HARVARD UNIVERSITY
LIBRARY
OF THE
MUSEUM OF COMPARATIVE ZOÖLOGY
GIFT OF
V_JWcOa^. Ort- W K WO-CiSUW
SITZUNGS-BERICHTE
DER
GESELLSCHAFT
NATURFORSCHENDER FREUNDE
ZU
BERLIN
IM JAHRE 1872.
BERLIN
FERD. DÜMMLERS VERLAGSBUCHHANDLUNG
HARRWITZ UND GOS8MANN
1872.
Inhalts - Verzeichniss
ans dem Jahre 1872.
Ascherson. Ueber geographische Verbreitung einiger afrikanischen
Pflanzen, p. 37. — Ueber den Formenwechsel der Blätter von Populus
euphratica (Garab der Bibel), p. 92. — Ueber Cotula dichrocephala aus
Abyssinien, bei Guben von F. Bach mann gefunden, p. 104.
Braun. Legt eine Frucht von ühcaria procumbens Burchell (Pedaliaceae)
und einen Steinkern einer fossilen Carya von Blankenburg (?) vor,
p. 15. — Legt Zapfen der californischen Pinus conforta und zwei kürz-
lich erschienene Abhandlungen über Blattstellungs Verhältnisse von Chaun-
cey Wright und Alex. Dickson vor, p. 45. — Ueber pelorische
Gipfelblüthen von Digitalis purpurea, p. 55. — Ueber eine bisher nicht
erwähnte vegetabilische Fliegenfalle Desmodium (Pteroloma) triquetrum,
p. 58. — Ueber Zwangsdrehung des Stengels (Spiralismus Morren,
Strophomonia Schimper), besonders bei Valeriana- Arten, p. 63. —
Legt eine monströs entwickelte, einer menschlichen Hand gleichende
Runkelrübe vor, p. 76. — Ueber eine monoecische Form des Hanfs,
p. 93. — Ueber Dr. Kny's Cladostephus - Präparat, p. 99.
Dönitz. Ueber Gebiss- Abnormitäten bei Cervics Axis und Canis meso-
melas; über Entwicklung der Zoospermien bei Schwimmpolypen, p. 54.
— Ueber die geographische Verbreitung der Zibethhyäne, Proteles La-
landei, p. 63. —
Ehrenberg Legt neun grosse Photographien mikroskopischer (histolo-
gischer) Objecte, im Militär-Medicinal-Departement in Washington unter
Leitung des Lieutenant -Colonel, Assistent Surgeon Wo od ward an-
■ gefertigt vor; stellt den seit Sept. 1859 beobachteten Proteus anguinus
und den seit 1860 in der Gefangenschaft gehaltenen, 1865 von der
Saprolegnia- Krankheit befallenen aber geheilten Triton lacustris lebend
vor p. 17. — Proben seltener Sehkraft in klein geschriebenen Predigten der
Pastoren Petersen in Lübeck und B a umgarte n-Crusius in Meise-
iv Inhalts - Verzeichnis«
bürg und feinen Insecten- Gemälden des Buchhändlers Schüppel in
Berlin, p. 25. — Ueber Meeresgrundproben vom Cap Hörn, von dem
Schiffe Friedrich, Capt. Niejahr mitgebracht, p. 42. — Ueber die Mög-
lichkeit des Entstehens und Andauerns 1000 Fuss hoher Bacillarien- Wände;
über die Aehnlichkeit in den Landesverhältnissen und der Vegetation
des westlichen Nordamerika's und Nordafrika's, durch Natrongehalt des
Bodens und der Gewässer bedingt, p. 48. — Mittheilungen von Dr.
Haast über Skeletbruchstücke eines ausgestorbenen grossen Raubvogels,
Harpagomis Mborei und über Dinornis - Knochen mit anklebenden Fe-
dern ; legt eine Schrift von Paolo Panceri in Neapel über die Leucht-
organe von Pyrosoma, Pholas und Phyllirrhoe bucephala und seinen
akademischen Vortrag über den Einsehluss organischen Lebens auf dem
Meeresgrunde aller Zonen vor, p. 77.
Gerstäcker. Üeber androgyne (gewöhnlich „hermaphroditische" ge-
nannte) Bildungen bei Insecten, p. 33. — Ueber seine Bearbeitung der
auf der v. d. Decken'schcn Expedition gesammelten Gliederthiere
Ostafrika's und deren Ergebnisse für die Thiergeographie von Afrika
p. 35. — Ueber eine vielkammerige an der Wurzel einer jungen Eiche
durch Cynips radieis erzeugte Galle, p. 43. — Ueber Brutstätten verschie-
dener Bienen-Gattungen, p. 44.
Göppert. Ueber morphologische Verhältnisse der Bäume: Ueberwallung
abgehauener Tannenstöcke; Vernarbungsgewebe bei Verwachsungen von
Wurzeln , Stämmen und Aesten derselben oder verschiedener Arten
(namentlich beim Veredlungsverfahren); innere Zustände unserer Bäume
nach äusseren Verletzungen, p. 39.
Haast. S. Ehrenberg, p. 77.
Hart mann. Legt Abbildungen der Köpfe vom Chimpanse und Gorilla
und G. Ramann's „Schmetterlinge Deutschlands und der angrenzen-
den Länder" vor, p. 47.
Kirch enp au er. S. v. Martens, p. 20.
Kny. Ueber ächte und falsche Dichotomie im Pflanzenreiche. Fortsetzung:
Verzweigungstypen und Dichotomie bei höheren, Zellkörper darstellenden
Algen, p. 1. — Replik auf Dr. Magnus Erwiderung, p. 14. — Ueber
einige auf Helgoland beobachtete parasitische Algen, p. 71); legt ein Prä-
parat der Verzweigung von Cladostephus spongiorus vor, p. 84. — ■ Replik
auf Dr. Magnus' Bemerkungen zu diesem Vortrage, p. 85. — Erwide-
rung auf Dr. Magnus' Bemerkungen über sein Cladostephus- Präparat,
1.. 99.
tdagnus. Erwiderung auf Dr. Kny 's Vortrag über Dichotomie and Mit-
theilungen über Wachsthum und Verzweigung von .lania, Corallina und
Fucus, p. II. Ueber als Haftorgane dienende Randsprösachen der
Uelesseria sinuosa und über Adventiv-SprosBbildung bei Delesseriea.
aus dem Jahre 1872. v
p. 28. — Ueber Schlauchgefässe im Stamme von Cymodocea nodosa
isoetifolia und manatorum und Schlauchzellen in der Blatt- Epidermis
dieser und anderer Cymodocea- Arten, p. 30. — Ueber den Blüthenstand
von Cymodocea manatorum, p. 32. — Ueber Zweigbildung der Sphacel-
larieen, p. 72. — Bemerkungen zu Dr. Kny 's Vortrag über parasitische
Algen und über dessen Cladortephus - Präparat, p. 84. — Legt eine
Sammlung von Kartoffelknollen vor, die Dr. Neubert in Stuttgart durch
gegenseitiges Pfropfen der Stecklinge erhalten hatte, p. 86. — Ueber
Mittheilung der Panachure bei Ähutilon- Arten, p. 87. — Ueber Chytri-
dium tumefaciens n. sp. in den Wurzelhaaren von Ceramium flabelligerum
und acanthonotum und andere in Meeresalgcn lebende , für Organe der-
selben gehaltene Chytridien, p. 87. — Ueber von Dr. M. Heimann
erhaltene Pfropfhybriden der Kartoffel, p. 97. — Ueber Dr. Kny 's
Cladostephus-Prapavat , Sprossbildungen aus Wandflächen und die nor-
male Verzweigung der Hauptaxen von Cladostephus , p. 98. — Replik
auf Dr. Kny 's Erwiderung hierauf, p. 99.
v. Martens. Ueber den Nestbau der Fische, p. 18. — Legt eine Arbeit des
Bürgermeisters Dr. Kirchenpauer in Hamburg über die Hydroidpoly-
pengattung Plumularia und eine handschriftliche Notiz desselben über eine
neue Familie Salaciidae, zu derselben Gruppe gehörig, vor, p. 20. —
Ueber die gegenwärtige Kenntniss der Land- und Süsswasser-Mollusken
von Mittelasien und Mittelafrika, mit Bezug auf die Sammlungen von
Fedtschenko und Schweinfurth, p. 61. — Ueber von Dr
Schweinfurth in Central-Afrika entworfene Zeichnungen von Fischen
und Insecten, p. 100. — Ueber das Vorkommen des Unio sinuatus mit
römischen Alterthümern im mittleren Rheingebiet, p. 101. — Ueber
künstlich gezeichnete Schnecken, von den Philippinen von Dr. A. B.
Meyer mitgebracht, p. 103.
Müller, Otto. Ueber den Bau der Zellwand bei der Bacillarien-Gattung
Epithemia Kütz., p. 69.
Neumayer. Macht auf die Reise um die Erde eines soeben abgesandten
kaiserl. Geschwaders aufmerksam, p. 76.
Peters. Ueber Tctrodon punclatus Bloch-Schneider, p. 47. — Legt einen
von der deutschen Nordpolexpedition mitgebrachten Schädel von Lepus
glacialis vor, p. 59. — Legt den Schädel eines weiblichen Orang-Utang
aus Borneo mit 6 statt 5 Backzähnen im Oberkiefer beiderseits und im
Unterkiefer rechts vor, p. 76.
Reichert. Legt Photographie und biographische Skizze der 19jährigen
Negerin Millie-Christine aus Nord-Carolina vor, welche eine unvoll-,
ständige Zwillingsbildung (doppelter Oberkörper, von der Lende und
Mittelbauchgegend an einfach, vier Beine, von denen aber nur die zwei
äusseren zum Gehen benutzt werden) darstellt, p. 21. — Ueber die Zeit
\i Inhalts -Verzeichnis* aus dem Jahre 1872.
der Geschlechtsdifferenzirung und Dr. Joseph'a Angabe einer solchen
bei den unbefruchteten Eiern der Insekten, p. 23.
Kose, G. Lei:t Proben von Gebirgsgesteinen, welche von Blitzschlägen
getroffen waren, vom Gipfel des kleinen Ararat (Abich) und des Ne-
vado de Toluca (A. v. Humboldt) vor, p. 95. — Legt Photographien
der Diamantengräbereien im Caplande und der grössten daselbst gefun-
denen Diamanten vor, p. 97.
Schultz. Legt Eier von Argonauta Argo vor, p. 38.
Schw einfurth. Ueber das Vorkommen des Malagnetta- Pfeffers (Xylo-
pia aetfiiopica A. Rieh.) im Niamniamlande , p. 94; s. v. Martens,
p. 100.
Splittgerber. Ueber den diesjährigen Ausbruch des Vesuv, p. 51.
Urban. Ueber Entwicklungsgeschichte der Medicago-Blüthe und das
Vorkommen von Calcium-Uxalatkrystallcn in den Bracteen von Medi-
cago, Trigonella und Pocoekia, p. 90.
Eingegangene Schriften, p. 15, 24, 38, 46, 50, 59, 78, 96, 106.
Berichtigung, p. 100.
Sitzuii£>s-Bericlit
der
Gesellschaft naturforschender Freunde
zu Berlin
am 16t Januar 1872.
Director: Herr Geheimer Medicinalrath Gurlt.
Herr Kny setzte seinen in der letzten Sitzung unterbroche-
nen Vortrag über ächte und falsche Dichotomie im
Pflanzenreiche fort und legte die Resultate einer Reihe von
Untersuchungen vor, die sich auf das Wachsthum und die Ver-
zweigung von Zellkörpern beziehen. Im einzelnen besprach
er für diesmal nur die vegetative Entwickelung einiger
höherer Algen und erläuterte dieselbe durch zahlreiche Zeich-
nungen und Exemplare. Die betreffenden Untersuchungen wur-
den zum Theil schon bei einem früheren Aufenthalte in Palermo
und vor einigen Monaten an der englischen Küste, zum Theil
aber erst in jüngster Zeit an im Weingeist aufbewahrtem und
getrocknetem Material angestellt.
Als Einleitung gab Vortragender eine kurze Uebersicht der
verschiedenen Formen, unter denen das Wachsthum von Zell-
körpern erfolgen kann. Auf Grund der gegenwärtig vorliegen-
den Beobachtungen unterscheidet er fünf Haupttypen.
1) Der erste Typus ist der intercalare. Hier finden die
Theilungen in allen Zellen in gleichem Sinne statt. Keine Zelle
ist durch ihre Stellung von den anderen nothwendig bevorzugt.
Diese Form des Wachsthums findet sich, soweit Vortragendem
bekannt, bei keinem festgeschlossenen Zellkörper mit bestimmt
ausgesprochener Längsrichtung (Bangia fusco-purpurea zeigt in
[1872.] 1
2 Gesellschaft naturforschender Freunde.
der Jugend wenigstens deutlich Scheitelwachsthum), sondern
nur bei Colonieen, deren Zellen in sehr lockerem Verbände
stehen. Bekannte Beispiele sind Sarcina ventriculi und Pleura-
coccus vulgaris Menegh.
2) Der zweite Typus ist der der Scheitelzelle. Dae
Organ ist am oberen Ende seiner Hauptachse von einer Zelle
abgeschlossen, die sich durch Abtrennung von Segmenten fort-
gesetzt verjüngt und zu welcher sich der Ursprung aller Gewebe-
zellen in Beziehung bringen läfst. Der Theilungsmodus dieser
Scheitelzelle kann selbst wieder ein verschiedener sein.
A.' Die Scheitelzelle gliedert sich unterhalb ihrer fortwach-
senden Spitze wiederholt durch Querwände und erst in den
Gliederzellen wird durch Längstheilungen der Grund zur Bil-
dung eines Zellkörpers gelegt. Hierher gehören unter den grü-
nen Algen Enteromorpha, unter den braunen die Spacelarieen,
unter den rothen Polysiphonia, Dasya, Chondriopsis etc. Hierher
liefse sich ebenfalls ein Theil derjenigen Arten rechnen , die
Vortragender bereits unter den Zellflächeu abgehandelt hat und
deren gegliederte Fläche entweder über ihre gesammte Breite
(wie bei Dictijota dichotoma (Huds.) und Gelidium corneum (Huds.)
oder in einem achsilen Längsstreifen (wie bei Delesseria) durch
nachträgliches Auftreten von Wänden, die nicht senkrecht auf
der Ebene des Laubes stehen, mehrschichtig wird.
B. Die Scheitelzelle theilt sich durch alter nirend nach
zwei entgegengesetzten Seiten gewendete, einander stufen-
weise aufgesetzte , auf einer gemeinsamen Ebene senkrechte
Wände, und erst die von ihr abgetrennten Randzellen legen
durch Auftreten von Wänden, welche nicht senkrecht auf dieser
Ebene stehen, den Grund zur Bildung eines Zellkörpers. Diese
Art des Wachsthums ist unter den Laubmoosen am Stämmchen
von Fissidens, unter den Leitbündel- Cryptogamen bei mehreren
Farrnkräutern (Polypadium, Niphobolus, Nephrolepis etc.). so-
wie bei Selaginella und bei Salvhiia beobachtet. Es liefsen
sich hier ebenfalls einige bei den Zellflächen bereits besprochene
Pflanzen unterbringen , deren Zellfläche sich später ihrer ge-
sammten Breite nach (ßhodophyllis, Aneura) oder nur in einem
zur Mittelrippe werdenden Längsstreifen (Metzgeria) verdoppelt
resp. vervielfacht.
Sitzung vom 16. Januar. 3
C. Die Scheitelzelle trennt durch Wände, welche mit ihrer
Längsachse ehenfalls einen spitzen Winkel bilden, aber succes-
sive nach drei di vergirenden Richtungen geneigt sind,
Segmente ab, die sich, je nach den einzelnen Fällen, in ver-
schiedener Weise weiter theilen. Hier führt also gleich der
erste Theilungsschritt in der Scheitelzelle zur Anlage eines
Zellkörpers. Dabei kann die vierte Wand genau über die erste
fallen (Fontinalis, Equisetum) oder durch nachträgliche Ungleich-
heit des Flächenwachsthums in den Segmenten etwas über sie
hinausgreifen. (Polytrichum.)
Bei den nach diesem Untertypus sich entwickelnden Stamm-
spitzen tritt niemals eine Wand parallel der freien Aufsenfläche
auf; bei den Wurzeln der meisten Leitbündel-Kryptogamen
dagegen werden solche Wände in regelmäfsigem Wechsel mit
den nach innen gerichteten gebildet. Die durch sie abgetrennten
Zellen dienen hier bekanntlich zum Aufbau der Wurzelhaube.
D. Eine Scheitelzelle, welche durch vier nach unten con-
vergirende Wände begränzt ist und in welcher die Segmente
decussirt, nicht spiralig, folgen, hat Peffer neuerdings am
Embryo von Selaginella Martensii Spring, gleich nach Anlage
der beiden ersten Keimblätter aufgefunden (conf. dessen Ent-
wickelung des Keimes von Selaginella 1871, p. 45).
Handelt es sich bei anscheinender Gabelung von Zell-
körpern, welche durch eine Scheitelzelle in die Länge wachsen,
um Entscheidung der Frage, ob eine ächte Dichotomie vorliegt,
so werden von vornherein alle jene Fälle auszuschliefsen sein,
wo die Scheitelzelle das Längenwachsthum des Haupstprosses
unbegränzt fortsetzt, und der andere Sprofs aus einem Segment
seinen Ursprung nimmt. Selbst dann aber, wenn beide Sprosse
aus der Theilung der Scheitelzelle selbst hervorgehen, werden
sie nur dann als gleichwerthig gelten können, wenn ihre An-
lagen sich schon beim ersten Sichtbarwerden als gleich grofse
Ausbuchtungen symmetrisch am Scheitel hervorwölben, oder, falls
die Abtrennung der Zweigmutterzellen durch Scheidewände dem
Hervortreten der neuen Wachsthumsrichtungen vorhergeht, für
jeden der beiden Sprosse ein gleichgrofses Stück zu der-
selben Zeit aus der Scheitelzelle herausgeschnitten wird.
1*
4 Gesellschaft naturforschender Freunde.
3) Der dritte Typus läfstsich passend als den der Scheitel-
kante bezeichnen. Das Vorderende des fortwachsenden, flachen
Zellkörpers nehmen eine Anzahl einander in Form und Art
der Theilung gleicher Randzellen ein. Die in denselben
auftretenden Querwände sind aber nicht, wie bei Halyseris und
Pellia, zur Ebene der Flächenausbreitung senkrecht, sondern sind
alternirend in entgegengesetztem Sinne zu ihr geneigt und ein-
ander wechselweise aufgesetzt. Hier wird also der Zellkörper
direkt und ohne Vermittelung durch eine Zellfläche aufgebaut,
Die aus diesen Theilungen hervorgehenden Längsplatten werden
dann durch gelegentliche Theilungen der Randzellen durch senk-
rechte, mediane Längswände in zwei Theilplatten gespalten, wo-
durch, von oben gesehen, eine fächerförmige Anordnung des Ge-
webes bewirkt wird. Den Beobachtungen des Vortragenden
zufolge gehören hierher Biccia, Marchantia, Lunularia (nach den
Zeichnungen von Hofmeister auch Anthoceros); ferner die Wedel-
spreite mehrerer (ob aller?) Polypodiaceen und von Osmunda
(nicht die der Hymenophylleen!); und nach Hofmeister und
Pfeffer Blätter und Ligulae von Selaginella, so wie nach Han-
stein die Spreite der Blätter von Marsilia.
Soll bei diesem Waehsthumstypus eine Verzweigung den
Namen einer ächten Dichotomie verdienen, so wird man ver-
langen müssen, dafs die Gruppe terminaler Randzellen an der
Scheitelkante sich in zwei vollkommene gleiche Gruppen theile.
4) Der vierte Typus kann, zum Unterschiede von dem
vorigen, den Namen der Scheitelfläche erhalten. Er ist da-
durch charakterisirt, dafs der Scheitel des Sprosses von einer
gröfseren Zahl nach allen Richtungen nebeneinander-
liegender Aufsenzellen abgeschlossen wird, die sich alle
in gleicher Weise theilen und durch ihre Theilungen allen
Gewebepartieen des Zellkörpers neue Elemente hinzufügen.
Dieses Wachsthum durch „terminale Aufsenzellen" ist für
Zellkörper genau dasselbe, was das Wachsthum durch terminale
Randzellen für Zellflächen ist. Jeder durch den Scheitel eines
mit terminalen Aufsenzellen wachsenden Sprosses geführte me-
diane Längsschnitt bietet in der Anordnung der Zellreihen
das Bild einer mit terminalen Randzellen wachsenden Zellfläilu-
dar. In beiden Fällen ist es durchaus unwesentlich, ob der or-
Sitzung vom 16. Januar. 5
ganische Mittelpunkt des Stammscheitels wirklich an der Spitze
einer frei hervorgewölbten Kuppe liegt oder durch Hervorwöl-
ben der seitlichen Parthieen in eine Vertiefung zu liegen kommt.
Im Wachsthum durch terminale Aufsenzellen lassen sich,
(entsprechend demjenigen durch terminale Randzellen bei Zell-
flächen) zwei Untertypen trennen. Beide Formen des Wachs-
thums stimmen darin mit einander überein, dafs in den Aufsen-
zellen auf eine gröfsere oder geringere Zahl tangentialer Quer-
wände eine Längswand folgt; der Unterschied besteht darin,
dafs in dem einen Falle die Längswand die Mutterzelle genau
halbirt, sich also nicht nur der freien Aufsenwand, sondern auch der
ihr gegenüberliegenden Innenwand rechtwinkelig aufsetzt, während
im anderen Falle die Scheidewand von der Mitte der Aufsen-
wand sich der einen der beiden Seitenwände und zwar, nach
des Vortragenden Beobachtungen, meist der dem Scheitelpunkt zu-
gekehrten (scheitelsichtigen) Seitenwand anlegt. Die gröfsere
der beiden Tochterzellen theilt sich dann bald darauf durch eine
Querwand, wodurch der Unterschied in den Dimensionen der beiden
nebeneinanderliegenden Aufsenzellen nahezu ausgeglichen wird.
A. Dem ersten Untertypus (welcher bei Zellflächen, die
mit terminalen Randzellen wachsen, in Halyseris und Pellia
sein Analogon besitzt) folgen nach des Vortragenden Beobach-
tungen Fucus vesicolosus L., Fucus serratus L., Pelvetia canalicu-
lata (L.), Himanthalia lorea (L.), Cystoseira abrotanifolia (Ag.)-
Bei allen genannten Arten ist der Stammscheitel vertieft; bei
Fucus liegt er am Grunde einer Furche, deren Längsrichtung
mit der Ebene der flachen Laubausbreitung zusammenfällt. Da
bei den Fucaceen in Wasser die Membranen der Innenzellen
auf Schnitten bis dicht an den Stammscheitel stark quellen und
die Grenzlinien zwischen Nachbarzellen undeutlich werden, em-
pfiehlt es sich, frische Exemplare vorher im Weingeist zu legen
und die Schnitte in absoluten Alkohol unter etwas Zusatz con-
centrirter Kalilauge zu beobachten. Man sieht dann auf Längs-
schnitten, dafs die mittleren der von unten nach dem Scheitel
verlaufenden Zellreihen nach dem Grunde der Einbuchtung hin
convergiren. Es hängt diefs damit zusammen, dafs hier, so
lange der Sprofs sich noch nicht zur Gabelung anschickt, die
Aufsenzellen sich nur durch fortgesetzte Quertheilungen verjün-
6 Gesellschaft naturforschnuhr Freunde.
gen und Längstheilungen erst in den abgetrennten Innenzellen
auftreten. In den ihnen beiderseits benachbarten Reilien, welche
am Seiten wall der Furche ohngefähr rechtwinkelig enden, treten
dann (unten selten, oben häufiger) auch Längstheilungen ein,
die zur Verdoppelung der Reihen führen. Sehr zahlreich treten
diese Längswände, welche die Mutterzelle z;emlich genau hal-
biren, an der höchsten Wölbung des Walles auf, welcher die
Scheitelfurche allseitig umgiebt, und ebenso an der Aufsenseite
des jungen Sprosses, wo diese Theilungen den bedeutenden
Längsstreckungen und intercalaren Theilungen der Innenzellen
das Gleichgewicht halten müssen. Es entsteht so am entwickel-
ten Laube eine kleinzellige Rinde. Behandelt man ein von der
Spitze des Sprosses einer der oben genannten Fucaceen durch
einen Flächenschnitt abgetrenntes Rindenstück mit Aetzkali, so
treten sehr deutlich die Zellgruppen hervor, die aus der Wieder-
holung einander rechtwinkelig aufgesetzter Längswände hervor-
gegangen sind. Das Bild erinnert einigermafsen an das von
Prasiola crispa.
B. Der zweite Untertypus, bei welchem die Längswände
sich einer der Seitenwände (meist der scheitelsichtigen) schief
aufsetzen, und der in Zonaria und Melobesia 'unter Zellflächen
mit Marginalwachsthum sein Analogon findet, wird durch eine
gröfsere Zahl von Gattungen repräsentirt.
Es gehören hierher Chondrus crisjms (L.). Grateloupia fdicina
(Wulf), Gr. dichotoma (J. Ag.), Gracilaria confervoides (L),
Gymnogongrus norvegicus (Gunn.), G. Griffithiae (Turn.), ferner
Furcellaria fastigiata (Huds.) und -mehrere Arten der Gattung
Gigartina, bei denen Herr Dr. Magnus das Längen wachsthum
durch terminale Aufsenzellen unabhängig von dem Vortragenden
aufgefunden und in der letzten Sitzung dargestellt hat. (Bei
Furcellaria benutzte Vortragender Weingeist-Material zur Nach-
untersuchung das ihm von Herrn Dr. Magnus zu diesem
Zweck überlassen wurde.)
Weiter gehören hierher Rhodymnna palmata (L.) und Rh.
Palmetta (Esp.). Die beiden letzten verhalten sich nur in sofern
abweichend, als an dem gewöhnlich, sehr breiten Vorderrande
der fortwachsenden flachen Sprosse die schiffen Längswände
ohne nachweisbare Regel in verschiedener Weise gegen den
Sitzung vom 16. Januar. 7
Mittelpunkt des Scheitels geneigt und sich zuweilen mehrmals
hintereinander stufenförmig aufgesetzt sind.
Scinaia furcellata (Turn.), dessen Scheitelfläche vertieft ist.
folgt gleichfalls diesem Untertypus. Der Unterschied gegenüber
Chondrus etc. bezieht sich hauptsächlich auf die spätere Auf-
lockerung der verzweigten Zellreihen , die im entwickelten
Stämmchen von einem achsilen Bündel gegliederter Fäden gegen
die Rinde ausstrahlen.
Die Corallineen, von denen Vortragender Jania rubens (L.),
Corallina officinalis (L.) und Corallina granifera (Ell. et So!.),
sämmtlich in von ihm im Palermo gesammelten Exemplaren un-
tersucht hat, verhalten sich in sofern eigenthümlich, als hier die
mittleren Zellen der Scheitelfläche sich, so lange die Verzwei-
gung nicht eingeleitet wird, der Regel nach nur durch Quer-
wände theilen, während in den umgebenden Aufsenzellen schiefe
Längswände damit abwechseln, die sich der scheitelsichtigen
Seitenwand aufsetzen. Am deutlichsten tritt diefs bei Jania ru-
bens hervor. Die auf solche Weise nach aufsen geschobenen
peripherischen Zellreihen werden kurzgliederig und bilden die
Rinde.
Eine sehr interessante Modification des besprochenen Unter-
typus zeigt Lomentaria kaliformis (Good. et Woodw). Das hohle
Laub zerfällt hier durch einschichtige Querwände in tonnenför-
mige Glieder. Die Wandung derselben besteht ursprünglich aus
nur einer Zellschicht, wird aber durch Absonderung von Rinden-
zellen mittels schiefer Wände später mehrschichtig. Der Innen-
seite des Gehäuses schliefsen sich mehrere (6 — 8 und mehr) in
ziemlich gleichen Abständen längsverlaufende Zellreihen an
Verfolgt man die Entstehung dieses Baues bis zum flachgewölb-
ten Scheitel, so überzeugt man sich, dafs der Anstofs zum Län-
genwachsthum von mehreren (etwa 6 — 8) um den Scheitelpunkt
gruppirten Zellen (Initialen nach Han stein) ausgeht, von
denen sich indefs nur je zwei gegenüberliegende direkt berühren,
während die übrigen seitlich zwischen ihnen eingreifen. Diese
Initialen theilen sich wiederholt durch Wände, welche sämmtlich
der scheitelsichtigen Wand schief aufgesetzt und in jeder Initiale
unter einander parallel sind. Die auf solche Weise in periphe-
rischer. Richtung abgesonderten Aufsenzellen theilen sich nun
8 Gesellschaft naturforschender Freunde.
alsbald durch eine der Oberfläche parallele Wand in eine äufsere
und eine innere Zelle. Aus den äufseren Zellen geht durch
weitere Theilungen das Gehäuse hervor, während die inneren
Zellen, ihrer reihenförmigen Entstehung entsprechend, sich seit-
lich zu längsverlaufenden Reihen lockern. In bestimmten ver-
tikalen Abständen giebt je ein Kreis von Innenzellen dicht unter-
halb der Initialen, wo sie noch verbunden sind, je einer der ein-
schichtigen Querwände der Stammglieder den Ursprung.
Stellt man sich vor, dafs an einem durch terminale Aufsen-
zellen wachsenden, frei hervorgewölbten Vegetationskegel die
den Scheitel einnehmenden Aufsenzellen sich durch tangentiale
Querwände derart theilen, dafs neue Zellen nicht nur nach innen,
sondern auch nach aufsen abgesondert werden, so erhält man
den Wachsthumstypus der Marattiaceenwurzel, wie er von
Dr. Russow in Dorpat entdeckt und Vortragendem schon im
letzten Juli, noch bevor er seine eigenen Untersuchungen an
Fucus anstellte, an Präparaten demonstrirt wurde. Die nach
innen abgeschiedenen Zellen bauen den soliden Gewebecylinder
der Wurzel fort, während die nach aufsen abgeschiedenen Zellen
die Wurzelhaube durch neue Schichten regeneriren. In der Art
der Längstheilungen, die auch hier den Bedürfnissen des Waehs-
thums entsprechend, mit Quertheilungen abwechseln, folgen die
Marattiaceen -Wurzeln dem Typus von Fucus, d. h. die Längs-
wände stehen senkrecht auf der Aufsen- und Innenwand und
sind nicht wie bei Chondrus, einer der Seitenwände schief angefügt.
Von Dichotomie wird bei Organen, welche sich durch ter-
minale Aufsenzellen fortbilden, nur da die Rede sein können,
wo die Scheitelfläche nach vorhergegangener Verbreitung, sich
in zwei vollkommen gleiche Scheitelflächen theilt, deren
Wachsthumsrichtung von der Längsachse des Muttersprosses in
gleichem Grade divergirt.
5) Der fünfte Wachsthumstypus endlich ist der der geson-
derten Meristeme, wie er bei angiospermen Phanerogamen
vorkommt. Hier lassen sich nicht sämmtliche Gewebe des wach-
senden Organes in ihrem Ursprung auf eine am Scheitel liegende
Zelle oder Zellgruppe zurückführen, sondern die verschiedenen
Gewebesysteme bilden sich, wie von Hanstein gezeigt wurde,
aus besonderen Meristemen (Dermatogen. Periblem, l'/erom) fort
Sitzung vom lti. Januar. 9
Um eine Verzweigung als dichotom ansprechen zu dürfen,
wird es hier nicht genügen, dafs sich zwei gleich grofse Hügel
von Gewebe am Scheitel des Organes erheben; es wird vielmehr
jedes Mal der Nachweis geführt werden müssen, dafs die ver-
schiedenen Arten des Meristems sämmtlich und in gleichem
Maafse an der Zusammensetzung der Zweiganlagen Antheil
nehmen.
Neueren Untersuchungen von Pfitzer (Botan. Zeitung 1871
pag. 893) zufolge stellen die Coniferen die Vermittelung zwischen
diesem und dem vorigen Wachsthumstypus her.
Nach dieser Uebersicht der Wachsthumstypen ging Vortra-
gender zu seinen Untersuchungen über Verzweigung der oben-
genannten Meeresalgen über.
Bei solchen Algen, deren Zellkörper durch eine Scheitel-
zelle in die Länge wächst, hat er ächte Dichotomie nur bei
Cladostephus gefunden, wo schon Decaisne in den grofsen
Scheitelzellen zuweilen mediane Längswände auftreten sah.
Näheres über Wachsthum und Verzweigung von Cladostephus
spongiosus (Lightf.) hat er schon in der letzten November-Sitzung
dieser Gesellschaft (pag. 93 — 95 des Sitzungsberichtes) mitge-
theilt. Halopteris filicina (Grat.), das Vortragender in Palermo
beobachtete, zeigt dagegen ächte Verzweigung, obwohl die Zweig-
anlage auch hier in der Scheitelzelle selbst abgetrennt wird;
denn die Hauptachse setzt ihre Richtung genau fort, während
die Stellung der Zweigausbuchtung gleich Anfangs eine seitliche
ist. Nach den Zeichnungen von Geyler verhalten sich Stypo-
caulon scoparium (L.) und Phloiocaulon squamulosum (Suhr.)
ganz ähnlich.
Unter den mit einer Seh eitel fläche wachsenden Algen
findet sich ächte Dichotomie bei Fucus vesiculosus L., Fucus
serratus L. , Pelvetia canaliculata (L.), Himanthalia lorea (L.);
ferner bei Chondrus crispus (L.), Gymnogongrus Griffithiae (Turn.).
Jania rubens (L.) und Scinaia furcellata (Turn.).
Meist genau dichotom ist die Verzweigung von Grateloupia
dichotoma (J., Ag.), Ehodymenia palmata (L.) und Eh. Palmetta
(Esp.); doch fanden sich die beiden Sprosse zuweilen schon
gleich Anfangs etwas ungleich entwickelt. Nach der von Dr.
