 
unter  IV  c.  3. 

2)  Die  üeberschrift  fehlt  hier,  indem  der  dafür  leer  gelassen 
gewesene  Raum  für  die  wie  es  scheint  anfänglich  vergessenen  ScLlass- 
Yforie  des  vorhergehenden  Kapitels  verwendet  worden. 


Soel 

iitiger:  HoMätekrifU 

m  MNH  i 

3C 

L. 

L 

n.     m. 

L. 

I. 

II. 

III, 

5 

6 

{S:n^ 

16 

17 

12 

13 

13 

13 
14 

— ^ 

— 

7«) 

18 

}u 

6   1 

19 

14 

15 

7 

20 

8 

7 

8          8. 

21 

15 

15 

16 

9 
10 

; 

22 

16 

[     16»)1 
l     17»)  f 

17 

11   1 

8 

9    '      9 

23 

(17)*: 

18 

18 

12    1 

24 

(18)*) 

19 

1» 

13 

9 

10    '     10 

25 

(19) 

20 

20 

14 

10 

11         11 

26 

(20) 

21 

21 

15 

11 

12         12 

27 

21 

22 

22 

1)  Die  Abtheilang  dieser  beiden  Kapitel  gegen  den  L-Druck  5 
S.  8  ist  folgende. 

Ersteres  reicht  unter  der  Üeberschrift  „Wie  die  muter  mit  den 
kinden  teylt^  sagt  das  capiteP'  bis  zu  den  Worten:  vnd  darnach 
gleich  teylen  unter  weyp  ynd  vnter   kint  dy  vn  aus  gestewret  sein. 

Dann  folgt  das  andere  unter  der  üeberschrift:  Von  geystlicher 
gab  sagt  das. 

2)  Durch  ein  Yerweisungszeichen  ist  als  hieher  gehörig  nach- 
stehender von  gleicher  Hand  auf  einem  besonderen  beigehefteten 
Streifen  geschriebener  Artikel  eingetragen: 

Von  prüdem  heyrat 
Nement  zwen  prüder  zwo  swesster,  vnd  nymbt  der  dritt  prüder 
ein  fremdes  weib,   jre  kind   sind  doch  geleich  nahen  an  der  sippe, 
jr  yetweders  des  andern  erb  ze  nemen,  ob  sy  ebenbürtig  sind. 

3)  Die  Scheidung  dieser  zwei  Kapitel  gegenüber  dem  L-Drucke 
22  S.  14  ist  nachstehende. 

Das  erstere  reicht  unter  der  Üeberschrift  „Wy  ein  man  gut 
schaffen  schol  seinen  frewnden'*  bis  zu  den  Worten:  ader  sy  mngen 
sich  Tersawmen.  « 

Dann  folgt  das  andere  unter  der  üeberschrift:  „Was  ehafift 
not  sey. 

4)  Die  in  Klammem  gesetzten  Kapitel  fehlen  gänzlich,  indem 
das  sechste  Blatt  aus  der  Handschrift  ausgerissen  ist. 

Das  fünfte  schliesst  mit  den  Worten  L  22  S.  14  Sp.  2 :    das  si 

20* 


804 

SiitufM  ifef  M'rtof. 

Clam  «M»  ( 

S.  Mi  1867. 

L. 

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L.    L 

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57 

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41 

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86 

57 

58 

58 

im  fllechtes  ledig  wirt  als  hie  yor  gesohriben  ist.  Das  nebenta  be- 
ginnt mit  den  Worten  L  27  S.  17  Sp.  1  unten:  hat  das  selb  recht 
80  si  knmbt  vber  zwelf  iar. 

1)  Beim  Beginn  von  L  67  findet  sich  keine  Ueberachrift,  aber 
eine  rothe  Initiala 


SMikhtgtri  BmiMkHfltH  inhi  ßt^toabttitfUgd. 


806 


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L 

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71 
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104 
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106 

103 
104 
105 

1)  Beim  Beginne  Ton  L  90  findet  sieh  keine  Uebenohrifb ,  aber 
der  Text  il&ngt  mit  einer  neuen  Zeile  und  einem  rothen  Anfangs- 
bodtttaben  an. 


306 


■Sitnmg  der  hittor,  Oat»  tom  6,  JwU  1887. 


L. 

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111 

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183   128 

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184   129 

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221 

158- 

163 

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135 
136 

131 
132 

222  \ 

223  / 

159 

164 

160 

Soehingtr:  ^mdaehriftm  eim  SehtoabeMpiegel. 


L  I. 

224       159 

225 
226 
227 
228 
229 
230 

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164   160 


160   165   161 


161   166   162 


163 
164 
165 


234 
235 
236 

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255 

256 

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258 

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260 

261 

262 

263 

264 

265 

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267 

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275 
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181 
182 
183 
184 
185 
186 
187 


189 
190 
191 
192 
193 


195 
196 


307 

m. 


180   176 


177 
178 
179 
180 
181 
182 
188 


183   188   184 


185 
186 

187 
188 
189 


189   194   190 


191 
192 


192   197   193 


1)  Zxir  Qesohiohte  der  Caefornia  hat  eine  flüchtige  Hand  des 
sechzehnten  Jahrhanderts ,  von  welcher  sich  auch  sonst  an  anderen 
Stellen  Bemerkongen  finden,  an  den  oberen  Rand  von  fol.  65'  Sp.  2 
heigeschrieben: 

Nota,  non  obtenta  sententia  a  Kalftilnea  jndicj  et  ceteris  asses- 
toriboa  nuda  fnerant  ostensa  ab  eadem  posteriora.  ob  quod  inter- 
dictnm  ex  post  est  omnibas  mulieribas  officium  postnlandi.  neo  in 
>Uo  casn  cesante  cansa  cessat  et  e£fectas.  eto. 


308  Sligung  der  hisiar.  Oasse  wm  6.  JM  1667. 


L. 

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L. 

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280 
281  ^ 

195 

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282 

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310 

216 

221 

218 

283 

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217 

222 

219 

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204 
205 

200 
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313 

218 
219 

223 
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202 

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221 

226 
227 

222 
223 

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222 
223 

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229 

224 
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226 

292 

318 

225 

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227 

293 

204 

209 

205 

319 

226 

232 

228 

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3191 

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206 

211 

207 

322 

228 

234 

230 

298 

207 

212 

208 

323a 

229 

235 

231 

299 

208 

213 

209 

323b 

230 

236 

232 

300 

209 

214 

210 

324 

231 

237 

233 

301 

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215 

211 

325 

232 

238 

234 

302 

211 

216 

212 

326 

233 

239 

235 

1)  Das  entere  dieser  zwei  Kapitel  reicht  bis  zu  den  Worten  L 
307  a  S.  131  Sp.  1:  der  sol  im  raten  als  anch  an  dem  buche  stet 

Ohne  Unterbrechung  der  Zeile  wird  dann  weitergefahren.  Aber 
an  den  Rand  ist  hiezu  mit  kleinerer  Schrift  roth  als  üeberschrifl 
beigesetzt:  Von  ayden. 

'2)  Vgl  nnten  Kapitel  280. 

3)  Vgl.  nnten  Kapitel  287. 

4)  Vgl  nnten  Kapitel  282. 


StfChinger:  HandMehrifkn  nm  Sehwäbempiegd.  S09 


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L. 

I. 

II. 

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246 

252  \ 
253»)/ 

248 

243 

239 

354 

247 

254 

249 

355 

248 

255 

250 

332   238 

244 

240^ 

856 

249 

256 

251 

333  ] 

357 

250 

257 

252 

334 

358 

251 

258 

253 

335 

359 

252 

2^9 

254 

336 

360 

253 

260 

255 

337 

361 

254 

261 

256 

338 

239 

245 

241 

362 

255 

262 

257 

339 

363a 

256 

263 

258 

340 

363b 

258 

265 

260 

341 

- 

3631 

257 

264 

259 

342 

. 

364 

259 

266 

261 

343  J 

3641 

260 

267 

262 

3«  }  2*0 

246 

242 

365 
366 

261 
262 

268 
269 

263 
264 

^^  1 241 
347  J  ^^^ 

247 

243 

867  • 
3671 

263 
264 

4270 
271 

265 
266 

348   - 

— 

... 

367n 

265 

272 

267 

349   242 

248 

244 

368 

266 

273 

268 

3491a  — 

— 

— 

8681 

267 

274 

269 

3491b  243 

249 

245 

369 

268 

275 

270 

1)  Die  Abikeilang  dieser  beiden  Kapitel  gegen  L  850  nnd  861 
ist  folgende. 

Entere«  reicht  bis  zu  den  Worten  L  851  8.  150  Sp.  2:  darumb 
daa  li  nicht  mit  ein  ander  Bünde  tünt. 

Dann  folgt  das  andere  nnter  der  Ueberschrift:  Dem  geaangen 
Idwte  entrinett  (II:  entrienen  sint.  III:  entrinnent). 

Zn  bemerken  ist  vielleicht  noch,  dass  sich  in  I  und  III  beim 
Beginne  von  L  351  ein  rother  Anfangsbuchstabe  findet 

2)  Die  Ueberschrift  fehlt  hier.  Der  Text  beginnt  aber  mit  einer 
neuen  Zeile  und  rother  Initiale. 


810  Süeung  der  histor.  ClasH  t<m  6.  Jtdi  1S67, 


h.      1. 

n. 

in. 

L.     I. 

II. 

ffl. 

870   269 

278 

271 

3751   276 

283 

278 

8701  270 

276 

272 

375n  277 

284 

279 

370II  271 

277 

273 

375IV  278 

285 

280 

371   273 

280 

275 

375V  279 

286 

281 

3^2  \  274 
373  /  ^^* 

281 

l  276 

')   280 
376   282 

287 
289 

282 
284 

374   — 

— 

—  . 

377   281 

288 

283 

3741   272 

279 

274 

3771  283 

290 

285 

375   275 

• 

282 

277 

-^  Herrenl. 

— •)  Herrenl. 

Anhang  zum 

Landrechte. 

- 

—     1 

1 

1 

79IID  7(a) 

7(a) 

7(a) 

—     2 

2 

.2 

79I1I  7(b) 

7(b) 

7(b) 

3691    3 

3 

3 

221    7(c) 

7(c) 

7(c) 

—     4 

4 

4 

—    8 

8 

8 

—     5 

5 

5 

314IV  9 

9 

9 

79IIA1 

363II  10 

10 

10 

79IIB>  6 

6 

6 

377 IV  11 

11 

11 

79ncj 

Das  Lehenrecht. 


1    /       2»)/       2«)/       2«)  4b/       *    /       *    f      * 

3333  4c         555 


1)  Vgl.  oben  Kapitel  819  I. 

2)  Die  Herrenlehre  ist  hier  erst  nach  dem  sogleich  folgenden 
Anhange  zum  Landrechte  gesetzt,  wie  oben  8.  301  des  näheren  be- 
merkt worden  ist. 

3)  Die  Abtheilung  dieser  beiden  Kapitel  gegenüber  L  1  und  2 
ist  folgende. 

Ersteres  schliesst  gegen  L  1  b  S.  171  Sp  2:  Darnach  geet  dew 
sibende  zal  an.  da  mnes  dew  worlt  ein  ende  mit  nemen.  weder  der 
sibenden  zal  noch  tausent  iar  werden,  oder  mer  oder  minder,  das 
wais  nieman. 


SoeMi^M-:'  Bntdadariftm  am  SehtMleniptegel  SU 

l:     I.      II.     m.         L.       I.      n.      m. 

5.     ,    6      '    e      f    6;  14         20         20        20 


e 

7 

7- 

7 

15 

21 

21 

21 

8a 

8')f 

8')/  i 
10 

8») 

16a 

22 

22 

22 

9»)\ 
10 

9») 
10 

16b  \ 
16o/ 

23    } 

23    } 

23 

8b    ' 

11 

11 

11 

17 

24 

24 

24 

9ä 

12 

12 

12 

18 

26 

25 

25 

9b 

13 

13 

13 

19 

26 

26 

26 

10a    ■■ 

14    : 

14 

14 

20' 

27 

27 

■  27 

10b  \ 

m: 

15 

15 

21 
22 

28 
29 

28 
29 

28 
29 

12a 

16 

16 

16 

23a 

30 

30 

30 

12b 

17 

17 

17 

23b 

31 

31 

31 

u{ 

18«)| 

19')l 

18«) 

24a 

32 

32 

32 

19«) 

24b 

38 

33 

33 

Hierauf  folgt  ab  zweites  Kapitel  die  nachstellende  Fassai^g : 
Di  des  herschiltes  darbecat. 

Na  hat  man  ew  genant  alle  di  des  herschiltes  darbent. 

Ynd  ist  das  ein  herre  ir  einem  ein  lehen  leihet,  der  hat  als  gut 
recht  daran  als  der  in  dem  sechsten  herschilt  vert.  vnd  erbent  dew 
leben  an  ire  kinder. 

Awer  ymb  alles  lehenrecht  mügen  si  nicht  vrtail  vinden  di  des 
henchiltes  darbent  wann  vor  Iren  herren  von  dem  si  lehen  hant. 

Iren  gezeügen  den  verlegt  man  wol  ymb  lehenrecht  vor  andern 
berren  on  vor  jren  herren. 

1}  Die  Äbtheilung  dieser  beiden  Kapitel  gegen  L  7  S.  172  Sp.  2 
ist  folgende. 

Ersteres  reicht  bis  zu  den  Worten  J  dei»  hilfet  im  wol  mit  rechte, 
den  mag  der  herre  nicht  verwerffen. 

Bann  folgt  das  andere  anter  der  Uebersdiriftr  Wie  der  man 
den  herren  eren  sol. 

'9)  Die  Abtheilung  dieser  beiden  Kapitel  gegen  L  IS  S.  176  8p.  1 
^  folgende. 

Ersteres  reicht  unter  der  Üeberschrift  „Spreohent  zwen  ain  gut 
»n  dy  der  gewer  darbent**  bis  zu  den  Worten :  das  müs  er  erzeugen 
^  im  mit  zwain  des  herren  mannen. 

Dann  folgt  das  andere  über  der  Üeberschrift:  Gedingde. 


312 


SOmmg  itr  ftMor.  dam  tem  «.  JtM  i6$7. 


26 

26 

27 

28 

29 

30 

81 

82 

83  \ 

34  ' 

36 

36 

37 

38 

39 

40  I 

41 

42a  \ 
42b/ 


L 

34 
35 
36 
37 
38 
39 
40 

41») 

42 
43 
44 

45 
46 

47«)r 
48  l 
49 

50  \ 


m 

34 
35 
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87 
38 


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34 
36 


87 
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39 
40 


42 
43 
44 
45 
46 


48«)/  47») 

49  t  48 

50  49 

51  \  50 


42o1 
42d 
43 
44 

45 

46 

47 

48 

49 

50a 

50b  1 

51  / 

52 

53 

54 

55 

56 

57 

58 

59 


I. 

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53»); 
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57 


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60 
61 
62 


n.  UL 

52  I  51 

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56  54 


56  I 


58  I 


58 

59 

59   1 

60 

59 

60 

59 

60 

61 
62 
63 


55 


56 


57 

58 
59 
.59 

-*) 

59 

60 

61 

62 


1)  Beim  Beginne  von  L  88  findet  sieb  hie;r  der  röthe  An&iif«- 
boehitabeN. 

3)  Die  Abtheilnng  dieser  beiden  Kapitel  g^enuber  L  40  S.  181 
Sp.  3  nnd  182  Sp.  1  ist  folgende: 

Ersteree  reicht  unter  der  Ueberschrift  „Wem  der  herre  leÜMB 
sol"  bis  sn  den  Worten  L  40e:  Wem  der  herre  gfti  gehhen  hm^  des 
kinden  mag  er  nicht  verzeihen. 

Dum  folgt  des  andere  unter  der  Ueberschrift:  An  welher  etat 
man  nicht  leihen  soL 

8)  Die  Abtheihuig  dieser  swei  Kapitel  gegen  L  48  und  44  ist 
folgende: 

Ersteres  reicht  bis  sa  den  Worten  L  48b  S.  184  Sp.  2  unten: 
der  tage  sol  ie  ainer  sein  vber  Tiersehen  nacht 

Dann  folgt  das  andere  unter  der  Ueberschrift:  Dem  dreisiund 
tag  gegeben  wirt. 

4)  YgL  unten  die  Note  sa  Kapitel  187, 


Stmd$cktiftm  Mmm  Sdmabaupiegd. 


818 


n.     m. 


60 

63 

64 

63 

61a 

64 

65 

64 

61b 

65 

66 

65 

62 

66 

67 

66 

63 

67 

68 

67 

64 

68 

69 

68 

65 

69 

70 

69 

66 

70 

71 

70 

67a 

71 

72 

71 

67b 

72 

78 

72 

68a 

78 

74 

78 

68b. 

74  , 

75  , 

74 

68oV  -  J  -  ! 

.  — 

69  ' 

74  ' 

75  ' 

74 

70 

75 

76 

76 

71  , 

72a 

72b 

73  > 

1 

] 

77 
78 

76«) 

74 

77 

79 

77 

75 

78») 

80«) 

78«) 

76 

79 

81 

79 

77  1 

78  ] 

80«) 

82«) 

80«) 

79 

81 

88 

81 

80 

82 

84 

82 

81 

88 

85 

83 

82  \ 
88  J 
84 


85 


86 
87 

88  \ 

89  / 
90 
91 
92 


84 


n. 

86 


85 
86 
87 
88 


}86} 


/    86    f    88   / 
l    87   \    89    l 


87 
88 
89 
90 


89 

90 
91 
92 
93 
94 
95 
96 


]n} 


94b 

95a 

95b 

95o 

96 

97 

98 

99 

100  \ 

101  / 

102  101 

^^^   l  102 
104a/  *"^ 


}  97 

98 
99 

100 


92 
93 
94 
95 
96 
97 
98 

99 

100 
101 


}i(a} 

103 


m. 

84 

85 
86 
87 
88 

89 

90 
91 
92 
93 
94 
95 
96 

97 

98 
99 

100 

101 

102 


I)  Beim  B^ginlte  von  L  72b  findet  rieb  ohne  besondere  üeber» 
jehrift  in  neoer  Zeile  die  rothe  Initiale  0. 

3)  NMb  dem  SthlniM  von  L  76  findet  sioh  hier  noob  der 

Ynd  kom  der  man  nioht  dar,  md  da«  in  des  ehaft  not  latate^ 
da«  mas  er  aelbdritte  enengen  di  da«  wars  winen.  damit  hat  er 
awer  behabt. 


8U 


SUnmg  ätr  kittar.  CUu$t  «mm  £.'  JüU^iSöf.' 


L. 

I. 

n.     ffl. 

L. 

L 

H 

ni. 

104b 

103 

105   103 

125 

120 

122 

120 

105 

1Ö4 

'  106   104 

126 

121 

123 

121 

106 

105 

107   105 

127 

122 

124 

122 

107 

106 

108   106 

12ea 

123 

125 

123 

108 
109 

:107 
108 

, 109   ■ 107 
HO   108 

ia8b\ 
128c/ 

124  j 

126  j 

124 

110 

109 

111   109 

129 

125 

127 

125 

111 
112 

.:U00, 
'(111)0 

112').  110») 
^13»)  111») 

180  \ 
131  / 

126  j 

128 

126 

113 

132a 

— 

— . 

— 

114 
115 

}(112)«) 

[lU  l  112   • 

132b 
133 

127 
128 

129 
130 

127 
128 

116 

113 

115.   113  , 

134 

'129 

'131 

.129 

117 
118 
119 

115 

116  }  114 

117  115 

135 

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132 

.m  j 

ISO 
131 

120 

116  • 

118   116 

138 

132 

'134 

132 

121 

117»)  . 

119»)  ■  117»> 

139 

122 
123 

118 

120   118 

140 
141 

133*) 

135*) 

133^ 

124 

119 

121   119 

142 

• 

• 

1)  Die  Abtheilung  dieser  beiden  Kapitel  gegenüber  L  111 — 118 
ist  folgende. 

Eratereft  reicht  unter  der  Ueberscbrift  „Lehen  an  manschall*^ 
bis  zu  den  Worten  L  112  a  S.  204  Sp.  1:  on  in  kirchen  vnd  in 
kirchhöaen. 

Dann  folgt  das  andere  unter  der  Ueberschrift  in  I  und  III: 
Lehentädingk  lang  vnd  vil,  in  II:  Lehen  teiding  lang  ist  daz. 

Die  in  I  in  Klammern  geschlossenen  Kapitel  sind  dnrch  Ans^ 
riss  des  Fol.  85  nicht  mehr  ganz  vorhanden.  Kap.  111  bricht  näm- 
lich mit  den  Worten  L  112a  S.204  Sp.  2  ab:  wo  dew  stat  oder  das 
dorff  sey  da  er  in.  Fol.  66  sodann  beginnt  mit  den  Worten  L  115  b 
S.  306  Sp.  2:  schulde  als  im  der  herl^  gedinget  ist. 

2)  Vgl.  den  Schiusaabsatz  der  vorhergehenden  Note. 

8)  Dieses  Kapitel  schliesst  schon  mit  den  Worten:  vnd  gibt 
ienem  dehein  losung,  in  II:  vnd  gibt  jenem  losvnge. 

4j  Der  Schlus^atz  von  L  142   über  den  Thorwart  fehlt  hier. 


}  134    I  136   ]  134 


L. 

I. 

n. 

in. 

,151 

140 

142 

140 

152 

141 

143 

141 

153 

142*) 

144») 

142*) 

154 

143 

145 

143 

155 

144 

146 

144 

156 

145 

147 

145 

157 

146 

148 

146 

158 

147 

149 

147 

Bockinger:  Handsdvriften  eum  Schwabenispiegd.  315 

L.       I.      n.      in. 

143 
144 

145  135        137        135 

146  136        138        136 

147  137        139        137^) 

U9a  1  1^8  1  1*0  1  138 
149b  139  141  139 
150       140       142       140  159       148       150       148 

Wir  sehen  hier  im  Ganzen  von  einer  ansfiihrlichen  An- 
gabe der  Abweichungen  ab  welche  unsere  drei  Handschriften 
in  der  Trennung  einzelner  Kapitel  des  L-Druckes  in 
mehrere  wie  umgekehrt  in  der  Zusammenziehung  von 
so  und  so  vielen  Kapiteln  jenes  Druckes  in  nut 
eines  darbieten,  oder  von  einer  genauen  Verzeichnung  der 
in  unserer  Gruppe  vielfach  anders  lautenden  TJoberschrif- 
ten  der  Kapitel. 

Im  übrigen  stellen  sich  bei  der  Betrachtung  unserer 
vergleichenden  Zusammenstellung  nachfolgende  mehr  oder 
weniger  wesentliche  Punkte  heraus. 

Zu  den  letzteren  zählen  etwa  Versetzungen  von 
Kapiteln,  'wie  im  Landrechte  von  1257  und  258  = 
II 264  und  265  =  III  259  und  260  gegen  L  363 1  und 
363  b;  oder  von  1 272  bis  275  -  H  279  bis  282  =  III 274 
bis  277  gegen  L  371  bis  375;  oder  von  1281  und 
282=11288  und  289  =  111283  und  284  gegen  L  376  und 
377;  oder  noch  besonders  von  11276  bis  278  gegen  L  870 


1)  Hieza  iet  ein  kleiner  von  der  gleichen  Hand  beschriebener 
Zettel  eingeklebt,  welcher  das  oben  fehlende  Kapitel  L  55  ohne 
Ueberschrift  mit  rother  Initiale  enthält. 

2)  Der  erste  nicht  daher  gehörige  Satz  L153a  fehlt  hier,  wo» 
selbst  der  Text  richtig  beginnt:  Der  man  sol  dem  herren  nicht 
wider  sagen,  noch  der  herre  dem  man,  wann  si  paide  etc. 


316  aUttmg  der  kistor.  Okme  wm  6.  Juti  1867. 

bis  870  II;  oder  im  Lehenredite  von  I  und  III  69  und  70 
gegen  L  65  und  66.  . 

Wichtiger  ist  sodann,  dass  gegenüber  der  vom  Freiherm 
V.  Lassberg  seinem  Drucke  zu  Grunde  gelegten  Haupthandschrift 
aus  allen  drei  Gliedern  unserer  Gruppe  die  Kapitel 
48,  316,  348,  374  des  Landrechtes,  und  die  Kapitel  55, 
68c,  87,  122,  132 a  des  Lehenrechtes  fehlen,  und  ausser- 
dem noch  in  II    das  Kapitel  17  des  Landrechtes. 

Dagegen  bietet  unsere  Gruppe  gegenüber  der  bemerkten 
Handschrift  nicht  blos  nach  einer  Seite  hin  sondern  in  mehr- 
facher Beziehung  ein  Mehr. 

Ein  solches  findet  sich  einmal  in  III  in  der  Ein- 
Schiebung  des  Artikels  7  zwischen  L  5  und  6,  wovon 
S.  303  in  der  Note  2  die  Rede  gewesen.  Es  mag  hiezu  das 
Kapitel  5  der  Handschrift  von  Herrenchiemsee  verglichen 
werden,  welches  wir  im  Berichte  der  Sitzung  vom  26.  Jänner 
S.  220  mitgetheilt  haben. 

Sodann  finden  sich  in  allen  drei  Handschriften 
unserer  Gruppe  gemeinschaftlich  in  dem  mit  Art.  314 
des  L-Druckes  beginnenden  dritten  Theile  des  Land- 
rechtes  noch  die  in  der  Züricher,  ebner'schen,  wie  anderen 
Handschriften  des  sogenannten  Schwabenspiegels  vorkom- 
menden Kapitel  des  L-Druckes  3141,  314 II,  3191,  3271, 
3491b,  3631,  3641,  3671,  367  0,  3681,  3701,  370 II, 
3741,  3751,  375  n,  375 IV,  375  V,  377  L 

Dieses  letzte  Kapitel  „Von  huren  kinden'^  weist  auch  in 
seiner  Fassung  gegenüber  dem  L-Drucke  die  bedeutend 
weitere  Gestalt  der  Handschrift  Basel-Fäsch ^)  auf,  wie 
hier  folgt: 

Hat  ein  ledig  man  pey  einem  ledigen  weibe  ein  kind, 
oder  mer  dann  eines,  vnd  nimbt  er  darnach  ein  eweib  vnd 
gewinnet  pey  der  ekind,    was  er  dem  vnelich  gibt  pey  dem 


1)  In  der  Ausgabe  Wackemagers  Kapitel  834  a  296  und  297. 


Soekinger:  Hanäechriften  eum  Sehwäbenspiegel,  917 

geganden  leibe,  das  miigendt  dew  ekind  nymmer  wider 
sprechen  mit  rechte,  noch  enmögen  in  es  mit  recht  nymer 
geaemen.  an  seinem  todpette  gibt  er  in  wol  varend  gut  on 
erbe  gät 

Hat  awer  er  das  vnelich  kinde  pey  einem  eweibe,  oder 
was  er  selb  ein  eman  ze  den  zeiten  do  si  des  kindes  p^  im 
swanger  ward,  dew  kind  haissent  hür  kind,  Tnd  habent  kain 
recht,  wenn  welherlay  gut  der  vater  den  kinden  gibt,  das 
chan  noch  enmag  er  in  mit  nichtew  gesteten,  im  nement 
es  seinew  ekind  mit  allem  rechten  wol. 

Hat  awer  er  das  vnelich  kind  pey  einer  seiner  niftelen 
dew  im  an  der  yierden  sippe  sein  mag  ist  oder  näher,  wann 
80  ie  näher  so  ie  siinder  ynd  auch  schäntlicher,  oder  hat 
er  es  pey  ainer  dew  im  swagerlichen  sippe  ist,  das  ist  also 
gesprochen:  welich  weib  einen  man  hat  za  der  ee  oder  ze 
Yne,  was  dew  niftel  hat  vntz  an  dew  vierden  sippe  zal, 
Ynd  ligt  ein  man  bey  der  ainer  dew  seiner  vnelichen  frewn- 
din  oder  seiner  elichen  hausfrawen  niftel  ist  von  der  vierden 
sippe  oder  näher,  der  ist  ein  sippe  precher,  gar  ein  grosse 
Sünde,  vnd  was  ein  man  also  pey  den  selben  frawen  kinde 
hat  di  im  fleischliche  sippe-  oder  swägerlich  sippe  sind,  dew 
kind  habent  dasselbe  recht  als  dew  hür  kind,  weder  minnder 
noch  mer. 

Hat  awer  er  si  pey  einer  geuatern  oder  pey  seiner 
toten  di  er  aus  der  tauffe  erhaben  hat  oder  dew  in  aas  der 
tanffe  erhaben  hat,  dew  kind  habent  alle  geleiches  recht 
sam  dew  harkind. 

Vnd  hat  ein  man  ein  kind  pey  einer  nnnnen  dew  orden 
in  einem  kloster  empfangen  hat|  vnd  kompt  si  holt  wider 
aas  dem  orden,  vnd  ist  si  ausserhalb  des  ordens  lang  oder 
kürtz ,  darumb  "hat  dehain  man  dester  pesser  recht  an  ir. 
wann  wer  pey  ir  niwann  ze  einem  male  ligt  süntlichen 
mit  seiner  wissen,  der  ist  sozehannt  in  dem  aller  höchsten 
panne  den  got  enhimel  vnd  enerde  hat.  ob  man  in  halt 
[1867.  IL  2.]  21 


S18  Sitzung  der  Ustor.  Clasae  tarn  6.  JuU  1867. 

nymmer  ze  panne  tat,  noch  ob  man  in  nimmer  in  keinen 
pann  gekündet,  so  ist  er  doch  in  den  höchsten  pann  körnen 
niwan  [vmb]  di  ainig  sünde  den  got  in  himel  vnd  in  erde 
hat.  vnd  was  auch  ein  man  pey  den  selben  nünnen  kinde 
hat|  dew  habendt  auch  dew  recht  als  dew  hüren  kind,  vnd 
si  haissen  lialt  von  allem  recht  hürkind. 

Weiter  schliesst  sich  dann  dem  Landrechte  noch  der 
aus  den  mehr  berührten  11  Kapiteln  bestehende 
Anhang  zu  demselben  unter  der  Ueberschrift  „Das  sind 
auch  landtrecht^'  an. 

Wir  haben  uns  zur  Zeit  nicht  vorgesetzt,  des  näheren  über 
ihn  zu  handehi.  Immerhin  aber  düiite  —  abgesehen  von  an- 
derem —  die  Bemerkung  nicht  überflüssig  erscheinen,  dass  seine 
Kapitel  6  und?  zu  den  Kapiteln  88  a  und  88  b  des  Deutschen- 
spiegels =  Kapitel  89  und  90  der  jetzt  so  bedeutsam  ge- 
wordenen freiburger  Handschrift,  wie  nicht  minder  zu  den 
Kapiteln  71a  theilweise  und  71b  bis  f  des  Deutschenspiegels 
=  den  ihnen  entsprechenden  Kapiteln  der  freiburger  Hand- 
schrift, wozu  noch  Ficker  über  einen  Spiegel  deutscher  Leute 
S.  25  (137)  und  1S4  (250)  verglichen  werden  mag,  stinounen. 
Auch  ist  sodann  beachtenswerth,  dass  die  übrigen  —  mit  einer 
kleinen  Ausnahme  bei  10  —  sich  in  einer  bisher  nicht  genauer 
berücksichtigten  Gruppe  der  systematisch  geordneten  Hand- 
schriften des  sogenannten  Schwabenspiegels  Ia  die  betreffen- 
den Abtheilungen  aufgenommen  finden.  Insofeme  nun  die 
genauere  Kenntniss  seiner  Beschaffenheit  im  Ganzen 
für  den  Behuf  der  Beurtheilung  anderweitiger  Handschriften 
des  sogenannten  Schwabenspiegels  nicht  ohne  Bedeutung  ist, 
glauben  wir  selben  in  seinem  Zusammenhange  nach  der 
Fassung  von  I  mittheilen  zu  sollen,  welcher  wir  die  ent- 
sprechenden Abweichungen  von  H  und  HI  je  unter  B  und 
G  in  den  Noten  beiftigen. 


Boekinger:  SandichrifteH  lum  SchioabeMpiegA,  319 

1.     Ob  ein*)  herre  ein  kirchen  leihet. 

Vnd  ist  das  ain  werltlich  herre  den  gewalt  hat  das  er 
ein  kirchen  leihen  sol  oder  zwo  oder  mer,  vnd  pitet  in  ein 
pfaffe  oder  ein  schüler  das  er  im  ain  kirche  leihe,  vnd  der 
herre  leihet  im  di  kirchen,  vnd  kompt  dann  ein  ander  pfaffe 
oder  schüler  an  den  selben 'herren  vnd  pitet  in  auch  das 
er  im  di  kirchen  leihe  di  er  da  ienem  hat  gelihen,  das  tut 
der  here  wol  mit  rechte,  ob  im  dirre  lieber  ist  dann  iener, 
oder  ob  in  des  tünkchet  das  dew  kirche  an  disem  pasbe- 
statet  sey  dann  an  ienem ,  so  leihet  er  ai  disem  wol  mit 
recht. 

Hat  awer  im  der  bischof  den  alter  gelihen  dem  der 
herre  di  kirchen  des  ersten  lech,  so  mag  er  si  niman  mer 
geleihen  di  weile  der  lebt,  dem  mag  si  weder  leje  herre 
genemen  noch  der  bischof. 

Alle  di  weile  ein  pfaffe  oder  ein  schüler  den  alter  von 
dem  bischone  nicht  empfangen  hat,  wie  wol  im  der  werltlich 
ha*re  di  kirchen  gelihen  hat,  vnd  leihet  si  der  herre  einem 
anderen,  vnd  wirt  auch  dem  der  alter  von  dem  bischofe 
gelihen  e  ienem,  er  hat  si  mit  rechte. 

Ist  awer  ein  dingk  das  der  werltlich  herre  dem  erem 
pffafen ')  oder  schüler  seinen  brief  mit  insigelen  gibt  an  den 
bischof  das  er  im  den  alter  leihe,  vnd  gereuet  den  herren 
das,  Tud  sendet  dem  bischof  einen  andern  brief  das  er 
disen  man  auf  hallte  an  der  geistlichen  gäbe,  er  hab  sich 
eines  wägem  bedacht^  das  hat  dehain  kraft,  wann  wem  der 
herre  seinen  brief  mit  insigel  an  den  bischof  gibt,  dem  mäs 
der  bischof  den  altar  leihen,  vnd  wäre  halt  der  bischof 
dem  selben  veint,  er  müs  im  in  doch  leihen  mit  rechte. 

Vnd  hat  auch  der  herre  ^)   di  kirchen  in  seiner  gewalt 


2)  6:  der. 

8}  B:  dem  ersten  pfavrer. 

4)  B:  der  ielbe  herre. 

«1* 


320  aUeung  der  histor.  Ohm  vom  6.  Jtdi  1867. 

Ynaerlicben ^)  sechs  mohed  oder  lenger,  so  hat  er  den  ge* 
walt  verloren  der  lehenunge,  ynd  sol  si  der  biscbof  leihen- 
wem  er  wil,  baiden  Idrcben  vnd  altar. 

Wirt  awer  si  darnach  ledig,  so  leiljet  der  herre  si  awer 
wol.    er  yerleuset  niwan^)  das  aine  leben  daran. 

Dise  sache  ist  werltlichen  herren  gut  zewissen.  man 
müs  awer  vor  geistlichem  gerichte  darumb  rechten,  vnd 
gehört  auch  gaistlich  vnd  werltlich  herren  an. 

2.    Wie  man  kloster  gut  kauffen^)  sol. 

Vnd  ist  das  ain  abbt  oder  ein  brobst  oder  ein  abb- 
tässin  oder  ein  priorin  ®)  oder  wie  er,  so  *)  gehaissen  ist  der 
hauptman  oder  ein  maister  oder  eia  päeger  da  ze  einem 
kloster  ist,  vnd  wil  der  selb  dem  kloster  ein  gut  an  werden 
das  vrbor^^)  haisset  ynd  nicht  yarend  gilt  ist,  das  mag  er 
mit  recht  nymmer  on  werden  dem  kloster  wie  gewaltig  er 
ist,  er  bewer  dann  des  ersten  drew  dingk  yor  der  samnunge 
des  klosters.  ynd  ist  dew  samnunge  nicht  gar  da,  also  das 
man  ir  nicht  gar  zu  samen  pringen  mag,  so  sol  zum  aller 
minsten  doch  der  samnunge  das  merer  tail  da  sein:  vor 
d.enn  sol  er  bewaren  ee  das  er  das  gät  on  werde. 

Des  ersten  sol  er  bewären,  das  man  das  gut  yon  dem 
kloster  gelten  süU  da  durch  man  das  gut  on  werden  müsse. 

Zum  andemn  mal  sol  er  bewaren,  das  er  nindert 
wisse  dehain  y^irend  gut  das  des  klosters  sey  damit  er  di 
gülten")  yergelten  müge. 

Zum  dritten  mal  sol  er  bewam,   ^das   er  nindert  wisse 


5)  B  und  C:  ynyerlihen. 

6)  6:  niclit  waun. 

7)  B:  verkauffen. 

8)  B:  ein  brior. 

9)  C:  wie  so  er. 

10)  B:  erber. 

11)  B:  galt.    C:  gülte. 


Bodiinger:  Hanäsehtiften  zum  Sehtoabenapiegd,  321 

dehain  ander  gut  das  des  klosters  nej  das  man  dem  kloster 
als  ynschedlich  an  werde  als  das  selb  gut. 

So  wird  er  das  gut  an  mit  rechte. 

Vnd  der  das  gut  da  kauffen  wil,  der  sol  pey  dem 
ersten  fragen^')  das  es  der  merer  tail  der  samnnngc  höre, 
ob  des  kloster  hauptman  dise  drey  sache  bewärt  hab.  vnd 
sind  si  nicht  bewärt,  so  sol  er  es  nicht  kau£fen.  sind  si 
awer  bewärt,  so  kauffet  er  das  gut  mit  recht,  vnd  nem 
darüber  hantneste  der  samnange  vnd  auch  des  pä^ers.  so 
kau£fet  er  das  gut  mit  rechte  an  kri^  ^'). 

3.    Ob  ein  hantueste  valsch  sey^^),  wie  man  das 
kiesen**)  sol**). 

Man  velschet  ein  hantueste  mit  manigen  dingen  der  di 
trieger  vnd  die  velscher  vil  künnen.  vnd  darurab  süUen  wir 
di  getrewen  vnd  di  geweren  leren  wi  si  die  valschen  hant- 
ueste kiesen  vnd  schauen  sülleu,  das  man  si  desterbas  er- 
kenne, das  di  rechten  lewte  damit  nicht  geäffet  noch  *^)  be- 
trogen werdent. 

Ein  hantueste  wirt  entwicht  von  dem  gedichte  enmani- 
gen  ende*'),  das  kan  ein  wolgelert  man  wol  erkennen,  vnd 
ettwenne  von  der  geschichte.  nennet  man  vns  an  einer  stat 
des  ersten,  vnd  sprich  ich  das  es  dew  samnung  gelobt**) 
hab,  vnd  si  des  nicht  getan  hat,  so  ist  dew  hantuest  valsch. 


12)  A:  sagen. 

13)  B:  an  allen  krieck. 
U)  B:  .ist. 

15)  B:  bessern. 

16)  Aus.  dem  cod.  germ.  663  ist  dieses  Kapitel  abgedruckt  in 
der  Aasgabe  L  369 1  S.  157  Sp.  2  und  S.  158 ,  in  der  Ausgabe  W 
419  S.  340—342. 

17)  B:  lewte  icht  da  mit  ge  efft  vnd.    G:  vnd. 

18)  B:  an  mangen  enden. 

19)  B:  sammenonge  gar  gelobet.    0:  samnunge  gar  gelobt. 


$22  Siisung  der  hiaiar.  Clas$e  vm  6.  Juli  1867. 

Das  ander  ist,  wann  man  oben  ynd  niden  das  insigel 
auf  clozzet'®),  vnd  man  ein  ander  seiden  darein  tut|  vnd 
das  enmiten  nicht  enist. 

Das  dritte  ist,  das  man  an  ettlicher  hantueste  di  seiden 
oben  Yon  ein  ander  sneidet,  Tnd  sleusset  si  durch  ein  ander 
hantueste  dew  nach  seinem  willen  geschriben  ist^  and  man 
zaizet'^)  di  seiden  dann  klaine  ausz  ein  ander  vnd  trädf ) 
si  dann  ze  samen  Tnd  machet  si  wider  gantz.  das  mos 
awer  Ton  gefugen  frawen  hannden  geschehen. 

Das  yirde  ist  awer  meistic  an  den  newen  jusigeleo,  das 
man  etwenne  mit  hitze  di  seiden  gar  aus  zeuhet,  vnd  tat 
newe  dar  ein  durch  ein  ander  hantueste  di  er  auch  nach 
seinem  nuze  geschriben  hat. 

Das  fünfte  ist  da'')  man  ein  hantueste  mit  velschet, 
wenn  man  si  geschahen  sieht  an  der  stat  da  man  das  da'^) 
schreibet  da  si  vber  gegeben  ist.  jst  aber  si  geschahen 
anderswo  dann  an  ddr  stat  da  man  das  da  triffet  vnd 
nennet  da  si  yber  geben  ist'^),  als  ettwo  da  di  maister  ir 
kunst  legenty  wie  nutz  vnd  wie  gut  es  sey  das  si  gegeben 
ist:  ist  si  da  geschahen,  das  wirret  nicht. 

Das  sechste  ist,  das  man  ettwenne  machet  von  wdne 
vnd  yon  wasser  das  dew  schrift  gar  ab  geet,  vnd  gibt  es 
einem  büchueller '^)  der  es  mit  seiner  kunst  gar  ab  tot, 
ynd  scribet  dann  wider  daran  nach  seinem  willen  ynd  nach 
seinem  nutze,    das  sol'  man  gen  der  sunnen  haben,  so  mag 


20)  B:  cloesset. 

21)  B:  czey8«t    C:  zeyzei. 

22)  B:  dret.    C:  drät. 
28)  B:  ist  dai  da. 

24)  B:  etat  do  man  de. 

26)  In  B  ist  dieser  Sats  dtirch  o/4oior(A«tnror    bis  hieher  aus- 
gefallen. 

26)  B:  buch  yeU«r. 


Boehmger:  Bandsehrifien  gum  Schwäbenapiegd,  823 

man  es  wol  erkennen,  so  sieht  man  der  allten  schrifft 
immer '^  etwe  uil  in  dem  pirmit  in'^)  der  newen. 

Das  sibend  ist,  das  man  ettwenn  auch  ein  klames  per- 
mit  donne'^)  auf  di  schrifit  leimet  mit  einer  hausen  pla- 
teren'®),  ynd  sneidet  es  dann  geleiche  als  es  nywan*^)  ein 
permett  sey,  ynd  schreibet  dann  auf  das  chlaine  permeit 
was  im  geuellet. 

Das  achtende  ist,  so  das  merrer  tail  der  hantueste  ge- 
zeugen  wider  di  hantueste  sind,  so  ist  si  awer  yalsche. 

Das  neunte  ist,  so  man  an  der  hantuest  leuget  also: 
das  ich  mich  ze  ainem  ekind  erbewte,  ynd  ich  des  nicht 
enpin;  oder  das  ich  sprich  ich  sey  armm,  ynd  das  ich  ain 
kirchen  han  dauon  ich  mich  wol  betrage;  oder  ob  ich 
sprich  ich  sey  frey,  ynd  ich  aigen  pin,  oder  ein  zinser  an 
ein  gotzhaus;  oder  an  manigen  dingen«  wann  mau  gicht  des 
nicht  war  ist;  ynd  weune  ich  der  rechten  forme  nicht  enhan 
di  der  stQl  ze  Rome  gibt  yber  solich'*)  sache  der  man 
nicht  yerkeret. 

Das  zehende  ist,  das  man  an  neuen  hantuesten  bewäm 
müs  'das  es  des  herren  Schreiber  geschriben  hab  des  insigel 
daran  ist,  ob  leicht  einer  ein  insigel  stäle  ynd  brächte  es 
zu  ainem  Schreiber  der  im  schrib  das  in  gut  deucht,  oder 
ob  er  des  herren  insigel  sunst  fände  da  sein  ainer  yergasde 
ein  kamerer  oder  ein  Schreiber,  oder  im  süst  empfiele'^)^ 
als  offt  geschieht. 

Das  aindlefite  ist,  ob  man  ein  ander  insigel  grebt  nach 


27}  A:  inner. 

28)  B:  perment  bey.    C:  permit  jn. 

29)  B:  perment  dynnz. 

80)  B:  blatem.    G:  platem. 
31)  B:  nicht  wann. 
82)  B:  syemKclL 
88)  B{  enphile. 


324  SiUmg  der  hi$tar.  CImc  wm  6.  Juli  1867. 

disem«  das  ist  awer  leichte  ze  erkennen  der  sein  wol  war 
nimpt  vnd  es  zu  dem  rechten  jnsigel  habt. 

Das  zweifle  ist,  wa  man  ein  hantueste  8chj*etbt  ynd  man 
ze  letzt  nicht  vnsers  herren  jar  daran  schreibet  wie  manig 
iar  von  vnsers  heren  Jesu  Cristi  gepurd  sey  vntz  an  den 
tag  das  dew  hantneste  geschriben  ward. 

Das  dreyzehende  das  ist,  das  man  ettwas  macht  das 
linde  ist  als  ein  wachs,  vnd  truket  das  auf  das  wachsen'^) 
insigeli  vnd  machet  das  dann  herte  vnd  das  es  sich  dodi 
nicht  erheuet '^).  das  ist  gar  mülich  ze  erkennen,  vnd 
stillen  wir  es  nyman  leren  machen. 

4.    Der  in  dem  panne  ist. 

Vnd  ist  das  ein  man  in  dem  panne  ist,  ob  der  mit 
seinen  aigen  lewten  icht  retf )  oder  schaffet,  di  sind  dar- 
umb  nicht  in  dem  panne,  ob  das  in  ir  herzen  ist  das  si 
sein  gern  vber  waren  ^^)  das  si  mit  im  nicht  ze  schaffen 
bieten  die  weil  er  in  dem  panne  ist. 

Der  im  awer  also  gedenket,  we  ich  wil  nur'^)  dester 
mer  mit  im  reden  vnd  schaffen  das  ich  im  dester  lieber  sey, 
der  kompt  in  den  selben  panne  da  der  herre  innen  ist. 
wann  man  sol  got  den  himelischen  herren  harter  furchten 
dann  den  irdischen  herren. 

Sein  weib  vnd  seine  kind  mügen  des  nicht  wol  enbem: 
si  müssen  mit  im  reden. 

5.    Von  der  gemeine'*). 
Wer  ein  gemaine  an  spricht,  das  ein  man  sich  der  ge- 


34)  B:  wechsein.    G:  wähsin. 
85)  B:  erhebet. 
36)  A  und  C:  reit. 
87)  B:  yberich  wem. 

38)  B:  wil  nicht  wann. 

39)  C:  gemein  ist  daz. 


Bodiinger:  Hanäschriften  zum  Sckwäbenspiegd.  325 

maine  vnder  windet,  eintweder  ze  wismade^^},  oder  äker 
daraus  machet,  oder  welherlaye  er  darauf  pauet  rud  es  in 
Bein  nütz  zeuhet,  vnd  söl  doch  ein  rechte  gemaine  sein,  vnd 
spricht  jn  ein  einig  man  darumb  an  das  er  es  ze  vnrecht 
hab,  dem  sol  er  ze  recht  darumb  nicht  antwürteu,  er  seze 
im  dann  gut  porgen,  ob  er  im  enbreste^*),  das  im  ymb 
das  gut  njmermer  kain  man  angespreche,  wann  es  ein  ge- 
maine ist.  enprest^^)  er  dann  heut  einem,  so  spräche  in 
alle  tag  ein  itnewer**)  an,  wann  des  landes  herre,  der 
sprichet  in  wol  mit  rechte  an. 

Was  gemaine  ist,  das  sfillen  auch  di  lewte  gemaine  ^^) 
ansprechen  di  es  an  get^^). 

6.  Wie  di  kompfen**)  auf  den  ringk  süllen  komen**). 

[a] 

Wer  einen  seine  genos  kämpflichen  wil  an  sprechen, 
der  sol  den  richter  pitten,  das  er  sich  vnder  winde  eines 
fridbrechen  mannes.     das  sol   mit  vrtail  geschehen. 

Vnd  ob  er  sich  sein  vnderwunden  hat,  so  sol  in  der 
richter  yragcn  im  welher  weise  er  den  frid  an  im  geprochen 
habe,  da  mag  der  klager  gespräches  vmb  begerh*^),  oder 
er  mag  dem  richter    ze  haiit  wol  antwurten.     er  sol  sagen 


40)  B:  entweder  wyszmat. 

41)  B:  enbreche. 

42)  B:  ein  newer. 

43)  B:  dy  gemein  lewte. 

44)  A:  geendt 

45)  B:  kemppffer. 

46)  Diasee  Kapitel  entapricht  den  Eapiteki  88  a,  88b,  theilweiso 
71,  71b,  71c  des  Deatschenspiegels  imd  den  hieza  stimmenden  Ka- 
piteln der  freiburger  Handschrift,  deren  Text  die  Ausgabe  W  Ka- 
pitel 350,  351,  846  bietet,  wozu  noch  der  GroesfoUodrack  (in  Senken- 
berg's  Ausgabe  Kapitel  167  §  8  —  15)  verglichen  werden  mag. 

47)  B :  vmb  gem. 


826  Siizmg  der  Mstar,  Gasse  vom  6.  Jtdi  1867. 

in  welher  weise,  ob  er  in  beraubet  hab  auf  der  Strasse  mit 
raube  oder  mit  wunden,  oder  wo  es  jm  geschehen  ist,  oder 
in  welher  weise  er  den  frid  an  im  «geprochenn  hab.  in  der 
selben  weise  sol  er  auf  in  klagen. 

Schuldiget  er  in,  er  hab  in  gewunndet,  ynd  ist  die 
wunde  hail,  er  sol  beweisen  di  masen.  dew  weisunnge  hat 
doch^^)  nicht  kraSt.  er  müs  di  wunden  erzeugen  selb- 
dritte,  ob  iener  seinen  aid  bewtet.  hat  er  nicht  gezeugen, 
BO  sol  er  im  di  haut  ab  ziehen,  vnd  sol  also  sprechen: 
herr,  herr  richter,  mit  ewerem  vrlaub  so  wer  ich  im  den 
aid,  ynd  zeuhe  im  di  haut  von  dem  aide,  vnd  wil  das  he- 
berten mit  meinem  leibe  auf  seinen  leib  das  ich  redit  hab. 
so  sol  der  richter  von  in  baiden  porgschaft  nemen. 

Den  kämpf  sol  man  in  gepieten  ze  laisten  vber  sechs 
Wochen. 

Sprichet  man  einen  man  kämpflichen  an  nach  mitem 
tage,  er  gewaigert  sein  wol. 

Sprichet  ein  man  den  andern  an  kämpflichen  der  wirs 
geporen  ist,  der  waigert  sein  wol. 

Sprichet  ein  hochgeborn  man  einen  kampflichen  an  der 
nyder  gebom  ist,  der^^)  mag  im  nicht  gewaigern. 

Vnd  sprichet  einer  den  andern  an  ze  kämpfe,  vnd  sind 
si  also  nahen  mage,  so  mag  ir  ietweder  mit  dem  andern 
kempfen^^),  ob  di  mage  gereiten^^)  mügen  das  Bi  zä  der 
fünften  sippe  ein^')  ander  sippe  sint.  des  müs  ir  vater 
mage  sibene  vnd  ir  müter  mage'^')  zu  den  heiligen  sweren. 
ettwenne  was  es  zu  der  sibende  sippe.    nu  habent  di  bäbst 


48)  In  B  fehlt  doch. 

49)  In  A  and  G  ist  von  „waigert^'  angefangen  bis  hieher  aoa- 
ge&Uen. 

50)  B:  gekemppfen. 

51)  B:  mage  ein  ander  gereiten. 

52)  B:  sipp  czn  ein. 

58)  B:  ir  vater  mago  vnd  ir  mnter  mage  siben. 


BoMngelr:  Eand9chrifim  Mum  Schwäbenspiegel,  827 

weib  erlaubet  ze  nemen  an  der  fünften  sippe,  vnd  dai*amb 
hant  auch  die  kunig  gesezet  das  ain  ieglich  man  mit  dem 
andern  wol  kempfen  säl  der  im  sippe  sej  vber  di  fünften  sippe. 

Der  richter  sol  leihen,  dem  den  man  schuldiget  auf  den 
man  dar^t)  klaget  einen  schilt  vnd  ein  swert. 

So  man  da  hin  kompt  da  der  kämpf  da  ist,  so  sol  der 
richter  geben  zwen  poten  zä  in  baiden  ^^)  di  das  sehen  das 
man  si  nach  rechter  gewonhait  an  gelege  vnd  in  gärbe^*). 

Leder  vnd  leinein  dingk  süUen  si  an  legen  als  vfl  als 
si  wellent,  haubt  vnd  fusz^^)  suUenn  in  blos  sem.  vnd  an 
den  hennden  suUen  si  dünne  hantschüch  ^^)  haben  lidrein, 
vnd  in  der  hant  blos,  vnd  einen  schilt  da  nicht  dann  holtz 
an  sey.  ettwo  ist  gewonhait  das  si  an  schilte  vehten  mit 
pugkeleren  di  eisnein  sind,  si^')  siillen  roke  an  tragen  on 
ermel. 

Auch  sol  man  lewten^^)  frid  gepieten  pey  dem  halsse, 
vnd  das  si  nyman  irre  an'^)  ir  kämpfe. 

Ir  ietwederm  sol  der  richter  einen  man  geben  der  ein 
Stange  trage,  di  sol  der  vber  den  haben  der  da  geuellet. 
vnd  gibt  er,  so  ist  er  vberwunden^').  mag  er  auf,  man  sol 
in  auf  lan.  weder*')  der  stange  mutet,  dem  sol  man  si 
vnderstossen.    das  sol  der  richter  erlauben. 

Einen  ringk  sol  man  in  machen,  der  sol  sein  zwainczig 
fusse  oder  fünf  vnd  zwainzig  weit,  weder*')  daraus  fleuht, 
der  ist  siglos. 


64)  A  und  G:  da. 

56)  B:  riohter  czwen  boten  czu  yn  beyden  senden. 
66)  B:  geverbe.    C:  gaerwe. 

57)  C:  fazze. 

68)  B:  B^  bloz  hantschue. 

59)  B:  vnd. 

60)  B:  man  den  lewten. 

61)  A:  dann. 

62)  A:  ist  erwanden. 

63)  B:  welcher. 


328  Sitzung  der  histor.  Classe  wm  6.  Juli  1867.    - 

Di  Bwert  di  si  tragendt  snllen  ön  ortband  ^^)  sem. 

Vor  dem  richter  süllen  si  baide  engegenwert^^)  sein, 
vnd  sol  der  ain  sweren  das  es  war  sej  das  er  auf  in  hat 
geklagt®^),  so  sol  der  ander  des  sweren  das  er  vnschuldig 
sey,  vnd  das  in  got  also  helfe  zu  irem  kämpfe. 

Di  sannen  sol  man  in  mit*^)  tailen  geleiche  so  man 
si,  des  ersten  an  einander  ze  samen  lät^^). 

Wirt  der  vber  wanden  auf  den  man  da  klagt,  man  sol 
vber  in  richten,  wirt  auch  der  siglos  der  auf  in  da  klagt, 
man  richtet  auch  vber  in. 

Vnd  wer  den  andern  an  sprichet  vmb  den  todslag, 
weder ^^)  da  siglos  wirt,  dem  geet  es  an  das  haupt  vnd 
ist  es  vmb  ein  läme,  es  geet  im  an  die  haut. 

Vmb  ander  wunden  di  nicht  ze  uerch  geend  vnd  auch 
nicht  ze  läme  gendt,  da  sol  niman  vmb  vehten:  man  sol 
nicht  vmb  klain  wanden  kempfen. 

Jst  das  ein  man  di  notwer  bereden  wil,  der  sol  also 
bereden  mit  seinem  aide,  das  er  da  getan  habe  das  hab  er 
getan  in  rechter  notwer  seines  leibes.  vnd  hat  der  tod 
man  niman  der  im  den  aide  mit  kämpfe  were,  so  sol  der 
richter  den  man  behalten  sechs  wochen  vnd  einen  tag  der 
di  notwer  da  hat  berait.  kompt  in  der  weil  nimant  der 
in  an  spreche,  er  'sol  ein  ledig  man  sein  vor  den  di  ienner 
landes  sind,  di  ausser  lanndes  sind,  den  müs  er  antworten 
vber  zehen  iar.  da  sol  er  dem  richter  porgen  vmb  setzen 
vntz  an  das  selb  zil.  vnd  stirbet  der  richter,  oder  kumpt 
sust  ein  ander  richter  an  sein  stat,  dem  ist  er  der  borg- 
schaft auch  schuldig  als  ienem  vntz   auf  das  selb  zil.     vnd 


64)  B:1iii  ortbant 

65)  B:  in  gewer.    C:  in  gegenwürt. 

66)  G:  in  da  hat. 

67)  B:  mite. 

68)  B:  ein  ander  let. 
60)  B:  welcher. 


Sotkmger:  Ecmdaehnften  gum  ScJncäbenBpiegd.  329 

als  dew  zeben  iar  für  kömment,  so  ist  er  ein  ledig  man  vor 
allen  lewten. 

Ein  yeglich  man  waigert  wol  das  er  nicht  kempfet  mit 
seinem  vndergenossen.  ein  ieglich  man  müs  kempfen  mit 
seinem  genos. 

[b] 

Es  ist  manig  man  rechtlos,  vnd  mag  doch  ein  weib  ^^) 
genemen,  Tnd  ekind  pey  ir  gewinnen,  si  müzzen  awer  ires 
yater  recht  haben,  si  sein  dann  eines  herren  aigen  oder 
eines  gotzhanszes. 

Dew  kind  di  nicht  elich  g^eporen  sind  di  erbent  nicht 
ir  Yater  noch^^)  ir  müter  gutes  noch  dehain  irs  mag^s 
gutes. 

7.    Auch  von  kempfen ^^). 

[a] 
Ein  freycw  frawe  jnag  gewinnen  fünfbande  kinde  der 
ie  ains  des  anderen  genos  nicht  enist,  eins  das  ir  genos  ist. 
also  ob  ir  man  ir  genos  ist.  si  muge  gewinnen  einen  mitereu 
freyen,  ob  ir  man  mitterfrey  ist.  si  mag  gewinnen  ein 
lantsässen  freyen,  ob  si  einen  lantsässen  freien  zu  ir  legt, 
si  mag  gewinnen  einen  dienstman,  ob  si  einen  diensteman 
nimpt^').    einen  aigen  man  dasselb. 

[b] 
Welich  semper  freye  ^^)    einen  seinen  genos  ze  kämpfe 


70)  B;  ein  eweyp. 

71)  B:  vnd. 

72)  Dieses  Kapitel  entspricht  den  Ariikebi  71  d,  71  e,  71  f  des 
Dentsclienspiegels  nnd  den  hiezn  stimmenden  Kapiteln  der  frei- 
bnrger  Handschrift,  deren  Text  die  Ansgabe  W  Kapitel  847,  848, 
849  bietet 

78)  B:  dinstman  czn  ir  leget, 
74)  B:  freyer  herre. 


330  SiUfung  der  histar.  Gasse  vom  6.  JM  1867. 

an  sprichet,  der  mos  wissen  wer  sein  vier  anen  sind  ge- 
wesen, er  müs  si  auch  nennen,-  ,ob  ienner  wil  den  er  an- 
gesprochen hat*  vnd  nennet  er  ir^^)  im  nicht,  er  gewaigert 
im  mit  recht  wol  das  er  mit  im  nicht  kempfet. 

Wer  den  ander  kempflichen  an  sprichet,  ?nd  enget  er 
im  mit  rechte,  er  müs  im  das  ze  recht  büssen  das  er  in 
angesprochen  hat,  vnd  müs  auch  dem  richter  püssen. 

Ditz  entsprich  ich  nicht  vmb  denn  todslag.  wann  da 
gehört  nicht  wann  leib  wider  ^^)  leib. 

[c] 

An  elich  dingk  mag  nieman  sein  aigen  yerkauffen  das 
es  krafft  hab.  es  antwurt  auch  dehain  man  nieman  vmb 
sein  aigen  ob  man  in  beklagt  e  in  vogtes  dinge,  ob  er  es 
in  der  gewer  hat.     ettwa  haisset  es  paudingk. 

Gibt  ein  man  sein  aigen  hin  wider  seiner  erben  willen 
vnd  ön  vogtes  dingk,  si  süUen  es  vor  dem  richter  in  seiner 
gewalt  han  versprochen  ^0-  ^^^  ^^^  richter  sol  es  den 
erben  antwurten.  etwa  ertailt  man,  es  süU  der  richter  in 
seiner  gewalt  han.    das  stet  an  des  lanndes  gewonhait 

8.  Der  einen  man  pey  seiner  konen^®)  vindet^'). 

Dise  vrtail  gehört  geistlich  gerichte  vnd  werltliches  ge- 
richte  an*®). 

Vnd  ist  das  ein  man  den  andern®')  bey  seiner  konen®*) 


75)  In  B  fehlt  ir. 

76)  B:  an. 

77)  B:  in  seiner  yersprochen  haben. 

78)  C:  koenen. 

79)  B  fügt  noch  bei:  sag  das. 

80)  B :  gericht  halt  an. 

81)  B:  man  einen  andern  man«  - 

82)  B:  ekonen  vindet  vnd. 


BodUnger:  Eandeehriften  tum  SehwabeMpiegA  331 

begreiffet  in  der  weise  das  in  sein  gut  gewissen  nicht  erlät 
er  müsse  im  des  gedengken  das  si  ir  ee  mit  im  geprochen 
hab,  vnd  pringet  in  sein  zoren  daran  das  er  si  baidew  ze 
tode  siecht,  er  sol  si  weder  got  noch  der  werlte  nicht 
piissen.  er  mag  gen  got  von  im  selber  wol  in  einer  püsse 
erscheinen,  das  ist  nicht  verloren,  wann  das  tat  ainer  der 
nie  mensch  ertotte.  jn  sol  awer  nieman  darzn  twingen  als 
ymb  ander  ^schulde,  noch^')  dehain  werltlicher  richter  mag 
im  mit  recht  nimmermer'^)  pfenning  darnmb  nemen^*). 
weder  mannes  frewnd  noch  weibes  freunde  üifigen  in  darnmb 
nymmer  an  gesprochen  Tor  kainem  gerichie. 

Mag  man  awer  vier  dinge  eins  auf  in  bewaren^'),  so 
müs  er  si  got  vnd  der  werlt  passen  als  ander  tod  slag. 

Der  ist  eins.'  mag  man  bewären  auf  in  das  er  sein  ee 
*auch  ze  prochen  ^')  hat  seid  er  di  selben  fraun  zu  der  ee 
nam  die  er  da  entleibett  hat,  so  mäs  er  den  leib  verlorn 
han,  vnd  richtet  vber  in  als  vmb  ander  ^^)  todslag.  hat 
awer  er  sein  ee  ^*)  haimlich  zeprochen  als  hieuor  gesprochen 
ist,  das  man  jn  sein  nicht  vberzeugen  mag,  so  mus  er  si 
doch  dem  almächtigen  got  passen  zu  allem  rechten,  wann 
er  ist  an  irem  tode  schuldig. 

Das  ander  ist,  ob  si  in  des  geindert  hat  mit  warten 
oder  mit  gepärden  das  si  geren  hette  gesehen  das  er  pey 
ir  gelegen  wäre,  vnd  er  das  wol  weist  vnd  sein  wol  innen 
wirt  das  si  es  es  geren  sähe,  vnd  er  sein  nicht  tän  wil. 
vindet  er  si  darnach   pey  einem  manne,    er  sol  ir  an  dem 


83)  In  B  fehlt  noch. 

84)  In  C  fehlt  mer;  in  A  scheint  es  dorchstriohen. 

85)  B:  mag  ym  auch  nymmer  mit  rechte  pfening  dar   vmb 
genemen. 

66)  B:  bewem. 

BT)  B:  auch  gebrochen.   C:  auch  z^rochen. 

86)  B:  vmb  einen  andern. 
89)  B;  er  sy. 


332  ßiUfung  der  histor.  Claase  vom  6.  Mi  18€7. 

leib  niobt  tun.  nimpt  er  ir  den  leib  dsoräber,  er  sol  si  got 
vnd  der  werlte  püssen.  er  ist  vor  got  schuldig,  awer  Tor 
4en  lewten  nicht,     wann  es  ways  nieman  wann  er  vnd  got 

Das  drite  ist,  ob  ein  man  aus  dem  lande  Taren  wil 
vnd  dew  frawe  sprichet:  vil  lieber  wirt,  wenne  körnest  da 
her  wider  haim?  oder  ob  er  ir  vngefragt  ein  zil  gibt,  so 
das  er  sprichet:  ich  kumin  vber  sechs  wodien,  oder  vber 
achtag  *^),  oder  vber  zwelif,  oder  welichs  zil  er  ir  benennet 
langk  oder  kurtz,  das  er  ir  gehaisset  er  komm  hör  wider 
haim  jnuen  des  selben  zils,  vnd  ist  er  einigen  ^^)  ganczen 
tag  vber  dasselbe  zil  das  er  ir  gehies  do  er  aus  für,  vnd 
kompt  er  darnach  vnd  vindct  einen  man  bej  ir,  er  sol  ir 
nichtes  nicht  tun  an  dem  leibe,  vnd  ist  das  er  ir  den  tod 
tut  darüber,  vnd  hant  ir  freunde  des  gezeugen  siben  man 
das  er  ir  das  zil  gab  ze  komen,  sy  gewinnent  im  den  leib' 
an.  möchte  awer  er  das  selb  sibende  erzeugen  das  si  vor 
dem  zil  ir  e  geprochen  hette  di  weil  er  vnder  wegen  was, 
er  ist  ein  ledig  man.  hat  awer  si  ir  ee  bebalten  vntz  nach 
dem  zil  als  hieuor  gesprochen  ist,  vnd  tut  er  ir  den  tod, 
er  ist  got  schuldig  an  irem  tode. 

Das  vierde  ist.  ob  ein  herre  mit  gewalte  zu  einer 
fraun  sprichet  oder  ir  es  empeutet  das  si  in  zu  ir  lege  oder 
er  verderbe  si  vnd  iren  wirt  an  leib  vnd  an  gut,  ob  er  vber 
si  gewaltig  ist,  vnd  sagt  das  di  fraue  dem^')  wirte  ee  das 
ir  der  herre  pey®')  gelige,  vnd  vindet  er  si  darnach  bey 
dem  selben  herren^  er  sol  ir  awer  nicht  tun,  oder  er  wirt 
schuldig  au  ir  vor  got.  oder  ob  ein  man  so  bösse  an 
seinem  mute   ist  das  sein  e  kon  gut  darumbe  nymmet  mit 


90)  B:  echte.    C:  ächte. 

91)  B:  einen. 

92)  B:  irm. 

9S)  B:  e  das  der  herre  bey  ir. 


Sockinger:  Sanäsehriflm  Bum  Sekwabenspiegel.  ^33 

seiiMin  willen,  dew  sol  gar  pilliolien  sicher  sein  vor  allem 
Tbel,  ynd  hallt  der  man  darzü   der  ir  das  gut  da  gibt. 

Vnd  ist  der  man  dirre  vier  dinge  vnschnldig,  so  püsset 
er  nieman^^)  ze  redit. 

Geschiecht  es  auch  ettwenn  vber  einer  ^^)  fraan  willen 
das  81  em  man  notzogt,  der  sol  ir  wirt  auch  an  irem  leibe 
nicht  tun.  der  man  wäre  im  zehen  tode  schuldig  wo  er  in 
begreiffen  mochte. 

9.    Ob  zwen  man  vmb  ein  sache  klagent. 

Vnd  ist  das  ein  man  vor  geridite  gelobt  ein  gewiszhait 
vmb  ein  sache,  vnd  komt  ein  ander  vnd  klagt  dem  richter 
auch  vber  den  selben  man  vmb  di  selben  sache  da  er  di 
gewiszhait-  vmb  gelobt  hat,  er  sol  im  nicht  antwurten  e  das 
er  ienem  empristet^^)  der  in  da  des  ersten  ansprach,  oder 
wiit  er  schuldig,  er  passet  awer  niewan  ^0  ^^iQ  einem  der 
in  bej  dem  ersten  an  sprach. 

Vnd  enbristet'*)  der^^)  im,  vnd  ist  dew  sache  dann 
ienes  der  in  da  änderstund  angesprochen  hat,  er  sol  im 
antwurten. 

Vnd  ist  dew  schulde  halbe  sein ,  er  sol  sich  an  ienen 
haben  det  da  behabt  hat. 

10.     Wie  man  pfenning  slahen  sol. 

Ditze  ist  von  valschen  münzzen.  es  stet  noch  mer  an 
disem  pudie  von  valschen  münssen. 

Ditz  püch'^)  hat  der  heilige  vnd  der  sälige  kaiser 
Earlt  geseczet  vber  die  di  valsch  pfenning  slahent. 

94)  B:  nicht. 

95)  B:  der. 

96)  B:  enbrichet 

97)  C:  er. 

98)  B:  nicht  wann. 

99)  B:  recht 

[1867.  IL2.]  i2 


334  SitMung  der  Mstor.  OäsH  vm  6.  Jtdi  1807. 

Welicheir  mansder  yalsch  pfennifig  Blecht,  dem  sol  mAn 
di  hant  absiahen. 

Wir  haissen  das  valsch  pfenning  di  in  dem  recht  nidit 
stendt  als  si  gesezet  sind,  si  sullen  also  weis  sein  das  Ton 
der  markch  nicht  enge  wann  ein  setin.  die  pfenning  süllen 
pfundig  sein,  nu  machent'  si  di  herren  ettwo  ringer.  wie 
si  di  herren  haissen  machen  ringer  oder  swärer,  also  süllen 
si  di  munzer  machen,  ynd  dehain  herre  hat  des  nicht  ge- 
walt  a0  rechte,  das  er  die  pfennig  an  der  weise  icht  anders 
machen  sali  wann  das  ein  setin  von  der  marchk  gee  so 
man  si  ze  silber  prennet.  ynd  sind  di  pfenning  icht^^^) 
anders,  so  sind  si  yalsch.  - 

Weliche  herren  si  haissen  anders  slahen  wann  als  hie 
geschriben  stet,  so  hat  er  des  riches  bald  verlorn. 

Vnd  ist  er  ein  pfaffen  furste,  so  sol  es  der  rönusch 
könig  dem  pabst  haissen  klagen,  der  sol  im  sein  recht  tun. 
nu  was  ist  sein  recht?  da  sol  in  der  pabst  degradiren. 
das  ist  also  gesprochen:  er  sol  im  all  sein  pfafflich  ere 
nemmen.  vnd  sol  darnach  der  römisch  kiinig  vber  in  richten 
als  vber  einen  välscher.  dem  gerichte  ist  also:  er  so]  im 
das  haubt  absiahen. 

Vnd  ist  er  ein  laie  der  di  mfinsse  also  geuelschet  hat, 
dem  sol  man  auch  das  haubt  absiahen. 

Man  sol  di  herre  dirre  sache  vberzeugen  nicht  anders 
wann^^'^)  mit  den  Pfenningen,  der  pfenninge  so  sol  man 
ein  mark  nemen,  vnd  sol  di^®^)  sezen  in  einen  tegel  in  ein 
glüt.  vnd  süllen  im  das  tun  vor  seinqn  äugen  das  er  es 
gelauben  müsse  vnd  sein  nicht  gelaugen  möge,  vnd  sol 
man  di  pfenning  prennen.  vnd  hant  si  ir  recht  nicht,  das 
mer  dann  ein  setin  von  der  markt  get,  so  sind  si  schuldig. 

Vnd  welich  münsser  si  siecht,    dem   sol  man  die  hant 

100)  B:  ichtes  icht.    G:  ichte  iht. 

101)  B:  moht  wäzm. 

102)  B:  (By. 


Bofikinger:  Hcutdichriften  Mum  SdiwabeMpiegd.  335: 

absiahen,     oder  welicber  Wechsler    oder  hausgenos    si  mit 
wissen  hin  wechselt,  der  hat  awer  die  hant  verloren. 

Vnd  wer  aadi  einen  gäben  pfenning  yerwir£fet  der  sein 
recht  hat  vnd  als  gut  ist  als  ich  iezo  gesprochen  han,  der 
ist  dem  gerichte^^^)  schuldig  vierzig  Schillinge  ^®^).  diselben 
Pfenning  sällen  dem  richter  halb  werden,  vnd  ienem  halbe 
des  dew  münsze  da  ist.  das  ist  recht,  wann  wer  einen 
guten  Pfenning  velschet  und  verwürffet,  der  hat  den  münser 
gefelschet.  seit  nu  der  mönsser  so  hohe '  püssen  müs  ob 
er  einen  valschen  pfenning  siecht,  so  wil  auch  er  das  man 
im  passe  der  in  einen  velscher  haisset  vnd  er  des  vnschuldig 
ist.  ye  doch  geschiecht  es  einem  ainualtigen  menschen  das  ^^^) 
nicht  pessers  wais  noch  kan,  da  hört  genade  yber. 

*  Welich  gemälde  ein  herre  an  sein  pfenninge  sezet,  vnd 
sezet  ein  ander  herre  dasselb  gemeide  an  sein  pfenninge,  di 
Pfenninge  sind  valsch,  vnd  ist  der  herre  ein  välscher.  vnd 
8ol  man  vber  in  richten  als  vber  ein  välscher. 

Vnd  ist  das  iener  nicht  pfenninge  hat  der  den  pfenning 
da  verwürflfet,  so  sol  man  vber  in  richten  ze  haut  vnd  ze 
har  bey  dem  höchsten,  das  sind  vierzig  siege  sol  man  im 
slahen^®^)  oder  an  einen  vierzig. 

11.     Ob  zway  dorffer  kriegent. 

Ob  zwai  dorffer  kriegent  vmb  ein  marche,  das  nächst 
dorf  das  da  bey  ligt  das  sol  sy  beschayden  mit  getzeugen. 
das  Süllen  sein  di  eltisten  vnd  di  besten,  weders  dorf  der 
getzeogen  mer  hat,  das  behabt  sein  marche. 

Mag  man  der  nicht  gehaben  di  also  alt  sind  das  si 
darmnb  nicht  enwissen,  so  sol  man  dise  marche  beschaiden 
als  das  lantrecht  püch  sagt. 


103)  B:  richter. 

104)  6:  eschillinge. 

105)  B:  einyeltigen  man  der. 

106)  B  schliesst  schon  hier  das  Kapitel. 

r—  22* 


336  SOtung  der  hiHar.  Qkuie  vim  €.  Mi  1867. 

Herr  Riebl  hielt  einen  Vortrag: 
„Ueber  Sebastian  Bach   und    dessen  Stellang 
zu  den  theologischen  Parteien  seiner  Zeit^^ 


Herr  KInckhohn  trag  vor: 
„Die  Wittenberger  Theologen   nach  Melanch- 
thon's  Tode". 


Herr  G.  Hofmann: 
Berichtigender  Nachtrag  zu  S.  171  dieses  Bandes 
der  Sitzangsberichte. 

Durch  die  Güte  des  Hm.  Bibliotheksekretärs  Aumer 
bin  ich  jetzt  in  den  Stand  gesetzt^  befriedigenden  Aafschlass 
über  den  Verfasser  des  arabischen  Zauberbachs  zu  geben. 
Er  theilte  mir  auf  mein  Ersuchen  Folgendes  mit:  „Der 
arabische  Verfasser  des  besprochenen  Zauberbuches  dürfte 
wohl  der  von  Hadji  Eh.  an  vielen  Stellen  erwähnte,  von 
Wüstenfeld  in  seiner  Geschichte  der  arabischen  Aerzte  p.  60 
and  120  besprochene  bekannte  Arzt  Abu  Dschafar  Ahmed 
b.  Ibrahim  Ibn-ul-Dschezzär  (Dschezzär  hat  nämlich  dieselbe 
Bedeutung  wie  QaQ(äb)  sein.  Im  Verzeichnisse  seiner 
Schriften  a.  a.  0.  ist  auch  ein  „Liber  experimentorum'* 
und  weiters  „Experimenta  medica"  angeführt" 


Oeffmäiehe  Sifgung  vom  si  JtUi  18S7.  837 


Oeffentliche  Sitzung  der  k.  Akademie  der  Wissen- 

schaflben 

zur  Vorfeier  des  Allerhöchsten  Oeburts-  und 

Namensfestes  Sr.  Majestät  des  Königs  Ludwig  II. 

am  26.  Jali  1867. 


Nach  den  einleitenden  Worten  des  Vorstandes  der 
k.  Akademie  der  Wissenschaften,  Herrn  Geh.-Rathes  Baron 
y.  Liebig  wurden  folgende  Wahlen  yerkündet: 


A.    Als  Ehrenmitglied: 

Seine  Kaiserliche  Hoheit  Herr  Herzog  Nicolaus  von 
Leuchtenberg,  Präsident  der  mineralogischen  Gesellschaft  in 
St  Petersburg. 

B.    Als  auswärtige  Mitglieder: 
a.    Der  philosophisch-philologischen  Classe: 

1)  Dr.  Eduard  von  Kausler,  Vicedirector  des  k.  Württemberg. 
Haus-  und  Staats-ArdiiTes  ia  Stuttgart. 


338  Oeffmaiche  Sitsung  wm  25.  Jtäi  1867. 

2)  Gavaliere  Giovanni  Battista  de  Rossi  in  Rom. 

3)  Wilhelm  Henzen  aus  Bremen,  Profeesor  in  Rom. 

4)  Charles  Newton,  Archäolog  in  London. 

b.    Der  mathematisch-physikalischen  Classe: 

1)  Carlo  Matteucd,  Professor  der  Chemie  in  Florenz. 

2)  Arcangelo  Scacchi,   Professor  der  Mineralogie  in  Neapel. 

c.    Der  historischen  Classe: 

1)  Marchese  Oino  Capponi  in  Florenz. 

2)  Franz  August  Mignet,  Sekretär  der  Akademie  der  Wissen- 
schaften in  Paris. 

3)  Dr.  Wilhelm  Röscher,  Professor  in  Leipzig. 

4)  Alexandre  Herculano  de  Carvalho  in  Lissabon. 

C.    Als  correspondirende  Mitglieder: 
a.    Der  mathematisch-physikalischen  Classe: 

1)  Don  Ramon  Torres  Munoz  de  Luna,  Professor  der  Chemie 
an  der  Central-Umyersität  in  Madrid. 

2)  Pater  Angelo  Secchi  in  Rom,    Vorstand    der  Sternwarte 
des  CoUegium  Romanum. 

3)  Henri  Hureau  de  Senarmont,    Professor  der  Mineralogie 
an  der  ecole  des  mines  in  Paris. 

4)  Friedr.  Ant.   Wilh.  Miquel,    Professor   der  Botanik   in 
Utrecht. 

5)  Filippo  Pariatore,  Professor  der  Botanik  in  Florenz. 


NeuwaHen.  839 

b.    Der  historischen  Glasse: 

1)  De  Leva,  Professor  in  Padaa. 

2)  Dr.  Georg  Voigt,    Professor  der  Geschichte  an  der  Uni- 
yersität  zu  Leipzig. 

3)  Dr.  Ottokar  Lorenz,    Professor  der  Geschichte    an   der 
Universität  zu  Wien.  • 

4)  Dr.  Max  Biidinger,  Professor  der  Geschichte  an  der  Uni- 
versität zu  Zärich. 


Hierauf  hielt  Herr  Brunn,   ordentliches  Mitglied  der 
philosoph.-philologischen  Classe,  einen  Vortrag  über 

„die   sogenannte    Leucothea    der    Glyptothek 
Sr.  Majestät  des  Königs  Ludwigs  L". 

Diese  Bede  ist  im  Verlage  der  Akademie  erschienen. 


840  Emendungm  vm  2)mck8ehnftm, 


Einsendungen  von  Druckschriften. 


V(M  der  Univemiät  in  KüHi 
Schriften  der  Universität  aas  dem  Jahre  1866.  Band  13.  1867.    4 

Von  der  haieerl  LeopMino-Carolinisthm  dmtathen  Akademie  der 
Naturforseher  in  Dresden: 

Yerhandlangen.    82.  Band.    2,  Abtheilong.  1867.    4. 

Vom  Hennebergisehen  äUerihumsforschenden  Verein  in  Meiningen: 

Nene  Beiträge  slur  Qeiohiohte  deateohen  AUerthnais.    8.  Lieferang. 
1867.    8. 

Vom  Oewerhe-Verein,  naiurforschenden  Gesdlschaft  und  hienenwirihr 
schafUichen  Vereine  in  JJUenburgi 

Mittheilnngen  aus  dem  Osterlande.  18.  Bd.  1.  nnd  2.  Heft   1867.    8. 

Von  der  pfäUischen  Gesellschaft  für  Phofmaeie  in  Speyer'. 

Neues  Jahrbuch  für  Pharmacie  und  verwandte  Fächer.    Zeitschrift. 
Bd.  28.  Heft.  1. 2.   Juli  und  August   1867.    8. 

Von  der  deuUehen  morgenländischen  Oesdhchaft  in  Leipzig: 

a)  ZeiUchrift.    21.  Bd.  1.  und  2.  Heft.  1867.    8. 

b)  Indische  Studien.    Beiträge  für  die  Euode  des  indischen  Alter- 

thums.  10.  Bd.  1.  Heft.  1867.    8. 


£fitaefi(2tifijrefi  txm  Druektckriften.  341 

Vtm  ätr  deutickm  pu^i^tkm  OeäeOsekaft  in  BerKn: 
Zeitschrift.    19.  Band.  1.  Heft.   Novbr.  Dezbr.  1866.  Jan.   1867.    8. 

Vom  Verein  für  siehenbikrgische  Landeskunde  in  Hermatmetadt: 

a)  Archiv.    Neue  Folge.    6.  Band  8.  Heft.    7.  Band  1.  nnd  2.  Heft. 

1866.    8. 

b)  Jahresbericht.  Yereinsjahr  1864. 65   und  1865. 66.  8. 

o)  Siebenbürgisch- sächsische    Yolkslieder,     Sprichwörter,     Rathsel, 
Zauberformeln  und  Kinderdichtungen.  Von  Friedr.  W.  Schuster. 

1865.  8. 

d)  Siebenb^gisehe  Chronik  des  Schässburger  Stadtschreibers  Georg 

Kraus.    IL  TheiL  Wien.  1864.    8. 

e)  Die  Romischen  Inschriften  in  Dacien.    Von  Michael  Ackner   und 

Friedrich  Müller.  1865.    8 

f)  Flora  transsilvaniae  excursoria.    Auetore  Miohaele  Fuss.  Gibinii. 

1866.  8. 

g)  Plan  zu  den  Vorarbeiten  far  ein    Idiotikon  der  siebenbürgisch- 

sächsischen  Volkssprache.    Kronstadt  1865.    8. 

Vom  phyeikaUschen  Verein  in  Frankfurt  a.  M. : 
Jahrssbericht  ftLr  das  Rechnungsjahr  1865. 66.    8. 

Von  der  geologischen  Beichsanstdlt  in  Wien: 
Jahrbuch.    Jahrg.  1867.  17.  Bd.  Nr.  2.  April,  Mai,  JunL  1867.    8. 

Von  der  k.  preussischen  Akademie  der  Wissenschaften  in  Berlin: 
Monatabericht    Mai  Juni  1867.    a 

Von  der  Universitäi  in  Heiddberg: 

Heidelberger  Jahrbücher  der  Literatur.    Unter  Mitwirkung  der  vier 
Fakaltäten.    60.  Jahrgang.    4.  5.  6.   und   7.  Heft.    April— JuU. 

1867.  a 


342  Eimendungm  von  JDruckschfiften, 


V<m  Verein  füir  GesehiehU  und  AUerÜhumktmde  Westpheiens  tu 

Müneter: 

a)  Zeitschrift  für  vaterländische  Geschichte  and  Alterthnrnskonde 

8.  Folge.    5.  und  6.  Bd.  1865.    8. 

b)  Beitrage  zur  Geschichte  Westfalens.  Paderborn.  1866.    4. 

Von  der  Bedaktion  des  Correepondenjisblattes  für  die  gdehrten  und 
Beälechulen  Württembergs  in  Stuttgart: 

Correspondenzblatt  Nr.  6.  6.  7.  8.    1867.    Q. 

Von  der  naturforschenden  Gesdlschaft  in  Emden: 
52.  Jahresbericht.  ,1866.  1867.    8. 

Vom  Museum  Franziseo  Cardlinum  in  Lins: 
ürknndenbach  des  Landes  ob  der  Ens.  4.  Bd.  Wien  1867.    6. 

Von  der  Gesellschaft  der  Aerste  in  Wien: 
Medizinische  Jahrbücher.  14.  Bd.  23.  Jahrg  4.  Heft  1867.    8. 

Von  der  physikaUsch-mediginischen  Gesellschaft  in  Würghurg: 
Würzburger  medizinische  Zeitschrift.    7.  Bd.  4.  Hft.  1867.    8. 

Vom  h.  sächsischen  Verein  für  Erforschung  und  Erhaltung  voler- 
ländischer  Geschichts-  und  Kunstdenkmaie  in  Dresden: 

Mittheilungen.    17.  Heft.  1867.    a 

Vom  Verein  für  Geschichte  der  Mark  Brandenburg  in  BerUn: 
Märkische  Forschungen.    10.  Bd.  1867.    a 

Vom  thüringisch-sächsischen  Verein  für  Erforschung  des  vatedänäir 
sehen  JUerthums  und  Erhaltung  seiner  Denkmäler  in  Haue: 

Neue  Mittheilungen  aus  dem  Gebiete  historisch-antiquarischer  Forsch- 
ungen. 11.  Bd.  1.  2     1865.  67. 


Einsendungen  von  Druckschriften.  348 

V<m  der  TMchia,  neOurufissenschäfilicher  Verein  der  EheinpfdU  in 

Dürkheim : 

t)  32.--24.  Jahresbericht.  1866.    8. 

b)  YerzeichnisB    der    in   der  Bibliothek    der  Pollichia   enthaltenen 
Bücher.  1866.    8. 

Vom  Mährischen  Landes-Äusschuss  in  Brikm: 
Urkttndenbmch  der  Familie  Tenfenbach.  1867.    4. 

Vom  VoigÜändiscTien-aUerlhumsforschenden  Verein  in  Eohenleüben: 
87.  Jahresbericht.    Weita  1867.    8. 

Vom  historischen  Verein  ßr  Niedersachsen  in  Hannover: 

a)  Zeitschrift.    Jahrgang  1866.  1867.    8. 

b)  ürkondenbuch.    Heft.  7.  1867.    8. 

c)  Katalog  der  Bibliothek  des  historischen  Vereins  für  Niedersaohsen. 

1866.    8. 

Van  der  hndwirihschaßichen  Centrdlschüle  in  Weihenstephan: 
Jahresbericht  14.  pro  1865. 66.    15.  pro  1666. 67.   Freising  1867.    8. 

Von  der  k,  piMfsikalisch-ökonomischen  Gesellschaft  in  Königsberg: 

Schriften.    6.  Jahrg.  1865.  2.  Abthlg. 

7.  Jahrg.  1866   1.  und  2.  Abtheilung.  1865.  66.    4. 

Von  der  k.  k.  mährtsch-schlesischen  Gesdlschaft  zur  Beförderung  des 
Ackerbaues,  der  Natur-  und  Landeskunde  in  JBrämi: 

a)  Schriften  der  histor.-statistischen  Sektion.    15.  Bd.  1866.    8. 

b)  Zur  Geschichte  des  Bergbaues  und  Hüttenwesens  in  Mahren  und 

Oesterr.  Schlesien.    Von  Ritter  Delvert.  1666.    8. 

Von  der  sehUsisehen  Gesellschaft  für  vaterländische  Kultur  in  Breüau: 
44.  Jahresbericht  vom  Jahre  1866.  1867.    8. 


944  EinBendungm  v<m  DrueUchrifkn, 

Vtm  hi8tf>ri8(^ieH  Verein  füir  Steiemarh  «m  OraU: 

a)  Mittheilangen.    15.  Heft.  1867.    8. 

b)  Beiträge  zur  Kunde  Bteiermärkisclier  Geschichtsqaelleii»  4.  Jahrg. 

1867^   a 

Von  der  AcadSmie  des  seiences  in  Baris: 

a)  Comptes  rendus  hebdomadaires  des  seances. 

Tom  64.  Nr.  20—25.  Mai  Juin  1867. 

Tom  65.  Nr.  1^6  Juillet  1867.    Vol.  66  Nr.  8.  9.  1867.    4. 

b)  Tables  des  comptes  rendus  des  s^anoes.  Denxiöme  Semesire  1866. 

Tom  63.  1867.    4. 

Van  der  geologischen  Commission  der  schweieerischen  nakurforschenden 
Oesdlsehaft  in  Bern: 

Beitrage  zur  geologischen  Karte  der  Schweiz. 

3.  Lieferung.    Die  südöstlichen  Gebirge  von  Granbünden. 

4.  Lieferung.    Geologische  Beschreibung  des  Aargauer-Jura  und 
der  nördlichen  Gebiete  des  Canton  Zürich.    Von  C.  Moesch. 

5.  Lieferung.    Textband.    Tafeln  und  Karte  zur  5.  Liefemngf. 
1866.67.    4. 

Vom  Mituto  technico  in  Palermo: 

Giomale  di  scienze  naturali  economiche. 

Toi.  2.  Anno  1866.  Fase.  2.  8.  und  4.  1866.    4. 

Von  der  Accademia  ddlt  scienee  in  Turin: 

a)  Memorie.    Serie  seconda.  Tom.  22.  1865.    4. 

b)  AttL    Yol.  1.  Disp.  3—7  gennaio  e  giugno  1866. 

'„     2.     „      1.  2.  3.  novbre  e  decembre  1866.    gonnaio, 
>  febraio  1867.    6. 

Von  der  SociM  imperiale  des  nc^ttfäUstes  in  Moscau: 

Bulletin.    Annee  1866.  Nr.  2.  3.  4. 

„      1866.  Nr.  1.    a  ' 


Eintendungen  von  Druekschrift^,  345 

Van  der  Jcadimk  impMaU  des  scienees  in  £K.  JMmImrg: 

8)  M&noires.    Tome  10.  Kr.  8—16.    1866.    4. 

b)  BaUetin.    Tom  10.  Nr.  1—4. 

„     11.  Nn  1  und  2.    1866.    4. 

c)  MelangOB  pliyBiques  et  ohimiqaes.    Bulletin.  Tom.  6.    1865.    8. 

Von  der  Aceademia  pontificia  dt?  nucvi  Uncei  in  Born: 

Atti.    Anno  19.    Sesnone  I.  Decbr.  1866. 

„     19.  „       1.— 7.  Gennaio— Gingno  1866.    4 

Von  der  Sternwarte  in  Bern: 
Meteorologische  Beobachtungen.    Septbr.   Oktober.  Noybr.  1866.    4. 

Von  der  naturforeehenden  Oeedbduxft  in  Zürich: 

Tierte^ahr89chrift.    9.  Jahrg.  1.-4.  Heft.  1864. 

10.  „       1.— 4.     „      1666. 

11.  „       1.— 5.     „      1866.    8. 

Von  der  Acadtmie  roydk  de  midedne  de  Bdgique  in  Brüsed: 
Bulletin.    Annee  1867.  8.  Serie.  Tom.  1.  Nr.  8.  4.  6.  6.  1867.    a 

Von  der  Acadhnie  royde  des  eciencea  des  letires  et  des  heaux-arts  de 
Bdgigue  in  Brüssel: 

Bulletin.    86.  annee.  2.  S^rie.  Tom.  24. 

Von  der  historischen  Gesellschaft  in  Basel: 

Die  Schlange  im  Mythus  und  Cultus  der  classischen  Völker.  Von 
J.  Maehly.  Der  naturforschenden  Gesellschaft  ?on  Basel  sur 
Feier  ihres  50jährigen  Bestehens.    1867.    8. 

Von  der  anHguarischen  OeseOschaft  in  Basel: 

Ueber  die  Minerven  Statuen  von  Dr.  Bernyalli.  Der  naturforschen* 
den  Gesellschaft  von  Basel  eur  Feier  ihses  50jährigen  Bestehens. 
1867.    8. 


346:  Eimenäungen  van  Druekschrifien. 


Von  der  anHquairiicheH  Qe^elkchaft  ßr  vaterländische  AUerthümer  m 

Zürich: 

a)  Mittheilungen,    Bd.  16.  Heft  7.  Pfahlbauten.  6.  Bericht.  1866.    4, 

b)  „  31.  Aventicum  Helyetiomin.  1867.    4. 

Vom  historischen  Verein  des  Cantons  Bern: 
Archiv.    6.  Bd.  1.  2.  3.  Heft.  1867.  .  8. 

Von  der  Äsiatic  Society  of  Bengäl  in  Calctata: 

a)  Proceedings.    Title,  index  and  appendix  for  1865. 

Nr.  4—12.  May— Dec.  1866. 
Nr.  1.    January,1867.     1866.    8. 

b)  Bibliotheca  Indica  a  collection  of  oriental  works. 

Nr.  216.   217.    New  Series.    Nr.  88.    93.   96.  97.  98.    1866.    8. 

Von  der  gecHogicäl  Survey  of  India  in  Cälcutta: 

a)  Memoirs.    Palaeontologia  Indica.    8.  10 — 13.    The  fossil  Gephalo- 

poda  of  the  cretaceous  Roks  of  Southern  India.  1866.    4. 

b)  Memoirs.    Vol.  5.  p.  2.    Wynne.    On  the  Geology   of  the  Island 

of  Bombay.  1866.    8. 

c)  Memoirs.    Vol.  ö.  p.  3.  Hughnes.  T.  W.  H.    On  the  structure  of 

the  Jherria  Coal-Field.   Stoliczka,  Ferd.  Geological  observationB 
in  Western  Tibet.    1866.    8. 

d)  Annual  Beport.    Tenth  year  1865.  66.    8. 

e)  Catalogue  of  the  meteorites.    In  the   museum  of  the  geological 

survey  of  India.     1866.    8. 

f)  Catalogue  of  the  organic  remains  belonging  to  the  Cephalopoda. 

1866.    8. 

Von  der  SociHi  royoXe  des  sciences  in  Lüttich: 
Memoires.  2.  Serie.    Tom  1.    1866.    8. 

Von  der  SociHi  d' Anthropologie  in  Paris: 

Bulletins.    Tom  1.    2.  Serie;  5*»*  Fascicule.  Juillet— Decembre  1866. 
Tom  II.  2.  S6rie.  1  Fascicule.  Jan.— Mars  1867.    iB. 


Einaenäimgen  von  Dmck$efmften.  347 

Van  der  Chemiedl  Society  in  London : 

Journal.    Ser.  2.  Vol.  4.  Ootbr.— Deobr.  1866. 

„    2.    „     6.    January—Jime  1867.    8« 

Von  der  Royal  Oeographtecd  Society  in  London: 
Proeeedings.    Yol.  11.    Nr.  2.  1867.    8. 

Von  der  Geologieäl  Society  in  London: 
Quarierly  Jonm^    Vol.  23.  Part  2.  Nr.  90.  Mai  1867.  1.    8. 

Von  der  Sociiti  Vaudoiae  des  aciencee  natwrdUa  in  Lausanne: 
Bulletin.    Yol.  9.  Nr.  56.  67.  Deoembre  1866.  Juin  1867.    8. 

Von  der  dänischen  Oeseüschaft  der  Wissenschaften  in  Kopenhagen: 

Forbandlinger  og  dets  Medlemmers  Arbeider  i  Aaret  1866.  Nr.  4 

„      „      1866.  Nr.  2^-6 
„      „      1867.  Nr.  1—8 

Von  der  Provindaai  Utreehtsche  Oenootschap  van  Künsten  an  Weten^ 
schappen  in  Utrecht: 

a)  Aanteekeningen  van  het  yerhandelde  in  de  Sectie-  yergaderingen, 

gebouden  in  hei  jaar  1866.    8. 

b)  Yerslag  van  het  yerhandelde  in  de  algemeene  Yergadering  ge- 

bouden den  17.  Oktober  1866.    8. 

c)  De  wettelijke  Bew^jsleer  in  Strafzaken  door  Mr.  W.  Modderman.* 

1867.    8. 

Vom  Swrgeon  OeneräPs  Office  in  Washington: 

Reports  of  Byt  Brig.  Gen.  D.  C.  Mc.  Callum  and  the  proyost  mar* 
sbal  Generals.    Pari.  1.  2.  1866.    8. 

Von  der  Universität  in  Leyden: 
Annales  Academici  1862.63.  Lngduni-Batayomm  1866.    i. 


348  Einsendungen  van  Dfucksi3iriften. 

Von  der  SöcUU  HoUandaiiee  des  seienees  in  Harkm: 

a)  Archives  Neelandaisos  deis  scienoes  ezactes  et  noturellas. 

Tom  1  und  1  /5""«  livraison. 
„     2    „     1  und  2.  livraison.    1866.  67.    8. 

b)  Natuarkondige  Yerhandeliiigen.    20.  22.  24.  Deel.    i. 

c)  Beiträge  zur  Eenntniss  der  Feldspathbildnng  Yon  C.  F.  Weiss.  Ge- 

krönte Preisschrift.     1866.     4. 

d)  üntersnchnngen  über  die  Form  des  Beckens  javanischer  Frauen 

von  Dr.  T.  Zaaijer.  1866.    4. 

e)  Die  Basaltbildung  in  ihren   einzelnen  Verbänden   erläutert  von 

L.  Dressel.  Preisschrift.  1866.    4. 

Von  der  B.  Aecademia  economico-agraria  d^  Oeorgoßi  in  Floren» : 

a)  Continuazione.    Nuova  Serie  Vol.  18.  Disp.  3  und  4.  1866. 

„  „        „     14.      „     1.  1867.  Nr.  47-49.  8. 

b)  Parte  istorica  1867.    Dispensa  1.  2.    1867.    8. 

Vom  Verein  für,  Geschichte  und  AUerthümer  in  Odessa: 

Sapiski  Odesskago   obschtscheotwa.    Denkwürdigkeiten   des  Vereins. 
•     Bd.  6.    18^7.    4. 

Von  der  SociHi  de  Physique  et  d'histoire  natureße  in  Oenf: 
2f6moires.    Vol.  19  p.  1.  1867.    4. 

Von  der  SocieU  d*histoire  de  la  Suisse  Bomande  in  Lausanne: 
Mömoires.    Vol.  22.    1867.    8. 

Vom  Lyceum  of  Naturcd  History  in  New-Yorh: 
Annais.    Vol.  8.  Nr.  11.  12.  18.  14.  1867.    a 

Von  der  Ccdifomia  Aeademy  of  Natural  SeisneH  in  Sem  Francisco: 
Proceedings.    Vol.  3.  p.  2.  8.    1864—66.    8. 


EhMendungen  van  Druekachr^Un.  349 

Von  der  Historical  Society  of  Penneylvania  in  NeuhYcfk- 

Thirty  eight  annual  r^port  of  the  Inspeotors    of  the  State  Peniten- 
tiary.  1867.    8. 

Vom  Ofßce  of  ihe  American  Ephemeris  and  NauHcai  Jlmanae  in   * 
Washington: 

Schubert.    Tables  of  Ennomia.    1866.    4. 

Vom  Bureau  of  Navigation  in  Washington: 

The  American  Ephemeris  and  Nautical  Alraanac  for  the  year  1868. 
1866.    4. 

Von  der  American  Academy  of  Arts  and  Sdencee  in  Boston: 
Proceedings.    Vol.  7.  Bogen  18—23.  1866.    8. 

Von  der  Academy  of  Natural  Sciences  of  Philadelphia: 

a)  Proceedings.    Nr.  1—5.  Jana— Decbr.  1866.  1867.    8. 

b)  JoamaL    New  Series.  Vol.  6  p.  1.  1866.    4. 

Vom  Observatory  of  Harvard  Cöüege  in  Cambridge: 
Annais.    Yol.  2.  p.  2.  1854r-1855.  1867.    4. 

Von  der  National  Academy  of  Sciences  in  Washington: 
Memoirs.    Vol.  I.  1866.    4. 

Vom  Ohio  State  Board  of  AgricuUure  in  Cchmbus  Ohio: 
20.  Jahresbericht  für  das  Jahr  1865.     1866.    8. 

Vom  Essex  Institut  in  Salem,  MassacK: 

Proceedings.    Vol.  4.  Nr.  IS,  Jan.-Decbr.  1866. 
„    5.  Nr.  1.  2.  1805—66.     8. 
[1867.  II  2.]  23 


350  Einsendungen  von  Druckschriften. 

Von  der  Boston  Society  of  Natural  History  in  Boston-, 

a)  MemoirB.    Vol.  1.  p.  1.  2.  1866—67.    4 

b)  Proceedings.    Vol.  10.  Bogen  19—27.  Schlues. 

„     11.        „       1—6.     1866.     8. 

c)  Gondition  and  Doings  May  1866.    8. 

Von  der  Connecticut  Äcademy  of  Ärts  and  Sciences  in  New-Haven: 

a)  Transactions.    Vol.  1.  p.  1.  1866.    8. 

b)  The  American  Journal  of  Arts  and  Sciences. 

Vol.  42.    Nr.  124—126. 
„    43.    Nr.  127—129.     1866—67.    8. 

Von  der  Smithsonian  Institution  in  Washington: 

a)  Smithsonian    Miscellaneous   Collections.     Vol.  6.  7.  1867.     8. 

b)  Annual  Report  of.the  Board   of  Regents    of  the  Smithsonian  In- 

stitution for  the  year  1865.  1866     8. 

c)  Pumpelly,  Geological  Researches  in  China,   Mongolia  and  Japan 

during  the  years  1862   to  1865.  1866.    4 

Vom  United  States  Navai  Observatory  in  Washington: 
Astronomical  Observations  during  the  year  1851  and  1852.  1867.    4. 

Vom  Secretary  of  War  in  Warhington: 
Report,  with  aecompany  in  papers.  1866.    8. 

Von  der  Natural  History  Society  of  Montreal: 
The  Canadian  Naturalist  New  Series  Vol.  3  Nr.  1.  1866.    8. 

Von  der  Commission  hydromitrique  in  Lyon: 

ResumS  des  Observations  recueillees   dans  les  bassins  de  la  Saone, 
du  Rhone  et  quelques  autres  r^gions.    1866 — 23™*  Annee.    8. 

Vwn  Bedle  Istüuto  Lomhardo  di  sdenze  e  lettere  in  Mailand: 

a)  Memorie.    Classe  di   scienze   matematiche  e  natarali.    Vol.   10. 
1.  Della  Serie  8.    Fascicolo  3.    1866.    4. 


Einsendungenjcon  Druckschriften.  351 


b)  Memorie.    Glasse  di  lettere  e  soiense  morali  e  politiche.  Vol.  10. 

1.  Della  Serie  3.  Fase.  3.  4.   186G.     4. 

c)  Rendiconti.    Classe  di  scienze  matcmatiche  e  naturali. 

Vol.  2.  Fase   9—10.     Septbr.— Decbr.  1865. 
„    3.      ,,      1—9.    Gennajo— Novbr.  18G6.    8. 

d)  Rendiconti.    Classe  di  lettere  e 'scienze  morali  e  politiche. 

