^ - KJ
Sitzungsberichte
der
philosophisch-philologischen und
historischen Classe
der
k. b. Akademie der Wissenschaften
zu IVEünclieii.
Jahrgang 1879.
XJrster Band. *^
München.
Akademische Buchdruckerei von F. Straub.
1879.
In Commission bei G. Franz.
AS
Uebersicht des Inhalts,
Die mit * bezeichneten Vorträge sind ohne Auszug.
OeffenÜiche Sitzung der Akademie der Wissenschaften zur
Feier ihres 120. Stiftungstages am 28. März 1879.
Seite
♦Döllinger: Festrede 325
Verkündigung betreffs des Zographos-Preises 325
T. Prantl: Nekrolog auf Slane 327
V. Giesebrecht; Nekrolog auf Muffat 329
Verkündigung betreffs der Savigny-Stiftung 335
Philosophisch-philologische Classe.
Sitzung vom 4. Januar 1879.
Trumpp: Die ältesten Hindui-Gedichte 1
Sitzung vom 1. Februar 1879.
Maurer: Die ärmenn des altnorwegischen Rechtes 49
*Lauth: Vorläufige Mittheilungen über den Apis-Cyclus . . . 139
Sitzung vom 1. März 1879,
V. Christ: Die Interpolationen bei Homer vom metrischen und
sprachlichen Gesichtspunkte beleuchtet 141
*W. Meyer: Ueber zwei antike Elfenbeintafeln der k. Staats-
bibliothek 206
Sitzung vom 3. Mai 1879.
♦Thomas: Zur Quellenkunde des venetianischen Handels und
Verkehrs 435
*Lauth: Ueber Siphthas und Amunmeses 435
IV
Historisclie Classe.
Sitzung vom 4. Januar 1879.
Seite
*v. Hefner-Alteneck: lieber die Porträtähnlichkeit in den
Abbildungen historischer Persönlichkeiten 48
Sitzung vom 1. Februar 1879.
♦Rockinger: Ueber die Werke zur bayerischen und pfälzischen
Geschichte von der Zeit Äventins bis zur Errichtung der
Akademie 139
•Graf von Hundt: Eine Bearbeitung des Cartulares des Klosters
Ebersberg 139
Sitzung vom 1. März 1879.
Würdinger: Aufzeichnung Georg Seh wartzerdt's über den Bauern-
krieg um Brettheim 1525 207
Hei gel: Kurprinz Josef Ferdinand von Bayern und die spanische
Erbfolge 227
Sitzung vom 3. Mai 1879.
V, Druffel: Bemerkungen über Äventins Schrift „Türken-
warnung" und „Römisches Kriegsregiment'' 337
Rockin ger: Zu Aventin's Arbeiten in deutscher Sprache im
geh. Hausarchive 365
Einsendungen von Druckschriften 218, 322
Sitzungsberichte
der
königl. bayer. Akademie der Wissenschaften.
Philosophisch-philologische Classe.
Sitzung vom 7. Januar 1879.
Herr Trumpp legte vor:
,,Die ältesten Hindui-Gedicbte."
Nachdem in neuerer Zeit so manches geschehen ist zur
Erforschung der alten Hindui-Dialecte, so dürfte es an der
Zeit sein , um diesen wichtigen Studien eine sichere Unter-
lage zu gewähren, nach und nach die ältesten uns erhaltenen
Documente dieses Idioms zu veröffentlichen und zu erklären,
um die Reconstruction dieser Sprache aus den Trümmern
des nach und nach gauz in die Brüche gegangenen Präkrit
aufzuzeigen: denn nur dieser Weg kann zu einer befrie-
digenden historisch-grammatischen Erklärung der Sprach-
formen führen , denen wir in den verschiedenen Dialecten,
in welche sich das alte Hindui mit der Zeit gespalten hat,
begegnen. Da man aber bis jezt noch nicht einmal ganz
über die Benennung dieses Idioms im Reinen ist, so will
ich hier das vorausschicken, was ich schon in meiuer Ueber-
|'1879. 1 Philos.-phil.-hist. Gl. l.J 1
2 Sitzung der plvilos.-philol. Classe mm 4. Januar 1879.
sezung des Ädi Granth, Introd. p. CXXV, note 7, darüber
bemerkt habe, dass ich unter dem alten Hin dui das von
den alten Bhagats gebrauchte Idiom verstehe, das etwa
bis zum Ende des sechszehnten Jahrhunderts reicht, unter
Hindu! ^) schlechthin dagegen die Sprache von Teg Bahädur
und seinem Sohne Gövind Singh , wie sie uns in dem
voluminösen Dasve Pädshäh ka Granth vorliegt, also vom
siebenzehnten bis Mitte des achtzehnten Jahrhunderts, und
unter Hindi die neuere Sprache des eigentlichen Hindüstän.
An und für sich ist Hiudui und Hindi gleichbedeutend, da
das erstere ein von Hindu abgeleitetes Adjectiv, das letztere
von der arabischen Form Hind (— Indien) genommen ist,
aber für die Bezeichnung der verschiedenen Epochen der
Sprachentwickelung ist der Gebrauch dieser beiden Adjective
in der erwähnten Weise sehr empfehlenswerth.
Es ist eine sehr wichtige Frage, was zu den ältesten
Documenten des alten Hindui zu rechnen ist? Es ist wohl
zweifellos, dass der Rajputen Barde Cand ('^^) einer der
ältesten Dichter ist, die im alten Hindui geschrieben haben,
und Garcin de Tassy sezt ihn in seiner Histoire de la lit-
terature Hindouie et Hindustanie (II ed., 1 tom. p. 53)
in das zwölfte Jahrhundert unserer Aera. Da aber von
Cand bis jetzt nichts veröffentlicht ist (ausser einigen ge-
legentlichen Strophen in Beames Comparative Grammar of
the modern Aryan languages of India), und Handschriften
von ihm in Europa keine zugänglich sind (so viel ich
wenigstens weiss ^) , so muss das Urtheil über seine Zeit
1) Wo es nicht gerade nöthig ist, alt Hindui und Hindui auseinander-
zuhalten, werden wir nur den Namen Hindui gebrauchen, im Gegensaz
gegen das moderne Hindi.
2) Auch in Indien sind Handschriften von Cand nur sehr schwer
zu finden. Trotz vielfacher Bemühungen und Nachforschungen ist es
mir nie gelungen, eine Copie von Öand zu erhalten.
Trumpp: Die ältesten Hindiil- Gedichte. 3
noch ausgesezt werden, da Garcin de Tassy's Bestimmungen,
wie wir im Verlaufe dieser Abhandlung noch zeigen werden,
nur mit der grössten Vorsicht aufzunehmen sind.
Garcin de Tassy setzt ferner Pipä in das zwölfte Jahr-
hundert. Von Pipa aber sind uns glücklicherweise im Sikh
Granth verschiedene Stücke erhalten , die uns hinlänglich
Aufschluss über den Charakter seiner Sprache geben, woraus
wir mit Sicherheit den Schluss ziehen können, dass er nicht
ins 12. Jahrhundert, sondern in das fünfzehnte oder die
erste Hälfte des sechszehnten zu verweisen ist, was noch
ausserdem durch die Tradition des Bhakta-mäl bestätigt
wird, dass er ein Schüler des Rämänand gewesen sein soll.
Von den musalmänischen Dichtern, die Garcin de Tassy
1. c. erwähnt , und von denen er Ma9'üd-i Sa'ad sogar ins
elfte Jahrhundert, und einen gewissen Sa'adi ins dreizehnte
versezt, müssen wir ebenfalls ganz absehen, da von ihnen
nichts bekannt und veröffentlicht ist, und es äusserst unsicher
ist, die Zeit eines indischen Dichters auch nur annähernd
zu bestimmen, von dem keine Sprachproben vorliegen.
Im Ädi Granth der Sikh ist uns glücklicherweise eine
wahre Schatzkammer der alten Hindui - Dialecte erhalten
worden, da es dem Zusammensteller desselben, dem Guru
Arjun (1581 — 1606), der selbst ein Dichter war, daran ge-
legen war, als loci probantes für seine und seiner Vor-
gänger Lehre die Aussprüche der früheren bekannten Hei-
ligen (Bhagat) einzuflechten. Auf die Aechtheit der im
Granth enthaltenen Stücke können wir uns mit Sicherheit
verlassen , da Guru Arjun nicht allein eine ausgebreitete
Kenntniss der Hindui Literatur bei der Zusammenstellung
des Granth an den Tag legte, sondern auch den meisten
Verfassern der Zeit nach noch ziemlich nahe stand.