Magnus in der letzten Sitzung gegebenen Darstellung ist auch
10 Gesellschaft naturforschender Freunde.
bei l-'iircellaria fastigiata (Huds.) und Ahnfeltia plicata (Huds.)
die Gabelung eine ächte.
Der Gabelung geht bei allen genannten Pflanzen eine Ver-
breitung der Stammspitze im Sinne der späteren Gabelungs-
Ebene vorher. In jenen Fällen, wo, wie bei Fucus und den
nächsten Verwandten, die am Grunde der Scheitelfurche liegen-
den Aufsenzellei: sich sonst nur durch Querwände (heilen, treten
nun vor der Gabelung auch Längswände auf. Ebenso wird bei
Jania die Dichotomie durch in den centralen Aufsenzellen auf-
tretende Längswände eingeleitet.
Da, wo die Stammspitze eine frei hervorgewölbte Scheitel-
kuppe darstellt (Chondrus crispits, Jania rubens etc.), erheben
sich die Anlagen der jungen Gabelzweige an der Stammspitze
als zwei gleiche nebeneinanderliegende Scheitelkuppen, die durch
eine flache oder tiefere Furche getrennt sind; überall da hin-
gegen , wo der Scheitel eingesenkt ist (Fucus etc.) wird die
Sonderung der beiden Gabelsprosse durch einen in der Mitte
der verlängerten Furche sieh emporwölbenden Wall von
Zellgewebe vollzogen, der jedem der jungen Gabelsprosse zur
Hälfte angehört. Auf medianen Längsschnitten durch eben dicho-
tomirte Sprosse, die im Sinne der Gabelungsebene geführt sind,
entspricht der Verlauf der Reihen genau den auf obige Dar-
stellung gegründeten Voraussetzungen.
Bei Jania rubens (L.) kommt aufser Dichotomie (deren
Ebenen an demselben Exemplar bei aufeinanderfolgenden Yer-
zweigungs-Generationen weder stets genau zusammenfallen, noch
auch sich der Regel nach rechtwinkelig kreuzen) auch ächte
Trichotomie vor. Die drei, von Anfang an gleichen Zweige
liegen in Vertikalebenen, welche in Winkeln von 120 Grad
divergiren. Diese Regelmäfsigkeit der Verzweigung unterscheidet
Jania rubens wesentlich von Corallina, wo z. B. bei Corallina
granifera (Ell. et Sol.) das Stämmchen an einzelnen Gliederungs-
stellen sich in eine unbestimmte Zahl verschieden starker Zweige
regellos auflöst.
Die Mittheilung derjenigen Beobachtungen, welche sich auf
die Verzweigung des Stämmchens der Marchantiaceen und von
Selaginella und auf die Entwickelang der Blätter von Farrn-
kräutern und Phanerogamen, bei denen Letzteren Vortra-
Sitzung vom Iß. Januar. 1 1
gender durch Herrn Prof. Braun auf mehrere Fälle aufmerk-
sam gemacht wurde, beziehen, behält er sich für spätere Sitzun-
gen vor.
Zum Schlufs weist er noch darauf hin, dafs dichotome Ver-
zweigung verhältnifsmäfsig häufig bei Thalluspfianzen vorkommt,
in den höheren Abtheilungen des Gewächsreiches dagegen viel
seltener angetroffen wird. Dabei ist es nun in hohem Grade
bemerkenswerth, dafs die primordialen Organe höherer Pflanzen
(Cotyledonen der Blüthenpflanzen; Primordialblätter der Keim-
pflanzen von Farrnkräutern) in vielen Fällen dichotom getheilt
erscheinen, während die späteren Blätter derselben Pflanzen eine
durchgehende Blattspindel zeigen. Es ist diefs eine neue Be-
stätigung des schon in so vielen anderen Beziehungen bewähr-
ten Entwickelungsgesetzes, dafs die embryonalen Zustände hö-
herer Pflanzen die entwickelten Zustände niederer Pflanzen viel-
fach wiederholen.
Herr Magnus bemerkte darauf, dafs die von Dr. Kny vor-
getragenen Ansichten in manchen Punkten denen widersprechen?
zu denen er durch seine Beobachtungen gelangt ist. Was zu-
nächst die Verzweigungen betrifft, so unterscheidet der Vortra-
gende diejenigen Verzweigungen, die eine bestimmte Beziehung
zu einem Gliede der gegliederten Axe zeigen von denen , die
keine solche Beziehung haben. In dem ersten Fall kann nie
eine Dichotomie angenommen werden, wenn auch der Zweig
noch so nahe dem Scheitel angelegt wird, und führte der Vor-
tragende dieses aus an Polysiphonia in der Sitzung der Gesell-
schaft am 21. November 1871. Bei den Phanerogamen wo die
Blattbildung der Ausdruck solcher Abtheilungen der Axe ist,
müssen wir, durch vergleichend morphologische Betrachtung ge-
zwungen, fast alle normale Verzweigung auf ein Blatt oder dessen
morphologischen Ort beziehen und müssen daher fast alle nor-
male Verzweigung als seitlich axilläre und nicht Dichotome
auffassen, auch wenn die jüngsten Axenscheitel neben einander
gleich grofs erscheinen, wie das Pringsheim beobachtete an
Hydrocharis und Rohrbach davon abbildete, N. Kauffmann
von der Inflorescenz der Boragineen beschrieben und abgebildet
hat, Gr. Kraus für alle untersuchten beblätterten Winkel be-
hauptet. In allen diesen Fällen läfst sich der eine Sprofs mit
12 Gesellschaft naturforschender Freunde.
Leichtigkeit auf ein Blatt des anderen beziehen und ist daher
trotz seiner Entstehung nahe dem Scheitel, trotz seiner frühzei-
tigen gleich starken Entwickelang ein Seitensprofs des anderen.
Bei der anderen Verzweigung, wo der neu auftretende
Sprofs in keiner Beziehung zu einem Gliede der Axe steht, findet
dann Dicho- resp. Polytomie statt, wenn die Scheitel der neuen
Axen aus Theilen des Scheitels der Mutteraxe hervorgehen, wie
das Vortragender in der letzten Sitzung an Furcellaria, Gigar-
tina und Ahnfeltia ausführte. In wiefern die Verzweigung ge-
wisser Spacelaricen (Stypocaulon , Halopteris u. A.) dieser Defi-
nition wiederspricht, sieht Vortragender nicht ein, da der Scheitel
einer mit einer Scheitelzelle fortwachsenden Axe nicht durch
die ganze Scheitelzelle, sondern nur durch deren fortwachsen-
den Scheitel gebildet wird, wie das z. B. die Erscheinungen bei
Polysiphonia pennata und anderen Arten, Bonnemaisonia aspara-
goides nach Cr am er u. s. w. deutlich zeigen. Was nun die
eben erwähnten Verzweigungen der Spacelaricen betrifft, so
haben diese keine Beziehungen zu den Gliedern der Axe, da
die Scheidewand der Glieder sehr häufig senkrecht auf die Basal-
wand der Aeste gestellt ist. Diese seitliche Verzweigung ist
daher morphologisch gleichwertig der seitlichen Verzweigung
von Gigartina pistillata und acicularis (vgl. letzte Sitzung).
Dichotomie und seitliche Verzweigung kommen bei derselben
Art neben einander vor, so z. B. bei Jania rubens, die Vortra-
gender in Folge der Mittheilung des Dr. Kny in der vorigen
Sitzung untersuchte. Bekanntlich hat diese Alge ein periodisches
Längenwachsthum. Beim Beginn der neuen Periode erhebt sich
nur der centrale Theil der Endkuppe zur Verlängerung der
Axe, während die Ecken der Endkuppe sich mehr oder minder
zuspitzen, und zwar liegen diese Zuspitzungen in der Ebene der
Dichotomie dieser Axe. Diese Ecken der Glieder nun verlän-
gern sich bei Jania rubens häufig zu neuen Zweigen durch ge-
meinschaftliches Auswachsen der dortigen Rindenzellen. — Von
Corallina hat der Vorredner angegeben, dafs sich ihr Scheitel
in mehrere ungleiche Theile auflöse. Dem mufs Vortragender
nach Beobachtungen an Corallina offfcinalis, die er reichlich bei
Arendal antraf, entschieden widersprechen. Bei Corallina offi-
cinalis wächst die Axe unter der Dämlichen Gliederbildung, wie
Sitzung vom 16. Januar. 13
bei Jania, stets grade fort. Unterhalb der fortwachsenden Axe
treten rechts und links zu innerst an der oberen Fläche des
Gliedes je ein Ast auf, gebildet durch das gemeinschaftliche
Emporwachsen der dortigen Rindenzellen. Später treten an
demselben Gliede aufsen von diesen Aesten jederseits je ein
neuer Ast auf, und so geht es weiter, bis wieder die Ecken
der oberen Endfläche des Gliedes zu Aesten auswachsen. So
wurden bei Arendal an einem Gliede oft 6 Aeste getroffen.
Alle diese Aeste liegen mit der Hauptaxe in einer Ebene. —
Das vom Vorredner an Fucus geschilderte Scheitelwachsthum
hat Vortragender auf der Reise ebenso an den Achsen von
Ozothallia vulgaris bei Arendal und an dem zierlichen Fucus
vesiculosus nanus zwischen den Skacren von Stockholm beob-
achtet. Bei Ozothallia vulgaris verzweigen sich die Hauptaxen
durch Dichotomie resp. Polytoniie (Letzteres bei Helgoland
beobachtet) und liegen die Theilsprosse an der Ebene der zu-
sammengedrückten Frons. Aufserdem trägt Ozothallia bekannt-
lich an den Kanten der Frons kleine kurz bleibende Zweige.
Diese werden seitlich weit unterhalb des fortwachsenden Schei-
tels in den an den Kanten befindlichen Grübchen durch gemein-
schaftliches Auswachsen dortiger Rindenzellen (Wandungszellen
der Grübchen) angelegt; aus einem Grübchen entspringen meistens
drei und mehr solcher Kurzzweige. Selten entwickelt sich ein
seitlicher Sprofs zu einer dem Hauptsprosse gleichwerthigen Axe.
— Bei Fucus vesiculosus hat aufser der Dichotomie eine Sprofs-
bildung auf der Fläche der Frons Statt, die Kützing bereits
beobachtet hat. Kützing giebt an, dafs sie sich im Grunde
der über dem Laube zerstreuten Fasergrübchen aus den sich
vereinigenden Sprofsfäden derselben bilden. Letztere Angabe
ist unrichtig. Sie bilden sich häutig durch gemeinschaftliches
Auswachsen der Wandungszellen der Grübchen, sowie auch der
Rindenzellen eines oberflächlichen Fleckes. Die Scheitel dieser
jungen Sprosse sind anfangs convex und wachsen mit symmetrisch
divergirenden Zellreihen; erst später werden die Scheitel vertieft.
Diese jungen Sprosse haben auch häufig seitliche Zweigbildung
durch Auswachsen der peripherischen Rindenzellen.
In dem vierten Wachsthumstypus, Wachsthum mit einer
Scheitelfläche hat der Vorredner zwei verschiedene Wachsthupis-
14 Gesellschaft naturforschender Freunde.
typen mit einander vereinigt. Es ist erstens das Wachsthum
mit symmetrisch verlaufenden Zellreihen zu unterscheiden. Das
Wesentliche dieses Wachsthums ist, dafs die den Scheitel bilden-
den Zellreihen im Verlaufe des Wachsthums zur Seite gelangen
und dort die Rinde bilden, während sie sich am Scheitel durch
Längstheilungen der Aufsenzellen vervielfältigen. Hiervon ver-
schieden ist das Wachsthum mit mehreren oberflächlich liegen-
den Scheitelzellen, wie solches bei Lycopodien und nach Dr.
Russow's Mittheilung bei den Wurzeln von Marattia Statt zu
haben scheint. In diesen Fällen geht die Rinde aus den von
den Scheitelzellen nach unten und aufsen abgeschiedenen Zellen
hervor. Eine analoge Verschiedenheit hat Schwenden er bei
den Flechten in dem orthogonal -trajentorischen und parallel-
faserigen Hyghanverlauf nachgewiesen.
Herr Kny hebt den Ausführungen des Herrn Dr. Magnus
gegenüber hervor, dafs dem Vorhandensein oder dem Mangel
einer Gliederung keine so hohe Bedeutung für die Eintheilung
der Verzweigungen beigemessen werden könne. Das Wesent-
liche beim Wachsthum und der Zweigbildung ist die Richtung,
in welcher das Protoplasma wandert; von diesem geht der An-
stofs zu den Wachsthumsbewegungen der Pflanze aus. Wenn
das Plasma bei einzelligen Pflanzen sich continuirlich durch die
ganze Pflanze erstreckt, in anderen Fällen durch Quer- und
Längswände gesondert ist, so sind diese Unterschiede zweifellos
von hoher Wichtigkeit; doch zeigt die Wiederkehr der verschie-
denen Verzweigungsformen bei einzelligen und vielzelligen Pflan-
zen , dafs die Bedeutung der Fächerung für die Auszweigung
keine fundamentale ist.
Ferner weist Herr Kny darauf hin, dafs die Auffassung des
Herrn Dr. Magnus, wonach alle Zweige, die aus einem Theile
des Scheitels selbst hervorgehen, als dichotom gelten sollen, bei
praktischer Anwendung auf unüberwindliche Schwierigkeiten
stöfst. Bei den mit terminalen Aufsenzellen wachsenden Stämm-
chen ist zwar in einzelnen Fällen, wie bei den CoraUineen, die
Scheitelregion nach unten ziemlich scharf begrenzt; bei zahlrei-
chen anderen Pflanzen dagegen, wie bei Chondrus crispui, Jiho-
dymenia palmata etc. bleiben die Aufsenzellen auch an alleren
Theilen der Sprosse noch lange Zeit thätig und tragen hier zur
Sitzung vom IG. Januar. 15
Verdickung und Verlängerung das Ihrige bei. Eine Abgrenzung
der Scheitelregion wäre hier eine rein willkürliche, da die Thei-
lungen von der Stammspitze nach abwärts allmälig an Leb-
haftigkeit abnehmen. Wollte man alle jene Theile, wo die
Aufsenzellen noch thätig sind, zum Scheitel rechnen, so müfste
man consequenter Weise auch solche Zweige, die weit unter-
halb der Stammspitze entstehen, für dichotom erklären.
Herr Braun legte zur Ansicht eine Frucht von Uncaria
procumbens Burchell aus der Familie der Pedalineen vor, welche
hier in der Schaafwolle des Handels gefunden wurde. Diese
sonderbare, von weitem einem froschartig niedergedrückten viel-
füfsigen Thiere ähnliche Frucht ist an den Seiten mit 3 Paaren
langer plattgedrückter und selbst wieder mit hakenartigen Fort-
sätzen bewaffneter Stacheln besetzt, welche sich beim Aufsprin-
gen spalten und dadurch verdoppeln. Alle diese Stacheln krüm-
men sich etwas nach der Oberseite der platt am Boden auf-
liegenden Frucht und sind ganz geeignet sich fest in den Pelz
eines sich zur Erde niederlegenden Schaafes zu verwickeln.
Derselbe legte ferner einen vortrefflich erhaltenen Steinkern
einer fossilen Nufs aus der Gattung Carya vor, angeblich von
Blankenburg, wo allerdings in des jüngeren Kreide mit zahl-
reichen Steinkernen von Mollusken auch Pflanzenreste, nament-
lich Blätter von Crednerien vorkommen. Da jedoch dieser
Nufskern mit mehreren Formen fossiler Caryakerne aus den
mittleren Tertiärbildungen sehr nahe übereinstimmt, so erscheint
die Angabe des Fundorts zweifelhaft.
Als Geschenke wurden mit Dank entgegengenommen:
Monatsberichte der Berl. Akad. der Wissenschaft. September und
Oktober 1871.
Schriften der norwegischen Universität aus Christiania. 3 Hefte.
A.W. Schade's Buchdruckerei (L. Schade) iu Berliu, ütallschreiberstr. il.
Sitzunos-ßericht
ö
der
Gesellschaft naturforschender Freunde
zu Berlin
am 20. Februar 1872.
Director: Herr Geheimer Medicinalrath Gurlt.
Herr Ehrenberg legte zuerst 9 grofse, vom Militair-Me-
dicinal-Departement in Washington unter Leitung des Lieutenant
Colonel, Assistent surgeon Woodward neuerlich fortgesetzte
photographische Blätter vor, welche sehr saubere und scharf
gelungene Darstellungen von Muskelbündeln, Speichelkörperchen
und verschiedeneu organischen Gewebstheilen unter Einwirkung
des Sonnenlichtes umfassen. Die Regierung der Vereinigten
Staaten und Herr Wood ward erwerben sich damit das Verdienst
die grofsen technischen Schwierigkeiten zur Ueberwindung der
Hindernisse für die Objectivität der mikroskopischen Auffassun-
gen, was für Privatpersonen zu kostbar ist, in kurzer Zeit
beseitigen zu helfen. So tritt die Hoffnung denn immer näher,
dafs einfachere Einrichtungen die immer feiner und tiefer ein-
zurichtenden Forschungen unterstützen und an die Stelle unmo-
tivirter Behauptungen immer mehr directe Beweise für das dem
blofsen Auge verborgene Leben stellen werden. Die heut aus
Washington eingetroffenen Photographien scheinen neueste Pro-
ducte der nützlichen Anstalt zu sein.
Derselbe stellte auch für dieses Jahr den noch lebenden
Proteus anguinus (Hypochthon Laurenti) in seiner schwarzen
Färbung vor, den er seit September 1859 beobachtet. Das
Exemplar ist mithin jetzt 5 Monate über 12 Jahre in Berlin
[1872.] 2
18 Gesellschaft naturforschender Freunde.
lebend. Seine Gröfse hat sich nicht verändert. Man könnte
daraus schliefsen, dafs er 1859 auch nicht jung, sondern viel-
leicht schon mehrere Jahre, vielleicht eben so alt gewesen, um
seine constante Gröfse zu erlangen. Uebrigens haben sich be-
sondere neue Beobachtungen an ihm nicht begründen lassen.
Die Verkümmerung der Anfangs grofsen corallrothen Kie-
men auf kleine blafsröthliche Fasern und meist ganz eingezo-
gene weifs farbige, offenbar nicht fungirende Verkürzungen ist
der gewöhnliche Zustand geblieben, aber nach jeder Fütterung
oder Beunruhigung treten die blassrothen Kiemfäden wieder etwas
mehr hervor. So ist denn die Umwandlung in ein volles Lun-
genthier nach so langer Zeit noch nicht erfolgt.
Ferner war auch jener schon öfter lebend vorgezeigte Triton
lacustris zur Ansicht gebracht, welcher seit dem Jahre 1860 be-
obachtet wird. Seine Häutung ist hinreichend bekannt, und
sein v.om Proteus verschiedenes Benehmen beim Verschlingen
von Regenwürmern ist früher hier bemerkt. Auch seine Gröfse
hat sich seitdem nicht verändert. Ein besonderes Interesse ge-
währte mir seine im Jahre 1865 erfolgte Erkrankung an der
Schimmel ähnlichen Saprolegnia- Krankheit, über die ich 1838
im Infusorienwerk pag. 37 vielfache Nachrichten zusammenge-
stellt habe und die auch von Anderen seitdem oft besprochen
wurde. Ueber ein Jahr lang war die Gegend der Schwanz-
wurzel aufgetrieben und lange Schimmelfäden flottirten darum
im Wasser. Dieser geschwollene Hintertheil war gewöhnlich an
der Oberfläche des Wassers und nur sehr mühsam konnte das
Thier am Grunde seines Glases sich bewegende Regenwürmer
durch gewaltsame Anstrengung erreichen oder nach oben hin
Luft schöpfen, weshalb es oft bewegungslos und fast leblos er-
schien. Das Interesse liegt nun an dem allmäligen Zurücktreten
dieser gewöhnlich bei Goldfischen tödtlichen Krankheit, welche
seit einigen Jahren bei ihm wieder vollständig verschwanden ist.
.Herr v. Martens sprach über den Nestbau der Fische.
Er erwähnte zuerst der in verschiedenen Zeitungen berichteten
Entdeckung von L. Agassiz über den Nestbau eines Fisches
im schwimmenden Tang des atlantischen Oceans; der Original-
bericht des Entdeckers befindet sich in der New York weekly
Tribüne von. s. Januar 1872: das Nest besteht aus den Stücken
Sitzung vom 20. Februar. 19
des genannten Tanges, die mittelst elastischer gelatinöser Fäden
zusammengewebt sind; diese Fäden zeigen Knöpfe (beads) theils
einzeln, theils häufen- oder büschelweise vereinigt; ob das nun
die Eier selbst sind, geht aus dem Beriebt nicht deutlich her-
vor, jedenfalls sind die Eier in dem ganzen Nestballen zerstreut
und nicht in einer mittlem Höhle angesammelt. Agassi z be-
obachtete die Embryonen derselben und brachte einige zum Aus-
schlüpfen. Die Bestimmuug der Gattung und Art gelang ihm
nur durch Vergleichung der Pigmentzellen der jungen eben aus
den Eiern ausgeschlüpften Fische mit denen der sonst in diesem
Tangwasser gefundenen erwachsenen Fische; er kam hierdurch
auf Chironectes pictus (Antennarius marmoratus), einen Fisch, der
durch seine olivengelbe Farbe und verschiedene Hautanhängsel
in auffälliger Weise das Ansehen des Tanges, zwischen welchem
er lebt, nachahmt, und der durch den Golfstrom öfter auch über
seine tropische Heimath nach Norden verschleppt wird. Der
Vortragende geht sodann auf die schon von früher her bekann-
ten Fälle von nestbauenden oder eierbewachenden Fischen über;
der bekannteste hiervon ist der Stichling, Gasterosteus aculeatus
und pungitius, ersterer am Grund der Gewässer, letzterer zwi-
schen Wasserpflanzen sein Nest bauend; beide beschützen auch
die Eier und die eben ausgeschlüpften Jungen gegen Angriffe,
die oft von ihrer eigenen Art ausgehen. Vom Wels erwähnt
Aristoteles, dafs er seine Eier bewache; diese Angabe wird
von verschiedenen Schriftstellern des Alterthums und Mittelalters
wiederholt; aus der neueren Zeit ist keine derartige Beobach-
tung an unserm europäischen Wels bekannt, wohl aber haben
Hancock (Zoological Journal, IV, 1828. S. 245) und Rieh-
Schomburgk (Reisen in Britisch. Guyana, II, S. 411) an süd-
amerikanischen Gattungen der Welsfamilie, Do ras und Cal-
lichthys, beobachtet, dafs sie Nester bauen, ersterer aus Blät-
tern, letzterer aus Gras, und dieselbe gegen Angriffe zu verthei-
digen suchen. Eine Art der Meergrundel, Gobius, gräbt sich
nach Olivi's Beobachtungen in den Lagunen von Venedig zwi-
schen Zosterawurzeln eine Höhle, worin die Weibchen ihre Eier
absetzen, und bewacht dieselben und die ausgeschlüpften Jungen
wobei er selbst bedeutend abmagert (G. v. Martens Reise nach
Venedig, II, S. 419). Aehnliche Beobachtungen hat Professor
2*
20 Gesellschaft naturfor seh ender Freunde.
Nordmann an Arten derselben Gattung in Südrufsjand ge-
macht (Jahresbericht für 1839 in Wiegmann 's Archiv). Der
Seehase oder Lumpfisch, Cyclopterus lumpus, bewacht ebenfalls
seinen Laich, auf dem er so festsitzt, dafs der Laich die Ein-
drücke seiner Bauchflossen annimmt, und soll selbst den See-
wolf, Anarrhichas lupus, von ihm vertreiben, nach Angabe von
Fabricius (1780), womit Faber (Fische Islands) überein-
stimmt. Ferner macht sich bei der Gattung Cottus eine ge-
wisse Sorgfalt für die Eier, Bewachung und Vcrtheidigung der-
selben, bemerkbar; bei der europäischen Art des süfsen Wassers,
dem Kaulkopf oder der Groppe, Cottus gobio, hat schon Mar-
sigli 1726 dieses bemerkt, und Kner führt in neuester Zeit
dafür das Zeugnifs der Fischer an der Traun an; bei verschie-
denen in den nördlichen Meeren lebenden Arten derselben Gat-
tung haben Fabricius und Retzius eine ähnliche Bewachung
der Eier bemerkt. Endlich soll ein nordamerikanischer unserm
Barsch verwandter Fisch, Huro nigricans, im Niagaraflufs seinen
Laich durch Anhäufung von Steinchen vor der Strömung des
Flusses schützen. Alle in Europa gemachten Beobachtungen, in
welchen überhaupt auf das Geschlecht geachtet wurde, stimmen
darin überein, dafs es ausschliefslich das Männchen ist, wel-
ches sowohl das Nest baut als die Eier und Jungen bewacht
und beschützt; die Weibchen haben mit dem Eierlegen ihren
Theil des Fortpflanzungsgeschäfts beendigt, und damit stimmt
auch überein, dafs bei den Seenadeln (Syngnathus) es wiederum
die Männchen sind, welche die Eier an ihrem Leibe herumtra-
gen. Nur die beiden Beobachter aus Südamerika stellen die
Sache anders dar, Hancock läfst Männchen und Weibchen das
Nest bewachen, Schomburgk sieht in dem bewachenden Fisch
die Mutter; vielleicht sind beide von der so nahe liegenden Vor-
aussetzung, das Weibchen müsse die Brutpflege übernehmen, irre
geleitet geworden und ist es auch dort nur das Männchen, das
dieses Geschäft ausübt.
Derselbe legte der Gesellschaft ferner eine neue Arbeit des
Bürgermeister Dr. Kirchenpauer über Plumularia, eine
Gattung von Hydroidpolypen vor, zu welcher er demselben einen
Theil des Materials geliefert, und ferner eine handschriftliche
Mittheilung desselben Verfassers, eine neue Familie der Hydroid-
Sitzung vom 20. Februar. 21
polypen, Salaciidae, betreffend, weletae sich von den Sertulari-
den dadurch unterscheidet, dafs die Hydrotheken lange Röhren
bilden, die unten ohne Scheidewand in das Lumen des Stammes
selbst übergehen. Abgesehen von der noch fraglichen Gattung
Cymodocea Lamx. 1816 (non König 1805, was eine Meerpha-
nerogame und non Leach 1817, was ein Krebsthier ist) gehören
hierher drei Gattungen :
1) Salacia Lamx. Hydrotheken in mehr als zwei Längs-
reihen an verschiedenen Seiten des Stammes. Arten:
abietina Sars (als Campanularia) = Grammaria robusta
Stimpson aus den nordischen Meeren, tetracyttara Lamx.
aus Australien, und articulata sp. n., von dem Vortragen-
bei Zamboanga auf der philippinischen Insel Mindanao
gesammelt.
2) Idia Lamx. Hydrotheken in zwei entgegengesetzten Rei-
hen, unter sich abwechselnd. Arten: pristis Lamx. von
Australien, exserta Busk (als Cryptolaria) von Madeira,
und obtusa sp. n. von Singapore.
3) Salaciella Kirchenpauer nov. gen. Hydrotheken in
Einer Reihe, je eine über der anderen am Stamm. Einzige
bis jetzt bekannte Art S. plicata sp. n., ebenfalls bei
Zamboanga vom Vortragenden gesammelt.
Herr Reichert legte der Gesellschaft die ihm durch Herrn
Splitt gerber übergebene Photographie und biographische Skizze
der Negerin Millie Christine vor, welche seit mehreren Jahren
in Nord -Amerika und zuletzt in England die Aufmerksamkeit
der Naturforscher im hohen Grade in Anspruch genommen hat.
Die 19jährige M.-Ch., in Nord -Carolina geboren, ist nach der
Beschreibung eine Zwillingsbildung mit zwei vollständig ent-
wickelten Oberkörpern, aus Kopf, Hals, Brust und Armen be-
stehend. Dieser doppelte Oberkörper geht in der Lenden- und
Mittelbauchgegend in einen äufserlich normal beschaffenen, ein-
fachen Unterkörper über; es wird namentlich auch bemerkt,
dafs ein einfacher Rückgrath bis in die hintere Region des
Beckens zu verfolgen sei. Wie die Region des Os sacrum und
Os coccygis sich genau verhalte, ist weder aus der beigelegten
Skizze, noch aus der Abbildung zu entnehmen. Die Beschrei-
bung giebt nur an, dafs an der seitlichen hinteren Beckenregion»
22 Gesellschaft naturforschender Freunde.
da, wo der einfache Leib mit einfachem Rückgrath endigt, sein
unterer Theil allmählich zu beiden Seiten ablenke (^incline out-
wards from each side") und in vier Beine endige, von welchen
die beiden äufscren zum Gehen allein in Gebrauch gesetzt wer-
den und also wohl am vollkommensten ausgebildet sind. Mit
Ausnahme der vier Beine soll sich der Unterleib wie der eines
einfachen Weibes verhalten (Tthe whole of (he lower Organisation
of the body is that of one female"). Die bisherigen Berichte be-
lehren uns auch nicht über das anatomische Verhalten der
Beckenregion und namentlich über die Verbindung der vier
Beine mit dem Becken. In jedem der beiden Oberkörper be-
finden sich nach den Untersuchungen der Anatomen in Phila-
delphia: Herz, Lungen und der entsprechende Abschnitt des
Tubus alimentarius. In Beziehung auf den letzteren heifst es,
dafs die Function der Digestion für jeden einzelnen Oberkörper
gesondert sei. Dies scheint sich wohl vornehmlich auf den
Magen zu beziehen; in Betreff des unteren Abschnittes des
Tubus alimentarius fehlen nähere Angaben. Der Puls an dem
einen schwächeren Oberkörper (Millie) ist um etwa 4 Schläge
in der Minute geringer, als der der Christine, während der
Herzchlag beider Herzen nahezu derselbe sein soll. Die Lebens-
äufserungen der beiden Oberkörper verhalten sich wie die von
zwei gesonderten Individuen im Denken, Sprechen, bei den ge-
meinschaftlichen Duettgesängen, welche Millie mit Sopran-,
Christine mit der Altstimme ausführt. Unerachtet des geson-
derten Denkvermögens zeigt sich eine aufserordentliche Harmonie
in den Willensäufserungen Beider. Sie stehen und gehen mit den
äufseren Beinen und führen zierliche Tänze aus. Der Hunger
stellt sich bei Beiden gleichzeitig ein. Die Tastempfindungen
an den Oberkörpern sind völlig gesondert; unter der Vereini-
gungsstelle beider Oberkörper werden alle Berührungen der
Haut von dem Sensorium der Oberkörper gemeinschaftlich wahr-
genommen. Ist diese letztere von allen Berichten bestätigte
Angabe richtig, so ist an der Vereinigungsstelle beider Ober-
körper im Verlauf des einfachen Rüekgraths auch das Rückenmark
eines einfachen Individuums anzunehmen. Hiernach gehört die
in Rede stehende unvollständige Zwillingsbildung in die Kate-
gorie jener bekannten Fälle, bei welcher die bilateral -symme-
Sitzung vom 20. Februar. 23
trische Keimspaltung in der Medianlinie der Keim-Anlagen gleich-
zeitig am Kopf-, — und zwar hier vorwiegend, — und Schwanz-
ende begonnen hat, in der Lenden- und Unterbauchgegend jedoch
nicht zum Austrage gekommen ist. Zweifelhaft bleibt es, wie
weit im Bereiche der Eingeweide die Keimspaltung vorgedrun-
gen sei. Bei unvollständigen Zwillingsbildungen dieser Art giebt
es, wie die Untersuchungen des Herrn Dönitz gelehrt haben,
röhrige, häutige Bildungen wie z. B. die des Tubus alimentär ius,
die anscheinend einfach bilateral-symmetrisch construirt erschei-
nen und dennoch in jeder Hälfte die beiden bilateral -symmetri-
schen Elemente des normalen Hohlkörpers enthalten. Es wäre
zu wünschen, dafs dieser so aufserordentlich günstige Fall einer
partiellen Zwillingsbildung weniger zum Spectakelstück für die
Neugierde und zum Gelderwerb, als vielmehr zum Gegenstande
ernster physiologischer Studien gemacht würde.
Die beiden Individuen einer nur theilweise oder auch völlig
getrennten Zwillingsbildung sowohl des Menschen als der Säuge-
thiere sind, wie auch der gegenwärtige Fall lehrt, stets gleichen
Geschlechts, entweder männlich oder weiblich. Da die bilateral-
symmetrische Keimspaltung, durch welche diese Zwillingsbildun-
gen erzeugt werden, sehr frühzeitig und zwar um die Zeit der
Bildung der Primitivrinne sich einstellt, so hätte man anzuneh-
men, dafs hier die Geschlechtsdifferenz schon vor dem Auftreten
der Primitivrinne in dem befruchteten Eie gegeben sei. Die
Anatomie und Physiologie besitzt gegenwärtig noch keine siche-
ren Anhaltspunkte, um die Frage zu beantworten, ob die Ge-
schlechtsdifferenz schon in dem unbefruchteten Ei vorhanden
sei, oder ob sie erst später bei der Befruchtung oder während
der Entwickelungsvorgänge bis zum Auftreten der Primitivrinne
zur Entscheidung gelange; völlig räthselhaft bleibt es überdiefs,
durch welche ursächlichen Momente die Geschlechtsdifferenz
überhaupt zu Stande komme. Herold 's Beobachtungen und
von Siebold 's Forschungen über Parthenogenesis beim Seiden-
spinner und bei den Arten der Gattung Psyche führen auf Er-
scheinungen und Vorgänge zurück, aus denen man auf die Un-
abhängigkeit der Geschlechtsdifferenzirung vor dem Befruchtungs-
act schliefsen müfste. Dr. Joseph in Breslau hat neuerdings
(Bericht über die Thätigkeit der entomologischen Section der
24 Gesellschaft naturforschender Freunde.
Schlesischen Gesellschaft im Jahre 1870) Beobachtungen mitge-
theilt, aus welchen hervorgeht, dafs bei Liparis dispar, Orgyia
gonostigma und antiqua schon die unbefruchteten Eier in den
keimbereitenden Röhren durch ihre Form die geschlechtliche
Differenz zu erkennen gebe. Für diese Ansicht spräche auch
die Angabe, dafs aus den unbefruchteten Eiern der Bienen-
königin stets Drohnen hervorgehen. Diesen Thatsachen gegen-
über stehen die aus einem befruchteten Ei sich entwickelnden
hermaphroditischen Thiere und vor Allem die hermaphroditischen
Individuenstöcke, welche letztere bei den Pflanzen so sehr ver-
breitet sind. Sie liefern den unzweifelhaften Beweis, dafs hier
weder die unbefruchteten noch die befruchteten Eier einen be-
stimmten Gescblechtscharakter haben können. Man wird sich
wohl dabei beruhigen müssen, das Auftreten der geschlechtlichen
Differenz zu der Zeit und an dem Ort festzustellen, wann und
wo die entsprechenden anatomischen Charaktere vorgefunden
werden.
