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Sitzungsberichte
der
köuigl. bayer. Akademie der Wissenschaften
S zu München.
Jahrgang 1867. Band 11.
München.
Akademische Bnohdrackerei von F. Straub.
1867.
Ib CommUfioA bei 0. Frani.
L^ocmyr
Uebersicht des Inhaltes.
Bm mit * beseichnetoii Yoririg« sind ohne luiiif.
Mos<>phi8chrphilol. Classe. Siteung vom 1. Juni 1867.
Seite
iorer: Die QaellenzeagnisBe über das erste Landreoht und
die Ordnung der Bezirksverfassung des isländischen
Freistaates ^ 1
&<: Eine mitteldeutsche Beschwörungsformel (Nachtsegen)
aus dem XIII./XIY. Jahrhundert 1
tk: Chronologisclie Grundlage der alten chinesischen Ge-
schichte 19
Qth: Ueber den Ägyptischen Ursprung unserer Buchstaben
und Ziffism (mit einer Tafel) 84
^^^atisch-physiJcal Classe, SiUmg vom 1. Juni 1867.
^kner: Nene chemische Untersuchung des Mineralwassers
ZTL Neumarkt in der Oberpfalz 125
IV
Buhl: 1 ) Ueber die Bildung von Eiterkörpern in Gefässepithelien
2) Notiz über primäre ästige Osteome der Lunge .
Gümbel: Weitere Mittheilungen über das Vorkommen von
Phosphorsäure in den Schichtgesteinen Bayern*s
Historische Classe, Sitzung vom 1. Juni 1867.
*Roth: Ueber Keltische und Germanische Wehrverfassong'
*Elnckhohn: Erzählung von der Verschwörung zu Bayonne
im Jahre 1565
Nachtrag eur Sitzung der philos.-phihl Classe vom 1. J
Hof mann: Bemerkungen cum Nachtsegen
PhilosophiscJi-philöl. Classe. Sitzung vom 6. Juli 1867
P r antl: Ueber die Literatur der Auctoritates in der Philosophie
Hof mann: 1) Zam altromanischen Leiden Christi und zum
Leodegar
2) Zur Gudrun
„ Berichtigender Nachtrag zu Heft I. S. 171 der
Sitzungsberichte
Seite
Maihematisch-physikulische Classe. Sitzung vom 6, Juli 1867,
Seidel: £in Beitrag zur Befltimmung der Grenze der mit
der Wage gegenwärtig erreichbaren Genauigkeit . 231
Kühn: Bemerkungen über Blitzschläge 247
T. Eobell: Ueber den Glaukodot von Hakanabö in Schweden 276
Voit: Ueber das Zustandäkommen der Harnsäuresedimente . 279
A. St ein heil: Ueber Berechnung optischer Construktionen . 284
Historische Classe. Sitzung vom 6. Juli 1867,
Bockinger: üeber drei mit einem Anhange zum Landrechte
vermehrte Handschriften des sogen. Schwaben-
spiogels auf der Staatsbibliothek zu München 207
*Riehl: Ueber Sebastian Bach und dessen Stellung zu den
tbeologischen Parteien seiner Zeit 336
^Kluckhohn: Die Wittenberger Theologen' nach Melanch-
thon*B Tode 886
Oeffentliche Sitzung zur Vorfeier des Allerhöchsten
GehurtS' und Namensfestes Seiner Majestät des
Königs Ludwig IL am 25. Juli 1867 .... 887
Neuwahlen ...*.' 887
TI
Seite
Einsendungen von Druckschriften . . . . • 840
Philosophischrphilol. Glosse. Sitzung vom 9. November 1867.
Hof mann: 2'ar Gudrun 357
„ Zeugnisse über Berthold yon Begensburg . . . 374
Nachtrag dazu 459
* Pia th : üeber Krause's Unsterblichkeitslehre 894
* Müller: Ueber mehrere Nummern des türkischen in London
erscheinenden Journals *Mukhbir* ....... 894
Mathematisch'physikdl. Classe. Sitzung vom 9. 'Nov, 1867.
Buchner: Ueber die Bildung von Schwefelarsenik in den
Leichen mit arseniger Säure Yergifteteter . . . 895
Voit: Ueber die Fettbildung im Thierkörper 402
* Wagner: Ueber die Entdeckung von Spuren des Menschen
in den neogenen Tertiärschichten von Mittel-
frankreich 407
* S e i d e 1 : üeber eine Darstellung des Kreisbogens, des Loga-
rithmus und des elliptischen Integrales erster Art
mittelst unendlicher Produkte 407
Historische Classe. Sitzung vom 9. November 1867.
Rockinger: Zur näheren Bestimmung der Zeit der Abfassung
des sogenannten Schwaben spiegeis 408
*6rafv. Hundt: Beiträge zur Feststellung der historischen Orts-
namen von Bayern, insbesondere des ursprüng-
lichen Besitzers des Hauses Witteisbach . . . 450
VII
8«ito
Einseodangen von Druckschriften 451
?Mlasoph%8ch-phü6l. Glosse. Sitzung vom 7. Dez. 1867.
Zingerle: Bemerkungen zum Nachtsegen 461
„ Meraner Fracrmente der Eneide Von Heinrich von
Veldeken . . . : 471
Hofmann: Eine Anzahl altfranzösischer lyrischer Gedichte
ans dem Berner Codex 889 486
Lsath: Die Achiver (Achäer) in Aegypten 528
Maihematisch'physikdl. Glosse. Sitzung vom7. Dezember 1867.
T. Martins: Beiträge zur Ethnographie and Sprachenknnde
Amerika*s, zumal Brasiliens 559
▼. Eohell: Ueber die typischen und empirischen Formeln in
der Mineralogie 563
T. Pettenkofer: Ueber den Stoffverbrauch eines Znckerham-
ruhr-Kranken von ihm und Hrn. Carl Voit 572
Bachner: Ueber die Beschaffenheit des Blutes nach einer
Vergiftung mit Blausäure 591
Vogel: Gerding's Geschichte der Chemie . . ^ 601
Gümbel: Ueber die geognostischen Verhältnisse des Mont-
Blanc und seiner Nachbarschaft nach der Dar-
stellung von Prof. Alph. Favre und ihre Bezieh-
ungen zn den benachbarten Ostalpen 603
VIII
Seit«
Historische Glosse, Sitzung vom 7. Dezember 1867.
^Rockinger: Zur äassern Geschichte der Entwicklung der
bayerischen Landesgesetzgebung von Kaiser
Ludwig's oberbayerischen Landrechten bis in
den Beginn des 16. Jahrhunderts . . * . 637
Sitzungsberichte
der
kOnigl. bayer. Akademie der Wissensohaften.
Philosophisch -philologische Classe.
Sitzung Tom 1. Juni 1867.
Herr Maurer bebandelte:
„Die Quellenzengnisse über das erste Land-
recht und die Ordnung der Bezirksve^-
fassnng des isländischen Freistaates''.
Diese Abhandlung wird zum Druck in den Denkschriften
Herr Hofmann bespricht eine von Herrn Director
Halm entdeckte und von Herrn Keinz bearbeitete
„mitteldeutsche Beschwörungsformel (Nacht-
segen) aus dem Xin./XIV. Jahrhundert."
Bei den Vorarbeiten fiir die seinerzeitige Drucklegi^ng
des Katalogs der lateinischen Handschriften der hiesigen
[1867.il 1.] 1
2 Siigung der phüos.'phiM. CUme vom L Juni 1667.
k. Hof- and Staatsbibliothek war vor kurzer Zeit Herr
DirectorDr. Halm so glücklich, ein merkwürdiges deutsches
Stück zu entdecken, welches nach den yorliegenden Ver-
zeichnissen bisher der Aufmerksamkeit der Beschreibenden
entgangen^) und daher gänzlich unbekannt war. Eine ge-
naue Untersuchung des zum Theil schwer lesbaren Textes
ergab, dass hier eine durch ihren verhältnissmässig reichen
Inhalt sehr beachtenswerthe Beschwörungsformel aus dem
Ende des XIII. oder Anfang des XIV. Jahrhunderts vorliege.
Die Handschrift trägt jetzt die Bezeichnung Cod. lat.
monac. 615 und zählt 127 Blätter meist glatten und ziem-
lich starken Pergaments in klein Quart. Der feste alte
Einband, etwa aus dem XV. Jahrhundert herrührend, be-
steht aus Holzdeckeln, mit weichem grüngefarbtem Leder
1) Ueber die (700) Handschriften der alten churförstlichen Bib-
liothek ist ein, was die lateinischen Stücke betrifft, ungemein aos-
iührlicher Katalog von dem kgL Bibliothekar Ign. Hardt vorhanden.
Zu bedauern ist dabei nur, dass Hardt, wie es scheint, für die
kleineren hie und da vorkommenden deutschen Stücke kein Interesse
hatte; wenigstens sind dieselben in den meisten Fällen höchst un-
genügend behandelt, nicht selten gar nicht erwähnt. Letzteres ist
nun auch bei dem hier in Betracht kommenden Stücke der Fall.
Schmeller aber fand, als er an die ungeheure Arbeit ^er Beschreib-
ung sämmtlicher hiesigen Handschriften gieng, diesen Katalog vor
und glaubte bei der Genauigkeit, die demselben in obenerwähnter
Weise eignet, von einer erneuten Durchsicht der Handschriften Um-
gang nehmen und sich für den von ihm anzulegenden Katalog mit
einem blossen Auszug aus dem genannten Yerzeichniss begnügen zu
können. Für diese auch sonst feststehende Thatsache liefert ge-
rade die hier zu besprechende Handschrift einen Beleg. Hardt giebt
nämlich die Anzahl der Blätter verfehlt an: 101 statt 127 Blätter,
während er den Inhalt der Handschrift bis zu Blatt 126^ beschreibt;
genau derselbe Mangel kehrt bei Schmeller wieder. Daraus erklärt
sich von selbst, dass unsere Formel, nachdem Hardt sie nicht er-
wähnenswerth gefunden hatte, auch in dem Schmeller^schen Ver-
zeichnisse fehlen muss.
. Keins: Eine miUddetOsc^ Beschwörungtfarmd. 3
aberzogen, das darch eisgepresste Linien verziert ist. Von
desa Beschlagen sind nur mehr zwei kleine messingene
Schliessen yoriianden.
Ueber die Herkunft des Codex fehlen alle genaueren
AnhaUspnnkte. Für das hier zu behandelnde Stück indess
igt die Heimat wenigstens durch die Mundart festgestellt,
welche es als dem mittleren Deutschland angdiörig erweist.
Derselben Mundart dürften auch die weiter zu erwähnenden
Ist-deutschen Vocabularien angehören und da diese von
andern Händen, als die Beschwörungsformel sind, so kann
man wohl schliessen, dass wenigstens der grossere Theil der
Handschrift aus jenen Gegenden stamme. Weniger möchte
sich daraus entnehmen lassen, dass eine Hand des 15. Jahr-
hunderts auf f. 125 a den Namen henricus d' prusia (nebst
einigai nicht mehr deutlich lesbaren Buchstaben) einge-.
trsgßa hat.
Der Codex ist zusammengebunden aus vier (resp. 5)
Ton einander unabhängigen, von verschiedenen Händen her-
rührenden Handschriften (f. 1—39, 40—73, 74—102,
103—127). Davon enthält das 1. Stück 'Aristotelis secre-
tum secretonun ad Alexandrum Johanne Patrizii filio inter-
prete'; das 2. Medizinisches, darunter (f. 68^ — 72*) ein lat.-
deutsdies alphabetisches Vocabular von Kräutern; das
3. Physikalisches und Naturwissenschaftliches. Das 4. Stück
soll als das zunächst wichtige in folgendem seine besondere
Beschreibung finden.
Dasselbe besteht aus 3 Lagen, von denen die erste
6 Bl. = 3 Doppelbl., die zweite 10 Bl. = 5 Doppelbl.,
die dritte 9 Bl. =:^ 3 Doppelbl. mit 3 einzelnen durdi Falze
innen in die Lage eingenähten Blättern enthält. Die ^ste
Lage kann wieder als ein besonderes Stück betrachtet
werden, da sie dne für sich bestehende Abhandlung *Ameti
(Amati) filii Abraham epistola' de variis arcanis (ohne
Scbluss), femer anderes Pergament, andere Hand, nur zwei
Spidten zeigt Oio Anzahl der Linien i9t zwar die gleiche,
wie bei den zunächst folgenden Seiten (38), aber es fehlen
die in den beiden folgenden Lagen am obersten fhinde ge-
zogenen Doppellinien, nnd ist nur die erste und letzte Linie
jeder Seite bis ans Ende gezogen, was bei der Mehrzahl
der folgenden Seiten anch mit der Dritten geschehen ist.
Die 2. nnd 3. Lage zeigen glaches Pergament und
gleiche Liniirnng, nt^r zählen die ersteren Seiten 38, die
späteren 39 Linien. Die Blätter 109*— 119^ sind dreispaltig,
die übrigen vierspaltig. Die dreispaltigen Blätter enthalten
das lat. Vocabular 'Circa instans*, die Blätter 119^— 124* ein
lat.-deatsches Yocabular von Kräutern, BL 124*— 125* mor-
borum nomine, Bl. 125* — 126*" nomina herbarumi corticum,
florum, salium etc. (lat)., die erste Seite des letzten Blattes
(127*) endlich unsere Beschwörungsformel, die zweite Seite
desselben ein lat. Verzeichniss von gewissen Fasttagen und
einige Zeilen anderer Schrift, die aber so sorgfaltig radirt
ist, dass auch nach Anwendung eines chemischen Reagens
ausser einzelnen Buchstaben nichts mehr zu erkennen war.
Auch auf diesem letzten Blatte sind die 5 doppelten
Verticallinien, durch welche die 4 Spalten begränzt werden,
gezogen, so dass es also ursprünglich für die Vocabularien
bestimmt war, und dann, als leer gebliebenes Blatt für den
erwähnten Zweck benützt wurde.
Nach dem Vorausgeschickten erübrigt für die ausser-
liehe Beschreibung dieses Blattes nur wenig. Von den
39 Linien liess der Schreiber die oberste in beiden Spalten
ganz frei; in der zweiten Spalte ist auch die zweite Linie
frei, zeigt aber Rasur, welche indess mit ziemlicher Sicher*
heit noch erkennen iässt, dass der Schreiber hier die erste
Zeile zweimal schrieb und dann die obere radirte. Die
Zeilen 8 — 10 zeigen dunkle Flecken, deren Ursache sich
erst bei genauer Betrachtung mit Sicherheit herausstellta
Der gegenüberliegende leere Raum liess nämlich eine soig-
Kekit: Slme miiMämtiche Beschwörunggformd. i
filtige BasQr erkennen, atfs def du Reftij^ns die Ursprung'*
Mie Schrift zam Vorschein brachte. Es stand da die be-
kaante Formel sator arepo tenet opera rotas, einmal in ge-
trennten symmetrisch geordneten fiochstaben, dann in den
ToUen Worten; letztere Jiatten sich, wie aus dem Platze
und selbst aus einzehen fiudistabenumrissen hinlänglich er-
kennbar, fibergedruckt.
Das ganze in sich abgeschlossene Stück wurde von
dner beeondem Hand auf die leere Seite ebgetragen. Die
phunpe Schrift, weldie hie und da die Lesung einzelner
Bndistaben und Silben sehr erschwerte'), die ungleidie
Orthographie, die mehrfachen Correcturen, lassen einen
wenig geübten Sdireiber Termuthen; die Schrift weist auf
die erwähnte Zelt, einzelne Reime wie 41 : 42 mutir : gute,
51:52 sugen : schuhen deuten selbst auf frühere üeber-
Die Verse sind abgesetzt und die Anfangsbuchstaben
nur in einzelnen Fällen durch einen geringen unterschied
der Grösse, nicht durch besondere Form ausgezeichnet. In
letzterer Beziehung findet sich eine Ausnahme nur bei V. 18,
der mit dem Eigennamen Truttan beginnt und in diesem
die gewöhnliche Form der Majuskel T zeigt.
Die mitteldeutsche Mundart erhellt zur Genüge aus der
Art einzelner Vocale in den Stämmen und Endungen, sowie
aas einzelnen Reimen.
Eine genaue Beschreibung der Handschrift habe ich bei
der Wichtigkeit des mitzutheilenden Stückes sowie aus
andern nahdiegenden Gründen für nöthig gehalten, damit
Forscher, die nicht in der Lage sind, den Codex selbst ein-
2) Dahin gehören namentlich die Buchstaben ni und n, deren
Striche häufig unten verhunden sind, die Aehnlichkeit von c, e, o,
von c, r und t, die Schreibweise cz und zc für das harte z u. s. w.
6 Siisfung der phüoa.-phOöL Ckase vom 1, Jum 1867.
zusehen, sich eine möglichst genaue VorsteUung davon
bilden können. Zu erklären bleibt noch yerschiedenes an
dem Inhalt unserer Formel und es wäre daher zu wünschen,
dass sich unsere bewährten Sagenkenner näher damit be-
schäftigen möchten.
Im Nachfolgenden gebe ich nun den Text des Stückes
nach getreuer Abschrift, auch mit Beibehaltung der offen-
baren oder wahrscheinlichen Fehler, deren Beseitigung sich
für den ersten Abdruck nicht empfahl, da sie grösstentheils
entweder sehr leicht ist oder gefahrlich sein könnte. Von
den wenigen Abkürzungen habe ich als störend au^elöst:
Z. 1 d's = deus 10 b'ge 19 h' 24 leng' 38 m' 41 h'brant
71 t'nitat Z. 57 profüdis (auch mit der gewöhnlichen Ab-
kürzung für pro). In der 10. und 38. Z. des Originals ist
die letzte Silbe in die obere Zeile hinaufgeschrieben. Von
Angabe der erwähnten Correkturen, welche sich in Z. 15,
73 und 57 finden, glaubte ich Umgang nehmen zu dürfen.
Den Abdruck habe ich mehrmals mit der Handschrift ver-
glichen und daher die Beigabe der üblichen W für ent-
behrlich gehalten.
Hinter dem Texte lasse ich zu einigen Stellen noch
Bemerkungen folgen, welche sich auf ihr Ausdehen in der
Handschrift beziehen; ausserdem eine Anzahl Erklärungen,
diese jedoch, um nicht blosse Abschriften geben zu müssen,
in den meisten Fällen nur in Form von Verweisungen auf
bekannte tüchtige Werke, welche über die betreffenden Ge-
genstände hinlänglich Auüschluss ertheilen. Für manchen
Hinweis in dieser Beziehung bin ich Hrn. Prof. Hofmann zu
Dank verpflichtet, welcher auch am Schlüsse dieses Heftes
über die in den Versen 14 - 18 vorkommenden Ausdrücke
besondere Erklärungen bringen wird.
KeinM: Eine wUMdeiOscTiiB Beiehwörung^ürmd.
daz faltir dcos brunnon,
dazhoyfte nam' dyauion,
daz heylige fancte rpiritus,
daz fahis fanct* dominus,
5 daz mze mich nooh hint
bewarn
vor den boren nach yarn
?n rnnze mich bicrizen
ror den fvaroen Tnd' wizen,
dy di guten fin genant
10 Tnde zu dtem broehelfberge
fln gerant.
Tor den pilewizze,
Yor den mon ezzen,
vor den w6ge fchriten,
vor den zcun riten,
15 vor den cluigeden golden,
vor allen vneholden,
gloozan vnde lodowan,
Tmttan vnde wutan,
wntanes her ri alle line
man,
20 dy di reder Vn dy wit
tragen
geradebrech vn irhangin,
ir folt won hinnen gangen,
alb vnde elbelin
ir falt nich lenger bliben
hin:
^^albes fyestir vn vatir
ir fnlt uz varen obir de
gatir:
albes murir trute vä mar
ir folt uz zu de virfte vare:
noc mich dy mare druche,
SO noc midi dy trute zeiche,
noc mich dy mare rite,
noc mich dy mare befcrite.
' alb mit diner crummen
nafen,
ich vorbithe dir aneblafen,
86 ich vorbite dir alb ruche
cruchen vn anehuccheo.
albes kind' ir vrithdin
lazet Twer taftin noch mir
Bin.
Vn du clage mutir
40 gedenke min zu gute,
herbrote vn herbrant
vart uz in eyn andir laut,
du vngetruwe molken ftellen
du faltminir turvorvelen,
45 daz biner vn daz vuz fpor
daz blibe mit dir do vor:
du salt mich nich beruren,
du salt mich nich zuwuren,
du salt midi nich enfcehen,
50 de lebenden fnz abemehen,
daz herce nicht uz fugen,
eynen Itrofwizfl dorin fchu-
ben;
ich vorfpige dich hüte vn
alle tage,
ich trete dich bas wan
ich dich trage;
55 nv hin balde du vnreyniz
8 8itHmg der pkRoi.^h%M. Ohm Hom 1. Jtmi 1867.
wan da weufenr hy moht bi dem Tooe metis,
haf ; bi dem de profiindisy
ich befoere didi Tngebure bi dem baben cohoun-
bi dem wazsär Tn bi de t«8,
fnre, bi dem nfic dimitds^
Yn alle dine genozen 70 bi dem benedictus,
60 bi de nainen grozen bi dem magnlfieat^
des filTeSj der da zelebrant bi den aller trinitat,
an der messe wirt genant. bi dem reMn alfo her:
ich befnere didi yil eere daz da vares obir mer
bi dem miserere, 75 tb mich gorores nim'mer«
66 bi dem laudem deos, amen
Bemerkungen.
V. 1 ßaltir wohl = Psalter. Das 1 ist hiUier als gewöhnlich
(eben so das d yon daz und das b in brunnon) nnd
oben nach links gezogen i während es sonst die gerade
Linie hat. Hinter jedem dieser drei Buchstaben ist oben
der r-Hacken angebracht, bei dem ersten in bedeutender
Grösse, was in allen drei Fällen wohl nur die Bedeutung
von Verzierangen haben soll. In andern Zeilen als d^
ersten würde diess mehr auffallen.
1—8 Von den ungewöhnlichen Worten der beiden ersteu
Zeilen ist nur hoyfte (das für höhiste stehen könnte) ganz
sicher; in brunnon könnten die 6 Striche Ton utm yiel-
Idcht auch anders zu verbinden sein; von num^ ist die
Zahl der geraden Striche nicht bestimmt zu behaup-
ten, da nur die ersten 6 leicht erkennbar sind, der 7.
sich aber nur sehr schwach zeigt: auch ihre Vei^bJÄdtmg,
besonders bei den letzten, ist nicht deutlich; das letzte
Wort der Z. 2 scheint dyuuion zuheissen, das i ist aber
nachträglich eingefügt. Die Woit^ siäd vielleidht, ^e die
Keku^: Eitle mhtdäeutsehe Beadmörwigtfomd, 9
iä V. 64—71 stehenden lat. Worte Anfänge von PsiJmen
oder damals bekannten Gebeten, möglicher Webe aadi
sonst fremdspradiliche Benennangen der Gottheit Nach
der dritten Zeile zn schliessen, dürfte sich die erste anf
Gott den Vater, die zweite auf Gott den Sohn beziehen^
Anhaltspunkte für die Erklärong konnte ich weder aus
sonst bekannten Formehf noch aas den fielen Exords-
men entnehmen, welche im 'Malleas maleficaram* (ich
benutzte £e Frankfurter 8® Ausgabe von 1598) im dritten
Tlagelliim daemonnm' fibersduiebenen Absdmitt des
zweiten Bandes enthalten shid.
6 mize wohl Schreibfehler für mnze vgl. V. 7; hint = heate
Nacht, dagegen V. 58 hnte = heute.
6 nadi Tarn wohl = nahtvam. Ueber die Hexenfahrten
(nahtrarä) s. Grimms Myth. 101 1.
7 bicrizen. Die Bedeutong des Wortes ist hier jedenfalls
'sdiätzeo, sicher stellen'; die Etymologie aber ist unklar;
weder an kreiz noch an orinz erlaubt der durch den
Reim gesicherte Vocal zu denken. — Fiir bi als Vor-
sylbe hat der Schreiber sonst knmer be (V. 5, 32, 47,
57, 63).
8 Ueber die swarzen und wlzen vgl. Myth. 412 ff.
10 brochelsberg. Grimm sagt über ihn im Wörterbuch : 'Zu-
erst taucht der name auf in einer geistlidien abhandlung
ans der mitte des 15 Jb., die sich in Breslauer Weimarer
und Amorbaisfaer hss. erhalten hat und in Hoffioiannd
schles. monatsschr. s. 753, in Kellers fastn. sp. s. 1463
und in Wolft mytih. zeitechr. 1,6 ausgezogen ist*. Mit
obiger Stelle hätten wir also ein etwa anderthalb Jahr-
hunderte älteres Zeugniss 'für den sicher in weit ältere
Zeiten rdcheoden Volksglauben' (Myfh. 1004).
Eine Zusammenstellung ded wissenswerthesten fiber
den Blocksberg bietet die Inatigural- Dissertation von
Hsinrich IVdhb: De BUicteri nomifiibds ei de ^abulis
10 SitMimg der phOoa.'pMM. Gaaae vom L Juni 1967.
quae ad eam montem pertinent, Wernigerodae MDCCCLV
wozu noch die Eecension darüber in Wolfb (und Mann-
hardts) Zeitschr. für deatBche Mythologie III, 319 ß. ver-
glichen werden kann.
U pilewiz. lieber den Bilwiz vgl. Or. Mythol. 441 ff.,
Schmellers Wörtb. I, 168 und IV, 187 f., Sohönwerth
(Aus der Oberpfalz. Sitten und Sagen) I, 426—448.
(Letzterer behandelt indess nur eine beeondete Art
der Bilwize, den im südöstlichen Deutschland sehr be-
kannten Bilmesschneider). Einen sehr beachtenswerthen
Versuch über die Ableitung des Wortes -hat Jul. Feifalik
in der Zeitschr. für die österr. Gymnasien 1858 p. 406 ff.
niedergelegt, in welchem er für die slavische AbstammuDg
des Wortes und Gedankens eintritt.
12 mon ezzen (o hier für kurzes, wie in V. 38 für langes a)
=^ Mann -essen, Menschenfresser. Im Nordischen ist die
mannaeta bekannt, im eigentlichen Deutschen möchte
ausser der bekannten Notkerischen Stelle die yorliegende
der eimdge Beleg für das Compositum sein. In jener
Stelle, die Grimm Myth. S. 1034 (sie steht auch in
GrafiiB Sprachschatz I. p. LH.) anfuhrt, fügt Notker, die
ambrones und anthropophagi erwähnend, bei *alsd man
diit, taz ouh hazessa hier in lande tuen*. Vgl. übrigens
auch die zu V. 61. 52 ausgezogenen und die übrigen
Myth. 1. 0. angeführten Stellen.
13 wege schriten = die an den Kreuzwegen hausenden?
Unter den Namen des Teufels führt Grimm (Myth. 1015)
auch 'Wegetrit' auf, freilieh mit Beziehung auf die Pflanze
dieses Namens.
14—16 Ueber die zun riten, die dingenden golden» sowie
über die Namen Gloczan, Lodowan, Truttan vergleiche
die Erklärungen am Schlüsse des Heftes. (Das Wort
zun ist nur yermuthet; man könnte die scfaleohten Buch-
staben auch zoim oder zeun lesen, ich nahm sie furzcun).
KeiHM: Eine wtUUUmtBche BeBakKanmfftfomd. 11
18 fiber Watan and Wotaiu» her (wüthendes Heer, wildes
Heer u. b. w.) im Sinne nnarer Zeilen s. Myth. 871 ff.,
ScbonwQith II 143 ff.
20a.2i Die Geräderten und die Erhängten gehören znm
watbenden Heer, da, wie Grimm (Myth. 872) nach Geiler
T. Keieersbevg anführt, alle eines gewaltsamen Todes ge-
storbenen in dasselbe kommen.
23 üeber die Elbe s. Myth. 411 ff.
36 gatir s. Schmeller II, 80 f.
2711.80 tarnte. Ueber die Tmden s. Myth. 998 (a. 394).
SchmeUer I, 476 ff. Schönwerth I, 208— 282.— In V. 30
sieht der erste Buchstabe, |Weil etwas zerflossen, einem t
ahnlidk, doch wird diess kaum zu Zweifeln berechtigen,
morir in Z. 27 Schreibfehler für mntir.
270.30 mar. Die älteste Belegstelle für das Wort dfiifte wohl
die desEmerammer Codex Clm 14804 I. 112% aus dem
9. Jhd. seiui wo sdtropodes (Oxv&Q^nö^fjg) mit mara, tmta
glossirt ist (Graff II, 819). Jetzt ist das Wort nur mehr
erhalten in 'Nachtmahre'. Die m V. 29 erwähnte Thätig-
keit der Mahre, beisst jetzt gewöhnlich das 'Drud-drucken*
hd. das Alpdrücken, das schon im Vocab. theuton. t. 1482
(Graff 1. c) auf natürlichem Wege ^klärt wird.
90zdche dem Beime nach wohl Schreibfehler für zuche
(zudie).
38 'Krummnasig' ist nach UjÜx. 1028 ein gewöhnliches F^-
dikat der 'Hexan'. 'Krumme Nase, spitzes Kinn, sitzt
der Teufel ganz darin'. Myth. 1029 Anm. 1. Ein an-
deres Seitenstüok wäre etwa die Frau Precht mit der
langen uas. Myth. 265. (Von dem vorderen m in crum-
men ist der erste Strich oben und unten gegen den
zweiten gesogen, so dass sie zusammen ein schlechtes o
hOden. Es wird indess an obiger Lesart kaum zu zwei-
feln sein.)
13 SiUmig der pkShB.-phiM, CkuH «OM 1^ Jmi MS7,
U aneblasen. Za diesem, wie m V. 38 tastin, 47 bmü-M
vgl. Myth. 429. *Ihre (der Elbe) berührüng, ibi* anhatech
kann menschen und thieren krankheit oder den t^^ fer-
orBachen'.
86tt.86 räche =r ranber, behaarter: Grimm fohlt Mjth. 447
besonders die Bilwize als die behaarten, sttlippigen Elbe
an; cruchen = mit einer Kmoke, einem Hacken fangen?
anehucchen = aufhocken also wohl auch das Alpdrücken.
87 withelin oder wichelin wohl Sehi^ibfehler fBr wihtelin.
IV, 18. lieber die Wichtel s. Myth. 408 ff. 428 Anm.,
Sohmeller IV, 18.
38 tastin s. 34.
80 dage mutir. Deber die tflagemutter, diö Klagefranen,
Holzweiblein und ämliche ^Vesen s. Hyth. 408 d. 1088,
Schönwerth I, 266 f. Aus dem Althochd. gehört hidier
die holzmuoja = lamia, ulula deren Name sich als Moi,
Moije nach Panzer (Bayer. Sagen I, 66. 67) noch bis
jetzt erhalten hat. (Das d von du ist müf aus dem obem
schrägen Strich vermuthet; der fibrige llieil des Buch-
staben ist verschwunden).
4i Die beiden Wörter sind wohl nur als Kamen aufzufassen.
Schwierig dürfte aber dann die Erklärung s^, wie diese
Namen der Heldensage (Herbrot für Herbort) in solche
^Gesellschaft gerathen sind.
48 molken stelen = Milch Diebin, nach Myth. 1026 üW-
haupt ein Name der Hexen. In der su V. 10 enriOlmten
Stelle des Orim mischen Wörterbuchs sind unter ded zum
Brocken fahrenden Unholden eigens die ^Mülkenstel^rin-
nen aufgeführt. Dass die Milch ein Hauptgegenstand der
Wirksamkeit der Hexen ist, kann als weit verbreiteter
Aberglaube angegeben werden, wovon z. B. bei Schön-
weith viele Fälle gesammelt sind. Selbst ihi'e besondem
Abzeichen erhalten die Hexen davon, z. B. ^Wer in der
Christnacht während der Metten auf einem Schämmd
TOQ neoBerley Hole knieefc, sieht alle Httoeo, die MUch-
metteni aaf dom Koj^« (Sohönw. I, 366.)
45 biner. So vie das Wort i& der Hb. ttussieht» ist a& der
richtigeii Lesung desselben aidit zu zweifeln. Eine Er-
klSmng davon kann ich zur Zeit nidit geben. Möglicher-
weise IcMnte es das Milchgescfairr der Heoce bezeidinen.
Auch über die genaue Bedeutung von vnz spor habe ich
keine mit Sieherbeit mi begritadende VermuthiiDg. Wenn
es sich auf einen Zauber besieht» den die Hexe an den
Fassen des Viehs ansttht, so wäre Tielleioht im spor
ScfamellerB *spör' (Ifl, 575 t) zu vergleichen.
47 beruTM 8. oben V. 88.
48 zuwaren wohl für das seost gewöhnliche zedieren, wozu
auch der fieiia: bemren stimmt (aueh in V. 22 setzte
der Sdureibar ein w statt v). Ueber die Neigung der
Elbe, dem lAoasoben da,s Haar zu verwirren, zu verfilzen
(Wichtelzopf WeichselzcqpOt oder in Knoten zu wickeln
& Myth. 433, Dasselbe vom pilwiz s. Myih. 442.
49 enscehen halte ich für Schreibfehler statt des gewöhn-
hdien entsehen, von dem Grimm (Myth. 430) sagt 'gleich
dem anhaudi hat der blosse bück der elbe bezaubernde
kraft: das^ nennt unsere alte spräche intsehan (torve
intueri, gramm. 2,810) mhd. entsehen\ Vgl. auch Myth.
1063 f. der böse Blick. Den letztem Gegenstand in der
Ansdiauungsweioe der Alten bdbandelt 0. Jahn in den
Berichten der k. sädbs. Ges. der Wiss. (PhiL-hist Gl.)
Bd. Vn.8, 28—111.
60dai lebende iuz abemehen, em Analogön zu dieaar
Stelle ist mir nicht vorgekommen. Dass der Bilmes-
schneider mit der am Fasse unier dem Knie angebun-
denen Sichel durch die Felder schreitet, ist bdcaAut,
dürfte sich aber mit dieser Redensart nicht in Verbindung
bringen lassen.
610.68 Dass die Hexen den Leuten das Herz aus dem Leibe
14 Sitsmig der phäas.'-phfM. (Hasse wm i. Jim» 1867,
essen, bezeichnet Grimm Myäi. 1034 als in ansern Hexen*
sagen schon zarücktr^end , dagegen in der alterthum-
lichen serbischen Volksansicht als ganz Toranstehend.
Als Beispiele giebt er indess:
unsere Bercbta, die den Knechten den Leib aaf-
schneidet nnd mit HeckerUng füUt, nnd die besonders zu
obigen Worten stimmenden Stellen a) aus Barchard (Anh.
S. XXXIX.) ut credas te . . . homines interficere et de
coctis camibus eornm vos comedere et in loco cordis
eoram^ stramen ant lignum ant aliqaod hninsmodi
ponere • . . b) aas einem Gedicht von Stricker oder
einem seiner Lands- nnd Zeitgenossen'): wie zaeme daz
einem vibe, daz si snite üz einem übe ein herze,
und stieze dar in strö c) die Anspielang aaf diesen
AbetgUiaben von Seiten eines VerUebten (Herbort 9318 ff.)
si h&t min herze mit ir . . • ich h&n niht in dem
libe, da m!n herze solde wesen, da trage ich eine lihte
vesen, oder ein strd, oder einen wisch; and andere
mehr.
68 vorspigen == verspeien, kaum als Zeichen der Veracht-
nng za n^men, sondern wohl nach Myth. 1056 als Ge-
genmittel gegen Zaaber aufrafassen, wofür Grimm Be-
lege aus Gebräachen verschiedener Völker anfuhrt. Aus
Osterode am Harz fiihrt er in der ersten Auflage der
Myth. Anh. Aberglauben Nr. 756 an: Vird die kuh vor
dem haus einer hexe hergetrieben, spuke der treiber drei-
mal aus.'
54 bal statt baz wie umgekdirt 55 getuaz statt getuas. Der
Sinn wird sein: ehe ich mich bequeme dich zu tragen,
oder mich von dir drficken zu lassen, will ich dich lieber
treten. Vielleicht galt treten auch als Sicherungsmittel
8) AuB der Wiener Hs. 428 (s. die SteUe Myth. S. 1901 Z.19^21).
Keine: Eine ndtUHdeiasehe Bem3m4rungtf&rmd, 15
gegen die Grewalt des anehaochenden elbes, wie ja Orimm
auch erwähnt, dass 'man unbedenklich die Hexe schlagen
soll, dass Blut flieset'.
55 getuas führt Grimm MyÜi. 433 als eine nachtheilige Be-
nennung elbischer Wesen (und später den Teufels) auf;
ebenda S. 867 vergleicht er dazu litthauisch dwase Ge-
56 weuseos'' wohl Schreibfehler statt Wesens wie in Z. 58
wazzeir statt wazzer.
61 Die mystische Bezeichnung 'Fisch' wird hier wahrschein-
lich im Sinne der alten cluistlichen Symbolik auf Christus
zu beziehen sein, wozu auch der Beisatz foelebrantO
stimmt, da QiristuB der oberste Darbringer des Mess-
oi^ers ist
Vgl. hiezu Wolfgang Menzels 'Christliche Symbolik
(Begensburg 1854)' Bd. I S. 286—292 und besonders
S. 288 'Christus selbst wird unter /lem Sinnbild des
Fisdies dargestellt' u. s. f. und S. 289 'In der Kart-
hause von Granada befindet sich eiu Bild des Abend-
mahles, auf welchem statt des Lammes ein Fisch in der
Sehfissel liegt'; femer J. B. Pitra*B Spidlegium Soles-
mense (Parisiis MDCCCLV) Tomus III p. 499—584
7X91^2 sive de pisce allegorioo et symbolico', wo sämmt-
liehe vorchristhche und altchristlidie Ansdiauungen und
Sagen über diesen Gegenstand quellenmässig zusammen-
gestellt und behandelt sind.
64—71 Die in Riesen 8 Zeilen folgenden Wörter sind gröss-
tentheils Psalmenanfaoge, das nunc dimittis der Aufang
des bekannten Gebets Simeons; laudem deus und voce
mens mögen (yielleicht fehlerhafb verstanden) Anfänge
?on bekannten Gebeten gewesen sein.
Unklar bleibt nur V. 68, an dessen haben cohountus
alle Deutungsversuche erfolglos blieben. Das erstere
Wort steht deutlich genug da, das zweite dagegen riel
16 SiUmitg der pküoB.-fhSol. CUuh «nü t Jwni 1897.
weniger; nndentlieh ist schon der erste Bachstabe des*
selben, femer das h, welches allenfalk auch li gelasen
werden konnte (olio untus = unotos macht den ersten
Buchstaben überflüssig und scheint auch nicht zu den
Psalmenanfangen zu passen); am undeutlidisten ist das
zweite u, dessen zweitem Striche eine Krümmung beige-
fugt ist, als ob der Schreiber daraus ein e oder ie hätte
machen wollen. Doch betrachte ich gerade die Endung
US hier als sicher und den Vers als mit den folgenden
verstellt, da auf das sichere profundis das ebenfalls iin«
zweifelhafte dimittis reimt, wodurch dann ein Beim auf
benedictus nothwendig wird.
72 Der letzte Buchstabe ron 'aller' ist ganz undeutlich, weil
verklext, man kann n, u, r, o vermuthen, für k^es aber
ist besondere Berechtigung zu erweisen.
78 reaalin. Ich las das Wort anfangs irsalm = Jerusalem;
aber eine genaue Betrachtung und Vergleichung erwies
diese Lesart als falsch. An dem re der ersten Sylbe ist
nicht zu zweifeb; hinter dem 1 stehen drei Striche und
über diesen, vom ersten an etwas nach aufwärts gezogen
ein Querstrich, wie ihn der Schreiber regelmässig über
das i macht, was dann in (oder iu) ergibt. Für dieses
Wort habe ich keine Deutung: vielleicht könnte auch so
die erste Vermuthung nicht ganz zu verwerfen sein.
75 in nim' mer hat das zweite m einen Strich zu vieL
Aus einer andern Handschrift der hiesigen Bibliothek
möchte ich bei dieser Gelegenheit einen Wurmsegen mit-
theilen, dessen Unbekanntheit ich daraus schliesse, dass er
in der Sammlung altdeutscher 'Denkmäler von Müllenhof
und Boherer' bei der Besprechung des Orazer Wurmscgens
XMmi j Eine miHMagtHhä Be$chwörungaf()mA 17
Nr. 48,2 (Test p. 140 £ Abhandtong p. 412 ff.) niobt er-
wähnt ist, za dem fr ein Seitoastiiek bildet Er lautet
Job läge in d€ milte. er rief ze crifte. er chot. du gnadige/
crUt. da Sr in demo himile bift. du buoze demo mennif/
ken def wrmif. N. Durch die iobef bet.e. dier zuo dir tete. /
doer in demo miste 14g. doer in demo milte rief, zuo/
demo heiligin crist der wrm iil tot. tot ift der wrm./
Eiriel X E Fat. n. t'b* nicib;. or . Actionef nraf. qs. dne. a.
Der S^gen ist enthalten in einer Handschrift der
froheren diurTdretUoben Bibliothek^), jetzt Glm. 536,
XII. Jhd. 4<^ 137 BII. Er enthält unter andern Stücken
einen lat. Ehjrsiologus f. 82^-*88^ eine deutsche Abhandlung
Ton yerschiedenen Steinen und ihren Kräften, f. 86^—87
eine eben solche von Kräutern und f. 89^ eine deutsche
Diebiibeschwörung, diese von späterer Hand (XHI. Jhd.).
Die 3 deutschen Stücke sind in der Germania VIII, 300—303
abgedrudct. Obiger Segen findet sich f. 84* also zwischen dem
ersten und zweiten Stück. Zu der erwähnten Diebsbeschwör-
QDg ist zu bemerken, dass sich bei der Mittheilung ein
Versehen eingeschlichen hat. Die Worte nämlich, welche
der Beschwörende zu sprechen hat, folgten unmittelbar nach
dem Text Nach den darüber angebrachten Kreuzen waien
es 7 Worte. Davon sind aber die ersten 6, in der zunächst
folgenden Zeile stehend, so vollständig radirt, dass auch
chemische Reagentien ausser dem letzten Worte keine er-
kennbaren Umrisse mehr zum Vorschein brachten: dieses
scheint aleruba gelautet' zu haben; darauf folgt in der
4) Die aber nach einer Eintraguig aof p. 102* Xiber sancti
Titi Praole* arsprfinglich ans dem Kloster Prahl bei Begensbnrg
stammt.
[1867. n.l.] 2
18 Stttung der pMoB.-phiM. Clam «om 1. Jvni 1867.
nächsten Zeile *ipö -f calcat*. Die im Druck angegebenen
(ungenau gelesenen) Worte pedo perdo pecho * peoho perdo
pedo stehen am untersten Bande der Seite, während die
deutsche Beschwörung oben anfängt und darauf noch eine
lat. derartige Formel folgt. Nach ihrem ganzen Aussehen
kann ich diese abseits stehenden 6 Worte nur für eine
Federprobe halten. (In der gedruckten Formel selbst ist
hinter enspin das Wort *stech.' zu ergänzen.) — Dass die
nämliche Handschrift, ebenso wie derTegernseer Clm 18546.2
auch die Visio Wettini monachi in der Bearbeitung von
Haito enthält, mag als Ergänzung zu dem bei Potthast,
Wegweiser etc. p. 565* gegebenen Verzachnisse der Hand-
schriften über diesen Gegenstand erwähnt werden.
Platt: OMMtog. Ofmdlage der dUm dUne$, Oß$AiAU. 19
Herr Plath trägt vor:
„Chronologische Grundlage der alten chine-
sischen Geschichte."
Unter der alten diinesisdien Geschichte Tcrstehen wir
dieTonYaonndSchän und die der drei ersten Djmastioi; über
die frohere Geschichte fehlen znyerlässliche UeberlieferangeD
imd die späteren Angaben über diese erfordern eine beson-
dere ünteisachnng.
Wir haben in onsern bis jetzt gedruckten Abhandlungen,
wo einzelne Zeitangaben zu machen waren, diese immer
Bscfa der gewöhnlichen Annahme gegeben, dabei aber auch
Bdion bemerkt, dass diese nicht durchaus zuverlässig sei.
Es ist nothig, sich über die Grundlage der alten chinesisdieB
Chronologie klar zu werden, um so mehr, als Sinologen
emerseits allzusehr auf die Zuverlässigkeit der chronologi-
schen Angaben in der alten chinesischen Geschichte poditen,
anderseits sonst achtbare Geschichtschreiber sie allzusehr
herabsetzten. Und doch hatte schon früher Fröret schätz-
bare Untersuchungen desshalb angestellt und besonders der
gelehrte Jesuit P. Gaubil das schatzbarste Material aus
den chinesischen Quellen fast vollständig geliefert Ideler
in seber in der Berliner Akademie der Wissenschaft vor-
getragenen Abhandlung konnte ohne Kenntniss des Chinesisdien
nur eben Auszug aus ihm geben. Legge^) hat jüngst den
1) K. Fr 6ret De rantiqaitö et de la certitade de la Chronologie
Chinoiie, inMto. de l'Acad. R. d. Iiucr.P.l T.X p.877 Paris 1780
P.n T.XY p. 696. Paris 1763 n. P. UI ib. T.XYm Mem. p. 178 Par.
177a, auch in Freret's Oeavres; Paris A^ 4 (1796) 12<» T. 18. p. 116—381
Qnd T. 14 p. 1—268. P. Oanbil in Obsenrations mathematiques,
20 SHjnmg der phdoB.^hikd. Clam imi i. Acm 16&7.
Gegenstand aber nur kurz behandelt. Da die Chinesen
nächst den Aegyptern das älteste historische Volk mit sind,
so ist es schon von allgemeinem Interesse aach für die
Universal - Geschichte zu wissen, wie hoch die traditionelle
Geschichte derselben hinaufreicht.
Man muss aber zu dem Ende auf die chinesischen
Quellen selbst zurückgehen. Fröret konnte nächst den Ab-
handlungen Ton Gaubil und andern in der Handschrift nur
die mangelhaften Uebersetzungen der älteren Missionare^
die, wie P. Noel, Texte und Schollen nicht unterschieden,
benutzen; Gaubil benutzte die Quellen selbst, fuhrt, wie Biet
schon bemerkt, die chinesischen Autoren aber nur im allge-
meinen, z. B. Meng«tseu, Yo^tseuu. s. w. an, soheintauch meh-
rere zu hoch anzuschlagen. Wir haben daher die Ton ihm
angezogenen Stellen zunächst nadi den chinesiBchen Quellen
▼erifizirt,') dann die einzelnen Autoren ihrer Bedeutung nach
genauer zu wiirdigen gesucht und zuletzt, was die astrono-
misdien Data betriflFt, die er .für die Chronologie benutzt,
E8tronomiqu68 , geographiqties , chronologiqües et physiqaee Ton
P. Sonoiet Paris 1729— 1732. SB. in 4; dann teinaHistoirederAstronomie
chinoiae in Ld^tfes ^difiaatee 1788 T 26, neue Aafl. Lyon 1819 T. 14
and besonders sein Trait^ de la Chronologie^ publik par 8. de Sapy.
Paris 1814 4^ auch in d. Mem. cona la Chine T. XYI. Ideler über
die Zeitrechnung der Chinesen in den Abhandlung, d. Berl. Akad.
aus d. J. 1887 Hist. Ci. p. 199—869 4P und sehr vermehrt Berlin 1889
in 4. Tgl. darüber 6 Artikel von Biot im Journal des savaatt 1889
und ^840 von Desember bis Mai, und S ter n Götüng. gel Ana. 1840
Nr. 201— 204. The Chinese Classicsby. James Legge. Hong-kong 1866
VoL ni P. 1 Proleg. p. 81—90.
2) Dieses ist sehr mühsam, da die Ausgaben der ohinesischen
Originale zwar gute Inhaitsanceigen der mnaefaien Bücher, aber keine
Indioes haben, so dass man!, um eine einEelne Angabe aiofzufindea,
ganze Theile des Werkes wiederholt durehgohen muss.
BM: Chnmolog. Ofundlage der aUen cMnea. Oe$ekiehte, 21
die Ergebnisse der spfiteren Forachmigen in dieser Hinsieht
berfiGksichtigL
Wir müssen znnäehst einige Bemerkungen über die
Geschichtsohreibung and die Chronologie der alten
Chinesen, namentlich über ihre Gycleu und deren Alter
und Anwendung voraussohicken und werden dann L die
allgemeinen Angaben über die Dauer der drei ersten
Dynastien discutiren, 2. die verschiedenen Angaben»
aber die Folge und die Dauer der Regierungen der
einzelnen Kaiser der drei ersten Dynastien kurs or*
ortem, und 3. die einzelnen astronomischen und
CyoluB-Angaben, mittelst welcher man eine feste Grund-
lage (tir die alte chinesische Chronologie gewinnen zu können»
gememt hat, besprechen.
Was zunächst die Geschichtschreibung der Chinesen
bekrifik, so unterliegt es wohl keinem Zweifel, dass die Chinesen,
im Besitze einer alten Bilder* und Zeichenschrift, wie die alten
Aegypter, schon früh historische Aufzeichnungen gemacht
haben werden und viel früher als die Völker, welche, wie
die Inder u. a«, erst später eine aus der Bilderschrift het-
vollgegangene Buchstabenschrift erhielten. Unter der dritten
Dynastie Tsdieu, seit dem Anfange des 11. Jahrhunderts
vor Christo g^b es nach dem Tschen-li u. a. besendero
Aemter von verschiedenen Annalisten oder Historiographeut
die alles aufzeichneten, nicht nur am Kaiserhofe, sondern
spater auch bei den ein^lnen Vasallenfüi'sten. Für die
ttste und zweite Dynastie nahmen die chinesischen Kritiker
dergleiehen auch an, so Ma-tuan-lin in B. 51 scfao^ seit
Hoang-ti und er erwähnt des Annalisten (Tai-sse) Tschung^ku
Qater der 1. Dynastie Hia und Hiang-sche unter der 2. Dyna*
stieSchang. Legge Fr. p. 12 meint aber, diese Namen hätten
nur die Chronik des Bambubuches und Liu-schi's Tsciihün-
thaien aus der Zeit ThsJn Schi-hoang«ti'B, diese seien aber zi;
Ben and kcjne genügende. Autorität. Das Bambubucb berichtet:
22 aUgimg ä» phaoa-phUoL Oam vcm 1. Jmi t867.
,,imter dem letzten Kaiser der 1. Dynastie End anno 28
yerliess der Tai-sse Tschung-ka ihn und floh nach Schang"
nnd ebenso heisst es später unter dem letzten Kaiser der
2. Dynastie Ti*sin anno 47 : „der Nni-sse Hiang-tsohi ging
weg von ihm nnd floh zu Tsoheu/' Dasselbe sagt Lifi«sohi
im I-sse B. 20 f. 17 t. und von dorn Qesohiditschreiber der
ersten Dynastie im I-sse B. 14 f. 17 t. Wichtiger scheint
Legge die Stelle im Sohu-kin^ V, 10, 13, wo Fung die
früheren Beamten der 2. Dynastie Yn und darunter auch den
Tai-sse und den Nui-sse Tor der Trunkenheit warnt; ihre
Thätigkeit als Geschichtschreiber erhelle freilich aus diesen
Stellen nicht und Legge T. UI p. 410 möchte den Titel
daher lieber Recorders' als *annalist9' übersetzen. Unter der
3. Dynastie kommen dieselben Aemtemamen und noch
mehrere andere wiederholt vor, und wenn wir von ihrer
damaligen Thätigkeit auf die frühere Zeit scbliessen konnten,
so fanden wir eine grosse geschichtliche Thätigkeit, obwohl
ihr Amt nicht auf die Geschichtschreibung speziell beschrankt
war. Es gab unter der 8. Dynastie mehrere Arten: den
GrossannaUsten (Tai-sse), den Geschichtsschreiber der
Rechten und Linken (Teu-sse und Tso-sse). „Wenn
der Kaiser sich bewegt (etwas thut) — heisst es im
Li-ki Gap. Yü-tsao 13 f. 2 (12 p. 69) — schreibt der Ge-
schichtschreiber der Linken es auf, wenn er etwas spricht,
verzeichnet es der der Rechten." Ausser dem grossini An-
nalisten (Tai-sse) gab es audi einen kleinen (Siao-sse), der
nach dem Tscheu -li 26 f. 11 fg. die Dokumente unter sidi
hatte^ welche sich auf die Gesdiichte und Genealogie der
Vasallenfui:sten bezogen. Der Annalist des Innern (Nui-sse)
hatte nach 26 f. 27 fg. es mit den 8 Attributen der kai6e^
liehen Gewalt, der Ernennung zu Aemtem, der Aussetzung
der Gehalte, Absetzungen — Bestätigungen, Hinrichtungen,
Begnadigungen, Gratifikationen und Reduktionen zu thon;
von allen Reglements bewahrte er Kopien auf i nahm Ve^
Flaih: Chronölog, Grundlage der älien chine$. GeBchiehie. 23
stellaDgeD an, registrirte die VerleihiiDg von Fürsten- qnd
Beamtentiteln, las alle Eingaben und schrieb alle Erlasse
des Kaisers in Dnplo. Der Annalist des Aeussem (Wai-sse)
hatte nadi 26 f. 3 alle Schriften unter sich , welche die
Geechichte der 4 Theile des Reiches betrafen, auch die
Ordonnanzen, die sie angiengen. Ausser diesen kommen
andi nodi andere vor. Wir wollen aber hier darüber nicht
weitläufiger werden, da wir in unserer Abhandluug über die
Yer&ssung unc( Verwaltung Ghina's unter den 3 ersten Dy-
nastien (Abh. d. 1. Gl. d. k. Akad. d. Wiss. X. Bd. n. Abth.
S. 579—582) über diese Aemter bereits des Weitere mit-
getheilt haben. Wir erwähnten auch schon, dass seit dem
Yerialle der Kaisermacht alle oder doch mehrere dieser
Aemt^ auch in den einzelnen Vasallenreichen vorkommen;
80 erwähnt der Sse-ki B. 5 f. 6 v. , dass in Thsin unter
Wen-kung A. 13 (753 v. C!hr.) man anfing Annalisten zu haben,
um die Begebenheiten zu verzeichnen.
Dass die Erlasse der Kaiser und Minister auch unter
den zwei ersten Dynastien bereits aufgeschrieben wurden,
sagt Legge, ergiebt sich aus Schu-king IV, 8, 1,^2, wo
Wu-ting (1321 V. Chr.) seinen Traum seinen Ministem in
einer Schrift mittheilt (Wang yung tso schu i kao) und aus
IV, 5, 1,2, wo schon über 400 Jahre früher, Y-yn dem
jangoD Kaiser der 2. Dynastie Thai-kia schriftlidi Vor«
Btellimgen macht (tso schu yuei) und schon unter dem
Kaiser Tschung-khang (seit 2158 v, Chr.) der 1. Dynastie
Hia heisst es in, 4, 4 : die Begierungsstatuten bestimmen
(tscbing tien yuei), und im Gesänge der 5 Söhne (III, 2, 8)
Morleachtet war unser Ahn (Yü), er hatte Statuten und
Regeb, die er seinen Nachkommen überlieferte (Yen tien,
yea tse, i kue tseu sün)'' ; der Ausdruck § 6 hiün yeu tschi
könnte freilicii auch bloss auf eine mündliche Ueberlieferung
m.
Dass man Kunde vom Alter thume hatte, ergiebt
24 Sitiung der phaoa.-phiM. €la$se v(m 1. Jwm 1867^
6dion die EinleitaDg za den 4 ersten Kapiteln des Scha-Idiig:
„die den alten Kaiser Yao, Schün n. s. w. untersacbt haben,
sagen''; ohne vorhandene Denkmäler ging das nicht. Nach
Scho-king V, 27, 7 wnsste Kaiser Mu-wang von der 3. D.
selbst von den Unordnungen Tschi-yea's (unter Hoang-ti, vor
Yao) nach alten Belehrnngöi (jo ku yeu hiiin) und nach
Schu-king V, 15, 4 — 7 hatte Tscheu-kung zu Anfange der
der 3. Dynastie Kunde yon den früheren Kaisem der 2. Dy-
nastie und wusste z. &., dass Tschung-tsung 75 Jahre, Kao-
tsung 59 Jahre, Tsu-kia 33 Jahre, spätere Kaiser derselben nur
10, 7—8, 5—6, 3— 4 Jahre regiert hatten. AusV, 16, 2, 7
sehen wir, dass derselbe nicht nur die Folge mehrerer
Kaiser der 2. Dynastie, sondern auch ihre Minister kannte,
Der Stifter der 2. Dynastie Tsching-thang hatte den Y-yn,
Kaiser Thai-kia den Pao^heng, Kaiser Thai-meu den Y-tschi,
Tschin-hu und Wu-hien, Kaiser Tsu-i den Wu-hien und Kaiser
Wu-ting den Kan-puan zu Ministem. Sie werden da noch
weiter oharakterisirt, was wir hier aber übergehen müssen.
Da das Papier in China damals noch nicht erfunden
war, schrieb man auf Bambu*Taf ein, wie die Sduiftzeicfaeii
schon andeuten. Confudus im Tschung-yung 20, 2 sagt aber
ausdrücklich: „die Regierung von Wen- und Wu (den Stiftern
der 3. Dynastie) ist entfaltet auf Bambu-Tafeln (Pu tsai fang
tse) ; der letzte Charakter, aus Bambu und Dom zusammen-
gesetzt, zeigt, dass man ursprünglich die Nachrichten auf
Bambu einritzte; Fang sollen hölzerne Tafeln sein, Tsej
was sonst Kien, Bambustreifen , die zusammen gebunden
wurden, bezeichnen. Meng-tseu VII 2, 3, 2 spricht von 2—3
Tse des Kapitels Wu-tsching im Schu-king (V, 36). Der
Charakter Schu: Schrift, Buch, ans Cl. 129, der Pinsel and
Cl. 73 Mund, Wort gebildet, weiset daraufhin, dass die
Nachrichten auch aufgeschrieben oder aufgezeidinet wurden.
Es wurden aber auch Begebenheiten in Erz eingegraben«
5ö4y.Chr.8agtTso*chiSiaDg-kungA.19f.a8y.,S.B. 188. ISOfg.
nKÜk: CkfctHOog. Orundiagt ätr aUen (Aines. Qe^clM^, 25
Terfertigte man am der Beute Oetfithe des Ahnentempels
and grab in Erz die glänzenden Verdienste ein, sie zn ver-
kündigen den Söhnen und Enkeln/' Siehe weiteres in unserer
Abfaandkng über die Glaubwürdigkeit der alt. chin. Oe<*
whichte (Sit2..Ber. 1866 I, 4 S. 563 fg. (42.)
So sollte man denken, dass wir riele geschichtliche Nach-
riditen, selbst ans den ältesten Zeiten China's überliefert erhalten
hatten ; aber bei den Eriken und Unruhen ist &8t alles aus
der ersten Zeit verloren gegangen und zum Theil absiditlidi
lentöit wordcD. Meng'tseu V, 2, 2, 2 klagt schon „dass die
Fendalfursten zu seiner Zeit aus Interesse viele alte Denkmäler
vernichtet hätten, daher er' das Detail der alten Einrich-
tongen nicht mehr wissen könne, doch kenne er den Umriss
dersdben (Tschu heu wu khi hai Uli 70, eul kiai kiü khi
tse"). Der letzte Charakter ergiebt, dass sie auf Bambu-
tafeln verzeidinet waren und nach VI, 2, 8, 5 waren diese
Statute im Ahnensaale aufbewahrt (Tsung miao tschi tien).
Zu Gonfocius Zeit regierten in dem kleinen Reiche Khi nodi
Nachkommen des Stifters der 1. Dynastie Tu und im Beidie
äiDg Nadikommen des Stirters der 2. Dynastie und es
hatten sich nodi Institutionen derselboi, aber nur fragmen-
tarisch, dort erhalten; diese genügten ihm daher nicht. Er
sagt im Lün*iü S, 9 „Hia's Gebräuche, ich kann davon
redra, aber Ki ist kern genügendes Zeugniss dafür; Yü^s
Gebräuehe, ich kann davon reden, aber Sung ist kein genü-
gendes Zeugniss dafür". Vergleiche auch Tschung-ynng 28,
5 Q. Sse-ki B. 47 f. 24. So haben wir denn aus der 1. und
2. Dynastie nur sehr spärliche Nachrichten , die Naohnchten
über Yao, Sdiün und Yü ausgenommen, fast nur die über
deo Sturz der Dynastien und das Aufkommen der neuen.
Es ist überhaupt zwar öfter von der geschichtlichen
Aufzeichnung von Gesetzen, Verträgen und Aktenstücken der
Archive die Rede; es mögen auch mit der Zeit geschichtliche
Anüzeichnungea i» chronologischer Folge, Anaalen oder
26 HiUung der pkOoB.-pkM. Oam 9(m L Jmn 1867.
ChronikenyerfasBtwordeiiBeiii, wir wissen aber wenig dariiber.
In der Chronik des Bambnbnches P. 151 heisst es: „Kaiser
Ma-wang A. 24 befahl dem Geschichtschreiber der Linken
(Tso-sse) Jnng-fa eine Oironik ahnifassen; so iibersetzt
man die Worte „tso ki" and meint^ es sei eine Geschidite
aber das Emporkommen und den Verfall der Staaten bis
zom Anfange der 3. Dynastie Tsdiea gewesen. Die älteste
chinesische Chronik, die wir haben, ist Gonfncins Tschhün-
thsien, eine Chronik seines Vaterlandes La, in Schan*tong.
Von seinem Zeitgenossen Tso-kiea-miog hat man nodi zwei
Werke, den Tso-tschaen, den man anpassend einen Com-
mentar daza nennt — es sind vielmehr einzelne, ansföhrlicfae
Geschichten nach der Folge seiner Chronik — and dann
den Eue-ifL Nach Meng-tsea IV, 2, 21, 1 gab es n seiner
Zeit anch eine ahnlidie Chronik, wie die des Conftadas von
La, so vom Reiche Tsin, das Viergespann (Tsching) and vom
Reiche Tscha eine von einem wilden Thiere Tao-ao genannt.
Nach dem Tso-tschaen hätte es 532 v. Chr. noch alte Ge-
schiditwerke , selbst ans der Zdt vor Yao gegeben. Unter
La Tschao*kang A. 12 f. 61 v., W. Sits-Ber. 21 S. 203
rühmt ling-wang, der König von Tscha, da „sänen Ge-
schichtsdireiber der Linken (Tso-sse) I-siang;') er könne
lesen die San-fen, ü-tien, Pa-so and Khiea-khiea". Es sind
diess alte Bficher, die dort nicht weiter bezeichnet werden.
Nach Kang-ngan-kae bei Legge Prol. T. III p. 14 vergl. Ganbil
Tr. p. 97 handelten die San-(3)fen von den 3 Hoang (Fa-
hi, Schin-nang and Hoang-ti); die U-(5)tien waroi Bacher
über die 5 Kaiser (Schao-hao, Tschaen-hiü, Ti-ko, Tao and
Schiin); die beiden letztem sollen noch in den beiden ersten
Kapiteln des Scha-king, dem Yao- and Schün-tien erhalten
sein. Die Pa-(8)so sollen von dm acht Kaa's gdiandelt
8) Om erwähnt such der Kne-it 6 f. 4, 6 v. uid 9*
IM^: ChnmuHof, Onmdiage der oHm ehmei, OuekMie. 27
babeo; die Khien-khieii endlioh, d. i. die 9 Hügel, sollen
eine Beechreibaiig der 9 Provinzen Ghina's enthalten haben«
Nach dem Tschen^li 26 fr. 81 fg hatten die Annalisten
des Aeuseem der Dynastie Tschen unter sich die Geschichte
der 4 llieile des Reiches und die Bücher der San-(3)Hoang
und U-(5)Ti (Kaiser). Diess sollen nach den Schol. der
San-fen und D-tien gewesen sein. Im ersten Jahrhun-
derte n. Chr. wurde ein kleines Werk unter dem Titel
San-fen entdeckt, man wagte aber nicht, es iiir das alte zu
halten. De Guignes Pref. zum Ghou-king p. XX spricht
davon. Nach P. Premare discours prel. zum Chou-king
p. LXXXVn erwähnt Lo«pi es öfters; es erschien erst nach
Pan-ku und er giebt p. GXVII fg. einige Auszüge daraus.
Der I-*88e B. 3 f. 3 v. giebt die Stelle über Fu-hi, B. 4
t 3 T. fg. über Schin«nung und B. 5 f. 6 y. fg. über'
Hoang-ti.
Das älteste ohinesische Geschichtswerk, welches sich
theQweise erhalten hat, der Schu-king, ist nicht, wie man
vielfach noch meint, eine alte chinesische (beschichte, sondern
nur eme Sammlung einzelner alter geschichtlicher Dokumente
von Kaiser Tao bis Ping-wang, nach der gewöhnlichen Zeit-
bestimmung von 2357 — 720 v. Chr. Hr giebt also' keine
dironologische üebersicht, sondern nur bei einzelnen Kaisem
die Daner ihrer Begierungsjahre an. Confudus' Chronik, der
Tsdihfin-thsien, giebt, wie gesagt, die Chronik seines Vater-
bndes Lu von 721—480 nach den einzelnen Fürsten, Jahr
for Jahr, mit Angabe merkwürdiger gleichzeitiger Begeben-
heiten m den andern kleinen Reichen des damaligen Ghina's.
Wir müssen jetzt die chronologische Bezeichnung
der Chinesen spezieller ins Auge fassen. Sie haben, wie
rinst die Griechen, ein Mondjahr, das sie durch einen Ton
Zeit zu Zeit eingeschalteten Monat mit dem Laufe der Sonne
aosgleichen. Zu diesem Ende bedienen sie sich eines Sonnen-
Jahres, Yon welchem sie im bürgerlichen Leben aber fast
38 Bitimg der phOoB.-phiM. dam vom 1. Juni 1867.
keinen Gebraudi madien. Sie haben seit den ältesten Zeiten
dnrch Beobaohtang des Mittagschattens mit dem Onomon
den Tag der Winter -Sonnenwende m bestimmen gesucht,
auch lange ihr Mondjahr in der entsprechenden Gegend der
Sonnenbahn angefangen. Den bürgerlichen Tag fingen sie
nach Oanbil Lettr. edif. p. 330, 337 n. Tr. p. 34 unter der
1. Dynastie Hia mit Sonnenaufgang, unter der 2. Dynastie
Schang mit dem Mittage, seit der 3. Dynastie l^heu mit
der Mitternacht, ihren Monat mit dem Tage des neuen Mon-
des an. Ihr Monat hat bald 29, bald 30 Tage; der Schaltr
monat wird unter der Nummer des vorhergehenden Monats
mitinbegriffen. Die Einschaltung war nach Chalmers bei
Legge p. 99 tmter der 3. Dynastie Tscheu sehr unregel-
mässig; sie sollte zwischen dem 22. November und 22. De-
zember beginnen; er zeigt aber, dass sie in den Jahren 719,
703, 688, 685, 658, 626 den 16., 20., 4., 1., 3., S.Januar,
in den Jahren 605, 583, 556, 540, 529, 526 den 18., 16.,
17., 19., 18., 15. November stattfand. Man redinete nach
Decaden, (Sinn), wie wir nach Wochen Schu-king I § 8, (II,
2, 21, m, 3, 1. u. V, 9, 12.) Nach dem Schol. zum Tscheu-B 26, 4
soll Sui das Sonnenjahr von 365 V« Tagen, Nien das Mondjahr
von 354 Tagen ursprünglich bezeichnen. Der Eul-ya Sehe-
thien 8 f. 16 v. sagt : unter Thang und Yü (d. l Yao und Schün)
sagte man Tsai; unter der 1. Dynastie Hia Sni; unter der
2. Dynastie Schang Sse; unter der 3. Dynastie Tscheu Nien.
Aber man kann nur sagen, Tsai kommt im Schu-king m der
Geschichte Yao*8 und Schün's (B. lundll), Sse im Schang-
schu (B. III) vorzugsweise vor. S. den Index von L^;ge.
Gewöhnlich sagt man: Die Dynastie Hia begann das
Jahr mit dem 2. FrühUngsmonate (jn), die Dynastie
Schang mit dem letzten Wintermonate (tscheu), die Dyna-
nastie Tscheu mit dem 2. Wintermonate (tseu), (Legge III,
p. 192 und 282). Dies bezweifelt aber Chalmers ib. p. 93.
Der Calender gerieth in grosse Unordnung; 775 v. Cüir.
TMki Chnmolog, OrumdUtge der dUm dUneg. Oe$eMdUe, 29
bigaim cbs Jahr im Deaember, 60 Jahr später mit Jannar.
Man Bifllit leicht, welche Schwierigkeiten in beiden Fällen
daraas für die Chronologie entstehen.
Die Zeit wird gewöhnlich nach den. Regierangsjahren
der Kaiser bestimmt; das Todesjahr derselben wnrde nadi
Tachai anter der 3. Dynastie Tschen ganz dem verstor-
beoea Kaiser zogerechnet and die Regierang seines Nadi-
folgeiB datirte erst vom folgenden Neujahr an; anders soll
es aber onter der 2. Dynastie Behang gehalten worden sein
(Legge p. 192).
Eine sichere Chronologie za erhalten i haben, die Chi-
neBen spater den 60theiligen Cyklas eingeführt, #der
ans dem 10* and 12th«iligen sasammengesetst wird« Die
Charaktm des ersten beissen die 10 Stämme^) (Kan), die
des 2. die J2 Zweige^) (Tscbi); verbindet man beide, so
kahren sie za derselben ersten Qrappe Kia^tseu erst zorück,
Dsdidem der Dezimal - Oyklas 6 mal and der Daodezimal-
Cyklas 5 mal abgelanfen ist; man nennt den 60theiligen
Cyklas nach dem ersten Charakter aaoh Kia-tsen«
Dieser 60theilige Cyklas , der jetzt in den chineeisdien
Qeschichtswerken allgemein angewendet wird, kommt aber
zur Bezeichnang der Jahre in alter Zeit noch nidit vor. Im
Schtt-king wird er nur zur Bezeichang der Tage verwendet
und zwar zaerst im Kapitel Y-hiün IV, 4, 1 anter Kaiser
Thai-kia von d^ 2. Dynastie (1753 — 21 v. Chr.) der
Qiarakter T — tschea; fHiher scheint, wie Chalmers bei Legge
T. nipprol. p. 96 bemerkt, im Kapitel T-tsi U, 4, 1, 8 der Cyklas
TOD 10 allein zur Bezeichnung der Tage verwendet worden zu
seiiu Da sagt Yä: „Als ich auf dem Berge Tha-schan heurathete,
4) Der lO tlieiliga Cyklus ist: 1. Kia, 2. Y, S. Fing, 4. Ting,
6 Meo, 6. Ki, 7. Kang, 8. Sin, 9. Jin, 10. j(aei.
5) Der 12 th. Qykliii ist: 1. Tsea, 2. Tschkau, 8. Yn, 4. Mao,
ßTickin, e. 8m, 7. Wo, B. W«, 9. Schin, 10. Yen, 11. Siü, 12. Hai.
30 Siigung der phÜoe.-phüoL Ckuae vorn t Jum 1867.
(blieb idi zur Hanse nur die Tage) Sin, Jin, Eaei und Kia.
Diess sind 4 aufeinander folgende Zeichen des GyUns von 10. Be-
merkenswerth ist, dass im Schu-king Cäp. H-ming V, 24, 3
Tscheu-kung einmal sagt: 3 Ei seien verflossen; diese soll
eine Periode von je 12 Jahren, also 36 Jahre, sein und es
eine Umlanfiseit des Planeten Jupiter bezeichnen.*) Von der
Benutzung des Gyklus von 60 zur Bezeichnung der Jahre»
sagt Gaubil Tr. p. 271, sieht man noch keine Spur in der
Geschichte der Thsin, in der Ghronik von Litt*pu-wei (etwa
240 V. Ghr.)f im Eue-tseu, im Eue-iu, im Tso-tschuen, im
Tschhün-thsieu und im Schu-king. Was den Tschhün-thsien
vo^K/onfucius betrifft, so sagte P. Yisdelon zwar, dass Gon-
fucius in dieser seiner Ghronik bereits den 60jährige& Cyklus
zur Bezeichnung der Jahre angewandt habe, aber Gaubil
Tr. p. 144 bemerkt, dass die GyUuszeichen daselbst erst
vom Astronomen Tu-yu aus der Dynastie Tsin (266 — 422
e) Stern Gott. g. A. 1840, p. 2011 meint, dast urspronglioh die Zahl
der Tage, wie noch jetst in China nach Decaden mit dem Cyklns von
10 and die Jahre mit dem von 12 beieiohnet worden seien, luid
bezieht sich ausser Gaubil Tr. p. Y dabei auf Biot Joum. de Sayans
1840 p. 143, der 2 Stellen anzieht ans dem Tscheu-li B. 28, 16 und
B. 37 f. 40. Jene lautet: „Der Fung siang sohi beschäftigt sich mit
den 12 Jahren, den 12 Monaten, den 12 Stunden, den 10 Tagen und
der Lage der 28 Stembilderf'. Die 2. Stelle lautet: „Der Thi-tao<eohi
schreibt auf Tafdn die Namen der 10 Tage, der 12 Stunden, der
12 Monate, der 12 Jahre und jder 28 Sternbilder*'. Wir haben schon
bemerkt, dass für die Tage in der ältesten Stelle des Schu-king der
10 tägige Cyklus allein angewandt wurde, den 12 theiligen f&r Jahre
könnte man nur einmal in den 8 Ki sehen, aber sonst wird im
Schu-king nur der 60 jährige Cyklus und zwar bloss zur Beseichniuig
der Tage angewandt Chalmers p. 96 meint , der 12 theilige Cyklai
sei erfunden, to distinguish the 12 Spaces, into which the horizon is
divided ; von ihrer Anwendung auf die 12 Monate dann auf die 12 (Dop-
pel-)Stunden des Tages scheine nur ein Schritt; aber diese kam nach
den Chinesen erst unter der Dynastie Han vor. Vgl. Gaubil Tr. p 24S.
BaA: Ckhmolog. Ormdlage der äUe» Ainei. QeiekkhU. 31
n. Chr.), der einen gnten Gommentar daznsdmeb, hinzogesetrt
worden seien.
Die sog. Chronik des Bambubaches (Tschn-scha-ki^Dien),
welche 284 n. Chr. im Grabe der Fürsten yon Wei gefun-
den worde, und wie man annimmt, eine Kaiser-Chronik der
Gesduchtschreiber von Wei ist, die von Hoang-ti bis Tschen
Yn-wang A. 20 (293 y. Chr.) geht, hat neben der Zeitangabe
nach Jahren der Regierang der Kaiser von Yao A. 1 an zu
Aaiang der Regierung eines jeden Kaisers auch noch die
Beseidmung mit dem Cykluszeichen und zwar zuerst mit
dem Zeidien Ping-tseu. Damach müsste die Anwendung des
eojahngen CyUus alter als die 5 Dynastie Han sein.
Aber die Zeitangabe nach Cykluszeichen stimmt da nicht
mit den Angabeil der R^erung^ahre im Einzelnen und im
Oanzen. Dass die Annalen des Bambubuches untergeschoben
seien, wie mehrere Chinesen meinten, glaubt auch Legge
nicht, nimmt aber mit Qaubil Tr. p. 221 eine Verderbniss
des Textes, namentlich in der Chronologie an, und mein^
dass die Cykluszeichen von Yao an auch hier erst später zu-
geaetzt seien, — Fröret T. 14 p. 95 fg. hielt sie für acht
nnd alt — da sie auch nach seiner Annahme erst seit den
qätern Han angewendet worden ; mehrere Gyklusdaten (z. B.
S. 120) standen nur in den Noten und diese seien daher
wohl jedenfalls erst in verschiedenen Zeiten hinzugesetzt
worden; die ältesten Citate der Annalen aus der Dynastie
Tdn uni noch spätere enthielten die Cyklusdaten noch nicht;
dsfi sei entscheidend. Hung I-hiuen, aus der Zeit der jetzigen
Dynastie, sage bestimmt, „die Bücher, welche die Bambu-
umalea anführten, thäten es alle ohne die Cykluszeichen;
erst m der Geschichte der Dynastie Sui (Sui-schu) in der
Chronologie fände man das erste Jahr Yao's mit dem Qyklus-
seichen King-tseu und erst später unter der Dynastie Sung
in einem Commentare zur Nachgeschichte des Lu-sse (Lu-
Bse heu-ki-tschu) sei das erste Jahr Yao's mit dem Cykluszeichen
32 aUmng der phüo$.^kaoL dam wm i. JtaU 16€7.
Pbg-tsea beseidmet, wie jetzt im Bambobaohe. L^ggep. 181
giebt den chinesischeii Text der Stelle.
Die Angaboi, welche die Anwendang des 60 jährigen
Ciyklns eehon dem Ta-nao, einem Beamten des alten Kaisers
Hoang-ti, zuschrieben, bemerkt Legge p. 82 seien alle sehr
neu, erst aus der Zeit der 4. nnd 5. Dynastie Tshin und
Han, also 2000 Jahre nach seiner Zeit Er giebt die Stellen
aus dem Schi-pen, — die Stelle findet sich anch in I-sse
B. 5, f. 6 ▼. — ans Liä-sdii's Tschhün-thsieu, Hoang-ti's
Nni Tsdinen und dem Ynd ling tschang ken chinesisch. —
Der Thnng-kien-kaDg«mn B. 1 f. S schreibt die Anwendung
derselben sogar schon Fn-hi zn (tso kia 11), «- aber En-yen-wa
aus der jetzigen Dynastie sagt ausdrücklich: Die Alten hätten
den 60 jährigen Qyklus nicht zur Bezeichnung der Jahre
angewandt. (Kn jin pu kia-tseu ming sui) und nach der Vor-
rede zum Wai*ki, einem Supplemente zu Sse-ma-knang's
Abriss der chine^hen Geschidite, fing man erst unter dem
Usurpator Wang-mang (9—22 v. C3ir.) an, ihn anzuwenden.
Sse-ma-kuang setzte die Oykluszeichen aufwärts nur bis zur
Regentschaft Eung-ho (840 t. Chr.) ; bis zu Yao's erstem
Jahre erst Schao«khang-tsie. Audi Sse-ma-tsien's Werk hat
später Zusätze erhalten. Der Art sind die cyklisdien Zeichen
in seben chronologischen Tafeln (Sse-ki B. 12 f. 4 v.)i
aber auch da stehen sie nur Yom Jahre 840 t. Chr. ab-
wärts. Das 1. Jahr hat den Charakter Eeng-scbin. Sie
kommen vor unter der Dynastie Tsin (266 ^ 419 n. Chr.) bei
Bifi-kuang und Torher sdion bei Hoang-fti-mi (starb 282 n. Qur.)
(Chalmers bei Legge Prol. 98); nacll Gaubil Tr. p. 143 gibt er
Yao's 1. Jahre den Charakter Eia-tschin zuerst. S. die Stelle
aus seinem Ti-wang Schi-ki im I-sse B. 9 f. 9.
Wir haben uns über die Anwendung des 60 jährigen
Cyklus in der diinesisohen Geschichte weitläufiger aasgelaeses,
da noch Bnnsen (Aegyptens Weltstellung B. 5, 5 8.276)
meint, der 60 jährige Cyklns sei uralt im chinesiecben Systeme
Ha^i Ckmnohg. Orunähge der alten chinea. Oeichiehte. 38
nd die Slteete Form einer uralteo, sehr einfachen Glelchong
des Sennen- and Mondjahres, die auch bei den Aegyptem,
Chaldäern und Juden yorkomme. ^)
Bemerkenswerth ist noch, dass nadi dem erwähnten
Ea-yea^wa statt der jetzigen Gykluszeiohen zur Bez^'chnung
der Jahre erst andere fremdartig lautende und erst später
die jetzigen angewandt wurden. Chalmers bei Legge Pr.
p. 97 giebt die Liste derselben aus Sse-ma-tsien's^) Tafeln für
die Interkalation fdr 76 Jahre von 103 y. Chr. an. Er
meint, sie müssten aus einer fremden Sprache sein, wie auch
die Göttemamen da, ob indisch? und legt darauf ein beson-
deres Gewicht, dass im 2. Jahrhunderte y. Chr. die Chinesen
ihre Verbindung mit dem Westen eröfiheten. Da diese
Zeichen aber in der chinesischen Geschichte nie angewendet
worden sind, können wir sie hier füglich übergehen.
Wir kommen nun nach dieser Einleitung zur Abhand-
lang selbst, und zunächst 1) zu den allgemeinen An-
gaben über die D auer der 3 ersten Dynastien. Die all-
gemeinste und älteste ist wohl die bei Meng-tseu (VII, 2, 38) :
„Von Yao und Schün bis Thang, sagt er da, waren über
7) Dus Bwischen der Astronomie und Zeitrechnung der Chinesen
Q&d derChaldäer ein noch yiel innigerer und UtqrerZasammenhang
lUttgeAinden habe, sucht Stern Götting. g. A. 1840 S. 202e— 88 zu zeigen
and zwar meint er S. 2033 schon vor 1766 v. Chr., da die Chinesen
nor unter der 1. Dynastie Hia (2205 y. Chr.) den Tag mit Sonnen-
aufgang begonnen, wie, die Chaldäer, unter der 2. Dynastie Schang
leit 1766 nicht mehr, sondern mit Mittag. Wir müssen das. Weitere
omerer Abhandlung: Ueber die Astronomie der alten Chinesen
Torbehalten.
8) Sse-ki Li-schu B. 26 f. 5 y. fg. ; sie kommen schon in dem ^
alten Wörterbuche Enl-ya Kap. SchirthiemS, f. 16 y. mit einigen Ab-
vaohiingen yom Sse-ki, wo der Scholiastve« auoh oitirt, yor. Auch
der I-ise B. 161 f. 14 f. g. giebt die Stelle des Eol-ya.
[1867. Hl.] 3
84 SiUung der phüoi.'phiM. CUuae vom 1. Jmi 1867.
500 Jahre. Yä and Eao-yao') sahen sie (jene) selbst und
kannten sie so; Thang hörte von ihnen (ihren Prinzipien)
und kannte sie 80*\
„Von Thang bis Wen-wang waren (wieder) aber 500 Jahre;
Y-yn und Lao-tschu sahen ihn (Thang) und kannten ihn
(seine Prinzipien) so. Wen-wang hörte von ihm und kannte
sie SO'"
„Von Wen-wang bis Confiicius waren (wieder) über
500 Jahre; Thai-kong Wang und San-i-seng sah^ ihn und
kannten sie so. Gonfucius hörte von ihm und kannte
sie so."
„Von Goniucias bis jetzt sind über 100 Jahre. (Meine)
Entfernniig von des Heiligen (Gonfucius) Zeitalter ist nicht
so weit; sein Aufenthaltsort war (dem meinigen) nahe;
ist denn nicht einer (bin ich nicht) da im Stande, seine
Lehre zu überliefern?"
Gaubil Tr. p. 250 nennt Meng^tseu: un ecrivaiü d'une
tres-grande autorite et qui parlait en cons6quence de ce qu'U
lisait dans Thistoire. Was dann die Bedeutung der Stelle für
die Feststellung der alten Ghronologie betrifft, so bemerkt
er p. 92, Meng-tseu werde zwischen 372 bis 74 v. Ghr.
geboren sein, er kam 336 v. Ghr. an den Hof von Wei und
zog sich 314 vom Hofe des Fürsten von Tsi zurück (seinen
Tod setzt Legge Prol. T. II p. 17 in das Jahr 288 v. Chr.)
Von seiner Zeit bis Yao redinete Mebg-tseu über 1600 Jahre;
es sei das allerdings keine sehr sichere Angabe, aber sie
gewähre doch im Allgemeinen eine ziemlich klare Anschauung
der Zeitverhältnisse. •
Wir müssen aber dagegen bemerken, Meng-tseu ist kein
Geschichtsforscher, sondern ein Moralist und Politiker. Es
9) Diese und die im Folgenden Genannten waren Minister der
Kaiser; b. Legge P II p.878; den San-i-seng erwähnt des Scbu-king
V, 16, 12.
PUtih: Chr&ndlög. Grundlage der äUm ekine$. GuMekU. 35
sind clarchans nur ganz allgemein gehaltene rande Zahlen;
toan weiss weder, von wo er den Anfang, noch wie er das
Ende einer Periode rechnet, ob von der Geburt, dem Tode
oder dem Regierungsantritte der Kaiser an. Gonfucius Geburt
fallt nach dem Sse-ld B. 47 f. 2 unter Lu Siang«kung
a.22, sein Tod nach f. 28 y. unter Ln Ngai-kung a.16, d.i.
jene in das Jahr 551, sein Tod 479 nach Legge Prot. T.I
p. 59; Meng-tsen's Geburt, wie gesagt, 372. Von 479 (Con-
fiicios Todesjahr) bis 372 (Meng-tseu Geburtsjahr) sind
107 Jahre. Wenn Meng-tseu also sagt: Ton Gonfucius bis
jetzt sind über 100 Jahre, so versteht er wohl, wie auch
Freret Oeuvr. T. 14 p. 65 annimmt, von Gonfucius Tode bis
zu Meng-tseu's Geburt und so wird man dann ähnlich auch
bei den andern Angaben rechnen müssen, und so rechnet
auch Freret p. 109 die 500 Jahre von Wu-wang (der Text
hat aber \Ven-wang) bis zu Gonfucius Geburt. Aber Meng-
tseu will die Dauer der beiden ersten Dynastien gar nicht
angeben,^) sonst hätte er nicht von Yao und Schün, sondern
von Tü's und Wu-wang's B^erungsantriit rechnen mfissen.
Dessen Vater Wen-wang regierte nur in seiner Herrschaft
Tscheu und Wu-wang gelangte auf den Kaiserthron der
3. Dynastie erst seit seinem 13. Kegierungsjahre im
Reiche Tscheu. ^) Die Dynastie Tscheu war zu Gonfucius
and Meng-tseu's Zeit in Verfall. In gewissen Zeitperioden,
meinten sie nun , erstanden immer grosse Kaiser , die mit
ihren weisen Ministern die ächten Prinzipien, die in Verfall
gerathen waren, wiederherstellten. Solche waren Yao un4
7) Irrig sagt Legge Prol. T. III p. 85 wohl von König Wen bis
Confocios solle heissen: vom Anfange der Dynastie Tschen; von
Tao und Scbün bis Thang, meint er p. 86, solle die 150 Jahre
jenes nnd die 431 oder 489 Jähre der Dynastie Hia in sich begreifen.
8) So wird die Stelle im Soha-king Kap. Thai-tschi Y, 1, 1, 1
<a verstehen sein, s. Legge.
8*
86 IH^hmg dir phUoB.-j^hikl Oobm vom L Jim» 18^7.
Sflhiin, Wen-wang und Wa-wang, ygL Sdii-king IV, 1, 1.
Die Zeitperiode, 8agt er nun, wäre echon mehr als verflosseD;
sollte ich nun nicht der Mann sein, der zur Wiederherstellung
der äehten Prinzipien bestimmt wäre? Dass diess sein Ge-
dankengang ist, zeigt deutlich die Stelle Meng-tseu II, 2, 13 :
„Als Meng-tseu Thsi verUess, heisst es da, fragte ihn Tschhang-
yii auf dem Wege: Meister, dein Aussehen erscheint unbe-
friedigt; vordem hörte ich den Meister sagen, der Weise
murrt nicbt gegen den Himmel, grollt nicht den Menschen.
Meng-tseu erwiederte: das war zu einer Zeit, diess ist eine
andere: in 500 Jahren erstand immer ein grosser König
(Wang), und in der Zwischenzeit gab es sicher berühmte
Geschlechter (Mingschi); seit dem Beginne der Dynastie
Tscheu bis jetzt sind nun schon über 700 Jahre; was die
2ahl (der Jahre) betrifft, ist sie schon vorbei; was die
(jetzigen) Zeitverhältnisse betrifft, wenn man die untersucht,
so köunte man wohl (das Auftreten solcher Männer erwarten),
aber der Himmel will (offenbar) noch nicht, dass das Reich
WC Ruhe gelange : wollte er das in dieser Zeit, wer könnte
das bewirken als ich; wie sollte ich darum nicht beküm-
mert sein/'
Hier rechnet er über 700 Jahre von seiner Zeit bis
zum Anfonge der Dynastie Tscheu, aber man weiss nicht,
welchen Zeitpunkt in seinem Leben er meint Legge Prol.
P* U p. 24 meint, es gehe auf seinen ersten Weggang aus
Thsi uud setzt diesen 323 v. Chr., aber nur nach der an-
gegebenen Daner der Dynastie Tscheu von 700 Jahren ; seinen
zweiten Aufenthalt in Thsi setzt er p. 34 in das Jahr 311
V. Chr., weil das Reich Yen damals gegen Thsi aufstand,
was Meng-tseu I, 2, 10 fg. und U, 2, 8 fg. erwähne«. Meng-
tseu verkehrte damals nach dieser Stelle mit Thsi's König
Siuen-wang; nach dem Sseki fand aber der Aufstand erst
«untOT dessen Nachfolger Min-wang 323 bis 282 statt Diese
Bathi Chranolog. Grundlage der aUen ehmes. OtsMehte. ST
Stelle gewShrt uns also auch keine sichere Angabe auch nur
über den Anfang der 3. Dynastie Tscheu. «
Eine Sie Stelle bei Meng-tsen IV, 2, 1, S hilft auch
nicht yiel. Er sagt da : „Schiin wurde geboren in Schu-fung,
zog fort nach Fn-hia und starb in Ming-thiao, ein Mann
nnter den Ost-Barbaren; Wen-wang, wurde geboren am
Berge Khi in Tscheu und starb in Pi-yng, ein Mann nnter
den West-Barbaren. Die Entfernung der Länder betrug über
1000 Li, ddas Zeitalter des letzteren war über 1000 Jahr
sjater, aber ihre Absicht beim Walten im Reiche der Mitte
war wie wenn man 2 Siegelhälften zusammenfBgt; der
frühem und der spätem Heiligen Principien waren ein« und
dieselben (i)".
Wenn in der ersten Stelle von Yao und Schfin bis
Wen-wang über 1000 Jahre gerechnet werden, so hier von
Schün allein, aber die 1000 Jahre, die sie von einander ent-
fernt gelebt haben sollen, möchten keine viel sichere Be*
Stimmung sein, als die Angabe der Entfernung ihrer Geburts«
oder Sterbeorte auf 1000 Li s. Legge p. 192 und die
Terschiedenen Angaben über den Ort, wo Schün starb, im
I*88e B. 10 f. 14 y. Man kann daher aus diesen Stellen
nur im Allgemeinen entnehmen, dass Meng-tseu von Yao
nnd Schun, vielleicht von Schün's Tode bis Thang, dann von
diesem bis Wen-wang und von diesem wieder bis Gonfudus
3ber je 500 Jahre, also zusammen über 1500 Jahre und
Ton da bis zu seiner Zeit noch über 100 Jahre, also im
Ganzen über 1600 Jahre, an einer andern Stelle aber von
Schün bis Wen-wang 1000 Jahre und an einer Sten Stelle vtfn
der Gründung der Dynastie Tscheu bis zu seiner Zeit, S2S
oder 31 1 v. Chr., über 700 Jahre rechnete ; welchen Glauben
er aber verdient, bleibt dabei immer noch dahingestellt« Legge
T. n p. 378 sagt: Von Anfang der Regierung Schün's bis
ZQ der-Thang's waren nach der reciiHrten Annahme 489 Jahre^
38 ßiUung der pMUa.-phüol, CUuse vom 1. Juni 1867.
Ton da bis zar Gründung der Dynastie Tscheu 644 Jahre.
Wir -werden die andern Angaben weiter unten prüfen.
Der 2te Autor ist der Verfasser des Tsö-tschuen. Qaubil
Tr. p. 252 sagt: L'antorite du Tso-tschouen est d'un
grand poids et bien au-dessus .de oelle du Tchou-chou. Er
lege nun der Dynastie Schang eine Dauer von 600 Jah-
ren bei, Tielleicht rechne er aber den Anfang von Wen-
wang an.
Aber Tso-schi ist auch kein kritischer jßeschichts-
forsoher, sondern das Werk unter seinem Namen, wie
schon erwähnt, nur eine Sammlung von Geschichten aus
der Zeit des Tschhün-thsieu in chronologischer Folge. Die
obige chron(rfogische Angabe beruht aber auf gar keiner
eigenen Angabe yon ihm selbst. Man muss die Stelle*)
wieder im Zusammenhange mittheilen, was Gaubil immer
nicht thut. Ein Gesandter des Königs Tschuang - wang von
Tschu fragt da 606 v. Chr. nach den Urnen Yü's, deren
Besitz, wie wir schon anderswo erwähnt haben, (Sitz.*Ber.
1866 1, 4 S. 564 (42) für ein Palladium der Herrschaft über
das Kaiserreich galt, und der Kaiser-Enkel Muan ant-
wortete ihm: „Kie (der letzte Kaiser der 1. Dynastie) besass
keine Tugend und die Urnen gingen über an die (2. Dynastie)
Schang. Es vergingen (dann) 600 Jahre. Scheu (der letzte
Kaiser der 2. Dynastie Schang) war gewaltthätig und grau-
sam und die Urnen gingen über an (die 3. Dynastie) Tschen
(Ting tshien iü Schang, tsai ki lo pe. Scheu pao nio, ting
tsbien iü Tscheu). — Einst gab Tsching-wang (der Nachfolger
Wu-wang's) eine bleibende Stätte den Urnen in Kia-jo, er
brannte die Schildkrötenschale (po) und befragte sie hinsichts
9) T80-8chi Siuen-kung A. 8 f. 5, S. 6. 17 S. 28 (auob bei Bazin
im Jonm. Ab. 1889 Ser. III T. 8 p. 868 und Legge Prol. T. III p. 67
not) und damos wohl in Sse-ki Tscha Schi-kia B. 40 f. 9 ▼., S.
B. 44 p. 85.
IfM: Chranolog. Grundlage der (dien ehines, Geiehichte, S9
der Geschlechtsalter, (welche die Dynastie Tschea dauern
würde) und erhielt denn 30; er brannte sie (und befragte
sie) nach der Zahl der Jahre und erhielt 700 Jahre. So
wurde es durch den Himmel bestimmt; ist nun auch die
Tagend der Tsoheu jetzt geschwunden, so ist das Mandat
des Himmels doch noch nicht geändert*^ Letzteres, eine blosse
Weissagung, die auch nicht eintraf, wie wir sehen werden,
hat gar keinen chronologischen Werth und die Angabe über
die 600jäbrige Dauer der 2. Dynastie ist wenigstens sehr
problematisch. Die Uebertragung der Urnen fand auch wohl
nidit gerade im 1. Jahre der neuen Dynastie statt ; erst Tsching-
wang (Wu-wang's Nachfolger) gab ihnen so eine bleibende
Stätte, nach dem Bambubuche p. 146 erst in seinem 18. Jahre
in Lo, 24 Jahre nach der Gründung der Dynastie Tschea
nach der Note p. 158.
Als eine andere Autorität für die mehr als 600jährige
Dauer der 2. Dynastie führt Gaubil Tr. p. 253 den Yo-tseu
an, der ?om ersten Jahre Tsching-thang'sy des Stifters der
2. Dynastie, bis zum ersten Jahre des letzten Kaisers dieser D,
576 Jahre rechne, des letzteren Herrschaft währte nodi 52,
nach andern 32 Jahre, die Dauer der ganzen Dynastie betrug
darnach also an oder über 600 Jahre. Die ganze Stelle
Yo-tseu's steht im I-sse B. 14, f. 16y. und lautet so: „Als
Thang das Kaiserreich regierte, erhielt er den Khing-fu, den
Y-yn und Hoang4i, am Ostthore den Hiü, am Südthore
den Tuen , am Westthore den Tseu und am Nordthore den
Tse und besass so 7 Grossbeamte (Ta-fu) , ihn bei der Re-
gierang des Reiches zu unterstützen und das Reich war
wohl regiert 27 Generationen hindurch, zusammen 576 Jahre,
bis auf Sdien." Die Dauer yon dessen Regierung, bemerkt
Gaobil, giebt er nicht an.
Hier fragt sieh nun yor allem, wer ist dieser To-tsea und welche
ADtoritat hat seine Schrift Ganbil p. 96 sagt: er gilt för einen
Kaelikonimen Kaiaer Tschuen-hiü'a, lebte cur Zeit Wen- und Wn-wang's
40 BiUfimg der phOoi.'phüol. CIobu «o» 1. Jum 186f.
(1 122 T. Chr.) und beide befragten ihn über die Regierung und hörten ihn
gerne über das Alterthum und die Wiasenschaften reden ; er galt für
sehr gelehrt. Man habe von ihm nur das Fragment eines Buches über
die Moral Und die Regierung. Er setzt aber in der Anmerkung
hinzu, die Tao-sse rechneten ihn zu den ihrigen, obwohl er nach
Obigem vor Lao-tseu gelebt und hfttten das Fragment, welöhes rou
seinem Buche erhalten sei, herausgegeben. Diess körnig Terdächtigen,
was man ihn über die Moral sagen lasse, er sehe aber nicht ein, wie
auch das wenige, was er Chronologisches anführe, da es keine Be-
ziehung zur Sekte der Tao-sse habe. P. 253 sagt er aber, obwohl
das Bruchstück des Buches unter dem Namen Tielleicht nicht von
dem Zeitgenossen Wen- und Wu-wang's sei, habe es doch einige
Autorität für die Chronologie, da es aus der Zeit vor dem Bücher-
brande herrühre.
Ich yermisse bei ihm aber jeden Beweis für dieses Alter des-
selben. Lie-tseu im I-sse B. ID f. 9 führt ihn als To-hiung und Yo-
tsen auf; nach den Scholien echreibt man den Namen auf beide Arten,
er gehöre zur Secte der Tao, wie auch Lie^tseu, dessen Werk nach
einigen ohinesischen Autoren im 4 Jahre von Tscheu Ngan-wang
(398 Y. Chr.) herauskam.
Dieser Yo-hiung-tseu wird unter den Vorfahren der Könige von
Tschu aufgeführt, die ihr Geschlecht vom alten Kaiser Tschuen-hiü
herleiteten. Der ßse-ki Tschu Schi-kia B. 40 f. 2 ▼., S. B. 44 S. 72 sagt:
„Zur Zeit Tsohen Wen-wang's lebte ton den Nachkommen Ki^-lien's
einer, der hiess Yo-hiung Tseu, der diente Wen-wang und starb
früh,^^ und im Tsoheu Pen-ki B. 4 f. 4 nennt er den Yo-tseu unter
den Grossen, welche sich Wen-wang alsbald anschlössen, Tgl. auch
I-8»e B. 21 f. 11 u. 17. Die Schrift, in welcher seine Gespr&che mit Wen-
wang enthalten sind, ist aber' offenbar ein sp&teres untergeschobenes
Werk; der I-sse B. 19 £.7 — 9 enthalt eolobe angeblichen moralische
Gespr&che desselben mit Wen-wang, B. 22 f. 32 y. führt aus ihm einen
Ausspruch Tscheu-kung*s an und B. 25 f. 1 — 2 v. werden aus dem
Sin-schu Gespräche von ihm mit Tscheu-kong und B. 20 f. 3 t. mit
Wu-wang angeführt
Sft könnte nun freilich auch ein untergeschobenes späteres Werk
immerhin hietorisohe Notiaen von Werth eathalten. Wir müssen also
diese specieller untersuchen. Ganbil Tr. p. 95 sagt: er spreche
von den 5 Kaisern (U-ti) vor Yao, die er einzeln nicht nenne und den
8 Königen (8an*>wang) YH, Tiohing<>thang und Wu-wang. Im I-sse
finde ich folgende AusEüge aus ihm. B.5 £ 1 eagt er: „Hoang-U kannte
im 10. Jahre Sohiti-nUng'e Sohleohtigkeii und reformirto sein«
nuh: Chronolog. QrunHagt der alten dune». OeeehiäUe. 41
Begierang/' B. 7 f. 1 y/' eiaat, da der Kaiser Tschaen-biü 16 Jahre alt
war, anterstützie er Hoang-ti, im 22. Jahre regierte er das Reich.
Seine Regiemng des Reiches war so: nach oben befolgte er Hoang-
ti's Prinzipien (Tao) nnd übte sie ans (hing), er stndirte Hoang-ti't
Printipien und machte sie snm best&ndigen GeeetBe (enl tsohang
tsehiV' Aehnüoh heisst es dann B.8 f. 1: „einst, da Ti-ko 15 Jahre
aU war, unterstütze er Tschnen-hiü und im 30. Jahr regierte er das
Reich. Seine Regierung war so: nach oben befolgte er Hoang-ti's
Principien und stellte sie in*s Licht; er studirte Kaiser Tshuen-hiü's
Prinzipien, um sie auszuüben."
Man flieht, in diesen Stellen ist wenig reell gesohiohtliohet. Noch
phantatiacher ist, was er B. 12 £ 5 t. von Kaiser Yü sagt. Die erste
Stelle ist zu lang, um sie hier ganz mitzutheilen. „Yü's Regierung
des Reiches — beginnt er^ war so: auf die 5 Tonarten zu boren,
liiog er am Thore auf die Glocken die Trommeln, die grosse Glocke
(Tbc) und den Masikstein (Khing) nnd regelte sie mit der Hand-
trommel (Thao), um zu erlangen die Beamten (Sse) innerhalb der
4,Meere des Reiches u. b.w.'' Die 2. Stelle giebt positivere Angaben.
«Tü^s Regierung des Reiches war so: er erlangte den Kao-yao, den
Ta-tsea-nie, den Ki-tseu, den Schi-tseu Ngan, den Ki-tseu-ning, den
Yan-tseu Schin und den King-tseu-yü ; nachdem er diese 7 Ta-fu
erlangt hatte, ihn bei der Regierang zu unterstützen, brauchte er
sie, das Reich zu regieren.*' Die Stelle Yo-tseu's über Tsohing-thang
and die 7 Ta-fu, die ihn bei der Regiemng nach B. 14 £ 16 t. unter-
siätzten , ist schon oben . S. 39^ angeführt« Wir wissen nichti woher
er diese Namen hat, da im Scha-king und bei Gonfuoius nnd seinen
Schülea-n von jenen Beamten Yü's nur Kao-yao, von denen Thang^s
nur Y-yn vorkamen. Von Wu-wang sagt er B. 20 f. 25: „Wu-wang
föhrte die Kriegswagen an (so), um Scheu anzugreifen; der Tiger-
cohorten (Hu-liü, von je 500 Mann) waren eine Jdillion (Pe^wMi)
uid er stellte sie anf in Schang's Vorstadt (Kiao); er begann mit
dem gelben Vogel bis zur rothen Axt Die Soldaten der 8 Heere,
die zerstreut waren, verloren nicht ihre Haltung. Wu-wang befahl
Thai-kung, sich zu bemächtigen der weissen Fahne und sie als Signal
ca verwenden nnd Scheu's Heer kehrte allein zurück." B. 21 f. 11
ist noah eine Stelle über Tsoheu-kung. Doch genug zur Charakteristik
des Autors. Wir haben die historischen Stellen aus ihm, auf welche
Gaubil sich nur im Allgemeinen bezieht, genau mitgetheilt, da man
10 erst sich ein ürtheil über ihn bilden kann. Wir glauben nicht,
daas es günstig ausfWt.
42 SUtung der pküoß.-phüdl. OZoMe vom 1. Jwd 1867.
Gaabil Tr. p. 96, 104 and 268 erwähnt noch aas
dem Kue-iü von Tso-schi einige mehr genealogische An«
gaben über die Kaiser der 3 ersten Dynastien.
loh finde folgende Stellen; im Tscheu-itt 1 f. 30 v. heisst es:
„Einst brachte Emig-kia die (1. Dynastie) Hia in Unordnung
und in der 4. Generation ging sie zu Grande. Hiaen-wang^^)
strebte für Sebang und in der 14. Gt^neration von ihm er*
hob es sich (unter Tsching-thang). Kaiser Ti-kia (d. i. Tsu-
kia) verwirrte- es und in der 7. Generation unter Schea-sin
ging (die 2. Dynastie) zu Grunde. Heu-tsi (der Ahn der
3. Dynastie) strebte für Tscheu; in der 15. Generation er*
hob sich (die 3. Dynastie); Yeu-wang, der 12. Kaiser der
Tscheu, brachte sie in Verwirrung. Dass bis zur 14. Genera-
tion ein Schatz bewahrt wird (Scheu-fu), ist viel : so konnten
(die neuen Dynastien sich erheben)." Die Stelle, sieht man,
giebt keinen chronologischen Anhalt, sondern nur die Genea-
logien, deren Unhaltbarkeit, was die Anfange bis zu den
Stiftern der Dynastien betri£ft, de Guignes diso, prel z. Chou-
king p* GXXXIU schon gezeigt hat.
Die 2. Stelle unter Tscheu Ling-wang 1 f. 27 sagt:
„Von Heu-tsi bis jetzt gab es bald Ruhe, bald Unruhen
(Ning loen). Bis Wen- Wu- Tsching- und Khang-wang wurde
mit Mühe gekämpft, das Volk zu beruhigen/'
,,Seit Heu-tsi begann, den Grund zu legen, dem Volke
Rahe zu schaffen (Tsing min), und nadidem 15 Könige
gewesen waren, begann Wen-wang es zu beruhigen (Fing-
tschi), und der 18. König (von Heu-tsi) Khaiig(-wang) erlangte
es erst, es völlig zu beschwichtigen (Khe ngan tschi): so
schwer war das. Li (-wang) fing an, die Gesetze zu ändem
(Ke tien). Seitdem sind wieder (bis Ling-wang) 14 Könige
10) D. i. Sie, der Minister Tao's und Schün's und der angebliche
Ahn der Dynastie Schang, s. Schi-king Schang-sang IV, 8, 4 p.216.
TfaOk: Chronotog. Orunälage der aUem eMnes. GeieMehU, 43
gewesen. Nachdem der Orund zur Tugend gelegt war,
begann unter dem J5. Könige erst die Ruhe und als der
Grund zum Verfalle gelegt war, war erst unter dem 15.
keine Hilfe/^ Man sieht, es sind hier mehr Spekulationen
über den Anfang des Aufkommens und Verfalles der Dyna-
stien nach einer bestimmten Anzahl von Geschlechtern, als
chronologische Data.
Auch der Sse-ki yon Sse-ma-tsien hat keine sichern
chronologischen Angaben, sondern nur einige Angaben nach
den Generationen und in runden Summen. So sagt er B. 13
f. 5 San Tai Schi Piao : von Yü bis Kie (dem letzten Kaiser
der 1. Dynastie) seien 17 Generationen (Schi), von Hoang-ti
bis Kie 20 Generationen, von Hoang-ti bis Thang sind nach
der Anmerkung 17 Generationen, von Thang nach f 6 v«
bis Scheu (dem letzten Kaiser der 2. Dynastie) 39 Genera-
tionen, von Hoang-ti bis Scheu 46 Generationen (vgl. Gaubil
Tr. p. 125), nach der Anmerkung ganz unwahrscheinlich von
Hoang-ti bis Tscheu Wu-wang nur 19 Generationen..
Nadi Tsiao-tscheu beim Scholiasten zum Sse-ki zum
Yn Pen-ki B. 3 f. 11 y. dauerte die 2. Dynastie Yn über-
haapt 31 Generationen über 600 Jahre. Ob Gaubil Tr,
p. 129 diese Stelle nicht meint, wenn er sagt: Sse-ma-tsien
sage, die Dynastie Schang habe 600 Jahre gedauert? denn diese
Angabe finde ich im Sse-ki selbst nicht. Seine Angabe, Sse-
ma-tsien sage : seit dem Tode Tscheu-knng's bis zur Geburt
des Confncius seien 500 Jahre verflossen, steht im Sse-ki
B. 130 f. 8 Y. ; er setzt da hinzu ; „von Gonfucius Tode bis jetzt
seien wieder 500 Jahre, und mwa könne verketten die klaren
Generationen (schao ming schi), d. h. die Folge derselben
Gaubirs Angabe: Sse-ma-tsien sage von Heu-tsi (dem
Ahnen der Dynastie Tscheu), bis Wen-wang seien 1000 Jahre
verflossen, steht B. 13 f. 8 v. fg. Die ganze Stelle lautet:
»Yao wusste, dass Sie (der Ahn der 2. Dynastie) und Tsi
I
I
I
I
I
44 BUtumg der phüo$,-phM. Claue wm t /«m 1867.
I
alle beide weise Männer seien, die der Himmel schaf. Dabei
belehnte er Sie mit 70 Li und nach mehr als 10 Genenr*
tionen ward sein Nachkomme Thang Kaiser über das ganz«
Reich (Wang thien«hia). Yao wusste, dass dje Nachkommen
der Söhne and Enkel Heu-tsi's Kaiser werden* würden; daher'
belehnte er auch ihn mit 100 Li nnd sein späteres Oeschlecht
nach 1000 Jahren gelangte an Wen-wang, der das ganze
Reich inne hatte." Diese weniger chronologischen Angaben,
sieht man, kommen nur gelegentlich und serstreut vor und |
es sind immer nur runde Zahlen. >
Wie Sse-ma-tflien, der eigentlich der erste genauere chinesische
Getchicht-Forscher und Schreiber ist, den wir haben, nnr chronolo-
gische Angaben in runden Summen giebt, seigt besonders noch seise
Gesofaiehte der Hiung*nu (Hiung-nu U tschnen B. 110 f. 2 — 6), die
Gaubil nicht anfahrt. „Als Hia's Prinzipien in Verfall gefietheu, gab
Kung-lieu (? 1797 ▼. Chr.) sein Amt als Aufseher über den Ackerbau
(Tsi-kuan) auf, begab sich unter die Westbarbaren (Si Jung) and
gründete eine Stadt in Pin. Von seinen Nachkommen, — mehr als
MO Jahre darnach, •— griffen die West- und Nordbarbaren den Thai*
waag Tan-fu (1S27 v. Chr.) an; dieser zog weg und kam an den
Fuss des (Berges) Ki. Die Leate von Pin aber folgten ihm Alle zu-
sammen und ergründete da eine Stadt. Einer seiner Nachkommen, —
nach mehr als 100 Jahren (1168), — Tscheu, der Führer des Westens,
(SiPe) Tschang (d. i. Wen-wang) schlag dann die Kiaen-I (Barbaren).
Nach mehr als 10 Jahren (? 1122) schlug Wu-wang (den letzten
Kaiser der 2. Dynastie) Scheu. Mehr als 200 Jahre darnach (967)
geriethen Tscheu's Prinzipien in Verfall und Mu-wang griff die Kiuen-
Jang (Westbarbaren) an — Mu-wang*s Nachkomme — nach mehr
als 200 Jahren (771) — Yeu-wang überwarf sich aus Anlass der
Pao-ase mit dem Schin-heu ; der griff mit den Einen- Jung ihn an, —
Thsin Slaog-kung kam den Tsdleu zu Hilfe und schlug die Jung
(770); 65 Jahre später (706) griffen die Berg^ Jung Thsi an; 44 Jahre
sp&ter (664) dieselben Yen. Thsi Huan-kang schlag sie. Ueber 20 Jahre
später (649) kamen die Jung and Ti bis zur Stadt Lo (-yang) und
schlugen den Kaiser Tscheu Siang-wang. -^ Nach mehr als 100 Jahren,
da die Jung sich getheilt hatten, waren sie geschwächt und vermoch-
ten nichts. Von da an und (wieder mehr) als 100 Jahren spater
lUh: Ckronölog. Orumdlage dar aUm cMttM. OiaehiekU. 46
nndte Ttiii Tao-kang den Wei-khioiig, die Jnng nnd Tbi so ver-
einigea*^) und sie kamen an den Hof (von Tsin). Wieder nach mehr
als 100 Jahren (475)"} überschritt Tschao Siang-tseu den Berg Ken
und bemächtigte sich des (barbarischen Eeiches) TaL^^ Um zn zeigen,
wie yiel oder wenig diese Angabe in mnden Stimmen mit den
bestimmten Angaben nach der reoipirten Annahme übereinstimmt,
bben wir diese in Parenthese hinzngesetst,
Ueber die Dauer der 1. nnd 2. Dynastie nach dem
Bambabuche im Ganzen hat nur die Sc&Iusenote bei der
1. und 2. Dynastie eine Angabe. Von Yä bis Kie (der
1. Dynastie) waren nach p. 124 17 Geschlechter oder Genera-
tionen (Schi) und die Könige regierten mit den Interregnums
(Wang iü pu wang) 471 Jahre. Die Cykluszeichen er-
geben nach Legge p. 181 aber nur 431 Jahre. Freret
B.U f. 101 vereinigt beide Zahlen^ indem er die 471 Jahre
Ton Yü's Erhebung zum Fürsten eines abhängigen Reiches
darch Scfaün a. 13 an rechnet. Das fiambubuch p. 115 sagt
aber nur: in Schihi's 14. Jahre befahl er Yü, statt seiner
di^ Geschäfte zu fuhren (ming Yü tai Yfi (d. i. SdiSn^s) sse).
Die zweite Dynastie betreffend, sagt die Note p. 141
„Von der Vernichtung der Dynastie Hia bis Sdieu {dem
letzten Schang) waren 29 Könige in 496 Jabren, die Cy-
kloszeidieu aber ergeben 508. Freret fi. 14 pagina 102 fg.
und Biot Journal As. B. 12 pagina 578 bringen beide
Zahlen wieder in Uebereinstimmung durch die Annahme,
die Note rechne nur bis zur Absetzung Schen's a. 41 und
Wen-wang's Erhebung zum Regenten, 12 Jahre vor der
gänzlichen Besiegung Scheu's, aber A. 41 ist im Bambubudie
nur Yom Tode Tschhang's (d. iP Wen-wang's) die Rede. Der
U) Nseb Sae-ki Tsin Pen-ki B. 89 uter Tsia Tao-kwg «, }|>
das ist aber 561 y. Chr.
12) Sse^ki Tsehao Schi-kia B. 84 I. 18 ▼. Pfiniaier't Geidiiohte
von Tschao S. 16.
46 Siigwig der phüaa.-phüöß. Clasae wm 1. Juni 1867.
Ti^wang Schi-ki im I-sse B. 19 f. 22 y. sagt zwar schon
Aehnliches : „Als Wen-wang 42 Jahre auf dem Throne (von
Tscheu) war, — erhielt er das Mandat und es war das
l. Jahr, wo er anfing, Kaiser (Wang) betitelt zu werden/*
Aber der SchoL setzt schon hiezu : „Eine ganz falsche Erklärung
(Kiai wang sehne)*'. Legge p. 181 bemerkt noch, dass auf-
fallender Weise in der Geschichte von Schu-se (lie tschuen
B. 1 21) angegeben werde^ dass im BambubucheJ)der Jahre der
Dynastie Hia mehr seien, als die der 2. Dynastie Schang
oder Yn (Hia nien tho Yn), während es jetzt umgekehrt
sei. Ich finde noch im I-sse B. 19 f. 12 zu Ende der 2. Dy-
nastie ans dem (Tschu-schu) Ki-nien die Notitz, die Legge
und fiiot nicht haben, von Pan-keng bis zur Vernichtung
(des letzten Kaisers der 2. Dynastie) Scheu waren 273 Jahre.
Von der Dauer der 3. Dynastie kann das Bambubuch
die Summen nicht angeben, da es nicht bis zum Ende der-
selben hinabgeht. Aber zu Ende der Regierung Yeu-wang's,
des 12ten Kaisers, ist p. 158 die Note: Als Wu-wang die Dy-
nastie Yn vernichtete, war das Jahr Keng-yn; 24. Jahre
(später) (im Jahre) Kia-yn*') wurden die (9) Urnen in der
Stadt Lp fest aufgestellt. (Von da) bis Yeu-wang waren
257 Jahre, zusammen (mit den 24) 281 Jahre; vom Jahre
Ki-mao^^), dem 1. Jahre Wu-wang's, bis zum Jahre Keng-n,
(dem letzten) Yeu-wang's, waren 292 Jahre. Freret B. 14
p. 106 fg. bespricht die Stelle, und bemerkt, das Jahr
Ki-mao entspreche Ti-sin's A. 41 , wo Wen-wang's Tod be-
merkt werde und die Summen stimmten mit dem Gyklos-
18) Kia-yn ist aber das 4te Jahr, das 24 te Kia-siü. 8. Ideler
8. 64. Die Anfstellcmg der Urnen in Lo setzt das Bambnbnch p. 146
indess auch unter Tschhing-wang A. 18 and da Wn-wang 6 Jahre
regierte, ist das 24 Jahre nach Yemichtung der 2. Dynastie Tn.
14) So p. 168. Das Bambabaoh p. 144 hat aber Sin-mao ood
so L^ge in der Uebersetsong.
Math: Chnm6U>g. Grundlage am fUtUn ehina. OetekiekU. 47
xeidieii and der Dauer der einzelnen Begiernngen nadi dem
Bambobache, werde also acht sein und stimme mit Meng-
tseu's und Sse-ma-tsien's Angaben, die Wu-wang's erstes Jahr
nur 500 Jahre yor Confucius Geburt j(550 y. Chr.), also 1050
Y. Chr. setzten. Dies möge also damalige Annahme gewesen
sein; dass sie aber darum richtig, glaubt er selbst nicht.
Pan-ku, der unter Hau Ming«ti (58 — 70 n. Chr.) an
der Spitze des Tribunals der Geschichte stand, gibt mit
Benutzung yon Schriften, die der Astronom und Geschicht-
schreiber Lieu-hin kurz yor Christi Geburt hinterlassen hatte,
seine Gesdiichte der früheren Dynastie Hau (Tsien Han
Sehn). B. 20 Ku kin jin piao giebt die Namen der Kaiser
Ton Thai-hao oder Fu-hi an mit ihren Frauen, Ministem u. s. w.,
unter der 8. Dynastie auch die der Vasallenfiirsten, berühmten
Männer, Weisen, wie Confucius und seiner Schüler, aber ohne
alle weitere Zeitangabe. B.21 (Liu li tschi hia) f. 16 fg. giebt
er nur die Gesammtdauer der Dynastien, nicht die Liste der
einzelnen Fürsten und nur einzelne ausnahmsweise mit den
Regierungsjahren. Vgl. Gaubil Tr. p. 135— 137 und 237.
So regierte nach ihm Yao 70 Jahre, Schün darauf
50 Jahre; Yü gründete dann die erste Dynastie Hia, die
17 Kaiser in 432 Jahren zählte. Tschhing-thang besiegte
den letzten Kaiser derselben Kie und gründete die 2. Dy-
luistte Schang oder Yn, die unter 31 Kaisern 629^^) Jahre
dauerte. Fälschlich, sagt er f. 16 y., rechne man sie nur
n 446 Jahren. Gaubil Tr. p. 137 sagt, er glaubte irrig die
Zeit Tai-faVs durch Vergleidiung der Winter-Solstize b^tim*
nen zu können. Tschhing-thang regierte nach ihm 13 Jahre,
Wn-wang, der Sohn Wen-wang's, besiegte den lotsten Kaiser
dieser 2. Dynastie Scheu und gründete die 3. Dynastie
Tsdieu. Wu-wang regierte 7 Jahre, dann irar Tscheu-kutg
(sdn Brader) 7 Jahre Regent und darauf folgte Wu-wang*s
15) Niekt 629 Jshre, wie Legge ProL T. III p. 86 sagt
48 SUemg äer phüos.-phüol. Omm fnm 1. Juni 1867.
Sohn Tsching-wang SO Jahre; die 3. Dynastie Tsohea daaerte
anter 36 Kaisern 867 Jahre nach f. 21 ▼. Die Daaer der
3. Dynastie Tscheii, sagt Gaubil .Tr. 136, entnahm er, wie
er sagt, den Annalen. der Fürsten von Lu — die er voll-
ständiger giebt, als der Sse-ki bis znm Stifter. Vom Anfange
des «Tschhün-thsieu oder Lu Yn-kung A. 1 (722 v. Chr.)
bis Wu-wang A. 1 rechne er 400 Jahre; wie der Sse-ki,
setzte er den also 1122 v. Chr. B. 21 f. 19 sagt er: „Von
Pe-kin in Lu, dem Sohne Tscheu-kung^s, bis zum Tschhün-
thsieu sind 386 Jahre. — Vom 1. Jahre (Yn-knng^s) auf-
wärts bis zum AngrifiFe auf Scheu sind 400 Jahre.^' Thsin
Tschao-wang A. 51 begann nach f. 21 v. die Vernichtung
Tscheu's. 5 Jahre war kein Kaiser. (Thsin) Hiao-wen-wang
regierte 1 Jahr; nach dem Ende der Tsoheu Thsin
Tschuang siang-wang 3 Jahre, Schi hoang-ti dapn 37, sein
Sohn Bukschi noch 3 Jahre, im Ganzen die D. Thsin 5 Ge-
sdilechter 49 Jahre ; mit ihm ging die 4. Dynastie zu Grunde,
auf welche die 6. Dynastie Han folgte.
In der Geschichte der Gst-Han wurde Pan-ku yorge-
worfen, die Dauer der 3 Dynastien zu lang angesetzt zu
haben, man sagt aber nicht, in wie ferne und aus welchem
Grunde das behauptet wurde; es sdieint, dass man seine
-Annahme der Dauer der 2. Dynastie zu lang fand. Dem
Pan-ku folgten unter den Ost*Han Tschao-ki in seinem Com-
mentar zum Meng-tseu, im Ganzen nach Gaubil auch Hoang-
ftt-mi (t 282 n. Chr.), nach p. 145 Tsiao-tscheu zu Ende
der 8 Reiche; nach p. 155 Sse-ma-kuang (f 1086), nach
p. 161 Su-tseu aus der Dynastie der spätem Sungu. s.w.
Hoang-fu-mi, der kurzyor der Entdeckung desBambn-
•buohes starb, schrieb nach Gaubil Tr. p. 142 einen Abriss
des Lebens mehrerer berühmten Chinesen Ton Tao bis aaf
seine Zeit (Kao See tschuen) und eine Cihronik der Kaiser
und Könige (Ti-wang Schi-ki); ein Anhänger der Tao-sse
habe er deren Fabeln fiber die Geburt der Kaiser , aber
UM*: Cknmolog. OrtmUage der alten ehines, Qe$Mekie. 49
nicht ihre phantastische Chronologie; er gebe die meisten
Begienmgsjahre vom Ende der 8. Dynastie Tscheu aufwärts
bis Sdhin-nung, man wisse nicht aas welcher Quelle und eben-
sowenig, auf welchen Grund hin, er das erste Jahr Yao's
merst mit dem Cykluszeichen Kia^tschin bezeichne; — die
Stdle hat der I-sse B. 9 f. 1 — die Cykluszeichen der
Regierungen, die man von ihm anfiihre, stimmten nicht mit
den Totalsummen dieser Regierungen; dies letztere Werk
desselben ezistire jetzt nicht mehr, sondern nur Fragmente
davon bei andern Geschichtschreibem ; sein anderes Werk
existire noch, enthalte aber nichts chronologisches. Die
Dauer der 3. Dynastien ist nadi Gaubil bei ihm, wie bei
Pin-ku, nur einige Jahre länger. Ich finde von ihm nur
die Dauer der Dynastie Tscheu beim Scholiasten zum Sse-ki
B. 4 f. 33 V. angegeben : 37 Könige in 867 Jahren, wie bei
Pan-ku. Vor Yao nimmt er viele Regierungen an, darunter
Fa-hi mit 110 Jahren (im I-sse B. 3 f. 4), Schin-nung mit
120 Jahren (B. 4 f. 5 v.), Hoang*ti und Schao-hao jeden
mit 100 Jahren (B. 5 f. 30 v. und 6 f. 20) u. s. w. Doch
brandien wir in die Einzelheiten dieser Vorzeit hier nicht
einzugehen. Legge Prol. T.III p. 77 hat seine Angabe über
die angebliche Bevölkerung Ghina's unter Yü schon der
Kritik unterworfen, und wir haben anderweitig in unserer
Abhandlung über die Glaubwürdigkeit der ältesten chinesi*
8dien Gesdiichte Sitz.-Ber. 1866 I 4 S. 571 ig. davon schon
gesprochen. -- . Auszüge aus dem Eao sse tschuen hat der
I-sse B. 119 f. 22 v. u. s. w.
Spätere Angaben über die Dauer der 3 ersten Dy-
nastien beruhen wohl, wie schon zum Theil die Pan-ku*s, nur
anf astronomischen Annahmen , auf welche wir unten noch
za sprechen kommen. Zur Zeit von Tsin Hoai-ti, sagt Gaubil
p. 145, hatte man eine Steintafel, auf der die Jahre von Yao
bis Hoai-ti (309 n. Chr.) zu 2721 Jahren angegeben waren.
Der Astronom Yü-hi, der Zeitgenosse Tu*yü's, unter derD.
[1867. n.l.] 4
50 SUsung der phOoi.'phiM. (Hasse vom t Juni 1867.
Tsin (2 66 — 420), rechnete Ton Yao bis zu seiner Zeit 2700 Jahre ;
der Bonze und Astronom Y-hang unter Thang Hiuen-tsnng
(seit 713) setzte das erste Jahr von Yao 2320 v. Chr., das
erste Jahr von Yii oder der Dynastie Hia 2170 v.Chr. Der
Dynastie Hia gab er 432 Jahre, der 2. Dynastie Schang
628, nur 1 Jahr weniger als Pan-ku. Wu-wang's erstes Jahr
zu Anfange der 3. D. Tscheu setzte er 1111 v.Chr. s. S. 68.
Schao-yung (f 1077) gab nach Gaubil der Dynastie
Tscheu dieselbe Dauer wie Pan-ku. Der 1. und 2. Dynastie
gab er einige Jahre mehr.
Hiü-heng unter Kublai (seit 1280) folgte ihm nach
Gaubil Tr. p. 165 in der Chronologie und rechnete die
Dynastie Hia vom Tode Schün's 441 Jahre, von Yü's An-
nahme zum lliitregenten aber 457 Jahre, die Dauer der
der 2. Dynastie Schang 644 Jahre, die der 3. Dynastie
Ticheu 874 Jahre, immer nach astronomischen Annahmen.
Ihm folgte Ma-tuan-lin(t 1322). DerTseu tschi tungkien
kang mu, aus der Zeit der Dynastie Ming, rechnet B. 4 f. 35 v.
(vgl. Gaubil p. 173) die Dynastie 1 Hia Yü 439 Jahre, von
2206 V. Chr. mit dem Cykluszeichen Ping-tseu an, die Dynastie
2 Schang B. 6 f. 35 zu 644 Jahre, seit 1766 v. Chr. mit
dem Cykluszeichen (Y-wey) an, die 3. Dynastie Tscheu 874
Jahre seit 1122 v. Chr. mit dem Cykluszeichen Y-mao.
Ueberblicken wir alle diese Angaben über die Dauer
der 3 ersten Dynastien, so finden wir keine sichern
Angaben. Die ältesten Angaben sind nur runde Summen
von Nichthistorikem. Sse-ma-tsien, der erste bekannte
Geschichtschreiber China's, hat gar keine Angabe über deren
Dauer. Pan-ku giebt nur gelegentlich eine, man weiss aber
nicht, worauf sie beruht. Im älteren, aber erst später auf-
gefundenen Bambubuche giebt nur eine Note die Summen
der 1. und 2. Dynastie, und sie stimmen weder mit den
Jahren der einzelnen R^erungen, noch mit den, wie man
meint, erst später zugesetzten Cykluszeichen und alle diese
Flaih: Chrondlag. Orundiagß der aUe» «Mnes. (hBehkikU. 51
?erschiedenen Angaben weichen von einander ab, so audi
spatere, die mm Theil erst auf astronomischen Bestimmungen
bemhec. Wir müssen nun 2. die Jahresangaben der ein-
zelnen Regierungen vergleichen.
Wir beginnen mit der 3. Dynastie, In der spä-
tern Zeit lassen die gleichzeitigen Geschichtswerke keinen
Zweifel übrig. Aach die Regierungsjahre der 4. Dynastie
Thsin stehen fest Die Jahre sind schon oben S. 48 angegeben.
Wir geben zunächst die Liste der Kaiser mit den
Jahren ihrer Regierung a) nach der recipirten Annahme
des Thung kien kang mu b) nach dem fiambubuche.")
a) Wu 7 Jahre, Tsching 37, Khang 26, Tschao 51, Mu 55,
b) 6 37 26 19 55
a) Kung 12, Y 25, Hiao 15, I 16, Li 51, Siuen 46, Yen 11,
b)
12
25
9
8
16
46
11
a) Phing
51,
Haan
28,
Tschaang 15,
Hi
5,
Hoei
25,
b)
51
23
15
Li
5
25
a) Siang
33,
Khing
6,
Khnang
6, Ting
21,
Kien
u,
b)
33
6
6
21
14
a) Ling
27, ]
Siog 25,
King 44, Yuen 7,
, Tsching-ting
28,
b)
27
25
• 44
7
28
a) Khao
15,
Wei-lie
24,
, Ngan
26, ]
Lie
7,
Hien
48,
b)
15
24
26
7
48
a) Schin-tsing
6, Nan 59.
b)
6 Yn
16) Nachdem de Guignes dasBambubnch vom Schu-king schon
bis znm Ende dieses 697 y. Chr. ausgezogen hatte, hat Biot Joum. As. 1841
Ser. ni. T. 12 und IS nach 2 Sammlungen %& übersetzt und Legge
Prol. T. III p. 108 — - 176 den chinesischen Text dann mit den An»
merkimgen und einer Uebersetzung ToUst&ndiger herausgegeben. Wir
benutzten noch eine kleine Ausgabe der Staatsbibliothek. Der I-sse
giebt Auszuge daraus unter dem Titel Ki-nien, scheint B. 26 f. 1 bei
Tflchao-wang aber ein noch vollständigeres Exemplar benutzt zu
Ittben. Der Schluss der Chronik ergiebt seine Abfassung unter Yn*
vaikg s. S. 52.
4*
52 SiUmig der phOoB^-phiM. CkMe mn» 1. Jtmi 1867.
Was nun zunächst die Nam en und die Folge der Kaiser
betrifft, so sieht man, dass die des Bambubuches fast überall
mit den recipirten, wie sie schon im Sse-ki vorkommen, über-
einstimmen; im Bambubuche haben wir nur Li statt Hi, was
aber auch im Sse-ki B. 4 f. 23 ?. sich findet, und der Scho-
liast sagt: jenes laute hier HL Dann lautet der Name des
letzten Kaisers Yn statt Nan im Sse-ki. Eine Note zum
Tschu-schu p. 175 bemerkt, diess müsse daher kommen, dass
beide Charaktere ähnlich lauteten.
Was dann die Regierungsjahre betrifft, so endet die
Chronikdes Bambubuches mitdem 20. Jahre „unseres jetzigen
Kaisers [Yn] (kin-wang)''. Der Sse*ki B.4f. 33 fg. giebt dem
letzten Kaiser Nan 59 Jahre und lässt dann die Dynastie Tschea
7 Jahre darauf yernichtet werden. Was die früheren Kaiser
betrifft, so stimmen, wie man sieht, bis Siuen-wang aufwärts
auch die Regieruugsjahre im Bambubuche mit der recipirten
Annahme und auch mit den Sse-ki ganz oder bis auf eine unbe-
deutende Differenz, wie Gaubil Tr. p. 234 bemerkt, übereio.
Der Sse-ki giebt Siang 32 Jahre, King 42, Yuen 8,
das Bambubuch 33 44 7;
das erste und letzte Jahr gleichen sich aus ; der Unterschied
ist also nur 2 Jahre. Auch die Gykluszeicben stimmeo
überein.
Weiter hinauf gibt der Sse-ki die Regierungsjahre der
Kaiser der 3. Dynastie eben so wenig als die der 1. and
2. Dynastie an, nur Wu-wang giebt er 2, Mu 55 und Li
37 Jahre. Gaubil p. 127 sagt, er wisse nicht, woher er
diese 3 Zahlen genommen habe. Wenn er Wu nur 2 Jahre
giebt, so ist dies offenbar falsch und beruht auf Schu-king
V, 6, 1: ,.2 Jahf-e nach der Eroberung Schang's erkrankt«
der König (Wu)", da das Folgende ergiebt, dass er nachdem
wieder genass. üeber die 37 Jahre Li-wang's s. S. 65.
Von den Begierungsjahren der ersten 10 Kaiser der
Dynastie Tscheu weichen nun aber namentlich 4 bedeutend ab.
PEaft: Ckronohg. Grundlage der cMen chmes. QwMehU. S8
Nadider recip. Annahme a) Wu 7, Tschao 51, Hfao 15,
im Bambubuche b) 6 19 9
a) I 16, Li 61 Jahre.
b) 8 26.
Wir wissen weder, worauf die Angabe des Bambubuches,
noch worauf die später recipirte Angabe sich stützt. 7 Jahre
geben Wu Pan-ku B. 21 f. 17 v (vgl. Gaubil Tr. p. 135),
ebenso Knan-tseu und Y-hang später nach Tr. p. 228.
Einige dieser Abweichungen könnte man durch einen
Ausfall oder eine Verwechslung der zum Theil ähnlichen chine*
dschen Zahlzeichen ausgleichen, aber man weiss nach Ver*
gleichung der blossen Regierungsjahre nicht, welcher Zahl
man den Vorzug geben soll. Die Cykluszeichen stimmen
natürlich hier im Bambubuche mit der redpirten Annahme
auch nicht. Von Gaubils Aushülfe s. unten S. 66.
Seit der Regentschaft Kung* ho war die Kaisermaohtgesehwächt;
mehrere grössere Yasallenreiche bildeten sich. Sie hatten, wie bemerkt,
«ach eigene Geschichtschreiber und so begreift sich, wie wir in Sse*ki
neben der Kaiserchronik B. 1 bis 5 eine Chronik der vomehmstea
einzelnen Yasallenfarsten B. 31 — 47 vgl. I-sse B. 28, mit Angabe der
Begiemngsdauer einer jeden haben. Da in der Geschichte der ein-
zebien Reiche immer auf andere Bezug genommen wird> so gewähren
diese Angaben in der Geschichte der verschiedenen Reiche eine Con-
trolle und Bestätigung der einzelnen chronologischen Angaben nach
841 V. Chr. So bemeikt Gaubil Tr. p. 209, dass wenn im Sse-ki Lu Pen-ki
B. 33 £ 21 V. Confucius Tod unter Lu Ngai-kung A. 16, d. i. 479 v. Chr.,
im Tshin Pen-ki B. 5 f. 15 aber desselben Tod unter Tshin Tao-kung
A 12 gesetzt werde, diess wieder das Jahr 479 ergebe, und so wird
namentlich die Zeit der Regentschaft I(ung-ho in den einzelnen
Chroniken wiederholt übereinstimmend angegeben. Der AnfSang, wo den
Kamen der einzelnen Fürsten, deren Ursprung meist bis auf den
Stifter der 3. Dynastie hinaufgeht, die Jahre ihrer Regierung beigesetzt
Bind, ist in verschiedenen Reichen verschieden. Am weitesten gehen
sie hinauf im Reiche Lu in Schau- tung. De Mailla's Regententafel
T. 1 giebt die sämmtlichen Fürsten von Tscheu-kung mit 7 Jahren
und seinem Sohne Pe-kin mit 53 Jahren an; der Sse-ki B. 33
f. 7 hat für beeide keine Angabe der Jahre ; nur die Note sagt: Tsching*
54 SüMung der pMo$.'ph%loL CIobh wm 1. Juni 1867.
wang A. 1 belehnte Pe-kin and dieser starb im 46 Jahre unter Kaiser
Kang-wang A. 16; 37 und 16 Jahre geben 53 Jahre and so hat der
Ti-wang Schi-ki and Han-schu im I-sse B. 28 f. 1. Am Schiasse der
Chronik von La, sagt der Sse-ki 83 f. 23 nnr: von Tschea-knng bis
sam letsten Fürsten Khing-knng waren 34 Generationen; Pan-ku
B. 21 hia f. 18v. — 21y. ^ebt, wie gesagt, die Reihe der Fürsten
von La mit den Jahren ihrer Regierang vollständiger als der Sse-ki,
n&mlioh von An&ng an, nach Ganbil Tr. p. 135 wohl nach später
noch erlangten Qaellen ; s. oben S. 48.
Im Reiche Thsin in Scfaen-si giebt de Mailla dem Thain-Yng
40 Jahre; der Sse-ki K 5 f. 4 fg. hat aber erst beim folgenden Thsin-
hea 10 Jahre.
Im Reiche Thsi in Schan-tnng virar der Stifter der Dynastie
Thai-knng; seinen Tod setzt das Bambnbach anter Khang-wang a. 6.
Die Regierangsjahre seiner Nachfolger giebt aach de Mailla nicht, bis auf
Ha-kang mit 19 Jahren; der Sse-ki B. 82 f. 6, S B. 40 hat erst dessen
Nachfolger Hien-kang mit 9 J. and dann die folgenden. Hier mag noch
bemerkt werden, dass nach Ganbil Tr. p. 112 Yo-y, der Feldherr Yen's,
als er 280 v. Chr. dis Haaptstadt Thsi's einnahm, in einer Denkschrift
an den Fürsten von Yen sagt: man habe die Schätze genommen, die
dort seit 800 Jahren anfgehäoft warden. Darnach fiele die Gründung
der Stadt anter Thai-knng 1080 v. Chr. Ich habe die Stelle noch
nicht gefanden, indess sieht man, ist anf diese rande Zahl in einer
militärischen' Denkschrift nicht viel zn geben.
Das Reich Yen in Pe-tschi-li nahm im Ganzen wenig Antheil an
den Begebenheiten China's. Der Sse-ki 6. 34, S. B. 41 kennt den
Stifter Kang-scho , aber erst von dessen 10. Nachfolger Hoei-kang mit
88 Jahren führt er die Jahre an, in seinem 23 Jahre fiel die
Flacht Kaiser Li-wang's and der Anfang der Regentschaft Enng-ho,
^von welcher überhanpt erst die genaneren chronologischen Angaben
datiren. Pan-ka B. 20 f. 32—68 fg. giebt bei der Zasammensteilung
der Kaiser and Vasallenfärsten der Sten Dynastie — and zwar nnr
bei Yen — bei jedem Fürsten die Zahl der Geschlechter an; der
Letzte ist der 43te.
Der Stifter des Reiches Tsin. in Schan-si war Thang-sefao,
Wa-wang's Brnder, aber von seine 5 ersten Nachfolgern gibt der
Sse-ki B. 39, S. B. 48 wieder bloss die Namen, ohne Angabe ihrer Be-
gierangsjahre. Der erste mit solchen ist Tsin-hea mit 18 Jahren,
da in seinem 17. Jahre die Flacht Li-wang's fällt. Später traten an
Tsin*8 Stelle die 8 Reiche Tschao (Sse-ki B. 43), Wei (B. 44) nnd
Ban (B. 46). Das Geschlecht der Fürsten von Tschao wollte r^^
PUOh: Chnmohg. Grundlage der alten Mnee. GetehiMe. 55
dem Ste-ld yom alten Kaiser Tschnen-hiü (2800 t. Chr.) abstammen;
einige Ahnen werden genannt, so Tsao-fu, der Wagenlenker nnter
Tschea Mn-wang (950 v. Chr.); sein 6ter Nachfolger rettete Kaiser
Siaen-wang das Leben. Abhängig von Tsin, wurden die Fürsten
dieser 3 Reiche erst später selbstständig; es ist daher nicht nöthig,
in ihre Chronologie weiter einzugehen.
Ein anderes Wei, — verschieden geschrieben, — (Sse-ki B. 87
Sitz.-Ber. B. 41) lag in Ho-nan und stand unter Nachkommen Ehang-
scho's, eines Bruder Wu-wang's. Auch hier sind die 6 ersten Nach-
folger im Sse-ki ohne Angabe der Begierungsjahre, erst Khing-heu
hat solche mit 22 Jahren.
Wir brauchen in die Chronologie der andern kleinen Beiohe
Tsai, Tschin (Sse-ki B. 48), Khi, Sung(B.88), Hifi und Tsching
(B. 42), alle in Ho-nan und Tsao in Schau- tung u. s. w. hier nicht
weiter einzugehen; es genügt die Bemerkung, dass die Angaben der
Regiemngsjahre ihrer Fürsten alle nicht höher hinauf gehen.
In Hu-kuang war später das bedeutende Beich Tschu oder Tsu
i Sse-ki 6. 40, S. B. 44),de8senFürsten auch ihr Geschlecht vom alten Kaiser
Tschuen-hitt durch Hiung-yn, dem Zeitgenossen des Stifters der
3. Dynastie, herleiteten. Seine 4 Nachfolger sind ohne Angabe der
Begienmgsjahre; erst der 5te Hiung-khiü hat bei Mailla 10 Jahre, im
Sse-ki f. 4 aber erst dessen 3 ter Nachfolger Hiung-yung 10 Jahre und
dann die folgenden.
Die Fürsten des Beich es U in Kiang-nan leiteten nach dem
Sse-ki B. 31 ihr Geschlecht von Thai-pe, dem Oheime Wen-wang's, ab,
aber sie treten erst sehr spät in der chinesischen Geschichte auf,
nemlich mit Scheu-mung (585 bis 560) und schon unter dessen 6ten
Nachfolger Fu-tscha wurde das Beich von Yuei erobert. Von den
Vorgängern Scheu-mung*s hat man nur die blossen Namen. Der
WkiB. 31 f. 8 rechnet von Thai-pe bis Scheu-mung 19 Generationen.
Pan-ku B. 20 f. 44 v. rechnet von Scheu-mung bis Tschung-yung, dem
Nachfolger Thai-pe's, aufwärts nur 15 Generationen.
In Tsche-king war das Reich Yuei (Sse-ki B. 41, Sitz.-Ber. 44).
Der Ahn der Fürsten soll ein Sohn von Schao-khang von der ersten
Dynastie gewesen sein.' Das Reich tritt aber auch erst spät in die
Geschichte ein. Yon Wu-yü giebt der Sse-ki 20 Generationen bis
Tan-tsohang; bedeutend wurde es aber erst unter dessen Nachfolger
Ken-tsien seit 496 v. Chr. Erst von ihm und seinen Nachfolgern
werden die Regierungsjahre angemerkt. Pan-ku B. 20 f. 65 rechnet
Tom letzten Könige Wu-kiang bis Keu-tsien 10 Geschlechter, der
56 SÜMung der phüoi.-phüol. C^atK vom 1 Juni 186T.
Sse-ki B. 41 f. 6 giebt von 5 Nachfolgern bis Wn-kiang die blossen
Namen; das Bambnbuch auch ihre Regierungsjahre.
Nach Tschao-hao, dem Verfasser der Geschichte vonll undYuei
(ü Yuei Tchhün-thsieu) aus der Zeit der Ost-Han (26—220 n. Chr.)
bei Gaubil Tr. p. 140 endete das Reich Yuei 224 Jahre nach dem
27ten Jahre von Keu-tsien, d. i. nach der Geschichte von Lu 470 v. Chr.,
also wurde das Reich vernichtet 246 v. Chr. Nach Tschao-hao hatte
Kaiser Schhao-khang (der 6te der Dynastie Ilia) das Land Yuet seinem
Sohne Wu-yn gegeben und dessen Nachkommen regierten es nach
ihm 1922 Jahre. Vom ersten Jahre Schhao-khang's bis zum ersten
Jahre von Kaiser Tschuen-hiü waren nach ihm 424 Jahre verflossen,
also bis zum Ende des Reiches 2346 und Tschuen-hiü erstes Jahr
wäre darnach 2592 v. Chr. Der Sse-kiB. 41 f. 1, Bits -Ber. 44 p. 198 fg.
sagft, dass Keu-tsien's Vorfahren Nachkommen Yü*s waren, und dass
der Kaiser der Dynastie Hia Schhao-khang seinen Sohn mit Hoei-ki
belehnt habe, um die Opfer, die Yü dargebracht wurden, fortzu-
setzen und über 20 Generationen später habe Yün-tschang gelebt.
Der Scholiast führt dasselbe aus den üYuei Tschhün-thsieu an, —
vollständiger steht die Stelle im I-sse B. 18 f. 8 v. — Der Sohn
Schhao-khang's heisst da Wu-yü, aber beide haben nicht die Zeitangabe
Gaubils Nach der Geschichte von Hoei-ki hiess dieser SohnYü-yuei:
das ist aber der Name' des Landes. Nach einer andern Nachricht
beim Scholiasten zum Sse-ki f. 1 v. waren über 30 Geschlechter (Ye,
eigentlich Blätter) der Fürsten von Yuei bis unter Kaiser King-wang
' (618 bis 474) der Sohn von Yün7tschang (starb 495) bedeutend wurde.
Auch in I-sse B 96 Yuei mie U finde ich die Zeitangabe Gaubils
nicht und sie hat wohl wenig Werth, da, wenn die Abstammung
der Fürsten von Yuei von Schhao-khang auch sicher wäre, die Zeit-
angabe wohl erst aus der angenommenen Zeitbestimmung Schhao-
khang's abgeleitet ist.
Wir kommen nun zur 2. Dynastie Schang oder Yn.
Die wenigen Stücke im Schu-king betreffen nur den Stifter
Thang (IV 1—3), seinen 2. Nachfolger Thai-kia (IV 4—6),
den 19. Pan-keng (IV, 7), den 22. Wu-ting (oder Kao-tsung)
(IV, 8 und 9), endlich den letzten Ti-sin oder Scheu, unter
welchem die Dynastie von den Tscheu vernichtet wurde
(IV, 10).
Wir geben wieder erst die Liste der Kaiser mit deu
IHath: Chrondlog. Qrundlage der dten chines. Geachiehie. 57
Jahren ihrer Regierung a) nach der recipirten Annahme im
Tong-kien-kang-mu B. 5 f. 1 fgg. und b) nach dem Bambu-
buche.
a) Thang 13, Thai-kia 33,
b) 12*^ Wai-ping2,T8chung.jin4, 12
a) Yo-ting 29, Thai-khang 25, Siao-kia 17, Yung-ki 12,
b) 19 Siao-keng 5 17 12
a) Thai-meu 75, Tschung-ting 13, Wai-jin 15, Ho-than-kia 9,
b) 75 9 10 9
a) Tsu-y 19, Tßu-sin 16, Yo-kia 25, Tsu-ting 32, Nan-keng25,
b) 19 14Khai-kla5 9 6
a) Yang-kia 7, Pnan-keng 28, Siao-sin 21, Siao-y, 28,
b) 4, .28 3 10
a) Wu-ting 59, Tsu-keng 7, Tsu-kia 33, Li n-Bin6, Keng-ting 21,
b) 59 11 33Fung-8in4 8
a) Wu-y 4, Thai-ting 3, Ti-y 38, Scheu-8in32.
b) 35 Wen-tingl3 9 Ti-sin 52.
Was zunächst die Namen der Kaiser und deren Folge
betrifft, so sieht man, sind diese bis auf wenige wieder über-
einstimmend, nur zwischen dem Stifter Thang und Thai-kia
hat das Bambubuch, wie der Sse-ki nach Meng-tseu, noch
die 2 kurzen Regierungen Wai-ping 2 Jahre und Tschung-
jin 4 Jahre. Der Schu-king erwähnt sie nicht und desshalb
bat man sie später wohl ausgelassen. Die Stelle des Meng-
tseu V, 1, 6, 5 lautet: „Yü stand Thang bei, so dass er
Kaiser (Wang) wurde über das ganze Reich. Als Thang
gestorben war, war Thai-ting (bereits todt) nicht auf den
Thron gelangt, Wai-ping 2 Jahre, Tschung-jin 4 Jahre."
17) Wenn das Bambubuch p. 129 Tscbbing-thang in seinem 18. Jahre
Knei-bai den Tbron besteigen lässt, so sind die Jahre da nach dem
Antritte seiner Herrschaft in seinem Fürstenthmne Sohang gerechnet
58 Siteung der phüoa.'pUilol. Glosse wm 1, Juni 1867,
Einige verstehen nun : bo lange regierten sie, andere aber:
sie waren erst 2 und 4 Jahi*e alt und desshalb folgte der
ältere Thai-kia. Meng-tseu fährt fort: „Thai-kia stürzte die
Verordnungen und Gesetze von Thang um. Y-yn entfernte
ihn daher 3 Jahr in den Palast Thung/^ Die Chinesen sind
selber nicht einig, welche von beiden Erklärungen die bessere
sei. Von den andern Namen sind eigentlich nur Thai-
kbang und Siao-keng, Yo-kia und Ehai-kia, dann
Li n -sin und Fung-sin, diese 2 nur im ersten Charakter ab-
weichend. Was Siao-keng betrifft, so könnte das Siao im
Bambubuche statt Thai aus dem folgenden Siao-kia ver-
dorben sein, wenn nicht einer zur Unterscheidung der beiden
Siao in der recipirten Annahme statt Siao klein, Thai gross ge-
setzt hat. Ehang und Eeng, im 2. Gliede, liessen sich bei
der Aehnlichkeit der beiden Charaktere (2535 u. 2512) und
Laute leicht verwechseln. So mag auch der Unterschied
zwischen Wen-ting und Thai-ting bloss auf einer Ver-
wechslung der beiden ähnlichen ersten Charaktere (Cl. 67
und Nr. 1799) beruhen. Wenn der letzte Eaiser im Bambu-
buche Ti-sin statt Scheu-sin heisst, so ist diess keine Ab-
weichung ; Ti heisst bloss der Eaiser, Scheu war sein Name.
Welcher von den abweichenden Namen der richtige ist, ist
schwer zu sagen, auch von keiner grossen Bedeutung. Der
Kue-iü I 1 80 v. sagt Ti-(Tsu)-Kia verwirrte Schang und in
der 7ten Generationen (ihn inbegriffen) ging die Dynastie zu
Grunde. Diess stimmt zu beiden Angaben.
Aber sehr abweichend ist die Zahl der Regierungs-
jahre in beiden Listen, wie man sieht. Der Sse-ki giebt
bis auf den Stifter, wie bemerkt, gar keine Regierungsjahre
und woher die abweichende Jahresangabe in der recipirten
Annahme genommen ist, weiss man eben so wenig, als wo-
her die des Bambubuches. Gaubil Tr. p. 120 sagt, die
Liste der Eaiser des Bambubuches von Nan-wang aufwärts
bis Hoang-ti ist conform der des Buches Schi-pen aus dem
Pkah: Ckrmdog. Grundlage der alten eftttie». Qe$chichU, 59
Ende der Dynastie Tscheu, aber er sagt, er habe das Buch
selber nicht gesehen und kenne es nur aus Citaten; es ent-
halte Genealogien von ELaisern, FUrsten und angesehenen Per-
sonen ; die Genealogien kritisirten die Chinesen , aber die
Listen der Kaiser habe noch keiner in Zweifel gezogen;
der Schi-pen gebe Schao 84 Jahre, setze den Gyklus von
60 Jahren schon unter Hoang-ti, vor dessen Zeit Schin-nung
und Fu-hi regiert hätten." Diess Alles spricht nicht beson-
ders für dessen GlanbwUrdigkdt. Uns steht dieses Werk auch
nicht zu Gebote. Der I-sse giebt eine Menge kurze Stellen
daraus; B87, 1 f. 3 v. u. 101 f. 1 wohl Genealogien, aber nur B. 28
f. 8 V. Zeitangaben der Regierungen der Fürsten von Khi; ich
wdss also nicht, ob Gaubil recht berichtet war, seine histo-
rischen Angaben bewähren sich sonst immer. Im Schu-king
V, 15, 4 und daraus wohl im Sse-ki B. 83 f. 5 fg. giebt
Tschen-knng, wie schon gesagt, dem Kaiser Tschung-tsung
oder Thai-mcu eine Regierung von 75 Jahren, Kao-tsung
(Wu-ting) von 59 Jahren, Tsu-kia von 33 Jahren und die-
selben Jahresangaben haben beide Listen. Spätere Kaiser,
sagt er, ergaben sich den Vergnügen und regierten daher
nur 10, 7 — 8, 5—6, 4 — 3 Jahre. Welche diese sein sollen,
ist aus den Listen nicht ersichtlich, eher frühere.
Einige Abweichungen in Zahlen könnten leicht verschrieben
sem, indem ein Zahlzeichen (2 — 5 — 10) hinzugesetzt oder weg-
gelassen worden; so wenn Yo-ting29 und 19, Thai-khang (oder
Siao-keng) 25 und 15, Wai-jin 15 und 10, Yo- (oderKhai-) kia
25 und 15 Jahre, endlich Thai- oder Wen-ting 3 und 13 Jahre
beigelegt werden; es ist aber aus den beiden Listen allein
uicht zu entnehmen, welche Zahl die richtige sei, und das
umso weniger, als die Summen der Jahre der ganzen Dynastie,
wie wir sahen, so verschieden, von Meng-tsen zu mehr als 500,
bei Tso-schi zu 600, von Yo-tseu ohne dem letzten Kaiser
Scheu zu 576, von Pan-ku zu 629 Jahren angegeben wird
ond die Cykluszahlen des Bambubuches und die Jahre der
60 Siteung der philM.'phnol. Oasse wm 1. Jmn 1867.
einzelneD ßegierangen mit der Gesammtsiunme der Noten
auch nicht stimmen, indem jene 508, diese nur 496 Jahre
angeben. Gaubil Tr. p. 237 fg. meint es seien im Bambubuche
auch bei der Dynastie Schang die Jahresangaben verdorben.
Es bleibt uns noch die erste Dynastie Hia. Im
Schu-king haben wir wieder nur wenige Dokumente, aus
der Zeit der ersten Dynastie; ausser den ersten Kapiteln, die
Yao, Schün und Yü betreffen, geht III, 2 auf seinen Nach-
folger iOii, III, 3 auf Thai-khang und III, 4 auf Tschung-
khang.
Wir stellen auch hier erst wieder die beiden Listen,
die recipirte nach dem Thung kien kang mu B. 4 f. 7 — 25
und die des Bambubuches einander als a und b gegenüber;
da die Gykluszahlen bei dieser Dynastie aber von den Be*
giemngsjahren im Bambubuche abweichen, und an diese Fre-
ret T. 14 p. 97 sich hält, setzten wir diese noch als c hinzu.
a) Yü8, Khi 9, Thai-khang 29, Tschung-kfaanglS, Siang27,
b) 8 16
4 7 28
c) 11 20
6 9 28
a) UsurpatioQ 40,
Schao-khang 22, Tschu 17, Hoai 26,
b) 40
21 17 Fen 44
c) 40
23 19 44
a) Mang 18, Sie
16, Pu-kiang 59, Pien 21, Kin 21,
b) 58
25 59 18 8
c) 59
28 59 21 16
a) Khung-kia 31, Kao 11, Fa 19, Kuei 52.
b) 9 Hao 3 7 31.
c) 35 5 7 31.
Die Namen der Kaiser, sieht man, stimmen auch hier
wieder fast bis auf einen Hoai, wofür das Bambubuch Fen
hat, überein. Kao und Hao lauten so ähnlich, als die beiden
Charaktere (8670 u. 3888) es sind ; welcher der rechte sei, lässt sich
aber schwer sagen. Auch die Folge der Kaiser steht fest Der
PkUh: ChrotwU^. Grundlage der alten chines. Geschichte. 61
Kae>iü I, f. 30 v. sagt: Khai)g«kia verwirrte Hia nnd in
der 4teD Generation (ihn inbegriffen) ging die Dynastie zu
Grunde. Diess stimmt wieder mit den Listen.
Was aber die Regierungsjahre der einzelnen Kaiser
betriff);, so jst hier die Uebereinstimmung der beiden Listen
noch geringer als bei der 2. Dynastie. Sie fiodet sich nur
beim Stifter Yü, bei Tschu, bei Pu-kiang und der Usur-
pation. Bei Siang ist der Unterschied von 27 und 28 Jahren
gering und gleicht sich aus durch Schao-khang's 22 und
21 Jahre; wenn Mang 18 und 58 Jahre hat, könnte eine
Zahl verschrieben sein. Aber diess genügt nicht zu zu einer
dehem Herstellung der Listen, da im Bambubuche, wie
Legge p. 181 bemerkt, die Cykluszahlen^®) und die einzelnen
Regierungen nicht stimmen und eben so wenig die Summe,
welche die Note angiebt. Diese hat p. 127: 471 Jahre, die
Cykloszeichen geben nur 431 , die Regierungsjahre nur 403.
18) Za bemerken ist, dass im Bambabuche und zwar nur bei der
1. Dynastie Hia nach P^rerefs Bemerkung B 14 p. 92 fg. bei 15 Re-
gierungen die cyklische Note des Regierangsanfanges eines Kaisers
nicht die auf der des letzten Jahres seines Vorgängers folgende ist,
sondern ein Zwischenraum bei 8 Regierungen von je 8. Jahren,
beiden andern von 1 — 2 — 4 Jahren stattfindet. S. bei de Maiila
B. I p. CXLIX die Tafel, z. B. Yfi starb nach p. 118 im 8. Jahre
Jin-Uea (das ist 1981), das 1. Jahr seines Nachfolgers Khi ist aber erst
das Jahr Euei-hai (1978). Die Note sagt: Dieser trat die Herrschaft
an, als die Sj&hrige Trauer vorüber war, und eben so bei Schün und
Yü, und so erklart es auch Fröret. Bei Yao^s Tode sagt dasselbe
Ton Schün Meng-tseuY, 1, 4, 1 u. 6, 7 und bei Schunds Tode von Yü
derselbe YIl, 1, 39 und 40, 2. Wurde die Trauerzeit nicht immer
gleichmässig eingehalten oder gerechnet? In der 2. und 3. Dynastie
enthielt der neue Kaiser die 3 Trauerjahre über sich auch der Re-
gierung, die der Premier-Minister führte — so nach Lün-iü 14, 43 unter
Kao-tsnng (1323—1268), — aber sie werden nicht abgerechnet.
62 Sitzung der phihs^-phiM. Gasse vom 1, Juni 18^,
Pan-ku giebt der 1. Dynastie 432 Jahre, Meng-tseu in runder
Summe über 500 Jahre.
Yao's und Schunds Regierung vor Yü nehmen beide
Listen zu 100 und 50 Jahre nach dem Schu*king an.
So sehen wir, ist durch Vergleichung der einzelnen Re-
gierungsjahre der Listen zu einer sichern Chronologie im
Einzelnen und im Ganzen ,noch weniger zu gelangen, als
durch die der blossen Summen. Es bleibt uns nur 3. noch zu
sehen, ob die astronomischen Data und Gyklusanguben
uns nicht zu sicheren Resultaten verhelfen können, wie
die Chinesen schon vielfach versucht haben.
Zur Bestätigung der bestimmten Epochen dienen nun
die Sonnenfinsternisse, die in der spätem Zeit, wie
Gaubil Tr. p. 198 fg. bemerkt, fast immer genau nach
Jahr, Monat und Tag bemerkt sind, so dass wir sie verifi-
ziren können.
Wir übergehen die, welche Gaubil aus der Zeit der
Ost-Han am 10. Mai 31 v. Chr. und aus der Zeit der West-
Hau am 7. August 198 v. Chr. anführt; wir haben gleich-
zeitige Geschichten, welche über die Chronologie dieser Zeit
keinen Zweifel übrig lassen. Da die Geschichte der 4. Dy-
nastie Thsin sich erhalten hat, ist auch deren Chronologie
sicher. Das Ende der 3. Dynastie Tscheu wird 249 v. Chr.
gesetzt. Im Jahre nachher (248 v. Chr.) setzt der Tung
kien kang mu eine Sonnenfinsterniss im Jahre Euei-tschea
im 3. Monat; aber diese kann nach Gaubil Tr. p. 206 nicht
zur Bestimmung des Endes der Dynastie Tscheu dienen, da
wir keine astronomische Angabe aus der 4. Dynastie Thsin
haben, der Text nicht den Stand der Sonne in den Stern-
bildern angiebt und mau auch nicht weiss, in welchem Grade
einer Constellation das Wiuter-Solstiz angesetzt wurde.
In der 3. Dynastie giebt der Sse-ki, wie bemerkt, von
Kaiser Li-wang an die Regierungsjahre und von der darauf-
folgenden Regentschaft Kung-ho an stimmt das Bambubuch
JlalA: Chronohg. Grundlage der alten ehines. Geschichte. 63
ganz mit dem Sse-ki und der redpirten Annahme, auch bei
den einzelnen Regierungen. Diese lassen sich nun auch durch
die von Confiicius in seinem Tschhün-thsieu angeführten 36
Sonnenfinsternisse sicher stellen. Sie werden nach den
Jahren der Fürsten yon Lu, deren Residenz in Yen-tscheu-
fo in Schan-tung war, bezeichnet und da wir aus dem
Sse-ki auch die Namen der andern alten Fürsten kennen, so
können wir auch die Jahre dieser und der Kaiser angeben,
in welchen sie erfolgten. So soll die erste im 3. Jahre von
Lu Tn-knng am Gyklustage Ki-sse sich ereignet haben. Diese
war unter Kaiser Ping-wang A. 51 oder 720 y. Chr. am
22. Februar und da ist Morgens 10 Uhr und einige Minuten
wirklich eine bedeutende Sonnenfinstemiss in Schan-tung ein-
getreten, 8. Gaubil Obs. T. 11 p. 156 fg. Tr. p. 210 fg.
Die zwischenliegenden führt Gaubil Obs. T. III p. 239 fg.
und Lettres ed. T. 14 p. 371 auf und verificirt sie. Gialmers
bei Legge Proleg. Tr. UI p. 103 giebt eine üebersicht der-
selben, aber mit einigen Abweichungen ; einige wären darnach
freilieb in Schan-tung nicht sichtbar gewesen.
Mit dem 14ten Jahre Ngai-kung's von Lu endet die Chronik
des Confucius, sie beginnt mit Yn-kung A. 1, 242 zuYor; in
dessen 3te8 Jahr fällt der Tod Kaisers Ping-wang 720 v. Chr.
Aber über das gedachte Jahr hinaus fehlen Angabe-n von
Sonnenfinsternissen fast gänzlich, so dass die hin und
wieder ausgesprochene Behauptung, die Geschichte der Chi-
nesen beruhe durchgehens auf der Gewährleistung aufgezeich-
neter Sonnenfinsternisse, nur bis zum 8. Jahrhunderte v. Chr.
richtig ist. Aus den 2000 Jahren vor der Zeit des Tschhün-
thsieu sind nur 2 aufgezeichnet, von denen eine noch dazu
ziemlich problematisch ist. Die andere wird- in Schi-king
Siao-ya II, 4, 9 in einer Ode aus der Zeit des Kaisers Yeu-
»wang, des Vorgängers von Ping-wang — den das Lied aber
nicht nennt, — erwähnt. Es heisst da: „Kiao des 10.
Monats, am 1. Tage Sin-mao war eine Sonnenfinstemiss.^'
64 SiUung der philaB.'philol. Clasge vom 1. Jumi 1867.
^^
Eiao bezeichnet nach Ganbil Obs. T. II p. 151 i^. und Tr.
p. 215 fg. in der älteren chinesischen Astronomie die Knoten
der Mondbahn, in deren Nähe sich die Finsternisse allein
ereignen können. Nach dem Kue-iü I, f. 9 und Sse-ki re-
gierte Yeu-wang 11 Jahre und nach der Geschichte der
Thsin (Sse-ki B. 5 f. 5) fiel er in einer Schlacht gegen die
Tataren im 7. Jahre von Thsin Siang-kang 771 v. Chr.);
er kam also 781 zur Regierung. Während dieser Zeit war
aber in Si-ngan-fu , in Schen-si , der damaligen Residenz der
Dynastie Tscheu, nur eine Sonnenfinsterniss sichtbar und
zwar nach Gaubil den 6. September 776, am ersten Tage
des 10. Monats nach dem Kalender der Dynastie Tschen,
gleich dem 8. jetzigen Monate, der wirklich der Tag Sin-
mao war; diese müsse also gemeint sein. Diess bestätige
auch das Bambubuch, das am Tage Sin-mao den ersten des
10. Monats im 6. Jahre von Yeu-wang im Winter die einzige
Sonnenfinsterniss erwähnt Diese Berechnung nach P. Adam
Schall, P. Kegler und Gaubil haben auch Lacharme zum
Schi-king p. 284 und de Maiila T. 2 p. 57 ; ich weiss nicht,
wie Ghalmers p. 103 und nach ihm Legge p. 85 sie auf den
29. August 775 ▼. Chr. berechnet und dann sagt, dass sie
früh Morgens kaum sichtbar war.
Vor Phing-wang regierte nach beiden Listen Yeu-wang
11 Jahre und vor diesem Siuen-wang 46 Jahre; bei der
Regierung der 10 Vorgänger Siuen-wang's weichen die Be-
gierungsjahre in beiden Listen aber, wie S. 53 bemerkt, sehr ab,
namentlich was die Regierung des 4ten Tschao (51 und 19),
des 8ten Hiao (15 und 9), des 9ten J (16 und 8) und des
loten Li (51 und 26) betrifft.
Die Geschichte von Thsin geht bis 857 v. Chr. hinauf,
wo Thsin-heu zur Regierung gelangte. Bis Li-wang giebt
^er Sse-ki die Regierungsdauer der Kaiser übereiustimmeo(l
mit dem Bambubuche an und da die zahlreichen Angaben über
Sonnenfinsternisse im Tschhün-thsieü seit 720 diese bestätigen.
Pfafh: Chranolog, Grundlage der (üUn chinea, Oeschiehie. 65
80 kann man auch ohne Bedenken die CSironologie der 8. Dy«
nastie Tsoheu von der Regentschaft Eung-ho abwärts als
wohl begründet betrachten; sie' trat 841 v. Chr. ein, nach*
dem Li-wang im 37. Jahre seiner Regierung wegen seines
schlechten Betragens entthront worden war. Die beiden
Minister Tschao- und Tscheu-kung retteten nach der Flucht
des Kaisers den Erbprinzen vor der Wuth des erbitterten
Volkes und Tührten 14 Jahre die Regentschaft, Eung-ho ge*
nannty d. i. Eintracht und Harmonie, und übergaben dann
die Regierung seinem Sohne Siuen-wang. Die 14. Jahre zu
den 37 Jahren Li-wang's im Sse-ki geben die 51 Jahre des-
selben in der redpirten Annahme.
Die Regierungsjahre der Vorgänger Li-wang's sind aus
der Liste zu ersehen. Eine Stelle, um diese controliren zu.
können, findet sich nur in Schu-king im Eap. Pi*ming (V,
24, 1) aus der Zeit des 3ten Eaisers Ehang-wang. Da heisst
es: „in seinem 12. Jahre, im 6. Monate, am Tage Eeng*u
erschien die Helligkeit (die erste Mondphase); der 3te Tag
oacfaher war Jin-schin.'' Lieu-hin und Pan-ku nehmen den
Ausdruck, die Helligkeit erschien, wie die Chinesen allgemeii^
für den 3. Tag des Monats; der Charakter Pu oder wie
Legge lieaet, Fei kommt im Schu-king auch V, 12, 2 vor
und ist zusammengesetzt aus CI. 74 Mond und Tschu hei^
vorgehen. Die recipirte Meinung lässt Ehang-wang 1078 bis
1052 r^eren. Damach wäre diess im Jahre 1067 v. Chr.
den 16. Mai gewesen, aber da war der Cyklustag Eeng-u
kein 3ter Monatstag. Der chinesische Astronom Y-hang, im
8. Jahrhunderte n. Chr., nahm daher das Jahr 1056 v. Chr,
den 18. Mai an, wo der Neumond den 16. und der Cyklus-
tag Eeng-u der 18. Mai war und ihm folgt Gaubil Tr.
p. 223 fg. Damit stimmt aber ^gar nicht die Chronologie
des Bambubuches. Dieses setzt das erste Jahr Ehang-wang's
1007 T. Chr. und sein 12. Jahr ist also 996 (60 Jahre
spater). Diess reimt sich aber durchaus nicht mit dem
[1867. IL 1.] 5
66 SUsung der phila8.'phü6l. CUuse vom 1. Juni 1867.
Scha-king and Gaabil Tr. p. 225 und ebenso Freret T. 14
p. 113 meinen daher, man mfisde einen ganzen Gyklus von
60 Jahren hinzusetzen, — und zwar dieser in den 4 Re-
giemngen zwischen Kong- und Sinen-wang, — so erhalte
man dasselbe Jahr 1056 ▼. Chr. Das Bambnbnch erwähnt
da dieselbe Begebenheit so: „im 12. Jahre im Sommer im
6. Monat, am Tage Jin-schin kam der Eonig nach Fanj
und ertheilte ein Amt dem Pi-kung.'* Legge UI p. 570 hebt
hervor, dass dieses Kapitel des Schn-king nur im alten
Texte sich finde und bezweifelt werde, aber ein Citat in
Pan-ku's Geschichte der Han (Lifi-U tschi B. 21 hia f. 18)
scheine den Text im Wesentlichsten zu bestätigen.