Das älteste im Granth erhaltene Document des alten
Hindui ist, soweit wir bis jetzt urtheilen können, ein kleines
4 Sitzung der phÜos.-pliilol. Classe 1)0)71 4. Januar 1879.
Gedicht von Jayadeva (Hindui Jaidev ^) , dem berülimten
Verfasser des Gitagövinda. Die Zeit, wann dieser Dichter
blühte, steht noch nicht genau fest. Es ist etwas unfass-
lich, wie Garcin de Tassy (Hist. II Tom. p. 69, sqq.) ihn
ein halbes Jahrhundert vor Christo leben lassen und doch
zugleich unter die hindui Schriftsteller versezen kann !
Lassen in seiner Vorrede zur Ausgabe seines Gitagövinda
(p. V) ist geneigt, ihn der Mitte des zwölften Jahrhunderts
p. Ch. zuzuweisen; er schliesst das daraus, dass Jayadeva
als zeitgenössischen Dichter Gövardhana nennt, der nach
Wilson (Sansk. Dict. ed. I, p. XI. XXXI) nicht jünger als
das zwölfte Jahrhundert sein soll. Dem stimmt auch Weber
bei, der in seiner indischen Literaturgeschichte (II ed. p. 227,
Aum.) Gövardhana in das zwölfte Jahrhundert sezt, wahr-
scheinlich mit Rücksicht auf das von Wilson gegebene
Datum.
Es ist jedoch ein Missverständniss von Lassen , wenn
er in seinen Prolegomena zum Gitagövinda, (p. IV) sagt, dass
Wilson Jayadeva bis auf das fünfzehnte Jahrhundert herab-
rücke, weil er ihn zu den Schülern des Rämänand zähle,
der gegen das Ende des fünfzehnten^) Jahrhunderts gelebt
habe. Wilson ist auch nicht zu dieser (ihm fälschlich zu-
geschriebenen) Annahme durch das Bhakta-mSl gelangt,
wie Lassen vermuthet, denn das Bhakta-mäl führt nie und
nirgends Jayadeva als Schüler Rämänands auf, noch thut
es auch Wilson, der (Asiat. Researches, XVI, p. 43) in den
beiden Listen der Schüler des Rämänand Jayadeva nicht
erwähnt, weil dies rein unmöglich war, da keine Hindu
1) und Jaideu, im Hindi nun Jaideo gesprochen.
2) Soll heissen: ,, vierzehnten" ; denn Wilson sagt (Asiat. Researches
XVI, p. 37) ausdrücklich: Rämänand was not earlier than the end of
the 14"' or beginning of the 15*^ Century. Bei Lassen ist also ein
Druckfehler oder sonst ein Versehen anzunehmen.
Trump}): Die ältesten Hindui- Gedichte. 5
Anctörität dafür vorhanden ist. Lassen ist zn diesem Miss-
verständnisse dadurch gelangt, dass Wilson einige Auszüge
aus dem Bhakta-mäl, ohne historische Anordnung, wie im
Bhakta-mal selbst, mittheilt, ein näheres Eingehen auf die
Sache jedoch hätte ihn sofort belehren können , dass nicht
alle die erwähnten Persönlichkeiten als Schüler Rämänands
aufgeführt werden. Wilson selbst hat sich über die Zeit^
in der Jayadeva etwa lebte, nicht (und wohl absichtlich
nicht) ausgesprochen ; er erwähnt nur (1. c. p. 51) die Sage,
dass der Gitagövinda schon am Hofe der Vikrama gesungen
worden sei , und bemerkt dazu , dass dadurch dem Gedicht
ein Alter zugesprochen werde, auf das es keinen Anspruch
erheben könne. Monier Williams hat seine Ansicht dahin
ausgesprochen (Indian W^isdom, p. 451), dass Jayadeva etwa
im zwölften oder dreizehnten Jahrhundert unserer Aera ge-
lebt habe.
Aus dem Sanskrit-Gedichte des Jayadeva ist kein auch
nur annähernd sicherer Schluss auf die Blüthezeit des Dichters
zu ziehen, da die Sprache selbst keinen festen Anhaltspunkt
bietet. Anders verhält es sich dagegen mit dem uns von
ihm erhaltenen hindui Gedichte , dessen Alter nach den
Eigenthümlichkeiten des Idioms wenigstens annähernd be-
stimmt werden kann. Es ist uns im Ädi Granth glück-
licherweise auch ein kurzes hindui Gedicht von Rämänand
erhalten ^) , der , wie ziemlich sicher angenommen werden
kann, etwa um 1400 unserer Aera gelebt hat. Vergleicht
man die Sprache dieser beiden Gedichte, so kann es für
jeden Kenner des alten Hindui nicht zweifelhaft sein, dass
das noch ziemlich unbeholfene hindui Idiom , das Jayadeva
als Muttersprache gebraucht, mindestens um 100, bis 150
1) Ich habe dieses Gedicht im Original und Ueberseznng in den
Acten des IV. Internationalen Congresses der Orientalisten zu Florenz
(1878) mitgetheilt.
6 Sitzung der phüos.-phüol. Classe vom 4. Januar 1879.
Jahre hinter das von Rämänand gesprochene schon ganz
polirte Hindu! zurück zu datiren ist. Damit würden wir
als Blüthezeit Jajadeva's die Jahre 1250—1300 erhalten.
Aus den üeberlieferungen, die das Bhakta- mal (dessen poe-
tischer Bestandtheil von Nabha-ji gegen das Ende des
sechszehnten Jahrhunderts verfasst wurde) über das Leben
Jayadeva's enthält , lässt sich kein sicherer Anhaltspunkt
für seine Zeitbestimmung gewinnen. Nach diesen war er
aus dem Dorfe Kinduvilva. (am Ganges) gebürtig. Er war
ein Haupt der Vaishnavas und König der Dichter. In seiner
Jugend führte er ein ascetisches Wanderleben, verheirathete
sich aber später , da ihm ein Brahmane seine Tochter zur
Prau aufnöthigte. Als Ehemann verfasste er den Gitagö-
vinda, wobei ihm Krishna, als er in Verlegenheit war die
Reize der Rädhä geziemend zu beschreiben, selbst bei-
gestanden haben soll. Es wird erzählt, dass der Räjä von
Niläcal auch einen Gitagövinda verfasst habe und Brahmanen
kommen liess, um das Buch bekannt zu machen ; diese aber
wollten das Buch nicht anerkennen, weil sie schon ein
solches besässen. Man beschloss daher beide Bücher in den
Tempel des Jagan-näth zu bringen und dem Gotte die Ent-
scheidung zu überlassen. Darauf soll Jagan-näth mit dem
Buche des Jayadeva seinen Hals wie mit einem Halsband
geschmückt, das Buch des Räjä dagegen zum Tempel hinaus-
geworfen haben.
Jayadeva soll herumgewandert sein um Almosen für
den.Cultus seines Gottes (Krishua) zu sammeln. Unterwegs
fiel er Thags (^Tf ^ zunächst „Betrüger'* und dann : ,,Meu-
chelmörder'*) in die Hände, die ihn ausplünderten und ihm
Hände und Füsse abhieben. Ein Räjä kam des Wegs und
fand ihn in diesem Zustande. Er brachte ihn in seinem
Palankin in seinen Pallast und liess ihn von seinen Wunden
heilen. Die Diebe kamen später als Sädhs (Heilige) ver-
Trump p: Die ältesten Hindul- Gedichte. 7
kleidet zu dem Palaste des Räja , der auf Antrieb des Jaya-
deva die Heiligen zu kleiden und zu speisen pflegte, wodurch
er bald eine grosse Berühmtheit erlaugte. Man erkannte
sich gegenseitig und die Diebe zitterten aus Furcht, Jaya-
deva aber überhäufte sie mit Wohlthaten und veranlasste
auch den RäJa sie mit grossen Gesehen ken zu entlassen.
Zwei Männer, welche sie auf Veranlassung Jayadeva's bis zu
den Grenzen des Königreichs begleiten sollten, fragten die
Diebe, ob sie mit Jayadeva verwandt oder bekannt seien,
dass er ihnen so ausserordentliche Aufmerksamkeit geschenkt
habe? Sie antworteten, sie seien früher mit ihm im Dienste
eines Räjä gestanden, der ihnen befohlen habe, ihn wegen
üebel Verhaltens zu tödten , aus Freundschaft für ihn aber
haben sie ihn nicht getödtet, sondern nur verstümmelt;
wegen dieser Dankesschuld habe er sie so behandelt. Als
die Diebe dies sagten, öffnete sich die Erde und ver-
schlang sie.
Als die Männer dies Jayadeva erzählten, rieb er seufzend
seine abgehauenen Füsse und Hände und sofort sprossten
seine Glieder wieder hervor wie Pflanzen. Als der Räjä
von diesen zwei Wundern hörte , warf er sich Jayadeva zu
den Füssen , der ihm dann seine ganze Geschichte erzählte.
