Skip to main content

Full text of "Sitzungsberichte der Gesellschaft Naturforschender Freunde zu Berlin"

See other formats


HARVARD   UNIVERSITY 


LIBRARY 

OF  THE 

MUSEUM   OF  COMPARATIVE  ZOÖLOGY 


GIFT  OF 


V_JWcOa^.      Ort-       W         K        WO-CiSUW 


SITZUNGS-BERICHTE 


DER 


GESELLSCHAFT 
NATURFORSCHENDER    FREUNDE 


ZU 


BERLIN 


IM  JAHRE  1872. 


BERLIN 

FERD.  DÜMMLERS  VERLAGSBUCHHANDLUNG 

HARRWITZ  UND  GOS8MANN 
1872. 


Inhalts  -  Verzeichniss 

ans  dem  Jahre   1872. 


Ascherson.  Ueber  geographische  Verbreitung  einiger  afrikanischen 
Pflanzen,  p.  37.  —  Ueber  den  Formenwechsel  der  Blätter  von  Populus 
euphratica  (Garab  der  Bibel),  p.  92.  —  Ueber  Cotula  dichrocephala  aus 
Abyssinien,  bei  Guben  von  F.  Bach  mann  gefunden,  p.  104. 

Braun.  Legt  eine  Frucht  von  ühcaria  procumbens  Burchell  (Pedaliaceae) 
und  einen  Steinkern  einer  fossilen  Carya  von  Blankenburg  (?)  vor, 
p.  15.  —  Legt  Zapfen  der  californischen  Pinus  conforta  und  zwei  kürz- 
lich erschienene  Abhandlungen  über  Blattstellungs Verhältnisse  von  Chaun- 
cey  Wright  und  Alex.  Dickson  vor,  p.  45.  —  Ueber  pelorische 
Gipfelblüthen  von  Digitalis  purpurea,  p.  55.  —  Ueber  eine  bisher  nicht 
erwähnte  vegetabilische  Fliegenfalle  Desmodium  (Pteroloma)  triquetrum, 
p.  58.  —  Ueber  Zwangsdrehung  des  Stengels  (Spiralismus  Morren, 
Strophomonia  Schimper),  besonders  bei  Valeriana- Arten,  p.  63.  — 
Legt  eine  monströs  entwickelte,  einer  menschlichen  Hand  gleichende 
Runkelrübe  vor,  p.  76.  —  Ueber  eine  monoecische  Form  des  Hanfs, 
p.  93.  —  Ueber  Dr.  Kny's   Cladostephus  -  Präparat,  p.  99. 

Dönitz.  Ueber  Gebiss- Abnormitäten  bei  Cervics  Axis  und  Canis  meso- 
melas;  über  Entwicklung  der  Zoospermien  bei  Schwimmpolypen,  p.  54. 
—  Ueber  die  geographische  Verbreitung  der  Zibethhyäne,  Proteles  La- 
landei,  p.  63.  — 

Ehrenberg  Legt  neun  grosse  Photographien  mikroskopischer  (histolo- 
gischer) Objecte,  im  Militär-Medicinal-Departement  in  Washington  unter 
Leitung  des  Lieutenant -Colonel,  Assistent  Surgeon  Wo  od  ward  an- 
■  gefertigt  vor;  stellt  den  seit  Sept.  1859  beobachteten  Proteus  anguinus 
und  den  seit  1860  in  der  Gefangenschaft  gehaltenen,  1865  von  der 
Saprolegnia-  Krankheit  befallenen  aber  geheilten  Triton  lacustris  lebend 
vor  p.  17.  —  Proben  seltener  Sehkraft  in  klein  geschriebenen  Predigten  der 
Pastoren   Petersen  in  Lübeck  und  B  a umgarte  n-Crusius  in  Meise- 


iv  Inhalts  -  Verzeichnis« 

bürg  und  feinen  Insecten- Gemälden  des  Buchhändlers  Schüppel  in 
Berlin,  p.  25.  —  Ueber  Meeresgrundproben  vom  Cap  Hörn,  von  dem 
Schiffe  Friedrich,  Capt.  Niejahr  mitgebracht,  p.  42.  —  Ueber  die  Mög- 
lichkeit des  Entstehens  und  Andauerns  1000 Fuss  hoher Bacillarien- Wände; 
über  die  Aehnlichkeit  in  den  Landesverhältnissen  und  der  Vegetation 
des  westlichen  Nordamerika's  und  Nordafrika's,  durch  Natrongehalt  des 
Bodens  und  der  Gewässer  bedingt,  p.  48.  —  Mittheilungen  von  Dr. 
Haast  über  Skeletbruchstücke  eines  ausgestorbenen  grossen  Raubvogels, 
Harpagomis  Mborei  und  über  Dinornis  -  Knochen  mit  anklebenden  Fe- 
dern ;  legt  eine  Schrift  von  Paolo  Panceri  in  Neapel  über  die  Leucht- 
organe von  Pyrosoma,  Pholas  und  Phyllirrhoe  bucephala  und  seinen 
akademischen  Vortrag  über  den  Einsehluss  organischen  Lebens  auf  dem 
Meeresgrunde  aller  Zonen  vor,   p.  77. 

Gerstäcker.  Üeber  androgyne  (gewöhnlich  „hermaphroditische"  ge- 
nannte) Bildungen  bei  Insecten,  p.  33.  —  Ueber  seine  Bearbeitung  der 
auf  der  v.  d.  Decken'schcn  Expedition  gesammelten  Gliederthiere 
Ostafrika's  und  deren  Ergebnisse  für  die  Thiergeographie  von  Afrika 
p.  35.  —  Ueber  eine  vielkammerige  an  der  Wurzel  einer  jungen  Eiche 
durch  Cynips  radieis  erzeugte  Galle,  p.  43.  —  Ueber  Brutstätten  verschie- 
dener Bienen-Gattungen,  p.  44. 

Göppert.  Ueber  morphologische  Verhältnisse  der  Bäume:  Ueberwallung 
abgehauener  Tannenstöcke;  Vernarbungsgewebe  bei  Verwachsungen  von 
Wurzeln ,  Stämmen  und  Aesten  derselben  oder  verschiedener  Arten 
(namentlich  beim  Veredlungsverfahren);  innere  Zustände  unserer  Bäume 
nach  äusseren  Verletzungen,   p.  39. 

Haast.     S.  Ehrenberg,  p.  77. 

Hart  mann.  Legt  Abbildungen  der  Köpfe  vom  Chimpanse  und  Gorilla 
und  G.  Ramann's  „Schmetterlinge  Deutschlands  und  der  angrenzen- 
den Länder"  vor,  p.  47. 

Kirch  enp au  er.     S.  v.  Martens,  p.  20. 

Kny.  Ueber  ächte  und  falsche  Dichotomie  im  Pflanzenreiche.  Fortsetzung: 
Verzweigungstypen  und  Dichotomie  bei  höheren,  Zellkörper  darstellenden 
Algen,  p.  1.  —  Replik  auf  Dr.  Magnus  Erwiderung,  p.  14.  —  Ueber 
einige  auf  Helgoland  beobachtete  parasitische  Algen,  p.  71);  legt  ein  Prä- 
parat der  Verzweigung  von  Cladostephus  spongiorus  vor,  p.  84. — ■  Replik 
auf  Dr.  Magnus' Bemerkungen  zu  diesem  Vortrage,  p.  85.  —  Erwide- 
rung auf  Dr.  Magnus'  Bemerkungen  über  sein  Cladostephus- Präparat, 
1..  99. 

tdagnus.  Erwiderung  auf  Dr.  Kny 's  Vortrag  über  Dichotomie  and  Mit- 
theilungen über  Wachsthum  und  Verzweigung  von  .lania,  Corallina  und 
Fucus,  p.  II.  Ueber   als    Haftorgane   dienende    Randsprösachen    der 

Uelesseria    sinuosa    und    über    Adventiv-SprosBbildung    bei     Delesseriea. 


aus  dem  Jahre  1872.  v 

p.  28.  —  Ueber  Schlauchgefässe  im  Stamme  von  Cymodocea  nodosa 
isoetifolia  und  manatorum  und  Schlauchzellen  in  der  Blatt- Epidermis 
dieser  und  anderer  Cymodocea- Arten,  p.  30.  —  Ueber  den  Blüthenstand 
von  Cymodocea  manatorum,  p.  32.  —  Ueber  Zweigbildung  der  Sphacel- 
larieen,  p.  72.  —  Bemerkungen  zu  Dr.  Kny 's  Vortrag  über  parasitische 
Algen  und  über  dessen  Cladortephus  -  Präparat,  p.  84.  —  Legt  eine 
Sammlung  von  Kartoffelknollen  vor,  die  Dr.  Neubert  in  Stuttgart  durch 
gegenseitiges  Pfropfen  der  Stecklinge  erhalten  hatte,  p.  86.  —  Ueber 
Mittheilung  der  Panachure  bei  Ähutilon- Arten,  p.  87.  —  Ueber  Chytri- 
dium  tumefaciens  n.  sp.  in  den  Wurzelhaaren  von  Ceramium  flabelligerum 
und  acanthonotum  und  andere  in  Meeresalgcn  lebende ,  für  Organe  der- 
selben gehaltene  Chytridien,  p.  87.  —  Ueber  von  Dr.  M.  Heimann 
erhaltene  Pfropfhybriden  der  Kartoffel,  p.  97.  —  Ueber  Dr.  Kny 's 
Cladostephus-Prapavat ,  Sprossbildungen  aus  Wandflächen  und  die  nor- 
male Verzweigung  der  Hauptaxen  von  Cladostephus ,  p.  98.  —  Replik 
auf  Dr.  Kny 's  Erwiderung  hierauf,  p.  99. 

v.  Martens.  Ueber  den  Nestbau  der  Fische,  p.  18.  —  Legt  eine  Arbeit  des 
Bürgermeisters  Dr.  Kirchenpauer  in  Hamburg  über  die  Hydroidpoly- 
pengattung  Plumularia  und  eine  handschriftliche  Notiz  desselben  über  eine 
neue  Familie  Salaciidae,  zu  derselben  Gruppe  gehörig,  vor,  p.  20.  — 
Ueber  die  gegenwärtige  Kenntniss  der  Land-  und  Süsswasser-Mollusken 
von  Mittelasien  und  Mittelafrika,  mit  Bezug  auf  die  Sammlungen  von 
Fedtschenko  und  Schweinfurth,  p.  61.  —  Ueber  von  Dr 
Schweinfurth  in  Central-Afrika  entworfene  Zeichnungen  von  Fischen 
und  Insecten,  p.  100.  —  Ueber  das  Vorkommen  des  Unio  sinuatus  mit 
römischen  Alterthümern  im  mittleren  Rheingebiet,  p.  101.  —  Ueber 
künstlich  gezeichnete  Schnecken,  von  den  Philippinen  von  Dr.  A.  B. 
Meyer  mitgebracht,  p.  103. 

Müller,  Otto.  Ueber  den  Bau  der  Zellwand  bei  der  Bacillarien-Gattung 
Epithemia  Kütz.,  p.  69. 

Neumayer.  Macht  auf  die  Reise  um  die  Erde  eines  soeben  abgesandten 
kaiserl.  Geschwaders  aufmerksam,  p.  76. 

Peters.  Ueber  Tctrodon  punclatus  Bloch-Schneider,  p.  47.  —  Legt  einen 
von  der  deutschen  Nordpolexpedition  mitgebrachten  Schädel  von  Lepus 
glacialis  vor,  p.  59.  —  Legt  den  Schädel  eines  weiblichen  Orang-Utang 
aus  Borneo  mit  6  statt  5  Backzähnen  im  Oberkiefer  beiderseits  und  im 
Unterkiefer  rechts  vor,  p.  76. 

Reichert.     Legt  Photographie  und  biographische  Skizze    der   19jährigen 
Negerin  Millie-Christine  aus  Nord-Carolina  vor,  welche  eine  unvoll-, 
ständige   Zwillingsbildung   (doppelter  Oberkörper,   von   der   Lende    und 
Mittelbauchgegend  an  einfach,  vier  Beine,  von  denen  aber  nur  die  zwei 
äusseren  zum  Gehen  benutzt  werden)  darstellt,  p.  21.  —   Ueber  die  Zeit 


\i  Inhalts -Verzeichnis*  aus  dem  Jahre  1872. 

der  Geschlechtsdifferenzirung  und  Dr.  Joseph'a  Angabe  einer  solchen 
bei  den  unbefruchteten  Eiern  der  Insekten,  p.  23. 

Kose,  G.  Lei:t  Proben  von  Gebirgsgesteinen,  welche  von  Blitzschlägen 
getroffen  waren,  vom  Gipfel  des  kleinen  Ararat  (Abich)  und  des  Ne- 
vado  de  Toluca  (A.  v.  Humboldt)  vor,  p.  95.  —  Legt  Photographien 
der  Diamantengräbereien  im  Caplande  und  der  grössten  daselbst  gefun- 
denen Diamanten   vor,  p.  97. 

Schultz.     Legt  Eier  von  Argonauta   Argo  vor,   p.  38. 

Schw  einfurth.  Ueber  das  Vorkommen  des  Malagnetta- Pfeffers  (Xylo- 
pia  aetfiiopica  A.  Rieh.)  im  Niamniamlande ,  p.  94;  s.  v.  Martens, 
p.  100. 

Splittgerber.      Ueber  den  diesjährigen  Ausbruch  des  Vesuv,  p.    51. 

Urban.  Ueber  Entwicklungsgeschichte  der  Medicago-Blüthe  und  das 
Vorkommen  von  Calcium-Uxalatkrystallcn  in  den  Bracteen  von  Medi- 
cago,   Trigonella  und  Pocoekia,  p.  90. 

Eingegangene  Schriften,  p.  15,  24,  38,  46,  50,  59,  78,  96,  106. 

Berichtigung,  p.  100. 


Sitzuii£>s-Bericlit 


der 


Gesellschaft  naturforschender  Freunde 

zu  Berlin 
am  16t  Januar  1872. 


Director:  Herr  Geheimer  Medicinalrath  Gurlt. 


Herr  Kny  setzte  seinen  in  der  letzten  Sitzung  unterbroche- 
nen Vortrag  über  ächte  und  falsche  Dichotomie  im 
Pflanzenreiche  fort  und  legte  die  Resultate  einer  Reihe  von 
Untersuchungen  vor,  die  sich  auf  das  Wachsthum  und  die  Ver- 
zweigung von  Zellkörpern  beziehen.  Im  einzelnen  besprach 
er  für  diesmal  nur  die  vegetative  Entwickelung  einiger 
höherer  Algen  und  erläuterte  dieselbe  durch  zahlreiche  Zeich- 
nungen und  Exemplare.  Die  betreffenden  Untersuchungen  wur- 
den zum  Theil  schon  bei  einem  früheren  Aufenthalte  in  Palermo 
und  vor  einigen  Monaten  an  der  englischen  Küste,  zum  Theil 
aber  erst  in  jüngster  Zeit  an  im  Weingeist  aufbewahrtem  und 
getrocknetem  Material  angestellt. 

Als  Einleitung  gab  Vortragender  eine  kurze  Uebersicht  der 
verschiedenen  Formen,  unter  denen  das  Wachsthum  von  Zell- 
körpern erfolgen  kann.  Auf  Grund  der  gegenwärtig  vorliegen- 
den Beobachtungen  unterscheidet  er  fünf  Haupttypen. 

1)  Der  erste  Typus  ist  der  intercalare.  Hier  finden  die 
Theilungen  in  allen  Zellen  in  gleichem  Sinne  statt.  Keine  Zelle 
ist  durch  ihre  Stellung  von  den  anderen  nothwendig  bevorzugt. 
Diese  Form  des  Wachsthums  findet  sich,  soweit  Vortragendem 
bekannt,  bei  keinem  festgeschlossenen  Zellkörper  mit  bestimmt 
ausgesprochener  Längsrichtung  (Bangia  fusco-purpurea  zeigt  in 
[1872.]  1 


2  Gesellschaft  naturforschender  Freunde. 

der  Jugend  wenigstens  deutlich  Scheitelwachsthum),  sondern 
nur  bei  Colonieen,  deren  Zellen  in  sehr  lockerem  Verbände 
stehen.  Bekannte  Beispiele  sind  Sarcina  ventriculi  und  Pleura- 
coccus  vulgaris  Menegh. 

2)  Der  zweite  Typus  ist  der  der  Scheitelzelle.  Dae 
Organ  ist  am  oberen  Ende  seiner  Hauptachse  von  einer  Zelle 
abgeschlossen,  die  sich  durch  Abtrennung  von  Segmenten  fort- 
gesetzt verjüngt  und  zu  welcher  sich  der  Ursprung  aller  Gewebe- 
zellen in  Beziehung  bringen  läfst.  Der  Theilungsmodus  dieser 
Scheitelzelle  kann  selbst  wieder  ein  verschiedener  sein. 

A.'  Die  Scheitelzelle  gliedert  sich  unterhalb  ihrer  fortwach- 
senden Spitze  wiederholt  durch  Querwände  und  erst  in  den 
Gliederzellen  wird  durch  Längstheilungen  der  Grund  zur  Bil- 
dung eines  Zellkörpers  gelegt.  Hierher  gehören  unter  den  grü- 
nen Algen  Enteromorpha,  unter  den  braunen  die  Spacelarieen, 
unter  den  rothen  Polysiphonia,  Dasya,  Chondriopsis  etc.  Hierher 
liefse  sich  ebenfalls  ein  Theil  derjenigen  Arten  rechnen ,  die 
Vortragender  bereits  unter  den  Zellflächeu  abgehandelt  hat  und 
deren  gegliederte  Fläche  entweder  über  ihre  gesammte  Breite 
(wie  bei  Dictijota  dichotoma  (Huds.)  und  Gelidium  corneum  (Huds.) 
oder  in  einem  achsilen  Längsstreifen  (wie  bei  Delesseria)  durch 
nachträgliches  Auftreten  von  Wänden,  die  nicht  senkrecht  auf 
der  Ebene  des  Laubes  stehen,  mehrschichtig  wird. 

B.  Die  Scheitelzelle  theilt  sich  durch  alter nirend  nach 
zwei  entgegengesetzten  Seiten  gewendete,  einander  stufen- 
weise aufgesetzte ,  auf  einer  gemeinsamen  Ebene  senkrechte 
Wände,  und  erst  die  von  ihr  abgetrennten  Randzellen  legen 
durch  Auftreten  von  Wänden,  welche  nicht  senkrecht  auf  dieser 
Ebene  stehen,  den  Grund  zur  Bildung  eines  Zellkörpers.  Diese 
Art  des  Wachsthums  ist  unter  den  Laubmoosen  am  Stämmchen 
von  Fissidens,  unter  den  Leitbündel- Cryptogamen  bei  mehreren 
Farrnkräutern  (Polypadium,  Niphobolus,  Nephrolepis  etc.).  so- 
wie  bei  Selaginella  und  bei  Salvhiia  beobachtet.  Es  liefsen 
sich  hier  ebenfalls  einige  bei  den  Zellflächen  bereits  besprochene 
Pflanzen  unterbringen ,  deren  Zellfläche  sich  später  ihrer  ge- 
sammten  Breite  nach  (ßhodophyllis,  Aneura)  oder  nur  in  einem 
zur  Mittelrippe  werdenden  Längsstreifen  (Metzgeria)  verdoppelt 
resp.  vervielfacht. 


Sitzung  vom  16.  Januar.  3 

C.  Die  Scheitelzelle  trennt  durch  Wände,  welche  mit  ihrer 
Längsachse  ehenfalls  einen  spitzen  Winkel  bilden,  aber  succes- 
sive  nach  drei  di vergirenden  Richtungen  geneigt  sind, 
Segmente  ab,  die  sich,  je  nach  den  einzelnen  Fällen,  in  ver- 
schiedener Weise  weiter  theilen.  Hier  führt  also  gleich  der 
erste  Theilungsschritt  in  der  Scheitelzelle  zur  Anlage  eines 
Zellkörpers.  Dabei  kann  die  vierte  Wand  genau  über  die  erste 
fallen  (Fontinalis,  Equisetum)  oder  durch  nachträgliche  Ungleich- 
heit des  Flächenwachsthums  in  den  Segmenten  etwas  über  sie 
hinausgreifen.     (Polytrichum.) 

Bei  den  nach  diesem  Untertypus  sich  entwickelnden  Stamm- 
spitzen tritt  niemals  eine  Wand  parallel  der  freien  Aufsenfläche 
auf;  bei  den  Wurzeln  der  meisten  Leitbündel-Kryptogamen 
dagegen  werden  solche  Wände  in  regelmäfsigem  Wechsel  mit 
den  nach  innen  gerichteten  gebildet.  Die  durch  sie  abgetrennten 
Zellen  dienen  hier  bekanntlich  zum  Aufbau  der  Wurzelhaube. 

D.  Eine  Scheitelzelle,  welche  durch  vier  nach  unten  con- 
vergirende  Wände  begränzt  ist  und  in  welcher  die  Segmente 
decussirt,  nicht  spiralig,  folgen,  hat  Peffer  neuerdings  am 
Embryo  von  Selaginella  Martensii  Spring,  gleich  nach  Anlage 
der  beiden  ersten  Keimblätter  aufgefunden  (conf.  dessen  Ent- 
wickelung  des  Keimes  von  Selaginella  1871,  p.  45). 

Handelt  es  sich  bei  anscheinender  Gabelung  von  Zell- 
körpern, welche  durch  eine  Scheitelzelle  in  die  Länge  wachsen, 
um  Entscheidung  der  Frage,  ob  eine  ächte  Dichotomie  vorliegt, 
so  werden  von  vornherein  alle  jene  Fälle  auszuschliefsen  sein, 
wo  die  Scheitelzelle  das  Längenwachsthum  des  Haupstprosses 
unbegränzt  fortsetzt,  und  der  andere  Sprofs  aus  einem  Segment 
seinen  Ursprung  nimmt.  Selbst  dann  aber,  wenn  beide  Sprosse 
aus  der  Theilung  der  Scheitelzelle  selbst  hervorgehen,  werden 
sie  nur  dann  als  gleichwerthig  gelten  können,  wenn  ihre  An- 
lagen sich  schon  beim  ersten  Sichtbarwerden  als  gleich  grofse 
Ausbuchtungen  symmetrisch  am  Scheitel  hervorwölben,  oder,  falls 
die  Abtrennung  der  Zweigmutterzellen  durch  Scheidewände  dem 
Hervortreten  der  neuen  Wachsthumsrichtungen  vorhergeht,  für 
jeden  der  beiden  Sprosse  ein  gleichgrofses  Stück  zu  der- 
selben Zeit  aus  der  Scheitelzelle  herausgeschnitten  wird. 

1* 


4  Gesellschaft  naturforschender  Freunde. 

3)  Der  dritte  Typus  läfstsich  passend  als  den  der  Scheitel- 
kante bezeichnen.  Das  Vorderende  des  fortwachsenden,  flachen 
Zellkörpers  nehmen  eine  Anzahl  einander  in  Form  und  Art 
der  Theilung  gleicher  Randzellen  ein.  Die  in  denselben 
auftretenden  Querwände  sind  aber  nicht,  wie  bei  Halyseris  und 
Pellia,  zur  Ebene  der  Flächenausbreitung  senkrecht,  sondern  sind 
alternirend  in  entgegengesetztem  Sinne  zu  ihr  geneigt  und  ein- 
ander wechselweise  aufgesetzt.  Hier  wird  also  der  Zellkörper 
direkt  und  ohne  Vermittelung  durch  eine  Zellfläche  aufgebaut, 
Die  aus  diesen  Theilungen  hervorgehenden  Längsplatten  werden 
dann  durch  gelegentliche  Theilungen  der  Randzellen  durch  senk- 
rechte, mediane  Längswände  in  zwei  Theilplatten  gespalten,  wo- 
durch, von  oben  gesehen,  eine  fächerförmige  Anordnung  des  Ge- 
webes bewirkt  wird.  Den  Beobachtungen  des  Vortragenden 
zufolge  gehören  hierher  Biccia,  Marchantia,  Lunularia  (nach  den 
Zeichnungen  von  Hofmeister  auch  Anthoceros);  ferner  die  Wedel- 
spreite mehrerer  (ob  aller?)  Polypodiaceen  und  von  Osmunda 
(nicht  die  der  Hymenophylleen!);  und  nach  Hofmeister  und 
Pfeffer  Blätter  und  Ligulae  von  Selaginella,  so  wie  nach  Han- 
stein die  Spreite  der  Blätter  von  Marsilia. 

Soll  bei  diesem  Waehsthumstypus  eine  Verzweigung  den 
Namen  einer  ächten  Dichotomie  verdienen,  so  wird  man  ver- 
langen müssen,  dafs  die  Gruppe  terminaler  Randzellen  an  der 
Scheitelkante  sich  in  zwei  vollkommene  gleiche  Gruppen  theile. 

4)  Der  vierte  Typus  kann,  zum  Unterschiede  von  dem 
vorigen,  den  Namen  der  Scheitelfläche  erhalten.  Er  ist  da- 
durch charakterisirt,  dafs  der  Scheitel  des  Sprosses  von  einer 
gröfseren  Zahl  nach  allen  Richtungen  nebeneinander- 
liegender Aufsenzellen  abgeschlossen  wird,  die  sich  alle 
in  gleicher  Weise  theilen  und  durch  ihre  Theilungen  allen 
Gewebepartieen  des  Zellkörpers  neue  Elemente  hinzufügen. 
Dieses  Wachsthum  durch  „terminale  Aufsenzellen"  ist  für 
Zellkörper  genau  dasselbe,  was  das  Wachsthum  durch  terminale 
Randzellen  für  Zellflächen  ist.  Jeder  durch  den  Scheitel  eines 
mit  terminalen  Aufsenzellen  wachsenden  Sprosses  geführte  me- 
diane Längsschnitt  bietet  in  der  Anordnung  der  Zellreihen 
das  Bild  einer  mit  terminalen  Randzellen  wachsenden  Zellfläilu- 
dar.     In  beiden  Fällen  ist  es  durchaus  unwesentlich,  ob  der  or- 


Sitzung  vom  16.  Januar.  5 

ganische  Mittelpunkt  des  Stammscheitels  wirklich  an  der  Spitze 
einer  frei  hervorgewölbten  Kuppe  liegt  oder  durch  Hervorwöl- 
ben der  seitlichen  Parthieen  in  eine  Vertiefung  zu  liegen  kommt. 

Im  Wachsthum  durch  terminale  Aufsenzellen  lassen  sich, 
(entsprechend  demjenigen  durch  terminale  Randzellen  bei  Zell- 
flächen) zwei  Untertypen  trennen.  Beide  Formen  des  Wachs- 
thums  stimmen  darin  mit  einander  überein,  dafs  in  den  Aufsen- 
zellen auf  eine  gröfsere  oder  geringere  Zahl  tangentialer  Quer- 
wände eine  Längswand  folgt;  der  Unterschied  besteht  darin, 
dafs  in  dem  einen  Falle  die  Längswand  die  Mutterzelle  genau 
halbirt,  sich  also  nicht  nur  der  freien  Aufsenwand,  sondern  auch  der 
ihr  gegenüberliegenden  Innenwand  rechtwinkelig  aufsetzt,  während 
im  anderen  Falle  die  Scheidewand  von  der  Mitte  der  Aufsen- 
wand sich  der  einen  der  beiden  Seitenwände  und  zwar,  nach 
des  Vortragenden  Beobachtungen,  meist  der  dem  Scheitelpunkt  zu- 
gekehrten (scheitelsichtigen)  Seitenwand  anlegt.  Die  gröfsere 
der  beiden  Tochterzellen  theilt  sich  dann  bald  darauf  durch  eine 
Querwand,  wodurch  der  Unterschied  in  den  Dimensionen  der  beiden 
nebeneinanderliegenden  Aufsenzellen  nahezu  ausgeglichen  wird. 

A.  Dem  ersten  Untertypus  (welcher  bei  Zellflächen,  die 
mit  terminalen  Randzellen  wachsen,  in  Halyseris  und  Pellia 
sein  Analogon  besitzt)  folgen  nach  des  Vortragenden  Beobach- 
tungen Fucus  vesicolosus  L.,  Fucus  serratus  L.,  Pelvetia  canalicu- 
lata  (L.),  Himanthalia  lorea  (L.),  Cystoseira  abrotanifolia  (Ag.)- 
Bei  allen  genannten  Arten  ist  der  Stammscheitel  vertieft;  bei 
Fucus  liegt  er  am  Grunde  einer  Furche,  deren  Längsrichtung 
mit  der  Ebene  der  flachen  Laubausbreitung  zusammenfällt.  Da 
bei  den  Fucaceen  in  Wasser  die  Membranen  der  Innenzellen 
auf  Schnitten  bis  dicht  an  den  Stammscheitel  stark  quellen  und 
die  Grenzlinien  zwischen  Nachbarzellen  undeutlich  werden,  em- 
pfiehlt es  sich,  frische  Exemplare  vorher  im  Weingeist  zu  legen 
und  die  Schnitte  in  absoluten  Alkohol  unter  etwas  Zusatz  con- 
centrirter  Kalilauge  zu  beobachten.  Man  sieht  dann  auf  Längs- 
schnitten, dafs  die  mittleren  der  von  unten  nach  dem  Scheitel 
verlaufenden  Zellreihen  nach  dem  Grunde  der  Einbuchtung  hin 
convergiren.  Es  hängt  diefs  damit  zusammen,  dafs  hier,  so 
lange  der  Sprofs  sich  noch  nicht  zur  Gabelung  anschickt,  die 
Aufsenzellen  sich   nur   durch  fortgesetzte  Quertheilungen  verjün- 


6  Gesellschaft  naturforschnuhr   Freunde. 

gen  und  Längstheilungen  erst  in  den  abgetrennten  Innenzellen 
auftreten.  In  den  ihnen  beiderseits  benachbarten  Reilien,  welche 
am  Seiten  wall  der  Furche  ohngefähr  rechtwinkelig  enden,  treten 
dann  (unten  selten,  oben  häufiger)  auch  Längstheilungen  ein, 
die  zur  Verdoppelung  der  Reihen  führen.  Sehr  zahlreich  treten 
diese  Längswände,  welche  die  Mutterzelle  z;emlich  genau  hal- 
biren,  an  der  höchsten  Wölbung  des  Walles  auf,  welcher  die 
Scheitelfurche  allseitig  umgiebt,  und  ebenso  an  der  Aufsenseite 
des  jungen  Sprosses,  wo  diese  Theilungen  den  bedeutenden 
Längsstreckungen  und  intercalaren  Theilungen  der  Innenzellen 
das  Gleichgewicht  halten  müssen.  Es  entsteht  so  am  entwickel- 
ten Laube  eine  kleinzellige  Rinde.  Behandelt  man  ein  von  der 
Spitze  des  Sprosses  einer  der  oben  genannten  Fucaceen  durch 
einen  Flächenschnitt  abgetrenntes  Rindenstück  mit  Aetzkali,  so 
treten  sehr  deutlich  die  Zellgruppen  hervor,  die  aus  der  Wieder- 
holung einander  rechtwinkelig  aufgesetzter  Längswände  hervor- 
gegangen sind.  Das  Bild  erinnert  einigermafsen  an  das  von 
Prasiola  crispa. 

B.  Der  zweite  Untertypus,  bei  welchem  die  Längswände 
sich  einer  der  Seitenwände  (meist  der  scheitelsichtigen)  schief 
aufsetzen,  und  der  in  Zonaria  und  Melobesia 'unter  Zellflächen 
mit  Marginalwachsthum  sein  Analogon  findet,  wird  durch  eine 
gröfsere  Zahl  von  Gattungen  repräsentirt. 

Es  gehören  hierher  Chondrus  crisjms  (L.).  Grateloupia  fdicina 
(Wulf),  Gr.  dichotoma  (J.  Ag.),  Gracilaria  confervoides  (L), 
Gymnogongrus  norvegicus  (Gunn.),  G.  Griffithiae  (Turn.),  ferner 
Furcellaria  fastigiata  (Huds.)  und  -mehrere  Arten  der  Gattung 
Gigartina,  bei  denen  Herr  Dr.  Magnus  das  Längen wachsthum 
durch  terminale  Aufsenzellen  unabhängig  von  dem  Vortragenden 
aufgefunden  und  in  der  letzten  Sitzung  dargestellt  hat.  (Bei 
Furcellaria  benutzte  Vortragender  Weingeist-Material  zur  Nach- 
untersuchung das  ihm  von  Herrn  Dr.  Magnus  zu  diesem 
Zweck  überlassen  wurde.) 

Weiter  gehören  hierher  Rhodymnna  palmata  (L.)  und  Rh. 
Palmetta  (Esp.).  Die  beiden  letzten  verhalten  sich  nur  in  sofern 
abweichend,  als  an  dem  gewöhnlich,  sehr  breiten  Vorderrande 
der  fortwachsenden  flachen  Sprosse  die  schiffen  Längswände 
ohne   nachweisbare    Regel    in     verschiedener   Weise    gegen    den 


Sitzung  vom  16.  Januar.  7 

Mittelpunkt    des   Scheitels  geneigt    und    sich    zuweilen    mehrmals 
hintereinander  stufenförmig  aufgesetzt  sind. 

Scinaia  furcellata  (Turn.),  dessen  Scheitelfläche  vertieft  ist. 
folgt  gleichfalls  diesem  Untertypus.  Der  Unterschied  gegenüber 
Chondrus  etc.  bezieht  sich  hauptsächlich  auf  die  spätere  Auf- 
lockerung der  verzweigten  Zellreihen ,  die  im  entwickelten 
Stämmchen  von  einem  achsilen  Bündel  gegliederter  Fäden  gegen 
die  Rinde  ausstrahlen. 

Die  Corallineen,  von  denen  Vortragender  Jania  rubens  (L.), 
Corallina  officinalis  (L.)  und  Corallina  granifera  (Ell.  et  So!.), 
sämmtlich  in  von  ihm  im  Palermo  gesammelten  Exemplaren  un- 
tersucht hat,  verhalten  sich  in  sofern  eigenthümlich,  als  hier  die 
mittleren  Zellen  der  Scheitelfläche  sich,  so  lange  die  Verzwei- 
gung nicht  eingeleitet  wird,  der  Regel  nach  nur  durch  Quer- 
wände theilen,  während  in  den  umgebenden  Aufsenzellen  schiefe 
Längswände  damit  abwechseln,  die  sich  der  scheitelsichtigen 
Seitenwand  aufsetzen.  Am  deutlichsten  tritt  diefs  bei  Jania  ru- 
bens hervor.  Die  auf  solche  Weise  nach  aufsen  geschobenen 
peripherischen  Zellreihen  werden  kurzgliederig  und  bilden  die 
Rinde. 

Eine  sehr  interessante  Modification  des  besprochenen  Unter- 
typus zeigt  Lomentaria  kaliformis  (Good.  et  Woodw).  Das  hohle 
Laub  zerfällt  hier  durch  einschichtige  Querwände  in  tonnenför- 
mige  Glieder.  Die  Wandung  derselben  besteht  ursprünglich  aus 
nur  einer  Zellschicht,  wird  aber  durch  Absonderung  von  Rinden- 
zellen mittels  schiefer  Wände  später  mehrschichtig.  Der  Innen- 
seite des  Gehäuses  schliefsen  sich  mehrere  (6  —  8  und  mehr)  in 
ziemlich  gleichen  Abständen  längsverlaufende  Zellreihen  an 
Verfolgt  man  die  Entstehung  dieses  Baues  bis  zum  flachgewölb- 
ten Scheitel,  so  überzeugt  man  sich,  dafs  der  Anstofs  zum  Län- 
genwachsthum  von  mehreren  (etwa  6  —  8)  um  den  Scheitelpunkt 
gruppirten  Zellen  (Initialen  nach  Han  stein)  ausgeht,  von 
denen  sich  indefs  nur  je  zwei  gegenüberliegende  direkt  berühren, 
während  die  übrigen  seitlich  zwischen  ihnen  eingreifen.  Diese 
Initialen  theilen  sich  wiederholt  durch  Wände,  welche  sämmtlich 
der  scheitelsichtigen  Wand  schief  aufgesetzt  und  in  jeder  Initiale 
unter  einander  parallel  sind.  Die  auf  solche  Weise  in  periphe- 
rischer. Richtung    abgesonderten    Aufsenzellen    theilen    sich    nun 


8  Gesellschaft  naturforschender  Freunde. 

alsbald  durch  eine  der  Oberfläche  parallele  Wand  in  eine  äufsere 
und  eine  innere  Zelle.  Aus  den  äufseren  Zellen  geht  durch 
weitere  Theilungen  das  Gehäuse  hervor,  während  die  inneren 
Zellen,  ihrer  reihenförmigen  Entstehung  entsprechend,  sich  seit- 
lich zu  längsverlaufenden  Reihen  lockern.  In  bestimmten  ver- 
tikalen Abständen  giebt  je  ein  Kreis  von  Innenzellen  dicht  unter- 
halb der  Initialen,  wo  sie  noch  verbunden  sind,  je  einer  der  ein- 
schichtigen Querwände  der  Stammglieder  den  Ursprung. 

Stellt  man  sich  vor,  dafs  an  einem  durch  terminale  Aufsen- 
zellen wachsenden,  frei  hervorgewölbten  Vegetationskegel  die 
den  Scheitel  einnehmenden  Aufsenzellen  sich  durch  tangentiale 
Querwände  derart  theilen,  dafs  neue  Zellen  nicht  nur  nach  innen, 
sondern  auch  nach  aufsen  abgesondert  werden,  so  erhält  man 
den  Wachsthumstypus  der  Marattiaceenwurzel,  wie  er  von 
Dr.  Russow  in  Dorpat  entdeckt  und  Vortragendem  schon  im 
letzten  Juli,  noch  bevor  er  seine  eigenen  Untersuchungen  an 
Fucus  anstellte,  an  Präparaten  demonstrirt  wurde.  Die  nach 
innen  abgeschiedenen  Zellen  bauen  den  soliden  Gewebecylinder 
der  Wurzel  fort,  während  die  nach  aufsen  abgeschiedenen  Zellen 
die  Wurzelhaube  durch  neue  Schichten  regeneriren.  In  der  Art 
der  Längstheilungen,  die  auch  hier  den  Bedürfnissen  des  Waehs- 
thums  entsprechend,  mit  Quertheilungen  abwechseln,  folgen  die 
Marattiaceen -Wurzeln  dem  Typus  von  Fucus,  d.  h.  die  Längs- 
wände stehen  senkrecht  auf  der  Aufsen-  und  Innenwand  und 
sind  nicht  wie  bei  Chondrus,  einer  der  Seitenwände  schief  angefügt. 
Von  Dichotomie  wird  bei  Organen,  welche  sich  durch  ter- 
minale Aufsenzellen  fortbilden,  nur  da  die  Rede  sein  können, 
wo  die  Scheitelfläche  nach  vorhergegangener  Verbreitung,  sich 
in  zwei  vollkommen  gleiche  Scheitelflächen  theilt,  deren 
Wachsthumsrichtung  von  der  Längsachse  des  Muttersprosses  in 
gleichem  Grade   divergirt. 

5)  Der  fünfte  Wachsthumstypus  endlich  ist  der  der  geson- 
derten Meristeme,  wie  er  bei  angiospermen  Phanerogamen 
vorkommt.  Hier  lassen  sich  nicht  sämmtliche  Gewebe  des  wach- 
senden Organes  in  ihrem  Ursprung  auf  eine  am  Scheitel  liegende 
Zelle  oder  Zellgruppe  zurückführen,  sondern  die  verschiedenen 
Gewebesysteme  bilden  sich,  wie  von  Hanstein  gezeigt  wurde, 
aus  besonderen  Meristemen  (Dermatogen.   Periblem,   l'/erom)  fort 


Sitzung  vom  lti.  Januar.  9 

Um  eine  Verzweigung  als  dichotom  ansprechen  zu  dürfen, 
wird  es  hier  nicht  genügen,  dafs  sich  zwei  gleich  grofse  Hügel 
von  Gewebe  am  Scheitel  des  Organes  erheben;  es  wird  vielmehr 
jedes  Mal  der  Nachweis  geführt  werden  müssen,  dafs  die  ver- 
schiedenen Arten  des  Meristems  sämmtlich  und  in  gleichem 
Maafse  an  der  Zusammensetzung  der  Zweiganlagen  Antheil 
nehmen. 

Neueren  Untersuchungen  von  Pfitzer  (Botan.  Zeitung  1871 
pag.  893)  zufolge  stellen  die  Coniferen  die  Vermittelung  zwischen 
diesem  und  dem  vorigen   Wachsthumstypus  her. 

Nach  dieser  Uebersicht  der  Wachsthumstypen  ging  Vortra- 
gender zu  seinen  Untersuchungen  über  Verzweigung  der  oben- 
genannten Meeresalgen  über. 

Bei  solchen  Algen,  deren  Zellkörper  durch  eine  Scheitel- 
zelle in  die  Länge  wächst,  hat  er  ächte  Dichotomie  nur  bei 
Cladostephus  gefunden,  wo  schon  Decaisne  in  den  grofsen 
Scheitelzellen  zuweilen  mediane  Längswände  auftreten  sah. 
Näheres  über  Wachsthum  und  Verzweigung  von  Cladostephus 
spongiosus  (Lightf.)  hat  er  schon  in  der  letzten  November-Sitzung 
dieser  Gesellschaft  (pag.  93  —  95  des  Sitzungsberichtes)  mitge- 
theilt.  Halopteris  filicina  (Grat.),  das  Vortragender  in  Palermo 
beobachtete,  zeigt  dagegen  ächte  Verzweigung,  obwohl  die  Zweig- 
anlage auch  hier  in  der  Scheitelzelle  selbst  abgetrennt  wird; 
denn  die  Hauptachse  setzt  ihre  Richtung  genau  fort,  während 
die  Stellung  der  Zweigausbuchtung  gleich  Anfangs  eine  seitliche 
ist.  Nach  den  Zeichnungen  von  Geyler  verhalten  sich  Stypo- 
caulon  scoparium  (L.)  und  Phloiocaulon  squamulosum  (Suhr.) 
ganz  ähnlich. 

Unter  den  mit  einer  Seh  eitel  fläche  wachsenden  Algen 
findet  sich  ächte  Dichotomie  bei  Fucus  vesiculosus  L.,  Fucus 
serratus  L. ,  Pelvetia  canaliculata  (L.),  Himanthalia  lorea  (L.); 
ferner  bei  Chondrus  crispus  (L.),  Gymnogongrus  Griffithiae  (Turn.). 
Jania  rubens  (L.)    und  Scinaia  furcellata  (Turn.). 

Meist  genau  dichotom  ist  die  Verzweigung  von  Grateloupia 
dichotoma  (J.,  Ag.),  Ehodymenia  palmata  (L.)  und  Eh.  Palmetta 
(Esp.);  doch  fanden  sich  die  beiden  Sprosse  zuweilen  schon 
gleich  Anfangs  etwas  ungleich  entwickelt.  Nach  der  von  Dr. 
Magnus  in  der  letzten   Sitzung  gegebenen  Darstellung  ist  auch 


10  Gesellschaft  naturforschender  Freunde. 

bei  l-'iircellaria  fastigiata  (Huds.)  und  Ahnfeltia  plicata  (Huds.) 
die   Gabelung  eine  ächte. 