Wenn diese Annahme richtig, wäre das erste Jahr
Ehang-wang's 1068 v. Chr. (statt 1078 oder 1007) und man
müsste die Regierungsjahre darnach ändern, in der recipir-
ten Chronologie abwärts bis zur Regentschaft Enng-bo
10 Jahre absetzen, im Bambnbuche aber 60 Jahre hinzu-
setzen und zwar wohl bei den oben angeführten Regierungen,
wo die Regierungsjahre beider Listen von einander ab-
weichen.
Die 2te Stelle des Schu-king's, die man zur Controlle
der Listen benutzt, im Kap. Tschao-kao (V, 12, 2) lautet § 1:
„im 2. Monate, am Tage Y-wei, dem 6. nach dem Vollmonde,
ging der König Morgens von Tscheu aus und kam nadi
Fung'' — und § 2: „im 3. Monate, nachdem am Tage
Ping-wu der Neumond erschienen war, am Tage Meu-schm
kam der Thai-pao Morgens nach Lo.'' Es handelt sich hier um
das 7. Jahr der Regentschaft Tscheu-kung's unter Kaiser Tsching-
wang. Pan-ku und Lieu-hin deuteten es auf das Jahr 1109
V. Chr., aber nach T-hang, dem Gaubil p. 226 und Freret
p. 75 fg. folgen, entspricht es dem Jahre 1098 v. Chr. ; denn
der 2. Februar 1109 könne nicht der SteTag des 3. Monats
nach dem Kalender der Tscheu sein^ wohl aber der 4. Fe-
bruar 1098 der Tag Ping-wu und der 3te des 3. Monats; i^
FUUh: Chrondlog. Grundlage der <üten ehines. Geaehiehte, 67
diesem Jahre war im 2. M. den 18. Januar Vollmond und
6 Tage später der Tag Y-wei, was beides viele Jahre vor und
nachher nicht wieder vorkomme. Dies^ stimmt aber wieder
Licht mit dem Bambubuche. Nach diesem regierte Tsching*
wang 1043 bis 1006 und sein 7tes Jahr wäre demnach 1038
(vielmehr 1037), diess passe aber in keiner Weise. Das Jahr
habe den Gyklus-Charakter Euei-mao, denselben habe aber
auch das Jahr 1098 ; es scheine also wieder ein Cyklns von
60 Jahren da ausgelassen. Diess zeige sich aber auch bei
seiner Angabe des Todes Tsching-wang's. Das Bambubuch
p. 148 lasse ihn, wie die recipirte Meinung, 37 Jahre regie-
ren und im Sommer im 4. Monate, am Tage Y-tschheu sterben;
der Scha-king im Kap. Eu-ming V, 22, 1 setze auch seinen
Tod am Tage Y-tschheu, im 4ten Monate, aber den Tag nach
dem Vollmonde. § 1 heisst es: „im 4. Monat, da der Mond
begann abzunehmen, war der Eaiser unwohl; § 2 am Tage
Kia-tseu wusch sich der Eaiser Hand und Gesicht, die Be-
amten setzten ihm den Hut auf, zogen ihn an u. s. w. und
§ 10 am nächsten Tage Y-tschheu starb der Kaiser.*' Im
Jahre 1008 v. Chr., sagt Gaubil, war der Tag Y-tschheu der
2te März zwar im 4. Monate, aber mehrere Tage vor der
Opposition ; es passt also das Jahr nicht, wohl aber war in
China 1068 den 16. März die Opposition im 4ten Monate und
im 4 den 17. März war der Tag Y-tsöhheu ; beide Jahre
hätten den Cyklus-Gharakter Kuci-yeu und es werde wieder
iui Bambubuche ein Cyklus von 60 Jahren ausgefallen sein.
Das erste Jahr Tsching-wang's wäre demnach 1104 v. Chr.,
dieses Jahr hat das Gykluszeichen Ting-yeu; dieses giebt
ihm auch das Bambubuch p. 145, aber im unkorrigirten
Texte ist es da das Jahr 1044.
Auf die Regierung Wu-wang's, des Vaters und Vor-
gängers von Tsching-wang , rechnet der Sse-ki (wie schon
bemerkt, wohl irrig) nur 2 Jahr; Pan-ku B. 21 f. 17 v. und
Lieu-hin, auch Kuan-tseu 7 Jahre, so auch die recipirte
6B Sitzung der phüos.-phüol. Classe vom 1. Juni 1867.
Annahme. Dieses nimmt anch Ganbil mit Y-hang an. Dann
wäre sein erstes Jahr wahrscheinlich, meint er p. 231, aber
nicht gewiss 1111 v. Chr., statt nach der recipirten Meinung
1122. Das Bambubuch rechnet 6 Jahre. Im Schu-king im
Kap. Wu-tsching (V, 3, 1) heisst es: ,.im ersten Monate
am Tage Jin-tchin war der Tag nach der Gonjunktion; den
folgenden Tag Kuei-ki zog der Kaiser des Morgens von Tscheu
aus, Schang anzugreifen und zu bestrafen." § 2 : im 4ten Monate,
als der Mond zuerst wieder erschien, gieng der Kaiser yod
Schang nach Fung; § 3 am Tage Ting-wei opferte er im
Ahnentempel der Tscheu und 3 Tage darauf am Tage
Keng-siü brachte er ein Brandopfer dar und verkündete das
Ende des Krieges; § 4 als der Mond b^ann abzunehmen,
erhielten die Vasallenfürsten ihre Anstellung von Tscheu.
(Der Kaiser hält dann §5—8 eine Anrede an diese). § 9 heisst es:
„am Tage Meu-wu ging das Heer über die Furt von Meng,
am Tage Kuei-hai hielt er eine Beviie über dasselbe in der
Vorstadt oder an der Grenze (Kiao) von Schang und er-
wartete des Himmels ruhigen Befehl; am Tage Kia-tsen bei
Tagesgrauen iiihrte Scheu sein Heer heran, wie einen Wald
und versammelte sie in den Gefielden von Mu, aber es leistete
keinen Widerstand unserm Heere.'^ Diess sind die Cjklas-
zeichen, die in diesem Kapitel erwähnt werden. Gaubil sagt,
es muss damals zwischen dem ersten und 4. Monate einen
Schaltmonat gegeben haben; es handelt sich hier von dem
Jahre, wo Wu-wang den letzten Kaiser der Dynastie Schang
schlug, also im 1. Jahre seiner Regierung. Lieu-hin und
Pan-ku nahmen nach Gaubil irrig dafür das Jahr 1122 an,
1128 (1122) sei der Tag Sin-mao (27. November) der erste
des 1. Monats, der Tag Jin-tschin der 2., der Tag Ki-wei
(25. December), der des Solstizes, der Schaltmonat zwischen
dem 1. und 4. Monat gewesen, aber da müsste man sich
1123 um 3 Tage geirrt haben, denn die Gonjunction fand
den 30. November statt. Gaubil nimmt daher mit Y-hang
Plaih: Chronohg. Grundlage der alten chines. Oeschichte. 69
dafiir das Jahr 1112 an. Am Tage Eeng-yn sei da die Gon-
JQnction gewesen, es treffe diess nicht ganz genau zu, doch
hat es nach Gaubil Wahrscheinlichkeit. Nach dem Tschhün-
thideu von Liü-pu-wei (im I-sse B. 146 hia f. 5) war Wu-wang
schon 12 Jahre Fürst von Tscheu, als er Kaiser wurde —
und damit stimmt der Schu-king Kap. Thai-tschi (V, 1, 1):
„im ISten Jahre im Frühlinge war die grosse Vereinigung
an der Furt von Meng(-tsin)." Nach Gaubil starb syn Vater
Weu-wang, also 12 Jahre vor 1111, d. i. 1123 v. Chr.;
er regierte aber (in seinem Lande Tscheu) nach dem Schu-
king Kap. Wu-i V, 15, § 11 : 50 Jahre.
V^enn nach diesem Systeme GaubiPs Tr. p. 233 die Jahre
der Regentschaft Kung-ho (841 v. Chr.) bis zum ersten
Jahre Tsching-wang's (1104) und auch bis zum ersten Wu-
wang's (1112) im Ganzen sicher sind, so ist diess nicht so
der Fall mit der Vertheilung der Jahre zwischen den ein-
zelnen Regierungen. Tsching-wang regierte nach allen Nach-
richten 37 Jahre, Khang-wang nach beiden Listen 26, ebenso
Mu-wang auch nach dem Sse-ki 55 Jahre, Kung-wang nach
beiden Listen 12 Jahre, und sein Nachfolger Y-wang 25 Jahre ;
aber wegen der Anderen 4 bestehen zwischen beiden Listen
Abweichungen und die Entscheidung über die Dauer der
einzelnen Regierungen ist schwierig.
Eine Note zum Bambubuche p. 149, welche lautet:
„von König Wu-wang bis Kaiser Mu-wang wurde das Reich
100 Jahre, (wie man meint von Tscheu) besessen'' scheint
einen Anhalt zu gewähren zu der Annahme, dass von Wu-
wang bis Mu-wang 100 Jahre verflossen waren; allein hier
wird bloss die Stelle des SchU-king im Kap. Liu-hing (V,
27, 1) zu Grunde Hegen, wo derselbe Ausdruck hiang-
kue vorkommt. Legge übersetzte es da : „der Kaiser hatte das
Reich inne 100 Jahre alt (mao)," obwohl nach V, 15, 4, 5 und 6
(ohnemao) näher läge die üeborsetzung : „er hatte den Thron
100 Jahr inne," wie auch andere chinesische Ausleger annehmen, *
70 Sitzung der pküos^-phiM. Classe vom 1. Juni 1867,
während der Sse-ki ilm 50 Jahre alt den Thron besteigen
lässt. Nun sagt die Geschichte von Tsin (Tsin-schu) im
I-S8e26 f. Iv. ,,Mu-wang lebte nicht 100 Jahre lang'' und
es scheint daher, dass der Notenschreiber, der ünwahrschein-
lichkeit der langen Lebensdauer desselben zu entgehen, die
100 Jahre nur auf die Zeit von Wu-wang bis Mu-wang ge-
deutet habe; dann kann die Note natürlich nichts helfen.
Die Note des Bambubuches hinter den 12ten Kaiser Yeu-wang
p. 158 y die vom 1. Jahre Wu's Sin-mao bis zum letzten
Yeu's Keng-u 292 Jahre rechnet, ist oben S. 46 schon an-
gezogen. Die Summe stimmt nicht zu den einzelnen Regie-
rungen ; die einzelnen Regierungsjahre des Bambubuches geben
nur 269, die Cykluszeichen 279 Jahre, also 23 oder 13 Jahre
weniger. Die Regierungsjahre Tschao's, Hiao's, J's und Li's
sind im Bambubuche geringer, als in der recipirten Annahme,
aber welchen Regierungen die Jahre zulegen? Bis Siucn-
wang A. 826 stimmen beide Listen. Auf seine Vorgänger
rechnet die redpirte Annahme bis 1121: 295 Jahre, das
Bambubuch nur 223 Jahre, wie Legge Prol. T. III p. 85
hat; bei 5 dieser Regierungen stiibmen beide Listen überein,
bei 5 nicht. Man sieht aber keinen Grund, sich für die An-
gabe der einen oder andern zu entscheiden. Wenn Meng-tseu,
sagt Legge, die 500 Jahre und mehr von Confucius bis Wen
bis zum Anfange dei^ Dynastie Tscheu rechne, (was aber nicht
anzunehmen,) falle dieser 1051 — 1161; die recipirte An-
nahme möge sich der Wahrheit nähern, die des Bambubuches
sei zu spät. ,51 Jahre werden Tschao-wang, mit dem Namen
Hia, auch in einem Werke Tao-kien-lo, welches Uebersetz-
ungen von alten Inschriften auf Schwertern zu enthalten
scheint, im I-sse B. 26 f. 1 beigelegt, aber da die Inschrift
aus dem 2. Jahre des Kaisers sein soll, ist diese Angabe
des unbekannten Autors wieder von keiner Bedeutung. Es
lässt sich also die Dauer der Regierungen, bei welchen
beide Listen von einander abweichen, nicht genau bestimmen.
IWh: Ckrtmohg, Qruindlage der Mm ehines. OeschichU. 71
Was die 2te Dynastie betri£ft, so steht damit die Sache
noch sohlimmer. Wir haben gesehen, wie verschieden die
Summe der Daner der ganzen Dynastie angegeben wird, von
Meng-tBeu znmehrals 500 Jahren, bei Tso-schiza 600 Jahren, von
To-tsea bis zum letzten Kaiser Scheu exclusive zu 570 Jahren,
von Pan-ka zu 629 Jahren. Die Summe der Note des Bam-
babuches p. 141 496 Jahre stimmt nicht mit den Jahren,
welche, die einzeben Regierungen und die Cykluszeichen er*
geben* Die recipirte Annahme rechnet 644 Jahre bis 1765
T. C!hr. Von den einzelnen Kaisern führt der Schu-king im
Kap. Wa-i (V, 15), wie gesagt, nur an Tschung-tsung mit
75, Wn-ting mit 59 und Tsu-kia mit 33 Jahren, andere
nach diesen hatten nur 10, 7—8, 5—6, 4—3 Jahre regiert;
sie werden nicht genannt. — Diese Zahlen möchten aber
für die kleineren Zahlen der Regierungsjahre der 5 nächsten
Nachfolger Tsu-kia's der Listen S. 57 sprechen. Die Stelle
des Kue-iä I, f. 30 y., oben S. 42 sagt nur: von Ti-kia
bis zum Ver&lle der Dynastie sind 7 Generationen ; Meng-
tseu n, 1, 1, 8 sagt: „vom Stifter Thang bis Wu-ting
gab es 6—7 weise und heilige Fürsten. Scheu, der letzte,
war nicht weit von Wu-ting. Dass Meng-tseu (Y, 1, 6, 5)
zwischen dem Stifter Thang und Thai-kia noch zwei Regie-
rangen der Brüder Wai-ping 2 Jahre und Tschung-jin 4 J. setzt,
^rahrend andere sie wegglassen, ist S. 57 schon erwähnt. Diese
stützten sich auf den Schu-king im Kap. Y-hifin (IV, 4, 1);
da heisst es: „in Thai-kia'B erstem Jahre, im 12. Monate,
m Tage Y-tschheu opferte Y-yn dem Könige Vorfahren und
prasentirte respektvoll den König-Nachfolger seinen Ahnen,**
ond dann auf die Vorrede zum Schu-king § 18: „Nachdem Thang
gestorben in Thai-kia's Istem Jahre, verfasste Y-yn (das Cap.)
Y-hifin/' Nach dem Tso-tschuen war der erste Monat der
Dynastie Schang der 12 te im Kalender der Hia und der 2te
u^ dem der Tschoi.
Pan-ku B. 21 hia f. 16 i^. wollte aus dieser Stelle das
72 Sitsung der phitos.-philol Claase v<m 1. Juni 1867. ,
Jahr 1738 y. Chr. als das erste Jahr yon Thai-kia und da'
tsching-thang 13 Jahre regierte, 1751 v. Chr. als das erste
Jahr desselben ermitteln. Es stimmt aber nicht damit, dass er
an einer andern Stelle (B. 20 f. 18 v.) Wai-ping und Tschang*
jin zwischen beiden annimmt und Gaubil Tr. p. 240 bemerkt,
derSchu-king sage nicht, dassder Tag T-tschheader Tag des
Winter-Solstizes, noch dass er der erste des Monats gewesen
sei, worauf Pan-ku sich stützte. Gaubil nimmt 191t dem,
Bambubuche 52 Jahre für den letzten Kaiser (der 2. Dy*
nastie) Scheu an, rechnet mit To-tseu bis zu diesem 576
Jahre, lässt Thai-kia unmittelbar auf Thang folgen, nimmt
so 628 Jahre für die ganze 2. Dynastie an und setzt daher
ihren Anfang Tr. p. 242 : 1739?. Chr.; aber so wenig sicher,
dass er später in seinar Geschichte der Astronomie Lettr.
6dif. T. 14 p. 332 dafür das Jahr 1760 annahm. Weitere
Cykluszeichen zu einer Conti'ole der Jahre der 2. Dynastie
giebt es nicht, daher man über ihre Dauer oder die der ein-
zelnen Regierungen derselben bei der versdiiedenen Angabe der
Listen nicht entscheiden kann. Legge Prol. III p. 86 sagt: aas
der Summe von 600 Jahren bei Tso-tschuen und 500 und
mehr bei Meng-tseu lasse sich nur schliessen, dass die re-
cipirte Annahme von 644 Jahren zu gross, die des Bambo-
buches von 508 Jahren (die Note hat nur 496) zu gering sei.
Gleiche Dngewissheit herrscht über die Dauer der
ersten Dynastie Hia. Der Schu-king im Kap. Yn-tsching
(III, 4, 4) gedenkt einer Sonnenfinsterniss, die sich unter
dem 4ten Kaiser derselben Tschung-khang ereignet haben
soll. Die Stelle hat der Tso-tschuen Tschao-kung A. 17 f. 10.
Liesse sich das Jahr derselben mit Sicherheit bestimmen,
80 würde sie ein Lichtpunkt für die älteste Chronologie
Ghina's sein. Die Worte sind aber zu unbestimmt, 8ie
lauten: „am ersten Tage des letzten Herbstmonats waren
Sonne und Mond in ihrer Conjunktion nicht in Harmonie
Hath: Ckronohg. Grundlage der alten chines* Geschichte. 73
in Fang (tschin fei tsi iü Fang)^'); der Blinde rührte die
Trommel (wie bei einer Sonnenfinstemiss üblich), die untern
Beamten und das Volk rannten bestürzt umher". Nach dem
Tso-tschuen ist eine sichtbare Finsterniss hier gemeint. Der
Hof war damals in Ho-nan, bei dem jetzigen Thai-kang
Wen 34* 4' der Br. 8' westlich von Pe-king. Der cyklische
Tag der Finsterniss wird aber nicht angegeben und ihre
Epoche steht daher keineswegs fest. Der Thung kien kang mo
B. 4 f. 13 setzt sie in Tschung-khang's A. 1, das Bambubuch
in A. 5 ; diese und andere sind aber alles spätere will-
kürliche Bestimmungen. Gaubil, der sie mehrmals in Unter-
suchong gezogen hat (Observ. T. II, p. 140, hinter s. üeber-
setzung des Schu-king p. 372—380, Traite p. 242 fg. und
Lettres edif. T. 14 p. 316) meinte, sie habe im ersten Jahre
Tschung-khang's stattgefunden und zwar den 12. October
2155 V. Chr.*®, wo sie nach Flamsteeds Tafeln beim Aufgange
der Sonne 3Vs Zoll betrug; diese sei die eiuzige, aufweiche
die Angabe des Schu-king passe. Das Winter-Solstiz war
damals den 7 oder 8. Januar 2154, das Herbstaequinoctium
den 8. oder 9. October 2155 nach chinesischer Bestimmungs-
weise, so dass sich nach ihnen die Sonne am 12. October
3— 4* östlich vom Herbstpunkte befand.
Die Finsterniss ereignete sich nach ihm also wirklich
im 9. Monate und zugleich in der Station Fang , wenn diese
sdion damals, wie später, bestimmt wurde. Aber Delambre
19) Dieser Ausdrack für eine SonnenfinstemisB, bemerkt Chalmer's
p. 101, ist ungewöhnlich; später heisse es immer: Ji yeu schi tsohi;
der Charakter Fang im Tso-tschuen sei sichtlich uicht das Sternbild,
di8 jetst so heisse, sondern das jetsige Sehe, und hiess früher Ho
(Scorpion), Fang nur im Li-ki genannt
^) Legge T.III p. 167 sagt irrig 2169 oder 2158. — Der Unter-
Bckied eines Jahres hier und sonst rührt nur daher, ob man das
Jahr ton Christi Geburt als erstes mitrechnet oder nicht
74 Sitsung der phOaa.-phüol, Classe tHMi 1. Juni 1867.
Histoire de Tastronomie T.I p. 363fg. weodet dagegen schon
ein, dass die angenommene Finstemiss nur klein war and
nicht geeignet, das Volk zu erschrecken. Eben so sagt Ideler
S. 324, sie betrag nur 1. Zoll und nach Largeteau bei Biot
Journal des Savans 1840 arril, der sich der verbesaerten
Mondtafeln bedient hat, war sie in China gar nicht sicht-
bar und so auch nach Chalmers bei Legge T. 3 p. 168.
Die Chinesen schwanken selber in ihrer Bestimmung. Das
Bambubuch p. 119 setzt sie, wie gesagt, unter Tschung-khang
A. 5 im Herbste, im 9. Monate, am Tage Eeng-siü, nach den
Cykluszablen des Jahres und Tages den 28. October 1948,
wo es aber gar keine Conjunktion, geschweige denn eine
ecliptische gab. Y-hang unter der Dynastie Thang und Ko-
scheu-king unter der Dynastie Yuan behielten die CyUuBzeichen
Yon Tag und Jahr des Bambubuches bei, nalimen aber ao,
dass 3 Cyklus von 60 Jahren ausgefallen seien, eine, wie
schon oben angenommen, unter der Dynastie Tschea und 2
unter der Dynastie Schang und erklärten sich für den 13.
October 2128. An diesem Tage war eine Finstemiss. Chal-
mers p. 102 fand, es gab Sonnenfinsternisse in oder beim
jetzigen Fang, d. i. dem Scorpion,2135 (oder 2136), 2127 (oder
2128) und 2108 (oder 2109), davon war die im Jahre 2127
(oder 2128) in China sichtbar. Rothmann, der sie 1837 in
den Trans, of the Astron. Soc. T. XI berechnete, glaubte
die Angabe der chinesischen Astronomen bestätigt zu sehen,
aber Largeteau bei Biot Journ. d. Sav. 1840 p. 241, der
sie nochmals berechnete, hat gefunden, dass sie in China
unter 34® oder 35® Br., wo der Kaiser seinen Hof haben
mochte, eben so wem*g sichtbar war, als die Sonnenfinstemiss
vom 28. October 1948.
Mit dem Zusätze eines Cyklus von 60 Jahren zu den
Jahren des Bambubuches kommt man auf das* Jahr 2007
(oder 2008.) Die bedeutende von Cassini berechnete Fin-
stemiss vom Morgen des 25. October 2007 v. Chr. im
Utah: Chrtmolog. Grundlage der alten chines. Oeachichie. 75
6. JahreTschnng-khang's, welcheFreretOeuvr. T.14p.l43— 173
für die richtige hält, und die noch Bunsen (Aegyptens Stelle
in der Weltgeschichte B. 5 Abth, 4 S. 285) annahm, verwarf
Gaubil p. 249 schon aus mehreren Gründen, besonders weil
sie sich nicht in der Station Fang zutrug, wobei er aber
lemerkte, dass die jetzige Bestimmung der Sieu oder Sn,
de aus den Zeiten der Dynastie Han herrührt, auf die
frühere Zeit nicht sicher schliessen lasse. Auch diese war
aber, wie Largeteau sagt, der sie nach den jetztigen Tafeln
Terificirt hat, in China nicht sichtbar. Nach allem diesen
w^iss man keine Sonnenfinstemiss , auf die die Angabe des
Scha-king passte. Biot £tudes 377 fg. bemerkt, die secu-
läre Beschleunigung der mittleren Bewegung dieses Satel-
liten, die einen so grossen Einfluss auf die Berechnung
alter Ortsangaben habe, sei nach den Mondtafeln Damoi-
seau's und den Sonnentafeln Delambre's, die bisher die
genauesten waren, neuerdings von Adams in England und
Delaunay neuen Untersuchungen unterzogen und er hofit von
solchen künftig noch eine Bestimmung der im Schu-king an-
geführten Sonnenfinstemiss. Aber sie stimmen unter sich und
mit Hansen noch nicht völlig überein und ehe diese nicht
feststeht, ist nach Lamont an eine sichere Anwendung auf
alte chronologische Data nicht zu denken. Dennoch hat J. v.
Gampach*^) neuerdings den 22. October 2156 v, Chr. für diese
Finstemiss angenommen; in jenem Jahre falle der Winter-
anfang auf den 21. November und ebenso der Neumond. Der
Torhergehende Neumond des 22. October sei also in der That
der letzte des Herbstes und der erste Tag des 9. Monats des
Jalires; die Sonne stand am Ende der Aequatorial- Abtheilung
Fang, sie fiel in das 4. Jahr Tschung-khang's, ereignete sich
21) Ueber die älteste in der chinesischen Geschichte erwähnte
Sonnenfinstemiss, in dessen Grundzügen einer neuen Weltlehre.
Mönchen 1860 B. 1 Anhang 8. S. 390 — 452. Sein Buch hat aber
bekanntlich Fiasco gemacht.
76 Sitzung der phüoa.-phüöl. Classe vom 1, Juni 1867.
in der Höhe des Mittags zu Tschen-siin und war jedenfalls
sehr bedeutend und beglaubige so die überlieferte Chronologie
bis an das 23. Jahrhundert vor Chr. Es fehlen so bisher
uns die Mittel, die Dauer der 1. Dynastie Hia zu bestimmen.
Die redpirte Annahme rechnet 439 Jahre auf die Dynastie
Hia, das Bambubuch 431, die Note 471. Der Unterschied,
bemerkt Legge p. 86, ist nicht gross, obwohl sie nur in
der Dauer von 3 Regierungen übereinstimmen; Meng-tseu's
Angabe, von Yao und Schün bis Thang seien über 500
Jahre, begreife deren Zeit wohl nicht mit. Rechnete er auf
diese auch 150 Jahre, so seien es mit den 431—439 Jahren
unter 600; die gewöhnliche Annahme der Dauer der Dynastie
Hia zu 439 möge daher von der Wahrheit nicht ferne sein.
Was die beiden Vorgänger des Stifters der ersten
Dynastie Yü betrifft, so sagt der Schu-king I, § 12, dass Yao
70 Jahre regiert hatte, als er Schün zum Nachfolger be-
stimmte, er prüfte ihn nach 11, 1 § 3 : 3 Jahre, nahm ihn dann
zum Mitregenten an und starb nach II, 1 § 13 und Meng-
tseu V, 1, 4, 1: 28 Jahr später und 50 Jahr später dann Schün.
Die Regierung beider soll also 150 Jahr gedauert haben.
Darin stimmen Sse-ma-kuang und das Bambubuch p. 113 und
116 überein. Pan-ku (Tsien Hau schu Liü li tschi hia B. 21
f. 15) rechnet nur 70 Jahre auf Yao's Regierung und 50
auf Schün's und lässt die 30 Jahre gemeinsamer Regierung
ausfallen. Diese lange Regierung und das hohe Alter, wel-
ches ihnen beigelegt wird, ist schon bedenklich, noch mehr
sind es die Genealogien der Stifter der 3 Dynastien, die alle von
Hoang-ti abstammen sollen. De Guignes (Mem. de Tacad-
^des inscr. T. 36 p. 178) hat schon auf die ünwahrschein-
lichkeiten darin aufmerksam gemacht. Wir brauchen aber
hier nicht weiter darauf einzugehen. Der Schi-king Tscheu-
sung (IV, 4, 2, 4) feiert zwar schon den Heu-tsi, den Mini-
ster Yao's und Schün's, als den Ahn der 3 Dynastie Tscheu
und im Schang-sung (IV, 3, 4) ebenso den Hiuen-wang (d. i.
Plath: Chronciog, Gnmdlage der alten chines, OeschtQhte 77
Sie) als den Ahn der 2. Dynastie Schang, aber ohne Angabe
der Generationen, die man erst später hinzugesetzt haben mag,
Gaubil Tr. p. 255 setzt das erste Jahr der Dynastie
Hia 2191 V. Chr. und demnach das erste Jahr Yao's 2341
Y. Chr., Lettr. ed. T. 14 p. 307 — 320 aber 2361; die reci-
pirte Meinnng setzt es 2357 ^ das Bambubuch 2145 y. Chr.
Granbil bezieht sich für Yao's Zeit und deren Bestim-
mung noch auf die Stelle im Schu-king Kap. Yao-tien I.
§ 3 fgg., wo Yao die beiden Solstizien und die beiden Aequi-
noctien nach den Constellationen, das FrühUngs-Aequinoctium
nach der Constellation Niao, das Sommersolstiz nach der
Constellation Ho, das Herbst- Aequinoctium nach der Gonstel-
ktion Hiü und «das Wintersolstiz nach der Constellation
Mao bestimmt, aber Gaubil Tr. p. 258 sagt selbst, wenn
diese Stelle fiir ein hohes Altertbum der Himmelsbeobach-
toDgen der Chinesen spreche, könne man aus ihr doch keine
bestimmte Zeitepoche gewinnen, denn es sei nicht gesagt, in
welchem Jahre der Regierung Yao's diese Bestimmung ge-
stroff^ sei, und mau könne nicht sicher sein, dass man in
so alter Zeit bereits im Stande gewesen sei , genaue Beob-
achtungen zu machen^ welche eine so grosse Präcision er-
forderten. Biot Etudes p. 363 fg. giebt die Uebersetzung
der ganzen Stelle von St. Julien. „Yao befahl dem Hi und
Ho, sorgfaltig die Bewegungen von Sonne und Mond und
die Zwischenräume zwischen den Sternen zu beobachten und
die Zeiten und Jahreszeiten dem Volke kennen zu lehren.
Er befahl dem Hi-tschung zu weilen in Yü-i , genannt das
glänzende Thal, und da respektvoll wie einen Gast zu em-
pfangen die heraustretende Sonne und gleichmässig zu regeln
die Arbeiten des Ostens (Frühlings). Es ist da der Tag von
mittlerer (Länge), der (culminirende) Stern ist Niao (der
Vogel), um genau zu bestimmen, die Mitte des Frühlings,
^as Volk zerstreut sich da; Vögel und Wild brüten und
paaren sich,"
78 Sitzung der phüos.-phüd. Classe vom 1. Juni 1867.
„Er befahl weiter dem Hi-tscho, za weilen in Nan-kiao
(an der Südgrenze), um genau zu regeln, die Veränderungen
des Südens (Sommers) und ehrfurchtsvoll zu beobachten den
äussersten (höchsten) Punkt der Sonnenbahn. Man sieht da
(das Sternbild) Ho (das Feuer), um genau zu bestimmen
des Sommers Mitte. Das Volk zerstreut sich da noch weiter ;
Vögel und Wild haben da ein dünnes Fell."
„Er erliess den Befehl an Ho-tschung, zu weilen im
Westen, in dem das dunkle Thal (Mci-ku) genannten Orte,
respektvoll zu geleiten die einkehrende (untergehende) Sonne
und zu regeln die Schlussarbeiten des Westen (Herbstes).
Die Nacht hat da eine mittlere Länge ; der Stern Hiü dient
zur Bestimmung der Mitte des Herbstes. " Das Volk fühlt
sich wohl. Der Vögel und des Wildes Haare und Felle
sind in gutem Zustande."
„Weiter befahl er dem Ho-tscho, zu weilen in der Nord-
gegend, genannt die dunkle Residenz (Yeu-tu), und dort
sorgfaltig zu untersuchen den Wechsel des Nordens (Win-
ters). Der Tag ist da der kürzeste, der Stern Mao dient
zur Bestimmung der Mitte des Winters. Das Volk zieht
sich zurück, die Vögel und das Wild haben ein dichtes Ge-
fieder und Felle."
„Der Kaiser sagte: 0 ihr Hi und Ho! ein. volles Jahr
hat 366 Tage (eigentlich 365 V«, das 4te Schaltjahr dann 366);
mittels des Schaltmonats stellt fest die 4 Jahreszeiten und
bestimmt genau das Jahr u. s. w.*'
Wir haben die Stelle vollständiger mitgetheilt als Biet,
was nöthig war; er lässt die populären Bezeichnungen der
4 Jahreszeiten nach dem Paaren, Mausern der Vögel u. s. w.
weg; die zeigen aber gerade, wie Legge Pr.p. 89 bemerkt, dass
hier nur von einer populären Anweisung, nicht von einer
cxacten astronomischen Bestimmung die Rede ist. Wir fügen
nur das Nothwendigste zur Erläuterung hinzu. Was die
Sternbilder betrifit, so ist Niao nach den Astronomen der
PUUh: Chronollog. Grundlage der alten chinea. Oeachichte. /79
Dynastie Han das damals Sing genannte Sternbild, nicht
der Name eines Sternes, sondern eines Himmelsraames,
welcher sich fiber 112 Qrad erstreckt and 7 Sternbilder des
Süd-Qoartieres begreift; man kann aber nur einen Stern in der
Mitte daraus hier annehmen. Ein gelehrter Chinese verstand
danmter den Stern Schin-ho, nach Legge das Herz der Hydra.
In der Amnerknng zu seiner Uebersetznng des Schu-king's
p. 4 sagt Medhurst: wenn beim Frühlings- Aeqoinoctium zu
Yao^s Zeit das Herz der Hydra bei Sonnenaufgang culminirte,
60 musste die Constellation im Meridiane Mittags , die Pleja-
den im Taurus (Stiere) sein. Da nun nach dem Zurückgehen
der Aequinoctien die Sterne des Thierkreises in 2000 Jahren
nur um ein ganzes Zeichen zurückgehen, so musste es vor
4000 Jahren sein, dass die Sonne beim Frühlings- Aequi-
noctium in den Plejaden stand, und diess bestätige die
Glaubwürdigkeit der redpirten chinesischen Chronologie;
denn 1800 n. Chr. waren die Plejaden 56 Vs Grad von dem
Punkte entfernt, wo das Aequinoctium die Ecliptik durch-
schnitt, da das Aequinoctium jährlich 50Vio Minuten zurück-
gehe, erfordere das 4050 Jahre. Tao's Regierung endeite
nach den Chinesen aber 2254 v. Chr«; dazu 1800 gebe:
4054 Jahre.
Der 2te culminirende Stern am Sommer-Solstiz Ho*')
(das Feuer), das Sternbild Fang unter den Han, war nach
Legge der Centralstern im azurnen Drachen (Tsang - lung),
der 7 Sternbilder des Ostquartieres begriff und dem Herze des
Scorpions entspreche. Nach einem chines. Schol. in der Ausgabe
des Schu-king von 1730 n. Chr. war die Sonne am Sommer-
22) Chabners p. 92 bemerkt, dass noch unter der 8. Dynastie
Tflcheu der Ho ein wichtiger Führer zur Bestimmung der Jahreszeiten
*v; die« sehe mfin aus dem Tso-tschuen, Kue-iü und Schi-king
^iafimg a, 16, 1 P- 66).
80 SiUfung der pMos.-fhikil. CUuH vom h Juni 1867.
Solstize zu Yao'aZeit im Sing {a. Hydrae Alphard), wahrend
1730 n. Chr. im Tsui (X Orion).
Der 3te culminirende Stern Hiü war in der Mitte des
Hiuen-wu (des dunkeln Kriegers), der die sieben GoDstella-
tionen des Nordquartieres begriff und entsprach dem ß des
Wassermannes. Nach dem chin. Schol. stand am Herbst-
Aeqninoctium unter Yao die Sonne in Fang (ß d n ^ des
Scorpions), 1730 n. Chr. dag^en in J (a Crat^is (Alkes).
Das 4te Sternbild Mao war im Gentrum des Pe-hu
(weissen Tigers), welcher die 7 Sternbilder des Westquartieres
begreift und entspricht unsem Plejaden. Am Winter-Solstiz
stand nach dem chinesischen Schol. unter Yao die Sonne in
Hiü (ß des Wassermannes), dagegen 1730 n. Chr. in Ei (/ des
Schützen^'). Es wird aber immer die Frage sein, ob diese
Bestimmungen richtig sind ; nur 2, Mao und Hiü, finden sich
unter den Sieu wieder; Niao und Ho identifidren nur die
Ausleger aus der Zeit des Han mit dem damaligen Sing
und Fang'*).
Die geographischen Angaben sind noch yager und noch
schwerer zu bestimmen. Die erste Yu-i kommt auch im
Kapitel Yü-kung (HI, 1, 1, 23) vor. Einige setzen es nach
Teng-tscheu in Schan-tung, Legge p. 18 meint aber, es
müsse weiter östlich (?) in Corea liegen. Nan-kiao, der 2te Ort,
wird wohl mit Unrecht auf Annam oder Cochinchina ge-
deutet, weil diess auch Kiao-tschi hiess, alleiu diesen Nameu
Querzehe hatten früher auch die Bewohner von Süd-China.
Den 3ten Ort, das dunkle Thal, im Westen setzt man nach
23) Diese Bestimmungen nach John Reeves Chinese Names
of Stars and constellations in Morrison's cbiu. dict P. II Vol 1
p. 1063—1090.
24) S. A. Weber die vedischen Kachrichten von den Kaxatra
Abh. der BerL Akad 1860. 4 S. 287 fg.;
Fiaüi: Clmmdlog. OrundHage der aütm^ dWne». OttdiitlkU, Bl
Sdien-si und die danUe Hauptstadt (Yeu-tu) im Norden
nadi Pe-tachi-li.
Biot £tad. p. 363 fg. meint auch nodi, die 4 angegebenen
Sternbilder seien gerade die gewesen, worin 2357 v. Cbr. die
Frühling- und Herbst-Aequinoctien und Sommer- und Winter-
Solstitz^i sich befunden haben müssten. Erfanden könne
Coofacius sie nicht haben, da zu seiner Zeit (500 ▼. Chr.)
die 4 Sternbilder des Schu-king nicht mehr die 4 Cardinal-
Punkte der Sonnenbahn bildeten. Das Winter-Solstiz z. B.
hatte das Sternbild Hiü (das 22 ste) verlassen, war durch das
21. Niü, worin es sich unter Tscheu-kung befand, gegangen
nnd stand damals im 20. Sternbilde Nieuund so waren auch die
3 andern dieser Bew^ung gefolgt. Confudus und seine
Zeitgenossen und eben so wenig die Astronomen der Dynastie
Han seien aber nicht im Stande gewesen , die frühere Stel-
Itmg derselben rückwärts zu berechnen. Ideler S. 104 sagt:
Ich habe die gerade Aufsteigung, welche die 4 Sterne vor
2000 Jahren hatten, berechnet indem ich die Vorrücknng
der Machtgleichen wie oben, und die Schiefe der Ecliptik
äof 24 Grad gesetzt habe. — Hiernadi trafen das Sommer-
und Winter-Solstizium wirklich auf Sing und Hiü, das Früh-
lings- und Herbst - Aequinoctium gingen nahe vor Mao und
Fang her. Aber natürlich läast sich umgekehrt auf eine so
schwankende Basis eine Berechnung der Epoche des Yao nicht
gründen, da es sich nur um ganze Stationen handelt u. s. w.
Eben so urtheilt auch Stnhr Untersuchungen über die ürsprüng-
lichkeit und das Altei thum der Sternkunde unter den Chinesen
and Indern. Berlin 1831 S. 28. Auch Chalmers p. 92 meint ab
Bestätigung der Chronologie sei der Werth dieser astrono-
mischen Angabe sehr überschätzt. Eine Tradition der Art
müsse der Verfasser des Kapitels Yao-tien wohl vorgefunden
haben. Yao möge die Bestimmung als Tradition überkommen
haben, denn sehen hätten 3 der Astronomen jene Sterne zu
Yao's Zeit nicht können, nur der nach Norden gesandte etwa.
[1867. IL 1.] 6
82 SUnmg der phOoa.'philol. Clasae vom 1. JwU 1867.
Weiter als Yao, wie schon zn Anfang bemerkt, wollen
wir hier nicht hinaufgehen. Wir wollen daher nor noch
hinzufügen, dass wenn Bansen p. 281, wie de Mailla T. I
p. CXXVIII, noch sehr viel auf die angeblich überlieferte
Beobachtung einer Conjunction der 5 Planeten, unter
welchen Sonne und Mond genannt werden, unter Tschuan-hiü,
die nach Bunsen auf das Jahr 2375 v. Chr. zutreffe — de
Mailla T. I p. 34 setzt sie aber 2461 v. Ghr.l — giebt,
Gaubil Tr. p. 269 und auch Chalmers bei Legge Prol. p. 101
schon bemerken, dass nur neuere chinesische Geschichten
Yon einer solchen Conjunction der 5 Planeten unter Tschnan-
hiü — das Jahr werde nicht angegeben — am Tage des
Li-tschün (15^ des Wassermannes) im Sternenbilde Sehe
sprächen ; weder Pan-ku noch Sse-ma-tsien, noch irgend ein
Werk aus der Zeit vor dem Bücherbrande erwähnten sie,
sie sei nicht historisch, sondern eine erdichtete Epoche, die
man nicht verificiren könne; Kirch und Cassini hätten sie
daher yergeblich zu berechnen unternommen. Ich finde sie
im I-sse B. 7 fol. 1 nur aus dem Werke Ku-sse-kao er-
wähnt; es ist aber nicht nöthig, hier weiter darauf ein-
zugehen.
Ueberblicken wir die ganze Untersuchung, so
ergiebt sich, dass man bis zum 1. Jahre der Regentschaft
Kung^ho (841 y. Chr.) eine auch im Einzelnen sichere Chro-
nologie hat, und den Anfang der 3. Dynastie nach der re-
dpirten Meinung 1122 oder, wie Gaubil annimmt, 1111
V. Chr. noch mit ziemlicher Sicherheit wird annehmen können
und die Jahre der einzelnen Regierungen nur einzeln einige
Schwierigkeiten bieten, obwohl Legge p. 89 meint, das älteste
sichere Datum gehe nur bis 775 y. Chr., das bestimmte
Jahr des Anfanges der 3. Dynastie Tscheu wisse man nicht.
Anders aber ist es mit der Chronologie der 1. und
2. Dynastie und der Zeit Yao's und Schün's bei den grossen
Abweichungen in den Angaben der Summen der Dauer der
IMh: Chronolog. Grundlage der alten ehinea. Geaehiehte. 83
ganzen Dynastien und der der einzelnen Regierangen derselben
und dem Mangel an sicheren astronomischen und cjklischen
Anhaltspunkten, welche znr Feststellung derselben dienen
könnten. Legge meint, man könne nur den Anfang der 1.
Dynastie Hia in das 19. Jahrhundert und Yao und Scbün
in das 20. Jahrhundert y. Chr. setzen. Man wird daher am
Sichersten gehen, wenn man, wo das genügt, bei solchen all-
gemeinen Zeitangaben stehen bleibt. Wenn wir, wo eine
bestimmtere chronologische Angabe nöthig ist, bei der reci-
pirten Annahme bleiben, so ist es daher nicht, weil wir sie
für sicher halten, sondern nur, um irgend eine relative An-
gabe zu geben, da wir ja wissen, dass auch unsere Zeit-
rechnung nach Christi Geburt nicht ganz riditig ist, sondern
freilich nur um mehrere Jahre fehlgeht.
Das Resultat unserer Untersuchung ist freilich ein mehr
negatives. Aber zu wissen, was man weiss und was nicht, und
auf welchem Grunde unser Wissen beruht, ist auch wissen.
Wo keine sichere Geschichtsüberlieferung ist, kann man keine
g^ben. Abweichende Angaben künstlich zu vereinigen, wird
oft viel Zeit und Kraft verschwendet ; das Gebiet der sichern
Geschichte ist aber so weit und gross, dass beide besser
auf deren Anbau verwendet werden.
84 Süßmg i» pMos.'phiM, Clam «om 1. Jtim 1867,
Herr Prof. Lauth trägt vor:
„üeber den ägyptischen Ursprung nnserer
Buchstaben und Ziffern'*.
(Mit einer Tafel.)
In unserer bewegten Gegenwart, wo die wichtigen Er-
findungen der Photographie, Telegraphie und Stenographie
Bild und Schrift mit früher nie geahnter Schnelligkeit ver-
▼ielföltigen und räumlich verbreiten, dürfte ein Rückblid
auf die Entwicklung der graphischen Kunst überhaupt am
Platze sein, um, wo möglich, der Genesis unserer Buch-
staben und Ziffern auf die Spur zu kommen. Schon der
fiasserliche Umstand, dass wir bis jetzt keine älteren Schrift-
denkmäler kennen und besitzen, als die ägyptischen,
spricht zu Gunsten der Herkunft unseres Alphabets und
unseres Zahlensystems aus dem merkwürdigen und uner-
Bchöpflichen Nilthale.
Bereits im Jahre 1855 hatte ich in meinem Werke
„das vollständige Universalalphabet, auf der physiolo-
gisch-historischen Grundlage des hebräischen Systems zu
erbauen versucht^' an mehreren Stellen den ägyptischen Ur-
sprung unserer Schriftzeichen wahrscheinhch gefunden z. 13.
pp. 8 lin. 21—23, 151 lin. 3, 158 lin. 23, besonders p. 55
„das alte Buchstaben-System, (das ich den Aegyptern —
nicht wegen der Pyramidenform — Forml — einstweilen
zuschreiben möchte etc.)'^ In meinem „Germanischen Runeo-
fudark" (1857) konnte ich mich, weil bereits mit den Hiero-
glyphen beschäftigt, noch bestimmter ausdrücken p. 185:
„Diese (Griechen) aber empfingen die Schrift von den semi-
tischen Phoenikem, welche ihrerseits selbst wieder nicht die
ersten Erfinder der Sdirift und (Ordner?) des Alphabets
Lauth: Der ägypt Ursprung umerer Buehstäbm etc, 85
gewesen sind, sondern Beides von den tiefsinnigen Aegyptem
empfangen haben".
Das letzte Jahrzehend hat diese von mir zuerst ausge-
sprochene Ansicht hauptsächlich durch den Fortschritt in def
Entafferaug der hieratischen Papyrus so ziemlich zur all*
gemeinen Ueberzeagung erhoben, wenigstens unter deü
Aegyptologen. So hat z. B. Brugsch in der Zeitschrift für
Stenographie (1864) die ngyptischen Buchstaben mit. denen
des phoenikischen Alphabets zusammengestellt, nachdem
schon vorher Vicomte de Roug'6 1859 in der Academie
des Inscriptions unter dem Titel: „Memoire sur l'origine
egyptienne de V aiphabet phenicien'' die nämlichen Grund-
sätze veröffentlicht hatte. Letzterer stützte sich hiebei vor*-
nehmlich auf die phoenikischen Schriftzüge des Sarkophages
von Aschmunezer im Zusammenhalte mit den sehr alter-
thiimlichen Zeichen des hieratischen Papyrus Prisse,
welcher der XI. Dyn.. d. h. mindestens dem 25. Jahr-
hunderte vor unserer Zeitrechnung angehört. Die neueste
Arbeit des Hnrrn FranQois Lenormant über den Urspruug
des phoenikischen Alphabets, meines Wissens mit dem priz
Vobey belohnt, geht von dem nämh'chen Standpunkte aus.
Die genannten Versuche genügen wohl, um die Ableit'^
ung der phoenikischen Schriftzeichen aus dem Hieratischen
plausibel erscheinen zu lassen; allein zur Begründung einer
wissenschaftlichen üeberzeugung sind sie bei Weitem nicht
ausreichend. Ich werde daher meine Untersuchung da, wo
ich sie vor zehn Jahren gelassen, wieder aufnehmen, die auf
der beifolgenden Tafel (A) befindliche Zusammenstellung im
Einzelnen besprechen, hiebei auf das Koptische die ge-
bührende Rücksicht nehmen, nach den Schriftcharakteren
die Frage wegen des ägyptischen Alphabets behandeln
^d am Schlüsse auch die ohnehin naheliegenden Zahl-
zeichen beiziehen.
Wird durch meinen detaUlirten Nacbwds die Herkunft
86 SüMung der pkilo8.'phü6l, Claaae vom 1. Juni 1867.
des phoenikischen Alphabets aus der hieratischen Schrift
der Aegypter, wie ich hofife, unzweifelhaft dargethan, so
lässt sich die Frage : was man yod den vielgeplagten Namen ^
Aleph, Beth etc. zu halten habe, leicht dahin entscheiden^
dass sie nur Gedächtnisswörter mit den betreffenden
Anlauten' sein können, und dass die Gestalt der ihnen ent-
sprechenden Schriftzeichen nichts mit ihrer Bedeutung zu
schaffen hat. Nach dieser nicht unnöthigen Vorbemerkung
gehe ich zur Erklärung der einzeliien Buchstaben über,
wobei ich, wie auf der Tafel, die Ordnung des koptischen
Alphabets beobachte. Bekanntlich ist dieses, analog dem
Gothischen, das sich aus den Runen ergänzte, nichts
weiter als das griechische'), aber um sieben Buchstaben
vermehrt, welche, weil ihre Laute dem Griechischen mau-
gelten, aus der demotischen Schriftart beigezogen wurden.
a. Prototyp ist der hieratische Adler oder Falke.
Welchen Namen dieses Schriftzeichen bei den Aegyptern
geführt habe, lässt sich jetzt noch nicht bestimmen; aber
so viel ist sicher, dass er nicht ächom (aquila) geheissen
haben kann, weil dieses Wort stets mit dem vertieften ä
(dem Arme) anlautet. Eher liese sich an das koptische
cUradj falco denken, wenn man es nur in älteren Texten
nachweisen könnte. Indess, die Frage nach den Namen der
Buchstaben wird weiterhin noch ausführlictier besprochen
werden, wo es sich um das ägyptische Alphabet handelt.
Für jetzt genügt die Thatsache , dass die Schreiber kopti-
scher Handschriften*) das aus dem griechischen Alphabete
entnommene A (i^) durch Rand Verzierungen zu einem Adler
oder Falken gestalteten. Hiezu konnte sie nicht der
1) Daher die unverkennbare Aehnlicbkeit des gothischen Alpha-
bets mit dem koptischen — beider Anfange fallen der Zeit nach
fast zasammen.
2) Schwartze: „das alte Aegypten'*, am Ende.
Lauih: Der ägypi. Ür9prung unserer Buehetaben etc, 87
griechische Name Shpa^ wohl aber die ErinnernDg an den
Vogel ihres einheimischen Alphabetes veranlassen. Dieser
Umstand beweist, dass die Aegypter eigentHche Bachstaben
mit Eigennamen besassen.
fr. Herr firugsch hat das Zeichen mit der Lautung
va dem h gegenübergestellt, sowohl aus palaeographischem
Grunde, als weil das koptische ßf^va (Bida) die Lautung
Vida behaupte. Allein das fragliche Zeichen, schon in den
Hieroglyphen äusserst selten, hat sich im Hieratischen und
Demotischen fast ganz yerloren. Palaeographisch empfiehlt
sich ebensowohl der hieratische Ba-vogel, mit <1em z. B.
das Wort ha die Seele (Horapollo's ßät) geschrieben wird.
Was mich zu dieser von De Rouge zuerst aufgestellten An-
sicht besonders bestimmt, ist die Thatsache, dass in der
akrophonischen Litanei an die Hatbor, welche Herr Mariette
zn Denderah entdeckt hat und die ich weiterhin wegen der
Alphabetsfrage näher betrachten werde, der frLaut durch
eben diesen &a- Vogel vertreten ist. Uebrigens ist die E]>
weichung des b zti v eine ziemlich allgemeine Erscheinung
in der Linguistik.
g. Dem semitischen Gimel fand Brugsch meist ein
ägyptisches Zeichen entsprechend, welches eine Art Eimer
vorstellt. Die characteristischen Striche dieses Zeichens
finden sich in derselben Reihenfolge und Symmetrie, sämmt-
lidi in dem Ghiiuel der Quadratschrift wieder, welche in
diesem speciellen Falle eine sehr alterthümliche Form dar-
zustellen scheint. Wenn man aus dem Verschwinden des
/a/i/ua-Lautes in koptischen Wörtern bis auf wenige Spuren
' (z. B. ang = anok ich) den Schluss gezogen hat, dass den
alten Aegyptem der ^-Laut überhaupt fremd gewesen, so
▼ergisst man, dass sehr viele Gutturalen in die Quetschlaute
djandjia und c'ima übergegangen sind. Für die constante
Vertretung unseres Zeichens durch ^ citire ich bloss De
88 Bitmmg der j»Mot.<jpMoI. (Mane wm 1. Juni 1867,
Rouge's') Aasspruch: „^ ^t ^ (sh) sont presque toujoars
rendos par'' (folgt die Hieroglyphe, welche unserem dritten
Buchstaben entspricht).
d. Dieser Laut wird dem Altägyptischen ebenfalls ab-
gesprochen, weil er nur in griechischen Wörtern und Namen
nicht aber in eigentlich koptischen erscheine. Allein mit
grösserem Rechte als die Media d, könnte man die Tenuis
t ihm absprechen, da die Kopten, obgleich %aS schreibend,
den Buchstaben doch Dau*') benennen. Es ist eben im
Koptischen, wie in yielen andern Sprachen, Media und Tennis
ia einen Zwischenlaut fibergegangen, den auch die Süd-
deutschen besitzen — ist aber desswegen der Unterschied
dreier Dentalen im Gothischen (d, t, th) ein willkürlicher,
oder nicht lautlich vorhanden gewesen? Zum Beweise abei-,
dass bei den alten Aegyptern die Media d bekannt mid
üblich war, erinnere idi bloss an die Bemerkung De Rouge^s:^)
„le 1 est transscrit par (die Hieroglyphe Hand) avec une
prefSrence marquee*', sowie an die weitere Thatsache vod
höchster Wichtigkeit für die Palaeographie, dass die hierati-
sche Hand (tot oder dod) mit dem hieratischen Mund (ro)
graphisch so sehr zusammenfallt, dass die gründlichste
Kenntniss der Gruppen dazu gehört, um sie nicht bestandig
mit einander zu verwechseln. Wem fallt hiebei nicht die
Aehnhchkeit von Daleth 1 mit Resch n ein ? Diese einzige That-
sache dürfte genügen, den Ursprung der semitischen Buch-
staben aus dem Aegyptischen und speciell dem Hieratischen,
bereits als sehr wahrscheinlich zu empfehlen. Das Delta
heisst im Aethiopischen Dent.
S u. S. Die Kopten nennen diese zwei Buchstaben M u. hida,
8) Girettomatbie igyptienne p. 80.
4) Tuki: Rudimenta lingnae ooptae tive Aegyptiacae (Rom. 1778).
5) pag. 88 feiner Chrestomathie.
Land^: Der Agfp$. ür$prung um$erer Buchstaben eU. 89
genau dem Altgriechisohen entsprechend und mit einer Andent-
ong, dass ihnen die ursprüngliche Bedeutung des H als einer
Gattnralis, (wie im latein. Alphabete H) noch nicht entschwun-
den war. Die palaeographische Herleitung des phoeuikischen ke
und ehet ans den hieratischen Zeichen (der maeandrischen Figur
und des sogenannten Siebes) kann daher, nachdem der laut-
liche Uebergang im Yocale durch anderweitige Analogieen
fermittelt ist, um so weniger einer Beanstandung unter-
liegen. Aber die Frage, ob die alten Aegypter unter ihren
phonetischen Hieroglyphen auch eine für den e-Laut gehabt
und gebraucht haben , ist damit noch nicht beantwortet.
Debrigens ist dieser Punkt dahin zu erledigen, dass dem e
ein 0 parallel zu gehen pflegt und dieses letztere in der
älteren Zeit eben so wenig sich ausgebildet hatte, als das
erstere. Die alten Aegypter kannten — und dieser Um-
stand spricht sehr zu Gunsten der Alterthümlichkeit ihres
Schriftsystems — nur die drei Grundvokale a, «, u, deren
pyramidale Entstehung ich am Schlüsse etwas gründlicher,
als es bisher geschehen ist, untersuchen werde. DieZwischen-
^okale e und o inhaerirten entweder gewissen Gonsonanten,
oder sie blieben, weil in der Sprache nicht anlautend, unbe-
zeidmet. oder sie wurden in Ausnahmsfällen durch eigene
Zeichen ausgedrückt. Auf das 9 zurück zu kommen, muss
man es dem Altagyptischen einerseits absprechen, anderer-
seits ein Analogen dazu in dem Rohrblatte erkennen,
welches desshalb in gewissen Wörtern (z. B. atef im Vergleiche
mit irf Vater) als leichtester Vocal stehen und wegfallen
mochte. Verdoppelt ergiebt dieses Rohrblatt den Laut i
wie im Englischen ee = i'). Auch im Devanagari wird
das ursprünglich allen Gonsonanten nachschlagende a später
6) De BoQg^ findet es p. 26 seiner Chrestomathie wahrscheüi-
lich, dass daa Bohrblatt allein schon dem i-Laate aahe gestanden.
90 SUgung der phüos.-phüdl. Claase wm 1, Juni 18$7.
za ^ oder 8, während e und o als Diphthonge zu betrach-
ten sind. Wie wandelbar die ägyptischen Vokale gewesen,
ergiebt sich ans der Präposition au (ad), die im Koptischen
zu S (^ geworden ist. Ob ein langes e allenfalls darch
Verbindung eines a mit » zu ai = e oder sonstwie hervor-
gebracht wurde, lässt sich jetzt noch nicht bestimmen. Das
1] von ^Aqciv6ri wird wenigstens einmal (Lepsius: Königs-
buch Nr. 695) durch ai bezeichnet.
80 und zida. So nennen die Kopten den 6. und 7.
Buchstaben ihres Alphabets; in der Sprache selbst ist
ersteres nicht, sondern nur als Zahlzeichen für 6 gebräuch-
lich. Aber es verdient Beachtung, dass der Anlaut s^ den
sie diesem Zeichen geben, ähnlich wie das griechische O^t
(0<fi), dem semitischen sajin noch entspricht. Was das
Zeichen betrifft, das sogenannte Smorjfxov ßav^ so werde
ich unten beim fei darauf zurückkommen. Das dem Laute
des 80 (sajin) zu Grunde liegende hieratische Zeichen ent-
spricht palaeographisch dem Z; es ist nämlich der junge
Adler, welcher nach Horapollo (II, 2) unter anderen Be-
deutungen auch die von dqqevoyovov hatte, was durch die
Texte bestätigt wird. Es wechselt dieses Zeichen häufig
mit den dem eade constant entsprechenden Homophonen,
die ich unter Djandja besprechen werde, gerade wie im
Semitischen sajin und trade'') sich beständig gegenseitig
vertreten.
thida. Dieser neunte Buchstabe, aus dem zangen-
artigen Werkzeuge entstanden, wechselt bisweilen mit dem
sogenannten Halbkreise (t) und dem Zeichen für den Laut
ihy erscheint dagegen in gewissen Gruppen constant, also
7) Wenn im koptischen anzSbS (sohola) ausnahmsweise ein
z erscheint, so lehren alte Inschriften z. B. das Ostrakon des Münchner
Antiquariums, daas dieses Wot in a-nt-sebe ,,Haas des Unterrichts*'
za zerlegen and also z = ts zu lesen ist.
Lauih: Der ägypt. Ursprung unser er Buchetaben ete. 91
als eigenthümlicher Laut, den ich mit dh amschreibe. Er
nähert sich palaeographisch dem d (Hand) r (Mund) so
wie dem ans dem s^ment de sphere entstandenen hierati-
schen Zeichen für t. (Dass letzteres nicht ins phönikische
Alphabet überg^angen ist, erklärt sich aus seiner Rolle
als Artic. femin. postpos. und weil es bisweilen stumm oder
expIetiY ist). Oesshalb ist der an der Biegung angebrachte
Strich, wenn auch nicht willkürlich, doch in gewissem Sinne
diakritisch wid hat sich derselbe bis in's Demotische ^) herab
erhalten. Am deutlichsten zeigt sich dieser Strich in dem
dh des Peschito und des Kufi, weniger im phönikischen und
hebräischen dh £0, weil in diesen beiden die Zange nach
oben gerichtet erscheint.
joiuda. So nennen die Kopten das 'Kra — ob aus
Reminiscenz an den Namen des i in ihrem einheimischen
Alphabete? Wie schon oben bemerkt, entsteht das ägyp-
tische i durch Verdoppelung des Rohrblattes, im Demotischen
sind es drei senkrechte Striche, und erst aus dieser Form
scheinen sich das phoenikische, aramaeische und Samara*
tanische i mit je drei Strichen zu erklären. Dagegen weisen
alle anderen Entwicklungen auf das Doppelblatt, beziehungs-
weise sogar auf das einfache Uohi blatt zurück , weil dieses
durch einen schrägen Querstrich in drei Theile zerlegt wird.
Es gab übrigens schon im Altägyptischen der Hieroglyphen
ein vereinfachtes t, nämlich zwei kleine schräge Striche (so
gestellt, um die Verwechslung mit dem Numerale für 2 zu
vermeiden) und diese bildeten in der mehr cursiven hierati*
sehen Schreibweise einen zusammenhängenden Schriftzug,
aos dem sich alle andern Formen mit Leichtigkeit ableiten
8) De Bonge Chrestöm. ögypt. pag. 60. pl. II unter t hat dieses
demotiache Zeichen nicht, sondern dafür das aus th entstanden»
92 ' Sitaung der phüos.'phOol. Ckuse vom 1. Juni 1867.
lassen. Das aethiop. jaman „rechte Hand'S hängt ver-
mnthUch mit dem Eopt. ionam dextra zusammen.
k^ genannt kabba. Man hat bisher zwischen dem so-
genannten Henkelkorbe and dem hebräischen Kaph keine
rechte Aehnlichkeit entdeckt, die doch wegen der Lant-
congruenz zu erwarten stand, weil man die bekannten Ke-
phuloth oder Endbuchstaben nicht gehörig berücksichtigte.
Sobald man diess thut, entsteht eine nicht zu verkennende
Identität zwischen beiden. Im Koptischen &ima (siehe weiter
unten) ist der K-Laut gequetscht, wie das italienische c und
daher die Entlehnung dieses Zeichens aus dem einheimischen
Alphabete, während für den Laut k das griechische xdnna
verwendet wurde. Dieses K mit seinen zwei WinkelstricheD,
wo man nur einen erwarten sollte, erklärt sich ans der
Quadratschrift, wo eine Basis hinzugefügt wurde, die dann
etwas höher binaufrückte, z. B. schon im phoenikischen K.
In den älteren Inschriften z. B. der Pyramidengräber bilden
die beiden erhobenen Arme eine häufige Variante des Henkel-
korbes; später wechselt dieses k mit dem winkelartigen
Zeichen für q. Dieser, obgleich seltenere Wechsel, sowie
die Gruppirung qk ist aus der Vermengung der gutturalen
Liquida mit der Tennis gutturalis zu erklären, wie man
sich schon aus der Schreibung des Namens Scheschaq
überzeugen kann, der im Aegyptischen als Scheschaq und
Scheschanq erscheint, während ihn Manetho mit Säaoyx^
umschreibt. Wenn daher das ägyptische hoqer (fames) mit
unserm ,,Hunger^^ stammverwandt sein sollte , so liesse
sich der Mangel des n leicht aus der Natur der gutturalen
Liquida begreifen. Eben so erklärt sich das allmälige Ver-
schwinden dieser gutturalen Liquida aus dem Alphabete
durch die Neigung der Liquida n, sich selbständig zu machen.
Daher ward xonna im Giiechischen nur als noch Zahl-
zeichen (infotjfiov) für 90 gebraucht; die Kopten verwende-
Lau(h: Der ägffpt. Ursprung muerer JiutMäbM de. 98
ten zn diesem Zweoke ihr /e», weil es palaeographisch mit
xoj^na zusammenfiel.
l m n r. Diese vier Liquidae, von denen die erste
ond letzte sich im Aegyptischen so häufig lautlich gegen-
seitig vertreten, liefern den augenscheinlichsten Beweis für
die Herkunft des phoenikischeh Alphabetes aus dem Aegyp*
tischen. Was zuerst das l betrifft, qq ist kein Zweifel, dass
der hieratische Löwe das Vorbild des Lamed Xd^ßda etc.
gewesen und es möchte sogar der koptische Name laula so
wie das aethiopische Lawi noch eine Andeutung enthalten,
dass den späteren Aegyptern der Ursprung des betreffenden
Zeichens noch geläufig war. In der That mussten die Ge-
bildeteren, welche nach Clemens mit der demotischen Schrift
anfingen und durch die Mittelstufe des Hieratischen zu den
Hieroglyphen selbst aufstiegen, die ursprünglichen Bilder
wohl kennen und da lahi oder lom der Name des Löwen
war, so konnte mit Rücksicht darauf hi^ßda zu lauia
werden. Dass die Nachteule (kopt. muladj) den m-Laut
bezeichnet, ist bekannt; ob aber der Name iiv (Kopt. mi)
aus dem semitischen mem verkürzt oder aus einem älteren
nm entstanden ist, lässt sich noch nicht entscheiden. Nach
HorapoUo bezeichnet der wxzixofaS unter imderu auch
Hvo:fog und die Denkmäler bestätigen diese Angabe, indem
die Nachteule, mit den Deutbildern der Erdscholle und des
abwehrenden Mannes oder dem Determinatice desUebels be-.
gleitet, stets Tod oder sterben bedeutet (kopt. «»u^mors
imd mori). Die palaeographische Vermittlung zwischen der
hieratischen Nachteule und dem semitischen m ist einfach
QDd leidit zu finden ; man braucht nur die ältesten Formen,
die im Papyi-us Prisse nebeneinander vorkommen, in ihrem
oberen Theile zu combiniren und zu bedenken, dass das m
der Qaadratschrift, (sogar das Kephuloth-m) einen unteren
Qaerstrich als Basis erhalten hat. Dasselbe gilt vom niiii,
nur dass das Kephuloth-n diesen unteren Querstrich nicht
94 Sitmmg der phüos -phüd. Glosse vom i. Juni 186T.
aufweist, wie es auch in der Ordnung ist. Denn das n ent-
steht palaeographisch aus der Wellenlinie, die im Hierati-
schen zu einer wagrechten Geraden wird, nur dass Anfang
und Ende gewahrt sind, woraus dann ein gezogenes fsa
sich mit Nothwendigkeit ergab. Unser deutsches Schreib-n
ist sogar zufallig wieder zu der wellenförmigen Linie zu-
rückgekehrt. Der Name nun (vv kopt. m) könnte daher
recht gut altägyptisch sein, da nach Horapollo (I, 21), den
Denkmälern und dem Koptischen vovv oder vov den Nil*)
oder abyssus überhaupt bedeutet, üeber r als Vertreter
des l habe ich schon oben gesprochen und werde weiter
unten darauf zurückkommen.
exi und ebsi. Diese beiden Doppelkonsonanten, dem
^ und tp entsprechend, finden sich natürlich im Altägypti-
schen nicht; sie sind ja auch im griechischen Alphabete
eine ziemlich späte Erscheinung. Aber ^ nimmt die Stelle
des samech ein, dessen Name (Oiy/jux) das alte oäv ver-
drängt hat, und es fragt sich daher, welches hieratische
Zeichen dem alten Samech entspricht. Lässt man vom
samech der Quadratschrift die Basis weg, so entsteht ein
Zeichen, das dem hieratischen siphon genau entspricht uud
sich dem aramäischen samech auffallend nähert. Anderer-
seits wird das hieratische Zeichen zu dem sogenannten
nXdxafwg oder S neben S. Auf einen ähnlichen Vorgang
weist der Gebrauch eines Schluss<y/yiwa g neben tf, so wie
unser langes f neben s.
s. Für den 5-Laut verwendeten die Kopten das ofyi^
lunatum (G) unter der Benennung sima. Es scheint, dass
die graphische Verwandtschaft des G mit dem c'ima aucli
9) Mit Hinzofügong von hd (her = superior) wird daraos Kob^li
Nahal, Ntilof. i
Laitthi Der ägypt, Ursprung unserer Buehstahen etc. 95
die Namensformimg beemflnsst hat. Hier will ich nur noch
darauf hinweisen , dass der Vorschlag eines Vokales vor
Sibilanten am Anfange eines Wortes, wie er im Koptischen
so häufig erscheint, auf eine alte Gewohnheit zurückgehen
könnte, nach der wir den Buchstaben ebenfalls es^ nicht se
m benennen pflegen.
o. Dem semitischen Ain (Oin) y entspricht in Trans-
soriptionen Ton Namen constant der ägyptische Arm, dessen
Biegung am Ende zu der runden Form unseres o geführt
hat Das Wort ani, dem hebr. ]^y entsprechend, erscheint
mit der nämlichen Bedeutung (Auge) schon sehr frühzeitig.
jp. Alle Formen des semitischen pe entstammen dem
bieratischen Bilde der Matte, besonders wenn man das
Kephuloth-p berücksichtigt. Es ist nicht ein conventionelles
Bild des Himmels, wie ich selbst früher ^^) mit Anderen
angenommen hatte , weil pe (im Koptischen „der HimmerO
durch seine Gestalt an das n der Griechen eiinnert, sondern
em Geflecht mit AbtheUung in der Mitte, wie man es unter
den Bastarbeiten noch antrifft. Der homophonisch dafür
eintretende Vogel mit ausgebt eiteten Flügeln wurde dem
hieratischen &a-Vogel zu ähnlich, als dass nicht daraus schon
in uralter Zeit Verwechslungen entstanden sein sollten.
Ueber die nach pe folgenden sfade und qoph vergleiche man
das oben Gesagte und das weiterhin unter cHma Beizu-
bringende.
ro. So nennen die Kopten mit den Griechen (^eS) den
dem semitischen resch entsprechenden Buchstaben. Es ver*
dient gewiss Beachtung, dass der Mund, dessen Bild die
Hieroglyphe und das daraus entstandene hieratische Zeichen
darstellt, im Koptischen noch ro heisst. Ueber die graphische
Verwandtschaft dieses Buchstabs habe ich oben gesprochen,
10) UniTenal-Alphabet p. 61.
96 SUmmg der phüos.-pküoL Claue vom 1. Juni 1867.
ebenso über die gegenseitige VertretuDg tod { and r. Im
Demotischen wird der Löwe, als einfacher schräger Stridi
gebildet , auch zur Bezeichnung des Wortes re (pars) ver-
wendet und erzeugt zuletzt den Bruchstrich, dessen wir
uns fortwährend bedienen, wie denn auch ein hieroglyphiaches
/» = V» ist.
t Der Name %av wird von den Kopten dau lautirt,
woraus aber gegen die ursprüngliche Geltung des t als
einer tenuis nichts gefolgert werden darf. Denn das hiera-
tische Zeichen, welches ich dem n gegenübergestellt habe,
entspricht diesem palaeograpliisch und phonetisch zu r^el*
massig, als dass man ihrer Identität zweifeln dürfte. Mit
den sonstigen Uebergängen in verwandte Dentalen habe ich
mich hier nicht zu befassen, nachdem ich oben unter thida
das Nöthige beigebracht habe. Dass Thav nicht das Kreae
bedeutet hat, wenigstens nicht im Aegyptischen, und dass
es daher nicht nothwendig den Schluss bezeichnet, um, wie
man gemeint hat, die Signatur des Alphabet-Erfinders vor-
zustellen, lehrt ein Blick auf das betreffende hieratische
Zeichen. Es scheint eine Art Beutel zu sein, und dann
liesse sich das koptische thetn (loculus) zur Erklärung bei-
ziehen.
r. Das V tfßdöv benennen die Kopten he, wohl nur dess-
halb, weil v als Anlaut im Griechischen nie ohne den Spi-
ritus asper auftritt. Dass v ursprünglich die Lautung u
gehabt, beweist die Stelle dieses Buchstabs im lateinischen
Alphabet hinter t, nicht minder aber auch die sprachliche
Analogie, wonach u zu ü (v) wird, so dass man dann geuöthigt
ist, aus o + v ^ov sich ein neues Zeichen für den IT-Laut ZQ
formiren. Dieses nahmen die Kopten mit dem griech. Alphabete
herüber obgleich ihre einheimische Schrift ein eigenes und
einfaches Zeichen für den ti*Laut gehabt ^ haben muss, da
er noch im koptischen Lexikon statistisch der häufigste
Vokal ist. In der That zeigen die altägjptischen Wörter fast
XoiiA: Der dgypt. Ursprung unserer Buehetaben etc. 97
sammtliGh den Vocal u und zwar unter der Gestalt des
Pharaonenhühnchensy wie ich schon früher ^^) behauptet
hatte. Vergleicht man nämlich die hieratische Form dieses
Vogels mit V und Y/ so wird die grosse Analogie derselben
eioleochten« Wie es gekommen, dass dieser Vokal aus dem
semitischen Alphabet yerschwunden ist und in dem akro-
phoniachen Psalme durch eine Wiederholung des pe nur
schwadi angedeutet ercheint, habe ich ebendaselbst erörtert:
die nahe lautliche Verwandtschaft mit dem Faf (ßaff) be-
weg dazu; sie ist auch Schuld, dass wir dem v noch immer
den Namen vau beilegen.
Ueber phij cM^ ebsi {tpl) und eS fiäya brauche ich hier
nichts zu sagen: ihre graphische Entstehung durch DiiSeren-
zirung, Entlehnung der Zahlzeichen oder Verdoppelung habe
ich im Uniyersal-Alphabete zur Genüge behandelt. Es ver-
steht sich von selbst, dass wir die Prototype dieser Buch«
Stäben nur im semitisch-griechischen, nicht aber im alt-
ägyptischen Alphabete zu suchen haben.
Es folgen nun die sieben letzten Buchstaben des kopti-
schen Alphabets, d. h. diejenigen, welche, weil spedfisch
ägyptische Laute yertretend, die das Griechische nicht be-
sass, aus dem einheimischen Alphabete entnommen wurden.
Wie sicher man hiebei verfuhr, beweist am besten das zu-
Bädist folgende schei. Die Griechen hatten diesen breiten
Zischlaut aufgegeben, aber das dorische oäv, das später als
inUhifkov für 900 verwendet wurde, was ist es anders als
V? Die Kopten griffen auf ihr schei zurück, weil sie ein
Zeichen für diesen in ihrer Sprache so häufigen Laut nöthig
hatten, gerade wie GyriUus für die slavischen Idiome das
hebräische schin entlehnte. Dass dieses slavische sdh an
Gestalt dem koptischen schei so identisch ist, rührt daher^
11) Üniveraal-Alphabet pag. 17.
[1867. n.i.]
98 8Ummg det pMUm.-phM, Clasae vom t Juni 1867.
weil auch das semitisdie seh, wie das koptische, ans den
hieratischen entnommen war. Dieser Bachstabe bildet einen
starken Beweis fiir die Herkunft des phoeaikischen Alpha-
bets aus dem ägyptischen.
Nicht minder das nun folgende fei. Aus der gehöra«
ten Schlange (xsfdatrjg) entwickelte sich ein hieratisches
Zeichen, welches dem Faf 0), dem sogenannten Digamms
(richtiger Bav), dem lateinischen F, dem runischen /e,
ebenso zu Grunde liegt, wie dem koptischen fei. Dag^en
ist der nächste Buchstab, nämlich das chei (khei), zum
Ausdrucke der starken Aspirata guttnralis bestimmt , von
"Xf etwas verschieden, und da die Aspiraten sich auch im
Griechischen erst spät entwickelt haben, auf das ägyptische
Sprach- und Schriftgebiet eingeschränkt gewesen. Hier aber
treffen wir das Zeichen in doppelter Geltung: als Buchstab
und als Zahlzeichen für 1000 mit der Lautung scho, aUo
sibilirt. Auch palaeographisch erleidet es in letzterer Be-
ziehung eine grössere Veränderung, sobald die Zahlen
2000—9000 dadurch ausgedrückt werden. Aber als Bach-
stab khei ist es fast unverändert aus dem ägyptischen in
das koptische Alphabet übergegangen.
An dieses khei schliesst sich h mit dem Namen Aon.
£8 ist vorderhand noch zwitifelhaft , ob das koptische hori
aus der maeandrischen Figur oder aus dem sogenannteo
Stricke sich entwickelt hat; vielleicht verhilft uns in der
nächsten Abtheilung sein Name auf die richtige Spur.
Nunmehr kommen zwei Quetschlaute: djandja und
eUma. Ihre nahe Verwandtschaft wird durch ihren häufigen
Wechsel nahe gelegt; dass aber ursprünglich eine grossere
Verschiedenheit zwischen beiden bestanden hat, beweisen die
älteren Inschriften, wo ihre Prototype niemals wediseln. Es
ist nämlich die Hieroglyphe, aus der das djandja entspron-
den ist (ChampoUion übersetzt den Namen mit „Demoiselle
de Nttbie*') der constante Vertreter des aade. Aber palaeo-
LaiAhi Der ä^ypt. Ursprung untenr Buehttaben ete- 99
graphisch ist juade^ besondera in seiner Kephuloth-Form y,
die Schlange (djatfi) , welche als Homophone Hir eben
jenes djandja, sowie für das oben erläuterte Prototyp des
sajin einzutreten pflegt. Erst in der jüngsten Epoche steht
bisweilen, z. B. gerade in dem Namen der Schlange (djatfi)
der Anlaat c' (c'atfi), aus welchem urspi ünglichen K-Laute,
wie im Italienischen, der Quetschlaut geworden ist. Daraus
erklären sich alle gegenseitigen Vertauschungen in befriedi-
gender Weise.
Den Schluss des koptischen Alphabets bildet das dat,
ein Sylbenzeichen» analog dem thav des semitischen
Alphabets, aber durch seine Syllabität auf den alten Cha-
rakter des ägyptischen Alphabets als eines Syllabariums
noch dentlich hinweisend. Die Aussprache di^ welche Tuki
dem Zeichen giebt, wird jetzt allgemein angenommen gegen
die frühere ti, welche aus der unrichtigen Annahme einer
Ligatur aus T -f I entstanden war. Dieses Sylbenzeichen
dt ist das nämliche, von welchem Diodor (III, p. 101 Steph.)
spricht mit den Worten: jSäv i^dxQvnrjqCtov tj fiiv ie^ia^
%ovg icunvXovg ixtszaiiävovg I%ovOa or^fAah'H ßlov tto-
QiOjAov^^ In der Tbat bedeutet di (früher da) beständig
darcy oder vielmehr Möt^m und vii^ävcu zugleich, wie ja
auch das lat. do beide Bedeutungen enthält (z. B. in ab-
Bcondo).
Mit der Annahme des griechischen Alphabets haben
also die Kopten nur ein uraltes Eigcnthnm ihrer Vorfahren
wieder an sich gezogen und mit den nöthig gewordenen Zu-
Batzen aus eigenem Schatze versehen, sich daraus ein Al-
pbabd; gebildet, das auch uns bedeutsame Winke für das
gjiyptische Altertbum gibt.
100 Sitgung der phüos.-phüöl. Glosse wm 1. Juni 1867.
Indem ich nunmehr zur Beantwortung der Frage über-
gehe, ob die alten Aegjpter ein Alphabet, wenn auch yor-
erst nur in dem Sinne eines Sjllabar's, gekannt haben, Ter-
hehle ich mir die Schwierigkeiten des Unternehmens keines-
wegs. Uebrigens dürfte der Umstand, dass uns zuletzt
sieben Buchstaben mit Eigennamen begegnet sind, ein
günstiges Vorurtheil für die bejahende Entscheidung bilden.
Von dem letzten Zeichen dei ist es gewiss, dass es der
alten Schrift entnommen ist; nur der Punkt bleibt zweifel-
halt, ob zur Zeit der Entlehnung des griechischen Alphabets
durch die Kopten die media dentalis nur noch mit dem in-
haerirenden Vocale { vorkam, oder ob sie auch sonst noch
gebräuchlich war. Der auf speciell gidechische Wörter ein-
geschränkte Gebrauch des J (<f) beweist, dass ein da, de^
do, du nur in dem Sinne gelten konnte, als sie, wie fav
zu dau^ von der Tennis zur Media gesunken waren. Weit
entfernt also, dass die koptische Sprache der Media entbehrt
hätte, besass sie dieselbe sogar in grösserem Umfange, als
das Altägyptische. Um die verwickelten Erscheinungen des
Wechsels der Dentalen etwas besser zu begreifen, darf man
auch nicht vergessen, dass sich frühzeitig dialektische Ver-
schiedenheiten ausgebildet hatten, so dass z. B. dem tbe-
banischen (sahidischen) p, k, t oft ein memphitisches q> %,
^ entspricht, während die baschmurische Mundart dem r
der beiden andern Dialekte fast regelmässig ein l gegen-
überstellt.
Es wird uns jetzt vielleicht der Name hori etwas ver-
ständlicher werden. Unter den Neuem hat Lepsins**)
« dieses hori auf den Namen des Horus gedeutet und ich
war früher selbst^*) geneigt, diess anzunehmen, weil auch
12) Zwei Bprachvergleichende Abhandlangen p. 68.
13) Universal- Alphabet p. 168, 169.
LaiUh: Der ägypL Unprung uMerer Buehgtahm etc, 101
im Aethiopischen der erste Buchstab hat heisst. Allein ich
Terhehlte mir nicht, dass im Armenischen das Alphabet mit
aib oder ipe beginnt, welches zu nahe an den von Plutarch
als ersten Buchstab des ägyptischen Alphabets genannten
Ibis anklingt. Allerdings treffen wir den Namen Horus auch
phonetisch geschrieben, aber meist wird er durch sein Sym-
bol, den Sperber^ vertreten, der nicht zu den alphabetischen
Zeichen gehört. Ich glaube desshalb, dass wir, wie beim
cki, den Namen hori als das nomen proprium des Zeichens
selbst zu betrachten haben. Unter dieser Voraussetzung
bietet sich das in den koptischen Gompositis Ar^-schi, (tor-
qaes) eigentlich funis mensurae — und aschie-Am (catena)
eig. longitado funis erscheinende hrei als passendes Substrat
für das strickartige Zeichen, aus dessen demotischer Form
sich das koptische hori leicht entwickeln mochte.
Halten wir diesen Gedanken fest, dass die Namen der
Zeichen von der bezeichneten Sache hergenommen wurden,
so wird sich jetzt auch c'ima erledigen. Im Koptischen be-
deutet €*oome tortum esse und wirklich ist der Henkel-
korb, das Prototyp des Buchstabs c'ima, ein Geflecht, ge-
rade wie der Halsschmuck nebt {nebti = implexio filorum,
opus cont^ztum) dargestellt wird, der bekanntlich die Sylbe
iid> in Ncxravsßaig ausdrückt. Dieser Parallelismus gereicht
dem c'ima zu einiger Empfehlung.
Schwieriger ist die Herleitung des Namens djandja. Die
vdemoiselle de Nubie'' kann natürlich nicht befriedigen. Der
Gegaistand selb&t, den die Hieroglyphe vorstellt, scheint ein
Gewächs zu sein, das sich aus einer Ebene mit Seitenlappen
erhebt. Sonderbarerweise klingt hier das C^CävMv (lolium)
verführerisch an, und wenn auch das nämliche Kraut im
Koptischen entedj (djentedj) lautet, so wäre es immerhin
denkbar, dass C$Cäviov für ein älteres C^vCiov stünde, wel-
dies dem djandja sehr nahe kommt.
Das mit diesem djandja homophone c^atfi (Schlange), das
102 SiiMung der phüoa.-phUol. Claaae wm 1. Juni 1867.
' Vorbild des semitischen £ade^ erscheint im koptischen Al-
phabete nicht mehr, theils weil es durch djandja schon yer-
treten ist, theils wegen seiner partiellen Ersetzung durch
aida (Crra).
Der Name fei für die gehörnte Schlange {xe^äar/jg)
ist mir im Demotischen **) und zwar in der Verbinduog
seehi en fei = fei (bilis) serpentis**, unter der Reduplicativ-
form fetfet **) als Variante zu c'atfi und hoß {py)t^) begegnet.
Die nasalirte Form, welche die häufigste ist, lautete feni
(vermis). Alle drei Gruppen sind durch die gehörnte
Schlange determinirt. Es scheint mir daher, dass der ältere
Name dieses Buchstabs fent gewesen ist.
Das sckei stellt eine mit Blumen und Knospen bewadi-
sene Fläche dar. Da nun schi^ und schS planta und hortos
bedeuten, so brauchen wir nach einem andern Etymon nicht
weiter zu suchen.
Eben so sicher ist khei (chei) eine Pflanze mit riegel-
haubenartiger Blüthe. Der Umstand, dkss dieses Zeichen,
wo es für die Zahl 1000 gebraucht wurde, in die Sibilation
übergetreten ist (scho = mille), während es als Buch-
stabennamen constant khei lautete, bestimmt mich, es in
dem so häufigen khaui (vegetabile) wieder zu erkennen,
welches in den ägyptischen Kecepten, besonders bei der
Summirung der Ingredienzien, regelmässig getroffen wird.
Sind die bisherigen Ableitungen der Namen aus den
bezeichneten Gegenständen nicht von der Hand zu weiseo«
so wird es nunmehr gestattet sein, die Gesammtheit der
phonetischen Hieroglyphen nach Art eines Alphabets mit
ihren Eigennamen vorzuführen. Ich befolge hiebei immer
noch die koptische Ordnung.
14) Papyr. gnost. Leydens. col. XVII.
15) Todtenbuch cap. 154 col. 8.
Ltmih: Der ägypi. Utnpnmg umaerer ßuchOabm ete. 103
0. ä. Das Bohrblatt iiki (kopt. ake = calamns) zur
BezeichnuDg des kurzen Uryokales, das Prototyp des duroh
Verdoppelung daraus entstehenden i. loh habe ihm dess-
halb keine eigene Nummer gegeben.
1. ä. Der Falke atrodj, oft durch das Rohrblatt ein*
geleitet: ää.
2. b. Der JSa- Vogel, als dessen Vertreter und Ein*
läter oft das Bein, manchmal auch der Hauswidder (&ch
em-pe) erscheint. Von den in der jüngeren Epoche auf-
tretenden Variauten für diese und andere Hieroglyphen ist
hier nicht der Ort zu handeln. Ich habe in einem Auf-
sätze^*) gezeigt, dass sie einer sehr alten aenigmatischen
Schriftart entnommen sind.
3. g. Der Gegenstand gaty in dem demotischen Texte
der Inschrift von Rosette öfter für vaög gebraucht. Er
könnte übrigens auch einen Eimer ^^) vorstellen, und dann
wäre das koptische kadji situla zu vergleichen.
4. d. Die Hand dod. Im jüngeren Dialekte^*) sogar
zu djidj gequetscht. So ist z. B. sim-enrgHg^ mit der grie-
chisch sein sollenden Uebersetzung N TAKT versehen, wel-
ches man zu „sim N^ idxrvXog^^ zu ergänzen und zu ver-
bessern hat. Es ist nämlich die Pflanze Digitalis gemeint.
Man sieht, wie dem koptischen Schreiber sein erstes Tav = d
lautete.
5. e. Die maeandrische Figur mit dem Namen hau^
kopt hye = mansio.
6. dj. Der junge Adler mit der Aussprache dje («V
^o/oi^Dg), dem sajin und jrida entsprechend.
16) Zeitschrift für aegypt Sprache nnd Alterthamswiasenschaft.
April 1866.
17) Wie Pap. d'Orbiney: ,,ein Eimer (gai) frischen Wasaers", wo
Chabas Melanges IT, 246 „plat d'ean fraiche*' übersetat.
18) Papyr. gnost. Leyd. Col. YIII lia. 6.
104 aUmmg der phOas.-phüdl. CUuse wm 1, Juni 1867.
7. eh. Das Sieb oder d.er Rost eher (chera bei Eir-
dier craticula).
8. dh. Dieser Laut wurde später fast immer gequetscht,
daher dhi (capere) zu dji ward und das Instrument dM
(forceps die Zange) im Koptischen zu edjo, edju, edjau.
9. i. Der Anlaut i kommt eigentlich nur in den zwei
Zeitwörtern i(u) gehen und iä waschen vor; denn Wörter
wie tuma = mare (Dl^) sind entlehnt. Aber eine Steile
des Todtenbuchs (c. 102,4) und ein geschichtlicher Tezt^*)
bieten ein Substautivum w, determinirt durch die Aehre,
ein Holz oder ein Gerüst. Da nun iot im Koptischen hör-
deum bedeutet und die Soldaten das Doppelgewächs des %
wenn auch in symmetrischerer Ordnung, auf dem ¥hp!e
tragen, so scheint dieses iu mit der Bedeutung insigne der
Name des Buchstabs gewesen zu sein.
10. q (ng). Der Winkel Kopt. höh (kenhe, keldje).
Vergleiche weiter unter Nr. 25 cHma.
IIa. {. Der Name Idbi (Löwe) klingt noch im kopt
latüa nach.
12. m. Die Nachteule mulag*^ vielleidit ein Composi-
tum mit dem einfacheren und älteren mu.
13. n. Die Wellenlinie mit der Lautung nu oder imn.
14. 8. Entweder as der Sitz, oder die Stuhllehne, die
im kopt 80% dorsum erhalten sein könnte, für das siphon-
artige Zeichen. Für den Riegel 8he pessulus. Vergl. das
Aethiop. 8at.
15. 0. Die Phonetik des Armes ist noch nicht er-
mittelt. Doch könnte dreh concludere, vergl. mit armus, zu
Grunde liegen.
16. jp. Der mit pa oder pu bezeichnete Gegenstand,
19) Dümiohen: Histor. InsohriftoD, Taf. V, coL 62.
Lmrih: Der ägypt ünprung tmaerer Bnehttaben etc. 105
eine Art Matte aos Bast, könnte mit pars oder frisch storea
zasammenhangen.
IIb. r. ro „DerMond^' hat o£fenbar dieser Buchstabe
geheissen.
17. t. Ich habe oben thevi loculas 'vermnthet Der
Halbkreis tritt sowohl für ^, als d, als die Aspiraten dh
und ih ein. Seine arsprüngliche Bedeutung noch unermittelt,
^eUeicht ikba tnmulus.
18. u. Das Pharaonenhähnchen mit der Aussprache «t,
tielleicht in ui „alere^' educare des Koptischen der Wurzel
nach bewahrt.
19—26. Die sieben oben ausführlich erläuterten Namen
Ton sehet bis dei. Da letzteres ein Sylbenzeichen , und l
mit r homophon, so ergiebt sich die Zahl von 25 eigent*
Sehen Articulationen oder Buchstaben.
Die hier unabhängig gewonnenen Laute, 25 an der
Zahl, werden sofort die Stelle Plutarch's '®) in das Gedächt-
niss rufen, wo er sagt, „die Fünf (aber) bildet ein Quadrat
(25), so gross als die Menge der Buchstaben bei den Aegyp-
tem ist''. Man hat dieses Zeugniss auf das Alphabet der
christlichen Kopten bezogen, ohne zu bedenken, dass der
SchrifUteller diese Zahl von 25 Buchstaben mit den Lebens-
jahren des Stieres Apis, also eines heidnischen 6ötzen, zu-
sammenstellt. Auch zeigt das kopt. Alphabet 31, nicht 25
Bachstaben. Nach meiner oben gegebenen Untersuchung
irird man daher um so geneigter sein, die Stelle Plutarchs
aof das altägyptische Alphabet zu beziehen, als ohnehin
20) De Ib. et Onr. c. 56. Vergl. mein üniv. Alphabet p. 167.
106 SiUung dar phOoi.'phiM. dam wm 1. Jmi 1867.
aasser den 25 phonetischen Hieroglyphen meinea
Verzeichnisses keine weiteren Zeicheq yorkommen}
die man eigentliche Bachstaben nennen könnte.
Hatte Champollion noch mehrere Hundert angenommen, so
wurde diese Deb^zahl durch Lepsius'^) auf ein beschei-
denes Maass zurückgeführt. Wenn aber dieser Forscher
und andre Aegyptologen in neuerer Zeit die altägyptischen
Articulationen auf 16 oder 15 reduciren, so kann ich aas
obigen Gründen ihnen nicht folgen**).
Hiemit ist die Frage, ob die alten Aegypter ein wirk-
liches Alphabet gekannt haben, so ziemlich in affirmati?em
Sinne entschieden, selbst wenn man die Herleitung der
phoenikischen Zeichen aus den hieratischen nicht gelten
lassen wollte. Mit der Existenz des Alphabetes ist aber
zugleich eine gewisse Ordnung der Buchstaben bedingt. £s
erhellt diess zunächst aus einer andern Stelle Plutarch's*'),
wo er sagt, dass „die Aegypter dem Hermes (Thod) als
dem ersten Erfinder der Schrift zu Ehren den Ibis (sein
Symbol) als ersten Buchstab schreiben*^
Diese Worte haben eine mehrfache Auslegung erfahren.
Birch, der verdienstvolle Aegyptologe *^), erklärte sie ans
der Schreibung des Wortes aah (kopt. ioh) Lunus, wie der
Gott Thod so häufig genannt und alsdann mit einer Mond-
scheibe oder Mondsichel auf seinem Ibiskopfe ausgezeichnet
wird. Jenes ääh wird geschrieben mit Rohrblatt Arm Kette.
Allein das ist nicht der Name des Ibis. Ueberhaupt ge*
21) In seinem Briefe von J. 1887 an Rosellini in dem Bolletiiio.
22) Aehnlich hatte man früher das nordisohe Futhork von 16
Runen für alter gehalten als das von 24, bis ich den entgegen-
gesetzten Sachverhalt au&eigte.
23) SympoB. IX. 8.
24) In seiner Introduction to the study of hierogl. Anhang ta
Wittdnson's „Kgypt in the time of the Pharaohs*'.
Zaiähz J)0r ägypt, TJnf/mng unaerer S^ehttdbm ete. 107
bort der Ibis nicht zu den phonetischen und alphabetischen,
sondern zn den symbolischen Hieroglyphen. Dazu kommt,
dass die Auffassung des ägyptischen Hermes als einer Mond*
gottheit (Lnnus) sich nicht sdir hoch in^s Altertham zurück
verfolgen lässt. Auch aus diesem Grunde muss man also
den &sh als ersten Buchstab aufgeben.
Die zweite Ansicht, welche U. Deveria aufgestellt hat,
bezieht sich auf die hieratische Schreibung des Ibis, näm-
lich mittels eines Zeichens, das dem hieratischen Rohrblatte
identisch zn sein scheine. Sie kommt der Wahrheit schon
um desBwillen näher, weil wir bisher die hieratischen
Zeichen massgebend gefunden haben« Demnach würde also
Plulardi entweder gesagt haben: „Das Alphabet beginnt
mit dem Rohrblatte, welches die Lautung a hat'^ oder:
„An der Spitze des Alphabets steht der hieratische Ibis"
~ ob aber als Buchstabe ? Wenn irgendwo in einem Texte
das ägyptische Alphabet als solches aufgeführt wurde, so
ist kein Zweifel, dass es als Erfindung des Ibis-Thod dar-
gestellt wurde, der ja beständig „Herr der göttlichen Worte"
betitelt wird.
Eine dritte Ansicht hat neulich'^) H; Mariette ver-
öffentlicht. Er- entdeckte nämlich am Tempel zn Denderah
eine Art Litanei an die eponyme Gottheit Hathor, deren
Prädikate in dem bekannten bombastischen Style in ein-
zelnen Reihen von Gruppen aufgeführt werden, je mit an-
drem Anlaute versehen. Die Ordnung nun, in welcher diese
gesdiieht, ergiebt folgende 16 Buchstaben:
tsouvfhapmnchhn seh b
Damit man nicht wieder meine, die alte Hypothese von
einem 16theiligen Uralphabet erhalte hiedurch eine neue
Stätze, bemerke ich, dass h und n sich wiederholen, sowie,
25) Revue areheol. Avrü 1867.
108 Sitswng der phHas.-phüol. Classe wm 1, Jum 1867.
dasB wesentliche Bachstaben, wie: l r s h % etc. fehlen. Es
scheint also, auch mit Hinzunahme der folgenden Columnen,
die nach Mariette keine durchsichtige Ordnung mehr dar-
bieten, kein eigentliches Alphabet beabsichtigt zu sein,
sondern nur eine Reihe von Alliterationen, welche natür-
lich indirekt für das Bewusstsein eigentlicher Buchstaben
zeugen. Dm nun wieder auf den Ibis als Anfang der Buch-
staben zurückzukommen, so meint Mariette, der Umstand,
dass der erste Anlaut ein t sei, lasse sich auf obige Stelle
Plutarch's beziehen. Dass der Ibis Taaud lautirt werden
konnte, beweisen die vielen Eigennamen, in denen der Name
Sa>v& als Gräcisirung des Ibis erscheint. Allein diese An-
sicht entfernt uns wieder zu weit von dem Wortlaute der
Stelle Tttfy Yfafjtfiävmv ÄlyvTtxwi nqmtov Ißiv yQä^ovOi^
da ein Buchstabe, nicht ein Name damit gemeint ist.
Wollte man zweifeln, ob Plutarch überhaupt von einem Al-
phabete spreche, so belehrt der weitere Zusatz ov» oQ&tSg
3unä ye vr^v ifojv iö^av, dvavi^ xal dg>&6YYV ^(osifiav
iv YQdfifiaaw dnod6vT€g, dass es sich um den Vorsitz unter
den Buchstaben, also um eine alphabetische Reihenfolge
handelt. Mich wundert , dass Mariette sich nicht auf die
6 (7) Zusatzbuchstaben des koptischen Alphabets berufen
hat, da dieses chei und hori benachbart zeigt, wie die Akro*
phonien der Hathor. Freilich beweist dieser einzelne Fall
nichts und andererseits sind ja auch sonstige Verwandte,
wie o u f V, % a, fn, n^ zusammengruppirt. Dass t und s
beisammen stehen, deutet wenigstens auf physiologisches
Verfahren**).
Die phonetische Schreibung des Namens Taa/ud*^ (en
26) Wie ich es im Umyersal-Alphabet p. 64 lin. 1. und 2.
unten, ausgesprochen habe.
27) Bragrach Geogr. I Nr. 680 verglichen mit 641— 64S.
LatOh: Der äg^, ünprung unserer Buehttäben ete. 109
Pnabs) ist bis jetzt nur ein einziges Mal getroffen worden.
Ich habe diesen Namen zuerst mit dem semitischen HO cor,
Thaddaeus = Lebbaeus identifizirt, nicht nur, weil die Be-
deutung ,,Hei^^^ aIs der Sitz der Intelligenz nach orientali-
scher Anschauung, zusagt, und so das „Taautes Phoenix
ütteras invenif' bestätigt, sondern weil die Alten einstimmig
dem Ibis in einer gewissen Stellung, Aehnlichkeit mit einem
Herzen zuschreiben. So sagt HorapoUo I, 36: KaffiCav
ßovXöfJuvoi y^ipeiVy Ißiv Cfoy^a^povOi' %6 ydq Zwov ^EQ/ifj
^iwtcUj ndarjg xaqiia^ tuxC Xoyuffiov d€0n6%'jßj insl xal
fj Jßig avTo xa-d'* ai%6 %^ »aqiCff iö%lv €fAg>€Qijg' •neql ov
ioyog iari TtXstotog naq AlyvTtrCo^g g>eQdfJUVog^^), Neuere
Legenden, die man gefunden, bestätigen, ausser den herz-
förmigen Mumien der Ibis, durch die Phonetik selbst die
Nachricht der Alten in dieser Beziehung. Herr Pleyte hat
nämlich statt der gewöhnlichen Gruppe het (cor) mehrere-
mal ab angetroffen und ich habe'') den Namen der Stadt
Athribis auf Grund dieser Wahrnehmung nach allen seinen
Bestandtheilen zu erklären vermocht. Während nämUch das
Etjmologicon magnum den vofidg *A^Q$ßfjg wegen seiner
Lage inmitten des Delta mit- xa^dCa übersetzt, zeigt die
^üeroglyphische Schreibung die Gruppe Hat-to«her->ab „Haus
des Landes der Herzensmitte' S woraus "Äd-qtßHg entstan-
den ist. Hier haben wir bereits den Uebergang des a&,
mit dem vagen Vocale des Bohrblattes geschrieben, in t&,
woher %bis und damit zugleich einen Beleg für die Gleich-
nng Rohrblatt = i.
28) Aach Aelian. I c. n. die Schollen zu Platon's Phaedras p.
356 sprechen von der herzförmigen Gestalt des Ibis.
29) In einem für die aegyptologische Zeitschrift bestimmten
Anfigatze.
110 SiUfWig der phüos.-phüci. Gasae vom 1. JwU 1867.
Aber der constante Name des Ibis lautet hab(u) (mäan-
drische Figur, Aar, Bein) was nidit befremden kann, wenn
man bedenkt, dass das Rohrblatt selbst aake (an zweiter
Stelle mit dem Aar geschrieben) lautete, und dass die Ad-
spiration des maeandrischen Zeichens eine sehr gelinde« ein
wirklicher Spiritus lenis war, wesshalb es in die semitischen
Alphabete als he^ in das griechische als I überging. Ein
Zusammenhang beider Wörter ist ^Iso sehr wahrscheinlich
und als Verbalwurzel habe ich früher schon*®) das so häu-
fige ab vermuthet, dessen Verwandtschaft mit dem latein.
avere rfnd T\^ (velle, cupere) jetzt vielleicht nicht mehr
beanstandet wird. Ich war eine Zeit lang geneigt, in diesem
hahu^ ah (Ibis, Herz) eine Bestätigung für das System
meines Universal-Alphabetes zu erblicken, welches mit Spi-
ritus lenis und Urvokal, als den Vertretern der Conso-
nanten und Vocale, beginnt. Damit ich mir aber nicht den
Vorwurf der Rechthaberei zuziehe, muss ich schliesslich noch
einer andern Möglichkeit gedenken, das Plutarchische Uns-
zeichen an der Spitze des ägyptischen Alphabets zu ei^
klären.
Der ägyptische Hermes heisst bekanntUch 'fftgfAäyuftog^
in der Inschrift von Rosette /Jtiyag xai fiäyag. Das Cap. 125
des TodtenbucheSy ein sehr wichtiges und sehr altes Haapt-
stück dieser Sammlung, fährt den Qott Thod coli. 61, 62
mit den Worten ein : „Nicht lasse ich dich (den VerstorbeueD)
passiren durch meine Wacht, bevor du gen.mnt mir meinen
Namen^^ Der Verstorbene sagt hierauf: „Kenner der Herzen,
Prüfer der Eingeweide (Leiber) ist dein Name**. Man fragt
ihn weiter: „Wer ist der Gott in aeiner Stunde, welcher ist
es?'' Die Antwort lautet: „Der Gott ia seiner Stunde, den
du genannt hast, ist der Grosse (tennu) der beiden Welten.**
80) Manetho und der Tariner-Königspapyras pp. 46, 63, 64.
Xa«^: Der ägfypt. Ursprung uMerer Buchstaben etc. 111
„Wer 18t der Grosse der beiden Welten?" „Es ist TÄod"
(geschrieben mit dem Ibis). Die demotisebe Redaction dieses
Capitels, welche die Bibliotheqae Imperiale zu Paris'*) be-
sitzt, bietet unter vielen andern werthvollen Varianten statt
des Wortes tennu das Wort cta^ dessen Bedeutung gross
langst erhärtet ist. Femer heisst Thod in den bilinguen
Rhind-papyri, im Papyrns Senkowski und in vielen andern
Quellen Äs-tetmu „der grosse As." Damit wir wegen der
Vieldeutigkeit des Wortes as nicht lange zu suchen brauchen,
erinnere ich an das kopt. as antiquus, woher auch Isis nach
Diodor als nttXaui erklärt wurde und an die Stelle HorapoUo's
1,30: *Aq%aioyov(av dh yqä^oVTBg^ nanvqov C^Q^^^vO^
iäafAtjv, Also eine Papyrusrolle bedeutet d^xaioyovial In
der That erscheint das Rohrblatt und der Siphon(a^), womit
jener Name As-(tennu) geschrieben wird, häufig mit dem Deut-
bilde der Papyrusrolle, um den Begriff alt auszudrücken,
80 z. B. in der „Bauurkunde von Denderah",'') wo gesagt
vird, dass „der Urplan von An et (Denderah) gefunden wai*d
io alter Schrift". Eine solche Papyrusrolle hält aber der
Gott Thod als beständiges Attribut in seiner Hand, und so
(mag denn) As-tennu ihn als den „grossen Alten" bezeichnen.
Daraus würde auch sein hieratisches, dem Rohrblatte gleiches
Siglum, vielleicht als Abkürzung des Namens Astennu er-
klärlich werden. Thatsächlich steht das hieroglyphische
Rohrblatt a mit dem Zeichen für Gott über dem Ibis;")
also ist das eigentliche a der Anfang des Alphabetes, nicht
das Siglum des Ibis. Die Stelle Plutarch's verhilft uns somit, ^
wegen ihrer Vieldeutigkeit, höchstens zu der Wahrscheinlichkeit,
dasa der leichte Vokal a den Anfang des ägyptischen Al-
31) Vergl. Bragseb.: Demo tische Urkunden Taf. YU.
33) Dümichen Taf. XV col. 87.
38) Dfimichen: Ealender-Inaehriften Taf. CKYIU^S.
112 Siitung der phOos^-phUol. CUuae wm 1, Jum 1867.
phabets gebildet habe. Mariette's Akrophonien beweisen nur,
was schon die altägyptischen Wortspiele nahe legen, dass
die Aegypter das Bewusstsein alphabetischer Zeichen hatten.
Es fragt sich, ob uns keine andern Qaellen zu Gebote
stehen.
Der gnostische Papyrus von Leyden enthält in Coli. XVIII
und XX drei oder vier Alphabete, theils griechischen, (kop-
tischen?) theils ganz willkürlichen Charakters. Sie scheinen,
wie die bei den Ingredienzien im Texte angewendeten Zeichen,
einer Geheimschrift anzugehören, wie ja auch die gnostisdien
Scarabäen solche Spielereien aufweisen. An ein altagyptisches
Alphabet ist dabei überall nicht zu denken, weil schon die
Reihenfolge der übergesetzten Buchstaben beweist, dass man
das griechische Alphabet geben wollte. Mehr Wichtigkeit
dürfte der Papyrus Grey'*) beanspruchen, wenn die anf
seiner Vorderseite befindlichen 24 oder 25 Zeichen wirklich
ein demotisches Alphabet vorstellen sollen. Die Urkunde
ist datirt vom 28. Jahre des Ptolemäus Philometor (118
V. Chr.) und das fragliche Alphabet beginnt rechts mit dem
demotischen a (Aar) und schliesst links mit einem ^, so dass
die Vermuthung nahe gelegt wird, als ob Aleph*ThaT, also
wesentlich das phoenikische Alphabet gegeben- sei. Allein
eine nähere Betrachtung lässt die Sache in einem andern
Lichte erscheinen. Schon das zweite Zeichen gehört nicht
zu den alphabetischen, sondern ist das Sylbenzeichen fM.
Nr. 3, 4 und 5 entsprechen allenfalls einem jp, das 4. dem
syllabischen to, das 5. einem o (?), Nr. 7 einem &, Nr. 9
einem ^, 10 einem &, 11 wie 2 = ru, dann folgen ziemlich
deutlich n, m, n, ch (?), w, 5, cÄ, /*, a, n, A, a, t. Man
sieht, dass sich mehrere Buchstaben wiederholen, während
andere gar nicht vertreten sind, so dass also aus dieser
34) Young, Hieroglyphica pl. XXXIV.
Lauth: Der ägypt. Ursprung unserer Buchstaben ete. 113
Zasammenstellung von Buchstaben eich keine Folgerung anf
das altagyptische Alphabet ziehen läest.
Gleichwohl dürfen wir an der dereinstigen Entdeckung
des ägyptischen Alphabets auf irgend einem Denkmale oder
in einem Papyrus nicht verzweifeln. Die Aegyptologie hat
schon manche Ueberraschung gebracht, so z. B. die Phonetik
der Zahlwörter im Pap. Leydens. I, 350, wovon ich weiter-
bin noch zu sprechen habe. So gut nun in diesem Documente
die Zahlen nach ihrer natürlichen Ordnung aufgeführt sind,
ebensowohl könnte etwas Aehnliches iu' Betreff der Buch-
staben stattgeftmden haben. Ausserdem liegt die Möglichkeit
nahe, dass die Aegypter ihrem Hange zum Symbolismus
nachgebend, heilige Embleme zu Repräsentanten der nqSva
aifn%sZa gewählt haben. Die Vignette zu Gap. 1 — 15 des
Todtenbuches zeigt analog Schakal («), Ibis (ab), Sperber
(^nk), Stier (X;a), Geier (lihretui kopt.), die Locke (Aolk),
die Doppelfeder, erinnernd an den häufigen Titel df/ai-chuj,
Träger der Fahne, endlich die Adlermumie. Ich behaupte
Dun nicht, dass hiemit die ersten acht Buchstaben gegeben
seien; denn eine Vergleichung mit vollständigeren Listen
dieser Embleme**) würde den Versuch, obgleich 24 solcher
auftreten, bald scheitern machen. Aber etwas Analoges
dürften wir, unter der Aegide des Thod, irgendwo an-
zutreffen erwarten.
Dass die Aegypter eine gewisse Ordnung der Buchstaben
kannten und befolgten , möchte sich auch aus Folgendem
ergeben. Das Berliner Museum besitzt unter andern einen
griechischen Papyrus, d&r mit allerlei mystischen Figuren
bedeckt ist und besonders den Vocalen eine geheime Wir-
hing beilegt. Da die sieben Vocale des griechischen Alpha-
bets darin erscheinen, so wird man nicht fehlgreifen, wenn
35) Z, B. Toimg, Hierogl. II, 67.
11867. IL 1.]
114 Sittwng der phüos.^üöl. Gasae vom 1. Jtmi 1867.
man ihn als gno8tisch bezeichnet; in der That ist darin
von einer Zauberlampe (Xvx^og) die Rede, gerade wie in
dem demotischen Papyrus von Leyden gnostischen Inhalts.
Ich setze die neun ersten Zeilen her, mit dem BemerkeD^
dass die Urkunde stellenweise zerrissen ist.
nocQüaQixmg TtQog coaCe avra fifjwCri Co&
QrjTtog X €iTai 0o» xai ov y
naOag Oov rag TQtx^g . . • rjvrjg xcu kaßwv icfoxa lOf
Ttaiov anodmOov «i^ vrjg avfu^aOcev
xm [Äsv Ta Tixoi devOov avtov Qaxs
axQfOTiöTtag noOi avrovg ovvxag Oov Gw xai/g
-^QiS^ x(u Xaßünv yqaqis av%l o xe^ieva
xai Ti^€ig avtovg x^Qi^i xat xoig ovv^ixcu ccvccnla—
aov avtov Xißavta • , , , axiip a ee VVV ^^^^ ooooo
Man sieht, dass es sich um die Anbringung magischer
Charaktere handelt. Unmittelbar daran schliessen sidi die
zuletzt in arithmetischer Progression aufgeführten sieben
Vocale noch einmal, aber in folgender Doppelfigur:
a mwwoiwww
B € V V V V V V
fjrjrj o 0 o oj>
i i i & i t $ $
0 0 0 0 0 VW
V VV V V V € C
. «10001(0(00001 a*
Begleitet sind diese Figuren von den Worten : xcu Xaß^
To yala Ow %m,..v%i anoß'i xsiqivov und anderen minder
lesbaren. Es folgt: xai keys %ov nQoxeifievov Jioyov, ver-
bunden mit der oben Zeile 9 gegebenen arithm. Prog. der
7 Vocale und dann heisst es : ifxe fioi ceya&e Fetale aya^i
« . . . . fjuv aqne q>^ ßqivtcnrjvai^Qi^^) ßQiOxvkfia aQOva
36) Dieser Name findet sich öfter im guost. P»pyras von Leydeo.
iMudh: Ber ägypt Ur$prung unserer ButMabem etc. 115
io^« . . . ^v . . . %ov iuxfA9VfAamg>. rjxe fioi ofwg Si(f$m m-
fuvog SV ra ßmQxoitjXe xcu wvhviovikevog eto.
Diese Steilen, so werthloB sie sonst auch sein mögea,
bestätigen doch im Allgemeinen die Nachricht: iv Äiyvmff
ih xfti %odQ '9-soüq vfAvoikU Siä %ßv iirrd gHovtjdvtwv.^'')
Als ich Obiges za Berlin 1863 copirte, war mein Uni-
Tersal-Alphabet bereits seit acht Jahren erschienen. Um so
aehr war ich ?on der pyramidalen Anordnung der Buch-
staben überrascht. Dass nur die Vocale in der Figur rar^
treten sind, erklärt sich zur Genüge daraus, dass diese Cha-
raktere Torschriftsmässig gerufen'^) werden sollten, was
bei dun Consonauten eben nicht möglich ist.
Aber auch die altägyptische Bezeichnung der drei
HauptYokale fuhrt zu dem pyramidalen Systeme, wie ich es
in memem Uniyersal-Alphabet zuerst aufgestellt habe. Es er-
schemt nämlich als Vertreter oder als Vereinfachung des
Bobrblattes a der senkrechte Strich l , für die Verdoppelung
desselben der Doppelstrich, entweder schräg gestellt, um die
Verwechslung mit der Ziffer 2 zu vermeiden, oder auch
senkrecht 1 1 ; als beständiges Aequivalent des u der dreifache
Stridi III, so dass die drei Hauptvocale das Grundschema
i'i*l d. h, die pyramidale Figur prototypisch u. deutlich aus-
drficien. NachderstatistischeoHäafigkeitdesVocalesti imAegjp-
87) Jablonski Prolegg. p. LV—LIX.
* 88) Darauf beliehen sieh wahrsoheinlioh auch die 7 Hexame-
ter CoL V:
'OQXiCtj MiipaXata ^€ov om^ ieriy OXvfAifog
*OqxtXioi a<pQaxida ^coti on€Q sarw oqae^
*OqxijC(o jf«^« df^in^iir ^(^?) xoüfiog (y?) iviex^i
'Ö^ietim x^n^^ '&€ov nXovToy xat^x^^^
*Oqxt!t^io ^eoy mwytov auoya rc narranf
'Ogx^oi ipveuf avro^ri xqaxunoy Adtjyai(oy)
Y>^jt4(ai dvyoyta xai ayt§3iXoytm EXtiHiu{oy)
8*
116 Sitmmg der phOos.-phüdl. Qane wm 1. Juni 1867.
tischen könnte man den alten Aegyptern einen gewifisen
Labialismns eigenthümlicb finden, wie der Guttnralismas
(a) den Semiten nnd der Gerebralismns (i) den Enropäem
eignet. Dieselben 1. 2. 3? Striche dienen auch zur Bezeichnung
von Singniaris, Dualis und Plnralis. Hiemit ist der üeber-
gang zu den eigentlichen Ziffern gegeben, Ton denen ich
schliesslich noch Einiges beibringen will, um die üeber-
Zeugung zu begründen, dass auch unsere sogenannten arabi-
schen Ziffern aus Aegjpten stammen.
Die aegyptischen Ziffern.**)
Der senkrechte Strich, schon im Hieroglyphiscfaen fSr
die Zahl 1 (ua, auch unbestimmter Artikel) gebräuchUch,
bleibt es auch im Hieratischen. Wird er verdoppelt und
verdreifacht, wagrecht gelegt und durch Schleifung zu einem
Ganzen gestaltet, so entstehen die Ziffern J2 (snau) und
3 (schämt). Auch die Ziffer 4 verläugnet diesen Ursprung
aus Strichen noch nicht und man könnte behaupten, dass
unsere vier ersten Ziffern eben so gut aus dem Chinesischen
als aus dem Aegyptischen gezogen sein könnten. Das ent-
sprechende Zahlwort für 4 lautet afdu.
Allein mit der Ziffer 5 befinden wir uns entschieden
auf ägyptischem Boden. Der Stern, nach HorapoIIo und den
Denkmälern für 5 gebraucht, und regelmässig mit 5 Strahlen
dargestellt, wird hieratisch zu einer Figur, deren nahe Be-
ziehung zur Ziffer 5 unverkennbar ist. In dem uralten Pa-
pyrus Prisse z. B. wird in dem Worte sebaii (Unterweising)
die erste Sylbe schon durch diesen Stern (Eopt. siv) be-
zeichnet. Wie es gekommen, dass das Zahlwort 5 dennoch
eine andere Wurzel darbietet, mag hier unerörtert bleiben;
genug, dass dem koptischen tiu (quinque) entsprechend, der
89) Yergl. die Tafel B.
LoMih: Der ägypt. Ursprung unserer Buchstaben etc. 117
Pap. Leydens. I, 350^^) dafür die phonetische Gruppe tiau
bietet Da nun auch die Hand (tot) vor der Zahl 5 als
phonetisches Zeichen erscheint, so hatte ich doch Recht, in
memem Buche „les zodiaques de Denderah" zu behaupten,
dass der Ausdrudc teytei'O in teyt-hro zu zerlegen und auf
die fünf Epagomenen zu deuten sei. Wird nicht auch
ponischa {näiine) von Einigen als Hand (mit fünf Fingern)
aa%efas8t ?
Die Ziffer 6 findet sich so, wie wir sie haben, im De-
motischen; das hieratische Zeichen hat gewöhnlich noch
zwei Stridie daneben, zum deutlichen fieweise, dass diese
Ziffer aus 2X3 Strichen zusammengesetzt gedacht wurde.
Ihre Phonetik wai* sas und scLseh (sex, schesch). Bei der Ziffer 7
sehe ich mich genöthigt, von Lepsius und Pleyte in der £r-
Uärong abzuweichen. Letzterer nimmt nämlich an, der in
den Hieroglyphen dafür eintretende Kopf en profil sei eine
inthümliche („fautive'^) Transscription des hieratischen
Zeichens. Allein unter dieser Voraussetzung müsste man
den Irrthum fast als Regel erklären, da der Kopf für 7 so
haofig getroffen wird. Mehrere Stellen beweisen, dass die
hieratische 7 eben so gut als der hieroglyphische Kopf mit
dieser Zahlbedeutung auf einer altägyptischen Anschauung
beruht, wonach dem Kopfe sieben Mündung^ (ro) zuge«
schrieben wurden, wohl keine andern als Augen, Ohren,
Nüstern, Mund. So heisst es im Pap. Leydens I. 345
6 3: seine 2 Lippen, welche zum Sprechen; seine 2 Augen,
welche zum Sehen; die Siebenheit der Mündungen seines
Kopfes". Die nämlichen 7 ouvertures de la tete begegnen
uns in den Rhind^papyri V, 6*^). Mit der Phonetik des
40) Von Herrn Goodwin (Zeitechrift für Aegyptologie 1864) zu-
^t in seiner Wichtigkeit für die Zahlwörter erkannt Vgl. in
denelben Zeitschrift Pleyte 1867, 1-3. Hefl
41) Vgl. Bmgsoh: Materiaoz p. 61.
118 Siteung der phfhs.-pMM, Ctasse vom 1. Jvni 1667.
Zahlwortes hat dieser Kopf nichts za schaffen. Die Biblio-
tiieksgöttin Safch, häufig mit dem siebenstrahligen Sterne
geschrieben, wird im Pap. Leyd. I 350 durch die phoneti-
sche Gruppe safch vertreten, deren Verwandtschaft mit dem
kopt. sasehfe und dem indogermanischen, ja dem semitisdien
Zahlworte für 7 ziemlich einleuchtend ist.
Die Ziffer 8, noch in den beiden aufeinanderstehenden
Rauten unserer älteren Quellen *•) als 2X4 erkenntlich,
yerläugnet ihren Ursprung aus Strichen nicht. Namen mit
griechischen Transscriptionen ergeben die Lautung xofiv^
kopt. sibilirt zu schmun = octo, aber in chemne octoginta,
noch getreuer erhalten. Merkwürdig ist, dass in der so häufig
erwähnten Achtstadt (Aschmunein= Hermopolis) die hiero-
glyphische und die hieratische Schreibung des Zahlwortes
(auch im Leydens. I 350) constant ^^^ennu lautet. Wie mochte
dieses sesennu zu schmoun (semit. schmoneh) werden? Ich
habe längst die Zahlsymbolismen: „2. der Isis, 3. der Neph-
ihys*' auf die Phonetik gedeutet. Snau Ojtt^) heisst zwei
und son „Bruder''; (s)cham (t) drei und sehofn (Dö)
„Schwager'^, so dass also die Stelle besagen würde: ,Jdi
(Osiris) bin Bruder der Isis, Schwager (olxcTög) der Neph-
Öiys". Aehnliche Zahlsymbolismen z. B. 5 oder 9 Striche für
die Wörter tiau und pest Ruhm , Glanz sind auch sonst
nicht selten. So könnte auch sesennu, das bisweilen in der
Schreibung sensennu gefunden wird, „die Verbrüderungen,
Verschwägerungen" bedeutet haben. Der Wechsel des n mit
,m erklärt sich, wie der Monatsname PAarmu^i aus PAarefimf/t.
Ein ähnlicher Lautwandel scheint bei dem Zahlwort
für 9 stattgefunden zn haben. Ursprünglich paut^ durch
ein Opferbrod vorgestellt, das auch den ersten Tag des
Monats oder den Neumond bedeutet, lautet es im Kopti-
42) Z. B. des Codex Ratisbonenflis der Manchener BibKotkek,
von dem ich p. 45 meines Runenfcdftrk gpesproohea habe.
LeuUk: Der ägypL Uriprung unatrer BuehiUnben etc. 119
sdien psU und wird schon in der jüogeren Periode der
Hieroglyphen durdi die strahlende Sonne vertreten, weil
psef = strahlen. Aber ein drittes Zeichen, eine Art Sense,
ans welchem offenbar das hieratische Zeichen für 9 und
unser 9 entstanden ist, erscheint als Detenuinativ zu paut.
Merkwürdig ist nun, dass diese Sense («u>t;acul4 das Scheer-
Besser?) häufig zur Schreibung des Wortes neu (maut) yer-
i^endet wird, und dass in den indogermau. Sprachen eben-
&lls ein Zusammenhang zwischen neu und neun (novus,
noTem) zu bestehen scheint. Sollte vielleicht die Verwandt*
Schaft von paut und tnaut zur Wahl des Zeichens für 9
geleitet haben?
Die Aegypter kannten die Null nicht, desshalb trennen
sich von hier an die beiden Systeme, indem das unsrige
(indische?) für 10 schon einet Zusammenselzung anwendet,
während die Aegypter*») für 10, 100, 1000 etc. eigene
Zeichen gebrauchten.
Man hat das hufeisenförmige Zeichen, mit dessen Hülfe
alle Ziffern von 10 — 90 incL gebildet werden, für die
Hälfte eines Eönjgsschildes gehalten und daraus das kopt.
meU (decem und dimidium) erklären wollen. Allein dies
scheitert an der Unmöglichkeit, das eckige Zeichen fl zu
erklären, das z. B. in der Inschrift von Rosette für 10
vorkommt. Ich glaube, dass die alte Bedeutung und Laut-
ung der Hand (ma geben) Dual mati, das koptische Zahlwort
fnäi decem, besonders in Rücksicht auf teut = quinque
(tma manus) besser empfiehlt. Was sodann die Figur der
Ziffer 10 (fl) betrifft, so ist sie nichts anderes als ein po*
tenzirtes 1 1 mit einem Querstriche, gleich als wenn man hätte
ausdrucken wollen, dass es die zweite Stufe der Zahlen vorstellt,
wie HorapoUo II, 30: Ffafifi^ d^^ fu^ Sfut YQafiftfg
intxsTuxfAfi^VTi iixa Yfofi/juig ininiiovq Orjfialvovai andeutet.
43) YgL die Tafel C.
120 SitMung der phüae.-phüoa, Claaae vom 1. Jum 1867.
Diese Erklärung erhält ein bedeutendes Gewicht durch
das Zeichen fiir 100. Es ist nichts Anderes als das for
das Pharaonenhähnchen eintretende u. Wie konnte aber u
= 100 bedeuten? An sich wohl nicht; aber mit Rücksicht
auf III = tt. In der Absicht derAegjpter lag es, so die Zahl
100 als die dritte Stufe darzustellen, ohne damit das Zahl*
wort sehe ausdrücken zu wollen. Im pap. Leydens. I 350
ist schao als die Phonetik yon 100 angegeben; ich habe
das Zahlzeichen für 100, mit dem phonetischen Werthe
sche^^) in dem Woite äsche (Ceder) angetroffen. Sollte
letztere etwa wegen ihrer sprüchwörtlichen Erhabenheit den
Namen asche (kopt. multa, abundans) empfangen haben?
Behalten wir die gewonnene^ Scala bei, so erledigt sich
auch das Zejchen für 1000, nämlich die oben schon bei dem
Buchstaben (khei) besprochene Pflanze khaui. Das kopt
Wort für 1000: scho ist durch Sibilation daraus entstanden.
Mit dem ^Stamme multus (ascho) ist es, wie aus dem eben
über asche bemerkten zu ersehen ist, nicht verwandt; H.
Pleyte vermengt beide Bedeutungen, wenn er es für möglich
hält, qu'on a pris la plante comme symbole du nom de
nombre mille, a cause de la tnultitude des vegetans. Das
Zeichen ist eben kein Symbol, sondern phonetisch und seine
ursprüngliche Bedeutung messen. Wäre es nicht mögUch,
dass das Messen mit vier Fingern oder der Fausthöhe
dieses kha veranlasst habe, als wollte man sagen, dass
1000 die vierte Stufe der Zahlen sei?
Der Finger oder vielmehr der Daumen (in den
grösseren und ausführlicheren Darstellungen) mit der Laut-
ung tab, steht für 10,000. Wenn H. Pleyte sagt: ,je ne
connais pas de point de rapport entre la signification da
signe et la pronondation^S so hat er nur der allgemeinen
44) Dümichett Kai. Ins. Taf. LXVII, c. 7; Brugsch, Geogr. IH,
Nr. 188, 189.
Lauih: Der ägypt. Unpnmg umaerer BmMaben He. 121
bisherigen Unkonde Aasdmck gegeben. Nimmt man mit
mir an, dass nach der Faust, als fünfte Stufe der Zahlen,
der Dauuien gewählt worden sei, so schwindet das Dunkel
in jeder Beziehung.
So hatten also die Aegypter mittels der zehn Finger
der Hand und allenfalls mit Hinzunahme der Fusszehen,
weil 20 eaut^ (djuot) 30 mapu (map) 40 htne nicht als
Muldplicate von 10 in der Phonetik erscheinen, ihr Zahlen-
system bis zu 10,000 resp. 99,999 zu führen Termocht.
Jenseits dieser Grenze treffen wir noch drei Zeichen: die
Kaulquappe (hefennu) = 100,000; den Mann mit er-
hobenen Armen (hah) = 1^000,000 und den Siegelring
(chen) für 10^000,000. Diesen drei Begriffen ist die Bedeut-
ung einer grossen Menge (hah z. B. = multus) gemeinsam.
Durch Zusammensetzung mehrerer dieser Zeichen war es
möglich, alle denkbaren Grössen auszudrücken.
Ueber die Herkunft unseres Bruchstrichs / aus dem
demotisdien re Theil habe ich schon oben gesprochen;
selbst hierofflyphisch erscheint z. B. die Gruppe Theil = Vi-
IUI
Ueber die Aussprache der Brüche, die oft durch wun-
derliche Zusammensetzungen (z. B. */6 = V« + *M + */i«)
gebildet werden, gebricht es uns bis jetzt an monumen-
talen Haltpunkten; einige Winke des kopt. Lexicon's z. B.
mtsi = pars quarta, deuten darauf hin, dass sie Eigen-
namen einfacher Art gefuhrt haben. Dagegen besitzen wir
in dem papyrus Leydens. I 350 für die Zehner und Hun-
derter ziemlich durchsichtige Ausdrücke, die vor allem die
wichtige*Thatsache darthon, dass (wie im Semitischen) die
Zahlen 50, 60, 70, 80, 90 als Plurale der Zahlwörter für
5—9 erscheinen, während die entsprechenden Zahlzeichen
als Maltiplicate (5 X 10 etc) gebildet sind und insofeme den
indogermanischen Zahlwörtern quinquaginta (= quinque-
decemta) vergleichbar sind. Das nämliche Verfahren wieder-^
122 Sünmg der phOot^^pkOol, Okuu vom i. Juni 1867.
hok sich bei den Hondertern ood Tausenden in Spradbe
und Zeichen. Um so auffallender ist es, dass die Zahl«
Wörter für 20, 30 und 40, obschon die entsprechenden
Zahlzeichen ebenfalls ifls 2 X 10, 3 X 10, 4 X 10 sich dar-
stellen, weder als Plarale der betreffenden Einer, noch als
Gompositionen mit meti (zehn) erklärt werden können. Der
Papyrus giebt für 20 die Phonetik gatU (Kopt. djuöt) —
und zwar als Participium des Verbum's 0a peragrare, mit
dem Deutbilde des Schiffes begleitet. Es versteht sich
Yon selbst, dass damit nur die Lautung, nidit die ursprüng-
liche Bedeutung des Zahlwortes aaut geboten werden
sollte.
So viel ist klar, dass die ägyptischen Ziffern und Zahl-
wörter auf dem uralten Decimalsysteme beruhen. Nehmen
vrir nun an, dass. wie bei einigen andern Völkern, mit Hin-
zunähme der zehn Fusszehen (digitus, iäKivlog^ däna)
eine höhere Einheit von Zwanzig (score im Englischen)
begründet wurde, so würde sich in dem Verbum djtt,
djto = sopire, reclinare, eigentlich „alle Viere von sich
strecken** ein passendes Etymon zu dem oben räthselhaft er-
schienenen djuot (zaut) vermuthen lassen.
Die Phonetik des Zahlwortes für 30 lautete mapu (kopl.
map), wie H. Chabas scharfsinnig in dem Pap. Anastasi I.
wiederholt gefunden hat. Da nun nach Diodor I, 75 das
Richtercollegium der „Dreissig^* (3 X 10 aus Theben, Meia-
phis und Heliopolis) in Uebereinstimuiung steht mit den ia
ägyptischen Texten so häufig erwähnten „Dreissigern'S so
ist an dieser Phonetik mapu für 30 nicht zu zweifeln,
wenn gleich uns hier der Pap. Lcyd. I 350 im $tidhe lässt.
Aber die Erklärung dieses mapul Das einzige hier an-
klingende kopt. Wort i^t mpo mutus und man könnte ve^
muthen, dass Horapollo I, 28, wo er d^uivia := (eV, og
%^%i&%pvg iou XQovov dqtS-fJLoq schreibt, miss verständlich
aus ^aer älteren Quelle entnommen habe, wo mpo = %H^
Xatfth: B&r ägypt. Ursprung wnserer Buchtkihm «fo. 123
xowcc^g gestanden. Dadurch wäre aber hödistens die
Laatung mapu bestätigt, nicht das Wort erklärt. Wenn es
erlaubt ist^ das Griechische beiznziehen, so dfirfte das He-
siodische fulnm „taste, berühre^* mit mapu stammverwandt
sein, and dieses dann die dreimalige Wiederholung der
beiden Hände, also 3 X 10 um so passender ausdrücken, alf)
die Endung u ohnehin pluralisch ist' und der Plural im
Aegyptischen durch Verdreifachung ausgedrückt wird. Viel-
leicht hat sich in tnep-ouosch desiderium, verglichen mit
auosch, voluntis (Wunsch) der alte Stamm mapu als Verbal-
Wurzel noch wirksam erhalten.
Nun ist es auch gestattet, das bisher unerklärte hme
= 40 in Angriff zu nehmen. Im Pap. Leyd. I, 150 ist die
betreff^de Gruppe undeutlich, wenigstens in ihrem Anfange;
der Schluss wird durch ein sicheres m gebildet. So viel
dürfte schon hieraus erhellen, dass das altägyptische Zahl-
wort für 40 dem kopt. kme identisch gewesen. Ich habe
in einem Denkmal des Pharao Hophra {Ovag>fig, Unfitjg)^^)
die Stelle „ar ham renpetu'' getroffen, welche bedeutet „Es
sind 40 Jahre^', wenn die Gruppe kam^ determinirt durch
den Pelikan, mit 40 übersetzt werden darf. Leider ist der
Text sehr lückenhaft, so dass uns der Zusammenhang nod
der daraus zu entnehmende Beweis entgeht. Was aber
meine Auffassung empfiehlt, ist der Umstand, dass der
Pelikan im Kopt. eben auch hme heisst. Die dialektischen
Varr. hmS, hemi, hymS, fähren auf das Verbum homi oal*
eare, so dass demnach die Zahl vierzig ägyptisch entweder
▼on der Wiederholung des Auftretens mit den zehn Zehen der
Fasse oder zugleich dem Tasten der Hände benannt wäre^^).
45) Bmgsch Recueil PL III, lin. 4 yon unten.
46} H. Pleyte, in der oben citirten Abhandlung, denkt beizaut,
mapu, hme. an Entstehung aus fremden Sprachen; allein bis jetzt
zeigen sich diese Zahlwörter sonst nirgends.
124 SUgung der phOoa.-phM. Claase vom L Jwid 1S67.
Die Zahlwörter von 50—90 sind Plaralformeii der ent-
sprechenden Einerbenennungen. Für 60 erscheint statt der
sechsmaligen Wiederholung des Zehnerzeichens ein Quadrat,
für 80 die sonst ^cAep gelesene Eüeroglyphe. Beide scheinen
Rückbildungen aus den hieratischen Zügen zu sein, deren
Gomposition aus 6 X 10, 8 X 10 wenigstens wahrschein-
lich ist.
Für 200 bietet der Pap. Leyd. I 350 schetüy während
er für 100 8chcu> giebt, gerade wie im Eopt. sehe und schit
aufeinander folgen. Wir werden nicht fehlschliessen, wenn
wir das letztere für den Dual des ersteren ansehen.
Wie sonderbar die Aegypter bisweilen ihre Ziffern
phonetisch verwendeten, ergiebt sich z.B. aus der Schreib-
ung des herodotischen TcacofAtpaS. In einer Ptolemaeer-In-
Bchrift, die sich auf den Jwisxaaxoivog bezieht, ^^) ist die
Entfernung von Suen (Syene) bis Takamsu zu 12 ar an-
gegeben. Die letzte Sylbe dieses Namens (su=^0(S) ist durch
sechsmalige Wiederholung des Zahlzeichens für 100 bezeichnet,
während das koptische saii-sche sez-centi bietet Der ägyp-
tische Schreiber spielt mit dem Doppelsinne des Zeicheas
der Schlinge, welches als Vocal = u, als Zahlzeichen sehe
lautet und hundert bedeutet, so dass er sü (ato) gelesen
wissen wollte, obgleich er st^sche geschrieben hatte. Solche
Spielereien sind in der jüngeren Epoche nicht selten und
bisweilen von bedeutendem Werthe für die Ermittlung der
Phonetik. Aber auch die älteren Texte wimmeln von Wort-
spielen, sei es zu dichterischen Zwecken, oder dem Hange
zur Symbolik nachgebend, die in dem ägyptischen Schrift-
systeme, wie in keinem andern, ihre Blüthen getrieben hat.
47) Bragsch: Geogr. I, 70 Nr. 366.
Buekner: Minerähikuser mu NeimarU t. d. Oberpfdä, 125
Mathematisch-physikalische Glasse.
Sitsung vom 1. Juni 1867.
Herr Bnchner theilt mit:
yyNeae chemische Untersuchung des Mineral-
wassers zu Neumarkt in der Oberpfalz*'.
Das Mineralwasser des eine Viertelstunde von Neumarkt
in der Oberpfalz entfernt liegenden altbekannten Wildbades
ist seit mehr als vierzig Jahren kein Gegenstand genauer
chemischer Beobachtung mehr gewesen. Der verehrte Senior
der k. Akademie, Hr. A. Vogel der Vater, hat es zuletzt
in Jahre 1826 untersucht und das Resultat seiner Analyse,
welche uns zuerst die Natur dieses Wassers genau kennen
lehrte, in seinerSchrift „Die Mineralquellen des König-
reichs Bayern. München 1829'' bekannt gemacht.
Einer an mich im verflossenen Jahre ergangenen Ein-
ladung, genanntes Wasser einer nen€& chemischen Unter-
sachung zu unterwerfen, habe ich schon desshalb gern
Folge geleistet, weil, abgesehen von den jetzigen verbesser-
ten chemisch-analytischen Methoden , welche eine genauere
qualitative und quantitative Bestimmung der in einem
Mineralwasser aufgelösten Stoffe gestatten, gerade die so-
genannte Trinkquelle, welche ich als die gehaltreichste
Ton den dortigen Quellen erkannt habe und welche, lange
Tenchiittet , erst in neuerer Zeit wieder besonders zur
Trinkkur benutzbar gemacht wurde, bisher noch keiner ge-
nauen chemischen Untersuchung unterworfen worden war.
Es entspringen nämlich mehrere Heilquellen im Neu-
markter Wildbade. Einige davon, fünf an der Zahl, ver-
billigen sich am Grunde der im Eurhause unter der Kapelle
befindlichen gezimmerten Brunnstube. Eine andere Quelle,
üe sogenannte Kapuzinerquelle, entspringt in einem
oberhalb des Bades, am Fusse des sogenannten Weinberges
126 SUetmg der maiK-phifs, CUuse wm 1. Juni 1667,
befindlichen Felsenkeller und wird ebenialls in die Bronn-
Stube des Kurhauses geleitet und mit den zuerst erwähnten
Quellen zum Baden verwendet. Wieder eine andere Quelle,
die W&ldquelle, liegt in einem Wäldchen unweit dem
Bade und wird nur zum Trinken benützt, zu welchem Zwecke
das Wasser aus einem zehn Fuss tiefen Brunnen, wonn
eigentlich zwei Quellen zusammenfliessen, gepumpt wird. Die
gehaltreichste Quelle endlich, womit die nachstehende Analyse
▼orgenommen wurde und welche vorzugsweise zum Trinken
benützt wird, in welcher Hinsicht ^e unstreitig den meisten
Werth hat, oder richtiger gesagt, der Zusammenfluss von
drei solchen Quellen in einem 15 Fuss tiefen, auch mit
einem Pumpwerke versehenen Brunnen, befindet sich in einer
neben dem Eurhause erbauten bedeckten Bahn.
Das Wasser der genannten verschiedenen Brunnen zeigt
bei ungleichem Gehalte an darin aufgelösten Stoffen doch
keine wesentliche qualitative Verschiedenheit. Es gehört 2U
jenen sonderbaren W^assern, welche Eisen und Schwefel-
wasserstoff zugleich enthalten. Kaum ist das ursprünglicli
klare und farblose, stark nach Schwefelwasserstoff riechende
Wasser geschöpft und der Luft ausgesetzt, so färbt es sieb
unter schwacher Trübung grünUch-schwarz , was von der
Bildung von Schwefeleisen herrührt. Der am Grunde der
Brunnstube befindliche schwarze Schlamm entwickelt daher
beim Uebergiessen mit Salzsäure Schwefelwasserstoff, e^
kennbar sowohl durch den Geruch als auch durch die
schwarzbraune Färbung eines über die Flüssigkeit gehaltenen
mit Bleiauflösung befeuchteten Papiers. Bei längerem Stehen
an der Luft verschwindet diese grünlicb-schwarze Färbnng
des Wassers und die Wände des Gefässes bedecken sich mit
einem bräunlichen ockerigen Absätze nebst zahlreichen Gas-
bläachen. Dies rührt daher, dass das gebildete Schwefel*
eisen durch den Sauerstoff der Luft zu schwefelsaurem Eisen-
ozydul und dieses dann noch weiter zu basisch-ecbwefel-
Büchner : MinercUwasser mu NeumatH t. d. OberpfaUf. 127
Baorem Eisenozyd ozydirt wird, welches sich nebst dem
durch Oxydation des überschüssigen kohlensauren Eisen-
ozjdnls entstehenden Eisenoxy dhydrat nach und nach aus-
scheidet.
Ich bin überzeugt, dass auf dieser Art der Zersetzung
zum Theil die schon oft beobachtete wohlthätige stärkende
Wirkung des Neumarkter Mineralwassers auf den Darm-
kanal beruht, denn das getrunkene Wasser wird sicherlioh
im Darmkanal auf gleiche Weise und ebenso rasch, wenn
nicht rascher zersetzt werden als ausserhalb desselben und
das hiebe! im Zustande feinster Zertheilung sich ausschei-
dende und wieder oxydirende amorphe Schwefeleisen and
Eisenoxydhydrat werden, indem sie mit der Schleimhaut des
Darmkanales in Berührung kommen, auf diese gelind ad-
stringirend wirken.
Die Beobachtung der Schwärzung des Neumarkter
Mineralwassers an der Luft ist schon längst gemacht worden,
denn schon der dortige Stadtphysikus Dr. Conrad Rumel
sagt in seiner 1598 auf Befehl eines löblichen Magistrates
herausgegebenen und 1682 von dem Physikus Dr. Scheffler
neu aufgelegten Beschreibung des neu erbauten mineralischen
Bades der churfürstlichen Stadt Neuenmarkt in der Obern
Pfalz, dass das Wasser den Sand, da wo es bich heraus
begibt, schwarz mache. Allein die richtige Erklärung dieser
Erscheinung hat erst Herr A. Vogel sen. gegeben; dieser
Chemiker hat zuerst gefunden, dass der schwarze Nieder-
sdüag, welchen das Wasser nach kurzer Zeit absetzt, sich
grösstentheils wie Schwefeleisen verhält; bei Erwähnung
dieser Beobachtung in seiner oben erwähnten Schrift macht
er darauf aufmerksam, dass ein freiwilliges Niederfallen von
Schwefeleisen aus einigen Mineralwassern in Frankreich auch
BchoD von Longcharop, Henry und Vauquelin beobachtet
worden sei.
Der soeben geschilderten Erscheinung will ich, um den
128 SitMung der matK-phifs. Ctas$e wm 1. Jumi 1867.
wesentlichen Charakter des Nenmarkter Mineralwassers vor-
laufig weiter za kennzeichnen, sogleich hinzufügen, dass das-
selbe ausser Eisen und Schwefelwasserstoff eine ziemlid
grosse Menge schwefelsaurer Salze, namentlich schwefelsauren
Kalk, schwefelsaure Magnesia und schwefelsaure Alkalien,
femer verhältnissmässig viel kohlensauren Kalk nebst etwas
kohlensaurer Magnesia, die beiden letzteren mit Hülfe freier
Kohlensäure aufgelöst, enthält.
Das frisch geschöpfte Wasser von der Trinkquelle hatte
im April 1866 eine Temperatur von nur + 6)^^ K- oder
4- 8® G. Es schmeckt daher, an der Quelle getrunken, kühl,
übrigens hepatisch, dann schwach bitterlich-salzig und zu-
sammenziehend, eisenartig.
Das specifische Gewicht des Wassers von der Trink-
quelle wurde als Mittel mehrerer bei einer Temperatur von
+ 14 bis 16^ R. vorgenommener und sehr genau überein-
stimmender Versuche = 1,0021 gefunden. Ein Liter dieses
Wassers wiegt demnach bei mittlerer Temperatur 1002,1
Grammen.
Das Wasser von der Waldquelle zeigte ein spedfisches
Gewicht von nur 1,00041, woraus sich schon ergiebt, dass
dasselbe viel ärmer an fixen Stoffen ist als das Wasser von
der Trinkquelle.
Eine Auflösung von Gerbsäure erzeugt im frisch ge-
schöpften Wasser von der Trinkquelle schon im ersten Augen-
bUck eine röthlich-violette Färbung und unmittelbar darauf
eine geringe Trübung. Später setzt sich in der Flüssigkeit
ein violett-rother flockiger Niederschlag zu Boden.
Das Wasser von der Waldquelle (auch Stahlquelle ge-
nannt) giebt mit Gerbsäure auch eine solche, aber weniger
intensive Färbung, was beweist, dass dieses Wasser weniger
Eisen aufgelöst enthält als dasjenige von der Trinkquelle.
Das Wasser von der Kapuzinerqnelle wird durch Oerb-
säure nur sehr schwach violett gefärbt.
BuduMr: MineräkoasBer gu Neumarkt t. d. Oberpfäle. 129
Beim Schütteln perlt das Wasser, aber in der Ruhe
versdiwinden die Perlen sogleich wieder. Beim Erwärmen
bilden sich ziemlich viele, an der Wand des Oefässes ad-
härireode Gasbläschen ron Kohlensäure.
Beim Eindampfen trübt dch das Wasser zuerst schwach
braunlich und scheidet Eisenozydhydrat aus. Hierauf schlägt
sidi unter weiterer Entwickelung von Kohlensäure kohlen-
saurer Kalk und kohlensaure Magnesia nieder. Der Ver-
dampfangsrückstand sieht bräunlich-weiss , krystalUnisch aus.
Beim Glühen schwärzt er sich vorübergehend wegen der
Zerstörung einer darin befindlichen organischen humusartigen
Substanz.
Die einzelnen Bestandtheile , welche bei der näheren
Onterouchung sowohl des Mineralwassers als auch seines
Verdampfungsrückstandes aufgefunden werden konnten, sind:
Basen: Säuren oder diese vertretendeElemente:
KaU,
Schwefelwasserstoff,
Natron,
Chlor,
Lithion,
Schwefelsäure,
Ammoniak,
Salpetersäure,
Kalk,
Phosphorsäure,
Magnesia,
Kohlensäure, sowohl freie als auch
Thonerde,
chemisch gebundene,
Eisenozydul,
Kieselsäure,
Maganozydul.
oi^anische humusartige Substanz.
Es war mir daran gelegen, die Frage bestimmt beant-
worten zu können, ob das Eisen im Mineralwasser zu Neu-
markt als schwefelsaures oder als kohlensaures Eisenozydul
ao^loet sei? Aus den geognostischen Verhältnissen der
Seimarkter Oegeiid glaube ich schUessen zu müssen, dass
das Eisen als schwefelsaures und nicht als kohlensaures Salz
[1867. IL 1.] 9
130 Sitßung der math.'phff8. vom Olasse 1. Juni 1867.
in das Wasser gelange. Es ist nicht meine Angabe, diese
Verhältnisse hier näher zu schildern. Der frühere Gewehr-
fabrikdirektor im Amberg, Herr Oberbergrath J. von Voit)
hat dieselben klar beschrieben in der 1840 erschienenen vor-
züglichen Badschrift ,,Das Mineralbad zu Neumarkt in
der Oberpfalz des Königreichs Bayern. Nürnberg.
J. A. Stein'sche Buchhandlung" des Hm. Dr. J. Bapt.
Schrauth, welcher sich überhaupt um Neumarkt und dessen
Mineralbad sehr verdient gemacht hat, und Hr. Oümbel
hat in neuester Zeit die Neumarkter Gegend ebenfalls zum
Gegenstand seiner genauen geognostischen Forschungen ge-
macht. Ich will zum Verständniss der Sache nur erwähnen,
dass der Thalkessel, in welchem Neumarkt liegt, in die
Liasformation eingesenkt ist und dass der Gmncl^
worin die Bildung des Mineralwassers vor sich geht, am
mergeligem Kalkstein besteht, welcher ausser Bitamen ood
anderen organischen Ueberresten Schwefelkies in grosser
Menge beigemengt enthält. Der in dieser Gegend so häufig
sich findende, leicht verwitternde Schwefelkies muss als der
Ausgangspunkt der Bildung nicht nur des in Nestern dort
Torkommenden Gypses und anderer Mineralien, sondern auch
der wesentlichen Bestandtheile des Mineralwassers angesehen
werden. Indem er bei seiner Verwitterung in schwefelsaures
Eisenoxydul verwandelt wird, gelangt das Eisen zunächst
als dieses Salz in das hinzukommende Wasser, um dann
weiter zersetzt zu werden und andere Zersetzungen zu be-
wirken.
Zu diesen Zersetzungen gehört besonders die umwand-
lung des schwefelsauren Eisenoxyduls in kohlensaures Sak
•mittels des im Wasser mit Hülfe freier Kohlensäure auf-
gelösten kohlensauren Kalkes. Dass diese Umwandlung
erfolgt und dass das Eisen im Neumarkter Mineralwasser
als kohlensaures und nicht als schwefelsaures vorhanden ist,
Buthner: MinerahoaiKr mu NeimarH %. d, Oherf^^. 131
^nbe kh durch folgende Wahrnehmungen auf das Bestimm-
teste beweisen zu können:
Setzt man eine Auflösang von sohwefelsanrem Eisen-
ozydnl der Luft aus, so bleibt die Flüssigkeit ziemlich lange
klar und £Eurblo8 ; erst nach mehreren Stunden färbt sie sich
schwach bräunlich und trabt sich unter Ausscheidung von
basisch-schwefelsaurem Eisenoj^d. Eine Flfissigkeit, welche
kohlensaures Eisenozydul enthält, trübt sich hingegen an.
der Luft sehr rasch und scheidet gelbbraunes Eisenozyd-
hydrat aus.
Wird eine frisch bereitete Auflösung Ton schwefelsaurem
Eisenozydul mit Gerbsäurelösung vermischt und an die Luft
gestellt, so ist anfangs gar keine Veränderung siditbar; erst
nach einigen Minuten kommt eine schwache röthlich^yiolette
Färbung zum Vorschein, deren Intensität nach und nadi in
dem Masse zunimmt, als die höhere Oxydation der Eisen-
lösung fortschreitet. Wird aber zu einer Auflösung von
kohlensaurem Eisenoxydul Gerbsäure gesetzt, so färbt sich
die Flüssigkeit so zu sagen augenblicklich violett und die
Färbung erreicht hier schon nach wenigen Secunden eine
grossere Litensität als diejenige der Auflösung des schwefel-
sauren Eisens nach mehreren Minuten.
Schwefelwasserstoff bringt in einer Auflösung von
schwefelsaurem Eisenoxydul in reinem Wasser keine Ver-
änderung hervor, setzt man aber zu einer Auflösung von
kohlensaurem Eisenoxydul Schwefelwasserstoff -Wasser, so
färbt und trübt sich die der Luft ausgesetzte Flüssigkeit
in kürzester Zeit grünschwarz unter Ausscheidung von
Scfawefeleisen.
Vermischt man eine reine Lösung von schwefelsaurem
Eisenoxydul mit Brunnenwasser, welches doppeltkohlensauren
Kalk aufgelöst enthält, oder löst man Eisenvitriol in solchem
Wasser auf, so verhält sich die Flüssigkeit genau so wie
eine Auflösung von kohlensaurem Eisenozydul : sie trübt sidi
1S2 mBvmg dtr WuUh.-^phißS, Glaste wm 1. Juni 1867.
-an der Luft ungemein rasch and scheidet einen ockerigen i
Niederschlag ab ; mit Gerbsäure wird darin schleich die rio- j
lette Färbung erzeugt und auf Zusatz Yon Schwefelwasser
Stoff wird sie unter Bildung von Sohwefeleisen schwan i
gefärbt. I
Aus diesen Reactionen muss also gefolgert werden, dass
sdiwefelsaures Eisenozydul, wenn es mit einem Wasser zu-
sammenkommt, welches, wie das mit den meisten Quell-
Wassern der Fall ist, doppelt-kohlensauren Kalk in genügen-
der Mei^ge enthält, nicht unzersetzt vom Wasser gelöst
' wird, dass schwefelsaures Eibenoxydul und kohlensaurer Kalk
in wässerigen Lösungen nicht neben einander bestehen können,
sondern sich in äquivalenter Menge in schwefelsauren Kalk
und kohlensaures Eisenoxydul umsetzen, welches letztere mit
Hülfe freier Kohlensäure, so lange die Luft abgeschlossen
ist, gelöst bleibt.
Das Neumarkter Mineralwasser enthält, wie bereits er-
wähnt, eine ziemlich grosse Menge kohlensauren Kalkes
aufgelöst; es zeigt femer ganz entschieden die Reactionen
des kohlensauren Eisenoxy duls, das Eisen ist mithin als Ga^
bonat darin vorhanden trotz der nicht besonders grossen
Menge freier Kohlensäure, welche in diesem Wasser nicht
mehr oder kaum mehr beträgt als zur Umwandlung der
darin befindlichen Garbonate in lösliche Bicarbonate for-
derlich ist
Dass übrigens nicht aller im Wasser an%elöste schwefel-
saure Kalk nebst den übrigen Sulfaten erst im Wasser selbst
durch die besprochene Umsetzung des schwefelsauren Eisens
seine Entstehung findet, sondern grösstentheils auf solche
Weise schon vorher gebildet in das Wasser gelangt, ergibt
sich aus der grossen Menge dieses und der andern schwefel-
sauren Salze im Vergleiche zu der verhältnissmässig geringen
Eisenmenge. Die Bildung der im Wasser aus dem Gesteine
sich auflösenden schwefelsauren Magnesia ist sicherlich auf
Buchner: Mineralieasur mu Kemkttfe^ i. d. OherpfaU. 18S
Shnliohe Weise erfolgt wie diejenige des schwefelsanres
Kalkes, nämlich dnrch die zersetaende Einwirkung des ver^
witternden Schwefelkieses resp. des ' darans entstandenen
schwefelsaaren Eisens auf die im dolomitischen Kalksteine
enthaltene kohlensaore Bittererde.
Was die Bildung des im Neumarkter Mineralwasser Yor*
handenen Sdiwefelwasserstoffes betrifft, so unterliegt es kaum
einem Zweifel, dass dieser aus dem schwefelsauren Kalke entstehti
denn es ist bekannt, dass dieses Salz im Wasser unter dem
Einflösse darin befindlicher und in Verwesung begriffener oi>
ganischer Stoffe (Humusstoffe) neben Bildung von Kohlensäure zu
Sdiwefelcalcium reducirt und dass dieses durch die im Wasser
geloste Kohlensäure unter Entbmdung von Schwefelwasser«
Stoff zersetzt wird. Ware während der Bildung des Schwefel«
Calciums schon Eisen im Wasser gelöst yorhanden, so müsste
dieses als Schwefeleisen ganz oder theilweise, je nach der
Menge desselben, Finder ausgeschieden werden. Aber amor-
phes Schwefeleisen wird, wie ich mich überzeugt habe, von
kohlensäurehaltigem Wasser seinerseits wieder zersetzt und
in kohlensaures Eisenozydul verwandelt. Trägt man frisch
pracipitirtes und hinlänglich ausgewaschenes Schwefeleisen
noch feucht in freie Kohlensäure enthaltendes Wasser ein
und schüttelt die Mischung in einem verschlosäenen Oefibse
nur kurze Zeit , so wird man in der filtrirten Flüssigkeit
kohlensaures Eisenoxydul in mehr oder minder grosser Menge,
je nadh der Quantität der vorhandenen Kohlensäure, auf«
gelost finden.
Aus der Thatsache, dass Schwefelcalcium oder'Caldum*
snlfhydrat und ein Eisensalz nicht unzersetzt neben einander
bestehen können, ergibt sich schon, dass der im Neumarkter
Mineralwasser enthaltene Schwefelwasserstoff nicht im ge-
bimdenen, sondern nur im freien Zustande vorhanden ist*
Diess muss auch daraus geschlossen werden, dasa man aua
üßB/em Wassei^ allen Schwefelwasserstoff austreiben kanui
134 Sittm^g der malh.'phffs, Clasae vom 1. JiM 1S67.
wenn man hinlänglich lange Wassergtofl^as hindnrch leitet,
und dass Nitroprassidnatriom nicht die geringste blaue Fär-
bung darin bewirkt.
Frühere Beobachtungen sprechen dafür, dass dsenhaltiges
und schwefelwassersto£Ehaltiges Wasser am genannten Wild-
bade gesondert entstehen und sich erst in der Bnmnstube
oder im Brunnenschachte veremigen. So sollen eine eisen-
haltige Quelle von Süden und zwei schwefelhaltige tob
Nordost her aus den Seitenwänden der Brunnstube zum
Vorschein kommen und sich in dieser mit zwei anderen, auf
dem Grunde entspringenden eisenhaltigen yermischoi.
Nach der im Vorhergehenden gemachten Beschreibung
des Neumarkter Ifineralwassers ist es kaum mehr nöthig zu
erwähnen, dass, nachdem während des Eindampfens dieses
Wassers Eisenozyd, kohlensaurer Kalk und kohlensaure Ma-
gnesia nebst geringen Mengen von Thonerde und Kieselsänre
und Spuren von Mangan und Phosphorsäure unter Entwicke-
lung von Kohlensäure niedergefallen sind, sich bei weiterem
Verdampfen Kryställchen von Gyps und darauf schöne Pris-
men von Bittersalz auscheiden, während die übrigen Schwefel-
samren Salze nebst einer sehr geringen Menge Ghlomatriums
und Spuren eines salpetersauren Salzes in der Mutterlauge
bleiben, welche durch einen humusartigen Bestandtheil
gelblich gefärbt ist. Letzterer wird auch von kochendem
Weingeist aufgelost.
Die quantitative Bestimmung der in diesem Mineral-
wasser in wägbarer Menge vorhandenen Sto£Ee wurde
nach bekannten bewährten analytischen Methoden vorge-
nommen.
100 C. G. Wasser von der Trinkquelle hinterliessen beim
Eindampfen als Mittel mehrerer Bestimmungen 0,2410 Grm.
scharf ausgetrodpaieten und 0,2225 Orm. sdiwach geglühten
Rückstandes.
100 G. G. Wasser von der Waldquelle 'gaben aber nur
Buefmer: Minerahoaaaer zu Neumarkt i. d, Oberpfäle. 135
0,040 Gnn. ungeglühten und 0,039 Grm. schwach geglühten
Bückstandee.
Die Menge des Schwefelwasserstoffes wurde mittelst
äner wässerigen Jodlösnng, die in einem Liter 1,27 Grm.
(= 0,01 Mg.) Jod enthielt, bestimmt. Hiebei ergab sich,
dass das Wasser von der Trinkquelle nahezu 22 Mal mehr
Schwefelwasserstoff enthält als das Wasser von den Quellen
in der Brunnstube und fast 26 Mal mehr als dasjenige von
der Eapuzinerquelle. Am ärmsten an Schwefelwasserstoff ist
das Wasser von der Waldquelle.
Die Quantität der im Wasser der Trinkquelle vorhan-
denen freien Kohlensäure wurde nach der nun hinlänglich
bekannten vortrefflichen Methode v. Pettenkofer's *) fest-
gestellt, nur wurde das Mineralwasser wegen etwa vorhan-
dener grösserer Eohlensäuremenge mit mehr Kalkwasser und
wegen der ziemlich grossen Menge Magnesia mit etwas mehr
Salmiaklösung vermischt, als v. Pettenkofer für die Bestim-
mung der freien Kohlensäure im gewöhnlichen Trinkwasser
nehmen lässt.
In 100 C.C. frischen Wassers wurde 0,0182 und in der
gleichen Menge Wasser nach mehrwöchentlidiem Stehen in
einer verkorkten Flasche 0,0166 Grm., mithin für 1 Liter
0,182 und 0,166 Grm. freier Kohlensäure gefunden. Da
nun die in einem Liter gefundene Menge der an Kalk, Ma-
gnesia und Eisenoxjdul gebundenen Kohlensäure 0,16888 Grm.
beträgt, so ergibt sich, dass dieses Mineralwasser kaum mehr
freie Kohlensäure enthält als nothwendig ist, um diese kohlen-
Baoren Salze als Bicarbonate aufgelöst zu halten.
Die Menge der in diesem Wasser vorhandenen orga-
Bischen Substanz konnte nur auf approximative Weise
geschätzt werden. Ich nehme nämlich an, dass der gelind
1) 8. SitsnngBberichte 1860. Hea Hl, S. 289.
136
Sitsmig der math,'phi^, OUuh vüm 1. Juni 1667,
geglühte VerdampfungBrädM^Qd des Waasdrs bestdic «v
dem bei 180^ G. ausgetrockneten Verdampfungsruckstande
minus der Kohlensäure der kohlensauren Magnesia , dem
Hydratwasser des im Rückstande befindlichen Eisenoxydes
und der Thonerde, dem schwefelsauren Ammcmozyde, wel*
ches sich indessen schon während des Eindampfens in
flüchtiges kohlensaures Amnion umsetzt, und der organisdien
Substanz. Die Menge der letzterei) ergiebt sich mithin an-
nähernd genau aus der Differenz zwischen der Menge des
ungeglühten und derjenigen des geglühten Rückstandes, zo
welcher man die Grössen der oben erwähnten Stoffe mit
Ausnahme der noch zu sudienden für die organische Sub-
stanz addirt hat.
Zusammenstellung des Resultates der chemischen
Analyse des Wassers von der Trinkqnelle.
Die folgende Zusammenstellung enthält die Menge der
in 1 Liter (= 1002,1 Grammen) des Wassers von der
Trinkquelle aufgefundenen wägbaren Stoffe in Grammen aas-
gedrückt.
Es wurden gefunden:
Schwefelwasserstoff
Chlor
Schwefelsäure
Kohlensäure, freie
„ gebundene
Ejeselsäure
Thonerde .
Eisenoxydul
Kalk
Kali .
Natron
0,00500 Qtm.
0,00765 „
1,11468 „
0,18200
0,16888
0,00118
0,00104
0,00953
0,54474
0,30190
0,01860
0,01496
Mhi^akMmer 9u Nemnarm i. d. Oherpfdig. 137
Aaimottoxyd .... 0,00175 Grm.
Organische humusartige SabstaiKB 0,1 5638 „
In imwägbarer oder nicht genan wägbarer Menge wurden
gefanden: ""
Salpetersäure,
Phosphorsäure,
Hanganoxydul,
lithion.*)
Folgende Tabelle gibt die in diesem Wasser enthaltenen
Destantltheile , die Basen und Säuren zu Salzen verbunden,
sowie deren Menge sowohl in 1 Liter in Grammen als auch
in 1 Pfunde zu 16 Unzen (= 7680 Oranen) in Granen
berechnet an. Bei der geringen Differenz zwischen dem
spec. Gewichte von reinem Wasser und demjenigen des
nntersuchten Mineralwassers kann man, ohne einen erheb*
lidien Fehler zu buchen, die in 1 Liter enthaltene Menge
der einzelnen Bestandtheile auch für 1000 Grammen Wassers
gelten lassen«
Es sind enthalten:
In 1 Liter: In lPfd.=7680Gpn.
A. Gasförmige Bestandtheile:
Schwefelwasserstoff . 0,00500 Grm. 0,03832 Gran
= 3,38 C. C. = 0, 1 iCubikzoU
Freie Kohlensäure 0,18200 „ 1,39483 Gran
= 95,03 C. C. = 3,04Cubikz.«)
• — — ^
2) Et braucht kaum erwähnt zu werden, dass das zur quantita-
tiven Bettlnmang des Kalis hergestellte Kaliumplatinohlorid besonders
auch auf Caesinm undRabidinm mittelst der Speotndanalyse und dass
der eisenhaltige Schlamm aus dem Brunnen auf Arsenik untersucht
wurde. Aber es war nicht möglich, Spuren dieser Sto£fe deutlich su
erkennen.
8) Die oben angegebenen Zahlen ffir das Volumen des Schwefel-
wMierstoff* und kohlensauren Oases sind berechnet für die Quellen-
teoiperatiir (=-f 8®C.) und 700"" Barometerstand.
138
Sitgung der math.-phyB, Olaaae vom 1. JutU 18$7,
In 1 Liter: InlPfd.=7680Gm.
0,01261 Orm. 0,09664 Gran
0,01896
n
0,14531
n
0,03439
n
0,26356
r
0,00444
n
0,03403
?»
0,88944
11
6,81658
iy
0,84348
»>
6,46435
1)
0,01535
n
0,11764
)>
0,31875
»
2,44287
)}
0,04355
n
0,33376
)•
0,00104
n
0,00797
J»
0,00118
n
0,00904
)}
0,15638
n
. 1,19848
>i
6. Fixe Bestandtheile:
a. In wägbarer Menge:
Chlomatrium
Schwefelsaures Natron .
Schwefelsaures Kali
Schwefelsaures Ammonoxyd .
Schwefelsaurer Kalk
Schwefelsaure Magnesia
Kohlensaures Eisenoxydul
Kohlensaurer Kalk
Kohlensaure Magnesia .
Thonerde ....
Kieselsäure ....
Organische humusartige Sub-
stanz ....
Summe der wägbaren fixen
Bestandtheile . . 2,33957Grm. 17,93023Gran.
b. In unwägbarer oder nicht genau wägbarer Menge:
Schwefelsaures Lithion,
Salpetersaures Kali, .
Phosphorsaurer Kalk,
Kohlensaures Manganoxydul.
Das untersuchte Mineralwasser muss demnach zu den
schwefelwasserstofifhaltigen Eisenwassem mit schwefelsauren
und kohlensauren Salzen, worunter die schwefelsaure Magnesia,
der schwefelsaure und kohlensaure Kalk vorherrschen, gezählt
werden. Die darin vorhandene Menge kohlensauren Eisen-
oxyduls, in einem Pfunde nicht viel über V^o Gran betragend,
ist zwar nicht so gross als in manchen anderen Eisenwassem,
aber immerhin gross genug, um, wie die Erfahrung hinläng-
lich gelehrt hat, bei gehörigem Gebrauche des Wassers eine
heilkraftige Wirkung in mehreren Krankheiten ausziröbeiL
BuM: Bildung vtm EUerkörpern. " 139
Herr Buhl macht Mittheilong : *
1) „Ucber die Bildung von Eiterkörpern in
Gefässepithelien/'
Vor Karzern wurde mir ein Stack Leber Tön einer an
Pjlephlebitis verstorbenen Person zur Ansicht überbracht.
Leider kann ich über den Fall weiter nichts mittheilen, als
eben das Resultat der mikroskopischen Untersuchung, welche
ich an dem Leberstücke ausführte.
Das Lebergefuge war brüchiger als gewöhnlich, gelblich
tingirt, wie bei akuter Atrophie und die sämmtlich darin
verlaufenden Pfortadergefässe mit dickflüssigem Eiter gefüllt.
Thrombose oder überhaupt Oerinsel fanden sich nicht.
Gallengänge, Arterien und Venen waren ohne erwähnens-
werthe Veränderung. Die Leber entsprach auch mikrosko-
pisch einer in akuter Atrophie begriffenen, denn ihre Zellen
waren reichlich mit gallegefärbten Fettkömchen gefällt, klein,
dem Zerfalle nahe oder wirklich zerfallen; aus letzterem
Umstände dürfte sich die Anwesenheit einer grossen Menge
freier Fettmoleküle erklären. Zwischen diesen fanden sich
aach kuglige cytoide Körper von der Beschaffenheit der
Lymph- oder farblosen Blutkörper oder wenn man will der
Eiterkorper. Denn der Inhalt der Pfortaderäste würde von
Niemanden für etwas anderes, als für Eiter ausgegeben
worden sein und so mögen die cytoiden Körperchen in der
Lebersubstanz — obgleich sich solche nach meinen Erfahr-
ongen bei jeder akuten Atrophie finden — denn auch für
Eiterkörper genommen werden.
Der Eiter der Pfortaderäste enthielt ausser den
Eiterkörpem, d. h. ausser cytoiden kugligen Körpern von
der Grösse der Eiterkörper mit einem durch Essigsäure
140 Sitzung der math.-phys. Classe vom 1 Juni 1867,
deutlich hervortretenden Inhalt von 1 — 3 Kernen, mit Feti-
körnchen im Protoplasma, auch noch andere relativ grosse
Körper, nämlich Zellen von Spindelform mit ungewöhnlichem!