Da der Rajä Jayadeva sehr hoch achtete, so liess er auch
die Frau desselben, Padmävati, an seinen Hof kommen, da
sie aber von der Königin wiederholt wegen ihrer Liebe zu
Jayadeva auf die Probe gestellt wurde und sie weitere Kränk-
ungen fürchtete, verliess sie freiwillig das Leben, worauf sie
Jayadeva durch die Recitation einer Strophe aus seinem Ge-
dichte wieder zum Leben erweckte. Er verliess darauf den
Hof und begab sich nach seinem Heimathdorfe Kinduvilva
zurück. Der Ganges war damals 18 Kös *) von Kinduvilva
1; Hindi ^^^ (Sansk. "^^j etwa 7« Wegstunrlen.
8 Sitzung der philos.-pliüöl. Classe vom 4. Januar 1879'
entfernt und Jayadeva begab sieb immer dortbin, um zu
baden. Als er alt wurde, sagte der Ganges zu ibm, er solle
nicbt mebr kommen, sondern sieb begnügen, im Geiste zu
baden. Er wollte aber nicbt. Darauf sagte der Ganges,
er werde nun selbst zu ibm kommen , und seit dieser Zeit
fliesst der Ganges an Kinduvilva vorbei.
Vielleicbt aber baben die Tbags nicbt so unwabr ge-
sprocben , wie es das Bbakta-mäl darzustellen bemüht ist.
Es ist nicbt unwabrscbeinlicb , dass der erotiscbe Dicbter
den Verdacbt eines Räjä auf sieb zog, der ibm summarisch
Hände und Füsse abhauen Hess, was in Indien früher eine
sehr häufige Strafe war.
Das hindui Gedicht ^) des Jayadeva ist im Ädi Granth
am Ende der Rag Güjri angehängt mit der Aufschrift :
■^T %^«fl!T^ «RT "^^T (eine Strophe des heiligen
Jaidev), und lautet:
xiTfl^>|w ^^TR ^rf^f^ wwi^ II s
%^^ Tm^TR TRtTiFr ^^fk, ^iftnTWrR^ I
J^^f?! ^WW% ^ 5RTI Wlfij Tfm m^ II
^i;[% wflif^ wjvri{ im '^mfri ffef^w i
^t^^ %rf? xRf5:ft ^rf^f^M "w^m I
1) Da wir hier keine gurnmkhi Typen haben, so habe ich es in
Sanskrit-Lettern umgesezt.
Trunipp: Die ältesten Hindui- Gedichte. 9
Diese, sowie fast alle hindui Verse, sind sehr schwer
zu verstehen ; es kommt schon viel darauf an, wie man die
Worte abtheilt, da auch im Granth alle Worte in einer
Linie zusammengeschrieben sind. Wir lassen hier die Ueber-
sezung nachfolgen, die in einigen Piincten von der eng-
lischen Version abweicht, die ich in meiner üebersezung des
Ädi Granth, Introd. p. CXXIV gegeben habe.
1.
,, Der uranfängliche höchste Geist ist unvergleichlich,
wirkliÄi seiend, der Anfang, in Liebe getaucht.
Aus höchster Lust bestehend, fern von der Natur (oder
Materie), der unausdenklich, alles durchdringend ist.
Rä h a u.
Nur der Name Räms ist herzerfreuend, nenne (betend)
den aus Nectaressenz bestehenden !
Durch dessen Nennung kein Brand (im Herzen) ist, noch
Furcht der (wiederholten) Geburt, der Mühsal des Alters
noch des Todes.
2.
Du wünschest die Ueberwindung Yama's und der an-
dern, (wisse), Ruhm und Wohlergehen ist die Frucht der
guten Handlungen.
In der Gegenwart, Vergangenheit und Zukunft ist er
gleichmässig andauernd, er ist überaus gnädig und mild.
3.
Habsucht und die andern (Laster), nach eines andern
Weibe Schauen (und) was (sonst) unziemliches Betragen ist,
10 Sitzung der plülos.-vhiloh Classe vom 4. Januar 1879.
Gieb auf alle schlechten HandluDgen, o Uebelgesinnter,
fliehe zu dem Asyl des Discnshalters !
4.
Die Andacht Hari's (ist oder soll sein) nur (im) eigenen
Herzen, was ist der Nuzen von Werken und Worten?
Von Yög, von Opfer, von Almosen und Ascese?
5.
Murmele: "Gövind, Gövind", o Mann! (dies ist) der
Schritt zur ganzen Vollkommenheit.
Jaidev (sagt) : Das Kommen von jenem (in die Welt)
ist fruchtbringend , Gegenwart (und) Vergangenheit , alles
ist (für ihn) dahin.'*
Was zunächst das Metrum dieser Verse im allgemeinen
betrifft, so verweise ich auf die Grundzüge der Präkritraetra,
die ich in meiner Indroduction zur Uebersezung des Ädi
Granth, p. CXXVIi sqq. aufgestellt habe. Es sei hier nur
daran erinnert, dass in der Hindu! Poesie die Verse fast
nur nach der Zahl der Moras (höchst selten nach der Sylben-
zahU) gemessen werden; alle hindui Metra sind daher in
der Regel sogenannte mätra chandas, die rhythmisch recitirt
oder gesungen werden. Ein weiterer Grundzug der hindui
Poesie ist der Reim (rRt)? der in jedem Distichon wech-
sein kann.
Das vorstehende Gedicht besteht aus fünf Disticha '^)
mit einem Rahäu genannten Verse, der für sich gezählt wird,
obschon er im gleichen Metrum gehalten ist. Der Rahäu
ist eine Art Epilog und fasst, sozusagen, die Quintessenz
1) Die Messung nach Silbenzahl (die aber im Äili Granth nicht vor-
kommt) heisst "^^^F oder cf^TTf^jF. die nach Moras l^Tf flÄC«
2) Ein besonderer Name ist für dieses Metrum nicht angegeben,
wegen der Zahl seiner Disticha jedoch könnte man es Panjpadä nennen.
Vergl. Ädi Granth, Introd p. CXXXI.
Irumpp: Die ältesten Hindui- Gedichte. 11
des Gedichtes zusammen ; er steht gewöhnlich nach dem
ersten oder letzten Verse.
In der Mitte jeder Strophe ist eine Caesur, welche die-
selbe in zwei etwas ungleiche Hälften theilt. Die ganze
Strophe besteht aus 25 Moras, cR^Tj ^^^ folgend ermassen
abgetheilt werden.
5 + 4+5 II 5 + 4 + 2 = 25 Moras,
das ganze Distichon daher aus fünfzig. Eine kurze Silbe
bildet eine Mora, eine lange dagegen zwei. Dass in der Poesie
jede Silbe (im Gegensaz zur Prosa) gelesen werden muvss, haben
wir 1. c. schon ausgeführt. Sehr darauf zu achten ist, dass ein
ursprünglicher Doppelconsonant in der Poesie sehr oft (des
Metrums wegen) festgehalten wird, auch wenn er nicht aus-
drücklich geschrieben ist, weil der Dichter die richtige Aus-
sprache als bekannt voraussezt. Um die Scansion zu ver-
anschaulichen, wollen wir hier das erste Distichon mit rö-
mischen Lettern umschreiben:
wu_u|ww s> u|_u_|| iju_uj v^v-^[_ ||=:25M.
paramadi purakha manöpiniam | sati ädi bhävaratam ||
\^ \j \j ^ ^ \ - uu|uvjv-'_|| \^i^_c|uv_/u>^|_ ||rr;25 M.
paramada bhutam parakriti param | jadiöinti sarabagatam ||
50 M.
Zu bemerken ist noch, dass in der zweiten Strophe des
fünften Distichons ^TT^"^ (^i^^) ^^^ Metrums wegen äyu
gelesen werden muss. Das häujßge Anusvara (wie in ratam,
bhutam) hat keiue sprachliche Bedeutung, sondern dient nur
dazu, die sonst kurze Endsilbe lang zu machen ; die hindui
Dichter gestatten sich oft diese Licenz. Das Anusvara wird
jedoch in diesem Falle nicht nasalirend gesprochen, sondern
als m, wie wir es in der Umschrift dargestellt haben.
In sprachlicher Hinsicht bietet dieses Gedicht manches
Interessante dar, und noch viel interessanter ist das, was
nicht darin steht. Es findet sich z. B. noch keine einzige
12 Sitzung der philos.-pliilol. Classe vom 4. Januar 1879.
Postposition darin, kein Genetiv Zeichen , sondern der Ge-
netiv ist nur durch die Stellung angedeutet (z. B. <^|4-|
^7T^ '^'^i'm. ^TT^)* ^^^^ <iGn Pronorainibus finden wir
das Retativ Iff^ (^l^t^ffT) offenbar im Sinne von ^|J
gebraucht, da es sich auf "RT,^ (purkh in Prosa gesprochen)
bezieht, und ebenso bei ^f^f^fv ^'^T?^!. da ^|x|<;i|
in Hindu! masculinum ist (indem das Neutrum durchaus ver-
schwunden und meist in das Masculinum übergegangen ist).