Als Geschenke wurden mit Dank entgegengenommen :
Monatsberichte der Berl. Akad. der Wissenschaft. November 1871.
Erster Jahresber. d. naturw. Vereins zu Osnabrück. 1870. 1871.
Protokolle über die Verhandl. der perman. Commission d. Europ.
Gradmessung. Wien 1871.
Protokolle üb. d. Verhandl. d. allgem. Conferenz d. Europ. Grad-
messung. Wien 1871.
Une experience relative ä la question de la Vapeur vesiculaire p.
Plateau. Bruxelles 1871.
Memoires de VAcad. Imp. d. Sc. d. St. Petersbourg. Tome XVI.
No. 9—14. Tome XVII. No. 1 — 10.
Bulletins de VAcad. Imp. d. Sc. d. St. Petersbourg. Tome XVI.
Agassiz, kleiner besonderer Abdruck über Tiefgrundhebungen im
Meere.
K. W. Soliado'a Buclulruckerei (L. Schatte) In Berlin, SUllschrcibci ;Jr. 11
Sitzun os-Bericht
o
der
Gesellschaft naturforsohender Freunde
zu Berlin
am 19. März 1872.
Director: Herr Geheimer Medicinalrath Gurlt.
Herr Ehrenberg gab zu den im Mai vorigen Jahres hier
mitgetheilten Nachrichten und Proben von einer seltenen Seh-
kraft weitere Erläuterungen und Zusätze. Aus einem Schreiben
des Herrn Professor Reuter am Katharinäum in Lübeck an
Herrn Dr. Frege in Wismar geht hervor, dafs der Verfasser
von Kleinschriften ganzer Predigten der verstorbene Pastor
Peter Heinrich Petersen in Lübeck ist. Es heisst in dem
Schreiben des Professor Reuter wörtlich weiter: „In Beziehung
auf die Augen des Pastor Petersen habe ich von dem Urenkel
nur folgende kurze aber sichere Nachrichten einziehen können.
Der Pastor Petersen memorirte im stärksten Tabaksqualm
nach solchen Reinschriften, von denen eine eben beiliegt, seine
Predigten und folglich hätte er sie auch auf der Kanzel zur
Noth einmal benutzen können." — „Ich lege noch einen ganzen
Band so zu sagen sehr klein geschriebener Predigten von Baum-
garten-Crusius, dem ersten dieses Namens und dem Vater
jener beiden Baumgarten-Crusius, von denen der eine als
Philologe, der andere als Theologe rühmlich bekannt geworden
ist, bei. Die Schrift dieser Predigten ist zwar lange nicht so
klein, als die unseres Petersen, aber dennoch werden diesel-
ben, wie ich nicht zweifle, Interesse haben. — Von Petersen
[1872.] 3
26 Gesellschaft naturforschender Freunde.
sollen auf der Göttinger Bibliothek noch einige so klein ge-
schriebener Predigten aufbewahrt werden. — "
Zu diesen von einer noch kleiner geschriebenen Predigt,
als die zwei im Mai vorgelegten, und dem Fascikel von Predig-
ten von Baumgarten -Crusius begleiteten Nachrichten des
Herrn Professor Reuter ist durch den Hauptpastor zu Trave-
münde bei Lübeck Herrn Dr. theol. et phil. Heller folgende
nähere Bezeichnung, die Predigten des Professor Baumgarten-
Crusius betreffend, mir gütigst mitgetheilt worden. Er schreibt
darüber wörtlich: „Wie Sie sehen werden sind die Predigten
nicht Abschriften sondern erster Entwurf und dadurch um so
interessanter. Auch scheint der Verfasser sie als Concept auf
der Kanzel benutzt zu haben, da, wie Sie bemerken werden, er
unter einer geschrieben, dafs er wegen Augenkrankheit sie nicht
habe halten können."
Diese neuen Materialien sind von höchst auffallender Eigen-
tümlichkeit und bestätigen das Vorkommen sehr seltener Seh-
kraft bei einzelnen Menschen. Es ist eine längst bekannte und
vielfach wiederholte Thatsache, dafs Kalligraphen und Kupfer-
stecher im Stande sind auf den Raum eines halben oder ganzen
Silbergroschens das Vater -Unser oder die Zehn Gebote lesbar
aufzuschreiben. Auch werden bei Kalligraphien oft verschlun-
gene Zierrathen in sehr kleiner Schrift mühsam ausgeführt und
auf Kassenbillets ist öfter eine sehr kleine Schrift zur Sicherung
gegen Nachahmung angebracht. Alle diese Fälle erwecken
zwar leicht Versuche die Sehkraft der natürlichen Augen mit
Glück zum Lesen derselben anzustrengen und mit Hülfe von
Brillen und Lupen erreicht man die Genugthuung sie vollständig
zu entziffern. In all diesen Fällen ist das Schreiben sowohl als
das Lesen so kleiner Schrift ein angestrengter Zeitvertreib ge-
wöhnlich mit künstlich verstärkter Sehkraft und verlangt nur
vorübergehende kurze Anstrengung.
Ganz anders sind die Convolute geschriebener Predigte«
des Predigers Petersen, von denen im Mai bereits die Rede
war. Sie sind massenhaft nicht zum Vergnügen oder zur Osten*
tation verfertigte Produkte, vielmehr sind sie in behaglicher
Natürlichkeit zu oft wiederkehrenden Zwecken verwendete Iliill's-
mittel amtlicher Thätigkeit. Wenn die im Mai v.J. vorgelegten
Sitzung vom 19. März. 27
Predigten auf einen Pariser Zoll 35 Schriftzeilen enthielten, so
zeigt diese neueste Predigt in Kleinschrift desselben Verfasser
38 Schriftzeilen auf einen Pariser Zoll und ist die ganze Predigt
in den Raum von 3| par. Zoll Länge und 5^ Zoll Breite nieder-
geschrieben. Diese Schrift zu entziffern, welche der Verfasser
geläufig gelesen hat, ist selbst mit der Lupe immerhin schwierig,
so dafs nur einzelne Worte deutlich werden. Diese Schwierig-
keit scheint in der Eigentümlichkeit der Handschrift des Ver-
fassers zu liegen, welche keine geradlinigen Buchstaben enthält.
Ganz anders sind die Schriften von Baumgarten-Cru-
sius aus Merseburg. Das übersandte Büchelchen, dessen Blätter
6£ Zoll Länge und 3£ Zoll Breite haben enthält 148 Blätter
und auf diesen 270 Predigten, so dass auf jedem der meisten
Blätter 2 Predigten niedergeschrieben sind. Alle diese Blätter
enthalten in einem Pariser Zoll 18 Schriftzeilen und sind meist
für myopische Personen oder bei Vergrösserung mit einiger An-
strengung lesbar. Bei einer solchen Massenhaftigkeit gleicher
Thätigkeit der Sehkraft ist die Vorstellung einer grofsen An-
strengung oder Ostentation des Verfassers ausgeschlossen. Es
ist auch kein Zeitvertreib, sondern offenbar eine einfache und
ungezwungene Verwendung einer natürlichen Sehkraft. Es feh-
len noch einige Nachrichten darüber, ob beide Verfasser dieser
Schriften sich der Brillen bedienten und wie stark sie kurzsichtig
waren.
Es ist mir aus Berlin ein Fall sehr scharfer Sehkraft durch
Kurzsichtigkeit und dessen nicht ostensive aber nützliche Ver-
wendung in gröfserem Maafsstabe bekannt. Es war dies der in
den fünfziger Jahren verstorbene Buchhändler Schüppel, ein
eifriger Insekten-Sammler und aus Liebhaberei überaus genauer
Maler der Insekten. Derselbe hat viele schöne Abbildungen ge-
fertigt, auf denen die Härchen gezählt erscheinen, ohne den
Gesammteindruck des Bildes zu stören und welche, wie sich
unser anwesender Entomolog, Herr Ger stärker, auch erinnert,
durch Vervielfältigen nur verlieren konnten.
Es ist mir durch Professor Reuter noch die Nachricht zu-
gekommen, dafs in Lübeck noch ein anderer Prediger ebenfalls
feine Schriften gefertigt habe, doch sah ich keine Proben und
glaube, dafs man mehrseitig versuchsweise die kleinen Schriften
28 Gesellschaft natur/or -sehender Freunde.
nachgeahmt hahe. Die Predigten des Pastors Petersen sind
von den Jahren 177G an gefertigt, die von Baumgarten-
Crusius aus den Jahren 179G — 1800, also 5 Jahrgänge. Die
kleinste Druckschrift, welche unter dem Namen Nompareille
antiqua zur Ansicht vorliegt, enthält in jedem Pariser Zoll
9 Schriftlinien, also nur die Hälfte der der Predigten von Uaum-
garten-Crusius und den vierten Theil der von Petersen.
Die neuere Photographie kann durch Verkleinerung noch weit
kleinere Schriften darstellen, zu deren Lesen aber wieder höhere
künstliche Verstärkung der natürlichen Sehkraft erforderlich ist.
Herr Magnus berichtet über eine Eigenthümlichkeit der
Delesseria sinuosa (Good. fy Woodw.) Lamour., die er während
der Fahrt der Pommerania beobachtet hat und die er nicht in
der Litteratur erwähnt findet. Am 29. Juni 1871 wurde im
Stoller Grunde in b Faden Tiefe Furcellaria fastigiata in grofser
Menge dicht bei einander wachsend angetroffen und auf dieser
in grofser Häufigkeit die Del. sinuosa. Die Untersuchung zeigte,
dafs sich die letztere an die dünnen runden Stämmchen der
Furcellaria durch zahlreiche einfache oder verzweigte Rand-
spröfschen hielt, die aus parallel verlaufenden Zellreihen beste-
hen und deren fortwachsender Scheitel aus den Endzellen dieser
parallelen Reihen gebildet ist. Sie bilden sich durch gemein-
schaftliches Auswachsen einiger benachbarten, dem Rande nahe
gelegenen Zellen des Delesseria- Laubes. Ihre Verzweigung ist
sehr mannigfaltig. Sie verzweigen sich entweder dicho- bis poly-
tomisch, indem Gruppen der den Scheitel bildenden Endzellen
in verschiedene Richtung weiterwachsen, wobei keineswegs die
Theilsprosse immer gleich stark sind. Oder die Zweige sind seit-
lichen Ursprungs, und werden diese seitlichen Sprosse in eigen-
thümlicher Weise angelegt. Einzelne benachbarte Gliederzellen
benachbarter Reihen wachsen gemeinschaftlich senkrecht zur
Längsrichtung der Reihen aus, um sich später längs und quer
zu theilen. Die diesen sich gleichsam ausbauchenden Reihen-
gliedern peripherisch benachbarten Reihenglieder weiden häutig
theilweise mit hervorgekrümmt und wachsen dann an dem her-
vorgekrümmten Ende weiter, so den äufseren Zellenreihen der
Sprosse den Ursprung gebend.
Diese soeben beschriebenen Sprosse sind ganz analog den
Sitzung vom 19. März. 29
bei manchen Florideen bekannten sogenannten Wurzeln aus
. verwachsenen Zellfäden, wie sie z. B. Nägeli bei Peyssonelia
squamaria und Cryptopleura lacerata, Crouan bei Nitophyllum
reptans, Cr am er bei Herpoceras austräte beschrieben und abge-
bildet haben ; doch scheinen sie hier immer unverzweigt zu blei-
ben, und breiten sich ihre Enden mehr oder minder zu Haft-
scheiben über dem Substrat aus. Letzteres findet nur sehr selten
an diesen Sprossen bei Del. sinuosa Statt, und wurde nur an
schwedischen fructificirenden Exemplaren getroffen, die Vortra-
gendem von Prof. J. E. Areschoug auf seine Bitte freundlichst
zugesandt waren. Auch die sogenannten Wurzeln der Furcel-
laria möchten hier erwähnt werden; doch wachsen diese, wie
die Laubaxen, mit divergirenden Zellreihen und unterscheiden
sich von letzteren überhaupt nur durch ihr nach abwärts ge-
richtetes Wachsthum, sowie die Ausbreitung ihres Scheitels auf
dem Substrate, wo sie dieses treffen. Ebenso haben die Wur-
zeln der Laminarien einen ganz ähnlichen Ursprung, doch
wachsen diese mit unter einem sehr schiefen Winkel divergi-
renden Zellreihen, wenigstens die schon entwickelteren Wurzel-
sprosse.
Anfänglich glaubte der Vortragende es mit einer bestimm-
ten localen Varietät zu thun zuhaben; aber die bei Darserort ,
im Sund u. a. a. O. während der Reise getroffene Del. sinuosa
zeigte dieselbe Bildung; ebenso haben die vor Jahren in Hel-
goland gesammelten Exemplare, sowie die von Dr. O. Rein-
hardt bei Norderney gesammelten und Vortragendem gütigst
mitgetheilten, sowie endlich die aus Schweden von Prof. Are-
schoug erhaltenen sämmtlich diese Wurzel- oder Rankensprosse,
wenn auch in verschiedener Häufigkeit, so dafs sie wohl eine
typische Eigenthümlichkeit der Del. sinuosa sind.
Während Del. sanguinea und Del. Hypoglossum nur aus den
oberflächlichen Zellen der Mittelrippe adventive Laubsprosse ent-
wickeln, bilden sich solche bei Del. sinuosa und Del. alata nur
aus den Randzellen des Laubes (bei Del. alata sehr häufig zahl-
reich in den Winkeln der Normaläste), und fällt die Ebene
dieser adventiven Sprosse mit der Ebene der Hauptfrons zu-
sammen. Es ist nun interessant, dafs, wenn sich in der Frons
der Del. sinuosa Löcher durch Zerreifsen oder sonst wie gebildet
haben, beliebige Randzellen eines solchen Loches zu adventiven
30 Gesellschaft naturforschender Freunde.
Laubsprossen auswachsen, und liegen diese adventiven Laube
ebenfalls in der Ebene der Hauptfrons.
Ferner trug Herr P. Magnus die Ergebnisse seiner fort-
gesetzten Untersuchungen über die Anatomie der Cym odoceen
vor. Durch gefällige Vermittelung des Herrn Dr. Kny erhielt er
von Herrn Dr. Langenbach in Alkohol gelegte Stücke der
Cymodocea nodosa (Ucria) Aschs. aus Palermo. Wenn er auch
an diesem Material die Entwickelung der eigentümlichen Epi-
dermiszellen der Blätter nicht erledigen konnte, so fand er
dafür zu seiner Ueberraschung ein an dem trockenen Material
ganz übersehenes System von Schlauchgefäfsen. Im ganzen
Stammumfange liegen ein bis zwei Zelllagen unter der Epider-
mis senkrecht verlaufende Schlauchgefäfse , deren Inhalt an den
Alkoholexemplaren stärker lichtbrechend ist. Seitliche Verbin-
dungen gehen sie nicht mit einander ein, und findet man zu-
weilen zwei benachbarte, die nur durch eine gemeinschaftliche
Längswand von einander getrennt sind. Sie verlaufen senk-
recht durchs Internodium und biegen durch den Knoten in den
unteren Theil der Blätter, woselbst sie in gröfserer oder gerin-
gerer Höhe aufhören und durch die eigentümliche Ausbildung
der im Jahrg. 1870 d. Ber. pag. 88 erwähnten Epidermiszel-
len ersetzt zu werden scheinen. Während im Internodium keine
Querwände vorhanden sind, sind solche im Knoten erhalten,
und liegen dort auch, aufser den in den Längsreihen liegenden
Schlauchzellen, solche einzeln im peripherischen Parenchym.
Born et hat in seiner schönen Arbeit über diese Pflanze in den
Ann. d. sc. nat. 5e Ser. T. 1 diese Schlauchgefäfse übersehen;
er spricht blofs von überall im Gewebe verbreiteten „cellules
remplies oVun liquide oleagineuseu und erwähnt, dafs sie häufig
seien „dans le renßement du faisceau central".
Wie schon erwähnt, konnte die Entwicklungsgeschichte
der eigenthümlichen Epidermiszellen an dem Material Dicht ver-
folgt werden. Schon im vorigen Jahre fiel dem Vortragenden
ihre sehr verschiedene Länge bei Cym. nodosa auf, und lag die
Vermuthung nahe, dafs die längeren aus der Verschmelzung
unter einander liegender Epidermiszellen unter Resorption der
Trennungswände entstanden sein möchten. Auch wurden zwei
Mal an den mit Kali behandelten Präparaten anvollständige (viel-
Sitzung vom 19. März. 31
leicht z. Th. resorbirte) Scheidewände angetroffen, doch konnte
der Vortragende zu keiner sicheren Entscheidung gelangen, und
ebensowenig ist es ihm heute möglich. Seitdem hat Dr. Engler
in Bot. Zeit. 1871 pg. 886 ganz analoge Schlauchzellen in der
Epidermis der Saxifragen aus der Sectio Cymbalaria nachge-
wiesen und es wahrscheinlich gemacht, dafs die längeren aus
Vereinigung mehrerer unter Verschwinden der Querwände her-
vorgehen. Hervorzuheben ist jedoch, dafs oft bei hintereinan-
derliegenden heterogenen Epidermiszellen die Trennungswände
erhalten sind ; so wurde dies namentlich immer bei Cymodocea
serrulata (R. Br.) getroffen, wo überhaupt diese Zellen meist
von gleicher Gröfse sind und nur relativ wenig die anderen
Epidermiszellen an Länge und Breite übertreffen.
Nachdem der Vortragende das Schlauchgefäfssystem von
Cymodocea nodosa (Ucria) Aschs. kennen gelernt hatte, kam
ihm sogleich die Vermuthung, dafs die Gebilde am Stamme der
Cym. isoetifolia Aschs., die er im Jahre 1870 als dicht unter
der Epidermis liegende Intercellularräume beschrieben hatte,
ebenfalls solche Schi auch gefäfse seien. An dem ihm von Dr.
Ascherson auf seine Bitte sogleich freundlichst mitgetheil-
ten Material konnte er sich von der Richtigkeit seiner Ver-
muthung überzeugen. Die Schlauchzellen liegen hier dicht unter
der Epidermis, und übertrifft ihr Durchmesser den der benach-
barten Parenchymzellen um das Drei- bis Vierfache; sie lie-
gen in senkrechten Längsreihen untereinander, und werden
die Querwände hier nicht resorbirt. Die über ihnen liegenden
Epidermiszellen zeichnen sich durch Gröfse vor den benachbar-
ten aus. Im Blatte, von dem nur der obere stielrunde Theil
untersucht wurde, sind es wiederum Epidermiszellen, die sich
zu Schlauchzellen gestalten. Diese wachsen nach innen in das
unter der Epidermis liegende Parenchym hinein, so dafs sie
völlig in demselben zu liegen kommen und von aufsen nur
durch eine geringe Mündung erkennbar sind. Sie verhalten
sich daher in dieser Beziehung sehr ähnlich wie die Cystolithen
mancher Ficus- Arten. Sie liegen immer einzeln, von einander
durch Epidermiszellen und Parenchym getrennt.
Ganz ähnlich ist die Anatomie der nahe verwandten Cym.
manatorum Aschs., von der Vortragender durch die gefällige
Freundlichkeit des Herrn Dir. Prof. Dr. Buchenau von Wright
32 Gesellschaft naturforschender Freunde.
bei Cuba gesammeltes Material aus dem Bremer Museum unter-
suchen konnte. Sie unterscheidet sich nur in relativen Verhält-
nissen von Cym. isoetifolia. Die Schlauchgefäfse des Stammes
liegen an dem untersuchten Fragment dicht unter der Cuticula,
und sind die benachbarten Epidermiszellen schräg über ihre Sei-
ten geneigt. Ob sie etwa hier am Stamme schon aus Epider-
miszellen hervorgehen, oder ob sie die über ihnen liegenden
Epidermiszellen auseinanderdrängen, wie es bei Cym. isoetifolia
beobachtet wurde, mufs bei reichlicherem Material entschieden
werden. Auch hier waren die Querwände der Schlauchgefäfse
im Stamme meist deutlich erhalten. Im Blatte sind es wiederum
einzelne Epidermiszellen, die sich zu Schlauchzellen ausbilden
und tief in das darunterliegende Parenchym hineinwachsen.
Die übrigen Cymodocea- Arten konnten noch nicht genau
auf diese Verhältnisse untersucht werden, und gedenkt Vortra-
gender dieses bei Gelegenheit nachzuholen.
Die Cymodocea manatorum Aschs. hat einen sehr interes-
santen Blüthenstand. Jeder Blüthe gehen unmittelbar unter ihr
zwei mit kurzer Laubspreite versehene Spathablätter voraus. In
der Achsel des äufseren und unteren derselben steht der Fort-
setzungssprofs. Dieser beginnt mit einem basalen, nach hinten
fallenden, sterilen, kurzscheidigen Vorblatte, dem auf langge-
strecktem Internodium die beiden Spathablätter folgen, von denen
das erste äufsere mit dem basalen Vorblatt alternirt, also über
das Tragblatt des Fortsetzungssprosses fällt; nach der Anlage
der beiden Spathablätter endet der Sprofs mit der dicht über
denselben stehenden Blüthe; in der Achsel des äufseren Spatha-
blattes steht, der ebenso gebaute Fortsetzungssprofs wieder u. s. f.
Die Blüthen kommen daher alle auf dieselbe Seite des Sympo-
diums zu stehen, und stehen daher in einer „Sichel", wie dieser
Blüthenstand von Buchenau in Pringsheim's Jahrbüchern
Bd. IV auseinandergesetzt wurde. Cym. isoetifolia ist vom Vor-
tragenden nicht auf den Blüthenstand untersucht worden; aber
in Kunth's Beschreibung der Cym. aequorea Kön. , die, wie
Ascherson mit schlagenden Gründen nachgewiesen hat, nach
Exemplaren der Cym. isoetifolia Aschs. gemacht ist, heifst es:
^Spicae subsessiles, plurifiorae; articulatae; articuli brevem, bibra-
cteati; bracteae ; exterior interiorem involvens, occultans
Sitzung vom 19. März. 33
bracteam similem, sed multo minorem (gemmam); interior stamina
duo ex axilla emittens; etc.", so dafs hier offenbar dieselbe Blü-
thenverkettung Statt hat. Manche Pota möge ton- Arten bieten
in der oberen Blüthenregion in so fern eine ähnliche Sprofsver-
kettung dar, als auch hier der Fortsetzungssprofs ein basales
Niederblatt hat, dem auf gestrecktem Internodium die zwei
Spathablätter folgen, nach denen der Sprofs mit der Aehre
endet. Aber hier steht der Fortsetzungssprofs in der Achsel des
letzten inneren Hüllblattes, so dafs die Aehren abwechselnd zu
beiden Seiten des Sympodiums fallen und daher in einer „Fechel"
stehen. Aehnlich, aber meist nicht so regelmäfsig, verhält es
sich mit Ruppia, wo der stärkere Sprofs ebenfalls in der Achsel
des obersten Hüllblatts steht und womit Ascherson ohne nä-
here Ausführung die Blüthenstellung von Cym. isoetifolia ver-
gleicht in Linnaea Bd. 25 Heft 2 pg. 187.
Herr Gerstäcker sprach im Anschlufs an einen früher
in der Gesellschaft gehaltenen Vortrag (Sitzung vom 15. Okto-
ber 1867) über androgyne, gewöhnlich als „hermaphroditische"
bezeichnete Bildungen bei Insekten. Indem er dieselben als
Anomalieen, welche auf einem vitium primae formationis beruhten,
hinstellte, wies er auf die verhältnifsmäfsige Häufigkeit derselben
gegenüber den Wirbelthieren hin, möchte dieselbe aber wenig-
stens zum Theil aus dem beträchtlichen numerischen Ueber-
wiegen an Arten sowohl wie an Individuen in der Abthei-
lung der Gliederthiere erklären. (Es wurde in letzterer Be-
ziehung hervorgehoben, dafs aus Europa etwa 520 Vögel, da-
gegen ungefähr 60,000 Insekten -Arten bekannt seien und dafs
sich die Zahl der Gliederthiere allein zu derjenigen aller übrigen
Thiere gegenwärtig wie 5^ : 1 verhalte). Der Vortragende be-
tonte sodann das Interesse, welches sich an die bisjetzt nur in
wenigen Fällen vorgenommene anatomische Untersuchung solcher
androgyner Individuen knüpfe. Die Liebhaberei der Sammler
für solche als besondere Raritäten und Werthstücke betrachtete
Ausnahme-Bildungen und das damit zusammenhangende Bestre-
ben, sie im getrockneten Zustande aufzubewahren, habe es bis-
jetzt nur ausnahmsweise dazu kommen lassen, der wunderbaren
äufseren Erscheinung ein näheres Verständnifs, wie es nur durch
den Nachweis über das Verhalten der Fortpflanzungsorgane er-
öffnet werden könne, abzugewinnen. Ein früher vom Vortra-
34 Gesellschaft naturforschender Freunde.
genden in Bezug auf letztere untersuchter Zwitter der Sphinx
populi gehörte der Categorie der longitudinal getheilten an. Die
gleichzeitig«, wenn auch nur unvollkommene Ausbildung männ-
licher und weiblicher Fortpflanzungsorgane entsprach bei dem-
selben annähernd der äufseren Zweitheilung in eine männliche
und weibliche Seite. Ein seitdem lebend aufgefundener und
beobachteter Zwitter der Blattwespe Ahia sericea Lin., welcher
vom Vortragenden unter Conservirung der äufseren Hülle ana-
tomisch untersucht worden ist, könne unter gleichzeitiger Be-
rücksichtigung seiner Körperbildung und seiner inneren Organi-
sation fast als transversal getheilter bezeichnet werden. Die
ganze äufsere Erscheinung des betreffenden Individuums, die
geringere Gröfse in Verbindung mit dem schlankeren Körperbau
und dem vorwiegend grünen Erzglanz des Hinterleibes würde
auf den ersten Blick in demselben ein Männchen vermuthen
lassen. Mit einem solchen zeigt es sich auch in der Bildung
des Kopfes, an welchem die vergröfserten Augen, der verengte
Scheitel, die dichte buschige Behaarung der Stirn und der Bak-
ken u. s. w. durchaus den männlichen Typus erkennen lassen
— wogegen das Weibchen kleine, weit getrennte Augen, nur
ganz kurze Behaarung u. s. w. besitzt — übereinstimmend, wäh-
rend Fühler, Brustkasten und Beine, welche in beiden Geschlech-
tern keine Unterschiede zeigen, einem Männchen wenigstens
nicht widersprechen. Der im geringeren Grade als beim nor-
malen Weibchen bauchige Hinterleib zeigt die das Männchen
charakterisirende, sammetartige, tief schwarze Rückenbinde des
vierten bis sechsten Segmentes nur zur Hälfte der gewöhnlichen
Breite und zwar der linken Seite entsprechend ausgebildet, wäh-
rend das siebente Segment des dem normalen Männchen zukom-
menden Eindrucks entbehrt und gleich dem achten mehr nach
dem Typus des Weibchens gebildet ist. Auf der Bauchseite des
Hinterleibes zeigt die Schiencnbildung sogar völlig den weib-
lichen Charakter, welcher sich ganz besonders in der Ausbil-
dung der zweiklappigen Legescheide dokumentirt. Obwohl hier-
nach äufserlich neben der ganzen vorderen Körperhälfte auch
die Rückenseite des Hinterleibes vorwiegend männlich erscheint,
hat die Untersuchung der Bauchhöhle dennoch die ausschliefs-
liche Anwesenheit weiblicher Geschlechtsorgane ergeben. Die.
Sitzung vom 19. März. 35
symmetrisch ausgebildten und aus der normalen Zahl von Eiröh-
ren bestehenden Ovarien enthielten zusammen 48 legereife Eier
und schienen von denjenigen eines regulären Weibchens nur
durch die gröfsere Kürze der einzelnen Eischnüre, welche in
ihrem oberen Theil nur wenige jüngere Eikeime enthielten, ab-
zuweichen. An dem in die Geschlechtsöffnung normal ausmün-
denden Ovidukt fand sich auch das Eeceptaculum seminis vor,
so dafs das betreffende Individuum in jeder Beziehung als be-
gattungs- und fortpflanzungsfähig angesehen werden mufste.
Wenn es sieb dennoch — bei der Leere seines Eeceptaculum
seminis von Spermatozoen • — als unbefruchtet erwies,' obwohl
es in Gesellschaft einiger Männchen (und zahlreicher Weibchen)
derselben Art auf den Blüthen von Selinum oreoselinum in der
Umgegend Berlins angetroffen wurde, so läfst sich dies offenbar
leicht daraus erklären, dafs es bei seinem vorwiegend männ-
lichen Habitus der Aufmerksamkeit und dem Begattungstrieb
der eigentlichen Männchen entgangen ist.
Ferner berichtete Herr Gerstäcker über seine Bearbei-
tung der auf der v. d. Decken'schen Expedition (nach dem
Schneeberg Kilimandscharo in Ost -Afrika) von Herrn Dr. O.
Kersten gesammelten Gliederthiere des Sansibar -Gebietes.
Der seinem Abschlufs entgegen sehende Band der wissenschaft-
lichen Abtheilung des Reisewerkes, welcher den Gliederthieren
gewidmet ist, wird sich auf einige dreifsig Bogen Text und
achtzehn Kupfertafeln erstrecken, von denen die 26, resp. 15
ersten der Gesellschaft zur Ansicht vorgelegt wurden. Der
Vortragende bemerkt, dafs er von der Bearbeitung absichtlich
die auf den Seychellen, Comoren, Nossi Be u. s. w. gesam-
melten Arten ausgeschlossen habe, um das faunistische Bild
nicht durch fremde Elemente zu trüben. Aufser den Arten des
Festlandes sind nur diejenigen der nahe liegenden Insel Sansibar
aufgenommen und zwar letztere durch eine von Cooke im
Jahre 1864 für das Museum zu Cambridge veranstaltete Samm-
lung von Coleopteren wesentlich bereichert worden. Für die
bis jetzt durchgearbeiteten Insekten stellt sich die Gesammtzahl
der Arten auf 736 heraus, nämlich: 88 Orthoptera, 2 Neurojitera,
458 Coleoptera, 62 Hymenoptera, 40 Lepidoptera, 12 Diptera
und 74 Hemiptera. Im Verhältnifs zu den wirklich an jener
3G Gesellschaft nutur/or sehender Freunde.
Localität existirenden Arten erscheint diese Ausbeute natürlich
als verschwindend gering; mit Berücksichtigung der Schwierig-
keiten, weicht- sich der Expedition entgegenstellten und des ge-
ringen Zeitraums von drei Monaten, innerhalb welcher wenig-
stens die von der Dschagga-Reise stammenden Arten gesammelt
wurden, ist sie immerhin als ansehnlich zu bezeichnen. Außer-
dem bietet sie die Vorzüge einer fast durchweg vorzüglichen
Conservirung der Exemplare und einer genauen Angabe der
Fundorte und Erscheinungszeit. Durch diese der Sorgsamkeit
des Herrn Dr. K ersten zu dankende genaue Bczettelung der
einzelnen Arten war es möglich, einen Vergleich zwischen dem
faunistischen Charakter der Insel Sansibar, des Küstenstriches
des Festlandes (Mombas und Wanga), des sich diesem nach
innen anschliefsenden Tafellandes (Ugono-Berge, Mbaramu, See
Jipe, Aruscha, Endara) und endlich des Hochgebirges (Kili-
mandscharo) anzustellen. Die auf letzterem Berge in einer Höhe
von 8000 Fufs gesammelten Arten waren der Mehrzahl nach
eigenthümliche; besonders bemerkenswerth unter denselben sind
der Carabus Deckeni Gerst. als die erste bisjetzt unter den
Tropen aufgefundene Art dieser aufserhalb der Wendekreise sehr
reich vertretenen, so wie das Sphenarium pulc^ripes Gerst. als
der erste Afrikanische Repräsentant einer sonst nur Mexika-
nische Arten enthaltenden Gattung. Die Fauna der Insel San-
sibar ergiebt sich von der des Festlandes wenigstens insofern als
nicht unbeträchtlich verschieden, als von 163 daselbst aufgefun-
denen Arten nur Ii2 auch dem Küstenstrich zukommen. Bei
der Bearbeitung der Sammlungen wurde neben der Feststellung
der neuen Arten auch der geographischen Verbreitung der be-
reits bekannten eine besondere Aufmerksamkeit gewidmet. Die
Zahl der ersteren stellte sich auf 414 von 736, diejenige der
dem Lande eigenthümlichen auf 389; von den der kleineren
Hälfte nahe kommenden 369 übrigen lassen zahlreiche eine sehr
ausgedehnte Verbreitung in Afrika erkennen. Es hat nämlich
das Sansibar- Gebiet 171 Arten mit dem Caffernlaml. L06 mit
Mosambik, 103 mit dem Cap. 102 mit Senegambien, 89 mit
Guinea, 41 mit Abyssinien, 36 mit Madagascar, 25 mit Angola
gemein; 15 daselbst einheimische Arten erstrecken sich vom
Cap durch ganz Afrika hindurch bis nach dem südlichen, resp.