Vol.  2.  Fase.  8—10.     Agosto- Decbr. 
„    3.      „      1—10     Gennajo— Decbr.  1866.     8. 

e)  Solenni  Adunanze  del  7.  Agosto  1866     8. 

f)  Annuario  1866.     8. 

g)  II  secondo  congreaso  intemazionale  sauitario  ed  il  regno  d^Italia. 

1866.     8. 


Vom  Herrn  Bruno  Hüdebrand  in  Jena: 

Statistik  Thüringens.  Mittheilungen  des  statistischen  Bureaus  ver- 
einigter thüringischer  Staaten.  Band  1.  2.  und  3.  Lieferung. 
1867.     4. 


Vom  Herrn  Christ  L'assen  in  Bonn: 
Indische  Alterthumskunde.     1.  Bd.  2.  Hälfte.  Leipzig  1867.    8. 

Vom  Herrn  Ä,  Grunert  in  Qreifmodld: 

Archiv  der  Mathematik  und  Physik.  46.  Tbl.  4  Hft. 

47.    „      1.  u.  2.  Hfl.  1866. 67.  8. 

Vom  Herrn  E.  Ciausius  in  Braunschweig: 

Abhandlungen   über  die  mechanische  Wärme-Theorie.     2.   Abthlg. 
1867.     8. 

Vom  Herrn  H.  Knoblauch  in  Hätte: 

a)  üeber    die    Interferenzfarben    der  strahlenden   Wärme.     Berlin. 

1867.     8. 

b)  üeber  den  Durchgang   der  Wärme  und  Lichtstrahlen   durch  ge- 

neigte diathermane  und  durchsichtige  Platten     Berlin  1866.    8. 

23* 


362  Einsendungen  von  Druckschriften, 


Vom  Herrn  C.  NcU  in  Frankfurt  a,  M.: 

Der  zoologische  Garten.    Zeitschrift  für   Beobachtung,   Pflege   und 
Zucht  der  Thiere.     8.  Jahrg.  1867.    Nr.  1—6.    Jan.— Juni.     8. 


Vom  Herrn  J.  JB.  Mayer  in  Stuttgart: 
Die  Mechanik  der  Warme.  1867.    8. 

Vom  Herrn  Äug.  Mor.  Franke  in  Dresden: 

Neue  Theorie   über  die  Entstehung  der   krystallinischen  Erdrinde- 
schichten.   8. 

Vom  Herrn  Theodor  Pgl  in  Greif swcdd: 
Pommersche  Geschichtsdenkmäler.    Zweiter  Band.  1867.    7. 

Vom  Herrn  J,  Dienger  in  Braunschweig: 
GnmdrisB  der  Varia tions-Rechnung     1867.    8. 

Vom  Herrn  C.  H  Davis  in  Washington: 

Astronomical  and  meteorological  observations   made   at   the   united 
states  naval  observatory  during  the  year  1864.  1866.    4. 

Vom  Herrn  Gustav  Hinrichs  in  Jowa: 

Atomechanik  oder  die  Chemie  eine  Mechanik  der  Panatome.    Jowa- 
City  1867.    4. 

Vom  Herrn  Boucher  de  Perthes  in  Paris: 

0 

Des  idees  innees:  de  la  memoire  et  de  l'instinct.  1867.    8.     ' 

Vom  Herrn  F.  J.  Pictet  in  Genf: 

M^langes  Pal^ntologiques.    Deuxieme  Livraison.   Faune  de  Berrias. 
18C7.    4. 


Einsendungen  von  Druckschriften.  353 


Vom  Herrn  C.  Piaszi  Smyth  in  Edinburgh: 

Life  andworth  at  the  great  pyramid  during  tho  montlis  of  January, 
February,  March,  and  April  with  a  discussion  of  tbe  facta  ascer- 
tained.    Vol.  1.  2.  3.  1867.    8. 


Vom  Herrn  Bohert  Main  in  Oxford: 

Astronomical  and  meteorological  observations  made   ad   tbe  radliffe 
observatory  Oxford  in  the  year  1864.  Vol   24.  1867.    8 


Vom  Herrn  P.  Duchartre  in  Paris: 

Elemens  de  Botaniqae,  comprenant  Tanatoraie,  Torganograpbie,  la 
Physiologie  des  Plantes,  les  familles  naturelles  et  la  geographie 
botanique.  1867.    8. 

Vom  Herrn  (7.  M.  Marignac  in  Paris: 

Essais  sar  la  Separation  de  PAcide  Niobique  et  de  l'Acide  Titanique 
analyse  de  Paesobynite.     8. 

Vom  Herrn  G.  J.  Adler  in  New- York: 

a)  Wilhelm  von  Hnmboldt'a  linguistical  stiidies.  1866.     8. 

b)  The  poetry  of  the  Arabs  of  Spain.  1867.     8. 

Von  den  Herren  W.  Fischer,  H  Schweizer-Sidkr  und  Kiessling  in 

Basel: 

Neues  schweizerisches  Museum.  Zeitschrift  für  die  humanistischen 
Studien  und  das  Gymnasialwesen  in  der  Schweiz.  6.  Jahrgang. 
3.  Vierteljahrlieft.     1866.    8. 

Vom  Herrn  Balda^sare  Poli  in  Mailand: 

a)  Del  lavoro  messe  a  capitale  e  della  sua  applicazione   agli  scionzi 

ati  e  letterat i  italiani     8. 

b)  Süll'   insegnamento    dell  economia   polilica    e    sociale   in  Inghil- 

terra,    8. 


354  Einsendungen  von  Druckschriften. 


Vom  Herrn  Luigi  Magrini  in  Maüand: 

Sulla  importanza  dei  cimelij   scientific!    e  dei   manoscritti   di   Ales- 
ßandro  Volta.  1864.     8. 


Vom  Herrn  E,  W.  Ludeking  in  Heidelberg: 

Natuur  en  Geneskundige  Topographie  van  Agam  (Westkust  van 
Sumatra).  Sgravenhage  1867.    8. 

Vom  Herrn  Ernest  Trumpp  in  Pfulinffen: 

SindhlLiterature.  The  divan  of  Abd-Al-Latif.  Shah,  known  by  the 
name  of  Shaha  J5  Risälo.  Leipzig  1866.    8. 

Vom  Herrn  Giuseppe  Milani  in  Maüand: 
Sulla  scrofola.  1862.    8.  < 

Vom  Herrn  Studer  in  Bern: 

Die  Chronik  des  Mathias  von  Neuenburg.  Nach  der  Berner-  und 
Strassburgerhandschrift  mit  den  Lesarten  der  Ausgaben  von 
Cuspinian  und  Urslisius.  Zürich  1867.     8. 

Von  den  Herren  Hirsch  und  Pla}itawour  in  Genf: 
Nivellement  de  precision  de  la  Suisse.     1864.    4. 

Vom  Herrn  A.  Scacchi  in  Neapel: 

a)  Sulla  poliedra  delle  faccie  dei  cristalli.  1362.     4. 

b)  Mcmorie  geologiche  sulla  Campania  e  relazione  deir  incendio  ac- 

caduto  nel  Vesuvio  nel  mese  di  Febbrajo  dei  1850.     4. 

c)  Della  polisimmetria  dei  cristalli.   1867.  •  4. 

d)  Sülle  combinazioni  della  litina  con  gli  acidi  tartarici.  1866.     4. 

e)  Esperienze  sul  cambiameuto  dei   cristalli  di  nitrato  di  strontiana 

idrato  in  cristalli  anidri  e  di  questi  in  quelli.     4. 

f)  Prodotti  chiuiici  cristallizzati  spediti  alla  esposizione  universale  di 

Parigi.  1867.     4. 

g)  Dei  Bolfati  doppi  di  mangauese  e  potassa.  1867.    4. 


Einsendungen  von  Druckschriften,  355 


h)  Della  humite  e  del  peridoto  del  Yesavio.    1850.    4. 

i)    Della  polisimmetria  e  del  polimorfismo  dei  cristalli.   18(i5     4. 

k)  Dei  tartrati  di  stronziana  e  di  barite.  1863.    4. 

1)  Del  paratartrato  ammonico-sodico.  1865.     4 

Vom  Herrn  Cristoforo  Negri  in  Florenz-, 

a)  La  Btoria  politica  dell'  antichita  peragonata  alla  moderna.  Vol.  1. 

2.  3.     1867.     8. 

b)  Memorie  storico-politiche  sngli  antichi  greci  e  romani.   1864.     8. 

Vom  Herrn  M.  Ä.  Quetelet  in  Brüssel: 

a).  Memoire  sur  la  temperatare  de  Vair  a  Bruxelles.   1867.    4. 

b)  Meteorologie  de  la  Belgiquo  comparee  a  celle  da  globe.  1867.    8. 

c)  Cominanications.     Sor  le  17.  volume  des  ancales  de  Tobservatoire 

royal  de  Bruxelles.  1866.    8. 

d)  Deux  lettres  de  Charles-Quint  a  Francoia  Rabelais.   1866.    8. 

e)  De  lois  mathematiqaes  concernant  les  eioiles  filantes.     8. 

f)  Commanications.     Observations  des  etoiles  filantes  periodiques  de 

Novembre  1866.    8. 

g)  Etoiles  filantes.   Pablication  des  annales   meteorologiques  de  Tob- 

Bervatoire  royal.  Sur  Tbeliographie  et  la  seien ographie.  Orages 
observes  a  Bruxelles  et  a  Louvain  du  7.  Fevrier  jusqu^a  la  fin 
du  Mai.     8. 

Vom  Herrn  Emilio  Boncaglia  tu  Modena: 
niQsioni  commedia.    8. 

Vom  Herrn  Giordlamo  Galaissini  in  Modena: 

^q\  miglioramento  delle  condizioni  fisicbe   e  morali   del   proletario 
specialmente  rurale  etc.  1865.    8. 

Vom  Herrn  Domenico  Mochi  in  Modena: 

Con  qoali  mezzi,   oltre  i  religiosi,   possa  nelP  odierna  societä  re- 
staurarsi  il  principio  di  autoritä  etc.   1865.    8. 


356  Einsendungen  von  Druckschriften. 


Vom  Herrn  A,  Spring  in  LiUtichi 

Symtomatologie  ou  traite  des  accidents  morbides.    Tom.  1.     1  u.  2. 
Fase.     1866.67.     8. 


Vom  Herrn  Casimir  Eichaud  in  Rom: 

a)  Sur  la  resolution  des  equations   x'— x'=l.     1866.    4. 

b)  Note  sur  la  resolution  de  requatipn  x*4-(3t+r)'+x4-2r)*4--. 

4-[x+(n  — l)r]«  =  y».     1867.     4 


Vom  Herrn  Eugene  Catalan  in  Rom: 

a)  Note  sur  un  probleme  d'analyse  indeterminee.     1866.     4. 

b)  Sur  quelques  questiones  relatives  aux  fonctions  elliptiques.  1867.  4. 


Vom  Herrn  Ottav.  Fabrizio  Mossoti  in  Rom: 

Intorno    ad   un   passo   della   divina   commedia   di  Dante   Allighieri. 
1865.     4. 

Vom  Herrn  M.  Aristide  Woepcke  in  Rom: 

Introduction  an  calcul  Gobari  etHaw&i  traite  d'arithmetique  tradait 
de  Parabe.     1866.    4 


Vom  naturwissenschafäichen  Verein  für  Scichsen  und  Thüringen  in 

HaUe: 

Zeitschrift    dir    Naturwissenschaften.     Jahrgang    1867.     29.  Band. 
1867.    8. 


Von  der  deutschen  geologischen  Gesellschaft  in  Berlin: 
Zeitschrift.    19.  Bd.  2.  Heft.  Februar,  März,  April  1867.    8. 


/r^f,  CM  /c. 


j  ^    Sitzimgsberichte 

kOnigl  bayer.  Akademie  der  WissenBchaften. 


Philosophisch -philologische  Classe. 

Sitzung  vom  9.  November  1667. 


HerpHofmann  übergiebtdenSchliiBS  seiner  Bemerkungen: 
„Zur  Gudrun'S 

Str.  297,4  ist  wohl  nicht  guotes  zu  ergänzen ,  sondern 
yaaa  sie  da  veüe  hiten. 

Str.  299,4  1.  schapel  unde  vingerl^  um  die  vierte  Heb- 
ung zu  beseitigen,  die,  von  Eigennamen  abgesehen,  immer 
eine  sehr  störende  Wirkung  macht. 

Str.  303,4.  gevdufeet  mit  golde  heißst  nicht:  mit  Gold 
angefüllt,  wie  B.  deutet,  sondern  me  das  Mhd.  WB.  richtig 
erklärt,  bedeckt,  überzogen.  Der  Ausdruck  kömmt  noch  in 
der  technisdien  Sprache  vor,  einen  Altar  fassen  =  das 
Bohnitzwerk  daran  vergolden.  An  einer  andern  Stelle  der 
Gadrun  muss  vcufisen  allerdings  die  Bedeutung  füllen  haben, 
1131,2  s.  Mhd.  WB.  sub  voc.  Nr.  6. 
[1867.il  8.]  24 


/Uf,  A4 


/^. 


//      y   ^   Sitzungsberichte 

fou/kZ4/Oy(j  ^    >w?/gL^/C<X/ —     der 

kOnigL  bayer.  Akademie  der  Wissenschaften. 


Philosophisch -philologische  Classe. 

Sitzung  Tom  9.  November  1867. 


HerpHofmann  übergiebt  denSchluss  seiner  Bemerkungen: 
„Zur  Gudrun". 

Str.  297,4  ist  wohl  nicht  guotes  zu  ergänzen,  sondern 
tCMMT  sie  da  veüe  hiten. 

Str.  299,4  1.  schapd  tmde  vingerl,  um  die  vierte  Heb- 
UDg  ZU  beseitigen,  die,  von  Eigennamen  abgesehen,  immer 
eine  sehr  störende  Wirkung  macht. 

Str.  303,4.  gevaeeet  mit  goULe  heißst  nicht:  mit  Gold 
angefiiUt,  wie  B.  deutet,  sondern  wie  das  Mhd.  WB.  richtig 
erklärt,  bedeckt,  überzogen.  Der  Ausdruck  kömmt  noch  in 
Aeat  technisdien  Sprache  vor,  einen  Altar  fassen  =  das 
S^dmitKwerk  daran  vergolden.  An  einer  andern  Stelle  der 
Gndmii  muss  vaeisen  allerdings  die  Bedeutung  füllen  haben, 
1131,2  s.  Mhd.  WB.  sub  voc  Nr.  6. 

[1867.  IL  8.]  24 


358      Sitsnmg  der  phOas.-phiM.  Gaste  vom  9.  November  1867. 

Str.  322,3  I.  uwe  sie  besaezen  M  im  fürsten  rtche.  Der 
Vers  bedeutet  nicht,  ^ so  lange  sie  in  seinem  Fürstenreiche 
sich  aufhielten,  wie  6.  und  Simrock  ihn  &S8en,  sondern, 
bis  sie  von  ihm  die  versprochenen  fürstlichen  Lehen  (ygL 
Str.  316)  in  Besitz  bekommen  würden,  so  lange  sollten  sie 
seine  Tischgäste  sein« 

Str.  333,2  1.  dSr  =  dae  er  d.  h.  gßgen  Horant  konnte 
Niemand  aufkommen,  der  behauptet  hätte,  besser  als  er  ge- 
kleidet zu  sein. 

Str.  346,3.  JWe  WiedeAtytotig  tot  bürge  aus  der  vori- 
gen Zeile  ist  ungeschickt.  Dte  Stelle  ist  corrupt;  denn  Weib 
und  find  «itBSD  ntöit  bloss  in  der  fittrg»  sooderb  in  dem 
besonderen  Theile  derselben,  welcher  in  allen  germanischen 
Sprachen  bür  =  das  Frauengemach,  heisst.  Man  lese  da- 
her oder  hat  er  in  büre  wip  unde  hint? 

ich  ioaene  sie  getriutet  von  ^ner  hehde  selten  sint. 

In  dieser  Bedeutung  war  für  das  Mhd.  das  Wort  bür 
schon  veraltet,  daher  der  Sdireiber  bürge  dafür  setzen 
musste. 

Str.  3&0,4  1.  ffm  den  minien  «rften  bM»  iefc  inner 
järes  friste  staete.  B.  und  Simrock  haben  die  Stelle  nicht 
verstanden.  B.  erklärt:  Innerhalb  Jahresfrist  will  ich  da- 
hläA  sein.  8.  ütigidföht  ebenso:  mir  %ifd  A^  ImA  wohl 
wieder  binnen  Jahresfrist  und  wenig  TVkgta»  St  bitoMt  Mb 
bi^  tktn  dfe  Atiirendtttil^  eit&t  lättd*-  tmd  lelr^lireiMilidieD 
Sättüng.  Bftklieiii  Jahr  «nd  ^hg  kotttttefi  Erbe  ttid  LAtti 
nicht 'rechtsgültig  dem  Besitzer  Und  sein<^  Erben  etttstogen 
W€g^d«n.  vgl.  8ach&enslrf«gel  t.  38  §.  3%  ßie  bk  jdr  unde 
lie^h  in  dea  rtkes  Achte  stn,  die  dSt  fnan  r&tMiU^^  %mSe 
^ef^Vt  in  igen  mde  Un^  dat  Un  dm  \ev¥m  hdidh,  M 
tgen  in  die  honinfifhdn  gewätt.  Ufe  ttet  de  ^m^m  mcht  4t 
Itl  d^  koHingttken  gewaU  binnen  jit  unde  dagis  mtt  itfike 
tde,  se  i>erUset  it  mit  soment  jenen^^  it  Me  nem»  in  Bok/UMf 
dat  se  nicht  vore  komm  n$  n^gen.  Dieis  ist  ^  Htu^WUei 


Hefmaim:  Zwr  Gtidrm,  869 

feiner  III,  34  §.  3  (von  der  Aberacht)  II,  41  §.  2  a.  s.  w. 
Im  Schwabenspiegel  findet  sich  die  gleiche  Stelle  Landrecht, 
45  (Lassb.),  aosserdem  Tgl.  Lehenrecht  11,  25  Schluss, 
42SchIiis8,  62  Anfang,  76  Anfang,  85.  Deutsch.  Spieg.  8.68. 
Str.  351,1  1.  Do  sie  von  dannen  giengeUy  u.  s.  w.  am 
die  Verbii^dung  mit  dem  folgenden  herzustellen.  3  1.  sitaem 
Ton  si(U  regiert  oder  se  süjgen. 

Str.  364.  doföß  so  geradewegs  mit  B.  zu  verwerfen,  weil  es 
sonst  nicht  vorkömmt,  ist  schwerlich  erlaubt.    Wenn  wir  es 
Ton  toi  ableiten,  so  können  wir  es  einfach  im  Sinne  unseres 
herumtollen  =  herumtreiben,    jagen,    nehmen.    Im  zweiten 
Verse  gibt  hegozaen  brant  einen  schlechten  Vers    und    ein 
barockes  Bild;  denn  einen  schwitzenden  Menschen  mit  einem 
begossenen  Feuerbrand  zu  vergleichen,  ist  schwerlich  dem 
Dichter  eingefallen.    Ich  halte  brant  iür  verlesen  for  bräte^ 
denn  das  ist  bekanntlich  das  Simile,    welches    heute  noch 
wenigstens  in  ganz  Süddeutschland  allgemein  vom  Schwitzen 
gebraucht  wird  und  zwar  ein  ÜEtmiliärer  aber  durchaus  kein 
unedler  Ausdruck  ist.     Hatte  der  Schreiber  einmal  brat  für 
bratU  genommen,    so  musste  er   den  Brand  natüriich  auch 
begiessen,  um  ihn  dampfen  zu  lassen. 
Ich  lese  also  die  ganze  Strophe  so: 
Hagenen  sSre  tolte  der  JcünsteUse  man^ 
das  alsam  ein  brate  riechen  began 
der  meister  von  dem  jünger,  ja  was  er  starc  genuoCj 
der  wirt  ouch  ^nem  gaste  siege  unmaetlichen  sluoc. 
üebrigens  will    ich  nicht  in  Abrede  stellen,    dass   die 
Vergleichung  eines  Zornigen,    Erhitzten    mit  einem  Brande 
zulässig  ist.     Biterolf  V.  11123 

Dietertch  roch  sam  ein  hol, 
dö  die  Wotyhart  gespraeh. 
Freilich  darf  man  hier  an  Dietrichts  Feuerathem  denken 
und  der  Zusatz  begosfBen  findet   sich  audi   hier  nicht;    mit 
hrant  allein  aber  lässt  sich  der  Vers  nicht  herstellen.     Am 

24* 


360      Satzung  der  pM08,-phüol.  Ckuse  wm  9.  November  1867. 

weitesten  in  der  Anwendung  des  Vergleiches  geht  das  gro- 
teskobscöne  Turney  von  dem  czers  (y.  Keller,  Erzählungen 
S.  443—459),  wo  es  S.  456  Z.  35  heisst:  die  aptissyn 
dünst  recht  als  eyn  smytte.  Findet  man  übrigens  meine 
Erklärung  von  tolte  zu  gewagt,  (und  ich  muss  selbst  zuge- 
stehen, dass  sie  es  ist),  so  lässt  sich  mit  Hülfe  der  hand- 
schriftlichen Lesung  doch  eine  Emendation  gewinnen,  die 
dem  üeberlieferten  die  wenigste  Gewalt  anthut  und  sich  in- 
nerhalb des  bekannten  mhd.  Sprachgebrauches  hält.  Fasst 
man  nämlich  dolte  in  seiner  gewöhnlichen  Bedeutung,  so 
kann  der  dazu  gehörige  Accusativ  nicht  wohl  in  den  künsie- 
lösen  man  gesucht  werden;  er  muss  vielmehr  in  sere  stecken. 
Man  kann  diess  vielleicht  als  Accus,  des  st.  Fem.  sSre  (Leid, 
Betrübniss)  fassen  und  dann  lesen:  der  künsteldse  man  d.  h. 
der  arglose  Hagene.  Doch  würde  ich  in  diesem  Falle 
lieber  annehmen,  dass  sere  für  swere  =  swaere  (mölestiam) 
verlesen  ist,  wodurch  jede  vom  Buchstaben  der  Ueberliefer- 
ung  weiter  abgehende  Aenderung  unnöthig  würde,  auch 
vom  für  den  wegfiele.  Ich  schlage  also  vor:  Hagene  swaere 
doUe  der  künsteldse  man.  Fasst  man  dagegen  suHiere  als 
Adverbium  und  bezieht  dolte  auf  den  künstelosen  man^  so 
wäre  die  Sache  noch  einfacher:  Hagano  aegre  sustinuÜ 
virum  armorum  imperitum. 

Bei  unserer  QOGh  immer  so  lückenhaften  Kenntniss  des 
mhd.  Sprachschatzes  und  Sprachgebrauches  ist  es  nicht  zu 
verwundem,  wenn  sich  für  eine  Stelle  selbst  im  engsten 
Anschlüsse  an  die  HS.  zwei,  drei  Emendationen  bieten, 
zwischen  denen  die  Entscheidung  schwankend -bleibt. 

Das  Wort  brant  kömmt  an  einer  zweiten  Stelle  der 
Gudrun  vor,  wo  es  nicht  minder  unglücklich  erklärt  worden 
ist.  Str.  514,2  schlägt  Hagene  auf  Watens  Helm  und  um- 
gekehrt, dass  da  sach  manie  degen  daa  fitoer  üe  hdmen 
stieben  sam  die  rösthrende.  „Gleich  lichten  Feuerbrän- 
den*' übersetzt  Simrock,  und  Bartsch   erklärt:     Feuerbrand, 


Hafinann:  Zur  Gudrufi.  361 

ein  angebranntes  Stück  Holz.  Wieder  eines  jener  barocken 
und  naturwidrigen  Bilder,  die  nicht  wirklichen  Dichtem, 
sondern  nur  modernen  Uebersetzem  und  Erklärem  gut  genug 
sind.  Funken,  die  aus  Helmen  stieben,  sehen  nicht  ans, 
wie  herumfliegende  angebrannte  Holzstücke,  sondern  wie  die 
Funken,  die  unter  dem  Schmiedehammer  aufstieben,  d.  h. 
die  rostbrende  =  der  sog.  Hamm  erschlag,  wie  sie  nach  der 
Erkaltung  genannt  werden.  In  der  Schweiz  wird  rdst  = 
strues  und  rost  =  aerugo  in  der  Aussprache  heute  noch 
scharf  geschieden. 

Str.  368,2  1.  ir  sprächet,  ir  weit  lernen  u.  s.  w.  Der 
Wechsel  des  Tempus   ist  hier  logisch  nicht  zu  beanstanden. 

Str.  372,1  an  einem  äbent,  wie  die  HS.  und  alle  Her* 
ausgeber,  auch  Wackemagel  im  LB.  bis  auf  B.  haben,  ist 
grammatisch  falsch;  denn  der  Dativ  von  dbent  heisst  äbende 
oder  äbunde.  B.  setzt  üf  einen  äbent,  unnöthig;  denn  an 
einen  äbent  ist  vollkommen  richtig,  da  man  sagt  an  eine 
M  oder  tif  eine  zit,  an  oder  üf  eine  siat  n.  s.  w. 

Str.  372,3  1.  mit  herUcher  stimme,    so  ist  unnöthig. 

Str.  380,4  1.  der  gast  tviis  icöl  beraten.  Es  heisst  nicht, 
wie  B.  erklärt:  etwa  mit  Zuhörern  oder  allgemeiner:  dem 
Gaste  ging  Alles  nach  Wunsche,  sondern:  der  Gast  hatte 
richtig  gerechnet,  indem  ihn  die  Königstöchter  nun  wirk- 
lich hörte.  Simrock  lässt  vorsichtig  stehen  j,war  wohl  be- 
rath^i'S  worunter  sich  jeder  denken  kann,  was  ihm  am 
besten  scheint. 

Str.  381,2  das  muss  in  da  geändert  werden;  denn 
dass  die  entzückten  Zuhörer  neben  Horants  Stimme  auch 
auf  das  Verstummen  der  Vöglein  horchen  sollen,  heisst  ihnen 
zu  viel  zugemuthet.    Z.  3  1.  doene  vergäben. 

Str.  382,1. 2. 1,  D6  im  wart  gedanket  von  wU^enundemanj 
do  sprach  von  Tenen  Fruote:    min  neve  möhte  Idn 
stn  ungefüege  doene  u.  s.  w. 

Ich  will  hier   eine  allgemeine  Bemerkung    einflechten, 


3d2      SiUnmg  der  phüo^^-phOol.  CUtsH  vom  9.  November  1867. 

die  an  jeder  Stelle  passt.  Ein  besonderer  poetischer  Voi>- 
zug  der  Gudrun  besteht  darin,  dass  die  Strophe  wo  mög- 
lich nur  einen  Sats  bildet,  wodurch  dem  Staocato,  welches 
jede  Strophentheilung  nothwendig  und  nachtheilig  in  dem 
epischen  Flusse  hervorbringt,  ein  natürliches  Gegengewicht 
gegeben  wird,  dessen  Wirkung  für  mein  Gefühl  wenigstens 
eine  höchst  melodische  ist.  Die  alte  yierzeilige  Strophe  der 
Nibelungen  war  für  den  reicheren,  der  typischen  Form  ent- 
wachsenen Ausdruck  der  klassisch  werdenden  mittelhocb» 
deutschen  Sprache  zu  eng,  ebenso  wie  der  Stabreim  einer 
freieren  und  tieferen  Entwicklung  des  Gedankens  geopfert 
werden  musste.  Daher  ihre  von  richtigem  Kunstgerühl  ge- 
leitete Erweiterung  einerseits  in  der  Gudrunstrophe,  und 
ihrer  Fortbildung  im  Titurelmetrum ,  auf  der  andern  Seite 
in  den  längeren  Sätzen  der  späteren  Volksepik,  die  einen 
ganz  anderen  künstlerischen  Eindruck  machen  würden,  wenn 
sie  von  Dichtern  ersten  Banges  gehandhabt  wären,  wie  die 
Ariosto-  und  Spenserstanze  zeigen.  Ganz  kurze  Sätze  im 
Gesänge  wie  in  gebundener  und  ungebundener  Bede  ver- 
langen zu  voller  Wirkung  eine  Mächtigkeit  des  Inhalts,  die 
bei  breiter  und  ruhig  fliessender  Darstellung  nicht  in  jedem 
Momente  sich  ansammeln  kann,  daher  der  öde  Eindrudc, 
den  zerhackte  Strophen  und  Melodieen  auf  uns  machen. 
Deshalb  sudie  ich  in  der  Gudrun  wo  mögh'ch  in  jeder 
Strophe  eine  syntaktische  Einheit  mit  Entfernung  der  Zwischea- 
schlusspunkte. 

Str.  386,2  ist  E.  Martins  Emendation  unbedingt  anzu- 
nehmen, nur  dürfte  statt  triuteclichen  zu  lesen  sein  trml^ 
liehen,  welches  im  Alt-  und  Mittelhochdeutschen  wirkUch 
belegt  ist,  vgl.  Graff  V,  473,  Mhd.  WB.  III,  112.,  während 
für  jenes  ein  Nachweis  zu  fehlen  scheint. 

Str.  391,2.  minnert  braucht  nicht  angetastet,  zu  werden, 
dagegen  ist  charen,  wie  mir  sdieint,  verlesea  für  eeharen; 
also  irich  oder   rin  minnert  in  ee  hoeren  da  von  der  pfaffen 


simo  ^  Pfafffipsmg  and  QlqpkQnlfUng  a^etm  nq  (^ng^ 
YfVHWOQ  Biß  übw  H4raQt9  Iiiedi  dA  if<m  (kr  pf^e  sßm 
hAlto  icb  dimm  f{ur  uoßUttiiAlti  weil  ^  mr  auf  de^  intM^ti 
dwsea,  waa-der  Pff^ffe  siipgt,  gfdien  IcaniL,  Vob  de^i  !«(  9bW 
lljer  keim  Bede,  sondern  yqo  der  scböoen  Stimw^  md  dow 
bnwtreicben  G^aang«.  mtmerr»  ißt  abd.  und  mhd,  IwUwff* 
lieh  belegt 

Str.  392,4  l-  §'äf^efit8   oder  chs  4imtß,   4»  der  Vers 
spUft  ein«  Hebuog  zu  viel  hat, 

Str,  897,1.8,  TcrvOen  darf  ujcht  durcb  die  Ciwur  vpu^ 
m^imi^  getreuut  werden,  mau  le^e  die  nie  kristen  vmßcfkß 
i/elemte  sU  weh  L  Was  4/fnH$  ißt,  hat  man  bißher  piobt 
gewoast,  d9cb  vermuthet,  eß  sei  ein  orientaliß^beß  Wprt» 
Ich  kaun  es  uun  wirklieb  im  Arabischeu  naebweieep,  wie^ 
W9bl  d»mit  freilieb  nicbl  gesagt  ist,  dasß  beide  Viwmtk 
sich  decken  müssen,  unter  den  ßüd^mbisfdieu  &(äu)j9ien 
der  kehiänischen  Familie  heisst  einer  4miieh^  VJe  dFQl 
Autoren,  welche  dayoa  bandelu,  ihn  g^ißh,  Um  J)Qr^ 
und  Ihn  Abä  BdiUnhi^  übereinstimin^nd  augeben.  Man 
si^e  die  Tafel  bei  v.  I^emer  Südar«  Sage  %  90.  Wie  ew 
solchee  arabisches  Wort  ip  die  Gudruu  kpnimeu  kow^ 
wer  wird  das  ergründen?  Daßß  es  mögUobi  will  iph  f^ 
eiuena  andern  nachweiseu,  tou  dem  mit  Siehe^beit  behappt^l^ 
wardeu  kauu,  dass  eß  seinen  Weg  yqp  Südai^bieu  u^ 
Norwegeu  ge^nden  bat  Unter  deu  noriregisd^u  Vojik«* 
märchen  (Norske  Folkeeventyr  von  P.  Chr.  Asbjöroeeu  uml 
i'QTgW  Moe,  Gbrißt  1859)  bandelt  das  87te  §.  145  vom 
SoriarMoria-Scbloßß,  welches  so  weit  entfernt  ißt,  d^ßß  der 
Held  HalTor  Moud  uud  Westwind  belragep  mußß^  ^^ 
den  Wgg  2u  erfahren,  und  mit  letzterem  hinzoreisep.  Nuq 
lief  eu  wirklich  im  Südoßtep  tou  Arabien  der  Weihr^upl^- 
küßte  gegenüber  zwd  luseh,  die  Qoom  Mporia  heißseu  m^ 
m  deuen  VQU  Aegjrpten  aus,  dem  l^ande,  wo  l^Ql  NaobJ^ 
seine  letzte  Gestalt  gewonnen  hat,    ganz  richtig  der  Nord- 


364       Sitsung  der  pMaarphiM.  CUuse  wm  9.  November  1867. 

Westwind  führt.  Hier  wird  man  die  Identität  der  Namen  za- 
geben müssen  und  dass  Soria  Moria  nur  aus  dem  Arabischoi 
kommen  kann,  während  das  Märchen  sonst  eine  ganz  nationale 
norwegische  Färbung  hat.  In  1001  Nacht  steht  dafür  die 
Insel  Wakwäk  im  indischen  Ocean,  „wo  die  Mädchen  auf 
Bäumen  wachsen'^,  deren  reale  Grundlage  Humboldt  in  dem 
Essai  critique  nachgewiesen  hat. 

Es  bleibt  nun  noch  der  3.  und  4.  Vers  von  397  zu 
betrachten.  Dass  kein  Ghristenmensch  die  Weise  von  Amile 
jemals  anders  als  auf  der  wilden  Fluth  gelernt  habe,  ist 
eine  Sonderbarkeit,  die,  wie  mir  scheint,  nicht  dem  Dichter 
zur  Last  fallt.  Bezieht  man  das  Lernen  auf  Hörant,  so 
schliesst  sich  auch  der  4.  Vers  ungezwungen  dem  einheit- 
lichen Bau  der  Strophe  an,  wobei  die  hässliche  Vier- 
het^igkeit  der  ersten  Hälfte  durch  Umsetzung  sehr  leicht  be- 
seitigt wird.  Ich  ändere  also: 
woe»,  er  sie  gehorte  uf  dem  wilden  fluote, 
da  mite  ee  hove  diente  Hörant  der  sneUe  degen  guote. 

Hörant^  meint  der  Dichter,  habe  die  ^eise  auf  einer 
seiner  weiten  Meerfahrten  gelernt.  Die  mythologische  Be- 
ziehung auf  Meerfrauen,  Sirenen,  Strömkarl,  Nix  und  wie 
alle  die  dämonischen  Tonkänstler  heissen,  wird  dadurch 
freilich  sehr  zurückgedrängt,  bedenken  wir  indess,  dass  diese 
Strophe  mit  ihrer  weithergeholten  Gelehrsamkeit  doch  ohne 
Zweifel  eine  jüngere  ist,  so  wird  ihr  Ausfall  weniger  zu  be- 
deuten haben. 

Dass  die  primitive  Anschauung,  welche  anthropomor- 
phisch  in  den  wilden  und  geheimnissvollen  Tönen  des  Meeres 
die  Quintessenz  menschlicher  Sing- und  Saitenkunst  yerkörpert, 
nicht  bloss  im  Norden  zu  Hause  war,  zeigt  äussernden  im 
Altfr.  häufig  vorkommenden  Seraines  Sirenen  besonders 
schön  die  spanische  Romanze  vom  Qrafen  Amaldos  (Prima- 
vera von  Wolf  und  mir,  Nr.  158),    der  an  einem  Johannis- 


Hcfmafm:  Zwr  Oitdfmk  366 

morgen  das  Gl&ck  hatte,  die  Qaleere  mit  dem  Zaubenänger 
za  erblicken, 

marinero  que  la  manda 
diciendo  viene  un  cantar 
que  la  mar   facta  en  calma^ 
los  vientos  hace  amainar, 
los  peces  que  andan  'nel  hondo  * 

arriba  hs  hace  andar 
l(zs  aves  que  andan  volando 
en  d  mastel  los  face  posar. 
Der  Dichter  schildert    hier    schön  die  Wirkung    des 
Wanderliedes,  ein  ungeschickter  Fortsetzer  (a.  a.  0.  Note  10) 
wollte  den  Text  dazu  erfinden. 

Str.  415,3  I.    Das  doppelte  Icrine  ist  verdächtig.    Ich 
schlage  vor: 

swie  er  nicht,  entrüege^  er  dienet  im  die  hrdne, 
Str.  416,2  1.  des  gie  dem  recken  n6t. 
Str.  417,1  1.  des  recken. 

Str.  418,1  1.  Dem  recken  wart  in  sorge  ein   teil  rfn 
herze  umnt. 

Der  Vers  mnss  sich  auf  den  -Kämmerer  und  sein  Heim- 
weh beziehen,  wie  die  zunächst  folgenden  Verse  beweisen. 
Str.  420,3, 4  sind  im  Gründe  genommen  durch  die 
Wiederholung  von  Hilden  vollkommen  tantologisch.  Dem 
wird  abgeholfen,  wenn  man  mit  leichter  Aenderung  in 
V.  3  liest: 

daz  sie  durch  frouwen  hülde  koemen  jmo  dem  lande. 
Str.  421,3  1.  von  dem  künige. 

Str.  428,2  3,4  und  429,1    beginnen   alle  mit  sie.    Um 
dieser  Geschmacklosigkeit  abzuhelfen,  lese  ich: 

und  sagteng  auch  den  degenen :  die  in  den  schiffen  lägen, 
hirtens  niht  ungeme. 

So  wird  das  sechsmalige  ^   in    4  Versen  wenigstens 
zweimal  beseitigt. 


afi6       Siitung  der  phüm.'fMoL  Chm  wm  9.  November  1867. 

8tr.  435.    VieriDal  dag,    leb  lew: 

dojs  uns  ere  dunkety  ob  ir  est  gerne  tuat, 
daß  ir  sehet  selbe. 

Str.  447.     Die  HS,  Imt 

wojs  ir  ir  durch  etreyten 
vnns  immer  eykmU  nach 
dann  wol  gewaffent  tausent  ewr  hdde, 
was  die  Herausgeber  auf  versobiedeoe,  wie  mir  scheiiit, 
durchaus  verunglückte  Weise  veränd^  babea.  Nach  meiner 
Deberzeuguug  handelt  es  sich  bloss  um  Entdeckung  und 
Beseit^ng  eines  ganz  unbedeutenden  und  naheliegenden 
lidsefeUers,  um  in  der  Vorlage  einen  sehr  guten  Siau  n 
finden,  immer  ist  verlesen  für  minner  ^  also  suhu  ir  mnß 
dmrch  ettiten  minner  Uet  nach  danne  wol  genoffewt  tüsent 
iuwer  helde  d.  h.  mit  weniger  als  tausend  woh^bewaffiietea 
Kämpfern  dürft  ihr  uns  gar  nicht  zu  verfolgen  wagen;  denn 
eine  geringere  Anzahl  werfen  wir  ohne  weiters  in  die  Fluth. 
Hagene  wusste  ja  nichts  von  der  Menga  der  im  Kielräume 
versteokten  Becken,  deren  mit  den  andern  nach  Str.  455 
gerade  tausend  waren. 

Str.  475,2.  Die  Herstellung  von  so  grÖMcm  gmlde^ 
die  B.  versucht,  schont  mir  unglücklich.  Ich  nehme  gewaltß 
hier  als  Fem.  und  lese:  von  groegßer  geundte, 

Str.  474,4  etwa:  ich  waene^  dem  degene  etc. 

StTt  484,2.  diUy  womit  auch  der  erste  Vera  begiwt» 
ist  zu  tilgen,  ebenso  dürfte  statt  der  Wiederholung  von  ^ 
in  4S3»4  und  484,4  besser  unt  staben,  wodorch  beide 
Strophen  zur  syntaktischen  Sinheit  gelMgcQ. 

Str.  486,4  1.  in  statt  nü. 

Str.  500  l    Do  stuonden  wider  wehsd  mif  den  hertm 

>   die  sich  unter  schiiden  einander  $eoUenwem 
wider  ist  offenbar  als  under  verlesen,    under  weheel  ist 
zu  fassen,  wie  wider  strit. 


Hafmmmi  Zm  Qndnm.  367 

Str.  503,3.  Diese  schöne  Stelle  scheint  mir  im  strengen 
Asschlnsse  an  die  HS.  einfacher  zu  erklären,  als  die  He]> 
aosgeber  gethan.  Dass  der  Schreiber  schneeweiss  für  den 
ihm  wahrscheinlich  unverständücben  Genetiv  snhoes  geietzt 
hat,  ist  klar  genug;  aber  warum  hätte  er  Hir  flocken^  was 
er  ganz  geiriss  verstund,  flog  setzen  sollen?  Ich  glaube,  er 
hat  nur  flog  für  flügen  gesetzt  und  vor  sich  gehabt :  «am 
sniiees  flügen  toinde  =:  als  ob  Winde  mit  Schnee  einher- 
sausten.  Das  Fliegen  der  Winde  ist  ein  natürliches  Bild, 
welches  ich  im  Augenblicke  zwar  nur  durch  ein  einziges 
Citat  belegen  kann,  welches  jedoch  genügen  wird.  Im 
Tristaa  des  Eilhart  von  Oberge  hat  Dresd.  die  winde  icordin 
her  geviogen^  Palat  der  wind  kam  dar  in  geflogen.  Ich 
wüfiste  nicht  zu  sagen,  ob  mir  weitere  Belege  des  Aus- 
druckes nie  voigekommen  oder  von  mir  als  nicht  au£fallend 
vergessen  sind. 

Str.  504,2.  slahen  scheint  mir  ein  verdeutlichendes  Ein- 
schiebsel der  dem  Abschreiber  beliebten  Art  zu  sein,  die 
sin  da  begerten  genügt  vollkommen  und  darauf  führt  auch 
zunächst  das  die  sy  der  HS.  Der  Ausdruck  ist  nebenbei 
gesagt,  einer  der  vielen,  in  deinen  deutsche  und  französische 
Sprechweise  zusammenfällt.  Im  Altfr.  heisst  requ/erre  oder 
requerir^  wenn  von  eiuem  Manne  die  Rede  ist,  feindlich  an- 
greifen, wenn  von  einem  Weibe,  um  Liebe  werben.  Im 
Mhd.  scheint  der  Ausdruck  in  der  Falknersprache  am  ge* 
wölmlichsten,  gern  ist  da  technischer  Ausdruck  für  angreifen. 
vgL  Mhd.  WB.  I.  532. 

Str.  505,1  ist  in  der  Vorlage  einer  der  übelklingend* 
sten  Verse  der  Gudrun.  Ich  lese  statt  als  diu  huoch  uns 
hmU  tuont  als  Zwischensatz  diu  buoch  uns  künde  tuont. 
Das  Adj.  künde  bedeutet  dassdbe,  was  kunt.  Dann  scheint 
mir  der  Sinn  auch  noch  einer  feineren  Modification  filhig. 
Wie  die  Strophe  jetzt  liegt,  heisst  es:  Da  die  Bücher  uns 
melden,  wie  stark  Hagene  gewesen,  so  war  es  ein  Wunder, 


368 


Sütatng  der  phUoa.^hüol  Glosse  vom  9.  November  1867. 


dasB  Hetel  vor  ihm  bestund.     Aber  warum   sollte    sich  der 
Dichter  auf  die  Bücher  berufen,    um  eine  Thatsache  zu  er- 
härten^ die  im  ganzen  Verlaufe  des  Werkes  fortwährend  im 
Vordergrund  steht,  Hagenes  Stärke?    Ich  meine,    er  wollte 
das  Zeugniss  des  Buches  speciell  für  den  vorliegenden  Zwei- 
kampf anführen,    und   dann   muss    man    im   zweiten  Verse 
Hetele  lesen,   im  natürlich  auf  Hagene  beziehend,  also 
Ee  was  ein  michel  wunder,  diu  buoch  un8  künde  tuontj 
swie  Stare  Hetele  waere^  dae  vor  im  ie  gestuont 
der  Hegelinge  herre. 

Str.  509,1  1.  Bi  im  gevrieseh  dd  Hagene. 
Str.  510,4.  Hier  scheint  mir  ein  evidenter  Fäll  vor- 
zuliegen, wo  d'er  Abschreiber  einen  ganz  geläufigen  mhd. 
Ausdruck  nicht  mehr  verstanden  und  durch  das  dem  Laote 
nach  nächstliegende  Wort  seines  Sprachschatzes  ersetzt  hat 
Das  rüeren  hätte  den  Ringen  der  halsberge  nicht  viel  ge- 
schadet ;  der  terminus  technicus  ist  gerdret  =  auf  den  Boden 
gestreut,  und  das  wird  gestanden  haben. 
Str.  517  vermuthe  ich: 

Hagenen  brast  diu  stange^  die  er  ze  strite  truoc, 
üf  dem  Waten  Schilde,  der  was  stare  genuoc^ 
auch  enkunde  vehten  in  allen  den  riehen 
recken  bae  deheiner 
oder    mit  Beibehaltung   der  handschriftlichen  Ordnung  auch 
enkunde  baz  vehten  —  recken  deheiner. 

Str.  518.  Dass  der  alte  Wate  einen  Schwertschlag 
durch  das  Haupt  aushalten  soll,  das  heisst  bei  aller  Kecken- 
haftigkeit  ihm  zu  viel  zugemuthet.  Es  genügt  uf  das 
houbet  vgl.  Str.  864  oder  durch  die  haben  ==•  durch  die 
Helmhaube  auf  die  Schwarte.  Im  dritten  Verse  scheint  mir 
der  Zusammenhang  der  Strophe  schön  hergestellt,  wenn 
wir  lesen  doB  (das  fliessende  Blut)  kuolten  im  die  unnde.  im 
für   nu  ist   die  einfachste  Verlesung. 


Hofmann:  Zur  Gudrun  369 

Str.  519,3  1.  bauge  statt  baugen^    denn    ein  Helm   hat 
nur  einen  bouc  (franz.  cercle). 

Str.  524.    In    dieser  Strophe    ist  der  Sinn  vor  Allem 
herzustellen.      Hagenen     hier,     wo    er    besiegt    ist,     den 
Uebermüthigen  zu  nennen,  geht  nicht  an,    ihn  sagen  lassen, 
er  habe  vor  Helels  Leuten  Respekt  bekommen,   als   er  er- 
fahren,  dass  sie  mit  reichem  Gute  nach  seiner  Tochter  ge- 
fiEÜbren,    ebenso  wenig,    denn  dazu  gehörte  weder  Witz  noch 
Muth,  der  dritte  Vers  endlich,   wie  er  in  der  HS.  und  bei 
den   Herausgebern   steht,    ist  grammatisch   falsch,    endlich 
war,    was  den  zweiten  Vers  angeht,    das  Kunststück  nicht, 
nach  seiner  Tochter  zu   kommen,    sondern  ihr  nahe    zu 
kommen.  Aus  allen  diesen  Gründen  lese  ich  die  Strophe  so: 
Do  sprach  der  ungemuote:  sU  ich  han  vemamen, 
daß  sie  mit  mcmiger  huote  vr  waren  nähen  komeHf 
sU  ist  iu  gröeer  Sren  von  helden  uneerrunnen\ 
ir  habt  mit  schoenen  listen  mtne  lieben  toehter  geunmnen. 
Str.  329.     Von  einem  arz&t  ^n,    glaube  ich,    konnte 
man  im  Mhd.   nicht  sagen,    wenn   man  ausdrücken  wollte: 
Ton  Jemand  die  Arzneikunde   gelernt  haben.   Am  nächsten 
käme  hier  wohl  Str.  156,4;  genügt  aber  nicht  zum  Beweise 
für  vorliegenden  Jb'all.    In  areet  toaere  scheint  mir  nun  die 
Verlesung    zu   hegen    und   zwar  für  arsfetie   laere  =  dass 
Wate  die  Arzneikunst  von  einer  Waldfrau  gelernt  habe.  Ich 
möchte  die  Strophe  dennoch  so  lesen : 

si  heten  in  langer  ette  dd  vor  wol  vemomen 

dojs  arzeHe  laere  von  einem  wilden  totbe 

Wate  der  vü  maere^  desgefrumte  er  manigem  an  dem  Itbe 

oder  daz  gefrvmte  manigem  an  dem  W>e. 

Diesen    Gebrauch     von    lesen    belegt    Biterolf   V.  83. 
Aehnlich  bedeutet  nema  im  Nord,  lernen. 

Str.  533,1  1.  ich  bin  ir  areät  nichts  denn  Wate  will  ja 
nicht  sagen,  dass  er  überhaupt  kein  Arzt  sei,    sondern  nur, 


STO      Sitzung  der  phOos.-phOoB.  dornt  wm  9.  November  1867. 

dftSB    er  die    Sühne  zur    Vorbedingung   seiner  Eonstübung 
mache. 

Str.  534,8,4   I. 
deich  ndnm  vriunt  den  besten  niht  getar  enphähen, 
m  mnd  auch  dm  ^nen^  tntn  grüezen  waene^  harte  nmge  «er- 

sm&hen. 

Str.  535,4  1.  diu  woW  den  iuwem  unmden  helfen  d> 
ir»  hHet  ee  minne. 

Bei  V.  hat  der  zweite  Halbvers  eine  Sylbe  zu  wenig, 
bei  B.  ist  za  weit  und  annöthiger  Weise  von  der  Vorlage 
abgegangen. 

Str.  547,3  1.  f>er  dem  hOnige  statt  von^  denn  die 
Krönung  wurde  ja  in  der  Regel  nicht  von  den  Fürsten 
selbst,  sondern  von  Bischöfen  vollzogen,  bei  einer  K&iigin 
natiirlidi  in  Gegenwart  des  Königs. 

Str.  549,2  1.  maget  diu  eü  hire.  B.  verändert  un- 
Bötiiig  das  magettn  vü  hire,  V.  hat,  wie  E.  und  Z.  vor 
Ihin,  den  falschen  Halbvers  diu'  maget  wl  hire  beibehalten, 
der  nur  zwei  Hebungen  hat,  da  vU  bekanntlich  nur  dann 
rot  emem  Adjectivum  betont  sein  kann,  wenn  dieses  mittifi 
Busammengesetzt  ist  oder  eine  tonlose  Vorsylbe  hat 

Str.  555.  Eine  feine  Strophe,  die  aber  anders  heif^e- 
stellt  werden  moes,  als  die  Herausgeber  gethan  haben. 
Hildeburg,  bittet  Hagene,  soll  Hilden  ihr  grosses  Ingesinde 
regieren  helfen;  dann  ist  aber  die  Aufforderung,  sie  solle 
selbst  ihre  suhi  zeigen,  nnmotivirt,  ich  lese  daher: 
ejs  gewirret  Hhte  fromoen  an  grdaem  ingeeinde; 
nu  iuo  genaedidlchen  dae  mcm  dine  0uht   an  ir  bevinde. 

Str.  562,3  1.  unser  jimcfrtntwen.  tohter  ist  nnnöthiger 
Znsatz.  Im  4.  Verse  wohl  besser  durch  sie  wart  der  brikh 
nen  vil  verhauwen^  da  durch  ir  ein  überhäufter  Auftakt  ist 
und  man  leicht  sieht,  dass  der  Abschreiber  durdi  sie  darum 
änderte,  weil  es  nach  seinem  wie  unserem  Spradigebrauche 
bedeutete,  die  Jungfrauen  hätten  die  Brünnen  verhauen. 


.*  Zmr  AidhMk  S71 

Str«  666.     Diose   Slroiibe   lIMt    sich    in  tinti    Satz 
bringen,  wenn  man  lieftt: 
AM  JMteltf  «I  ilefi  Imieii  ittu  miumen  magedtn 
gefriesch  von  edeUm  Mm$^  fBHuret  tvoUe  er  Hn, 
80  er  ee  hAse  brin^iU  im  m  i$^e$ini9 
^Mi  4k  mmm8i»UkHhitm4e8iMdmBageHmhimieoder 
alle  die  triOen  hiUm  m  cUinei^dn  wOdenEagenen  kinde. 

Btr.  585,1.  Die  Aettderong  ron  kSher  mt^öt  in  hddh 
gemüete^  die  nach  Z.  aRe  fieratsgeber  angenommen  haben, 
ist  mmöUiig  tittd  imwahrBch^inKoh,  da  der  Absdureiber  Mch 
gtfMXiete  >No\A  terstanden  HStte  tiftd  daher  nicht  za  ändern 
bfatdite.  Ich  schlage  vor  Beteten  nmot  der  höhe^  wo  ihfti 
titir  die  Wortstellung  an^tössig  war. 

Str.  592,2  I.  schcus  und  outh  getöant;  denn  otu^  weg- 
znlassen,  ist  kern  Grund  und  (£e  gewöhnliche  Lesung  ouch 
achag  und  gewant  gibt  einen  falsdien  Vers.  Im  4.  Verse 
möchte  ich  die  Ergänzung  nidit,  wie  B.  durch  V^rlegmilg 
von  3  Hebungen  auf  KMrü/nen  versuchen,  sondern  lieber 
iEmnehmen,  dass  Vor  hüniginne  ein  Adjectiv,  wie  Mren  oddr 
fi^^ien  ansge&llen  ist. 

Str.  594,2  erde  unde  mer  hatte  ich  oben  zu  Str.  208«  1 
noch  als  Beleg  für  meine  Conjectur  anführen  sollen. 

Str.  599,4  halte  ich  die  Briefe  für  einen  Zusatz  des 
Schreibers  und  yermuthe: 

i  daa  sie'z  wol  mohten  voUebringen. 

Str.  606,4  möchte  ich,  weil  der  dritte.  Vers  auch  pit 
iie  anfangt,  und  weil  das  zweite  0e  fiberflüseig  ist,  lesen: 
8u$  kämen  sie  ee  hove  dem  kUnige  eo  sie  uUer  beste  künden. 

Str.  606)4.  Man  könnte  das  Ueberliefefete  hier  wohl 
miuigtltetet  lassen  nnd  durch  Umstellnng  helfen: 

künec  Heteley  tüäen,  Hartmüote  I  iht  guötes  Witten  usAere 
mich  ¥9rfi^ 


372       SiUfung  der  phHot.-phiM.  Ckme  wm  9,  November  1867. 

Str.  619,1,2   1.    Swie   der   helt    gebarte,   awas  ho^en 
^  drumbe  reit, 

dojg  man  der  da  värtej  das  wm  im 
grimme  leit. 
Str.  626,3  I.  der  ir  in  hereen  gerte. 
Str.  631^2^  d\.haete  er  tüsend  stunde  eins  tages  dar  geaantf 

er  vünde  da  niht  anders  a.  s.  w. 
Str.  632,1  1.  Hetele  bat  in  läjfen  daz  werben  um  ^Inhint 

4  1.  dag  im  schade  waere. 
Str.  642,2,3  1.  dd  waere  üngeme  gewesen  dar  vor 

Gudrunen  vater^  swie  küene  er  doch  waere 

oder  wenn  man  lieber  einen  klingenden  Ausgang  hat,  vater 

der  Oüdrünen.  Meine  Aenderung  bezweckt  einen  volleren  Satz. 

Str.  644,3  41.  Gudrun  diu  schoenedcufhetesi'augenweide, 

der  helt  sie  duhte  biderbe. 
Str.  649,4.  Die  Lesart  der  HS.  ir  vater  vnd  dem 
gaste  sy  wünschte  des  sy  gedachten  in  beiden  wird  schwer- 
lich eine  erträgliche  Erklärung  zulassen.  ,.Sie  wünschte 
ihrem  Vater  und  ihrem  Liebhaber  das,  woran  sie  beide 
gedachten'^  An  was  dachten  sie  denn  sonst,  als  einander 
zu  erschlagen?  Das  war  ja  gerade,  was  Gudrun  nicht  wollte. 
Der  einzige  Ausweg,  den  sie  fand,  um  den  Streit  zu  scheiden, 
war  vielmehr,  dass  Vater  und  Geliebter  an  sie  dächten. 
Ich  schlage  daher  vor: 

do  ez  diu  frouwe  anders  mohte  niht  gescheiden, 
ir  vater  und  dem  gaste  siu  wünschte  dae  sie  ir  gedachten 

beide 
was  nachher  audi  wirklich  geschieht,   da  sie  aus  Räoksicht 
auf  sie  (durch  der  frouwen  liebe)  vom  Kampfe  abstehen. 

Str.  6öl,4  1.  habende  ^  die  sine  beste  mäge  oder  was 
mir  noch. viel  wahrscheinlicher  ist,  habe  die  stne  aUer  beste 
mäge. 

Str.  664,2.    Die  HS.  hat  getstwayet  mit  ir  muate^  was 


Hcfmam:  Zwr  Gudrun,  37S 

die  Herausgeber  bis  auf  B.  stehen  Hessen,  der  in  für  mit 
setzte,  wodurch  die  Lesart  fntwte  allerdings  besser  motivirt 
wird.  Allein  gerade  in  mmte  liegt  der  Fehler,  denn  Gudrun 
war  nic|;it  zwiespältigen  Sinnes,  sie  wusste  im  Gegenthßile 
sehr  bestimmt,  was  sie  thun  wollte  und  setzte  es  rasch  ins 
Werk.  Eine  viel  leichtere  Emendation  und  ein  sehr  passen- 
der Sinn  ergibt  sichj  wenn  wir  statt  fntu>te  einfach  miMter 
lesen,  geeweiet  mit  einem  ^n  heisst  bekanntlich  =  selbander 
mit  Jemand  sein,  und  nun  zeigt  sich,  dass  in  diesem  Verse 
eine  feine  und  wohlbegründete  Rücksicht  auf  die  Schicklich- 
keit, nicht  bloss  des  Mittelalters,  genommen  ist.  Unschick- 
lich wäre  es  für  Gudrun  gewesen,  unbegleitet  mit  dem 
Manne,  der  eben  noch  ihrem  Vater  im  Kampfe  auf  Leben 
tmd  Tod  gegenüber  gestanden,  Zwiesprache  zu  halten,  um 
ihm  ihre  Hand  anzubieten;  ganz  anders,  wenn  es  in  Gesell- 
schaft ihrer  Mutter  und  Damen  geschah.  Ich  lese  daher 
unbedenklich 

Mit  hundert  Hner  helde  gieng  er  da  ers  vant^ 

gejnoeiet  mit  ir  muoter  von  Hegelingelant 

Otidrün  empfieng  in  mit  anderen  vrauwen^ 

der  edele  ritter  guoter  moht  in  vollicltchen  getromoen, 
denn  niht  im  4.  Verse   muss    als  geradezu  sinnwidrig  aus* 
gestossen    werden,    da    es  dem    ritterlichen  Herwig  ja  gar 
nicht  in  den  Sinn  kommen  konnte,  seiner  Sühne  bietenden 
Geliebten  zu  misstrauen, 

Str.  655,2  1.  daz  HeruAges  eUen  geliebet  sich  ir  sint. 
Str.  656,2.  Die  Verwandlung  des  handschriftlichen 
mich  in  iuch^  welche  V.  uud  ihm  folgend  B.  vornahmen, 
scheint  mir  ungerechtfertigt  und  der  Sinn  dadurch  weit 
weniger  passend,  als  mit  Beibehaltung  des  Ueberlieferten. 
Ettmüller  scheint  derselben  Ansicht  gewesen  zu  sein,  wenig- 
stens liegt  in  seiner  Emendation  durch  für  van  ungefähr 
angedeutet,  was  Plönnies  in  seiner  Uebersetzung  in  deutlicher 
und  wie  ich.  glaube  richtiger  Umschreibung  sagt: 

[1867.  IL  8.]  36 


374      SiUmg  der  phaoi.-phaol.  Clam  «m  9.  November  1867. 

„Hart  wars  Yon  Der  za  hören,  um  die  ich  viel  gewagt/^ 
Str.  657,4 1.  holder  dainfC  ick  iu  waere  ist  deheiiüu  die 

ir  ie  gesäheL 
majft  ist  Einschiebsel  des  Schreibers ,  dem  entgieng,  daas 
sich  deheiniu  auf  vrauwe  zorückbezieht.  ich  iu  in  i'u  za- 
samm^izuziehen,  scheint  mir  in  dieser  Stelle  ganz  unzoläss^, 
da  auf  ich  der  emphatische  Ton  liegt,  der  durch  die  Ver- 
kärzupg  nothwendig  verloren  gienge.  Dagegen  hindert  uns, 
um  den  Vers  richtig  zu  lesen»  Nichts,  auf  holder  schwebende 
Betonung  anzunehmen. 

Str.  658,4  1.  siu  truoc  in  in  ir  heraen. 

Z\k  Gudrun  Str.  249,2  Heft  IL  S.  229  ist  die  Anmerkung  ganz 
EU  streichen.  Nachdem  mich  Hr.  Staatsrath  von  Hermiknn  darauf 
aufmerksam  gemacht,  dass  man  in  Amerika  ffasse  Gypressenwälder 
zum  Schi£fbau  abgehauen,  habe  ich  auch  im  Konrad  von  Megenberg 
(ed.  Pfeiffer  S.  819)  folgende  entscheidende  Stelle  gefunden:  des  cy- 
pressen  hole  ist  gar  guot  guo  päXken  in  kirehen  «nd  muo  großem  g^ 
päu:  und  ist  gar  vest^  dlsd  das  ez  gros  und  swaer  pürd  mag  auf  ge- 
nesen und  getragen. 

Derselbe  übergiebt: 
„Zeugnisse  über  Berthold  von  Regenaburg^^ 

Roger  BacoB  (o{>6ra  qnaedam  hactenua  iaedita  Völ.  L 
ed.  firevreor.  LoHdan  1859,  im  c^us  tertium  p.  810)  spricht 
am  Schlüsse  des  Werkes  von  der  rechten  Weise  zu  predigen 
und  fährt  dann  fort: 

Qttae  forma  praedicandi  non  temtur  u  vtdgo  theologo- 
rum^  sed  sunt  elongati  ab  ea  his  diebus.  Et  quia  iiraelaf», 
ut  in  pluribuSf  $um  smd  multHm  instructi  in  iheologiay  nee 
in  praedicatione y  dum  sunt  in  studio,  ideo  po^quam  sunt 
firaeiati,  cum  eis  incumbit  opus  praediccmdi^  miuiwmtur  0t 
mendicaaU  quatemos  puerorumy  qui  adinvenerunt  euriositakm 
infinitam  praedicandi^  penes  divisiones  et  eonaonantias  et 
concordantias  vacales,  uhi  nee  est  subUmitas  semwnis,  nee 
sapientiae  magnitudo,  sed  infinita  puerilis  stuUitia  et  väifi^ 
catio  sennonum  Bei;  sicut  praeeipue  ea^posui  in  Feeeato 
Septimo  studii  theolegiae,  in  Opere  Secundo^    et  m  Peoeato 


Hafmafm:  Zu  BerthM  wm  Begenaburg.  B75 

oäavo  in  hoc  Opere  Tertio;  quam  curiositatem  Deus  ipse 
imferat  oft  ecclesia  suay  quia  nuOa  wtüitas  praedicaH&nis 
potest  ßeri  per  hunc  modum.  Sed  excitantur  audientes  ad 
mnnem  curiositatem  inteUecius^  ut  in  nuilo  affectus  elevetur 
in  banum  per  eos  qui  taUbus  modis  utuntur  in  praedicatione. 
Sed  licet  mdgus  praedicantium  sie  utatur,  tarnen  aliqm 
modum  alium  habentes,  infinitam  faciunt  utilitatem,  ut  est 
Frater  Bertholdus  Älemannus,  qui  'solus  plus  facit 
de  utilitate  magnifica  in  praedicatione^  quam  fere 
omnes  alii  fratres  ordinis  utriusque» 

Ein  glänzendereB  Zeagniss  über  unseren  grossen  Prediger 
dürfte  wohl  das  gesainmte  Mittelalter  nicht  aufzuweisen 
haben.  Gleichwohl  wird  es  durch  Umfang  und  Wichtigkeit  der 
Mittheilungen  noch  übertrofiPen  durch  das  des  italienischen 
Zeitgenossen  Salimbeue  de  Adam  in  dessen  Chronica  Or- 
dinis Minorum  (in  Monumenta  historica  ad  provincias  Par- 
mensem^et  Placentinam  pertinentia  tom.  III.  Parmae  1857 
p.  325—329).  Diese  Chronik  geht  von  1212—1287  und 
giebt  über  Berthold  den  ausfährUchsten  Bericht,  der  bis 
jetzt  überhaupt  gefunden  worden  ist  und  sowohl  wegen 
seiner  Wichtigkeit  als  der  ohne  Zweifel  geringen  Verbreitung 
der  Monumenta  in  Deutschland  einen  vollständigen  Abdruck 
verdient.     Beide  verdanke  ich  J.  v.  DöUinger. 

„I.  Nunc  ad  fratrem  Bertholdum  de  Alamannia 
accedamus.  Hie  fuit  ex  ordine  fratrum  Minoioim  sacerdos 
et  praedicator,  et  honestae  et  sanctae  vitae,  sicut  religiosum 
decet:  Apocalypsim  exposuit,  ex  qua  expositione  non  scripsi, 
nid  de  Septem  episcöpis  Asiae,  qui  in  Apocalypsis  principio 
sab  angelorum  nomine  inducuntur,  et  hoc  ideo  feoi  ad  coj^ 
noscendum  qui  (sie)  non  fuissent  illi  angeli,  et  quia  exposi- 
tionem  abbatis  Joachym  super  Apocalypsim  habebam,  quam 
super  omnes  alias  reputabam.  Item  per  anni  drcmlum  fedt 
magnum  volumen  Sermonum,  tarn  de  festivitatibus  quam 
de  tempore,  id  est  de  dominicis  totius  anni;  ex  quibus  non- 

25* 


376      Sitjnmg  der  phOoB^-fhOci.  Claaae  v&m  9.  November  1867, 

nisi  daos  Bcripa,  pro  eo  quod  optime  de  Antidiristo  trac- 
tabat  in  illis.  Qaorum  prijnas  sie  inohoabat;  £cce  po Si- 
tus est  hie  in  ruinam,  alius  erat:  Ascendente  Jesu  in 
naviculam,  secuti  sunt  eum  discipuli  ejus:  in  quibus 
plenissime  continetur  tarn  de  Antichristo,  quam  de  tremendo 
judicio.  Et  nota  quod  frater  Bertholdus  praedicandi  a  Deo 
gratiäm  habuit  specialem;  et  dicunt  omnes,  qui  eum  audi- 
yerunt,  quod  ab  apostolis  usque  ad  dies  nostros,  in  lingua 
theotouica  non  fuit  similis  illi. 

n.  Hunc  sequebatur  multitudo  magna  virorum  et  ma- 
lierum,  aliquando  sexaginta  vel  centum  millia,  aliquaudo 
dvitatum  plurium  simul  mazima  multitudo,  ut  audirent  verba 
melliflua  et  salutifera,  quae  procedebant  ex  ore  ejus  .... 
Hie  ascendebat  bettefredum  sive  turrim  ligneam  quasi  ad 
modum  campanilis  factam,  qua  pro  pulpito  in  campestribuB 
utebatur  quando  praedicare  volebat,  in  cujus  etiam  cacu- 
mine  ponebatur  pennellus  ab  bis  qui  artificium  collocabant, 
ut  ex  yento  flaute  cognosceret  populus  in  qua  parte  ad 
melius  audiendum  se  ad  sedendum  collocare  deberet.  Et, 
mirabile  dictu,  ita  audiebatur  et  intelligebatur  a  remotis  ab 
eo  sicut  ab  bis  qui  juxta  eum  sedebant;  uec  erat  aliquis  qoi 
a  praedicatione  sua  Bürgeret  et  recederet,  nisi  praedicatione 
finita.  Et,  cum  de  tremendo  judicio  praedicaret,  ita  treme- 
baut  omnes,  sicut  juncus  tremit  in  aqua:  et  rogabant  eum 
amore  Dei  ne  de  tali  materia  loqueretur,  quia  eum  audire 
terribiliter  et  horribiliter  gravabantur. 

lU.  Quadam  die,  dum  in  quodam  loco  frater  Berthol- 
dus praedicare  deberet,  accidit  ut  quidam  bubulcus  dominum 
suum  rogaret  ut  ad  praedicationem  fratris  Bertholdi  audien- 
dam  eum  amore  Dei  ire  permitteret.  Gui  dominus  suus 
respondit:  ego  ad  praedicationem  ibo,  tu  vero  ibis  ad  agrum 
ad  arandum  cum  bobus  .  .  .  Cum  autem  bubulcus  quodam 
die  summo  diluculo  arare  inchoasset  in  agro,  mirabile 
dictu  1    statim   primam  vocem  fratris  Bertholdi  praedicantis 


Hofmann:  Zu  Berthold  nxm  Eegembwrg.  377 

aadivit,  qui  illo  die  per  triginta  milliaria  distabat  ab  eo; 
et  statim  bubulcus  boves  disjanzit  ab  aratro  ut  boves  come- 
derent,  et  ipse  sedendo  praedicationem  audiret.  Et  facta 
sunt  ibi  tria  miracula  relatu  dignifisima:  primum,  quia 
andivit  eum  et  intellexit,  cum  ita  remotus  esset  et  per  tri- 
ginta milliaria  distaret  ab  eo;  secandum,  quia  totam  praedi- 
cationem didicit  et  memoriter  tenuit,  tertium,  quia  tantum 
aravit,  praedicatione  finita,  quantum  aliis  diebus  continue 
arare  solebat.  Cum  autem  bubulcus  postea  a  domino  suo 
de  praedicatione  fratris  Bertholdi^  requireret,  et  ille  eam 
nesdret  repetere,  eam  totaliter  bubulcus  repetiit,  addena 
qnod  eam  totam  audivisset  et  didicisset  in  agro.  Tunc  do- 
minus 8UU8,  cognoscens  hoc  ex  miraculo  accidisse,  dedit 
bubulco  plenariam  libertatem  ut,  quotienscumque  vellet,  ad 
praedicationes  fratris  Bertholdi  audiendas  libere  posset  ire 
qnantumcnmque  servile  opus  faciendum  instaret. 

IV.  Erat  autem  consuetudo  fratris  Bertholdi  ut,  modo 
in  ista  civitate,  modo  in  alia,  praedicationes  quas  facere 
intendebat,  diversis  temporibus  ordinaret  et  locis,  ut  popu- 
lus,  qui  conveniebat,  sine  defectu  victualia  posset  habere. 
Quodam  autem  tempore  quaedam  nobilis  domina,  magno  et 
fenrenti  desiderio  inflammata  audiendi  praedicantem  fratrem 
Bertholdum,  eum  per  sex  annos  continuos,  per  dvitates  et 
castra  cum  quibusdam  suis  sodalibus  ....  (man  ergänze 
pro  babenda  indulgentia  secuta)  cum  eo  potuit  habere  se- 
cretum  et  familiäre  coUoquium.  Cum  autem  finitis  sex  an- 
nis,  et  finitis  et  consumptis  suis  expensis,  in  festo  assump- 
tionisbeataeVii^nis  cum  sodalibus  suis  non  haberet  domina 
illa  quid  comedere  posset,  accessit  ad  fratrem  Bertholdum, 
et  haec  omnia  quae  dicta  sunt,  per  ordinem  retulit  sibi. 
'  Quae  cum  omnia  frater  Bertholdus  audisset,  misit  eam  ad 
quemdam   campsorem^),    qui   inter    omnes    civitatis    illios 


1)  D.  h.  Wechiler,  Bankier. 


^78      Sitewng  dar  phüoa.-phOol,  Gasse  vcm  9.  November  1867. 

ditior  habebatar,  imponens  ei  ut  ex  parte  Bua  diceret  sibi 
quod  dar  et  ei  tot  denarioB  pro  victualibus  et  expensiB, 
qaantam  valebat  una  dies  indalgentiae ,  pro  qua  habfoida' 
faerat  sex  annis  fratrem  Berthöldum  secata.  Quod  cum 
audisset  campsor,  subrisit  et  dixit:  et  qnomodo  scire  potero 
quantum  valeat  indulgentia  diei  unius,  quo  fratrem  Berthöl- 
dum secuta  fuistis?  Gui  illa  responditr  dixit  mihi  ut  di- 
cerem  vobis,  quod  poneretis  denarios  ex  una  parte  in  scu- 
tellam  staterae,  et  ego  in  alteram  scutellam  sufflarem,  et 
hoc  signo  poteritis  cognoscere  quantum  valet.  Posuit  igitnr 
denarios  larga  manu  et  implevit  scutellam  staterae;  ipsa 
yero  insufflavit  in  alteram,  et  statim  praeponderavit,  et 
denarii  subito  sunt  elevati,  acsi  conversi  fuiasent  in  plumeam 
leTitatem.  *  Quod  videns  campsor,  mirätus  est  vehementer, 
et  pluries  ac  pluries  denarios  ex  parte  sua  supraposuit  in 
statera,  nee  sie  potuit  fiatum  dominae  elevare,  quia  tanto 
pondere  eum  fixit  Spiritus  Sanctus,  ut  scutella  lanceae,  quae 
erat  ea  parte  dominae  plena  flatu,  elevari  denariorum  pon- 
derositate  nullatenus  posset  Quod  videntes  tarn  campsor, 
quam  domina  et  aliae  mulieres  quae  erant  praesentes,  statim 
yenerunt  ad  fratrem  Berthöldum,  et  ei  per  ordinem  quae 
acciderant,  retulerunt.  Gui  etiam  dixit  campsor:  paratus 
sum  restituere  aliena  et  amore  Dei  propria  paüperibus  ero- 
gare, et  desiderio  [lies  desidero] '  effici  bonus  homo ,  quia 
revera  mirabilia  vidi  hodie.  Gui  frater  Bertholdns  imposuit 
ut  illi  dominae,  cujus  occasione  ista  viderat,  et  sodis  suis 
victuah'a  tribueret  larga  manu.  Quod  diligenter  et  Üben- 
tissime  adimplevit  ad  laudem  domini  nostri  Jesu  Christi,  coi 
est  gloria  et  honor  in  saecula  saeculorum,  amen. 

V.  Alio  quodam  tempore,  cum  frater  Bertholdus  per 
quamdam  viam  cum  fratre  layco  socio  advesperascente  jam 
die  transiret,  captus  est  ab  assassinis  cujusdam  castdladi 
et  ductus  ad  castrum  et  nocte  illa  incatenatus  et  male  ho- 
spitatus   servabatur    ibidem.     Gastellanus    vero    usque  adeo 


Haf^Mmn:  SSu  BertMd  «on  Beffentburg.  879 

eoDcives  bhob  offenderat,  nt  fin  palatio  Commanis  depictos 
eeset,  qaali  poena,  bi  caperetnr,  puniri  deberet,  scilicet  ad 
BiiBpendium  jadicatuB.  In  craBÜnam  autem  drca  dilocttlam 
accessit  magister  carnifex  ad  castellanam  dominttm  säum  et 
dixit  ei:  quid  jubet  dominium  restrum  ut  fiat  de  fratribns 
lUis,  qai  heri  sero  ducti  faerunt  ad  nos?  Gui  castellanufl 
dixit:  „quod  expedias  eos^S  quod  erat  c^cere:  interfice  eos.. 
Sic  erat  de  castellano  isto  et  aSBasiniB  suis,  qui  aliquos 
praedabantur,  aliquos  interfidebant,  aliquos  rero  daoebant 
ad  castrum  et  ponebant  in  carcere,  quousque,  pecunia  data, 
redimi  possent;  alios  interfidebant  omnino.  Cum  autem 
frater  B^holdus  dormiret  et  sodns  buus  frater  lajcus  vigi* 
laret,  qui  matutinum  suum  dicebat  et  sententiam  mortis 
super  se  a  castellano  datam  intellexisset,  eo  qnod  non  esset 
inter  utrosqne  nisi  paries  intermedius,  coepit  frater  layous 
fratrem  Bertholdum  pluribus  vidbus  inclamare.  Cum  autem 
castellanus  nomen  fratris  Bertholdi  audiret,  coepit  cogitare 
ne  forte  iste  famosus  ille  praedicator  esset,  de  quo  mira- 
bilia  dicebantur;  et  statim  revdcato  camifioe  praecepit  ei, 
ne  laederet  fratres,  sed  ante  conspectum  suum  duoeret  eos. 
Qui  cum  perducti  fnissent,  interrogati  sunt  ab  eo,  quibus 
nominibus  vocarentur.  Gui  frater  laycus  respondit;  nomen 
meum  tale  est;  iste  vero  est  frater  Bertholdus,  famosus  et 
gratiosus  ille  praedicator,  per  quem  Dens  tot  mirabilia 
operatur.  Gum  autem  castellanus  talia  audivisset,  statim 
prostravit  se  ad  pedes  fratris  Bertholdi  et  amplexatus  et 
OBcnlatus  est  eum :  insuper  roga^it  eum  ut  amore  Dei  ipsum 
praedicantem  audiret,  quia  ex  mnito  tempore  desiderabat 
ab  eo  verbum  salutis  audire.  Gui  frater  Bertholdus  con- 
sensit  hoc  pacto,  quod  omnes  malefactores,  quos  secum  ha- 
bebat in  Castro,  ante  suum  conspectum  oongregaret  in  unum 
ut  omnes  simul  praedicationem  audirent:  quod  ille  libenter 
ae  facturum  promisit  Dum  igitur  casteUanua  suos  maleficos 
congregaret,    et   frater  Bertholdus    aliquantulum  seoeasiaaet 


380      Sitzung  der  phHoa.-phüoL  Chsse  ^oom  9,  November  1867, 

ad  dominum  exorandom,  aocessit  ad  eum  socius  saus  et 
dixit  d:  noveritis,  frater  Bertholde,  quod  sdper  nos  mortis 
senteixtia  ab  isto  homine  data  fuit,  quapropter,  si  umquam 
bene  praedicastis  de  poenis  infernalibuB  et  de  gloria*para- 
disi,  nunc  tali  magisterio  indigetis.  Audiens  haec  frater 
Bertholdus  totum  se  contulit  ad  rogandnm  Deum,  et  reversus 
denuo  Ulis  congregatis  ita  splendide  peroravit  et  verbum 
salutis  proposuit,  ut  omnes  amarissime  provocarentur  ad 
flendum,  et,  antequam  inde  recederet,  omnes  in  confessione 
audiyit  et  praecepit  eis,  ut  a  Castro  iUo  discederent  et  male 
ablata  restituerent,  et  toto  tempore  vitae  suae  in  poenitentia 
perseverarent  et  sie  vitam  aeternam  haberent.  Gastellanas 
vero  prostravit  se  ad  pedes  fratris  Bertholdi  et  cum  malus 
lacrymis  rogavit  eum,  ut  amore  Dei  eum  ad  ordinem  beati 
Francisci  recipere  dignaretur:  qui  recepit  eum,  sperans 
quod  a  ministro^)  hanc  gratiam  obtineret.  Gam  aatem 
fratrem  Bertholdum  sequi  vellet,  prohibuit  eum  frater  Ber* 
tholdus  propter  furorem  populi  quem  offenderat,  et  [qui]  de 
oonversione  ejus  nihil  audiverat.  Cum  autem  pervenisset  ad 
civitatem  frater  Bertholdus,  voluit  ipsum  populus  praedi- 
cantem  audire  et  congregati  sunt  omnes  in  glarea  cujusdam 
fluminis,  ubi  e  regione  pulpiti  latrones  in  furcis  pendebant. 
(Cum  talia  audis,  pone  tibi  exemplum  glaream  fluminis  Reni 
de  Bononia  d.  h.  stelle  dir  den  Sand  am  Reno  in  Bologna 
▼or)  Castellanus  igitur  supradictus  post  discessum  fratris 
Bertholdi  inflammatus  amore  divino  et  attractus  desiderio 
audiendi  fratrem  Bertholdum,  oblitus  est  omniam  maloram 
quae  umquam  intulerat  civitati,  et  veniens  solus,  ut  iret  ad 
locum  ubi  praedicabatur ,  statim  fuit  cognitus  et  captus  et 
sine  mora  ad  suspendium  ductus.  Gurrebant  autem  omnes 
post    ipsom    damantes    et  dicentes:     suspendatur  et  morte 


2)  minister  ist  entweder  generalis  (Ordensgeneral)  oder  provin- 
ciae  (ProTindal). 


Eafmatm:  Zu  BerihM  von  SegenOmrg,  381 

turpissima  moriator  iste  pessimus  inimicas  noster  .  .  Cum 
autem  videret  frater  Bertholdus  popalmn  concorrentem  et  a 
praedicatione  sna  recedentem,  miratus  est  valde  et  dizit: 
nomquam  accidit  mihi  qaod  aliquis  a  praedicatione  mea 
recederet,  nisi  praedicatione  finita  et  benedictione  aocepta. 
Coi  unoB  de  reaidentibus  dixit :  pater,  non  miremini  ez  hoc, 
qnia  captus  est  talis  castellanus,  qui  erat  noster  pessimus 
inimicas,  et  ducitur  ad  suspendium..  Audiens  hoc  frater 
Bertholdus,  totus  contremuit  et  cum  dolore  dixit:  noveritis 
quod  confessionem  ejus  audiyi  et  omnium  sociorum  suorum, 
quos  misi  ut  poenitentiam  facerent;  et  istum  ad  ordinem 
beati  Francisd  receperam,  et  modo  veniebat  ut  me  prae- 
dicare  audiret:  quapropter  curramus  omnes  et  liberemus 
enm.  Coeperunt  igitur  omnes  velodter  currere;  cumque 
pervenissent  ad  furcas,  jam  erat  tractus  superihs  et  expira- 
verat.  Depositus  est  igitur  ad  jussum  fratris  Bertholdi,  et 
invenerunt  chartam  circa  Collum  ejus  aureis  litteris  scriptam 
et  haue  scripturam  habentem:  Consummatus  in  breyi  ex- 
plevit  tem^ora  multa;  placita  enim  erat  Deo  anima  ejus: 
propter  hoc  properayit  educere  illum  de  medio  iniquitatum« 
Sap.  lY.  Tunc  misit  frater  Bertholdus  ut  yenirent  fratres 
Minores  de  conventu  dvitatis  illius  et  portarent  crucem, 
feretrum  et  habitum  et  viderent  et  audirent  mirabilia  Dei. 
Et  factum  fuit  ita  et  retulit  eis  et  omnibus  totam  hystoriam 
Bupradictam,  et  portaverunt  corpus  ejus  et  honorifice  sepe- 
lierunt  illud  in  loco  fratrum  Minorum,  laudantes  Dominum 
qui  talia  operatur. 

Hier  schliesst  leider  Salimbenes  Bericht,  der  ausführ- 
lichste und  in  seiner  Art  merkwürdigste,  den  das  Mittelalter 
uns  überliefert  hat.  Der  gute  Minorit  ton  Parma  (er  yer- 
abscheute  diese  seine  Vaterstadt^  wegen  ihres  gottlosen  Be- 
nehmens gegen  die  Mönche  und  die  Diener  Oottes  überhaupt 
so  sehr,  dass  er  in  den  48  Jahren  seines  Mönchthums  nicht 
dn  einziges  Mal  dort  wohnen  mochte,  vgl.  p.  353)  ist  eben 


882      Sitzung  4«r  f  ^ao«.-i>Mol.  Class^  wm  9.  November  1867. 

kein  grosser  Geist;  hat    aber  eine    so  belehrende   und  an- 
ziehende Chronik  gesohrieben,    wie   nur  irgend  einer  seiner 
Zeitgenossen.     Er  kümmert  sich  am  s^r  kleine  EKnge;    so 
erzählt  er   S.  222,    dass   im  Jahre  1250  ein  Cardinall^at 
aus  dem  (mit  dem  seinigen  rivalisirenden  und  von   ihm  an 
manchen  Stellen  angestochenen)  Dominikanerorden,  ein  jong^ 
und    spindeldürrer    Mensch   (juTenis   et   uiacileutinus)     den 
Damen    durch    das   Verbot  der    überlangen   Schleppkleider 
(caudae  mulieruiu,   mhd.   swanz)   grossen    Verdruss   bereitet 
habe,   im  Jahre  1285  eine  schreckliche  Epidemie  unter  den 
Katzen  gewesen  sei,  anno  so  und  so  dagegen  die  Flöhe  besonden 
überhand  genommen  hätten.     Wundav  und  Teufelsgeschich- 
ten  berichtet  er  mit  Vorliebe    und    so   darf  uns  denn  nidit 
übermschen,   wenn   der  grösste  Theil  dessen,   was   er   von 
unserem  Berthold    zu  sagen   weiss,    auch   schon  so  weit  in 
das  Gebiet  der  Wanderlegende  streift,  dass  es  aller  Forsch- 
ung schwer  fallen  wird,  den  historischen  Kern  von  der  Ein- 
kleidung  zu  sondern.    Gleichwohl  bleibt    sein  Bericht   auch 
nach  Abzug  alles  Wunderhaften  einzig  und  unschätzbar  durch 
die  Fülle   der  Einzelheiten,    die  Lebendigkeit  der  Schilder- 
ung  und  endlich  besonder   dadurch,    dass    es  gerade    ein 
Italiäner  ist,  der  mit  so  begeistertem  Schwünge  von  seinem 
gefeierten  ultramontanen  Ordensbruder  spricht  Geistig  steht 
freilich  Roger  Bacons  Zeugniss  noch  höher,  der  von  Berthold 
ohne  alle  Ordensrücksichten  geradezu  sagt,   er  leiste  in  der 
wahren  und  rechten  Predigtkunst  mehr,    als  beinahe   alle 
Dominicaner  und  Franciscaner  zusammen;    denn  es  ist  das 
Zeugniss   eines  umfassenden    und  tiefdenkenden    Gelehrten, 
dessen  überraschend  scharfer  und    klarer  Blick   in   vielen 
Dingen,    die  wir  als  die  Domäne  der  neueren  Wissenschaft 
betrachten,   auf  so  manchen  Seiten    seiner   bisher  unedirten 
Werke  in  Erstaunen  setzt.     So  verdanken  wir  ja   ihm  die 
merkwürdige  Stelle   über  die  Eintheilung  der  französischen 
und  englischen  Mundarten  (Opera  inedita  p.  438,  439,  467). 


Shfimann:  Bu  BmiMd  «m  Begemhwrg,  38S 

Und  auch  für  die  europäische  Beiühmtheit  Bertholds  ist 
BaooDs  Zeugniss  höher  anzuschlagen,  da  bei  den  Verkehrs« 
verhäknisseD  des  13.  Jahrhonderts  ein  Bekanntwerden  Ton 
Oberdeutschland  aus  in  Oxford  unendlich  schwieriger  ist, 
als  im  benachbarten  Oberitalien,  wo  der  deutsche  Kaiser 
Herr  war  und  die  deutsche  Sprachgränze  viel  tiefer  nach 
Süden  gieng,  als  wir  heutzutage  uns  vorstellen  können,  wo 
die  italienische  Sprachgränze  uns  durch  die  selbstmörderische 
Indolenz  der  zum  Schutze  deutscher  Mark  im  Südosten  Be- 
mfenoi  und  Verpflichteten  uns  Deutschen  im  Reiche  täglich 
naher  auf  den  Leib  rückt  und  rücken  wird,  60  lange  jedes 
Weh^  deutschen  Geistes  von  den  Machthabern  im  Alpen- 
lande  als  Pesthauch  der  Häresie  verpönt  und  nach  besten 
Kräften  exorcisirt  wird.  Salimbene  selbst  giebt  uns  in 
seiner  Franziskanerchronik,  ohne  daran  zu  denken,  einen 
höchst  schätzbaren  Wink  über  die  Fortdauer  deutscher 
Zunge  in  Bergamo  in  Mitte  des  langobardischen  Alpenvor- 
landes zwischen  den  Seen  von  Gomo  und  Iseo,  somit  weit 
westlich  von  Vicenza's  vielgenannten  deutschen  Sprachinseln. 
Salimbene  also  berichtet  unter  dem  Jahre  1287.  Quidam 
honUnes  de  Bergamo^  de  maiarUmsi  civitatis  suae,  propter 
hamicidium,  quod  fecerant^  fuerunt  de  dvitate  sua  forbafmiti 
et  positi  in  cofifinibus  ,sempitemis  sinespe  uUerius  redeundi. 
Cum  ergo  Begium  (Beggio  zwischen  Parma  und  Modena) 
devenissent,  petierunt  a  Communi  Begino  locum,  in  quo 
posaent  häbitare  securi,  Begini  vero  hone  eis  gratiam  con- 
eesserunt,  ut  circuirent  totum  episcopatum  eorum  et  ubi  inr 
wnireni  locum  non  ab  aliis  occupatum  et  ydoneum  sibi,  ibi 
suam  wnumtionem  construerent  et  habitarent;  et  sie  fecerunt 
roketam^  quae  ab  eis  dicta  est  Tiniberga.  Wenn  verbannte 
bergamaskische  Patrizier  dieses  rQ^^a(Bergschloss),  10  Meilen 
von  Reggio  und  eine  Meile  von  Sassolo  (Saxolo),  wie  Salim- 
bene ebenda  S.  394  ff.  weiter  ausführt,  mit  einem  offenbar 
deutschen  Namen  belegen  konnten,  so  liegt  die  Vermuthnng 


384      Sitzung  der  phüoa.-phüol.  Claaae  wm  9.  November  1667. 

wohl  unabweislich  nahe,  dass  sie  sdbst  Deutsche  gewesen; 
denn  ein  Wort  wie  Tiniberga  fiir  ein  schon  im  Italienischeii 
eingebürgertes  deutsches  zu  halten,  geht  kaum.  Tim&er^a nun, 
wenn  wir  uns  an  den  Wortlaut  halten,  wäre  zunächst  aus  alt- 
hochdeutschem ^mna,  mittelhochdeutschem  tinne  Stirne,  Zinne 
abzuleiten  und  hiesse  so  viel  als  Zinneberg.  Allein  es  ist 
auch  möglich,  dass  der  Abschreiber  hier  gefehlt  und  das 
Wort  liniberga  vor  sich  gehabt,  welches  im  Ahd.  hinlänglich 
oft  vorkömmt  imd  einen  guten  Sinn  an  unserer  Stelle  geben . 
würde.  Es  steht  bei  Graff  III.  174  und  heisst  fulcruw^ 
j^nnacidum,  reclinatorium,  canceUi,  also  ein  eingeschlossener 
Ruhe-  oder  Zufluchtsort;  gewiss  ein  passender  Name  für 
das  Felsennest  der  verbannten  Bergamasken.  Verschreib- 
ungen  dieser  Art  finden  sich  auch  sonst,  so  in  dem  weiter 
unten  zu  erwähnenden  Stücke  in  Versen  Eaiuans  intrinsecus 
Strophe  7,  Vers.  4  Älachie  für  Alethiae  X'^gi-  Carmina  Bu- 
rcma  Nr.  172  Str.  9,  wo  ebenso  unrichtig  Galatiae  steht). 
(An  einer  andern  Stelle  steht  in  bibliotheca^  wo  offenbar  in 
biblia  tota  das  Richtige  ist.) 

Ich  habe  mich  natürlich  bemüht,  über  die  Mittheilnngen 
Salimbenes  nähere  Aufschlüsse  zu  gewinnen  und  wo  ge- 
druckte Werke  solche  nicht  ergaben,  zu  Schmellers  Real- 
katalog, der  im  25.  Gahier  Blatt  59—80  von  Berthold  han- 
delt, meine  Zuflucht  genommen,  sowie  zu  seinen  so  überaus 
wichtigen  Initien.  Bis  jetzt  habe  ich  das,  was  ich  zunächst 
suchte,  nicht  gefunden,  nämlich  die  beiden  Predigten  über 
den  Antichrist  und  den  Commentar  über  die  Apokalypse. 
Die  Bibliothek  der  Franziskaner  in  Regensburg  enthielt 
zwar,  wie  Sanftls  Catalog  angiebt,  einen  solchen  Commentar, 
aber  ohne  Angabe  des  Verfassers.  Dagegen  habe  ich  bei 
Durchgehen  der  Schmeller|fchen  Blätter  einiges  gefunden, 
was  den  Spezialforschem  auf  diesem  Gebiete  vielleicht  ent^ 
gangen  sein  dürfte.  Erstens  eine  authentischere  Quelle  über 
seinen  Todestag,    als  die  bisherigen,   nämlich  das  Todten- 


Hofmaim\  Zu  Berthold  vcn  Segensburg.  S85 

bach  des  FranziskaDerklostere  in  Regensburg,  wo  Berthold 
gestorben  ist.  Es  findet 'sich  in  der  Münchner  Hof-  und 
Staatsbibliothek  Chn.  130B0  (üim.  4)  und  wird  nächstens 
Ton  Hrn.  Reichsarchivsfunctionär  Primbs  in  den  Schriften 
des  historischen  Vereines  von  Regensburg  herausgegeben 
werden.     Der  Eintrag  lautet: 

XIX.  K.  J.  (14.  Dec.)  0,  fr.  perhtold^  magn^  "pdi- 
eaior.  M,CCLXX1I.  Am  Rande  sein  Miniaturbild  knieend 
und  betend.  In  demselben  Todtenbuche  stehen  auch  seine 
Schwester  und  sein  Schwager. 

6  Ja.  Juni]  0.  Elisahet  sechsin  soror  fris  perch- 
ioldi  a«.  d.  1.  2.  93. 

D.  F.  J.  Oct.  Item  obiH$s  Merkelini  Saxonis  qui 
habuit  sororemfratris  Perchtoldi  magni  predicatoris  a.  d. 
1.  2.  82. 

Demselben  Gelehrten  verdanke  ich  noch  folgende  Mit- 
theilnngen. 

yjDas  antiquum  mortilogium  der  Franziskaner  in 
München  (Cod.  bav.  755  TL.  pag.  143)  gedenkt  seiner  unter 
dem  14.  Dec.  Frater  Bertholdus  doctor  gentium  in  BatiS" 
pana.  Ebenda  wird  auch  seines  Lehrers  Frater  David  in 
Augusta  am  15.  November  gedacht. 

Das  Necrologium  des  Klosters  S.  Clara  am  Anger  in 
München  (C!od.  4,)  gleichfalls  am  14.  Dec.  1272.  Frater 
Bertholdus  doctor  gentium  in  ratispona. 

Die  Necrologien  von  S.  Clara  und  den  Franziskanern 
in  München  wurden  von  Herman  Sack,  Gardian  des 
letztem  circa  1404  angefertigt.  Die  Necrologien  der  Fran- 
ziskaner* in  Kelheim  und  Nürnberg,  sowie  Landshut  haben 
seinen  Todestag  nicht^^ 

Von  Bruder  Berthold  war  die  Rede  in  einem  Perga- 
ment-Codex der  Heilsbronner  Bibliothek,  welcher  leider 
nicht  mit  in  die  Erlanger  gekommen  und  dessen  jetziger 
Aufenthalt  mir  tmbekannt  ist.     M.  Joh.  Lud.   Hocker  in 


886       Sitzung  der  phüos.-phikil,  CloBae  wm  9.  N&vember  1667. 

Beiner  BibL  Heilsbr.  Norib.  1731.2  <^  p.  35  giebt  darüber 
folgendes:  (302)  Opera  fratris  Bertholdi  s.  Extravagamies 
BusticanL  fol.  Sermanes  hie  eontineniur  CCXCVin.  prae- 
fixa  habentes  primo  Prologum  fratris  Heinrici  cujusdam 
monachh  qt40  operose  BerthoMum  eammendat  atque  ab  aenm- 
lis  Easticani  nomen  ipsi  itnposüum  vindicat;  ddnde  iripUr 
tem  indicem  u.  s,  w.  Es  wäre  vor  Allem  dieser  Hand- 
schrift und  dem  Prolog  des  Frater  Henricus  nachzuforschen. 
Unsere  Hof-  und  Staatsbibliothek  besitzt  nun  einen  Codex 
von  S.  Emmeram,  Saec.  XIV.  (Cod.  lat.  14093)  mit  dem 
Titel  Sermones  qui  dictmtur  rusticani  de  Sandie  per  drcttr 
lum  anni\  318  Blätter  in  4^  Am  Schiasse  steht  roth: 
Iste  liber  est  fratris  Hemumni  de  ordine  fratrum  minorum. 
Dann  schvirarz  die  Verse: 

Magni  pradati  liber  explicit  atque  beati 
De  Vriberch  lati  nuper  et  bene  tnorieraii. 
Ein  Blatt  von  Hoheneichers Hand  (Rep.  25/61  bemerkt: 
Auetor  est  Berthcidus  Batisbonensis  ^  Ordims  Mincrum. 
Sanftl  in  seinem  berühmten  Cataloge  der  S.  Emmeramer 
Bibliothek  (III 1540)  (ihm  hat  Hoheneicher  seine  Notiz  ent- 
nommen), bemerkt  zu  demselben  Codex:  Sermones  qui  di- 
cuntur  rusticani  ete.  Auetor  est  Berthoidus  Batisbone9i8i8 
vide  Kdbolt  Baier.  Gd.  Lex.  p.  66.  In  Catalogo  Codd. 
Mss.  BibUothecae  fratrum  MinorumBatisbonae^  quem  supra 
pag.  1020  retulij  ^notaiur:  Nota  de  Busticßno  novo  et 
antiquOf  scilicet  fratris  Pertholdij  welcher  Eintrag 
sich  denn  auch  richtig  am  angegebenen  Orte  des  Sanfkl'- 
sehen  Catalogs  ohne  weiteren  Zusatz  findet.  Im  Original- 
Catalog,  welchen  Sanftl  abgeschrieben  and  der  ^ch  eben- 
falls noch  auf  unserer  Bibliothek  befindet,  (Em.  B.  XX.) 
h^sst  es  Node  Busticano  nouo.  et  antiq.  s.  fris.  phtoldi. 
Die  Codices  der  Regensburger  Franziskaner  sind  nicht  alle 
in  die  hiesige  Staats-,  aus  der  Regensburger  Stadtfaib- 
üothek  übergegangen,    wo  nun  weitere  Nachforschungen  an- 


MofiMm:  Zu  BmihM  vm  Begmakwg.  887 

zustellen  sein  werden.    Den  hiesigen  Codex   der  Sermones 
Bosticani   habe  ich   bis  jetst  noch. nicht  durchlesen  können, 
enthalte  mich  also  hier  vorläufig  jeder  weitem  Bemerkung  usd 
Vermuthung.  Dagegen  kann  ich  das  folgende  Werk  nicht  nur 
anführen  und  dabei  Hockers  Bemerkungen  wiederholen,  son- 
dern  es  li^   mir  durch  die  gefällige  Oüte  der  Vorstände 
der  hiesigen  Staats-  und  der  Erlanger  Universitätsbibliothek 
der  Codex  selbst  vor.  Die  Pergamenthandschrift,  welche  bei 
Hocker  die  Nummer  384,   in  der  Erlanger  Bibl.  407  trägt, 
enthält  Sermones    ad  reUgiosos.     Auf  dem    5  Blatte  findet 
sich  die  Rubrik,   in   welcher  der  Name  des  Verfassers  der 
Predigten  genannt  ist»  den  Hocker  B^iholdi,  Irmisdier  da- 
gegen im  üataloge  der  Eri  Hss.  S.  118  (Nr.  407)  Gerholdi 
las.    Beide  haben  falsch  gelesen;   aber  der  Grund,  weshalb 
zwei  so  tüchtige   und  achtbare  Geldirte    in   ihrer  Deutung 
des  Wortes   so  weit  auseinander  gehen  konnten,    ist  palao* 
graphisch  so   interessant,    dass    ich  ihn    näher  besprechen 
muss,   80  weit  diess  ohne  Facsimile  möglich    ist.    In   der 
Handschrift  selbst  stdit  nämlich  unzweifelhaft  berholdi.     er 
ist  oben    redits   am  b  durch   einen  Hacken  abbrevirt,   der 
von  oben    nach  unten  geht,    und   den    Irmischer  für   den 
oberen  Zug  eines  grossen  Q  hielt,  welcher  Zug  aber  in  der 
HS.  sich  nicht  in  vertikaler,   sondern  in  horizontaler  Bidit- 
nng 'schlingt     Nachdem  Irmischer  das  b  mit  seinem  abhre- 
virten  er  Cir  G  genommen  hatte,    musste  er  nun  auch  die 
Abkürzung  für  er  suchen,  denn  sonst  hätte  das  Wort  Oholdi 
gelautet.    Er  fand   sie  in  dem  Häckchen,   mit  welchem  h 
oben  ansetzt  und  welches  gerade  so  aussieht,    wie  der  An- 
fang der  gewöhnlichen  Abkürzung  für  er.  Um  aber  wirklich 
die  AUdirzong  er  zu  sein,    müsste  das  Häckcben  lur  sich 
stehen    und  dürfte  nicht  den  obern  Anfang  des  folgenden  h 
bilden.    Leider    ^nd    von  der  Hand  des  Rubricators  sonst 
zu  wenige  Einträge  vorhanden,  um  die  Frage  mit  absoluter 
Sicherheit  entscheiden  zmkimnen,  namentlich  findet  sich  kein 


388       Sitssung  der  phÜos.-pMM.  CkuH  wm  9.  J^ovember  1867, 

zweites  G  und  kein  zweites  h,  Irmischers  Lesung  erklärt 
und  rechtfertigt  sich  nach  allem  Gesagten  sehr  leicht,  wäh* 
rend  Hocker  einfach  berholdi  gelesen  und  das  t  als  selbst- 
YerständUch  hinein  ergänzt  haben  wird.  Ich  selbst,  meiner 
eigenen  Erfahrung  misstrauend,  habe  vier  der  geübtesten 
hiesigen  Handschriftenleser  zu  Rathe  gezogen.  Einer  davon 
las  Gerhcldi,  die  drei  andern  unbedenklich  berholdi^  was 
also  für  jetzt  die  Majorität  für  sich  hat.  Der  Name  Ber- 
hold  scheint  auch  nicht  Yorzukommen,  wenigstens  findet  er 
sich  nicht  bei  Förstemann. 

Die  ganze  Rubrik  heisst  nun  so: 

Iste  est  numerus  et  ordo  ei  nkUeria  Sermonum  fratris 
berholdi  ad  religiosos  et  g^uasdam  alias.  Dieses  Verzeich- 
niss  e/ithält  nun  unter  Nr.  91  Begula  selbhardi  cum  o/^ 
.  cialibus  et  offidis  suis^  also  ist  kein  Zweifel,  dass  die  Ton 
Wackernagel  LB.  811  nach  R.  von  Raumers  Abschrift  mit- 
getheilte  Begula  Selphardi  dem  Verfasser  der  ganzen 
lateinischen  Predigtsammlung  zugeschrieben  wurde.  Hocker, 
der  nicht  an  Bertholds  Autorschaft  zweifelte  und  die  Regula 
Selphardi  als  Specimen  des  Codex  S.  36 — 37  vollständig 
abdrucken  liess,  bemerkt  dazu:  Cur  ab  aemulis  fratribus 
Busticani  titulum  Beriholdus  iste  r^portaverit^  ex  hisce  94 
sermonibus  hinc  inde  conjectari  potest^  quanta  enim  libertate 
mores  claustralium  perstrinxerit^  vel  sola  Begula  Selphardi 
nomine  insignita^  quam  totam  Sermoni  94.  praemisit^  docet. 