Der  Gabelung  geht  bei  allen  genannten  Pflanzen  eine  Ver- 
breitung der  Stammspitze  im  Sinne  der  späteren  Gabelungs- 
Ebene  vorher.  In  jenen  Fällen,  wo,  wie  bei  Fucus  und  den 
nächsten  Verwandten,  die  am  Grunde  der  Scheitelfurche  liegen- 
den Aufsenzellei:  sich  sonst  nur  durch  Querwände  (heilen,  treten 
nun  vor  der  Gabelung  auch  Längswände  auf.  Ebenso  wird  bei 
Jania  die  Dichotomie  durch  in  den  centralen  Aufsenzellen  auf- 
tretende Längswände  eingeleitet. 

Da,  wo  die  Stammspitze  eine  frei  hervorgewölbte  Scheitel- 
kuppe darstellt  (Chondrus  crispits,  Jania  rubens  etc.),  erheben 
sich  die  Anlagen  der  jungen  Gabelzweige  an  der  Stammspitze 
als  zwei  gleiche  nebeneinanderliegende  Scheitelkuppen,  die  durch 
eine  flache  oder  tiefere  Furche  getrennt  sind;  überall  da  hin- 
gegen ,  wo  der  Scheitel  eingesenkt  ist  (Fucus  etc.)  wird  die 
Sonderung  der  beiden  Gabelsprosse  durch  einen  in  der  Mitte 
der  verlängerten  Furche  sieh  emporwölbenden  Wall  von 
Zellgewebe  vollzogen,  der  jedem  der  jungen  Gabelsprosse  zur 
Hälfte  angehört.  Auf  medianen  Längsschnitten  durch  eben  dicho- 
tomirte  Sprosse,  die  im  Sinne  der  Gabelungsebene  geführt  sind, 
entspricht  der  Verlauf  der  Reihen  genau  den  auf  obige  Dar- 
stellung gegründeten  Voraussetzungen. 

Bei  Jania  rubens  (L.)  kommt  aufser  Dichotomie  (deren 
Ebenen  an  demselben  Exemplar  bei  aufeinanderfolgenden  Yer- 
zweigungs-Generationen  weder  stets  genau  zusammenfallen,  noch 
auch  sich  der  Regel  nach  rechtwinkelig  kreuzen)  auch  ächte 
Trichotomie  vor.  Die  drei,  von  Anfang  an  gleichen  Zweige 
liegen  in  Vertikalebenen,  welche  in  Winkeln  von  120  Grad 
divergiren.  Diese  Regelmäfsigkeit  der  Verzweigung  unterscheidet 
Jania  rubens  wesentlich  von  Corallina,  wo  z.  B.  bei  Corallina 
granifera  (Ell.  et  Sol.)  das  Stämmchen  an  einzelnen  Gliederungs- 
stellen sich  in  eine  unbestimmte  Zahl  verschieden  starker  Zweige 
regellos  auflöst. 

Die  Mittheilung  derjenigen  Beobachtungen,  welche  sich  auf 
die  Verzweigung  des  Stämmchens  der  Marchantiaceen  und  von 
Selaginella  und  auf  die  Entwickelang  der  Blätter  von  Farrn- 
kräutern    und    Phanerogamen,    bei   denen   Letzteren   Vortra- 


Sitzung  vom  Iß.  Januar.  1 1 

gender  durch  Herrn  Prof.  Braun  auf  mehrere  Fälle  aufmerk- 
sam gemacht  wurde,  beziehen,  behält  er  sich  für  spätere  Sitzun- 
gen vor. 

Zum  Schlufs  weist  er  noch  darauf  hin,  dafs  dichotome  Ver- 
zweigung verhältnifsmäfsig  häufig  bei  Thalluspfianzen  vorkommt, 
in  den  höheren  Abtheilungen  des  Gewächsreiches  dagegen  viel 
seltener  angetroffen  wird.  Dabei  ist  es  nun  in  hohem  Grade 
bemerkenswerth,  dafs  die  primordialen  Organe  höherer  Pflanzen 
(Cotyledonen  der  Blüthenpflanzen;  Primordialblätter  der  Keim- 
pflanzen von  Farrnkräutern)  in  vielen  Fällen  dichotom  getheilt 
erscheinen,  während  die  späteren  Blätter  derselben  Pflanzen  eine 
durchgehende  Blattspindel  zeigen.  Es  ist  diefs  eine  neue  Be- 
stätigung des  schon  in  so  vielen  anderen  Beziehungen  bewähr- 
ten Entwickelungsgesetzes,  dafs  die  embryonalen  Zustände  hö- 
herer Pflanzen  die  entwickelten  Zustände  niederer  Pflanzen  viel- 
fach wiederholen. 

Herr  Magnus  bemerkte  darauf,  dafs  die  von  Dr.  Kny  vor- 
getragenen Ansichten  in  manchen  Punkten  denen  widersprechen? 
zu  denen  er  durch  seine  Beobachtungen  gelangt  ist.  Was  zu- 
nächst die  Verzweigungen  betrifft,  so  unterscheidet  der  Vortra- 
gende diejenigen  Verzweigungen,  die  eine  bestimmte  Beziehung 
zu  einem  Gliede  der  gegliederten  Axe  zeigen  von  denen ,  die 
keine  solche  Beziehung  haben.  In  dem  ersten  Fall  kann  nie 
eine  Dichotomie  angenommen  werden,  wenn  auch  der  Zweig 
noch  so  nahe  dem  Scheitel  angelegt  wird,  und  führte  der  Vor- 
tragende dieses  aus  an  Polysiphonia  in  der  Sitzung  der  Gesell- 
schaft am  21.  November  1871.  Bei  den  Phanerogamen  wo  die 
Blattbildung  der  Ausdruck  solcher  Abtheilungen  der  Axe  ist, 
müssen  wir,  durch  vergleichend  morphologische  Betrachtung  ge- 
zwungen, fast  alle  normale  Verzweigung  auf  ein  Blatt  oder  dessen 
morphologischen  Ort  beziehen  und  müssen  daher  fast  alle  nor- 
male Verzweigung  als  seitlich  axilläre  und  nicht  Dichotome 
auffassen,  auch  wenn  die  jüngsten  Axenscheitel  neben  einander 
gleich  grofs  erscheinen,  wie  das  Pringsheim  beobachtete  an 
Hydrocharis  und  Rohrbach  davon  abbildete,  N.  Kauffmann 
von  der  Inflorescenz  der  Boragineen  beschrieben  und  abgebildet 
hat,  Gr.  Kraus  für  alle  untersuchten  beblätterten  Winkel  be- 
hauptet.    In    allen    diesen  Fällen    läfst   sich  der  eine  Sprofs  mit 


12  Gesellschaft  naturforschender  Freunde. 

Leichtigkeit  auf  ein  Blatt  des  anderen  beziehen  und  ist  daher 
trotz  seiner  Entstehung  nahe  dem  Scheitel,  trotz  seiner  frühzei- 
tigen gleich  starken  Entwickelang  ein  Seitensprofs  des  anderen. 

Bei  der  anderen  Verzweigung,  wo  der  neu  auftretende 
Sprofs  in  keiner  Beziehung  zu  einem  Gliede  der  Axe  steht,  findet 
dann  Dicho-  resp.  Polytomie  statt,  wenn  die  Scheitel  der  neuen 
Axen  aus  Theilen  des  Scheitels  der  Mutteraxe  hervorgehen,  wie 
das  Vortragender  in  der  letzten  Sitzung  an  Furcellaria,  Gigar- 
tina und  Ahnfeltia  ausführte.  In  wiefern  die  Verzweigung  ge- 
wisser Spacelaricen  (Stypocaulon ,  Halopteris  u.  A.)  dieser  Defi- 
nition wiederspricht,  sieht  Vortragender  nicht  ein,  da  der  Scheitel 
einer  mit  einer  Scheitelzelle  fortwachsenden  Axe  nicht  durch 
die  ganze  Scheitelzelle,  sondern  nur  durch  deren  fortwachsen- 
den Scheitel  gebildet  wird,  wie  das  z.  B.  die  Erscheinungen  bei 
Polysiphonia  pennata  und  anderen  Arten,  Bonnemaisonia  aspara- 
goides  nach  Cr  am  er  u.  s.  w.  deutlich  zeigen.  Was  nun  die 
eben  erwähnten  Verzweigungen  der  Spacelaricen  betrifft,  so 
haben  diese  keine  Beziehungen  zu  den  Gliedern  der  Axe,  da 
die  Scheidewand  der  Glieder  sehr  häufig  senkrecht  auf  die  Basal- 
wand  der  Aeste  gestellt  ist.  Diese  seitliche  Verzweigung  ist 
daher  morphologisch  gleichwertig  der  seitlichen  Verzweigung 
von   Gigartina  pistillata  und  acicularis  (vgl.  letzte  Sitzung). 

Dichotomie  und  seitliche  Verzweigung  kommen  bei  derselben 
Art  neben  einander  vor,  so  z.  B.  bei  Jania  rubens,  die  Vortra- 
gender in  Folge  der  Mittheilung  des  Dr.  Kny  in  der  vorigen 
Sitzung  untersuchte.  Bekanntlich  hat  diese  Alge  ein  periodisches 
Längenwachsthum.  Beim  Beginn  der  neuen  Periode  erhebt  sich 
nur  der  centrale  Theil  der  Endkuppe  zur  Verlängerung  der 
Axe,  während  die  Ecken  der  Endkuppe  sich  mehr  oder  minder 
zuspitzen,  und  zwar  liegen  diese  Zuspitzungen  in  der  Ebene  der 
Dichotomie  dieser  Axe.  Diese  Ecken  der  Glieder  nun  verlän- 
gern sich  bei  Jania  rubens  häufig  zu  neuen  Zweigen  durch  ge- 
meinschaftliches Auswachsen  der  dortigen  Rindenzellen.  —  Von 
Corallina  hat  der  Vorredner  angegeben,  dafs  sich  ihr  Scheitel 
in  mehrere  ungleiche  Theile  auflöse.  Dem  mufs  Vortragender 
nach  Beobachtungen  an  Corallina  offfcinalis,  die  er  reichlich  bei 
Arendal  antraf,  entschieden  widersprechen.  Bei  Corallina  offi- 
cinalis  wächst   die  Axe  unter  der  Dämlichen  Gliederbildung,  wie 


Sitzung  vom  16.  Januar.  13 

bei  Jania,  stets  grade  fort.  Unterhalb  der  fortwachsenden  Axe 
treten  rechts  und  links  zu  innerst  an  der  oberen  Fläche  des 
Gliedes  je  ein  Ast  auf,  gebildet  durch  das  gemeinschaftliche 
Emporwachsen  der  dortigen  Rindenzellen.  Später  treten  an 
demselben  Gliede  aufsen  von  diesen  Aesten  jederseits  je  ein 
neuer  Ast  auf,  und  so  geht  es  weiter,  bis  wieder  die  Ecken 
der  oberen  Endfläche  des  Gliedes  zu  Aesten  auswachsen.  So 
wurden  bei  Arendal  an  einem  Gliede  oft  6  Aeste  getroffen. 
Alle  diese  Aeste  liegen  mit  der  Hauptaxe  in  einer  Ebene.  — 
Das  vom  Vorredner  an  Fucus  geschilderte  Scheitelwachsthum 
hat  Vortragender  auf  der  Reise  ebenso  an  den  Achsen  von 
Ozothallia  vulgaris  bei  Arendal  und  an  dem  zierlichen  Fucus 
vesiculosus  nanus  zwischen  den  Skacren  von  Stockholm  beob- 
achtet. Bei  Ozothallia  vulgaris  verzweigen  sich  die  Hauptaxen 
durch  Dichotomie  resp.  Polytoniie  (Letzteres  bei  Helgoland 
beobachtet)  und  liegen  die  Theilsprosse  an  der  Ebene  der  zu- 
sammengedrückten Frons.  Aufserdem  trägt  Ozothallia  bekannt- 
lich an  den  Kanten  der  Frons  kleine  kurz  bleibende  Zweige. 
Diese  werden  seitlich  weit  unterhalb  des  fortwachsenden  Schei- 
tels in  den  an  den  Kanten  befindlichen  Grübchen  durch  gemein- 
schaftliches Auswachsen  dortiger  Rindenzellen  (Wandungszellen 
der  Grübchen)  angelegt;  aus  einem  Grübchen  entspringen  meistens 
drei  und  mehr  solcher  Kurzzweige.  Selten  entwickelt  sich  ein 
seitlicher  Sprofs  zu  einer  dem  Hauptsprosse  gleichwerthigen  Axe. 
—  Bei  Fucus  vesiculosus  hat  aufser  der  Dichotomie  eine  Sprofs- 
bildung  auf  der  Fläche  der  Frons  Statt,  die  Kützing  bereits 
beobachtet  hat.  Kützing  giebt  an,  dafs  sie  sich  im  Grunde 
der  über  dem  Laube  zerstreuten  Fasergrübchen  aus  den  sich 
vereinigenden  Sprofsfäden  derselben  bilden.  Letztere  Angabe 
ist  unrichtig.  Sie  bilden  sich  häutig  durch  gemeinschaftliches 
Auswachsen  der  Wandungszellen  der  Grübchen,  sowie  auch  der 
Rindenzellen  eines  oberflächlichen  Fleckes.  Die  Scheitel  dieser 
jungen  Sprosse  sind  anfangs  convex  und  wachsen  mit  symmetrisch 
divergirenden  Zellreihen;  erst  später  werden  die  Scheitel  vertieft. 
Diese  jungen  Sprosse  haben  auch  häufig  seitliche  Zweigbildung 
durch  Auswachsen  der  peripherischen  Rindenzellen. 

In    dem    vierten   Wachsthumstypus,   Wachsthum    mit  einer 
Scheitelfläche  hat  der  Vorredner  zwei  verschiedene  Wachsthupis- 


14  Gesellschaft  naturforschender  Freunde. 

typen  mit  einander  vereinigt.  Es  ist  erstens  das  Wachsthum 
mit  symmetrisch  verlaufenden  Zellreihen  zu  unterscheiden.  Das 
Wesentliche  dieses  Wachsthums  ist,  dafs  die  den  Scheitel  bilden- 
den Zellreihen  im  Verlaufe  des  Wachsthums  zur  Seite  gelangen 
und  dort  die  Rinde  bilden,  während  sie  sich  am  Scheitel  durch 
Längstheilungen  der  Aufsenzellen  vervielfältigen.  Hiervon  ver- 
schieden ist  das  Wachsthum  mit  mehreren  oberflächlich  liegen- 
den Scheitelzellen,  wie  solches  bei  Lycopodien  und  nach  Dr. 
Russow's  Mittheilung  bei  den  Wurzeln  von  Marattia  Statt  zu 
haben  scheint.  In  diesen  Fällen  geht  die  Rinde  aus  den  von 
den  Scheitelzellen  nach  unten  und  aufsen  abgeschiedenen  Zellen 
hervor.  Eine  analoge  Verschiedenheit  hat  Schwenden  er  bei 
den  Flechten  in  dem  orthogonal -trajentorischen  und  parallel- 
faserigen Hyghanverlauf  nachgewiesen. 

Herr  Kny  hebt  den  Ausführungen  des  Herrn  Dr.  Magnus 
gegenüber  hervor,  dafs  dem  Vorhandensein  oder  dem  Mangel 
einer  Gliederung  keine  so  hohe  Bedeutung  für  die  Eintheilung 
der  Verzweigungen  beigemessen  werden  könne.  Das  Wesent- 
liche beim  Wachsthum  und  der  Zweigbildung  ist  die  Richtung, 
in  welcher  das  Protoplasma  wandert;  von  diesem  geht  der  An- 
stofs  zu  den  Wachsthumsbewegungen  der  Pflanze  aus.  Wenn 
das  Plasma  bei  einzelligen  Pflanzen  sich  continuirlich  durch  die 
ganze  Pflanze  erstreckt,  in  anderen  Fällen  durch  Quer-  und 
Längswände  gesondert  ist,  so  sind  diese  Unterschiede  zweifellos 
von  hoher  Wichtigkeit;  doch  zeigt  die  Wiederkehr  der  verschie- 
denen Verzweigungsformen  bei  einzelligen  und  vielzelligen  Pflan- 
zen ,  dafs  die  Bedeutung  der  Fächerung  für  die  Auszweigung 
keine  fundamentale  ist. 

Ferner  weist  Herr  Kny  darauf  hin,  dafs  die  Auffassung  des 
Herrn  Dr.  Magnus,  wonach  alle  Zweige,  die  aus  einem  Theile 
des  Scheitels  selbst  hervorgehen,  als  dichotom  gelten  sollen,  bei 
praktischer  Anwendung  auf  unüberwindliche  Schwierigkeiten 
stöfst.  Bei  den  mit  terminalen  Aufsenzellen  wachsenden  Stämm- 
chen ist  zwar  in  einzelnen  Fällen,  wie  bei  den  CoraUineen,  die 
Scheitelregion  nach  unten  ziemlich  scharf  begrenzt;  bei  zahlrei- 
chen anderen  Pflanzen  dagegen,  wie  bei  Chondrus  crispui,  Jiho- 
dymenia  palmata  etc.  bleiben  die  Aufsenzellen  auch  an  alleren 
Theilen  der  Sprosse  noch  lange  Zeit  thätig  und  tragen  hier  zur 


Sitzung  vom  IG.  Januar.  15 

Verdickung  und  Verlängerung  das  Ihrige  bei.  Eine  Abgrenzung 
der  Scheitelregion  wäre  hier  eine  rein  willkürliche,  da  die  Thei- 
lungen  von  der  Stammspitze  nach  abwärts  allmälig  an  Leb- 
haftigkeit abnehmen.  Wollte  man  alle  jene  Theile,  wo  die 
Aufsenzellen  noch  thätig  sind,  zum  Scheitel  rechnen,  so  müfste 
man  consequenter  Weise  auch  solche  Zweige,  die  weit  unter- 
halb der  Stammspitze  entstehen,  für  dichotom  erklären. 

Herr  Braun  legte  zur  Ansicht  eine  Frucht  von  Uncaria 
procumbens  Burchell  aus  der  Familie  der  Pedalineen  vor,  welche 
hier  in  der  Schaafwolle  des  Handels  gefunden  wurde.  Diese 
sonderbare,  von  weitem  einem  froschartig  niedergedrückten  viel- 
füfsigen  Thiere  ähnliche  Frucht  ist  an  den  Seiten  mit  3  Paaren 
langer  plattgedrückter  und  selbst  wieder  mit  hakenartigen  Fort- 
sätzen bewaffneter  Stacheln  besetzt,  welche  sich  beim  Aufsprin- 
gen spalten  und  dadurch  verdoppeln.  Alle  diese  Stacheln  krüm- 
men sich  etwas  nach  der  Oberseite  der  platt  am  Boden  auf- 
liegenden Frucht  und  sind  ganz  geeignet  sich  fest  in  den  Pelz 
eines  sich  zur  Erde  niederlegenden  Schaafes  zu  verwickeln. 

Derselbe  legte  ferner  einen  vortrefflich  erhaltenen  Steinkern 
einer  fossilen  Nufs  aus  der  Gattung  Carya  vor,  angeblich  von 
Blankenburg,  wo  allerdings  in  des  jüngeren  Kreide  mit  zahl- 
reichen Steinkernen  von  Mollusken  auch  Pflanzenreste,  nament- 
lich Blätter  von  Crednerien  vorkommen.  Da  jedoch  dieser 
Nufskern  mit  mehreren  Formen  fossiler  Caryakerne  aus  den 
mittleren  Tertiärbildungen  sehr  nahe  übereinstimmt,  so  erscheint 
die  Angabe  des  Fundorts  zweifelhaft. 


Als  Geschenke  wurden  mit  Dank  entgegengenommen: 
Monatsberichte  der  Berl.  Akad.  der  Wissenschaft.    September  und 

Oktober  1871. 
Schriften  der  norwegischen  Universität  aus  Christiania.  3  Hefte. 


A.W.  Schade's  Buchdruckerei  (L.  Schade)  iu  Berliu,  ütallschreiberstr.  il. 


Sitzunos-ßericht 


ö 
der 


Gesellschaft  naturforschender  Freunde 

zu  Berlin 
am   20.  Februar  1872. 


Director:  Herr  Geheimer  Medicinalrath  Gurlt. 


Herr  Ehrenberg  legte  zuerst  9  grofse,  vom  Militair-Me- 
dicinal-Departement  in  Washington  unter  Leitung  des  Lieutenant 
Colonel,  Assistent  surgeon  Woodward  neuerlich  fortgesetzte 
photographische  Blätter  vor,  welche  sehr  saubere  und  scharf 
gelungene  Darstellungen  von  Muskelbündeln,  Speichelkörperchen 
und  verschiedeneu  organischen  Gewebstheilen  unter  Einwirkung 
des  Sonnenlichtes  umfassen.  Die  Regierung  der  Vereinigten 
Staaten  und  Herr  Wood  ward  erwerben  sich  damit  das  Verdienst 
die  grofsen  technischen  Schwierigkeiten  zur  Ueberwindung  der 
Hindernisse  für  die  Objectivität  der  mikroskopischen  Auffassun- 
gen, was  für  Privatpersonen  zu  kostbar  ist,  in  kurzer  Zeit 
beseitigen  zu  helfen.  So  tritt  die  Hoffnung  denn  immer  näher, 
dafs  einfachere  Einrichtungen  die  immer  feiner  und  tiefer  ein- 
zurichtenden Forschungen  unterstützen  und  an  die  Stelle  unmo- 
tivirter  Behauptungen  immer  mehr  directe  Beweise  für  das  dem 
blofsen  Auge  verborgene  Leben  stellen  werden.  Die  heut  aus 
Washington  eingetroffenen  Photographien  scheinen  neueste  Pro- 
ducte  der  nützlichen  Anstalt  zu  sein. 

Derselbe  stellte  auch  für  dieses  Jahr  den   noch   lebenden 

Proteus    anguinus    (Hypochthon    Laurenti)    in    seiner    schwarzen 

Färbung    vor,    den    er    seit   September    1859    beobachtet.     Das 

Exemplar   ist   mithin  jetzt   5    Monate   über    12   Jahre   in    Berlin 

[1872.]  2 


18  Gesellschaft  naturforschender  Freunde. 

lebend.  Seine  Gröfse  hat  sich  nicht  verändert.  Man  könnte 
daraus  schliefsen,  dafs  er  1859  auch  nicht  jung,  sondern  viel- 
leicht schon  mehrere  Jahre,  vielleicht  eben  so  alt  gewesen,  um 
seine  constante  Gröfse  zu  erlangen.  Uebrigens  haben  sich  be- 
sondere neue  Beobachtungen  an  ihm  nicht  begründen  lassen. 

Die  Verkümmerung  der  Anfangs  grofsen  corallrothen  Kie- 
men auf  kleine  blafsröthliche  Fasern  und  meist  ganz  eingezo- 
gene weifs farbige,  offenbar  nicht  fungirende  Verkürzungen  ist 
der  gewöhnliche  Zustand  geblieben,  aber  nach  jeder  Fütterung 
oder  Beunruhigung  treten  die  blassrothen  Kiemfäden  wieder  etwas 
mehr  hervor.  So  ist  denn  die  Umwandlung  in  ein  volles  Lun- 
genthier  nach  so  langer  Zeit  noch  nicht  erfolgt. 

Ferner  war  auch  jener  schon  öfter  lebend  vorgezeigte  Triton 
lacustris  zur  Ansicht  gebracht,  welcher  seit  dem  Jahre  1860  be- 
obachtet wird.  Seine  Häutung  ist  hinreichend  bekannt,  und 
sein  v.om  Proteus  verschiedenes  Benehmen  beim  Verschlingen 
von  Regenwürmern  ist  früher  hier  bemerkt.  Auch  seine  Gröfse 
hat  sich  seitdem  nicht  verändert.  Ein  besonderes  Interesse  ge- 
währte mir  seine  im  Jahre  1865  erfolgte  Erkrankung  an  der 
Schimmel  ähnlichen  Saprolegnia- Krankheit,  über  die  ich  1838 
im  Infusorienwerk  pag.  37  vielfache  Nachrichten  zusammenge- 
stellt habe  und  die  auch  von  Anderen  seitdem  oft  besprochen 
wurde.  Ueber  ein  Jahr  lang  war  die  Gegend  der  Schwanz- 
wurzel aufgetrieben  und  lange  Schimmelfäden  flottirten  darum 
im  Wasser.  Dieser  geschwollene  Hintertheil  war  gewöhnlich  an 
der  Oberfläche  des  Wassers  und  nur  sehr  mühsam  konnte  das 
Thier  am  Grunde  seines  Glases  sich  bewegende  Regenwürmer 
durch  gewaltsame  Anstrengung  erreichen  oder  nach  oben  hin 
Luft  schöpfen,  weshalb  es  oft  bewegungslos  und  fast  leblos  er- 
schien. Das  Interesse  liegt  nun  an  dem  allmäligen  Zurücktreten 
dieser  gewöhnlich  bei  Goldfischen  tödtlichen  Krankheit,  welche 
seit  einigen  Jahren  bei  ihm  wieder  vollständig  verschwanden  ist. 
.Herr  v.  Martens  sprach  über  den  Nestbau  der  Fische. 
Er  erwähnte  zuerst  der  in  verschiedenen  Zeitungen  berichteten 
Entdeckung  von  L.  Agassiz  über  den  Nestbau  eines  Fisches 
im  schwimmenden  Tang  des  atlantischen  Oceans;  der  Original- 
bericht des  Entdeckers  befindet  sich  in  der  New  York  weekly 
Tribüne  von.  s.  Januar  1872:  das  Nest  besteht  aus  den  Stücken 


Sitzung  vom  20.  Februar.  19 

des  genannten  Tanges,  die  mittelst  elastischer  gelatinöser  Fäden 
zusammengewebt  sind;  diese  Fäden  zeigen  Knöpfe  (beads)  theils 
einzeln,  theils  häufen-  oder  büschelweise  vereinigt;  ob  das  nun 
die  Eier  selbst  sind,  geht  aus  dem  Beriebt  nicht  deutlich  her- 
vor, jedenfalls  sind  die  Eier  in  dem  ganzen  Nestballen  zerstreut 
und  nicht  in  einer  mittlem  Höhle  angesammelt.  Agassi z  be- 
obachtete die  Embryonen  derselben  und  brachte  einige  zum  Aus- 
schlüpfen. Die  Bestimmuug  der  Gattung  und  Art  gelang  ihm 
nur  durch  Vergleichung  der  Pigmentzellen  der  jungen  eben  aus 
den  Eiern  ausgeschlüpften  Fische  mit  denen  der  sonst  in  diesem 
Tangwasser  gefundenen  erwachsenen  Fische;  er  kam  hierdurch 
auf  Chironectes  pictus  (Antennarius  marmoratus),  einen  Fisch,  der 
durch  seine  olivengelbe  Farbe  und  verschiedene  Hautanhängsel 
in  auffälliger  Weise  das  Ansehen  des  Tanges,  zwischen  welchem 
er  lebt,  nachahmt,  und  der  durch  den  Golfstrom  öfter  auch  über 
seine  tropische  Heimath  nach  Norden  verschleppt  wird.  Der 
Vortragende  geht  sodann  auf  die  schon  von  früher  her  bekann- 
ten Fälle  von  nestbauenden  oder  eierbewachenden  Fischen  über; 
der  bekannteste  hiervon  ist  der  Stichling,  Gasterosteus  aculeatus 
und  pungitius,  ersterer  am  Grund  der  Gewässer,  letzterer  zwi- 
schen Wasserpflanzen  sein  Nest  bauend;  beide  beschützen  auch 
die  Eier  und  die  eben  ausgeschlüpften  Jungen  gegen  Angriffe, 
die  oft  von  ihrer  eigenen  Art  ausgehen.  Vom  Wels  erwähnt 
Aristoteles,  dafs  er  seine  Eier  bewache;  diese  Angabe  wird 
von  verschiedenen  Schriftstellern  des  Alterthums  und  Mittelalters 
wiederholt;  aus  der  neueren  Zeit  ist  keine  derartige  Beobach- 
tung an  unserm  europäischen  Wels  bekannt,  wohl  aber  haben 
Hancock  (Zoological  Journal,  IV,  1828.  S.  245)  und  Rieh- 
Schomburgk  (Reisen  in  Britisch.  Guyana,  II,  S.  411)  an  süd- 
amerikanischen Gattungen  der  Welsfamilie,  Do  ras  und  Cal- 
lichthys,  beobachtet,  dafs  sie  Nester  bauen,  ersterer  aus  Blät- 
tern, letzterer  aus  Gras,  und  dieselbe  gegen  Angriffe  zu  verthei- 
digen  suchen.  Eine  Art  der  Meergrundel,  Gobius,  gräbt  sich 
nach  Olivi's  Beobachtungen  in  den  Lagunen  von  Venedig  zwi- 
schen Zosterawurzeln  eine  Höhle,  worin  die  Weibchen  ihre  Eier 
absetzen,  und  bewacht  dieselben  und  die  ausgeschlüpften  Jungen 
wobei  er  selbst  bedeutend  abmagert  (G.  v.  Martens  Reise  nach 
Venedig,   II,  S.  419).     Aehnliche   Beobachtungen   hat  Professor 

2* 


20  Gesellschaft  naturfor seh ender  Freunde. 

Nordmann  an  Arten  derselben  Gattung  in  Südrufsjand  ge- 
macht (Jahresbericht  für  1839  in  Wiegmann 's  Archiv).  Der 
Seehase  oder  Lumpfisch,  Cyclopterus  lumpus,  bewacht  ebenfalls 
seinen  Laich,  auf  dem  er  so  festsitzt,  dafs  der  Laich  die  Ein- 
drücke seiner  Bauchflossen  annimmt,  und  soll  selbst  den  See- 
wolf, Anarrhichas  lupus,  von  ihm  vertreiben,  nach  Angabe  von 
Fabricius  (1780),  womit  Faber  (Fische  Islands)  überein- 
stimmt. Ferner  macht  sich  bei  der  Gattung  Cottus  eine  ge- 
wisse Sorgfalt  für  die  Eier,  Bewachung  und  Vcrtheidigung  der- 
selben, bemerkbar;  bei  der  europäischen  Art  des  süfsen  Wassers, 
dem  Kaulkopf  oder  der  Groppe,  Cottus  gobio,  hat  schon  Mar- 
sigli  1726  dieses  bemerkt,  und  Kner  führt  in  neuester  Zeit 
dafür  das  Zeugnifs  der  Fischer  an  der  Traun  an;  bei  verschie- 
denen in  den  nördlichen  Meeren  lebenden  Arten  derselben  Gat- 
tung haben  Fabricius  und  Retzius  eine  ähnliche  Bewachung 
der  Eier  bemerkt.  Endlich  soll  ein  nordamerikanischer  unserm 
Barsch  verwandter  Fisch,  Huro  nigricans,  im  Niagaraflufs  seinen 
Laich  durch  Anhäufung  von  Steinchen  vor  der  Strömung  des 
Flusses  schützen.  Alle  in  Europa  gemachten  Beobachtungen,  in 
welchen  überhaupt  auf  das  Geschlecht  geachtet  wurde,  stimmen 
darin  überein,  dafs  es  ausschliefslich  das  Männchen  ist,  wel- 
ches sowohl  das  Nest  baut  als  die  Eier  und  Jungen  bewacht 
und  beschützt;  die  Weibchen  haben  mit  dem  Eierlegen  ihren 
Theil  des  Fortpflanzungsgeschäfts  beendigt,  und  damit  stimmt 
auch  überein,  dafs  bei  den  Seenadeln  (Syngnathus)  es  wiederum 
die  Männchen  sind,  welche  die  Eier  an  ihrem  Leibe  herumtra- 
gen. Nur  die  beiden  Beobachter  aus  Südamerika  stellen  die 
Sache  anders  dar,  Hancock  läfst  Männchen  und  Weibchen  das 
Nest  bewachen,  Schomburgk  sieht  in  dem  bewachenden  Fisch 
die  Mutter;  vielleicht  sind  beide  von  der  so  nahe  liegenden  Vor- 
aussetzung, das  Weibchen  müsse  die  Brutpflege  übernehmen,  irre 
geleitet  geworden  und  ist  es  auch  dort  nur  das  Männchen,  das 
dieses  Geschäft  ausübt. 

Derselbe  legte  der  Gesellschaft  ferner  eine  neue  Arbeit  des 
Bürgermeister  Dr.  Kirchenpauer  über  Plumularia,  eine 
Gattung  von  Hydroidpolypen  vor,  zu  welcher  er  demselben  einen 
Theil  des  Materials  geliefert,  und  ferner  eine  handschriftliche 
Mittheilung  desselben  Verfassers,  eine  neue  Familie  der  Hydroid- 


Sitzung  vom  20.  Februar.  21 

polypen,  Salaciidae,  betreffend,  weletae  sich  von  den  Sertulari- 
den  dadurch  unterscheidet,  dafs  die  Hydrotheken  lange  Röhren 
bilden,  die  unten  ohne  Scheidewand  in  das  Lumen  des  Stammes 
selbst  übergehen.  Abgesehen  von  der  noch  fraglichen  Gattung 
Cymodocea  Lamx.  1816  (non  König  1805,  was  eine  Meerpha- 
nerogame  und  non  Leach  1817,  was  ein  Krebsthier  ist)  gehören 
hierher  drei  Gattungen : 

1)  Salacia  Lamx.  Hydrotheken  in  mehr  als  zwei  Längs- 
reihen an  verschiedenen  Seiten  des  Stammes.  Arten: 
abietina  Sars  (als  Campanularia)  =  Grammaria  robusta 
Stimpson  aus  den  nordischen  Meeren,  tetracyttara  Lamx. 
aus  Australien,  und  articulata  sp.  n.,  von  dem  Vortragen- 
bei  Zamboanga  auf  der  philippinischen  Insel  Mindanao 
gesammelt. 

2)  Idia  Lamx.  Hydrotheken  in  zwei  entgegengesetzten  Rei- 
hen, unter  sich  abwechselnd.  Arten:  pristis  Lamx.  von 
Australien,  exserta  Busk  (als  Cryptolaria)  von  Madeira, 
und  obtusa  sp.  n.  von  Singapore. 

3)  Salaciella  Kirchenpauer  nov.  gen.  Hydrotheken  in 
Einer  Reihe,  je  eine  über  der  anderen  am  Stamm.  Einzige 
bis  jetzt  bekannte  Art  S.  plicata  sp.  n.,  ebenfalls  bei 
Zamboanga  vom  Vortragenden  gesammelt. 

Herr  Reichert  legte  der  Gesellschaft  die  ihm  durch  Herrn 
Splitt  gerber  übergebene  Photographie  und  biographische  Skizze 
der  Negerin  Millie  Christine  vor,  welche  seit  mehreren  Jahren 
in  Nord -Amerika  und  zuletzt  in  England  die  Aufmerksamkeit 
der  Naturforscher  im  hohen  Grade  in  Anspruch  genommen  hat. 
Die  19jährige  M.-Ch.,  in  Nord -Carolina  geboren,  ist  nach  der 
Beschreibung  eine  Zwillingsbildung  mit  zwei  vollständig  ent- 
wickelten Oberkörpern,  aus  Kopf,  Hals,  Brust  und  Armen  be- 
stehend. Dieser  doppelte  Oberkörper  geht  in  der  Lenden-  und 
Mittelbauchgegend  in  einen  äufserlich  normal  beschaffenen,  ein- 
fachen Unterkörper  über;  es  wird  namentlich  auch  bemerkt, 
dafs  ein  einfacher  Rückgrath  bis  in  die  hintere  Region  des 
Beckens  zu  verfolgen  sei.  Wie  die  Region  des  Os  sacrum  und 
Os  coccygis  sich  genau  verhalte,  ist  weder  aus  der  beigelegten 
Skizze,  noch  aus  der  Abbildung  zu  entnehmen.  Die  Beschrei- 
bung giebt  nur  an,  dafs  an  der  seitlichen  hinteren  Beckenregion» 


22  Gesellschaft  naturforschender  Freunde. 

da,  wo  der  einfache  Leib  mit  einfachem  Rückgrath  endigt,  sein 
unterer  Theil  allmählich  zu  beiden  Seiten  ablenke  (^incline  out- 
wards  from  each  side")  und  in  vier  Beine  endige,  von  welchen 
die  beiden  äufscren  zum  Gehen  allein  in  Gebrauch  gesetzt  wer- 
den und  also  wohl  am  vollkommensten  ausgebildet  sind.  Mit 
Ausnahme  der  vier  Beine  soll  sich  der  Unterleib  wie  der  eines 
einfachen  Weibes  verhalten  (Tthe  whole  of  (he  lower  Organisation 
of  the  body  is  that  of  one  female").  Die  bisherigen  Berichte  be- 
lehren uns  auch  nicht  über  das  anatomische  Verhalten  der 
Beckenregion  und  namentlich  über  die  Verbindung  der  vier 
Beine  mit  dem  Becken.  In  jedem  der  beiden  Oberkörper  be- 
finden sich  nach  den  Untersuchungen  der  Anatomen  in  Phila- 
delphia: Herz,  Lungen  und  der  entsprechende  Abschnitt  des 
Tubus  alimentarius.  In  Beziehung  auf  den  letzteren  heifst  es, 
dafs  die  Function  der  Digestion  für  jeden  einzelnen  Oberkörper 
gesondert  sei.  Dies  scheint  sich  wohl  vornehmlich  auf  den 
Magen  zu  beziehen;  in  Betreff  des  unteren  Abschnittes  des 
Tubus  alimentarius  fehlen  nähere  Angaben.  Der  Puls  an  dem 
einen  schwächeren  Oberkörper  (Millie)  ist  um  etwa  4  Schläge 
in  der  Minute  geringer,  als  der  der  Christine,  während  der 
Herzchlag  beider  Herzen  nahezu  derselbe  sein  soll.  Die  Lebens- 
äufserungen  der  beiden  Oberkörper  verhalten  sich  wie  die  von 
zwei  gesonderten  Individuen  im  Denken,  Sprechen,  bei  den  ge- 
meinschaftlichen Duettgesängen,  welche  Millie  mit  Sopran-, 
Christine  mit  der  Altstimme  ausführt.  Unerachtet  des  geson- 
derten Denkvermögens  zeigt  sich  eine  aufserordentliche  Harmonie 
in  den  Willensäufserungen  Beider.  Sie  stehen  und  gehen  mit  den 
äufseren  Beinen  und  führen  zierliche  Tänze  aus.  Der  Hunger 
stellt  sich  bei  Beiden  gleichzeitig  ein.  Die  Tastempfindungen 
an  den  Oberkörpern  sind  völlig  gesondert;  unter  der  Vereini- 
gungsstelle beider  Oberkörper  werden  alle  Berührungen  der 
Haut  von  dem  Sensorium  der  Oberkörper  gemeinschaftlich  wahr- 
genommen. Ist  diese  letztere  von  allen  Berichten  bestätigte 
Angabe  richtig,  so  ist  an  der  Vereinigungsstelle  beider  Ober- 
körper im  Verlauf  des  einfachen  Rüekgraths  auch  das  Rückenmark 
eines  einfachen  Individuums  anzunehmen.  Hiernach  gehört  die 
in  Rede  stehende  unvollständige  Zwillingsbildung  in  die  Kate- 
gorie jener   bekannten    Fälle,    bei    welcher  die  bilateral -symme- 


Sitzung  vom  20.  Februar.  23 

trische  Keimspaltung  in  der  Medianlinie  der  Keim-Anlagen  gleich- 
zeitig am  Kopf-,  —  und  zwar  hier  vorwiegend,  —  und  Schwanz- 
ende begonnen  hat,  in  der  Lenden-  und  Unterbauchgegend  jedoch 
nicht  zum  Austrage  gekommen  ist.  Zweifelhaft  bleibt  es,  wie 
weit  im  Bereiche  der  Eingeweide  die  Keimspaltung  vorgedrun- 
gen sei.  Bei  unvollständigen  Zwillingsbildungen  dieser  Art  giebt 
es,  wie  die  Untersuchungen  des  Herrn  Dönitz  gelehrt  haben, 
röhrige,  häutige  Bildungen  wie  z.  B.  die  des  Tubus  alimentär ius, 
die  anscheinend  einfach  bilateral-symmetrisch  construirt  erschei- 
nen und  dennoch  in  jeder  Hälfte  die  beiden  bilateral -symmetri- 
schen Elemente  des  normalen  Hohlkörpers  enthalten.  Es  wäre 
zu  wünschen,  dafs  dieser  so  aufserordentlich  günstige  Fall  einer 
partiellen  Zwillingsbildung  weniger  zum  Spectakelstück  für  die 
Neugierde  und  zum  Gelderwerb,  als  vielmehr  zum  Gegenstande 
ernster  physiologischer  Studien  gemacht  würde. 

Die  beiden  Individuen  einer  nur  theilweise  oder  auch  völlig 
getrennten  Zwillingsbildung  sowohl  des  Menschen  als  der  Säuge- 
thiere  sind,  wie  auch  der  gegenwärtige  Fall  lehrt,  stets  gleichen 
Geschlechts,  entweder  männlich  oder  weiblich.  Da  die  bilateral- 
symmetrische Keimspaltung,  durch  welche  diese  Zwillingsbildun- 
gen erzeugt  werden,  sehr  frühzeitig  und  zwar  um  die  Zeit  der 
Bildung  der  Primitivrinne  sich  einstellt,  so  hätte  man  anzuneh- 
men, dafs  hier  die  Geschlechtsdifferenz  schon  vor  dem  Auftreten 
der  Primitivrinne  in  dem  befruchteten  Eie  gegeben  sei.  Die 
Anatomie  und  Physiologie  besitzt  gegenwärtig  noch  keine  siche- 
ren Anhaltspunkte,  um  die  Frage  zu  beantworten,  ob  die  Ge- 
schlechtsdifferenz schon  in  dem  unbefruchteten  Ei  vorhanden 
sei,  oder  ob  sie  erst  später  bei  der  Befruchtung  oder  während 
der  Entwickelungsvorgänge  bis  zum  Auftreten  der  Primitivrinne 
zur  Entscheidung  gelange;  völlig  räthselhaft  bleibt  es  überdiefs, 
durch  welche  ursächlichen  Momente  die  Geschlechtsdifferenz 
überhaupt  zu  Stande  komme.  Herold 's  Beobachtungen  und 
von  Siebold 's  Forschungen  über  Parthenogenesis  beim  Seiden- 
spinner und  bei  den  Arten  der  Gattung  Psyche  führen  auf  Er- 
scheinungen und  Vorgänge  zurück,  aus  denen  man  auf  die  Un- 
abhängigkeit der  Geschlechtsdifferenzirung  vor  dem  Befruchtungs- 
act  schliefsen  müfste.  Dr.  Joseph  in  Breslau  hat  neuerdings 
(Bericht    über    die    Thätigkeit   der   entomologischen   Section   der 


24  Gesellschaft  naturforschender  Freunde. 

Schlesischen  Gesellschaft  im  Jahre  1870)  Beobachtungen  mitge- 
theilt,  aus  welchen  hervorgeht,  dafs  bei  Liparis  dispar,  Orgyia 
gonostigma  und  antiqua  schon  die  unbefruchteten  Eier  in  den 
keimbereitenden  Röhren  durch  ihre  Form  die  geschlechtliche 
Differenz  zu  erkennen  gebe.  Für  diese  Ansicht  spräche  auch 
die  Angabe,  dafs  aus  den  unbefruchteten  Eiern  der  Bienen- 
königin stets  Drohnen  hervorgehen.  Diesen  Thatsachen  gegen- 
über stehen  die  aus  einem  befruchteten  Ei  sich  entwickelnden 
hermaphroditischen  Thiere  und  vor  Allem  die  hermaphroditischen 
Individuenstöcke,  welche  letztere  bei  den  Pflanzen  so  sehr  ver- 
breitet sind.  Sie  liefern  den  unzweifelhaften  Beweis,  dafs  hier 
weder  die  unbefruchteten  noch  die  befruchteten  Eier  einen  be- 
stimmten Gescblechtscharakter  haben  können.  Man  wird  sich 
wohl  dabei  beruhigen  müssen,  das  Auftreten  der  geschlechtlichen 
Differenz  zu  der  Zeit  und  an  dem  Ort  festzustellen,  wann  und 
wo  die  entsprechenden  anatomischen  Charaktere  vorgefunden 
werden. 