Breite-Durchmesser, gewöhnlich in starker Fettdegeneration,
die keine anderen sein konnten und waren — wie unmittel-
bares Abkratzen von der Innenwand des Gefässes erwies —
als Epithelzellen der Pfortader. Weniger aber durch die
Fettdegeneration war das dickbäuchige Ansehen hervor-
gebracht, als vielmehr durch Eiterkörper, welche zu 1—5
and mehr innerhalb derselben beherbergt waren. Da die
Eiterkörper mit den Fettkömem der Zellen umhüllt waren,
so fiel der eigenthümliche Inhalt zunächst in solohen auf,
wo die Fettdegeneration unbedeutend war. Hier liess sich
auch hie und da bei guter Lagerung der Zellenkem er-
kennen. Es war somit kein Zweifel, dass eine endogene
freie Bildung von Eiterkörpern in Epithelien vorlag.
Die Sache hat ein mehrfaches Interesse. Sie ist nicht
bloss ein neuer Beleg für die Wahrheit des ang^ebenen
Modus der Entstehung der Eiterkörper in Epithelzellen
überhaupt, sondern bekömmt, wie ich zu zeigen versacheo
will, Bedeutung für die Vorgänge im Innern der Gefasse
und namentlich auf deren abnormen Inhalt.
Glaubt man den Eiter von blut und Lymphe wohl
trennen zu können, weniger durch den Mangel an gefärbten
Körpern, die zufällig auch dem Eiter beigemischt, weniger
durch die absolute Menge der weissen Körper, die ja za-
sammengedrängt sein können, und weniger auch durch den
Mangel an gerinnbarem Stoff, der im Blute fehlen könne,
und endlich weniger durch das emulsive, rahmige, gelblich-
weisse Ansehen, ein Produkt der rasch sich geltend machen-
den Fettdegeneration der Körperchen, die in Thromben andi
beobachtet wird: so war man doch nur dann sicher über-
zeugt davon, dass eine fragliche Flüssigkeit Eiter sei and
nichts anderes sein könne , wenn dieselbe ausserhalb der
Buhl: BMung von Eümiiarpem. 141
Gfefasse gelten war. Innerhalb der geschlossenen Blatbahn
gestaltet sich die Sache im entgegengesetzten Sinne. Denn
ia man keine mikroskopischen Unterscheidungsmerkmale
ewisdien Eiterkörpem und farblosen Blut- oder Lyinph-
körpem wnsste, so durfte hier auch die eiterahnlichsie
Flüssigkeit für keinen Eiter angesehen werden; denn hier
waren es die farblosen Blutkörper , die sich massenhaft au-
sammen- und die gefärbten yerdrängt hatten, hier war der
sie zusammenhaltende Faserstoff durch Fettd^eneration zer-
&Uen, welche letztere Degeneration auch dem Ganzen ein
emnlsives milchiges Ansehen, selbst die gleiche Farbe gab.
Innerhalb der Blutbahn war also die bezeichnete Flüssigkeit
immer nur verändertes Blut, ausserhalb der Blutbahn war
sie immer Eiter.
Die Anschauung war neu und bequem, ob aber richtig,
ist eine andere Frage. Immer taucht einerseits auch —
doch ohne besonderen Anklang zu finden — der Gedanke
wieder auf, die Eiterkörper ausserhalb der Blutbahn nicht
nur ihrer mikroskopischen Identität, sondern auch wegen
ihrer Entstehung und ihres Sitzes eigentlich für Lymph-
körper anzusehen, obgleich man nicht nur den Entstahungs-
modus, sondern auch den Entstehungssitz der Lymphkörper
viel wenijger kennt, als den der Eiterkörper. Und immer
behauptet man andrerseits „unter gewissen Umständen"
wieder, es sei Eiter in den Gefässen und nicht Blut, wenn
man sich auch keine Rechenschaft darüber geben konnte,
wie denn der Eiter darin entstehe. Gerade die Entzündung
Qüd damit bezeichnet man ja den Process, unter dessen
Wirksamkeit Eiter erscheint, gerade die Entzündung der
Geiasswand, deren gefasshaltige bei der Entzündung beson-
ders bethätigte Schichte nach aussen liegt und deren Höhle
nadi innen durch eine- feste Epithelschichte geschützt sei,
war ein Hindemiss, die Entstehung der Eiterkörper inner-
halb der Blutbahn zuzulassen.
142 SiUung der matK^phys. Classe vom 1, Juni 1867.
Durch meine oben mitgetheilte Beobachtung ist man
jedoch gezwangen, die Funktion des Oefassepithek nicht
nur als schützende Decke zu betrachten, die bloss durch
Imbibition, sei es vom Blute, das in der Gefassröhre strömt,
sei es vom Blute in der Adventitia der Gefasswand, nur nutritiv
erhalten wird, sondern das Epithel tritt, wie das Epithel
überall im Körper, auch hier bildend, producirend auf, seine
Zellen sind fähig durch einen im osmotisch anfgenommenen
Safte enthaltenen Reiz ihre lebendige Thätigkeit zu entfalten
und zur Bildung neuer zelliger Körper zu verwenden. Diese
Körper sind im gegebenen Falle Eiterkörper; allein einmal
eine bildende Thätigkeit in ihnen thatsächlich erwiesen, so
ist damit der Anstoss gegeben, in allen Vorgängen inner-
halb des Gefässrohres nach der aktiven Theilnahme der
Gefässepithelien zu fragen.
Ausser dem pathologischen Interesse tritt uns auch ein
physiologisches vor Augen; denn im gesunden Zustande
giebt es schon Körperchen im Blute, welche histologisch
von sämmtlichen Forschem mit den Etterkörpem identifizirt
werden und desshalb histogenetisch auf den gleichen Ursprang
denken lassen. Manche Autoren haben auch wirklich den
Gefässepithelien, insonderheit der Milz, die Bestimmung za-
erkannt, die farblosen Blutkörper zu erzeugen. Analoges
dürfte vom Epithel der Lymphgefasse in Bezug auf die Ent-
wicklungsstätte der Lymphkörper gesagt werden. Die Schwank-
ungen in der Menge dieser Körperchen und noch im Be-
reiche des Normalen (im nüchternen Zustande und in der
Verdauungszeit) dürften auf vorübergehende normale Beize
bezogen werden. Vielleicht giebt die Untersuchung eines
Falles von Leukaemie die nöthigen Anhaltspunkte, ob nicht
die absolute, krankhafte Vermehrung derselben wirklich von
abnorm gesteigerter Bildungsthätigkeit der Gefissepithelien
herrührt, die hier in Bezug auf die Milz, Leber, die Lymph-
BuM: BOdung von EUeriörpem. / 14B
drüsen nichtB anderes als die Mittheilnahme der gesteigerten .
Bild^ngsthätigkeit im ganzen Organe ansdrilcken würde.
Die Pfortader and ihre Aeste, von welchen obige Be-
obachtang stammt, gehören zum Venensysteme. Eiter findet
sich fast nie in Arterien. Man dürfte daher schliessen,
dass die Eigenschaft« farblose Blut- und Eiter-
körper zu erzeugen, fast ausschliesslich dem Venen-
nnd dem Lymphgefässepithel, nicht aber dem Arterien-
epithele zukomme.
Der Zweifel, ob man gegebenen Falles Eiterkörper
oder angehäufte Lymph- oder farblose Blutkörper vor sich
habe, könnte somit gehoben werden, wenn man sich zu der
Ansdiauung bequemen wollte, dass die Bildung sämmtlicher
genannter Körperchen ausser- wie innerhalb der Blutbahn
auf gleichen Bedingungen beruht. Bei übermässiger Ver-
mehrung wird da, wie dort die sie enthaltende Flüssigkeit
Eiter zu nennen sein, d. h. es giebt zwischen Eiter-
körpern und farblosen Blut- oder Lymphkörpern
(auch Schleim-, Speichelkörper etc. gehören hieher) keinen
anderen und keinen schärfer zu begrenzenden Unter-
schied als einen quantitativen; ursprünglich sind die
Körperchen qualitativ identisch, weichen aber durch die
Menge, in der sie vorhanden sind und dadurch in ihren
weiteren Schicksalen von einander ab.
Die gesicherte Thatsache, dass innerhalb der Adventitia
der Gefässe, wie im übrigen Bindegewebe des Körpers, sich
auch Eiter bilden könne, wird damit weder bestritten noch
beeinträchtigt* Gleichwohl ist in Acht zu nehmen, dass im
Bindegewebe Venen und Lymphgefässe verlaufen. Es käme
in Frage, ob ausser der Milz und anderen blutbereitenden
Organen, nicht jedes Organ und Gewebe durch den Besitz
an Venen und Lymphgefässen geeignet wäre, farblose Blut-
kqiper zu erzeugen und kann man meines Erachtens darüber
nicht absprechen, ob bei eiterndem Bindegewebe nicht ein
144 SiUfung der matk^phyB, Claem vom 1. Juni 1867.
Thdl des Eiters im Epithel der Venen und Lymphgefiisie
gebildet werde.
Im normalen Zustande mag allerdings die Bildung der
farblosen Blntkörper auf kleine bestimmte yenöse Gapillar*
bezirke (auf die Milz z« B.) beschränkt sein ; unter patho-
logischen Verhältnissen aber kann die gleiche Thatigkeit
in yielen Punkten des Körpers erweckt werden and ▼om
capillaren Lymphgeiass- und Venensysteme aus mStk über
die Lymphgefasse selbst und die grösseren Venenäste aas-
dehnen. Die fortgesetzte Phlebitis und Lymphangitis und
die damit Hand in Hand gehende Thrombose sowohl wie
die Pyaemie und ihre multiplen Herde würden einer sach-
gemässen Erklärung zugängig werden.
2) „Notiz über primäre ästige Osteome der
Lunge".
Kalkige, eine Knochenstruktur nicht besitzende Oebilde
der Lunge sind häufig zu sehen; wirkliche Knochen in
diesem Organe immer eine Seltenheit. Letztere kommen
in der Regel nur sekundär vor; es sind bald Narben, weiche
nachträglich va'knöehem, bald sind es-?on einem Körper-
theile aus in die Lunge transportirte, mit Knochengerüste
versehene Neubildungen (sogenannte Osteoide), nämlich
Krebse, Enchondrome, Fibrosarkome. Die grosste Seltenheit
jedoch sind primäre Knochenbildungen im Lungengewebe.
Von den 2 Formen, der ästigen und knotigen, hatte
ich jüngst bei einem 58jährigen Manne, der an eronpöser
Pneumonie starb, Gelegenheit, die erstere zu beobachten
und will ich sofort den Befund der yerehrten Classe mi-
iheilen.
Verästigte Knodienbilduageti in der Ltmge worden «rohl
von Luschka' (Virohow's hxfkkn 10 Bd. p. 500) «Herst ge-
SM: Primäre (Mige 0»teome der Lunge. 145
Daa^ bMchrieben, wenn sie auch ficbon Anderen vor ilim
bekannt waren. Ich kann seiner getreuen Beschreibung
kaom etwas beifugen. Bei meinem Falle waren es indess
nidit die Unterlappen der Lungen (Rokitansky, Virdiow,
Förster geben ak stetigen Sitz den ünterlappen an), in
welchem beim Befühlen die spitzigen Knochenäste sich be-
mwklich machten , sondern einzig und allein der rechte
Oberlappen, dessen Pleuraüberzug glatt, glänzend, nur unbe-
deutend verwachsen war. Das ödematöse Lungengewebe
coUabirte beim Einschneiden schwer, war etwas dichter,
pigmentreicfa , seine Bläschen ungleich erweitert, die Bron-
chien mit starkem Catarrh versehen. Von den anderen Or-
ganen ist nichts Erhebliches mitzutheilen ; das Herz war
etwas fettig degenerirt, der Magen in seinem Pförtnertheile
bfperlropisch (etat mammelonne); der Bauchfelläberzug von
Leber und Milz verdickt. Der grösste Theil der ästigen
Lnngenknochen wurde herausgeschnitten und der Maceration
anterworfen und erhielt ich auf diese Weise eine ziemliche
Anzahl grösserer und kleinerer Präparate. Die kleineren
hatten oft nur 2—3 spitze gerade Ausläufer der Aeste,
andere verliefen gebogen; wieder andere endigten anstatt
spitz in ein granulöses, blumenkohlähnliches Eölbchen. Die
gr&seren bildeten geschlossene, einfache und mehrfache
Bogen und verzogene Ereise grösseren oder kleineren Durch-
messers. Die Hauptbalken massen dabei 2 — 5 m/m im
Durchmesser. Luschka hat schon jene blumenkohl-ähnlichen
Kölbchen mit den Lungenbläschen, die Ereise und Bogen
mit den Alveolarwänden verglichen — in der That dieser
Vergleich trifft zu.
Unter den verschiedenen Methoden, welche behufe einer
mikroskopischen Untersuchung angewandt wurden , erwiesen
sich die wenn auch schwierig auszuführenden Schliffe am
besten. Man sieht die schönsten Enochenkörperchen, lamel-
löse Anordnung derselben , meist der Länge nach , seltner
[1867. IL 1.] XO
146 SUtung der math-phys. dofse vom 1. Juni 1867,
concentrisoh um einen obliterirten oder offenen HanerB^scbeD
Kanal hemm. An die Hohlwand des letzteren war meist
eine ziemliche Menge schwarzen Pigments eingelagert Aadi
die von Loschka mit dem Hirnsande yerglichenen KalUkomer
(mikroskopisch durchsichtige glänzende Ringe mit donUem
könügem Inhalte) fanden sich; sie lehnten sich unmittelbar
an die Enochenbälkchen an. Anf sie erst folgten die Weich-
theile» d« h. farblose oder pigmentreiche Bindegewebzäge.
Wie Lasebka, Förster etc., bin auch ich der Meinimg,
dasB die beschriebenen Osteome ursprünglich auf einer V6^
knöcherung des interstitiellen Bindegewebes, der AWeoleih
und Bronchuolenwände beruhen und ?on den etwas grosseren
Gefässzweigen ausgehen. Doch bleibt die Bfldmig u'cfat
dabei stehen ; denn anstatt der regelmässigen, nur zu Knodieo
umgewandelten Zeichnung jener Theile sieht man yiehnehr
die grösste Unregelmässigkeit und insbesondere mikros-
kopische epostosenähnliche Verdickungen ; auch in den durch
die Enochenkörperchen augedeuteten Lagerungen und Zügen
wird es deutlich, dass eine wirkliche Enochenneubild-
ung vorliegt Wie die Hirnsand-ähnlichen Bildungen zu er-
klären sind, möchte ich nicht wagen zu entscheiden.
Oümbd: Vofhmmm von PhoephorBÜure. 147
Herr Gfimbel gibt:
,,Weitere Mittheilungen über das Vorkommen
von'Phosphorsäure in den Schichtgesteinen
Bayern's."
In dner früheren Mittheilong (Sitzongsber. d. k. Akade-
mie d. Wiss. in München 1864 Bd. II. S. 325) wurde von
mir zuerst auf den hohen Phosphorsäuregehalt gewisser
knolliger Goncretionen in verschiedenen jurassischen
Schichten der fränkischen Alb aufmerksam gemacht und
nachzuweisen versucht, dass diese Eigenthümlichkeit sich
nicht nur innerhalb eines sehr mächtigen Schichtencomplexes
vielfach wiederholt, sondern auch über sehr ausgedehnte
Länderstrecken verbreitet zeigt. Die Kenntniss dieses Vor-
kommens hat sich inzwischen beträchtlich erweitert und wir
wissen nun, dass ein mehr oder weniger hoher Gehalt an
Phosphorsäure — namentlich an Kalkerde gebunden —
iibgesehen von der Knochen-reichen Bonebedlage der rhätischen
Stnfe der Trias bereits in den Knollen der Angulatus-Schichten
des untersten Lias beginnt, durch die verschiedenen Stufen
des unteren und mittleren Lias fortdauert, in den Knollen
der Mergel mit Ämmonites tnargariiatus sehr reichlich an-
gehäuft vorkommt, dann fast in gleicher Menge in den
obersten liasschichten mit Ämmonites radians wiederkehrt
und ganz insbesonders die Goncretionen innerhalb der sog.
Ornatenthone ausgezeichnet. Dergleichen Knollen finden sich
nach meinen Beobachtungen während der vorjährigen Oe-
birgsontersuchung überall im fränkischen Jura, wo die ent-
sprechenden Mergellagen zu Tag ausgehen. Sie haben aber
nicht bloss eine ganz allgemeine Verbreitung in unserm
Frankenjura, sondern lassen sich in ganz gleicher Weise
10»
148 Siteung der math-phys, ClasH T<m 1. Juni 1867.
auch in den jurassischen Ablagerungen von Württemberg,
Baden, im Allgäuer Jura, femer bei Braunschweig, im
Wesergebirge, auf beiden Seiten des Teutobui^er Waldes,
endlich auch in den ausgedehnten Zügen der Juraformation
Frankreichs und Englands nachweisen. Dadurch, dass sie in
den etwa der Stufe mit Ämmonites macrocephalus entspre-
chenden Ablagerungen des Himalaya-Gebirgs, von woher sie
die Hrn. Gebrüder y. Schlagintweit brachten, gleichfalls
reich an Phosphorsäure vorkommen, scheint die Annahme,
dass derartige Phosphorsäure-reiche Enollenausscheidungen
den jurassischen Ablagerungen in allen ihren Verbreitongs*
gebieten eigenthümlich ist, eine wichtige Unterstützung zn
gewinnen.
Die Häufigkeit und allgemeine Verbreitung dieser Phos-
phorsäure-haltigen Knollen legen uns zunächst die Frage
nahe, ob man dieselben nicht mit Vortheil für Agricultor-
zwecke verwenden könne. Bei Beantwortung dieser Frage
dürfen hauptsächlich zwei Punkte, welche von entscheidendem
Einflüsse sind, ins Auge zu fassen sein:
1) ob diese Phosphorsäure hauptsächlich als phospbor-
sauren Kalk (3 GaO, PO^) enthaltenden thonigen und zugleich
auch an kohlensauren Kalk-reichen Knollen — die thonigen
Phosphorite — für die Landwirthschaft nutzbar und mit
Vortheil verwendet werden können, ohne erst den phos*
phorsauren Kalk vor seiner Verwendung in Super-
phosphat zu verwandeln und
2) ob diese thonigen Phosphorite sich in der Natur
in zureichender Menge und in einer Weise gelagert vor-
finden, dass ihre Gewinnung eine andauernde, massenhafte
und wohlfeile — d. i. eine ökonomisch lohnende sein kann.
Bezüglich des ersten Punktes ist zu bemerken, dass
bekanntlich der basische phosphorsaure Kalk, wie er in
der Natur vorkommt, um grössere Löslichkeit zu erzielen, fiir
Qümbd: Vorkommen w>n I%09phar8äure. 149
die Zwedce der Landwirtbscbaft, vor seiner Verwendang erst
in Snperphosphat verwandelt wird.
Bei unserem thonigen Phosphorit ist dieses Verfahren
ökonomisch unstatthaft. Denn da derselbe neben phosphor«
saurem Kalk zugleich auch kohlensauren Kalk in beträchtlicher
Menge enthält, so würde die zur Herstellung des Super-
phosphats verwendete Schwefelsäure zuerst den kohlen-
sauren Kalk angreifen und in Gyps verwandeln, der auf
diese Weise erzeugt, viel zu theuer wäre. Die darauf ver-
wendete Schwefelsäure wäre gleichsam verloren und bei dem
hohen Preis der Schwefelsäure würde das weiter erzeugte
Saperphosphat kaum ein entsprechendes Werthäquivalent
geben. Es sind mir zwar keine direkten Versuche hierüber
bekannt, indess scheint diess schon von vomeher mehr als
wahrscheinlich.
Die rentable Verwendung der Knollen des thonig-kalkigen
Phosphorites für Agrikulturzwecke dürfte demnach davon ab-
^gig sein, ob das bezeichnete Phosphorsäure • haltige
Gestern an sich schon, ohne vorher mit Schwefelsäure be-
bandelt worden zu sein, entweder einfach zu feinem Pulver
gepocht, oder erst gebrannt und dann gepulvert und der
Ackerkrume beigemengt, einen dem Aufwand für Herstellung
dieses künstlichen Düngermittels entsprechenden günstigen
Einfloss auf die Vegetation auszuüben im Stande sei oder
mdit. Versuche, welche man mit dem Phosphorit (nicht Su-
perphosphat) angestellt hat, sprechen für einen sehr geringen
^d sehr langsamen Einfluss. Vielleicht würden grössere
Quantitäten aus tnöglichst feinem Pulver günstiger wirken.
Auch dürfte der Gehalt an Thon und kohlensaurem Kalk
^uueres KnoUenphospborits günstig auf seine raschere Zer-
Mteimg einwirken. Das Brennen und nachherige Zerkleinern
inöchte ganz insbesondere ins Auge zu fassen sein, weil durch
^ Broftuen der kohlensaure Kalk kaustisch und die ganze
Masse aufgeschlossen wird , zugleich auch , weil die Knollen
150 Sitzung der matK-phys. Classe vom 1. Jttni 1867.
im ungebrannten Zustande sehr zäh und schwierig zu pocbei
oder mahlen sind. Vielleicht würde auch das Einstreuen des
Pulvers in den Dünger günstig auf einen rascheren Aufschloss
wirken. Es wäre sehr zu wünschen, dass in diesen Richtungen
praktische Versuche von Landwirthen oder landwirthschaft«
liehen Versuchsstationen angestellt würden, weil von der
Lösung dieser Vorfrage alles üebrige abhängig ist
In Bezug auf den zweiten Punkt, welcher sich auf die
Häufigkeit des Vorkommens dcsthonigen Phosphorits bezieht,
habe ich Gelegenheit genommen , in den Sommermonateu
der zwei letzten Jahre eingehende Untersuchungen innerhalb
des ganzen Gebiets der fränkischen Alb anzustellen. Das
Resultat ausgedehnter Gebirgsbegehungen hat zwar das reich-
liche Vorkommen des thonigen Phosphorits in dem obenge-
nannten Omatenthon an sehr vielen Stellen ausser Zweifel
gestellt. Indess glaubte ich mich nicht damit beruhigen zu
dürfen, sondern direktere Versuche vornehmen zu sollen. An
einem der dem äusseren Ansehen nach ergiebigsten FoDd-
punkte unseres Gebirgs, am sog. Zogenreuther Berg bei
Auerbach (a. 0. S. 344) in der Oberpfalz am Ostfusse der
fränkischen Alb, da, wo auf der Höhe des nördlichen Berg-
gehängs die Atmosphärilien den die Knollen einhüllenden Mergel
durch Jahrhundert lange Einwirkung weggewaschen und auf
diesß Weise die Knollen an der Oberfläche sich massenhaft ange
häuft haben, Hess ich die frei auf einer Oedung liegenden Knollen
aufsammeln. Ein Arbeiter konnte hier durchschnittlich in
einer Zeitstunde zwei Zentner solcher Knollen sammeln.
Von diesem eingesammelten Material hatte Hr. Prof. Vol-
hard die Güte, durch den Assistenten bei der landwirth-
schaftlichen Versuchsstation in München, Hr. Dr. Röttger,
eine vollständige Analyse herstellen zu lassen und die Re-
sultate derselben mir gefälligst mitzutheilen. Um den durd-
schnittlichen Gehalt dieser Knollen zu ermitteln, wurde zu
OümM: Vorhmmm wm Phosphonäure, 161
dieser Dorobschiiittsaiialyse aus 65 Pfd. Knollen die Probe
genoounen.
Demnach enthalten die Knollen des thonigen Phos*
phorits von Auerbach im Durchschnitt:
Fhosphorsäure 22,92
Schwefelsäure 1,62
Chlor 0,03
Fhor 2,92
Kohlensaure 11,64
Kalkerde 44,22
Bittererde 0,77
Eisenozjd 4,85
Eisenozydul 0,86
Unlösliches, Thon, Kieselerde etc. . 9,97
99,80
Die Untersuchung auf Jod hat dessen Abwesenheit
eigeben. Der hohe Gehalt an Fluor ist besotiders bemerkens-
werth. Es scheint demnach der thonige Knollenjphos-
phori t aus einem dem Fluorapatitentsprechenden Kalkphosphat
zu bestehen, das mit Thon und kohlensaurem Kalk nebst
geringer Menge kohlensaurer Bittererde und Eisenozydul
Tenmreinigt ist. Die Schwefelsaure hat ihren Ursprung in
ebem schon mit dem Auge zuweilen erkennbarem Gehalt
an Schwefelkies.
Die Arbeitsleistung eines Mannes, welcher die an der
Oberfläche ausgewaschenen Knollen sammelt, entspridit mit-
lun m der Stunde dem Werthe von 23 Pfd. Phosphorsäure.
Es sdieint diesem nach kaum zweifelhaft, dass ein solches
Aofsammeb ein yerhältnissmSssig äusserst lohnenBes Ge*
sdiSft wäre. Es bedarf aber kaum der Bemerkung, dass
schon nach wenigen Stunden der Aufsammelarbeit die Knollen
iaUbar seltener zu finden sind, dass der Vorrath an Knollen,
wdcben die Arbeit des Regens von Jahrhunderten erzeugt
152 SUeung der fM^.^hys. Clam vom t Jmd 1867.
hat, sich in ganz kurzer Zeit auf weitere Fläche erschuft
und damit die Aufsammelarbeit ihr Ende erreicht. Es ist
an sich klar, dass nach diesem Versuche die Frage der
lohnenden Gewinnbarkeit sich nicht beurtheilen lässt.
Man muss die Versuche auf die Gewinnung der Knoilen
in ihrer ursprünglichen Lagerstätte, wo sie zerstreut im
Mergel eingehüllt yorkommen, ausdehnen. Hiei^r scheinen
vor Allem solche Stellen sich zu eignen, wo die Knollen-
führenden Mergelschicbten unmittelbar an der Oberfläche
ausgebreitet liegen und eine weitere Abdeckaibeit darüber
liegender Schichten nicht nothwendig- ist. Ein unterirdi-
scher Abbau ' dürfte wegen seiner Kostspieligkeit ohnehin
nicht in Betracht kommen.
Der thonige Knollenphosphorit bildet nämlich
kein geschlossenes Flötz oder Lager, sondern findet sich
zwar lagerweise auf gleichen Schichten, aber immer mehr
oder weniger zerstreut in unregelmässig^Iänglich runden Con-
oretionen im Mergel eingebettet. Man muss dessbalb behub
seiner Gewinnung die gesammte Mergelmasse hereinhauen
und die Knollen einzeln aus der bröcklichen, zähen, thonig-
mergeligen Hauptmasse herauslesen. An der genannten, für
diese Art der Gewinnung vergleichsweise günstigen Stelle
bei Auerbach kann ein Arbeiter in 10 Arbeitsstunden dordi-
schnittlich Vs Zentner Knollen rem gewinnen und sammeb;
mithin nur den V«o Theil der Arbeitsleistung beim Zusam-
menlesen der auf der Oberfläche ausgewaschenen Knollen
zu Stande bringen. Jedoch ist anzundimen, dass diese Ge-
winnung nachhaltig stattfinden könnte.
Ob diese Menge von Phosphorsäure, welche dürdi Ge-
winnung der Knollen auf ursprünglicher Lageratätte durdi
eine tägliche Arbeitsleistung aufgebracht werden kann, die
durchschnittlich etwa 13 Pfund Phosphorsäure entspricht»
hinreichend gross ist, um die Kosten für den Taglohn, Ent-
schädigung an den Grundbesitzer, Verbringung des Boh-
OümM: Varkarnmen wm Phosphorsäun, 153
inat6rial zur Stampf, des Pochens oder des Brennens und
Pochens, endlich der Verfrachtung des Pulvers bis zum Orte
der Verwendung zu decken und einen kleinen Gewinn in
Aossicht zu stellen, ist natürlich abhängig ron der Brauch-
barkeit des erzeugten Produkts für die Landwirthschaft und
lässt sich erst nach Feststellung der letzteren sicher beur-
theilen. Jedenfalls aber scheint es eine wichtige Aufgabe zu
bleiben, noch weitere Versuche behufs Auffindung von Phos-
phorsäure-haltigen Gesteinslagen, welche etwa in geschlossenen
ond mächtigen Lagen auftreten, anzustellen.
Die Wahrnehmung, dass die knolligen Gonoretionen der
jurassischen Gbbilde fast durchgehends reich an Phosphor-
säure sind, legt die Vermuthung nahe, dass ähnliche Ge-
bilde auch innerhalb anderer Formationen sich' ähnlich zu-
Bommengesetzt zeigen würden.
Ich habe bereits in meinem ersten Aufsatze (a. a. 0.
S. 330 und 331) das Vorkommen von Phosphorsäure-
haltigen Knollen in Silurschichten Kanada's, sowie in den
Kreideschichten Englands und Böhmens angeführt, welches
Vorkommen die obige Annahme zu bestätigen scheint. In
der nach allen Richtungen hin so reichhaltigen und im
höchsten Grade belehrenden Pariser Internationalen- Aus-
stellung von 1867 sah ich in der französischen Ab-
theilong der V. Gruppe 40 Klasse Nr. 23 von dem Mini-
sterium für Agrikultur, Handel und öffentlichen Arbeiten
eme Sammlung von Knollen und Steinkemen aus sehr zahl-
reichen Orten Frankreichs aufgestellt, welche als sehr reich
an Phosphorsäure bezeichnet sind und durch die Menge der
ausgestellten Proben den Beweis liefern, welch' hohen Werth
man bereits auf dieses Rohmaterial in Frankreich legt. Es
sollen sehr grosse Mengen dieser Knollen bereits an vielen
Punkten gewonnen und zur Herstellung von Super-
phosphat yerwendet werden. Es wurde behauptet, dass sie
sogar bereits nach England und ins Ausland den Weg ge-
154 SiUmng der ma^,'phys. CUuse vom 1, Juni 1867.
fanden haben sollen, und als Snperphosphat, gemengt mit
reichhaltigeren Stoffen, von England aus wieder weiter in
den Handel gebracht werden. Viel&cfa hört man diese
Knollen als Koprolithen bezeidmen. Diess ist aber ganz
falsch; es sind nor Concretionen und die Ausfiillungsmasse
yon Schalthieren sog. Steinkeme.
Eine beigesetzte Analyse giebt die Zusammensetzung
dieser französischen thonigen Phosphorite eines Vorkommens
von Apremont in folgender Weise an:
Phosphorsaure .... 27,76
Thonerde, Eisenoxyd und an Phos-
phorsäure gebundene Basen 46,64
Kalkerde 7,80
Wasser, Kohlensäure etc. . 10,60 .
Bfickstand in Säuren unlöslich . 7,20
100,00
Diese Knollen, welche bereits Verwendung finden, ent-
halten also nur um weniges mehr Phosphorsäure, als unsere
jurassischen Concretionen aus Franken im Mittel. Es ist
sehr wahrscheinlich, dass das Mittel bei den französischen
Knollen auch nicht höher geht, da ja einzelne unsem fränki-
sdien Knollen einen Gehalt an Phosphorsäure bis zu S6,I
und 40,0 ®/o aufzuweisen haben.
Ein aus der Lahngegend gleichfalls in Paris ausge-
stelltes! dem Amberger Phosphorit sehr ähnlich aussehendes
Material enthält nach der beigesetzten Analyse:
Phosphorsauren Kalk 65,00
Eisenoxyd . . • 3,00
Fluor .... 2,00
Kohlensaurer Kalke . 16,00
Bittererde und Alkalien 2,00
Wasser, Jod und Silikate 12,00
100,00
mithin gegen 13<^/o mehr phosphorsauren Kalk, dagegen
OümM: Vorkommen von Phoiphor$äure, ISS
weniger, aber doch immerhin eine beträchtliche Quantität
kohlensauren Kalks, so dass immerhin die ökonomische
Möglichkeit der Benützung unseres fränkischen Phosphorits
lioch im Äuge zu behalten wäre.
Die Substanz der französischen Knollen, welche dem
in Frankreich so weit verbreiteten sog. Galtgränsand-
stein der unteren Procän- oder Kreideformation angehören,
gleicht in auffallender Weise einer Masse, welche auch bei
ims in dem geognostisch gleichstehenden Galtgrfinsandstein
unseres Alpengebirgs vorkommt. Ich durfte daher auch in
diesen einen Inhalt an Phosphorsäure vermuthen. Diess
hat sich in der That bestätigt.
Auch der in den bayrischen, yorarlbergischen
and namentlich schweizerischen Alpen so weit ver-
breitete und in mächtigen Felsen anstehende Oalt-
grünsand ist in gewissen Lagen verhältnissmässig
reich an Phosphorsäure.
Ich habe mehrere derartige Gesteinsproben, wie sie
gerade zufallig als versteinerungsfuhrend von mir in den
AllgSner Alpen gesammelt worden waren (natürlich ohne
Rücksicht auf den damals noch unbekannten Gehalt an Phos-
phorsaure-haltigen Concretionen) untersucht. Diese Proben
stammen von der sog. Schanze am Fusse des Grünten bei
Sonthofen und aus der Nähe von Langenwang und Tiefen-
bach bei Oberstdorf und ergaben einen Phosphorsäuregehalt
von 5,7—16^/0 im ganzen Gestein ohne Sonderung der knol-
ligen Concretionen.
Es ist diess jedoch bloss die Phosphorsäure, die im
Gestein an Kalkerde gebunden ist, da ja nur diese bei der
Fr^e über die Verwendbarkeit zu Agrikulturzwecken zu
berücksichtigen sein dürfte. Ausserdem enthält das Gestein
noch Phosphorsäure, welche an andere Basen gebunden ist
, Obwohl der Gehalt vom 6 — 16^/o ein anscheinend ge-
ringer ist, so mnss doch bemerkt werden ^ dass die zur
156 Sitzung der ma(h,'phys, Classe vom L Juni 1867^
Analyse verwendeten Proben rein zufallig und ohne Rücksicht
auf die vorliegeude Frage gesammelt waren. Ich zweifle
nicht, dass, wenn man die in unsem Allgäuer Alpen an so
vielen Orten zu Tag ausstreichenden Galtgriinsandstdjilagen
(vgl. mein Alpenwerk S. 530 und ff. und Kartenblatt Sont-
hofen) näher zu dem Zwecke untersuchen würde, um mög-
lichst reichhaltige Schichten oder Stellen aufzufinden, es
gelingen wird, Gesteinsproben von weit grösserem Gehalt an
Phosphorsäure als die oben angeführten ausfindig zu machen.
Diess dürfte schon nach dem blossen äusseren Aussehen des
Gesteins leicht ^u beurtheilen sein. Denn ich habe gefunden,
dass der Gehalt an Phosphorsäure in dem Galtgrunsandstein
wesentlich gebunden ist an die dunkelfarbigen Concretionen,
Flecken und Steinkeme, welche der Grünsandstein einschliesst
und die sich sehr deutlich von der Hauptgesteinsmasae unter-
scheiden lassen. Je häufiger diese Concretionen eingoschlossen
sind, desto stärker ist der Phosphorsäuregehalt des ganzen
Gesteins oder je mehr dunkelfarbige Flecken zum Vorschein
kommen, desto reicher erweist sich das Material. Diess lässt
sich leicht nach dem Augenmaass beurtheilen.
Diese Gesteinsbildung besitzen wir namentlich in den
Allgäuer *Alpen in weiter Verbreitung und in grosses
Felsmassen, welche oft in hohen Riffen aufragen und eine
möglichst einfache und wohlfeile Gewinnung des Gesteins
mittelst Steinbrucharbeit gestatten. Ich glaube daher nidit
unterlassen zu sollen, auf diese neue (Quelle von Phosphor-
säure die Aufmerksamkeit namentlich unserer rationellea
Allgäuer Landwirthe hinzulenken, um praktisch zu versuchen,
ob die Landwirthschaft Nutzen aus diesem Vorkommen
schöpfen könne. Insbesondere gewinnt dieser Gegenstand
für die Schweiz grosse Wichtigkeit, weil dort solche knollen-
reiche Galtschichten in besonderer Mächtigkeit und Ausdeh-
nung vorkommen und eine sehr ausgebreitete Benützung
gestatten würde. Es verdient dabei noch erwähnt zu werden,
Oümbd: Vorhmmen wm Phoaphorsäure. 157
dass dieses Material zugleich vielen Glauconit enthält, der
bekanntlich ziemlich reich an Kali ist, so dass durch dessen
Zersetzung wahrscheinlich dem Boden auch Kali zugeführt
werden könnte.
Die eigenthümlich charakteristische Beschaffenheit der
Masse, aus welcher die Phosphorsäure-haltigen Steinkeme
dieses Galtgrünsandsteines und gewisse Knollen des Omaten-
Mergels bestehen, leiteten mich weiter auf die Untersuchung
Ton Steinkernen aus anderen Gesteinslagen, welche aus einer
ähnlichen, stets dunkelfarbigen, im Vergleiche zu Kalk här-
teren, spröderen und schwereren Substanz zusammengesetzt
sind. Solche Steinkeme trifft man in den Procän- oder
Kreidegebilden von Regensburg Läufig, sie kehren besonders
aasgezeichnet in den Kressenberger Nummulitenschichten
wieder. Es muss ausdrücklich bemerkt werden, dass nicht
alle Steinkerne die beschriebene Beschaffenheit besitzen, son-
dern nur ein Theil derselben. Meistentheils bestehen sie
bloss aus kohlensaurem Kalk, namentlich die Nummuliten
und die noch mit Schale versehenen Schalthierüberreste und
auch viele Stemkeme der Eisenerzflötze.
Die dichten schweren Steinkerne aus dem Nebengestein
der Kressenberger Eisenerzflötze ergaben mir in der That
einen Gehalt an Phosphorsäure von 5,68®/o
und gleichartige Steinkeme aus dem Grünsandmergel des
Galgenberges südlich von Regensburg 8,19^/o.
Fortgesetzte Versuche werden, wie ich bereits zu ver-
muthen Grund habe, lehren, dass nicht nur die meisten Con-
cretionen namentlich die Galtschichten in Norddeutschland,
am Harzrande, selbst die Geoden und Steinkeme aus den
Kreidebildungen Indiens Phosphorsäure in grösserer Menge
enthalten, sondern dass wir auch noch andere an dieser
Säure reiche Niederlagen in verschiedenen Schichten der
Sedimentformationen besitzen, die wir vielleicht nutzbar
machen können.
158 Sitgung der histor. CUme vom 1. Jn»i 1867.
Historische Classe.
Sitsong vom 1. Juni 1867.
Herr Roth hielt emen Vortrag:
„üeber Keltische and Germanische Wehr-
yerfassang*^
Herr Eluckhohn machte Mittheilong über die
„Erzählung von der Verschwörung zu Bayonne
im Jahre 1565".
Die Abhandlung wird für die Denkschriften der Classe
bestimmt.
Hofmam: Senmkungen tmn Naditßtgm^ 159
Nachtrag
zur Sitzung der philos.-philol. Glafise vom 1. Juni.
(Vgl oben Seite &)
Herr G. Hofmann äbergibt folgende
„Bemerkungen zum Nachtsegen*'.
Ich habe seit der Sitzung, in welcher ich die Hand-
schrift und die Arbeit des Herrn Keinz der Claese vorlegte,
über manches weiter geforscht und das Manuscript selbst
noch einmal genauer angesehen, als ich beides in der Eile
des ersten Fundes thun konnte. Früher hatte ich nur den
Naditsegen berücksichtigen können, jetzt bei Einsicht des
übrigen manchfaltigen Inhalts finde ich allerlei, was der Mit-
tbeilimg werth sein und die Forschung weiter führen dürfte.
Zoerst in dem unmittelbar Torausgehenden lateinisch-deutschen
Pflanzenverzeichniss finde ich S. 119 V^ Affodillus golde Adera
idem. In dem ersten Erauteiglossar S. 69 V® wird affodillus
erUirt durch goldewrz, und da schon Frisch Goldwurz mit
Asphodelus bulbosus, dann chelidonium erklärt (I. 361), so
^rissen wir also jetzt, dass golde = asphodelos, die bereits
mythologische Kartoffel der Hellenen ist Ich kann freilich
nicht behaupten, dass die dingenden golden in Vers 15
des Nachtsegens damit identisch seien; aber wenn man er-
wägt, dass eia anderes Knollengewächs, die Mandragora oder
Alraun im Aberglauben eine heryorragende Rolle spielt^ so
bnn man Zusammenhang vermuthen ; denn, wenn die Alraun
menschlich aussehen, leuchten und reden kann (vgl. Grimm
DM. 1153—5), so darf wohl der Affodill audi „klingen".
160 SiUmg der ph^.-ph%M. Gaste vom 1, Juni 1867,
Ich enthalte mich, die Sache jetzt irgend weiter zu yerfolgen,
da es immer höchst misslich ist, auf blosse Wörter hin mytho-
logischen Dingen nachgehen zu wollen. So musste sich ja
z. B. der Bernstein auf Grund eines einfachen Druckfehlers
zu einem Zauberstein erheben lassen. Frisch citirt aus dem
Vocabular von 1482 unter Zober (II. 480) Zoberstein, Bern-
stein alveus lapideus. Wackernagel in Haupts Zeitschrift
IX. 567. fand in diesem Zoberstein einen Zauberstein
und mit dieser Erklärung ging der Bernstein in das mhd. WB.
II. II. 617 ein, welches glücklicherweise das richtige bor n-
stein unmittelbar daneben setzt. Ein alveus lapideus ist
einfach ein Brunnenstein, Zuberstein oder deutlicher,
steinerner Brunnentrog. Alrun = mandragora kommt
übrigens in unserem ersten Eräuterverzeichniss (S. 70, v^, b)
ebenfalls vor.
Die Sprache des Nachtsegens ist, wie man sieht, mittel-
deutsch; so ist auch die der beiden Glossare. Aber die
Handschrift gibt uns Anhaltspunkte, die noch viel weiter
fuhren. Auf Seite 125 r^ (also bloss um ein Blatt vom
Nachtsegen entfernt) steht, wie schon ob^ von Hrn. Eeinz
bemerkt ist, von einer Hand des 14/15 Th. Henricus de
Prusia vid. de Rado oder Gado (das letzte Wort undeutlich)
und das erste der Pflanzenglossare enthält im Anfang neben
den deutschen Namen eine Anzahl polnischer, wo bei
einem ausdrücklich noch zugesetzt ist, es sei in polonico and
bei einem zweiten polschy (== polski), nämlich bei anetum,
tille, polschy copr S. 68 v^ a. Z. 10 von oben (polnisch
Eopr = Dillkraut). Die polnischen Glossen lauten in ihrer
Gesammtheit so:
S. 68 v^ Incipiunt nomina herbarum, quarum suntlatimi
quaedam, barbara uero alia, ut patz (patet od. patebit?)
Artemisia uel matricaria est mater herbarum, qaae
vocatur biwz, inpolouicabiliza (polnisch bylica=:Be]fu68.)
Abrotanum« ebireyce. böse dreuno. (poln. bos^drzirica
Bofmann: Bemerhmgen tum NaehUegen. 161
Stabwun, eig. Oottesbänmchen, weil die Eberesche bekannt-
lid) heilig gehalten wird.)
Absintiiun. wennat. polyn. (poln. piolan = WermaÜi.)
Am Rande roth eberwrc.
Azarabacara. haselwrc. copitnik (poln. Eopytnik :=
Haselwnrz.
Amoglossa. plantago. centeaxna ?ocatar wegebreit,
scorocel.
Am Rande roth vegede.
Anetam. tille. polschy copr (s. oben).
Alleam. scordinm. Enoblach. Zosnek (poln. czosnek
Knoblauch).
Äcant igrida. nesle. coprinj. (verschrieben für pocrini,
poln. pokn^a Nessel).
Ätrapassa holander, bezoua (poln. bez. Hollnnder
(f^69. a) Baldemonia. berwrz. olesnik (poln. olesnik Bär-
warz), ebenso wird mit olesnik (70 y^) herba thnris erklärt
71?^, mit olesnik pencedannm.
Das ist, was ich an polnischen Wörtern bemerkt habe.
Der Theil der Handschrift freilich, welcher den Nachtsegen
enthält, ist von anderer Hand geschrieben, als der, in weU
ehern die polnischen Glossen stehen. Die verschiedenen Theile
der Handschrift worden erst später zusammengebunden ; denn
dem ersten Glossar sind an den Rändern von jüngerer Hand
Globen zugefügt, die zum grossen Theil vom Buchbinder
beim Beschneiden beschädigt wurden. Auch ist die Zurich-
tung des Pergaments bei beiden Pflanzenglossaren eine
^enchiedene. Das erstere hat zwar 39 Querzeilen, wie das
zweite, dagegen stehen sie um vieles enger beisammen und
sind in vertikaler Richtung nur durch 5 Linien geschieden,
bei letzterem durch 10. Doch ist der Charakter der Schrift-
ZQge homogen und gleichzeitig und wir werden also nicht
weit irren , wenn wir die Entstehung der beiden Glossare
nebst dem zum zweiten gehörigen und natürlich etwas jüngeren
(1867. ai.] 11
162 SiUung der fiMtöa.-pMM, Ciasee vom 1. Jwd 1867.
Nachtsegen in die Gegend setzen, wo im 13/14. Jh. das
deutsche nnd das polnische Sprachgebiet sich beröhrten.
Dass sie auch längere Zeit dort geblieben, scheint die schon
erwähnte Einzeichnang , Henricus de Prasia, zu beweisen,
die am vieles jünger ist, als die beiden Glossare xmi unge-
ßhr gleichzeitig mit der Hand, welche auf S. 71 v^ ganx
unten am Rande eingetragen hat scrophalaria est nomen
herbae contra vermes. Zwischen dieser Hand und der des
ersten Glossars finden sich Einträge von 4 verschiedenen
anderen Händen. Wie das Arznei- und Zauberbudi (s. Note
auf pg. 169), so lässt sich sein Gesammtinhalt am kursesten
bezeichnen, aus den Händen des Henricus de Prusia in die
ohurfiirstl. Bibliothek nach München gekommen, wer dieser
Henricus de Prusia selbst gewesen, das wäre weither Aufklär-
ung eben so werth als bedürftig.
Wenn es schon an sich interessant ist, hier Reste ältester
polnischer Sprache zu finden, so wird der Umstand beson-
ders wichtig für den Nachtsegen und die fremdartigen,
sicherlich aus anderer Sprache entlehnten Wörter, die er
bietet. Wir haben nach aller Wahrscheinlichkeit ihre Er-
klärung im Polnischen zu suchen. Gloczan, Lodowan,
Truttan bieten in der That polnischen Stammesausgang.
Das Suffix an kommt im Poln. z. B. in balwan Block, Götze,
bocian Storch buzdygan Streitkolben roztruchan grosser
Pocal u. s. w. vor. (üeber das sehr häufige Suffix an vergl.
ACklosich Personennamen S. 10.) Sie sind Masculina. Ffir
Lodowan bietet sich der Stamm lod (in allen anderen
slawischen Sprachen led, altslawisch ledü xq^OfuIXo^ vergl
Miklosich Lex. palaeosloven. p. 335) = Eis, und Bildungeo
daraus mit w, lodowaty eisartig, lodowaciec zu Eis werden,
lodowiec Eisstein, lodownia Eisgrube. Dahin könnte andi
unser Lodowan (der Eiskalte?) gehören. Gloczan könnte
zum Stamme glöd Hunger (= goth. grddus) oder der Ab-
leitung nach wohl noch eher zu gol (unser kahl) gehören
Bpfmann: Bemerhunffen Mnm Nmsht^m. 168
(altsl. golu YVfWifs goloti ft^tSaifaXlog Mikl. p. 135) Q&4
for golocan steheo. Andere Bildungen des Stammes smd
golocic entblössen, berauben, golota armer Teufel» goly nackt,
arm o. s. w. Auffallend ist, dass beide in der Bedeutung
Eis zusammentreffen. Truttan, ebenso gebildet, wie die
zwei andern, macht Bedenken, weil es durch das reimende
Wutan verändert sein kann. Das Pohiische bietet trut
Purgirkraut, trutka Gift, truten Drohne, Tölpel, trud Mühsal,
letzteres gleich latein. trudo, goth. ^rjutan, deutsch driezen
(b verdriüssen) ftruts-fill länqa. Letzterer Stamm dürfte
am ehesten hier zur Anwendung kommen. Auch altsl. finden
sich diese Wörter (bei MikL p. 1019) tratu crabro, tradfi
i^evtfQCa troudü (p. 1005) növog^ trouditi vexare. Truttim
würde also etwa der Quäler heissen. Man muss hier die
Frage aufwei-fen, ob unsere deutsche Drud (Trud) nicht
überhaupt aus dem Slawischen entlehnt ist. An die Druiden
vird heutzutage Niemand mehr denken und eine genügende
Ableitung aus dem Germanischen gibt es meines Wissens
nicht, während die von slaw. trud quälen mir sehr passend
erscheint. Die germanische Form wäre druz. Was schliess-
lich das verschiedene Geschlecht des Truttan und der Trut
angeht, so führe ich als Analogon an, dass Jungmann (ich
eatnehme das Citat aus Hanusch Slaw. Mythus S. 333),
einer der grössten böhmischen Gelehrten, den Mor&s für
dasselbe erklärte, wie die Mura oder Mara (die Mar) den
drückenden Alp, nur männlich gedacht. (Auch in Thelle-
marken heisst die Mar Muro.)
So stünde denn unser Nachtsegen mit einem Fusse auf
slawischem Boden, während er anderseits mit seinen Zaun-
ritten (zcunriten) in Vers 14 bis an die alte tldda hinauf-
reicht, wo diese luftreitenden Wesen im H&vam&l Str. 158
zum erstenmale als t6nri6ur vorkommen, in einer sonst
isolirten und schwierigen Stelle, deren grammatische Gon-
stmction dadnrdr bedenklich ist, dass auf das Feminin tun«
164 8Ugung der phiioe.'phaöL CUuse wm 1. JutU 1867.
ri&ur das Pronomen und Adjeotiv im Mascalinnm folgen,
nämlich I»eir villir. Was in der grossen Gopenhagener Aus-
gabe III, 140. zur Erklärung beigebracht wird, verstehe idi
nicht. Es heisst: fteir villir in gen. masc. omnes Codices,
etsi praecessit Ritor faeminina terminatione, nempe cum re
constructio fit non cum verbo, uti interdum alias. Wenn das
etwa hassen soll, dass die tünriSur männliche Wesen mit
weiblicher Bezeichnung gewesen seien, so erscheint das höchst
bedenklich, da die nächstverwandten kveldriSa und myrkri&a
unabänderlich Feminina sind und auch im Jiexicon mytho-
logicum p. 754 ist von einer constructio cum re weiter keine
Rede. Sveinbjöm Egilsson beruft sich im Lexioon poeticum
wie gewöhnlich leider nur auf die Gopenhagener Ausgabe
und setzt bloss hinzu: guod vertunt sublimes equites id
non secuüdum etymologiam est. Petersen (Nord. Mytb.
S. 150) übersetzt tünriSur einfach mit Hexen nnd bringt
weiter Nichts zur Erklärung der Stelle bei. Fritzner s. r.
sagt: „einer der Geister, von denen man annahm, dass sie
zu gewissen Zeiten durch die Luft ritten und die Höfe (tun)
zur Nachtzeit besuchten , gleich der Aaske — oder Aas-
gaardsreid nach dem nordischen Volksglauben.'' Dabei ver-
weist er noch auf Flöamanna Saga Gap. 22, wo aber weder
das Wort tünriSa noch sonst etwas vorkömmt, was zur Auf-
klärung sonderlich beitragen könnte. Es ist dort von dem
Winteraufenthalt einiger Isländer in Grönland die Rede,
zur Jolzeit hören sie Nachts einen grossen Schlag an der
Thüre, einer springt hinaus, wird wahnsinnig und stirbt am
folgenden Morgen. Am anderen Abend geschieht das Gleiche,
es wird ein zweiter Mann wahnsinnig und erzählt noch, dass
er den Verstorbenen gegen sich habe springen sehen. Was
der zuerst im Wahnsinn Gestorbene gesehen, wird nidit ge-
sagt. So stirbt ein grosser Theil der Gesellschaft und alle
Todten werden Wiedergänger oder gehen um , bis endlich
^orgils, der überlebende Hausherr, ihre Leichen gegen den
Büfmann: Semerhungm gmn Nachitegen, 165
FrfiUhig auf einem Schdterhaafen verbrennen lasst, worauf
es mhig wird. Man sieht , dieser Bericht ist zwar für den
VollEBglaaben recht interessant, lehrt uns aber nichts über
die tünriSur, Fritzner müsste denn angenommen haben, der
zuerst gestorbene Mann hätte sie draussen in der Luft
&hreu sehen oder hören und sei davon wahnsinnig gewor-
d^. Indess steht nichts dergleichen im Bericht, mit dem
wir ans daher anch nicht weiter beschäftigen wollen. Die
andere Verweisung auf Aaskereia trifPt näher zur Sache,
denn diess ist einfach die wilde Jagd, die aus den Seelen
nichtsnutziger Leute besteht, die für den Himmel zu schlecht
und für die Hölle zu gut sind und ihr Fegfeuer im Luftr
ritte, hauptsächlich um Weihnachten, durchzumachen haben.
Was nun für unseren Fall passt, ist dieses : in einem Bezirk
von Norwegen, in Saetersdal, herrscht der Glaube, dass,
wenn einer sich nicht niederwirft, sobald er das Lufgereite
hört, seine Seele mitfahren muss, während sein Körper
liegen bleibt Wenn die Seele zum Leibe zurückkehrt, ist
dieser ganz abgemattet und bleibt nachher immerfort kränk-
lich. Auch Pferde werden mitgenommen und kehren übel
zugerichtet zurück (Faye S. 71). Das letztere stimmt insofeme
gQt zu unserer Eddastelle , als hier Oiiinn offenbar nichts
anderes sagt, als: „wenn die tünriSur ihren Leib und ihre
Heimaih verlassen haben und über mir in der Luft reiten,
80 verwirre ich ihre Seelen, dass sie ihre Körper und Woh-
nangen nicht wieder finden hönnen.^^
So weit gut, aber damit ist immer noch nicht erklärt
wie das Fem. tünrilSur und das Masc. ^eir villir ucben-
einander bestehen können. Lüning findet freilich einen
leichten Ausweg, indem er (S. 293) sagt: „Entweder muss
es tunriSar oder ^aer villar heissen/^ So viel hätten die
früheren Schreiber, Herausgeber, und Erklärer der Edda
wohl auch gewusst ; aber es ist keinem eingefallen , mit
einem so wohlfeilen Mittel der Schwierigkeit abhelfen zu
166 Sitzung der phüos.-phiM. Okuße wm 1. Juni 1867.
wollen. Die Sache mnss tiefer aogogriffen werden.
Zwischen Entstehung und Aufzeichnung der Eddalieder liegt
ein mehr oder weniger grosser Zeitraum, in welchem die
norroenische Sprache fortschreiten und manche Form erst
archaistisch, dann unverständlich werden musste, die bei
Abfassung der Lieder noch der lebenden Sprache angehört
hatte. Hier ist der entscheidende Punkt, wo die allgemein
germanische Philologie der specifisch nordischen zu Hülfe
kommen kann und muss. Das viel höhere Alter der gothi-
schen, angelsächsischen, althochdeutschen und altsächsisdien
Denkmäler, denen der Norden nur einige der ältesten
Buneninschriften (vor Allem die Blekinger) an die Seite zu
setzen hat, lässt gewisse Erscheinungen in vollkommener
Klarheit erkennen , die vom Standpunkte des nordischen
Sprachbetriebes verdunkelt und unlösbar ersdieinen. Idi
beschäftige midi seit längerer Zeit mit einer kritisch-
exegetischen Arbeit über die alte Edda hauptsächlich in
dieser Richtung, und hebe hier anticipando zwei Fälle unr
darum aus, weil das plötzliche und überraschende Auf-
tauchen der zünriten im Nachtsegen mich fast dazu zwingt
Archaismen der alten Edda sind für uns natürUch am fass-
barsten, wenn sie sich auf Flexionsverhältnisse beziehen, and
werden am leichtesten erkannt, wenn der überlieferte Text
eine auffallende Sinnstörung zeigt, wie hier und in dem
zweiten analogen Beispiele. Nehmen wir das Adj. villr, so
wissen wir, dass es das gothische vil^eis, althochd. uoildi,
altsächs. uuildi, ist, dass ee folglich ein dem Worte selbst
angehöriges radicales i hat, zur i-Deklination gehört und so
zeigt sich denn ganz consequent, dass das Femininum im
Plural auch der i-Deklination folgt und villir (nicht rillar)
hat. ^eir kann dann gar kein Bedenken machen, da die
graphische Verwechslung von ae und ei bekannt und kon-
statirt ist , vgl. Eonrä6 Gislason, um frumparta p. 183 £,
wo gerade ^ir hervorgehoben wird. Es ist also in Wirk-
Hofmatm: Bemerhmngm tum Naehtsegen. 167
lichkeit an unserer Stelle gar nichts zu ändern and einfach
^aer TÜIir zu lesen. Die zweite vollkommen analoge Stelle
findet sich AtlakviSa, 18. vinir Borganda, ein Unsinn, wenn
man Tinir als Nom. plnr. auf die Hannen bezieht, die (nach
Luning) dessw^en so heissen sollen, „weil Atli durch Qudrun
mit den Bai^nnden verwandt ist.^^ Wie schwierig die Sache
den gewissenhaften Herausgebern früherer Zeit vorkam, sieht
man aas der langen Anmerkung, welche die Arnamagnäanische
Ausgabe (11, 383) zur Stelle hat. Nun hat vin oder vinr
em radicales i gehabt; denn es heisst alihochd. uuini, alts.
nuini, ags. vine. Der archaistische Accusativ von vinr hiess
natürlich vini, and das mussten die Schreiber nothwendig
als vinir missverstehen, wenn ihnen einmal die Formen der
i-Deklination ausser Gebrauch gekommen waren, vini Boi^
gunda ist also Aoc. und Apposition za Gunnar. vine Borgenda
heisst nun bekanntlich der ags. Dichtersprache gemäss Qunnarr
(Gft&here) im Valdhere II, 14 und wenn im Nordischen zd-
iallig vinr mit folgendem Genetiv des Volkes nicht als Königs-
bezeichnung erhalten ist, so findet sich vinr drengja, gaeSinga,
gotna, alda, skatna und hoUvinr (Holdfreund) herjar, lofSda,
8. Gröndal p. 235. Die Stelle der AtlakviSa Str. 18 heisst
also, sehr einfach: die Hunnen banden Günther, den König
der Burgunden (wörtlich, den Freund der Burgunden).
Der Nachtsegen lehrt uns den Namen des Hexenberges
in der ältesten bis jetzt vorgekommenen Form kennen , die
wir für ebenso authentisch halten dürfen, wie die des höch-
sten Göttemamens, gut mitteldeutsch Wfitan, Gen. Wütanes.
Wir ersehen nun, was J. Grimm DM. 1004 schon ausge-
sprochen, dass r statt 1 der urprüngliche Laut ist, wie
bereits Leonhard Frisch bezeugt (I, 111): „Blocksberg,
besser Brocksberg, wie er in und an den Braunschweigischen
Landen heisst", wobei allerdings zu vermuthen, dass er das
r nur wegen der falschen, auch heute noch nicht ganz auf«
168 Sitzung der phihs.^hüoH, CkUBe fxm 1. Jtmi 1867.
aufgegebenen Ableitung von mons Bractenis für richtiger ge-
halten habe. Unter den bisher versuchten Deutungen ist meines
WisseuB keine, die besonders besser wäre, als die genannte
und ich erlaube mir daher zum Schlüsse meine eigene tof-
zutragen. Dass der Name mehreren Bergen in Deutschland
gemeinsam ist, hat J. Grimm DM. S. 1004 u. 1232 nach*
gewiesen. Die Erklärung darf also nicht den Ausdruck dea
Hexenconyentikels in dem Worte suchen, wofür sich sonst
das edd. broka^kvinna anbieten würde. Gsmuss yielmehr ein
natürlicher Grund der Benennung gesucht werden, und diesen
finde ich in einem Worte , welches . sich im Isländischen er^
halten hat. Nach Björn Haldopsen bedeutet das Neutnun
brok nubes albidae, juga montium tegentes. Die Berge,
welche die höchsten ihrer Gegend sind, sammeln bekanntlich
an ihrem Gipfel die Wolken, was namentlich beim Brodces
der Fall ist und so scheint der Name Wolkenberg passend
für unsern. wie für manchen andern. Im Schwedischen ist
das Wort gleichfalls vorhanden, Bietz im Dialektwörterbach
hat unter brok m. 2. die Bedeutung dunkler Fleck (mörk
fläck), brok 1, heisst bei ihm so viel als brokig hast
(= geflecktes Pferd), brokug, (bei Ihre I, 272) variegatus.
Auch das Dänische hat broget, bunt, verschiedenfarbig, ge-
fleckt. Wegen des Begriffsübergangs verweise ich auf den
identischen mhd. Fall, wo sprachel Abschneidsei ahd.
sprehbiloht mhd. spreckeleht gefleckt bedeutet, Mhd. Wb.
S. 521. Man wird brock einfach von der Wurzel brik ab-
leiten dürfen, also = fragmentum, Stück einer grösseren
Wolke, brochel ist davon das Deminutivum , welches ober-
deutsch wohl brüchel heissen würde. Brochelsberg hiesse
also wörtlich = Wölkchenberg. Man wird hiebei von selbst
an den schwedischen Hexenberg Bläknlla in der Meerenge
zwischen Smäland und Oeland denken ^ der seinen Namen
ebenfalls von seiner physischen Erscheinung hat (= die blaue
Kuppe), und noch passender an den schweizerischen Pilatus,
Hafmatm: Bemerkungen iwn Naehttegen. 169
deo Behüteten (Pileatns), wie man ihn, sei es mit Recht
oder nicht, w^en seines oft umwölkten Scheitels deutet,
was neben der Zerrissenheit seines Gehänges (daher der
alte Name Fragmunt = fractns mons) der hervortretendste
Zog an ihm ist.
(Note sa pag. 162.) Es ist wohl der Mühe werth, den Inhalt
der merkwürdigen Sammelhandachrift, nach sachlichen Gruppen ge*
ordnet, etwas genauer zu oharakterisiren. Sie enthält (abgesehen
▼on dem Eintrag über Fasttage auf der allerletzten Seite) 18 Num-
mern, die sich inhaltlich in folgender Weise ordnen. I. Als Ein-
leitung nun Gänsen, gewissermassen als Encyolopadie geht voraus
ein Psendo-Aristotelicum, Secretum Secretorum, aus dem Arabi-
schen übersetzt und in dieser Sprache wahrscheinlich auch ursprüng-
lich ver&sst. Die hiesige Staatsbibliothek besitzt den arabischen
Text) TgL Flügel, Handschriften der Münchner Bibliothek im An-
letgeblatt der Wiener Jahrbücher XLVJL Bd. S. 23, und Aumer,
Gstalog der arab. HSS. S. 26&— 6. Das Werk ist auch für die ger-
manische Literaturgeschichte von Bedeutung, denn Jakob von Maer-
l^t, der „Yater der niederländischen Dichtkunst*'^ hat es in seiner
Heymelichede der heimelicheit bei v. Kausler, Denkmäler 11,
S. 483 — 566) poetisch verarbeitet, „vorausgesetzt, dass er nach den
Bedenken, die Ciarisse gegen seine Urheberschaft vorbringt, noch
aU der Yerfasser gelten kann''. Da Kausler ebendas. III 8. 289 £
STündlich und gelehrt, wie er pflegt, den ganzen Gegenstand be-
handelt hat, so kann ich auf ihn verweisen, und will nur noch über
die Herkunft unserer HS. eine Vermuthung äussern. Sie scheint
mir ans Südfrankreioh zu stammen, wenigstens stimmt sie mit allen
provenzaHschen Handschriften, die ich kennen gelernt habe, in der
Bondung der Schrift, Weisse und Glätte des Pergaments, Blässe der
Tinte, dann in besonders charakteristischen Zügen, wie z, vollkom-
men überein. Die Zahl der Gapitel ist , wie in dem von Kausler
»ngeföhrten Drucke 73.
An dieses einleitende Werk, eines jener absurdeni aber allge-
Qttn studierten Gompendien, welche das nach manchen Richtungen
so gewaltige und aohtungffwerthe Mittelalter gerade für naturwissem-
BchaitHche Dinge in unwürdigem Aberglauben erhielten, reihen sich
l>Dgsre oder kfkrsere, botanische, astronomische und medizinische
[1867.n.l.l 11**
170 Sitmng der phOos.-phiM, Gasae wm 1 Juni 1867,
Tractate, endliöh das weitaas mörkwiirdigste Stück der ganzen
Sammhiiig, ein arabisches Zauberbacb, leider nn vollständig , da ec
mitten in der „Wonderlampe^^ abbricht. Auf das Pflanzenreidi be-
ziehen sich Nr. 3, das erwähnte Pflanzenglossar mit deutschen und
polnischen Erklämngen, (N^ 4 {P 72) lateinische Homonymen der
Pflanzennamen, N^ 14, das zweite deutsche Eräuterglossar (F 119
Y^ ~ 124 r^.) Am umfangreichsten und wichtigsten ist in diesem
Zweige der Naturkunde das Obst- und Weinbuch {f9 68 — lOlX
ein ganz der Praxis angehöriges Compendium, unter dem Titel In*
cipit liber de insertione arborum et earum fructuum. Von wem
Grundlage und Weiterfiihmng der Arbeit stamme, zeigen die ein-
leitenden leoninischen Yerse an:
Palladii librum J^reviatum per Godefridum
Accipe ourta volens rustiea rura colens
Palladium tantum non hie sequor aut Galienum
Pingitur et cespis floribus iste meis
Ordine sub certo nullo pereunte reperto
Scita prius religo munus et hoc tibi do.
Das Ganze hat 4 Tractatus. 1. de plantationibus arborum 2. de
▼itibus. 3. de conservatione fructuum. 4. de yino. Der erste Tractat
ist durch zwei Federzeichnungen, den geraden und den schiefen
Oculirschnitt vorstellend, illustrirt. Im vierten Tractat finden sich
die interessanten Paragraphe, wie man erkennt si aqua sit in vino
und wie aqua de vino separetur, dann de deceptione gnstus (nicht
durch Gallisiren), endlich de reformatione vini corrupti. Die zweite
Gruppe bilden Astrologica. N^ 8 (P 75) de efiectibus planetarum
f* 80, v^ die sogenannten arabischenZiffem, N<^ 9 (f* 81) Capitnlum
in narratione Satumi (am Rande von jüngerer Hand Tractatus Sem
filii Haym). N^ 10 (f^ 83) Tractatns alius, von den Monaten und
ihrem Einfluss auf das Schicksal der Geburten in physischer und
psychischer Richtung bei beiden Geschlechtern. Die dritte am zahl-
reichsten vertretene Gruppe ist die medizinische, zuerst N^ 2. Petri
Hispani medicina (f> 41—68), N<> 6 (f 78). Ueber Arzneidosen.
woran sich ironisch N.^ 6 Signa morientium unmittelbar anschliesst
Diess ist ein Stück deutscher Herkunft, denn vom üringlase helut
es in summo staupo {=^ stouf Becher, poculum maius.) N® 7, ein
einzelnes Blatt de phlebotomia N^ 13 (^ 109) Circa instans, ein
Stück eines mediziuisch-pharmakologischen Glossars, N^ 16 (f^ 1^^)
Definitionen von Krankheiten, N^ 16 (f^ 127) Vegetabilische Arznei-
dosen N^17 (f^ 125) eine Pharmakopoe in 14 Abtheilungen. 1. Ver-
Bohiedenes (26 Species), 2. Kräuter (103), 8. Rinden (10), 4. Blüthen (U),
Hofmann: Bemerkungen tum Nachtsegtn, 171
5. Hölxer (6), 6. Wimeln (68), 7. Sftfte (58), 8. Hurze (28), 9. Knochen (6),
10. MeUUe (7), 11. Steine (80), 12. Sslxe (8), 18. Fleieohsorten (13)
darunter Löwen- und Seepferdfleisch und Wolfsleber. 14. Confeo-
tionee dorae (18). Man rieht also, 880 Simplicia enthielt diese
älteste Pharmacopoea bomssica, deren ▼ollständige Mittheilong für
Fachgenossen ebenso belehrend wie unterhaltend sein dflrfte. Dem
Gebiet der Zauberei endlich gehört ausser unserem Nachtsegen
noch ein Spruch von jüngerer Hand an, f9 109 am unteren Rand:
Contra pirdl stribraras f iob traeson scorobon oonnubia iob f et pone
eqv, hier ist das üebrige vom Buchbinder abgeschnitten darüber
t esa . . . Wegen des üebels pircil, gegen welches der Spruch ge-
richtet ist, TgL man Frisch unter bürzel Seuche und besonders
unter gunbyrselen, wo der merkwürdige An&chluss gegeben wird,
dasB im Jahre 1887 die in Augsburg von dieser Epidemie Beiallenen
onter heftigen Schweissen (molestissimis destillationibus) 4^—6 Tage
gerast hätten und dann in den meisten Fällen Genesung eingetreten
sei. Besonders ausgiebig vertreten ist es durch das aus dem Arabi-
schen übersetzte Zauberbuch f9 108^108 mit der üeberschrift Epi-
siola Amati filii Abraham qui dignus est vocari filius Ifacellarii wie
za lesen ist, wiewohl ein Ahmad ihn Ibrahim ibnul Qa^^äb, wie der
Autor auf Arabisch heissen müsste, rieh nicht bei Hadji Khalifa,
dem moslimischen Jöcher, findet. Zahlreiche arabische Wörter, be-
sonders Namen von Hölzern, die zu Bäucherungen verwendet werden,
dann die Anfahrung arabischer Autoren, der Styl endlich, selbst im
lateinischen Gewände von unverkennbarer Fremdartigkrit, lassen in-
dess keinen Zweifel übrig, dass wir es hier wirklich mit einer arabi-
Beben Schrift zu thun haben. Der absonderliche Inhalt, so wie der
zufällige Nebenumstand, dass das Stück mit sehr zahlreichen und
starken Abkürzungen geschrieben ist, die Beschädigung mehrerer
Blätter durch Schmutz und Abreibung machen die Abschrift ungemein
aebwierig. Das Qa,nze theilt sich wieder in zwei Theile, der 1. handelt
voo Heilungen durch Zauberei und Sympathie, der zweite von eigent-
liehen Zaubereien. Ich begnüge mich, den Inhalt dieses letzteren
Theiles anzugeben, und ein paar charakteristische Stellen auszuheben.
Die Kapitel handeln 1. Vom Bienenmachen. 2. Von einer Häuoher»
ong, die bewirkt, dass videbis orientem totqm jam esse rubeum et
aerem totum igneum aut videbis equites cum hastilibus atque equos
et saper cos homines ex igne. 8. EineBaucherung: quando tu fumi-
gabis in die manifeste cum ea, obtenebrabitnr mundus et videbis
Stellas omnes et lunam donec timeat mundus ex illo. 4. fumigium
at Tideatur luna dividi per medium. 6. operatio ftunigii ad eclipsim
172 Sitzung der phnos-phüd. Clause vom 1, Juni 1867.
Innae fkoiendam. 6. operatio ut in ooelo videantiir forme fltnpe-
fkoienies. 7. suffumigatio ut in coelo videantor gfigantea. 8i raffu-
migaüo ut in ooelo aint formae magnae. 9. ad faciendam plnTiani.
10. ad faeiendam plaviam. 11. de remotione plnviae. 12. Modu
domorom qni est fiuaentibue mirabilia, d. h. ein Hana durch Bänoher
ung 80 zuzurichten, dass die Eintretenden nach Verlauf einer Stunde
Boheintodt werden und sie dann wieder zu erwedcen. Es wird bei-
gefügt, der Messias solle nach der Aussage einiger nach diesen
altum capitulum Wunder gewirkt haben, sed non est ita. Am Bande
Inquid Hunayn. 18. Operation um die Sonne oder ein Licht grösser
als die Sonne bei Nacht zu sehen, angewandt yon solchen, die fkh
für Propheten und Weissager ausgeben. 14. Operatio um die Sonne
in Flammen stehend zu sehen. 15. cum volueris convertere fonnim
hominis in formam symii. Hiebei noch ein capitulum mirabile; qanm
▼olueris ut vidas homines et non videant te, et tu ambulabis in
medio eorum, et per hoc capitulum operantnr Uli qui attnbnnnt
sibi prophetiam et qui ascribunt sibi divinationem. ib. si vis yidere
ut homines at invicem sint nigrarum speoierum, d. h. dass die Leote
einander schwarz vorkommen. 17. Lampas mirabilis. ffier bricht,
wie gesagt, das MS. ab. Obige Auszüge und Inhaltsangabe werden
für den vorliegenden Zweck wohl genügend sein.
Zum Schlüsse habe ich nur noch eine Beobachtung mitzntheileiL
die sich auf diie Geschichte der HS. bezieht. Auf dem Rücken ist
ein rundes blaues Schildchea aufgeklebt. Diess bedeutet, dass Dooeo
sie untersucht und Glossen in ihr gefunden hat, die er sich ßr
künftigen eigenen Gebrauch in solcher Weise zu notiren pflegte. Ob
er den Nachtsegen übersehen oder gleich dem Muspilli für einstige
Heransgabe zurückgestellt, kann ich nioht entscheiden.
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Sitzungsberichte
der
königL bayer. Akademie der Wissenschaften.
Philosophisch -philologische Classe.
Sitzung vom 6. Juli 1867.
Herr Prantl trägt yor:
,,XJeber die Literatur der Auctoritates in der
Philosophie".
Schon in den ersten Jahren einer reichhaltigeren Ent-
faltang der Buchdruckerkunst und in den nächsten darauf-
folgenden Jahrzehenten treffen wir eine ansehnliche Zahl
von Drucken, meistens ziemlich kleinen Umfanges, welche
unter dem Titel „Auctoritates^' oder „B^P^^ri^iiQ'' oder
,,Dicta notabtlia^' u. dgl. eine Blumenlese philosophischer
Sätze, zumeist aus Aristoteles, enthalten und sich in manig-
fachen Wieder}iolungen oder Variationen sogar bis in das
17. Jahrhundert fortsetzen. Versuchen wir nun, diesen
ganzen Zweig der Literatur im Interesse der Geschichte der
Philosophie zum Gegenstande einer näheren Untersuchung
zu machen, so wird hiebei selbstverständlicher Weise von
den gleichzeitigen „Auctoritates theologiae" und den gleich-
falls auftauchenden „Auctoritates Galeni" völlig abgesehen.
[1867. n. 2.] . 12
174 Sitzung der phüos.-phüdl. Clause vom 6, Juli 1867.
Was das Material selbst betrifft, so standen mir 38
Drucke zu Gebote, welche sich in folgender Weise in Grapi>en
bringen lassen:
A. 1) Repertorium sive tabula generalis auctoritataxn are-
stotelis cum commentö per modum alphabeti et
philo§ophorüm. Nürnberg 1490. Petrus Wagner 4.
2) Repertorium sive tabula generalis auctoritatam are-
stotelis et philosophorum cum commentö per mo-
dum alphabeti. Goloniae 1494. Henr. Qaentel. 4.
3) Ebenso ebend. 1495. 4.
4) Auctoritates Aristotelis et aliorum philosophorum
per modum alphabeti cum notabili commentö. Liptzk.
1503. Wolfgang Monacensis. 4.
5) Ebenso ebend. 1510. 4.
6) Repertorium sive tabula generalis aüthoritatam Ari-
stotelis et philosophorum cum commeuto per mo-
dum alphabeti. Paris 1513. Officina Ascensiana. 4.
7) Axiomata philosophica Venerabilis Bedae ex
Aristotele et aUis praestantibus philosophis etc.
studio Joannis Kroeselii. Ingolstadt 1583. Wolfg.
Eder. 8.
8) Axiomata philosophica Venerabilis Bedae ex
Aristotele et aliis praestantibus philosophis
Quibus accessere theses in diversis Academiis
disputatae. Coloniae 1605. Bemard Gualtherus. 8.
9) Reverendi et clarissimi viri Bedae Presbyteri Axio-
mata philosophica ex Aristotele aliisque praeclarissi-
mis Philosophis. etc. S. 1. 1608. 8.
10) wie 8) Colon 1616. Bern. Gualtherus.
11) ebenso ebend. 1623.
12) Bedae Vener. Opera omnia. Basel. 1563. Vol. I.
13) desgleichen Colon. 1612. Vol. I.
14) und ebend. 1688. Vol. I.
B. 1) Incipit prologus de propositionibus .universalibas
PranU: Literatur der „Äudoritatei''. 175
Aristotelis. S. 1. et a. 4. ein äasserst alter Druck
ans einer oberitalischen Offizin). Am Schlasse sind
beigedruckt Notabilia artis physionomice, und unter
W^lassung dieser ist gleichlautend:
2) Ebenso. Bononiae. 1488. Ugo Bugerius. 4.
3) Propositiones Aristotelis. Venetiis. S. a. 4.
1) Autoritates Arestotelis, Senece, Boetii, Piatonis,
Apulei Affricani, Porphirii et Gilberti Porritani.
S. 1. s. a. 4' (äusserst alt aus einer deutschen
Offizin).
2) Ebenso. S. l. s. a. 4. (etwas jünger).
3) Ebenso. S. 1. s. a. 4. (wieder aus einer andern
Druckerei).
4} Ebenso. Coloniae. 1487. Job. Guldenschaeflf. folio.
5) Ebenso. Reutlingen. 1488. Michael Gryff. 4.
6) Ebenso. Spirae. 1496. Conrad Eist. 4.
7) Ebenso, mit dem Beisatz denuo summa cum dili-
gentia revise et correcte. S. 1. 1498. 4 (sicher
Coloniae bei H. Quentel).
8) Ebenso. S. 1. 1503.4 (gleichfalls sicher bei Quentel).
9) Autoritates Anstotelis omnium recte philosophan-
tium facile principis, insuper et platonis, Boetii
Senece, Apulei Aphricani, Porphirii, Averroys, Gil-
berti Poritani nee non quorundam aliorum novis-
sime castiori studio recognite et pigmeniate. Co-
loniae. 1504. Henr. Quentel. 4.
10) Ebenso ebend. 1507. 4.
11) Ebenso ebend. 1509. 4.
D. 1) Repertorium dictorum Aristotelis, Averoys, aliorum-
que philosophorum (in der Dedications-Epistel an
Hyeronimus Tostinus de Florentiola nennt sich An-
dreas Victorius Bononiensis als Verfasser). Bononiae.
1491. Impensa Benedicti de Hectoreis .... et dili-
gentia Bazalerii de Bazaleriis. 4.
12*
176 Sitzung der phOos.-phüd, Classe wm 6. Jidi 1867,
2) Prepositiones [sie] ex omnibus Aristotelis libris philo-
Sophie. Moralis. Naturalis, et prime. nee non dia-
lectice. Rhetorice. et ppetieae. diligentissdme ex-
eerpte. et ad certa rerum capita palcherimo ordine
per tabellam additam redacte. (Zuerst folgt das
alphabetische Register von Benedictus Soncinas ver-
fasst, dann die Prepositiones coUectae per
fratrem Theophilum de Ferrariis Gremonensem.)
Venetiis. 1493. Joannes et Gregorius de Gregoriis. 4.
E. 1) Dieta notabilia) et in thesaurum memoriae reponenda,
Piatonis. Aristotelis. Gommentatoris. Porphirii. 6il-
berti Poretani. Boetii. Senece. Apulei, recens im-
pressa Quibus addita sunt stupenda Aristo-
telis problemata philosophis ae medieis multam
utilia etc. Venetiis 1532. Sebastianus Vineentinus. 6.
2) Dicta notabilia Aristotelis et aliorum quam plori*
njum [sie] Quibus de recenti Addita sunt Mar-
ciantonii Zimarae Problemata, una cum CCG Arist.
et Averr. propositionibus etc. Venetiis 1536. Divus
Bernardinus. 8.
3) Ebenso ebend. 1541. 8.
4) Aristotelis, et philosophorum eomplurium aliorum
Sententiae omnes undiquaque selectissimae. Basileae.
1541. Robert Winter. 8. (Ein Nachdruck von 1 mit
" Weglassung der Problemata.)
5) Dicta notabilia sive illustriores sententiae e^
Piatone, Aristotele, et aliis quam pluribus selectae
etc. Venetiis. 1551. Hieron. Calepinus. 8.
F. 1) Florum iliustriorüm Aristotelis ex universa eius
philosophia collectorum libri tres. Per Jaco-
bum Bouchereau Parisinum. Paris 1563. Hier, de
Mariief. 8.
2) Ebenso. Francofurdi. 1585. Joannes Wechel. 8.
3) Ebenso. Argentinae. 1598. Lazarus Zetzner. 8.
^anü: Literatur der „Äudoritates'^. 177
Betrachten/ wir nun an diesen Drucken vorerst die
äosserliehen literarischen Momente, um hernach auch ein
paar Blicke auf Eigenthümlichkeiten des Inhaltes zu werfen^
m ergibt sich aus manigfacher Vergleichung zunächst,
dass der Gmppe A eine andere Entstehung zu Grunde
liegt, als den Gruppen B und C, aber doch die beid(fn ur-
sprünglich verschiedenen Sammlungen alsbald wechsel-
seitige Entlehnungen und Interpolationen erfuhren, und
aasserdem erhellt, dass der Gruppe A die zeitliche Priorität
gebort.
Nämlich die alphabetisch geordneten Auctoritates ent-
halten einen ursprünglichen Kern, welcher oflFenbar bis in
das 14. Jahrhundert zurückfällt. Ja dieser Kern beruht
nicht einmal auf Lektüre der aristotelischen Schriften selbst,
sondern ist aus der Gontrovers-Literatur des genannten Jahr*
hondertee entnommen, d. h. wer sich in jene Periode der
Gesdiichte der Philosophie vollständig eingelebt hat, erkennt
sofort, das8 nur diejenigen Stellen-Citate aus Aristoteles,'
welche seit Thomas und Scotus am häufigsten in den zahl-
reichen Controversen benützt und als „Auctoritäten'^ den
Gegnern gleichsam an deli -Kopf geschleudert wurden, hier
in ein kleines Büchlein zusammengetragen sind. Und des-
gldchen erweisen sich die kürzeren oder längeren Erläuter-
ungen, welche den einzelnen Auctoritates oder Aziomata
beigefügt sind, als Excerpte aus den betreffenden Stellen, in
welchen z. B. Albertus Magnus oder Thomas v. Aquin oder
Robert V. Lincoln u. A. ein aristotelisches Citat besprochen
hatte. Eine gewisse Tendenz aber ist hiebei darin bemerk-
bar, dass die Richtung, welche mit Duns Scotus beginnt
Qnd durch Occam einen gewissen Abschluss erhält, bei dem
Compilator der Auctoritates keineswegs Beifall gefunden
haben muss, sondern derselbe im Gegentheile mehr der
thomistischen Strömung folgte. Der Gedanke, aristotelische
^Qctoritäts-Stellen auf solche Weise zu Bammeln und dann
178 Sitzung der phüos.-philöl, Glosse vom 6. Juli 1867.
alphabetisch zu ordnen, war für jene Zeit gewiss nicht un-
praktisch ; denn so konnte nnn zum Behufe einer Schul-
Disputation auch der Unbelesenste in geschwindester Manier
eine staunenswerthe Gelehrsamkeit zur Schau tragen (ähn-
lich wie es fiir die Parlaments-Redner Englands noch jetzt
Zusammenstellungen von loci communes gibt, aus weldien
der Glanz einer ausgedehnten Belesenheit in classischer
Literatur geschöpft werden kann).
In Folge solcher Entstehung enthielt die alphabetische
Sammlung ursprünglich auch nur solche Auctoritäts-Stellen,
welche schon vor der Renaissance-Periode zugänglich and
in Umlauf waren. So sind es natürlich vor Allem Citate
aus Aristoteles, zu welchen erklärlicher Weise das Orgauon
(mit Einschluss des Porphyrius und des Gilbertus Porre-
tanus), die Metaphysik, die Physik und die Bücher De
anima das grösste Gontingent liefern, während die Bücher
De coelo bereits eine geringere, die Bücher D. gener. et
corr. wieder eine geringere und Meteor. Die geringste Ver-
tretung finden. An diesen Bruchtheil der Gesammtschriften
des Aristoteles mussten sich nicht bloss das Buch De causis,
sondern hauptsächlich auch die Gommentare des Averroes
zu den genannten aristotelischen Werken und auch die
Schrift De substantia orbis anreihen. Ausserdem aber finden
wir, — um von einigen Dutzend herrenloser Citate oder
solcher, welche als „communis regula^' bezeichnet sind, ab-
zusehen — noch angeführt : Aristoteles D. gener. an.. Prob!.,
Pseudo-Arist. D. propr. elem., Secreta secr., Boethiiis D.
divis., D. defin. D. diff. top., Euklides, Priscianus, Augo-
stinus, Anastasius, Isidorus, Anseimus, Hugo v. S. Victor,
Alanus^ Avicenna, die „ Alchimisten' % Wilhelm v. Paris,
Robert v. Lincoln, Albertus Magnus, Thomas y. AqoiO}
Petrus HispanuSy A^idius Romanus, Sacroboscus (jedoch
sämmtliche nur je Ein, höchstens zwei Mal, und Avicenna
fünf Mal). Und sowie wir bedenken müssen, dass all diese
PranÜ: Literatwr der „Äuctoritßtef^K 179
Aatoren im 14. Jahrb. als Anctoritäten äasserst geläufig
wareD, so ist auch sehr zu beachten, dass in sämmtlichen
übrigen Gruppen dieser Auctoritates-Literatur Icein einziges
yon diesen letzteren Üitaten wiederkehrt. Dass übrigens
der Verfasser einer Gompilation, welche auch die genannten
Schriftsteller des 13. und 14. Jahrhunderts anfuhrt, nicht
Beda Venerabilis, welcher im Jahre 735 starb, sein könne,
bedarf keiner ausdrücklichen Erwähnung ; auch hat schon
der äusserst fleissige Oudin (Scriptt. eccl. Vol. I, p. 1687)
dieses chronologische Missverhältniss bemerkt. Möglicher
Weise war es irgend ein „Presbyter Beda", welcher im
14. Jahrh. ein solches Schriftchen zusammenstoppelte und
hiedurch die Verwechslung hervorrief, vermöge deren auch
ic den Drucken A, 1—6 auf der nach dem Titelblatte
folgenden Seite stets yenerabilis Beda presbyter als Heraus-
gebe genannt ist; aber mir wenigstens ist ein Autor dieses
Namens aus jener Zeit nicht begegnet.
Aber dieser ursprüngliche Kern der alphabetischen
^actoritates, welcher nur mittelalterlich-aristotelische Litera-
tur enthielt, wurde zur Zeit der Renaissance allmälig durch
neue Zusätze bereichert, wahrscheinlich schon in Hand-
schriften, sicher aber in den ersten Drucken. Und sowie
tir Grund zur Vermuthung haben , dass die primitive Ge-
stalt dieser Auctoritates in den Thomistischcn Schulen zu
Paris und namentlich zu Gök entstanden, so dürften wir
schwerlich irren, wenn wir annehmen, dass die Bereicherung
and Interpolation von Oberitalien aus stattfand. Zunächst
schon äusserlich kündigen sich Zusätze dadurch an , dass
am Schlüsse der einzelnen Buchstaben noch zahlreiche Auc-
toritäts-Stellen beigefügt sind, welche im Gegensatze gegen
die übrigen eines Commentares entbehren und zuweilen auch
unter der Ueberschrift „Sequuntur auctoritates simpliciter
verae" eingeführt sind. Der Buchstabe 0 ist der letzte,
weldier eine soldie Vermehrung zeigt, und bei den folgen-
180 Sitzung der pMhs.'phiUiL Glaste wm 6. Mi 1867,
den war der Interpolator offenbar schon etwas ermüdet. So-
dann aber bestätigt sich der Charakter der Interpolation
dnroh den Nachweis der Herkunft dieser Zusätze, welcher
durch folgende Erwägung sich ergiebt : Die Gruppe A, d. h.
die alphabetischen Drucke, enthält nahezu 1 100 Auotoritäts-
Stenen, während die Gruppen B und C deren gegen 2700
aufzeigen ; dabei aber ist es selbstverständlich, dass mehrere
Stellen beiden Sammlungen gemeinsam sind, und zwar ist
diess in dem ursprünglichen Kerne der alphabetischeo
Sammlung bei ungefähr 175 Stellen der Fall; hingegen die
erwähnten Zusätze, welche am Schlüsse den einzelnen Bocli*
Stäben beigefügt sind, und deren Zahl zusammen 210 be-
trägt, kehren nahezu sämmtlich (d. h. 207 unter den 210)
in der anderen Sammlung wieder. Und es wird dieser Um-
stand um 80 entscheidender,^ da ein kleinerer Theil dieser
Zusätze aus Schriftwerken excerpirt ist, welche genau in
der nämlichen Stellen-Zahl in den Gruppen B und G Te^
treten sind, nämlich aus des Aristoteles Hist. an., Oecon.
und Poet., aus den pseudo-aristotelischen Schriften De bona
fortuna. De pomo et morte. De regimine priDcipum, ans
dem platonischen Timäus (d. h. Chalcidius) und aus Apn-
lejus D. deo Soor, zusammen sind es 36 Stellen, deren Auf-
treten in der alphabetischen Sammlung schlechterdings da«
mit zusammentrifft, dass dieselben auch der nicht-alphabeti-
sdien Sammlung gemeinsam sind. Und bei einer anderen
Glasse von Gitaten besteht das nämliche Verhältniss, nur
in geringerem Grade, indem von ungefähr 245 Stellen,
welche aus des Aristoteles Parv. nat., Eth. Nie, Polit.,
Rhet., aus Seneca, aus Boethius D. cons. phil., und aas
Pseudo-Boethius D. diso, schol. zusammen entnommen sind,
etwa sieben Zehntel (d.h. ungefähr^ 170) zur Zahl der
späteren Zusätze gehören, welche den beiderseitigen Samm-
lungen gemeinsam sind.
So nöthigt uns gleichsam eine statistische Betrachtung
Prima: Literahtr der ..Äuetcritaies". 181
IV
der Stellen beider Sammlungen zu dem Schlüsse, dass der
urspräDgliche Kern der Gruppe A schon früh ans den
Gruppen B und G bereichert wurde, indem man von dort
her einen neuen Umkreis aristotelischer Werke und anderer
bis dahin nicht benutzter Autoren behufs der „Auctoritates''
bdzog. Seit einer solchen ersten Verschmelzung zweier ur-
sprunglidi yersciiiedener Sammlungen wurde dann in einigen
ziemlich unbedeutenden Einzelnheiten auch wieder die nicht«
alphabetische Sammlung aus der alphabetischen bei^ichert,
80 dass die vorhin erwähnten Zahlen-Verhältnisse in ein«
zdnen Drucken kleine Schwankungen zeigen.
Diese Gruppen B und G nun, welche unter sich in ver«
waadtsdiaftlichem Zusammenhange stehen, weisen örtlich
auf Italien und inhaltlich auf ein von der Gruppe A ver-
schiedenes Entstehungs-Motiv hin. Nemlich innerhalb der
Gruppe B gdiört der älteste Druck (Bl) ebenso gewie»
einer sehr frühen Periode der Typographie als einer italieni-
schen Offizin an, und er ist überhaupt die älteste unter den
nicht-alphabetischen Sammlungen, in welchen die „Auetori-
tates'' oder, — wie man sie in Italien lieber genannt zu
haben scheint — , die „Propositiones universales^' nach einer
gewissen Reihenfolge der Bücher, denen sie entnommen
waren, geordnet erscheinen. So finden wir in diesem und
in dem mit ihm gleichlautenden Bologneser Drucke (B2)
Aactorität8*Stellen aus: Arist. Metaph., Phys. ausc, D. coel.,
B. gen« et corr., Meteor., D. an., Parv. nat., wobei nach
jedem einzelnen dieser Bücher,' mit Ausnahme der vier
Bücher Meteor«, jedesmal einige Stellen aus dem betreffen-
den Commentare des Averroes folgen, dann aus dem Buche
De causis, dann Arist. Eth. Nie, D. bon. fort, Oecen.,
Polit., Rhet.t Poet., nach welch letzterer wieder Averroes,
hierauf aus Pseudo-Arist., - Secr. secr., D. reg. princ, D.
pomo et morte, sodann aus dem Organen mit Einschluss
dfö Porphyrius und des Gilbertus, hernach aus Arist.
182 Sitgung der phao8.-philoL Gasse vom- 6. Juli 1867.
Eist, an., Averr. D. gabst, orb., Seneca ad. Luc, de mor.,
d. form, vit., d. benef., d. remed. fort., Boeth. D. oons.,
D. disc. schoL, Plato Tim. xmd aus Apul. d. deo Socr. Der
Druck B 3, welcher von Pary. nat. an die Reihenfolge mehr-
fach ändert und insbesondere Poet., Bhet., and das Organen
an den Schiass des Ganzen stellt, fügt auch noch Arist De
mot. anim. und Ps.-Arist. De plantis und De proprietatibns
elementorum ein.^ Und mit diesem letzteren Drucke ist nan
die ganze in Deutschland gedruckte Gruppe C wesentlich
identisch, nur ist die Schrift D. pl'opr. elem. wieder weg-
gelassen und die Reihenfolge der Bücher in einigen Punkten
geändert, sowie auch Averr. zu Meteor beigezogen und ausser-
dem kehrt hier die Titel-Bezeichnung des Ganzen als „Auetori-
tates" meder. Es sind nemlich die sämmtlichen Drucke,
welche zur Gruppe C gehören, in Zahl, Reihenfolge und
Formulirung der Autoritäts-Stellen unter sich völlig gleidi,
und die in dieser Beziehung waltende Uniformität ist da-
durch nicht gestört, dass die bei Heinrich Quentel erschie-
nenen Drucke, d. h. C, 8 — 11, einige Eigenthümlichkeiten
zeigen. Nemlich in denselben ist die erklärende Begründung
der einzelnen Stellen manchmal durch kleine Zusätze be-
reichert, und am Schlüsse des Ganzen eine Gommendatio
philosophiae Aristotelis cum eiusdem vita et moribus nebst
einem (gräulichen) Carmen de operosa virtute beigefügt;
und jener thomistische Aristotelismus, dessen hauptsächliche
typographische Stütze damals Quentel's Offizin war (— mehrere
anderweitige Drucke QuentePs zeigen auf dem Titelblatte
ein Bildniss des Thomas v. Aquin, aus dessen Munde sich
ein Zettel mit der Aufschrift entfaltet, dass ausschliesslich
nur Thomas die Quelle aller philosophischen Wahrheit
sei — ), zeigt sich hier darin, dass vor den der Politik des
Aristoteles entnommenen Auctoritäts- Stellen eine ziemlich
heftig geschriebene „Ezplosio Piatonis'' eingefügt ist; aber
auch die anerkenneuswerthe Neuerung finden wir in diesen
FranÜ: LüeraHtr der „Audariiaiea'*, 188'
Dracken, dass als Verfasser der Schrift De discipl. scho-
lariam hier nicht m^hr Boethias, sondern Thomas Braban-
tinos genannt ist.
Jener schon erwähnte Umstand aber, dass innerhalb
der Orappen B nnd C der älteste Druck ans einer ober-
italienischen Druckerei hervorgieng, ist weder zufällig noch
yereinzelnt, sowie überhaupt für das Ende des 15. und den
Anfang des 16. Jahrhunderts die Beachtung der Druckorte
manchen interessanten Blick auf die örtliche Verbreitung
verschiedener Partei- Ansichten werfen lässt. Italien, die
früheste und hervorragendste Oertlichkeit der Renaissance,
lieferte die ersten Gesammt- und Special-Ausgaben der
aristotelischen Werke, und hier zuerst lernte man, — ab-
gesehen vom Organen — , den Aristoteles nicht aus den
Commentaren und Gontroversen eines Thomas und Scotus
und Anderer, sondern aus dem Texte selbst kennen. So
auch schuf man sich zum Behufe der üblichen Schul-Dispu-
taüonen eine Sammlung aristotelischer Auctoritäts-Stellen,
welche unmittelbar aus den Diucken aristotelischer Schriften
selbst geschöpft war, ein Geschäft, welches damals jeder
Setzer oder wenigstens jeder Vorsteher einer Druckerei be-
sorgen konnte, denn diese Leute standen hinreichend auf
der gelehrten Bildung ihrer Zeit, um sich während des
Druckes oder der Correctur hauptsächliche und hervor-
stechende Stellen des Autors, welchen sie druckten, zu
notiren und zusammenzuschreiben. Für d^n Leser solcher
Samminngen war allerdings auch diess eine wohlfeil errun-
gene Belesenheit, wenn er in etwa 3000 Zeilen den ganzen
Aristoteles, Averroes, Boethius, den halben Seneca und noch
ein paar andere vielgenannte Schiiftwerke beisammen hatte.
Aber während hierin an praktischer Brauchbarkeit die
Gnippen B und C dem alphabetisch geordneten Stoffe der
Grnppe A nicht nachstanden, hatten sie den Vorzug, dass
sie aus den betreffenden Quellenschriften selbst geschöpft
184 Sitzung der jphüoa.-^hüdi. Glosse wm 6. Juli 1867.
waren. Ja man hat es in italienischen Druckereien (z. B.
in der OfiSzin der Gebrüder de Gregoriis zn Venedig) zu-
weilen auch zweckdienlich gefunden, dem Text-Abdrucke
einer lateinischen Uebersetzung eines aristotelischen Werkes
noch die betre£Fenden „Auctoritates** aus demselben nach-
folgen zu lassen, welche dann im Ganzen so sehr mit den
Stellen in den Gruppen B und C übereinstimmen, dass man
auf den Gedanken kommen könnte, diese letzteren seien
überhaupt nur Abdrücke solcher Zusammenstellungen, welche
am Schlüsse einzelner Text-Ausgaben sich finden. Jedoch
erscheinen derartige „Auctoritates'^ in den Drucken der
aristotelischen Texte, viel zu selten, um eine solche An-
nahme möglich zu machen, und weit eher ist an das um-
gekehrte ^erhältniss zu denken, d. h. dass die Sammlangen
der Auctoritates benützt wurden, um die Ausgabe eines ein-
zelnen Buches am Schlüsse mit den es betreffenden Aucto-
ritäts-Stellen zu schmücken.
Unter Bewahrung einer gewissen Selbstständigkeit knüpft«
an die Gruppe B, d. h. an die italienischen Drucke, dei
Bolognese Andreas Victorius (D, 1) an, welcher nicht bloss
die Schrift De reg. princ, sondern auch Boeth. D. cons.
und De disc. schol. und den platonischen Timaeus bei Seite
liess, und ausserdem das üebrige in einer zuweilen umge-
stellten Reihenfolge vorführte. Und gleichfalls auf der
italienisdien Grundlage baute Theophilus de Ferrariis (D, 2)
fort, welcher unter Wiederaufnahme des dort üblicheren
Titels „Propositiones^^ nun ausser Boethius und Plato auch
den Seneca und den Apulejus hinwegliess und somit sich
wesentlich auf die eigentlich aristotelische Literatur (d. h.
mit Einschluss des Ayerroes, Porphyrius und Gilbertus Por-
retanus) beschränkte, wobei uns nur auffallen mag, dass
die Poetik hier unberücksichtigt blieb , während sogar die
sog. grosse Ethik beigezogen ist. Eben aber innerhalb der
Beschränkung auf Aristoteles ist diese Auctoritäten-Samip-
Branä: tAteraiwr äer „AuetoHtate^. 185
long bei weitem die reichhaltigBte von allen; und indem
gleichsam eämmtliche citirbaren Kernstellen in der Reihe,
wie sie in den Texten nacheinander folgen, zusammengestellt
sind, kann man das Ganze, welches nahezu 10,000 Stellen
enthält (z. B. aus dem Organen bei 2100, aus Metaph.,
Phys. ausc., Eth. Nie. ungefähr je 1100 u. s. f.), als einen
ziemlich vollständigen und auf Text-Lectüre beruhenden
Aaszug aller aristotelischen Werke bezeichnen. Zugleich
aber wurde mit diesem Vorzuge grösster Ausführlichkeit
auch das praktische Motiv der alphabetischen Sammlungen
verbunden, indem Benedikt Soncinas jene 10,000 Stellen
nach ihren Schlagworten in alphabetische Ordnung brachte,
and somit zur Bequemlichkeit des Auffindens brauchbarer
Anctoritäts-Stellen ein Register, welches allein 102 Seiten
lallt, vorangedruckt wurde. Dass die philosophische Partei-
stellung auch bei dieser Sammlung dem Thomismus zu-
gewendet war, erhellt aus mehreren Stellen derselben; ja
aach Gratiadei von Ascoli findet hier eine reichliche Ver-
woidung.
Hingegen wieder eine Rückkehr zur Gruppe B hat
stattgefunden in der Gruppe E, wo wir die sämmtliohen
anderweitigen Autoren wie dort aufgenommen finden. Nur
ist die Reihenfolge der Abschnitte darin wesentlich geändert,
dass mit Poet, und Rhet. begonnen wird und dann sogleich
das Organen folgt; auch sind bei einigen aristotelischen
Schriften nicht sämmtliche Stellen aufgenommen, welche in
jener älteren Sammlung sich finden, hingegen z. B. bei
Seneea ein paar neue Stellen hinzugefügt.
Endlich insoferne in Bouchereau's Sammlung (Gruppe F),
welche sich wieder ausschliesslich auf Aristoteles beschränkt,
eine Auswahl aus dem reichen Materiale des Theophilus de
Ferrariis in inhaltliche Gesichtspunkte zusammengestellt ist,
entfernt sich dieselbe bereits einigermassen von dem eigent-
lidien Charakter der früheren j^Auctoritates" und nähert
186 Sitzung der phüos.-phtM. Classe wm 6. JuM 1867.
sich eher einein selbstständigen Werke, welches nach Masa-
gabe und Fähigkeit des 16. Jahrhunderts eine Darstellung
der gesammten aristotelischen Philosophie genannt werden
könnte.
In h'terargeschichtlicher Beziehung aber muss noch be-
sonders hervorgehoben werden, dass der ganze Complex der
Anctoritates in verwandtschaftlicher Weise mit zwei ander-
weitigen Zweigen von Schriften zusammenhängt. Vorerst
nemlich ist es die Literatur der damals sogenannten Pro-
blemata ( — oder wie die Schreibweise häufig lautete, ,,Pro-
bleumata*') Aristotelis, welche ja auch in obigem Drucke
E, 1 eine Aufnahme unmittelbar neben den Dicta notabilia
gefunden hatten. Und in der That war diess nicht eine
bloss äusserliche Zusammengehörigkrit, sondern diese Pro-
blemata bildeten wirklich eine Ergänzung der üblichen
„Auctoritates^S insoferne jenes eigenthümliche Sammelwerk,
welches unter dem Titel „Problemata'^ in den aristotelischen
Schriften enthalten ist, durchaus nie zu den Sammlungen
der Auctoritäts-Stellen benützt worden war. Aber diese
aus dem Alterthume überlieferten Probleme des Aristoteles
waren nur die äussere Veranlassung der sog. „Problenmata
Aristotelis'', und diese letzteren, welche in der Incunabel-
Zeit und den nächstfolgenden Jahrzehenten äusserst häufig
gedruckt wurden (•— mir kamen 34 Drucke, darunter 4
deutsche Uebersetzungen, vor — ), sind Nichts weniger, als
etwa Ausgaben der aristotelischen Probleme, sondern es
sind Fragen, deren wohl sehr viele dorther entnommen
werden konnten, aber deren wieder ein grosser anderer
Theil aus anderweitigen naturwissenschaftlichen Schriften
des Aristoteles geschöpft ist. Und die Beantwortung dieser
Fragen, welche zuweilen aus Aristoteles selbst, aber häufiger
aus. Avicenna , Averroes, Galenus, einige Male auch ans
Albertus Magnus entlehnt ist, zeigt uns deutlich, dass diese
ganze Ergänzung der Anctoritates von der damaligen medi-
PranÜ: LUeratur der ^uetarüate^'. 187
cmischen Wissenschaft ausgieng. Aber eine erklärliche Rüok-
anknüpfiiDg an die Richtung der Auctoritates erkennen wir
darin, dass in einem Theile dieser Ausgaben der Probleu-
nata die oben erwähnte Abhandlung de Aristotelis vita et
noribus ans den Kölner-Drucken in metrischer Bearbeitung
Aufiaahme fand und hinwiderum in mehreren anderen Aus-
gaben die Problemata des Marcus Antonius Zimara nebst
der Yon eben demselben veranstalteten Sammlung von 300
SSAz&L des Aristoteles und des Averroes beigefügt wurden.
Ein zweiter Zweig aber, mit welchem im damaligen
Schulbetriebe die „Auctoritates'' zusammenhiengen, war die
höchst ausgedehnte Literatur der sog. Thesen. Und sowie
die oben erwähnten Drucke A, 8, 10 und 11, welche auf
dem Titelblatte das bekannte Jesuiten-Zeichen tragen, un- ,
mittelbar an die Axiomata eine lange Reihe von Thesen
anknüpfen, welche seit 1592 in verschiedenen Jesuiten-
Schulen verhandelt worden waren (— Theses disputatae — ),
60 treffen wir in der That fast eine Unzahl von Thesen-
Drucken, welche bald Proposita, bald Assertiones, bald
Positiones betitelt sind, und disputable Sätze aus aristoteli-
scher Logik, Physik und Ethik in näherem oder entfern-
terem Ansdilusse an die üblichen „Auctoritates" enthalten.
Dass diese Praxis der Schul-Disputationen sich allmälig in
abgeschwächter Form zu den noch jetzt üblichen Promo-
tions-Thesen umgestaltete, ist ebenso selbstverständb'ch, als
dass auch die protestantischen Universitäten, welche als
Universitäten überhaupt den Scholasticismus der Vorzeit
nur in das Protestantische übersetzten, an dieser formellen
Tradition sich reichlich betheiligten. Hingegen ein tieferer
culturgeschichtlicher Faden liegt darin, dass der Standpunkt
der Jesuiten, aus deren Schulen im 16. und 17. Jahrb. bei
weitem die grössere Zahl der Thesen-Literatur hervorgieng,
im Allgemeinen nur eine getreue Fortsetzung des Thomis-
mos (d. h. der Dominikaner) war. Und diese Erwägung
188 SiUmg der phOaa.'phüdl. Clasae vom 6. Juli 1867,
mag uns den Uebergang zu einigen inhaltlichen Betradii-
ungen machen, welche dem Leser der Literatur der ,,Aac-
toritates^' sich aufdrängen.
Insofeme nemlich in dem Paris-Kölner und dem ober-
italienischen Thomismus, welch letzterer in manchen Ponk-
ten auch mit dem Ayerroismus einen ziemlich unyorsichtigen
Frieden eingieng, der inhaltliche Grundton der sämmtlichen
Auctoritates-Literatur liegt, kann dieselbe einen kleinen
Beitrag zur Kenntniss der Renaissance-Zeit und desI6. Jahr-
hundertes, d. b. überhaupt einer Periode liefern, deren
Detail-Erforschung bezüglich der Philosophie immerhin nodi
als eine der Wissenschaft erst obliegende Aufgabe bezeich-
net werden darf. Denn sowie man bisher in der Geschidite
der Philosophie selbst bei ausführlicherer Darstellung den
Uebergang von Occam oder etwa auch von Johannes Gerson
und Raimund von Sabunde bis zu Baco t. Verulam und
Descartes etwas allzu rasch zu bewerkstelligen pflegt, und
auch nur sehr wenige Monographien über einzelne der da-
zwischen liegenden zahlreichen Mittel-Formationen verfasst
wurden, so liegen überhaupt noch (— ohne Uebertreibung — )
Hunderte yon Drucken aus jener Zeit yor, welche wohl ein
lautes Zeugniss über den damaligen eigenthümlidien Zu-
stand der Philosophie ablegen, aber bis jetzt für die ge-
schichtliche Wissenschaft noch nicht benützt wurden. Einen
grossen Theil derselben wird allerdings die Geschichte der
Logik noch verwerthen müssen, aber indem dieselbe die
Gränzen ihres speziellen Gegenstandes nicht überschreiten
darf, kann sie gewissermassen nur eine Probe oder eine
Anreizung zur Behandlung des übrigen Restes darbieten.
Ein unscheinbarer Nebenpunkt aber, welcher in seiner be-
schränkten Weise sich auf die ganze Philosophie (d. h. auf
Logik, Metaphysik, Physik, Psychologie, Ethik, Politik) er-
gtreckt, beruht in der Literatur der Auctoritates.
Im scholastischen Mittelalter war theologisirende Schul-.
PranÜ: Literatur der ..Äudaritates". 189
Phflosophie die einzige Existenzweise der Philosophie über-
haupt. Diess änderte sich hernach, insofeme von dem
wiedererwachenden AHerthume und von Mathematik und
Naturstadium her in freierer Strömung eine anderartige
2eit*I1iiIosophie danebentrat; aber die Aenderung bestand
nicht darin, dass etwa, wie man gemeinigh'ch anzunehmen
scheint, seit dem Anfange des 16. Jahrhunderts die Scho-
lastik zu Grabe getragen sei (oder, wie eine beliebte Phrase
laatet, dass der Tübinger Oabriel Biel der letzte Schola-
stiker gewesen sei). Den besseren Theil hatten in jener
denkwürdigen Periode der Renaissance jedenfalls die Hu-
manisten erwählt, aber sie übten vorerst keinen unmittel-
baren Einfluss auf die Zeit-Philosophie aus, geschweige
denn überhaupt irgend einen Einfluss auf die Schul-Philo-
sophie; and auch die platonische Akademie der Mediceer
brachte in der Tradition des philosophischen Schulunter-
richtes noch weit weniger eine Aenderung hervor, als ehe-
dem das analoge Unternehmen des Julianus Apostata. Andrer-
seits war in Naturkunde und insbesondere Arzneiwissenschaft
b^eits während der scholastischen Periode neben Avicenna
auch Galenus getreten, und die Renaissance fügte sofort
die Werke des Hippokrates hinzu (allerdings vorerst in
laternischer Uebersetzung und erst 3 — 4 Jahrzehente später
im griechischen Originale), so dass in der That eine Reihe
reformatorischer Bestrebungen in der Philosophie auf Chemie
und hippokiatische Humoral - Theorie zurückweist. Aber
wahrend es häufig Unser Staunen erregt, mit welch aus-
gedehnter medizinischer Belesenheit im 16. Jahrhundert
z. B. die psychologischen Fragen von Averroisten und Anti-
Averroisten , von Nicht- Aristotelikern und auch einigen Ari-
stotelikem besprochen wurden, so erfuhren alle dergleichen
Grundsätze und Meinungen, welche sich von den aristoteli-
schen vier Elementen abwendeten und neue physikalische
Kategorien-Tafeln oder anderweitige Grund-Elemente auf-
[1867.n.2.J 13
190 Sitzung der phüos.-phüöl. Classe rom 6. Juli 1867.
zastellen versuchten, seitens der Schul-Philosophie nur eine
gänzliche und principielle Nichtbeachtung.
Die Katheder-Philosophie war nun nicht mehr, wie im
Mittelalter, zugleich die Zeitphilosophie, und die Inhaber
der philosophischen Lehrstühle waren nicht die Träger des
allmäligen Fortschrittes der Philosophie, sondern nar die
Vertreter ein^r älteren und bereits stagnirenden Tradition.
Und indem sich der fortschreitende Aufschwung der Philo-
sophie gerade ausserhalb der Hörsäle in individuell gefarb-
ten schriftlichen Schöpfungen vollzog, erklärt sich sowohl
die Polemik der erwachenden Selbstständigkeit gegen den
Schul-Schlendrian als auch die Verfolgungswuth der Ka-
theder-Philosophen gegen die kiihnen Neuerer. Was der
studirenden Jugend, welcher z. B. auch Plato verschlossen
blieb, als philosophischer Unterricht dargeboten wurde, be-
stand immerfort noch entweder in thomistischem oder in
scotistischem Aristotelismus oder in sonstigen geistlosen £x-
cerpten aus Aristoteles auf Grundlage der verschiedenen
sog. Parvuli (Parvulus philosophiae naturalis, Parvulus phi-
losophiae moralis). Und solch magere und verschrobene
aristotelische Tradition schleppte sich an den protestanti-
schen Universitäten ebenso sehr wie an den katholischen fort,
während und nachdem bereits Baco, Descartes, Spinoza und
Leibniz in der Literatur aufgetreten waren; nur in Frank-
reich fand der halbaugustinische Cartesianismus eine Auf-
nahme in den Hörsälen und Schulbüchern der Philosophio
bis weit über Port-Royal hinab. In Deutschland aber war
erst seit Wolff der Fortschritt der Philosophie selbst an die
Universitäts-Lehrstühle geknüpft, und jene nemliche Zeit
war es auch, in welcher erst eine gründlichere Beseitigung
der Scholastik eintrat.
Aber eben zu jener nach dem angeblichen Tode der
Scholastik noch lange fortlebenden Scholastik gehört auch
die Literatur der Auetoritates. Bedenkt man, dass damals
Pranü: LiUra^r der „Äucioritatea^. 191
nicht das geschichtliche Interesse der Forschang der Be-
stimmungsgruBd war, Etwas durch den Druck zu yer-
Tieifaltigen , sondern dass man eben druckte, was irgend-
wie im Gebrauch war, so trifft mit der langen Daner
der Zeit, in welcher „Auctoritates^' gedruckt wurden, eine
ebenso lai^e fortgesetzte praktische Benützung derselben
zusammen, und wir werden sicher keinen Fehlschluss
machen, wenn wir annehmen, dass auch bereits längere
Zeit vor der Praxis der Buchdruckerkunst Aehnliches hand-
sdiriftlich in Umlauf war. Im Gebrauche aber war diese
Literatur bei den thomistischen Prädikanten sowohl zum
Behelfe der Prediger als auch zur philosophischen Dressur
der Studirenden, wie diess in der Vorrede der nicht-alpha-
betischen Sammlungen deutlich ausgesprochen wird: „In-
cipit prologus compendii auctoritalum pro usu intro-
ductionis thematum ipsorum praedicatorum ad populum
simul ac in artibus studere yolentium. Cum enim aristote-
licae sententiae tarn ad populum praedicanti (an einer
anderen Stelle wird hiefur auch das Wort arenga gebraucht)
quam in artibus studenti non modicum fulgontioris cogni-
tionis cuiuslibet scientiae praebeant robur et fulcimen, ideo
in praesentiarum pro magistralibus brevibusque sermonum
introdactionibus*- etc. etc. (d. h. der Satz ist ein in allen
in Deutschland erschienenen Drucken gleichlautendes Ana-
koluth). Reichen sidi so der homiletische und der Schul-
Zweck gegenseitig die Hand (s. z. B. die Verbindung des
Predigt-Stiles und der Logik bei Antonius Andreas; m.
Gesch.d. Log.Bd.III,S. 277), so verhielt sich inhaltlich diese
ganze Richtung aus Grundsatz spröd gegen die Renaissance
und deren Wirkung auf die Philosophie. Denn wenn auch
einige rhetorische „purpurei panni** aus anderen classischen
Autoren allmälig in diese Schul-Literatur Eingang gefunden
(z. B. die allbekannten horazischen Worte „ampullae" und
„sesquipedalia verba")« ^o springt in philosophischer Be-
13*
192 SiUung der phOos^is^Ulcl Clam vom 6. JM 1867.
Ziehung vor Allem die grundsätzliche NiohtberüoksichtigttBg
der Schriften PIato'8 in die Augen. Indem die Auctoritäts-
Stellen aus dem Timäus (d. h* aus Ghaloidias) hiegegen
wahrlich keinen Einwand liefern, da ja bekanntlichst die
Uebersetzung des Chalcidius dem Mittelalter vom ersten
Anfang an bekannt war, so verbleiben die „Auctoritates"
bezüglich Plato's gerade vollends bei der mittelalterlidien
Tradition, obwohl die platonische Dialoge bereits seit 1483
in der lateinischen Uebersetzung des Marsilius Ficinus ge-
druckt vorlagen (Drucke des griechischen Original-Textes
erschienen erst 30 Jahre später), und obwohl in sdir be-
nachbarter Nähe der venetianischen und der bologneser
Druckereien die platonische Akademie der Mediceer eine
reichhaltige^ und fast erschütternde Bewegung in der Philo-
sophie hervorgerufen hatte. Diese thomistischen Prädicanten
wiederholten unbeirrt nur dasjenige, was seit dem Einfluss
der Araber die Majorität des ganzen Mittelalters stets ge-
than hatte; denn alle thomistischen und halb-thomistischen,
sowie alle scotisüsohen und halb-scotistischen Aristoteliker
stimmten in logischer Verwerfung der platonischen Ideen-
Lehre überein (s. m. Gesch. d. Log. Bd. III, S. 125, 236,
240, 249, 292 f., 309, 316 ff., 325, 358). Auch wurde ja
als brauchbare Beisteuer zur antiplatonischen Tendenz dem
Kölner Buchdrucker Quentel von irgend Jemandem jene
oben erwähnte „Explosio Platonis^' aus Firmianus (d. h.
Lactantius) zur Verfügung gestellt, in welcher die platonische
Ehe- und Kindergemeinschaft vom christlichen Standpunkte
aus verurtheilt ist..
Indem man somit in den „Auctoritates^' die platonische
Philosophie überhaupt grundsätzlich ignorirte, schöpfte man
nicht einmal die vier Gardinal-Tugenden aus der ursprüng-
lichen Quelle , sondern merkwürdiger Weise ans jenen apo-
kryphen Briefen an- den Apostel Paulus, welche im ganzen
Mittelalter schon seit Johannes von Salesbury für ein Er-
Pirantl: LUeraHar der „Auct^iaiet^. 193
zeogniss des Seneca gehalten wurden. Nemlich während
man die Lehre von den Gardinal-Tugenden natürlich ans
Angostinas hätte entnehmen können, welcher bekanntlich der
Uriieber dieser christlichen Wendung der platonischen Ethik
war, scheint m^n die Auetoritat eines „Philosophen '^ der-
jenigen eines Kirchenvaters vorgezogen zu haben und so
mochte sich neben Boethius, welcher gleichfalls als Christ
uod als Verfasser der Schrift De trinitate galt, ganz be-
sonders der vermeintliche Christ Seneca empfehlen, auf
dessen übrige Schriften von den Pseudonymen Büchern her,
deren wirklicher Verfasser wahrscheinlich der Portugiese
Martinas von Braga im 6. Jahrhundert war, der christliche
Nimbus übertragen wurde. Wenn somit die Beiziehung des
Seneca hei oberflächlichem ersten Blicke wie eine Ausnahme
von der Verschmähung der Renaissance erscheint, so klärt
sich die Sache durch die im Mittelalter über Seneca all-
gemein verbreitete Meinung völlig auf, und wir dürfen mit
Entschiedenheit behaupten, dass die Vertreter der Aue-
toritates-Literatur von den vorhergegangenen und gleich-
zeitigen Strömungen der Renaissance überhaupt schlechter-
dings Nichts wissen wollten. Und sowie unter allen Drucken
nur der einzige jüngste Venetianer (E, 5 aus d. J. 1551) es
ist, in welchem den üblichen aristotelischen Auctoritäts-
Stellen einige Bruchstücke aus Plato unter dem Titel „6em-
mae Platonis*' vorangeschickt sind, so müssen wir beachten,
dass, wie oben erwähnt, in anderen Drucken das sichtliche
Bestreben obwaltete, auch den platonischen Timäus und den
Boethius sowie den Seneca u. s. f. zu entfernen und so das
reine Fahrwasser des scholastischen Aristotelismus zu ge-
winnen.
Während aber die. früheren Scholastiker in den Werken
des Aristoteles, welche sie auch grossentheils mit einläss-
lichen Commentaren versahen, wirklich selbst belesen waren,
(-— mag man von der Art und Weise, wie sie lasen, denken
194 Sitzung äer phüos^-phüol Gasse v<m 6. Jult 1867.
was man wolle — ), bo sind die Drucke der „Auctoritates",
vrenn auch die Eine Classe derselben aus selbsteigener Lee-
tttre herrorg^angen war, doch nur darauf berechnet, dass
der Leser sich nicht mehr der Mühe zu unterziehen braudie,
den Aristoteles selbst zur Hand zu nehmen, und es ge-
staltet sich die im Mittelalter überhaupt eingebürgeite Ab-
hängigkeit von vorliegender Ueberlieferung hie/ formlich zu
einem Auctoritäts*Schwiudel, welcher namentlich im Unter-
richte der Jugend bezüglich eines jeden geistigen Auf-
schwungesy geschweige denn eines Fortschrittes, nur lähmend
und niederdrückend wirken konnte.
Und hiemit hängt zusammen, dass die „Auctoritates"
in manchen Punkten nur eine stagnirende Tradition jener
Unwissenheit und Halb-Barbarei waren, welche bei Albertus
Magnus noch verzeihlich war, aber in den Jahrzehenteu der
Renaissance keine Entschuldigung mehr erwarten darf. So
wenn wir in der Einleitung über Aristoteles lesen: „Eins
ortus primum carpsit huius vitae auras in straguma,
civitate traciae, fuit autem filius nicholneti (an einer
anderen Stelle „nichometi vel anthomaci") et festiae, qni
ab esculapio descenderunt'' , oder in dem Epiloge des
Ganzen : „Philippus mittit Alexandrum grammatice turic
loquentem certis cum oratoribus Athenas ad Lyceum in
asianum gymnasium enizius mandato regis Aristoteli suppli-
cantibus, ut suam philosophiam in hoc adolescente dignare-
tur experimento comprobare'S oder ebendaselbst: „In re-
gionem secessit Euboicam, ubi .... in urbe Galchidc
peripatum instituens reliquum vitae in optimo mentis
vigore gloriose transegit, in quo exilio rerum naturae con«
templationem transcendens stupendum opus Metaphysicen
usque ad duodecim libros absolvit*\ Aehnlich über
Plato als Einleitung zu den Stollen aus dem Timäus^ ),Fuit
autem Plato dvis Atheniensis patre ariston de genere
neptuni, matre pardon de genere sapieotissimi Salomonis*\
l^'ünü' lAteratur der ^^Auetoritatea'*. 195
Aosserdem sind neb^ häufiger NachläBsigkeit der Ci-
tate (z. B. die allbekannte Stelle aus An. post. I „Gaü-
deaut universalia, quae, ei sunt, monstra sunt'' wird dem
Porphyrios zugeschrieben) in manchen Drucken einzehie
AactoritätS'Stellen durch so grobe Druckfehler entstellt, dass
mancher Prädicant und mancher Student hierüber in die
grössten Verlegenheiten gerathen konnte. Z. B. aus Me-
taph. V : Aliqua (statt Aqua) est materia omnium liquefacti-
biliam; ausD. vita et m. : Animalia respirantur (statt suffo-
cantur) in humido; aus Polit. VII: Bonum est, pueros esse
sine vitio (statt yino); aus Polit. I: Consilium muliemm
est invalidum, pium (statt pueri) autem imperfectum;. ebend.:
Desiderium dubium (statt divitiarum) vadit in infinitum;
ans Metaph. XII: Entia volunt (statt nolunt) male disponi;
ans Polit. V: Magnae civitates sunt plus (statt plus sedi-
tiosae), quam paryae, aus Phys. ausc. I: Quod uon (statt
Tere) est, nulli accidit; aus Apul. d. deoSocr. : Gonversatio
mutua (statt perpetua) contemptum parit; u. dgl. m.
Aber auch wenn man auf solche Dinge als auf Zu-
falUgkeiten kein Gewicht legen will, so ist hingegen von
grösserem Belange, dass der Inhali überhaupt in specula-
ti?er Beziehung eine bedauerliche Schwäche zeigt, und dass
aus einer Jugend, welcher solche Nahrung des Geistes ge-
boten wurde, wahrscheinlich keine klaren Denker heryor-
gehen konnten. Jene thomistische Denkweise , welche so
treffh'ch darauf eingerichtet war^ Kamele zu yerschlucken
und Mucken zu seihen , blickt in den „Auctoritates ^ bei
jeder Gelegenheit durch, da ja die unnatürliche Verbindung
des Aristotelismus und der Principien des Christenthumes
in den Thomisten-Schulen überhaupt einmal zur süssen Ge-
wohnheit geworden war. Es ist nur der scholastisch (oder
auch jesuitisch) yerstandene Aristotelismus , welchen jene
Leute für eine „vegeta solidaque philosophia" hielten, ver-
möge deren man sich „yel contra Socratem nihil scientem
196 Sitzung der phüas.-philas, Claeee um $. Juli 1867,
•
yel Platonem enygroata cudeotem aut Thaletem igniTomum
aut Democritam atomis ärcumfusuiu et item omnigenaB
philosophorum hereses undeqaaque contegere et vin-
dicare^' könne (so im Epilog). Und wenn sonach jede
andere Phflosophie als Häresie galt, so erschien Aristoteles
als jener Philosoph, „qui unum deum, qui e&tium uniTersi-
tati ut autor et custos sempiternae vigiliae praeesse, ratione
docere tentaret", woran dann folgende Erzählung geknüpft
wird: ,|Tanta eiu» philosophia paucis labentibus annis cepit
auctoritate complecti, quod Athenienses ex ea BufBoienter
persuasi in honorem unius dei, quem ignotum appellitabant,
statuam publice erigerent ; quam cum .... Paulas Christi
apostolud coram gentibus nomen dei portaturus Athenis
offenderet, illum esse diebus suis pro salute humani generis
natum et crudfixum illi populo gentili ealubriter ex-
ponebat'^ (ebend.). Bei solch letzterer Anmdit ist es dann
nicht zu wundern, wenn femer gesagt wird: „In dubium a
nonnulis est quandoque revocatum, an Aristoteles de factu
fuerit in statu salutis vel damnationis aetemae
Quod autem Aristoteles poterat sub lege naturae salutem
aetemae beatitudinis consequi, non yidetur probatu diffi-
eile, si modo advertamus, deum pro omni tempore suffi*
cienter generi humano de illo, quod ei maxim« uecessarium
erat, providisse ; et Paulus vas electionis Timothei
secundo daniat: Deus vult, omnes homines salvos fieri et
ad cognitioaem veritatis, i. e. dei, pervenire ..... Hie vera
philosophus vitam suain a teneris unguiculis ad sapremam
usqne diem pro ea re et cognitione veri et boni electione
flagrans inelFabili studio consumpsit. Taceo opprobria,
quae pro unius dei cultu accepit, taceo exilium, quod pro
eodem tarn fortiter pertulit, taceo frequentOB elehemosjmae
usque ad sui inopiam indigentibus erogatas, taceo item tot
gentes, tot nrbes, quas vel ab excidio sua sapientia prae-
senravit vei disiectas et prostratas .... restituit .... Nee
TroM: Literatm der „Äitetoritate^'. 197
obstat, 81 qoippiam eab lege scripserit natorae, quod fidea
non habet orthodoxa Gentes riquidem, ut vas elco-
tionis Paulus ad Romanos capite secundo testis est, noB
habentes legem naturaliter ea, quae sunt legis, faciunt (diess
die bekannte nentestamentlicbe Stelle, weldie für die 6e-
scbidite der Rechtsphilosophie eine so gi'osse Rolle spielt);
sie Aristoteles ipse sibi erat lex ostendens opus legis, quam
m Gorde sno soriptam habebat.
Von diesem Philosophen nun, welcher in solcher Weise
g^enüber allen übrigen Heiden mit einer schlechthin unpro-
portionalen Milde behandelt wird und förmlichst das theo«
logisdie Prädieat „beatus'* zugetheilt erhält (so daas zur
Heiligsprechong nur noch Ein Schritt übrig war), nahm die
thomistiscbe Schul-Tradition in unbeschreiblicher Naivet&t
auch Grundsätze auf, welche der dbristlichen Theologie ge-
radezu widerspredxen ; und ans den „Auctoritates^^ lässt sich
eine ziemlidhe Blumenlese von Stellen erholen, welche entr
weder in ihrem Wortlaute oder in ihren Gonsequenzen
nothwendig zum Schdterhaufen hätten führen müssen. So
z. B., um nur Einiges anzuführen, die oft wiederholte Be-
hauptung betrefis der Ewigkeit der Welt, nemlich: MunHus
est aetemus (Phys. ausc. VlII.) , Goelum est ingenerabüe
et incorruplibile (D. coel. I), Non est tiinendum, quod coe^
lom stet. i. e. a motu quiescat (Metaph. IX), Motus coeli
est aetemus (Meta|A. XI u. Averr. Comm. D. gen. et
eorr. U), stellaitim natura est aetema (Metaph. XI), oder
der entschiedene Grundsatz, dass aus Nichts Nichts wird:
Ex nihilo nihil fit (Phys. ausc. I und D. gen. et corr. I)
Impossibile est, aliquid fieri ex non ente (Metaph. III), oder
die Hinweisung auf ^en bekannten tief-philosophischen Aus-
sprach Homo generat hominem (z. B. Phys. ausc. II), in
welchem das Princip des Generatianisiuus verkündet ist,
oder die aristotelische Definition der Seele: Anima est
actus corporis organici physici (D. an. II), sogar unter Be-
198 Sitzung der phil08.-phM. Glosse vom 6, Jidi 1867,
nfitzuiig der Stelle: Anima est UQum entium nataralium
rerum (D. an. III), oder der ebenso acht antike als anti-
christliche Grandsatz Impossibile est, indigentem operari
bona (EtL Nie. I).
Nun lag allerdings dariii, dass dergleichen Satze als
Auctoritäts-Stellen gedruckt wurden, nicht etwa gleichsam
eine kirchliche Approbation derselben, sondern man war
eben in Folge der Auctoritäts-Sucht und der so lange dau-
ernden Geltung des Spruches „Ne quid adversus Aristotc-
lem'^ gegen Aristoteles unverhältnissmässig nachsiditiger
als gegen jeden anderen Philosophen. Aber solche Halbheit
war dem Mittelalter überhaupt eigenthümlich , bis gegen
Ende desselben Occam (nicht ohne Anknüpfungspunkte an
Duns Scotus) mit aller Entschiedenheit den Aristotelismns
neben der von ihm getrennte^ Dogmatik hinstellte. Jedoch
Occam's Lehre wurde aus manchen, hauptsächlich politisdieD
Gründen von der Kirche verdammt, und die scholastische
Halbheit gewann in den Schulen auf lange Zeit wied^
festen Boden und conseiTirte sich von Generation zu Ge-
neration, so dass aus derlei Schulen und Universitäten dei
Geist der Neuzeit nicht hervorgieng, sondern der Renaissance
und den Naturwissenschaften die Aufgabe der Umbildung
vorbehalten blieb.
Aber eben jenem noch lange sich fortspinnenden Tho-
uiismus der Schul-Philosophie dienten die „Auctoritates'S
welche somit wahrlich kein erfreuliches Bild, aber einen
Beitrag zur geistigen Culturgeschichte des 15. und 16. Jahr-
bundertes darbieten.
JBo/ifiaim; Zum oUroman. Leiden Chrieti. 199
Herr Hofmann giebt Bemerkungen:
1) „Zum altromanischen Leiden Christi und
zum Leodegar*'.
Die hohe Anerkennung, welche der Gründer und Meister
der romanischen Philologie jüngst (im Jahrbuche für
romanische und englische Literatur) meinem vor 12
Jahren in den Gelehrten Anzeigen unserer Akademie er-
schienenen Versudie zu Theil werden Hess, ermuthigt mich,
einen Nachtrag zu yeröffentlichen, die Frudit wiederholter
Bebchäftigung in meinen kritisch-exegetischen CoUegien über
altromanische Sprache und Literatur. Da Diez den grössten
Tbdl meiner Gonjeoturen gebilligt hat, so bleibt mir nur
noch eine Nachlese^ die sich freilich meist auf die schwierig-
sten Stellen bezieht, und daher mit um so grösserer Nach-
sidit aufgenommen zu werden wünscht.
Leiden Christi.
Str. 19^1 1. lo 880 tälantf nach der gewöhnlichen Vei*-
dopplui^ des anlautenden Consonanten zwischen zwei Vocalen
verschiedener Wörter.
Str. 24 glaube ich dem Sinne entsprechender umsetzen
za dürfen
que faire cove a trestoz
per remembrar sa passiun.
Str. 33,3 lies Judas fiir Judeus.
Str. 29,3. culuned. Hier ist zu bemerken, duss Ede-
lestand du Meril (Formation de la langue frauQaise 1852),
der die ersten 18 Strophen des Leodegar mit den abweichen-
den Lesarten des Hrn. Desbonis, Bibliothekar von Glermont-
Ferrand mittheilt, in der 16^ Stiophe statt advuat, der
200 Sitgung der phüos.-phtld, Classe vom 6. JuH 1867.
Lesung des Hrn. Valet de Viriville, gleichfalls adanat gibt,
wodurch die Lesart vollends sicher gestellt wird. Ich habe
die Erklärung von Henschel (aus idoneare) angeführt, bin
aber jetzt ToUkommen überzeugt, dass die urspriinglidie
Deutung von Diez (aus ahd, sih einön) die allein richtige
und in jeder Hinsicht passende ist. Erstens in formeller
Beziehung; denn adunare ist = aduner. Zweitens für den
Sinn; denn genau dieselbe Bedeutung, welche in unsem
Stellen für s'aduner passt, hat sih einön und gaeinön in
mehreren der zahlreichen von Graff I, 331 ff. angeführten
Belege, sogar in Verbindung mit sprechen, gerade, wie in
unseren romanischen Denkmälern, Leod. 16. dist et adunat
So N. Psalm. 38,2. ih chad in minemo herzen, unde einoia
mih sus. N. 101,8. die emdtan sih uuider mir jurabant.
Mart. geinuH jurasse. N. 118,106. ih suuör unde geeindta
mih, Em. 8. kaeinot adunat. Offenbar ist aus dem Begriffe:
eine Vereinigung beschwören, die allgemeinere Bedeutung
schworen, versichern, hervorgegangen, die in unseren beiden
Stellen so vorzüglich passt, während P. Chr. Str. 43,3 in
adunovent das Wort in der gewöhnlichen Bedeutung stdit.
Es ist diess einer, der vielen Fälle, wo germanischer und
romanischer Ausdruck zusammenstimmen.
Str. 44,4 fdilt eine Sylbe, deren Ergänzung auf dop-
pelte Weise versucht werden könnte, einmal, indem man
netd (zweis.) für nul, oder fedre (fecerat) für fdst setzte;
dieses fedre erscheint nemlich in der Str. 47,4, wo die
Handschrift to hat, was ich in f o trenne und fedre, (nach
Analogie von medre = miserat) als fecerat fasse (nicht als
ferit), also = wer dir diess gethan hat?
Str. 76,3,4, lese und ergänze ich:
öhi per humila (= humla) confession
cdpa perdones al ladmn.
Dass in hum va humil stecken müsse, hat Diez schon
gezeigt; ich glaube nun durch humila auch den Schriftzügen
Hofmann: Zum aUraman. Leiden CkrieH. 201
TottkommeQ gerecht zu werden ^ indem ich anndune, dass
humila als hnmna (hum ya des französischen Herausgebers)
verlesen wurde. Die Aussprache war natürlich zweisjlbig^
wenn auch humila geschrieben wurde.
Str. 83,4. Es scheint durchaus nicht, dass fiir inl$
eine andere Besserung gefunden werden könnte, als die von
Diez vorgeschlagene täs^ man müsste denn den ganzen
Beim und damit murir in der vorausgehenden Zeile ändern
wollen.
Str. 86,2 1. que lli dones.
Str. 88,4 lese ich ant acel temps st. anc a cel, wie
90, 1 fuc für fut steht.
Str. 93,0 regnet poeime aefena. Wohl die verzweifeltste
Stelle des ganzen Denkmals. Was ich früher hingeworfen»
war nur ein flüchtiger Einfall, dem ich selbst nicht den
geringsten Werth beilegte. Der Fehler muss« wenn wir uns
aor an die französische Ausgabe halten, in pocianz ver-
muthet werden; denn dieses hat ChampolUon*Figeac mit
einem Fragezeichen versehen, also stund nicht so in der
Handschrift oder es stund noch etwas dabei, was er nicht
herausbringen konnte. Da der Sobluss des Verses fena =
fine auf audse reimt, so lässt sich auch daraus schliesseui
dass die fehlenden zwei Sjlben vor fena gesucht werden
müssen. Indem ich diess erwäge und darauf ausgehe,
ohne Aenderung eines einzigen Buchstaben den Vers zu
Qganzai, kann ich das Ausgelassene nur in Abkürzungs*
zeichen finden» die wieder um pocianz herum gestanden haben
müssen. Annehmend also, dass in p ein Queerstrichelchen
unten, femer über dem i eines oben zu ergänzen ist , er-
halte ich perocmane^ dann lese ich ne statt se und er-
halte so:
r^net peroc inane ne fina, d. h. (obwohl Christi Leib
getödtet ist) sein Reich darum fortan nicht endet, peroc
(per hoc) und inanz (in ante) werden kein Bedenken findeni
202 SiUung der phiha.-phiM. ClasBe vm 6. Mi 1867.
ebenso wenig die Aenderung ne für ee. Die Weglassong
des Artikels oder des Pron. possess. yor regnet ist ein Ar-
chaismas, den folgende Strophen bestätigen, 7. prophetes,
wenn diess, wie ich vermathe, der Singular ist, wo dann
dasVerbum in avie oder ayeit zu ändern ist, 31 marrimenz.
Da indess eigentlich sos bei regnet za ergänzen wäre, so
liesse sich, wenn man regnet (= sein Reich) beanstandet
und nicht annehmen will, dass das de lai der vorausgehen-
den Zeile auch noch für diese Wirkung habe, sehr einfeich
SOS rengs (Str. 74 en ton reng) setzen. Was den Sinn der
Yon mir emendirten Stelle betrifft, glaube ich, dass er mit
dem vorausgehenden Verse in. so nothwendiger Folge steht,
als diess nur bei einer Conjectur gewünscht werden kann:
wiewohl Christus getödtet ist, so hört sein Reich darum
doch nicht auf.
Str. 98,2 8oes scheint mir für foes verlesen, weldies
offenbar = fues ist, wie es in 78,4 steht und dort schon
von Diez in ßiret gebessert ist. Auch an unserer Stelle gibt
füret einen ganz richtigen Sinn und Vers.
Str. 105,1. In diesem seinhe scheint die Urform des
späteren französischen sire zu stecken, nämlich sinre^ welches
in seinhe bis auf das schliessende r provenzalisirt warde.
Str. 107,2 lese ich fiir $oi doi im Anschlüsse an Lucas,
24,13.
Str. lll,ä,4. Bei der Verwechslung von e und o, die
in unserem Stücke nach Ausweis des Facsimile sehr leicht
vor sich gehen konnte, glaube ich, dass der früheste Vor-
schlag von Diez: sa passion peisons. testat ganz unbedent
lieh aufgenommen werden muss, so trefflich auch die Er-
klärung von Delius sonst für tostas passt; denn das Haupt-
gebrechen dieser Strophe, der Mangel des Verbums wird
dadurch beseitigt. Ich gehe noch weiter und finde auch
im 4. Verae ein solcheSi indem ich statt signa de lese sig-
nave = bezeichnete. Ein solches Imperfectum kömmt zwar
Eofmann: Zum dUr<man. Leidm CtriaH, 203
zofilliger Weise nicht in unserem Gedichte yor; aber im
Plural erscheinen die Formen auf avent = event neben«
einander, jene in der Mehrzahl, annavent, nomnavent, pgrta-
vent, menaven, neben eswardevet, estevent. Ein zweites
Verbum aber in diese letzte Zeile der Strophe einzuführen,
scheint mir darum unerlässlich, weil sonst die Verbindung
nothwcndig wäre signa testat d. h. bezeichnete das Zeichen,
was logisch schwerlich zu dulden wäre.^
Str. 113,2 möchte als Ergänzung des 2. Verses oon-
verseii il = verkehrte er, sich am besten empfehlen. Das
in dieser Str. V. 4 vorkommende reguum darf ich vielleicht
auch noch als Stütze für meine Auffassung von Str. 93,4
anführen.
Str. 114,1 ist eine der Stellen, die durch Mangel eines
Verbums das meiste Bedenken erregen. Da dieses nur in
eoal gesucht werden kann, so vermuthe ich roa h = rogat
(oder rogavit) illos. 1 für Is, wie in 113,1 fidel für fidels,
Verwechslung von r und c, hat kein grosses Bedenken. Dass
man roar sagte, beweist roazo.
Str. 125,1 ist eine sehr schlimme Stelle, der ich jetzt
durch einfache Emendation von lui abhelfen zu können
glaube. Die 4 Striche scheinen mir verlesen und sin in der
HS. zu stehen, also: sin qu^e aiude nuls vendra = ohne
dass Jemand (ihnen) zu Hülfe kommen wird, wachsen die
Christen um so mehr, je schlimmer es ihnen der Teufel
madit.
Str. 126,4 könnte man auch sos fidels lesen für los
den fidels.
Hiemit sind, so viel ich sehe, alle Stellen behandelt,
die im Leiden Christi noch bedeutenden Schwierigkeiten
unterlagen* Im Leodegar ist nur eine einzige noch nicht
aufgeklärt, nämlich Str. 34,1: il mio fraire, miedra me
beuure, Weün man medre = miserat, fedre = fecerat,
erwägt und daneben die Formen fisdra ~ fedre, misdrent
204 Sitzung der pfcikw.-i>Md2. Classe wm 6. Juli 1867.
= medrent, so ergibt sich, dass das d in diesen Fälleo Tor
r einem romamsehen z oder sd, und einem lateinischem s
oder c entspricht, mied^a wäre also = misera nnd miedra
me = misera me d. h. miserere mei. Somit wäre miedra
eine Uebeigangsform zwischen mizra und medra, entspre<diend
den Torhandenen misdrent und medre. benure beseitigt sich
einfach als Wiederholung aus dem folgenden Verse. Nun
bleibt nur noch die Schwierigkeit einer fehlenden Sylbe,
wenn miedra, wie wahrscheinlich, zweisylbig ausgesprodien
wurde. War es dreisylbig, so braucht der Vers keine Er-
gänzung, und auch der Reim me: porter genügt; sonst
könnte man vor miedra etwa ear (das precative doch) ein-
schalten.
Hiemit habe idi alle wichtigen Fälle (nebst einigen
unwichtigen) behandelt, die in beiden Oediohten nach ihrer
bis jetzt bekannten Lesung noch übrig geblieben waren. Ich
hielt mich überall so nahe als möglich an den Buchetaben
der Ueberlieferung, da ich überzeugt bin, dass bei einer so
grossen und deutlichen Handsdirift der Fehler immer nur
in wenigen missverstandenen Buchstaben liegen kann. Was
den Sinn der Torgeschlagenen Emendationen angeht, wird
man mir, glaube ich, zugeben, dass sie sich überall unge-
zwungen dem sonst sicheren Zusammenhange einfügen. Der
Schluss der ganzen Untersuchung, wissen wir, kann erst
dann erfolgen, wenn eine neue kunstgerechte Lesung, oder
noch besser, ein (wo möglich photographisches) Facsimile
vorliegt, wie wir sie von ähnlichen wichtigen Denkmälern
unserer alten Sprache längst besitzen. Gleichwohl müssen
wir in Deutschland uns damit beschäftigen, wäre ed auch
nur, weil wir diese altromanischen Denkmäler in den Kreis
unserer akademischen Lehrthätigkeit aufgenommen haben
und darin eine beständige Nöthigung finden, aus inneren
Mitteln zu ersetzen, was äussere Verhältnisse U2is ungunstig
yerweigem.
Bijfmann: Zm CHidrun.
205
2) Zar Gadran.
Das Drtheil über den ästhetischen Werth der Qadrnn-
diehtang steht seit langem fest and an dem, was W. Grimm
9 Jahre nach der ersten Bekanntmachung des Gedichtes
(deutsche Heldensage S. 370) mit feinem Sinne vorgezeich-
net, hat sich seitdem in der Hauptsache durch keinerlei
Forschung oder Erwägung etwas Wesentliches geändert
Anders mit der Tezteskritik und dem Urtheil über die Ent-
stehung des Werkes. Je unsicherer der Boden, desto schroffer
stehen sich hier die Ansichten gegenüber, an deren Ver-
söhnung niemals gedacht werden, kann. Dazu kömmt, dass
die Hoffnang, welche man lange auf W. Grimms treue
Pflege des Werkes setzen durfte, sich am Ende hinfällig
gezeigt hat. Schon J. Grimm sagte mir bei seiner letzten
Anwesenheit in München, dass nichts Fertiges für die Gudrun
TorgeAmden sei und durch Ernst Martin (Bemerkungen
S. 6) wird diess jetzt weiter bestätigt.
Ich bin hier, wie überall, meine eigenen Wege gegan-
geo, d. h. idi habe den Hagenschen Abdruck vorgenommen,
Qud zu wiederholten Malen durchgearbeitet, ohne eine der
Ausgaben oder Uebersetzungen aufzuschlagen. Als ich später
zur Vergleichung kam, fand ich, dass meine Kritik viel
radicaler war, als die meiner Vorgänger. Ob darin Ver-
dienst oder Tadel liegt, hat sich zu zeigen. Mein Absehen
war übrigens, wie sich von selbst versteht, ebenso ein exe-
getisches, wie ein kritisches, da mir vorkömmt, dass die
Gadrun dieser Hülfe so bedürftig sei, wie der anderen, und
beide Thätigkeiten ja auf das eine höchste Ziel hinarbeiten, den
geistigen Gennss, wie wir ihn an unseren besten mittelhoch-
deutschen G^ichten haben, mehr und mehr zu verfeinein,
m vertiefen und durch diese Läuterung den haimonischen
[1867. IL 2.] U
206 8it9ung der philaa.'phM. Ckuse vom 6. Juli 1867.
Eindruck des einzigeu Werkes auch für Laien und Lernende
zu erhöhen, falls nämlich überhaupt Jemand noch so be-
scheiden sein sollte, sich zu diesen zu rechnen, bei dem
kolossalen Aufschwung, den die deutschen Studien, wie man
sagt, seit ihrer Emancipation von den früheren verdriess-
liehen und für geniale Köpfe nur störenden Methoden ge-
nommen haben.
Dass ich meine Bemerkungen auf alleXheile der Gudrun
ausdehne, wird wohl Niemand so verstehen, als ob ich das
Werk in seiner vorliegenden Gestalt für einheitlich oder
ursprünglich hielte.
Wie die Nibelunge ist es durch öde und weitschweifige
iheils einer manirirt höfischen, theils einer niedern Ge-
schmacksrichtung schon des 13. Jahrhunderts zur Last
fallende Erweiterungen das geworden, was dem modemi-
sirenden Schreiber der. Ambraser Handschrift vorgelegen,
verzerrt und verschwommen, aber auch so ein schwer zu
beklagender und zu ersetzender Verlust. Diese Vorlage
wieder herzustellen ist die noch immer ungelöste Aufgabe,
zu der ich hier einen Beitrag gebe.
Ehe ich zu den einzelnen Stellen übergehe, habe ich
ein bisher in Deutschland unbeachtetes, vielleicht unbekannt
gebliebenes Zeugniss über Verbreitung und Fortleben der
Gudrunsage einzutragen und meine Folgemngen daraus vor-
zulegen. Es findet sich bei Barry, History of the Orkney Is-
lands, London 1808, S. 489—95 unter dem Titel: a ballad,
taken from the mouth of an old man in the same islao^
(nämlich Fula), the subject of whicb is a contest between a
king of Norway and an Earl of Orkney, who had married
the kings daughter, in her fathers absence, and without bis
consent. Diese ,, Ballade'* in 35 vierzeiligen Strophen wurde
im Jahre 1774 dem schottischen Reisenden Low von einem
alten norsischen Bauern (Ddaller) in der norsischen Sprache
diktirt, die damals noch von einigen Personen auf dieser
Eofimm: Zur Gudrun. 207
gheüands* Insel gesprochen wurde. Ein Blick auf die
Karte zeigt, warum die alte Sprache sich hier am längsten
erhalten konnte. Fula oder Foul, (norw. Fugl oder Fngley)
liegt mit seinen 5 konischen Sandsteinhögeln weit draussen
in der Westsee und ferne von der eigentlichen Shetlands-
gruppe, weshalb man auch seinen Namen (Vögel) von der
Aehnlichkeit mit einem in weiter Ferne schwimmenden See-
Yogel ableitet. Da der Anfzeichner indess der Sprache nicht
kundig war, liess er sich auch noch eine Inhaltsangabe des
Gedichtes yon dem Erzähler mittheilen, die sich glücklicher
Weise erhalten hat und gedruckt ist, denn das norsische
Original ist so unverständlich, dass ohne diese Paraphrase
sein Inhalt vielleicht für immer verdunkelt bleiben müsste.
Diese weitere Mittheilung findet sich bei Samuel Hibbert,
description of the Shetland islands, Edinburgh 1822 p.66l£
Hibbert berichtet : It was not many years before Mr. Low's
Visit to Shetland in the year 1774, that numerous songs,
nnder the name of Visecks, formed the accompaniment to
danoes that would amuse a festal pariy duriAg a long win«
ters evening. When the com waters of Hamburgh had gone
merrily round, when the gue, an ancient two-stringed vio-
lin of the country, was aiding the conviviality of Jule, then
would a number of the happy sons and daughters of Hialt-
land take each other by the band, and while one of theim
sang a Norn (= norrönisch) viseck, they would perform a
circular dance, their steps continually changing vrith the
tune. Dazu der melancholische, aber in allen Ländern
gleiche Schluss: In the middle of the last Century, little
of the Norwegian language remained in the country, and
these visedcs being soon lost, they ^ere followed, as a
clergyman of Unst informed Mr. Low, by playing at cards
all nightj by drinking Flamburgh waters and by Scotish
dances. Von diesen Tanzliedern nun, die sich auf den
Färöern zahlreich und bis auf den heutigen Tag erhalten
208 Biigung der phOoB^-fMoL Ckim vom 6. Jtdi 1867.
haben, wusate der Baaer William Henry von Qottoria anf
Fula ganz allein um 1774 noch einige auswendig 0, nater
diesen unsre Gudrunsage, auf welche zuerst P. A. Manch
im Jahre 1839 aufmerksam machte (Samlinger til det Norske
Folks Sprog og Historie 6. Bd. Christiania), in seiner grossen
Abhandlung: Geographiske og historiske Notitser bin Ork-
nöerne og Heiland. Er theilt die Ballade mit, sucht sie so
gut es geht, in einigen Stellen zu.emendiren, kommt aber
zu dem Resultate: ,,Eine genügende Erklärung des Gedidites
zu geben, ist wohl unmöglich, aber die folgenden Andeut-
ungen werden doch eine Idee von dessen eigentlichem In-
halte geben*'. 8. 120 Note 1. Er erkannte natürlich, dasa
hier die Hedinsage vorliege, worum sich weder der P&irer
Barry noch der Geognost Hibbert noch der Reisende Low
kümmern konnten, und brachte den etwas altmodisch styli-
sirten englischen Prosainhalt in die Form^ welche sich für
eine germanische Sage eignet und die ich hier wiedergebe.
Es heisst also: „Hiluge, ein vornehmer Mann am nor-
wegischen Hofe freite um die Königstochter Hildina, erhielt
aber einen Korb, obwohl der Vater ihm hold war. Als ein-
mal der König und Hiluge auf einem Kriegszuge fort waren,
landete der Orkney-Jarl in Norwegen, traf Hildina, verliebte
sich in sie und sie in ihn, sie wurden eins und flüchteten
auf. die Orkneys, wohin ihnen nach ihrer Rückkehr vom
Kriegszuge der erbitterte Vater und Hiluge mit grossem
Beere folgten, um den Raub zu rächen. Hildina überredete
den Jarly unbewaffnet dem Könige entgegenzugehen und um
1) Low sagt: It (the Korse) was evidenüy mach mixed with
English. None of the Natives conld write the ancient langoage and
few coald speak ii The best phrases were lost,, and little more re-
mained than the names of a few objects and two ar three remnanU
of Bongs, which an old man (William Henry) of Gattorm conld ro-
peat, thottgh indistincUy.
Eoifmaim\ SSwt Guärun. 209
Gnade n bitten; er liess sich riihren, versieh ond gab
sogar seine Einwilligung. Kaum war der Jarl fort, um
Hildina die frohe Kunde zu bringen, als Hiluge, indem er
des Jarls VermesBenheit aufs Schlimmste schalt, den König
zu neuem Grimme reizte und dahin brachte, alle seine Ge-
lübde zurückzunehmen. Es kam nun zum Zweikampfe zwischen
Hänge und dem Jarl und dieser fiel. Sein Haupt warf
Hiluge mit den härtesten Schmähungen Hildina ror die
Füsse, die ihm mit scharfer Gegenrede im Herzen blutige
Badie gelobte. Sie musste ihm nun nach Norwegen folgen,
wo er seine Freierei wieder anfing. Lange weigerte sie ihre
Hand; aber der Vater setzte ihr mit Bitten zu und endlidi
gab sie ihr Wort, unter der Bedingung, daas sie selber
beim Brautfeste den Wein in die Becher schenken dürfe.
Diess wurde zugestanden. Als die Hoehzeitgäste beisammen
waren und zu Tische kamen, schenkte ihnen Hildina mit
Schlafkräutem Tersetzten Wein und bald lagen Alle in
tiefem Sdilummer. Da liess sie ihren Vater hinaustragen
und warf Feuer ins Gästehaus. Alle wurden darin ver*
brannt. Hiluge, der beim Krachen der Flammen erwachte,
bat um Gnade; aber Hildina antwortete ihm so hart, wie
er, ab er ihr des Jarls Haupt brachte und liess ihn in der
Lohe sterben". Munch bemerkt dazu: „Wenn man hier
den Jarl Hedin nennt, und annimmt, was nicht so unwahr-
sdieinUch ist, dass Högnis Person in zwei getheilt ist, den
König und Hiluge, um die Erzählung romantischer zu machen,
finden wir den ersten Theil des orkneyischen Berichtes bis
zum Kampf in hohem Grade mit der Sage übereinstimmend.
Hiluge kann leicht eine Entstellung von Högni ') sein, wie
2) Vom Standpunkte der Chidmm zos mflssen wir es natfirlich
wakncbetnlicher finden , daw Hünge = Ludwig seL Ein'soloher
Ludwig (Lödrer) kömmt aadi in der oroadisohen Oesohiohte Yor
(MuMih 0, 182); allein noo& n&her li^ Hiluge ein&oli als Qlugi
210 SiUfung der phOos.'phiM. Glosse wm 6. Jtdi IS&T.
Hildina offenbar eine von Hilde ist. Der Schloss scheint
dagegen eine Nachahmung der Ritterromane dee 13. ond
14. Jahrhunderts, wie es denn überhaupt nicht unwahrschein-
lich ist, daas die Sage benutzt wurde, um als Grandlage
für ein damals verfasstes romantisches Lied zu dienen.
Uebrigens ist das Oedicht äusserst merkwürdig, denn ans
den wenigen Stellen, die man verstehen kann, erhellt, dass
es in ziemlich gutem Norwegisch war und bis auf das ge-
meinsame Versmaass der Eämpevise fast ganz fibereinstim-
mend mit den färöischen Liedern.'^ Munchs Bemerkungen
sind in der Hauptsache vollkommen richtig; es ist die alte
Hedeningensage, erweitert durch ein jüngeres, „romantisches'^
Element, wie er es nennt. Gerade dadurch bildet es den
Uebergang zu unserer deutschen Dichtung. Wir haben hier den
gewaltigen Stoff der Gudrunsage, nur mit tragischem Aus-
gange und in jener Gedrungenheit, die wir an den besten
epischen Romanzen der Spanier bewundem. Die tragische
Wendung entspricht der um viele Grade düstreren Grund-
stimmung der nordischen Dichtung, wie ja auch die Sage
von Hildebrand und Hadubrand, die in der späteren dent-
schen Fassung so erheiternd ausgeht, im Nordischen, wie
XJhland zuerst nachgewiesen, mit dem Falle des Sohnes und
später des Vaters durch den eigenen Blutsverwandten einen
erschütternden Ausgang nimmt. Freilich ist das keine durch-
greifende Regel; denn die Tristansage, naturalisirt und ra-
tionalisirt im zweiten Theile der Sage von Grettir dem
Starken, bekömmt einen frohen, und sogar frommen und
erbaulichen Schluss in der Geschichte von Thorsteinn und
Spes. Das „romantische" Element ist in Wirklichkeit das
= Hlhngi =^ der BösBinnige zu deuten. Aach för die böse Gerlint,
Ludwigs Frau, würde es auf den Oroaden nicht am Vorbild fehlen,
nehmen wir nur Erich Blutazts Wittwe Gunnhild und ihre Tochter
Bagnhüd, die beide der römischen Eaiserzeit Ehre gemacht hsitflo*
Hofitiatm: Zur Ouänm. 211
christliche, welches in der Gudrun, wie in den Nibelungen
an die Stelle des heidnischen und fatalistischen ' getreten ist
Ich verstehe hier unter christlich nicht den christlichen
Glauben, wovon in die Gudrun so wenig wia in die Nibe-
lungen etwas Anderes eingegangen ist als äussere Zfige, die
zum Kostüm der Zeit gehören; sondern die christliche
Lebensanschauung, welche, auf Dichtung angewandt, sich
mit der fatalistisdien Führung der Geschichte, die dem
Heidenthuni adäquat ist, ästhetisch nicht mehr befriedigen
konnte und dafür eine freiere Selbstbestimmung als letzten
Grand der Peripetie verlangte. Die fatalistische Führung
ist die frühere und wo sie sich jetzt noch findet, die archai-
stische. Sie herrscht im Indischen, Arabischen (100 1 Nacht)
and fiberHaupt in den orientalischen Literaturen, die unter
indischen Richtungen und Einflüssen stehen, im Occident in
den altnordischen Dichtungen, dei^ kymrischen der Mabino-
gion, obgleich deren Aufzeichnung tief in die christliche Zeit
fällt, und überall im Volksmährchen , welches ohne Präde-
stmation gar nicht zu denken ist, und seinen Haupttjpus
verlieren würde.
um nun auf die Gudrun zurückzukommen, so sind die
sämmtlichen nordischen Fassungen der Sage fatalistisch,
1. das betre£fende Capitel der jüngeren Edda. 2. Sörla
>4ttr (in F. S. N. I, 391 ff. und Flateyarbök I, 275 flP.)
mit angeflicktem christlichen und historisch sein sollenden
Schluss. 3. Die Erzählung des Saxo Grammaticus, obwohl
schon zur Hälfte in seiner euhemerisirenden Weise. Ich
werde später noch einmal auf sie zurückzukommen haben. ,
Das Wesentliche, worin diesen drei Fassungen unsere
Gudrun und- die Shetlandballade gemeinsam entgegenstehen,
ist die Einführung eines Nebenbuhlers, für den in
der alten Sage noch kein Platz war, den aber die jüngere
noth wendig hatte, um das veraltete fatalistische Motiv zu
ersetzen und somit wieder ein Ganzes hervorzubringen. Auf
212 Siitung der pkOoi.^ücH. Oobu 9(m 6, Juli 1867.
eine nähere Veif leichang beider unter sich will idi der
Kürze wegen nicht eingehen, auch würde sie kaum za
weiteren sicheren Resnltaten führen, als denen, die sich so-
fort ungezwungen dargeboten liaben. Das Hauptmittelglied,
die äUere Gudrundiohtung, wie sie der Verfasser des Alezander
kannte, fehlt ja zur Vergleichung , wiewohl so viel sicher
scheint, dass es in der Einfachheit der Handlung auf Seite
des Liedes, nicht des (Gedichtes stund; denn, wenn idi die
Stelle im Alexander recht yerstehe, so sagt sie nur: auf dem
Wolfenwerde wurde Hilden Vater Hagene von Wafc^i er^
schlagen, während daneben ihr Bräut^m Herwich mit
ihrem Bruder Wolfwin kämpfte. Dagegen hat mich die
norwegische Ueberlieferung veranlasst, das Geographische
der Gudrun mit Rücksicht auf die Orcaden zu untersudien
und ich habe da eine Reihe von Thatsachen gefondea, die
in historischer und geographischer Hinsicht so weit znsam«
menstimmen, dass ich sie als Thesis aufstellen zu dürfen
glaube').
Idi nehme also an, dass Ormanie = Orcanie, nicht
die Normandie, sondern die Orcaden bedeutet, deren Marne
Orcania schon in den besten Handschriften des Nennins
vorkömmt und dann durch das ganze Mittelalter hindurdi-
geht. Nicht daraus, dass die Gudrunsage sich auf Shetland
bis 1774 erhalten hat, folgere ich, dass die Nachbarinsela
ein Haupttheil des ursprünglichen Schauplatzes sind, denn
da schon in der nordischen Ueberlieferung die Orknejinsei
8) Wenn ich hiebei auf die neuesten Untenucfanngen über die
Oudmngeographie nicht naher eingehe , so möge Hr. Joseph Haupt
nicht glauben, dass ich sein Buch nicht gelesen habe. Ich achte
seinen Scharfsinn, seine Gelehrsamkeit und vor Allem seine mann-
hafte Verachtung aller Clique und Reclame, aber zu seinen Besol-
taten kann ich nicht gelangen.
Büfmam: Zwt Chtdnm. 213
H&qr^) (das heatige H07, allein durch seflSe Berge hervor*
ragODd, daher seia Name Hochinsel) als Stelle des Kampfes
zwiBcheu Högüi and He6inn (statt des späteren Wülpen-
sandes an der S&ieldemündang) vorkömmt, so wäre das
4) Es ist kein ZwMfel, dsis in jeder kriüklosea und phantaaie*
ToUen Zeit aas ein paar grammatisch missverstandenen Worten sich
Sagen und Legenden entspinnen können, deren erster Keim ein Irr-
thom, deren entwickelnde Kraft die Logik der Phantasie ist. 80 haben
wir zwei christliche Krenziegenden, die nur i^af diese Art entsprungen
sind. Die eine Tom Kreuzstamme, der nrspranglich ein Zweiglein vom
Baume de« Lebens war, welches dem stisrbenden Adam in den Mond ge-
steckt wnrde, geht auf eine Stelle des Epiphanias znrock, die bloss erst
sagt, Christas sei über dem Grabe Adams gekr;ßazigt worden. Das ist noch
nicht das erste MissverständniBs ; 6 XQunog ttnav^d^ti vni^ lov Udu/^
wie wir ans die ürstelle etwa denken dürfen, heisst ebensowohl,
Chxistos wurde für Adam (zu seiner Erlösnng) als er wurde über
Adam (über seinem Grabe) gekreuzigt. Wenn wir hier die letzte
Quelle des Lrrthums nur mit Wahrscheinlichkeit vermuthen konnei^
80 dürfen wir im folgenden Falle mit dem Finger auf die ipsissima
Terba des Neuen Testaments deuten, die zur Longinuslegende ge-
worden sind. iiOnginns heisst es, war der römische Hauptmann,
der die Seite Christi mit der Lanze durchbohrte. Er war blind and
wurde sehend, als das Blut am Schafte herab auf seine Augen troff.
Da wurde er der erste Christ. In modemer rationalistischer Zeit hat man
die Legende yemünftig machen wollen, indem man sagte, Longinus sei
nicht blind, sondern schielend gewesen. Sehen wir nun die Stelle Joh.
19, 34 — 36 genauer an, so zeigt sich, dass man zunächst ^^yzv ^ ^^*
kürzoog^ oder 3l6yxil f^t* Ar die yoUe Form von Aayyiivog AoyyVvüt =
Longinus genommen und cur ttiy «tqmi/uimv ^yxfl übersetzt hat unus
militnm, Longinus. Was der E?angelist im nächsten Satze von sich selbst
tagt: xai 6 it»Q€txtas f*tfia^TvQtpc€, bezog man nun ebenfalls auf Lon-
ginus und übersetzte: und dieser, gesehen habend, gab Zeug-
niss. Wenn er gesehen hat, so muss er vorher nicht gesehen haben.
Wir die Consequenz, also war er blind gewesen. Was konnte ihn
▼on der BHndheit heilen, als das Blut Christi? Er gab Zeugniss, also
Zeugniss Ton Christi Gottheit, folglich wurde er Christ. Diess ist
gewiss ein schlagendes Beispiel von dem , was ich oben Logik der
Phantasie zu nennen mir erlaubte, und wobei ich nur bedaore, dass ich
214 Sitsnmg der pJUUm.-phiM, Oaue wm 6. Jtdi 1867.
genügend gewesen, am den ScIiIqbs des Liedes doithin za
▼erlegen. Vielmehr ziehe ich meinen Schlass ans aner
Beihe von Thatsachen, die ich eben nor am die Orkneys
heram zosammeotreffend finde. Dass Casltane, die Haupt-
stadt Yon Ormanie auf jeiner Insel liege, wird nicht gesagt,
daher denn überhaapt die Ansicht dnrch das Gedicht geht,
Ormanie liege aof dem Festlande. Die Jarls der Orkney-
inseln waren nan bekanntlich norwegischer Abkunft und
norwegische Vasallen geworden durch Harald Sdiönhaar,
der es der )Iähe werth fand, seine flüchtigen Landeskinder
in eigner Person auf diesen Inseln zu unterwerfen* and hier
das Jarlthum einzurichten (um 872), den Stock des grossen
und ^merkwürdigen Colonialreichs des nordischen Mutter-
landes, welches Hjaltland, Orkneys, Färoer, Hebriden, Man,
Theile von Irland und Schottland b^riff. Zunächst unter
den Jarls stund nun die Nordostspitze von Schottland, die
eigentlichen Reste des Pictenthums gegen das von Süden
und Westen vordringende Reich der aus Irland eingewan-
derten Südschotten oder des Kenedischen Stammes. Diesen
Picten, zu deren berühmtesten Häuptlingen Macbeth gehörte,
verdankt ihren Namen die stürmische Meerenge zwischen
der Südspitze der Orkneys und der Nordspitze Schottlands
der Pentlandfirth oder Frith, welches für Pettland = Peht-
land steht, dem ags. Peohtas = Picti entsprechend. Die
Nordostspitze Schottlands besteht ans der Grafschaft Gaith-
ness, norwegisch Eatanes und im lateinischen Namen dieses
pictischen Wortes finde ich unser Cassiane. Munch theilt
in seiner zweiten ausfiihrlichen Arbeit über diese zwei Insel-
unsern Mythographen , die germanisches Heidenthnm überall, nor
nicht, wo es wirklich ist, finden, das Vergnügen geraubt habe,
den blinden Longinus mit dem blinden Höd'r, und folglich Christas
mit dem dorohbohrten Baldr zusammenzastellen , was sonst ein so
hübscher und besonders so wahrscheinlicher Einfall wäre.
Hoftnann: Zur Gudrun. 215
gnippen (Annaler for Nord. Oldk. 1857) bisdiöfliche Ur-
knnden mit, die sich auf die vereinigten Grafschaften Ka-
tanes and Sutherland beziehen, deren Eathedralkirche in
Bomoch in Sntherland lag, während der Bischof selbst
dodi episcopus' Cathanensis oder ep. Cathannie hiess. Ca-
thannie nnd Cassiane, wird man zugeben, liegen nicht weit
auseinander. Ob die Aussprache von th als s in Anchl^
IQ bringen, bleibt fraglich ; doch verweise ich auf J. Grimms
Abhandlung über das Necrologium Augiense (in Ant. Tid*
skrift 1843 S. 67-75) wo das nord. {> durch z (Thörr
durch Zor, Zur 1852, daneben Dur und Tur, auch Thur
und Dhur) wiedergegeben wird. Ebenda finden sich auch
Olaf, Volaf, Wolf nebeneinander, was ich bei meiner Er-
klärung der Blekinger Runen hätte anfuhren können und
S. 73 Z. 3 von unten der ahd. Name unserer Heldin,
Uttüdrun^). Die Urkunden sind von 1223-45 und 1275.
6) Der Name Gundrun findet sich auch auf der letzten Seite der
Fuflsener HS. der Regula S. Benedioti ans dem Anfange des IX. Jh.