Ich  kann  die  Frage ^  ob  diese  Predigten  und  Predigt- 
entwi^rfe  (die  meisten  gehören  wohl  der  letzteren  Kategorie 
an)  von  unserem  Berthold  sind  oder  sein  können,  hier  aus 
Mangel  an  Hülfsmitteln  nicht  weiter  verfolgen,  dass  Berthold 
Sermones  rusticatios  geschrieben,  sagt  auch  Job.  Vitodur. 
(Pfeiffer  Zeugniss  17). 

Ein  Zeugniss  über  die  Berthold  zugeschriebene  Gabe  zu 
prophezeien,  liefert  uns  Bruder  Chunrad  in  den  Randbemerk- 
ungen des  altehrwürdigen  Missale  von  Andechs  (And.  5),  wo  es 


H^fmatm:  Zu  BeriMd  wm  Eegmabmg.  889 

£.  79  b  heisst :  Navennt  xpi  ßdeles^  quod  ego  f rater Ch{unradfi») 
conventus  de  monte  8.  Petri  qui  dicitur  Madron  (d.  h. 
die  Kirche  in  uionte  Madarano  oder  auf  dem  Petersberg  bei 
Branuenburg),  cum  edißcavimus  capeUam  8,  Caterine ,  in- 
venimus  plures  kartas,  mter  quas  una  eraij  quae  sie  dice^ 
bat,  quod  quadam  vice  praedioavit  frater  Perchtoldus  prae- 
dicator  ordinis  fratrum  Minorum  in  mimte  et  Castro  Ändess 
in  praesentia  camitis,  qui  frater  Perchtotdus  multum  dili- 
gebatur  et  commendabatur  a  praedicto  comite.  Inter  cetera 
propheti^avit  sihi  in  quodam  sermone,  castrum  suum  esse 
destruendum  et . ,  .  (uidesbar)  redificandam  (sie)  tempore  tri- 
bulcUicfnis  et  pads.  tunc  revelaMtur  gloria  demini  in  hoo 
isto  et  veniet  consolatio  poptdi  et  quia  prope  annus  grade 
et  magnificabitur  locus  per  edificationem  u.  s.  w. 

Das  Uebernatürliche  spielt  hier  wie  in  so  manchen 
andern  Erzählungen  von  Berthold  eine  Rolle,  die  immer 
grÖsaer  wird,  bis  sie  endlich  gipfelt  in  dem  Berichte,  den 
Uoittinger  nach  der  Chronik  des  Johann  Ulridi  Krieg  wieder- 
holt, dass  er  nämlich  einen  Todten  wieder  lebendig  gemacht 
habe.  Nach  dem,  was  in  der  Helvetischen  Bibliothek 
Zweites  Stück  S.  129—182  Zürich  1735  über  diese  soge- 
nannte Krieg'sche  Chronik  gesagt  ist,  gehört  sie  einer  so 
späten  Zeit  an,  dass  wir  in  ihrem  Berichte  einen  der  letzten 
Attslänfer  von  Bertholds  legendenhaft  gewordener  Gesdiichte 
erblicken  dürfen,  wie  sie  sich  wahrscheinlich  auf  schweizeri- 
schem Boden  und  unter  dem  Einflüsse  des  Zeugnisses  von 
Johannes  Vitodoranus  gebildet  hat,  wie  denn  auch  die  irrige 
Notiz,  B.  sei  in  Winterthur  geboren,  aus  den  Angaben  des 
Winterthnrer  Chronisten  erschlossen  seiu  wird. 

Dagegen  ist  uns  in  neuester  Zeit  ein  zwar  sehr  kurzes 
und  mageres,  aber  durch  seine  Gleichzeitigkeit  wichtiges 
Zeugniss  von  Lamprecht  von  Regensburg  durch  Franz  Pfeiffer 
(Altdeutsches  Uebungsbnch  S.  71  Z.  75)  zum  ersten  Male 
mitgetheilt.  Lamprecht,  der  unsern  Berthold  aller.  Wahr- 
[1867.  n.  3.]  26 


390       Sitzung  der  phaoB.-phadl.  CUuse  wm  9.  November  1867. 

scheinlichkeit  nach  persönlich  gekannt  hat,  sagt  von  ihm 
und  einem  (schottischen?)  Ordensbruder,  der  wohl  auch  ia 
Begensburg  lebte: 

brttder  Johan  von  Engdant 

Vn  der  svzse  Perhtolt 

hdbent  der  genaden  solt 

von  Jesu  enpfangen. 

waer  es  mir  sam  ergangen^ 

dcLJg  nem  ich  vur  die  richeit 

die  diu  werlt  eUiu  treu. 
Zum  Schlüsse  muss  ich  noch  einmal  auf  Salimbene  zu- 
rückkommen, dessen  Chronik,  abgesehen  Ton  ihrer  hohen 
Bedeutung  für  Kirchen-,  Kloster-  und  Reichshistorie  schon 
in  Bezug  auf  Literatur-  und  Culturgeschichte  einer  beson- 
dern systematischen  Behandlung  würdig  wäre. 

Man  sieht,  dass  die  Sage  vom  gewogenen  Ablass,  die 
ich  mit  Nr.  4  bezeichnet  habe,  ihren  Weitererzähler  gefun- 
den hat  im  37.  Zeugniss  Pfeiffers  von  Marianus  aus  Florenz 
(15./16.  Jh.),  worauf  schon  das  seltene,  beiden  Berichtai 
gemeinsame  campsor  hindeuten  könnte.  Wir  dürfen  an- 
nehmen, dass  die  erste  italienische  Quelle  hier  Salimbene 
war,  dass  aber  zwischen  ihm  und  dem  Erzähler  des  16.  Jhd. 
noch  mehrere  Berichte  in  der  Mitte  gelegen  haben  werden, 
^  die  uns  bis  jetzt  nur  noch  nicht  bekannt  sind,  denn  dass 
Marianus  aus  einem  um  mehr  als  200  Jahre  älteren  Werke 
direkt  geschöpft  habe,  ist  im  Allgemeinen  unwahrscheinlich. 
Bei  der  ethischen  und  ästhetischen  Würdigung  dieser  Le- 
gende müssen  wir  uns  erinnern,  dass  das  Wägen  von  Im- 
I>onderabilien  durch  das  ganze  Mittelalter  bis  auf  die  neueste 
Zeit  geht  und  ohne  Zweifel  einer  der  vielen  Züge  geistlicher 
Symbolik  ist,  deren  Ursprung  wir  im  Orient  zu  suchen 
haben.  Hier  ist  es  Alexanders  Fahrt  zum  Paradiese,  (Alex 
M.  iter  ad  parad.  ed.  J.  Zacher,  Königsberg  1859  S.22— 29)> 
die  wir  als  Quelle  unserer  Bertholdlegende  ansehen  können, 


HofmaiMi:  Zu  Berfihold  von  Begemabwrg,  391 

da  dieser  Zug  bekanntlich  in  den  dentsohen  Alezander  über- 
g^angen  ist.  Wie  dort  der  einem  menschlichen  Auge 
gleichende  Edelstein  aus  dem  Paradiese  das  sichtbare  Symbol 
der  unersättlichen  Gier  des  Menschenherzens,  die  nur  ruht, 
wenn  Staub  das  Auge  deckt,  so  ist  in  Salimbenes  Darstell- 
ung noch  des  Blasen  der  Dame  auf  die  Wagschale  der 
materielle  Faktor ,  während  «ein  solcher  bei  Marianus  gans 
fehlt,  ebenso  wie  in  der  modernen  Erzählung,  wo  vom 
Pabst  bestimmt  wird,    wie  schwer  ein    Vaterunser  wiegt. 

Ueberhaupt  darf'  bei  Entstehung  religiöser  Sagen  und 
Legenden  angenommen  werden ,  dass  die  einer  bestimmten 
Zeit^  wie  die  eines  bestimmten  Landes  auch  einen  gemein- 
samen Zuschnitt  haben  und  zwar  um  so  markirter,  je 
mehr  die  geistige  Entwicklung  eines  solchen  Gebietes  eine 
isolirte  ist,  wie  man  diess  sehr  deutlich  an  den  so 
charakteristischen  irischen  Legenden  studiren  kann.  Dass 
eine  solche  Legendenwelt  dann  ihrerseits  zurückwirkt 
auf  die  Auffassung  der  Vorgänge  des  wirklichen  Lebens  hat 
sdbon  sehr  richtig  Karl  Schmidt  (Nicolaus  von  Basel,  Wien 
1866  S.  54  ff.)  ausgeführt,  indem  er  genau  die  für  solche 
ErscheinuQgen  fundamentale  Distinction  zwischen  objectiver 
und  subjectiver  Existenz  festhält,  jene  verwirft,  diese  zugibt. 
Er  hätte  da  wohl  in  einigen  Punkten  noch  weiter  gehen 
und  ^in  der  frühsten  Jugendgeschichte  des  Nicolaus  (S.  4) 
den  realen  Reflex  der  Alesduslegende  in  Anschlag  bringen 
können,  deren  ethische  Wirkung  zu  allen  Zeiten  eine  ge- 
waltige gewesen  sein  muss,  wenn  wir  bedenken,  dass  sie 
nicht  bloss  in  alle  christlichen  Sprachen  des  Mittelalters, 
sondern  auch  in  verschiedenen  Fassungen  in  die  arabische 
fibergegangen  ist  (s.  W.  Lane  Anmerkungen  zu  der  grossen 
Ausgabe  von  1001  Nights),  in  einer  dem  Ali,  Sohn  de» 
Ghalifen  Harun  AI  Raschid  zugeschrieben  wird,  und  noch  in 
unserer  Zeit  auf  den  jungen  Qöthe  einen  solchen  Eindruck 
machte,  dass  er  sie  nach  der  Erzählung  einer  alten  Frau  in 

26* 


392      Siigung  4m  fhOm.'pkaoL  «mn  Clatse  9.  Nopemiber  ISe?, 

•einen  Schwerer  ReiBtbriefm  (Anhang  xa  Werthere  lioideai) 
▼erewigte.  Aehnlich  dürfte  in  dorn  mystischen  und  aller 
Welt,  edbet  ihren  getreaeten  Anhängern  yerborgenen  Zu- 
fianmenleben  der  Gottesfreiinde  in  tiefeter  Waldmeamkeit 
(8.  44  ff«  61-^53)  emBeflez  des  poetisefaen  Cönobitenthums 
der  Graaltempleisen  im  unnahbaren  Walde  von  Maneal- 
Taeecfae  aiob  darstellen. 

Unter  den  literarisohen  Mittheilangen  Salimbenea  dörfteu 
folgende  zn  den  wichtigeren  gehören.  Von  YordantiecheD 
Dichtem,  die  sonst  nicht  bekannt  sind,  nennt  er  S.  189 
einen  Pelavicino  (=:Bnpf  den  Nachbar)  ton  Parma  als  can- 
iUmum  inventar;  von  sidlianisdien  Dichtem  S.  245—6  einen 
anch  iu  der  politischen  Gesdiichte  bedeutenden  cames  et 
eamerarius  des  Königs  Manfred  (welcher  seinen  Bruder 
König  Conrad  durch  Giovanni  da  Procida  veigiften  liess, 
wie  man  nach  S.  245  erzählte),  mit  Namen  Manfrede 
Maletta,  opiimus  et  perfectus  in  comM4mihus  moemenäU  et 
tanülenis  excogitandis,  et  in  sanandie  insirumentiß  non  cre- 
diiur  habere  parem  in  mundo.  Am  öftesten  aber  (6  Mal) 
eitirt  er  von  italienischen  Dichtem  den  magister  Gerardos 
Patedus  (auch  Patecelns  geschrieben)  vielleicht  von  Gremona 
vgL  8.  21,  der  ein  Buch  de  Taedüs  gesdirieben,  zu  dem 
Salimbene  selbst  im  Jahre  1260  eine  Fortsetzung  dichtete, 
wie  er  S.  238  sagt:  In  supradicto  uniOeemo  (1360)  Aoftite- 
bam  in  Bwrgo  Soincti  Danini  et  eompasid  et  scripsi  aUum 
librum  Taediorum,  ad  simüitudinem  PateeU.  Trote  des 
lateinischen  Titels  sind  alle  Citate  italienisch  und  das  Buch 
scheint  moralisch-satirischen  Inhalts  gewesen  zu  sein,  so 
dass  sein  Verlust  um  so  mehr  zu  bedauern  ist,  als  fast  alle 
vordantiscfae  Poesie  bekaofntlioh  in  Liebesliedern  besteht. 
Eine  allgemeine  italiem'sche  Sprache  kennt  er  natürlich  noch 
nicht;  er  unterscheidet  &  351  zwischen  tuseice  et  hmbor- 
dice  et  gaUice  logui.  Hervorzuheben  ist  auch  sein  Bericht 
über  die  Geissler  und  ihre  Lieder  (S.  238),   anno  JJi60  ee- 


H^ftMum:  Em  B^rlMä  «OH  Bigembmrg.  398 

nenmi  iferberatores  per  miwergum  a^em  et  .  .  .  comptm^ 
h€mt  lauäes  divinas  ad  honorem  Bei  et  beatae  Vir^nie 
quae  caiUabant,  dum  se  terherando  mcederent^  -^  aber  die 
eantüenas  und  eequeniiag  des  frater  Henricus  8.  64,  über 
das  nachher  verbrannte  Buch  des  frater  Ohirardinus  de 
Borgo  Sancti  Dcnini  (8.233.285),  und  besonders  der  über 
den  näheren  Inhalt  des  Commentars  über  die  Apokalypse 
vom  Abbas  Joachym.  den  wir  sdion  oben  in  seiner  Ersähl«- 
ung  von  Berthold  erwähnt  fanden.  Er  hiess  liber  figurarmifi 
nnd  dentete  auf  die  Sarac^en,  auf  Machometh,  Mutfisel» 
matns,  Saladiuus  und  Kaiser  Friedrich  II.,  (S.  224)^  während 
ein  anderer  Zeitgenosse  den  König  von  Castilien  filr  den 
Antichrist  hielt  (3.  234).  Ein  wahrer  historischer  Romaa 
in  mute  ist  das  Leben  des  Cardinallegaten  Philippe  von 
Ravenna,  aus  Pistoja,  der  in  seiner  Jugend  als  armer 
Scholar  die  Hochschule  der  schwarten  Kunst,  Toledo,  be* 
sachte,  aber  von  sebem  Professor,  einem  beriihmten  Meister 
(cag^atuSy  eenex,  aepectu  deformie)  als  unfähig  entlasseii 
werden  musste,  weil,  wie  er  sagte:  voe  Lomba/rdi  non  estis 
pro  orte  ista^  et  ideo  dimütaUe  eam  nobie  Hydpanie,  gm 
homines  feroees  et  ewnües daemonibue  sum^,  tui^erOj  fUiy  vade 
Parisios  et  stude  in  scriptura  divina,  guid  in  eedeeia  Bei 
adhuc  futurus  es  magnue  (S.  200).  welches  teetimonium  et 
indess  später  als  Cardinallegat  zu  Schanden  machte,  wo  sie 
Umebant  eum  sictd  diabolum  und  selbst  der  schreckliche 
Eifjselino  di  Bomano  nur  parum  plus  Umobatur  (S.204— 5). 
Von  noch  allgemeinerem  und  zum  Theile  actuelldm  Interesse 
wären  die  Urtheile  unseres  freimüthigen ,  charakterfesten 
und  löblichster  Unparteilichkeit  (vgl.  S.  245)  beflissenen 
Minoriten  über  Kirchen-  und  Staatsverhältnisse,  wie  z.  B. 
das  über  die  Erwerbung  der  Romagna  S.  282.  Hanc  (Bo- 
magnolam)  Ecclesia  romana  dono  obHnuit  a  domino  Bodfdfo^ 
qui  tempore  domini  Oregofü  papae  X.  ad  imperium  fuit 
eketus.    Saepe  enim  Bomani  Pontifices  de  repubUcd  dUquid 


394       SiUiung  der  pkaoB.-phikl  Ckuse  vom  9,  Nwember  1867, 

volunt  emtmgere,  cum  ImpercUares  ad  Imperium  <is$umuntur. 
Da  indess  mein  Absehen  hier  kein  historisch-politisches  sein 
kann,  so  schliesse  ich  mit  dem  Zeugnisse  Salimbenes  über 
eine  Persönh'chkeit ,  die  in  der  Literaturgeschichte  nicht 
minder  berühmt  ist,  als  selbst  Bruder  Berthold,  idi  meine 
den  Archipoeta  Waltharius  oder,  wie  v.  Giesebrechts  Unter- 
suchungen herausgestellt  haben ,  Walthcr  von  Lille  (Gual' 
terius  ab  Insulis).  Unser  Autor  kennt  ihn  genau,  dtirt  um 
öfter,  theilt  S.  42 — 45  sem  grosses  Gedicht»  Äestuans  tfi- 
trinsecus  (=  Carmina  burana  p.  67-^71)  ganz  mit,  und 
berichtet  von  ihm,  was  kein  Zeitgenosse  weiss  (S.  41):  Fuü 
his  temparibus  Primas  canonicus  Coloniensis^  magmts 
truiannus  (franz.  truan^  engl,  truant)  et  magnus  trufaior  d 
maximus  vereificator  et  vdox^  qui^  $i  dedisset  cor  suum  ad 
diUgendum  Deum^  magnus  in  litteratura  divina  fuisset  et 
utüis  valde  Ecclesiae  Bei.  Cujus  Apocalypsim^  quam  feee- 
rat,  vidi  et  alia  scripta  plura.  Darauf  folgen  6  seiner 
Epigramme  mit  Angabe  der  Veranlassung,  endlich  das  Ad' 
stuans  intrinsecus  mit  folgender  Motivirung:  Item  hie  ac- 
cusatus  fuit  archi^nscopo  suo  de  tribuSf  sdlicet  de  opere 
venereOy  id  est  de  luxuria^  et  de  ludo  et  de  taibema.  Et 
eoccusavü  se  rithmice  hoc  modo.  S.  357  erwähnt  er  noch 
sein  Gedicht  De  vita  mundi  und  theilt  überhaupt  131  Verse 
von  ihm  mit. 

Herr  Plath  trägt  vor: 

„Ueber  Krause^s  Unsterblichkeitslehre'^ 
Derselbe  behält  sich   die  Verfugung  über  die  Abhand- 
lung vor.  

Der  Classensecretär  Herr  M.  J.  Müller  berichtet: 
„Ueber  mehrere  Nummern   des   türkischen  in 
London  erscheinenden  Journals  'Mukhbir'", 
die  der  Akademie  von  der  Redaktion  geschickt  worden  sind. 


Bucfmer:  BMung  wm  Sckwefdarsenik  in  den  Leieken  ete,    395 


Mathematisch -physikalische  Glasse. 

Sitzung  vom  9.  November  1867. 


Herr  Ba ebner  hält  einen  Vortrag:  ^ 

„Ueber  die  Bildung  von  Schwefelarsenik  in  den 
Leichen  mit   arseniger   Säure   Vergifteter." 

Die  Umwandlung  der  arsenigen  Säure  in  gelbes  Schwefel- 
arsenik in  faulenden  Eingeweiden  ist  schon  öfter  als  einmal 
nachgewiesen  worden. 

Ich  selbst  habe  eine  solche  Veränderung  vor  einigen 
Jahren  zufällig  beobachtet,  als  ich  Theile  des  Magens  und 
Darmkanales  aus  der  Leiche  eines  Menschen,  den  man  für 
vergiftet  hielt,  nachdem  dieselben  zerschnitten  und  mit  Koch- 
salz gemengt  waren,  der  zersetzenden  Einwirkung  concentrirter 
Schwefelsäure  unter  Mithülfe  der  Wärme  unterwarf,  um  etwa 
vorhandene  arsenige  Säure  in  flüchtiges  Chlorarsen  überzu- 
fuhren. Es  fiel  mir  auf,  dass  während  der  Entwicklung  des 
Salzsäuren  Gases  sowohl  in  der  Wölbung  und  im  Halse  der 
Retorte  y  worin  die  Zersetzung  vor  sich  gieng,  als  auch  in 
dem  Recipienten,  der  das  zur  Absorption  der  salzsauren 
Dämpfe  nöthige  Wasser  enthielt,  ein  gelber  Anflug  zum  Vor- 
schein kam,  welcher  nichts  anderes  als  feinzertheiltes  Schwefel- 
arsenik war.  Das  vorgeschlagene  Wasser  enthielt  arsenige 
Säure  in  nicht  unbedeutender  Menge. 

Es  ist  mir  nicht  erinnerlich,  dass  die  Schleimhaut  dieser 
untersuchten  Eingeweide,  welche  trotz  der  Gegenwart  von 
Arsenik  in  starker  Fäulniss  begriffen  waren,  einen  gelben 
üeberzug  hatte,   allein   es  ist  eine  von  mir  und  Anderen 


39&     SfiUuHSf  der  matK^Ji^.  Oaase  vom  9.  Ntmembor  1867. 

schon  öfter  beobachtete  Thatsache,  dass  Schwefelarsenik 
durch  heisse  concentrirte  Salzsäure  vermöge  chemischer 
Massenwirkung  zersetzt  und  in  Ghlorarsenik  und  Schwefel- 
wasserstoff umgewandelt  werden  kann,  dass  hingegen  die 
beiden  letzteren  wieder  Schwefelarsenik  bilden,  wenn,  indem 
sie  sich  gleichzeitig  mit  einem  Ueberschuss  von  Salzsäure 
verflüchtigen,  der  Dampf  in  kalte  Luft  oder  in  Wasser 
gelangt,  wodurch  Salzsäure  und  Chlorarsenik  stark  verdünnt 
und  geschwächt  werden.  Jener  gelbe  Anflug  musste  auf 
solche  Weise  entstanden  sein;  er  rührte  ohne  Zweifel  von 
in  den  untersuchten  Eingeweiden  vorhandenem  Schwefelarsenik 
her,  welches  den  zur  Hervorrufung  der  erwähnten  reciproken 
Verwandtschaftsäusserung  nöthigen  Schwefelwasserstoff  lieferte. 

Durch  den  Ende  Januars  1862  in  Darmstadt  öffentlich 
verhandelten  Process  gegen  Jacobi,  welcher  des  Giftmordes, 
begangen  an  seiner  Frau,  angeklagt  war  und  dieses  Ver- 
brechens überwiesen  zum  Tode  verurtheilt  wurde,  wurden 
wir  von  einem  weiteren  Fall  einer  Verwandlung  der  arse- 
nigen Säure  in  Schwefelarsenik  unterrichtet.  Frau  Jacobi 
starb  im  Monat  August  des  Jahres  1861  in  Folge  einer 
Vergiftung  mit  arseniger  Säure,  welche  ihr,  wie  sich  bei  der 
Untersuchung  herausstellte,  von  ihrem  Manne  als  Pulver 
beigebracht  worden  war.  Zwei  Monate  darauf,  nämlich  im 
Oktober,  nachdem  der  Verdacht  einer  Vergiftung  rege  ge- 
worden, wurde  die  Leiche  wieder  ausgegraben,  und  bei  der 
vorgenommenen  X)bduction  und  Section  fand  man  in  den 
Eingeweidan  eine  gelbe  Masse  und  namentlich  auf  der 
Schleimhaut  des  Magenmundes  einen  gelben  Ueberzug, 
welcher  bei  der  von  Hrn.  Obermedicinalrath  Dr.  Winckler 
ausgeführten  chemischen  Untersuchung  als  Scbwefelarsenik 
erkannt  wurde.  Uebrigens  war  die  Umwandlung  der  arseoigen 
Säure  in  Schwefelarsenik  in  dieser  Leiche  nur  eine  partielle, 
wie  die  nähere  Untersuchung  dargethan  hat. 

Einen  ebenfalls  ganz  sicheren  Beweis  der  Umwandlung 


Bueha^r:  BOdmg  von  Sdiwefdarsenik  in  dm  Leiekm  0$c.    391 

der  arseaigen  Säure  in  Sohwefelarsenik  in  faulenden  Ein- 
geweiden lieferte  mir  ?or  zwei  Jahren  die  chemische  Unter- 
Buchung  der  Eingeweide  der  Bauersfrau  M.  T.  von  6.  Dieselbe 
erkrankte  nach  kaum  viermonatlicher  Ehe  plötzlich  sehr  heftig 
und  starb  kurz  darauf  am  19.  Juli  1864.  Dass  man  damals 
trotz  der  auffallenden  Krankheitserscheinungen  und  des 
schnellen  Todes  an  keine  Vergiftung  dachte,  ergibt  sich 
daraus,  dass  die  Leiche  unseccirt  und  ohne  das  geringste 
Hindorniss  nach  zwei  Tagen  beerdigt  wurde.  Erst  einige 
Monate  später  wurde  das  Qerücht,  dass  M.  T.  durch  ihren 
Ehemann  vergiftet  worden  sei,  so  laut,  dass  gegen  diesen 
die  gerichtliche  Untersuchung  eingeleitet  werden  musste. 

Die  Exhumation  der  Leiche  fand  am  12.  Juni  1865,  also 
47  Wochen  nach  der  Beerdigung  statt.  Das  ober  dem  Sarge 
befindliche  Erdreich  war  sehr  trocken  und  steinig  und  der 
fichteneSarg,  obwohl  er  nur  3^«  ^uss  tief  mit  Erde  bedeckt 
war,  noch  vollkommen  gut  erhalten. 

Aus  dem  SectionsprotokoUe  entnehmen  wir,  dass  das' 
Gesicht  -der  Leiche  mumienartig  geschwärzt  und  eingetrocknet 
war,  ebenso  die  oberen  Extremitäten  in  ihren  Fleischtheilen; 
die  Glieder  der  Finger  waren  nur  mehr  in  einem  lockeren 
Verbände.  An  der  Brust  sowie  an  der  vorderen  Bauchdecke 
zeigte  sich  die  Oberhaut  gleichfalls  schwärzlich,  während  das 
darunter  liegende  Fettgebilde  noch  ziemlich  gut  erhalten 
war«  Auch  die  Haare  am  Kopfe  und  an  den  Genitalien  so- 
wie die  Nägel  an  den  Zehen  und  Fiogem  waren  noch  gut 
erhalten. 

Aus  der  Brust-  und  Unterleibshöhle  quoll  bei  der 
Eröffnung  ein  höcht  übelriechender  Dunst  heraus;  die 
Mosculatur  an  der  vorderen  Brustwand  sowie  an  der  Bauch- 
decke bot  noch  eine  gut  kennbare  Röthe  dar  und  in  den 
Achselhöhlen  sowie  in  den  beiden  Leisteogegenden  und  in 
den  noch  ziemlich  gut  erhaltenen  Kleidungsstücken  hatte  sich 
bereits  viel  Ungeziefer  eingenistet. 


398      SHmmg  der  vuUh.'phys.  Cla$9e  vom  9.  Navember  1867. 

Als  Grund  der  noch  ziemlich  guten  Gonservirong  der 
Leiche  gibt  der  Sectionsbericht  ausdrüdclich  das  trockene 
sandige  Erdreich  und  die  hohe  Lage  des  Leichenackers  an. 

Die  mir  zur  chemischen  Untersuchung  übersohidd^n 
Eingeweide  dieser  Leiche  fand  ich  sehr  weich ,  faulig  und 
trotzdem,  dass  sie  der  Vorschrift  gemäss  mit  Weingeist  über- 
gössen waren,  im  hohen  Grade  übelriechend.  Beim  Oeffnen 
der  unterbundenen  Speiseröhre  war  nichts  Besonderes  za 
beobachten,  aber  beim  Aufischneiden  des  unterbundenen  leeren 
Magens  und  Dünndarmes  und  Besichtigen  der  inneren  Fläche 
fiel  es  mir  im  hohen  Grade  auf,  dass  ein  grosser  Theil  der 
blass  und  wenig  geröthet  aussehenden  Schleimhaut,  beim 
Magen  besonders  gegen  das  Duodenum  zu,  mit  einer  lebhaft 
gelben  Schicht  eines  zarten  Pulvers  bedeckt  war,  was  sich 
mit  Wasser  theilweise  von  der  Schleimhaut  wegspülen  liess. 
Gegen  den  unteren  Theil  der  Schleimhaut  und  auf  der 
Mucosa  des  Dickdarmes  konnte  gar  nichts  davon  bemerkt 
werden. 

Es  bedurfte  nur  weniger  Versuche,  um  über  die  Natur 
dieses  gelben  Ueberzuges  ins  Reine  zu  kommen.  Das  weg- 
gespülte Pulver  löste  sich  in  Ammoniak ;  die  ammoniakalisdie 
Lösung  hinterliess  beim  Verdampfen  in  einem  Sdiälchen  gelbe 
Ringe;  beim  Ansäuern  dieser  Lösung  entstand  ein  gelbe 
Trübung.  Beim  Erhitzen  in  einer  Glasröhre  verflüchtigte  sich 
das  Pulver  vollkommen ;  es  bildete  sidi  oberhalb  der  erhitzten 
Stelle  ein  rothbraunes  Sublimat,  welches  während  des  Er- 
kaltens  blassgelb  wurde.  Als  der  Dampf  in  einer  zu  einer 
Spitze  ausgezogenen  Röhre  über  glühende  Kohlensplitterchen, 
welche  mit  Soda  imprägnirt  waren,  geleitet  wurde,  legte 
sich  im  weiteren  Theile  der  Röhre  ein  Spiegel  von  metall- 
ischem Arsenik  an. 

Diese  Erscheinungen  bewiesen  hinlänglich,  dass  der  gelbe 
Ueberzug  auf  der  Schleimhaut  aus  Dreifach-Schwefelarsenik 
bestand.    Es    war   nun   die  Frage    zu  erörtern,    ob  diese 


Buchmer:  BMung  von  Mmefetanmik  m  eleu  Leiern  He.  399 

Verbindung  als  schon  gebfldet  in  den  Magen  und  Darmkanal 
der  M.  T.  gelangt  sei,  d.  h.  ob  die  Verstorbene  Schwefel« 
arsenik  bekommen  habe,  oder  ob  sie  mit  arseniger  Säure 
yeiiliftet  worden  sei,  welches  dann  erst  in  den  genannten 
Eingeweiden  durch  den  während  der  Fäulniss  entwickelten 
Schwefelwasserstoff  in  Schwefelarsenik  umgewandelt  wurde? 

Diese  Frage  war  leicht  mit  Hülfe  folgender  Thatsachen 
zu  beantworten: 

Das  auf  der  Schleimhaut  li^ende  gelbe  Pulver  zeigte 
ganz  das  Aussehen  und  die  Feinheit  des  aus  einer  Lösung 
der  arsenigen  Säure  durch  Schwefelwasserstoff  präcipirten 
Schwefelarseniks.  Hätte  M.  T.  gepulvertes  Auripigment  be- 
kommen, so  wäre  dasselbe  jedenfalls  nicht  so  fein  gewesen 
wie  das  hier  vorgefundene  Pulver. 

Als  ein  Theil  des  Magens  und  Dnnndaimes  in  einer 
Betorte  mit  Salzsäure  gekocht  worden  war,  fand  sich  in 
dem  vorgeschlagenen  Wasser^  in  welches  man  die  salzsauren 
Dämpfe  leitete,  so  viel  arsenige  Säure,  dass  Schwefelwasser- 
stoff sogleich  eine  starke  gelbe  Trübung  darin  hervorbrachte. 
Diese  vräre  gewiss  nicht  der  Fall  gewesen,  wenn  diese  Ein- 
geweide das  Arsenik  nur  als  Schwefelarsenik  und  nicht  auch 
als  arsenige  Säure  enthalten  hätten.  Schwefelarsenik  wird, 
wie  schon  vorhin  erwähnt,  durch  heisse  concentrirte  Salzsäure 
wohl  auch  zersetzt  und  in  Ghlorarsenik  übergeführt,  aber 
doch  nur  in  geringer  Menge,  jedenfalls  nicht  der  verhältniss- 
mässig  grossen  Quantität  Ghlorarsenik  entsprechend,  das  sich 
mit  den  salzsauren  Dämpfen  entwickelte  und  durch  das  vor- 
geschlagene Wasser  wieder  zu  arseniger  Säure  wurde.  Dass 
auch  hier  wieder  eine  theilweise  Zersetzung  des  in  diesen 
Eingeweiden  enthaltenen  Schwefelarseniks  stattfand,  eiigab 
sich  daraus,  dass  besonders  gegen  das  Ende  der  Einwirkung 
Wölbung  und  Hals  der  Retorte  sich  aus  der  schon  angegebenen 
Ursache  mit  einem  gelben  Anfluge  bedeckten  und  auch  das 


400     aUam§  dir  meak-j^^i.  GiMi*  vom  B.  Mmmdrer  1B€7. 

die  aäksaur6D  Dämpfe  aufaehmemde  Wasser  durdi  die  auf- 
tretenden Spuren  Schwefelwaseerstoff  gelblich  getrübt  wurde. 

Beines  Sohwefelarsenik  wird  wegen  seiner  Unlöslidikttt 
in  Wasser  uad  schwach  sauren  Flüssigkeiten  yom  Magen 
und  Darmkanal  aus  nicht  oder  kaum  absorbirt  und  in  das 
Bluit  übergeführt.  Hätte  M.  T.  Schwefelarsen  bekommaii,  so 
wären  in  deren  Leber  und  Milz  kaum'  mehr  als  Spur^i  von 
Arsenik  übergegangen.  Allein  diese  Organe  enthielten,  wie 
die  chemische  Untersuchung  bewies,  ebenfalls  eine  verhält- 
mssmässig  grosse  Menge  Arsenik,  woraus  geschlossen  werden 
muss,  dass  dieses  als  arsenige  Säure  in  die  genannten  Eüi« 
geweide  gelangt  ist 

Aber  den  sichersten  Beweis,  dass  in  in  den  untersuchten 
Eingeweiden  noch  arsenige  Säure  vorhanden  war,  lieferte 
der  dialytische  Versuch.  Klein  zerschnittene  Theile  des  Magens 
und  Dünndarmes  mit  Wasser«  welches  nur  schwach  mit  Salz* 
aäure  angesäuert  war,  in  den  Dialysator  gebracht,  gaben 
binnen  24  Stunden  an  das  vorgeschlagene  Wasser  so  viel 
arsenige  Säure  ab,  dass  Schwefelwasserstoff  darin  eine  deut- 
liche gelbe  Trübung  hervprbrachte.  Diess  wäre  gewiss  nicht 
der  Fall  gewesen,  wenn  die  Eingeweide  bloss  Schwefelarsenik 
enthalten  hätten,  denn  dieses  wird,  wie  wäionk  erwähnt,  durch 
schwach  angesäuertes  Wasser  bei  gewöhnlicher  Temperatur 
kaum  zersetzt  uad  aufgelöst. 

Aus  allen  diesen  Beobachtungen  sowie  aus  den  dem 
Tode  vorausgegangenen  Erscheinungen  muss  mit  Qewissheit 
geschlossen  werden,  dass  die  Bauersfrau  M.  T.  an  den  Folgen 
einer  Vergiftung  mit  arseniger  Säure  gestorben  und  dass  das 
im  Magen  und  Dünndarm  der  nach  fast  eilfmonatlicher  Be* 
erdigung  wieder  ausgegrabenen  Leiche  vorgefundene  Schwefel* 
arsenik  das  Produkt  der  Einwirkung  des  während  der 
Fäulmss  entwickelten  Schwefelwasserstoffes  auf  die  arsenige 
Säure  ist. 


BuOmerz  BfUkmg  von  ßehwefdanmSt  in  dm  LMhm  ttc.  401 

Die  BfldQDg  yon  Schwefelarsenik  in  den  Leichen  von 
mit  arseniger  Säure  Vergifteten  ist  der  sicherste  Beweis,  dass 
die  arsenige  Säure  in  der  Menge,  in  welcher  sie  bei  damit 
bewirkten  Vergiftungen  gewöhnlich  in  den  Leichen  bleibt, 
die  Fäulniss  derselben  nicht  zu  verhindern  im  Stande  ist. 
Idi  werde  meine  Erfahrungen  fiber  diesen  Gegenstand  sowie 
über  die  sogenannte  Mumification  solcher  Leichen  später  aas- 
fiihiiioh  mittheilen;  vorläufig  sei  nur  erwähnt,  dass  der  Ver- 
lauf der  Fäulniss  und  überhaupt  der  Zersetzung  von  Ldchen, 
irelche  Arsenik  entiialten,  und  von  solchen,  die  frei  davon 
«nd,  vorausgeeetzt ,  dass  sie  sieh  qnter  sonst  gleichen  Um- 
ständen befinden,  ganz  derselbe  ist. 

Aber  es  bleibt  noch  die  Frage  zu  lösen  übrig,  warum 
man  die  Umwandlung  der  arsenigen  Säure  in  Schwefelarsenik 
in  CMilenden  Eingeweiden  bisher  nicht  häufiger  wahrgenommen 
hat?  loh  habe  sie,  wie  schon  erwähnt,  nur  zweimal  beob- 
achtet trotz  meiner  zahlreidien  Untersuchungen  arsenhaltiger 
Eingeweide,  weldie  aus  den  Leichen  in  den  verschiedensten 
Stadien  der  Zersetzung,  vom  zweiten  Tage  nach  dem  Tode 
bis  zum  fünften  Jahre  nach  der  Beerdigung,  genommen 
▼Orden  waren. 

Beiläufig  will  ich  nodi  erwähnen,  dass  der  Bauer  T., 
des  Giftmordes,  begangen  an  seiner  Frau,  angeklagt,  in  der 
öffentlichen  Verhandlung  vor  dem  Schwurgerichtshofe  zu 
Straubing  dieser  That  für  schuldig  befanden  und  zum  Tode 
verurtheilt  wurde. 


402     8itMung  der  maih.'phys,  Chsae  vom  9,  November  1867. 


Herr  C.  Voit  spricht: 

„üeber  die  Fettbildung  im  Thierkörper." 

Ehe  man  mit  den  Umwandlungen  der  organischen  Sub- 
stanzen näher  bekannt  war,  meinte  man,  das  am  Thierkörper 
aufgespeicherte  Fett  könnte  nur  aus  dem  Fett  der  Nahrung 
hervorgehen;  man  musste  sich  aber  bald  überzeugen,  dass 
das  in  der  Nahrung  eingeführte  Fett  in  vielen  Fallen  nidit 
hinreicht,  um  das  bei  der  Mästung  von  Schweinen  angesetzte, 
oder  das  in  der  Milch  von  guten  Milchkühen  abgeschiedene, 
oder  von  Bienen  im  Wachs  producirte  Fett  zu  liefern.  Es 
war  nicht  zu  verkennen,  wie  unter  dem  Einflüsse  von  Kohle- 
hydraten die  Thiere  Fett  ansetzen,  und  man  wurde  um  so 
mehr  auf  die  Möglichkeit  der  Erzeugung  von  Fett  aus  Kohle- 
hydraten hingewiesen,  als  unter  den  Zersetzungsprodukten 
der  Kohlenhydrate  niedere  Fettsäure^  gefunden  wurden. 
Allerdings  dachte  man  auch  an  die  Bildung  von  Fett  aus 
eiweissartigen  Substanzen;  man  hatte  allerlei  Erfahrungen 
gesammelt,  die  einen  solchen  Vorgang  wahrscheinlich  machten, 
so  z.  B.  die  Entstehung  des  Leichenwachses,  das  Auftreten 
von  Fettsäuren  bei  der  Zerstörung  des  Eiweisses,  die  fettige 
Degeneration  eiweisshaltiger  Organe ,  die  Umwandlung  -  von 
in  die  Bauchhöhle  %pn  Thieren  eingebrachten,  an  Eiweiss 
reichen  Organen  in  eine  Fettmasse  etc.  Aber  diese  Be- 
obachtungen waren  zum  Theil  nicht  beweisend,  zum  Thefl 
zweifelte  man,  ob  aus  Eiweiss  hinreichend  Fett  entstehen 
könne,  um  die  beobachtete  Fettbildung  zu  decken;  nament- 
lich dachte  man  sich  bei  Pflanzenfressern  den  Eiweissumsatz 
wegen  des  geringen  procentigen  Stickstoffgehaltes  des  Futters 
für  viel  zu  gering  zur  Hervorbringung  einer  grösseren  Fett- 
menge. Die  Sachlage  stand  so,  dass  man  den  Uebergang  von 
Eiwebs  in  Fett  fiir  sehr  wahrscheinlich,  aber  für  unzureichend 


VaU:  FeUbüdmig  im  Thierhörper.  403 

hielt,  and  dass  man  die  Umwandlung  von  Kohlehydraten  in 
Fett  zwar  nicht  für  bewiesen,  jedoch  für  äusserst  wahr- 
scheinlich erachtete. 

Nach  den  von  Pettenkofer  und  mir  am  fleischfressen- 
den Hnnde  gemachten  Versuchen  konnte  der  Körper  auf 
Kosten  von  reinem  Eiweiss  fetter  werden,  denn  bei  Fütterung 
grosser  Fleischmengen  erschien  sämmtlicher  Stickstoff  der 
Einnahmen  in  den  Ezcreten,  während  yom  Kohlenstoff 
beträchtliche  Mengen  nicht  zum  Vorschein  kamen;  bei  Dar- 
reichung Yon  Fett  speicherte  sich  ein  Theil  desselben  auf, 
während  bei  Darreichung  von  Stärke  allein  oder  mit  Fleisch 
ein  Ansatz  von  Fett  nicht  zu  constatiren  war.  Wir  hielten 
es  nach  unsern  damaligen  Untersuchungen  fiir  wahr- 
scheinlich, dass  jeder  Aasatz  von  Fett  beim  Fleischfresser 
nur  durch  Fett  möglich  ist,  entweder  aus  dem  in  der  Nahrung 
aufgenommenen  Fett,  oder  aus  dem  bei  der  Zersetzung  yon 
£iweis8  im  Organismus  neu  entstandenen. 

Eine  Reihe  von  Erfahrungen  hielt  mich  ab,  eine  prinzi- 
pielle Verschiedenheit  in  den  Umsetzungsmöglichkeiten  eines 
fleisch-  und  pflanzenfressenden  Körpeirs  anzunehmen,  ich 
erblickte  hierin  vorzüglich  nur  quantitative  Aenderungen, 
veranlasst  durch  den  verschiedenen  Bau  des  Darmes  und 
die  ungleich  zusammengesetzte  Nahrung;  ich  wusste  ferner, 
dass  Pflanzenfresser  mit  eiweissarmer  Nahrung  sich  nicht 
mästen  lassen  und  ich  kannte  den  gegenüber  den  gewöhn- 
lichen Vorstellungen  höchst  bedeutenden  täglichen  Eiweiss- 
Umsatz  dieser  Thiere.  Diese  Gründe  bewogen  mich  in 
einem  bei  der  in  München  im  Jahre  1865  tagenden  Ver- 
sammlung deutscher  Agriculturchemiker  gehaltenen  Vortrage 
es  nicht  für  undenkbar  zu  erklären,  dass  auch  beim  Pflanzen- 
fresser die  Kohlehydrate  nichl  in  Fett  übergehen,  sondern 
nur  das  aus  dem  Eiweiss  abgespaltene  oder  als  solches  ein- 
geführte Fett  vor  der  Verbrennung  schützen  und  so  einen 
Fettansatz  ermöglichen.    Damals  schlug  Herr   von  Liebig 


404      BiUung  der  math.-phys.  Clane  wm  9,  N<H9ember  1867. 

ein  experimentum  craois  ?or  und  empfahl  Versuche  an 
Milchkühen  zur  Entscheidung  der  Frage,  ob  die  eiweisa- 
artigen  Stoffe  und  das  Fett  der  Milch  durch  das  Eliweiss 
und  den  meist  geringen  Fettgehalt  der  Nahrung  gedeckt 
werden. 

Ich  hatte  mir  damals  vorgenommen,  die  gestellte  Frage 
zu  beantworten.  Zunächst  machte  ich  Versuche  an  einer  Hündin 
bei  verschiedener  Nahrung;  das  Ergebniss  derselben  war,  dass 
hier  unter  allen  Umständen  das  Fett  und  der  Milchzucker  der 
Milch  durch  das  aus  dem  Stickstoff  des  Harns  gerechnete 
zerstörte  Eiweiss  gehefert  werden  könne;  der  Fett*  und  Milch- 
zuckergehalt der  Milch  bei  Fütterung  mit  viel  reinem  Fleisch 
war  grösser  als  bei  Fütterung  mit  Fleisch  und  Kohlehydraten. 
Aehnliohe  Uesultat^  haben  schon  Ssubotiu  und  Kemme- 
rieh  bei  der  Untersuchung  säugender  Hündinnen  erhalten. 
Ich  musste  mich  aber  eutschliesseu ,  den  Versuch  an  einer 
Milchkuh  zu  machen.  Da  mir  meine  Mittel  die  Anschaffung 
einer  solchen  nicht  gestatteten,  so  wandte  ich  mich  im  vorigen 
Jahre  an  die  Vorstände  der  hiesigen  Veterinärschule,  die 
mir  mit  der  grössten  Bereitwilligkeit  eine  ihrer  besten  Race- 
kühe  zur  Verfügung  stellten.  Ich  liess  die  Menge  der  Mildi 
und  des  entleerten  Harns  während  6  Tagen  bestimmen,  aber 
es  setzten  sich  dem  genauen  Aufsammeln  des  Harns  so 
grosse  Schwierigkeiten  entgegen,  dass  höchstens  die  Angaben 
der  4  ersten  Tage  auf  einige  Genauigkeit  Anspruch  machen 
konnten.  Das  im  Körper  zersetzte  Eiweiss  konnte  den  Fett- 
gehalt der  Milch  bis  auf  18^/o  hefern;  rechnete  ich  auch 
das  nach  einem  Ueberschlag  im  Futter  schon  enthaltene 
Fett  hinzu,  so  war  es  im  höchsten  Grade  wahrscheinlich, 
4a8S  weder  jfur  das  Fett  noch  für  den  Milchzucker  der  Milch 
die  Kohlehydrate  der  Nahrung  einen  Beitrag  zu  liefern 
brauchen.  Es  war  mir  lange  nicht  möglich,  den  Vei^uch  mit 
aUen  Vorsichtsmassregeln  zu  wiederholen ;  vor  einigen  Wodien 


Vtrit:  FeHbikhmg  im  Thicriörper.  405 

Sberliess  mir  einer  unserer  besten  Mitbürger,  Herr  Fabrikant 
Riemerschmidt,  mit  gewohnter  Opferwilligkeit  seine  Milch- 
knh  zat  AusfShrung  des  Versachs  und  meine  Assistenten  und 
Schüler,  die  Herren  E.Bisohoff,  Fr.  Hof  mann,  X.  Petten- 
kofer  und  P.  Aichberger  unterzogen  sich,  in  Erforschung  der 
Wahrheit  beschwerliche  Arbeit  nicht  achtend,  der  Aufgabe 
6  Tage  und  Nächte  bei  dem  Thiere  zu  wachen,  um  sämmtüchen 
Harn  und  Eotii  aufzufangen.  Das  Experiment  ist  auf  diese 
Weise  vollkommen  gegluckt,  und  ich  kann  das  Resultat  des- 
selben als  sicher  hinstellen. 

Die  Kuh  verzehrte  in  den  6  Tagen  im  Mehl  und  Heu 
1407  Grm.  Stickstoff;  im  Harn,  dem  Koth  und  der  Milch 
wurden  dagegen  1440  Grm.  entleert,  d.  h.  der  Stickstoff 
der  Einnahmen  und  Ausgaben  stimmt  auf  2^/o  überein, 
das  Thier  befand  sich  also  im  Stickstoffgleichgewicht. 
In  80.6  Kilo  Heu  und  14.7  Kilo  Mehl  waren  2663  Grm. 
Fett,  in  178  Kilo  Koth  befanden  sich  1044  Grm.,  es  wurden 
also  1619  Grm.  Fett  in  die  Säftemasse  aufgenommen.  In 
130.7  Kilo  Harn  waren  562.4  Grm.  Stickstoff ;  berechnet  man 
letztere  auf  Eiweiss  nnd  zieht  den  Kohlenstoffgehalt  einer 
dem  Stickstoff  entsprechenden  Harnstoffmenge  ab,  so  erhält 
man  daraus  den  Kohlenstoff  von  2220  Grm.  Fett  oder  nach 
Abzug  von  4.5>  Kohlenstoff,  welche  den  nach  der  Abtrennung 
des  Harnstoffes  Tom  Eiweiss  überschüssigen  Sauerstoff 
binden,  2120  Grm.  Fett.  Die  57.3  Kilo  Milch  enthielten  aber 
1877  Grm.  eiweissartige  Substanz,  1976  Grm.  Fett  und 
3177  Grm.  Milchzucker.  Das  im  Körper  zersetzte  Eiweiss 
kann  also  144  Grm.  Fett  mehr  erzeugen,  als  in  der 
Milch  sich  fanden;  der  Kohlenstoff  des  Milchzuckers  entspricht 
1670  Gim.  Fett,  während  vom  Eiweiss  144  Grm.  und  von 
dem  Fett  der  Nahrung  1619  Grm.  =  1763  Grm.  zur  Ver- 
fugung  stehen.  Man  braucht  somit  weder  für  das  Fett,  noch 
für  den  Milchzucker  in  der  Milch  die  Kohlehydrate  in  Anspruch 
zu  nehmen  und  es  ist  dadurch  im  höchsten  Grade  wahrscheinlich, 
[1867.  IL  3.]  27 


406      SUmng  der  math-phya,  CUuße  vom  9,  November  1867. 

dass  auch  beim  PflaozeiifreBser  die  Kohlehydrate  nicht  das 
Material  für  die  Fettbildaag  abgeben ,  sondern  nur  dieselbe 
ermöglichen,  indem  sie  statt  des  Fettes  verbrennen.  Bei  dem 
grossen  SauerstoSreichtham  der  Kohlehydrate  müsste  zur 
Erzeugung  von  Fett  eine  grosse  Menge  Sauerstoff  austieten 
oder,  da  ein  solcher  Vorgang  nicht  wahrscheinlich  ist,  ein 
beträchtlicher  Theil  Kohlenstoff  mit  dem  Sauerstoff  sich  zu 
Kohlensäure  vereinigen,  so  dass  nur  ein  kleiner  Theil  des 
Kohlenstoffs  zum  Uebergang  in  Fett  übrig  bliebe;  bei  der 
Bildung  von  Fett  aus  Eiweiss  braucht  nur  V>  ^  ^^  Sauer- 
stoff auszutreten. 

Die  Struktur  der  kleinsten  Theile  einer  Milchdrüse  zeigt 
uns  auch,  dass  es  sich  hier  um  eine  Werkstätte  zur  Zersetzung 
von  Stoffen  handelt  und  nicht  um  ein  einfadies  Filtrations- 
organ. Es  findet  sich  dort  vorzäglich  eine  fettige  Degenera- 
tion eiweissartiger  Substanz  und  vielleicht,  wie  ich  es  auch 
für  die  Leber  annehme,  ein  Uebergang  von  Fett  in  Zucker. 
Sobald  eine  Milchkuh  Fett  und  Fleisch  am  Körper  ansetzt, 
nimmt  die  Milchabsonderung  ab.  Eine  gute  Milchkuh  muss 
in  ihrem  Darm  viel  Eiweiss,  Fett  und  Kohlehydrate  aufnehmen 
können  und  bei  möglichst  geringer  Sauerstofiauinahme  wenig 
davon  verbrennen,  sie  muss  aber  auch  eine  entwickelte  Milch- 
drüse haben,  um  aus  dem  grossen  Vorrath  von  Material  die 
Bestandtheile  der  Milch  abzuscheiden ,  und  theilweise  zu  be- 
reiten. Ich  glaube,  dass  ein  grosser  Theil  des  Eiweisses  in 
der  Drüse  selbst  zerset;st.wird.  Die  ausführliche  Mktheilnng 
der  Ergebnisse  des  Versuchs  werde  ich  demnächst  in  der 
Zeitschrift  für  Biologie  geb^. 


^Umg  d0f  matih.-phy$,  Qoiae  vom  9.  November  1867.       407 

Herr   Moritz   Wagner    macht   unter    Vorzeigung  ver- 
schiedener Fundstücke  einige  Mittheilungen 

„Deber  die  Entdeckung  von  Spuren  des 
Menschen  in  den  neogenen  Tertiärschichten 
von  Mittelfrankreich'^ 

Ein  umfassender  Vortrag  dai-über  wird   von  ihm  nach- 
trägb'ch  gehalten  werden. 


Herr  Seidel  macht  Mittheilung: 

,,Ueber    eine    Darstellung    des    Kreisbogens, 
des    Logarithmus   und  des  elliptischen   In- 
tegrales    erster    Art    mittelst    unendlicher 
Produkte^ 
in  welchen  die  unendliche  Vieldeutigkeit  der  genannton 
Funktionen    durch    algebraische  Vieldeutigkeiten    wiederge- 
geben ist. 


27* 


408         Sitewng  der  hittor.  dasie  wm  9.  November  18^, 


1 


Historische  Glasse. 

Sitzung  vom  9.  November  1867. 


Herr  Rockinger  gab  Erörterungen 

„Zur    näheren  Bestimmung   der  Zeit   der  Ab- 
fassung des  sogenannten  Schwabenspiegels". 

Wenn  wir  für  heute  die  weitere  Mittheilung  der  Unter- 
suchungen-über  die  hiesigea.  Handschriften  des  sogenannten 
Schwabenspiegels  und  ihre  Gruppirung  unterbrechen,  so  ge- 
schieht dieses  in  Berücksichtigung  eines  Wunsches  geehrter 
Freunde,  welche  die  Veröflfentlichung  eines  für  die  Frage 
nach  der  Zeit  der  Abfassung  unseres  Kechtsbuches 
nicht  unwichtigen  Ergebnisses  nicht  länger  hinausgeschoben 
sehen  wollten. 

Es  enthält 'bämlich  eine  der  Handschriften  welche  der 
Gruppe  des  vom  Herrn  von  Berger  seiner  Ausgabe  vom 
Jahre  1726  zu  Grunde  gelegten  Codex  des  Reichsgrafen  von 
Wurmbrandt  angehören  Randbemerkungen  aus  zwei 
anderen  Handschriften  des  sogenannten  Schwaben- 
spiogels,  wovon  die  eine  besondere  Beachtung  für  die  an- 
gedeutete Frage  in  Anspruch  nimmt. 

L 

Die  Handschrift  selbst  um  welche  es  zunächst  sich 
handelt  ist  gegenwärtig  im  Besitze  unseres  geehrten 
Gollegen  Föringer,  welcher  selbe  am  25.  April  1833  von 
dem  seither  verstorbenen  Hofrathe  Hoheneicher  käuflich  an 


Bockinger:  Zur  Jibfammg$Meit  des  Schwabempiegi^,       409 

sioh  gebracht  und  uns  seinerzeit  zur  VervoUständigang  uaserer 
Forschangen  aber  die  hiesigen  Handschriften  des  soge- 
nannten Schwabenspiegels  und  ihre  Gruppirung  in  zuvorkom- 
mendster Weise  überlassen  hat,  in  einer  Güte  wofür  wir 
ihm  in  gegenwärtiger  Untersuchung  den  sprechenden  Be- 
weis unseres  Dankes  zu  liefern  nicht  verfehlen.  • 

Nicht  durch  hohes  Alter  zieht  diese  Handschrift  an. 
Auch  nicht  durch  die  Anlehnung  an  eine  der  hervorragenden 
Gestalten  unseres  Bechtsbuches,  indem  sie  —  wie  schon 
bemerkt  —  nur  zur  Gruppe  des  v.  wurmbrandt'schen  Codex 
zählt  Auch  nicht  durch  besondere  Güte  des  in  dieser  Form 
vertretenen  Textes.  Die  Randbemerkungen  tlagegen  welche 
ihr  aus  zwei  anderen  Handschriften,  und  vorzugsweise  jene 
welche  ihr  aus  einem  alten  Pergamentcodez  des  sogenannten 
Schwabenspiegels  angefügt  sidd,  sie  verleihen  ihr  einen 
Werth  ganz  besonderer  Art. 

Was  ihre  äussere  Beschaffenheit  anlangt,  ist  sie 
auf  sechzehn  je  unten  auf  der  zweiten  Seite  des  letzten 
Blattes  mit  der  entsprechenden  Zahl  bezeichneten  Sexternen 
in  Folio  auf  Papier  einspaltig  —  mit  Ausnahme  des  in  zwei 
Spalten  geschriebenen  Inhaltsverzeichnisses  —  von  einer  nicht 
sonderlich  schönen  Hand  der  zweiten  Hälfte  oder  wohl  eher 
des  letzten  Viertels  des  15.  Jahrhunderts  gefertigt,  und  in 
helles  aussen  schön  geglättetes  Schweinsleder  in  der  Weise 
gebunden  dasa  über  ihren  Bücken  ein  mit  dunkelbraunem 
Leder  überzogenes  Holzblatt  befestigt  ist,  welches  gegen 
oben  und  unten  ein  Lederknöpfchen  zeigt,  während  das 
Schweinsleder  der  hinteren  Seite  noch  zum  Umschlage  über 
jenes  der  vorderen  bis  in  die  Mitte  reicht  und  gegen  oben 
wie  unten  mit  fein  gedrehten  Spagatschnürchen  —  von  deren 
oberem  die  En^n  schon  längere  Zeit  abgerissen  zu  sein 
scheinen  —  behufs  besseren  Verschlusses  ohne  Zweifel  zum 
Einhängen  in  die  beiden  Lederknöpfchen  am  Bücken  ver- 
sehen ist.    Der  erste  der  genannten  Sexteme  war  Ursprung- 


410         SiUung  der  hisior,  Gasse  wm  9.  November  1867. 

lieh  weder  foliirt  noch  paginirt,  während  yom  zweiten  an 
bis  einschliesslich  dem  dritten  Blatte  des  sechzehnten  die 
Seitenzählang  1—350  angebracht  war.  Jetzt  ist  sie  von  der 
Hand  des  gegenwärtigen  Besitzers  foliirt. 

Ihren  Inhalt  bildet  zunächst  ein  Verzeichniss  der 
Kapital  des  Baches  der  Könige  alter  £  wie  des 
Land- und  Lehenrechtes  des  sogenannten  Schwaben- 
Spiegels,  dann  diese  drei  Stücke,   in  folgender  Weise. 

Nachdem  auf  der  ersten  Seite  des  ersten  anfanglich 
leeren  Blattes  la  der  Titel  des  ganzen  Werkes  als  „Kaiser 
Karls  dess  Grossen  Landtgerichts  Buech  dess  Landesa  zu 
Schwaben'^  sich  eingetragen  findet,  beginnt  aufFol.  1  b  Sp.  1 
bis  Fol.  6  Sp.  2  das  Verzeichniss  der  Kapitel  der  drei  vor- 
hin bezeichneten  Bestandtheile,  und  zwar  sind  den  Kapiteh 
des  Land-  und  Lehenrechtte  des  sogenannten  Schwaben- 
spiegels die  je  entsprechenden  Seiten  des  nachfolgenden 
Textes  beigeschrieben. 

Auf  Seite  1  der  alten  und  Fol.  8  der  neuen  Bezeichnung 
beginnt  das  Buch  der  Könige  alter  E  in  dem  üm&nge  wie 
es  uns  die  Ausgabe  Massmann's  in  des  Herrn  ▼.  Daniels 
Rechtsdenkmälem  des  deutschen  Mittelalters  III.  Sp.  XXXiU 
bis  GXXn  zugänglich  gemacht  hat,  und  reicht  bis  S.  98 
beziehungsweise  Fol.  S6^ 

Nachdem  das  nächste  Blatt ,  ursprüngUch  mit  S.  99 
und  aus  Ueberzählung  101  bezeichnet,  leer  gelassen  worden, 
beginnt  mit  S.  102  beziehungsweise  Fol.  58  ohne  besondere 
Ueberschrift  das  Landrecht  des  sogenannten  Schwaben- 
spiegels  bis  S.  284  beziehungsweise  Fol.  148',  woran  sich 
ohne  Unterbrechung  der  Seite  sogleich  „kayser  Karls  lehen 
recht  puch''  bis  S.  349  beziehungsweise  Fol.  181   anreiht. 

Den  Schluss  dieser  Seite  und  die  fqjgende  iiillt  eine 
Anzahl  von  kurzen  Rechtssätzen ,  wie  über  ehehafte  Noth 
und  anderes,  unter  dem  Rubrum :  Secuntur  articuly  generales. 

Beim  Lehenrechte  ist  der  Haupttitel,    und  bei  all  den 


Boekinger:  Zur  AhfasrnrngsMeit  de$  SchwahenspiegdB.       411 

genannten  Bestandtheflen  sind  die  Ueberschriften  der  Kapitel 
roth  eingetragen.  Beim  Bnche  der  Könige  alter  E  finden 
sidi  überdiess  je  am  Anfange  der  Kapitel  rothe  Initialen, 
welche  von  da  ab  auslassen,  so  dass  sie  für  das  Landrecht 
des  sogenannten  Sohwabenspiegels  zum  grossen  Theile  gänz- 
lich fehlen,  während  sich  gegen  den  Schlass  des  Lehen- 
redites  die  betreffenden  Anfangsbudistaben  schwarz  einge- 
zeichnet finden. 

Was  des  genatieren  insbesondere  über  das  Land-  und 
Lehenrecht  unseres  Rechtsbuches  zu. bemerken  ist,  behalten 
wir  uns  für  die  seinerzeitige  Besprechung  yon  fünf  weiteren 
hiesigen  Handschriften,  welche  zu  dieser  Gruppe  ge- 
hören, vor. 

Theils  an  den  ?om  Texte  der  genannten  Bestandtheile 
nicht  ausgefüllten  Blättern  wie  theilweise  an  dem  Rande 
des  Textes  selbst  begegnen  nun  noch  von  einer  gewand- 
ten Hand  des  Anfanges  des  17.  Jahrhunderts  ver- 
schiedenartige Bemerkungen,  von  Anfang  an  zahl- 
reicher, weiter  gegen  die  Mitte  oder  gar  das  Ende  zu 
sparsamer. 

Die  einen  bilden  Verweisungen  auf  das  sächsische 
Landrecht  nach  einer  der  bis  dahin  erschienenen 
Ausgaben  ZobeTs,  welche^)  jener  Schreiber  sich  aus  irgend 


1)  Wir  lassen  sie  hier  in  ihrem  Zasammenhange  folgen. 

Auf  foL  59  ist  zu  den  Worten  der  Vorrede   „dar   umb  so  liesz 
er  zway  swert'*  n.  s.  w.   bis  zu  den  Worten  „vnd   ander  wemtlich 
forsten  betwingen  mit  der  acht"  an  den  Rand  bemerkt: 
Conoordat  Artic.  1.  Landrecht. 

Was  hiebei  insbesondere  den  Sats  „das  swert  des  wemtlichen 
rechtens  das  leichet  der  pabst  dem  kayser"  anlangt,  finden  wir  an 
den  Band  beigesohrieben: 

Haec  non  habentur  in  articnlo. 

Auf  foL  59'  begegnet  mis  weiter  va  den  Worten  der  Vorrede  (in 
der  durch  Freiherrn  v.  Lassberg  besorgten  Druckansgabe  Absatz  g) 


412         SitJBung  der  hittor,  Cla8$e  vom  9.  Nmmber  1867. 

welchem   Grunde    beigezeidmet   hat    Die   anderen   bieten 
eine  Vergleichung  einer  einem  nicht    näher  gekenn- 


,,yiid  sol  ain  yeglich  Christen  mensch^*  bU  zu  den  Worten    ,yda  er 
gutt  jnne  hatt'^  die  Bemerkaiig : 

Goncordat  Landrecht  art.  2.    Tide  ibi  latius. 
Sodann    ist   zn  Artikel  1  =  L  Vorwort  h  an    den  Rand    bei- 
gefugt: 

Im  Landrecht  art.  2  werden  sie  genannt  Schöppenbare  freyen 
seu  Banniti;  Pfleghafften  sen  Proprietarij ;  Landsessen  oder  lassen, 
Pagani. 

Auf  fol.  60  za  Artikel  3  =  L.  2  bis  zu  den  Worten  „ob  der 
sibende  herschilt  leben  muge  gehaben  oder  nicht,  den  sibenden  her* 
schilt  hat  ain  yeglich  man  der  nicht  aigen  ist  vnd  der  ain  ee  kind 
ist'^  finden  wir  die  Bemerkung: 

Goncordat  Landrecht  art  3* 
Insbesondere   zu  dem  Satze   dass  die  Laienfursteu   den  dritten 
Heerschild  heben  ist  noch  an  den  Rand  beigefügt: 

Nota  im  Landtrecht  stehet  dabey:  seit  sy  der  Bischoff  Mann 
worden  sind. 

Zu  Art.  4  =  L  8  ist  bemerkt: 
Goncordat  Landrecht  art.  3. 
Auf  fol.  61  ist  zu  Artikel  5  =  L  4  beigesetzt: 

Goncordat  Landrecht  art.  5. 
Auf  fol.  61'  finden  wir  zu  den  Worten  des  Artikels  6  =  L  5a 
ffgeswistergeit   taylent  nicht   mit  jm  ohain  varendee  gutt  wie  vU  er 
gult  haben  suUe'^   an  den  Rand  bemerkt: 
Goncordat  Landrecht  art.  6. 
Sogleich  zu  den  Anfangsworten  der  gegen   den  Scblnts  dieses 
Artikels  gegen  L  5  a  weiteren  Fassung  ,,Der  pfaffe   erbet  aigen  mit 
anderen  seynen  geswistergeitten,  ynd  dy  leben  nicht,    da  von   ist 
das  ainem  yeglich  man  der  leben  hat  des  heren  man  haieset  der  jm 
das  leben  leihett.    vnd  wan  all  p&ffen  frey  sind,  da  von  siülent  sy 
auch  dy  erben  nicht  erben'^  ist  an  den  Rand  beigesohiieben: 
Landrecht  ibidem. 
Zu  Artikel  7  =  L  5b  ist  an  den  äusswen  Rand  bemerkt: 

Goncordat  Landrecht  art.  5  et  art.  6; 
und  zu  den  Worten  «^als  erb  gutt**  an  den  inneren: 
es  sey  denn  leben. 


Bot^tinger:  Zm  ÄhfiuemigBgeit  des  Sehufäbwapkgeb.       413 

zeiohneten  Gabriel  Mair  gehörigen  Handschrift  des 
sogenannten  Schwabenspicgels.  Wieder  andere  endlich 
sind  uns  als  Nachrichten  über  eine  alte  Pergament- 
bändschrift  desselben  ungemein  willkommen. 

8ie  sind  es  denn,  mit  welchen  wir  allein  fortan  uns 
beschäftigen  wollen. 

II. 

Der  zunächst  vor  allem  wichtige  Eintrag  findet 
sich  auf  dem  früher  leeren  Blatte  zwischen  dem  Inhaltsverzeich- 
nisse der  Handschrift  und  dem  Beginne  des  Buches  der  Könige, 
nunmehr  Fol.  7,  in  deutscher  Schrift,  wälirend  die  Anführ- 
ungen aus  dea*  alten  Pergamenthandschrift  mit  lateinischen 
Budistaben  gegeben  sind,  und  lautet  in  seinem  Zusammen- 
hange: 

Nota  bene.    Jn   einem    alten^  pergamen  buch    darein 


Zn  den  Worten  ^^Belb  sibent"  daselbst  ist  beigeschrieben: 
Nota.    Jus  Saxonicnm  requirit  72  Bannitos  testes  oder  Scböp- 
penware  leute.  ibidem. 

Auf  fol.  62  zn  dem  Artikel  8  =  L  5c  ist  bemerkt: 

Goncordat  Landreobt  art.  6. 
Auf  fol.  62'  za  Artikel  12  =  L  10  steht  am  Rande: 

Conoordat  Landredit  art.  6  lib.  1.  ' 

Sodann  za  Artikel  13  =  L  11  b  und  c  von  den  Worten  „oder 
an  dem  franpotten"  an: 

Goncordat  Landrecht  art.  8  lib.  1. 
Anf  fol.  64'  zu  Artikel  19  =  L17  zu  den  Worten  „Swäbischew 
recht  zwayent  sieb  nicbte  zw  Sachsen  wan  an  erb  zw  nemen  vnd  an 
yrtail  zw  geben'*  ist  am  Rande  bemerkt: 
Goncordat  Landrecht  art  19  lib.  1. 
Zn  Artikel  20  ==  L  18  bis  zu  den  Worten   ,^y  sol  es  aber  von 
erste  den  erben  an  pietten  zw  losen  nach  erbar  lewt  rat'*  finden 
wir  am  Rande: 

Goncordat  Landrecht  art.  20  lib.  1. 

Alda  stehet:  Ein  ieglich  Mann  der  Ritters  arth  ist; 


414        BUmmg  der  hi9^.  ClasH  wm  9.  November  16€7. 

volgend  rechtbnch  gantz  schön  vnd  sauber  geschriben 
worden,  welches  mir  herr  Nicomad  Schwäbl  den 
7.  febrnar  1609  za  ersehen  commanidrt,  sonst  herrn 
A  gehörig,  darinn  auch  herrn  Vrban  Trinkhls  etwo 
dess  raths  vnd  cammerers  alhie  wappen  im  an&ng  za 
sehen,  stehen  vomher  volgende  wordt: 

Diss  per^amene  recht  pnech  hab  ich  Hein- 
rich der  Preckendorffer,  zue  dem  Prek- 
hendorff  vnd  Erebliz  doheim,  mit  mir 
auss  Schweyttz  gebracht. 

Schankht  vnd  vererdt  mir  ein  ritter  vnd 
bnrger  anss  Zürikh  als  ich  der  zeyt  bey 
graff  Rudolf f  vonHabspnrg  mit  vier  heim 
edler  knecht  gewesen,  vnd  er  damals  sambt 
andern  rittern  vnd  knechten  auss  Zürich 
meinem  hern  dem  graffen  zu  hilff  ge- 
schikht  ward,  der  dan  disser  zeit  wider 
di  hern  von  Regensperg  den  bischoff  von 
Bassel  vnd  zwayen  grafen  von  Toggenburg 
krieg  gefürth  hat 

Vnd  bin  anno  1264  zu  graff  Rudolff  von 
Habspurg  komen,  vnd  anno  1268  vff  zu- 
schreiben meines  prueder  Georgen  dem 
Prekhendorffer  abgezogen,  laut  meines 
schrifftlichen  redlichen  vnd  gnedigen  ab- 
schidt,  wie  auch  in  meinem  raysbuech 
verzaichnet 

Auff  der  andern  Seiten  diss  blats  ist  obermelter 
Prekhendorffer  abgemahlt  zu  sehen,  in  gantzem  kiriss 
kniendt  vor  einem  gemaltem  crucifiz,  mit  aufgerekhteu 
henden,  blossem  grauen  haubt  vnd  bardt,  sein  heim 
auf  der  erden  ligent,  g^en  vber  volgendes  wappen: 


Soekmger:  Zur  Abfassungsteii  de$  Schwahempiegels.       415 


unter  der  figur  vnd  wappen  stunden  volgende  reimb: 

Ein  edelkhnecht  ynd  krieger  ich  XXXI  jar  war 
in  V  schlachten  gnanden,  schirm  Scharmützeln 

one  zal, 
dorin  mich  gott  liebt  vnd  Hess  genesen. 
Achtet  besser,  ich  wer  auch  todt  gewesen, 
dan  vil  bluts  ich  mein  tag  tett  vergiessen. 
Trag   sorg,    mein    kinder    Werdens    lützel   ge- 

niessen. 
Doch  der  barmhertz  gottz  ich  vertrau, 
vnd  allein  auf  gott  durch  Christum  bau. 
Fünff  sprachen    auss    meinem  mund  ich  reden 

khunt, 
Wie   man  solchs    in   meinem   raysbuch    finden 

thuet. 

Was  haben  wir  hieraus  zu  entnehmen?  Dem  Besitzer 
der  jetzt  unserem  verehrten  Collegen  Föringer  an- 


416         BHsung  der  higtor,  Gasse  wm  9.  Nawmher  1867. 

gehörenden  Handschrift,  welche  wir  fortan  als  die  Hand- 
schrift F  bezeichnen  wollen,  gewährte  am  7,  Februar  1609 
ein  Herr  Nicomed  Seh  wähl  die  Einsicht  einer  dem  Hein- 
rich dem  Preckendorfer  von  einem  Ritter  und  Bürger 
aus  Zürich  zwischen  den  Jahren  1264  bis  1268  ge- 
schenkten und  Yon  ihm  aus  der  Schweiz  mitgebrachten  Per- 
gamenthandschrift des  sogenannten  Schwabenspie- 
gels, für  den  weiteren  Verlauf  unserer  Erörterung  als  Hand- 
schrift P  getauft,  in  welcher  sich  das  Wappen  eines  Kam- 
merers und  Mitgliedes  des  inneren  Stadtrathes  Urban  Trinkl 
fand,    und   welche  einem  Herrn  A  gehörte. 

Fragen  wir  zunächst  nach  dem  erwähnten  Heinrich 
dem  Präckendorfer  oder  Preckendorfer,  zu  dem 
Preckendorf  und  Ereblitz  daheim,  so  werden  wir  in  die 
baierische  Oberpfalz  geführt,  in  deren  Landgerichte  Neun- 
burg vorm  Wald  die  beiden  genannten  Orte  liegen,  heute 
Prackendorf  und  Kröblitz  geschrieben. 

Weniger  einfach  ist  die  Sache  bezüglich  der  übrigen 
Persönlichkeiten  gelagert  welche  namhaft  gemacht  worden 
sind.  Doch  dürfen  wir  uns  aus  Gründen,  die  von  selbst 
einleuchten,  dieser  Frage  nicht  entziehen.  Und  insofeme 
bei  Erwähnung  des  Urban  Trinkl  die  Bemerkung  ,,alhie*^ 
beigesetzt  ist,  kennzeichnet  sich  einmal  der  Besitzer  unserer 
Handschrift  als  am  T.Februar  1609  an  demselben  Orte  be- 
findlich, und  wird  auf  der  andern  Seite  auch  der  damalige 
Besitzer  der  in  Frage  stehenden  Pei^amenthandschrift  wie 
nicht  minder  Nicomed  Schwäbl  schwerlich  anderswo  als 
eben  daselbst  zu  suchen  sein. 

Unsere  Nachforschungen  haben  in  diesen  Beziehungen 
auf  Regensburg  geführt.  Die  aus  dieser  ehemaligen 
deutschen  Reichsstadt  in  das  baierische  allgemeine  Reicbs- 
archiy  gelangten  Urkunden  und  Akten  fuhren  uns  nämlich 
zn  folgenden  Ergebnissen. 

Was   zunädist  den  bemerkten    Urban  Trinkl   oder 


BoeUnger:  Zur  ÄbfaanmgsMeU  da  SchmOtenapiegels.       417 

Tr  unkl  anlangt,  von  welchem  eben  ganz  einfach  die  Untereach- 
nng  ausgehen  kann,  findet  er  sich  urkundlich  in  den  zwanziger 
und  dreissiger  Jahren  des  16.  Jahrhunderts  zu  Regensburg.  In 
einer  Urkunde  vom  Donnerstage  nach  Katharina  des  Jahres 
1524,  an  welcher  auch  sein  Sigel  hängt,  erscheint  Vrban 
Trunckl  des  rates.  In  einer  anderen  vom  Mittwoche  nach 
Leonhart  des  Jahres  1530  begegnet  uns  Vrban  Trunckl  des 
rates  als  Zeuge.  Nach  einer  weiteren  vom  Mittwoche  nach 
Maria  Himmelfahrt  des  Jahres  1532  ist  Vrban  Trunckl  des 
jnnem  rates  als  Schiedsrichter  von  Kammerer  und  Rath 
von  Regensburg  verordnet.  An  einem  Aktenstücke  vom 
Montage  nach  Lätare  des  Jahres  1533  sigelt  her  Vrban 
Trunckl  burger  zu  Regenspurg  des  jnnem  rates  vnd  der  zeit 
stat  camerer.  Am  Donnerstage  nach  Jakob  des  Jahres  1536 
sigelt  Vrban  Trunckl  bui^er  vnnd  des  junern  rates  zw  Re- 
genspurg als  Schiedsrichter  des  Rathes  eine  Urkunde.  Weiter 
begegnet  er  uns  in  einer  vom  Montage  nach  Bartolomäus 
1537.  Im  Jahre  1540  wird  er  als  verstorben  erwähnt. 

Gehen  wir  zu  Nicomed  Seh  wähl  über,  für  welchen 
von  vornherein  der  7.  Februar  1609  feststeht,  so  finden  wir 
ihn  als  Sohn  des  Nicomed  Seh  wähl,  welcher  uns  gegen 
Ende  des  zweiten  Viertels,  und  als  Mitglied  des  inneren 
Rathes  und  Kammerer  von  Regensburg  mehrfach  mit  Dionys 
von  Preckendorf  in  Aktenstücken  des  dritten  Viertels  des 
16.  Jahrhunderts  ■)  begegnet,  in  einer  Urkunde  vom  6.  Febr.  1 584 


2)  Bei  der  Erbschaftsaaseinandersetzung  anter  die  Kinder  des 
Mitgliedes  des  inneren  Rathes  zu  Regensborg  Simon  Schwäbl  am 
18.  Febmar  1542  ist  er  noch  unmündig. 

Am  19.  Mai  1543  erscheint  er  als  Lehenträger  für  seinen  Bruder 
Alexander. 

Aus  einer  Urkunde  vom  20.  Februar  1548  haben  wir  Kunde  über 
die  ichviräbrBche  Behausung  in  Scherer  strasz. 


418         Sitzung  der  histar.  CUutt  wm  9,  November  1B67. 

worin  dem  Christof  Schwäbl  als  Lehenträger  seiner  Matter 
Elisabet  und  füi  sich  selbst  wie  aostatt  seiner  Brüder  Sieg- 
mund und  Nicomed  der  Schwäbl  von  dem  confirmirten  Bi- 
schöfe Philipp  von  Regensburg  Güter  verliehen  werden.  Von 
seinem  Vetter  dem  älteren  Wolf  von  Asch  und  Paindlkhofen 
erhielt  Nicomed  Schwebl  des  jnnern  rhats  zw  Regensporg 
einen  Weingarten  nach  Urkunde  vom  Nicolausabende  des 
Jahres  1586,  zu  welcher  ein  Lehenbrief  des  confirmirteQ 
Bischofs  Philipp  vom  14.  Juni  1588  verglichen  werden  mag. 
Weiter  erscheint  in  einer  Urkunde  des  Herzogs  Wilhelm 
vom  7.  August  1592  Nicomed  Schwäbl  burger  vnnd  dess 
jnnern  raths  als  Lehenträger  seiner  Vaterstadt  In  einer 
vom  19.  August  1599  wird  Nicomed  Schwäbel  bni^ger  vnnd 
des  jnnern  raths  auch  statt  camerer  zw  Regensparg  vom 
Bischöfe  Siegmund  belehnt.  Wieder  treffen  wir  in  einei* 
vom  Herzoge  Maximilian  zu  München  ausgestellten  und 
unterschriebenen  Urkunde  vom  15.  Jänner  1600  als  Lehen- 
tjäger  des  Kammerers  und  Rathes  von  Regensburg  Nicomed 


Am  31.  Jänner  1551  wird  er  für  sich  und  als  Lehenträgfer  für 
seinen  Bruder  Timotbeus   vom  Bischöfe  von  Regensburg  belehnt 

Bald  finden  wir  ihn  jetzt  in  Verbindung  mit  Dionys  von  Precken- 
dorf.  So  beispielsweise  in  einer  Urkunde  vom  Mittwoche  dem  1.  Febroir 
1553  über  die  ErbschaftsauseinandersetEung  des  Alexander  Schw&bli 
welche  Dionisi  von  Präckendorf  des  jnnern  ratts  vnd  barger  so  Be- 
genspnrg  sigelt. 

Am  26.  Oktober  1555  vergleicht  er  und  einige  andere  Raths- 
freunde  sich  wegen  einer  ihnen  von  Kämmerer  und  Rath  von  Be* 
gensburg  bewilligten  Abwasserbenützung. 

Nicomed  Schwäbl  vnnd  Dionisi  von  Präckhendorff,  bede  barger 
vnnd  des  jnnern  raths  zu  Regenspurg,  erscheinen  als  Vormünder 
über  des  Dionisi  Sohütl  Kinder  in  einem  Briefe  vom  24.  Juni  1565. 

Auch  war  er  Lehentrager  seiner  Vaterstadt,  wie  wir  einer 
Urkunde  vom  16.  März  1657  entnehmen,  und  leistete  nach  seinem 
Absterben  Haubold  Flettacher  als  solcher  dem  Herzoge  Albreoht 
^m  16.  Juni  1571  den  Eid. 


Soekinger:  Zm  Mfattungsteii  de$  Sehmabentpiegek.       419 

Schwäbl  barger  ynd  dess  jnnem  rhats  daselbs.  In  zwei 
Urkanden  yom  9.  Februar  1604  belehnt  Bischof  Wolfgang 
▼on  Regensborg  den  Nicomed  .  oder  Nicomedt  Schwäbel 
barger  ynd  des  jnnem  raths  aach  stadt  camerer  zu  gemel- 
ten  Begensparg  mit  verschiedenen  daselbst  näher  bezeich- 
neten Gütern.  Nach  einer  Urkunde  vom  4.  September  1609 
gehört  er  nicht  mehr  den  Lebenden  an,  indem  weillundt 
Nicomeden  Schwäbeis  gewesten  jnnem  raths  vnd  statcam- 
merers  zae  Regensporg  hinderlassenen  wittib  Vrsola  vom 
Bischöfe  Wolfgang  mehrere  der  früheren  Lehen  ihres  ein- 
stigen Ehegatten  durch  ihren  Lehenträger  Friderich  Beitmor 
SEU  Perekhausen  (und  nach  einer  Urkunde  vom  1.  Juli  1615 
vom  Bischöfe  Albrecht  durch  ihren  Lehenträger  Andreas 
Beitmor  zu  Deidenhouen)  übertragen  wurden. 

Weniger  sichere  Anhaltspunkte  stehen  uns  für  den  da- 
maligen Besitzer  der  Pergamenthandschrift  P,  wie  für  den  des 
Codex  F,  welcher  die  Nachricht  darüber  enthält,  zu  Gebote. 
Sehr  natürlich,  indem  der  erstere  blos  als  Herr  A  bezeichnet 
wird,  der  letztere  aber  nirgends  in  der  Handschrift  selbst 
genannt  ist.  Doch  dürfen  wir  wohl  auch  über  beide  eimge 
Muthmassungen  äussern  welche  nicht  allen  Grundes  ent- 
behren möchten,  insbesondere  wenn  wir  noch  den  Gabriel 
Mair  für  .  diesen  Punkt  herbeiziehen,  welcher  auch  eine 
Handschrift  des  sogenannten  Schwabenspiegels  besass  über 
welche  in  unserem  Codex  F  Mittheilungen  gemacht  sind« 

Steht  fest,  dass  Nicomed  Schwäbl,  dessen  Vermittlung 
am  7.  Febmar  1609  der  Besitzer  der  uns  erhaltenen  Papier- 
handschrift F  die  Benützung  der  sonst  oder  —  wie  wir  uns 
jetzt  vielleicht  genauer  ausdrücken  könnten  —  eigentlich 
dem  Herrn  A  gehörigen  Pergamenthandschrift  P  verdankte, 
Mitglied  des  inneren  Bathes  und  Kämmerer  zu  Begensbui^ 
gewesen,  so  wird  der  Herr  A  kaum  anderswo  zu  suchen 
sein.  Auch  liegt  sicher  die  Annahme  sehr  nahe,  dass  er 
eine  Persönlichkeit   war  welche  mit  Nicomed   Schwäbl  in 


430  8it99mg  der  hitior.  Ckute  vom  9.  Nei^mber  1867. 

gewissen  sei  es  fretmdschaftlidien  sei  es  gesdiäftlichen  Be- 
ziehuDgen  stand.  Nun  begegnet  uns  in  der  Zeit  um 
welche  es  sich  handelt  Christof  Adler  sidier  im  enten 
Decennium  dieses  Jahrhunderts  als  Mitglied  des  inneieD 
Rathes  zu '  Regensburg.  Er  erscheint  in  zwei  Urkunden  yom 
4.  Mai  1607,  wovon  er  eine  sigelt,  als  burger  Tnd  deas 
jnnem  rathes  zuRegenspurgvnnd  dissorts  verordneter  wadit- 
herr.  In  einer  vom  Herz(^e  Maximilian  zu  München  aoa- 
gestellten  und  unterschriebenen  Urkunde  vom  12.  Man  1610 
begegnet  er  uns  als  Lehenträger  des  Kammerers  und  Rathes 
von  Regensburg.  Als  solchen  treffen  wir  nach  seinem  Ab- 
Ieben<')  das  Mitglied  des  inneren  Rathes  Hanns  Jakob 
Aichinger  in  einer  gleichfalls  vom  Herzoge  Maxamilian  mi 
München  am  3.  Juli  1616  ausgestellten  und  untersdiriebenen 
Urkunde.  Auch  b^egnet  er  uns  „des  jnnem  geheimen 
raths"  als  Zeuge  bei  einem  Kaufe  der  Stadt  Regensburg  in 
einer  Urkunde  vom  13.  April   1622. 

Aus  derselben  Zeit  haben  wir  dann  Kunde  von  dem 
schon  berührten  Gabriel  Mair.  In  einer  auf  dem  Rafch- 
•  hause  zu  Regensburg  am  14.  Oktober  alten  und  24  oeuen 
Kalenders  1613  vorgenommenen  Verhandlung  erscheint  als 
Zeuge  Gabriel  Mayer  burger  vnd  eines  e(rbern)  Stattgerichts 
beysitzer  vnnd  assessor.  In  einer  Urkunde  vom  6.  Oktober  1614 
sodann  begegnet  uns  als  Zeuge  bei  einem  Kaufe  in  Regens- 
burg Gabriel  Meier  eines  e(rberD)  Stattgerichts  asseesöi'. 

Haben  wir  es  auf  solche  Weise  —  selbst  wenn  Qiristof 
Adler  nicht  als  nothwendig  annehmbar  erscheint  —  mit  an- 
gesehenen Bürgern  der  ehrwürdigen  Reichsstadt  zu  thon,  so 


8)  Aus  erster  Ehe  wie  es  scheint  hatte  er  eine  Tochter  Sosanna, 
welche  an  den  Bürger  and  StadtgericbUbeisitzer  za  Regensborg 
Daniel  Eder  Terheiratet  war,  wie  aas  der  Urkunde  über  den  Verkauf 
ihrer  zwei  anererbten  an  dem  unteren  Worth  za  Regensbufg  ge- 
legenen Palvermühlen  u.  t.  w.  vom  17.  Juni  1622  hervorgeht. 


Soekmger:  Zur  Ähfa89ung9uit  des  Sehtoabenspiegela.       421 

wird  vielleicht  nunmehr  auch  ein  Scbluss  auf  den  Besitzer 
der  Handschrift  F  erlaubt  sein,  welche  uns  die  Einträge 
ans  dem  alten  Pergamentexemplare  P  des  sogenannten 
Schwabenspiegels  erhalten  hat.  Dass  er  in  engen  Bezieh- 
ungen namentlich  zu  Nicomed  Schwäbl  und  Gabriel  Mair 
gestanden^  unterliegt  keinem  Zweifel,  indem  beide  ihm  Hand- 
schriften unseres  Rechtsbuches  zur  Benützung  gaben.  Dass 
er'  selbst  ein  Mann  gewesen  der  dafür  reges  Interesse  ge- 
habt, beweise  die  Einträge  welche  er  daraus  in  sein  eigenes 
Exemplar  machte.  Dass  wir  wohl  nicht  mit  Unrecht  einen 
rechtsgelehrten  Mann  in  ihm  yermuthen  dürfen,  gründet 
sich  auf  die  Betrachtung  der  verschiedenen  Aumerkungen 
welche  namentlich  vom  Anfange  an  —  neben  den  schon 
bemerkten  Einträgen  aus  den  beiden  Exemplaren  des  so- 
genannten Schwabenspiegels  —  bezüglich  der  Uebereinstim- 
mung  mit  dem  von  ihm  so  bezeichneten  Landrechte  den 
Rand  füllen.  Nun  finden  wir  gerade  in  der  Zeit  welche  in 
Frage  kommt  einen  Doctor  beider  Rechte,  Paul  Dins- 
peckh,  als  Stadtschultheissen  von  Regensburg.  Er  wurde 
als  ^cher  nach  der  im  baierischen  allgemeinen  Reichsarchive 
aufbewahrten  Designation  derer  Herren  Stadt  Schultheissen 
löblicher  Reichs  Stadt  Regenspurg  von  Johann  Georg  Gölgel 
im  Jahre  1600  bestellt,  und  sigelte^)  mehrfach  Urkunden 
über  verschiedene  an  Kammerer  und  Rath  daselbst  vorge- 
kommene Verkäufe,  beispielsweise  vom  20.  Februar  und  3 1 . März 
1602,  vom  30.  Juli  und  25.  September  1607.  Gerade  in  dem 
Jahre  in  welchem  die  Einträge  in  unserer  Handschrift  ge- 
macht worden  sind,  am  21.  August  1609,  kaufte  er  einen 
Acker  zu  R^ensbnrg  vor  dem  prepronner  Thore.  Zuletzt 
begegnen  wir  ihm  in  Urkunden  vom  3.  Oktober  und  24.  Jänner 


4)  Die  ümsohrift  seines  Sigels  lautet: 
Paulos  Dinspeceias  L  v.  d.  vnd  schvlthais  zv  Regenspurg. 
[1867.  IL  8.]  28 


422         auimng  der  kistar.  GUme  ^m  ^.  J^lmiNlvr  iSeT. 

1616.    Warum  soll  er  nicht  Besitzer  der  Handsdirift  F  ge- 
wesen sein  können? 

Doch  gleichviel,  ob  dem  (%ristof  Adler  die  viel  er- 
wähnte alte  Pergamenth^dschrift  P  gehörte,  gleichviel  ob 
Paal  Dinsbeck  der  Besitzer  unseres  Codex  F  gewesen,  Re- 
gensburg ist  jedenfalls  der  Ort  an  welchem  beide  Hand- 
Schriften  sich  am  7.  Februar  1609  befanden,  denn  wenn  die 
letztere  auch  nicht  dem  Paul  DinsbecJc  gehört  haben  Bollte, 
kann  nach  den  obigen  Ergebnissen  in  dem  Beisatze  „aÜM^^ 
kein  anderer  Ort  als  Regen^burg  yerstanden  werden. 

Wie  nun  dahin  die  für  uns  so  wichtige  Pergameeathaiid* 
Schrift  P  gelaugt,  vermögen  wfr  nicht  sicher  zu  bestimmen. 
Ohne  Zweifel  durch  die  Pr ecken  dorf  er.  Auf  welchem  W^ge 
aber,  wir  haben  darüber  so  wenig  bestimmte  Naohrichten 
als  über  die  ältere  Genealogie  diesea  Gesdilechtes.  Oerade 
über  den  Heinrich  wie  über  seinen  Bruder  Georg  und  seiee 
eigene  Familie,  welche  man  annehmen  muss  da  er  selbst 
von  seinen  Kindern  spricht,  fehlen  uns  im  Augenblicke 
weitere  Anhaltspunkte  als  was  sich  aus  dem  bereits  be- 
rührten Eintrage  in  der  Pergamentbandschrift  P  entndlinieD 
lässt.  So  interessant  sein  Beisbuch  gewesen  sein  mag,  so 
wichtig  es  nicht  allein  für  die  nähere  Bekabntschaft  mit 
dem  Manne  sondern  auch  für  die  in  manchen  EinzeHieiieti 
noch  keineswegs  ganz  und  gar  au%ehelltee  Fehden  des 
Grafen  Rudolf  von  Habsburg  mit  den  Herren  von  Regem- 
berg,  dem  Bischöfe  von  Basel,  den  beiden  Grafen  von  Teg- 
genburg  in  den  Jahren  1264  bis  1268*)  sein  dürfte,  eo 
vielfach  willkommene  geschichtliche  und  andere  Mittheflungen 
es    ausserdem    aus    der  Feder   eines    Edelk&eehtefi    bieten 


6)  Wir  können  für  unseren  Behaf  hier  ganz  kuis  anf  Lich- 
nowBky'B  Geschiebte  des  Hanses  Habsbnrg  I.  S.  e9  ü  Httd  besser 
Eopp'sOeschiohte  der  eidgenpssischcii  Bünde  Q.  S.eS9£  venreisen 


«isste  4er  Herr  über  Auf  Sprachen  war  «tnd  nicht  weniger 
lals  ein  und  drMsig  Jahre  im  Kriegsgetüinmel  umherzog,  es 
liegt  nns  nicht  vor.  MuthmassHch  blieb  es  T^ohl  zunächst 
im  Besitze  der  Preckendorfer,  über  welche  insbesondere  um 
die  Mitte    des  14.  Jahrhunderts*)    die  urkundlichen  Belege 


%)  Vfold  nooh  xiemlieh  über  sie  binauf  reicht  der  Heinrich 
Psäkecadoiler  desBen  im  8e<^tteB  Abeatze  Erwäbniing  zo  geschehen  bat. 

Jacob  der  Prakkenderfw  stiftet  sich  am  Nicolaustage  des  Jahres 
1358  einen  Jahrtag  im  Gotteshaoae  Maria  Magdalena  auf  prukker 
Vorst  Mob.  bok.  XXYU  S.  164  nad  165. 

Aaeh  ^wffen  wir  am  diese  Zeit  hemm  Glieder  unseres  Ge- 
aohledites  als  Lehensleute  des  Landgrafthums  Leuchtenberg. 

So  begegnet  uns  in  dem  Mtesten  wohl  noch  im  dritten  Viertel 
l^eeee  JahrhandeHs  geschriebenen  leuchtenbergischen  Lehenbnche 
lurter  der  Abtheilong  ,idaB  ^  sind  4i  leben  di  gehom  snm  Lewtem- 
berg  in  die  hersohaft*'  auf  fol.  18'  der  Eintrag:  Stephan  vnd  Ykich 
di  Preckendorfer  haben  zu  leben  zwen  hof  zu  Preohendorf  mit  irr 
auegehoraBg. 

Weiter  finden  wir  daselbst  unter  der  Abtheilung  „daz  sind  di 
leben  der  pürger  zu  der  Weyden^  auf  fol.  41  bemerkt:  Wolfhart 
PpegendorfPer  vnd  sein  prüder  Jacob  habent  zu  Pregendorf  T^j  gut 
Tttd  einen  zehent  ae  Pernhof  Vber  vinj  gut. 

Heinrich  und  Hanns  die  Eoshawpper  mit  ihrer  Mutter  Alhayt 
vergleichen  sieh  "aber  die  Erbschaft  ihres  Oheims  Haynreichs  dez 
fMkenderfers  mit  dem  Eloirter  Sdidnihal  und  ihrer  Muhme  Agnes 
der  Lichtenekkerin  laut  Urkunde  ve«  Freitage  in  der  ersten  Fasten- 
woche  des  ffahres  1888 ,  in  welcher  Steffim  der  Prakendarfer  unter 
den  Zeugen  ersolioini.    Mon.  boio.  SXYI  S.  219  und  220. 

Der  Registratur  über  das  Lehenbuch  des  Landgrafen  Johann 
des  jüngeren  von  Leuchtenberg  entnehmen  wir  nachstehende  vier 
Einträge  zu  den  Jahren  1408  und  1416. 

Anno  1408  feria  cpiinta  ipsa  die  sanotj  Jordanj  et  Epimachj 
mastymm  Ylridien  PreckondorffiBr  den  sitz  au  PreckendorfiT  mit  aller 
sngebörang  an  veld  wiemad  daraaff  er  sitzet. 

Ajhio  ld08  faria  vj^  proxima  Nielasaen  Preekendorffer  den  sitz 
dvauff  er  aitaet  iw  Preckendoi^  mit  aller  sagehörung  an  veld  wii- 
»ad  vnnd  boltia 

28* 


424         Sitzung  der  histar.  Gtasse  vom  9.  Natember  1869. 

reichlicher  fliessen.    An    welche   yon  den   betreffenden  Fa- 
miUengliedern   es  gelangte,    wissen  wir  nicht.    Ob  nnd  von 


Anno  1416  feria  quiuta  octana  beatj  Stephaig  Lorents  Raschav 
bürg  er  zw  Yichtag  ij  leben  zw  Preckendorff  gelegen  die  er  Ton 
Nidasen  Preckendorffer  gekaufft  bait.  derselb  Preckendorffer  batt 
den  sitz  zu  Preckendorfif  darauff  er  sitzet  mit  seiner  zugebömng. 

Anno  et  die  ut  supra  Hannsen  Rascbawer  zw  Yiebtag  bey  Mo- 
racb  gelegen  gesessen  zwey  leben  zn  Preckendorff  jnn  newnburger 
geriebt  dietricbskürcbner  pfarr  die  sein  vatter  Rascbawer  Ton  Ni- 
lasen  Preckendorffer  gekanfft  bat. 

Andre  Prakendorffer  oder  wie  er  nnten  in  der  Urkunde  ge- 
schrieben ist  Brakendorffer  zne  Prakeudorff  stiftet  einen  Jabrtag  iia 
Kloster  Scböntbal  am  24.  Juni  1481.  Mon.  boic  XXTI  8.  891—898. 
Die  Umschrift  in  seinem  Sigel  lautet:  Andre  Preckendorfer.  Ihm 
übergab  am  Franciscustage  des  Jabres  1483  Landgraf  Leopold  Ton 
Leucbtenberg  drei  einstmals  dem  Niclas  Brackendorffer  TerUehen 
gewesene  Güter  zu  Brackendorff  welcbe  beimgefallen  waren.  Auch 
als  oberpfalziscben  Lebenmann  finden  wir  ibn,  indem  nacb  Herzog 
Jobanns  Lebenbucbe  foL82'  dem  Endres  Praeckendorffer  am  Dienstag 
nacb  Lucia  des  Jabres  1484  ein  verfallenes  Lehen  einer  bei  Prae- 
ckendorff  gelegenen  Wiese  übertragen  wurde. 

Albrecbt  Präkkndorffer  zum  Sigenstain  erscheint  in  einem  Hof- 
gericbtsbriefe  vom  Freitage  nacb  dem  Gilgentage  des  ^Jahres  1446 
in  den  mon.  boic.  XXVÜ  S.  438—485. 

Auf  den  Montag  nacb  Gall  des  Jabres  1448  ftllt  eine  land- 
gräflich  leucbtenbergiscbe  Belebnung  des  Sigmund  des  Prackeoii- 
dorffers  mit  dem  Sitze  Prackenndor£f. 

Peter  Prackendarffer,  Richter  zu  Camb,  sigelt  eineUrknnde  von 
9.  August  1454.  Mon.  boic.  XXYL  S.  476  und  477.  Die  Umsohrift 
im  Sigel  lautet:  Peter  Prackendorffer. 

Wir  könnten  in  solcher  Aufz&blung  bis  in  die  zweite  H&lfte  dos 
17.  Jahrhunderts  fortfahren.  Doch  genügt  es  uns  hier,  ans  einer 
zu  Anfang  des  genannten  Jahrhunderts  amtlich  vorgelegten  arbor 
consanguinitatis  praeokbendorffianae,  welche  wir  mit  genauen  Be- 
legen verseben  in  der  Sitznng  der  historischen  Klasse  vom  7.  Dezember 
mitzutbeilen  gedenken,  die  nächste  Nachkommenschaft  dee  snletit 
genannten  Peter  und  jene  seines  Sohnes  Georg  vorzuführen,  inao- 
feme  wir  hiemit  über  das  Geschlecht  der  Preckendorfer  bia  nir 


Soekingtr:  Zur  AbfatmngueU  des  Schwäbempiegels,       425 

welchem  deiBelben  es  vielleicht  mit  der  Pergamenthandschrift 
P  des  sogenannten  Schwabenspiegels ,  welche  sie  nach  der 
heraldischen  Erscheinung  des  Wappens  in  ihr^)  zu  schliessen 
wenigstens  bis  gegen  das  16.  Jahrhundert  besessen  haben 
müssen^  nach  Regensburg  gelangte,  woselbst  wir  sie  in  den 
zwanziger  oder  dreissiger  Jahren  dieses  Jahrhunderts  im 
Eigenthume  des  Urban  Trunkl  wissen,  wir  vermögen  das 
nicht  zu  entscheiden.    So   viel  übrigens  können  wir  sicher 


Üebersiedlnng  des  (Georg  and  seines  Sohnes)  Dionys  nach  Regensbnrg 
soweit  als  vorerst  nöthig  ttnterrichtet  sind. 

Petter 

Matthes     Stefian     Albrecht    Wolfif       Georg 
I  i 

Wolff  Wolf       Sigmundt 

Creorg 

X  ^  s 

Georg      Christoff      Wolff     Johannes     Dionisi    Johannes 

7)  Wir  haben  es  oben  S.  415  genau  nach  dem  Eintrage  in  der 
Handschrift  F  mitgetheilt. 

Man  möchte  sich  hienach  der  Ansicht  zuneigen,  vorausgesetzt 
nämlich  dass  die  Zeichnung  in  der  Handschrift  F  wirklich  ganz 
genau  ist,  es  sei  nur  eine  ältere  Darstellung  desselben  durch  ein 
späteres  Glied  des  Geschlechtes,  in  welchem  sich  der  Schatz  des 
Ahnherrn  aus  dem  18.  Jahrhunderte  fort  vererbte,  übermalt  worden, 
wie  sich  von  selbst  versteht  in  der  heraldischen  Form  der  betreffen- 
den Zeit. 

Wenigstens  zeigt  uns  das  prächtige  Aquarell gemäldchen  in  der 
einst  im  Besitze  der  Preckendorfer  befindlich  gewesenen  Pergament- 
handschrift von  des  Eonrad  von  Megenberg  berühmten  Buche  von 
den  natürlichen  Dingen,  welche  uns  die  oben  im  Eintrage  der 
Handschrift  F  geschilderte  bildliche  Darstellung  in  einer 
Fertigung  etwa  aus  dem  Beginne  des  letzten  Viertels  des  14.  Jahr- 
hunderts erhalten  hat,  cod.  germ.  mon.  38,  insbesondere  den  Schild 
nicht  allein  ganz  und  gar  frei  und  nicht  vom  Mantel  oben  auf  beiden 
Seiten  überdeckt,  sondern  auch  in  der  alten  spitzen  Form. 


426         8itgung  der  histor.  CkuMt  fM»  9.  Nmemlm  ^6^* 

den  Familienaufzeichnungen  eotaebiiieii  welche  eich  in  der 
einst  im  Besitze  der  Preckeadorfc^  beiGAdlieh  gew.eseDOi 
herrlichen  Pergamenthandschrift  von  dea  Eonrad  Y<m  MegeQ- 
berg  berühmten  Buche  TOn  den  Batürlichen  Dinges^  nttar 
mehr  cod.  germ.  38  der  Staatsbibliothek  ztt  Mimehen,  eiiH 
getragen  finden,  dass  ganz  am  Schlüsse  des  15.  Jahrhandeits 
Georg  von  Preekendorf  sich  mit  Agnes  vermählte,  der 
Tochter  von  Kaiser  Friedrichs  Rath  Eonrad  Trinkl  sa 
Hautzendorf,  welche  nach  dem  Tode  ihres  Gatten  noch 
36  Jahre  lang  als  Wittwe  lebte  und  in  Regensburg  wohnte, 
woselbst  sie  kurz  nach  der  Mitte  des  16.  Jahrhunderts  als 
die  letzte  ihres  Geschlechtes  starb.  Auf  solche  Weise  mSdite 
für  den  Uebergang  der  fraglichen  Handschriften  oder  "wenig- 
stens der  Pergamenthandschrifb  des  sogenanntea  Schwaben* 
spiegeis  sowohl  dahin  als  auch  in  die  HändQ  des  Urban 
Trunkl  ein  sehr  natürlicher  Weg  gefunden^  sein.  Auch  lieas 
sich  vielleicht  um  die  Zeit  vchi  welcher  es  sich  handelt, 
abgesehen  von  dem  berührten  Eheverhältnisse,  der  eine  od^ 
andere  aus  der  preckendorferischen  Familie  überhaupt  in 
Regensburg  nieder,  woselbst  wir  vrenig^teos  im  Jahre  1553 
den  Dionys  von  Preekendorf  als  Mitglied  des  inneren  Rathes 
und  im  Jahre  1559  wie  1572  als  Kammerer  wie  gegen  den 
Ausgang  der  siebenziger  Jahre  dieses  Jahrhunderts  sogar  als 
obristen  Kriegsherrn®)   finden.     Doch  mag  dem  so  oder  so 


8)  Vgl.  über  die  Urkunde  yom  1.  Februar  1568  oben  S.  418 
Note  2.  Die  Umschrift  des  Sigels  lautet:  S.  Dionisi.  von.  Precken- 
dorff. 