Als  Geschenke  wurden  mit  Dank  entgegengenommen : 

Monatsberichte  der  Berl.  Akad.  der  Wissenschaft.   November  1871. 

Erster  Jahresber.  d.  naturw.   Vereins  zu  Osnabrück.    1870.   1871. 

Protokolle  über  die  Verhandl.  der  perman.  Commission  d.  Europ. 
Gradmessung.     Wien  1871. 

Protokolle  üb.  d.  Verhandl.  d.  allgem.  Conferenz  d.  Europ.  Grad- 
messung.    Wien  1871. 

Une  experience  relative  ä  la  question  de  la  Vapeur  vesiculaire  p. 
Plateau.     Bruxelles  1871. 

Memoires  de  VAcad.  Imp.  d.  Sc.  d.  St.  Petersbourg.  Tome  XVI. 
No.  9—14.     Tome  XVII.  No.  1  —  10. 

Bulletins  de  VAcad.  Imp.  d.  Sc.  d.  St.  Petersbourg.     Tome  XVI. 

Agassiz,  kleiner  besonderer  Abdruck  über  Tiefgrundhebungen  im 
Meere. 


K.  W.  Soliado'a  Buclulruckerei  (L.  Schatte)  In  Berlin,  SUllschrcibci  ;Jr.  11 


Sitzun  os-Bericht 


o 
der 


Gesellschaft  naturforsohender  Freunde 

zu  Berlin 
am   19.  März  1872. 


Director:  Herr  Geheimer  Medicinalrath  Gurlt. 


Herr  Ehrenberg  gab  zu  den  im  Mai  vorigen  Jahres  hier 
mitgetheilten  Nachrichten  und  Proben  von  einer  seltenen  Seh- 
kraft weitere  Erläuterungen  und  Zusätze.  Aus  einem  Schreiben 
des  Herrn  Professor  Reuter  am  Katharinäum  in  Lübeck  an 
Herrn  Dr.  Frege  in  Wismar  geht  hervor,  dafs  der  Verfasser 
von  Kleinschriften  ganzer  Predigten  der  verstorbene  Pastor 
Peter  Heinrich  Petersen  in  Lübeck  ist.  Es  heisst  in  dem 
Schreiben  des  Professor  Reuter  wörtlich  weiter:  „In  Beziehung 
auf  die  Augen  des  Pastor  Petersen  habe  ich  von  dem  Urenkel 
nur  folgende  kurze  aber  sichere  Nachrichten  einziehen  können. 
Der  Pastor  Petersen  memorirte  im  stärksten  Tabaksqualm 
nach  solchen  Reinschriften,  von  denen  eine  eben  beiliegt,  seine 
Predigten  und  folglich  hätte  er  sie  auch  auf  der  Kanzel  zur 
Noth  einmal  benutzen  können."  —  „Ich  lege  noch  einen  ganzen 
Band  so  zu  sagen  sehr  klein  geschriebener  Predigten  von  Baum- 
garten-Crusius,  dem  ersten  dieses  Namens  und  dem  Vater 
jener  beiden  Baumgarten-Crusius,  von  denen  der  eine  als 
Philologe,  der  andere  als  Theologe  rühmlich  bekannt  geworden 
ist,  bei.  Die  Schrift  dieser  Predigten  ist  zwar  lange  nicht  so 
klein,  als  die  unseres  Petersen,  aber  dennoch  werden  diesel- 
ben, wie  ich  nicht  zweifle,  Interesse  haben.  —  Von  Petersen 
[1872.]  3 


26  Gesellschaft  naturforschender  Freunde. 

sollen  auf  der  Göttinger  Bibliothek  noch  einige  so  klein  ge- 
schriebener Predigten  aufbewahrt   werden.  — " 

Zu  diesen  von  einer  noch  kleiner  geschriebenen  Predigt, 
als  die  zwei  im  Mai  vorgelegten,  und  dem  Fascikel  von  Predig- 
ten von  Baumgarten -Crusius  begleiteten  Nachrichten  des 
Herrn  Professor  Reuter  ist  durch  den  Hauptpastor  zu  Trave- 
münde  bei  Lübeck  Herrn  Dr.  theol.  et  phil.  Heller  folgende 
nähere  Bezeichnung,  die  Predigten  des  Professor  Baumgarten- 
Crusius  betreffend,  mir  gütigst  mitgetheilt  worden.  Er  schreibt 
darüber  wörtlich:  „Wie  Sie  sehen  werden  sind  die  Predigten 
nicht  Abschriften  sondern  erster  Entwurf  und  dadurch  um  so 
interessanter.  Auch  scheint  der  Verfasser  sie  als  Concept  auf 
der  Kanzel  benutzt  zu  haben,  da,  wie  Sie  bemerken  werden,  er 
unter  einer  geschrieben,  dafs  er  wegen  Augenkrankheit  sie  nicht 
habe  halten  können." 

Diese  neuen  Materialien  sind  von  höchst  auffallender  Eigen- 
tümlichkeit und  bestätigen  das  Vorkommen  sehr  seltener  Seh- 
kraft bei  einzelnen  Menschen.  Es  ist  eine  längst  bekannte  und 
vielfach  wiederholte  Thatsache,  dafs  Kalligraphen  und  Kupfer- 
stecher im  Stande  sind  auf  den  Raum  eines  halben  oder  ganzen 
Silbergroschens  das  Vater -Unser  oder  die  Zehn  Gebote  lesbar 
aufzuschreiben.  Auch  werden  bei  Kalligraphien  oft  verschlun- 
gene Zierrathen  in  sehr  kleiner  Schrift  mühsam  ausgeführt  und 
auf  Kassenbillets  ist  öfter  eine  sehr  kleine  Schrift  zur  Sicherung 
gegen  Nachahmung  angebracht.  Alle  diese  Fälle  erwecken 
zwar  leicht  Versuche  die  Sehkraft  der  natürlichen  Augen  mit 
Glück  zum  Lesen  derselben  anzustrengen  und  mit  Hülfe  von 
Brillen  und  Lupen  erreicht  man  die  Genugthuung  sie  vollständig 
zu  entziffern.  In  all  diesen  Fällen  ist  das  Schreiben  sowohl  als 
das  Lesen  so  kleiner  Schrift  ein  angestrengter  Zeitvertreib  ge- 
wöhnlich mit  künstlich  verstärkter  Sehkraft  und  verlangt  nur 
vorübergehende  kurze  Anstrengung. 

Ganz  anders  sind  die  Convolute  geschriebener  Predigte« 
des  Predigers  Petersen,  von  denen  im  Mai  bereits  die  Rede 
war.  Sie  sind  massenhaft  nicht  zum  Vergnügen  oder  zur  Osten* 
tation  verfertigte  Produkte,  vielmehr  sind  sie  in  behaglicher 
Natürlichkeit  zu  oft  wiederkehrenden  Zwecken  verwendete  Iliill's- 
mittel  amtlicher  Thätigkeit.    Wenn  die  im  Mai  v.J.  vorgelegten 


Sitzung  vom  19.  März.  27 

Predigten  auf  einen  Pariser  Zoll  35  Schriftzeilen  enthielten,  so 
zeigt  diese  neueste  Predigt  in  Kleinschrift  desselben  Verfasser 
38  Schriftzeilen  auf  einen  Pariser  Zoll  und  ist  die  ganze  Predigt 
in  den  Raum  von  3|  par.  Zoll  Länge  und  5^  Zoll  Breite  nieder- 
geschrieben. Diese  Schrift  zu  entziffern,  welche  der  Verfasser 
geläufig  gelesen  hat,  ist  selbst  mit  der  Lupe  immerhin  schwierig, 
so  dafs  nur  einzelne  Worte  deutlich  werden.  Diese  Schwierig- 
keit scheint  in  der  Eigentümlichkeit  der  Handschrift  des  Ver- 
fassers zu  liegen,  welche  keine  geradlinigen  Buchstaben  enthält. 
Ganz  anders  sind  die  Schriften  von  Baumgarten-Cru- 
sius  aus  Merseburg.  Das  übersandte  Büchelchen,  dessen  Blätter 
6£  Zoll  Länge  und  3£  Zoll  Breite  haben  enthält  148  Blätter 
und  auf  diesen  270  Predigten,  so  dass  auf  jedem  der  meisten 
Blätter  2  Predigten  niedergeschrieben  sind.  Alle  diese  Blätter 
enthalten  in  einem  Pariser  Zoll  18  Schriftzeilen  und  sind  meist 
für  myopische  Personen  oder  bei  Vergrösserung  mit  einiger  An- 
strengung lesbar.  Bei  einer  solchen  Massenhaftigkeit  gleicher 
Thätigkeit  der  Sehkraft  ist  die  Vorstellung  einer  grofsen  An- 
strengung oder  Ostentation  des  Verfassers  ausgeschlossen.  Es 
ist  auch  kein  Zeitvertreib,  sondern  offenbar  eine  einfache  und 
ungezwungene  Verwendung  einer  natürlichen  Sehkraft.  Es  feh- 
len noch  einige  Nachrichten  darüber,  ob  beide  Verfasser  dieser 
Schriften  sich  der  Brillen  bedienten  und  wie  stark  sie  kurzsichtig 
waren. 

Es  ist  mir  aus  Berlin  ein  Fall  sehr  scharfer  Sehkraft  durch 
Kurzsichtigkeit  und  dessen  nicht  ostensive  aber  nützliche  Ver- 
wendung in  gröfserem  Maafsstabe  bekannt.  Es  war  dies  der  in 
den  fünfziger  Jahren  verstorbene  Buchhändler  Schüppel,  ein 
eifriger  Insekten-Sammler  und  aus  Liebhaberei  überaus  genauer 
Maler  der  Insekten.  Derselbe  hat  viele  schöne  Abbildungen  ge- 
fertigt, auf  denen  die  Härchen  gezählt  erscheinen,  ohne  den 
Gesammteindruck  des  Bildes  zu  stören  und  welche,  wie  sich 
unser  anwesender  Entomolog,  Herr  Ger  stärker,  auch  erinnert, 
durch  Vervielfältigen  nur  verlieren  konnten. 

Es  ist  mir  durch  Professor  Reuter  noch  die  Nachricht  zu- 
gekommen, dafs  in  Lübeck  noch  ein  anderer  Prediger  ebenfalls 
feine  Schriften  gefertigt  habe,  doch  sah  ich  keine  Proben  und 
glaube,  dafs  man  mehrseitig   versuchsweise  die  kleinen  Schriften 


28  Gesellschaft  natur/or -sehender  Freunde. 

nachgeahmt   hahe.     Die   Predigten    des  Pastors  Petersen    sind 
von    den   Jahren    177G    an    gefertigt,    die    von    Baumgarten- 
Crusius  aus  den  Jahren   179G  — 1800,  also  5  Jahrgänge.     Die 
kleinste   Druckschrift,    welche    unter    dem    Namen   Nompareille 
antiqua    zur    Ansicht    vorliegt,    enthält    in    jedem    Pariser    Zoll 
9  Schriftlinien,  also  nur  die  Hälfte  der  der  Predigten  von  Uaum- 
garten-Crusius    und    den    vierten  Theil   der   von    Petersen. 
Die    neuere  Photographie    kann    durch  Verkleinerung   noch  weit 
kleinere  Schriften  darstellen,  zu  deren  Lesen  aber  wieder  höhere 
künstliche  Verstärkung  der  natürlichen  Sehkraft  erforderlich  ist. 
Herr   Magnus    berichtet    über   eine   Eigenthümlichkeit   der 
Delesseria  sinuosa  (Good.  fy  Woodw.)  Lamour.,   die   er   während 
der  Fahrt  der  Pommerania  beobachtet  hat  und  die  er  nicht  in 
der   Litteratur    erwähnt    findet.      Am    29.  Juni    1871    wurde   im 
Stoller  Grunde  in  b  Faden  Tiefe  Furcellaria  fastigiata  in  grofser 
Menge  dicht  bei  einander  wachsend   angetroffen   und   auf  dieser 
in  grofser  Häufigkeit  die  Del.  sinuosa.    Die  Untersuchung  zeigte, 
dafs    sich   die   letztere    an   die    dünnen    runden   Stämmchen    der 
Furcellaria    durch    zahlreiche    einfache    oder    verzweigte    Rand- 
spröfschen  hielt,    die  aus  parallel  verlaufenden  Zellreihen  beste- 
hen und  deren  fortwachsender  Scheitel  aus  den  Endzellen  dieser 
parallelen  Reihen   gebildet   ist.     Sie    bilden   sich    durch   gemein- 
schaftliches Auswachsen  einiger  benachbarten,  dem  Rande  nahe 
gelegenen  Zellen    des  Delesseria- Laubes.     Ihre  Verzweigung   ist 
sehr  mannigfaltig.    Sie  verzweigen  sich  entweder  dicho-  bis  poly- 
tomisch,   indem  Gruppen    der   den  Scheitel  bildenden  Endzellen 
in  verschiedene  Richtung  weiterwachsen,   wobei  keineswegs  die 
Theilsprosse  immer  gleich  stark  sind.    Oder  die  Zweige  sind  seit- 
lichen Ursprungs,  und  werden  diese  seitlichen  Sprosse  in  eigen- 
thümlicher  Weise   angelegt.     Einzelne  benachbarte  Gliederzellen 
benachbarter    Reihen    wachsen    gemeinschaftlich    senkrecht    zur 
Längsrichtung  der  Reihen  aus,    um    sich    später  längs  und  quer 
zu   theilen.     Die   diesen    sich   gleichsam   ausbauchenden   Reihen- 
gliedern peripherisch    benachbarten  Reihenglieder  weiden  häutig 
theilweise  mit  hervorgekrümmt   und  wachsen  dann  an  dem  her- 
vorgekrümmten   Ende   weiter,  so  den  äufseren  Zellenreihen  der 
Sprosse  den   Ursprung  gebend. 

Diese  soeben  beschriebenen  Sprosse   sind   ganz    analog  den 


Sitzung  vom  19.  März.  29 

bei  manchen  Florideen  bekannten  sogenannten  Wurzeln  aus 
.  verwachsenen  Zellfäden,  wie  sie  z.  B.  Nägeli  bei  Peyssonelia 
squamaria  und  Cryptopleura  lacerata,  Crouan  bei  Nitophyllum 
reptans,  Cr  am  er  bei  Herpoceras  austräte  beschrieben  und  abge- 
bildet haben ;  doch  scheinen  sie  hier  immer  unverzweigt  zu  blei- 
ben, und  breiten  sich  ihre  Enden  mehr  oder  minder  zu  Haft- 
scheiben über  dem  Substrat  aus.  Letzteres  findet  nur  sehr  selten 
an  diesen  Sprossen  bei  Del.  sinuosa  Statt,  und  wurde  nur  an 
schwedischen  fructificirenden  Exemplaren  getroffen,  die  Vortra- 
gendem von  Prof.  J.  E.  Areschoug  auf  seine  Bitte  freundlichst 
zugesandt  waren.  Auch  die  sogenannten  Wurzeln  der  Furcel- 
laria  möchten  hier  erwähnt  werden;  doch  wachsen  diese,  wie 
die  Laubaxen,  mit  divergirenden  Zellreihen  und  unterscheiden 
sich  von  letzteren  überhaupt  nur  durch  ihr  nach  abwärts  ge- 
richtetes Wachsthum,  sowie  die  Ausbreitung  ihres  Scheitels  auf 
dem  Substrate,  wo  sie  dieses  treffen.  Ebenso  haben  die  Wur- 
zeln der  Laminarien  einen  ganz  ähnlichen  Ursprung,  doch 
wachsen  diese  mit  unter  einem  sehr  schiefen  Winkel  divergi- 
renden Zellreihen,  wenigstens  die  schon  entwickelteren  Wurzel- 
sprosse. 

Anfänglich  glaubte  der  Vortragende  es  mit  einer  bestimm- 
ten localen  Varietät  zu  thun  zuhaben;  aber  die  bei  Darserort , 
im  Sund  u.  a.  a.  O.  während  der  Reise  getroffene  Del.  sinuosa 
zeigte  dieselbe  Bildung;  ebenso  haben  die  vor  Jahren  in  Hel- 
goland gesammelten  Exemplare,  sowie  die  von  Dr.  O.  Rein- 
hardt bei  Norderney  gesammelten  und  Vortragendem  gütigst 
mitgetheilten,  sowie  endlich  die  aus  Schweden  von  Prof.  Are- 
schoug erhaltenen  sämmtlich  diese  Wurzel-  oder  Rankensprosse, 
wenn  auch  in  verschiedener  Häufigkeit,  so  dafs  sie  wohl  eine 
typische  Eigenthümlichkeit  der  Del.  sinuosa  sind. 

Während  Del.  sanguinea  und  Del.  Hypoglossum  nur  aus  den 
oberflächlichen  Zellen  der  Mittelrippe  adventive  Laubsprosse  ent- 
wickeln, bilden  sich  solche  bei  Del.  sinuosa  und  Del.  alata  nur 
aus  den  Randzellen  des  Laubes  (bei  Del.  alata  sehr  häufig  zahl- 
reich in  den  Winkeln  der  Normaläste),  und  fällt  die  Ebene 
dieser  adventiven  Sprosse  mit  der  Ebene  der  Hauptfrons  zu- 
sammen. Es  ist  nun  interessant,  dafs,  wenn  sich  in  der  Frons 
der  Del.  sinuosa  Löcher  durch  Zerreifsen  oder  sonst  wie  gebildet 
haben,  beliebige  Randzellen  eines  solchen  Loches  zu  adventiven 


30  Gesellschaft  naturforschender  Freunde. 

Laubsprossen   auswachsen,    und   liegen   diese   adventiven  Laube 
ebenfalls  in  der  Ebene  der  Hauptfrons. 

Ferner  trug  Herr  P.  Magnus  die  Ergebnisse  seiner  fort- 
gesetzten Untersuchungen  über  die  Anatomie  der  Cym  odoceen 
vor.  Durch  gefällige  Vermittelung  des  Herrn  Dr.  Kny  erhielt  er 
von  Herrn  Dr.  Langenbach  in  Alkohol  gelegte  Stücke  der 
Cymodocea  nodosa  (Ucria)  Aschs.  aus  Palermo.  Wenn  er  auch 
an  diesem  Material  die  Entwickelung  der  eigentümlichen  Epi- 
dermiszellen  der  Blätter  nicht  erledigen  konnte,  so  fand  er 
dafür  zu  seiner  Ueberraschung  ein  an  dem  trockenen  Material 
ganz  übersehenes  System  von  Schlauchgefäfsen.  Im  ganzen 
Stammumfange  liegen  ein  bis  zwei  Zelllagen  unter  der  Epider- 
mis senkrecht  verlaufende  Schlauchgefäfse ,  deren  Inhalt  an  den 
Alkoholexemplaren  stärker  lichtbrechend  ist.  Seitliche  Verbin- 
dungen gehen  sie  nicht  mit  einander  ein,  und  findet  man  zu- 
weilen zwei  benachbarte,  die  nur  durch  eine  gemeinschaftliche 
Längswand  von  einander  getrennt  sind.  Sie  verlaufen  senk- 
recht durchs  Internodium  und  biegen  durch  den  Knoten  in  den 
unteren  Theil  der  Blätter,  woselbst  sie  in  gröfserer  oder  gerin- 
gerer Höhe  aufhören  und  durch  die  eigentümliche  Ausbildung 
der  im  Jahrg.  1870  d.  Ber.  pag.  88  erwähnten  Epidermiszel- 
len  ersetzt  zu  werden  scheinen.  Während  im  Internodium  keine 
Querwände  vorhanden  sind,  sind  solche  im  Knoten  erhalten, 
und  liegen  dort  auch,  aufser  den  in  den  Längsreihen  liegenden 
Schlauchzellen,  solche  einzeln  im  peripherischen  Parenchym. 
Born  et  hat  in  seiner  schönen  Arbeit  über  diese  Pflanze  in  den 
Ann.  d.  sc.  nat.  5e  Ser.  T.  1  diese  Schlauchgefäfse  übersehen; 
er  spricht  blofs  von  überall  im  Gewebe  verbreiteten  „cellules 
remplies  oVun  liquide  oleagineuseu  und  erwähnt,  dafs  sie  häufig 
seien  „dans  le  renßement  du  faisceau  central". 

Wie  schon  erwähnt,  konnte  die  Entwicklungsgeschichte 
der  eigenthümlichen  Epidermiszellen  an  dem  Material  Dicht  ver- 
folgt werden.  Schon  im  vorigen  Jahre  fiel  dem  Vortragenden 
ihre  sehr  verschiedene  Länge  bei  Cym.  nodosa  auf,  und  lag  die 
Vermuthung  nahe,  dafs  die  längeren  aus  der  Verschmelzung 
unter  einander  liegender  Epidermiszellen  unter  Resorption  der 
Trennungswände  entstanden  sein  möchten.  Auch  wurden  zwei 
Mal  an  den  mit  Kali  behandelten  Präparaten  anvollständige  (viel- 


Sitzung  vom  19.  März.  31 

leicht  z.  Th.  resorbirte)  Scheidewände  angetroffen,  doch  konnte 
der  Vortragende  zu  keiner  sicheren  Entscheidung  gelangen,  und 
ebensowenig  ist  es  ihm  heute  möglich.  Seitdem  hat  Dr.  Engler 
in  Bot.  Zeit.  1871  pg.  886  ganz  analoge  Schlauchzellen  in  der 
Epidermis  der  Saxifragen  aus  der  Sectio  Cymbalaria  nachge- 
wiesen und  es  wahrscheinlich  gemacht,  dafs  die  längeren  aus 
Vereinigung  mehrerer  unter  Verschwinden  der  Querwände  her- 
vorgehen. Hervorzuheben  ist  jedoch,  dafs  oft  bei  hintereinan- 
derliegenden  heterogenen  Epidermiszellen  die  Trennungswände 
erhalten  sind ;  so  wurde  dies  namentlich  immer  bei  Cymodocea 
serrulata  (R.  Br.)  getroffen,  wo  überhaupt  diese  Zellen  meist 
von  gleicher  Gröfse  sind  und  nur  relativ  wenig  die  anderen 
Epidermiszellen  an  Länge  und  Breite  übertreffen. 

Nachdem  der  Vortragende  das  Schlauchgefäfssystem  von 
Cymodocea  nodosa  (Ucria)  Aschs.  kennen  gelernt  hatte,  kam 
ihm  sogleich  die  Vermuthung,  dafs  die  Gebilde  am  Stamme  der 
Cym.  isoetifolia  Aschs.,  die  er  im  Jahre  1870  als  dicht  unter 
der  Epidermis  liegende  Intercellularräume  beschrieben  hatte, 
ebenfalls  solche  Schi  auch  gefäfse  seien.  An  dem  ihm  von  Dr. 
Ascherson  auf  seine  Bitte  sogleich  freundlichst  mitgetheil- 
ten  Material  konnte  er  sich  von  der  Richtigkeit  seiner  Ver- 
muthung überzeugen.  Die  Schlauchzellen  liegen  hier  dicht  unter 
der  Epidermis,  und  übertrifft  ihr  Durchmesser  den  der  benach- 
barten Parenchymzellen  um  das  Drei-  bis  Vierfache;  sie  lie- 
gen in  senkrechten  Längsreihen  untereinander,  und  werden 
die  Querwände  hier  nicht  resorbirt.  Die  über  ihnen  liegenden 
Epidermiszellen  zeichnen  sich  durch  Gröfse  vor  den  benachbar- 
ten aus.  Im  Blatte,  von  dem  nur  der  obere  stielrunde  Theil 
untersucht  wurde,  sind  es  wiederum  Epidermiszellen,  die  sich 
zu  Schlauchzellen  gestalten.  Diese  wachsen  nach  innen  in  das 
unter  der  Epidermis  liegende  Parenchym  hinein,  so  dafs  sie 
völlig  in  demselben  zu  liegen  kommen  und  von  aufsen  nur 
durch  eine  geringe  Mündung  erkennbar  sind.  Sie  verhalten 
sich  daher  in  dieser  Beziehung  sehr  ähnlich  wie  die  Cystolithen 
mancher  Ficus- Arten.  Sie  liegen  immer  einzeln,  von  einander 
durch  Epidermiszellen  und  Parenchym  getrennt. 

Ganz  ähnlich  ist  die  Anatomie  der  nahe  verwandten  Cym. 
manatorum  Aschs.,  von  der  Vortragender  durch  die  gefällige 
Freundlichkeit  des  Herrn  Dir.  Prof.  Dr.  Buchenau  von  Wright 


32  Gesellschaft  naturforschender  Freunde. 

bei  Cuba  gesammeltes  Material  aus  dem  Bremer  Museum  unter- 
suchen konnte.  Sie  unterscheidet  sich  nur  in  relativen  Verhält- 
nissen von  Cym.  isoetifolia.  Die  Schlauchgefäfse  des  Stammes 
liegen  an  dem  untersuchten  Fragment  dicht  unter  der  Cuticula, 
und  sind  die  benachbarten  Epidermiszellen  schräg  über  ihre  Sei- 
ten geneigt.  Ob  sie  etwa  hier  am  Stamme  schon  aus  Epider- 
miszellen hervorgehen,  oder  ob  sie  die  über  ihnen  liegenden 
Epidermiszellen  auseinanderdrängen,  wie  es  bei  Cym.  isoetifolia 
beobachtet  wurde,  mufs  bei  reichlicherem  Material  entschieden 
werden.  Auch  hier  waren  die  Querwände  der  Schlauchgefäfse 
im  Stamme  meist  deutlich  erhalten.  Im  Blatte  sind  es  wiederum 
einzelne  Epidermiszellen,  die  sich  zu  Schlauchzellen  ausbilden 
und  tief  in  das  darunterliegende  Parenchym  hineinwachsen. 

Die  übrigen  Cymodocea-  Arten  konnten  noch  nicht  genau 
auf  diese  Verhältnisse  untersucht  werden,  und  gedenkt  Vortra- 
gender dieses  bei  Gelegenheit  nachzuholen. 

Die  Cymodocea  manatorum  Aschs.  hat  einen  sehr  interes- 
santen Blüthenstand.  Jeder  Blüthe  gehen  unmittelbar  unter  ihr 
zwei  mit  kurzer  Laubspreite  versehene  Spathablätter  voraus.  In 
der  Achsel  des  äufseren  und  unteren  derselben  steht  der  Fort- 
setzungssprofs.  Dieser  beginnt  mit  einem  basalen,  nach  hinten 
fallenden,  sterilen,  kurzscheidigen  Vorblatte,  dem  auf  langge- 
strecktem Internodium  die  beiden  Spathablätter  folgen,  von  denen 
das  erste  äufsere  mit  dem  basalen  Vorblatt  alternirt,  also  über 
das  Tragblatt  des  Fortsetzungssprosses  fällt;  nach  der  Anlage 
der  beiden  Spathablätter  endet  der  Sprofs  mit  der  dicht  über 
denselben  stehenden  Blüthe;  in  der  Achsel  des  äufseren  Spatha- 
blattes  steht,  der  ebenso  gebaute  Fortsetzungssprofs  wieder  u.  s.  f. 
Die  Blüthen  kommen  daher  alle  auf  dieselbe  Seite  des  Sympo- 
diums  zu  stehen,  und  stehen  daher  in  einer  „Sichel",  wie  dieser 
Blüthenstand  von  Buchenau  in  Pringsheim's  Jahrbüchern 
Bd.  IV  auseinandergesetzt  wurde.  Cym.  isoetifolia  ist  vom  Vor- 
tragenden nicht  auf  den  Blüthenstand  untersucht  worden;  aber 
in  Kunth's  Beschreibung  der  Cym.  aequorea  Kön. ,  die,  wie 
Ascherson  mit  schlagenden  Gründen  nachgewiesen  hat,  nach 
Exemplaren  der  Cym.  isoetifolia  Aschs.  gemacht  ist,  heifst  es: 
^Spicae  subsessiles,  plurifiorae;  articulatae;  articuli  brevem,  bibra- 
cteati;  bracteae ;   exterior   interiorem  involvens,    occultans 


Sitzung  vom  19.  März.  33 

bracteam  similem,  sed  multo  minorem  (gemmam);  interior  stamina 
duo  ex  axilla  emittens;  etc.",  so  dafs  hier  offenbar  dieselbe  Blü- 
thenverkettung  Statt  hat.  Manche  Pota  möge  ton- Arten  bieten 
in  der  oberen  Blüthenregion  in  so  fern  eine  ähnliche  Sprofsver- 
kettung  dar,  als  auch  hier  der  Fortsetzungssprofs  ein  basales 
Niederblatt  hat,  dem  auf  gestrecktem  Internodium  die  zwei 
Spathablätter  folgen,  nach  denen  der  Sprofs  mit  der  Aehre 
endet.  Aber  hier  steht  der  Fortsetzungssprofs  in  der  Achsel  des 
letzten  inneren  Hüllblattes,  so  dafs  die  Aehren  abwechselnd  zu 
beiden  Seiten  des  Sympodiums  fallen  und  daher  in  einer  „Fechel" 
stehen.  Aehnlich,  aber  meist  nicht  so  regelmäfsig,  verhält  es 
sich  mit  Ruppia,  wo  der  stärkere  Sprofs  ebenfalls  in  der  Achsel 
des  obersten  Hüllblatts  steht  und  womit  Ascherson  ohne  nä- 
here Ausführung  die  Blüthenstellung  von  Cym.  isoetifolia  ver- 
gleicht in  Linnaea  Bd.  25  Heft  2  pg.  187. 

Herr  Gerstäcker  sprach  im  Anschlufs  an  einen  früher 
in  der  Gesellschaft  gehaltenen  Vortrag  (Sitzung  vom  15.  Okto- 
ber 1867)  über  androgyne,  gewöhnlich  als  „hermaphroditische" 
bezeichnete  Bildungen  bei  Insekten.  Indem  er  dieselben  als 
Anomalieen,  welche  auf  einem  vitium  primae  formationis  beruhten, 
hinstellte,  wies  er  auf  die  verhältnifsmäfsige  Häufigkeit  derselben 
gegenüber  den  Wirbelthieren  hin,  möchte  dieselbe  aber  wenig- 
stens zum  Theil  aus  dem  beträchtlichen  numerischen  Ueber- 
wiegen  an  Arten  sowohl  wie  an  Individuen  in  der  Abthei- 
lung der  Gliederthiere  erklären.  (Es  wurde  in  letzterer  Be- 
ziehung hervorgehoben,  dafs  aus  Europa  etwa  520  Vögel,  da- 
gegen ungefähr  60,000  Insekten -Arten  bekannt  seien  und  dafs 
sich  die  Zahl  der  Gliederthiere  allein  zu  derjenigen  aller  übrigen 
Thiere  gegenwärtig  wie  5^  :  1  verhalte).  Der  Vortragende  be- 
tonte sodann  das  Interesse,  welches  sich  an  die  bisjetzt  nur  in 
wenigen  Fällen  vorgenommene  anatomische  Untersuchung  solcher 
androgyner  Individuen  knüpfe.  Die  Liebhaberei  der  Sammler 
für  solche  als  besondere  Raritäten  und  Werthstücke  betrachtete 
Ausnahme-Bildungen  und  das  damit  zusammenhangende  Bestre- 
ben, sie  im  getrockneten  Zustande  aufzubewahren,  habe  es  bis- 
jetzt nur  ausnahmsweise  dazu  kommen  lassen,  der  wunderbaren 
äufseren  Erscheinung  ein  näheres  Verständnifs,  wie  es  nur  durch 
den  Nachweis  über  das  Verhalten  der  Fortpflanzungsorgane  er- 
öffnet werden  könne,    abzugewinnen.     Ein  früher  vom  Vortra- 


34  Gesellschaft  naturforschender  Freunde. 

genden  in  Bezug  auf  letztere  untersuchter  Zwitter  der  Sphinx 
populi  gehörte  der  Categorie  der  longitudinal  getheilten  an.  Die 
gleichzeitig«,  wenn  auch  nur  unvollkommene  Ausbildung  männ- 
licher und  weiblicher  Fortpflanzungsorgane  entsprach  bei  dem- 
selben annähernd  der  äufseren  Zweitheilung  in  eine  männliche 
und  weibliche  Seite.  Ein  seitdem  lebend  aufgefundener  und 
beobachteter  Zwitter  der  Blattwespe  Ahia  sericea  Lin.,  welcher 
vom  Vortragenden  unter  Conservirung  der  äufseren  Hülle  ana- 
tomisch untersucht  worden  ist,  könne  unter  gleichzeitiger  Be- 
rücksichtigung seiner  Körperbildung  und  seiner  inneren  Organi- 
sation fast  als  transversal  getheilter  bezeichnet  werden.  Die 
ganze  äufsere  Erscheinung  des  betreffenden  Individuums,  die 
geringere  Gröfse  in  Verbindung  mit  dem  schlankeren  Körperbau 
und  dem  vorwiegend  grünen  Erzglanz  des  Hinterleibes  würde 
auf  den  ersten  Blick  in  demselben  ein  Männchen  vermuthen 
lassen.  Mit  einem  solchen  zeigt  es  sich  auch  in  der  Bildung 
des  Kopfes,  an  welchem  die  vergröfserten  Augen,  der  verengte 
Scheitel,  die  dichte  buschige  Behaarung  der  Stirn  und  der  Bak- 
ken  u.  s.  w.  durchaus  den  männlichen  Typus  erkennen  lassen 
—  wogegen  das  Weibchen  kleine,  weit  getrennte  Augen,  nur 
ganz  kurze  Behaarung  u.  s.  w.  besitzt  —  übereinstimmend,  wäh- 
rend Fühler,  Brustkasten  und  Beine,  welche  in  beiden  Geschlech- 
tern keine  Unterschiede  zeigen,  einem  Männchen  wenigstens 
nicht  widersprechen.  Der  im  geringeren  Grade  als  beim  nor- 
malen Weibchen  bauchige  Hinterleib  zeigt  die  das  Männchen 
charakterisirende,  sammetartige,  tief  schwarze  Rückenbinde  des 
vierten  bis  sechsten  Segmentes  nur  zur  Hälfte  der  gewöhnlichen 
Breite  und  zwar  der  linken  Seite  entsprechend  ausgebildet,  wäh- 
rend das  siebente  Segment  des  dem  normalen  Männchen  zukom- 
menden Eindrucks  entbehrt  und  gleich  dem  achten  mehr  nach 
dem  Typus  des  Weibchens  gebildet  ist.  Auf  der  Bauchseite  des 
Hinterleibes  zeigt  die  Schiencnbildung  sogar  völlig  den  weib- 
lichen Charakter,  welcher  sich  ganz  besonders  in  der  Ausbil- 
dung der  zweiklappigen  Legescheide  dokumentirt.  Obwohl  hier- 
nach äufserlich  neben  der  ganzen  vorderen  Körperhälfte  auch 
die  Rückenseite  des  Hinterleibes  vorwiegend  männlich  erscheint, 
hat  die  Untersuchung  der  Bauchhöhle  dennoch  die  ausschliefs- 
liche    Anwesenheit    weiblicher   Geschlechtsorgane   ergeben.      Die. 


Sitzung  vom  19.  März.  35 

symmetrisch  ausgebildten  und  aus  der  normalen  Zahl  von  Eiröh- 
ren  bestehenden  Ovarien  enthielten  zusammen  48  legereife  Eier 
und  schienen  von  denjenigen  eines  regulären  Weibchens  nur 
durch  die  gröfsere  Kürze  der  einzelnen  Eischnüre,  welche  in 
ihrem  oberen  Theil  nur  wenige  jüngere  Eikeime  enthielten,  ab- 
zuweichen. An  dem  in  die  Geschlechtsöffnung  normal  ausmün- 
denden Ovidukt  fand  sich  auch  das  Eeceptaculum  seminis  vor, 
so  dafs  das  betreffende  Individuum  in  jeder  Beziehung  als  be- 
gattungs-  und  fortpflanzungsfähig  angesehen  werden  mufste. 
Wenn  es  sieb  dennoch  —  bei  der  Leere  seines  Eeceptaculum 
seminis  von  Spermatozoen  • —  als  unbefruchtet  erwies,'  obwohl 
es  in  Gesellschaft  einiger  Männchen  (und  zahlreicher  Weibchen) 
derselben  Art  auf  den  Blüthen  von  Selinum  oreoselinum  in  der 
Umgegend  Berlins  angetroffen  wurde,  so  läfst  sich  dies  offenbar 
leicht  daraus  erklären,  dafs  es  bei  seinem  vorwiegend  männ- 
lichen Habitus  der  Aufmerksamkeit  und  dem  Begattungstrieb 
der  eigentlichen  Männchen  entgangen  ist. 

Ferner  berichtete  Herr  Gerstäcker  über  seine  Bearbei- 
tung der  auf  der  v.  d.  Decken'schen  Expedition  (nach  dem 
Schneeberg  Kilimandscharo  in  Ost -Afrika)  von  Herrn  Dr.  O. 
Kersten  gesammelten  Gliederthiere  des  Sansibar -Gebietes. 
Der  seinem  Abschlufs  entgegen  sehende  Band  der  wissenschaft- 
lichen Abtheilung  des  Reisewerkes,  welcher  den  Gliederthieren 
gewidmet  ist,  wird  sich  auf  einige  dreifsig  Bogen  Text  und 
achtzehn  Kupfertafeln  erstrecken,  von  denen  die  26,  resp.  15 
ersten  der  Gesellschaft  zur  Ansicht  vorgelegt  wurden.  Der 
Vortragende  bemerkt,  dafs  er  von  der  Bearbeitung  absichtlich 
die  auf  den  Seychellen,  Comoren,  Nossi  Be  u.  s.  w.  gesam- 
melten Arten  ausgeschlossen  habe,  um  das  faunistische  Bild 
nicht  durch  fremde  Elemente  zu  trüben.  Aufser  den  Arten  des 
Festlandes  sind  nur  diejenigen  der  nahe  liegenden  Insel  Sansibar 
aufgenommen  und  zwar  letztere  durch  eine  von  Cooke  im 
Jahre  1864  für  das  Museum  zu  Cambridge  veranstaltete  Samm- 
lung von  Coleopteren  wesentlich  bereichert  worden.  Für  die 
bis  jetzt  durchgearbeiteten  Insekten  stellt  sich  die  Gesammtzahl 
der  Arten  auf  736  heraus,  nämlich:  88  Orthoptera,  2  Neurojitera, 
458  Coleoptera,  62  Hymenoptera,  40  Lepidoptera,  12  Diptera 
und    74   Hemiptera.     Im   Verhältnifs   zu    den    wirklich    an  jener 


3G  Gesellschaft  nutur/or sehender  Freunde. 

Localität  existirenden  Arten  erscheint  diese  Ausbeute  natürlich 
als  verschwindend  gering;  mit  Berücksichtigung  der  Schwierig- 
keiten, weicht-  sich  der  Expedition  entgegenstellten  und  des  ge- 
ringen Zeitraums  von  drei  Monaten,  innerhalb  welcher  wenig- 
stens die  von  der  Dschagga-Reise  stammenden  Arten  gesammelt 
wurden,  ist  sie  immerhin  als  ansehnlich  zu  bezeichnen.  Außer- 
dem bietet  sie  die  Vorzüge  einer  fast  durchweg  vorzüglichen 
Conservirung  der  Exemplare  und  einer  genauen  Angabe  der 
Fundorte  und  Erscheinungszeit.  Durch  diese  der  Sorgsamkeit 
des  Herrn  Dr.  K  ersten  zu  dankende  genaue  Bczettelung  der 
einzelnen  Arten  war  es  möglich,  einen  Vergleich  zwischen  dem 
faunistischen  Charakter  der  Insel  Sansibar,  des  Küstenstriches 
des  Festlandes  (Mombas  und  Wanga),  des  sich  diesem  nach 
innen  anschliefsenden  Tafellandes  (Ugono-Berge,  Mbaramu,  See 
Jipe,  Aruscha,  Endara)  und  endlich  des  Hochgebirges  (Kili- 
mandscharo) anzustellen.  Die  auf  letzterem  Berge  in  einer  Höhe 
von  8000  Fufs  gesammelten  Arten  waren  der  Mehrzahl  nach 
eigenthümliche;  besonders  bemerkenswerth  unter  denselben  sind 
der  Carabus  Deckeni  Gerst.  als  die  erste  bisjetzt  unter  den 
Tropen  aufgefundene  Art  dieser  aufserhalb  der  Wendekreise  sehr 
reich  vertretenen,  so  wie  das  Sphenarium  pulc^ripes  Gerst.  als 
der  erste  Afrikanische  Repräsentant  einer  sonst  nur  Mexika- 
nische Arten  enthaltenden  Gattung.  Die  Fauna  der  Insel  San- 
sibar ergiebt  sich  von  der  des  Festlandes  wenigstens  insofern  als 
nicht  unbeträchtlich  verschieden,  als  von  163  daselbst  aufgefun- 
denen Arten  nur  Ii2  auch  dem  Küstenstrich  zukommen.  Bei 
der  Bearbeitung  der  Sammlungen  wurde  neben  der  Feststellung 
der  neuen  Arten  auch  der  geographischen  Verbreitung  der  be- 
reits bekannten  eine  besondere  Aufmerksamkeit  gewidmet.  Die 
Zahl  der  ersteren  stellte  sich  auf  414  von  736,  diejenige  der 
dem  Lande  eigenthümlichen  auf  389;  von  den  der  kleineren 
Hälfte  nahe  kommenden  369  übrigen  lassen  zahlreiche  eine  sehr 
ausgedehnte  Verbreitung  in  Afrika  erkennen.  Es  hat  nämlich 
das  Sansibar- Gebiet  171  Arten  mit  dem  Caffernlaml.  L06  mit 
Mosambik,  103  mit  dem  Cap.  102  mit  Senegambien,  89  mit 
Guinea,  41  mit  Abyssinien,  36  mit  Madagascar,  25  mit  Angola 
gemein;  15  daselbst  einheimische  Arten  erstrecken  sich  vom 
Cap  durch  ganz   Afrika  hindurch  bis  nach   dem  südlichen,   resp. 