Im sogenannten Strengalthocbdeutschen lautet diess allerdings
Kontnin oder Kundrun , die jetzt beliebte Schreibung Eudrun aber
entspricht gar keinem wirklichen Sprachstande; denn im Nieder-
deutschen, woher unser Name gekommen, heisst es Qudhrun oder
GndrAn und das anlautende 6 veränderte sich nicht mehr, wenn im
12. Jhd. ein solches Wort ins Oberdeutsche ubergieng, Die Schreib-
QDg Cbantrun der Ambraser HS. beweist für uns gar nichts, als
dftss wir Eütrün schreiben müssten, wenn wir consequent sein
wollten. Man wird sich darauf berufen, dass Zingerle den Namen
in Tirol gefunden habe: (Pfeiffers Germania 1866 S. 476) der swai-
cbof ze Cautrawn von dem röten burggraven giltet 16 phunt aigen.
Aber ich bin überzeugt, dass wir hier entweder eines der vielen
rh&tischen Wörter auf una haben, deren massenhafte Sammlung ein
Hauptverdienst* Steubs ist, oder vielleicht Umsetzung aus Caurtawn
orsp. Curtun d. h. romanisch cortone = Hof, welches in der Form
Kardaun bei Steub S. 125 aus der Gegend von Bozen nachgewiesen
ist, und dass dieses Cautrawn so wenig aus dem deutschen Sprach-
216 Sitzung der p^Oof.-plWtol. Clam wm 6. Juli 1867.
In Gathannia hatten zwar nicht aueschliesslich, aber häafig
die Jarls ihren Sitz and 8o musste der Name hinlängUoh
bekannt seini um endlich auch in die Dichtang einzagdien,
mit der sehr verzeihlichen Modification, dass der Name
einer Gregend zum Namen einer Burg wurde. Die Fride-
sdbotten sind dann die am Frith sitzenden Schotten, d. h.
eben die mit Norwegern vermischten Picten von Kaithness
und Sutherland, deren Stellung übrigens nicht mehr klar
genug aus den Angaben der Gudrun hervoigeht. Str. 611
sitzt Ludwig richtig in Frideschotten.
Ein Zug hat sich fest erhalten, der unseren poetischen
Herrn von Ormanie mit den historischen Herin von Or-
cania gemeinsam ist, ihr Vasallenthum. Freilich wird es
vom wirklichen Eonig von Norwegen auf den norwegischen
König in Irland übertragen, indem zu wiederholten Malen
Bchatse erklärbar ist, als Hrn. Prof Schnelleres Versach, die soge-
nannten rhfitisohen Inschriften aus dem Griechischen su deuten,
wirklichen Bestand haben kann bei allem „Spraohwits'S den er «i-
l&ngbar darauf verwendet. Dagegen findet sich in Innebmek selbst
ein Name des Ondrnnkreises. Die Vorstadt Jenseits des Flusses
heisst Hölting, alt (XII. Jh.) Heteningen, also die ürfortt unserer
Hegelinge, altn. QJad'nfngar. Freilich braucht hier, wie bei dem
benachbarten Mieming (XI. Jh. Mieminga) und Heiming die german.
Heldensage nicht direkt vorausgesetzt su werden i denn Hedin
(unser Hetel) oberdeutsch Hettin, altn. He^inn, bei Saxo Hitbinus
ist ein Wort allgemeiner Bedeutung und heisst bloss K&mpfer, von
derselben Wurzel, von der hadu = Kampf kömmt, durch das »eiive
Participialsuffix ana-s (goth. n<s, altn. in-n, alts. und ags. en) ge-
bildet und vielleicht schon im Völkernamen Xanfc»^ vorhanden,
(welche Ptolemaeus in Stuty&la neben ^avoyai, ^i^üiroi, rovrm, ^«9-
Tcitayif und Aivwyoi nennt) wenn man deesen ai als in e gebroohenea i
fassen darf und nicht vielmehr mit Zeus (D.N.Si. 159) von hei^ in
Heid'mörk u. s. w. ableitet, welchem widerspricht, dass If hier radi-
cal ist (goth. hatH, ags haed", engl, heath) und folglich Ptolemaeos
Jitti^iu^oi hfttte schreiben mfissen.
Bofmmm: Zur OudfWK 217
gerade der Umetaiid dem Eburtmuot als Grand seiner Un-
ebenbürtigkeit vorgeworfen wird, dass sein Vater Lehens-
mann von Hagene dem König von Irland gewesen sei. Allein
die Jarls der Orcaden standen mit diesen itisch-norwegischen
Königen in vielfacher Verbindung, wie denn gleich der
sweite Jarl Sigurd mit König Thorstein dem Rothen von
Dublin sich im Vereine bedeutende Landstrecken unter-
irarf and auter andern einen schottischen Häuptling oder
Maormor, Maeldun erschlug. Es ist klar, dass man einen
Jarl, wenn er mit einem König zusammen in den Krieg zog,
als den Geringeren ansehen musste, obwohl historisch das
Beicfa der Orknejrjarle sich z. B. im 11. Jh. unter Thorfinn
sogar über einen grossen Theil von Irland bis nach Dublin
und über 9 schottische Grafschaften erstreckte. Ganz genau
genommen stimmt die Geschichte sogar auch darin mit dem
Gedichte fiberein, dass Thorfinn der Orkney-Jarl Katanes
und Sutherland von seinem Groesvater mütterlicher Seite
König Malcolm IL von Sehottland zu Lehen erhalten hatte
(vgl. Manch U, 649).
Wie hätte man auf der anderen Seite den Herzog von
derNormandie als einen irischen Vasallen behandeln können,
wenn Ormanie wirklich die Normandie wäre? So viel
OMUste doch auch ein mhd. Dichter wissen, dass die Nor-
mandie in Frankreich lag und man dahin ebenso wenig
lOOO Meilen zu Wasser hatte, als nach Polen. Für poetische
Zwecke mag das Zusammentreffen mit der Wirklichkeit
immerhin genügen. So wird in dem verwandten Gedichte
von Haveloc der Held zum Sohn eines dänischen Königs
fiirkabeyn gemacht, während die Birkebeiner — man könnte
es mit Sansculotten übersetzen — in Wirklichkeit eine po-
litische Partei in Norwegen waren, an deren Spitze König
Sverrir, der norwegische Napoleon, auf den Thron gelangte,
ihn behauptete und vererbte.
Eine zweite Reihe von Thatsachen ergiebt sich aus dem
218 Bittwtg der phäoa^-phOdl, Cktm vom 6. Juli 1867.
Seezage der Hegeliuge and ihrer Verbündeten nachOnnanie.
Zu Weihnachten lässt Hilde das Aufgebot ergehn. Ah das
Heer, 70,000 Mann, beisammen ist, sieht sie es ron ihrer Borg
Matelane aus, abfahren. Etmüiler hat für Matelane ein ur-
kundliches Matellia (jetzt Metelen) zwischen Rhein und
Maas angeführt, was sehr gut passen würde. Es ist Hetels
Burg in den Niederlanden, wohin der Wülpsensand an der
Scheidemündung noth wendig weist und durch welche die
Sage ihren Durchgang genommen haben muss, am nach
Mittel- und Oberdeutschland zu gelangen. Zu Matelane
stimmt die Flotten revue, die yor der letzten Abfahrt Tor
dem Wülpensande gehalten wird. Dann verschlagen sie
Südwinde (Str. 1125) und sie treiben vor den Berg za
Oivers, in das finstere Meer, wo sie von den Magnetsteinen
angezogen werden. Nun beginnt Wate ein Schiffermährchen
zu erzählen, ein wazzermaere, von dem Berge Givers, den
die Darstellung in der Gudrun mit dem wirklichen Berge,
vor dem sie lagen und von dem sie nicht loskommen
konnten, confundirt. Suchen wir zuerst das fabelhafte Oivers
auszuscheiden. „Zu Givers in dem Berge, erzählt Wate,
ist ein weites Königreich bewohnt, so reich, dass der Sand
silbern und die Mauersteine von Gold sind; wen die Winde
wieder von dem Lande heim fuhren, der ist sein Leben lang
ein i*eicher Mann^^ Schlagen wir in der Fundgrube mittel-
{ilterlicher Gelehrsamkeit, im Isidorus nach, so finden wir
diese Gold- und Silberinsel oder vielmehr Inseln im XIV.
Buch 6 Gap. Ghryso et Argyre insulae in Indico Oceano
sitae, adeo foecundae copia metallorum, ut plerique eas
auream superficiem et argenteam habere prodiderint, unde et
vocabula sortitae sunt. Dass diese Gold- und Silberinsel
wirklich im Norden bekannt waren, beweist nun weiter eine
Stelle aus der ungedruckten Sage von Eirjalax {xvQiog jÜi-
iiog), von welcher Konr. Gislason (in 44 Proever af Old-
nordisk Sprog, Kjöbouh. 1B60 p. 400—406) gerade das
Hafmann: Zwr Gudrun. 219
Studc mitibellt, welches wir bratfchen. Es heisst dort: Etwas
spät^ rüstet sich Kirjalaz vom heiligen Lande (Jorsala-
landi) fortzasegeln und wendet seine Fahrt nach der süd-
lichen Erdhälfte. Und eines Tages sehen sie im Meere zwei
Inseln, die ihnen wunderbar vorkamen; denn Nachts erhob
sich von ihnen grosse Helle, von der einen weiss, von der
andern roth. Als sie den Inseln nahe kamen, da fielen
sie steil gegen die See ab und waren mit Felsen umschlossen,
so dass sie nicht hinein kommen konnten. Diese Inseln
nennt Isidorus in seinem Buche Chrisen und Argiren, darum,
weil die eine Gold in so grossem Ueberflusse wie Steine auf
den Bergen hat, die andere ebenso grossen Ueberfluss an
Silber, und davon entstund die grosse Helle am Firmamente,
welche das glänzende Metall von sich gab. Von da segeln
sie an Indiens Seeküsten*^ Das Weitere braucht nicht mehr
übersetzt zu werden, es handelt vom indischen Golde,
welches ebenfalls so gemein, wie Bergsteine ist, von Drachen
und Greifen, Tom Phönix, von den Zimmetvögeln (fuglar
sem dunami heita), Papageien, endlich einem mörderischen
Kampfe der Ritter mit Greifen. Dieser Kirjalax hatte die
ganze Welt ausgefahren, Asien, Afrika bis zu den Säulen
des Herkules.
Kein Zweifel, dass wir hier das Original unseres Givers
vor uns haben; sehen wir etwas genauer zu, so stellt sich
auch das Wort ein. Argiren wurde missverständlich in ar
und giren getrennt, indem man ersteres für die nordische
Präposition at = zu hielt und giren als givers verlas. Die Zahl
der Züge ist gleich und die Möglichkeit des Irrthums so
naheliegend, als. man es in einem solchen Falle nur wünschen
kann. Das ist also das wazzermaere Watens. Fassen wir
nun den übrigen Inhalt des Gudrunberichtes, nach Aus-
scheidung der Gold- und Silberinsel, schärfer ins Auge, so
enthält er gar nichts, was nicht ganz genau mit den wirk-
lichen Meeresverhältnissen an der Ostseite der Shetland--^ und
220 SiUung der phüos.-pkäoL CUu$e vom S, Jtdi 1867.
Orkneyinseln übereinstimmte. Die Flotte der Hctfeling» ist
in der Nordsee, will nach Gassiane, d. h, an die Nordost»
spitze Yon Schottland segeln, da wird sie yoü einem Söd-
wind (Str. 1125 sanderwinde) verschlagen, (die slaogens Af
den se) und kommen in ein Nebelmeer, wo sie nicht vor-
wärts und rückwärts können, was sie dem EinfloBae der
unterseeischen Magnetsteine zuschreiben (Str. 1126). Eine
solche Stelle findet sich nun gerade an der SüdspitBe der
Hauptinsel von Shetland (Mainland). Sie heisst io nor-
wegischer Zeit Df nrastarness, jetzt Dunrossnes, hat zwei Land-
spitzen, den hohen Vorberg Fitfulhead, früher Fitfuglahofti
im Westen, und SunnboejarhöfSi (Südbauspitze), jetzt Sam-
burgh Head im Osten. Letzteres ist von jeher durch seine
Strömungen und Stürme berüchtigt, daher der Name Dyn-
röst = brausende Strömung. Man lese folgende Schilder*
ung eines Reisenden, der selbst jene Strömungen in einem
Segelschi£fe befahren hat (bei Hibbert S. 240). Es heisst:
„Ein Gentleman theilte mir mit, dass er fünf Tage in einer
Schaluppe zwischen Fitful Head und Sumburgh Head, die
bloss drei Meilen von einander entfernt sind, Windstille ge-
habt habe (had been beoalmed), ohne die eine oder andere
Spitze passiren zu können, indem die eine Strömung das
Schiff in den westlichen, die andere in den östlichen Ooean
trieb. Oft wurde die Schaluppe von der Fluth ganz nahe
an die Küste getrieben, aber die Strömung führte sie immer
wieder ab. Wiewohl von Sumburgh bis Fair Isle (kleine
Insel gerade in der Mitte zwischen Shetland und Orkiej)
und ohne Zweifel auch von dort bis Orkney immer eat-
g^engesetzte Strömungen herrschen, so ist doch der Bou&t
derjenige Theil des Stromes, der in geringer Eutfemong
vom Vorgebirge liegt und dessen Qewalt wahrscheiolicb
durch die Nähe der Küste und die Seichtheit des Wassers
vermehrt wird".
Man vgl. damit Str. 1132 (die Windstille) und beson-
HoffMmn: Zur Oudnm. 221
dersllSS, wo es heisst: vierTago lang and mehr standen
die Schiffe an einer Stelle, dass sie nicht von dannen
konntmi. Oaza hatten sie Nebel, der in jenen Oegenden
aaf der See sehr gewöhnlich ist and schrieben ihre schlimme
Lage dem Einflasse von Magneten za, was die Shetländer
noch jetzt thnn (vgl. Hibbert S. 564); Felsen nämlich, die
mehr oder weniger nahe an die Oberfläche des Meeres
heraufreichen, den Fluthstrom anterbrechen and dadurch
die Anstaaang riesiger Wellen vernrsacheni wird eine mag-
netische Anziehangskraft zngeschrieben^ und in dieser An-
sicht war der Beschreiber der Shetlandsinseln, Debes, (1673)
derselben Meinung mit denEingebornen: I have been assured*,
sagt Hibbei*t, that the Shetlanders, whose imaginations haye
conceired stränge wonders, entertain similar notions of the
existence of submarine magnetio rocks.
In Str. 1134 kommt nan der Westwind und befreit
unsere Gudrunfahrer; natürlich, denn der Ostwind hätte
sie in den atlantischen Ocean hinaus getrieben. Es kann
keinem Zweifel unterliegen, dass, wenn wir die Orkneys und
Kataaes als Ziel der Fahrt annehmen, sie durch einen Süd-
wind gerade an diese Stelle getrieben werden mussten, wo
die Gegenwirkung des aufeinanderstossenden Golfstroms und
Polarstroms die „brausende Strömung*' macht und dass nur
ein Westwind sie wieder losbringen konnte. Sie segeln nun
gerade auf Ormanie los, fallen aber in neueNoth (Str. 1137
—39), indem sie in einen Weststurm gerathen; d. h. sie
kommen i3em immer stürmischen Pentlandsfrith zu nahe
und ihr Oluck ist nur, wie Fruote Str. 1139 sagt, dass der
Wind aus Westen bläst, sie vom Frith abtreibt, und ihnen
so gestattet, ihr Ziel an der Nordostspitze Schottlands, Cas-
siane, Cathannia endlich zu erreichen. Ich habe diese Partie
aosfohrlicher behandelt, weil sich hier eine Reihe von zu-
sammenhängenden Thatsachen verfolgen lässt, während die
übrigen geographischen Angaben der Gudrun meist wirr
[1867. H 2.] 16
i
222 Sitzung der philos.-phüol. Glosse vom 6, Juli 1867.
and lose durclieinandergehen, was ohne Zweifel der Ueber-
tragung aus Norwegen nach Nieder-, yon . da nach Ober-
deutschland zuzuschreiben ist. Karade, Karadie kann Gaidigan
sein, Salme vielleicht Solway, Hortland, Ortland dürfte das
norwegische HöiSaland, Moren das norw. Moere sein, Cam-
patille hatte ich für Entstellung von Eongahella, dem alten
norwegischen Königssitz am nördlichen Ufer der Gaatelf,
und hart an der ostgautischen Gränze. Bei der Uebertrag-
ung nach dem Niederlande kam dazu die zweite Hauptstadt
Matelane zwischen lihein und Maas, wie denn auch im
Niederlande ein zweites Nortmore gefunden ist (Plönnies
S. 308) und die Verwechslung der dänischen Hauptinsel
Seeland mit der Inselgruppe Zeeland an der ^cheldemünd-
ung kein Bedenken hätte. Sehen wir somit die Sage im
Umkreise des norwegischen Reiches sich abspielen, so dürfen
wir annehmen, dass sie dort auch ihre Weiterentwicklung
gefunden hat, als deren Reflex die shetländische Ballade
erscheint, die absolut keine andere als norwegische Herkunft
haben kann; wir dürfen ferner annehmen, dass sie durch
niederdeutsche Kaufleute aus Norwegen an die Scheide- and
Rheinmündungen gekommen. Bergen war der Hauptsitz der
deutschen Kaufleute, und wahrscheinlich durch diese ge-
langte die norwegische Gudrunsage nach dem Süden, wie
umgekehrt die deutsche Dietrichssage durch sie nachweislich
dem Norden vermittelt wurde. Ist meine Gleichung Cam-
patille = Kongahella richtig, so muss die Bildung der Sage
vor 1135 fallen; denn in diesem Jalire wurde Kongahella
von einer grossen wendischen Raubflotte überfallen, geplün-
dert und verwüstet, worauf es zur Unbedeutendheit herab-
sank. Damit stimmt denn auch die Erwähnung der Sage
im Alezanderliede. Ich gehe nun zu unserer Gudrun über.
Die erste und zweite Strophe sind durch die dreimalige
Setzung von rieh in 5 Zeilen entstellt. Diess ist bis jetzt
von Niemand hervorgehoben worden; hielt man es nicht
Ho/mam: Zur Gudrun. 223
iSr auffallend oder glaubte man, für den Zadichter der
QreifeDgeschichte seien solche Strophen gut genug? Ich
könnte den zweiten Grund nicht gelten lassen, denn wenn
auch diese Vorgeschichte für das eigentliche Gudrunwerk
▼iel zu fabnlos und poetisch zu unbedeutend ist, und daher
Ton ihm getrennt werden muss, so darf sie doch mit anderen
mhd. Produkten verglichen, nicht so gering geachtet werden,
dass wir nicht yersuchen sollten, sie von elenden Strophen
zu befreien. Hier ist nun die Hülfe noch dazu äusserst
cinfacL In der zweiten Strophe ist riehen ohnehin zu viel,
der Vers verlangt nur: Gere dem hünige. In 1,4 lese ich
riche für riehen^ d. h. der Majestät ziemte ihre Minne, ein
nicht ungewöhnlicher Ausdruck, für den ich zum Ueberflusse .
noch Gerhart 115, Grane 11 9. anführen kann. Im ersten
Falle steht Tcr&ne unserm riche entsprechend (vgl. roemisch
riche V. 112) ein toip diu sünem Ifbe / gejsam und auch der
irane. richein diesem Sinne m u sste derSchreiber missverstehen.
Str. 2,2. lese ich, er het streichend:
siben fürsten lant
dar inne het er recken . • .
Str. 3,4. 1. da0 ers möhte ,deste hast geniezen.
Str. 6,4 1. den edelen Tcmiginnen. was nach Sige-
hande wi.
Nicht seine Mutter kann gemeint sein; denn wton
Bartsch erklärt: 9,sie konnte ihn nicht entbehren", so wider-
legt das die nächste Zeile, wo sie ihm selber räth, ein Weib
ZQ nehmen. Den Königstöchtern , die er jse rehter Siner i
minnen mochte, war nach ihm weh.
Str. 11,1. bedecket ist nicht zu dulden, es steht im
Toraasgehenden Verse von der sträee und kann nicht in
einem Athem wieder von bluomen und gras gebraucht werden.
Ein Wort, welches zertreten bedeutet (vgl. Str. 183), und
dem Abschreiber als ein ausschliesslich mittelhochdeutsches
nicht mehr geläufig war, muss hier gesucht werden. Ein
15*
224 Siieung der phOoB.-phüol. CtaSBt t^om 6. JtiU 1867.
solches ist geweten oder gewetet^ vgl. Otn. 383, do saA er
dae grüen gras geweten und äberhatipt Mhd. WB. 111,535.
Str. 21,3. Hier das Komma zu tilgen und latd zam
Genetiv 2U machen, kann nicht angehen, ist auch gar nicht
nöthig, denn es ist einfach als Accusativ zu fassen, von
Mergaebe regiert.
Str. 22,1 1. inner drten jdren. Dass die drei Jahre die
nächsten sind, versteht sich von selbst und ist ein Zusatz
des Abschreibers.
Str. 23,4 1. sah für sOten, vergl. Grimm DG. IV.
198 ff. und Str. 141 jd lonet im min vater und min
muoter.
Str. 38,2 1. dM man von tcüdem walde muose dar ge-
tragen, wilden und wdULe zu trennen, geht nicht an, nodi
weniger, den ganz spezifischen und bezeichnenden Ausdruck
zu entfernen. Die Menge der zu fertigenden Sitze, will der
Dichter sagen, war so gross, dass man im offenen Walde
grünes Holz dazu schlagen musste.
WaU bedeutet eben auch, wie das gr. vXti^ das kt
materia (daher der Name Madeira) Nutzhob, wie eine
zweite Stelle der Gudrun klar zeigt, wo freilidi erst der
aus Vollmers Phantasie gewachsene, dann in Bartschs Ver-
zeidmiss der Eigennamen gewanderte Westerwalt als mo-
dernes Verderbniss zu beseitigen ist. In der Handschrift
Str. 945 steht fraw man sol wenden da 0U dem vesten
wald. Da von Schiffbanen die Rede ist, wozu man Hob
braucht und da Holz schlagen im Mhd. ausgedrückt wird
durch: den walt swenden^ so dürfte wohl auch ein Anfänger
eingesehen haben, dass es sich hier nicht um Erfindung
eines geographischen Namens, sondern nur um die Restitu-
tion des mhd. technischen Ausdrucks handeln kann, vesten
walt wäre dann gar nicht unbedingt zu verwerfen, es würde
einfach festes Holz bedeuten. Allein, da sich von selbst
versteht, dass man zum Schiffbau festes und nidit weidiei
Sofmanm Zur Quihrun. ' S26
Eolz nimmt, dw Ausdruck somit nichtssagend wäre, mts
yAx in der Gudrun wo möglich vermeiden müssen, ao lese
idi lestm^ also: ttt-OKtoe, fUMm sol swenden da mo den besten
mU.
Str. 40,4 ist etwas zu ergänzen, nicht tr, was sich auf
die Ritter beziehen würde, sondern c2er trewK^en, vgl. Str. 36:
si gib ich beaunder fünf hundert vromcen Ueit. vrawen hat
schon V.
Str. 48,3. Hätten die Herausgeber die hässh'che Wort-
stellung doch wohl ändern sollen in: die vamde diet des
mcUe lüzgd da verdrießen. Die Wortfolge, die der Ab-
schreiber des 15./16. Jhd. seinem Redegebrauch gemässer
&nd, kann nns bei Herstellung fliessender Verse, und solche
Terlaogt die Gudrun durchaus, doch nicht im Wege stehen.
Str. 52,4. Per Absdireiber hat hier durch Gleich-
machung des Reimes mdgen^ phlägen den Sinn tief zerrüttet.
Veqjleichen wir alle übrigen Stellen des Gedichtes, wo von
dem Verhältnisse edler Kinder zu ihren mägen die Rede
ist, so zeigt sich, dass sie immer von ihnen oder bei ihnen
erzogen werden, eme Sitte, die besonders tief im altnordi-
schen Leben wurzelt und dort auf Schritt und Tritt be-
gegnet. Man Tergl/ besonders Str. 98. Hagene erzog sich
selber, denn er was pUer siner mäge eine = er musste
sich seine sämmtlichen Mage ersetzen, femer Str. 198,
0. 8. w. Es darf also in unserer Stelle nicht gesagt sein,
dass die Freunde das Eind den Magen erziehen, deiyi beide
zusammen erziehen es nur den Eltern, sondern es kann bloss
Ton den mägen als Erziehern die Rede sein, folglich muss
der Nom. mäge stehen, was den Reimen der Gudrun be-
kanntlich auch sonst entspricht. Nun ist die Emendation
dxifftch: sus eugen ee mit vlUse Ane mäge.
Str. 85,2 braucht groaea nicht getilgt zu werden, wie
E. V. B. thun. Man lese:
226 Sitgung der phihs.'phOol. Claste vom 6, JvHi 1867,
Ine weie von weihen enden geflozzen über mer
hom zen steinwenden ein grozez gotes her.
Str. 91,3 1. den wolte er an der ztte gerne hän vers-
tunden. ZU als Dativ möchte ich der Gudrun nicht zu-
trauen.
Str. 99,2. Alle Herausgeber haben hier die rvihen
fische^ ein Nonsens, von dem noch dazu nichts in der HS.
steht und der wahrlich nicht besser wird, wenn B. ihn auch
noch erklärt: y,rauh wegen der Schuppen". Im Binnenlande
gibt es keine Fische mit rauhen Schuppen, und die dorti-
gen Fische kann man ihrer Schuppen wegen nur glatt
nennen. Sollte man dem Dichter der Greifenat^en/ture
etwa die Spitzfindigkeit zumuthen, er hätte die Seefische im
Gegensatze zu den glatten Süsswasserfischen sich rauh vor-
gestellt? Aber wir brauchen ihm gar Nichts zuzumnthen,
denn er hat uns hier das richtige Wort in richtiger mittel-
hochdeutscher Form überliefert, rawhen d. h. räwen =
rohen. Die rohen Fische konnte Hagene nicht geniesseD,
weil seine Küche selten rauchte, d. h. weil er nodi kein
Feuer hatte, welches er erst Str. 104 aus dem Felsen
schlägt.
Str. 108,4. Den Frauen bringt die Noth des Schiffes,
welches sie im Sturme erblicken, die Rettung; ich mochte
daher statt frouwen lesen ferjen = den Schiffern.
Str. 116,3. Diese Strophe hat das Schicksal gehabt,
ganz Aisdrücklich missverstanden zu werden, wiewohl sie
einem der allgemeinsten mittelalterlichen Bräuche ihre Ent-
stehung verdankt. Gästen, die man ehren wollte, gab man
Kleider der Hausgenossen zum Wechseln gegen ihre eigenen.
Der Dichter kann also nicht mit B. gemeint haben: „sie
würden mir weise ei*scheinen, wenn sie diese ungewohnte
Umgebung als eine ihnen angethane Ehre betraditeten'^, son-
dern er will einfach einen Witz machen: wären sie welt-
läufig (wise) gewesen, so hätten sie die männlichen Pilger-
Hofmann: Zur Gudrun, 227
katten, die ihnen so ungewohnt vorkamen unid welche sie
eich öchämten, anzuziehen, als eine 4hrem hohen Stande er-
wiesene Ehre (wirde) hingenommen.
Str. 121 lese ich
Do sprach der ritter^edele: ^^got hat vü weil getän^
SU er iuch bi den mdgen niht enwclte Idn;
ff Sit mit gkien gnaden üe grösser not entbunden,
Sit ich iuchy meide, so schone hän an disem Stade funden.
Str. 127,1 1. ist so stark dtn Itp.
Str. 130,4 wohl am einfachsten: in herten stürmen
slahen unde vaheri.
Str. 134,4. Hier darf nicht geholfen werden, indem
man für leeret umbe das gleichbedeutende, aber metrisch
richtige wendet setzt, was ausserdem auch noch widersinnig
wäre, weil man ein Segelschiff nicht wie einen Wagen oder
einen Dampfer plötzlich wenden kann. Der Hauptgrund
ist übrigens noch der, dass der Schreiber der Ambraser HS.
sicherlich wendet ebenso gut verstanden hätte, als Jc^et
umbe. Entfernen wir den unerlaubten Auftakt kSret, so
erhalten wir das Richtige der volge miner Ure \ urnbe iuwer
segele, das. man gegen Irlande Mre; denn das Schiff ist
wieder ein tautologisches Einschiebsel des Abschreibers, der
den mhd. Gebrauch des absoluten kSren nicht mehr recht
kannte, wiewohl er es zwei Strophen weiter unangetastet
gelassen hat: die selben schifliute muosten dö gen Irlande
Uren.
Str. 138,4 1. tüme driu hundert, was einen wohlklin-
gendem Vers gibt.
Str. 143,4 1. vor an miner brüste bevinde. v6r an ist
za hart.
Str. 148,1 1. Do Voten der'vrouwen ditBe wart geseit
im Anschlüsse an die HS.
Str. 151,3 1. u^ im ein grüeeen taete^ fliessender.
Str. 152,1 sin in sin lant ist besonders hässlich. Ich
228 Siieung der phüas.'phüol. ClasH wm 6. Juli 1867.
lese der hünec in mUekomen hiea wesm in ^n lant, da
ich mich nicht an dem stumpfen Schiasse des ersten Halb-
yerses unllekamen stosse, der ja durdi Stellen bewiesen
wird, wo man z. B. statt nem ein vermeintliches nerjen
setzen muss, um einen scheinbar klingenden Ausgang zu
bekommen. Es ist das sicher einer der Punkte , wo man
besser thäte, bei dem, was Lachmann gesagt, stehen zu
bleiben.
Str. 153,2. Zu gemach bemerkt B. „Bequemlichkeit,
bequeme Gelegenheit; der Begriff der Absonderung liegt
darin". Ich bezweifle, ob dadurch der Sinn der Stelle
deutlich werde. Der König sollte die Leute zurücktreten
heissen, damit sein Sohn Hagene mit Anstand seine Brost
entblössen und seine Mutter das Ereuzzeidien auf der Haut
sehen konnte.
Str. 155,3. Die Herausgeber E. V. B. haben hier
wieder das Adjectiv vom Substantiv durch die Cäsur ge-
trennt, was auf jede Weise zu vermeiden ist. Man lese
v(m ^nes hensAi Hebe I üz sinen ougen vloe;
im viel der heizen trähene \ da zetal genuoc.
Str. 159,4 1. sU wurden sie ee fAnde / den von Irlande
nimmer miete. Ob man die nhd. Wendung: mit einem
Feind oder Freund sein, schon im Mhd. gebraucht hat , be-
zweifle ich einstweilen.
Str. 177. ^ 9pr&chen^ sie fragten ist eine Unerträg-
liche Tautologie, zudem steht sprach am Anfange der vori-
gen Strophe imd im dritten Verse der vorliegenden noch
einmal. Man lese:
Wer diu vrouwe waere^ des fragten sine man,
diu vor sinen helden ee hove sölde gm.
Str.^il96,3.4. I)EL[vorgefane bis jetzt nicht gefunden
ist, so darf man wohl eine kühnere Vermuthung wagen. Ich
lese, indem ich er hiee aus der letzten Zeile, wo es über-
flüssig steht, heraufziehe:
Hofmaimi: Zur Omdnm. 229
er hiez von af^en vürhten nähen unde verrm
Väkmt cXler hün ige . . .
fforhten ist die Furcht, welche man vor HageneQ hatte,
▼gl. Mhd. WB. III. 385, b. Noch näher läge varhtsame.
Str. 208,1. Der zweite Halbsvers ist ebenso sdilecht
bei y. im dient waaiser unde lant als bei B. wazeer unde
lofrf, die ausser der Gonstruction' stehen sollen und dgl.
Statt uHuzer ist einfach mer zn setzen, im diente fher uni
loii^, vgl. Str. 1669. Dass ich hier unt setze, gründet sich
aaf Lachmann , der zu den Nibel. 934,2 bemerkt: „Die
Lesart von A darf man aussprechen an uns sarge unt leit.
Denn gerade vor I wird unde auch an dieser Versstelle
verkürzt, bei Walther v. d. V. vor keinem anderen Conso-
nanten als I".
Str.. 233. l Er fragte^ ob er füeren soUe mit im dan
heim unde briinne od iemen ^ner man.
der boten sprach dd einer: wir enhMen niht
dasf er bedörfte recken u. s. w.
Str. 246,4 finde ich nur eine kleine Aenderung des
Ueberlieferten nothwendig:
der mins gemaches väret^ der sei die selben triuwe von
mir dulden = dem will ich Gleiches mit Gleichem ver-
gelten, darum miiset audi ihr Jbeide als Boten mit mir fahren.
Str. 249,2. ein schif von ciperbotmen kömmt mir ver-
dächtig vor. Warum sollte ein Schiff vom Trauerbaum fest
and gut sein? Ich lese cederboumen^ denn der Ceder wird
die Eigenschaft beigelegt , nicht von Würmern angegriffen
zu werden, gerade was ein Seeschiff am meisten braucht.
Dass sie im Lande der Hegelinge weder Zedern noch C7-
pressen zum Schiffbau hatten, braucht den Dichter nicht
zu kümmern.
Str. 260,3. Für winters braucht nicht meien gesetzt
zu werden, man lese nädi des winters zUen oder vielleicht
dem Texte naher: von des w. jt, von in temporalem Sinne.
230 Sitzung der phüas.'phüöl, Clasae wm 6. Juli 1867.
Str. 264,4. 1. wurden wol mit süber gebunden.
Str. 271,4. 1. ja wären sie des künec Hetelen hünne.
Str. 281,2.3. möchte ich lesen: dojs man dojs magedin
mit sMte erwerben solde^ ob Sin geschaehe not
• üeber den Ausdruck not geschiht vgl. Mhd- WB. II,
408 Nr. 4. Mit List und Streit zugleich konnten die Ge-
waffneten doch die Maid nicht erwerben sollen. Z. 4 könnte
man willige lesen, um d^n eigenthüm liehen metrischen Bau
der 8. Halbzeile herzustellen, vgl. Grimm DG. III, 115.
Str. 288. Diese Strophe ist sehr wichtig, denn in ihr
deutet der Dichter auf eine andere Fassung der Sage hin,
die er verwirft. Es handelt sich um die richtige Deutung
von Pciag. Erwägt man, dass im 15. Jhd. n mit dem
zweiten Striche nach unten verlängert vorkömmt, so ergibt
Polay Polan^ wohin also die andere Sage den Eönigssitz
Hagenes verlegte, töbeltchej meint der Dichter, denn nach
Polen hätten die Hegelinge nicht 1000 Seemeilen zu fahren
gehabt, wie nach Irland. Lassen wir Polan gelten, so dürfte
die ganze Strophe so zu lesen sein:
Sie het wol tüsent mite dae waseer dar getragen
hin ee Hagenen bürge^ swie wir hoeren sagen^
dae er herre waere ee Polan lasterliche,
sie liegent tobeliche, ee enist dem maere niht geUche.
Eine Andeutung^ wie die Sage den Hagene nach Polen
verlegen konnte, findet sich bei Saxo Grammaticus. Er
macht den Höginus^ einen jütischen Dnterkönig (reguJus)
zum Vasallen des Frotho UI, dem er im Kriege gegen die
Slaven hilft, nach deren Besiegung Frotho ihr Land an
seine Unterkönige vertheilt. Es wäre möglich, dass man
auch dem Höginus eine slawische Provinz zugetheilt und
dass daraus in einer weiter foitgesponnenen Er^Lhlung
Polen geworden. Diess wird wohl die einzige Stelle sein,
in der ich von Haupts Gudrunemendationen abweiche.
(Der Schluss im folgenden Hefte).
&mU: GegemoärHge Oenamgleni der Wägmgen. 231
Mathematisch -physikaÜBche Glasse.
Sitzung Yom 6. Juli 1667.
Herr Seidel hielt eineu Vortrag, betr.:
„Einen Beitrag zur Bestimmung der Grenze
der mit der Wage gegenwärtig erreichbaren
Genauigkeit".
Die Benrtheilang.der Sicherheit, welche den aas Be-
obaditnngen abgeleiteten Zahlengrössen beigelegt werden
darf, bildet bekanntlich in den vei*schiedenen Zweigen der
Messknnst keine leichte Aafgabe, soferne man äberhanpt
darauf ansg^angen ist, die Hilfsmittel der Beobachtung und
ihrer Reduction bis zu der Grenze äirer Leistungsfähigkeit
wirklich in Ansprudi zu nehmen. Es ist eine notorische
Erfahrung, dass, aufeinanderfolgende Messungen ein und
tind derselben Grosse, oder überhaupt Beobachtungen, welche
mit einerlei instrumentalen Mitteln , unter ähnlichen Um«
standen gemacht sind, fast jederzeit genauer unter mix
stimmen, als, nach Berücfeichtigung aller Reductionen, ihre
Resultate mit denjenigen zusammengehen, welche man mit
anderen Hilfsmitteln oder nach Verfluss längerer Zeit erhält;
— so dass die Zuverlässigkeit der Zahlen beinahe gewiss
fiberschätzt wird, wenn man sie lediglich nach dem „wahr-
scheinlichen Fehler'' taxiren will, wie er aus dem einseitigen
Materiale nach der Methode der kleinsten Quadrate sich er-
giebt. Natürlich folgt hieraus nicht, dass die Wahrsdiein-
lichkeitsrechnung, in welcher die genannte Methode begründet
ist, das ürtheil irre fühi-t; denn es ist ja eine ausdrück-
lidie Voraussetzung, die bei der betreffenden Probabilitäts*
232 Sümmg der mm^-ph^i. CIsm wm e. Mi 1897.
Untersachnng m, Grande gelegt wird, dass positiye und
negative Beobachtt^ngsfehler mit gleicher Leichtigkeit sich
ergeben können, — oder mit andern Worten: dass oon-
stante Fehler ausgeschlossen sind. In Wirklichkeit ist es
kaum jemals möglich, . diese Bedingung genau zu realisiren:
Einflüsse untergeordneter Art, welche während gewisser
. Zeit oder bei dem Oebrauche der gleichen Instrumente etc.
in oonstantem Sinne agiren, werden sich, wenn die Sache
genau betrachtet wird, fast immer nicht nur als möglidi,
sondern selbst als höchst wahrscheinlich vorhanden erkennen
lassen; — und wenn wir, ungeachtet der Einsicht hieven,
doch die Methode der kleinsten Quadrate auf derlei Fälle
anwenden, die ihren Voraussefasungen nicht entsprechen, so
geschieht es deshalb, weil uns die Mittel fehlen, die geseta-
mässige Art des Wirkens jener Einflüsse bu verfolgen, oder
auch nur zu beurtheilen, ob in dem einzelnen gerade vor-
liegenden Falle die Wahrscheinlichkeit der positiven od«
die der negativen Beobachtungsfehler durch sie ein Uebcc^
gewicht erhalten hat. Es würde überdies unmöglich sein,
jedesmal je nach de» besonderen Bedingihcdt der vorliegen-
den Beobachtungen die ihr individuell entsprechende Wahr-
scheinliöhkeits-Aufgabe strenge zu lösen, so wie sie fär
jenen einfiMdisten und gewissennassen normalen Fall dordi
die Aufstellung der Methode def kleinsten Quadrate gelöst
ist. Immerhin mag man auch da, wo entstellende Einwiiic-
ungen constanter Art nicht undenkbar sind, den sogenannten
yfWahrscheinlichen Fehler" ableiten und ihn aufführen als
einen bequemen und allgemein verständlichen Gradmesser
fiir die Uebereinstimmung der einzelnen Messungen unter
sich: nur darf man nicht sich der TUuschung hingeben,
(von welcher Niemand entfernter war, als die grossen Ur-
heber jener Methode), als ob seine Herleitung die sorg-
fiUtige Würdigung der Umstände der Messung und der für
die Elimination ooostanter Fehler getro£fenen Gautelen un-
Setäd: QtgtmfärHgt Chmmißmt i^ Wägmgm. 283
nSAig machte^ Dar Fall ist sehr wohl denkbar^ dass unter
zwtterlei Beobachtaogsresiiltateo , die dordi Terschiedene
Methoden fiir dieseiboi Grössen erlangt worden sind, die-
jenigen, welche einseitig berechnet den kleineren wahrsdieia*
liehen Fehler zeigen, gleich TOn ▼omherein nnd sogar wegen
der Kleinheit dieses Fehlers für die schlechteren m halten
sind: nemlich dann, wenn Vwdacht besteht, dass ihre ge»
Dane Uebereinstimmong desshalb zu Stande kam, weil
Fehlerorsachen constant wirkten, die in dem besser ein*
geriditeten Beobaditungssystem bald auf die eine bald anf
die andere Seite fallen und so den apparenten wahrschein-
liehen Fehler Tergrössem mnssten; — ganz so wie oater
Umstand^, ebenfalls. nach den Prindpien der Wahrscheitt*
lidikeitslehre, die Anssagen zweier Zeugen dämm verdächtig
worden konnm, weil sie gar zu genan übereinkommen.
Massen- Vergleichnngen mittelst der Wage gehören in
▼ielem Betracht zn den einfadisten nnd desshalb begünstigten
Beobaditongen. Dennoch ist es schwer, wenn man die
letzte Genauigkeit anstrebt, bestimmt festzustellen, wie weit
sie eigentlich geht Nach einander gemachte Meesangen
dersdben Grewichtsdifferenz zeigen leicht einen hohen Ghrad
fon Deberanstimmung: ebenso leidit triSi es sich aber,
dass man an einem andern Tage aus nicht minder gut
unter sich harmonirenden Bestimmungen ein Resultat erhält,
welches nach allen Beductionen um das Zehnfache des ein*
fleitig abgeleiteten „wahrscheinlidien Fehlers*' tou dem erst
gdundenen abweicht. Sdir häufig wird eine Dnsichezhdt
über das genaue Gewidit der von den aufgelegten Massen
rerdrangten wasserhaltigen Luft die Entstehung saldier
Differenzen eiklären. In diesem Falle hat man einen Theil
der Genauigkeit, die der Akt der Wägung an sich gewährt,
verloren durch ihre nothwendig unvollkommene Beduction.
Wollte man aber zur Vermeidung dieses Uebelstaodes die
{e in ein Vacuum bringen, so wird man m dßa meisten
234 SWnmg der fiMKft.-iiAy«. Qam wm 6. JM 1867.
Fällen durch die Unbequemlichkeit der Einrichtiuig Teran*
lasst sein, die Vergleichung nicht so oft, als sonst leiöht
gesdiehen könnte, zu wiederholen, und so auf anderer Seite
einen Theil der erreidibaren Genauigkeit aufzuopfern. Dazu
kommt, dass es überhaupt schwer ist, sich der Unverander-
lidikeit der Massen bis in die letzten Grössen, für welche
die Wage sensibel ist, zu yersichem, dass man also, während
der Zeit nach sich nahe liegende Beobachtungen leicht von
oonstanten Fehlern entstellt sind, zwischen solchen entfern-
terer Epochen eine Veränderung an den gewogenen Körpern
als möglich in Betracht ziehen muss. Die beiden französi-
schen Kilogramme-Etalons von Piatina, der Archive und der
Sternwarte, sind bdcanntlich von der mit ihrer Herstellung
betrauten Commission fär identisch erklärt worden, waren
also urspiünglich jedenfalls um weniger als ein Milligramm
▼erschiedeu: im Jahre 1837 ergaben sieben auf Arago's
VeranUssung ?on Gambey, ISteinheil und von ihm selbst an
?ier Tagen vorgenommene Vergleichungen übereinstimmend
einen Unterschied von 4,5 Milligrammen^), der wahrschein-
lichsten Annahme nach herrührend von einer allmählich
eingetretenen Verunreinigung der Oberfläche des Eilogram-
mes der Sternwarte (als des öfter benutzten) durch adhäri-
rende fremde Theilchen, die wegen der Weichheit der
Piatina nicht ohne Gefahr zu entfernen sein würden. Ge-
wichte aus anderen Metallen sind aber ähnlichen Aender-
ungen aus anderer Ursache ausgesetzt. Ein genau aus-
gewogener Kilogramm-Einsatz, der aus 13 Stucken besteht,
die zusammen einen Würfel bilden, und mit welchem Stein-
heil und ich 1843J4 viele soif faltige Wägungen ausführten,
verlor vom 9. November 1843 bis 6. Januar 1844 6,9 Milli-
grammen; weiter von da bis Ende Juni, während welcher
1) S. SteinheiPs Abhandlung in den Denkschriften der Münchner
Akademie. 1844. p. 77.
Seidel: Gegenwärtige Genauigkeit der Wägungen. 235
Zeit das specifische Gewicht seiner einzelnen Stücke be-
stimmt worden war, 7,6 M.; dann durch einmaliges Ab-
waschen seiner Stücke wieder 4,3 M.; im Ganzen also in
drei Vierteljahren 18,8 M. Ein anderer ähnlicher Einsatz,
dessen Oberflächen sämmtlich zu genauen Ebenen geschliffen,
dann auf galyanischem Wege stark vergoldet und zu Spi^eln
poUert worden waren, nahm zu von 1844 Juli 12. bis
Novbr. 1. um 3,2 M. Am 27. JuU war das specifische Ge«
wicht des Halbkilogramm-Stückes (zum zweitenmale) bestimmt
worden, sonst aber der Einsatz unberührt und wohl ver-
wahrt gestanden. Durch absichtlich vorgenommenes Ab*
waschen verloren diese Gewichte am 3. November nur
0,5 M., dann am gleichen Tage durch ein wiederholtes
Waschen mit Seifenwasser noch 0,6 M.; also zusammen
1,1 M., so dass noch immer von 3Vs Monaten eine Gewichts-
zunahme um 2,1 M. übrig blieb, welche nicht von Unreinigkeit
der Oberfläche herrühren konnte (die einzelnen Stücke waren
beim Gebrauch stets ganz blank und spiegelnd), und die
vielleicht am ersten auf Rechnung einer unter der Vergold-
aug vor sich gehenden Oxydation des Messings zu setzen
ist. Diese und noch einige ähnliche Erfahrungen über die
Yeränderlichkeit der Metallgewichte gaben damals Veran-
lassung, in der Werksätte der mathematisch-physikalischen
Bammlung einen vollständigen Einsatz aus Bergkrystall her-
stellen zu lassen, bestehend aus einem Kilogramme-Stücke
(welches direct mit dem vorher in Paris durch das Original
der Archive bestimmten und später nach Neapel verkauften
Repsold'schen Bergkrystall- Kilogramme verglichen worden
ist), zwei halben Kilogrammen etc. bis herab zur Gramme,
in Allem 15 Gylinder (die Kanten durch Kugelfacetten ab-
gerundet), von höchst vollkommener Gestalt und Politur
der Oberflächen. Da wir allen Grund hatten, diesen Ge-
wichten, die man vor dem jedesmaligen Gebi-auche unbe-
denklich mit Weingeist waschen darf, viel grössere Unver-
286 SiUmng der matK-phifß. Oasse vom 6. Jidi 1867.
änderlichkeit als den metallenen zoznschreiben, so worden
dann im Jahre 1846 durch eine grosse Beobachtungsreihe,
die wesentirch von mir herrührt, ihre Werthe möglichst
sorgfältig bestimmt, damit für weitere Gewiditsnntersach-
ungen der Apparat ein für allemal beigestellt sei. Ich
setzte mir damals zum Ziel, die relativen Werthe dieser
Stficke, d. h. ihre Verhältnisse zum grössten, bis auf ein
paar Hondertmilliontel des letzteren zu bestimmen. Die
Unsicherheit in Betreff der Luftgewichte, von welcher vorher
die Sprache war, fallt nämlich vollkommen fort, wenn man
Bergkrystall mit Bergkrystall vergleicht, weil hier gleiche
Massen auch gleiche Volumina bedingen. In dieser Beziehung
lagen uns, schon als der Einsatz hergestellt wurde (dessen
Stücke übrigens alle von demselben Erystall-Blocke her-
rühren) die Bestimmungen der specifisohen Gewichte von
sechs verschiedenen Krystall-Körpem vor, deren Einer aus
Brasilien, ein zweiter aus Madagaskar stammte, während
die übrigen wahrscheinlich europäischen Ursprungs sind; —
für diese alle hatten wir, auf so viel Stellen als überhaupt
v^bürgt werden können, gleiche specifische Gewichte er-
halten, indem die grösste gefundene Abweichung vom Mittel-
weitii sich auf 0,00005 stellte, welche Differenz, wenn sie
selbst reell wäre, doch bei der Masse von 1 Kilogramm
das Gewicht der verdrängten Luft noch nicht um 0,01 M.
verändern würde'). Die weiteren Untersuchungen, für
weldie die Herstellung jenes Einsatzes als Vorarbeit dienen
2) Unmittelbare W&gungen im Waaser von der grössten Dichtig-
keit geben das specifisohe Gewicht des Bergkrystalls = 2,65479.
Ans den Wägongen bei höherer Temperatur hatten wir mittelst der
Hallström'schen, von Bessel reprodacirten Tafel für die Ausdehnung
des Wassers zuerst einen kleineren Werth abgeleitet (vgl. Steinheil
a. a. 0.) in Folge der Unrichtigkeit dieser Tafel.
Seidel: GegemoöfHge OenauigJceii der W&gungen. 237
sollte, Bmd nor znm Theil ausgeführt worden: bei ihrer
Dnterbrechtmg durch Steinheil's damalige Uebersiedelung
nach Wien bh'eben die mit bedeutenden Kosten hergestellten
Gewichte sein Privat-Eigenthum. Neuerlich, als die Verband*
langen wegen eines gemeinschaftlichen deutschen Maasses
und Gewichtes dem Gegenstand ein erneutes Interesse gaben,
hat die betreffende Gommission der II. Classe der k. Akad.
d. W. Anlass genommen, der k. Staatsregierung die Er-
werbung dieser Stücke für Bayern anzuempfehlen, jedoch
ist den desfallsigen Entschliessungen das Oesterreichische
Gouvernement zuvorgekommen, und hat die Wiener Aka-
demie in den Besitz derselben gebrSM^t. Sie wurden Ende
März an den österreichischen Bevollmächtigten übergeben;
ehe dies geschah, hat mir auf meinen Wunsch das bereit-
willige Entg^enkommen des Hrn. Professors Schrötter,
General-Sekretärs der kais. Akademie, und des Hm. Ministerial-
Raths Steinheil die Gelegenheit verschafft, einige meiner alten
Gewichtsvergleichungen zu wiederholen. Es lag mir daran,
ehe diese Stücke für immer von hier fort kamen, mich
selbst von der Genauigkeit meiner früheren Arbeit noch-
mals zu überzeugen, und es schien mir, dass es. gegenüber
den mit Metallgewichten gemachten Erfahrungen, von wesent-
lichem Werthe sein würde, wenn der positive Nachweis einer
viel grösseren Unveränderlickeit unserer Erystallkörper durch
ebe nach zwanzig Jahren vorgenommene Controlbestim-
mnog geführt werden könnte. Dazu kommt noch, dass das
Eine der zur Vergleichung gebrachten Stücke auch noch
für uns in München die Continuität mit dem Original-Ge-
wichte der Archive in Paris erhält: das Halb-Kilogramm-
Stück war nemlich in Bel^krystall deshalb in duplo her-
gestdlt worden, weil das erste Exemplar in Folge zu rascher
Erkältung nach dem Poliren im Innern einen irisirenden
Sprung erhalten hatte, der sich bis an die Oberfläche erstreckt,
[1867. U. 2.] 16
238 SiUung der math-phys. Classe wm 6. JüU 1867.
obgleich an derselben nicht die geringste Unterbrechung der
Continuität mit dem Nagel zu spuren ist; es wurde darum
dem jetzt verkauften Einsätze nicht einverleibt, war aber
schon in die alten Vergleichungen von mir mit hineingezogen
worden, weil sich bald zeigte, dass der Sprung seine Un-
veränderlichkeit auf der Wage nicht beeinträchtigte. Die
Summe der beiden halben Kilogramme hatte ich 1846 be-
sonders sicher, durch 45 Abwägungen, mit dem ganzen
Kilogramme verglichen: für ihre Differenz (die allerdings
bei kleinerer Belastung, also grösserer Empfindlichkeit, der
Wage gemessen und deshalb schneller mit der gleidien
Genauigkeit erhalten wird) lagen viel weniger Beobachtungen
vor, und die Wiederholung dieser Vergleichuug, zu möglichst
sicherer Bestimmung der beiden Halben durch das Ganze,
war deshalb zunächst angezeigt. Für die zweite Controle
wählte ich die erneute Vergleicbung des Stückes von zwei
Hektogrammen mit den beiden von ein Hektogramm, weil
ich in den Originalpapieren der alten Wägungen eine 1846
gemachte Notiruug gefunden hatte, dass diese Verbindung,
als etwas unsicherer bestinunt, gelegentlich zu wieder-
holen sei.
Meine diesmaligen Beobachtungen fielen in die Tage
vom 13. bis 27. März 1867; es war mir dazu der südliche
Saal der mathem.-physikal. Sammlung des Staates, in wel-
chem der Heliostat angebracht ist, eingeräumt, und in dem-
selben die Steinheirsche Schneidewage an der Wand gegen
den südöstlichen Arbeitssaal in ihrem Kasten aufgestellt
worden. Beide Säle blieben ungeheizt, und ich hielt die
Läden desjenigen, in welchem die Wage stand, grössten-
theils geschlossen, und verweilte in ihm nur, während es
zum Ablesen und dann zum Umsetzen der Gewichte nöthig
war: in Folge dieser Vorsicht zeigte das Reaumur'sche
Thermometer am Barometer kaum Schwankungen von
Vio Grad während der Beobachtungen eines Vor- oder
Seidd: GegemoärHge GenauiglUU der Wägmgm. 239
Nadiiiiittags. Die Tortreffliche mit drei auf Aohatplatten
spielenden Schneiden yereehene Wage, die schon zir den
froheren Bestimmungen gedient hatte (Eine von mehreren
ganz ähnlich hergestellten) ist von Steinheil an anderem
Orte beschrieben; ihr Balken trägt über seiner Mitte
einen kleinen Planspiegel, der auf eine etwa 12 Fuss
entfernte Scala weist, an welcher die Ausschläge nach
dem Poggendorf-Gauss'schen Principe durch das auf
den Spiegel gerichtete feststehende Femrohr abgelesen wer-
den. Es galt mir, meinen früheren Erfahrungen nach, als
Regel, die Wage stets nach Umsetzen der Gewichte eine
Viertelstunde lang frei schwingen zu lassen , während sich
Niemand im Zimmer befand, damit im Innern ihres Kastens
die Luftströmungen sich beruhigen und die Temperaturen
sich ausgleichen könnten; nach Ablauf dieser Zeit zeigte
sich im Femrohre die Ruhe und Gleichmässigkeit der
Schwingungen nur beeinträchtigt durch vorübergehende in
dem Lokale nicht zu vermeidende Erschütterungen von vor-
beifahrenden Wägen; wenn zwei nach derselben Seite er«
folgende Ausschläge bis auf ein paar der geschätzten Zehntel
eines Scalentheils gleiche Ablesung gaben (wie dies bei
nüiigem Gange der Wage immer der Fall war), so wurde
der Mittelwerth beider mit der der Zeit nach zwischen sie
fallenden Ablesung der entgegengesetzten äussersten Elonga-
tion zu einem Mittel verbunden , welches als die Ablesung
der Gleichgewichtslage der Wage galt. Die Abwägungen
selbst wurden nach der Methode von Gauss gemacht, indem
^e beiden zu vergleichenden Körper sich gleichzeitig auf
den beiden Schalen der Wage befanden, und zwischen den-
selben alternirten. Der Werth des Ausochlags von einem
Scalentheil wurde mittelst der sehr genau bekannten kleinen
Gewichte von Piatinadraht bestimmt, über welche ich zu-
I^zt noch Einiges beibringen werde , natürlich zu wieder-
bolten Malen und zwar bald durch Umsetzen des kleinen
16*
240 SüMung der maÜL-phys. Cüane vom 6. Juli 18$?.
Qewichtes allein, bald auf die Art, dass durch Hinzafugoog
eines solchen zu der leichteren der beiden grösseren Massen
die Differenz auf die entgegengesetzte Seite gebracht wurde.
Dieses letztere Verfahren ist etwas unbequemer als das
erste, giebt aber eine vollkommnere Elimination der von
Unsicherheit des Scalenwerthes herrührenden Fehler, üebri-
gens ist bei derselben Wage der Scalenwerth natürlich ab-
hängig von der Entfernung zwischen Scala und Wage und
von der Grösse der Belastung; diesmal wurde er für Be-
obachtungen nach dem Oanss'schen Prindp gefunden wie folgt:
- ... ^ . Gewichtsdiffer^z, welcher der Aus-
^ ' schlag von Ein Sealentheil entspricht
0,5 Kilogramm 0,0403 Milligramm.
0,2 „ . . 0,0200 „
0,191 „ . . 0,0184 „
Für den Gewichtsunterschied der beiden Erystall-
Cylinder von 0,5 Kilogramm (unter weldien der mit dem
Sprung der schwerere ist) lagen mir folgende alte Beob-
achtungen vor:
1) 4 direkte Yergleichungen vom Jahre 1846
hatten ergeben 3,503 Milligr.
2) 2 noch früher von Steinheil angestellte
(etwas weniger sichere) . • . • 3,542 „
3) 10 weitere, in den ersten Monaten 1647
von mir gemacht 3,431 „
4) Aus 10 Yergleichungen des nicht gesprun-
genen Stückes mit der Summe aller
kleineren Krystallgewichte und aus 5,5
solchen des andern mit derselben Summe
folgte indirect, mit dem Gewichte von
3,55 direkten Yergleichungen (1846) . 3,410 „
Im Hauptresultate dieser 4 alten Bestim-
mungsreihen (20 Messungen) ergab sich, mit
Rücksicht auf ihre Gewichte . . 3,453 Milligr.
8ädd: Qegem»ärtige Qenauigheit der Wägungm. 241
Am 3. März des laufenden Jahres machte M.-R. Stein-
heil mit einer in seiner Wohnung aufgestellten Wage die
ersten neuen Beobachtungen: die Gewichte waren zuvor
soigfältig abgewischt, aber nicht, wie es mir als Regel galt,
auch mit Weingeist abgewaschen worden; sie schienen ganz
rein. Der Unterschied fand sich jetzt aus 5 Abwägungen
= 3,557 M. Da diese Vergrösserung seines Werthes auffiel,
60 untersuchte Steinheil die Oberflächen nochmals genau,
imd fand jetzt auf derjenigen des schwereren Stückes zwei
Ueine, wahrscheinlich von Fliegen herrührende Flecken^
welche weggewaschen wurden; ein paar vorläufige Beobacht-
angen zeigten sogleich, dass diese schwer wahrnehmbare
Verunreinigung die Ursache der Differenz gegen das alte
Mittel gewesen war. Die Gewichte kamen jetzt in meine
Hände; es ergaben mir
5) 12 Vergleichungen von März 13. bis 16. 3,394 Milligr.
In den nächstfolgenden Tagen wurde vom Mechaniker
nodi eine Justirung am Sperrwerk vorgenommen, durch
welches jedesmal zwischen zwei Beobachtungen der Wage-
balken von den Achatplatten, auf welchen seine Schneide
ruht, und die Wagschalen, die ihrerseits mit Achatplatten
über den beiden Endschneiden des Balkens spielen, von
diesen letzteren sich abheben. Beim Lösen dieser Arretirung
hatte nemlich zuweilen die eine Schale durch eine Reibung
zwischen dem Arme des Sperrwerks un^ der Fassung ihres
Steines einen Anstoss erhalten, der die Regelmässigkeit der
Initialschwingungen beeinträchtigte. Unterdessen unterzog
ich auch die Erystalle nochmals einer sorgfältigen Reinig«
ung mittelst feiner Seife, die vom Ballen der Hand aus
nass aufgerieben und dann mit reinem Wasser abgewaschen
wurde, und mit Weingeist. Die hiemach am 21. und 22. März
vorgenommenen neuen Wägungen ergaben
6) mit dem Gewichte von 14,5 Bestimmungen 3,455 Milligr.
Daher im Mittel aller 26,5 neuen Wägungen 3,431 „
242 Sitsung der maih.-phyi. Ckase wm 6. Juli ISCT.
wenn man dea Einzelbeobachtaugen der Reihe 6, bei wel-
cher die Wage in besserer Ordnung war, gegenüber den*
jenigen der Reihe 5 ein im Verhältnisse ton 4 : 3 grösseres
Gewicht beilegt.
Das Hauptmittel aus allen alten und neuen Beobacht-
ungen wird dann (da ihre Gesammtgewichte sich sehr nahe
wie 20:25 oder wie 4:5 verhalten):
3,440 M.;
vom Mittel der alten allein abweichend um — 0,013, von
dem der neuen allein um +0,009. Man bemerkt nodi,
dass unter den alten Wägnngsreihen die sicherste (Nr. 3)
ein Resultat giebt, welches mit dem Mittel aller neuen
(3,431) genau übereinstimmt; umgekehrt trifft das Ergebniss
der sichersten unter den beiden neuen Reihen (3,455) bis
auf 0,002 M. überein mit dem Gesammtmittel der alten
Reihen.
Es haben also hier Wägungen, welche um
20 Jahre auseinanderliegen, für die gesuchte Ge-
wichtsdifferenz Zahlen gegeben, die keine Spur
eines constanten Unterschiedes erkennen lassen,
und völlig ebenso gut zusammenstimmen, als die
einzelnen bald nach einander erhaltenen Reihen
unter sich. Zugleich darf man, da das definitive Mittel
bis auf +0,01 Milligrammen mit den beiden Separatmitteln
übereinkommt, demselben einen hohen Grad von Sicherheit
beilegen. Der wahrscheinliche Fehler, nach den Regeln der
Methode der kleinsten Quadrate berechnet, findet sich für
eine einzelne Bestimmung 0,0265 und für das allgemeine
Mittel der sechsundvierzig Wägungen 0,00391; wenn man
aber auch annimmt, (wie ich es thue), dass das letztere
noch um + 0,01 Miligrammen unsicher sein . kann, d. h.
um soviel als es von jedem der beiden einseitigen Mittel
abweicht, — so macht dies nur den 50 Millionsten Theil
einer jeden der beiden mit einander verglichenen Massen
Seidel: OegemoärHge GenamgJceU der Wöffungen, 248
ans« Man verdankt die Möglichkeit, solche Genauigkeit za
erreichen^ der chemischen Unyeränderlichkeit und der Härte
des Materiales der Gewichte, durch welche allein die uner-
lässlich nothwendige scrupulöseste Reinhaltung der Ober-
flächen unbedenklich gemacht wird. Wo die günstigsten
Umstände, wie in unserem Falle, yorhanden sind, ist man
in der That berechtigt zu sagen, dass die Genauigkeit der
Wägangen weiter geht, als die irgend welcher anderer
Messungen. Ein fünfzig Millionstel des Ganzen würde z. B.
auf die analytische Einheit des Winkels, nemlich denjenigen,
dessen Bogen dem Radius gleich ist, nur ausmachen 0,004
Bogensekunden, d. i. eine Grösse, bis zu welcher die Un-
sicherheit in der Messung eines solchen Winkels durchaus
nicht herabgebracht werden kann.
Für die zweite Controle war, wie schon oben erwähnt,
die wiederholte Yergleichung des Cylinders von 0,2 Kilo-
gramm mit den beiden von 0,1 Kilogramm ausgewählt
worden. Aus drei Wägungen von 1846 war das erstere
Gewicht leichter gefunden worden als die Summe der beiden
anderen um 1,787 Milligramme. Sieben neue Bestimmungen
(vom 22. März 1867) ergaben identisch dieselbe Diflferenz,
wobei natürlich der Zufall mit im Spiele ist.
Da jede Wage nur bei einer bestimmten Belastung das
Maximum ihre Leistung gewährt, und da überdies bei ge-
ringer Last und grosser Empfindlichkeit der störende Ein-
floss von Luftströmungen und anderen Fehlerui*sachen zu-
nehmen muss, so werden nothwendig die Unsicherheiten in
der Bestimmung sehr kleiner Massen verhältnissmässig
grösser, als bei massig grossen. Die absoluten Werthe
der Unsicherheiten aber nehmen allerdings,- auch bei unserer
Wage, für kleinere Gewichte noch wdter ab. Zum Beweise
kann ich die Zahlen anführen, welche durch drei verschie-
dene und Von einander ganz unabhängige Auswägungen für
die Gewichte der Platin-Drahtstücke erhalten worden sind,
244 Sütung der mtUh.'phff$. «am Clotfe 6. JyHi 1867,
welche zu unserem Bergkrystall-Einsatz die Tbeile abwärts
von der Gramme repräsentiren , and die jetzt auch mit
nach Wien gekommen sind.
Zum erstenmal wurden die betreffenden Stacke im
Januar 1844 auf die Art bestimmt, dass sie einzeb ab-
gewogen wurden gegen Stücke eines ähnlichen Einsatzes yod
Platindraht, der dem Staatsrath Schumacher in Altona
gehörte und, dem Dedmalsystem entsprechend, Vielfadie
und aliquote Theile von dänischen Grains repräsentirte.
Seine Btücke waren von Schumacher 1836 und wiederholt
1838 bestimmt worden; die durchschnittliche Differenz
zwischen beiden Bestimmungen (die zusammengestellt sind
in der schon citirten Abhandlung Steinheil's von 1844, p.55)
war 0,013 Milligr.: Einmal erhebt sich der Unterschied
auf 0^039 M. und Einmal ist er 0,032 M. Diese Gewichte,
welche auch schon bei SteinheiFs Vergleichungen der Pariser
Originale gedient hatten, waren durch Schumacher's Güte
nach München geliehen worden. Ihre Vergleichung mit den
unsrigen wurde noch nicht mit der Schneidewage Tor*
genommen , sondern mit der von Steinheil Anfangs der
vierziger Jahre construirten Bandwage, bei welcher statt
der drei Schneiden Suspensionen an kurzen und schmalen,
oben und unten festgeklemmten Stückchen von dünnem
Seidenband angeordnet waren. — Bei der zweiten Ver-
gleichung, im Juli 1844, diente bereits die Schneidewage;
diesmal wurde die Summe der vier die Ordnung der Deci-
grammen repräsentirenden Stücke unserer Platin-Drähte in
Verbindung gesetzt mit der Gramme des oben erwähnten
Kilogramm-Einsatzes vqu vergoldetem Messing, dessen Ge-
wichte damals genau bestimmt worden waren, und durdi
Vergleichung zwischen den einzelnen Stücken der Uebergang
zu den kleineren Theilen gemacht. Nach demselben Principe
und gleichfalls mittelst der Schneidewage wurde die dritte
Bestimmung 1846 ausgeführt, nur beruht sie auf den
&mM: OegemoOHige OemmigUU der Wä(ßm§mi.
245
Grammen des Bergkrystall-EiiKsatzes. — In den drei ersten
Colamnen der folgenden Tabelle sind die Werthe neben
einander gestellt, welche darch diese yersebiedenen Beob-
achtangsreihen für dieselben Gewichte gefunden wurden : die
vierte Colamne enthält die definitiv angenommenen Werthe:
I.
n.
m.
Def.
M.
M.
M.
M.
399,868
399,789
399,780
399,780
299,690
299,587
299,580
299,580
199,370
199,354
199,340
199,344
100,676
100,661
100,665
100,662
40,100
40,099
40,097
40,098
30,881
30,390
30,397
30,394
20,118
20,126
20,126
20,126
10,292
10,265
10,257
10,261
3,877
3,901
3,907
3,904
2,921
2,909
2,905
2,907
2,005
1,978
1,969
1,973
0,902
0,920
0,931
0,926
Die Zahlen der ersten Reihe können mit denen der
zweiten und dritten nicht concurriren: denn die Bandwage,
die sich durch die Wohlfeilheit ihrer Herstellung empfiehlt,
Btand entschieden hinter der Schneidewage zurGck. Andrer-
seits waren die Schumacher'schen Gewichtchen selbst nicht
mit der Sicherheit bestimmt, wie die unsrigen es durch
die zweite und dritte Reihe sind, da in diesen die Differenz
nur Einmal den Werth 0,0 14 M. erreicht, — und es ist
auch die Metliode der Bestimmung, von den grösseren Ge-
wichten allmählich herabzugehen, besser als die, Stück für
Stück durch Vergleichung mit bekannten Massen selbst-
standig zu bestimmen, üebrigens wird die üebereinstim-
mong der Zahlen sub I. mit den übrigen in der Ordnung
246 Bitmng <ler mat%.-i%«. O^out vom 6. Juli 1867.
der Dedgramtnen, wo die ersten durchweg etwas m gross
sind, sehr bedeutend erhöht, wenn man durch einen an
«llen Zahlen dieser Reihe anzubringenden corrigirenden
Factor die Summe der vier grössten Stücke auf ihren besst-
bestimmten Werth 999,366 M. (wie er der dritten Reihe zu-
gehört) reducirt: denn die Verhältnisse der einzdnen
Gewichte kommen in allen dreien noch näher überein als
die absoluten Werthe^). Die definitiv angenommenen Zahlen
in der vierten Columne wurden aus den angefahrten Gründen
blos aus II. und III. abgeleitet: sie sind einfache Mittel
aus den directen Werthen III einerseits und den durch
eine kleine Reduction der eben bezeichneten Art verbesserten
Werthen 11. andrerseits. Nach dieser Reduction der Zahlen
II. (im Verhältnisse von 399,391 : 399,366) beträgt ihr üntei^
schied, sowie derjenige der Zahlen lU., von den definitiven
Werthen in sechs Fällen kein Tausendtel eines MiUigrammes,
zweimal nur ein Tausendtel, etc., und nur Einmal im
Maximum sechs Tausendtel; der durchschnittliche Werth
für die Abweichung der definitiven Zahl von den beiden,
deren Mittel sie ist^, beträgt 0,0026, oder ein Vierhun-
derttel Milligramm. Bis auf diese Grösse bei den ünter-
abtheilungen der Gramme, und bis auf ein Hundertel Milli-
gramm bei verglichenen Massen von *|s Kilogramm kann
also die Unsicherheit der Bestimmung zurückgedrängt werden,
und es ist demnach eine berechtigte Forderung, dass bei
Gewichten, die nicht allein dem öffentlichen Verkehr dienen,
sondern auch für wissenschaftliche Prädsionsarbeiten zor
Grundlage geeignet sein sollen, für die faktisch erreich-
bare UnVeränderlichkeit innerhalb so kleiner Grossen künftig
immer vorgesorgt werde.
8) Es versteht sieh, dass bei Berechnung der Reihen U. u. IIL
die Laftgewichtsonterschiede von Platin gegen Messing und Berg-
krystall in Rechnung gezogen sind.
XMfi; Bmerhmgm übtr BUUnchläge. 247
Herr Kuhn trägt vor:
„BemerkuDgen aber Blitzschläge'S
Vor einem Jahre hatte ich die Ehre, der hochverehr-
lichen Classe über zwei Blitzesereignisse zu berichten ^), die
als geeignet erschienen, um die gewöhnh'chen Vorstellungs-
weisen über die Wirkung von Gewitterwolken gegen irdische
Objecte und über die Entstehung eines sogenannten Blitz-
schlages in sachgemässer Weise zu berichtigen.
Bei jener Gelegenheit habe ich die wesentlichen jener
GroDdsätze hervorgehoben, durch welche die Wirksamkeit
der Blitzableiter und die Beschädigung irdischer Objecte
durch Blitzschläge ihre sachgemässe Erklärung finden kann.
Ich zeigte dabei, dass bloss die von Seite der Gewitter-
wolke gegen die unterirdische Wasserstrecke ausgeübte In-
fluenz als primitive Ursache eines Blitzschlages angesehen
werden müsse,, und dass diesen Influenzwirkungen, die be-
bnntlich entweder selbst wieder die Entstehung von Neben-
wirkungen erzeugen, oder von solchen im Augenblicke der
Entstehung des Entladungsstromes begleitet sein können,
alle Erscheinungen zugeschrieben werden müssen , welche
während des Blitzer-eignisses an irdischen Objecten beob-
achtet werden können ; mögen diese Erscheinungen dabei
als noch so compUcirt auftreten, so müssen dieselben,
wenn alle Umstände gehörig erhoben werden können, den-
noch ihre einfache und naturgemässe Erklärung nach den
gedachten principiellen Grundlagen finden können.
Bezüglich der Anordnung der Blitzableiter wurde unter
1) Sitzangsberichte der k. b. Akad. d. W. 1866, Bd. II, p. 192.
(Aufülirlicher im Polytechnischen Journal, Bd. CLXXSJI, S. 291.)
248 BiUmng ier mt^,'phy$. ObsM vom 6. JmU 1867.
Anderm bei jener Gelegenheit Yon mir besonders hervor-
gehoben, dass vermöge der gedachten Principien auf die
immittelbare Ansleitang in das Onind?rasser zunächst Be-
dacht genommen werden müsse, dass es fär einzelne Ge-
bäude, die sammtlioh auf der gleichen Terrainstrecke sich
befinden, keinen Blitzableiter gibt, der alle übrigen oder
auch nur eines derselben selbst kleineres Gebäude gegen
Blitzschläge zu schützen vermag, dass man vielmehr in allen
solchen Fällen — und diess sind gerade die häufigsten —
ein Blitzableiter-System für eine jede der Gebäudegruppen
gemeinschaftlich in sachgemässer Weise hei-zustellen habe,
dass femer die noch herrschende Ansicht, als ob ein BUtz-
ableiter mit hoher Auffangstange einen sogenannten Schutz-
kreis für die umgebenden Objecto darbiete, als nicht stich-
haltig bezeichnet werden müsse, dass es vielmehr eine
Wirkungssphäre in dem Sinne, wie man eine solche ge-
wöhnlich anzunehmen pflegt, gar nicht geben könne.
Obgleich eine grosse Anzahl von Biitzesereignissen auf-
gewiesen werden kann, durch welche jene Folgemngen be
stätiget werden können, so erscheint es dennoch als uner-
lässlich, durch fortgesetzte R^istrirung von authentisch
nachgewiesenen Blitzschlägen an irdischen Objecten die er-
wähnte principielle ErUämngsweise und die daraus entnom-
menen Folgerungen wiederholt zu prüfen, und- die in Bede
stehende Angelegenheit nunmehr in gründlicher Weise znr
Erledigung zu bringen. Hiefür erscheint es aber als nner-
lässlich, nicht bloss die Bahn der Entladung an allen Stellen
des getroffenen Objectes zu verfolgen, sondern auch und
zwar insbesondere den discontinuirlichen Leitungsbogen auf-
zusuchen, den die Entladung vom Boden aus bis zur
unterirdischen Wasserstrecke einschlug, so weit als
ihunlich zu verfolgen.
Unter den im Laufe der gegenwärtigen Gewitterperiode
mir bekannt gewordenen Blitzesereignissen dürften einige
Xuhm: Bmerhmgen Mer BUtacMäge. 249
als interessant genug ersdieineD , lun an dieselben die oben
gedachten principiellen Grundlagen gleichsam als Prüfstein
anlegen zn dürfen. Anf das erste der Ereignisse, die hier
betrachtet werden sollen, wurde ich durch eineNotix') auf-
merksam gemacht, in welcher die Verheerungen geschildert
wurden, welche die am 24. und 26« Juni im Odenwald, am
Rhein und Main bis an die Lahn stattgehabten Gewitter
zur Folge hatten und wobei unter Anderm erwähnt ward,
dass zahlreiche Blitzschläge in der Umgebung Yon Darm-
Stadt und mehrere in Darmstadt selbst vorkamen. Die
Umstände, unter welchen letztere eintraten, yeranlassten
midi zur näheren Erholung der Sachverhaltnisse. Von den
15 Fragen, welche ich zu diesem Zwecke durdi gefiQlige
Vermittelung der Redacüon der Bayerischen Zeitung an den
Verfa^er jenes Artikels richten konnte, konnten mir zwar
die wesenüichsten nicht näher erörtert werden; ein Theil
aber wurde in ausreichender Weise beantwortet. Da jener
Herr Correspondent selbst Interesse genug daran fimd, um
die mir mitgetheilten Schilderungen in mehreren Artikeln
nun Gegenstand einer öffentlichen Besprechung (in mehreren
deotsdien Zeitungen) zu machen, so mag es ausreichen,
aus dem mir zugekommenen umfassenden Berichte') so viel
heiTorzuheben, als zur Beurtheilung der in Rede stehenden
Ereignisse als nöthig erscheint.
Die (von nnserem Gewäbrsmanxi) beobachteten Gewitter zogen
Ton Osten nach Westen, und traten am 24. und 25. Jani in grosser
Ausdehnung und mit grosser Heftigkeit anf. Derlei Gewitter gehören
immer za den seltenen Erscheinungen; der normale Zag ist fast in
2) Bayeriiche Zeitung, Morgenanagabe vom 80. Jnni 1867.
8) Hiaf&r habe ioh sowohl dem Herrn H. B. in Darmstadt, als
ftoflk den Herren: Direotor Dr. Hügel, Ingenieor Zanbitz, sowie
doD Prof. Dr. Bender und Dr. Dreser, welehe bei den Ermitte*
lasfoi Rok firaoadlieh betheUigten, meinen Dank ansauipcecheRi
250 Sitzung der maih.'phy8, Gasse vom 6. Juli 1867,
ganz Mitteleuropa ans 8W. nnd W. gen NO. and 0. „In Darmstadt
erschien das erste jener Gewitter am 24. am 7 Uhr Abends. Ich
sah es vom grossen Wog aas^ einem kleinen See, den der Darmbach
östlich von Darmstadt bildet üeber das Darmtbälchen kam ein
Wolkenzug, der lagerte sich (buchstäblich) tintenschwarz in einem
grossen Bogen über das Thal. Unter ihm her zogen leichtere weisse
Wolken dicht wie der Dampf in einem Dampfbad , wie lange Barte
herabhangend; sie schienen herunter in den Wald zu reichen. Lang-
sam ging das Wetter vorwärts. Auf einmal ein angeheurer Blitz,
der den ganzen Bogen von S. nach N. spaltete (im Winkel von
etwa 70^), dann in den Wald herein schlag. Bald darauf mehrere
gleiche Schläge; derHimmel wurde immer schwärzer; die Blitze leuch-
teten wie rothglühende Strahlen von geschmolzenem Eisen, die vom
Himmel sprühten; oft spielten sie ins Violette und beleuchteten die
Gegend weithin, wie mit bengalischem Feuer. Nach einer Viertel-
stunde kam ein sanfter Wind, der den See' kräuselte, darauf ein
leichter, dann ein heftiger strömender Regen, der erst zwischen 9
und 10 Uhr aufhörte, währenddem fortwährend heftige Sehläge,
ich zählte deren 6^8, die in der Nähe vorkamen. Um 12 Uhr kam
ein zweiter Gewitterzug, der bis nach 2 Uhr (den 26. Jani) an-
dauerte. Die Blitzschläge waren noch stärker wie am Abend; sie
gingen meist senkrecht wie am Abend, sie schienen bläulich. Ich
zählte wieder etwa 6, die in nächster Nähe einschlugen (in Nieder-
Bamstadt und £berstadt). Am folgenden Morgen and um die
Mittagszeit donnerte es fortwährend im Westen; es war ein Gewitter
in Oppenheim, Mainz und Wiesbaden. Am Abend um 10 Uhr kam
der dritte Gewitterzug, gleichfalls aus Osten. GFeich ein furchtbarer
Schlag, wie wenn ein ungeheurer hohler Thurm in sich zusammen-
stürzte ; darauf noch mehrere, alle in unmittelbarer Nähe . . . Etwa
fünf Minuten nachher ein neuer Schlag, wie ein heftiges Rotten-
feuer . . . Ich spürte es wie einen Schlag mit der flachen Hand snf
den Kopf. ... Ich hatte dem offenen Fenster zunächst gesessen)
und gegen eine Commode gelehnt; vielleicht mag ich dadurch die
Erschütterung stärker gespürt haben. Diess war der letzte Schlag;
dann fiel ein Platzregen, wie ich ihn nur einmal in ähnlicher Stärke
in dieser Gegend gesehen habe. — Ich wohne fast auf dem höchsten
Punkte von Darmstadt; kaum ein Dutzend Häuser stehen bis la
dem Höhenpunkte der hier kreuzenden Strassen — Sand- and Stein-
strasse —, die ziemlich rasch abfallen. Südöstlich von meiner Wohn-
ung — in einer Entfernung von 200 Fuss — hatte der Blitz ein-
geschlagen. Der Blitz war zu gleicher Zeit in zwei Häoser gefahren,
Kuhn: Smerhmgm über BUiMtehUlge. 251
in dae katholiBohe Pfarrhaus und in das Sehalbaas, die 90 F^ss von
einander entfernt stehen. Ausserdem schlug der Blite in das Haus
der barmherzigen Schwestern und in einen Hof in der Waldstrasse,
im Ganzen zweimal in auffallender Weise dicht neben Blitz-
ableitern. Das Schwesterhans und das Pfarr- und Schulhans liegen-
auf derselben Anhöhe, einem hier ton Osten nach Westen gehenden
Aoslaofer des Neunkircher Höhenzuges, auf der südlichen Seite des
Darmbaohes; das Hans in der Waldstrasse am Ende dieser Anhöhe
in der £n>ene. Die drei Blitzorte sind je 6 — ^700 Schritte von ein-
ander ent&mt. Das Schwesterhaas liegt etwa 800 Schritte vom
Wog and ebenso weit von der Gewerbschule. Letztere ist mit gut
constroirten Blitzableitern yersehen; auf dem Schwesterhause, dann
aaf dem Pfarr- und Schulhause ist kein Blitzableiter, hingegen ist
das Nachbarhaus nach Süden, das (an das Pfarrhaus?) angebaut ist,
mit einem Blitzableiter versehen, und ebenso steht auf dem Hause
in der Waldstrasse ein — 12 Fuss hoher — Blitzableiter. Auf der
Kirche (im Westen) steht ein Blitzableiter, in horizontaler Richtung
bis zum Pfarrhaus auf 150 Fuss Entfernung. Ferner stehen ringsum
ntch N., 0. und S. drei Blitzableiter auf 150 bis 200 F., noch zwei
nach 0. und W. auf 800 F. , einer auf 400 F., und auf 500 F. (in
der Högelstrasse) eine ganze Reihe, fftnf nebeneinander und einer
gegenüber. Die sämmtlichen H&user sind fast alle 50 bis 60 Fuss
hoch, die Kirche mit der Kuppel ungefilLhr 150 F., der Blitzableiter
dsraof S0--40 F. hoch. Ueberhaupt ist dieser Stadttheil wie fast
die ganze Neustadt mit Blitzableitern reichlich versehen. Die Blitz-
ableiter bestehen 'fast alle aus 1 bis iVt Zoll breiten und V« Zoll
dicken Eisenstangen; oben ein vergoldetes Kreuz, dann Iftnft — aber
meist nur ein einziger — Ast über das Dach nach dem Boden hin. Auf
dem Palais des Prinzen Ludwig läuft ein kupferner Blitzableiter über
das ganze Hans; nach 8 Seiten gehen 4 Aeste von V« Zoll starkem
Knpferdraht in den Boden.'^
Von dem, was über die Spuren der Blitzesemtladungen an den
uigeführten vier Objecten mitgetheilt wurde, mag Nachstehendes
berrorgehoben werden:
„Das Pfarrhaus steht an der Wühelminen-Strasse 50 Fuss von
der katholischen Kirche; das Schulhaus hinter diesem getrennt im
Hof. Das Pfarrhaas hat ein vierseitiges Dach; der Blitz schlug in
die östliche Wand. Das Schulhaus hat ein zweiseitiges Dach, mit
dem Giebel nach dem Pfarrhans; der Blitz schlug in diesen west-
lichen OiebeL Das auf der südlichen Seite^ an das Pfarrhaus an-
gebaute and mit diesem von gleicher — beiläufig 80 Fuss — Höhe ist,
352 Sitzung der matk^hys. CUme wm 6. MU 1867.
wie erwihnt, mit einem Blitzableiter yersefaeQ; hinter dem nord-
Uchen Nachbarhause (des Pfarrhauses) steht ein mit Zink gedeckter
kleiner Anban, dessen Dach mit einem Ban yerbonden ist, an wei-
welchen das Schalhaas mit seiner hinteren östlichen Seite anstösst
Das Zinkdach, von beiden Einscblagpunkten im Vorder- und Hinter-
hans 80—40 Fuss entfernt, ward als unbeschädiget befanden. Ton
dem Pfarrhaus, fahrt vom Treppenfenster zwischen dem 2. und 3.
Stocke ein Schellenzug nach dem Fenster der Wohnung des Küsters
im Dachgeschosse des Schulhauses. Beide Fenster sind 40 Fuss Yom
Boden; an beiden Punkten schlug der Blits zugleich ein. Am Vorder-
haus fuhr er gerade an der Oeffiaung, durch die der Olockenzag
geht, hinein, am Treppenbau hinab, Zickzack hin und her, dann
durch eine Seitenwand an dem Gussrohre hinab, in die Cloake. Am
Hinterhaus fuhr er eine Sxianne von dem Schellendrahte entfernt
durch ein kleines Loch in dem Fensterbalken in das Zimmer nach
dem gegenüberstehenden Ofen, von da schlug er ein kleines Loch
durch die Seitenwand, ging durch die untere Wand darch die zwei
Stockwerke, an der senkrechten Wand die Verkleidung los schleissend
und, wie mir scheint zur Hausthüre (?) hinaus. Der Küster und
seine Fran (kamen mit dem Schrecken davon, denn sie) waren in
der an die Dachstube anstossenden Dachkammer gesessen. Die Frau
sah den Blitz am Boden sich hinbewegen; sie will die Erscheinung
in Gestalt eines Apfels oder einer Birne, als Feuerkugel gesehen
haben. Von dem Schrecken, den diese Erscheinung in ihr erregte,
hatte sich die Frau erst nach acht Tagen wieder erholt. — Die
beiden Blitzhftuser haben keine Gas- und keine Wasserleitung; ein
einfacher verdeckter Brunnen ist im Hof . . .^* An dem Blitz-
ableiter des Nachbarhauses sowie auch an dem der katholischen Kirche
waren keine Spuren der Entladung wahrzunehmen Nachträglich
wird aber im Berichte bemerkt, „dass der Blitzableiter des
(angebauten) Nachbarhauses vor dem Einschlagen gerasselt
habe**.
„Das Haus der barmherzigen Schwestern ist zweistöckig, etwa
50 Fuss hoch, steht von Süden nach Norden und ist neu aus Steinen
gebaut. Der Blitz schlug auf der Westseite ins Dach, in das nörd-
liche Dachzimmer, spaltete sich dort, ging mit einem Zug von
einem Balken herab, den er vom Speis entkleidete und wobei einige
Wäsche an einem Nagel gezündet wurde, und gelangte in das untere
westlich gelegene Schlafzimmer der Schwestern, wo die Spuren in
Zickzack an den Betten her wahrgenommen wurden, und von wo
aus der Weg in das untere Zimmer der Oberin und nach dem
Aiftn: Semerhmgen über SUiBBcMgi, 253
Ken« ging. Ein zweiier Zag ging naeh der andern Seite dnrok
«Ue Wand nach dem Treppenhaas, theilfce sieh da wieder; ein Theil
ging am Tre^penhaoe herab, ein anderer nach dem Gossrohre in
die Cloake. In den unteren Stockwerken geschah ausser dem Zer-
stören des Schellendrahtes und dem Abschleissen der Speis kein
weiterar Schaden ... An dem Einschlag walr nichts Aussergewöhn-
hdies, als dass er nicht auf die Spitae, sondern die Seite des Haosei
tnL Merkwürdig aber war, dass bei diesem augenscheinlich von
Norden kommenden Strahl (?) eine Feuerflamme in dem südlichen
Theil des Hauses gesehen wurde,' der von dem Strahl sonst gar
nicht getroffen war. Die Frau Oberin — welche w&hrend des Er-
eignisses in der Kapelle auf der entgegengesetsten südlichen Seite
sidi aufhielt — will gana deutlich eine züngelnde Flamme um die
heüige Lampe gesehen haben, ehe sie den Schlag hörte^*.
„In der Waldstrasse fuhr der Blitz etwa 12 F. Tom westlichen
imd 4 F. von dem südlichen Flügel herab in den Basen , beschrieb
im Zickzack einen 6 F. langen, 4 F. breiten Dreiviertelovalring
ttnd versehwand in die Erde. Die Furchen, die er zog, sind ^fl F.
tief, an einzelnen Stellen sind VJ9—2 F. tiefe Ldcher. Die Bicfatang
geht von W. nach 0., vom Blitzableiter her. Der Einschlagpunli^
ist von der Auffangstange kaum 24 F. entfernt; diese sch&tzte ich
auf 12 F. Höhe . . . Die Theorie (hier meint unser Gewährsmann
die Charles'- Ar ago'sche Regel für den sogenannten Sohutzkreis)
wurde nicht vollkommen entkräftet, weil der Blitzableiter ziemlich
gerostet ist, und nur in trockenes sandiges Erdreich abgeleitet
vird, während unter dem Einschlagpunkt ein Senkloch sich befindet^
das den Blitz anziehen ^onnte*^
Versuchen wir es nim, an die eben erwähnten Blitzes-
ereignisse unsere bei früheren Gelegenheiten auseinander*
gesetzte Erklärungsweise als Prüfstein anzulegen, so können
wir zunächst bestätigen, dass die am Eingange des vorstehen*
den Berichtes angegebenen Erscheinungen zu den wirkUchen
Blitzschlägen gehörten. Vermöge der für solche Vorgänge
uuserst günstigen Terrainbeschaffenheit konnten durch die
langsam vorwärts von -0. gen W. ziehenden und immer
dichter gewordenen elektrisirten Wolkenmassen weit aus-
gedehnte unterirdische Wasserstrecken der Influenz ausgesetzt
Werden, mit denen sicherlich einzeke an Abhängen gelegene
tl867.n.2.] 17
254 Sitmng der ma&k-phya, Clasäe wm 6. Jtdi 1867.
Bäame oder Baumgruppen des getroffenen Waldes in dis^
continüirlicher leitender Verbindung stehen mussten, da die
Blitzesentladnng nicht direct gegen den Wald, sondern in
einem langen Bogen statt fand. Erst als die Wolken-
gebilde auf ihrem Zuge sich tiefer gesenkt hatten, konnte
die Bahn des kürzesten Leitungswiderstandes mittelst der
tief herabhängenden Wolken zwischen dem elektrisirten Ge-
bilde und der unterirdischen Wasserstrecke durch die her-
vorragendsten und am tiefsten wurzelnden etc. Bäume her-
gestellt und die Ausgleichung zwischen der negativ mit der
Wolke geladenen oberirdischen Strecke und einem Theile
der Ladung der Wolke als eigentlicher Blitz auftreten. Da
diese Blitzeserscheinungen — nach der oben gegebenen Be-
schreibung — nicht von momentaner Dauer waren, so
müssen dieselben als eine Folge von discontinuirlichen rasch
auf einander folgender Entladungen bei jedem der am An-
fange statt gehabten Vorgänge betrachtet werden*). Von
den während der Nacht — von 12 bis 2 ühr — aufgetre-
tenen Ereignissen wurde ohnehin die directe Entladung der
Gewitterwolken gegen die Erde durch unmittelbare Wahr-
nehmung constatirt; dieselbe war viel heftiger, „die Qlitze
gingen meist senkrecht, wie am Abend (?)", es waren näm-
lich die Umstände durch den schon im Voraus stattgehabten
starken Regen noch* günstiger vorbereitet, wie am 24. Abends.
Diesen Vorgängen mag es auch zuzuschreiben sein, dass die
innerhalb jener zwei ersten Perioden dundi die gleichen
Oewitterzüge ^) aufgetretenen Entladungen an oder in der
4) In einem der ans vorliegenden Zeitungsberichte heisst ea
unter Anderm (ans Nidda) bezüglich dieser Gewitter: „Das elek-
trische Licht, welches oft 8 — 10 Sekunden dauerte, war so stark und
dicht, dass man in weiter Ferne beinahe den kleinsten Gegenstand
unterscheiden konnte^^
5) Am 24. und 25. Juni kamen in den gedachten Gebieten
mehrfach Blitsschläge vor. Ob aber diese sämmtlichen Erscheinungen
Kuhn: Bemerhmgen Über BLiUseKläge. 256
Nähe Yon Oebäuden im Allgemeinen beine bedeutenden
Wirkungea zum Vorschein kamen, da die Gewitterwolken
den gleiclien Gewittenügen zageschrieben werden dürfen, oder ob
letitere von einander nnabhängig auftraten, IftMt ticb wohl erst
durch eine n&here üntertnohung entscheiden. Yorliafig dürften
wohl einige Notixen hierüber nicht nnintereseant sein; so wird ans
Kidda vom 25. Jnni geschrieben: „Der gestrige Tag — Johanni-
tsg — wird Vielen lang im Oedächtniss bleiben. Gestern Vormittag
■chon nm 9 Uhr donnerte es stark und Tiele schwere Wetter stiegen
im Westen aof nnd bewegten sich über das Niddathal nach Osten
hin. um 4 Vi Uhr yerkfindete starker Donner nnd Blits die Rück-
kehr der über unsere Stadt hingesogenen Gewitter....'* — « Ans
Lang-Gönh (16 Standen nordwestlich von Nidda) wird anter Anderm
geschrieben: „Unser Ort wurde am 24. d. Mts. von sehr starken
Gewittern heimgesn<^t. Dieselben währten fast annnterbrochen von
Morgens bis tief in die Nacht Fast alle kamen von Nordosten her«
angerogen and schienen sich nar so einander absolösen. Der Blits
Khlng bei dem ersten Gewitter, das nar aas drei Sohl&gen bestand,
nnd sich in anmittelbarer Nähe entwickelt haben mass,
in das hiesige Stationsgebäude (an der Main-Nekar-Bahn, 2 Standen
radlieh Ton Giessen) ein" In Neuwied — S Standen unterhalb
der Lahnmündong, etwa SO Standen östlich Ton Nidda — kamen
die Gewitter mit Verheerungen zwischen 8 und 4 Uhr tot. Gleich*
ceitig finden wir ans den . vorliegenden Berichten über die Gewitter
im Odenwalde, in der Wetterau, u. s. w., dass an dem gleichen
Tige starke Gewitter im Schwaben, in der Rheinpfalz, im Thüringer—
wild, dann im bayerischen Oberfranken, ferner in Mähren u. s. w.
sUUhatten; es dürfte daher vorläufig anzunehmen sein, dass diese
•iffliBtlichen Gewittererscheinungen, welche im entferntesten Osten
noch am 28. Juni noch nicht zu Ende waren, wohl einer und der«
lelben oder vielmehr einem C!omplexe primitiver Entstehungsquellen
ngeaehrieben werden dürfen, dass hingegen von dem Zuge eines
nnd desselben Gewitters innerhalb der Periode vom 24. mit 29. Jani
luine Bede sein kann. Eine spätere nähere Untersuchung wird viel-
mehr vermuthlich herausstellen, dass jedes einzelne jener Gewitter
hauptsächlich durch locale Wirkungen bedingt wurde, und dass
daher letztere auf eine und dieselbe Grundursache zurückzuführen
Nin dürften.
17*
256 Sitzung äer matk,-ph^8, (Hasse wm 6. JuU 1867.
scHon vorher auf ihrem Wege aber Wasserflächen, Flass-
tfaäler und Waldungen einen grossen Thdl ihrer Ladung
verloren hatten •).
6} Uniw den am 24 Jaxd am Tage und vom 24. auf den 26. Juni
vorgekommenen Bliizachlägen mögen mehrere hier bloss kvrs auf-
gesählt werden: In Lang-Göns wnrde beim ersten' Gewitter daa
Stationagebäude getroffen und der Telegraphenapparat cerotort, beim
zweiten wurde eine Scheuer getroffen; in beiden Fällen ohne za
ra^ zünden. In Neuwied „schlug ein kalter Blitzstrahl gegen halb
4 Uhr in den Thurm der katholischen Kirche^' In Gr&Ten«
wiesbaoh (4 St westl. von Wetzlar, 9 St. östl. von Nidda an der
wfistl. Abdachung der Taunushöhe) „brannte eine vom Blitze g^
troffene Scheune ab und wurde ein Wohnhaus beschädiget, eine Kuh
verunglückte dabei. In Echzell (2 St. südwestwestlich von Nidda)
„fuhr ein Blitzstrahl mit furchtbarem Krachen auf den Exrchthurm*'
ohne zu zünden; in Melbaoh (8 St südwestwestlioh von Nidda)
wurde eine Scheuer Tom Blitze in Brand versetzt, eine Wohnung
von einem anderen Schlage getroffen ohne weitere Beschadignngsa
In der bei Eberstadt (1 St südl. von Darmstadt) gelegenen Krugs-
Mühle ist durch den Blitzschlag eine Scheuer in Brand versetzt
worden. In Nieder^Bamstadt (gleichfalls im Modanthal, 1 St von
Darmstadt) ,;Schlug der Blitz in den Kirchthurm, ohne zu zünden.
In der Nähe von Darmstadt wurden mehrere B&ume vom Blitae ge*
troffen'*. — In nächster Nähe von Nidda wurden während der beiden
Oewitterzüge 8 verschiedene Bäume getroffen. — In Weiterstadt
(1 St. von Darmstadt nordwestl. von der Eisenbahn nach Mainz)
schlug der Blitz bei Abgang des letzten Eisenbahnzuges am 24. Juni
in eine Signallateme ... Im Walde nahe bei Wiesbaden wurde am
24. Nachmittags ein jsnger Mann vom Blitze getroffen und bedeutend
verletzt In Günsheim (eine halbe Stunde vom linken Bheinufer,
6 St von Darmstadt) hat der Blitz am 26. Juni Vormittags 11 Uhr
in das Pfarrhaus eingeschlagen; die Bahn ging vom Schornstein zum
geheizten Heerd und von der Küche in die Erde; dabei heisst ei
u. A.: „es scheint, als ob sich die Kraft des Blitzes getheilt habe,
denn hie und da im Hause findet man kleine Beschädigungen^
Weiter kamen Blitzschläge vor, in Speyer und Neustadt (Pfalz), in
Ettenbenem (Schwaben), in Ebersdorf (in der Rhön), Brückenaa,
Alte: Bemerhmgen Übir BUtncMg^ 257
Was nun die ia Bede stehenden BlitaesereignisBe vom
25. Juni 10 Uhr Abends betrifft, so muss zunächst ein
Umstand heryorgehoben werden, der uns als besonders
wichtig erscheint. Die beiden in der yorausgegangenen Nacht
yozgekommenen Gewitter hatten nämlich dieselbe Richtung
und waren von nicht geringerer Intensität als das am Abend
des 25., und dennoch wurden bei letzterem solche Objecto von
filitsMihlagen heimgesucht, wdche vorher yerschont blieben,
und selbst diessmal hat man kein Blitzesereigniss an den-
jenigen benachbarten Gebäuden wahrnehmen können, deren
BlitEableiter weit über die getroffenen hervorragen. Die Ur-
sache des sogenannten Einschlagens darf also — wie wir bei
einer {ruberen Gelegenheit ausführlich erörtert haben — nicht
bloss in der Anordnung und Beschiaffenheit etc. der Ge-
bäude und anderer irdischer Objecto gesucht wurden, aber
velche die Gewitterwolke hinwegzieht, sondern sie muss
hauptsächlich von der Terrainbeschaffenheit und yon der
Lage des Objectes bezüglich der Gewitterwolke und der
aasgedehnten unterirdischen Wasserstrecken abhängig sttn.
In der That finden wir auch aus der yorliegenden Besdireib-
ung, dass Gebäude von geringer Höhe vom Blitzschlage be-
rührt wurden, und dass selbst an jenen die Spuren der
Entladung nicht an den hervorragendsten Stellen, sondern
nar da sich vor&nden, wo sich Strecken von Constructions-
theUen etc. befinden, die der elektrischen Influenz etc. fähig
sind. Ausserdem finden wir aber noch darin den wesent-
Kdisten Umstand, dass — vermöge der uns yorliegenden
Zeitungsberichte — vom 24. Juni Nachmittags bis 25.
Morgens 2 Uhr massenhafte Niederschläge in jenen Gebieten
stattgefunden haben, und zwar in solcher Menge, dass tief
Grossostheim (bei Aschaffenbarg)^ Gräfenberg, Forchbeim und Selb
(Oberfiranken) u. s. w., die wir für jetzt bloss vorübergebend an-
^kma; über den in Forchheim wird unten beriohtet werden.
258 Bitgung der mM.-phy». Classe vom 6, JM 1867.
gelegene Wohnungen und Keller schon während der Regen-
gUsse unter Wasser standen; um so mehr darf also an-
genommen werden, dass nicht bloss die oberen Erdschichten
an den Abhängen noch am Abend des 25. Juni reichlidi
durchnässt waren, sondern dass auch das Niveau des untere
irdischen Wassers auf eine bedeutende Höhe gestiegen sein
musste und yielleicht sogar noch nicht einmal sdne grosste
Höhe erreicht hatte, als der dritte Gewitter2ug herankam.
Jene Anomalie kann daher nur dadurch ihre erkleckliche
Erklärung finden, wenn wir annehmen, dass die an der ge-
dachten Anhöhe und an ihrem Ende befindlichen Gebäude
die günstigsten Umstände für die bei der gegen das Grund-
wasser von Seite der Gewitterwolke ausgeübten Influenz ein-
getretenen Entladungserscheinungen dargeboten haben , dass
also jene Objecto in nächster Communication mit der unter-
irdischen Wasseratrecke standen. Dass übrigens jene An-
höhe auf Grundwasser ruhen müsse, zeigt uns schon die
Terraingestaltuog jenes Gebietes. (In der Nähe eines der
getro£fenen Häuser befindet sich ein selbstständiger Brunnen,
wie oben erwähnt wurde, und vermuthlich sind deren noch
mehrere an jenem Abhänge aufeufinden.)
Unsere Erklärung der obra angeführten Blitzesereignisse
auf der von Osten nach Westen gehenden Anhöhe des
Darmthaies besteht daher beiläufig in Folgendem: Die von
Osten nach Westen gezogene elektrisirte Wolkenmasse hat
in einer grossen Ausdehnung die unterirdischen Gewässer,
mit >Yelcher die Thalsohle in leitender Verbindung stand,
nebst der ganzen darüber befindlichen Erdstrecke durch
Influenz in den polarisch elektrischen Zustand versetzt;
in Folge der g^enseitigen Anziehung der Ladung der
Wolke und der mit ihr ungleichnamigen an der Wasser-
oberfläche etc. angehäuften Elektricitätsmenge wurde letztere
über den ganzen Complex der oberirdischen Objecto, die
selbst, je nach ihrer Leituugsfähigkeit an der Influenz An-
Küfm: Bmnhmgm A(«r BUUaM&ge. 259
theil nahmea, verbreitet und aber dieses discontmoirliche
Leitungssystein in der Art angesammelt, wie es die Vcq>
theihing unter den herrschenden complicirten Umstanden
erforderte. Fand nun die Entladung der Wolke durch einen
wirklichen Blitzschlag statt, so musste die Bahn des kürze-
sten Leitungswiderstandes, welche schon* während der In-
fluenz gewählt wurde, als Schliessungsleiter die ungeheuren
Elektricitätsmengen ^ron dem zugewendeten Theile der Wolke
aus Ins zum Grundwasser aufnehmen und zur Ausgleichung
faringen, da man für alle hier Yorliegenden Fälle wohl an-
nehmen darf, dass die indifferente Stelle an der Wasser-
oberfläche selbst oder in deren nächster Nähe sich ver*
mathUch befinden musste. Geschah aber die Entladung der
Wolke in der Atmosphäre selbst, so musste in diesem Mo-
mente die ganze durch Influenz nach Oben gedrängte und
ao den äussersten Stellen der Gebäude etc. angehäufte
Eleetricitätsmenge in die unterirdische Wasserstrecke sidi
eigiessen. Ob nun die Vorgänge in der einen oder anderen
Art statt fanden, kann aus den hierüber bekannt gewordenen
Mittheilungen nicht beurtheilt werden. In dem einen wie in
dem anderen Falle würden keinerlei Wirkungen im Gebäude
selbst etc. wahrgenommen worden sein, wenn die für die
Influenz ausgewählten Strecken continuirlich und von hin-
reichender Leitungsfahigkeit gewesen wären. Dieser Beding-
ung wurde aber in keinem der vorliegenden Fälle Genüge
geleistet, und gerade hierin ist die Ursache der bei den Blitz-
sdüagen aufgetretenen Erscheinungen zu suchen.
Die Bahn des kürzesten Leitungswiderstandes lässt sich
weder bei dem Blitzesereignisse am Pfarr- und Schulhause
noch an dem im Schwesterhause mit Hülfe der oben an-
gegebenen s. g. Spuren des Blitzes angeben. Mit einiger
Wahrscheinlichkeit kann vermuthet werden, dass am Pfarr-
hause diese Bahn direct vom Grundwasser aus durch die
dorchnässten Erdschichten an der Cloake uud endlich durdi
260 8iUun§ dar «oOL-jribyi. Oiaue 9om €. Mi 1S67.
das eberne Gnssrohr und die oberen Theile der östlidien
Manerwand des Hauses yermittelt wurde. Da diese Bahn
— wie es soheint — nur mm geringsten Theile aas gaien
Leitern (Oassrohr^ Klammem in den Wänden etc.) be-
stand, die selbst durdi die äbngen Strecken von einander
gleichsam isolirt waren, so konnten die in der discontinair-
Uchen Leitangsstrecke befindlichen elektrisirten Leiter selbst
wieder Inflaenzersoheinangen hervorbringen, welche ihrel^
seits die anderen der beobachteten Nebenwirkungen zur
Folge hatten. Naoh den Sparen zu urtheilen , die sich im
Schalhause Yor&nden und mitRficksicht aof die discontinnir-
lidhe leitende Verbindung, welche vom westlichen Qiebd
dieses Gebäudes aus — theilweise auch von dem Zinkdache —
nach dem östlichen Giebel des Pfarrhauses geht, dürfte es
übrigens nicht unmöglich sein, dass in dem Augenblicke,
in welchem der eigentliche Entladungsstrom auf dem ge-
nannten (vermutheten) Wege eintrat, auf der zweiten Bahn
gegen das Schulhaus hin eine Seitenentladnng vorkam,
welche oben als ein Zweig des Blitzstrahles bezeichnet wurden
und welchem alle auf diesem Woge wahigenonunenen Wirk-
ungen dann zuzuschreiben wären. Jedenfalls aber * ist das
ganze System in der Nähe dieser Gebäude und daher audi
das Nachbarhaus mit seinem Blitzableiter auf directe oder
indirecte Weise in den influendrten Zustand versetzt worden,
so dass Entladungsströme der verschiedensten Art dabei
voricommen konnten; die dabei beobachteten physiologischen
Wirkungen deuten darauf hin, dass Bäckschläge auf einem
grossen Theile der beti*e£fenden Erdstrecke stattgefunden
haben mössen. Jener einzige Blitzableiter des an das Pfiur-
haus angebauten Nachbarhauses würde das Eintreten jener
BlitzeswirkuDgen verhütet haben, wenn seine Ausleitung in
die unterirdische Wasserstrecke vorhanden gewesen und
durch Zweigleitungen der obere Theil desselbai mit den
Giebeln und Dachkanten der angrenzenden Häuser in ge-
lioriger Weise verbunden gewesen wäre; die Höhe der knU
fimgstaoge selbst hatte dabei im Allgemeinen keinen maass*
gebenden Einflnss.
Die im Hanse der barmherxigen Schwestern beobachte*
ten Erscheinungen sind nach der obigen Schilderung riel
sa compUcbt, als dass es ohne nähere Kenntniss jener
Baumlidikeiten möglich wäre^ die Bahnen des eigmtlichen
Entladnngsstaromes Ton denen der durch diesen sowie durch
Infloena erzengten Seiten- und getrennten Entladungen eta Tei^
folgen zu können. Die eigentliche Ausleitung oder vielmehr
der Weg des kürzesten Leitungswiderstandes , auf welchem
TOr dem Einschlagen die Influenzelektricitat* vom Grund*
Wasser aus durch die Erdschichten sich verbreitete, kann
sowohl an dar Cloake als auch am Keller angenommen
werden; ob die ungeheuren hier frei gewordenen Elektricitäts-
mengen beide Wege längs der an den Wänden und im
Treppenhaas sowie am Dadie sich vorfindenden metallischen
und Halbleiter etc. gleidizeitig angenommen haben , lässt
sich wohl vermuthen, aber nicht mit Sicherheit behaupten.
Alle ihrigen im Schwesterhause beobachteten Ersdieinung^i
durften lediglich den durch Inflnenz in grösseren oder
kleineren Entfernungen gegen isolirte discontinuirHche Metall*
siarecken entstandenen Entladungsströmen zuzuschreiben sein,
. deren nähere Präcisirung weitere Detailuntersuchungen mi
den betreffenden Orten selbst erfordern würde.
Die Lichtersdieinungen , welche an den beiden söge»
saunten Blitzhänsem am fioden und überhaupt in den
unteren Bäumen der Oebäude etc. beobachtet wurden,
bieten nichts Sonderbares, sie mnssten sogar in noch grösserer
Zahl zum Vorschein kommen, da an jeder Unterbrechungs-
steUe, welche einem der eingetretenen Entladungsströme dar-
gä)oten wurde, solche Liditerscheinungen unter sonst gleichen
Umständen in um so höherem Grade auftreten, je grösser
^e Menge und Dichte der an ihren ^nden influenoirten
262 Sitzung der maik-phys. Cla98ß wm 6. JW» 1867.
Elektricität and je grösser diese Schlagweite ist. Ob hiebei
EUgleich materielle Substrate im feinst vertheilten Zustande
innerhalb des stark erhitzten Luftstromes von einem Ende
der Unterbrechungsstelle zum anderen als leuchtende Materie
geführt werden konnte, dürfen wir — bekannter Thatsachen
halber — nicht in Abrede stellen ; es kann daher allerdings
die Frau Eüsterin eine derartige Erscheinung am Boden
der genannten Dachstube zwischen dem eisernen Sdiamier
am Fenster oder irgend einem anderen metallischen Ob-
jecto in der Nähe des Bodens und einer kleineren oder
grösseren Metallstrecke am Ofen gesehen haben, über deren
Gestalt wohl schwerlich eine genaue Angabe zu liefern ist;
eine „Feuerkugel*' in gewöhnlichem Sinne dieses Ausdrudces
war es nicht. Ebenso ist die Möglichkeit yorhanden, dass
bei einer .Ladung von so mächtiger Dichte und Menge wie .
sie an der Umfassung des ganzen Hauses der barmherzigen
Schwestern vorkam, unmittelbar vor dem Einschlagen alle
isolirt aufgehängten oder sonst wie angeordneten und iso-
lirten metallischen Objecto durch Influenz elektrisirt wurden,
und in diesem Zustande elektrische Lichtbüschel an Ketten
und anderen metallischen Objecten wahrgenommen werden
konnten« Die züngelnde Feuerflamme , welche die Frau
Oberin an einer Lampe in der südlich liegenden Kapelle
vor dem Einschlagen gesehen hat, möchte daher einer der-
artigen Erscheinung zuzuschreiben sein; letztere musste
auch in dem AugenbUdce wieder versdiwinden, in welchem
die Entladungsströme als Blitzschlag auftraten.
Aus den mechanischen Wirkungen und den Detona-
tionen, wie sie oben geschildert wurden, können wir bloss
entnehmen, dass nicht allein die Menge und Dichte der zur
Ausgleichung gekommenen Elektricitäten von mächtiger
Stärke gewesen sein müsse , sondern dass auch gleichroitig
Entladungsströme an sehr vielen Stellen über schlechte
Leiter — Stein- und Sandschichten etc. — von der ver-
JEiffcti: Bmerktmgen Über BUUtcUäge. 263
schiedeDsten Beschaffenheit and grosser Ausdehnung sidi
rerbreiten mussten. Es lässt sich daher vermathen, dass
aach die nächst liegenden Gebäude in der Sphäre der In-
fluenz sich befanden, dass jedoch bei diesen die Wirkungen
nch lediglich auf die (im, Boden wahrscheinlich vorgekom-
menen Durdibohrnngen u« dgl. und) heftige Erschütterungen
nnd Schallerscheinungen sich beschränkten, weil die an den-
selben befindlichen Blitzableiter den Ladungen und Ent-
ladungen die Bahn schon vollgeschrieben hatten.
Einfacher erscheint das Ereigniss an der Waldstrasse;
hier lässt sich mit grosser Wahrscheinlichkeit vermutfaen,
dass die Bahn des kürzesten Leitungswiderstandes von dem
oben erwähnten Senkloche aus — das vermuthlich dem
Niveau des Grundwassers am nächsten lag— in den feuchten
£rd- und Sandschichten unmittelbar zum unteren Theile des
Blitzableiters selbst ging, der nicht mit dem Grundwasser
in Gommunication stand, und weshalb jene mechanischen
Wirkungen und Erdaushebungen den Entladungsstrom be-
Die vorliegenden Thatsachen über die in Darmstadt
vorgekommenen — Dank der Vorsehung — äusserst seltenen
Blitzesereignisse haben unsere Betrachtung insbesondere des-
halb in so umfassender Weise in Anspruch genommen, weil
dieselben zu den wichtigsten Belegen gegen die Annahme
gehören, als ob der Blitzstoff — wenn wir uns dieses Aus-
druckes bedienen dürfen — von der Wolke g^en die Erde
Strome und hier in der verschiedenartigsten Entladungsweise
darch die im Wege stehenden irdisdien Objecto gehen müsse,
um endlich in den Boden selbst gelangen zu können. Unter
Anwendung der einfachsten und längst bekannten Lehren
luDgQgen lässt sich mittelst jener Thatsachen von Neuem
zeigen, dass die Ursache eines jeden Blitzschlages in der
Influenzfahigkeit der Terrainschichten, über welche die Ge-
witterwolke hinwegzieht, zunächst gesucht werden, also von
264 8iUtmg der moA.-pAy«. Ckme wm 6. JvU 1867.
der Ausdelmai^; und der Lage des Niveau^e der Waasav
strecken abhängig sein moss, auf oder an welohea die be-
treffende Erdstrecke sich befindet; dass hingegen die aa
der Erde selbst in Folge des Blitzschlages zu Stande ge-
kommenen Wirkungen an Gebäuden, BUtzableitem etc. ledig-
lich den Entladungsecscheinungen zogesdiriebea werden müssen,
welche jene Influenz zur Folge hatte. Wenn wir so unsere
bei früheren Gelegenheiten erörterte Anschauungsweise und
die dort daraus gezogenen Folgerungen wiederholt ab be-
stätiget ansehen, so dürfte nunmehr auf die Umstände selbst,
unter welchen die ihrer Entstehungsweise nach als bekannt
anzusehenden Blitzesentladungen an irdischen Objecten auf-
treten, besonders aufmerksam zu machen sein. Die Wirk-
ungen nämlich, welche hiebei zum Vorschein kommen
können, sind zum Theile noch so räthselhafter Natur, dass
für manche dieser Erscheinungen eine genügende ErUärung
nidit gegeben werden kann, ohne dabei Hypothesen zu Hülfe
zu nehmen, welche durch Analogien bis jetzt noch nicht
gerechtfertiget werden können. Zu diesen Erscheinungen
gehören namentlich die mechanischen und Wärmewirknngen,
und die sie begleitenden Schallerscheinungen, deren Auf-
treten an eine Quelle von Explosionskräften unwillkührlich
erinnern muss, für welche uns alle Anhaltspunkte für jet^
noch zu fehlen scheinen. Es ist wohl bekannt, dass alfe
Wirkungen eines Entladungsstromes von seiner Stärke, von
der Art und Weise der Entladung, von der Beschaffenheit
und Natur der im Schliessungsbogen enthaltenen Stoffe, von
der Anordnung des letzteren u. s. w. abhängig sein müssen;
die hierüber bekannt geword^ien Untersuchungsresultate
reichen jedoch nicht aus, um die bei Blitzesentladungen zu-
weilen vorkommenden Erscheinungen genügend erklären zu
können, abgesehen davon, dass wir über die Vertheilnng
und Anordnung der Elektricität an den durch Influenz von
Kuhn: Bemerhmgen 415er ttUigsehtäffe. 265
Seite einer Oewitterwolke elektrisirten Körpern wobl nie-
mals pracise Aufschlüsse erhalten werden.
Unter den mir bekannt gewordenen während der Ge-
witter des Monates Juni eingetretenen Blitzschlägen Yeidient
ein in Forchhelm Torgekommenes Ereigniss hier noch be-
sonders hervorgehoben zu werden, iheils deshalb, weil es unserer
gedachten Anschauungsweise abermals einen wesentlichen Be-
leg liefert, nicht minder aber der Wirkungen halber, welche
die Entladung begleiteten. Ueber diesen Fall lasse ich hier
einen sehr gründhdien. Bericht^) im Auszuge folgen, welcher
die Beantwortung mehrerer Fragen enthält, die itber die
stattgehabten Vorgänge genügenden Aufschluss zu geben ge-
stattet; leider konnten die Spuren im Boden selbst nicht
näher yerfolgf werden :
„Das Haus zu Forchheim, in welches der Blitz am 24. Jani 1867
Abends 4 Uhr einschlug, wird von einem Fallmeister mit Familie
bewohnt, and steht, wie es schon des Fallmeistergeschaftes wegen
sein muss, ganz isolirt anf einem Anwesen , das von anderen Woh-
nongen ferne liegt In der Nähe des Hauses — 72 bayr. Fuss davon
entfernt — vereinigen sich zwei Arme des Flosschens Wiesent, das
lieh dann in der Nähe in die Regniiz, die in einer Entfernung von
310 Fass an diesem Hause vorbeifliesst, ergiesst Der Donau-Main-
Kanal dagegen ist 2080 und die Eisenbalin ist gegen 2790 F. von
diesem Hause entfernt. Das Beairksamtsgebäude, welches innerhalb
der Festungsmauem liegt und mit Blitzableiter versehen ist, — die
übrigen Gebäude daselbst haben keine Blitzableiter ^ ist nördlich
vom Hause des Fallmeisters und in gerader Linie 1210 bis 1260 F.
davon entfernt. Auf die gestellten Fragen wird Folgendes bemerkt:
7) Diesen Bericht habe ich meinem Freunde, dem kgl. Herrn Ban-
heamten Hatzel in Bamberg zu verdanken. Mein Freund bemühte
iich auf mein Ansuchen selbst nach Forchheim, und nahm hier in
ttchgemasser Weise die Untersuchung so weit vor, als es die herr-
ichenden Umstände erlaubten. Die mir freundlichst angelegten
vier graphischen Darstellungen lassen über die Spuren der Entlad-
mg nicht den mindesten Zweifel übrig.
266 SitMung der maÜ^-phifB. Clam wm 6, Mi 1867.
1) üeber Bichtang, Zng and Dauer dee Oewitien am 24. Jani 1667
konnte man keine genauen und zuTerlässigen Mittheilungen mebr
erhalten. 2) Das vom Blitz getroffene Gebäude des FallmeisterB ist
nicht mit Blitzableiter yersehen. 8) Dieses Grebäude ist zweistöckig,
und hat bis zum First eine Höhe von etwa 27 Fuss. Die sn der
Westseite angebauten Nebengebaude sind um 10 F. niedriger, zwei
isolirt südlich davon stehende Nebengebäude sind nur 10 bis 12 F.
hoch. Die östliche — oder vielmehr etwas südöstliche — Giebelseite
des Hauses wurde allein vom Blitze getroffen. 4) Der Hanssockel
liegt circa 6 Fuss über dem Niveau des jetzigen Wasserstandes der
Wiesent und Regnitz (vom 18. Juli). Das Terrain um das Gebäude
besteht aus Sand (Alluvium). 5) Im Boden sind keine Spuren dee
Blitzschlages bemerkt worden. 6) Die Bewohner wurden vom Blitz-
schlage betäubt, konnten daher keine Aufschlüsse über die Licht-
erscheinungen geben. Von anderen Personen wurde der Blitzschlag
nicht bemerkt, da das Gebäude ganz isolirt liegt. (Die beiden ver-
schont gebliebenen Kinder — «. unten -^ dürften jedenfalls durch
die Lichterscheinungen verscheucht worden seinV*.
„Die ümfangswände des Gebäudes bestehen aus Riegelwerk von
0,6 Fuss starkem Holze, deren Fache mit Backsteinen und Sand-
steinen ausgemauert und mit Mörtel verputzt sind. Die Bahn des
Blitzschlages zeigt sich an allen Stellen der Giebelwand an der
inneren Seite der Wandfläche, nur zwischen dem zweiten und ersten
Stock ist die Spur an der Aussenseite der Wand sichtbar. Der Blitz
schlug unter dem Giebelbrett in das Haus ein, zertrümmerte daselbst
das Giebelfenster vollständig, wovon nur noch kleinere Splitter übrig
geblieben sind, fuhr dann an dem rechtseitigen Fensterpfosten von
Holz herunter bis zu einer eisernen Klammer und verseng^ das
Holz — es sind schwarzbraune Brandflecken von 8 bis 4 Zoll vor-
handen — . Die eiserne Klammer circa 1 Fuss lang ist mit beiden
Spitzen in das Holz geschlagen, so dass der Zwischentheil 1 Zoll
weit vom Holze absteht; auf der Höhe dieser Klammer sind weder
Brandflecken noch sonstige Beschädigungen des Holzes bemerkbar,
vom unteren Ende dieser Klammer abwärts ist jedoch die Bahn des
Blitzstrahles wieder durch Brandflecken bezeichnet. Die Verkohl nng
beschränkt sich jedoch an allen Stellen nur auf die Oberfläche des
Holzes und dringt nirgends tief in dasselbe ein. Das Holzwerk ist
auch nicht in Brand geratheii. Der Blitz fuhr dann durch eine
Fuge zwischen Giebel wand und Dachgebälk hindurch; an der unteren
Fläche des Dachgebälkes werden die hinterlassenen Spuren desselben
wieder sichtbar, indem hier ein guadratformiges Stück Deckenverputs
EMkn: Bemerhmgen «6ef BliiBsMäffe. 267
der LaUeiiddcke von 0,2 Fnss Seitenlftnge sohtrfkantig wie heraas-
geschniitoD, abgesprengt, die Latte darunter stark geschwftnt nnd
eine kleine Yertielnng eingebrannt ist. Ausserdem ist an dem recht-
seitigen Fensterpfosten oben an der Decke ein Stuckhok 0,66 F.
liooh, V* Zoll breit und tief in Form einer scharfkantigen Rinne
heraugesplittort, deren FUohen jedoch keine Sparen von Verkohlang
zeigen. Yon hier aus fuhr der Blitz durch den zwischen zwei
Fenstern hängenden Spiegel im ersten Stocke, schlag an der oberen
Ecke desselben ein Loch 0,4 F. breit, 0,96 F. hoch in denselben,
ging hinter dem Spiegel diagonal herunter, hinterliess Brandflecken
aaf der hölzernen Spiegelwand und auf der Hauswand daselbst, fuhr
an der anteren Ecke des Spiegels durch das Glas heraus und schlug
daselbst ein Loch 0,1 F. hoch und 0,7 F. breit in denselben. Die
Ränder dieser beiden Locher sind in unregelmassigen Linien aus-
geiplitterty die vorstehenden Spitzen auswärts etwas aufgebogen, und
das Glas auf 0,06 F. bis 0,16 F. Breite sehr stark angeschmolzen,
so dass es auf diese Breite blind, d. h. nicht mehr durchsichtig ist. —
Die Fenster beiderseits des Spiegels sind mit eisernen Winkelbändem
bescbla^n, die an den Spitzen ebenfalls Spuren von Schmelzung
zeigen. Auf dem Tische vor dem Spiegel (der Tisch befand sich
ebenfalls an der Wand des Zimmers) lagen einige Kleidungsstücke,
welche in Brand geriethen und ein tellergrosses, V> Zoll tiefes Loch
in den Tisch brannten. Der Blitz fuhr an der Ecke zwischen Tisch
uid Fenster durch eine Fuge zwischen dem Brus^egel des Fensters
und der Faohausmauerung hindurch, splitterte dabei ein Holzstüok
ab und darunter einige Fensteraplitter aus ; nahm dann seinen Weg
auf der Anssenfläche des Hauses bis zum Fenster des Erdgeschosses*^
[nAn dieser Stelle der von der Blitzesentladung durchbrochenen
Wand soll eine rinnenformige Vertiefung, und der Mörtel derselben
«ie geschmolzen oder salpetrig gewesen sein. Diese Stelle ist aber
inzwischen wieder verpatzt und übertüncht worden*'.] >,Durch das
Fenster (des nordöstlichen Zimmers) des Erdgeschosses ging die
Entladung hindurch, schmolz das Blei an verschiedenen Stellen,
splitterte Glasstücke aus, fuhr in das Zimmer, wo sich die Familie
befand, hinterliess am Tisch und am Fussboden mehrere kleine
Brandflecken, und fuhr durch die östliche Wand an einer Stelle
bindarch, wo am Hause selbst die (aus einer schräg an das Haus
anliegenden Steinplatte bestandene) Hundshütte war. In letzterer
1^ ein grosser Hanshund, an einer 7 Fass langen starken Eisen-
^ette angebunden, der erschlagen wurde. Weitere Spuren des Blitzes
Tom Hände weg am Boden etc. sollen (?) nicht bemerkbar gewesen
268 ^ 8ügun§ der matk-fk^. Omm vom 6, JmU 1867.
•em^'. — JSo weit gehen die Beobeehtaigeii, die ich M der Loeel-
erhebiiDg machen konnta Ferner hat mir der Fellmeieter Folgendef
tber die Wirkong det Blitsschlages erz&hlt. Er sei mit seiner
Familie hei Feier seines Namenstages am Tisch (im nordöstlichen
Zimmer des Erdgeschostes) gesessen, nnd zwar: eine 16jihrige
Tochter nnd ein ICjähriger Knahe seien nnmittelbai^ am (letst-
erwähnten) Fenster anf der (an der öetlichen Zimmerwand hefind-
Hohen) Bank gesessen, nnd vom Blits, der — wie gesagt — dnrch
dieses Fenster fnhr, getödtet worden; die Kleider des Knahen hätten
gehrannt (derselbe sei anch schwars gehrannt gewesen, w&hrend beim
Mädchen nnr eine geringe Spnr am Arme ersichtlich war). Seine
Fran sei anf dem südlichen Stnhl, er anf dem Stiele gegenüber der
Kinder nnd ein Gast anf der Bank an der nördlichen Wand des
Zimmers — nnd swar alle drei nm den Tisch hemm mit ihren
Kindern gesessen. Alle drei — Mntter, Vater nnd Gast — seien
▼om Blitzschlag betäubt worden nnd in gleicher Richtung (ron
Korden gen Süden) anf den Boden gefallen, seine Fran habe eine
Lähmung am linken Bein, wovon jetzt schwache Spuren zurndc-
geblieben, er eine vier Tage dauernde Lähmung am rechten Arm
erlitten. Zwei auf der Bank an der (dem Fenster gegenüberliegen-
den) Rückwand des Zimmers sitzende Kinder von 3 und 13 Jnhren
seim nicht vom Blitze beschädiget worden, sondern nach dem Blitz-
schlage zur Thüre hinausgelaufen, unter der Bank am Fenster, auf
welcher die von der Blitzesentladung getödteten zwei Kinder sassen,
seien drei Hunde gelegen, die ebenfalls vom Blitzschläge erschlngen
worden seien. Ausserdem wurde, wie bereits bemerkt, der Heus-
hund ausserhalb des Hauses — der unmittelbar unter diesem Fenster
am Boden lag und mit der genannten Kette (an der Wand (?)) an-
gebunden war — - in der Hundshütte er8chlagen'^
Wenn wir die Spuren der Entladungen nach der eben
vorgeführten Beschreibung (und mittelst der uns vorliegenden
Abbildungen) genau durchgehen, so zeigt es sich| dass der
eigentliche Entladungsstrom nicht am Dache, sondern erst
unterhalb des Oiebelbrettes seinen Ausgangspunkt hatte;
von da aus ist seine Bahn durch die MetalHheile am Dach-
fenster, durch mechanische Wirkungen bis zur Klammer
des QebälkeS) von hier abermals durch mechanische Wirk«
ungen und Cnterbrechungsfunken bis zur Spiegelfolie nnd
SMlm: B«m«rhmgm über SUtMsMäge. 269
d^ dfinnen eisernen Fensterbesohlägen, hierauf dardbi eigen-
thümliche mechanische, Wärme- ond Lichterscheinungen in
uBd an der Mauerwand, dann durch die Metalltheile und die
starken mechanischen Wirkungen am Fenster des Zimmers,
am Erdgeschosse und endlich durch die — vermuthlich an
der Aussenseite des Hauses befestigte — lange starke Kette
des Haushundes und durch letzteren selbst , der auf dem
Boden lag, bezeichnet. Wenn wir nun in Erwägung ziehen,
dass die nächste Umgebung von Forchheim ein auf grosse
Ausddmung flacher Wiesengrund (mit vielfachen Bewässer-
ungskanälen) ist, ^ dass femer jenes Haus ohnehin fast un-
mittelbar an grossen Bächen sich befindet, deren Niveau
selbst am 18. Juli noch 5 Fuss unter d^m Hause lag, wenn
wir femer erwägen, dass die im Juni stattgehabten mehr-
fachen Regengüsse einen weit höheren Wasserstand am
Johaonitage vermuthen lassen, femer berücksichtigen, dass
in diesem Sommer das Grundwasser in den Brunnen auf
einem grossen Gebiete in unseren — und vermuthlich
auch in den Main- etc. — Gegenden einen ungewöhnlich
hohen Stand zeigt, so müssen wir schon daraus vermuthen,
dass die Ursache jenes Ereignisses nicht in ^ einer geringen
Entfernung des unglücklichen Hauses von der Gewitterwolke
oder gar am Hause selbst, sondern lediglich in den Terrain-
Terbältnissen jenes Stückes Land, über welches die Gewitter-
volkd gezogen und in der vermuthlich äusserst starken
dektriscfaen Ladung der letzteren gesucht werden müsse.
Die über die Bahn der Entladung berührten Umstände so-
wie die Localerhebungen zeigen uns aber, dass am Dache
selbst keinerlei Beschädigungen vorkamen und dass die In-
fluenzfahigkeit der am Hause und an seinen Wänden eta
Torkommenden Materialien und Objecto hier gar nicht in
Ansddag gebracht werden kann: es muss also die unge-
heure Elektricitätsmenge, welche beim Blitzschlage zur Ent-
ladung kam, sich lediglich aus der durch Influenz elektri-
[1867. IL 3.] 18
270 Sitzung der math.'phys, Qaase vom 6. Mi 1867.
sirten onterirdisohen Wasserstrecke an den genannten Theilen
des Hauses von unten nach oben verbreitet haben; von einem
directen Einschlagen der Gewitterwolke oder des Blitzes
dürfte yermuthlich hier nicht die Rede sein®). Allem Ansehen
nach zog letztere von Osten her, die ausgedehnte Grund-
wasserstrecke konnte eine starke influencirende Wirkung er-
fahren; letztere war vermuthlioh an der Stelle, wo der
Kettenhund lag, dem Boden am nächsten, und durch diesen
verbreitete sich nun die in Beziehung auf die Wolke nega-
tive Ladung über die bereits beschriebenen Strecken, um
nach genügend grosser Entfernung der influencirenden Wolke
oder nach der Entladung der letzteren in der Atmosphäre
als Entladungsstrom innerhalb der discontinuirlichen Leitungs-
bahn ^bis zum Grundwasser hin aufzutreten. Das ganze Er-
eigniss scheint bloss ein sogenannter kalter Schlag, also
eigentlich ein Rückschlag gewesen zu sein, deren ausserdem
noch mehrere andere in secundärer Weise gleichzeitig ein-
getreten sein konnten ^). Die vorher beschriebene Bahn ist
nämlich augenscheinlich der Weg des kürzesten Leitungs-
widerstandes für den Ladungs- und Entladangsstrom ge-
8) VergL Polytechn. Joura. Bd. CLXXXII, S. 295.
9) Ein ähnliches jedoch von unwesentlichen Wirkangen und
von keinerlei Unfall begleitetes Blitzesereigniss kam bei einem
schwachen von West gen Ost ziehenden Gewitter "km 22. Juli d. J.
Abends 10 Uhr am nenen Gottesacker an der Tbalkirohner-Strasse
zu München vor. Die Gewitterwolken zogen dabei über das mit
Grundwasser reichlich versehene kleine Thal — .zwischen Ober-
sendling nnd der Isar — und der Blitzschlag kam an dem west-
lichen Thorbogen der Umfassungsmauer vor. Die Spuren an den
unteren beiden Enden des Sockels, an dem Bogen, sowie die Ze^
Störung des aus Backsteinen bestehenden Kreuzes liessen erkennen,
dass alle hier befindlichen Metalltheile — Gitterthor, eiserne Staoge
des Kreuzes etc. — die discontinuirliche Leitungsstrecke für die in-
fluencirte Ladung bildeten. — Diese Entladung soll von einem
starken (elektrischen oder Ozon-) Geruch begleitet gewesen sein.
jSMfi: Bemsrhmpin Über WiiUfaMäg^ 271
Wesen; bei einer solch in^eheuren Elektaidtätsmenge von
so bedeatender Dichte,« die unmittelbar vor der Entladung
an den verschiedenen Tbeilen der östlichen Giebelwand also
aach an der untersten Fensterwand, an der Fensterumfassung
und den hier befindlichen Metalltheilen sich anhäufte, konnte
die influencirende Wirkung gegen die beiden unmittelbar am
Fenster gesessenen zwei Kinder sowie gegen die übrigen in
deren Nähe befindlichen Personen und Objecte nicht unter-
bldben; theilw^se durch ihre Verbindung mit der östlichen
Wand, theils mit dem Boden selbst, konnten die getrennten
Eotladungsströme zu Stande kommen, welche natürlich mit
Bttcbicht auf die Entfernung von der Wand bei den rer*
QDglackten Kindern — die am stärksten inflnencirt waren —
starker ausfallen mussten, als bei den übrigen Personen.
Betrachten wir jedoch die Anordnung und^ Gruppirung der
getroffenen Personen (nach dem uns vorliegenden Grund*
plan) im Erdgeschosse, so möchte es nicht unmöglich sein,
dass die beiden unmittelbar an devl Schliessungsbogen an-
gelehnt gewesenen zwei Kinder, sowie die drei Hunde unter
der Bank, auf welcher jene sassen, durch eine Seitenent-
ladong getödtet wurden, da&s hingegen der Entladungsstrom,
welcher die drei älteren um den Tisch herum an der
at^ewendeten Seite in einer disoontinuirlichen Kette befind-
lichen Personen betäubt und oberflächlich verletzt hat, vieU
leicht ein secnndärer oder inducirter war. Mag nun die
Natur dieser Ströme, durch welche das unglückliche Er-
eigniss sich manifbstirte, von der einen oder anderen Art
gewesen sein, so können wir immerhin noch ausserdem mit
der grössten Wahrscheinlichkeit annehmen , dass der ganze
Boden, auf dem das Haus ruht, an der Influenz Antheil
nehmen musste; der Rückschlag selbst konnte (laher auch
starke erschütternde Wirkungen am ganzen Gebäude und
selbst an den unverletzt gebliebenen zwei Kindern, die an
der Rückwand des Zimmers — vermuthlich mit herunter**
18* .
272 SUsunff der matK-phifs. ChsH vorn $, JM 1867.
hängenden Beinen — sassen, anffareten: sowohl die imZim-
mer wahrgenommenen Entladungsftinken als auch dne etwas
ungewöhnliche Erschütterung versöhenchte dann die erschredc«
ten Kinder aus dem Hause. [Auffallend ist es, dass bei
diesem sowie bei den oben beschriebenen Blitzes^reignissen
der eigenthümliche Ozongeruch selbst in der nädisten Dm*
gebung nicht wahrgenommen worden ist.]
Sowohl die physiologischen, als auch die mechanischen
und die mit diesen yerbunden gewesenen äusserst intensiven
Wärmewirkungen, wetdie das in Forchheim am 24. Juni
stattgehabte Blitzesereigniss b^Ieiteten, sind so eigenthfim*
lieber Natur , dass dieselben einer näheren Untersuchung
wohl unterworfen werden dürften, wenn noch weitere Er-
hebungen hiefür möglich gemacht werden könnten; wir
müssen uns auf einige Bemerkungen hierüber besdiränken.
Die im Zimmer der Familie des Fallmeisters vorgekommenen
physiologischen Wirkungen dürften uns zunächst zeigen, dass
[was wir übrigens an vielen der sch<m früher votigekom-
menen Fälle dieser Art nachweisen könnten] die Tödtung
durch einen sogenannten Blitzschlag bei verschiedenen Per-
sonen im Allgemeinen nicht auf ein bestimmtes Alter odar
Geschlecht sich beschränkt, und dass überhaupt von einer
Auswahl, die eine Blitze6a[itladung in dieser Beziehung treffe,
keine Rede sein und dass ebenso wenig ein derartiger Unter-
schied zwischen Menschen und Thieren geftanden werden
kann; es sind lediglich die Umstände, unter welchen die
Influenz- und die diese b^leitenden Nebenwirkungen etc.,
sowie die aus diesen verschiedenartigen Vorgängoi ent-
springenden Entladungssströme zu Stande kommen können,
bei der physikalischen Beurtheilung eitles derartigen Falles
ins Auge zu fassen ^^). Statistische Nachweise solcher Art,
10) Die üntersncliang, welcHe an der Leiche des 16jährigen
Mädchens und deijenigen des 10jährigen Khabens an der Unglücks-
Kuhn: Bmerhmigen tite* BUUaMäg^ 2T9
wie sie für yorgekommene Fälle von Tödtnngen von Per*
Boam durch Blitzschläge in den verschiedengten Gebieten eta
Dodi häufig zusammen gestellt werden, dürften wohl ihren
ogeDthomlichen Wertti haben; in rein physikalischer sowie
phydologisoher Beaiehnng aber dürfte ihre Bedeutung als
zweifelhaft ersdidnen. — Als besonders an£Eallend möchten
die Producte der Wärme- and mechanisdien Wirkungen her«
Torsoheben sein, welche nach dem Blitzschlage in dem
Wohnzimmer der Familie aufgefunden worden sind, sowie
jene, welche in der Mauer zwischen dem ersten Stockwerke
and dem gedachten untersten Fenster yermuthungsweise
sich noch vorfinden sollen. Der mir zugekommene Bericht
juemes Freundes spricht sich hierüber in nachstellender
Weise ans : „Von anderen Personen, die das Hans am darauf
folgenden Tage besuchten, hörte ich sagen, dass sie form-
Üdie Bohren, die der Blitz dnrch Holz und Maueiwerk ge*
bohrt habe, gesehen hatten (s. o. S. 267); allein dieses be*
ruht auf Täuschung oder falscher Aufibssung der Sache,
denn es sind nur ausgesplitterte Rinnen am Holzwerk, und
Aassplitterungen an den Fugen zwischen Hohe und Mauer-
werk bemerklich. Femer soll am Fussboden des Wohn*
Zimmers Sand gestreut gewesen sein — nadi ländlicher
Sitte geschieht diess in Oberfranken am Vorabende emes jeden
Feier- oder Festtages *-, der in der Richtung des Blits«
Schlages geschmohsen und sich in eine Röhre yerwandelt
Ittben soll ... . An den Fnssbodenbrettem sind übrigens
•iatte vorgenommen wurde, hat sich, wie es den Anschein hat, bloss
tiif ttne oberflächliche am Leibe u. dgL beschränkt Die Sparen
ösr Entladung an beiden Kindern möchten wohl am Kopfe ^ unter
den Haaren — oder selbst an anderen blossgdegten earten Organen
•idi Torfindan; nur durfte sn deren üntersoheidiing, da sie vermuth«
lieh in schwachen siebartigen Dorohbohrongen bestehen, mindestens
die Anwendung einer Loupe ndthig gewesen sein.
274 SiUnmg der mM.-pkifs. CIom« vom 6. JmU 1867.
nar ein oder zwei Brandflecken in Kreoz^grösfie^' (also kein
Loch in Thalergrösse wie diees von anderer Seite angegebai
wurde) „und am Tische unten nur einige Stellen , kaum
merklich versengt, aber kein Strahl mit Brandflecken, wie
er an der Wand im oberen Stocke rorhanden, zu bemerken
ist". Die Entstehungsweise des am Zimmerboden der Dn-
glücksstelle vorgefundenen ,, röhrenförmigen Concrements",
von welchem durdi ein Fragment ^^) nachgewiesen worden
ist, dasB diess eine wirkliche Blitzröhre war, muss vor^
läuflg als ein in ein Dunkel verhülltes Phänomen angesehen
werden; ein ähnHcher Fall ist meines Wissens bis jetzt nodi
nicht bekannt geworden. Jenes Fragment ist beiläufig 1 bayer.
Dec. Zoll lang, ganz unregelmässig gestaltet, seine Grund-
form dürfte etwa als ein stumpfer Kegel mit ovalen Grund-
flächen angesehen werden , von welchen die Hauptaxen der
grösser^ beiläufig 6'^' und 2'^' (b. Dec. M.), jene der
kleineren 3'^' und Vjn"^ sind; dieses Röhrenstück ist sehr
dünnwandig (an der stärksten Stelle etwa V^ hayr. Dedmal-
linie dick) an verschiedenen Stellen mit Ausbiegungen, und
Zacken versehen, im Innern vollkommen verglast, an den
Aussenflächen rauh und mit weissen Sandkörnern (?) besetzt
Unwillkührlich taucht beim Anblicke dieses Gebildes — das
mit den gewöhnlichen Blitzröhren volle Aehnlichkeit zeigt —
der Gedanke auf, es müsse auf dest angeblich zwei Foss
langen Strecke der dünnen SandscUcbte am Zimmerboden
ein bis zum höchsten Glühgrade erhitzter Luftstrom die
Bahn der elektrischen Entladung bezeichnet haben. — Eine
Nachgrabung im Boden ausserhalb des Hauses wurde bis
11) Pieses Fragment befindet tioh im physikaliichen Ckbinete
des Lycenm's in Bamberg; es Wurde mir durch die Oöte meines ge-
ehrten CoUega Herrn Prof. Dr. Höh enr Ansicht sngeeendet; durch
Yermittelnng des Untereachangsriohtera Herrn Bath Miltner uX
dasselbe in seinen Besits gelangt.
Kuhn: Bemerkungen üiber BUUsdiläge. 275
jetzt nicht yorgenommen ; ob man hier nicht auf Blitzröhren
beiyorsichtiger Bohrung kommen dürfte, könnte natürlich nur
als eine Vermuthung hingestellt werden.
Durch die über die henrorgehobenen Blitzesereignisse
im Vorstehenden angestellten Betrachtungen dürfte nunmehr
die Anschauungsweise über die Entstehung von Blitzschlägen
als hinreichend begründet angesehen werden. Praktische
Folgerungen aus den durch jene Ereignisse gewonnenen Er-
MruDgen zu ziehen, dürfte hier als unnöthig erscheinen;
die oben (S. 247) angeführten Sätze erlangen ohnehin hie-
dnreh eine neue Bestätigung ^'). Hingegen mag zum Schlüsse
noch angeführt werden, dass unsere Erörterungen vielleicht
auch fSr die Häufigkeit der Blitzschläge neue Anhaltspunkte
liefern können. Es scheint uns nämlich daraus hervorzu-
gehen, dass in solchen Jahren, in denen durch massenhafte
Niederschläge während der eigentlichen Gewitterperioden die
Gewässer überhaupt sowie namentlich die unterirdischen
einen hohen Stand annehmen , die Zahl der Blitzschläge
unter sonst gleichen Umständen — also auch bei gleicher
Frequenz und Stärke der Gewitter _— grösser sein müsse,
als in Frühlings- und Sommermonaten von geringer Regen*
menge. Ebenso scheint aus den obigen Betrachtungen die
Folgerung gezogen werden zu dürfen, dass bei periodisch
an einem und demselben oder an unmittelbar auf einander
folgenden Tagen auftretenden Gewittern die Wahrscheinlich-
keit des Eintretens von Blitzschlägen bei den folgenden Ge-
wittern um so grösser werden müsse, je grösser die Regen-
menge war, welche die vorausgegangenen Gewittererschein-
ongen als Begleiter und zur Folge hatten.
12) Die bei meiner Besprechang über die neue französische In-
Btraction für Blitzableiter an Pulvermagazinen [s. Polytechn. Joum.
Bd. CLXXXIV, S. 469, Juni 1867] erhobenen Bedenken werden
darch die eben beschriebenen Blitzesereignisse von Neuem gerecht-
fertigei
276 SiiBtmg der matK-pfiffs, CUuu wm 6. JM 1867.
Herr y. Kobell hält einen Vortrag:
„üeber den Glaukodot von Hakansbö in
Schweden".
Ich habe kürzlich den Glaukodot von Hakansbö nnter-
suchty welcher sich in der KrystaUisation von dem Glauko»
dot Breithaupts nur dadurch unterscheidet, dass die
Spaltbarkeit nach der basisdien Fläche bei diesem als be-
sonders deutlich angegeben wird, während sie bei jenem
wenig deutlidi ist. Die KrystaUisation ist bekanntlich die
des Arsenopyrits und konnte ich an den' Erystallen ?on
Hakanbö ein neues Doma 2 F oo beobachten. Meine Analyse
war bereits vollendet, als eine Abhandlung von Tschermak
über dasselbe Mineral erschien, worin auch eine Analyse von
E. Ludwig mitgetheilt wird. Der Inhalt dieser Abhandlung
könnte gegenwärtige Publication als überflüssig erscheinen
lassen, denn ich fand wesentlich ihre Angaben nur bestätigt,
gleichwohl hat die Uebereinstimmung zweier unabhängig
geführten Untersuchungen immer einigen Werth und nament-
lich in Bezug auf die chemische Analyse, welche nidit so
leicht zu revidiren ist als die krystallographischen Verhältnisse.
Ich stelle daher hier die beiden Analysen 1. von Ludwig
und 2. von mir zusammen.
1.
2,
Schwefel
19,80
19,85
1,24 S
Arsenik
44,03
44,30
0,59 As
Eisen
19,34
19,07
0,681 Fe
Kobalt
16,06
15,00
0,508 Co
Nickel
—
0,80
0,027 Ni
Kieselerde
—
0,98
99,23 100
«. KobOt: Der OkuOiod^ vom Bakanibd. 277
Die Formel ist 4C?{S;, + 5 Fe{S;,
Die Differenz betrifft mir ein geringer yon nur gefan«
dener Nickelgehalt. Ich habe darauf ein besonderes Augen-
merk gerichtet, weil es seltsam ist, dass die bisherigen Ana-
lysen kobalthaltiger Arsenopyrite, eine emzige von Ph. Kröber
aufigenommen, kein Nickel angeben, wie auch keines in dem
analog zusammengesetzten Kobaltin, während im Smaltin
fast immer eine Vertretung des Kobalt darch Nickel vor-
kommt. Idi trennte die beiden Metalle durch salpetricht-
BaoresKali. Das erhaltene Nickelozyd löste sich in Salpeter-
saure mit grüner Farbe und gab mit Ammoniak im Ueberschuss
die himmelblaue Lösung. Die Kieselerde fand sich, als das
mit Wasserstoff reducirte Kobalt in Salpetersäure gelöst
wurde.
Vor dem Löthrohr auf Kohle entwickelt das Mineral
anfangs starken Arsenikrauch, ohne zu schmelzen, nach
längerem Erhitzen aber schmilzt es ganz leicht zu einer
stahlgrauen magnetischen Perle, welche beim ersten Zu-
sammenschmelzen mit Borax ein grünlichblaues , bei län-
gerem Behandeln im Reductionsfeuer ein schön kobaltblaues
Glas giebt. — Dieser Glaukodot ist wie der Arsenopyrit
ein guter electrischer Leiter und fiberläuft, mit der Zink-
Uappe in Kupfervitriol getaucht, sogleich mit glänzendem
metallischem Kupfer.
Als Pulver mit Eisenpulver gemengt entwickelte er mit
Salzsäure reichlich Schwefelwasserstoff.
Mit Salpetersäure erhält man, unter Ausscheidung von
Schwefel, eine schön rothe Lösung.
Der erwähnte von Kröber analjsirte nickelhaltige Ar-
Benopyrit stammt von La Paz und Yungas in Bolivia und
enthält 35 Procent Eisen, 4,74 Nickel und nur eine Spur
Ton Kobalt. Das spec. Gewicht 4,7 ist auffallend gering.
278 Siteung der maUk-phys. CUtsae wm 6. JvK 1867.
Der Glaukodot von Hakansbö hat nach Tschexmak
5,973, nach meiner Wägung 6,96. —
Ich stimme der Ansicht Tschermak's bei, das Mineral
von Hakanbö zum Glaukodot zu stellen und die weniger
Kobalt enthaltenden Verbindungen dieser Art Danait zu
benennen. Wo bei diesen das Kobaltblau mit Borax nidit
mehr sicher wahrzunehmen, da kann man sich vom Kobalt-
gehalt überzeugen, wenn man eine feingeriebene Probe von
etwa 1 Gramm in Salpetersäure löst und die stark ver-
dünnte Lösung mit ehem. bereitetem kohlensaurem Kalk
fällt. Man filtrirt den Niederschlag des arseniksauren Eisen-
oxyds und versetzt das Filtrat mit Schwefelammonium; er-
hält man kein oder ein blass gelblich aussehendes Präcipitat,
so ist kein Kobalt vorhanden, ist aber die Trübung oder
der Niederschlag graulich oder schwarz, so säuert man die
Flüssigkeit mit Salzsäure an und lässt sie durch einFiltmm
laufen. Ohne weiteres Auswaschen trocknet und verbrennt
man dieses Filtrum und schmilzt den Rückstand im Platin-
drath mit Borax zusammen. Man kann so die kleinsten
Mengen von Kobalt in den Arsenik und Eisen enthalten-
den Erzen nachweisen.
VoU: Ueber HamaäuresedimenU, 279
fierr C. Voit berichtet über eine in seinem Labora-
torium and unter seiner Leitung von Hm. stud. med. Frz.
Hof mann ausgeführte Arbeit
yiUebcr das Zustandekommen der Harnsäure-
sedimente".
Ein Niederschlag von Harnsäure oder hamsauren Salzen
entsteht, wie schon länger bekannt ist, nur in seltenen Fällen
dadurch, dass der Harn wegen Wassermangels mit diesen Ver-
bindungen bei der Temperatur des Körpers gesättigt ist und sie
beim Erkalten herausfallen lässt, oder dadurch, dass er aus
irgend welchen Ursachen mehr davon enthält als gewöhnlich.
Das erstere findet nur selten statt, weil der Niederachlag meist
erst längere Zeit nach der Erkaltung entsteht und beim Er-
warmen auf 38 ®C. sich nicht wieder löst; das letztere
nicht, weil sich beim Auftreten von Sedimenten meist
keine grössere Quantität Harnsäure finde.t. Und doch macht
man sich nicht immer von diesem Vorurtheil los, dcfxn man
Bchliesst nur zu ofb, wenn man den Boden des Hamglases
mit dem bekannten Ziegelmehl bedeckt findet, auf eine ver-
mehrte Hamsäureabscheidung. Aber auch bei dem reichlich-
sten Sedimrate darf man diesen Schluss nicht machen, dasselbe
sieht nur voluminös aus, denn sobald man zum Harn etwas Säure
zogiesst, verschwindet alles bis auf wenige Harnsäurekrystalle.
Die Menge der Harnsäure, die ein gesunder Mensch im
Tag liefert, kann zwischen 0.4—2.0 Gramm schwanken; ich
habe bei Krankheiten nie mehr beobachtet, als normal auch
anitreten kann. Schon vor Jahren hab^ ich einmal den
24stüud]gen Harn eines Arthritikers erhalten, welchem kalte
Einwickinngen gemacht worden waren ; der Harn war durch
seine ganze Masse, trüb, voll des reichlichsten amorphen
280 SiUfung der tMUfL-phys. Ckase wm 6. JM t867.
Sodimentes; man wollte mir damit beweisen, dass unter der
angegebenen Behandlung die Harnsäure aus dem Körper zur
Ausscheidung gebracht werden könne; als ich aber die
quantitative Bestimmung machte, war die Menge der Harn-
säure unter dem Mittel.
Die Harnsäure kann nicht als solche aus der Niere abge-
schieden werden, da sie in Wasser nahezu unlöslich ist, sie
kann nur als harnsaures Salz im frischen Harn enthalten sein,
und muss also irgend woher ihre Basis, meist Natron, nehmen.
Dadurch ist die Menge der in . den Harn übergehenden Harn-
säure eine sehr beschränkte, während von dem in Wasser
leicht löslichen Harnstoff unbegrenzte Mengen fortgeschafit
werden können; jeder Mensch kann im Tage, je nach der
Menge des im Körper verffigbaren Alkali's nur eine
begrenzte Harnsäuremenge ausscheiden, und wenn mehr
erzeugt wird, als entfernt werden kann, so muss sie zurück-
bleiben.
J. Scherer hatte vor längerer Zeit eine Theorie ab-
wickelt, die auf die Art der Bildung der betreffenden Sedi-
mente und der Harnsteine das hellste Licht zu werfen schien
.und die noch heute allgemein acceptirt ist. Man war da-
mals von dem allgemeinen Vorkommen der Milchsäure iin
Thierkörper überzeugt. Man dachte nicht an anorganische
Säuren und man hatte die Gegenwart der Milchsäure in der
sauren Mildi erkannt und so musste überall, wo man im
Organismus eine saure Reaktion traf, Milchsäure die Ursache
sein. Die saure Reaktion des Harns leitete man daher auch
von der Milchsäure ab; und da man wusste, dass auf Zu-
satz einer Säure zum Harn Harnsäure niederfalle, so lag nichts
näher, als anzunehmen, die Sedimentbildung käme von einer
Vermehrung der Milchsäure im Harn nach der Entleerung,
von einer sauren Gährung des Harns.
Nun kann man aber im Harn weder Milchsäure finden,
poch eine Vermehrung der Säure beim Stehen.
VoH: Ueber HamgäureBeäimenU. 281
Man ist nicht im Stande, Milchsäure im Harn nachzn«
weisen. Pettenkofer bemühte sich, die angebliche Milchsäare
darzustellen, er &nd dieselbe nicht, jedoch statt ihrer das
Kreatinin. Anch Liebig sagt in seiner berühmten Abhand-
lang über den Harn des Menschen und der Thiere, dass er
nicht eine Spur Milchsäure entdecken konnte; er that aber
dar, dass die saure Reaktion des Harns von sauren Salzen
herrühre, sauren phosphorsauren Alkalien und alkalischen
Erden, sauren harnsauren und hippursaueren Salzen, welche
dorch Einwirkung der letztgenannten organischen Säuren
anf das basisch phosphorsaure Alkali des Bluts entstan-
den sind.
Prüft man direkt die Säuremenge des Harns durch die
Menge Alkali, die zur Neutralisation erforderlich ist, so
sieht man die Menge der Säure stetig abnehmen und zu
keinem Zeitpunkte sich steigern; es existirt keine saure
Gahrnng des Harns.
Es ist das saure phosphorsaure Natron, welches das
im Harn gelöste hamsaure Alkali allmählich zersetzt. Wenn
man ausserhalb des Körpers die Lösungen beider Salze in
äqai?alenter Menge zusammenbringt, so fallt nach einiger
Zeit Harnsäure krystallinisch heraus und die Flüssigkeit
reagirt alkaUsch, d. h. es nimmt das saure phosphorsaure
Natron ein Aequivalent Natron von der Harnsäure weg und
wird zu basisch phosphorsaurem Natron, wie es im Blute
vorhanden war und die unlösliche Harnsäure muss heraus-
&llen. Dieser ümlagerungsprozess geht um so schneller
vorwärts, je concentrirter die Lösung des sauren phosphor*
Bauren Natrons ist.
Diese Thatsachen erklären die Entstehung der harn-
Bfturen Sedimente vollkommen. Gleich nach der Bildung
des sauren Harns beginnt die Einwirkung des sauren phos*
phorsauren Natrons auf das hamsaure Natron; es fällt ham-
ß&nres Salz und dann Harnsäure ans und zwar um so eher,
282 Sitzung der fMOh.-phye. Clasae vom 6. Juli 1867.
je mehr der Harn saures phosphorsaures Natron enthält. Die
Fällung kann schon in den Hamwegen oder der Blase ge>
Bchehen, und so zu Harngries oder Steinen Veranlassung
geben oder sie geschieht erst ausserhalb des Körpers.
Es kann eine raschere Umlagerung entweder durch
reichlichere Auscheidung von saurem phosphorsaurem Natron
entstehen oder durch eine Concentration des Harns. Das
erstere tritt seltener ein und kann wohl nur bei reichlidier
Zersetzung eiweissartiger Stoffe im Körper stattfinden; so
sieht man z. B. immer nach reichlicher Aufnahme BtickstoS-
haltiger Nahrung, ohne dass weniger Harn entfernt wird,
ein Sediment von Harnsäure auftreten, nur veranlasst durch
die grössere Menge des sauren phosphorsauren Natrons im
Harn.
In den meisten Fällen handelt es sich aber nur um eine
Concentration des Harns und der Lösung des sauren phosphor-
sauren Natrons durch eine geringere Wasserausscheidung. Bei
allen Umständen, bei denen dem Harn Wasser entzogen wird,
treten Sedimente von Harnsäure auf, ohne dass irgend eine
pathologische Veränderung vorhanden zusein braucht. Haben
wir eine Nacht durch getanzt, so bemerken wir im Morgenharn
ein reichliches Ziegelmehlsediment, ebenso wenn wir geschwitzt
haben, oder wenn durch die Haut durch Vorbeiströmen kalter
trockner Luft, wie bei uns in München, viel Wasser m
Dampfform weggeht. Geht bei Krankheiten auf anderen
Wegen Wasser verloren, so bemerken wir die Niederschläge;«
bei jedem Nasenkatarrh zeigt sich ein saturirter Harn und
ein Sediment; ebenso wenn bei Entzündungen sich Wasser
in Organen oder Höhlen anhäuft oder wenn dabei durch die
Haut bei reichlichem Schwitzen Wasser entfernt ivird; in
früherer Zeit hat man in diesen Fällen von kritischen
Sedimenten gesprochen.
Aber jeder Harn sedimentirt zuletzt. Eine rasche Wirk-
ung des sauren phosphorsauren Salzes bewirkt den amorphen
Vaüx U^ber HamBäiwreBedmeKU. 283
Niederschlag, eine langsamere scheidet die Harnsäure kry-
stallinisch aas, was nur keine so auffällige Erscheinung ist.
Durch die beschriebene Umwandlung nimmt die saure
Reaktion des Harns nach und nach ab. Es kann schon
bald ohne Zersetzung des Hlirnstoffes und ohne Entstehung
TOD Ammoniak eine alkalische Reaktion auftreten, wenn nur
gerade so viel saures phosphorsaures Natron vorhanden ist,
am mit dem an die Harnsäure gebundenen Natron basisches
Salz zu bilden. Ist einmal auf diese Weise der Harn alka-
lisch oder schwach sauer geworden, dann beginnt auch die
weitere Zersetzung desselben unter Einwirkung der Pilze
und greift rasch um sich.
Die Ursache der Bildung der Harnsäuresedimente wird
somit in jedem speciellen Falle leichten finden sein; es
handelt sich um Prozesse, die in jedem Harn vor sich
gehen und nur manchmal schneller verlaufen, was aber bei
ganz normalem Körper ebenso geschehen kann, wie bei er-
kranktem. —
Die näheren Ausführungen werden in einer eigenen Ab-
handlung von Hrn. Hofmann gegeben werden.
284 SiUung der mtM.-pkifs. Oasse «om 6. Mi 1867.
Herr Seidel berichtet über eiiien Aii&ats toh Hm.
Dr. Adolph Steinheil:
„üeber Berechnnng optischer Gonstraktionen^*
indem er zugleich Instrumente (Camera obscura und Mi-
kroBCop-Objektiv) vorzeigt, welche von Herrn Adolph Stein-
heil nach den in dem Aufsatz dargelegten Principien con-
struirt worden sind, sowie auch Probe-Photographieen , die
damit erhalten wurden.
Nachdem der berühmte fYauenhofer durch Entdeckimg
und Anwendung der fixen Linien im Sonnenspektrnm ge-
zeigt hatte, wie sich die Eigenschaften der Olassorten präcis
durch Zahlen ausdrücken lassen und dadurch die strenge
Rechnung in der Optik möglich gemacht hatte , verwendete
er diese in der Art für optische Construktionen , dass er
die Lichtstrahlen durch strenge trigonometrische Rechnung
, auf ihrem Wege durch ein Linsensystem verfolgte, den Ein-
fluss der Halbmesser und Dicken auf die Vereinigungsweitea
verschiedener Strahlen bestimmte und diese Kenntniss zur
Feststellung derjenigen Dimensionen benutzte, weldie für
gegebene Glasarten ein möglichst deutliches Bild eines in
der Aze gelegenen leuchtenden Punktes ergeben.
Seine Untersuchungen b^ogen sich zunächst auf das
Femrohrobjektiv, welches er in zwei Construktionen aus-
führte, sowie auf das einfache Mikroskopobjektiv. Bei letz-
terem und dem für kleinere Dimensionen angewendeten
Femrohrobjektive (mit ineinanderpassenden inneren Flächen)
waren es 3 Bedingungen, die er erfüllte; nämlich: Herstell-
ung einer vorher bestimmten Brennweite bei gleichzeitiger
Hebung des Kugelgestalt- und Farben-Fehlers.
Bei dem Femrohrobjektive für grössere Dimensionen
kam ooeh ehid weitere Bedingung nnd^die Wahl der Olas-
sorten in Bezog auf Becondäres Spektrum dazn. Welches
die vierte Bedingung wnr, die Fraaenhofer zur Annahme
dieser (onter dem Namen Franenhofer^scbe Gonstruktion so
berfilimt gewordenen) Form des Objektives bestimmte,
konnte, trotz der gediegenen Untersuchungen in dieser
Sichtung, leider nicht mit Sicherheit ^) festgestellt werden,
da seine hinterlassenen Arbeiten, soweit sie nicht vor seinem
Tode pablicirt waren, als Geheimniss behandelt wurden und
anderweitige direkte Angaben von ihm fehlten. Vielleicht
aber sind gerade durch diesen Umstand die Eigenschaften
des Objektives g«[iauer untersucht und bessar bekannt ge-
worden«
Das Objektiv errdllt:
1) Wie HerscheP) nadiwies, sehr nahe die Bedingung
der Hebung des Eugelgestaltfehlers ffir nahe und ferne
Objekte.
2) Wie Biot^) zeigte, ist es stabil achromatisch; d* h.
Strahlen von zweierlei Farben, welche vor der Brechung an
der ersteh Fläche des Objektives demselben weissen Strahl
angehörten, treten nach der letzten Brechung nicht nur
nach demselben Punkte zielend , sondern auch unter dem-
selben-Winkel und an derselben Stelle aus (wieder einen
weissen Strahl bildend). Diese Bedingung ist für einen
1) Ein Ansapmch XTtzschneider's , das« Fraaenhofer die Fehler
8W das ganze Gesicbtdfeld moglicbst zu beben bestrebt gewesen
Mif lästt die sab 3) angeführte von Prof. Seidel gefundene Eigen-
■chaft mit am meisten Wahnicbeinliohkeit als die Bedingung er-
8clie;D6n, welche Fraaenhofer erfüllte.
2) Herscbel, Dioptrik.
S) TraiU el^mentaire d^stronemie physique par J. B. Biet,
Paris 1844. Tome deujöeme p. 83. r
[1867.11.2.] 19
1286 Süeung äer m(ah,-phff9. dam vom 6. JuU 18S7.
Punkt der Oeffnang streng erföllt und bedingt zagMch die
Hebung des Farbenfi^ers ausser der Aze.
3) zeigte Prof. Dr, Seidel*) datier, • dass bei dem
Frauenbofer'schen Objektiye die Bedingung da: gleicbzeitigen
Hebung der Kugelgestalt in der Mitte und am Bande des
Gesichtsfeldes sehr nahe erfüllt ist.
4) fand Hr. Prof. Seidel (und theilte es mir mit der
Erlaubniss zur Veröffenlichung in dieser Abhandlung mit)
dass das Frauenhofer'sche Objektiv, so definirt, wie er es
in den astronom. Nachrichten Kr. 1029 angenommen hat,
vor allen anderen die Auszeichnung geniesst, dass es keine
Brennflächen erzeugt, so dass die klduen Lichtscheibcheo,
welche man je^ nach der Stellung des Okulares sieht,
gleichmässig erleuchtet erscheinen, während sie bd jedem
andern Objektive (auch abgesehen von dem Effekte der
Diffraktion) helle Lichtsäume (die Durchschnitte der Brenn-
fläche mit der jedesmaligen Ebene des deutlichen Sehens)
haben; und endlich
5) ergab mir die trigonometrische Rechnung, dass für
den Lichtbüschel parallel zur Axe der Kugelgestaltfehler
(sekundärer Ordnung) für Strahlen, die bei '/s der Oeffnang
des Objektives auffallen, bei dieser Construktion ein Mini-
mum ist; wenn man Dicken und Abstand der Linsen als
Elemente ausschliesst.
Diese grossen Vortheile erreichte Frauenhofer, ohne
dass er mehr als 2 Linsen anwendete. Dadurch war dieses
Objektiv ein Triumph der Wissenschaft, indem es bewies,
dass diese eine zuverlässigere Führerin ist, um unter vielen
Möglichkeiten die günstigste zu wählen, als die Empirie.
4) Gelehrte Anzeigen der k. bayr. Akademie der WisBenschaftea
1865 Nr. 16 und 17. Aflironom. Nachrichten Nr. 1027—1029.
Stemkeü: Bem^mmg opi, Gonslrukiionm. 287
Bei den von Franenhofer gerechneten Fällen handelte
es sidi mn Instrumente , weiche einen geringen Oe£fnungs-
winkel (Verhältniss der wirksamen Oeffnnng znr Brennweite)
hatten nnd bei welchen nnr em kleiner Oesichtsfeldwinkel
(Terhaltniss der benfiteten Aosdehnong des Bildes znr Brenn-
weite) znr Anwendung kam.
Lttder ward Franenhofer durch seinen frühen Tod Ter-
hindert eine beabsiditigte gründliche Bearbeitung der Oku-
hge durchzuführen; durch welche die Bedingungen für ein
grosses Gesichtsfeld festgestellt und erfüllt worden sollten.
Trotz der grossen Fortschritte, welche die Theorie der
Optik seit Frauenhofer's Tod durch die Arbeiten Ton Qanss,
Bessel, Biet, Petzwal, Seidel etc. gemacht hat, wurde sie
doch in B^ug auf Construktionen von der Empirie überholt.
Es wurden zusammengesetzte Mikroskopobjektive mit
sehr grossen Oeffnungswinkeln und Photographenapparate
mit ausgedehntem Gesichtsfelde oonstruirt Mikroskopobjek-
tite sowohl, wie Photographenapparate wurden in den yer-
fidiiedensten C!onstruktionen hergestellt, ohne dass behauptet
werden kann, dass die einfachsten und günstigsten Möglich-
keiten dadurch ermittelt worden wären. Es hat eben Frauen-
hofer keinen Nachfolger gefunden, der die Lust und Aus*
daaer besass, auf dem sicheren aber mühsamen Wege der
trigonometrischen Rechnung, die Eigenschaften der Bilder
genau kennen zu lernen und auf diese Eenntniss gestützt
unter den Möglichkeiten zu wählen.