Als erster Theil eines Tatpurusha Compositums findet sich
dagegen ^5 wie in ^^^RT?5F „durch dessen Nennung '^
das dem Neutrum der Prakritform ^ entspricht , wobei das
Anusvära abgeworfen worden ist. Diese beiden Formen
finden sich nicht mehr im späteren Hindu! (wo wir nur
^ffj und daraus verflüchtigt ^ und f^ finden) und tragen
einen ganz archaischen Character an sich.
Von Verbalformen finden wir "^T^J^, fTT^ ^^^^ ^1^
als Imperative, die, wie auch im späteren Hindu!, auf i oder
u auslauten, während das eigentliche Hindu! und Hindi den
Vocalauslaut beim Imperativ schon ganz abgeworfen haben.
Es ist übrigens auch möglich ITT^ als verbindendes Par-
ticip Perf. zu fassen „aufgegeben habend", da im alten
Hindu! diese Form noch auf i (später e) auszulauten pflegt.
Vom Präsens haben wir leider nur die Sanskritform ^«?T|T?T
(statt ^^fri), so dass die dritte Person Sing, für das
alte Hindu! nicht festgestellt werden kann, dagegen stimmt
die zweite Pers. Sing. '^^^'RT ganz mit der auch sonst ge-
bräuchlichen alten hindui Form. Das einzige Particip Perf.
^fjf^[v3 (äiu), das hier vorkommt, hat schon die regelmässige
hindui Form, wobei das später mehr gewöhnliche auslau-
Trumpp: Die ältesten Hindul-Gedichte. 13
tende 5 in u verflüchtigt ist. Im einzelnen ist noch zu be-
merken :
Ad V. 1. Die Form ^T^tftpR ist höchst auf-
fallend ; über ihre Bedeutung kann kein Zweifel sein , da
ein alter Sikh Commentar zum Ädi Granth, den ich mir
habe abschreiben lassen, es durch ^i-IhH erklärt. Wenn
hier nicht ein alter Schreibfehler statt ^^iflT^ vorliegt,
(was bei den gurmukhi Charakteren leicht möglich ist), so
müssten wir annehmen , dass die Negation doppelt ausge-
drückt ist, durch T{ und ^w\ , 1^ kann wohl auch wie
^ und ^H als Privativum einem Adjectiv vorgesezt werden
(wie z. B. Sindhi ^-fi^^H, ohne Nuzen), aber beide zusammen
habe ich bis jetzt noch nicht gefunden. Der Uebergaug von
u in 5 bietet nichts auffallendes, obschon er nicht so ge-
wöhnlich ist, wie der von ö in u Besonders eigenthümlich
ist dem alten Hindui der häufige Uebergang von a in i,
was in der späteren Sprache verhältnissmässig selten vor-
kommt. So haben wir hier TT^fxTTT (statt TT^IfTT)
lll^f^fTT, statt W^f^frT {= jad-acinti), "iff^^fil,
statt IRjf^fil (Jad-abidhi). Bei ^f%frT ist noch zu
bemerken, dass ya am Ende in i aufgelöst ist (= ^TT^t'^)
durch Abfall des auslautenden a.
Ad Rahäu. ^rf ist aus ^ff verkürzt, eine Licenz,
welche sich die hindui Dichter nach Willkür nehmen, wie
sie auch einen ursprünglichen Doppel consonanten als ein-
fachen behandeln und dadurch die Position aufheben, z. B.
TJT (= T^ = Tl?) Wrl (= fT^ = fT?^).
In ^S'^ und 11?[^ ist der Halbvocal If in i auf-
gelöst, um eine Silbe mehr zu gewinnen. ^'RT,^ i*t der
14 Sitzung der philos-pMlol. Glasse vom 4. Januar 1879.
Instrumentalis, der im alten Hindu! mit dem sogenannten
Formativ zusammenfällt und noch nicht wie im Hindu! und
Hindi durch eine Postposition bezeichnet wird.
Ad 2) TTTJ^If steht statt XJ^^of^ indem of zuerst
elidirt wird, wie ^'^. Präkrit ^ft^ (Sindhi ^ft^) ; um
aber den dadurch entstehenden Hiatus aufzuheben, wird wieder
ein euphonisches y eingeschaltet, so dass paräbhaya =
paräbha-a steht.
^T^ bedeutet hier die Gegenwart, ^ff die Vergangen-
heit und >7T^ ^iß Zukunft.
Iff^t'^^T^ (so ist es geschrieben) ist zusammengesezt
aus <fj^ + ^öJflZf, indem das erste "^ in i aufgelöst (und
gegen die Regel in der Schrift doch noch hier beibehalten
worden), das finale '^ dagegen ganz abgeworfen worden ist;
im Hindi lautet es 't^cf.
TTJF ist das Sansk. ^"5? indem r in i aufgelöst wurde,
was schon im Prakrit häufig vorkommt (s. meine Sindhi
Grammar , Introd. p. IV, a) , sonst wird es in ri ver-
stärkt, wie t^i^ etc.
Ad 3) Bei t^"¥TT? {^^ Prosa dristi gesprochen)
t^fif^ ist des Metrums wegen die Wortstellung umgekehrt
worden. Man fühlt hier recht den absoluten Mangel eines
Genetivzeichens, da die Genetivstellung von Xfljif^ nur
aus dem Zusammenhang erkannt werden kann.
Xf^if^ bedeutet „ das Weib eines andern ", da fif^
(jezt ^X] in Indien sehr häufig in diesem Sinne (wie auch
das persische äjLä^) gebraucht wird.
Trumpi): Die ältesten Hincliä- Gedichte. 15
'Sgf^lf ist das Sansk. '5['S«firI, indem "EJ im Hindui
theil weise in 1^, und tlieilweise in ^ übergeht, (s. Sindhi
Gram. Introd. p. XVII).
'^^\J^, der Discushalter, ein Epitliet des Vishnu.
Ad 4) ^TfT? gewöhn) icli ^^flT geschrieben und ge-
sprochen (=^ HT^j. indem der Consonantencomplex aufge-
löst und zugleich die tenuis ^ in die entsprechende media
verwandelt wird (cf. Sindhi Gram. Introd. p. XXXIV).
lt]5 (= "^^) ist eine alte hindui Form, die in der spä-
teren Sprache nicht vorkommt. Bezeichnend für den Stand
der Sprache ist, dass der Dichter ohne weiteres in das Sans-
krit übergeht, wie man in mittelalterlichen deutschen
Schriften ohne weiteres nach dem Lateinischen zu greifen
pflegte.
Ad 5) ^Tf?"^ is^' ^i® schon erwähnt, Particip Perf.,
das im Hindui (wie auch im Hindi) als Substantiv gebraucht
wird, ,,das Kommen", oder vielmehr ,,das Gekommensein",
H^ist Genetiv Sing, von ;§^ (Präk. flW)-
^^mZ ist das Sansk. ^7, „aufgeblühtes „geöffnet"
(von einer Blume gesagt). Es ist ein idiomatischer Ausdruck
im Hindui : ,,Das Schicksal von Jemand ist aufgeblüht",
im Sinne von: „Jemandes (frühere) Werke (die eben das
spätere Schicksal desselben constituiren) haben ihre Frucht
getragen", d. h. er hat seinen Lebenszweck erreicht.
^of i^ ^f^ T|7f , wörtlich : Gegenwart und Ver-
gangenheit, alles ist (für ihn) dahin , d. h. es gibt für ihn
keine Gegenwart noch Vergangenheit mehr, kein Sein noch
Gewesensein, mit andern Worten : er ist dem Processe der
Wiedergeburten entgangen , der Individualität entkleidet
16 Sitzung der philos.-philol. Classe vom 4. Januar 1879.
und ins Absolute reabsorbirt, was eben das ^(P5[(~^T?S)
ausmacht. Dies geschiebt nach Jaidev einzig durch Ver-
senkung in Hari (^K, HTfff) uiid Nennung des Namens
von Hari (^K. ^FWT^Tj? was auch die Lehre der anderen
Bhagats ist und speciell die der Sikh Gurus, wesshalb dieses
Stück von Jaidev auch in das Granth aufgenommen worden
ist. Jaidev scheint dieses Gedicht in seinem Alter verfasst
zu haben, worauf gewisse Ausdrücke (^4^|TVi 1T^ ^?^)
anspielen, sowie der ganze Ton der Weltentsagung, der
dasselbe durchzieht.