Sitzung vom 19. März. 37
mittleren Europa. Der Vortragende wies darauf hin, dafs die
sich aus den erwähnten Ländern ergebenden, in hohem Grade
auffallenden Distanzen nur die bisherigen Erfahrungen über die
Verbreitung der Thiere in Afrika von Neuem bestätigten; Ver-
breitungslinien von 750 bis 850 geogr. Meilen seien wenigstens
für die Gliederthiere Erscheinungen, welche durch Hunderte von
Beispielen belegt werden könnten. Auch zwischen Madagascar
und dem Afrikanischen Continent liefsen sich nahe faunistische
Beziehungen nicht verkennen; so seien z. B. von den bisjetzt
auf Madagascar aufgefundenen 114 Hemipteren 27, also ^ der
Gesammtzahl, zugleich auf dem Festlande einheimisch. Die der
Insel eigentümlichen Gattungen und Arten schlössen sich aber
fast durchgängig so eng an continental- afrikanische Formen an
(nur ein geringer Theil neigt zu denjenigen der Sunda- Inseln),
dafs Madagascar in entomologischer Beziehung nur als dem
Afrikanischen Faunen-Gebiet angehörig betrachtet werden könne.
Dr. Ascherson bemerkte im Anschlufs an Herrn Ger-
stäcker's Mittheilungen über die geographische Verbreitung der
Insecten Ost-Afrika's, dafs diesen Thatsachen meistentheils ana-
loge auf dem Felde der Pflanzengeographie zur Seite stehen.
Allerdings sind Vortragendem keine ausschliefslich afrikanische
Arten bekannt, deren Verbreitung ohne Unterbrechung von der
Nordküste bis zur Südspitze des Continents reichte, obwohl es
an analogen Formen der Mittelmeerregion und des Caplandes,
selbst einzelnen identischen Arten, wie Asplenum Adiantum ni-
grum, nicht fehlt, welche im tropischen Afrika vermifst wer-
den oder nur in hohen Gebirgsländern auftreten. Dagegen
ist die weite Verbreitung der charakteristischen Pflanzenfor-
men des tropischen Afrika's eine Thatsache, die durch jede
neue Erforschung desselben in helleres Licht gesetzt wird.
Die Uebereinstimmung der Flora Senegambiens mit den oberen
Nilländern durch zahlreiche Arten, die sich öfter auch in den
analogen Regionen Vorderasiens bis Indien verbreiten, ist in
den pflanzengeographischen Skizzen Dr. Schweinfurth 's be-
tont worden; es mufs diesem verdienstvollen Reisenden vorbe-
halten bleiben, die speciellen Beziehungen der Vegetation des
von ihm jüngst erforschten Gebietes zu Westafrika, namentlich
zu dem durch die klassischen Forschungen Welwitsch's auf-
38 Gesellschaft naturforschender Freunde.
geschlossenen portugiesischen Afrika, näher zu erläutern; als
Beispiele weiter Verbreitung ausgezeichneter Typen sein hier
aufser der weltbekannten Adansonia der für das tropische Afrika
nicht minder charakteristische Riesen bauru Kigelia pinnata, die
sonderbare Schmarotzer-Gattung Hydnora. die prachtvolle Olea-
cee Schrebera (Nathusia) alata und der sonderbare, in seiner
systematischen Stellung noch unsichere aromatische Strauch My-
rothamnus fiabellifolius Welw. erwähnt. Derselbe bietet zugleich
ein schönes Beispiel der ungeachtet der sehr eigentümlichen
Ausbildung der Vegetation Madagaskars dennoch nachweisbaren
Beziehungen derselben zu der des afrikanischen Festlandes, da
die kürzlich beschriebene Myosurandra Baill. jedenfalls aufseist
nahe mit Myrothamnus verwandt ist. Ein zweites ebenso schla-
gendes Beispiel ist die Auffindung einer Art der früher nur aus
Madagaskar bekannten Podostemonaceen- Gattung Hydrostachys
in Mossambique durch Prof. Peters.
Auch in der Vegetation der höheren Bergregion des Kili-
mandjaro lassen sich ähnliche Anklänge an die Typen gemässig-
ter Zonen nachweisen, wie Herr Gerstäcker von den Insecten
erwähnt hat. Dahin gehört die im October 1868 hier vorgelegte
Plantago Kerste?iii, welche übrigens nur als Varietät von Plant,
palmata Höchst, der Cameroon- Gebirge an der Bai von Benin
verschieden ist, dann Viola alyssinica (ebenfalls auf den Came-
roon's) und andere Beispiele, die, falls über einer späteren
botanischen Erforschung ein besseres Geschick waltet, wohl an-
sehnlich vermehrt werden dürften.
Herr Schultz macht Mitteilungen über die Eier der Ar-
gonauta Argo und legt Exemplare derselben zur mikroskopischen
Besichtigung vor.
Als Geschenke wurden mit Dank entgegengenommen:
Bericht über das Museum Francisco-Carolinum zu Linz nebst der
25. Lieferung d. Beiträge z. Landesk. v. Oesterr. oh d. Ens.
Ober -0 esterreich in seinen Naturverhältnissen als Handbuch
von Ehrlich. Linz 1871.
Monatsberichte der Berl. Alcad. der Wissenschaft. Dezember L871.
A. w. Schade's Buchdrückerei (I-. Schade) in Berlin, Stallscbreiberstr, i<
Sitzungs-Bericht
S'
der
Gesellschaft naturforschender Freunde
zu Berlin
am 16. April 1872.
Director: Herr Präsident von Strampff.
Nach Eröffnung der Sitzung durch Herrn Gurlt machte
das anwesende auswärtige Ehrenmitglied der Gesellschaft Herr
Göppert aus Breslau folgende Mittheilung:
Seit einer Reihe von Jahren beschäftige ich mich von Zeit
zu Zeit mit Untersuchungen über die morphologischen Ver-
hältnisse der Bäume, die von Botanikern weniger beachtet
werden. So bereits im Jahre 1841 mit der Untersuchung des
sogenannten Ueberwallens der abgehauenen Tannen-
stöcke, welches bei Roth- und Weifstannen und Lerchen aber
nicht bei der Kiefer vorkommt und auch nur dann stattfindet,
wenn dergleichen Stämme mit den Wurzeln benachbarter Stämme
verwachsen sind, was freilich nach meinen damals zuerst ge-
machten Ermittelungen in jedem Coniferenwald ganz allgemein
gefunden wird. Als bemerkenswertheste Thatsache erwähne ich
hier, dafs Wurzeln von Weifs- und Rothtannen mit einander
vollständig verwachsen und daher eben auch noch lebende Roth-
tannen Weifstannenstümpfe und umgekehrt Weifstannen Roth-
tannenstümpfe überwallen, wie ich fort und fort beobachtet habe.
Eine solche Verwachsung von zweien wenn auch verwandten
doch sehr gut unterschiedenen Arten wird etwa nur noch bei
wahren Parasiten angetroffen. Mit Kiefern verwachsen die
[1872.] 4
40 Gesellschaft naturforsch? nder Freunde.
Tannen nicht, eben so wenig mit Buchen. Linden, Ahorn und
diese auch nicht untereinander, wie so oft aber fälschlich be-
hauptet worden ist. Ohne äufseren Druck kommt aber eine
Verwachsung von Wurzeln, Zweigen oder Stämmen nicht zu
Stande: die Rinde wird nach beiden Seiten weggeprefst und
nachdem auch der letzte trennende Rest wahrscheinlich durch
Reibung beseitiget worden ist. die Vereinigung der gegenseiti-
gen Cambialgebilde bewirkt. Bei von Rinde entblöfsten Theilen,
wie beim Veredeln der Bäume (Pfropfen, Okaliren und Copu-
liren) erfolgt die Vereinigung aufser durch das Zusammentreten
der Cambiallagen auch noch durch die Bildung eines von den
Markstrahlen ausgehenden Parenchyms, welches ich bereits 1841
fand und intermediäres Gewebe nannte, und welches pas-
sender vielleicht als Vern arbungsgewebe überhaupt bezeichnet
wird. Beim eben erwähnten Veredeln der Bäume ist dieses von.
gröfster Bedeutung unter bisher noch nicht näher untersuchten
Verhältnissen, worüber der Vortragende eine Abhandlung so-
wie auch eine Anzahl erläuternder Photographien vorlegte, in
welcher dieselben näher auseinander gesetzt wurden.
Wie schon in dieser Abhandlung angedeutet ward, erscheint
bei Verwachsungsversuchen jeder Art es dringend noth-
wendig genaue Berührung der verletzten, von Rinde entblöfsten
Flächen der Stämme zu bewirken, erfolgt dies nicht, wird die
verletzte Stelle allmählig bräunlich schwarz, erleidet hei längerer
Dauer Verrottung, deren Spuren auch hei endlicher Ueberwallung
durch die benachbarten Holzlagen stets im Innern der Stämme
noch angetroffen werden. Unifangsreiche Entblöfsungen, wie >ie
durch Astabhiebe veranlafst werden, die man namentlich bei
Eichen zu forstlichen Zwecken zur Erzielung vermehrten Län-
genwachsthums in neuerer Zeit fast widerspruchslos anwendet,
erscheinen daher im höchsten Grade bedenklich. Man erzieh
dadurch wohl, ehe der Stamm seinen völligen Kronenabschlufs
erlangt, allenfalls einige Verlängerung, doch erleide! er zugleich
auch im Innern an den abgehauenen Stellen Verrottungen,
welche seinen Werth sicher sehr beeinträchtigen. Der Vortra-
gende belegte dies durch eine Anzahl von Photographien, die
zu einem Werke gehören, welches er im [nteresse des vom dem
Königl. Forstmeister Herrn Tramniu geleiteten schlesischen
Sitzung vom 16. April. 41
Forstvereines unter dem Titel: „Erhaltung unserer Ei-
chen oder über die inneren Zustände unserer Bäume
nach äufseren Verletzungen" baldigst herauszugeben ge-
denkt.
Veranlassung hierzu gab die allgemeine Versammlung der
Forst- und Landwirthe Deutschlands im Jahre 1868 zu Breslau,
bei der es sich herausstellte, dafs diese inneren Vorgänge bis
dahin ganz unbekannt waren. Je vollständiger die Ueberwal-
lung um desto verrotteter das darunter liegende Innere. Winke,
deren Beachtung sich unsere Forstbehörden wohl ferner nicht
entziehen dürften. Es wäre überhaupt an der Zeit, sich zu
einem rücksichtsvolleren Verfahren gegen die Baumwelt bestim-
men zu lassen, wenn es sich, wie namentlich bei Alleen, um Er-
haltung ursprünglich schöner Formen handelt. Ahorn und
Eschen verhindert man durch das landesübliche Abstutzen an
der freien Entfaltung ihres so überaus zierlich gabiigen Wachs-
thums, von welchem, wie überhaupt von dem ursprünglich ge-
gebenen Astwinkel die Natur sich sehr selten eine Abweichung
gestattet; die Hauptursache des verschiedenen Habitus der Bäume
ist Zeichnern und Malern insbesondere zur Beachtung nicht genug
zu empfehlen. Nur durch Studium von Photographien der Bäume
im blattlosen Zustande kann man zu richtigerer Auffassung der
Bäume im belaubtem Zustande oder des Baumschlages gelangen.
Ganz besonders aber frevelt man gegen Linden, durch Ab-
stutzen der Wurzeln und Zweige, daher auch die überaus grofse
Seltenheit schöner Linden -Alleen, daher vorzugsweise die Dif-
formität der Linden in der Hauptstrafse Berlins, welche eine
wahre Musterkarte unschöner Bäume meist in Folge dieses frü-
her geübten Verfahrens darbietet. Dafs das Leuchtgas auf Lin-
den nachtheilig wirkt, hat man bereits im Jahre 1850 auf den
Kais in Amsterdam mit Entschiedenheit beobachtet und auch
bei uns in Breslau oft genug wahrgenommen, daher bis jetzt
noch gezögert Gasbeleuchtung auf Promenaden einzuführen.
Schliefslich besprach der Vortragende noch das Vorkommen von
fast vollkommen runden oft gallenartigen Auswüchsen auf der
Oberfläche der an Eigentümlichkeiten wahrhaft unerschöpflichen
Nadelhölzer. Auch hier stellte sich durch Längsschnitt Störung
in der Entwickelung der Vegetationsaxe als Ursache heraus, ge-
4*
42 Gesellschaft naturforschender Freunde.
rade so wie man auf diese Weise in jedem einst abgestutzten,
wenn auch längst überwachsenen Zweige noch die Spuren de.-
Schnittes zu erkennen vermag.
Im Breslauer botanischen Garten habe ich gegenwärtig alle
diese und noch andere wichtige Momente im Leben der Bäume
an lebenden und todten Exemplaren bezeichnet, und somit den
ganzen Garten in den Bereich der früher nur auf beschränktem
Räume vorhandenen physiologisch -morphologischen Partie ge-
zogen.
Herr Ehrenberg zeigte eine vom Capitain Niejahr des
Schiffes Friedrich auf einer Reise um das Cap Hörn gemachte
Sammlung zahlreicher Meeresprodukte vor, welche ihm zu wis-
senschaftlicher Benutzung übersandt worden ist. Neuerlich
ist das Wetterbuch des Schiffes beigegeben, woraus hervorgeht,
dafs Herr Capitain Niejahr mit taktvoller Auswahl, ernster
Sauberkeit und Umsichtigkeit beim Sammeln verfahren ist. So-
wohl die genaue Oertlichkeit als die erläuternden Naturverhält-
nisse der Witterung, des Umfanges der Verbreitung und Tiefe
sammt anderen Nachrichten bevorzugen diese merkantilisch we-
niger, aber für wissenschaftliche Benutzung ansehnlich inter-
essante Sammlung, welche 2G Grundproben aus geringen Tiefen
und 100 sauber erfüllte Fläschchen und Gläser enthält. Wie
im Jahre 1862 der Capitain Gutkese aus Bremen von seiner
ostindischen Reise eine sehr schätzenswerthe Probe des in rein-
lichen Schaaffellen aufgefangenen atlantischen Passatstaubes und
deren umsichtige Beobachtung mitbrachte, so habe ich mich auch
angeregt gesehen, diese Materialien des Herrn Niejahr zu ana-
lysiren und werde in wenig Tagen sie in einer Uebersicht des
Tiefgrundlebens der Oceane der Akademie der Wissenschaften
mit vorlegen. Während bisher fast ausschließlich nordamerika-
nische Schiffer sich veranlafst fühlten die besonderen Erscheinun-
gen der Atmosphäre und der Meeresoberflächen und Tiefgründe
der wissenschaftlichen Verwerthung zuzuführen, werden ja nun die
deutschen Schiffer nicht nur die Menagerien- und Naturalien-
händler, sondern auch die merkantilisch unverwerthbarea Erschei-
nungen den arbeitsamen Naturforschern zuführen, welche die-
selben zu verwerthen Lust und Uebung haben. Alles feine
Meeresleuchten, alle Färbungen der Oberflächen mir Beachtung
Sitzung vom 16. April. 43
bis zu welcher Tiefe, alle Anker- und Grundproben, alle Luft-
staube sind in reinlichen Proben wissenschaftlich weit interesse-
voller als die werthvollen Thranthiere, die bunten Muscheln.
Korallen und Schwämme. Durch eine Anzahl befestigter Baum-
wollenbäusche lassen sich feine Luftstaubarten leicht einfangen,
und der Staub in festem weifsem Papier oder Glas aufbewahren.
Da es so viele intelligente Führer der zahlreichen deutschen
Handelsschiffe giebt, welche, unter specieller Anleitung der nord-
deutschen Seewarte, deren Direktor, Herr v. Freeden, heut als
Gast anwesend ist, die Oceane in allen Richtungen durchkreuzen,
wohin nur selten ein Naturforscher von Fach oder auch ein
Kriegsschiff gelangt, so ist wohl zu hoffen, dafs noch Andere
sich angeregt fühlen werden ähnliche Beobachtungen gelegent-
lich zu machen und die so schwierig zu erlangende Uebersicht
besonders des wichtigsten kleinsten Lebens der Oceane, deren
Grundschlamm als trockne Felsen unsere Länder in 1000 Fufs
hoher Mächtigkeit bildet, zu ermöglichen.
Herr Gerstäcker legte der Gesellschaft, mit Hinweis auf
die früher von Herrn Prof. Braun gemachten Mittheilungen
über Pflanzengallen, eine eigenthümliche, von Herrn Hofgärtner
L. Mayer in Potsdam an der Wurzel einer jungen Eiche ge-
fundene knollenförmige Galle vor, welche durch die Cynips quer-
em radicis Fab. erzeugt wird. Diese mit einem kurzen Stiel
dem Grunde der Eichenwurzel aufsitzende Galle hat etwa die
Gröfse und das Ansehn einer Wallnufs, zeigt eine holzige Con-
sistenz und Struktur und in ihrem Innern eine grofse Anzahl
von Kammern (Larvenwiegen). In den ersten Tagen des April ent-
wickelten sich aus derselben 75 Individuen der Gallwespe, wie
bei allen bisherigen Zuchtversuchen mit Eichen-Gallwespen, durch-
weg Weibchen. Das Ausschlüpfen derselben aus der Galle er-
folgt nicht allseitig von der Peripherie gegen das Centrum hin,
sondern wie die jetzt verlassene Galle erkennen läfst, ausschliefs-
lich an ihrer der Erdoberfläche zugewandten Hälfte. Indem der
Vortragende darauf hinweist, dafs über den Entwickelungsmodus
solcher vielkammeriger Gallen bisjetzt nichts Näheres bekannt
sei, wendet er sich gegen die Annahme Hartig's, nach welcher
die in einer Wucherung des Pflanzengewebes bestehende Gallen-
bildung im Allgemeinen die Folge des durch die weiblichen
44 Gesellschaft naturforschender Freunde.
Wespen bewirkten Anstechens und der dabei vorgenommenen
Ei -Ablage sei. Wäre dies richtig, so müsse man annehmen,
dafs die Wirkung des Stiches während eines langen Zeitraums
latent bleibe, da z. B. die Blattgallen der Eichen erst im
Sommer und nach völliger Ausbildung der Blätter sich zu ent-
wickeln begönnen, während die im ersten Frühling ausschlüpfenden
Gallwespen-Weibchen direkter Beobachtung zufolge die zu dieser
Zeit allein vorhandenen Blattknospen anstächen. Da indessen
u. A. von der hier in Rede stellenden Gallwespe in einer Art
von Instinkts- Verirrung gleichfalls die Eichenknospen häulig an-
gestochen und mit Eiern belegt würden, ohne dafs sich an den
späteren Blättern solcher Knospen jemals Gallen entwickelten,
so könne dem Stich und dem Ei an und für sich überhaupt
nicht der Impuls zur Gallenbildung zugeschrieben werden, viel-
mehr sei derselbe auf Rechnung der sich aus dem Ei entwickeln-
den Larve zu setzen. Unter Vorlegung eines mikroskopischen
Präparates geht der Vortragende sodann auf die höchst sonder-
bar geformten, nämlich in einen langen, fadenförmigen Schlauch
auslaufenden Eier der Gallwespen ein und bestätigt unter Zurück-
weisung des von Hartig behaupteten Hermaphroditismus die
agamische oder parthenogenetiscbe Fortpflanzung der Cynips-
Arten, von welchen Männchen überhaupt noch nicht mit Sicher-
heit bekannt seien. Mehrere von ihm im Freien auf Eichen-
knospen angetroffene und in der Eiablage begriffene Weibchen
erwiesen sich nach der Leere des Beceptacuhnn seminis als un-
befruchtet, was gewifs nicht der Fall sein würde, wenn etwa.
wie man wohl hat vermutben wollen, die Männchen sich aus
anders geformten, oder überhaupt nicht aus Gallen entwickelten,
Endlich sei auch die Annahme Hartig's, dafs eine und die-
selbe Gallwespe unter allen Umständen identische Gallenbildun-
gen hervorrufe, nicht durchwegzutreffend; denn die von BurgS-
dorf bekannt gemachte Cynips calycis erzeuge auf QuercuA />e-
dunculata, sessilijlora und cerris drei Gallen, wie sie verschiedene]
gai-nicht gedacht werden könnten. Es wird dies durch Vorzei-
gung der von Hartig als Gyn. caput medusae bezeichneten Gal-
len und der sogenannten Knoppern, welche Weide das Produkt
der Cyn. calycis sind, belegt.
Ferner legte Herr Gerstäcker der Gesellschaft einig
Sitzung vom 16. April. 45
sonders interessante, von den Weibchen verschiedener Bienen-
Gattungen zur Aufzucht ihrer Nachkommenschaft angefertigte
Brutstätten zur Ansicht vor und gah Erläuterungen über die
Art und Weise ihrer Anlage. Gleich der schon durch Reaumur
in ihren Kunsttrieben gekannten und erläuterten Megachile cen-
tuncularis, welche die Rosenblätter mit ihren Kiefern zerschneidet,
stellt auch eine gröfsere einheimische Art: Megachile maritima
Kirh. cylindrische Brutzellen aus theils länglichen, theils kreis-
runden, mit grofser Genauigkeit abgezirkelten Blattstücken her.
Die vom Vortragenden zuerst bekannt gemachte Osmia caemen-
taria Gerst. heftet ihre Brutzellen in der Freienwalder Gegend
an die Aufsenseite der dort häufig vorkommenden erratischen
Granitblöcke an und macht sie, durch Pflasterung ihrer Aufsen-
fläche mit kleinen Kieseln, ihrer Unterlage an Ansehn ganz gleich.
Aufser der Biene erlangt man aus denselben durch Zucht auch
ihren Parasiten, die Chrysis simplex Dahlb. Die Australische
Xylocopa bombylans Fab. höhlt den 9 Linien starken Schaft
einer Xanthorrhoea central aus und verwendet zur Herstellung
der die einzelnen Brutzellen trennenden Scheidewände das zuvor
ausgenagte und herausgeschaffte Holzmehl. Eine Ckalicodoma-
Art vom Cap führt ihre aus Lehm angefertigten Brutzelltn in
Form vierkantiger Säulen, welche nach Art der Orgelpfeifen
regelmäfsig aneinandergereiht sind, auf. Eine gleichfalls am Cap
einheimische Heriades -Art endlich hängt ihre kugelrunden, aus
Lehm und Steinchen sehr zierlich hergerichteten Brutbehälter,
welche in ihrem Inneren mehrere Larvenwiegen enthalten, frei
an Baumzweigen auf.
Herr Braun legte eine Anzahl von Zapfen der californi-
schen Pinus contorta Dougl. zur Ansicht vor. Unter 10 unter-
suchten Zapfen befinden sich 2 mit abweichender Anordnung der
Schuppen, beide mit den Zahlen der Parastichen 7, 11, 18, 29
und 47 der senkrechten Zeilen, somit der Stellung ^f aus der
Kette zwischen \ und £, während die Normalstellung 8, 13, 21,
34, 55 zeigt, somit fi ist. Fünf von den untersuchten Zapfen
bilden einen Quirl vom Haupttriebe des Stammes und einer von
diesen zeigt das erwähnte abweichende Stellungsverhältnifs. Alle
5 Zapfen dieses Quirls sind unter sich und mit der Hauptachse,
an der sie sich befinden, gleichwendig. Während hier, wie bei
46 Gesellschaft naturforschender Freunde.
manchen anderen Arten der Gattungen Pinus, Picea, Abies und
Larix abweichende Stellungsverhältnisse nicht gar selten vor-
kommen, scheinen sie bei der gemeinen Kiefer, Pinus sylvestris.
sehr selten zu sein. Unter 100 neuerlich von Dr. Sanio aus
Lyck gesendeten, von 8 verschiedenen Bäumen mit auffallenden
individuellen Abweichungen entnommenen Zapfen fand sich auch
nicht ein einziger mit ungewöhnlicher Anordnung der Schup-
pen, alle zeigten die gewöhnliche -^f- Stellung.
Derselbe legte ferner zwei neuerlich erschienene Abhand-
lungen vor, welche dem Gebiete der Blattstellungslehre ange-
hören : Chauncey Wright, the uses and origin of arrangement of
leaves in plants und Alexander Dickson, on some abnormal cones
of Pinus Pinaster. Die letztere behandelt eine Reihe sehr merk-
würdiger, an Zapfen der genannten Art, beobachteter Umsetzun-
gen der Blattstellung und knüpft daran allgemeine Betrachtungen
über die auch in solchen Fällen eingehaltenen Gesetze.
Als Geschenke wurden mit Dank entgegengenommen:
Monatsbericht der Berl. Akad. der Wissenschaft. Januar 1872.
Botanische Zeitschrift aus Petersburg.
Drei Hefte Druckschriften der königl. ungarischen geologischen An-
stalt. Pest 1871. 1872.
Dritter Bericht des botanischen Vereines in Landshut 1871.
Sitzungsbericht der physik. medicinischen Societät in Erlangen.
Heft 3. Erlangen 1871.
A. W. Schnde'i Buchriruckarei (L. Scharia) in Uerlin, St
Sitzungs-Bericht
der
Gesellschaft naturforsohender Freunde
zu Berlin
am 21. Mai 1872.
Director: Herr Präsident von Strampff.
Herr Hartmann legte farbige Zeichnungen von Köpfen
älterer und jüngerer Chimpanses und Gorillas vor, auch diejenige
des neuerdings durch Schweinfurth bekannter gewordenen Mbaam-
chimpanse aus Centralafrica. Diese wurde aufgenommen nach
dem sehr wohlerhaltenen Specimen des Museo civico von Genua
und des anatomischen Museums zu Berlin, welches letztere sein
Exemplar als Geschenk des verdienten Aegyptologen Professor
Duemichen erhielt. Alsdann legte Vortragender G. Ra mann 's
„Schmetterlinge Deutschlands und der angrenzenden Länder"
vor und machte namentlich auf die überraschend schön gear-
beiteten Farben tafeln des in dieser Hinsicht mustergültigen Wer-
kes aufmerksam.
Herr Peters machte eine Mittheilung über Tetrodon pun-
ctatus Bloch-Schneider.
Herr Günther hat im 8. Bande seines Catalogue of Fishes,
pag. 282, den Tetrodon punctatus Bloch-Schneider fraglich
als ein synonymon von T. testudineus L. aufgeführt. Er istoffenbar
zu dieser Annahme dadurch verleitet worden, dafs Müller and
Troschel unter diesem Namen eine Art anfünren, welche Herr
Richard Schomburgk in .British Guiaua gesammelt hat
(Schomburgk, British Guiana. III. pag. 641).
[1872.] 5
48 Gesellschaft naturforschender Freunde.
Das trockne Original-Exemplar aus der Bloch 'sehen Samm-
lung, noch mit einem alten Zettel versehen, auf welchem „T.
punetatus Bloch" steht, pafst ganz gut zu der Beschreibung,
welche Schneider, Systema piscium, pag. 50G, von demselben
gegeben hat:
„T. corpore oblongo coerulescente, nigro punetato, toto his-
pido, cauda postice tantum laevi, venire albo, pinnis
luleis, fusco maculatis, naribus tubulosis, pinna dorsi
anteriore anali.
P 18., A. 10. C. 10. D. 10.
Longitudo et circumferentia sesquipedalis."
Das Exemplar (No. 4292 Mus. Berol.) ist 56 Centimeter
lang, hat geschlossene doppelte Nasententakel und ist überein-
stimmend mit Lacepedes Tetrodon etoile, welchen Bleeker als
„Crayracion stellatus, (Atl. Ichthyol. Gymnod. Taf. 5. Fig. 2.)",
so vortrefflich abgebildet hat. Es ist aber gar nicht anzuneh-
men, dafs Schneider diese Art, welche nach dem Zeichen (*)
ihm vorgelegen hat, und welche auch so gut auf seine Be-
schreibung pafst, als eine Varietät von T. lagoeephalus aufge-
führt haben sollte, von welchem ihm ebenfalls die Bloch sehen
Originalexemplare vorlagen. Nur das Vaterland ist offenbar
unrichtig angegeben, obgleich richtig auf dem Zettel „Ostin-
dien" und nicht „America" steht.
Der von Müller und Troschel 1. c. als Chelichthys pune-
tatus aufgeführte Fisch (No. 4291 Mus. Berol.) hat aber gar
nichts mit dem T. punetatus Bl. Sehn, zu thun, da weder die
Nasenlöcher tubulös sind, noch die Rückenflosse vor der Anal-
flosse steht, noch die Bewaffnung über den Anfang der Rücken-
flosse herausgeht. Es ist offenbar nichts anderes als ein sehr
altes Exemplar von dem durch seine kleinen Augen und den
breiten Interorbitalraum so ausgezeichneten T. psittacus Bl.
Sehn., an welchem sich auch noch Spuren der dunklen Quer-
binden, aber keine Punkte oder runde Flecke erkennen lassen.
Herr Ehrenberg sprach über die neuesten Nachrichten
aus Californien vom Geologen Professor Whitney und legte
einen Abdruck des an ihn gelangten Schreibens vor. Derselbe
erläuterte dann die Möglichkeit des Entstehens und Andauerns
von bis 1000 Fufs hohen Bacillarien-Wänden, so wie das Vor-
Sitzung vom 21. Mai. 49
kommen von mächtigen Infusorienschichten als Kämme und
Gipfel von isolirten Hügeln und Bergen. Ferner besprach Der-
selbe die auffällige Aehnlichkeit vieler Landesverhältnisse im
nordafrikanischen Libyen, als Erfahrung seiner mehrjährigen
Reisen daselbst, mit denjenigen des califormischen Hochlandes
im weiteren Sinne ; die sogenannten Salzseen, welche die Ame-
rikaner ^alkali lakes" nennen, haben einen vorherrschenden nicht
Kochsalz- sondern Laugensalz - Charakter , sind mithin wie die
libyschen Sumpfe und Seen Natron -Seen, deren Kochsalz- und
Bittersalz-Mischung untergeordnet ist. Der intensive Gehalt von
Laugensalz macht die amerikanischen Gebirgsthäler ärmer an
Vegetation, indem die libyschen Salzsümpfe noch harten Schilf-
wuchs spärlich nähren. In den sterileren, und baumlosen Wüsten-
Gegenden ist ein üppiges Gesträuch von Artemisia- Arten beiden
Ländern gemeinsam, während in Afrika die blumenartigen
Früchte mehrerer Salsola- Arten in überraschend schönen granat-
rothen, rosa Abstofsungen und weifsen Farben auch an und
in den Sümpfen nicht fehlen. In dem sumpfigen Natronthale
unfern der Ammons-Oase sprachen ihn diese blumenartigen
Erscheinungen so lebhaft an5< dafs er einige Zweige davon am
Orte selbst farbig zu malen angeregt war. In Sibirien ist in
ähnlichen Sümpfen eine noch weit reichere Steppen -Vegetation,
welche, seiner Anschauung nach, von den afrikanischen Wüsten
ebenso abweicht, wie nach Humboldt 's gleichzeitiger An-
schauung die südamerikanischen baumlosen aber grasreichen
Flächen den sibirischen Steppen nicht vergleichbar waren. Klap-
roth hat 1802, durch den schwedischen Consul Bagge in Tri-
polis bewogen, den Namen Trona für das strahlige Natron von
Fezzan in die Chemie eingeführt, allein dieser Name war als
einheimisch nirgends in Anwendung und ist vermutblich nur
ein Handelsname für das fezzanische Natron, aus dem umge-
kehrten Worte Natron entstanden, welcher letztere Name
etwas Glänzendes bezeichnet. In ähnlicher Weise wird jetzt
der Ausdruck Eevalenta arabica für Linsenmehl (Ervum Lens)
vielfach gebraucht, welcher nur dann eine trügliche Täuschung
enthält, wenn es als Revalenta Arabiens bezeichnet, oder bildlich
durch unter Palmen stehende Neger mit Spaten für ein Fossil
oder Cultur-Produkt Afrika's oder Asien's ausgegeben wird.
5*
50 Gesellschaft naturforschender Freunde.
Als Geschenke wurden mit Dank entgegengenommen:
Arbeiten des Naturforscher- Vereins in Biga, Nene Folge, Heft 4.
Archives of Science and Transactions of the Orleans County So-
ciety. Vol. I. No. 1. 2. 3.
Annual Report of the Mus. of comp. Zool. Boston 1870.
Mittheil, aus d. Jahrb. d. Königl. ungarischen geol. Anstalt. Bd. 2
Lief. 1. 2.
0. Müller, lieber d. feineren Bau d. Zellwand der Bacillariaceen.
(Sep.- Abdruck 1871.)
A W Schade'« Burhdrockerei ([,. 8f ImdoJ In Berlin. ,Stall<ichrpibei-<ir II
Sitzung s-Be rieht
•o1
der
Gesellschaft naturforschender Freunde
zu Berlin
am 18. Juni 1872.
Director: Herr Präsident von S tramp ff.
Herr Splittgerber berichtete über den diesjährigen Aus-
bruch des Vesuvs.
Es traf sich sehr günstig, dass nach längerer Verzögerung
ich mit einigen Andern zum Freitag, den 26. April d. J., einen
Wagen zur Fahrt von Neapel nach dem Eremiten und dem Ob-
servatorium des Vesuvs, (woselbst ich schon vor 20 Jahren bei
dem Prof. Palmceri gewesen war) gemiethet hatte, da an die-
sem Tage der Vulcan nach geringerer Thätigkeit, indem nur
hin und wieder im Dunkeln der Schein einer Flamme aus dem
Krater züngelnd bemerkt wurde, eine so furchtbare Erruption
bewirkte, wie sie kaum in den letzten hundert Jahren stattge-
funden hat, welche auch von einem Schrecken verbreitenden
anhaltenden Donner begleitet war.
Wir fuhren um 1 Uhr Nachmittags nach Resina, auf wel-
chem Wege wir schon eine grosse Anzahl mit ihrer Habe flüch-
tender Landleute begegneten, und die ganze zahlreiche Bevöl-
kerung auf der Landstrasse in grösster Aufregung vor den
Häusern stand. Am Ausgang des Orts, auf dem Platze bei
der Kirche Paulliana, ungefähr £ Meilen vom Kegel entfernt,
von wo der Vesuv und die ganze Umgegend vortrefflich zu
übersehen waren, hielten wir mehrere Stunden unter einem dicht-
[1872.] 6
b'l Gesellschaft naturforschender Freunde.
geschaarten Volkshaufen, da wir am Weiterfahren von Milizen
verhindert wurden, welche behufs der Erhaltung der Ordnung
und Sicherheit aufgeboten waren, und hatten daher Zeit das
grossartige Phänomen zu beobachten, allerdings gegen meinen
Wunsch aus zu grosser Entfernung; doch konnte ich die aus
dem Krater emporgeschleuderten Steine, aber doch nur beim
Herabfallen deutlich erkennen, auch das Observatorium war zu
dieser Zeit vollkommen sichtbar. Aber hoch in der Atmosphäre
über dem Gipfel des Berges erhob sich eine mächtige Dampf-
und Staubwolke, wie eine feste compacte Masse erscheinend,
die bekannte Pinie des Vesuvs, welche bei der darauf scheinen-
den Sonne glänzend weiss aussehend mit einem Haufen sich zu-
sammenkräuselnder Baumwolle Aehnlichkeit hatte, und bei der
herrschenden Windstille sich nur sehr langsam ausdehnte und
bewegte.