Sitzung  vom  19.  März.  37 

mittleren  Europa.  Der  Vortragende  wies  darauf  hin,  dafs  die 
sich  aus  den  erwähnten  Ländern  ergebenden,  in  hohem  Grade 
auffallenden  Distanzen  nur  die  bisherigen  Erfahrungen  über  die 
Verbreitung  der  Thiere  in  Afrika  von  Neuem  bestätigten;  Ver- 
breitungslinien von  750  bis  850  geogr.  Meilen  seien  wenigstens 
für  die  Gliederthiere  Erscheinungen,  welche  durch  Hunderte  von 
Beispielen  belegt  werden  könnten.  Auch  zwischen  Madagascar 
und  dem  Afrikanischen  Continent  liefsen  sich  nahe  faunistische 
Beziehungen  nicht  verkennen;  so  seien  z.  B.  von  den  bisjetzt 
auf  Madagascar  aufgefundenen  114  Hemipteren  27,  also  ^  der 
Gesammtzahl,  zugleich  auf  dem  Festlande  einheimisch.  Die  der 
Insel  eigentümlichen  Gattungen  und  Arten  schlössen  sich  aber 
fast  durchgängig  so  eng  an  continental- afrikanische  Formen  an 
(nur  ein  geringer  Theil  neigt  zu  denjenigen  der  Sunda- Inseln), 
dafs  Madagascar  in  entomologischer  Beziehung  nur  als  dem 
Afrikanischen  Faunen-Gebiet  angehörig  betrachtet  werden  könne. 
Dr.  Ascherson  bemerkte  im  Anschlufs  an  Herrn  Ger- 
stäcker's  Mittheilungen  über  die  geographische  Verbreitung  der 
Insecten  Ost-Afrika's,  dafs  diesen  Thatsachen  meistentheils  ana- 
loge auf  dem  Felde  der  Pflanzengeographie  zur  Seite  stehen. 
Allerdings  sind  Vortragendem  keine  ausschliefslich  afrikanische 
Arten  bekannt,  deren  Verbreitung  ohne  Unterbrechung  von  der 
Nordküste  bis  zur  Südspitze  des  Continents  reichte,  obwohl  es 
an  analogen  Formen  der  Mittelmeerregion  und  des  Caplandes, 
selbst  einzelnen  identischen  Arten,  wie  Asplenum  Adiantum  ni- 
grum,  nicht  fehlt,  welche  im  tropischen  Afrika  vermifst  wer- 
den oder  nur  in  hohen  Gebirgsländern  auftreten.  Dagegen 
ist  die  weite  Verbreitung  der  charakteristischen  Pflanzenfor- 
men des  tropischen  Afrika's  eine  Thatsache,  die  durch  jede 
neue  Erforschung  desselben  in  helleres  Licht  gesetzt  wird. 
Die  Uebereinstimmung  der  Flora  Senegambiens  mit  den  oberen 
Nilländern  durch  zahlreiche  Arten,  die  sich  öfter  auch  in  den 
analogen  Regionen  Vorderasiens  bis  Indien  verbreiten,  ist  in 
den  pflanzengeographischen  Skizzen  Dr.  Schweinfurth  's  be- 
tont worden;  es  mufs  diesem  verdienstvollen  Reisenden  vorbe- 
halten bleiben,  die  speciellen  Beziehungen  der  Vegetation  des 
von  ihm  jüngst  erforschten  Gebietes  zu  Westafrika,  namentlich 
zu   dem   durch    die  klassischen  Forschungen  Welwitsch's  auf- 


38  Gesellschaft  naturforschender  Freunde. 

geschlossenen  portugiesischen  Afrika,  näher  zu  erläutern;  als 
Beispiele  weiter  Verbreitung  ausgezeichneter  Typen  sein  hier 
aufser  der  weltbekannten  Adansonia  der  für  das  tropische  Afrika 
nicht  minder  charakteristische  Riesen bauru  Kigelia  pinnata,  die 
sonderbare  Schmarotzer-Gattung  Hydnora.  die  prachtvolle  Olea- 
cee  Schrebera  (Nathusia)  alata  und  der  sonderbare,  in  seiner 
systematischen  Stellung  noch  unsichere  aromatische  Strauch  My- 
rothamnus  fiabellifolius  Welw.  erwähnt.  Derselbe  bietet  zugleich 
ein  schönes  Beispiel  der  ungeachtet  der  sehr  eigentümlichen 
Ausbildung  der  Vegetation  Madagaskars  dennoch  nachweisbaren 
Beziehungen  derselben  zu  der  des  afrikanischen  Festlandes,  da 
die  kürzlich  beschriebene  Myosurandra  Baill.  jedenfalls  aufseist 
nahe  mit  Myrothamnus  verwandt  ist.  Ein  zweites  ebenso  schla- 
gendes Beispiel  ist  die  Auffindung  einer  Art  der  früher  nur  aus 
Madagaskar  bekannten  Podostemonaceen- Gattung  Hydrostachys 
in  Mossambique  durch  Prof.  Peters. 

Auch  in  der  Vegetation  der  höheren  Bergregion  des  Kili- 
mandjaro  lassen  sich  ähnliche  Anklänge  an  die  Typen  gemässig- 
ter Zonen  nachweisen,  wie  Herr  Gerstäcker  von  den  Insecten 
erwähnt  hat.  Dahin  gehört  die  im  October  1868  hier  vorgelegte 
Plantago  Kerste?iii,  welche  übrigens  nur  als  Varietät  von  Plant, 
palmata  Höchst,  der  Cameroon- Gebirge  an  der  Bai  von  Benin 
verschieden  ist,  dann  Viola  alyssinica  (ebenfalls  auf  den  Came- 
roon's)  und  andere  Beispiele,  die,  falls  über  einer  späteren 
botanischen  Erforschung  ein  besseres  Geschick  waltet,  wohl  an- 
sehnlich vermehrt  werden  dürften. 

Herr  Schultz  macht  Mitteilungen  über  die  Eier  der  Ar- 
gonauta  Argo  und  legt  Exemplare  derselben  zur  mikroskopischen 
Besichtigung  vor. 

Als  Geschenke  wurden  mit  Dank  entgegengenommen: 
Bericht  über  das  Museum  Francisco-Carolinum  zu  Linz  nebst  der 

25.  Lieferung  d.  Beiträge  z.  Landesk.  v.  Oesterr.  oh  d.  Ens. 

Ober -0 esterreich   in   seinen  Naturverhältnissen   als    Handbuch 

von  Ehrlich.     Linz   1871. 
Monatsberichte  der  Berl.  Alcad.   der  Wissenschaft.    Dezember  L871. 


A.  w.  Schade's  Buchdrückerei  (I-.  Schade)  in  Berlin,  Stallscbreiberstr,  i< 


Sitzungs-Bericht 


S' 
der 


Gesellschaft  naturforschender  Freunde 

zu  Berlin 
am   16.  April  1872. 


Director:   Herr  Präsident  von  Strampff. 


Nach  Eröffnung  der  Sitzung  durch  Herrn  Gurlt  machte 
das  anwesende  auswärtige  Ehrenmitglied  der  Gesellschaft  Herr 
Göppert  aus  Breslau  folgende  Mittheilung: 

Seit  einer  Reihe  von  Jahren  beschäftige  ich  mich  von  Zeit 
zu  Zeit  mit  Untersuchungen  über  die  morphologischen  Ver- 
hältnisse der  Bäume,  die  von  Botanikern  weniger  beachtet 
werden.  So  bereits  im  Jahre  1841  mit  der  Untersuchung  des 
sogenannten  Ueberwallens  der  abgehauenen  Tannen- 
stöcke, welches  bei  Roth-  und  Weifstannen  und  Lerchen  aber 
nicht  bei  der  Kiefer  vorkommt  und  auch  nur  dann  stattfindet, 
wenn  dergleichen  Stämme  mit  den  Wurzeln  benachbarter  Stämme 
verwachsen  sind,  was  freilich  nach  meinen  damals  zuerst  ge- 
machten Ermittelungen  in  jedem  Coniferenwald  ganz  allgemein 
gefunden  wird.  Als  bemerkenswertheste  Thatsache  erwähne  ich 
hier,  dafs  Wurzeln  von  Weifs-  und  Rothtannen  mit  einander 
vollständig  verwachsen  und  daher  eben  auch  noch  lebende  Roth- 
tannen Weifstannenstümpfe  und  umgekehrt  Weifstannen  Roth- 
tannenstümpfe überwallen,  wie  ich  fort  und  fort  beobachtet  habe. 
Eine  solche  Verwachsung  von  zweien  wenn  auch  verwandten 
doch  sehr  gut  unterschiedenen  Arten  wird  etwa  nur  noch  bei 
wahren  Parasiten  angetroffen.  Mit  Kiefern  verwachsen  die 
[1872.]  4 


40  Gesellschaft  naturforsch? nder  Freunde. 

Tannen  nicht,  eben  so  wenig  mit  Buchen.  Linden,  Ahorn  und 
diese  auch  nicht  untereinander,  wie  so  oft  aber  fälschlich  be- 
hauptet worden  ist.  Ohne  äufseren  Druck  kommt  aber  eine 
Verwachsung  von  Wurzeln,  Zweigen  oder  Stämmen  nicht  zu 
Stande:  die  Rinde  wird  nach  beiden  Seiten  weggeprefst  und 
nachdem  auch  der  letzte  trennende  Rest  wahrscheinlich  durch 
Reibung  beseitiget  worden  ist.  die  Vereinigung  der  gegenseiti- 
gen Cambialgebilde  bewirkt.  Bei  von  Rinde  entblöfsten  Theilen, 
wie  beim  Veredeln  der  Bäume  (Pfropfen,  Okaliren  und  Copu- 
liren)  erfolgt  die  Vereinigung  aufser  durch  das  Zusammentreten 
der  Cambiallagen  auch  noch  durch  die  Bildung  eines  von  den 
Markstrahlen  ausgehenden  Parenchyms,  welches  ich  bereits  1841 
fand  und  intermediäres  Gewebe  nannte,  und  welches  pas- 
sender vielleicht  als  Vern  arbungsgewebe  überhaupt  bezeichnet 
wird.  Beim  eben  erwähnten  Veredeln  der  Bäume  ist  dieses  von. 
gröfster  Bedeutung  unter  bisher  noch  nicht  näher  untersuchten 
Verhältnissen,  worüber  der  Vortragende  eine  Abhandlung  so- 
wie auch  eine  Anzahl  erläuternder  Photographien  vorlegte,  in 
welcher  dieselben  näher  auseinander  gesetzt  wurden. 

Wie  schon  in  dieser  Abhandlung  angedeutet  ward,  erscheint 
bei  Verwachsungsversuchen  jeder  Art  es  dringend  noth- 
wendig  genaue  Berührung  der  verletzten,  von  Rinde  entblöfsten 
Flächen  der  Stämme  zu  bewirken,  erfolgt  dies  nicht,  wird  die 
verletzte  Stelle  allmählig  bräunlich  schwarz,  erleidet  hei  längerer 
Dauer  Verrottung,  deren  Spuren  auch  hei  endlicher  Ueberwallung 
durch  die  benachbarten  Holzlagen  stets  im  Innern  der  Stämme 
noch  angetroffen  werden.  Unifangsreiche  Entblöfsungen,  wie  >ie 
durch  Astabhiebe  veranlafst  werden,  die  man  namentlich  bei 
Eichen  zu  forstlichen  Zwecken  zur  Erzielung  vermehrten  Län- 
genwachsthums  in  neuerer  Zeit  fast  widerspruchslos  anwendet, 
erscheinen  daher  im  höchsten  Grade  bedenklich.  Man  erzieh 
dadurch  wohl,  ehe  der  Stamm  seinen  völligen  Kronenabschlufs 
erlangt,  allenfalls  einige  Verlängerung,  doch  erleide!  er  zugleich 
auch  im  Innern  an  den  abgehauenen  Stellen  Verrottungen, 
welche  seinen  Werth  sicher  sehr  beeinträchtigen.  Der  Vortra- 
gende belegte  dies  durch  eine  Anzahl  von  Photographien,  die 
zu  einem  Werke  gehören,  welches  er  im  [nteresse  des  vom  dem 
Königl.  Forstmeister  Herrn  Tramniu  geleiteten  schlesischen 


Sitzung  vom  16.  April.  41 

Forstvereines  unter  dem  Titel:  „Erhaltung  unserer  Ei- 
chen oder  über  die  inneren  Zustände  unserer  Bäume 
nach  äufseren  Verletzungen"  baldigst  herauszugeben  ge- 
denkt. 

Veranlassung  hierzu  gab  die  allgemeine  Versammlung  der 
Forst-  und  Landwirthe  Deutschlands  im  Jahre  1868  zu  Breslau, 
bei  der  es  sich  herausstellte,  dafs  diese  inneren  Vorgänge  bis 
dahin  ganz  unbekannt  waren.  Je  vollständiger  die  Ueberwal- 
lung  um  desto  verrotteter  das  darunter  liegende  Innere.  Winke, 
deren  Beachtung  sich  unsere  Forstbehörden  wohl  ferner  nicht 
entziehen  dürften.  Es  wäre  überhaupt  an  der  Zeit,  sich  zu 
einem  rücksichtsvolleren  Verfahren  gegen  die  Baumwelt  bestim- 
men zu  lassen,  wenn  es  sich,  wie  namentlich  bei  Alleen,  um  Er- 
haltung ursprünglich  schöner  Formen  handelt.  Ahorn  und 
Eschen  verhindert  man  durch  das  landesübliche  Abstutzen  an 
der  freien  Entfaltung  ihres  so  überaus  zierlich  gabiigen  Wachs- 
thums,  von  welchem,  wie  überhaupt  von  dem  ursprünglich  ge- 
gebenen Astwinkel  die  Natur  sich  sehr  selten  eine  Abweichung 
gestattet;  die  Hauptursache  des  verschiedenen  Habitus  der  Bäume 
ist  Zeichnern  und  Malern  insbesondere  zur  Beachtung  nicht  genug 
zu  empfehlen.  Nur  durch  Studium  von  Photographien  der  Bäume 
im  blattlosen  Zustande  kann  man  zu  richtigerer  Auffassung  der 
Bäume  im  belaubtem  Zustande  oder  des  Baumschlages  gelangen. 
Ganz  besonders  aber  frevelt  man  gegen  Linden,  durch  Ab- 
stutzen der  Wurzeln  und  Zweige,  daher  auch  die  überaus  grofse 
Seltenheit  schöner  Linden -Alleen,  daher  vorzugsweise  die  Dif- 
formität  der  Linden  in  der  Hauptstrafse  Berlins,  welche  eine 
wahre  Musterkarte  unschöner  Bäume  meist  in  Folge  dieses  frü- 
her geübten  Verfahrens  darbietet.  Dafs  das  Leuchtgas  auf  Lin- 
den nachtheilig  wirkt,  hat  man  bereits  im  Jahre  1850  auf  den 
Kais  in  Amsterdam  mit  Entschiedenheit  beobachtet  und  auch 
bei  uns  in  Breslau  oft  genug  wahrgenommen,  daher  bis  jetzt 
noch  gezögert  Gasbeleuchtung  auf  Promenaden  einzuführen. 
Schliefslich  besprach  der  Vortragende  noch  das  Vorkommen  von 
fast  vollkommen  runden  oft  gallenartigen  Auswüchsen  auf  der 
Oberfläche  der  an  Eigentümlichkeiten  wahrhaft  unerschöpflichen 
Nadelhölzer.  Auch  hier  stellte  sich  durch  Längsschnitt  Störung 
in  der  Entwickelung  der  Vegetationsaxe  als  Ursache  heraus,  ge- 

4* 


42  Gesellschaft  naturforschender  Freunde. 

rade  so  wie  man  auf  diese  Weise  in  jedem  einst  abgestutzten, 
wenn  auch  längst  überwachsenen  Zweige  noch  die  Spuren  de.- 
Schnittes  zu  erkennen  vermag. 

Im  Breslauer  botanischen  Garten  habe  ich  gegenwärtig  alle 
diese  und  noch  andere  wichtige  Momente  im  Leben  der  Bäume 
an  lebenden  und  todten  Exemplaren  bezeichnet,  und  somit  den 
ganzen  Garten  in  den  Bereich  der  früher  nur  auf  beschränktem 
Räume  vorhandenen  physiologisch -morphologischen  Partie  ge- 
zogen. 

Herr  Ehrenberg  zeigte  eine  vom  Capitain  Niejahr  des 
Schiffes  Friedrich  auf  einer  Reise  um  das  Cap  Hörn  gemachte 
Sammlung  zahlreicher  Meeresprodukte  vor,  welche  ihm  zu  wis- 
senschaftlicher Benutzung  übersandt  worden  ist.  Neuerlich 
ist  das  Wetterbuch  des  Schiffes  beigegeben,  woraus  hervorgeht, 
dafs  Herr  Capitain  Niejahr  mit  taktvoller  Auswahl,  ernster 
Sauberkeit  und  Umsichtigkeit  beim  Sammeln  verfahren  ist.  So- 
wohl die  genaue  Oertlichkeit  als  die  erläuternden  Naturverhält- 
nisse der  Witterung,  des  Umfanges  der  Verbreitung  und  Tiefe 
sammt  anderen  Nachrichten  bevorzugen  diese  merkantilisch  we- 
niger, aber  für  wissenschaftliche  Benutzung  ansehnlich  inter- 
essante Sammlung,  welche  2G  Grundproben  aus  geringen  Tiefen 
und  100  sauber  erfüllte  Fläschchen  und  Gläser  enthält.  Wie 
im  Jahre  1862  der  Capitain  Gutkese  aus  Bremen  von  seiner 
ostindischen  Reise  eine  sehr  schätzenswerthe  Probe  des  in  rein- 
lichen Schaaffellen  aufgefangenen  atlantischen  Passatstaubes  und 
deren  umsichtige  Beobachtung  mitbrachte,  so  habe  ich  mich  auch 
angeregt  gesehen,  diese  Materialien  des  Herrn  Niejahr  zu  ana- 
lysiren  und  werde  in  wenig  Tagen  sie  in  einer  Uebersicht  des 
Tiefgrundlebens  der  Oceane  der  Akademie  der  Wissenschaften 
mit  vorlegen.  Während  bisher  fast  ausschließlich  nordamerika- 
nische Schiffer  sich  veranlafst  fühlten  die  besonderen  Erscheinun- 
gen der  Atmosphäre  und  der  Meeresoberflächen  und  Tiefgründe 
der  wissenschaftlichen  Verwerthung  zuzuführen,  werden  ja  nun  die 
deutschen  Schiffer  nicht  nur  die  Menagerien-  und  Naturalien- 
händler, sondern  auch  die  merkantilisch  unverwerthbarea  Erschei- 
nungen den  arbeitsamen  Naturforschern  zuführen,  welche  die- 
selben zu  verwerthen  Lust  und  Uebung  haben.  Alles  feine 
Meeresleuchten,    alle  Färbungen    der  Oberflächen   mir   Beachtung 


Sitzung  vom  16.  April.  43 

bis  zu  welcher  Tiefe,  alle  Anker-  und  Grundproben,  alle  Luft- 
staube sind  in  reinlichen  Proben  wissenschaftlich  weit  interesse- 
voller als  die  werthvollen  Thranthiere,  die  bunten  Muscheln. 
Korallen  und  Schwämme.  Durch  eine  Anzahl  befestigter  Baum- 
wollenbäusche lassen  sich  feine  Luftstaubarten  leicht  einfangen, 
und  der  Staub  in  festem  weifsem  Papier  oder  Glas  aufbewahren. 

Da  es  so  viele  intelligente  Führer  der  zahlreichen  deutschen 
Handelsschiffe  giebt,  welche,  unter  specieller  Anleitung  der  nord- 
deutschen Seewarte,  deren  Direktor,  Herr  v.  Freeden,  heut  als 
Gast  anwesend  ist,  die  Oceane  in  allen  Richtungen  durchkreuzen, 
wohin  nur  selten  ein  Naturforscher  von  Fach  oder  auch  ein 
Kriegsschiff  gelangt,  so  ist  wohl  zu  hoffen,  dafs  noch  Andere 
sich  angeregt  fühlen  werden  ähnliche  Beobachtungen  gelegent- 
lich zu  machen  und  die  so  schwierig  zu  erlangende  Uebersicht 
besonders  des  wichtigsten  kleinsten  Lebens  der  Oceane,  deren 
Grundschlamm  als  trockne  Felsen  unsere  Länder  in  1000  Fufs 
hoher  Mächtigkeit  bildet,  zu  ermöglichen. 

Herr  Gerstäcker  legte  der  Gesellschaft,  mit  Hinweis  auf 
die  früher  von  Herrn  Prof.  Braun  gemachten  Mittheilungen 
über  Pflanzengallen,  eine  eigenthümliche,  von  Herrn  Hofgärtner 
L.  Mayer  in  Potsdam  an  der  Wurzel  einer  jungen  Eiche  ge- 
fundene knollenförmige  Galle  vor,  welche  durch  die  Cynips  quer- 
em radicis  Fab.  erzeugt  wird.  Diese  mit  einem  kurzen  Stiel 
dem  Grunde  der  Eichenwurzel  aufsitzende  Galle  hat  etwa  die 
Gröfse  und  das  Ansehn  einer  Wallnufs,  zeigt  eine  holzige  Con- 
sistenz  und  Struktur  und  in  ihrem  Innern  eine  grofse  Anzahl 
von  Kammern  (Larvenwiegen).  In  den  ersten  Tagen  des  April  ent- 
wickelten sich  aus  derselben  75  Individuen  der  Gallwespe,  wie 
bei  allen  bisherigen  Zuchtversuchen  mit  Eichen-Gallwespen,  durch- 
weg Weibchen.  Das  Ausschlüpfen  derselben  aus  der  Galle  er- 
folgt nicht  allseitig  von  der  Peripherie  gegen  das  Centrum  hin, 
sondern  wie  die  jetzt  verlassene  Galle  erkennen  läfst,  ausschliefs- 
lich  an  ihrer  der  Erdoberfläche  zugewandten  Hälfte.  Indem  der 
Vortragende  darauf  hinweist,  dafs  über  den  Entwickelungsmodus 
solcher  vielkammeriger  Gallen  bisjetzt  nichts  Näheres  bekannt 
sei,  wendet  er  sich  gegen  die  Annahme  Hartig's,  nach  welcher 
die  in  einer  Wucherung  des  Pflanzengewebes  bestehende  Gallen- 
bildung   im   Allgemeinen    die   Folge    des    durch    die    weiblichen 


44  Gesellschaft  naturforschender  Freunde. 

Wespen  bewirkten  Anstechens  und  der  dabei  vorgenommenen 
Ei -Ablage  sei.  Wäre  dies  richtig,  so  müsse  man  annehmen, 
dafs  die  Wirkung  des  Stiches  während  eines  langen  Zeitraums 
latent  bleibe,  da  z.  B.  die  Blattgallen  der  Eichen  erst  im 
Sommer  und  nach  völliger  Ausbildung  der  Blätter  sich  zu  ent- 
wickeln begönnen,  während  die  im  ersten  Frühling  ausschlüpfenden 
Gallwespen-Weibchen  direkter  Beobachtung  zufolge  die  zu  dieser 
Zeit  allein  vorhandenen  Blattknospen  anstächen.  Da  indessen 
u.  A.  von  der  hier  in  Rede  stellenden  Gallwespe  in  einer  Art 
von  Instinkts- Verirrung  gleichfalls  die  Eichenknospen  häulig  an- 
gestochen und  mit  Eiern  belegt  würden,  ohne  dafs  sich  an  den 
späteren  Blättern  solcher  Knospen  jemals  Gallen  entwickelten, 
so  könne  dem  Stich  und  dem  Ei  an  und  für  sich  überhaupt 
nicht  der  Impuls  zur  Gallenbildung  zugeschrieben  werden,  viel- 
mehr sei  derselbe  auf  Rechnung  der  sich  aus  dem  Ei  entwickeln- 
den Larve  zu  setzen.  Unter  Vorlegung  eines  mikroskopischen 
Präparates  geht  der  Vortragende  sodann  auf  die  höchst  sonder- 
bar geformten,  nämlich  in  einen  langen,  fadenförmigen  Schlauch 
auslaufenden  Eier  der  Gallwespen  ein  und  bestätigt  unter  Zurück- 
weisung des  von  Hartig  behaupteten  Hermaphroditismus  die 
agamische  oder  parthenogenetiscbe  Fortpflanzung  der  Cynips- 
Arten,  von  welchen  Männchen  überhaupt  noch  nicht  mit  Sicher- 
heit bekannt  seien.  Mehrere  von  ihm  im  Freien  auf  Eichen- 
knospen angetroffene  und  in  der  Eiablage  begriffene  Weibchen 
erwiesen  sich  nach  der  Leere  des  Beceptacuhnn  seminis  als  un- 
befruchtet, was  gewifs  nicht  der  Fall  sein  würde,  wenn  etwa. 
wie  man  wohl  hat  vermutben  wollen,  die  Männchen  sich  aus 
anders  geformten,  oder  überhaupt  nicht  aus  Gallen  entwickelten, 
Endlich  sei  auch  die  Annahme  Hartig's,  dafs  eine  und  die- 
selbe Gallwespe  unter  allen  Umständen  identische  Gallenbildun- 
gen hervorrufe,  nicht  durchwegzutreffend;  denn  die  von  BurgS- 
dorf  bekannt  gemachte  Cynips  calycis  erzeuge  auf  QuercuA  />e- 
dunculata,  sessilijlora  und  cerris  drei  Gallen,  wie  sie  verschiedene] 
gai-nicht  gedacht  werden  könnten.  Es  wird  dies  durch  Vorzei- 
gung der  von  Hartig  als  Gyn.  caput  medusae  bezeichneten  Gal- 
len und  der  sogenannten  Knoppern,  welche  Weide  das  Produkt 
der   Cyn.   calycis  sind,  belegt. 

Ferner  legte  Herr  Gerstäcker  der  Gesellschaft  einig 


Sitzung  vom  16.  April.  45 

sonders  interessante,  von  den  Weibchen  verschiedener  Bienen- 
Gattungen  zur  Aufzucht  ihrer  Nachkommenschaft  angefertigte 
Brutstätten  zur  Ansicht  vor  und  gah  Erläuterungen  über  die 
Art  und  Weise  ihrer  Anlage.  Gleich  der  schon  durch  Reaumur 
in  ihren  Kunsttrieben  gekannten  und  erläuterten  Megachile  cen- 
tuncularis,  welche  die  Rosenblätter  mit  ihren  Kiefern  zerschneidet, 
stellt  auch  eine  gröfsere  einheimische  Art:  Megachile  maritima 
Kirh.  cylindrische  Brutzellen  aus  theils  länglichen,  theils  kreis- 
runden, mit  grofser  Genauigkeit  abgezirkelten  Blattstücken  her. 
Die  vom  Vortragenden  zuerst  bekannt  gemachte  Osmia  caemen- 
taria  Gerst.  heftet  ihre  Brutzellen  in  der  Freienwalder  Gegend 
an  die  Aufsenseite  der  dort  häufig  vorkommenden  erratischen 
Granitblöcke  an  und  macht  sie,  durch  Pflasterung  ihrer  Aufsen- 
fläche  mit  kleinen  Kieseln,  ihrer  Unterlage  an  Ansehn  ganz  gleich. 
Aufser  der  Biene  erlangt  man  aus  denselben  durch  Zucht  auch 
ihren  Parasiten,  die  Chrysis  simplex  Dahlb.  Die  Australische 
Xylocopa  bombylans  Fab.  höhlt  den  9  Linien  starken  Schaft 
einer  Xanthorrhoea  central  aus  und  verwendet  zur  Herstellung 
der  die  einzelnen  Brutzellen  trennenden  Scheidewände  das  zuvor 
ausgenagte  und  herausgeschaffte  Holzmehl.  Eine  Ckalicodoma- 
Art  vom  Cap  führt  ihre  aus  Lehm  angefertigten  Brutzelltn  in 
Form  vierkantiger  Säulen,  welche  nach  Art  der  Orgelpfeifen 
regelmäfsig  aneinandergereiht  sind,  auf.  Eine  gleichfalls  am  Cap 
einheimische  Heriades  -Art  endlich  hängt  ihre  kugelrunden,  aus 
Lehm  und  Steinchen  sehr  zierlich  hergerichteten  Brutbehälter, 
welche  in  ihrem  Inneren  mehrere  Larvenwiegen  enthalten,  frei 
an  Baumzweigen  auf. 

Herr  Braun  legte  eine  Anzahl  von  Zapfen  der  californi- 
schen  Pinus  contorta  Dougl.  zur  Ansicht  vor.  Unter  10  unter- 
suchten Zapfen  befinden  sich  2  mit  abweichender  Anordnung  der 
Schuppen,  beide  mit  den  Zahlen  der  Parastichen  7,  11,  18,  29 
und  47  der  senkrechten  Zeilen,  somit  der  Stellung  ^f  aus  der 
Kette  zwischen  \  und  £,  während  die  Normalstellung  8,  13,  21, 
34,  55  zeigt,  somit  fi  ist.  Fünf  von  den  untersuchten  Zapfen 
bilden  einen  Quirl  vom  Haupttriebe  des  Stammes  und  einer  von 
diesen  zeigt  das  erwähnte  abweichende  Stellungsverhältnifs.  Alle 
5  Zapfen  dieses  Quirls  sind  unter  sich  und  mit  der  Hauptachse, 
an  der  sie  sich  befinden,  gleichwendig.     Während  hier,   wie  bei 


46  Gesellschaft  naturforschender  Freunde. 

manchen  anderen  Arten  der  Gattungen  Pinus,  Picea,  Abies  und 
Larix  abweichende  Stellungsverhältnisse  nicht  gar  selten  vor- 
kommen, scheinen  sie  bei  der  gemeinen  Kiefer,  Pinus  sylvestris. 
sehr  selten  zu  sein.  Unter  100  neuerlich  von  Dr.  Sanio  aus 
Lyck  gesendeten,  von  8  verschiedenen  Bäumen  mit  auffallenden 
individuellen  Abweichungen  entnommenen  Zapfen  fand  sich  auch 
nicht  ein  einziger  mit  ungewöhnlicher  Anordnung  der  Schup- 
pen, alle  zeigten  die  gewöhnliche  -^f-  Stellung. 

Derselbe  legte  ferner  zwei  neuerlich  erschienene  Abhand- 
lungen vor,  welche  dem  Gebiete  der  Blattstellungslehre  ange- 
hören :  Chauncey  Wright,  the  uses  and  origin  of  arrangement  of 
leaves  in  plants  und  Alexander  Dickson,  on  some  abnormal  cones 
of  Pinus  Pinaster.  Die  letztere  behandelt  eine  Reihe  sehr  merk- 
würdiger, an  Zapfen  der  genannten  Art,  beobachteter  Umsetzun- 
gen der  Blattstellung  und  knüpft  daran  allgemeine  Betrachtungen 
über  die  auch  in  solchen  Fällen  eingehaltenen  Gesetze. 


Als  Geschenke  wurden  mit  Dank  entgegengenommen: 

Monatsbericht  der  Berl.  Akad.  der  Wissenschaft.     Januar   1872. 

Botanische  Zeitschrift  aus  Petersburg. 

Drei  Hefte  Druckschriften  der  königl.  ungarischen  geologischen  An- 
stalt.    Pest  1871.  1872. 

Dritter  Bericht  des  botanischen   Vereines  in  Landshut  1871. 

Sitzungsbericht  der  physik.  medicinischen  Societät  in  Erlangen. 
Heft  3.     Erlangen  1871. 


A.  W.  Schnde'i   Buchriruckarei  (L.  Scharia)  in   Uerlin,   St 


Sitzungs-Bericht 


der 


Gesellschaft  naturforsohender  Freunde 

zu  Berlin 
am  21.  Mai  1872. 


Director:   Herr  Präsident  von  Strampff. 


Herr  Hartmann  legte  farbige  Zeichnungen  von  Köpfen 
älterer  und  jüngerer  Chimpanses  und  Gorillas  vor,  auch  diejenige 
des  neuerdings  durch  Schweinfurth  bekannter  gewordenen  Mbaam- 
chimpanse  aus  Centralafrica.  Diese  wurde  aufgenommen  nach 
dem  sehr  wohlerhaltenen  Specimen  des  Museo  civico  von  Genua 
und  des  anatomischen  Museums  zu  Berlin,  welches  letztere  sein 
Exemplar  als  Geschenk  des  verdienten  Aegyptologen  Professor 
Duemichen  erhielt.  Alsdann  legte  Vortragender  G.  Ra  mann 's 
„Schmetterlinge  Deutschlands  und  der  angrenzenden  Länder" 
vor  und  machte  namentlich  auf  die  überraschend  schön  gear- 
beiteten Farben  tafeln  des  in  dieser  Hinsicht  mustergültigen  Wer- 
kes aufmerksam. 

Herr  Peters  machte  eine  Mittheilung  über  Tetrodon  pun- 
ctatus  Bloch-Schneider. 

Herr  Günther  hat  im  8.  Bande  seines  Catalogue  of  Fishes, 
pag.  282,  den  Tetrodon  punctatus  Bloch-Schneider  fraglich 
als  ein  synonymon  von  T.  testudineus  L.  aufgeführt.  Er  istoffenbar 
zu  dieser  Annahme  dadurch  verleitet  worden,  dafs  Müller  and 
Troschel  unter  diesem  Namen  eine  Art  anfünren,  welche  Herr 
Richard  Schomburgk  in  .British  Guiaua  gesammelt  hat 
(Schomburgk,  British  Guiana.  III.  pag.  641). 

[1872.]  5 


48  Gesellschaft  naturforschender  Freunde. 

Das  trockne  Original-Exemplar  aus  der  Bloch 'sehen  Samm- 
lung, noch  mit  einem  alten  Zettel  versehen,  auf  welchem  „T. 
punetatus  Bloch"  steht,  pafst  ganz  gut  zu  der  Beschreibung, 
welche  Schneider,  Systema  piscium,  pag.  50G,  von  demselben 
gegeben  hat: 

„T.  corpore  oblongo  coerulescente,  nigro  punetato,  toto  his- 
pido,  cauda  postice  tantum  laevi,  venire  albo,  pinnis 
luleis,  fusco  maculatis,  naribus  tubulosis,  pinna  dorsi 
anteriore  anali. 

P  18., A.  10.  C.  10.  D.  10. 
Longitudo  et  circumferentia  sesquipedalis." 
Das  Exemplar  (No.  4292  Mus.  Berol.)  ist  56  Centimeter 
lang,  hat  geschlossene  doppelte  Nasententakel  und  ist  überein- 
stimmend mit  Lacepedes  Tetrodon  etoile,  welchen  Bleeker  als 
„Crayracion  stellatus,  (Atl.  Ichthyol.  Gymnod.  Taf.  5.  Fig.  2.)", 
so  vortrefflich  abgebildet  hat.  Es  ist  aber  gar  nicht  anzuneh- 
men, dafs  Schneider  diese  Art,  welche  nach  dem  Zeichen  (*) 
ihm  vorgelegen  hat,  und  welche  auch  so  gut  auf  seine  Be- 
schreibung pafst,  als  eine  Varietät  von  T.  lagoeephalus  aufge- 
führt haben  sollte,  von  welchem  ihm  ebenfalls  die  Bloch  sehen 
Originalexemplare  vorlagen.  Nur  das  Vaterland  ist  offenbar 
unrichtig  angegeben,  obgleich  richtig  auf  dem  Zettel  „Ostin- 
dien"  und  nicht  „America"  steht. 

Der  von  Müller  und  Troschel  1.  c.  als  Chelichthys  pune- 
tatus aufgeführte  Fisch  (No.  4291  Mus.  Berol.)  hat  aber  gar 
nichts  mit  dem  T.  punetatus  Bl.  Sehn,  zu  thun,  da  weder  die 
Nasenlöcher  tubulös  sind,  noch  die  Rückenflosse  vor  der  Anal- 
flosse steht,  noch  die  Bewaffnung  über  den  Anfang  der  Rücken- 
flosse herausgeht.  Es  ist  offenbar  nichts  anderes  als  ein  sehr 
altes  Exemplar  von  dem  durch  seine  kleinen  Augen  und  den 
breiten  Interorbitalraum  so  ausgezeichneten  T.  psittacus  Bl. 
Sehn.,  an  welchem  sich  auch  noch  Spuren  der  dunklen  Quer- 
binden,  aber  keine  Punkte  oder  runde  Flecke  erkennen  lassen. 
Herr  Ehrenberg  sprach  über  die  neuesten  Nachrichten 
aus  Californien  vom  Geologen  Professor  Whitney  und  legte 
einen  Abdruck  des  an  ihn  gelangten  Schreibens  vor.  Derselbe 
erläuterte  dann  die  Möglichkeit  des  Entstehens  und  Andauerns 
von  bis   1000  Fufs  hohen  Bacillarien-Wänden,   so  wie  das  Vor- 


Sitzung  vom  21.  Mai.  49 

kommen  von  mächtigen  Infusorienschichten  als  Kämme  und 
Gipfel  von  isolirten  Hügeln  und  Bergen.  Ferner  besprach  Der- 
selbe die  auffällige  Aehnlichkeit  vieler  Landesverhältnisse  im 
nordafrikanischen  Libyen,  als  Erfahrung  seiner  mehrjährigen 
Reisen  daselbst,  mit  denjenigen  des  califormischen  Hochlandes 
im  weiteren  Sinne ;  die  sogenannten  Salzseen,  welche  die  Ame- 
rikaner ^alkali  lakes"  nennen,  haben  einen  vorherrschenden  nicht 
Kochsalz-  sondern  Laugensalz  -  Charakter ,  sind  mithin  wie  die 
libyschen  Sumpfe  und  Seen  Natron -Seen,  deren  Kochsalz-  und 
Bittersalz-Mischung  untergeordnet  ist.  Der  intensive  Gehalt  von 
Laugensalz  macht  die  amerikanischen  Gebirgsthäler  ärmer  an 
Vegetation,  indem  die  libyschen  Salzsümpfe  noch  harten  Schilf- 
wuchs spärlich  nähren.  In  den  sterileren,  und  baumlosen  Wüsten- 
Gegenden  ist  ein  üppiges  Gesträuch  von  Artemisia- Arten  beiden 
Ländern  gemeinsam,  während  in  Afrika  die  blumenartigen 
Früchte  mehrerer  Salsola- Arten  in  überraschend  schönen  granat- 
rothen,  rosa  Abstofsungen  und  weifsen  Farben  auch  an  und 
in  den  Sümpfen  nicht  fehlen.  In  dem  sumpfigen  Natronthale 
unfern  der  Ammons-Oase  sprachen  ihn  diese  blumenartigen 
Erscheinungen  so  lebhaft  an5<  dafs  er  einige  Zweige  davon  am 
Orte  selbst  farbig  zu  malen  angeregt  war.  In  Sibirien  ist  in 
ähnlichen  Sümpfen  eine  noch  weit  reichere  Steppen -Vegetation, 
welche,  seiner  Anschauung  nach,  von  den  afrikanischen  Wüsten 
ebenso  abweicht,  wie  nach  Humboldt 's  gleichzeitiger  An- 
schauung die  südamerikanischen  baumlosen  aber  grasreichen 
Flächen  den  sibirischen  Steppen  nicht  vergleichbar  waren.  Klap- 
roth  hat  1802,  durch  den  schwedischen  Consul  Bagge  in  Tri- 
polis bewogen,  den  Namen  Trona  für  das  strahlige  Natron  von 
Fezzan  in  die  Chemie  eingeführt,  allein  dieser  Name  war  als 
einheimisch  nirgends  in  Anwendung  und  ist  vermutblich  nur 
ein  Handelsname  für  das  fezzanische  Natron,  aus  dem  umge- 
kehrten Worte  Natron  entstanden,  welcher  letztere  Name 
etwas  Glänzendes  bezeichnet.  In  ähnlicher  Weise  wird  jetzt 
der  Ausdruck  Eevalenta  arabica  für  Linsenmehl  (Ervum  Lens) 
vielfach  gebraucht,  welcher  nur  dann  eine  trügliche  Täuschung 
enthält,  wenn  es  als  Revalenta  Arabiens  bezeichnet,  oder  bildlich 
durch  unter  Palmen  stehende  Neger  mit  Spaten  für  ein  Fossil 
oder  Cultur-Produkt  Afrika's  oder  Asien's     ausgegeben  wird. 

5* 


50  Gesellschaft  naturforschender  Freunde. 

Als  Geschenke  wurden  mit  Dank  entgegengenommen: 

Arbeiten  des  Naturforscher- Vereins  in  Biga,  Nene  Folge,  Heft  4. 

Archives  of  Science  and  Transactions  of  the  Orleans  County  So- 
ciety.    Vol.  I.  No.  1.  2.  3. 

Annual  Report  of  the  Mus.  of  comp.  Zool.     Boston  1870. 

Mittheil,  aus  d.  Jahrb.  d.  Königl.  ungarischen  geol.  Anstalt.  Bd.  2 
Lief.  1.  2. 

0.  Müller,  lieber  d.  feineren  Bau  d.  Zellwand  der  Bacillariaceen. 
(Sep.- Abdruck  1871.) 


A   W    Schade'«  Burhdrockerei   ([,.  8f  ImdoJ  In   Berlin.   ,Stall<ichrpibei-<ir    II 


Sitzung  s-Be  rieht 


•o1 

der 


Gesellschaft  naturforschender  Freunde 

zu  Berlin 
am    18.  Juni  1872. 


Director:   Herr  Präsident  von  S  tramp  ff. 


Herr  Splittgerber  berichtete  über  den  diesjährigen  Aus- 
bruch des  Vesuvs. 

Es  traf  sich  sehr  günstig,  dass  nach  längerer  Verzögerung 
ich  mit  einigen  Andern  zum  Freitag,  den  26.  April  d.  J.,  einen 
Wagen  zur  Fahrt  von  Neapel  nach  dem  Eremiten  und  dem  Ob- 
servatorium des  Vesuvs,  (woselbst  ich  schon  vor  20  Jahren  bei 
dem  Prof.  Palmceri  gewesen  war)  gemiethet  hatte,  da  an  die- 
sem Tage  der  Vulcan  nach  geringerer  Thätigkeit,  indem  nur 
hin  und  wieder  im  Dunkeln  der  Schein  einer  Flamme  aus  dem 
Krater  züngelnd  bemerkt  wurde,  eine  so  furchtbare  Erruption 
bewirkte,  wie  sie  kaum  in  den  letzten  hundert  Jahren  stattge- 
funden hat,  welche  auch  von  einem  Schrecken  verbreitenden 
anhaltenden  Donner  begleitet  war. 

Wir  fuhren  um  1  Uhr  Nachmittags  nach  Resina,  auf  wel- 
chem Wege  wir  schon  eine  grosse  Anzahl  mit  ihrer  Habe  flüch- 
tender Landleute  begegneten,  und  die  ganze  zahlreiche  Bevöl- 
kerung auf  der  Landstrasse  in  grösster  Aufregung  vor  den 
Häusern  stand.  Am  Ausgang  des  Orts,  auf  dem  Platze  bei 
der  Kirche  Paulliana,  ungefähr  £  Meilen  vom  Kegel  entfernt, 
von  wo  der  Vesuv  und  die  ganze  Umgegend  vortrefflich  zu 
übersehen  waren,  hielten  wir  mehrere  Stunden  unter  einem  dicht- 
[1872.]  6 


b'l  Gesellschaft  naturforschender  Freunde. 

geschaarten  Volkshaufen,  da  wir  am  Weiterfahren  von  Milizen 
verhindert  wurden,  welche  behufs  der  Erhaltung  der  Ordnung 
und  Sicherheit  aufgeboten  waren,  und  hatten  daher  Zeit  das 
grossartige  Phänomen  zu  beobachten,  allerdings  gegen  meinen 
Wunsch  aus  zu  grosser  Entfernung;  doch  konnte  ich  die  aus 
dem  Krater  emporgeschleuderten  Steine,  aber  doch  nur  beim 
Herabfallen  deutlich  erkennen,  auch  das  Observatorium  war  zu 
dieser  Zeit  vollkommen  sichtbar.  Aber  hoch  in  der  Atmosphäre 
über  dem  Gipfel  des  Berges  erhob  sich  eine  mächtige  Dampf- 
und Staubwolke,  wie  eine  feste  compacte  Masse  erscheinend, 
die  bekannte  Pinie  des  Vesuvs,  welche  bei  der  darauf  scheinen- 
den Sonne  glänzend  weiss  aussehend  mit  einem  Haufen  sich  zu- 
sammenkräuselnder Baumwolle  Aehnlichkeit  hatte,  und  bei  der 
herrschenden  Windstille  sich  nur  sehr  langsam  ausdehnte  und 
bewegte. 