Dem Alter nach am nächsten steht wohl N ä m d e v
(Näradeu, auch kurz Näma genannt). Stephenson und Moles-
worth halten ihn für den ältesten maräthT Dichter, aber es
ist-doch sehr fraglich, ob er überhaupt zu den maräthi Dich-
tern gezählt werden darf: denn obschon sein Idiom einige
Eigenthümlichkeiten des Maräthi an sich trägt, so ist es
doch durchaus HinduL Da wir keinen Grund haben , die
Aechtheit der Gedichte von Nämä, die in das Sikh Granth
incorporirt worden sind, zu bezweifeln, so müssen die Verse,
die Molesworth von Nämä in der Einleitung zu seinem marathi
Wörterbuch (Introd. p. XXVI) anführt, in Betreff ihrer
Aechtheit beanstandet werden, da sie schon ganz den Character
des späteren Marathi an sich tragen, oder man müsste an-
nehmen, dass NämS nicht nur im Hindu! (was offenbar seine
Muttersprache war), sondern auch im Maräthi gedichtet habe,
was wenig Wahrscheinlichkeit für sich hat.
Nach den Notizen, die Garcin de Tassy (Hist. de Lit.
Bind. t. II, p. 433, sqq.) über Nämä gibt, soll er 1278
p. Chr. in Gnäliär geboren sein ; er soll der Schüler eines
Brahmanen Pandalika (Molesworth schreibt den Namen Pun-
dalik) gewesen sein, der den Tempel zu Pandharpur^) (im
♦
1} Im Rhakta-mäl wird der Name Xf^^Xf^ geschrieben. Auf den
Trumpp: Die ältesten Hindui-Gedichte. 17
Dakhan) zu grosser Berühmtheit durch den Dienst des Gottes
Vitthal brachte. Gestorben soll er im Jahre 1328 p. Chr.
sein. Diese Daten scheint Gar ein de Tassy aus dem Kavi
caritr geschöpft zu haben, das mir leider nicht zugänglich
ist. Nach dem Bhakta vijaya von Mahipati (einem Maräthi
Werke) soll er dagegen ein Zeitgenosse von Kabir gewesen
sein (Molesworth, 1. c. p. XXVI), was ihn gegen die Mitte
des fünfzehnten Jahrhunderts herabrücken würde.
Die erstere Angabe, dass Nämä gegen das Ende des
dreizehnten Jahrhunderts geboren sein soll, hat alle Wahr-
scheinlichkeit für sich. Da uns im Adi Granth eine ziem-
liche Anzahl von Gedichten Nämäs erhalten worden ist, so
können wir aus der Eigenthümlichkeit und Farbe des von
ihm gebrauchten hindui Idioms wenigstens annähernd auf
seine Zeit schliessen, und demgemäss müsste er an Jaidev
angereiht und der ersten Hälfte des vierzehnten Jahrhun-
derts zugetheilt werden. Dass er kein Zeitgenosse Kabirs
war, geht nicht nur aus der Vergleichung des Idioms von
beiden hervor, sondern auch aus dem directen Zeugnisse
Kabirs selbst, der Jaidev und Nämä zusammen in einem
Verse erwähnt (Rag Gauri, Kabir, Astpadi, V. 36, 4, 5.):
?§ iw ^if? ^ ^t^l vnl: I
715 ^ ^^ ^^ ^tttI^ II 8
^ xRsrr^ f ^^ ^TTOT I
„0 Bruder, möge Jemand diesen Geist ^) suchen ! wenn
der Leib zerbricht, wo ist der Geist enthalten."
englischen Karten ist es als Punderpür verzeichnet, westlich von Shölapur,
Long. 750 24', Lat. 17» 40'.
1) ^^ (Sansk. Tf^^ ), die intelligente Potenz im Menschen,
[1879. I. Philos.-philol.-hi8t?Cl. 1.] 2
18 Sitzimg der philosriMlöl. Classe vom 4. Januar 1879.
Durch die Gunst des Guru haben Jaideu (und) Nämä
durch Liebe zur Andacht (Versenkung) ihn erkannt."
Nach den Traditionen, die im Bhakta-mäl über Nämdev
zusammengestellt sind, soll sein Grossvater Vämdev geheissen
haben und ein Katundrucker^) (^'X|T) in Pandurapur^) ge-
wesen sein. Er hatte eine Tochter, die sehr jung Witwe
wurde und die er daher dem Dienste des Gottes Vishnu zu
weihen beschloss (als Hierodule). Die Tochter willigte ein;
da sie aber bald eine Neigung zur Liebe iü sich fühlte, so
machte sie sich die Gottheit günstig und wurde schwanger.
Sie gebar einen Sohn, der den Namen Nämdev erhielt. Als
er erwachsen war, bat er öfters seinen Grossvater, ihn mit
dem Dienste des Gottes zu betrauen. Als sein Grossvater
einst auf drei Tage in ein anderes Dorf zu gehen hatte,
beauftragte er seinen Enkel, den Gott zu bedienen und ihm
bei Nacht Milch zu trinken zu geben. Nämdev that so,
aber der Gott nahm die Milch nicht, auch nicht in der
Geist oder Vernunft. Dem Menschen wird Tf^^ zugesprochen, dem
Thiere nur ^SP^ (Lebenshauch, thierische Seele) ; der ^wi entflieht
aus dem Körper heim Tode, der ^^ dagegen wird verweht.
1) Die "^IMl gehören zu der niedrigsten Kaste; nichts desto-
weniger wird im folgenden erwähnt, dass Nämdev den Gottesdienst im
Tempel zu Pandurapur geleitet habe. Der Tempel soll ursprünglich
den Buddhisten gehört haben und daher erhielt sich die Sitte, dass. alle
Kasten , alleiu die Mahärs und Auswürflinge ausgenommen, Zutritt zu
dem Gotte Vitthal hatten, der dort verehrt wurde. — Der Gott wird
auch T^<J| ^T genannt und scheint ursprünglich ein Localgott ge-
wesen zu sein, wurde aber dann als Incarnation des Krishna betrachtet.
2) Nach dem hindui Idiom, das Nämdev gebraucht, ist es indessen
nicht wahrscheinlich, dass er im Dakhan (in Pandurpur) geboren und
aufgewachsen ist, dieses weist vielmehr auf Guäliär oder Mittelindien
als seine ursprüngliche Heimath , von wo er wohl später nach dem Dakhan
gewandert ist.
Trumpp: Die ältesten Hindul- Gedichte. 19
zweiten Nacht ; als auch in der dritten Nacht der Gott die
Milch nicht nehmen wollte, zog Nämdev sein Messer und
wollte sich den Hals abschneiden ; darauf nahm der Gott
die Schale aus Nämdev's Händen und trank die Milch.
Als Nämdev zurückkehrte, erzählte ihm sein Enkel das
Vorgefallene. Die Sache wurde ruchbar und der Räjä Hess
ihn kommen und verlangte von ihm ein Wunder. Als
Nämdev sich weigerte, bedeutete ihm der König, dass er
nicht früher in sein Haus zurückkehren dürfe, als bis er
eine Kuh, die gerade gestorben war, wieder zum Leben er-
weckt hätte. Darauf wandte sich Nämdev in einigen Versen
an Krishna und bat ihn um seine Hilfe, worauf sich die
Kuh auf ihre Füsse erhob. Der König bot ihm nun Dörfer
und Länder an, aber Nämdev lehnte alles ab; zuletzt nahm
er eine kleine aus Juwelen gemachte Bettstelle (Mf^^llj
^TTJTTT?) an, warf sie aber auf dem Wege in den Fluss
Bhimrä (^TT5T)' -^Is der König dies hörte, Hess er Nämdev
rufen und verlangte von ihm seine Bettstelle wieder. Der
Heilige zog darauf aus dem Wasser verschiedene Arten von
Bettstellen, warf sie auf das Ufer und sagte, „suche von
diesen deine eigene heraus und nimm sie " ! Als der König
das sah, warf er sich ihm zu Füssen und sagte, er solle
sich von ihm etwas ausbitten. Er bat ihn, dass er ihn nicht
mehr rufen lassen möchte.
Er hatte es sich zur Aufgabe gemacht, dem Panduranäth
(dem Gotte Vitihal) beständig in seinem Tempel Stanzen
(XR) zu singen. Eines Tages hatte er sich verspätet, er
nahm seine Schuhe ab, aus Furcht, sie möchten ihm im
Gedränge gestohlen werden, und band sie an seinen Gürtel.
Als er aus dem Gürtel sein TäP) herauszog, fielen seine
1) Das rlX^ ^^* ®^^® messingene Scheibe, die mit einem kleinen
Holzstab geschlagen wird als Begleitung zum Gesang, besonders in
Tempeln gebraucht.