Der fortdauernde Donner wurde übrigens nur selten von
einem unheimlichen intensiven Geknatter stattfindender Explo-
sionen unterbrochen, doch Blitze, wie sie früher häufig bemerkt
worden, habe ich in der Pinie nicht gesehen.
Wie sich später ergab, so hatte sich eine neue Oeffnung
gebildet, und die Lava floss im starken Strome zwischen S. Se-
bastiano und Massa hindurch, wo sie grossen Schaden anrichtete
und Weinberge und Wohnungen zerstörte.
Nachdem wir uns in Resina etwas gestärkt hatten, besuch-
ten wir den daselbst herrlich am Meere gelegenen königlichen
Garten, wo schon Schiffe zur Aufnahme Flüchtender bereit la-
gen, während Zelte für die Bewohner des Schlosses la Favorita
aufgeschlagen wurden, weil man ein Erdbeben befürchtete.
Am Abend bei eintretender Dunkelheit lag der Feuerberg
in voller furchtbar imposanter Pracht vor uns, und es war nun
sowohl an der Spitze des Kegels die Feuererscheinung sichtbar,
wie auch in verschiedenen Richtungen der feurige Schein, der
in Streifen am Abhänge fliessenden Lava, welche Rauchwolken
ausstiess; und es wurden nun die früher dunkel erscheinenden
herabfallenden Steine als feurig glühend erkannt.
Bei der Rückfahrt nach Neapel um 9 Uhr fanden wir die
Bilder der Heiligen, besonders des heil. Januarius, festlich ge-
schmückt und beleuchtet, und eine durch das anhaltende Droh-
Sitzung vom 18. Juni. 53
nen des Vulcans geängstigte Frauenschaar vor denselben betend
niedergeworfen.
Am darauf folgenden Tage, Sonnabend den 27. April, nahm
- die über dem Berge nun dunkler gewordene Wolke immer mehr
an Umfang zu; aber von einem herrlich gelegenen Aussichts-
punkte in Capo di Monte konnte man selbst am Abend nicht
die geringste Feuererscheinung mehr sehen, da sich schweres
Gewölk vor den ganzen Berg wie eine dichte Wand gelegt
hatte, und war dies bei dem fortwährenden Getöse, im Kontrast
mit seiner prachtvollen Erscheinung am vorhergehenden Abend
ein besonders unheimlicher Anblick.
Am Sonntag, den 28. früh bei meinem Erwachen um 6 Uhr,
war die ganze Atmosphäre in Neapel durch den erst jetzt da-
selbst herabfallenden aschgrauen Staub verfinstert, und dadurch
jede Aussicht, selbst auf das nur einige hundert Schritt von
unsrer Wohnung entfernte Meer verhindert.
Auf der eisernen Brüstung meines Balcons lag der Staub
wohl einen halben Millimeter dick aufgestreut, und die Leute
gingen mit Regenschirmen auf der Strasse, um sich davor zu
schützen; übrigens war er so fein, dass er weder mein Auge
noch meinen Hals reizte.
Die Temperatur war am Morgen um 8 Uhr 14,5° R. und
ein kleines Aneroid zeigte 30" engl, unverändert, wie schon seit
mehreren Tagen; die Sonne war zu derselben Zeit vollkommen
strahlenlos, und sah wie ein weisser Fleck aus, ohne die ge-
ringste gelbliche oder andere Färbung.
Der Staubregen hörte gegen Mittag auf, und die Sonne
wurde wieder glänzend sichtbar; doch am Nachmittag um 5 Uhr
bei 18 ° R. begann derselbe wiederum, und zwar etwas stärker.
Am Montag früh, den 29. April, fand ich auf derselben
Stelle des Balcons eine dicke Schicht des Staubes wie am Mor-
gen vorher, welcher auch ein etwas gröberes Korn hatte. Dieser
Staubfall hielt nun längere Zeit an, unter fortwährendem Grollen
des Vesuvs; beides steigerte sich noch am Vormittag, und man
konnte von Neapel aus ein sehr auffallendes intermittirendes
ruckweises Ausstossen dichter dunkler Wolken am Gipfel des-
selben bemerken; auch wurden nun die Umrisse des Berges
immer undeutlicher.
6*
54 Gesellschaft naturforschender Freunde.
Ich war leider genöthigt an diesem Tage Nachmittags von
Neapel abzureisen, und es wurde auch der Aufenthalt dort durch
den Staubfall, der jede Aussicht unmöglich machte, um so un-
angenehmer, da sich um 10 Uhr noch ein Regen eingestellt
hatte, und später ein Gewitter mit Wind, so dass man in der
Stadt wie im Tintenschlamme ging; doch war ich noch bemüht
ein photographisches Bild dieses denkwürdigen Ausbruchs mir
zu verschaffen. Ich bemerke noch, dass man in der Stadt an
der Hafenseite auch Lapilli gefunden hat.
Schliesslich möchte ich nochmals die Aufmerksamkeit auf
den erst in der Nacht zum Sonntag in dem ungefähr 2 Meilen
vom Vesuv entfernten Neapel erfolgenden Staubfall lenken, und
scheint es mir sehr bemerkenswerth, dass die ausgestossene
ungeheuere Staubmasse sich so lange Zeit hat schwebend in der
Luft erhalten können.
Herr Dönitz legte mehrere Schädel mit auffallenden Ab-
weichungen im Gebiss vor. Ein Schädel von C'ervus Axis fem.
führt im Oberkiefer einen überzähligen Backenzahn, welcher an
der innern Seite der linken Zahnreihe steht; eine Abnormität,
wie sie öfter auch bei Menschen beobachtet wird. Auffälliger
erscheint der Unterkiefer desselben Thieres. Beiderseits findet
sich medianwärts vom 5. Backenzahn ein accessorischer klei-
nerer, seitlich stark zusammengedrückter Zahn. Die Zahnreihe
der rechten Seite hat an ihrem hinteren Ende einen Zuwachs
erhalten, indem hinter dem grossen 6. dreilappigen Zahn noch
ein kleinerer zweilappiger sich findet, welcher seinen Vorder-
mann ganz aus der Richtung gebracht hat. — Ein Schädel eines
weiblichen Canis mesomelas fällt dadurch auf, dass hinter dem
letzten Backenzahn des linken Oberkiefers noch ein kleiner zwei-
höckriger Zahn steht, so dass hier sieben anstatt sechs Zähne
vorhanden sind. Dadurch nähert sich dieser Schakal dem süd-
afrikanischen Otocyon caffer, dessen Zahnformel zwar £ sein
soll, von dem indessen drei von Herrn G. Fritsch mitgebrachte
Schädel im Berliner Anatomischen Museum £ zeigen.
Derselbe sprach über die Entwickelung der Zoos-
permien bei Seh wimmpolv pen. Neuerdings sind mehrfach
Angaben über die Entwickelung der Zoospermien bei niederen,
auch mit den Schwimmpolypen verwandten Thieren gemacht
Sitzung vom 18. Juni. 55
worden, welche mit den Beobachtungen des Vortragenden nicht
übereinstimmen. Bei den Siphonophoren füllen sich die
Genitalkapseln dicht mit grossen Zellen an, deren Inhalt sich
zu charaktischen , lang geschwänzten Zoospermien umbildet,
ohne dass der Zellkern sich bei diesem Vorgang betheiligte.
Die Beobachtung lässt sich leicht im Frühjahr bei Siphonopho-
ren mit langem Stamm anstellen, wie bei Diphyes, Bhizophysa u. a. ;
denn bei ihnen findet man gleichzeitig Genitalkapseln in den
verschiedensten Entwickelungszuständen. Eine besondere Prae-
paration ist nicht nöthig, da alle Theile so durchsichtig sind,
dass man die Beobachtung am lebenden Thiere anstellen kann.
Um keinen Zweifel an der Beobachtung übrig zu lassen, hat
der Vortragende isolirte Zellen der Genitalkapseln zerdrückt
und eine grosse Anzahl Zoospermien aus ihnen austreten ge-
sehen.
Herr Braun sprach über pelorische Gipfelblüth en
von Digitalis purpurea und legte ein getrocknetes Exemplar nebst
Zeichnung einer solchen vor. Soviel mir bekannt sind derartige
Blüthen nur an cultivirten Exemplaren beobachtet und zuerst
von Vrolik (Flora 1844 No. 1) ausführlich beschrieben wor-
den; auch hat Vrolik nachgewiesen, dass die Eigenschaft
solche Blüthen zu tragen sich leicht vererbt. Im hiesigen bota-
nischen Garten sind sie in diesem Sommer zum ersten Mal be-
merkt worden und zwar an einem einzigen Stock, dessen Haupt-
stengel eine Gipfelblüthe von überraschender Grösse trug, wäh-
rend ein grundständiger schwächerer Seitentrieb durch eine
kleinere Pelorie begrenzt war. In beiden Fällen beschloss die
Gipfelblüthe eine aus normalgebildeten d. i. zygomorphen Seiten-
blüthen bestehende Traube mit aufsteigender Blühfolge, deren
Blüthen wie gewöhnlich aus der Achsel hochblattartiger (wie-
wohl grüner) Deckblätter entsprangen und keine Vorblätter am
Blüthenstiel zeigten. An dem Hauptstengel befanden sich unter-
halb dieser in den Achseln der sechs obersten kleinsten Laub-
blätter eine gleiche Anzahl weiterer Blüthen, welche sich später
als die der normalen Blüthentraube und in absteigender Folge
entwickelten. Sie wurden von verlängerten mit vier Vorblättern
versehenen Stielen in aufrechter Stellung getragen und verhiel-
ten sich sämmtlich mehr oder weniger entschieden pelorisch.
56 Gesellschaft naturforschender Freunde.
Die merkwürdigste unter den abnormen Blüthen dieses Stockes
war die Gipfelblüthe des Hauptstengels. Sie entfaltete sich frü-
her als die obersten Seitenblüthen der Traube, so dass zur Zeit
der ersten Beobachtung, als die Gipfelblüthe bereits weit geöffnet
war, von den 20 vorausgehenden normalen Seitenblüthen noch
7 sich im Knospenzustand befanden. Ueber den letzten Seiten-
blüthen und ihren zugehörigen Deckblättern folgten noch 3 wei-
tere durch deutliche Internodien (wiewohl metatopisch) geson-
derte Hochblätter (sterile Bracteen) und nach diesen 18 dicht-
zusammengedrängte kleine Blätter mit ziegelartiger Deckung und,
einige Unregelmässigkeiten abgerechnet, von aussen nach innen
abnehmender Grösse. Wiewohl dieselben in Gestalt und Farbe
unter sich nur geringe Verschiedenheiten zeigten, betrachtete ich
doch aus nachher anzugebenden Gründen die 5 äussersten als
der Blüthe vorausgehende sterile Hochblätter, welche den Ueber-
gang zum Kelch vermitteln, und nur die 13 inneren als die
eigentlichen Kelchblätter. Von diesen zeigten 4, jedoch nicht
gerade die 4 innersten, auf einer Seite einen blumenblattartigen,
wellenförmig gekrümmten oder selbst fast schneckenförmig ge-
rollten Rand oder Flügel von rother Färbung, in zwei Fällen
auf der rechten, in zwei auf der linken Seite. Die Blumen-
krone bildete eine regelmässige Glocke, in der Gestalt fast an
die Corolle von Campanula Medium erinnernd, von 7 Centim.
Länge, mit regelmässig 13 lappigem, etwas nach aussen umge-
bogenem Saum, dessen Umkreis 6 Centimeter im Durchmesser
zeigte. Hierauf folgten 13 gleichlange, am Grunde nach der
einen oder andern Seite bogig gekrümmte Staubblätter mit auf-
rechten Staubbeuteln, welche mit den Lappen der Blumenkrone
zu alterniren schienen. Das Centrum der Blüthe war durch eine
dicke, fast kugelförmige Knospe aus zahlreichen Blättern einge-
nommen, durch welche offenbar eine Durchwachsung hergestellt
werden sollte, deren weitere Entwicklung nicht beobachtet wer-
den konnte, da die Blüthe zum Behuf der Untersuchung abge-
schnitten worden war. Die Blätter dieser Centralknospe hatten
einen gemischten Charakter, hie und da durch grüne Färbung an
Kelchblätter, an andren Stellen durch röthlicbe Färbung und
zartere Textur an Blumenblätter erinnernd. Griffel und Narben-
bildung fehlte.
Sitzung vom 18. Juni. 57
Die Zahl 13 in der Blumenkrone und dem Staubblattquirl
scheint bei solchen Gipfelblüthen nicht selten zu sein. Die von
Vrolik auf Tafel 1 abgebildete Blüthe hatte gleichfalls 13 Lap-
pen der glockigen Blumenkrone und 13 Staubblätter. Kelch-
blätter werden 11 angegeben, aber wenn man ein „lippenför-
miges Blumenblatt", welches frei ausserhalb der Glocke stand,
dazu rechnet, erhöht sich die Zahl auf 12 und die Ergänzung
auf 13 würde sich bei genauerer Untersuchung wahrscheinlich
in einem vom übrigen Kelch abgerückten sterilen Deckblatt ge-
funden haben. Vrolik giebt ferner an, dass derselbe Stock,
der die von ihm beschriebene und abgebildete Blüthe trug, im
nächstfolgenden Jahre abermals einen kräftigen Stengel getrie-
ben habe, der eine Gipfelblüthe trug, deren Blumenkrone zwar
in zwei weit ausgespreizte Lappen zertheilt war, die aber zu-
sammen gleichfalls 13 Einschnitte trugen, womit auch die Zahl
der Staubblätter übereinstimmte. Die Zahl der Kelchblätter
wird nicht angegeben. Endlich habe ich bei Herrn Dr. Magnus
noch ein getrocknetes Exemplar einer pelorischen Gipfelblüthe
aus dem botanischen Garten in Kiel gesehen, deren Blumen-
krone 13 Lappen zeigte. Die Erklärung dieses Zahlenverhält-
nisses finde ich in der den kräftigeren Exemplaren von Digi-
talis pur pur ea zukommenden und auch an dem Exemplare des
botanischen Gartens erkannten ^ Stellung der vorausgehenden
Blätter, namentlich der Hochblätter des Blüthenstandes, so dass
also in den angeführten Gipfelblüthen der Fall 13 zähliger durch
3^- Stellung gebildeter Quirle vorliegt, der sonst kaum beobachtet
sein dürfte, wenn man von den Involucren mancher Compositen
(Bellis, Picris, Arten der Gattungen Senecio, Apargia, Tragopogon)
absieht, bei denen jedoch nur je ein einziger derartiger Quirl,
ohne Alternation mit vorausgehenden oder nachfolgenden, auf-
tritt. Zur Ergänzung der Beschreibung der hier beobachteten
13 zähligen Blüthe füge ich noch bei, dass auch in der Deckung
der 18 der Corolle vorausgehenden Blätter, welche den Kelch
der Blüthe darzustellen schienen, trotz einiger metatopischer
Verschiebungen, die ^ Stellung zu erkennen war, wesshalb ich
im Obigen die 5 äussersten Theile, welche mit den 5 innersten
in die gleiche Richtung fielen, von der Betrachtung als Kelch-
blätter ausgeschlossen habe.
58 Gesellschaft naturforschender Freunde,
Die Gipfelblüthe des bereits erwähnten schwächeren Seiten-
stengels zeigte einen einfacheren Hau, indem die etwas kleinere
glockenförmige Corolle nur S Lappen zeigte, mit denen die 8
gleichlangen Staubblätter deutlich abwechselten. Die Zahl der
Kelchblätter war anscheinend 10, reducirt sich aber auf 8, wenn
man die zwei äussersten abrechnet, die mit den zwei innersten
in gleiche Richtung fielen. Die abwechselnde Stellung der Lap-
pen der Blumenkrone mit den Blättern des so aufgefassten Kelches
war deutlich. Im Centrum der Blüthe befand sich ein wohlaus-
gebildetes, aber aus drei Fruchtblättern bestehendes Pistill. Die
der Blüthe vorausgehende Blattstellung war f, so dass dieser
Fall dem zuerst beschriebenen analog erscheint und die gegebene
Erklärung bestätigt.
Derselbe besprach ferner einen im botanischen Garten beob-
achteten, wie es scheint bisher noch nirgends erwähnten Fall
einer vegetabilischen Fliegenfalle, eines Falles, in welchem
die Insekten ohne Zusammenfaltung oder Krümmung des Blattes
bloss durch die Haarbildung desselben festgehalten werden. Die
betreffende Pflanze ist eine ostindische Papilionacee, welche zahl-
reiche Namen erhalten hat, nämlich Desmodium triquetrum D. C.
(Hedysarum triquetrum LJ, womit Desm. alatum D. C. (Hedy-
sarum alatum RoxbJ und Desm. pseudotriquetrum D. C. vereinigt
werden. Desvaux bildete für diese Art eine eigene Gattung,
Pteroloma, welche jedoch von Hooker und Benth. wieder als
Section mit Desmodium verbunden wird. Das einfache, mit ge-
flügeltem Blattstiel versehene Blatt dieser Pflanze fühlt sich rauh
an und bleibt an fremden Gegenständen, z. B. am berührenden
Finger, leicht hängen. Kleinere Fliegen, welche sich auf das
Blatt niedersetzen, werden wie durch eine unsichtbare Gewalt
festgehalten und sterben nach vergeblichen Anstrengungen sich
zu befreien auf dem Blatt ab. Nicht selten sieht man G — 8 auf
diese Weise gefesselte Fliegen auf der Oberfläche derselben
Blattspreite, seltener und spärlicher finden sie sich auf der
Unterfläche. Die Härchen, welche dies bewirken, sind über die
ganze Fläche zerstreut und erscheinen dem blossen Auge als
kaum bemerkbare weisse Pünktchen; sie sind nicht über 0,08
bis 0,10 MM. lang und 0,01 MM. dick und bestehen aus zwei
Zellen, von denen die untere etwa den vierten Theil der ganzen
Sitzung vom 18. Juni. 59
Länge einnimmt. Die obere Zelle ist an der Spitze in Form
eines Angelhakens umgebogen, sehr scharf gespitzt, dabei dicht
und fest, indem das Lumen der Zelle sich kaum in den Anfang
des gekrümmten Theils hineinzieht. Diese, dem blossen Auge
unsichtbaren Angeln sind es, an welchen die Füsse der Insekten
hängen bleiben. Ausser den Angelhärchen kommen auf dem-
selben Blatte noch andere Haare vor, welche beim Fangen der
Insekten nicht betheiligt sind. Sie finden sich besonders längs
der Nerven, haben eine viel bedeutendere Länge und Dicke
(0,50 MM. und 0,01 MM.), sind einzellig, stumpf und an der
Oberfläche mit kleinen Höckerchen besetzt, steif aber nicht ab-
stehend, sondern auf die Fläche des Blattes niedergelegt.
Herr Peters legte den Schädel von Lepus glacialis Leach
vor, von der Deutschen Nordpol - Expedition stammend, und
zeigte, wie derselbe sich wesentlich sowohl im Zahn- wie im
Schädelbau von Lepus variabilis und Lepus timidus unterscheidet.
Als Geschenke wurden mit Dank entgegengenommen:
Monatsberichte der Berliner Akademie. Februar 1871.
Lotos, Zeitschrift für Naturwissenschaft. Prag. Jahrg. 21.
Jahrbuch des Landesmuseums zu Kärnthen. Heft 10.
Jahresbericht des Vereins für Naturkunde in Zwickau. 1871.
Elfter und zwölfter Bericht des Offenbacher Vereines für Natur-
kunde. 1 870.
On the Mammals and winter birds of east Florida by J. A. Allen.
A.W Schadcs Biubdruckerei (L. Schade) in Berlin, Stallschreiberstr. 4,1
Sitzuno-s-Bericht
der
Gesellschaft naturforschender Freunde
zu Berlin
am 16. Juli 1872.
Director: Herr Professor A. Braun.
Herr von Martens sprach unter Vorlegung einer Karten-
skizze über die gegenwärtige Kenntnifs der Land- und Süfs-
wasser- Mollusken von Mittelasien und Mittelafrika, mit beson-
derer Beziehung auf die in den letzten Jahren dort von Herrn
Fedtschenko, hier von Dr. Schwein furth gemachten Samm-
lungen. Von Mittelasien kannte man bis jetzt durch englische
und französische Naturforscher Einiges aus Kaschmir, Klein-Tibet,
Afghanistan und in neuester Zeit auch aus Yunnan, der süd-
lichsten Binnenprovinz China's. Unser Mitglied, Geh.-Rath Ehren-
berg, sammelte Einiges im kleinen Altai (s. diese Berichte vom
Juni 1871), Staatsrath Semenow einzelne Arten im Thianschan
und im See Issy-kul. Einen sehr erwünschten Beitrag zur Ver-
vollständigung unserer Kenntnifs bildet nun die Sammlung, welche
Herr Fedtschenko in Turkestan, namentlich Samarkand und
Taschkend, zusammengebracht und dem Vortragenden zur Unter-
suchung anvertraut hat. Unter den kleineren Landschnecken
derselben finden sich einige allgemein durch Europa verbreitete
Arten, so Helix pulchella und Cionella lubrica; die etwas gröfseren
sind meist besondere Arten von Helix und Buliminus, die tbeils
ganz neu, theils schon aus den Kaukasus -Ländern oder dem
Himalaya bekannt, waren, aber immerhin noch nahe Verwandte
[1872.] 7
62 Gesellschaft naturforschender Freunde.
in Europa, namentlich an den Mittelmeerkiisten, finden. Bemer-
kenswert^ ist das Vorkommen der Gattung Parmacella , deren
geographische Verbreitung von Vorderasien längs beider Kü-
sten des Mittelmeeres bis zu den kanarischen Inseln sich er-
streckt und die auch dadurch merkwürdig i*t, dafs die Schale
im jugendlichen Alter eine äufsere ist. beim erwachsenen Thier
aber vom Mantel völlig umhüllt wird. Von besonderem Interesse
ist ferner das Vorkommen der Gattung Macrochlamys bei Samar-
kand in zwei Arten und wie es scheint, in ziemlicher Häyfigkeit,
indem diese Gattung eine indisch - malayische, Europa ganz fremde
ist und also hier in Turkestan ihre Nordwestgrenze findet. Die
Süfswasserkonchylien Samarkands stimmen gröfstentheils mit eu-
ropäischen überein, namentlich findet sich auch unter ihnen die
allbekannte Limnaea stagnalis.
In Betreff Afrika's ist es durch die Sammlungen von Oli-
vier, Cailliaud, Ehrenberg und Rüppell seit lange bekannt,
dafs die Süfswasser- Mollusken des Nils acht tropisch -afrikanische
Formen sind, worunter die meisten sehr nahe verwandte, wenn
nicht identische Arten in den westafrilcanischen Strömen finden,
dafs dagegen die Landschneckenfauna Aegyptens mit der an-
derer Mittelmeerländer mehr oder weniger übereinstimmt, nur
gemäfs Klima und Boden ärmer ist und einige eigentüm-
liche Wüstenformen enthält; erst in Sennaar treten mit der
Gruppe Lbnicolaria die ersten acht afrikanischen Formen von
Landschnecken auf, doch immer noch in kleineren Dimensionen.
Aber an den Zuflüssen des Bachr-el -Gasal leben ganz grofse
Arten derselben, bis 114 Millimeter Länge und 7!» Millim. Durch-
messer, wie wir ähnliche schon lange von Westafrika kennen,
nämlich Limicolaria turris und L. Nilotica, beide schon in ein-
zelnen Exemplaren von Petherik nach Europa gebracht und
von Dr. Schweinfurth häufig in den Wäldern an den Flüssen
Djur und Bek gesehen; interessant ist namentlich auch ein jün-
geres Exemplar der zweitgenannten Art, welches zeigt, dafs die-
selbe im Jugendzustand eine ähnliche, wenn auch nicht so aus-
gesprochene Abstutzung der Columelle zeigt, wie die für Afrika
so charakteristische Gattung Achatina, wie denn überhaupt die
Limicolarien in Habitus und Sculptur enger an Achatina, als an
die gleichgrofsen südamerikanischen Iiulimits sich anschliefsen,
Sitzung vom 16. Juli. 63
mit welch letzterer Gattung sie früher vereinigt wurden. Die
Gattung Achatina im engeren Sinn war bis jetzt noch nicht aus
dem Nilgebiete bekannt, abgesehen der Gegend am Ukerewe-
See, wo Speke eine nach ihm benannte Art gefunden hat.
Dr. Schweinfurth hat nun auch eine neue aus dem Njam-
Njam- Lande mitgebracht, die zu den gröfseren Arten gehört
(132 Millim. lang) und seinen Namen tragen wird. Bemer-
kenswerth sind ferner unter den von Dr. Schweinfurth ge-
sammelten Arten Lanistes Libyern, bis jetzt nur aus Westafrika
bekannt, und Trochonanina Mossambicensis, eine bis dahin speziell
ostafrikanische Art.
Herr Dönitz sprach über die geographische Verbreitung
der Zibethyäne, Proteles Lalandii, und zeigte Schädel- und Skelet-
stücke dieses Thieres vor, welche Herr Schweinfurth auf
seiner ersten afrikanischen Reise bei Ras Rauai unter dem
21. Grad nördl. Br. aufgelesen hat. Diese Stücke bestätigen die
Angabe von De Joannis, welcher in Nubien einen Proteles
todt gefunden hat, welcher dem am Cap lebenden gleich zu sein
schien.
Herr Braun legte ein kürzlich von Herrn Cantor Müller
in Bitterfeld mitgetheiltes monströses Exemplar von Valeriana
o/ficinalis vor und erläuterte dasselbe im Vergleich mit ähn-
lichen theils an derselben, theils an verschiedenen anderen Pflan-
zen beobachteten Mifsbildungen , welche er unter dem Namen
der Zwangsdrehung zusammenfafst.
Das betreffende Exemplar zeigt einen dicht über dem Grunde
blasig aufgetriebenen, spiralig gefurchten und hie und da in der
Richtung der Spirale mit Rissen versehenen Stengel. Dieser
bauchige Stengel ist schiefbirnförmig, 7 Centim. lang, 5 Centim.
breit, durch die fast horizontale Spiralstreifung einem abgerun-
deten, dichtbereiften Fasse vergleichbar. Auf der Seite der
grofsen Krümmung zeigen sich in senkrechter Reihe 6 Blätter,
durch die zu einer schmalen Leiste ausgezogenen Ränder der
senkrecht gestellten Basen verknüpft und ohne ausgebildete Zweige.
Auf die Breite jedes Blattes kommen 7 Spiralstreifen des Sten-
gels. Diesen sterilen Blättern schliefsen sich 5 andere kleinere
an, welche mit ungefähr 6 Centim. langen Inflorescenzzweigen
in den Achseln versehen sind und sich in spiralig gebogener
7*
64 Gesellschaft naturforschender Freunde.
Reihe in das vertiefte Ende des bauchigen Stengelkörpers hinein-
ziehen. Im Mittelpunkte dieser Vertiefung befinden sich noch
einige unentwickelte kümmerliche Blattgebilde, welche der ver-
kümmerten Spitze des Hauptstengels angehören.
Der hier beschriebene Fall gehört einer Art von Mifsbil-
flungen an, die, obgleich sie nicht zu den häufigen gehört, doch
durch das Auffallende ihrer Erscheinung die Aufmerksamkeit
schon früh auf sich gezogen hat und welche insbesondere bei
mehreren Valeriana- Arten von älteren und neueren Autoren
beschrieben und auch von mir selbst schon mehrmals beobachtet
worden ist. Die zu meiner Kenntnifs gekommenen Fälle sind
folgende:
1) Die älteste Erwähnung findet sich in den Mise. cur. s.
Ephem. Acad. Caes. Leop. not. cur. Decur. III., Ann. 3, Observ.
XXII, p. 24 von Dr. Salomon Reisel, der das daselbst unter
Fig. II abgebildete Exemplar am 7. Juli 1695 an der Stadtmauer
von Stuttgart fand. Die von ihm als Valeriana maxima bezeich-
nete Pflanze kann nach dem Vorkommen nur V. ofßcinalis sein.
Den monströsen Theil nennt er einen „truneum tubiformem, ca-
vum, tn conchae modum cum caulibus (womit die Zweige gemeint
sind) et foliis contortum et striatum* . Nach der von zwei Seiten
gegebenen bildlichen Darstellung ist der Stengel verlängertbirn-
förmig oder fast rübenförmig, 11 Centim. lang, oben 4 Centim.
breit und etwas eingedrückt, aus welcher Vertiefung sich noch
eine schmälere, 2 Centim. lange und gleichfalls gedrehte Fort-
setzung erhebt. Eine weitere Fortsetzung des Stengels scheint
unterdrückt zu sein. Die Spirale der (grofsentheils abgerissenen)
zusammenhängenden Blätter beschreibt an der unteren dünneren
Hälfte 3 Umläufe und erhebt sich an der oberen dickeren fast
senkrecht. An diesem oberen Theile, sowie an dem dünneren
Aufsatz sind verlängerte Blüthenzweige vorhanden. Die sehr
stark geneigte, im oberen Theile der horizontalen sieh annähernde
Spiralstreifung des Stengels ist in ihrer Wendung der Spirale
der Blätter entgegengesetzt.
2) Ein von Gilbert beobachtetes Exemplar, wahrscheinlich
derselben Species angehörig, wird in Motjuin-Tandon's Terato-
logie p. 181 erwähnt. Der gedrehte Stengeltheil wird mit einer
Tonnenschnfekf (Cassidaria, Dolium) verglichen.
Sitzung vom 16. Juli. 65
3) Lapierre de Roanne erwähnt ähnliche Mifsbildungen
von Val. officinalis aus dem Dep. de l'Allier et de la Loire.
In eiuem Falle hatte der Stengel die bedeutende Länge von
29 Centim. und an der Spitze eine Breite von 8,1 Centim. (Mem.
de la Soc. Linn. de Paris. Vol. III, p. 39).
4) Viviani beobachtete nach Moq.-Tand. 1. c. p. 182 eine
ähnlich spiralige Mifsbildung an V. dioica, an welcher nach sei-
nen Angaben die Blätter eine senkrechte Reihe bildeten.
5) Einen ähnlichen Fall von Val. montana haben De Can-
dolle, Vater und Sohn, in den neuen Denkschr. d. Schweiz.
Gesellsch. f. die ges. Naturw. Bd. V. (1841) S. 16, Taf. 5 be-
schrieben und abgebildet. Der spiralig gestreifte, über der Basis
allmälig anschwellende, rübenförmige Stengeltheil hat eine Länge
von 11, nach oben einen Durchmesser von 4 Centim. und er-
innert in der Gestalt sehr an den von Reise 1 abgebildeten. Die
Blätter bilden eine nach mehreren Umgängen der senkrechten
sich annähernde Spirale, deren Windung, wie ausdrücklich be-
merkt wird, der der Spiralstreifung entgegengesetzt ist. Am
oberen fast flachen Ende der Anschwellung befinden sich kurze
Inflorescenzzweige in den Achseln kleinerer hochblattartiger Brac-
teen, während das Ende des Hauptstengels unausgebildet zu
sein scheint.
6) Prof. Nolte zeigte bei der Versammlung Deutsch. Na-
turf. in Kiel 1847 (amtl. Bericht S. 197) eine Val. officinalis mit
gewundenem, armsdick angeschwollenem Stengel und einseitiger
Blattstellung, ähnlich der von Reise 1 abgebildeten.
7) Ch. Morren beschrieb 1851 in einer Abhandlung, die
den Titel führt „Sur le spiralisme teratologiques des üges" und im
Bull, de VAcad. r. d. Sc. de Belgique. T. XVIII, sowie in seiner
Lobelia (p. 111) enthalten ist, eine von seinem Sohne Ed. Morren
bei Tilft gefundene Val. officinalis, bei welcher nach der bei-
gefügten Abbildung die Drehung und Anschwellung des Sten-
gels etwas höher über der Basis beginnt, eine Länge von 7 und
eine Dicke von fast 3 Centim. besitzt und mehrere Einschnü-
rungen zeigt. Die Blätter stehen an einer senkrecht aufsteigen-
den „Rapheu, wie et die Insertionslinie derselben bezeichnet
Am oberen Ende der Anschwellung geht die Reihe der Blätter
in eine flache Spirale über und sendet kümmerliche Inflorescenz-
zweige aus.
66 Gesellschaft naturforschender Freunde.
8) In De Lessert's Sammlung zu Paris sah ich im Jahre
1832 einen spiralig gedrehten und sackartig aufgetriebenen Bal-
drianstengel von ausgezeichneter Gröfse, der als unbekannter
Gegenstand daselbst verwahrt wurde.
9) Ein von den übrigen etwas abweichendes Exemplar fand
der verstorbene Reisende (später Garteninspector zu Schwetzin-
gen) Hartweg im Bois de Vincennes im Juni 1832. Es ge-
hört der kleinen schmalblättrigen Form der 17//. officinalis an
und ist in meiner morphologischen Sammlung aufbewahrt. Die
gedrehte aber völlig aufrechte Anschwellung beginnt einen halben
Zoll über der Ster.gelbasis und hat ein noch ziemlich gut erhal-
tenes Blattpaar unter sich; sie ist spindelförmig, 4 Centim. lang,
2 Centim. dick und zeigt auf der einen Seite eine durch die
Grundstücke von 7 zusammenhängenden Blättern gebildete fast
senkrecht aufsteigende Leiste. Diesen bereits abgestofsenen Blät-
tern folgt dicht über der Anschwellung ein Quirl von 3 erhal-
tenen Blättern. Ueber diesen erhebt sich ein wohl ausgebildetes
Stengelglied von ungewöhnlicher Länge (22 Centim.), welches
einen zweiten dreizähligen Quirl kleinerer Blätter trägt, au>
deren Achseln normale Inflorescenzzweige entspringen. Das
hierauf folgende Ende des Hauptstengels ist kümmerlich, abnorm
verkürzt und gedreht, und wird von den Zweigen überragt.