Dass die Theorie nicht direkte Vorschriften zur Berech-
nnng Ton Construktionen geben kann liegt in der Natur der
Angabe. Während schon alle Gleichungen, die den 4^ Qrad
abersteigen direkte Lösung auss^hliessen , ist die Zahl der
▼ariabeln Elemente und der zu erfüllenden Bedingungen so
gross, dass eine Orientimng sehr schwierig wird; zumal
wenn man bedenkt, dass die Werthe der yariabeln Ele-
19*
'i288 Skgmng der 'maJOt.'ph^s, Cßasäe wm S. Jtäi 1867.
nieDte^) innerhalb Torgeschriebeiier Grenzen gehalten werden
-müsBen nnd dass die zu erfSUeaden Bedingangen Fehler-
grenzen^) gestatten, die sich nur für den Bpedellen Fall
bestimmea lassen.
Bei Berechnang optischer Systeme, die grossen Oeff-
nungswinkel besitzen, ist es nidit genügend, die parallel
>znr Aze auf ein System fallenden Strahlen streng in einen
-Punkt zu vereinigen, selbst wenn ein nur sehr kleiner 6&-
sichtsfeldwinkel benützt wird , wie z. B. bei den IGI70-
skopen; denn es kann der Fall vorkommen, dass das Bäd
emes ausser der Aze gelegenen Punktes so grossen Durch-
messer erhält, dass es den Bildpunkt in der Aze deckt und
dadurch undeutlich macht; es diEurf also in solchen Fällen
.nicht ohne Rüdesicht auf einen zweiten Bildpunkt vorge-
gangen werden; in Fällen, die grosses <}0Bichtsfeid verlangen,
natürlich noch viel weniger.
Aus Obigem folgt nun, dass, um sichere Resultate zu
-erzielen, die trigonometrische Rechnung auch auf etooi
zweiten Bildpunkt ausgedehnt werden muss; und es sollen
nachfolgend die ^ Bedingungen zusammengestellt werden,
-welche an die beiden Bildpunkte zu stellen sind.
Der Bildpunkt m der Aze, von einem parallel zu dieser
6) Die Breohongs* und Zer8trenang8co«lfioieiiten münen siob
innerhalb der Grenzen halten, welche durch die Anforderungen der
Dauerhaft if(keit nnd Farblosigkeit der Gläser gesetzt siud. Die
Längen der Halbmesser sind durch die nothigen Oeffnungsmaasse
beschränkt: die Dicken einerseits durch diese, andererseits darch
den Kostenpunkt, das Gewicht, die lAchtabsorbtion eto.
6) Es ist die Empfindlichkeit des Angte (oder besser dessen
Unempfindlichkeit gegen kleine Winkelfehler), welche diese Grenze
bildet, je nachdem das Auge ein Bild direkt oder durch eine Loope
bewaffnet, betrachtet; es ist der absolute Massstab der Instrumente,
der ihre grössten Fehler über oder unter die Empfindlichkeitsgrenw
des Auges bringt.
SUinh^i Bereehmmg opt CkmtWukHimm. 289'
auf das System fallenden Liehtbascbel gebildet, bedingt m^
näcbat die Brennweite des Sjstemes. Ein, in diesem licfat"
bosdhel liegender, gana nahe der Axe einlallender Strahl'
ergibt den Brennpunkt als Ende and den Hauptpunkt als
Anfang d^ Brennweite; .ersteren.dureh seinen Durchschnitt
mit der Axe, letzteren durch eine sehr einfache Gonstruk*
tioo. Verlängert man nämUcb den einfallenden Strahl vof
der Brechung an der ersten Fläche in der Richtung seiner
Bewegung und denselben austretenden Strahl nach der
kteten Brechung gegen die Richtung seiner Bewegung, bis
sich beide schneiden, so ergibt ein Perpendikel von diesem
Punkte auf die Axe den Hauptpunkt^) (oder wahren An-
iuigspunkt der Brennweite)* Hat mit diesem Strahle ein
gleichfarbiger in grosserem Abstände von der Axe einfallen«'
der denselben Brennpunkt, so ist der Kugelgestaltfehler ge-^
hoben und es ist diess mit dem Farbenfshier der Fall,
wenn £eaef nämliche Breniipunkt, auch einem Strahle von
anderer Breehbarkeit zukömmt.
Das Bild eines Punktes ausser der Axe muss untersucht
werden:
1) In Besng auf seinen Abstand von der Axe,
2) in Bezug auf seine Form,
3) in Bezug auf seinen Abstand Tom Hauptpunkte
(oder Knotenpunkt).
Die Bedingungen beaüglich des Abstandes des Bild-
ponktes von der Axe ergeben sich aus den Eigensdhaften
7) Wie Gauss in seinen ^diopirisehen Untereuohnngen*' nach-
gewiesen hat, 'btoitst jedes optieche System 3 Haupt- und 3 Breim-
pankte, je nachdem der zar Axe parallele Lichtbüschcl von der
einen oder von der andern Seite auf das System fallt. Für die
Bildpankte in der Axe haben die Hauptpunhte die Bedeutung der
Anfangspnnkte der Brennweiten, w&hrend die Brennpunkte deren
Enden beseiohaedL
290 SiUtmg &r nuUh.^hyi. dam wm 6. JmU 1867.
der Hauptstrahlen. -^ Ein Hauptstrahl ist jeder Strahl, der
vor dem Eintritt in ein Lineensystem denselben Winkel nut
dessen Axe bädeti wie nach seinem Austritte ans demselben.
Ist bei einem Systeme das erste und letate brechende Me-
dium das gleiche, so werden die beiden Punkte, auf welche
ein, nur sehr wenig gegen die Aze geneigter, Hauptstrahl
Tor der ersten und nach der letzten Brechung adelt, mit
denjenigen zusammenfeiUen , welche die Anüsngspunkte der
beiden Brennweiten bilden; diess ist die zweite Bedentong
der Gauss'schen Hauptpunkte, dass sie die Tirtuellen Kreus-
ungspunkte eines Hauptsträhls mit der Axe sind.
Ist jedoch der Brechungscoeffident des ersten und
letzten Mediums verschieden, so heissen die Anfangspunkte
der Brennweiten die Hauptpunkte; die virtuellen Kreuzungs-
punkte eines Hauptstrahls die Knotenpunkte; und fallen
nicht zusammen.
Die VerzeiTung ist nun bei einem optischen Sjvteme
gehoben, wenn bei einem Hauptstrahl, der einen grossen
Winkel g^en die Axe bildet, die virtuellen Kreuzungspunkte
mit der Axe mit den Hauptpunkten (oder Knotenpunkten)
zusammenfallen. Die beiden Haupt- oder Knotenpunkte haben
in einem solchen Systeme die Eigenschaft, dass vom ersten
aus die Objekte unter denselben Winkeln erscheinen, wie
vom zweiten aus deren Bilder.
Haben zwei Hauptstrahlen von verschiedener Brechbar-
keit, welche denselben Winkel gegen die Axe bilden, ge-
meinsame Haupt* oder Knotenpunkte, so sind die Farben
ausser der Axe gehoben; und werden hierdurch, wenn gleich-
zeitig der Farbenfehler für den Brennpunkt in der Axe ge-
haben ist, die verschieden farbigen Bilder gleich gross sein
und an derselben Stelle liegen, also sich decken.
Um die Form des Bildes eines Punktes zu bestimmen,
ist es nöthig, in dem Lichtbüschel, der den Bildpunkt ausser
der Axe bildet, ausser dem Hauptstrahle noch 3 weitere
AeMM: Bereekumg fp^ XJom^rukHtmen. 291
Strahlen anf ihrem Wege duroh das optische System zu
Terfolgen und ihren Darchschnitt mit einer zum Haaptstrahl
genkreditenSbene in dem Punkte za bestimmen, in welchem
sie sich einander möglichst nahe gekommen sind, d. h. im
Bildpnnkte.
Von diesen 3 Strahlen, welche in gleichem Abstände
Tom Hanptstrahl anznnehmen sind, liegen zwei in einer
Ebene, die sich durch die optische Aze des S/stemea und
den Hanptstrahl legen lässt. Die Ebene, in welcher der
dritte li^, enthält ebenfalls den Hauptstrahl und steht
senkrecht zur vorher angenommenen. In dieser Ebene ge*
nagt ein Strahl, da der gegenüber vom Hauptstrahl liegende
mit ihm symmetrisch geht.
Liegen im Bildpunkte diese 3 Strahlen symmetrisch
g^en den Hauptstrahl, so ist kein Astigmatismus vorhanden.
Als Bildpnnkt ist stets der engste Querschnitt des Licht-
buschels anzunehmen; und es bedingt der Abstand dieses
Bfldpunktes viHn Haupt- oder Knotenpunkt die Form der
Bädflache. Ist dieser Abstand dem entsprechenden des
Azenbildpunktes gleich, so liegt das Bild auf einem Kugel-
segmente, das aus dem Hauptpunkte mit der Brennweite als
Badius beschrieben werden kann; und das Bild ist ein ebenes,
wenn die Distancen vom Hauptpunkte im Verhältnisse zur
Sekante des Winkels wachsen, den der entsprechende Haupt-
strahl mt der Axe bildet.
Der Kugelgestaltfehler ausser der Axe kann als gehoben
betraditet werden, wenn der Bilddurdimesser vom Haupt«
punkte aus unter keinem grosseren Winkel erscheint, als der- .
jemge ist, welcher heim Axenhildpunkte unvermeidlich bleibt.
Die Bestimmung der 3 letzten Elemente: Astigmatismus,*
Kugelgestaltfehler ausser der Axe und Form der Bildfläche,
wurde mir erst durdb die von Herrn Froi. Seidel ent-
widrelten:
„Trigcmometifsdien Formeln für den allgememsten Fall
i9i: 8iUmg der mtHOK^kMß. Chm mmi 6L JWtf Uer.
^er Breobang desLichtOB w oentrirt^ 9pIuurisdi«D Fladieo**
möglidi.
Bei BerQoImuog einer optiseheo Gonfitniktioo miusen
90|nit folgende Punkte berückaichtigt werdien:
Bei dem Bildpunkte in der Aze:
1) Brennweite.
2) HebniTg des Eugelgestaltfehlers.
3) Hebung des FarbenfeUers.
Bei dem Bildpunkte ausser der Aze:
4) Hebung der Verzerrung.
6) Hebung der Farben ausser der Axe.
6) Bestimmung der Form der Bfldfläcbe.
7) Hebung des Astigmatismus.
8) Hebung des Kogelgestaltfehlers ausser der Aze.
Fiir Fälle, in denen ein «ehr grosser OeffwuigswinkeL
verlangt wird, milss^ den 3 QedingQugen für den Licht-
büschel in der Aze noch 2 weitere beigefugt werden; ^
ist nämlich nöthig, den Farbenfehler und de^ Kugelgestalt-
fehler noch für einen weiteren Punkt der Oeffnung sa heben.
Die Hauptschwierigkeiten bei der Bereehnupg qptis^r
Coastruktionen liegen darin, die richtige Reihenfolge m fipdeo,
in welcher die Bedingungen erfüllt werden müssen, sowie für
die Auswahl direkt veigleichbare Fälle henttstellen ; beob«
achtet man diese beiden Punkte nicht, so tritt sehr \äM
der Fall ein, dass einzelne Fehler wieder wadiseuj wälzend
qian der Meinung war, alle zu yerklei^ern.
Es dürfte kaum gelingen, die Bedingungen 7) und 8)
streng za erfüllen, wenn ein ebenes Bild von grosser (Winkel-)
.Ausdehnung yerlangt wird; während diess nicht schwierig
ist, wenn das Bild anf einer mit der Brennweite als Radi«i8
beschriebenen Kugelfläche liegen darf.
Schliesslich sei es mir noch gestattet, einige, eiqfscfae
Consfaruktionen zu erwäbneni welche dnrcb trigonametrische
BleMM: Ikreehmmg opi. (Jon»truMmmi. 29S
Bedinimg feittgesteBt wurden und die Elemente ansaiiibreny
welche dabei als Teränderliche Grössen in Betracht kamen.'
Bekanntfich wäre es nnmöglich, achromatische Linsen
mit positiven Brennweiten hensasteUen, wenn bei den beidai:
Terwendeteo Glastrteii das Verhältniss der Brechungskräfte
dem der Zerstrcnungskräfte gleich wäre; wenn a. £. ein
FHotglas, das bei gleichem Prismenwinkel die Ausdehnung
des Spektmm's noch einmal so gross , gibt als ein Crown-
gl«S| auch einoi noch einmal so grossen Brechungscoefficien-
loa hätte. .
Es ist ferner unmöglich, ein achromatisches Objektiv
toB zwei verkitteten Linsen herzustellen, welches gleichzeitig
die Kugelgestalt und Farbenfehler hebt, wenn diejenige Glas-
vt, welche die stärkere Zerstreuuogskraft besitzt, eine
schwächere firechnngskraft hätte').
Hierane folgt die grosse Wichtigkeit, welche die Wahl
der Olasarten in Bezug auf ihre Brecbungs- und Zerstreu-
ttngskräfte fiir optische Construktionen haben muss.
Beorüeksichtigt man nun zur Bestimmung der günstig-
sten Form eines Doppelobjektives die Wahl der Glasarten
is der angedeuteten Weise und den Eiiifluss der Reihenfolge
der Glaearten, so wii'd man auf:
1) ein Doppelobjektiv geführt, bei welohbin die Flint^
gladinse vöraualiegt und das den Kugelgesfaltfehler für 2
venchiedene Distancun streng hebt. Dieses Objektiv erfüllt
saiQintliehe Bedingungen, denen das Frauenhofer^sche genügt
Qod ist ift Bezug auf die Form der ^Bildfläche besser, Zunv
Q) Beim .menschliobeu Auge, ist die Anordnang der brechenden
dächen und die Reibenfolge der Medien eine solche, dass dabei der
Kaftelgestaltfehler nicht gehoben werden kann; denn alle Ablenk-
sagen, die ein parallel zur Axe einfallender Strahl erleidet, liegen
>K demUbstt Biiüitung; er wird itete sur Axe gebrochen.
294 Bitinmg der ma^-phyg. Oam wm 6. JmU 1867.
Gebrauche der opt und astron. Werkatätte ist dassdbe in
Tafeln gebracht worden.
2) Das monocentrische Objecti?, bei weldiem das Bild
auf einer Eugelfläche liegt, deren Radios die Brennweite,
deren Mittelpunkt der gemeinschaftliche Hauptpunkt ist (es
üallen nämlidi die beiden Hauptpunkte in einen zusanunen).
Es erfüllt sämmtlicbe 8 oben gestellten Bedingungen und
es ist hiebei nur fiber 2 Radien, die Wahl und die Reihen-
folge der Glasarten rerfügt. Es besteht aus einer Engel
und zwei gleichen Menisken, in deren innem Flächen die
Kugel eingekittet ist, während die äusseren mit einem (um
die Dicke) längeren Radius aus dem Mittelpunkte der Kugel
gezogen sind. In dem Meridian der Kugel, der senkrecht
cur optischen Axe des Systemes steht, ist eine Blendung
eingeschliffen. Ein parallel zur Axe einfällender Busohel
erfüllt die Bedingungen 1) bis 3); alle Hauptstrahlen gehen
ungebrochen durch das System, alle gegen die Äse geneig-
ten Lichtbüschel erleiden gleiche Brechungen wie der pa-
rallel zur Axe. Für Fälle, in welchen kein grosseres Ge-
sichtsfeld verlangt wird, als beim Fernrohr- oder Mikroskop-
objektiv ist die Kugelform der Bildfläche kein Naöhtheil, da
die Sicherheit der Einstellung geringer ist als die Verstell-
ung, welche der Rand eines solchen Kldes gq;en die Mitte
erfordert. Bei schlechten Construktionen von Mikroskop-
objektiven ist die Krfimmung der Bildfläche eine aosser-
ordentlich viel stärkere. Das Objektiv, welches der Glasse
Toigelegt wurde, hat einen Oeffhungswinkel von 14^ = V«
der Brennweite und 4f" Aequivalentbrennweite.
3) Das aplanatische Objektiv mit ebenem Bilde erfüllt
die Bedingungen 1)— 6) streng; 7) und 8) sehr nahe; ist
symmetrisch gegen den optischen Mittelpunkt und jede Hälfte
wird gebildet von einem verkitteten Doppelobjektive, das
aus einem positiven und einem negativen Flintglaameniskns
besteht
BtektheU: Beredhmmg opi. ConskukUonm^ 295
Zar Beredinang desselben wurde über 3 Radien, einen
Abstand, sowie über die Wahl and Reihenfolge der Olas-
arten als veranderliobe Elemente verfugt. Es gestattet bei
etnem Oeffnungswinkel von 9^ 10' (gleidi ^/r Brennweite)
die Benutsning eines Gesichtsfeld winkeis von 36^; nnd durch
Anwendung einer kleineren Gentralblende bei einem Oeff-
nn^gsiriBkel von ca. 2® gleich V'o Brennweite die Benutamng
eines Gesiohtsfeldwinkels von 60^.
Bei diesem Objektive sind ausser den für die Richtig-
keit des Bildes nothwendigen 8 Bedingungen noch 2 weitere
eriullt, weldie die Praxis fordert und zwar:
9) möglichste Vermeidung von Lichtverlusten und
10) Vermeidung störender Reflezbilder.
Da das aplanatische Objektiv zunächst zu photographi-
sehen Zwecken bestimmt ist, so sind die Helligkeit und
die Tiefe*) der Bilder zwei sehr wichtige EigenschafteUf
welche beide hauptsächlich vom Verhältnisse der Oe£Enung
ZOT Brennweite abhängen. Mit der Vergrösserung der Oeff-
nong im Verhältnisse zur Brennweite nimmt die Helligkeit
m, die Tiefe der Bilder jedoch nothwendig ab; desshalb
ist es wesentlich den Einfluss derjenigen Ursachen zu ver-
mindern, welche, ohne die Tiefe zu erhöhen, die Helligkeit
der Bilder verkleinern. Es sind diess hauptsächlich die
Lichtyerluste durch Befleadon an den GUisflächen und die
Absorbtion des Lichtes durch die Masse des Glases. Da
die Verluste durch Reflexion mit der Grösse der Einfalls-
TOikel und derjenigen des Brechungsunterschiedes der Medien
wachsen, so bietet die Verkittung der inneren Flächen,
9) Ein Apparat gibt tiefe Bilder, heisst, er besitzt die Fähigkeit
?on nngleich entfernten Objekten gleichzeitig ein deutliches Bild in
denelben Ebene sn erzengen.
29& Sitzwtg der mMk-phys. Ckwe vom ß, Juli 1867.
welche viel stärker gekrümmt sind als die äusseren and der
geringe Unterschied des Brechuugscoefficienten der beiden
verwendeten Flintgläser in dieser Beziehung bedeutenden
Vorthoil. Der geringe Brechungsunterschied der verwende-
ten Glasarten bedingt überdiess noch eine Form der Linsen,
die bei Herstellung eines ebenen Bildes einen nur geringen
Abstand der beiden Objektive erfordert; diess gewährt den
Vortheil, dass auch bei Benutzung eines grossen Sehfeldes
die linsen nnr uin Weniges grösser zu sein brauchen, als
es der Oeffuungswinkel (die Helligkeit des Bildpunktes in
der Axe) erfordert; und es ist leicht einzusehen, dass
kleinere Linsen mit geringeren Dicken ausgeführt werden
können; dadurch ist eine Verminderung der Lichtverlaste
durch Absorbtion erzielt. Schliesslich bietet die Menisken-
form der beiden Objektive den Vortheil, dass die Reflex-
bilder, welche von Strahlen gebildet werden, die eine gerade
Anzahl von Reflexionen erlitten haben und desshalb in der
Richtung gegen das Bild weiter gehen, sämmtlich zvnschen
oder ganz nahe an den Linsen liegen, so dass das von
ihnen ausgehende diffuse Licht in der Bildebene keine
ötörende Litensität mehr hat, zumal diese Reflexbilder sehr
kleinen Brennweiten entsprechen. Während alle bis jetzt ge-
bräuchlichen Gonstruktionen , bei welchen der Kugelgestalt-
fehler gehoben ist, wenigstens 6 Brechungen von Luft in
Glas haben, hat das aplanatische Objektiv deren nur 4 und
in Folge dessen auch weniger reflektirtes Licht.
Die beiden als Muster der Glasse vorgelegten Photo-
graphien sind mit einem solchen Apparate von 19"' Oeff-
nung und 10'' Brennweite aufgenonimen; der gleichfalls
vorlag.
4) Die aplanatische Landschaftslinse, für Landsdiaften
und Architekturen bestimmt ist, hat als grösste Helligkeit
nur Vs« Brennweite; gewährt aber dabei ein ebenes deut*
liclies Bild von 80^ und gestattet bei kleineren Blendungen
Bodiingeri Brnndachnften muh ScMäbenspiegd. ^297
Gesichtsfeldwiiikel Ton 105 Graden. Es gibt bei 7''^ Oeff-
nong und 6'' Brennweite Bilder bis 16'^ Durchmesser. Es
erfüllt die gleichen Bedingungen wie das lichtstärkere apla-
natisdie Objektiv , ist aber ans anderen Glasarten, deren
Brechungscoefficientea nicht '/s Procente Ton einander Ter-
fichieden sind.
Hietorische Classe.
Siteung rom 6. Jnli 1867.
Herr Röckinger spricht:
„üeber drei mit einem Anhange zum Land-
rechte vermehrte Handschriften des soge-
nannten Schwabenspiegels auf der Staats-
bibliothek zu Manchen.*^
In den deutschen Rechtsbüchem des Mittelalters und
ihren Handschriften S. 38 und 44 bemerkt Homejer, dass
in einer heidelberger Handsdirift des sogenannten Sohwaben-
spiegels (a. a. 0. Num. 317, und in dem der Ausgabe deis
Freikerm v. Lasaberg vorstehenden Verzeidhnisse der Hand-
schriften Num. 61) das bekannte Buch der Könige mit eineo*
),Her renlehre'' endigt, das ist der Geschichte von dor
ZaUung Israels durch David, welcher sich dann noch
Rechtssätze in 11 §§ anschliessen. Ferner dass in Hand-
Kbriiten zu Fulda, Königsberg, und einer au^ dem Stifte
Weingarten stammenden aber nun zu Stattgart nicht mehr
torhandenan (a. a. 0. Num. 206, 364, 649^ in Endemimn's
298 SiUfung der hithr. (Masse oom e. JuU 1S67.
Einleitang zum Eaiserredit S. XLIX. Nrnn. 6 ; bei Freiherm
▼. Lassberg Nam. 150) diese 11 §§ ein eigenes zweites
Stück nach dem Bache der Könige bilden. Weiter, dass
die Handschrift zu Herisan, der cod. germ. 553 der Staats*
bibliotbek zn Manchen, und zwei der öffentlichen BibKothek
zu Stuttgart (a. a. 0. Mum. 328, 475, 643, 644; bei Frei-
herm y. Lassberg Num. 69, 105, 146, 147) die Herrenldire
mit den 11 §§ ohne das Buch der Könige enthalten, die
erstere im Eingange, die übrigen am Schlüsse des Land-
rechtes.
Zu den zuletzt aufgeführten zählen ?on Handschriften
der Staatsbibliothek zu München neben dem cod. germ.
553 noch zwei weitere, weiche um so mehr einer kürzeren
Erwähnung werth sein dürften als eigentlich nur dar eben
bezeichnete bisher aus der Beschreibung des Freiherm Yon
Lassberg Num. 105 näher bekannt ist, der cod. germ. 3967
sogar am eben bemerkten Orte Num. 25 als hier nidit
mehr vorhanden bezeichnet wird, des cod. germ. 4929
aber nirgends sonst genauer gedacht wird.
Qleich der zuletzt aufgeführte = I, mit Ausnahme des
ersten und zwölften wie des (nunmehr ausgeschnittenen)
sechsten und des siebenten Blattes, also der äusseren und
der inneren Lage des ersten Sezternes, welche Pergament
sind, sonst auf Papier in Folio zweispaltig wohl nodi in
der ersten Hälfte des fünfzehnten Jahrhunderts geschrieben,
im Jahre 1770 dem „Joseph Bernhard Parth Stattschreiber
in Mospurg'' gehörig, enthält von fol. 1—63' Sp. 1 das
Landrecht, welchem unmittelbar bis fol. 64 Sp. 1 die gute
Herrenlehre in nachstehender Fassung folgt.
Nu sült ir edeln tugentlichen herren an disem püdi
pesserung lernen an tugentlichem leben, vnd sült alle zeit
in ewerem herzen tragen ditz vorbilde das ew der almachtig
got an disen kunigen ynd an cbsen herren vnd riditern bat
erzaiget, das ir recht geridite habt vnd euch arm lewt Ut
Boekmger: Bcmäsekrifteik sum SehwabeMpUgeL 299
erparmeiil die kun vbel Tmb e&ch dienen, jst hallt das si
ainvaltigklichen schnldig gen ew werdent, dannoch sfiUen ei
efich eiparmen, so erparmt sich got vber each an eweren
lesten zdten. ynd ir sült got Tor angen haben, vnd tült
in mTnnen ynd fdrchten, so Wachset ewer sälde an leib md
an sei, vnd alle ewer lewte vnd das land ist dester saliger,
als an disen hefren ofSte schein ist worden di an disem
büdie sind, wann das hat der almächtig got an manigen
enden erzaiget in der heiligen schrift, alls der herre gottes
willen tet, das alles sein lewt vnd alles sein land dester
ttliger was. ynd als der herre wider got icht tet, so war
er selb des ersten an leibe ynd an seile vnsälig, ynd dar-
nach alle di in an horten, lewt ynd got ynd land.
Das hat yns got erzeuget an dem edden heiligen knnig
Danid* der tet ein klaine siind wider got. ynd mästen
seiner lent manig tansent menschen den pitem tod dar
TmbJeiden, als anch hienor yon maniges küniges 6chul4e
geschadi.
Her Danid der knnig hies im niwan ze einem male sein
lewte zelen wie yil er stritber lewte hetet in seinem lande, dar-
omb wolt got des nicht enpem, er mäst dreyer passe aine dar-
nmb leiden, gern oder vngem. wie yil herre Daoid sprach : herre
got, genade, yergib mhr diso sünde, ich getun es nymmermer,
vnd yber heb midi dirrer dreier passe, das half nicht, er
mfiszte ynd mfize dirrer dreier püzze aine nemen, das siben
iar hnnger in sdnem lande wäre, oder das er ynd alle die
sein dr^ moneyde yor seinen yeinten flühtich mfisten sein,
oder das drey tag grosser lantsterbe in seinem lande wäre,
do der edel ynd der weise herre das yemam, das es de*
hain rat wa£l, er müst der dreier passe eine nemen, do
sprach der tngendreiche ynd der heilige Danid also, nym
ich nn di sibcvi hnnger iar, so trawt ich doch wol etwas
Tinden das ich mich hnngers nerte. owe, herre, so stfirben
awer alle mein lewte ynd die gar ynschuldig sind an dirre
'sünJe. näxu ich . di dcey mbnede ^ 'so ontrünnia idi' eltwo
wül meinen veinden, ioh hab gut piirge dan kh di dref
monede wol genäse vor meinen yeindea. owe, henre, so
trarden alle mein lewte erslagen di an meiner siind tb-
sehuldig sind, herre got, ich wil der zwaier passe mc^
seid ies kein radt ist, so wil ich, herre, anf dein genadtsd
auf dein erbärmde di drei tag den lewt stcfbän neamrai. so
triffest du, herre, mich selben als schir als di fremdta, wann
ich pin der redit schuldig, herre , ioh pin der dt sünde
getan hat. dauon lassen auch dein gericht vnd.dein räche
vber midi armen nach deinen genaden geen. . als ^o got
•aein trewe also laater vnd also raine sach, do tet er im di
genade: .der lewtsterbe der di drey tag solte han ge^reii,
der werte niwan von prime vntis her A teräe seit.
Als genädig ist der almäditig got noch heute, wer ako
beschaiden rew gein im hat rmb sein sHüde« vad also rer
dinent di herren noch faewte mit iren sunden, das in iren
lande vrleugc wirt, oder viehe sterbe, oder hunger iar, oder
ander ?ngelüke. danoh süllen si'sich d^ter halter hüten
-dm eh ir sälichäit leibes vnd seile rnd dardi di säligkait
irer lewte und ir landes, das si hie vnd d»ft herren sein.
Des helfe vns der almäcbtig got. amen.
Hieran reiht sich nach einem ktetntito leeren Zwisqben-
räume von £ol. 61 Sp. 1 auf fol. 64 Sp. 2 der aas 11 Ar-
tikeln bestehende Anhang zum L%ndrecht$i den wir am
Schlüsse in seinem ganaen Umfange mittheüen; bis fol. 68
Sp. 2. Ihm folgt, wiederum nach einem kleinen leei*en
.Zwischenraum von fol. 68 Sp. 2, mit foL 68' Sp. 1 das
.Lehenrecht bis fol. 93' Sp. 1, wovon die letzteren Blätter
wie es scheint durch anhaltende Feaditigkeit gebppodien und
vermo.dert äind, wie deren Schrift theilweise gan2 uad gar
unleserlich geworden und audi der mit rothem : Leder
überzogene Holsdjeckelbaad durch und durch win*mstichig
und an manchen Stellei^ ganz gebiöckelt ist
SoekUgeri Mandachriften xum Schwahenapiegd. SÖl
Der cod. germ. 3967 = II, aus dem Stifte St. £m-
meram stammend^ von woher dem Reichsfreiherrn Ueinrich
Christiim y. Senkenberg die Besdureibung zuging welche er
in seinen visiones di?ersae de coUectionibus legum germani-
camm S. 188 — 190 mittheilte, am 31. Juli des Jahr^ 1444
?0Q ,,Johannes die czeyt kjrchner czu Weysselstorff ge-
besen'' anf festem Papiere in Folio in zwei Spalten vollendet,
eDthalt von fol. 1—68' Sp. 2 das Landrecht, welchem ddi
ohne alle und jede Unterbrechung unmittelbar bis fol. 73'
Sf. 1 der Anhang hiezu anschliesst, worauf wieder ohne
Zwischenraum bis foL 74 Sp. 2 die gute Herrenlehre folgt,
welche sogar nach den auf ihrem Schluss roth hinbemerkten
Worten „dictum est explicit^' noohmal bis zu den Worten
f,df kein vbel vmb euch dynen*^ angefangen ist, woran dbne
jede Unterbrechung der Zeile unmittelbar der zu Punkt 9
des Anhangartikels 3 über die Handfestenialschung gehörige
Satz „Ist ein czinser an ein goczhawsz" bis zu. den Worten
„vber svmeliche sache der man nicht verkeret'* gereiht ist.
Nachdem noch auffo}. 74 Sp. 2 der kleine leere Raum durch
die rothe Ueberschrift des Lehenrechtes „Hye hebet sich
daz lehen buch an'' und den gleichfalls roth geschriebenen
Vers
Amen solamen.
Si deficit fenum, acdpe stramen
ausgefüllt ist, beginnt das Lehenrecht selbst mit fol. 74' Sp. 1
und reicht bis fol. 102' Sp. 2, an dessen Schlüsse sich die
Verse
Hie hat dicz puch ein ent.
Got vns seinen gotlichen segen sent.
Ezplicit, expliciunt.
Sprach dy kacz czu dem hunt:
dy fladen sein dir vngesvnt
Qnd die Angabe des Schreibers sammt der Datumsbezeich-
nimg finden wovon bereits die Rede gewesen.
[1867.E2.] 20
302
SiiMung der histor. Olasse vom 6. Juli 1867.
Der cod. germ. 553 ehdlich = III, in Folio auf Papier
auch noch in der ersten Hälfte des fünfzehnten Jahrhunderts
zweispaltig geschrieben, enthält von foL 1— 83 Sp. 1 das
Landrecht y woran sich unmittelbai* bis fol. 83^ Sp. 2 die
gute Herrenlehre anschliesst, worauf nach kleinem leeren
Zwischenräume der Spalte 2 des fol. 83 mit fol. 84 der
bemerkte Anhang zum Landrechte bis fol. 89' Sp. 2 folgt,
welchem sich abermals nach kleinem leeren Zwischenräume
der Sp. 2 des fol. 89 von fol. 90 an das Lehenrecht bis
foL 122' Sp. 2 anreiht, wie in I und II alles unter rothen
Kapitelüberschriften und pait rothen Initialen des Textes der
Kapitel.
Vergleichen wir nunmehr genauer den Inhalt des
Land- wie des Lehenrechtes unserer Gruppe^) mit
der vom Freiherrn v. Lassberg besorgten Ausgabe des so-
genannten Schwabenspiegels, so stellt sich folgendes Ergeb-
niss heraus.
Das Landrecht.
L. i. IL m.
L.
I.
n.
ni.
Vorw. a
Vopw.g
1
1
1
- b
— c
Vorw. Vorw, Vorw.
-."}
2
2
2
- d
2
3
3
3
— e
3
4
4
4
— f 1 1 1
4
5«)
5
5
1) Vgl. hierüber F ick er über einen Spiegel deutscher Leute
und dessen Stellung zum Sachsen- und Sohwabenspiegel S. 150 (2G6)
unter IV c. 3.
2) Die üeberschrift fehlt hier, indem der dafür leer gelassen
gewesene Raum für die wie es scheint anfänglich vergessenen ScLlass-
Yforie des vorhergehenden Kapitels verwendet worden.
Soel
iitiger: HoMätekrifU
m MNH i
3C
L.
L
n. m.
L.
I.
II.
III,
5
6
{S:n^
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20
20
14
10
11 11
26
(20)
21
21
15
11
12 12
27
21
22
22
1) Die Abtheilang dieser beiden Kapitel gegen den L-Druck 5
S. 8 ist folgende.
Ersteres reicht unter der Üeberschrift „Wie die muter mit den
kinden teylt^ sagt das capiteP' bis zu den Worten: vnd darnach
gleich teylen unter weyp ynd vnter kint dy vn aus gestewret sein.
Dann folgt das andere unter der üeberschrift: Von geystlicher
gab sagt das.
2) Durch ein Yerweisungszeichen ist als hieher gehörig nach-
stehender von gleicher Hand auf einem besonderen beigehefteten
Streifen geschriebener Artikel eingetragen:
Von prüdem heyrat
Nement zwen prüder zwo swesster, vnd nymbt der dritt prüder
ein fremdes weib, jre kind sind doch geleich nahen an der sippe,
jr yetweders des andern erb ze nemen, ob sy ebenbürtig sind.
3) Die Scheidung dieser zwei Kapitel gegenüber dem L-Drucke
22 S. 14 ist nachstehende.
Das erstere reicht unter der Üeberschrift „Wy ein man gut
schaffen schol seinen frewnden'* bis zu den Worten: ader sy mngen
sich Tersawmen. «
Dann folgt das andere unter der üeberschrift: „Was ehafift
not sey.
4) Die in Klammem gesetzten Kapitel fehlen gänzlich, indem
das sechste Blatt aus der Handschrift ausgerissen ist.
Das fünfte schliesst mit den Worten L 22 S. 14 Sp. 2 : das si
20*
804
SiitufM ifef M'rtof.
Clam «M» (
S. Mi 1867.
L.
I.
U.
m.
L. L
n.
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41
IS}»«
57
57
58
41
42
42
86
57
58
58
im fllechtes ledig wirt als hie yor gesohriben ist. Das nebenta be-
ginnt mit den Worten L 27 S. 17 Sp. 1 unten: hat das selb recht
80 si knmbt vber zwelf iar.
1) Beim Beginn von L 67 findet sich keine Ueberachrift, aber
eine rothe Initiala
SMikhtgtri BmiMkHfltH inhi ßt^toabttitfUgd.
806
L.
L
IL
m.
L.
I.
IL
m.
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58
59
50
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79
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59
60
60
121
80
82
81
89 1
61
122
81
83
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90
91
60»)j
61
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123
124
82
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84
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94
63
62
125
126
127
}
84
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64
68
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87
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97 J
68
66
64
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86
98
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66
65
131
88
90
89
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100 J
101 1
102 J
65
66
67
68
66
67
132
133
134
135
89
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91
92
90
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68
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68
69
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69
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102
101
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78
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146
147
148
149
}
102
103
104
104
105
106
103
104
105
1) Beim Beginne Ton L 90 findet sieh keine Uebenohrifb , aber
der Text il&ngt mit einer neuen Zeile und einem rothen Anfangs-
bodtttaben an.
306
■Sitnmg der hittor, Oat» tom 6, JwU 1887.
L.
I.
n.
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L. :
L
IL
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136
131
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164
160
Soehingtr: ^mdaehriftm eim SehtoabeMpiegel.
L I.
224 159
225
226
227
228
229
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257
258
259
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261
262
263
264
265
266
267
268
269
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m.
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186
187
188
189
189 194 190
191
192
192 197 193
1) Zxir Qesohiohte der Caefornia hat eine flüchtige Hand des
sechzehnten Jahrhanderts , von welcher sich auch sonst an anderen
Stellen Bemerkongen finden, an den oberen Rand von fol. 65' Sp. 2
heigeschrieben:
Nota, non obtenta sententia a Kalftilnea jndicj et ceteris asses-
toriboa nuda fnerant ostensa ab eadem posteriora. ob quod inter-
dictnm ex post est omnibas mulieribas officium postnlandi. neo in
>Uo casn cesante cansa cessat et e£fectas. eto.
308 Sligung der hisiar. Oasse wm 6. JM 1667.
L.
I.
IL
ni.
L.
I.
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326
233
239
235
1) Das entere dieser zwei Kapitel reicht bis zu den Worten L
307 a S. 131 Sp. 1: der sol im raten als anch an dem buche stet
Ohne Unterbrechung der Zeile wird dann weitergefahren. Aber
an den Rand ist hiezu mit kleinerer Schrift roth als üeberschrifl
beigesetzt: Von ayden.
'2) Vgl nnten Kapitel 280.
3) Vgl. nnten Kapitel 287.
4) Vgl nnten Kapitel 282.
StfChinger: HandMehrifkn nm Sehwäbempiegd. S09
L
I.
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L.
I.
II.
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3491b 243
249
245
369
268
275
270
1) Die Abikeilang dieser beiden Kapitel gegen L 850 nnd 861
ist folgende.
Entere« reicht bis zu den Worten L 851 8. 150 Sp. 2: darumb
daa li nicht mit ein ander Bünde tünt.
Dann folgt das andere nnter der Ueberschrift: Dem geaangen
Idwte entrinett (II: entrienen sint. III: entrinnent).
Zn bemerken ist vielleicht noch, dass sich in I und III beim
Beginne von L 351 ein rother Anfangsbuchstabe findet
2) Die Ueberschrift fehlt hier. Der Text beginnt aber mit einer
neuen Zeile und rother Initiale.
810 Süeung der histor. ClasH t<m 6. Jtdi 1S67,
h. 1.
n.
in.
L. I.
II.
ffl.
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3751 276
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375 275
•
282
277
-^ Herrenl.
— •) Herrenl.
Anhang zum
Landrechte.
-
— 1
1
1
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7(a)
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— 2
2
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79I1I 7(b)
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3
3
221 7(c)
7(c)
7(c)
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4
4
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8
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5
5
314IV 9
9
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363II 10
10
10
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6
6
377 IV 11
11
11
79ncj
Das Lehenrecht.
1 / 2»)/ 2«)/ 2«) 4b/ * / * f *
3333 4c 555
1) Vgl. oben Kapitel 819 I.
2) Die Herrenlehre ist hier erst nach dem sogleich folgenden
Anhange zum Landrechte gesetzt, wie oben 8. 301 des näheren be-
merkt worden ist.
3) Die Abtheilung dieser beiden Kapitel gegenüber L 1 und 2
ist folgende.
Ersteres schliesst gegen L 1 b S. 171 Sp 2: Darnach geet dew
sibende zal an. da mnes dew worlt ein ende mit nemen. weder der
sibenden zal noch tausent iar werden, oder mer oder minder, das
wais nieman.
SoeMi^M-:' Bntdadariftm am SehtMleniptegel SU
l: I. II. m. L. I. n. m.
5. , 6 ' e f 6; 14 20 20 20
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33
33
Hierauf folgt ab zweites Kapitel die nachstellende Fassai^g :
Di des herschiltes darbecat.
Na hat man ew genant alle di des herschiltes darbent.
Ynd ist das ein herre ir einem ein lehen leihet, der hat als gut
recht daran als der in dem sechsten herschilt vert. vnd erbent dew
leben an ire kinder.
Awer ymb alles lehenrecht mügen si nicht vrtail vinden di des
henchiltes darbent wann vor Iren herren von dem si lehen hant.
Iren gezeügen den verlegt man wol ymb lehenrecht vor andern
berren on vor jren herren.
1} Die Äbtheilung dieser beiden Kapitel gegen L 7 S. 172 Sp. 2
ist folgende.
Ersteres reicht bis zu den Worten J dei» hilfet im wol mit rechte,
den mag der herre nicht verwerffen.
Bann folgt das andere anter der Uebersdiriftr Wie der man
den herren eren sol.
'9) Die Abtheilung dieser beiden Kapitel gegen L IS S. 176 8p. 1
^ folgende.
Ersteres reicht unter der Üeberschrift „Spreohent zwen ain gut
»n dy der gewer darbent** bis zu den Worten : das müs er erzeugen
^ im mit zwain des herren mannen.
Dann folgt das andere über der Üeberschrift: Gedingde.
312
SOmmg itr ftMor. dam tem «. JtM i6$7.
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-*)
59
60
61
62
1) Beim Beginne von L 88 findet sieb hie;r der röthe An&iif«-
boehitabeN.
3) Die Abtheilnng dieser beiden Kapitel g^enuber L 40 S. 181
Sp. 3 nnd 182 Sp. 1 ist folgende:
Ersteree reicht unter der Ueberschrift „Wem der herre leÜMB
sol" bis sn den Worten L 40e: Wem der herre gfti gehhen hm^ des
kinden mag er nicht verzeihen.
Dum folgt des andere unter der Ueberschrift: An welher etat
man nicht leihen soL
8) Die Abtheihuig dieser swei Kapitel gegen L 48 und 44 ist
folgende:
Ersteres reicht bis sa den Worten L 48b S. 184 Sp. 2 unten:
der tage sol ie ainer sein vber Tiersehen nacht
Dann folgt das andere unter der Ueberschrift: Dem dreisiund
tag gegeben wirt.
4) YgL unten die Note sa Kapitel 187,
Stmd$cktiftm Mmm Sdmabaupiegd.
818
n. m.
60
63
64
63
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98
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100
101
102
I) Beim B^ginlte von L 72b findet rieb ohne besondere üeber»
jehrift in neoer Zeile die rothe Initiale 0.
3) NMb dem SthlniM von L 76 findet sioh hier noob der
Ynd kom der man nioht dar, md da« in des ehaft not latate^
da« mas er aelbdritte enengen di da« wars winen. damit hat er
awer behabt.
8U
SUnmg ätr kittar. CUu$t «mm £.' JüU^iSöf.'
L.
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135*)
133^
124
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121 119
142
•
•
1) Die Abtheilung dieser beiden Kapitel gegenüber L 111 — 118
ist folgende.
Eratereft reicht unter der Ueberscbrift „Lehen an manschall*^
bis zu den Worten L 112 a S. 204 Sp. 1: on in kirchen vnd in
kirchhöaen.
Dann folgt das andere unter der Ueberschrift in I und III:
Lehentädingk lang vnd vil, in II: Lehen teiding lang ist daz.
Die in I in Klammern geschlossenen Kapitel sind dnrch Ans^
riss des Fol. 85 nicht mehr ganz vorhanden. Kap. 111 bricht näm-
lich mit den Worten L 112a S.204 Sp. 2 ab: wo dew stat oder das
dorff sey da er in. Fol. 66 sodann beginnt mit den Worten L 115 b
S. 306 Sp. 2: schulde als im der herl^ gedinget ist.
2) Vgl. den Schiusaabsatz der vorhergehenden Note.
8) Dieses Kapitel schliesst schon mit den Worten: vnd gibt
ienem dehein losung, in II: vnd gibt jenem losvnge.
4j Der Schlus^atz von L 142 über den Thorwart fehlt hier.
} 134 I 136 ] 134
L.
I.
n.
in.
,151
140
142
140
152
141
143
141
153
142*)
144»)
142*)
154
143
145
143
155
144
146
144
156
145
147
145
157
146
148
146
158
147
149
147
Bockinger: Handsdvriften eum Schwabenispiegd. 315
L. I. n. in.
143
144
145 135 137 135
146 136 138 136
147 137 139 137^)
U9a 1 1^8 1 1*0 1 138
149b 139 141 139
150 140 142 140 159 148 150 148
Wir sehen hier im Ganzen von einer ansfiihrlichen An-
gabe der Abweichungen ab welche unsere drei Handschriften
in der Trennung einzelner Kapitel des L-Druckes in
mehrere wie umgekehrt in der Zusammenziehung von
so und so vielen Kapiteln jenes Druckes in nut
eines darbieten, oder von einer genauen Verzeichnung der
in unserer Gruppe vielfach anders lautenden TJoberschrif-
ten der Kapitel.
Im übrigen stellen sich bei der Betrachtung unserer
vergleichenden Zusammenstellung nachfolgende mehr oder
weniger wesentliche Punkte heraus.
Zu den letzteren zählen etwa Versetzungen von
Kapiteln, 'wie im Landrechte von 1257 und 258 =
II 264 und 265 = III 259 und 260 gegen L 363 1 und
363 b; oder von 1 272 bis 275 - H 279 bis 282 = III 274
bis 277 gegen L 371 bis 375; oder von 1281 und
282=11288 und 289 = 111283 und 284 gegen L 376 und
377; oder noch besonders von 11276 bis 278 gegen L 870
1) Hieza iet ein kleiner von der gleichen Hand beschriebener
Zettel eingeklebt, welcher das oben fehlende Kapitel L 55 ohne
Ueberschrift mit rother Initiale enthält.
2) Der erste nicht daher gehörige Satz L153a fehlt hier, wo»
selbst der Text richtig beginnt: Der man sol dem herren nicht
wider sagen, noch der herre dem man, wann si paide etc.
316 aUttmg der kistor. Okme wm 6. Juti 1867.
bis 870 II; oder im Lehenredite von I und III 69 und 70
gegen L 65 und 66. .
Wichtiger ist sodann, dass gegenüber der vom Freiherm
V. Lassberg seinem Drucke zu Grunde gelegten Haupthandschrift
aus allen drei Gliedern unserer Gruppe die Kapitel
48, 316, 348, 374 des Landrechtes, und die Kapitel 55,
68c, 87, 122, 132 a des Lehenrechtes fehlen, und ausser-
dem noch in II das Kapitel 17 des Landrechtes.
Dagegen bietet unsere Gruppe gegenüber der bemerkten
Handschrift nicht blos nach einer Seite hin sondern in mehr-
facher Beziehung ein Mehr.
Ein solches findet sich einmal in III in der Ein-
Schiebung des Artikels 7 zwischen L 5 und 6, wovon
S. 303 in der Note 2 die Rede gewesen. Es mag hiezu das
Kapitel 5 der Handschrift von Herrenchiemsee verglichen
werden, welches wir im Berichte der Sitzung vom 26. Jänner
S. 220 mitgetheilt haben.
Sodann finden sich in allen drei Handschriften
unserer Gruppe gemeinschaftlich in dem mit Art. 314
des L-Druckes beginnenden dritten Theile des Land-
rechtes noch die in der Züricher, ebner'schen, wie anderen
Handschriften des sogenannten Schwabenspiegels vorkom-
menden Kapitel des L-Druckes 3141, 314 II, 3191, 3271,
3491b, 3631, 3641, 3671, 367 0, 3681, 3701, 370 II,
3741, 3751, 375 n, 375 IV, 375 V, 377 L
Dieses letzte Kapitel „Von huren kinden'^ weist auch in
seiner Fassung gegenüber dem L-Drucke die bedeutend
weitere Gestalt der Handschrift Basel-Fäsch ^) auf, wie
hier folgt:
Hat ein ledig man pey einem ledigen weibe ein kind,
oder mer dann eines, vnd nimbt er darnach ein eweib vnd
gewinnet pey der ekind, was er dem vnelich gibt pey dem
1) In der Ausgabe Wackemagers Kapitel 834 a 296 und 297.
Soekinger: Hanäechriften eum Sehwäbenspiegel, 917
geganden leibe, das miigendt dew ekind nymmer wider
sprechen mit rechte, noch enmögen in es mit recht nymer
geaemen. an seinem todpette gibt er in wol varend gut on
erbe gät
Hat awer er das vnelich kinde pey einem eweibe, oder
was er selb ein eman ze den zeiten do si des kindes p^ im
swanger ward, dew kind haissent hür kind, Tnd habent kain
recht, wenn welherlay gut der vater den kinden gibt, das
chan noch enmag er in mit nichtew gesteten, im nement
es seinew ekind mit allem rechten wol.
Hat awer er das vnelich kind pey einer seiner niftelen
dew im an der yierden sippe sein mag ist oder näher, wann
80 ie näher so ie siinder ynd auch schäntlicher, oder hat
er es pey ainer dew im swagerlichen sippe ist, das ist also
gesprochen: welich weib einen man hat za der ee oder ze
Yne, was dew niftel hat vntz an dew vierden sippe zal,
Ynd ligt ein man bey der ainer dew seiner vnelichen frewn-
din oder seiner elichen hausfrawen niftel ist von der vierden
sippe oder näher, der ist ein sippe precher, gar ein grosse
Sünde, vnd was ein man also pey den selben frawen kinde
hat di im fleischliche sippe- oder swägerlich sippe sind, dew
kind habent dasselbe recht als dew hür kind, weder minnder
noch mer.
Hat awer er si pey einer geuatern oder pey seiner
toten di er aus der tauffe erhaben hat oder dew in aas der
tanffe erhaben hat, dew kind habent alle geleiches recht
sam dew harkind.
Vnd hat ein man ein kind pey einer nnnnen dew orden
in einem kloster empfangen hat| vnd kompt si holt wider
aas dem orden, vnd ist si ausserhalb des ordens lang oder
kürtz , darumb "hat dehain man dester pesser recht an ir.
wann wer pey ir niwann ze einem male ligt süntlichen
mit seiner wissen, der ist sozehannt in dem aller höchsten
panne den got enhimel vnd enerde hat. ob man in halt
[1867. IL 2.] 21
S18 Sitzung der Ustor. Clasae tarn 6. JuU 1867.
nymmer ze panne tat, noch ob man in nimmer in keinen
pann gekündet, so ist er doch in den höchsten pann körnen
niwan [vmb] di ainig sünde den got in himel vnd in erde
hat. vnd was auch ein man pey den selben nünnen kinde
hat| dew habendt auch dew recht als dew hüren kind, vnd
si haissen lialt von allem recht hürkind.
Weiter schliesst sich dann dem Landrechte noch der
aus den mehr berührten 11 Kapiteln bestehende
Anhang zu demselben unter der Ueberschrift „Das sind
auch landtrecht^' an.
Wir haben uns zur Zeit nicht vorgesetzt, des näheren über
ihn zu handehi. Immerhin aber düiite — abgesehen von an-
derem — die Bemerkung nicht überflüssig erscheinen, dass seine
Kapitel 6 und? zu den Kapiteln 88 a und 88 b des Deutschen-
spiegels = Kapitel 89 und 90 der jetzt so bedeutsam ge-
wordenen freiburger Handschrift, wie nicht minder zu den
Kapiteln 71a theilweise und 71b bis f des Deutschenspiegels
= den ihnen entsprechenden Kapiteln der freiburger Hand-
schrift, wozu noch Ficker über einen Spiegel deutscher Leute
S. 25 (137) und 1S4 (250) verglichen werden mag, stinounen.
Auch ist sodann beachtenswerth, dass die übrigen — mit einer
kleinen Ausnahme bei 10 — sich in einer bisher nicht genauer
berücksichtigten Gruppe der systematisch geordneten Hand-
schriften des sogenannten Schwabenspiegels Ia die betreffen-
den Abtheilungen aufgenommen finden. Insofeme nun die
genauere Kenntniss seiner Beschaffenheit im Ganzen
für den Behuf der Beurtheilung anderweitiger Handschriften
des sogenannten Schwabenspiegels nicht ohne Bedeutung ist,
glauben wir selben in seinem Zusammenhange nach der
Fassung von I mittheilen zu sollen, welcher wir die ent-
sprechenden Abweichungen von H und HI je unter B und
G in den Noten beiftigen.
Boekinger: SandichrifteH lum SchioabeMpiegA, 319
1. Ob ein*) herre ein kirchen leihet.
Vnd ist das ain werltlich herre den gewalt hat das er
ein kirchen leihen sol oder zwo oder mer, vnd pitet in ein
pfaffe oder ein schüler das er im ain kirche leihe, vnd der
herre leihet im di kirchen, vnd kompt dann ein ander pfaffe
oder schüler an den selben 'herren vnd pitet in auch das
er im di kirchen leihe di er da ienem hat gelihen, das tut
der here wol mit rechte, ob im dirre lieber ist dann iener,
oder ob in des tünkchet das dew kirche an disem pasbe-
statet sey dann an ienem , so leihet er ai disem wol mit
recht.
Hat awer im der bischof den alter gelihen dem der
herre di kirchen des ersten lech, so mag er si niman mer
geleihen di weile der lebt, dem mag si weder leje herre
genemen noch der bischof.
Alle di weile ein pfaffe oder ein schüler den alter von
dem bischone nicht empfangen hat, wie wol im der werltlich
ha*re di kirchen gelihen hat, vnd leihet si der herre einem
anderen, vnd wirt auch dem der alter von dem bischofe
gelihen e ienem, er hat si mit rechte.
Ist awer ein dingk das der werltlich herre dem erem
pffafen ') oder schüler seinen brief mit insigelen gibt an den
bischof das er im den alter leihe, vnd gereuet den herren
das, Tud sendet dem bischof einen andern brief das er
disen man auf hallte an der geistlichen gäbe, er hab sich
eines wägem bedacht^ das hat dehain kraft, wann wem der
herre seinen brief mit insigel an den bischof gibt, dem mäs
der bischof den altar leihen, vnd wäre halt der bischof
dem selben veint, er müs im in doch leihen mit rechte.
Vnd hat auch der herre ^) di kirchen in seiner gewalt
2) 6: der.
8} B: dem ersten pfavrer.
4) B: der ielbe herre.
«1*
320 aUeung der histor. Ohm vom 6. Jtdi 1867.
Ynaerlicben ^) sechs mohed oder lenger, so hat er den ge*
walt verloren der lehenunge, ynd sol si der biscbof leihen-
wem er wil, baiden Idrcben vnd altar.
Wirt awer si darnach ledig, so leiljet der herre si awer
wol. er yerleuset niwan^) das aine leben daran.
Dise sache ist werltlichen herren gut zewissen. man
müs awer vor geistlichem gerichte darumb rechten, vnd
gehört auch gaistlich vnd werltlich herren an.
2. Wie man kloster gut kauffen^) sol.
Vnd ist das ain abbt oder ein brobst oder ein abb-
tässin oder ein priorin ®) oder wie er, so *) gehaissen ist der
hauptman oder ein maister oder eia päeger da ze einem
kloster ist, vnd wil der selb dem kloster ein gut an werden
das vrbor^^) haisset ynd nicht yarend gilt ist, das mag er
mit recht nymmer on werden dem kloster wie gewaltig er
ist, er bewer dann des ersten drew dingk yor der samnunge
des klosters. ynd ist dew samnunge nicht gar da, also das
man ir nicht gar zu samen pringen mag, so sol zum aller
minsten doch der samnunge das merer tail da sein: vor
d.enn sol er bewaren ee das er das gät on werde.
Des ersten sol er bewären, das man das gut yon dem
kloster gelten süU da durch man das gut on werden müsse.
Zum andemn mal sol er bewaren, das er nindert
wisse dehain y^irend gut das des klosters sey damit er di
gülten") yergelten müge.
Zum dritten mal sol er bewam, ^das er nindert wisse
5) B und C: ynyerlihen.
6) 6: niclit waun.
7) B: verkauffen.
8) B: ein brior.
9) C: wie so er.
10) B: erber.
11) B: galt. C: gülte.
Bodiinger: Hanäsehtiften zum Sehtoabenapiegd, 321
dehain ander gut das des klosters nej das man dem kloster
als ynschedlich an werde als das selb gut.
So wird er das gut an mit rechte.
Vnd der das gut da kauffen wil, der sol pey dem
ersten fragen^') das es der merer tail der samnnngc höre,
ob des kloster hauptman dise drey sache bewärt hab. vnd
sind si nicht bewärt, so sol er es nicht kau£fen. sind si
awer bewärt, so kauffet er das gut mit recht, vnd nem
darüber hantneste der samnange vnd auch des pä^ers. so
kau£fet er das gut mit rechte an kri^ ^').
3. Ob ein hantueste valsch sey^^), wie man das
kiesen**) sol**).
Man velschet ein hantueste mit manigen dingen der di
trieger vnd die velscher vil künnen. vnd darurab süUen wir
di getrewen vnd di geweren leren wi si die valschen hant-
ueste kiesen vnd schauen sülleu, das man si desterbas er-
kenne, das di rechten lewte damit nicht geäffet noch *^) be-
trogen werdent.
Ein hantueste wirt entwicht von dem gedichte enmani-
gen ende*'), das kan ein wolgelert man wol erkennen, vnd
ettwenne von der geschichte. nennet man vns an einer stat
des ersten, vnd sprich ich das es dew samnung gelobt**)
hab, vnd si des nicht getan hat, so ist dew hantuest valsch.
12) A: sagen.
13) B: an allen krieck.
U) B: .ist.
15) B: bessern.
16) Aus. dem cod. germ. 663 ist dieses Kapitel abgedruckt in
der Aasgabe L 369 1 S. 157 Sp. 2 und S. 158 , in der Ausgabe W
419 S. 340—342.
17) B: lewte icht da mit ge efft vnd. G: vnd.
18) B: an mangen enden.
19) B: sammenonge gar gelobet. 0: samnunge gar gelobt.
$22 Siisung der hiaiar. Clas$e vm 6. Juli 1867.
Das ander ist, wann man oben ynd niden das insigel
auf clozzet'®), vnd man ein ander seiden darein tut| vnd
das enmiten nicht enist.
Das dritte ist, das man an ettlicher hantueste di seiden
oben Yon ein ander sneidet, Tnd sleusset si durch ein ander
hantueste dew nach seinem willen geschriben ist^ and man
zaizet'^) di seiden dann klaine ausz ein ander vnd trädf )
si dann ze samen Tnd machet si wider gantz. das mos
awer Ton gefugen frawen hannden geschehen.
Das yirde ist awer meistic an den newen jusigeleo, das
man etwenne mit hitze di seiden gar aus zeuhet, vnd tat
newe dar ein durch ein ander hantueste di er auch nach
seinem nuze geschriben hat.
Das fünfte ist da'') man ein hantueste mit velschet,
wenn man si geschahen sieht an der stat da man das da'^)
schreibet da si vber gegeben ist. jst aber si geschahen
anderswo dann an ddr stat da man das da triffet vnd
nennet da si yber geben ist'^), als ettwo da di maister ir
kunst legenty wie nutz vnd wie gut es sey das si gegeben
ist: ist si da geschahen, das wirret nicht.
Das sechste ist, das man ettwenne machet von wdne
vnd yon wasser das dew schrift gar ab geet, vnd gibt es
einem büchueller '^) der es mit seiner kunst gar ab tot,
ynd scribet dann wider daran nach seinem willen ynd nach
seinem nutze, das sol' man gen der sunnen haben, so mag
20) B: cloesset.
21) B: czey8«t C: zeyzei.
22) B: dret. C: drät.
28) B: ist dai da.
24) B: etat do man de.
26) In B ist dieser Sats dtirch o/4oior(A«tnror bis hieher aus-
gefallen.
26) B: buch yeU«r.
Boehmger: Bandsehrifien gum Schwäbenapiegd, 823
man es wol erkennen, so sieht man der allten schrifft
immer '^ etwe uil in dem pirmit in'^) der newen.
Das sibend ist, das man ettwenn auch ein klames per-
mit donne'^) auf di schrifit leimet mit einer hausen pla-
teren'®), ynd sneidet es dann geleiche als es nywan*^) ein
permett sey, ynd schreibet dann auf das chlaine permeit
was im geuellet.
Das achtende ist, so das merrer tail der hantueste ge-
zeugen wider di hantueste sind, so ist si awer yalsche.
Das neunte ist, so man an der hantuest leuget also:
das ich mich ze ainem ekind erbewte, ynd ich des nicht
enpin; oder das ich sprich ich sey armm, ynd das ich ain
kirchen han dauon ich mich wol betrage; oder ob ich
sprich ich sey frey, ynd ich aigen pin, oder ein zinser an
ein gotzhaus; oder an manigen dingen« wann mau gicht des
nicht war ist; ynd weune ich der rechten forme nicht enhan
di der stQl ze Rome gibt yber solich'*) sache der man
nicht yerkeret.
Das zehende ist, das man an neuen hantuesten bewäm
müs 'das es des herren Schreiber geschriben hab des insigel
daran ist, ob leicht einer ein insigel stäle ynd brächte es
zu ainem Schreiber der im schrib das in gut deucht, oder
ob er des herren insigel sunst fände da sein ainer yergasde
ein kamerer oder ein Schreiber, oder im süst empfiele'^)^
als offt geschieht.
Das aindlefite ist, ob man ein ander insigel grebt nach
27} A: inner.
28) B: perment bey. C: permit jn.
29) B: perment dynnz.
80) B: blatem. G: platem.
31) B: nicht wann.
82) B: syemKclL
88) B{ enphile.
324 SiUmg der hi$tar. CImc wm 6. Juli 1867.
disem« das ist awer leichte ze erkennen der sein wol war
nimpt vnd es zu dem rechten jnsigel habt.
Das zweifle ist, wa man ein hantueste 8chj*etbt ynd man
ze letzt nicht vnsers herren jar daran schreibet wie manig
iar von vnsers heren Jesu Cristi gepurd sey vntz an den
tag das dew hantneste geschriben ward.
Das dreyzehende das ist, das man ettwas macht das
linde ist als ein wachs, vnd truket das auf das wachsen'^)
insigeli vnd machet das dann herte vnd das es sich dodi
nicht erheuet '^). das ist gar mülich ze erkennen, vnd
stillen wir es nyman leren machen.
4. Der in dem panne ist.
Vnd ist das ein man in dem panne ist, ob der mit
seinen aigen lewten icht retf ) oder schaffet, di sind dar-
umb nicht in dem panne, ob das in ir herzen ist das si
sein gern vber waren ^^) das si mit im nicht ze schaffen
bieten die weil er in dem panne ist.
Der im awer also gedenket, we ich wil nur'^) dester
mer mit im reden vnd schaffen das ich im dester lieber sey,
der kompt in den selben panne da der herre innen ist.
wann man sol got den himelischen herren harter furchten
dann den irdischen herren.
Sein weib vnd seine kind mügen des nicht wol enbem:
si müssen mit im reden.
5. Von der gemeine'*).
Wer ein gemaine an spricht, das ein man sich der ge-
34) B: wechsein. G: wähsin.
85) B: erhebet.
36) A und C: reit.
87) B: yberich wem.
38) B: wil nicht wann.
39) C: gemein ist daz.
Bodiinger: Hanäschriften zum Sckwäbenspiegd. 325
maine vnder windet, eintweder ze wismade^^}, oder äker
daraus machet, oder welherlaye er darauf pauet rud es in
Bein nütz zeuhet, vnd söl doch ein rechte gemaine sein, vnd
spricht jn ein einig man darumb an das er es ze vnrecht
hab, dem sol er ze recht darumb nicht antwürteu, er seze
im dann gut porgen, ob er im enbreste^*), das im ymb
das gut njmermer kain man angespreche, wann es ein ge-
maine ist. enprest^^) er dann heut einem, so spräche in
alle tag ein itnewer**) an, wann des landes herre, der
sprichet in wol mit rechte an.
Was gemaine ist, das sfillen auch di lewte gemaine ^^)
ansprechen di es an get^^).
6. Wie di kompfen**) auf den ringk süllen komen**).
[a]
Wer einen seine genos kämpflichen wil an sprechen,
der sol den richter pitten, das er sich vnder winde eines
fridbrechen mannes. das sol mit vrtail geschehen.
Vnd ob er sich sein vnderwunden hat, so sol in der
richter yragcn im welher weise er den frid an im geprochen
habe, da mag der klager gespräches vmb begerh*^), oder
er mag dem richter ze haiit wol antwurten. er sol sagen
40) B: entweder wyszmat.
41) B: enbreche.
42) B: ein newer.
43) B: dy gemein lewte.
44) A: geendt
45) B: kemppffer.
46) Diasee Kapitel entapricht den Eapiteki 88 a, 88b, theilweiso
71, 71b, 71c des Deatschenspiegels imd den hieza stimmenden Ka-
piteln der freiburger Handschrift, deren Text die Ausgabe W Ka-
pitel 350, 351, 846 bietet, wozu noch der GroesfoUodrack (in Senken-
berg's Ausgabe Kapitel 167 § 8 — 15) verglichen werden mag.
47) B : vmb gem.
826 Siizmg der Mstar, Gasse vom 6. Jtdi 1867.
in welher weise, ob er in beraubet hab auf der Strasse mit
raube oder mit wunden, oder wo es jm geschehen ist, oder
in welher weise er den frid an im «geprochenn hab. in der
selben weise sol er auf in klagen.
Schuldiget er in, er hab in gewunndet, ynd ist die
wunde hail, er sol beweisen di masen. dew weisunnge hat
doch^^) nicht kraSt. er müs di wunden erzeugen selb-
dritte, ob iener seinen aid bewtet. hat er nicht gezeugen,
BO sol er im di haut ab ziehen, vnd sol also sprechen:
herr, herr richter, mit ewerem vrlaub so wer ich im den
aid, ynd zeuhe im di haut von dem aide, vnd wil das he-
berten mit meinem leibe auf seinen leib das ich redit hab.
so sol der richter von in baiden porgschaft nemen.
Den kämpf sol man in gepieten ze laisten vber sechs
Wochen.
Sprichet man einen man kämpflichen an nach mitem
tage, er gewaigert sein wol.
Sprichet ein man den andern an kämpflichen der wirs
geporen ist, der waigert sein wol.
Sprichet ein hochgeborn man einen kampflichen an der
nyder gebom ist, der^^) mag im nicht gewaigern.
Vnd sprichet einer den andern an ze kämpfe, vnd sind
si also nahen mage, so mag ir ietweder mit dem andern
kempfen^^), ob di mage gereiten^^) mügen das Bi zä der
fünften sippe ein^') ander sippe sint. des müs ir vater
mage sibene vnd ir müter mage'^') zu den heiligen sweren.
ettwenne was es zu der sibende sippe. nu habent di bäbst
48) In B fehlt doch.
49) In A and G ist von „waigert^' angefangen bis hieher aoa-
ge&Uen.
50) B: gekemppfen.
51) B: mage ein ander gereiten.
52) B: sipp czn ein.
58) B: ir vater mago vnd ir mnter mage siben.
BoMngelr: Eand9chrifim Mum Schwäbenspiegel, 827
weib erlaubet ze nemen an der fünften sippe, vnd dai*amb
hant auch die kunig gesezet das ain ieglich man mit dem
andern wol kempfen säl der im sippe sej vber di fünften sippe.
Der richter sol leihen, dem den man schuldiget auf den
man dar^t) klaget einen schilt vnd ein swert.
So man da hin kompt da der kämpf da ist, so sol der
richter geben zwen poten zä in baiden ^^) di das sehen das
man si nach rechter gewonhait an gelege vnd in gärbe^*).
Leder vnd leinein dingk süUen si an legen als vfl als
si wellent, haubt vnd fusz^^) suUenn in blos sem. vnd an
den hennden suUen si dünne hantschüch ^^) haben lidrein,
vnd in der hant blos, vnd einen schilt da nicht dann holtz
an sey. ettwo ist gewonhait das si an schilte vehten mit
pugkeleren di eisnein sind, si^') siillen roke an tragen on
ermel.
Auch sol man lewten^^) frid gepieten pey dem halsse,
vnd das si nyman irre an'^) ir kämpfe.
Ir ietwederm sol der richter einen man geben der ein
Stange trage, di sol der vber den haben der da geuellet.
vnd gibt er, so ist er vberwunden^'). mag er auf, man sol
in auf lan. weder*') der stange mutet, dem sol man si
vnderstossen. das sol der richter erlauben.
Einen ringk sol man in machen, der sol sein zwainczig
fusse oder fünf vnd zwainzig weit, weder*') daraus fleuht,
der ist siglos.
64) A und G: da.
56) B: riohter czwen boten czu yn beyden senden.
66) B: geverbe. C: gaerwe.
57) C: fazze.
68) B: B^ bloz hantschue.
59) B: vnd.
60) B: man den lewten.
61) A: dann.
62) A: ist erwanden.
63) B: welcher.
328 Sitzung der histor. Classe wm 6. Juli 1867. -
Di Bwert di si tragendt snllen ön ortband ^^) sem.
Vor dem richter süllen si baide engegenwert^^) sein,
vnd sol der ain sweren das es war sej das er auf in hat
geklagt®^), so sol der ander des sweren das er vnschuldig
sey, vnd das in got also helfe zu irem kämpfe.
Di sannen sol man in mit*^) tailen geleiche so man
si, des ersten an einander ze samen lät^^).
Wirt der vber wanden auf den man da klagt, man sol
vber in richten, wirt auch der siglos der auf in da klagt,
man richtet auch vber in.
Vnd wer den andern an sprichet vmb den todslag,
weder ^^) da siglos wirt, dem geet es an das haupt vnd
ist es vmb ein läme, es geet im an die haut.
Vmb ander wunden di nicht ze uerch geend vnd auch
nicht ze läme gendt, da sol niman vmb vehten: man sol
nicht vmb klain wanden kempfen.
Jst das ein man di notwer bereden wil, der sol also
bereden mit seinem aide, das er da getan habe das hab er
getan in rechter notwer seines leibes. vnd hat der tod
man niman der im den aide mit kämpfe were, so sol der
richter den man behalten sechs wochen vnd einen tag der
di notwer da hat berait. kompt in der weil nimant der
in an spreche, er 'sol ein ledig man sein vor den di ienner
landes sind, di ausser lanndes sind, den müs er antworten
vber zehen iar. da sol er dem richter porgen vmb setzen
vntz an das selb zil. vnd stirbet der richter, oder kumpt
sust ein ander richter an sein stat, dem ist er der borg-
schaft auch schuldig als ienem vntz auf das selb zil. vnd
64) B:1iii ortbant
65) B: in gewer. C: in gegenwürt.
66) G: in da hat.
67) B: mite.
68) B: ein ander let.
60) B: welcher.
Sotkmger: Ecmdaehnften gum ScJncäbenBpiegd. 329
als dew zeben iar für kömment, so ist er ein ledig man vor
allen lewten.
Ein yeglich man waigert wol das er nicht kempfet mit
seinem vndergenossen. ein ieglich man müs kempfen mit
seinem genos.
[b]
Es ist manig man rechtlos, vnd mag doch ein weib ^^)
genemen, Tnd ekind pey ir gewinnen, si müzzen awer ires
yater recht haben, si sein dann eines herren aigen oder
eines gotzhanszes.
Dew kind di nicht elich g^eporen sind di erbent nicht
ir Yater noch^^) ir müter gutes noch dehain irs mag^s
gutes.
7. Auch von kempfen ^^).
[a]
Ein freycw frawe jnag gewinnen fünfbande kinde der
ie ains des anderen genos nicht enist, eins das ir genos ist.
also ob ir man ir genos ist. si muge gewinnen einen mitereu
freyen, ob ir man mitterfrey ist. si mag gewinnen ein
lantsässen freyen, ob si einen lantsässen freien zu ir legt,
si mag gewinnen einen dienstman, ob si einen diensteman
nimpt^'). einen aigen man dasselb.
[b]
Welich semper freye ^^) einen seinen genos ze kämpfe
70) B; ein eweyp.
71) B: vnd.
72) Dieses Kapitel entspricht den Ariikebi 71 d, 71 e, 71 f des
Dentsclienspiegels nnd den hiezn stimmenden Kapiteln der frei-
bnrger Handschrift, deren Text die Ansgabe W Kapitel 847, 848,
849 bietet
78) B: dinstman czn ir leget,
74) B: freyer herre.
330 SiUfung der histar. Gasse vom 6. JM 1867.
an sprichet, der mos wissen wer sein vier anen sind ge-
wesen, er müs si auch nennen,- ,ob ienner wil den er an-
gesprochen hat* vnd nennet er ir^^) im nicht, er gewaigert
im mit recht wol das er mit im nicht kempfet.
Wer den ander kempflichen an sprichet, ?nd enget er
im mit rechte, er müs im das ze recht büssen das er in
angesprochen hat, vnd müs auch dem richter püssen.
Ditz entsprich ich nicht vmb denn todslag. wann da
gehört nicht wann leib wider ^^) leib.
[c]
An elich dingk mag nieman sein aigen yerkauffen das
es krafft hab. es antwurt auch dehain man nieman vmb
sein aigen ob man in beklagt e in vogtes dinge, ob er es
in der gewer hat. ettwa haisset es paudingk.
Gibt ein man sein aigen hin wider seiner erben willen
vnd ön vogtes dingk, si süUen es vor dem richter in seiner
gewalt han versprochen ^0- ^^^ ^^^ richter sol es den
erben antwurten. etwa ertailt man, es süU der richter in
seiner gewalt han. das stet an des lanndes gewonhait
8. Der einen man pey seiner konen^®) vindet^').
Dise vrtail gehört geistlich gerichte vnd werltliches ge-
richte an*®).
Vnd ist das ein man den andern®') bey seiner konen®*)
75) In B fehlt ir.
76) B: an.
77) B: in seiner yersprochen haben.
78) C: koenen.
79) B fügt noch bei: sag das.
80) B : gericht halt an.
81) B: man einen andern man« -
82) B: ekonen vindet vnd.
BodUnger: Eandeehriften tum SehwabeMpiegA 331
begreiffet in der weise das in sein gut gewissen nicht erlät
er müsse im des gedengken das si ir ee mit im geprochen
hab, vnd pringet in sein zoren daran das er si baidew ze
tode siecht, er sol si weder got noch der werlte nicht
piissen. er mag gen got von im selber wol in einer püsse
erscheinen, das ist nicht verloren, wann das tat ainer der
nie mensch ertotte. jn sol awer nieman darzn twingen als
ymb ander ^schulde, noch^') dehain werltlicher richter mag
im mit recht nimmermer'^) pfenning darnmb nemen^*).
weder mannes frewnd noch weibes freunde üifigen in darnmb
nymmer an gesprochen Tor kainem gerichie.
Mag man awer vier dinge eins auf in bewaren^'), so
müs er si got vnd der werlt passen als ander tod slag.
Der ist eins.' mag man bewären auf in das er sein ee
*auch ze prochen ^') hat seid er di selben fraun zu der ee
nam die er da entleibett hat, so mäs er den leib verlorn
han, vnd richtet vber in als vmb ander ^^) todslag. hat
awer er sein ee ^*) haimlich zeprochen als hieuor gesprochen
ist, das man jn sein nicht vberzeugen mag, so mus er si
doch dem almächtigen got passen zu allem rechten, wann
er ist an irem tode schuldig.
Das ander ist, ob si in des geindert hat mit warten
oder mit gepärden das si geren hette gesehen das er pey
ir gelegen wäre, vnd er das wol weist vnd sein wol innen
wirt das si es es geren sähe, vnd er sein nicht tän wil.
vindet er si darnach pey einem manne, er sol ir an dem
83) In B fehlt noch.
84) In C fehlt mer; in A scheint es dorchstriohen.
85) B: mag ym auch nymmer mit rechte pfening dar vmb
genemen.
66) B: bewem.
BT) B: auch gebrochen. C: auch z^rochen.
86) B: vmb einen andern.
89) B; er sy.
332 ßiUfung der histor. Claase vom 6. Mi 18€7.
leib niobt tun. nimpt er ir den leib dsoräber, er sol si got
vnd der werlte püssen. er ist vor got schuldig, awer Tor
4en lewten nicht, wann es ways nieman wann er vnd got
Das drite ist, ob ein man aus dem lande Taren wil
vnd dew frawe sprichet: vil lieber wirt, wenne körnest da
her wider haim? oder ob er ir vngefragt ein zil gibt, so
das er sprichet: ich kumin vber sechs wodien, oder vber
achtag *^), oder vber zwelif, oder welichs zil er ir benennet
langk oder kurtz, das er ir gehaisset er komm hör wider
haim jnuen des selben zils, vnd ist er einigen ^^) ganczen
tag vber dasselbe zil das er ir gehies do er aus für, vnd
kompt er darnach vnd vindct einen man bej ir, er sol ir
nichtes nicht tun an dem leibe, vnd ist das er ir den tod
tut darüber, vnd hant ir freunde des gezeugen siben man
das er ir das zil gab ze komen, sy gewinnent im den leib'
an. möchte awer er das selb sibende erzeugen das si vor
dem zil ir e geprochen hette di weil er vnder wegen was,
er ist ein ledig man. hat awer si ir ee bebalten vntz nach
dem zil als hieuor gesprochen ist, vnd tut er ir den tod,
er ist got schuldig an irem tode.
Das vierde ist. ob ein herre mit gewalte zu einer
fraun sprichet oder ir es empeutet das si in zu ir lege oder
er verderbe si vnd iren wirt an leib vnd an gut, ob er vber
si gewaltig ist, vnd sagt das di fraue dem^') wirte ee das
ir der herre pey®') gelige, vnd vindet er si darnach bey
dem selben herren^ er sol ir awer nicht tun, oder er wirt
schuldig au ir vor got. oder ob ein man so bösse an
seinem mute ist das sein e kon gut darumbe nymmet mit
90) B: echte. C: ächte.
91) B: einen.
92) B: irm.
9S) B: e das der herre bey ir.
Sockinger: Sanäsehriflm Bum Sekwabenspiegel. ^33
seiiMin willen, dew sol gar pilliolien sicher sein vor allem
Tbel, ynd hallt der man darzü der ir das gut da gibt.
Vnd ist der man dirre vier dinge vnschnldig, so püsset
er nieman^^) ze redit.
Geschiecht es auch ettwenn vber einer ^^) fraan willen
das 81 em man notzogt, der sol ir wirt auch an irem leibe
nicht tun. der man wäre im zehen tode schuldig wo er in
begreiffen mochte.
9. Ob zwen man vmb ein sache klagent.
Vnd ist das ein man vor geridite gelobt ein gewiszhait
vmb ein sache, vnd komt ein ander vnd klagt dem richter
auch vber den selben man vmb di selben sache da er di
gewiszhait- vmb gelobt hat, er sol im nicht antwurten e das
er ienem empristet^^) der in da des ersten ansprach, oder
wiit er schuldig, er passet awer niewan ^0 ^^iQ einem der
in bej dem ersten an sprach.
Vnd enbristet'*) der^^) im, vnd ist dew sache dann
ienes der in da änderstund angesprochen hat, er sol im
antwurten.
Vnd ist dew schulde halbe sein , er sol sich an ienen
haben det da behabt hat.
10. Wie man pfenning slahen sol.
Ditze ist von valschen münzzen. es stet noch mer an
disem pudie von valschen münssen.
Ditz püch'^) hat der heilige vnd der sälige kaiser
Earlt geseczet vber die di valsch pfenning slahent.
94) B: nicht.
95) B: der.
96) B: enbrichet
97) C: er.
98) B: nicht wann.
99) B: recht
[1867. IL2.] i2
334 SitMung der Mstor. OäsH vm 6. Jtdi 1807.
Welicheir mansder yalsch pfennifig Blecht, dem sol mAn
di hant absiahen.
Wir haissen das valsch pfenning di in dem recht nidit
stendt als si gesezet sind, si sullen also weis sein das Ton
der markch nicht enge wann ein setin. die pfenning süllen
pfundig sein, nu machent' si di herren ettwo ringer. wie
si di herren haissen machen ringer oder swärer, also süllen
si di munzer machen, ynd dehain herre hat des nicht ge-
walt a0 rechte, das er die pfennig an der weise icht anders
machen sali wann das ein setin von der marchk gee so
man si ze silber prennet. ynd sind di pfenning icht^^^)
anders, so sind si yalsch. -
Weliche herren si haissen anders slahen wann als hie
geschriben stet, so hat er des riches bald verlorn.
Vnd ist er ein pfaffen furste, so sol es der rönusch
könig dem pabst haissen klagen, der sol im sein recht tun.
nu was ist sein recht? da sol in der pabst degradiren.
das ist also gesprochen: er sol im all sein pfafflich ere
nemmen. vnd sol darnach der römisch kiinig vber in richten
als vber einen välscher. dem gerichte ist also: er so] im
das haubt absiahen.
Vnd ist er ein laie der di mfinsse also geuelschet hat,
dem sol man auch das haubt absiahen.
Man sol di herre dirre sache vberzeugen nicht anders
wann^^'^) mit den Pfenningen, der pfenninge so sol man
ein mark nemen, vnd sol di^®^) sezen in einen tegel in ein
glüt. vnd süllen im das tun vor seinqn äugen das er es
gelauben müsse vnd sein nicht gelaugen möge, vnd sol
man di pfenning prennen. vnd hant si ir recht nicht, das
mer dann ein setin von der markt get, so sind si schuldig.
Vnd welich münsser si siecht, dem sol man die hant
100) B: ichtes icht. G: ichte iht.
101) B: moht wäzm.
102) B: (By.
Bofikinger: Hcutdichriften Mum SdiwabeMpiegd. 335:
absiahen, oder welicber Wechsler oder hausgenos si mit
wissen hin wechselt, der hat awer die hant verloren.
Vnd wer aadi einen gäben pfenning yerwir£fet der sein
recht hat vnd als gut ist als ich iezo gesprochen han, der
ist dem gerichte^^^) schuldig vierzig Schillinge ^®^). diselben
Pfenning sällen dem richter halb werden, vnd ienem halbe
des dew münsze da ist. das ist recht, wann wer einen
guten Pfenning velschet und verwürffet, der hat den münser
gefelschet. seit nu der mönsser so hohe ' püssen müs ob
er einen valschen pfenning siecht, so wil auch er das man
im passe der in einen velscher haisset vnd er des vnschuldig
ist. ye doch geschiecht es einem ainualtigen menschen das ^^^)
nicht pessers wais noch kan, da hört genade yber.
* Welich gemälde ein herre an sein pfenninge sezet, vnd
sezet ein ander herre dasselb gemeide an sein pfenninge, di
Pfenninge sind valsch, vnd ist der herre ein välscher. vnd
8ol man vber in richten als vber ein välscher.
Vnd ist das iener nicht pfenninge hat der den pfenning
da verwürflfet, so sol man vber in richten ze haut vnd ze
har bey dem höchsten, das sind vierzig siege sol man im
slahen^®^) oder an einen vierzig.
11. Ob zway dorffer kriegent.
Ob zwai dorffer kriegent vmb ein marche, das nächst
dorf das da bey ligt das sol sy beschayden mit getzeugen.
das Süllen sein di eltisten vnd di besten, weders dorf der
getzeogen mer hat, das behabt sein marche.
Mag man der nicht gehaben di also alt sind das si
darmnb nicht enwissen, so sol man dise marche beschaiden
als das lantrecht püch sagt.
103) B: richter.
104) 6: eschillinge.
105) B: einyeltigen man der.
106) B schliesst schon hier das Kapitel.
r— 22*
336 SOtung der hiHar. Qkuie vim €. Mi 1867.
Herr Riebl hielt einen Vortrag:
„Ueber Sebastian Bach und dessen Stellang
zu den theologischen Parteien seiner Zeit^^
Herr KInckhohn trag vor:
„Die Wittenberger Theologen nach Melanch-
thon's Tode".
Herr G. Hofmann:
Berichtigender Nachtrag zu S. 171 dieses Bandes
der Sitzangsberichte.
Durch die Güte des Hm. Bibliotheksekretärs Aumer
bin ich jetzt in den Stand gesetzt^ befriedigenden Aafschlass
über den Verfasser des arabischen Zauberbachs zu geben.
Er theilte mir auf mein Ersuchen Folgendes mit: „Der
arabische Verfasser des besprochenen Zauberbuches dürfte
wohl der von Hadji Eh. an vielen Stellen erwähnte, von
Wüstenfeld in seiner Geschichte der arabischen Aerzte p. 60
and 120 besprochene bekannte Arzt Abu Dschafar Ahmed
b. Ibrahim Ibn-ul-Dschezzär (Dschezzär hat nämlich dieselbe
Bedeutung wie QaQ(äb) sein. Im Verzeichnisse seiner
Schriften a. a. 0. ist auch ein „Liber experimentorum'*
und weiters „Experimenta medica" angeführt"
Oeffmäiehe Sifgung vom si JtUi 18S7. 837
Oeffentliche Sitzung der k. Akademie der Wissen-
schaflben
zur Vorfeier des Allerhöchsten Oeburts- und
Namensfestes Sr. Majestät des Königs Ludwig II.
am 26. Jali 1867.
Nach den einleitenden Worten des Vorstandes der
k. Akademie der Wissenschaften, Herrn Geh.-Rathes Baron
y. Liebig wurden folgende Wahlen yerkündet:
A. Als Ehrenmitglied:
Seine Kaiserliche Hoheit Herr Herzog Nicolaus von
Leuchtenberg, Präsident der mineralogischen Gesellschaft in
St Petersburg.
B. Als auswärtige Mitglieder:
a. Der philosophisch-philologischen Classe:
1) Dr. Eduard von Kausler, Vicedirector des k. Württemberg.
Haus- und Staats-ArdiiTes ia Stuttgart.
338 Oeffmaiche Sitsung wm 25. Jtäi 1867.
2) Gavaliere Giovanni Battista de Rossi in Rom.
3) Wilhelm Henzen aus Bremen, Profeesor in Rom.
4) Charles Newton, Archäolog in London.
b. Der mathematisch-physikalischen Classe:
1) Carlo Matteucd, Professor der Chemie in Florenz.
2) Arcangelo Scacchi, Professor der Mineralogie in Neapel.
c. Der historischen Classe:
1) Marchese Oino Capponi in Florenz.
2) Franz August Mignet, Sekretär der Akademie der Wissen-
schaften in Paris.
3) Dr. Wilhelm Röscher, Professor in Leipzig.
4) Alexandre Herculano de Carvalho in Lissabon.
C. Als correspondirende Mitglieder:
a. Der mathematisch-physikalischen Classe:
1) Don Ramon Torres Munoz de Luna, Professor der Chemie
an der Central-Umyersität in Madrid.
2) Pater Angelo Secchi in Rom, Vorstand der Sternwarte
des CoUegium Romanum.
3) Henri Hureau de Senarmont, Professor der Mineralogie
an der ecole des mines in Paris.
4) Friedr. Ant. Wilh. Miquel, Professor der Botanik in
Utrecht.
5) Filippo Pariatore, Professor der Botanik in Florenz.
NeuwaHen. 839
b. Der historischen Glasse:
1) De Leva, Professor in Padaa.
2) Dr. Georg Voigt, Professor der Geschichte an der Uni-
yersität zu Leipzig.
3) Dr. Ottokar Lorenz, Professor der Geschichte an der
Universität zu Wien. •
4) Dr. Max Biidinger, Professor der Geschichte an der Uni-
versität zu Zärich.
Hierauf hielt Herr Brunn, ordentliches Mitglied der
philosoph.-philologischen Classe, einen Vortrag über
„die sogenannte Leucothea der Glyptothek
Sr. Majestät des Königs Ludwigs L".
Diese Bede ist im Verlage der Akademie erschienen.
840 Emendungm vm 2)mck8ehnftm,
Einsendungen von Druckschriften.
V(M der Univemiät in KüHi
Schriften der Universität aas dem Jahre 1866. Band 13. 1867. 4
Von der haieerl LeopMino-Carolinisthm dmtathen Akademie der
Naturforseher in Dresden:
Yerhandlangen. 82. Band. 2, Abtheilong. 1867. 4.
Vom Hennebergisehen äUerihumsforschenden Verein in Meiningen:
Nene Beiträge slur Qeiohiohte deateohen AUerthnais. 8. Lieferang.
1867. 8.
Vom Oewerhe-Verein, naiurforschenden Gesdlschaft und hienenwirihr
schafUichen Vereine in JJUenburgi
Mittheilnngen aus dem Osterlande. 18. Bd. 1. nnd 2. Heft 1867. 8.
Von der pfäUischen Gesellschaft für Phofmaeie in Speyer'.
Neues Jahrbuch für Pharmacie und verwandte Fächer. Zeitschrift.
Bd. 28. Heft. 1. 2. Juli und August 1867. 8.
Von der deuUehen morgenländischen Oesdhchaft in Leipzig:
a) ZeiUchrift. 21. Bd. 1. und 2. Heft. 1867. 8.
b) Indische Studien. Beiträge für die Euode des indischen Alter-
thums. 10. Bd. 1. Heft. 1867. 8.
£fitaefi(2tifijrefi txm Druektckriften. 341
Vtm ätr deutickm pu^i^tkm OeäeOsekaft in BerKn:
Zeitschrift. 19. Band. 1. Heft. Novbr. Dezbr. 1866. Jan. 1867. 8.
Vom Verein für siehenbikrgische Landeskunde in Hermatmetadt:
a) Archiv. Neue Folge. 6. Band 8. Heft. 7. Band 1. nnd 2. Heft.
1866. 8.
b) Jahresbericht. Yereinsjahr 1864. 65 und 1865. 66. 8.
o) Siebenbürgisch- sächsische Yolkslieder, Sprichwörter, Rathsel,
Zauberformeln und Kinderdichtungen. Von Friedr. W. Schuster.
1865. 8.
d) Siebenb^gisehe Chronik des Schässburger Stadtschreibers Georg
Kraus. IL TheiL Wien. 1864. 8.
e) Die Romischen Inschriften in Dacien. Von Michael Ackner und
Friedrich Müller. 1865. 8
f) Flora transsilvaniae excursoria. Auetore Miohaele Fuss. Gibinii.
1866. 8.
g) Plan zu den Vorarbeiten far ein Idiotikon der siebenbürgisch-
sächsischen Volkssprache. Kronstadt 1865. 8.
Vom phyeikaUschen Verein in Frankfurt a. M. :
Jahrssbericht ftLr das Rechnungsjahr 1865. 66. 8.
Von der geologischen Beichsanstdlt in Wien:
Jahrbuch. Jahrg. 1867. 17. Bd. Nr. 2. April, Mai, JunL 1867. 8.
Von der k. preussischen Akademie der Wissenschaften in Berlin:
Monatabericht Mai Juni 1867. a
Von der Universitäi in Heiddberg:
Heidelberger Jahrbücher der Literatur. Unter Mitwirkung der vier
Fakaltäten. 60. Jahrgang. 4. 5. 6. und 7. Heft. April— JuU.
1867. a
342 Eimendungm von JDruckschfiften,
V<m Verein füir GesehiehU und AUerÜhumktmde Westpheiens tu
Müneter:
a) Zeitschrift für vaterländische Geschichte and Alterthnrnskonde
8. Folge. 5. und 6. Bd. 1865. 8.
b) Beitrage zur Geschichte Westfalens. Paderborn. 1866. 4.
Von der Bedaktion des Correepondenjisblattes für die gdehrten und
Beälechulen Württembergs in Stuttgart:
Correspondenzblatt Nr. 6. 6. 7. 8. 1867. Q.
Von der naturforschenden Gesdlschaft in Emden:
52. Jahresbericht. ,1866. 1867. 8.
Vom Museum Franziseo Cardlinum in Lins:
ürknndenbach des Landes ob der Ens. 4. Bd. Wien 1867. 6.
Von der Gesellschaft der Aerste in Wien:
Medizinische Jahrbücher. 14. Bd. 23. Jahrg 4. Heft 1867. 8.
Von der physikaUsch-mediginischen Gesellschaft in Würghurg:
Würzburger medizinische Zeitschrift. 7. Bd. 4. Hft. 1867. 8.
Vom h. sächsischen Verein für Erforschung und Erhaltung voler-
ländischer Geschichts- und Kunstdenkmaie in Dresden:
Mittheilungen. 17. Heft. 1867. a
Vom Verein für Geschichte der Mark Brandenburg in BerUn:
Märkische Forschungen. 10. Bd. 1867. a
Vom thüringisch-sächsischen Verein für Erforschung des vatedänäir
sehen JUerthums und Erhaltung seiner Denkmäler in Haue:
Neue Mittheilungen aus dem Gebiete historisch-antiquarischer Forsch-
ungen. 11. Bd. 1. 2 1865. 67.
Einsendungen von Druckschriften. 348
V<m der TMchia, neOurufissenschäfilicher Verein der EheinpfdU in
Dürkheim :
t) 32.--24. Jahresbericht. 1866. 8.
b) YerzeichnisB der in der Bibliothek der Pollichia enthaltenen
Bücher. 1866. 8.
Vom Mährischen Landes-Äusschuss in Brikm:
Urkttndenbmch der Familie Tenfenbach. 1867. 4.
Vom VoigÜändiscTien-aUerlhumsforschenden Verein in Eohenleüben:
87. Jahresbericht. Weita 1867. 8.
Vom historischen Verein ßr Niedersachsen in Hannover:
a) Zeitschrift. Jahrgang 1866. 1867. 8.
b) ürkondenbuch. Heft. 7. 1867. 8.
c) Katalog der Bibliothek des historischen Vereins für Niedersaohsen.
1866. 8.
Van der hndwirihschaßichen Centrdlschüle in Weihenstephan:
Jahresbericht 14. pro 1865. 66. 15. pro 1666. 67. Freising 1867. 8.
Von der k, piMfsikalisch-ökonomischen Gesellschaft in Königsberg:
Schriften. 6. Jahrg. 1865. 2. Abthlg.
7. Jahrg. 1866 1. und 2. Abtheilung. 1865. 66. 4.
Von der k. k. mährtsch-schlesischen Gesdlschaft zur Beförderung des
Ackerbaues, der Natur- und Landeskunde in JBrämi:
a) Schriften der histor.-statistischen Sektion. 15. Bd. 1866. 8.
b) Zur Geschichte des Bergbaues und Hüttenwesens in Mahren und
Oesterr. Schlesien. Von Ritter Delvert. 1666. 8.
Von der sehUsisehen Gesellschaft für vaterländische Kultur in Breüau:
44. Jahresbericht vom Jahre 1866. 1867. 8.
944 EinBendungm v<m DrueUchrifkn,
Vtm hi8tf>ri8(^ieH Verein füir Steiemarh «m OraU:
a) Mittheilangen. 15. Heft. 1867. 8.
b) Beiträge zur Kunde Bteiermärkisclier Geschichtsqaelleii» 4. Jahrg.
1867^ a
Von der AcadSmie des seiences in Baris:
a) Comptes rendus hebdomadaires des seances.
Tom 64. Nr. 20—25. Mai Juin 1867.
Tom 65. Nr. 1^6 Juillet 1867. Vol. 66 Nr. 8. 9. 1867. 4.
b) Tables des comptes rendus des s^anoes. Denxiöme Semesire 1866.
Tom 63. 1867. 4.
Van der geologischen Commission der schweieerischen nakurforschenden
Oesdlsehaft in Bern:
Beitrage zur geologischen Karte der Schweiz.
3. Lieferung. Die südöstlichen Gebirge von Granbünden.
4. Lieferung. Geologische Beschreibung des Aargauer-Jura und
der nördlichen Gebiete des Canton Zürich. Von C. Moesch.
5. Lieferung. Textband. Tafeln und Karte zur 5. Liefemngf.
1866.67. 4.
Vom Mituto technico in Palermo:
Giomale di scienze naturali economiche.
Toi. 2. Anno 1866. Fase. 2. 8. und 4. 1866. 4.
Von der Accademia ddlt scienee in Turin:
a) Memorie. Serie seconda. Tom. 22. 1865. 4.
b) AttL Yol. 1. Disp. 3—7 gennaio e giugno 1866.
'„ 2. „ 1. 2. 3. novbre e decembre 1866. gonnaio,
> febraio 1867. 6.
Von der SociM imperiale des nc^ttfäUstes in Moscau:
Bulletin. Annee 1866. Nr. 2. 3. 4.
„ 1866. Nr. 1. a '
Eintendungen von Druekschrift^, 345
Van der Jcadimk impMaU des scienees in £K. JMmImrg:
8) M&noires. Tome 10. Kr. 8—16. 1866. 4.
b) BaUetin. Tom 10. Nr. 1—4.
„ 11. Nn 1 und 2. 1866. 4.
c) MelangOB pliyBiques et ohimiqaes. Bulletin. Tom. 6. 1865. 8.
Von der Aceademia pontificia dt? nucvi Uncei in Born:
Atti. Anno 19. Sesnone I. Decbr. 1866.
„ 19. „ 1.— 7. Gennaio— Gingno 1866. 4
Von der Sternwarte in Bern:
Meteorologische Beobachtungen. Septbr. Oktober. Noybr. 1866. 4.
Von der naturforeehenden Oeedbduxft in Zürich:
Tierte^ahr89chrift. 9. Jahrg. 1.-4. Heft. 1864.
10. „ 1.— 4. „ 1666.
11. „ 1.— 5. „ 1866. 8.
Von der Acadtmie roydk de midedne de Bdgique in Brüsed:
Bulletin. Annee 1867. 8. Serie. Tom. 1. Nr. 8. 4. 6. 6. 1867. a
Von der Acadhnie royde des eciencea des letires et des heaux-arts de
Bdgigue in Brüssel:
Bulletin. 86. annee. 2. S^rie. Tom. 24.
Von der historischen Gesellschaft in Basel:
Die Schlange im Mythus und Cultus der classischen Völker. Von
J. Maehly. Der naturforschenden Gesellschaft ?on Basel sur
Feier ihres 50jährigen Bestehens. 1867. 8.
Von der anHguarischen OeseOschaft in Basel:
Ueber die Minerven Statuen von Dr. Bernyalli. Der naturforschen*
den Gesellschaft von Basel eur Feier ihses 50jährigen Bestehens.
1867. 8.
346: Eimenäungen van Druekschrifien.
Von der anHquairiicheH Qe^elkchaft ßr vaterländische AUerthümer m
Zürich:
a) Mittheilungen, Bd. 16. Heft 7. Pfahlbauten. 6. Bericht. 1866. 4,
b) „ 31. Aventicum Helyetiomin. 1867. 4.
Vom historischen Verein des Cantons Bern:
Archiv. 6. Bd. 1. 2. 3. Heft. 1867. . 8.
Von der Äsiatic Society of Bengäl in Calctata:
a) Proceedings. Title, index and appendix for 1865.
Nr. 4—12. May— Dec. 1866.
Nr. 1. January,1867. 1866. 8.
b) Bibliotheca Indica a collection of oriental works.
Nr. 216. 217. New Series. Nr. 88. 93. 96. 97. 98. 1866. 8.
Von der gecHogicäl Survey of India in Cälcutta:
a) Memoirs. Palaeontologia Indica. 8. 10 — 13. The fossil Gephalo-
poda of the cretaceous Roks of Southern India. 1866. 4.
b) Memoirs. Vol. 5. p. 2. Wynne. On the Geology of the Island
of Bombay. 1866. 8.
c) Memoirs. Vol. ö. p. 3. Hughnes. T. W. H. On the structure of
the Jherria Coal-Field. Stoliczka, Ferd. Geological observationB
in Western Tibet. 1866. 8.
d) Annual Beport. Tenth year 1865. 66. 8.
e) Catalogue of the meteorites. In the museum of the geological
survey of India. 1866. 8.
f) Catalogue of the organic remains belonging to the Cephalopoda.
1866. 8.
Von der SociHi royoXe des sciences in Lüttich:
Memoires. 2. Serie. Tom 1. 1866. 8.
Von der SociHi d' Anthropologie in Paris:
Bulletins. Tom 1. 2. Serie; 5*»* Fascicule. Juillet— Decembre 1866.
Tom II. 2. S6rie. 1 Fascicule. Jan.— Mars 1867. iB.
Einaenäimgen von Dmck$efmften. 347
Van der Chemiedl Society in London :
Journal. Ser. 2. Vol. 4. Ootbr.— Deobr. 1866.
„ 2. „ 6. January—Jime 1867. 8«
Von der Royal Oeographtecd Society in London:
Proeeedings. Yol. 11. Nr. 2. 1867. 8.
Von der Geologieäl Society in London:
Quarierly Jonm^ Vol. 23. Part 2. Nr. 90. Mai 1867. 1. 8.
Von der Sociiti Vaudoiae des aciencee natwrdUa in Lausanne:
Bulletin. Yol. 9. Nr. 56. 67. Deoembre 1866. Juin 1867. 8.
Von der dänischen Oeseüschaft der Wissenschaften in Kopenhagen:
Forbandlinger og dets Medlemmers Arbeider i Aaret 1866. Nr. 4
„ „ 1866. Nr. 2^-6
„ „ 1867. Nr. 1—8
Von der Provindaai Utreehtsche Oenootschap van Künsten an Weten^
schappen in Utrecht:
a) Aanteekeningen van het yerhandelde in de Sectie- yergaderingen,
gebouden in hei jaar 1866. 8.
b) Yerslag van het yerhandelde in de algemeene Yergadering ge-
bouden den 17. Oktober 1866. 8.
c) De wettelijke Bew^jsleer in Strafzaken door Mr. W. Modderman.*
1867. 8.
Vom Swrgeon OeneräPs Office in Washington:
Reports of Byt Brig. Gen. D. C. Mc. Callum and the proyost mar*
sbal Generals. Pari. 1. 2. 1866. 8.
Von der Universität in Leyden:
Annales Academici 1862.63. Lngduni-Batayomm 1866. i.
348 Einsendungen van Dfucksi3iriften.
Von der SöcUU HoUandaiiee des seienees in Harkm:
a) Archives Neelandaisos deis scienoes ezactes et noturellas.
Tom 1 und 1 /5""« livraison.
„ 2 „ 1 und 2. livraison. 1866. 67. 8.
b) Natuarkondige Yerhandeliiigen. 20. 22. 24. Deel. i.
c) Beiträge zur Eenntniss der Feldspathbildnng Yon C. F. Weiss. Ge-
krönte Preisschrift. 1866. 4.
d) üntersnchnngen über die Form des Beckens javanischer Frauen
von Dr. T. Zaaijer. 1866. 4.
e) Die Basaltbildung in ihren einzelnen Verbänden erläutert von
L. Dressel. Preisschrift. 1866. 4.
Von der B. Aecademia economico-agraria d^ Oeorgoßi in Floren» :
a) Continuazione. Nuova Serie Vol. 18. Disp. 3 und 4. 1866.
„ „ „ 14. „ 1. 1867. Nr. 47-49. 8.
b) Parte istorica 1867. Dispensa 1. 2. 1867. 8.
Vom Verein für, Geschichte und AUerthümer in Odessa:
Sapiski Odesskago obschtscheotwa. Denkwürdigkeiten des Vereins.
• Bd. 6. 18^7. 4.
Von der SociHi de Physique et d'histoire natureße in Oenf:
2f6moires. Vol. 19 p. 1. 1867. 4.
Von der SocieU d*histoire de la Suisse Bomande in Lausanne:
Mömoires. Vol. 22. 1867. 8.
Vom Lyceum of Naturcd History in New-Yorh:
Annais. Vol. 8. Nr. 11. 12. 18. 14. 1867. a
Von der Ccdifomia Aeademy of Natural SeisneH in Sem Francisco:
Proceedings. Vol. 3. p. 2. 8. 1864—66. 8.
EhMendungen van Druekachr^Un. 349
Von der Historical Society of Penneylvania in NeuhYcfk-
Thirty eight annual r^port of the Inspeotors of the State Peniten-
tiary. 1867. 8.
Vom Ofßce of ihe American Ephemeris and NauHcai Jlmanae in *
Washington:
Schubert. Tables of Ennomia. 1866. 4.
Vom Bureau of Navigation in Washington:
The American Ephemeris and Nautical Alraanac for the year 1868.
1866. 4.
Von der American Academy of Arts and Sdencee in Boston:
Proceedings. Vol. 7. Bogen 18—23. 1866. 8.
Von der Academy of Natural Sciences of Philadelphia:
a) Proceedings. Nr. 1—5. Jana— Decbr. 1866. 1867. 8.
b) JoamaL New Series. Vol. 6 p. 1. 1866. 4.
Vom Observatory of Harvard Cöüege in Cambridge:
Annais. Yol. 2. p. 2. 1854r-1855. 1867. 4.
Von der National Academy of Sciences in Washington:
Memoirs. Vol. I. 1866. 4.
Vom Ohio State Board of AgricuUure in Cchmbus Ohio:
20. Jahresbericht für das Jahr 1865. 1866. 8.
Vom Essex Institut in Salem, MassacK:
Proceedings. Vol. 4. Nr. IS, Jan.-Decbr. 1866.
„ 5. Nr. 1. 2. 1805—66. 8.
[1867. II 2.] 23
350 Einsendungen von Druckschriften.
Von der Boston Society of Natural History in Boston-,
a) MemoirB. Vol. 1. p. 1. 2. 1866—67. 4
b) Proceedings. Vol. 10. Bogen 19—27. Schlues.
„ 11. „ 1—6. 1866. 8.
c) Gondition and Doings May 1866. 8.
Von der Connecticut Äcademy of Ärts and Sciences in New-Haven:
a) Transactions. Vol. 1. p. 1. 1866. 8.
b) The American Journal of Arts and Sciences.
Vol. 42. Nr. 124—126.
„ 43. Nr. 127—129. 1866—67. 8.
Von der Smithsonian Institution in Washington:
a) Smithsonian Miscellaneous Collections. Vol. 6. 7. 1867. 8.
b) Annual Report of.the Board of Regents of the Smithsonian In-
stitution for the year 1865. 1866 8.
c) Pumpelly, Geological Researches in China, Mongolia and Japan
during the years 1862 to 1865. 1866. 4
Vom United States Navai Observatory in Washington:
Astronomical Observations during the year 1851 and 1852. 1867. 4.
Vom Secretary of War in Warhington:
Report, with aecompany in papers. 1866. 8.
Von der Natural History Society of Montreal:
The Canadian Naturalist New Series Vol. 3 Nr. 1. 1866. 8.
Von der Commission hydromitrique in Lyon:
ResumS des Observations recueillees dans les bassins de la Saone,
du Rhone et quelques autres r^gions. 1866 — 23™* Annee. 8.
Vwn Bedle Istüuto Lomhardo di sdenze e lettere in Mailand:
a) Memorie. Classe di scienze matematiche e natarali. Vol. 10.
1. Della Serie 8. Fascicolo 3. 1866. 4.
Einsendungenjcon Druckschriften. 351
b) Memorie. Glasse di lettere e soiense morali e politiche. Vol. 10.
1. Della Serie 3. Fase. 3. 4. 186G. 4.
c) Rendiconti. Classe di scienze matcmatiche e naturali.
Vol. 2. Fase 9—10. Septbr.— Decbr. 1865.
„ 3. ,, 1—9. Gennajo— Novbr. 18G6. 8.
d) Rendiconti. Classe di lettere e 'scienze morali e politiche.
Vol. 2. Fase. 8—10. Agosto- Decbr.
„ 3. „ 1—10 Gennajo— Decbr. 1866. 8.
e) Solenni Adunanze del 7. Agosto 1866 8.
f) Annuario 1866. 8.
g) II secondo congreaso intemazionale sauitario ed il regno d^Italia.
1866. 8.
Vom Herrn Bruno Hüdebrand in Jena:
Statistik Thüringens. Mittheilungen des statistischen Bureaus ver-
einigter thüringischer Staaten. Band 1. 2. und 3. Lieferung.
1867. 4.
Vom Herrn Christ L'assen in Bonn:
Indische Alterthumskunde. 1. Bd. 2. Hälfte. Leipzig 1867. 8.
Vom Herrn Ä, Grunert in Qreifmodld:
Archiv der Mathematik und Physik. 46. Tbl. 4 Hft.
47. „ 1. u. 2. Hfl. 1866. 67. 8.
Vom Herrn E. Ciausius in Braunschweig:
Abhandlungen über die mechanische Wärme-Theorie. 2. Abthlg.
1867. 8.
Vom Herrn H. Knoblauch in Hätte:
a) üeber die Interferenzfarben der strahlenden Wärme. Berlin.
1867. 8.
b) üeber den Durchgang der Wärme und Lichtstrahlen durch ge-
neigte diathermane und durchsichtige Platten Berlin 1866. 8.
23*
362 Einsendungen von Druckschriften,
Vom Herrn C. NcU in Frankfurt a, M.:
Der zoologische Garten. Zeitschrift für Beobachtung, Pflege und
Zucht der Thiere. 8. Jahrg. 1867. Nr. 1—6. Jan.— Juni. 8.
Vom Herrn J. JB. Mayer in Stuttgart:
Die Mechanik der Warme. 1867. 8.
Vom Herrn Äug. Mor. Franke in Dresden:
Neue Theorie über die Entstehung der krystallinischen Erdrinde-
schichten. 8.
Vom Herrn Theodor Pgl in Greif swcdd:
Pommersche Geschichtsdenkmäler. Zweiter Band. 1867. 7.
Vom Herrn J, Dienger in Braunschweig:
GnmdrisB der Varia tions-Rechnung 1867. 8.
Vom Herrn C. H Davis in Washington:
Astronomical and meteorological observations made at the united
states naval observatory during the year 1864. 1866. 4.
Vom Herrn Gustav Hinrichs in Jowa:
Atomechanik oder die Chemie eine Mechanik der Panatome. Jowa-
City 1867. 4.
Vom Herrn Boucher de Perthes in Paris:
0
Des idees innees: de la memoire et de l'instinct. 1867. 8. '
Vom Herrn F. J. Pictet in Genf:
M^langes Pal^ntologiques. Deuxieme Livraison. Faune de Berrias.
18C7. 4.
Einsendungen von Druckschriften. 353
Vom Herrn C. Piaszi Smyth in Edinburgh:
Life andworth at the great pyramid during tho montlis of January,
February, March, and April with a discussion of tbe facta ascer-
tained. Vol. 1. 2. 3. 1867. 8.
Vom Herrn Bohert Main in Oxford:
Astronomical and meteorological observations made ad tbe radliffe
observatory Oxford in the year 1864. Vol 24. 1867. 8
Vom Herrn P. Duchartre in Paris:
Elemens de Botaniqae, comprenant Tanatoraie, Torganograpbie, la
Physiologie des Plantes, les familles naturelles et la geographie
botanique. 1867. 8.
Vom Herrn (7. M. Marignac in Paris:
Essais sar la Separation de PAcide Niobique et de l'Acide Titanique
analyse de Paesobynite. 8.
Vom Herrn G. J. Adler in New- York:
a) Wilhelm von Hnmboldt'a linguistical stiidies. 1866. 8.
b) The poetry of the Arabs of Spain. 1867. 8.
Von den Herren W. Fischer, H Schweizer-Sidkr und Kiessling in
Basel:
Neues schweizerisches Museum. Zeitschrift für die humanistischen
Studien und das Gymnasialwesen in der Schweiz. 6. Jahrgang.
3. Vierteljahrlieft. 1866. 8.
Vom Herrn Balda^sare Poli in Mailand:
a) Del lavoro messe a capitale e della sua applicazione agli scionzi
ati e letterat i italiani 8.
b) Süll' insegnamento dell economia polilica e sociale in Inghil-
terra, 8.
354 Einsendungen von Druckschriften.
Vom Herrn Luigi Magrini in Maüand:
Sulla importanza dei cimelij scientific! e dei manoscritti di Ales-
ßandro Volta. 1864. 8.
Vom Herrn E, W. Ludeking in Heidelberg:
Natuur en Geneskundige Topographie van Agam (Westkust van
Sumatra). Sgravenhage 1867. 8.
Vom Herrn Ernest Trumpp in Pfulinffen:
SindhlLiterature. The divan of Abd-Al-Latif. Shah, known by the
name of Shaha J5 Risälo. Leipzig 1866. 8.
Vom Herrn Giuseppe Milani in Maüand:
Sulla scrofola. 1862. 8. <
Vom Herrn Studer in Bern:
Die Chronik des Mathias von Neuenburg. Nach der Berner- und
Strassburgerhandschrift mit den Lesarten der Ausgaben von
Cuspinian und Urslisius. Zürich 1867. 8.
Von den Herren Hirsch und Pla}itawour in Genf:
Nivellement de precision de la Suisse. 1864. 4.
Vom Herrn A. Scacchi in Neapel:
a) Sulla poliedra delle faccie dei cristalli. 1362. 4.
b) Mcmorie geologiche sulla Campania e relazione deir incendio ac-
caduto nel Vesuvio nel mese di Febbrajo dei 1850. 4.
c) Della polisimmetria dei cristalli. 1867. • 4.
d) Sülle combinazioni della litina con gli acidi tartarici. 1866. 4.
e) Esperienze sul cambiameuto dei cristalli di nitrato di strontiana
idrato in cristalli anidri e di questi in quelli. 4.
f) Prodotti chiuiici cristallizzati spediti alla esposizione universale di
Parigi. 1867. 4.
g) Dei Bolfati doppi di mangauese e potassa. 1867. 4.
Einsendungen von Druckschriften, 355
h) Della humite e del peridoto del Yesavio. 1850. 4.
i) Della polisimmetria e del polimorfismo dei cristalli. 18(i5 4.
k) Dei tartrati di stronziana e di barite. 1863. 4.
1) Del paratartrato ammonico-sodico. 1865. 4
Vom Herrn Cristoforo Negri in Florenz-,
a) La Btoria politica dell' antichita peragonata alla moderna. Vol. 1.
2. 3. 1867. 8.
b) Memorie storico-politiche sngli antichi greci e romani. 1864. 8.
Vom Herrn M. Ä. Quetelet in Brüssel:
a). Memoire sur la temperatare de Vair a Bruxelles. 1867. 4.
b) Meteorologie de la Belgiquo comparee a celle da globe. 1867. 8.
c) Cominanications. Sor le 17. volume des ancales de Tobservatoire
royal de Bruxelles. 1866. 8.
d) Deux lettres de Charles-Quint a Francoia Rabelais. 1866. 8.
e) De lois mathematiqaes concernant les eioiles filantes. 8.
f) Commanications. Observations des etoiles filantes periodiques de
Novembre 1866. 8.
g) Etoiles filantes. Pablication des annales meteorologiques de Tob-
Bervatoire royal. Sur Tbeliographie et la seien ographie. Orages
observes a Bruxelles et a Louvain du 7. Fevrier jusqu^a la fin
du Mai. 8.
Vom Herrn Emilio Boncaglia tu Modena:
niQsioni commedia. 8.
Vom Herrn Giordlamo Galaissini in Modena:
^q\ miglioramento delle condizioni fisicbe e morali del proletario
specialmente rurale etc. 1865. 8.
Vom Herrn Domenico Mochi in Modena:
Con qoali mezzi, oltre i religiosi, possa nelP odierna societä re-
staurarsi il principio di autoritä etc. 1865. 8.
356 Einsendungen von Druckschriften.
Vom Herrn A, Spring in LiUtichi
Symtomatologie ou traite des accidents morbides. Tom. 1. 1 u. 2.
Fase. 1866.67. 8.
Vom Herrn Casimir Eichaud in Rom:
a) Sur la resolution des equations x'— x'=l. 1866. 4.
b) Note sur la resolution de requatipn x*4-(3t+r)'+x4-2r)*4--.
4-[x+(n — l)r]« = y». 1867. 4
Vom Herrn Eugene Catalan in Rom:
a) Note sur un probleme d'analyse indeterminee. 1866. 4.
b) Sur quelques questiones relatives aux fonctions elliptiques. 1867. 4.
Vom Herrn Ottav. Fabrizio Mossoti in Rom:
Intorno ad un passo della divina commedia di Dante Allighieri.
1865. 4.
Vom Herrn M. Aristide Woepcke in Rom:
Introduction an calcul Gobari etHaw&i traite d'arithmetique tradait
de Parabe. 1866. 4
Vom naturwissenschafäichen Verein für Scichsen und Thüringen in
HaUe:
Zeitschrift dir Naturwissenschaften. Jahrgang 1867. 29. Band.
1867. 8.
Von der deutschen geologischen Gesellschaft in Berlin:
Zeitschrift. 19. Bd. 2. Heft. Februar, März, April 1867. 8.
/r^f, CM /c.
j ^ Sitzimgsberichte
kOnigl bayer. Akademie der WissenBchaften.
Philosophisch -philologische Classe.
Sitzung vom 9. November 1667.
HerpHofmann übergiebtdenSchliiBS seiner Bemerkungen:
„Zur Gudrun'S
Str. 297,4 ist wohl nicht guotes zu ergänzen , sondern
yaaa sie da veüe hiten.
Str. 299,4 1. schapel unde vingerl^ um die vierte Heb-
ung zu beseitigen, die, von Eigennamen abgesehen, immer
eine sehr störende Wirkung macht.
Str. 303,4. gevdufeet mit golde heißst nicht: mit Gold
angefüllt, wie B. deutet, sondern me das Mhd. WB. richtig
erklärt, bedeckt, überzogen. Der Ausdruck kömmt noch in
der technisdien Sprache vor, einen Altar fassen = das
Bohnitzwerk daran vergolden. An einer andern Stelle der
Gadrun muss vcufisen allerdings die Bedeutung füllen haben,
1131,2 s. Mhd. WB. sub voc. Nr. 6.
[1867.il 8.] 24
/Uf, A4
/^.
// y ^ Sitzungsberichte
fou/kZ4/Oy(j ^ >w?/gL^/C<X/ — der
kOnigL bayer. Akademie der Wissenschaften.
Philosophisch -philologische Classe.
Sitzung Tom 9. November 1867.
HerpHofmann übergiebt denSchluss seiner Bemerkungen:
„Zur Gudrun".
Str. 297,4 ist wohl nicht guotes zu ergänzen, sondern
tCMMT sie da veüe hiten.
Str. 299,4 1. schapd tmde vingerl, um die vierte Heb-
UDg ZU beseitigen, die, von Eigennamen abgesehen, immer
eine sehr störende Wirkung macht.
Str. 303,4. gevaeeet mit goULe heißst nicht: mit Gold
angefiiUt, wie B. deutet, sondern wie das Mhd. WB. richtig
erklärt, bedeckt, überzogen. Der Ausdruck kömmt noch in
Aeat technisdien Sprache vor, einen Altar fassen = das
S^dmitKwerk daran vergolden. An einer andern Stelle der
Gndmii muss vaeisen allerdings die Bedeutung füllen haben,
1131,2 s. Mhd. WB. sub voc Nr. 6.
[1867. IL 8.] 24
358 Sitsnmg der phOas.-phiM. Gaste vom 9. November 1867.
Str. 322,3 I. uwe sie besaezen M im fürsten rtche. Der
Vers bedeutet nicht, ^ so lange sie in seinem Fürstenreiche
sich aufhielten, wie 6. und Simrock ihn &S8en, sondern,
bis sie von ihm die versprochenen fürstlichen Lehen (ygL
Str. 316) in Besitz bekommen würden, so lange sollten sie
seine Tischgäste sein«
Str. 333,2 1. dSr = dae er d. h. gßgen Horant konnte
Niemand aufkommen, der behauptet hätte, besser als er ge-
kleidet zu sein.
Str. 346,3. JWe WiedeAtytotig tot bürge aus der vori-
gen Zeile ist ungeschickt. Dte Stelle ist corrupt; denn Weib
und find «itBSD ntöit bloss in der fittrg» sooderb in dem
besonderen Theile derselben, welcher in allen germanischen
Sprachen bür = das Frauengemach, heisst. Man lese da-
her oder hat er in büre wip unde hint?
ich ioaene sie getriutet von ^ner hehde selten sint.
In dieser Bedeutung war für das Mhd. das Wort bür
schon veraltet, daher der Sdireiber bürge dafür setzen
musste.
Str. 3&0,4 1. ffm den minien «rften bM» iefc inner
järes friste staete. B. und Simrock haben die Stelle nicht
verstanden. B. erklärt: Innerhalb Jahresfrist will ich da-
hläA sein. 8. ütigidföht ebenso: mir %ifd A^ ImA wohl
wieder binnen Jahresfrist und wenig TVkgta» St bitoMt Mb
bi^ tktn dfe Atiirendtttil^ eit&t lättd*- tmd lelr^lireiMilidieD
Sättüng. Bftklieiii Jahr «nd ^hg kotttttefi Erbe ttid LAtti
nicht 'rechtsgültig dem Besitzer Und sein<^ Erben etttstogen
W€g^d«n. vgl. 8ach&enslrf«gel t. 38 §. 3% ßie bk jdr unde
lie^h in dea rtkes Achte stn, die dSt fnan r&tMiU^^ %mSe
^ef^Vt in igen mde Un^ dat Un dm \ev¥m hdidh, M
tgen in die honinfifhdn gewätt. Ufe ttet de ^m^m mcht 4t
Itl d^ koHingttken gewaU binnen jit unde dagis mtt itfike
tde, se i>erUset it mit soment jenen^^ it Me nem» in Bok/UMf
dat se nicht vore komm n$ n^gen. Dieis ist ^ Htu^WUei
Hefmaim: Zwr Gtidrm, 869
feiner III, 34 §. 3 (von der Aberacht) II, 41 §. 2 a. s. w.
Im Schwabenspiegel findet sich die gleiche Stelle Landrecht,
45 (Lassb.), aosserdem Tgl. Lehenrecht 11, 25 Schluss,
42SchIiis8, 62 Anfang, 76 Anfang, 85. Deutsch. Spieg. 8.68.
Str. 351,1 1. Do sie von dannen giengeUy u. s. w. am
die Verbii^dung mit dem folgenden herzustellen. 3 1. sitaem
Ton si(U regiert oder se süjgen.
Str. 364. doföß so geradewegs mit B. zu verwerfen, weil es
sonst nicht vorkömmt, ist schwerlich erlaubt. Wenn wir es
Ton toi ableiten, so können wir es einfach im Sinne unseres
herumtollen = herumtreiben, jagen, nehmen. Im zweiten
Verse gibt hegozaen brant einen schlechten Vers und ein
barockes Bild; denn einen schwitzenden Menschen mit einem
begossenen Feuerbrand zu vergleichen, ist schwerlich dem
Dichter eingefallen. Ich halte brant iür verlesen for bräte^
denn das ist bekanntlich das Simile, welches heute noch
wenigstens in ganz Süddeutschland allgemein vom Schwitzen
gebraucht wird und zwar ein ÜEtmiliärer aber durchaus kein
unedler Ausdruck ist. Hatte der Schreiber einmal brat für
bratU genommen, so musste er den Brand natüriich auch
begiessen, um ihn dampfen zu lassen.
Ich lese also die ganze Strophe so:
Hagenen sSre tolte der JcünsteUse man^
das alsam ein brate riechen began
der meister von dem jünger, ja was er starc genuoCj
der wirt ouch ^nem gaste siege unmaetlichen sluoc.
üebrigens will ich nicht in Abrede stellen, dass die
Vergleichung eines Zornigen, Erhitzten mit einem Brande
zulässig ist. Biterolf V. 11123
Dietertch roch sam ein hol,
dö die Wotyhart gespraeh.
Freilich darf man hier an Dietrichts Feuerathem denken
und der Zusatz begosfBen findet sich audi hier nicht; mit
hrant allein aber lässt sich der Vers nicht herstellen. Am
24*
360 Satzung der pM08,-phüol. Ckuse wm 9. November 1867.
weitesten in der Anwendung des Vergleiches geht das gro-
teskobscöne Turney von dem czers (y. Keller, Erzählungen
S. 443—459), wo es S. 456 Z. 35 heisst: die aptissyn
dünst recht als eyn smytte. Findet man übrigens meine
Erklärung von tolte zu gewagt, (und ich muss selbst zuge-
stehen, dass sie es ist), so lässt sich mit Hülfe der hand-
schriftlichen Lesung doch eine Emendation gewinnen, die
dem üeberlieferten die wenigste Gewalt anthut und sich in-
nerhalb des bekannten mhd. Sprachgebrauches hält. Fasst
man nämlich dolte in seiner gewöhnlichen Bedeutung, so
kann der dazu gehörige Accusativ nicht wohl in den künsie-
lösen man gesucht werden; er muss vielmehr in sere stecken.
Man kann diess vielleicht als Accus, des st. Fem. sSre (Leid,
Betrübniss) fassen und dann lesen: der künsteldse man d. h.
der arglose Hagene. Doch würde ich in diesem Falle
lieber annehmen, dass sere für swere = swaere (mölestiam)
verlesen ist, wodurch jede vom Buchstaben der Ueberliefer-
ung weiter abgehende Aenderung unnöthig würde, auch
vom für den wegfiele. Ich schlage also vor: Hagene swaere
doUe der künsteldse man. Fasst man dagegen suHiere als
Adverbium und bezieht dolte auf den künstelosen man^ so
wäre die Sache noch einfacher: Hagano aegre sustinuÜ
virum armorum imperitum.
Bei unserer QOGh immer so lückenhaften Kenntniss des
mhd. Sprachschatzes und Sprachgebrauches ist es nicht zu
verwundem, wenn sich für eine Stelle selbst im engsten
Anschlüsse an die HS. zwei, drei Emendationen bieten,
zwischen denen die Entscheidung schwankend -bleibt.
Das Wort brant kömmt an einer zweiten Stelle der
Gudrun vor, wo es nicht minder unglücklich erklärt worden
ist. Str. 514,2 schlägt Hagene auf Watens Helm und um-
gekehrt, dass da sach manie degen daa fitoer üe hdmen
stieben sam die rösthrende. „Gleich lichten Feuerbrän-
den*' übersetzt Simrock, und Bartsch erklärt: Feuerbrand,
Hafinann: Zur Gudrufi. 361
ein angebranntes Stück Holz. Wieder eines jener barocken
und naturwidrigen Bilder, die nicht wirklichen Dichtem,
sondern nur modernen Uebersetzem und Erklärem gut genug
sind. Funken, die aus Helmen stieben, sehen nicht ans,
wie herumfliegende angebrannte Holzstücke, sondern wie die
Funken, die unter dem Schmiedehammer aufstieben, d. h.
die rostbrende = der sog. Hamm erschlag, wie sie nach der
Erkaltung genannt werden. In der Schweiz wird rdst =
strues und rost = aerugo in der Aussprache heute noch
scharf geschieden.
Str. 368,2 1. ir sprächet, ir weit lernen u. s. w. Der
Wechsel des Tempus ist hier logisch nicht zu beanstanden.
Str. 372,1 an einem äbent, wie die HS. und alle Her*
ausgeber, auch Wackemagel im LB. bis auf B. haben, ist
grammatisch falsch; denn der Dativ von dbent heisst äbende
oder äbunde. B. setzt üf einen äbent, unnöthig; denn an
einen äbent ist vollkommen richtig, da man sagt an eine
M oder tif eine zit, an oder üf eine siat n. s. w.
Str. 372,3 1. mit herUcher stimme, so ist unnöthig.
Str. 380,4 1. der gast tviis icöl beraten. Es heisst nicht,
wie B. erklärt: etwa mit Zuhörern oder allgemeiner: dem
Gaste ging Alles nach Wunsche, sondern: der Gast hatte
richtig gerechnet, indem ihn die Königstöchter nun wirk-
lich hörte. Simrock lässt vorsichtig stehen j,war wohl be-
rath^i'S worunter sich jeder denken kann, was ihm am
besten scheint.
Str. 381,2 das muss in da geändert werden; denn
dass die entzückten Zuhörer neben Horants Stimme auch
auf das Verstummen der Vöglein horchen sollen, heisst ihnen
zu viel zugemuthet. Z. 3 1. doene vergäben.
Str. 382,1. 2. 1, D6 im wart gedanket von wU^enundemanj
do sprach von Tenen Fruote: min neve möhte Idn
stn ungefüege doene u. s. w.
Ich will hier eine allgemeine Bemerkung einflechten,
3d2 SiUnmg der phüo^^-phOol. CUtsH vom 9. November 1867.
die an jeder Stelle passt. Ein besonderer poetischer Voi>-
zug der Gudrun besteht darin, dass die Strophe wo mög-
lich nur einen Sats bildet, wodurch dem Staocato, welches
jede Strophentheilung nothwendig und nachtheilig in dem
epischen Flusse hervorbringt, ein natürliches Gegengewicht
gegeben wird, dessen Wirkung für mein Gefühl wenigstens
eine höchst melodische ist. Die alte yierzeilige Strophe der
Nibelungen war für den reicheren, der typischen Form ent-
wachsenen Ausdruck der klassisch werdenden mittelhocb»
deutschen Sprache zu eng, ebenso wie der Stabreim einer
freieren und tieferen Entwicklung des Gedankens geopfert
werden musste. Daher ihre von richtigem Kunstgerühl ge-
leitete Erweiterung einerseits in der Gudrunstrophe, und
ihrer Fortbildung im Titurelmetrum , auf der andern Seite
in den längeren Sätzen der späteren Volksepik, die einen
ganz anderen künstlerischen Eindruck machen würden, wenn
sie von Dichtern ersten Banges gehandhabt wären, wie die
Ariosto- und Spenserstanze zeigen. Ganz kurze Sätze im
Gesänge wie in gebundener und ungebundener Bede ver-
langen zu voller Wirkung eine Mächtigkeit des Inhalts, die
bei breiter und ruhig fliessender Darstellung nicht in jedem
Momente sich ansammeln kann, daher der öde Eindrudc,
den zerhackte Strophen und Melodieen auf uns machen.
Deshalb sudie ich in der Gudrun wo mögh'ch in jeder
Strophe eine syntaktische Einheit mit Entfernung der Zwischea-
schlusspunkte.
Str. 386,2 ist E. Martins Emendation unbedingt anzu-
nehmen, nur dürfte statt triuteclichen zu lesen sein trml^
liehen, welches im Alt- und Mittelhochdeutschen wirkUch
belegt ist, vgl. Graff V, 473, Mhd. WB. III, 112., während
für jenes ein Nachweis zu fehlen scheint.
Str. 391,2. minnert braucht nicht angetastet, zu werden,
dagegen ist charen, wie mir sdieint, verlesea für eeharen;
also irich oder rin minnert in ee hoeren da von der pfaffen
simo ^ Pfafffipsmg and QlqpkQnlfUng a^etm nq (^ng^
YfVHWOQ Biß übw H4raQt9 Iiiedi dA if<m (kr pf^e sßm
hAlto icb dimm f{ur uoßUttiiAlti weil ^ mr auf de^ intM^ti
dwsea, waa-der Pff^ffe siipgt, gfdien IcaniL, Vob de^i !«( 9bW
lljer keim Bede, sondern yqo der scböoen Stimw^ md dow
bnwtreicben G^aang«. mtmerr» ißt abd. und mhd, IwUwff*
lieh belegt
Str. 392,4 l- §'äf^efit8 oder chs 4imtß, 4» der Vers
spUft ein« Hebuog zu viel hat,
Str, 897,1.8, TcrvOen darf ujcht durcb die Ciwur vpu^
m^imi^ getreuut werden, mau le^e die nie kristen vmßcfkß
i/elemte sU weh L Was 4/fnH$ ißt, hat man bißher piobt
gewoast, d9cb vermuthet, eß sei ein orientaliß^beß Wprt»
Ich kaun es uun wirklieb im Arabischeu naebweieep, wie^
W9bl d»mit freilieb nicbl gesagt ist, dasß beide Viwmtk
sich decken müssen, unter den ßüd^mbisfdieu &(äu)j9ien
der kehiänischen Familie heisst einer 4miieh^ VJe dFQl
Autoren, welche dayoa bandelu, ihn g^ißh, Um J)Qr^
und Ihn Abä BdiUnhi^ übereinstimin^nd augeben. Man
si^e die Tafel bei v. I^emer Südar« Sage % 90. Wie ew
solchee arabisches Wort ip die Gudruu kpnimeu kow^
wer wird das ergründen? Daßß es mögUobi will iph f^
eiuena andern nachweiseu, tou dem mit Siehe^beit behappt^l^
wardeu kauu, dass eß seinen Weg yqp Südai^bieu u^
Norwegeu ge^nden bat Unter deu noriregisd^u Vojik«*
märchen (Norske Folkeeventyr von P. Chr. Asbjöroeeu uml
i'QTgW Moe, Gbrißt 1859) bandelt das 87te §. 145 vom
SoriarMoria-Scbloßß, welches so weit entfernt ißt, d^ßß der
Held HalTor Moud uud Westwind belragep mußß^ ^^
den Wgg 2u erfahren, und mit letzterem hinzoreisep. Nuq
lief eu wirklich im Südoßtep tou Arabien der Weihr^upl^-
küßte gegenüber zwd luseh, die Qoom Mporia heißseu m^
m deuen VQU Aegjrpten aus, dem l^ande, wo l^Ql NaobJ^
seine letzte Gestalt gewonnen hat, ganz richtig der Nord-
364 Sitsung der pMaarphiM. CUuse wm 9. November 1867.
Westwind führt. Hier wird man die Identität der Namen za-
geben müssen und dass Soria Moria nur aus dem Arabischoi
kommen kann, während das Märchen sonst eine ganz nationale
norwegische Färbung hat. In 1001 Nacht steht dafür die
Insel Wakwäk im indischen Ocean, „wo die Mädchen auf
Bäumen wachsen'^, deren reale Grundlage Humboldt in dem
Essai critique nachgewiesen hat.
Es bleibt nun noch der 3. und 4. Vers von 397 zu
betrachten. Dass kein Ghristenmensch die Weise von Amile
jemals anders als auf der wilden Fluth gelernt habe, ist
eine Sonderbarkeit, die, wie mir scheint, nicht dem Dichter
zur Last fallt. Bezieht man das Lernen auf Hörant, so
schliesst sich auch der 4. Vers ungezwungen dem einheit-
lichen Bau der Strophe an, wobei die hässliche Vier-
het^igkeit der ersten Hälfte durch Umsetzung sehr leicht be-
seitigt wird. Ich ändere also:
woe», er sie gehorte uf dem wilden fluote,
da mite ee hove diente Hörant der sneUe degen guote.
Hörant^ meint der Dichter, habe die ^eise auf einer
seiner weiten Meerfahrten gelernt. Die mythologische Be-
ziehung auf Meerfrauen, Sirenen, Strömkarl, Nix und wie
alle die dämonischen Tonkänstler heissen, wird dadurch
freilich sehr zurückgedrängt, bedenken wir indess, dass diese
Strophe mit ihrer weithergeholten Gelehrsamkeit doch ohne
Zweifel eine jüngere ist, so wird ihr Ausfall weniger zu be-
deuten haben.
Dass die primitive Anschauung, welche anthropomor-
phisch in den wilden und geheimnissvollen Tönen des Meeres
die Quintessenz menschlicher Sing- und Saitenkunst yerkörpert,
nicht bloss im Norden zu Hause war, zeigt äussernden im
Altfr. häufig vorkommenden Seraines Sirenen besonders
schön die spanische Romanze vom Qrafen Amaldos (Prima-
vera von Wolf und mir, Nr. 158), der an einem Johannis-
Hcfmafm: Zwr Oitdfmk 366
morgen das Gl&ck hatte, die Qaleere mit dem Zaubenänger
za erblicken,
marinero que la manda
diciendo viene un cantar
que la mar facta en calma^
los vientos hace amainar,
los peces que andan 'nel hondo *
arriba hs hace andar
l(zs aves que andan volando
en d mastel los face posar.
Der Dichter schildert hier schön die Wirkung des
Wanderliedes, ein ungeschickter Fortsetzer (a. a. 0. Note 10)
wollte den Text dazu erfinden.
Str. 415,3 I. Das doppelte Icrine ist verdächtig. Ich
schlage vor:
swie er nicht, entrüege^ er dienet im die hrdne,
Str. 416,2 1. des gie dem recken n6t.
Str. 417,1 1. des recken.
Str. 418,1 1. Dem recken wart in sorge ein teil rfn
herze umnt.
Der Vers mnss sich auf den -Kämmerer und sein Heim-
weh beziehen, wie die zunächst folgenden Verse beweisen.
Str. 420,3, 4 sind im Gründe genommen durch die
Wiederholung von Hilden vollkommen tantologisch. Dem
wird abgeholfen, wenn man mit leichter Aenderung in
V. 3 liest:
daz sie durch frouwen hülde koemen jmo dem lande.
Str. 421,3 1. von dem künige.
Str. 428,2 3,4 und 429,1 beginnen alle mit sie. Um
dieser Geschmacklosigkeit abzuhelfen, lese ich:
und sagteng auch den degenen : die in den schiffen lägen,
hirtens niht ungeme.
So wird das sechsmalige ^ in 4 Versen wenigstens
zweimal beseitigt.
afi6 Siitung der phüm.'fMoL Chm wm 9. November 1867.
8tr. 435. VieriDal dag, leb lew:
dojs uns ere dunkety ob ir est gerne tuat,
daß ir sehet selbe.
Str. 447. Die HS, Imt
wojs ir ir durch etreyten
vnns immer eykmU nach
dann wol gewaffent tausent ewr hdde,
was die Herausgeber auf versobiedeoe, wie mir scheiiit,
durchaus verunglückte Weise veränd^ babea. Nach meiner
Deberzeuguug handelt es sich bloss um Entdeckung und
Beseit^ng eines ganz unbedeutenden und naheliegenden
lidsefeUers, um in der Vorlage einen sehr guten Siau n
finden, immer ist verlesen für minner ^ also suhu ir mnß
dmrch ettiten minner Uet nach danne wol genoffewt tüsent
iuwer helde d. h. mit weniger als tausend woh^bewaffiietea
Kämpfern dürft ihr uns gar nicht zu verfolgen wagen; denn
eine geringere Anzahl werfen wir ohne weiters in die Fluth.
Hagene wusste ja nichts von der Menga der im Kielräume
versteokten Becken, deren mit den andern nach Str. 455
gerade tausend waren.
Str. 475,2. Die Herstellung von so grÖMcm gmlde^
die B. versucht, schont mir unglücklich. Ich nehme gewaltß
hier als Fem. und lese: von groegßer geundte,
Str. 474,4 etwa: ich waene^ dem degene etc.
StTt 484,2. diUy womit auch der erste Vera begiwt»
ist zu tilgen, ebenso dürfte statt der Wiederholung von ^
in 4S3»4 und 484,4 besser unt staben, wodorch beide
Strophen zur syntaktischen Sinheit gelMgcQ.
Str. 486,4 1. in statt nü.
Str. 500 l Do stuonden wider wehsd mif den hertm
> die sich unter schiiden einander $eoUenwem
wider ist offenbar als under verlesen, under weheel ist
zu fassen, wie wider strit.
Hafmmmi Zm Qndnm. 367
Str. 503,3. Diese schöne Stelle scheint mir im strengen
Asschlnsse an die HS. einfacher zu erklären, als die He]>
aosgeber gethan. Dass der Schreiber schneeweiss für den
ihm wahrscheinlich unverständücben Genetiv snhoes geietzt
hat, ist klar genug; aber warum hätte er Hir flocken^ was
er ganz geiriss verstund, flog setzen sollen? Ich glaube, er
hat nur flog für flügen gesetzt und vor sich gehabt : «am
sniiees flügen toinde =: als ob Winde mit Schnee einher-
sausten. Das Fliegen der Winde ist ein natürliches Bild,
welches ich im Augenblicke zwar nur durch ein einziges
Citat belegen kann, welches jedoch genügen wird. Im
Tristaa des Eilhart von Oberge hat Dresd. die winde icordin
her geviogen^ Palat der wind kam dar in geflogen. Ich
wüfiste nicht zu sagen, ob mir weitere Belege des Aus-
druckes nie voigekommen oder von mir als nicht au£fallend
vergessen sind.
Str. 504,2. slahen scheint mir ein verdeutlichendes Ein-
schiebsel der dem Abschreiber beliebten Art zu sein, die
sin da begerten genügt vollkommen und darauf führt auch
zunächst das die sy der HS. Der Ausdruck ist nebenbei
gesagt, einer der vielen, in deinen deutsche und französische
Sprechweise zusammenfällt. Im Altfr. heisst requ/erre oder
requerir^ wenn von eiuem Manne die Rede ist, feindlich an-
greifen, wenn von einem Weibe, um Liebe werben. Im
Mhd. scheint der Ausdruck in der Falknersprache am ge*
wölmlichsten, gern ist da technischer Ausdruck für angreifen.
vgL Mhd. WB. I. 532.
Str. 505,1 ist in der Vorlage einer der übelklingend*
sten Verse der Gudrun. Ich lese statt als diu huoch uns
hmU tuont als Zwischensatz diu buoch uns künde tuont.
Das Adj. künde bedeutet dassdbe, was kunt. Dann scheint
mir der Sinn auch noch einer feineren Modification filhig.
Wie die Strophe jetzt liegt, heisst es: Da die Bücher uns
melden, wie stark Hagene gewesen, so war es ein Wunder,
368
Sütatng der phUoa.^hüol Glosse vom 9. November 1867.
dasB Hetel vor ihm bestund. Aber warum sollte sich der
Dichter auf die Bücher berufen, um eine Thatsache zu er-
härten^ die im ganzen Verlaufe des Werkes fortwährend im
Vordergrund steht, Hagenes Stärke? Ich meine, er wollte
das Zeugniss des Buches speciell für den vorliegenden Zwei-
kampf anführen, und dann muss man im zweiten Verse
Hetele lesen, im natürlich auf Hagene beziehend, also
Ee was ein michel wunder, diu buoch un8 künde tuontj
swie Stare Hetele waere^ dae vor im ie gestuont
der Hegelinge herre.
Str. 509,1 1. Bi im gevrieseh dd Hagene.
Str. 510,4. Hier scheint mir ein evidenter Fäll vor-
zuliegen, wo d'er Abschreiber einen ganz geläufigen mhd.
Ausdruck nicht mehr verstanden und durch das dem Laote
nach nächstliegende Wort seines Sprachschatzes ersetzt hat
Das rüeren hätte den Ringen der halsberge nicht viel ge-
schadet ; der terminus technicus ist gerdret = auf den Boden
gestreut, und das wird gestanden haben.
Str. 517 vermuthe ich:
Hagenen brast diu stange^ die er ze strite truoc,
üf dem Waten Schilde, der was stare genuoc^
auch enkunde vehten in allen den riehen
recken bae deheiner
oder mit Beibehaltung der handschriftlichen Ordnung auch
enkunde baz vehten — recken deheiner.
Str. 518. Dass der alte Wate einen Schwertschlag
durch das Haupt aushalten soll, das heisst bei aller Kecken-
haftigkeit ihm zu viel zugemuthet. Es genügt uf das
houbet vgl. Str. 864 oder durch die haben ==• durch die
Helmhaube auf die Schwarte. Im dritten Verse scheint mir
der Zusammenhang der Strophe schön hergestellt, wenn
wir lesen doB (das fliessende Blut) kuolten im die unnde. im
für nu ist die einfachste Verlesung.
Hofmann: Zur Gudrun 369
Str. 519,3 1. bauge statt baugen^ denn ein Helm hat
nur einen bouc (franz. cercle).
Str. 524. In dieser Strophe ist der Sinn vor Allem
herzustellen. Hagenen hier, wo er besiegt ist, den
Uebermüthigen zu nennen, geht nicht an, ihn sagen lassen,
er habe vor Helels Leuten Respekt bekommen, als er er-
fahren, dass sie mit reichem Gute nach seiner Tochter ge-
fiEÜbren, ebenso wenig, denn dazu gehörte weder Witz noch
Muth, der dritte Vers endlich, wie er in der HS. und bei
den Herausgebern steht, ist grammatisch falsch, endlich
war, was den zweiten Vers angeht, das Kunststück nicht,
nach seiner Tochter zu kommen, sondern ihr nahe zu
kommen. Aus allen diesen Gründen lese ich die Strophe so:
Do sprach der ungemuote: sU ich han vemamen,
daß sie mit mcmiger huote vr waren nähen komeHf
sU ist iu gröeer Sren von helden uneerrunnen\
ir habt mit schoenen listen mtne lieben toehter geunmnen.
Str. 329. Von einem arz&t ^n, glaube ich, konnte
man im Mhd. nicht sagen, wenn man ausdrücken wollte:
Ton Jemand die Arzneikunde gelernt haben. Am nächsten
käme hier wohl Str. 156,4; genügt aber nicht zum Beweise
für vorliegenden Jb'all. In areet toaere scheint mir nun die
Verlesung zu hegen und zwar für arsfetie laere = dass
Wate die Arzneikunst von einer Waldfrau gelernt habe. Ich
möchte die Strophe dennoch so lesen :
si heten in langer ette dd vor wol vemomen
dojs arzeHe laere von einem wilden totbe
Wate der vü maere^ desgefrumte er manigem an dem Itbe
oder daz gefrvmte manigem an dem W>e.
Diesen Gebrauch von lesen belegt Biterolf V. 83.
Aehnlich bedeutet nema im Nord, lernen.
Str. 533,1 1. ich bin ir areät nichts denn Wate will ja
nicht sagen, dass er überhaupt kein Arzt sei, sondern nur,
STO Sitzung der phOos.-phOoB. dornt wm 9. November 1867.
dftSB er die Sühne zur Vorbedingung seiner Eonstübung
mache.
Str. 534,8,4 I.
deich ndnm vriunt den besten niht getar enphähen,
m mnd auch dm ^nen^ tntn grüezen waene^ harte nmge «er-
sm&hen.
Str. 535,4 1. diu woW den iuwem unmden helfen d>
ir» hHet ee minne.
Bei V. hat der zweite Halbvers eine Sylbe zu wenig,
bei B. ist za weit und annöthiger Weise von der Vorlage
abgegangen.
Str. 547,3 1. f>er dem hOnige statt von^ denn die
Krönung wurde ja in der Regel nicht von den Fürsten
selbst, sondern von Bischöfen vollzogen, bei einer K&iigin
natiirlidi in Gegenwart des Königs.
Str. 549,2 1. maget diu eü hire. B. verändert un-
Bötiiig das magettn vü hire, V. hat, wie E. und Z. vor
Ihin, den falschen Halbvers diu' maget wl hire beibehalten,
der nur zwei Hebungen hat, da vU bekanntlich nur dann
rot emem Adjectivum betont sein kann, wenn dieses mittifi
Busammengesetzt ist oder eine tonlose Vorsylbe hat
Str. 555. Eine feine Strophe, die aber anders heif^e-
stellt werden moes, als die Herausgeber gethan haben.
Hildeburg, bittet Hagene, soll Hilden ihr grosses Ingesinde
regieren helfen; dann ist aber die Aufforderung, sie solle
selbst ihre suhi zeigen, nnmotivirt, ich lese daher:
ejs gewirret Hhte fromoen an grdaem ingeeinde;
nu iuo genaedidlchen dae mcm dine 0uht an ir bevinde.
Str. 562,3 1. unser jimcfrtntwen. tohter ist nnnöthiger
Znsatz. Im 4. Verse wohl besser durch sie wart der brikh
nen vil verhauwen^ da durch ir ein überhäufter Auftakt ist
und man leicht sieht, dass der Abschreiber durdi sie darum
änderte, weil es nach seinem wie unserem Spradigebrauche
bedeutete, die Jungfrauen hätten die Brünnen verhauen.
.* Zmr AidhMk S71
Str« 666. Diose Slroiibe lIMt sich in tinti Satz
bringen, wenn man lieftt:
AM JMteltf «I ilefi Imieii ittu miumen magedtn
gefriesch von edeUm Mm$^ fBHuret tvoUe er Hn,
80 er ee hAse brin^iU im m i$^e$ini9
^Mi 4k mmm8i»UkHhitm4e8iMdmBageHmhimieoder
alle die triOen hiUm m cUinei^dn wOdenEagenen kinde.
Btr. 585,1. Die Aettderong ron kSher mt^öt in hddh
gemüete^ die nach Z. aRe fieratsgeber angenommen haben,
ist mmöUiig tittd imwahrBch^inKoh, da der Absdureiber Mch
gtfMXiete >No\A terstanden HStte tiftd daher nicht za ändern
bfatdite. Ich schlage vor Beteten nmot der höhe^ wo ihfti
titir die Wortstellung an^tössig war.
Str. 592,2 I. schcus und outh getöant; denn otu^ weg-
znlassen, ist kern Grund und (£e gewöhnliche Lesung ouch
achag und gewant gibt einen falsdien Vers. Im 4. Verse
möchte ich die Ergänzung nidit, wie B. durch V^rlegmilg
von 3 Hebungen auf KMrü/nen versuchen, sondern lieber
iEmnehmen, dass Vor hüniginne ein Adjectiv, wie Mren oddr
fi^^ien ansge&llen ist.
Str. 594,2 erde unde mer hatte ich oben zu Str. 208« 1
noch als Beleg für meine Conjectur anführen sollen.
Str. 599,4 halte ich die Briefe für einen Zusatz des
Schreibers und yermuthe:
i daa sie'z wol mohten voUebringen.
Str. 606,4 möchte ich, weil der dritte. Vers auch pit
iie anfangt, und weil das zweite 0e fiberflüseig ist, lesen:
8u$ kämen sie ee hove dem kUnige eo sie uUer beste künden.
Str. 606)4. Man könnte das Ueberliefefete hier wohl
miuigtltetet lassen nnd durch Umstellnng helfen:
künec Heteley tüäen, Hartmüote I iht guötes Witten usAere
mich ¥9rfi^
372 SiUfung der phHot.-phiM. Ckme wm 9, November 1867.
Str. 619,1,2 1. Swie der helt gebarte, awas ho^en
^ drumbe reit,
dojg man der da värtej das wm im
grimme leit.
Str. 626,3 I. der ir in hereen gerte.
Str. 631^2^ d\.haete er tüsend stunde eins tages dar geaantf
er vünde da niht anders a. s. w.
Str. 632,1 1. Hetele bat in läjfen daz werben um ^Inhint
4 1. dag im schade waere.
Str. 642,2,3 1. dd waere üngeme gewesen dar vor
Gudrunen vater^ swie küene er doch waere
oder wenn man lieber einen klingenden Ausgang hat, vater
der Oüdrünen. Meine Aenderung bezweckt einen volleren Satz.
Str. 644,3 41. Gudrun diu schoenedcufhetesi'augenweide,
der helt sie duhte biderbe.
Str. 649,4. Die Lesart der HS. ir vater vnd dem
gaste sy wünschte des sy gedachten in beiden wird schwer-
lich eine erträgliche Erklärung zulassen. ,.Sie wünschte
ihrem Vater und ihrem Liebhaber das, woran sie beide
gedachten'^ An was dachten sie denn sonst, als einander
zu erschlagen? Das war ja gerade, was Gudrun nicht wollte.
Der einzige Ausweg, den sie fand, um den Streit zu scheiden,
war vielmehr, dass Vater und Geliebter an sie dächten.
Ich schlage daher vor:
do ez diu frouwe anders mohte niht gescheiden,
ir vater und dem gaste siu wünschte dae sie ir gedachten
beide
was nachher audi wirklich geschieht, da sie aus Räoksicht
auf sie (durch der frouwen liebe) vom Kampfe abstehen.
Str. 6öl,4 1. habende ^ die sine beste mäge oder was
mir noch. viel wahrscheinlicher ist, habe die stne aUer beste
mäge.
Str. 664,2. Die HS. hat getstwayet mit ir muate^ was
Hcfmam: Zwr Gudrun, 37S
die Herausgeber bis auf B. stehen Hessen, der in für mit
setzte, wodurch die Lesart fntwte allerdings besser motivirt
wird. Allein gerade in mmte liegt der Fehler, denn Gudrun
war nic|;it zwiespältigen Sinnes, sie wusste im Gegenthßile
sehr bestimmt, was sie thun wollte und setzte es rasch ins
Werk. Eine viel leichtere Emendation und ein sehr passen-
der Sinn ergibt sichj wenn wir statt fntu>te einfach miMter
lesen, geeweiet mit einem ^n heisst bekanntlich = selbander
mit Jemand sein, und nun zeigt sich, dass in diesem Verse
eine feine und wohlbegründete Rücksicht auf die Schicklich-
keit, nicht bloss des Mittelalters, genommen ist. Unschick-
lich wäre es für Gudrun gewesen, unbegleitet mit dem
Manne, der eben noch ihrem Vater im Kampfe auf Leben
tmd Tod gegenüber gestanden, Zwiesprache zu halten, um
ihm ihre Hand anzubieten; ganz anders, wenn es in Gesell-
schaft ihrer Mutter und Damen geschah. Ich lese daher
unbedenklich
Mit hundert Hner helde gieng er da ers vant^
gejnoeiet mit ir muoter von Hegelingelant
Otidrün empfieng in mit anderen vrauwen^
der edele ritter guoter moht in vollicltchen getromoen,
denn niht im 4. Verse muss als geradezu sinnwidrig aus*
gestossen werden, da es dem ritterlichen Herwig ja gar
nicht in den Sinn kommen konnte, seiner Sühne bietenden
Geliebten zu misstrauen,
Str. 655,2 1. daz HeruAges eUen geliebet sich ir sint.
Str. 656,2. Die Verwandlung des handschriftlichen
mich in iuch^ welche V. uud ihm folgend B. vornahmen,
scheint mir ungerechtfertigt und der Sinn dadurch weit
weniger passend, als mit Beibehaltung des Ueberlieferten.
Ettmüller scheint derselben Ansicht gewesen zu sein, wenig-
stens liegt in seiner Emendation durch für van ungefähr
angedeutet, was Plönnies in seiner Uebersetzung in deutlicher
und wie ich. glaube richtiger Umschreibung sagt:
[1867. IL 8.] 36
374 SiUmg der phaoi.-phaol. Clam «m 9. November 1867.
„Hart wars Yon Der za hören, um die ich viel gewagt/^
Str. 657,4 1. holder dainfC ick iu waere ist deheiiüu die
ir ie gesäheL
majft ist Einschiebsel des Schreibers , dem entgieng, daas
sich deheiniu auf vrauwe zorückbezieht. ich iu in i'u za-
samm^izuziehen, scheint mir in dieser Stelle ganz unzoläss^,
da auf ich der emphatische Ton liegt, der durch die Ver-
kärzupg nothwendig verloren gienge. Dagegen hindert uns,
um den Vers richtig zu lesen» Nichts, auf holder schwebende
Betonung anzunehmen.
Str. 658,4 1. siu truoc in in ir heraen.
Z\k Gudrun Str. 249,2 Heft IL S. 229 ist die Anmerkung ganz
EU streichen. Nachdem mich Hr. Staatsrath von Hermiknn darauf
aufmerksam gemacht, dass man in Amerika ffasse Gypressenwälder
zum Schi£fbau abgehauen, habe ich auch im Konrad von Megenberg
(ed. Pfeiffer S. 819) folgende entscheidende Stelle gefunden: des cy-
pressen hole ist gar guot guo päXken in kirehen «nd muo großem g^
päu: und ist gar vest^ dlsd das ez gros und swaer pürd mag auf ge-
nesen und getragen.
Derselbe übergiebt:
„Zeugnisse über Berthold von Regenaburg^^
Roger BacoB (o{>6ra qnaedam hactenua iaedita Völ. L
ed. firevreor. LoHdan 1859, im c^us tertium p. 810) spricht
am Schlüsse des Werkes von der rechten Weise zu predigen
und fährt dann fort:
Qttae forma praedicandi non temtur u vtdgo theologo-
rum^ sed sunt elongati ab ea his diebus. Et quia iiraelaf»,
ut in pluribuSf $um smd multHm instructi in iheologiay nee
in praedicatione y dum sunt in studio, ideo po^quam sunt
firaeiati, cum eis incumbit opus praediccmdi^ miuiwmtur 0t
mendicaaU quatemos puerorumy qui adinvenerunt euriositakm
infinitam praedicandi^ penes divisiones et eonaonantias et
concordantias vacales, uhi nee est subUmitas semwnis, nee
sapientiae magnitudo, sed infinita puerilis stuUitia et väifi^
catio sennonum Bei; sicut praeeipue ea^posui in Feeeato
Septimo studii theolegiae, in Opere Secundo^ et m Peoeato
Hafmafm: Zu BerthM wm Begenaburg. B75
oäavo in hoc Opere Tertio; quam curiositatem Deus ipse
imferat oft ecclesia suay quia nuOa wtüitas praedicaH&nis
potest ßeri per hunc modum. Sed excitantur audientes ad
mnnem curiositatem inteUecius^ ut in nuilo affectus elevetur
in banum per eos qui taUbus modis utuntur in praedicatione.
Sed licet mdgus praedicantium sie utatur, tarnen aliqm
modum alium habentes, infinitam faciunt utilitatem, ut est
Frater Bertholdus Älemannus, qui 'solus plus facit
de utilitate magnifica in praedicatione^ quam fere
omnes alii fratres ordinis utriusque»
Ein glänzendereB Zeagniss über unseren grossen Prediger
dürfte wohl das gesainmte Mittelalter nicht aufzuweisen
haben. Gleichwohl wird es durch Umfang und Wichtigkeit der
Mittheilungen noch übertrofiPen durch das des italienischen
Zeitgenossen Salimbeue de Adam in dessen Chronica Or-
dinis Minorum (in Monumenta historica ad provincias Par-
mensem^et Placentinam pertinentia tom. III. Parmae 1857
p. 325—329). Diese Chronik geht von 1212—1287 und
giebt über Berthold den ausfährUchsten Bericht, der bis
jetzt überhaupt gefunden worden ist und sowohl wegen
seiner Wichtigkeit als der ohne Zweifel geringen Verbreitung
der Monumenta in Deutschland einen vollständigen Abdruck
verdient. Beide verdanke ich J. v. DöUinger.
„I. Nunc ad fratrem Bertholdum de Alamannia
accedamus. Hie fuit ex ordine fratrum Minoioim sacerdos
et praedicator, et honestae et sanctae vitae, sicut religiosum
decet: Apocalypsim exposuit, ex qua expositione non scripsi,
nid de Septem episcöpis Asiae, qui in Apocalypsis principio
sab angelorum nomine inducuntur, et hoc ideo feoi ad coj^
noscendum qui (sie) non fuissent illi angeli, et quia exposi-
tionem abbatis Joachym super Apocalypsim habebam, quam
super omnes alias reputabam. Item per anni drcmlum fedt
magnum volumen Sermonum, tarn de festivitatibus quam
de tempore, id est de dominicis totius anni; ex quibus non-
25*
376 Sitjnmg der phOoB^-fhOci. Claaae v&m 9. November 1867,
nisi daos Bcripa, pro eo quod optime de Antidiristo trac-
tabat in illis. Qaorum prijnas sie inohoabat; £cce po Si-
tus est hie in ruinam, alius erat: Ascendente Jesu in
naviculam, secuti sunt eum discipuli ejus: in quibus
plenissime continetur tarn de Antichristo, quam de tremendo
judicio. Et nota quod frater Bertholdus praedicandi a Deo
gratiäm habuit specialem; et dicunt omnes, qui eum audi-
yerunt, quod ab apostolis usque ad dies nostros, in lingua
theotouica non fuit similis illi.
n. Hunc sequebatur multitudo magna virorum et ma-
lierum, aliquando sexaginta vel centum millia, aliquaudo
dvitatum plurium simul mazima multitudo, ut audirent verba
melliflua et salutifera, quae procedebant ex ore ejus ....
Hie ascendebat bettefredum sive turrim ligneam quasi ad
modum campanilis factam, qua pro pulpito in campestribuB
utebatur quando praedicare volebat, in cujus etiam cacu-
mine ponebatur pennellus ab bis qui artificium collocabant,
ut ex yento flaute cognosceret populus in qua parte ad
melius audiendum se ad sedendum collocare deberet. Et,
mirabile dictu, ita audiebatur et intelligebatur a remotis ab
eo sicut ab bis qui juxta eum sedebant; uec erat aliquis qoi
a praedicatione sua Bürgeret et recederet, nisi praedicatione
finita. Et, cum de tremendo judicio praedicaret, ita treme-
baut omnes, sicut juncus tremit in aqua: et rogabant eum
amore Dei ne de tali materia loqueretur, quia eum audire
terribiliter et horribiliter gravabantur.
lU. Quadam die, dum in quodam loco frater Berthol-
dus praedicare deberet, accidit ut quidam bubulcus dominum
suum rogaret ut ad praedicationem fratris Bertholdi audien-
dam eum amore Dei ire permitteret. Gui dominus suus
respondit: ego ad praedicationem ibo, tu vero ibis ad agrum
ad arandum cum bobus . . . Cum autem bubulcus quodam
die summo diluculo arare inchoasset in agro, mirabile
dictu 1 statim primam vocem fratris Bertholdi praedicantis
Hofmann: Zu Berthold nxm Eegembwrg. 377
aadivit, qui illo die per triginta milliaria distabat ab eo;
et statim bubulcus boves disjanzit ab aratro ut boves come-
derent, et ipse sedendo praedicationem audiret. Et facta
sunt ibi tria miracula relatu dignifisima: primum, quia
andivit eum et intellexit, cum ita remotus esset et per tri-
ginta milliaria distaret ab eo; secandum, quia totam praedi-
cationem didicit et memoriter tenuit, tertium, quia tantum
aravit, praedicatione finita, quantum aliis diebus continue
arare solebat. Cum autem bubulcus postea a domino suo
de praedicatione fratris Bertholdi^ requireret, et ille eam
nesdret repetere, eam totaliter bubulcus repetiit, addena
qnod eam totam audivisset et didicisset in agro. Tunc do-
minus 8UU8, cognoscens hoc ex miraculo accidisse, dedit
bubulco plenariam libertatem ut, quotienscumque vellet, ad
praedicationes fratris Bertholdi audiendas libere posset ire
qnantumcnmque servile opus faciendum instaret.
IV. Erat autem consuetudo fratris Bertholdi ut, modo
in ista civitate, modo in alia, praedicationes quas facere
intendebat, diversis temporibus ordinaret et locis, ut popu-
lus, qui conveniebat, sine defectu victualia posset habere.
Quodam autem tempore quaedam nobilis domina, magno et
fenrenti desiderio inflammata audiendi praedicantem fratrem
Bertholdum, eum per sex annos continuos, per dvitates et
castra cum quibusdam suis sodalibus .... (man ergänze
pro babenda indulgentia secuta) cum eo potuit habere se-
cretum et familiäre coUoquium. Cum autem finitis sex an-
nis, et finitis et consumptis suis expensis, in festo assump-
tionisbeataeVii^nis cum sodalibus suis non haberet domina
illa quid comedere posset, accessit ad fratrem Bertholdum,
et haec omnia quae dicta sunt, per ordinem retulit sibi.
' Quae cum omnia frater Bertholdus audisset, misit eam ad
quemdam campsorem^), qui inter omnes civitatis illios
1) D. h. Wechiler, Bankier.
^78 Sitewng dar phüoa.-phOol, Gasse vcm 9. November 1867.
ditior habebatar, imponens ei ut ex parte Bua diceret sibi
quod dar et ei tot denarioB pro victualibus et expensiB,
qaantam valebat una dies indalgentiae , pro qua habfoida'
faerat sex annis fratrem Berthöldum secata. Quod cum
audisset campsor, subrisit et dixit: et qnomodo scire potero
quantum valeat indulgentia diei unius, quo fratrem Berthöl-
dum secuta fuistis? Gui illa responditr dixit mihi ut di-
cerem vobis, quod poneretis denarios ex una parte in scu-
tellam staterae, et ego in alteram scutellam sufflarem, et
hoc signo poteritis cognoscere quantum valet. Posuit igitnr
denarios larga manu et implevit scutellam staterae; ipsa
yero insufflavit in alteram, et statim praeponderavit, et
denarii subito sunt elevati, acsi conversi fuiasent in plumeam
leTitatem. * Quod videns campsor, mirätus est vehementer,
et pluries ac pluries denarios ex parte sua supraposuit in
statera, nee sie potuit fiatum dominae elevare, quia tanto
pondere eum fixit Spiritus Sanctus, ut scutella lanceae, quae
erat ea parte dominae plena flatu, elevari denariorum pon-
derositate nullatenus posset Quod videntes tarn campsor,
quam domina et aliae mulieres quae erant praesentes, statim
yenerunt ad fratrem Berthöldum, et ei per ordinem quae
acciderant, retulerunt. Gui etiam dixit campsor: paratus
sum restituere aliena et amore Dei propria paüperibus ero-
gare, et desiderio [lies desidero] ' effici bonus homo , quia
revera mirabilia vidi hodie. Gui frater Bertholdns imposuit
ut illi dominae, cujus occasione ista viderat, et sodis suis
victuah'a tribueret larga manu. Quod diligenter et Üben-
tissime adimplevit ad laudem domini nostri Jesu Christi, coi
est gloria et honor in saecula saeculorum, amen.
V. Alio quodam tempore, cum frater Bertholdus per
quamdam viam cum fratre layco socio advesperascente jam
die transiret, captus est ab assassinis cujusdam castdladi
et ductus ad castrum et nocte illa incatenatus et male ho-
spitatus servabatur ibidem. Gastellanus vero usque adeo
Haf^Mmn: SSu BertMd «on Beffentburg. 879
eoDcives bhob offenderat, nt fin palatio Commanis depictos
eeset, qaali poena, bi caperetnr, puniri deberet, scilicet ad
BiiBpendium jadicatuB. In craBÜnam autem drca dilocttlam
accessit magister carnifex ad castellanam dominttm säum et
dixit ei: quid jubet dominium restrum ut fiat de fratribns
lUis, qai heri sero ducti faerunt ad nos? Gui castellanufl
dixit: „quod expedias eos^S quod erat c^cere: interfice eos..
Sic erat de castellano isto et aSBasiniB suis, qui aliquos
praedabantur, aliquos interfidebant, aliquos rero daoebant
ad castrum et ponebant in carcere, quousque, pecunia data,
redimi possent; alios interfidebant omnino. Cum autem
frater B^holdus dormiret et sodns buus frater lajcus vigi*
laret, qui matutinum suum dicebat et sententiam mortis
super se a castellano datam intellexisset, eo qnod non esset
inter utrosqne nisi paries intermedius, coepit frater layous
fratrem Bertholdum pluribus vidbus inclamare. Cum autem
castellanus nomen fratris Bertholdi audiret, coepit cogitare
ne forte iste famosus ille praedicator esset, de quo mira-
bilia dicebantur; et statim revdcato camifioe praecepit ei,
ne laederet fratres, sed ante conspectum suum duoeret eos.
Qui cum perducti fnissent, interrogati sunt ab eo, quibus
nominibus vocarentur. Gui frater laycus respondit; nomen
meum tale est; iste vero est frater Bertholdus, famosus et
gratiosus ille praedicator, per quem Dens tot mirabilia
operatur. Gum autem castellanus talia audivisset, statim
prostravit se ad pedes fratris Bertholdi et amplexatus et
OBcnlatus est eum : insuper roga^it eum ut amore Dei ipsum
praedicantem audiret, quia ex mnito tempore desiderabat
ab eo verbum salutis audire. Gui frater Bertholdus con-
sensit hoc pacto, quod omnes malefactores, quos secum ha-
bebat in Castro, ante suum conspectum oongregaret in unum
ut omnes simul praedicationem audirent: quod ille libenter
ae facturum promisit Dum igitur casteUanua suos maleficos
congregaret, et frater Bertholdus aliquantulum seoeasiaaet
380 Sitzung der phHoa.-phüoL Chsse ^oom 9, November 1867,
ad dominum exorandom, aocessit ad eum socius saus et
dixit d: noveritis, frater Bertholde, quod sdper nos mortis
senteixtia ab isto homine data fuit, quapropter, si umquam
bene praedicastis de poenis infernalibuB et de gloria*para-
disi, nunc tali magisterio indigetis. Audiens haec frater
Bertholdus totum se contulit ad rogandnm Deum, et reversus
denuo Ulis congregatis ita splendide peroravit et verbum
salutis proposuit, ut omnes amarissime provocarentur ad
flendum, et, antequam inde recederet, omnes in confessione
audiyit et praecepit eis, ut a Castro iUo discederent et male
ablata restituerent, et toto tempore vitae suae in poenitentia
perseverarent et sie vitam aeternam haberent. Gastellanas
vero prostravit se ad pedes fratris Bertholdi et cum malus
lacrymis rogavit eum, ut amore Dei eum ad ordinem beati
Francisci recipere dignaretur: qui recepit eum, sperans
quod a ministro^) hanc gratiam obtineret. Gam aatem
fratrem Bertholdum sequi vellet, prohibuit eum frater Ber*
tholdus propter furorem populi quem offenderat, et [qui] de
oonversione ejus nihil audiverat. Cum autem pervenisset ad
civitatem frater Bertholdus, voluit ipsum populus praedi-
cantem audire et congregati sunt omnes in glarea cujusdam
fluminis, ubi e regione pulpiti latrones in furcis pendebant.