Herr  Dionysi  von  Praegkhendorff  des  jnnem  raths  erscheint  als 
Zeuge  bei  einem  von  Kammerer  und  Rath  Ton  Regensburg  ge- 
machten Verkaufe  am  Sonntage  den  10.  Oktober  1557  nach  der 
darüber  unterm  Mittwoche  den  16.  Fisbr.  1558  ausgestellten  Urkunde. 

Herr  Dionysi  von  Pragkhenndorff  etc.  d^  jnnem  raths  der  seit 


Bpfümgpn  ^m  Alrfßmng9geU  da  Schwäben^^iegds.       427 

sein,  es  hat  am  Eode  för  die  Frage  welcdie  nn&  beBChäftigt 
keine  unmittelbare  Bedeutung,  wiewohl  möglicher  Weise 
etwa  über  den  Ritter  und  Bürger  von  Zürich, .  mit  welchem 
unser  Krieger  jedenfalls  in  innigen  Verkehr  getreten  sein 
mnss,  wenn  jener  ihm  eine  so  werthyoUe  Handschrift  zu 
verehren  sich  veranlasst  gefunden,  nicht  zu  verachtende  Auf- 
schlüsse au3  dem  fraglichen  Tagebuche  zu  schöpfen  sein 
dürften. 

Was  schliesslich  noch  gerade  diese  schweizer  Per- 
sönlichkeit betrifft,  dürfen  wir  uns  nicht  wie  allenfalls 
beim  Herrn  A  und  beim  Paul  Dinsbeck  lange  in  Muthmass- 
ungen  ergehen,  sondern  ein  Eintrag  welchen  uns  die  Hand- 
schrift F  aus  P  über  deren  Besitzer  erhalten  hat  bietet  die 
erwünschteste  Auskunft.  Es  heisst  nämlich  dortselbst  auf 
Fol.  182,  dass  nach  dem  den  Schluss  des  sogenannten  Schwaben- 
spiegels bildenden  Endartikel  =  L  159  des  Lehenrechtes 
und  nach  der  Angabe  des  Schreibers  welcher  die  Hand- 
schrift gefertigt^)  noch  nachstehende  Bemerkung  gefolgt  sei: 

Disz  buch  höret  einem  herren  an 

der  vnrecht  3e  rechte  kan 

bringen,  ob  ers  gerne  tut. 

Gott  gebe  im  ehre  vnd  gut 

hie  yntz  vf  sin  ende. 


statt  camerer  ist  Zeuge  and  Siglar  für  eine  Heiratsverabredung  am 
Samstage  den  28.  Dezember  1559. 

üeber  die  Urkunde  vom  24.  Juni  1565  ist  oben  S.  418  Note  2 
zu  vergleichen. 

Herr  Dionisius  von  PrägkhendorfiP  dess  jnnem  raths  begegnet 
uns  als  Zeuge  bei  einem  Verkaufe  Samstags  den  11.  Mai  1566. 

Herr  Dionisius  von  Prackendorff  erscheint  als  einer  der  Käm- 
merer von  Regensburg  bei  einem  Vertrage  der  Stadt  mit  dem  Bi- 
schöfe vom  15.  Juni  1571 ,  vom  Kaiser  Maximilian  am  23.  August 
1572  bestätigt 

9)  Vgl  unten  S.  486. 


428  RUtung  der  hisiar,  Clam  wm  9.  Nwmber  1867. 

vnd  dort  on  alle  missewende 
teile  mit  im  froliche 
sin  ewig  himelriche. 

Amen. 
Herre,  were  iht  bessers  gewesen 
danue  daz  ir  hie  hant  gelesen, 
daz  hatte  ich  gewünschet  yf  minen  eid 
iv  ze  einer  selikeit. 
Swer  mir  nu  gelikes  bitte, 
dem  müsse  gott  wesen  mitte 
hie  vnd  dort  mit  wunne. 
Swer  mir  anders  gunne, 
dem  müsse  oech  also  geschehen. 
Anders  kan  ich  nicht  veriehen: 
Gott  vns  müsse  wesen  bi 
durch  sine  ^®)  heyligen  namen  dri. 
Aber  nu  der  herre  müge  genesen 
den  wir  hievor  haben  gelesen 
den  disz  buch  anhoeret. 
Es  ist  ein  man  der  gerne  stoeret 
daz  vnrecht  zallen  ziten. 
Nicht  lang  ich  will  biten. 
Ich  wil  iu  hie  sa  ze  hant 
den  ere  gernden  tun  erkant 
e  daz  ich  sin  vergesse. 
Herr  BndigBr  der  Hanesse 
von  Zürich^  ein  ritter,  ist  er  genant. 
Vmb  ine  ist  es  so  gewant,  - 
daz  er  vf  die  rehtekeit 
zallen  ziten  svnder  leit 
setzet  gar  den  sihen  muQt. 


10)  In  der  HaDdschrifb  steht:  siner. 


Boekinger:  Zur  Abfa$8tmg9seii  des  Sehmahempiegeli.       429 

Da  von  im  ehre  ynd  gnet 
gott  soll  geben  zallen  zit 
an  aller  slahte  widerstrit 

Keinem  anderen  demnach  als  dem  berühmten  Rudiger 
dem  Manessen  dem  älteren  gehörte  die  fragliche  Per- 
gamenthandschrift an.  Am  1.  Juli  1264  erscheint  er  als 
der  fünfte  unter  den  bürgerlichen  Käthen  des  in  glücklicher 
Entwicklung  begriffenen  Zürichs.  Am  15.  März  1268  ist  er 
der  zweite  unter  den  Beisitzern  des  Rathes  aus  dem  Ritter- 
stande. Es  ist  eine  bekannte  Thatsache,  wie  mitten  unter 
dem  Waffengeräusche  einer  kinegerischen  Zeit  und  den 
Sorgen  des  aufstrebenden  und  bewegten  städtischen  Gemein- 
wesens, woran  Rudiger  der  Manesse^^)  eifrigsten  Antheil 
genommen,  auch  friedlichere  Bestrebungen,  eine  schöne  der 
Wissenschaft  und  Kunst  gewidmete  Müsse  in  seinem  Leben 
Raum  gefunden.  Wie  frühe  dieses  der  Fall  gewesen,  die 
fragliche  Pergamenthandschrift  —  woran  wir  vor  der  Hand 
keine  weiteren  Folgerungen  knüpfen  —  liefert  einen  spre- 
chenden Beweis  hiefür. 

Wir  könnten  sie  bienach  mit  vollem  Fuge  als  manes- 
sische mit  der  Abkürzung  als  Handschrift  M  bezeichnen. 
Wenn  wir  diesen  Buchstaben  oben  nicht  gewählt  haben, 
sondern  sie  nach  ihrem  nächsten  Besitzer  als  precken- 
dorfer'sche  unter  der  Abkürzung  als  Handschrift  P  vorführen, 
hat  dieses  seinen  Grund  lediglich  darin,  dass  auf  solche 
Weise  Verwechslungen  mit  der  seinerzeit  auch  zur  Besprech- 
ung zu  bringenden  Handschrift  des  Gabriel  Mair  =  M  leichter 
vermieden  werden. 

m. 

Sind  wir  auf  diesem  Wege  über  die  Schicksale  der  in- 
teressanten   Pergamenthandschrift   P    wenigstens    bis    zum 


11)  Vgl.  Wyss  Beitrage   zur   Geschichte  der  Familie   Manea« 
S.  4-10. 


4Sft        aUnrngt  äet  kktot.  (Xtme  «om  9.  November  18^^ 


7.  Februar  1609  ausreioliefid  gcnog  auterricfatet,  so  gdien 
wir  nunmehr  auf  sie  selber  über,  soweit  sibk  nämlidi 
näheres  über  sie  herausboringen  lässt.  Die  Mittel  Uezu  bieten 
uns  die  Einträge  in  der  Handschrift  F.  In  diese  hat 
sich  nämlich,  wie  bereits  oben  S.  411 — 413  bemerkt  worden, 
aus  ihr  wie  aus  Gabriel  Mair's  Exemplar  Paul  Dinsbeck  oder 
wer  eben  der  Besitzer  der  noch  erhaltenen  Papierhandschrift 
F  gewesen  sein  mag  einfach  was  ihm  bemerkenswerth 
dünkte  verzeichnet  oder  yielleicht  richtiger  gesprochen 
verzeichnen  wollen.  Es  scheint  ihm  nämlich  hiebei  im 
allmäligen  Verlaufe  der  Vergleichung  die  Arbeit  über  den 
Kopf  hinaus  gewachsen  zu  sein.  Denn  von  Anfang  an  ging 
insofeme  die  Sache  leichter  als  die  Handschriften  des  soge- 
nannten Schwabenspiegels  welche  der  alten  und  noch  nicht 
einer  so  zu  sagen  systematischen  Ordnung  folgen  in  einer 
gewissen  Weise  regelmässig  zusammenstimmen,  abgesehen 
von  der  Zusammenziehung  mehrerer  Artikel  in  einen  oder 
von  der  Trennung  eines  Kapitels  in  mehrere.  Unglücklicher 
Weise  bot  nun  aber  sein  Exemplar  die  Gestalt  jener  Gruppe 
welche  von  Artikel  27  des  durch  Freiherrn  v.  Lassbeig  be- 
sorgten Druckes  an  eine  hübsche  Reihe  hindurch  jene  starken 
Versetzungen  aufweist  welche  aus  der  auf  der  Handschrift 
des  Reichsgrafen  von  Wurmbrandt  besorgten  Ausgabe  des 
Herrn  v.  Bergejr  =  B  leicht  zu  ersehen  sind.     Gleich  die 


erste: 

L   F   B 

L   F   B 

L   F   B 

L   F   B 

26  27  27 

32  44  41 

37  50  47 

42  54  51 

27  39  37 

33  45  42 

38  51  48 

43  55  52 

28  40  38 

34  46  43 

39  52  49 

44  28  28 

29  41  39 

35  47  44 

40  53  5Ö 

45  66  53 

80|  42|  ,(, 
31/  43/ 

36(  *«<  *5 
l  49l  46 

")  117  106 

46  61  58 

41  118  107 

47  62  59 

J2)  Tgl.  Ar 

tikdl  13. 

n.  8.  w.  Hier  scheint  sich  im  ersten  Augenblicke  der  gute 
Mann  nicht  mehr  recht  ansgekannt  za  haben.  Es  hört  näm- 
lich jetzt  die  einlässlichere  Vergleiehung  nicht  blos  aus  der 
Pergamenthandschrift  P.  sondern  aaoh  aus  Gabriel  Mair's 
Exemplare  auf,  von  welchem  indessen  die  bis  zum  Artikel  44 
des  L  Druckes  reichenden  Verstellungen  angemerkt  sind, 
während  bezüglich  P  auf  fol.  67'  nur  bemerkt  ist: 

Nota  bene.  dise  vnd  volgende  titul  sein  im  pergamenen 

rechtbuch  vil  änderst  gesetzt  vnd  geordnet. 
Leider  ist  ihre  genaue  Folge  nicht  beigesetzt  wordeut 
während  das  Verzeicfaniss  der  Artikel  der  Handschrift  des 
Gabriel  Mair  vollständig  auf  den  leeren  Blättern  der  Hand- 
schrift F  nachträglich  noch  eingefügt  wurde.  Hört  indessen 
auch  wie  bemerkt  am  angegebenen  Orte  die  eigentliche  Ver- 
gleichung  auf,  so  vrird  doch  auch  fortan  an  verschiedenen 
Stellen  noch  dieses  oder  jenes  bald  mehr  bald  minder 
wichtige  theils  am  Rande  theils  auf  anfänglich  leeren  Blatten 
angemerkt. 

Die  Nachricht  über  den  ursprünglichen  Besitzer 
Heinrich  den  Preckendorfer  und  die  späteren  Schick- 
sale der  Handschrift  P,  soweit  sie  bis  zum  7.  Februar 
1609  bekannt  sind,  sie  ist  bereits  oben  S.  413^415  mit- 
getheilt  worden. 

Wir  lassen  nunmehr  die  übrigen  Einträge  folgen. 

Auf  fol.  6'  Sp.  2  nach  dem  Schlüsse  des  Verzeichnisses 
der  Kapitel  sowohl  des  Königebuches  als  auch  des  Land- 
und  Lehenrechtes  des  sogenannten  Schwabenspiegels  findet 
sich  nachstehende  Bemerkung: 

In  dem  pergamenen  Buch  stunden  uachvolgendeRaimen: 
Hie  hat  daz  lehenbuch  ein  ende. 
Gott  vns  sich  selben  sende 
ze  einem  suessen^^)  tröste. 


19)  1»  der  Haodschrift  steht:  suellen. 


482  Siitwig  der  hitht,  Clas$e  vom  9.  Navember  1867. 

Wann  er  vns  eine  erlöste 
von  der  helle  pine, 
da  von  er  Tns  ze  schine 
sich  selben  iemer  geben  wil, 
des  ist  im  heren  nicht  ze  y\\. 
In  gottes  namen^^) 
San  wir  sprechen  Amen. 
Auf  Fol.  8  zum  Eingange  des  Eönigebuches    lautet   in 
der  Handschrift  F  der  Text :  durch  den  rechten  fride,  durch 
den  raynen  fride,  durch  den  schadhaften  iiide,  durch  staten 
fride.    Dieser  ist  dann   theils  durch  Randbemerkung  theils 
gleich  durch  Einsetzung   in   die  betreffenden  Zeilen    selbst 
folgendermassen  geändert: 

durch  den  rechten  fride,  vnde  durch  den  seide- 
haften fride,  durch  den  raynen  fride,  durch  den 
schadhaften  fride,  vnde  durch  den  staten  fride, 
wonach  eben  in  den  Worten  „durch  den  seldeh%ften  fride'' 
der  sinnlose  erst  weiter  unten  stehende  und  daher  beim 
ersten  Lesen  nicht  allsogleich  schon  bemerkte  Ausdruck 
„durch  den  schadhaften  fride'*  aus  der  Pergamenthandschrift 
P  verbessert  erscheint. 

Auf  Fol.  38  ist  zu  der  JLJeberschrift :  Von  dem  chunig 
Daio,  in  welch  letzterem  Worte  über  dem  i  das  Abkürz- 
ungszeichen angebracht  ist,  die  aufgelöste  Form  „Dario''  an 
den  Rand  bemerkt. 

Auf  Fol.  62'  zu  Art.  11  =  L  9  des  Xaudrechtes  tritt 
uns  der  Eintrag  entgegen: 

Im  pergamenen  buch  stehet  der  titul  also: 
Der  man  ist  der  froweu  maister, 
wobei   über   dem   o  in  „frowen"  noch   ein    kleines  v  über- 
gesetzt ist. 

Auf  Fol.  63   zu  Art.  16  =  L  14   des  Landrechtes  ist 


14)  In  der  Handschrift  steht:  In  gottes  namen  amen. 


BoMnger:  Zur  Ahfa$9mgueü  de$  8chwabw$piegds.       433 

anstatt  der  Ueberscbrift  ,.de8  suns  gut"  als  solche  aos  der 
Pergamenthandschrift  P  angeführt: 
dess  kindes  guet. 
Auf  Fol.  64'    zu  Artikel  19  =  L  17    des  Landrechtes 
ist  uns  folgender  Text  von  P  am  Rande  angemerkt: 

Die  Swabe  setzent  wol  ir  yrteil  vnder  in 
selben,  yf  swebischer  [erde]  ist  daz  recht, 
vnd  ziehend  si  oach  wol    an  ein  höher  ge- 
richte.  [daz  gerichte]  myotzen  sie  nemen, 
ynd  band   si  oech  die  minren  yolge.     swe- 
bisch^*)  recht  zweyen  sich  etc.  ut  hie**). 
Anf  Fol.  67    zu    Artikel  27  =  L  26  des  Landrechtes 
ist  in  den   für  den  rothen  Anfangsbuchstaben  W  leergelas- 
senen Ranm  ein  schwarzes  S  undW  eingeschrieben,  so  dass 
es  den  Anschein  hat,    es  stand   anstatt  „Wo"  in  der  Per- 
gamenthandschrift P:  Swo. 

Von  der  anf  Fol.  67'  zu  Artikel  39  =  L  27  des  Land- 
rechtes eingetragenen  Bemerkung  ist  yorhin  8.  431  die  Rede 
gewesen. 

Auf  Fol.  75'  zu  Artikel  64  =  L  52  des  Landrechtes 
ist  zu  den  Worten  des  Textes  „mit  aynem  schilt  ynd  mit 
aynem  sper  gesitzen  mag^*  an  den  Rand  als  Lesart  der 
Pergamenthandschrift  P  beigeschrieben: 

mit  schilte  ynd  mit  schaffte  gesitzen  mag. 
Auf  Fol.  98  zu  Artikel  145  =  L  122  des  Landrechtes 
ist  zu  dem  falsch  geschriebenen  Worte  jmselsuchtig  die  Gor- 
rectur  aus  der  Pergamenthandschrift  P 

miselsuhtig 
an  den  Rand  bemerkt 

Auf  FoL  100'  zu  Artikel  155  =  L  130a   des  Land- 


15)  In  der  Handschrift  steht:  swel. 

16)  Ygl.  oben  S.  413  Note  1  zu  fol.  W. 


434  Si^gmg  äer  Jda^,  €2am  mm  9.  NbpenAtr  ISeT. 

rechtes  ist  zu  den  Worten  des  Textes  „der  vierd  an  dar 
wall  das  ist  der  herczog  von  Beeren  des  reidies  sehenck'^ 
an  den  Rand  — .  abgesehen  von  dem  in  Gabriel  Mair's 
Exemplar  ?orfindlichen  Texte  ^')  —  bemerkt : 

Goncordat  daz  pergamen  rechtbnch  so  anno  1264 
schon  geschribn  gewesen,  aberdarinn  radfirt  vnd  dafür 
gesatzt  worden: 

der  köaig  von  Beheim. 
Auf  fol.  116  zu  Artikel  207  =  L  377  11    des  Land- 
rechtes  begegnet  uns  die  Randbemerkung: 

Nota  bene.    dieer   gantz  tiiul   ist    im    pergamenen 
pudi  hieher  nicht  gesetzt,  sonder  volgt  der  titul: 
der  dess  nachtes  körn  stilt. 
Aber  folio  c  vnter  dem  buch  von  lehen  da  wird  er 
erst  gesetzt. 

Auf  Fol.  123  zu  Artikel  222  =  L  219  des  Landrechtes 
finden  wir  an  dem  untern  Rand  bemerkt: 

Im  pergamen  buch   steht  zu  ende  dess  tituls  von 
mülinen  vnd  von  zöln  vnd  von  münzen: 
Hie  ist  das  landrecht  buch  vsz. 
Voigt  ein  figur  eines  richters    dem   einer    ein  brief 
mit  sigl  vberreicht,  vnd  voigend  titul: 

Hie  hebt  an  das  edel  buch  das  da  haisset  daz 
buch  von  lehenrechte. 

Das  erste.    Jn  nomine  patris  et  filij  et  Spiri- 
tus sancti.     Ob  ein  kind  etc. 
Auf  Fol.  148'    ist  zum  Anfange    des  Lehenrechtes  am 
unteren  Rande  bemerkt: 
Im  pergamenen  buech: 

Hie  hebt  sich  das  edle  vnd  recht  lehen  buch 
an,  daz  das  dritte  stukh  ist  diss  buchs. 


17)  Der  vierd  ist  der  bertzog  in  Baym,   dess  reichs  tckenkh. 
der  soll  dem  könig  den  ersten  beoker  tragen. 


B09kSnsf9r:  Zwr  Alfanmn§9»ei%  dts  SchwahtmpkgeU.       435 

Von  rechten  leben. 

Jn  nomine  patris  et  filij   et  spiritns  sancti. 
Aof  Fol.  150  iet  su  den  Worten  des  Artikels  7  =  L  8 
des  Lehenredites  f,Tnd  der  herczog  von  Bayren"  an  den 
Band  geschrieben: 

Concordat  das  pergamenen.    bier  ist   aber  widerumb 
etwas  corrigirt,  vnd  der  konig  vonBebeimb  gesetzt. 
Aaf  Fol.  182   begegnet   nns   2am  Scbfaisse   des  Leben- 
rechted =  L  159  nadistebender  Eintrag: 

Nota  bene.     Im  pergamenen  Buch  post  §  ultimum 
„Lehen^*  etc.  post  uerba  postrema   „da  von  daz  er 
desz  beerscbildes  darbet'^   volgt  hernach: 
Hie  hat  daz  lebenbuch  ein  ende. 

Hie  hat  daz  leben  buch  ein  ende,  elliu^*) 
leben  rebt  ban  ich  zu  ende  bracht  diu'^) 
von  leben  rebte  sint.  , 

Vnd  wissent  das  lehenrebt  liht  were  ze 
bescheidene,  were  der  so  yil  nibt  die  des 
vnrebten  varent  md  vnrebt  thnn  durch 
gutes  willen  das  sie  ie  zu  ze  rebte  sagent 
durch  ir  selber  munt.  vnd  werdent  si 
des  selben  sa  ze  baut  gevraget  dar  nach, 
das  verkerent  si,  vnde  sagent  ein  anders. 
Es  ist  nieman  so  vnrebter,  in  dunke  vn* 
billicb  ob  man  im  vnrebte  thut.  darumbe 
bedarff  fiian  wiser  rede  vnd  guter  künste 
wol  wie  man  sie  an  di  rebt  bringe. 

Swer  zallen  ziten  vf  das  recht  sprichet 
der  gewinnet  mangen  vient.  des  sol  sich 
der  biderman  gerne  bewegen  durch  gott 
vnd  durch  sine  ehre  vnd  durch  siner  seel^ 
beil. 


18)  In  der  Handschrift  ist  das  i  über  das  n  gesetzt. 


436  Sitsung  der  histor.  Ckase  vom  9.  November  1867. 

Gott  darb  sine  gute    der  gebe  yns  sine 
genade,    da^   wir  das  rebt  also  minnen  in 
dirre  weite,    vnd    daz  ynrebt  krenken   in 
dirre  weite,    das  wir   sin  da  geniessen  da 
sieb   lip   vnde   sele  scbaident.   das  Yerlibe 
vns  der  Yater  ynd  der  sun  vnd  der  beilige 
geist.  amen,     daz  werde  war. 
Qui  wole^^)  micb  gescbriben  bat, 
Wilt  scbriber  nomen  babebat. 
Die  Verse   welcbe  biernacb   nocb   über  den    urspräng- 
lieben   Besitzer  der  Pergamentbandscbrift  P   angereibt  sind 
baben  wir  bereits  oben  S.  427—429  mitgetbeilt. 

Die  Bemerkung  welcbe  dann  nocb  weiter  über  Kaiser 
Friedricbs  II.  mainzer  Landfrieden  folgt  werden  wir  unten 
S.  437  berühren. 

Auf  Fol.  181  endlicb  ist  bezüglicb  einer  Anzabl  Yon 
kurzen  Recbtssätzen ,  wie  über  ebebafte  Notb  und  anderes, 
welcbe  in  der  grossen  Mebrzabl  der  der  Gruppe  der  Hand- 
scbrift  des  Reicbsgrafen  von  Wurmbrandt  angebörigen  Co- 
dices als  „Generalartiker^  nocb  nacb  dem  Schlüsse  des 
Lebenrecbtes  des  sogenannten  Scbwabenspiegels  angehängt 
erscheinen,  die  Bemerkung  gemacht; 

Nota  bene.     diso  general  articul   sein  im  pergamenen 
exemplar   nit  gesetzt. 

IV. 

Hienach  sind  wir  jetzt  in  den  Stand  gesetzt,  uns  ein 
gewisses  Bild  von  der  Pergamenthandschrift  P  zu 
machen. 

Sie  hat  zunächst  das  Buch  der  Könige  wenigstens 
der  alten  E  enthalten.  Ihm  folgte  das  Land-  und  das 
Lebenrecht     des     sogenannten     Schwabenspiegels. 


19)  In  der  Handschrift  steht:  wele. 


SodBinger:  Zitr  AbfoimngseeU  des  Schmbenapiegds.       4^7 

Wieiter  &hd  sich  in  ihr  auch  Ealfier  Friedrichs  11.  be- 
rähmter  mainzer  Land/rieden.  Letzteres  entnehmen 
ynt  noeh  dem  Eintrage  der  Handschrift  F  auf  Fol.  182' 
nach  den  Versen  über  den  ursprünglichen  Besitzer  der  Hand- 
schrift P: 

Voigt   jm    pei^amenen    Buch  Kaiser  Fridrich    des 
andern  Ijandfiridt  yerteutscht,  aber  nicht  gar. 
Dessen  Eingang  ist: 

Dirre  fride  wart  gesetzet  von  dem  an- 
dern kaiser  Fridriche  mit  der  fürsten 
vn.d  anderer  hohen  herren  rate  ze  dem 
grossen  hofe  ze  Megenze  ze  Yuser  frowen 
mes  ze  mittem  ovgesten  do  yon  gottes  ge- 
burde  M®  CC^  vnd  36  jaren  warent. 

Wir  setzen  vnd  gebietend  von  ynserm 
keiserlichen  gewalte  etc. 
Betrachten  wir  uns  nun  einzeln  die  vorgeführten  Ein- 
träge näher,  sb  gestatten  sie  uns  leider  ob  ihrer  nur  ge- 
ringen Anzahl  keineswegs  einen  Schluss  darüber,  zu  welcher 
der  bekannten  älteren  Formen  des  sogenannten 
Sohwabenspiegels  ein  näheres  Verhältniss  besteht. 
Immerhin  aber  ergeben  sich  doch  einige  nicht  unwichtige 
Folgerungen.  Es  versteht  sich  hiebei  von  selbst,  dass  wir 
vor  allem  den  Deutschenspiegel  ins  Auge  fassen,  soweit 
uns  eben  Axdialtspunkte  dafür  vorliegen,  insofeme  wir  in 
ihm  zunächst  den  Ausgangspunkt  für  den  sogenannten  Schwaben- 
spiegel und  den  u^imittelbaren  Vorläufer  seiner  ältesten  Ge- 
stalten zu  erkennen  haben. 

Was  zunächst  die  beiden  Bemerkungen  auf  fol.  62^  zu 
Artikel  11  =  L  9  und  auf  Fol.  63  zu  Artikel  16  =  L14 
des  Landrechtes  hinsichtlich  der  Ueberschriften  dieser  Artikel 
anlangt,  schliessen  sich  selbe  eng  an  den  Deutschenspiegel 
an,  für  deasen  Artikel  13  und  19  sie  lauten:  Der  man  ist 
der  frowen  maister  vnd  vogt ;  Der  vat/sr  erbet  des  chindqs 
[1867.  n.  8.]  29 


438         SiUung  der  histor.  (Hasse  ttm  9.  Novenibef  ISet. 

guot.  Es  erscheint  fast  kleinlich  auf  die  Einzeichnnng  toh 
Fol.  67  Rücksicht  zu  nehmen;  doch  beginnt  auch  im  Dent- 
schenspiegels  der  entsprechende  Artikel  28  mit  Swa.  Meht 
minder  stimmt  der  Eintrag  zu  Fol.  75'  mit  dem  Terte  des 
Artikels  49  des  Deutschenspiegels,  worin  es  heisst:  mit 
einem  schilte  vnd  mit  einem  Schafte  gesitzen  mag.  Das- 
selbe lässt  sich  zu  Fol.  98  anfuhren,  woselbst  auch  im  ent- 
sprechenden Artikel  295  des  Deutschenspiegels  miselsuchtig 
steht. 

Entschieden  dagegen  weichen  die  Eintrilge  auf  Fol.  10(y 
und  Fol.  150  bezüglich  dei-  yierten  weltlichen  Eurstimme 
von  der  jetzt  allein  bekannten  erst  dem  15.  Jahr- 
hunderte angehörigen  Handschrift  des  Deutschen- 
spiegels ab,  indem  dessen  Artikel  303  des  Land-  und  11  des 
Lehenrechtes  den  in  der  Pergamenthandschrift  P  anstatt  des 
Herzogs  von  Q^iern  erst  durch  Correcttir  eingesetzten  Eonig 
von  Böhmen  aufführen. 

Insofeme  nun  nach  Ficker's  Dntersucfaui^en  der  Deut- 
schenspiegel nicht  lange  vor  aber  auch  nicht  lange  nach 
dem  Jahre  1260  entstanden  ist,  möchte  man  vielleicht  bei 
Berücksichtigung  des  Sachverhaltes  dass  die  in  Frage 
stehende  Pergamenthandschrift  P  zwischen  den  Jahren  1264 
und  1268  unserem  Preckendorfer  geschenkt  wurde,  also  in 
einer  Zeit  welche  ungemein  an  das  vorbezeichnete  Jahr  der 
Abfassung  des  Deutschenspiegels  angränzt,  nicht  unschwer 
auf  den  Gedanken  verfallen,  ob  wir  es  nicht  vielmehr 
mit  einem  Deutschenspiegel  als  mit  dem  sogenann- 
ten Schwabenspiegel  zu  thun  haben. 

Wir  sind  dieser  Meinung  nicht.  Sind  auch  die  An- 
haltspunkte welche  uns  zu  Gebote  stehen  ihrer  Zahl  nadi 
verhältnissmässig  nur  wenige,  so  dürfte  sich  dodi  daraus 
diese  Frage  entscheiden  lassen. 

Einmal  ist  vor  allem  nicht  zu  übersehen,  dass  der  Be- 
sitzer der  Handschrift  F  gleich  in  dem  Eintrage  wovon  oben 


Bochinger:  Zu/r  AbfassungsgeU  da  Sehwahenspiegds,      4>%9 

S.  413—415  die  Rede  gewesen  von  der  Pergamenthandschriit 
P  mit  dürren  Worten  sagt,  dass  „darein  volgend  recht- 
buch  gantz  schön  vnd  sauber  geschriben^'  gewesen.  lusoferne 
nan  die  Handschrift  F  den  mit  dem  Buche  der  Könige 
alter  E  verbundenen  sogenannten  Schwabenspiegel 
enthält,  welches  Werk  ihm  das  „volgend  rechtbuch''  ist, 
erscheint  eine  andere  Annahme  als  dass  die  Pergament- 
handschrift P  auch  diesen  Inhalt  hatte  ganz  nnthunlich.  Denn 
wenn  in  ihr  etwas  anderes  gestanden  wäre,  wie  hätte  ihm 
das  wohl  bei  der  Genauigkeit  welche  wir  bei  den  einzehen 
Einträgen  aus  ihr  finden  entgehen  können? 

Uebrigens  ganz  abgesehen  hievon  stehen  uns  noch  andere 
Gründe  zu  Gebot.  Zunächst  ersehen  wir  aus  der  den  Ein- 
gang des  Buches  der  Könige  berührenden  Stelle  auf 
Fol.  8,  dass  dieser  nicht  in  der  gekürzten  Form  des 
Deutschonspiegels '^)  gestanden  hat,  sondern  der  volleren, 
welche  wir  aus  Massmanns  Ausgabe  in  des  Herrn  v.  Daniels 
Bechtsdenkmälern  des  deutschen  Mittelalters  III  Sp.  XXXIII 
zur  Genüge  kennen. 

Ohne  Zweifel  dürfen  wir  auch  daraus,  dass  zum  ganzen 
Buche  der  Könige  alter  E  wie  es  in  der  Handschrift  F 
steht  —  ausser  der  Auflösung  der  wie  es  scheint  in  der  Ab- 
kürzung ihrem  Besitzer  nicht  verständlichen  Form  des  Namens 
Darius  —  keine  Bemerkung  gemacht  ist  welche  das  Vor- 
handensein grösserer  Veränderungen  andeuten  würde,  nicht 
ohne  Grund  den  Schluss  ziehen,  dass  es  in  der  Pergament- 
handschrift P  in  demselben  Umfange  vorhanden  gewesen. 

Auf  das  Buch  der  Könige  folgt  im  Deutschenspiegel 
eine  Umarbeitung  der  Präfatio  rhythmica  des  Sach- 
senspiegels wie  des  Prologus  und  des  sogenannten 
Textus  prologi  dieses  Bechtsbuches.      Wären   diese 


20)  Vgl  hieza  Fioker  über  einen  Spiegel  deutscher  Leute  und 
dessen  Stellung  zum  Sachsen-  und  Schwabenspiegel  S.  14  (126). 

29  • 


440        Sitzung  der  histor.  Classe  vom  9.  Ncvemb^  1867. 

Stücke  in  der  Handschrift  P  vorhanden  gewesen,  die  An- 
deutung darüber  würde  sicher  nicht  fehlen.  Wir  ersehen 
also  hierin  einen  ferneren  Grund  für  unsere  Annahme. 

Scheint  dann  die  einzige  ursprüngliche  Eintheilung 
des  Deutschenspiegels  nur  die  in  eine  ungezählte 
Reihe  kleiner  Abschnitte  gewesen  zu  sein,  und  ist  in 
ihm  noch  von  keiner  Scheidung  in  bestimmte  Abtheil- 
ungen die  Rede,  so  dass  nicht  einmal  der  Beginn  des  Lehen- 
rechtes äusserlich  mehr  hervortritt  als  der  eines  andern  Ar- 
tikels, so  tritt  uns  in  der  Pergamenthandschrift  P  bereits 
die  Sonderung  des  La&d-  und  Lehenrechtes  ganz 
scharf  entgegen,  und  wird  weiter  auch  das  Landrecht  selbst 
durch  eine  auch  sonst  in  verschiedenen  Handschriften  auf- 
tauchende Abtheilung  nach  L  Artikel  219  als  aus  zwei 
Theilen  bestehend  vorgeführt. 

Hatte  weiter  der  Deutschenspiegel  aller  Wahrschein- 
lichkeit nach  keine  Artikelüberschriften,  und  bietet  er 
auch  in  der  uns  erhaltenen  Form  solche  in  seinem  späteren 
Verlaufe  nicht ,  so]  entnehmen  wir  aus  den  Einträgen  auf 
Fol.  62^  wie  63  und  116,  dass  in  der  Pergamenthandschrift  P 
sich  selbe  bereits  fanden. 

Dass  umgekehrt  in  ihr  die  beiden  im  Deutschenspiegel 
zu  den  Artikeln  29c  und  80b  aufgenommenen  Gedichte 
des  Strickers  nicht  vorhanden  gewesen,  entnehmen  wir 
wohl  nicht  mit  Unrecht  dem  Schweigen  das  in  dieser  Be- 
ziehung hierüber  obwaltet. 

Sehen  wir  uns  näher  nach  dem  Inhalte  einzelner  Ar- 
tikel um,  so  können  wir  wohl  die  Theorie  von  den  zwei 
Schwertern  nicht  umgehen.  Der  Deutschenspiegel  weist 
noch  das  weltliche  dem  Kaiser  unmittelbar  zu.  Wäre  diese 
Auffassung  in  der  Pergamenthandschrift  P  vertreten  gewesen, 
unser  Gewährsmann  hätte  unmöglich  eine  Anmerkung  zu 
dem  Texte  von  F,  welcher  als  sogenannter  Sdiwabenspiegel 
beide  Schwerter  dem  Pabste  zuzuwenden  für  gut  findet, 


Sochingeri  ^  Abfaasungszeit  des  Schwabensptegds.       441 

unterschlagen  können,  um  so  weniger  als  er  gerade  bei  der 
Stelle  dass  erst  der  Pabst  dem  Kaiser  das  Schwert  des 
weltlichen  Gerichtes  leihe  die  ausdrückliche  Bemerkung  an 
den  Rand  setzt  dass  diese  im  sächsischen  Landrechte  nicht 
Yorkomme.  Man  müsste  nur  geradezu  annehmen,'  er  habe 
im  Yorliegenden  Falle  die  Fergamenthandschrift  P  einzusehen 
yei^essen. 

Findet  sich  sodann  von  der  langen  Abhandlung  über 
die  Ehe  im  Deutschenspiegel  keine  Spur,  wohl  aber  in  an- 
erkannt alten  Handschriften  des  sogenannten  Schwabenspiegels, 
wie  dem  cod.  germ.  90  der  münchner  Staatsbibliothek,  der 
nber'schen  Handschrift  zu  Breslau,  der  französischen  Ueber- 
setzung  des  sogenannten  Schwabenspiegels  zu  Bern,  und 
bereits  in  gekürzter  Fassung  im  Cod.  Fäscfa  zu  Basel ,  und 
berichtet  uns  der  Eintrag  auf  Fol.  116  dass  sie  in  der 
Pergamenthandsphrift  P  gestanden,  so  ist  wohl  nicht  zu 
bezweifeln,  dass  wir  es  mit  einem  Codex  des  sogenannten 
Schwabenspiegels  zu  thun  haben. 

9  Auch  nach  einer  andern  Seite  hin  ist  gerade  dieser 
Eintrag  nicht  ohne  Werth.  Insoferne  nämlich  die  berührte 
Abhandlung  auf  Fol.  100  des  Codex  P  am  Ende  des  Land- 
rechtes ihren  Platz  hatte,  ergibt  sich  für  diese  Handschrift  — 
in  welcher  von  Fol.  100  an  eben  diese  lange  Abhandlung 
und  dann  erst  noch  das  Lehenrecht  folgte  —  ein  Umfang 
welcher  über  den  des  Deutschenspiegels  weit  hinausgeht. 

Was  noch  eben  das  Lehenrecht  betrifft,  welches  im 
Deutschenspiegel  der  Schlussartikel  L  157  und  158  und  ins- 
besondere des  Schlusswortes  =  L  159  des  sogenannten 
Schwabenspiegels  entbehrt,  vernehmen  wir  aus  dem  Eintrage 
auf  Fol.  182,  dass  sein  Text  in  der  Pergamenthandschrift  P 
mit  den  Worten  „da  von  daz  erdeszheerschildes  darbet"  des 
im  Deutschenspiegel  gar  nicht  vorhandenen  Artikels  L  154  ge- 
endet hat,  und  das  Schlusswort  =  L  159  in  der  dem  soge- 
nannten Schwabenspiegel  angehörigen  Form  in  ihr  gestanden. 


442         Sitzung  dtr  hülor.  Classe  vom  9.  N&vemher  1867. 

V. 

Steht  auf  solche  Weise  fest,  dass  diese  keinen  Deutschen- 
spicgel  sondern  den  sogenannten  Schwabenspiegel  enthalten, 
so  ist  nunmehr  bei  Berücksichtigung  des  Sachverhaltes  dass 
sie  zwischen  den  Jahren  1264  und  1268  unserem  Precken- 
dorfer  geschenkt  wurde  die  Zeit  der  Abfassung  des 
sogenannten  Schwabenspiegels  gegen  die  bisherige 
Annahme  um  etwas  hinaufzurücken. 

Welches  ist  der  gegenwärtige  Stand  dieser  Frage?  Jo- 
hannes Merkel,  welcher  noch  vor  der  Auffindung  des  Deut- 
schenspiegels  in  seinen  Gommentarien  de  republica  Alaman- 
norum  XVI  S.  22 — 24  mit  den  einschlägigen  Noten  ausführ- 
lich über  diese  Frage  handelte,  gelangte  zu  dem  Ergebnisse 
dass  unser  Rechtsbudi  zwischen  den  Jahren  1276  und 
1281  vollendet  worden.  Als  es  Ficker  gegönnt  war,  den 
glücklichen  Fund  der  innsbrucker  Handschrift  des  Deutschen- 
spiegels mit  der  ihm  eigenthümlichen  geistreichen  Schärfe 
zu  verwerthen,  stellte  sich  ihm  —  auf  Merkels  Forschungen 
fussend  —  in  seiner  akademischen  Abhandlung  über  einen 
Spiegel  deutscher  Leute  und  dessen  Stellung  zum  Sachsen- 
und  Schwabenspiegel  S.  164  und  165  das  Ergebniss  heraus, 
dass  die  Abfassung  unseres  Rechtsbuches  nach  seinen  staats- 
rechtlichen Bestimmungen  nicht  vor  das  Jahr  1275  fallen 
könne,  und  sein  Alter  sich  etwa  dahin  bestimmen  lassen 
möchte,  er  könne  nicht  lange  vor  und  nicht  lange  nach 
1280  entstanden  sein.  Dem  entgegen  machte  Laband  in 
seiner  Arbeit  über  den  Ursprung  des  sogenannten  Schwaben- 
spiegels geltend,  dass  es  in  ihm  auch  nicht  an  Andeutungen 
fehle  dass  er  unter  der  Regirung  König  Richards 
verfasst  worden,  worüber  er  insbesondere  in  seinen  Bei- 
trägen zur  Kunde  unseres  Rechtsbuches  S.  23  und  24  handelt. 
Es  war  zu  vermuthen.  dass  nach  den  Untersuchungen  welche 
er  abgesehen  gerade  von  dieser  Frage  noch  am  bemerkten 


Bodsrnger:  Zur  Ahfasdmgszeii  des  Schwäbenspiegela.       443 

Orte  veröffentiicbt  hat  Ficker  sidi  weiter  in  der  Sache  ver- 
nebmeD  lassen  wurde.  Das  geschah  denn  auch  in  seiner 
akademischen  Abhandlang  zur  Genealogie  der  Hand&chriften 
unseres  Bechtsbuches ,  worin  er  glaubt ,  an  der  bisherigen 
Ansicht  die  Abfassung  desselben  dürfe  wegen  der  staats- 
rechtlichen Sätze  nicht  vor  die  ersten  Jahre  König 
Rudolfs  gesetzt  werden  auch  nach  Erwägung  der  von 
Laband  aufgestellten  Gegengründe  festhalten  zu  müssen, 
worauf  er  bei  anderer  Gelegenheit  zurückzukommen  denke, 
wogegen  er  der  Beweisführung  des  Verfassers,  dass  das 
Yerhältniss  zum  augsburger  Stadtrechte  eine  Ab- 
fassung  nach  1276  nicht  nöthig  mache,  bereitwilligst 
beistimmt,  wie  er  das  ja  auch  schon  früher  nur  bedingt  für 
diesen  Zweck  geltend  gemacht. 

Fragen  wir  diesen  so  zu  sagen  ausschliesslich  aus  in« 
neren  Gründen  gewonnenen  wissenschaftlichen  Ergebnissen 
gegenüber  nach  allenfallsigen  Datirungen  der  zunächst  in 
Betracht  kommenden  ältesten  Handschriften,  so  stehen  die 
zwei  Jahrzahlen  welche  hier  yor  allem  ins  Auge  fallen  mit 
jenen  Ergebnissen  in  keinem  Widerspruche.  Einige  Hand- 
schriften beziehen,  sich  nämlich  auf  eine  Vorlage  vom 
Jahre  1282.  Die  lassberg'sche  gibt  uns  den  Beweis,  dass 
im  Jahre  1287  der  sogenannte  Schwabenspiegel  be- 
reits vorhanden  gewesen.  Allerdings  sind  wir  hiedurch 
um  keinen  Schritt  für  eine  nähere  Bestimmung  der  Zeit 
seiner  Abfassung  als  die  schon  aus  den  eben  berührten  Er- 
gebnissen hervorgehende  weiter  gefördert. 

Wichtig  werden  in  dieser  Beziehung  die  aus  einem  zu 
An£Einge  des  16.  Jahrhunderts  gefertigten  Einbände  eines 
Werkes  der  königlichen  Bibliothek  zu  Berlin  abgelösten 
Bruchstücke  einer  Pergamenthandschrift  des  soge- 
nannten Schwabenspiegels,  über  welche  Pertz  in  der 
.Sitzung  der  historisch-philosophischen  Classe  der  Akademie 


444        SitBung  der  histor,  Clane  wm  9.  November  ieS7, 

der  Wissenschaften  daselbst  vom  4.  Febraar  1850  und  im 
Archive  der  Gesellschaft  für  ältere  deutsche  GeschichtkaDde 
X  S.  '415—425  Nachricht  gegeben,  insofeme  nadi  seiner 
Mittheilung  „die  Schrift  noch  mehr  gegen  die  Mitte  als 
den  Schluss  des  13.  Jahrhunderts,  mithin  in  die  für 
jetzt  wahrscheinliche  Zeit  der  Entstehung  dieses  Beohts« 
buches  gesetzt  werden  muss/'  Eine  nähere  Bestimmung  ist 
natürlich  bei  der  geringen  Anzahl  dieser  so  interessantea 
berliner  Bruchstücke  nicht  möglich. 

Sie  wird  es  nunmehr  durch  den  in  unserer  Handschrift 
F  erhaltenen  Eintrag,  wonach  der  oberpfälzisohe  Edel- 
knecht Heinrich  der  Preckendorfer  von  dem  be- 
rühmten Rudiger  d6m  Manessen  aus  Zürich  eine 
Pergamenthandschrift  unseres  Rechtsboches  zwi- 
schen den  Jahren  1264^und  1268  zum  Geschenke  er- 
hielt. 

In  welchem  der  genannten  Jahre  das  der  Fall  gewesen, 
vermögen  wir  nicht  zu  behaupten,  da  eine  nähere  Angabe 
hierüber  nicht  gemacht  ist,  und  uns  das  Reisboch  des  be- 
neidenswerthen  Besitzers  der  Handschrift  nicht  vorliegt,  aus 
welchem  vielleicht  bestimmtere  Anhaltspunkte  zu  gewinnen 
wären. 

Von  dem  Eintrage  auf  Fol.  100'  der  Handsduift  F, 
dass  der  Pergamentcodex  P  bereits  im  Jahre  1264  geschrie- 
ben gewesen,  machen  wir  keinen  Gebrauch,  weil  wir  nicht 
wissen,  ob  und  welcher  verlässige  Grund  für  diese  Bemerk- 
ung den  Besitzer  von  F  geleitet  haben  mag,  uns  jedenfalls 
ein  solcher  nicht  zu  Gebote  steht. 

Sicher  ist  nur,  dass  das  Geschenk  spätestens  im  Jahre 
1268  gemacht  worden,  in  welchem  Jahre  unser  Edelknecht 
mit  seinem  Schatze  aus  der  Schweiz  in  seine  Heimat  zu- 
rückzog. Bedenkt  man  nun,  dass  die  jetzigen  Annahmen 
die  Abfassung    des  Deutschenspiegels    wie  des   sogenannten 


BoAmffer:  Zi»r  JJbfastmgsteit  du  aehmben^pisgdB.       445 

ScbwabenapiegelB  nack  Augsburg ^^  verlegen,  dass  von  da 
TieUeioht  nicht  gleich  die  allerersten  Abschriften  nach  Zürich 
gelangten,  dass  wahrscheinlicher  Weise  anch  Bodiger  der 
Manesse  sein  Exemplar  nicht  schon  im  ersten  Augenblicke 
des  Empfanges  unserem  Preckendorfer  verehrt,  so  werden 
wir  immerhin  auf  einige  Zeit  noch  vor  1268  oder  auch 
1267  oder  vielleicht  1266  oder  am  Ende  1265  oder 
gar  1264  hingewiesen.  Muthmassnngen  in  der  Beziehung 
hängen  vor  der  Hand  in  der  Luft.  Wir  nehmen*  daher 
hieranf  keine  Rücksicht,  sondern  constatiren  zur  Zeit  nur 
gegenüber  den  bisherigen  Ergebnissen  das  urkundliche 
Zeugniss  dass  spätestens  im  Jahre  1268  der  soge- 
nannte Schwabenspiegel  vorhanden  gewesen. 

VI. 

Es  ist  uns  wohl  nunmehr  noch  gestattet,  einige  Folger* 
nngen  vorzuführen,  welche  aich  nach  der  bisherigen  Unter- 
Boohung  aus  deb  Mittheilungen  über  den  leider  zur  Zeit  für 
Torloren  zu  erachtenden  ohne  allen  Zweifel  zu  den  ältesten 
der  bisher  bekannten  Handschriften  des  sogenannten  Schwaben- 
spiegels zahlenden  Pergamentcodex  für  die  früheste  oder 
wenigstens  eine  der  frühesten  Gestalten  dieses 
Reohtsbuches  selbst  ergeben. 

Was  zunächst  das  Buch  der  Könige  anlangt,  hat 
Ficker  mit  guten  Gründen  ausgeführt,  dass  es  ursprünglich 
mit  dem  sogenannten  Sohwabenspiegel  verbunden^')  gewesen. 
Dennoch  —  bemerkt  er  —  erscheint  es,  abgesehen  von  den 
berliner  Fragmenten,  in  keiner  der  ältesten  Handschriften, 
und  auch  im  14.  Jahrhunderte  überhaupt  nur  in  fünf  Hand- 
schriften. Der  Pergamentcodex  P  bietet  nun  einen  ausreichenden 


21)  A.  a.  O.  8.  187  (283)— 172  (288). 

22)  £bendort  S.  12  (124)  ff. 


446         ßHtung  der  hist&r.  Clam  wm  9.  Niwember  1S67. 

Beleg  dafür,  dass  das  Bacli  der  Eofiige  wenigstens  der  alten 
E  T>ereit8  in  einer  spätestens  in  das  Jahr  1268  feilenden 
Handschrift  des  sogenannten  Sohwabenspi^els  mit  unserem 
Rechtsbuche  verbunden  gewesen. 

Dass  in  ihr  die  im  Dentschenspiegel  wie  in  der  homeyei^« 
sehen  Handschrift  des  sogenannten  Schwabenspi^els  nnm.  330 
erscheinende  Umarbeitung  derPräfatio  rhythmica  des 
Sachsenspiegels  wie  desPrologus  und  des  sogenann* 
ten  Teztus  prologi  dieses  letzteren  Rechtsbuobes 
nicht  Torhanden  gewesen,  davon  haben  wir  oben  S.  439 
und  440  gesprochen. 

Dasselbe  ist  nach  den  Andeutungen  auf  8. 440  besfiglidi 
der  beiden  im  Deutschenspiegel  wie  noch  in  der  freiburger 
und  der  bemerkten  homeyer'schen  Handschrift  des  sogenannten 
Schwabenspiegels  begegnenden  Gedichte  des  Strickers 
wie  des  in  der  herrenohiemsea'schen  Handschrift  erscheinen- 
den Gedichtes  des  Freidank  der  Fall 

Fassen  wir  näher  den  Inhalt  einzelncor  Artikel  ins  Auge, 
soweit  darüber  die  verhältnissmässig  so  geringen  Einträge 
in  der  Handschrift  F  einen  Schluss  gestatten ,  so  erscheiat 
nach  ihnen  zu  Artikel  155  des  Land-  und  Artikel  7  des 
Lehenrechtes  die  vierte  weltliche  Knrstimme  im  Besitze 
des  Herzogs  von  Baiern,  welcher  erst  durch  Rasur  und 
Correctur  getilgt  ist,  und  auf  diesem  Wege  im  sogenannten 
Schwabenspiegel  —  ob  schon  vor  dem  Jahre  1268,  können 
wir  bezweifeln,  vennögen  es  aber  nach  dem  Wortlaute  der 
Einträge  auf  Fol.  100'  und  Fol.  150'  nicht  bestimmt  zu 
entscheiden  —  dem  Könige  von  Böhmen  hat  Platz  machen 
müssen. 

Betrachten  wir  einen  anderen  nicht  unwichtigen  ArtikeL 
Hat  Laband  bereits'')  die  lange  aus  Bruder  Berchtolds  von 


23)  In  seinen  Beiträgen  zur'Eande  desSchwabenfpiegals  S.  90 
bis  82,  45  und  46. 


Bockinger:  Zur  Abfasmngszeit  da  Schwabmspiegtis.      447 

Regensburg  Predigten  entlehnte  Abhandlang  über  die 
Ehe  als  ursprünghch  für  den  sogenannten  Schwabenspiegel 
in  Anspmch  genommen  so  erwächst  dieser  Annahme  ein 
bedeutendes  Gewicht  dadurch  dass  gerade  die  in  Frage 
stehende  spätestens  dem  Jahre  1268  angehörige  Pergament- 
handschrift P  selbe  bereits  enthalten  hat. 

Nicht  ohne  Bedeutung  ist  sodann  die  Frage  nadi  der 
Eintheilung  des  gesammten  sogenannten  Schwaben- 
Spiegelwerkes  sowohl  im  grossen  Ganzen  als  in  «einen 
etwaigen  Unterabtheilungen. 

Was  hier  zunächst  das  Landrecht  betrifft,  machen 
viele  Handsdiriften ,  darunter  die  im  Jahre  1287  gefertigte 
oder  wenigstens  auf  einer  Vorlage  vom  Jahre  1287  fassende 
lassberg'sche,  ohne  alle  und  jede  Rücksidit  auf  einen  innern 
Scheidungsgrund  —  welcher  eine  Dreitheilung  in  L  Artikel 
1  bis  117,  118  bis  313  b,  314  bis  zum  Schlüsse  rechtfertigen 
würde  —  nach  L  Artikel  219  eine  Abtheilung,  wonach  das 
ganze  Landrecht  in  zwei  Theile  zerfallt.  Der  Eintrag 
in  der  Handschrift  F  auf  Fol.  123  erweist  diese  Scheidung 
als  bereits  in  der  Pergamenthandschrift  P  vorhanden. 

Was  sodann  die  Frage  nach  den  Ueberschriften  der 
^n  diesen  Hanptabtheilungen  erscheinenden  Artikel 
anlangt,  ist  nicht  nur  durch  den  Eintrag  auf  Fol.  62'  und 
63  zu  den  L  Artikeln  9  und  14  erwiesen,  dass  die  Pergameni- 
handschrift  P  solche  für  den  ersten  Theil  des  sogenannten 
Schwabenspiegels  L  1 — 117  hatte,  sondern  belegt  auch  der 
Eintrag  auf  Fol.  116,  dass  sie  für  den  zweiten  von 
L  Artikel  118— 313b  reichenden  Theil  vorhanden  waren. 

Was  weiter  die  Frage  nach  der  gleichzeitigen  oder 
späteren  Entstehung  des  dritten  Theiles  betrifft,  adhuc  sub 
judice  lis  est.  Bekanntlieh  hat  Ficker  sieh  von  der  letzteren 
Absicht  gegenüber  Laband  auch  noch  in  seiner  akademischen 
Abhandlung  zur  Genealogie  der  Handschriften  des  sogenannten 
Schwabenspiegels  nicht  losgesagt.    Entgegen  hält  aber  auch 


#48         Sitgung  der  histar,,  (Xasae  wm  9*  Noumber  18^7. 

Labaud  die  ergtece  seinerzeit  voa  ihm  in  dßn  Beiixagen 
ZOT  Kunde  des  Schwabenspiegels  geltend  gemaohte  Anschjauung 
noch  fortwährend  fest,  indem  er  in  der  Zeitschrift  für  Rechts* 
geschiebte  III  S.  154  bemerkt,  obgleich  er  gestehe  in  manchen 
Punkten  beriditigt  worden  zu  sein,  beharre  er  doch  bei 
gewissenhafter  Prüfung  der  Streitfrage  noch  beute  bei  seiner 
Ansidit.  Die  Einträge  welche  uns  die  Handschrift  F  über 
P  erhalten  hat  können  uns  für  eine  Entscheidung  in  dieser 
Beeiehung  keinen  Beleg  liefern.  Es  findet  sich  unter  den 
leider  sehen  bald  nach  dem  Anfange  immer  spärlicher  er- 
scheinenden Bemerimngen  zu  der  ganzen  Partie  von  L  Ar- 
tikel 314  an  bis  zum  Schlüsse  des  Land-  und  Anfange  des 
Lehenrechtes  gar  keine«  Allerdings  dürfen  wir  w All  annedimen, 
dasa  das  Auffallen  des  Mangels  dieser  ganzen  Partie  zu  einer 
Mittheilung  hierüber  Veranlassung  hätte  bieten  müssen,  ins- 
besondere da  sich  eine  solche  bezüglich  des  Anfanges  des 
Lebenrechtes  findet.  Und  insofeme  liegt  uns  wenigstens  ein 
Grund  zu  der  Annahme  vor.  dass  wenigstens  spätestens 
im  Jahre  1268  der  dritte  Theil  des  Landrechtes 
bereits  fest  mit  den  beiden  ersten  ?erbunden  ge- 
wesen. 

So  widitig  eine  Entscheidung  des  berührten  Punktes  für 
die  Möglichkeit  einer  näheren  Bestimmung  der 
Zeit  der  Hauptentwicklungsstufen  des  sogenannten 
Schwabenspiegelwerkes  /wäre,  die  eben  beklagte  'so 
geringe  Anzahl  der  noch  dazu  im  allmäligen  Verlaufe  fort 
und  fort  sich  mindernden  Einbräge,  wie  sie  einerseits  die 
scharfe  Erkennung  der  Gruppe  hindert  welche  die  Perga- 
meuthandschrift  P  vertreten  hat,  tritt  sie  auch  dort  nicht 
fordernd  in  den  Weg. 

Was  endlich  das  Lehenrecht  anlangt,  eischeint  das- 
selbe nach  dem  Eintrage  auf  Fol.  148^  neigen  dem  wie  bemerkt 
in  m^  Theile  ges^edenen  Landrechte  ausdirücklich  als 


Sochinger:  Zur  Ätfastunffsgeii  des  S^iwdbempitgtils.      449 

80  bezeichiieter  dritter  Theil  des  gesammten  soge- 
nannten Schwabenspiegelwerkes. 

^  Anch  über  den  Schluss  des  Lehenrechte«  selbst 
entnehmen  wir  dem  Eintrage  auf  Fol.  182,  dass  der  letzte 
Artikel  desselben  L  154  bis  zu  den  Worten  „da  Ton  daz  er 
desz  heerschildes  darbet^*  entsprochen  hat,  während  nns  jener 
Eintrag  weiter  das  Schlusswort  in  der  spätestens  in  das 
Jahr  1268  fallenden  Pergamenthandschrift  P  in  dem  aaf 
S.  435  und  436  mitgetheilten  namentlich  vom  vorletzten  auf 
den  letzten  Absatz  zu  gegen  die  Fassung  von  L  159  nicht 
unmerklich  gekürzten  und  in  dieser  Rücksicht  mehr  zu  den 
alten  Codices  germanici  21  und  23  der  münchner  Staats- 
bibliothek wie  theilweise  zur  ambraser  Handschrift  stim- 
meuden  Wortlaute  vorfuhrt. 

vn. 

Wie  erfreulich  nun  nach  verschiedenen  Seiten  die  Er- 
gebnisse sind  wozu  wir  in  der  vorhergehenden  Untersuchung 
durch  die  Einträge  geleitet  wurden  welche  die  Hand- 
schrift F  aus  der  Pergamenthandschrift  P  erhalten  hat,  mit 
um  so  grösserem  Schmerze  muss  auf  der  andern  Seite  er- 
füllen, dass  dieses  Kleinod  selbst  nicht  zu  Gebot  steht.  Wenn 
es  nicht  die  Ungunst  der  Zeiten  vollends  vernichtet  hat,  wo 
es  allenfalls  noch  zu  suchen  und  zu  finden  sein  dürfte,  wir 
vermögen  darüber  nichts  zu  bestimmen.  Der  letzte  Anhalts- 
punkt welcher  uns  zur  Verfugung  steht  ist  nur,  dass  es  am 
7.  Februar  1609  sich  zu  Regensburg  und  zwar  in  Privathänden 
befand.  Ob  die  Wogen  des  dreissigjährigen  Krieges  schon 
es  von  dort  oder  überhaupt  hinweggespült?  Ob  es  späterer 
Zeit  zum  Opfer  fiel?  Ob  es  am  Ende  noch  gegenwärtig 
irgendwo  innerhalb  der  Mauern  der  einstigen  Reichsstadt 
oder  anderswo  verborgen  weilt  und  endlicher  Erlösung 
harrt? 

Nachforschungen  in  dieser  Beziehung  möchten  im  In* 


4&0        SiUfing  der  At^tor  Ofasse  vom  9.-  Nomnber  1867. 

teresse  des,  gegenwärtig  mehr  als  je  za  eiaem  gedeihlichen 
Abschlüsse  drängenden  »ogenannten  Schwabenspiegelwerkes 
gewiss  in  hohem  Grade  angezeigt  erscheinei).  So  wird  man  uns 
denn  schwerlich  verargen  woUen,  dass  wir  mit  dem  nicht 
ungerechtfertigten  Wunsche  schliessen,  es  möge  den  Männern 
der  Wissenschaft  welche  hier  oder  dort  hiezu  Gel^enheit 
und  Müsse  haben  gefallen,  ihr  Augenmerk  hierauf  za 
richten.  ^ 


Herr  Graf  von  Hundt  gab: 
„Beiträge  zur  Feststellung  der  historischen 
Ortsnamen  von  Bayern,    {insbesondere  des 
ursprünglichen  Besitzes  des  Hauses  Witteis- 
bach." 


JSimefudungmiom  DrwiMuriftm.  451 


EinBendungen  von  Druckschriften. 


Vom  Herrn  August  Grunert  in  Oreifmedld: 
Archiv  für  Mathematik  and  Physik.    47.  Theil.  3.  Heft.  1867.    8. 

Vom  Herrn  HL  A.  Stern  in  Oöttingen: 

üeber  die  Bestimmang  der  Gonstanten  in   der  Yariationsreohnang. 
1864.    4. 

Vom  Herrn  Hermann  von  Meyer  in  FrankfiArt  a.  M, : 

Palaeontographioa.      Beitr&ge    zur    Natorgesehichte    der    Yorwelt. 
17.  Band.  1.  Lieferung.  Kassel.  1867.    4. 

Vom  Herrn  i9.  EtHnghausen  in  Wien: 

a)  Die  fossile  Flora  des  Mährisch-Schlesischen  Dachschiefers.  1865.  4. 

b)  Die  Kreideflora  von  Niederschoena   in  Sachsen,   ein  Beitrag  zur 

Kenntnias  der  ältesten  Dicotyledonen-Gewächse.  1867.    8. 
o)  Die  fossilen  Algen  des  Wiener  und  des  Karpathen-Sandsteines. 
1868.     8. 

d)  Die   fossile    Flora    des  Tertiär-Beckens    Ton    Bilin.    1.   Theil. 
1866.    4. 

Vom  Herrn  MoriU  BMmann  in  Leipgig: 

Untersuchung  über  die  Aenderung  der  Fortpflanzungscfeschwindig- 
kcit  des  Lichtes  im  Wasser  durch  die  Wärma  1867.    8. 


452  Einaenämigen  von  Dmcftsehriftm. 


Vom  Herrn  M(xHhew  Ryan  in  WasMngUm: 

The  celebrated  theory  of  paralleles.  Demonetration  of  the  celebrated 
theorem.    Euolid  1.  Axiom.  12.  1866.    8. 


Vom  Herrn  JE?.  Segd  in  8$,  Petersburg: 

a)  Enumeratio  plantaram  in  regionibus    eis-  et  iranBilienBibas  a  Se- 

menovio  1857  collectarum.  Moskau  1866.    8. 

b)  InternatioBal-Aasstellang  Ton  Gegenständen,  des  Gartenbaues  im 

FrüHinge  1867  in  St.  Petersburg.    8. 

c)  Index  seminum,  qnae  hortus  botanicus  imper.    Petropolitanus  pro 

mutna  commutatione  offert.  1866.    8. 

Vom  Herrn  Carlo  Anedm  in  Piacenga: 
Quadratura  del  circolo  sooperta.  1867.    8. 

Vom  Herrn  GuHav  Hinrichs  in  Jowa^  State  Joufa: 
On  the  spectra  and  composition  of  the  elements.  1866.    8. 

Vom  Herrn  BudcHf  Wolf  in  Zdrich: 
Äotronomisehe  Mittheüangen.    22«  und  28.  1867.    8. 

Vom  Herrn  Ä.  T.  Kuptfer  in  8t.  Petersburg: 
Compte-Bendn-Annuel.  Ann6e  1894.  1865.    4. 

Vom  Herrn  Giovatmi  Oogsadi^i  in  Bologna: 
Di  alouni  sepolcri  della  necropoli  felsinea  ragguaglio  1867.    8. 

Vom  Herrn  F.  J.  Fietet  in  Genf: 

Notice  sur  les  calcaires  de  la  porte  de  France  et  sur  quelques  gise- 
ments  voisins.  1867.    8. 


Skmidimgmi  von  JMmeMwifim.  46S 


V(m  VeräH  für  OesMckte  der  Deut9chen  in  Böhmm  in  Prag: 

a)  Mittheilnngen  des  Vereins.    6.  Jahrg.  Nr.  2-— 6. 

6.      „  „     i.  2.     1866.  67.    8. 

b)  Fünfter  JahreBbericht.    Vom  16.  Mfii  1866  bis   15.  Mai  1867.    8. 

c)  Statuten.  1866.    8. 

d)  Mitglieder- Verzeichniss.    GeabbloGsen  am  7.  März.   1867.    8. 

Von  der  deutMChen  morgenländi$c7ien  Gesefkchaft  in  Leipzig: 

a)  Zeitschrift.    21.  Bd.  3.  Hfl.  1867.    8. 

b)  Indische  Studien.    Beiträge   für    die  Kunde   des  deutschen  Alter- 

thums.     10.  Bd.  2.  Hft.  1867.     8. 

Vom  statistisch-geographischen  Bureau  in  Stuttgart: 

Württembergische  Jahrbücher  für  Statistik  und  Landeskunde.   Jahr- 
gang 1865.  1867.     8. 


Von  der  Societd  itaiiana  di  scienze  naluraili  in  Mailand: 

Atti.    Vol.  8.  Fascic.  8.  4.  5. 

„    a        „       1.  2.  S.  1866.  66.  67.  8. 


Vom  Fondazione  sdentifica  (JagnoJa  in  Mailand: 
Atti.  '  Vol.  4.  Pari  1.  2.  3.  1866.    8. 

Von  der  allgemeinen  geschichtsforachenden  GeseQschaß  der  Schweiz  in 

Zürich: 

a)  Archiv  für  Schweizerische  Geschichte.    15.  Bd.  1866.    8. 

b)  Schweizerisches  Urkunden-Register.   1.  Bd.  8.  Hft  Bern  1866.    8. 

Vom  Musie  Teyler  in  Harlem: 
Archiyes.    Vol.  1.  Fasa  2.  1867.    8. 

Fffi  der  SociiU  des  aeiences  physiquea  et  naturelles  in  Bordeaux: 

Memoires.    Ton.  4.    1.  cahier  (snite) 

.,     6.    1.      „       1866.  67.    8. 
[1867.n.8.]  80 


464  Simmämgm  wm  DrudBtekriftm. 

Von  der  SoeiM  impMale  des  naktralietee  in  Moskau: 
BoUeün.    AnnSe  1866.    Nr.  8.  4.    1866     8. 

Von  derÄeadimie  impMaie  des  seiences,  airts  et  heüesleUresinDHon: 
Memoires.    2.  S^rie.  Tome  12.  18.  Ann^e  1864.  1866.    a 

Von  der  SocUU  Sotani^pte  de  Fremoe  in  Baris: 
Balletill.    Tom.  14.  1867  (Reyne  bibliograpbie)  G.    8. 

Von  der  Historisch  Genootschap  in  Utrecht: 

a)  Eronijk.    22.  Jaargang.  6.  Serie.  2.  Ded  1867.    8. 

b)  Werken.    Nieuwe  Serie  Nr.  7.  1867.    8. 

Von  der  American  phHosopkieal  Society  in  PMadelphia: 
Proceedings.    Vol.  10.  1866.  Nr.  76.  76.    a 

Von  der  Äccademia  di  sdense  woreiU  e  potitidhe  in  Neapet: 
Rendiconto.    Anno  sesto  qoaderni  di  Lnglio  e  Agosio  1867.    a 

Vom  historischen  Verein  der  fOnf  Orte  Lusem^   Uri,  Sdnoys,   Unter- 
wälden  und  Zug  in  Einsieddn: 

Der  Gescbicbtsfreond.    22.  Band.  1867.    a 

Von  der  Acadhnie  impiriak  des  sdences  in  St.  Teter thurg: 

a)  Bulletin.    Tom.  11.  Nr.  8.  4 

f  „     12.    „    1.    4. 

b)  Memoires.    Tom.  10.  Nr.  la 

„     11.    „    1.— a    1867.    4 

c)  Melanges  mathematiqnes  et  astronomigue.  Tom.  4.    8. 

d)  Jabresbericht  am  20.  Mai  1866.    Dem  Gomit^  der  Nikolai-Hanpt- 

Sternwarte  abgestattet  vom  Direotor  der  Sturnwarte.    8. 


Bki$enämffm  wm  BfmMmfkn.  456 

Yen  der  Acaäime  äes  edenceg  in  Birts: 
Gomptes  rendns  hebdomadaires  de  B^ances.  Tom.  65.  Nr.  6.  7.  10.  11. 

Von  der  meieordlogisehen  Central'ÄnstdU  der  achweigerischen  nalur' 
forschenden  OeadUchaft  in  Zürich: 

MeteorologiBohe  Beobaohtongen.    Dezember   1866.    Januar  Februar 
1867.    4. 

Vem  hrnrnkUß  NederlandaA  meteorologisch  Im^itwat  in  Utrecht: 
Meteorologisch  Jaarbock  voor  1866.  2.  Deel.  1867.    4. 

Von  der  kaiserlichen  UmcersHäts-Stemwarte  in  Dorpat: 
Beobachtungen  yon  Dr.  H.  Maedler.  16.  Bd.  1866.    4. 

Von  der  Zoohgiccd  Society  in  London: 

a)  Tnuuractions.    YoL  6.  Part.  1.  2.  3.  1866.  67.    4. 

b)  Prooeedinga.  Part  1.  2  8.  1866.    & 

Von  der  BodM  des  seienees  de  Fifdande  inHdsingfors: 

a)  Acta  Societatis  scientiamm  Fennioae.  Tom.  8.  Pars.  1.  2.  1867.  4* 

b)  Bidrag  tili  Finlaads  natnrkännedom.  10  Heft.  1867.    8. 

c)  Bidrag  tiU  kännedom  af  Finknds  natnr  och  folk  7.  8.  9.  10  Hft 

1866.  67.    8. 

d)  Oeversigt    af   Finska    Yetenskaps-Societetens.     Förhandligar  6. 

7.  8.    8. 

Vom  Istituto  technico  in  Palermo: 

Giomale  di   scienze  natnrali  ed  economiohe.    Anno  1867.    Vol.  8. 
Fase.  1.  2.  8.  1867.    4. 

Von  der  Boyai  Society  in  London: 

a)  PhüoBophieal  traosaetions.    For  the  year   1866.    1867.    YoL  156. 
157.  Part.  1. 2.    4. 

30* 


456  EiH9endiimg€n  van  Dru^sädiriftm, 


b)  Proceedinga.    Vol.  16.  Nr.  87—^3. 

.,     16.     „    94.     1866.    7.    8. 

c)  FellowB  of  tbe  Society.  November  30.  1866.    4. 

Von  der  Academie  royale  des  sciences  des  lettres  et  des  heaux-arts  de 
Belgiqite  in  Brüssel: 

a)  Memoires.    Tome  36.  1867.    4. 

b)  Bulletins.    35.  Ann^e.  2.  Ser.  Tom.  22.  1866. 

36.      „        2.     „        „      23.  1867.     1866.     8. 

86.      „        2.     „        „      24.  Nr.  9  et  10.  1867.    8. 

c)  Annuaire.    1867.    8. 

d)  Tables  generales  et  analytiques  da  recueil  des  bulletins.  2.  Serie. 

Tom.  1.  a  20.  1857  a  1866.  1867.    8. 

e)  Biographie  nationale  Tom.  1.  2.  Partie.  Lettre  13.  1867.    8. 

Vom  Observatoire  rayäl  in  Brüssel: 

a)  Annales.    Tome  17.    1666.    4. 

b)  Annuaire.  1867.    84.  annee.  1866.    6. 

Von  der  Begia  Äccademia  di  scienze,  Uttere  ed  arti  in  Modena: 
Memorie.    Tom.  7.   1866.    4. 

Vom  B,  Ossenxxtorio  in  Modena: 
Bulletino  meteorologico.    Vol.  1.  Nr.  4 — 7.    4. 

Vom  Äteneo  Veneto  in  Venedig: 
Atti.     Serie  seconda.    Vol.  4  1867.     8. 

Von  der  h  k.  Akademie  der  Wissenschaften  in  Wien: 

a)  Denkschriften.     Philosophisch -Historische  Clagse.  15.  Bd.  1867.  4 

b)  Sitzungsberichte.    Philosophisch-Historische  Classe. 

54.  Band.  Heft  1—^.  Jahrgang  1866.  Oktbr.  Novbr.  Dezbr. 

55.  „        „      1  „  1867.  Januar.    8. 

o)  Denkschriften.  Matiiematisch-nflturwissenBchaftliohe  Classe.  26  Bd. 
1867.    4. 


Mi/nimdmgm  van  Druf^achHftm.  457 


d)  Sitzungsberichte.    Mathematisch-natnrwimnscliaftliehe  Classe. 

64.  Band.  4  und  6.  Heft.  Jalurg.  1866.    Noybr.  Dezbr. 

65.  „      1    „     2.      „        „        1867.    Januar.  Februar. 
Erste  Abtheilung.    Enthält  Abhandlungen  aus  dem  Gebiete  der 

Mineralogie,  Botanik,   Zoologie,   Anatomie,    Geologie  und  Pa- 
läontologie.   1867.    8. 

e)  Sitzungsberichte.    Mathematisch-naturwissenschaftliche  Classe. 

54.  Band.  5.  Heft.  Jahi^.  1866.    Dezember. 

55.  „      1.  u.  2.  Heft.  Jahrg.  1867.    Januar.  Februar. 
Zweite   Abtheilang.     Enthält   Abhandlungen    aus   dem   Gebiete 

der  MathemÄik,  Physik,  Chemie,  Physiologie,  Meteorologie  etc. 
1867.     8 
i)  Archiv  für  österreichische  Geschichte.  87.  Band.  1.  und  2.  Hälfte. 
1867.    8. 

Von  M  h.  preuasiichen  Akademie  der  Wiseensc^ten  in  BerUn: 
Monatebericht.    Juli  1367.    8. 

Von  der  physikaHaek-medicimscken  Gesellschaft  in  WurMburg: 

Würzburger   medicinische   Zeitschrift.      7.  Band.    5.   und  6.   Heft 
18ß7.    8. 

Von  der  Geachichts-  und  aUerthumeforachenden  Geseüechaft  des  OsteT' 
landes  in  AHenburg: 

Mittheilnngen.    7.  Band.  1.  Heft.  1867.    8. 

Von  der  pfälzischen  Gesdlschaft  für  Fharmacie  etc.  in  Speier: 

Neues  Jahrbuch  der  Pharmacie  und  verwandte  F&chor.    Zeitschrifl. 
Bd.  28.    Heft.  4.  Oktober.  1867.    8. 

Von  der  Phüomaihie  in  Neisse: 

a)  15.  Bericht  vom  März  1865  bis  zum  Juli  1867.    8. 

b)  Geschichte  der  Stadt  Neisse  mit  besonderer  Berücksichtigung  des 

kirchlichen  Lebens   in  der  Stadt   und  dem  Fürstenthume  von 
A.  Kastner.  1866.    8. 


458  JSJMMiidiifi^efi  MW  Druekiekriflm. 

Vom  Verein  für  NahMrhmde  tu  Mannheim: 

83.  Bericht.    Erstattet  am  28.  Februar  1867.    Nebst  wissenBchafl- 
liohen  Beiträgen.  1867.    8. 


Van  der  Senkenbergischen  naturfaraehenden  QeeelUtSkafi  in  Ftankfmri 

am  Jlfotn: 

Abhandlongen.    6.  Bd.  8.  imd  4.  Heft.  1867.    4. 


Vom  Verein  für  heseische  Geschichte  und  Landtshmde  in  Kased: 

a)  Zeitschrift     Statistische  Mittheilungen.    9.  Supplement  8.  Liefg. 

1867.    4 

b)  Mittheilungen.     Nr.  28.  24  und   1.  2.  Deiember  1866  —  April 

1867.    8. 

c)  Zeitaohrift.    Nene  Folge.    Erster  Band.   Heft  2.  8.  4.  1867.    4. 

Van  der  naturforsehenden  OeeeOschaß  in  Freiburg: 
Berichte  über  die  Verhandlungen.    Band  4.  Heft  1.  2.  8.  1867.    8. 

Van  der  OherlausHeiechen  OeseUachaft  der  Wiseenschaften  in  GMiUz 
Neues  Lausitzisches  Magazin.    44.  Bd.  1.  Hft.  1867.    8. 

Van  der  üni/oersität  in  Eeiddberg: 
Jahrbücher  der  Literatur.    60.  Jahrg.  8.  Heft.  August  1867.    8. 

Van  der  BedakHan  der  SiUungsherichie  der  OM^rten  Mnd  üeols cfculen 
Württembergs  in  Stuttgart: 

Correspondenzblatt    Nr.  9.    10.  Septbr.  Oktbr.  1867.    8. 


NaMrag.  459 


Nachtrag  za  S.  392  (Berthold). 

Aas  dem  eben  aasgegebenen  Hefte  des  Jahrbaches  f. 
roman.  and  engl.  Liter.  (YIII.  213)  sehe  ich,  dass  Patedas 
nicht  mehr  ganz  anbekannt  ist,  and  dass  sein  yerlomes 
Werk  Enaeg  (eben  anser  liber  de  tediis)  schon  im  Jahr- 
bache VI.  223—224  erwähnt  warde,  femer  YOn  seiner 
metrischen  Paraphrasirang  der  Proverbia  Salomonis  in  der 
Bodldana  in  Oxford  (Man.  Canonid  48)  ein  Bruchstück 
Ton  38  Hexametern  existirt,  Ton  welchen A.  Massafia a.a.O. 
einen  neaen  Text  aas  dem  in  Venedig  aafbewahrten  hand- 
schriftlichen CoUectaneen  des  Apostolo  Zeno  mitgetheilt  hat. 
Wir  sehen  ans  diesem  der  ehemaligen  Saibantisdien  Biblio- 
thek in  Verona  entstammenden  Fragmente,  dass  der  Name 
des  Aators  Girard  Pateg  (da  Cremona)  geschrieben  ist, 
was  nach  Massafias  AasfohniDg  als  mandartliche  Form 
(Patey  aaszasprechen)  für  toskanisches  Patecchio,  latinisirend 
Patedo  and  gatlateinisch  Patecalas,  angesehen  werden  mass. 


Sitzung«  bericlile 


der 


kojti'j-'  ' 


kadeinio  der  WKH..ii8cbiift«u 


zu  Muiichea. 


l-  il.  H' 


i\  h  i>«T«irh«s:u 


Sitzungsberichte 

der 

kOfiigL  bayen  Akademie  de;  Wissenschaften. 


Philosophisch-philologisclie  Classe. 

Sitzung  vom  7.  Dezember  1867. 


Herr  Bofmann  legt  vor  von  Herrn  Zingerlo  in  Inns- 
bruck : 

„Bemerkungen  zum  Nachtsegen/' 

Die  Sitzungsberichte  der  k.  bayer.  Akademie  theilten 
den  in  mehrfacher  Beziehung  merkwürdigen  „Nachtsegen'^ 
mit  und  gaben  sowohl  bei  dem  Erscheinen  desselben  (1867. 
IL  Ij  p.  1 — 16),  als  später  ebenda  (p.  159)  höchst  dankens- 
werthe  Erläuterungen  dieses  namentlich  in  culturhistorischer 
Beziehung  wichtigen  Denkmals.  Wenn  ich  mir  erlaube, 
nochmals  darauf  zurückzukommen,  so  möchte  ich  nur  einiges 
zur  Bestätigung  des  schon  gesagten  beibringen;  denn  wo 
eine  so  tüchtige  Hand  schon  gearbeitet  hat,  bleibt  einer 
zweiten  nur  eine  karge  Nachlese  über. 

Zu  V.  1  „das  saltir  deus  brunnon"  bietet  eine  Parallele 
die  Beschwörung  in  der  Erzählung  „Irregang  und  GirrQgang'' 
/l%ii  dem  Verse: 

11867.  n.  4]  31 


462    SiUung  der  phüa8,^hüol,  Claase  wm  7.  DeMemher  1867. 

„Bi  deas  salter  ich  dich  swer"^). 

Wenn    „brnnnon"    berechtigt    ist,    dürfte   damit    der 
49.  Psalm:      „Quemadmodum    desiderat  ^cervns  ad  fontes 
aquarnm  etc/'   oder  der  '136. :    „Snper  flamina  Babilonia*' 
gemeint  sein.     Ist  aber  vielleicht  nicht  zu  lesen: 
„Daz  saltir  deus  benedictum, 
daz  hoyste  numen  divinum'^? 

Zu  y.  6  verweise  ich  auf  ,,Der  Seelen  Trost"  3*)  und 
Geilers  Emeis.*)  Einen  der  interssantesten  Berichte  fiber 
die  Nachtfahr  giebt  Vintler  in  seiner  „Blaeme  der  Tagend", 
wo  er  die  schon  aus  Qrimms  Mythologie  p.  1011  mitgetheilte 
Legende  vom  heiligen  Germanns  erzahlt.  Da  seine  Dar- 
stellung meist  anbekannt  sein  dürfte,  theile  ich  dieselbe  zum 
Theile  hier  mit.  Am  Schiasse  des  Absdmittes  über  den 
Aberglaaben  seiner  Zeit  sagt  er: 

So  varen  etleich  mit  der  var 
aaf  kelbem  and  auf  pöcken 
darch  staine  und  durch  stocken 
und  fahrt  dann  fort: 

Von  dem  schreibt  also  Gregorius 

in  seinem  puech  dyaloguSi 

das  ain  pischolf  was, 

der  hiez  Germanus,  als  ich  las, 

und  was  gar  ains  hailigen  leben. 

nu  was  dem  selben  pischolf  geben 

ain  ander  pistum  ze  Ravenn 

als  man  noch  wechselt  ettewenn 

umb  die  pistum  ietzund. 

nu  ward  dem  selben  pabest  kunt, 


1)  HGA.  LV  V.  89. 

2)  Zeitsclirift  für  deutsche  Mandarten  I.  188. 

8)  Stöber.  Zur Geschiohte des Yolksaberglaabens.  Ba8ell856p.l8. 


Zingerle:  Zum  NaekUegen.  463 

er  solt  den  pischolf  von  Baveim 

schicken  in  die  stat  ze  Senn, 

da  er  vor  pischolf  was  gewesen 

nnd  das  er  da  solte  lesen 

Christenleichen  glauben  drat. 

also  fiir  er  in  die  stat 

za  ainem  wirt,  der  was  nnfro 

nnd  sprach  zu  dem  pischolf  do: 

i^herre  mein,  ich  weit  dass  ir 

heint  die  nacht  nicht  wärt  pei  mir, 

wann  wir  haben  heint  ze  8cha£fen, 

darzu  wir  nicht  bedürfen  püaffen/' 

do  sprach  der  pischolf:  „sage  an, 

was  haben  dir  die  pfaffen  getan, 

das  du  si  nicht  leiden  wilt?'' 

„herr  do  hob  wir  hebt  ain  spil. 

das  wir  sicher  alle  sampt 

varen  mit  der  yar  zehant.'^ 

do  sprach  der  pischolf:  „sag  mir  war, 

was  ist  das,  das  man  die  var 

haisset  hie,  mein  lieber  frewnt?^^ 

„herr  das  tuen  ich  ew  wol  kunt, 

unser  seind  hie  in  der  stat 

wol  zwainzig,  die  da  in  dem  rat 

sein  die  pesten  sicherlich. 

herr,  die  varen  all  als  ich." 

„nu  sag,  mein  irewnt,  wo  vart  es  hin?'' 

„herr,  wir  varen  nach  gewin. 

wo  uns  nuer  der  will  hin  get, 

da  sei  wir  für  sich  an  der  stet.'' 

„vart  es  danne  ainen  steg?" 

„nain,  es  vert  iederman  sein  weg.'' 

„nu  wann  kumpt  es  herwieder?" 

„zu  mittemacht  lass  wir  uns  nider 

31* 


464    SitMung  der  phüoe.-pMM.  Olasse  vom  7.  Dezember  1867, 

wider  in  das  selbe  haus, 

da  wir  sein  gevarea  ans/' 

„und  wie  gesecht  es  auf  der  strass?'' 

„herr,  wir  gesechen  pass, 

dann  ob  wir  füren  ze  mittertag." 

,,nu  sag  an  frewnt,  wes  ich  dich  frag: 

esset  es  under  wegen  nicht?'^ 

„herr,  wir  haben  allen  gericht, 

der  man  nuer  gedenken  kan. 

wo  wir  wissen  ain  reichen  man, 

der  do  hat  kost  und  wein, 

da  selbs  da  vam  wir  alle  ein 

und  essen  was  wir  bedürfen  da," 

„nu  sag  mir,  lieber  freunt,  wa 

weit  es  heinte  varen  hin?" 

„ich  sag  euchs,  herr,  als  ichs  rernim: 

wir  wellen  heinte  ain  verzeren 

des  mag  er  sich  nicht  erweren, 

des  sei  wir  worden  in  ain, 

das  er  muss  sterben  an  aim  pain." 

„nu  underweise  mich  auch  des: 

was  habet  nuer  ze  reiten  es?" 

„herr,  wir  haben  ze  reiten  gnug 

iederman  nach  seinem  fug. 

ainer  reit  ain  kue,  der  ander  ain  hunt, 

der  dritt  ein  kalb,  dem  vierden  pald  ain  gais  kumt, 

der  fünft  ain  podc,  der  sechst  ain  swein, 

der  sibent  ain  stul,  der  acht  ain  schrein" 

„nu  sag  mir,  zarter  wirt  mein, 

möcht  ich  nicht  ewr  geverte  sein, 

das  ich  auch  sagen  kunt  davon." 

der  wirt  der  sprach:  „ia  trawn, 

ob  ir  sein  euch  biet  bedacht, 

ir  möcht  halt  varen  heinte  nacht." 


JüingwU:  Zum  NaeMsegen.  465 

nmb  die  zeit  als  tag  unt  nacht  sich  schait 
und  umb  die  ersten  hanen  krait, 
80  Bolt  ir  kamen  in  mein  kamer, 
da  yiudet  ir  uns  pei  einander^'  etc. 
Bei  bicrizen  v.  7   möchte  ich   das  dialectiscke  kritzen 
(Schöpf  347)  —  eine  Kerbe  machen  —  herbei  ziehen.  Ohne 
Zweifel  hatte  es  die  Bedeutung  durch  einen  Einschnitt  be- 
zeichnen, und  dann  bezeichnen  überhaupt.    Vielleicht  wurde 
es  auch  mit  dem  Begriffe  „zmn  Schutze,  schützend  bezeich- 
nea^'  wie  segnen  gebraucht. 

y.  9.  Dient  das  „die  Guten"  schon  zur  Bezeichnung 
der  Eiben.  Noch  heutzutage  ist  der  Name  „Gütchen"^)  ein 
fest  PO  allgemeiner  Name  für  elbische  Geister  wie  „gute 
Holde/^  Simrock  Myth.  482.  In  derselben  Bedeutung  kommt 
„guoter"  auch  schon  in  der  früher  genannten  Erzählung 
Irregang  und  Girregang  vor: 

Er  solde  sin  ein  guoter 
und  ein  pilewiz  geheizen^) 
Zu  ▼.  14  bemerke  ich,  dass  in  Mähren  der  Nanie 
Skritek*)  gleichbedeutend  wie  skreti  vorkommt.  Jedenfalls 
möchte  ich  hier  Schrite  für  gleichbedeutend  mit  Schrat, 
Schrätle  nehmen ^  somit  für  Kobolde,  die  auf  den  Wegen 
sich  umtreiben  und  den  Wanderer  necken  und  belästigen. 

Zu  y.  19.  Vergleiche  Meiers  Sagen  aus  Schwaben 
Nr.  140—158.  Birlinger  Sagen  I,  33  ff. 

V.  20.  21.  Geilers  Stelle  lautet  vollständig:  Also  redt 
der  gemein  man  darvon,  das  die,  die  vor  den  zeiten  sterben 


4)  Den  frommen  Gut  oben  nah  verwandt.  Göthes  Faust  IT,  51. 
Daemones,  qni  qnotidie  partem  laboris  perficiunt,  corant  jumenta,  et 
qao8,  quia  generi' hnmano  mites  sunt  aut  saltem  esse  videntur,  Ger- 
mani  Gatelos  appellant.  Georg  Agricola  de  re  metallica  (1561, 
Xn.  p.  492). 

5)  H  G  A.  LV,  1002. 

6)  Grolunann,  Aberglauben  und  Gebrauche  Nr.  80. 


466    SiUung  der  phihs^-phtM,  Claase  wm  7.  Dezefnber  1667, 

66  den  das  innen  got  hat  nS  gesetzt,  als  die,  die  in  die 
reisz  laa£fen  und  erstochen  werden,  oder  gehenckt  nnd  ertrendct 
werden,  die  mUszen  also  lang  nach  irem  todt  lanffen  bycz 
das  das  zyl  kumpt,  das  innen  got  gesetzet  hat,  und  dan  so 
würckt  got  mit  innen  waz  sein  göttlicher  will  ist.  Und  die, 
die  also  lauffen,  die  lauffen  aller  meist  in  den  fronCeuteD, 
nnd  Yorausz  in  den  fronfasten  vor  weinnachten;  das  ist  die 
heiligest  zeit.  Und  lanfft  yetlicher  als  er  ist ,  in  seinem 
cleide. 

Zu  y.  23  „alb  unde  elbelin"  Tgl.  den  Anfang  eines 
Alpsegens:  „Alp  oder  Elbin",  den  Orohmann  in  seinen  Ge- 
bräuchen Nr.  114  mittheilt. 

y.  27  u.  30.  Das  Wort  „Mahr"  lebt  noch  in  der 
Volkssprache  fort,  s.  Kuhn  mark.  Sagen  Nr.  185.  Kuhn  nord- 
deutsche  Sagen  p.  418.    Wolf  niederl.  Sagen  Nr.  249  ff. 

Vgl.  über  Mahr  Wolfs  Beitk>äge  II,  264  ff. 

Ueber  Trute  vgl.  Zingerle  Sitten  36,  62,  139,  148,  166, 
190.     Sagen  p.  337,  347,  348,  426,  427. 

Truden  oder  Mahrsegen  finden  sich  häufig:  Grohmann 
Gebräuche  Nr.  113,  114,  130.  Kuhn  westfälisdie  Sagen 
II  p.  191.  Pröhle  Harz-Bilder  p.  80.  Kuhn  nordd.  Ge- 
bräuche Nr.  458.    Grimm  Mythologie  1194. 

Zu  y.  31  und  32   Trgl.  die  Verse  eines  Fiebersegens: 
Hat  dich  fiberritten  ein  Mann, 
so  segne  dich  Gott  und  S.  Gyprian; 
hat  dich  überschritten  ein  Weib, 
so  segne  dich  Gott  und  Mariae  Leib. 

Wolfs  Beiträge  p.  256. 

Zu  31  vgl.  „dich  hat  geriten  der  mar.''  HGA. 
LV,  646. 

36.  Wenn  hier  cruchen  =  mit  einer  Krudce,  einem 
Hacken  fangen  bedeutet,  ist  wohl  an  den  oftgenannten 
Hackemann  (Gurtze  Nr.  61.  Meier  I,  149.  Müller,  nieder- 
Sachs.  Sagen  Nr.  90  nnd  Anm.  Stöber  Nr.  324)  zu  denken. 


Zingerk:  Zum  NoMwgm.  467 

In  der  EJnülilaDg  Irregang  und  Girregang  kommt  in  der  Be« 
aohworang  vor:  „und  bi  Getanis  krükken."  H  G  A.  LV, 
1320.— Vielleicht  steht  aber  hier  „chruchen'*  für  chriechen?  — 

y^anehudien^^  bedeutet  hier  wohl  aufhocken,  aufsitzen. 
Kobolde  und  Geister  lieben  es,  Wanderern  aufzuhocken  und 
sich  von  ihnen  tragen  zu  lassen,  ygl.  Lütolf  Sagen  p.  126, 
Zingerle  Sagen  Nr.  250,  251.  Pröhle  Harzsagen  p.  77,  117. 
Grimm  Sagen  I;  129.  Panzer  I,  178.  Bechstein,  thüringer 
Sagenbuch  I,  105.  Kuhn,  norddeutsche  Sagen  p.  120.  Groh- 
mana  Gebrauche  Nr.  58. 

V.  39.  Der  Volksglaube  von  der  Klage,  Klagemutter 
(Dlula)  lebt  heute  noch  fort,  ygl.  meine  Tiroler  Sitten  Nr.  367. 
368.  Grohmann  Gebräuche  Nr.  31. 

V.  41.  Herbrant,  Trgl.  Kuhn  westfäl.  Sagen  II,  26. 
„Den  Drak  nennt  man  in  Freckenhorst  Herbrant.  Wenn 
der  Hiarbrand  in  ein  Haus  fallt,  so  brennt  dasselbe  nach 
sieben  Jahren  ab.^*  Vrgl.  Wöste  Volksüberlieferungen  p.  40 
und  Montanus  p.  39.  Es  Tertritt  dies  Herbrant  den  tirol- 
isohen  Alber.  fierbrote  ist  wohl  nur  als  Feminin  zu  Her- 
brant zu  fassen,  wie  Termuthlich  t.  23:  „alb  unde  elbelin'^ 
letzteres  fiir  eibin  steht  Vrgl.  in  einem  Segen  (Wolf  Bei- 
trage I.  254)  „do  mutten  ihnen  Alf  medi  Alfinne.'' 

Zu  „Molkenstellen"  y.  43  vgl.  Lütolf  Sagen  p.  575. 
Zingerle  Sagen  Nr.  545.  Vonbun  p.  20.  Müller,  sieben- 
burgische  Sagen  p.  106.  Wolf,  niederländische  Sagen  p.  370. 
Rochholz  II,  167.     Vintler  sagt: 

und  ?il  iechen,  man  stele  der  chue 
die  milch  aus  der  wammmi. 
und  Geiler  predigte  über  diesen  Glauben  (Stöber  p.  62). 

V.  45.  Yuzspor  ist  wohl  eine  Krankheit  an  den  Füssen, 
Ygl.  das  Yolksthümliche :  Maulsperr,  herzgespor,  herzgespör, 
Sdiopf  Idiot.  687. 

Zu  Y.  49  entsehen,  Ygl.  Geiler:  Item  wir  sahen  men- 
schen,   die  mit  dem  gesiebt  sollen  ein  Ding  Yergiften;    als 


468    SUsrung  der  phüos.-phüol  Gasse  wm  7,  Desember  1867, 

dick  beschicht,  dasz  zauberer  oder  hexen  ein  kind  anaehea. 
so  sol  es  nimer  goot  mee  thuon,  und  dorret  und  verdirbt  etc. 
Stöber  zur  Geschichte  d.  V.  A.  p.  45.  lieber  das  Entsehen 
theilt  Grohmann  viele  Aberglauben  mit  p.  155  £f. 

Zu  V.  50.    In  Patznaun  schreckt  man  die  Kinder  mit 
dem  Waldmännlein  Märzhackel  und  sagt:   Geht  nicht  allein 
in  den  Wald,   sonst  kommt  das  Märzhackel  und  schneidet 
euch  die  Schinken  ab.     (Meine  Gebräuche  Nr.  18.)    Hieher 
beziehen  kann  man  auch  Vintlers  Stelle: 
So  sein  ettleich  als  bc^liend, 
das  sew  varen  hundert  meil 
gar  in  einer  kleinen  weil; 
sunderleich  die  prechen  leuten  ab 
die  pain,  als  ich  gehöret  han. 
V.  51.  Vom  Saugen  der  Trude  sagt  Vintler: 
so  spricht  maniger  tummer  leib, 
die  trutte  sei  ein  altes  weib 
und  chunne  die  leut  saugen. 
Der  Glaube,    dass  Truden,   Hexen  eta   das  Blut  aus- 
saugen,  lebt  noch  fort.    Zingerle  Sagen  Nr.  750.    Vonbun 
p.  23.    Schön werth  I,  211.    Grohmann  Gebräuche  Nr.  117, 
118,  124.    Vgl.  auch  dort  das  Bluttrinken  in  den  Zauber- 
segen Nr.  1144,  1248.  1300. 
Zu  V.  55  vgl.  die  Verse: 

dich  hat  geilten  der  mar, 
ein  elbischez  äs, 
du  solt  daz  übele  getwas 
mit  dem  krinze  vertriben 
HGA.  LV.  646  und 

nü  sagä  mir,  elbischez  getwas. 
Ebendort  v.  1310. 

V.  68  ist  vermuthlich  „bi  dem  babes  olio  untus  =  oleo 
unctus'^  zu  lesen.  Der  babes,  wahrscheinlich  steht  bäben  für 


ZingtfU:  Zum  NachUegm.  469 

babes,  oleo  ancto8  vürde  vermuthlich  Aaron  sein,  von  dem 
Radolf  in  seiner  Reimchronik  sagt: 

daz  heilic  öl  er  im  dö  göz 

uf  daz  houbet  sin,  daz  ran 

unz  an  den  part  dem  reinen  man, 

als  an  dem  -salter  noch  da  stät. 

D&?!t  d&  von  gesprochen  hat: 

als  diu  salbe,  diu  so  schöne 

ran  nider  Aärone 

von .  dem  houbet  in  den  part, 

und  vürbaz  ran  nq,ch  siner  art 

unz  an  sin  gewandes  ort. 
Es  wäre  dann  der  32.  Psalm  gemeint ,  in  dem  man 
h'est:  y^sicut  unguentum  in  capite,  quod  descendit  in  barbam, 
barbam  Aaron,  quod  descendit  in  oram  vestimenti  ejus.'^  — 
V.  65.  66.  Unter  laudem  deus  ist  vermuthlich  der 
108.  Psalm  mit  dem  Anfange :  „Deus  laudem  meam  ne  ta< 
cueris",  sowie  „bi  dem  voce  mens"  der  76.:  „Voce  mea 
ad  dominum  damavi^'  gemeint. 

V.  73  ist  ohne  Zweifel  „Jerusalem ''  zu  lesen  und  dabei 
das  Himmelreich,  das  Jerusalem  der  Apocalypse  zu  ver- 
stehen. Auch  die  Stadt  Jerusalem  wird  in  Segen  und  Be- 
schwörungsformeln öfter  genannt  z.  B.  Kuhn  westfälische 
Sagen  U,  198,  207.  Birlinger  I,  204.  Meier  Sagen  525. 

Zu  V.  74  „daz  du  vares  obir  mer^'  vgl.  die  Verse  in 
den  Alpsegen:  „Alle  Wasser  sollst  du  waten'*  (Grohmann 
Gebräuche  Nr.  113)  „011a  Wosser  iiA)ten''  ebendort  Nr.  114. 
„Bevor  du  nicht  gezählt  den  Sand  im  Meer''  ebendort 
Nr.  130  und  ähnl.  Grimm  Myth.  1194.  Haupt  Zeitschrift  UI, 
350.  Kuhn  westföl.  Sagen  II,  191  oder  im  Spruche  gegen 
den  Rotblauf,  „Kommst  du  aus  dem  Wasser,  geh  ins  Meer. 
Im  Meere  schöpfe  das  Wasser,  zähle  den  Sand,  diesen  Leib 
aber  lass  in  Ruh."  Ebendort  Nr.  1138  und  ähnliche  Stellen 
bei  Grohmann  Nr.  1143,  1256,  1300. 


470      SUämg  der  phac$.-fkaaL  Ohm  wm  7.  Detmnher  1867. 

Seit  dem  ErBoheinen  des  Nachtsegens  habe  ich  in 
Konrads  von  Megenberg  Bach  der  Natur  (ed.  Pfeiffer  S.  107) 
eine  auf  V.  61  bezügliche  Stelle  entdeckt,  die  merkwürdig 
genug  ist,  um  hier  noch  mitgetheilt  und  besprodien  zu  werden. 
Eonrad  handelt  im  83.  Capitel  yon  dem  Erdbeben  und  sagt: 
Nun  wissen  gemeine  Leute  nicht,  woher  es  komme;  darum 
dichten  alte  Weiber,  die  sich  gar  klug  dünken,  es  sei  ein 
grosser  Fisch,  der  Celebrant  heisse  und  auf  dem  das 
Erreich  stehe.  Er  habe  seinen  Schwanz  im  Maule,  und 
wenn  er  sich  bewege  oder  umwende,  so  erbebe  das  Erd- 
reich. Das  ist  ein  Riesenmärchen  und  nicht  wahr  und  gleicht 
wohl  der  Sage  der  Juden  von  dem  Ochsen  Vehemot. 

Man  sieht  hier  die  Verquickung  der  germanischen  Welt- 
schlange (mi&garSs  ormr),  die  zu  einem  Fische  geworden, 
mit  dem  symbolischen  christlichen  ix^^Sj  der  für  die  obige 
Stelle  des  Nachtsegens  gewiss  feststeht.  Das  Mittelalter  war 
bekanntlich  immer  sehr  darauf  bedacht,  „das  Kind  beim 
Namen  zu  nennen."  Woher  er  kam,  und  ob  er  passte,  war 
Nebensache.  So  wird  man  hier  zugeben  müssen,  dass  der 
Name  Celebrant  nur  aus  einer  mit  dem  Verse  des  Nadit- 
Segens  inhaltlich  identischen  Stelle  dem  Weltunigeheuer  des 
heidnischen  Mythus  aufgebracht  sein  Icann. 

Herr  Dr.  B.  Hildebrand  Jiat  mir  an  bicrisen  in  Y.  7  fol- 
gende Anfklänuig  mitgetheilt.  „daz  selbe  schftlkint  ging  in  di  cap- 
pelle  der  heiligen  lantgr&vin  nnde  nam  •  .  •  •  eine  rebe  (Bippe)  us 
dem  grabe  nnae  bekreis  sine  ongen  unde  sine  kel  in  spotia  onda 
in  unglouben  d&  mite.  Eoedic  von  Saalfeld.  Leben  des  heil.  Ludwig 
78,17.  loh  denke,  es  ist  Alles  klar,  w.e  nicht  oft:  der  kreis  war 
eine  heilige  Form,  mit  einer  Beliquie  beschrieb  man  um  das  zu 
heilende  Glied ,  um  eine  zu  bezaubernde  Stelle  einen  Kreis  oder 
Kreise.  Zu  Y.  86,  oruchen  bemerkt  er:  Es  bedeutet  mitteldentsdi  noch 
jetzt  und  bis  ins  16.  Jahrhundert  bezeug  kriechen,  genauer  sich 
ducken,  sich  einziehen  und  so  wo  hineingehen,  zu  Y.  10,  dass  im 
le.  Jahrhundert  Brockel  bSseugt  ist,  „Meübocus  mons  der  brookel 
quod  latine  dioitur  mons  rupium  vel  oonfragus*'.  Bald.  Trochus 
Ascaniensis  Yocabulorum  rerum  promptuarium  Lpzg.  1517.  d.  6^  Noch 
bemerke  ich,  dass  Herr  Jaff&  in  Yers  I  deus  bravium,  in  2  numen 
divinum  und  in  68  haben  coigunotus  gefimden  hat,  endlich,  dass  in 
Y.  58  wazzere,  und  in  Y.  75  numermer  zu  lesen  ist. 