10) Ein im J. 1863 im hiesigen Universitätsgarten gefun-
denes Exemplar ist gestreckter als die anderen, 12 Centim. lang,
nur 2 Centim. dick, durch die grofse Zahl der senkrecht über-
einander gestellten Blätter ausgezeichnet. Der monströse Theil
beginnt mit 12 in senkrechter Richtung verketteten Laubblättern,
deren 5 oberste verkümmerte Laubsprosse in den Achseln be-
sitzen. Von diesen durch eine etwas stärkere Streckung des
Stengels abgelöst folgen 6 weitere kleinere kürzer fiederspaltige
Laubblätter, welche je 3 und 3 senkrecht zusammenhängen und
sämmtiich mit Inflorescenzzweigen von 15 — 17 Centim. Länge
versehen sind. Von den hierauf folgenden Hochblättern stehen
die 5 nächsten in spiraliger Reihe an einer schwächer gedrehten
und kaum verdickten Fortsetzung der Hauptachse; zwei weitere
stehen in gleicher Höhe dicht nebeneinander, jedoch nicht genau
gegenständig, sondern in einer Divergenz von •£. Diesen folgen
noch 4 Paare in gewöhnlicher Weise sich kreuzender Blätter
Sitzung vom 16. Juli. 67
an dem nicht über 22 MM langen Stengelende. Sämmtliche
Hochblätter haben Blüthenzweige in den Achseln, welche die
verkümmerte Hauptspitze überragen.
Die Zahl der an Valeriana beohachteten Fälle derartiger
Mifsbildung beträgt somit 11. Soweit man den Beschreibungen
entnehmen kann, stimmen sie alle in folgenden Eigenschaften
überein:
1) Die Blattstellung ist eine ungewöhnliche, indem sie aus
der gewöhnlichen abwechselnder Paare oder dreiblättriger Quirle,
bei V. o/ficinalis vielleicht auch in einigen Fällen aus der £ Stel-
lung der ersten Blätter der Scböfslinge, in eine spiralige (wahr-
scheinlich stets f St.) übergeht.
2) Die Grundstücke sämmtlicher aufeinander folgender Blätter
sind (wie es normal bei den 2 Blättern jedes Paares der Fall
ist) durch niedrige Randausbreitungen zusammengeheftet.
3) Die Spirale der so verketteten Blätter wird durch Drehung
des Stengels mehr und mehr (zuweilen plötzlich) bis zur senk-
rechten Reihe aufgerichtet.
4) Die Drehung des Stengels, welche durch den Verlauf der
Streifen oder Furchen desselben deutlich hervortritt, läuft der
Richtung der Blattstellungsspirale stets entgegen und nähert sich
der wagrechten Richtung um so mehr an, je mehr die Blatt-
stellungsspirale sich zur senkrechten erhebt.
5) Der Stengel ist mehr oder weniger und im Verhältnifs
zu seiner Verkürzung blasig aufgetrieben, in der Richtung der
Spiraldrehung öfters aufgerissen, gleichsam in spiralige Bänder
gespalten.
Aehnliche Mifsbildungen sind bei vielen anderen Pflanzen
beobachtet worden, namentlich solchen mit paariger oder auch
mehrblättrig quirliger Blattstellung. Eine Zusammenstellung und
ausführlichere Erörterung sämmtlicher beobachteter Fälle behalte
ich mir für eine andere Gelegenheit vor und erinnere nur an
einige bekannte und durch Figuren erläuterte, z. B. von Mentha
(De Cand., Organogr. p. 155, t. 36, f. 2), Dracocephalum spe-
ciosum (Morren 1. c. tab. III), Dipsacus fullonum (Master 's
Terat. p. 321, c. flg.), Equisetum (zuerst von Vaucher beob-
achtet, Monogr. d. Poeles, t. II. A.), Casuarina (A. Br. Blattst.
d. Tannenzapfen, t. 34, f. 5 — 7). Zu den sonderbarsten hierher
68 Gesellschaft naturforschender Freunde.
gehörigen Fällen, welche ebenso wie die von Valeriana schon
sehr früh die Aufmerksamkeit erregt haben, gehören die bei
Galium beobachteten (G. Franc in Ephem. nat. cur. Decur. II,
Ann. 1, p. 68, f. 14; Master' s Terat. p. 328), denen ich selbst
einige ausgezeichnete Beispiele beizufügen habe.
Obgleich der Zusammenhang dieser Drehungserscbeinungen
mit einer Abänderung der Blattstellung und zwar mit dem Ueber-
gang einer quirligen Blattstellung in eine spiralige, in vielen
Fällen bemerkt wurde, vermifst man doch die eigentliche Erklä-
rung derselben bei den genannten Autoren. Diese liegt darin,
dafs in solchen Fällen die Blätter, ebenso wie sie normal inner-
halb des Quirls am Grunde verbunden sind (am auffallendsten
bei Dipsacus, Equisetum), auch bei der abnorm auftretenden
Spiralstellung und zwar hier ohne Unterbrechung und in der
Richtung des kurzen Weges zusammenhängen. Tritt keine
Drehung des Stengels ein, so wird ein solches Verhalten keinerlei
Störung hervorbringen, wie dies von Pycnophyllum bekannt ist
(Rohrbach b. Zeit. 1867, p. 297 und Linnaea Vol. 37, p. 652)1);
wenn dagegen die Internodien sich strecken, so kann dies nicht
in allen Theilen des Stengelumfangs gleichmäfsig geschehen, da
die Verbindungslinie der Blätter der Streckung Einhalt thut.
Die Folge davon ist eine Drehung in der Richtung des kurzen
Weges, durch welche die Insertionslinie der Blätter allmälig
und zuletzt bis zur Senkrechten aufgerichtet, die senkrechte
Streckungsrichtung dagegen zu einer schraubenförmigen herab-
gezogen wird.
Morren (1. c.) nennt diese Erscheinung Spiralismus, doch
vermischt er normale und abnorme Drehungen verschiedener Art
unter diesem Namen; Seh im per nennt sie (handschriftlich) Stro-
phomanie, d. i. abnorme Spiraldrehung, wobei jedoch gleich-
falls zu bemerken ist, dafs aufser der hier beschriebenen, die
ich als Zwangsdrehung unterschieden habe (Monatsber. d.
Akad. 1854, S. 44), noch andere abnorme Drehungserscheinungen
vorkommen.
') Bei mehreren Crocus- Arten sind dagegen die Scheiden der nach
} geordneten Blätter in der Richtung des langen Weges verwachsen.
A. W. Schade's Buchdrui-kerei (L. Schade) in Berlin, 8tallschreiber8tr. 4;
Sitzun^s-Bericht
der
Gesellschaft naturforschender Freunde
zu Berlin
am 15. October 1872.
Director: Herr Geheimer Regierungsrath Rose.
Herr Otto Müller spricht über den Bau der Zellwand der
Bacillarien -Gattung Epithemia Kütz.
Die Epithemien zeigen auf der Schalenfläche, wie bekannt,
starke Querrippen, zwischen denen eine kleinere oder gröfsere
Anzahl Porenreihen verlaufen. Bisher hat man diese Querrippen
als leistenförmige Gebilde aufgefafst, welche bald nach innen,
bald nach aufsen hervorragen sollten.
Eine genauere Untersuchung nach der im Aufsatze der Vor-
tragenden l) über Triceratium Favus mitgetheilten Methode, ergab
jedoch, dafs diese Deutung unzutreffend ist. Vielmehr erwiesen
sich die quer über die Schale verlaufenden breiteren Rippen,
als die Projection von Septen, welche tief in den Zellraum
eindringen und die beiden von den Flächen der Schalen be-
grenzten gewölbten Theile der Zelle in ebensoviele plus 1 Ab-
theilungen oder Fächer scheiden, als Querrippen vorhanden sind.
Nur der mittlere Theil der Zelle, soweit derselbe von den Gürtel-
bandfläcben umschlossen wird, bleibt frei. Da die Zahl der
Rippen auf beiden Schalen desselben Individuums nicht immer
l) Reichert und du Bois-Reymond's Archiv, 1871 Heft 5.6
p. 619 ff. und Sitzungs- Berichte, 1871 October p. 74 ff.
[1872.] 8
70 Gesellschaft naturforschender Freunde.
gleich ist, so differirt auch oft die Anzahl der Fächer in den
beiden Theilen der Zelle ; so wurden beispielsweise Exemplare
mit 5 Fächern an der einen und G an der anderen Seite beob-
achtet. Die freie Kante der Scheidewände verläuft der Wölbung
der Schale nahezu parallel, die Begrenzungslinie derselben zeigt
daher im Querschnitt der Zelle eine schwach concave Ausbuch-
tung.
Diese 'gefächerlen Schalen scheinen allen Epithemien ge-
meinsam zuzukommen, wenigstens beobachtete der Vortragende
dieselben bei allen von ihm untersuchten Arten.
Dagegen findet sich eine weitere eigentümliche intracellu-
lare Bildung nur bei denjenigen Arten, welche auf den Gürtel-
bandflächen an den Enden der breiten Querrippen kopfförmige
Anschwellungen zeigen.
Zwischen den Gürtelbändern und den Schalen, rechtwinklig
zu den ersteren, ist je ein vielfach durchbrochenes Diaphragma
eingeschaltet, welches den nierenförmigen Umrifs der Schalen
nachahmt. Durch lange fortgesetztes Kochen mit Salpetersäure
und chlorsaurem Kali gelingt eine Isolation, man findet dann
die Schalen abgelöst, die Diaphragmen (Intermedianplatten) in-
defs mit den Gürtelbändern noch im Zusammenhang.
Von einander gegenüber liegenden Puncten des inneren Ran-
des des Diaphragma, in der Ebene desselben, springen platte, zahn-
artige Fortsätze in den Zellraum vor, welche sich zu vereinigen
streben, diese Vereinigung indefs nicht vollständig erreichen. Die
von der concaven Randseite des Diaphragma ausgehenden Zähne
sind ungleich länger als die von der convexen, welche letz-
teren häufig in unausgebildeten Zuständen angetroffen werden.
Es bleibt somit in der Längsrichtung des Diaphragma nur ein
schmaler Streifen längs der convexen Seite frei. Da die Epi-
themien mit der concaven schmalen Gürtelbandfläche aufzusitzen
pflegen, so bilden diese Intermedianplatten mit ihren Zähnen,
sowie die Schalen mit ihren Fächern die Seitenwände der Zelle.
An der den Schalen zugewendeten Fläche sind die platten
zahnartigen Fortsätze ihrem ganzen Verlauf nach mit einem
Falz oder einer Hohlkehle versehen. Eine von der Schale i.-o-
lirte Platte welche auf die hohe Kante gestellt wird, zeigt daher
bei genügenden Vergröfserungen die gekerbten zahnartigen Fort-
Sitzung vom 15. October. 71
sätze im Querschnitt als kleine prominirende halbmondförmige
Gebilde. Diese Gebilde sind es auch, welche auf den Gürtel-
bandflächen den Eindruck von kopfartigen Anschwellungen der
starken Querrippen verursachen. Da nämlich Zahl und Lage
der Fortsätze genau derjenigen der beschriebenen Scheide-
wände entspricht, welche zur Ebene der Intermedianplatte recht-
winklig stehen, so ragen in Folge dessen diese Wände mit ihren
freien Kanten in die Hohlkehlen der Fortsätze hinein, sind also
gleichsam wie eine Coulisse in einen Falz eingeschoben.
Diese intracellularen Bildungen theilen den Zellraum der
Epithemien in mannigfach gegliederte Abtheilungen und müssen
daher auf die Gestaltung des plasmatischen Inhalts einen be-
sonderen Einflufs ausüben.
Vergegenwärtigt man sich das eigenthümliche Verhalten der
Endochromplatten bei den Epithemien, wie es Pfitzer1) be-
schreibt und abbildet, so erklärt sich das gelappte Aussehen der
Endochromplatte in dieser Gattung ganz naturgemäfs. Da die
Endochromplatte mit ihrer Mediane der schmalen Gürtelband-
fläche anliegt, über beide Schalen sich fortzieht und mit den
freien Rändern auf der breiten Gürtelbandfläche endet, so wird
natürlich nur die Mitte derselben völligen Zusammenhang haben
können, wo weder die Zähne der Intermedianplatten noch
die Scheidewände der gefächerten Schalen die Continuität stören.
Seitlich dagegen wird die Endochromplatte durch die genannten
Gebilde in mehr oder weniger zahlreiche Lappen zerschnitten,
welche nur als solche in die Fächer der Schalen eindringen
können.
Der Vortragende spricht die Vermuthung aus, dafs das Vor-
kommen gelappter Endochromplatten bei anderen Gattungen
ebenfalls auf anatomische Grundlagen zurückgeführt werden
könnte und weist darauf hin, dafs das Vorhandensein von Dia-
phragmen als diagnostisches Kennzeichen kaum mehr zulässig
sein dürfte.
Eine ausführlichere Darstellung dieser Verhältnisse behält
sich der Vortragende vor.
') Bau und Entwicklung der Bacillariaceen. Bonn 1871. p. 81. 83 ff.
Taf. 4. Fig. 10.
72 Gesellschaft naturforschender Freunde.
Herr P. Magnus sprach über die Zweigbildung der Spha-
celarien. Bei der Untersuchung der auf der diesjährigen Ex-
pedition der Pommerania angetroffenen Formen der Sphace-
laria cirrhosa (oder Verwandter derselben) gelangte er zu der
Erkenntnifs, dafs die Haare derselben aus den Scheiteln der sie
tragenden Axen hervorgehen. F. Geyler giebt in Prings-
heim's Jahrbüchern Bd. 4, p. 516 sqq. an, dafs die Haare bei
Sphac. tribuloides Menegh. und Sphac. pennata Lyngb. durch
seitliches Auswachsen der Scheitelzelle und Abgrenzung der Aus-
buchtung mittelst einer Scheidewand gebildet werden, während
er von Sphacel. cirrhosa aussagt, dafs sie der Haarbildungen
entbehrt; doch lag letzteres wahrscheinlich nur an dem Ent-
wickelungszustande des untersuchten Exemplars und ist zu be-
merken, dafs Areschoug und Harvey diese Sphac. pennata
Lyngb. mitsammt der von Kützing in Spec. Alg. p. 464 zu Sph.
pennata citirten Abbildung Lyn gbye's zu Sph. cirrhosa ziehen,
womit Vortr. nur übereinstimmen kann. Geyler's Angaben ent-
gegen fand Vortr. an Sphacelarien von H vidingsoe und Ber-
gen, dafs die Mutterzefle der später seitlich am Stamme sitzenden
Haare durch eine mehr oder minder schief geneigte Wand von
der Scheitelzelle abgeschieden wird. Die Mutterzelle der Haare
liegt daher gleich bei ihrer Entstehung seitlich schief oben und
ist sie die bei Weitem kleinere Tochterzelle der Scheitelzelle.
Nach dem Auftreten der Scheidewand wachsen beide Tochter-
zellen aus, so dafs ihre fortwachsenden Scheitel bald durch eine
tiefe Furche von einander getrennt sind, und es dann den An-
schein hat, als ob eine Ausstülpung der grösseren Zelle durch
eine Scheidewand von ihr abgeschieden wäre. Die gröfsere
Tochterzelle wächst zu dem Fortsetzungssprosse aus, drängt
durch ihr kräftigeres Wachsthum die Anlage des Haares auf die
Seite und stellt dessen Basalwand mehr oder minder vertical;
die erste Scheidewand des Fortsetzungssprosses trifft auf die
Basalwand des Haares, so dafs dieses immer über einer Scheide-
wand zweier Glieder inserirt ist. Häufig drängt der Fortsetzungs-
sprofs das Haar nur wenig oder garnicht zur Seite, so dafs dann
der das Haar tragend!' Stamm eine deutliche Knickung an der
Insertion des Haares zeigt (vergl. auch Geyler 1. c. Taf. 36,
Fig. 7 u. 8). Bei Exemplaren von Hvidingsoe in Norwegen
Sitzung vom 15. Octobvr. 73
behielten häufig die Haare deutlich ihre terminale Stellung, indem
der Fortsetzungssprofs aus der letzten Gliedzelle unterhalb des
Haares mehr oder minder verkümmerte. Hier sind auch, offen-
bar in Folge des geringeren Wachsthumstrebens der abgeschie-
denen Gliedzelle die Basalwände der Haare" unter einem weit
geringeren Winkel zur Horizontalen geneigt, Diese starke Nei-
gung der Scheidewand ist ein Extrem der Erscheinung, die Vortr.
im vorigen Jahre in dieser Gesellschaft bei Polysiphonia aus-
führlich besprach, und die Naegeli und Gramer schon lange
Zeit vorher bei Delesseriaceen und Ceramiaceen kennen
gelehrt hatten. Während aber bei Polysiphonia der Muttersprofs
die Richtung seines bisherigen Längenwachsthums fortsetzt (doch
zeigen nicht selten die jungen Axen der Polys. byssöides scharfe
Knickungen an der Grenze der successiven Glieder und wird
auch bei Polys. fastigiata der Hauptsprofs meist abgelenkt), so
wird bei Ceramium (und schwächer bei Hypoglossum Leprieurii
nach Naegeli, sowie bei Del. alata u. a.) der Muttersprofs
durch das Auswachsen der unter einem gröfseren Winkel ab-
geschiedenen Gliedzelle zu einem Tochtersprosse von seiner
Wachsthumsrichtung abgelenkt. Sachs und Pfeffer müfsten
daher in Consequenz ihrer Definition der Dichotomie, wonach
dieselbe in dem Auftreten zweier neuer Wachsthumsrichtungen
beruht (vergl. J. Sachs, Lehrbuch, 2. Aufl., p. 154 und W.
Pfeffer, Entwickelung des Keimes der Gattung Selaginella
p. 47), diese Verzweigungen zu den dichotomen rechnen, was
wohl jedem sich eingehend damit Beschäftigenden unnatürlich
erscheinen wird, da z. B. die Verzweigung von Hypoglossum Le-
prieurii morphologisch, sehr verschieden von der von Dictyota
dichotoma ist, sich hingegen eng an die von Delesseria sinuosa
anschliefst. Ebenso ist die Verzweigung von Selaginella keine
dichotome (Näheres darüber an einem anderen Orte). — Bei
Sphacelaria wird das Ende des Muttersprosses ganz zur Seite
gedrängt und setzt der Tochtersprofs die bisherige Richtung des
Muttersprosses fort, so dafs die die Haare tragende Axe ein
Sympodium ist. Der Ausbildung des Sprofsscheitels zu einem
Haare bei Sphacelaria ist analog das Auswachsen der Zweige
zu peitschenförmigen Haaren, wie es bei den Gattungen Tilopterü
und Ectocarpus häufig vorkömmt.
74 Gesellschaft naturforschender Freunde.
Auch bei ( 'haetopteris plumosa, der Geyler merkwürdiger
Weise die Haare abspricht, wird von der Scheitelzelle der Fieder-
ästchen die Mutterzelle der Haare in derselben Weise abge-
schieden und durch den aus der auswachsenden Gliedzelle ent-
stehenden Fortsetzungssprofs zur Seite gedrängt. Hier tritt es
häufig ein, namentlich bei den unteren ersten Haarbildungen,
dafs die Mutterzelle durch eine verticale Wand in zwei Zellen
getheilt wird, von denen jede in ein Haar auswächst, die dann
meist neben einander, sehr selten über einander liegen.
Nachdem der Vorfr. die terminale Bildung der Haare und
den sympodialen Wuchs von Sphacelaria erkannt hatte, hegte
er sogleich die Vermuthung, dafs die Anlage der Fiederästchen
von Stypocaulon scoparium und Halopteris filicina in derselben
Weise vor sich gehen möchte, wie es bereits Naegeli von
Stypocaulon sciparium beschrieben und abgebildet hatte (vergl.
Naegeli und Schieiden, Zeitschrift für wissenschaftliche Bo-
tanik, Heft I, p. 73 — 74, Taf. II, Fig. 1). Dem entgegen
geben Cramer (Physiolog.- systematische Untersuchungen über
Ceramiaceae p. 85) und Geyler 1. c. für Stypocaulon, Hal-
opteris, Kurztriebe von Cladostephus etc. an, dafs die Ast-
zelle als seitliche Ausbuchtung der Scheitelzelle auftrete und
hat das Kny für Halopteris bestätigt (s. p. 9 dieses Jahr-
gangs dieser Berichte). Schon die Untersuchung getrockneten
Materials lieferte dem Vortr. Bilder, die sich nicht mit der all-
gemeinen Giltigkeit der Cramer'schen Angaben vertrugen. Auf
seine deshalb an Herrn Prof. A. de Bary gerichtete Bitte erhielt
er von demselben in Spiritus conservirte Halopteris und Stypo-
caulon freundlichst zugesandt, und bestätigte die Untersuchung
dieses Materials seine Vermuthungen. Sowohl bei Stypocaulon,
wie bei Halopteris traf Vortr. sehr oft Zustände, in denen die
Scheitelzelle durch eine schief geneigte Wand in die kleinere
Mutterzelle des Fiederästchens und die gröfsere Mutterzelle des
Fortsetzungssprosses getheilt war. Die Aufsenmembranen dieser
beiden Zellen gehen zuerst continuirlich in einander über; erst
später werden sie durch das Auswachsen beider Zellen durch
eine Furche von einander getrennt. Auch hier fanden Verschieden-
heiten in der Gröfse der abgeschiedenen Scheitelzelle, sowie in
deren Neigung der Basal wand derselben statt. Vortr. warf sich die
Sitzung vom 15. October. 75
Frage auf, ob Dicht auch aufser dem eben beschriebenen Vorgange
die von Cramer, Geyler und Kny behauptete Abscheidung einer
Ausbuchtung Statt habe. Aber nie traf er eine irgend deutliche
Ausbuchtung, die nicht bereits durch eine Scheidewand ab-
geschieden war und ist hervorzuheben, dafs die Gröfse der Aus-
buchtung der abgeschiedenen Zelle, ihre Entfernung vom Scheitel
der Mutterzelle des Fortpflanzungssprosses, sowie der Grad der
Aufrichtung der Basalwand stets mit einander correspondirten,
wie das eine Consequenz des geschilderten Vorgangs ist. Mit
Cramer's Angaben verträgt sich nur der letzte Zustand, in
dem die Mutterzelle des scheinbaren Seitenastes schon ganz zur
Seite unterhalb des fortwachsenden Scheitels des Fortsetzungs-
sprosses gerückt ist. Nie hat Vortr. , obwohl er wohl an 100
Stammspitzen von Stypocaulon und Halopteris untersucht hat,
ein Bild erhalten, wie es Geyler 1. c. auf Taf. 34, Fig. 1 ab-
bildet. — Die sogenannten HaupUtxen von Stypocaulon und
Halopteris sind daher ebenfalls Sympodien , und sind die Kurz-
triebe die zur Seite gedrängten Scheitel der unter ihnen befind-
lichen Axen- Stücke. Bei Stypocaulon wird von der auf die
Seite gerückten Scheitelzelle durch eine auf ihre Basalwand senk-
recht auftreffende Scheidewand nach oben eine Zelle abgeschieden,
aus der sich entweder eine Gruppe von Haaren oder von Spo-
rangien entwickelt; bei Halopteris wird von der auf die Seite ge-
rückten Scheitelzelle durch eine auf ihre Basalwand treffende
Scheidewand nach oben hin eine Zelle abgeschieden, die ent-
weder in einen Seitenstrahl oder in ein Sporangium auswächst. —
Ganz ebenso wie Stypocaulon verzweigen sich die Kurztriebe
von Cladostephus myriophyllum und Cl. spongiosus. Ueber die
Verzweigung der Hauptaxen dieser Pflanzen konnte Vortr. nichts
Sicheres ermitteln, doch ist ihm die von Kny behauptete Dicho-
tomie aus anatomischen Gründen sehr unwahrscheinlich.
Schliefslich wies der Vortr. darauf hin , dafs nach seinen
Untersuchungen bei der Entwickelung der Sprosse von Vitis ganz
ähnliche Erscheinungen Statt haben. Auch hier wird der Scheitel
des Muttersprosses, der sich zur Ranke entwickelt, durch das
mächtige Wachsthum des axillären Fortsetzungssprosses zur Seite
gedrängt. Auch bei Najas hat der Vortr. ähnliche Erscheinun-
gen beobachtet und sie beschrieben und abgebildet, vergl. Bei-
76 Gesellschaft naturforschender Freunde.
träge zur Kenntnifs der Gattung Najas, p. 28 sqq. Taf. IV.
Hier wird der Scheitel durch das Auftreten des fertilen Blattes
und der Achselknospe desselben zur Seite gedrängt, richtet sich
bei weiterem Wachslhum wieder auf und wird bei der nächsten
Anlage des fertilen Blattes und Achselproducts wieder zur Seite
gedrängt u. s. f. Hierhin gehören auch die Erscheinungen bei
der Entwickelung vieler wickelartiger Inflorescenzen, auf denen
hin Kaufmann und Kraus die dichotome Entwickelung vieler
derselben behaupteten.
Herr Braun legte als Beispiel eines sonderbaren Natur-
spiels eine von Herrn G. Wen dt in Güstrow (Mecklenburg)
eingesendete Runkelrübe vor, welche walzenförmig verlängert
und nach unten in 5 Wurzelspitzen in einer Weise getheilt ist,
dafs sie einer riesenmäfsigen menschlichen Hand mit etwas ge-
schwollenen gekrümmten Fingern und einwärts geschlagenem
Daumen, getragen von einem kräftigen Oberarm, erschreckend
ähnlich sieht. Dieselbe soll dem K. landwirtschaftlichen Mu-
seum übergeben werden.
Herr W. Peters legte den Schädel eines weiblichen Orang-
Utangs aus Borneo vor, welcher dadurch ausgezeichnet ist, dafs
er in beiden Oberkiefern und in der rechten Unterkieferhälfte
sechs Backzähne hat, während diese Zahl der Backzähne nor-
maler Weise sich auch bei den Affen der neuen Welt findet, indem
die Affen der alten Welt bekanntlich fünf Backzähne haben.
Dieses abnorme Gebifs ist jedoch von dem der Affen der neuen
Welt dadurch wesentlich verschieden, dafs der überzählige Zahn
ein vierter wahrer Backzahn und kein Prämolarzahn ist.
Herr Neumayer theilt mit, dafs das jüngst ausgesandte
Geschwader der kaiserlichen Marine auf der beabsichtigten Reise
um die Erde vielfach wissenschaftlichen Zwecken sich widmen
werde. Es ist der Wunsch des Herrn Staatsministers v. Stosch,
dafs soviel als möglich durch das Personal des Geschwaders die
Interessen der Wissenschaft gefördert werden, daher denn an
die wissenschaftlichen Gesellschaften die Aufforderung zu richten
sei, etwaige Wünsche zu formuliren und durch die kaiserliche
Admiralität an das Commando gelangen zu lassen. Da in der
Gesellschaft Naturforschender Freunde alle Zweige der Wissen-
schaft vertreten sind, so glaubt Herr Neumayer diese Gele-
genheit ergreifen zu müssen, auf die Reise aufmerksam zu machen.
Sitzung vom 15. October. 77
Herr Ehrenberg legte zuerst einen von Dr. Julius Haast,
dem Ehrenmifgliede der Gesellschaft, aus Neu- Seeland für die
Bibliothek der Gesellschaft eingesandten gedruckten Vortrag des-
selben aus den Transactions der dortigen gelehrten akademischen
Gesellschaft vor. Das an Vortr. gerichtete Begleitschreiben ist
datirt vom 5. Juni d. J. aus Glückauf bei Christchurch. Die
Druckschrift behandelt die Skelett- Bruchstücke eines grofsen
Raubvogels, welcher von Haast den Namen Harpagornis Moorei
erhalten hat. Sie sind zwischen den zahlreichen Dinornis- Kno-
chen in den Sümpfen von Glenmark vorgekommen und im Be-
gleitschreiben wird mitgetheilt, dafs später auch noch mehrere
andere, vermuthlich derselben Vogel -Species angehörige Knochen
gesammelt worden sind, welche das Bild derselben mannigfach
vervollständigen. Dr. Haast verspricht Gyps-Abgüsse zu sen-
den und bereitet noch andere seiner interessanten Mittheilungen
vor. — In einem früheren Schreiben d. J. hat derselbe dem
Vortragendon angezeigt, dafs sich auch Dinornis- Knochen mit
noch anklebenden Federn gefunden haben, wodurch die Vor-
stellung erweckt wird, dafs die Katastrophe des Unterganges
so massenhafter Riesen vögel dem jetzigen Oberflächen-Leben nicht
sehr fern liegen kann.
Derselbe legte hierauf eine interessante Druckschrift des
Professors der vergleichenden Anatomie Paola Panceri in
Neapel zur Kenntnifsnahme vor, deren Gegenstand die Leucht-
organe der Pyrosomen, Pholaden und der Phyllirhoe bucephala
erläutert. Da das Meeresleuchten die eigene Nachforschung des
Vortr. früher sehr in Anspruch genommen hat' und neuerlich
bis in die Tiefgründe des Oceans durch den Einflufs vieler Peri-
dinien in den Feuersteinen der Kreide sich massenhaft gezeigt
hat, so ist die dem Gegenstande so intensiv zugewendete Pflege
an den lichtreichen Küsten von Neapel besonders erfreulich.
Derselbe legte endlich ein Exemplar des gedruckten Aus-
zugs seines im April gehaltenen akademischen Vortrags über den
Einflufs des organischen Lebens auf den Meeresgrund aller Zonen
vor, dessen ausführlichere Mittheilung durch den Kupferstich
vieler Tafeln bereits vorbereitet ist und aus welchem 249 Formen-
Arten vorläufig Diagnosen erhalten.
78 Gesellschaft naturforschender Freunde.
Als Geschenke wurden dankend entgegen genommen:
Abhandl. d. Berl. Akad. d. Wissensch. 1871.
Proceedings of the Zoolog. Society of London. 1872. Part I.
List of vertebrated Animals in the garden of the Zool. Society.
1872.
Catalogue of the Library of the Zool. Soc. 1872.
Report of the Commissioner of Agriculture for 1870. Washington.
Monthly Report of the Department of Agriculture for 1871. Wa-
shington.
Bulletin of the Essex Institute. Vol. III. N. 1—12. Salem.
Proceedings of the Essex Institute. Vol. IV. P. III. Salem.
Annual Rep. of the Pensylvania Institution for the Deaf and Dumb
1871. Philadelphia.
9ih Rep. of the California Institution for education of the Deaf
and Dumb and the Blind. Sacramento 1871.
Smithsonian Report 1870.
Bulletin de la Societe Imper. des Naturalistes de Moscou 1872.
No. 1.
Notes on Harpagornis Moorei, an extinct gigantic bird of Frey
by Jul. Haast. 1871. New Zealand. (Extract.)
21. Jahresber. d. naturhist. Gesellsch. zu Hannover. 1871.
Ueber den Durchgang der Wärmestrahlen durch geneigte dia-
thermane Platten von Dr. Knoblauch. 1872.
Drei kleinere Schriften von Pastor Kawall, Kurland.
Sur la mesure des sensations physiques p. J. Plateau.
Memoires de V Academie Imper. des Sciences de St. Petersbourg.
Tome XVII. No. 11. 12. Tome XVIII. No. 1—8.
Bulletins de V Academie des Sciences de St. Petersbourg. Tome
XVII. No. 1—3.
Annales del Museo publico de Buenos Aires. Entrega 7 — 9.
Generalbericht über die Europäische Gradmessung für 1871.
Publikationen des geodätischen Instituts. Maafsvergleichungen.
Heft 1. Berlin 1872.
A. \V. Schade's Buchdruckerei (L. Schade) in Berlin. Stallselireiberstr. *7.
Sitzunffs-Bericht
der
Gesellschaft naturforschender Freunde
zu Berlin
am 19. November 1872.
Director: Herr Geheimer Regicrungsrath Rose.
Herr Kny sprach, unter Vorlegung von Zeichnungen, über
einige parasitische Algen, die er während eines kurzen
Aufenthaltes auf Helgoland zu beobachten Gelegenheit hatte.
Im September dieses Jahres wurden bei andauernd
stürmischer Witterung zahlreiche erwachsene Exemplare von
Delesseria sanguinea (L.) an den Strand geworfen. Von der
einschichtigen Spreite waren an derselben nur noch geringe
Ueberreste erhalten; die Hauptmasse bestand aus den verzweig-
ten Mittelrippen, welche an einzelnen Stellen mit zahlreichen
kleinen Adventivsprossen besetzt waren. Nicht alle Theile der
Pflanze zeigten die rein purpurrothe Färbung der jungen Frons.
Besonders an der Basis des Stämmchens und auch an verein-
zelten Punkten der Spreite war dieselbe durch bräunliche Strei-
fen und Flecken von undeutlicher Begrenzung verdeckt, die
vielfach mit einander zusammenflössen. Auf zarten Oberflächen-
schnitten, die an solchen Stellen geführt wurden, zeigte sich die
Rinde von einem unregelmässigen Maschenwerk zarter, geglie-
derter und aus ihren Gliederzellen verzweigter Fäden überdeckt,
die sich bei sehr reichlicher Entwickelung eng aneinanderlegten
und zum Theil übereinander hinwegwuchsen. Die Gliederzellen
waren auf ihrer gesammten Längserstreckung ziemlich gleich
[1872.] 9
80 Gesellschaft naturforschender Freunde.
breit, dabei gewöhnlich unregelmässig hin und her gebogen und
in Richtung der Aussenfläche der Delesseriapüanze etwas abge-
plattet; im Uebrigen zeigten sich Längs- und Querdurchmesser
grofsen Schwankungen unterworfen. Die Zweige traten nicht immer
aus dem Ende, sondern nicht selten auch aus der Basis oder
Mitte der Gliederzellen hervor und grenzten sich oft erst
in einiger Entfernung von ihrer Ursprungsstelle durch eine
Scheidewand ab. Der zarten Membran schmiegte sich im Innern
ein geschlossener, nicht an allen Punkten gleich mächtiger
Wandbeleg von Protoplasma an, in welchem sich der bräunlich-
goldgelbe Farbstoff ziemlich gleichmässig vertheilt fand.