(Cum talia audis, pone tibi exemplum glaream fluminis Reni
de Bononia d. h. stelle dir den Sand am Reno in Bologna
▼or) Castellanus igitur supradictus post discessum fratris
Bertholdi inflammatus amore divino et attractus desiderio
audiendi fratrem Bertholdum, oblitus est omniam maloram
quae umquam intulerat civitati, et veniens solus, ut iret ad
locum ubi praedicabatur , statim fuit cognitus et captus et
sine mora ad suspendium ductus. Gurrebant autem omnes
post ipsom damantes et dicentes: suspendatur et morte
2) minister ist entweder generalis (Ordensgeneral) oder provin-
ciae (ProTindal).
Eafmatm: Zu BerihM von SegenOmrg, 381
turpissima moriator iste pessimus inimicas noster . . Cum
autem videret frater Bertholdus popalmn concorrentem et a
praedicatione sna recedentem, miratus est valde et dizit:
nomquam accidit mihi qaod aliquis a praedicatione mea
recederet, nisi praedicatione finita et benedictione aocepta.
Coi unoB de reaidentibus dixit : pater, non miremini ez hoc,
qnia captus est talis castellanus, qui erat noster pessimus
inimicas, et ducitur ad suspendium.. Audiens hoc frater
Bertholdus, totus contremuit et cum dolore dixit: noveritis
quod confessionem ejus audiyi et omnium sociorum suorum,
quos misi ut poenitentiam facerent; et istum ad ordinem
beati Francisd receperam, et modo veniebat ut me prae-
dicare audiret: quapropter curramus omnes et liberemus
enm. Coeperunt igitur omnes velodter currere; cumque
pervenissent ad furcas, jam erat tractus superihs et expira-
verat. Depositus est igitur ad jussum fratris Bertholdi, et
invenerunt chartam circa Collum ejus aureis litteris scriptam
et haue scripturam habentem: Consummatus in breyi ex-
plevit tem^ora multa; placita enim erat Deo anima ejus:
propter hoc properayit educere illum de medio iniquitatum«
Sap. lY. Tunc misit frater Bertholdus ut yenirent fratres
Minores de conventu dvitatis illius et portarent crucem,
feretrum et habitum et viderent et audirent mirabilia Dei.
Et factum fuit ita et retulit eis et omnibus totam hystoriam
Bupradictam, et portaverunt corpus ejus et honorifice sepe-
lierunt illud in loco fratrum Minorum, laudantes Dominum
qui talia operatur.
Hier schliesst leider Salimbenes Bericht, der ausführ-
lichste und in seiner Art merkwürdigste, den das Mittelalter
uns überliefert hat. Der gute Minorit ton Parma (er yer-
abscheute diese seine Vaterstadt^ wegen ihres gottlosen Be-
nehmens gegen die Mönche und die Diener Oottes überhaupt
so sehr, dass er in den 48 Jahren seines Mönchthums nicht
dn einziges Mal dort wohnen mochte, vgl. p. 353) ist eben
882 Sitzung 4«r f ^ao«.-i>Mol. Class^ wm 9. November 1867.
kein grosser Geist; hat aber eine so belehrende und an-
ziehende Chronik gesohrieben, wie nur irgend einer seiner
Zeitgenossen. Er kümmert sich am s^r kleine EKnge; so
erzählt er S. 222, dass im Jahre 1250 ein Cardinall^at
aus dem (mit dem seinigen rivalisirenden und von ihm an
manchen Stellen angestochenen) Dominikanerorden, ein jong^
und spindeldürrer Mensch (juTenis et uiacileutinus) den
Damen durch das Verbot der überlangen Schleppkleider
(caudae mulieruiu, mhd. swanz) grossen Verdruss bereitet
habe, im Jahre 1285 eine schreckliche Epidemie unter den
Katzen gewesen sei, anno so und so dagegen die Flöhe besonden
überhand genommen hätten. Wundav und Teufelsgeschich-
ten berichtet er mit Vorliebe und so darf uns denn nidit
übermschen, wenn der grösste Theil dessen, was er von
unserem Berthold zu sagen weiss, auch schon so weit in
das Gebiet der Wanderlegende streift, dass es aller Forsch-
ung schwer fallen wird, den historischen Kern von der Ein-
kleidung zu sondern. Gleichwohl bleibt sein Bericht auch
nach Abzug alles Wunderhaften einzig und unschätzbar durch
die Fülle der Einzelheiten, die Lebendigkeit der Schilder-
ung und endlich besonder dadurch, dass es gerade ein
Italiäner ist, der mit so begeistertem Schwünge von seinem
gefeierten ultramontanen Ordensbruder spricht Geistig steht
freilich Roger Bacons Zeugniss noch höher, der von Berthold
ohne alle Ordensrücksichten geradezu sagt, er leiste in der
wahren und rechten Predigtkunst mehr, als beinahe alle
Dominicaner und Franciscaner zusammen; denn es ist das
Zeugniss eines umfassenden und tiefdenkenden Gelehrten,
dessen überraschend scharfer und klarer Blick in vielen
Dingen, die wir als die Domäne der neueren Wissenschaft
betrachten, auf so manchen Seiten seiner bisher unedirten
Werke in Erstaunen setzt. So verdanken wir ja ihm die
merkwürdige Stelle über die Eintheilung der französischen
und englischen Mundarten (Opera inedita p. 438, 439, 467).
Shfimann: Bu BmiMd «m Begemhwrg, 38S
Und auch für die europäische Beiühmtheit Bertholds ist
BaooDs Zeugniss höher anzuschlagen, da bei den Verkehrs«
verhäknisseD des 13. Jahrhonderts ein Bekanntwerden Ton
Oberdeutschland aus in Oxford unendlich schwieriger ist,
als im benachbarten Oberitalien, wo der deutsche Kaiser
Herr war und die deutsche Sprachgränze viel tiefer nach
Süden gieng, als wir heutzutage uns vorstellen können, wo
die italienische Sprachgränze uns durch die selbstmörderische
Indolenz der zum Schutze deutscher Mark im Südosten Be-
mfenoi und Verpflichteten uns Deutschen im Reiche täglich
naher auf den Leib rückt und rücken wird, 60 lange jedes
Weh^ deutschen Geistes von den Machthabern im Alpen-
lande als Pesthauch der Häresie verpönt und nach besten
Kräften exorcisirt wird. Salimbene selbst giebt uns in
seiner Franziskanerchronik, ohne daran zu denken, einen
höchst schätzbaren Wink über die Fortdauer deutscher
Zunge in Bergamo in Mitte des langobardischen Alpenvor-
landes zwischen den Seen von Gomo und Iseo, somit weit
westlich von Vicenza's vielgenannten deutschen Sprachinseln.
Salimbene also berichtet unter dem Jahre 1287. Quidam
honUnes de Bergamo^ de maiarUmsi civitatis suae, propter
hamicidium, quod fecerant^ fuerunt de dvitate sua forbafmiti
et positi in cofifinibus ,sempitemis sinespe uUerius redeundi.
Cum ergo Begium (Beggio zwischen Parma und Modena)
devenissent, petierunt a Communi Begino locum, in quo
posaent häbitare securi, Begini vero hone eis gratiam con-
eesserunt, ut circuirent totum episcopatum eorum et ubi inr
wnireni locum non ab aliis occupatum et ydoneum sibi, ibi
suam wnumtionem construerent et habitarent; et sie fecerunt
roketam^ quae ab eis dicta est Tiniberga. Wenn verbannte
bergamaskische Patrizier dieses rQ^^a(Bergschloss), 10 Meilen
von Reggio und eine Meile von Sassolo (Saxolo), wie Salim-
bene ebenda S. 394 ff. weiter ausführt, mit einem offenbar
deutschen Namen belegen konnten, so liegt die Vermuthnng
384 Sitzung der phüoa.-phüol. Claaae wm 9. November 1667.
wohl unabweislich nahe, dass sie sdbst Deutsche gewesen;
denn ein Wort wie Tiniberga fiir ein schon im Italienischeii
eingebürgertes deutsches zu halten, geht kaum. Tim&er^a nun,
wenn wir uns an den Wortlaut halten, wäre zunächst aus alt-
hochdeutschem ^mna, mittelhochdeutschem tinne Stirne, Zinne
abzuleiten und hiesse so viel als Zinneberg. Allein es ist
auch möglich, dass der Abschreiber hier gefehlt und das
Wort liniberga vor sich gehabt, welches im Ahd. hinlänglich
oft vorkömmt imd einen guten Sinn an unserer Stelle geben .
würde. Es steht bei Graff III. 174 und heisst fulcruw^
j^nnacidum, reclinatorium, canceUi, also ein eingeschlossener
Ruhe- oder Zufluchtsort; gewiss ein passender Name für
das Felsennest der verbannten Bergamasken. Verschreib-
ungen dieser Art finden sich auch sonst, so in dem weiter
unten zu erwähnenden Stücke in Versen Eaiuans intrinsecus
Strophe 7, Vers. 4 Älachie für Alethiae X'^gi- Carmina Bu-
rcma Nr. 172 Str. 9, wo ebenso unrichtig Galatiae steht).
(An einer andern Stelle steht in bibliotheca^ wo offenbar in
biblia tota das Richtige ist.)
Ich habe mich natürlich bemüht, über die Mittheilnngen
Salimbenes nähere Aufschlüsse zu gewinnen und wo ge-
druckte Werke solche nicht ergaben, zu Schmellers Real-
katalog, der im 25. Gahier Blatt 59—80 von Berthold han-
delt, meine Zuflucht genommen, sowie zu seinen so überaus
wichtigen Initien. Bis jetzt habe ich das, was ich zunächst
suchte, nicht gefunden, nämlich die beiden Predigten über
den Antichrist und den Commentar über die Apokalypse.
Die Bibliothek der Franziskaner in Regensburg enthielt
zwar, wie Sanftls Catalog angiebt, einen solchen Commentar,
aber ohne Angabe des Verfassers. Dagegen habe ich bei
Durchgehen der Schmeller|fchen Blätter einiges gefunden,
was den Spezialforschem auf diesem Gebiete vielleicht ent^
gangen sein dürfte. Erstens eine authentischere Quelle über
seinen Todestag, als die bisherigen, nämlich das Todten-
Hofmaim\ Zu Berthold vcn Segensburg. S85
bach des FranziskaDerklostere in Regensburg, wo Berthold
gestorben ist. Es findet 'sich in der Münchner Hof- und
Staatsbibliothek Chn. 130B0 (üim. 4) und wird nächstens
Ton Hrn. Reichsarchivsfunctionär Primbs in den Schriften
des historischen Vereines von Regensburg herausgegeben
werden. Der Eintrag lautet:
XIX. K. J. (14. Dec.) 0, fr. perhtold^ magn^ "pdi-
eaior. M,CCLXX1I. Am Rande sein Miniaturbild knieend
und betend. In demselben Todtenbuche stehen auch seine
Schwester und sein Schwager.
6 Ja. Juni] 0. Elisahet sechsin soror fris perch-
ioldi a«. d. 1. 2. 93.
D. F. J. Oct. Item obiH$s Merkelini Saxonis qui
habuit sororemfratris Perchtoldi magni predicatoris a. d.
1. 2. 82.
Demselben Gelehrten verdanke ich noch folgende Mit-
theilnngen.
yjDas antiquum mortilogium der Franziskaner in
München (Cod. bav. 755 TL. pag. 143) gedenkt seiner unter
dem 14. Dec. Frater Bertholdus doctor gentium in BatiS"
pana. Ebenda wird auch seines Lehrers Frater David in
Augusta am 15. November gedacht.
Das Necrologium des Klosters S. Clara am Anger in
München (C!od. 4,) gleichfalls am 14. Dec. 1272. Frater
Bertholdus doctor gentium in ratispona.
Die Necrologien von S. Clara und den Franziskanern
in München wurden von Herman Sack, Gardian des
letztem circa 1404 angefertigt. Die Necrologien der Fran-
ziskaner* in Kelheim und Nürnberg, sowie Landshut haben
seinen Todestag nicht^^
Von Bruder Berthold war die Rede in einem Perga-
ment-Codex der Heilsbronner Bibliothek, welcher leider
nicht mit in die Erlanger gekommen und dessen jetziger
Aufenthalt mir tmbekannt ist. M. Joh. Lud. Hocker in
886 Sitzung der phüos.-phikil, CloBae wm 9. N&vember 1667.
Beiner BibL Heilsbr. Norib. 1731.2 <^ p. 35 giebt darüber
folgendes: (302) Opera fratris Bertholdi s. Extravagamies
BusticanL fol. Sermanes hie eontineniur CCXCVin. prae-
fixa habentes primo Prologum fratris Heinrici cujusdam
monachh qt40 operose BerthoMum eammendat atque ab aenm-
lis Easticani nomen ipsi itnposüum vindicat; ddnde iripUr
tem indicem u. s, w. Es wäre vor Allem dieser Hand-
schrift und dem Prolog des Frater Henricus nachzuforschen.
Unsere Hof- und Staatsbibliothek besitzt nun einen Codex
von S. Emmeram, Saec. XIV. (Cod. lat. 14093) mit dem
Titel Sermones qui dictmtur rusticani de Sandie per drcttr
lum anni\ 318 Blätter in 4^ Am Schiasse steht roth:
Iste liber est fratris Hemumni de ordine fratrum minorum.
Dann schvirarz die Verse:
Magni pradati liber explicit atque beati
De Vriberch lati nuper et bene tnorieraii.
Ein Blatt von Hoheneichers Hand (Rep. 25/61 bemerkt:
Auetor est Berthcidus Batisbonensis ^ Ordims Mincrum.
Sanftl in seinem berühmten Cataloge der S. Emmeramer
Bibliothek (III 1540) (ihm hat Hoheneicher seine Notiz ent-
nommen), bemerkt zu demselben Codex: Sermones qui di-
cuntur rusticani ete. Auetor est Berthoidus Batisbone9i8i8
vide Kdbolt Baier. Gd. Lex. p. 66. In Catalogo Codd.
Mss. BibUothecae fratrum MinorumBatisbonae^ quem supra
pag. 1020 retulij ^notaiur: Nota de Busticßno novo et
antiquOf scilicet fratris Pertholdij welcher Eintrag
sich denn auch richtig am angegebenen Orte des Sanfkl'-
sehen Catalogs ohne weiteren Zusatz findet. Im Original-
Catalog, welchen Sanftl abgeschrieben and der ^ch eben-
falls noch auf unserer Bibliothek befindet, (Em. B. XX.)
h^sst es Node Busticano nouo. et antiq. s. fris. phtoldi.
Die Codices der Regensburger Franziskaner sind nicht alle
in die hiesige Staats-, aus der Regensburger Stadtfaib-
üothek übergegangen, wo nun weitere Nachforschungen an-
MofiMm: Zu BmihM vm Begmakwg. 887
zustellen sein werden. Den hiesigen Codex der Sermones
Bosticani habe ich bis jetst noch. nicht durchlesen können,
enthalte mich also hier vorläufig jeder weitem Bemerkung usd
Vermuthung. Dagegen kann ich das folgende Werk nicht nur
anführen und dabei Hockers Bemerkungen wiederholen, son-
dern es li^ mir durch die gefällige Oüte der Vorstände
der hiesigen Staats- und der Erlanger Universitätsbibliothek
der Codex selbst vor. Die Pergamenthandschrift, welche bei
Hocker die Nummer 384, in der Erlanger Bibl. 407 trägt,
enthält Sermones ad reUgiosos. Auf dem 5 Blatte findet
sich die Rubrik, in welcher der Name des Verfassers der
Predigten genannt ist» den Hocker B^iholdi, Irmisdier da-
gegen im üataloge der Eri Hss. S. 118 (Nr. 407) Gerholdi
las. Beide haben falsch gelesen; aber der Grund, weshalb
zwei so tüchtige und achtbare Geldirte in ihrer Deutung
des Wortes so weit auseinander gehen konnten, ist palao*
graphisch so interessant, dass ich ihn näher besprechen
muss, 80 weit diess ohne Facsimile möglich ist. In der
Handschrift selbst stdit nämlich unzweifelhaft berholdi. er
ist oben redits am b durch einen Hacken abbrevirt, der
von oben nach unten geht, und den Irmischer für den
oberen Zug eines grossen Q hielt, welcher Zug aber in der
HS. sich nicht in vertikaler, sondern in horizontaler Bidit-
nng 'schlingt Nachdem Irmischer das b mit seinem abhre-
virten er Cir G genommen hatte, musste er nun auch die
Abkürzung für er suchen, denn sonst hätte das Wort Oholdi
gelautet. Er fand sie in dem Häckchen, mit welchem h
oben ansetzt und welches gerade so aussieht, wie der An-
fang der gewöhnlichen Abkürzung für er. Um aber wirklich
die AUdirzong er zu sein, müsste das Häckcben lur sich
stehen und dürfte nicht den obern Anfang des folgenden h
bilden. Leider ^nd von der Hand des Rubricators sonst
zu wenige Einträge vorhanden, um die Frage mit absoluter
Sicherheit entscheiden zmkimnen, namentlich findet sich kein
388 Sitssung der phÜos.-pMM. CkuH wm 9. J^ovember 1867,
zweites G und kein zweites h, Irmischers Lesung erklärt
und rechtfertigt sich nach allem Gesagten sehr leicht, wäh*
rend Hocker einfach berholdi gelesen und das t als selbst-
YerständUch hinein ergänzt haben wird. Ich selbst, meiner
eigenen Erfahrung misstrauend, habe vier der geübtesten
hiesigen Handschriftenleser zu Rathe gezogen. Einer davon
las Gerhcldi, die drei andern unbedenklich berholdi^ was
also für jetzt die Majorität für sich hat. Der Name Ber-
hold scheint auch nicht Yorzukommen, wenigstens findet er
sich nicht bei Förstemann.
Die ganze Rubrik heisst nun so:
Iste est numerus et ordo ei nkUeria Sermonum fratris
berholdi ad religiosos et g^uasdam alias. Dieses Verzeich-
niss e/ithält nun unter Nr. 91 Begula selbhardi cum o/^
. cialibus et offidis suis^ also ist kein Zweifel, dass die Ton
Wackernagel LB. 811 nach R. von Raumers Abschrift mit-
getheilte Begula Selphardi dem Verfasser der ganzen
lateinischen Predigtsammlung zugeschrieben wurde. Hocker,
der nicht an Bertholds Autorschaft zweifelte und die Regula
Selphardi als Specimen des Codex S. 36 — 37 vollständig
abdrucken liess, bemerkt dazu: Cur ab aemulis fratribus
Busticani titulum Beriholdus iste r^portaverit^ ex hisce 94
sermonibus hinc inde conjectari potest^ quanta enim libertate
mores claustralium perstrinxerit^ vel sola Begula Selphardi
nomine insignita^ quam totam Sermoni 94. praemisit^ docet.
Ich kann die Frage ^ ob diese Predigten und Predigt-
entwi^rfe (die meisten gehören wohl der letzteren Kategorie
an) von unserem Berthold sind oder sein können, hier aus
Mangel an Hülfsmitteln nicht weiter verfolgen, dass Berthold
Sermones rusticatios geschrieben, sagt auch Job. Vitodur.
(Pfeiffer Zeugniss 17).
Ein Zeugniss über die Berthold zugeschriebene Gabe zu
prophezeien, liefert uns Bruder Chunrad in den Randbemerk-
ungen des altehrwürdigen Missale von Andechs (And. 5), wo es
H^fmatm: Zu BeriMd wm Eegmabmg. 889
£. 79 b heisst : Navennt xpi ßdeles^ quod ego f rater Ch{unradfi»)
conventus de monte 8. Petri qui dicitur Madron (d. h.
die Kirche in uionte Madarano oder auf dem Petersberg bei
Branuenburg), cum edißcavimus capeUam 8, Caterine , in-
venimus plures kartas, mter quas una eraij quae sie dice^
bat, quod quadam vice praedioavit frater Perchtoldus prae-
dicator ordinis fratrum Minorum in mimte et Castro Ändess
in praesentia camitis, qui frater Perchtotdus multum dili-
gebatur et commendabatur a praedicto comite. Inter cetera
propheti^avit sihi in quodam sermone, castrum suum esse
destruendum et . , . (uidesbar) redificandam (sie) tempore tri-
bulcUicfnis et pads. tunc revelaMtur gloria demini in hoo
isto et veniet consolatio poptdi et quia prope annus grade
et magnificabitur locus per edificationem u. s. w.
Das Uebernatürliche spielt hier wie in so manchen
andern Erzählungen von Berthold eine Rolle, die immer
grÖsaer wird, bis sie endlich gipfelt in dem Berichte, den
Uoittinger nach der Chronik des Johann Ulridi Krieg wieder-
holt, dass er nämlich einen Todten wieder lebendig gemacht
habe. Nach dem, was in der Helvetischen Bibliothek
Zweites Stück S. 129—182 Zürich 1735 über diese soge-
nannte Krieg'sche Chronik gesagt ist, gehört sie einer so
späten Zeit an, dass wir in ihrem Berichte einen der letzten
Attslänfer von Bertholds legendenhaft gewordener Gesdiichte
erblicken dürfen, wie sie sich wahrscheinlich auf schweizeri-
schem Boden und unter dem Einflüsse des Zeugnisses von
Johannes Vitodoranus gebildet hat, wie denn auch die irrige
Notiz, B. sei in Winterthur geboren, aus den Angaben des
Winterthnrer Chronisten erschlossen seiu wird.
Dagegen ist uns in neuester Zeit ein zwar sehr kurzes
und mageres, aber durch seine Gleichzeitigkeit wichtiges
Zeugniss von Lamprecht von Regensburg durch Franz Pfeiffer
(Altdeutsches Uebungsbnch S. 71 Z. 75) zum ersten Male
mitgetheilt. Lamprecht, der unsern Berthold aller. Wahr-
[1867. n. 3.] 26
390 Sitzung der phaoB.-phadl. CUuse wm 9. November 1867.
scheinlichkeit nach persönlich gekannt hat, sagt von ihm
und einem (schottischen?) Ordensbruder, der wohl auch ia
Begensburg lebte:
brttder Johan von Engdant
Vn der svzse Perhtolt
hdbent der genaden solt
von Jesu enpfangen.
waer es mir sam ergangen^
dcLJg nem ich vur die richeit
die diu werlt eUiu treu.
Zum Schlüsse muss ich noch einmal auf Salimbene zu-
rückkommen, dessen Chronik, abgesehen Ton ihrer hohen
Bedeutung für Kirchen-, Kloster- und Reichshistorie schon
in Bezug auf Literatur- und Culturgeschichte einer beson-
dern systematischen Behandlung würdig wäre.
Man sieht, dass die Sage vom gewogenen Ablass, die
ich mit Nr. 4 bezeichnet habe, ihren Weitererzähler gefun-
den hat im 37. Zeugniss Pfeiffers von Marianus aus Florenz
(15./16. Jh.), worauf schon das seltene, beiden Berichtai
gemeinsame campsor hindeuten könnte. Wir dürfen an-
nehmen, dass die erste italienische Quelle hier Salimbene
war, dass aber zwischen ihm und dem Erzähler des 16. Jhd.
noch mehrere Berichte in der Mitte gelegen haben werden,
^ die uns bis jetzt nur noch nicht bekannt sind, denn dass
Marianus aus einem um mehr als 200 Jahre älteren Werke
direkt geschöpft habe, ist im Allgemeinen unwahrscheinlich.
Bei der ethischen und ästhetischen Würdigung dieser Le-
gende müssen wir uns erinnern, dass das Wägen von Im-
I>onderabilien durch das ganze Mittelalter bis auf die neueste
Zeit geht und ohne Zweifel einer der vielen Züge geistlicher
Symbolik ist, deren Ursprung wir im Orient zu suchen
haben. Hier ist es Alexanders Fahrt zum Paradiese, (Alex
M. iter ad parad. ed. J. Zacher, Königsberg 1859 S.22— 29)>
die wir als Quelle unserer Bertholdlegende ansehen können,
HofmaiMi: Zu Berfihold von Begemabwrg, 391
da dieser Zug bekanntlich in den dentsohen Alezander über-
g^angen ist. Wie dort der einem menschlichen Auge
gleichende Edelstein aus dem Paradiese das sichtbare Symbol
der unersättlichen Gier des Menschenherzens, die nur ruht,
wenn Staub das Auge deckt, so ist in Salimbenes Darstell-
ung noch des Blasen der Dame auf die Wagschale der
materielle Faktor , während «ein solcher bei Marianus gans
fehlt, ebenso wie in der modernen Erzählung, wo vom
Pabst bestimmt wird, wie schwer ein Vaterunser wiegt.
Ueberhaupt darf' bei Entstehung religiöser Sagen und
Legenden angenommen werden , dass die einer bestimmten
Zeit^ wie die eines bestimmten Landes auch einen gemein-
samen Zuschnitt haben und zwar um so markirter, je
mehr die geistige Entwicklung eines solchen Gebietes eine
isolirte ist, wie man diess sehr deutlich an den so
charakteristischen irischen Legenden studiren kann. Dass
eine solche Legendenwelt dann ihrerseits zurückwirkt
auf die Auffassung der Vorgänge des wirklichen Lebens hat
sdbon sehr richtig Karl Schmidt (Nicolaus von Basel, Wien
1866 S. 54 ff.) ausgeführt, indem er genau die für solche
ErscheinuQgen fundamentale Distinction zwischen objectiver
und subjectiver Existenz festhält, jene verwirft, diese zugibt.
Er hätte da wohl in einigen Punkten noch weiter gehen
und ^in der frühsten Jugendgeschichte des Nicolaus (S. 4)
den realen Reflex der Alesduslegende in Anschlag bringen
können, deren ethische Wirkung zu allen Zeiten eine ge-
waltige gewesen sein muss, wenn wir bedenken, dass sie
nicht bloss in alle christlichen Sprachen des Mittelalters,
sondern auch in verschiedenen Fassungen in die arabische
fibergegangen ist (s. W. Lane Anmerkungen zu der grossen
Ausgabe von 1001 Nights), in einer dem Ali, Sohn de»
Ghalifen Harun AI Raschid zugeschrieben wird, und noch in
unserer Zeit auf den jungen Qöthe einen solchen Eindruck
machte, dass er sie nach der Erzählung einer alten Frau in
26*
392 Siigung 4m fhOm.'pkaoL «mn Clatse 9. Nopemiber ISe?,
•einen Schwerer ReiBtbriefm (Anhang xa Werthere lioideai)
▼erewigte. Aehnlich dürfte in dorn mystischen und aller
Welt, edbet ihren getreaeten Anhängern yerborgenen Zu-
fianmenleben der Gottesfreiinde in tiefeter Waldmeamkeit
(8. 44 ff« 61-^53) emBeflez des poetisefaen Cönobitenthums
der Graaltempleisen im unnahbaren Walde von Maneal-
Taeecfae aiob darstellen.
Unter den literarisohen Mittheilangen Salimbenea dörfteu
folgende zn den wichtigeren gehören. Von YordantiecheD
Dichtem, die sonst nicht bekannt sind, nennt er S. 189
einen Pelavicino (=:Bnpf den Nachbar) ton Parma als can-
iUmum inventar; von sidlianisdien Dichtem S. 245—6 einen
anch iu der politischen Gesdiichte bedeutenden cames et
eamerarius des Königs Manfred (welcher seinen Bruder
König Conrad durch Giovanni da Procida veigiften liess,
wie man nach S. 245 erzählte), mit Namen Manfrede
Maletta, opiimus et perfectus in comM4mihus moemenäU et
tanülenis excogitandis, et in sanandie insirumentiß non cre-
diiur habere parem in mundo. Am öftesten aber (6 Mal)
eitirt er von italienischen Dichtem den magister Gerardos
Patedus (auch Patecelns geschrieben) vielleicht von Gremona
vgL 8. 21, der ein Buch de Taedüs gesdirieben, zu dem
Salimbene selbst im Jahre 1260 eine Fortsetzung dichtete,
wie er S. 238 sagt: In supradicto uniOeemo (1360) Aoftite-
bam in Bwrgo Soincti Danini et eompasid et scripsi aUum
librum Taediorum, ad simüitudinem PateeU. Trote des
lateinischen Titels sind alle Citate italienisch und das Buch
scheint moralisch-satirischen Inhalts gewesen zu sein, so
dass sein Verlust um so mehr zu bedauern ist, als fast alle
vordantiscfae Poesie bekaofntlioh in Liebesliedern besteht.
Eine allgemeine italiem'sche Sprache kennt er natürlich noch
nicht; er unterscheidet & 351 zwischen tuseice et hmbor-
dice et gaUice logui. Hervorzuheben ist auch sein Bericht
über die Geissler und ihre Lieder (S. 238), anno JJi60 ee-
H^ftMum: Em B^rlMä «OH Bigembmrg. 398
nenmi iferberatores per miwergum a^em et . . . comptm^
h€mt lauäes divinas ad honorem Bei et beatae Vir^nie
quae caiUabant, dum se terherando mcederent^ -^ aber die
eantüenas und eequeniiag des frater Henricus 8. 64, über
das nachher verbrannte Buch des frater Ohirardinus de
Borgo Sancti Dcnini (8.233.285), und besonders der über
den näheren Inhalt des Commentars über die Apokalypse
vom Abbas Joachym. den wir sdion oben in seiner Ersähl«-
ung von Berthold erwähnt fanden. Er hiess liber figurarmifi
nnd dentete auf die Sarac^en, auf Machometh, Mutfisel»
matns, Saladiuus und Kaiser Friedrich II., (S. 224)^ während
ein anderer Zeitgenosse den König von Castilien filr den
Antichrist hielt (3. 234). Ein wahrer historischer Romaa
in mute ist das Leben des Cardinallegaten Philippe von
Ravenna, aus Pistoja, der in seiner Jugend als armer
Scholar die Hochschule der schwarten Kunst, Toledo, be*
sachte, aber von sebem Professor, einem beriihmten Meister
(cag^atuSy eenex, aepectu deformie) als unfähig entlasseii
werden musste, weil, wie er sagte: voe Lomba/rdi non estis
pro orte ista^ et ideo dimütaUe eam nobie Hydpanie, gm
homines feroees et ewnües daemonibue sum^, tui^erOj fUiy vade
Parisios et stude in scriptura divina, guid in eedeeia Bei
adhuc futurus es magnue (S. 200). welches teetimonium et
indess später als Cardinallegat zu Schanden machte, wo sie
Umebant eum sictd diabolum und selbst der schreckliche
Eifjselino di Bomano nur parum plus Umobatur (S.204— 5).
Von noch allgemeinerem und zum Theile actuelldm Interesse
wären die Urtheile unseres freimüthigen , charakterfesten
und löblichster Unparteilichkeit (vgl. S. 245) beflissenen
Minoriten über Kirchen- und Staatsverhältnisse, wie z. B.
das über die Erwerbung der Romagna S. 282. Hanc (Bo-
magnolam) Ecclesia romana dono obHnuit a domino Bodfdfo^
qui tempore domini Oregofü papae X. ad imperium fuit
eketus. Saepe enim Bomani Pontifices de repubUcd dUquid
394 SiUiung der pkaoB.-phikl Ckuse vom 9, Nwember 1867,
volunt emtmgere, cum ImpercUares ad Imperium <is$umuntur.
Da indess mein Absehen hier kein historisch-politisches sein
kann, so schliesse ich mit dem Zeugnisse Salimbenes über
eine Persönh'chkeit , die in der Literaturgeschichte nicht
minder berühmt ist, als selbst Bruder Berthold, idi meine
den Archipoeta Waltharius oder, wie v. Giesebrechts Unter-
suchungen herausgestellt haben , Walthcr von Lille (Gual'
terius ab Insulis). Unser Autor kennt ihn genau, dtirt um
öfter, theilt S. 42 — 45 sem grosses Gedicht» Äestuans tfi-
trinsecus (= Carmina burana p. 67-^71) ganz mit, und
berichtet von ihm, was kein Zeitgenosse weiss (S. 41): Fuü
his temparibus Primas canonicus Coloniensis^ magmts
truiannus (franz. truan^ engl, truant) et magnus trufaior d
maximus vereificator et vdox^ qui^ $i dedisset cor suum ad
diUgendum Deum^ magnus in litteratura divina fuisset et
utüis valde Ecclesiae Bei. Cujus Apocalypsim^ quam feee-
rat, vidi et alia scripta plura. Darauf folgen 6 seiner
Epigramme mit Angabe der Veranlassung, endlich das Ad'
stuans intrinsecus mit folgender Motivirung: Item hie ac-
cusatus fuit archi^nscopo suo de tribuSf sdlicet de opere
venereOy id est de luxuria^ et de ludo et de taibema. Et
eoccusavü se rithmice hoc modo. S. 357 erwähnt er noch
sein Gedicht De vita mundi und theilt überhaupt 131 Verse
von ihm mit.
Herr Plath trägt vor:
„Ueber Krause^s Unsterblichkeitslehre'^
Derselbe behält sich die Verfugung über die Abhand-
lung vor.
Der Classensecretär Herr M. J. Müller berichtet:
„Ueber mehrere Nummern des türkischen in
London erscheinenden Journals 'Mukhbir'",
die der Akademie von der Redaktion geschickt worden sind.
Bucfmer: BMung wm Sckwefdarsenik in den Leieken ete, 395
Mathematisch -physikalische Glasse.
Sitzung vom 9. November 1867.
Herr Ba ebner hält einen Vortrag: ^
„Ueber die Bildung von Schwefelarsenik in den
Leichen mit arseniger Säure Vergifteter."
Die Umwandlung der arsenigen Säure in gelbes Schwefel-
arsenik in faulenden Eingeweiden ist schon öfter als einmal
nachgewiesen worden.
Ich selbst habe eine solche Veränderung vor einigen
Jahren zufällig beobachtet, als ich Theile des Magens und
Darmkanales aus der Leiche eines Menschen, den man für
vergiftet hielt, nachdem dieselben zerschnitten und mit Koch-
salz gemengt waren, der zersetzenden Einwirkung concentrirter
Schwefelsäure unter Mithülfe der Wärme unterwarf, um etwa
vorhandene arsenige Säure in flüchtiges Chlorarsen überzu-
fuhren. Es fiel mir auf, dass während der Entwicklung des
Salzsäuren Gases sowohl in der Wölbung und im Halse der
Retorte y worin die Zersetzung vor sich gieng, als auch in
dem Recipienten, der das zur Absorption der salzsauren
Dämpfe nöthige Wasser enthielt, ein gelber Anflug zum Vor-
schein kam, welcher nichts anderes als feinzertheiltes Schwefel-
arsenik war. Das vorgeschlagene Wasser enthielt arsenige
Säure in nicht unbedeutender Menge.
Es ist mir nicht erinnerlich, dass die Schleimhaut dieser
untersuchten Eingeweide, welche trotz der Gegenwart von
Arsenik in starker Fäulniss begriffen waren, einen gelben
üeberzug hatte, allein es ist eine von mir und Anderen
39& SfiUuHSf der matK^Ji^. Oaase vom 9. Ntmembor 1867.
schon öfter beobachtete Thatsache, dass Schwefelarsenik
durch heisse concentrirte Salzsäure vermöge chemischer
Massenwirkung zersetzt und in Ghlorarsenik und Schwefel-
wasserstoff umgewandelt werden kann, dass hingegen die
beiden letzteren wieder Schwefelarsenik bilden, wenn, indem
sie sich gleichzeitig mit einem Ueberschuss von Salzsäure
verflüchtigen, der Dampf in kalte Luft oder in Wasser
gelangt, wodurch Salzsäure und Chlorarsenik stark verdünnt
und geschwächt werden. Jener gelbe Anflug musste auf
solche Weise entstanden sein; er rührte ohne Zweifel von
in den untersuchten Eingeweiden vorhandenem Schwefelarsenik
her, welches den zur Hervorrufung der erwähnten reciproken
Verwandtschaftsäusserung nöthigen Schwefelwasserstoff lieferte.
Durch den Ende Januars 1862 in Darmstadt öffentlich
verhandelten Process gegen Jacobi, welcher des Giftmordes,
begangen an seiner Frau, angeklagt war und dieses Ver-
brechens überwiesen zum Tode verurtheilt wurde, wurden
wir von einem weiteren Fall einer Verwandlung der arse-
nigen Säure in Schwefelarsenik unterrichtet. Frau Jacobi
starb im Monat August des Jahres 1861 in Folge einer
Vergiftung mit arseniger Säure, welche ihr, wie sich bei der
Untersuchung herausstellte, von ihrem Manne als Pulver
beigebracht worden war. Zwei Monate darauf, nämlich im
Oktober, nachdem der Verdacht einer Vergiftung rege ge-
worden, wurde die Leiche wieder ausgegraben, und bei der
vorgenommenen X)bduction und Section fand man in den
Eingeweidan eine gelbe Masse und namentlich auf der
Schleimhaut des Magenmundes einen gelben Ueberzug,
welcher bei der von Hrn. Obermedicinalrath Dr. Winckler
ausgeführten chemischen Untersuchung als Scbwefelarsenik
erkannt wurde. Uebrigens war die Umwandlung der arseoigen
Säure in Schwefelarsenik in dieser Leiche nur eine partielle,
wie die nähere Untersuchung dargethan hat.
Einen ebenfalls ganz sicheren Beweis der Umwandlung
Bueha^r: BOdmg von Sdiwefdarsenik in dm Leiekm 0$c. 391
der arseaigen Säure in Sohwefelarsenik in faulenden Ein-
geweiden lieferte mir ?or zwei Jahren die chemische Unter-
Buchung der Eingeweide der Bauersfrau M. T. von 6. Dieselbe
erkrankte nach kaum viermonatlicher Ehe plötzlich sehr heftig
und starb kurz darauf am 19. Juli 1864. Dass man damals
trotz der auffallenden Krankheitserscheinungen und des
schnellen Todes an keine Vergiftung dachte, ergibt sich
daraus, dass die Leiche unseccirt und ohne das geringste
Hindorniss nach zwei Tagen beerdigt wurde. Erst einige
Monate später wurde das Qerücht, dass M. T. durch ihren
Ehemann vergiftet worden sei, so laut, dass gegen diesen
die gerichtliche Untersuchung eingeleitet werden musste.
Die Exhumation der Leiche fand am 12. Juni 1865, also
47 Wochen nach der Beerdigung statt. Das ober dem Sarge
befindliche Erdreich war sehr trocken und steinig und der
fichteneSarg, obwohl er nur 3^« ^uss tief mit Erde bedeckt
war, noch vollkommen gut erhalten.
Aus dem SectionsprotokoUe entnehmen wir, dass das'
Gesicht -der Leiche mumienartig geschwärzt und eingetrocknet
war, ebenso die oberen Extremitäten in ihren Fleischtheilen;
die Glieder der Finger waren nur mehr in einem lockeren
Verbände. An der Brust sowie an der vorderen Bauchdecke
zeigte sich die Oberhaut gleichfalls schwärzlich, während das
darunter liegende Fettgebilde noch ziemlich gut erhalten
war« Auch die Haare am Kopfe und an den Genitalien so-
wie die Nägel an den Zehen und Fiogem waren noch gut
erhalten.
Aus der Brust- und Unterleibshöhle quoll bei der
Eröffnung ein höcht übelriechender Dunst heraus; die
Mosculatur an der vorderen Brustwand sowie an der Bauch-
decke bot noch eine gut kennbare Röthe dar und in den
Achselhöhlen sowie in den beiden Leisteogegenden und in
den noch ziemlich gut erhaltenen Kleidungsstücken hatte sich
bereits viel Ungeziefer eingenistet.
398 SHmmg der vuUh.'phys. Cla$9e vom 9. Navember 1867.
Als Grund der noch ziemlich guten Gonservirong der
Leiche gibt der Sectionsbericht ausdrüdclich das trockene
sandige Erdreich und die hohe Lage des Leichenackers an.
Die mir zur chemischen Untersuchung übersohidd^n
Eingeweide dieser Leiche fand ich sehr weich , faulig und
trotzdem, dass sie der Vorschrift gemäss mit Weingeist über-
gössen waren, im hohen Grade übelriechend. Beim Oeffnen
der unterbundenen Speiseröhre war nichts Besonderes za
beobachten, aber beim Aufischneiden des unterbundenen leeren
Magens und Dünndarmes und Besichtigen der inneren Fläche
fiel es mir im hohen Grade auf, dass ein grosser Theil der
blass und wenig geröthet aussehenden Schleimhaut, beim
Magen besonders gegen das Duodenum zu, mit einer lebhaft
gelben Schicht eines zarten Pulvers bedeckt war, was sich
mit Wasser theilweise von der Schleimhaut wegspülen liess.
Gegen den unteren Theil der Schleimhaut und auf der
Mucosa des Dickdarmes konnte gar nichts davon bemerkt
werden.
Es bedurfte nur weniger Versuche, um über die Natur
dieses gelben Ueberzuges ins Reine zu kommen. Das weg-
gespülte Pulver löste sich in Ammoniak ; die ammoniakalisdie
Lösung hinterliess beim Verdampfen in einem Sdiälchen gelbe
Ringe; beim Ansäuern dieser Lösung entstand ein gelbe
Trübung. Beim Erhitzen in einer Glasröhre verflüchtigte sich
das Pulver vollkommen ; es bildete sidi oberhalb der erhitzten
Stelle ein rothbraunes Sublimat, welches während des Er-
kaltens blassgelb wurde. Als der Dampf in einer zu einer
Spitze ausgezogenen Röhre über glühende Kohlensplitterchen,
welche mit Soda imprägnirt waren, geleitet wurde, legte
sich im weiteren Theile der Röhre ein Spiegel von metall-
ischem Arsenik an.
Diese Erscheinungen bewiesen hinlänglich, dass der gelbe
Ueberzug auf der Schleimhaut aus Dreifach-Schwefelarsenik
bestand. Es war nun die Frage zu erörtern, ob diese
Buchmer: BMung von Mmefetanmik m eleu Leiern He. 399
Verbindung als schon gebfldet in den Magen und Darmkanal
der M. T. gelangt sei, d. h. ob die Verstorbene Schwefel«
arsenik bekommen habe, oder ob sie mit arseniger Säure
yeiiliftet worden sei, welches dann erst in den genannten
Eingeweiden durch den während der Fäulniss entwickelten
Schwefelwasserstoff in Schwefelarsenik umgewandelt wurde?
Diese Frage war leicht mit Hülfe folgender Thatsachen
zu beantworten:
Das auf der Schleimhaut li^ende gelbe Pulver zeigte
ganz das Aussehen und die Feinheit des aus einer Lösung
der arsenigen Säure durch Schwefelwasserstoff präcipirten
Schwefelarseniks. Hätte M. T. gepulvertes Auripigment be-
kommen, so wäre dasselbe jedenfalls nicht so fein gewesen
wie das hier vorgefundene Pulver.
Als ein Theil des Magens und Dnnndaimes in einer
Betorte mit Salzsäure gekocht worden war, fand sich in
dem vorgeschlagenen Wasser^ in welches man die salzsauren
Dämpfe leitete, so viel arsenige Säure, dass Schwefelwasser-
stoff sogleich eine starke gelbe Trübung darin hervorbrachte.
Diese vräre gewiss nicht der Fall gewesen, wenn diese Ein-
geweide das Arsenik nur als Schwefelarsenik und nicht auch
als arsenige Säure enthalten hätten. Schwefelarsenik wird,
wie schon vorhin erwähnt, durch heisse concentrirte Salzsäure
wohl auch zersetzt und in Ghlorarsenik übergeführt, aber
doch nur in geringer Menge, jedenfalls nicht der verhältniss-
mässig grossen Quantität Ghlorarsenik entsprechend, das sich
mit den salzsauren Dämpfen entwickelte und durch das vor-
geschlagene Wasser wieder zu arseniger Säure wurde. Dass
auch hier wieder eine theilweise Zersetzung des in diesen
Eingeweiden enthaltenen Schwefelarseniks stattfand, eiigab
sich daraus, dass besonders gegen das Ende der Einwirkung
Wölbung und Hals der Retorte sich aus der schon angegebenen
Ursache mit einem gelben Anfluge bedeckten und auch das
400 aUam§ dir meak-j^^i. GiMi* vom B. Mmmdrer 1B€7.
die aäksaur6D Dämpfe aufaehmemde Wasser durdi die auf-
tretenden Spuren Schwefelwaseerstoff gelblich getrübt wurde.
Beines Sohwefelarsenik wird wegen seiner Unlöslidikttt
in Wasser uad schwach sauren Flüssigkeiten yom Magen
und Darmkanal aus nicht oder kaum absorbirt und in das
Bluit übergeführt. Hätte M. T. Schwefelarsen bekommaii, so
wären in deren Leber und Milz kaum' mehr als Spur^i von
Arsenik übergegangen. Allein diese Organe enthielten, wie
die chemische Untersuchung bewies, ebenfalls eine verhält-
mssmässig grosse Menge Arsenik, woraus geschlossen werden
muss, dass dieses als arsenige Säure in die genannten Eüi«
geweide gelangt ist
Aber den sichersten Beweis, dass in in den untersuchten
Eingeweiden noch arsenige Säure vorhanden war, lieferte
der dialytische Versuch. Klein zerschnittene Theile des Magens
und Dünndarmes mit Wasser« welches nur schwach mit Salz*
aäure angesäuert war, in den Dialysator gebracht, gaben
binnen 24 Stunden an das vorgeschlagene Wasser so viel
arsenige Säure ab, dass Schwefelwasserstoff darin eine deut-
liche gelbe Trübung hervprbrachte. Diess wäre gewiss nicht
der Fall gewesen, wenn die Eingeweide bloss Schwefelarsenik
enthalten hätten, denn dieses wird, wie wäionk erwähnt, durch
schwach angesäuertes Wasser bei gewöhnlicher Temperatur
kaum zersetzt uad aufgelöst.
Aus allen diesen Beobachtungen sowie aus den dem
Tode vorausgegangenen Erscheinungen muss mit Qewissheit
geschlossen werden, dass die Bauersfrau M. T. an den Folgen
einer Vergiftung mit arseniger Säure gestorben und dass das
im Magen und Dünndarm der nach fast eilfmonatlicher Be*
erdigung wieder ausgegrabenen Leiche vorgefundene Schwefel*
arsenik das Produkt der Einwirkung des während der
Fäulmss entwickelten Schwefelwasserstoffes auf die arsenige
Säure ist.
BuOmerz BfUkmg von ßehwefdanmSt in dm LMhm ttc. 401
Die BfldQDg yon Schwefelarsenik in den Leichen von
mit arseniger Säure Vergifteten ist der sicherste Beweis, dass
die arsenige Säure in der Menge, in welcher sie bei damit
bewirkten Vergiftungen gewöhnlich in den Leichen bleibt,
die Fäulniss derselben nicht zu verhindern im Stande ist.
Idi werde meine Erfahrungen fiber diesen Gegenstand sowie
über die sogenannte Mumification solcher Leichen später aas-
fiihiiioh mittheilen; vorläufig sei nur erwähnt, dass der Ver-
lauf der Fäulniss und überhaupt der Zersetzung von Ldchen,
irelche Arsenik entiialten, und von solchen, die frei davon
«nd, vorausgeeetzt , dass sie sieh qnter sonst gleichen Um-
ständen befinden, ganz derselbe ist.
Aber es bleibt noch die Frage zu lösen übrig, warum
man die Umwandlung der arsenigen Säure in Schwefelarsenik
in CMilenden Eingeweiden bisher nicht häufiger wahrgenommen
hat? loh habe sie, wie schon erwähnt, nur zweimal beob-
achtet trotz meiner zahlreidien Untersuchungen arsenhaltiger
Eingeweide, weldie aus den Leichen in den verschiedensten
Stadien der Zersetzung, vom zweiten Tage nach dem Tode
bis zum fünften Jahre nach der Beerdigung, genommen
▼Orden waren.
Beiläufig will ich nodi erwähnen, dass der Bauer T.,
des Giftmordes, begangen an seiner Frau, angeklagt, in der
öffentlichen Verhandlung vor dem Schwurgerichtshofe zu
Straubing dieser That für schuldig befanden und zum Tode
verurtheilt wurde.
402 8itMung der maih.'phys, Chsae vom 9, November 1867.
Herr C. Voit spricht:
„üeber die Fettbildung im Thierkörper."
Ehe man mit den Umwandlungen der organischen Sub-
stanzen näher bekannt war, meinte man, das am Thierkörper
aufgespeicherte Fett könnte nur aus dem Fett der Nahrung
hervorgehen; man musste sich aber bald überzeugen, dass
das in der Nahrung eingeführte Fett in vielen Fallen nidit
hinreicht, um das bei der Mästung von Schweinen angesetzte,
oder das in der Milch von guten Milchkühen abgeschiedene,
oder von Bienen im Wachs producirte Fett zu liefern. Es
war nicht zu verkennen, wie unter dem Einflüsse von Kohle-
hydraten die Thiere Fett ansetzen, und man wurde um so
mehr auf die Möglichkeit der Erzeugung von Fett aus Kohle-
hydraten hingewiesen, als unter den Zersetzungsprodukten
der Kohlenhydrate niedere Fettsäure^ gefunden wurden.
Allerdings dachte man auch an die Bildung von Fett aus
eiweissartigen Substanzen; man hatte allerlei Erfahrungen
gesammelt, die einen solchen Vorgang wahrscheinlich machten,
so z. B. die Entstehung des Leichenwachses, das Auftreten
von Fettsäuren bei der Zerstörung des Eiweisses, die fettige
Degeneration eiweisshaltiger Organe , die Umwandlung - von
in die Bauchhöhle %pn Thieren eingebrachten, an Eiweiss
reichen Organen in eine Fettmasse etc. Aber diese Be-
obachtungen waren zum Theil nicht beweisend, zum Thefl
zweifelte man, ob aus Eiweiss hinreichend Fett entstehen
könne, um die beobachtete Fettbildung zu decken; nament-
lich dachte man sich bei Pflanzenfressern den Eiweissumsatz
wegen des geringen procentigen Stickstoffgehaltes des Futters
für viel zu gering zur Hervorbringung einer grösseren Fett-
menge. Die Sachlage stand so, dass man den Uebergang von
Eiwebs in Fett fiir sehr wahrscheinlich, aber für unzureichend
VaU: FeUbüdmig im Thierhörper. 403
hielt, and dass man die Umwandlung von Kohlehydraten in
Fett zwar nicht für bewiesen, jedoch für äusserst wahr-
scheinlich erachtete.
Nach den von Pettenkofer und mir am fleischfressen-
den Hnnde gemachten Versuchen konnte der Körper auf
Kosten von reinem Eiweiss fetter werden, denn bei Fütterung
grosser Fleischmengen erschien sämmtlicher Stickstoff der
Einnahmen in den Ezcreten, während yom Kohlenstoff
beträchtliche Mengen nicht zum Vorschein kamen; bei Dar-
reichung Yon Fett speicherte sich ein Theil desselben auf,
während bei Darreichung von Stärke allein oder mit Fleisch
ein Ansatz von Fett nicht zu constatiren war. Wir hielten
es nach unsern damaligen Untersuchungen fiir wahr-
scheinlich, dass jeder Aasatz von Fett beim Fleischfresser
nur durch Fett möglich ist, entweder aus dem in der Nahrung
aufgenommenen Fett, oder aus dem bei der Zersetzung yon
£iweis8 im Organismus neu entstandenen.
Eine Reihe von Erfahrungen hielt mich ab, eine prinzi-
pielle Verschiedenheit in den Umsetzungsmöglichkeiten eines
fleisch- und pflanzenfressenden Körpeirs anzunehmen, ich
erblickte hierin vorzüglich nur quantitative Aenderungen,
veranlasst durch den verschiedenen Bau des Darmes und
die ungleich zusammengesetzte Nahrung; ich wusste ferner,
dass Pflanzenfresser mit eiweissarmer Nahrung sich nicht
mästen lassen und ich kannte den gegenüber den gewöhn-
lichen Vorstellungen höchst bedeutenden täglichen Eiweiss-
Umsatz dieser Thiere. Diese Gründe bewogen mich in
einem bei der in München im Jahre 1865 tagenden Ver-
sammlung deutscher Agriculturchemiker gehaltenen Vortrage
es nicht für undenkbar zu erklären, dass auch beim Pflanzen-
fresser die Kohlehydrate nichl in Fett übergehen, sondern
nur das aus dem Eiweiss abgespaltene oder als solches ein-
geführte Fett vor der Verbrennung schützen und so einen
Fettansatz ermöglichen. Damals schlug Herr von Liebig
404 BiUung der math.-phys. Clane wm 9, N<H9ember 1867.
ein experimentum craois ?or und empfahl Versuche an
Milchkühen zur Entscheidung der Frage, ob die eiweisa-
artigen Stoffe und das Fett der Milch durch das Eliweiss
und den meist geringen Fettgehalt der Nahrung gedeckt
werden.
Ich hatte mir damals vorgenommen, die gestellte Frage
zu beantworten. Zunächst machte ich Versuche an einer Hündin
bei verschiedener Nahrung; das Ergebniss derselben war, dass
hier unter allen Umständen das Fett und der Milchzucker der
Milch durch das aus dem Stickstoff des Harns gerechnete
zerstörte Eiweiss gehefert werden könne; der Fett* und Milch-
zuckergehalt der Milch bei Fütterung mit viel reinem Fleisch
war grösser als bei Fütterung mit Fleisch und Kohlehydraten.
Aehnliohe Uesultat^ haben schon Ssubotiu und Kemme-
rieh bei der Untersuchung säugender Hündinnen erhalten.
Ich musste mich aber eutschliesseu , den Versuch an einer
Milchkuh zu machen. Da mir meine Mittel die Anschaffung
einer solchen nicht gestatteten, so wandte ich mich im vorigen
Jahre an die Vorstände der hiesigen Veterinärschule, die
mir mit der grössten Bereitwilligkeit eine ihrer besten Race-
kühe zur Verfügung stellten. Ich liess die Menge der Mildi
und des entleerten Harns während 6 Tagen bestimmen, aber
es setzten sich dem genauen Aufsammeln des Harns so
grosse Schwierigkeiten entgegen, dass höchstens die Angaben
der 4 ersten Tage auf einige Genauigkeit Anspruch machen
konnten. Das im Körper zersetzte Eiweiss konnte den Fett-
gehalt der Milch bis auf 18^/o hefern; rechnete ich auch
das nach einem Ueberschlag im Futter schon enthaltene
Fett hinzu, so war es im höchsten Grade wahrscheinlich,
4a8S weder jfur das Fett noch für den Milchzucker der Milch
die Kohlehydrate der Nahrung einen Beitrag zu liefern
brauchen. Es war mir lange nicht möglich, den Vei^uch mit
aUen Vorsichtsmassregeln zu wiederholen ; vor einigen Wodien
Vtrit: FeHbikhmg im Thicriörper. 405
Sberliess mir einer unserer besten Mitbürger, Herr Fabrikant
Riemerschmidt, mit gewohnter Opferwilligkeit seine Milch-
knh zat AusfShrung des Versachs und meine Assistenten und
Schüler, die Herren E.Bisohoff, Fr. Hof mann, X. Petten-
kofer und P. Aichberger unterzogen sich, in Erforschung der
Wahrheit beschwerliche Arbeit nicht achtend, der Aufgabe
6 Tage und Nächte bei dem Thiere zu wachen, um sämmtüchen
Harn und Eotii aufzufangen. Das Experiment ist auf diese
Weise vollkommen gegluckt, und ich kann das Resultat des-
selben als sicher hinstellen.
Die Kuh verzehrte in den 6 Tagen im Mehl und Heu
1407 Grm. Stickstoff; im Harn, dem Koth und der Milch
wurden dagegen 1440 Grm. entleert, d. h. der Stickstoff
der Einnahmen und Ausgaben stimmt auf 2^/o überein,
das Thier befand sich also im Stickstoffgleichgewicht.
In 80.6 Kilo Heu und 14.7 Kilo Mehl waren 2663 Grm.
Fett, in 178 Kilo Koth befanden sich 1044 Grm., es wurden
also 1619 Grm. Fett in die Säftemasse aufgenommen. In
130.7 Kilo Harn waren 562.4 Grm. Stickstoff ; berechnet man
letztere auf Eiweiss nnd zieht den Kohlenstoffgehalt einer
dem Stickstoff entsprechenden Harnstoffmenge ab, so erhält
man daraus den Kohlenstoff von 2220 Grm. Fett oder nach
Abzug von 4.5> Kohlenstoff, welche den nach der Abtrennung
des Harnstoffes Tom Eiweiss überschüssigen Sauerstoff
binden, 2120 Grm. Fett. Die 57.3 Kilo Milch enthielten aber
1877 Grm. eiweissartige Substanz, 1976 Grm. Fett und
3177 Grm. Milchzucker. Das im Körper zersetzte Eiweiss
kann also 144 Grm. Fett mehr erzeugen, als in der
Milch sich fanden; der Kohlenstoff des Milchzuckers entspricht
1670 Gim. Fett, während vom Eiweiss 144 Grm. und von
dem Fett der Nahrung 1619 Grm. = 1763 Grm. zur Ver-
fugung stehen. Man braucht somit weder für das Fett, noch
für den Milchzucker in der Milch die Kohlehydrate in Anspruch
zu nehmen und es ist dadurch im höchsten Grade wahrscheinlich,
[1867. IL 3.] 27
406 SUmng der math-phya, CUuße vom 9, November 1867.
dass auch beim PflaozeiifreBser die Kohlehydrate nicht das
Material für die Fettbildaag abgeben , sondern nur dieselbe
ermöglichen, indem sie statt des Fettes verbrennen. Bei dem
grossen SauerstoSreichtham der Kohlehydrate müsste zur
Erzeugung von Fett eine grosse Menge Sauerstoff austieten
oder, da ein solcher Vorgang nicht wahrscheinlich ist, ein
beträchtlicher Theil Kohlenstoff mit dem Sauerstoff sich zu
Kohlensäure vereinigen, so dass nur ein kleiner Theil des
Kohlenstoffs zum Uebergang in Fett übrig bliebe; bei der
Bildung von Fett aus Eiweiss braucht nur V> ^ ^^ Sauer-
stoff auszutreten.
Die Struktur der kleinsten Theile einer Milchdrüse zeigt
uns auch, dass es sich hier um eine Werkstätte zur Zersetzung
von Stoffen handelt und nicht um ein einfadies Filtrations-
organ. Es findet sich dort vorzäglich eine fettige Degenera-
tion eiweissartiger Substanz und vielleicht, wie ich es auch
für die Leber annehme, ein Uebergang von Fett in Zucker.
Sobald eine Milchkuh Fett und Fleisch am Körper ansetzt,
nimmt die Milchabsonderung ab. Eine gute Milchkuh muss
in ihrem Darm viel Eiweiss, Fett und Kohlehydrate aufnehmen
können und bei möglichst geringer Sauerstofiauinahme wenig
davon verbrennen, sie muss aber auch eine entwickelte Milch-
drüse haben, um aus dem grossen Vorrath von Material die
Bestandtheile der Milch abzuscheiden , und theilweise zu be-
reiten. Ich glaube, dass ein grosser Theil des Eiweisses in
der Drüse selbst zerset;st.wird. Die ausführliche Mktheilnng
der Ergebnisse des Versuchs werde ich demnächst in der
Zeitschrift für Biologie geb^.
^Umg d0f matih.-phy$, Qoiae vom 9. November 1867. 407
Herr Moritz Wagner macht unter Vorzeigung ver-
schiedener Fundstücke einige Mittheilungen
„Deber die Entdeckung von Spuren des
Menschen in den neogenen Tertiärschichten
von Mittelfrankreich'^
Ein umfassender Vortrag dai-über wird von ihm nach-
trägb'ch gehalten werden.
Herr Seidel macht Mittheilung:
,,Ueber eine Darstellung des Kreisbogens,
des Logarithmus und des elliptischen In-
tegrales erster Art mittelst unendlicher
Produkte^
in welchen die unendliche Vieldeutigkeit der genannton
Funktionen durch algebraische Vieldeutigkeiten wiederge-
geben ist.
27*
408 Sitewng der hittor. dasie wm 9. November 18^,
1
Historische Glasse.
Sitzung vom 9. November 1867.
Herr Rockinger gab Erörterungen
„Zur näheren Bestimmung der Zeit der Ab-
fassung des sogenannten Schwabenspiegels".
Wenn wir für heute die weitere Mittheilung der Unter-
suchungen-über die hiesigea. Handschriften des sogenannten
Schwabenspiegels und ihre Gruppirung unterbrechen, so ge-
schieht dieses in Berücksichtigung eines Wunsches geehrter
Freunde, welche die Veröflfentlichung eines für die Frage
nach der Zeit der Abfassung unseres Kechtsbuches
nicht unwichtigen Ergebnisses nicht länger hinausgeschoben
sehen wollten.
Es enthält 'bämlich eine der Handschriften welche der
Gruppe des vom Herrn von Berger seiner Ausgabe vom
Jahre 1726 zu Grunde gelegten Codex des Reichsgrafen von
Wurmbrandt angehören Randbemerkungen aus zwei
anderen Handschriften des sogenannten Schwaben-
spiogels, wovon die eine besondere Beachtung für die an-
gedeutete Frage in Anspruch nimmt.
L
Die Handschrift selbst um welche es zunächst sich
handelt ist gegenwärtig im Besitze unseres geehrten
Gollegen Föringer, welcher selbe am 25. April 1833 von
dem seither verstorbenen Hofrathe Hoheneicher käuflich an
Bockinger: Zur Jibfammg$Meit des Schwabempiegi^, 409
sioh gebracht und uns seinerzeit zur VervoUständigang uaserer
Forschangen aber die hiesigen Handschriften des soge-
nannten Schwabenspiegels und ihre Gruppirung in zuvorkom-
mendster Weise überlassen hat, in einer Güte wofür wir
ihm in gegenwärtiger Untersuchung den sprechenden Be-
weis unseres Dankes zu liefern nicht verfehlen. •
Nicht durch hohes Alter zieht diese Handschrift an.
Auch nicht durch die Anlehnung an eine der hervorragenden
Gestalten unseres Bechtsbuches, indem sie — wie schon
bemerkt — nur zur Gruppe des v. wurmbrandt'schen Codex
zählt Auch nicht durch besondere Güte des in dieser Form
vertretenen Textes. Die Randbemerkungen tlagegen welche
ihr aus zwei anderen Handschriften, und vorzugsweise jene
welche ihr aus einem alten Pergamentcodez des sogenannten
Schwabenspiegels angefügt sidd, sie verleihen ihr einen
Werth ganz besonderer Art.
Was ihre äussere Beschaffenheit anlangt, ist sie
auf sechzehn je unten auf der zweiten Seite des letzten
Blattes mit der entsprechenden Zahl bezeichneten Sexternen
in Folio auf Papier einspaltig — mit Ausnahme des in zwei
Spalten geschriebenen Inhaltsverzeichnisses — von einer nicht
sonderlich schönen Hand der zweiten Hälfte oder wohl eher
des letzten Viertels des 15. Jahrhunderts gefertigt, und in
helles aussen schön geglättetes Schweinsleder in der Weise
gebunden dasa über ihren Bücken ein mit dunkelbraunem
Leder überzogenes Holzblatt befestigt ist, welches gegen
oben und unten ein Lederknöpfchen zeigt, während das
Schweinsleder der hinteren Seite noch zum Umschlage über
jenes der vorderen bis in die Mitte reicht und gegen oben
wie unten mit fein gedrehten Spagatschnürchen — von deren
oberem die En^n schon längere Zeit abgerissen zu sein
scheinen — behufs besseren Verschlusses ohne Zweifel zum
Einhängen in die beiden Lederknöpfchen am Bücken ver-
sehen ist. Der erste der genannten Sexteme war Ursprung-
410 SiUung der hisior, Gasse wm 9. November 1867.
lieh weder foliirt noch paginirt, während yom zweiten an
bis einschliesslich dem dritten Blatte des sechzehnten die
Seitenzählang 1—350 angebracht war. Jetzt ist sie von der
Hand des gegenwärtigen Besitzers foliirt.
Ihren Inhalt bildet zunächst ein Verzeichniss der
Kapital des Baches der Könige alter £ wie des
Land- und Lehenrechtes des sogenannten Schwaben-
Spiegels, dann diese drei Stücke, in folgender Weise.
Nachdem auf der ersten Seite des ersten anfanglich
leeren Blattes la der Titel des ganzen Werkes als „Kaiser
Karls dess Grossen Landtgerichts Buech dess Landesa zu
Schwaben'^ sich eingetragen findet, beginnt aufFol. 1 b Sp. 1
bis Fol. 6 Sp. 2 das Verzeichniss der Kapitel der drei vor-
hin bezeichneten Bestandtheile, und zwar sind den Kapiteh
des Land- und Lehenrechtte des sogenannten Schwaben-
spiegels die je entsprechenden Seiten des nachfolgenden
Textes beigeschrieben.
Auf Seite 1 der alten und Fol. 8 der neuen Bezeichnung
beginnt das Buch der Könige alter E in dem üm&nge wie
es uns die Ausgabe Massmann's in des Herrn ▼. Daniels
Rechtsdenkmälem des deutschen Mittelalters III. Sp. XXXiU
bis GXXn zugänglich gemacht hat, und reicht bis S. 98
beziehungsweise Fol. S6^
Nachdem das nächste Blatt , ursprüngUch mit S. 99
und aus Ueberzählung 101 bezeichnet, leer gelassen worden,
beginnt mit S. 102 beziehungsweise Fol. 58 ohne besondere
Ueberschrift das Landrecht des sogenannten Schwaben-
spiegels bis S. 284 beziehungsweise Fol. 148', woran sich
ohne Unterbrechung der Seite sogleich „kayser Karls lehen
recht puch'' bis S. 349 beziehungsweise Fol. 181 anreiht.
Den Schluss dieser Seite und die fqjgende iiillt eine
Anzahl von kurzen Rechtssätzen , wie über ehehafte Noth
und anderes, unter dem Rubrum : Secuntur articuly generales.
Beim Lehenrechte ist der Haupttitel, und bei all den
Boekinger: Zur AhfasrnrngsMeit de$ SchwahenspiegdB. 411
genannten Bestandtheflen sind die Ueberschriften der Kapitel
roth eingetragen. Beim Bnche der Könige alter E finden
sidi überdiess je am Anfange der Kapitel rothe Initialen,
welche von da ab auslassen, so dass sie für das Landrecht
des sogenannten Sohwabenspiegels zum grossen Theile gänz-
lich fehlen, während sich gegen den Schlass des Lehen-
redites die betreffenden Anfangsbudistaben schwarz einge-
zeichnet finden.
Was des genatieren insbesondere über das Land- und
Lehenrecht unseres Rechtsbuches zu. bemerken ist, behalten
wir uns für die seinerzeitige Besprechung yon fünf weiteren
hiesigen Handschriften, welche zu dieser Gruppe ge-
hören, vor.
Theils an den ?om Texte der genannten Bestandtheile
nicht ausgefüllten Blättern wie theilweise an dem Rande
des Textes selbst begegnen nun noch von einer gewand-
ten Hand des Anfanges des 17. Jahrhunderts ver-
schiedenartige Bemerkungen, von Anfang an zahl-
reicher, weiter gegen die Mitte oder gar das Ende zu
sparsamer.
Die einen bilden Verweisungen auf das sächsische
Landrecht nach einer der bis dahin erschienenen
Ausgaben ZobeTs, welche^) jener Schreiber sich aus irgend
1) Wir lassen sie hier in ihrem Zasammenhange folgen.
Auf foL 59 ist zu den Worten der Vorrede „dar umb so liesz
er zway swert'* n. s. w. bis zu den Worten „vnd ander wemtlich
forsten betwingen mit der acht" an den Rand bemerkt:
Conoordat Artic. 1. Landrecht.
Was hiebei insbesondere den Sats „das swert des wemtlichen
rechtens das leichet der pabst dem kayser" anlangt, finden wir an
den Band beigesohrieben:
Haec non habentur in articnlo.
Auf foL 59' begegnet mis weiter va den Worten der Vorrede (in
der durch Freiherrn v. Lassberg besorgten Druckansgabe Absatz g)
412 SitJBung der hittor, Cla8$e vom 9. Nmmber 1867.
welchem Grunde beigezeidmet hat Die anderen bieten
eine Vergleichung einer einem nicht näher gekenn-
,,yiid sol ain yeglich Christen mensch^* bU zu den Worten ,yda er
gutt jnne hatt'^ die Bemerkaiig :
Goncordat Landrecht art. 2. Tide ibi latius.
Sodann ist zn Artikel 1 = L Vorwort h an den Rand bei-
gefugt:
Im Landrecht art. 2 werden sie genannt Schöppenbare freyen
seu Banniti; Pfleghafften sen Proprietarij ; Landsessen oder lassen,
Pagani.
Auf fol. 60 za Artikel 3 = L. 2 bis zu den Worten „ob der
sibende herschilt leben muge gehaben oder nicht, den sibenden her*
schilt hat ain yeglich man der nicht aigen ist vnd der ain ee kind
ist'^ finden wir die Bemerkung:
Goncordat Landrecht art 3*
Insbesondere zu dem Satze dass die Laienfursteu den dritten
Heerschild heben ist noch an den Rand beigefügt:
Nota im Landtrecht stehet dabey: seit sy der Bischoff Mann
worden sind.
Zu Art. 4 = L 8 ist bemerkt:
Goncordat Landrecht art. 3.
Auf fol. 61 ist zu Artikel 5 = L 4 beigesetzt:
Goncordat Landrecht art. 5.
Auf fol. 61' finden wir zu den Worten des Artikels 6 = L 5a
ffgeswistergeit taylent nicht mit jm ohain varendee gutt wie vU er
gult haben suUe'^ an den Rand bemerkt:
Goncordat Landrecht art. 6.
Sogleich zu den Anfangsworten der gegen den Scblnts dieses
Artikels gegen L 5 a weiteren Fassung ,,Der pfaffe erbet aigen mit
anderen seynen geswistergeitten, ynd dy leben nicht, da von ist
das ainem yeglich man der leben hat des heren man haieset der jm
das leben leihett. vnd wan all p&ffen frey sind, da von siülent sy
auch dy erben nicht erben'^ ist an den Rand beigesohiieben:
Landrecht ibidem.
Zu Artikel 7 = L 5b ist an den äusswen Rand bemerkt:
Goncordat Landrecht art. 5 et art. 6;
und zu den Worten «^als erb gutt** an den inneren:
es sey denn leben.
Bot^tinger: Zm ÄhfiuemigBgeit des Sehufäbwapkgeb. 413
zeiohneten Gabriel Mair gehörigen Handschrift des
sogenannten Schwabenspicgels. Wieder andere endlich
sind uns als Nachrichten über eine alte Pergament-
bändschrift desselben ungemein willkommen.
8ie sind es denn, mit welchen wir allein fortan uns
beschäftigen wollen.
II.
Der zunächst vor allem wichtige Eintrag findet
sich auf dem früher leeren Blatte zwischen dem Inhaltsverzeich-
nisse der Handschrift und dem Beginne des Buches der Könige,
nunmehr Fol. 7, in deutscher Schrift, wälirend die Anführ-
ungen aus dea* alten Pergamenthandschrift mit lateinischen
Budistaben gegeben sind, und lautet in seinem Zusammen-
hange:
Nota bene. Jn einem alten^ pergamen buch darein
Zn den Worten ^^Belb sibent" daselbst ist beigeschrieben:
Nota. Jus Saxonicnm requirit 72 Bannitos testes oder Scböp-
penware leute. ibidem.
Auf fol. 62 zn dem Artikel 8 = L 5c ist bemerkt:
Goncordat Landreobt art. 6.
Auf fol. 62' za Artikel 12 = L 10 steht am Rande:
Conoordat Landredit art. 6 lib. 1. '
Sodann za Artikel 13 = L 11 b und c von den Worten „oder
an dem franpotten" an:
Goncordat Landrecht art. 8 lib. 1.
Anf fol. 64' zu Artikel 19 = L17 zu den Worten „Swäbischew
recht zwayent sieb nicbte zw Sachsen wan an erb zw nemen vnd an
yrtail zw geben'* ist am Rande bemerkt:
Goncordat Landrecht art 19 lib. 1.
Zn Artikel 20 == L 18 bis zu den Worten ,^y sol es aber von
erste den erben an pietten zw losen nach erbar lewt rat'* finden
wir am Rande:
Goncordat Landrecht art. 20 lib. 1.
Alda stehet: Ein ieglich Mann der Ritters arth ist;
414 BUmmg der hi9^. ClasH wm 9. November 16€7.
volgend rechtbnch gantz schön vnd sauber geschriben
worden, welches mir herr Nicomad Schwäbl den
7. febrnar 1609 za ersehen commanidrt, sonst herrn
A gehörig, darinn auch herrn Vrban Trinkhls etwo
dess raths vnd cammerers alhie wappen im an&ng za
sehen, stehen vomher volgende wordt:
Diss per^amene recht pnech hab ich Hein-
rich der Preckendorffer, zue dem Prek-
hendorff vnd Erebliz doheim, mit mir
auss Schweyttz gebracht.
Schankht vnd vererdt mir ein ritter vnd
bnrger anss Zürikh als ich der zeyt bey
graff Rudolf f vonHabspnrg mit vier heim
edler knecht gewesen, vnd er damals sambt
andern rittern vnd knechten auss Zürich
meinem hern dem graffen zu hilff ge-
schikht ward, der dan disser zeit wider
di hern von Regensperg den bischoff von
Bassel vnd zwayen grafen von Toggenburg
krieg gefürth hat
Vnd bin anno 1264 zu graff Rudolff von
Habspurg komen, vnd anno 1268 vff zu-
schreiben meines prueder Georgen dem
Prekhendorffer abgezogen, laut meines
schrifftlichen redlichen vnd gnedigen ab-
schidt, wie auch in meinem raysbuech
verzaichnet
Auff der andern Seiten diss blats ist obermelter
Prekhendorffer abgemahlt zu sehen, in gantzem kiriss
kniendt vor einem gemaltem crucifiz, mit aufgerekhteu
henden, blossem grauen haubt vnd bardt, sein heim
auf der erden ligent, g^en vber volgendes wappen:
Soekmger: Zur Abfassungsteii de$ Schwahempiegels. 415
unter der figur vnd wappen stunden volgende reimb:
Ein edelkhnecht ynd krieger ich XXXI jar war
in V schlachten gnanden, schirm Scharmützeln
one zal,
dorin mich gott liebt vnd Hess genesen.
Achtet besser, ich wer auch todt gewesen,
dan vil bluts ich mein tag tett vergiessen.
Trag sorg, mein kinder Werdens lützel ge-
niessen.
Doch der barmhertz gottz ich vertrau,
vnd allein auf gott durch Christum bau.
Fünff sprachen auss meinem mund ich reden
khunt,
Wie man solchs in meinem raysbuch finden
thuet.
Was haben wir hieraus zu entnehmen? Dem Besitzer
der jetzt unserem verehrten Collegen Föringer an-
416 BHsung der higtor, Gasse wm 9. Nawmher 1867.
gehörenden Handschrift, welche wir fortan als die Hand-
schrift F bezeichnen wollen, gewährte am 7, Februar 1609
ein Herr Nicomed Seh wähl die Einsicht einer dem Hein-
rich dem Preckendorfer von einem Ritter und Bürger
aus Zürich zwischen den Jahren 1264 bis 1268 ge-
schenkten und Yon ihm aus der Schweiz mitgebrachten Per-
gamenthandschrift des sogenannten Schwabenspie-
gels, für den weiteren Verlauf unserer Erörterung als Hand-
schrift P getauft, in welcher sich das Wappen eines Kam-
merers und Mitgliedes des inneren Stadtrathes Urban Trinkl
fand, und welche einem Herrn A gehörte.
Fragen wir zunächst nach dem erwähnten Heinrich
dem Präckendorfer oder Preckendorfer, zu dem
Preckendorf und Ereblitz daheim, so werden wir in die
baierische Oberpfalz geführt, in deren Landgerichte Neun-
burg vorm Wald die beiden genannten Orte liegen, heute
Prackendorf und Kröblitz geschrieben.
Weniger einfach ist die Sache bezüglich der übrigen
Persönlichkeiten gelagert welche namhaft gemacht worden
sind. Doch dürfen wir uns aus Gründen, die von selbst
einleuchten, dieser Frage nicht entziehen. Und insofeme
bei Erwähnung des Urban Trinkl die Bemerkung ,,alhie*^
beigesetzt ist, kennzeichnet sich einmal der Besitzer unserer
Handschrift als am T.Februar 1609 an demselben Orte be-
findlich, und wird auf der andern Seite auch der damalige
Besitzer der in Frage stehenden Pei^amenthandschrift wie
nicht minder Nicomed Schwäbl schwerlich anderswo als
eben daselbst zu suchen sein.
Unsere Nachforschungen haben in diesen Beziehungen
auf Regensburg geführt. Die aus dieser ehemaligen
deutschen Reichsstadt in das baierische allgemeine Reicbs-
archiy gelangten Urkunden und Akten fuhren uns nämlich
zn folgenden Ergebnissen.
Was zunädist den bemerkten Urban Trinkl oder
BoeUnger: Zur ÄbfaanmgsMeU da SchmOtenapiegels. 417
Tr unkl anlangt, von welchem eben ganz einfach die Untereach-
nng ausgehen kann, findet er sich urkundlich in den zwanziger
und dreissiger Jahren des 16. Jahrhunderts zu Regensburg. In
einer Urkunde vom Donnerstage nach Katharina des Jahres
1524, an welcher auch sein Sigel hängt, erscheint Vrban
Trunckl des rates. In einer anderen vom Mittwoche nach
Leonhart des Jahres 1530 begegnet uns Vrban Trunckl des
rates als Zeuge. Nach einer weiteren vom Mittwoche nach
Maria Himmelfahrt des Jahres 1532 ist Vrban Trunckl des
jnnem rates als Schiedsrichter von Kammerer und Rath
von Regensburg verordnet. An einem Aktenstücke vom
Montage nach Lätare des Jahres 1533 sigelt her Vrban
Trunckl burger zu Regenspurg des jnnem rates vnd der zeit
stat camerer. Am Donnerstage nach Jakob des Jahres 1536
sigelt Vrban Trunckl bui^er vnnd des junern rates zw Re-
genspurg als Schiedsrichter des Rathes eine Urkunde. Weiter
begegnet er uns in einer vom Montage nach Bartolomäus
1537. Im Jahre 1540 wird er als verstorben erwähnt.
Gehen wir zu Nicomed Seh wähl über, für welchen
von vornherein der 7. Februar 1609 feststeht, so finden wir
ihn als Sohn des Nicomed Seh wähl, welcher uns gegen
Ende des zweiten Viertels, und als Mitglied des inneren
Rathes und Kammerer von Regensburg mehrfach mit Dionys
von Preckendorf in Aktenstücken des dritten Viertels des
16. Jahrhunderts ■) begegnet, in einer Urkunde vom 6. Febr. 1 584
2) Bei der Erbschaftsaaseinandersetzung anter die Kinder des
Mitgliedes des inneren Rathes zu Regensborg Simon Schwäbl am
18. Febmar 1542 ist er noch unmündig.
Am 19. Mai 1543 erscheint er als Lehenträger für seinen Bruder
Alexander.
Aus einer Urkunde vom 20. Februar 1548 haben wir Kunde über
die ichviräbrBche Behausung in Scherer strasz.
418 Sitzung der histar. CUutt wm 9, November 1B67.
worin dem Christof Schwäbl als Lehenträger seiner Matter
Elisabet und füi sich selbst wie aostatt seiner Brüder Sieg-
mund und Nicomed der Schwäbl von dem confirmirten Bi-
schöfe Philipp von Regensburg Güter verliehen werden. Von
seinem Vetter dem älteren Wolf von Asch und Paindlkhofen
erhielt Nicomed Schwebl des jnnern rhats zw Regensporg
einen Weingarten nach Urkunde vom Nicolausabende des
Jahres 1586, zu welcher ein Lehenbrief des confirmirteQ
Bischofs Philipp vom 14. Juni 1588 verglichen werden mag.
Weiter erscheint in einer Urkunde des Herzogs Wilhelm
vom 7. August 1592 Nicomed Schwäbl burger vnnd dess
jnnern raths als Lehenträger seiner Vaterstadt In einer
vom 19. August 1599 wird Nicomed Schwäbel bni^ger vnnd
des jnnern raths auch statt camerer zw Regensparg vom
Bischöfe Siegmund belehnt. Wieder treffen wir in einei*
vom Herzoge Maximilian zu München ausgestellten und
unterschriebenen Urkunde vom 15. Jänner 1600 als Lehen-
tjäger des Kammerers und Rathes von Regensburg Nicomed
Am 31. Jänner 1551 wird er für sich und als Lehenträgfer für
seinen Bruder Timotbeus vom Bischöfe von Regensburg belehnt
Bald finden wir ihn jetzt in Verbindung mit Dionys von Precken-
dorf. So beispielsweise in einer Urkunde vom Mittwoche dem 1. Febroir
1553 über die ErbschaftsauseinandersetEung des Alexander Schw&bli
welche Dionisi von Präckendorf des jnnern ratts vnd barger so Be-
genspnrg sigelt.
Am 26. Oktober 1555 vergleicht er und einige andere Raths-
freunde sich wegen einer ihnen von Kämmerer und Rath von Be*
gensburg bewilligten Abwasserbenützung.
Nicomed Schwäbl vnnd Dionisi von Präckhendorff, bede barger
vnnd des jnnern raths zu Regenspurg, erscheinen als Vormünder
über des Dionisi Sohütl Kinder in einem Briefe vom 24. Juni 1565.
Auch war er Lehentrager seiner Vaterstadt, wie wir einer
Urkunde vom 16. März 1657 entnehmen, und leistete nach seinem
Absterben Haubold Flettacher als solcher dem Herzoge Albreoht
^m 16. Juni 1571 den Eid.
Soekinger: Zm Mfattungsteii de$ Sehmabentpiegek. 419
Schwäbl barger ynd dess jnnem rhats daselbs. In zwei
Urkanden yom 9. Februar 1604 belehnt Bischof Wolfgang
▼on Regensborg den Nicomed . oder Nicomedt Schwäbel
barger ynd des jnnem raths aach stadt camerer zu gemel-
ten Begensparg mit verschiedenen daselbst näher bezeich-
neten Gütern. Nach einer Urkunde vom 4. September 1609
gehört er nicht mehr den Lebenden an, indem weillundt
Nicomeden Schwäbeis gewesten jnnem raths vnd statcam-
merers zae Regensporg hinderlassenen wittib Vrsola vom
Bischöfe Wolfgang mehrere der früheren Lehen ihres ein-
stigen Ehegatten durch ihren Lehenträger Friderich Beitmor
SEU Perekhausen (und nach einer Urkunde vom 1. Juli 1615
vom Bischöfe Albrecht durch ihren Lehenträger Andreas
Beitmor zu Deidenhouen) übertragen wurden.
Weniger sichere Anhaltspunkte stehen uns für den da-
maligen Besitzer der Pergamenthandschrift P, wie für den des
Codex F, welcher die Nachricht darüber enthält, zu Gebote.
Sehr natürlich, indem der erstere blos als Herr A bezeichnet
wird, der letztere aber nirgends in der Handschrift selbst
genannt ist. Doch dürfen wir wohl auch über beide eimge
Muthmassungen äussern welche nicht allen Grundes ent-
behren möchten, insbesondere wenn wir noch den Gabriel
Mair für . diesen Punkt herbeiziehen, welcher auch eine
Handschrift des sogenannten Schwabenspiegels besass über
welche in unserem Codex F Mittheilungen gemacht sind«
Steht fest, dass Nicomed Schwäbl, dessen Vermittlung
am 7. Febmar 1609 der Besitzer der uns erhaltenen Papier-
handschrift F die Benützung der sonst oder — wie wir uns
jetzt vielleicht genauer ausdrücken könnten — eigentlich
dem Herrn A gehörigen Pergamenthandschrift P verdankte,
Mitglied des inneren Bathes und Kämmerer zu Begensbui^
gewesen, so wird der Herr A kaum anderswo zu suchen
sein. Auch liegt sicher die Annahme sehr nahe, dass er
eine Persönlichkeit war welche mit Nicomed Schwäbl in
430 8it99mg der hitior. Ckute vom 9. Nei^mber 1867.
gewissen sei es fretmdschaftlidien sei es gesdiäftlichen Be-
ziehuDgen stand. Nun begegnet uns in der Zeit um
welche es sich handelt Christof Adler sidier im enten
Decennium dieses Jahrhunderts als Mitglied des inneieD
Rathes zu ' Regensburg. Er erscheint in zwei Urkunden yom
4. Mai 1607, wovon er eine sigelt, als burger Tnd deas
jnnem rathes zuRegenspurgvnnd dissorts verordneter wadit-
herr. In einer vom Herz(^e Maximilian zu München aoa-
gestellten und unterschriebenen Urkunde vom 12. Man 1610
begegnet er uns als Lehenträger des Kammerers und Rathes
von Regensburg. Als solchen treffen wir nach seinem Ab-
Ieben<') das Mitglied des inneren Rathes Hanns Jakob
Aichinger in einer gleichfalls vom Herzoge Maxamilian mi
München am 3. Juli 1616 ausgestellten und untersdiriebenen
Urkunde. Auch b^egnet er uns „des jnnem geheimen
raths" als Zeuge bei einem Kaufe der Stadt Regensburg in
einer Urkunde vom 13. April 1622.
Aus derselben Zeit haben wir dann Kunde von dem
schon berührten Gabriel Mair. In einer auf dem Rafch-
• hause zu Regensburg am 14. Oktober alten und 24 oeuen
Kalenders 1613 vorgenommenen Verhandlung erscheint als
Zeuge Gabriel Mayer burger vnd eines e(rbern) Stattgerichts
beysitzer vnnd assessor. In einer Urkunde vom 6. Oktober 1614
sodann begegnet uns als Zeuge bei einem Kaufe in Regens-
burg Gabriel Meier eines e(rberD) Stattgerichts asseesöi'.
Haben wir es auf solche Weise — selbst wenn Qiristof
Adler nicht als nothwendig annehmbar erscheint — mit an-
gesehenen Bürgern der ehrwürdigen Reichsstadt zu thon, so
8) Aus erster Ehe wie es scheint hatte er eine Tochter Sosanna,
welche an den Bürger and StadtgericbUbeisitzer za Regensborg
Daniel Eder Terheiratet war, wie aas der Urkunde über den Verkauf
ihrer zwei anererbten an dem unteren Worth za Regensbufg ge-
legenen Palvermühlen u. t. w. vom 17. Juni 1622 hervorgeht.
Soekmger: Zur Ähfa89ung9uit des Sehtoabenspiegela. 421
wird vielleicht nunmehr auch ein Scbluss auf den Besitzer
der Handschrift F erlaubt sein, welche uns die Einträge
ans dem alten Pergamentexemplare P des sogenannten
Schwabenspiegels erhalten hat. Dass er in engen Bezieh-
ungen namentlich zu Nicomed Schwäbl und Gabriel Mair
gestanden^ unterliegt keinem Zweifel, indem beide ihm Hand-
schriften unseres Rechtsbuches zur Benützung gaben. Dass
er' selbst ein Mann gewesen der dafür reges Interesse ge-
habt, beweise die Einträge welche er daraus in sein eigenes
Exemplar machte. Dass wir wohl nicht mit Unrecht einen
rechtsgelehrten Mann in ihm yermuthen dürfen, gründet
sich auf die Betrachtung der verschiedenen Aumerkungen
welche namentlich vom Anfange an — neben den schon
bemerkten Einträgen aus den beiden Exemplaren des so-
genannten Schwabenspiegels — bezüglich der Uebereinstim-
mung mit dem von ihm so bezeichneten Landrechte den
Rand füllen. Nun finden wir gerade in der Zeit welche in
Frage kommt einen Doctor beider Rechte, Paul Dins-
peckh, als Stadtschultheissen von Regensburg. Er wurde
als ^cher nach der im baierischen allgemeinen Reichsarchive
aufbewahrten Designation derer Herren Stadt Schultheissen
löblicher Reichs Stadt Regenspurg von Johann Georg Gölgel
im Jahre 1600 bestellt, und sigelte^) mehrfach Urkunden
über verschiedene an Kammerer und Rath daselbst vorge-
kommene Verkäufe, beispielsweise vom 20. Februar und 3 1 . März
1602, vom 30. Juli und 25. September 1607. Gerade in dem
Jahre in welchem die Einträge in unserer Handschrift ge-
macht worden sind, am 21. August 1609, kaufte er einen
Acker zu R^ensbnrg vor dem prepronner Thore. Zuletzt
begegnen wir ihm in Urkunden vom 3. Oktober und 24. Jänner
4) Die ümsohrift seines Sigels lautet:
Paulos Dinspeceias L v. d. vnd schvlthais zv Regenspurg.
[1867. IL 8.] 28
422 auimng der kistar. GUme ^m ^. J^lmiNlvr iSeT.
1616. Warum soll er nicht Besitzer der Handsdirift F ge-
wesen sein können?
Doch gleichviel, ob dem (%ristof Adler die viel er-
wähnte alte Pergamenth^dschrift P gehörte, gleichviel ob
Paal Dinsbeck der Besitzer unseres Codex F gewesen, Re-
gensburg ist jedenfalls der Ort an welchem beide Hand-
Schriften sich am 7. Februar 1609 befanden, denn wenn die
letztere auch nicht dem Paul DinsbecJc gehört haben Bollte,
kann nach den obigen Ergebnissen in dem Beisatze „aÜM^^
kein anderer Ort als Regen^burg yerstanden werden.
Wie nun dahin die für uns so wichtige Pergameeathaiid*
Schrift P gelaugt, vermögen wfr nicht sicher zu bestimmen.
Ohne Zweifel durch die Pr ecken dorf er. Auf welchem W^ge
aber, wir haben darüber so wenig bestimmte Naohrichten
als über die ältere Genealogie diesea Gesdilechtes. Oerade
über den Heinrich wie über seinen Bruder Georg und seiee
eigene Familie, welche man annehmen muss da er selbst
von seinen Kindern spricht, fehlen uns im Augenblicke
weitere Anhaltspunkte als was sich aus dem bereits be-
rührten Eintrage in der Pergamentbandschrift P entndlinieD
lässt. So interessant sein Beisbuch gewesen sein mag, so
wichtig es nicht allein für die nähere Bekabntschaft mit
dem Manne sondern auch für die in manchen EinzeHieiieti
noch keineswegs ganz und gar au%ehelltee Fehden des
Grafen Rudolf von Habsburg mit den Herren von Regem-
berg, dem Bischöfe von Basel, den beiden Grafen von Teg-
genburg in den Jahren 1264 bis 1268*) sein dürfte, eo
vielfach willkommene geschichtliche und andere Mittheflungen
es ausserdem aus der Feder eines Edelk&eehtefi bieten
6) Wir können für unseren Behaf hier ganz kuis anf Lich-
nowBky'B Geschiebte des Hanses Habsbnrg I. S. e9 ü Httd besser
Eopp'sOeschiohte der eidgenpssischcii Bünde Q. S.eS9£ venreisen
«isste 4er Herr über Auf Sprachen war «tnd nicht weniger
lals ein und drMsig Jahre im Kriegsgetüinmel umherzog, es
liegt nns nicht vor. MuthmassHch blieb es T^ohl zunächst
im Besitze der Preckendorfer, über welche insbesondere um
die Mitte des 14. Jahrhunderts*) die urkundlichen Belege
%) Vfold nooh xiemlieh über sie binauf reicht der Heinrich
Psäkecadoiler desBen im 8e<^tteB Abeatze Erwäbniing zo geschehen bat.
Jacob der Prakkenderfw stiftet sich am Nicolaustage des Jahres
1358 einen Jahrtag im Gotteshaoae Maria Magdalena auf prukker
Vorst Mob. bok. XXYU S. 164 nad 165.
Aaeh ^wffen wir am diese Zeit hemm Glieder unseres Ge-
aohledites als Lehensleute des Landgrafthums Leuchtenberg.
So begegnet uns in dem Mtesten wohl noch im dritten Viertel
l^eeee JahrhandeHs geschriebenen leuchtenbergischen Lehenbnche
lurter der Abtheilong ,idaB ^ sind 4i leben di gehom snm Lewtem-
berg in die hersohaft*' auf fol. 18' der Eintrag: Stephan vnd Ykich
di Preckendorfer haben zu leben zwen hof zu Preohendorf mit irr
auegehoraBg.
Weiter finden wir daselbst unter der Abtheilung „daz sind di
leben der pürger zu der Weyden^ auf fol. 41 bemerkt: Wolfhart
PpegendorfPer vnd sein prüder Jacob habent zu Pregendorf T^j gut
Tttd einen zehent ae Pernhof Vber vinj gut.
Heinrich und Hanns die Eoshawpper mit ihrer Mutter Alhayt
vergleichen sieh "aber die Erbschaft ihres Oheims Haynreichs dez
fMkenderfers mit dem Eloirter Sdidnihal und ihrer Muhme Agnes
der Lichtenekkerin laut Urkunde ve« Freitage in der ersten Fasten-
woche des ffahres 1888 , in welcher Steffim der Prakendarfer unter
den Zeugen ersolioini. Mon. boio. SXYI S. 219 und 220.
Der Registratur über das Lehenbuch des Landgrafen Johann
des jüngeren von Leuchtenberg entnehmen wir nachstehende vier
Einträge zu den Jahren 1408 und 1416.
Anno 1408 feria cpiinta ipsa die sanotj Jordanj et Epimachj
mastymm Ylridien PreckondorffiBr den sitz au PreckendorfiT mit aller
sngebörang an veld wiemad daraaff er sitzet.
Ajhio ld08 faria vj^ proxima Nielasaen Preekendorffer den sitz
dvauff er aitaet iw Preckendoi^ mit aller sagehörung an veld wii-
»ad vnnd boltia
28*
424 Sitzung der histar. Gtasse vom 9. Natember 1869.
reichlicher fliessen. An welche yon den betreffenden Fa-
miUengliedern es gelangte, wissen wir nicht. Ob nnd von
Anno 1416 feria quiuta octana beatj Stephaig Lorents Raschav
bürg er zw Yichtag ij leben zw Preckendorff gelegen die er Ton
Nidasen Preckendorffer gekaufft bait. derselb Preckendorffer batt
den sitz zu Preckendorfif darauff er sitzet mit seiner zugebömng.
Anno et die ut supra Hannsen Rascbawer zw Yiebtag bey Mo-
racb gelegen gesessen zwey leben zn Preckendorff jnn newnburger
geriebt dietricbskürcbner pfarr die sein vatter Rascbawer Ton Ni-
lasen Preckendorffer gekanfft bat.
Andre Prakendorffer oder wie er nnten in der Urkunde ge-
schrieben ist Brakendorffer zne Prakeudorff stiftet einen Jabrtag iia
Kloster Scböntbal am 24. Juni 1481. Mon. boic XXTI 8. 891—898.
Die Umschrift in seinem Sigel lautet: Andre Preckendorfer. Ihm
übergab am Franciscustage des Jabres 1483 Landgraf Leopold Ton
Leucbtenberg drei einstmals dem Niclas Brackendorffer TerUehen
gewesene Güter zu Brackendorff welcbe beimgefallen waren. Auch
als oberpfalziscben Lebenmann finden wir ibn, indem nacb Herzog
Jobanns Lebenbucbe foL82' dem Endres Praeckendorffer am Dienstag
nacb Lucia des Jabres 1484 ein verfallenes Lehen einer bei Prae-
ckendorff gelegenen Wiese übertragen wurde.
Albrecbt Präkkndorffer zum Sigenstain erscheint in einem Hof-
gericbtsbriefe vom Freitage nacb dem Gilgentage des ^Jahres 1446
in den mon. boic. XXVÜ S. 438—485.
Auf den Montag nacb Gall des Jabres 1448 ftllt eine land-
gräflich leucbtenbergiscbe Belebnung des Sigmund des Prackeoii-
dorffers mit dem Sitze Prackenndor£f.
Peter Prackendarffer, Richter zu Camb, sigelt eineUrknnde von
9. August 1454. Mon. boic. XXYL S. 476 und 477. Die Umsohrift
im Sigel lautet: Peter Prackendorffer.
Wir könnten in solcher Aufz&blung bis in die zweite H&lfte dos
17. Jahrhunderts fortfahren. Doch genügt es uns hier, ans einer
zu Anfang des genannten Jahrhunderts amtlich vorgelegten arbor
consanguinitatis praeokbendorffianae, welche wir mit genauen Be-
legen verseben in der Sitznng der historischen Klasse vom 7. Dezember
mitzutbeilen gedenken, die nächste Nachkommenschaft dee snletit
genannten Peter und jene seines Sohnes Georg vorzuführen, inao-
feme wir hiemit über das Geschlecht der Preckendorfer bia nir
Soekingtr: Zur AbfatmngueU des Schwäbempiegels, 425
welchem deiBelben es vielleicht mit der Pergamenthandschrift
P des sogenannten Schwabenspiegels , welche sie nach der
heraldischen Erscheinung des Wappens in ihr^) zu schliessen
wenigstens bis gegen das 16. Jahrhundert besessen haben
müssen^ nach Regensburg gelangte, woselbst wir sie in den
zwanziger oder dreissiger Jahren dieses Jahrhunderts im
Eigenthume des Urban Trunkl wissen, wir vermögen das
nicht zu entscheiden. So viel übrigens können wir sicher
Üebersiedlnng des (Georg and seines Sohnes) Dionys nach Regensbnrg
soweit als vorerst nöthig ttnterrichtet sind.
Petter
Matthes Stefian Albrecht Wolfif Georg
I i
Wolff Wolf Sigmundt
Creorg
X ^ s
Georg Christoff Wolff Johannes Dionisi Johannes
7) Wir haben es oben S. 415 genau nach dem Eintrage in der
Handschrift F mitgetheilt.
Man möchte sich hienach der Ansicht zuneigen, vorausgesetzt
nämlich dass die Zeichnung in der Handschrift F wirklich ganz
genau ist, es sei nur eine ältere Darstellung desselben durch ein
späteres Glied des Geschlechtes, in welchem sich der Schatz des
Ahnherrn aus dem 18. Jahrhunderte fort vererbte, übermalt worden,
wie sich von selbst versteht in der heraldischen Form der betreffen-
den Zeit.
Wenigstens zeigt uns das prächtige Aquarell gemäldchen in der
einst im Besitze der Preckendorfer befindlich gewesenen Pergament-
handschrift von des Eonrad von Megenberg berühmten Buche von
den natürlichen Dingen, welche uns die oben im Eintrage der
Handschrift F geschilderte bildliche Darstellung in einer
Fertigung etwa aus dem Beginne des letzten Viertels des 14. Jahr-
hunderts erhalten hat, cod. germ. mon. 38, insbesondere den Schild
nicht allein ganz und gar frei und nicht vom Mantel oben auf beiden
Seiten überdeckt, sondern auch in der alten spitzen Form.
426 8itgung der histor. CkuMt fM» 9. Nmemlm ^6^*
den Familienaufzeichnungen eotaebiiieii welche eich in der
einst im Besitze der Preckeadorfc^ beiGAdlieh gew.eseDOi
herrlichen Pergamenthandschrift von dea Eonrad Y<m MegeQ-
berg berühmten Buche TOn den Batürlichen Dinges^ nttar
mehr cod. germ. 38 der Staatsbibliothek ztt Mimehen, eiiH
getragen finden, dass ganz am Schlüsse des 15. Jahrhandeits
Georg von Preekendorf sich mit Agnes vermählte, der
Tochter von Kaiser Friedrichs Rath Eonrad Trinkl sa
Hautzendorf, welche nach dem Tode ihres Gatten noch
36 Jahre lang als Wittwe lebte und in Regensburg wohnte,
woselbst sie kurz nach der Mitte des 16. Jahrhunderts als
die letzte ihres Geschlechtes starb. Auf solche Weise mSdite
für den Uebergang der fraglichen Handschriften oder "wenig-
stens der Pergamenthandschrifb des sogenanntea Schwaben*
spiegeis sowohl dahin als auch in die HändQ des Urban
Trunkl ein sehr natürlicher Weg gefunden^ sein. Auch lieas
sich vielleicht um die Zeit vchi welcher es sich handelt,
abgesehen von dem berührten Eheverhältnisse, der eine od^
andere aus der preckendorferischen Familie überhaupt in
Regensburg nieder, woselbst wir vrenig^teos im Jahre 1553
den Dionys von Preekendorf als Mitglied des inneren Rathes
und im Jahre 1559 wie 1572 als Kammerer wie gegen den
Ausgang der siebenziger Jahre dieses Jahrhunderts sogar als
obristen Kriegsherrn®) finden. Doch mag dem so oder so
8) Vgl. über die Urkunde yom 1. Februar 1568 oben S. 418
Note 2. Die Umschrift des Sigels lautet: S. Dionisi. von. Precken-
dorff.
Herr Dionysi von Praegkhendorff des jnnem raths erscheint als
Zeuge bei einem von Kammerer und Rath Ton Regensburg ge-
machten Verkaufe am Sonntage den 10. Oktober 1557 nach der
darüber unterm Mittwoche den 16. Fisbr. 1558 ausgestellten Urkunde.
Herr Dionysi von Pragkhenndorff etc. d^ jnnem raths der seit
Bpfümgpn ^m Alrfßmng9geU da Schwäben^^iegds. 427
sein, es hat am Eode för die Frage welcdie nn& beBChäftigt
keine unmittelbare Bedeutung, wiewohl möglicher Weise
etwa über den Ritter und Bürger von Zürich, . mit welchem
unser Krieger jedenfalls in innigen Verkehr getreten sein
mnss, wenn jener ihm eine so werthyoUe Handschrift zu
verehren sich veranlasst gefunden, nicht zu verachtende Auf-
schlüsse au3 dem fraglichen Tagebuche zu schöpfen sein
dürften.
Was schliesslich noch gerade diese schweizer Per-
sönlichkeit betrifft, dürfen wir uns nicht wie allenfalls
beim Herrn A und beim Paul Dinsbeck lange in Muthmass-
ungen ergehen, sondern ein Eintrag welchen uns die Hand-
schrift F aus P über deren Besitzer erhalten hat bietet die
erwünschteste Auskunft. Es heisst nämlich dortselbst auf
Fol. 182, dass nach dem den Schluss des sogenannten Schwaben-
spiegels bildenden Endartikel = L 159 des Lehenrechtes
und nach der Angabe des Schreibers welcher die Hand-
schrift gefertigt^) noch nachstehende Bemerkung gefolgt sei:
Disz buch höret einem herren an
der vnrecht 3e rechte kan
bringen, ob ers gerne tut.
Gott gebe im ehre vnd gut
hie yntz vf sin ende.
statt camerer ist Zeuge and Siglar für eine Heiratsverabredung am
Samstage den 28. Dezember 1559.
üeber die Urkunde vom 24. Juni 1565 ist oben S. 418 Note 2
zu vergleichen.
Herr Dionisius von PrägkhendorfiP dess jnnem raths begegnet
uns als Zeuge bei einem Verkaufe Samstags den 11. Mai 1566.
Herr Dionisius von Prackendorff erscheint als einer der Käm-
merer von Regensburg bei einem Vertrage der Stadt mit dem Bi-
schöfe vom 15. Juni 1571 , vom Kaiser Maximilian am 23. August
1572 bestätigt
9) Vgl unten S. 486.
428 RUtung der hisiar, Clam wm 9. Nwmber 1867.
vnd dort on alle missewende
teile mit im froliche
sin ewig himelriche.
Amen.
Herre, were iht bessers gewesen
danue daz ir hie hant gelesen,
daz hatte ich gewünschet yf minen eid
iv ze einer selikeit.
Swer mir nu gelikes bitte,
dem müsse gott wesen mitte
hie vnd dort mit wunne.
Swer mir anders gunne,
dem müsse oech also geschehen.
Anders kan ich nicht veriehen:
Gott vns müsse wesen bi
durch sine ^®) heyligen namen dri.
Aber nu der herre müge genesen
den wir hievor haben gelesen
den disz buch anhoeret.
Es ist ein man der gerne stoeret
daz vnrecht zallen ziten.
Nicht lang ich will biten.
Ich wil iu hie sa ze hant
den ere gernden tun erkant
e daz ich sin vergesse.
Herr BndigBr der Hanesse
von Zürich^ ein ritter, ist er genant.
Vmb ine ist es so gewant, -
daz er vf die rehtekeit
zallen ziten svnder leit
setzet gar den sihen muQt.
10) In der HaDdschrifb steht: siner.
Boekinger: Zur Abfa$8tmg9seii des Sehmahempiegeli. 429
Da von im ehre ynd gnet
gott soll geben zallen zit
an aller slahte widerstrit
Keinem anderen demnach als dem berühmten Rudiger
dem Manessen dem älteren gehörte die fragliche Per-
gamenthandschrift an. Am 1. Juli 1264 erscheint er als
der fünfte unter den bürgerlichen Käthen des in glücklicher
Entwicklung begriffenen Zürichs. Am 15. März 1268 ist er
der zweite unter den Beisitzern des Rathes aus dem Ritter-
stande. Es ist eine bekannte Thatsache, wie mitten unter
dem Waffengeräusche einer kinegerischen Zeit und den
Sorgen des aufstrebenden und bewegten städtischen Gemein-
wesens, woran Rudiger der Manesse^^) eifrigsten Antheil
genommen, auch friedlichere Bestrebungen, eine schöne der
Wissenschaft und Kunst gewidmete Müsse in seinem Leben
Raum gefunden. Wie frühe dieses der Fall gewesen, die
fragliche Pergamenthandschrift — woran wir vor der Hand
keine weiteren Folgerungen knüpfen — liefert einen spre-
chenden Beweis hiefür.
Wir könnten sie bienach mit vollem Fuge als manes-
sische mit der Abkürzung als Handschrift M bezeichnen.
Wenn wir diesen Buchstaben oben nicht gewählt haben,
sondern sie nach ihrem nächsten Besitzer als precken-
dorfer'sche unter der Abkürzung als Handschrift P vorführen,
hat dieses seinen Grund lediglich darin, dass auf solche
Weise Verwechslungen mit der seinerzeit auch zur Besprech-
ung zu bringenden Handschrift des Gabriel Mair = M leichter
vermieden werden.
m.
Sind wir auf diesem Wege über die Schicksale der in-
teressanten Pergamenthandschrift P wenigstens bis zum
11) Vgl. Wyss Beitrage zur Geschichte der Familie Manea«
S. 4-10.
4Sft aUnrngt äet kktot. (Xtme «om 9. November 18^^
7. Februar 1609 ausreioliefid gcnog auterricfatet, so gdien
wir nunmehr auf sie selber über, soweit sibk nämlidi
näheres über sie herausboringen lässt. Die Mittel Uezu bieten
uns die Einträge in der Handschrift F. In diese hat
sich nämlich, wie bereits oben S. 411 — 413 bemerkt worden,
aus ihr wie aus Gabriel Mair's Exemplar Paul Dinsbeck oder
wer eben der Besitzer der noch erhaltenen Papierhandschrift
F gewesen sein mag einfach was ihm bemerkenswerth
dünkte verzeichnet oder yielleicht richtiger gesprochen
verzeichnen wollen. Es scheint ihm nämlich hiebei im
allmäligen Verlaufe der Vergleichung die Arbeit über den
Kopf hinaus gewachsen zu sein. Denn von Anfang an ging
insofeme die Sache leichter als die Handschriften des soge-
nannten Schwabenspiegels welche der alten und noch nicht
einer so zu sagen systematischen Ordnung folgen in einer
gewissen Weise regelmässig zusammenstimmen, abgesehen
von der Zusammenziehung mehrerer Artikel in einen oder
von der Trennung eines Kapitels in mehrere. Unglücklicher
Weise bot nun aber sein Exemplar die Gestalt jener Gruppe
welche von Artikel 27 des durch Freiherrn v. Lassbeig be-
sorgten Druckes an eine hübsche Reihe hindurch jene starken
Versetzungen aufweist welche aus der auf der Handschrift
des Reichsgrafen von Wurmbrandt besorgten Ausgabe des
Herrn v. Bergejr = B leicht zu ersehen sind. Gleich die
erste:
L F B
L F B
L F B
L F B
26 27 27
32 44 41
37 50 47
42 54 51
27 39 37
33 45 42
38 51 48
43 55 52
28 40 38
34 46 43
39 52 49
44 28 28
29 41 39
35 47 44
40 53 5Ö
45 66 53
80| 42| ,(,
31/ 43/
36( *«< *5
l 49l 46
") 117 106
46 61 58
41 118 107
47 62 59
J2) Tgl. Ar
tikdl 13.
n. 8. w. Hier scheint sich im ersten Augenblicke der gute
Mann nicht mehr recht ansgekannt za haben. Es hört näm-
lich jetzt die einlässlichere Vergleiehung nicht blos aus der
Pergamenthandschrift P. sondern aaoh aus Gabriel Mair's
Exemplare auf, von welchem indessen die bis zum Artikel 44
des L Druckes reichenden Verstellungen angemerkt sind,
während bezüglich P auf fol. 67' nur bemerkt ist:
Nota bene. dise vnd volgende titul sein im pergamenen
rechtbuch vil änderst gesetzt vnd geordnet.
Leider ist ihre genaue Folge nicht beigesetzt wordeut
während das Verzeicfaniss der Artikel der Handschrift des
Gabriel Mair vollständig auf den leeren Blättern der Hand-
schrift F nachträglich noch eingefügt wurde. Hört indessen
auch wie bemerkt am angegebenen Orte die eigentliche Ver-
gleichung auf, so vrird doch auch fortan an verschiedenen
Stellen noch dieses oder jenes bald mehr bald minder
wichtige theils am Rande theils auf anfänglich leeren Blatten
angemerkt.
Die Nachricht über den ursprünglichen Besitzer
Heinrich den Preckendorfer und die späteren Schick-
sale der Handschrift P, soweit sie bis zum 7. Februar
1609 bekannt sind, sie ist bereits oben S. 413^415 mit-
getheilt worden.
Wir lassen nunmehr die übrigen Einträge folgen.
Auf fol. 6' Sp. 2 nach dem Schlüsse des Verzeichnisses
der Kapitel sowohl des Königebuches als auch des Land-
und Lehenrechtes des sogenannten Schwabenspiegels findet
sich nachstehende Bemerkung:
In dem pergamenen Buch stunden uachvolgendeRaimen:
Hie hat daz lehenbuch ein ende.
Gott vns sich selben sende
ze einem suessen^^) tröste.
19) 1» der Haodschrift steht: suellen.
482 Siitwig der hitht, Clas$e vom 9. Navember 1867.
Wann er vns eine erlöste
von der helle pine,
da von er Tns ze schine
sich selben iemer geben wil,
des ist im heren nicht ze y\\.
In gottes namen^^)
San wir sprechen Amen.
Auf Fol. 8 zum Eingange des Eönigebuches lautet in
der Handschrift F der Text : durch den rechten fride, durch
den raynen fride, durch den schadhaften iiide, durch staten
fride. Dieser ist dann theils durch Randbemerkung theils
gleich durch Einsetzung in die betreffenden Zeilen selbst
folgendermassen geändert:
durch den rechten fride, vnde durch den seide-
haften fride, durch den raynen fride, durch den
schadhaften fride, vnde durch den staten fride,
wonach eben in den Worten „durch den seldeh%ften fride''
der sinnlose erst weiter unten stehende und daher beim
ersten Lesen nicht allsogleich schon bemerkte Ausdruck
„durch den schadhaften fride'* aus der Pergamenthandschrift
P verbessert erscheint.
Auf Fol. 38 ist zu der JLJeberschrift : Von dem chunig
Daio, in welch letzterem Worte über dem i das Abkürz-
ungszeichen angebracht ist, die aufgelöste Form „Dario'' an
den Rand bemerkt.
Auf Fol. 62' zu Art. 11 = L 9 des Xaudrechtes tritt
uns der Eintrag entgegen:
Im pergamenen buch stehet der titul also:
Der man ist der froweu maister,
wobei über dem o in „frowen" noch ein kleines v über-
gesetzt ist.
Auf Fol. 63 zu Art. 16 = L 14 des Landrechtes ist
14) In der Handschrift steht: In gottes namen amen.
BoMnger: Zur Ahfa$9mgueü de$ 8chwabw$piegds. 433
anstatt der Ueberscbrift ,.de8 suns gut" als solche aos der
Pergamenthandschrift P angeführt:
dess kindes guet.
Auf Fol. 64' zu Artikel 19 = L 17 des Landrechtes
ist uns folgender Text von P am Rande angemerkt:
Die Swabe setzent wol ir yrteil vnder in
selben, yf swebischer [erde] ist daz recht,
vnd ziehend si oach wol an ein höher ge-
richte. [daz gerichte] myotzen sie nemen,
ynd band si oech die minren yolge. swe-
bisch^*) recht zweyen sich etc. ut hie**).
Anf Fol. 67 zu Artikel 27 = L 26 des Landrechtes
ist in den für den rothen Anfangsbuchstaben W leergelas-
senen Ranm ein schwarzes S undW eingeschrieben, so dass
es den Anschein hat, es stand anstatt „Wo" in der Per-
gamenthandschrift P: Swo.
Von der anf Fol. 67' zu Artikel 39 = L 27 des Land-
rechtes eingetragenen Bemerkung ist yorhin 8. 431 die Rede
gewesen.
Auf Fol. 75' zu Artikel 64 = L 52 des Landrechtes
ist zu den Worten des Textes „mit aynem schilt ynd mit
aynem sper gesitzen mag^* an den Rand als Lesart der
Pergamenthandschrift P beigeschrieben:
mit schilte ynd mit schaffte gesitzen mag.
Auf Fol. 98 zu Artikel 145 = L 122 des Landrechtes
ist zu dem falsch geschriebenen Worte jmselsuchtig die Gor-
rectur aus der Pergamenthandschrift P
miselsuhtig
an den Rand bemerkt
Auf FoL 100' zu Artikel 155 = L 130a des Land-
15) In der Handschrift steht: swel.
16) Ygl. oben S. 413 Note 1 zu fol. W.
434 Si^gmg äer Jda^, €2am mm 9. NbpenAtr ISeT.
rechtes ist zu den Worten des Textes „der vierd an dar
wall das ist der herczog von Beeren des reidies sehenck'^
an den Rand — . abgesehen von dem in Gabriel Mair's
Exemplar ?orfindlichen Texte ^') — bemerkt :
Goncordat daz pergamen rechtbnch so anno 1264
schon geschribn gewesen, aberdarinn radfirt vnd dafür
gesatzt worden:
der köaig von Beheim.
Auf fol. 116 zu Artikel 207 = L 377 11 des Land-
rechtes begegnet uns die Randbemerkung:
Nota bene. dieer gantz tiiul ist im pergamenen
pudi hieher nicht gesetzt, sonder volgt der titul:
der dess nachtes körn stilt.
Aber folio c vnter dem buch von lehen da wird er
erst gesetzt.
Auf Fol. 123 zu Artikel 222 = L 219 des Landrechtes
finden wir an dem untern Rand bemerkt:
Im pergamen buch steht zu ende dess tituls von
mülinen vnd von zöln vnd von münzen:
Hie ist das landrecht buch vsz.
Voigt ein figur eines richters dem einer ein brief
mit sigl vberreicht, vnd voigend titul:
Hie hebt an das edel buch das da haisset daz
buch von lehenrechte.
Das erste. Jn nomine patris et filij et Spiri-
tus sancti. Ob ein kind etc.
Auf Fol. 148' ist zum Anfange des Lehenrechtes am
unteren Rande bemerkt:
Im pergamenen buech:
Hie hebt sich das edle vnd recht lehen buch
an, daz das dritte stukh ist diss buchs.
17) Der vierd ist der bertzog in Baym, dess reichs tckenkh.
der soll dem könig den ersten beoker tragen.
B09kSnsf9r: Zwr Alfanmn§9»ei% dts SchwahtmpkgeU. 435
Von rechten leben.
Jn nomine patris et filij et spiritns sancti.
Aof Fol. 150 iet su den Worten des Artikels 7 = L 8
des Lehenredites f,Tnd der herczog von Bayren" an den
Band geschrieben:
Concordat das pergamenen. bier ist aber widerumb
etwas corrigirt, vnd der konig vonBebeimb gesetzt.
Aaf Fol. 182 begegnet nns 2am Scbfaisse des Leben-
rechted = L 159 nadistebender Eintrag:
Nota bene. Im pergamenen Buch post § ultimum
„Lehen^* etc. post uerba postrema „da von daz er
desz beerscbildes darbet'^ volgt hernach:
Hie hat daz lebenbuch ein ende.
Hie hat daz leben buch ein ende, elliu^*)
leben rebt ban ich zu ende bracht diu'^)
von leben rebte sint. ,
Vnd wissent das lehenrebt liht were ze
bescheidene, were der so yil nibt die des
vnrebten varent md vnrebt thnn durch
gutes willen das sie ie zu ze rebte sagent
durch ir selber munt. vnd werdent si
des selben sa ze baut gevraget dar nach,
das verkerent si, vnde sagent ein anders.
Es ist nieman so vnrebter, in dunke vn*
billicb ob man im vnrebte thut. darumbe
bedarff fiian wiser rede vnd guter künste
wol wie man sie an di rebt bringe.
Swer zallen ziten vf das recht sprichet
der gewinnet mangen vient. des sol sich
der biderman gerne bewegen durch gott
vnd durch sine ehre vnd durch siner seel^
beil.
18) In der Handschrift ist das i über das n gesetzt.
436 Sitsung der histor. Ckase vom 9. November 1867.
Gott darb sine gute der gebe yns sine
genade, da^ wir das rebt also minnen in
dirre weite, vnd daz ynrebt krenken in
dirre weite, das wir sin da geniessen da
sieb lip vnde sele scbaident. das Yerlibe
vns der Yater ynd der sun vnd der beilige
geist. amen, daz werde war.
Qui wole^^) micb gescbriben bat,
Wilt scbriber nomen babebat.
Die Verse welcbe biernacb nocb über den urspräng-
lieben Besitzer der Pergamentbandscbrift P angereibt sind
baben wir bereits oben S. 427—429 mitgetbeilt.
Die Bemerkung welcbe dann nocb weiter über Kaiser
Friedricbs II. mainzer Landfrieden folgt werden wir unten
S. 437 berühren.
Auf Fol. 181 endlicb ist bezüglicb einer Anzabl Yon
kurzen Recbtssätzen , wie über ebebafte Notb und anderes,
welcbe in der grossen Mebrzabl der der Gruppe der Hand-
scbrift des Reicbsgrafen von Wurmbrandt angebörigen Co-
dices als „Generalartiker^ nocb nacb dem Schlüsse des
Lebenrecbtes des sogenannten Scbwabenspiegels angehängt
erscheinen, die Bemerkung gemacht;
Nota bene. diso general articul sein im pergamenen
exemplar nit gesetzt.
IV.
Hienach sind wir jetzt in den Stand gesetzt, uns ein
gewisses Bild von der Pergamenthandschrift P zu
machen.
Sie hat zunächst das Buch der Könige wenigstens
der alten E enthalten. Ihm folgte das Land- und das
Lebenrecht des sogenannten Schwabenspiegels.
19) In der Handschrift steht: wele.
SodBinger: Zitr AbfoimngseeU des Schmbenapiegds. 4^7
Wieiter &hd sich in ihr auch Ealfier Friedrichs 11. be-
rähmter mainzer Land/rieden. Letzteres entnehmen
ynt noeh dem Eintrage der Handschrift F auf Fol. 182'
nach den Versen über den ursprünglichen Besitzer der Hand-
schrift P:
Voigt jm pei^amenen Buch Kaiser Fridrich des
andern Ijandfiridt yerteutscht, aber nicht gar.
Dessen Eingang ist:
Dirre fride wart gesetzet von dem an-
dern kaiser Fridriche mit der fürsten
vn.d anderer hohen herren rate ze dem
grossen hofe ze Megenze ze Yuser frowen
mes ze mittem ovgesten do yon gottes ge-
burde M® CC^ vnd 36 jaren warent.
Wir setzen vnd gebietend von ynserm
keiserlichen gewalte etc.
Betrachten wir uns nun einzeln die vorgeführten Ein-
träge näher, sb gestatten sie uns leider ob ihrer nur ge-
ringen Anzahl keineswegs einen Schluss darüber, zu welcher
der bekannten älteren Formen des sogenannten
Sohwabenspiegels ein näheres Verhältniss besteht.
Immerhin aber ergeben sich doch einige nicht unwichtige
Folgerungen. Es versteht sich hiebei von selbst, dass wir
vor allem den Deutschenspiegel ins Auge fassen, soweit
uns eben Axdialtspunkte dafür vorliegen, insofeme wir in
ihm zunächst den Ausgangspunkt für den sogenannten Schwaben-
spiegel und den u^imittelbaren Vorläufer seiner ältesten Ge-
stalten zu erkennen haben.
Was zunächst die beiden Bemerkungen auf fol. 62^ zu
Artikel 11 = L 9 und auf Fol. 63 zu Artikel 16 = L14
des Landrechtes hinsichtlich der Ueberschriften dieser Artikel
anlangt, schliessen sich selbe eng an den Deutschenspiegel
an, für deasen Artikel 13 und 19 sie lauten: Der man ist
der frowen maister vnd vogt ; Der vat/sr erbet des chindqs
[1867. n. 8.] 29
438 SiUung der histor. (Hasse ttm 9. Novenibef ISet.
guot. Es erscheint fast kleinlich auf die Einzeichnnng toh
Fol. 67 Rücksicht zu nehmen; doch beginnt auch im Dent-
schenspiegels der entsprechende Artikel 28 mit Swa. Meht
minder stimmt der Eintrag zu Fol. 75' mit dem Terte des
Artikels 49 des Deutschenspiegels, worin es heisst: mit
einem schilte vnd mit einem Schafte gesitzen mag. Das-
selbe lässt sich zu Fol. 98 anfuhren, woselbst auch im ent-
sprechenden Artikel 295 des Deutschenspiegels miselsuchtig
steht.
Entschieden dagegen weichen die Eintrilge auf Fol. 10(y
und Fol. 150 bezüglich dei- yierten weltlichen Eurstimme
von der jetzt allein bekannten erst dem 15. Jahr-
hunderte angehörigen Handschrift des Deutschen-
spiegels ab, indem dessen Artikel 303 des Land- und 11 des
Lehenrechtes den in der Pergamenthandschrift P anstatt des
Herzogs von Q^iern erst durch Correcttir eingesetzten Eonig
von Böhmen aufführen.
Insofeme nun nach Ficker's Dntersucfaui^en der Deut-
schenspiegel nicht lange vor aber auch nicht lange nach
dem Jahre 1260 entstanden ist, möchte man vielleicht bei
Berücksichtigung des Sachverhaltes dass die in Frage
stehende Pergamenthandschrift P zwischen den Jahren 1264
und 1268 unserem Preckendorfer geschenkt wurde, also in
einer Zeit welche ungemein an das vorbezeichnete Jahr der
Abfassung des Deutschenspiegels angränzt, nicht unschwer
auf den Gedanken verfallen, ob wir es nicht vielmehr
mit einem Deutschenspiegel als mit dem sogenann-
ten Schwabenspiegel zu thun haben.
Wir sind dieser Meinung nicht. Sind auch die An-
haltspunkte welche uns zu Gebote stehen ihrer Zahl nadi
verhältnissmässig nur wenige, so dürfte sich dodi daraus
diese Frage entscheiden lassen.
Einmal ist vor allem nicht zu übersehen, dass der Be-
sitzer der Handschrift F gleich in dem Eintrage wovon oben
Bochinger: Zu/r AbfassungsgeU da Sehwahenspiegds, 4>%9
S. 413—415 die Rede gewesen von der Pergamenthandschriit
P mit dürren Worten sagt, dass „darein volgend recht-
buch gantz schön vnd sauber geschriben^' gewesen. lusoferne
nan die Handschrift F den mit dem Buche der Könige
alter E verbundenen sogenannten Schwabenspiegel
enthält, welches Werk ihm das „volgend rechtbuch'' ist,
erscheint eine andere Annahme als dass die Pergament-
handschrift P auch diesen Inhalt hatte ganz nnthunlich. Denn
wenn in ihr etwas anderes gestanden wäre, wie hätte ihm
das wohl bei der Genauigkeit welche wir bei den einzehen
Einträgen aus ihr finden entgehen können?
Uebrigens ganz abgesehen hievon stehen uns noch andere
Gründe zu Gebot. Zunächst ersehen wir aus der den Ein-
gang des Buches der Könige berührenden Stelle auf
Fol. 8, dass dieser nicht in der gekürzten Form des
Deutschonspiegels '^) gestanden hat, sondern der volleren,
welche wir aus Massmanns Ausgabe in des Herrn v. Daniels
Bechtsdenkmälern des deutschen Mittelalters III Sp. XXXIII
zur Genüge kennen.
Ohne Zweifel dürfen wir auch daraus, dass zum ganzen
Buche der Könige alter E wie es in der Handschrift F
steht — ausser der Auflösung der wie es scheint in der Ab-
kürzung ihrem Besitzer nicht verständlichen Form des Namens
Darius — keine Bemerkung gemacht ist welche das Vor-
handensein grösserer Veränderungen andeuten würde, nicht
ohne Grund den Schluss ziehen, dass es in der Pergament-
handschrift P in demselben Umfange vorhanden gewesen.
Auf das Buch der Könige folgt im Deutschenspiegel
eine Umarbeitung der Präfatio rhythmica des Sach-
senspiegels wie des Prologus und des sogenannten
Textus prologi dieses Bechtsbuches. Wären diese
20) Vgl hieza Fioker über einen Spiegel deutscher Leute und
dessen Stellung zum Sachsen- und Schwabenspiegel S. 14 (126).
29 •
440 Sitzung der histor. Classe vom 9. Ncvemb^ 1867.
Stücke in der Handschrift P vorhanden gewesen, die An-
deutung darüber würde sicher nicht fehlen. Wir ersehen
also hierin einen ferneren Grund für unsere Annahme.
Scheint dann die einzige ursprüngliche Eintheilung
des Deutschenspiegels nur die in eine ungezählte
Reihe kleiner Abschnitte gewesen zu sein, und ist in
ihm noch von keiner Scheidung in bestimmte Abtheil-
ungen die Rede, so dass nicht einmal der Beginn des Lehen-
rechtes äusserlich mehr hervortritt als der eines andern Ar-
tikels, so tritt uns in der Pergamenthandschrift P bereits
die Sonderung des La&d- und Lehenrechtes ganz
scharf entgegen, und wird weiter auch das Landrecht selbst
durch eine auch sonst in verschiedenen Handschriften auf-
tauchende Abtheilung nach L Artikel 219 als aus zwei
Theilen bestehend vorgeführt.
Hatte weiter der Deutschenspiegel aller Wahrschein-
lichkeit nach keine Artikelüberschriften, und bietet er
auch in der uns erhaltenen Form solche in seinem späteren
Verlaufe nicht , so] entnehmen wir aus den Einträgen auf
Fol. 62^ wie 63 und 116, dass in der Pergamenthandschrift P
sich selbe bereits fanden.
Dass umgekehrt in ihr die beiden im Deutschenspiegel
zu den Artikeln 29c und 80b aufgenommenen Gedichte
des Strickers nicht vorhanden gewesen, entnehmen wir
wohl nicht mit Unrecht dem Schweigen das in dieser Be-
ziehung hierüber obwaltet.
Sehen wir uns näher nach dem Inhalte einzelner Ar-
tikel um, so können wir wohl die Theorie von den zwei
Schwertern nicht umgehen. Der Deutschenspiegel weist
noch das weltliche dem Kaiser unmittelbar zu. Wäre diese
Auffassung in der Pergamenthandschrift P vertreten gewesen,
unser Gewährsmann hätte unmöglich eine Anmerkung zu
dem Texte von F, welcher als sogenannter Sdiwabenspiegel
beide Schwerter dem Pabste zuzuwenden für gut findet,
Sochingeri ^ Abfaasungszeit des Schwabensptegds. 441
unterschlagen können, um so weniger als er gerade bei der
Stelle dass erst der Pabst dem Kaiser das Schwert des
weltlichen Gerichtes leihe die ausdrückliche Bemerkung an
den Rand setzt dass diese im sächsischen Landrechte nicht
Yorkomme. Man müsste nur geradezu annehmen,' er habe
im Yorliegenden Falle die Fergamenthandschrift P einzusehen
yei^essen.
Findet sich sodann von der langen Abhandlung über
die Ehe im Deutschenspiegel keine Spur, wohl aber in an-
erkannt alten Handschriften des sogenannten Schwabenspiegels,
wie dem cod. germ. 90 der münchner Staatsbibliothek, der
nber'schen Handschrift zu Breslau, der französischen Ueber-
setzung des sogenannten Schwabenspiegels zu Bern, und
bereits in gekürzter Fassung im Cod. Fäscfa zu Basel , und
berichtet uns der Eintrag auf Fol. 116 dass sie in der
Pergamenthandsphrift P gestanden, so ist wohl nicht zu
bezweifeln, dass wir es mit einem Codex des sogenannten
Schwabenspiegels zu thun haben.
9 Auch nach einer andern Seite hin ist gerade dieser
Eintrag nicht ohne Werth. Insoferne nämlich die berührte
Abhandlung auf Fol. 100 des Codex P am Ende des Land-
rechtes ihren Platz hatte, ergibt sich für diese Handschrift —
in welcher von Fol. 100 an eben diese lange Abhandlung
und dann erst noch das Lehenrecht folgte — ein Umfang
welcher über den des Deutschenspiegels weit hinausgeht.
Was noch eben das Lehenrecht betrifft, welches im
Deutschenspiegel der Schlussartikel L 157 und 158 und ins-
besondere des Schlusswortes = L 159 des sogenannten
Schwabenspiegels entbehrt, vernehmen wir aus dem Eintrage
auf Fol. 182, dass sein Text in der Pergamenthandschrift P
mit den Worten „da von daz erdeszheerschildes darbet" des
im Deutschenspiegel gar nicht vorhandenen Artikels L 154 ge-
endet hat, und das Schlusswort = L 159 in der dem soge-
nannten Schwabenspiegel angehörigen Form in ihr gestanden.
442 Sitzung dtr hülor. Classe vom 9. N&vemher 1867.
V.
Steht auf solche Weise fest, dass diese keinen Deutschen-
spicgel sondern den sogenannten Schwabenspiegel enthalten,
so ist nunmehr bei Berücksichtigung des Sachverhaltes dass
sie zwischen den Jahren 1264 und 1268 unserem Precken-
dorfer geschenkt wurde die Zeit der Abfassung des
sogenannten Schwabenspiegels gegen die bisherige
Annahme um etwas hinaufzurücken.
Welches ist der gegenwärtige Stand dieser Frage? Jo-
hannes Merkel, welcher noch vor der Auffindung des Deut-
schenspiegels in seinen Gommentarien de republica Alaman-
norum XVI S. 22 — 24 mit den einschlägigen Noten ausführ-
lich über diese Frage handelte, gelangte zu dem Ergebnisse
dass unser Rechtsbudi zwischen den Jahren 1276 und
1281 vollendet worden. Als es Ficker gegönnt war, den
glücklichen Fund der innsbrucker Handschrift des Deutschen-
spiegels mit der ihm eigenthümlichen geistreichen Schärfe
zu verwerthen, stellte sich ihm — auf Merkels Forschungen
fussend — in seiner akademischen Abhandlung über einen
Spiegel deutscher Leute und dessen Stellung zum Sachsen-
und Schwabenspiegel S. 164 und 165 das Ergebniss heraus,
dass die Abfassung unseres Rechtsbuches nach seinen staats-
rechtlichen Bestimmungen nicht vor das Jahr 1275 fallen
könne, und sein Alter sich etwa dahin bestimmen lassen
möchte, er könne nicht lange vor und nicht lange nach
1280 entstanden sein. Dem entgegen machte Laband in
seiner Arbeit über den Ursprung des sogenannten Schwaben-
spiegels geltend, dass es in ihm auch nicht an Andeutungen
fehle dass er unter der Regirung König Richards
verfasst worden, worüber er insbesondere in seinen Bei-
trägen zur Kunde unseres Rechtsbuches S. 23 und 24 handelt.
Es war zu vermuthen. dass nach den Untersuchungen welche
er abgesehen gerade von dieser Frage noch am bemerkten
Bodsrnger: Zur Ahfasdmgszeii des Schwäbenspiegela. 443
Orte veröffentiicbt hat Ficker sidi weiter in der Sache ver-
nebmeD lassen wurde. Das geschah denn auch in seiner
akademischen Abhandlang zur Genealogie der Hand&chriften
unseres Bechtsbuches , worin er glaubt , an der bisherigen
Ansicht die Abfassung desselben dürfe wegen der staats-
rechtlichen Sätze nicht vor die ersten Jahre König
Rudolfs gesetzt werden auch nach Erwägung der von
Laband aufgestellten Gegengründe festhalten zu müssen,
worauf er bei anderer Gelegenheit zurückzukommen denke,
wogegen er der Beweisführung des Verfassers, dass das
Yerhältniss zum augsburger Stadtrechte eine Ab-
fassung nach 1276 nicht nöthig mache, bereitwilligst
beistimmt, wie er das ja auch schon früher nur bedingt für
diesen Zweck geltend gemacht.
Fragen wir diesen so zu sagen ausschliesslich aus in«
neren Gründen gewonnenen wissenschaftlichen Ergebnissen
gegenüber nach allenfallsigen Datirungen der zunächst in
Betracht kommenden ältesten Handschriften, so stehen die
zwei Jahrzahlen welche hier yor allem ins Auge fallen mit
jenen Ergebnissen in keinem Widerspruche. Einige Hand-
schriften beziehen, sich nämlich auf eine Vorlage vom
Jahre 1282. Die lassberg'sche gibt uns den Beweis, dass
im Jahre 1287 der sogenannte Schwabenspiegel be-
reits vorhanden gewesen. Allerdings sind wir hiedurch
um keinen Schritt für eine nähere Bestimmung der Zeit
seiner Abfassung als die schon aus den eben berührten Er-
gebnissen hervorgehende weiter gefördert.
Wichtig werden in dieser Beziehung die aus einem zu
An£Einge des 16. Jahrhunderts gefertigten Einbände eines
Werkes der königlichen Bibliothek zu Berlin abgelösten
Bruchstücke einer Pergamenthandschrift des soge-
nannten Schwabenspiegels, über welche Pertz in der
.Sitzung der historisch-philosophischen Classe der Akademie
444 SitBung der histor, Clane wm 9. November ieS7,
der Wissenschaften daselbst vom 4. Febraar 1850 und im
Archive der Gesellschaft für ältere deutsche GeschichtkaDde
X S. '415—425 Nachricht gegeben, insofeme nadi seiner
Mittheilung „die Schrift noch mehr gegen die Mitte als
den Schluss des 13. Jahrhunderts, mithin in die für
jetzt wahrscheinliche Zeit der Entstehung dieses Beohts«
buches gesetzt werden muss/' Eine nähere Bestimmung ist
natürlich bei der geringen Anzahl dieser so interessantea
berliner Bruchstücke nicht möglich.
Sie wird es nunmehr durch den in unserer Handschrift
F erhaltenen Eintrag, wonach der oberpfälzisohe Edel-
knecht Heinrich der Preckendorfer von dem be-
rühmten Rudiger d6m Manessen aus Zürich eine
Pergamenthandschrift unseres Rechtsboches zwi-
schen den Jahren 1264^und 1268 zum Geschenke er-
hielt.
In welchem der genannten Jahre das der Fall gewesen,
vermögen wir nicht zu behaupten, da eine nähere Angabe
hierüber nicht gemacht ist, und uns das Reisboch des be-
neidenswerthen Besitzers der Handschrift nicht vorliegt, aus
welchem vielleicht bestimmtere Anhaltspunkte zu gewinnen
wären.
Von dem Eintrage auf Fol. 100' der Handsduift F,
dass der Pergamentcodex P bereits im Jahre 1264 geschrie-
ben gewesen, machen wir keinen Gebrauch, weil wir nicht
wissen, ob und welcher verlässige Grund für diese Bemerk-
ung den Besitzer von F geleitet haben mag, uns jedenfalls
ein solcher nicht zu Gebote steht.
Sicher ist nur, dass das Geschenk spätestens im Jahre
1268 gemacht worden, in welchem Jahre unser Edelknecht
mit seinem Schatze aus der Schweiz in seine Heimat zu-
rückzog. Bedenkt man nun, dass die jetzigen Annahmen
die Abfassung des Deutschenspiegels wie des sogenannten
BoAmffer: Zi»r JJbfastmgsteit du aehmben^pisgdB. 445
ScbwabenapiegelB nack Augsburg ^^ verlegen, dass von da
TieUeioht nicht gleich die allerersten Abschriften nach Zürich
gelangten, dass wahrscheinlicher Weise anch Bodiger der
Manesse sein Exemplar nicht schon im ersten Augenblicke
des Empfanges unserem Preckendorfer verehrt, so werden
wir immerhin auf einige Zeit noch vor 1268 oder auch
1267 oder vielleicht 1266 oder am Ende 1265 oder
gar 1264 hingewiesen. Muthmassnngen in der Beziehung
hängen vor der Hand in der Luft. Wir nehmen* daher
hieranf keine Rücksicht, sondern constatiren zur Zeit nur
gegenüber den bisherigen Ergebnissen das urkundliche
Zeugniss dass spätestens im Jahre 1268 der soge-
nannte Schwabenspiegel vorhanden gewesen.
VI.
Es ist uns wohl nunmehr noch gestattet, einige Folger*
nngen vorzuführen, welche aich nach der bisherigen Unter-
Boohung aus deb Mittheilungen über den leider zur Zeit für
Torloren zu erachtenden ohne allen Zweifel zu den ältesten
der bisher bekannten Handschriften des sogenannten Schwaben-
spiegels zahlenden Pergamentcodex für die früheste oder
wenigstens eine der frühesten Gestalten dieses
Reohtsbuches selbst ergeben.
Was zunächst das Buch der Könige anlangt, hat
Ficker mit guten Gründen ausgeführt, dass es ursprünglich
mit dem sogenannten Sohwabenspiegel verbunden^') gewesen.
Dennoch — bemerkt er — erscheint es, abgesehen von den
berliner Fragmenten, in keiner der ältesten Handschriften,
und auch im 14. Jahrhunderte überhaupt nur in fünf Hand-
schriften. Der Pergamentcodex P bietet nun einen ausreichenden
21) A. a. O. 8. 187 (283)— 172 (288).
22) £bendort S. 12 (124) ff.
446 ßHtung der hist&r. Clam wm 9. Niwember 1S67.
Beleg dafür, dass das Bacli der Eofiige wenigstens der alten
E T>ereit8 in einer spätestens in das Jahr 1268 feilenden
Handschrift des sogenannten Sohwabenspi^els mit unserem
Rechtsbuche verbunden gewesen.
Dass in ihr die im Dentschenspiegel wie in der homeyei^«
sehen Handschrift des sogenannten Schwabenspi^els nnm. 330
erscheinende Umarbeitung derPräfatio rhythmica des
Sachsenspiegels wie desPrologus und des sogenann*
ten Teztus prologi dieses letzteren Rechtsbuobes
nicht Torhanden gewesen, davon haben wir oben S. 439
und 440 gesprochen.
Dasselbe ist nach den Andeutungen auf 8. 440 besfiglidi
der beiden im Deutschenspiegel wie noch in der freiburger
und der bemerkten homeyer'schen Handschrift des sogenannten
Schwabenspiegels begegnenden Gedichte des Strickers
wie des in der herrenohiemsea'schen Handschrift erscheinen-
den Gedichtes des Freidank der Fall
Fassen wir näher den Inhalt einzelncor Artikel ins Auge,
soweit darüber die verhältnissmässig so geringen Einträge
in der Handschrift F einen Schluss gestatten , so erscheiat
nach ihnen zu Artikel 155 des Land- und Artikel 7 des
Lehenrechtes die vierte weltliche Knrstimme im Besitze
des Herzogs von Baiern, welcher erst durch Rasur und
Correctur getilgt ist, und auf diesem Wege im sogenannten
Schwabenspiegel — ob schon vor dem Jahre 1268, können
wir bezweifeln, vennögen es aber nach dem Wortlaute der
Einträge auf Fol. 100' und Fol. 150' nicht bestimmt zu
entscheiden — dem Könige von Böhmen hat Platz machen
müssen.
Betrachten wir einen anderen nicht unwichtigen ArtikeL
Hat Laband bereits'') die lange aus Bruder Berchtolds von
23) In seinen Beiträgen zur'Eande desSchwabenfpiegals S. 90
bis 82, 45 und 46.
Bockinger: Zur Abfasmngszeit da Schwabmspiegtis. 447
Regensburg Predigten entlehnte Abhandlang über die
Ehe als ursprünghch für den sogenannten Schwabenspiegel
in Anspmch genommen so erwächst dieser Annahme ein
bedeutendes Gewicht dadurch dass gerade die in Frage
stehende spätestens dem Jahre 1268 angehörige Pergament-
handschrift P selbe bereits enthalten hat.
Nicht ohne Bedeutung ist sodann die Frage nadi der
Eintheilung des gesammten sogenannten Schwaben-
Spiegelwerkes sowohl im grossen Ganzen als in «einen
etwaigen Unterabtheilungen.
Was hier zunächst das Landrecht betrifft, machen
viele Handsdiriften , darunter die im Jahre 1287 gefertigte
oder wenigstens auf einer Vorlage vom Jahre 1287 fassende
lassberg'sche, ohne alle und jede Rücksidit auf einen innern
Scheidungsgrund — welcher eine Dreitheilung in L Artikel
1 bis 117, 118 bis 313 b, 314 bis zum Schlüsse rechtfertigen
würde — nach L Artikel 219 eine Abtheilung, wonach das
ganze Landrecht in zwei Theile zerfallt. Der Eintrag
in der Handschrift F auf Fol. 123 erweist diese Scheidung
als bereits in der Pergamenthandschrift P vorhanden.
Was sodann die Frage nach den Ueberschriften der
^n diesen Hanptabtheilungen erscheinenden Artikel
anlangt, ist nicht nur durch den Eintrag auf Fol. 62' und
63 zu den L Artikeln 9 und 14 erwiesen, dass die Pergameni-
handschrift P solche für den ersten Theil des sogenannten
Schwabenspiegels L 1 — 117 hatte, sondern belegt auch der
Eintrag auf Fol. 116, dass sie für den zweiten von
L Artikel 118— 313b reichenden Theil vorhanden waren.
Was weiter die Frage nach der gleichzeitigen oder
späteren Entstehung des dritten Theiles betrifft, adhuc sub
judice lis est. Bekanntlieh hat Ficker sieh von der letzteren
Absicht gegenüber Laband auch noch in seiner akademischen
Abhandlung zur Genealogie der Handschriften des sogenannten
Schwabenspiegels nicht losgesagt. Entgegen hält aber auch
#48 Sitgung der histar,, (Xasae wm 9* Noumber 18^7.
Labaud die ergtece seinerzeit voa ihm in dßn Beiixagen
ZOT Kunde des Schwabenspiegels geltend gemaohte Anschjauung
noch fortwährend fest, indem er in der Zeitschrift für Rechts*
geschiebte III S. 154 bemerkt, obgleich er gestehe in manchen
Punkten beriditigt worden zu sein, beharre er doch bei
gewissenhafter Prüfung der Streitfrage noch beute bei seiner
Ansidit. Die Einträge welche uns die Handschrift F über
P erhalten hat können uns für eine Entscheidung in dieser
Beeiehung keinen Beleg liefern. Es findet sich unter den
leider sehen bald nach dem Anfange immer spärlicher er-
scheinenden Bemerimngen zu der ganzen Partie von L Ar-
tikel 314 an bis zum Schlüsse des Land- und Anfange des
Lehenrechtes gar keine« Allerdings dürfen wir w All annedimen,
dasa das Auffallen des Mangels dieser ganzen Partie zu einer
Mittheilung hierüber Veranlassung hätte bieten müssen, ins-
besondere da sich eine solche bezüglich des Anfanges des
Lebenrechtes findet. Und insofeme liegt uns wenigstens ein
Grund zu der Annahme vor. dass wenigstens spätestens
im Jahre 1268 der dritte Theil des Landrechtes
bereits fest mit den beiden ersten ?erbunden ge-
wesen.
So widitig eine Entscheidung des berührten Punktes für
die Möglichkeit einer näheren Bestimmung der
Zeit der Hauptentwicklungsstufen des sogenannten
Schwabenspiegelwerkes /wäre, die eben beklagte 'so
geringe Anzahl der noch dazu im allmäligen Verlaufe fort
und fort sich mindernden Einbräge, wie sie einerseits die
scharfe Erkennung der Gruppe hindert welche die Perga-
meuthandschrift P vertreten hat, tritt sie auch dort nicht
fordernd in den Weg.
Was endlich das Lehenrecht anlangt, eischeint das-
selbe nach dem Eintrage auf Fol. 148^ neigen dem wie bemerkt
in m^ Theile ges^edenen Landrechte ausdirücklich als
Sochinger: Zur Ätfastunffsgeii des S^iwdbempitgtils. 449
80 bezeichiieter dritter Theil des gesammten soge-
nannten Schwabenspiegelwerkes.
^ Anch über den Schluss des Lehenrechte« selbst
entnehmen wir dem Eintrage auf Fol. 182, dass der letzte
Artikel desselben L 154 bis zu den Worten „da Ton daz er
desz heerschildes darbet^* entsprochen hat, während nns jener
Eintrag weiter das Schlusswort in der spätestens in das
Jahr 1268 fallenden Pergamenthandschrift P in dem aaf
S. 435 und 436 mitgetheilten namentlich vom vorletzten auf
den letzten Absatz zu gegen die Fassung von L 159 nicht
unmerklich gekürzten und in dieser Rücksicht mehr zu den
alten Codices germanici 21 und 23 der münchner Staats-
bibliothek wie theilweise zur ambraser Handschrift stim-
meuden Wortlaute vorfuhrt.
vn.
Wie erfreulich nun nach verschiedenen Seiten die Er-
gebnisse sind wozu wir in der vorhergehenden Untersuchung
durch die Einträge geleitet wurden welche die Hand-
schrift F aus der Pergamenthandschrift P erhalten hat, mit
um so grösserem Schmerze muss auf der andern Seite er-
füllen, dass dieses Kleinod selbst nicht zu Gebot steht. Wenn
es nicht die Ungunst der Zeiten vollends vernichtet hat, wo
es allenfalls noch zu suchen und zu finden sein dürfte, wir
vermögen darüber nichts zu bestimmen. Der letzte Anhalts-
punkt welcher uns zur Verfugung steht ist nur, dass es am
7. Februar 1609 sich zu Regensburg und zwar in Privathänden
befand. Ob die Wogen des dreissigjährigen Krieges schon
es von dort oder überhaupt hinweggespült? Ob es späterer
Zeit zum Opfer fiel? Ob es am Ende noch gegenwärtig
irgendwo innerhalb der Mauern der einstigen Reichsstadt
oder anderswo verborgen weilt und endlicher Erlösung
harrt?
Nachforschungen in dieser Beziehung möchten im In*
4&0 SiUfing der At^tor Ofasse vom 9.- Nomnber 1867.
teresse des, gegenwärtig mehr als je za eiaem gedeihlichen
Abschlüsse drängenden »ogenannten Schwabenspiegelwerkes
gewiss in hohem Grade angezeigt erscheinei). So wird man uns
denn schwerlich verargen woUen, dass wir mit dem nicht
ungerechtfertigten Wunsche schliessen, es möge den Männern
der Wissenschaft welche hier oder dort hiezu Gel^enheit
und Müsse haben gefallen, ihr Augenmerk hierauf za
richten. ^
Herr Graf von Hundt gab:
„Beiträge zur Feststellung der historischen
Ortsnamen von Bayern, {insbesondere des
ursprünglichen Besitzes des Hauses Witteis-
bach."
JSimefudungmiom DrwiMuriftm. 451
EinBendungen von Druckschriften.
Vom Herrn August Grunert in Oreifmedld:
Archiv für Mathematik and Physik. 47. Theil. 3. Heft. 1867. 8.
Vom Herrn HL A. Stern in Oöttingen:
üeber die Bestimmang der Gonstanten in der Yariationsreohnang.
1864. 4.
Vom Herrn Hermann von Meyer in FrankfiArt a. M, :
Palaeontographioa. Beitr&ge zur Natorgesehichte der Yorwelt.
17. Band. 1. Lieferung. Kassel. 1867. 4.
Vom Herrn i9. EtHnghausen in Wien:
a) Die fossile Flora des Mährisch-Schlesischen Dachschiefers. 1865. 4.
b) Die Kreideflora von Niederschoena in Sachsen, ein Beitrag zur
Kenntnias der ältesten Dicotyledonen-Gewächse. 1867. 8.
o) Die fossilen Algen des Wiener und des Karpathen-Sandsteines.
1868. 8.
d) Die fossile Flora des Tertiär-Beckens Ton Bilin. 1. Theil.
1866. 4.
Vom Herrn MoriU BMmann in Leipgig:
Untersuchung über die Aenderung der Fortpflanzungscfeschwindig-
kcit des Lichtes im Wasser durch die Wärma 1867. 8.
452 Einaenämigen von Dmcftsehriftm.
Vom Herrn M(xHhew Ryan in WasMngUm:
The celebrated theory of paralleles. Demonetration of the celebrated
theorem. Euolid 1. Axiom. 12. 1866. 8.
Vom Herrn JE?. Segd in 8$, Petersburg:
a) Enumeratio plantaram in regionibus eis- et iranBilienBibas a Se-
menovio 1857 collectarum. Moskau 1866. 8.
b) InternatioBal-Aasstellang Ton Gegenständen, des Gartenbaues im
FrüHinge 1867 in St. Petersburg. 8.
c) Index seminum, qnae hortus botanicus imper. Petropolitanus pro
mutna commutatione offert. 1866. 8.
Vom Herrn Carlo Anedm in Piacenga:
Quadratura del circolo sooperta. 1867. 8.
Vom Herrn GuHav Hinrichs in Jowa^ State Joufa:
On the spectra and composition of the elements. 1866. 8.
Vom Herrn BudcHf Wolf in Zdrich:
Äotronomisehe Mittheüangen. 22« und 28. 1867. 8.
Vom Herrn Ä. T. Kuptfer in 8t. Petersburg:
Compte-Bendn-Annuel. Ann6e 1894. 1865. 4.
Vom Herrn Giovatmi Oogsadi^i in Bologna:
Di alouni sepolcri della necropoli felsinea ragguaglio 1867. 8.
Vom Herrn F. J. Fietet in Genf:
Notice sur les calcaires de la porte de France et sur quelques gise-
ments voisins. 1867. 8.
Skmidimgmi von JMmeMwifim. 46S
V(m VeräH für OesMckte der Deut9chen in Böhmm in Prag:
a) Mittheilnngen des Vereins. 6. Jahrg. Nr. 2-— 6.
6. „ „ i. 2. 1866. 67. 8.
b) Fünfter JahreBbericht. Vom 16. Mfii 1866 bis 15. Mai 1867. 8.
c) Statuten. 1866. 8.
d) Mitglieder- Verzeichniss. GeabbloGsen am 7. März. 1867. 8.
Von der deutMChen morgenländi$c7ien Gesefkchaft in Leipzig:
a) Zeitschrift. 21. Bd. 3. Hfl. 1867. 8.
b) Indische Studien. Beiträge für die Kunde des deutschen Alter-
thums. 10. Bd. 2. Hft. 1867. 8.
Vom statistisch-geographischen Bureau in Stuttgart:
Württembergische Jahrbücher für Statistik und Landeskunde. Jahr-
gang 1865. 1867. 8.
Von der Societd itaiiana di scienze naluraili in Mailand:
Atti. Vol. 8. Fascic. 8. 4. 5.
„ a „ 1. 2. S. 1866. 66. 67. 8.
Vom Fondazione sdentifica (JagnoJa in Mailand:
Atti. ' Vol. 4. Pari 1. 2. 3. 1866. 8.
Von der allgemeinen geschichtsforachenden GeseQschaß der Schweiz in
Zürich:
a) Archiv für Schweizerische Geschichte. 15. Bd. 1866. 8.
b) Schweizerisches Urkunden-Register. 1. Bd. 8. Hft Bern 1866. 8.
Vom Musie Teyler in Harlem:
Archiyes. Vol. 1. Fasa 2. 1867. 8.
Fffi der SociiU des aeiences physiquea et naturelles in Bordeaux:
Memoires. Ton. 4. 1. cahier (snite)
., 6. 1. „ 1866. 67. 8.
[1867.n.8.] 80
464 Simmämgm wm DrudBtekriftm.
Von der SoeiM impMale des naktralietee in Moskau:
BoUeün. AnnSe 1866. Nr. 8. 4. 1866 8.
Von derÄeadimie impMaie des seiences, airts et heüesleUresinDHon:
Memoires. 2. S^rie. Tome 12. 18. Ann^e 1864. 1866. a
Von der SocUU Sotani^pte de Fremoe in Baris:
Balletill. Tom. 14. 1867 (Reyne bibliograpbie) G. 8.
Von der Historisch Genootschap in Utrecht:
a) Eronijk. 22. Jaargang. 6. Serie. 2. Ded 1867. 8.
b) Werken. Nieuwe Serie Nr. 7. 1867. 8.
Von der American phHosopkieal Society in PMadelphia:
Proceedings. Vol. 10. 1866. Nr. 76. 76. a
Von der Äccademia di sdense woreiU e potitidhe in Neapet:
Rendiconto. Anno sesto qoaderni di Lnglio e Agosio 1867. a
Vom historischen Verein der fOnf Orte Lusem^ Uri, Sdnoys, Unter-
wälden und Zug in Einsieddn:
Der Gescbicbtsfreond. 22. Band. 1867. a
Von der Acadhnie impiriak des sdences in St. Teter thurg:
a) Bulletin. Tom. 11. Nr. 8. 4
f „ 12. „ 1. 4.
b) Memoires. Tom. 10. Nr. la
„ 11. „ 1.— a 1867. 4
c) Melanges mathematiqnes et astronomigue. Tom. 4. 8.
d) Jabresbericht am 20. Mai 1866. Dem Gomit^ der Nikolai-Hanpt-
Sternwarte abgestattet vom Direotor der Sturnwarte. 8.
Bki$enämffm wm BfmMmfkn. 456
Yen der Acaäime äes edenceg in Birts:
Gomptes rendns hebdomadaires de B^ances. Tom. 65. Nr. 6. 7. 10. 11.
Von der meieordlogisehen Central'ÄnstdU der achweigerischen nalur'
forschenden OeadUchaft in Zürich:
MeteorologiBohe Beobaohtongen. Dezember 1866. Januar Februar
1867. 4.
Vem hrnrnkUß NederlandaA meteorologisch Im^itwat in Utrecht:
Meteorologisch Jaarbock voor 1866. 2. Deel. 1867. 4.
Von der kaiserlichen UmcersHäts-Stemwarte in Dorpat:
Beobachtungen yon Dr. H. Maedler. 16. Bd. 1866. 4.
Von der Zoohgiccd Society in London:
a) Tnuuractions. YoL 6. Part. 1. 2. 3. 1866. 67. 4.
b) Prooeedinga. Part 1. 2 8. 1866. &
Von der BodM des seienees de Fifdande inHdsingfors:
a) Acta Societatis scientiamm Fennioae. Tom. 8. Pars. 1. 2. 1867. 4*
b) Bidrag tili Finlaads natnrkännedom. 10 Heft. 1867. 8.
c) Bidrag tiU kännedom af Finknds natnr och folk 7. 8. 9. 10 Hft
1866. 67. 8.
d) Oeversigt af Finska Yetenskaps-Societetens. Förhandligar 6.
7. 8. 8.
Vom Istituto technico in Palermo:
Giomale di scienze natnrali ed economiohe. Anno 1867. Vol. 8.
Fase. 1. 2. 8. 1867. 4.
Von der Boyai Society in London:
a) PhüoBophieal traosaetions. For the year 1866. 1867. YoL 156.
157. Part. 1. 2. 4.
30*
456 EiH9endiimg€n van Dru^sädiriftm,
b) Proceedinga. Vol. 16. Nr. 87—^3.
., 16. „ 94. 1866. 7. 8.
c) FellowB of tbe Society. November 30. 1866. 4.
Von der Academie royale des sciences des lettres et des heaux-arts de
Belgiqite in Brüssel:
a) Memoires. Tome 36. 1867. 4.
b) Bulletins. 35. Ann^e. 2. Ser. Tom. 22. 1866.
36. „ 2. „ „ 23. 1867. 1866. 8.
86. „ 2. „ „ 24. Nr. 9 et 10. 1867. 8.
c) Annuaire. 1867. 8.
d) Tables generales et analytiques da recueil des bulletins. 2. Serie.
Tom. 1. a 20. 1857 a 1866. 1867. 8.
e) Biographie nationale Tom. 1. 2. Partie. Lettre 13. 1867. 8.
Vom Observatoire rayäl in Brüssel:
a) Annales. Tome 17. 1666. 4.
b) Annuaire. 1867. 84. annee. 1866. 6.
Von der Begia Äccademia di scienze, Uttere ed arti in Modena:
Memorie. Tom. 7. 1866. 4.
Vom B, Ossenxxtorio in Modena:
Bulletino meteorologico. Vol. 1. Nr. 4 — 7. 4.
Vom Äteneo Veneto in Venedig:
Atti. Serie seconda. Vol. 4 1867. 8.
Von der h k. Akademie der Wissenschaften in Wien:
a) Denkschriften. Philosophisch -Historische Clagse. 15. Bd. 1867. 4
b) Sitzungsberichte. Philosophisch-Historische Classe.
54. Band. Heft 1—^. Jahrgang 1866. Oktbr. Novbr. Dezbr.
55. „ „ 1 „ 1867. Januar. 8.
o) Denkschriften. Matiiematisch-nflturwissenBchaftliohe Classe. 26 Bd.
1867. 4.
Mi/nimdmgm van Druf^achHftm. 457
d) Sitzungsberichte. Mathematisch-natnrwimnscliaftliehe Classe.
64. Band. 4 und 6. Heft. Jalurg. 1866. Noybr. Dezbr.
65. „ 1 „ 2. „ „ 1867. Januar. Februar.
Erste Abtheilung. Enthält Abhandlungen aus dem Gebiete der
Mineralogie, Botanik, Zoologie, Anatomie, Geologie und Pa-
läontologie. 1867. 8.
e) Sitzungsberichte. Mathematisch-naturwissenschaftliche Classe.
54. Band. 5. Heft. Jahi^. 1866. Dezember.
55. „ 1. u. 2. Heft. Jahrg. 1867. Januar. Februar.
Zweite Abtheilang. Enthält Abhandlungen aus dem Gebiete
der MathemÄik, Physik, Chemie, Physiologie, Meteorologie etc.
1867. 8
i) Archiv für österreichische Geschichte. 87. Band. 1. und 2. Hälfte.
1867. 8.
Von M h. preuasiichen Akademie der Wiseensc^ten in BerUn:
Monatebericht. Juli 1367. 8.
Von der physikaHaek-medicimscken Gesellschaft in WurMburg:
Würzburger medicinische Zeitschrift. 7. Band. 5. und 6. Heft
18ß7. 8.
Von der Geachichts- und aUerthumeforachenden Geseüechaft des OsteT'
landes in AHenburg:
Mittheilnngen. 7. Band. 1. Heft. 1867. 8.
Von der pfälzischen Gesdlschaft für Fharmacie etc. in Speier:
Neues Jahrbuch der Pharmacie und verwandte F&chor. Zeitschrifl.
Bd. 28. Heft. 4. Oktober. 1867. 8.
Von der Phüomaihie in Neisse:
a) 15. Bericht vom März 1865 bis zum Juli 1867. 8.
b) Geschichte der Stadt Neisse mit besonderer Berücksichtigung des
kirchlichen Lebens in der Stadt und dem Fürstenthume von
A. Kastner. 1866. 8.
458 JSJMMiidiifi^efi MW Druekiekriflm.
Vom Verein für NahMrhmde tu Mannheim:
83. Bericht. Erstattet am 28. Februar 1867. Nebst wissenBchafl-
liohen Beiträgen. 1867. 8.
Van der Senkenbergischen naturfaraehenden QeeelUtSkafi in Ftankfmri
am Jlfotn:
Abhandlongen. 6. Bd. 8. imd 4. Heft. 1867. 4.
Vom Verein für heseische Geschichte und Landtshmde in Kased:
a) Zeitschrift Statistische Mittheilungen. 9. Supplement 8. Liefg.
1867. 4
b) Mittheilungen. Nr. 28. 24 und 1. 2. Deiember 1866 — April
1867. 8.
c) Zeitaohrift. Nene Folge. Erster Band. Heft 2. 8. 4. 1867. 4.
Van der naturforsehenden OeeeOschaß in Freiburg:
Berichte über die Verhandlungen. Band 4. Heft 1. 2. 8. 1867. 8.
Van der OherlausHeiechen OeseUachaft der Wiseenschaften in GMiUz
Neues Lausitzisches Magazin. 44. Bd. 1. Hft. 1867. 8.
Van der üni/oersität in Eeiddberg:
Jahrbücher der Literatur. 60. Jahrg. 8. Heft. August 1867. 8.
Van der BedakHan der SiUungsherichie der OM^rten Mnd üeols cfculen
Württembergs in Stuttgart:
Correspondenzblatt Nr. 9. 10. Septbr. Oktbr. 1867. 8.
NaMrag. 459
Nachtrag za S. 392 (Berthold).
Aas dem eben aasgegebenen Hefte des Jahrbaches f.
roman. and engl. Liter. (YIII. 213) sehe ich, dass Patedas
nicht mehr ganz anbekannt ist, and dass sein yerlomes
Werk Enaeg (eben anser liber de tediis) schon im Jahr-
bache VI. 223—224 erwähnt warde, femer YOn seiner
metrischen Paraphrasirang der Proverbia Salomonis in der
Bodldana in Oxford (Man. Canonid 48) ein Bruchstück
Ton 38 Hexametern existirt, Ton welchen A. Massafia a.a.O.
einen neaen Text aas dem in Venedig aafbewahrten hand-
schriftlichen CoUectaneen des Apostolo Zeno mitgetheilt hat.
Wir sehen ans diesem der ehemaligen Saibantisdien Biblio-
thek in Verona entstammenden Fragmente, dass der Name
des Aators Girard Pateg (da Cremona) geschrieben ist,
was nach Massafias AasfohniDg als mandartliche Form
(Patey aaszasprechen) für toskanisches Patecchio, latinisirend
Patedo and gatlateinisch Patecalas, angesehen werden mass.
Sitzung« bericlile
der
kojti'j-' '
kadeinio der WKH..ii8cbiift«u
zu Muiichea.
l- il. H'
i\ h i>«T«irh«s:u
Sitzungsberichte
der
kOfiigL bayen Akademie de; Wissenschaften.
Philosophisch-philologisclie Classe.
Sitzung vom 7. Dezember 1867.
Herr Bofmann legt vor von Herrn Zingerlo in Inns-
bruck :
„Bemerkungen zum Nachtsegen/'
Die Sitzungsberichte der k. bayer. Akademie theilten
den in mehrfacher Beziehung merkwürdigen „Nachtsegen'^
mit und gaben sowohl bei dem Erscheinen desselben (1867.
IL Ij p. 1 — 16), als später ebenda (p. 159) höchst dankens-
werthe Erläuterungen dieses namentlich in culturhistorischer
Beziehung wichtigen Denkmals. Wenn ich mir erlaube,
nochmals darauf zurückzukommen, so möchte ich nur einiges
zur Bestätigung des schon gesagten beibringen; denn wo
eine so tüchtige Hand schon gearbeitet hat, bleibt einer
zweiten nur eine karge Nachlese über.
Zu V. 1 „das saltir deus brunnon" bietet eine Parallele
die Beschwörung in der Erzählung „Irregang und GirrQgang''
/l%ii dem Verse:
11867. n. 4] 31
462 SiUung der phüa8,^hüol, Claase wm 7. DeMemher 1867.
„Bi deas salter ich dich swer"^).
Wenn „brnnnon" berechtigt ist, dürfte damit der
49. Psalm: „Quemadmodum desiderat ^cervns ad fontes
aquarnm etc/' oder der '136. : „Snper flamina Babilonia*'
gemeint sein. Ist aber vielleicht nicht zu lesen:
„Daz saltir deus benedictum,
daz hoyste numen divinum'^?
Zu y. 6 verweise ich auf ,,Der Seelen Trost" 3*) und
Geilers Emeis.*) Einen der interssantesten Berichte fiber
die Nachtfahr giebt Vintler in seiner „Blaeme der Tagend",
wo er die schon aus Qrimms Mythologie p. 1011 mitgetheilte
Legende vom heiligen Germanns erzahlt. Da seine Dar-
stellung meist anbekannt sein dürfte, theile ich dieselbe zum
Theile hier mit. Am Schiasse des Absdmittes über den
Aberglaaben seiner Zeit sagt er:
So varen etleich mit der var
aaf kelbem and auf pöcken
darch staine und durch stocken
und fahrt dann fort:
Von dem schreibt also Gregorius
in seinem puech dyaloguSi
das ain pischolf was,
der hiez Germanus, als ich las,
und was gar ains hailigen leben.
nu was dem selben pischolf geben
ain ander pistum ze Ravenn
als man noch wechselt ettewenn
umb die pistum ietzund.
nu ward dem selben pabest kunt,
1) HGA. LV V. 89.
2) Zeitsclirift für deutsche Mandarten I. 188.
8) Stöber. Zur Geschiohte des Yolksaberglaabens. Ba8ell856p.l8.
Zingerle: Zum NaekUegen. 463
er solt den pischolf von Baveim
schicken in die stat ze Senn,
da er vor pischolf was gewesen
nnd das er da solte lesen
Christenleichen glauben drat.
also fiir er in die stat
za ainem wirt, der was nnfro
nnd sprach zu dem pischolf do:
i^herre mein, ich weit dass ir
heint die nacht nicht wärt pei mir,
wann wir haben heint ze 8cha£fen,
darzu wir nicht bedürfen püaffen/'
do sprach der pischolf: „sage an,
was haben dir die pfaffen getan,
das du si nicht leiden wilt?''
„herr do hob wir hebt ain spil.
das wir sicher alle sampt
varen mit der yar zehant.'^
do sprach der pischolf: „sag mir war,
was ist das, das man die var
haisset hie, mein lieber frewnt?^^
„herr das tuen ich ew wol kunt,
unser seind hie in der stat
wol zwainzig, die da in dem rat
sein die pesten sicherlich.
herr, die varen all als ich."
„nu sag, mein irewnt, wo vart es hin?''
„herr, wir varen nach gewin.
wo uns nuer der will hin get,
da sei wir für sich an der stet.''
„vart es danne ainen steg?"
„nain, es vert iederman sein weg.''
„nu wann kumpt es herwieder?"
„zu mittemacht lass wir uns nider
31*
464 SitMung der phüoe.-pMM. Olasse vom 7. Dezember 1867,
wider in das selbe haus,
da wir sein gevarea ans/'
„und wie gesecht es auf der strass?''
„herr, wir gesechen pass,
dann ob wir füren ze mittertag."
,,nu sag an frewnt, wes ich dich frag:
esset es under wegen nicht?'^
„herr, wir haben allen gericht,
der man nuer gedenken kan.
wo wir wissen ain reichen man,
der do hat kost und wein,
da selbs da vam wir alle ein
und essen was wir bedürfen da,"
„nu sag mir, lieber freunt, wa
weit es heinte varen hin?"
„ich sag euchs, herr, als ichs rernim:
wir wellen heinte ain verzeren
des mag er sich nicht erweren,
des sei wir worden in ain,
das er muss sterben an aim pain."