C.  Hofmann. 


ZingerU:  Zur  Eneiäe  Heifirich$  wm  Veldekm,  471 


Von  ebendemselben: 
„Meraner  Fragmente  derEneide  von  Heinrich 
von    Veldeken/^     jetzt    in    der    Münchner 
Staatsbibliothek. 

Idi  bin  so  glficklich  dem  neuen  Quellenmateriale ,  das 
unlängst  Professor  Dr.  Pfeiffer  zur  Eneide  (Wien,  1867) 
veröffentlicht  hat»  die  spärlichen  Bruchstücke  einer  sehr  alten 
und  werfhvollen  Handschrift  anzuschliessen.  Am  3.  Oktober 
d.  J.  schrieb  mir  mein  Freund  Dr.  David  Schönherr,  dem 
ich  schon  so  oftmals  liebevolle  Förderung  meiner  Forsch« 
ungen  zu  danken  hatte,  dass  er  im  Stadtarchive  zu  Merau 
auf  einem  Gerichtsbuche  des  14.  Jahrhunderts  drei  mit 
Versen  beschriebene  Pergamentblätter  gefanden  habe  und 
hatte  die  Güte,  mir  dieselben  zur  Ansicht  zu  übermitteln. 
Es  war  ein  Doppelblatt  und  ein  Einzelblatt  mit  Versen  aus 
der  Eneide.  Dies  enthält  ein  Fragment,  das  nach  EttmüUers 
Ausgabe  mit  V.  204,17  beginnt,  jenes  giebt  nadi  Ettmüller 
die  Verse  240,15  —  244,10  und  260,13  —  264,7.  —  Leider 
haben  die  Blätter  theils  durch  Verschneiden,  theils  durch 
Abnutzung  und  Feuchtigkeit  so  sehr  gelitten,  dass  viele  Verse 
selbst  nach  Anwendung  von  Reagentien  unleserlich  bleiben. 
Dennodi  sind  uns  im  Ganzen  circa  340  Verse  einer  Hand- 
schrift erhalten,  die  jedenfalls,  das  Regensburger  Bruchstück 
ausgenommen,  die  übrigen  an  Alter  übertrifft.  Höchstens 
könnten  Pfeiffers  Bruchstücke  ihr  den  Vorrang  noch  streitig 
machen.  Die  Blätter  in  Quart  sind  doppelspaltig  beschrieben, 
je  die  Spalte  mit  beiläufig  38  Versen.  Die  Schrift  ist  durch- 
aus sehr  sorgfaltig,  schön,  ja  zierlich  und  kann  noch  in  das 
Ende  des  12.  Jahrhunderts  zurückreichen,  spätestens  gehört 
sie  noch  dem  Anfange  des  13.  Jahrhunderts  an.  Durchaus 
hat  sie  nur  langes  s,   nur  in  Eigennamen  und  im  AnÜEmge 


472    Sitzung  äer  phihß.-pMkt.  Oam  vom  7.  Damber  1867. 

der  Verse  macht  sich  manchmal  grosses  S  bemerkbar;  a 
wird  immer  ^urch  v  oder  fi  bezeichnet,  w  durch  vt,  für  z 
steht  noch  immer  das  alte  Zeichen  7  oder  7,  das  im  13.  Jahr- 
hundert nur  selten  mehr  begegnet.  ^)  Die  schlichten  Initialen 
sind  roth.  Der  erste  Buchstabe  eines  jeden  Verses  ist  etwas 
hinausgerückt  und  durch  ein  rothes  Pünktchen  ausgezeichnet. 
Die  Eigennamen  sind  öfters  durch  grosse  Schrift  hervor- 
gehoben z.  B.  PALLAS,  ENEAS  etc.  Von  andwn  Eigen- 
ihümlichkeiten  ist  nur  die  Doppellung  des  z  und  f  zu  bemerken 
z.  B.  liezzen  205,18,  240,18,  lazzen  205,6,  ebenmazzen  205,5, 
geheizzen  242,9,  grozzen  262,25 ,  begriffet  262,22 ,  Waffen 
262,27,  slaffen  262,28.  Statt  ge  findet  sich  oft  gi  z.  B.  gi- 
waltlich  207,32,  giwalt  207,29,  ginesen  207,33,  ginuoch 
207,36,  gitun  241,1,  ginutzen  243,26,  ginomen  260,24  U;.  a.  m. 
V.  242,31  ist,  „waeren"  für  wem  geschrieben.  In  V.  262,16 
steht  „entswebet**  für  entsebet,  welch  letzteres  Wort  unserm 
Schreiber  nicht  verständlich  sein  mochte,  da  es  wohl  nur 
im  „Mitteldeutschen^*  gebräuchlich  war.  V.  262,24  ist  „sei- 
went"  Schreibfehler  fürt  selwet.  Unser  Text  sthnmt  mit  dem 
der  Berliner,  noch  mehr  aber  mit  der  Münchner  Handschrift 
überein,  theilt  aber  nicht  die  Wortschreibung  der  letztem, 
welche  das  i  manchmal  schon  in  ei  und  ü  in  au  auflöst 
z.  B.  241,7  smaechleiche ,  241,16  stetechleichen ,  261.14 
saelichleiche,  244,6  durchlauchtot,  244,8  lauchte.  —  Wie  in 
den  Handschriften  B  und  M  fehlen  auch  hier  die  Verse  = 
Ettm.  205,  21— 26  und  262,  27—28  und  sind  die  folgenden 
V.  27  und  28  umgestellt.  Wie  in  M  sind  die  Verse  244,  7 
und  8  auch  hier  verwechselt.  Ich  stelle,  um  die  Ueberein- 
Stimmung  zu  zeigen,  noch  folgende  Belegstellen  zusammen. 
205,10  dar  quam  BMG.  206,14  etunt  er  B  M.  206,21 
der  herre  Pallas  B  M.  240,39  unzalihaft  B.  240;40  Kamille 


1)  Germania  III,  844 


Zingwle:  Zur  Eneide  Heinrieha  wm  VMekm.  473 

da  Tabt  B  &  M.  242,S8  haz  B  O  H  M.  243,16  4p  ennam 
B  M.  243,19  prister  B.  priester  M.  243,20  meister  BGH 
M.  261,28  anegenge  BGM.   261,32  niemen  enmach  B  M. 

262.33  YÜ  misliobe  B  M  G  H.  262,37  enkan  enmach  B  G 
H  M.  262,39  daz  ich  B  G  H  M.  tohter  da .  erchennest  B  M. 
264,1  t&t  dicche  B  M.  ze  groz  M  B.  Mit  B  allein  hat  sie  die 
LeiBearten  206,17  vnder  dem  halsperge  243,9  ritterliche,  gemein. 

Viel  zahlreicher  sind  die  Fälle,  wo  unsere  H  S. 
meist  mit  der  Münchner  allein  stimmt  z.  B.  205,14 
nnd  242,3  ors.  205,34  der  herre  P.  206,21  do  lac  der 
herre  Pallas  erslagen.  206,23  >  veige  G  H  M.  207,30 
Sit  vil  sere.  240,17  erstochen.  241,1  siz  wol  torste  getan. 
241,16  stetechleichen  M.  242,4  selbe  räch  si.  242,21  niemer 
me  M  G.  242,32  harte  wol  G  M.  242,40  ein  ritter  der. 
243,1  Trojanen  H  M.  243,2  alze  na.  243,33  andere.  243,39 
er  mohte  bezzer.  244,3  vn  vor  an  dem.  244,4  ein  granate 
iochant.  244,6  durchlauchtet.  260,21  schoniu.  260,31  als /als. 

260.34  dir  wol  aller  M  G.  261,14  saelichleiche.  261,19  dennö. 
262,12  den  andern  gewisenGM.  263,3  denne  M  H.  263,24 
grozzer.  263,34  iesliche.  263,37  möge  eh.  Zu  andern  Hand- 
schriften neigt  sich  unser  Text  selten  Trgl.  z.  B.  204,28 
wan  er  H.  207,34  niwan  durdi  daz  G.  242,26  in  anschone 
H.  243,26  genuzzenG.  261,6  deheine  H.  261,37  bechennen 
H.  262,36  von  ir  G  H.  263,19  wie  ich  dir  b.  H.  263,20 
von  leide  G.  Manchmal  weicht  nnsere  Handschrift  yon  den 
übrigen  Texten  ab  und  ich  gebe  hier  die  wichtigeren  Fälle. 
204,24  wol  geneset.  204,12  ander  dekein  sin  schulde.  207,31 
do  der  herre  Eneas.  267,36  entgalt  auch  ers.  240,19  unz 
an  (bis  an  G  H).  240,38.  helide  die  da.  242,21  enq>rach. 
242,23  in  daz.  242,24  de^ir.  242,29  bieten.  242,39  geschehen. 
243,15,17  enheinen.  .  243,18  herre.  260,28  din  wol  wert. 
260,30  du  tusent  stunt.  260,36  erchennest.  261,4  rechter 
solt.  261,23  ob  erz.  261,33  dehein.  262,4  weder  ich  tuo. 
262,23  begarwe.  262,40  denne.   263,18  erfurhte.   263,34  ze 


474    SiUmg  der  ph^.'phtM.  Ckme  vom  7.  Desemher  1867. 

allem  Dmge  i.  263,40  da  yorn.  Vfir  haben  in  den  Meraner 
Fragmenten  somit  einen  Text,  der  der  Münchner  Handschrift 
an  Alter  vorangeht,  ja  vieUeicht  dieser  als  Vorlage  gedient 
hat,  und  ein  neuer  Herausgebe  der  Eneide  wird  desshalb 
auf  unsere  Fragmente  immer  vorzugsweise  Rücksicht  nehmen 
müssen.  Zum  Schlüsse  theilen  wir  eine  diplomatisch  genaue 
Abschrift  mit  (Was  corsiv  eingesetst  ist,  hat  Herr  Hafinaon  «p&ter 
gefanden.)  A.  d.  E 

*>• 

(=  Ettmüller  204,17—205,32.)* 

fliehen  1^ 

y  nt  .    .    •  liehen  ziehen 

d  iv  wol  .    •    .  denden  swert, 
20  ob  ir  des  libes  iht  gert, 

vnt  slaht,  die  iuch  wellent. 

daz  dvnchet  mich  baz  getan, 

daz  ir  g&te  knehte  weset 

vnt  mit  eren  wol  geneset 
25  vnt  r&m  erwerbet, 

.    •    .    .  schänden  sterbet. 

Do  sp'ch  aber  Pallas, 

wann  er  ein  helt  was: 

„ich  wil  .    .    •    •  verzaget 
30  der  ivch  da  her  hat  geiaget, 

ich  wil  des  gedingen 

vnt  wil  in  dar  z&  bringen, 

daz  ers  niht  me  ent&  . 
.  wider  sten  nu, 
35 

den  andern  lege  .    •    . 
(Lücke  von  Yen  87—205,8.) 

getorste  1^ 

6  •    •    .    •  ebenmazzen 
lazzen, 


ZmgmU;  Zur  Endde  SemrU^  van  VMOm, 

Do  sagte  im  Pallas 

•    .  rehte,  wer  er  was 
vnt  daz  er  im  waere  gram 
10  vnt  daz  er  durch  das  dar  qvam, 

daz  er  im  schaden  woldCf  «. 

dYTch  ander  deheine  sin  [dorchstr.]  schylde. 

daz  was  Tyrno  tA  zom, 

daz  ors  r&rt  er  mit  den  sporn. 
15  alse  tet  onch  Pallas  • 

daz  sine  vil  snel  was  • 

er  wolte  im  niht  entwichen. 

si  liezzen  dare  strichen, 

die  zwene  degen  ridie 
20  .  fjUen  sich  riterliche 

.  w  .  he  .  geliehen 

si  griifen  . ,  .  den  swerten, 

des  si  sere  gerten. 

die  helde  vil  mute 
25  zerhiewen  die  schade 

ze  spaenen  yil  chleine. 

si  zwene  waren  da  eine, 

daz  niem  da  bi  in  was  • 

do  sl&oh  der  herre  Pallas 
30  .    .    •    einen  solhen  slach, 
.    r  nider  lach.  . 
•  innen  . 

dann  noch  Reime  •  • .  erte  .  •  •  cfc  • . .  IficA 
(=  ^ttmüller  206,9—208,5.) 

der  maere  helt  Ivssam  1* 

10  yf  dir  knie  er  nider  qvam 

vor  Pallas  an  den  sant. 

daz  swert  behielt  er  in  der  hant, 

er  moht  deheinen  sladi  er  zien. 

alda  stynt  er  yf  knien, 


475 


476     SiUung  der  pkOes.^hüol,  Clam  «om  7.  Degember  1867. 

15  er  het  sich  gerne  erwert, 

er  stach  Pallas  daz  swert 

vnder  dem  halsp-ge  in  den  lip, 

so  daz  er  im  lant  ynt  wip 

immer  me  mit  fride  liez: 
20  toten  er  in  der  nider  stiez. 

Do  lach  der  herre  Pallas  erslagen, 

den  sine  frivnt  wpl  mfisen  chlagen, 

daz  er  also  veige  was, 

der  ivnge  künich  Pallas. 
25  do  was  der  iamer  vil  groz, 

daz  er  des  vbele  ginoz, 

daz  er  dvrch  ere  dar  qvam. 

der  maere  helt  lyssam, 

ez  was  ein  yil  vbel  zit, 
30  erne  was  in  stürm  noch  in  strit 

da  bevor  nie  chomen  e 

noch  getet  sint  nimmer  me. 

dennoch  was  ez  im  ze  frä. 

er  greif  vil  manlichen  zu 
35  der  helt  vnbescholten. 

er  hete  sich  vergolten 

da  bevor  allen   d  . 

daz  er  mit  .     . 

wan  er  het  .     .     . 

hvndert  m  .     . 
207  daz  half  in  .    . 

wan  daz  man 

vnt  div  t    . 

waere  er  m  .     . 
5  d  az  al  verswi^en  waere 


Zm§eiA^:  Zur  EhM$  Hemrichi  von  VMekm. 


477 


D  . 

10  daz  . 

vnt  , 

ein  . 

den  . 

daz  . 

15  dvr  . 

dvr  . 

daz  . 

ez  . 

vnt  . 

20  mit  . 

daz  was  ein  sma  .    .     . 
Tvrn^der  helt  chfine 
vergaz  sin  selbes  sere  dar  ane. 
e  danne  er  eher  •    .  dane, 
25  a  be  dem  vinger  .  ir .  im  oam, 
daz  im  sit  ze  vnstatten .qy&. 
er  tet  o?ch  bosliehe 
TTmus  der  riebe 
vnt  harte  sinen  giwalt, 
30  des  er  sit  vil  sere  eagalt, 
do  der  herre  Eneas 
s!n  so  giwaltlich  was, 
daz  er  wol  ginesen  mohte  sin, 
nivwan  dvrch  daz  vingerlin 
35  daz  er  in  darvmbe  slfich. 
damit  engalt  ouch  ers  ginfich. 
Do  Tvrnvs  da  mit  vmbe  giendi 
.  sin  dinch  aae  vienoh, 
.  im  selben  geviel, 
.  was  da  bi  in  eime  kiel 
208  .    .  schvtze  mit  eine  pogen. 

.  schoz  Tvmü  den  herzogen 
[1867.il  4.] 


82 


478      Sitzung  der  pMloe.-phüdl.  Claase  wm  7.  Degember  18$?. 


.     .  den  hal8p*ch  in  die  sit  .     . 
.     .  elben  ze  ybeln  zite  .     .  , 
5  .     .  erz  mit  dem  libe  g  .    .    , 
U. 
(=  Ettmüller  240,15-244,10.) 
15  ze  Layrent  hin  wider 
do  gelag  ir  vil  da  nider 
erstochen  und  erslagen. 
also  liezzen  si  sich  iagen 
vaste  ynze  an  daz  wich&s 

do  sprancte s 

(Lücke  von  Vers  20—31.) 
.  michel  gedranch 
.  witen  gevilde. 
hiwen  si  die  Schilde 
35  .     .  helme  gfite 

•  von  dem  bl&te 
.  ne  gras  al  rot. 
die  helide,  die  da  lagen  tot, 
die  waren  vnzalhaft. 
starche  Gamille  da  vaht, 
241  wan  siz  wol  torste  git&n. 
do  was  de  riter  Darcvn 
ein  harte  hobsch  Troian 
vnt  ein  riter  wol  getan, 
5  hofsch  vnt  gfites  willen. 
er  sp'ch  ze  fröwen  Camillen 
ein  teil  smaeheliche 
Dorcon  der  riebe: 
„waz  meinet  daz,  fröwe  maget, 
10 


Zingerle:  Zur  Eneide  Heinrichs  von  Veldeken,  479 

ich  waene  ez  übel  ende  ...       2^ 

15  daz  ir  svs  gerne  stritet 

V  nt  staetichlichen  ritet. 

ich  sage  iv  waerh'chen  daz, 

ein  ander  styrm  zaeme  iv  baz, 

waere  daz  irs  pflaeget 

daz  ir    .     .,    .     laeget 

(Lücke  von  Vers  20—30.) 

242  Darevn  sweich  do  stille. 
do  rfirte  frowe  Camille 
daz  ors  vaste  mit  den  sporn, 
selbe  räch  si  ir  zorn 
5  den  ir  Darcon  sprach, 
dvrch  den  lip  si  in  stach 
daz  er  schiere  tot  lach, 
ein  sin  neve  daz  gesach 
d'er  was  geheizzen  Flemin. 
(Lücke  von  Vers  10 — 16.) 


15 bar 

.     .  de  einiv  giwar  2* 

.     .     .  Tarpite, 

diu  het  in  dem  strite 

r  iterschefte  vil  getan. ' 
20  si  stach  den  einen  troian, 

daz  er  nimmer  me  wort  ensp'ch. 

Camille  den  andern  stach, 

daz  er  tot  viel  in  daz  gras. 

si  sp'ch,  des  ir  ze  mäte  was 
25  ze  dem  riter  Darcone. 

si  grfizte  in  vnschone. 

si  Sprach:  ,,nv  lige  hiel 

wie  getorste  dv  mir  ie 

boese  tede  bieten? 
30  d  yne  darft  mich  niht  mieten. 

82* 


460      Sitgmf  dtr  phOos.-phüoL  CUme  wm  7.  Denmber  1897. 

SV8  8oI  man  chlaffaer  waerea. 

idi  mach  harte  wol  enbern         \ 

diner  phenninge. 
^  n  y  hastv  diu  gedinge 
35  vergolten  mit  dem  lebene. 

nvne  hast  dv  niht  ze  gebene 

weder  rede  noch  schaz. 

dv  bist  gi?arn  in  gotes  haz. 

Do  daz  also  geschehen  was, 

do  was  ein  riter,  der  hiez  Arras 
248  mit  den  Trojanen  da. 

Camillen  reit  er  al  ze  na 

▼  erre  allen  den  tach. 

der  marchte  ynt  sach, 
5  wie  si  slfich  vfi  wie  si  stach, 

Ynt  wie  si  ir  sper  brach. 

yfi  wie  si  iystierte, 

ynt  wie  si  pyngierte 

ynt  wie  riterliche  sie  al&ch. 
10  .......     . 


doB  er 

16  eme  hetes  enheinen  willen.  2* 

do  ennam  froy  Camille 

enheiner  slahte  war  des. 

do  reit  der  herr6  Chores, 

der  Trojaere  priester 
20  ynt  ir  e  meister, 

ynt  was  doch  riter  yil  gfit 

ynt  hete  manlichen  mut. 

yfi  chfinde  wol  an  riterschaft. 

groz  was  sin  gisellatehaft 


Zingerle:  Zur  EnMe  Hemrieha  «on  Vddektik  "iSi 

25  riter  vnt  schvtzen. 

er  clivnde  wol  ginYtzen 

beidiv  b&ch  vnt  swert. 

daz  ro88  was  manges  pfVndes  wert, 

da  der  helt  vffe  saz. 
'  30  er  was  gewaffent  baz 

d  atme  iemen  da  waere 

Tnder  den  troiaere 

ode  in  andere  site  ^ 

in  allen  dem  strite. 
a  0e  den  selben  stvnden 

h{et  er  vf  gibvnden 

einen  heim  schoene  ▼&  so  lieht, 

d  .     .     .  man  vns  niet, 

daz  er  mohte  bezzer  sin. 

z  e  Oberst  stfint  ein  rvbin 
244  vnt  al  vmbe  an  der  liste 

Smaragde  uB  amatiste 

vfi  vor  an  dem  nasebant 

ein  granat  iochant, 
5  ginfich  groz  vnt  gut, 

dvrchlvhtet  rot  sam  ein  bl&t. 

er  Ivhte  engegen  dem  tage. 

waz  mag  ich  iv  ine  sage? 

d  iv  k&niginne  Camille 
10 

m. 

(=  Ettmüller  260,13—264,7.) 

.     .     .  was  div 

eins  abendes  spate  8* 

in  ir  chemenate  . 
15  ir  tohter  si  fvr  sich  nam, 
ein  frawen  lussam. 


482    Sitzung  der  phüoa.'phüol.  Glosse  vom  7.  Degember  1867. 

einer  rede  ei  begvnne, 
die  si  vil  wol  chunde, 

mit  micbelui  biune. 
20  do  sp'ch  div  kvnneginne: 

„schceniv  Lavine, 

liebiv  tohter  mine, 

nv  mag  ez  lihte  so  chomen, 

daz  dir  din  vater  hat  ginom 
25  michel  gut  vnt  ere. 

Tvmvs  der  helt  here, 

der  diner  minnen  starche  gert, 

der  ist  diu  wol  wert. 

daz  ist  mir  wol  chvnt 
30  vfi  waerest  dv  tfisent  stvnt 

als  schoßue  vfi  als  gut, 

so  ...  st  dv  wol  dinen  mfit 

gerne  an  in  che  .     .     . 

i  ch  gan  dir  wol  aller  eren 
35  vnt  wil  daz  dv  in  minnest 

vnt  daz  dv  wol  erchennest, 

daz  er  ein  edel  fvrste  is. 

darvmbe  warn  ich  dich  des 

vmbe  den  helt  Ivssanr* 

vnt  wis  Enease  gram, 
261  dem  unsaeligen  Trojan, 

der  in  ze  tode  wil  erslan, 

den,  der  dir  ist  von  hercen  holt. 

dar  zu  hastv  rehten  solt, 
5  daz  dv  im  vngenaedich  eis 

vfi  im  deheine  wis 

(Lücke  von  Vers  7—11.) 

vfi  wil  erben  3* 

dines  vater  riche  . 

ob  dv  saelichliche 


Zingerle:  Zur  Eneide  Heinrichs  van  Vüdeken.  483 

15  V  5  wol  wellest  tun, 

tohter  80  minne  Tvrnvm/' 

wamit  8ol  ich  in  minnen? 

„mit  dem  hercen  vn  mit  den  sinnen/' 

sol  ich  im  denne'  min  lierce  geben? 
20  „ia  dv."  wie  sol  ich  denne  gileben? 

„dvne  solt  ez  im  so  geben  niht/* 

waz  ob  ez  nimmer  geschiht? 

„vfi  waz,  tohter,  ob  erz  tut?" 

f  rowe,  mie  mohte  ich  minen  m&t 
25  an  einen  man  gecheren? 

„diy  minne  sol  dichz  leren'' 

dvrch  got,  wer  ist  div  minne? 

„si  ist  von  anegenge 

gewaltlich  vb"  die  werlt  al 
30  vnt  immer  me  wesen  sal 

vnze  an  den  ivngisten  tacb, 

daz  ir  niemen  enmach 

dehein  wis  widerstan, 

wan  si  ist  so  gitan, 
35  daz  mans  enhoeret  noch  ensiht" 

fröwe^  der  erchenne  ich  niht. 

„dv  solt  si  bechennen  noch." 

wan  mygt  irs  erbeitten  doch. 

ich  erbeitte  es  gerne,  ob  ich  mach. 

„lihte  gilebe  ich  noch  den  tach, 
262  daz  dv  vngebeten  minnest. 

swenne  du  beginnest, 

dir  wirt  vil  liebe  darzä." 

ich  enweiz,  fröwe,  weder  ich  tu 

5  d  V  mäht .     .  wesen  gewis" 
(Lücke  von  Vers  6—10.) 

$0  gitan 

daz  ez  rehte  nieman  3*^ 

den  andern  gewisen  chan, 


484    8iiJBung  der  phOoß.'phikl  CUubb  wm  7,  DwnmUr  1867. 

dem  sin  heroe  so  stet, 

daz  si  drin  nine  get, 
15  der  80  steinliche  lebet: 

8  wer  aber  ir  rehte  entswebet 

vnt  zfi  ir  cheret, 

vil  si  in  des  leret, 

daz  im  e  was  Yochvnt. 
20  si  machet  in  schiere  wfint, 

ez  si  man  ode  wip, 

si  begriffent  im  den  lip 

vfi  die  sinne  begarwe 

yfi  selwent  im  die  farwe 
25  mit  yil  grozzer  gewalt. 

si  machet  in  yil  diche  ehalt. 

solich  sint  ir  wa£fai 

si  benimt  im  daz  slaffen 

yfi  ezzen  yfi  trieben. 
30  si  leret  in  gedenchen 

yil  misliche. 

niemen  ist  so  richci 

der  sich  ir  myge  erwern 

ode  sin  herce  yon  ir  ginem 
35  noch  enchan  noch  enmach. 

ny  ist  des  yil  manich  tadi, 

daz  ich  nie  «o  yil  dar  abe  gisp'ch^' 

f  rowe  ist  denne  minne  yngimach?'' 
268  „nein  si,  niwan  nahen  bi.'' 

ich  waene,  daz  si  stercher  si, 

denne  diy  snht  ode  daz  fieber. 

si  waeren  mir  beidiy  lieber, 
5  wan  man  .    .    .  dem  sweieze 

minne  tut  ehalt  nfi  heusee 

der  denne  .     .     .  tage  rite. 
(Lüeke  yon  Vers  8=:13.) 


"Sfdnge^U:  Zur  EneUk  Eemßkkßmm  YMekm.  A85 

.     .     .     .  mich  myzze  3' 

16  .  en  ynt  vermiden. 

wie  solt  ich  die  not  .     .  erliden? 

Div  mfiter  aber  wider  sp^'ch: 

„niht  eniVrhte  daz  yngemach, 

merche  wie  ich  dir  besoheide: 
20  michel  liep  chvmt  von  leide, 

rfiwe  chymt  nach  yngimache. 

daz  ist  ein  tröstlich  sache. 

gemach  chvmt  von  der  arbeit 

diche  ze  grozzer  staeticheit. 
25  Yon  r^we  chvmt  wfinne 

vnt  froüde  manger  chvnne. 

tr&ren  machet  hohen  m&t, 

div  angest  machet  die  staete  gfit. 

daz  ist  der  minne  zeichen: 
30  lieht  varwe  chvmt  nach  der  bleichen, 

div  vorhte  git  gfiten  trost, 

.     .     .  re  .     .     .  erlost. 

daif  darpen  l&t  daz  herce  riebe. 

ze  disem  dinge  iesliche 
36  hat  div  minne  solhe  bfizze.'' 

si  ist  aber  von  erst  vil  vnsfizze, 

e  div  senfticheit  mfige  chom*. 

„t  ohter,  dv  erchennest  ir  niht  ze  firom* 

Si  s&net  selbe  den  zom^^ 

div  qvale  ist  ze  groz  da  vom. 
864  „si  tfit  diche  vnder  st&nden, 

daz  si  heilet  die  wfinden 

ane  salben  vfi  ane  tranch." 

div  arbeit  ist  aber  e  vil  lanch. 
'5  „t ohter,  daz  stet  an  de.gelfidi, 

so  man  geqvilt  ein  lanch  stich 

vn  mit  arbeiten  gilept 


486      Sitzung  der  phüos.-pMol  Claase  vom  7.  Dezember  1867. 


Herr  Hofmann  legt  vor: 

„Eine    Anzahl   altfranzösischer  lyrischer  Ge- 
dichte aus  dem  Berner  Codex  389'*. 

Ich  gebe  hier  den  vorläufigen  Schluss  meiner  Mittheil- 
ungen aus  dem  Berner  altfranz.  Codex  389,  dem  ich  die 
vor  zwei  Jahren  publicirten  20  Pastourelles  entnommen  habe. 
Noch  mehr  Stoff  liegt  im  Pulte  und  soll  seiner  Zeit  verar- 
beitet werden.  Aber,  dass  ich  es  hier  schon  sage,  dieser 
grosse  Tröuverecodex,  die  Perle  der  kleinen,  aber  unschätz- 
baren Bongarsischen  Sammlung,  verdient  vollständige  und 
baldige  Herausgabe.  Er  ist  für  die  altfranzösische  Lyrik 
der  klassischen  Zeit,  was  der  Manessische  Codex  fiir  die 
Minnesinger,  eine  Quelle,  die,  wenn  auch  der  grossen  Masse 
wegen  nicht  immer  an  Reinheit,  so  doch  an  Reichheit  alle 
andern  weit  übertriffl.  Was  ich  hier  gegeben,  was  W. 
Wackernagel  in  den  Altfranzösischen  Liedern  und 
Leichen  (Basel  1846)  mitgetheilt,  ist  doch  nur  ein  klein- 
ster Theil  dieser  einzigen  burgundischen  Liederhandschrifl;, 
deren  Fülle  man  am  besten  aus  dem  Verzeichnisse  aller 
Liederanfänge  ersehen  kann,  die  mein  Freund  Paulin  Paris 
dem  VL  Bande  seiner  Manuscrits  fran^ois  de  la  Bibliotheque 
du  Roi  S.  48  —  100  beigegeben,  und  das,  nebenbei  gesagt, 
die  beste  existirende  Vorarbeit  für  das  Studium  der  Trou- 
veres,  wie  sein  Romancero  frangois  (Paris  1833)  noch  immer 
die  wichtigste  Publication  lyrischer  Texte  ist.  —  Mehrere  Ver- 
besserungen sind  mit  Cursiv  gleich  in  den  Text  au%enommen. 

I. 

C.  Bern.  389.  f.  2'. 

Jeus  partis.    Cunes  de  Betunes.  (was  offenbar  falsch  ist.) 

1    Amis  Bertrans,  dites  moy  le  millor 
d'un  jeu  partit,  de  vos  le  veul  oir: 


Hofmottn:  AUfiranzösische  Gedichte,  487 

ki  de  B'amie  auroit  eä  Tamor 

et  parlement  de  li  a  son  plaisir, 

et  c'elle  adonc  sens  forfait  s'en  partoit 

por  aatre  ameir  et  pues  paix  refaisoit 

por  lui  tenir  de  samblant  Bens  plux  mais, 

11  keis  valt  luuelz,  tous  jors  guerre,  ou  teil  palz? 

Sires  Ouichairs,  saichies,  ceste  dolor, 

ke  je  V08  oi  resconteir  et  jehir, 

ont  autre  fois  eü  tost  [1.  tuit]  li  pluxor. 

so^ent  voit  on  ceste  chose  avenlr, 

teil  dame  lait  soa  boen  amin  sens  droit, 

ke  s'en  repent,  quant  eile  s'en  persoit. 

guerre  en  amors  n'est  prous,  por  ceu  m'en  tais« 

la  paix  valt  muels,  servir  a  euer  verai. 

Amis  Bertrans,  li  cuers  urais  [I.  verais],  por  voir, 

est  per  tont  bons,  ceu  sai  certainnement, 

et  eil  est  foIs  selonc  le  mien  savoir, 

ke  fauce  dame  aimme  a  son  essiant, 

ke  bien  saveis,  k'en  reprovier  dist  on, 

ke  leires  est  li  compans  a  lairon, 

et  eil  est  folz  et  fait  gabeir  de  lui, 

c'on  sert  de  bordes  et  on  festoie  autrui. 

Sire  Guichart,  or  puet  en  bien  savoir, 
ke  Yos  d'amors  savois  pouc  ou  noiant; 
car  je  veul  muelz  toz  jors  de  li  avoir 
k'elle  m'  esgairce  bien  debonairement 
a  bei  semblant  et  a  douoe  raixon, 
c'avoir  a  li  mellee  ne  tenson. 
soffrirs  atrait  amors,  certains  en  sui, 
et  orguels  fait  a  mainte  gens  anui. 


488    Sittung  der  pMoB.-phüdl.  Cla$9e  wm  7,  Duember  1867. 

5  Amis  Bertrans,  vostre  sens  n'eat  pais  grans, 
oa  on  V08  ait,  espoir,  en  vain  chargie, 

ke  tout  prandreis  a  greit  com  peneans. 
ains  ne  vi  home  de  si  pou  apaier; 
guant  d'un  samblant  et  d'an  trespovre  ris 
TOB  puet  rtenir,  tarop  estes  vrais  amis. 
celiii  sembleiSf  cai  on  tolt  son  chaiBtel, 
ke  pues  en  prent  decoste.  1.  bei  jael. 

6  Siros  Guichairs,  jai  nolz  Baiges  amans 
ne  me  tanrait  por  ceu  mal  afaitie, 

se  j'en  greit  pran  doulz  mos  et  biaul  p.  biauls]  semblantz 

ains  ke  tot  laisse,  se  seroit  malvoistie. 

aincor  valt  muelz  avoir,  ce  m'est  avis, 

pon,  ke  mans  [1.  rians],  car  de  ceu  seux  toz  fis, 

ke  per  donsor  fait  on  savaige  oxel 

saige  et  priveit  et  guerpir  son  rivel.  (riael)  =  Wildheit, 

rebellion) 
per  den,  Bertran,  tos  permenteis  molt  bei; 
mais  n'i  aurai  avant  [1.  auan]  talent  novel. 

II. 

C.  Bern.  389  f>.  3.  r^. 
Jugemans  d'amors.  (Von  Gillebert  de  Berneville  nach  Paris.) 

1    Amors,  je  tos  requier  et  pri, 
ke  Yos  me  faites  jugement 
d'une  amie  et  de  son  amin 
ki  entreameit  s'ont  longuement   - 
des  pues  k'il  furent  jovencel, 
or  sont  si  grant,  ke  del  donsei 
alt  on  piece  ait  fait  chevelier, 
et  c'est  prous,  mais  j'o  tesmoignier, 
ke  il  ne  poroit  barbe  avoir. 
puet  I'amor  dureir  ne  valoir? 


Hofmafmi  AItflranMÖ8i$ehe  GediekU.  489    ' 

2  „Quillebert,  por  verteit  yos  di, 
ke  la  chose  est  si  faitement, 

ke,  pnes  ke  Tuns  rautre  ait  choim, 
je  yeal,  k'il  aince  loiaalmaDt. 
qoant  il  est  [1']  un  et  I'aatre  bei 
Tamor  ferme  de  mon  saiel, 
et  qaant  li  dui  euer  s'entr'ont  cfaier, 
je  les  yeal  ensemble  laissier. 
eil  iront  ontre  mon  voloir, 
ki  les  en  voront  removoir." 

3  Amors,  se  ne  dootoie  si 
Yostre  ire  et  vostre  maltalent, 
jai  aories  la  tenson  a  mi, 
qaant  obeüssies  a  teil  gent. 
M  sont  digne  d'avoir  juel, 

k'a  dame  soit,  nes  .1.  chaippel, 

ne  de  roze  ne  d'anglentier  [1.  aiglentier] 

ne  lor  devroit  dame  bailiier, 

et  Celle  ferait  grant  savoir, 

se  celni  met  en  nonchaloir. 

4  „Gillebers,  por  vostre  BUsmi  I 
pairleis  an  poac  plux  brilement. 
tait  ne  sont  mie  si  joli 

com  TOS  estes,  mien  esciaät. 

s'ane  dame  aimme  .1.  garsencel, 

se  li  semble  il  peirs  de  chaistel, 

lai  fais  je  mon  droit  avancier 

et  ma  signorie  enforcier, 

ke  paes  c'on  aimme  oa  blanc  pu  noir, 

tait  semble  [=  semblent]  boen,  si  com  je  croy/* 

5  Amors,  je  croy  et  sai  de  fi, 
k'elle  n'ait  desir  ne  talent 


490      Sitzung  der  phüas.'phüöl.  Qoßse  vom  7.  Deeember  1867. 

ne  euer,  ki  puist  ameir  celui 

per  enfance  a  comaücement. 

sens  tricherie  ou  sans  rivel 

on  ne  poiroit  J.  sac  [1.  sec]  paxd  (=  pazillas  pr.  paisselh 

Pfahl) 
faire  florir  ne  verdoier; 
niant  plux  puet  montiplier 
Tamor  de  lui,  je  V  sai  de  voir, 
ne  il  ne  doit  amie  avoir. 

6  9,GiIlebers,  vos  parieis  ensi 
com  uns  hom  sens  entendement. 
se  j'avoie  celui  trai 

et  yers  lui  ovreit  faucement, 

je  sembleroie  lou  rainxel 

ki  se  ploie  a  chascun  oixel,  ^ 

s'en  feroie  moins  a  proixier. 

vos  me  Yoleis  mal  consilier, 

81  com  je  croi  a  mien  espoir. 

querons,  ki  nos  en  die  voir." 

7  Amors,  la  contesse  en  apel, 

se  nuls  hom,  ki  ait  teil  musel^ 
doit  per  amors  dame  enbraiscier« 
chaistelains,  yeneis  moy  aidier! 
de  Biaume,  tost  fereis  paroir 
lou  droit  et  le  tort  encheoir. 


m. 


C.  Bern.  289.  R  11.  y\ 


1    An  .1.  florit 
yergier  jolit 

Tautre  jor  m'en  entroie. 
dame  choisi 


Hof  mann:  Ält/fimzösische  OediehU.  491 


leis  son  mari . 

ki  forment  la  chaistoie, 

se  li  flit  dit: 

„yilains  floris," 

la  dame  simple  et  coie, 

,J'ai  bei  amin 

coente  et  joli 

a  cai  mes  cuers  s'otroie. 

ne  soies  de  mois  jalous, 

maix  aleis  vostre  voie; 

car,  per  deul  vos  sereis  coas, 

por  riens  ne  m'en  tenroie." 
2    „G'est  grans  folors 

et  desonors, 

dame,  ke  m'aveis  dite; 

car  vostre  amor 

aveis  mis  tout 

dou  tout  en  vostre  eslite. 

jai  en  nul  jor 

n'en  serez  [1.  vos] 

certes  per  moi  despite; 

maix  des  plusors 

et  des  millors 

en  sereis  vos  desdite. 

et  se  je  pois,  per  mon  chief  I 

vos  n'en  sereis  pai&  kite, 

mavaiza  robe  en  aureis 

et  livrexon  petite." 
3.    Vilains  bossus 

et.malestrus 

et  toz  plains  de  graipaille, 

vos  crolleis  tous, 

reposeis  vous, 

seeis  sus  vostre  celle. 


4Q2      8ü$mg  de9^  ]»Mm.-|MoI.  Cktm  vom  7,  Detember  1867, 

je  ne  quier  maix 

avoir  per  vos 

ne  sorcot  ne  cotelle. 

vezsi  le  doos  tens  oa  vient, 

ke  renverdist  la  pree, 

s'irons  moi  et  mon  ami 

coillir  la  flor  novelle." 

IV. 

C.  Bern.  889.  f>.  80  t«. 

Bkmdels. 

1  Bien  c'est  amors  trichie, 
quant  eile  m'ait  ocis, 

ki  m'ait  fait  sens  amie 
ameir  tant  com  foi  yis. 
mors  sui,  se  m'est  avis, 
por  cea  ke  je  n'ain  mie 
ne  jaimaix  en  ma  vie 
ne  serai  fins  amis. 

2  La  joie  m'est  faillie, 
ke  m'ait  faite  toz  dis 
amors  per  tricherie, 
ke  tout  avoit  conqais. 
lais!  je  m'estoie  mis 
dou  tottt  en  sa  baillie; 
or  c'est  de  moy  partie, 
ja  maix  ne  serai  pris. 

3  Pris?  je  per  coy  seroie, 
qoant  je  sui  eschaipeis? 
ne  sai  maix  teil  folie, 
ke  pues  reyient  aisseis 
laiy  dont  il  est  greyeis. 


Hofmann:  Ältfraneöaische  GedicMe.  493 

deusl  se  jeu  seu  faissoie, 
plax  douce  inort  auroie; 
maix  trop  m'en  sui  blaimeis. 

4  Je  m'en  repontiroie, 
se  j'estoie  eschaipeis. 
per  foit,  ke  je  parloie, 
com  hom  desespereis. 
amors,  cor  m'ocieis! 
certes,  je  le  voldroie, 
la  forcü  n'est  pais*  iDoie 
vers  vos,  bien  lou  saveis. 

5  Dame,  cest  douls  martyre 
doi  je  bien  endureir, 

ne  jaimais  nostre  sire  « 

ne  me  puist  amandeir, 

se  je  m'en  quier  oster. 

se  me  devies  occire, 

je  ne  puis  pais  elire 

millor  mort  ne  trouveir. 

6  D'amors  ne  sai  ke  dire; 
quaut  muels  i  yeul  penseir, 
l'une  boure  me  fait  rire, 
Tautre  me  fait  ploreir. 

jai  ne  m'en  doit  blasmeir, 
maix  malz  talens  et  ire 
me  fait  dire  et  desdire 
et  folement  pairleir. 

V. 

C.  Bern.  389.  f.  81.  r<>. 

1    Bels  m'est  l'ans  en  may,  quant  yöi  loa  tens  florir, 

oxel  chantent  doucement  a  Tenserir. 

[1867.IL4.[  33 


494        Sitzung  der  philoa.-phüol,  Classe  vom  7,  Dezember  1667. 

toute  nuit  veil  et  tressaul,       ne  pais  dormir, 

car  a  cen  [1.  ceu]  m'estuet  penseir  ke  plux  desir. 

molt  hei  ma  vie, 
s'a  teil  tort  me  fait  morir 
ma  douce  amie. 


Lais,  por  coy  me  fait  la  belle 
quant  del  tout  seux  atoraeis 
je  ne  veul  ne  se  ne  puls 
car  ne  puis  de  mes  dolors 

molt  hei  ma  vie 
s'a  teil  tort  me  fait  morir 
ma  douce  amie. 


mal  sentir, 
a  li  servir? 
de  li  partir, 
sens  li  guerir. 


Nuls  ne  seit,  a  keil  dolor        je  m'en  consir; 
ains  ne  li  osai  mon  euer  del  tout  gehir. 

siens  seux  et  fui  et  serai  sans  repentir, 

tous  jors  veul  lou  sien  service         maintenir. 

molt  hei  ma  vie 
s'a  teil  tort  me  fait  morir 
ma  douce  amie. 


4  Deux,  com  sont  en  grant  doutance  de  faillir 
eil  ki  aimme  de  boin  euer          et  sans  trairl 
losenjor,  ke  por  noient          suellent  mentir, 

fönt  bone  amor  remenoir  et  depairtir. 

molt  hei  ma  vie 
s'a  teil  tort  me  fait  morir 
ma  douce  amie. 

5  Nuls  ne  puet  de  fauce  amor  a  bien  venir, 
car  chascuus  veult  pouc  ameir  et  bien  joir. 
li  malvaix  fönt  les  cortois          avelenir, 


Hofmann:  Ältframösische  Gedichte.  495 

nuls  ne  seit  maix  cui  ameir  ne  cui  servir. 

molt  hei  ma  vie 
s'a  teil  tort  me  fait  morir 
ma  douce  amie. 
6    Tresor  veul  ma  retrowange  defineir  [1.  defiuir]. 

Gontier  pri  molt  kMl  la  chant  et  faice  oir. 

oa  pascor,  quant  on  vairait  lou  bruel  florir, 

cheyelier  la  chanteront  per  esbaudir. 

or  aim  ma  vie; 
car  del  tout  m'ait  afieit 

ma  douce  amie. 

VI. 

C.  Bern.  389.  P.  68  r». 

Kreuzlied  ohne  Bezeichnung. 

1  Douce  dame  cui  j'ain  en  bone  foi, 

de  loiaul  euer  sens  jamaix  arier  traire, 
mercit,  ^dame,  a  mains  jointes  vos  proi. 
se  seux  croizieSf  ne  vos  doie  desplaire; 
desoremaix  ai  talent  de  bien  faire, 
aleir  m'en  veul  a  glorious  tornoi 
outre  la  meir,  on  la  gent  sont  sens  foi, 
ke  Ihucrist  firent  tant  de  mal  traire. 

2  „Biauls  dous  amis,  certes,  se  poise  moi, 
ains  maix  mes  cuers  ne  Ait  si  a  mesaixe, 
c'outre  la  meir  vos  en  irois  sens  moi, 
j'amaixe  muels  toas  jors  vestir  la  haire; 
maix  pues  k'il  veult  a  deu  et  a  vos  plaire, 
je  ne  veul  pais  k'il  remaigne  por  moi. 

a  mains  jointes  a  la  meire  den  proi, 

ke  vos  ramoinst  et  vos  laist  grant  bien  faire.^^ 

3  Molt  me  mervoil,   se  del  sen  ne  mervoi, 
quant  je  dirai :  „a  deu  jusc'a  repaire," 

a  ma  dame,  ke  tant  ait  fait  por  moi, 

83* 


496      Siteung  der  phüos.-phüol.  Glosse  vom  7.  Desember  1867. 

ke  loa  dime  n'en  sauroie  retraire; 

maix  nuls  ne  paet  trop  por  damedeu  faire. 

quant  me  menbre,  que  il  morit  per  moi, 

tant  ai  en  lai  de  pitiet  et  de  foy, 

riens,  ke  je  laisse  [I.  lais],  ne  me  poroit  mal  £Eure. 

vn. 

C.  Bern.  389.  f>.  59.  V>. 
Li  cuens  de  Cousit.  (fehlt  bei  P.  Paris.) 

,1    De  jolit  euer  enamoreit 
chansonete  comencerai, 
por  savoir,  s'il  vanroit  a  greit 
celi,  dont  jai  ne  pertirai, 
ains  serai  en  sa  Yolenteit. 
jai  tant  ne  m'i  aurait  greveit, 
ke  ne  me  truist  amin  verai. 

2  Quant  son  gent  cors  et  son  vis  cleir 
et  sa  grant  valour  acöentai, 

lors  la  trovai  si  a  mon  greit, 
ke  toute  autre  amor  obliai; 
si  ne  fut  pais.por  ma  santeit, 
aincois  cuit  bien  tout  mon  aie 
langnir,  ke  jai  ne  li  dirai. 

3  Raizons  me  blaime  durement 
et  dist,  ke  ne  Tai  pais  creü, 
quant  d'ameir  si  tres  hautement 
ai  trop  mavaiz  consoil  eü; 

maix  pities  ki  le  [1.  les]  vrais  amans 

fait  estre  iries  lies  et  Joians, 

et  [1.  ce]  dist,  c'ancor  m'estrait  randu. 

4  Dame,  se  j^ain  plux  hautement. 
ke  mestiers  ne  me  soit  eü, 


Mofmann\  AUfrangösisehe  GedicfUe.  497 

la  grant  bialteis,  c^a  vos  apent, 
ait  si  mon  couraige  lueü, 
se  vos  pri  mercit  doucement. 

vm. 

Cod.  Bern.  889.  P  69  v^.  (alte  Foliinmg  71). 
Adefrois  li  baistairs. 

1  En  novel  tens  pascour  ke  Aorist  l'aube  espine, 
'  espousoit  li  coens  Guis  la  bien  faite  Aglentine. 

tant  jurent  doucement  brais  a  brais  soz  cortine 
ke  .VI.  bians  fils  en  ot,  pues  li  moustrait  haine 
per  cea  ke  mnels  amait  sa  pucelle  Sabine. 

ke  covant  ait  a  mal  marit, 

trop  sovent  voit  son  caer  marrit 

2  Li  coens  por  sa  biateit  Tama  tant  et  tint  chiere, 
ke  de  li  ne  se  pot  partir  ne  traire  ariere. 

tant  li  semont  ces  caers  ke  s'amor  li  requiere, 
ke  per  devant  li  yient  por  faire  sa  proiere. 
ke  covant  ait  a  mal  marit  etc. 

3  „Sabine,  fait  li  coens,  vostre  amor  m'atalente, 
la  Yostre  tos  requier,  la  moie  tos  presente; 

et  se  vos  me  faillies,  mis  m'aveis  en  tormente." 
et  la  belle  respont:  ,Jai  deus  ne  le  consente, 
k'en  soignantaige  soit  osee  ma  juvente.*' 
ke  covant  ait  a  mal  marit  etc. 

4  „Sabine,  dist  li  coens,  tant  vos  Yoi  debonaire, 
ke  de  vos  ne  me  puis  partir  ne  arrier  traire, 
et  se  Yos  me  voleis  et  mes  boens  yoleis  faire, 
n'ait  home  en  mon  pooir,  s'U  en  voloit  retndre 
malvaix  mot,  ke  les  euls  ne  li  föfise  traire." 

ki  coyant  ait  etc. 


498       Sitzung  der  phüos.-philol,  Glosse  wm  7.  Dezember  1867. 

5  Tant  ait  li  coens  doneit  et  promis  a  la  belle, 
ke  il  li  ait  tolat  le  douls  nom  de  pucelle, 
tontes  oes '  volenteis  fait  de  la  damoiselle. 
Aglente  s'en  persoit,  son  seignor  en  apelle, 

por  pouc  ke  ne  li  pairt  li  caers  sous  la  mamelle. 
ki  covant  ait  a  mal  etc. 

6  La  dame  en  sospirant  ait  moustreit  son  coraige: 
„sire,  por  den  merci!   trop  m'aveis  en  viltaige, 
ke  devant  moi  teneis  amie  en  soignointaige; 

66  me  mervoil  coment  me  faites  teil  hontaige, 
car  onkes  en  moi  n'ot  folie  ne  outraige.*' 
ki  covant  etc. 

7  „Aglente,  bien  ayeis  vostre  raison  monstree. 
sor  les  euls  yos  comant  ke  veudies  ma  contree 
et  gairdeis  ke  n'i  soit  seüe  la  rentree; 

car  maintenant  seroit  la  vostre  vie  ontraie.'* 
ki  covent  ait  a  mal  marit  etc. 

8  Aglente  c^est  en  pies,  vosist  ou  non,  drescie, 
en  plorant  prant  congie,  dolente  et  correcie, 
de  ces  enfans  aidier  a  tous  les  barons  prie, 
pnes  les  baisse  en  plorant  et  il  Tont  embraissie. 
quant  pertir  Ten  covient,  a  pouc  n'est  enraigie. 

ke  covent  ait  a  mal  marit  etc. 

9  La  dame,  a  duel  k'elle  ot,  est  cheüe  sovine. 
qaant  redrescier  se  pout,  dolente  s'achamine, 
del  euer  vait  sospirant  et  de  ploreir  ne  fine. 
les  lairmes  de  son  euer  corrent  de  teil  ravine 
ke  ces  bliaus  en  moille  et  ces  mantels  hermine. 

ke  covant  ait  a  mal  uiari, 

trop  sovent  voit  son  euer  marrit. 


Hofmann:  ÄUfranzösische  Gedichte.  499 

IX. 

C.  Bern.  389  f>.  73.  r^. 

1  E  amerotise,  belle  de  biaul  semblant, 
deignies  chanteir  la  chanson  vostre  amin 
ki  angoissous  et  pensis  et  tramblans 

a  euer  dolant  de  vos  se  departi. 

bien  me  peüstes  veoir  esbahi, 

quant  je  vos  dix:  „male  riens  sens  merci, 

n^a  deu  n'a  sains  vostre  cors  ne  comaDs, 

ains  vos  demant  ma  mort  et  bien  vos  di, 

k'en  grant  torment  m'aveis.  mis,  mar  vos  vi." 

2  Lais  moi  chaitif  I  mar  la  vi  voirement, 
mar  la  conu,  mar  m'i  delitai  si 

en  remireir  son  cleir  vis  bei  et  gent 
et  ces  vairs  eals  ke  m'ont  mort  et  trai't. 
trop  durement  laissiet  m'ont  et  saixit. 
quant  en  seux  Ions,  nulle  houre  ne  m'obli, 
tous  jors  m'est  vis  k'elle  me  soit  davant. 
dormant  vaillant  la  reclam  et  depri, 
nes  en  sonjant  son  nom  sovent  escri. 

3  Li  deus  d'amors  m'ait  pris  a  lais  coursour, 
se  ne  li  puis  de  son  lais  eschaipeir; 

maix  tost  auroit  en  ris  torneit  mon  plour, 
86  per  amors  fait  de  celi  ma  peir, 
ke  deus  formait  por  cuers  de  gens  embleir. 
nuls  ne  pQet  riens  en  li  a  droit  blameir, 
tant  i  ait  sen,  cortoisie  et  valour. 
muels  ain  doloir  por  li  en  grief  penseir, 
ke  d'autre  avoir  lou  desduit  ne  le  greit. 

4  Dame  plaixans,  trop  belle  a  pouc  d^ator, 
molt  vos  avient  a  rire  et  a  pairleir. 
vostre  biaulteis  voint  roze  et  lis  et  flours, 


500       Sitzung  der  phüos,-phüol.  Clasae  vom  7.  Degember  18$7, 

ne  je  m'en  puls  recroire  ne  laissier 

de  vos  samblaDS  amerous  recordeir 

ne  des  biaus  euls  ke  tant  peox  compareir, 

k'en  esgairdeir  moi  firent  tant  bei  tour. 

plains  de  dousor  les  vi  vers  moi  torneir, 

mil  fois  le  jour  m'en  covient  sospireir. 

5    Je  vos  ain,  dame,  et  bien  i  ait  por  coy 
je  doie  estre  vostre  ioiauls  amins; 
car  en  vos  sai  trestous  les  biens  et  voi 
ke  puissent  estre  en  cors  de  dame  aissis. 
gens  cors,  frans  cuers,  belle  bouche  et  der  vis, 
ki  seroit  dont  vers  vos  fauls  ne  faintis, 
tant  eüst  mal  ne  folie  en  soi? 
molt  m^en  coentoi,  quant  de  vos  seux  sospris, 
k'en  noble  poent  m'ait   li  deux  d'amors  mis. 

X. 

C.  Bern.  389.  f>.  76. 
De  nostre  daime. 

1  Fins  de  cner  et  d'aigre  talent 
veul  an  serventois  comencier 
per  Ioweir  et  regraicier 

la  roi'ne  dou  firmament. 
de  sa  loenge  et  de  son  nom 
muevent  tuit  mi  lai  e  mi  son, 
ensi  veol  useir  mon  juvent 
en  li  servir  en  boen  espoir 
de  tant,  com  j'anrai  de  savoir. 

2  Gabriel  gloriousement 
alait  ceste  dame  nonder, 
k'en  li  se  devoit  herbegier 
et  panre  chameil  vestement 


Hofinmn:  JUfiranzömche  Gedichte.  501 

eil  ki  fist  Adam  purement. 
la  yirge,  ke  fut  en  frison, 
lou  creit  et  fut  errammant 
paroUe  chairs,  et  consut  l'oir 
ki  poissance  ait  a  Ron  Toloir. 

Nes  plux  ke  11  aire  se  mae, 
qaant  on  i  giete  un  esprevier, 
ne  muait  eile  a  Tenchairgier 
ne  a  naistre  de  80q  enfant. 
yirge  portait  son  enfanson, 
virge  le  tint  en   son  giron, 
yirge  li  vit  mort  receyoir 
et  yirge  en  paradix  seoir. 

S^en  ceste  dame  eüst  noient, 
ke  trop  ne  fei'st  a  preixier, 
jai  eil,  ki  tout  puet  jasticier, 
nM  fast  enclos  si  longuement. 
mais,  se  tuit  ierent  Salemon, 
home  et  oixel,  beste  et  poixon, 
et  la  loescent  bonement, 
ne  porroient  dire  le  yoir 
de  s'onor  et  de  son  pooir. 

Tres  douce  dame,  a  yos  me  rant 

fie  yos  me  yoleis  consillier, 

je  n'ai  gairde  de  perillier 

*)  de  nesciteit  [=  pr.  nesdetat]  ne  de  tonnent. 

meire  a  l'aignel,  meire  a  lion 

meire  a  yrai  [1.  yerai]  fil  Salemon, 

meire,  on  tres  toos  li  biens  resplant, 

meneis  nos  en  yoötre  menoir, 

DU  nuls  malyais  ne  puet  menoir. 


*)  HS.  da  neroiteit. 


502      Sitzung  der  phücs.-philol  wm  Gasse  7.  Dezember  1867. 

XI. 

C.  Bern.  389  f>.  80  v<>. 

Adefrois  li  baistars. 

1  Fine  amor  en  esperance 
m'ait  mis  et  doneit  voloir 
de  chanteir  por  aligence 
des  mals,  que  me  fait  avoir 
Celle,  ke  bien  ait  pooir 
d'amenuisier  ma  grevence; 
maix  paour  ai  et  doutance, 
ke  per  felon  losengier 

ne  me  yeulle  justicier. 

2  Tant  me  piaist  sa  contenence 
et  oes  gens  cors  a  veoir 

et  sa  tresdouce  semblance, 
ke  veul  en  greit  recevoir 
kan  ke  m'i  ferait  doloir, 
c'ades  en  ai  remenbrance, 
ke  biaus  servirs  et  sousfrance 
fait  fins  amans  avancier 
et  sevoir  croistre  et  haucier. 

3  Per  sa  tresdouce  acoentance 
et  per  son  bei  decevoir 

fist  mes  cners  de  moi  sevrance 
et  prist  leis  le  sien  menoir, 
tant  li  piaist  a  remenoir^ 
k'il  aimme  la  demourance; 
maix  ains  n'i  out  retenance, 
ains  crien  orguel  et  dongier, 
ki  me  fait  colour  chaingier. 

4  Sovent  ai  ire  et  pesence 
d'amors,  ke  tant  suelt  savoir. 


Eofmann:  Jltfranzösiache  Gedichte.  503 

or  ai  torneit  en  enfance 
sa  coentixe  et  son  savoir, 
quant  ceaulz  met  en  nonchaloir, 
Id  por  li  ont  mesestance, 
et  ceaals  done  recovrance, 
ki  se  poennent  de  boixier 
et  de  faulz  ouers  renyoixier. 

Dame  debonaire  et  franche^ 

bien  me  faites  persevoir, 

ke  fins  caers  sens  repentence 

ne  m'i  puet  mais  riens  voloir  \\.  valoir]. 

vostres  seux,  saichies  de  voir, 

se  per  vos  n'ai  delivrance, 

coi  je  ne  pnis  eslongier 

ne  ma  dolour  aligier,  [fehlt  ein  Vers.] 

»    Chancen,  vai  ramentevoir 
a  la  plux  belle  de  France, 
de  pair  moi  li  fai  moustrance, 
ke  ne  me  sai  revengier 
fors  ke  per  mercit  proier. 

xn. 

C.  Bern.  889  P,  87. 
G'est  dou  conte  de  Bair  et  d'Ocenin  3on  ganre  (nach  P. 
Paris  le  conte  Henri  de  Bar). 

.    Gantiers,  ki  de  France  veneis 
et  fustes  avenc  ces  barons, 
cor  me  dites,  se  vos  saveis, 
keilz  est  la  lor  entensions? 
dnrrait  maix  toos  jors  lor  tensons, 
ke  jai  ne  s  vairons  acordeis 
ne  jai  ne  s  vairont  si  melleis, 
ke  perdes  en  seit  ans  blasons? 


504      Sitzung  der  phüoa.-phüöl.  Glosse  vom  7.  Dexeniber  1867. 

2  Pieres,  se  nostre  coens  Henris 
en  est  creüs  et  li  Bretons, 

et  li  Bretons  k'est  si  ozeis, 
et  li  sires  des  Borgignons, 
ansois  ke  paissent  rouvexons, 
vaires  Baicies  si  raüsseis, 
ke  lors  bobans  serait  mateis. 
jai  rois  ne  lor  iert  gueraons. 

3  Gautiers,  trop  dure  longuement 
eist  meneciers  et  si  valt  poo, 
mal  semble,  k'il  aient  talent 
d'ous  Yengier,  ßi  ont  il  per  foit. 
chascun  jor  asembleis  les  voy 
de  loing  venir  atout  grant  gent, 
bien  perdent  honor  et  argent, 
quant  il  ne  fönt  ne  ceu  ne  coi. 

4  Pieres,  on  ait  veüt  sovent 
mesayenir  per  grant  desroi. 
honor  ont  fait  a  esciant 

et  li  chardenal  et  li  roi, 
ki  les  ait  moneis  en  besloi 
per  lou  consoil  dame  Hersant; 
desore  iiait  la  paille  avant, 
cen  puet  chascons  penseir  de  soy. 

6    Gautier,  je  ne  m'i  os  fieir, 
trop  les  Yoi  lens  a  cest  roestier. 
lou  bei  tens  ont  laissiet  paisseir 
tant  com  doit  plovoir  et  negier, 
et  quant  plux  les  yoi  correoier 
et  de  la  cort  por  mal  tomeir, 
s'en  fönt  11.  ou  111.  demoreir 
por  truwe  en  coyert  raloignier. 


Eoftnann:  Altfranzösische  Gedichte,  505 


Piere,  ne  fontf  pais  a  blameir 
eil,  ki  en  partirent  premiers, 
k'ains  pues  ne  vorent  demoreir, 
maix  nostres  coroneis  ligiers 
por  loa  chardenal  losengier, 
cui  il  n'oserent  rien  veeir, 
et  por  ceuls   de  blame  geteir, 
firent  la  ferne  an  poa  laissier. 

xm. 


Aidefroi. 

1  Kant  je  voi  et  fuelle  et  flor 
color  maeir, 

c'oisilloz  por  la  froidor 

n'osent  ehanteir, 

adonkes  sospir  et  plor, 

car  conforteir 

ne  mH  sai,  tant  sent  dolor 

por  bien  ameir, 

car  8o£Erir         ne  pais  sens  morir 

cors,  ki  sent         teil  mal  longuement, 

car  la  nuit,  qaant  me  despeol 

et  dormir  veal, 

sovent  meul  [HS.  moal] 

xnon  lit,  tant  ploarent  mi  eal. 

2  Trop  me  piaist  et  nait  et  jor 
a  remireir 

son  gent  cors  et  sa  faisson 

et  son  vis  cleir. 

e  laisl  je  caidai  en  li 

mercit  trover. 

por  coi  j'apris  la  folor, 

ke  je  öompeir. 

qaant  jehir 


C.  Bern.  889  f9.  116.  ▼<>. 


506    Sitzung  der  phüos.^phOol.  Chase  wm  7.  Detember  1867. 

osai  mon  desir, 

folement  a  son  bei  cors  gent, 

lors  me  heit  et  moustre  orgael 

et  xnon  acuel, 

c'avoir  suel, 

ai  perdut,  dont  trop  me  daeL 

3  Son  gent  cors  mar  acoentai, 
ou  faut  merciS) 

sa  biaulteit  mar  regardai, 

por  coy  langois. 

grief  poene  et  dolor  entrai 

et  asseis  pis, 

et  sai  bien,  jai  n'en  guerrai, 

ke  bien  m'est  vis, 

k'en  pensant  sa  chiere  riant 

davant  moi         et  nuit  et  jor  voy. 

li  tres  bei  eul  de  son  front 

en  mon  euer  sont 

et  seront, 

je  cuit,  tant  ke  mort  m'auront. 

4  De  moy  nul  consoil  ne  sai, 
tant  seux  sospris, 

fors  6n  vos  belle,  ke  j'ai 

mon  penseir  mis. 

merdt  tant  vos  proierai 

com  serai  vis, 

et  bonement  atandrai 

com  fins  amis; 

maiz  itant  vos  veul  dire  avent, 

se  de  moy  pities  ne  vos  prent, 

certes  trestuit  dl  del  mont 

vos  blameront 

et  tanront 

a  cruel  qoant  loa  sauront. 


Hcfnuxm:  Jltfraiuönsche  GediehU.  507 

5    Mors  seuz,  de  mercit  11  pri, 
car  certains  sui, 
jai  n'aurai  de  li 
confort  de  mon  anni, 
car  folement  m'enbati 
lai  ou  ne  dui, 
et  a  mon  pooir  choisi 
ceo,  qn'iert  autrui, 
dont  movoir 
ne  pois  mon  voloir, 
ke  piece  ait  retint  et  laissait 

mon  euer  per  moi  ostaigier. 
a  comencier 
ke  laissier 
le  peüsse  de  legier. 

XIV. 

C.  Bern.  389.  f>.  123.  r*. 

Cunes  de  Betunes  (bei  P.  Paris  Rom.  fr.  S.  89  fehlt  die 

4.  Strophe). 

1  L'autrier  an  jor  apres  la  saint  Denise 
iere  a  Butimes,  ou  j'ai  estei  sovent. 
remenbrait  moi  des^  gens  de  male  guisse. 
ke  m^ont  sus  mis  mensonge  a  esciant, 
ke  j'ai  chanteit  des  dames  folement; 

mais  il  n^ont  pais  ma  cbanson  bien  aprise, 
k'ains  n'en  chantai  fors  d'une  soalement, 
ke  me  fist  tant,  ke  vengeaca  en  fat  prise. 

2  n  n'est  pas  drois  d'un  home  desconfire, 
se  vos  dirai  bien  la  raixon,  coraent: 

s'on  prant  per  droit  d'un  lairon  la  justice, 
k'en  afiert  il  a  loiaul  de  noient? 
niant,  per  deul  ke  raixon  i  entent; 
mais  la  raixon  est  si  ariere  mise, 


508       Siteung  der  phüos.-phüol,  Gasse  wm  7.  Dteember  1867, 

ke  ceu,  c'on  doit  loweir,  blaiment  la  gent 
et  lowent  ceu,  ke  li  saige  moins  prisent 

3  Dame,  lonc  tens  ai  fait  vostre  servize.  • 
la  mercit  den!  or  n'en  ai  maix  talent, 
c^une  antre  amor  m'est  el  euer  si  asisse, 
ke  tous  li  cors  m'en  alume  et  enprant 
et  me  semont  d'ameir  si  hautement. 

et  j'amerai.  ne  puet  estre  autrement, 
k'en  moy  ne  tiruis  ne  orguel  ne  faintixe, 
se  m6  metrai  del  tout  en  [1.  sa]  franchixe. 

4  En  la  millor  del  roiame  de  France, 
Yoire  del  mont,  metrai  tout  mon  penseir; 
maix  ceu  me  fait  sovent  estre  en  doutance, 
ke  sa  valor  ne  me  taigne  en  vilteit. 

mais  ceu  m'en  ait  mainte  fois  conforteit, 
k'el  monde  n^ait  nulle  si  grant  fierteit, 
c'amors  ne  puist  plaissier  per  sa  pouxance. 

XV. 

C.  Bern.  f>.  129.  r». 

Gavaron  Grazelle  (am  Rande  von  anderer  Hand  als  die  ge- 
wöhnliche und  unsicher;  es  ist  dieselbe  Hand,    welche    die 
zwei  letzten  Zeilen  beifügte). 

1    L'autrier  lou  premier  jor  de  mal 
jueir  m'alai  dehors  Parix 
con  dl  ki  est  en  grant  esmai 
d'une  amor  ou  j'ai  mon  euer  mis, 
s'o'i  chanteir  a  haute  voix 
dame  amerouse,  se  m'est  vis: 
„mes  peires  ne  fut  pais  cortois, 
quant  vilain  me  donait  marit. 


Bofmann:  AJtfransösisehe  OediehU,  509 

Si  tost  com  la  dame  escoutai, 


*j 


vers  li  m'en  voix  et  pues  li  dix: 
„daine,  deus  sault  yo  cors  loa  gail 
k'aveis,  porcoi  ploreis  ensi?" 
eile  moi  dist:  »ysire,  per  foi! 
j'ai  hq  Tilain  ki  m'ait  trait/' 

3  „Dame,  jai  ne  vos  quier  meatir, 
an  moy  ait  fin  euer  amerous. 
loiaul  de  euer  seus  repentir, 
Bens  tricherie  et  sens  folour 

Y08  servirai  com  fins  amis." 
„biaul  sire,  et  je  vos  doing  m'amor, 
mes  caers  vos  est  a  bandon  mis 
Bens  penseir  nulle  autre  folour/' 

4  Tont  maintenant  I'alai  saixir, 
si  la  jetai  sor  la  verdor. 
trois  fois  li  fix  sens  defaillir 
lou  jeu  c'on  appelle  d'amors. 
eile  moi  dist:  „biaus  douls  amis, 
onkes  mes.  maris  a  nul  jor 

ne  fist  vers  moi,  je  vos  pleyis, 
por  coi  deüst  avoir  m'amor." 

5  Per  grant  solaus,,  per  grant  deduit 
me  dist  la  belle  et  per^^amor: 
,ffaites  le  moy  aincor,  amis.'* 
lors  rencomensai  sens  demor 

lou  jeu,  k'elle  m'avoit  requis ; 
et  g'i  failMf  s'en  fui  irous. 

6  Et  eile  dist:  „sire,  per  foi! 
TOB  estes  fols  et  jangleos. 

il  £ait  trop  malvaix  acoentier 
[I867.n.4.]  34 


510     Sitmng  der  phüoi.'phikl  OoBse  vom  7.  Detmber  1867. 

home  ke  si  est  vanteons. 

fueis  de  d,  faalz  cuers  faillis! 

je  ne  vos  pris  un  vies  taboar. 

honie  seit  dame  de  prix 

ke  a  vilain  done  s'amor." 
dann  folgt  von  anderer  jüngerer  Hand  aof  der  leeigdblie- 
benen  Stelle  der  Zeile 

certes  dame  ne  m'en  chant, 

que  ge  en  ai  purtei  la  flonr. 
was  offenbar  ein  massiger  Zusatz  ist. 

XVI. 

C.  Bern.  889.  P.  189.  yfi. 
Anonym. 

1  Lora  guant  Faluelle 
et  la  quaille  crie, 
chante  Tarondelle, 
la  rose  est  florie, 
laisl  dont  sospir, 
ke  plus  desir 

la  tresplax  belle  del  mont 
Bens  mentir, 

mont  me  satelle  [1.  Bauteile] 
li  cuers  et  ozelle, 
quant  la  cuit  tenir. 
deuxy  k'en  apelle, 
m^en  doinst  la  novelle 
de'joie  a  o'ir. 

2  Se  mon  fol  couraige 
me  convient  a  plaindre, 
si  baie  a  outraige, 

n'i  porai  ataindre 
nes  por  morir. 


Sofmonn:  AJÜtfraiMömehe  Gediehte.  511 

bien  doi  hai'r 
icelle  raige 
ke  me  fait  languir, 
et  cest  damaige 
k'ai  per  mon  folaige, 
quant  ne  Tos  jehir 
ne  a  moBsaige    * 
jor  de  mon  eaige 
n'ou  ferai  oir. 

Prieir  la  voloie, 

non  ferai  eiDCore, 

k'aiseis  tost  aoroie 

pix  ke  n'en  ai  ore; 

ains  la  remir 

a  mes  euls  aisseis  m'otroie 

son  cors  a  sentir 

s'or  la  metoie  de  s'amor  envoie; 

bien  sai  sens  mentir, 

k'iere  sens  joie  avoir  en  poroie. 

muels  m'en  venl  soufiErir. 

Molt  est  debonaire, 

cen  me  resconforte, 

bien  me  sait  atraire 

ces  cleirs  yis  ke  porte. 

longue^  souffrir  et  esbaudir 

moj  coYient  faire. 

por  gent  signorir 

Ten  ne  vaut  gaire, 

cm  joie  n'esciaire 

sens  mal  sonstenir. 

n'en  sai  ke  faire, 

tant  ain  son  repaire. 

deux  m'i  doinst  venirl 

84* 


512        Sitzung  der  phÜos.-phiM.  Crosse  vom  7.  Degember  1867, 

5    DeaxI  com  dure  vie 
est  en  moy  enclose, 
cor  ne  1  seit  m^amie 
ne  dire  ne  Tose, 
ke  je  m'esmai 
et  si  ne  sai 
ke  Celle  pense, 
dont  j*ai  loa  euer  gai. 

molt  me  tormente 
Celle  k'est  plus  gente 
ke  la  rose  en  mai. 
bone  fiance- 
i  ai  sens  doutance, 
ke  s^amor  aurai. 

XVII. 

C.  Bern-  389.  f>.  151  r^. 

Robers  de  TEpiz  a  Maheus  de  Gan.  (sie)  Jen  parti. 

1  Mähens  de  Gans,  respondeis 
a  moi  com  a  vostre  amin: 
chanones  d^Ares  sereis 

tot  vo  vivant  per  ensi, 

ke  jai  amie  n'aurais 

awan;  maix  [I.  ou]  toute  vo  vie 

sereis  sens  la  chanonie. 

dites  loa  keil  vos  prandeis. 

2  Robers,  bien  seux  apenseis 
de  respondre  a  jeu  parti. 
prevendes  et  richeces  [I.  richeteis] 
ne  tien  je  pais  en  despit; 

maix  muels  ameroie  aisseis 
d'estre  ameis  la  [1.  ke]  signorie. 


Hofincmn:  JUfrmgöaiaeke,  GediehU,  513 

ki  ke  lou  tiengne  a  folie, 
iteille  est  ma  volenteis. 

3  Maheus,  riches  et  moules 

*    fait  boen  estre,  je  1  ?os  di, 
molt  est  dl  bieneüreis 
ki  est  issus  de  merci. 
toas  riches  ameir  poeis, 
ceu  est  trop  d'avoir  amie. 
ki  aimme  sens  tricherie, 
toat  son  sen  alt  oblieit. 

4  Robert,  d'amors  recreeis^ 
pnes  c^aveis  moible  choisi. 
cuers  ki  est  enamoreis, 

doit  toat  ceu  meitre  en  obli, 
et  d'aatre  pairt  bien  saveis, 
c'amors  ait  en  sa  baillie 
sen,  honor  et  cortoixie, 
ke  muelz  valt  k'estre  renteis. 

5  Maheu,  mal  yos  deffendeis, 
a  muels  prendre  aveis  failli. 
se  d'amie  est  fais  vos  greis, 
jai  paes,.  n^aureis  euer  joli. 
vos  desirs  est  achieveis, 

•  ceaus  recroit,  ke  maix  ne  prie. 
requise  ne  defiFent  mie, 
c'on  aint  trop,  grant  tort  aveis. 

6  Robert,  ains  pües  ke  fai  neis, 
si  esbahit  ne  vos  vi, 

ou  la  raison  n'entendeis. 

avoirs  vos  ait  si  sougit, 

ke  jamaix  bien  n'amereis. 

amors  loiaul  dru  n'oblie,  [HS.  loiauls — oblieis] 


514      SiUung  der  phaoa.-phiM.  CUuh  im^  7.  DtMember  1867. 

ne  ne  veolt,  k'en  velonnie 
chiece  ne  en  povreteit. 

7    Boutilliers,  or  i  penseiSy 
li  keils  ait  roillor  partie, 
ou  riches,  ki  merci  krie 
sa  dame,  ou  povres  ameis. 
Coppin,  loa  keil  muels  loeis, 
ou  ayoir  sa  druerie 
del  toat  Bens  mal  acomplie, 
ou  estre  riches  dameis? 


xvm. 

Anonym. 

1  Or  cuidai  vivre  sens  amors 
des  or  en  paix  toat  mon  aie, 
maix  retrait  m'ait  en  la  foloar 
mes  cuers,  dont  l'avoie  eschaipeit. 
enpris  ai  grignor  folie 

ke  li  fols  enfes,  ki  crie 
por  la  belle  estoile  avoir, 
k'il  Yoit  hault  el  ciel  seoir. 

2  Coment  ke  je  me  desespoir, 

bien  m^ait  amors  gueridonei  * 

ceu,  ke  je  Tai  a  mon  paoir 
servie  sens  desloiaulteit, 
ke  roi  m'ait  fait  de  folie. 
se  si  gart  bien,  ki  [1.  s'i]  fie^ 
de  si  haut  merite  avoir. 

3  S'  [I.  N']  est  mervelle,  se  je  m'air 

yers  amors  [1.  amor],  ke  si  m'ait  greveit. 


C.  Bmi.  889.  R  175. 


Hi^mcmn:  AkfiratUfösUche  CMkhU.  615 

deusl  cor  la  puisse  je  tenir 

im  soal  jor  a  zna  yolenteit; 

eile  compairroit  sa  folie, 

fii  me  &ice  deus  ai'el 

a  morir  la  coYenroit, 

ce  ma  dame  ne  m'ooit  \BS.  ocit]. 

Hai,  frans  cuers!  ke  tant  covoit, 

ne  beies  a  ma  foleteit. 

bien  sai,  k'en  yos  ameir  n'ai  droit, 

B^amors  ne  mM  eüst  doneit; 

maix  efforciäs  fais  folie, 

si  com  &it  neif  ke  Yans  guie, 

ke  yait  lai,  ou  il  Tenpoent, 

8i  ke  toute  et  [zu  tilgen]  esmie  et  fraint. 

Dame,  oa  nuls  biens  ne  souffraint, 
merd  per  franchise  et  per  greil 
pnes  k'en  vos  sont  tuit  mal  estaint 
et  toit  bien  vif  et  alumey, 
cognoissies,  dont  la  folie 
me  yient,  ke  me  tolt  la  vie? 
k'a  riens  n'oz  faire  damour 
s'a  YOS  non  de  ma  dolour. 

GhanBon,  ma  belle  folie 
me  salue  et  se  li  prie, 
ke  por  den  et  por  s'onor 
n'ait  jai  eols  de  trai'tor, 
ke  bien  seiYcnt  li  ploxor, 
ke  Jadas  fist  son  signor. 


516       Sitsung  der  phHaB.'pkOoL  Claese  vom  7.  Detember  1867. 

XIX. 

C.  Bern  389.  P.  182. 

Le  dachaise  de  Loraiane. 

1  Per  maintes  fois  aurai  estei  requise, 
ke  ne  chantai  ensi  com  je  soloie, 
ke  tant  per  senx  aloignie  de  joie, 
ke  je  vodroie  estre  muels  entreprise. 

[I.  jai]  a  mien  veul  moroie  en  etail  goisse 
com  fist  Celle,  cui  resembleir  voldroie, 
Dido  ke  fut  por  Eneam  occise. 

2  Biaus  donls  amins,  tout  a  vostre  devise 
ke  ne  fix  jeu,  tandis  com  vos  avoie! 
gens  vilainne,  cui  je  tant  redoutoie, 
m'ont  81  greyeit  et  si  ariere  mise, 
c'ains  ne  tos  poa  merir  vostre  servise. 
s'estre  pooit,  plux  m'en  repentiroie, 
c'Adam  ne  fast  [1.  fist]  de  la  pome  c'ot  prise. 

3  Per  den,  amorsi  en  grant  dolor  m'ait  mise 
mort  vilainne,  ke  tout  le  viont  guerroie. 
tolut  m'aveis  la  riens  ke  plox  amoie; 

or  seux  Fenix,  laisse,  soule  et  eschive, 
dont  il  n'est  c'ons,  si  com  on  le  devise. 
or  veal  doloir  en  lea  de  moneir  joie, 
poene  et  travail  iert  maix  ma  rante  asise. 

4  Ains  por  Forcen  tant  ne  fist  Anfelixe, 
com  je  por  vos,  amis,  se  .vos  ravoie; 
maix  se  n'iert  jai,  se  aincois  ne  moroie, 
ne  je  ne  puis  morir  en  itel  guisse, 
c'aincor  me  rait  amors  joie  promise. 
maix  a  mien  veal  se  m'en  repentiroie, 

se  por  tant  n'iert,  c'aimors  m'ait  en  jostice. 


H<^maHn:  AUfranzösisehe  Gedichte.  517 

XX. 

G.  Bern.  889  P.  190. 

Anonym. 

Per  nne  matineie  en  mal 

per  moi  dedoire  et  sonlaider 

a  une  fontenelle  alai, 

s'oi  chanteir  en  [un]  vergier 

loa  rosignor  si  doucement 

ke  tous  li  caers  d'amors  m'esprent, 

et  86  vi  leans  consillier 

une  dame  et  un  cbevelier. 

arrier  me  traiz  seleement, 

ke  ne  lor  voloie  anoier. 

Ensi  com  je  m'en  retornai 
per  an  estroitelet  sentier, 
ane  damoiselle  trovai 
seant  en  Tonbre  d^un  rozier. 
loa  Chief  ot  blond  e  loa  cors  gent, 
ans  euls  por  traire  caera  de  gent, 
bouche  bien  faite  por  baissier. 
deuBl  ke  la  poroit  enbraissier, 
et  tenir  nae  a  son  talent, 
jamaiz  de  maels  n'anrait  mestier. 

Cortoisement  1a  saluai, 

car  molt  me  piaist  a  acoentier, 

et  li  dix:  y,belle,  je  serai 

vostre  amis  de  fin  caer  entier. 

a  Yos  m'otroi  et  doing  et  rent, 

faites  vostre  comandement 

de  moi  com  de  vostre  amin  chier. 

mains  jointes  merdt  vos  reqoier, 


518      SiUung  der  phths.-phadl.  CUuse  wm  7.  Dezember  iser. 

de  vos  ma  grant  honor  atenti 
ke  d'autre  avoir  ne  la  qiiier/' 

4  „Gertes,  sire,  de  cest  present 
vos  doi  je  savoir  molt  boen  grei; 
maiz  uns  antres  a  moi  s'atent,     * 
et  cui  j'ai  euer  et  cors  donei, 
n'antre  ke  lui  je  n'amerai; 

car  si  fin  et  franc  le  trovai 
et  del  toat  a  ma  yolentei, 
ke  jai  nol  jor  de  mon  a6 
de  m'amor  ne  loa  boiserai, 
ains  li  porterai  loiaultei/' 

5  „Belle,  Tamor  ke  me  souprant, 
yient  de  vostre  fine  biaultei, 

si  me  fait  perleir  folement. 
or  me  seit  por  den  perdone, 
ke  ja  maiz  ne  tos  proierai, 
ne  jai  jor  ne  me  recroirai 
de  Yos  ameir  sens  faucetei, 
aincor  m'aies  tob  refaseit, 
et  sai  ke  tont  cest  duel  moinrai 
ke  jai  ne  m'iert  gaeridonei." 

6  Quant  vi  ke  n'en  auroit  [1.  ne  yauroit]  noient 
li  proiers,  si  la  rant  a  dei. 

n'o  gaires  aldt  longuement 

fors  c*un  palis  ou  trespaissei 

et  yers  lou  yergier  resgairdai, 

et  yi  la  tresbelle  a  cors  gai 

ke  son  amin  ot  acollei 

et  si  li  fist  une  bontei 

dayant  moj,  dont  je  grans  duels  ai; 

maiz  jai  per  moi  n'iert  rescontei. 


Hofinann:  JÜfranzösitehe  OedichU.  519 

XXL 

C.  Bern  889.  T.  202. 

Messires  Ferris  de  Ferrierez  (bei  P.  P.  anonym  aus  1989 
und  nur  4  Str.) 

1  (Quant  li  roisignors  jolis 

chante  sor  la  flor  d'estei, 
ke  naist  la  rose  et  li  lis 
et  la  rousee  el  yert  prei, 
plains  de  bone  yolentei 
chanterai  com  fins  amis; 
maiz  de  tant  seus  esbaihis, 
ke  j'ai  si  treshant  pensei, 
c'a  poenes  iert  acomplis 
li  servirs  dont  j^aio  greL 

2  Leiement  ont  entrepris 

sil  ke  tant  m'aoront  greva, 
mi  fol  eol  volenteis, 
ki  tant  aoront  esgairdei 
laiy  oa  je  n'ai  mie  osei 
dire  ke  j'estoie  amins. 
ieal,  per  vos  seux  je  trais, 
voirs  est,  mal  avais  errei; 
maix  or  en  aies  merd 
et  tout  TOS  seit  perdonei. 

3  Tont  ce  n'est  poent  ke  noiant, 
je  ne  vos  puiz  mal  voloir; 
car  la  belle,  cui  j'am  tant, 
est  si  plaixans  a  veoir. 
sovent  m'en  estuet  doloir, 

car  trop  me  secorreis  lent; 
Vnaix  li  rasoaigement 
des  grans  biens,  k'en  cnis  ayoir, 


520      SiUmg  der  phüo8,'phil6l.  Cla8$e  vom  7.  Dezember  1867. 

me  fönt  doubleir  mon  talent 
et  servir  en  boen  espoir. 

4  Benois  soit  li  herdemens 
ke  m'ait  doneit  teil  pooir, 
amors,  eürs  et  talens 

'     me  poroient  bien  valoir. 
tout  ceu  doie  je  voloir, 
k'a  11  soie,  ke  g'i  pens 
Yoire,  se  j'ai  tant  de  san, 
c'on  ne  s'en  pulst  persevoir, 
aincor  vanrait  leus  et  tens 
de  ma  tres  grant  joie  avoir. 

5  He  deusi  quant  Yanrait  11  jors, 
ke  j'al  tous  tens  deslreit, 

ke  ma  dame  per  amor 
m'acomplist  ma  volenteit? 
lors  aoroie  conquesteit 
lou  gueridon  a  estrous 
de  trestotttes  mes  dolore, 
ke  j'al  ades  endorelt 
lors  anroie  boen  secors, 
c'elle  me  doignoit  ameir. 

XXII. 

C.  Bern  S89.  T.  226.  V. 

Colins  Muzes. 

1   Sospris  seuz  d'one  amorete, 
d'une  Jone  pucelete, 
belle  est  et  blonde  et  blanchete 
^Inx  ke  n'est  nne  erminete, 
s'ait  la  color  vermoillete 
ensi  com  une  rosete* 


Hofmann:  AUfiraneötisehe^  Gedichte»  521 

2  Iteile  est  la  damoiselle, 
fille  est  a  roi  de  Tadelle, 
d*un  draip  d'or  ke  restancelle 
ot  robe  frexe  et  novelle, 
mantel  sorcot  et  gonelle 
molt  siet  bien  a  la  donselle. 

3  £n  son  chief  sor  [zu  tilg.]  ot  chaipel  d'or 
ki  reluist  et  estancelle, 

saiffirs,  rubis  i  ot  entor 

et  maintes  [1.  mainte]  esmeraude  belle, 

et  m  [he  mi?]  ke  fuise  jefi 

amins  a  la  damoiselle. 

4  Sa  seinture  fat  de  soie, 
d^or  et  de  pieres  ovreis 
tous  li  cors  li  reflamboie 
si  com  fhst  enlumineis. 

er  me  doinst  deus  de  li  joie, 
k'aillors  nen  ai  ma  pensee. 

5  Jeu  esgardai  son  cors  gai, 
ke  trop  me  piaist  et  agree. 
j'en  monVai,  bien  loa  sai, 
tant  Tai  de  euer  enamee. 
non  ferai,  se  [a]  den  piaist, 
ainoois  m'iert  s^amor  donee. 

6  En  trop  biaal  yergier 
la  vi  Celle  matinee 
jaeir  et  solacier. 

jai  per  moi  n^ert  obliee, 
car  bien  [1.  par  mien]  cuidier 
jai  si  belle  n'iert  trovee. 


522      Sitmng  der  phttos.-phüos.  CUuh  vom  7.  Degember  1867. 

7  Leis  un  vergier  c'est  asise 
la  tresbelle,  la  senee. 

eile  resplant  a  devise 
com  estoile  a  ranjornee. 
s^amor  m'anprant  et  atixe 
ke  ens  ou  euer  m'est  entree. 

8  A  li  resgardeir  m'obliai 
tant  k'elle  s'en  fut  aleie. 
deus,  tant  mar  la  resgardeil 
quant  si  tost  m'est  eschaipeie 
ke  jamaix  joie  n'aurai, 

se  per  li  ne  m^est  doneie. 

9  Tantost  com  Po  esgardeie, 
bien  cuidai,  k'elle  fuist  feie, 
ne  lairoie  por  rien  nee, 
k^aincor  n'aille  en  sa  contree 
tant  ke  j'aie  demandeie 
s'amor,  oa  mesfins  cuers  beie. 

10  Et  c'elle  devient  m^amie 
ma  grant  joie  iert  asevie, 
ne  je  n'em  penroie  mie 
le  rouame  de  Surie, 

car  trop  moinne  bone  vie 
ki  aimme  teil  signorie. 

Den  pri,  k'il  men  faice  aie, 
ke  d'aatre  nen  ai  envie. 

XXIIL 

C.  Bern  389.  T.  247.  V. 

Colins  Musez. 

1   Une  novelle  amorete,  ke  j'ai 

me  fait  chanteir  et  renvoizier, 


Hofinann:  AUfranMö$i9ehe  Gedidae.  523 

loa  caer  enamoreit  et  gai, 

ne  jai  de  ceu  partir  ne  qnier. 

rose  ne  lis  ne  floretes        de  glai 

ne  le  me  fait  comencier 

fors  la  blondete,  per  coi  je  morrai, 

se  merds  ne  m'i  puet  aidier. 

Mercit  dement,  mercit  requier, 
inercit  veol  et  merd  desir. 
a  la  blonde(te)  le  venl  proier, 
c'antre  ne  m'en  poroit  guerir, 
n'autre  ne  m^en  poroit  aidier, 
n'autre  n'est  tant  a  mon  plaizir. 
je  la  servirai  Bens  dongier, 
se  tost  ne  le  me  yealt  merir. 

Befle  et  blonde,  je  tob  amerai 
de  fin  euer  loiaul  et  entier, 
ne  jai  de  vos  ne  me  departirai; 
muels  me  lairoie  depeder. 
en  ceste  bone  pensee  serai, 
doIb  ne  m'en  pnet  geteir; 
maix  trop  me  tiennent  en  esmai 
li  felon  mavaix  losengier. 

Je  redont  tant  lor  encombrier, 

k^ades  se  poenent  de  trair 

seans  ki  bien  aimment  sens  tridiier, 

et  jai  ne  s  en  vaires  joir. 

bien  s'en  doit  blondete  alongier, 

c'ad^  veoUent  d'ami  servir. 

ne  moy  ne  li  nen  ont  mestier 

por  noBtre  joie  departir. 


524       Siteung  der  phü08.-phiM.  CUuse  f>am  7.  Desember  1867. 

5  L'autrier  an  jor  a  Pentree  de  mai        ' 
Toi*  chanteir  en  an  vergier; 

maiz  onkes  mais  si  belle  ne  trovai, 

cen  Yos  poroie  fiancier. 

deas,  tres  doos  deas!  et  keille  amorete  ai, 

se  de  s'amor  pais  esploitier, 

ne  jamaiz  jor  sens  joie  ne  seroie, 

c'  eile  la  me  vealt  otroier. 

6  Je  desir  tant  li  embraissier 
et  li  veoir  et  li  oir, 

se  de  li  ai  un  doals  baixier, 
ne  me  poroit  nals  mala  venir, 
ne  me  poroient  forjugier 
mavaixe  gent  per  lor  mentir. 
coi  k'il  m'en  doie  avenir, 
je  l'atandrai  tont  a  loisir; 
car  fine  amor  me  fait  caidier: 
boens  seryixes  ne  paet  perir. 

XXIV. 

Le  dachase  de  Loocainne  (sie). 

1   ün  petit  davant  loa  jor        s 
me  levai  Tautrier 
sospris  de  noyelle  amor, 
ke  me  fait  vellier. 
por  oblieir  mes  dolora 
et  por  aligier, 
m'en  allai  collir  flors 
dejoste  un  vergier. 
lai  dedans  en  an  destor 
Ol  an  Chevalier, 
desor  lai  en  haate  tour 


H<ffma9m:  AUfiransöMche  OeÜehie.  525 

dame  ke  inolt  Tot  chier. 

eile  ot  frexe  color 

et  chantoit  per  grant  doasor 

uns  dols  chans  pitous 

melleit  en  plor, 

pues  ait  dit  coq\  loiaals  drue : 

„Amins,  vos  m'aveis  perdue, . 

li  jalous  m'ait  mis  en  mue." 

Quant  li  Chevaliers  oit 

la  dame  a  vis  cleir, 

de  la  grant  dolor,  k'il  ot, 

comance  a  ploreir, 

pues  ait  dit  en  sospirant: 

„mar  vi  enserreir, 

dame,  vostre  cors  Ion  gent, 

ke  doie  tant  ameir. 

or  m'en  covient  dnrement 

les  dous  biens  compaireir, 

ke  volentiers  et  sovent 

me  solies  doneir. 

lais!  or  me  vait  malement, 

trop  ait  d  aipre  torment. 

s'il  nosr  dore  longuement, 

tres  dous  deus!  ke  devanrons  nos? 

je  ne  puis  dnreir  sens  vos 

et  vos  sens  moy,  comant  durereis  vos?" 

Dist  la  belle:  ,fboens  amis, 
amor  me  maintient. 
aisseis  est  plus  mors  ke  vis, 
ki  dolor  soustient. 
leis  moi  geist  mes  anemis, 
faire  le  covient, 
[1867.116.]  Ö6 


526       Sitsung  der  phäoi.'j^UloL  Chme  vom  7,  JDegember  1867. 

et  se  n'ai  joie  De  ris, 

86  de  ¥08  ne  vient. 

j'ai  si  mon  euer  ea  vob  mis, 

tout  ades  m'en  sovient. 

86  li  cor8  Yos  est  eschis, 

li  cuers  a  vos  se  tient. 

si  faitement  Tai  empris, 

ke  je  serai  sens  repentir 

Yostre  loiaul  amie. 

por  ceu,  86  je  ne  vos  voi, 

ne  vos  oblierai  mie." 

4  „Dame,  je  1  cuit  bien  savoir, 
tant  Tai  esprovei, 

k'en  vos  ne  poroit  avoir 

euer  de  fauceteit; 

maix  ceu  me  fait  molt  doloir, 

ke  j'ai  tant  estei, 

dame,  de  si  grant  valor, 

or  ai  tout  pansei. 

deus  m'ait  mis  en  nonchaloir 

et  de  tout  oblieit, 

ke  je  ne  puisse  cheoir 

en  gringnor  poyreteit; 

maix  jeu  ai  molt  boen  espoir, 

k^encor  mo  puet  molt  bien  valoir. 

drois  est,  ke  je  lou  die, 

86  deu  piaist,  li  jalous  morait, 

si  raverai  m'amie/^ 

5  „Amins,  se  vos  desireis 
la  mort  a  jalous, 
aincor  la  desire  jeu 
Cent  tens  plus  de  vos. 


il  est  Tiels  et  rasoteis 

et  glons  corome  loas, 

et  si  est  luaiges  [1.  maigres]  et  pailes 

et  si  est  lais, 

tant  putes  taiches  ait  aisseis 

li  deloiaus,  li  rous. 

la  giingnor  bonteit  k'il  ait, 

o'est  de  cea  k'il  est  cous, 

et  dist:  „laisl  tant  mar  fii  neis, 

c^aitres  en  ait  ces  yolenteis.^^ 

drois  est,  ke  je  m'ea  plaiDg, 

coment  guerirait  dame  sens  amin?*' 

„Biaas  amins,  yos  en  ireis, 

car  je  toi  le  jor. 

desormaix  i  poeis 

faire  trop  lonc  sejor. 

vostre  fin  euer  me  laireis, 

n'aies  pais  paour, 

c'aTeac  vos  en  portereis 

la  plux  fine  amor. 

des  ke  tos  ne  me  poeis 

geteir  de  ceste  tor, 

plas  soTant  la  resgairdeis 

por  moi  per  grant  dousor/* 

et  Sil  s'en  part  toz  iries  ^ 

et  dist:  „1^8}  ^Aiit  mar  fu  neizi 

dolans  m'en  pairt, 

a  den  comans  je  mes  amors, 

ki  les  me  gairt.'^ 


86» 


£28       Sitzung  det  flMaB.'phikl  €Imm  immi  7.  J)eMember  1867, 


Herr  Lauth  trägt  von 

„Die  Achiver  (Achäer)  in  Aegypten", 

Es  sind  erst  sieben  Jahre  her,  seitdem  ich  auf  einem 
Bruchstücke  (Nr.  112)  des  Turiner  Königspapyrus  die  Spuren 
der  Hykschos-Dynastie  ausfindig'  machte,  welche  bis  daliiii 
als  solche  nur  auf  dem  Zeugnisse  Manetho's  beruhte  und 
daher  von  der  Kritik  bald  angezweifelt,  bald  ganz  und  gar 
als  ungeschichtlich  verworfen  worden  war.  Meine  Vermath- 
ung,  soweit  sie  sich  auf  das  Fragment  einer  so  aiig  zer- 
bröckelten Urkunde  stützte,  schien  allerdings  schwach  be- 
gründet und  weiterer  Bestätigung  dringend  bedürftig;  allein 
im  Zusammenhalte  mit  den  andern  vierzehn  Dynastieen 
jenes  Papyrus  ergab  sich  die  Dynastie  der  Hirtenkönige  mit 
zwingender  Noth wendigkeit  als  die  fün&ehnte,  wie  sie  in 
dem  Auszuge  des  treuen  Africauus  wirklich  beziffert  isi^) 
Die  Inschrift  des  Sehifisobersten  Aahmes  iuEl-Eab'),  welche 


1)  Wie  trotzdem  Hr.  Knoetel  in  seinem  „Cheopt  der  Pyramiden- 
Erbaaer*'  und  in  seinem  Anfsatze  im  Rhein.  Mus.  1867  fortfahren 
kann,  alle  Könige  Aegyptens  von  der  IV.— XXVIIL  Dynastie  n 
Hykschos  zn  stempeln,  ist  unbegreiflich.  Wenn  Herodot  IL  128 
von  den  Pyramiden-Erbanem  sagt:  rovxovg  vno  filatog  ov  xä^ta 
^LotMft  MyvTtTioi  wofucC^uf,  dXXd  xai  tac  nvqafjLi&as  xaXiowft  noifärfK 
^^X£(a)r^ogy  o;  tovtoy  roy  X9^^^  iy^fAi.  XTifyBa  xcttd  javra  ra/ft^i 
so  nnterscheidet  er  ja  ganz  bestimmt  die  Könige  Gheops  und 
GhephrSn  von  den  Hirten. 

2)  Hr.  Ghabas  hat  die  Richtigkeit  des  Ansdnicks 'rx(r£; (Easeb. 
'Txovatr^  cf.  Jos.  a«  —  tJx  =  aixfidXtnoi,  —  es  ist  die  mit  der  Nord- 
pflanze anlautende  Gmppe  haq  vincire)  bezweifelt,  weil  sie  hier 
mena  kopt.  mone  =  pastor  genannt  seien,  vergessend,  dsn 
schasn  ein  &cht  ägypt.  Wort  ist  nnd  den  Wandernden  oder  No- 
maden bedeutet.  Das  Szepter  haq  ist  nooh  in  unserm  Bisohoft- 
Stabe  getreu  erhalten. 


LanOk:  Die  Aehivet  in  AegypUn.  529 

De  Rouge  Bchon  vorher  übersetzt  hatte,  lieferte  das  Binde- 
glied zwischen  dem  Schlosse  der  Fremdherrschaft  and  dem 
Haapte  des  Neuen  Reiches:  Amosis,  der  nach  einer  Stele 
im  Mokattamgebirge  (von  seinem  22.  Jahre  datirt)  die  Stein- 
brüche von  Rofui  (Kopt.  Liui  das  agypt.  Troja-Tura)  zur 
Wiederherstellung  der  Tempel  von  Memphis  und  Theben 
ausbeutete,  also  wieder  im  Vollbesitze  des  Landes  sich  be- 
finden uiusste.  Der  wichtige  Papyrus  Sallier  I.  bestätigte 
dieses  Ergebniss,  indem  er  einen  zuerst  gesandtschaftlidien 
Verkehr  zwischen  Seqenen  (Soikunis  desErätosthenes),  dem 
unmittelbaren  Vorgänger  des  Amosis,  mid  dem  letzten 
Hirtenkönige  Apophis  erzählt,  woraus  zuletzt  der  Ent- 
scheidungskrieg  und  die  Vertreibung  der  Hykschös  aus 
Aegypten  erfolgte. 

Seitdem    hat  Mariette    durch   seine   Ausgrabungen   in 
Tanis,     durch    die    Porträtsphinze    mehrerer   Hirtenkönige, 
durch  die  Auffindung  eines   vollständigen  NamenprotokoUes 
von  Apophis,  den  Beweis  erbracht,    dass  ich  Recht  gehabt 
hatte,    die  ausländische  Herrschaft  der  Hirten    als   eine  ge- 
schichtliche in  vollem  Sinne    des  Wortes  aufzustellen.    Ja, 
eine   von  ihm    aufgefundene  Stele    enthalt,    ausser   andere 
werthvoUen  Angaben,    die  bis  jetzt  einzig  dastehende  Er- 
wähnung einer  Aera.    Ein  Beamte,    Namens  Seti,  stiftet 
unter  der  Regierung  Ramse's  H.  (Sesostris)  das  betreffende 
Denkmal  und  datirt  es    mit   dem  Jahre  400   eines  Königs 
Set-Nubti,    in  welchiem   ich  den  Vorgänger  des  Apophis 
erkennen  zu  dürfen  glaubte.    Man  begreift  so  auch,  warum 
auf  einer  Statue  des    grossen  Ramses  II.    dieser  König  ein 
»Liebling  des  von  Apophis  in  Havaris  durch  einen  Tempel 
geehrten  Sutech''  (Baal)  genannt  werden  konnte.     Wir  be- 
sitzen somit  eine  annähernde  Bestimmung  des  Zeitabstandee 
zwischen   den  Hirten    und   dem  Ende  der  XVUI.  Dynastie, 
und  da  die  Dauer  der  Hyksehöshenrsohaft  in  runder  Summe 
260  Jahre  betrug,  so  ergiebt  tidb  für  den  Aufsog  ihrer  In« 


580       SitMung  der  pMio$.'phüa.  Ola$$e  vom  /.  Däemher  1867. 

vadoQ  das  Jahrhandert  2100-*2000  vor  unsrer  Zeitrech- 
nung.  In  der  That  bemerkt  Maneiho  bei  dem  ersten  WaU- 
fiirsten  der  Hirten:  Salatis,  er  habe  Havaris  (Ha-yare 
,fHaii8  der  Flacht^')  hauptsächlich  gegen  die  damalige  Ob- 
macht  der  Assyrier  befestigt 

War  somit  dieses  Ergebniss  für  den  nationalen  Ge- 
sdiichtschreiber  Manetho  und  die  Aegyptologie  ein  änssent 
günstiges  zu  nennen,  so  zeigte  eine  Entdeckung  des  H. 
Chabas,  dass  andh  die  Bibelerklärang  aus  der  neuen  Wissen- 
schaft Nutzen  ziehen  kann.  Dieser  scharfsinnige  Forsdier 
identifizirte  nämlich  die  dreimal  genannten  „Aperiu,  welche 
Steine  schleppen  zu  dem  Baue  der  Stadt  Bamses"  —  mit 
den  Ebräern,  welche  nach  E^^odus  I  bei  den  Arbeiten  der 
Städte  Pithom  und  Ramses  Frohndienste  leisten  mnssten. 
Eine  Steinbruchinschrift  von  Hamamat  zeigte  die  nämUchen 
Aperiu  als  ziemlich  zahlrdche  Bergbaucolonie  und  ein  nodi 
unedirter  Papyrus  (im  Besitze  des  Herrn  Harris)  spricht 
von  .,AufiBehem  oder  Edlen  (marina)  der  Aperiu^^ 

Man  glaube  nicht,  dass  dieses  Resultat,  so  natürlich  «8 
jetzt  auch  scheinen  mag,  ganz  mühelos  zu  erreidien  war. 
Es  mussten  zuerst  durch  gesunde  Kritik  die  Hindernisse  be- 
seitigt werdet,  welche  der  unbesonnene  Eifer  von  Enthu- 
siasten wie  Lenormant  und  Heath  aufgethürmt  hatte.  Diese 
waren  nämlich  der  Ansteht,  das  Volk  Israel  werde  durch 
die  so  häufig  erwähnten  Semat-Leute  als  Semiten  bo> 
zeichnet.  Allein  Hr.  Chabas  hat  siegreich  nachgewiesen, 
und  ich  konnte  in  meinem  Vortrage  zu  Augsbui);  1862  sowie 
in  meiner  Abhandlung  über  den  Bdcendhons  der  Mfincfaiier 
Glyptothek  seinen  Fund  beslÄtigen,  dass  jene  Semat-Leute 
nichts  anderes  waren  als  Tempelhörige,  also  nidit  ein- 
mal nothwendig  Ausländer,  abgesehen  daTon,  dass  der  Name 
Semiten  eine  ganz  moderne  Formation  der  Gelehrten  ist, 
wislohe  damit  die  Abkömmlinge  des  biblisdien  Sem  im 
Gegensatae  zu  den  Ohamiten  und  Japhetiten  bezsidmea. 