20 Sitzung der philos.-phüol. Classe vom 4. Januar 1879.
Schuhe herab. Die Tempelvorsteher (XROTT) schlugen ihn
fünf bis siebenmal auf sein verschlungenes Haar (^^n,
gaben ihm einen Stoss und warfen ihn zum Tempel hinaus.
Er zog sich hinter den Tempel zurück, sezte sich und begann
seine Stanzen zu singen. Als er fertig war , sagte er : o
Herr, diese Strafe mag geziemend sein, aber von heute an
ist das nicht der Ort, wo ich meine Stanzen hören lassen
werde; ob du sie hören magst oder nicht, in den Tempel
werde ich nicht mehr gehen.
TFT xr^
fTT^ Mi^li^ ^fT^ '^J^X ^^ I
?im^ % ^rmt ^T^w ^ II ')
„Gering, ach, ist meine Kaste, o König Göbind ! warum
hast du mich als Katun-Drucker geboren werden lassen?
Die Cymbel (und) die kleine Handtrommel tönt, die Tän-
zerin tanzt, warum wird meine Andacht, o Bithai, verschmäht ?
Herr von Pandura, möge (meine) Rede gehört werden !
o Herr des Nämdeu, möge (mir) ein Blick gegönnt werden!" ^)
1) Wir führen diese Verse hier an, weil sie zeigen, wie schwer
das Kastenjoch in Indien oft von den niedrigen Kasten gefühlt wurde.
2) Das Metrum ist 8 -t- 8 + 4 Kaläs, wiederholt, = 40 Kaläs,
^ ^SnifT rauss lyayä ( ) gelesen werden. In der dritten Strophe
muss "^c^vf nf^ baööana sunni {— ^ "-' ) des Metrums wegen
gelesen werden.
Trumpp: Die ältesten Hindui- Gedichte. 21
Als er diesen Päd gesungen hatte , drehte sich die
Pforte des Tempels von Osten nach Westen und Pandur-
nath ergriff die Hand Nämdev's und sezte ihn neben sich.
Als die Terapelvorsteher dies sahen, wurden sie mit Scham
bedeckt und fielen Nämdev zu den Füssen und baten ihn
um Verzeihung. ^)
Die übrigen Wunder, die von Nämdev als einem Bha-
gat obligaterweise erzählt werden, können wir füglich über-
gehen , wir wollen hier nur noch das anfügen , was von
seinem Ende überliefert wird.
Eines Tags nahm der Herr die Gestalt eines alten Bräh-
manen an und kam am elften (des abnehmenden Monds ^)
um Nämdev zu versuchen. Er verlangte zu essen, Nämdev
aber antwortete: „heute ist der elfte, warte, morgen früh
wirst du genug bekommen." Es wurde hin und her ge-
sprochen, auch die Leute des Dorfes legten sich ins Mittel,
aber ohne Erfolg. Als die zwei müde von ihrem Wort-
wechsel waren, verlangte der Brähman ein Lager und legte
sich an der Thüre nieder. Des Morgens kam Nämdev und
schaute nach ihm ; er war todt ausgestreckt mit geöffnetem
Mund. Die Leute kamen zusammen und schmähten Nämdev
indem sie ihn einen Mörder hiessen. Dieser antwortete
nichts, sondern nahm den Brähman auf die Schulter und
trug ihn an das Ufer des Flusses, wo er einen Scheiter-
haufen errichtete, den Todten darauf legte und selbst dann
hinaufstieg. Er rief: „Dass Jemand eine Sati wird, hat
jeder gesehen, dass aber Jemand ein Satä ^) wird , hat Nie-
mand (noch) gesehen, jezt aber wird es gesehen". Nachdem
er das gesagt hatte, legte er den Finger auf das Kinn und
1) Auf dieses Wunder wird im Granth häufig angespielt.
2) Ein dem Vishnu heiliger Tag, an dem das Pasten besonders
verdienstlich ist.
3) Ein Mann, der sich mit seinem Weibe verbrennt.
22 Sitzung der philos.-pJiilol. Glasse vom 4. Januar 1879.
befahl das Feuer anzuzünden. Inzwischen zeigte der Herr
seine (wahre) Gestalt, und mit den Leuten des Dorfes die
Gestalt schauend wurde er mit dem Herrn vereinigt.
Alle diese Sagen tragen so sehr den Stempel des Wunder-
vollen an sich, dass für das wirkliche Leben des Nämdev
daraus wenig zu gewinnen ist. Er war ein eifriger Bhagat
und legte die Gluth seiner Andacht in vielen Versen nieder,
die ihn bei seinen Volks- and Religionsgenossen bis auf den
heutigen Tag berühmt gemacht haben. Aus dem Zuge, dass
er schon als Jüngling sich das Messer an den Hals legte,
als das Idol die ihm dargebrachte Milch nicht nehmen wollte,
ist es nicht unwahrscheinlich, dass er im Alter, sei es aus
Lebensüberdruss oder religiöser Schwärmerei, sich selbst ver-
brannt habe, da von manchen Bhagats und Jogis ein ähn-
liches Ende berichtet wird. Die Verse Nämdevs sind im
Adi Granth den einzelnen Rägs angehängt und wir werden
sie daher in der Ordnung anführen, wie sie dort vorkommen.
Aus Rag Gauri.
WT^ ^ nf^T^ f^ ^"R ^f^^ f^Wfv ^SHTT^
WT^Ö^ I
flR TT^ ^ I ^
^T#§fT IR f^ f^rai ^^triT ^^ TT^ ^ I
^ffinft^ TT'CTft^ ^^ft^ ^R^^ ^^ % S^'Wt
W^ rl^ II ^
Trumpp: Die ältesten Hindui- Gedichte. 23
R a li ä u.
,, Durch Gott sind Steine schwimmend gemacht worden, |
wie sollten Menschen durch das Wort Räms nicht hinüber-
gekommen sein V
1.
Hinübergebracht wnrde die Hure , das buckelige Weib
ohne Schönheit, der Jäger (und) AJämal wurden hinüber-
gebracht.
Die Leute, die an (seine) Füsse schlugen, die wurden
emancipirt, ich bin ein Opfer für diejenigen, die den Namen
Räms nennen.
Dem Sohn der Sclavin, dem demüthigen Bidar, Sudämä,
Ugrasain wurden Königreiche gegeben.
Welche (den Namen) nicht murmelten, keine Ascese
übten , ohne (vornehme) Familie waren , keine (verdienst-
lichen) Werke thaten , die sind hinübergekommen , o Herr
des Nämä!"
Was zunächst das Metrum betrifft, so sind die Verse
sogenannte Dupadä oder Disticha, die in beiden Strophen
zusammen 68 Kaläs enthalten. Die Kaläs sind indessen
nicht gleichmässig auf die Strophen vertheilt, so dass jede
einzelne deren 34 enthalten würde, wie dies gewöhnlich der
Fall ist, sondern nach folgendem Schema:
V.l. 6 + 6 + 6 + 2 I 4+5 + 5 + 2zz:36K.^
6 + 6 + 4+2 I 4 + 4 + 4 + 2 = 32 K./~^^
V.2. 6 + 5 + 3 + 2 I 5 + 4 + 3+2 = 30K.)_
5 + 5 + 5 + 5 I 6 + 5 + 5+ 2=z 38 K. i ~ "^ '
Der Rahäu hat ein eigenes Mass und zählt nur 30 Kalas,
nämlich :
6 + 4 + 3 + 2 I 6 + 4 + 3 + 2.
24 Sitzung der phüos.-phüol. Classe vom 4. Januar 1879.
Die äussere Form dieser Verse ist höchst unpolirt ; vor
allem ist der Reim sehr vernachlässigt und derselbe ganz
in die Endsilbe e gelegt, was nicht zulässig ist; ferner ist
die Caesur in der zweiten Strophe des zweiten Verses nicht
eingehalten, so dass die erste Vershälfte unförmlich wird
und der lezte Fuss fünf Mäträs enthält statt zwei (indem
die lezte Silbe der beiden Strophenhälften immer lang sein
sollte). Nach diesem Beispiel dürfen wir von Nämä keine
Formvollendung erwarten, da es ihm offenbar schwer fällt,
die sonst sehr einfachen hindui Metra mit Geschick zu hand-
haben.
Die Sprache des Nämä hat manches eigenthümliche.
Vor allem fällt auf, dass wir hier schon Postpositionen be-
gegnen, wie sie im Hindui gewöhnlich geworden sind. Wir
haben als Genetiv Zeichen cfff und als Postfix des Dativs
i|5^ (kau), obschon der Genetiv auch noch durch seine
Voranstellung ausgedrückt wird.