Der  fortdauernde  Donner  wurde  übrigens  nur  selten  von 
einem  unheimlichen  intensiven  Geknatter  stattfindender  Explo- 
sionen unterbrochen,  doch  Blitze,  wie  sie  früher  häufig  bemerkt 
worden,  habe  ich  in  der  Pinie  nicht  gesehen. 

Wie  sich  später  ergab,  so  hatte  sich  eine  neue  Oeffnung 
gebildet,  und  die  Lava  floss  im  starken  Strome  zwischen  S.  Se- 
bastiano  und  Massa  hindurch,  wo  sie  grossen  Schaden  anrichtete 
und  Weinberge  und  Wohnungen  zerstörte. 

Nachdem  wir  uns  in  Resina  etwas  gestärkt  hatten,  besuch- 
ten wir  den  daselbst  herrlich  am  Meere  gelegenen  königlichen 
Garten,  wo  schon  Schiffe  zur  Aufnahme  Flüchtender  bereit  la- 
gen, während  Zelte  für  die  Bewohner  des  Schlosses  la  Favorita 
aufgeschlagen  wurden,  weil  man  ein  Erdbeben  befürchtete. 

Am  Abend  bei  eintretender  Dunkelheit  lag  der  Feuerberg 
in  voller  furchtbar  imposanter  Pracht  vor  uns,  und  es  war  nun 
sowohl  an  der  Spitze  des  Kegels  die  Feuererscheinung  sichtbar, 
wie  auch  in  verschiedenen  Richtungen  der  feurige  Schein,  der 
in  Streifen  am  Abhänge  fliessenden  Lava,  welche  Rauchwolken 
ausstiess;  und  es  wurden  nun  die  früher  dunkel  erscheinenden 
herabfallenden  Steine  als  feurig  glühend  erkannt. 

Bei  der  Rückfahrt  nach  Neapel  um  9  Uhr  fanden  wir  die 
Bilder  der  Heiligen,  besonders  des  heil.  Januarius,  festlich  ge- 
schmückt und  beleuchtet,    und  eine  durch  das   anhaltende  Droh- 


Sitzung  vom  18.  Juni.  53 

nen  des  Vulcans  geängstigte  Frauenschaar  vor  denselben  betend 
niedergeworfen. 

Am  darauf  folgenden  Tage,  Sonnabend  den  27.  April,  nahm 
-  die  über  dem  Berge  nun  dunkler  gewordene  Wolke  immer  mehr 
an  Umfang  zu;  aber  von  einem  herrlich  gelegenen  Aussichts- 
punkte in  Capo  di  Monte  konnte  man  selbst  am  Abend  nicht 
die  geringste  Feuererscheinung  mehr  sehen,  da  sich  schweres 
Gewölk  vor  den  ganzen  Berg  wie  eine  dichte  Wand  gelegt 
hatte,  und  war  dies  bei  dem  fortwährenden  Getöse,  im  Kontrast 
mit  seiner  prachtvollen  Erscheinung  am  vorhergehenden  Abend 
ein  besonders  unheimlicher  Anblick. 

Am  Sonntag,  den  28.  früh  bei  meinem  Erwachen  um  6  Uhr, 
war  die  ganze  Atmosphäre  in  Neapel  durch  den  erst  jetzt  da- 
selbst herabfallenden  aschgrauen  Staub  verfinstert,  und  dadurch 
jede  Aussicht,  selbst  auf  das  nur  einige  hundert  Schritt  von 
unsrer  Wohnung  entfernte  Meer  verhindert. 

Auf  der  eisernen  Brüstung  meines  Balcons  lag  der  Staub 
wohl  einen  halben  Millimeter  dick  aufgestreut,  und  die  Leute 
gingen  mit  Regenschirmen  auf  der  Strasse,  um  sich  davor  zu 
schützen;  übrigens  war  er  so  fein,  dass  er  weder  mein  Auge 
noch  meinen  Hals  reizte. 

Die  Temperatur  war  am  Morgen  um  8  Uhr  14,5°  R.  und 
ein  kleines  Aneroid  zeigte  30"  engl,  unverändert,  wie  schon  seit 
mehreren  Tagen;  die  Sonne  war  zu  derselben  Zeit  vollkommen 
strahlenlos,  und  sah  wie  ein  weisser  Fleck  aus,  ohne  die  ge- 
ringste gelbliche  oder  andere  Färbung. 

Der  Staubregen  hörte  gegen  Mittag  auf,  und  die  Sonne 
wurde  wieder  glänzend  sichtbar;  doch  am  Nachmittag  um  5  Uhr 
bei  18  °  R.  begann  derselbe  wiederum,  und  zwar  etwas  stärker. 
Am  Montag  früh,  den  29.  April,  fand  ich  auf  derselben 
Stelle  des  Balcons  eine  dicke  Schicht  des  Staubes  wie  am  Mor- 
gen vorher,  welcher  auch  ein  etwas  gröberes  Korn  hatte.  Dieser 
Staubfall  hielt  nun  längere  Zeit  an,  unter  fortwährendem  Grollen 
des  Vesuvs;  beides  steigerte  sich  noch  am  Vormittag,  und  man 
konnte  von  Neapel  aus  ein  sehr  auffallendes  intermittirendes 
ruckweises  Ausstossen  dichter  dunkler  Wolken  am  Gipfel  des- 
selben bemerken;  auch  wurden  nun  die  Umrisse  des  Berges 
immer  undeutlicher. 

6* 


54  Gesellschaft  naturforschender  Freunde. 

Ich  war  leider  genöthigt  an  diesem  Tage  Nachmittags  von 
Neapel  abzureisen,  und  es  wurde  auch  der  Aufenthalt  dort  durch 
den  Staubfall,  der  jede  Aussicht  unmöglich  machte,  um  so  un- 
angenehmer, da  sich  um  10  Uhr  noch  ein  Regen  eingestellt 
hatte,  und  später  ein  Gewitter  mit  Wind,  so  dass  man  in  der 
Stadt  wie  im  Tintenschlamme  ging;  doch  war  ich  noch  bemüht 
ein  photographisches  Bild  dieses  denkwürdigen  Ausbruchs  mir 
zu  verschaffen.  Ich  bemerke  noch,  dass  man  in  der  Stadt  an 
der  Hafenseite  auch  Lapilli  gefunden  hat. 

Schliesslich  möchte  ich  nochmals  die  Aufmerksamkeit  auf 
den  erst  in  der  Nacht  zum  Sonntag  in  dem  ungefähr  2  Meilen 
vom  Vesuv  entfernten  Neapel  erfolgenden  Staubfall  lenken,  und 
scheint  es  mir  sehr  bemerkenswerth,  dass  die  ausgestossene 
ungeheuere  Staubmasse  sich  so  lange  Zeit  hat  schwebend  in  der 
Luft  erhalten  können. 

Herr  Dönitz  legte  mehrere  Schädel  mit  auffallenden  Ab- 
weichungen im  Gebiss  vor.  Ein  Schädel  von  C'ervus  Axis  fem. 
führt  im  Oberkiefer  einen  überzähligen  Backenzahn,  welcher  an 
der  innern  Seite  der  linken  Zahnreihe  steht;  eine  Abnormität, 
wie  sie  öfter  auch  bei  Menschen  beobachtet  wird.  Auffälliger 
erscheint  der  Unterkiefer  desselben  Thieres.  Beiderseits  findet 
sich  medianwärts  vom  5.  Backenzahn  ein  accessorischer  klei- 
nerer, seitlich  stark  zusammengedrückter  Zahn.  Die  Zahnreihe 
der  rechten  Seite  hat  an  ihrem  hinteren  Ende  einen  Zuwachs 
erhalten,  indem  hinter  dem  grossen  6.  dreilappigen  Zahn  noch 
ein  kleinerer  zweilappiger  sich  findet,  welcher  seinen  Vorder- 
mann ganz  aus  der  Richtung  gebracht  hat.  —  Ein  Schädel  eines 
weiblichen  Canis  mesomelas  fällt  dadurch  auf,  dass  hinter  dem 
letzten  Backenzahn  des  linken  Oberkiefers  noch  ein  kleiner  zwei- 
höckriger Zahn  steht,  so  dass  hier  sieben  anstatt  sechs  Zähne 
vorhanden  sind.  Dadurch  nähert  sich  dieser  Schakal  dem  süd- 
afrikanischen Otocyon  caffer,  dessen  Zahnformel  zwar  £  sein 
soll,  von  dem  indessen  drei  von  Herrn  G.  Fritsch  mitgebrachte 
Schädel  im  Berliner  Anatomischen  Museum  £  zeigen. 

Derselbe  sprach  über  die  Entwickelung  der  Zoos- 
permien  bei  Seh  wimmpolv  pen.  Neuerdings  sind  mehrfach 
Angaben  über  die  Entwickelung  der  Zoospermien  bei  niederen, 
auch    mit    den    Schwimmpolypen    verwandten    Thieren    gemacht 


Sitzung  vom  18.  Juni.  55 

worden,  welche  mit  den  Beobachtungen  des  Vortragenden  nicht 
übereinstimmen.  Bei  den  Siphonophoren  füllen  sich  die 
Genitalkapseln  dicht  mit  grossen  Zellen  an,  deren  Inhalt  sich 
zu  charaktischen ,  lang  geschwänzten  Zoospermien  umbildet, 
ohne  dass  der  Zellkern  sich  bei  diesem  Vorgang  betheiligte. 
Die  Beobachtung  lässt  sich  leicht  im  Frühjahr  bei  Siphonopho- 
ren mit  langem  Stamm  anstellen,  wie  bei  Diphyes,  Bhizophysa  u.  a. ; 
denn  bei  ihnen  findet  man  gleichzeitig  Genitalkapseln  in  den 
verschiedensten  Entwickelungszuständen.  Eine  besondere  Prae- 
paration  ist  nicht  nöthig,  da  alle  Theile  so  durchsichtig  sind, 
dass  man  die  Beobachtung  am  lebenden  Thiere  anstellen  kann. 
Um  keinen  Zweifel  an  der  Beobachtung  übrig  zu  lassen,  hat 
der  Vortragende  isolirte  Zellen  der  Genitalkapseln  zerdrückt 
und  eine  grosse  Anzahl  Zoospermien  aus  ihnen  austreten  ge- 
sehen. 

Herr  Braun  sprach  über  pelorische  Gipfelblüth  en 
von  Digitalis  purpurea  und  legte  ein  getrocknetes  Exemplar  nebst 
Zeichnung  einer  solchen  vor.  Soviel  mir  bekannt  sind  derartige 
Blüthen  nur  an  cultivirten  Exemplaren  beobachtet  und  zuerst 
von  Vrolik  (Flora  1844  No.  1)  ausführlich  beschrieben  wor- 
den; auch  hat  Vrolik  nachgewiesen,  dass  die  Eigenschaft 
solche  Blüthen  zu  tragen  sich  leicht  vererbt.  Im  hiesigen  bota- 
nischen Garten  sind  sie  in  diesem  Sommer  zum  ersten  Mal  be- 
merkt worden  und  zwar  an  einem  einzigen  Stock,  dessen  Haupt- 
stengel eine  Gipfelblüthe  von  überraschender  Grösse  trug,  wäh- 
rend ein  grundständiger  schwächerer  Seitentrieb  durch  eine 
kleinere  Pelorie  begrenzt  war.  In  beiden  Fällen  beschloss  die 
Gipfelblüthe  eine  aus  normalgebildeten  d.  i.  zygomorphen  Seiten- 
blüthen  bestehende  Traube  mit  aufsteigender  Blühfolge,  deren 
Blüthen  wie  gewöhnlich  aus  der  Achsel  hochblattartiger  (wie- 
wohl grüner)  Deckblätter  entsprangen  und  keine  Vorblätter  am 
Blüthenstiel  zeigten.  An  dem  Hauptstengel  befanden  sich  unter- 
halb dieser  in  den  Achseln  der  sechs  obersten  kleinsten  Laub- 
blätter eine  gleiche  Anzahl  weiterer  Blüthen,  welche  sich  später 
als  die  der  normalen  Blüthentraube  und  in  absteigender  Folge 
entwickelten.  Sie  wurden  von  verlängerten  mit  vier  Vorblättern 
versehenen  Stielen  in  aufrechter  Stellung  getragen  und  verhiel- 
ten  sich    sämmtlich   mehr    oder    weniger   entschieden    pelorisch. 


56  Gesellschaft  naturforschender  Freunde. 

Die  merkwürdigste  unter  den  abnormen  Blüthen  dieses  Stockes 
war  die  Gipfelblüthe  des  Hauptstengels.  Sie  entfaltete  sich  frü- 
her als  die  obersten  Seitenblüthen  der  Traube,  so  dass  zur  Zeit 
der  ersten  Beobachtung,  als  die  Gipfelblüthe  bereits  weit  geöffnet 
war,  von  den  20  vorausgehenden  normalen  Seitenblüthen  noch 
7  sich  im  Knospenzustand  befanden.  Ueber  den  letzten  Seiten- 
blüthen und  ihren  zugehörigen  Deckblättern  folgten  noch  3  wei- 
tere durch  deutliche  Internodien  (wiewohl  metatopisch)  geson- 
derte Hochblätter  (sterile  Bracteen)  und  nach  diesen  18  dicht- 
zusammengedrängte kleine  Blätter  mit  ziegelartiger  Deckung  und, 
einige  Unregelmässigkeiten  abgerechnet,  von  aussen  nach  innen 
abnehmender  Grösse.  Wiewohl  dieselben  in  Gestalt  und  Farbe 
unter  sich  nur  geringe  Verschiedenheiten  zeigten,  betrachtete  ich 
doch  aus  nachher  anzugebenden  Gründen  die  5  äussersten  als 
der  Blüthe  vorausgehende  sterile  Hochblätter,  welche  den  Ueber- 
gang  zum  Kelch  vermitteln,  und  nur  die  13  inneren  als  die 
eigentlichen  Kelchblätter.  Von  diesen  zeigten  4,  jedoch  nicht 
gerade  die  4  innersten,  auf  einer  Seite  einen  blumenblattartigen, 
wellenförmig  gekrümmten  oder  selbst  fast  schneckenförmig  ge- 
rollten Rand  oder  Flügel  von  rother  Färbung,  in  zwei  Fällen 
auf  der  rechten,  in  zwei  auf  der  linken  Seite.  Die  Blumen- 
krone bildete  eine  regelmässige  Glocke,  in  der  Gestalt  fast  an 
die  Corolle  von  Campanula  Medium  erinnernd,  von  7  Centim. 
Länge,  mit  regelmässig  13  lappigem,  etwas  nach  aussen  umge- 
bogenem Saum,  dessen  Umkreis  6  Centimeter  im  Durchmesser 
zeigte.  Hierauf  folgten  13  gleichlange,  am  Grunde  nach  der 
einen  oder  andern  Seite  bogig  gekrümmte  Staubblätter  mit  auf- 
rechten Staubbeuteln,  welche  mit  den  Lappen  der  Blumenkrone 
zu  alterniren  schienen.  Das  Centrum  der  Blüthe  war  durch  eine 
dicke,  fast  kugelförmige  Knospe  aus  zahlreichen  Blättern  einge- 
nommen, durch  welche  offenbar  eine  Durchwachsung  hergestellt 
werden  sollte,  deren  weitere  Entwicklung  nicht  beobachtet  wer- 
den konnte,  da  die  Blüthe  zum  Behuf  der  Untersuchung  abge- 
schnitten worden  war.  Die  Blätter  dieser  Centralknospe  hatten 
einen  gemischten  Charakter,  hie  und  da  durch  grüne  Färbung  an 
Kelchblätter,  an  andren  Stellen  durch  röthlicbe  Färbung  und 
zartere  Textur  an  Blumenblätter  erinnernd.  Griffel  und  Narben- 
bildung fehlte. 


Sitzung  vom  18.  Juni.  57 

Die  Zahl  13  in  der  Blumenkrone  und  dem  Staubblattquirl 
scheint  bei  solchen  Gipfelblüthen  nicht  selten  zu  sein.  Die  von 
Vrolik  auf  Tafel  1  abgebildete  Blüthe  hatte  gleichfalls  13  Lap- 
pen der  glockigen  Blumenkrone  und  13  Staubblätter.  Kelch- 
blätter werden  11  angegeben,  aber  wenn  man  ein  „lippenför- 
miges  Blumenblatt",  welches  frei  ausserhalb  der  Glocke  stand, 
dazu  rechnet,  erhöht  sich  die  Zahl  auf  12  und  die  Ergänzung 
auf  13  würde  sich  bei  genauerer  Untersuchung  wahrscheinlich 
in  einem  vom  übrigen  Kelch  abgerückten  sterilen  Deckblatt  ge- 
funden haben.  Vrolik  giebt  ferner  an,  dass  derselbe  Stock, 
der  die  von  ihm  beschriebene  und  abgebildete  Blüthe  trug,  im 
nächstfolgenden  Jahre  abermals  einen  kräftigen  Stengel  getrie- 
ben habe,  der  eine  Gipfelblüthe  trug,  deren  Blumenkrone  zwar 
in  zwei  weit  ausgespreizte  Lappen  zertheilt  war,  die  aber  zu- 
sammen gleichfalls  13  Einschnitte  trugen,  womit  auch  die  Zahl 
der  Staubblätter  übereinstimmte.  Die  Zahl  der  Kelchblätter 
wird  nicht  angegeben.  Endlich  habe  ich  bei  Herrn  Dr.  Magnus 
noch  ein  getrocknetes  Exemplar  einer  pelorischen  Gipfelblüthe 
aus  dem  botanischen  Garten  in  Kiel  gesehen,  deren  Blumen- 
krone 13  Lappen  zeigte.  Die  Erklärung  dieses  Zahlenverhält- 
nisses finde  ich  in  der  den  kräftigeren  Exemplaren  von  Digi- 
talis pur  pur  ea  zukommenden  und  auch  an  dem  Exemplare  des 
botanischen  Gartens  erkannten  ^  Stellung  der  vorausgehenden 
Blätter,  namentlich  der  Hochblätter  des  Blüthenstandes,  so  dass 
also  in  den  angeführten  Gipfelblüthen  der  Fall  13  zähliger  durch 
3^-  Stellung  gebildeter  Quirle  vorliegt,  der  sonst  kaum  beobachtet 
sein  dürfte,  wenn  man  von  den  Involucren  mancher  Compositen 
(Bellis,  Picris,  Arten  der  Gattungen  Senecio,  Apargia,  Tragopogon) 
absieht,  bei  denen  jedoch  nur  je  ein  einziger  derartiger  Quirl, 
ohne  Alternation  mit  vorausgehenden  oder  nachfolgenden,  auf- 
tritt. Zur  Ergänzung  der  Beschreibung  der  hier  beobachteten 
13  zähligen  Blüthe  füge  ich  noch  bei,  dass  auch  in  der  Deckung 
der  18  der  Corolle  vorausgehenden  Blätter,  welche  den  Kelch 
der  Blüthe  darzustellen  schienen,  trotz  einiger  metatopischer 
Verschiebungen,  die  ^  Stellung  zu  erkennen  war,  wesshalb  ich 
im  Obigen  die  5  äussersten  Theile,  welche  mit  den  5  innersten 
in  die  gleiche  Richtung  fielen,  von  der  Betrachtung  als  Kelch- 
blätter ausgeschlossen  habe. 


58  Gesellschaft  naturforschender  Freunde, 

Die  Gipfelblüthe  des  bereits  erwähnten  schwächeren  Seiten- 
stengels zeigte  einen  einfacheren  Hau,  indem  die  etwas  kleinere 
glockenförmige  Corolle  nur  S  Lappen  zeigte,  mit  denen  die  8 
gleichlangen  Staubblätter  deutlich  abwechselten.  Die  Zahl  der 
Kelchblätter  war  anscheinend  10,  reducirt  sich  aber  auf  8,  wenn 
man  die  zwei  äussersten  abrechnet,  die  mit  den  zwei  innersten 
in  gleiche  Richtung  fielen.  Die  abwechselnde  Stellung  der  Lap- 
pen der  Blumenkrone  mit  den  Blättern  des  so  aufgefassten  Kelches 
war  deutlich.  Im  Centrum  der  Blüthe  befand  sich  ein  wohlaus- 
gebildetes, aber  aus  drei  Fruchtblättern  bestehendes  Pistill.  Die 
der  Blüthe  vorausgehende  Blattstellung  war  f,  so  dass  dieser 
Fall  dem  zuerst  beschriebenen  analog  erscheint  und  die  gegebene 
Erklärung  bestätigt. 

Derselbe  besprach  ferner  einen  im  botanischen  Garten  beob- 
achteten, wie  es  scheint  bisher  noch  nirgends  erwähnten  Fall 
einer  vegetabilischen  Fliegenfalle,  eines  Falles,  in  welchem 
die  Insekten  ohne  Zusammenfaltung  oder  Krümmung  des  Blattes 
bloss  durch  die  Haarbildung  desselben  festgehalten  werden.  Die 
betreffende  Pflanze  ist  eine  ostindische  Papilionacee,  welche  zahl- 
reiche Namen  erhalten  hat,  nämlich  Desmodium  triquetrum  D.  C. 
(Hedysarum  triquetrum  LJ,  womit  Desm.  alatum  D.  C.  (Hedy- 
sarum  alatum  RoxbJ  und  Desm.  pseudotriquetrum  D.  C.  vereinigt 
werden.  Desvaux  bildete  für  diese  Art  eine  eigene  Gattung, 
Pteroloma,  welche  jedoch  von  Hooker  und  Benth.  wieder  als 
Section  mit  Desmodium  verbunden  wird.  Das  einfache,  mit  ge- 
flügeltem Blattstiel  versehene  Blatt  dieser  Pflanze  fühlt  sich  rauh 
an  und  bleibt  an  fremden  Gegenständen,  z.  B.  am  berührenden 
Finger,  leicht  hängen.  Kleinere  Fliegen,  welche  sich  auf  das 
Blatt  niedersetzen,  werden  wie  durch  eine  unsichtbare  Gewalt 
festgehalten  und  sterben  nach  vergeblichen  Anstrengungen  sich 
zu  befreien  auf  dem  Blatt  ab.  Nicht  selten  sieht  man  G — 8  auf 
diese  Weise  gefesselte  Fliegen  auf  der  Oberfläche  derselben 
Blattspreite,  seltener  und  spärlicher  finden  sie  sich  auf  der 
Unterfläche.  Die  Härchen,  welche  dies  bewirken,  sind  über  die 
ganze  Fläche  zerstreut  und  erscheinen  dem  blossen  Auge  als 
kaum  bemerkbare  weisse  Pünktchen;  sie  sind  nicht  über  0,08 
bis  0,10  MM.  lang  und  0,01  MM.  dick  und  bestehen  aus  zwei 
Zellen,  von  denen  die  untere  etwa  den  vierten  Theil  der  ganzen 


Sitzung  vom  18.  Juni.  59 

Länge  einnimmt.  Die  obere  Zelle  ist  an  der  Spitze  in  Form 
eines  Angelhakens  umgebogen,  sehr  scharf  gespitzt,  dabei  dicht 
und  fest,  indem  das  Lumen  der  Zelle  sich  kaum  in  den  Anfang 
des  gekrümmten  Theils  hineinzieht.  Diese,  dem  blossen  Auge 
unsichtbaren  Angeln  sind  es,  an  welchen  die  Füsse  der  Insekten 
hängen  bleiben.  Ausser  den  Angelhärchen  kommen  auf  dem- 
selben Blatte  noch  andere  Haare  vor,  welche  beim  Fangen  der 
Insekten  nicht  betheiligt  sind.  Sie  finden  sich  besonders  längs 
der  Nerven,  haben  eine  viel  bedeutendere  Länge  und  Dicke 
(0,50  MM.  und  0,01  MM.),  sind  einzellig,  stumpf  und  an  der 
Oberfläche  mit  kleinen  Höckerchen  besetzt,  steif  aber  nicht  ab- 
stehend, sondern  auf  die  Fläche  des  Blattes  niedergelegt. 

Herr  Peters  legte  den  Schädel  von  Lepus  glacialis  Leach 
vor,  von  der  Deutschen  Nordpol  -  Expedition  stammend,  und 
zeigte,  wie  derselbe  sich  wesentlich  sowohl  im  Zahn-  wie  im 
Schädelbau  von  Lepus  variabilis  und  Lepus  timidus  unterscheidet. 


Als  Geschenke   wurden   mit  Dank  entgegengenommen: 

Monatsberichte  der  Berliner  Akademie.     Februar  1871. 

Lotos,  Zeitschrift  für  Naturwissenschaft.     Prag.     Jahrg.  21. 

Jahrbuch  des  Landesmuseums  zu  Kärnthen.     Heft   10. 

Jahresbericht  des   Vereins  für  Naturkunde  in  Zwickau.      1871. 

Elfter  und   zwölfter  Bericht  des  Offenbacher   Vereines  für  Natur- 
kunde.     1 870. 

On  the  Mammals  and  winter  birds  of  east  Florida  by  J.  A.  Allen. 


A.W    Schadcs  Biubdruckerei  (L.  Schade)  in  Berlin,   Stallschreiberstr.  4,1 


Sitzuno-s-Bericht 


der 


Gesellschaft  naturforschender  Freunde 

zu  Berlin 
am   16.  Juli  1872. 


Director:   Herr  Professor  A.  Braun. 


Herr  von  Martens  sprach  unter  Vorlegung  einer  Karten- 
skizze über  die  gegenwärtige  Kenntnifs  der  Land-  und  Süfs- 
wasser- Mollusken  von  Mittelasien  und  Mittelafrika,  mit  beson- 
derer Beziehung  auf  die  in  den  letzten  Jahren  dort  von  Herrn 
Fedtschenko,  hier  von  Dr.  Schwein furth  gemachten  Samm- 
lungen. Von  Mittelasien  kannte  man  bis  jetzt  durch  englische 
und  französische  Naturforscher  Einiges  aus  Kaschmir,  Klein-Tibet, 
Afghanistan  und  in  neuester  Zeit  auch  aus  Yunnan,  der  süd- 
lichsten Binnenprovinz  China's.  Unser  Mitglied,  Geh.-Rath  Ehren- 
berg, sammelte  Einiges  im  kleinen  Altai  (s.  diese  Berichte  vom 
Juni  1871),  Staatsrath  Semenow  einzelne  Arten  im  Thianschan 
und  im  See  Issy-kul.  Einen  sehr  erwünschten  Beitrag  zur  Ver- 
vollständigung unserer  Kenntnifs  bildet  nun  die  Sammlung,  welche 
Herr  Fedtschenko  in  Turkestan,  namentlich  Samarkand  und 
Taschkend,  zusammengebracht  und  dem  Vortragenden  zur  Unter- 
suchung anvertraut  hat.  Unter  den  kleineren  Landschnecken 
derselben  finden  sich  einige  allgemein  durch  Europa  verbreitete 
Arten,  so  Helix  pulchella  und  Cionella  lubrica;  die  etwas  gröfseren 
sind  meist  besondere  Arten  von  Helix  und  Buliminus,  die  tbeils 
ganz  neu,  theils  schon  aus  den  Kaukasus -Ländern  oder  dem 
Himalaya  bekannt,  waren,  aber  immerhin  noch  nahe  Verwandte 
[1872.]  7 


62  Gesellschaft  naturforschender  Freunde. 

in  Europa,  namentlich  an  den  Mittelmeerkiisten,  finden.  Bemer- 
kenswert^ ist  das  Vorkommen  der  Gattung  Parmacella ,  deren 
geographische  Verbreitung  von  Vorderasien  längs  beider  Kü- 
sten des  Mittelmeeres  bis  zu  den  kanarischen  Inseln  sich  er- 
streckt und  die  auch  dadurch  merkwürdig  i*t,  dafs  die  Schale 
im  jugendlichen  Alter  eine  äufsere  ist.  beim  erwachsenen  Thier 
aber  vom  Mantel  völlig  umhüllt  wird.  Von  besonderem  Interesse 
ist  ferner  das  Vorkommen  der  Gattung  Macrochlamys  bei  Samar- 
kand  in  zwei  Arten  und  wie  es  scheint,  in  ziemlicher  Häyfigkeit, 
indem  diese  Gattung  eine  indisch  -  malayische,  Europa  ganz  fremde 
ist  und  also  hier  in  Turkestan  ihre  Nordwestgrenze  findet.  Die 
Süfswasserkonchylien  Samarkands  stimmen  gröfstentheils  mit  eu- 
ropäischen überein,  namentlich  findet  sich  auch  unter  ihnen  die 
allbekannte  Limnaea  stagnalis. 

In  Betreff  Afrika's  ist  es  durch  die  Sammlungen  von  Oli- 
vier,  Cailliaud,  Ehrenberg  und  Rüppell  seit  lange  bekannt, 
dafs  die  Süfswasser- Mollusken  des  Nils  acht  tropisch -afrikanische 
Formen  sind,  worunter  die  meisten  sehr  nahe  verwandte,  wenn 
nicht  identische  Arten  in  den  westafrilcanischen  Strömen  finden, 
dafs  dagegen  die  Landschneckenfauna  Aegyptens  mit  der  an- 
derer Mittelmeerländer  mehr  oder  weniger  übereinstimmt,  nur 
gemäfs  Klima  und  Boden  ärmer  ist  und  einige  eigentüm- 
liche Wüstenformen  enthält;  erst  in  Sennaar  treten  mit  der 
Gruppe  Lbnicolaria  die  ersten  acht  afrikanischen  Formen  von 
Landschnecken  auf,  doch  immer  noch  in  kleineren  Dimensionen. 
Aber  an  den  Zuflüssen  des  Bachr-el  -Gasal  leben  ganz  grofse 
Arten  derselben,  bis  114  Millimeter  Länge  und  7!»  Millim.  Durch- 
messer, wie  wir  ähnliche  schon  lange  von  Westafrika  kennen, 
nämlich  Limicolaria  turris  und  L.  Nilotica,  beide  schon  in  ein- 
zelnen Exemplaren  von  Petherik  nach  Europa  gebracht  und 
von  Dr.  Schweinfurth  häufig  in  den  Wäldern  an  den  Flüssen 
Djur  und  Bek  gesehen;  interessant  ist  namentlich  auch  ein  jün- 
geres Exemplar  der  zweitgenannten  Art,  welches  zeigt,  dafs  die- 
selbe im  Jugendzustand  eine  ähnliche,  wenn  auch  nicht  so  aus- 
gesprochene Abstutzung  der  Columelle  zeigt,  wie  die  für  Afrika 
so  charakteristische  Gattung  Achatina,  wie  denn  überhaupt  die 
Limicolarien  in  Habitus  und  Sculptur  enger  an  Achatina,  als  an 
die    gleichgrofsen    südamerikanischen    Iiulimits    sich    anschliefsen, 


Sitzung  vom  16.  Juli.  63 

mit  welch  letzterer  Gattung  sie  früher  vereinigt  wurden.  Die 
Gattung  Achatina  im  engeren  Sinn  war  bis  jetzt  noch  nicht  aus 
dem  Nilgebiete  bekannt,  abgesehen  der  Gegend  am  Ukerewe- 
See,  wo  Speke  eine  nach  ihm  benannte  Art  gefunden  hat. 
Dr.  Schweinfurth  hat  nun  auch  eine  neue  aus  dem  Njam- 
Njam- Lande  mitgebracht,  die  zu  den  gröfseren  Arten  gehört 
(132  Millim.  lang)  und  seinen  Namen  tragen  wird.  Bemer- 
kenswerth  sind  ferner  unter  den  von  Dr.  Schweinfurth  ge- 
sammelten Arten  Lanistes  Libyern,  bis  jetzt  nur  aus  Westafrika 
bekannt,  und  Trochonanina  Mossambicensis,  eine  bis  dahin  speziell 
ostafrikanische  Art. 

Herr  Dönitz  sprach  über  die  geographische  Verbreitung 
der  Zibethyäne,  Proteles  Lalandii,  und  zeigte  Schädel-  und  Skelet- 
stücke  dieses  Thieres  vor,  welche  Herr  Schweinfurth  auf 
seiner  ersten  afrikanischen  Reise  bei  Ras  Rauai  unter  dem 
21.  Grad  nördl.  Br.  aufgelesen  hat.  Diese  Stücke  bestätigen  die 
Angabe  von  De  Joannis,  welcher  in  Nubien  einen  Proteles 
todt  gefunden  hat,  welcher  dem  am  Cap  lebenden  gleich  zu  sein 
schien. 

Herr  Braun  legte  ein  kürzlich  von  Herrn  Cantor  Müller 
in  Bitterfeld  mitgetheiltes  monströses  Exemplar  von  Valeriana 
o/ficinalis  vor  und  erläuterte  dasselbe  im  Vergleich  mit  ähn- 
lichen theils  an  derselben,  theils  an  verschiedenen  anderen  Pflan- 
zen beobachteten  Mifsbildungen ,  welche  er  unter  dem  Namen 
der  Zwangsdrehung  zusammenfafst. 

Das  betreffende  Exemplar  zeigt  einen  dicht  über  dem  Grunde 
blasig  aufgetriebenen,  spiralig  gefurchten  und  hie  und  da  in  der 
Richtung  der  Spirale  mit  Rissen  versehenen  Stengel.  Dieser 
bauchige  Stengel  ist  schiefbirnförmig,  7  Centim.  lang,  5  Centim. 
breit,  durch  die  fast  horizontale  Spiralstreifung  einem  abgerun- 
deten, dichtbereiften  Fasse  vergleichbar.  Auf  der  Seite  der 
grofsen  Krümmung  zeigen  sich  in  senkrechter  Reihe  6  Blätter, 
durch  die  zu  einer  schmalen  Leiste  ausgezogenen  Ränder  der 
senkrecht  gestellten  Basen  verknüpft  und  ohne  ausgebildete  Zweige. 
Auf  die  Breite  jedes  Blattes  kommen  7  Spiralstreifen  des  Sten- 
gels. Diesen  sterilen  Blättern  schliefsen  sich  5  andere  kleinere 
an,  welche  mit  ungefähr  6  Centim.  langen  Inflorescenzzweigen 
in   den  Achseln   versehen   sind    und  sich   in   spiralig  gebogener 

7* 


64  Gesellschaft  naturforschender  Freunde. 

Reihe  in  das  vertiefte  Ende  des  bauchigen  Stengelkörpers  hinein- 
ziehen. Im  Mittelpunkte  dieser  Vertiefung  befinden  sich  noch 
einige  unentwickelte  kümmerliche  Blattgebilde,  welche  der  ver- 
kümmerten Spitze  des  Hauptstengels  angehören. 

Der  hier  beschriebene  Fall  gehört  einer  Art  von  Mifsbil- 
flungen  an,  die,  obgleich  sie  nicht  zu  den  häufigen  gehört,  doch 
durch  das  Auffallende  ihrer  Erscheinung  die  Aufmerksamkeit 
schon  früh  auf  sich  gezogen  hat  und  welche  insbesondere  bei 
mehreren  Valeriana- Arten  von  älteren  und  neueren  Autoren 
beschrieben  und  auch  von  mir  selbst  schon  mehrmals  beobachtet 
worden  ist.  Die  zu  meiner  Kenntnifs  gekommenen  Fälle  sind 
folgende: 

1)  Die  älteste  Erwähnung  findet  sich  in  den  Mise.  cur.  s. 
Ephem.  Acad.  Caes.  Leop.  not.  cur.  Decur.  III.,  Ann.  3,  Observ. 
XXII,  p.  24  von  Dr.  Salomon  Reisel,  der  das  daselbst  unter 
Fig.  II  abgebildete  Exemplar  am  7.  Juli  1695  an  der  Stadtmauer 
von  Stuttgart  fand.  Die  von  ihm  als  Valeriana  maxima  bezeich- 
nete Pflanze  kann  nach  dem  Vorkommen  nur  V.  ofßcinalis  sein. 
Den  monströsen  Theil  nennt  er  einen  „truneum  tubiformem,  ca- 
vum,  tn  conchae  modum  cum  caulibus  (womit  die  Zweige  gemeint 
sind)  et  foliis  contortum  et  striatum* .  Nach  der  von  zwei  Seiten 
gegebenen  bildlichen  Darstellung  ist  der  Stengel  verlängertbirn- 
förmig  oder  fast  rübenförmig,  11  Centim.  lang,  oben  4  Centim. 
breit  und  etwas  eingedrückt,  aus  welcher  Vertiefung  sich  noch 
eine  schmälere,  2  Centim.  lange  und  gleichfalls  gedrehte  Fort- 
setzung erhebt.  Eine  weitere  Fortsetzung  des  Stengels  scheint 
unterdrückt  zu  sein.  Die  Spirale  der  (grofsentheils  abgerissenen) 
zusammenhängenden  Blätter  beschreibt  an  der  unteren  dünneren 
Hälfte  3  Umläufe  und  erhebt  sich  an  der  oberen  dickeren  fast 
senkrecht.  An  diesem  oberen  Theile,  sowie  an  dem  dünneren 
Aufsatz  sind  verlängerte  Blüthenzweige  vorhanden.  Die  sehr 
stark  geneigte,  im  oberen  Theile  der  horizontalen  sieh  annähernde 
Spiralstreifung  des  Stengels  ist  in  ihrer  Wendung  der  Spirale 
der  Blätter  entgegengesetzt. 

2)  Ein  von  Gilbert  beobachtetes  Exemplar,  wahrscheinlich 
derselben  Species  angehörig,  wird  in  Motjuin-Tandon's  Terato- 
logie p.  181  erwähnt.  Der  gedrehte  Stengeltheil  wird  mit  einer 
Tonnenschnfekf  (Cassidaria,   Dolium)  verglichen. 


Sitzung  vom  16.  Juli.  65 

3)  Lapierre  de  Roanne  erwähnt  ähnliche  Mifsbildungen 
von  Val.  officinalis  aus  dem  Dep.  de  l'Allier  et  de  la  Loire. 
In  eiuem  Falle  hatte  der  Stengel  die  bedeutende  Länge  von 
29  Centim.  und  an  der  Spitze  eine  Breite  von  8,1  Centim.  (Mem. 
de  la  Soc.  Linn.  de  Paris.    Vol.  III,  p.  39). 

4)  Viviani  beobachtete  nach  Moq.-Tand.  1.  c.  p.  182  eine 
ähnlich  spiralige  Mifsbildung  an  V.  dioica,  an  welcher  nach  sei- 
nen Angaben  die  Blätter  eine  senkrechte  Reihe  bildeten. 

5)  Einen  ähnlichen  Fall  von  Val.  montana  haben  De  Can- 
dolle,  Vater  und  Sohn,  in  den  neuen  Denkschr.  d.  Schweiz. 
Gesellsch.  f.  die  ges.  Naturw.  Bd.  V.  (1841)  S.  16,  Taf.  5  be- 
schrieben und  abgebildet.  Der  spiralig  gestreifte,  über  der  Basis 
allmälig  anschwellende,  rübenförmige  Stengeltheil  hat  eine  Länge 
von  11,  nach  oben  einen  Durchmesser  von  4  Centim.  und  er- 
innert in  der  Gestalt  sehr  an  den  von  Reise  1  abgebildeten.  Die 
Blätter  bilden  eine  nach  mehreren  Umgängen  der  senkrechten 
sich  annähernde  Spirale,  deren  Windung,  wie  ausdrücklich  be- 
merkt wird,  der  der  Spiralstreifung  entgegengesetzt  ist.  Am 
oberen  fast  flachen  Ende  der  Anschwellung  befinden  sich  kurze 
Inflorescenzzweige  in  den  Achseln  kleinerer  hochblattartiger  Brac- 
teen,  während  das  Ende  des  Hauptstengels  unausgebildet  zu 
sein  scheint. 

6)  Prof.  Nolte  zeigte  bei  der  Versammlung  Deutsch.  Na- 
turf.  in  Kiel  1847  (amtl.  Bericht  S.  197)  eine  Val.  officinalis  mit 
gewundenem,  armsdick  angeschwollenem  Stengel  und  einseitiger 
Blattstellung,  ähnlich  der  von  Reise  1  abgebildeten. 

7)  Ch.  Morren  beschrieb  1851  in  einer  Abhandlung,  die 
den  Titel  führt  „Sur  le  spiralisme  teratologiques  des  üges"  und  im 
Bull,  de  VAcad.  r.  d.  Sc.  de  Belgique.  T.  XVIII,  sowie  in  seiner 
Lobelia  (p.  111)  enthalten  ist,  eine  von  seinem  Sohne  Ed.  Morren 
bei  Tilft  gefundene  Val.  officinalis,  bei  welcher  nach  der  bei- 
gefügten Abbildung  die  Drehung  und  Anschwellung  des  Sten- 
gels etwas  höher  über  der  Basis  beginnt,  eine  Länge  von  7  und 
eine  Dicke  von  fast  3  Centim.  besitzt  und  mehrere  Einschnü- 
rungen zeigt.  Die  Blätter  stehen  an  einer  senkrecht  aufsteigen- 
den „Rapheu,  wie  et  die  Insertionslinie  derselben  bezeichnet 
Am  oberen  Ende  der  Anschwellung  geht  die  Reihe  der  Blätter 
in  eine  flache  Spirale  über  und  sendet  kümmerliche  Inflorescenz- 
zweige aus. 


66  Gesellschaft  naturforschender  Freunde. 

8)  In  De  Lessert's  Sammlung  zu  Paris  sah  ich  im  Jahre 
1832  einen  spiralig  gedrehten  und  sackartig  aufgetriebenen  Bal- 
drianstengel von  ausgezeichneter  Gröfse,  der  als  unbekannter 
Gegenstand  daselbst  verwahrt  wurde. 

9)  Ein  von  den  übrigen  etwas  abweichendes  Exemplar  fand 
der  verstorbene  Reisende  (später  Garteninspector  zu  Schwetzin- 
gen) Hartweg  im  Bois  de  Vincennes  im  Juni  1832.  Es  ge- 
hört der  kleinen  schmalblättrigen  Form  der  17//.  officinalis  an 
und  ist  in  meiner  morphologischen  Sammlung  aufbewahrt.  Die 
gedrehte  aber  völlig  aufrechte  Anschwellung  beginnt  einen  halben 
Zoll  über  der  Ster.gelbasis  und  hat  ein  noch  ziemlich  gut  erhal- 
tenes Blattpaar  unter  sich;  sie  ist  spindelförmig,  4  Centim.  lang, 
2  Centim.  dick  und  zeigt  auf  der  einen  Seite  eine  durch  die 
Grundstücke  von  7  zusammenhängenden  Blättern  gebildete  fast 
senkrecht  aufsteigende  Leiste.  Diesen  bereits  abgestofsenen  Blät- 
tern folgt  dicht  über  der  Anschwellung  ein  Quirl  von  3  erhal- 
tenen Blättern.  Ueber  diesen  erhebt  sich  ein  wohl  ausgebildetes 
Stengelglied  von  ungewöhnlicher  Länge  (22  Centim.),  welches 
einen  zweiten  dreizähligen  Quirl  kleinerer  Blätter  trägt,  au> 
deren  Achseln  normale  Inflorescenzzweige  entspringen.  Das 
hierauf  folgende  Ende  des  Hauptstengels  ist  kümmerlich,  abnorm 
verkürzt  und  gedreht,  und  wird  von  den  Zweigen  überragt. 