LaM^:  DU  AMoer  <»  Ae^^fUnk.  531 

Eine  Shnliche  Barre  war    durch    missverstäodliche  An* 

'wcndimg  einer  Hieroglyphe  vor  die  Erkonntniss  des  wahren 

Namens    der   Griechen    oder   Jonier')    in    ägyptischen 

Texten  gelegt  worden.    Weil  nämlich    in   dem  Namen  der 

Königin  Arsinoe  der  Vokal  %  auch   durch   das  Auge  (iri) 

▼ertreten  erscheint ,  so  glaubte  man  den  Volksnamen,    der 

sait  Auge  Hase  Adler  geschrieben  wird,  Juna  lesen  und  auf 

die  Jonier  deuten  zu  müssen.    Das  fragliche  Volk    bildet 

einen  Bestandtheil  der  grossen  vorderasiatischen  Gonfoedera- 

üon  gegen  Ramses  II,   dessen  Heldenthaten  gegen  dieselbe 

im  Papyrus  Sallier  III.  von  dem  Dichter  Pentaur  besungen 

werden   (auch   die  ägyptische  Ilias  genannt).    An  und   für 

sidi  betrachtet,    würden  ^zu   den  Joniern,   als  Bewohnern 

Kleinasiens,  die  folgenden  Völker  als  Verbündete  nicht  übel 

passen:    Die  Cheta  und  Easchkasch    (anderwärts  Kar* 

kischa,    entsprechend  den  Ghithi  und  Girgaschi  (Josue 

24,21),  die  Masa  oder  Maausa  den  Mas-Mysiern  (1  Moses 

10,20),  Ghirabu  dem  Ghalybon,  Qadesch  dem  häufigen 

Qodesch  (Heiligthum),    Luka  den  Lykiern,    Aradhu  den 

Bewohnern   von  Aradus,    die   Dardani   auch  Dandani^ 

(Dodanim?)  den  Dardanern,  Patasu  dem  Hi^ifaaog,   Qar- 

qamascha    dem    Karkemisch    (Circesium).      Ueber    die 

Akerit  oder  Aktera,  die  Qazawatana  und  die  oben  an* 

gedeuteten  Ariuna,    die  vermeintlichen  Juna,   fehlen   uns 

bis  jetzt  Anhaltspunkte  zur  Vergleichung  mit  biblischen  oder 

elassischen  Völkemamen.  —  Ich  habe  in  einem  Aufsatze  der 

^Zeitschrift  für  ägyptische  Sprache   und  Alterthumskunde'V 

nachgewiesen,   dass  die  Verwendung  der  syllabisehen  Hiero* 

glyphen  zu  Buchstaben  nur  in   der  aenigmatischen  Scbrdb* 

art  vorkommt,   dass  somit  jener  Volksname  Ariuna,  nicht 

Jena  zu  lautiren  ist.    Damit   fallen   nun   zwar   die  Jonier 


3)  Die  jonischen  Hirlenkönige Champollion's beruhten  anf  einer 
fiklsclien  Lesart  von  Goar,  dem  ersten  Herausgeber  des  Synoellos. 


532       Sttßung  der  fkilo8.-phM.  dOMH  mm  7:  D&ember  1S€7, 

hinweg;  aber  es  fragt  sich,  ob  wir  sie  nicht  unter  einer 
andern  Namcnsfonn  doch  antreffen,  die  sogar  bis  in  die 
Zeit  der  XI.  Dynastie  (2600  v.  Chr.)  zurückreicht. 

In  dem  Programme,  dessen  Abfassung  mir  für  das 
eben  abgelaufene  Schuljahr  zugefallen  war,  habe  ich,  unter 
dem  Titel  „Homer  und  Aegypten'^  die  Beziehungen  zwiscfaea 
dem  ältesten  Dichter  der  Hellenen  und  dem  Pharaonealande 
nachzuweisen  gesucht.  Wenn  ich  in  Betreff  des  Namens  der 
Jonier  und  anderer  im  Verlaufe  dieses  Aufsatzes  mich  öfter 
auf  diese  meine  Untersuchung  berufe,  so  wird  man  mir  diess 
nicht  als  den  Versuch  einer  Redame  für  ein  Buch  miss- 
deuten. Denn  das  gedachte  Programm  ist  nur  in  der  bei 
den  Anstalten  üblichen  Auflage  erschienen,  dem  eigentlichea 
Büchermarhte'  also  von  vornherein  entzogen.  Aber  gerade 
dieser  Umstand  möchte  es  rechtfertigen,  dass  das  grössere 
Publikum,  welches  sonst  nicht  leicht  damit  bekannt  werden 
dürfte,  mit  Hülfe  der  wissenschaftlichen  Sitzungsberichte  der 
kgl.  Akademie  auf  die  Resultate  der  neuesten  Forschungen 
aufmerksam  gemacht  wird. 

Unter  dem  vorletzten  Könige  der  XI.  Dynastie:  Sanch- 
kera,  den  mir  in  meinem  „Manetho'^  sowohl  der  Turiner 
Eönigspapyrus  als  die  jüngst  entdeckten  Tafeln  von  Abydos 
und  Saqqarah  urkundlich  an  die  Hand  gaben,  erscheinen  die. 
fremdländischen  Hauneb u  (so  las  man  bisher)  als  eine  be- 
siegte Völkerschaft  zum  ersten  Male.  Von  da  an  treffen 
wir  sie  in  allen  Perioden  der  ägyptischen  Geschichte  in  feind"- 
lieber  Berührung  mit  den  Pharaonen,  bis  sie  zuletzt  darch 
Alezander  den  Grossen  und  die  Dynastie  der  Ptolemäer  als 
siegreiche  Eroberer  im  Nilthale  erscheinen  und  sich  drei 
Jahrhunderte  hindurch  behaupten.  Aus  dieser  Zeit  stammen 
die  zweisprachigen  Inschriften  von  Rosette  und  Tanis,  ans 
denen  wir  die  Gewissheit  schöpfen,  dass  jene  Hauneba 
nichts  anderes  sind  als  die  Hellenen.  Der  demotische 
Text    des  Decretes    von  Rosette  gebraucht   die  Namensfona 


Lim^i  Die^  ÄMoer  tu  Asgifpim.  533 

Uinen,  woraus  dann  das  koptiadie  Ueinin  abgeleitet  ward. 
Da  die  jüngere  Schriftart  des  Demotischen  sich  an  die  Hiero- 
glyphen anschliesst,  so  musste  die  Voraussetzung  entstehen, 
dass  Dinen  aus  Haunebu  durch  Abschleifung  sich  gebildet 
habe.  Ich  übergehe  die  verschiedenen  Versuche,  die  man 
angestellt  hat,  um  beide  Formen  mit  einander  zu  ver-* 
mittein,  und  wende  mich  sofort  zu  dem  Ergebnisse,  zu  wel- 
chem ich  in  meinem  oben  erwähnten  Programme  gekommen 
bin.  Auf  Grund  einer  alphabetischen  Litanei  an  die  Hathor 
(Venus)  zu  Denderah,  wo  der  streitige  zweite  Bestandtheil 
(nebu)  unter  den  Anlaut  v  gestellt  ist,  nahm  ich  eine  alte 
Metathesis  bei  der  Aussprache  des  Sylbenzeichens  nebu  an 
und  fand  mich  dazu  durch  das  Dinkawort  ben  (Herr)  3= 
neb  (dominus)  sowie  durch  analoge  Fälle  bestärkt.  Der  aus 
dem  Papyrus  Grey  bekannt  gewordene  Name  eines  Grabes: 
Swaßowow  zerlegt  sich,  wie  neuere  Denkmäler  beweisen, 
in  T-hy-nab-unun  „das  Hans  des  Nabunun*'  (Priesters  der 
Hathor).  Daraus  würde,  mit  Zulassung  der  Metathesis,  die 
so  häufig  sich  geltend  macht,  für  das  fragliche  Zeichen  sich 
die  Lautung  ban  oder  van  ergeben.  Die  Bedeutung  an- 
langend, so  erhielten  wir  für  Hau-yanu  „die  hinter  den 
Wassern".  Die  Vermittlung  mit  Javan,  Javones,  Jones  untere 
liegt  alsdann  keiner  weiteren  Schwierigkeit. 

Aber  wozu,  könnte  Jemand  fragend  einwerfen,  der  müh« 
same  Nachweis  eines  dassischen  Namens  mit  Hülfe  ägyp- 
tischer Texte,  zumal  das  Ergebniss  doch  noch  zweifelhaft 
genannt  werden  muss  ?  Was  letzteren  Einwand  betrifft,  so 
ersehe  ich  aus  einem  erst  unlängst  ausgegebenen  Werke: 
„Die  Chronologie  des  Manetho"  Ton  G.  F.  Unger  p.  145, 
dass  auch  ein  Anderer  unabhängig  und  vielleicht  aus  anderen 
Gründen  auf  die  'nämliche  Ansicht  in  Betreff  der  Hanvanu 
=  *Iäfov€g  gerathen  kann.  Anlangend  den  Zweck  dieses 
Nachweises,  wird  es  hoffentlich  vor  gebildeten  Lesern,  wie 
ich  sie  bei  diesen  Blättern  vorausseteei  nicht  erst  einer  Ent* 


534     Sitmmg  der  pMkn.-pkM.  Ckme  vom  7.  Dnember  1867. 

soboldigang  bedürfet!,  wenn  ich  Tersuche,  dem  Stamme  der 
Jon i er,  dem  wir  so  Vieles  verdanken,  seine  Stelle  nnter 
den  von  den  uralten  Aegyptern  gerannten  und  genannten 
Völkern  anzuweisen.  Auch  erheischt  die  neue  Fackel, 
welche  die  Pfahlbauten^)  über  die  Ureinwohner  Eoropa's 
angezündet  haben,  eine  gründlichere  Prüfung  der  ältesten 
Monumentalquellen,  die  uns  zu  Gebote  stehen. 

Mit  Uebergehung  des  Danaos  und  der  andern  zu 
Aegypten  in  Beziehung  gesetzten  Einwanderern  Griechenlands 
und  mit  Beiseitelassung  des  für  mythisch  geltenden  Zuges 
der  Argonauten  nach  Kolchis,  wende  ich  mich  gleich  zu  d& 
Frage:  Lässt  sich  in  den  vor  den  trojanischen  Krieg  fallen- 
den Zeiten  auf  einem  ägyptischen  Denkmale  ein  griechisdier 
Stamm  genügend  nadiweisen?  —  Selbstverständlich  kann 
hierauf  nicht  ein  /  mehr  oder  minder  wahrsoheinlidier  An- 
klang von  Namen ,  sondern  nur  ein  zusammenhängender 
Text  die  Antwort  geben.  Es  tri£ft  sich  für  die  allgemeine 
Orientirung  recht  günstig^  dass  das  betreffende  DenkmaP) 
dem  Meneptah  angehört,  d.  h.  jenem  Pharao,  unter  den 
man  den  Exodus  der  Kinder  Israels  anzusetzen  vielfach  be- 
rechtigt ist,  so  dass  über  den  Zeithorizont  des  geschilderten 
Ereignisses  kein  Zweifel  besteht,  wenn  auch  die  spezielle 
Chronologie  dieses  Königs  bis  jetzt  nicht  endgültig  bestimmt 
werden  kann'). 

In  einem  fiir  die  Zeitsdirift  der  Deutsch-Morgenländi- 
achen  Gesellschaft  nach  Leipzig  eingesendeten  und  jetzt  er^ 
adbienenen  Artikel  hatte   ich  schon  zu  Ostern  dieses  Jahres 


4)  Vergrl.  Herodoi.  V,  16. 

6)  Von  Lepsinsy  Brogtch  und  jetst  vollständiger  von  Dnmiehsii 
veröffentlicht  in  seinen  Histor.  Inschr.  Tai.  I — VI 

6)  Meneptah  ist  der  13.  Sohn  und  nnmittelbarer  Nachfolger  des 
Bamses  IL  Miamun  Sesottris,  von  dem  Aristoteles  PoHt  yil.9sagt: 


Lemth:  Di9  Aehiioer  m  Aggffpim.  5S5 

d»  gasse  Inschrift  analy^irt  und  übersetet;  einzelne.  Theile, 
man  Beispiele  gerade  die  fremden  Völkemamen ,  habe  ich 
memem  Programme  „Homer  und  Aegypten'*  einverleibt  Je 
wichtiger  diese  neuen  Namen  fär  die  Ethnographie  und  6e- 
gcfaidite  der  sog.  yorhietarisohen  Zeiten  mir  erscheinen  massten, 
desto  gröflsere  Vorsidit  glaubte  ich  anwenden  und  desshalb 
meine  Identifikationen  vorerst  nur  als  Verraathnngen  bieten 
zu  sollen.  Wenn  ich.  sie  hente  mit  etwas  grösserer  Zuver- 
rieht  ausspreche,  so  veranlasst  mich  dazu  der  umstand, 
dasB  unterdessen  ein  französisoher  Aegjptologe  ersten  Ranges, 
kein  Geringerer  als  Herr  Vicomte  de  Roug6^)  selbst,  in 
vollkommen  unabhängiger  Weise,  wie  ich  meinerseits,  zu 
den  nämHdien  Lesungen  und  Deutungen  jener  Völkemamen 
gekommen  ist»  Und  zwar  nicht  auf  Grund  des  lautlichen 
Anklanges,  sondern  geleitet  von  dem  Inhalte  und  Zusammen- 
hange des  Textes.  Wo  sich  Abweichungen  finden,  rühren 
sie  von  der  Verschiedenheit  der  Copien  her,  die  wir  beide 
dabei  benutzten.  De  Boug6  konnte  seine  eigne  an  Ort  und 
Stelle  gemachte  Abschrift  zu  Rathe  ziehen,  während  mir 
Diimichen's  „Historisdie  Inschriften*^  vorlagen. 

War  der  Einfall  der  Hyksdios  von  Osten  her  erfolgt, 
und  zogen  sie,  wie  später  die  Kinder  Israels,  die  man  nicht 
mehr,  wie  es  fr&her  gesdiehen  ist,  als  identisch  mit  ihnen 
ansehen  kann,  in  derselben  Richtung  nach  Asien  zurück,  so 
versetzt  uns  der  77  Golumnen  betragende  Siegesbericht  Me- 
neptah's  an  das  entgegengesetzte  Ende  des  Delta,  nämlich 
in  einen  Memphis  benachbarten  Gau  auf  dem  westlichen  Ufer 
des  Niles.  Der  Pharao  spricht  in  den  sechs  ersten  Vertikal- 
streifen von  der  Conföderation  der  feindlichen  Völker,  — 
die  wir  der  Reihe  nach  später  zu  betrachten  haben  werden  — 
von    seinem  Siege    über    dieselben    mit  Hülfe  Amon's  und 


7)  In  der  Kev^s  aroh^I.  p.  45  des  Juliheftes. 


536      SiUmng  der  phOoB.-plUM.  aa$8€  fnm  7,  Degmber  1867. 

aller  andera  Scbutzgötter,  sodann  von  der  grossen  Geüahr, 
welche  das  Land  Aegypten  bedroht  hatte,  indem  die  Invasion 
der  fremden  Eindringlinge  Schutzmassregeln  für  Memphis  nnd 
Heliopolis  nöthig  gemacht  hätte.  Die  Erwähnung  der 
letztem  Stadt  unter  der  Form  Nu-n*Tum  „Stadt  des  Tom^^ 
woher  auch,  beiläufig  bemerkt,  die  Viiriante  Nov&mfA  für 
Etham  bei  den  LXX  erklärlich  wird,  muss  auffallen,  da  der 
Angriff  von  Westen  aus  geschab.  Allein  eine  weitere  Stelle 
des  Textes  belehrt  un8(col.  19),  dass  die  Feinde  nidit  bloss 
zu  Lande  die  Gefilde  von  Eemi  (Aegypten)  betraten,  sondon 
auch  durch  den  Fluss  (atur)  in  das  Innere  zu  gelangen 
wussten.  Schon  dieser  Umstand  setzt  voraus,  dass  den  Ver* 
bündeten  Schiffe  zu  Gebote  standen,  ein  Postulat,  daa 
durch  den  weiteren  Verlauf  mehr  als  befriedigt  wird. 

(Col.7)  Die  Feinde  lassen  sich  nieder  unter  Zelten  ^)  im  An- 
gesichte der  Stadt  Pabari  auf  einem  Terrain,  das  w^en  der 
Einfalle  der  Neunvölker  schon  seit  alter  Zeit  öde  nnd  den 
Viehheerden  als  Weideplatz  überlassen  war ;  die  Bevölkerung 
hatte  sich  daraus  zur  Zeit  der  unterägyptischen  Könige 
(d.  h.  des  Hjkschoseinfalles?)  in  die  Mitte  ihrer  festen 
Plätze  zurückgezogen  und  durch  einen  Wall  abgesperrt,  aus 
Mangel  an  Soldaten  und  Mietblingen.  Aber  der  Pharao 
„Meneptah,  sitzend  auf  dem  Throne  des  Horus,  schützte 
seine  Unterthanen  mit  mächtigem  Arme;  er  entsandte  Fuss- 
truppen  und  Streitwagen  und  Kundschafter  nsudi  allen  Ridit* 
ungen,  er  der  Gepriesene  im  Munde  der  Menschen,  der 
nicht  nöthig   hat  Hunderttausende    am  Tage  der  Schlacht'^ 

Die  Kundschafter  bringen  die  Meldung,  dass  „der  nichts* 
würdige  und  verworfene  Grosse  des  Landes  Lebu  (Libjen): 
Marmeriu,  Sohn  des  Dide  sich  dem  Lande  der  Tha* 
hennu  (westlich  vom  Delta)   nähere  mit  seinen  Miethlingen 


8)  ahel  (^n({t)*  ^^  Roage*B  Gopie  bietet  dafär  Cbenna. 


Lau^:  Die  Äehk>er  in  Äegyptm.  537 

und  den  Fremdyolkern:  Schardana,  Schakalecha,  Aqai- 
wasoha,  Leka,  Tuirscha.  In  der  Lücke  des  Textes 
standen  Termnthlich  die  später  erwähnten  Maschawascha 
und  Qahaqa.  Diese  8  Völker  also  begannen  die  Feind- 
seligkeiten, nnd  dass  es  hiebei  nicht  auf  einen  vorüber- 
gehenden Raubzug,  sondern  auf  formliche  Ansiedelung  in 
A^gypten  abges^en  war,  beweist  der  Zusatz,  dass  ein  Theil 
der  Bundesgenossen,  die  Tuirsoha,  Weiber  und  Kinder  mit- 
gebracht hatten  (col.  14).  Die  Verbündeten  machten  rasche 
Fortschritte:  eine  neue  Meldung  berichtet,  dass  sie  die  West- 
grenze des  Reiches  auf  den  Gefilden  Ton  Paari  (IL  Gau 
des  Delta)  erreicht  hätten.  „Da  ward  seine  Majestät  wüthend 
wie  ein  Löwe"  gegen  seine  Grössen,  die  es  an  Wachsam- 
keit hatten  fehlen  lassen,  und  er  richtet  an  sie  die  strafen- 
den Worte :  „Vernehmet  meine  Reden  und  beobachtet,  was 
ich  euch  zu  wissen  thue,  nämlich:  Ich  bin  der  Fürst,  der 
euch  leitet  und  meine  Kurzweil  ist  aufzufinden  (die  Mittel- 
Lücke)  nm  euch  zu  erhalten,  wie  ein  Vater  seine  Kinder, 
ernährend  eure  Leiber  wie  die  von  Mastgänsen.  Aber  ihr 
erkennet  nicht  das  Gute,  das  er  euch  erweist,  erwiedert 
nicht  (seine  Sorgfalt)  1  Das  Land  wird  yerwüstet,  offen  steht 
es  dem  Angriffe  einer,  jeden  Fremdrage;  die  Neunvolker 
(Heiden)  plündern  seine  Grenzbezirke,  die  Unreinen  über- 
schreiten sie  jeden  Tag;  die  Seeräuber  (?)*)  berauben  die 
Stationen,  dringen  ein  in  die  Gefilde  von  Kemi  durch  den 
Strom  (c.  19).  Siehe  sie  yerweilen  Tage,  ja  Monate  lang 
ruhig  sitzend  darin.  So  haben  sie  erreicht  den  Berg  von 
Heseb  (sonst  auch  uta  gelesen,  und  als  weinreich  ge- 
schildert) —  und  zerstreuen  sich  auf  dem  Bezirke  von 
Toahe  (Heptanomis);  wohl  nie  hat  man  aber  solches,  seit 
es  Könige  des  Oberlandes  gibt,  in  den  Annalen  der  anderen 


9)  Leider  in  einer  Lücke  des  Textes  yenobwnnden  1 


>36       SiUfung  dtr  phOoti-phaol.  OMte  vom  7.  Degember  1867. 

Zeiten  gekannt:  sie  kriechen  wie  die  Sehlangen,  nicht  gibt 
es,  die  mehr  in  ihren  Bauch  thun;  sie  begehren  nach  Tod 
(Mord),  hassend  das  Leben;  ihre  Verwegenheit  ist  höher 
als  das  Firmament.  Ihr  Grosser  beschäftigt  sie  mit  Ver- 
wüstung des  Landes,  indem  sie  kämpfen,  um  ihren  Bauch 
zu  füllen  alfezeit.  Sie  ziehen  wider  das  Land  Eemi,  um  za 
suchen  den  Unterhalt  ihrer  Mäuler;  ihre  Herzen  yerkngen 
nach  meinen  Tributen,  wie  ein  Netz  nadi  Fischen«  Ihr 
Grosser  (Führer)  b^immt  sich  wie  ein  Hund  {wcnMoau^ 
onomatopoetisch  ^^) ,  ein  verwünschtes  IndiTiduum,  ohne 
Herz." 

Der  König  rühmt  sich  sodann  seiner  Wohlthaten  gegen 
das  Volk  der  Wüste  (Petischu),  das  er  habe  Getreide  holen 
lassen  auf  Schiffen  „um  zu  beleben  dieses  Land  Chet  •  ." 
—  vielleicht  Scete  bei  den  Natronseen.  Der  Zusammen- 
hang dieser  Stelle  mit  dem  Vorhergehenden  ist  leider  durch 
mehrere  Lücken  unterbrochen. 

Von  hier  an  (col.  24)  spricht  der  König  sein  Wertnam 
aus  auf  den  Beistand  Amon's  in  Theben,  und  die  Drohoog, 
dass  er  die  Maschawascha  and  Tha^mahu  (Vertreter  der 
libyschen  oder  weissen  Menschenrage)  heimsuchen  und  züch- 
tigen werde,  sowie  die  Lebu:  „indem  seine  Soldaten  aas- 
ziehen  wider  die  Feinde,  ist  die  Hand  des  Gottes  mit  ihnen, 
Amon-Ra  als  ihr  Schild.  Und  er  sprach  zum  Lande  Kemi: 
Haltet  euch  bereit  auszuziehen  in  14  Tagen  1  Siehe,  da 
schaute  Seine  Majestät  ein  Traumgesicht  im  Schlafe,  wie 
wenn  ein  Bild^^)    des  Ptah  stünde   am  Lager  des  Pharao 


10)  In  Düinichenfl  Zeiohnunip  col  23  ein  Schakal,  aber  bei 
Brugsch  und  nach  DeKoug^  ein  deatlicher  Hund  Ton  der  Art,  wie 
die  wau-waa,  denen  Anepu  sein  der  Fran  Patiphra  in  allem 
gleichendes  Weib  wegen  Verläumdang  seines  Bruders  Batu,  eixies 
Seitenstücks  zum  Joseph,  vorwarf  (Roman  der  „zwei  Brüder'S). 

11)  De  Roog^  übersetzt  hier:   ,,coflii»e'  m  le  (filtft)  vnique  de 


LauHh:  Die  Aekiver  in  AegppUn,  5A9 

mit  Leben  Heil  und  Kraft.  Es  schien  za  erheben  seine 
Stimme  und  zu  ihm  zu  sprechen:  „Ol  beendige  das  Zau-^ 
deml'^  und  ihm  die  Siegeswaffe  reichend:  „Du  beseitige  die 
Unentscblossenheit  aus  dirl''  Da  erwachte  der  Pharao  mit 
Leben,  Heil  und  Kraft  und  sofort  entsendete  er  seine  Fuss- 
truppen  und  Wagenstreiter,  Tor  denen  Niemand  sieb  halten 
kann,  auf  den  Weg  ausserhalb  Paari.  Alsdann  wurde  der 
niederträchtige  Grosse  der  Lebu-  handgemein  mit  ihnen: 
diese  Begegnung  fand  statt  am  1.  Epiphi  früh  Morgens  (das 
Jabr  ist  in  einer  Lücke  verschwunden).  Mit  den  Soldaten 
und  Wiigenkämpfern  Seiner  Majestät  war  Amon-Ra,  Nubti 
(Baal)  reichte  ihnen  die  Hand.  Daher  wälzten  sich  die 
Feinde  bald  in  ihrem  eigenen  Blute ;  keiner  blieb  übrig  von 
ihnen;  die  Bogenschützen  Seiner  Majestät  verbrachten  sechs 
Stunden  im  Kampfe  mit  ihnen ;  dann  wurden  sie  (die  Feinde) 
der  Schneide  des  Schwertes   überantwortet. 

Während  nun  die  Fremdvölker  so  bekämpft  wurden, 
siehe  1  da  erschrack  der  niederträchtige  Grosse  von  Lebu, 
sein  Herz  ward  muthlos.  Siehe  1  er  wandte  sich  zu  eiliger 
Flucht  mit  Hinterlassung  seiner  Sandalen,  seines  Bogens, 
seiner  Köcher  (aspatha  =  nieitfti),  kurz  alles  dessen,  was 
er  bei  sich  gehabt,  in  dem  Wunsche,  seine  Glieder  zu  be- 
schleunigen. Grosser  Schrecken  durchbebte  seine  Glieder. 
Er  verlor  all  seinen  Besitz  an  Spangen  (n^nudcUha  = 
nUniEO  ^^))'  Silber  und  Gold ,  seine  Gefässe  aus  Metall,  den 
Schmuck  seines  Weibes,  seine  Bogen,  seine  Waffen,  kurz 
Alles,    was    er    mit  sich  geführt  hatte.     Diese  Gegenstände 


Ptah  Be  tenait  debout  und  bemerkt  in  der  Note,  dass  na  „nn,  om- 
qne"  anoh  dard  bedeuten  könnte.  Aber  es  folgt  auf  na  ein  tut 
und  dies  bedeutet  sicher  ,3Hd*'. 

12)  GeseniuB  bemerkt    bei   diesem  Worte  eigens,   dass   es  trani- 
ponirt   sei  aus  nllJJJfJp  von  der  Wurzel  uj;  (chald.)  binden. 


540       SiUung  der  phüoe.-philoL  Ckuae  vom  7.  Dezember  1867. 

wurden  zu  dem  Palaste  gebracht,  um  aufgeführt  zn  werden 
mit  den  Gefangenen.  Unterdessen  war  der  niedertrachtige 
Hänpthng  der  Leba  auf  eiliger  Flucht  in  sein  Land.  Und 
das  Verzeichniss  der  Feinde,  so  getödtet  wurden  durch  die 
Schläge  der  Schneide,  ward  überreicht  den  Offizieren,  welche 
auf  den  Streitwägen  Seiner  Majestät  sich  befanden,  und  nach 
ihnen  das  Verzeichniss  der  lebend  Gefangenen.  Gross  war 
die  Zahl  der  Feinde  gewesen:  man  hatte  Nichts  Solches  ge- 
sehen zur  Zeit  der  Könige  Unterägyptens,  als  dieses  Land 
in  der  Feinde  Gewalt  war  und  das  Unglück  so  lange  fort- 
dauerte, als  die  Könige  Oberägyptens  nicht  die  Kraft  be- 
sassen,  sie  auszutreiben'^ 

Herr  Vicomte  de  Koug6  sieht  in  letzterer  Stelle  eine 
Anspielung  auf  den  Einfall  und  die  Herrschaft  der  Hyk- 
schös  —  gerade  wie  ich  es  ebenfalls  in  meinem  Aufsatze  zu 
Ostern  gethan ;  eine  um  so  merkwürdigere  Uehereinstimmung, 
als  die  betre£fende  Columne  sehr  lückenhaft  ist.  Der  Text 
fahrt  fort:  „Das  habe  ich  gethan  aus  Liebe  zu  den  Be- 
wohnern, um  zu  schützen  Kemi  als  Herr  des  Landes,  um 
zu  retten  die  Tempel  des  Deltagebietes.  Darauf  sprachen 
die  Leute  der  westlichen  Stationen  in  einer  Botschaft  zu 
dem  Palaste  des  Auserwählten  mit  Leben,  Heil  und  Krafl 
mit  den  Worten:  „Sintemal  der  gestürzte  Maurmerin 
flüchtig  gegangen  in  Person  und  seine  Wenigkeit  entronnen 
ist  den  Menschen  mit  Begünstigung  der  Nacht  auf  abge- 
legenen Wegen,  verfolgt  von  jedem  Gotte  in  Kemi  —  die 
Prahlereien,  so  er  geäussert,  in  Nichts  zerstieben,  und  alle 
Worte  seines  Mundes  zurückfallen  auf  sein  eigenes  Haupt; 
da  man  nicht  kennt  die  Art  seines  Todes:  so  überlasse 
ihn  seinem  Schicksale;  sollte  er  noch  leben,  so  wird  er  sich 
nicht  wieder  aufrichten:  er  ist  gestürzt,  ein  Spott  seiner 
Soldaten.  Du  aber,  o  König,  bist  es,  der  uns  mitgenommen, 
um  zu  vollbringen  die  Tödtung  der  Feinde  im  Lande  der 
Thamahu.    Setzen  die  Lebu  einen  andern  an  seinen  Platz 


Lmdk:  Die  Jchiver  in  AegypUn,  541 

• 

Ton  Beinea  Verwandten  (Brüdern),  welche  beim  Kampfe 
waren,  so  sieht  er  gebroohen  die  Grossen  wie  die  Kleinen/' 

^yAJsdann  brachten  die  Hfilfstmppen ,  die  Soldaten  nnd 
Wagenkämpfer,  die  Veteranen  alle  des  Heeres  und  die  Jang- 
mannscbaft  (Naruna  =  T)")^))  gefesselte  Feinde  Tor  sich 
her;  Lasten  von  unbeschnittenen^')  Phallen  der  Lebu  und 
abgehauenen  Händen  aller  Fremdyölker,  die  mit  ihnen  gewesen 
waren ,  in  Häuten  auf  Brettern ,  endlich  allerlei  Beute ,  die 
man  genommen  aus  ihrem  Lande. 

Alsdann  ward  das  ganze  Land  Aegypten  fluQubelnd  bis 
zum  Himmel;  die  Flecken  und  die  Städte  waren  in  Wonne 
über  jene  Wuuderthaten.  Die  Flüsse  führten  Festfeiemde. 
Alles  ward  vor  den  Balkon  gebracht^  auf  dass  schauete  Seine 
Majestät  die  Ergebnisse  seines  Sieges:  das  Verzeichniss  der 
' Gefangenen,  herbeigeführt  aus  diesem  Lande  der  Lebu  und 
den  übrigen  Fremdvölkem,  sowie  der  Beute  zu  dem  „Neuen 
Hanse*^  des  Pharao  Meneptah,  des  Ueber wältigers  der  Tha- 
hennu,  welchesr  in  Paari/' 

Von  ool.  50  an,  die  jetzt  folgt,  bis  zu  col.  62  erscheinen 
die  detaillirten  Angaben  über  die  Verluste  der  Feinde.  Vor 
allen  werden  die  Phallen  von  sedis  Individuen  aufgeführt, 
die  „Söhne  der  mit  dem  Lebufürsten  verbündeten  Häupt- 
linge^' genannt  werden.  Dann  getödtete  Lebu,  deren  Phallen 
eingeliefert  wurden:  6359:  Zusammen  (6365)*^ 

Die  Zahl  der  getödteten  Scharda(i)na,  Schakalscha, 
Aqaiwascha  „von  den  Gegenden  des  Meeres'*  ist  nicht  ganz 


18)  Der  Aasdraok  ist  zweifelhaft;  de  Rouge  übersetzt:  „dresses 
en  cames^  wohl  desshalb,  weil  ihn  das  offenbar  nnftgyptische  Wort 
qarenatha  an  np.  <^oi™v  mahnte  —  sollte  es  aber  nicht  erlaubt 
■eiD,  an  ^*i]t  unrein,   anbeschnitten  zu  denken,    da  l  auch  in  q;;^d 

=  sanofaem  locustae  ein  aegypt.  n  vertritt,   und  das  y  h&nfig  far 
•fikuitende  Gutturale  steht? 

[1867.  n.  4.]  36 


b*2     SüMung  der  pM«.«i»Mol;  €ilMe  wm  7.  Jkgember  1867. 


• 


erhalten;  nur  die  der  Sdiakalscha :  222  ist  yorhanden  Ait 
dem  Beifdgen:  Betrag  an  Händen:  260.  Von  den  Taireoba 
fielen  742,  Betrag  an  Händen: -790.  Die  nädute  Samme 
•111  seheint  sich  anf  die  Mascha wascha  zu  beaidien. 

Man  sieht  ans  diesen  Verltisteh,  dass  die  Schlacht  bei  Paari 
(Uö^ighei  Steph.  ?)  eine  mörderische  gewesen  sein  mnss.  Die  ZaU 
der  lebendig  Gefangenen  steht  dasn  in  einem  gewissen  Ver- 
hältnisse: „218Lebu,  die  Weibw  des  yerworfisnen  Häuptlings 
der  Leba,  die  er  mit  sich  geführt  hatte,  lebendige  weibliehe 
Lehn  12.  Summe  der  Ge&ngenen  9376.  Waffen  und  Fahpeni 
wdche  in  den  Händen  der  gefangen  Eingeführten  waren, 
Slshwerter  der  Masdiawascha:  9111."  Es  folgt  die  ungeheire 
ZäiA  120,214,  die  sich  auf  einen  Theil  der  Beute  beiielit, 
der  in  dner  Lficke  verschwunden  ist.  „Pferde,  die  das  Eigen- 
thum  des  Fürsten  der  Lebu  und  sdner  Söhne  geweseni 
wurAsn  14  Gespanne  erbeutet.^'  Den  Schluss  des  Verzeich- 
niM^s  bilden  1314  Stück  Grossvieh,  Z^en  (zerstörte  Sunme) 
sodann  54  verschiedene  Gefasse  aus  Gold ;  an  Silber,  Kruge 
zum  Trinken  (ZaU  zerstört);  an  Erz,  Schwerter,  Doldhe, 
Kürasife  tind  Schienen^  versdiiedene  G^Äthe:  8174,  oflfonfaar 
tkH  MeeresvölkerU  angehörig. 

•,^Nachdeflft  diese  weggeräumt  waren  ^  l^e  man  Feuer 
all  &r  Iiager  und  an  das  Zelt  (qairsiatha  —  ?)  ihres 
Herrn/'  Den  Schluss  macht  die  sebmeieheUiafte  Sdbslbe- 
lobui%  ded  ägyptischen  Pharao  Menieptah:  (cNoI.  70)  „Die 
Lebu  hatten  Schlinnties  gesonnen  wider  Kemi;  aber  siehe, 
sie  sind  gestürzt;  ich  tödtete  sie  und  machte  sie  zu  einem 
Wahrzeichen.  Ich  versetzte  das  Deltagebiet  in  Sicherheit 
und  Frieden :  es  lieben  mich  die  Bewohner,  wie  ich  sie  liebe, 
inVFen  ich  ihnen  gewähre  den  LebenelMithem.  ..Es  jobdii  ihre 
filSdte  ifüf  bei  meineib  Namen,  ak  tf^  Oberen  der  HBMSt. 
Iiihtn  wird  meine  Zeit  als  eine  gUiekliche  preisen  im  Munde 
der  Geschlechter  der  Menschen,  gemäss  der  Grösse  der 
Wohlthaten,  die  ich  ihnen  erwiesen.  Und  AH  ^Mte  ist  WAhr- 


Langih:  Die  Äehiwr  in  Ae^ypUn,  543 

iMit  durchaas."  Die  fünf  letzten  Columnen  (73—77)  eai- 
halten  die  Bestätigung  des  eben  vom  Pharao  Gesagten  an 
dem  Monde  seiner  Unterthanen. 

Das  ist  weit  ausgeholt,  wird  mancher  denken,  um  die 
Anwesenheit  von  Achivem  in  Aegypten  zur  Zeit  des  Pharao 
Meneptah  wahrscheinlidi  zu  machen.  Der  billig  Urtheiloide 
wird  aber,  abgesehen  von  dem  sonstigen  Interesse  des  In- 
lialtes  der  historisdien  Inschrift,  anerkennen,  dass  ohne  emen 
solchen  Znsammenhang  der  Beweis  für  meine  neue^^)  Thesis 
völlig  in  der  Luft  schweben  würde.  Was  die  Uebersetzang 
anbelangt,  so  möchte  der  Umstand,  dass  zu  gleicher  Zeit 
avei  Aegyptologen,  einer  zu  München,  der  andere  in  Paris, 
unabhängig  den  nämlichen  Text  auf  gleiche  Art  anfgefasst 
haben,  jener  noch  immer  bestehenden  Zweifelsacht  endlich 
den  letzten  Stoss  versetzen.  Mit  denjenigen,  die  sogar  die 
Richtigkeit  der  gelesenen  Völkemamen  bezweifehi,  will  idi 
mich  nicht  aufhalten;  sie  haben  es  ihrer  eigenen  Bequem- 
lichkeit zuzuschreiben,  wenn  sie  über  die  Elemente  einer  der 
wichtigsten  Entdeckungen  unseres  Jahrhunderts  auch  jetzt 
noch  in  Unkenntniss  verharren,  wo  die  gesteigerten  Hül£s- 
mittel  es  jedem  Wollenden  ermöglidien,  sich  in  einem  halben 


14)  Ib  der  bekannten  Stelle  von  Platen't  Timäns,  wo  Eritias  das 
Oteprich  des  Solen  mt  „dem  Enndigaten  der  Sgyptischen  Priester- 
i^iaft*'  erzählt,  ist  gesagt:  otf«  ^k  jj  nttq*  v/uti^  ij  tß^s^.  .  •  •  *€tlot^ 
9  fUya  yiyoyey,  näyxa  yByqagAiiira  ix  naXaiov  rJcT  itnly  iv  xoVc  If^otg 
xai  ütütüCfAiya.  Das  T^&t  bezieht  sich  auf  £äi(,  in  dessen  Nachbar- 
Bchaft  Paali  (Paali,  U^Ak?)  und  der  Neubau  des  Meneptah  lagen,  wo  also 
der  erwiesenermassen  wiederholte  Text  ebenfalls  angebracht  sein  konnte. 
Nimmt  man  soek  die  weitere  Sage  fiber  die  Atlantis,  über  die  Inva- 
sion Aifivtig  und  Evqiantis  f^Xi^  Tv^^tp^iaf  hinzu,  besonders:  ttoM« 
fUy  ovy  vfi&y  xai  fAiyäXa  (f^ya  r^f  noXiOK  (Athens)  T^cfc  ysy^ftfiitw 
^vfiäCirai  —  so  wird  man  geneigt  sein,  darin  geradezu  eine  Bestät- 
igung unserer  Inschrift  und  der  Anwesenheit  der  Achiy  er  in  Aegypten 
an  erblicken.  Herr  GoUega  Christ  hatte  die  Güte,  nich  auf  diese 
auch  sonst  merkwürdige  Stelle  aufimerksam  zu  machen. 

86* 


544     SitMung  der  phüos.-phüol  Chstte  vom  7.  Dezember  1867. 

Tage  von  der  Sicherheit  des  ägyptischen  Alphabets  zu  über- 
zeugen. Mögen  sie  also  sich  nicht  mehr  hinter  der  Maske 
der  kritischen  Zweifels  verstecken  dürfen! 

Ich  habe 'mit  H.  Vicomte  de  Rouge  die  gleiche  Ansicht 
in  Betreff  der  vier  Vöikeinamen  Tnirscha,  Schakalscha, 
Schardaina  und  Aqaiwascha^^)  ausgesprochen,  dass  sie 
nämlich  den  klassischen  Turs kern  (Tyrrheuem),  Sikelern, 
Sardiniern  und  Achivern  entsprechen.  Die  Mascha- 
wascha  hatte  schon  Brugsch  mit  den  ilfef^v^g'Herodots, 
einer  libyschen  Völkerschail,  verglichen.  Oeber  die  Qahaqa 
haben  wir  noch  keine  Anhaltspunkte  in  den  Klassikern 
gefunden;  es  müsste  denn  allenfalls  der  Name  KijvS,  den 
ein  König  von  Trachin  in  Thessalien  und  später  mancher 
Sclave  in  Rom  geführt,  hieher  zu  ziehen  sein  oder  Gaictis 
(Verg.)?  Oder  vielleicht  Herodots  (IV,  19S)Zai;iyir«>?  Wenn 
ich  bei  denLuka  diesmal  an  dieLucanier  (bosLucae)  oder 
an  die  Ligurier  (Ligys)  dachte,  während  de  Rouge  sagt: 
„nom  qui  designe  probablement  lesLyciens"  —  so  ist  die 
Entscheidung  über  diese  Frage  noch  offen;  die  Luka  Asiens 
habe  ich  ebenfalls  mit  den  Lyciern  identificirt. 

Es  ist  nicht  der  äusserliche  Anklang  dieser  Völkemamen, 
welcher  uns  zu  den  betreffenden  Gleichstellungen  bestimmt 
hat,  sondern  der  innere  Zusammenhang  des  Textes,  der  den 
Schardana,  Schakalscha  und  Aqaiwascha  wörtlich  die 
Herkunft  von  den  Gegenden  des  Meeres  zuschreibt.  Für 
die  ersteren  wusste  man  aus  andern  Texten  bereits,  dass 
sie  mit  Inseln  des  grossen  Beckens  d.  h.  des  Mittel- 
meeres in  Beziehung  stehen  und  darum  hat  auch  H.  Chabas 
in  seiner  meisterhaften  Arbeit  über  den  Papyrus  Anastasi  I 
die  Schardana  mit  den  Sardiniern  identifizirt.  Abgesehen 
davon,    dass  unser  Text  auch   die  Varianten  Schardina  und 


16)  In  meinem  Anfsaize  der  Z.  d.  DMQ  habe  ich  dabei  auch  an 
Aequus  erinnert. 


Lauth:  DU  AMi9€r  m  Aegypien.  646 

Sohardaina  liefert,  stimmt  Schardana  zu  dem  homerischen  Oaf* 
idviov  und  zu  yvyQ}.  Sollte  man  in  Betreff  der  beiden  andern 
das  kritisch  sein  sollende  Bedenken  vorbringen,  dass  in  2t9tel6q 
nnd  *A%cuj!6q  die  Endung  og  nicht  znm  Stamme  gehören 
könne,  so  erinnere  ich  an  den  sichern  Namen  Ntari wusch 
=  Ja^tog,  wo  das  grichische  og  ebenfalls  einer  wurzel« 
haften  Stammsylbe  entspricht.  Das  Digamma  in  'Jx^tfog 
anlangend,  so  wird  es  schon  durch  die  lateinische  Form 
Achivus  verbärgt. 

Endlich  dürfte  selbst  der  Accent  dieser  beider  Völker- 
namen einen  Fingerzeig  enthalten,  dass  die  Endsylbe  als 
Stamm  mit  eigener  Bedeutung  gefasst  wurde  —  und  die 
ägyptische  Schreibung  beweist  jetzt,  dass  in  älterer  Zeit  diese 
Endung  wie  osch  d.  h.  mit  der  Geltung  des  dorischen 
aav^^)  (schin)  ausgesprochen  wurde. 

Was  ferner  den  Umstand  betrifft,  dass  dieAqaiwascha 
von  den  Gegenden  des  Meeres  herkamen,  so  lässt  sich  diess 
ebensowohl  auf  eine  Insel,  als  auf  ein  Küstenland  beziehen: 
die  Bezeichnung  Peloponnesus,  die  „Pelops-Insel",  die  Lage 
der  Landschaft  Achaja  am  korinthischen  Meerbusen,  die 
Anwesenheit  von  Achajern  auf  Ithaka,  wie  an  der  gegen* 
überliegenden  Küste,  endlich  die  Ausdehnung  der  Benennung 
Achaja  auf  ganz  Griechenland  unter  der  römischen  HeiT- 
schaft  —  alle  diese  Einzelheiten,  auch  von  Homer's  Gebrauch 
der  'JxMfoi  abgesehen,  führen  auf  den  Schluss,  dass  Aqai- 
wascha  ein  uralter  Name  für  einen  zahlreichen  hellenischen 
Stamm  gewesen.  Während  aber  Javan  und  Danaos  sich  aus 
dem  Aegyptischen  ohne  Zwang,  sogar  mit  einer  gewissen 
Nothwendigkeit  als   „die  hinter  den  Wassern^'  und  als  „die 


16)  H.  de  Roiig6  brauchte  die  Belehrung  über  deu  „Bon  ohuin- 
tanV*  des  dorischen  ^ay  nicht  erst  aus  Lenonnants  Preiswerk  su 
entnehmen;  das  Wesentlichste  darüber  steht  schon  in  meinem  Üni- 
versal-Alphabete  p.  67  vom  Jahre  1865. 


646     SWmng  der  fhHoa^-phiM.  (Xam  v&m  7.  Detember  1867. 

Audänder  (tanau)*'  erklären,  widersteht  der  Name  Aqai- 
wascha  einer  Herleitung  aus  dem  Aegyptiscben.  Wir  haben 
daher  die  Etjrmologie  dieses  Namens  auf  griechisdiem  Boden 
selbst  ztt  suchen.  Hier  bietet  sich  der  Stamm  €dy$al6^^^) 
Compos.  von  aXg  (die  Salzfluth)  mit  der  Bedeutung  „Ufer,  Käste*^ 
ziemlich  ungezwungen  dar,  und  da  es  nach  HerOdot  (VUI, 
94)  BsXaoyol  cdyiaXäeg  gab,  so  wäi^  ihre  Verwandtschaft 
mit  den  Achäem  wahrscheinlich  gemacht  und  wir  bekämen 
für  beide  die  Gesammtbedeutung  „Eüstenbewohner^^ 

Vielleicht  verhilft  uns  diese,  allenfalls  pelasgisch  zu 
nennende  Wortformung  zu  einer  befriedigenderen  Etymologie 
des  bisher  so  räthselhaft  gebliebenen  Namens  der  Pelasger 
selbst.  Man  hat  sie  in  der  Pulista  der  ägyptischen  Texte 
finden  wollen.  Allein  diese  entsprechen  denn  doch  eher  den 
Philistern  (0vXiaTe{fi)^  und  der  angenommene  Wechsel 
zwischen  t  und  g  (T,  r),  wenn  er  auch  paläographisch  leicht 
zu  erklären  wäre,  ist  sonst  durch  Nichts  belegt.  Auch  hat 
der  Pulista  (Brugsch  Oeorgr.  II  Taf.  XI,  26)  eine  Kopf- 
bedeckung (Federkrone),  die  nur  bei  semitischen  Stämmen 
getroffen  wird.  Es  sieht  Pelasgos  doch  ziemlich  griechisch 
^us  und  wenn  wir  auch  die  Spielerei  der  Alten,  welche  den 
Namen  dieses  Volksstammes  wegen  seiner  Züge  in  die  Feme 
mit  neXa((Yoi  „die  Störche'*  (schwarz-weiss)  zusammenbrachte, 
nicht  weiter  beachten,  so  drängt  sich  doch  pelas  „nahe" 
mit  fast  unabweisbarer  Nothwendigkeit  auf.  Die  neuere  Zeit 
bietet  ein  Volk,  dessen  Namen  auf  den  nämlichen  Stamm 
zurückgeht:  die  Preussen.  Sie  sind  nicht,  wie  man  wegen 
des  lateinischen  Borussia  gemeint  hat,  die  an  Russland 
grenzenden  oder  unter  Bussland  stehenden,  wie  Pomerania 
von  po  und  mor  „am  Meere'*  vgl.  des  celtische  Armorica  — 


17)  Herr  CoUegs  Christ  denkt  an  sanskrit  ighsvy«,  „Streit^ 
Kampfruf'^ 


(XaiHft:  Du  ÄOmer  •»  4^iS»«i|i.  H7 

SBd  Morea,  den  slar.  Namen  des  Pelopomieees  —  sondieninaob 
unseres  gründlichen  und  nach  seinem  Tode  bfBsasr  anei'kaim- 
toi  Landsmannes  Zeuss  Ansicht  von  de|n  sl&yischen  pi^us  (ygl. 
plesion)  ^ider  Nachbar'^  abzuleiten.  Aehnlich  mögen  die 
PrsDSsen  des  Alterthums,  nämlidi  die  Pelasger,  ihren 
tarnen  von  der  Nachbarschaft  am  Lande  der  Achiver  er- 
halten haben  und  die  Lautverhindung  (^  eben  joner  breiten 
Aussprache  des  aäv  als  Ueberbleibsel  zu  danken  sein. 

Dem  sei  indess,  wie  da  wolle:  wie  ich  in  meinem  Pror 
gramme  ,,Homer  und  Aegypten'^  weder  die  Phaeaken  noch 
ihr  Land  (nicht  Insel)  Scheria  (px^Q^g  =  K^^^ii  X^^^ 
trodsen)  mythisch  gefunden,  sondern  in  Epirus,  dem  Festlande 
^iM^'  ^^oxffv  mit  Bezug  auf  das  platanenbiattförmjg  gespalten,« 
peloponnesische  Griechenland,  wieder  getr^en  habe,  so  sind 
mir  die  Pelasger  kein  mythischer  ^ame,  sondern  ein  wesen- 
haftes, den  Hellenen  benachbartes,  und  vielleicht  fiir  ihre 
Sprache  und  (Jultur  vorstufiges  Volk,  dessen  Existenz  nicht 
später  als  die  der  nunmehr  monumental  erwiesenen  Aqai- 
wascha  zu  setzen  ist. 

Hr.  de  Rouge  bemerkt  zu  col.  60,  dass  die  letzten  17 
Coljimnen  ihm  an  Ort  und  Stelle  wie  eine  Restaumtion  aus 
späterer  Zeit  erschienen  seien,  woraus  sich  die  leeren  Stellen 
erklären  würden.  Sicherer  ist,  und  aus  Dümicheu's  pl.  I  A 
mit  fünf  oben  nicht  zerstörten  Columnea^Bfängen,  die  den  coU. 
37 — 41  entsprechen,  ersichtlich,  dass  ein  Duplicat  des  Textes 
in  Karnak  selbst  existirt  hat.  Ja  ein  Dichter  jener  Zeit  but  uns 
im  Papyrus  Anastasi  U  pag.  3,  4  unter  andern  die  Veree 
geliefert:  „Die  Lebu  stürzen  von  seinem  Schlaget  sie  werden 
getödtet  von  seiner  Schneide.'*  pag.  5,  2:  Die  Schardaa» 
führst  du  her  durch  dein  Sdiladitschwert  ^  es  züchtigt  sie 
das  Volk  der  Mahautu  (Beduinen,  ähnlich  den  Gensdarmen 
Mazaiu  lin.  2  und  den  Naruna  (Becruten)  des  Textes)  -— 
4iGf^r  effreuliqh  ist  dein  If.on^jQaen  nac^i  Thebeii  -^  trjHflpir 
phirend  wird  dein  Wagen  gebogen  von  Hlnden  -r^  die  Häuptr 


548     SiUung  der  phüos.'pMol,  Clasae  wm  9.  Desember  1867. 

linge  wandeln  gefesselt  vor  dir  her  -^  du  führest  sie  vor 
deinem  Vater  Amon/' 

Ist  es  nun  zaiallig)  dass  Herr  Vic.  de  Rouge  in  seinem 
Artikel  auf  diese  nämliche  poetische  Production  verfallen  ist, 
wie  ich  in  meinem  zu  Ostern  nach  Leipzig  eingesendeten 
Aufsatze,  worin  ich  noch  ein  weiteres  Duplicat  (Pap.  Anast.IV,5) 
aufgezeigt  habe,  zum  Beweise,  dass  der  zu  Theben  ange- 
schriebene Sieg  des  Meneptah  über  die  Libyer  und  die  mit 
ihnen  verbündeten  Schardana,  Schakalscha,  Tuirscha,  Aqai- 
wascha,  Maschawascha ,  Leku  und  Qahaqa  von  den  Zeitge- 
nossen anerkannt  und  dichterisch  besungen  wurde. 

Wie  ?  wird  Mancher  denken,  konnte  man  hieroglyphisch 
oder  hieratisch ^^)  dichten?!  Unglaublich!  und  doch  verhält 
es  sich  so.  Je  zwei  ilurch  rothe  Punkte  in  dem  Papyrus 
unterschiedene  Halbverse  bilden  einen  Gedanken  und  da  der 
Hexameter,  ohnehin  durch  die  Hauptcäsur  in  zwei  Stücke 
zerfallend ,  in  alten  Schriften  wirklich-  zweitheilig  getroffen 
wird,  so  wäre  am  Ende  auch  diese  Blüthe  der  klassischen 
Sprache  aus  ägyptischem  Boden  erwachsen  ?  Dieser  Gedanke 
läbst  sich  nicht  gerade  desshalb  abweisen,  weil  man  bisher 
noch  nicht  darauf  verfallen  war. 

Die  oben  dargelegte  Inschrift  des  Meneptah  wird  auch 
noch  in  anderer  Beziehung,  abgesehen  von  der  Gleichung 
Aqaiwascha  =  Uxccifög ^^^)  von  hoher  Wichtigkeit  als 
geschichtlicherHintergrund  des  trojanischenKrieges. 
So  z.B.  für  den  bekannten  Schiffskatalog  derllias  (B494 
sqq.)  Es  ist  nicht  zufallig,  dass  die  Reihe  durch  die 
Boeoter  eröfinet  wird;  denn  es  heisst  v.  496: 


18)  Mit  Namen  „qoae  venu  dioere  non  est^'.  (Horat.) 

19)  Die  in  der  Inschrift  des  Meneptah  aufgeführten  B  e  i  nt  ohienen 
gehören  vemmthlich  zu  den  Aqaiwascha  und  bestätigen  anfs  Schönste 
Homers  tvxyiqfii^ag  jij[€novg.  Kommt  einmal  eine  bildliche  Dar- 
stellung saTage,  so  darf  man  sicher  sein,  auch  seine  «a^v  xoft4^ 
tayjag  und  /ftAxo/^roii^ap  illustiirt  zu  sehen. 


Lauth:  Die  Achiter  in  Äegypten.  549 

oV  '9'^'  Yfifjv  iväfMvto  xal  ÄvkCia  netqi/J€(KSav.  In  Aalis 
war  aber  der  Sammelplatz  aller  Schiffe  und  von  da  lief 
die  vereinigte  Flotte  zu  ihrem  Unternehmen  ans.  Die  fünfzig 
Schiffe  der  Boeoter  mit  je  120  Mann  (also  im  Ganzen  6000) 
scheinen  sogar  einem  authenthischen  Verzeichnisse  entnommen 
zu  sein^  welches  zu  Aulis  vor  Antritt  der  Fahrt  alle  Schiffe 
nmfasste.  Die  Zahl  6000  stimmt  zu  den  analogen  Ziffern 
der  Cöntingente  der  libyschen  Cbnföderation  und  ihre  spe« 
zielle  Angabe  gerade'^)  bei  den  Boeotern  und  bei  Achil* ' 
leus  (II,  168—170:50X50)  dürfte  ebenfalls  auf  Aulis  als 
die  Quelle  des  Katalogs  hinweisen.  Daher  die  Ueberschriflb : 
BouAw€ia  'q  xatdloyog  vscSv,  Die  zunächst  folgenden  Völker- 
Stämme:  Orchomenier,  Phoker,  Lokrer,  Euböer  etc.'^) 
bestätigen  diese  Annahme ,  dass  Aulis,  wie  der  Ausgangs- 
punkt für  die  Fahrt  nach  Troja,  so  auch  der  Ursprung  des 
Schiffskatalogs  gewesen. 

Noch  eine  andere  Erwägung  dürfte  gerade  die  später 
wegen  Zurückbleibens  in  der  Cultur  so  oft  bespöttelten  Boe- 
oter als  Urheber  dieses  Verzeichnisses  empfehlen.  Es  ist 
bekannt  und  ausgemacht,  dass  die  Griechen  ihre  Buchstaben 
Y^/Aficcra  q>oivuiijia  und  xad/itj'ia  (Herodot.)  auch  ytoivixut, 
jpoivfxAxa,  wegen  der  durch  den  Phöniker  Kadmus  geschehenen 
Uebermittelung  genannt  haben.  Auch  zeugt  die  Paläographie 
selbst  für  diese  Thatsache.  Wenn  bisweilen  die  Benennung 
Yfäfiiuxta  neXaa/taM  vorkommt,  so  steht  diess  im  schönsten 


20)  Auch  bei  den  sieben  Schiffen  des  Phüoklet  v.  719,  wo  je  50 
iqixui  zugleich  als  Bogenschützen  erwähnt  sind.  Thnoydid.  I,  10. 

21)  Wem  die  öfter  (zehnmal)  vorkommende  Zahl  40  wegen  der 
biblischen  nnd  arabischen  arbainat  (40)  verdächtig  ist,  der  bedenke, 
dass  die  1166  Schiffe,  durch  die  29  Stämme  dividirt,  gerade  die  Durch- 
sohnittssahl  40  .ergeben.  Thucydid.  I,  10  hat  1200,  was  aber  bei  dem 
dann  nothwendigen  Divisor  SO  wieder  die  Durchschnittszahl  40  blank 
ergibt.  Somit  wäre  das  gesammte  Griechenheer  etwa  60,000  Mann 
stark  anzunehmen. 


§10     Siimng  der  phHBi$.-phaol.  Otute  mm  7.  Buember  IWr. 

Binklange  mk  der  Vorstofigkeit  der  Pelaeger  in  Besag  auf 
die  Oriechen  and  mit  ihren  speziellen  Wohnsitien  in  Dodona 
und  EpiruB  (Scherie),  Wie  ich  sie  oben  wahrscheinlich  gefiin« 
den  habe. 

Eine  schöne  Entdeckung  von  Brandis'*)  über  die  sieben 
Thore  Thebens  fügt  ein  neues  Glied  in  die  Kette  der  Beweise. 
Dieser  Forsdier  hat  nämlich  mit  .siegreichen  Gründen  dar- 
gethan,  dass  die  sieben  Thore  Thebens,*')  wie  die  sieben 
Mauern  yon  Ecbatana  und  der  siebenstofiige  Baitempel  Ba« 
bylons  (Herodot  I,  98,  181),  nach  den  fünf  Planeten  mit 
Sonne  und  Mond  gebildet  und  benannt  waren.  Dadurdi 
erhält  die  Deutung  des  Namens  Kdd/iog^  yon  D'^j?.  der  Orient, 
eine  nicht  unerhebliche  Bestätigung  und  Buttmann's  Ver- 
muthung,  dass  in  der  Sage  von  Kadmus  und  Europa  (y^V, 
Abend  cf.  ^Qeßog  dunkel)  uralte  Beziehungen  zwischen  Morgen- 
und  Abendland  enthalten  sind,  wird  dadurch  wesentlich 
empfohlen. 

.  Wenn  daher  Aeschylos  in  seinem  Stücke  Sjivd  inl 
OtfßagY.  159  —  165  mit  dem  'AndXXwv  die /idxsiQ^  avaaoa 
^Oyxtt  als  Hauptschutzgötter  der  siebenthorigen  Stadt  an- 
rufen lässt,  so  erhält  diess  jetzt  einen  vollgültigen  Sinn,  seit- 
dem uns  die  ägyptischen  Denkmäler  die  beiden  Gottheiten 
Baal  und  Anuqa'^)  als  speziell  phönizische  wie  bei  (Pau- 


22)  Zeitschrift  Hermes  II,  2  1867  —  YergL  Allgemeine  Zeitung 
BeUage  Nr.  282,  9.  Oct.  1867. 

28)  Gf.  II.  J  878  U^u  nqog  teix^a  9ißnc.  Dass  die  t)yxa  U^ya 
der  Venus  (Freitag)  entspridit,  ist  um  so  sicherer,  als  die  ägyptische 
Yenos,  nämlich  Hathor,  geradezu  auch  mit-der  Annqa  idraiüficirt 
wird  (DamichenReoiieiliy,XXXyi,  12b,  uxunittelbar  hinter  An atha.) 

24)  Diese  vom  Auslande  in  das  ägyptische  Pii^theon  frnhseitig 
«nljgenommene  Göttin  bildet  als  "Mtomu^  mit  der  Xdtig  und  dem 
XiMsv^K  (Kneph,  Chnom)  die  Triade  der  Katarakten;  auf  dem  Thiar> 
kreise  Ton  Denderah  habe  ich  die  Annqa  sveimal  als  Wasserfiik« 
getroffen. 


Lau^:  Di»  ÄeMver  m  Aegnfpkm.  Ml 

Baaias)  kennen  gelehrt  haben.  Enterer  ist  sogar,  me  'A^fiMm 
htm  (n  oder  M  sem.  Artikel)  mit  dem  bestimmten  Artikdl 
▼ersehen:  Pe-Baal'^),  und  letztere  erscheint  mit  einem  eigen- 
thüffilichen  Kopfpatze,  den  man  die  Philisterkrone  genannt 
hat,  weil  die  Abbildnngen  der  ühanaaniten  sie  aufweisen. 
So  viel  tiber  den  phöni zischen  Ursprung  gewisser 
Einrichtungen  im  kadmeischen  Theben.  Da  nun  jedenfalls 
der  Zug  der  Sieben  gegen  Theben  vor  die  Troica  fällt,  so 
lässt  sidi  das  Dasein  schriftlicher'*)  Verzeichnisse,  also 
auch  die  Möglichkeit  und  Wirklichkeit  eines  geschriebenen 
Schiffskatalogs  für  diese  Zeit  recht  wohl  begreifen  —  um 
so  mehr,  als  uns  die  ägyptischen  Denkmäler  dieser  und  viel 
älterer  Zeiten  nicht  nur  Schrift  in  Ueberfülle,  sondern^  auch 
bildliche  Darstellungen  zeigen.  Besonders  will  ich  hier 
noch  der  Pnlista  mit  ihrer  Federkrone,  die  auch  die  Dan- 
auna  tragen—  und  der  Scha^dana'^)  erwähnen,  welche  seit 
Sethosis  I  als  Gefangene  oder  als  Bundesgenossen  in  pitto- 
resker Tracht  auftreten.  Es  verdient  gewiss  Beachtung,  das^ 
audi  Vicointe  de  Rouge  den  Verso  des  Papyrus  Anastasi  U, 
wie  ich  selbst  in  meinem  Aufsatze  für  die  Zeitschrift  dar 
DMG,  auf  diese  Tracht  bezieht.  Der  Text  besagt:  ^Die 
Schar dana  des  grossen  Beckens,  welche  zu  den  Gefangenen 
seiner  Majestät  gehören,  sind  geschmückt  mit  Waffen  allerlei, 
in  den  Hallen;  sie  bringen  die  Tribute  an  Getreide  und  ent^ 
laden  den  Inhalt  ihrer  Gespanne.*'  Ihr  Helm  gleicht  ein» 
Pickelhaube,  nur  dass  er  oben  zwei  lunulae  zeigt  und  in  eine 


26)  Dilmichen  Bist  Insoh.  Taf.  XXIV  ool.48;  Taf.XIX  ool  83, 
84  Bind  dem  Baal  die  Göttinen  Anatha  (JyättH:)  und  Astarika 
QämaQTfi)  beigesellt. 

26)  Der  Vers  Ilias  B,  840  iy  nv^i  &»i  fovXai  rs  y§ißoUtTo  ft^dtä 
7*  ay^^  läflBt  lieh  auch  auf  geschriebene  Beschlflsse  deuten  (?)  of. 
J  158:  älioy  nOc«,  als  Erlfinterung  hieso. 

87)  Yergl.  Brngsch  Geogr.  II,  Taf.  DL  und  X. 


562    Siitung  der  phüoi.-pMM.  Claaae  nmn  7.  Degetkber  1867. 

Scheibe  oder  Kugel,  statt  in  «eine  Spitze  endigt.  Das  Schwert 
ist  pyramidal  geformt,  der  Schild  mit  (11)  Buckeln  versehen 
und  die  Gewandung  nicht  gar  einfach,  sondern  durch  Streifen 
Linien  und  Punkte  gegliedert.  Langen  Bart  und  Locke  zeigt 
das  Bild  des  Maschawascha  {Mä^veg  Herodot  IV,  191), 
während  das  des  Tuirscha  (Thiras  DH^? , *  Tursce ,  TV^- 
Ofivot)^^)  bartlos  und  ohne  Locken  erscheint. 

Wenn  daher  von  den  euboeischen  Abantes  IL  B  542 
gesagt  ist,  sie  seien  oni^sv  xofAomvteg  gewesen,  so  findet 
dieser  Zug,  sowie  ähahche  andere,  die  sich  auf  Besonderheit 
der  Tracht  und  der  Bewaffnung  beziehen,  nunmehr  seine 
vollgültige  Erklärung  in  den  ägyptischen,  treu  porträtirenden 
Darstellungen  der  auswärtigen  Völker  und  braucht  daher 
nicht  gerade  als  ein  poetischer  Schmuck  angesehen  zu  werden. 
Liess  ja  doch  Hamilton  den  Homer  seine  Schlachtberichte 
geradezu  nach  den  ägyptischen  Darstellungen  gestalten  I 

Der  griechischen  GonfÖderation  steht  die  trojani- 
sche feindlich  gegenüber.  Es  gereicht  mir  zu  besonderer 
Oenugthuung,  auch  in  diesem  Betreffe  constatiren  zu  können, 
dass  Vicomte  de  Rouge  gleich  mir,  und  ebenso  unabhängig, 
auf  die  Gleichung  Dardani  =  Jäqdavo^^  die  von  Brugsch 
(Geogr.)  noch  ausdrücklich  verworfen  wurde,  gekommen 
ist,'*)  nicht  aber  wegen  des  verführerischen  Gleichklanges, 
sondern  gestützt  auf  die  Inschriften  und  Texte,  namentlich 
das  Gedicht  des  Pentaur  über  die  Grossthat  des  Bamscs  II 
Sesostris,  welcher  die  Cheta  und'  ihre  Verbündeten  bei 
Qadesch  besiegte.  In  dieser  grossen  vorderasiatischen  Gon- 
fÖderation erscheinen  neben  den  Dardani  auch  die  Pidasa 
(JlifJaaog),  die  Lehn  (Lykier),  die  Tekkaru««)  (Tewtifol), 

28)  Bn^soh  l.  o. 

29)  Revue  arch.  Angnst  1867. 

80)  Auch  Tekuri  gesohrieben  (Bragsoh  Geogr.  II,  Taf.  XI  Fig.  25). 
Sie  tragen  die  PhiÜBter kröne,  nnd  erweisen  sich  dadorch  als 
StammesgenoBsen  der  Pnlista  {^vltattift).    In  der  That  würde  ihr 


Lauih:  Die  Achiver  tn  Aegppten,  55$ 

4ie  Mau 8a  {Mvaoi)  ond  einige  andere,  noch  nicht  identiff- 
cirbare  oder  bieher  gehörige  Völker.  Die  Analogie  gebietet 
demnach,  auch  in  den  Versen  desllias  (B  816—877),  welche 
die  Troer  und  ihre  fremdsprachigen  (II.  B.  804)  Bundes- 
genossen behandeln,  nicht  blos  die  Möglichkeit,  sondern 
auch  die  Wirklichkeit  eines  geschichtlichen  Kernes  anzuer- 
kennen. Der  Ort,  wo  die  Troer  und  ihre  Verbündeten  sich 
aufstellten:  Bav(€$a  (ei[^ia  noXvOxaQd'fjLoio  MvQivrjg^^)  in 
der  Göttersprache)  hat  einen  durchsichtigen  Namen.  Er 
bedeutet  eine  dornichte  Höhe,  wie  J7iTtf«m  (v.  829)  eine 
mit  Fichten  bewachsene. 

Auf  die  Frage:  wie  es  komme,  dass  auch  auf  troja- 
nischer Seite  lIelaCyo£  (B  840)  ersdieinen:  dass  TevxQog 
auch  ein  griechischer  Name  ist,  dass  der  hellenischen  lEXävrj 
auf  trojischer  Seite  ein  '^Xsvog  entspricht  —  kann  hier  nicht 
eingegangen  werden.  Nur  so  viel  möchte  zu  bemerken  sein, 
dass,  sowie  uns  das  kadmeische  Theben  eine  Amalgamation 
phönikischen  und  pelasgisch  -  griechischen  Wesens  darstellt, 
so  auch  analog  Pelasger  in  Vorderasien  ihr  Larissa  {A&Qitfci 
6  841)  gründen  und  zu  den  Dardanern  in  das  Verhältniss 
Ton  Bundesgenossen  gerathen  mochten. 

Habe  ich  durch  die  bisher  ermittelten  Symptome  die 
Oeschichtlichkeit  mancher  Angaben  der  Ilias  darzuthun  ge- 
sucht, so  erhält  der  trojanische  Krieg  selbst  dadurch 
einen  historischen  Boden  von  ziemlicher  Mächtigkeit. 

Schon  die  Alten  betrachteten,  wie  Herodot  I  1 — 5  aus- 
führt, den  trojanischen  Krieg  unter  demselben  Gesichtspunkte, 


Name  regelrecht  auB  ^Di  ^^b,  uQQnv  entstehen  and  die  f,Männ  liehen'^ 
oder  „Martialischen"  bedeuten.  Diese  eigenthümliche  Kopfbedeckung 
erklärt  uns  das  ttoqvB'aioXog  l&xttoq  besser,  als  die  bisherigen  lieber- 
Mtznngen:  ,^helinbasch8chüttelnd"  und  „cri8tatu8*^ 

31)  Man  vergl.  den  Hügel  n'*1tD  Morijah  mit  dem  Salomonischen 
Tempel,  wenn  aach  nur  zu  mnemotechnischem  Zwecke. 


564     Sitaung  der  j/HUht^-pklUL  CImm  90m  7.  Jktember  1867. 

wie  den  Baub  der  Jo  durch  die  Phöniker  (Punt-Poenl^ 
Panier),  die  Entführung  der  Europe  durdi  Hellenen, 
(Kreter?)  —  vergl.  oben  Eadmus  ond  Europa  —  den  Zug 
der  Argonauten  nach  Eolchis  unter  Jason,  um  das  goldene 
Vliese  und  die  Mijieux  zu  holen;  auch  in  der  Sage  über 
9Q{iog  und  'lEXXij  scheint  eine  alte  Beziehung  zwischen  Phxy- 
giem  und  Hellenen  angedeutet  zu  sein.  Der  pragmatiairende 
Thfcydides  I  1 — 12  hebt  das  Seeräuberwesen  des  alten 
Hellas  gebührend  hervor  und  erklärt  ziemlich  nüchtern  die 
lange  Anwesenheit  der  Griechen  auf  trojanischem  Boden 
(c.  11)  unter  andern  auch  daraus,  dass  sie  sich  nf6g  x^m^ 
f£av  vqg  Xs^^ovijaov  %Qan6iAevoi  ual  3if]0t${av  nicht  mit 
aller  Gewalt  auf  die  Troer  warfen,  wesshalb  diese  ihnen  zehn 
Jahre  Widers^nd  leisten  gekcmnt.  Vergleicht  man  hiemit 
Verse  wie  II.  r  72,  93,  255  etc. 

so  fühlt  man  sich  versucht,  die  ^lävt)  selbst  als  eine  Per- 
sonification  des  Raubes  (iXsiv)  aufzufassen  und  den  Namen 
Jldfig  von  nlp  »der  Trenner"*')  zu  erklären,  wie  Hero- 
dot.  I  1  die  Phöniker  nach  persischer  Quelle  als  %^g  iitt- 
fOQfig  aUCovg  darstellt.  Daher  ruft  Hector  r  86,  87 

ti99w  'AXe^dviQOMf  toif  eVvsMet  veTuag  ofwfep. 
und  Menelaos  spricht    V   100:  "dle^dvJQOv  fv«*'   arij^, 
wie  audi  Helena  Z  356.  Näher  scheint  mir  auf  die  Etymo- 
logie des  Namens  angespielt  zu  sein  in  den  Versen  F  321  sqq: 


82)  Ans  dem  Semitiflohen  würde  rioh  aaeh^fj9^«orvc,  der  p49f 
vl6s  des  B^ktfMs  n  788  erklären;  denn  gebnr  (*il3^)  bedeutet  Held 
und  wird  das  Wort  im  Texte  Bamses  III  Kepnr  geschrieben  (vergL 
Aprin  =  *Eß^at(n\  Demnacli  scheint  Homer  IT  751  in  Ksß^Ur$ 
igf^tti  Namen  ond  Bedeutung  nebeneinander  zu  geben. 


LaMki  Die  AMomr  ^  Ab^^m,  SM 

inn6%9Qoq  xdin  tffm  /eacit'  d/A^pawäfOitHv  t&tptWj 

toV  (foV  dno^ifiew  dSvm  i4pLov  *!d$tog  äkfm  — 
womit  nur  Paris  gemeint  sein  kann,    am  so  bemeiitenB- 
werther,  als  diese  Ansiobt  den  Aohäern  and  Troern  ge- 
meinschaftlich beigelegt  wird,  wie  audi  F455  hfo¥  yäff  a^v 
näaiv  drhjxd'evo  xvjqI  (uXaivg* 

Paris  ist  eigentlich  nur  eine  menschliche  Nachbildaag 
der  ^Ef^g^  wie  sie  besondeiB  A  13  sqq.  erscheint  (Vergl. 
<l>  3d9,  360);  F  100:  etvex  i/A^g  iQidog  xal  ^JXe^dvi^ov 
Sp€x*  atfjg.  Wenn  wir  nun  gegenwärtig  in  der  oben  behan- 
delten Inschrift  des  Meneptah  ähnliche  Verhältnisse  berichtet 
finden:  einen  Raubzug  ausgeführt  von  einer  Conföderation 
Tersdiiedensprachiger  Stämme  (äXXfj  d'  aXXmv  yhSCiSa  tto- 
Ivcneqämv  dv^ffeSnmv  II.  B  804)  mit  eigenthumlidher  Phy- 
siognomie, Haltung,  zum  Theil  pittoresker  Kleidung,  Be- 
waffiiung;  wenn  gesagt  wird,  dass  sie,  wie  zu  bleibender 
Niedwlassung  ihre  Frauen  und  Kinder  mitbrachten  (II.  K 
420  heisst  es  von  Bundesgenossen  der  Trojaner,  ofienbtt 
im  Sinne  einer  Ausnahme: 

ov  Y^  <^y^  naVSeg  0%Bd6v  eVatm  oi6k  ywaiMeg  — ) 
wenn,  wie  natürlich  su  erwarten,  die  Besiegten,  soweit  die 
nicht  getödtet  waren,  sammt  ihren  Weibern  und  Kindern 
gefangen  genommen  und  als  Sciayen  behandelt  oder  y«r- 
kauft  wurden  —  wenn  der  ägyptische  Pharao  bei  Nennung 
•einer  Feinde  niemals  vergisst,  beschimpfende  Beiwörter  m 
gdbraaehtdki ,  die  aus  analogen  Vergleichen  hergenommen 
Bind,  wie  die  Schimpft'eden  der  homerischen  Helden:  so 
bildet  dieses  Gemälde,  in  weldiem  ebenfalls  Schiffe  figa- 
riren,  einen  Hintergrund  für  die  trojischen  6e- 
achichten,  wie  er  zu  der  Erklärung  Homers  nicht  besser 
herbei  gewünscht  werden  kann.  Ich  habe  mich  eebon  in 
meinem  Programme:  „Hom^  ond  Aegypten''  p.  6  g^en 
die  Sucht,  die  homerischen  Völkemamen  als  mythische 
hinzustellen,  ofiPen  ausgesprochen.    Die  dort  angeführte  Be- 


656         SiUiung  der  pkilo$.-phiM.  CUum  wm  7.  Degember  ISer. 

merknng  von  Ameis  sni  v  383 :  ^^SixsXovg,  mythischer  Name 
einer  VöIkerBchaft,  die  einen  berüchtigten  Sclavenhandel 
trieb^^  *-  veranlasst  mich,  an  den  Sikelem  noch  etwas  aus- 
führlicher zu  zeigen,  dass  Homer  acht  geschichtliche  Völker- 
namen  überliefert. 

Dass  die  Siculer  vor  der  nach  ihnen  benannten  Insel 
einen  ziemlichen  Theil  des  hesperischen  Festlandes  bewohn- 
ten, wissen  wir  aus  Thucydides,  welcher  meldet,  dass  sie 
vor  ihrem  Üeberschreiten  der  Meerenge  (300  Jahre  vor  der 
Ankunft  griechischer  Golonien  auf  Sicilien)  und  noch  zu 
seiner  Zeit,  ItaUen  bewohnten,  wo  sie  Spuren  der  ursprung- 
lichen Anwesenkeit  ihres  Stammes  gelassen  hätten.  Der 
Betrieb  des  Sclavenhandels,  welcher  ihnen  nach  Homer") 
nicht  abgesprochen  werden  kann,  setzt  eine  Seemacht  vor- 
aus. Wirklich  erscheinen  sie  im  Texte  des  Meneptah  mit 
den  Schardana  und  Aqaiwascha  als  Völker,  „die  gekommen 
von  den  Ländern  des  Meeres*  ^  womit  augenscbdnlidi 
Küstenstriche  gemeint  sind.  Waren  sie  diesmal  gegen 
Meneptah  in  ihrem  Unternehmen  unglücklich  —  222  abge- 
schnittene Phallus  und  250  ditto  Hände  bezeichnen  ihren 
Verlust  an  Todten;  —  die  Zahl  der  aus  ihren  in  Gefangen- 
schaft und  Sklaverei  gerathenen  steckt  in  der  Gesammt- 
summe  9376,  sowie  ihre  Waffen  auch  gemeinschaftlich  mit 
der  übrigen  Beute  aufgeführt  wird  —  so  konnten  sie  ein 
ander  Mal  Erfolg  haben  und  selbst  Schlaven  und  Schätze 
erbeuten.  Wir  treffen  sie  wirklich  wieder  unter  RamsesIII. 
unter  der  angreifenden  Coalition,  leider  wieder  ohne  Zahl, 
doch  mit  Abbildung.  Was  nun  den  Namen  betrifft,  soistScha- 
kalscha  mit  S$x€Xdg  leicht  zu  vereinigen ,  wenn  man  das 
Vage  des  ägyptischen  a  —  es  ist  =  «  im  Namen  dler 
KXeond%qtt  —  und  die  von  mir  frühzeitig  entdeckte  Gelt- 
ung des  altgriechischen  odv  =  seh  überlegt.     Dieser  breite 


83)  Cf.  Ottlr.  Müller  Etrasker  p.  10. 


Lavfk:  Die  AMwr  «m  AjBgYptm.  557 

Znchlaat,  den  die  alterthiimlichen  Dotier  am  längsten  beiV 
bdiielten  nnd  der  noch  hente  bei  den  Palikaren  von  Aeolien 
gehört  wird,  ist,  wie  ich  nachgewiesen,  auch  palaeographisch 
ans  dem  ägyptischen  seh  ei  entstanden,  wie  nicht  minder 
das  semitische  12^.  Dieser  breiten  Sibilante  schlägt  im 
Aegyptischen  gewöhnlich  ein  a  nach,  das,  nach  Mascha« 
wasdia  s  Mäfv^g^  za  schliessen,  nicht  nothwendig  lautirt 
werden  mnss.  Es  könnte  aber  auch,  wie  so  häofig,  nur 
eine  graphische  Metathesis  für  Schakelasch  sein,  womit 
man  dem  JtxeUg  (man  bemerke  den  AccentI)  bedeiitend 
naher  kommt.  Dabei  bemerke  man,  dass  der  Schakaiasch 
(Bmgsch  Geogr.  IL  p.  85)  ganz  dieselbe  Federkrone  trägt, 
wie  der  Pulista,  Tekuri,  und  Daanauna,  deren  semiti* 
sdies  Gepräge  augenfällig  ist  (Gf.  Daneon  portus  maris 
rubri  bei  Plinius^VI  c.  29).  Für  den  semitischen  Ursprung 
der  Sikelcr  spricht  auch  Sicania  (vgl.  Sicca  Venerea  = 
Snccoth  benoth)  nach  den  Höhlen  n13P,  welche  jetzt  noch 
bei  Syraeus  zu  sehen  sind  (Seume  Spaziergang  p.  2S2.). 

Welcher  Spradie  dieser  Name  angehört,  ist  demnach 
ziemlich  leicht  zu  beantworten.  Beachtet  man  den  gleichen 
Debergang  der  Vokale,  wie  er  in  öfyi^^  OfxXog  siclus  im 
Vergleiche  zu  SixsXög,  Siculus,  vorliegt,  so  ist  man  fast  ge- 
nöthigt,  Schakalscha  mit  dem  somit,  hp^  Schekel  zusammen- 
zustellen. Dieser  Name  eines  Gewichtes  von  Vt  Loth  oder 
eines  Werthes  von  dem  retQädQaxfiogj  stammt  von  der 
Wurzel  Schakal  „wägen**  was  für  ein  handeltreibendes 
Volk  eben  keine  unpassende  Benennung  abgeben  würde. 

Da  uns  unser  ägyptischer  Text  auch  das  Prototyp  von 
Tursce  an. die  Hand  gegeben  hat,  so  wird  e&  nicht  über« 
flüssig  sein,  etwas  bei  diesem  Namen  zu  verweilen.  Die 
Tuirscha'^)  verloren  in  der  Schlacht  von  Paari  742  Phallus, 


84)  Das  10 ha  anlangend,   vergleiche    men  das    Rezuscha  = 
Bezns  bei  Mommaen:  Unteritalisch.  DialL  p.  6. 

[1887.  IL  4.]  87 


5^t8       SUgmtg  dei»  pkfiu.^pkäoi  Ckme  «Ofn  r*  IkMemher  1667. 

790  HJiBdfi  and  eine  entBprechende  Ansah!  GefangMi«.  Es 
iMitat  tqh  ihnen,  daas  «e  Ton  den  Landern  des  Maeies  ge- 
kommen» da»  lie  den  ganaen  Krieg  begonnen  md  flu« 
Wdfair  and  Kinder  mitgebraehi  hatten.  Anf  den  Schlachtr 
gnmäUii  von  Banees  BI.  hat  der  Tairscha  eme  feine, 
gemdeiftebaide  Nase,  hngen  Spitzbarfc;  sein  Hebt  gkidii 
den  etroakisdMB  Gasketen,  wa  ist  er  efewaa  hoher  and  ^te* 
aikafaad. 

Schon  hieraas  dfirfte  erhellen,  daas  die  Tuirscha  dsa 
tyrrhenisohen  PelasgeYn  entsprechen^  «tt  von  Oktl 
MnUer  ood  Lepuns  adioo  läagst  behauptet  worden  iaL  ü^ 
mtt  wird  angtoieh  die  alte  Etymologie  etwas  beatatigt, 
welche  diesen  VoUcsDAinen  mit  tarris  tvQ0ig  Tharm  ao* 
aammenbcachte,  weil  die  Tarsker  frühseitig  aiit  Mansn 
«ad  Thurm»  befestigte  Städte  gründeten  nnd  bewohalMi. 
Dtesa  GteichsteUiing  ?erhflft  ctns  vieiMcht  an  der  ikähsr**). 
sdion  lim  mir  aasgasprochenea  Uebemengong,  dasa  die 
Tarskey  Indogermanen,  aJUo  die  etraskiachen  Inaduiftsn 
demgen>äs8  zu  erklären  sind.  Indess,  wenn  andi  soldie 
apra^hliche  Vergleichniqpen  noch  an  wünschen  übrig  lasaen^ 
so  werden.  QM  docb  Texte  der  ägyptischen  Denkmäler,  wie 
der  des  Men^ptah,  za  einer  ungleidli  beaaerai  Kenntaiaa  des 
BealeA  im  Akerthuase  und  bei  den  Klassikern  verhelfea, 
ala  sie  mit  d^n  bisherigen  Mitteln  za  erreichen  war.  Möge 
Vorstehendes  zu  weiteres  Forschangen  auf  diesem  grossen 
Gebiete  anregea 


85)  „Die  Gebort   der  Minerrs  anf  der   Gospianiaeben  Sohsle*' 
Fregrsnmi  des  Wilbehns-GyauiMiiuns  in  Mflacben  1952. 


V.  JfoftNw:  BtitfAffB  mr  Ethno§fafhi$  eic.  Änuri^'i,      &59 


Mathematisch-physikalische  Classe. 

SiiEung  vom  7.  Dezember  1867. 


Der  GlaBsensecretär  Herr  Geheimrath  v.  Martius  legt 
4er  Glasse  seine: 

„Beiträge    zur   Ethnographie   und   Sprachen- 
kunde Amerika^B,  zumal  Brasiliens'' 
▼or,  und  bemerkt  nach  Anderm  Folgendes  : 

Bei  mir  war  durch  die  Erfahrung  von  der  ausser* 
ordentliehen  Zersetzung  und  Vermischung  der  amerikanisdien 
Bevölkerung  die  Annahme  gewaltiger  Katastrophen  vorbereitet 
worden,  welche  gegenwärtig  ihre  Bestätigung  in  den  merk* 
wirdigen  antiquarischen  Entdeckungen  in  Guatemala ,  Hon- 
duras und  Mexico  findet.  Die  neuerlich  gewonnenen  Thatsachen 
scheinen  die  Hypothese  zu  rechtfertigeü :  dass  die  Amerikaner, 
ab  ein  grosses  Ganze  aufgefasst,  sich  dermalen  bereits  nicht 
blos  in  einem  secundären  sondern  vielmdir  in  einem  tertiären 
Zustande  befinden. 

Da  anihropologisdie  Resultate,  dergleichen  vorzugsweise 
in  den  Bereidi  der  mathematisch-physikalischen  Classe  faUen, 
bei  meiner  ethnographischen  Darstellung  nothwendig  in  den 
Hintergrund  treten  müssen ,  so  wage  ich  nicht  ausfuhrlicher 
über  meine  Arbeit  zu  referiren. 

Nur  das  Einzige  sei  mir  erlaubt  hier  noch  auszufuhren, 
dass  mir  die  Tupi-Sprache ,  welche  gegenwärtig,  mehrfaltig 
abgewandelt,  zu  einer  Lingua  franca  geworden  ist,  ein  Mittel 
an  die  Hand  gegeben  hat,  viele  sogenannte  Völkerschaften 
(NaQoSs)  als  das  zu  erkennen,  was  sie  in  der  That  sind, 
nämlidi  einzelne  Familien  oder  kleine  Gemeinschaften,   die 

87* 


MO      Sitmmg  der  mattL-phifB.  CUme  wm  7.  Dezember  1667. 

ohne  eine  abgeschlossene,  ihnen  eigenthämliche  Sprache ,  in 
beständiger  Vermischung  mit  Andern  und  in  einem  fort- 
währenden Dmgass  der  Leiber  begriffen,  in  ihren  Sitten  and 
Gebräachen  aber  zu  einer  gewissen  Gleichförmigkeit  mit  vielen 
andern  nivellirt  sind. 

In  vielen  Flussgebieteu ,  deren  jedes  seine  Natnreigen- 
thümlichkeiten  hat  and  dadurch  das  Leben  der  Indianer 
beeinflusst,  haben  sich  die  Nachbarn  zu  einer  gewissen  6e- 
meinschait  zusammengelebt,  und  werden  desshalb  auch  oft 
als  ein  grösserer  und  mächtiger  Stamm  mit  einem  Namen 
bezeichnet,  so  z«  B.  die  Pamauris'  oder  Purupurus  am  Paroz, 
die  Arinos  und  Ouanpes  an  den  Flüssen  gleichen  Namens. 
Sie  sprechen  aber  nichts  destoweniger  in  jedem  Gau,  im 
Gebiete  eines  jeden  Nebenflusses  einen  mehr  oder  weniger 
yerschiedenen  Dialekt  (oder  richtiger  ein  Kauderwälsch,  Qeri- 
gonza,  Giria),  worein  Worte  der  Tupi-Sprache  in  versdiie- 
denem  Verhältniss  eingemischt  sind.  So  schwinden  die  Hunderte 
von  Nationen,  die  man  nennen  hört,  in  wenige  grössere 
Gruppen  zusammen;  aber  auch  diese  darf  man  nicht  als 
Völker  in  historischem  Sinne  betrachten.  Während  des  ,,todten'^ 
Schraubengangbs,  in  welchem  die  Geschicke  der  amerikan- 
ischen Menschheit  seit  Jahrtausenden  begriffen  sind,  hat 
keiner  der  gegenwärtig  angenommenen  Stämme  ein  hohes 
Alter.  Es  ist  an  diesen  regellos  umlierschweifenden  oder  die 
Sitze  wechsekiden  Menschen  nichts  so  alt  als  ihre  sich  stets 
erneuernde  Vermischung.  Daher  kommt  es  aach ,  -  daas  ein 
und  derselbe  Volks-  oder  Stamm-Name  an  Menschengruppen 
ertheilt  wird,  die  weit  von  einander  entlegen  sind  un^  in 
keinem  näheren  Verhältniss  der  Abstammung  zu  einander 
stehen.'  So  ist  z.  B.  der  Name  Gi-u&ra,  d.  i.  obere  Männer 
oder  Leute  die  (weiter)  oben  wohnen,  eine  am  hohen  Ama- 
zonas und  seinen  südlichen  Beiflüssen  (dem  Guallaga,  Ucay- 
ale  u,  s.  w.)  weitverbreitete  Bezeichnung  für  eine  sehr  gemischte 
Bevölkerang ,    und  das  Wort,   in  Jivaros,  Jeveros,   Jeberos 


V,  Martim:  Beiträge  9ut  Eihnographie  etc.  Amerika* $,      561  , 

mngewaodelt,  bezeichnet  oft  auch  keine  reine  Indianer-Ge* 
meinschaft,'  sondern  Misohlinge  von  Negern  nnd  Cafusos 
(aus  Indianer  und  Neger).  Die  Guaypnnavis  der  Spanier  am 
Oxinoco  und  die  Maquiritares ,  welche  Alex.  y.  Humboldt 
als  eine  von  den  vier  weissesten  Nationen  am  obem  Orinoco 
nennt,  lassen  sich  auch  auf  keine  selbstständige  Nationalitat 
zurückfähren.  Der  erstere  Name  bedeutet  die  Sperber-Männer 
(gnibo,  Sperber;  aba  zusammengezogen  aus  apiaba  Männer), 
eine  Bezeichnung,  die  vielen  nomadisirenden  Indianer  gegeben 
und  in  der  französischen  Colouie  in  Emerillons  übersetzt 
wird.  Die  Maquiritares  sind  die  Hangmatten-Diebe,  die  Ta- 
rianas  die  Diebe  überhaupt,  die  Miranhas  die  herumstreifenden 
(nhanhe)  Leute  (Myra),  die  Giporocas,  jene,  welche  ihre 
Häuser  (oca)  oben  haben.  Unter  BirapuQapara,  die  in  Matte 
Grosso  und  am  Tapajoz  angegeben  werden,  ist  keine  Nation 
zu  verstehen :  es  sind  Vogelsteller  nnd  ebenso  die  Parapitat&s 
•solche,  die  Nachts  mit  Feuer  in  den  Kähnen  zu  fisdien 
pflegen. 

Der  Tupi-Sprache  angehörende  Namen  von  Indianer- 
Gemeinschafiten  kommen  weit  jenseits  der  Grenzen  Brasiliens 
in  der  Guyana  und  in  Venezuela  vor ,  wie  z.  B.  Gir&o^uära, 
Hahlbauten-Männer  (Warrauö). 

Ausser  den  hie  und  da  in  Brasilien  auftauchenden  Tra- 
ditionen von  den  Wanderungen  nach  Norden  und  dem  sieg- 
reichen Eindringen  der  kriegerisch  wohlorganisirten  Tupis 
zwischen  die  dort  wohnenden  Stämme,  lassen  viele  Ortsnamen 
und  Worte  in  der  Sprache  der  Caraiben  auf  deu  antillischen 
Inseln  unter  dem  Winde  kaum  einen  Zweifel  darüber,  dass 
man  diese  Tupis  in  nächste  Beziehung  mit  dem  sogenannten 
Volke  der  Caraiben  bringen  muss.  Ja,  noch  mehr,  ich  halte 
mich  zu  der  Annahme  berechtigt,  dass  es  ein  einheitliches 
Volk  der  Caraiben  nicht  gegeben  habe,  sondern  dass  die 
Tupis  zwischen  die  dort  hausenden  Hoi*den  eindringend  und 
sie   unterwerfend    oder    zu  Theilnehmem    ihrer   Raubzüge 


6$S  SiUung  der  ma4h.'phif$.  CUsh  tum  7.  DtMtmiber  1867. 

joffdiead  VeranlMfiuog  gegdMQ  haben,  su  jener  Untencbadang 
swiacheD  einer  friedfertigen  Bevölkerung  und'  grmsamen 
Antbropophagen  (Caiuiben,  d.  i.  Cariaiba,  böse  Mauner), 
velche  aohon  Colambus  antraf.  Sie  setaten  den  überwnadMiea 
jQorden  HäaptliDge  (Porocoto,  von  Pora  Volk  nnd  cotuc 
ordnen),  und  die  Bezeichnung  von  Comanacotes ,  Pariaooies 
üiir  die  Bewohner  von  Cumana  und  Paria,  u.  s.  w.  ist  eia 
Rest  jener  Hegemonie,  während  die  Verbindung  der  aiee- 
reichen  Eindringlinge  mit  andern  Stämmen  den  Verlost 
ihrer  Sprache  und  eine  tie%reifende  Vermisohung  der  leilr 
liehen  Typen  zur  Folge  gehabt  hat  Anoh  in  der  Spraohe 
der  Insel  -  Caraiben  finden  sich  Beweise  flir  diese  Annahme, 
indem  sie  riele  Tupi- Worte  verdorben  enthält.  So  ist  z.  B. 
der  Amazonenstein,  ein  Amulet  oder  ,,Zaub0rstein^^  Jta  cor&o 
an  Tacaoua  oder  Taculoua  gewx>rden.  Auf  Trinidad  imd 
mehreren  der  kleinen  Antillen  stiessen  diese  kriegeriadheai^ 
sich  8u  Wasser  und  zu  Land  ausbreitenden  Tupis  unter  an* 
dem  Stämmen  auch  auf  die  milderen  Arawaken  (AmeX 
welche  fleissig  Mandioccamehl  (Arn)  bereiteten,  und  desshalb 
die  ,»Mdilmänner^'  genannt  wurden.  Bis  in  das  Ho«|iiit08* 
Land  drangen  diese  Tupis  vor,  und  zahbeidbe  OrtsDames 
bezeugen,  dass  sie  hier,  an  der  Küste,  zur  Zeit  vorhanachten. 


V«  XMHB*  «|iy*  HiMi  ^WftT,  vOfMiflOT  Vü  41^  flflHSfVilpiV*  999 


Herr  f.  Eaftell  li«8t- 
„lieber  die   typischen    and   empirisehen  For- 
meln in  der  Mineralogie'^ 

Die  Typeutheorie  wählt  bekanntlich  gewisse  cheaiisehe 
Verbindongen  als  Typeü  för  andere,  welche  mit  Austausch 
iluer  Eleuente  nach  Atomen  oder  auch  Atomgruiq»en  jenen 
fMchgeUldet  eisdieinen.  Die  wichtigste  Rolle  spidt  namentr 
lich  fär  die  Oxyde  md  Oxydverbiodungen  der  Typus  des 
Wassen,  indem  dessen  Wasserstoff  durch  die  Elemente 
solcher  Verbindunc^n,  welche  nicht  Sauerstoff  sind«  in  der 
Alt  ersetzt  wird ,  dass  von  diesen  entweder  1  Atom  aiifih 
X  Atom  Wasserstoff  ersetzt,  oder  dass  l  Atom  2  Atome 
Waasei-stoff  ersetzt  oder  3)  4,  6  etc.  Diese  Ersetzung»- 
fihigkeit  verschiedener  Elemente  hat  man  deren  Atomig» 
keit  genannt.  So  sind  Chlor  und  Fluor  einatomig,  weil 
1  Atom  derselben  1  Atom  Wasserstoff  ersetzt  >  ebenso 
Kalium,  Natrium  tt^  a.;  dagegen  sind  Sauerstoff,  Schwefel, 
Calcium,  Magnesium  etc.  zweiatomig  und  ersetzt  1  Atom 
derselben  2  Atome  Wasserstoff;  Silidum  ist  Tieratomig, 
Aluminium  sechsatomig  u.  s.  w. 

Die  neuere  Chemie  hat  die  Atomigkeit  der  yerschie- 
denen  Elemente  oder  audi  gewisser  Gruppen  derselbe  (Ra- 
dikale) ausgemittelt  und  danach  chemische  x  Formeln  ent- 
worfen und  sind  die  in  der  Natur  vorkommenden  Silicate 
von  ihr  dem  Typus  des  Wassers  zugetheilt  oder  auf  analog 
gebildete  Kieselsäuren  (Kieselsaurehydrate)  bezogen  werden. 

Es  entsteht  nun  die  Frage,  ob  es  fiir  die  Mineralogie 
zweckmässig  sei,  ihre  bisherigen  chemischen  Formeln  aof- 
zugeben  und  die  neuen  der  Typentheorie  einzuführen.  Eine 
Betrachtung  der  Silicate  in  dieser  Beziehung  diirfie  zur  Bn» 
antwortung 


564      Siilm»$ig  d#r  mnOL-fkyt.  CUkäu  «om  7.  Deumber  1867. 

Was  zunächst  das  Hypothetische  au  den  älteren  und 
neueren  Formeln  betrifft,  so  haben  beide  daran  gleichen 
Antheil,  denn  in  welchem  Zustande  die  Elemente  in  einer 
chemischen  Verbindung  wirklidi  vorhanden,  wissen  wir  nicht, 
und  die  Begriffe  der  Atomigkeit  und  die  Aufstellung  der 
Radikale  haben  das  Gebiet  der  Hypothesen  eher  erweitert 
als  TerriBgert  ^). 

Es  handelt  sieh  daher  bei  den  Formeln  wesentlich 
darum,  mit  Hilfe  von  Hypothesen  solche  zu  geben,  welche 
der  Art  und  dem  Verhalten  der  betreffenden  Verbindung 
möglichst  entsprechen  und  geeignet  sind,  eine  Vergleidinng 
mit  andern  in  einfacher  Weise  zu  vermitteln,  auch  Anhalts- 
punkte zur  Beurtheilung  der  Analysen  zu  geben  und  un- 
wahrscheinliche Verhältnisse  als  solche  zu  kennzeichnen. 
Dabei  offenbaren  sich  «gewisse  Gesetze,  welche  an  den  ein- 
facheren Verbindungen  zunächst  erkannt,  in  den  complicir- 
t^en  wiedergefunden  werden  und  die  Gombinationen  regeln 
und  beschranken. 

Wenn  die  Mathematik  angiebt,  wie  aus  einer  bestimm- 
ten Krystallform  alle  äbrigen,  die  man  kennt  oder  die  man 
haben  will,  abgeleitet  werden  können,  so  offenbart  sie  da- 
mit kein  Naturg^etz,  und  wenn  jedes  Silicat,  auch  ein  ganz 
willkührlich  erdachtes,  auf  eine  Silidumsäure  bezogen  und 
dem  Typus  des  Wassers  zugetheilt  werden  kann,  so  ist  da- 
mit ebensowenig  ein  Naturgesetz  angezeigt.  Das  ist  aber 
nach  den  neueren  Anschauungen  bd  den  Silicaten  der  Fall. 

Weltzien'),  welcher  den  grössten  Theil  der  bekannten 
Silicate  berechnet  und  nach  der  Anzahl  der  SUiciumatome 
classificirt   hat,    führt    über  100  Siliciumsäuren  (Eieselerde- 


1)  Vergl.    Witiatein  „Widerlegung  der  chemischen  Typenlehre. 
München  186d.'* 

2)  Syitemfttitohe  Uebenioht  der  Silicate.    Qiaesen  1864. 


9.  Kohdl:  lyp.  und  enpir.  Formdn  in  A»  Mmerah§ie.       565 

hydrate)  an  und  darunter  Reiken  von  gleichem  Silicium- 
gehalt,  deren  gesammte  Sauerstoffiatome  sich  in  fortlaufen- 
den Zahlen  von  15  bis  28  und  von  19  bis  36  steigern; 
diese  Säuren  sindi  ein  Paar  ausgenommen,  sämmtlich  hypo- 
thetisch und  da  keine  Schranke  besteht,  dergleichen  noch 
mehr  anzunehmen,  so  erscheint  jedes  Silicat  als  gesetzmässig 
gebildet,  wenn  es  auch  ganz  beliebig  construirt  ist.  Da 
nämlich  die  Atomigkeit  der  in  den  Silicaten  Forkommenden 
Elemente  doppelt  so  gross  genommen  ist,  als  die  Zahl  der 
Sauerstoffatome,  welche  sich  mit  ihnen  im  Silicat  verbinden, 
80  muss  immer  eine  Mischung  vom  Typus  des  Wassers  ent- 
stehen.    So    ist    AI   +  30  =  6H  +   30; 

Ca  +  0  =  2H  +  0;  K«  +  0  =  2H  +  0  u,  8.  w. 