„nu underweise mich auch des:
was habet nuer ze reiten es?"
„herr, wir haben ze reiten gnug
iederman nach seinem fug.
ainer reit ain kue, der ander ain hunt,
der dritt ein kalb, dem vierden pald ain gais kumt,
der fünft ain podc, der sechst ain swein,
der sibent ain stul, der acht ain schrein"
„nu sag mir, zarter wirt mein,
möcht ich nicht ewr geverte sein,
das ich auch sagen kunt davon."
der wirt der sprach: „ia trawn,
ob ir sein euch biet bedacht,
ir möcht halt varen heinte nacht."
JüingwU: Zum NaeMsegen. 465
nmb die zeit als tag unt nacht sich schait
und umb die ersten hanen krait,
80 Bolt ir kamen in mein kamer,
da yiudet ir uns pei einander^' etc.
Bei bicrizen v. 7 möchte ich das dialectiscke kritzen
(Schöpf 347) — eine Kerbe machen — herbei ziehen. Ohne
Zweifel hatte es die Bedeutung durch einen Einschnitt be-
zeichnen, und dann bezeichnen überhaupt. Vielleicht wurde
es auch mit dem Begriffe „zmn Schutze, schützend bezeich-
nea^' wie segnen gebraucht.
y. 9. Dient das „die Guten" schon zur Bezeichnung
der Eiben. Noch heutzutage ist der Name „Gütchen"^) ein
fest PO allgemeiner Name für elbische Geister wie „gute
Holde/^ Simrock Myth. 482. In derselben Bedeutung kommt
„guoter" auch schon in der früher genannten Erzählung
Irregang und Girregang vor:
Er solde sin ein guoter
und ein pilewiz geheizen^)
Zu ▼. 14 bemerke ich, dass in Mähren der Nanie
Skritek*) gleichbedeutend wie skreti vorkommt. Jedenfalls
möchte ich hier Schrite für gleichbedeutend mit Schrat,
Schrätle nehmen ^ somit für Kobolde, die auf den Wegen
sich umtreiben und den Wanderer necken und belästigen.
Zu y. 19. Vergleiche Meiers Sagen aus Schwaben
Nr. 140—158. Birlinger Sagen I, 33 ff.
V. 20. 21. Geilers Stelle lautet vollständig: Also redt
der gemein man darvon, das die, die vor den zeiten sterben
4) Den frommen Gut oben nah verwandt. Göthes Faust IT, 51.
Daemones, qni qnotidie partem laboris perficiunt, corant jumenta, et
qao8, quia generi' hnmano mites sunt aut saltem esse videntur, Ger-
mani Gatelos appellant. Georg Agricola de re metallica (1561,
Xn. p. 492).
5) H G A. LV, 1002.
6) Grolunann, Aberglauben und Gebrauche Nr. 80.
466 SiUung der phihs^-phtM, Claase wm 7. Dezefnber 1667,
66 den das innen got hat nS gesetzt, als die, die in die
reisz laa£fen und erstochen werden, oder gehenckt nnd ertrendct
werden, die mUszen also lang nach irem todt lanffen bycz
das das zyl kumpt, das innen got gesetzet hat, und dan so
würckt got mit innen waz sein göttlicher will ist. Und die,
die also lauffen, die lauffen aller meist in den fronCeuteD,
nnd Yorausz in den fronfasten vor weinnachten; das ist die
heiligest zeit. Und lanfft yetlicher als er ist , in seinem
cleide.
Zu y. 23 „alb unde elbelin" Tgl. den Anfang eines
Alpsegens: „Alp oder Elbin", den Orohmann in seinen Ge-
bräuchen Nr. 114 mittheilt.
y. 27 u. 30. Das Wort „Mahr" lebt noch in der
Volkssprache fort, s. Kuhn mark. Sagen Nr. 185. Kuhn nord-
deutsche Sagen p. 418. Wolf niederl. Sagen Nr. 249 ff.
Vgl. über Mahr Wolfs Beitk>äge II, 264 ff.
Ueber Trute vgl. Zingerle Sitten 36, 62, 139, 148, 166,
190. Sagen p. 337, 347, 348, 426, 427.
Truden oder Mahrsegen finden sich häufig: Grohmann
Gebräuche Nr. 113, 114, 130. Kuhn westfälisdie Sagen
II p. 191. Pröhle Harz-Bilder p. 80. Kuhn nordd. Ge-
bräuche Nr. 458. Grimm Mythologie 1194.
Zu y. 31 und 32 Trgl. die Verse eines Fiebersegens:
Hat dich fiberritten ein Mann,
so segne dich Gott und S. Gyprian;
hat dich überschritten ein Weib,
so segne dich Gott und Mariae Leib.
Wolfs Beiträge p. 256.
Zu 31 vgl. „dich hat geriten der mar.'' HGA.
LV, 646.
36. Wenn hier cruchen = mit einer Krudce, einem
Hacken fangen bedeutet, ist wohl an den oftgenannten
Hackemann (Gurtze Nr. 61. Meier I, 149. Müller, nieder-
Sachs. Sagen Nr. 90 nnd Anm. Stöber Nr. 324) zu denken.
Zingerk: Zum NoMwgm. 467
In der EJnülilaDg Irregang und Girregang kommt in der Be«
aohworang vor: „und bi Getanis krükken." H G A. LV,
1320.— Vielleicht steht aber hier „chruchen'* für chriechen? —
y^anehudien^^ bedeutet hier wohl aufhocken, aufsitzen.
Kobolde und Geister lieben es, Wanderern aufzuhocken und
sich von ihnen tragen zu lassen, ygl. Lütolf Sagen p. 126,
Zingerle Sagen Nr. 250, 251. Pröhle Harzsagen p. 77, 117.
Grimm Sagen I; 129. Panzer I, 178. Bechstein, thüringer
Sagenbuch I, 105. Kuhn, norddeutsche Sagen p. 120. Groh-
mana Gebrauche Nr. 58.
V. 39. Der Volksglaube von der Klage, Klagemutter
(Dlula) lebt heute noch fort, ygl. meine Tiroler Sitten Nr. 367.
368. Grohmann Gebräuche Nr. 31.
V. 41. Herbrant, Trgl. Kuhn westfäl. Sagen II, 26.
„Den Drak nennt man in Freckenhorst Herbrant. Wenn
der Hiarbrand in ein Haus fallt, so brennt dasselbe nach
sieben Jahren ab.^* Vrgl. Wöste Volksüberlieferungen p. 40
und Montanus p. 39. Es Tertritt dies Herbrant den tirol-
isohen Alber. fierbrote ist wohl nur als Feminin zu Her-
brant zu fassen, wie Termuthlich t. 23: „alb unde elbelin'^
letzteres fiir eibin steht Vrgl. in einem Segen (Wolf Bei-
trage I. 254) „do mutten ihnen Alf medi Alfinne.''
Zu „Molkenstellen" y. 43 vgl. Lütolf Sagen p. 575.
Zingerle Sagen Nr. 545. Vonbun p. 20. Müller, sieben-
burgische Sagen p. 106. Wolf, niederländische Sagen p. 370.
Rochholz II, 167. Vintler sagt:
und ?il iechen, man stele der chue
die milch aus der wammmi.
und Geiler predigte über diesen Glauben (Stöber p. 62).
V. 45. Yuzspor ist wohl eine Krankheit an den Füssen,
Ygl. das Yolksthümliche : Maulsperr, herzgespor, herzgespör,
Sdiopf Idiot. 687.
Zu Y. 49 entsehen, Ygl. Geiler: Item wir sahen men-
schen, die mit dem gesiebt sollen ein Ding Yergiften; als
468 SUsrung der phüos.-phüol Gasse wm 7, Desember 1867,
dick beschicht, dasz zauberer oder hexen ein kind anaehea.
so sol es nimer goot mee thuon, und dorret und verdirbt etc.
Stöber zur Geschichte d. V. A. p. 45. lieber das Entsehen
theilt Grohmann viele Aberglauben mit p. 155 £f.
Zu V. 50. In Patznaun schreckt man die Kinder mit
dem Waldmännlein Märzhackel und sagt: Geht nicht allein
in den Wald, sonst kommt das Märzhackel und schneidet
euch die Schinken ab. (Meine Gebräuche Nr. 18.) Hieher
beziehen kann man auch Vintlers Stelle:
So sein ettleich als bc^liend,
das sew varen hundert meil
gar in einer kleinen weil;
sunderleich die prechen leuten ab
die pain, als ich gehöret han.
V. 51. Vom Saugen der Trude sagt Vintler:
so spricht maniger tummer leib,
die trutte sei ein altes weib
und chunne die leut saugen.
Der Glaube, dass Truden, Hexen eta das Blut aus-
saugen, lebt noch fort. Zingerle Sagen Nr. 750. Vonbun
p. 23. Schön werth I, 211. Grohmann Gebräuche Nr. 117,
118, 124. Vgl. auch dort das Bluttrinken in den Zauber-
segen Nr. 1144, 1248. 1300.
Zu V. 55 vgl. die Verse:
dich hat geilten der mar,
ein elbischez äs,
du solt daz übele getwas
mit dem krinze vertriben
HGA. LV. 646 und
nü sagä mir, elbischez getwas.
Ebendort v. 1310.
V. 68 ist vermuthlich „bi dem babes olio untus = oleo
unctus'^ zu lesen. Der babes, wahrscheinlich steht bäben für
ZingtfU: Zum NachUegm. 469
babes, oleo ancto8 vürde vermuthlich Aaron sein, von dem
Radolf in seiner Reimchronik sagt:
daz heilic öl er im dö göz
uf daz houbet sin, daz ran
unz an den part dem reinen man,
als an dem -salter noch da stät.
D&?!t d& von gesprochen hat:
als diu salbe, diu so schöne
ran nider Aärone
von . dem houbet in den part,
und vürbaz ran nq,ch siner art
unz an sin gewandes ort.
Es wäre dann der 32. Psalm gemeint , in dem man
h'est: y^sicut unguentum in capite, quod descendit in barbam,
barbam Aaron, quod descendit in oram vestimenti ejus.'^ —
V. 65. 66. Unter laudem deus ist vermuthlich der
108. Psalm mit dem Anfange : „Deus laudem meam ne ta<
cueris", sowie „bi dem voce mens" der 76.: „Voce mea
ad dominum damavi^' gemeint.
V. 73 ist ohne Zweifel „Jerusalem '' zu lesen und dabei
das Himmelreich, das Jerusalem der Apocalypse zu ver-
stehen. Auch die Stadt Jerusalem wird in Segen und Be-
schwörungsformeln öfter genannt z. B. Kuhn westfälische
Sagen U, 198, 207. Birlinger I, 204. Meier Sagen 525.
Zu V. 74 „daz du vares obir mer^' vgl. die Verse in
den Alpsegen: „Alle Wasser sollst du waten'* (Grohmann
Gebräuche Nr. 113) „011a Wosser iiA)ten'' ebendort Nr. 114.
„Bevor du nicht gezählt den Sand im Meer'' ebendort
Nr. 130 und ähnl. Grimm Myth. 1194. Haupt Zeitschrift UI,
350. Kuhn westföl. Sagen II, 191 oder im Spruche gegen
den Rotblauf, „Kommst du aus dem Wasser, geh ins Meer.
Im Meere schöpfe das Wasser, zähle den Sand, diesen Leib
aber lass in Ruh." Ebendort Nr. 1138 und ähnliche Stellen
bei Grohmann Nr. 1143, 1256, 1300.
470 SUämg der phac$.-fkaaL Ohm wm 7. Detmnher 1867.
Seit dem ErBoheinen des Nachtsegens habe ich in
Konrads von Megenberg Bach der Natur (ed. Pfeiffer S. 107)
eine auf V. 61 bezügliche Stelle entdeckt, die merkwürdig
genug ist, um hier noch mitgetheilt und besprodien zu werden.
Eonrad handelt im 83. Capitel yon dem Erdbeben und sagt:
Nun wissen gemeine Leute nicht, woher es komme; darum
dichten alte Weiber, die sich gar klug dünken, es sei ein
grosser Fisch, der Celebrant heisse und auf dem das
Erreich stehe. Er habe seinen Schwanz im Maule, und
wenn er sich bewege oder umwende, so erbebe das Erd-
reich. Das ist ein Riesenmärchen und nicht wahr und gleicht
wohl der Sage der Juden von dem Ochsen Vehemot.
Man sieht hier die Verquickung der germanischen Welt-
schlange (mi&garSs ormr), die zu einem Fische geworden,
mit dem symbolischen christlichen ix^^Sj der für die obige
Stelle des Nachtsegens gewiss feststeht. Das Mittelalter war
bekanntlich immer sehr darauf bedacht, „das Kind beim
Namen zu nennen." Woher er kam, und ob er passte, war
Nebensache. So wird man hier zugeben müssen, dass der
Name Celebrant nur aus einer mit dem Verse des Nadit-
Segens inhaltlich identischen Stelle dem Weltunigeheuer des
heidnischen Mythus aufgebracht sein Icann.
Herr Dr. B. Hildebrand Jiat mir an bicrisen in Y. 7 fol-
gende Anfklänuig mitgetheilt. „daz selbe schftlkint ging in di cap-
pelle der heiligen lantgr&vin nnde nam • . • • eine rebe (Bippe) us
dem grabe nnae bekreis sine ongen unde sine kel in spotia onda
in unglouben d& mite. Eoedic von Saalfeld. Leben des heil. Ludwig
78,17. loh denke, es ist Alles klar, w.e nicht oft: der kreis war
eine heilige Form, mit einer Beliquie beschrieb man um das zu
heilende Glied , um eine zu bezaubernde Stelle einen Kreis oder
Kreise. Zu Y. 86, oruchen bemerkt er: Es bedeutet mitteldentsdi noch
jetzt und bis ins 16. Jahrhundert bezeug kriechen, genauer sich
ducken, sich einziehen und so wo hineingehen, zu Y. 10, dass im
le. Jahrhundert Brockel bSseugt ist, „Meübocus mons der brookel
quod latine dioitur mons rupium vel oonfragus*'. Bald. Trochus
Ascaniensis Yocabulorum rerum promptuarium Lpzg. 1517. d. 6^ Noch
bemerke ich, dass Herr Jaff& in Yers I deus bravium, in 2 numen
divinum und in 68 haben coigunotus gefimden hat, endlich, dass in
Y. 58 wazzere, und in Y. 75 numermer zu lesen ist.
C. Hofmann.
ZingerU: Zur Eneiäe Heifirich$ wm Veldekm, 471
Von ebendemselben:
„Meraner Fragmente derEneide von Heinrich
von Veldeken/^ jetzt in der Münchner
Staatsbibliothek.
Idi bin so glficklich dem neuen Quellenmateriale , das
unlängst Professor Dr. Pfeiffer zur Eneide (Wien, 1867)
veröffentlicht hat» die spärlichen Bruchstücke einer sehr alten
und werfhvollen Handschrift anzuschliessen. Am 3. Oktober
d. J. schrieb mir mein Freund Dr. David Schönherr, dem
ich schon so oftmals liebevolle Förderung meiner Forsch«
ungen zu danken hatte, dass er im Stadtarchive zu Merau
auf einem Gerichtsbuche des 14. Jahrhunderts drei mit
Versen beschriebene Pergamentblätter gefanden habe und
hatte die Güte, mir dieselben zur Ansicht zu übermitteln.
Es war ein Doppelblatt und ein Einzelblatt mit Versen aus
der Eneide. Dies enthält ein Fragment, das nach EttmüUers
Ausgabe mit V. 204,17 beginnt, jenes giebt nadi Ettmüller
die Verse 240,15 — 244,10 und 260,13 — 264,7. — Leider
haben die Blätter theils durch Verschneiden, theils durch
Abnutzung und Feuchtigkeit so sehr gelitten, dass viele Verse
selbst nach Anwendung von Reagentien unleserlich bleiben.
Dennodi sind uns im Ganzen circa 340 Verse einer Hand-
schrift erhalten, die jedenfalls, das Regensburger Bruchstück
ausgenommen, die übrigen an Alter übertrifft. Höchstens
könnten Pfeiffers Bruchstücke ihr den Vorrang noch streitig
machen. Die Blätter in Quart sind doppelspaltig beschrieben,
je die Spalte mit beiläufig 38 Versen. Die Schrift ist durch-
aus sehr sorgfaltig, schön, ja zierlich und kann noch in das
Ende des 12. Jahrhunderts zurückreichen, spätestens gehört
sie noch dem Anfange des 13. Jahrhunderts an. Durchaus
hat sie nur langes s, nur in Eigennamen und im AnÜEmge
472 Sitzung äer phihß.-pMkt. Oam vom 7. Damber 1867.
der Verse macht sich manchmal grosses S bemerkbar; a
wird immer ^urch v oder fi bezeichnet, w durch vt, für z
steht noch immer das alte Zeichen 7 oder 7, das im 13. Jahr-
hundert nur selten mehr begegnet. ^) Die schlichten Initialen
sind roth. Der erste Buchstabe eines jeden Verses ist etwas
hinausgerückt und durch ein rothes Pünktchen ausgezeichnet.
Die Eigennamen sind öfters durch grosse Schrift hervor-
gehoben z. B. PALLAS, ENEAS etc. Von andwn Eigen-
ihümlichkeiten ist nur die Doppellung des z und f zu bemerken
z. B. liezzen 205,18, 240,18, lazzen 205,6, ebenmazzen 205,5,
geheizzen 242,9, grozzen 262,25 , begriffet 262,22 , Waffen
262,27, slaffen 262,28. Statt ge findet sich oft gi z. B. gi-
waltlich 207,32, giwalt 207,29, ginesen 207,33, ginuoch
207,36, gitun 241,1, ginutzen 243,26, ginomen 260,24 U;. a. m.
V. 242,31 ist, „waeren" für wem geschrieben. In V. 262,16
steht „entswebet** für entsebet, welch letzteres Wort unserm
Schreiber nicht verständlich sein mochte, da es wohl nur
im „Mitteldeutschen^* gebräuchlich war. V. 262,24 ist „sei-
went" Schreibfehler fürt selwet. Unser Text sthnmt mit dem
der Berliner, noch mehr aber mit der Münchner Handschrift
überein, theilt aber nicht die Wortschreibung der letztem,
welche das i manchmal schon in ei und ü in au auflöst
z. B. 241,7 smaechleiche , 241,16 stetechleichen , 261.14
saelichleiche, 244,6 durchlauchtot, 244,8 lauchte. — Wie in
den Handschriften B und M fehlen auch hier die Verse =
Ettm. 205, 21— 26 und 262, 27—28 und sind die folgenden
V. 27 und 28 umgestellt. Wie in M sind die Verse 244, 7
und 8 auch hier verwechselt. Ich stelle, um die Ueberein-
Stimmung zu zeigen, noch folgende Belegstellen zusammen.
205,10 dar quam BMG. 206,14 etunt er B M. 206,21
der herre Pallas B M. 240,39 unzalihaft B. 240;40 Kamille
1) Germania III, 844
Zingwle: Zur Eneide Heinrieha wm VMekm. 473
da Tabt B & M. 242,S8 haz B O H M. 243,16 4p ennam
B M. 243,19 prister B. priester M. 243,20 meister BGH
M. 261,28 anegenge BGM. 261,32 niemen enmach B M.
262.33 YÜ misliobe B M G H. 262,37 enkan enmach B G
H M. 262,39 daz ich B G H M. tohter da . erchennest B M.
264,1 t&t dicche B M. ze groz M B. Mit B allein hat sie die
LeiBearten 206,17 vnder dem halsperge 243,9 ritterliche, gemein.
Viel zahlreicher sind die Fälle, wo unsere H S.
meist mit der Münchner allein stimmt z. B. 205,14
nnd 242,3 ors. 205,34 der herre P. 206,21 do lac der
herre Pallas erslagen. 206,23 > veige G H M. 207,30
Sit vil sere. 240,17 erstochen. 241,1 siz wol torste getan.
241,16 stetechleichen M. 242,4 selbe räch si. 242,21 niemer
me M G. 242,32 harte wol G M. 242,40 ein ritter der.
243,1 Trojanen H M. 243,2 alze na. 243,33 andere. 243,39
er mohte bezzer. 244,3 vn vor an dem. 244,4 ein granate
iochant. 244,6 durchlauchtet. 260,21 schoniu. 260,31 als /als.
260.34 dir wol aller M G. 261,14 saelichleiche. 261,19 dennö.
262,12 den andern gewisenGM. 263,3 denne M H. 263,24
grozzer. 263,34 iesliche. 263,37 möge eh. Zu andern Hand-
schriften neigt sich unser Text selten Trgl. z. B. 204,28
wan er H. 207,34 niwan durdi daz G. 242,26 in anschone
H. 243,26 genuzzenG. 261,6 deheine H. 261,37 bechennen
H. 262,36 von ir G H. 263,19 wie ich dir b. H. 263,20
von leide G. Manchmal weicht nnsere Handschrift yon den
übrigen Texten ab und ich gebe hier die wichtigeren Fälle.
204,24 wol geneset. 204,12 ander dekein sin schulde. 207,31
do der herre Eneas. 267,36 entgalt auch ers. 240,19 unz
an (bis an G H). 240,38. helide die da. 242,21 enq>rach.
242,23 in daz. 242,24 de^ir. 242,29 bieten. 242,39 geschehen.
243,15,17 enheinen. . 243,18 herre. 260,28 din wol wert.
260,30 du tusent stunt. 260,36 erchennest. 261,4 rechter
solt. 261,23 ob erz. 261,33 dehein. 262,4 weder ich tuo.
262,23 begarwe. 262,40 denne. 263,18 erfurhte. 263,34 ze
474 SiUmg der ph^.'phtM. Ckme vom 7. Desemher 1867.
allem Dmge i. 263,40 da yorn. Vfir haben in den Meraner
Fragmenten somit einen Text, der der Münchner Handschrift
an Alter vorangeht, ja vieUeicht dieser als Vorlage gedient
hat, und ein neuer Herausgebe der Eneide wird desshalb
auf unsere Fragmente immer vorzugsweise Rücksicht nehmen
müssen. Zum Schlüsse theilen wir eine diplomatisch genaue
Abschrift mit (Was corsiv eingesetst ist, hat Herr Hafinaon «p&ter
gefanden.) A. d. E
*>•
(= Ettmüller 204,17—205,32.)*
fliehen 1^
y nt . . • liehen ziehen
d iv wol . • . denden swert,
20 ob ir des libes iht gert,
vnt slaht, die iuch wellent.
daz dvnchet mich baz getan,
daz ir g&te knehte weset
vnt mit eren wol geneset
25 vnt r&m erwerbet,
. • . . schänden sterbet.
Do sp'ch aber Pallas,
wann er ein helt was:
„ich wil . . • • verzaget
30 der ivch da her hat geiaget,
ich wil des gedingen
vnt wil in dar z& bringen,
daz ers niht me ent& .
. wider sten nu,
35
den andern lege . • .
(Lücke von Yen 87—205,8.)
getorste 1^
6 • • . • ebenmazzen
lazzen,
ZmgmU; Zur Endde SemrU^ van VMOm,
Do sagte im Pallas
• . rehte, wer er was
vnt daz er im waere gram
10 vnt daz er durch das dar qvam,
daz er im schaden woldCf «.
dYTch ander deheine sin [dorchstr.] schylde.
daz was Tyrno tA zom,
daz ors r&rt er mit den sporn.
15 alse tet onch Pallas •
daz sine vil snel was •
er wolte im niht entwichen.
si liezzen dare strichen,
die zwene degen ridie
20 . fjUen sich riterliche
. w . he . geliehen
si griifen . , . den swerten,
des si sere gerten.
die helde vil mute
25 zerhiewen die schade
ze spaenen yil chleine.
si zwene waren da eine,
daz niem da bi in was •
do sl&oh der herre Pallas
30 . . • einen solhen slach,
. r nider lach. .
• innen .
dann noch Reime • • . erte . • • cfc • . . IficA
(= ^ttmüller 206,9—208,5.)
der maere helt Ivssam 1*
10 yf dir knie er nider qvam
vor Pallas an den sant.
daz swert behielt er in der hant,
er moht deheinen sladi er zien.
alda stynt er yf knien,
475
476 SiUung der pkOes.^hüol, Clam «om 7. Degember 1867.
15 er het sich gerne erwert,
er stach Pallas daz swert
vnder dem halsp-ge in den lip,
so daz er im lant ynt wip
immer me mit fride liez:
20 toten er in der nider stiez.
Do lach der herre Pallas erslagen,
den sine frivnt wpl mfisen chlagen,
daz er also veige was,
der ivnge künich Pallas.
25 do was der iamer vil groz,
daz er des vbele ginoz,
daz er dvrch ere dar qvam.
der maere helt lyssam,
ez was ein yil vbel zit,
30 erne was in stürm noch in strit
da bevor nie chomen e
noch getet sint nimmer me.
dennoch was ez im ze frä.
er greif vil manlichen zu
35 der helt vnbescholten.
er hete sich vergolten
da bevor allen d .
daz er mit . .
wan er het . . .
hvndert m . .
207 daz half in . .
wan daz man
vnt div t .
waere er m . .
5 d az al verswi^en waere
Zm§eiA^: Zur EhM$ Hemrichi von VMekm.
477
D .
10 daz .
vnt ,
ein .
den .
daz .
15 dvr .
dvr .
daz .
ez .
vnt .
20 mit .
daz was ein sma . . .
Tvrn^der helt chfine
vergaz sin selbes sere dar ane.
e danne er eher • . dane,
25 a be dem vinger . ir . im oam,
daz im sit ze vnstatten .qy&.
er tet o?ch bosliehe
TTmus der riebe
vnt harte sinen giwalt,
30 des er sit vil sere eagalt,
do der herre Eneas
s!n so giwaltlich was,
daz er wol ginesen mohte sin,
nivwan dvrch daz vingerlin
35 daz er in darvmbe slfich.
damit engalt ouch ers ginfich.
Do Tvrnvs da mit vmbe giendi
. sin dinch aae vienoh,
. im selben geviel,
. was da bi in eime kiel
208 . . schvtze mit eine pogen.
. schoz Tvmü den herzogen
[1867.il 4.]
82
478 Sitzung der pMloe.-phüdl. Claase wm 7. Degember 18$?.
. . den hal8p*ch in die sit . .
. . elben ze ybeln zite . . ,
5 . . erz mit dem libe g . . ,
U.
(= Ettmüller 240,15-244,10.)
15 ze Layrent hin wider
do gelag ir vil da nider
erstochen und erslagen.
also liezzen si sich iagen
vaste ynze an daz wich&s
do sprancte s
(Lücke von Vers 20—31.)
. michel gedranch
. witen gevilde.
hiwen si die Schilde
35 . . helme gfite
• von dem bl&te
. ne gras al rot.
die helide, die da lagen tot,
die waren vnzalhaft.
starche Gamille da vaht,
241 wan siz wol torste git&n.
do was de riter Darcvn
ein harte hobsch Troian
vnt ein riter wol getan,
5 hofsch vnt gfites willen.
er sp'ch ze fröwen Camillen
ein teil smaeheliche
Dorcon der riebe:
„waz meinet daz, fröwe maget,
10
Zingerle: Zur Eneide Heinrichs von Veldeken, 479
ich waene ez übel ende ... 2^
15 daz ir svs gerne stritet
V nt staetichlichen ritet.
ich sage iv waerh'chen daz,
ein ander styrm zaeme iv baz,
waere daz irs pflaeget
daz ir . ., . laeget
(Lücke von Vers 20—30.)
242 Darevn sweich do stille.
do rfirte frowe Camille
daz ors vaste mit den sporn,
selbe räch si ir zorn
5 den ir Darcon sprach,
dvrch den lip si in stach
daz er schiere tot lach,
ein sin neve daz gesach
d'er was geheizzen Flemin.
(Lücke von Vers 10 — 16.)
15 bar
. . de einiv giwar 2*
. . . Tarpite,
diu het in dem strite
r iterschefte vil getan. '
20 si stach den einen troian,
daz er nimmer me wort ensp'ch.
Camille den andern stach,
daz er tot viel in daz gras.
si sp'ch, des ir ze mäte was
25 ze dem riter Darcone.
si grfizte in vnschone.
si Sprach: ,,nv lige hiel
wie getorste dv mir ie
boese tede bieten?
30 d yne darft mich niht mieten.
82*
460 Sitgmf dtr phOos.-phüoL CUme wm 7. Denmber 1897.
SV8 8oI man chlaffaer waerea.
idi mach harte wol enbern \
diner phenninge.
^ n y hastv diu gedinge
35 vergolten mit dem lebene.
nvne hast dv niht ze gebene
weder rede noch schaz.
dv bist gi?arn in gotes haz.
Do daz also geschehen was,
do was ein riter, der hiez Arras
248 mit den Trojanen da.
Camillen reit er al ze na
▼ erre allen den tach.
der marchte ynt sach,
5 wie si slfich vfi wie si stach,
Ynt wie si ir sper brach.
yfi wie si iystierte,
ynt wie si pyngierte
ynt wie riterliche sie al&ch.
10 ....... .
doB er
16 eme hetes enheinen willen. 2*
do ennam froy Camille
enheiner slahte war des.
do reit der herr6 Chores,
der Trojaere priester
20 ynt ir e meister,
ynt was doch riter yil gfit
ynt hete manlichen mut.
yfi chfinde wol an riterschaft.
groz was sin gisellatehaft
Zingerle: Zur EnMe Hemrieha «on Vddektik "iSi
25 riter vnt schvtzen.
er clivnde wol ginYtzen
beidiv b&ch vnt swert.
daz ro88 was manges pfVndes wert,
da der helt vffe saz.
' 30 er was gewaffent baz
d atme iemen da waere
Tnder den troiaere
ode in andere site ^
in allen dem strite.
a 0e den selben stvnden
h{et er vf gibvnden
einen heim schoene ▼& so lieht,
d . . . man vns niet,
daz er mohte bezzer sin.
z e Oberst stfint ein rvbin
244 vnt al vmbe an der liste
Smaragde uB amatiste
vfi vor an dem nasebant
ein granat iochant,
5 ginfich groz vnt gut,
dvrchlvhtet rot sam ein bl&t.
er Ivhte engegen dem tage.
waz mag ich iv ine sage?
d iv k&niginne Camille
10
m.
(= Ettmüller 260,13—264,7.)
. . . was div
eins abendes spate 8*
in ir chemenate .
15 ir tohter si fvr sich nam,
ein frawen lussam.
482 Sitzung der phüoa.'phüol. Glosse vom 7. Degember 1867.
einer rede ei begvnne,
die si vil wol chunde,
mit micbelui biune.
20 do sp'ch div kvnneginne:
„schceniv Lavine,
liebiv tohter mine,
nv mag ez lihte so chomen,
daz dir din vater hat ginom
25 michel gut vnt ere.
Tvmvs der helt here,
der diner minnen starche gert,
der ist diu wol wert.
daz ist mir wol chvnt
30 vfi waerest dv tfisent stvnt
als schoßue vfi als gut,
so ... st dv wol dinen mfit
gerne an in che . . .
i ch gan dir wol aller eren
35 vnt wil daz dv in minnest
vnt daz dv wol erchennest,
daz er ein edel fvrste is.
darvmbe warn ich dich des
vmbe den helt Ivssanr*
vnt wis Enease gram,
261 dem unsaeligen Trojan,
der in ze tode wil erslan,
den, der dir ist von hercen holt.
dar zu hastv rehten solt,
5 daz dv im vngenaedich eis
vfi im deheine wis
(Lücke von Vers 7—11.)
vfi wil erben 3*
dines vater riche .
ob dv saelichliche
Zingerle: Zur Eneide Heinrichs van Vüdeken. 483
15 V 5 wol wellest tun,
tohter 80 minne Tvrnvm/'
wamit 8ol ich in minnen?
„mit dem hercen vn mit den sinnen/'
sol ich im denne' min lierce geben?
20 „ia dv." wie sol ich denne gileben?
„dvne solt ez im so geben niht/*
waz ob ez nimmer geschiht?
„vfi waz, tohter, ob erz tut?"
f rowe, mie mohte ich minen m&t
25 an einen man gecheren?
„diy minne sol dichz leren''
dvrch got, wer ist div minne?
„si ist von anegenge
gewaltlich vb" die werlt al
30 vnt immer me wesen sal
vnze an den ivngisten tacb,
daz ir niemen enmach
dehein wis widerstan,
wan si ist so gitan,
35 daz mans enhoeret noch ensiht"
fröwe^ der erchenne ich niht.
„dv solt si bechennen noch."
wan mygt irs erbeitten doch.
ich erbeitte es gerne, ob ich mach.
„lihte gilebe ich noch den tach,
262 daz dv vngebeten minnest.
swenne du beginnest,
dir wirt vil liebe darzä."
ich enweiz, fröwe, weder ich tu
5 d V mäht . . wesen gewis"
(Lücke von Vers 6—10.)
$0 gitan
daz ez rehte nieman 3*^
den andern gewisen chan,
484 8iiJBung der phOoß.'phikl CUubb wm 7, DwnmUr 1867.
dem sin heroe so stet,
daz si drin nine get,
15 der 80 steinliche lebet:
8 wer aber ir rehte entswebet
vnt zfi ir cheret,
vil si in des leret,
daz im e was Yochvnt.
20 si machet in schiere wfint,
ez si man ode wip,
si begriffent im den lip
vfi die sinne begarwe
yfi selwent im die farwe
25 mit yil grozzer gewalt.
si machet in yil diche ehalt.
solich sint ir wa£fai
si benimt im daz slaffen
yfi ezzen yfi trieben.
30 si leret in gedenchen
yil misliche.
niemen ist so richci
der sich ir myge erwern
ode sin herce yon ir ginem
35 noch enchan noch enmach.
ny ist des yil manich tadi,
daz ich nie «o yil dar abe gisp'ch^'
f rowe ist denne minne yngimach?''
268 „nein si, niwan nahen bi.''
ich waene, daz si stercher si,
denne diy snht ode daz fieber.
si waeren mir beidiy lieber,
5 wan man . . . dem sweieze
minne tut ehalt nfi heusee
der denne . . . tage rite.
(Lüeke yon Vers 8=:13.)
"Sfdnge^U: Zur EneUk Eemßkkßmm YMekm. A85
. . . . mich myzze 3'
16 . en ynt vermiden.
wie solt ich die not . . erliden?
Div mfiter aber wider sp^'ch:
„niht eniVrhte daz yngemach,
merche wie ich dir besoheide:
20 michel liep chvmt von leide,
rfiwe chymt nach yngimache.
daz ist ein tröstlich sache.
gemach chvmt von der arbeit
diche ze grozzer staeticheit.
25 Yon r^we chvmt wfinne
vnt froüde manger chvnne.
tr&ren machet hohen m&t,
div angest machet die staete gfit.
daz ist der minne zeichen:
30 lieht varwe chvmt nach der bleichen,
div vorhte git gfiten trost,
. . . re . . . erlost.
daif darpen l&t daz herce riebe.
ze disem dinge iesliche
36 hat div minne solhe bfizze.''
si ist aber von erst vil vnsfizze,
e div senfticheit mfige chom*.
„t ohter, dv erchennest ir niht ze firom*
Si s&net selbe den zom^^
div qvale ist ze groz da vom.
864 „si tfit diche vnder st&nden,
daz si heilet die wfinden
ane salben vfi ane tranch."
div arbeit ist aber e vil lanch.
'5 „t ohter, daz stet an de.gelfidi,
so man geqvilt ein lanch stich
vn mit arbeiten gilept
486 Sitzung der phüos.-pMol Claase vom 7. Dezember 1867.
Herr Hofmann legt vor:
„Eine Anzahl altfranzösischer lyrischer Ge-
dichte aus dem Berner Codex 389'*.
Ich gebe hier den vorläufigen Schluss meiner Mittheil-
ungen aus dem Berner altfranz. Codex 389, dem ich die
vor zwei Jahren publicirten 20 Pastourelles entnommen habe.
Noch mehr Stoff liegt im Pulte und soll seiner Zeit verar-
beitet werden. Aber, dass ich es hier schon sage, dieser
grosse Tröuverecodex, die Perle der kleinen, aber unschätz-
baren Bongarsischen Sammlung, verdient vollständige und
baldige Herausgabe. Er ist für die altfranzösische Lyrik
der klassischen Zeit, was der Manessische Codex fiir die
Minnesinger, eine Quelle, die, wenn auch der grossen Masse
wegen nicht immer an Reinheit, so doch an Reichheit alle
andern weit übertriffl. Was ich hier gegeben, was W.
Wackernagel in den Altfranzösischen Liedern und
Leichen (Basel 1846) mitgetheilt, ist doch nur ein klein-
ster Theil dieser einzigen burgundischen Liederhandschrifl;,
deren Fülle man am besten aus dem Verzeichnisse aller
Liederanfänge ersehen kann, die mein Freund Paulin Paris
dem VL Bande seiner Manuscrits fran^ois de la Bibliotheque
du Roi S. 48 — 100 beigegeben, und das, nebenbei gesagt,
die beste existirende Vorarbeit für das Studium der Trou-
veres, wie sein Romancero frangois (Paris 1833) noch immer
die wichtigste Publication lyrischer Texte ist. — Mehrere Ver-
besserungen sind mit Cursiv gleich in den Text au%enommen.
I.
C. Bern. 389. f. 2'.
Jeus partis. Cunes de Betunes. (was offenbar falsch ist.)
1 Amis Bertrans, dites moy le millor
d'un jeu partit, de vos le veul oir:
Hofmottn: AUfiranzösische Gedichte, 487
ki de B'amie auroit eä Tamor
et parlement de li a son plaisir,
et c'elle adonc sens forfait s'en partoit
por aatre ameir et pues paix refaisoit
por lui tenir de samblant Bens plux mais,
11 keis valt luuelz, tous jors guerre, ou teil palz?
Sires Ouichairs, saichies, ceste dolor,
ke je V08 oi resconteir et jehir,
ont autre fois eü tost [1. tuit] li pluxor.
so^ent voit on ceste chose avenlr,
teil dame lait soa boen amin sens droit,
ke s'en repent, quant eile s'en persoit.
guerre en amors n'est prous, por ceu m'en tais«
la paix valt muels, servir a euer verai.
Amis Bertrans, li cuers urais [I. verais], por voir,
est per tont bons, ceu sai certainnement,
et eil est foIs selonc le mien savoir,
ke fauce dame aimme a son essiant,
ke bien saveis, k'en reprovier dist on,
ke leires est li compans a lairon,
et eil est folz et fait gabeir de lui,
c'on sert de bordes et on festoie autrui.
Sire Guichart, or puet en bien savoir,
ke Yos d'amors savois pouc ou noiant;
car je veul muelz toz jors de li avoir
k'elle m' esgairce bien debonairement
a bei semblant et a douoe raixon,
c'avoir a li mellee ne tenson.
soffrirs atrait amors, certains en sui,
et orguels fait a mainte gens anui.
488 Sittung der pMoB.-phüdl. Cla$9e wm 7, Duember 1867.
5 Amis Bertrans, vostre sens n'eat pais grans,
oa on V08 ait, espoir, en vain chargie,
ke tout prandreis a greit com peneans.
ains ne vi home de si pou apaier;
guant d'un samblant et d'an trespovre ris
TOB puet rtenir, tarop estes vrais amis.
celiii sembleiSf cai on tolt son chaiBtel,
ke pues en prent decoste. 1. bei jael.
6 Siros Guichairs, jai nolz Baiges amans
ne me tanrait por ceu mal afaitie,
se j'en greit pran doulz mos et biaul p. biauls] semblantz
ains ke tot laisse, se seroit malvoistie.
aincor valt muelz avoir, ce m'est avis,
pon, ke mans [1. rians], car de ceu seux toz fis,
ke per donsor fait on savaige oxel
saige et priveit et guerpir son rivel. (riael) = Wildheit,
rebellion)
per den, Bertran, tos permenteis molt bei;
mais n'i aurai avant [1. auan] talent novel.
II.
C. Bern. 389 f>. 3. r^.
Jugemans d'amors. (Von Gillebert de Berneville nach Paris.)
1 Amors, je tos requier et pri,
ke Yos me faites jugement
d'une amie et de son amin
ki entreameit s'ont longuement -
des pues k'il furent jovencel,
or sont si grant, ke del donsei
alt on piece ait fait chevelier,
et c'est prous, mais j'o tesmoignier,
ke il ne poroit barbe avoir.
puet I'amor dureir ne valoir?
Hofmafmi AItflranMÖ8i$ehe GediekU. 489 '
2 „Quillebert, por verteit yos di,
ke la chose est si faitement,
ke, pnes ke Tuns rautre ait choim,
je yeal, k'il aince loiaalmaDt.
qoant il est [1'] un et I'aatre bei
Tamor ferme de mon saiel,
et qaant li dui euer s'entr'ont cfaier,
je les yeal ensemble laissier.
eil iront ontre mon voloir,
ki les en voront removoir."
3 Amors, se ne dootoie si
Yostre ire et vostre maltalent,
jai aories la tenson a mi,
qaant obeüssies a teil gent.
M sont digne d'avoir juel,
k'a dame soit, nes .1. chaippel,
ne de roze ne d'anglentier [1. aiglentier]
ne lor devroit dame bailiier,
et Celle ferait grant savoir,
se celni met en nonchaloir.
4 „Gillebers, por vostre BUsmi I
pairleis an poac plux brilement.
tait ne sont mie si joli
com TOS estes, mien esciaät.
s'ane dame aimme .1. garsencel,
se li semble il peirs de chaistel,
lai fais je mon droit avancier
et ma signorie enforcier,
ke paes c'on aimme oa blanc pu noir,
tait semble [= semblent] boen, si com je croy/*
5 Amors, je croy et sai de fi,
k'elle n'ait desir ne talent
490 Sitzung der phüas.'phüöl. Qoßse vom 7. Deeember 1867.
ne euer, ki puist ameir celui
per enfance a comaücement.
sens tricherie ou sans rivel
on ne poiroit J. sac [1. sec] paxd (= pazillas pr. paisselh
Pfahl)
faire florir ne verdoier;
niant plux puet montiplier
Tamor de lui, je V sai de voir,
ne il ne doit amie avoir.
6 9,GiIlebers, vos parieis ensi
com uns hom sens entendement.
se j'avoie celui trai
et yers lui ovreit faucement,
je sembleroie lou rainxel
ki se ploie a chascun oixel, ^
s'en feroie moins a proixier.
vos me Yoleis mal consilier,
81 com je croi a mien espoir.
querons, ki nos en die voir."
7 Amors, la contesse en apel,
se nuls hom, ki ait teil musel^
doit per amors dame enbraiscier«
chaistelains, yeneis moy aidier!
de Biaume, tost fereis paroir
lou droit et le tort encheoir.
m.
C. Bern. 289. R 11. y\
1 An .1. florit
yergier jolit
Tautre jor m'en entroie.
dame choisi
Hof mann: Ält/fimzösische OediehU. 491
leis son mari .
ki forment la chaistoie,
se li flit dit:
„yilains floris,"
la dame simple et coie,
,J'ai bei amin
coente et joli
a cai mes cuers s'otroie.
ne soies de mois jalous,
maix aleis vostre voie;
car, per deul vos sereis coas,
por riens ne m'en tenroie."
2 „G'est grans folors
et desonors,
dame, ke m'aveis dite;
car vostre amor
aveis mis tout
dou tout en vostre eslite.
jai en nul jor
n'en serez [1. vos]
certes per moi despite;
maix des plusors
et des millors
en sereis vos desdite.
et se je pois, per mon chief I
vos n'en sereis pai& kite,
mavaiza robe en aureis
et livrexon petite."
3. Vilains bossus
et.malestrus
et toz plains de graipaille,
vos crolleis tous,
reposeis vous,
seeis sus vostre celle.
4Q2 8ü$mg de9^ ]»Mm.-|MoI. Cktm vom 7, Detember 1867,
je ne quier maix
avoir per vos
ne sorcot ne cotelle.
vezsi le doos tens oa vient,
ke renverdist la pree,
s'irons moi et mon ami
coillir la flor novelle."
IV.
C. Bern. 889. f>. 80 t«.
Bkmdels.
1 Bien c'est amors trichie,
quant eile m'ait ocis,
ki m'ait fait sens amie
ameir tant com foi yis.
mors sui, se m'est avis,
por cea ke je n'ain mie
ne jaimaix en ma vie
ne serai fins amis.
2 La joie m'est faillie,
ke m'ait faite toz dis
amors per tricherie,
ke tout avoit conqais.
lais! je m'estoie mis
dou tottt en sa baillie;
or c'est de moy partie,
ja maix ne serai pris.
3 Pris? je per coy seroie,
qoant je sui eschaipeis?
ne sai maix teil folie,
ke pues reyient aisseis
laiy dont il est greyeis.
Hofmann: Ältfraneöaische GedicMe. 493
deusl se jeu seu faissoie,
plax douce inort auroie;
maix trop m'en sui blaimeis.
4 Je m'en repontiroie,
se j'estoie eschaipeis.
per foit, ke je parloie,
com hom desespereis.
amors, cor m'ocieis!
certes, je le voldroie,
la forcü n'est pais* iDoie
vers vos, bien lou saveis.
5 Dame, cest douls martyre
doi je bien endureir,
ne jaimais nostre sire «
ne me puist amandeir,
se je m'en quier oster.
se me devies occire,
je ne puis pais elire
millor mort ne trouveir.
6 D'amors ne sai ke dire;
quaut muels i yeul penseir,
l'une boure me fait rire,
Tautre me fait ploreir.
jai ne m'en doit blasmeir,
maix malz talens et ire
me fait dire et desdire
et folement pairleir.
V.
C. Bern. 389. f. 81. r<>.
1 Bels m'est l'ans en may, quant yöi loa tens florir,
oxel chantent doucement a Tenserir.
[1867.IL4.[ 33
494 Sitzung der philoa.-phüol, Classe vom 7, Dezember 1667.
toute nuit veil et tressaul, ne pais dormir,
car a cen [1. ceu] m'estuet penseir ke plux desir.
molt hei ma vie,
s'a teil tort me fait morir
ma douce amie.
Lais, por coy me fait la belle
quant del tout seux atoraeis
je ne veul ne se ne puls
car ne puis de mes dolors
molt hei ma vie
s'a teil tort me fait morir
ma douce amie.
mal sentir,
a li servir?
de li partir,
sens li guerir.
Nuls ne seit, a keil dolor je m'en consir;
ains ne li osai mon euer del tout gehir.
siens seux et fui et serai sans repentir,
tous jors veul lou sien service maintenir.
molt hei ma vie
s'a teil tort me fait morir
ma douce amie.
4 Deux, com sont en grant doutance de faillir
eil ki aimme de boin euer et sans trairl
losenjor, ke por noient suellent mentir,
fönt bone amor remenoir et depairtir.
molt hei ma vie
s'a teil tort me fait morir
ma douce amie.
5 Nuls ne puet de fauce amor a bien venir,
car chascuus veult pouc ameir et bien joir.
li malvaix fönt les cortois avelenir,
Hofmann: Ältframösische Gedichte. 495
nuls ne seit maix cui ameir ne cui servir.
molt hei ma vie
s'a teil tort me fait morir
ma douce amie.
6 Tresor veul ma retrowange defineir [1. defiuir].
Gontier pri molt kMl la chant et faice oir.
oa pascor, quant on vairait lou bruel florir,
cheyelier la chanteront per esbaudir.
or aim ma vie;
car del tout m'ait afieit
ma douce amie.
VI.
C. Bern. 389. P. 68 r».
Kreuzlied ohne Bezeichnung.
1 Douce dame cui j'ain en bone foi,
de loiaul euer sens jamaix arier traire,
mercit, ^dame, a mains jointes vos proi.
se seux croizieSf ne vos doie desplaire;
desoremaix ai talent de bien faire,
aleir m'en veul a glorious tornoi
outre la meir, on la gent sont sens foi,
ke Ihucrist firent tant de mal traire.
2 „Biauls dous amis, certes, se poise moi,
ains maix mes cuers ne Ait si a mesaixe,
c'outre la meir vos en irois sens moi,
j'amaixe muels toas jors vestir la haire;
maix pues k'il veult a deu et a vos plaire,
je ne veul pais k'il remaigne por moi.
a mains jointes a la meire den proi,
ke vos ramoinst et vos laist grant bien faire.^^
3 Molt me mervoil, se del sen ne mervoi,
quant je dirai : „a deu jusc'a repaire,"
a ma dame, ke tant ait fait por moi,
83*
496 Siteung der phüos.-phüol. Glosse vom 7. Desember 1867.
ke loa dime n'en sauroie retraire;
maix nuls ne paet trop por damedeu faire.
quant me menbre, que il morit per moi,
tant ai en lai de pitiet et de foy,
riens, ke je laisse [I. lais], ne me poroit mal £Eure.
vn.
C. Bern. 389. f>. 59. V>.
Li cuens de Cousit. (fehlt bei P. Paris.)
,1 De jolit euer enamoreit
chansonete comencerai,
por savoir, s'il vanroit a greit
celi, dont jai ne pertirai,
ains serai en sa Yolenteit.
jai tant ne m'i aurait greveit,
ke ne me truist amin verai.
2 Quant son gent cors et son vis cleir
et sa grant valour acöentai,
lors la trovai si a mon greit,
ke toute autre amor obliai;
si ne fut pais.por ma santeit,
aincois cuit bien tout mon aie
langnir, ke jai ne li dirai.
3 Raizons me blaime durement
et dist, ke ne Tai pais creü,
quant d'ameir si tres hautement
ai trop mavaiz consoil eü;
maix pities ki le [1. les] vrais amans
fait estre iries lies et Joians,
et [1. ce] dist, c'ancor m'estrait randu.
4 Dame, se j^ain plux hautement.
ke mestiers ne me soit eü,
Mofmann\ AUfrangösisehe GedicfUe. 497
la grant bialteis, c^a vos apent,
ait si mon couraige lueü,
se vos pri mercit doucement.
vm.
Cod. Bern. 889. P 69 v^. (alte Foliinmg 71).
Adefrois li baistairs.
1 En novel tens pascour ke Aorist l'aube espine,
' espousoit li coens Guis la bien faite Aglentine.
tant jurent doucement brais a brais soz cortine
ke .VI. bians fils en ot, pues li moustrait haine
per cea ke mnels amait sa pucelle Sabine.
ke covant ait a mal marit,
trop sovent voit son caer marrit
2 Li coens por sa biateit Tama tant et tint chiere,
ke de li ne se pot partir ne traire ariere.
tant li semont ces caers ke s'amor li requiere,
ke per devant li yient por faire sa proiere.
ke covant ait a mal marit etc.
3 „Sabine, fait li coens, vostre amor m'atalente,
la Yostre tos requier, la moie tos presente;
et se vos me faillies, mis m'aveis en tormente."
et la belle respont: ,Jai deus ne le consente,
k'en soignantaige soit osee ma juvente.*'
ke covant ait a mal marit etc.
4 „Sabine, dist li coens, tant vos Yoi debonaire,
ke de vos ne me puis partir ne arrier traire,
et se Yos me voleis et mes boens yoleis faire,
n'ait home en mon pooir, s'U en voloit retndre
malvaix mot, ke les euls ne li föfise traire."
ki coyant ait etc.
498 Sitzung der phüos.-philol, Glosse wm 7. Dezember 1867.
5 Tant ait li coens doneit et promis a la belle,
ke il li ait tolat le douls nom de pucelle,
tontes oes ' volenteis fait de la damoiselle.
Aglente s'en persoit, son seignor en apelle,
por pouc ke ne li pairt li caers sous la mamelle.
ki covant ait a mal etc.
6 La dame en sospirant ait moustreit son coraige:
„sire, por den merci! trop m'aveis en viltaige,
ke devant moi teneis amie en soignointaige;
66 me mervoil coment me faites teil hontaige,
car onkes en moi n'ot folie ne outraige.*'
ki covant etc.
7 „Aglente, bien ayeis vostre raison monstree.
sor les euls yos comant ke veudies ma contree
et gairdeis ke n'i soit seüe la rentree;
car maintenant seroit la vostre vie ontraie.'*
ki covent ait a mal marit etc.
8 Aglente c^est en pies, vosist ou non, drescie,
en plorant prant congie, dolente et correcie,
de ces enfans aidier a tous les barons prie,
pnes les baisse en plorant et il Tont embraissie.
quant pertir Ten covient, a pouc n'est enraigie.
ke covent ait a mal marit etc.
9 La dame, a duel k'elle ot, est cheüe sovine.
qaant redrescier se pout, dolente s'achamine,
del euer vait sospirant et de ploreir ne fine.
les lairmes de son euer corrent de teil ravine
ke ces bliaus en moille et ces mantels hermine.
ke covant ait a mal uiari,
trop sovent voit son euer marrit.
Hofmann: ÄUfranzösische Gedichte. 499
IX.
C. Bern. 389 f>. 73. r^.
1 E amerotise, belle de biaul semblant,
deignies chanteir la chanson vostre amin
ki angoissous et pensis et tramblans
a euer dolant de vos se departi.
bien me peüstes veoir esbahi,
quant je vos dix: „male riens sens merci,
n^a deu n'a sains vostre cors ne comaDs,
ains vos demant ma mort et bien vos di,
k'en grant torment m'aveis. mis, mar vos vi."
2 Lais moi chaitif I mar la vi voirement,
mar la conu, mar m'i delitai si
en remireir son cleir vis bei et gent
et ces vairs eals ke m'ont mort et trai't.
trop durement laissiet m'ont et saixit.
quant en seux Ions, nulle houre ne m'obli,
tous jors m'est vis k'elle me soit davant.
dormant vaillant la reclam et depri,
nes en sonjant son nom sovent escri.
3 Li deus d'amors m'ait pris a lais coursour,
se ne li puis de son lais eschaipeir;
maix tost auroit en ris torneit mon plour,
86 per amors fait de celi ma peir,
ke deus formait por cuers de gens embleir.
nuls ne pQet riens en li a droit blameir,
tant i ait sen, cortoisie et valour.
muels ain doloir por li en grief penseir,
ke d'autre avoir lou desduit ne le greit.
4 Dame plaixans, trop belle a pouc d^ator,
molt vos avient a rire et a pairleir.
vostre biaulteis voint roze et lis et flours,
500 Sitzung der phüos,-phüol. Clasae vom 7. Degember 18$7,
ne je m'en puls recroire ne laissier
de vos samblaDS amerous recordeir
ne des biaus euls ke tant peox compareir,
k'en esgairdeir moi firent tant bei tour.
plains de dousor les vi vers moi torneir,
mil fois le jour m'en covient sospireir.
5 Je vos ain, dame, et bien i ait por coy
je doie estre vostre ioiauls amins;
car en vos sai trestous les biens et voi
ke puissent estre en cors de dame aissis.
gens cors, frans cuers, belle bouche et der vis,
ki seroit dont vers vos fauls ne faintis,
tant eüst mal ne folie en soi?
molt m^en coentoi, quant de vos seux sospris,
k'en noble poent m'ait li deux d'amors mis.
X.
C. Bern. 389. f>. 76.
De nostre daime.
1 Fins de cner et d'aigre talent
veul an serventois comencier
per Ioweir et regraicier
la roi'ne dou firmament.
de sa loenge et de son nom
muevent tuit mi lai e mi son,
ensi veol useir mon juvent
en li servir en boen espoir
de tant, com j'anrai de savoir.
2 Gabriel gloriousement
alait ceste dame nonder,
k'en li se devoit herbegier
et panre chameil vestement
Hofinmn: JUfiranzömche Gedichte. 501
eil ki fist Adam purement.
la yirge, ke fut en frison,
lou creit et fut errammant
paroUe chairs, et consut l'oir
ki poissance ait a Ron Toloir.
Nes plux ke 11 aire se mae,
qaant on i giete un esprevier,
ne muait eile a Tenchairgier
ne a naistre de 80q enfant.
yirge portait son enfanson,
virge le tint en son giron,
yirge li vit mort receyoir
et yirge en paradix seoir.
S^en ceste dame eüst noient,
ke trop ne fei'st a preixier,
jai eil, ki tout puet jasticier,
nM fast enclos si longuement.
mais, se tuit ierent Salemon,
home et oixel, beste et poixon,
et la loescent bonement,
ne porroient dire le yoir
de s'onor et de son pooir.
Tres douce dame, a yos me rant
fie yos me yoleis consillier,
je n'ai gairde de perillier
*) de nesciteit [= pr. nesdetat] ne de tonnent.
meire a l'aignel, meire a lion
meire a yrai [1. yerai] fil Salemon,
meire, on tres toos li biens resplant,
meneis nos en yoötre menoir,
DU nuls malyais ne puet menoir.
*) HS. da neroiteit.
502 Sitzung der phücs.-philol wm Gasse 7. Dezember 1867.
XI.
C. Bern. 389 f>. 80 v<>.
Adefrois li baistars.
1 Fine amor en esperance
m'ait mis et doneit voloir
de chanteir por aligence
des mals, que me fait avoir
Celle, ke bien ait pooir
d'amenuisier ma grevence;
maix paour ai et doutance,
ke per felon losengier
ne me yeulle justicier.
2 Tant me piaist sa contenence
et oes gens cors a veoir
et sa tresdouce semblance,
ke veul en greit recevoir
kan ke m'i ferait doloir,
c'ades en ai remenbrance,
ke biaus servirs et sousfrance
fait fins amans avancier
et sevoir croistre et haucier.
3 Per sa tresdouce acoentance
et per son bei decevoir
fist mes cners de moi sevrance
et prist leis le sien menoir,
tant li piaist a remenoir^
k'il aimme la demourance;
maix ains n'i out retenance,
ains crien orguel et dongier,
ki me fait colour chaingier.
4 Sovent ai ire et pesence
d'amors, ke tant suelt savoir.
Eofmann: Jltfranzösiache Gedichte. 503
or ai torneit en enfance
sa coentixe et son savoir,
quant ceaulz met en nonchaloir,
Id por li ont mesestance,
et ceaals done recovrance,
ki se poennent de boixier
et de faulz ouers renyoixier.
Dame debonaire et franche^
bien me faites persevoir,
ke fins caers sens repentence
ne m'i puet mais riens voloir \\. valoir].
vostres seux, saichies de voir,
se per vos n'ai delivrance,
coi je ne pnis eslongier
ne ma dolour aligier, [fehlt ein Vers.]
» Chancen, vai ramentevoir
a la plux belle de France,
de pair moi li fai moustrance,
ke ne me sai revengier
fors ke per mercit proier.
xn.
C. Bern. 889 P, 87.
G'est dou conte de Bair et d'Ocenin 3on ganre (nach P.
Paris le conte Henri de Bar).
. Gantiers, ki de France veneis
et fustes avenc ces barons,
cor me dites, se vos saveis,
keilz est la lor entensions?
dnrrait maix toos jors lor tensons,
ke jai ne s vairons acordeis
ne jai ne s vairont si melleis,
ke perdes en seit ans blasons?
504 Sitzung der phüoa.-phüöl. Glosse vom 7. Dexeniber 1867.
2 Pieres, se nostre coens Henris
en est creüs et li Bretons,
et li Bretons k'est si ozeis,
et li sires des Borgignons,
ansois ke paissent rouvexons,
vaires Baicies si raüsseis,
ke lors bobans serait mateis.
jai rois ne lor iert gueraons.
3 Gautiers, trop dure longuement
eist meneciers et si valt poo,
mal semble, k'il aient talent
d'ous Yengier, ßi ont il per foit.
chascun jor asembleis les voy
de loing venir atout grant gent,
bien perdent honor et argent,
quant il ne fönt ne ceu ne coi.
4 Pieres, on ait veüt sovent
mesayenir per grant desroi.
honor ont fait a esciant
et li chardenal et li roi,
ki les ait moneis en besloi
per lou consoil dame Hersant;
desore iiait la paille avant,
cen puet chascons penseir de soy.
6 Gautier, je ne m'i os fieir,
trop les Yoi lens a cest roestier.
lou bei tens ont laissiet paisseir
tant com doit plovoir et negier,
et quant plux les yoi correoier
et de la cort por mal tomeir,
s'en fönt 11. ou 111. demoreir
por truwe en coyert raloignier.
Eoftnann: Altfranzösische Gedichte, 505
Piere, ne fontf pais a blameir
eil, ki en partirent premiers,
k'ains pues ne vorent demoreir,
maix nostres coroneis ligiers
por loa chardenal losengier,
cui il n'oserent rien veeir,
et por ceuls de blame geteir,
firent la ferne an poa laissier.
xm.
Aidefroi.
1 Kant je voi et fuelle et flor
color maeir,
c'oisilloz por la froidor
n'osent ehanteir,
adonkes sospir et plor,
car conforteir
ne mH sai, tant sent dolor
por bien ameir,
car 8o£Erir ne pais sens morir
cors, ki sent teil mal longuement,
car la nuit, qaant me despeol
et dormir veal,
sovent meul [HS. moal]
xnon lit, tant ploarent mi eal.
2 Trop me piaist et nait et jor
a remireir
son gent cors et sa faisson
et son vis cleir.
e laisl je caidai en li
mercit trover.
por coi j'apris la folor,
ke je öompeir.
qaant jehir
C. Bern. 889 f9. 116. ▼<>.
506 Sitzung der phüos.^phOol. Chase wm 7. Detember 1867.
osai mon desir,
folement a son bei cors gent,
lors me heit et moustre orgael
et xnon acuel,
c'avoir suel,
ai perdut, dont trop me daeL
3 Son gent cors mar acoentai,
ou faut merciS)
sa biaulteit mar regardai,
por coy langois.
grief poene et dolor entrai
et asseis pis,
et sai bien, jai n'en guerrai,
ke bien m'est vis,
k'en pensant sa chiere riant
davant moi et nuit et jor voy.
li tres bei eul de son front
en mon euer sont
et seront,
je cuit, tant ke mort m'auront.
4 De moy nul consoil ne sai,
tant seux sospris,
fors 6n vos belle, ke j'ai
mon penseir mis.
merdt tant vos proierai
com serai vis,
et bonement atandrai
com fins amis;
maiz itant vos veul dire avent,
se de moy pities ne vos prent,
certes trestuit dl del mont
vos blameront
et tanront
a cruel qoant loa sauront.
Hcfnuxm: Jltfraiuönsche GediehU. 507
5 Mors seuz, de mercit 11 pri,
car certains sui,
jai n'aurai de li
confort de mon anni,
car folement m'enbati
lai ou ne dui,
et a mon pooir choisi
ceo, qn'iert autrui,
dont movoir
ne pois mon voloir,
ke piece ait retint et laissait
mon euer per moi ostaigier.
a comencier
ke laissier
le peüsse de legier.
XIV.
C. Bern. 389. f>. 123. r*.
Cunes de Betunes (bei P. Paris Rom. fr. S. 89 fehlt die
4. Strophe).
1 L'autrier an jor apres la saint Denise
iere a Butimes, ou j'ai estei sovent.
remenbrait moi des^ gens de male guisse.
ke m^ont sus mis mensonge a esciant,
ke j'ai chanteit des dames folement;
mais il n^ont pais ma cbanson bien aprise,
k'ains n'en chantai fors d'une soalement,
ke me fist tant, ke vengeaca en fat prise.
2 n n'est pas drois d'un home desconfire,
se vos dirai bien la raixon, coraent:
s'on prant per droit d'un lairon la justice,
k'en afiert il a loiaul de noient?
niant, per deul ke raixon i entent;
mais la raixon est si ariere mise,
508 Siteung der phüos.-phüol, Gasse wm 7. Dteember 1867,
ke ceu, c'on doit loweir, blaiment la gent
et lowent ceu, ke li saige moins prisent
3 Dame, lonc tens ai fait vostre servize. •
la mercit den! or n'en ai maix talent,
c^une antre amor m'est el euer si asisse,
ke tous li cors m'en alume et enprant
et me semont d'ameir si hautement.
et j'amerai. ne puet estre autrement,
k'en moy ne tiruis ne orguel ne faintixe,
se m6 metrai del tout en [1. sa] franchixe.
4 En la millor del roiame de France,
Yoire del mont, metrai tout mon penseir;
maix ceu me fait sovent estre en doutance,
ke sa valor ne me taigne en vilteit.
mais ceu m'en ait mainte fois conforteit,
k'el monde n^ait nulle si grant fierteit,
c'amors ne puist plaissier per sa pouxance.
XV.
C. Bern. f>. 129. r».
Gavaron Grazelle (am Rande von anderer Hand als die ge-
wöhnliche und unsicher; es ist dieselbe Hand, welche die
zwei letzten Zeilen beifügte).
1 L'autrier lou premier jor de mal
jueir m'alai dehors Parix
con dl ki est en grant esmai
d'une amor ou j'ai mon euer mis,
s'o'i chanteir a haute voix
dame amerouse, se m'est vis:
„mes peires ne fut pais cortois,
quant vilain me donait marit.
Bofmann: AJtfransösisehe OediehU, 509
Si tost com la dame escoutai,
*j
vers li m'en voix et pues li dix:
„daine, deus sault yo cors loa gail
k'aveis, porcoi ploreis ensi?"
eile moi dist: »ysire, per foi!
j'ai hq Tilain ki m'ait trait/'
3 „Dame, jai ne vos quier meatir,
an moy ait fin euer amerous.
loiaul de euer seus repentir,
Bens tricherie et sens folour
Y08 servirai com fins amis."
„biaul sire, et je vos doing m'amor,
mes caers vos est a bandon mis
Bens penseir nulle autre folour/'
4 Tont maintenant I'alai saixir,
si la jetai sor la verdor.
trois fois li fix sens defaillir
lou jeu c'on appelle d'amors.
eile moi dist: „biaus douls amis,
onkes mes. maris a nul jor
ne fist vers moi, je vos pleyis,
por coi deüst avoir m'amor."
5 Per grant solaus,, per grant deduit
me dist la belle et per^^amor:
,ffaites le moy aincor, amis.'*
lors rencomensai sens demor
lou jeu, k'elle m'avoit requis ;
et g'i failMf s'en fui irous.
6 Et eile dist: „sire, per foi!
TOB estes fols et jangleos.
il £ait trop malvaix acoentier
[I867.n.4.] 34
510 Sitmng der phüoi.'phikl OoBse vom 7. Detmber 1867.
home ke si est vanteons.
fueis de d, faalz cuers faillis!
je ne vos pris un vies taboar.
honie seit dame de prix
ke a vilain done s'amor."
dann folgt von anderer jüngerer Hand aof der leeigdblie-
benen Stelle der Zeile
certes dame ne m'en chant,
que ge en ai purtei la flonr.
was offenbar ein massiger Zusatz ist.
XVI.
C. Bern. 889. P. 189. yfi.
Anonym.
1 Lora guant Faluelle
et la quaille crie,
chante Tarondelle,
la rose est florie,
laisl dont sospir,
ke plus desir
la tresplax belle del mont
Bens mentir,
mont me satelle [1. Bauteile]
li cuers et ozelle,
quant la cuit tenir.
deuxy k'en apelle,
m^en doinst la novelle
de'joie a o'ir.
2 Se mon fol couraige
me convient a plaindre,
si baie a outraige,
n'i porai ataindre
nes por morir.
Sofmonn: AJÜtfraiMömehe Gediehte. 511
bien doi hai'r
icelle raige
ke me fait languir,
et cest damaige
k'ai per mon folaige,
quant ne Tos jehir
ne a moBsaige *
jor de mon eaige
n'ou ferai oir.
Prieir la voloie,
non ferai eiDCore,
k'aiseis tost aoroie
pix ke n'en ai ore;
ains la remir
a mes euls aisseis m'otroie
son cors a sentir
s'or la metoie de s'amor envoie;
bien sai sens mentir,
k'iere sens joie avoir en poroie.
muels m'en venl soufiErir.
Molt est debonaire,
cen me resconforte,
bien me sait atraire
ces cleirs yis ke porte.
longue^ souffrir et esbaudir
moj coYient faire.
por gent signorir
Ten ne vaut gaire,
cm joie n'esciaire
sens mal sonstenir.
n'en sai ke faire,
tant ain son repaire.
deux m'i doinst venirl
84*
512 Sitzung der phÜos.-phiM. Crosse vom 7. Degember 1867,
5 DeaxI com dure vie
est en moy enclose,
cor ne 1 seit m^amie
ne dire ne Tose,
ke je m'esmai
et si ne sai
ke Celle pense,
dont j*ai loa euer gai.
molt me tormente
Celle k'est plus gente
ke la rose en mai.
bone fiance-
i ai sens doutance,
ke s^amor aurai.
XVII.
C. Bern- 389. f>. 151 r^.
Robers de TEpiz a Maheus de Gan. (sie) Jen parti.
1 Mähens de Gans, respondeis
a moi com a vostre amin:
chanones d^Ares sereis
tot vo vivant per ensi,
ke jai amie n'aurais
awan; maix [I. ou] toute vo vie
sereis sens la chanonie.
dites loa keil vos prandeis.
2 Robers, bien seux apenseis
de respondre a jeu parti.
prevendes et richeces [I. richeteis]
ne tien je pais en despit;
maix muels ameroie aisseis
d'estre ameis la [1. ke] signorie.
Hofincmn: JUfrmgöaiaeke, GediehU, 513
ki ke lou tiengne a folie,
iteille est ma volenteis.
3 Maheus, riches et moules
* fait boen estre, je 1 ?os di,
molt est dl bieneüreis
ki est issus de merci.
toas riches ameir poeis,
ceu est trop d'avoir amie.
ki aimme sens tricherie,
toat son sen alt oblieit.
4 Robert, d'amors recreeis^
pnes c^aveis moible choisi.
cuers ki est enamoreis,
doit toat ceu meitre en obli,
et d'aatre pairt bien saveis,
c'amors ait en sa baillie
sen, honor et cortoixie,
ke muelz valt k'estre renteis.
5 Maheu, mal yos deffendeis,
a muels prendre aveis failli.
se d'amie est fais vos greis,
jai paes,. n^aureis euer joli.
vos desirs est achieveis,
• ceaus recroit, ke maix ne prie.
requise ne defiFent mie,
c'on aint trop, grant tort aveis.
6 Robert, ains pües ke fai neis,
si esbahit ne vos vi,
ou la raison n'entendeis.
avoirs vos ait si sougit,
ke jamaix bien n'amereis.
amors loiaul dru n'oblie, [HS. loiauls — oblieis]
514 SiUung der phaoa.-phiM. CUuh im^ 7. DtMember 1867.
ne ne veolt, k'en velonnie
chiece ne en povreteit.
7 Boutilliers, or i penseiSy
li keils ait roillor partie,
ou riches, ki merci krie
sa dame, ou povres ameis.
Coppin, loa keil muels loeis,
ou ayoir sa druerie
del toat Bens mal acomplie,
ou estre riches dameis?
xvm.
Anonym.
1 Or cuidai vivre sens amors
des or en paix toat mon aie,
maix retrait m'ait en la foloar
mes cuers, dont l'avoie eschaipeit.
enpris ai grignor folie
ke li fols enfes, ki crie
por la belle estoile avoir,
k'il Yoit hault el ciel seoir.
2 Coment ke je me desespoir,
bien m^ait amors gueridonei *
ceu, ke je Tai a mon paoir
servie sens desloiaulteit,
ke roi m'ait fait de folie.
se si gart bien, ki [1. s'i] fie^
de si haut merite avoir.
3 S' [I. N'] est mervelle, se je m'air
yers amors [1. amor], ke si m'ait greveit.
C. Bmi. 889. R 175.
Hi^mcmn: AkfiratUfösUche CMkhU. 615
deusl cor la puisse je tenir
im soal jor a zna yolenteit;
eile compairroit sa folie,
fii me &ice deus ai'el
a morir la coYenroit,
ce ma dame ne m'ooit \BS. ocit].
Hai, frans cuers! ke tant covoit,
ne beies a ma foleteit.
bien sai, k'en yos ameir n'ai droit,
B^amors ne mM eüst doneit;
maix efforciäs fais folie,
si com &it neif ke Yans guie,
ke yait lai, ou il Tenpoent,
8i ke toute et [zu tilgen] esmie et fraint.
Dame, oa nuls biens ne souffraint,
merd per franchise et per greil
pnes k'en vos sont tuit mal estaint
et toit bien vif et alumey,
cognoissies, dont la folie
me yient, ke me tolt la vie?
k'a riens n'oz faire damour
s'a YOS non de ma dolour.
GhanBon, ma belle folie
me salue et se li prie,
ke por den et por s'onor
n'ait jai eols de trai'tor,
ke bien seiYcnt li ploxor,
ke Jadas fist son signor.
516 Sitsung der phHaB.'pkOoL Claese vom 7. Detember 1867.
XIX.
C. Bern 389. P. 182.
Le dachaise de Loraiane.
1 Per maintes fois aurai estei requise,
ke ne chantai ensi com je soloie,
ke tant per senx aloignie de joie,
ke je vodroie estre muels entreprise.
[I. jai] a mien veul moroie en etail goisse
com fist Celle, cui resembleir voldroie,
Dido ke fut por Eneam occise.
2 Biaus donls amins, tout a vostre devise
ke ne fix jeu, tandis com vos avoie!
gens vilainne, cui je tant redoutoie,
m'ont 81 greyeit et si ariere mise,
c'ains ne tos poa merir vostre servise.
s'estre pooit, plux m'en repentiroie,
c'Adam ne fast [1. fist] de la pome c'ot prise.
3 Per den, amorsi en grant dolor m'ait mise
mort vilainne, ke tout le viont guerroie.
tolut m'aveis la riens ke plox amoie;
or seux Fenix, laisse, soule et eschive,
dont il n'est c'ons, si com on le devise.
or veal doloir en lea de moneir joie,
poene et travail iert maix ma rante asise.
4 Ains por Forcen tant ne fist Anfelixe,
com je por vos, amis, se .vos ravoie;
maix se n'iert jai, se aincois ne moroie,
ne je ne puis morir en itel guisse,
c'aincor me rait amors joie promise.
maix a mien veal se m'en repentiroie,
se por tant n'iert, c'aimors m'ait en jostice.
H<^maHn: AUfranzösisehe Gedichte. 517
XX.
G. Bern. 889 P. 190.
Anonym.
Per nne matineie en mal
per moi dedoire et sonlaider
a une fontenelle alai,
s'oi chanteir en [un] vergier
loa rosignor si doucement
ke tous li caers d'amors m'esprent,
et 86 vi leans consillier
une dame et un cbevelier.
arrier me traiz seleement,
ke ne lor voloie anoier.
Ensi com je m'en retornai
per an estroitelet sentier,
ane damoiselle trovai
seant en Tonbre d^un rozier.
loa Chief ot blond e loa cors gent,
ans euls por traire caera de gent,
bouche bien faite por baissier.
deuBl ke la poroit enbraissier,
et tenir nae a son talent,
jamaiz de maels n'anrait mestier.
Cortoisement 1a saluai,
car molt me piaist a acoentier,
et li dix: y,belle, je serai
vostre amis de fin caer entier.
a Yos m'otroi et doing et rent,
faites vostre comandement
de moi com de vostre amin chier.
mains jointes merdt vos reqoier,
518 SiUung der phths.-phadl. CUuse wm 7. Dezember iser.
de vos ma grant honor atenti
ke d'autre avoir ne la qiiier/'
4 „Gertes, sire, de cest present
vos doi je savoir molt boen grei;
maiz uns antres a moi s'atent, *
et cui j'ai euer et cors donei,
n'antre ke lui je n'amerai;
car si fin et franc le trovai
et del toat a ma yolentei,
ke jai nol jor de mon a6
de m'amor ne loa boiserai,
ains li porterai loiaultei/'
5 „Belle, Tamor ke me souprant,
yient de vostre fine biaultei,
si me fait perleir folement.
or me seit por den perdone,
ke ja maiz ne tos proierai,
ne jai jor ne me recroirai
de Yos ameir sens faucetei,
aincor m'aies tob refaseit,
et sai ke tont cest duel moinrai
ke jai ne m'iert gaeridonei."
6 Quant vi ke n'en auroit [1. ne yauroit] noient
li proiers, si la rant a dei.
n'o gaires aldt longuement
fors c*un palis ou trespaissei
et yers lou yergier resgairdai,
et yi la tresbelle a cors gai
ke son amin ot acollei
et si li fist une bontei
dayant moj, dont je grans duels ai;
maiz jai per moi n'iert rescontei.
Hofinann: JÜfranzösitehe OedichU. 519
XXL
C. Bern 889. T. 202.
Messires Ferris de Ferrierez (bei P. P. anonym aus 1989
und nur 4 Str.)
1 (Quant li roisignors jolis
chante sor la flor d'estei,
ke naist la rose et li lis
et la rousee el yert prei,
plains de bone yolentei
chanterai com fins amis;
maiz de tant seus esbaihis,
ke j'ai si treshant pensei,
c'a poenes iert acomplis
li servirs dont j^aio greL
2 Leiement ont entrepris
sil ke tant m'aoront greva,
mi fol eol volenteis,
ki tant aoront esgairdei
laiy oa je n'ai mie osei
dire ke j'estoie amins.
ieal, per vos seux je trais,
voirs est, mal avais errei;
maix or en aies merd
et tout TOS seit perdonei.
3 Tont ce n'est poent ke noiant,
je ne vos puiz mal voloir;
car la belle, cui j'am tant,
est si plaixans a veoir.
sovent m'en estuet doloir,
car trop me secorreis lent;
Vnaix li rasoaigement
des grans biens, k'en cnis ayoir,
520 SiUmg der phüo8,'phil6l. Cla8$e vom 7. Dezember 1867.
me fönt doubleir mon talent
et servir en boen espoir.
4 Benois soit li herdemens
ke m'ait doneit teil pooir,
amors, eürs et talens
' me poroient bien valoir.
tout ceu doie je voloir,
k'a 11 soie, ke g'i pens
Yoire, se j'ai tant de san,
c'on ne s'en pulst persevoir,
aincor vanrait leus et tens
de ma tres grant joie avoir.
5 He deusi quant Yanrait 11 jors,
ke j'al tous tens deslreit,
ke ma dame per amor
m'acomplist ma volenteit?
lors aoroie conquesteit
lou gueridon a estrous
de trestotttes mes dolore,
ke j'al ades endorelt
lors anroie boen secors,
c'elle me doignoit ameir.
XXII.
C. Bern S89. T. 226. V.
Colins Muzes.
1 Sospris seuz d'one amorete,
d'une Jone pucelete,
belle est et blonde et blanchete
^Inx ke n'est nne erminete,
s'ait la color vermoillete
ensi com une rosete*
Hofmann: AUfiraneötisehe^ Gedichte» 521
2 Iteile est la damoiselle,
fille est a roi de Tadelle,
d*un draip d'or ke restancelle
ot robe frexe et novelle,
mantel sorcot et gonelle
molt siet bien a la donselle.
3 £n son chief sor [zu tilg.] ot chaipel d'or
ki reluist et estancelle,
saiffirs, rubis i ot entor
et maintes [1. mainte] esmeraude belle,
et m [he mi?] ke fuise jefi
amins a la damoiselle.
4 Sa seinture fat de soie,
d^or et de pieres ovreis
tous li cors li reflamboie
si com fhst enlumineis.
er me doinst deus de li joie,
k'aillors nen ai ma pensee.
5 Jeu esgardai son cors gai,
ke trop me piaist et agree.
j'en monVai, bien loa sai,
tant Tai de euer enamee.
non ferai, se [a] den piaist,
ainoois m'iert s^amor donee.
6 En trop biaal yergier
la vi Celle matinee
jaeir et solacier.
jai per moi n^ert obliee,
car bien [1. par mien] cuidier
jai si belle n'iert trovee.
522 Sitmng der phttos.-phüos. CUuh vom 7. Degember 1867.
7 Leis un vergier c'est asise
la tresbelle, la senee.
eile resplant a devise
com estoile a ranjornee.
s^amor m'anprant et atixe
ke ens ou euer m'est entree.
8 A li resgardeir m'obliai
tant k'elle s'en fut aleie.
deus, tant mar la resgardeil
quant si tost m'est eschaipeie
ke jamaix joie n'aurai,
se per li ne m^est doneie.
9 Tantost com Po esgardeie,
bien cuidai, k'elle fuist feie,
ne lairoie por rien nee,
k^aincor n'aille en sa contree
tant ke j'aie demandeie
s'amor, oa mesfins cuers beie.
10 Et c'elle devient m^amie
ma grant joie iert asevie,
ne je n'em penroie mie
le rouame de Surie,
car trop moinne bone vie
ki aimme teil signorie.
Den pri, k'il men faice aie,
ke d'aatre nen ai envie.
XXIIL
C. Bern 389. T. 247. V.
Colins Musez.
1 Une novelle amorete, ke j'ai
me fait chanteir et renvoizier,
Hofinann: AUfranMö$i9ehe Gedidae. 523
loa caer enamoreit et gai,
ne jai de ceu partir ne qnier.
rose ne lis ne floretes de glai
ne le me fait comencier
fors la blondete, per coi je morrai,
se merds ne m'i puet aidier.
Mercit dement, mercit requier,
inercit veol et merd desir.
a la blonde(te) le venl proier,
c'antre ne m'en poroit guerir,
n'autre ne m^en poroit aidier,
n'autre n'est tant a mon plaizir.
je la servirai Bens dongier,
se tost ne le me yealt merir.
Befle et blonde, je tob amerai
de fin euer loiaul et entier,
ne jai de vos ne me departirai;
muels me lairoie depeder.
en ceste bone pensee serai,
doIb ne m'en pnet geteir;
maix trop me tiennent en esmai
li felon mavaix losengier.
Je redont tant lor encombrier,
k^ades se poenent de trair
seans ki bien aimment sens tridiier,
et jai ne s en vaires joir.
bien s'en doit blondete alongier,
c'ad^ veoUent d'ami servir.
ne moy ne li nen ont mestier
por noBtre joie departir.
524 Siteung der phü08.-phiM. CUuse f>am 7. Desember 1867.
5 L'autrier an jor a Pentree de mai '
Toi* chanteir en an vergier;
maiz onkes mais si belle ne trovai,
cen Yos poroie fiancier.
deas, tres doos deas! et keille amorete ai,
se de s'amor pais esploitier,
ne jamaiz jor sens joie ne seroie,
c' eile la me vealt otroier.
6 Je desir tant li embraissier
et li veoir et li oir,
se de li ai un doals baixier,
ne me poroit nals mala venir,
ne me poroient forjugier
mavaixe gent per lor mentir.
coi k'il m'en doie avenir,
je l'atandrai tont a loisir;
car fine amor me fait caidier:
boens seryixes ne paet perir.
XXIV.
Le dachase de Loocainne (sie).
1 ün petit davant loa jor s
me levai Tautrier
sospris de noyelle amor,
ke me fait vellier.
por oblieir mes dolora
et por aligier,
m'en allai collir flors
dejoste un vergier.
lai dedans en an destor
Ol an Chevalier,
desor lai en haate tour
H<ffma9m: AUfiransöMche OeÜehie. 525
dame ke inolt Tot chier.
eile ot frexe color
et chantoit per grant doasor
uns dols chans pitous
melleit en plor,
pues ait dit coq\ loiaals drue :
„Amins, vos m'aveis perdue, .
li jalous m'ait mis en mue."
Quant li Chevaliers oit
la dame a vis cleir,
de la grant dolor, k'il ot,
comance a ploreir,
pues ait dit en sospirant:
„mar vi enserreir,
dame, vostre cors Ion gent,
ke doie tant ameir.
or m'en covient dnrement
les dous biens compaireir,
ke volentiers et sovent
me solies doneir.
lais! or me vait malement,
trop ait d aipre torment.
s'il nosr dore longuement,
tres dous deus! ke devanrons nos?
je ne puis dnreir sens vos
et vos sens moy, comant durereis vos?"
Dist la belle: ,fboens amis,
amor me maintient.
aisseis est plus mors ke vis,
ki dolor soustient.
leis moi geist mes anemis,
faire le covient,
[1867.116.] Ö6
526 Sitsung der phäoi.'j^UloL Chme vom 7, JDegember 1867.
et se n'ai joie De ris,
86 de ¥08 ne vient.
j'ai si mon euer ea vob mis,
tout ades m'en sovient.
86 li cor8 Yos est eschis,
li cuers a vos se tient.
si faitement Tai empris,
ke je serai sens repentir
Yostre loiaul amie.
por ceu, 86 je ne vos voi,
ne vos oblierai mie."
4 „Dame, je 1 cuit bien savoir,
tant Tai esprovei,
k'en vos ne poroit avoir
euer de fauceteit;
maix ceu me fait molt doloir,
ke j'ai tant estei,
dame, de si grant valor,
or ai tout pansei.
deus m'ait mis en nonchaloir
et de tout oblieit,
ke je ne puisse cheoir
en gringnor poyreteit;
maix jeu ai molt boen espoir,
k^encor mo puet molt bien valoir.
drois est, ke je lou die,
86 deu piaist, li jalous morait,
si raverai m'amie/^
5 „Amins, se vos desireis
la mort a jalous,
aincor la desire jeu
Cent tens plus de vos.
il est Tiels et rasoteis
et glons corome loas,
et si est luaiges [1. maigres] et pailes
et si est lais,
tant putes taiches ait aisseis
li deloiaus, li rous.
la giingnor bonteit k'il ait,
o'est de cea k'il est cous,
et dist: „laisl tant mar fii neis,
c^aitres en ait ces yolenteis.^^
drois est, ke je m'ea plaiDg,
coment guerirait dame sens amin?*'
„Biaas amins, yos en ireis,
car je toi le jor.
desormaix i poeis
faire trop lonc sejor.
vostre fin euer me laireis,
n'aies pais paour,
c'aTeac vos en portereis
la plux fine amor.
des ke tos ne me poeis
geteir de ceste tor,
plas soTant la resgairdeis
por moi per grant dousor/*
et Sil s'en part toz iries ^
et dist: „1^8} ^Aiit mar fu neizi
dolans m'en pairt,
a den comans je mes amors,
ki les me gairt.'^
86»
£28 Sitzung det flMaB.'phikl €Imm immi 7. J)eMember 1867,
Herr Lauth trägt von
„Die Achiver (Achäer) in Aegypten",
Es sind erst sieben Jahre her, seitdem ich auf einem
Bruchstücke (Nr. 112) des Turiner Königspapyrus die Spuren
der Hykschos-Dynastie ausfindig' machte, welche bis daliiii
als solche nur auf dem Zeugnisse Manetho's beruhte und
daher von der Kritik bald angezweifelt, bald ganz und gar
als ungeschichtlich verworfen worden war. Meine Vermath-
ung, soweit sie sich auf das Fragment einer so aiig zer-
bröckelten Urkunde stützte, schien allerdings schwach be-
gründet und weiterer Bestätigung dringend bedürftig; allein
im Zusammenhalte mit den andern vierzehn Dynastieen
jenes Papyrus ergab sich die Dynastie der Hirtenkönige mit
zwingender Noth wendigkeit als die fün&ehnte, wie sie in
dem Auszuge des treuen Africauus wirklich beziffert isi^)
Die Inschrift des Sehifisobersten Aahmes iuEl-Eab'), welche
1) Wie trotzdem Hr. Knoetel in seinem „Cheopt der Pyramiden-
Erbaaer*' und in seinem Anfsatze im Rhein. Mus. 1867 fortfahren
kann, alle Könige Aegyptens von der IV.— XXVIIL Dynastie n
Hykschos zn stempeln, ist unbegreiflich. Wenn Herodot IL 128
von den Pyramiden-Erbanem sagt: rovxovg vno filatog ov xä^ta
^LotMft MyvTtTioi wofucC^uf, dXXd xai tac nvqafjLi&as xaXiowft noifärfK
^^X£(a)r^ogy o; tovtoy roy X9^^^ iy^fAi. XTifyBa xcttd javra ra/ft^i
so nnterscheidet er ja ganz bestimmt die Könige Gheops und
GhephrSn von den Hirten.
2) Hr. Ghabas hat die Richtigkeit des Ansdnicks 'rx(r£; (Easeb.
'Txovatr^ cf. Jos. a« — tJx = aixfidXtnoi, — es ist die mit der Nord-
pflanze anlautende Gmppe haq vincire) bezweifelt, weil sie hier
mena kopt. mone = pastor genannt seien, vergessend, dsn
schasn ein &cht ägypt. Wort ist nnd den Wandernden oder No-
maden bedeutet. Das Szepter haq ist nooh in unserm Bisohoft-
Stabe getreu erhalten.
LanOk: Die Aehivet in AegypUn. 529
De Rouge Bchon vorher übersetzt hatte, lieferte das Binde-
glied zwischen dem Schlosse der Fremdherrschaft and dem
Haapte des Neuen Reiches: Amosis, der nach einer Stele
im Mokattamgebirge (von seinem 22. Jahre datirt) die Stein-
brüche von Rofui (Kopt. Liui das agypt. Troja-Tura) zur
Wiederherstellung der Tempel von Memphis und Theben
ausbeutete, also wieder im Vollbesitze des Landes sich be-
finden uiusste. Der wichtige Papyrus Sallier I. bestätigte
dieses Ergebniss, indem er einen zuerst gesandtschaftlidien
Verkehr zwischen Seqenen (Soikunis desErätosthenes), dem
unmittelbaren Vorgänger des Amosis, mid dem letzten
Hirtenkönige Apophis erzählt, woraus zuletzt der Ent-
scheidungskrieg und die Vertreibung der Hykschös aus
Aegypten erfolgte.
Seitdem hat Mariette durch seine Ausgrabungen in
Tanis, durch die Porträtsphinze mehrerer Hirtenkönige,
durch die Auffindung eines vollständigen NamenprotokoUes
von Apophis, den Beweis erbracht, dass ich Recht gehabt
hatte, die ausländische Herrschaft der Hirten als eine ge-
schichtliche in vollem Sinne des Wortes aufzustellen. Ja,
eine von ihm aufgefundene Stele enthalt, ausser andere
werthvoUen Angaben, die bis jetzt einzig dastehende Er-
wähnung einer Aera. Ein Beamte, Namens Seti, stiftet
unter der Regierung Ramse's H. (Sesostris) das betreffende
Denkmal und datirt es mit dem Jahre 400 eines Königs
Set-Nubti, in welchiem ich den Vorgänger des Apophis
erkennen zu dürfen glaubte. Man begreift so auch, warum
auf einer Statue des grossen Ramses II. dieser König ein
»Liebling des von Apophis in Havaris durch einen Tempel
geehrten Sutech'' (Baal) genannt werden konnte. Wir be-
sitzen somit eine annähernde Bestimmung des Zeitabstandee
zwischen den Hirten und dem Ende der XVUI. Dynastie,
und da die Dauer der Hyksehöshenrsohaft in runder Summe
260 Jahre betrug, so ergiebt tidb für den Aufsog ihrer In«
580 SitMung der pMio$.'phüa. Ola$$e vom /. Däemher 1867.
vadoQ das Jahrhandert 2100-*2000 vor unsrer Zeitrech-
nung. In der That bemerkt Maneiho bei dem ersten WaU-
fiirsten der Hirten: Salatis, er habe Havaris (Ha-yare
,fHaii8 der Flacht^') hauptsächlich gegen die damalige Ob-
macht der Assyrier befestigt
War somit dieses Ergebniss für den nationalen Ge-
sdiichtschreiber Manetho und die Aegyptologie ein änssent
günstiges zu nennen, so zeigte eine Entdeckung des H.
Chabas, dass andh die Bibelerklärang aus der neuen Wissen-
schaft Nutzen ziehen kann. Dieser scharfsinnige Forsdier
identifizirte nämlich die dreimal genannten „Aperiu, welche
Steine schleppen zu dem Baue der Stadt Bamses" — mit
den Ebräern, welche nach E^^odus I bei den Arbeiten der
Städte Pithom und Ramses Frohndienste leisten mnssten.
Eine Steinbruchinschrift von Hamamat zeigte die nämUchen
Aperiu als ziemlich zahlrdche Bergbaucolonie und ein nodi
unedirter Papyrus (im Besitze des Herrn Harris) spricht
von .,AufiBehem oder Edlen (marina) der Aperiu^^
Man glaube nicht, dass dieses Resultat, so natürlich «8
jetzt auch scheinen mag, ganz mühelos zu erreidien war.
Es mussten zuerst durch gesunde Kritik die Hindernisse be-
seitigt werdet, welche der unbesonnene Eifer von Enthu-
siasten wie Lenormant und Heath aufgethürmt hatte. Diese
waren nämlich der Ansteht, das Volk Israel werde durch
die so häufig erwähnten Semat-Leute als Semiten bo>
zeichnet. Allein Hr. Chabas hat siegreich nachgewiesen,
und ich konnte in meinem Vortrage zu Augsbui); 1862 sowie
in meiner Abhandlung über den Bdcendhons der Mfincfaiier
Glyptothek seinen Fund beslÄtigen, dass jene Semat-Leute
nichts anderes waren als Tempelhörige, also nidit ein-
mal nothwendig Ausländer, abgesehen daTon, dass der Name
Semiten eine ganz moderne Formation der Gelehrten ist,
wislohe damit die Abkömmlinge des biblisdien Sem im
Gegensatae zu den Ohamiten und Japhetiten bezsidmea.
LaM^: DU AMoer <» Ae^^fUnk. 531
Eine Shnliche Barre war durch missverstäodliche An*
'wcndimg einer Hieroglyphe vor die Erkonntniss des wahren
Namens der Griechen oder Jonier') in ägyptischen
Texten gelegt worden. Weil nämlich in dem Namen der
Königin Arsinoe der Vokal % auch durch das Auge (iri)
▼ertreten erscheint , so glaubte man den Volksnamen, der
sait Auge Hase Adler geschrieben wird, Juna lesen und auf
die Jonier deuten zu müssen. Das fragliche Volk bildet
einen Bestandtheil der grossen vorderasiatischen Gonfoedera-
üon gegen Ramses II, dessen Heldenthaten gegen dieselbe
im Papyrus Sallier III. von dem Dichter Pentaur besungen
werden (auch die ägyptische Ilias genannt). An und für
sidi betrachtet, würden ^zu den Joniern, als Bewohnern
Kleinasiens, die folgenden Völker als Verbündete nicht übel
passen: Die Cheta und Easchkasch (anderwärts Kar*
kischa, entsprechend den Ghithi und Girgaschi (Josue
24,21), die Masa oder Maausa den Mas-Mysiern (1 Moses
10,20), Ghirabu dem Ghalybon, Qadesch dem häufigen
Qodesch (Heiligthum), Luka den Lykiern, Aradhu den
Bewohnern von Aradus, die Dardani auch Dandani^
(Dodanim?) den Dardanern, Patasu dem Hi^ifaaog, Qar-
qamascha dem Karkemisch (Circesium). Ueber die
Akerit oder Aktera, die Qazawatana und die oben an*
gedeuteten Ariuna, die vermeintlichen Juna, fehlen uns
bis jetzt Anhaltspunkte zur Vergleichung mit biblischen oder
elassischen Völkemamen. — Ich habe in einem Aufsatze der
^Zeitschrift für ägyptische Sprache und Alterthumskunde'V
nachgewiesen, dass die Verwendung der syllabisehen Hiero*
glyphen zu Buchstaben nur in der aenigmatischen Scbrdb*
art vorkommt, dass somit jener Volksname Ariuna, nicht
Jena zu lautiren ist. Damit fallen nun zwar die Jonier
3) Die jonischen Hirlenkönige Champollion's beruhten anf einer
fiklsclien Lesart von Goar, dem ersten Herausgeber des Synoellos.
532 Sttßung der fkilo8.-phM. dOMH mm 7: D&ember 1S€7,
hinweg; aber es fragt sich, ob wir sie nicht unter einer
andern Namcnsfonn doch antreffen, die sogar bis in die
Zeit der XI. Dynastie (2600 v. Chr.) zurückreicht.
In dem Programme, dessen Abfassung mir für das
eben abgelaufene Schuljahr zugefallen war, habe ich, unter
dem Titel „Homer und Aegypten'^ die Beziehungen zwiscfaea
dem ältesten Dichter der Hellenen und dem Pharaonealande
nachzuweisen gesucht. Wenn ich in Betreff des Namens der
Jonier und anderer im Verlaufe dieses Aufsatzes mich öfter
auf diese meine Untersuchung berufe, so wird man mir diess
nicht als den Versuch einer Redame für ein Buch miss-
deuten. Denn das gedachte Programm ist nur in der bei
den Anstalten üblichen Auflage erschienen, dem eigentlichea
Büchermarhte' also von vornherein entzogen. Aber gerade
dieser Umstand möchte es rechtfertigen, dass das grössere
Publikum, welches sonst nicht leicht damit bekannt werden
dürfte, mit Hülfe der wissenschaftlichen Sitzungsberichte der
kgl. Akademie auf die Resultate der neuesten Forschungen
aufmerksam gemacht wird.
Unter dem vorletzten Könige der XI. Dynastie: Sanch-
kera, den mir in meinem „Manetho'^ sowohl der Turiner
Eönigspapyrus als die jüngst entdeckten Tafeln von Abydos
und Saqqarah urkundlich an die Hand gaben, erscheinen die.
fremdländischen Hauneb u (so las man bisher) als eine be-
siegte Völkerschaft zum ersten Male. Von da an treffen
wir sie in allen Perioden der ägyptischen Geschichte in feind"-
lieber Berührung mit den Pharaonen, bis sie zuletzt darch
Alezander den Grossen und die Dynastie der Ptolemäer als
siegreiche Eroberer im Nilthale erscheinen und sich drei
Jahrhunderte hindurch behaupten. Aus dieser Zeit stammen
die zweisprachigen Inschriften von Rosette und Tanis, ans
denen wir die Gewissheit schöpfen, dass jene Hauneba
nichts anderes sind als die Hellenen. Der demotische
Text des Decretes von Rosette gebraucht die Namensfona
Lim^i Die^ ÄMoer tu Asgifpim. 533
Uinen, woraus dann das koptiadie Ueinin abgeleitet ward.
Da die jüngere Schriftart des Demotischen sich an die Hiero-
glyphen anschliesst, so musste die Voraussetzung entstehen,
dass Dinen aus Haunebu durch Abschleifung sich gebildet
habe. Ich übergehe die verschiedenen Versuche, die man
angestellt hat, um beide Formen mit einander zu ver-*
mittein, und wende mich sofort zu dem Ergebnisse, zu wel-
chem ich in meinem oben erwähnten Programme gekommen
bin. Auf Grund einer alphabetischen Litanei an die Hathor
(Venus) zu Denderah, wo der streitige zweite Bestandtheil
(nebu) unter den Anlaut v gestellt ist, nahm ich eine alte
Metathesis bei der Aussprache des Sylbenzeichens nebu an
und fand mich dazu durch das Dinkawort ben (Herr) 3=
neb (dominus) sowie durch analoge Fälle bestärkt. Der aus
dem Papyrus Grey bekannt gewordene Name eines Grabes:
Swaßowow zerlegt sich, wie neuere Denkmäler beweisen,
in T-hy-nab-unun „das Hans des Nabunun*' (Priesters der
Hathor). Daraus würde, mit Zulassung der Metathesis, die
so häufig sich geltend macht, für das fragliche Zeichen sich
die Lautung ban oder van ergeben. Die Bedeutung an-
langend, so erhielten wir für Hau-yanu „die hinter den
Wassern". Die Vermittlung mit Javan, Javones, Jones untere
liegt alsdann keiner weiteren Schwierigkeit.
Aber wozu, könnte Jemand fragend einwerfen, der müh«
same Nachweis eines dassischen Namens mit Hülfe ägyp-
tischer Texte, zumal das Ergebniss doch noch zweifelhaft
genannt werden muss ? Was letzteren Einwand betrifft, so
ersehe ich aus einem erst unlängst ausgegebenen Werke:
„Die Chronologie des Manetho" Ton G. F. Unger p. 145,
dass auch ein Anderer unabhängig und vielleicht aus anderen
Gründen auf die 'nämliche Ansicht in Betreff der Hanvanu
= *Iäfov€g gerathen kann. Anlangend den Zweck dieses
Nachweises, wird es hoffentlich vor gebildeten Lesern, wie
ich sie bei diesen Blättern vorausseteei nicht erst einer Ent*
534 Sitmmg der pMkn.-pkM. Ckme vom 7. Dnember 1867.
soboldigang bedürfet!, wenn ich Tersuche, dem Stamme der
Jon i er, dem wir so Vieles verdanken, seine Stelle nnter
den von den uralten Aegyptern gerannten und genannten
Völkern anzuweisen. Auch erheischt die neue Fackel,
welche die Pfahlbauten^) über die Ureinwohner Eoropa's
angezündet haben, eine gründlichere Prüfung der ältesten
Monumentalquellen, die uns zu Gebote stehen.
Mit Uebergehung des Danaos und der andern zu
Aegypten in Beziehung gesetzten Einwanderern Griechenlands
und mit Beiseitelassung des für mythisch geltenden Zuges
der Argonauten nach Kolchis, wende ich mich gleich zu d&
Frage: Lässt sich in den vor den trojanischen Krieg fallen-
den Zeiten auf einem ägyptischen Denkmale ein griechisdier
Stamm genügend nadiweisen? — Selbstverständlich kann
hierauf nicht ein / mehr oder minder wahrsoheinlidier An-
klang von Namen , sondern nur ein zusammenhängender
Text die Antwort geben. Es tri£ft sich für die allgemeine
Orientirung recht günstig^ dass das betreffende DenkmaP)
dem Meneptah angehört, d. h. jenem Pharao, unter den
man den Exodus der Kinder Israels anzusetzen vielfach be-
rechtigt ist, so dass über den Zeithorizont des geschilderten
Ereignisses kein Zweifel besteht, wenn auch die spezielle
Chronologie dieses Königs bis jetzt nicht endgültig bestimmt
werden kann').
In einem fiir die Zeitsdirift der Deutsch-Morgenländi-
achen Gesellschaft nach Leipzig eingesendeten und jetzt er^
adbienenen Artikel hatte ich schon zu Ostern dieses Jahres
4) Vergrl. Herodoi. V, 16.
6) Von Lepsinsy Brogtch und jetst vollständiger von Dnmiehsii
veröffentlicht in seinen Histor. Inschr. Tai. I — VI
6) Meneptah ist der 13. Sohn und nnmittelbarer Nachfolger des
Bamses IL Miamun Sesottris, von dem Aristoteles PoHt yil.9sagt:
Lemth: Di9 Aehiioer m Aggffpim. 5S5
d» gasse Inschrift analy^irt und übersetet; einzelne. Theile,
man Beispiele gerade die fremden Völkemamen , habe ich
memem Programme „Homer und Aegypten'* einverleibt Je
wichtiger diese neuen Namen fär die Ethnographie und 6e-
gcfaidite der sog. yorhietarisohen Zeiten mir erscheinen massten,
desto gröflsere Vorsidit glaubte ich anwenden und desshalb
meine Identifikationen vorerst nur als Verraathnngen bieten
zu sollen. Wenn ich. sie hente mit etwas grösserer Zuver-
rieht ausspreche, so veranlasst mich dazu der umstand,
dasB unterdessen ein französisoher Aegjptologe ersten Ranges,
kein Geringerer als Herr Vicomte de Roug6^) selbst, in
vollkommen unabhängiger Weise, wie ich meinerseits, zu
den nämHdien Lesungen und Deutungen jener Völkemamen
gekommen ist» Und zwar nicht auf Grund des lautlichen
Anklanges, sondern geleitet von dem Inhalte und Zusammen-
hange des Textes. Wo sich Abweichungen finden, rühren
sie von der Verschiedenheit der Copien her, die wir beide
dabei benutzten. De Boug6 konnte seine eigne an Ort und
Stelle gemachte Abschrift zu Rathe ziehen, während mir
Diimichen's „Historisdie Inschriften*^ vorlagen.
War der Einfall der Hyksdios von Osten her erfolgt,
und zogen sie, wie später die Kinder Israels, die man nicht
mehr, wie es fr&her gesdiehen ist, als identisch mit ihnen
ansehen kann, in derselben Richtung nach Asien zurück, so
versetzt uns der 77 Golumnen betragende Siegesbericht Me-
neptah's an das entgegengesetzte Ende des Delta, nämlich
in einen Memphis benachbarten Gau auf dem westlichen Ufer
des Niles. Der Pharao spricht in den sechs ersten Vertikal-
streifen von der Conföderation der feindlichen Völker, —
die wir der Reihe nach später zu betrachten haben werden —
von seinem Siege über dieselben mit Hülfe Amon's und
7) In der Kev^s aroh^I. p. 45 des Juliheftes.
536 SiUmng der phOoB.-plUM. aa$8€ fnm 7, Degmber 1867.
aller andera Scbutzgötter, sodann von der grossen Geüahr,
welche das Land Aegypten bedroht hatte, indem die Invasion
der fremden Eindringlinge Schutzmassregeln für Memphis nnd
Heliopolis nöthig gemacht hätte. Die Erwähnung der
letztem Stadt unter der Form Nu-n*Tum „Stadt des Tom^^
woher auch, beiläufig bemerkt, die Viiriante Nov&mfA für
Etham bei den LXX erklärlich wird, muss auffallen, da der
Angriff von Westen aus geschab. Allein eine weitere Stelle
des Textes belehrt un8(col. 19), dass die Feinde nidit bloss
zu Lande die Gefilde von Eemi (Aegypten) betraten, sondon
auch durch den Fluss (atur) in das Innere zu gelangen
wussten. Schon dieser Umstand setzt voraus, dass den Ver*
bündeten Schiffe zu Gebote standen, ein Postulat, daa
durch den weiteren Verlauf mehr als befriedigt wird.
(Col.7) Die Feinde lassen sich nieder unter Zelten ^) im An-
gesichte der Stadt Pabari auf einem Terrain, das w^en der
Einfalle der Neunvölker schon seit alter Zeit öde nnd den
Viehheerden als Weideplatz überlassen war ; die Bevölkerung
hatte sich daraus zur Zeit der unterägyptischen Könige
(d. h. des Hjkschoseinfalles?) in die Mitte ihrer festen
Plätze zurückgezogen und durch einen Wall abgesperrt, aus
Mangel an Soldaten und Mietblingen. Aber der Pharao
„Meneptah, sitzend auf dem Throne des Horus, schützte
seine Unterthanen mit mächtigem Arme; er entsandte Fuss-
truppen und Streitwagen und Kundschafter nsudi allen Ridit*
ungen, er der Gepriesene im Munde der Menschen, der
nicht nöthig hat Hunderttausende am Tage der Schlacht'^
Die Kundschafter bringen die Meldung, dass „der nichts*
würdige und verworfene Grosse des Landes Lebu (Libjen):
Marmeriu, Sohn des Dide sich dem Lande der Tha*
hennu (westlich vom Delta) nähere mit seinen Miethlingen
8) ahel (^n({t)* ^^ Roage*B Gopie bietet dafär Cbenna.
Lau^: Die Äehk>er in Äegyptm. 537
und den Fremdyolkern: Schardana, Schakalecha, Aqai-
wasoha, Leka, Tuirscha. In der Lücke des Textes
standen Termnthlich die später erwähnten Maschawascha
und Qahaqa. Diese 8 Völker also begannen die Feind-
seligkeiten, nnd dass es hiebei nicht auf einen vorüber-
gehenden Raubzug, sondern auf formliche Ansiedelung in
A^gypten abges^en war, beweist der Zusatz, dass ein Theil
der Bundesgenossen, die Tuirsoha, Weiber und Kinder mit-
gebracht hatten (col. 14). Die Verbündeten machten rasche
Fortschritte: eine neue Meldung berichtet, dass sie die West-
grenze des Reiches auf den Gefilden Ton Paari (IL Gau
des Delta) erreicht hätten. „Da ward seine Majestät wüthend
wie ein Löwe" gegen seine Grössen, die es an Wachsam-
keit hatten fehlen lassen, und er richtet an sie die strafen-
den Worte : „Vernehmet meine Reden und beobachtet, was
ich euch zu wissen thue, nämlich: Ich bin der Fürst, der
euch leitet und meine Kurzweil ist aufzufinden (die Mittel-
Lücke) nm euch zu erhalten, wie ein Vater seine Kinder,
ernährend eure Leiber wie die von Mastgänsen. Aber ihr
erkennet nicht das Gute, das er euch erweist, erwiedert
nicht (seine Sorgfalt) 1 Das Land wird yerwüstet, offen steht
es dem Angriffe einer, jeden Fremdrage; die Neunvolker
(Heiden) plündern seine Grenzbezirke, die Unreinen über-
schreiten sie jeden Tag; die Seeräuber (?)*) berauben die
Stationen, dringen ein in die Gefilde von Kemi durch den
Strom (c. 19). Siehe sie yerweilen Tage, ja Monate lang
ruhig sitzend darin. So haben sie erreicht den Berg von
Heseb (sonst auch uta gelesen, und als weinreich ge-
schildert) — und zerstreuen sich auf dem Bezirke von
Toahe (Heptanomis); wohl nie hat man aber solches, seit
es Könige des Oberlandes gibt, in den Annalen der anderen
9) Leider in einer Lücke des Textes yenobwnnden 1
>36 SiUfung dtr phOoti-phaol. OMte vom 7. Degember 1867.
Zeiten gekannt: sie kriechen wie die Sehlangen, nicht gibt
es, die mehr in ihren Bauch thun; sie begehren nach Tod
(Mord), hassend das Leben; ihre Verwegenheit ist höher
als das Firmament. Ihr Grosser beschäftigt sie mit Ver-
wüstung des Landes, indem sie kämpfen, um ihren Bauch
zu füllen alfezeit. Sie ziehen wider das Land Eemi, um za
suchen den Unterhalt ihrer Mäuler; ihre Herzen yerkngen
nach meinen Tributen, wie ein Netz nadi Fischen« Ihr
Grosser (Führer) b^immt sich wie ein Hund {wcnMoau^
onomatopoetisch ^^) , ein verwünschtes IndiTiduum, ohne
Herz."
Der König rühmt sich sodann seiner Wohlthaten gegen
das Volk der Wüste (Petischu), das er habe Getreide holen
lassen auf Schiffen „um zu beleben dieses Land Chet • ."
— vielleicht Scete bei den Natronseen. Der Zusammen-
hang dieser Stelle mit dem Vorhergehenden ist leider durch
mehrere Lücken unterbrochen.
Von hier an (col. 24) spricht der König sein Wertnam
aus auf den Beistand Amon's in Theben, und die Drohoog,
dass er die Maschawascha and Tha^mahu (Vertreter der
libyschen oder weissen Menschenrage) heimsuchen und züch-
tigen werde, sowie die Lebu: „indem seine Soldaten aas-
ziehen wider die Feinde, ist die Hand des Gottes mit ihnen,
Amon-Ra als ihr Schild. Und er sprach zum Lande Kemi:
Haltet euch bereit auszuziehen in 14 Tagen 1 Siehe, da
schaute Seine Majestät ein Traumgesicht im Schlafe, wie
wenn ein Bild^^) des Ptah stünde am Lager des Pharao
10) In Düinichenfl Zeiohnunip col 23 ein Schakal, aber bei
Brugsch und nach DeKoug^ ein deatlicher Hund Ton der Art, wie
die wau-waa, denen Anepu sein der Fran Patiphra in allem
gleichendes Weib wegen Verläumdang seines Bruders Batu, eixies
Seitenstücks zum Joseph, vorwarf (Roman der „zwei Brüder'S).
11) De Roog^ übersetzt hier: ,,coflii»e' m le (filtft) vnique de
LauHh: Die Aekiver in AegppUn, 5A9
mit Leben Heil und Kraft. Es schien za erheben seine
Stimme und zu ihm zu sprechen: „Ol beendige das Zau-^
deml'^ und ihm die Siegeswaffe reichend: „Du beseitige die
Unentscblossenheit aus dirl'' Da erwachte der Pharao mit
Leben, Heil und Kraft und sofort entsendete er seine Fuss-
truppen und Wagenstreiter, Tor denen Niemand sieb halten
kann, auf den Weg ausserhalb Paari. Alsdann wurde der
niederträchtige Grosse der Lebu- handgemein mit ihnen:
diese Begegnung fand statt am 1. Epiphi früh Morgens (das
Jabr ist in einer Lücke verschwunden). Mit den Soldaten
und Wiigenkämpfern Seiner Majestät war Amon-Ra, Nubti
(Baal) reichte ihnen die Hand. Daher wälzten sich die
Feinde bald in ihrem eigenen Blute ; keiner blieb übrig von
ihnen; die Bogenschützen Seiner Majestät verbrachten sechs
Stunden im Kampfe mit ihnen ; dann wurden sie (die Feinde)
der Schneide des Schwertes überantwortet.
Während nun die Fremdvölker so bekämpft wurden,
siehe 1 da erschrack der niederträchtige Grosse von Lebu,
sein Herz ward muthlos. Siehe 1 er wandte sich zu eiliger
Flucht mit Hinterlassung seiner Sandalen, seines Bogens,
seiner Köcher (aspatha = nieitfti), kurz alles dessen, was
er bei sich gehabt, in dem Wunsche, seine Glieder zu be-
schleunigen. Grosser Schrecken durchbebte seine Glieder.
Er verlor all seinen Besitz an Spangen (n^nudcUha =
nUniEO ^^))' Silber und Gold , seine Gefässe aus Metall, den
Schmuck seines Weibes, seine Bogen, seine Waffen, kurz
Alles, was er mit sich geführt hatte. Diese Gegenstände
Ptah Be tenait debout und bemerkt in der Note, dass na „nn, om-
qne" anoh dard bedeuten könnte. Aber es folgt auf na ein tut
und dies bedeutet sicher ,3Hd*'.
12) GeseniuB bemerkt bei diesem Worte eigens, dass es trani-
ponirt sei aus nllJJJfJp von der Wurzel uj; (chald.) binden.
540 SiUung der phüoe.-philoL Ckuae vom 7. Dezember 1867.
wurden zu dem Palaste gebracht, um aufgeführt zn werden
mit den Gefangenen. Unterdessen war der niedertrachtige
Hänpthng der Leba auf eiliger Flucht in sein Land. Und
das Verzeichniss der Feinde, so getödtet wurden durch die
Schläge der Schneide, ward überreicht den Offizieren, welche
auf den Streitwägen Seiner Majestät sich befanden, und nach
ihnen das Verzeichniss der lebend Gefangenen. Gross war
die Zahl der Feinde gewesen: man hatte Nichts Solches ge-
sehen zur Zeit der Könige Unterägyptens, als dieses Land
in der Feinde Gewalt war und das Unglück so lange fort-
dauerte, als die Könige Oberägyptens nicht die Kraft be-
sassen, sie auszutreiben'^
Herr Vicomte de Koug6 sieht in letzterer Stelle eine
Anspielung auf den Einfall und die Herrschaft der Hyk-
schös — gerade wie ich es ebenfalls in meinem Aufsatze zu
Ostern gethan ; eine um so merkwürdigere Uehereinstimmung,
als die betre£fende Columne sehr lückenhaft ist. Der Text
fahrt fort: „Das habe ich gethan aus Liebe zu den Be-
wohnern, um zu schützen Kemi als Herr des Landes, um
zu retten die Tempel des Deltagebietes. Darauf sprachen
die Leute der westlichen Stationen in einer Botschaft zu
dem Palaste des Auserwählten mit Leben, Heil und Krafl
mit den Worten: „Sintemal der gestürzte Maurmerin
flüchtig gegangen in Person und seine Wenigkeit entronnen
ist den Menschen mit Begünstigung der Nacht auf abge-
legenen Wegen, verfolgt von jedem Gotte in Kemi — die
Prahlereien, so er geäussert, in Nichts zerstieben, und alle
Worte seines Mundes zurückfallen auf sein eigenes Haupt;
da man nicht kennt die Art seines Todes: so überlasse
ihn seinem Schicksale; sollte er noch leben, so wird er sich
nicht wieder aufrichten: er ist gestürzt, ein Spott seiner
Soldaten. Du aber, o König, bist es, der uns mitgenommen,
um zu vollbringen die Tödtung der Feinde im Lande der
Thamahu. Setzen die Lebu einen andern an seinen Platz
Lmdk: Die Jchiver in AegypUn, 541
•
Ton Beinea Verwandten (Brüdern), welche beim Kampfe
waren, so sieht er gebroohen die Grossen wie die Kleinen/'
^yAJsdann brachten die Hfilfstmppen , die Soldaten nnd
Wagenkämpfer, die Veteranen alle des Heeres und die Jang-
mannscbaft (Naruna = T)")^)) gefesselte Feinde Tor sich
her; Lasten von unbeschnittenen^') Phallen der Lebu und
abgehauenen Händen aller Fremdyölker, die mit ihnen gewesen
waren , in Häuten auf Brettern , endlich allerlei Beute , die
man genommen aus ihrem Lande.
Alsdann ward das ganze Land Aegypten fluQubelnd bis
zum Himmel; die Flecken und die Städte waren in Wonne
über jene Wuuderthaten. Die Flüsse führten Festfeiemde.
Alles ward vor den Balkon gebracht^ auf dass schauete Seine
Majestät die Ergebnisse seines Sieges: das Verzeichniss der
' Gefangenen, herbeigeführt aus diesem Lande der Lebu und
den übrigen Fremdvölkem, sowie der Beute zu dem „Neuen
Hanse*^ des Pharao Meneptah, des Ueber wältigers der Tha-
hennu, welchesr in Paari/'
Von ool. 50 an, die jetzt folgt, bis zu col. 62 erscheinen
die detaillirten Angaben über die Verluste der Feinde. Vor
allen werden die Phallen von sedis Individuen aufgeführt,
die „Söhne der mit dem Lebufürsten verbündeten Häupt-
linge^' genannt werden. Dann getödtete Lebu, deren Phallen
eingeliefert wurden: 6359: Zusammen (6365)*^
Die Zahl der getödteten Scharda(i)na, Schakalscha,
Aqaiwascha „von den Gegenden des Meeres'* ist nicht ganz
18) Der Aasdraok ist zweifelhaft; de Rouge übersetzt: „dresses
en cames^ wohl desshalb, weil ihn das offenbar nnftgyptische Wort
qarenatha an np. <^oi™v mahnte — sollte es aber nicht erlaubt
■eiD, an ^*i]t unrein, anbeschnitten zu denken, da l auch in q;;^d
= sanofaem locustae ein aegypt. n vertritt, und das y h&nfig far
•fikuitende Gutturale steht?
[1867. n. 4.] 36
b*2 SüMung der pM«.«i»Mol; €ilMe wm 7. Jkgember 1867.
•
erhalten; nur die der Sdiakalscha : 222 ist yorhanden Ait
dem Beifdgen: Betrag an Händen: 260. Von den Taireoba
fielen 742, Betrag an Händen: -790. Die nädute Samme
•111 seheint sich anf die Mascha wascha zu beaidien.
Man sieht ans diesen Verltisteh, dass die Schlacht bei Paari
(Uö^ighei Steph. ?) eine mörderische gewesen sein mnss. Die ZaU
der lebendig Gefangenen steht dasn in einem gewissen Ver-
hältnisse: „218Lebu, die Weibw des yerworfisnen Häuptlings
der Leba, die er mit sich geführt hatte, lebendige weibliehe
Lehn 12. Summe der Ge&ngenen 9376. Waffen und Fahpeni
wdche in den Händen der gefangen Eingeführten waren,
Slshwerter der Masdiawascha: 9111." Es folgt die ungeheire
ZäiA 120,214, die sich auf einen Theil der Beute beiielit,
der in dner Lficke verschwunden ist. „Pferde, die das Eigen-
thum des Fürsten der Lebu und sdner Söhne geweseni
wurAsn 14 Gespanne erbeutet.^' Den Schluss des Verzeich-
niM^s bilden 1314 Stück Grossvieh, Z^en (zerstörte Sunme)
sodann 54 verschiedene Gefasse aus Gold ; an Silber, Kruge
zum Trinken (ZaU zerstört); an Erz, Schwerter, Doldhe,
Kürasife tind Schienen^ versdiiedene G^Äthe: 8174, oflfonfaar
tkH MeeresvölkerU angehörig.
•,^Nachdeflft diese weggeräumt waren ^ l^e man Feuer
all &r Iiager und an das Zelt (qairsiatha — ?) ihres
Herrn/' Den Schluss macht die sebmeieheUiafte Sdbslbe-
lobui% ded ägyptischen Pharao Menieptah: (cNoI. 70) „Die
Lebu hatten Schlinnties gesonnen wider Kemi; aber siehe,
sie sind gestürzt; ich tödtete sie und machte sie zu einem
Wahrzeichen. Ich versetzte das Deltagebiet in Sicherheit
und Frieden : es lieben mich die Bewohner, wie ich sie liebe,
inVFen ich ihnen gewähre den LebenelMithem. ..Es jobdii ihre
filSdte ifüf bei meineib Namen, ak tf^ Oberen der HBMSt.
Iiihtn wird meine Zeit als eine gUiekliche preisen im Munde
der Geschlechter der Menschen, gemäss der Grösse der
Wohlthaten, die ich ihnen erwiesen. Und AH ^Mte ist WAhr-
Langih: Die Äehiwr in Ae^ypUn, 543
iMit durchaas." Die fünf letzten Columnen (73—77) eai-
halten die Bestätigung des eben vom Pharao Gesagten an
dem Monde seiner Unterthanen.
Das ist weit ausgeholt, wird mancher denken, um die
Anwesenheit von Achivem in Aegypten zur Zeit des Pharao
Meneptah wahrscheinlidi zu machen. Der billig Urtheiloide
wird aber, abgesehen von dem sonstigen Interesse des In-
lialtes der historisdien Inschrift, anerkennen, dass ohne emen
solchen Znsammenhang der Beweis für meine neue^^) Thesis
völlig in der Luft schweben würde. Was die Uebersetzang
anbelangt, so möchte der Umstand, dass zu gleicher Zeit
avei Aegyptologen, einer zu München, der andere in Paris,
unabhängig den nämlichen Text auf gleiche Art anfgefasst
haben, jener noch immer bestehenden Zweifelsacht endlich
den letzten Stoss versetzen. Mit denjenigen, die sogar die
Richtigkeit der gelesenen Völkemamen bezweifehi, will idi
mich nicht aufhalten; sie haben es ihrer eigenen Bequem-
lichkeit zuzuschreiben, wenn sie über die Elemente einer der
wichtigsten Entdeckungen unseres Jahrhunderts auch jetzt
noch in Unkenntniss verharren, wo die gesteigerten Hül£s-
mittel es jedem Wollenden ermöglidien, sich in einem halben
14) Ib der bekannten Stelle von Platen't Timäns, wo Eritias das
Oteprich des Solen mt „dem Enndigaten der Sgyptischen Priester-
i^iaft*' erzählt, ist gesagt: otf« ^k jj nttq* v/uti^ ij tß^s^. . • • *€tlot^
9 fUya yiyoyey, näyxa yByqagAiiira ix naXaiov rJcT itnly iv xoVc If^otg
xai ütütüCfAiya. Das T^&t bezieht sich auf £äi(, in dessen Nachbar-
Bchaft Paali (Paali, U^Ak?) und der Neubau des Meneptah lagen, wo also
der erwiesenermassen wiederholte Text ebenfalls angebracht sein konnte.
Nimmt man soek die weitere Sage fiber die Atlantis, über die Inva-
sion Aifivtig und Evqiantis f^Xi^ Tv^^tp^iaf hinzu, besonders: ttoM«
fUy ovy vfi&y xai fAiyäXa (f^ya r^f noXiOK (Athens) T^cfc ysy^ftfiitw
^vfiäCirai — so wird man geneigt sein, darin geradezu eine Bestät-
igung unserer Inschrift und der Anwesenheit der Achiy er in Aegypten
an erblicken. Herr GoUega Christ hatte die Güte, nich auf diese
auch sonst merkwürdige Stelle aufimerksam zu machen.
86*
544 SitMung der phüos.-phüol Chstte vom 7. Dezember 1867.
Tage von der Sicherheit des ägyptischen Alphabets zu über-
zeugen. Mögen sie also sich nicht mehr hinter der Maske
der kritischen Zweifels verstecken dürfen!
Ich habe 'mit H. Vicomte de Rouge die gleiche Ansicht
in Betreff der vier Vöikeinamen Tnirscha, Schakalscha,
Schardaina und Aqaiwascha^^) ausgesprochen, dass sie
nämlich den klassischen Turs kern (Tyrrheuem), Sikelern,
Sardiniern und Achivern entsprechen. Die Mascha-
wascha hatte schon Brugsch mit den ilfef^v^g'Herodots,
einer libyschen Völkerschail, verglichen. Oeber die Qahaqa
haben wir noch keine Anhaltspunkte in den Klassikern
gefunden; es müsste denn allenfalls der Name KijvS, den
ein König von Trachin in Thessalien und später mancher
Sclave in Rom geführt, hieher zu ziehen sein oder Gaictis
(Verg.)? Oder vielleicht Herodots (IV, 19S)Zai;iyir«>? Wenn
ich bei denLuka diesmal an dieLucanier (bosLucae) oder
an die Ligurier (Ligys) dachte, während de Rouge sagt:
„nom qui designe probablement lesLyciens" — so ist die
Entscheidung über diese Frage noch offen; die Luka Asiens
habe ich ebenfalls mit den Lyciern identificirt.
Es ist nicht der äusserliche Anklang dieser Völkemamen,
welcher uns zu den betreffenden Gleichstellungen bestimmt
hat, sondern der innere Zusammenhang des Textes, der den
Schardana, Schakalscha und Aqaiwascha wörtlich die
Herkunft von den Gegenden des Meeres zuschreibt. Für
die ersteren wusste man aus andern Texten bereits, dass
sie mit Inseln des grossen Beckens d. h. des Mittel-
meeres in Beziehung stehen und darum hat auch H. Chabas
in seiner meisterhaften Arbeit über den Papyrus Anastasi I
die Schardana mit den Sardiniern identifizirt. Abgesehen
davon, dass unser Text auch die Varianten Schardina und
16) In meinem Anfsaize der Z. d. DMQ habe ich dabei auch an
Aequus erinnert.
Lauth: DU AMi9€r m Aegypien. 646
Sohardaina liefert, stimmt Schardana zu dem homerischen Oaf*
idviov und zu yvyQ}. Sollte man in Betreff der beiden andern
das kritisch sein sollende Bedenken vorbringen, dass in 2t9tel6q
nnd *A%cuj!6q die Endung og nicht znm Stamme gehören
könne, so erinnere ich an den sichern Namen Ntari wusch
= Ja^tog, wo das grichische og ebenfalls einer wurzel«
haften Stammsylbe entspricht. Das Digamma in 'Jx^tfog
anlangend, so wird es schon durch die lateinische Form
Achivus verbärgt.
Endlich dürfte selbst der Accent dieser beider Völker-
namen einen Fingerzeig enthalten, dass die Endsylbe als
Stamm mit eigener Bedeutung gefasst wurde — und die
ägyptische Schreibung beweist jetzt, dass in älterer Zeit diese
Endung wie osch d. h. mit der Geltung des dorischen
aav^^) (schin) ausgesprochen wurde.
Was ferner den Umstand betrifft, dass dieAqaiwascha
von den Gegenden des Meeres herkamen, so lässt sich diess
ebensowohl auf eine Insel, als auf ein Küstenland beziehen:
die Bezeichnung Peloponnesus, die „Pelops-Insel", die Lage
der Landschaft Achaja am korinthischen Meerbusen, die
Anwesenheit von Achajern auf Ithaka, wie an der gegen*
überliegenden Küste, endlich die Ausdehnung der Benennung
Achaja auf ganz Griechenland unter der römischen HeiT-
schaft — alle diese Einzelheiten, auch von Homer's Gebrauch
der 'JxMfoi abgesehen, führen auf den Schluss, dass Aqai-
wascha ein uralter Name für einen zahlreichen hellenischen
Stamm gewesen. Während aber Javan und Danaos sich aus
dem Aegyptischen ohne Zwang, sogar mit einer gewissen
Nothwendigkeit als „die hinter den Wassern^' und als „die
16) H. de Roiig6 brauchte die Belehrung über deu „Bon ohuin-
tanV* des dorischen ^ay nicht erst aus Lenonnants Preiswerk su
entnehmen; das Wesentlichste darüber steht schon in meinem Üni-
versal-Alphabete p. 67 vom Jahre 1865.
646 SWmng der fhHoa^-phiM. (Xam v&m 7. Detember 1867.
Audänder (tanau)*' erklären, widersteht der Name Aqai-
wascha einer Herleitung aus dem Aegyptiscben. Wir haben
daher die Etjrmologie dieses Namens auf griechisdiem Boden
selbst ztt suchen. Hier bietet sich der Stamm €dy$al6^^^)
Compos. von aXg (die Salzfluth) mit der Bedeutung „Ufer, Käste*^
ziemlich ungezwungen dar, und da es nach HerOdot (VUI,
94) BsXaoyol cdyiaXäeg gab, so wäi^ ihre Verwandtschaft
mit den Achäem wahrscheinlich gemacht und wir bekämen
für beide die Gesammtbedeutung „Eüstenbewohner^^
Vielleicht verhilft uns diese, allenfalls pelasgisch zu
nennende Wortformung zu einer befriedigenderen Etymologie
des bisher so räthselhaft gebliebenen Namens der Pelasger
selbst. Man hat sie in der Pulista der ägyptischen Texte
finden wollen. Allein diese entsprechen denn doch eher den
Philistern (0vXiaTe{fi)^ und der angenommene Wechsel
zwischen t und g (T, r), wenn er auch paläographisch leicht
zu erklären wäre, ist sonst durch Nichts belegt. Auch hat
der Pulista (Brugsch Oeorgr. II Taf. XI, 26) eine Kopf-
bedeckung (Federkrone), die nur bei semitischen Stämmen
getroffen wird. Es sieht Pelasgos doch ziemlich griechisch
^us und wenn wir auch die Spielerei der Alten, welche den
Namen dieses Volksstammes wegen seiner Züge in die Feme
mit neXa((Yoi „die Störche'* (schwarz-weiss) zusammenbrachte,
nicht weiter beachten, so drängt sich doch pelas „nahe"
mit fast unabweisbarer Nothwendigkeit auf. Die neuere Zeit
bietet ein Volk, dessen Namen auf den nämlichen Stamm
zurückgeht: die Preussen. Sie sind nicht, wie man wegen
des lateinischen Borussia gemeint hat, die an Russland
grenzenden oder unter Bussland stehenden, wie Pomerania
von po und mor „am Meere'* vgl. des celtische Armorica —
17) Herr CoUegs Christ denkt an sanskrit ighsvy«, „Streit^
Kampfruf'^
(XaiHft: Du ÄOmer •» 4^iS»«i|i. H7
SBd Morea, den slar. Namen des Pelopomieees — sondieninaob
unseres gründlichen und nach seinem Tode bfBsasr anei'kaim-
toi Landsmannes Zeuss Ansicht von de|n sl&yischen pi^us (ygl.
plesion) ^ider Nachbar'^ abzuleiten. Aehnlich mögen die
PrsDSsen des Alterthums, nämlidi die Pelasger, ihren
tarnen von der Nachbarschaft am Lande der Achiver er-
halten haben und die Lautverhindung (^ eben joner breiten
Aussprache des aäv als Ueberbleibsel zu danken sein.
Dem sei indess, wie da wolle: wie ich in meinem Pror
gramme ,,Homer und Aegypten'^ weder die Phaeaken noch
ihr Land (nicht Insel) Scheria (px^Q^g = K^^^ii X^^^
trodsen) mythisch gefunden, sondern in Epirus, dem Festlande
^iM^' ^^oxffv mit Bezug auf das platanenbiattförmjg gespalten,«
peloponnesische Griechenland, wieder getr^en habe, so sind
mir die Pelasger kein mythischer ^ame, sondern ein wesen-
haftes, den Hellenen benachbartes, und vielleicht fiir ihre
Sprache und (Jultur vorstufiges Volk, dessen Existenz nicht
später als die der nunmehr monumental erwiesenen Aqai-
wascha zu setzen ist.
Hr. de Rouge bemerkt zu col. 60, dass die letzten 17
Coljimnen ihm an Ort und Stelle wie eine Restaumtion aus
späterer Zeit erschienen seien, woraus sich die leeren Stellen
erklären würden. Sicherer ist, und aus Dümicheu's pl. I A
mit fünf oben nicht zerstörten Columnea^Bfängen, die den coU.
37 — 41 entsprechen, ersichtlich, dass ein Duplicat des Textes
in Karnak selbst existirt hat. Ja ein Dichter jener Zeit but uns
im Papyrus Anastasi U pag. 3, 4 unter andern die Veree
geliefert: „Die Lebu stürzen von seinem Schlaget sie werden
getödtet von seiner Schneide.'* pag. 5, 2: Die Schardaa»
führst du her durch dein Sdiladitschwert ^ es züchtigt sie
das Volk der Mahautu (Beduinen, ähnlich den Gensdarmen
Mazaiu lin. 2 und den Naruna (Becruten) des Textes) -—
4iGf^r effreuliqh ist dein If.on^jQaen nac^i Thebeii -^ trjHflpir
phirend wird dein Wagen gebogen von Hlnden -r^ die Häuptr
548 SiUung der phüos.'pMol, Clasae wm 9. Desember 1867.
linge wandeln gefesselt vor dir her -^ du führest sie vor
deinem Vater Amon/'
Ist es nun zaiallig) dass Herr Vic. de Rouge in seinem
Artikel auf diese nämliche poetische Production verfallen ist,
wie ich in meinem zu Ostern nach Leipzig eingesendeten
Aufsatze, worin ich noch ein weiteres Duplicat (Pap. Anast.IV,5)
aufgezeigt habe, zum Beweise, dass der zu Theben ange-
schriebene Sieg des Meneptah über die Libyer und die mit
ihnen verbündeten Schardana, Schakalscha, Tuirscha, Aqai-
wascha, Maschawascha , Leku und Qahaqa von den Zeitge-
nossen anerkannt und dichterisch besungen wurde.
Wie ? wird Mancher denken, konnte man hieroglyphisch
oder hieratisch ^^) dichten?! Unglaublich! und doch verhält
es sich so. Je zwei ilurch rothe Punkte in dem Papyrus
unterschiedene Halbverse bilden einen Gedanken und da der
Hexameter, ohnehin durch die Hauptcäsur in zwei Stücke
zerfallend , in alten Schriften wirklich- zweitheilig getroffen
wird, so wäre am Ende auch diese Blüthe der klassischen
Sprache aus ägyptischem Boden erwachsen ? Dieser Gedanke
läbst sich nicht gerade desshalb abweisen, weil man bisher
noch nicht darauf verfallen war.
Die oben dargelegte Inschrift des Meneptah wird auch
noch in anderer Beziehung, abgesehen von der Gleichung
Aqaiwascha = Uxccifög ^^^) von hoher Wichtigkeit als
geschichtlicherHintergrund des trojanischenKrieges.
So z.B. für den bekannten Schiffskatalog derllias (B494
sqq.) Es ist nicht zufallig, dass die Reihe durch die
Boeoter eröfinet wird; denn es heisst v. 496:
18) Mit Namen „qoae venu dioere non est^'. (Horat.)
19) Die in der Inschrift des Meneptah aufgeführten B e i nt ohienen
gehören vemmthlich zu den Aqaiwascha und bestätigen anfs Schönste
Homers tvxyiqfii^ag jij[€novg. Kommt einmal eine bildliche Dar-
stellung saTage, so darf man sicher sein, auch seine «a^v xoft4^
tayjag und /ftAxo/^roii^ap illustiirt zu sehen.
Lauth: Die Achiter in Äegypten. 549
oV '9'^' Yfifjv iväfMvto xal ÄvkCia netqi/J€(KSav. In Aalis
war aber der Sammelplatz aller Schiffe und von da lief
die vereinigte Flotte zu ihrem Unternehmen ans. Die fünfzig
Schiffe der Boeoter mit je 120 Mann (also im Ganzen 6000)
scheinen sogar einem authenthischen Verzeichnisse entnommen
zu sein^ welches zu Aulis vor Antritt der Fahrt alle Schiffe
nmfasste. Die Zahl 6000 stimmt zu den analogen Ziffern
der Cöntingente der libyschen Cbnföderation und ihre spe«
zielle Angabe gerade'^) bei den Boeotern und bei Achil* '
leus (II, 168—170:50X50) dürfte ebenfalls auf Aulis als
die Quelle des Katalogs hinweisen. Daher die Ueberschriflb :
BouAw€ia 'q xatdloyog vscSv, Die zunächst folgenden Völker-
Stämme: Orchomenier, Phoker, Lokrer, Euböer etc.'^)
bestätigen diese Annahme , dass Aulis, wie der Ausgangs-
punkt für die Fahrt nach Troja, so auch der Ursprung des
Schiffskatalogs gewesen.
Noch eine andere Erwägung dürfte gerade die später
wegen Zurückbleibens in der Cultur so oft bespöttelten Boe-
oter als Urheber dieses Verzeichnisses empfehlen. Es ist
bekannt und ausgemacht, dass die Griechen ihre Buchstaben
Y^/Aficcra q>oivuiijia und xad/itj'ia (Herodot.) auch ytoivixut,
jpoivfxAxa, wegen der durch den Phöniker Kadmus geschehenen
Uebermittelung genannt haben. Auch zeugt die Paläographie
selbst für diese Thatsache. Wenn bisweilen die Benennung
Yfäfiiuxta neXaa/taM vorkommt, so steht diess im schönsten
20) Auch bei den sieben Schiffen des Phüoklet v. 719, wo je 50
iqixui zugleich als Bogenschützen erwähnt sind. Thnoydid. I, 10.
21) Wem die öfter (zehnmal) vorkommende Zahl 40 wegen der
biblischen nnd arabischen arbainat (40) verdächtig ist, der bedenke,
dass die 1166 Schiffe, durch die 29 Stämme dividirt, gerade die Durch-
sohnittssahl 40 .ergeben. Thucydid. I, 10 hat 1200, was aber bei dem
dann nothwendigen Divisor SO wieder die Durchschnittszahl 40 blank
ergibt. Somit wäre das gesammte Griechenheer etwa 60,000 Mann
stark anzunehmen.
§10 Siimng der phHBi$.-phaol. Otute mm 7. Buember IWr.
Binklange mk der Vorstofigkeit der Pelaeger in Besag auf
die Oriechen and mit ihren speziellen Wohnsitien in Dodona
und EpiruB (Scherie), Wie ich sie oben wahrscheinlich gefiin«
den habe.
Eine schöne Entdeckung von Brandis'*) über die sieben
Thore Thebens fügt ein neues Glied in die Kette der Beweise.
Dieser Forsdier hat nämlich mit .siegreichen Gründen dar-
gethan, dass die sieben Thore Thebens,*') wie die sieben
Mauern yon Ecbatana und der siebenstofiige Baitempel Ba«
bylons (Herodot I, 98, 181), nach den fünf Planeten mit
Sonne und Mond gebildet und benannt waren. Dadurdi
erhält die Deutung des Namens Kdd/iog^ yon D'^j?. der Orient,
eine nicht unerhebliche Bestätigung und Buttmann's Ver-
muthung, dass in der Sage von Kadmus und Europa (y^V,
Abend cf. ^Qeßog dunkel) uralte Beziehungen zwischen Morgen-
und Abendland enthalten sind, wird dadurch wesentlich
empfohlen.
. Wenn daher Aeschylos in seinem Stücke Sjivd inl
OtfßagY. 159 — 165 mit dem 'AndXXwv die /idxsiQ^ avaaoa
^Oyxtt als Hauptschutzgötter der siebenthorigen Stadt an-
rufen lässt, so erhält diess jetzt einen vollgültigen Sinn, seit-
dem uns die ägyptischen Denkmäler die beiden Gottheiten
Baal und Anuqa'^) als speziell phönizische wie bei (Pau-
22) Zeitschrift Hermes II, 2 1867 — YergL Allgemeine Zeitung
BeUage Nr. 282, 9. Oct. 1867.
28) Gf. II. J 878 U^u nqog teix^a 9ißnc. Dass die t)yxa U^ya
der Venus (Freitag) entspridit, ist um so sicherer, als die ägyptische
Yenos, nämlich Hathor, geradezu auch mit-der Annqa idraiüficirt
wird (DamichenReoiieiliy,XXXyi, 12b, uxunittelbar hinter An atha.)
24) Diese vom Auslande in das ägyptische Pii^theon frnhseitig
«nljgenommene Göttin bildet als "Mtomu^ mit der Xdtig und dem
XiMsv^K (Kneph, Chnom) die Triade der Katarakten; auf dem Thiar>
kreise Ton Denderah habe ich die Annqa sveimal als Wasserfiik«
getroffen.
Lau^: Di» ÄeMver m Aegnfpkm. Ml
Baaias) kennen gelehrt haben. Enterer ist sogar, me 'A^fiMm
htm (n oder M sem. Artikel) mit dem bestimmten Artikdl
▼ersehen: Pe-Baal'^), und letztere erscheint mit einem eigen-
thüffilichen Kopfpatze, den man die Philisterkrone genannt
hat, weil die Abbildnngen der ühanaaniten sie aufweisen.
So viel tiber den phöni zischen Ursprung gewisser
Einrichtungen im kadmeischen Theben. Da nun jedenfalls
der Zug der Sieben gegen Theben vor die Troica fällt, so
lässt sidi das Dasein schriftlicher'*) Verzeichnisse, also
auch die Möglichkeit und Wirklichkeit eines geschriebenen
Schiffskatalogs für diese Zeit recht wohl begreifen — um
so mehr, als uns die ägyptischen Denkmäler dieser und viel
älterer Zeiten nicht nur Schrift in Ueberfülle, sondern^ auch
bildliche Darstellungen zeigen. Besonders will ich hier
noch der Pnlista mit ihrer Federkrone, die auch die Dan-
auna tragen— und der Scha^dana'^) erwähnen, welche seit
Sethosis I als Gefangene oder als Bundesgenossen in pitto-
resker Tracht auftreten. Es verdient gewiss Beachtung, das^
audi Vicointe de Rouge den Verso des Papyrus Anastasi U,
wie ich selbst in meinem Aufsatze für die Zeitschrift dar
DMG, auf diese Tracht bezieht. Der Text besagt: ^Die
Schar dana des grossen Beckens, welche zu den Gefangenen
seiner Majestät gehören, sind geschmückt mit Waffen allerlei,
in den Hallen; sie bringen die Tribute an Getreide und ent^
laden den Inhalt ihrer Gespanne.*' Ihr Helm gleicht ein»
Pickelhaube, nur dass er oben zwei lunulae zeigt und in eine
26) Dilmichen Bist Insoh. Taf. XXIV ool.48; Taf.XIX ool 83,
84 Bind dem Baal die Göttinen Anatha (JyättH:) und Astarika
QämaQTfi) beigesellt.
26) Der Vers Ilias B, 840 iy nv^i &»i fovXai rs y§ißoUtTo ft^dtä
7* ay^^ läflBt lieh auch auf geschriebene Beschlflsse deuten (?) of.
J 158: älioy nOc«, als Erlfinterung hieso.
87) Yergl. Brngsch Geogr. II, Taf. DL und X.
562 Siitung der phüoi.-pMM. Claaae nmn 7. Degetkber 1867.
Scheibe oder Kugel, statt in «eine Spitze endigt. Das Schwert
ist pyramidal geformt, der Schild mit (11) Buckeln versehen
und die Gewandung nicht gar einfach, sondern durch Streifen
Linien und Punkte gegliedert. Langen Bart und Locke zeigt
das Bild des Maschawascha {Mä^veg Herodot IV, 191),
während das des Tuirscha (Thiras DH^? , * Tursce , TV^-
Ofivot)^^) bartlos und ohne Locken erscheint.
Wenn daher von den euboeischen Abantes IL B 542
gesagt ist, sie seien oni^sv xofAomvteg gewesen, so findet
dieser Zug, sowie ähahche andere, die sich auf Besonderheit
der Tracht und der Bewaffnung beziehen, nunmehr seine
vollgültige Erklärung in den ägyptischen, treu porträtirenden
Darstellungen der auswärtigen Völker und braucht daher
nicht gerade als ein poetischer Schmuck angesehen zu werden.
Liess ja doch Hamilton den Homer seine Schlachtberichte
geradezu nach den ägyptischen Darstellungen gestalten I
Der griechischen GonfÖderation steht die trojani-
sche feindlich gegenüber. Es gereicht mir zu besonderer
Oenugthuung, auch in diesem Betreffe constatiren zu können,
dass Vicomte de Rouge gleich mir, und ebenso unabhängig,
auf die Gleichung Dardani = Jäqdavo^^ die von Brugsch
(Geogr.) noch ausdrücklich verworfen wurde, gekommen
ist,'*) nicht aber wegen des verführerischen Gleichklanges,
sondern gestützt auf die Inschriften und Texte, namentlich
das Gedicht des Pentaur über die Grossthat des Bamscs II
Sesostris, welcher die Cheta und' ihre Verbündeten bei
Qadesch besiegte. In dieser grossen vorderasiatischen Gon-
fÖderation erscheinen neben den Dardani auch die Pidasa
(JlifJaaog), die Lehn (Lykier), die Tekkaru««) (Tewtifol),
28) Bn^soh l. o.
29) Revue arch. Angnst 1867.
80) Auch Tekuri gesohrieben (Bragsoh Geogr. II, Taf. XI Fig. 25).
Sie tragen die PhiÜBter kröne, nnd erweisen sich dadorch als
StammesgenoBsen der Pnlista {^vltattift). In der That würde ihr
Lauih: Die Achiver tn Aegppten, 55$
4ie Mau 8a {Mvaoi) ond einige andere, noch nicht identiff-
cirbare oder bieher gehörige Völker. Die Analogie gebietet
demnach, auch in den Versen desllias (B 816—877), welche
die Troer und ihre fremdsprachigen (II. B. 804) Bundes-
genossen behandeln, nicht blos die Möglichkeit, sondern
auch die Wirklichkeit eines geschichtlichen Kernes anzuer-
kennen. Der Ort, wo die Troer und ihre Verbündeten sich
aufstellten: Bav(€$a (ei[^ia noXvOxaQd'fjLoio MvQivrjg^^) in
der Göttersprache) hat einen durchsichtigen Namen. Er
bedeutet eine dornichte Höhe, wie J7iTtf«m (v. 829) eine
mit Fichten bewachsene.
Auf die Frage: wie es komme, dass auch auf troja-
nischer Seite lIelaCyo£ (B 840) ersdieinen: dass TevxQog
auch ein griechischer Name ist, dass der hellenischen lEXävrj
auf trojischer Seite ein '^Xsvog entspricht — kann hier nicht
eingegangen werden. Nur so viel möchte zu bemerken sein,
dass, sowie uns das kadmeische Theben eine Amalgamation
phönikischen und pelasgisch - griechischen Wesens darstellt,
so auch analog Pelasger in Vorderasien ihr Larissa {A&Qitfci
6 841) gründen und zu den Dardanern in das Verhältniss
Ton Bundesgenossen gerathen mochten.
Habe ich durch die bisher ermittelten Symptome die
Oeschichtlichkeit mancher Angaben der Ilias darzuthun ge-
sucht, so erhält der trojanische Krieg selbst dadurch
einen historischen Boden von ziemlicher Mächtigkeit.
Schon die Alten betrachteten, wie Herodot I 1 — 5 aus-
führt, den trojanischen Krieg unter demselben Gesichtspunkte,
Name regelrecht auB ^Di ^^b, uQQnv entstehen and die f,Männ liehen'^
oder „Martialischen" bedeuten. Diese eigenthümliche Kopfbedeckung
erklärt uns das ttoqvB'aioXog l&xttoq besser, als die bisherigen lieber-
Mtznngen: ,^helinbasch8chüttelnd" und „cri8tatu8*^
31) Man vergl. den Hügel n'*1tD Morijah mit dem Salomonischen
Tempel, wenn aach nur zu mnemotechnischem Zwecke.
564 Sitaung der j/HUht^-pklUL CImm 90m 7. Jktember 1867.
wie den Baub der Jo durch die Phöniker (Punt-Poenl^
Panier), die Entführung der Europe durdi Hellenen,
(Kreter?) — vergl. oben Eadmus ond Europa — den Zug
der Argonauten nach Eolchis unter Jason, um das goldene
Vliese und die Mijieux zu holen; auch in der Sage über
9Q{iog und 'lEXXij scheint eine alte Beziehung zwischen Phxy-
giem und Hellenen angedeutet zu sein. Der pragmatiairende
Thfcydides I 1 — 12 hebt das Seeräuberwesen des alten
Hellas gebührend hervor und erklärt ziemlich nüchtern die
lange Anwesenheit der Griechen auf trojanischem Boden
(c. 11) unter andern auch daraus, dass sie sich nf6g x^m^
f£av vqg Xs^^ovijaov %Qan6iAevoi ual 3if]0t${av nicht mit
aller Gewalt auf die Troer warfen, wesshalb diese ihnen zehn
Jahre Widers^nd leisten gekcmnt. Vergleicht man hiemit
Verse wie II. r 72, 93, 255 etc.
so fühlt man sich versucht, die ^lävt) selbst als eine Per-
sonification des Raubes (iXsiv) aufzufassen und den Namen
Jldfig von nlp »der Trenner"*') zu erklären, wie Hero-
dot. I 1 die Phöniker nach persischer Quelle als %^g iitt-
fOQfig aUCovg darstellt. Daher ruft Hector r 86, 87
ti99w 'AXe^dviQOMf toif eVvsMet veTuag ofwfep.
und Menelaos spricht V 100: "dle^dvJQOv fv«*' arij^,
wie audi Helena Z 356. Näher scheint mir auf die Etymo-
logie des Namens angespielt zu sein in den Versen F 321 sqq:
82) Ans dem Semitiflohen würde rioh aaeh^fj9^«orvc, der p49f
vl6s des B^ktfMs n 788 erklären; denn gebnr (*il3^) bedeutet Held
und wird das Wort im Texte Bamses III Kepnr geschrieben (vergL
Aprin = *Eß^at(n\ Demnacli scheint Homer IT 751 in Ksß^Ur$
igf^tti Namen ond Bedeutung nebeneinander zu geben.
LaMki Die AMomr ^ Ab^^m, SM
inn6%9Qoq xdin tffm /eacit' d/A^pawäfOitHv t&tptWj
toV (foV dno^ifiew dSvm i4pLov *!d$tog äkfm —
womit nur Paris gemeint sein kann, am so bemeiitenB-
werther, als diese Ansiobt den Aohäern and Troern ge-
meinschaftlich beigelegt wird, wie audi F455 hfo¥ yäff a^v
näaiv drhjxd'evo xvjqI (uXaivg*
Paris ist eigentlich nur eine menschliche Nachbildaag
der ^Ef^g^ wie sie besondeiB A 13 sqq. erscheint (Vergl.
<l> 3d9, 360); F 100: etvex i/A^g iQidog xal ^JXe^dvi^ov
Sp€x* atfjg. Wenn wir nun gegenwärtig in der oben behan-
delten Inschrift des Meneptah ähnliche Verhältnisse berichtet
finden: einen Raubzug ausgeführt von einer Conföderation
Tersdiiedensprachiger Stämme (äXXfj d' aXXmv yhSCiSa tto-
Ivcneqämv dv^ffeSnmv II. B 804) mit eigenthumlidher Phy-
siognomie, Haltung, zum Theil pittoresker Kleidung, Be-
waffiiung; wenn gesagt wird, dass sie, wie zu bleibender
Niedwlassung ihre Frauen und Kinder mitbrachten (II. K
420 heisst es von Bundesgenossen der Trojaner, ofienbtt
im Sinne einer Ausnahme:
ov Y^ <^y^ naVSeg 0%Bd6v eVatm oi6k ywaiMeg — )
wenn, wie natürlich su erwarten, die Besiegten, soweit die
nicht getödtet waren, sammt ihren Weibern und Kindern
gefangen genommen und als Sciayen behandelt oder y«r-
kauft wurden — wenn der ägyptische Pharao bei Nennung
•einer Feinde niemals vergisst, beschimpfende Beiwörter m
gdbraaehtdki , die aus analogen Vergleichen hergenommen
Bind, wie die Schimpft'eden der homerischen Helden: so
bildet dieses Gemälde, in weldiem ebenfalls Schiffe figa-
riren, einen Hintergrund für die trojischen 6e-
achichten, wie er zu der Erklärung Homers nicht besser
herbei gewünscht werden kann. Ich habe mich eebon in
meinem Programme: „Hom^ ond Aegypten'' p. 6 g^en
die Sucht, die homerischen Völkemamen als mythische
hinzustellen, ofiPen ausgesprochen. Die dort angeführte Be-
656 SiUiung der pkilo$.-phiM. CUum wm 7. Degember ISer.
merknng von Ameis sni v 383 : ^^SixsXovg, mythischer Name
einer VöIkerBchaft, die einen berüchtigten Sclavenhandel
trieb^^ *- veranlasst mich, an den Sikelem noch etwas aus-
führlicher zu zeigen, dass Homer acht geschichtliche Völker-
namen überliefert.
Dass die Siculer vor der nach ihnen benannten Insel
einen ziemlichen Theil des hesperischen Festlandes bewohn-
ten, wissen wir aus Thucydides, welcher meldet, dass sie
vor ihrem Üeberschreiten der Meerenge (300 Jahre vor der
Ankunft griechischer Golonien auf Sicilien) und noch zu
seiner Zeit, ItaUen bewohnten, wo sie Spuren der ursprung-
lichen Anwesenkeit ihres Stammes gelassen hätten. Der
Betrieb des Sclavenhandels, welcher ihnen nach Homer")
nicht abgesprochen werden kann, setzt eine Seemacht vor-
aus. Wirklich erscheinen sie im Texte des Meneptah mit
den Schardana und Aqaiwascha als Völker, „die gekommen
von den Ländern des Meeres* ^ womit augenscbdnlidi
Küstenstriche gemeint sind. Waren sie diesmal gegen
Meneptah in ihrem Unternehmen unglücklich — 222 abge-
schnittene Phallus und 250 ditto Hände bezeichnen ihren
Verlust an Todten; — die Zahl der aus ihren in Gefangen-
schaft und Sklaverei gerathenen steckt in der Gesammt-
summe 9376, sowie ihre Waffen auch gemeinschaftlich mit
der übrigen Beute aufgeführt wird — so konnten sie ein
ander Mal Erfolg haben und selbst Schlaven und Schätze
erbeuten. Wir treffen sie wirklich wieder unter RamsesIII.
unter der angreifenden Coalition, leider wieder ohne Zahl,
doch mit Abbildung. Was nun den Namen betrifft, soistScha-
kalscha mit S$x€Xdg leicht zu vereinigen , wenn man das
Vage des ägyptischen a — es ist = « im Namen dler
KXeond%qtt — und die von mir frühzeitig entdeckte Gelt-
ung des altgriechischen odv = seh überlegt. Dieser breite
83) Cf. Ottlr. Müller Etrasker p. 10.
Lavfk: Die AMwr «m AjBgYptm. 557
Znchlaat, den die alterthiimlichen Dotier am längsten beiV
bdiielten nnd der noch hente bei den Palikaren von Aeolien
gehört wird, ist, wie ich nachgewiesen, auch palaeographisch
ans dem ägyptischen seh ei entstanden, wie nicht minder
das semitische 12^. Dieser breiten Sibilante schlägt im
Aegyptischen gewöhnlich ein a nach, das, nach Mascha«
wasdia s Mäfv^g^ za schliessen, nicht nothwendig lautirt
werden mnss. Es könnte aber auch, wie so häofig, nur
eine graphische Metathesis für Schakelasch sein, womit
man dem JtxeUg (man bemerke den AccentI) bedeiitend
naher kommt. Dabei bemerke man, dass der Schakaiasch
(Bmgsch Geogr. IL p. 85) ganz dieselbe Federkrone trägt,
wie der Pulista, Tekuri, und Daanauna, deren semiti*
sdies Gepräge augenfällig ist (Gf. Daneon portus maris
rubri bei Plinius^VI c. 29). Für den semitischen Ursprung
der Sikelcr spricht auch Sicania (vgl. Sicca Venerea =
Snccoth benoth) nach den Höhlen n13P, welche jetzt noch
bei Syraeus zu sehen sind (Seume Spaziergang p. 2S2.).
Welcher Spradie dieser Name angehört, ist demnach
ziemlich leicht zu beantworten. Beachtet man den gleichen
Debergang der Vokale, wie er in öfyi^^ OfxXog siclus im
Vergleiche zu SixsXög, Siculus, vorliegt, so ist man fast ge-
nöthigt, Schakalscha mit dem somit, hp^ Schekel zusammen-
zustellen. Dieser Name eines Gewichtes von Vt Loth oder
eines Werthes von dem retQädQaxfiogj stammt von der
Wurzel Schakal „wägen** was für ein handeltreibendes
Volk eben keine unpassende Benennung abgeben würde.
Da uns unser ägyptischer Text auch das Prototyp von
Tursce an. die Hand gegeben hat, so wird e& nicht über«
flüssig sein, etwas bei diesem Namen zu verweilen. Die
Tuirscha'^) verloren in der Schlacht von Paari 742 Phallus,
84) Das 10 ha anlangend, vergleiche men das Rezuscha =
Bezns bei Mommaen: Unteritalisch. DialL p. 6.
[1887. IL 4.] 87
5^t8 SUgmtg dei» pkfiu.^pkäoi Ckme «Ofn r* IkMemher 1667.
790 HJiBdfi and eine entBprechende Ansah! GefangMi«. Es
iMitat tqh ihnen, daas «e Ton den Landern des Maeies ge-
kommen» da» lie den ganaen Krieg begonnen md flu«
Wdfair and Kinder mitgebraehi hatten. Anf den Schlachtr
gnmäUii von Banees BI. hat der Tairscha eme feine,
gemdeiftebaide Nase, hngen Spitzbarfc; sein Hebt gkidii
den etroakisdMB Gasketen, wa ist er efewaa hoher and ^te*
aikafaad.
Schon hieraas dfirfte erhellen, daas die Tuirscha dsa
tyrrhenisohen PelasgeYn entsprechen^ «tt von Oktl
MnUer ood Lepuns adioo läagst behauptet worden iaL ü^
mtt wird angtoieh die alte Etymologie etwas beatatigt,
welche diesen VoUcsDAinen mit tarris tvQ0ig Tharm ao*
aammenbcachte, weil die Tarsker frühseitig aiit Mansn
«ad Thurm» befestigte Städte gründeten nnd bewohalMi.
Dtesa GteichsteUiing ?erhflft ctns vieiMcht an der ikähsr**).
sdion lim mir aasgasprochenea Uebemengong, dasa die
Tarskey Indogermanen, aJUo die etraskiachen Inaduiftsn
demgen>äs8 zu erklären sind. Indess, wenn andi soldie
apra^hliche Vergleichniqpen noch an wünschen übrig lasaen^
so werden. QM docb Texte der ägyptischen Denkmäler, wie
der des Men^ptah, za einer ungleidli beaaerai Kenntaiaa des
BealeA im Akerthuase und bei den Klassikern verhelfea,
ala sie mit d^n bisherigen Mitteln za erreichen war. Möge
Vorstehendes zu weiteres Forschangen auf diesem grossen
Gebiete anregea
85) „Die Gebort der Minerrs anf der Gospianiaeben Sohsle*'
Fregrsnmi des Wilbehns-GyauiMiiuns in Mflacben 1952.
V. JfoftNw: BtitfAffB mr Ethno§fafhi$ eic. Änuri^'i, &59
Mathematisch-physikalische Classe.
SiiEung vom 7. Dezember 1867.
Der GlaBsensecretär Herr Geheimrath v. Martius legt
4er Glasse seine:
„Beiträge zur Ethnographie und Sprachen-
kunde Amerika^B, zumal Brasiliens''
▼or, und bemerkt nach Anderm Folgendes :
Bei mir war durch die Erfahrung von der ausser*
ordentliehen Zersetzung und Vermischung der amerikanisdien
Bevölkerung die Annahme gewaltiger Katastrophen vorbereitet
worden, welche gegenwärtig ihre Bestätigung in den merk*
wirdigen antiquarischen Entdeckungen in Guatemala , Hon-
duras und Mexico findet. Die neuerlich gewonnenen Thatsachen
scheinen die Hypothese zu rechtfertigeü : dass die Amerikaner,
ab ein grosses Ganze aufgefasst, sich dermalen bereits nicht
blos in einem secundären sondern vielmdir in einem tertiären
Zustande befinden.
Da anihropologisdie Resultate, dergleichen vorzugsweise
in den Bereidi der mathematisch-physikalischen Classe faUen,
bei meiner ethnographischen Darstellung nothwendig in den
Hintergrund treten müssen , so wage ich nicht ausfuhrlicher
über meine Arbeit zu referiren.
Nur das Einzige sei mir erlaubt hier noch auszufuhren,
dass mir die Tupi-Sprache , welche gegenwärtig, mehrfaltig
abgewandelt, zu einer Lingua franca geworden ist, ein Mittel
an die Hand gegeben hat, viele sogenannte Völkerschaften
(NaQoSs) als das zu erkennen, was sie in der That sind,
nämlidi einzelne Familien oder kleine Gemeinschaften, die
87*
MO Sitmmg der mattL-phifB. CUme wm 7. Dezember 1667.
ohne eine abgeschlossene, ihnen eigenthämliche Sprache , in
beständiger Vermischung mit Andern und in einem fort-
währenden Dmgass der Leiber begriffen, in ihren Sitten and
Gebräachen aber zu einer gewissen Gleichförmigkeit mit vielen
andern nivellirt sind.
In vielen Flussgebieteu , deren jedes seine Natnreigen-
thümlichkeiten hat and dadurch das Leben der Indianer
beeinflusst, haben sich die Nachbarn zu einer gewissen 6e-
meinschait zusammengelebt, und werden desshalb auch oft
als ein grösserer und mächtiger Stamm mit einem Namen
bezeichnet, so z« B. die Pamauris' oder Purupurus am Paroz,
die Arinos und Ouanpes an den Flüssen gleichen Namens.
Sie sprechen aber nichts destoweniger in jedem Gau, im
Gebiete eines jeden Nebenflusses einen mehr oder weniger
yerschiedenen Dialekt (oder richtiger ein Kauderwälsch, Qeri-
gonza, Giria), worein Worte der Tupi-Sprache in versdiie-
denem Verhältniss eingemischt sind. So schwinden die Hunderte
von Nationen, die man nennen hört, in wenige grössere
Gruppen zusammen; aber auch diese darf man nicht als
Völker in historischem Sinne betrachten. Während des ,,todten'^
Schraubengangbs, in welchem die Geschicke der amerikan-
ischen Menschheit seit Jahrtausenden begriffen sind, hat
keiner der gegenwärtig angenommenen Stämme ein hohes
Alter. Es ist an diesen regellos umlierschweifenden oder die
Sitze wechsekiden Menschen nichts so alt als ihre sich stets
erneuernde Vermischung. Daher kommt es aach , - daas ein
und derselbe Volks- oder Stamm-Name an Menschengruppen
ertheilt wird, die weit von einander entlegen sind un^ in
keinem näheren Verhältniss der Abstammung zu einander
stehen.' So ist z. B. der Name Gi-u&ra, d. i. obere Männer
oder Leute die (weiter) oben wohnen, eine am hohen Ama-
zonas und seinen südlichen Beiflüssen (dem Guallaga, Ucay-
ale u, s. w.) weitverbreitete Bezeichnung für eine sehr gemischte
Bevölkerang , und das Wort, in Jivaros, Jeveros, Jeberos
V, Martim: Beiträge 9ut Eihnographie etc. Amerika* $, 561 ,
mngewaodelt, bezeichnet oft auch keine reine Indianer-Ge*
meinschaft,' sondern Misohlinge von Negern nnd Cafusos
(aus Indianer und Neger). Die Guaypnnavis der Spanier am
Oxinoco und die Maquiritares , welche Alex. y. Humboldt
als eine von den vier weissesten Nationen am obem Orinoco
nennt, lassen sich auch auf keine selbstständige Nationalitat
zurückfähren. Der erstere Name bedeutet die Sperber-Männer
(gnibo, Sperber; aba zusammengezogen aus apiaba Männer),
eine Bezeichnung, die vielen nomadisirenden Indianer gegeben
und in der französischen Colouie in Emerillons übersetzt
wird. Die Maquiritares sind die Hangmatten-Diebe, die Ta-
rianas die Diebe überhaupt, die Miranhas die herumstreifenden
(nhanhe) Leute (Myra), die Giporocas, jene, welche ihre
Häuser (oca) oben haben. Unter BirapuQapara, die in Matte
Grosso und am Tapajoz angegeben werden, ist keine Nation
zu verstehen : es sind Vogelsteller nnd ebenso die Parapitat&s
•solche, die Nachts mit Feuer in den Kähnen zu fisdien
pflegen.
Der Tupi-Sprache angehörende Namen von Indianer-
Gemeinschafiten kommen weit jenseits der Grenzen Brasiliens
in der Guyana und in Venezuela vor , wie z. B. Gir&o^uära,
Hahlbauten-Männer (Warrauö).
Ausser den hie und da in Brasilien auftauchenden Tra-
ditionen von den Wanderungen nach Norden und dem sieg-
reichen Eindringen der kriegerisch wohlorganisirten Tupis
zwischen die dort wohnenden Stämme, lassen viele Ortsnamen
und Worte in der Sprache der Caraiben auf deu antillischen
Inseln unter dem Winde kaum einen Zweifel darüber, dass
man diese Tupis in nächste Beziehung mit dem sogenannten
Volke der Caraiben bringen muss. Ja, noch mehr, ich halte
mich zu der Annahme berechtigt, dass es ein einheitliches
Volk der Caraiben nicht gegeben habe, sondern dass die
Tupis zwischen die dort hausenden Hoi*den eindringend und
sie unterwerfend oder zu Theilnehmem ihrer Raubzüge
6$S SiUung der ma4h.'phif$. CUsh tum 7. DtMtmiber 1867.
joffdiead VeranlMfiuog gegdMQ haben, su jener Untencbadang
swiacheD einer friedfertigen Bevölkerung und' grmsamen
Antbropophagen (Caiuiben, d. i. Cariaiba, böse Mauner),
velche aohon Colambus antraf. Sie setaten den überwnadMiea
jQorden HäaptliDge (Porocoto, von Pora Volk nnd cotuc
ordnen), und die Bezeichnung von Comanacotes , Pariaooies
üiir die Bewohner von Cumana und Paria, u. s. w. ist eia
Rest jener Hegemonie, während die Verbindung der aiee-
reichen Eindringlinge mit andern Stämmen den Verlost
ihrer Sprache und eine tie%reifende Vermisohung der leilr
liehen Typen zur Folge gehabt hat Anoh in der Spraohe
der Insel - Caraiben finden sich Beweise flir diese Annahme,
indem sie riele Tupi- Worte verdorben enthält. So ist z. B.
der Amazonenstein, ein Amulet oder ,,Zaub0rstein^^ Jta cor&o
an Tacaoua oder Taculoua gewx>rden. Auf Trinidad imd
mehreren der kleinen Antillen stiessen diese kriegeriadheai^
sich 8u Wasser und zu Land ausbreitenden Tupis unter an*
dem Stämmen auch auf die milderen Arawaken (AmeX
welche fleissig Mandioccamehl (Arn) bereiteten, und desshalb
die ,»Mdilmänner^' genannt wurden. Bis in das Ho«|iiit08*
Land drangen diese Tupis vor, und zahbeidbe OrtsDames
bezeugen, dass sie hier, an der Küste, zur Zeit vorhanachten.
V« XMHB* «|iy* HiMi ^WftT, vOfMiflOT Vü 41^ flflHSfVilpiV* 999
Herr f. Eaftell li«8t-
„lieber die typischen and empirisehen For-
meln in der Mineralogie'^
Die Typeutheorie wählt bekanntlich gewisse cheaiisehe
Verbindongen als Typeü för andere, welche mit Austausch
iluer Eleuente nach Atomen oder auch Atomgruiq»en jenen
fMchgeUldet eisdieinen. Die wichtigste Rolle spidt namentr
lich fär die Oxyde md Oxydverbiodungen der Typus des
Wassen, indem dessen Wasserstoff durch die Elemente
solcher Verbindunc^n, welche nicht Sauerstoff sind« in der
Alt ersetzt wird , dass von diesen entweder 1 Atom aiifih
X Atom Wasserstoff ersetzt, oder dass l Atom 2 Atome
Waasei-stoff ersetzt oder 3) 4, 6 etc. Diese Ersetzung»-
fihigkeit verschiedener Elemente hat man deren Atomig»
keit genannt. So sind Chlor und Fluor einatomig, weil
1 Atom derselben 1 Atom Wasserstoff ersetzt > ebenso
Kalium, Natrium tt^ a.; dagegen sind Sauerstoff, Schwefel,
Calcium, Magnesium etc. zweiatomig und ersetzt 1 Atom
derselben 2 Atome Wasserstoff; Silidum ist Tieratomig,
Aluminium sechsatomig u. s. w.