Am auffallendsten ist die Bildung des Participiums Per-
fecti auf ialä (Plur. iale). Diese Form findet sich im Granth
nur bei Nämä und Trilöcan, der ebenfalls aus dem Dakhan
stammte. Man könnte leicht versucht sein, dabei an die
Maräthi Bildung des Particips Perf. auf ^X (fem. ^^y)
zu denken ; dem steht aber entgegen , dass vor dem „lä"
noch die Silbe ,,ia"^) steht, was verhindert, hier einen Con-
junctivvocal zu vermuthen. Wir werden daher am sichersten
gehen, wenn wir die Bildung auf ialä mit der Sindhi Form
ialu (oder yalu) vergleichen, die, wie ich in meiner Sindhi
Gramm, fp. 272 und 69, b) gezeigt habe, aus dem Part. Perf.
auf iö (iä) und dem Deminutivaffix lä oder rä zusammen-
gesezt ist und die Bedeutung des Part. Perf. im wesent-
1) Namdev zieht diese Endung iala ancb schon zu ila zusammen,
wie wir später sehen werden.
Trumpp: Die ältesten Hindui- Gedichte. 25
liehen niclit afficirt. Dafür spricht auch, dass neben der
Form auf lalä die gewöhnliche Participialform des Perfects
im Gebrauch ist wie ff X. (Plur. von fTTJ oder cTkW?
was die ältere Form ist), ^^ (Plur. von H^). Die Pro-
nomina, die vorkommen, tragen schon die gewöhnliche hindui
Gestalt, wie fllrT (Instrum. Plur.), rf^i Plur. von ^
mit dem emphatischen ü (= hü oder hi, was später mehr
in Gebrauch gekommen ist). Besonders auffallend ist ^^3
hau, eine Form, die sich sonst nur noch im BraJ ( ^^^ auch
CT) und im Sindhi \^^) vorfindet; das Märväri ^ 1^®S*
davon schon etwas weiter ab. Fassen wir diese Eigen-
thümlichkeiten zusammen, so weist das Idiom von Nämä auf
das westliche Mittelindien, spezielle Züge des Maräthi aber
lassen sich nicht nachweisen.
Im einzelnen mag noch folgendes bemerkt werden.
Ad Rahäu. FcJT ist Instrumentalis und Formativ zu-
gleich , so im Sindhi und alten Hindui ; das Postfix H ^
erst viel später in Gebrauch gekommen und erscheint zuerst
im Hindui. Auffallend jedoch ist hier das lange a, wäh-
rend es im Sindhi kurz ist; im Marä.thi hat sich indessen
in diesen Fällen schon langes a als Formativzeichen erhalten.
Diese Bildung ist dem Nämä eigenthümlich und findet sich
sonst nicht bei andern alten hindui Schriftstellern, cj^ff s. f.
(sonst cR^rTf), Wort, Befehl. c|5^ (kassa hier zu sprechen)
ist eine alte Form für das spätere cjj^- im alten Pürbi
(dem Idiom des Rämäyan von Tulsidäs) kommt sie eben-
falls vor. iH! ist der Plural des Part. Perf. (von fTft^ff).
Das Verb. ffTjRT (tar-nä) wird von den Bhagats in einem
speciellen Sinne gebraucht , nämlich : Den Ocean der Exi-
26 Sitzung der pküos-phüol. Classe vom 4. Januar 1879.
stenzen passiren, ihn überschreiten oder darüber hinaus-
kommen, so dass der Mensch der Wiedergeburt nicht mehr
unterworfen ist und in Folge der Aufgabe seiner individuellen
Existenz mit dem Absoluten vereinigt wird. Es kommt also
unserem Ausdrucke: ,, selig werden", gleich, nur in pan-
theistischem Sinne gefasst. Das Causativ davon ist f| \ A^ \ ,
hinüber bringen.
Ad V. 1. rfTQ* ^^ umgestellt statt des gewöhnlichen
^ TfUrlT? als Verbum compositum (nehmen und hinüber-
bringen) ; ich ziehe diese Auffassung vor. ^trTc|5T^ Hure
(Sansk. TRSF^BT) ? sie soll nur einmal den Namen Hari's
ausgesprochen haben und dadurch emancipirt worden sein.
cjjf^lff (Sansk. ^°®5n)j buckelig. Sie soll eine Sclavin
des Kans gewesen sein ; Krishna sezte seine Püsse auf die
ihrigen und zwei Finger unter ihr Kinn, hub sie auf und
machte sie gerade. Die Geschichte ist im Prem sägar (ed.
Eastwick, Cap. XLIII) w^eitläufig erzählt.
f^RSJffVj der Jäger; das finale a des Sansk. ^^^^^
ist hier in i (statt in n) verwandelt; er soll ^<| (Alter)
geheissen haben. 51^1^55' statt ^HTTm^j mit lieber-
gaug von i in a ; diese beiden Vocale werden im Hindui
sehr oft mit einander vertauscht. Die Präkrit Endung ö
ist im alten Hindui, wie im Sindhi, in u verflüchtigt (und
später ganz abgeworfen worden), seltener in i, wie |<s)^||\]'^
W^ (= ^).
"^^iR^fM^ = "^TFT^^IcR; es ist nicht klar, wer
darunter verstanden ist ; jedenfalls wird damit auf die Ge-
schichte Krishna's angespielt. TPf{ c(5^; ^^ steht im
Pluralis majestaticus.
Irumpp: Die ältesten Hindui- Gedichte. 27
Ad V. 2. f^^ — f^(t<, der Sohn des Vyäsa und
einer Sclavin (s. Wilson, Vish. Pur. p. 459), desshalb hier
FTPffllflff genannt. "51»? vor einen Eigennamen gesezt be-
deutet im Hindu! : „niedrig, demüthig''. So kommt im Granth
sehr häufig der Ausdruck 1I«?HIH^^ „der niedrige Nänak'^
vor. Mr|4-||, ein armer Brähman ; er soll Krishna's Schul-
genosse gewesen, und bei einem Besuche, den er Krishna
in Dvärikä machte, von ihm mit Reichthümern überhäuft
v^orden sein. Die Geschichte ist ausführlich erzählt im
Premsägar, Cap. LXXX und LXXXT. "^^^TJ, Sansk.
sjduf^^, der mütterliche Grossvater von Krishna, der von
ihm auf den Thron von Mathurä gesezt wurde ; s. Prem-
sägar, Cap. XL VI, und Wilson, Vish. Pur. p. 560. "5^= clv;^,
eine Versezung des r, die häufig vorkommt. Die lezte Strophe
des 2. Verses enthält die Quintessenz dieses kurzen Gedichts,
wie theilweise schon der Rahäu. Es kommt, um die
^«Rlrf (= 'IT^)? i- e. die Emancipation von der individuellen
Existenz zu erlangen, nicht auf ^Xf, "ff^^? oder sonstige
verdienstliche Werke an, sondern allein auf die Nennung
des Namens Räm's (oder Hari's). Alle Menschen, ohne
Unterschied der Kaste (desshalb ^^^»Tj . wenn sie nur
Hari anrufen, werden dem Kreislauf der Wiedergeburten
entrückt und im Unendlichen reabsorbirt.
Aus Rag Äsä.
I.
28 Sitzung der phüos.-philol. Classe vom 4. Januar 1879.
^^ Wt^T ^^ ^5 l^^lf ^5T^ H %T ^ ftl i
^Rfrf ;?rm^^ f fr ^ T^RT ^^ fit ^t^ft I
^ ^ wnfK w^ f^jrffi: %w v^ ^^ ii 8
1.
„Der Eine ist immanent in dem vielen, (alles — ) er-
füllend, wohin ich sehe, da ist Er.
Durch das wundervolle Bild der Mäyä ist (die Welt)
bezaubert, hie und da begreift (das) einer.
B a h ä u.
(In) allem ist Gövind, (in) allem ist Gövind, es gibt
keinen ausser Gövind. Wie an einer Schnur sieben tausend
köstliche Steine sind, (so) ist jener Herr (in allem) einge-
woben.
2.
Eine Welle und Schaum (und) Blase wird nicht vom
Wasser getrennt. Diese Welt ist das Spiel des höchsten
Brahm, indem er sich hinausbewegt wird er kein anderer.
3.
Falsch ist der Irrthum und ein Traum der Wunsch,
die wahre Sache ist erkannt (von mir).
Tnimpp: Die ältesten Hindui- Gedichte. 29
Das Streben nach guten Werken wird vom Guru ge-
lehrt; indem (mein) Geist wachte, ist er zufrieden gestellt
worden.
4.
Nämdeu sagt: siehe an das Werk Hari's und denke
(darüber) nach in (deinem) Herzen!
In jedem Körper, mit jedem eng verbunden ist allein
der Eine Muräri."