Die  Kieselerde  wird  Si  gesetzt  und  ihre  Atomigkeit  als 
IV  angenommen,  es  verbinden  sich  also  n  At.  Silicium  mit 
2n  At.  Sauerstoff  und  da  n  At.  Si  =  4nAt.  H,  so  stellt 
sich  der  Wassertypus  her,  da  4  At.  H  +  2  At.  0  =  H  = 

Wasser.  Es  ist  noch  streitig,  ob  die  Kieselerde  Si  oder  Si, 
wenn  letzteres  angenommen  wird,  so  müsste  die  Atomigkeit 
der  Kieselerde  auf  VI  erhöht  werden,  dann  wäre  es  wieder 
das  Nämliche.  Ich  habe  mehrmals  daran  erinnert,  dass 
wenn  man  sich  fiir  Si  auf  den  Isomorphismus  gewisser 
Fluoride  mit  Zinn  und  Silicium  beruft,  doch  die  zunächst 
liegende  und  überall  zu  beobachtende  Thatsache,  dass  der 
Quarz  und  der  Zinnstein  nicht  entfernt  isomorph  sind,  auch 
in  Betracht  zu  ziehen  sein  dürfte  und  dass  dieses  Verhalt- 
niss  mehr  für  eine  verschiedene  als  für  eine  analoge  Zu- 
sammensetzung der  betreffenden  Oxyde  spreche.  —  Um  ein 
Beispiel .  zu  dem  oben  Gesagten  anzuführen ,  so  ist  die 
typische  Formel  des  Leucit 


iM       aumm§  im  wmJOk.-pt^.  (»am  vmm  7.  Dmmbm  IS$7. 


AI     O'-) 


entsprechend:  Kieselerde  54,9 
Tho&erde  23,6 
Kali  21.5 

100 

Wann   man  diese  Misohuag  an  ein  Kleiae»  veraadec^ 
z.  B.  seist:    Kieselerde  56,4 
llionerde   22.8 
Kali  20,8 

100 

so  giebt  die  Typentheorie  ohne  Sdiwierigkeit  die  Formel 

▼I,  1    0411 


Bei  einer  Beihaag  der  Silicate  nach  der  Zahl  der 
Silidum-Atome  kämen  diese  Mischungen  weit  auseinander, 
obwohl  sie  sich  so  nahe  stehen,  dass  die  Dififerenx  ds  nn* 
wesentlich  betrachtet  werden  muss.  Dieses  Nahestehen  triti 
aber  beim  Anblick  der  Formel  nicht  sogleich  hervor.  Sucht 
man  dagegen,  nach  der  bisher  üblichen  Weise  eine  Formel 
für  das  letztere  Silicat,  wie  es  vorliegt,  so  gelangt  man  an 
keiner  annehmbaren  und  hat  keinen  Grund  eine  solche  Ver- 
bindung als  eigenthümliche  Species  anzuerkennen,  tis  iMt 
gewiss,  dass  das  Vertheilen  der  Kieselerde  unter  die  Basen 
nach  den  üblichen  Formeln  sehr  verschiedene  Ansichten  au- 
lasst  und  schwer  zu  erweisen,  ob  diese  oder  jene  beredi- 
tigter  sei,   das  Dmgehen  solcher  Schwierigkeit,   indem  man 


«)  8i  =  28,  Al  =:  55,  K  =:  89,  0  =  16. 


V.  EobeH:  Tpp^  und  §mpir,  F^rmäkt  in  dmr  Mimrähgie.       MT 

UV  ^  Zahl  der  Atome  der  ooMtitaireQdeii  Elemente  Mh 
gjebt,  entspricht  aber  noch  wenjger,  denn  bei  jener  Ver- 
theilung  wird  man  wenigBteotis  auf  gewisse  UnwahrscbeinUch- 
keiten  der  Auffassang  aufmerksam  gemacht,  bei  der  blossep 
Angabe  der  Zahl  der  Atome  und  des  höchst  elastischen 
Tjrpus  aber  nicht. 

Was  die  Beactionen  und  die  Vorgänge  bei  chemischen 
Zersetzungen  betrifft,  so  lassen  sich  diese  mit  den  typischen 
Formeln  in  vielen  Fällen  einfacher  erklären  als  mit  den 
nichttypischen  und  bieten  auch  jene  mannigfaches  Material 
zu  interessanten  Speculationen ,  gleichwohl  stehen  sie  in 
anderen  Beziehungen  den  letzteren  nach.  Die  nichttypischen 
Formeln  zeigen  die  näheren  Verbindungen  der  Elemente, 
ine  sie  durch  die  Analyse  zur  Charakteristik  der  Verbind- 
ung in  Betracht  kommen,  während  man  sie  aus  den  typi- 
schen meistens  erst  herstellen  mnss  und  wie  dieses  sn  g^ 
s^hiji  habe,  muss  man  anderswoher  wissen  und  giebt  das 
Zeichen  darüber  keinen  Aufsdblass.  Wer  den  Leueit  als  ein 
Silicat  erkennen  will,    muss  aus  *ihm   Kieselerde  darstellen 

and  die  Formel  KaSi  +  AlSi'  oder  Ea*Si*  +  3AlSi> 
zeigt  diese  Kieselerde  unmittelbar  An;  nach  der  typischen 
Formel  muss  er  wissen,  dass  dem  Silicium,  welches  sie  an« 
giebt,  so  viel  von  dem  üoUectiy-Sauerstoff  der  ganzen  Ver- 
bindung angdiörti  dass  es  zur  Kieselerde  wird  und  «äfarsiid 
4i6  gawohnltchen  Formeln  ohne  weitere  BetFachtongen  und 
Erwägungen  sagen  ob  in  dar  Kieaeierde  2  oder  8  Atani 
Saoerrtoff  angenommen  seien,  ist  dieses  bei  den  tjpisdMii 
Formeln  oidit  der  Fall  und  mosa  erst  mit  Berikksidrtignng 
4er  anderen  Oxyde  ersehen  werden«  Ebenso  ist  es  bei  den 
flog,  empirischen  Fonneb»  wehdie  wie  die  iyincbeB,  nur 
olme  Rücksicht  auf  das  Geeeta  eines  Typos,  das  relalive 
Verhältniss  der  Zahl  der  Atome  yerbundener  Elemente  an* 
pben;  ein  Veiiiältniaei  «eldieB  eich  auch  aiia  den  gewöhn* 


568        SUtung  d$r  ma&^.-phifB,  Classe  vom  7.  Desetnber  1867. 

liehen  Form€lii  leicht  herausfinden  läset,  indem  man  die 
:Zahl  der   gleichartigen  Atome   addirt.     So    ist  die   altere 

rationelle  Formel  desPlagionit  Pb^'S^b'  und  man  erhält  die 
empirische  leicht  =  Pb^'S-b'S^";  die  letztere  Formel  zeigt 
aber  nicht  wie  die  erstere  an,  dass  das  Mineral  einer  Ver- 
bindung von  4  At.  Galenit  und  3  At.  Antimonit  gleich- 
komme und  dass,  wie  es  der  Fall,  das  e-b  des  letzteren 
durch  Kalilauge  eztrahirt  und  an  dem  durch  Ansäuren  ent- 
stehenden charakteristischen  Präcipitat  leicht  als  solches  er- 
kannt werden  kann. 

Aus  den  bisher  angeführten  Beispielen  ersieht  man 
auch,  dass  weder  die  typischen  noch  die  empirischen  For- 
meln in  Beziehung  auf  Kürze  einen  besonderen  Vorzug  Tor 
den  gewöhnUchen  Kaben  und   wenn  auch  Rammelsberg^s 

Formel  für  den  Nosean  =  NaCl  +  3(NaSi  +  JuSi) 

+  10(Na8  +  8(NaSi  +  AlSi) 
lang  genug  ist,  so  ist  die  typische 

Si"     1 
(SO«)^^    1  0"* 

AI"  ^^ 

Na"        J 

auch  nicht  viel  kürzer  oder  einfacher  zu  nennen. 

Strengt)  hat  in  einer  sorgfältig  gearbeiteten  Ab- 
handlung die  angenommene  Atomigkeit  der  Elemente  für 
das  Verhältniss  der  Isomorphie  mehrerer  Silicate  bespro- 
«dien  und  ist,  indem  er  audi  die  Atom- Volume  berücksich- 
tigte, zu  dem  Schlüsse  gekommen,  dass  in  gleiohgeatalteten 
Verbindungen  sich  die  Bestandtheile  nicht  nur  nach  einaehiea 
Atomen  vertraten  und  ersetzen,    sondern  an  die  Stdle  Ton 


.4)  Neues  Jahrbaoh  lüir  lüneralogie  joa  6.  Leonhird  und  H» 
B.  GeiniU  1865  p.  411. 


V.  KeibeUi  T^,  und  empir.  Formalii  tu  der  MiHMrälo^.       599 

a  Atom«D  des  einen  Körpers  köanea  b  Atome  eines  anderen 

treten  ohne  Aendernng  der  Form,  wenn  die  sich  ersetzenden 

Mengen  chemisch  gleschwerthig  oder  äqai?alent  sind. 
n    IT     „ 
So  ist  nach  ihm  R^Si^O'   isomorph    oder   isomorpher 
n   VI     „  IV  VI 

Vertreter  von  R'Al*0'  und  werden  8Si  durch  2 AI  ersetzt, 

indem  beide  12   chemische  Einheiten   repräsentiren ,   ebenso 

„  VI         VI  n     n  VI 

ist  SR  isomorph  mit  £e;  3 Fe  isomorph  mit  9R;  RAl  isom. 

IV        n    VI  IV 

mit    Si«;  R*A1*  =  7  8i  eta 

Die  Formeln  für  den  Anorthit  und  Albit  schreibt 
Streng,  um  eine  allgemeine  Uebereinstimmung  derselben 
zu  erzielen,  wie  folgt: 

Anorthit  =  nvi    ^Si4Öl6 

UAI 


Albit 


1IV      n 
Si4  0 

H  VI    X 

RAl  1   IT     n 


und .  leitet  die  zwischenliegenden  Feldspathe    aus  der  Ver- 

n  VI  IV 

tretung  von  RAl  und  Si2  in  verschiedenen  Verhältnissen  ab. 

Für  den  Mejonit,  Sarkolith  und  Humboldtilith ,   welche 

isomorph,  schreibt  Streng: 


_  R  6  1 
AI2J 


VI       IV       n 


Mejonit  =   vi     }•  AI2  Si9  036 


Sarkolith  = 


R6 
R3 

VI 

AI 


VI       IV        n 

A12  Si9  036 


Humboldtilith  =    n     >  JS2  Si9  036 
R6  I 


5-TO       Sümmg  der  mtt^.-fihj^,  ClaMse  99m  7,  Iktmher  IH^, 

lUxn  Epidot  and  Orlidl,  weldie  mit  dem  MqonH  ipob 
Mftioger  ZoBammenseteiiiig  aber  von  selyr  vereduedeBer 
Krystallieatioii,  giebt  er  aacfasteheiide  Formeln,  obiraU  lie 
unter  die  vorhergehenden  eingereOit  werden  können: 

ci  «j  xi.  R6  I    ^       nr       n 

Epidoth  ^    y,    I  AI3  Si9   036 
AI 


B6   I  Ti 


Orthit  =  n"  JaIS  Si9  036 


Es  Bind  dieses  Anwendungen  bekannter  in  der  Tjpen-^ 
lehre  aufgestellter  Vertretungen,  welche  sich  aber  eiufachec 
so  bezeichnen  lassen,  dass  man  sagt,  Oxyde  und  Ozyd- 
yerbindungen  vertreten  äch  isomorph,  wenn  die  Zahl  ihrer 
Sauerstoffatome  gleich  ist,  wie  das  schon  von  Laurent  und ' 

Dana'^)  ausgesprochen  v^rde;    2  Al  =  3  Si;  3  R  =  Fe; 

3  Fe  =  9  R;    RAl  =  2  Si;   R*Al*  =  7  Si  etc.    So  hat 
Dana    aufmerksam    gemacht,    dass   man    die   Formel   des 

Granats  R'Si  +  AlSi  auch  schreiben  kann  (VsR'+ VtAl)Si 
und  hat  in  dieser  Weise  den  Isomorphismus  von  Augit  und 

Spodumen  erklärt.  Augit  =  R'Si^  Spodumen  :==  (R',«)Si*, 

genauer  (V5R"+*/»»)Si", 

Die  Räthsel  des  Isomorphismus  schenea  sich  gleichwohl 
mit  den  Versuchen  ihrer  Lösung  nur  zu  mehren  und  die 
Verhältnisse  des  Pbeudodimorphismns  von  Descloizeauz*), 
wonach  kalkhaltiger  I^ozen  kKnorhombisch,  kalkfreier 
rhombisch  und  der  manganhaltige  Rhodonit  kÜDorhomboi- 
disch  krystallisiren ,    wonach   dan  schwefelsaure  Kali  rhom- 


6)  James  D.  Dma  „A  Sytten  of  Mineralöl  1864**.  p.  20a 
6)  Mem.   aar  le  PBendodimorphisme  etc.    Ann.  de  Chimie  et  de 
Phynque.  4.  ser   t.  I. 


«.  Xobdi:  Jifp.  und  empir.  Formen  in  der  Minendeffie.       571 

bisch,  mit  theilweiser  Yerti^tttng  dtzrdi  Natron  aber  heoca- 
gonal;  diese  Verbältnisse  werden  za  einem  neuen  Hinder- 
iiiss  der  Erkenntniss ,  denn  danach  können  Mischnngstheile 
unter  Umständen  yollkommen  isomorph  mid  doch  auch 
wieder,  opd  sogar  in  dreierlei  Krystallsystemen  heteromorph 
sich  zeigen,  wie  denn  ihrersdts  die  Typentheorie  in  manchen 
Fillen  dasselbe  Atom  zwei-  yiei>  und  sediswertbg  auftreten 
lässt  oder  das  einfache  Atom  zweiwerthig,  das  doppelte  aber 
sechswerihig,  diß  Radikale  GIO,  CIO*  und  CIO'  gleich- 
werfliig  u.  s.  w. 

Aus  dem  Gesagten  aber  dürfte  genügead  hervorgehen, 
dasB  es  zur  Zeit  kein  Bedfir&iss  sei,  die  typischen  oder  auch 
die  empirischen  Formeh  statt  der  bisherigen  in  die  Minera- 
logie einzufuhren. 


9T2       Sünmg  der  maih^hyM.  Clam  wm  7.  Degembef  1897. 

Herr  v.  Pettenkofer  trägt  vor: 
„Ueber  den  Stoffverbrauch  eines  Zackerharn- 
ruhr^Eranken  von   ihm    and    Herrn  Prof«   Dr. 
Carl  Voit" 

Schon  in  der  Sitzung  am  10.  November  1865  haben 
wir  über  das  Resultat  eines  Versuches  berichtet,  den  wir 
mit  einem  Zuckerharnruhrkranken  angestellt.  Die  weitere 
Untersuchung  führte  uns  auf  die  Nothwendigkeit  von  Stoff- 
wechselversuchen mit  dem  normalen  Menschen,  worüber  wir 
in  den  Sitzungen  vom  10.  November  1866  und  9.  Februar 
1867  der  Classe  Bericht  erstattet  haben.  Wir  thdlen  nun 
einiges  von  den  weitem  Ergebnissen  unserer  Untersuchungen 
mit  dem  Diabetiker  zum  Vergleich  mit  dem  normalen 
Menschen  mit. 

Vom  August  1865  bis  August  1866  haben  wir  an  dem- 
selben diabetischen  Individuum  sieben  24stündige  Beobacht- 
ungen im  Respirationsapparate  unter  Berücksichtigung  aller 
Einnahmen  und  Ausgaben  des  Körpers  angestellt  und  haben 
zwei  davon  in  126tündige  Abschnitte  getheilt.  Ausserdem 
hat  einer  von  uns,  (Voit)  noch  eine  Anzahl  von  einzelnen 
Bestimmungen  nur  der  Ausscheidungen  durch  Darm  und 
Nieren  im  Zusammenhalte  mit  dem  Genuss  verschiedener 
Kost  gemacht,  die  in  der  Zeitschrift  für  Biologie  mitgetheilt 
werden  sollen,  in  der  überhaupt  eine  ausführlichere  Dar- 
stellung unserer  Untersuchungen  demnächst  erscheinen  wird. 

Die  folgende  Tabelle  enthält  die  Zahlen  über  die  in  der 
Respiration  ausgeschiedenen  Menge  (Gramme)  Eohlensäure, 
Wasser,  Wasserstoff-  und  Grubengas  und  über  die  aus  der 
Luft  aufgenommene  Menge  Sauerstoff;  dann  die  sogenannte 
Verhältnisszahl,  nämlich  den  Quotienten,  wie  viel  Procente 
des  aufgenommenen  Sauerstoffes  in  der  Form  von  Kohlen- 
säure wieder  ausgetreten  sind,  femer  über  die  im  Harn 
ausgeschiedenen  Mengen  Harnstoff  und  Zucker;  endlich  das 
Körpergewicht  des  Kranken  zu  Anfang  und  am  Ende  jeden 
Versuches  in  Kilogrammen. 


V.  iVHmfeo/er:  Sk^verbraw^  bei  Zuekerharnruhr. 


573 


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[1367.n.4.[ 


574        SH(nmg  dir  Maia^,-^$.  Chu$  vom  7,  Deaember  1667. 

Die  Versuche  wurden  ebenso  wie  beim  Gesunden  bd 
yerschiedener  Ernährung,  ja  einer  selbst  bei  Hunger  ange- 
stellt, wozu  sich  der  Kranke,  der  noch  lebt,  bestimmen 
liess,  obschon  ein  fast  unersättliches  Verlangen  nach  Speise 
zu  den  constanten  Symptomen  seiner  Krankheit  gehört.  Um 
ihm  den  Hunger  erträglicher  zumachen,  reichten  wir  ihm  in 
seinem  Getränk,  das  nur  aus  Wasser  bestand,  in  24  Standen 
eine  geringe  Menge  Fleisch  extrakt,  was  wir  auch  bei  den 
Hungerversuchen  mit  dem  normalen  Menschen  gethan  hatten. 

UeberbUckt  man  die  Zahlen  der  einzelnen  Versuche  und 
Tergleicht  man  sie  mit  denen  des  normalen  Menschen ,  so 
treten  gewisse  Unterschiede  mit  aller  Bestimmtheit  herror. 
Betrachten  wir  vor  Allem  die  Grösse  der  Stickstoffausscheid- 
ung im  Harne,  so  finden  wir  mit  Ausschluss  der  beiden 
Versuche  bei  Hunger  und  bei  eiweiss-  (Stickstoff-)  freier 
Kost  im  Mittel  65  Grmm.  Harnstoff  in  24  Stunden,  während 
nnsre  Tabelle  vom  normalen  Menschen  nur  ein  Mittel  von 
44  Grmm.  ergiebt.  Man  sieht,  dass  die  Eiweisszersetzong 
im  Körper  des  Diabetikers  eine  viel  grössere  als  beim  Ge- 
sunden ist,  was  auch  schon  Hough  ton  ^)  und  Andere  beobachtet 
haben.  Die  mittlere  Kost,  welche  den  normalen  Menschen  im 
Stickstoffgleichgewicht  erhielt,  und  wobei  er  etwa  28  Grmm. 
Harnstoff  ausschied,  reichte  dem  Diabetiker  (Versuch  III), 
nicht  aus,    welcher  dabei  48  Grmm.  Harnstoff  entleerte. 

Er  sdieint  eine  reichliche  Zufuhr  von  Eiweiss  auch 
viel  schneller  und  leichter  zu  zerstören,  als  der  Gesunde, 
und  damit  sein  Vorrathseiweiss  nur  sehr  wenig  oder  nur 
auf  sehr  kurze  Zeit,  sein  Organeiweiss  gar  nicht  yermehren 
zu  können;  denn  seine  Harnstoffausscheidung  steigt  und  fallt 
mit  der  Eiweisszufuhr  viel  rascher,  als  beim  Gesunden.  Die 
eiweissreiche  Kost  des  Gesunden  (Versuch  X)  enthielt  43  Grmm. 
Stickstoff,  die  Fleischkost  des  Diabetikers  (Versuch  V)  46. 
Davon  schied  der  Gesunde    am   ersten  Tage  nur  67,    der 

1)  Oa  Diabetes  mellitas.  Dublin  1861. 


V,  PeHenkofer:  Bioffeerbrauch  bei  Zuekerhamruhr,  575* 

Diabetiker  schon  74  Proeent  wieder  aus.  Ebenso  verhält 
sich  auch  das  Fallen  bei  mangelnder  Zufuhr.  Wenn  man 
bei  den  Hungerversuchen  den  Harnstoff,  welcher  dem  Stick- 
stoffgehalt des  gereichten  Fleischextraktes  entspricht,  in  Ab- 
rechnung bringt,  so  schied  der  normale  Mensch  am  ersten 
Hungertage  (Versuch  I)  noch  24.3,  der  Diabetiker  nur  mehr 
20.5  Harnstoff  aus,  obwohl  dieser  unmittelbar  vor  dem, 
Hunger  eine  viel  grössere  Harnstoffzahl  hatte  als  der  Ge- 
sunde. Hiemit  stimmt  auch  ganz  das  Resultat  überein, 
welches  die  Versuche  mit  eiweissfreier  Kost  ergeben  haben. 
Der  Gesunde,  dessen  Hamstoffzahl  40  selten  überschreitet, 
schied  bei  diesem  Stickstoffhunger  (Versuch  XII)  noch  27.7 
Harnstoff  aus,  der  Diabetiker,  der  für  gewöhnlich  viel  mehr 
Harnstoff  ausscheidet,  nur  mehr  19.4. 

Diese  Thatsachen  lassen  also  von  zwei  entgegengesetzten 
Richtungen  her  nur  zu  deutlich  das  gleiche  Resultat  er- 
kennen, dass  nämlich  der  Diabetiker  das  in  der  Nahrung 
enthaltene  Eiweiss  nicht  wie  der  Gesunde  zur  Vermehrung 
seines  Vorrathes  im  Körper  und  seiner  Organe,  sondern 
nur  zur  raschen  Zerstörung  und  Ausscheidung  zu  verwenden 
vermag.  Es  ist  nicht  unwahrscheinlich,  dass  damit  theil- 
weise  auch  das  unaufhörlidie  Gefühl  der  Erschöpfung  und 
der  Ermüdung  und  des  Hungers  zusammen  hängt,  wor- 
über diese  Kranken  beständig  klagen. 

Beim  Gesunden  steigt  mit  der  Zufuhr  und  dem  Um- 
sätze von  Eiweiss  auch  die  Menge  Sauerstoff,  welcher  aus 
der  Luft  aufgenommen  wird,  (Banting-Cur)  —  beim  Dia- 
betiker ist  die  Sauerstoffaufnahme  \^i  gleichem  Eiweiss- 
amsatze  wesentlich  geringer,  wie  beim  Gesunden.  Das  geht 
übereinstimmend  aus  allen  Versuchen  hervor.  Es  finden 
sich  unter  den  am  normalen  Menschen  angestellten  einige, 
welche  nahezu  den  gleichen  Stickstoffumsatz  nachweisen, 
wie  in  entsprechenden  Fällen  beim  Diabetiker,  z.  B.  das 
Mittel    der    beiden  Versuche  X  und  XI   mit    eiweissreicher 

38* 


576      SiUmng  der  math.-phy8.  dasM  wm  7,  Dezember  1867. 

Kost  beim  Gesunden  und  der  Versuch  V  mit  reiner  Fleisch« 
kost  beim  Diabetiker.  Das  Mittel  der  Versuche  X  und  XI 
ergiebt  in  24  Stunden  61  Grmm.  Harnstoff,  der  Versuch 
mit  dem  Diabetiker  62.  Unter  diesen  Umständen  zeigt  der 
Gesunde  eine  Sauerstoffaufnahme  von  863,  der  Diabetiker 
nur  von  613.  Ebenso  lehrreich  sind  die  Versuche  mit  mitt- 
lerer Kost,  bei  denen  der  Gesunde  durchschnittlich  830 
Grmm.  Sauerstoff,  der  Diabetiker,  nur  680  aufnahm,  ob- 
schon  er  einen  noch  hohem  Eiweissumsatz  hatte,  ab  der 
Gesunde.  Nicht  minder  beweisend  sind  die  Versuche  mit 
eiweissfreier  Kost,  bei  welcher  der  Gesunde  850,  der  Dia- 
betiker  nur  610  Grmm.  Sauerstoffaufnahme  zeigt. 

Am  schlagendsten  aber  ist  der  Hungerversuch.  Der  Ge- 
sunde schied  im  Mittel  nach  Abzug  des  auf  das  Fleisdi- 
extrakt  treffenden  Harnstoffs  23  Grmm.  Harnstoff  aus,  der 
Diabetiker  nach  Vornahme  derselben  Correktion  nahezu  21. 
Der  Gesunde  nahm  dabei  760,  der  Diabetiker  nur  344  Grmm. 
Sauerstoff  auf,  mithin  weniger  als*  die  Hälfte. 

Wir  haben  in  unsrer  ersten  Mittheilung  schon  die  An- 
sicht ausgesprochen,  dass  die  verringei*te  Sauerstoffaufnahme 
zu  den  wesentlichsten  Momenten  der  Zuckerhamruhr  gehöre. 
Kühne  meint  in  seinem  jüngst  erschienenen  Yortrefflichen 
Lehrbuch  der  physiologischen  Chemie,  diese  Ansicht  könnte 
ein  Zirkelschluss  sein,  die  Sache  verstehe  sich  aus  der  ge- 
steigerten Zuckerbildung  überhaupt  von  selbst.  Wir  glauben 
aber,  dass  den  nun  vorliegenden  Thatsachen  g^enüber  jeder 
Zweifel  schwinden  muss.  Man  weiss  ausserdem  mit  aller 
Bestimmtheit,  dass  nur  die  Eiweisskörper  (wesentlich  die 
Blutkörperchen)  das  Geschäft  der  Condensation  des  in  der 
Atmosphäre  enthaltenen  Sauerstoffes  und  dessen  Einfuhrung 
in  den  Kreis  des  Stoffwechsels  besorgen:  wenn  man  nun 
thatsächlich  wahrnimmt,  dass  der  Diabetiker  bei  einem 
gleichen.  Ja  selbst  bei  einem  grösseren  Eiweissstoffwechsel 
viel  weniger  Sauerstoff  aufnimmt,    als   der  Gesunde,    dafür 


«.  Bßttenkofer:  Stoffverhraueh  hei  Zmkerhamruhr,  577 

aber  Produkte  des  Stoffwechsels ,  wie  den  Zucker,  den  der 
Gesunde  nur  zu  Kohlensäure  und  Wasser  verbrannt  ans« 
scheidet,  unverändert  von  sich  giebt,  so  wird  man  wohl 
nicht  leicht  anders  schliessen  können,  als  wir  gethan  habend 
Es  wäre  nur  denkbar,  dass  nicht  die  verringerte  Sauer- 
stoffaufnahme, sondern  nur  eine  vermehrte  Zuckerbildung 
die  nächste  Ursache  der  Zuckerausscheidung  sei,  wenn  man 
annehmen  dürfte,  dass  unser  Organismus  bestimmte  Vorricht- 
ungen besässe,  welche  von  dem  aufgenommenen  Sauerstoff 
#nur  einen  bestimmten  Theil  zur  Zuckerverbrennung,  den 
übrigai  zu  andern  Verbrennungen  in  Bereitschaft  setzten. 
Dieser  Ansicht  steht  aber  die  Thatsache  entgegen,  dass  der 
Gesunde  die  verschiedensten  und  wechselndsten  Mengen 
Zucker,  Fett  u.  s.  w.  zu  verbrennen  im  Stande  ist,  wie  aus 
unsem  Versuchen  an  dem  normalen  Menschen  hinreichend 
hervoi^eht.  Mit  andern  Worten,  wenn  wir  einem  Gesunden 
verhältnissmässig  dieselbe  Menge  Zucker  reichen,  die  ein 
Diabetiker  erzeugt  und  unverbrannt  im  Harn  entleert,  so 
wird  der  Gesunde  bei  dem  entsprechenden  Eiweissumsatze 
diesen  Zucker  doch  verbrennen,  — mit  noch  andern  Worten: 
selbst  der  reichlichste  Zuckergenuss  ist  nicht  im  Stande, 
Diabetes  mellitus  zu  verursachen,  denn  es  treten  nur  Spuren 
von  Zucker  in  den  Harn  aber,  wenn  auch  sehr  grosse 
Mengen  auf  einmal  genossen  werden,  und  somit  ist  auch  nicht 
denkbar,  dass  eine  blosse  Steigerung  der  normalen  Zucker- 
bildung einem  Menschen  Zuckerhamruhr  verursachen  könnte, 
wenn  diese  Steigerung  nicht  zugleich  mit  einer  verhältniss- 
massigen Verringerung  der  Sauerstoffau&ahme  zusammenfallt. 
Wie  das  nun  zugehe,  dass  beim  Diabetiker  der  Zucker, 
sowohl  der  von  Aussen  eingeftihrte,  als  der  im  Organismuss 
erzeugte,  den  Sauerstoff  zu  seiner  Verbrennung  nicht  findet, 
sondern  im  Harn  austritt,  daräber  wagen  wir  vorläufig  keine 
bestimmte  Meinung  zu  äussern:  aber  wir  glauben  durch 
unsere  Ansicht  auf  keinen  Irrweg  zu  leiten    und  glauben, 


578        Si^fung  der  maUi'phy9,  Qdsae  wm  7.  Desember  1867. 

dass    in  der  von  uns  eingeschlagenen  Riditung  die  Antwort 
auf  die  Frage  zu  finden  sein  müsste. 

Der  Stoffwechsel  des  Diabetikers  im  Hungerznstande 
ist  80  lehrreich  und  wichtig,  dass  wir  noch  näher  darauf 
eingehen  müssen.  Wir  wissen  durch  unsere  Untersuchungen, 
das8  der  normale  Mensch  im  Hungerzustande  ausschliesslidi 
von  Fleisch  (Eiweiss)  und  Fett  seines  Körpers  und  vom 
Sauerstoff  der  Luft  lebt.  Wir  vermögen  nun  auch  für  den 
hungernden  Diabetiker  eine  Stoffwechselgleichung  auüsii- 
stellen,  aus  der  sich  auf  den  ersten  Anblick  zu  ergebe»' 
scheint,  dass  er  ebenso  von  Yorräthigem  Eiweiss  und 
Tvaubenzucker  lebt,  wie  der  hungernde  Gesunde  von 
seinem  Eiweiss«  und  Fett-Yorrath.  Aus  der  Stickstoffaus- 
scheidung beim  Hungerversuche  ergiebt  sich,  dass  der 
Kranke  so  viel  Eiweiss  zersetzt  haben  musste,  als  317  6rmm- 
Fleisch  entspricht.  In  der  Kohlensäure  der  JRespiration 
wurden  137  Gimm.  Kohlenstoff  entfernt,  wovon  35  dem 
Eiweiss  entstammen  konnten,  nachdem  sich  die  Elemente 
des  Harnstoffs  abgetrennt  hatten.  Denkt  man  sich  die 
übrigen  102  Kohlenstoff  als  Zucker,  so  waren  zur  Verbrenn- 
ung der  beiden  Gruppen  114  +  272  Sauerstoff  nöthig. 
Vergleicht  man  die  auf  diese  Art  berechnete  (386)  mit  der 
durch  den  Versuch  gefundenen  Menge  (344)  Sauerstoff,  so 
reicht  der  aufgenommene  Sauerstoff  nicht  einmal  ganz  zur 
JBildung  der  Kohlensäure  aus,  die  theilweise  auf  Kosten  des 
Sauerstoffs  im  Wasser,  durch  eine  Art  Gährung,  bei  welcher 
H  oder  GH,  auftritt,  entstanden  gedacht  werden  könnte.  Die 
fehlenden  42  Grmm.  Sauerstoff  erforderten  das  Auftreten 
,yon  etwa  5  Grmm.  Wasserstoff,  einer  Menge,  die  in  den 
Versuchen,  wo  sie  wirkl;ch  bestimmt  worden  ist,  viel  meiir 
als  erreicht  wurde. 

Wir  können  aber  auch  annehmen,  dass  der  Kohlenstoff 
der  Kohlensäure  in  der  Respiration  nicht  von  Fleisch  und 
Zucker,  sondern  wie  beimr  hungernden  Gesunden  von  Fleisdi 


«.  BBttmUu^tr:  Sioffverhrmueh  bei  ZHdferhmmmkt.         679 

und  Fett  geliefert  worden  sei,   und  dann  sehen,   wie  bei 

dieser  Annahme  Rechnung  und  Versuch    SQSaQimenstimmen. 

In  diesem  Falle  wäre  zur  Bildung  der  Kohlensäure  486  Groim. 

Sanertoff  nothig  gewesen,  was  also  die  wirklich  beobaohteCe 

Menge  um  mehr  als  liO  Grmm.  hinter  sich  lässt. 

Dieses  Verhältniss  tritt    auch  noch   bei    einer  andern 

Rechnungsart  des  Hungenrersuches  hervor,   zu  welcher  wir 

die  Daten  in  der  Zeitschrift  für  Biologie  mittheilen  werden. 

Stellt   man  sämmtliche  Einnahmen    und  Ausgaben  einander 

gegenüber,  so  findet  man,  dass  dar  Körper  in  24  Stunden 

161,8  Kohlenstoff  \       ,  , 

lA  Q  c*-  1  *  i»     i  verloren  und  um 
10,8  Stickstoff     J 

63,7  Wasserstoff  1  zugenommen  hat  (wesenth'ch  vom  ge- 
479,4  Sauerstoff    1  trunkenen  Wasser). 

Rechnet  man  nun  aus  der  Stickstoffausgabe  den  Ei- 
weiss-  (Fleisch-)  Umsatz,  so  eingeben  sich  72  Grmm.  trocknes 
Fleisdi  mit  39,6  Kohlenstoff, 

5,4  Wasserstoff, 
10,8  Stickstoff  und 
16,2  Sauerstoff. 
Setzt  man  die  Elemente  des  Fleisches  in  Einnahme,  so 
bleibt  noch  eine  Abnahme  von  122,2  Kohlenstoff  und 
eine  Zunahme  von    58,3  Wasserstoff  und 
463,2  Sauerstoff. 
Diese  122,2  Kohlenstoff  lassen  sich  nun  in  einem  Falle 
als  Zucker,    im  andern  als  Fett  in  die  Rechnung  einfuhren. 
^Stickstoff  und  Kohlenstoff   der  .Einnahmen   und  Ausgaben 
heben  sich  hiebd  auf,  es  bleibt  ein  Ueberschuss  von  Wasser* 
Stoff  und  Sauerstoff,   die  sich  naturgemäss   zu  Wasser  er» 
ganzen  sollten.     Je  näher  dieser  Rest  oder  Uebersohnss  der 
beiden    Elemente   mit   der   Zusammensetzung  des  WasSers 
stimmt ,    desto    grösser  ist   die  Wahrscheinlidikeit  f&r  die 
Richtigkeit  der  hypothetisdieB  Annahme.  Ich  lasse  die  Rech- 
nung mit  den  beiden  Annahme  folgen: 


580      SÜMimg  der  maih.-j^s.  CUmat  wm  7.  Detember  1B67. 
Erster  Fall  mit  Zucker. 


Einnahmen. 

C. 

H. 

N. 

0. 

Waseer,    Fleischeztrakt  and 

Saaerstoff  aus  der  Lnft 

7,0 

290,4 

3,4 

2662,4 

EiweisB  vom  Körper 

39,6 

32,1 

10,8 

230,1 

Zucker      „        „ 

122,2 

20,3 

— 

162,5 

168,8 

342,8 

14,2 

3055,0 

Aasgaben. 

Haru,  Koth  und  Respiration 

168,8 

226,7 

14,2 

2183 

Di£Perenz 

— 

116,1 

— 

872 

116  Wasserstoff  erfordern  928  Sauerstoff  zur  Wasser- 
bildung,  also  56  mehr  als  die  Hypothese  mit  Zucker  ergiebt. 

Zweiter  Fall  mit  Fett. 


Einnahmen. 

C. 

H. 

N. 

0. 

Wasser,    Fleischertrakt    and 

Sauerstoff  aus  der  Luft 

7,0 

290,4 

3,4 

2662,4 

Eiweiss  vom  Körper 

39,6 

32,1 

10,8 

230,1 

Fette 

122,2 

17,0 

— 

15,5 

168,8 

339,5 

14,2 

2908,8 

Ausgaben. 

Harn,  Koth  und  Respiration 

168,8 

226,7 

14,2 

2182 

Differenz 

— 

.112,8 

— 

725 

112,8  Wasserstoff  erfordern  902  Sauerstoff,  um  Wasser 
zu  bilden. 

Man  sieht,  wie  viel  mehr  die  Rechnung  stimmt,  welche 
auf  die  Hypothese  gegründet  ist,  dass  die  122  Grmm.  Kohlen- 
stoff in  der  Form  yon  Zucker,  als  in  der  Form  von  Fett 
beim  Stoffwechsel  betheiUgt  waren.  Im  ersten  Falle  differiit 
Rechnung  und  Hypothese  nur  um  56,  im  zweiten  Falle  um 
177  Sauerstoff,  so  dass  der  unterschied  mehr  als  ein  drei* 
facher  ist. 

Dass  in  jedem  Falle  Wasserstoff  im  Deberschuss  er- 
scheint, könnte  auffiallen,   erklärt  sich  aber  sehr  einfadi  ans 


V,  PeUmkofer:  Sto/fvefbraueh  bei  Zuekerhamruhr.         581 

dem  Umstände,  dass  die  Bestimmung  des  gasförmig  aus- 
tretenden Wasserstoffs  bei  diesem  Respirationsyersuche  nicht 
gemacht  wurde  und  zwar  aus  dem  Grunde,  weil  wir  zur 
Sicherheit  die  Kohlensäure-  und  Wasserbestimmung  doppelt 
machen  mussten,  wozu  wir  aller  4  Untersuchungspumpen 
des  Apparates  benöthigt  waren,  von  denen  sonst  2  zur  Be- 
stimmung von  H  und  CH,  dienten.  Für  den  Fall  nämlich, 
dass  die  einfache  CO,  oder  HO-Bestimmung  durch  einen 
Zufall  verunglückt  wäre,  hätten  wir  den  ganzen  Versuch 
wiederholen  müssen,  und  wir  hatten  Ursache  zu  zweifeln, 
erstens  ob  der  Kranke  sich  nochmal  dazu  entschliessen 
würde  und  zweitens,  ob  wir  den  Hungerversuch  mit  ihm 
überhaupt  nochmal  wagen  dürften,  da  er  der  Natur  seiner 
Krankheit  so  sehr  widerstrebt«  Es  gieng  übrigens  besser 
als  wir  vermutheten,  er  befand  sich  während  und  nach  dem 
Versuche  nicht  schlechter  wie  sonst.  Wenn  man  nun  an- 
nimmt, dass  während  der  24  Stunden  7  Ormm.  Wasser- 
Stoff  ausgeschieden  worden  sind,  eine  Annahme,  die  nach 
den  sonstigen  Bestimmungen  gar  nichts  unwahrscheinliches 
an  sich  hat,  so  stimmen  Rechnung  und  Hypothese  im  ersten 
Falle  vollkommen  überein,  im  zweiten  aber  fehlt  es  noch 
um  121  Grmm.  Sauerstoff.  Man  könnte  somit  mit  aller 
Zuversicht  annehmen,  dass  der  Diabetiker  im  Hunger  von 
einem  Vorrathe  an  Eiweiss  und  Zucker  in  seinem  Körper 
zehrt. 

So  sehr  alle  Zahlen  mit  der  Annahme  stimmen,  dass 
der  Diabetiker  im  Hunger  nicht  wie  der  Gesunde  vorräthiges 
Fett,  sondern  einen  Zuckervorrath  verbrennt  t  so  unwahr- 
scheinlich wird  diese  Annahme,  wenn  man  bedenkt,  wo 
diese  Zuckermenge  (im  gegebenen  Falle  305  Grmm.)  im 
Körper  irgend  aufgespeichert  sein  sollte.  Man  weiss,  dass 
der  gebildete  Zucker,  soweit  er  nicht  zu  Kohlensäure  und 
Wasser  verbrennt,  beständig  und  rasch  durch  den  Harn  ent- 
fernt wird,  gerade  so  wie  der  Harnstoff,  und  es  ist  nicht 


562         SiUmng  der  matk.-pkys,  Oasse  vorn  7.  DeMember  1867. 

m  glauboQ,  jlass  sämmtliche  Organe  eines  Diabetikers  so- 
Bammen,  wenn  sie  andi  alle  als  etwas  zudcerhaltig  aiige- 
nommen  w^den,  je  einen  Voirath  von  300  GrmiD.  enthalten 
könnten.  Wir  müssen  desslialb  uns  auch  noch  nach  einer 
andern  Erklärung  umsehen«  Die  Annahme,  dass  ein  Vorratb 
von  Zucker  verbrannt  sei,  beruht  theils  auf  einer  Beobadit- 
ung,  theils  auf  einer  Voraussetzung;  auf  der  Beobachtung  der 
Jn  24  Stunden  aufgenommenen  Menge  Sauerstoff,  und  auf 
der  Voraussetzung,  dass  wajirend  dieser  Zeit  kein  anderer 
Sauerstoff  in  den  Stoffwechsel  eingriff.  Nun  haben  wir  in 
unsem  Versuchen  am  normalen  Menschen  mehrfach  gesehen, 
wie  sehr  in  gleichen  Zeiträumen  die  Aufnahme  und  Abgabe 
von  Sauerstoff  divergiren  können,  und  es  könnte  sehr  wohl 
sein,  dass  der  Diabetiker  im  Hunger  ebenso  von  dem  Ei- 
weiss  und  Fett  seines  Körpera  zehrt,  wie  der  Gesunde,  dass 
er  aber  nicht  genug  Sauerstoff  aus  der  Luft  aufnehmen 
kann,  dafür  aber  von  dem  vorhandenen  Sauerstoffvorrath  in 
seinem  Körper  verbraucht.  Im  vorliegenden  Falle  hätte 
diese  Menge  gerade  so  viel  betragen,  als  das  Fett  zu  sdnw 
Umwandlung  in  Zucker  bedarf,  etwa  100  Grammen. 

Je  mehr  man  alle  Umstände  erwägt,  um  so  wahr- 
scheinlicher wird  diese  zweite  Annahme.  Der  Vorgang  ist 
durchaus  nicht  ohne  Beispiel  beim  Gesunden.  Vei-gleidiea 
wir  die  Hungeryersuche  mit  dem  normalen  Mensdien  bei 
Ruhe  und  Arbeit,  so  zeigt  sich,  dass  derselbe  zwar  in  der 
Ruhe  sogar  etwas  mehr  Sauerstoff  aufnahm,  als  zur  Ver- 
brennung des  umgesetzten  Eiweisses  und  Fettes  nöthig  war, 
dasser  hing^en  beider  Arbeit  beträchtlich  Sauerstoff  von  seinera 
Körper  beigegeben  haben  musste.  Diess  spricht  sich  am  ein- 
fachsten in  der  Verhältnisszahl  aus,  welche  in  der  Ruhe  68 
und  69,  bei  der  Arbeit  aber  80  beträgt.  Selbst  bei  den  Vtt^ 
suchen  mit  mittlerer  Kost  zeigt  sich  an  den  Arbeitstagen 
noch  eine  Erhöhung  der  Verhältnisszahl,  wenn  auch  in  viel 
geringerem  Maasae,   bei  den  Versuchen  im  August  von  94 


V.  Pettenköfer:  Stoffverhraueh  bei  Zueherhamruhr.         683 

auf  98,  bei  denen  im  Dezember  1866  von  74  and  78  auf 
82.  Der  Diabetiker  würde  sich  daher  im  Hunger  uud  bei 
Ruhe  ähnlich  verhalten,  wie  der  Gesunde  im  Hunger  und 
.bei  anstrengender  Arbeit,  es  wäre  nur  die  Differenz  noch 
grösser,  indem  die  Verhältnisszahl  im  Mittel  aller  Versuche, 
bei  denen  der  Diabetiker  Nahrung  erhielt,  zwischen  75  und 
.106  im  Hunger  schwankt. 

Nimmt  man  beim  hungernden  Diabetiker  die  Sauerstoff- 
abgabe vom  Eörpenrorrathe  und  damit  die  Verbrennung 
Yon  Fett  an,  so  hätte  er  im  Ganzen  etwa  100  Grmm.  Sauer- 
stoff zusetzen  müssen.  Diese  Zahl  erscheint  nicht  gross, 
wenn  man  bedenkt^  dass  der  hungernde  Gesunde  beim  Ar- 
beitsverstich  eine  noch  grössere  Menge  verloren  hat.  Wir 
haben  mit  dem  Diabetiker  allerdings  nur  einen  Versuch  bei 
Hunger  gemacht,  aber  wir  halten  das  Resultat  nichts  desto 
weniger  für  sicher,  weil  wir  die  Kohlensäure-  und  Wasser- 
bestimmung der  Perspiration  doppelt  machten,  und  beide 
Bestimmungen  sehr  genau  zusammengehen. 

Unsere  zweite  Erklärung  ist  daher  nicht  nur  möglich, 
sondern  viel  wahrscheinlicher  als  die  erste ;  sie  stimmt  auch 
sehr  gut  mit  der  Thatsache,  die  sich  bei  allen  übrigen  Ver- 
suchen in  den  Vordergrund  drängt,  nämlich  dass  der  dia- 
betische Organismus  in  der  .Fähigkeit,  Sauerstoff  aus  der 
Atmosphäre  zu  ziehen,  irgend  eine  wesentliche  Beschränkung 
erleide. 

Was  die  Zuckerausscheidang  anlangt,  so  richtet  sa(di 
die  Menge  hauptsächlich  nach  der  Grösse  und  Beschaffenheit 
deir  Nahrung.  Bei  reiner  Fleisdikost  sowohl  als  bei  Hunger 
adieidet  der  Diabetiker  bekanntlich  immer  noch  Zucker  aua^ 
obschon  beträchtlich  weniger,  als  bei  einer  Kost,  welche 
aus  Fleisch  (Eiweiss)  Fett  und  Kohlehydraten  gemischt  ist. 
Bei  reiner  F|ei8Qhnahru9g   haben  wir  nahezu   daa  gleiche 


584        SiUfung  der  math.-phys.  OUuse  vom  7.  Degember  1867. 

Verhältniss  zwischen  FleiBcheinnahme  und  Znckerausscheidiiiig, 
wie  Griesinger')  beobachtet.  Die  Kohlehydrate  der  Nahrang 
scheinen  im  Leibe  des  Diabetikers  einfach  in  Traubenzacker  ver- 
wandelt und  als  solcher  ausgeschieden  zu  werden,  vorausgesetzty 
dass  daneben  so  viel  Eiweiss  und  Fett  zur  Disposition  ist,  am 
die  Menge  Sauerstoff  zu  belegen,  welche  sein  Körper  über- 
haupt aufzunehmen  vermag.  Es  ergiebt  sich  aber  in  solchen 
Fällen,  dass  bei  einer  Kost,  wenn  sie  auch  an  Kohlehydra- 
ten bereits  sehr  reich  ist,  immer  auch  noch  Zucker  aus  K* 
weiss  oder  Fett  gebildet  wird.  Beim  Versuch  II  am  5.  August 
1865,  in  welchem  die  grösste  Zuckerausscheidung  za  be- 
obachten ist,  genoss  der  Kranke,  soviel  er  nur  mochte.  In 
seiner  Tageskost  waren  so  viel  Kohlehydrate  enthalten,  dass 
daraus  529  Grmm.  Zucker  gebildet  werden  konnten,  er 
schied  aber  644  aus,  a^so  115  Grmm.  noch  mehr. 

Fehlt  es  aber  in  der  Nahrung  an  Eiweiss  und  Fett,  so 
wird  auch  von  dem  aus  den  Kohlehydraten  gebildeten  Zucker 
verbrannt,  wie  das  neben  dem  Hungeversuche  auch  noch  der 
Versuch  mit  eiweissfreier  Kost  gelehrt  hat.  Im  letztem 
war  die  Nahrung  so  'zusammengesetzt,  dass  die  Einnahme 
an  Kohlenstoff  354  Grmm.  betrug.  Aus  den  Kohlehydraten 
konnten  etwa  670  Grmm.  Zucker  gebildet  werden;  ausser- 
dem genoss  er  noch  105  Grmm.  Fett  und  iVs  Liter  Bier. 
Er  schied  nur  429  Zucker  im  Harn  aus.  Die  Stoffwechsel- 
bilanz  zeigt  femer,  dass  der  Kranke  an  diesem  Tage  über- 
diess  noch  72  Grmm.  Kohlenstoff  in  irgend  einer  Form  von 
seinem  Körper  zugesetzt  hatte,  während  der  normale  Mensch 
der  in  seiner  eiweissfreien  Kost  (XU)  im  Ganzen  nur  229 
Grmm.  Kohlenstoff  zugeführt  erhielt,  nur  18  Grmm.  C  von 
seinem  Körper  hergab.     Man  sieht,   um  vrie  viel  mehr  der 


2)  W.  Griennger,  Studien  über  Diabetet.   Archiv  für  pbytiolog. 
Heilkimde  1859.  S.  1. 


V.  Fettender:  Stoffverbrauch  hei  Zutkerhartiruhr,  585 

Organismus  im  einen  and  im  andern  Falle  yerbraacht,  und 
wie  wenig  dem  grossem  Stoffaufwand  des  Diabetikers  auch 
nach  dieser  Richtung  hin  ein  grösserer  Nutzeffekt  entspricht. 
In  den  sieben  Versuchen  mit  dem  Diabetiker  haben 
wir  viermal  auf  die  Ausscheidung  von  Grubengas  und 
Wasserstoffgas  untersucht.  Beim  Versuch  III  erreichten 
beide  Gase  ihr  Maximum.  Bei  dem  Versuch  V  mit  reiner 
Fleischkost  ergab  sich  nur  H,  kein  GH^.  Wir  sind  nicht 
im  Stande,  bestimmte  Ansichten  über  die  Ursachen  der 
vorgekommenen  Schwankungen  aufzustellen,  aber  das  Auf- 
treten dieser  Gase  überhaupt  in  so  grosser  Menge 
(15  Grmm.  Wasserstoff  nehmen  den  Raum  von  166  Litern 
ein)  scheint  uns  von  Bedeutung  für  den  Prozess  des  Stoff- 
wechsels bei  dieser  Krankheit  zu  sein.  Neben  der  unvoll- 
kommenen Oxydation  gehen  beträchtliche  Gährungserschein- 
ungen  im  Darm,  vielleicht  auch  in  andern  Organen  einher. 
Bei  unserm  Kranken  machte  sich  die  auffallend  starke  Gas- 
entwicklung auch  noch  durch  eine  Nebenwirkung  ^  durch 
Verbreitung  sehr  übler  Gerüche  bemerkbar.  Er  hatte  seine 
Verpflegung  für  gewöhnlich  in  dem  Krankenzimmer  des 
Reisingerianum's,  welches  er  meistens  mit  noch  2  andern 
Kranken  theilte,  die  sich  nidit  selten  über  die  Ausdünst- 
ung des  Diabetikers  ernstlich  beklagten. 

Was  endlich  die  Verhältnisszahlen,  die  Quotienten  aus 
dem  der  Luft  entzogenen  und  in  der  ausgeschiedenen  Kohlen- 
säure wieder  enthaltenen  Sauerstoff  anlangt,  so  überraschen 
sie  in  der  Mehrzahl  der  Versuche  durch  ihre  niedrigen 
Ziffern,  als  ob  die  Nahrung  nur  aus  Fleisch  und  Fett  be- 
stände. Wann  Fett  allein,  aber  vollständig  verbrennt,  sollte 
die  Verhältnisszahl  73,  bei  Fleisch  allein  82 ,  bei  Zucker 
(Kohlehydraten)  allein  100  sein.  Mit  Ausnahme  des  Hunger- 
versuches bewegt  sich  die  Verhältnisszahl  sogar  etwas  unter 
der  Grösse,  die  sie  bei  gleicher  Nahrung  beim  normalen 
Menschen  erreicht.    Das    ist  eine    nothwendige  Folge    der 


586        SitMung  der  fnath.-phys.  Classe  vom  7,  Dezember  1867, 

Zuckerbildang  aus  Eiweiss  und  Fett,  wozu  Sauerstoff  a«B 
der  Luft  nöthig  ist  und  dann  des  Nichtyerbrennens  des  ge* 
bildeten  Zuckers,  d.  h.  eine  Folge  des  Austretens  eines 
Tfaeiles  des  aus  der  Luft  aufgenommenen  Sauerstoffs  nicht 
in  der  Form  von  Kohlensäure  durch  die  Lungen,  sondern 
in  Form  von  Zucker  durch  den  Hani.  Die  höchste  Zahl 
(106)  zeigt  sich  beim  Hungerversuche«  Aehnliche  Zahlen 
haben  Regnault  und  Reiset  bei  ihren  Versuchen  mit  Gras* 
fressem  und  wir  bei  Fütterung  des  Hundes  mit  Fleisch  and 
Zucker  gefunden,  und  man  kann,  wie  ich  oben  auseinander 
gesetzt,  die  niedrige  Zahl  beim  hungernden  Diabetikers  so 
auffassen,  dass  er  entweder  wie  die  Grasfresser  you  Eiweiss 
und  überwiegend  yon  einem  Kohlehydrat,  yon  Zucker  lebt, 
oder  dass  er  Sauerstoff  ron  seinem  Körper  verliert. 

Die  Wasserverdunstung  durch  Haut  und  Lungen  ist  im 
Ganzen  geringer  als  beim  Gesunden  und  gleichroässiger,  was 
wahrscheinlich  nur  eine  Folge  der  trockenen  Hautbeschaffen- 
heit und  der  geringen  Wärmeentwicklung  des  Kranken  ist. 
Wie  sehr  eine  gesteigerte  Verbrennung,  eine  dadurch  vermehrte 
Kohlensäurebildung  sonst  die  Wasserverdunstung  steigere, 
geht  aus  unsern  Versuchen  am  normalen  Menschen  ha'vor, 
wenn  man  Ruhe-  und  Arbeitstag  vergleicht.  An  den  Arbeits- 
tagen wurde  durchschnittlich  eine  doppelt  grössere  Menge 
Wasser  verdunstet,  als  an  den  Ruhetagen.  Einen  Arbeits- 
versuch mit  dem  Diabetiker  zu  machen,  war  natürlich  wegen 
seiner  völligen  Kraftlosigkeit  eine  Sache  der  Unmöglichkeit, 
da  er  sich  in  der  Ruhe  schon  viel  müder  fühlt,  als  der  Ge- 
sunde nach  dem  anstrengendsten  Tagwerk.^ 

Auch  die  Theilung  der  24stündigen  Stoffwechselversuche 
in  zwei  Hälften,  in  Tag  und  Nacht  lässt  einige  weitere  in- 
teressante Gesichtspunkte  erkennen.  Diese  Theilung  wurde 
bei  den  Versuchen  VI  und  VII  vorgenommen.  Diese  sind 
zunächst  vergleichbar  mit  den  Versuchen  V,  VI,  VII  und 
XIV  am  normalen  Menschen.   Es  wurde  dafür  gesorgt,  dass 


0.  PetUnkofefi  Staffverbraueh  hei  Zueherhamruhr,         ö87. 

bei  diesen  Versnchen  der  Kranke  am  Tage  sich  nicht  der 
Ruhe  im  fiette  hingeben  konnte;  er  sass  den  Tag  über  auf 
dem  Stuhle,  strickte,  las  und  sprach  oft  laut,  gieng  auch 
in  der  Kammer  zeitweise  auf  und  ab.  Am  10.  August  (VI) 
nahm  er  seine  Kost  zu  gewöhnlichen  Zeiten,  wesentlich  am 
Tage;  am  14.  August  (VII)  erhielt  er  sie  in  zwei  gleichen 
Hälften,  Morgens  zu  Anfang  des  Versuches  die  erste,  und 
12  Stunden  darnach  die  zweite.  Man  ersieht,  dass  der 
Unterschied  in  der  Eohlensäureausscheidung  zwischen  Tag 
und  Nacht  nie  so  gross  ist,  wie  beim  normalen  Menschen. 
Es  ist  auch  kein  wesentlicher  Unterschied,  ob  man  dem 
Diabetiker  die  Kost  in  einer  Abtheilung  oder  auf  zwei  gleiche 
Zeithälften  vertheilt  gab. 

In  der  Sauerstofifaufnahme  zeigt  sich,  dass  auch  der 
Diabetiker  in  der  Nacht  mehr  als  am  Tage  aufnimmt.  Auch 
beim  Diabetiker  wird  der  Unterschied  durch  Vertheilung  der 
Kost  auf  zwei  gleiche  Tageshälften  grösser,  ebenso  wie  beim 
Gesunden  (XIV). 

Noch  auf  einen  andern,  wie  uns  scheint,  nicht  unwich* 
tigen  Umstand  wurden  wir  durch  die  in  zwei  Abschnitte 
getheilten  Versuche  aufmerksam,  nämlich  auf  die  in  gleichen 
Zeitabschnitten  und  bei  einer  analog  zusammengesetzten 
Nahrung  ausgeschiedenen  Mengen  Harnstoff  und  Zucker,  mit 
andern  Worten  auf  den  gleichzeitigen  Gang  der  Eiweisszersetz- 
ung  und  der  Zuokerbildung  im  Körper.  Sie  gehen,  was  die 
Zeit  anlangt,  auffallend  parallel  Wir  wollen  dem  Ergebniss 
der  Versuche  VI  und  VII  vom  10.  und  14.  August,  die  in  der 
Tabelle  aufgeführt  sind,  noch  das  eines  andern  am  IL  August 
angestellten  hinzufügen,  wo  die  Nahrung  ähnlich  wie  am  10. 
war  9  aber  die  Produkte  der  Respiration  unberücksichtigt 
blieben.    Es  wurde  an  diesen  3  Tagen  ausgeschieden 


588       Sittung  der  maih.-phys.  CUuse  vam  7.  Detembtr  1867. 


a. 

b. 

c. 

Harnstoff  bei  Tag 

29,7 

20,7 

35,4 

„    Nacht 

20,1 

22,4 

30,6 

Zucker       bei  Tag 

246,4 

167,6 

275,4 

„    Nacht 

148,1 

188,2 

259,9 

Ein  gewisser  Parallelismus  ist  unverkennbar,  und  es 
lässt  sich  bei  diesen  drei  analogen  Versuchen  aus  dem  Harn- 
stoff nicht  nur  die  Zuckef menge  im  Ganzen,  sondern  auch 
für  die  einzelnen  Zeithälften  ziemlich  annähernd  berechnen. 
In  diesen  3  Tagen  wurden  157,8  Harnstoff  und  1285,6 
Zucker  entleert,  was  im  Mittel  auf  100  Harnstoff  814  Zucker 
entspricht. 

Es  ergiebt  nun 

für  24  Stunden 
a.        b.       c. 
die  Rechnung  405     350     536  Zucker 
der  Versuch     394     356     535 

femer  für  den  Tag 
die  Rechnung  242     168     288      „ 
der  Versuch     246     167     275 

für  die  Nacht 
die  Rechnung  163     182     248      „ 
der  Versuch     148     188     259 

Diese  Uebereinstimmung  zwischen  Rechnung  und  Ver- 
such ist  gewiss  kein  Zufall  und  deutet  auf  eine  innige  Be* 
Ziehung  zwischen  Eiweisszersetzung  und  ZuckerbUdung  bei 
analoger  Nahrung  hin. 

Vergleichen  wir  zum  Schluss  noch  einen  Augenblick 
den  Diabetiker  mit  dem  Manne  Nr.  II  in  unsem  Normal** 
Versuchen,  mit  dem  wir  nur  einen  einzigen  Versuch  (XV) 
angestellt  haben.  Wir  hatten  den  Mann  Nr.  U  ausgewählt, 
weil  derselbe  für  gewöhnlich  sehr  schlecht  und  kümmerlich 
sich  nährte,  klein  und  mager,  aber  sonst  gesund  war.     Wir 


«.  FdtenkoftTi  Stoffverbrauch  bei  Zuckerhamruhr.         589 

wollten  nur  sehen,  wie  ein  solcher  Körper  mit  der  mittleren 
Kost,  die  den  kräftigen  nnd  wohlgenährten  Mann  Nr«  I  ganz 
auf  seinem  Bestände  erhielt,  haushalten  würde.  Es  war 
vorauszusehen,  dass  er  seine  Nahrung  nicht  sofort  in  24 
Stunden  umsetzen,  nidit  so  viel  Sauerstoff  aufnehmen  und 
nicht  so  viel  Kohlensäure  erzeugen  würde,  wie  Nr.  I,  wejl 
alle  seine  Organe  kleiner  und  mangelhafter  ernährt  sein 
mussten;  wir  wollten  nur  sehen,  wie  viel  Ansatz  und  in 
welcher  Form  er  zunächst  erfolge.  Die  in  der  Zeitschrift 
für  Biologie  bereits  mitgetheilte  Stoffwechselgleichung  *)  zeigt 
deutlich,  dass  Nr.  IL  wohl  in's  Stickstoffgleichgewicht  mit 
seiner  Nahrung  gekommen  war,  aber  90  Grmm.  Kohlen- 
stoff nicht  ausschied,  die  er  nach  dem  Ergebniss  der  Gleich- 
ung als  Fett  (114  Grmm.)  zurückbehalten  hat. 

Bei  derselben  mittleren  Kost  zeigte  der  Diabetiker  nicht 
nur  kein  Stickstoffgleichgewicht,  sondern  gab  noch  24  Pro- 
cent darüber  von  seinem  Körper  her.  Er  setzte  auch  keinen 
Kohlenstoff  an,  wie  der  Mann  Nr.  II,  sondern  verlor  b^i 
dieser  Kost  noch  67  Grmm.  von  seinem  Körperkohlenstoff: 
vorrath  dazu.  Merkwürdiger  Weise  schied  der  kleine  Mann 
Nr.  II  bei  einer  Aufnahme  von  nur  594  Grmm.  Sauerstoff 
mehr  Kohlensäure  aus,  als  der  Diabetiker  der  680  Grmm. 
0  aufnahm  und  setzte  noch  114  Grmm.  Fett  an;  er  würde 
sich  mit  derselben  Kost  also,  mit  der  der  Diabetiker  seine 
Ausgaben  nicht  entfernt  bestreiten  konnte,  in  kurzer  Zeit 
gemästet  haben. 

Hätte  man  nur  den  Versuch  XV  am  normalen  Menschen 
und  den  Versuch  III  am  Diabetiker  zum  Vergleiche,  so 
könnte  man  der  Ansicht  Raum  geben,  dass  der  wesentliche 
Unterschied  darin  bestehe,  dass  der  Gesunde  das  Eiweiss 
in  Harnstoff  und  Fett  umsetze  und  letzteres,  wenn  es  keine 


2)  ZeitBchrifb  für  Biologie     Bd.  IL  S.  514. 
[1867.  IL  4.]  39 


590       SiUiui/td  äit  inä(h.^hfß.  XHasH  wm  ^  Dttmbtf  tS67, 

Gelegenheit  2a  Verbrebnto  findet,  im  Körper  aalblpdcbere, 
d^  Diabetiker  aber  es  in  Itarnstoff  und  Zucker  verwandle, 
and  grossentheils  im  Harn  anssdieide.  Diese  Anschanolig 
Ware  im  Blnne  der  S<^hiff8^eii  HypoÜiese,  dass  die  näehste 
ütsache  des  Diabetes  mellitas  nnr  eine  gesteigerte  Zucker- 
bildung  sei,  eine  Anschaattng,  der  auch  Kühne  huldiget,  der 
wir  uns  aber  aus  den  oben  angeführten  thatsächlichen  Grun^ 
den  nicht  atoschliessen  können. 

Wir  halten  duhsh  unsere  Untersuchungen,  in  weldien 
wir  die  ersten  vollständigen,  von  allen  hypothetischen  ZaU^i 
freien  8toffWe<;h8elgleichungen  fUr  einen  kranken  Menschen 
geliefert  haben,  l^r  constatirt,  dass  beim  Diabetiker  ein 
grösserer  und  Schnellerer  Eiweissumsatz  stattfindet,  ferner 
dass  der  Kranke  bei  gleidiem  Eiweissuknsatz  wenige 
Batterstoff  aufinrnrnt,  als  ein  Gesunder;  dann  dass  er 
im  fiungerzustande  entweder  von  einem  Vorrath  an 
Eäweiss  ^d  Zucker  in  seinem  Körper  lebt,  oder,  was 
wahrschemKcher  ist,  eine  beträchtliche  Mettge  Sanerstötf 
vott  seinem  Korper  Vei^iert,  und  endlich,  dass  die  iBildnng 
ttüd  Ausscheidung  von  Harnstoff  nnd  Zudcer  einen  gewissen 
Zusammenhang  isowohl  nach  Zeit  als  nach  Menge  yemtthen^ 
Diese  vi^  Thiltsaehen  Schemen  uns  feste  Grundfatgen  f9r 
Weitefte  Forsehungen  über  diese  Krankheit  absttgebeii.« 


Suchner:  Vergiftung  mit  Blausäure.  591 


Herr  Bnchner  sprach: 
,^Ueber   die   Beschaffenheit   des 'Blutes    nach 
einer  Vergiftung  mit  Blausäure'*. 

Beobachtungen  über  die  Beschaffenheit  des  Blutes  von 
lliieren,  welche  mit  Blausäure  getödtet  worden  waren,  sind 
in  neuester  Zeit  mehrere  gemacht  worden.  In  München 
haben  hierüber  die  Herren  CoUegen  Veit  und  Heinrich 
Ranke  genaue  Versuche  angestellt  und  in  Bonn  hat  Hr. 
Dr.  W.  Preyer  die  Blausäure  zum  Gegenstand  einer  aus- 
föhrlichen  physiologischen  Untersuchung  gemacht,  deren  bis- 
herigen Ergebnisse  er  in  seiner  vor  wenigen  Tagen  er- 
sdiieaen  Schrift:  „Die  Blausäure  physiologisch  unter- 
sucht.   ErsteüT  Theil.  Bonn  1868''  bekannt  gemacht  hajL 

Der  am  21.  November  dieses  Jahres  in  München 
geschehene  Mord  an  der  Frau  Gräfin  Chorinsky  Ledske, 
welcher,  wie  schon  die  Section  vermuthen  Hess  und  wie  die 
darauf  von  mir  vorgenommene  chemisdie  Untersudiung 
ausser  Zweifel  stellte,  mittelst  Blausäure  verübt  worden  war, 
hat  mir  Gelegenheit  verschafft,  die  Beschaffenheit  von  menddi- 
lichem  Blute  nadi  einer  solchen  Vergiftung  näher  kennen  zu 
lernen,  denn  unter  den  mir  zur  chemischen  Untersuchung 
übergebenen  Objecten  befand  sich  auch  das  bei  der  Section 
der  Leiche  der  genannten  Gräfin  gesammelte  Blut,  dessen 
Menge  285  Gramme,   mithin  etwas   über  V'  Pftind  betrug. 

Meines  Wissens  ist  man  über  die  Art  und  Weise,  wie 
der  genannten  Gräfin  das  Gift  beigebracht  wurde,  nooh  voll- 
kommen unaufgeklärt.  Der  Rest  des  Thee's,  den  die  Un- 
{^ückliche  unmittelbar  vor  ihrem  Tode  in  Gesellschaft  ihrer 
angeblichen  Mörderin  getrunken,  so  wie  die  übrigen  auf 
dem    Tische    vorgefundenen   Flüssigkeiten,    nämlich   Milch, 

39* 


592       Sitgung  der  matK-phys.  Classe  vwn  7.  Dezember  1867. 

Rum  und  Trinkwasser,  dann  der  Inhalt  des  Nacbttopfes  ent- 
hielten weder  Blausäure  noch  Cyankaliunj ;  auch  die  anderen 
zur  Untersuchung  gebrachten  Gegenstände  aus  der  Wohn- 
ung der  Gräfin  waren  mit  Ausnahme  eines  Gläschens  mit 
EirschlorbeerwjMser ,  welches  aber  noch  ganz  yoU  war  und 
dessen  Inhalt  der  Aufschi*]ft  zufolge  als  ein  Mittel  gegen 
Leibschneiden  benutzt  werden  sollte,  vollkommen  frei  von 
diesen  Giften. 

Die  aufgeworfene  Frage,  ob  Gräfin  Gh.  mit  freier  Blau- 
säure oder  mit  Cyankalium  vergiftet  worden  sei,  konnte 
durch  die  chemische  Untersuchung  nicht  bestimmt  beantwortet 
werden,  wohl  aber  kann  ich  mit  Gewissheit  behaupten,  dass 
vier  Tage  nach  dem  Tode  das  Gyan  im  Mageninhalt  und 
auch  im  Blute  nur  als  freie  Blausäure  und  nicht  als  Cyan- 
kalium vorhanden  war  und  dass  folglich,  wenn  auch  Gräfin 
Gh.  Cyankalium  bekommen  hätte,  dieses  durch  chemische 
Zersetzung  vollkommen  in  Cyanwasserstoff  (Blausäure)  ver- 
wandelt worden  wäre. 

Der  dickbreiige  Mageninhalt,  welcher  hauptsächlich  ans 
zerkleinertem  Schinken  und  Kartoffelresten  bestand,  rodi 
etwas  faulig,  aber  ausserdem  so  auffallend  nach  Blausäure, 
dass  man  schon  dadurch  auf  die  Vermuthung  einer  Blaor- 
'  säure- Vergiftung  geführt  wurde.  Dieser  mit  Wasser  gehörig 
verdünnte  Magenbrei  röthete  Lackmuspapier  ziemlich  stark; 
als  ein  Theil  davon  destillirt  wurde,  gieng  gleich  Anfangs 
80  viel  Blausäure  über,  dass  das  Destillat  nicht  nur  den 
charakteristischen  Blausäure-Geruch  im  hohen  Grade  besasa, 
sondern  auch  die  bekannten  chemischen  Reactionen  der  Blau* 
säure  in  unverkennbarer  Weise  zeigte. 

Dass  der  Mageninhalt  ausser  Blausäure  nicht  auch 
Cyankalium  oder  eine  derartige  Cyanverbindung  enthalte, 
konnte  schon  aus  der  sauren  Reaction  desselben  geschlossen 
werden,  indessen  wurde,  um  den  Beweis  davon  vollständig 
zu  liefern,   die  Destillation  des  Magenbreies   mit  Wasser. so 


Buchner:  Vergiftung  mit  Blausäure.  593 

lange  fortgesetzt,  bis  keine  Blausäure  mehr  überging,  worauf 
man  den  Destillationsrückstand  mit  Phosphorsäure  vermischte 
und  abermals  destillirte.  Aber  diessmal  konnte  im  De- 
stillat keine  Spur  von  Blausäure  mehr  entdeckt  werden. 

Ich  habe,  um  die  Menge  der  im  Mageninhalt  am 
9.  Tage  nach  dem  Tode  der  Gräfin  Ch.  noch  vorhandenen 
Blausäure  beiläufig  zu  bestimmen,  die  Quantität  dieser  Säure 
in  jenem  Destillat,  welches  aus  ungefähr  einem  Drittel  des 
Magenbreies  erhalten  worden  war,  ausgemittelt.  Es  ergab 
sich  hiebei  eine  Menge,  welche  auf  den  ganzen  Mageninhalt 
berechnet  nahezu  0,075  Grmm.  oder  1,2  Gran  wasser- 
freier Blausäure  entspricht.  Eine  solche  Menge  ist  in  einem 
Quentchen  der  ofGcinellen  Blausäure  und  in  ungefähr  zwei 
Unzen  Bittermandel-  oder  Eirschlorbeerwassers  enthalten. 
Gräfin  Gh.  musste  aber  eine  grössere  Menge  Blausäure  er- 
halten haben,  weil  ein  Theil  des  Giftes,  abgesehen  von  der 
Verdunstung,  in  das  Blut  und  in  andere  Organe  überging 
und  desshalb  nicht  mehr  im  Magen  gefunden  werden  konnte. 

Nebenbei  will  ich  bemerken,  dass  das  wässerige  De- 
stillat aus  dem  Speisebrei  Lackmuspapier  nicht  röthete  und 
dass  demnach  dieser  Chymus  ausser  Blausäure  keine  andere 
flüchtige  freie  Säure  und  namentlich  keine  freie  Salzsäure 
enthielt.  Die  das  Lackmuspapier  röthende  Substanz  blieb 
im  Destillationsrückstand  und  ist  demnach  fixer  Natur; 
dieser  saure  Rückstand  lieferte  nach  dem  Filtriren  und  durch 
Eindampfen  auf  ein  kleines  Volumen  eine  gelbliche  Flüssig- 
keit, welche  bei  der  Dialyse  an  das  vorgeschlagene  Wasser 
hauptsächlich  die  Säure  und  einige-  Salze  abgab.  Diese 
Flüssigkeit  wurde  bis  zur  Syrupsconsistenz  eingedampft  und 
dann  ein  paarmal  mit  warmem  Weingeist  behandelt,  wobei 
sich  ein  Theil  auflöste.  Der  Verdampfungsrückstand  der 
weingeistigen  Flüssigkeit  röthete  Lackmus  sehr  stark,  zeigte 
sich  aber  frei  von  Phosphorsäure;  die  darin  vorhandene 
fixe  Säure  war  vielmehr  organischer  Natur  und  verhielt  sich 


594        Sitzung  der  maih.-phys,  Claase  vtm  7,  Dezember  1867. 

wie  Milchsäure;  die  Asche,  welche  beim  Verbrexmen  zorück« 
blieb,  reagirte  nicht  mehr  sauer,  sondem  im  (xegeniheil 
Bokwach  alkalisch;  Kali  war  dariu  in  nur  sehr  geringer 
Menge  und,  wie  es  scheint,  als  Chlorkalium  yorhanden;  der 
Hauptsache  nach  bestand  diese  Asche  aus«Chlomatrium. 

Der  in  Weingeist  unlösliche  Theil  des  Dialysirten  rea- 
girte schwach  sauer  und  war  reich  an  Phosphorsäure  und 
an  Kali;  ausser  phosphorsaurem  Kali  konnte  darin  nichts 
Bemerkenswerthes  gefunden  werden. 

Das  ganze  Verhalten  der  in  Wasser  löslichen  Stoffe 
aus  dem  Destillationsrückstande  des  Mageninhaltes  stimmt 
also  mit  demjenigen  des  Fleischsaftes  überein;  dasselbe 
unterstützt  keineswegs  die  Annahme,  dass  Gräfin  Ch.  durch 
Cyankalium  vergiftet  worden  sei. 

Was  nun  die  Beschaffenheit  des  Blutes  aus  der  Leiche 
der  Gräfin  Gh.  betrifft,  so  bot  dasselbe  einige  auffallende 
Verschiedenheiten  von  gewöhnlichem  menschlichen'  Leichen- 
blute  dar.  Es  fiel  zunächst  auf,  dass  dieses  Blut  eine  helle 
kirschrothe  Faibe  hatte  und  diese  Farbe  mehrere  Tage  lang 
behielt,  sa  wie  dass  dasselbe  am  fünften  Tage  und  audi 
noch  längere  Zeit  nach  dem  Tode  nicht  geronnen,  sondern 
Tollkommen  flüssig  war.  Erst  nach  einigen  Wochen  fand 
man  denjenigen  Theil  des  Blutes,  welchen  man  in  einem 
lose  bedeckten  Gefasse  bei  ziemlich  niedriger  Temperatur 
der  Luft  ausgesetzt  hatte^  in  eine  dünne  Gallerte  verwandelt 
Der  hohe  Grad  der  Unveränderlichkeit  dieses  Blutes  gab 
sich  ferner  durch  seine  lange  Unfähigkeit  zu  faulen  zu  er- 
kennen. Am  fünften  Tage  nach  dem  Tode  roch  es,  obwohl 
vor  dem  Zutritt  der  Luft  nicht  geschützt,  wie  ganz  frisches 
Blut;  später  nahm  es  einen  etwas  ranzigen  Geruch,  dem- 
jenigen alter  Butter  nicht  unähnlich,  an;  ein  Theil  des 
Blutes,  welcher  in  einem  verschlossenen  Glase  aufbewahrt 
wurde,  zeigte  erst  nach  mehreren  Wochen  schwadien 
FäuInisBgeruch.   Auch  konnte  an  dem  der  Luft  ausgesetzten 


Bwshner:  Ywgifty^g  wi%  BUm^i^im.  595 

31ate  lange  Ipsine  Schimmelbüdwg  bec^bftdiWt  wardeo;  erst 
al&  ^s  Blut  etwas  geronnen  war,  waren  auf  seiner  Ober- 
fläche einzelne  Scbimmelpartien  zu  bemerken.  Ich  habe 
diesem  noch  hin^uzufögen,  da3S  bei  eiqer  wenige  Ti^ge  nach 
der  Section  Torgenomnienen  mikroskopischen  Beobacbtong 
des  Blutes  die  meisten  rothen  Blutskörperchen  dann  zer- 
stört waren. 

Um  zu  sehen,  ob  sich  in  di^em  Blute,  welches,  wie 
vorhin  erwähnt^  wie  ganz  frisches  Blut  aber  durchaus  nicht 
nach  Blausäure  roch,  diese  Säure  am  fünften  Tage  nach 
dem  Tode  chemisch  nachweisen  laisse,  wurde  ein  Theil  des- 
selben gehörig  mit  Wasser  verdännt  und  der  Destillation 
unterworfen.  Die  erste  Portion  des  Destillats,  welche  be- 
sonders aufgefangen  wurde,  besas^  den  Geruch  nach  Blau- 
säure ganz  unverkennbar.  Silberlösuug  brachte  darin  so- 
gleich eine  weisse  Trübung  heryor,  die  sich  beim  Schütteln 
zu  einem  flockigen,  sich  wie  Cyansilber  verhaltenden  Nieder- 
schlag zusammen  begab.  Das  mit  Kalilauge  und  hierauf 
mit  ein  Paar  Tropfen  Eisenoi^ydulozyd-Lösung  vermischte 
Destillat  wurde  beim  Ansäuern  mit  Salzsäure  intensiv  blau 
und  bildete  nach  einiger  Zeit  einen  Niederschlag  von  Ber- 
linerblau. Mit  einigen  Tropfen  Schwefelammoniuo)  ver*» 
mischt  und  auf  ein  kleines  Volumen  eingedampft,  ([ab  es 
mit  Eisenchlorid  eine  intensiv  blutrothe  Färbung,  die  bewies, 
dass  sich  hier  Rhodanammonium  gebildet  hatte,  welches  nur 
aus  der  im  Destillat  vorbandeqeQ  Blausäure  entstanden  sein 
konnte. 

Durch  diese  Versuche  ist  also  dw  Beweis  auf  das  Be- 
stimmteste geliefert,  dass  siph  noch  am  fünften  Tage  nach 
dem  Tode  Blausäure  in  dem  Blute  damit  V^gifteter  sicher 
erkennen  lässt.  Es  ist  mir  diess  selbst  ein  paar  Wochen 
später  noch  gelungen,  ja  sogar  in  dem  fast  vertrockneten 
Blute,  w^ehes  pi(^  aus  d^  Mpudhöhle  d^  Leiche  über  den 
oberen  Theil  der  Kleidung    und  auf  die  Stelle  des  Zimmer- 


596       SiUung  der  math.'phys,  Glosse  eom  7.  Dezember  1867. 

bodens,  auf  welcher  Gräfin  Gh.  am  zweiten  Tage  nach 
ihrer  Ermordung  liegend  gefunden  wurde,  ergossen  hatte, 
konnte  ich  auf  die  vorbin  beschriebene  Weise  Spuren 
von  Blausäure  deutlich  nachweisen,  ebenso  in  den  mir  zur 
üntersuchung  überschickten  Eingeweiden  und  namentlich  in 
der  Leber  und  Milz. 

Als  die  empfindlichste  Methode,  um  geringe  Spuren 
von  Blausäure  zu  entdecken,  hat  sich  hiebei  die  von  Hm. 
V.  Liebig  ausgemittelte ^)  gezeigt,  welche  auf  der  leichten 
Umwandlung  der  Blausäure  in  Rhodanammonium  durch 
Schwefelammonium  und  der  Reaction  des  Eisenchlorides  auf 
das  Rhodanammonium  beruht.  Dieser  Methode  am  nächsten 
steht  hinsichtlich  der  Empfindlichkeit  die  Umwandlung  der 
Blausäure  in  Berlinerblau.  Aber  man  muss,  um  bei  sehr 
geringen  Spuren  von  Blausäure  die  blaue  Färaung  sichtbar 
zu  machen,  das  mit  Kalilauge  versetzte  Destillat  zuvor  auf 
ein  kleines  Volumen  eindampfen,  ehe  man  sie  mit  einem 
oder  zwei  Tropfen  Eisenoxyd-Oxydullösung  vermischt  und 
mit  Salzsäure  ansäuert.  Auch  kommt  der  Niederschlag  von 
Berlinerblau  in  Form  blauer  Flöckchen  oft  erst  zum  Vorschein, 
wenn  man  die  Flüssigkeit  in  einer  Probirröhre  ein  Paar  Tage 
lang  massiger  Wärme  ausgesetzt  hat.  Spuren  von  Blausäure 
werden  auch  durch  Silberlösung  angezeigt,  allein  da  das 
Cyansilber  keine  charakteristische  Farbe  hat  und  Spuren 
desselben  von  Chlorsilberspuren  nicht  wohl  unterschieden 
werden  können,  so  würde  natürlich  diese  Reaction  allein 
nicht  hinreichen,  um  eine  sehr  gemnge  Menge  Blausäure 
sicher  zu  erkennen.  Ich  habe  mich  übrigens  jüngst  bei  der 
Untersuchung  des  mir  von  Hm.  Collegen  Voit  zur  Verfug- 
uug  gestellten  Blutes  von  einem  Hunde,  der  mit  einer  Mini- 


1)  Annalen  der  Chemie  und  Pharmaoie  1647.  LXI,  127. 


Buchner:   Vergiftung  mit  Blausäure.  597 

maldosis  von  Gyankalium  getödtet  worden  war,  überzeugt, 
dass  in  iem  Destillat  eines  solchen  mit  Pkosphorsäure  an- 
gesänerten  Blutes  weder  durch  Silber-  noch  durch  £iäen- 
lösung,  sondern  nur  durch  die  Rhodanreaction  an  der  Gränze 
chemischer  Wahrnehmung  stehende  Blausäurespuren  wahr- 
genommen werden  konnten. 

In  neuester  Zeit  hat  Hr.  Schönbein  in  Basel  ein  sehr 
interessantes  Verhalten  der  Blausäure  zu  den  Blutkörperchen 
beobachtet  und  in  der  Zeitschrift  für  Biologie  •)  beschrieben, 
welches,  wie  auch  ich  mich  überzeugt  habe,  als  das  em- 
pfindlichste Reagens  auf  Blausäure  und  namentlich  zur 
I^achweisung  derselben  im  Blute  bezeichnet  werden  muss. 
Dieser  Chemiker  hat  schon  vor  einigen  Jahren  gefunden, 
dass  die  Blutkörperchen  in  einem  ausgezeichneten  Grade  die 
Fähigkeit  besitzen,  nach  Art  des  Platins  das  Wasserstoflf- 
hyperoxyd  in  Wasser  und  gewöhnlichen  Sauerstoflf  umzu- 
setzen. Diese  Fähigkeit,  welche  offenbar  von  dem  wesent- 
lichen Bestandtheil  der  Blutkörperchen,  dem  saueistoff- 
saugenden  Hämaglobin  herrührt,  hat  auch  das  mit  W^asser 
verdünnte  entfaserte  Blut,  worin  die  Blutkörperchen  aufgelöst 
sind,  denn  auch  dieses  katalysirt  das  Wasserstoffhyperoxyd 
mit  stürmischer  Lebhaftigkeit..  Fügt  man  aber  nach  Schön- 
bein eine  nur  sehr  geringe  Menge  wässeriger  Blausäure  zu 
solchem  mit  zwei  Raumtheilen  reinen  Wassers  verdünnten 
Blute,  so  wird  die  katalytische  Wirkung  der  Blutkörperchen 
oder  vielmehr  des  Hämaglobins  so  sehr  geschwächt,  dass 
bei  der  darauf  folgenden  Vermischung  mit  Wasserstoffhyper- 
oxyd eine  kaum  noch  merkliche  Entbindung  von  Sauerstoff- 
gas bewirkt  wird. 

Sehr  bemerkenswerth  ist  *die  weitere  von  Schönbein 
festgestellte  Thatsache,   dass  das  verdünnte  blausäurehaltige 


2)  Jabrgang  166?:  III.  8.  Heft. 


$98        SiUiung  der  matK'phys.  Cla$9t  wm  7,  Jktember  1867. 

Blut  durch  Wasserstoffbyperoxyd  bis  mr  UQdurqhdrisglicb* 
keit  gebräunt  wird,  was  auf  eine  tief  gehende  Veräxulerang 
hindeutet,  welche  das  Hämaglohin  unter  diesen  UmstäudeB 
erleidet. 

Dass  die  Blausäure  für  sich  allein  auf  das  Hämaglobia 
weder  chemisch  noch  anderweitig  einwirkt,  ergiebt  sich  sohoa 
aus  dem  Umstände,  dass  die  Färbung  der  Blutflüssigkeit 
nach  Zusatz  von  Blausäure  unverändert  bleibt  (bei  mehr 
Blausäure  sich  höher  röthet)  und  dass  blausäurehaltiges,  mit 
Wasser  gehörig  verdünntes  Blut  im  Spectrum  die  zwd  so 
charakteristischen  Absorptionsstreifen  des  sauersto£fhaitigea 
Hämaglobins  (Oxyhämaglobins)  zeigt.  Schönbein  hat  ge- 
funden, dass  solches  Blut  seine  frühere  katalyüsohe  Wirk«- 
samkeit  wieder  äussert,  nachdem  man  aus  ihm  die  Blau- 
säure hat  verdampfen  lassen.  Die  blausäurehaltige  Blut- 
flüssigkeit, welche  man  mehrere  Stunden  lang  in  einem 
flachen  Gefasse  und  an  einem  massig  erwärmten  Ort  offen 
an  der  Luft  hatte  stehen  lassen,  vermochte  das  Wasserstoff- 
superoxyd wieder  lebhaft  zu  zerlegen,  ohne  durch  Letzteres 
im  Mindesten  gebräunt  zu  werden,  während  die  gleiche  in 
einer  luftdicht  verschlossenen  Jb*lasohe  Tage  lang  gehaltene 
Flüssigkeit  Wasserstoffhyperozyd  immer  nur  schwach  kata- 
lysirte  und  durch  dieses  starb  gebräunt  wurde, 

Die  Eigenschaft  blausäurehaltigen  Blutes,  durch  Wasaer- 
stoffhyperozyd  tief  gebräunt  zu  werden,  mitcht  es  möglioh, 
in  jener  Flüssigkeit  noch  eine  verschwindend  kleine  Meng^ 
von  Qyanwasserstoffsäure  nachzuweisen.  Um  dieses  zu  be^ 
weisen,  hat  Schönbein  50  Gramme  ent&serten  Ochsen* 
blutes  mit  450  Grammen  Wassers  und  5  Milligrammen 
Blausäure  (auf  die  wasserfreie  bezogen)  versetzt.  Dieses 
Gemisch  wurde  durch  Wassei*stoffhyperoxyd  noch  tief  ge- 
bräunt, obgleich  darin  nur  ein  hunderttausondtel  Blausäure 
enthalten  war.  Ja  es  konnte  die  Mischung  noch  mit  der 
siebenfachen  Menge  Wassers  verdünnt  werden ,   sp   4s0fl   es 


Büchner:   Vergiftung  mt  JBHausäwre.  ^99 

nur  noch  V^ooooo  Blausäure  enthielt,  am  beim  Zufügen  von 
Wasserstoffliyperoxyd  noch  immer  auf  das  Deutlichste  g^ 
bräunt  zu  werden. 

Schön b ein  konnte  bei  Anwendung  dieses  Ver&hreQB 
in  gewöhnlichem  Kirschwasser  noch  augenfälligst  Blausäure 
nachweisen,  die  darin  durch  kein  anderes  Reagens  mehr  zu 
erkenuen  war;  er  bezeichnet  desshalb  die  Blutkörperchen  in 
Verbindung  mit  Wasserstoffsuperoxyd  als  das  empfindlichste 
Reagens  auf  Blausäure.  Uebrigens  ist  es,  um  die  beschrie* 
bene  Reaction  zu  erhalten,  keineswegs  gleichgiltig,  in  welcher 
Aufeinanderfolge  man  Blausäure  und  Wasserstoffsuperoxyd 
zu  der  Blutflüssigkeit  fügt;  denn  wird  das  Superoxyd  in 
einiger  Menge  zuerst  beigemischt,  so  verursacht  die  Blau- 
säure nicht  die  geringste  Bräunung  und  wird  das  Wasser* 
Stoffsuperoxyd  ebenso  lebhaft  katalysirt ,  als  wenn  keine 
Blausäure  in  dem  Blute  vorhanden  wäre. 

üeber  das  Absorptionsspectrum  des  durch  Wasserstoff- 
hyperoxyd gebräunten  blausäurehaltigen  Blutes  hat  Hr.  Prof. 
Hagenbach  in  Basel  Versuche  angestellt.  Er  hat  gefunden, 
dass  in  eben  dem  Masse,  als  die  rothe  Farbe  der  Blut** 
flüssigkeit  in  die  braune  übergeht,  die  beiden  charakteristi- 
schen, zwischen  E  und  D  liegenden  Absorptionsstreifen  des 
Oxyhämaglobins  im. Spectrum  verschwinden,  ohne  dass  dafUr 
ein  neuer  Stieifen  aufträte.  Es  erstreckt  sich  dann  die  Ab- 
sorption ziemlich  gleichmässig  über  das  Spectralfeld ,  das 
Roth  ausgenommen,  welches  bei  einiger  Goncentration  der 
Blutflüssigkeit  allein  noch  durch  dieselbe  dringt.  Dadurch 
kann  man  das  blausäurehaltige  durch  Wasserstoffhyperoxyd 
gebräunte  Blut  von  demjenigen,  dessen  Bräunung  durch 
Sdiwefelsäure  bewirkt  ist,  und  welches  jenem  bis  zum  Ver* 
wechseln  gleicht,  unterscheiden,  denn  die  schwefdsäure«» 
haltige  Blutflüssigkeit  zeigt  einen  deutlichen  Absorptiona^ 
Strien  im  Roth,  welcher  dem  durch  Wasserstoffsyperoacyd 
gebräunten  blaasänrehaltigen  Blute  vollkommen  fehlt. 


600         Sitzung  der  math.-phys.  (lasse  vom  7.  Besember  1867, 

Der  an  Gräfin  Ghorinsky  begangene  Giftmord  bot 
mir  eine  ganz^  passende  Gelegenheit  dar,  die  Tauglichkeit 
des  Schön  b  ein 'sehen  Verfahrens  zur  Nach  Weisung  der 
Blausäure  im  Blute  eines  mit  Blausäure  vergifteten  Menschen 
zu  erproben.  Ich  brauche  kaum  zu  sägen,  dass  ich  hiebei 
die  Angaben  Schönbein's  vollkommen  bestätiget  gefunden 
habe.  Das  Blut  aus  der  Leiche  der  Gräfin  Gh.  hat  sich 
auch  bei  dieser  Prüfung  als  ein  verhältnissmässig  stark 
blausäurehaltiges  erwiesen.  Ich  habe  seitdem  schon  öfter 
dieses  Verfahren  an  blausäure-  sowie  an  cyankaliumhaltigen 
Blute  geprüft  und  mich  dabei  von  dem  hohen  Grade  seiner 
Empfindlichkeit  überzeugt.  Das  Blut  von  dem  Hunde,  weldien 
Hr.  Collega  Voit  mit  einer  sehr  geringen  Menge  Cyan- 
kaliums  vergiftet  hatte,  wurde  beim  Vermischen  mit  Wasser- 
stoflFhyperoxyd  auf  das  Deutlichste  gebräunt,  obwohl  sich 
aus  der  Flüssigkeit  ziemlich  viele.  Sauerstoffbläschen  ent- 
wickelten, während  in  demselben  Blute,  wie  oben  erwähnt 
wurde,  bloss  noch  durch  die  Rhodanreaction  an  der  Gränze 
chemischer  Wahrnehmung  stehende  Blausäurespuren  entdeckt 
werden  konnten.  Das  durch  Wasserstoffsuperoxyd  erfolgende 
Dunklerwerden  eines  Blutes,  welches  nur  Spuren  von  Blau- 
säure enthält,  nimmt  man  am  besten  durch  einen  verglei- 
chenden Versuch  wahr,  indem  man  von  gleichen  Hälften 
des  zu  prüfenden  Blutes  die  eine  mit  Wasserstoffhyperoxyd 
und  die  andere  mit  demselben  Volumen  reinen  Wassers 
vermischt  und  dann  die  Farbe  der  beiden  Blüssigkeiten  be- 
trachtet; wenige  Tropfen  Blutes  genügen  zu  diesem  Versuche. 

Ich  halte  das  Schönbein'sche  Verfahren  für  das  be- 
quemste und  empfindlichste  zur  Kachweisung  der  Blausäure 
im  Blute.  Aber  damit  man  die  Erscheinung  des  Dunkler- 
werdens durch  Wasserstoffhyperoxyd  wahrnehmen  könne, 
darf  dtis  Blut  nicht  schon  so  alt  sein,  dass  es  durch  frei- 
willige Zersetzung  dunkler  geworden  ist,  denn  ein  solches 
blausäurehaltiges  Blut   wird    durch  Wasserstoffhyperoxyd  in 


Vogd:  Oerding's  Oeschichte  der  Chemie.  601 

seiner  Farbe  nicht  mehr  verändert.  Im  Blute  aus  der  Leiche 
der  Gräfin  Ch.  habe  ich  noch  lange,  nachdem  Wasserstoff- 
hyperozjd  keine  Farbenveränderung  mehr  darin  bewirkte, 
mittelst  der  anderen  Beagentien  Blausäure  nachweisen 
können. 


Herr  Vogel  legt 

„Gerding's  Geschichte  der  Chemie'',  (Leipzig 
1867)  im  Auftrage  des  Verfassers  der  Classe  yor 
und  berichtet  darüber  Folgendes: 

<Gerding*s  Geschichte  der  Chemie  umfasst  die  historische 
Entwicklung  der  gesammten  chemischen  Wissenschaft  in  zwei 
'  Theilen ;  der  erste  Theil  behandelt  die  allgemeine  Geschichte 
der  Chemie  in  vier  Hauptperioden,  chemische  Kenntnisse 
des  Alterthums,  Zeitalter  der  Alchemie  und  medicinischen 
Chemie,  das  phlogistische  Zeitalter  und  das  quantitative  Zeit- 
alter, mit  Rücksicht  auf  die  hervorragendsten  Chemiker  und 
deren  Leistungen.  Der  zweite  Theil  begreift  die  specielle 
Geschichte  der  Chemie  oder  die  Geschichte  der  wichtigsten 
Lehren,  Theorien  und  einzelnen  Stoffe. 

Eopp's  Geschichte  der  Chemie  —  dieses  anerkannt 
classische  Werk  —  hat  dem  Verfasset  als  leitendes  Muster 
gedient  und  es  möchte  vorliegendes  Compendium  neben  jener 
unübertrefflichen  Geschichte  der  Chemie  beinahe  als  ein  ge- 
wagtes Unternehmen  erscheinen.  Dieses  Bedenken  ver- 
schwindet indess  bei  der  Erwägung,  dass  jenes  vier  Bände 
umfassende  Werk  während  der  Jahre  1843^  bis  1847  er* 
schienen  ist  und  seitdem  eine  ausserordentliche  Menge  neuer 
Thatsachen,    welche  ihre  Verzeichnung  in  den  Annalen  der 


602       Siigung  der  maÜk,-pkyB,  Chase  vom  7.  Deeember  1867. 

Geschichte  wohl  verdienen,  zu  Tage  gefördert  wurde.  Ausser- 
dem bietet  Eopp's  Geschichte  der  Chemie  ein  so  urnüang- 
reidies  ausfuhrlich  behandeltes  Material,  dass  neben  der- 
selben eine  gedrängtere  Bearbeitung  des  reichhaltigen 
Gegenstandes  als  eine  nicht  unwillkommene  Erscheinung 
betrachtet  werden  dürfte.  Die  an  historischen  Quellen  so 
glänzend  ausgestattete  Bibliothek  der  Georgia  Augusta  ist 
dem  dassisch  gebildeten  mit  gründlichen  philologisdiai 
Kenntnissen  ausgerüsteten  Verfasser  bei  seinen  mühsamoi 
und  tief  eingehenden  Vorstudien  wohl  zu  Statten  gekommen; 
es  ist  ihm  gelungen,  aus  den  ältesten  historischen  Werken 
die  schönsten  Citate  nnd  Belege  zu  einem  entsprechenden 
Ganzen  zu  vereinigen«  Der  durch  zahlreiche  literarische 
Leistungen  schon  rühmlichst  bekannte  Verfasser  hat  sidi 
mit  seiner  vorliegenden  Arbeit,  welche  die  Forschungen  der 
neuesten  Zeit  sdbstverständlich  nur  aphoristisch  behandehi 
konnte,  vollen  Anspruch  auf  Anerkennung  erworben. 


Oümbel:  Die  geognoü.  VerhäJttmSH  des  MoM-Blanc  eie.     603 


Herr  Gümbel  trägt  vor: 

,}Ueber  die  geognostischen  VerhältDisse  des 
Mont-Blanc  and  seiner  Ifachbarschaft  nach 
der  Darstellung  von  Prof.  Alph.  Favre  und 
ihre  Beziehungen  zu  den  benachbarten  Ost- 
alpen." 

Wenn  es  nichtig  ist,  dass  mit  d^r  Arbeit  unMre  Kraft 
wächst,  so  muss  man  es  ebenso  natürlich  als  elrkläriich  findeu, 
dass  in  der  Schweiz,  dem  Lande  der  Bodigebirge  utid  der 
mannichfaltigsten  Felsmassen,  welche  diese  zusammensetzen, 
der  menschliche  Oeist  sich  sdion  friihzeitig  mit  allem  Efaft- 
aufwand  an  der  Lösung  def  grossen  Probleme  versuchte, 
welche  die  gewaltige  Alpennatur  hier  in  so  reicher  Fülle  uiü 
unmittelbar  vor  die  Augen  gestellt  hat. 

Hier  war  es  daher  atich,  wo  ein  Saussute,  gegen  dM 
Ende  des  vorigen  Jahrhtmderts  unter  wenigen  Gebirgsf onchern 
einer  der  Ersten,  welcher  mit  der  bis  dahin  vorh^tischBnd 
specalativen  Richtung  brach,  mid  mit  einer  Unermüdlichkeit, 
Unbefangenheit  und  IVeue,  die  uns  in  Staunen  versetzt,  und 
Knit  einer  Beobachtungsgabe  und  mit  einem  Scharfblick,  die 
den  ächten  Naturforscher  kennzeichnen,  sich  der  directen 
Naturbeobachtang  zuwandte  und  den  fruchtbaren  und  vidieren 
Weg  exakter  Forschung  mit  kühnen  Sdiritten  betrat.  Eine 
lange  Reihe  Ranzender  Namen  seiner  Landsleute  hat  ^ie 
Wissenschaft  zu  rerzeidinen,  welche  die  ton  Saussnre  tun" 
geschlagene  Riehtnng  in  den  heimatfalichen  Bergen  weiter 
V^olgten  und  ^eleAet  von  dem  Lichte  der  uni^afhaltsam 
fortschreitenden  Wi^sensdmft  mit  steigerndem  Erfolge  4as 
BSättel  deb  OebirgsbftuM  Ae/r  Alpen  zu  ISsen  strebten.  Wenn 
hierbei  ein  grosser  Unterschied   zwischen  den  Ergebnissen 


604      Sitjsung  der  math.-phy9.  ülasae  vom  7,  Dezember  1667. 

der  ForschuDgen  früherer  Zeit  und  der  Gegenwart  sich  be- 
merkbar macht,  80  entspricht  dieses  eben  dem  Standpunkte 
der  Wissenschaft  von  damals  und  heute  und  es  ist  von 
hohem  Interesse,  diesen  Unterschied  zu  erkennen  und  uns 
des  grossartigen  Fortschritts  zu  freuen. 

Saussure  hatte  ganz  besonders  die  Umgegend  Ton 
Genf  und  den  Stock,  des  Mont-Blanc-Gebirges  zum  Gegen- 
stand seiner  bewunderungswürdigen  Forschungen  gewählt  und 
eine  Fülle  von  Thatsachen  festgestellt,  welche  uns  eine  un- 
veränderliche Errungenschaft  für  die  Wissenschaft  bleiben 
werden.  Die  allgemeine  Aufmerksamkeit  der  Gebirgsforscher 
war  seit  dieser  Zeit  auf  diesen  Theil  der  Alpen  gelenkt 
worden  und  fast  alle  (bedeutenden  Geologen  der  neueren 
Zeit  haben  sich  an  der  Fortführung  der  Gebirgsuntersuchung 
im  Gebiete  des  Mont-Blanc's  betheiUgt.  Der  jüngsten  Zeit 
aber  war  es  vorbehalten,  ein  umfassendes  Werk  über  die 
geognostischen  Verhältiosse  jenes  riesigen  Alpenstocks  und 
seiner  Umgebung  an's  Licht  treten  zu  sehea,  welches  ganz 
im  Sinn  und  Geist  eines  Saussure  gehalten,  sich  den  Vor- 
zug zu  eigen  gemacht  hat,  auf  der  Höhe  der  fortgeschrittenen 
Wissenschaft  unserer  Zeit  zu  stehen.  Es  sind  diess  die 
„Recherches  geologiques  dans  les  parties  de  la  Savoie, 
du  Piemont  et  de  la  Suisse  voisines  du  Mont-Blanc"  von 
Alphonse  Favre,  Professor  der  Geologie  an  der  Akademie 
zu  Genf,  1867  in  3  Bänden  mit  einem  Atlas  von  32  Blättern. 
Mit  grosser  Freude  begrüssen  wir  ein  Werk^,  in  welchem 
der  berühmte  Verfasser  die  Ei^^ebnisse  seiner  vieljährigen 
mit  Saussure'schem  Fleiss,  Unermüdlichkeit  und  Gründlich- 
keit angestellten  und  bis  ins  kleinste  Detail  ausgeführtai 
Untersuchungen,  welche  immer  die  Feststellung  .von  That- 
sachen mit  grösstpr  Unbefangenheit  und  unbekümmert  um 
jede  theoretische  Erklärung  als  höchste  Aufgajbe  sich  gestellt 
hatten  und  mit  einer  der  grossen  Aufgabe  vollständig  gewach- 


CUlmba:  Du  giOffMi.  Vmkmmim4^  M^m^BOm»  M.     605 


«eaan  Bcharfon  S^bA<^^QB0Bgabe  aagestelk  worden,  aas  so 
eben  vorgefegt  hat. 