Auf Querschnitten durch gebräunte Stellen erwachsener
Mittelrippen überzeugte man sich leicht, dafs die Fäden nicht nur
an der Aussenfläche hinkriechen, sondern auch in das Ge-
webe eindringen. Zunächst durchsetzen sie die äusserste
Lamelle, welche die Aussenzellen nach Art einer Cuticula con-
tinuirlieh überzieht, und kriechen unterhalb derselben, den inneren
Membranschichten angeschmiegt, fort. Vondortaus finden sie ihren
Weg aber auch in das Innere der Rinde, indem sie die Zellen
auseinanderdrängen und später zum Theil vorhandene Inter-
cellularlücken benützen. So können sie, unter wiederholter
regelloser Verzweigung, bis gegen die Längsachse der Mittel-
rippe vordringen, wenn sie sich auch in den äusseren Parthieen
der Rinde am reichlichsten entwickeln. Ihr Verlauf scheint
überall ein streng intercellularer zu sein; im Innenraura der
Rindenzellen wurden sie niemals vorgefunden.
Der Configuration der Intercellularräume entsprechend , ist
die Form der Gliederzellen der parasitischen Fäden, soweit
dieselben innerhalb der Nährpflanze verlaufen, ein noch unregel-
mäfsigerer, als an ihrer Oberfläche. Längen- nnd Breitendurch-
messer sind der Regel nach geringer. In den inneren Parthieen
der Rinde, wo die Zellen der Delesseria keinen Farbestoff mehr
enthalten, ist solcher in denen der parasitischen Fäden noch
deutlich erkennbar, wenn er hier auch sparsamer auftritt. Der
Wandbeleg des Plasma ist nicht mehr gleichmäfsig tingirt,
sondern es sind demselben ein oder wenige Farbstoffkörper ein-
gebettet, doren einseitige Lage und abgeplattete Form an tue
Chlorophyll-Körper von Ulothrix zunata erinnert.
Sitzung vom 19. November. 81
Nachdem Vortragender auf die besprochenen Fäden bei
Delesseria sanguinea aufmerksam geworden war, fand er solche
von gleicher Beschaffenheit auch im Innern anderer Florideen,'
nämlich bei Delesseria alata (Huds.), Hypnea purpurascens (Huds.),
Chondrus crispus (L.), Polyides rotundus (Gmel.), Rhodomela sub-
fusca (Woodw.) und auch im Thallus einer braunen Alge, näm-
lich im Stiel von Laminaria saccharina (L.). Fruktifications-
organe wurden leider bei keiner der genannten Pflanzen beob-
achtet. Da es Vortragender an Bemühungen, sie aufzufinden,
nicht hat fehlen lassen, ist es wahrscheinlich, dafs die Früchte
zu einer anderen Jahreszeit, als im Herbst, zur Entwickelung
gelangen. Solchen Algologen, die ihren dauernden Wohnsitz
an der Küste haben, wird es gewiss ein Leichtes sein, diese em-
pfindliche Lücke in der Kenntnifs der parasitischen Fäden aus-
zufüllen und denselben ihren Platz im System anzuweisen. Am
wahrscheinlichsten ist es wohl, dafs sie der Familie der Phaeo-
sporeen angehören.
In einem Exemplar von Polyides rotundus wurden auch
rothe sterile Fäden gefunden, die allem Anscheine nach einer
Floridee aus der Gruppe der Calliihamnieen angehören. Sie sind
ebenfalls gegliedert und aus einzelnen ihrer Gliederzellen verzweigt.
Soweit sie im Innern des Stämmchens verlaufen, sind die Glieder-
zellen lang und schmal; gegen die äusseren Parthieen der Rinde
werden sie allmählich kürzer und breiter. Sie stechen hier durch
lebhaftere Färbung und meist auch durch grösseren Umfang
von den umgebenden Rindenzellen der Nährpflanze sehr deut-
lich ab. Ihre Form ist im Ganzen unregelmäfsig; in ihrem
mittlerem Theile sind sie meist tonnenförmig erweitert.
Ausser den braunen und rothen Fäden beobachtete Vor-
tragender in der Rinde Antheridien- tragender Exemplare von
Polyides rotundus auch jene ovalen, grünen Zellen, welche, wie
er später fand, schon von Mettenius (Beiträge zur Botanik
pag. 39) gesehen, von ihm aber als Tetrasporen - Mutter-
zellen gedeutet worden waren. Thuret bezeichnet sie in einer
brieflichen Mittheilung an Professor C oh n (abgedruckt in dessen
Aufsatz „Ueber einige Algen von Helgoland" p. 38) als ruhende
Zustände von Cladophora lanosa, die gegen Ende des Winters
sich zu theilen und zu verzweigten Fäden auszuvvachsen be-
9*
82 Gesellschaft naturforschender Freunde.
ginnen. Dafs wir es hier wirklich mit einer dem Polyides frem-
den Bildung zu thun haben, geht, abgesehen von anderen Gründen
auch aus dem Verhalten der Stärke hervor. In den grünen
Zellen wird dieselbe reichlich im Chlorophyll gebildet and zeigt
bei Zusatz von Jodlösung unmittelbar die charakteristische Blau-
färbung. In den innern Rindenzellen von Polyides dagegen,
welche in den der Untersuchung vorliegenden Exemplaren dicht
mit feinkörnigem Amylon erfüllt waren, nahmen die Körner
durch Jod eine braune und erst nach Quellung in Aetzkali eine
blaue Farbe an. Andere Florideen, die Vortragender schon
früher auf dieses eigentümliche Verhalten untersucht hatte
(z. B. Polysiphonia nigrescens (Engl. Bot.), Dasya coccinea (Huds.)
Calliblepharis ciliata (Huds.) verhalten sich ganz übereinstimmend
(vergl. auch Rosanoff, Observ. sur les pigments de diverses
algues in den Mem. de la Soc. de Cherbourg, tonie 13 p. 220).
Es könnte zweifelhaft erscheinen, ob die oben beschriebenen
braunen und rothen Fäden in demselben Sinne, wie das von
Colin eindeckte Chlorochytrium Lemnae, als echte Parasiten zu
betrachten sind. Zeigen ja das von Reinke im Gewehe der
Gunnera scabra aufgefundenen Scytonema CO Gunnerae und die
von Glinka v. Janczewski als Nostoc -Colonien erkannten
Gebilde im Thallos von Anthoceros und Blasia, dafs zwischen
chlorophyllbaltigen Bilanzen, die in engster Verbindung mit
einander vegetiren, auch ein unabhängigeres Verhältnifs, als
das des Parasitismus, bestehen kann: ein Verhältnifs, das
Colin in seiner soeben erschienenen Abhandlung über parasi-
tische Algen (Beiträge zur Biologie der Bilanzen, Heft II.)
mit dem passenden Namen „Consortiuin" bezeichnet. Für
beide Algen ist festgestellt, dafs sie auch ausserhalb der
sie beherbergenden Pflanzen vegetiren können und in diese
durch vorgebildete Oeffnungen eindringen. Wenn nun
auch der erste dieser beiden Punkte für die beschriebenen brau-
nen und rothen Fäden so lange noihwendig zweifelhaft bleiben
muss, als keine Fructification bei ihnen gefunden ist. kann in
letzterer Beziehung als sicher betrachtet werden, d;iss die Fäden
beim Hineinwachsen in den Thallus anderer Algen nicht nur
vorhandene Intereellularlücken ausfüllen, sondern auch dort,
WO solche nicht bestehen und das ( i.'\\ ehe fest ZUSammenSChliesSl
Sitzung vom 19. November. 83
(wie z. B. bei Ckondrus crispus) sieh ihren Weg selbst bahnen.
Und wenn auch der Thallus aller oben bezeichneten Florideen,
in denen parasitische Fäden bisher gefunden wurden, sich mor-
phologisch als eine Vereinigung verzweigter Zellfäden betrachten
lässt, und die Eindringlinge vielleicht überall Nichts weiter thun,
als die benachbarten Reihen lockern, ohne die Verbindung zwi-
schen Gliederzellen derselben Reihe aufzuheben, so wird sich
doch der vorliegende Fall schwerlich mit dem Vorkommen von
Acrochaete repens Pringsh., iiolbocoleon piliferum Pringsh. und
Streblonema volubilis (Crouan) vergleichen lassen, deren Fäden
nach Frings heim in dem lockeren Rindengeflecht von Meso-
gloia vermicularis Ktzg. und verwandter Phaeosporeen - Arten
nisten (cf. Beiträge zur Morph, der Meeres-Algen in den Ab-
handlungen der Akademie d. W. in Berlin 1862, p. 2 u. 13).
Sucht man sich von dem physiologischen Verhältniss zwischen
den parasitischen Algen und den von ihnen bewohnten Pflanzen
eine Vorstellung zu machen, so bietet der Vergleich mit den-
jenigen phanerogamen Schmarotzern, wrelche Chlorophyll enthal-
ten, hierzu erwünschte Anhaltspunkte. Da man wohl annehmen
darf, dass das Chlorophyll überall da, wo es vorkommt, unter Mit-
wirkung günstiger äusserer Bedingungen, die ihm eigene Funktion
der Assimilation verrichtet, so lässt sich von vornherein erwar-
ten, dass chlorophyllhaltige Schmarotzer den Bedarf an Nähr-
stoffen ihrem Wirth entweder ganz oder doch zum grösseren
Theil in noch unverarbeiteter Form entziehen werden. Bei den
höheren Pflanzen, wo die Leitung der rohen und assimilirten
Säfte an besondere Gewebesysteme vertheilt ist, wird sich dies
auch in der Art und Weise aussprechen, wie die Parasiten
mit den Nährpflanzen in Verbindung treten. Die Aufnahmsorgane
chlorophyllhaltiger Schmarotzer, wie Viscum, Thesium, der
Rhinanthaceen, werden eine möglichst enge Verbindung mit dem
Holzkörper, diejenigen der Chlorophyll freien Schmarotzer, wie
Cuscuta und Cytinus Hypocistis eine engere Verbindung mit
Weichbast und Parenchym der Nährpflanze anstreben. Unter-
wirft man die der werth vollen Abhandlung des Grafen Solms-
Laubach (Ueber den Bau und die Entwickelung der Ernährungs-
organe parasitischer Phanerogamen, Jahrb. f. w. Bot. Bd. VI.,
pag. 509) beigegebenen Tafeln einer aufmerksamen Betrachtung,
84 Gesellschaft naturforschender Freunde.
so fällt ein solcher Unterschied in der Anheftung je nach An-
wesenheit oder Mangel von Chlorophyll deutlich in die Augen.
Von besonderem Interesse in dieser Beziehung ist Cytinus Hypo-
cistis, dessen hohlcylindrisches Aufnahmsorgan die jungen, durch
die Thätigkeit des Cambium ihm aufgelagerten Holzschichten
immer wieder an einzelnen Stellen durchbricht, um von der Zu-
fuhr plastischer Stoffe nicht abgeschnitten zu werden.
Ist es gestattet, von den Fhanerogamen, wo das Verhältniss
zwischen Parasiten und Schmarotzern übersichtlicher ist, auf die
analogen Beziehungen bei Thallophyten einen Schluss zu ziehen,
so wird man annehmen müssen, dass auch hier durch den Chloro-
phyllgehalt eine wenigstens theilweise Aufnahme der Nährstoffe
in roher, noch nicht assimilirter Form bedingt ist.
Herr Kny legte ferner, mit Beziehung auf einen vom Herrn
Dr. Magnus in der letzten Sitzung geäusserten Zweifel an dem
Vorkommen dichotomer Verzweigung bei Cladostephus spongiosus
(Lightf.) ein hierauf bezügliches Präparat vor. Die Scheitel-
zelle ist an demselben durch eine Längswand halbirt, der
sich beiderseits je eine Querwand ansetzt. Das Präparat
liefert jedenfalls den Beweis, dass Dichotomie bei Cladostephus
vorkommt; ob sie die Regel ist, hatte Vortragender ausdrück-
lich dahingestellt gelassen (cf. Botan. Zeitung 1872, pag. 274).
Er würde dieser einen Beobachtung eine so grosse Bedeutung
nicht beigemessen haben, wenn nicht von Decaisne schon
früher eine Längstheilung der Scheitelzelle bei dem nahe ver-
wandten Cladostephus Myriophyllum Ag. gesehen worden wäre.
Hr. P. Magnus wies in Erwiderung auf den Vortrag des Hrn.
Dr. Kny darauf hin, dass er daran festhalten zu müssen glaube,
dass das s. g. Nostoc lichenoides im Gewebe der Lebermoose
nicht parasitisch lebe, wie er das bereits in No. 13 des Natur-
forscher, Jahrgang V. 1872 entwickelt habe. Jancjzewski
selbst weist für den von ihm in den grossen luftführenden Zellen
des Blattes von Sphagnum acutifolium beobachteten Nostoc liche-
noides den Parasitismus zurück und beschreibt selbst, wie die
AWoc-Colonieen , von denen die einzelnen Fäden durch die
Spaltöffnungen u. A. in die Lebermoose eindringen, ausserhalb
derselben auf der Erde der Töpfe wohl gediehen. Es ist daher
Sehr unwahrscheinlich p dass dass Nostoc in den Geweben para-
Sitzung vom 19. November. 85
sitisch lebe, d. h. sieh von den von den Lebermoosen assimilir-
ten Säften aufbaue. Dieses Einnisten des Nostoc erklärt sehr
schön, wie die im Flechtenkörper ringsum von Pilzhyphen um-
sponnenen Algen trotzdem recht wohl gedeihen können, was den
Gegnern der Seh wenden er' sehen Ansicht die grösste Schwie-
rigkeit zu machen pflege. Die Bezeichnung dieser Verhältnisse
als Consortium sei nicht zuerst von Cohn, sondern bereits von
Reinke undGrisebach angewendet worden (Nachrichten von
der Kgl. Gesellschaft d. Wissensch. zu Göttingen 1872 p. 108).
Ihm scheine dieser Ausdruck, namentlich für Gunnera und die
Q/caswurzeln, nicht ganz passend und möchte vielleicht der von
van Beneden für das Zusammenleben gewisser Thiere ge-
brauchte Ausdruck „Commensalismus" (Tischgemeinschaft) auch
hier zutreffen.
Mit Bezug auf das von Dr. Kny vorgezeigte Präparat von
Cladostep/ms legte Herr Magnus dar, dass seine Zweifel an
der Dichotomie der Hauptaxen von Cladosiephus sich nament-
lich darauf stützten , dass man an einem Längsschnitte
unmittelbar durch die Axe und die Insertion des abgehenden
Astes meist sehr leicht eine Hauptaxe an dem Verlaufe der
längsgestreckten Centralzellen unterscheidet. Er wies ferner
darauf hin , dass es sich hier um eine Regenerationserschei-
nung handle. Er habe auch bei Halopteris und Stypocaulon
an dem ihm von Prof. Dr. de Bary freundlichst gesandten Ma-
terial nicht selten eine Reproduction aus der Wundfläche beob-
achtet, d. h. ein Auswachsen von Zellen der Wundfläche zu
neuen Scheitelzellen. Dasselbe findet regelmässiger an den ein-
zelligen Stielen der (von ihnen abgefallenen) dreizackartigen
Brutknospen der Sphacelaria cirrhosa statt, wie er das bei Hvi-
dingsoe und Bergen beobachtet hat.
Herr Kny erwidert hierauf, dass ihm die Annahme, es liege
hier eine Abnormität vor, durchaus unbegründet erscheine. Wenn
der im Präparat vorliegende dichotomirte Vegetationskegel von
Cladostephus spongiosus weniger schlank ist, als ein einfacher, so
ist dies hinreichend dadurch erklärt, dass bei beginnender Gabe-
lung zum Längenwachsthum ein gesteigertes Breitenwachsthum
hinzutritt. Er behält sich vor, Zeichnungen beider Präparate
bei nächster Gelegenheit zu veröffentlichen.
86 Gesellschaft natur/orsch nder Freunde.
Herr Magnus zeigte eine Sammlung von Kartoffelknollen
voi , voii denen der grüsste Theil Mittelbildungen darstellte
/wischen je zweien dreier runder Kartoffelsorten, von denen die
eine weiss, die andere roth, die dritte schwarz war, und die
Herr Dr. Neubert in Stuttgart durch gegenseitiges Pfropfen der
Stecklinge der betreffenden Sorten erzogen hatte. Diese inter-
essante Sammlung war ihm durch die Freundlichkeit der Herren
Prof. Koch und Dr. Wittmack zur Demonstration gefälligst
übergeben worden. Im Unterschiede von den Versuchen, über
die Referent im vorigen Jahre in dieser Gesellschaft berichtet
hat, machte Herr Dr. Neubert keine Operationen mit den
Knollen, sondern zog junge Pflanzen aus Stecklingen, die er als-
dann später mit den anderen verschiedenen Sorten pfropfte, und
fanden die Cultiwen der Vorsicht halber in Töpfen statt. Laut
gefälliger brieflicher Mittheilung des Herrn Dr. Neubert an
den Vortragenden zeigten bei sämmtlichen nach dieser Methode
gepfropften Pflanzen alle erhaltenen Knollen die Einwirkung
des Edelreises, nur in sehr verschiedenem Grade, doch stets
unverkennbar, während hingegen in den vorjährigen Versuchen
meist nur in einzelnen Fällen Mittelbildungen erhalten wurden.
was sich vielleicht aus häufig nicht stattgehabter Verwachsung
erklärt.
Von den Neubert'schen Knollen zeigten schöne deutliche
Mittelfärbungen der ganzen Knollen die Producte aus der Pfro-
pfung der schwarzen und weissen, und der schwarzen und rothen
Sorte auf einander. Die anderen Mittelsorten lassen sich wegen
des Fehlens der einen reinen rothen Elternsorte nicht so genau
beurtheilen, doch ist eine Mittelbildung zwischen der weissen und
rothen Sorte hervorzuheben, die die eine Hälfte weiss, die an-
dere roth reigt. Diese Mittelbildungen zeigen wieder in eviden-
ter Weise den Einfluss des Edelreises und der Unterlage auf
einander, der noch neuerdings von Vielen gänzlich in Abrede
gestellt wurde, wie z. B. von Director Dr. Regel und Professor
Goepperl '). der die Mittheilung der Pänachure an die Unterlage
zwar anerkennt, dieselbe aber als Mittheilung einer Krankheit
') Scblesische Gesellschaft für vaterländische Cultur. Soction für
Qbst- und Gartenbau, Sitzung vom 24, Juni ls^"-'
Sitzung vom 19. November. *7
erklärt. Wie Referent an anderen Orten schon ausführlich dar-
gelegt hat, scheint ihm die Annahme eines fundamentalen Unter-
schiedes zwischen einer in der modificirten Constitution liegen-
den Krankheit (zum Unterschiede von einer durch äussere Ur-
sachen, wie Witterung, Angriff von Feinden etc. hervorgebrach-
ten) und einer Variation nicht begründet. Der gegenseitige
Einfluss des Edelreises und der Unterlage auf einander macht
sich natürlich nur bei relativ geringen Variationen geltend, wie
ganz analog die sogenannten unwichtigeren Charactere am
leichtesten variiren, während die wichtigeren Charactere mit
grösserer Zähigkeit den erschütternden Einflüssen widerstehen.
Ebenso tritt, wie gesagt, nur bei geringeren Variationen der
gegenseitige Einfluss des Edelreises und der Unterlage zu Tage,
während bei grösseren Differenzen dieser Einfluss nicht zur
Geltung gelangt.
Die Mittheilung der Panachure an Abutilon- Arten ist seit-
dem sehr oft wiederholt worden; so sah Vortragender nament-
lich eine schöne Collection solcher inficirten Abutilon - Stöcke
beim Herrn Gärtner Barren stein in Charlottenburg, wo die
verschiedensten Arten von Abutilon Thompsonii die Panachure
annahmen, wie z. B. das schöne Abutilon souvenior de Maxi-
milian.
Wo die Panachure nur an wenige Aeste der Unterlage mit-
getheilt wurde, bestätigte sich überall das vom Vortragenden in
früheren Jahren in dieser Gesellschaft entwickelte Gesetz über
die Vertheilung des Einflusses. Nur eines möchte noch hervor-
zuheben sein, dass Stöcke, deren nach einmaligem Zurück-
schneiden frisch austreibenden Zweige die Panachure nicht an-
nehmen, dieselbe nach wiederholtem Zurückschneiden annehmen
unter fortgesetztem Einflüsse des aufgepfropften Abutilon Thom-
psonii.
Ferner berichtete Herr Magnus über ein Chytridium, das
er auf der letzten Expedition der „Pommerania" bei Edinburgh
in den Wurzelhaaren von Ceramium ßabelligerum und Cer. acan.
thonotum entdeckt hat und Chytridium tumefaciens nennt. Das
Chitridium sass bei Weitem am häufigsten in den Wurzelhaaren
der genannten Arten und zwar sowohl in der Endzelle der-
selben wie auch in mittleren und unteren Zellen derselben. Es
88 Gesellschaft naturforschender Freunde.
[iegl ganz im Inhalte der befallenen Zellen, so dass es der
Sectio Olpidium ABr. angehört. Die befallene Zelle schwillt bedeu-
tend an {unde nomen); entweder liegt in ihr ein einzelnes Chytri-
dium oder deren mehrere und winden bis sechs in einer Zelle beob-
achtet. Die Chytridien füllen häufig die Nährzelle fast ganz aus, der
Seitenwand ringsum dicht anliegend, namentlich wenn sie einzeln
oder zu zweien oder dreien untereinander an derselben liegen, in
welchem letzterem Fälle sich die Berührungswände gegenseitig
abplatten. Erst wenn sie zu mehreren in einer Zelle sich be-
finden, liegen sie in der angeschwollenen Zelle als freie Kugeln
und bleiben sie dann weit kleiner. Um die Zoosporen zu ent-
lassen, entsendet jedes Chytridium ein oder zwei_ Fortsätze, die
die Wand der Wirthszelle durchbohren , sich aussen öffnen und
durch die die Zoosporen austreten. Schwärmende Zoospooren wur-
den nur zwei Mal beobachtet, und gelang es ein Mal zu sehen,
wie eine Zoospoore sich aussen an der Wand ansetzte, die
Wand durchbohrte und durch die Wand in den Inhalt hinein-
glitt.
Weit seltener, als in den Wurzelhaaren fand sich das Chy-
tridium in den Scheitelzellen, jungen Gliederzellen und Rinden-
zellen der Ceramien, hier fast immer nur einzeln (nur in einer
einzigen Scheitelzelle zwei untereinander) in den Zellen; so hat
es Cramer in „Pflanzenphysiolog. Untersuchungen von Nae-
geli u. Cramer", Taf. 41, Fig. 9 u. 11, als Monstrosität des
Cer. spiniferum Kg. (nach Agardh identisch mit Cer. ßabelliqe-
rum AgJ aus Neapel abgebildet. Vergebens bemühte sich der
Vortragende einen morphologischen Unterschied zu finden von dem
im vorigen Jahre in dieser Gesellschaft von Dr. Kny besprochenen
C. sphacellarum aufzufinden, wie überhaupt die bisher bekannten
Glieder der subsectio Olpidium A. Br. sehr geringe Verschieden-
heiten darbieten. Wenn Vortragender es nichts desto weniger
mit einem neuen Namen Chytr. lumefaciens bezeichnet, so ge-
schieht dies, weil er sich noch weit weniger berechtigt hält, die
Identität mit Chytr. sphacell. zu behaupten.
Das Chytr. sphacell. beobachtete der Vortragende auf der
Expedition der „Pommerania" sehr häufig bei Helgoland auf
dem ziemlich dicht unter der Wasseroberfläche wachsenden
Cladostephus spongiosus, während es auf dem aus 5 Faden Tiefe
Sitzung vom 19. November. 89
heraufgekommenen Cladosteph. myriophyllum fehlte. Ferner wurde,
das Chytr. sphacell. in SphaceUaria cirrhosa in der Apen rader
Bucht eingetroffen.
Das Chytr. Plumulae F. Cohn traf der Vortragende sehr
reichlich auf Tetrasporen - Exemplaren des Callithamnion Plu-
mula vor Roesnaes (N.-W.- Spitze von S.eeland) in der be-
trächtlichen Tiefe von 28 Faden, und ebenso im Kleinen Belt
nördlich von Fanoe in der Tiefe von 16 — 10 Faden. Auf
Antheridien-Exemplaren aus Plymouth hat er es vor Jahren
an Präparaten des Herrn Dr. Kny aufgefunden.
Hieran schloss der Vortragende eine Uebersicht der bisher
an Callithamnien beobachteten Chyiridien, die eine mannigfache
Deutung in der Litteratur erhalten haben. Zuerst hat sie wohl
Naegeli abgebildet und beschrieben, an Callithamnion cru-
ciatum Ag. von Sorrento bei Neapel (Neuere Algensysteme
Zürich 1848, p. 202) und bezeichnete er sie als abortirte Sporen-
mutterzellen, wie er sie auch 18G1 in den Sitzungsberichten der
Kgl. Baier. Akademie 1861 II. Heft 3 pag. 379 als solche be-
zeichnet. Von Gallith. Plumula beschrieb und bildete sie Nae-
geli 1855 ab (Pflanzen - physiologische Untersuchungen von
Naegeli u. Cramer Heft 1, pag. 64), ohne dass er sich ein
Urtheil über ihre Bedeutung erlaubte. 1849 bildete sie Kützing
in den Tab. phycolog. Vol. V., Taf. 82 von einem Callithamnion
von der Küste von Pernambuco ab, das er Sporacanthus cris-
tatus nannte, und bezeichnet die Chytridien als Intercellular-
sporen. 1862 bildete sie Harvey in Callithamnion dispar Harv.
aus Australien ab in Phycologia australica Vol. IV. Tab. 227
und bezeichnet sie in der Figurenerklärung fraglich als Anthe-
ridien.
1868 bildet Grunow in „Reise S. Maj. Fregatte Novara
um die Erde", Botanik Th. I. Bd. Algen." (Tab. VI. Fig. 3.)
ein Callithamnion aus Gibraltar ab, das er damals Spora-
canthus compactus nannte, und das er jetzt nach gefälliger brief-
licher Mittheilung für Callithamnion abbreviatum hält, und sitzen
an dessen letzten Auszweigungen Chytridien, die er mit Schwanken
als eingewachsene Sporen erklärt, deretwegen er die Pöanze zu
Sporacanthus stellte. An dem, dem Vortragenden von Grunow
übersandten Materiale konnte sich derselbe von der mit Chytr.
00 Gesellschaft naturforschender Freunde.
Plumulae übereinstimmenden Natur dieser Körper überzeugen.
Mit Rech! hebt Grunow selbst die Analogie mil den von Har-
vcv ;ils fragliche Antheridien au Gallith, dispar abgebildeten
Körpern hervor. Mit (Jnrechl zieht er dagegen zum Vergleiche
die ungeteilten Sporen von Corynospora hinzu, die nach den
Abbildungen Harvey 's von Cor. australis und Naegeli's von
Monosporß pedicellata ächte Haplosporen, die den Tetrasporen
der anderen Arten entsprechen, sind.
Es ist hervorzuheben, dass alle diese Chytridien auf Colli-
thamnien mit wirtelig gestellten Blättern vorkommen. ()1> >ie
einer Species oder verschiedenen Species angehören, wagt der
Vortragende nicht zu entscheiden; nur möchte er auf ihre ver-
schiedene Wohnstätte in den verschiedenen Species aufmerksam
machen. Bei allen Arten liegen sie zwischen der Culicula und
den Zellen. Aber im Gegensatz zu Chytr. Plumulae liegen sie
bei Callith. cruciatum stets über der Scheidewand zweier Zellen,
bei C. abbreviatum über einer ganzen Zelle und deren beiden
benachbarten Scheidewänden an den kurzcylindrischen letzten Ver-
zweigungen. Bei den anderen Arten liegen sie fast über der gan-
zen Ausdehnung einer Gliederzelle der kurzgliedrigeü letzten
Verzweigungen.
Jedenfalls zeigen diese Abbildungen und Beschreibungen
eine wie weite Verbreitung diese marinen Chytridien haben.
Herr Urban gab eine Uebersicht über die Resultate der
Untersuchungen, die Entwickelung der Blüthen bei den PapiUo-
naeeen betreffend, und (heilte seine eigenen Beobachtungen über
die Entwickelung der Blüthentbeile bei den Arten der Gat-
tung Medicago mit, indem er durch Zeichnungen der ver-
schiedenen Entwickelungsstadien seine Ausführungen zu erläutern
suchte.
Die Angaben Casp. Friedr. Wolff's (theor. gener.), dass
bei der Bohnenblüthe die Petala nach dem Auftreten der Staub-
blätter und des Fruchtblattes entständen, wurden von Kirch-
hoff (Jahresbericht der Louisenstädt. Gewerbeschule 1867) in
Abrede gestellt. Nach Payer entstehen bei Trifolium ochroleu-
cuiii und Lathyrus Sylvester zuerst die Sepala, dann die Petala
in der Richtung vom Tragblatte zur Blüthenaxe hin, darauf die
Staubblätter in zwei nach einander auftretenden Quirlen (mit
Sitzung vom 19. November. 91
Ausnahme des später nicht verwachsenen Staubblattes, welches
bei Trifolium früher gebildet wird , und zuletzt das Fruchtblatt.
Hofmeister (Morphol.) rügt an Payer's Darstellung, dass er
nicht das frühzeitige Auftreten des Fruchtblattes, wie es die Ab-
bildung zeige, erwähnt habe, und giebt an, dass bei den Papi-
lionaceen die Bildung des Carpells derjenigen eines Theiles der
Kelch- und Kronenblätter, sowie sämmtlicher Staubblätter vor-
auseile. Dies fand Rohrbach (Bot. Zeit. 1870) bei Lupinus be-
stätigt, bei anderen Papilionaceen jedoch nur in sehr beschränk-
tem Maase.
Vortragender fand in der Gattung Medicago (bei M. sativa,
lupulina etc.) folgende Entwickelungsfolge der einzelnen Blüthen-
theile. Zuerst entsteht das vordere, dann die beiden seitlichen,
endlich die beiden hinteren Sepala. Sowie sie sichtbar werden, er-
scheinen sie mit den vorhandenen an der Basis verwachsen. "Wenn
sämmtliche Kelchblätter angelegt sind, erhebt sich als halbmond-
förmiger Höcker das Carpell und nimmt schnell an Grösse zu.
In dieser frühesten Entwickelung zeigt das Fruchtblatt eine
überraschende Aehnlichkeit mit der ersten Anlage des ersten,
auf die Cotyledonen folgenden, nicht gedreiten Blattes. Bevor
sich eine Andeutung von Blumenblättern zeigt, erscheint der
äussere Kreis von Staubblättern in der Furche zwischen den
einzelnen Sepalis und dem Fruchtblatthöcker. Ihm folgt sehr
bald der zweite abwechselnde Wirtel.
Ein successives Auftreten der einzelnen Staubblätter hat Vortr.
zwar nicht bemerkt, doch glaubt er aus der relativen Grösse
der sichtbar gewordenen 5 resp. 10 Höcker schliessen zu können,
dass der äussere Kreis in derselben Reihenfolge wie die Kelch-
blätter, der innere aber umgekehrt sich bildet. Zu allerletzt
entstehen nach Anlage der inneren Staubblätter zwischen die-
sen und den Commissuren der verwachsenen Kelchblätter die
Petala. In welcher Reihenfolge, war ebenfalls nicht zu con-
statiren, da der geringe Umfang der Bliithe bei Medicago keine
Längsschnitte gelingen liess.
Zum Schluss macht Vortragender noch auf das beständige
Vorkommen von Caleium-Oxalat-Krystallen, die er in den Brac-
teen von Medicago, Trigonellq, und Pocockia fand, aufmerksam.
Es sind sehr schön ausgebildete rhombische Prismen mit der
92 Gesellschaft naturforschender Freunde.
schiefen Endfläche. Sie finden sich in der ganzen Aasdehnung
des Tragblattes zu je einem in jeder der um den Gefässstrang
herumliegenden Parenchymzellen vor.
Herr Ascherson legte von Dr. K ersten in Jerusalem
eingesandte Exemplare von Populus euphralica Olivier (Gar ab
der heutigen Araber und der Bibel) vor, welche den Formen-
wechsel der Blätter dieser orientalischen Pappel in ausgezeich-
neter Weise zur Anschauung bringen.
Das kgl. Herbarium erhielt kürzlich von Dr. Otto K ersten,
gegenwärtig Kanzler des kaiserl. deutschen Consulats in Jeru-
salem, eine reiche Pflanzensendung, in der die Frühjahrsflora
der Umgebungen Jerusalems sehr charakteristisch vertreten ist.
Die vorgelegten Exemplare von Populus euphratica, im Jordan-
Uferwalde unterhalb Jericho vermuthlich von verschiedenen
Stöcken gesammelt, zeigen theils lineallanzettliche, mit einzelnen
spitzen Zähnchen versehene, sonst ganzrandige (var. hippophai-
folia Wesmael in D. C. Prod. XVI. II. 327) theils etwas brei-
tere, schwach ausgeschweifte Blätter (var. lanceolata Wesm. 1. c.)
(beiderlei schmale Blätter kurzgestielt) theils besitzen sie ge-
wöhnliche, etwa der verwandten Populus tremula L. entsprechende
rundliche, ausgeschweift gezahnte Blätter mit langen Blattstielen;
besonders lehrreich ist ein Exemplar, welches 3 unter einer ver-
stümmelten Astspitze hervorgewachsene Seitenzweige aufweist,
von denen einer die schmalen, die zwei anderen unterwärts
kurz rhombische, gezähnte, oben eiförmig lanzettliche bis lan-
zettliche, ganzrandige Blätter zeigen, und so den Zusammen-
hang dieser so verschiedenartigen Blattformen aufs Deutlichste
darlegt.