10)  Ein  im  J.  1863  im  hiesigen  Universitätsgarten  gefun- 
denes Exemplar  ist  gestreckter  als  die  anderen,  12  Centim.  lang, 
nur  2  Centim.  dick,  durch  die  grofse  Zahl  der  senkrecht  über- 
einander gestellten  Blätter  ausgezeichnet.  Der  monströse  Theil 
beginnt  mit  12  in  senkrechter  Richtung  verketteten  Laubblättern, 
deren  5  oberste  verkümmerte  Laubsprosse  in  den  Achseln  be- 
sitzen. Von  diesen  durch  eine  etwas  stärkere  Streckung  des 
Stengels  abgelöst  folgen  6  weitere  kleinere  kürzer  fiederspaltige 
Laubblätter,  welche  je  3  und  3  senkrecht  zusammenhängen  und 
sämmtiich  mit  Inflorescenzzweigen  von  15 — 17  Centim.  Länge 
versehen  sind.  Von  den  hierauf  folgenden  Hochblättern  stehen 
die  5  nächsten  in  spiraliger  Reihe  an  einer  schwächer  gedrehten 
und  kaum  verdickten  Fortsetzung  der  Hauptachse;  zwei  weitere 
stehen  in  gleicher  Höhe  dicht  nebeneinander,  jedoch  nicht  genau 
gegenständig,  sondern  in  einer  Divergenz  von  •£.  Diesen  folgen 
noch   4  Paare   in    gewöhnlicher    Weise    sich    kreuzender   Blätter 


Sitzung  vom  16.  Juli.  67 

an  dem  nicht  über  22  MM  langen  Stengelende.  Sämmtliche 
Hochblätter  haben  Blüthenzweige  in  den  Achseln,  welche  die 
verkümmerte  Hauptspitze  überragen. 

Die  Zahl  der  an  Valeriana  beohachteten  Fälle  derartiger 
Mifsbildung  beträgt  somit  11.  Soweit  man  den  Beschreibungen 
entnehmen  kann,  stimmen  sie  alle  in  folgenden  Eigenschaften 
überein: 

1)  Die  Blattstellung  ist  eine  ungewöhnliche,  indem  sie  aus 
der  gewöhnlichen  abwechselnder  Paare  oder  dreiblättriger  Quirle, 
bei  V.  o/ficinalis  vielleicht  auch  in  einigen  Fällen  aus  der  £  Stel- 
lung der  ersten  Blätter  der  Scböfslinge,  in  eine  spiralige  (wahr- 
scheinlich stets  f  St.)  übergeht. 

2)  Die  Grundstücke  sämmtlicher  aufeinander  folgender  Blätter 
sind  (wie  es  normal  bei  den  2  Blättern  jedes  Paares  der  Fall 
ist)  durch  niedrige  Randausbreitungen  zusammengeheftet. 

3)  Die  Spirale  der  so  verketteten  Blätter  wird  durch  Drehung 
des  Stengels  mehr  und  mehr  (zuweilen  plötzlich)  bis  zur  senk- 
rechten Reihe  aufgerichtet. 

4)  Die  Drehung  des  Stengels,  welche  durch  den  Verlauf  der 
Streifen  oder  Furchen  desselben  deutlich  hervortritt,  läuft  der 
Richtung  der  Blattstellungsspirale  stets  entgegen  und  nähert  sich 
der  wagrechten  Richtung  um  so  mehr  an,  je  mehr  die  Blatt- 
stellungsspirale sich  zur  senkrechten  erhebt. 

5)  Der  Stengel  ist  mehr  oder  weniger  und  im  Verhältnifs 
zu  seiner  Verkürzung  blasig  aufgetrieben,  in  der  Richtung  der 
Spiraldrehung  öfters  aufgerissen,  gleichsam  in  spiralige  Bänder 
gespalten. 

Aehnliche  Mifsbildungen  sind  bei  vielen  anderen  Pflanzen 
beobachtet  worden,  namentlich  solchen  mit  paariger  oder  auch 
mehrblättrig  quirliger  Blattstellung.  Eine  Zusammenstellung  und 
ausführlichere  Erörterung  sämmtlicher  beobachteter  Fälle  behalte 
ich  mir  für  eine  andere  Gelegenheit  vor  und  erinnere  nur  an 
einige  bekannte  und  durch  Figuren  erläuterte,  z.  B.  von  Mentha 
(De  Cand.,  Organogr.  p.  155,  t.  36,  f.  2),  Dracocephalum  spe- 
ciosum  (Morren  1.  c.  tab.  III),  Dipsacus  fullonum  (Master 's 
Terat.  p.  321,  c.  flg.),  Equisetum  (zuerst  von  Vaucher  beob- 
achtet, Monogr.  d.  Poeles,  t.  II.  A.),  Casuarina  (A.  Br.  Blattst. 
d.  Tannenzapfen,  t.  34,  f.  5 — 7).     Zu  den  sonderbarsten  hierher 


68  Gesellschaft  naturforschender  Freunde. 

gehörigen  Fällen,  welche  ebenso  wie  die  von  Valeriana  schon 
sehr  früh  die  Aufmerksamkeit  erregt  haben,  gehören  die  bei 
Galium  beobachteten  (G.  Franc  in  Ephem.  nat.  cur.  Decur.  II, 
Ann.  1,  p.  68,  f.  14;  Master' s  Terat.  p.  328),  denen  ich  selbst 
einige  ausgezeichnete  Beispiele  beizufügen  habe. 

Obgleich  der  Zusammenhang  dieser  Drehungserscbeinungen 
mit  einer  Abänderung  der  Blattstellung  und  zwar  mit  dem  Ueber- 
gang  einer  quirligen  Blattstellung  in  eine  spiralige,  in  vielen 
Fällen  bemerkt  wurde,  vermifst  man  doch  die  eigentliche  Erklä- 
rung derselben  bei  den  genannten  Autoren.  Diese  liegt  darin, 
dafs  in  solchen  Fällen  die  Blätter,  ebenso  wie  sie  normal  inner- 
halb des  Quirls  am  Grunde  verbunden  sind  (am  auffallendsten 
bei  Dipsacus,  Equisetum),  auch  bei  der  abnorm  auftretenden 
Spiralstellung  und  zwar  hier  ohne  Unterbrechung  und  in  der 
Richtung  des  kurzen  Weges  zusammenhängen.  Tritt  keine 
Drehung  des  Stengels  ein,  so  wird  ein  solches  Verhalten  keinerlei 
Störung  hervorbringen,  wie  dies  von  Pycnophyllum  bekannt  ist 
(Rohrbach  b.  Zeit.  1867,  p.  297  und  Linnaea  Vol.  37,  p.  652)1); 
wenn  dagegen  die  Internodien  sich  strecken,  so  kann  dies  nicht 
in  allen  Theilen  des  Stengelumfangs  gleichmäfsig  geschehen,  da 
die  Verbindungslinie  der  Blätter  der  Streckung  Einhalt  thut. 
Die  Folge  davon  ist  eine  Drehung  in  der  Richtung  des  kurzen 
Weges,  durch  welche  die  Insertionslinie  der  Blätter  allmälig 
und  zuletzt  bis  zur  Senkrechten  aufgerichtet,  die  senkrechte 
Streckungsrichtung  dagegen  zu  einer  schraubenförmigen  herab- 
gezogen wird. 

Morren  (1.  c.)  nennt  diese  Erscheinung  Spiralismus,  doch 
vermischt  er  normale  und  abnorme  Drehungen  verschiedener  Art 
unter  diesem  Namen;  Seh  im  per  nennt  sie  (handschriftlich)  Stro- 
phomanie,  d.  i.  abnorme  Spiraldrehung,  wobei  jedoch  gleich- 
falls zu  bemerken  ist,  dafs  aufser  der  hier  beschriebenen,  die 
ich  als  Zwangsdrehung  unterschieden  habe  (Monatsber.  d. 
Akad.  1854,  S.  44),  noch  andere  abnorme  Drehungserscheinungen 
vorkommen. 


')  Bei  mehreren   Crocus- Arten  sind  dagegen  die  Scheiden  der  nach 
}  geordneten  Blätter  in  der  Richtung  des  langen  Weges  verwachsen. 


A.  W.  Schade's  Buchdrui-kerei   (L.  Schade)  in  Berlin,  8tallschreiber8tr.  4; 


Sitzun^s-Bericht 


der 


Gesellschaft  naturforschender  Freunde 

zu  Berlin 
am   15.  October  1872. 


Director:  Herr  Geheimer  Regierungsrath  Rose. 


Herr  Otto  Müller  spricht  über  den  Bau  der  Zellwand  der 
Bacillarien -Gattung  Epithemia  Kütz. 

Die  Epithemien  zeigen  auf  der  Schalenfläche,  wie  bekannt, 
starke  Querrippen,  zwischen  denen  eine  kleinere  oder  gröfsere 
Anzahl  Porenreihen  verlaufen.  Bisher  hat  man  diese  Querrippen 
als  leistenförmige  Gebilde  aufgefafst,  welche  bald  nach  innen, 
bald  nach  aufsen  hervorragen  sollten. 

Eine  genauere  Untersuchung  nach  der  im  Aufsatze  der  Vor- 
tragenden l)  über  Triceratium  Favus  mitgetheilten  Methode,  ergab 
jedoch,  dafs  diese  Deutung  unzutreffend  ist.  Vielmehr  erwiesen 
sich  die  quer  über  die  Schale  verlaufenden  breiteren  Rippen, 
als  die  Projection  von  Septen,  welche  tief  in  den  Zellraum 
eindringen  und  die  beiden  von  den  Flächen  der  Schalen  be- 
grenzten gewölbten  Theile  der  Zelle  in  ebensoviele  plus  1  Ab- 
theilungen oder  Fächer  scheiden,  als  Querrippen  vorhanden  sind. 
Nur  der  mittlere  Theil  der  Zelle,  soweit  derselbe  von  den  Gürtel- 
bandfläcben  umschlossen  wird,  bleibt  frei.  Da  die  Zahl  der 
Rippen  auf  beiden  Schalen  desselben  Individuums   nicht  immer 


l)  Reichert  und  du  Bois-Reymond's  Archiv,   1871  Heft  5.6 
p.  619  ff.  und  Sitzungs- Berichte,  1871  October  p.  74  ff. 
[1872.]  8 


70  Gesellschaft  naturforschender  Freunde. 

gleich  ist,  so  differirt  auch  oft  die  Anzahl  der  Fächer  in  den 
beiden  Theilen  der  Zelle ;  so  wurden  beispielsweise  Exemplare 
mit  5  Fächern  an  der  einen  und  G  an  der  anderen  Seite  beob- 
achtet. Die  freie  Kante  der  Scheidewände  verläuft  der  Wölbung 
der  Schale  nahezu  parallel,  die  Begrenzungslinie  derselben  zeigt 
daher  im  Querschnitt  der  Zelle  eine  schwach  concave  Ausbuch- 
tung. 

Diese  'gefächerlen  Schalen  scheinen  allen  Epithemien  ge- 
meinsam zuzukommen,  wenigstens  beobachtete  der  Vortragende 
dieselben  bei  allen  von  ihm  untersuchten  Arten. 

Dagegen  findet  sich  eine  weitere  eigentümliche  intracellu- 
lare  Bildung  nur  bei  denjenigen  Arten,  welche  auf  den  Gürtel- 
bandflächen an  den  Enden  der  breiten  Querrippen  kopfförmige 
Anschwellungen   zeigen. 

Zwischen  den  Gürtelbändern  und  den  Schalen,  rechtwinklig 
zu  den  ersteren,  ist  je  ein  vielfach  durchbrochenes  Diaphragma 
eingeschaltet,  welches  den  nierenförmigen  Umrifs  der  Schalen 
nachahmt.  Durch  lange  fortgesetztes  Kochen  mit  Salpetersäure 
und  chlorsaurem  Kali  gelingt  eine  Isolation,  man  findet  dann 
die  Schalen  abgelöst,  die  Diaphragmen  (Intermedianplatten)  in- 
defs  mit  den  Gürtelbändern  noch  im  Zusammenhang. 

Von  einander  gegenüber  liegenden  Puncten  des  inneren  Ran- 
des des  Diaphragma,  in  der  Ebene  desselben,  springen  platte,  zahn- 
artige Fortsätze  in  den  Zellraum  vor,  welche  sich  zu  vereinigen 
streben,  diese  Vereinigung  indefs  nicht  vollständig  erreichen.  Die 
von  der  concaven  Randseite  des  Diaphragma  ausgehenden  Zähne 
sind  ungleich  länger  als  die  von  der  convexen,  welche  letz- 
teren häufig  in  unausgebildeten  Zuständen  angetroffen  werden. 
Es  bleibt  somit  in  der  Längsrichtung  des  Diaphragma  nur  ein 
schmaler  Streifen  längs  der  convexen  Seite  frei.  Da  die  Epi- 
themien mit  der  concaven  schmalen  Gürtelbandfläche  aufzusitzen 
pflegen,  so  bilden  diese  Intermedianplatten  mit  ihren  Zähnen, 
sowie  die  Schalen  mit  ihren  Fächern  die  Seitenwände  der  Zelle. 

An  der  den  Schalen  zugewendeten  Fläche  sind  die  platten 
zahnartigen  Fortsätze  ihrem  ganzen  Verlauf  nach  mit  einem 
Falz  oder  einer  Hohlkehle  versehen.  Eine  von  der  Schale  i.-o- 
lirte  Platte  welche  auf  die  hohe  Kante  gestellt  wird,  zeigt  daher 
bei  genügenden  Vergröfserungen  die  gekerbten  zahnartigen  Fort- 


Sitzung  vom  15.  October.  71 

sätze  im  Querschnitt  als  kleine  prominirende  halbmondförmige 
Gebilde.  Diese  Gebilde  sind  es  auch,  welche  auf  den  Gürtel- 
bandflächen  den  Eindruck  von  kopfartigen  Anschwellungen  der 
starken  Querrippen  verursachen.  Da  nämlich  Zahl  und  Lage 
der  Fortsätze  genau  derjenigen  der  beschriebenen  Scheide- 
wände entspricht,  welche  zur  Ebene  der  Intermedianplatte  recht- 
winklig stehen,  so  ragen  in  Folge  dessen  diese  Wände  mit  ihren 
freien  Kanten  in  die  Hohlkehlen  der  Fortsätze  hinein,  sind  also 
gleichsam  wie  eine  Coulisse  in  einen  Falz  eingeschoben. 

Diese  intracellularen  Bildungen  theilen  den  Zellraum  der 
Epithemien  in  mannigfach  gegliederte  Abtheilungen  und  müssen 
daher  auf  die  Gestaltung  des  plasmatischen  Inhalts  einen  be- 
sonderen Einflufs  ausüben. 

Vergegenwärtigt  man  sich  das  eigenthümliche  Verhalten  der 
Endochromplatten  bei  den  Epithemien,  wie  es  Pfitzer1)  be- 
schreibt und  abbildet,  so  erklärt  sich  das  gelappte  Aussehen  der 
Endochromplatte  in  dieser  Gattung  ganz  naturgemäfs.  Da  die 
Endochromplatte  mit  ihrer  Mediane  der  schmalen  Gürtelband- 
fläche anliegt,  über  beide  Schalen  sich  fortzieht  und  mit  den 
freien  Rändern  auf  der  breiten  Gürtelbandfläche  endet,  so  wird 
natürlich  nur  die  Mitte  derselben  völligen  Zusammenhang  haben 
können,  wo  weder  die  Zähne  der  Intermedianplatten  noch 
die  Scheidewände  der  gefächerten  Schalen  die  Continuität  stören. 
Seitlich  dagegen  wird  die  Endochromplatte  durch  die  genannten 
Gebilde  in  mehr  oder  weniger  zahlreiche  Lappen  zerschnitten, 
welche  nur  als  solche  in  die  Fächer  der  Schalen  eindringen 
können. 

Der  Vortragende  spricht  die  Vermuthung  aus,  dafs  das  Vor- 
kommen gelappter  Endochromplatten  bei  anderen  Gattungen 
ebenfalls  auf  anatomische  Grundlagen  zurückgeführt  werden 
könnte  und  weist  darauf  hin,  dafs  das  Vorhandensein  von  Dia- 
phragmen als  diagnostisches  Kennzeichen  kaum  mehr  zulässig 
sein  dürfte. 

Eine  ausführlichere  Darstellung  dieser  Verhältnisse  behält 
sich  der  Vortragende  vor. 


')  Bau  und  Entwicklung  der  Bacillariaceen.  Bonn  1871.  p.  81.  83  ff. 
Taf.  4.  Fig.  10. 


72  Gesellschaft  naturforschender  Freunde. 

Herr  P.  Magnus  sprach  über  die  Zweigbildung  der  Spha- 
celarien.  Bei  der  Untersuchung  der  auf  der  diesjährigen  Ex- 
pedition der  Pommerania  angetroffenen  Formen  der  Sphace- 
laria  cirrhosa  (oder  Verwandter  derselben)  gelangte  er  zu  der 
Erkenntnifs,  dafs  die  Haare  derselben  aus  den  Scheiteln  der  sie 
tragenden  Axen  hervorgehen.  F.  Geyler  giebt  in  Prings- 
heim's  Jahrbüchern  Bd.  4,  p.  516  sqq.  an,  dafs  die  Haare  bei 
Sphac.  tribuloides  Menegh.  und  Sphac.  pennata  Lyngb.  durch 
seitliches  Auswachsen  der  Scheitelzelle  und  Abgrenzung  der  Aus- 
buchtung mittelst  einer  Scheidewand  gebildet  werden,  während 
er  von  Sphacel.  cirrhosa  aussagt,  dafs  sie  der  Haarbildungen 
entbehrt;  doch  lag  letzteres  wahrscheinlich  nur  an  dem  Ent- 
wickelungszustande  des  untersuchten  Exemplars  und  ist  zu  be- 
merken, dafs  Areschoug  und  Harvey  diese  Sphac.  pennata 
Lyngb.  mitsammt  der  von  Kützing  in  Spec.  Alg.  p.  464  zu  Sph. 
pennata  citirten  Abbildung  Lyn  gbye's  zu  Sph.  cirrhosa  ziehen, 
womit  Vortr.  nur  übereinstimmen  kann.  Geyler's  Angaben  ent- 
gegen fand  Vortr.  an  Sphacelarien  von  H  vidingsoe  und  Ber- 
gen, dafs  die  Mutterzefle  der  später  seitlich  am  Stamme  sitzenden 
Haare  durch  eine  mehr  oder  minder  schief  geneigte  Wand  von 
der  Scheitelzelle  abgeschieden  wird.  Die  Mutterzelle  der  Haare 
liegt  daher  gleich  bei  ihrer  Entstehung  seitlich  schief  oben  und 
ist  sie  die  bei  Weitem  kleinere  Tochterzelle  der  Scheitelzelle. 
Nach  dem  Auftreten  der  Scheidewand  wachsen  beide  Tochter- 
zellen aus,  so  dafs  ihre  fortwachsenden  Scheitel  bald  durch  eine 
tiefe  Furche  von  einander  getrennt  sind,  und  es  dann  den  An- 
schein hat,  als  ob  eine  Ausstülpung  der  grösseren  Zelle  durch 
eine  Scheidewand  von  ihr  abgeschieden  wäre.  Die  gröfsere 
Tochterzelle  wächst  zu  dem  Fortsetzungssprosse  aus,  drängt 
durch  ihr  kräftigeres  Wachsthum  die  Anlage  des  Haares  auf  die 
Seite  und  stellt  dessen  Basalwand  mehr  oder  minder  vertical; 
die  erste  Scheidewand  des  Fortsetzungssprosses  trifft  auf  die 
Basalwand  des  Haares,  so  dafs  dieses  immer  über  einer  Scheide- 
wand zweier  Glieder  inserirt  ist.  Häufig  drängt  der  Fortsetzungs- 
sprofs  das  Haar  nur  wenig  oder  garnicht  zur  Seite,  so  dafs  dann 
der  das  Haar  tragend!'  Stamm  eine  deutliche  Knickung  an  der 
Insertion  des  Haares  zeigt  (vergl.  auch  Geyler  1.  c.  Taf.  36, 
Fig.  7  u.  8).    Bei  Exemplaren  von  Hvidingsoe  in  Norwegen 


Sitzung  vom  15.  Octobvr.  73 

behielten  häufig  die  Haare  deutlich  ihre  terminale  Stellung,  indem 
der  Fortsetzungssprofs  aus  der  letzten  Gliedzelle  unterhalb  des 
Haares  mehr  oder  minder  verkümmerte.  Hier  sind  auch,  offen- 
bar in  Folge  des  geringeren  Wachsthumstrebens  der  abgeschie- 
denen Gliedzelle  die  Basalwände  der  Haare"  unter  einem  weit 
geringeren  Winkel  zur  Horizontalen  geneigt,  Diese  starke  Nei- 
gung der  Scheidewand  ist  ein  Extrem  der  Erscheinung,  die  Vortr. 
im  vorigen  Jahre  in  dieser  Gesellschaft  bei  Polysiphonia  aus- 
führlich besprach,  und  die  Naegeli  und  Gramer  schon  lange 
Zeit  vorher  bei  Delesseriaceen  und  Ceramiaceen  kennen 
gelehrt  hatten.  Während  aber  bei  Polysiphonia  der  Muttersprofs 
die  Richtung  seines  bisherigen  Längenwachsthums  fortsetzt  (doch 
zeigen  nicht  selten  die  jungen  Axen  der  Polys.  byssöides  scharfe 
Knickungen  an  der  Grenze  der  successiven  Glieder  und  wird 
auch  bei  Polys.  fastigiata  der  Hauptsprofs  meist  abgelenkt),  so 
wird  bei  Ceramium  (und  schwächer  bei  Hypoglossum  Leprieurii 
nach  Naegeli,  sowie  bei  Del.  alata  u.  a.)  der  Muttersprofs 
durch  das  Auswachsen  der  unter  einem  gröfseren  Winkel  ab- 
geschiedenen Gliedzelle  zu  einem  Tochtersprosse  von  seiner 
Wachsthumsrichtung  abgelenkt.  Sachs  und  Pfeffer  müfsten 
daher  in  Consequenz  ihrer  Definition  der  Dichotomie,  wonach 
dieselbe  in  dem  Auftreten  zweier  neuer  Wachsthumsrichtungen 
beruht  (vergl.  J.  Sachs,  Lehrbuch,  2.  Aufl.,  p.  154  und  W. 
Pfeffer,  Entwickelung  des  Keimes  der  Gattung  Selaginella 
p.  47),  diese  Verzweigungen  zu  den  dichotomen  rechnen,  was 
wohl  jedem  sich  eingehend  damit  Beschäftigenden  unnatürlich 
erscheinen  wird,  da  z.  B.  die  Verzweigung  von  Hypoglossum  Le- 
prieurii morphologisch,  sehr  verschieden  von  der  von  Dictyota 
dichotoma  ist,  sich  hingegen  eng  an  die  von  Delesseria  sinuosa 
anschliefst.  Ebenso  ist  die  Verzweigung  von  Selaginella  keine 
dichotome  (Näheres  darüber  an  einem  anderen  Orte).  —  Bei 
Sphacelaria  wird  das  Ende  des  Muttersprosses  ganz  zur  Seite 
gedrängt  und  setzt  der  Tochtersprofs  die  bisherige  Richtung  des 
Muttersprosses  fort,  so  dafs  die  die  Haare  tragende  Axe  ein 
Sympodium  ist.  Der  Ausbildung  des  Sprofsscheitels  zu  einem 
Haare  bei  Sphacelaria  ist  analog  das  Auswachsen  der  Zweige 
zu  peitschenförmigen  Haaren,  wie  es  bei  den  Gattungen  Tilopterü 
und  Ectocarpus  häufig  vorkömmt. 


74  Gesellschaft  naturforschender  Freunde. 

Auch  bei  ( 'haetopteris  plumosa,  der  Geyler  merkwürdiger 
Weise  die  Haare  abspricht,  wird  von  der  Scheitelzelle  der  Fieder- 
ästchen  die  Mutterzelle  der  Haare  in  derselben  Weise  abge- 
schieden und  durch  den  aus  der  auswachsenden  Gliedzelle  ent- 
stehenden Fortsetzungssprofs  zur  Seite  gedrängt.  Hier  tritt  es 
häufig  ein,  namentlich  bei  den  unteren  ersten  Haarbildungen, 
dafs  die  Mutterzelle  durch  eine  verticale  Wand  in  zwei  Zellen 
getheilt  wird,  von  denen  jede  in  ein  Haar  auswächst,  die  dann 
meist  neben  einander,  sehr  selten  über  einander  liegen. 

Nachdem  der  Vorfr.  die  terminale  Bildung  der  Haare  und 
den  sympodialen  Wuchs  von  Sphacelaria  erkannt  hatte,  hegte 
er  sogleich  die  Vermuthung,  dafs  die  Anlage  der  Fiederästchen 
von  Stypocaulon  scoparium  und  Halopteris  filicina  in  derselben 
Weise  vor  sich  gehen  möchte,  wie  es  bereits  Naegeli  von 
Stypocaulon  sciparium  beschrieben  und  abgebildet  hatte  (vergl. 
Naegeli  und  Schieiden,  Zeitschrift  für  wissenschaftliche  Bo- 
tanik, Heft  I,  p.  73  —  74,  Taf.  II,  Fig.  1).  Dem  entgegen 
geben  Cramer  (Physiolog.- systematische  Untersuchungen  über 
Ceramiaceae  p.  85)  und  Geyler  1.  c.  für  Stypocaulon,  Hal- 
opteris, Kurztriebe  von  Cladostephus  etc.  an,  dafs  die  Ast- 
zelle als  seitliche  Ausbuchtung  der  Scheitelzelle  auftrete  und 
hat  das  Kny  für  Halopteris  bestätigt  (s.  p.  9  dieses  Jahr- 
gangs dieser  Berichte).  Schon  die  Untersuchung  getrockneten 
Materials  lieferte  dem  Vortr.  Bilder,  die  sich  nicht  mit  der  all- 
gemeinen Giltigkeit  der  Cramer'schen  Angaben  vertrugen.  Auf 
seine  deshalb  an  Herrn  Prof.  A.  de  Bary  gerichtete  Bitte  erhielt 
er  von  demselben  in  Spiritus  conservirte  Halopteris  und  Stypo- 
caulon freundlichst  zugesandt,  und  bestätigte  die  Untersuchung 
dieses  Materials  seine  Vermuthungen.  Sowohl  bei  Stypocaulon, 
wie  bei  Halopteris  traf  Vortr.  sehr  oft  Zustände,  in  denen  die 
Scheitelzelle  durch  eine  schief  geneigte  Wand  in  die  kleinere 
Mutterzelle  des  Fiederästchens  und  die  gröfsere  Mutterzelle  des 
Fortsetzungssprosses  getheilt  war.  Die  Aufsenmembranen  dieser 
beiden  Zellen  gehen  zuerst  continuirlich  in  einander  über;  erst 
später  werden  sie  durch  das  Auswachsen  beider  Zellen  durch 
eine  Furche  von  einander  getrennt.  Auch  hier  fanden  Verschieden- 
heiten in  der  Gröfse  der  abgeschiedenen  Scheitelzelle,  sowie  in 
deren  Neigung  der  Basal  wand  derselben  statt.    Vortr.  warf  sich  die 


Sitzung  vom  15.  October.  75 

Frage  auf,  ob  Dicht  auch  aufser  dem  eben  beschriebenen  Vorgange 
die  von  Cramer,  Geyler  und  Kny  behauptete  Abscheidung  einer 
Ausbuchtung  Statt  habe.  Aber  nie  traf  er  eine  irgend  deutliche 
Ausbuchtung,  die  nicht  bereits  durch  eine  Scheidewand  ab- 
geschieden war  und  ist  hervorzuheben,  dafs  die  Gröfse  der  Aus- 
buchtung der  abgeschiedenen  Zelle,  ihre  Entfernung  vom  Scheitel 
der  Mutterzelle  des  Fortpflanzungssprosses,  sowie  der  Grad  der 
Aufrichtung  der  Basalwand  stets  mit  einander  correspondirten, 
wie  das  eine  Consequenz  des  geschilderten  Vorgangs  ist.  Mit 
Cramer's  Angaben  verträgt  sich  nur  der  letzte  Zustand,  in 
dem  die  Mutterzelle  des  scheinbaren  Seitenastes  schon  ganz  zur 
Seite  unterhalb  des  fortwachsenden  Scheitels  des  Fortsetzungs- 
sprosses gerückt  ist.  Nie  hat  Vortr. ,  obwohl  er  wohl  an  100 
Stammspitzen  von  Stypocaulon  und  Halopteris  untersucht  hat, 
ein  Bild  erhalten,  wie  es  Geyler  1.  c.  auf  Taf.  34,  Fig.  1  ab- 
bildet. —  Die  sogenannten  HaupUtxen  von  Stypocaulon  und 
Halopteris  sind  daher  ebenfalls  Sympodien ,  und  sind  die  Kurz- 
triebe die  zur  Seite  gedrängten  Scheitel  der  unter  ihnen  befind- 
lichen Axen- Stücke.  Bei  Stypocaulon  wird  von  der  auf  die 
Seite  gerückten  Scheitelzelle  durch  eine  auf  ihre  Basalwand  senk- 
recht auftreffende  Scheidewand  nach  oben  eine  Zelle  abgeschieden, 
aus  der  sich  entweder  eine  Gruppe  von  Haaren  oder  von  Spo- 
rangien  entwickelt;  bei  Halopteris  wird  von  der  auf  die  Seite  ge- 
rückten Scheitelzelle  durch  eine  auf  ihre  Basalwand  treffende 
Scheidewand  nach  oben  hin  eine  Zelle  abgeschieden,  die  ent- 
weder in  einen  Seitenstrahl  oder  in  ein  Sporangium  auswächst.  — 
Ganz  ebenso  wie  Stypocaulon  verzweigen  sich  die  Kurztriebe 
von  Cladostephus  myriophyllum  und  Cl.  spongiosus.  Ueber  die 
Verzweigung  der  Hauptaxen  dieser  Pflanzen  konnte  Vortr.  nichts 
Sicheres  ermitteln,  doch  ist  ihm  die  von  Kny  behauptete  Dicho- 
tomie aus  anatomischen  Gründen  sehr  unwahrscheinlich. 

Schliefslich  wies  der  Vortr.  darauf  hin ,  dafs  nach  seinen 
Untersuchungen  bei  der  Entwickelung  der  Sprosse  von  Vitis  ganz 
ähnliche  Erscheinungen  Statt  haben.  Auch  hier  wird  der  Scheitel 
des  Muttersprosses,  der  sich  zur  Ranke  entwickelt,  durch  das 
mächtige  Wachsthum  des  axillären  Fortsetzungssprosses  zur  Seite 
gedrängt.  Auch  bei  Najas  hat  der  Vortr.  ähnliche  Erscheinun- 
gen beobachtet  und  sie  beschrieben    und  abgebildet,   vergl.   Bei- 


76  Gesellschaft  naturforschender  Freunde. 

träge  zur  Kenntnifs  der  Gattung  Najas,  p.  28  sqq.  Taf.  IV. 
Hier  wird  der  Scheitel  durch  das  Auftreten  des  fertilen  Blattes 
und  der  Achselknospe  desselben  zur  Seite  gedrängt,  richtet  sich 
bei  weiterem  Wachslhum  wieder  auf  und  wird  bei  der  nächsten 
Anlage  des  fertilen  Blattes  und  Achselproducts  wieder  zur  Seite 
gedrängt  u.  s.  f.  Hierhin  gehören  auch  die  Erscheinungen  bei 
der  Entwickelung  vieler  wickelartiger  Inflorescenzen,  auf  denen 
hin  Kaufmann  und  Kraus  die  dichotome  Entwickelung  vieler 
derselben  behaupteten. 

Herr  Braun  legte  als  Beispiel  eines  sonderbaren  Natur- 
spiels eine  von  Herrn  G.  Wen  dt  in  Güstrow  (Mecklenburg) 
eingesendete  Runkelrübe  vor,  welche  walzenförmig  verlängert 
und  nach  unten  in  5  Wurzelspitzen  in  einer  Weise  getheilt  ist, 
dafs  sie  einer  riesenmäfsigen  menschlichen  Hand  mit  etwas  ge- 
schwollenen gekrümmten  Fingern  und  einwärts  geschlagenem 
Daumen,  getragen  von  einem  kräftigen  Oberarm,  erschreckend 
ähnlich  sieht.  Dieselbe  soll  dem  K.  landwirtschaftlichen  Mu- 
seum übergeben  werden. 

Herr  W.  Peters  legte  den  Schädel  eines  weiblichen  Orang- 
Utangs  aus  Borneo  vor,  welcher  dadurch  ausgezeichnet  ist,  dafs 
er  in  beiden  Oberkiefern  und  in  der  rechten  Unterkieferhälfte 
sechs  Backzähne  hat,  während  diese  Zahl  der  Backzähne  nor- 
maler Weise  sich  auch  bei  den  Affen  der  neuen  Welt  findet,  indem 
die  Affen  der  alten  Welt  bekanntlich  fünf  Backzähne  haben. 
Dieses  abnorme  Gebifs  ist  jedoch  von  dem  der  Affen  der  neuen 
Welt  dadurch  wesentlich  verschieden,  dafs  der  überzählige  Zahn 
ein  vierter  wahrer  Backzahn  und  kein  Prämolarzahn  ist. 

Herr  Neumayer  theilt  mit,  dafs  das  jüngst  ausgesandte 
Geschwader  der  kaiserlichen  Marine  auf  der  beabsichtigten  Reise 
um  die  Erde  vielfach  wissenschaftlichen  Zwecken  sich  widmen 
werde.  Es  ist  der  Wunsch  des  Herrn  Staatsministers  v.  Stosch, 
dafs  soviel  als  möglich  durch  das  Personal  des  Geschwaders  die 
Interessen  der  Wissenschaft  gefördert  werden,  daher  denn  an 
die  wissenschaftlichen  Gesellschaften  die  Aufforderung  zu  richten 
sei,  etwaige  Wünsche  zu  formuliren  und  durch  die  kaiserliche 
Admiralität  an  das  Commando  gelangen  zu  lassen.  Da  in  der 
Gesellschaft  Naturforschender  Freunde  alle  Zweige  der  Wissen- 
schaft vertreten  sind,  so  glaubt  Herr  Neumayer  diese  Gele- 
genheit ergreifen  zu  müssen,  auf  die  Reise  aufmerksam  zu  machen. 


Sitzung  vom  15.  October.  77 

Herr  Ehrenberg  legte  zuerst  einen  von  Dr.  Julius  Haast, 
dem  Ehrenmifgliede  der  Gesellschaft,  aus  Neu- Seeland  für  die 
Bibliothek  der  Gesellschaft  eingesandten  gedruckten  Vortrag  des- 
selben aus  den  Transactions  der  dortigen  gelehrten  akademischen 
Gesellschaft  vor.  Das  an  Vortr.  gerichtete  Begleitschreiben  ist 
datirt  vom  5.  Juni  d.  J.  aus  Glückauf  bei  Christchurch.  Die 
Druckschrift  behandelt  die  Skelett- Bruchstücke  eines  grofsen 
Raubvogels,  welcher  von  Haast  den  Namen  Harpagornis  Moorei 
erhalten  hat.  Sie  sind  zwischen  den  zahlreichen  Dinornis- Kno- 
chen in  den  Sümpfen  von  Glenmark  vorgekommen  und  im  Be- 
gleitschreiben wird  mitgetheilt,  dafs  später  auch  noch  mehrere 
andere,  vermuthlich  derselben  Vogel -Species  angehörige  Knochen 
gesammelt  worden  sind,  welche  das  Bild  derselben  mannigfach 
vervollständigen.  Dr.  Haast  verspricht  Gyps-Abgüsse  zu  sen- 
den und  bereitet  noch  andere  seiner  interessanten  Mittheilungen 
vor.  —  In  einem  früheren  Schreiben  d.  J.  hat  derselbe  dem 
Vortragendon  angezeigt,  dafs  sich  auch  Dinornis- Knochen  mit 
noch  anklebenden  Federn  gefunden  haben,  wodurch  die  Vor- 
stellung erweckt  wird,  dafs  die  Katastrophe  des  Unterganges 
so  massenhafter  Riesen  vögel  dem  jetzigen  Oberflächen-Leben  nicht 
sehr  fern  liegen  kann. 

Derselbe  legte  hierauf  eine  interessante  Druckschrift  des 
Professors  der  vergleichenden  Anatomie  Paola  Panceri  in 
Neapel  zur  Kenntnifsnahme  vor,  deren  Gegenstand  die  Leucht- 
organe der  Pyrosomen,  Pholaden  und  der  Phyllirhoe  bucephala 
erläutert.  Da  das  Meeresleuchten  die  eigene  Nachforschung  des 
Vortr.  früher  sehr  in  Anspruch  genommen  hat'  und  neuerlich 
bis  in  die  Tiefgründe  des  Oceans  durch  den  Einflufs  vieler  Peri- 
dinien  in  den  Feuersteinen  der  Kreide  sich  massenhaft  gezeigt 
hat,  so  ist  die  dem  Gegenstande  so  intensiv  zugewendete  Pflege 
an  den  lichtreichen  Küsten  von  Neapel  besonders  erfreulich. 

Derselbe  legte  endlich  ein  Exemplar  des  gedruckten  Aus- 
zugs seines  im  April  gehaltenen  akademischen  Vortrags  über  den 
Einflufs  des  organischen  Lebens  auf  den  Meeresgrund  aller  Zonen 
vor,  dessen  ausführlichere  Mittheilung  durch  den  Kupferstich 
vieler  Tafeln  bereits  vorbereitet  ist  und  aus  welchem  249  Formen- 
Arten  vorläufig  Diagnosen  erhalten. 


78  Gesellschaft  naturforschender  Freunde. 

Als  Geschenke  wurden  dankend  entgegen  genommen: 
Abhandl.  d.  Berl.  Akad.   d.  Wissensch.     1871. 
Proceedings  of  the  Zoolog.  Society  of  London.     1872.     Part  I. 
List  of  vertebrated  Animals  in   the  garden  of  the  Zool.  Society. 

1872. 
Catalogue  of  the  Library  of  the  Zool.  Soc.     1872. 
Report  of  the  Commissioner  of  Agriculture  for  1870.    Washington. 
Monthly  Report  of  the  Department  of  Agriculture  for  1871.    Wa- 
shington. 
Bulletin  of  the  Essex  Institute.     Vol.  III.     N.  1—12.     Salem. 
Proceedings  of  the  Essex  Institute.     Vol.  IV.     P.  III.     Salem. 
Annual  Rep.  of  the  Pensylvania  Institution  for  the  Deaf  and  Dumb 

1871.     Philadelphia. 
9ih  Rep.  of  the   California  Institution  for   education  of  the  Deaf 

and  Dumb  and  the  Blind.     Sacramento  1871. 
Smithsonian  Report  1870. 
Bulletin   de  la  Societe  Imper.   des  Naturalistes  de  Moscou    1872. 

No.  1. 
Notes   on  Harpagornis  Moorei,   an  extinct  gigantic   bird   of  Frey 

by  Jul.  Haast.     1871.     New  Zealand.     (Extract.) 
21.  Jahresber.  d.   naturhist.  Gesellsch.  zu  Hannover.     1871. 
Ueber   den  Durchgang   der  Wärmestrahlen   durch    geneigte    dia- 

thermane  Platten  von  Dr.  Knoblauch.     1872. 
Drei  kleinere  Schriften  von  Pastor  Kawall,  Kurland. 
Sur  la  mesure  des  sensations  physiques  p.  J.  Plateau. 
Memoires   de  V  Academie  Imper.    des  Sciences   de  St.  Petersbourg. 

Tome  XVII.   No.  11.  12.     Tome  XVIII.   No.  1—8. 
Bulletins   de  V Academie   des   Sciences   de  St.  Petersbourg.     Tome 

XVII.     No.  1—3. 
Annales  del  Museo  publico  de  Buenos  Aires.     Entrega  7 — 9. 
Generalbericht  über  die  Europäische  Gradmessung  für  1871. 
Publikationen    des   geodätischen  Instituts.     Maafsvergleichungen. 

Heft  1.     Berlin   1872. 


A.   \V.  Schade's   Buchdruckerei    (L.  Schade)  in   Berlin.  Stallselireiberstr.  *7. 


Sitzunffs-Bericht 


der 


Gesellschaft  naturforschender  Freunde 

zu  Berlin 
am    19.  November  1872. 


Director:    Herr  Geheimer  Regicrungsrath  Rose. 


Herr  Kny  sprach,  unter  Vorlegung  von  Zeichnungen,  über 
einige  parasitische  Algen,  die  er  während  eines  kurzen 
Aufenthaltes  auf  Helgoland  zu  beobachten   Gelegenheit  hatte. 

Im  September  dieses  Jahres  wurden  bei  andauernd 
stürmischer  Witterung  zahlreiche  erwachsene  Exemplare  von 
Delesseria  sanguinea  (L.)  an  den  Strand  geworfen.  Von  der 
einschichtigen  Spreite  waren  an  derselben  nur  noch  geringe 
Ueberreste  erhalten;  die  Hauptmasse  bestand  aus  den  verzweig- 
ten Mittelrippen,  welche  an  einzelnen  Stellen  mit  zahlreichen 
kleinen  Adventivsprossen  besetzt  waren.  Nicht  alle  Theile  der 
Pflanze  zeigten  die  rein  purpurrothe  Färbung  der  jungen  Frons. 
Besonders  an  der  Basis  des  Stämmchens  und  auch  an  verein- 
zelten Punkten  der  Spreite  war  dieselbe  durch  bräunliche  Strei- 
fen und  Flecken  von  undeutlicher  Begrenzung  verdeckt,  die 
vielfach  mit  einander  zusammenflössen.  Auf  zarten  Oberflächen- 
schnitten, die  an  solchen  Stellen  geführt  wurden,  zeigte  sich  die 
Rinde  von  einem  unregelmässigen  Maschenwerk  zarter,  geglie- 
derter und  aus  ihren  Gliederzellen  verzweigter  Fäden  überdeckt, 
die  sich  bei  sehr  reichlicher  Entwickelung  eng  aneinanderlegten 
und  zum  Theil  übereinander  hinwegwuchsen.  Die  Gliederzellen 
waren  auf  ihrer  gesammten  Längserstreckung  ziemlich  gleich 
[1872.]  9 


80  Gesellschaft  naturforschender  Freunde. 

breit,  dabei  gewöhnlich  unregelmässig  hin  und  her  gebogen  und 
in  Richtung  der  Aussenfläche  der  Delesseriapüanze  etwas  abge- 
plattet; im  Uebrigen  zeigten  sich  Längs-  und  Querdurchmesser 
grofsen  Schwankungen  unterworfen.  Die  Zweige  traten  nicht  immer 
aus  dem  Ende,  sondern  nicht  selten  auch  aus  der  Basis  oder 
Mitte  der  Gliederzellen  hervor  und  grenzten  sich  oft  erst 
in  einiger  Entfernung  von  ihrer  Ursprungsstelle  durch  eine 
Scheidewand  ab.  Der  zarten  Membran  schmiegte  sich  im  Innern 
ein  geschlossener,  nicht  an  allen  Punkten  gleich  mächtiger 
Wandbeleg  von  Protoplasma  an,  in  welchem  sich  der  bräunlich- 
goldgelbe Farbstoff  ziemlich  gleichmässig  vertheilt  fand. 