Die neuere Chemie hat die Atomigkeit der yerschie-
denen Elemente oder audi gewisser Gruppen derselbe (Ra-
dikale) ausgemittelt und danach chemische x Formeln ent-
worfen und sind die in der Natur vorkommenden Silicate
von ihr dem Typus des Wassers zugetheilt oder auf analog
gebildete Kieselsäuren (Kieselsaurehydrate) bezogen werden.
Es entsteht nun die Frage, ob es fiir die Mineralogie
zweckmässig sei, ihre bisherigen chemischen Formeln aof-
zugeben und die neuen der Typentheorie einzuführen. Eine
Betrachtung der Silicate in dieser Beziehung diirfie zur Bn»
antwortung
564 Siilm»$ig d#r mnOL-fkyt. CUkäu «om 7. Deumber 1867.
Was zunächst das Hypothetische au den älteren und
neueren Formeln betrifft, so haben beide daran gleichen
Antheil, denn in welchem Zustande die Elemente in einer
chemischen Verbindung wirklidi vorhanden, wissen wir nicht,
und die Begriffe der Atomigkeit und die Aufstellung der
Radikale haben das Gebiet der Hypothesen eher erweitert
als TerriBgert ^).
Es handelt sieh daher bei den Formeln wesentlich
darum, mit Hilfe von Hypothesen solche zu geben, welche
der Art und dem Verhalten der betreffenden Verbindung
möglichst entsprechen und geeignet sind, eine Vergleidinng
mit andern in einfacher Weise zu vermitteln, auch Anhalts-
punkte zur Beurtheilung der Analysen zu geben und un-
wahrscheinliche Verhältnisse als solche zu kennzeichnen.
Dabei offenbaren sich «gewisse Gesetze, welche an den ein-
facheren Verbindungen zunächst erkannt, in den complicir-
t^en wiedergefunden werden und die Gombinationen regeln
und beschranken.
Wenn die Mathematik angiebt, wie aus einer bestimm-
ten Krystallform alle äbrigen, die man kennt oder die man
haben will, abgeleitet werden können, so offenbart sie da-
mit kein Naturg^etz, und wenn jedes Silicat, auch ein ganz
willkührlich erdachtes, auf eine Silidumsäure bezogen und
dem Typus des Wassers zugetheilt werden kann, so ist da-
mit ebensowenig ein Naturgesetz angezeigt. Das ist aber
nach den neueren Anschauungen bd den Silicaten der Fall.
Weltzien'), welcher den grössten Theil der bekannten
Silicate berechnet und nach der Anzahl der SUiciumatome
classificirt hat, führt über 100 Siliciumsäuren (Eieselerde-
1) Vergl. Witiatein „Widerlegung der chemischen Typenlehre.
München 186d.'*
2) Syitemfttitohe Uebenioht der Silicate. Qiaesen 1864.
9. Kohdl: lyp. und enpir. Formdn in A» Mmerah§ie. 565
hydrate) an und darunter Reiken von gleichem Silicium-
gehalt, deren gesammte Sauerstoffiatome sich in fortlaufen-
den Zahlen von 15 bis 28 und von 19 bis 36 steigern;
diese Säuren sindi ein Paar ausgenommen, sämmtlich hypo-
thetisch und da keine Schranke besteht, dergleichen noch
mehr anzunehmen, so erscheint jedes Silicat als gesetzmässig
gebildet, wenn es auch ganz beliebig construirt ist. Da
nämlich die Atomigkeit der in den Silicaten Forkommenden
Elemente doppelt so gross genommen ist, als die Zahl der
Sauerstoffatome, welche sich mit ihnen im Silicat verbinden,
80 muss immer eine Mischung vom Typus des Wassers ent-
stehen. So ist AI + 30 = 6H + 30;
Ca + 0 = 2H + 0; K« + 0 = 2H + 0 u, 8. w.
Die Kieselerde wird Si gesetzt und ihre Atomigkeit als
IV angenommen, es verbinden sich also n At. Silicium mit
2n At. Sauerstoff und da n At. Si = 4nAt. H, so stellt
sich der Wassertypus her, da 4 At. H + 2 At. 0 = H =
Wasser. Es ist noch streitig, ob die Kieselerde Si oder Si,
wenn letzteres angenommen wird, so müsste die Atomigkeit
der Kieselerde auf VI erhöht werden, dann wäre es wieder
das Nämliche. Ich habe mehrmals daran erinnert, dass
wenn man sich fiir Si auf den Isomorphismus gewisser
Fluoride mit Zinn und Silicium beruft, doch die zunächst
liegende und überall zu beobachtende Thatsache, dass der
Quarz und der Zinnstein nicht entfernt isomorph sind, auch
in Betracht zu ziehen sein dürfte und dass dieses Verhalt-
niss mehr für eine verschiedene als für eine analoge Zu-
sammensetzung der betreffenden Oxyde spreche. — Um ein
Beispiel . zu dem oben Gesagten anzuführen , so ist die
typische Formel des Leucit
iM aumm§ im wmJOk.-pt^. (»am vmm 7. Dmmbm IS$7.
AI O'-)
entsprechend: Kieselerde 54,9
Tho&erde 23,6
Kali 21.5
100
Wann man diese Misohuag an ein Kleiae» veraadec^
z. B. seist: Kieselerde 56,4
llionerde 22.8
Kali 20,8
100
so giebt die Typentheorie ohne Sdiwierigkeit die Formel
▼I, 1 0411
Bei einer Beihaag der Silicate nach der Zahl der
Silidum-Atome kämen diese Mischungen weit auseinander,
obwohl sie sich so nahe stehen, dass die Dififerenx ds nn*
wesentlich betrachtet werden muss. Dieses Nahestehen triti
aber beim Anblick der Formel nicht sogleich hervor. Sucht
man dagegen, nach der bisher üblichen Weise eine Formel
für das letztere Silicat, wie es vorliegt, so gelangt man an
keiner annehmbaren und hat keinen Grund eine solche Ver-
bindung als eigenthümliche Species anzuerkennen, tis iMt
gewiss, dass das Vertheilen der Kieselerde unter die Basen
nach den üblichen Formeln sehr verschiedene Ansichten au-
lasst und schwer zu erweisen, ob diese oder jene beredi-
tigter sei, das Dmgehen solcher Schwierigkeit, indem man
«) 8i = 28, Al =: 55, K =: 89, 0 = 16.
V. EobeH: Tpp^ und §mpir, F^rmäkt in dmr Mimrähgie. MT
UV ^ Zahl der Atome der ooMtitaireQdeii Elemente Mh
gjebt, entspricht aber noch wenjger, denn bei jener Ver-
theilung wird man wenigBteotis auf gewisse UnwahrscbeinUch-
keiten der Auffassang aufmerksam gemacht, bei der blossep
Angabe der Zahl der Atome und des höchst elastischen
Tjrpus aber nicht.
Was die Beactionen und die Vorgänge bei chemischen
Zersetzungen betrifft, so lassen sich diese mit den typischen
Formeln in vielen Fällen einfacher erklären als mit den
nichttypischen und bieten auch jene mannigfaches Material
zu interessanten Speculationen , gleichwohl stehen sie in
anderen Beziehungen den letzteren nach. Die nichttypischen
Formeln zeigen die näheren Verbindungen der Elemente,
ine sie durch die Analyse zur Charakteristik der Verbind-
ung in Betracht kommen, während man sie aus den typi-
schen meistens erst herstellen mnss und wie dieses sn g^
s^hiji habe, muss man anderswoher wissen und giebt das
Zeichen darüber keinen Aufsdblass. Wer den Leueit als ein
Silicat erkennen will, muss aus *ihm Kieselerde darstellen
and die Formel KaSi + AlSi' oder Ea*Si* + 3AlSi>
zeigt diese Kieselerde unmittelbar An; nach der typischen
Formel muss er wissen, dass dem Silicium, welches sie an«
giebt, so viel von dem üoUectiy-Sauerstoff der ganzen Ver-
bindung angdiörti dass es zur Kieselerde wird und «äfarsiid
4i6 gawohnltchen Formeln ohne weitere BetFachtongen und
Erwägungen sagen ob in dar Kieaeierde 2 oder 8 Atani
Saoerrtoff angenommen seien, ist dieses bei den tjpisdMii
Formeln oidit der Fall und mosa erst mit Berikksidrtignng
4er anderen Oxyde ersehen werden« Ebenso ist es bei den
flog, empirischen Fonneb» wehdie wie die iyincbeB, nur
olme Rücksicht auf das Geeeta eines Typos, das relalive
Verhältniss der Zahl der Atome yerbundener Elemente an*
pben; ein Veiiiältniaei «eldieB eich auch aiia den gewöhn*
568 SUtung d$r ma&^.-phifB, Classe vom 7. Desetnber 1867.
liehen Form€lii leicht herausfinden läset, indem man die
:Zahl der gleichartigen Atome addirt. So ist die altere
rationelle Formel desPlagionit Pb^'S^b' und man erhält die
empirische leicht = Pb^'S-b'S^"; die letztere Formel zeigt
aber nicht wie die erstere an, dass das Mineral einer Ver-
bindung von 4 At. Galenit und 3 At. Antimonit gleich-
komme und dass, wie es der Fall, das e-b des letzteren
durch Kalilauge eztrahirt und an dem durch Ansäuren ent-
stehenden charakteristischen Präcipitat leicht als solches er-
kannt werden kann.
Aus den bisher angeführten Beispielen ersieht man
auch, dass weder die typischen noch die empirischen For-
meln in Beziehung auf Kürze einen besonderen Vorzug Tor
den gewöhnUchen Kaben und wenn auch Rammelsberg^s
Formel für den Nosean = NaCl + 3(NaSi + JuSi)
+ 10(Na8 + 8(NaSi + AlSi)
lang genug ist, so ist die typische
Si" 1
(SO«)^^ 1 0"*
AI" ^^
Na" J
auch nicht viel kürzer oder einfacher zu nennen.
Strengt) hat in einer sorgfältig gearbeiteten Ab-
handlung die angenommene Atomigkeit der Elemente für
das Verhältniss der Isomorphie mehrerer Silicate bespro-
«dien und ist, indem er audi die Atom- Volume berücksich-
tigte, zu dem Schlüsse gekommen, dass in gleiohgeatalteten
Verbindungen sich die Bestandtheile nicht nur nach einaehiea
Atomen vertraten und ersetzen, sondern an die Stdle Ton
.4) Neues Jahrbaoh lüir lüneralogie joa 6. Leonhird und H»
B. GeiniU 1865 p. 411.
V. KeibeUi T^, und empir. Formalii tu der MiHMrälo^. 599
a Atom«D des einen Körpers köanea b Atome eines anderen
treten ohne Aendernng der Form, wenn die sich ersetzenden
Mengen chemisch gleschwerthig oder äqai?alent sind.
n IT „
So ist nach ihm R^Si^O' isomorph oder isomorpher
n VI „ IV VI
Vertreter von R'Al*0' und werden 8Si durch 2 AI ersetzt,
indem beide 12 chemische Einheiten repräsentiren , ebenso
„ VI VI n n VI
ist SR isomorph mit £e; 3 Fe isomorph mit 9R; RAl isom.
IV n VI IV
mit Si«; R*A1* = 7 8i eta
Die Formeln für den Anorthit und Albit schreibt
Streng, um eine allgemeine Uebereinstimmung derselben
zu erzielen, wie folgt:
Anorthit = nvi ^Si4Öl6
UAI
Albit
1IV n
Si4 0
H VI X
RAl 1 IT n
und . leitet die zwischenliegenden Feldspathe aus der Ver-
n VI IV
tretung von RAl und Si2 in verschiedenen Verhältnissen ab.
Für den Mejonit, Sarkolith und Humboldtilith , welche
isomorph, schreibt Streng:
_ R 6 1
AI2J
VI IV n
Mejonit = vi }• AI2 Si9 036
Sarkolith =
R6
R3
VI
AI
VI IV n
A12 Si9 036
Humboldtilith = n > JS2 Si9 036
R6 I
5-TO Sümmg der mtt^.-fihj^, ClaMse 99m 7, Iktmher IH^,
lUxn Epidot and Orlidl, weldie mit dem MqonH ipob
Mftioger ZoBammenseteiiiig aber von selyr vereduedeBer
Krystallieatioii, giebt er aacfasteheiide Formeln, obiraU lie
unter die vorhergehenden eingereOit werden können:
ci «j xi. R6 I ^ nr n
Epidoth ^ y, I AI3 Si9 036
AI
B6 I Ti
Orthit = n" JaIS Si9 036
Es Bind dieses Anwendungen bekannter in der Tjpen-^
lehre aufgestellter Vertretungen, welche sich aber eiufachec
so bezeichnen lassen, dass man sagt, Oxyde und Ozyd-
yerbindungen vertreten äch isomorph, wenn die Zahl ihrer
Sauerstoffatome gleich ist, wie das schon von Laurent und '
Dana'^) ausgesprochen v^rde; 2 Al = 3 Si; 3 R = Fe;
3 Fe = 9 R; RAl = 2 Si; R*Al* = 7 Si etc. So hat
Dana aufmerksam gemacht, dass man die Formel des
Granats R'Si + AlSi auch schreiben kann (VsR'+ VtAl)Si
und hat in dieser Weise den Isomorphismus von Augit und
Spodumen erklärt. Augit = R'Si^ Spodumen :== (R',«)Si*,
genauer (V5R"+*/»»)Si",
Die Räthsel des Isomorphismus schenea sich gleichwohl
mit den Versuchen ihrer Lösung nur zu mehren und die
Verhältnisse des Pbeudodimorphismns von Descloizeauz*),
wonach kalkhaltiger I^ozen kKnorhombisch, kalkfreier
rhombisch und der manganhaltige Rhodonit kÜDorhomboi-
disch krystallisiren , wonach dan schwefelsaure Kali rhom-
6) James D. Dma „A Sytten of Mineralöl 1864**. p. 20a
6) Mem. aar le PBendodimorphisme etc. Ann. de Chimie et de
Phynque. 4. ser t. I.
«. Xobdi: Jifp. und empir. Formen in der Minendeffie. 571
bisch, mit theilweiser Yerti^tttng dtzrdi Natron aber heoca-
gonal; diese Verbältnisse werden za einem neuen Hinder-
iiiss der Erkenntniss , denn danach können Mischnngstheile
unter Umständen yollkommen isomorph mid doch auch
wieder, opd sogar in dreierlei Krystallsystemen heteromorph
sich zeigen, wie denn ihrersdts die Typentheorie in manchen
Fillen dasselbe Atom zwei- yiei> und sediswertbg auftreten
lässt oder das einfache Atom zweiwerthig, das doppelte aber
sechswerihig, diß Radikale GIO, CIO* und CIO' gleich-
werfliig u. s. w.
Aus dem Gesagten aber dürfte genügead hervorgehen,
dasB es zur Zeit kein Bedfir&iss sei, die typischen oder auch
die empirischen Formeh statt der bisherigen in die Minera-
logie einzufuhren.
9T2 Sünmg der maih^hyM. Clam wm 7. Degembef 1897.
Herr v. Pettenkofer trägt vor:
„Ueber den Stoffverbrauch eines Zackerharn-
ruhr^Eranken von ihm and Herrn Prof« Dr.
Carl Voit"
Schon in der Sitzung am 10. November 1865 haben
wir über das Resultat eines Versuches berichtet, den wir
mit einem Zuckerharnruhrkranken angestellt. Die weitere
Untersuchung führte uns auf die Nothwendigkeit von Stoff-
wechselversuchen mit dem normalen Menschen, worüber wir
in den Sitzungen vom 10. November 1866 und 9. Februar
1867 der Classe Bericht erstattet haben. Wir thdlen nun
einiges von den weitem Ergebnissen unserer Untersuchungen
mit dem Diabetiker zum Vergleich mit dem normalen
Menschen mit.
Vom August 1865 bis August 1866 haben wir an dem-
selben diabetischen Individuum sieben 24stündige Beobacht-
ungen im Respirationsapparate unter Berücksichtigung aller
Einnahmen und Ausgaben des Körpers angestellt und haben
zwei davon in 126tündige Abschnitte getheilt. Ausserdem
hat einer von uns, (Voit) noch eine Anzahl von einzelnen
Bestimmungen nur der Ausscheidungen durch Darm und
Nieren im Zusammenhalte mit dem Genuss verschiedener
Kost gemacht, die in der Zeitschrift für Biologie mitgetheilt
werden sollen, in der überhaupt eine ausführlichere Dar-
stellung unserer Untersuchungen demnächst erscheinen wird.
Die folgende Tabelle enthält die Zahlen über die in der
Respiration ausgeschiedenen Menge (Gramme) Eohlensäure,
Wasser, Wasserstoff- und Grubengas und über die aus der
Luft aufgenommene Menge Sauerstoff; dann die sogenannte
Verhältnisszahl, nämlich den Quotienten, wie viel Procente
des aufgenommenen Sauerstoffes in der Form von Kohlen-
säure wieder ausgetreten sind, femer über die im Harn
ausgeschiedenen Mengen Harnstoff und Zucker; endlich das
Körpergewicht des Kranken zu Anfang und am Ende jeden
Versuches in Kilogrammen.
V. iVHmfeo/er: Sk^verbraw^ bei Zuekerharnruhr.
573
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[1367.n.4.[
574 SH(nmg dir Maia^,-^$. Chu$ vom 7, Deaember 1667.
Die Versuche wurden ebenso wie beim Gesunden bd
yerschiedener Ernährung, ja einer selbst bei Hunger ange-
stellt, wozu sich der Kranke, der noch lebt, bestimmen
liess, obschon ein fast unersättliches Verlangen nach Speise
zu den constanten Symptomen seiner Krankheit gehört. Um
ihm den Hunger erträglicher zumachen, reichten wir ihm in
seinem Getränk, das nur aus Wasser bestand, in 24 Standen
eine geringe Menge Fleisch extrakt, was wir auch bei den
Hungerversuchen mit dem normalen Menschen gethan hatten.
UeberbUckt man die Zahlen der einzelnen Versuche und
Tergleicht man sie mit denen des normalen Menschen , so
treten gewisse Unterschiede mit aller Bestimmtheit herror.
Betrachten wir vor Allem die Grösse der Stickstoffausscheid-
ung im Harne, so finden wir mit Ausschluss der beiden
Versuche bei Hunger und bei eiweiss- (Stickstoff-) freier
Kost im Mittel 65 Grmm. Harnstoff in 24 Stunden, während
nnsre Tabelle vom normalen Menschen nur ein Mittel von
44 Grmm. ergiebt. Man sieht, dass die Eiweisszersetzong
im Körper des Diabetikers eine viel grössere als beim Ge-
sunden ist, was auch schon Hough ton ^) und Andere beobachtet
haben. Die mittlere Kost, welche den normalen Menschen im
Stickstoffgleichgewicht erhielt, und wobei er etwa 28 Grmm.
Harnstoff ausschied, reichte dem Diabetiker (Versuch III),
nicht aus, welcher dabei 48 Grmm. Harnstoff entleerte.
Er sdieint eine reichliche Zufuhr von Eiweiss auch
viel schneller und leichter zu zerstören, als der Gesunde,
und damit sein Vorrathseiweiss nur sehr wenig oder nur
auf sehr kurze Zeit, sein Organeiweiss gar nicht yermehren
zu können; denn seine Harnstoffausscheidung steigt und fallt
mit der Eiweisszufuhr viel rascher, als beim Gesunden. Die
eiweissreiche Kost des Gesunden (Versuch X) enthielt 43 Grmm.
Stickstoff, die Fleischkost des Diabetikers (Versuch V) 46.
Davon schied der Gesunde am ersten Tage nur 67, der
1) Oa Diabetes mellitas. Dublin 1861.
V, PeHenkofer: Bioffeerbrauch bei Zuekerhamruhr, 575*
Diabetiker schon 74 Proeent wieder aus. Ebenso verhält
sich auch das Fallen bei mangelnder Zufuhr. Wenn man
bei den Hungerversuchen den Harnstoff, welcher dem Stick-
stoffgehalt des gereichten Fleischextraktes entspricht, in Ab-
rechnung bringt, so schied der normale Mensch am ersten
Hungertage (Versuch I) noch 24.3, der Diabetiker nur mehr
20.5 Harnstoff aus, obwohl dieser unmittelbar vor dem,
Hunger eine viel grössere Harnstoffzahl hatte als der Ge-
sunde. Hiemit stimmt auch ganz das Resultat überein,
welches die Versuche mit eiweissfreier Kost ergeben haben.
Der Gesunde, dessen Hamstoffzahl 40 selten überschreitet,
schied bei diesem Stickstoffhunger (Versuch XII) noch 27.7
Harnstoff aus, der Diabetiker, der für gewöhnlich viel mehr
Harnstoff ausscheidet, nur mehr 19.4.
Diese Thatsachen lassen also von zwei entgegengesetzten
Richtungen her nur zu deutlich das gleiche Resultat er-
kennen, dass nämlich der Diabetiker das in der Nahrung
enthaltene Eiweiss nicht wie der Gesunde zur Vermehrung
seines Vorrathes im Körper und seiner Organe, sondern
nur zur raschen Zerstörung und Ausscheidung zu verwenden
vermag. Es ist nicht unwahrscheinlich, dass damit theil-
weise auch das unaufhörlidie Gefühl der Erschöpfung und
der Ermüdung und des Hungers zusammen hängt, wor-
über diese Kranken beständig klagen.
Beim Gesunden steigt mit der Zufuhr und dem Um-
sätze von Eiweiss auch die Menge Sauerstoff, welcher aus
der Luft aufgenommen wird, (Banting-Cur) — beim Dia-
betiker ist die Sauerstoffaufnahme \^i gleichem Eiweiss-
amsatze wesentlich geringer, wie beim Gesunden. Das geht
übereinstimmend aus allen Versuchen hervor. Es finden
sich unter den am normalen Menschen angestellten einige,
welche nahezu den gleichen Stickstoffumsatz nachweisen,
wie in entsprechenden Fällen beim Diabetiker, z. B. das
Mittel der beiden Versuche X und XI mit eiweissreicher
38*
576 SiUmng der math.-phy8. dasM wm 7, Dezember 1867.
Kost beim Gesunden und der Versuch V mit reiner Fleisch«
kost beim Diabetiker. Das Mittel der Versuche X und XI
ergiebt in 24 Stunden 61 Grmm. Harnstoff, der Versuch
mit dem Diabetiker 62. Unter diesen Umständen zeigt der
Gesunde eine Sauerstoffaufnahme von 863, der Diabetiker
nur von 613. Ebenso lehrreich sind die Versuche mit mitt-
lerer Kost, bei denen der Gesunde durchschnittlich 830
Grmm. Sauerstoff, der Diabetiker, nur 680 aufnahm, ob-
schon er einen noch hohem Eiweissumsatz hatte, ab der
Gesunde. Nicht minder beweisend sind die Versuche mit
eiweissfreier Kost, bei welcher der Gesunde 850, der Dia-
betiker nur 610 Grmm. Sauerstoffaufnahme zeigt.
Am schlagendsten aber ist der Hungerversuch. Der Ge-
sunde schied im Mittel nach Abzug des auf das Fleisdi-
extrakt treffenden Harnstoffs 23 Grmm. Harnstoff aus, der
Diabetiker nach Vornahme derselben Correktion nahezu 21.
Der Gesunde nahm dabei 760, der Diabetiker nur 344 Grmm.
Sauerstoff auf, mithin weniger als* die Hälfte.
Wir haben in unsrer ersten Mittheilung schon die An-
sicht ausgesprochen, dass die verringei*te Sauerstoffaufnahme
zu den wesentlichsten Momenten der Zuckerhamruhr gehöre.
Kühne meint in seinem jüngst erschienenen Yortrefflichen
Lehrbuch der physiologischen Chemie, diese Ansicht könnte
ein Zirkelschluss sein, die Sache verstehe sich aus der ge-
steigerten Zuckerbildung überhaupt von selbst. Wir glauben
aber, dass den nun vorliegenden Thatsachen g^enüber jeder
Zweifel schwinden muss. Man weiss ausserdem mit aller
Bestimmtheit, dass nur die Eiweisskörper (wesentlich die
Blutkörperchen) das Geschäft der Condensation des in der
Atmosphäre enthaltenen Sauerstoffes und dessen Einfuhrung
in den Kreis des Stoffwechsels besorgen: wenn man nun
thatsächlich wahrnimmt, dass der Diabetiker bei einem
gleichen. Ja selbst bei einem grösseren Eiweissstoffwechsel
viel weniger Sauerstoff aufnimmt, als der Gesunde, dafür
«. Bßttenkofer: Stoffverhraueh hei Zmkerhamruhr, 577
aber Produkte des Stoffwechsels , wie den Zucker, den der
Gesunde nur zu Kohlensäure und Wasser verbrannt ans«
scheidet, unverändert von sich giebt, so wird man wohl
nicht leicht anders schliessen können, als wir gethan habend
Es wäre nur denkbar, dass nicht die verringerte Sauer-
stoffaufnahme, sondern nur eine vermehrte Zuckerbildung
die nächste Ursache der Zuckerausscheidung sei, wenn man
annehmen dürfte, dass unser Organismus bestimmte Vorricht-
ungen besässe, welche von dem aufgenommenen Sauerstoff
#nur einen bestimmten Theil zur Zuckerverbrennung, den
übrigai zu andern Verbrennungen in Bereitschaft setzten.
Dieser Ansicht steht aber die Thatsache entgegen, dass der
Gesunde die verschiedensten und wechselndsten Mengen
Zucker, Fett u. s. w. zu verbrennen im Stande ist, wie aus
unsem Versuchen an dem normalen Menschen hinreichend
hervoi^eht. Mit andern Worten, wenn wir einem Gesunden
verhältnissmässig dieselbe Menge Zucker reichen, die ein
Diabetiker erzeugt und unverbrannt im Harn entleert, so
wird der Gesunde bei dem entsprechenden Eiweissumsatze
diesen Zucker doch verbrennen, — mit noch andern Worten:
selbst der reichlichste Zuckergenuss ist nicht im Stande,
Diabetes mellitus zu verursachen, denn es treten nur Spuren
von Zucker in den Harn aber, wenn auch sehr grosse
Mengen auf einmal genossen werden, und somit ist auch nicht
denkbar, dass eine blosse Steigerung der normalen Zucker-
bildung einem Menschen Zuckerhamruhr verursachen könnte,
wenn diese Steigerung nicht zugleich mit einer verhältniss-
massigen Verringerung der Sauerstoffau&ahme zusammenfallt.
Wie das nun zugehe, dass beim Diabetiker der Zucker,
sowohl der von Aussen eingeftihrte, als der im Organismuss
erzeugte, den Sauerstoff zu seiner Verbrennung nicht findet,
sondern im Harn austritt, daräber wagen wir vorläufig keine
bestimmte Meinung zu äussern: aber wir glauben durch
unsere Ansicht auf keinen Irrweg zu leiten und glauben,
578 Si^fung der maUi'phy9, Qdsae wm 7. Desember 1867.
dass in der von uns eingeschlagenen Riditung die Antwort
auf die Frage zu finden sein müsste.
Der Stoffwechsel des Diabetikers im Hungerznstande
ist 80 lehrreich und wichtig, dass wir noch näher darauf
eingehen müssen. Wir wissen durch unsere Untersuchungen,
das8 der normale Mensch im Hungerzustande ausschliesslidi
von Fleisch (Eiweiss) und Fett seines Körpers und vom
Sauerstoff der Luft lebt. Wir vermögen nun auch für den
hungernden Diabetiker eine Stoffwechselgleichung auüsii-
stellen, aus der sich auf den ersten Anblick zu ergebe»'
scheint, dass er ebenso von Yorräthigem Eiweiss und
Tvaubenzucker lebt, wie der hungernde Gesunde von
seinem Eiweiss« und Fett-Yorrath. Aus der Stickstoffaus-
scheidung beim Hungerversuche ergiebt sich, dass der
Kranke so viel Eiweiss zersetzt haben musste, als 317 6rmm-
Fleisch entspricht. In der Kohlensäure der JRespiration
wurden 137 Gimm. Kohlenstoff entfernt, wovon 35 dem
Eiweiss entstammen konnten, nachdem sich die Elemente
des Harnstoffs abgetrennt hatten. Denkt man sich die
übrigen 102 Kohlenstoff als Zucker, so waren zur Verbrenn-
ung der beiden Gruppen 114 + 272 Sauerstoff nöthig.
Vergleicht man die auf diese Art berechnete (386) mit der
durch den Versuch gefundenen Menge (344) Sauerstoff, so
reicht der aufgenommene Sauerstoff nicht einmal ganz zur
JBildung der Kohlensäure aus, die theilweise auf Kosten des
Sauerstoffs im Wasser, durch eine Art Gährung, bei welcher
H oder GH, auftritt, entstanden gedacht werden könnte. Die
fehlenden 42 Grmm. Sauerstoff erforderten das Auftreten
,yon etwa 5 Grmm. Wasserstoff, einer Menge, die in den
Versuchen, wo sie wirkl;ch bestimmt worden ist, viel meiir
als erreicht wurde.
Wir können aber auch annehmen, dass der Kohlenstoff
der Kohlensäure in der Respiration nicht von Fleisch und
Zucker, sondern wie beimr hungernden Gesunden von Fleisdi
«. BBttmUu^tr: Sioffverhrmueh bei ZHdferhmmmkt. 679
und Fett geliefert worden sei, und dann sehen, wie bei
dieser Annahme Rechnung und Versuch SQSaQimenstimmen.
In diesem Falle wäre zur Bildung der Kohlensäure 486 Groim.
Sanertoff nothig gewesen, was also die wirklich beobaohteCe
Menge um mehr als liO Grmm. hinter sich lässt.
Dieses Verhältniss tritt auch noch bei einer andern
Rechnungsart des Hungenrersuches hervor, zu welcher wir
die Daten in der Zeitschrift für Biologie mittheilen werden.
Stellt man sämmtliche Einnahmen und Ausgaben einander
gegenüber, so findet man, dass dar Körper in 24 Stunden
161,8 Kohlenstoff \ , ,
lA Q c*- 1 * i» i verloren und um
10,8 Stickstoff J
63,7 Wasserstoff 1 zugenommen hat (wesenth'ch vom ge-
479,4 Sauerstoff 1 trunkenen Wasser).
Rechnet man nun aus der Stickstoffausgabe den Ei-
weiss- (Fleisch-) Umsatz, so eingeben sich 72 Grmm. trocknes
Fleisdi mit 39,6 Kohlenstoff,
5,4 Wasserstoff,
10,8 Stickstoff und
16,2 Sauerstoff.
Setzt man die Elemente des Fleisches in Einnahme, so
bleibt noch eine Abnahme von 122,2 Kohlenstoff und
eine Zunahme von 58,3 Wasserstoff und
463,2 Sauerstoff.
Diese 122,2 Kohlenstoff lassen sich nun in einem Falle
als Zucker, im andern als Fett in die Rechnung einfuhren.
^Stickstoff und Kohlenstoff der .Einnahmen und Ausgaben
heben sich hiebd auf, es bleibt ein Ueberschuss von Wasser*
Stoff und Sauerstoff, die sich naturgemäss zu Wasser er»
ganzen sollten. Je näher dieser Rest oder Uebersohnss der
beiden Elemente mit der Zusammensetzung des WasSers
stimmt , desto grösser ist die Wahrscheinlidikeit f&r die
Richtigkeit der hypothetisdieB Annahme. Ich lasse die Rech-
nung mit den beiden Annahme folgen:
580 SÜMimg der maih.-j^s. CUmat wm 7. Detember 1B67.
Erster Fall mit Zucker.
Einnahmen.
C.
H.
N.
0.
Waseer, Fleischeztrakt and
Saaerstoff aus der Lnft
7,0
290,4
3,4
2662,4
EiweisB vom Körper
39,6
32,1
10,8
230,1
Zucker „ „
122,2
20,3
—
162,5
168,8
342,8
14,2
3055,0
Aasgaben.
Haru, Koth und Respiration
168,8
226,7
14,2
2183
Di£Perenz
—
116,1
—
872
116 Wasserstoff erfordern 928 Sauerstoff zur Wasser-
bildung, also 56 mehr als die Hypothese mit Zucker ergiebt.
Zweiter Fall mit Fett.
Einnahmen.
C.
H.
N.
0.
Wasser, Fleischertrakt and
Sauerstoff aus der Luft
7,0
290,4
3,4
2662,4
Eiweiss vom Körper
39,6
32,1
10,8
230,1
Fette
122,2
17,0
—
15,5
168,8
339,5
14,2
2908,8
Ausgaben.
Harn, Koth und Respiration
168,8
226,7
14,2
2182
Differenz
—
.112,8
—
725
112,8 Wasserstoff erfordern 902 Sauerstoff, um Wasser
zu bilden.
Man sieht, wie viel mehr die Rechnung stimmt, welche
auf die Hypothese gegründet ist, dass die 122 Grmm. Kohlen-
stoff in der Form yon Zucker, als in der Form von Fett
beim Stoffwechsel betheiUgt waren. Im ersten Falle differiit
Rechnung und Hypothese nur um 56, im zweiten Falle um
177 Sauerstoff, so dass der unterschied mehr als ein drei*
facher ist.
Dass in jedem Falle Wasserstoff im Deberschuss er-
scheint, könnte auffiallen, erklärt sich aber sehr einfadi ans
V, PeUmkofer: Sto/fvefbraueh bei Zuekerhamruhr. 581
dem Umstände, dass die Bestimmung des gasförmig aus-
tretenden Wasserstoffs bei diesem Respirationsyersuche nicht
gemacht wurde und zwar aus dem Grunde, weil wir zur
Sicherheit die Kohlensäure- und Wasserbestimmung doppelt
machen mussten, wozu wir aller 4 Untersuchungspumpen
des Apparates benöthigt waren, von denen sonst 2 zur Be-
stimmung von H und CH, dienten. Für den Fall nämlich,
dass die einfache CO, oder HO-Bestimmung durch einen
Zufall verunglückt wäre, hätten wir den ganzen Versuch
wiederholen müssen, und wir hatten Ursache zu zweifeln,
erstens ob der Kranke sich nochmal dazu entschliessen
würde und zweitens, ob wir den Hungerversuch mit ihm
überhaupt nochmal wagen dürften, da er der Natur seiner
Krankheit so sehr widerstrebt« Es gieng übrigens besser
als wir vermutheten, er befand sich während und nach dem
Versuche nicht schlechter wie sonst. Wenn man nun an-
nimmt, dass während der 24 Stunden 7 Ormm. Wasser-
Stoff ausgeschieden worden sind, eine Annahme, die nach
den sonstigen Bestimmungen gar nichts unwahrscheinliches
an sich hat, so stimmen Rechnung und Hypothese im ersten
Falle vollkommen überein, im zweiten aber fehlt es noch
um 121 Grmm. Sauerstoff. Man könnte somit mit aller
Zuversicht annehmen, dass der Diabetiker im Hunger von
einem Vorrathe an Eiweiss und Zucker in seinem Körper
zehrt.
So sehr alle Zahlen mit der Annahme stimmen, dass
der Diabetiker im Hunger nicht wie der Gesunde vorräthiges
Fett, sondern einen Zuckervorrath verbrennt t so unwahr-
scheinlich wird diese Annahme, wenn man bedenkt, wo
diese Zuckermenge (im gegebenen Falle 305 Grmm.) im
Körper irgend aufgespeichert sein sollte. Man weiss, dass
der gebildete Zucker, soweit er nicht zu Kohlensäure und
Wasser verbrennt, beständig und rasch durch den Harn ent-
fernt wird, gerade so wie der Harnstoff, und es ist nicht
562 SiUmng der matk.-pkys, Oasse vorn 7. DeMember 1867.
m glauboQ, jlass sämmtliche Organe eines Diabetikers so-
Bammen, wenn sie andi alle als etwas zudcerhaltig aiige-
nommen w^den, je einen Voirath von 300 GrmiD. enthalten
könnten. Wir müssen desslialb uns auch noch nach einer
andern Erklärung umsehen« Die Annahme, dass ein Vorratb
von Zucker verbrannt sei, beruht theils auf einer Beobadit-
ung, theils auf einer Voraussetzung; auf der Beobachtung der
Jn 24 Stunden aufgenommenen Menge Sauerstoff, und auf
der Voraussetzung, dass wajirend dieser Zeit kein anderer
Sauerstoff in den Stoffwechsel eingriff. Nun haben wir in
unsem Versuchen am normalen Menschen mehrfach gesehen,
wie sehr in gleichen Zeiträumen die Aufnahme und Abgabe
von Sauerstoff divergiren können, und es könnte sehr wohl
sein, dass der Diabetiker im Hunger ebenso von dem Ei-
weiss und Fett seines Körpera zehrt, wie der Gesunde, dass
er aber nicht genug Sauerstoff aus der Luft aufnehmen
kann, dafür aber von dem vorhandenen Sauerstoffvorrath in
seinem Körper verbraucht. Im vorliegenden Falle hätte
diese Menge gerade so viel betragen, als das Fett zu sdnw
Umwandlung in Zucker bedarf, etwa 100 Grammen.
Je mehr man alle Umstände erwägt, um so wahr-
scheinlicher wird diese zweite Annahme. Der Vorgang ist
durchaus nicht ohne Beispiel beim Gesunden. Vei-gleidiea
wir die Hungeryersuche mit dem normalen Mensdien bei
Ruhe und Arbeit, so zeigt sich, dass derselbe zwar in der
Ruhe sogar etwas mehr Sauerstoff aufnahm, als zur Ver-
brennung des umgesetzten Eiweisses und Fettes nöthig war,
dasser hing^en beider Arbeit beträchtlich Sauerstoff von seinera
Körper beigegeben haben musste. Diess spricht sich am ein-
fachsten in der Verhältnisszahl aus, welche in der Ruhe 68
und 69, bei der Arbeit aber 80 beträgt. Selbst bei den Vtt^
suchen mit mittlerer Kost zeigt sich an den Arbeitstagen
noch eine Erhöhung der Verhältnisszahl, wenn auch in viel
geringerem Maasae, bei den Versuchen im August von 94
V. Pettenköfer: Stoffverhraueh bei Zueherhamruhr. 683
auf 98, bei denen im Dezember 1866 von 74 and 78 auf
82. Der Diabetiker würde sich daher im Hunger uud bei
Ruhe ähnlich verhalten, wie der Gesunde im Hunger und
.bei anstrengender Arbeit, es wäre nur die Differenz noch
grösser, indem die Verhältnisszahl im Mittel aller Versuche,
bei denen der Diabetiker Nahrung erhielt, zwischen 75 und
.106 im Hunger schwankt.
Nimmt man beim hungernden Diabetiker die Sauerstoff-
abgabe vom Eörpenrorrathe und damit die Verbrennung
Yon Fett an, so hätte er im Ganzen etwa 100 Grmm. Sauer-
stoff zusetzen müssen. Diese Zahl erscheint nicht gross,
wenn man bedenkt^ dass der hungernde Gesunde beim Ar-
beitsverstich eine noch grössere Menge verloren hat. Wir
haben mit dem Diabetiker allerdings nur einen Versuch bei
Hunger gemacht, aber wir halten das Resultat nichts desto
weniger für sicher, weil wir die Kohlensäure- und Wasser-
bestimmung der Perspiration doppelt machten, und beide
Bestimmungen sehr genau zusammengehen.
Unsere zweite Erklärung ist daher nicht nur möglich,
sondern viel wahrscheinlicher als die erste ; sie stimmt auch
sehr gut mit der Thatsache, die sich bei allen übrigen Ver-
suchen in den Vordergrund drängt, nämlich dass der dia-
betische Organismus in der .Fähigkeit, Sauerstoff aus der
Atmosphäre zu ziehen, irgend eine wesentliche Beschränkung
erleide.
Was die Zuckerausscheidang anlangt, so richtet sa(di
die Menge hauptsächlich nach der Grösse und Beschaffenheit
deir Nahrung. Bei reiner Fleisdikost sowohl als bei Hunger
adieidet der Diabetiker bekanntlich immer noch Zucker aua^
obschon beträchtlich weniger, als bei einer Kost, welche
aus Fleisch (Eiweiss) Fett und Kohlehydraten gemischt ist.
Bei reiner F|ei8Qhnahru9g haben wir nahezu daa gleiche
584 SiUfung der math.-phys. OUuse vom 7. Degember 1867.
Verhältniss zwischen FleiBcheinnahme und Znckerausscheidiiiig,
wie Griesinger') beobachtet. Die Kohlehydrate der Nahrang
scheinen im Leibe des Diabetikers einfach in Traubenzacker ver-
wandelt und als solcher ausgeschieden zu werden, vorausgesetzty
dass daneben so viel Eiweiss und Fett zur Disposition ist, am
die Menge Sauerstoff zu belegen, welche sein Körper über-
haupt aufzunehmen vermag. Es ergiebt sich aber in solchen
Fällen, dass bei einer Kost, wenn sie auch an Kohlehydra-
ten bereits sehr reich ist, immer auch noch Zucker aus K*
weiss oder Fett gebildet wird. Beim Versuch II am 5. August
1865, in welchem die grösste Zuckerausscheidung za be-
obachten ist, genoss der Kranke, soviel er nur mochte. In
seiner Tageskost waren so viel Kohlehydrate enthalten, dass
daraus 529 Grmm. Zucker gebildet werden konnten, er
schied aber 644 aus, a^so 115 Grmm. noch mehr.
Fehlt es aber in der Nahrung an Eiweiss und Fett, so
wird auch von dem aus den Kohlehydraten gebildeten Zucker
verbrannt, wie das neben dem Hungeversuche auch noch der
Versuch mit eiweissfreier Kost gelehrt hat. Im letztem
war die Nahrung so 'zusammengesetzt, dass die Einnahme
an Kohlenstoff 354 Grmm. betrug. Aus den Kohlehydraten
konnten etwa 670 Grmm. Zucker gebildet werden; ausser-
dem genoss er noch 105 Grmm. Fett und iVs Liter Bier.
Er schied nur 429 Zucker im Harn aus. Die Stoffwechsel-
bilanz zeigt femer, dass der Kranke an diesem Tage über-
diess noch 72 Grmm. Kohlenstoff in irgend einer Form von
seinem Körper zugesetzt hatte, während der normale Mensch
der in seiner eiweissfreien Kost (XU) im Ganzen nur 229
Grmm. Kohlenstoff zugeführt erhielt, nur 18 Grmm. C von
seinem Körper hergab. Man sieht, um vrie viel mehr der
2) W. Griennger, Studien über Diabetet. Archiv für pbytiolog.
Heilkimde 1859. S. 1.
V. Fettender: Stoffverbrauch hei Zutkerhartiruhr, 585
Organismus im einen and im andern Falle yerbraacht, und
wie wenig dem grossem Stoffaufwand des Diabetikers auch
nach dieser Richtung hin ein grösserer Nutzeffekt entspricht.
In den sieben Versuchen mit dem Diabetiker haben
wir viermal auf die Ausscheidung von Grubengas und
Wasserstoffgas untersucht. Beim Versuch III erreichten
beide Gase ihr Maximum. Bei dem Versuch V mit reiner
Fleischkost ergab sich nur H, kein GH^. Wir sind nicht
im Stande, bestimmte Ansichten über die Ursachen der
vorgekommenen Schwankungen aufzustellen, aber das Auf-
treten dieser Gase überhaupt in so grosser Menge
(15 Grmm. Wasserstoff nehmen den Raum von 166 Litern
ein) scheint uns von Bedeutung für den Prozess des Stoff-
wechsels bei dieser Krankheit zu sein. Neben der unvoll-
kommenen Oxydation gehen beträchtliche Gährungserschein-
ungen im Darm, vielleicht auch in andern Organen einher.
Bei unserm Kranken machte sich die auffallend starke Gas-
entwicklung auch noch durch eine Nebenwirkung ^ durch
Verbreitung sehr übler Gerüche bemerkbar. Er hatte seine
Verpflegung für gewöhnlich in dem Krankenzimmer des
Reisingerianum's, welches er meistens mit noch 2 andern
Kranken theilte, die sich nidit selten über die Ausdünst-
ung des Diabetikers ernstlich beklagten.
Was endlich die Verhältnisszahlen, die Quotienten aus
dem der Luft entzogenen und in der ausgeschiedenen Kohlen-
säure wieder enthaltenen Sauerstoff anlangt, so überraschen
sie in der Mehrzahl der Versuche durch ihre niedrigen
Ziffern, als ob die Nahrung nur aus Fleisch und Fett be-
stände. Wann Fett allein, aber vollständig verbrennt, sollte
die Verhältnisszahl 73, bei Fleisch allein 82 , bei Zucker
(Kohlehydraten) allein 100 sein. Mit Ausnahme des Hunger-
versuches bewegt sich die Verhältnisszahl sogar etwas unter
der Grösse, die sie bei gleicher Nahrung beim normalen
Menschen erreicht. Das ist eine nothwendige Folge der
586 SitMung der fnath.-phys. Classe vom 7, Dezember 1867,
Zuckerbildang aus Eiweiss und Fett, wozu Sauerstoff a«B
der Luft nöthig ist und dann des Nichtyerbrennens des ge*
bildeten Zuckers, d. h. eine Folge des Austretens eines
Tfaeiles des aus der Luft aufgenommenen Sauerstoffs nicht
in der Form von Kohlensäure durch die Lungen, sondern
in Form von Zucker durch den Hani. Die höchste Zahl
(106) zeigt sich beim Hungerversuche« Aehnliche Zahlen
haben Regnault und Reiset bei ihren Versuchen mit Gras*
fressem und wir bei Fütterung des Hundes mit Fleisch and
Zucker gefunden, und man kann, wie ich oben auseinander
gesetzt, die niedrige Zahl beim hungernden Diabetikers so
auffassen, dass er entweder wie die Grasfresser you Eiweiss
und überwiegend yon einem Kohlehydrat, yon Zucker lebt,
oder dass er Sauerstoff ron seinem Körper verliert.
Die Wasserverdunstung durch Haut und Lungen ist im
Ganzen geringer als beim Gesunden und gleichroässiger, was
wahrscheinlich nur eine Folge der trockenen Hautbeschaffen-
heit und der geringen Wärmeentwicklung des Kranken ist.
Wie sehr eine gesteigerte Verbrennung, eine dadurch vermehrte
Kohlensäurebildung sonst die Wasserverdunstung steigere,
geht aus unsern Versuchen am normalen Menschen ha'vor,
wenn man Ruhe- und Arbeitstag vergleicht. An den Arbeits-
tagen wurde durchschnittlich eine doppelt grössere Menge
Wasser verdunstet, als an den Ruhetagen. Einen Arbeits-
versuch mit dem Diabetiker zu machen, war natürlich wegen
seiner völligen Kraftlosigkeit eine Sache der Unmöglichkeit,
da er sich in der Ruhe schon viel müder fühlt, als der Ge-
sunde nach dem anstrengendsten Tagwerk.^
Auch die Theilung der 24stündigen Stoffwechselversuche
in zwei Hälften, in Tag und Nacht lässt einige weitere in-
teressante Gesichtspunkte erkennen. Diese Theilung wurde
bei den Versuchen VI und VII vorgenommen. Diese sind
zunächst vergleichbar mit den Versuchen V, VI, VII und
XIV am normalen Menschen. Es wurde dafür gesorgt, dass
0. PetUnkofefi Staffverbraueh hei Zueherhamruhr, ö87.
bei diesen Versnchen der Kranke am Tage sich nicht der
Ruhe im fiette hingeben konnte; er sass den Tag über auf
dem Stuhle, strickte, las und sprach oft laut, gieng auch
in der Kammer zeitweise auf und ab. Am 10. August (VI)
nahm er seine Kost zu gewöhnlichen Zeiten, wesentlich am
Tage; am 14. August (VII) erhielt er sie in zwei gleichen
Hälften, Morgens zu Anfang des Versuches die erste, und
12 Stunden darnach die zweite. Man ersieht, dass der
Unterschied in der Eohlensäureausscheidung zwischen Tag
und Nacht nie so gross ist, wie beim normalen Menschen.
Es ist auch kein wesentlicher Unterschied, ob man dem
Diabetiker die Kost in einer Abtheilung oder auf zwei gleiche
Zeithälften vertheilt gab.
In der Sauerstofifaufnahme zeigt sich, dass auch der
Diabetiker in der Nacht mehr als am Tage aufnimmt. Auch
beim Diabetiker wird der Unterschied durch Vertheilung der
Kost auf zwei gleiche Tageshälften grösser, ebenso wie beim
Gesunden (XIV).
Noch auf einen andern, wie uns scheint, nicht unwich*
tigen Umstand wurden wir durch die in zwei Abschnitte
getheilten Versuche aufmerksam, nämlich auf die in gleichen
Zeitabschnitten und bei einer analog zusammengesetzten
Nahrung ausgeschiedenen Mengen Harnstoff und Zucker, mit
andern Worten auf den gleichzeitigen Gang der Eiweisszersetz-
ung und der Zuokerbildung im Körper. Sie gehen, was die
Zeit anlangt, auffallend parallel Wir wollen dem Ergebniss
der Versuche VI und VII vom 10. und 14. August, die in der
Tabelle aufgeführt sind, noch das eines andern am IL August
angestellten hinzufügen, wo die Nahrung ähnlich wie am 10.
war 9 aber die Produkte der Respiration unberücksichtigt
blieben. Es wurde an diesen 3 Tagen ausgeschieden
588 Sittung der maih.-phys. CUuse vam 7. Detembtr 1867.
a.
b.
c.
Harnstoff bei Tag
29,7
20,7
35,4
„ Nacht
20,1
22,4
30,6
Zucker bei Tag
246,4
167,6
275,4
„ Nacht
148,1
188,2
259,9
Ein gewisser Parallelismus ist unverkennbar, und es
lässt sich bei diesen drei analogen Versuchen aus dem Harn-
stoff nicht nur die Zuckef menge im Ganzen, sondern auch
für die einzelnen Zeithälften ziemlich annähernd berechnen.
In diesen 3 Tagen wurden 157,8 Harnstoff und 1285,6
Zucker entleert, was im Mittel auf 100 Harnstoff 814 Zucker
entspricht.
Es ergiebt nun
für 24 Stunden
a. b. c.
die Rechnung 405 350 536 Zucker
der Versuch 394 356 535
femer für den Tag
die Rechnung 242 168 288 „
der Versuch 246 167 275
für die Nacht
die Rechnung 163 182 248 „
der Versuch 148 188 259
Diese Uebereinstimmung zwischen Rechnung und Ver-
such ist gewiss kein Zufall und deutet auf eine innige Be*
Ziehung zwischen Eiweisszersetzung und ZuckerbUdung bei
analoger Nahrung hin.
Vergleichen wir zum Schluss noch einen Augenblick
den Diabetiker mit dem Manne Nr. II in unsem Normal**
Versuchen, mit dem wir nur einen einzigen Versuch (XV)
angestellt haben. Wir hatten den Mann Nr. U ausgewählt,
weil derselbe für gewöhnlich sehr schlecht und kümmerlich
sich nährte, klein und mager, aber sonst gesund war. Wir
«. FdtenkoftTi Stoffverbrauch bei Zuckerhamruhr. 589
wollten nur sehen, wie ein solcher Körper mit der mittleren
Kost, die den kräftigen nnd wohlgenährten Mann Nr« I ganz
auf seinem Bestände erhielt, haushalten würde. Es war
vorauszusehen, dass er seine Nahrung nicht sofort in 24
Stunden umsetzen, nidit so viel Sauerstoff aufnehmen und
nicht so viel Kohlensäure erzeugen würde, wie Nr. I, wejl
alle seine Organe kleiner und mangelhafter ernährt sein
mussten; wir wollten nur sehen, wie viel Ansatz und in
welcher Form er zunächst erfolge. Die in der Zeitschrift
für Biologie bereits mitgetheilte Stoffwechselgleichung *) zeigt
deutlich, dass Nr. IL wohl in's Stickstoffgleichgewicht mit
seiner Nahrung gekommen war, aber 90 Grmm. Kohlen-
stoff nicht ausschied, die er nach dem Ergebniss der Gleich-
ung als Fett (114 Grmm.) zurückbehalten hat.
Bei derselben mittleren Kost zeigte der Diabetiker nicht
nur kein Stickstoffgleichgewicht, sondern gab noch 24 Pro-
cent darüber von seinem Körper her. Er setzte auch keinen
Kohlenstoff an, wie der Mann Nr. II, sondern verlor b^i
dieser Kost noch 67 Grmm. von seinem Körperkohlenstoff:
vorrath dazu. Merkwürdiger Weise schied der kleine Mann
Nr. II bei einer Aufnahme von nur 594 Grmm. Sauerstoff
mehr Kohlensäure aus, als der Diabetiker der 680 Grmm.
0 aufnahm und setzte noch 114 Grmm. Fett an; er würde
sich mit derselben Kost also, mit der der Diabetiker seine
Ausgaben nicht entfernt bestreiten konnte, in kurzer Zeit
gemästet haben.
Hätte man nur den Versuch XV am normalen Menschen
und den Versuch III am Diabetiker zum Vergleiche, so
könnte man der Ansicht Raum geben, dass der wesentliche
Unterschied darin bestehe, dass der Gesunde das Eiweiss
in Harnstoff und Fett umsetze und letzteres, wenn es keine
2) ZeitBchrifb für Biologie Bd. IL S. 514.
[1867. IL 4.] 39
590 SiUiui/td äit inä(h.^hfß. XHasH wm ^ Dttmbtf tS67,
Gelegenheit 2a Verbrebnto findet, im Körper aalblpdcbere,
d^ Diabetiker aber es in Itarnstoff und Zucker verwandle,
and grossentheils im Harn anssdieide. Diese Anschanolig
Ware im Blnne der S<^hiff8^eii HypoÜiese, dass die näehste
ütsache des Diabetes mellitas nnr eine gesteigerte Zucker-
bildung sei, eine Anschaattng, der auch Kühne huldiget, der
wir uns aber aus den oben angeführten thatsächlichen Grun^
den nicht atoschliessen können.
Wir halten duhsh unsere Untersuchungen, in weldien
wir die ersten vollständigen, von allen hypothetischen ZaU^i
freien 8toffWe<;h8elgleichungen fUr einen kranken Menschen
geliefert haben, l^r constatirt, dass beim Diabetiker ein
grösserer und Schnellerer Eiweissumsatz stattfindet, ferner
dass der Kranke bei gleidiem Eiweissuknsatz wenige
Batterstoff aufinrnrnt, als ein Gesunder; dann dass er
im fiungerzustande entweder von einem Vorrath an
Eäweiss ^d Zucker in seinem Körper lebt, oder, was
wahrschemKcher ist, eine beträchtliche Mettge Sanerstötf
vott seinem Korper Vei^iert, und endlich, dass die iBildnng
ttüd Ausscheidung von Harnstoff nnd Zudcer einen gewissen
Zusammenhang isowohl nach Zeit als nach Menge yemtthen^
Diese vi^ Thiltsaehen Schemen uns feste Grundfatgen f9r
Weitefte Forsehungen über diese Krankheit absttgebeii.«
Suchner: Vergiftung mit Blausäure. 591
Herr Bnchner sprach:
,^Ueber die Beschaffenheit des 'Blutes nach
einer Vergiftung mit Blausäure'*.
Beobachtungen über die Beschaffenheit des Blutes von
lliieren, welche mit Blausäure getödtet worden waren, sind
in neuester Zeit mehrere gemacht worden. In München
haben hierüber die Herren CoUegen Veit und Heinrich
Ranke genaue Versuche angestellt und in Bonn hat Hr.
Dr. W. Preyer die Blausäure zum Gegenstand einer aus-
föhrlichen physiologischen Untersuchung gemacht, deren bis-
herigen Ergebnisse er in seiner vor wenigen Tagen er-
sdiieaen Schrift: „Die Blausäure physiologisch unter-
sucht. ErsteüT Theil. Bonn 1868'' bekannt gemacht hajL
Der am 21. November dieses Jahres in München
geschehene Mord an der Frau Gräfin Chorinsky Ledske,
welcher, wie schon die Section vermuthen Hess und wie die
darauf von mir vorgenommene chemisdie Untersudiung
ausser Zweifel stellte, mittelst Blausäure verübt worden war,
hat mir Gelegenheit verschafft, die Beschaffenheit von menddi-
lichem Blute nadi einer solchen Vergiftung näher kennen zu
lernen, denn unter den mir zur chemischen Untersuchung
übergebenen Objecten befand sich auch das bei der Section
der Leiche der genannten Gräfin gesammelte Blut, dessen
Menge 285 Gramme, mithin etwas über V' Pftind betrug.
Meines Wissens ist man über die Art und Weise, wie
der genannten Gräfin das Gift beigebracht wurde, nooh voll-
kommen unaufgeklärt. Der Rest des Thee's, den die Un-
{^ückliche unmittelbar vor ihrem Tode in Gesellschaft ihrer
angeblichen Mörderin getrunken, so wie die übrigen auf
dem Tische vorgefundenen Flüssigkeiten, nämlich Milch,
39*
592 Sitgung der matK-phys. Classe vwn 7. Dezember 1867.
Rum und Trinkwasser, dann der Inhalt des Nacbttopfes ent-
hielten weder Blausäure noch Cyankaliunj ; auch die anderen
zur Untersuchung gebrachten Gegenstände aus der Wohn-
ung der Gräfin waren mit Ausnahme eines Gläschens mit
EirschlorbeerwjMser , welches aber noch ganz yoU war und
dessen Inhalt der Aufschi*]ft zufolge als ein Mittel gegen
Leibschneiden benutzt werden sollte, vollkommen frei von
diesen Giften.
Die aufgeworfene Frage, ob Gräfin Gh. mit freier Blau-
säure oder mit Cyankalium vergiftet worden sei, konnte
durch die chemische Untersuchung nicht bestimmt beantwortet
werden, wohl aber kann ich mit Gewissheit behaupten, dass
vier Tage nach dem Tode das Gyan im Mageninhalt und
auch im Blute nur als freie Blausäure und nicht als Cyan-
kalium vorhanden war und dass folglich, wenn auch Gräfin
Gh. Cyankalium bekommen hätte, dieses durch chemische
Zersetzung vollkommen in Cyanwasserstoff (Blausäure) ver-
wandelt worden wäre.
Der dickbreiige Mageninhalt, welcher hauptsächlich ans
zerkleinertem Schinken und Kartoffelresten bestand, rodi
etwas faulig, aber ausserdem so auffallend nach Blausäure,
dass man schon dadurch auf die Vermuthung einer Blaor-
' säure- Vergiftung geführt wurde. Dieser mit Wasser gehörig
verdünnte Magenbrei röthete Lackmuspapier ziemlich stark;
als ein Theil davon destillirt wurde, gieng gleich Anfangs
80 viel Blausäure über, dass das Destillat nicht nur den
charakteristischen Blausäure-Geruch im hohen Grade besasa,
sondern auch die bekannten chemischen Reactionen der Blau*
säure in unverkennbarer Weise zeigte.
Dass der Mageninhalt ausser Blausäure nicht auch
Cyankalium oder eine derartige Cyanverbindung enthalte,
konnte schon aus der sauren Reaction desselben geschlossen
werden, indessen wurde, um den Beweis davon vollständig
zu liefern, die Destillation des Magenbreies mit Wasser. so
Buchner: Vergiftung mit Blausäure. 593
lange fortgesetzt, bis keine Blausäure mehr überging, worauf
man den Destillationsrückstand mit Phosphorsäure vermischte
und abermals destillirte. Aber diessmal konnte im De-
stillat keine Spur von Blausäure mehr entdeckt werden.
Ich habe, um die Menge der im Mageninhalt am
9. Tage nach dem Tode der Gräfin Ch. noch vorhandenen
Blausäure beiläufig zu bestimmen, die Quantität dieser Säure
in jenem Destillat, welches aus ungefähr einem Drittel des
Magenbreies erhalten worden war, ausgemittelt. Es ergab
sich hiebei eine Menge, welche auf den ganzen Mageninhalt
berechnet nahezu 0,075 Grmm. oder 1,2 Gran wasser-
freier Blausäure entspricht. Eine solche Menge ist in einem
Quentchen der ofGcinellen Blausäure und in ungefähr zwei
Unzen Bittermandel- oder Eirschlorbeerwassers enthalten.
Gräfin Gh. musste aber eine grössere Menge Blausäure er-
halten haben, weil ein Theil des Giftes, abgesehen von der
Verdunstung, in das Blut und in andere Organe überging
und desshalb nicht mehr im Magen gefunden werden konnte.
Nebenbei will ich bemerken, dass das wässerige De-
stillat aus dem Speisebrei Lackmuspapier nicht röthete und
dass demnach dieser Chymus ausser Blausäure keine andere
flüchtige freie Säure und namentlich keine freie Salzsäure
enthielt. Die das Lackmuspapier röthende Substanz blieb
im Destillationsrückstand und ist demnach fixer Natur;
dieser saure Rückstand lieferte nach dem Filtriren und durch
Eindampfen auf ein kleines Volumen eine gelbliche Flüssig-
keit, welche bei der Dialyse an das vorgeschlagene Wasser
hauptsächlich die Säure und einige- Salze abgab. Diese
Flüssigkeit wurde bis zur Syrupsconsistenz eingedampft und
dann ein paarmal mit warmem Weingeist behandelt, wobei
sich ein Theil auflöste. Der Verdampfungsrückstand der
weingeistigen Flüssigkeit röthete Lackmus sehr stark, zeigte
sich aber frei von Phosphorsäure; die darin vorhandene
fixe Säure war vielmehr organischer Natur und verhielt sich
594 Sitzung der maih.-phys, Claase vtm 7, Dezember 1867.
wie Milchsäure; die Asche, welche beim Verbrexmen zorück«
blieb, reagirte nicht mehr sauer, sondem im (xegeniheil
Bokwach alkalisch; Kali war dariu in nur sehr geringer
Menge und, wie es scheint, als Chlorkalium yorhanden; der
Hauptsache nach bestand diese Asche aus«Chlomatrium.
Der in Weingeist unlösliche Theil des Dialysirten rea-
girte schwach sauer und war reich an Phosphorsäure und
an Kali; ausser phosphorsaurem Kali konnte darin nichts
Bemerkenswerthes gefunden werden.
Das ganze Verhalten der in Wasser löslichen Stoffe
aus dem Destillationsrückstande des Mageninhaltes stimmt
also mit demjenigen des Fleischsaftes überein; dasselbe
unterstützt keineswegs die Annahme, dass Gräfin Ch. durch
Cyankalium vergiftet worden sei.
Was nun die Beschaffenheit des Blutes aus der Leiche
der Gräfin Gh. betrifft, so bot dasselbe einige auffallende
Verschiedenheiten von gewöhnlichem menschlichen' Leichen-
blute dar. Es fiel zunächst auf, dass dieses Blut eine helle
kirschrothe Faibe hatte und diese Farbe mehrere Tage lang
behielt, sa wie dass dasselbe am fünften Tage und audi
noch längere Zeit nach dem Tode nicht geronnen, sondern
Tollkommen flüssig war. Erst nach einigen Wochen fand
man denjenigen Theil des Blutes, welchen man in einem
lose bedeckten Gefasse bei ziemlich niedriger Temperatur
der Luft ausgesetzt hatte^ in eine dünne Gallerte verwandelt
Der hohe Grad der Unveränderlichkeit dieses Blutes gab
sich ferner durch seine lange Unfähigkeit zu faulen zu er-
kennen. Am fünften Tage nach dem Tode roch es, obwohl
vor dem Zutritt der Luft nicht geschützt, wie ganz frisches
Blut; später nahm es einen etwas ranzigen Geruch, dem-
jenigen alter Butter nicht unähnlich, an; ein Theil des
Blutes, welcher in einem verschlossenen Glase aufbewahrt
wurde, zeigte erst nach mehreren Wochen schwadien
FäuInisBgeruch. Auch konnte an dem der Luft ausgesetzten
Bwshner: Ywgifty^g wi% BUm^i^im. 595
31ate lange Ipsine Schimmelbüdwg bec^bftdiWt wardeo; erst
al& ^s Blut etwas geronnen war, waren auf seiner Ober-
fläche einzelne Scbimmelpartien zu bemerken. Ich habe
diesem noch hin^uzufögen, da3S bei eiqer wenige Ti^ge nach
der Section Torgenomnienen mikroskopischen Beobacbtong
des Blutes die meisten rothen Blutskörperchen dann zer-
stört waren.
Um zu sehen, ob sich in di^em Blute, welches, wie
vorhin erwähnt^ wie ganz frisches Blut aber durchaus nicht
nach Blausäure roch, diese Säure am fünften Tage nach
dem Tode chemisch nachweisen laisse, wurde ein Theil des-
selben gehörig mit Wasser verdännt und der Destillation
unterworfen. Die erste Portion des Destillats, welche be-
sonders aufgefangen wurde, besas^ den Geruch nach Blau-
säure ganz unverkennbar. Silberlösuug brachte darin so-
gleich eine weisse Trübung heryor, die sich beim Schütteln
zu einem flockigen, sich wie Cyansilber verhaltenden Nieder-
schlag zusammen begab. Das mit Kalilauge und hierauf
mit ein Paar Tropfen Eisenoi^ydulozyd-Lösung vermischte
Destillat wurde beim Ansäuern mit Salzsäure intensiv blau
und bildete nach einiger Zeit einen Niederschlag von Ber-
linerblau. Mit einigen Tropfen Schwefelammoniuo) ver*»
mischt und auf ein kleines Volumen eingedampft, ([ab es
mit Eisenchlorid eine intensiv blutrothe Färbung, die bewies,
dass sich hier Rhodanammonium gebildet hatte, welches nur
aus der im Destillat vorbandeqeQ Blausäure entstanden sein
konnte.
Durch diese Versuche ist also dw Beweis auf das Be-
stimmteste geliefert, dass siph noch am fünften Tage nach
dem Tode Blausäure in dem Blute damit V^gifteter sicher
erkennen lässt. Es ist mir diess selbst ein paar Wochen
später noch gelungen, ja sogar in dem fast vertrockneten
Blute, w^ehes pi(^ aus d^ Mpudhöhle d^ Leiche über den
oberen Theil der Kleidung und auf die Stelle des Zimmer-
596 SiUung der math.'phys, Glosse eom 7. Dezember 1867.
bodens, auf welcher Gräfin Gh. am zweiten Tage nach
ihrer Ermordung liegend gefunden wurde, ergossen hatte,
konnte ich auf die vorbin beschriebene Weise Spuren
von Blausäure deutlich nachweisen, ebenso in den mir zur
üntersuchung überschickten Eingeweiden und namentlich in
der Leber und Milz.
Als die empfindlichste Methode, um geringe Spuren
von Blausäure zu entdecken, hat sich hiebei die von Hm.
V. Liebig ausgemittelte ^) gezeigt, welche auf der leichten
Umwandlung der Blausäure in Rhodanammonium durch
Schwefelammonium und der Reaction des Eisenchlorides auf
das Rhodanammonium beruht. Dieser Methode am nächsten
steht hinsichtlich der Empfindlichkeit die Umwandlung der
Blausäure in Berlinerblau. Aber man muss, um bei sehr
geringen Spuren von Blausäure die blaue Färaung sichtbar
zu machen, das mit Kalilauge versetzte Destillat zuvor auf
ein kleines Volumen eindampfen, ehe man sie mit einem
oder zwei Tropfen Eisenoxyd-Oxydullösung vermischt und
mit Salzsäure ansäuert. Auch kommt der Niederschlag von
Berlinerblau in Form blauer Flöckchen oft erst zum Vorschein,
wenn man die Flüssigkeit in einer Probirröhre ein Paar Tage
lang massiger Wärme ausgesetzt hat. Spuren von Blausäure
werden auch durch Silberlösung angezeigt, allein da das
Cyansilber keine charakteristische Farbe hat und Spuren
desselben von Chlorsilberspuren nicht wohl unterschieden
werden können, so würde natürlich diese Reaction allein
nicht hinreichen, um eine sehr gemnge Menge Blausäure
sicher zu erkennen. Ich habe mich übrigens jüngst bei der
Untersuchung des mir von Hm. Collegen Voit zur Verfug-
uug gestellten Blutes von einem Hunde, der mit einer Mini-
1) Annalen der Chemie und Pharmaoie 1647. LXI, 127.
Buchner: Vergiftung mit Blausäure. 597
maldosis von Gyankalium getödtet worden war, überzeugt,
dass in iem Destillat eines solchen mit Pkosphorsäure an-
gesänerten Blutes weder durch Silber- noch durch £iäen-
lösung, sondern nur durch die Rhodanreaction an der Gränze
chemischer Wahrnehmung stehende Blausäurespuren wahr-
genommen werden konnten.
In neuester Zeit hat Hr. Schönbein in Basel ein sehr
interessantes Verhalten der Blausäure zu den Blutkörperchen
beobachtet und in der Zeitschrift für Biologie •) beschrieben,
welches, wie auch ich mich überzeugt habe, als das em-
pfindlichste Reagens auf Blausäure und namentlich zur
I^achweisung derselben im Blute bezeichnet werden muss.
Dieser Chemiker hat schon vor einigen Jahren gefunden,
dass die Blutkörperchen in einem ausgezeichneten Grade die
Fähigkeit besitzen, nach Art des Platins das Wasserstoflf-
hyperoxyd in Wasser und gewöhnlichen Sauerstoflf umzu-
setzen. Diese Fähigkeit, welche offenbar von dem wesent-
lichen Bestandtheil der Blutkörperchen, dem saueistoff-
saugenden Hämaglobin herrührt, hat auch das mit W^asser
verdünnte entfaserte Blut, worin die Blutkörperchen aufgelöst
sind, denn auch dieses katalysirt das Wasserstoffhyperoxyd
mit stürmischer Lebhaftigkeit.. Fügt man aber nach Schön-
bein eine nur sehr geringe Menge wässeriger Blausäure zu
solchem mit zwei Raumtheilen reinen Wassers verdünnten
Blute, so wird die katalytische Wirkung der Blutkörperchen
oder vielmehr des Hämaglobins so sehr geschwächt, dass
bei der darauf folgenden Vermischung mit Wasserstoffhyper-
oxyd eine kaum noch merkliche Entbindung von Sauerstoff-
gas bewirkt wird.
Sehr bemerkenswerth ist *die weitere von Schönbein
festgestellte Thatsache, dass das verdünnte blausäurehaltige
2) Jabrgang 166?: III. 8. Heft.
$98 SiUiung der matK'phys. Cla$9t wm 7, Jktember 1867.
Blut durch Wasserstoffbyperoxyd bis mr UQdurqhdrisglicb*
keit gebräunt wird, was auf eine tief gehende Veräxulerang
hindeutet, welche das Hämaglohin unter diesen UmstäudeB
erleidet.
Dass die Blausäure für sich allein auf das Hämaglobia
weder chemisch noch anderweitig einwirkt, ergiebt sich sohoa
aus dem Umstände, dass die Färbung der Blutflüssigkeit
nach Zusatz von Blausäure unverändert bleibt (bei mehr
Blausäure sich höher röthet) und dass blausäurehaltiges, mit
Wasser gehörig verdünntes Blut im Spectrum die zwd so
charakteristischen Absorptionsstreifen des sauersto£fhaitigea
Hämaglobins (Oxyhämaglobins) zeigt. Schönbein hat ge-
funden, dass solches Blut seine frühere katalyüsohe Wirk«-
samkeit wieder äussert, nachdem man aus ihm die Blau-
säure hat verdampfen lassen. Die blausäurehaltige Blut-
flüssigkeit, welche man mehrere Stunden lang in einem
flachen Gefasse und an einem massig erwärmten Ort offen
an der Luft hatte stehen lassen, vermochte das Wasserstoff-
superoxyd wieder lebhaft zu zerlegen, ohne durch Letzteres
im Mindesten gebräunt zu werden, während die gleiche in
einer luftdicht verschlossenen Jb*lasohe Tage lang gehaltene
Flüssigkeit Wasserstoffhyperozyd immer nur schwach kata-
lysirte und durch dieses starb gebräunt wurde,
Die Eigenschaft blausäurehaltigen Blutes, durch Wasaer-
stoffhyperozyd tief gebräunt zu werden, mitcht es möglioh,
in jener Flüssigkeit noch eine verschwindend kleine Meng^
von Qyanwasserstoffsäure nachzuweisen. Um dieses zu be^
weisen, hat Schönbein 50 Gramme ent&serten Ochsen*
blutes mit 450 Grammen Wassers und 5 Milligrammen
Blausäure (auf die wasserfreie bezogen) versetzt. Dieses
Gemisch wurde durch Wassei*stoffhyperoxyd noch tief ge-
bräunt, obgleich darin nur ein hunderttausondtel Blausäure
enthalten war. Ja es konnte die Mischung noch mit der
siebenfachen Menge Wassers verdünnt werden , sp 4s0fl es
Büchner: Vergiftung mt JBHausäwre. ^99
nur noch V^ooooo Blausäure enthielt, am beim Zufügen von
Wasserstoffliyperoxyd noch immer auf das Deutlichste g^
bräunt zu werden.
Schön b ein konnte bei Anwendung dieses Ver&hreQB
in gewöhnlichem Kirschwasser noch augenfälligst Blausäure
nachweisen, die darin durch kein anderes Reagens mehr zu
erkenuen war; er bezeichnet desshalb die Blutkörperchen in
Verbindung mit Wasserstoffsuperoxyd als das empfindlichste
Reagens auf Blausäure. Uebrigens ist es, um die beschrie*
bene Reaction zu erhalten, keineswegs gleichgiltig, in welcher
Aufeinanderfolge man Blausäure und Wasserstoffsuperoxyd
zu der Blutflüssigkeit fügt; denn wird das Superoxyd in
einiger Menge zuerst beigemischt, so verursacht die Blau-
säure nicht die geringste Bräunung und wird das Wasser*
Stoffsuperoxyd ebenso lebhaft katalysirt , als wenn keine
Blausäure in dem Blute vorhanden wäre.
üeber das Absorptionsspectrum des durch Wasserstoff-
hyperoxyd gebräunten blausäurehaltigen Blutes hat Hr. Prof.
Hagenbach in Basel Versuche angestellt. Er hat gefunden,
dass in eben dem Masse, als die rothe Farbe der Blut**
flüssigkeit in die braune übergeht, die beiden charakteristi-
schen, zwischen E und D liegenden Absorptionsstreifen des
Oxyhämaglobins im. Spectrum verschwinden, ohne dass dafUr
ein neuer Stieifen aufträte. Es erstreckt sich dann die Ab-
sorption ziemlich gleichmässig über das Spectralfeld , das
Roth ausgenommen, welches bei einiger Goncentration der
Blutflüssigkeit allein noch durch dieselbe dringt. Dadurch
kann man das blausäurehaltige durch Wasserstoffhyperoxyd
gebräunte Blut von demjenigen, dessen Bräunung durch
Sdiwefelsäure bewirkt ist, und welches jenem bis zum Ver*
wechseln gleicht, unterscheiden, denn die schwefdsäure«»
haltige Blutflüssigkeit zeigt einen deutlichen Absorptiona^
Strien im Roth, welcher dem durch Wasserstoffsyperoacyd
gebräunten blaasänrehaltigen Blute vollkommen fehlt.
600 Sitzung der math.-phys. (lasse vom 7. Besember 1867,
Der an Gräfin Ghorinsky begangene Giftmord bot
mir eine ganz^ passende Gelegenheit dar, die Tauglichkeit
des Schön b ein 'sehen Verfahrens zur Nach Weisung der
Blausäure im Blute eines mit Blausäure vergifteten Menschen
zu erproben. Ich brauche kaum zu sägen, dass ich hiebei
die Angaben Schönbein's vollkommen bestätiget gefunden
habe. Das Blut aus der Leiche der Gräfin Gh. hat sich
auch bei dieser Prüfung als ein verhältnissmässig stark
blausäurehaltiges erwiesen. Ich habe seitdem schon öfter
dieses Verfahren an blausäure- sowie an cyankaliumhaltigen
Blute geprüft und mich dabei von dem hohen Grade seiner
Empfindlichkeit überzeugt. Das Blut von dem Hunde, weldien
Hr. Collega Voit mit einer sehr geringen Menge Cyan-
kaliums vergiftet hatte, wurde beim Vermischen mit Wasser-
stoflFhyperoxyd auf das Deutlichste gebräunt, obwohl sich
aus der Flüssigkeit ziemlich viele. Sauerstoffbläschen ent-
wickelten, während in demselben Blute, wie oben erwähnt
wurde, bloss noch durch die Rhodanreaction an der Gränze
chemischer Wahrnehmung stehende Blausäurespuren entdeckt
werden konnten. Das durch Wasserstoffsuperoxyd erfolgende
Dunklerwerden eines Blutes, welches nur Spuren von Blau-
säure enthält, nimmt man am besten durch einen verglei-
chenden Versuch wahr, indem man von gleichen Hälften
des zu prüfenden Blutes die eine mit Wasserstoffhyperoxyd
und die andere mit demselben Volumen reinen Wassers
vermischt und dann die Farbe der beiden Blüssigkeiten be-
trachtet; wenige Tropfen Blutes genügen zu diesem Versuche.
Ich halte das Schönbein'sche Verfahren für das be-
quemste und empfindlichste zur Kachweisung der Blausäure
im Blute. Aber damit man die Erscheinung des Dunkler-
werdens durch Wasserstoffhyperoxyd wahrnehmen könne,
darf dtis Blut nicht schon so alt sein, dass es durch frei-
willige Zersetzung dunkler geworden ist, denn ein solches
blausäurehaltiges Blut wird durch Wasserstoffhyperoxyd in
Vogd: Oerding's Oeschichte der Chemie. 601
seiner Farbe nicht mehr verändert. Im Blute aus der Leiche
der Gräfin Ch. habe ich noch lange, nachdem Wasserstoff-
hyperozjd keine Farbenveränderung mehr darin bewirkte,
mittelst der anderen Beagentien Blausäure nachweisen
können.
Herr Vogel legt
„Gerding's Geschichte der Chemie'', (Leipzig
1867) im Auftrage des Verfassers der Classe yor
und berichtet darüber Folgendes:
<Gerding*s Geschichte der Chemie umfasst die historische
Entwicklung der gesammten chemischen Wissenschaft in zwei
' Theilen ; der erste Theil behandelt die allgemeine Geschichte
der Chemie in vier Hauptperioden, chemische Kenntnisse
des Alterthums, Zeitalter der Alchemie und medicinischen
Chemie, das phlogistische Zeitalter und das quantitative Zeit-
alter, mit Rücksicht auf die hervorragendsten Chemiker und
deren Leistungen. Der zweite Theil begreift die specielle
Geschichte der Chemie oder die Geschichte der wichtigsten
Lehren, Theorien und einzelnen Stoffe.
Eopp's Geschichte der Chemie — dieses anerkannt
classische Werk — hat dem Verfasset als leitendes Muster
gedient und es möchte vorliegendes Compendium neben jener
unübertrefflichen Geschichte der Chemie beinahe als ein ge-
wagtes Unternehmen erscheinen. Dieses Bedenken ver-
schwindet indess bei der Erwägung, dass jenes vier Bände
umfassende Werk während der Jahre 1843^ bis 1847 er*
schienen ist und seitdem eine ausserordentliche Menge neuer
Thatsachen, welche ihre Verzeichnung in den Annalen der
602 Siigung der maÜk,-pkyB, Chase vom 7. Deeember 1867.
Geschichte wohl verdienen, zu Tage gefördert wurde. Ausser-
dem bietet Eopp's Geschichte der Chemie ein so urnüang-
reidies ausfuhrlich behandeltes Material, dass neben der-
selben eine gedrängtere Bearbeitung des reichhaltigen
Gegenstandes als eine nicht unwillkommene Erscheinung
betrachtet werden dürfte. Die an historischen Quellen so
glänzend ausgestattete Bibliothek der Georgia Augusta ist
dem dassisch gebildeten mit gründlichen philologisdiai
Kenntnissen ausgerüsteten Verfasser bei seinen mühsamoi
und tief eingehenden Vorstudien wohl zu Statten gekommen;
es ist ihm gelungen, aus den ältesten historischen Werken
die schönsten Citate nnd Belege zu einem entsprechenden
Ganzen zu vereinigen« Der durch zahlreiche literarische
Leistungen schon rühmlichst bekannte Verfasser hat sidi
mit seiner vorliegenden Arbeit, welche die Forschungen der
neuesten Zeit sdbstverständlich nur aphoristisch behandehi
konnte, vollen Anspruch auf Anerkennung erworben.
Oümbel: Die geognoü. VerhäJttmSH des MoM-Blanc eie. 603
Herr Gümbel trägt vor:
,}Ueber die geognostischen VerhältDisse des
Mont-Blanc and seiner Ifachbarschaft nach
der Darstellung von Prof. Alph. Favre und
ihre Beziehungen zu den benachbarten Ost-
alpen."
Wenn es nichtig ist, dass mit d^r Arbeit unMre Kraft
wächst, so muss man es ebenso natürlich als elrkläriich findeu,
dass in der Schweiz, dem Lande der Bodigebirge utid der
mannichfaltigsten Felsmassen, welche diese zusammensetzen,
der menschliche Oeist sich sdion friihzeitig mit allem Efaft-
aufwand an der Lösung def grossen Probleme versuchte,
welche die gewaltige Alpennatur hier in so reicher Fülle uiü
unmittelbar vor die Augen gestellt hat.
Hier war es daher atich, wo ein Saussute, gegen dM
Ende des vorigen Jahrhtmderts unter wenigen Gebirgsf onchern
einer der Ersten, welcher mit der bis dahin vorh^tischBnd
specalativen Richtung brach, mid mit einer Unermüdlichkeit,
Unbefangenheit und IVeue, die uns in Staunen versetzt, und
Knit einer Beobachtungsgabe und mit einem Scharfblick, die
den ächten Naturforscher kennzeichnen, sich der directen
Naturbeobachtang zuwandte und den fruchtbaren und vidieren
Weg exakter Forschung mit kühnen Sdiritten betrat. Eine
lange Reihe Ranzender Namen seiner Landsleute hat ^ie
Wissenschaft zu rerzeidinen, welche die ton Saussnre tun"
geschlagene Riehtnng in den heimatfalichen Bergen weiter
V^olgten und ^eleAet von dem Lichte der uni^afhaltsam
fortschreitenden Wi^sensdmft mit steigerndem Erfolge 4as
BSättel deb OebirgsbftuM Ae/r Alpen zu ISsen strebten. Wenn
hierbei ein grosser Unterschied zwischen den Ergebnissen
604 Sitjsung der math.-phy9. ülasae vom 7, Dezember 1667.
der ForschuDgen früherer Zeit und der Gegenwart sich be-
merkbar macht, 80 entspricht dieses eben dem Standpunkte
der Wissenschaft von damals und heute und es ist von
hohem Interesse, diesen Unterschied zu erkennen und uns
des grossartigen Fortschritts zu freuen.
Saussure hatte ganz besonders die Umgegend Ton
Genf und den Stock, des Mont-Blanc-Gebirges zum Gegen-
stand seiner bewunderungswürdigen Forschungen gewählt und
eine Fülle von Thatsachen festgestellt, welche uns eine un-
veränderliche Errungenschaft für die Wissenschaft bleiben
werden. Die allgemeine Aufmerksamkeit der Gebirgsforscher
war seit dieser Zeit auf diesen Theil der Alpen gelenkt
worden und fast alle (bedeutenden Geologen der neueren
Zeit haben sich an der Fortführung der Gebirgsuntersuchung
im Gebiete des Mont-Blanc's betheiUgt. Der jüngsten Zeit
aber war es vorbehalten, ein umfassendes Werk über die
geognostischen Verhältiosse jenes riesigen Alpenstocks und
seiner Umgebung an's Licht treten zu sehea, welches ganz
im Sinn und Geist eines Saussure gehalten, sich den Vor-
zug zu eigen gemacht hat, auf der Höhe der fortgeschrittenen
Wissenschaft unserer Zeit zu stehen. Es sind diess die
„Recherches geologiques dans les parties de la Savoie,
du Piemont et de la Suisse voisines du Mont-Blanc" von
Alphonse Favre, Professor der Geologie an der Akademie
zu Genf, 1867 in 3 Bänden mit einem Atlas von 32 Blättern.
Mit grosser Freude begrüssen wir ein Werk^, in welchem
der berühmte Verfasser die Ei^^ebnisse seiner vieljährigen
mit Saussure'schem Fleiss, Unermüdlichkeit und Gründlich-
keit angestellten und bis ins kleinste Detail ausgeführtai
Untersuchungen, welche immer die Feststellung .von That-
sachen mit grösstpr Unbefangenheit und unbekümmert um
jede theoretische Erklärung als höchste Aufgajbe sich gestellt
hatten und mit einer der grossen Aufgabe vollständig gewach-
CUlmba: Du giOffMi. Vmkmmim4^ M^m^BOm» M. 605
«eaan Bcharfon S^bA<^^QB0Bgabe aagestelk worden, aas so
eben vorgefegt hat.
Die Fülle der Detailbeobachtang, die Biditigkeit in der
Seurtheiluiig der Oebirgsrerhältnisae und die Klarheit der
J)arstellimg muss ans mit Bewaaderaqg erfüllen ^ weui
man die Schwierigkeiten erwägt, welche den Alpenforschnngea
Bach allen Seiten sich in den Weg stellen, nnd wenn man
die yerwickelten Verhältnisse berUdcsichtigt, welchen wir in
•den Alpen fast Schritt ftir Schritt begegnen. Der kühne
JUpengeolege hat seine schwierige Aufgabe glficklich nnd
meisterhaft gelöst Wiann derselbe sich aber nicht bles
damnf beschränkt, uns mit den Thateachen bekannt zu
4Mchen, welche er durch Beobachtung feststellte, sondern
jSBCh aus diesem Detail mit seiner fast verwirrenden und
den Ud>erblick erschwerenden Ansfiifarlichkeit heraus sidi
Auf den höheren Standpunkt des Zusammenfassens und der
folgeruDgen erhebt, soweit sie sich aus der grossen Menge
von Einzelheiten mit Sicherheit und nach den ErfEihrungen
der Wissensdiaft unserer Tage vorurtheilsfrei gewinnen lassen,
so können wir dem Verfasser nur Dank wissen für die vielen
imd höchstwiohtigen Schlüsse über die Entstehung der Oe»
steine und die ^ildungsweise jener Oebietstheile der Alpen^
welche er zum Gegenstand seiner Studien gewählt hat.
So sehen vir durch diese Meisterarbeit, welche dardh
die Beigabe einer äusserst zahlreichen Menge von sehr klar
dargestellten Firofilen^ Gebirgsansiditen und Abbildungen von
eingeschlossenen organischen Ueberresten sehr an Verständ-
lichkeit gewinnt, und einer schon früher publicirten sehr
gelungenen geognostischen Karte der betreffenden Gegend
(Garte g£ologique des parties de la Savoie, du Piemont et
de la Snisse voisends du Mont-BIanc, Winteitbur 1863) sich
ainsoUieast, eine fühlbare Lücke in der Reihe der in neuerer
Zeit erschienenen monographischen Scbädeningen der geogno*
slischen Verhältnisse einzelner Alpengebirgsglieder in West
[1867. IL 4.] 40
606 8iUmg aar maOL^^s. . Ckum wm 7. p^amiSber iser.
und 08t auf die würdigste Weise ausgefällt npd eine passende
Gelegenheit gegeben, aas d^m reichen Inhalt dieser Sdirift
einiges Wenige heryorzoheben , welches durch Veigleichnng
mit den geognostischen Verhältnissen 'unseres bayeriedien
Antheils an der grossen Alpenkette erhöhtes Interesse ge-
winnen dürfte.
Es scheint diess um so mehr gerechtfertigt, als der
VerJAsser, der mit einer äussersten Gewissenhaltigkeit die
gesammte französische, englische und italienische Literatur
zu Rathe zieht, vergleidisweise seltener Veranlassung nimmt,
auf deutsche Arbeiten «ich zu beziehen*
Prof. Favre fuhrt uns zuerst in die Ebene des Genfer
See's und macht uns hier mit einer Menge von geogno-
stischen Erscheinungen in einer Ausfilhrlichkeit bekannt,
welche diese Untersuchung über die jüngeren Ablagerungen
▼ollständig zu erschöpfen scheint. Besonders ausfiihrlidi
werden die Verhältnisse der Gletscher und der Glacial-
gebilde im Allgemeinen besprochen. Er glaubt keine feste
Grenze zwischen den Gebilden der gegenwärtigen Zeitperiode,
der sogenannten historischen Zeit und den zunächst yoraus*
gebenden Ablagerungen der sonst wohl auschliesslidi als qualir
oder diluvial bezeichneten Periode ziehen zu dürfen. Er fssst
beide als Quatärschichten der Ebene (terrains quatemaires)
auf und unterscheidet vom jüngeren zum älteren fortsdireitend:
1) Modernes Alluvium,
2) Terrassen Alluvium (nadigladale Bildung),
3) Glacial-Gebilde,
4) Alte Alluvionen mit Mergel und Lignit.
Das Interesse, welches sich an diese grundlichen Unter-
suchungen Favre's über den Boden der Ebene zwischen
dem Alpenzug und der Jurakette für uns insbesondere knüpft,
bezieht sich auf die geognostische Beschaffenheit der soweit
ausgedehnten Hochebene, welche sich bei uns vor dem Hodi<r
gebirge nordwärts ausbreitet und es entsteht die Frage, ob
OümM: Die geognogt, VerhäHniase des Mmt-JE^ne etc. 607
ivir auch bei uns gleiche Erscheinangen als das Resaltat
gleicher Ursachen , wie in jentr änssersten SW. - Ecke der
grossen nordalpinen Yerebnung wahrnehmen. Ich habe in
meiner Beschreibung des bayerischen Alpengebirges und seines
Vorlandes^) eine Bildung der Qnatärzeit beschrieben, welches
ich Terrassen-Diluvium nenne (S. 800), und ich glaube,
dass dieses Gebilde dem Fayre'schen Terrassen Alluvium
entspricht. In den bayerischen Alpen findet sich dasselbe
ziemlich hoch über dem jetzigen Wasserstand 60 — 75 Fuss
über den Thalsohlen und liefert, wie bei Genf, den Beweis
eines früheren höheren Laufs der Gewässer, die nun nach und
nach ihr Bett sich eingetieft haben. Da solche Gebilde in
onsern Alpenthälem vorkommen, darf man mit Grund schliessen,
dass zur Zeit ihrer Bildung das Alpengebirge bereits dfe
Hauptform angenommen hatte , die es jetzt besitzt und die
Thalungen bereits , wenn ' auch weniger tief als jetzt , ihre
Furchen zu ziehen begonnen hatten. Indem solche Terrassen
staffelformig an den Thalgehängen * bis zur jetzigen Sohle
sich herabziehen, verbinden sie die Erzengnisse einer älteren
Periode durdi allmählige üebergänge mit den Alluvionen
der Jetztzeit. Bei uns fehlen darin organische Einschlüsse,
welche bei Genf vorkommen. Wenn hier neben Elephas prir
migenius und Cervus tarandus üeberreste von Mtxstadon
gänzlich fehlen, so scheint diess ein neuer Beweis dafür
zu sein, dass letztere Art in Europa früher ausstarb, als in
Nordamerika.
Von ganz besonderer Wichtigkeit auch für uns sind die
Erzeugnisse der sogenannten Glacialzeit, welche Favre
mit besonderer Vorliebe und Gründlichkeit beschreibt. Er
giebt zugleich in grosser Vollständigkeit eine geschichtliche
1) Geogn. Beschr. d. bayer. Alpengebirges und seines Yorlandet
von C. W. Qümbel 1861.
40*
t606 Sitmmg der math.-ph^a wm Clame 7. Deiember IMT.
Entwicklung der sogenannten Eigzeitthe orie^ am de dann «hh
zeln kritisch zn beleuchten n§d um endlich fflr die AnnabiDe
die schlagendsten Gründe aua dem reichen Schatze seiner
Erfahrungen aufzuhäufen, dasa die ungeheure Ausdehmuc
der Oletscher, selbst bis über den üenfersee hinaus einlach
aus dem Zusammentreffen einer Eleihe nasser Jahre mil
reichem Schneefall, wie sie bisweilen jetzt noch eintretea,
(1816 — 1818), wie sie früher einmal vielleicht im verstärktea
Maasse und länger andauernd sich gezeigt haben können ia
Verbindung mit der grösseren Höhe, welche das Alpengebirge
i)ei Beginn der Quatärzeit ohne Zweifd eingenommen haben
muaSi als alle Gesteinsmassen, welche jetzt die weitauBge-
dehnten Ebenen vor den Alpen als Geröll und Schutt eriullea,
noch nicht aus demselben fortgeführt worden war, zu er-
klären sei. Auch mag die gesteigerte Verdunstung der bei
der Alpenerhebung aus der Wasserbedeckung aufgetauchten
ausgedehnten Ländermassen viel zur Depression der Tem-
peratur beigetragen haben. Wir finden kaum irgendwo eiab
lichtrollere, ruhigere und vollständigere Darstellung aller
hierher gehörigen Erscheinungen und deren ErklärungsweiBen
als in dem diesem Gegenstand gewidmeten 10^ Capitel, nadideai
der Verfasser in den vorausgehenden Abschnitten vorerst die
Thatsachen genau beschrieben hatte, welche im Gebiet seiner
Darstellung zu beobachten sind. Es sind hier eine Meqge der
interessantesten Beobacht^ingen zusammengehäuft, auf Grund
derer er sich gegen die Annahme mehrerer Eiszeit-
perioden ausspricht und das Vorkommen von geschiditeten
Lagen oder von Lignitflötzen zwischen zwei Glacialschntt-
massen, wie bei den Lignitflötzen von Dümten und Dtznach,
nur als Folgen einer Episode eines Gletscherrückzuges und
erneuten Vordringens zu erklären versucht Wenn nun die
allgemeine Vergletscherung unseres Alpengebirgs während
der Diluvialzeit schon längst keine blosse Theorie mehr ist,
sondern zu einer wisssenschaftlich festgestellten Thatsache
GümM: Dit geognost, VerhäUnisse des Mtmt-Blane ete. 609
rieh erhoben hat, so sind doch mit derselben an verschiedenen
Stellen des Hochgebirges und seiner Vorländer so vielfach
verschiedene Erscheinungen verknüpft, dass es gewagt er-
scheint, den Verhältnissen eines Theils derselben zum all-
gemein gältigen Master für die Glacialerscheinungen aller
übrigen Theile aufstellen zu wollen. In der Gegend des Genfer
See's und im benachbarten Alpenstock lassen sich die Glacial-
erscheinungen an jetztnoch bestehenden Gletschern bis in die
Ebene herabverfolgen: Gletscherschliffe, Moränen, erratische
Blöcke, Oladalschutt und es scheint mit Recht hier angenom-
men werden zu dürfen, dass einst der Khonegletscher oder
wie diese Quatärgletscher sonst heissen mögen, bis zu einer
fieefiäche herabgereicht, diesen selbst bedeckt und dadurdi
moglidi gemacht habe, nicht nur, dass erratischexBlöcke,
weläie unzweideutig aus dem Mont-BIanc - Ui gebii^gsstock
stammen, über die Seefläche hinüber bis zum Jura transportirt
wurden, sondern dass auch die Vertiefung des Seebeckens,
weil mit Eis bedeckt, nicht mit Schutt ausgefüllt worden sei,
sondern sich als Seevertiefung nach dem 3Vegschmelzen des
Eises bis in die Neuzeit erhalten habe. Die Persistenz
vieler Voralpenseen ist unzweifelhaft durch diese Vergletscher-
ung bedingt; ohne sie würden dieselben mit Gebirgschutt
eingeebnet worden sein, wie der übrige Theil der alpinen
Hochebenen. Auch von dem fiodensee glaubt man das Er-
lalltsein mit Gletschereis als Grund annehmen zu müssen,
dass er sich bis in die Gegenwart erhielt, obwohl ringsum
so grossartige Gerölhnassen angelagert wurden, die ihn aus-
anfallen vollständig ausgereicht hätten. Der höchst merk-
würdige Fund von Steinwaffen und Rennthierknochen bei
Sehussenried am lUnde einer Moräne, oder doch einer
Glaeialschuttmasse, welche von Fr aas angehend geschildert
wurde, spricht sehr zu Gunsten dieser Annahme. Auch liegen
erratische Blöcke weit verbreitet in dem Hügelland nördlich
vom Bodensee. Besonders schwierig wird es, die Gladal«
610 Siteung der fMAh.'phys. doMe vom 7. Dezember tB€7.
^cheinimgeQ weiter östlich vom Bodensee in jenem bergigen
Vorlande zu verfolgen, in welchem die weichen Molasse-Sand-
steine, Conglomerate und Mergel so sehr Torherrschen. Fehlt
es auch hier nicht an einzelnen sicher erkennbaren MoräneD^
wie z. B. bei Iramenstadt von der Hier seitwärts vor der
breiten Mündung des Thals, wo dasselbe aus dem Hoch-
gebirge heraustritt, so scheinen doch weder die Ealkgebirgs-
schichten noch die Molasse fest genug oder gegen die Ober-
flächenverwitterung zureichend widerstandsfähig , um die
Streifeneindrücke, wenn Gletscher über sie hinweg fort-
schreitend ihre Furchen gezogen haben, bis jetzt sichtbar za
erhalten. Ueberhaupt ist es -sehr bemerkenswerth, wie selten
man in diesen allerdings fast blos aus kalkigen Gesteinsarten
aufgebauten Alpengebirgstheilen auf glatte oder gestreifte
Flächen stösst, die sich mit einiger Sicherheit als Gletsdier-
schliffe deuten liesseu.
Die zweite Reihe der Glacialerscheinungen, die
confuse Gemenge von meist scharfkantigen und gestreifteii
Gesteinsbrocken mit Lehm, welche als Ueberbleibsel der
Moränen beim Rückzüge der Gletscher zu betrachten sind,
erlangen in unseren Alpen ebenfalls nicht den so scharf
ausgeprägten Charakter, wie in den westlichen Alpen, yfji
begegneten auf unseren geognostischen Wanderungen sehr
zahlreichen Ablagerungen wirr durch einander gelagerter
Brockengesteine in den yerschiedensten Gegenden. In den mit
Molassegebilden erfüllten Ebenen, in welchen neben Sandstein
und Mergel die aus Urgebirgs- und Kalk-Rollsteinen gemisdit
zusammengesetzte Nagelfluhe ungemein häufig ein mächtaga«
Glied der Tertiärformation ausmacht, unterliegt es ganz be«
sonderen Schwierigkeiten, bei solchen Geröllschüttmass^ za
unterscheiden zwischen ächten Glacialgebilden und den dorcfa
Auflockerung der benachbarten Nagelfluhschichten und durch
Vermengung mit verwittertem Mergel der nächsten Nähe
entstandenen Schutt- und Triimmermassen, weil denselben die
<9flNiM: Die peognost. V&rkäU^nm des Manif^SUme etö. 611
zwei diarakteristnchen Kennzeidieii des aohtm Gletecher«
eöhuttes, y^scharfkaiitige und gestmfte Geetdiisbrockeii'^ fehlen,
Tidmehr deren Bollstücke vollständig abgerundet und glatt
erscheinen. So begegnet man in den Allgäuer Yorbergeti
zwischen Bodensee, Immenstadt und Kempten ziemlich häufig
aolchen Schuttmassen mit abgerundeten BoUstfioken ?on
zweifelhaftem Charakter. Die Schwierigkeit der Unterscheid*
uog wird hier noch durch den Umstand vermehrt, dass die
znnädist diesem Distrikt angeschlossenen Hochalpen aus Mo-*
lasse mit zahlreichen Nagelfluhbänken, (Biedalphom 66180
bestehen, und dass man in deren Vorland einheimischci von
weiter aus den Molasse-Alpen hergelwachte Gesteine nicht
unterscheiden kann. Auch im Kempter- Walde dehnen eich
zwischen mächtigen Versumpfungen Lagen von Lehm mit Ge*
zollen z. B. bei Bodelsberg aus, die fiir Glacialgebilde gehalten
werden können, während am Südgehänge desPeiss^bergs eine
sdir mächtige Schuttmasse von wirr durcheinander gemengter
Bollstücke und von Lehm mit grösserer Wahrscheinlicbkett ak
ein Zersetzungsprodukt der dort unter steilen Winkehi auf-
gerichteten Molasse und Nagelfluh des Unteigrundes zu be^
trachten sein dürfte.
Eine andere Erscheinung in unseren Alpen, die idi unter
der Bezeichnung Hochgebirgsschotter (S. 802 meines
Werkes) zusammengeiasst habe, -nimmt unsere Aufinetksam^
keit in gesteigertem Maasse in Anspruch. An zahlreichefi
aeihr hochgelegenen Orten unseres Kalkalpengebirgs breite^
Bidhi meist ccmfase Schuttmassen mit stark abgerolltem
Urgebirgs« und Kalkhroeken aus, die nach ihrer hohen
Lage (Ins 5000' ü. M.) und ihrer Unabhängic^eit v<m de»
Bestände der jetzigen Thalungen unbedenklich als Gletscher-
gebilde angesehen werden müssten, wenn sie nicht nur abgerollte
Gesteinsfragmente in sich schlössen. Besonders ausgedehnt
sind diese Schuttmassen S. vom Zugspitzgebirge an der Leut*;
aseh gegen das lanthal und in jener Gerölllage auf dem SatM
<I9 flüimif iet nMk'i^hiiß$. iOUme tarn 7. JkgmSUr iWf.
aorBochalp» iib Wücbn-Kaiaergebirge (4200') mit TöUig ab*
geiiiadeten Drgebirgsfragmenten. Mag auch noch mandie
dieser Ablagerungen bei genaueren- DntertnchaDgen ab
Gkeialgebilde gedeatfilt werden kjkineni immerhin bleibt der
Charakter in den Ostalpen gegen jenen in den Weetalpea
avSalknd Terscbieden. Gleichwohl begegnen wir anf der
andwn Seite wieder ganz übereinstimmenden Vethaltaissea^
2. B. in den lignitlagen der Ulerthalgehänge bei Sontbofen,
der Terrassen bei Gross Weil nnd Ohlstadt, in denen wir
die Analogie mit Dümten und Utznach nicht yerkemieo
kdonen (8. 804 m. W.). Leider fehlen bei uns Thierreste
in denselben I das Holz der Lignite dagegen besteht ans
Arten^ wekhe anch jetet noch hier vegetiren: Pinns sybre«^
strisy P. Pumilio (Pinns uliginosa?) Betula und das Game
der kohligen Bildung weist auf torfartige Versumpiungen bia^
Die erratischen Blöcke erfreuen sich hauptsäcblicb
auf Veranlassung Farre's jetzt einer besonderen Anfinerk*
samkeit, weil man bei der Gefahr, dieser so wichtigen ge<K
goostischen Dokumente durch den Verbrauch derselben zu
Baazweckeui als Strassenmaterial etc. vollständig beraubt zu
werden, es für nöthig hielt, genaue Karten über ihr Vor»
kiMttiaen herzustellen und einzelne der wichtigsten als National-
eigenthum für unantastbar zu erklären.*) Auch ich habe
IMl in noieinem Alpenwerice (8. 800 Anm.) auf die Dring*
Uebkeit genauer Veraeidinisse der erratisdien Blöcke hin»
geiriestti. Solche genaue Au&dchnungen werden jetzt in
einem grossartigen Maassstabe mit Unterstiitsnng der Regie»
mng sowohl m den französischen Alpendepartementen ab
aieh in der Schweiz durch die geologische Commiseion her«
3) Appel SQZ Sniases poor les engager, & consenrer les bloo8-err»>
iiqtie« par la commisaiou giol. suisse, buItI d'un projecl k nne carte
de U diiiHbtition de« bloot erratiqnes eü Suisse ISC?, imd RappoH
•lor ki IfsiPaea de k «^. da ^hytiqne de Qto^e per Fetre* iMf*
Omtbü: Die g4ognosL VwhäUniue de$ Mom-BUme $te. Slft
geflMIt und und liach den neaesten Mitifaeilnng« Favre'»
mm Theil schon ?ollendet. Ea scheint sehr angezeigt, daat
auch wir in Bayern uns diesem wissenschaftlichen Unter«
Bclmien onserer westlidien Nachbarn in entsprediender Weise
amoschliessen haben« Es sind zwar anf meiner Alpenkarto
die herforragendsten erratischen Blöcke vom Bodensee bis
znr Salzach eingezeichnet^ alleim diese Einzeichnnngen können
und wollen nicht ab vollständige gelten.
Viele dieser erratisdieD Blöcke der bayerisdien Hochebene^
Ton denen mehrere eine auffallende Abmndang an den Kantea»
nnd Ecken zeigen, sind inBezng auf ihre Verbrettungslinie m^
weilen reihenweise geordnet and meist anf den die benachbarten
Thalnngen b^leitenden S.^'N. verlaufenden Höhenzügen abge^
■etat, wie längs des Stamberger-Sees, des Inn's a. s. w. Man
nimmt gewöhnlich an, nnd Favre theilt diese Ansicht für die
Westalpen, dass die erratischen Blöcke anmittelbar in Fcnm
vonGletschertisohen auf die Stelle geschoben worden seien, wo
siejetzt noch liegen. Trotz des Widerspruchs dieees erfahrnngfr»
reichen und vorurtheilafrmen Forsohens glaube ich gleichwoU
für die Verbreitung wenigstens einer Reihe der erratischen
Blöcke des mittleren und öetlichen bayerischen Alpenvorlandes
dio Beihilie von schwimmenden Eisblöcken, welche die auf
iknen liegende erratischen Blöcke auf einer damaligen SeeflSdie
nordwärts transportirten, anrufen zu müssen. Es bestimmen
mich zu dieser Annahme sowohl eines EisschoUentranqporteSi
ak des Vwhandensenis einer Seefläehe vor den Alpen noch
iadere geognostisdie Erscheinungen, die ich später anfahren
werde.
Favre madit uns in dem Abschnitt seines umfassenden
Wefckee fiber die Quatärgebilde noch mit einer vierten vor-
gtadalen Abkgerung der Genfer Ebene bekannt, die er
^lluvion aneienne^' nennt Diese bestehen aus geschieh«
teten Lagen ovalor, abgerollter und abgeplatteter Bollst^n#
4hne Lehmzwisdienmittel, ohne Beimengung gestreifter Broefe'
614 SUMumg der uMK'phfßB, CXoise vom 7. Degember 1867.
gteteine und ohne erratische Blöcke, dageg^ mit Saod«
swiBchenlagen lose aaigehäaft oder mit Kalksinter fest Ter*
banden.
Es ist wohl nicht zweifelhaft, dass dieses alte Alln-
vium vollständig identisch ist mit dem DiluviaUSchotter,
mit dem, was wir bei uns Dilavial-Nagelflnh (siehe S. 794
m. W.) nennen. Die Entstehung dieses für unsere Hocfaflädie
mächtigsten Gliedes der Diluvialzeit denkt sich Favre unter
der Vermittlung von Waisserstxömen gebildet, welche das von
den Gletschern bei ihren beginnenden Vorrädren gelieferte
Gladalmaterial mit sich fortführten, dabei abrollten und end-
Uefa absetzten. Dass hierbei die schon vorher bestandenen
Vertiefungen der See'n z. B. des Genfersee's, nicht mit diesem
Rollmaterial ausgefällt wurde, erklärt sich daher, dass dieses
Material in Form von Gletscherschutt oder erratischen Blöcken
über die Seen geführt, zur Zeit als letztere noch von Eis erfüllt
waren und erst abgerollt wurde, als es jenseits der SecTertief*
ung am Fusse der Gletscher in die Strömung der Giesabäche
giilangte. Diese geistreiche Theorie, weldie die Möglichkeit
der Persistenz der alpinen Seen* so rollständig ei^lärt^
dürfte wohl für eine grosse Anzahl von Gebirgsseen ihre
Bichtigkeit haben. Dagegen leuchtet die Schwierigkeit dieser
Erklärung voi) selbst da ein, wo Seen weit von dem Alpen*
rande entfernt ringsum gleichsam mitten in dieses alte AUa«
vium eingekesselt vorkommen.
Wenn die Seefiiächen vom Eis ausgefüllt waren, so
können doch die Gletscher nicht stromaufwärtss das Material
geliefert haben, das schon stundenweit oberhalb der Seen als
altes Alluvium abgesetzt sich findet. Wir wollen nur dieses
einzige Bedenken, dass übrigens bloss auf unsere Verhältnisse
sich bezieht, nicht für die Westalpinen «Ebene gelten wXL^
berühren. Ein Blick auf die südbayerische Hochebene, die
4 — 5 mal so breit als jene am Genfersee und 8 mal so
breit als durchschnittlich das Vorland der Scfavreiz ist, wird
GumM: Die g99gnQ$t. VarJMBißii d€9 Mmi^BUne H9. 615
geniigeD, um m bemerken, dass hier gaoz andere Verhalt*
nisse geherrscht haben mässen, abweichend von jenen in der
We&tschwei2. Hier stand den Alpen die hohe Jurakette ganz
nahe gegenüber, bei den mittleren Alpen erheben sich da-
gegen erst weit nördlich ganz niedere Oegengebirge. Diese
weite Ebene in Bayern ist über der Molasse, welche die
Unterlage bildet, hoch erfüllt mit jenem wohlgeschichteten
DUuvialgeröU mit auf weite Strecken regelmässig fortstreich«
enden Lagen, wie sie anmöglich durch Ströme abgesetzt
werden können. Wir glauben hierfür eine allgemeine Süss«
wasseranstauung seeartig aus der fiodenseegegend bis nach
Niederösterreich reichend annehmen zu müssen, welche die
Ausbreitung der ihr allerdings Ton strömenden Wassern zu«
geführten Rollsteine besorgte. Man setzt dieser Annahme
gewöhnlich das Bedenken entgegen, dass der Damm
dieses Süsswassersee's fehle. Dagegen können wii^ mit
Zuverlässigkeit auf die Thalenge zwischen Eisenwurs
und Greinerwald bei Linz hinweisen, wo Alpen- und Urge-
gebirge sich auf eine Meile genähert haben, und einen ganz
natürlichen Damm bilden, der einen obem Donausee abzu-
scbliessen die zureichende Höhe besitzt. Unter dieser Annahme,
dass die obere Donauhochdäche in der Quatärzeit theiiweise
noch mit Süsswasser erfüllt war, erklärt sich dann auf be«
Iriedigende Weise die reihraweise Vertheilung der errat-
ischen Blöcke mit Hilfe schwimmender Eisblöcke und auch
die Persistenz vieler Seen in Mitte der Hochebene. Es ist
wohl kaum zu zweifeln, dass auch diese alle den sogenannten
orographischen Seen angehören, d. h. dass sie nicht Ero«
sioa^ ihren Ursprung verdanken, sondern gleich den Oebiigs«
seea in Folge der Gestaltung des Hochgebirge durch Schichten«
£slten oder Querspalten ihre ersten Gestaltungslinien ans«
gq^rägt erhielten und zwar bereits in der Torquatären
Zeit« Die Zahl solcher Eintiefungen in der Molasse, deren
Schichten damals noch die unbedeckte Oberflädie der Hodn
616 &HHmff der nmth.^fh^. ChtBe vom 7. Detember 1897.
ebene auemackte «ind in den Bnditungen zwischen den sa-
sammengefalteten Schichtenparlieen den Grund zu Wasser-
anstauungen l^e, ist in der südbayeriBdien Hochebene eine
erstaanlich grosse, wenn, wie es vollständig gerechtfertigt ist,
alle jene Vertiefangen mitgezählt worden, die jetzt zwar nicht
mehr in Form von Seen existiren, sondern mit Torf und
AlhiTionen ansgefüllt nnd ausgetrocknet erscheinen, abttr
unzweideutig noch w^rend der Quatärzeit oft sehr grosse
Seebecken darstellten wie z. B. das Murnauer-EscheDloher
Moor, die Kosenheinier Filze u. s. w.
Der Umstand, dass während der Neuzeit (Novärperiode)
ein Theil dieser alten Seevertiefungen eingeebnet, ein Theil
trotz den AUavionen bis jetzt wenigstens noch nicht avs-
gefUllt worden sind, deutet auf ähidiche Fälle in der Quatär-
zeit hin, dem viele Seen der bayerischen Hochebene ihre
Persistenz verdanken, obgleidi die Alpen der Ebene ub-
ermesslichen Gesteinsschutt zugeschickt haben. Viele unserer
Seen sind nichts anderes, als die Ueberreste unansgefÜlk
gebliebener Seötiefen, neben welchen hundert andere dem
Andrang der Schuttbedecknng weichen mussten, wie es
jetzt noch in den Seen versehiedrae Stellen giebt, die den
Absatz der Sedimente gestatten oder verhindern. Es sdiemt
für die Persistenz dieser Seen die Annahme einer Ueber-
gletsoherung als absolut nothweadig nidit voransgesetst werden
zu müssen.
An die Ebene schliessen sich bei äenf nun zunädist
die Molassdiügelu. Indess verbietet hier schon der beschränkte
Raum zwischen dem Hochgebirge und dem Jura eine beson»
ders Triebe Entwicklung dieser Molassegebilde zu erwarten.
Dobto reichlicher und interressanter sind die iUtcmi
Tertiärgebilde, weldie Favre in die 2 grossen Gruppe» der
eigentlichen Nummulitenschichten und in jene des at*
pinen Macigno und des Sandsteins von Taviglianaz, weMie
wir gewöhnlidi unter der BeaeiclinungFlysch znsaromenfasaen,
MmM; Die gwgwM. F«rMN»Mi« 4eß Mont-Bkm wPc. <17
theilt Dw Naohwm« daas NaanmolitoDsehichteii iiu Iomih
des Chablais, am Mont Saläve aad jm ganzen Jaragebi0(
fehlen^ während Bie in den innern Alpen sehr vwbreket yo)>
fcommea, ist von grossem Interesse, weil er zum Beweis
dient, dass vor ihrer Ablagemag bereits die ge^nntai
Oebietstheile aus dem Meere hervorragten, also relativ häber
.waren, als die inneren Alpen in umgekehrten Yerhältntss «a
ihr^ jetzigen Höhe. Aehnliches bem^ken wir auch in den
bayerisoben Alpen, wo die Nummnliteoschichten vom Kreasen-
berg und Grünten grosse Berühmtheit erlangt haben. Diidee
halten sich immer an den äussersten Hochgebirgsrand, scheinen
-aber älter als alle die angeführten NammuHtenschichten der
Westalp^, weldbbe wahrscheinlich verschiedenen Stufen und
3wrherrs(diend den jüngeren EocanschichtM angehören. Jeoe
älteren NummuliteBsdiicbteii dringen im bayerisohen Gebirge
«ie ins Innere vor, wohl aber finden ^ir, dass jüngere
NnmmuUtengebilde in einzelnen Bachten etwas tiefer ins
Lmere reichen, wie jene bei Beut im Winkel (S. 602
n. W.), welche ich im Alter den Nummulitenschic^ten 'des
Balligstock's in der Schweiz and dem Sande von Beaochamp
gleichstelle. Ihr Vordringen in Bachten beweist, dass sdion
damals wenigstens änige thalähnliche Einschnitte im Massiv
-des Ealkgebirgs bestanden. Eine dritte jüngste Nammulitai-
führende Schicht in den Ostalpen und endlich die Schichten
von Häring (S. 608), deren Alter nach meinen Untea-suehr
uagen der Thierreste nur zwischen den oberen Lagen der
ligarischen Stufe und den tiefsten Schichten der tongrischen
Stafe gestellt werden kann, steht jedenfalls den Bildungen
von Diablerets gleich. In diese Reihe scheinen nun die
meisten der von Favre aus den Westalpen so trefflich ge*
schilderten Nummulitensdiichtai stellenweise mit LignitflötaeUi
wie bei Häring, zugehören, z.B. jene von Montmin, Eatror
Temes, Petit, Bomand und Faudon. Damit stimmt freilich
aicbt, dass Favre die alpnen JAacigno stets über den üumnuk»
618 8kmmg der ma(h.^hif9. Ohne vom 7. Degmlber 1867.
litenschichten — wenn in normaler Lagerung vorhanden —
&nd. Vielleicht i8t in den Westalpen die Umatürzong snr
Regel geworden.
Da in den Ostalpen diese jttngste Nnmmnlitenstafe
anf einen einzelnen grossen Thaleinschnitt — den des Inn's —
sidi beschränkt, während sie in den Westalpen so weit
verbreitet selbst mit ächten Steinkohlenschichten zasammen-
gefaltet vorkommt , so leuchtet der bedeutende unterschied
hervor, der während der älteren Tertiärzeit zwischen beiden
▲Ipengliedem bestanden haben muss.
Bezüglich des Flyschs (Macigno-alpin) hat Favre die
höchst interessante Thatsache festgestellt, dass derselbe in2 Fa«
des auftritt ähnlich den beiden Neocomenfacies im Jura and in
den Alpen, bezäglich des Flysches jedoch zeigt sidi die Ver-
schiedenheit, je nachdem er auf Jurakalk, wie im Ghablais, oder
aufNummulitenschichten aufruht. Wir kennen eine solcheScheid»
nng in den bayerischen Alpen nicht, wohl aber die wenigstens
analoge Bildung des sogenannten Taviglianaz-Sandsteins,
von dem Favre nachweist, dass an seiner Zusammensetzung
vulkanische Asche sich betheiligte. Idi habe die analoge
Bildung als Reiselsberger Sandstein (S. 621) besdirieben
und obwohl an ihm die Betheiligung vulkanischen Taft
weniger deuth'ch, als an den Schweizer Sandstein kennbar
ist, bin ich nunmehr audi der Ansicht, dass die Feldspath-
Glimmer- und grünen Mineraltheilchen , in welch letzteren
ich ein ümwandlungsprodukt von Augit zu erkennen glaube,
von vulkanischen Gestcinsmassen herstammen. In unserm
Oebirge liegen diese Sandsteine meist in den tiefsten, älte-
sten Schichtenreihen und treten mit jenen Riesenconglome-
raten in nähere Beziehung, die ich (S. 621) vom Böigen
beschrieben habe, und deren kolossale Urgebirgsblöi^e
möglicher Weise tertiär-erratischen Ursprungs sind.
Auf dem ersten Berg, mit dessen höchst interessanten
geognostisdien Verhältnissen unsProf. Favrezunächst bekannt
GümM: Die geognoü. FwMIfitM de$ Mim^Bkme Hc, 619
macht, dem Mont*8ale?e, treffen wir bereits eine mannich-
iache Schichtenreihe jüngerer nnd besonders jnrassischer
Gebilde neben Neocomlagen , welch letztere merkwürdiger
Weise nach ihrem paläontologisdien Charakter mehr zar aU
pinen als jurassischen Facies hinneigen. Wir sehen daraus,
dass die Gestaltung und Gliederung der festen Erdrinde
früher eine yielüach andere war, als zur Jetztzeit. Von hier
fuhrt uns der unermüdliche Gebirgsforscher durch die ver-
schiedenen Gebirgsketten und Massen bis hinüber zum Mont
Jovet und den beiden Bernhard-Stöcken, um uns in allen mit
gleicher Ausführlichkeit, Genauigkeit und Klarheit die yoiv
kommenden Gebirgsglieder kennen zu lehren und ihre Struktur«-
verhältnisse deutlich zu machen. Zur besseren Uebersicht
folgen wir unserem unermüdlichen Führer zuerst in der
Schilderung der cretazischen Bildungen, welche durch die
reiche Entwicklung derNeooom* (Yalanginien, Neocomien et
Urgonien), der OrbitoUten- und der Galt-Sohichten in diesen
Gebirgsgegenden ganz besonders glänzen, durch alle die
nacheinander geographisch geordneten einzelnen Stöcke hin-
durch. Die Debereinstimmung zwischen diesen Gebilden der
Westalpen sowohl nach Gliederung, Gesteinsbeschaffenheit,
als Petrefaktenführung mit jenen , welche wir in den All*
gäner Alpen und in Voralberg kennen gelernt und beschrie-
ben haben (S* 517 — 679), ist so gross, dass wir bei den
so prächtigen Beschreibungen Favre' s uns öfters nadi Vor-
arlberg oder in die kuppenformigen Gewölbe westlich von
der nier versetzt glaubten. Diese Darstellung gewinnt noch
dadurch ganz besonders an Werth, dass eine grosse Anzahl
▼on organisdien Einschlüssen dieser Schichten von dem als
sorgfältigen Paläontologen geschätzten H. de Loriol sehr vor-
trefflich beschrieben und deren Erkennen durch gelungene
Abbildungen erleichtert ist — eine würdige Beilage zu dem.
Atlas der Profile.
Diese Uebereinstimmung zwisdien dem Genfer und
-AlgMer Qebirge an denWestgrenseii Bayerns erstreckt «dk
aber nodi writer auf die ober dem Galt folgenden jtingeran
'Glieder der Kreide- öder, wie ich voigescklagen habe, Pre*
4an-FormätioD. Denn mit allem Recht häit Fayre den auf
dem Galt zunächst Uegenden Kalk für ein Aeqniyalent des
«of. Sewen-Ealks, mit dem jene Kalkschicht die Sfifir-
Isdikfflt QDd den sehlecfateh Erhaltnngseostand der orgamscbsn
-Einschlüsse — besonders Jkocercmen — theilL loh glanbe
aber noch weiter aufs beetinmiteete in den Gebilden von dem
Gebirge der Bauges 8W. von dem Annei7*See das Aeqni-
valent d^ sog« Sewen-Mergel (S. 634) mit JBSefemfiJles?
JtGeraster cor angtrimtm der Ostalpen wieder zu erkemseo,
wodurch die Zogefaorigkeit dieser östlich so entfernter Alpen^
theile zu einem gemeinsamien engverbundenen Entwicklungs-
gebiet mehr als wahrscheinlich gemächt wird. Denn gleich
«stw3rts von den Algäuer Alpen beherrschen vollständig ab*
weieheivle Veih<aisse die Schiehtenreihe der KreidefoxmatJoR
lind ihre organischen Efnschlttsse (nehe S. 578) und hiermit
J^eginnt ein neues Verbreitungsgebiet; das ostwärts m den
•Gosaufacies hinführt.
Bezüglich der Schrattenbildiing, der sog. Plattette
dbä bayerischen Gebii^, kann ich knich auf meine Erklanmg
iß. 541) beziehen, welche mit denen Favre'« in Einklang
atehen. Dies^ Ausnagungen der Atmoq>härili0n| die sich an
-deti Gesteinsklfiften zunächst wirksam Iseigen, naterliegen aUe
mehr oder wenige horizontal liegende nnd nackte Kalk*
tdaAten des Hoohgebirgs, der Dachsteinkalk (steinernes Meer))
dSe Plattenkalke wie die Sdiratteokalke.
Mit den jurassischen Ablagerungen treten wir in sim
Gebiet, weldies die brennendste Frage der Gegenwart in sich
echliesst, die Frage nämlich über die naturgemässe Abgrmznng
der Jura- und Neocomschichten, mit deren Losung unser mir
vergesslicher Freund Oppel sich eben zu beschäftigen begafan,
iJa ein voizeitigei: Tod es verhinderte, das so erfolgreich
.Mnisterhüd^ in Aagriff gmoii^MP mr^ep; wir diirfeii ilire
4tCpiutive,96uti«irQitm4; baldigst yoranssebep. F^ivre batdlir^
«QWejBtjüMJicin nicht iv^ig m iMerFxirdeFqBg l^igiBtr^giMi. Was
j|lh«r ^4w> Scl^lderimgen dar jarassiscben S^ibicbt^n in der
Uxpgfbvng y^m Mont^Blano noch, e^hphte WJohtigk^it n^lcAt,
ist der Umstand, dass gerade in diesem Gebirg8thei}e jsiKei
der merkwüij^iigiten EntwicUimg^forio^i die alpine und die
;4^.Jw)igebiiaaisiqh,{)ei;ähren, «leichs^m yemshü^elaen, we^^
Mlbj^ebofit warden kann , daas der Gr^id dieser yiecsohiddmen
J'ltcieSi Felobe hjer |o nahe n^bisn ein^uider aiifbreteny ivn
M<sbt^sten hier erkannt wesdmi köAi^.
UmX Sii4ew imi die JSe^e dpr ^oirons iKdili^qsen siQh.«Is
ypTpQStanj;0OjgraBhi9ch an die .AI[PW #Ln. {m ^sjten tretm.fP-
.^ittaJb^r JUnter den tiefsten l4agßp der Valenginiensjkpfe (^it
i8a|ica,Z^^t»<^(^>£W ju^d EpxsallejikaDte .^f,
m^be Jjn Allgemeinen dion sog. Neripeen und Djceras<iKalken
4?dr .aomni^iA^ Jurafacies ^ntwechen. Ihre .flaune am&ist
.;mpi^kini];diger 'Weise aber bereiits einige charakteristische Artpn
4or»4Ü|pinen£i;itwickliwS9^o^u^h<^Än ^Imähliger Ueberg^^qg,
, Jcaine acjharfe Tren,nujig beidcor Entwicklungsreihen ange«€^
.9P .werd^ s<diei^t. In 4en Vojir^iis feb^n .diese KoralleakaJ^e
.md res erscheiiftt ,^er eine K^stoinbildang (^..B. bei Xio-
ill^im^), die 4sir Verfssspr früher für ein Glied dar Oxford-
,fidbQfe,bMlt,Jet2t ^ber geqqigt ist, als gleichzeitige Faciey^bildung
«mit den-^o^UmfOhichten des Mont-Sajieye der Opperechpn
ÜFJtanstpfe aozntheiljp. Die M^rzahl der au^ßfahiien ,Qr-
(g^ms<;h6n Einschlüsse nameiitliob: Ammonites plicatüis^
&üto^ ^der t^ische A. amuriuSf JBelemnUes hastatm i^nd
.ßawimifikwm lassen jedoch darüber keinen Zweifel, Hßa»
wenigstens die diese Arten nmschliessende Bänke der Oxford-
fltofe nnd zwar den tieferen Lagen den sog. Amnumites
troitöfer^ariK^-Schichten, wie die Kalke yon Gh&tel St. Denis,
angehören. W«n >9j^er Mm^^ .Wph X^«ir^t||a Jonitpr,
[1867.il 4.1 41
6^2 BiUmg dit maUhl'pkyB. Oam vim 7. Degember lae?.
(nidit diphjfa^ wie nach öpätearen MittheilangenFayre^s sidi
heraosgestellt hat,) zugleich sich einstellt, so ist es wohl
erlaubt, zu vermuthefa, dass hier, ahnlich wie an der Port
de France nach Pictet's*) neuesten entscheidenden Ansttn-
andersetzungen die strittigen Grenzschichten mit Terebraimla
janitar über den tieferen Joragliedem getrennt vorhanden
seien.
Was nnn die Streitfrage über die natnrgemässe Ab-
grenzung zwischen Jura- und Neocomschichten anbelangt,
deren Losung durch die unzweifelhafte, bei Porte de France
ermittelte Auflagerung einer Korallen-Breccie (Nr. 4 Pictet^s)
mit einer zwischen entschiedenen Neocomarten (BdemniUs
latus ^ Minaret und OrbignyanuSf Amnumites privasengis,
Caiisto^ Terebratula Euthffmi aus den Berriasschichte, und
PeUastes spec.) und unzweideutigen Juraspecies (Terebror
tidina stUfsiriata, MegerUa pectunctUoides und eine Reihe
▼on Echinodermen , die £Eist ansschliesslidi jurassisch sind)
getheiltei^ Faune aber den Lagen mit TerebrcUala janUar
und einer Reihe von Ammonitcs-Arten mit Neocomdiarakter
(Nr. 2 und 3 Pictet's) auf neue Schwieriglcdten zu stossen
scheint, so dürfte diese Vermengung einer älteren und jüngeren
Faune in den Grenzschichten gewisser Gegenden kaum
befremden, wenn man die natürliche Entwicklung der Faunen
in den aufeinander folgenden Perioden im Auge behalt and
nicht der Ansicht huldigt, dass die Fauna eine ältere Schiditen-
reihe plötzlich vertilgt und eine neue Fauna für die jüngere
Schichtenreihe geschaffen worden sei. Solche strenge Scheid«
ungen existiren allerdings da oder dort, aber sie sind von
nur örtlicher Bedeutung. Die Bildung von Sedimenten ist
auf der Erde stetig fortgegangen, wie die Entwicklung im
8) Noiiee sur les calcaires de la porte de Fnnce in d. ArehiTet
d. IC. de la bibliotb^ue an.-do Genive, Oct. 1867.
OümM: Die 09ogno§t. VerhäkniiH da Mm^Bkme ete. 633
Tiiier- and Pflansenreidi. Wo dieser Bildangaprooess nnge-
Btört und ohne gewaltsame Unterbrechungen an dem Orte
der Ablagerungen oder in der Nähe fortschreiten konnte,
werden weder disoordante Uebereinanderlagerungen zu sehen,
noch eine plötzliche Aenderung in den Arten der oi|;aa«
ischen Einschlüsse, als Repräsentanten der jeweiligen Fauna,
-SU bemericen sein. Die Fauna ändert sich dlmählig mit der
aUmähligen Vermehrung der Schichtenlage. Wo wir strenge
-und plötzliche Fonnatio'nsgrenzen beobachten, ist diess ein
Zeichen von Störungen und Aendemngen in Verth^ilung Ton
> Land und Meer, welche in der Nähe eingetreten sind. Strenge
Formationsgrenzen sind doch nur localer Natur, auch wenn
sie fiber ganze Continente liindurchreichen sollten. Auf der
Erde als Ganzes reihen sich hier oder dort die Gebirgs-'
glieder unmittelbar mittelst allmähliger Uebergänge an ein-
ander an; für die Erde als Ganzes giebt es keine strengen
und plötzlichen Formationsgrenzen. Aber gleichwohl yerlieren
diese, mp sie existiren und innerhalb gewisser Territorien
-nichts an ihrem hohen wissenschaftlichen -Werihe, weldien
wir ihnen mit Recht beimessen.
Wie aber ist es möglich, dass selbst innerhalb Schichten-
reihen, welche keine Diskordanz zeigen, sondern das Zeichen
des ruhigsten stufenmsässigen Entwicklungsganges an sich
tragen, denn doch plötzlich neue Arten, wie nicht zu läugnen
ist, auftauchen? Wir wollen hier gftnz absehen von der
möglichen Umgestaltung der vorher vorhandenen Arten. Die
Vertheilung der einzelnen Formationen oder einzelner Glieder
von Formationen über verschiedene Theile der Erde, die
Störungen in der Lagerung, die sie erlitten haben, setzen
es ausser Zweifel, dass fortwährend auf der Erde Disloka-
tionen der festen Rinde, Senkungen und Hebungen statt-
&nden, bald von geringerer, bald von grösserer Ausdehnung
und Erstreckung. Damit erlitten die Meere, die Hauptträger-
innen der Sedimentärgebilde, in ihrem Umfang und in ihren
'•69^ jHitBmmp ^<ter*iiiai^.4f%«. Omme' vom T. Detmfher IMT.
Vet'bindiiDgen vieltiche AenderuDgen; früher verbm^eBe
>Ml3ere wurden in einzelne Becken getrennt, frtäier gietremile
Beokm in Verbindung gesetet und vereinigt. Dnrdi sokbe
Aeudemii^en , welche selbst luif sehr grosse Entfernungen bin
•lihre Wirkungen fühlbar machten , erhielten gewisse Meerafe*
4h6ile neuen Zuwadhs an den ihnen vorher fremden Arten,
ivie verloren unter Umstanden einige» der früheren Beding-
>angen , iimter welche diese oder jene Art in äinen M>en
deonnte, ihre Niederschläge dokumentiren innerhalb ^der OrenK-
igebiQte dieser Aenderungen in der Vermengong alte typiechar
und neuer fremdartiger Formen solche Vorgänge Jier ver-
iiindeiien Oberflücbengestaltong, welche an andern SteHan
der flBfde nidit oder vn anderer Weis^ eingetreten sind. Aaf
-diese ^IVeise scheint uns die Thatsache eine Vennengung von
-lypisofaen Arten verschiedener Formationen in Grenasohiditan
tan igewissen Stellen der Erde nicht nur uicht auffUHg,
iisondam vielmehr nothwendig.
Aehhliche Betrachtungen gestatten vielleicht jauch •fie
>eigQnthümlichen Verirältnisse bei den Grenxgebilden der Joia-
nnd Neocomschichten der westlichen Alpen, ^dte wir so 6bin
fberiihrt haben, zu erläutern.
Wie schwierig und verwickelt diese Untersuchungen über
idie jurassischen Gebilde des alpinen Gelnrgssystems aiitf,
«das identen schon die. petvogra^ischen und ^päläontologiscfaen
.Differenzen an, welche bisher in den gleichen oder doch
nihe entspredienden Schichteareihen an den versdiiedenstsn
Stellen der Alpen beobachtet wurden. Selbst in den fernsten
Karpathien taucht auf einmal wieder ein Facies in den sog.
Stramberger-Schichten auf, welche die merkwürdigsten
Analogien mit den Ealklagen der Westalpen besitzen.
Die Spuren dieser Bildungen an der oberen Grenze
der Juraformation führen uns durch die ganze ästlidie
Schweiz, durch Voralberg, wo bei Au und an der Canisfinh
ein leider trostlos armer schwarzer Kalk, nach Oppel mit
CHtrnU: üif fieagmti. YerkäÜmistü iIm MmirJBUme eU.
JtnmMitea Caii$t0^Shnhcbea Cephalopoden : die obn
mittelbare Unterlage der NeocomsohicbteD ansmadit (an dar/
Wonseralp in prächtiger EnthlÖHSimg) and sich mit den für
die bayerisdien Alpen so charakteristischen Ap4ych6n*reiche2t'
Ammergauer-Wetiateinschichten in Verbindung tritt, dass.
weiter zum rotheu Ruhpoldinger Kalk bei Traunstein, in.
welchem das glückliche Auge Oppels eine Seihe seiner
titonischen Jmmoniten^) neben einer Terebratula aus der
Gruppe der diphya entdeckte» gleichfalls mit den Aptydbei^
Bchicbten als Hangendes verbanden bis zur Salzach, wo graue,
den Aptychenschichten ähnliche, hornsteinreiche Gebilde, die
aeg. Oberalmer*Schichten, oft mit äusserst dichten, dem.
lithographischen Kalk ähnlichen Lagen und Cementmergel
anmittelbar unter den sog. Rossfeldschichten (Neooombildung)
dardi zweifmchige Bdemmteny Aptychen mit knieförmig
gebogenen Rippen , und Ämmonües subfimbriatuB neben ja«
rassischen Formen unzweifelhaft dieselben Uebergangsglieder
nepräsentiren, welche in nnsern Alpen hier am ehesten weitere
An&dilüsse über diese Qreuzschichten zu geben versprechen.
Es ist höchs auffallend, dass in dem ganzen Alpenzag.
die ältereren jurassischen Stufen unter dem sog. Oxford«»
ludk nur dürftig entwickelt sind. Eine Ausnahme macht der
Kalk mit den ckarakteriatischen Kelloway- Versteineruugen,
dem unser sog. Vilserkalk, und die Kalksdiicht mit der ao
bezeichnenden Posidanomya alpina. Favre war so glück*
lidit diese Bildungen an zahlreichen Orten zu entdedcen, in
IfSk&i Yon Chanaz, bei Seyssel mit einer glänzenden Reihe
Ton Ammoniten. Von noch grösserer Widitigkeit ist daa
Auffinden noch älterer Schichten (fiathr und Unter-Oolith)
mit. dem in. den Alpen so seltenen AmmomUa Parkinsmii^
IfiMtvAMOfioe, Emmphresiarnui u. A« Alle dieae Stufen bildea
i) Geogn. sataeeniU lüttheil von BeaeelML 8.262.
626 Sikfmg der mtOh.'phfM, ClMte vom 7, DeMembtr 18^%
ein fast aiitreiiiibares System yon sdiwanslichem Schieferthon,
von grauen and schwärzlichen Kalken oder Mengdschiefer
und dankelfarbigen Sandsteinlagen, in welchen man weitere
Schichtensysteme nicht zu unterscheiden im Stande ist
Dieser Nachweis ist eine namhafte Errnngenschaft für die
Alpengeognosie.
Dieser tiefere Dogger verbindet sich stellenweise mit
noch tieferen Lagen von ähnlicher petrographischer Be»
schaffenheit, die jedoch durch organische Einschlüsse sich als
liasisch kennzeichnen. Die dunkelfarbigen Mei^elschiefer
der oberen Liasstufe stimmea aufs genaueste mit den Schiefer-
bildungen, welche ich Algäuschichten nenne (S.435 m. W.).
Ich habe bei denselben bemerkt, dass, da in den bayerischen
Alpen bisher keine Spuren von älterem Dogger beobachtet
werden konnten, in der Reihe dieser ein scheinbar unüieil*
bares Ganzes ausmachenden Algäuschiefer wahrsdieinlich die
Aequivalente der Doggerformation mit eingeschloes^i
sind. Diese genauen Schilderungen der oberen Liasschicfaten
in den Westalpen (mit Ämnumites Aalensis und Ihocerammg^
Folgen) macht mir diese Ansicht nur um so wahrscheinlicher.
Ueberhaupt scheint der Lias des Genfergebiigs viele Deber-
einstimmung mit der lias in unseren Alpen zu haben, 4>b-
wohl die Fauna ganz ausseralpinen Typus an sieb trägt und
nur Amnwnüea Boberti^) Hauer (nicht Ooster) als ausschlieBS-
lieh alpine Art beherbergt.
Auch die rhätischen Stufe, für weldie Favre mk
der Stoppani'schen Bezeichnungsweise Infra-Lias bedienti
(obwohl wir uns sonst in Vielem in höchst erfreulicher Weise
mit unsem Ansichten in Uebereinstimmung befinden,) ist ia-
ihrer grossartigen Verbrettung innerhalb der Westalpen dem
scharfen Blicke Favre' s nioht entgangen. Seine Mittiieiluiigea
6) Ammoni^ diteohdix StoL ist mir nicht bekannt.
Gümbd: Die geognot^. FistMiMw dm «onMHofio «lt. 627
liieriiber sind sehr urnftmeod and bdebrend. Bezaglich der
organischen Einsohlfisse hält sich der Verfasser ganz an die
Bestimttiungen Stoppani's. Wir wollen desshalb, obgleich
sie nicht in Ueberstimmnng stehen mit unserer Anffassong,
nichts weiter bemerken. Wenn aber der Verfasser, die An-
eichten Stoppani's and die der meisten französischen Geo-
logen theilend, als mit bestimmenden Grand der Zntheüang
der rhätischen Schichten zar Liasformation das Vorkommen
▼on einer Bdernniten- und einer Mstoparhi/imS'&pecie^ an-
führti so sei mir erlaabt, obgleich diese Frage schon so yielfach
discatirt worden ist^ hier noch einmal mit wenigen Worten
daranf zurück zu kommen. Zum Voraus sei bemerkt, dass
das Auffinden eines so schlecht erhaltenen Steinkem's, über
dessen Natur man überhaupt noch in Zweifel sein mnss, wie
jener eines unsymetrisdien Echinodennen — Metopotlmus^
bei der Entscheidung der beregten Frage wohl in Ernst
nicht in die Wagschaie gelegt werden darf. Auch das erst-
malige Erscheinen eines Bdemniten kann nicht befremden,
so wenig wie das Vorkommen von OrUhoceraiiten im Lias
Ton Adneth. Wenn man bisher die Gründe angeführt hat,
welcbezu Gunsten einer Zutheilung der rhätischen Schich-
ten zur Liasformation nadi der Vergleichung der beiden
gemeinschaftlichen oder analogen Species zu sprechen scheinent
hat man immer yergessen, mit gleichem Maass zu mes^
san. Man zahlt auf der einen Seite die gleichen oder ver-
wandten Arten in zwei Schichtenreihen, die unmittelbar
aufeinanderliegen, welche mithin in der Zeit ihrer Entstehnng
unmittelbar und in demselben Meere entstanden aufeinander
folgten, während man auf der anderen Seite zu einer Ver-
(^eichung mit älteren triasischen Faunen wenigstens bis in di«
Lettenkohle oder gar bis in den MuseheUmlk hinabsteigen
moss, in Faonengebiete, die, Tergleichsweise za sprechen, viete
hunderttausend Jahre, früher ezistirten und den rhätischen
Torausgiengen. Die liaaische Fauna dagegda reidit dieier:
oft^tMlKltf die Haofdi Ist' eine solche Vergieieh ungleidi^
W€¥ih{geii Verhaltiiifise wisseBSchafUich exakt uBd zidSttig?
leb' glaube niäit; Es Men dannt eagleidr mA die die
OHMde^^dei^Zatheihiiigder rhätiechen Stafb zur lAairformatkm.
Wenn matf richtige Zahlen gewiniMi will, so nmes mas
Vergleiehtingen der Fauna zidien, die nabeln gleidi weit in
dir Zeit ihrer Bildung 'von dem Vergleieheoentriitt abetehee,
uild diese wäre nnr mögtieh, wenn wir eineFaona benlteeD,
kdtmten; die so tief — idi gebrandie dieeeo Aoedrnds mir figOr-
li^*-ifnter dem rfaliliBehen Schiehtencomi^eK läge,' wie die der
niteren liae^diten darüber, also etwa dieFaona des rothe*
BelodoB'Kenper^B. Aber würde man sich nur die Mühe nehmen,
di& rhätiscfae Fann» der tieferen Kenperediichten in den Alpeft
mi^' jener der sog. Baibier Schichten oder des Kalks tom
EshNf in Vergleich zo setzen, ohne dabei zu vergessen, dass
zwildien beiden die ungdienre Masse des Hauptdolomifei,
deir einer unermesslich langen fiildungszeit entspricht^ liegt^
so^Würde man den triasisohen (ftarakter der rhätisehen
Fauna, im Sinne meiner Erläuterungen über die Qrens-
scMchten der Jura* und Neocombilduagen gewiss nidit TSr*
keimten können. Wer die ausseralpinen Verhältnisse, wdlehe
z^fteben' dem Böde*b#d und den tiefen Keoperlagen so mi*
zweideutig beet^en, kennt und würdigt, wird ansserdem
nkht im Zweifel sein, dass dieses ganze Sdiicfatensystem eis
ziKtmiMngehöriges jOanzes ausmadie und am natwrgemässe*
stiK als efaie besondre Stufe der triftsisi^hen Fofinatisif
flMNirefiien sei.
Die Entdeokmig und der Naohwtts von obeiren Tri»»-
frOhichten, we)^ dem Kenper an Alter zu vergl«i«btn
SM, m den westlichen Alpen verdankt die Wisseniohalt
glekhfall» de« UniersuohiAgen Favre's. Dersrib» hatto
dies« MäiAtten sdts» vor mehreren Miren-fcsmisu gelskrti^
AMt llegl MS hiirfiber eioe vollstXndige und MttfttarMui:
Bmihuartsip itf mm Eiaüikeitsil des Vorkommens tori dl»
aoBi eme siinr klare Eiosidit gestuttot. Wir finden nam^nt*
lidi darin als wesentliches Glied Gyps mit Ranchwalk» an-
geftilirt; neben Arkose, Quarait, rothen and grünen eben«
hftltigen^ thonigen Schiefem, die, weil ohne Versteinerangen,
nicht mit Sicheriieit den alpinen Buntsandstein oder
Werfener Schiefern d^ Ostalpen gleichgestellt werde»
kimnen. Ebenso fehlt es an dentlidien Spuren der Muschel*
k«lkbildung. Die auftretenden Dolomiten entspredien eine
der mächtigen Dolomitenreihen in den Oslalpen, wekbe hier
zwischen dem unteren Trias und der rfaätischen Stufe^
eingelagert vorkommen. Auch die Vei^esettsehaft von Qjpf
und Bauhwacke lässt eme nähwe Vergleidiung mit denVei^
bältnissen in unserem Hochgebirge nicht zu^ da wir hier
drei wesentlich verschiedene Gjrps^hrende Horieoate im
obersten Buntsandstein (Roth), zwischen Raibler Scbichten
und Hanptdolomit^ und endlich in den rhätisohen Sehichteii
selbst haben. Am mefeten Wahrsdieinlichkeit hat es für
sich, die Gypsbildung der Westalpen dem mittleren Horizont
asizugleichen, welcher ziemlich mit den Gypsablagerungen in»
den tiefstmi Stufen des bunten Keupers ausserhalb der
Alpen (Gangyps->Stufe) üb^ oder mit den dortigen Stell*
vtertretern der Raibler-Fauna das gleiche Alter theilt.
Wir gelangen so abwärts in der Schichtenreihe steigende
an jene sogenannte Anthraoitbildung der Westalpen».
wdche seit ihrer ersten wissenschaftlichen Entdeckung daroh
ä Elie de Beanmont (1828) das Interesse aller Oeog»
noeten dadurch auf das Lebhafteste för sich in Anspruok
nahm, weil daselbst ächte Steinkohlenpflanzen mÜ
Sditen Lias- sogar mit tertiären Uebsrresten zusammen-
gelagert vorkommen seilen. Man hat, um diese Aooautli«
alle sonstige Beobachinngen in den Schichten, welche^
der BezeicbBung Anthrazitbildung der Taren^
tftlse bekannt sind, zu erkiär^, vide Theorien auigestotll
tfnd' zu den wirklich abenteneriidisten'AnskiuiftsBiitteln aeim»
680 SiUtmg der malh,-phfßß, Ckme wm 7, DeMmber IMT,
Zuflucht genommen. Selbst die Barrand e'schen Eolimiea
hatten kaum das Licht der Welt erblickt, als sie znr Er-
läuterung der Anomalie in der Tar^taise herbeigeEogen
wurden. Favre behandelt diesen Stoff sachlich und ge-
schichtlich mit einer Gründlichkeit, die diesem Forscher rar
höchsten Ehre gereicht. War er es ja, welcher zuerst (1858)
nicht bloss behauptete, soudem deutlich nachwies, dass die
unzweifelhaft ächten Steinkohlenpflanzenreste- enthal-
tende Lagen getrennt sind von den Liasversteinerungen-
führenden Schichten und dass beide Systeme nur durch
Schichtenstörungen, Zusammenfaltelungen und Ueberkippungen
in scheinbare Wechsellagerung versetzt und stellenweise so
übereinander gelagert vorkommen, dass die ächten Carbon-
schichten oben und die Liasschichten unten liegen.
Der verdienstvolle Alpenforscher hatte die Genugthuung,
dass die Versammlung von Geognosten, welche 1861 zur
Prüfung dieses so wichtigen, wie schwierigen geognostisdien
Problems unter S tu der 's Leitung in einer ausserordent»
Ijnhen Sitzung der geologischen Gesellschaft zu St. Jean
Manrienne zusammengetreten war, nach sorgfältiger Prüfung
an Ort und Stelle sich ganz den Resultaten Favre* s an«
schloss und Studer die Streitfrage für definitiv erledigt
erklären konnte. Wenn aber irgend noch eine Spur yon
Bedenken übrig geblieben sein könnte, so würde diese durdi
die neue^ klare und erschöpfende Darstellung Favre' s, die
von zahlreidien deutlichen Profilzeichnungen erläutert wird,
YoUständig verscheucht sein. Dieser Abschnitt ist ein wahres
Muster fiir die Behandlung geognostisdier Fragen.
Die Kohlengebirgsschichten lagern zum Theil
wenigstens auf noch ältereni den krystallinischen Schiefem
oft ähnlidien Schiefergebilden, die in den inneren TheUea
des Hochgebirgs mächtige Verbreitung gewinn«i. Da sichere
Andeutungen der präoarbonischen Reihen des Bergkalks der
Devon- und Siluilormtftionen bisher hier nodi aicfat erkannt
worden sind, so könate man solche alpine Thonschiefer
für Aequivaleate solcher älterer Oebirgsglieder halten; in-,
dess fehlt jede Spnr organischer Einschlüsse, die eine solche.
Annahme rechtfertigen würde.
Die grosse Reihe dieser thonigen Schiefer yon,
von mehr oder weniger krystallinischer Textur, die man als^
Mont Genis- oder Casenna- oder graue und grüne Schiefer
bezeichnen kann, wie zwischen Flumat und dem Thal der
Isere und^ um Megene, verlaufen in kfilkige, chloritische
Glimmer-führende Schiefer und in wahren Glimmer-
schiefer, die ihrerseits wieder aufs innigste dem Gneis s.
sich anschliessen. Alle diese krystallinisohen Schiefer^
bilden ein Ganzes, in welchem einzelne Graphit-reiche
Lagen, dann häufig kömiger Kalk stets nur in deutlichen
Zwischenlagen, wie der Serpentin, eingeschaltet sich finden.
Favre war auch so glücklich in dem serpenünhaltigen Kalk,
im Mattenbach bei Lauterbrunn in der Jnngfraukette zwischen.
Gneisslagen EoMOcn aufzufinden. Wir erkennen aus diesen
Schildeningen das Abbild der Verhältnisse, welche sich auch
in den Urgebirgstheilen des bayerischen Gebirge N. der
Donau beobachten lassen. Selbst Eklogit- Einschlüsse hat
Favre in der Nähe des grossen Gletschers von Trient be-
obachtet.
Der Gneiss, namentlich die Gneissabänderungen mit
grünem Glimmer, die sogenannten Protogingneisse vw-
binden sich so innig mit gewissen granitischen Gesteineni
dass man beide blos für Formen derselben Gebirgsart halten
muss. So erscheint der Granit, den man wegen seiner,
charakterischen Gemengtheile Protogin nennt, mehr gegen
das Gentrum des Mont-Blanc Stockes, die geschichtete Ab-:
ändemng m^r gegen Aussen. Dieser Protogin selbst in.
maer Granitform ist stets in dicken Bänken gesondert und
gehört mithin denjemgen kristallinischen Bildungen an, dio,
ich als Lagergranite, beseiohne. Meine Untersuchungs*
602* 8äih0tsrd9r mMi-fh^^ CkmB&vom 7; Deaemh» lS9r.
rerakate Steher» io didB^ Beaiebung ixt yoUer UebereintUi«'
tretmg. mit den AoBieliten Favre' b, wenn er die berrsdienie
FftralleUtmktor der krTBtallinkehea Schiefer für ädit»
SchichtUDg, und nicht fiir Folge einer Schieferung hi<,
d^eu wahre Ursache ond Wirkung der Verfieisaer sehr wohl
kennt nnd an den Schichten zwischen Tete noire und dem
grossen Tnnnel treffiieb beschreibt. Die steile Aufrichtung
dieser Sdiiditeu und Lager verursacht das Wiidaackige diese»
Qebirgs und das häufige Vorkommen von Spitsen und
Madeln, während andere Granitgebirge steh durch abge-
rundete Formen ausseidinen. Auch unsere nordbayeriscbeii
Gebirge beherbergt einen Protogin-artigen Granit, bei dem
jedoch die weiche talkähnliche Beimengung nicht aus Talk
besteht, sondern dem Onkosin und dem Steinmark entspricht.
Bei den allerdings wenigen Mustern von Protogin aus
dem Mont-Blano Stock , - die mir zur Verfügung stehen,
seigt es sich äusserst schwierig, die griinUche für Talk«
ancusprediende Substanz ganz lein von Feldspath oder
Glimmerschüppchen zu befreien. Die erhaltenen Reaktioaes
sind daher nidit zuverläs^g genug, um über die Natur
dieser Beimengung vollständig ins Klare zu kommen. lob
fand indess, dass möglichst reine Splitterchen vor deat
Löthrohr nicht völlig unschmelzbar sind, dunkler werden
und mit Kobaltlösung Spuren von blauer Färbung annehmen.
Es möchte daher diese Substanz ebenfalls zu den Steinmaik*
ähnlicfaen Beimengungen zu rechnen sein.
Wir folgen dem Verfasser aua dem Bereich zahllaser
einzelner Beobachtungen, die er in der Natur angestellt und
besGglich der Richtigkeit seiner Aufiaasung durch hnndait
iäfnliche Profile coiitrollirt hat, endlich auf das Gebiet dsr
Sohlnssitolgerangen, welche er auf höchst geistreiche Weise ab
daa Resultat aus seinen Einzellörschongen ziehen za difarisK
geglaubt hat. Es ist von hohem laterease hier dia äa^
sichten eings Mazoies zu höoeo, welcher duidi die Buhft
^«Bd Klarheit der Anechi^iuiiigeQ bei seben teuseod md
tansend Beobaohtangeii in der Natur Burgseluift dafür ieistfit,
dass aoch seioB fiohliiSBe sieh nioht vom Wege esakter
ForsdniDg durch kühne Phantaaien werden foiireiBsen laemii
knrz die durch unsägliche Mühe während vidjtiirlfohiQn
FoiBchangen erworbenen Errahrungea eines Feldgeologen za
Tvereekmen. Nach »sorgsamer Piufong aller Y^häUaisse
JK>nimt Favre su dem Schlüsse, 4ass:
1) nur unter -dem Einflüsse von Feachtigkeit, rDraek
And Wärme die Gmaifc-artigen Gesimne des Mont-Blacic*« -mt-
-«feanden sein 'könaen,
2) dass sie geschichtet sind,
3) dass sie in festem Zustande «af die Oberfläche 4fr
Erde gelangt sind und
^) daas -sie nicht dem JfatamorphisviaB. uaterworCsn
twaren.
Um die Verhältnisse dcDtlicher begreifiifiher su nnacbeni
jmter welchen •bei dieser Vovaussetzanys etwa die Ent-
.Btehung solcher Gramtmassen igedacht werden kann, fver^
^eist der Verfasser auf jene ältesten Perioden der Ecd-
rbildjang ^zacück» wo fdaa -Wasaer noch in Dampfform in der
.Atmosphäre verbreitet war und sich an oondensirenbegaw*
.JDer dadurch und durch das Vorhandensein andecer Gas-
.rartan in der damaligen Atmosphäre verursachte enorme
Draiek zwang die Dämpfe trotz der hohen TemperaJtur, .die
.damals herrschte, in flüssigem. >Znstand überzugehen und auf«
vorhandenes Material, welches sich der Verfisisser in Form
Lava-ähnlicher Masse die Obei-fläche der Erdfeste bedeckend
denkt, auflösend einzuwirken. Dieser aufgenommene Stoff
krystallisirte wieder aus und lieferte das Material zu dem
granitischen Gestein. Mit Abnahme der Wärme verringerte
sich diese Einwirkung und die Krystalliaationskraft und so
dmtatanden die .krjFstaliiaischen Schiefer. Dia jGesteinsgäqge
634 BiHhing äer mai^.'phjf$. Oläsw vom 7. Ikgember 1807.
dagegen, die von dem Verfafiser anch Tielfach oonstatht
wurden , wie 9. B. die Gänge porphyrartigen Granita Yon
' Valorsine , leitet er von grossem Drnc^ her , welcher daa
Magma des Granites in die Risse benachbarter Gesteiiie
eingeführt habe.
Wenn wir an die Stelle bereits aas der WasserlSsiing
fertig aasgebildeter Krystalle die Bildang eines amorphen
Niederschlages setzen, ans dem sidi erst nach und nach die
einzelnen Mineralien am Boden selbst entwickelten, so durfte
' diese Darstellung ungefähr der Vorstellung gerecht werden,
welche wir uns nach dem jetzigen Standpunkt der Erfahr-
ungen naturgemäss von der Entstehung der granitischen
Gesteine machen können.
Besonders scharf fertigt Favre den Metamorphiattius
in Bezug auf die Entstehung der krystallinischen Sdiiefer
ab. Der Glaube an den so mysteriösen Metamorphismus
stamme hauptsächlich von der Angabe der französischen
Karte eines „terrain Jurassique modifie^* her. Seitdan
' jedoch dieses terrain modifie theils als carbonisdi, theils als
acht jurassisch sich erwiesen hat, ist der Metamorphismus
unnöthig geworden. In dem Kalk vonMagaz dicht am Protogin
finden sich die best eihaltenen Versteinerungen ohnd irgend eine
Aenderung. In Bezug auf das Vorkommen von Egmisetum
Sismondae^ im Gneiss von Veltlin, das man fBr einen un-
umstösslichen Beweiss zu Gunsten der Bildung des Gneisses
* durch Metamorphose angeführt habe, glaubt Favre,
dass bei einer Umänderung der Schiefer in krystallinisches
Gestein die feinen Theilchen der zarten Pflanze sich unmög-
lich hätten erhalten können. Metamorphismus ist dem Ver-
fasser eine verborgene, unbekannte Kraft, der man die Erfolge
zuschreibt, von denen man sich keine Rechenschaft geben könne,
von der man jedoch wünschen müsse, dass ihr Name bald
aus dem Wörterbuch der Wissenschaft gestrichen werde.
MmM: IHe ffeogno&L VerhäUitfste de9 Blm^BUme ete. 635
Man miiss wenigstens bezfigUch der krystallinischen Sdiiefsr
dieser Ansicht anbedingt beistimmen oder überhaupt alle
Gesteine, welche nach ihrer Sedimentation oder Erstarrung
irgend eine Aendening erlitten haben, — und das sind alte|
selbst Sedimentgesteine, ausnahmslos — als metamorphische
erklären. Selbst der gewohnlichste Kalkstein hat seit seinem
ersten Kömer- oder Staub-artigen Absatz bis zum Zustande
einer festen Felsmasse grosse Metamorphosen durchgemacht
Wir stimmen insofern der oben ausgesprochenen Ansicht
bei, als jeder Metamorphismus zu yerwerfen ist, bei dem
man sich über die verändernden Vorgänge nidit Rechenschaft
geben kann. Indessen bleiben immerhin eine Reihe von Er-
^ scheinungen übrig, die sich durch eine materielle Umänder-
ung früher vorhandener Felsarten vollständig exakt erklären
lassen. Ich erwähne nur die Verwandelung von Enstatit- oder
von Olivinfels in Serpentin. Doch beschränken sich derartige
Metamorphosen auf Infiltrationserscheinungen und Umänderung
nach Art der Pseudomorphosen.* Es durfte daher geeignet
sein 9 statt des allerdings vielfach missbrauchten Wortes
Metamorphose den Begri£F Pseudomorphose auch auf
ganze Felsmassen anzuwenden.
Es erübrigt noch die Erklärung zu erwähnen, welche
der Ver&sser nach dem Vorgange Lory's im XXIII. Kapitel
seines Werkes über die Fächerstruktur des Mont-Blano
Massiv's, welche mit gewisser Modifikation auf den ganzen
Gebirgsbau der Alpen Anwendung finden kann, giebt Sie
stützt sich auf die Annahme einer wahren Schichtung der
krystallinischen Schiefer und einer lagenweisen Ausbildung
des Protogin's. Man muss annehmen, dass die krystallinischen
Schiefer beim Beginn des letzten Hauptgestaltungsaktes der
Alpen von einer sehr energischen Pression ergriffen, eine
sehr vorspringende Falte bildeten und durch das Uebermaass
der Krümmung auseinander brachen, so dass der zuerst
M6 mmmdmrmaA.'rtißt. Qmm vm 7. JkamOm M^.
«Btar dM Schiefem in der Tiefe lagernde Protogin im &UMl-
pnnht der BQ^taog zun Vonchein Jcam. Die obere» Paitieen
der ao gebobeoen Kette erlitten eine nnr echwacbe Seite^-
freeemg, wfibrend die üeleren mit grosser Gewalt dsrcb
die Wirkmg der benachbarten, weniger hervorragenden Fa^n
naamiaengedrückt worden und eine Lage annehmen ma3eten
nach Analogie der Halmen in einer Garbe. Anf äibnlichen V«r-
l^ngra beruht auch die Struktur der angeschloseenen jängeren
Sedimentäischicbten in ihren halbfaoherförmigen , gewMb-
artigen oder selbet überstürzten Lagemngen,
Wenn der Verfasser imnimmt, dass der Ursprung der
Gebirge nicbt einer Erliebung (sonlevement) im vertikalen
Sinne ztgescbrieben werden könne, weil dann die SchidtiteD
einfach antiklinal aufgerichtet und zersprengt worden wäpen,
flo ist doch nicht abzusehen, woui ich redit verstehe, «e
d^ erste Wirkung der Pression in der Centralkette entstanden
sei. Mir scheint in der That eine £piporhebung gewisser
fester Gebirgstheile in der Centralkette angenommen wei^deu
zu müssen, welche, indem durch dieses £mporpre8sen fester
Massen zwischen die früher auflagernden Schiefer ein Rwm
geschaffen werden musste, welcher die eingeschobenen Massen
einnehmen konnte, ein Anseinanderdrängen der seitlich ge-
lagerten Schichten verursachte und auf diese nur in Fopn
eines Seitendrucks wirken konnte, wie ich bereits ausführlich
(S. 855 m» W.) ausgesprochen habe. Im grossen Ganzen
il^aube ich jedoch die Ueberstinuniing unserer Ansichten über
den Gebirgsban der Alpen in zwei so entfernt liegenden
Theilen derselben constatiren zu dürfen.
So sehen wir durch dieses Meisterwerk der descriptiven
Geologie eine jener grossen Lücken auf die würdigte Weise
«nsgetiillt, welche die bisher erschienenen Monographien über
.einzelne Theile der Alpenkette noch gelassen haAten und
.wir begrüssen mit grosser Freude die Uebereinstimmong
Sitzung der histar, Classe vom 7. Deuniber 1867, 637
der Resultate der Forschungen im Osten und Westen der
Alpen, die der Hoffnung Raum geben, dass das so schwierige
Gebiet der Alpen bald in allen Theilen gleichmässig geogno-
'^' stisch untersucht und in seinem verwickelten Gebirgsbau klar
-'*'* aufgeschlossen vor Augen gestellt sein werde.
1. ^
^^^ Historische Classe.
' ^' Sitzung vom 7, Dezember 1867.
•da«
Herr Rockinger machte Mittheilungen:
^ n^ur äussern Geschichte der Entwicklung
^ der bayerischen Landesgesetzgebung von
; ^ Kaiser Ludwig's oberbayerischen Land-
^i.. rechten bis in den Beginn des 16. Jähr-
,. hunderts*.
[1867.11.4.] 42
Sach-Begister.
Achäer 628.
Aefirypten 84. 528.
Alpen, die West- und Ostalpen 606.
Altfranzösische Lieder 486.
Atomigkeit 568.
AnctoritateB (in der Philosophie) 173.
Drucke 174.
Bach Sebasiiftn 336.
Bayern, Ortsnamen 450.
Landesgesetzgebnng 637.
Bergkrystallgewichte 235.
Bemer Bibliothek 486.
Berthold von Regensburg 374.
Blitzschläge 247.
Influenzfähigkeit der Bodenschichten — mechanische Wirk-
ungen 263.
Blaus&ure-Yergiftung 591.
Wirkung aufs Blut 594.
Brasilien 559.
Buchstaben, ihr ägyptischer Ursprung 84.
ein Alphabet? 100. 103.
China 19.
42*
640 Sach-Begisier.
Danait 278.
Eiterkörper in Gefassepitfaelien 189.
Erlanger Bibliothek 386.
Favre Alphons, rechercbes geologiques etc. 604.
Fettbildnng im Körper 462.
Formeln, typische und empirische in der Mineralogie 563.
Fütterungsarten 404.
Galtgransandstein 155.
Geologie 407. 608.
Gerding's Geschichte der Chemie 601..
Geschichte, ägyptische 528.
chinesische 19.
Gewitterereignisse 249. 265.
Glankodot von Hakansbö 247.
Griechisches auf ägyptischen Denkmälern 534.
Gudrun 205. 857.
Harnsäuresedimente 279.
Heilsbronner Bibliothek 885.
Heinrich von Yeldeken Eneide 471.
Island 1.
Knochenbildungen (primäre) in der Lunge 144.
Krause Unsterblichkeitslebre 894.
Leiden Christi-Leodegar (altromanisch) 199.
Leucothea der Glyptothek 889.
SaehrlUffis^, 6^1
Litteratur
mitteldeutsche 1. 206. 867. 884. 461. 471.
romanisohe 199. 466.
Mathematik 407.
MenBchenspuren in den neogenen Tertiärschichten Frankreich« 407.
Meteorologie 247.
Milchkuh, eine gute 406.
Mineralogie 276. 663.
Mineralwasser zu Neumarkt (Oberpfalz) 126
Montblanc, dessen geognostische Verhältnisse 608.
Mukhbir, türk. Journal 894.
Münchner Staatsbibliothek 2. 297. 384. 426. 471.
NachUegen (mitteldeutsch) 1. 169. 461.
^Oyxa 560.
Optische Gonstructionen 284.
Pateclus 892. 469.
Pelasger 546.
Philosophie des Mittelalters 178.
Phosphorsäure in Schichtgesteinen Bayerns 147.
Photographie 284.
Piatons Timäus 648.
Polnische Sprache 160.
Roger Bacon 874.
Rddiger von Manesse in Zürich 429.
Salimbene's Chronica 876. 890.
Schmeller's Realkatalog 864.
Scholastik 178.
ihre Nachwirkung im 16. Jahrhundert 189.
642 aach-BegiaUr.
Schwaben Spiegel 297.
dessen Abfassangszeit 406, eine höhere 442. -
eine Handschrift desselben im Besitze des Herrn Föringer 408.
eine 'Pergamenthandschrift Heinrich des Preckendorfer 413. 416.
Schwefelarsenik-Bildang in den Leichen mit arseniger Säure Ver-
gifteter 895.
Sprachgränze, die deutsche im Süden 888.
Stoffverbrauch — Stoffwechsel 572.
beim Gesunden und Kranken 575.
Yerschwörnng in Bayonne (1565) 158.
Wage — erreichbare Genauigkeit 23 i.
Walther von Lille (Walthariüs) 894.
Wehrverfassung keltische-germanische 158.
Wittenberger Theologen 336.
Wurmsegen (mitteldeutsch) 16.
Ziffern, ägyptisch 116.
Zuckerhamruhr 672.
im ti
5are ^? Namen - Register.
Brunn 339.
Buchner 126. 396. 691.
Büdinger (Wahl) 339.
Buhl 139. 144.
Cappino Marchese (Wahl) 338.
Carvalhao (Wahl) 338.
öümbel 147. 603.
Henzen (Wahl) 338.
G. Hofmann i. 159. 199. 206. 336. 367. 374. 461. 486
Frz. Hofmann 279.
V. Hundt, Graf 460.
v: Kaufller (Wahl) 337.
Eeinz 1.
Eluckhohn 168. 336.
V. Kobell 276. 663.
Kuhn 247.
Lanth 84. 628.
de Leva (Wahl) 339.
V. Leuchtenberg, Nicolaus Herzog Ehrenmitglied (Wahl) 337.
▼. Liebig 337.
Lorenz (Wahl) 339.
de Luna (Wahl) 338.
644 * NamethBegüter.
V. Martias 559.
Matteucci (Wahl) 388.
Maurer 1.
Mignet (Wahl) SSß.
Miquel (Wahl) 338.
Müller M. J. 394.
Newton (Wahl) 338.
Pariatore (Wahl) 338.
T. Pettenkofer 572.
Flath 19. 394.
Prantl 173.
Biehl 336.
Bockinger 297. 408. 637.
Röscher (Wahl) 338.
de RoBsi CWahl) 338.
Roth 158.
Scacchi (Wahl) 338.
Secchi (Wahl) 338. '
Seidel 231. 284. 4D7.
Senarmont (Wahl) 338.
A. Steinheil 284.
Togel 601.
Voigt (Wahl) 339.
Voit 279. 402. 572.
Wagner Mor. 407.
Zingerle (in Innsbruck) 461. 471.
r
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