Die  Fülle  der  Detailbeobachtang,  die  Biditigkeit  in  der 
Seurtheiluiig  der  Oebirgsrerhältnisae  und  die  Klarheit  der 
J)arstellimg  muss  ans  mit  Bewaaderaqg  erfüllen  ^  weui 
man  die  Schwierigkeiten  erwägt,  welche  den  Alpenforschnngea 
Bach  allen  Seiten  sich  in  den  Weg  stellen,  nnd  wenn  man 
die  yerwickelten  Verhältnisse  berUdcsichtigt,  welchen  wir  in 
•den  Alpen  fast  Schritt  ftir  Schritt  begegnen.  Der  kühne 
JUpengeolege  hat  seine  schwierige  Aufgabe  glficklich  nnd 
meisterhaft  gelöst  Wiann  derselbe  sich  aber  nicht  bles 
damnf  beschränkt,  uns  mit  den  Thateachen  bekannt  zu 
4Mchen,  welche  er  durch  Beobachtung  feststellte,  sondern 
jSBCh  aus  diesem  Detail  mit  seiner  fast  verwirrenden  und 
den  Ud>erblick  erschwerenden  Ansfiifarlichkeit  heraus  sidi 
Auf  den  höheren  Standpunkt  des  Zusammenfassens  und  der 
folgeruDgen  erhebt,  soweit  sie  sich  aus  der  grossen  Menge 
von  Einzelheiten  mit  Sicherheit  und  nach  den  ErfEihrungen 
der  Wissensdiaft  unserer  Tage  vorurtheilsfrei  gewinnen  lassen, 
so  können  wir  dem  Verfasser  nur  Dank  wissen  für  die  vielen 
imd  höchstwiohtigen  Schlüsse  über  die  Entstehung  der  Oe» 
steine  und  die  ^ildungsweise  jener  Oebietstheile  der  Alpen^ 
welche  er  zum  Gegenstand  seiner  Studien  gewählt  hat. 

So  sehen  vir  durch  diese  Meisterarbeit,  welche dardh 
die  Beigabe  einer  äusserst  zahlreichen  Menge  von  sehr  klar 
dargestellten  Firofilen^  Gebirgsansiditen  und  Abbildungen  von 
eingeschlossenen  organischen  Ueberresten  sehr  an  Verständ- 
lichkeit gewinnt,  und  einer  schon  früher  publicirten  sehr 
gelungenen  geognostischen  Karte  der  betreffenden  Gegend 
(Garte  g£ologique  des  parties  de  la  Savoie,  du  Piemont  et 
de  la  Snisse  voisends  du  Mont-BIanc,  Winteitbur  1863)  sich 
ainsoUieast,  eine  fühlbare  Lücke  in  der  Reihe  der  in  neuerer 
Zeit  erschienenen  monographischen  Scbädeningen  der  geogno* 
slischen  Verhältnisse  einzelner  Alpengebirgsglieder  in  West 

[1867.  IL  4.]  40 


606     8iUmg  aar  maOL^^s. .  Ckum  wm  7.  p^amiSber  iser. 

und  08t  auf  die  würdigste  Weise  ausgefällt  npd  eine  passende 
Gelegenheit  gegeben,  aas  d^m  reichen  Inhalt  dieser  Sdirift 
einiges  Wenige  heryorzoheben ,  welches  durch  Veigleichnng 
mit  den  geognostischen  Verhältnissen  'unseres  bayeriedien 
Antheils  an  der  grossen  Alpenkette  erhöhtes  Interesse  ge- 
winnen dürfte. 

Es  scheint  diess  um  so  mehr  gerechtfertigt,  als  der 
VerJAsser,  der  mit  einer  äussersten  Gewissenhaltigkeit  die 
gesammte  französische,  englische  und  italienische  Literatur 
zu  Rathe  zieht,  vergleidisweise  seltener  Veranlassung  nimmt, 
auf  deutsche  Arbeiten  «ich  zu  beziehen* 

Prof.  Favre  fuhrt  uns  zuerst  in  die  Ebene  des  Genfer 
See's  und  macht  uns  hier  mit  einer  Menge  von  geogno- 
stischen Erscheinungen  in  einer  Ausfilhrlichkeit  bekannt, 
welche  diese  Untersuchung  über  die  jüngeren  Ablagerungen 
▼ollständig  zu  erschöpfen  scheint.  Besonders  ausfiihrlidi 
werden  die  Verhältnisse  der  Gletscher  und  der  Glacial- 
gebilde  im  Allgemeinen  besprochen.  Er  glaubt  keine  feste 
Grenze  zwischen  den  Gebilden  der  gegenwärtigen  Zeitperiode, 
der  sogenannten  historischen  Zeit  und  den  zunächst  yoraus* 
gebenden  Ablagerungen  der  sonst  wohl  auschliesslidi  als  qualir 
oder  diluvial  bezeichneten  Periode  ziehen  zu  dürfen.  Er  fssst 
beide  als  Quatärschichten  der  Ebene  (terrains  quatemaires) 
auf  und  unterscheidet  vom  jüngeren  zum  älteren  fortsdireitend: 

1)  Modernes  Alluvium, 

2)  Terrassen  Alluvium  (nadigladale  Bildung), 

3)  Glacial-Gebilde, 

4)  Alte  Alluvionen  mit  Mergel  und  Lignit. 

Das  Interesse,  welches  sich  an  diese  grundlichen  Unter- 
suchungen Favre's  über  den  Boden  der  Ebene  zwischen 
dem  Alpenzug  und  der  Jurakette  für  uns  insbesondere  knüpft, 
bezieht  sich  auf  die  geognostische  Beschaffenheit  der  soweit 
ausgedehnten  Hochebene,  welche  sich  bei  uns  vor  dem  Hodi<r 
gebirge  nordwärts  ausbreitet  und  es  entsteht  die  Frage,  ob 


OümM:  Die  geognogt,   VerhäHniase  des  Mmt-JE^ne  etc.      607 

ivir  auch  bei  uns  gleiche  Erscheinangen  als  das  Resaltat 
gleicher  Ursachen ,  wie  in  jentr  änssersten  SW.  -  Ecke  der 
grossen  nordalpinen  Yerebnung  wahrnehmen.  Ich  habe  in 
meiner  Beschreibung  des  bayerischen  Alpengebirges  und  seines 
Vorlandes^)  eine  Bildung  der  Qnatärzeit  beschrieben,  welches 
ich  Terrassen-Diluvium  nenne  (S.  800),  und  ich  glaube, 
dass  dieses  Gebilde  dem  Fayre'schen  Terrassen  Alluvium 
entspricht.  In  den  bayerischen  Alpen  findet  sich  dasselbe 
ziemlich  hoch  über  dem  jetzigen  Wasserstand  60 — 75  Fuss 
über  den  Thalsohlen  und  liefert,  wie  bei  Genf,  den  Beweis 
eines  früheren  höheren  Laufs  der  Gewässer,  die  nun  nach  und 
nach  ihr  Bett  sich  eingetieft  haben.  Da  solche  Gebilde  in 
onsern  Alpenthälem  vorkommen,  darf  man  mit  Grund  schliessen, 
dass  zur  Zeit  ihrer  Bildung  das  Alpengebirge  bereits  dfe 
Hauptform  angenommen  hatte ,  die  es  jetzt  besitzt  und  die 
Thalungen  bereits ,  wenn '  auch  weniger  tief  als  jetzt ,  ihre 
Furchen  zu  ziehen  begonnen  hatten.  Indem  solche  Terrassen 
staffelformig  an  den  Thalgehängen  *  bis  zur  jetzigen  Sohle 
sich  herabziehen,  verbinden  sie  die  Erzengnisse  einer  älteren 
Periode  durdi  allmählige  üebergänge  mit  den  Alluvionen 
der  Jetztzeit.  Bei  uns  fehlen  darin  organische  Einschlüsse, 
welche  bei  Genf  vorkommen.  Wenn  hier  neben  Elephas  prir 
migenius  und  Cervus  tarandus  üeberreste  von  Mtxstadon 
gänzlich  fehlen,  so  scheint  diess  ein  neuer  Beweis  dafür 
zu  sein,  dass  letztere  Art  in  Europa  früher  ausstarb,  als  in 
Nordamerika. 

Von  ganz  besonderer  Wichtigkeit  auch  für  uns  sind  die 
Erzeugnisse  der  sogenannten  Glacialzeit,  welche  Favre 
mit  besonderer  Vorliebe  und  Gründlichkeit  beschreibt.  Er 
giebt  zugleich  in  grosser  Vollständigkeit  eine  geschichtliche 


1)  Geogn.  Beschr.  d.  bayer.  Alpengebirges  und  seines  Yorlandet 
von  C.  W.  Qümbel  1861. 

40* 


t606       Sitmmg  der  math.-ph^a  wm  Clame  7.  Deiember  IMT. 

Entwicklung  der  sogenannten  Eigzeitthe  orie^  am  de  dann  «hh 
zeln  kritisch  zn  beleuchten  n§d  um  endlich  fflr  die  AnnabiDe 
die  schlagendsten  Gründe  aua  dem  reichen  Schatze  seiner 
Erfahrungen  aufzuhäufen,  dasa  die  ungeheure  Ausdehmuc 
der  Oletscher,  selbst  bis  über  den  üenfersee  hinaus  einlach 
aus  dem  Zusammentreffen  einer  Eleihe  nasser  Jahre  mil 
reichem  Schneefall,  wie  sie  bisweilen  jetzt  noch  eintretea, 
(1816 — 1818),  wie  sie  früher  einmal  vielleicht  im  verstärktea 
Maasse  und  länger  andauernd  sich  gezeigt  haben  können  ia 
Verbindung  mit  der  grösseren  Höhe,  welche  das  Alpengebirge 
i)ei  Beginn  der  Quatärzeit  ohne  Zweifd  eingenommen  haben 
muaSi  als  alle  Gesteinsmassen,  welche  jetzt  die  weitauBge- 
dehnten  Ebenen  vor  den  Alpen  als  Geröll  und  Schutt  eriullea, 
noch  nicht  aus  demselben  fortgeführt  worden  war,  zu  er- 
klären sei.  Auch  mag  die  gesteigerte  Verdunstung  der  bei 
der  Alpenerhebung  aus  der  Wasserbedeckung  aufgetauchten 
ausgedehnten  Ländermassen  viel  zur  Depression  der  Tem- 
peratur beigetragen  haben.  Wir  finden  kaum  irgendwo  eiab 
lichtrollere,  ruhigere  und  vollständigere  Darstellung  aller 
hierher  gehörigen  Erscheinungen  und  deren  ErklärungsweiBen 
als  in  dem  diesem  Gegenstand  gewidmeten  10^  Capitel,  nadideai 
der  Verfasser  in  den  vorausgehenden  Abschnitten  vorerst  die 
Thatsachen  genau  beschrieben  hatte,  welche  im  Gebiet  seiner 
Darstellung  zu  beobachten  sind.  Es  sind  hier  eine  Meqge  der 
interessantesten  Beobacht^ingen  zusammengehäuft,  auf  Grund 
derer  er  sich  gegen  die  Annahme  mehrerer  Eiszeit- 
perioden ausspricht  und  das  Vorkommen  von  geschiditeten 
Lagen  oder  von  Lignitflötzen  zwischen  zwei  Glacialschntt- 
massen,  wie  bei  den  Lignitflötzen  von  Dümten  und  Dtznach, 
nur  als  Folgen  einer  Episode  eines  Gletscherrückzuges  und 
erneuten  Vordringens  zu  erklären  versucht  Wenn  nun  die 
allgemeine  Vergletscherung  unseres  Alpengebirgs  während 
der  Diluvialzeit  schon  längst  keine  blosse  Theorie  mehr  ist, 
sondern  zu  einer  wisssenschaftlich   festgestellten   Thatsache 


GümM:  Dit  geognost,   VerhäUnisse  des  Mtmt-Blane  ete.     609 

rieh  erhoben  hat,  so  sind  doch  mit  derselben  an  verschiedenen 
Stellen  des  Hochgebirges  und  seiner  Vorländer  so  vielfach 
verschiedene  Erscheinungen  verknüpft,  dass  es  gewagt  er- 
scheint,  den  Verhältnissen  eines  Theils  derselben  zum  all- 
gemein gältigen  Master  für  die  Glacialerscheinungen  aller 
übrigen  Theile  aufstellen  zu  wollen.  In  der  Gegend  des  Genfer 
See's  und  im  benachbarten  Alpenstock  lassen  sich  die  Glacial- 
erscheinungen an  jetztnoch  bestehenden  Gletschern  bis  in  die 
Ebene  herabverfolgen:  Gletscherschliffe,  Moränen,  erratische 
Blöcke,  Oladalschutt  und  es  scheint  mit  Recht  hier  angenom- 
men werden  zu  dürfen,  dass  einst  der  Khonegletscher  oder 
wie  diese  Quatärgletscher  sonst  heissen  mögen,  bis  zu  einer 
fieefiäche  herabgereicht,  diesen  selbst  bedeckt  und  dadurdi 
moglidi  gemacht  habe,  nicht  nur,  dass  erratischexBlöcke, 
weläie  unzweideutig  aus  dem  Mont-BIanc  -  Ui  gebii^gsstock 
stammen,  über  die  Seefläche  hinüber  bis  zum  Jura  transportirt 
wurden,  sondern  dass  auch  die  Vertiefung  des  Seebeckens, 
weil  mit  Eis  bedeckt,  nicht  mit  Schutt  ausgefüllt  worden  sei, 
sondern  sich  als  Seevertiefung  nach  dem  3Vegschmelzen  des 
Eises  bis  in  die  Neuzeit  erhalten  habe.  Die  Persistenz 
vieler  Voralpenseen  ist  unzweifelhaft  durch  diese  Vergletscher- 
ung  bedingt;  ohne  sie  würden  dieselben  mit  Gebirgschutt 
eingeebnet  worden  sein,  wie  der  übrige  Theil  der  alpinen 
Hochebenen.  Auch  von  dem  fiodensee  glaubt  man  das  Er- 
lalltsein  mit  Gletschereis  als  Grund  annehmen  zu  müssen, 
dass  er  sich  bis  in  die  Gegenwart  erhielt,  obwohl  ringsum 
so  grossartige  Gerölhnassen  angelagert  wurden,  die  ihn  aus- 
anfallen  vollständig  ausgereicht  hätten.  Der  höchst  merk- 
würdige Fund  von  Steinwaffen  und  Rennthierknochen  bei 
Sehussenried  am  lUnde  einer  Moräne,  oder  doch  einer 
Glaeialschuttmasse,  welche  von  Fr  aas  angehend  geschildert 
wurde,  spricht  sehr  zu  Gunsten  dieser  Annahme.  Auch  liegen 
erratische  Blöcke  weit  verbreitet  in  dem  Hügelland  nördlich 
vom  Bodensee.     Besonders  schwierig  wird  es,    die  Gladal« 


610      Siteung  der  fMAh.'phys.  doMe  vom  7.  Dezember  tB€7. 

^cheinimgeQ  weiter  östlich  vom  Bodensee  in  jenem  bergigen 
Vorlande  zu  verfolgen,  in  welchem  die  weichen  Molasse-Sand- 
steine, Conglomerate  und  Mergel  so  sehr  Torherrschen.  Fehlt 
es  auch  hier  nicht  an  einzelnen  sicher  erkennbaren  MoräneD^ 
wie  z.  B.  bei  Iramenstadt  von  der  Hier  seitwärts  vor  der 
breiten  Mündung  des  Thals,  wo  dasselbe  aus  dem  Hoch- 
gebirge heraustritt,  so  scheinen  doch  weder  die  Ealkgebirgs- 
schichten  noch  die  Molasse  fest  genug  oder  gegen  die  Ober- 
flächenverwitterung zureichend  widerstandsfähig ,  um  die 
Streifeneindrücke,  wenn  Gletscher  über  sie  hinweg  fort- 
schreitend ihre  Furchen  gezogen  haben,  bis  jetzt  sichtbar  za 
erhalten.  Ueberhaupt  ist  es -sehr  bemerkenswerth,  wie  selten 
man  in  diesen  allerdings  fast  blos  aus  kalkigen  Gesteinsarten 
aufgebauten  Alpengebirgstheilen  auf  glatte  oder  gestreifte 
Flächen  stösst,  die  sich  mit  einiger  Sicherheit  als  Gletsdier- 
schliffe  deuten  liesseu. 

Die  zweite  Reihe  der  Glacialerscheinungen,  die 
confuse  Gemenge  von  meist  scharfkantigen  und  gestreifteii 
Gesteinsbrocken  mit  Lehm,  welche  als  Ueberbleibsel  der 
Moränen  beim  Rückzüge  der  Gletscher  zu  betrachten  sind, 
erlangen  in  unseren  Alpen  ebenfalls  nicht  den  so  scharf 
ausgeprägten  Charakter,  wie  in  den  westlichen  Alpen,  yfji 
begegneten  auf  unseren  geognostischen  Wanderungen  sehr 
zahlreichen  Ablagerungen  wirr  durch  einander  gelagerter 
Brockengesteine  in  den  yerschiedensten  Gegenden.  In  den  mit 
Molassegebilden  erfüllten  Ebenen,  in  welchen  neben  Sandstein 
und  Mergel  die  aus  Urgebirgs-  und  Kalk-Rollsteinen  gemisdit 
zusammengesetzte  Nagelfluhe  ungemein  häufig  ein  mächtaga« 
Glied  der  Tertiärformation  ausmacht,  unterliegt  es  ganz  be« 
sonderen  Schwierigkeiten,  bei  solchen  Geröllschüttmass^  za 
unterscheiden  zwischen  ächten  Glacialgebilden  und  den  dorcfa 
Auflockerung  der  benachbarten  Nagelfluhschichten  und  durch 
Vermengung  mit  verwittertem  Mergel  der  nächsten  Nähe 
entstandenen  Schutt-  und  Triimmermassen,  weil  denselben  die 


<9flNiM:  Die  peognost.  V&rkäU^nm  des  Manif^SUme  etö.     611 

zwei  diarakteristnchen  Kennzeidieii  des  aohtm  Gletecher« 
eöhuttes,  y^scharfkaiitige  und  gestmfte  Geetdiisbrockeii'^  fehlen, 
Tidmehr  deren  Bollstücke  vollständig  abgerundet  und  glatt 
erscheinen.  So  begegnet  man  in  den  Allgäuer  Yorbergeti 
zwischen  Bodensee,  Immenstadt  und  Kempten  ziemlich  häufig 
aolchen  Schuttmassen  mit  abgerundeten  BoUstfioken  ?on 
zweifelhaftem  Charakter.  Die  Schwierigkeit  der  Unterscheid* 
uog  wird  hier  noch  durch  den  Umstand  vermehrt,  dass  die 
znnädist  diesem  Distrikt  angeschlossenen  Hochalpen  aus  Mo-* 
lasse  mit  zahlreichen  Nagelfluhbänken,  (Biedalphom  66180 
bestehen,  und  dass  man  in  deren  Vorland  einheimischci  von 
weiter  aus  den  Molasse-Alpen  hergelwachte  Gesteine  nicht 
unterscheiden  kann.  Auch  im  Kempter- Walde  dehnen  eich 
zwischen  mächtigen  Versumpfungen  Lagen  von  Lehm  mit  Ge* 
zollen  z.  B.  bei  Bodelsberg  aus,  die  fiir  Glacialgebilde  gehalten 
werden  können,  während  am  Südgehänge  desPeiss^bergs  eine 
sdir  mächtige  Schuttmasse  von  wirr  durcheinander  gemengter 
Bollstücke  und  von  Lehm  mit  grösserer  Wahrscheinlicbkett  ak 
ein  Zersetzungsprodukt  der  dort  unter  steilen  Winkehi  auf- 
gerichteten Molasse  und  Nagelfluh  des  Unteigrundes  zu  be^ 
trachten  sein  dürfte. 

Eine  andere  Erscheinung  in  unseren  Alpen,  die  idi  unter 
der  Bezeichnung  Hochgebirgsschotter  (S.  802  meines 
Werkes)  zusammengeiasst  habe,  -nimmt  unsere  Aufinetksam^ 
keit  in  gesteigertem  Maasse  in  Anspruch.  An  zahlreichefi 
aeihr  hochgelegenen  Orten  unseres  Kalkalpengebirgs  breite^ 
Bidhi  meist  ccmfase  Schuttmassen  mit  stark  abgerolltem 
Urgebirgs«  und  Kalkhroeken  aus,  die  nach  ihrer  hohen 
Lage  (Ins  5000'  ü.  M.)  und  ihrer  Unabhängic^eit  v<m  de» 
Bestände  der  jetzigen  Thalungen  unbedenklich  als  Gletscher- 
gebilde angesehen  werden  müssten,  wenn  sie  nicht  nur  abgerollte 
Gesteinsfragmente  in  sich  schlössen.  Besonders  ausgedehnt 
sind  diese  Schuttmassen  S.  vom  Zugspitzgebirge  an  der  Leut*; 
aseh  gegen  das  lanthal  und  in  jener  Gerölllage  auf  dem  SatM 


<I9     flüimif  iet  nMk'i^hiiß$.  iOUme  tarn  7.  JkgmSUr  iWf. 

aorBochalp»  iib  Wücbn-Kaiaergebirge  (4200')  mit  TöUig  ab* 
geiiiadeten  Drgebirgsfragmenten.  Mag  auch  noch  mandie 
dieser  Ablagerungen  bei  genaueren-  DntertnchaDgen  ab 
Gkeialgebilde  gedeatfilt  werden  kjkineni  immerhin  bleibt  der 
Charakter  in  den  Ostalpen  gegen  jenen  in  den  Weetalpea 
avSalknd  Terscbieden.  Gleichwohl  begegnen  wir  anf  der 
andwn  Seite  wieder  ganz  übereinstimmenden  Vethaltaissea^ 
2.  B.  in  den  lignitlagen  der  Ulerthalgehänge  bei  Sontbofen, 
der  Terrassen  bei  Gross  Weil  nnd  Ohlstadt,  in  denen  wir 
die  Analogie  mit  Dümten  und  Utznach  nicht  yerkemieo 
kdonen  (8.  804  m.  W.).  Leider  fehlen  bei  uns  Thierreste 
in  denselben  I  das  Holz  der  Lignite  dagegen  besteht  ans 
Arten^  wekhe  anch  jetet  noch  hier  vegetiren:  Pinns  sybre«^ 
strisy  P.  Pumilio  (Pinns  uliginosa?)  Betula  und  das  Game 
der  kohligen  Bildung  weist  auf  torfartige  Versumpiungen  bia^ 
Die  erratischen  Blöcke  erfreuen  sich  hauptsäcblicb 
auf  Veranlassung  Farre's  jetzt  einer  besonderen  Anfinerk* 
samkeit,  weil  man  bei  der  Gefahr,  dieser  so  wichtigen  ge<K 
goostischen  Dokumente  durch  den  Verbrauch  derselben  zu 
Baazweckeui  als  Strassenmaterial  etc.  vollständig  beraubt  zu 
werden,  es  für  nöthig  hielt,  genaue  Karten  über  ihr  Vor» 
kiMttiaen  herzustellen  und  einzelne  der  wichtigsten  als  National- 
eigenthum  für  unantastbar  zu  erklären.*)  Auch  ich  habe 
IMl  in  noieinem  Alpenwerice  (8.  800  Anm.)  auf  die  Dring* 
Uebkeit  genauer  Veraeidinisse  der  erratisdien  Blöcke  hin» 
geiriestti.  Solche  genaue  Au&dchnungen  werden  jetzt  in 
einem  grossartigen  Maassstabe  mit  Unterstiitsnng  der  Regie» 
mng  sowohl  m  den  französischen  Alpendepartementen  ab 
aieh  in  der  Schweiz  durch  die  geologische  Commiseion  her« 


3)  Appel  SQZ  Sniases  poor  les  engager,  &  consenrer  les  bloo8-err»> 
iiqtie«  par  la  commisaiou  giol.  suisse,  buItI  d'un  projecl  k  nne  carte 
de  U  diiiHbtition  de«  bloot  erratiqnes  eü  Suisse  ISC?,  imd  RappoH 
•lor  ki  IfsiPaea  de  k  «^.  da  ^hytiqne  de  Qto^e  per  Fetre*  iMf* 


Omtbü:  Die  g4ognosL  VwhäUniue  de$  Mom-BUme  $te.     Slft 

geflMIt  und  und  liach  den  neaesten  Mitifaeilnng«  Favre'» 
mm  Theil  schon  ?ollendet.  Ea  scheint  sehr  angezeigt,  daat 
auch  wir  in  Bayern  uns  diesem  wissenschaftlichen  Unter« 
Bclmien  onserer  westlidien  Nachbarn  in  entsprediender  Weise 
amoschliessen  haben«  Es  sind  zwar  anf  meiner  Alpenkarto 
die  herforragendsten  erratischen  Blöcke  vom  Bodensee  bis 
znr  Salzach  eingezeichnet^  alleim  diese  Einzeichnnngen  können 
und  wollen  nicht  ab  vollständige  gelten. 

Viele  dieser  erratisdieD  Blöcke  der  bayerisdien  Hochebene^ 
Ton  denen  mehrere  eine  auffallende  Abmndang  an  den  Kantea» 
nnd  Ecken  zeigen,  sind  inBezng  auf  ihre  Verbrettungslinie  m^ 
weilen  reihenweise  geordnet  and  meist  anf  den  die  benachbarten 
Thalnngen  b^leitenden  S.^'N.  verlaufenden  Höhenzügen  abge^ 
■etat,  wie  längs  des  Stamberger-Sees,  des  Inn's  a.  s.  w.  Man 
nimmt  gewöhnlich  an,  nnd  Favre  theilt  diese  Ansicht  für  die 
Westalpen,  dass  die  erratischen  Blöcke  anmittelbar  in  Fcnm 
vonGletschertisohen  auf  die  Stelle  geschoben  worden  seien,  wo 
siejetzt  noch  liegen.  Trotz  des  Widerspruchs  dieees  erfahrnngfr» 
reichen  und  vorurtheilafrmen  Forsohens  glaube  ich  gleichwoU 
für  die  Verbreitung  wenigstens  einer  Reihe  der  erratischen 
Blöcke  des  mittleren  und  öetlichen  bayerischen  Alpenvorlandes 
dio  Beihilie  von  schwimmenden  Eisblöcken,  welche  die  auf 
iknen  liegende  erratischen  Blöcke  auf  einer  damaligen  SeeflSdie 
nordwärts  transportirten,  anrufen  zu  müssen.  Es  bestimmen 
mich  zu  dieser  Annahme  sowohl  eines  EisschoUentranqporteSi 
ak  des  Vwhandensenis  einer  Seefläehe  vor  den  Alpen  noch 
iadere  geognostisdie  Erscheinungen,  die  ich  später  anfahren 
werde. 

Favre  madit  uns  in  dem  Abschnitt  seines  umfassenden 
Wefckee  fiber  die  Quatärgebilde  noch  mit  einer  vierten  vor- 
gtadalen  Abkgerung  der  Genfer  Ebene  bekannt,  die  er 
^lluvion  aneienne^'  nennt  Diese  bestehen  aus  geschieh« 
teten  Lagen  ovalor,  abgerollter  und  abgeplatteter  Bollst^n# 
4hne  Lehmzwisdienmittel,  ohne  Beimengung  gestreifter  Broefe' 


614      SUMumg  der  uMK'phfßB,  CXoise  vom  7.  Degember  1867. 

gteteine  und  ohne  erratische  Blöcke,  dageg^  mit  Saod« 
swiBchenlagen  lose  aaigehäaft  oder  mit  Kalksinter  fest  Ter* 
banden. 

Es  ist  wohl  nicht  zweifelhaft,  dass  dieses  alte  Alln- 
vium  vollständig  identisch  ist  mit  dem  DiluviaUSchotter, 
mit  dem,  was  wir  bei  uns  Dilavial-Nagelflnh  (siehe S.  794 
m.  W.)  nennen.  Die  Entstehung  dieses  für  unsere  Hocfaflädie 
mächtigsten  Gliedes  der  Diluvialzeit  denkt  sich  Favre  unter 
der  Vermittlung  von  Waisserstxömen  gebildet,  welche  das  von 
den  Gletschern  bei  ihren  beginnenden  Vorrädren  gelieferte 
Gladalmaterial  mit  sich  fortführten,  dabei  abrollten  und  end- 
Uefa  absetzten.  Dass  hierbei  die  schon  vorher  bestandenen 
Vertiefungen  der  See'n  z.  B.  des  Genfersee's,  nicht  mit  diesem 
Rollmaterial  ausgefällt  wurde,  erklärt  sich  daher,  dass  dieses 
Material  in  Form  von  Gletscherschutt  oder  erratischen  Blöcken 
über  die  Seen  geführt,  zur  Zeit  als  letztere  noch  von  Eis  erfüllt 
waren  und  erst  abgerollt  wurde,  als  es  jenseits  der  SecTertief* 
ung  am  Fusse  der  Gletscher  in  die  Strömung  der  Giesabäche 
giilangte.  Diese  geistreiche  Theorie,  weldie  die  Möglichkeit 
der  Persistenz  der  alpinen  Seen*  so  rollständig  ei^lärt^ 
dürfte  wohl  für  eine  grosse  Anzahl  von  Gebirgsseen  ihre 
Bichtigkeit  haben.  Dagegen  leuchtet  die  Schwierigkeit  dieser 
Erklärung  voi)  selbst  da  ein,  wo  Seen  weit  von  dem  Alpen* 
rande  entfernt  ringsum  gleichsam  mitten  in  dieses  alte  AUa« 
vium  eingekesselt  vorkommen. 

Wenn  die  Seefiiächen  vom  Eis  ausgefüllt  waren,  so 
können  doch  die  Gletscher  nicht  stromaufwärtss  das  Material 
geliefert  haben,  das  schon  stundenweit  oberhalb  der  Seen  als 
altes  Alluvium  abgesetzt  sich  findet.  Wir  wollen  nur  dieses 
einzige  Bedenken,  dass  übrigens  bloss  auf  unsere  Verhältnisse 
sich  bezieht,  nicht  für  die  Westalpinen  «Ebene  gelten  wXL^ 
berühren.  Ein  Blick  auf  die  südbayerische  Hochebene,  die 
4  — 5  mal  so  breit  als  jene  am  Genfersee  und  8  mal  so 
breit  als  durchschnittlich  das  Vorland  der  Scfavreiz  ist,  wird 


GumM:  Die  g99gnQ$t.  VarJMBißii  d€9  Mmi^BUne  H9.     615 

geniigeD,  um  m  bemerken,  dass  hier  gaoz  andere  Verhalt* 
nisse  geherrscht  haben  mässen,  abweichend  von  jenen  in  der 
We&tschwei2.  Hier  stand  den  Alpen  die  hohe  Jurakette  ganz 
nahe  gegenüber,  bei  den  mittleren  Alpen  erheben  sich  da- 
gegen erst  weit  nördlich  ganz  niedere  Oegengebirge.  Diese 
weite  Ebene  in  Bayern  ist  über  der  Molasse,  welche  die 
Unterlage  bildet,  hoch  erfüllt  mit  jenem  wohlgeschichteten 
DUuvialgeröU  mit  auf  weite  Strecken  regelmässig  fortstreich« 
enden  Lagen,  wie  sie  anmöglich  durch  Ströme  abgesetzt 
werden  können.  Wir  glauben  hierfür  eine  allgemeine  Süss« 
wasseranstauung  seeartig  aus  der  fiodenseegegend  bis  nach 
Niederösterreich  reichend  annehmen  zu  müssen,  welche  die 
Ausbreitung  der  ihr  allerdings  Ton  strömenden  Wassern  zu« 
geführten  Rollsteine  besorgte.  Man  setzt  dieser  Annahme 
gewöhnlich  das  Bedenken  entgegen,  dass  der  Damm 
dieses  Süsswassersee's  fehle.  Dagegen  können  wii^  mit 
Zuverlässigkeit  auf  die  Thalenge  zwischen  Eisenwurs 
und  Greinerwald  bei  Linz  hinweisen,  wo  Alpen-  und  Urge- 
gebirge  sich  auf  eine  Meile  genähert  haben,  und  einen  ganz 
natürlichen  Damm  bilden,  der  einen  obem  Donausee  abzu- 
scbliessen  die  zureichende  Höhe  besitzt.  Unter  dieser  Annahme, 
dass  die  obere  Donauhochdäche  in  der  Quatärzeit  theiiweise 
noch  mit  Süsswasser  erfüllt  war,  erklärt  sich  dann  auf  be« 
Iriedigende  Weise  die  reihraweise  Vertheilung  der  errat- 
ischen  Blöcke  mit  Hilfe  schwimmender  Eisblöcke  und  auch 
die  Persistenz  vieler  Seen  in  Mitte  der  Hochebene.  Es  ist 
wohl  kaum  zu  zweifeln,  dass  auch  diese  alle  den  sogenannten 
orographischen  Seen  angehören,  d.  h.  dass  sie  nicht  Ero« 
sioa^  ihren  Ursprung  verdanken,  sondern  gleich  den  Oebiigs« 
seea  in  Folge  der  Gestaltung  des  Hochgebirge  durch  Schichten« 
£slten  oder  Querspalten  ihre  ersten  Gestaltungslinien  ans« 
gq^rägt  erhielten  und  zwar  bereits  in  der  Torquatären 
Zeit«  Die  Zahl  solcher  Eintiefungen  in  der  Molasse,  deren 
Schichten  damals  noch  die  unbedeckte  Oberflädie  der  Hodn 


616      &HHmff  der  nmth.^fh^.  ChtBe  vom  7.  Detember  1897. 

ebene  auemackte  «ind  in  den  Bnditungen  zwischen  den  sa- 
sammengefalteten  Schichtenparlieen  den  Grund  zu  Wasser- 
anstauungen  l^e,  ist  in  der  südbayeriBdien  Hochebene  eine 
erstaanlich  grosse,  wenn,  wie  es  vollständig  gerechtfertigt  ist, 
alle  jene  Vertiefangen  mitgezählt  worden,  die  jetzt  zwar  nicht 
mehr  in  Form  von  Seen  existiren,  sondern  mit  Torf  und 
AlhiTionen  ansgefüllt  nnd  ausgetrocknet  erscheinen,  abttr 
unzweideutig  noch  w^rend  der  Quatärzeit  oft  sehr  grosse 
Seebecken  darstellten  wie  z.  B.  das  Murnauer-EscheDloher 
Moor,  die  Kosenheinier  Filze  u.  s.  w. 

Der  Umstand,  dass  während  der  Neuzeit  (Novärperiode) 
ein  Theil  dieser  alten  Seevertiefungen  eingeebnet,  ein  Theil 
trotz  den  AUavionen  bis  jetzt  wenigstens  noch  nicht  avs- 
gefUllt  worden  sind,  deutet  auf  ähidiche  Fälle  in  der  Quatär- 
zeit hin,  dem  viele  Seen  der  bayerischen  Hochebene  ihre 
Persistenz  verdanken,  obgleidi  die  Alpen  der  Ebene  ub- 
ermesslichen  Gesteinsschutt  zugeschickt  haben.  Viele  unserer 
Seen  sind  nichts  anderes,  als  die  Ueberreste  unansgefÜlk 
gebliebener  Seötiefen,  neben  welchen  hundert  andere  dem 
Andrang  der  Schuttbedecknng  weichen  mussten,  wie  es 
jetzt  noch  in  den  Seen  versehiedrae  Stellen  giebt,  die  den 
Absatz  der  Sedimente  gestatten  oder  verhindern.  Es  sdiemt 
für  die  Persistenz  dieser  Seen  die  Annahme  einer  Ueber- 
gletsoherung  als  absolut  nothweadig  nidit  voransgesetst  werden 
zu  müssen. 

An  die  Ebene  schliessen  sich  bei  äenf  nun  zunädist 
die  Molassdiügelu.  Indess  verbietet  hier  schon  der  beschränkte 
Raum  zwischen  dem  Hochgebirge  und  dem  Jura  eine  beson» 
ders  Triebe  Entwicklung  dieser  Molassegebilde  zu  erwarten. 

Dobto  reichlicher  und  interressanter  sind  die  iUtcmi 
Tertiärgebilde,  weldie  Favre  in  die  2  grossen  Gruppe»  der 
eigentlichen  Nummulitenschichten  und  in  jene  des  at* 
pinen  Macigno  und  des  Sandsteins  von  Taviglianaz,  weMie 
wir  gewöhnlidi  unter  der BeaeiclinungFlysch  znsaromenfasaen, 


MmM;  Die  gwgwM.  F«rMN»Mi«  4eß  Mont-Bkm  wPc.     <17 

theilt  Dw  Naohwm«  daas  NaanmolitoDsehichteii  iiu  Iomih 
des  Chablais,  am  Mont  Saläve  aad  jm  ganzen  Jaragebi0( 
fehlen^  während  Bie  in  den  innern  Alpen  sehr  vwbreket  yo)> 
fcommea,  ist  von  grossem  Interesse,  weil  er  zum  Beweis 
dient,  dass  vor  ihrer  Ablagemag  bereits  die  ge^nntai 
Oebietstheile  aus  dem  Meere  hervorragten,  also  relativ  häber 
.waren,  als  die  inneren  Alpen  in  umgekehrten  Yerhältntss  «a 
ihr^  jetzigen  Höhe.  Aehnliches  bem^ken  wir  auch  in  den 
bayerisoben  Alpen,  wo  die  Nummnliteoschichten  vom  Kreasen- 
berg  und  Grünten  grosse  Berühmtheit  erlangt  haben.  Diidee 
halten  sich  immer  an  den  äussersten  Hochgebirgsrand,  scheinen 
-aber  älter  als  alle  die  angeführten  NammuHtenschichten  der 
Westalp^,  weldbbe  wahrscheinlich  verschiedenen  Stufen  und 
3wrherrs(diend  den  jüngeren  EocanschichtM  angehören.  Jeoe 
älteren  NummuliteBsdiicbteii  dringen  im  bayerisohen  Gebirge 
«ie  ins  Innere  vor,  wohl  aber  finden  ^ir,  dass  jüngere 
NnmmuUtengebilde  in  einzelnen  Bachten  etwas  tiefer  ins 
Lmere  reichen,  wie  jene  bei  Beut  im  Winkel  (S.  602 
n.  W.),  welche  ich  im  Alter  den  Nummulitenschic^ten  'des 
Balligstock's  in  der  Schweiz  and  dem  Sande  von  Beaochamp 
gleichstelle.  Ihr  Vordringen  in  Bachten  beweist,  dass  sdion 
damals  wenigstens  änige  thalähnliche  Einschnitte  im  Massiv 
-des  Ealkgebirgs  bestanden.  Eine  dritte  jüngste  Nammulitai- 
führende  Schicht  in  den  Ostalpen  und  endlich  die  Schichten 
von  Häring  (S.  608),  deren  Alter  nach  meinen  Untea-suehr 
uagen  der  Thierreste  nur  zwischen  den  oberen  Lagen  der 
ligarischen  Stufe  und  den  tiefsten  Schichten  der  tongrischen 
Stafe  gestellt  werden  kann,  steht  jedenfalls  den  Bildungen 
von  Diablerets  gleich.  In  diese  Reihe  scheinen  nun  die 
meisten  der  von  Favre  aus  den  Westalpen  so  trefflich  ge* 
schilderten  Nummulitensdiichtai  stellenweise  mit  LignitflötaeUi 
wie  bei  Häring,  zugehören,  z.B.  jene  von  Montmin,  Eatror 
Temes,  Petit,  Bomand  und  Faudon.  Damit  stimmt  freilich 
aicbt,  dass  Favre  die  alpnen  JAacigno  stets  über  den  üumnuk» 


618      8kmmg  der  ma(h.^hif9.  Ohne  vom  7.  Degmlber  1867. 

litenschichten  —  wenn  in  normaler  Lagerung  vorhanden  — 
&nd.  Vielleicht  i8t  in  den  Westalpen  die  Umatürzong  snr 
Regel  geworden. 

Da  in  den  Ostalpen  diese  jttngste  Nnmmnlitenstafe 
anf  einen  einzelnen  grossen  Thaleinschnitt  —  den  des  Inn's  — 
sidi  beschränkt,  während  sie  in  den  Westalpen  so  weit 
verbreitet  selbst  mit  ächten  Steinkohlenschichten  zasammen- 
gefaltet  vorkommt ,  so  leuchtet  der  bedeutende  unterschied 
hervor,  der  während  der  älteren  Tertiärzeit  zwischen  beiden 
▲Ipengliedem  bestanden  haben  muss. 

Bezüglich  des  Flyschs  (Macigno-alpin)  hat  Favre  die 
höchst  interessante  Thatsache  festgestellt,  dass  derselbe  in2  Fa« 
des  auftritt  ähnlich  den  beiden  Neocomenfacies  im  Jura  and  in 
den  Alpen,  bezäglich  des  Flysches  jedoch  zeigt  sidi  die  Ver- 
schiedenheit, je  nachdem  er  auf  Jurakalk,  wie  im  Ghablais,  oder 
aufNummulitenschichten  aufruht.  Wir  kennen  eine  solcheScheid» 
nng  in  den  bayerischen  Alpen  nicht,  wohl  aber  die  wenigstens 
analoge  Bildung  des  sogenannten  Taviglianaz-Sandsteins, 
von  dem  Favre  nachweist,  dass  an  seiner  Zusammensetzung 
vulkanische  Asche  sich  betheiligte.  Idi  habe  die  analoge 
Bildung  als  Reiselsberger  Sandstein  (S.  621)  besdirieben 
und  obwohl  an  ihm  die  Betheiligung  vulkanischen  Taft 
weniger  deuth'ch,  als  an  den  Schweizer  Sandstein  kennbar 
ist,  bin  ich  nunmehr  audi  der  Ansicht,  dass  die  Feldspath- 
Glimmer-  und  grünen  Mineraltheilchen ,  in  welch  letzteren 
ich  ein  ümwandlungsprodukt  von  Augit  zu  erkennen  glaube, 
von  vulkanischen  Gestcinsmassen  herstammen.  In  unserm 
Oebirge  liegen  diese  Sandsteine  meist  in  den  tiefsten,  älte- 
sten Schichtenreihen  und  treten  mit  jenen  Riesenconglome- 
raten  in  nähere  Beziehung,  die  ich  (S.  621)  vom  Böigen 
beschrieben  habe,  und  deren  kolossale  Urgebirgsblöi^e 
möglicher  Weise  tertiär-erratischen  Ursprungs  sind. 

Auf  dem  ersten  Berg,  mit  dessen  höchst  interessanten 
geognostisdien  Verhältnissen  unsProf.  Favrezunächst bekannt 


GümM:  Die  geognoü.  FwMIfitM  de$  Mim^Bkme  Hc,     619 

macht,  dem  Mont*8ale?e,  treffen  wir  bereits  eine  mannich- 
iache  Schichtenreihe  jüngerer  nnd  besonders  jnrassischer 
Gebilde  neben  Neocomlagen ,  welch  letztere  merkwürdiger 
Weise  nach  ihrem  paläontologisdien  Charakter  mehr  zar  aU 
pinen  als  jurassischen  Facies  hinneigen.  Wir  sehen  daraus, 
dass  die  Gestaltung  und  Gliederung  der  festen  Erdrinde 
früher  eine  yielüach  andere  war,  als  zur  Jetztzeit.  Von  hier 
fuhrt  uns  der  unermüdliche  Gebirgsforscher  durch  die  ver- 
schiedenen Gebirgsketten  und  Massen  bis  hinüber  zum  Mont 
Jovet  und  den  beiden  Bernhard-Stöcken,  um  uns  in  allen  mit 
gleicher  Ausführlichkeit,  Genauigkeit  und  Klarheit  die  yoiv 
kommenden  Gebirgsglieder  kennen  zu  lehren  und  ihre  Struktur«- 
verhältnisse  deutlich  zu  machen.  Zur  besseren  Uebersicht 
folgen  wir  unserem  unermüdlichen  Führer  zuerst  in  der 
Schilderung  der  cretazischen  Bildungen,  welche  durch  die 
reiche  Entwicklung  derNeooom*  (Yalanginien,  Neocomien  et 
Urgonien),  der  OrbitoUten-  und  der  Galt-Sohichten  in  diesen 
Gebirgsgegenden  ganz  besonders  glänzen,  durch  alle  die 
nacheinander  geographisch  geordneten  einzelnen  Stöcke  hin- 
durch. Die  Debereinstimmung  zwischen  diesen  Gebilden  der 
Westalpen  sowohl  nach  Gliederung,  Gesteinsbeschaffenheit, 
als  Petrefaktenführung  mit  jenen ,  welche  wir  in  den  All* 
gäner  Alpen  und  in  Voralberg  kennen  gelernt  und  beschrie- 
ben haben  (S*  517 — 679),  ist  so  gross,  dass  wir  bei  den 
so  prächtigen  Beschreibungen  Favre' s  uns  öfters  nadi  Vor- 
arlberg oder  in  die  kuppenformigen  Gewölbe  westlich  von 
der  nier  versetzt  glaubten.  Diese  Darstellung  gewinnt  noch 
dadurch  ganz  besonders  an  Werth,  dass  eine  grosse  Anzahl 
▼on  organisdien  Einschlüssen  dieser  Schichten  von  dem  als 
sorgfältigen  Paläontologen  geschätzten  H.  de  Loriol  sehr  vor- 
trefflich beschrieben  und  deren  Erkennen  durch  gelungene 
Abbildungen  erleichtert  ist  —  eine  würdige  Beilage  zu  dem. 
Atlas  der  Profile. 

Diese    Uebereinstimmung    zwisdien    dem    Genfer    und 


-AlgMer  Qebirge  an  denWestgrenseii  Bayerns  erstreckt  «dk 
aber  nodi  writer  auf  die  ober  dem  Galt  folgenden  jtingeran 
'Glieder  der  Kreide-  öder,  wie  ich  voigescklagen  habe,  Pre* 
4an-FormätioD.  Denn  mit  allem  Recht  häit  Fayre  den  auf 
dem  Galt  zunächst  Uegenden  Kalk  für  ein  Aeqniyalent  des 
«of.  Sewen-Ealks,  mit  dem  jene  Kalkschicht  die  Sfifir- 
Isdikfflt  QDd  den  sehlecfateh  Erhaltnngseostand  der  orgamscbsn 
-Einschlüsse  —  besonders  Jkocercmen  —  theilL  loh  glanbe 
aber  noch  weiter  aufs  beetinmiteete  in  den  Gebilden  von  dem 
Gebirge  der  Bauges  8W.  von  dem  Annei7*See  das  Aeqni- 
valent  d^  sog«  Sewen-Mergel  (S.  634)  mit  JBSefemfiJles? 
JtGeraster  cor  angtrimtm  der  Ostalpen  wieder  zu  erkemseo, 
wodurch  die  Zogefaorigkeit  dieser  östlich  so  entfernter  Alpen^ 
theile  zu  einem  gemeinsamien  engverbundenen  Entwicklungs- 
gebiet  mehr  als  wahrscheinlich  gemächt  wird.  Denn  gleich 
«stw3rts  von  den  Algäuer  Alpen  beherrschen  vollständig  ab* 
weieheivle  Veih&ltaisse  die  Schiehtenreihe  der  KreidefoxmatJoR 
lind  ihre  organischen  Efnschlttsse  (nehe  S.  578)  und  hiermit 
J^eginnt  ein  neues  Verbreitungsgebiet;  das  ostwärts  m  den 
•Gosaufacies  hinführt. 

Bezüglich  der  Schrattenbildiing,  der  sog.  Plattette 
dbä  bayerischen  Gebii^,  kann  ich  knich  auf  meine  Erklanmg 
iß.  541)  beziehen,  welche  mit  denen  Favre'«  in  Einklang 
atehen.  Dies^  Ausnagungen  der  Atmoq>härili0n|  die  sich  an 
-deti  Gesteinsklfiften  zunächst  wirksam  Iseigen,  naterliegen  aUe 
mehr  oder  wenige  horizontal  liegende  nnd  nackte  Kalk* 
tdaAten  des  Hoohgebirgs,  der  Dachsteinkalk  (steinernes  Meer)) 
dSe  Plattenkalke  wie  die  Sdiratteokalke. 

Mit  den  jurassischen  Ablagerungen  treten  wir  in  sim 
Gebiet,  weldies  die  brennendste  Frage  der  Gegenwart  in  sich 
echliesst,  die  Frage  nämlich  über  die  naturgemässe  Abgrmznng 
der  Jura-  und  Neocomschichten,  mit  deren  Losung  unser  mir 
vergesslicher  Freund  Oppel  sich  eben  zu  beschäftigen  begafan, 
iJa  ein  voizeitigei:  Tod  es  verhinderte,  das  so  erfolgreich 


.Mnisterhüd^  in  Aagriff  gmoii^MP  mr^ep;  wir  diirfeii  ilire 
4tCpiutive,96uti«irQitm4;  baldigst  yoranssebep.  F^ivre  batdlir^ 
«QWejBtjüMJicin  nicht  iv^ig  m  iMerFxirdeFqBg  l^igiBtr^giMi.  Was 
j|lh«r  ^4w>  Scl^lderimgen  dar  jarassiscben  S^ibicbt^n  in  der 
Uxpgfbvng  y^m  Mont^Blano  noch,  e^hphte  WJohtigk^it  n^lcAt, 
ist  der  Umstand,  dass  gerade  in  diesem  Gebirg8thei}e  jsiKei 
der  merkwüij^iigiten  EntwicUimg^forio^i  die  alpine  und  die 
;4^.Jw)igebiiaaisiqh,{)ei;ähren,  «leichs^m  yemshü^elaen,  we^^ 
Mlbj^ebofit  warden  kann ,  daas  der  Gr^id  dieser  yiecsohiddmen 
J'ltcieSi  Felobe  hjer  |o  nahe  n^bisn  ein^uider  aiifbreteny  ivn 
M<sbt^sten  hier  erkannt  wesdmi  köAi^. 

UmX  Sii4ew  imi  die  JSe^e  dpr  ^oirons  iKdili^qsen  siQh.«Is 
ypTpQStanj;0OjgraBhi9ch  an  die  .AI[PW  #Ln.  {m  ^sjten  tretm.fP- 
.^ittaJb^r  JUnter  den  tiefsten  l4agßp  der  Valenginiensjkpfe  (^it 
i8a|ica,Z^^t»<^(^>£W  ju^d  EpxsallejikaDte  .^f, 

m^be  Jjn  Allgemeinen  dion  sog.  Neripeen  und  Djceras<iKalken 
4?dr  .aomni^iA^  Jurafacies  ^ntwechen.  Ihre  .flaune  am&ist 
.;mpi^kini];diger 'Weise  aber  bereiits  einige  charakteristische  Artpn 
4or»4Ü|pinen£i;itwickliwS9^o^u^h<^Än  ^Imähliger  Ueberg^^qg, 
,  Jcaine  acjharfe  Tren,nujig  beidcor  Entwicklungsreihen  ange«€^ 
.9P  .werd^  s<diei^t.  In  4en  Vojir^iis  feb^n  .diese  KoralleakaJ^e 
.md  res  erscheiiftt  ,^er  eine  K^stoinbildang  (^..B.  bei  Xio- 
ill^im^),  die  4sir  Verfssspr  früher  für  ein  Glied  dar  Oxford- 
,fidbQfe,bMlt,Jet2t  ^ber  geqqigt  ist,  als  gleichzeitige  Faciey^bildung 
«mit  den-^o^UmfOhichten  des  Mont-Sajieye  der  Opperechpn 
ÜFJtanstpfe  aozntheiljp.  Die  M^rzahl  der  au^ßfahiien  ,Qr- 
(g^ms<;h6n  Einschlüsse  nameiitliob:  Ammonites  plicatüis^ 
&üto^  ^der  t^ische  A.  amuriuSf  JBelemnUes  hastatm  i^nd 
.ßawimifikwm  lassen  jedoch  darüber  keinen  Zweifel,  Hßa» 
wenigstens  die  diese  Arten  nmschliessende  Bänke  der  Oxford- 
fltofe  nnd  zwar  den  tieferen  Lagen  den  sog.  Amnumites 
troitöfer^ariK^-Schichten,  wie  die  Kalke  yon  Gh&tel  St.  Denis, 
angehören.     W«n  >9j^er  Mm^^  .Wph  X^«ir^t||a  Jonitpr, 

[1867.il  4.1  41 


6^2      BiUmg  dit  maUhl'pkyB.  Oam  vim  7.  Degember  lae?. 

(nidit  diphjfa^  wie  nach  öpätearen  MittheilangenFayre^s  sidi 
heraosgestellt  hat,)  zugleich  sich  einstellt,  so  ist  es  wohl 
erlaubt,  zu  vermuthefa,  dass  hier,  ahnlich  wie  an  der  Port 
de  France  nach  Pictet's*)  neuesten  entscheidenden  Ansttn- 
andersetzungen  die  strittigen  Grenzschichten  mit  Terebraimla 
janitar  über  den  tieferen  Joragliedem  getrennt  vorhanden 
seien. 

Was  nnn  die  Streitfrage  über  die  natnrgemässe  Ab- 
grenzung zwischen  Jura-  und  Neocomschichten  anbelangt, 
deren  Losung  durch  die  unzweifelhafte,  bei  Porte  de  France 
ermittelte  Auflagerung  einer  Korallen-Breccie  (Nr.  4  Pictet^s) 
mit  einer  zwischen  entschiedenen  Neocomarten  (BdemniUs 
latus  ^  Minaret  und  OrbignyanuSf  Amnumites  privasengis, 
Caiisto^  Terebratula  Euthffmi  aus  den  Berriasschichte,  und 
PeUastes  spec.)  und  unzweideutigen  Juraspecies  (Terebror 
tidina  stUfsiriata,  MegerUa  pectunctUoides  und  eine  Reihe 
▼on  Echinodermen ,  die  £Eist  ansschliesslidi  jurassisch  sind) 
getheiltei^  Faune  aber  den  Lagen  mit  TerebrcUala  janUar 
und  einer  Reihe  von  Ammonitcs-Arten  mit  Neocomdiarakter 
(Nr.  2  und  3  Pictet's)  auf  neue  Schwieriglcdten  zu  stossen 
scheint,  so  dürfte  diese  Vermengung  einer  älteren  und  jüngeren 
Faune  in  den  Grenzschichten  gewisser  Gegenden  kaum 
befremden,  wenn  man  die  natürliche  Entwicklung  der  Faunen 
in  den  aufeinander  folgenden  Perioden  im  Auge  behalt  and 
nicht  der  Ansicht  huldigt,  dass  die  Fauna  eine  ältere  Schiditen- 
reihe  plötzlich  vertilgt  und  eine  neue  Fauna  für  die  jüngere 
Schichtenreihe  geschaffen  worden  sei.  Solche  strenge  Scheid« 
ungen  existiren  allerdings  da  oder  dort,  aber  sie  sind  von 
nur  örtlicher  Bedeutung.  Die  Bildung  von  Sedimenten  ist 
auf  der  Erde  stetig  fortgegangen,  wie  die  Entwicklung  im 


8)  Noiiee  sur  les  calcaires  de  la  porte  de  Fnnce  in  d.  ArehiTet 
d.  IC.  de  la  bibliotb^ue  an.-do  Genive,  Oct.  1867. 


OümM:  Die  09ogno§t.  VerhäkniiH  da  Mm^Bkme  ete.      633 

Tiiier-  and  Pflansenreidi.  Wo  dieser  Bildangaprooess  nnge- 
Btört  und  ohne  gewaltsame  Unterbrechungen  an  dem  Orte 
der  Ablagerungen  oder  in  der  Nähe  fortschreiten  konnte, 
werden  weder  disoordante  Uebereinanderlagerungen  zu  sehen, 
noch  eine  plötzliche  Aenderung  in  den  Arten  der  oi|;aa« 
ischen  Einschlüsse,  als  Repräsentanten  der  jeweiligen  Fauna, 

-SU  bemericen  sein.    Die  Fauna  ändert  sich  dlmählig  mit  der 
aUmähligen  Vermehrung  der  Schichtenlage.  Wo  wir  strenge 

-und  plötzliche  Fonnatio'nsgrenzen   beobachten,   ist  diess  ein 
Zeichen  von  Störungen  und  Aendemngen  in  Verth^ilung  Ton 

>  Land  und  Meer,  welche  in  der  Nähe  eingetreten  sind.  Strenge 
Formationsgrenzen  sind  doch  nur  localer  Natur,  auch  wenn 
sie  fiber  ganze  Continente  liindurchreichen  sollten.  Auf  der 
Erde  als  Ganzes  reihen  sich  hier  oder  dort  die  Gebirgs-' 
glieder  unmittelbar  mittelst  allmähliger  Uebergänge  an  ein- 
ander an;  für  die  Erde  als  Ganzes  giebt  es  keine  strengen 
und  plötzlichen  Formationsgrenzen.  Aber  gleichwohl  yerlieren 
diese,  mp  sie  existiren  und  innerhalb  gewisser  Territorien 

-nichts  an  ihrem  hohen   wissenschaftlichen  -Werihe,  weldien 
wir  ihnen  mit  Recht  beimessen. 

Wie  aber  ist  es  möglich,  dass  selbst  innerhalb  Schichten- 
reihen, welche  keine  Diskordanz  zeigen,  sondern  das  Zeichen 
des  ruhigsten  stufenmsässigen  Entwicklungsganges  an  sich 
tragen,  denn  doch  plötzlich  neue  Arten,  wie  nicht  zu  läugnen 
ist,  auftauchen?  Wir  wollen  hier  gftnz  absehen  von  der 
möglichen  Umgestaltung  der  vorher  vorhandenen  Arten.  Die 
Vertheilung  der  einzelnen  Formationen  oder  einzelner  Glieder 
von  Formationen  über  verschiedene  Theile  der  Erde,  die 
Störungen  in  der  Lagerung,  die  sie  erlitten  haben,  setzen 
es  ausser  Zweifel,  dass  fortwährend  auf  der  Erde  Disloka- 
tionen der  festen  Rinde,  Senkungen  und  Hebungen  statt- 
&nden,  bald  von  geringerer,  bald  von  grösserer  Ausdehnung 
und  Erstreckung.  Damit  erlitten  die  Meere,  die  Hauptträger- 
innen der  Sedimentärgebilde,  in  ihrem  Umfang  und  in  ihren 


'•69^     jHitBmmp  ^<ter*iiiai^.4f%«.  Omme'  vom  T.  Detmfher  IMT. 

Vet'bindiiDgen    vieltiche  AenderuDgen;     früher    verbm^eBe 

>Ml3ere  wurden  in  einzelne  Becken  getrennt,  frtäier  gietremile 

Beokm  in  Verbindung  gesetet  und  vereinigt.     Dnrdi  sokbe 

Aeudemii^en ,  welche  selbst  luif  sehr  grosse  Entfernungen  bin 

•lihre  Wirkungen  fühlbar  machten ,  erhielten  gewisse  Meerafe* 

4h6ile  neuen  Zuwadhs  an  den  ihnen  vorher  fremden  Arten, 

ivie  verloren  unter  Umstanden   einige»  der  früheren  Beding- 

>angen ,  iimter  welche  diese  oder  jene  Art  in  äinen   M>en 

deonnte,  ihre  Niederschläge  dokumentiren  innerhalb  ^der  OrenK- 

igebiQte  dieser  Aenderungen  in  der  Vermengong  alte  typiechar 

und  neuer  fremdartiger  Formen  solche  Vorgänge  Jier  ver- 

iiindeiien  Oberflücbengestaltong,    welche  an  andern   SteHan 

der  flBfde  nidit  oder  vn  anderer  Weis^  eingetreten  sind.  Aaf 

-diese  ^IVeise  scheint  uns  die  Thatsache  eine  Vennengung  von 

-lypisofaen  Arten  verschiedener  Formationen  in  Grenasohiditan 

tan   igewissen  Stellen   der  Erde    nicht  nur   uicht    auffUHg, 

iisondam  vielmehr  nothwendig. 

Aehhliche  Betrachtungen  gestatten  vielleicht  jauch  •fie 
>eigQnthümlichen  Verirältnisse  bei  den  Grenxgebilden  der  Joia- 
nnd  Neocomschichten  der  westlichen  Alpen,  ^dte  wir  so  6bin 
fberiihrt  haben,  zu  erläutern. 

Wie  schwierig  und  verwickelt  diese  Untersuchungen  über 
idie  jurassischen  Gebilde  des  alpinen  Gelnrgssystems  aiitf, 
«das  identen  schon  die.  petvogra^ischen  und  ^päläontologiscfaen 
.Differenzen  an,  welche  bisher  in  den  gleichen  oder  doch 
nihe  entspredienden  Schichteareihen  an  den  versdiiedenstsn 
Stellen  der  Alpen  beobachtet  wurden.  Selbst  in  den  fernsten 
Karpathien  taucht  auf  einmal  wieder  ein  Facies  in  den  sog. 
Stramberger-Schichten  auf,  welche  die  merkwürdigsten 
Analogien  mit  den  Ealklagen  der  Westalpen  besitzen. 

Die  Spuren  dieser  Bildungen  an  der  oberen  Grenze 
der  Juraformation  führen  uns  durch  die  ganze  ästlidie 
Schweiz,  durch  Voralberg,  wo  bei  Au  und  an  der  Canisfinh 
ein  leider  trostlos  armer  schwarzer  Kalk,   nach  Oppel  mit 


CHtrnU:  üif  fieagmti.  YerkäÜmistü  iIm  MmirJBUme  eU. 

JtnmMitea  Caii$t0^Shnhcbea  Cephalopoden :  die  obn 
mittelbare  Unterlage  der  NeocomsohicbteD  ansmadit  (an  dar/ 
Wonseralp  in  prächtiger  EnthlÖHSimg)  and  sich  mit  den  für 
die  bayerisdien  Alpen  so  charakteristischen  Ap4ych6n*reiche2t' 
Ammergauer-Wetiateinschichten  in  Verbindung  tritt,  dass. 
weiter  zum  rotheu  Ruhpoldinger  Kalk  bei  Traunstein,  in. 
welchem  das  glückliche  Auge  Oppels  eine  Seihe  seiner 
titonischen  Jmmoniten^)  neben  einer  Terebratula  aus  der 
Gruppe  der  diphya  entdeckte»  gleichfalls  mit  den  Aptydbei^ 
Bchicbten  als  Hangendes  verbanden  bis  zur  Salzach,  wo  graue, 
den  Aptychenschichten  ähnliche,  hornsteinreiche  Gebilde,  die 
aeg.  Oberalmer*Schichten,  oft  mit  äusserst  dichten,  dem. 
lithographischen  Kalk  ähnlichen  Lagen  und  Cementmergel 
anmittelbar  unter  den  sog.  Rossfeldschichten  (Neooombildung) 
dardi  zweifmchige  Bdemmteny  Aptychen  mit  knieförmig 
gebogenen  Rippen ,  und  Ämmonües  subfimbriatuB  neben  ja« 
rassischen  Formen  unzweifelhaft  dieselben  Uebergangsglieder 
nepräsentiren,  welche  in  nnsern  Alpen  hier  am  ehesten  weitere 
An&dilüsse  über  diese  Qreuzschichten  zu  geben  versprechen. 
Es  ist  höchs  auffallend,  dass  in  dem  ganzen  Alpenzag. 
die  ältereren  jurassischen  Stufen  unter  dem  sog.  Oxford«» 
ludk  nur  dürftig  entwickelt  sind.  Eine  Ausnahme  macht  der 
Kalk  mit  den  ckarakteriatischen  Kelloway- Versteineruugen, 
dem  unser  sog.  Vilserkalk,  und  die  Kalksdiicht  mit  der  ao 
bezeichnenden  Posidanomya  alpina.  Favre  war  so  glück* 
lidit  diese  Bildungen  an  zahlreichen  Orten  zu  entdedcen,  in 
IfSk&i  Yon  Chanaz,  bei  Seyssel  mit  einer  glänzenden  Reihe 
Ton  Ammoniten.  Von  noch  grösserer  Widitigkeit  ist  daa 
Auffinden  noch  älterer  Schichten  (fiathr  und  Unter-Oolith) 
mit.  dem  in.  den  Alpen  so  seltenen  AmmomUa  Parkinsmii^ 
IfiMtvAMOfioe,  Emmphresiarnui  u.  A«  Alle  dieae  Stufen  bildea 


i)  Geogn.  sataeeniU  lüttheil  von  BeaeelML  8.262. 


626      Sikfmg  der  mtOh.'phfM,  ClMte  vom  7,  DeMembtr  18^% 

ein  fast  aiitreiiiibares  System  yon  sdiwanslichem  Schieferthon, 
von  grauen  and  schwärzlichen  Kalken  oder  Mengdschiefer 
und  dankelfarbigen  Sandsteinlagen,  in  welchen  man  weitere 
Schichtensysteme  nicht  zu  unterscheiden  im  Stande  ist 
Dieser  Nachweis  ist  eine  namhafte  Errnngenschaft  für  die 
Alpengeognosie. 

Dieser  tiefere  Dogger  verbindet  sich  stellenweise  mit 
noch  tieferen  Lagen  von  ähnlicher  petrographischer  Be» 
schaffenheit,  die  jedoch  durch  organische  Einschlüsse  sich  als 
liasisch  kennzeichnen.  Die  dunkelfarbigen  Mei^elschiefer 
der  oberen  Liasstufe  stimmea  aufs  genaueste  mit  den  Schiefer- 
bildungen,  welche  ich  Algäuschichten  nenne  (S.435  m.  W.). 
Ich  habe  bei  denselben  bemerkt,  dass,  da  in  den  bayerischen 
Alpen  bisher  keine  Spuren  von  älterem  Dogger  beobachtet 
werden  konnten,  in  der  Reihe  dieser  ein  scheinbar  unüieil* 
bares  Ganzes  ausmachenden  Algäuschiefer  wahrsdieinlich  die 
Aequivalente  der  Doggerformation  mit  eingeschloes^i 
sind.  Diese  genauen  Schilderungen  der  oberen  Liasschicfaten 
in  den  Westalpen  (mit  Ämnumites  Aalensis  und  Ihocerammg^ 
Folgen)  macht  mir  diese  Ansicht  nur  um  so  wahrscheinlicher. 
Ueberhaupt  scheint  der  Lias  des  Genfergebiigs  viele  Deber- 
einstimmung  mit  der  lias  in  unseren  Alpen  zu  haben,  4>b- 
wohl  die  Fauna  ganz  ausseralpinen  Typus  an  sieb  trägt  und 
nur  Amnwnüea  Boberti^)  Hauer  (nicht  Ooster)  als  ausschlieBS- 
lieh  alpine  Art  beherbergt. 

Auch  die  rhätischen  Stufe,  für  weldie  Favre  mk 
der  Stoppani'schen  Bezeichnungsweise  Infra-Lias  bedienti 
(obwohl  wir  uns  sonst  in  Vielem  in  höchst  erfreulicher  Weise 
mit  unsem  Ansichten  in  Uebereinstimmung  befinden,)  ist  ia- 
ihrer  grossartigen  Verbrettung  innerhalb  der  Westalpen  dem 
scharfen  Blicke  Favre' s  nioht  entgangen.  Seine  Mittiieiluiigea 


6)  Ammoni^  diteohdix  StoL  ist  mir  nicht  bekannt. 


Gümbd:  Die  geognot^.  FistMiMw  dm  «onMHofio  «lt.     627 

liieriiber  sind  sehr  urnftmeod  and  bdebrend.  Bezaglich  der 
organischen  Einsohlfisse  hält  sich  der  Verfasser  ganz  an  die 
Bestimttiungen  Stoppani's.  Wir  wollen  desshalb,  obgleich 
sie  nicht  in  Ueberstimmnng  stehen  mit  unserer  Anffassong, 
nichts  weiter  bemerken.  Wenn  aber  der  Verfasser,  die  An- 
eichten  Stoppani's  and  die  der  meisten  französischen  Geo- 
logen theilend,  als  mit  bestimmenden  Grand  der  Zntheüang 
der  rhätischen  Schichten  zar  Liasformation  das  Vorkommen 
▼on  einer  Bdernniten-  und  einer  Mstoparhi/imS'&pecie^  an- 
führti  so  sei  mir  erlaabt,  obgleich  diese  Frage  schon  so  yielfach 
discatirt  worden  ist^  hier  noch  einmal  mit  wenigen  Worten 
daranf  zurück  zu  kommen.  Zum  Voraus  sei  bemerkt,  dass 
das  Auffinden  eines  so  schlecht  erhaltenen  Steinkem's,  über 
dessen  Natur  man  überhaupt  noch  in  Zweifel  sein  mnss,  wie 
jener  eines  unsymetrisdien  Echinodennen  —  Metopotlmus^ 
bei  der  Entscheidung  der  beregten  Frage  wohl  in  Ernst 
nicht  in  die  Wagschaie  gelegt  werden  darf.  Auch  das  erst- 
malige Erscheinen  eines  Bdemniten  kann  nicht  befremden, 
so  wenig  wie  das  Vorkommen  von  OrUhoceraiiten  im  Lias 
Ton  Adneth.  Wenn  man  bisher  die  Gründe  angeführt  hat, 
welcbezu  Gunsten  einer Zutheilung  der  rhätischen  Schich- 
ten zur  Liasformation  nadi  der  Vergleichung  der  beiden 
gemeinschaftlichen  oder  analogen  Species  zu  sprechen  scheinent 
hat  man  immer  yergessen,  mit  gleichem  Maass  zu  mes^ 
san.  Man  zahlt  auf  der  einen  Seite  die  gleichen  oder  ver- 
wandten Arten  in  zwei  Schichtenreihen,  die  unmittelbar 
aufeinanderliegen,  welche  mithin  in  der  Zeit  ihrer  Entstehnng 
unmittelbar  und  in  demselben  Meere  entstanden  aufeinander 
folgten,  während  man  auf  der  anderen  Seite  zu  einer  Ver- 
(^eichung  mit  älteren  triasischen  Faunen  wenigstens  bis  in  di« 
Lettenkohle  oder  gar  bis  in  den  MuseheUmlk  hinabsteigen 
moss,  in  Faonengebiete,  die,  Tergleichsweise  za  sprechen,  viete 
hunderttausend  Jahre,  früher  ezistirten  und  den  rhätischen 
Torausgiengen.    Die  liaaische  Fauna  dagegda  reidit  dieier: 


oft^tMlKltf  die  Haofdi  Ist'  eine  solche  Vergieieh  ungleidi^ 
W€¥ih{geii  Verhaltiiifise  wisseBSchafUich  exakt  uBd  zidSttig? 
leb'  glaube  niäit;  Es  Men  dannt  eagleidr  mA  die  die 
OHMde^^dei^Zatheihiiigder  rhätiechen  Stafb  zur  lAairformatkm. 

Wenn  matf  richtige  Zahlen  gewiniMi  will,  so  nmes  mas 
Vergleiehtingen  der  Fauna  zidien,  die  nabeln  gleidi  weit  in 
dir  Zeit  ihrer  Bildung 'von  dem  Vergleieheoentriitt  abetehee, 
uild  diese  wäre  nnr  mögtieh,  wenn  wir  eineFaona  benlteeD, 
kdtmten;  die  so  tief  —  idi  gebrandie  dieeeo  Aoedrnds  mir  figOr- 
li^*-ifnter  dem  rfaliliBehen  Schiehtencomi^eK  läge,'  wie  die  der 
niteren  liae^diten  darüber,  also  etwa  dieFaona  des  rothe* 
BelodoB'Kenper^B.  Aber  würde  man  sich  nur  die  Mühe  nehmen, 
di&  rhätiscfae  Fann»  der  tieferen  Kenperediichten  in  den  Alpeft 
mi^' jener  der  sog.  Baibier  Schichten  oder  des  Kalks  tom 
EshNf  in  Vergleich  zo  setzen,  ohne  dabei  zu  vergessen,  dass 
zwildien  beiden  die  ungdienre  Masse  des  Hauptdolomifei, 
deir  einer  unermesslich  langen  fiildungszeit  entspricht^  liegt^ 
so^Würde  man  den  triasisohen  (ftarakter  der  rhätisehen 
Fauna,  im  Sinne  meiner  Erläuterungen  über  die  Qrens- 
scMchten  der  Jura*  und  Neocombilduagen  gewiss  nidit  TSr* 
keimten  können.  Wer  die  ausseralpinen  Verhältnisse,  wdlehe 
z^fteben'  dem  Böde*b#d  und  den  tiefen  Keoperlagen  so  mi* 
zweideutig  beet^en,  kennt  und  würdigt,  wird  ansserdem 
nkht  im  Zweifel  sein,  dass  dieses  ganze  Sdiicfatensystem  eis 
ziKtmiMngehöriges  jOanzes  ausmadie  und  am  natwrgemässe* 
stiK  als  efaie  besondre  Stufe  der  triftsisi^hen  Fofinatisif 
flMNirefiien  sei. 

Die  Entdeokmig  und  der  Naohwtts  von  obeiren  Tri»»- 
frOhichten,  we)^  dem  Kenper  an  Alter  zu  vergl«i«btn 
SM,  m  den  westlichen  Alpen  verdankt  die  Wisseniohalt 
glekhfall»  de«  UniersuohiAgen  Favre's.  Dersrib»  hatto 
dies«  MäiAtten  sdts»  vor  mehreren  Miren-fcsmisu  gelskrti^ 
AMt  llegl  MS  hiirfiber  eioe  vollstXndige  und  MttfttarMui: 
Bmihuartsip  itf  mm  Eiaüikeitsil  des  Vorkommens  tori  dl» 


aoBi  eme  siinr  klare  Eiosidit  gestuttot.  Wir  finden  nam^nt* 
lidi  darin  als  wesentliches  Glied  Gyps  mit  Ranchwalk»  an- 
geftilirt;  neben  Arkose,  Quarait,  rothen  and  grünen  eben« 
hftltigen^  thonigen  Schiefem,  die,  weil  ohne  Versteinerangen, 
nicht  mit  Sicheriieit  den  alpinen  Buntsandstein  oder 
Werfener  Schiefern  d^  Ostalpen  gleichgestellt  werde» 
kimnen.  Ebenso  fehlt  es  an  dentlidien  Spuren  der  Muschel* 
k«lkbildung.  Die  auftretenden  Dolomiten  entspredien  eine 
der  mächtigen  Dolomitenreihen  in  den  Oslalpen,  wekbe  hier 
zwischen  dem  unteren  Trias  und  der  rfaätischen  Stufe^ 
eingelagert  vorkommen.  Auch  die  Vei^esettsehaft  von  Qjpf 
und  Bauhwacke  lässt  eme  nähwe  Vergleidiung  mit  denVei^ 
bältnissen  in  unserem  Hochgebirge  nicht  zu^  da  wir  hier 
drei  wesentlich  verschiedene  Gjrps^hrende  Horieoate  im 
obersten  Buntsandstein  (Roth),  zwischen  Raibler  Scbichten 
und  Hanptdolomit^  und  endlich  in  den  rhätisohen  Sehichteii 
selbst  haben.  Am  mefeten  Wahrsdieinlichkeit  hat  es  für 
sich,  die  Gypsbildung  der  Westalpen  dem  mittleren  Horizont 
asizugleichen,  welcher  ziemlich  mit  den  Gypsablagerungen  in» 
den  tiefstmi  Stufen  des  bunten  Keupers  ausserhalb  der 
Alpen  (Gangyps->Stufe)  üb^  oder  mit  den  dortigen  Stell* 
vtertretern  der  Raibler-Fauna  das  gleiche  Alter  theilt. 

Wir  gelangen  so  abwärts  in  der  Schichtenreihe  steigende 
an  jene  sogenannte  Anthraoitbildung  der  Westalpen». 
wdche  seit  ihrer  ersten  wissenschaftlichen  Entdeckung  daroh 
ä  Elie  de  Beanmont  (1828)  das  Interesse  aller  Oeog» 
noeten  dadurch  auf  das  Lebhafteste  för  sich  in  Anspruok 
nahm,  weil  daselbst  ächte  Steinkohlenpflanzen  mÜ 
Sditen  Lias-  sogar  mit  tertiären  Uebsrresten  zusammen- 
gelagert vorkommen  seilen.  Man  hat,  um  diese  Aooautli« 
alle  sonstige  Beobachinngen  in  den  Schichten,  welche^ 
der  BezeicbBung  Anthrazitbildung  der  Taren^ 
tftlse  bekannt  sind,  zu  erkiär^,  vide  Theorien  auigestotll 
tfnd'  zu  den  wirklich  abenteneriidisten'AnskiuiftsBiitteln  aeim» 


680        SiUtmg  der  malh,-phfßß,  Ckme  wm  7,  DeMmber  IMT, 

Zuflucht  genommen.  Selbst  die  Barrand e'schen  Eolimiea 
hatten  kaum  das  Licht  der  Welt  erblickt,  als  sie  znr  Er- 
läuterung der  Anomalie  in  der  Tar^taise  herbeigeEogen 
wurden.  Favre  behandelt  diesen  Stoff  sachlich  und  ge- 
schichtlich  mit  einer  Gründlichkeit,  die  diesem  Forscher  rar 
höchsten  Ehre  gereicht.  War  er  es  ja,  welcher  zuerst  (1858) 
nicht  bloss  behauptete,  soudem  deutlich  nachwies,  dass  die 
unzweifelhaft  ächten  Steinkohlenpflanzenreste- enthal- 
tende Lagen  getrennt  sind  von  den  Liasversteinerungen- 
führenden  Schichten  und  dass  beide  Systeme  nur  durch 
Schichtenstörungen,  Zusammenfaltelungen  und  Ueberkippungen 
in  scheinbare  Wechsellagerung  versetzt  und  stellenweise  so 
übereinander  gelagert  vorkommen,  dass  die  ächten  Carbon- 
schichten oben  und  die  Liasschichten  unten  liegen. 

Der  verdienstvolle  Alpenforscher  hatte  die  Genugthuung, 
dass  die  Versammlung  von  Geognosten,  welche  1861  zur 
Prüfung  dieses  so  wichtigen,  wie  schwierigen  geognostisdien 
Problems  unter  S  tu  der 's  Leitung  in  einer  ausserordent» 
Ijnhen  Sitzung  der  geologischen  Gesellschaft  zu  St.  Jean 
Manrienne  zusammengetreten  war,  nach  sorgfältiger  Prüfung 
an  Ort  und  Stelle  sich  ganz  den  Resultaten  Favre*  s  an« 
schloss  und  Studer  die  Streitfrage  für  definitiv  erledigt 
erklären  konnte.  Wenn  aber  irgend  noch  eine  Spur  yon 
Bedenken  übrig  geblieben  sein  könnte,  so  würde  diese  durdi 
die  neue^  klare  und  erschöpfende  Darstellung  Favre' s,  die 
von  zahlreidien  deutlichen  Profilzeichnungen  erläutert  wird, 
YoUständig  verscheucht  sein.  Dieser  Abschnitt  ist  ein  wahres 
Muster  fiir  die  Behandlung  geognostisdier  Fragen. 

Die  Kohlengebirgsschichten  lagern  zum  Theil 
wenigstens  auf  noch  ältereni  den  krystallinischen  Schiefem 
oft  ähnlidien  Schiefergebilden,  die  in  den  inneren  TheUea 
des  Hochgebirgs  mächtige  Verbreitung  gewinn«i.  Da  sichere 
Andeutungen  der  präoarbonischen  Reihen  des  Bergkalks  der 
Devon-  und  Siluilormtftionen  bisher  hier  nodi  aicfat  erkannt 


worden  sind,  so  könate  man  solche  alpine  Thonschiefer 
für  Aequivaleate  solcher  älterer  Oebirgsglieder  halten;  in-, 
dess  fehlt  jede  Spnr  organischer  Einschlüsse,  die  eine  solche. 
Annahme  rechtfertigen  würde. 

Die    grosse   Reihe    dieser     thonigen   Schiefer    yon, 
von  mehr  oder  weniger  krystallinischer  Textur,  die  man  als^ 
Mont  Genis-  oder  Casenna-  oder    graue  und  grüne  Schiefer 
bezeichnen  kann,    wie  zwischen  Flumat  und  dem  Thal  der 
Isere  und^  um  Megene,  verlaufen  in  kfilkige,  chloritische 
Glimmer-führende  Schiefer    und  in    wahren  Glimmer- 
schiefer,   die  ihrerseits  wieder  aufs  innigste  dem  Gneis s. 
sich  anschliessen.    Alle   diese  krystallinisohen  Schiefer^ 
bilden   ein    Ganzes,    in   welchem    einzelne    Graphit-reiche 
Lagen,   dann  häufig  kömiger  Kalk  stets  nur    in  deutlichen 
Zwischenlagen,  wie  der  Serpentin,  eingeschaltet  sich  finden. 
Favre  war  auch  so  glücklich  in  dem  serpenünhaltigen  Kalk, 
im  Mattenbach  bei  Lauterbrunn  in  der  Jnngfraukette  zwischen. 
Gneisslagen  EoMOcn   aufzufinden.     Wir  erkennen  aus  diesen 
Schildeningen  das  Abbild  der  Verhältnisse,  welche  sich  auch 
in    den   Urgebirgstheilen   des    bayerischen  Gebirge  N.    der 
Donau  beobachten  lassen.     Selbst  Eklogit- Einschlüsse  hat 
Favre   in  der  Nähe  des  grossen  Gletschers  von  Trient  be- 
obachtet. 

Der  Gneiss,  namentlich  die  Gneissabänderungen  mit 
grünem  Glimmer,  die  sogenannten  Protogingneisse  vw- 
binden  sich  so  innig  mit  gewissen  granitischen  Gesteineni 
dass  man  beide  blos  für  Formen  derselben  Gebirgsart  halten 
muss.  So  erscheint  der  Granit,  den  man  wegen  seiner, 
charakterischen  Gemengtheile  Protogin  nennt,  mehr  gegen 
das  Gentrum  des  Mont-Blanc  Stockes,  die  geschichtete  Ab-: 
ändemng  m^r  gegen  Aussen.  Dieser  Protogin  selbst  in. 
maer  Granitform  ist  stets  in  dicken  Bänken  gesondert  und 
gehört  mithin  denjemgen  kristallinischen  Bildungen  an,  dio, 
ich   als  Lagergranite,  beseiohne.    Meine  Untersuchungs* 


602*      8äih0tsrd9r  mMi-fh^^  CkmB&vom  7;  Deaemh»  lS9r. 

rerakate  Steher»  io  didB^  Beaiebung  ixt  yoUer  UebereintUi«' 
tretmg.  mit  den  AoBieliten  Favre' b,  wenn  er  die  berrsdienie 
FftralleUtmktor  der  krTBtallinkehea  Schiefer  für  ädit» 
SchichtUDg,  und  nicht  fiir  Folge  einer  Schieferung  hi&lt, 
d^eu  wahre  Ursache  ond  Wirkung  der  Verfieisaer  sehr  wohl 
kennt  nnd  an  den  Schichten  zwischen  Tete  noire  und  dem 
grossen  Tnnnel  treffiieb  beschreibt.  Die  steile  Aufrichtung 
dieser  Sdiiditeu  und  Lager  verursacht  das  Wiidaackige  diese» 
Qebirgs  und  das  häufige  Vorkommen  von  Spitsen  und 
Madeln,  während  andere  Granitgebirge  steh  durch  abge- 
rundete Formen  ausseidinen.  Auch  unsere  nordbayeriscbeii 
Gebirge  beherbergt  einen  Protogin-artigen  Granit,  bei  dem 
jedoch  die  weiche  talkähnliche  Beimengung  nicht  aus  Talk 
besteht,  sondern  dem  Onkosin  und  dem  Steinmark  entspricht. 
Bei  den  allerdings  wenigen  Mustern  von  Protogin  aus 
dem  Mont-Blano  Stock ,  -  die  mir  zur  Verfügung  stehen, 
seigt  es  sich  äusserst  schwierig,  die  griinUche  für  Talk« 
ancusprediende  Substanz  ganz  lein  von  Feldspath  oder 
Glimmerschüppchen  zu  befreien.  Die  erhaltenen  Reaktioaes 
sind  daher  nidit  zuverläs^g  genug,  um  über  die  Natur 
dieser  Beimengung  vollständig  ins  Klare  zu  kommen.  lob 
fand  indess,  dass  möglichst  reine  Splitterchen  vor  deat 
Löthrohr  nicht  völlig  unschmelzbar  sind,  dunkler  werden 
und  mit  Kobaltlösung  Spuren  von  blauer  Färbung  annehmen. 
Es  möchte  daher  diese  Substanz  ebenfalls  zu  den  Steinmaik* 
ähnlicfaen  Beimengungen  zu  rechnen  sein. 

Wir  folgen  dem  Verfasser  aua  dem  Bereich  zahllaser 
einzelner  Beobachtungen,  die  er  in  der  Natur  angestellt  und 
besGglich  der  Richtigkeit  seiner  Aufiaasung  durch  hnndait 
iäfnliche  Profile  coiitrollirt  hat,  endlich  auf  das  Gebiet  dsr 
Sohlnssitolgerangen,  welche  er  auf  höchst  geistreiche  Weise  ab 
daa  Resultat  aus  seinen  Einzellörschongen  ziehen  za  difarisK 
geglaubt  hat.  Es  ist  von  hohem  laterease  hier  dia  äa^ 
sichten   eings  Mazoies   zu  höoeo,    welcher  duidi  die  Buhft 


^«Bd  Klarheit  der  Anechi^iuiiigeQ  bei  seben  teuseod  md 
tansend  Beobaohtangeii  in  der  Natur  Burgseluift  dafür  ieistfit, 
dass  aoch  seioB  fiohliiSBe  sieh  nioht  vom  Wege  esakter 
ForsdniDg  durch  kühne  Phantaaien  werden  foiireiBsen  laemii 
knrz  die  durch  unsägliche  Mühe  während  vidjtiirlfohiQn 
FoiBchangen  erworbenen  Errahrungea  eines  Feldgeologen  za 
Tvereekmen.  Nach  »sorgsamer  Piufong  aller  Y^häUaisse 
JK>nimt  Favre  su  dem  Schlüsse,  4ass: 

1)  nur    unter  -dem  Einflüsse  von  Feachtigkeit,  rDraek 
And  Wärme  die  Gmaifc-artigen  Gesimne  des  Mont-Blacic*«  -mt- 

-«feanden  sein  'könaen, 

2)  dass  sie  geschichtet  sind, 

3)  dass  sie  in  festem  Zustande  «af  die  Oberfläche  4fr 
Erde  gelangt  sind  und 

^)  daas  -sie  nicht   dem    JfatamorphisviaB.  uaterworCsn 
twaren. 

Um  die  Verhältnisse  dcDtlicher  begreifiifiher  su  nnacbeni 

jmter    welchen    •bei     dieser   Vovaussetzanys    etwa   die  Ent- 

.Btehung  solcher  Gramtmassen  igedacht  werden  kann,  fver^ 

^eist  der  Verfasser  auf  jene   ältesten  Perioden   der  Ecd- 

rbildjang  ^zacück»   wo  fdaa  -Wasaer  noch  in  Dampfform  in  der 

.Atmosphäre  verbreitet  war  und  sich  an  oondensirenbegaw* 

.JDer  dadurch   und  durch    das  Vorhandensein   andecer  Gas- 

.rartan    in  der  damaligen  Atmosphäre   verursachte   enorme 

Draiek  zwang  die  Dämpfe  trotz  der  hohen  TemperaJtur,  .die 

.damals  herrschte,  in  flüssigem. >Znstand  überzugehen  und  auf« 

vorhandenes  Material,    welches  sich  der  Verfisisser  in  Form 

Lava-ähnlicher  Masse  die  Obei-fläche  der  Erdfeste  bedeckend 

denkt,    auflösend  einzuwirken.     Dieser   aufgenommene  Stoff 

krystallisirte  wieder  aus  und  lieferte  das  Material   zu  dem 

granitischen  Gestein.    Mit  Abnahme  der  Wärme  verringerte 

sich  diese  Einwirkung    und  die  Krystalliaationskraft  und  so 

dmtatanden  die  .krjFstaliiaischen  Schiefer.    Dia  jGesteinsgäqge 


634      BiHhing  äer  mai^.'phjf$.  Oläsw  vom  7.  Ikgember  1807. 

dagegen,   die   von  dem  Verfafiser    anch  Tielfach  oonstatht 
wurden ,   wie  9.  B.  die  Gänge  porphyrartigen   Granita  Yon 

'  Valorsine ,  leitet  er  von  grossem  Drnc^  her ,  welcher  daa 
Magma  des  Granites  in  die  Risse  benachbarter  Gesteiiie 
eingeführt  habe. 

Wenn  wir  an  die  Stelle  bereits  aas  der  WasserlSsiing 
fertig  aasgebildeter  Krystalle  die  Bildang  eines  amorphen 
Niederschlages  setzen,  ans  dem  sidi  erst  nach  und  nach  die 
einzelnen  Mineralien  am  Boden  selbst  entwickelten,  so  durfte 

'  diese  Darstellung  ungefähr  der  Vorstellung  gerecht  werden, 
welche  wir  uns  nach  dem  jetzigen  Standpunkt  der  Erfahr- 
ungen naturgemäss  von  der  Entstehung  der  granitischen 
Gesteine  machen  können. 

Besonders  scharf  fertigt  Favre  den  Metamorphiattius 
in  Bezug  auf  die  Entstehung  der  krystallinischen  Sdiiefer 
ab.  Der  Glaube  an  den  so  mysteriösen  Metamorphismus 
stamme  hauptsächlich  von  der  Angabe  der  französischen 
Karte  eines  „terrain  Jurassique  modifie^*  her.     Seitdan 

'  jedoch  dieses  terrain  modifie  theils  als  carbonisdi,  theils  als 
acht  jurassisch  sich  erwiesen  hat,  ist  der  Metamorphismus 
unnöthig  geworden.  In  dem  Kalk  vonMagaz  dicht  am  Protogin 
finden  sich  die  best  eihaltenen  Versteinerungen  ohnd  irgend  eine 
Aenderung.  In  Bezug  auf  das  Vorkommen  von  Egmisetum 
Sismondae^  im  Gneiss  von  Veltlin,  das  man  fBr  einen  un- 
umstösslichen  Beweiss  zu  Gunsten  der  Bildung  des  Gneisses 
*  durch  Metamorphose  angeführt  habe,  glaubt  Favre, 
dass  bei  einer  Umänderung  der  Schiefer  in  krystallinisches 
Gestein  die  feinen  Theilchen  der  zarten  Pflanze  sich  unmög- 
lich hätten  erhalten  können.  Metamorphismus  ist  dem  Ver- 
fasser eine  verborgene,  unbekannte  Kraft,  der  man  die  Erfolge 
zuschreibt,  von  denen  man  sich  keine  Rechenschaft  geben  könne, 
von  der  man  jedoch  wünschen  müsse,  dass  ihr  Name  bald 
aus  dem  Wörterbuch    der   Wissenschaft  gestrichen   werde. 


MmM:  IHe  ffeogno&L  VerhäUitfste  de9  Blm^BUme  ete.     635 

Man  miiss  wenigstens  bezfigUch  der  krystallinischen  Sdiiefsr 
dieser  Ansicht  anbedingt  beistimmen  oder  überhaupt  alle 
Gesteine,  welche  nach  ihrer  Sedimentation  oder  Erstarrung 
irgend  eine  Aendening  erlitten  haben,  —  und  das  sind  alte| 
selbst  Sedimentgesteine,  ausnahmslos  —  als  metamorphische 
erklären.  Selbst  der  gewohnlichste  Kalkstein  hat  seit  seinem 
ersten  Kömer-  oder  Staub-artigen  Absatz  bis  zum  Zustande 
einer  festen  Felsmasse  grosse  Metamorphosen  durchgemacht 
Wir  stimmen  insofern  der  oben  ausgesprochenen  Ansicht 
bei,  als  jeder  Metamorphismus  zu  yerwerfen  ist,  bei  dem 
man  sich  über  die  verändernden  Vorgänge  nidit  Rechenschaft 
geben  kann.  Indessen  bleiben  immerhin  eine  Reihe  von  Er- 
^  scheinungen  übrig,  die  sich  durch  eine  materielle  Umänder- 
ung früher  vorhandener  Felsarten  vollständig  exakt  erklären 
lassen.  Ich  erwähne  nur  die  Verwandelung  von  Enstatit-  oder 
von  Olivinfels  in  Serpentin.  Doch  beschränken  sich  derartige 
Metamorphosen  auf  Infiltrationserscheinungen  und  Umänderung 
nach  Art  der  Pseudomorphosen.*  Es  durfte  daher  geeignet 
sein  9  statt  des  allerdings  vielfach  missbrauchten  Wortes 
Metamorphose  den  Begri£F  Pseudomorphose  auch  auf 
ganze  Felsmassen  anzuwenden. 

Es  erübrigt  noch  die  Erklärung  zu  erwähnen,  welche 
der  Ver&sser  nach  dem  Vorgange  Lory's  im  XXIII.  Kapitel 
seines  Werkes  über  die  Fächerstruktur  des  Mont-Blano 
Massiv's,  welche  mit  gewisser  Modifikation  auf  den  ganzen 
Gebirgsbau  der  Alpen  Anwendung  finden  kann,  giebt  Sie 
stützt  sich  auf  die  Annahme  einer  wahren  Schichtung  der 
krystallinischen  Schiefer  und  einer  lagenweisen  Ausbildung 
des  Protogin's.  Man  muss  annehmen,  dass  die  krystallinischen 
Schiefer  beim  Beginn  des  letzten  Hauptgestaltungsaktes  der 
Alpen  von  einer  sehr  energischen  Pression  ergriffen,  eine 
sehr  vorspringende  Falte  bildeten  und  durch  das  Uebermaass 
der  Krümmung  auseinander  brachen,    so  dass  der  zuerst 


M6     mmmdmrmaA.'rtißt.  Qmm  vm  7.  JkamOm  M^. 


«Btar  dM  Schiefem  in  der  Tiefe  lagernde  Protogin  im  &UMl- 
pnnht  der  BQ^taog  zun  Vonchein  Jcam.  Die  obere»  Paitieen 
der  ao  gebobeoen  Kette  erlitten  eine  nnr  echwacbe  Seite^- 
freeemg,  wfibrend  die  üeleren  mit  grosser  Gewalt  dsrcb 
die  Wirkmg  der  benachbarten,  weniger  hervorragenden  Fa^n 
naamiaengedrückt  worden  und  eine  Lage  annehmen  ma3eten 
nach  Analogie  der  Halmen  in  einer  Garbe.  Anf  äibnlichen  V«r- 
l^ngra  beruht  auch  die  Struktur  der  angeschloseenen  jängeren 
Sedimentäischicbten  in  ihren  halbfaoherförmigen ,  gewMb- 
artigen  oder  selbet  überstürzten  Lagemngen, 

Wenn  der  Verfasser  imnimmt,  dass  der  Ursprung  der 
Gebirge  nicbt  einer  Erliebung  (sonlevement)  im  vertikalen 
Sinne  ztgescbrieben  werden  könne,  weil  dann  die  SchidtiteD 
einfach  antiklinal  aufgerichtet  und  zersprengt  worden  wäpen, 
flo  ist  doch  nicht  abzusehen,  woui  ich  redit  verstehe,  «e 
d^  erste  Wirkung  der  Pression  in  der  Centralkette  entstanden 
sei.  Mir  scheint  in  der  That  eine  £piporhebung  gewisser 
fester  Gebirgstheile  in  der  Centralkette  angenommen  wei^deu 
zu  müssen,  welche,  indem  durch  dieses  £mporpre8sen  fester 
Massen  zwischen  die  früher  auflagernden  Schiefer  ein  Rwm 
geschaffen  werden  musste,  welcher  die  eingeschobenen  Massen 
einnehmen  konnte,  ein  Anseinanderdrängen  der  seitlich  ge- 
lagerten Schichten  verursachte  und  auf  diese  nur  in  Fopn 
eines  Seitendrucks  wirken  konnte,  wie  ich  bereits  ausführlich 
(S.  855  m»  W.)  ausgesprochen  habe.  Im  grossen  Ganzen 
il^aube  ich  jedoch  die  Ueberstinuniing  unserer  Ansichten  über 
den  Gebirgsban  der  Alpen  in  zwei  so  entfernt  liegenden 
Theilen  derselben  constatiren  zu  dürfen. 

So  sehen  wir  durch  dieses  Meisterwerk  der  descriptiven 
Geologie  eine  jener  grossen  Lücken  auf  die  würdigte  Weise 
«nsgetiillt,  welche  die  bisher  erschienenen  Monographien  über 
.einzelne  Theile  der  Alpenkette  noch  gelassen  haAten  und 
.wir   begrüssen   mit   grosser  Freude   die  Uebereinstimmong 


Sitzung  der  histar,  Classe  vom  7.  Deuniber  1867,  637 


der  Resultate  der  Forschungen  im  Osten  und  Westen  der 
Alpen,  die  der  Hoffnung  Raum  geben,  dass  das  so  schwierige 
Gebiet  der  Alpen  bald  in  allen  Theilen  gleichmässig  geogno- 
'^'  stisch  untersucht  und  in  seinem  verwickelten  Gebirgsbau  klar 
-'*'*    aufgeschlossen  vor  Augen  gestellt  sein  werde. 


1.  ^ 


^^^  Historische  Classe. 

'  ^'  Sitzung  vom  7,  Dezember  1867. 

•da« 


Herr  Rockinger  machte  Mittheilungen: 
^  n^ur    äussern    Geschichte    der    Entwicklung 

^  der    bayerischen   Landesgesetzgebung    von 

;  ^  Kaiser    Ludwig's     oberbayerischen     Land- 

^i..  rechten   bis   in    den    Beginn    des    16.  Jähr- 

,. hunderts*. 


[1867.11.4.]  42 


Sach-Begister. 


Achäer  628. 
Aefirypten  84.  528. 

Alpen,  die  West-  und  Ostalpen  606. 
Altfranzösische  Lieder  486. 
Atomigkeit  568. 

AnctoritateB  (in  der  Philosophie)  173. 
Drucke  174. 


Bach  Sebasiiftn  336. 

Bayern,  Ortsnamen  450. 

Landesgesetzgebnng  637. 

Bergkrystallgewichte  235. 

Bemer  Bibliothek  486. 

Berthold  von  Regensburg  374. 

Blitzschläge  247. 

Influenzfähigkeit    der    Bodenschichten   —   mechanische    Wirk- 
ungen 263. 

Blaus&ure-Yergiftung  591. 
Wirkung  aufs  Blut  594. 

Brasilien  559. 

Buchstaben,  ihr  ägyptischer  Ursprung  84. 
ein  Alphabet?  100.  103. 


China  19. 

42* 


640  Sach-Begisier. 

Danait  278. 


Eiterkörper  in  Gefassepitfaelien  189. 
Erlanger  Bibliothek  386. 


Favre  Alphons,  rechercbes  geologiques  etc.  604. 
Fettbildnng  im  Körper  462. 

Formeln,  typische  und  empirische  in  der  Mineralogie  563. 
Fütterungsarten  404. 


Galtgransandstein  155. 

Geologie  407.  608. 

Gerding's  Geschichte  der  Chemie  601.. 

Geschichte,  ägyptische  528. 

chinesische  19. 
Gewitterereignisse  249.  265. 
Glankodot  von  Hakansbö  247. 
Griechisches  auf  ägyptischen  Denkmälern  534. 
Gudrun  205.  857. 


Harnsäuresedimente  279. 
Heilsbronner  Bibliothek  885. 
Heinrich  von  Yeldeken  Eneide  471. 


Island  1. 


Knochenbildungen  (primäre)  in  der  Lunge  144. 
Krause  Unsterblichkeitslebre  894. 


Leiden  Christi-Leodegar  (altromanisch)  199. 
Leucothea  der  Glyptothek  889. 


SaehrlUffis^,  6^1 


Litteratur 

mitteldeutsche  1.  206.  867.  884.  461.  471. 
romanisohe  199.  466. 


Mathematik  407. 

MenBchenspuren  in  den  neogenen  Tertiärschichten  Frankreich«  407. 

Meteorologie  247. 

Milchkuh,  eine  gute  406. 

Mineralogie  276.  663. 

Mineralwasser  zu  Neumarkt  (Oberpfalz)  126 

Montblanc,  dessen  geognostische  Verhältnisse  608. 

Mukhbir,  türk.  Journal  894. 

Münchner  Staatsbibliothek  2.  297.  384.  426.  471. 


NachUegen  (mitteldeutsch)  1.  169.  461. 


^Oyxa  560. 

Optische  Gonstructionen  284. 


Pateclus  892.  469. 

Pelasger  546. 

Philosophie  des  Mittelalters  178. 

Phosphorsäure  in  Schichtgesteinen  Bayerns  147. 

Photographie  284. 

Piatons  Timäus  648. 

Polnische  Sprache  160. 


Roger  Bacon  874. 

Rddiger  von  Manesse  in  Zürich  429. 


Salimbene's  Chronica  876.  890. 
Schmeller's  Realkatalog  864. 
Scholastik  178. 

ihre  Nachwirkung  im  16.  Jahrhundert  189. 


642  aach-BegiaUr. 

Schwaben  Spiegel  297. 

dessen  Abfassangszeit  406,  eine  höhere  442.  - 

eine  Handschrift  desselben    im  Besitze  des  Herrn  Föringer  408. 

eine 'Pergamenthandschrift  Heinrich  des  Preckendorfer  413.  416. 

Schwefelarsenik-Bildang   in   den  Leichen   mit  arseniger  Säure  Ver- 
gifteter 895. 

Sprachgränze,  die  deutsche  im  Süden  888. 

Stoffverbrauch  —  Stoffwechsel  572. 
beim  Gesunden  und  Kranken  575. 


Yerschwörnng  in  Bayonne  (1565)  158. 


Wage  —  erreichbare  Genauigkeit  23 i. 
Walther  von  Lille  (Walthariüs)  894. 
Wehrverfassung  keltische-germanische  158. 
Wittenberger  Theologen  336. 
Wurmsegen  (mitteldeutsch)  16. 


Ziffern,  ägyptisch  116. 
Zuckerhamruhr  672. 


im  ti 

5are  ^?  Namen  -  Register. 


Brunn  339. 

Buchner  126.  396.  691. 
Büdinger  (Wahl)  339. 
Buhl  139.  144. 


Cappino  Marchese  (Wahl)  338. 
Carvalhao  (Wahl)  338. 


öümbel  147.  603. 


Henzen  (Wahl)  338. 

G.  Hofmann  i.  159.  199.  206.  336.  367.  374.  461.  486 

Frz.  Hofmann  279. 

V.  Hundt,  Graf  460. 


v:  Kaufller  (Wahl)  337. 
Eeinz  1. 

Eluckhohn  168.  336. 
V.  Kobell  276.  663. 
Kuhn  247. 


Lanth  84.  628. 

de  Leva  (Wahl)  339. 

V.  Leuchtenberg,  Nicolaus  Herzog  Ehrenmitglied  (Wahl)  337. 

▼.  Liebig  337. 

Lorenz  (Wahl)  339. 

de  Luna  (Wahl)  338. 


644  *  NamethBegüter. 

V.  Martias  559. 
Matteucci  (Wahl)  388. 
Maurer  1. 
Mignet  (Wahl)  SSß. 
Miquel  (Wahl)  338. 
Müller  M.  J.  394. 


Newton  (Wahl)  338. 

Pariatore  (Wahl)  338. 
T.  Pettenkofer  572. 
Flath  19.  394. 
Prantl  173. 

Biehl  336. 

Bockinger  297.  408.  637. 
Röscher  (Wahl)  338. 
de  RoBsi  CWahl)  338. 
Roth  158. 


Scacchi  (Wahl)  338. 
Secchi  (Wahl)  338.  ' 
Seidel  231.  284.  4D7. 
Senarmont  (Wahl)  338. 
A.  Steinheil  284. 


Togel  601. 
Voigt  (Wahl)  339. 
Voit  279.  402.  572. 


Wagner  Mor.  407. 

Zingerle  (in  Innsbruck)  461.  471. 


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