Auf  Querschnitten  durch  gebräunte  Stellen  erwachsener 
Mittelrippen  überzeugte  man  sich  leicht,  dafs  die  Fäden  nicht  nur 
an  der  Aussenfläche  hinkriechen,  sondern  auch  in  das  Ge- 
webe eindringen.  Zunächst  durchsetzen  sie  die  äusserste 
Lamelle,  welche  die  Aussenzellen  nach  Art  einer  Cuticula  con- 
tinuirlieh  überzieht,  und  kriechen  unterhalb  derselben,  den  inneren 
Membranschichten  angeschmiegt,  fort.  Vondortaus  finden  sie  ihren 
Weg  aber  auch  in  das  Innere  der  Rinde,  indem  sie  die  Zellen 
auseinanderdrängen  und  später  zum  Theil  vorhandene  Inter- 
cellularlücken  benützen.  So  können  sie,  unter  wiederholter 
regelloser  Verzweigung,  bis  gegen  die  Längsachse  der  Mittel- 
rippe vordringen,  wenn  sie  sich  auch  in  den  äusseren  Parthieen 
der  Rinde  am  reichlichsten  entwickeln.  Ihr  Verlauf  scheint 
überall  ein  streng  intercellularer  zu  sein;  im  Innenraura  der 
Rindenzellen  wurden  sie  niemals  vorgefunden. 

Der  Configuration  der  Intercellularräume  entsprechend  ,  ist 
die  Form  der  Gliederzellen  der  parasitischen  Fäden,  soweit 
dieselben  innerhalb  der  Nährpflanze  verlaufen,  ein  noch  unregel- 
mäfsigerer,  als  an  ihrer  Oberfläche.  Längen-  nnd  Breitendurch- 
messer sind  der  Regel  nach  geringer.  In  den  inneren  Parthieen 
der  Rinde,  wo  die  Zellen  der  Delesseria  keinen  Farbestoff  mehr 
enthalten,  ist  solcher  in  denen  der  parasitischen  Fäden  noch 
deutlich  erkennbar,  wenn  er  hier  auch  sparsamer  auftritt.  Der 
Wandbeleg  des  Plasma  ist  nicht  mehr  gleichmäfsig  tingirt, 
sondern  es  sind  demselben  ein  oder  wenige  Farbstoffkörper  ein- 
gebettet, doren  einseitige  Lage  und  abgeplattete  Form  an  tue 
Chlorophyll-Körper  von    Ulothrix  zunata  erinnert. 


Sitzung  vom  19.  November.  81 

Nachdem  Vortragender  auf  die  besprochenen  Fäden  bei 
Delesseria  sanguinea  aufmerksam  geworden  war,  fand  er  solche 
von  gleicher  Beschaffenheit  auch  im  Innern  anderer  Florideen,' 
nämlich  bei  Delesseria  alata  (Huds.),  Hypnea  purpurascens  (Huds.), 
Chondrus  crispus  (L.),  Polyides  rotundus  (Gmel.),  Rhodomela  sub- 
fusca  (Woodw.)  und  auch  im  Thallus  einer  braunen  Alge,  näm- 
lich im  Stiel  von  Laminaria  saccharina  (L.).  Fruktifications- 
organe  wurden  leider  bei  keiner  der  genannten  Pflanzen  beob- 
achtet. Da  es  Vortragender  an  Bemühungen,  sie  aufzufinden, 
nicht  hat  fehlen  lassen,  ist  es  wahrscheinlich,  dafs  die  Früchte 
zu  einer  anderen  Jahreszeit,  als  im  Herbst,  zur  Entwickelung 
gelangen.  Solchen  Algologen,  die  ihren  dauernden  Wohnsitz 
an  der  Küste  haben,  wird  es  gewiss  ein  Leichtes  sein,  diese  em- 
pfindliche Lücke  in  der  Kenntnifs  der  parasitischen  Fäden  aus- 
zufüllen und  denselben  ihren  Platz  im  System  anzuweisen.  Am 
wahrscheinlichsten  ist  es  wohl,  dafs  sie  der  Familie  der  Phaeo- 
sporeen  angehören. 

In  einem  Exemplar  von  Polyides  rotundus  wurden  auch 
rothe  sterile  Fäden  gefunden,  die  allem  Anscheine  nach  einer 
Floridee  aus  der  Gruppe  der  Calliihamnieen  angehören.  Sie  sind 
ebenfalls  gegliedert  und  aus  einzelnen  ihrer  Gliederzellen  verzweigt. 
Soweit  sie  im  Innern  des  Stämmchens  verlaufen,  sind  die  Glieder- 
zellen lang  und  schmal;  gegen  die  äusseren  Parthieen  der  Rinde 
werden  sie  allmählich  kürzer  und  breiter.  Sie  stechen  hier  durch 
lebhaftere  Färbung  und  meist  auch  durch  grösseren  Umfang 
von  den  umgebenden  Rindenzellen  der  Nährpflanze  sehr  deut- 
lich ab.  Ihre  Form  ist  im  Ganzen  unregelmäfsig;  in  ihrem 
mittlerem  Theile  sind  sie  meist  tonnenförmig  erweitert. 

Ausser  den  braunen  und  rothen  Fäden  beobachtete  Vor- 
tragender in  der  Rinde  Antheridien- tragender  Exemplare  von 
Polyides  rotundus  auch  jene  ovalen,  grünen  Zellen,  welche,  wie 
er  später  fand,  schon  von  Mettenius  (Beiträge  zur  Botanik 
pag.  39)  gesehen,  von  ihm  aber  als  Tetrasporen  -  Mutter- 
zellen gedeutet  worden  waren.  Thuret  bezeichnet  sie  in  einer 
brieflichen  Mittheilung  an  Professor  C oh  n  (abgedruckt  in  dessen 
Aufsatz  „Ueber  einige  Algen  von  Helgoland"  p.  38)  als  ruhende 
Zustände  von  Cladophora  lanosa,  die  gegen  Ende  des  Winters 
sich    zu    theilen    und    zu    verzweigten  Fäden    auszuvvachsen    be- 

9* 


82  Gesellschaft  naturforschender  Freunde. 

ginnen.  Dafs  wir  es  hier  wirklich  mit  einer  dem  Polyides  frem- 
den Bildung  zu  thun  haben,  geht,  abgesehen  von  anderen  Gründen 
auch  aus  dem  Verhalten  der  Stärke  hervor.  In  den  grünen 
Zellen  wird  dieselbe  reichlich  im  Chlorophyll  gebildet  and  zeigt 
bei  Zusatz  von  Jodlösung  unmittelbar  die  charakteristische  Blau- 
färbung. In  den  innern  Rindenzellen  von  Polyides  dagegen, 
welche  in  den  der  Untersuchung  vorliegenden  Exemplaren  dicht 
mit  feinkörnigem  Amylon  erfüllt  waren,  nahmen  die  Körner 
durch  Jod  eine  braune  und  erst  nach  Quellung  in  Aetzkali  eine 
blaue  Farbe  an.  Andere  Florideen,  die  Vortragender  schon 
früher  auf  dieses  eigentümliche  Verhalten  untersucht  hatte 
(z.  B.  Polysiphonia  nigrescens  (Engl.  Bot.),  Dasya  coccinea  (Huds.) 
Calliblepharis  ciliata  (Huds.)  verhalten  sich  ganz  übereinstimmend 
(vergl.  auch  Rosanoff,  Observ.  sur  les  pigments  de  diverses 
algues  in  den  Mem.  de  la  Soc.  de  Cherbourg,  tonie  13  p.  220). 
Es  könnte  zweifelhaft  erscheinen,  ob  die  oben  beschriebenen 
braunen  und  rothen  Fäden  in  demselben  Sinne,  wie  das  von 
Colin  eindeckte  Chlorochytrium  Lemnae,  als  echte  Parasiten  zu 
betrachten  sind.  Zeigen  ja  das  von  Reinke  im  Gewehe  der 
Gunnera  scabra  aufgefundenen  Scytonema  CO  Gunnerae  und  die 
von  Glinka  v.  Janczewski  als  Nostoc -Colonien  erkannten 
Gebilde  im  Thallos  von  Anthoceros  und  Blasia,  dafs  zwischen 
chlorophyllbaltigen  Bilanzen,  die  in  engster  Verbindung  mit 
einander  vegetiren,  auch  ein  unabhängigeres  Verhältnifs,  als 
das  des  Parasitismus,  bestehen  kann:  ein  Verhältnifs,  das 
Colin  in  seiner  soeben  erschienenen  Abhandlung  über  parasi- 
tische Algen  (Beiträge  zur  Biologie  der  Bilanzen,  Heft  II.) 
mit  dem  passenden  Namen  „Consortiuin"  bezeichnet.  Für 
beide  Algen  ist  festgestellt,  dafs  sie  auch  ausserhalb  der 
sie  beherbergenden  Pflanzen  vegetiren  können  und  in  diese 
durch  vorgebildete  Oeffnungen  eindringen.  Wenn  nun 
auch  der  erste  dieser  beiden  Punkte  für  die  beschriebenen  brau- 
nen und  rothen  Fäden  so  lange  noihwendig  zweifelhaft  bleiben 
muss,  als  keine  Fructification  bei  ihnen  gefunden  ist.  kann  in 
letzterer  Beziehung  als  sicher  betrachtet  werden,  d;iss  die  Fäden 
beim  Hineinwachsen  in  den  Thallus  anderer  Algen  nicht  nur 
vorhandene  Intereellularlücken  ausfüllen,  sondern  auch  dort, 
WO    solche    nicht  bestehen  und  das  ( i.'\\  ehe    fest   ZUSammenSChliesSl 


Sitzung  vom  19.  November.  83 

(wie  z.  B.  bei  Ckondrus  crispus)  sieh  ihren  Weg  selbst  bahnen. 
Und  wenn  auch  der  Thallus  aller  oben  bezeichneten  Florideen, 
in  denen  parasitische  Fäden  bisher  gefunden  wurden,  sich  mor- 
phologisch als  eine  Vereinigung  verzweigter  Zellfäden  betrachten 
lässt,  und  die  Eindringlinge  vielleicht  überall  Nichts  weiter  thun, 
als  die  benachbarten  Reihen  lockern,  ohne  die  Verbindung  zwi- 
schen Gliederzellen  derselben  Reihe  aufzuheben,  so  wird  sich 
doch  der  vorliegende  Fall  schwerlich  mit  dem  Vorkommen  von 
Acrochaete  repens  Pringsh.,  iiolbocoleon  piliferum  Pringsh.  und 
Streblonema  volubilis  (Crouan)  vergleichen  lassen,  deren  Fäden 
nach  Frings  heim  in  dem  lockeren  Rindengeflecht  von  Meso- 
gloia  vermicularis  Ktzg.  und  verwandter  Phaeosporeen  -  Arten 
nisten  (cf.  Beiträge  zur  Morph,  der  Meeres-Algen  in  den  Ab- 
handlungen der  Akademie  d.  W.  in  Berlin   1862,  p.  2  u.   13). 

Sucht  man  sich  von  dem  physiologischen  Verhältniss  zwischen 
den  parasitischen  Algen  und  den  von  ihnen  bewohnten  Pflanzen 
eine  Vorstellung  zu  machen,  so  bietet  der  Vergleich  mit  den- 
jenigen phanerogamen  Schmarotzern,  wrelche  Chlorophyll  enthal- 
ten, hierzu  erwünschte  Anhaltspunkte.  Da  man  wohl  annehmen 
darf,  dass  das  Chlorophyll  überall  da,  wo  es  vorkommt,  unter  Mit- 
wirkung günstiger  äusserer  Bedingungen,  die  ihm  eigene  Funktion 
der  Assimilation  verrichtet,  so  lässt  sich  von  vornherein  erwar- 
ten, dass  chlorophyllhaltige  Schmarotzer  den  Bedarf  an  Nähr- 
stoffen ihrem  Wirth  entweder  ganz  oder  doch  zum  grösseren 
Theil  in  noch  unverarbeiteter  Form  entziehen  werden.  Bei  den 
höheren  Pflanzen,  wo  die  Leitung  der  rohen  und  assimilirten 
Säfte  an  besondere  Gewebesysteme  vertheilt  ist,  wird  sich  dies 
auch  in  der  Art  und  Weise  aussprechen,  wie  die  Parasiten 
mit  den  Nährpflanzen  in  Verbindung  treten.  Die  Aufnahmsorgane 
chlorophyllhaltiger  Schmarotzer,  wie  Viscum,  Thesium,  der 
Rhinanthaceen,  werden  eine  möglichst  enge  Verbindung  mit  dem 
Holzkörper,  diejenigen  der  Chlorophyll  freien  Schmarotzer,  wie 
Cuscuta  und  Cytinus  Hypocistis  eine  engere  Verbindung  mit 
Weichbast  und  Parenchym  der  Nährpflanze  anstreben.  Unter- 
wirft man  die  der  werth vollen  Abhandlung  des  Grafen  Solms- 
Laubach  (Ueber  den  Bau  und  die  Entwickelung  der  Ernährungs- 
organe parasitischer  Phanerogamen,  Jahrb.  f.  w.  Bot.  Bd.  VI., 
pag.  509)  beigegebenen  Tafeln  einer  aufmerksamen  Betrachtung, 


84  Gesellschaft  naturforschender  Freunde. 

so  fällt  ein  solcher  Unterschied  in  der  Anheftung  je  nach  An- 
wesenheit oder  Mangel  von  Chlorophyll  deutlich  in  die  Augen. 
Von  besonderem  Interesse  in  dieser  Beziehung  ist  Cytinus  Hypo- 
cistis,  dessen  hohlcylindrisches  Aufnahmsorgan  die  jungen,  durch 
die  Thätigkeit  des  Cambium  ihm  aufgelagerten  Holzschichten 
immer  wieder  an  einzelnen  Stellen  durchbricht,  um  von  der  Zu- 
fuhr plastischer  Stoffe  nicht  abgeschnitten  zu  werden. 

Ist  es  gestattet,  von  den  Fhanerogamen,  wo  das  Verhältniss 
zwischen  Parasiten  und  Schmarotzern  übersichtlicher  ist,  auf  die 
analogen  Beziehungen  bei  Thallophyten  einen  Schluss  zu  ziehen, 
so  wird  man  annehmen  müssen,  dass  auch  hier  durch  den  Chloro- 
phyllgehalt eine  wenigstens  theilweise  Aufnahme  der  Nährstoffe 
in  roher,  noch  nicht  assimilirter  Form  bedingt  ist. 

Herr  Kny  legte  ferner,  mit  Beziehung  auf  einen  vom  Herrn 
Dr.  Magnus  in  der  letzten  Sitzung  geäusserten  Zweifel  an  dem 
Vorkommen  dichotomer  Verzweigung  bei  Cladostephus  spongiosus 
(Lightf.)  ein  hierauf  bezügliches  Präparat  vor.  Die  Scheitel- 
zelle ist  an  demselben  durch  eine  Längswand  halbirt,  der 
sich  beiderseits  je  eine  Querwand  ansetzt.  Das  Präparat 
liefert  jedenfalls  den  Beweis,  dass  Dichotomie  bei  Cladostephus 
vorkommt;  ob  sie  die  Regel  ist,  hatte  Vortragender  ausdrück- 
lich dahingestellt  gelassen  (cf.  Botan.  Zeitung  1872,  pag.  274). 
Er  würde  dieser  einen  Beobachtung  eine  so  grosse  Bedeutung 
nicht  beigemessen  haben,  wenn  nicht  von  Decaisne  schon 
früher  eine  Längstheilung  der  Scheitelzelle  bei  dem  nahe  ver- 
wandten Cladostephus  Myriophyllum  Ag.  gesehen  worden  wäre. 
Hr.  P.  Magnus  wies  in  Erwiderung  auf  den  Vortrag  des  Hrn. 
Dr.  Kny  darauf  hin,  dass  er  daran  festhalten  zu  müssen  glaube, 
dass  das  s.  g.  Nostoc  lichenoides  im  Gewebe  der  Lebermoose 
nicht  parasitisch  lebe,  wie  er  das  bereits  in  No.  13  des  Natur- 
forscher, Jahrgang  V.  1872  entwickelt  habe.  Jancjzewski 
selbst  weist  für  den  von  ihm  in  den  grossen  luftführenden  Zellen 
des  Blattes  von  Sphagnum  acutifolium  beobachteten  Nostoc  liche- 
noides den  Parasitismus  zurück  und  beschreibt  selbst,  wie  die 
AWoc-Colonieen ,  von  denen  die  einzelnen  Fäden  durch  die 
Spaltöffnungen  u.  A.  in  die  Lebermoose  eindringen,  ausserhalb 
derselben  auf  der  Erde  der  Töpfe  wohl  gediehen.  Es  ist  daher 
Sehr  unwahrscheinlich p   dass  dass  Nostoc  in  den  Geweben  para- 


Sitzung  vom  19.  November.  85 

sitisch  lebe,  d.  h.  sieh  von  den  von  den  Lebermoosen  assimilir- 
ten  Säften  aufbaue.  Dieses  Einnisten  des  Nostoc  erklärt  sehr 
schön,  wie  die  im  Flechtenkörper  ringsum  von  Pilzhyphen  um- 
sponnenen Algen  trotzdem  recht  wohl  gedeihen  können,  was  den 
Gegnern  der  Seh  wenden  er' sehen  Ansicht  die  grösste  Schwie- 
rigkeit zu  machen  pflege.  Die  Bezeichnung  dieser  Verhältnisse 
als  Consortium  sei  nicht  zuerst  von  Cohn,  sondern  bereits  von 
Reinke  undGrisebach  angewendet  worden  (Nachrichten  von 
der  Kgl.  Gesellschaft  d.  Wissensch.  zu  Göttingen  1872  p.  108). 
Ihm  scheine  dieser  Ausdruck,  namentlich  für  Gunnera  und  die 
Q/caswurzeln,  nicht  ganz  passend  und  möchte  vielleicht  der  von 
van  Beneden  für  das  Zusammenleben  gewisser  Thiere  ge- 
brauchte Ausdruck  „Commensalismus"  (Tischgemeinschaft)  auch 
hier  zutreffen. 

Mit  Bezug  auf  das  von  Dr.  Kny  vorgezeigte  Präparat  von 
Cladostep/ms  legte  Herr  Magnus  dar,  dass  seine  Zweifel  an 
der  Dichotomie  der  Hauptaxen  von  Cladosiephus  sich  nament- 
lich darauf  stützten ,  dass  man  an  einem  Längsschnitte 
unmittelbar  durch  die  Axe  und  die  Insertion  des  abgehenden 
Astes  meist  sehr  leicht  eine  Hauptaxe  an  dem  Verlaufe  der 
längsgestreckten  Centralzellen  unterscheidet.  Er  wies  ferner 
darauf  hin ,  dass  es  sich  hier  um  eine  Regenerationserschei- 
nung handle.  Er  habe  auch  bei  Halopteris  und  Stypocaulon 
an  dem  ihm  von  Prof.  Dr.  de  Bary  freundlichst  gesandten  Ma- 
terial nicht  selten  eine  Reproduction  aus  der  Wundfläche  beob- 
achtet, d.  h.  ein  Auswachsen  von  Zellen  der  Wundfläche  zu 
neuen  Scheitelzellen.  Dasselbe  findet  regelmässiger  an  den  ein- 
zelligen Stielen  der  (von  ihnen  abgefallenen)  dreizackartigen 
Brutknospen  der  Sphacelaria  cirrhosa  statt,  wie  er  das  bei  Hvi- 
dingsoe  und  Bergen  beobachtet  hat. 

Herr  Kny  erwidert  hierauf,  dass  ihm  die  Annahme,  es  liege 
hier  eine  Abnormität  vor,  durchaus  unbegründet  erscheine.  Wenn 
der  im  Präparat  vorliegende  dichotomirte  Vegetationskegel  von 
Cladostephus  spongiosus  weniger  schlank  ist,  als  ein  einfacher,  so 
ist  dies  hinreichend  dadurch  erklärt,  dass  bei  beginnender  Gabe- 
lung zum  Längenwachsthum  ein  gesteigertes  Breitenwachsthum 
hinzutritt.  Er  behält  sich  vor,  Zeichnungen  beider  Präparate 
bei  nächster  Gelegenheit  zu  veröffentlichen. 


86  Gesellschaft  natur/orsch  nder  Freunde. 

Herr  Magnus  zeigte  eine  Sammlung  von  Kartoffelknollen 
voi  ,  voii  denen  der  grüsste  Theil  Mittelbildungen  darstellte 
/wischen  je  zweien  dreier  runder  Kartoffelsorten,  von  denen  die 
eine  weiss,  die  andere  roth,  die  dritte  schwarz  war,  und  die 
Herr  Dr.  Neubert  in  Stuttgart  durch  gegenseitiges  Pfropfen  der 
Stecklinge  der  betreffenden  Sorten  erzogen  hatte.  Diese  inter- 
essante Sammlung  war  ihm  durch  die  Freundlichkeit  der  Herren 
Prof.  Koch  und  Dr.  Wittmack  zur  Demonstration  gefälligst 
übergeben  worden.  Im  Unterschiede  von  den  Versuchen,  über 
die  Referent  im  vorigen  Jahre  in  dieser  Gesellschaft  berichtet 
hat,  machte  Herr  Dr.  Neubert  keine  Operationen  mit  den 
Knollen,  sondern  zog  junge  Pflanzen  aus  Stecklingen,  die  er  als- 
dann später  mit  den  anderen  verschiedenen  Sorten  pfropfte,  und 
fanden  die  Cultiwen  der  Vorsicht  halber  in  Töpfen  statt.  Laut 
gefälliger  brieflicher  Mittheilung  des  Herrn  Dr.  Neubert  an 
den  Vortragenden  zeigten  bei  sämmtlichen  nach  dieser  Methode 
gepfropften  Pflanzen  alle  erhaltenen  Knollen  die  Einwirkung 
des  Edelreises,  nur  in  sehr  verschiedenem  Grade,  doch  stets 
unverkennbar,  während  hingegen  in  den  vorjährigen  Versuchen 
meist  nur  in  einzelnen  Fällen  Mittelbildungen  erhalten  wurden. 
was  sich  vielleicht  aus  häufig  nicht  stattgehabter  Verwachsung 
erklärt. 

Von  den  Neubert'schen  Knollen  zeigten  schöne  deutliche 
Mittelfärbungen  der  ganzen  Knollen  die  Producte  aus  der  Pfro- 
pfung der  schwarzen  und  weissen,  und  der  schwarzen  und  rothen 
Sorte  auf  einander.  Die  anderen  Mittelsorten  lassen  sich  wegen 
des  Fehlens  der  einen  reinen  rothen  Elternsorte  nicht  so  genau 
beurtheilen,  doch  ist  eine  Mittelbildung  zwischen  der  weissen  und 
rothen  Sorte  hervorzuheben,  die  die  eine  Hälfte  weiss,  die  an- 
dere roth  reigt.  Diese  Mittelbildungen  zeigen  wieder  in  eviden- 
ter Weise  den  Einfluss  des  Edelreises  und  der  Unterlage  auf 
einander,  der  noch  neuerdings  von  Vielen  gänzlich  in  Abrede 
gestellt  wurde,  wie  z.  B.  von  Director  Dr.  Regel  und  Professor 
Goepperl  ').  der  die  Mittheilung  der  Pänachure  an  die  Unterlage 
zwar    anerkennt,     dieselbe     aber   als    Mittheilung   einer   Krankheit 

')  Scblesische  Gesellschaft  für  vaterländische  Cultur.  Soction  für 
Qbst-  und  Gartenbau,     Sitzung  vom  24,  Juni   ls^"-' 


Sitzung  vom  19.  November.  *7 

erklärt.  Wie  Referent  an  anderen  Orten  schon  ausführlich  dar- 
gelegt hat,  scheint  ihm  die  Annahme  eines  fundamentalen  Unter- 
schiedes zwischen  einer  in  der  modificirten  Constitution  liegen- 
den Krankheit  (zum  Unterschiede  von  einer  durch  äussere  Ur- 
sachen, wie  Witterung,  Angriff  von  Feinden  etc.  hervorgebrach- 
ten) und  einer  Variation  nicht  begründet.  Der  gegenseitige 
Einfluss  des  Edelreises  und  der  Unterlage  auf  einander  macht 
sich  natürlich  nur  bei  relativ  geringen  Variationen  geltend,  wie 
ganz  analog  die  sogenannten  unwichtigeren  Charactere  am 
leichtesten  variiren,  während  die  wichtigeren  Charactere  mit 
grösserer  Zähigkeit  den  erschütternden  Einflüssen  widerstehen. 
Ebenso  tritt,  wie  gesagt,  nur  bei  geringeren  Variationen  der 
gegenseitige  Einfluss  des  Edelreises  und  der  Unterlage  zu  Tage, 
während  bei  grösseren  Differenzen  dieser  Einfluss  nicht  zur 
Geltung  gelangt. 

Die  Mittheilung  der  Panachure  an  Abutilon-  Arten  ist  seit- 
dem sehr  oft  wiederholt  worden;  so  sah  Vortragender  nament- 
lich eine  schöne  Collection  solcher  inficirten  Abutilon  -  Stöcke 
beim  Herrn  Gärtner  Barren  stein  in  Charlottenburg,  wo  die 
verschiedensten  Arten  von  Abutilon  Thompsonii  die  Panachure 
annahmen,  wie  z.  B.  das  schöne  Abutilon  souvenior  de  Maxi- 
milian. 

Wo  die  Panachure  nur  an  wenige  Aeste  der  Unterlage  mit- 
getheilt  wurde,  bestätigte  sich  überall  das  vom  Vortragenden  in 
früheren  Jahren  in  dieser  Gesellschaft  entwickelte  Gesetz  über 
die  Vertheilung  des  Einflusses.  Nur  eines  möchte  noch  hervor- 
zuheben sein,  dass  Stöcke,  deren  nach  einmaligem  Zurück- 
schneiden frisch  austreibenden  Zweige  die  Panachure  nicht  an- 
nehmen, dieselbe  nach  wiederholtem  Zurückschneiden  annehmen 
unter  fortgesetztem  Einflüsse  des  aufgepfropften  Abutilon  Thom- 
psonii. 

Ferner  berichtete  Herr  Magnus  über  ein  Chytridium,  das 
er  auf  der  letzten  Expedition  der  „Pommerania"  bei  Edinburgh 
in  den  Wurzelhaaren  von  Ceramium  ßabelligerum  und  Cer.  acan. 
thonotum  entdeckt  hat  und  Chytridium  tumefaciens  nennt.  Das 
Chitridium  sass  bei  Weitem  am  häufigsten  in  den  Wurzelhaaren 
der  genannten  Arten  und  zwar  sowohl  in  der  Endzelle  der- 
selben wie  auch  in  mittleren   und  unteren  Zellen  derselben.       Es 


88  Gesellschaft  naturforschender  Freunde. 

[iegl  ganz  im  Inhalte  der  befallenen  Zellen,  so  dass  es  der 
Sectio  Olpidium  ABr.  angehört.  Die  befallene  Zelle  schwillt  bedeu- 
tend an  {unde  nomen);  entweder  liegt  in  ihr  ein  einzelnes  Chytri- 
dium  oder  deren  mehrere  und  winden  bis  sechs  in  einer  Zelle  beob- 
achtet. Die  Chytridien  füllen  häufig  die  Nährzelle  fast  ganz  aus,  der 
Seitenwand  ringsum  dicht  anliegend,  namentlich  wenn  sie  einzeln 
oder  zu  zweien  oder  dreien  untereinander  an  derselben  liegen,  in 
welchem  letzterem  Fälle  sich  die  Berührungswände  gegenseitig 
abplatten.  Erst  wenn  sie  zu  mehreren  in  einer  Zelle  sich  be- 
finden, liegen  sie  in  der  angeschwollenen  Zelle  als  freie  Kugeln 
und  bleiben  sie  dann  weit  kleiner.  Um  die  Zoosporen  zu  ent- 
lassen, entsendet  jedes  Chytridium  ein  oder  zwei_  Fortsätze,  die 
die  Wand  der  Wirthszelle  durchbohren ,  sich  aussen  öffnen  und 
durch  die  die  Zoosporen  austreten.  Schwärmende  Zoospooren  wur- 
den nur  zwei  Mal  beobachtet,  und  gelang  es  ein  Mal  zu  sehen, 
wie  eine  Zoospoore  sich  aussen  an  der  Wand  ansetzte,  die 
Wand  durchbohrte  und  durch  die  Wand  in  den  Inhalt  hinein- 
glitt. 

Weit  seltener,  als  in  den  Wurzelhaaren  fand  sich  das  Chy- 
tridium in  den  Scheitelzellen,  jungen  Gliederzellen  und  Rinden- 
zellen der  Ceramien,  hier  fast  immer  nur  einzeln  (nur  in  einer 
einzigen  Scheitelzelle  zwei  untereinander)  in  den  Zellen;  so  hat 
es  Cramer  in  „Pflanzenphysiolog.  Untersuchungen  von  Nae- 
geli  u.  Cramer",  Taf.  41,  Fig.  9  u.  11,  als  Monstrosität  des 
Cer.  spiniferum  Kg.  (nach  Agardh  identisch  mit  Cer.  ßabelliqe- 
rum  AgJ  aus  Neapel  abgebildet.  Vergebens  bemühte  sich  der 
Vortragende  einen  morphologischen  Unterschied  zu  finden  von  dem 
im  vorigen  Jahre  in  dieser  Gesellschaft  von  Dr.  Kny  besprochenen 
C.  sphacellarum  aufzufinden,  wie  überhaupt  die  bisher  bekannten 
Glieder  der  subsectio  Olpidium  A.  Br.  sehr  geringe  Verschieden- 
heiten darbieten.  Wenn  Vortragender  es  nichts  desto  weniger 
mit  einem  neuen  Namen  Chytr.  lumefaciens  bezeichnet,  so  ge- 
schieht dies,  weil  er  sich  noch  weit  weniger  berechtigt  hält,  die 
Identität   mit    Chytr.  sphacell.   zu  behaupten. 

Das  Chytr.  sphacell.  beobachtete  der  Vortragende  auf  der 
Expedition  der  „Pommerania"  sehr  häufig  bei  Helgoland  auf 
dem  ziemlich  dicht  unter  der  Wasseroberfläche  wachsenden 
Cladostephus  spongiosus,  während  es  auf  dem  aus  5  Faden  Tiefe 


Sitzung  vom  19.  November.  89 

heraufgekommenen  Cladosteph.  myriophyllum  fehlte.  Ferner  wurde, 
das  Chytr.  sphacell.  in  SphaceUaria  cirrhosa  in  der  Apen rader 
Bucht  eingetroffen. 

Das  Chytr.  Plumulae  F.  Cohn  traf  der  Vortragende  sehr 
reichlich  auf  Tetrasporen  -  Exemplaren  des  Callithamnion  Plu- 
mula  vor  Roesnaes  (N.-W.- Spitze  von  S.eeland)  in  der  be- 
trächtlichen Tiefe  von  28  Faden,  und  ebenso  im  Kleinen  Belt 
nördlich  von  Fanoe  in  der  Tiefe  von  16  — 10  Faden.  Auf 
Antheridien-Exemplaren  aus  Plymouth  hat  er  es  vor  Jahren 
an  Präparaten  des  Herrn  Dr.  Kny  aufgefunden. 

Hieran  schloss  der  Vortragende  eine  Uebersicht  der  bisher 
an  Callithamnien  beobachteten  Chyiridien,  die  eine  mannigfache 
Deutung  in  der  Litteratur  erhalten  haben.  Zuerst  hat  sie  wohl 
Naegeli  abgebildet  und  beschrieben,  an  Callithamnion  cru- 
ciatum  Ag.  von  Sorrento  bei  Neapel  (Neuere  Algensysteme 
Zürich  1848,  p.  202)  und  bezeichnete  er  sie  als  abortirte  Sporen- 
mutterzellen,  wie  er  sie  auch  18G1  in  den  Sitzungsberichten  der 
Kgl.  Baier.  Akademie  1861  II.  Heft  3  pag.  379  als  solche  be- 
zeichnet. Von  Gallith.  Plumula  beschrieb  und  bildete  sie  Nae- 
geli 1855  ab  (Pflanzen  -  physiologische  Untersuchungen  von 
Naegeli  u.  Cramer  Heft  1,  pag.  64),  ohne  dass  er  sich  ein 
Urtheil  über  ihre  Bedeutung  erlaubte.  1849  bildete  sie  Kützing 
in  den  Tab.  phycolog.  Vol.  V.,  Taf.  82  von  einem  Callithamnion 
von  der  Küste  von  Pernambuco  ab,  das  er  Sporacanthus  cris- 
tatus  nannte,  und  bezeichnet  die  Chytridien  als  Intercellular- 
sporen.  1862  bildete  sie  Harvey  in  Callithamnion  dispar  Harv. 
aus  Australien  ab  in  Phycologia  australica  Vol.  IV.  Tab.  227 
und  bezeichnet  sie  in  der  Figurenerklärung  fraglich  als  Anthe- 
ridien. 

1868  bildet  Grunow  in  „Reise  S.  Maj.  Fregatte  Novara 
um  die  Erde",  Botanik  Th.  I.  Bd.  Algen."  (Tab.  VI.  Fig.  3.) 
ein  Callithamnion  aus  Gibraltar  ab,  das  er  damals  Spora- 
canthus compactus  nannte,  und  das  er  jetzt  nach  gefälliger  brief- 
licher Mittheilung  für  Callithamnion  abbreviatum  hält,  und  sitzen 
an  dessen  letzten  Auszweigungen  Chytridien,  die  er  mit  Schwanken 
als  eingewachsene  Sporen  erklärt,  deretwegen  er  die  Pöanze  zu 
Sporacanthus  stellte.  An  dem,  dem  Vortragenden  von  Grunow 
übersandten  Materiale    konnte   sich    derselbe  von  der  mit  Chytr. 


00  Gesellschaft  naturforschender  Freunde. 

Plumulae  übereinstimmenden  Natur  dieser  Körper  überzeugen. 
Mit  Rech!  hebt  Grunow  selbst  die  Analogie  mil  den  von  Har- 
vcv  ;ils  fragliche  Antheridien  au  Gallith,  dispar  abgebildeten 
Körpern  hervor.  Mit  (Jnrechl  zieht  er  dagegen  zum  Vergleiche 
die  ungeteilten  Sporen  von  Corynospora  hinzu,  die  nach  den 
Abbildungen  Harvey 's  von  Cor.  australis  und  Naegeli's  von 
Monosporß  pedicellata  ächte  Haplosporen,  die  den  Tetrasporen 
der  anderen   Arten   entsprechen,   sind. 

Es  ist  hervorzuheben,  dass  alle  diese  Chytridien  auf  Colli- 
thamnien  mit  wirtelig  gestellten  Blättern  vorkommen.  ()1>  >ie 
einer  Species  oder  verschiedenen  Species  angehören,  wagt  der 
Vortragende  nicht  zu  entscheiden;  nur  möchte  er  auf  ihre  ver- 
schiedene Wohnstätte  in  den  verschiedenen  Species  aufmerksam 
machen.  Bei  allen  Arten  liegen  sie  zwischen  der  Culicula  und 
den  Zellen.  Aber  im  Gegensatz  zu  Chytr.  Plumulae  liegen  sie 
bei  Callith.  cruciatum  stets  über  der  Scheidewand  zweier  Zellen, 
bei  C.  abbreviatum  über  einer  ganzen  Zelle  und  deren  beiden 
benachbarten  Scheidewänden  an  den  kurzcylindrischen  letzten  Ver- 
zweigungen. Bei  den  anderen  Arten  liegen  sie  fast  über  der  gan- 
zen Ausdehnung  einer  Gliederzelle  der  kurzgliedrigeü  letzten 
Verzweigungen. 

Jedenfalls  zeigen  diese  Abbildungen  und  Beschreibungen 
eine  wie   weite  Verbreitung  diese  marinen    Chytridien   haben. 

Herr  Urban  gab  eine  Uebersicht  über  die  Resultate  der 
Untersuchungen,  die  Entwickelung  der  Blüthen  bei  den  PapiUo- 
naeeen  betreffend,  und  (heilte  seine  eigenen  Beobachtungen  über 
die  Entwickelung  der  Blüthentbeile  bei  den  Arten  der  Gat- 
tung Medicago  mit,  indem  er  durch  Zeichnungen  der  ver- 
schiedenen Entwickelungsstadien  seine  Ausführungen  zu  erläutern 
suchte. 

Die  Angaben  Casp.  Friedr.  Wolff's  (theor.  gener.),  dass 
bei  der  Bohnenblüthe  die  Petala  nach  dem  Auftreten  der  Staub- 
blätter und  des  Fruchtblattes  entständen,  wurden  von  Kirch- 
hoff (Jahresbericht  der  Louisenstädt.  Gewerbeschule  1867)  in 
Abrede  gestellt.  Nach  Payer  entstehen  bei  Trifolium  ochroleu- 
cuiii  und  Lathyrus  Sylvester  zuerst  die  Sepala,  dann  die  Petala 
in  der  Richtung  vom  Tragblatte  zur  Blüthenaxe  hin,  darauf  die 
Staubblätter    in    zwei   nach  einander  auftretenden   Quirlen   (mit 


Sitzung  vom  19.  November.  91 

Ausnahme  des  später  nicht  verwachsenen  Staubblattes,  welches 
bei  Trifolium  früher  gebildet  wird ,  und  zuletzt  das  Fruchtblatt. 
Hofmeister  (Morphol.)  rügt  an  Payer's  Darstellung,  dass  er 
nicht  das  frühzeitige  Auftreten  des  Fruchtblattes,  wie  es  die  Ab- 
bildung zeige,  erwähnt  habe,  und  giebt  an,  dass  bei  den  Papi- 
lionaceen  die  Bildung  des  Carpells  derjenigen  eines  Theiles  der 
Kelch-  und  Kronenblätter,  sowie  sämmtlicher  Staubblätter  vor- 
auseile. Dies  fand  Rohrbach  (Bot.  Zeit.  1870)  bei  Lupinus  be- 
stätigt, bei  anderen  Papilionaceen  jedoch  nur  in  sehr  beschränk- 
tem Maase. 

Vortragender  fand  in  der  Gattung  Medicago  (bei  M.  sativa, 
lupulina  etc.)  folgende  Entwickelungsfolge  der  einzelnen  Blüthen- 
theile.  Zuerst  entsteht  das  vordere,  dann  die  beiden  seitlichen, 
endlich  die  beiden  hinteren  Sepala.  Sowie  sie  sichtbar  werden,  er- 
scheinen sie  mit  den  vorhandenen  an  der  Basis  verwachsen.  "Wenn 
sämmtliche  Kelchblätter  angelegt  sind,  erhebt  sich  als  halbmond- 
förmiger Höcker  das  Carpell  und  nimmt  schnell  an  Grösse  zu. 
In  dieser  frühesten  Entwickelung  zeigt  das  Fruchtblatt  eine 
überraschende  Aehnlichkeit  mit  der  ersten  Anlage  des  ersten, 
auf  die  Cotyledonen  folgenden,  nicht  gedreiten  Blattes.  Bevor 
sich  eine  Andeutung  von  Blumenblättern  zeigt,  erscheint  der 
äussere  Kreis  von  Staubblättern  in  der  Furche  zwischen  den 
einzelnen  Sepalis  und  dem  Fruchtblatthöcker.  Ihm  folgt  sehr 
bald  der  zweite  abwechselnde  Wirtel. 

Ein  successives  Auftreten  der  einzelnen  Staubblätter  hat  Vortr. 
zwar  nicht  bemerkt,  doch  glaubt  er  aus  der  relativen  Grösse 
der  sichtbar  gewordenen  5  resp.  10  Höcker  schliessen  zu  können, 
dass  der  äussere  Kreis  in  derselben  Reihenfolge  wie  die  Kelch- 
blätter, der  innere  aber  umgekehrt  sich  bildet.  Zu  allerletzt 
entstehen  nach  Anlage  der  inneren  Staubblätter  zwischen  die- 
sen und  den  Commissuren  der  verwachsenen  Kelchblätter  die 
Petala.  In  welcher  Reihenfolge,  war  ebenfalls  nicht  zu  con- 
statiren,  da  der  geringe  Umfang  der  Bliithe  bei  Medicago  keine 
Längsschnitte  gelingen  liess. 

Zum  Schluss  macht  Vortragender  noch  auf  das  beständige 
Vorkommen  von  Caleium-Oxalat-Krystallen,  die  er  in  den  Brac- 
teen  von  Medicago,  Trigonellq,  und  Pocockia  fand,  aufmerksam. 
Es    sind     sehr    schön    ausgebildete    rhombische  Prismen    mit  der 


92  Gesellschaft  naturforschender  Freunde. 

schiefen  Endfläche.  Sie  finden  sich  in  der  ganzen  Aasdehnung 
des  Tragblattes  zu  je  einem  in  jeder  der  um  den  Gefässstrang 
herumliegenden  Parenchymzellen  vor. 

Herr  Ascherson  legte  von  Dr.  K ersten  in  Jerusalem 
eingesandte  Exemplare  von  Populus  euphralica  Olivier  (Gar ab 
der  heutigen  Araber  und  der  Bibel)  vor,  welche  den  Formen- 
wechsel der  Blätter  dieser  orientalischen  Pappel  in  ausgezeich- 
neter Weise  zur  Anschauung  bringen. 

Das  kgl.  Herbarium  erhielt  kürzlich  von  Dr.  Otto  K  ersten, 
gegenwärtig  Kanzler  des  kaiserl.  deutschen  Consulats  in  Jeru- 
salem, eine  reiche  Pflanzensendung,  in  der  die  Frühjahrsflora 
der  Umgebungen  Jerusalems  sehr  charakteristisch  vertreten  ist. 
Die  vorgelegten  Exemplare  von  Populus  euphratica,  im  Jordan- 
Uferwalde  unterhalb  Jericho  vermuthlich  von  verschiedenen 
Stöcken  gesammelt,  zeigen  theils  lineallanzettliche,  mit  einzelnen 
spitzen  Zähnchen  versehene,  sonst  ganzrandige  (var.  hippophai- 
folia  Wesmael  in  D.  C.  Prod.  XVI.  II.  327)  theils  etwas  brei- 
tere, schwach  ausgeschweifte  Blätter  (var.  lanceolata  Wesm.  1.  c.) 
(beiderlei  schmale  Blätter  kurzgestielt)  theils  besitzen  sie  ge- 
wöhnliche, etwa  der  verwandten  Populus  tremula  L.  entsprechende 
rundliche,  ausgeschweift  gezahnte  Blätter  mit  langen  Blattstielen; 
besonders  lehrreich  ist  ein  Exemplar,  welches  3  unter  einer  ver- 
stümmelten Astspitze  hervorgewachsene  Seitenzweige  aufweist, 
von  denen  einer  die  schmalen,  die  zwei  anderen  unterwärts 
kurz  rhombische,  gezähnte,  oben  eiförmig  lanzettliche  bis  lan- 
zettliche, ganzrandige  Blätter  zeigen,  und  so  den  Zusammen- 
hang dieser  so  verschiedenartigen  Blattformen  aufs  Deutlichste 
darlegt. 