Diese Vielgestaltigkeit der Blätter bei Populus enphratica hat
ihr an der Nordgrenze ihres angedehnten Verbreitungsberichts,
in der Songarei, den Namen P. diversifolia Schrenck verschafft.
Nach den brieflichen Mittheilungen des verdienstvollen
Orientreisenden Prof. Haussknecht in Weimar gehören die
schmalen Blattformen jugendlichen strauchartigen Exemplaren resp.
Stockausschlägen, die rundlichen dagegen erwachsenen Bäumen
an, so dass selbst von diesem erfahrenen Beobachter das Unterholz
der l\ euphrat. anfangs öfter für W.eidengebüsch gehalten wurde,
obwohl bei näherer Betrachtung schon die fast ganzrandigen
Sitzung vom 19. November. 93
Blätter die schmalblättrige Eupbrat- Pappel von einer Weide
unterschieden.
Dieser merkwürdige Baum wird auch in der Bibel unter
dem Namen a"^ (nur der Plural D>:?^ kommt in den Psal-
men, bei Jesaia und Hiob vor) erwähnt, was freilich erst in
neuester Zeit sicher gestellt werden konnte.
Unser ausgezeichneter Orientalist, Dr. W etz stein, erkannte
bereits 1860 auf einer während seiner Amtstätigkeit als preussi-
scher Consul in Damascus unternommenen Bereisung des Ost-
Jordan -Landes, dass der noch heute von den Arabern Garab
genannte Baum nicht, wie man bis dahin allgemein annahm,
die Trauerweide (Salix babylonica L.) sein könne. Nach seiner
Standortsangabe brachte dann Herr R. Kiepert 1870 Proben
mit, die sich als Populus euphr. ergaben.
Interessant ist, dass gleichzeitig mit dieser naturhistorischen
Feststellung des Garab auch eine Bestätigung derselben auf rein
linguistischem Wege von einer ganz anderen Seite erfolgte. Der
gleichfalls um die Kenntniss des Orients hochverdiente jetzige
General-Consul Dr. O. Blau fand in den von ihm herausgegebe-
nen bosnisch-türkisch Sprachdenkmälern (S. 159) das südslavische
Wort Topola (Pappel) durch das arabische Wort Garab wieder-
gegeben.
Herr Braun sprach über eine monöcische Form des Hanfes
{Cannabis sativa) mit Vorzeigung getrockneter Exemplare. Ver-
einzelte männliche Blüthen an weiblichen Exemplaren oder auch
ganze männliche Sprosse, welche meist sehr verspätet aus dem
untersten Theile des Stamms weiblicher Pflanzen hervorwuchsen,
sind beim Hanf, ebenso wie bei Mercurialis annua, öfters be-
merkt worden; der vorliegende Fall, der im August d. J.,
zu einer Zeit, als der übrige Hanf bereits ganz abgeblüht hatte,
im Universitätsgarten an zwei Exemplaren beobachtet wurde,
unterscheidet sich hiervon durch die regelmässige Vertheilung
der männlichen und weiblichen Blüthen und zwar in der Art,
dass der untere Theil jedes Zweiges, zuweilen bis zur Hälfte
oder auch noch höher ausschliesslich männliche Blüthen in rei-
chen dichten Büscheln trägt, während der obere bloss mit weib-
lichen Blüthen besetzt ist. Ebenso ist die Spitze des Haupttriebes
weiblich, während weiter rückwärts männliche Blüthenbüschel
!>l Gesellschaft naturforschender Freunde.
sich finden. Man denke sich an einem männlichen Hanfstock
alle Spitzen abgeschnitten und durch solche eines weiblichen
Stockes ersetzt, so hat man ungefähr das Bild des besprochenen
Falles. Ungeachtet des grossen Reichthums an Blutheo beiderlei
Geschlechts und des anscheinend gut entwickelten Pollens trugen
beide Stöcke doch nur sehr spärliche Samen.
Herr Seh weinfur th legte eine Anzahl im Niamniam-Lamle
gesammelter Früchte der Xylopia aethiopiea L. vor, welche vor
Zeiten unter dem Namen Malaguetta, oder äthiopischer Pfeffer,
geschätzt, seit dem Ende des vorigen Jahrhunderts durch den
schwarzen Pfeffer gänzlich verdrängt, worden ist.
Die Früchte dieser Pflanze, auf welche A. Decandelle
seine Gattung Habzelia (von Habb el Selim, Körner des Seiini,
wie sieAvicenna mit arabischer Bezeichnung nannte) gründete
bildeten noch vor 250 Jahren einen so bedeutenden Handels-
artikel, dass ihnen die „Pfefferküste" den Namen und die Nieder-
lassungen von Gross-Bassa und Cap Palmas ihre Entstehung
verdankten. Lange bevor der schwarze Pfeiler eine so grosse
Bedeutung im Handel erwarb, war der Malaguetta-Pfeffer durch
arabische Händler auf dem Landwege nach Europa gelangt.
Heutzutage ist er in Vergessenheit gerathen, auch von den
Reisenden der neuesten Zeit nirgends mehr an der afrikanischen
Westküste gesammelt worden.
In den mohammedaniscen Staaten Centralafrika'e hingegen
scheint dieses Gewürz nach wie vor eine grosse Rolle im llaus-
bedarf der Eingeborenen zu spielen. Die Bewohner Dar- Kurs
kennen es unter dem Namen Kumba, und dies ist zugleich der
Name, welchen die Niamniain der Pflanze ertheilen.
Auch FI. Barth erfuhr von der Existenz einer solchen
durch die Furianer, welche ihm die erste Kunde von einem
grossen nach Westen fliessenden Flusse im Lande der Niamniain
berichteten, an dessen Ufern der Kumba-Baum wachsen sollte.
Da Barth, den erhaltenen Angaben folgend, diesen FluSS,
welchen er „Fluss von Kubanda" nennt, ziemlich genau in der
geographischen Breite des von Schweinfurth entdeckten Helle
verzeichnete, legte der Vortragende ein besonderes Gewicht auf
die Bedeutung dieser botanischen Angabe, welche ihm einen
sicheren Zusammenhang mit dem immensen Gebiete der Er-
Sitzung vom 19. November. 95
kundigungen dieses grossen Erforschers von Central- Afrika zu
verrathen schien.
Der Vors. G. Rose legte Proben von Gebirgsgesteinen vor,
die von Blitzschlägen getroffen waren, und in welchen sich da-
durch mehr oder weniger breite, hohle Canäle gebildet hatten,
deren Wände durch Schmelzung des Gesteins verglast sind.
Das Hauptstück bildete ein über ein Fuss grosses Stück eines
porösen röthlich-weissen Trachyts von der Spitze des kleinen
Ararat, das der Vortragende von dem Staatsrathe Ab ich bei
seinem letzten Hiersein in Berlin erhalten hatte. Es ist, mit
solchen Canälen, die einen ganz unregelmässigen Verlauf und
meistens einen Durchmesser von 3 Centimeter haben, überall
durchbohrt, und nach dem Aussagen von Abich ist dies auf dem
ganzen Gipfel des kleinen Ararat der Fall, da die Gewitter, die von
Süd-Ost kommen, sich hier beständig entladen. Das Glas, wo-
raus die Wände der Canäle bestehen, ist schwärzlich-grün und
vor dem Löthrobr schmelzbar, dagegen der poröse Trachyt vor
dem Löthrohr fast ganz unschmelzbar erscheint.
Drei andere Stücke, die der Vortragende vorlegte , stamm-
ten von Humboldt her, der sie an dem Nevado de Toluca in
Mexico gesammelt hatte. Die Canäle sind hier kleiner und
einzelner, und die geschmolzene Masse hat sich bei zwei der-
selben neben dem Canäle auf der Oberfläche verbreitet; der
Trachyt, in dem sie sich finden, ist sonst ähnlich dem des kleinen
Ararat.
Diese Blitzspuren, sagt Humboldt, auf den bei den Stücken
liegenden Zetteln, finden sich nur auf der Punta del Fraile am
Nevado de Toluca, einem 2364 Toisen hohen Pic, wo sie mit
vieler Gefahr gesammelt wurden, da der Gipfel kaum 30 Qua-
dratfuss Oberfläche und einen senkrechten Absturz von 408
Toisen hat.
Zur Vergleichung legte der Vortragende noch Stücke von
den bekannten Blitzröhren aus dem Sande der Senner-Haide
vor, sowie eine 30 Centimeter dicke Glasplatte, die von einer
elektrischen Entladung durchbohrt ist.
10
% Gesellschaft naturforschender Freunde.
Als Geschenke wurden mit Dank entgegengenommen:
Monatsberichte der Berliner Akademie der Wissenschaften, April
bis Julr 1872.
Verhandlungen des botanischen Vereins der Provinz Brandenburg.
Jahrgang 13. 1871.
Geognostische Durchforschung des schlesischen Schwemmlandes von
Dr. A. Orth. Berlin. 1872.
Memoires de la societe nationale des Sciences naturelles de Cher-
bourg. Paris. Tome XVI. et Catalogue.
Schriften der königl. physik.-ökonomischen Gesellschaft zu Königs-
berg. Jahrg. lü— 12. und Jahrg. 13. Abtli. I.
Abhandlungen der naturhistorischen Gesellschaft za Nürnberg.
Bd. V. 1872.
B. Hartmann. Beiträge zur zoologischen und zootomischen Kennt-
niss der sogenannten anthropomorphen Affen. Heft I.
R. Hartmann. Einiges über Halodactijlus diajihanus Farre.
Kawall. Coup d'oeil sur la flore de la Courlande. 1871.
Kam all. Die neuen russischen Naturforscher- G eselisch aj :ten. Brste
Mittheilung. Riga. 1872.
A. W Sobada'l Biiehdrurkerri (I, Schade) in Berlin, 8tallschreiber*tr. I?
Sitzunüs-Bericht
der
Gesellschaft naturforschender Freunde
zu Berlin
am 17. December 1872.
Director: Herr Geheimer Regierungsrath Rose.
Herr G. Rose legte Photographieen von den Diamanten-
gräbereien im Caplande vor, die Herr Schultze erhalten und
ihm zur Vorlage in der Gesellschaft freundlichst mitgetheilt
hatte. Man sieht daraus die Grofsartigkeit der Gräbereien, die
Mächtigkeit der abgebauten Sandschichten und das Treiben in
der meistens aus Zelten bestehenden Niederlassung.
Mit diesen Bildern wurden auch die Photographien der
grössten im Caplande gefundenen Diamanten in ihrer wahren
Gröfse vorgelegt, darunter die des grofsen im Juli 1872 gefun-
denen von 166 Karat, der eine deutliche Octaederform zeigt,
und von 4 anderen Diamanten von 36, 80, 63 und 75 Karat.
Herr Magnus erlaubte sich als Nachtrag zu seinem letzten
Vortrage über Propf hybriden der Kartoffel die Aufmerksamkeit
der Gesellschaft anf die betreffenden Versuche des Herrn Ritter-
gutsbesitzers Dr. Max Heimann hinzulenken, über die der-
selbe in der botanischen Section der Schlesischen Gesellschaft
Bericht erstattet hat. Er operirte mit 3 verschiedenen Sorten,
der rothen sächsischen Zwiebelkartoffel, der mittelfrühen blauen
und der weissen langen Sechswochenkartoffel. Das Edelauge
aus je einer dieser Sorten in konischer oder Cylinderform aus-
geschnitten, wurde in die entsprechende Höhle einer Mutterknolle
10
98 Gesellschaft naturforschender Frei,
gebracht und deren eigene Triebentfaltung entfernt. Bei der
Ernte zeigte sich eine grosse Anzahl von Bastardknollen, die
in der Eigentümlichkeit ihrer Form, Farbe des Fleisches und
der Schale die Mitte zwischen den angewandten Sorten halten,
und hatte Herr Heimann mehrere der schlesischen Gesellschaft vor-
gezeigt. — Diese Methode schliesst sich daher eng an an die in den
letzten Jahren bei den Versuchen im botanischen Garten und auf
der Pfaueninsel bei Potsdam vom Hofgärtner Reuter angewandte.
Ferner demonstrirte Herr Magnus das von Dr. Kny in
der letzten Sitzung als Beleg für die dichotome Verzweigung
der Hauptaxen von Cladostephus vorgelegte Präparat, das er so-
gleich als Regenerationserscheinung erkannt hatte, wie 1. c. an-
gegeben. Auf seine Bitte hatte es ihm Dr. Kny zur genaueren
Untersuchung zugesandt. Er wies an der noch erhaltenen
Membran nach, dafs die ursprüngliche Scheitelzelle verletzt ist, und
sind die beiden Zellen, in die die jüngste Gliederzelle durch eine
verticale Wand getheilt war, zu neuen Scheitelzellen ausgewach-
sen und diese in das Lumen der alten Scheitelzelle hineingewachsen,
von deren zerrissener Membran sie nur durch eine sehr schmale
Spalte getrennt sind. Solche Reproductionserscheinungen aus der
Wundfläche hat Vortragender, wie bereits in voriger Sitzung er-
wähnt, vielfach an Sphacelarieen beobachtet. Aehnlich fand sie Vor-
tragender auch an Gelidium corneum, wo er jedoch meist nur
einen Spross aus der Wundfläche auswachsen sah. Hierher
gehört noch die vom Vortragenden an den Löchern der Deles-
seria sinuosa beobachtete Sprossbildung, über die er in der
Maisitzung d. J. der Gesellschaft vorgetragen hat. Endlich er-
wähnte der Vortragende noch ähnliche Erscheinungen an höhe-
ren Pflanzen (Brutknospenbildung am Rande verletzter Blätter
von Badula complanata , oberflächliche Adventivknospenbildung
an der Schnittfläche der Blattstiele von Begonia- Arten) , die
jedoch zum Theil noch genauerer Untersuchung bedürfen.
Was die Verzweigung der Hauptachsen von Cladostephus an-
betrifft, so hat er sich seitdem im Gegensatze zu den An-
gaben Decaisne's, Geyler's und Kny 's überzeugt, dass sie
sich ähnlich wie die wirteligen Kurztriebe verzweigen, d. h.
durch Auswachsen der ungeteilten Gliederzellen, doch waren
die beobachteten Auszweigungen schon zu alt, um die De-
Sitzung vom 17. December. 99
tails lückenlos angeben zu können. Doch glaubte er sich
überzeugt zu haben, dass es hier sowohl vorkommt, dass die
Scheitelzelle der Hauptaxe nach der Anlage des Zweiges doch
ihre Richtung beibehält, als auch, dass sie von der zum Zweige
auswachsenden Gliederzelle zur Seite gedrängt wird.
Herr Kny bemerkte hierauf, dass, nachdem Herr Dr. Mag-
nus ihn mit den Resultaten seiner jüngstgemachten und bisher
noch nicht veröffentlichten Beobachtungen über Regenerirung
von Scheitelzellen bei Sphacelarien bekannt gemacht hat, er es
für wahrscheinlich halte, dass hier ein analoger Fall vorliegt.
Doch bleibe für ihn die Thatsache bestehen, dass die regenerirte
Scheitelzelle durch eine Längswand getheilt ist, der sich beider-
seits Querwände anfügen: ein Vorgang, der offenbar unter
den Begriff der Dichotomie fällt. Wenn Herr Dr. Magnus
das vorliegende Präparat, dem er ja selbst nur eine sehr be-
schränkte Bedeutung für Entscheidung der Frage nach der Ver-
zweigung von Cladostephus beigemessen hatte (cf. Bot. Ztg. 1872,
pag. 274), für nicht beweisend halte, so würde es sich em-
pfehlen, neue Untersuchungen an geeignetem Material und in
möglichst grosser Zahl anzustellen. Falls dieselben zu einem
abweichenden Ergebnisse führen, sei er selbstverständlich gern
bereit, seine bisherige Ansicht gegen eine besser begründete
zu vertauschen.
Herr Braun sprach sich über das Präparat, das er genau
besichtigt hatte, dahin aus, dass es als abnormer Fall für die
Beurtheiluhg der normalen Verzweigung von Cladostephus von
keiner Bedeutung sei; an und für sich könne jedoch der Fall
allerdings in gewissem Sinne als Dichotomie betrachtet werden,
selbst wenn die beiden durch Regeneration gebildeten Spitzen
aus zwei schon vorher gebildeten secundären Cylinderzellen her-
vorgehen, wie Herr Dr. Magnus annimmt; denn schon die
Theilung der primären Gliederzelle durch eine senkrechte Wand
in zwei gleichwertige secundäre sei eine dichotome. Das Eigen-
tümliche sei hier nur, dass die Dichotomie von der Theilung
einer Gliederzelle und nicht von der der Scheitelzelle ausgehe.
Mit Bezug auf den letzten Wunsch des Herrn Dr. Kny wies
Herr Magnus auf seine letzten Ausführungen hin, und erklärte
er seine Deutung des Präparates für die einzig mögliche.
10*
100 Gesellschaft naturforschender Freunde.
Herr von Martens zeigte einige Zeichnungen von
Fischen und Insekten vor, welche der Reisende G. Schwein-
furth während seines Aufenthaltes in Central- Afrika an den
Flüssen Djur und Tondj entworfen hat und die durch sorgfältige
Beifügung der dort üblichen Namen noch besondern Werth er-
halten. Die Gattungen und auch die Arten, soweit es möglich
war, dieselben mit Bestimmtheit zu erkennen, stimmen mit den-
jenigen überein, welche Dr. Günther nach Petherick's Samm-
lungen am weissen Nil beschrieben hat; wo sich kleine Ab-
weichungen in Körperform oder Schuppenzahl finden, lässt es
der Vortragende unentschieden, ob etwa näcbstverwandte
Arten der Zeichnung zu Grunde liegen, die aber erst durch
Untersuchung der Originalien festgestellt werden könnten. Unter
19 Fischzeichnungen finden sich G aus der Familie der Chara-
cinen, 3 Silur oiden, 2 Labyrinthfische, 2 Chromiden, 2 Ganoiden
und je 1 Percoid, Cyprinoid, Mormyrus und Osteoglosside. Von
besonderem Interesse sind zwei Zeichnungen eines- Polypterus,
gorru oder gurr von den Bongo, ding von den Dinka genannt,
die eine nach einem 0,33 Meter langen Exemplar mit 15 freien
Flossenstrahlen, die zweite nach einem kleineren von 0,21 Meter
Länge mit 18 freien Flossenstrahlen; beide vielleicht der-
selben Art, P. bichir Geoff., angehörig, da die Anzahl der freien
Flossenstrahlen nach Günther's Untersuchungen ziemlich va-
riabel ist; doch ist bemerkenswert!], dass gerade das kleinere
mehr freie Strahlen zeigt, da sonst durchschnittlich bei grösseren
Exemplaren auch eine grössere Anzahl derselben vorkommt.
Ferner unterscheidet sich die kleinere Zeichnung noch durch
lebhaftere Färbung, kleine bräunliche Flecken am Kiemeudeckel
und ein etwas dunkler graues Seilenband, ferner durch einen lan-
gen fadenförmigen Anhang des Kiemendeckels;, da Fr. Stein-
dachner an jüngeren Exemplaren derselben Gattung eine äussere
Kieme beobachtet hat, die bei älteren schwindet (Monatsberichte
d. K. Akademie der Wissenschaften in Wien, 1870, Tat. 2),
so dürfen wir in diesem fadenförmigen Anhang, der allerdings
hier 43 Millimeter oder £ der Totallänge des Fisches einnimmt,
dasselbe Organ vermuthen, dessen Seitenzweige bereits ge-
schwunden sein würden. Von Interesse ist ferner Ophictphalus
0b8CurU8 Qihr., mongo der Njam-Njani. als der einzige Reprä-
Sitzung vom 11. December. 101
sentant einer sonst ostindischen Gattung. Unter den Siluroiden
finden wir die Gattungen Ciarias, gigongo der Bongo, und Schübe,
benge am Tondj-Fluss genannt; eine weitere Zeichnung, kilnoki
oder mongoki, gleicht einem Bagrus, zeigt aber grössere Flecken am
ganzen Körper und eine ungetheilte Schwanzflosse, leider lässt
sich dieselbe in Ermangelang einer Notiz über die Zähne nicht
systematisch bestimmen. Unter den Characinen finden sich Hy-
drocyon Forskalii , kjätt der Djur, ngaia bei dem Njam-Njam
und källo bei den Bongo, Distichodus (rostratus?) , hilu der
Bongo, kjahr am Djur, eh-uai oder ejung der Dinka und Ich-
thyborus microlepis, racha der Bongo. Von Heterotis Nilotica
Cuv., oluk der Schilluk, oluak der Djur, lehk der Dinka, goggoh
der Bongo, lag dem Zeichner ein Exemplar von 0,269 Meter
Länge vor. Mormyrus, wahrscheinlich cyprinoides L., heisst am
Tondj-Fluss mollu oder möll. Ctenopoma Tetherici an demselben
Fluss bei den Djur gang, bei den Bongo ndir, Chromis (nilotica?)
bei den Bongo uarr , bei den Djur atuba, Lates Niloticus bei
den Bongo gobo, Barbus ebenfalls am Tondj-Fluss marengo.
Unter den Insecten befindet sich eine grasgrüne Heuschrecke
der Gattung Pseudophyllus , ähnlich dem javanischen Ps. nerii-
folius, tuongo der Djur, mahelleloh der Bongo und eine Wespe
mit prachtvoll schwarzblau-violett schimmernden Flügeln, Eume-
nes tinctor Christ (Guineensis Fabr.) nach Dr. Gerstäckers
Bestimmung, letztere durch ganz Afrika verbreitet; nach
Dr. Schweinfurth's Angabe ist sie das ganze Jahr hindurch
im Lande der Djur und Bongo in allen Häusern zu finden, wo
sie in Gesellschaften von 6 — 10 Individuen ihre Waben anlegt
und durch ihre Stiche lästig wird, welche heftiger als die unserer
Biene schmerzen.
Derselbe sprach ferner über das Vorkommen einer
Flussmuschel, Unio sinuatus Lam.; einzeln abgeriebene
Schalen derselben wurden wiederholt im mittleren Rheingebiet
mit römischen Alterthümern gefunden, so bei Ladenburg unweit
Mannheim, woher der Vortragende einige Exemplare durch die
Güte der Direktion des Museums der vaterländischen Alterthümer
in Carlsruhe der Versammlung vorlegt, und nach einer brieflichen
Mittheilung von Prof. Fridolin Sandberger in Küchenabfällen
des Römerkastells in Mainz zusammen mit Schalen der gemeinen
102 Gesellschaft naturforschender Freunde.
Auster und des Cardium aculeatum; auch mit Ueberresten aus
der Steinzeit sollen verarbeitete Muscheln dieser Art nach eben-
demselben am Rheine vorgekommen sein. Gegenwärtig lebt
diese Muschel nicht im Rhein oder im Neckar, Main u. s. w. ;
obwohl von französischen Schriftstellern „la mulette du Rhin "
genannt und als „in allen Flüssen Frankreichs, dem Rhein, der
Loire u. s. w. lebend" geschildert, fehlt sie doch in allen Lokal-
faunenlisten der Mollusken der Rheinländer, deren wir ziemlich
viele aus der Schweiz, Baden, dem Elsass, Nassau, Rheinpreussen
und Holland besitzen. Die nächsten speziell angegebenen Fund-
orte sind die Saöne bei Auxonne und Pontailler, wo sie nach
Drouet's Molluskenverzeichniss von 1867 sehr häufig (tres-
commun) ist und eine nicht unbedeutende Anzahl von Perlen ge-
liefert hat, die Aube nach Ray und Drouet 1851, die Oise bei
Creil unterhalb Compiegne (bis jetzt nur todte Stücke) und die
Vesle, ein Nebenfluss der Aisne, nach Baudon 1862, ferner die
Lomme, ein Nebenfluss der Maas in der belgischen Provinz
Luxemburg, nach Colbeau 1865. Im Südwesten Frankreichs ist sie
häufig. Einige dieser Autoren berichten ausdrücklich, dass diese
Muschel schwer zu finden sei oder nur an tieferen Stellen vor-
komme, und Picard bemerkt in Betreff der Somme bei Abbe-
ville, woher das v n Rossmässler im zweiten Heft seiner Ikono-
graphie abgebildete Exemplar stammt, dass sie daselbst nur in
den Jahren 1833 und 1834, nicht früher und nicht später, ge-
funden wurde, aber damals in Menge bei Gelegenheit der Rei-
nigung (curage) des Flussbettes. Wenn demnach auch das Auf-
finden noch lebender Stücke im Rhein nicht ganz unmöglich er-
scheint, so bleibt doch andererseits auch die Möglichkeit, dass
nur die Schalen von den Römern oder vielleicht von gallischen
Soldaten in römischem Dienst als Gefäss, Schmuck oder Amulet
nach dem Rhein gebracht worden. Gerade ihr Zusammenvor-
kommen mit Meermuscheln bei Mainz muss Bedenken erregen,
ob sie dort gelebt habe, und auch von den Austern und Herz-
muscheln erscheint es fraglich, ob sie mit den damaligen Com-
inunicationsmitteln frisch von der Nordsee, Canal oder Mittel-
meer {Cardium aculeatum fehlt in der Nordsee) nach Mainz ge-
brachl werden, also zum Essen dienen konnten. Selbst die Funde
derselben Muschel in Gräbern und mit Topfscherben aus der
Sitzung vom 17. December. 103
Steinzeit fordern noch nicht unabweislich ihr früheres Vorkom-
men im Rhein, da einerseits bekanntlich das Vorkommen von
Steingeräth keine feste Grenze nach den späteren Zeiten hin,
mindestens bis in die fränkische Zeit hat, und andererseits schon
in frühen Zeiten gerade Conchylien durch Tausch oder Handel in
weit entlegene Gegenden gekommen sind, so Conchylien des adria-
tischen Meeres in Pfahlbauten bei Olmütz, Tritonium nodiferum
aus dem Mittelmeer in solche am Bodensee, wie ein Exemplar
in der Alterthümer-Sammlung zu Stuttgart zeigt, Cypraea pan-
therina aus dem rothen Meer in allemannische Reihengräber
Württembergs (ebenda), und Cypraea annulus aus dem indischen
Ocean an pomerellische Gesichtsurnen. Prof. Sandberger
versichert ausdrücklich, dass unser Unio sinuatus in allen von
ihm untersuchten Diluvial -Ablagerungen am Rhein gänzlich
fehle, und so ist denn das natürliche Vorkommen dieser Muschel-
art im Rhein bis auf etwaige weitere Funde für die Gegenwart
bestimmt zu verneinen, für die vorhistorische Zeit wenigstens
erst noch zu erweisen. Auch in Oberitalien wurde diese Art,
wenn die Bestimmung richtig, an einer vorhistorischen Wohn-
stätte, der terramara von Montale, gefunden, wo sie lebend nicht
vorkommt. Der Vortragende knüpft hieran einige Bemerkungen
über die im Aeussern dem Unio sinuatus so ähnliche ächte Fluss-
perlenmuschel, Margaritana margaritifera, und zeigt Exemplare
derselben sowie Perlen daraus vor, welche der Ingenieur A übel
in der Wirna, einem Nebenfluss der Dwina im nördlichsten
Russland, gesammelt hat.
Endlich zeigt derselbe noch einige künstlich gezeich-
nete Landschnecken aus einer von Dr. A. B. Meyer auf den
Philippinen zusammengebrachten Sammlung vor: dieselben gehören
zur Gattung Cochlostyla und zeigen auf dunkelrothbraunem
Grunde bald zwei, bald drei Reihen ziemlich grosser runder
weisser Flecken; wo drei vorhanden, entspricht keine der beiden
oberen richtig der einzigen obern der zweireihigen Stücke. Schon
dieser Umstand und dass eine derartige Zeichnung noch von
keiner Art dieser Gattung bekannt ist, musste Verdacht erregen;
die Flecken fehlen aber auch auf der Mündungswand, auf welche
bei normaler Zeichnung die unterhalb der Peripherie befindliche
Reihe sich fortsetzen müsste, und sie nehmen auf den oberen
10 1 Gesellschaft naturf'urschender Freunde.
Windungen nicht im richtigen Verhältniss der Umgänge 9elbst
ab; endlich ist die Schale an den Flecken selbst zerbrechlicher
als sonst. All' dieses verräth, dass die Flecken nicht natürlich,
sondern einem künstlichen Eingriff zuzuschreiben sind. Die
Form derselben liess Prof. Beyrich an die Einwirkung einer
Flamme denken, und ein Versuch zeigte denn auch dem Vor-
tragenden , dass schon die Spitze einer gewöhnlichen Kerzen-
flamme das Rothbraun der Schnecke beinahe zu Weiss erbleichen
lässt. In derselben Sammlung fand sich nun auch die ent-
sprechende Schnecke ohne die erwähnten Flecke, es ist Coch-
lostyla monozona Reeve (Conchologia iconica Bulimus fig. 195)
aber auch so, wie Reeve sie abbildet, dunkelrothbraun mit
weissem Band, ist sie nur in abgeriebenem Zustand; ganz un-
versehrt zeigt sie, wie so viele andere Arten dieser Gattung,
wenig scharfe schiefe hellere Striemen und das Band tritt sehr
wenig hervor; ein solches Exemplar, auch in derselben Samm-
lnng vorhanden, zeigt die nahe Zusammengehörigkeit dieser Art
mit C. juglans P/r. und C. mus Brod.
Nachschrift: Dem Vortragenden ist seitdem auch noch
ein Exemplar einer anderen Cochlostyla, C. Roissyana Fer., zur
Ansicht zugekommen, welchem offenbar in gleicher Weise breite
schiefe blassgelbe Streifen beigebracht worden sind, und es scheint
ihm sehr wahrscheinlich, dass auch die absonderlich gefleckten
Stücke, welche Regenfuss Taf. 12 Fig. 66 und Martini
Band II. Fig. 615 und 616 abbildet und letzterer „um ihrer Schön-
heit, Regelmässigkeit und Seltenheit willen unter die Rangstücke
einer Sammlung" rechnet, Conus Sinensis und ocellatus von Gme-
lin benannt, in ähnlicher Weise verkünstelte Meerconchylien
seien.
Herr Ascherson zeigte eine abyssinische Composite, Cotula
dichrocephala C. H. Schultz Bip., vor, welche im October d. J.
von dem Gymnasiasten F. Bachmann aus Breslau bei Guben
in einem Exemplare gefunden worden ist.
Der Fundort dieser auf den ersten Blick sehr überraschen-
den verirrten Pflanze, auf welche die W atson'sche Bezeichnung
„Casual" in vollem Masse zu passen scheint, war das der Ueber-
schwemmung ausgesetzte rechte Ufer der Neisse unterhalb Gu-
ben, in Gesellschaft von Corrigiola UtoraUs und Ldmoseüa aquaüca
Sitzung vom 11. December. 105
Da diese Cotula seit dreissig Jahren in botanischen Gär-
ten cultivirt wird, so ist zu vermuthen, dass sie zufällig mit an-
deren Gartenpflanzen in der Gubener Gegend (oder vielleicht
auch an weiter oberhalb an der Neisse gelegenen Orte, z. B. nach
Muskau oder Görlitz) verschleppt wurde.
Cotula dichrocephala Sz. Bip. würde nach der von Professor
C. Koch in der botanischen Zeitung von v. Mohl und v.
Schlechtendal 1843 Sp. 37 veröffentlichten Revision der Cotuleae
zur Gattung Strongylosperma Less. , welcher derselbe erweitert
unter dem neuen Namen Pleiogyne aufführt, gehören; der von
Schultz gewählte Name bezieht sich auf den Farbencontrast der
für diese Gruppe charakteristischen mehrreihigen weiblichen
Randblüthen, die bei dieser Art, wie bei der nahe verwandten
C. anthemoides aus Aegypten eine verkümmerte Corolle haben,
mit den entwickelten Corollen der zwittrigen Scheibenblüthen.
Wenn man indessen die Gattung Artemisia im De Candolle'
sehen Umfang, sowie Chrysanthemum in der Umgrenzung, wie Vor-
tragender in seiner Flora von Brandenburg gethan, aufrecht erhält,
so kann diese Gruppe ebenfalls bei der Gattung Cotula verbleiben.
C. dichrocephala wurde in den Schim per 'sehen Samm-
lungen ausser No. 1325 *), wo sie unter diesem Namen erscheint
noch unter No. 137 (Berliner Kgl. Herbarium) und No. 1875
(Herb. A. Braun) mit C.abyssinica Sz. Bip. vermischt unter deren
Namen ausgegeben.
Gleichzeitig mit dieser abyssinischen Pflanze, und in gerin-
ger Entfernung von ihrem Fundorte, doch auf etwas abweichen-
dem Terrain, einer grasigen Trift am Fusse der Weinberge,
beobachtete Herr Bachmann Artemisia austriaca Jacq. in einiger
Anzahl. Auch diese Pflanze, welche in Nord- und Mitteldeutsch-
land bereits mehrere Mal (bei Erfurt, Magdeburg, Berlin) ver-
schleppt beobachtet wurde, kann bei Guben nicht als ein-
heimisch betrachtet werden; indess dürfte sich ihre Herkunft
schwerlich auf dieselbe Ursache wie die der Cotula dichrocephala
zurückführen lassen.
1 ) Aus der Standortsangabe „in agris Poa abyssinica consitis pr. Adoam"
hat Walpers (Ann. bot. syst.) IV- 895 gemacht: „In Abyssinia prope Poa"!
106 Gesellschaft naturforschender Freunde.
Als Geschenke wurden mit Dank entgegengenommen:
Abhandlungen der Schlesischen Gesellschaft für vaterländisch
Kultur, 1869 — 1872 und 49. Jahresbericht.
Monatsbericht der Berliner Akademie der Wissenschaften, Au-
gust 1872.
Berichtigung. Auf Seite 77 Zeile 10 von unten lies: Ein-
chluss statt Einfl uss.
I Schade) In Berlin, Stallschreiberstrasse
3 2044 106 259 773
Date Due
-iEEZZrjs^