Diese  Vielgestaltigkeit  der  Blätter  bei  Populus  enphratica  hat 
ihr  an  der  Nordgrenze  ihres  angedehnten  Verbreitungsberichts, 
in  der  Songarei,   den  Namen  P.  diversifolia  Schrenck  verschafft. 

Nach  den  brieflichen  Mittheilungen  des  verdienstvollen 
Orientreisenden  Prof.  Haussknecht  in  Weimar  gehören  die 
schmalen  Blattformen  jugendlichen  strauchartigen  Exemplaren  resp. 
Stockausschlägen,  die  rundlichen  dagegen  erwachsenen  Bäumen 
an,  so  dass  selbst  von  diesem  erfahrenen  Beobachter  das  Unterholz 
der  l\  euphrat.  anfangs  öfter  für  W.eidengebüsch  gehalten  wurde, 
obwohl   bei    näherer   Betrachtung   schon   die    fast    ganzrandigen 


Sitzung  vom  19.  November.  93 

Blätter    die    schmalblättrige    Eupbrat- Pappel    von    einer  Weide 
unterschieden. 

Dieser  merkwürdige  Baum  wird  auch  in  der  Bibel  unter 
dem  Namen  a"^  (nur  der  Plural  D>:?^  kommt  in  den  Psal- 
men, bei  Jesaia  und  Hiob  vor)  erwähnt,  was  freilich  erst  in 
neuester  Zeit  sicher  gestellt  werden  konnte. 

Unser  ausgezeichneter  Orientalist,  Dr.  W  etz stein,  erkannte 
bereits  1860  auf  einer  während  seiner  Amtstätigkeit  als  preussi- 
scher  Consul  in  Damascus  unternommenen  Bereisung  des  Ost- 
Jordan -Landes,  dass  der  noch  heute  von  den  Arabern  Garab 
genannte  Baum  nicht,  wie  man  bis  dahin  allgemein  annahm, 
die  Trauerweide  (Salix  babylonica  L.)  sein  könne.  Nach  seiner 
Standortsangabe  brachte  dann  Herr  R.  Kiepert  1870  Proben 
mit,  die  sich  als  Populus  euphr.  ergaben. 

Interessant  ist,  dass  gleichzeitig  mit  dieser  naturhistorischen 
Feststellung  des  Garab  auch  eine  Bestätigung  derselben  auf  rein 
linguistischem  Wege  von  einer  ganz  anderen  Seite  erfolgte.  Der 
gleichfalls  um  die  Kenntniss  des  Orients  hochverdiente  jetzige 
General-Consul  Dr.  O.  Blau  fand  in  den  von  ihm  herausgegebe- 
nen bosnisch-türkisch  Sprachdenkmälern  (S.  159)  das  südslavische 
Wort  Topola  (Pappel)  durch  das  arabische  Wort  Garab  wieder- 
gegeben. 

Herr  Braun  sprach  über  eine  monöcische  Form  des  Hanfes 
{Cannabis  sativa)  mit  Vorzeigung  getrockneter  Exemplare.  Ver- 
einzelte männliche  Blüthen  an  weiblichen  Exemplaren  oder  auch 
ganze  männliche  Sprosse,  welche  meist  sehr  verspätet  aus  dem 
untersten  Theile  des  Stamms  weiblicher  Pflanzen  hervorwuchsen, 
sind  beim  Hanf,  ebenso  wie  bei  Mercurialis  annua,  öfters  be- 
merkt worden;  der  vorliegende  Fall,  der  im  August  d.  J., 
zu  einer  Zeit,  als  der  übrige  Hanf  bereits  ganz  abgeblüht  hatte, 
im  Universitätsgarten  an  zwei  Exemplaren  beobachtet  wurde, 
unterscheidet  sich  hiervon  durch  die  regelmässige  Vertheilung 
der  männlichen  und  weiblichen  Blüthen  und  zwar  in  der  Art, 
dass  der  untere  Theil  jedes  Zweiges,  zuweilen  bis  zur  Hälfte 
oder  auch  noch  höher  ausschliesslich  männliche  Blüthen  in  rei- 
chen dichten  Büscheln  trägt,  während  der  obere  bloss  mit  weib- 
lichen Blüthen  besetzt  ist.  Ebenso  ist  die  Spitze  des  Haupttriebes 
weiblich,    während    weiter   rückwärts    männliche  Blüthenbüschel 


!>l  Gesellschaft  naturforschender  Freunde. 

sich  finden.  Man  denke  sich  an  einem  männlichen  Hanfstock 
alle  Spitzen  abgeschnitten  und  durch  solche  eines  weiblichen 
Stockes  ersetzt,  so  hat  man  ungefähr  das  Bild  des  besprochenen 
Falles.  Ungeachtet  des  grossen  Reichthums  an  Blutheo  beiderlei 
Geschlechts  und  des  anscheinend  gut  entwickelten  Pollens  trugen 
beide  Stöcke  doch  nur  sehr  spärliche  Samen. 

Herr  Seh weinfur th  legte  eine  Anzahl  im  Niamniam-Lamle 
gesammelter  Früchte  der  Xylopia  aethiopiea  L.  vor,  welche  vor 
Zeiten  unter  dem  Namen  Malaguetta,  oder  äthiopischer  Pfeffer, 
geschätzt,  seit  dem  Ende  des  vorigen  Jahrhunderts  durch  den 
schwarzen   Pfeffer  gänzlich  verdrängt,  worden  ist. 

Die  Früchte  dieser  Pflanze,  auf  welche  A.  Decandelle 
seine  Gattung  Habzelia  (von  Habb  el  Selim,  Körner  des  Seiini, 
wie  sieAvicenna  mit  arabischer  Bezeichnung  nannte)  gründete 
bildeten  noch  vor  250  Jahren  einen  so  bedeutenden  Handels- 
artikel, dass  ihnen  die  „Pfefferküste"  den  Namen  und  die  Nieder- 
lassungen von  Gross-Bassa  und  Cap  Palmas  ihre  Entstehung 
verdankten.  Lange  bevor  der  schwarze  Pfeiler  eine  so  grosse 
Bedeutung  im  Handel  erwarb,  war  der  Malaguetta-Pfeffer  durch 
arabische  Händler  auf  dem  Landwege  nach  Europa  gelangt. 
Heutzutage  ist  er  in  Vergessenheit  gerathen,  auch  von  den 
Reisenden  der  neuesten  Zeit  nirgends  mehr  an  der  afrikanischen 
Westküste  gesammelt   worden. 

In  den  mohammedaniscen  Staaten  Centralafrika'e  hingegen 
scheint  dieses  Gewürz  nach  wie  vor  eine  grosse  Rolle  im  llaus- 
bedarf  der  Eingeborenen  zu  spielen.  Die  Bewohner  Dar- Kurs 
kennen  es  unter  dem  Namen  Kumba,  und  dies  ist  zugleich  der 
Name,  welchen   die  Niamniain  der  Pflanze  ertheilen. 

Auch  FI.  Barth  erfuhr  von  der  Existenz  einer  solchen 
durch  die  Furianer,  welche  ihm  die  erste  Kunde  von  einem 
grossen  nach  Westen  fliessenden  Flusse  im  Lande  der  Niamniain 
berichteten,  an  dessen  Ufern  der  Kumba-Baum  wachsen  sollte. 
Da  Barth,  den  erhaltenen  Angaben  folgend,  diesen  FluSS, 
welchen  er  „Fluss  von  Kubanda"  nennt,  ziemlich  genau  in  der 
geographischen  Breite  des  von  Schweinfurth  entdeckten  Helle 
verzeichnete,  legte  der  Vortragende  ein  besonderes  Gewicht  auf 
die  Bedeutung  dieser  botanischen  Angabe,  welche  ihm  einen 
sicheren  Zusammenhang    mit    dem    immensen    Gebiete    der   Er- 


Sitzung  vom  19.  November.  95 

kundigungen  dieses  grossen  Erforschers  von  Central- Afrika  zu 
verrathen  schien. 

Der  Vors.  G.  Rose  legte  Proben  von  Gebirgsgesteinen  vor, 
die  von  Blitzschlägen  getroffen  waren,  und  in  welchen  sich  da- 
durch mehr  oder  weniger  breite,  hohle  Canäle  gebildet  hatten, 
deren  Wände  durch  Schmelzung  des  Gesteins  verglast  sind. 
Das  Hauptstück  bildete  ein  über  ein  Fuss  grosses  Stück  eines 
porösen  röthlich-weissen  Trachyts  von  der  Spitze  des  kleinen 
Ararat,  das  der  Vortragende  von  dem  Staatsrathe  Ab  ich  bei 
seinem  letzten  Hiersein  in  Berlin  erhalten  hatte.  Es  ist,  mit 
solchen  Canälen,  die  einen  ganz  unregelmässigen  Verlauf  und 
meistens  einen  Durchmesser  von  3  Centimeter  haben,  überall 
durchbohrt,  und  nach  dem  Aussagen  von  Abich  ist  dies  auf  dem 
ganzen  Gipfel  des  kleinen  Ararat  der  Fall,  da  die  Gewitter,  die  von 
Süd-Ost  kommen,  sich  hier  beständig  entladen.  Das  Glas,  wo- 
raus die  Wände  der  Canäle  bestehen,  ist  schwärzlich-grün  und 
vor  dem  Löthrobr  schmelzbar,  dagegen  der  poröse  Trachyt  vor 
dem  Löthrohr  fast  ganz  unschmelzbar  erscheint. 

Drei  andere  Stücke,  die  der  Vortragende  vorlegte ,  stamm- 
ten von  Humboldt  her,  der  sie  an  dem  Nevado  de  Toluca  in 
Mexico  gesammelt  hatte.  Die  Canäle  sind  hier  kleiner  und 
einzelner,  und  die  geschmolzene  Masse  hat  sich  bei  zwei  der- 
selben neben  dem  Canäle  auf  der  Oberfläche  verbreitet;  der 
Trachyt,  in  dem  sie  sich  finden,  ist  sonst  ähnlich  dem  des  kleinen 
Ararat. 

Diese  Blitzspuren,  sagt  Humboldt,  auf  den  bei  den  Stücken 
liegenden  Zetteln,  finden  sich  nur  auf  der  Punta  del  Fraile  am 
Nevado  de  Toluca,  einem  2364  Toisen  hohen  Pic,  wo  sie  mit 
vieler  Gefahr  gesammelt  wurden,  da  der  Gipfel  kaum  30  Qua- 
dratfuss  Oberfläche  und  einen  senkrechten  Absturz  von  408 
Toisen  hat. 

Zur  Vergleichung  legte  der  Vortragende  noch  Stücke  von 
den  bekannten  Blitzröhren  aus  dem  Sande  der  Senner-Haide 
vor,  sowie  eine  30  Centimeter  dicke  Glasplatte,  die  von  einer 
elektrischen  Entladung  durchbohrt  ist. 


10 


%  Gesellschaft  naturforschender  Freunde. 

Als  Geschenke  wurden  mit  Dank  entgegengenommen: 

Monatsberichte   der    Berliner    Akademie  der   Wissenschaften,  April 

bis  Julr  1872. 
Verhandlungen  des  botanischen   Vereins   der  Provinz  Brandenburg. 

Jahrgang   13.      1871. 
Geognostische  Durchforschung  des  schlesischen  Schwemmlandes  von 

Dr.   A.  Orth.     Berlin.     1872. 
Memoires   de   la  societe  nationale  des  Sciences   naturelles  de  Cher- 

bourg.     Paris.      Tome  XVI.  et   Catalogue. 
Schriften  der  königl.  physik.-ökonomischen  Gesellschaft   zu   Königs- 
berg.    Jahrg.    lü— 12.   und  Jahrg.    13.   Abtli.  I. 
Abhandlungen      der    naturhistorischen    Gesellschaft    za    Nürnberg. 

Bd.  V.     1872. 
B.  Hartmann.    Beiträge  zur  zoologischen  und  zootomischen  Kennt- 

niss  der  sogenannten  anthropomorphen  Affen.     Heft  I. 
R.  Hartmann.     Einiges  über  Halodactijlus  diajihanus  Farre. 
Kawall.      Coup  d'oeil  sur  la  flore  de  la  Courlande.     1871. 
Kam  all.     Die  neuen  russischen  Naturforscher- G  eselisch  aj :ten.    Brste 

Mittheilung.     Riga.     1872. 


A.    W     Sobada'l    Biiehdrurkerri   (I,    Schade)    in    Berlin,   8tallschreiber*tr.    I? 


Sitzunüs-Bericht 


der 


Gesellschaft  naturforschender  Freunde 

zu  Berlin 
am    17.  December  1872. 


Director:    Herr  Geheimer  Regierungsrath  Rose. 


Herr  G.  Rose  legte  Photographieen  von  den  Diamanten- 
gräbereien  im  Caplande  vor,  die  Herr  Schultze  erhalten  und 
ihm  zur  Vorlage  in  der  Gesellschaft  freundlichst  mitgetheilt 
hatte.  Man  sieht  daraus  die  Grofsartigkeit  der  Gräbereien,  die 
Mächtigkeit  der  abgebauten  Sandschichten  und  das  Treiben  in 
der  meistens  aus  Zelten  bestehenden  Niederlassung. 

Mit  diesen  Bildern  wurden  auch  die  Photographien  der 
grössten  im  Caplande  gefundenen  Diamanten  in  ihrer  wahren 
Gröfse  vorgelegt,  darunter  die  des  grofsen  im  Juli  1872  gefun- 
denen von  166  Karat,  der  eine  deutliche  Octaederform  zeigt, 
und  von   4  anderen  Diamanten  von    36,  80,    63  und  75  Karat. 

Herr  Magnus  erlaubte  sich  als  Nachtrag  zu  seinem  letzten 
Vortrage  über  Propf  hybriden  der  Kartoffel  die  Aufmerksamkeit 
der  Gesellschaft  anf  die  betreffenden  Versuche  des  Herrn  Ritter- 
gutsbesitzers Dr.  Max  Heimann  hinzulenken,  über  die  der- 
selbe in  der  botanischen  Section  der  Schlesischen  Gesellschaft 
Bericht  erstattet  hat.  Er  operirte  mit  3  verschiedenen  Sorten, 
der  rothen  sächsischen  Zwiebelkartoffel,  der  mittelfrühen  blauen 
und  der  weissen  langen  Sechswochenkartoffel.  Das  Edelauge 
aus  je  einer  dieser  Sorten  in  konischer  oder  Cylinderform  aus- 
geschnitten, wurde  in  die  entsprechende  Höhle  einer  Mutterknolle 

10 


98  Gesellschaft  naturforschender  Frei, 

gebracht  und  deren  eigene  Triebentfaltung  entfernt.  Bei  der 
Ernte  zeigte  sich  eine  grosse  Anzahl  von  Bastardknollen,  die 
in  der  Eigentümlichkeit  ihrer  Form,  Farbe  des  Fleisches  und 
der  Schale  die  Mitte  zwischen  den  angewandten  Sorten  halten, 
und  hatte  Herr  Heimann  mehrere  der  schlesischen  Gesellschaft  vor- 
gezeigt. —  Diese  Methode  schliesst  sich  daher  eng  an  an  die  in  den 
letzten  Jahren  bei  den  Versuchen  im  botanischen  Garten  und  auf 
der  Pfaueninsel  bei  Potsdam  vom  Hofgärtner  Reuter  angewandte. 
Ferner  demonstrirte  Herr  Magnus  das  von  Dr.  Kny  in 
der  letzten  Sitzung  als  Beleg  für  die  dichotome  Verzweigung 
der  Hauptaxen  von  Cladostephus  vorgelegte  Präparat,  das  er  so- 
gleich als  Regenerationserscheinung  erkannt  hatte,  wie  1.  c.  an- 
gegeben. Auf  seine  Bitte  hatte  es  ihm  Dr.  Kny  zur  genaueren 
Untersuchung  zugesandt.  Er  wies  an  der  noch  erhaltenen 
Membran  nach,  dafs  die  ursprüngliche  Scheitelzelle  verletzt  ist,  und 
sind  die  beiden  Zellen,  in  die  die  jüngste  Gliederzelle  durch  eine 
verticale  Wand  getheilt  war,  zu  neuen  Scheitelzellen  ausgewach- 
sen und  diese  in  das  Lumen  der  alten  Scheitelzelle  hineingewachsen, 
von  deren  zerrissener  Membran  sie  nur  durch  eine  sehr  schmale 
Spalte  getrennt  sind.  Solche  Reproductionserscheinungen  aus  der 
Wundfläche  hat  Vortragender,  wie  bereits  in  voriger  Sitzung  er- 
wähnt, vielfach  an  Sphacelarieen  beobachtet.  Aehnlich  fand  sie  Vor- 
tragender auch  an  Gelidium  corneum,  wo  er  jedoch  meist  nur 
einen  Spross  aus  der  Wundfläche  auswachsen  sah.  Hierher 
gehört  noch  die  vom  Vortragenden  an  den  Löchern  der  Deles- 
seria  sinuosa  beobachtete  Sprossbildung,  über  die  er  in  der 
Maisitzung  d.  J.  der  Gesellschaft  vorgetragen  hat.  Endlich  er- 
wähnte der  Vortragende  noch  ähnliche  Erscheinungen  an  höhe- 
ren Pflanzen  (Brutknospenbildung  am  Rande  verletzter  Blätter 
von  Badula  complanata ,  oberflächliche  Adventivknospenbildung 
an  der  Schnittfläche  der  Blattstiele  von  Begonia-  Arten) ,  die 
jedoch  zum  Theil  noch  genauerer  Untersuchung  bedürfen. 
Was  die  Verzweigung  der  Hauptachsen  von  Cladostephus  an- 
betrifft, so  hat  er  sich  seitdem  im  Gegensatze  zu  den  An- 
gaben Decaisne's,  Geyler's  und  Kny 's  überzeugt,  dass  sie 
sich  ähnlich  wie  die  wirteligen  Kurztriebe  verzweigen,  d.  h. 
durch  Auswachsen  der  ungeteilten  Gliederzellen,  doch  waren 
die    beobachteten     Auszweigungen    schon    zu    alt,    um    die     De- 


Sitzung  vom  17.  December.  99 

tails  lückenlos  angeben  zu  können.  Doch  glaubte  er  sich 
überzeugt  zu  haben,  dass  es  hier  sowohl  vorkommt,  dass  die 
Scheitelzelle  der  Hauptaxe  nach  der  Anlage  des  Zweiges  doch 
ihre  Richtung  beibehält,  als  auch,  dass  sie  von  der  zum  Zweige 
auswachsenden  Gliederzelle  zur  Seite  gedrängt  wird. 

Herr  Kny  bemerkte  hierauf,  dass,  nachdem  Herr  Dr.  Mag- 
nus ihn  mit  den  Resultaten  seiner  jüngstgemachten  und  bisher 
noch  nicht  veröffentlichten  Beobachtungen  über  Regenerirung 
von  Scheitelzellen  bei  Sphacelarien  bekannt  gemacht  hat,  er  es 
für  wahrscheinlich  halte,  dass  hier  ein  analoger  Fall  vorliegt. 
Doch  bleibe  für  ihn  die  Thatsache  bestehen,  dass  die  regenerirte 
Scheitelzelle  durch  eine  Längswand  getheilt  ist,  der  sich  beider- 
seits Querwände  anfügen:  ein  Vorgang,  der  offenbar  unter 
den  Begriff  der  Dichotomie  fällt.  Wenn  Herr  Dr.  Magnus 
das  vorliegende  Präparat,  dem  er  ja  selbst  nur  eine  sehr  be- 
schränkte Bedeutung  für  Entscheidung  der  Frage  nach  der  Ver- 
zweigung von  Cladostephus  beigemessen  hatte  (cf.  Bot.  Ztg.  1872, 
pag.  274),  für  nicht  beweisend  halte,  so  würde  es  sich  em- 
pfehlen, neue  Untersuchungen  an  geeignetem  Material  und  in 
möglichst  grosser  Zahl  anzustellen.  Falls  dieselben  zu  einem 
abweichenden  Ergebnisse  führen,  sei  er  selbstverständlich  gern 
bereit,  seine  bisherige  Ansicht  gegen  eine  besser  begründete 
zu  vertauschen. 

Herr  Braun  sprach  sich  über  das  Präparat,  das  er  genau 
besichtigt  hatte,  dahin  aus,  dass  es  als  abnormer  Fall  für  die 
Beurtheiluhg  der  normalen  Verzweigung  von  Cladostephus  von 
keiner  Bedeutung  sei;  an  und  für  sich  könne  jedoch  der  Fall 
allerdings  in  gewissem  Sinne  als  Dichotomie  betrachtet  werden, 
selbst  wenn  die  beiden  durch  Regeneration  gebildeten  Spitzen 
aus  zwei  schon  vorher  gebildeten  secundären  Cylinderzellen  her- 
vorgehen, wie  Herr  Dr.  Magnus  annimmt;  denn  schon  die 
Theilung  der  primären  Gliederzelle  durch  eine  senkrechte  Wand 
in  zwei  gleichwertige  secundäre  sei  eine  dichotome.  Das  Eigen- 
tümliche sei  hier  nur,  dass  die  Dichotomie  von  der  Theilung 
einer  Gliederzelle   und  nicht   von  der   der  Scheitelzelle  ausgehe. 

Mit  Bezug  auf  den  letzten  Wunsch  des  Herrn  Dr.  Kny  wies 
Herr  Magnus  auf  seine  letzten  Ausführungen  hin,  und  erklärte 
er  seine  Deutung  des  Präparates  für  die  einzig  mögliche. 

10* 


100  Gesellschaft  naturforschender  Freunde. 

Herr  von  Martens  zeigte  einige  Zeichnungen  von 
Fischen  und  Insekten  vor,  welche  der  Reisende  G.  Schwein- 
furth  während  seines  Aufenthaltes  in  Central- Afrika  an  den 
Flüssen  Djur  und  Tondj  entworfen  hat  und  die  durch  sorgfältige 
Beifügung  der  dort  üblichen  Namen  noch  besondern  Werth  er- 
halten. Die  Gattungen  und  auch  die  Arten,  soweit  es  möglich 
war,  dieselben  mit  Bestimmtheit  zu  erkennen,  stimmen  mit  den- 
jenigen überein,  welche  Dr.  Günther  nach  Petherick's  Samm- 
lungen am  weissen  Nil  beschrieben  hat;  wo  sich  kleine  Ab- 
weichungen in  Körperform  oder  Schuppenzahl  finden,  lässt  es 
der  Vortragende  unentschieden,  ob  etwa  näcbstverwandte 
Arten  der  Zeichnung  zu  Grunde  liegen,  die  aber  erst  durch 
Untersuchung  der  Originalien  festgestellt  werden  könnten.  Unter 
19  Fischzeichnungen  finden  sich  G  aus  der  Familie  der  Chara- 
cinen,  3  Silur oiden,  2  Labyrinthfische,  2  Chromiden,  2  Ganoiden 
und  je  1  Percoid,  Cyprinoid,  Mormyrus  und  Osteoglosside.  Von 
besonderem  Interesse  sind  zwei  Zeichnungen  eines-  Polypterus, 
gorru  oder  gurr  von  den  Bongo,  ding  von  den  Dinka  genannt, 
die  eine  nach  einem  0,33  Meter  langen  Exemplar  mit  15  freien 
Flossenstrahlen,  die  zweite  nach  einem  kleineren  von  0,21  Meter 
Länge  mit  18  freien  Flossenstrahlen;  beide  vielleicht  der- 
selben Art,  P.  bichir  Geoff.,  angehörig,  da  die  Anzahl  der  freien 
Flossenstrahlen  nach  Günther's  Untersuchungen  ziemlich  va- 
riabel ist;  doch  ist  bemerkenswert!],  dass  gerade  das  kleinere 
mehr  freie  Strahlen  zeigt,  da  sonst  durchschnittlich  bei  grösseren 
Exemplaren  auch  eine  grössere  Anzahl  derselben  vorkommt. 
Ferner  unterscheidet  sich  die  kleinere  Zeichnung  noch  durch 
lebhaftere  Färbung,  kleine  bräunliche  Flecken  am  Kiemeudeckel 
und  ein  etwas  dunkler  graues  Seilenband,  ferner  durch  einen  lan- 
gen fadenförmigen  Anhang  des  Kiemendeckels;,  da  Fr.  Stein- 
dachner  an  jüngeren  Exemplaren  derselben  Gattung  eine  äussere 
Kieme  beobachtet  hat,  die  bei  älteren  schwindet  (Monatsberichte 
d.  K.  Akademie  der  Wissenschaften  in  Wien,  1870,  Tat.  2), 
so  dürfen  wir  in  diesem  fadenförmigen  Anhang,  der  allerdings 
hier  43  Millimeter  oder  £  der  Totallänge  des  Fisches  einnimmt, 
dasselbe  Organ  vermuthen,  dessen  Seitenzweige  bereits  ge- 
schwunden sein  würden.  Von  Interesse  ist  ferner  Ophictphalus 
0b8CurU8   Qihr.,   mongo  der   Njam-Njani.     als    der   einzige   Reprä- 


Sitzung  vom  11.  December.  101 

sentant  einer  sonst  ostindischen  Gattung.  Unter  den  Siluroiden 
finden  wir  die  Gattungen  Ciarias,  gigongo  der  Bongo,  und  Schübe, 
benge  am  Tondj-Fluss  genannt;  eine  weitere  Zeichnung,  kilnoki 
oder  mongoki,  gleicht  einem  Bagrus,  zeigt  aber  grössere  Flecken  am 
ganzen  Körper  und  eine  ungetheilte  Schwanzflosse,  leider  lässt 
sich  dieselbe  in  Ermangelang  einer  Notiz  über  die  Zähne  nicht 
systematisch  bestimmen.  Unter  den  Characinen  finden  sich  Hy- 
drocyon  Forskalii ,  kjätt  der  Djur,  ngaia  bei  dem  Njam-Njam 
und  källo  bei  den  Bongo,  Distichodus  (rostratus?) ,  hilu  der 
Bongo,  kjahr  am  Djur,  eh-uai  oder  ejung  der  Dinka  und  Ich- 
thyborus  microlepis,  racha  der  Bongo.  Von  Heterotis  Nilotica 
Cuv.,  oluk  der  Schilluk,  oluak  der  Djur,  lehk  der  Dinka,  goggoh 
der  Bongo,  lag  dem  Zeichner  ein  Exemplar  von  0,269  Meter 
Länge  vor.  Mormyrus,  wahrscheinlich  cyprinoides  L.,  heisst  am 
Tondj-Fluss  mollu  oder  möll.  Ctenopoma  Tetherici  an  demselben 
Fluss  bei  den  Djur  gang,  bei  den  Bongo  ndir,  Chromis  (nilotica?) 
bei  den  Bongo  uarr ,  bei  den  Djur  atuba,  Lates  Niloticus  bei 
den  Bongo  gobo,  Barbus  ebenfalls  am  Tondj-Fluss  marengo. 
Unter  den  Insecten  befindet  sich  eine  grasgrüne  Heuschrecke 
der  Gattung  Pseudophyllus ,  ähnlich  dem  javanischen  Ps.  nerii- 
folius,  tuongo  der  Djur,  mahelleloh  der  Bongo  und  eine  Wespe 
mit  prachtvoll  schwarzblau-violett  schimmernden  Flügeln,  Eume- 
nes  tinctor  Christ  (Guineensis  Fabr.)  nach  Dr.  Gerstäckers 
Bestimmung,  letztere  durch  ganz  Afrika  verbreitet;  nach 
Dr.  Schweinfurth's  Angabe  ist  sie  das  ganze  Jahr  hindurch 
im  Lande  der  Djur  und  Bongo  in  allen  Häusern  zu  finden,  wo 
sie  in  Gesellschaften  von  6 — 10  Individuen  ihre  Waben  anlegt 
und  durch  ihre  Stiche  lästig  wird,  welche  heftiger  als  die  unserer 
Biene  schmerzen. 

Derselbe  sprach  ferner  über  das  Vorkommen  einer 
Flussmuschel,  Unio  sinuatus  Lam.;  einzeln  abgeriebene 
Schalen  derselben  wurden  wiederholt  im  mittleren  Rheingebiet 
mit  römischen  Alterthümern  gefunden,  so  bei  Ladenburg  unweit 
Mannheim,  woher  der  Vortragende  einige  Exemplare  durch  die 
Güte  der  Direktion  des  Museums  der  vaterländischen  Alterthümer 
in  Carlsruhe  der  Versammlung  vorlegt,  und  nach  einer  brieflichen 
Mittheilung  von  Prof.  Fridolin  Sandberger  in  Küchenabfällen 
des  Römerkastells  in  Mainz  zusammen  mit  Schalen  der  gemeinen 


102  Gesellschaft  naturforschender  Freunde. 

Auster  und  des  Cardium  aculeatum;  auch  mit  Ueberresten  aus 
der  Steinzeit  sollen  verarbeitete  Muscheln  dieser  Art  nach  eben- 
demselben am  Rheine  vorgekommen  sein.  Gegenwärtig  lebt 
diese  Muschel  nicht  im  Rhein  oder  im  Neckar,  Main  u.  s.  w. ; 
obwohl  von  französischen  Schriftstellern  „la  mulette  du  Rhin " 
genannt  und  als  „in  allen  Flüssen  Frankreichs,  dem  Rhein,  der 
Loire  u.  s.  w.  lebend"  geschildert,  fehlt  sie  doch  in  allen  Lokal- 
faunenlisten der  Mollusken  der  Rheinländer,  deren  wir  ziemlich 
viele  aus  der  Schweiz,  Baden,  dem  Elsass,  Nassau,  Rheinpreussen 
und  Holland  besitzen.  Die  nächsten  speziell  angegebenen  Fund- 
orte sind  die  Saöne  bei  Auxonne  und  Pontailler,  wo  sie  nach 
Drouet's  Molluskenverzeichniss  von  1867  sehr  häufig  (tres- 
commun)  ist  und  eine  nicht  unbedeutende  Anzahl  von  Perlen  ge- 
liefert hat,  die  Aube  nach  Ray  und  Drouet  1851,  die  Oise  bei 
Creil  unterhalb  Compiegne  (bis  jetzt  nur  todte  Stücke)  und  die 
Vesle,  ein  Nebenfluss  der  Aisne,  nach  Baudon  1862,  ferner  die 
Lomme,  ein  Nebenfluss  der  Maas  in  der  belgischen  Provinz 
Luxemburg,  nach  Colbeau  1865.  Im  Südwesten  Frankreichs  ist  sie 
häufig.  Einige  dieser  Autoren  berichten  ausdrücklich,  dass  diese 
Muschel  schwer  zu  finden  sei  oder  nur  an  tieferen  Stellen  vor- 
komme, und  Picard  bemerkt  in  Betreff  der  Somme  bei  Abbe- 
ville,  woher  das  v  n  Rossmässler  im  zweiten  Heft  seiner  Ikono- 
graphie abgebildete  Exemplar  stammt,  dass  sie  daselbst  nur  in 
den  Jahren  1833  und  1834,  nicht  früher  und  nicht  später,  ge- 
funden wurde,  aber  damals  in  Menge  bei  Gelegenheit  der  Rei- 
nigung (curage)  des  Flussbettes.  Wenn  demnach  auch  das  Auf- 
finden noch  lebender  Stücke  im  Rhein  nicht  ganz  unmöglich  er- 
scheint, so  bleibt  doch  andererseits  auch  die  Möglichkeit,  dass 
nur  die  Schalen  von  den  Römern  oder  vielleicht  von  gallischen 
Soldaten  in  römischem  Dienst  als  Gefäss,  Schmuck  oder  Amulet 
nach  dem  Rhein  gebracht  worden.  Gerade  ihr  Zusammenvor- 
kommen  mit  Meermuscheln  bei  Mainz  muss  Bedenken  erregen, 
ob  sie  dort  gelebt  habe,  und  auch  von  den  Austern  und  Herz- 
muscheln erscheint  es  fraglich,  ob  sie  mit  den  damaligen  Com- 
inunicationsmitteln  frisch  von  der  Nordsee,  Canal  oder  Mittel- 
meer {Cardium  aculeatum  fehlt  in  der  Nordsee)  nach  Mainz  ge- 
brachl  werden,  also  zum  Essen  dienen  konnten.  Selbst  die  Funde 
derselben    Muschel   in   Gräbern   und   mit  Topfscherben   aus  der 


Sitzung  vom  17.  December.  103 

Steinzeit  fordern  noch  nicht  unabweislich  ihr  früheres  Vorkom- 
men im  Rhein,  da  einerseits  bekanntlich  das  Vorkommen  von 
Steingeräth  keine  feste  Grenze  nach  den  späteren  Zeiten  hin, 
mindestens  bis  in  die  fränkische  Zeit  hat,  und  andererseits  schon 
in  frühen  Zeiten  gerade  Conchylien  durch  Tausch  oder  Handel  in 
weit  entlegene  Gegenden  gekommen  sind,  so  Conchylien  des  adria- 
tischen  Meeres  in  Pfahlbauten  bei  Olmütz,  Tritonium  nodiferum 
aus  dem  Mittelmeer  in  solche  am  Bodensee,  wie  ein  Exemplar 
in  der  Alterthümer-Sammlung  zu  Stuttgart  zeigt,  Cypraea  pan- 
therina  aus  dem  rothen  Meer  in  allemannische  Reihengräber 
Württembergs  (ebenda),  und  Cypraea  annulus  aus  dem  indischen 
Ocean  an  pomerellische  Gesichtsurnen.  Prof.  Sandberger 
versichert  ausdrücklich,  dass  unser  Unio  sinuatus  in  allen  von 
ihm  untersuchten  Diluvial -Ablagerungen  am  Rhein  gänzlich 
fehle,  und  so  ist  denn  das  natürliche  Vorkommen  dieser  Muschel- 
art im  Rhein  bis  auf  etwaige  weitere  Funde  für  die  Gegenwart 
bestimmt  zu  verneinen,  für  die  vorhistorische  Zeit  wenigstens 
erst  noch  zu  erweisen.  Auch  in  Oberitalien  wurde  diese  Art, 
wenn  die  Bestimmung  richtig,  an  einer  vorhistorischen  Wohn- 
stätte, der  terramara  von  Montale,  gefunden,  wo  sie  lebend  nicht 
vorkommt.  Der  Vortragende  knüpft  hieran  einige  Bemerkungen 
über  die  im  Aeussern  dem  Unio  sinuatus  so  ähnliche  ächte  Fluss- 
perlenmuschel,  Margaritana  margaritifera,  und  zeigt  Exemplare 
derselben  sowie  Perlen  daraus  vor,  welche  der  Ingenieur  A übel 
in  der  Wirna,  einem  Nebenfluss  der  Dwina  im  nördlichsten 
Russland,  gesammelt  hat. 

Endlich  zeigt  derselbe  noch  einige  künstlich  gezeich- 
nete Landschnecken  aus  einer  von  Dr.  A.  B.  Meyer  auf  den 
Philippinen  zusammengebrachten  Sammlung  vor:  dieselben  gehören 
zur  Gattung  Cochlostyla  und  zeigen  auf  dunkelrothbraunem 
Grunde  bald  zwei,  bald  drei  Reihen  ziemlich  grosser  runder 
weisser  Flecken;  wo  drei  vorhanden,  entspricht  keine  der  beiden 
oberen  richtig  der  einzigen  obern  der  zweireihigen  Stücke.  Schon 
dieser  Umstand  und  dass  eine  derartige  Zeichnung  noch  von 
keiner  Art  dieser  Gattung  bekannt  ist,  musste  Verdacht  erregen; 
die  Flecken  fehlen  aber  auch  auf  der  Mündungswand,  auf  welche 
bei  normaler  Zeichnung  die  unterhalb  der  Peripherie  befindliche 
Reihe  sich  fortsetzen  müsste,    und    sie   nehmen   auf  den  oberen 


10  1  Gesellschaft  naturf'urschender  Freunde. 

Windungen  nicht  im  richtigen  Verhältniss  der  Umgänge  9elbst 
ab;  endlich  ist  die  Schale  an  den  Flecken  selbst  zerbrechlicher 
als  sonst.  All'  dieses  verräth,  dass  die  Flecken  nicht  natürlich, 
sondern  einem  künstlichen  Eingriff  zuzuschreiben  sind.  Die 
Form  derselben  liess  Prof.  Beyrich  an  die  Einwirkung  einer 
Flamme  denken,  und  ein  Versuch  zeigte  denn  auch  dem  Vor- 
tragenden ,  dass  schon  die  Spitze  einer  gewöhnlichen  Kerzen- 
flamme das  Rothbraun  der  Schnecke  beinahe  zu  Weiss  erbleichen 
lässt.  In  derselben  Sammlung  fand  sich  nun  auch  die  ent- 
sprechende Schnecke  ohne  die  erwähnten  Flecke,  es  ist  Coch- 
lostyla  monozona  Reeve  (Conchologia  iconica  Bulimus  fig.  195) 
aber  auch  so,  wie  Reeve  sie  abbildet,  dunkelrothbraun  mit 
weissem  Band,  ist  sie  nur  in  abgeriebenem  Zustand;  ganz  un- 
versehrt zeigt  sie,  wie  so  viele  andere  Arten  dieser  Gattung, 
wenig  scharfe  schiefe  hellere  Striemen  und  das  Band  tritt  sehr 
wenig  hervor;  ein  solches  Exemplar,  auch  in  derselben  Samm- 
lnng  vorhanden,  zeigt  die  nahe  Zusammengehörigkeit  dieser  Art 
mit  C.  juglans  P/r.  und   C.  mus  Brod. 

Nachschrift:  Dem  Vortragenden  ist  seitdem  auch  noch 
ein  Exemplar  einer  anderen  Cochlostyla,  C.  Roissyana  Fer.,  zur 
Ansicht  zugekommen,  welchem  offenbar  in  gleicher  Weise  breite 
schiefe  blassgelbe  Streifen  beigebracht  worden  sind,  und  es  scheint 
ihm  sehr  wahrscheinlich,  dass  auch  die  absonderlich  gefleckten 
Stücke,  welche  Regenfuss  Taf.  12  Fig.  66  und  Martini 
Band  II.  Fig.  615  und  616  abbildet  und  letzterer  „um  ihrer  Schön- 
heit, Regelmässigkeit  und  Seltenheit  willen  unter  die  Rangstücke 
einer  Sammlung"  rechnet,  Conus  Sinensis  und  ocellatus  von  Gme- 
lin  benannt,  in  ähnlicher  Weise  verkünstelte  Meerconchylien 
seien. 

Herr  Ascherson  zeigte  eine  abyssinische  Composite,  Cotula 
dichrocephala  C.  H.  Schultz  Bip.,  vor,  welche  im  October  d.  J. 
von  dem  Gymnasiasten  F.  Bachmann  aus  Breslau  bei  Guben 
in  einem  Exemplare  gefunden  worden  ist. 

Der  Fundort  dieser  auf  den  ersten  Blick  sehr  überraschen- 
den verirrten  Pflanze,  auf  welche  die  W  atson'sche  Bezeichnung 
„Casual"  in  vollem  Masse  zu  passen  scheint,  war  das  der  Ueber- 
schwemmung  ausgesetzte  rechte  Ufer  der  Neisse  unterhalb  Gu- 
ben,  in  Gesellschaft  von  Corrigiola  UtoraUs  und  Ldmoseüa  aquaüca 


Sitzung  vom  11.  December.  105 

Da  diese  Cotula  seit  dreissig  Jahren  in  botanischen  Gär- 
ten cultivirt  wird,  so  ist  zu  vermuthen,  dass  sie  zufällig  mit  an- 
deren Gartenpflanzen  in  der  Gubener  Gegend  (oder  vielleicht 
auch  an  weiter  oberhalb  an  der  Neisse  gelegenen  Orte,  z.  B.  nach 
Muskau  oder  Görlitz)  verschleppt  wurde. 

Cotula  dichrocephala  Sz.  Bip.  würde  nach  der  von  Professor 
C.  Koch  in  der  botanischen  Zeitung  von  v.  Mohl  und  v. 
Schlechtendal  1843  Sp.  37  veröffentlichten  Revision  der  Cotuleae 
zur  Gattung  Strongylosperma  Less. ,  welcher  derselbe  erweitert 
unter  dem  neuen  Namen  Pleiogyne  aufführt,  gehören;  der  von 
Schultz  gewählte  Name  bezieht  sich  auf  den  Farbencontrast  der 
für  diese  Gruppe  charakteristischen  mehrreihigen  weiblichen 
Randblüthen,  die  bei  dieser  Art,  wie  bei  der  nahe  verwandten 
C.  anthemoides  aus  Aegypten  eine  verkümmerte  Corolle  haben, 
mit  den  entwickelten  Corollen  der  zwittrigen  Scheibenblüthen. 
Wenn  man  indessen  die  Gattung  Artemisia  im  De  Candolle' 
sehen  Umfang,  sowie  Chrysanthemum  in  der  Umgrenzung,  wie  Vor- 
tragender in  seiner  Flora  von  Brandenburg  gethan,  aufrecht  erhält, 
so  kann  diese  Gruppe  ebenfalls  bei  der  Gattung  Cotula  verbleiben. 

C.  dichrocephala  wurde  in  den  Schim  per 'sehen  Samm- 
lungen ausser  No.  1325  *),  wo  sie  unter  diesem  Namen  erscheint 
noch  unter  No.  137  (Berliner  Kgl.  Herbarium)  und  No.  1875 
(Herb.  A.  Braun)  mit  C.abyssinica  Sz.  Bip.  vermischt  unter  deren 
Namen  ausgegeben. 

Gleichzeitig  mit  dieser  abyssinischen  Pflanze,  und  in  gerin- 
ger Entfernung  von  ihrem  Fundorte,  doch  auf  etwas  abweichen- 
dem Terrain,  einer  grasigen  Trift  am  Fusse  der  Weinberge, 
beobachtete  Herr  Bachmann  Artemisia  austriaca  Jacq.  in  einiger 
Anzahl.  Auch  diese  Pflanze,  welche  in  Nord-  und  Mitteldeutsch- 
land bereits  mehrere  Mal  (bei  Erfurt,  Magdeburg,  Berlin)  ver- 
schleppt beobachtet  wurde,  kann  bei  Guben  nicht  als  ein- 
heimisch betrachtet  werden;  indess  dürfte  sich  ihre  Herkunft 
schwerlich  auf  dieselbe  Ursache  wie  die  der  Cotula  dichrocephala 
zurückführen  lassen. 


1 )  Aus  der  Standortsangabe  „in  agris  Poa  abyssinica  consitis  pr.  Adoam" 
hat  Walpers  (Ann.  bot.  syst.)  IV-  895  gemacht:  „In  Abyssinia  prope  Poa"! 


106  Gesellschaft  naturforschender  Freunde. 

Als  Geschenke  wurden   mit  Dank  entgegengenommen: 
Abhandlungen    der     Schlesischen     Gesellschaft   für    vaterländisch 

Kultur,    1869  —  1872   und  49.  Jahresbericht. 
Monatsbericht    der    Berliner   Akademie    der    Wissenschaften,     Au- 
gust 1872. 


Berichtigung.      Auf    Seite  77   Zeile  10   von    unten    lies:    Ein- 
chluss  statt  Einfl  uss. 


I     Schade)  In  Berlin,  Stallschreiberstrasse 


3  2044   106 259  773 


Date  Due 


-iEEZZrjs^