Die Verse sind Dupadä oder Disticha, von denen jeder
einzelne Vers 28 Kala enthält, das ganze Distichon also
56 Kala. In jedem Verse ist eine Caesur nach der sechs-
zehnten Mora, so dass er in zwei ungleiche Hälften von
16 + 12 Mora zerfällt, die 6 + 4 + 4 + 2 | 6 + 4 + 2
scandirt werden; die lezte Silbe des Verses muss immer
lang sein.
Im einzelnen ist noch zu bemerken, dass das Anusvära
den ihm vorangehenden kurzen Vocal anceps lässt. Im zweiten
Verse des 2. Distichon's muss Xff^^^^ yj ^ ^ ^ scandirt
werden (päräbrahmä) ; im ersten Verse des dritten Distichon's
muss HT^H, troz seiner Schreibweise, bhramu (^ ^) gelesen
werden, und im zweiten Verse ^TT^^H — mänyä ( ).
Der Inhalt des Gedichts ist ein die Welt mit dem Ab-
soluten indentificirender Pantheismus, wie er in der Bhagavad-
gitä gelehrt wird, wovon er popularisirt in alle Schichten
der Bhagats eingedrungen ist, freilich mit dem sonderbaren,
dem indischen Pantheismus anklebenden Widerspruch, dass
nach den stärksten Aussprüchen über die Identität des End-
lichen und Unendlichen das Absolute doch wieder persönlich
gefasst und im Gebete angegangen wird.
Dass das Endliche, die Welt (die Ausbreitung T^^STTv
als etwas für sich Seiendes angesehen wird, kommt von der
Mäyä (Illusion) her ; an und für sich ist es nicht so , und
30 Sitzung der philos.-phüol. Classe vom 4. Januar 1879.
wer den Unterricht von dem (rechten) Guru erhalten hat,
versteht die Identität beider.
Die sichtbaren Erscheinungen der Welt verhalten sich
zum absolutem Urgründe wie die Welle zum Wasser, oder
der Schaum und die Wasserblase zum Wasser ; sie sind
momentane Phaenomene aus dem Wasser gebildet und wieder
in die allgemeine Wasser masse reabsorbirt, ohne ein eigenes,
selbstständiges Sein. Die sichtbare Welt wird daher ge-
wöhnlich ein Spiel des höchsten Brahm genannt; er expan-
dirt sich und contrahirt sich ad libitum und bleibt dabei
immer derselbe. Die sichtbare Erscheinung, das Universum,
ist daher in einem beständigen Kreislauf des Entstehens
und Vergehens. Wie dabei von einem Streben nach guten
Werken die Rede sein könne, ist nicht einzusehen, da in
einem solchen Systeme für die individuelle Freiheit kein
Raum vorhanden ist. Bezeichnend ist daher der so oft
wiederkehrende Ausdruck : ,,mein Geist ist zufrieden gestellt
oder ausgesöhnt worden^' ; es bedeutet dies die Resignation
unter den einmal unvermeidlichen Process des Entstehens
und Vergehens.
In sprachlicher Hinsicht möge noch folgendes bemerkt
werden.
Ad V 1. f^^XTcJ} ^ Sansk. «2^X1^, durchdringend,
oder wie wir sagen : immanent , ein bei den Bhagats sehr
häufig vorkommender Ausdruck; ähnlich ist der Ausdruck
Tf^^, erfüllend. IffT — HTT? aus ^f^ und r|^ assi-
milirt ; es sollte daher jatta und tatta gesprochen werden,
der Doppelconsonant aber ist schon häufig in den einfachen
aufgelöst worden, wie hier ; in der Prosa wird Jat und tat
gesprochen. Fi^fsi (dekhau, sonst mit finalem Anusvära
dekhaü) die erste Person Praes. Sing. Dies ist die gewöhn-
liche Form im alten Hindu! und findet sich so nicht nur
Trumpp: Die ältesten Hindui- Gedichte. 31
im Granth, sondern auch im Rämayan von Tulsidäs. "Sff"^'^
statt mTT"'^'^ (f^f^^i mit Uebergang von li in i, wie
schon bemerkt worden ist.
4^d Rahäu. ^H ^it"^^ i^ ^^^^ auch ebenso gut
übersezt werden: „alles ist Göbiud", nach dem Zusammen-
hange jedoch ist die locative Beziehung von ^i^ vorzuziehen.
Eine locative Postposition wird hier (sowie auch in der
zweiten Strophe bei WH XJ^) nicht gebraucht, da die
Casus in diesen ältesten Stücken noch meist aus dem Zu-
sammenhang erschlossen werden müssen.^) Nach Hf^ (wie,
in welcher Weise) ist das Correlativ fl^ zu suppliren.
^m^m ist das Sansk. ^fllStrf^ „durchgezogen,
durchgewoben". Dieser Ausdruck kommt sehr häufig bei
den Bhagats vor und bezieht sich auf den Einschlag eines
Gewebes. Wie der Einschlag alle Fäden des Zettels kreuz-
weise durchschlingt, so durchdringt und umschlingt das Ab-
solute alles in die Erscheinung tretende.
«HÜB ♦ ^_^
Ad V. 2. XRIJ"^ (parapancu hier zu sprechen = Sansk.
14 M^)^ die Welt als das ausgebreitete (Brahm), im Sinne
von T^^ffR: I^as Wort XJXT^^l^ kommt häufig: bei den
Bhagats und im Ädi Granth vor; es ist — Xf^^^^ mit
Dehnung von Xn[^ zu XTf^, „der höchste Brahm" (im Hindui
masculinum und von den Bhagats als Persönlichkeit gefasst).
1«|x|<Jf (sonst f^^XJT bicaratu) Particip Praes. ^ffr^ =
^^^ ein anderer.
1) Doch kennt Namdev schon die Postposition TTT^ »in" und
wendet sie auch j^elegentlich an.
32 Sitzung der philos.-philol. Classe wm, 4. Januar 1879.
Ad V. 3. T^Htib ^' ^* ^^^ Streben, Verlangen (nach
etwas), von dem Sansk. "J1[»fr^5 i^it Verkürzung des i
und üebergang des kurzen i in ä. ITPTH^ ist der Locativ
des Particip. Praes. im alten Hindu! , das substantivisch
gefasst wird: „im Zustande des Wachens*'. Die spätere
Form ist ^fTTfT , wie auch im Hindi und Hindustäni. Im
Sindhi endigt der Locativ des Particip. Praes. auf ei oder
ehi, auch ahi (s. meine Sindhi Gramm, p. 485).
Ad V. 4. ^^H ist die zweite Pers. des Imperativs
Sing., neben ^^; im Plural findet sich ebenfalls wieder
^^5 ^^ ^^^^ ^^^- f^ ist der Pormativ von fj^
Herz (m.), der zugleich als Locativ (ohne Postfix) verwendet
wird. T^^Tv? ^i^ verlängertem finalen i statt f^f^K^
verbindendes Particip Perf. „nachgedacht habend", und in
Verbindung mit einem Imperativ: „nachdenkend". In ^ITJ^
ist finales i ebenfalls gedehnt wie in f^^T^5 ^^ ^®^
Metrums willen, das eine lange Endsilbe verlangt. Nach
den Regeln der hindui Poesie darf ein jeder kurzer Vocal
am Ende einer Strophe gedehnt werden.
IL
^^^ir^^ ^n^ ^ ^i^ ^ tt^ '^\7^ mi
«5,
Trumpp: Die ältesten Hindui-Gedickte. 35
^Rt# ^^ ^TTid ^T^T 7T^i: # ^^ ^^ ^!T^ I
xrf^^ ^TO ^1:1 H^f ^?^ H^T ^Ti:^^ II ^
II.
1.
„Wasserkrüge werden gebracM (und) mit Wasser ge-
füllt, (damit) ich den Herrn {= das Idol) baden möge.
Zwei und vierzig Lakh von lebendigen Wesen ent-
stehen im Wasser, was soll ich mit Bithai thun, o Bruder?
R a h ä u.
Wohin ich gehe, da ist Bithai , o Bruder ! Er erfreut
sich sehr und spielt immer.
2.
Blumen werden gebracht, Kränze werden geflochten,
(damit) ich dem Herrn Anbetung darbringen möge.
Zuerst ist der Wühlgeruch von den grossen schwarzen
Bienen genommen worden , was soll ich mit Bithai thun,
Bruder?
3.
Milch wird gebracht, Khir wird gekocht, (damit) ich
dem Herrn eine Mahlzeit bereiten möge.
Zuerst ist die Milch durch das Kalb verdorben, was soll
ich mit Bithai thun, o Bruder?
[1879. 1 PMlos.-phil.-hist. Cl. 1.] 3
34 Sitzung der pJiilos.-philol. Classe vom 4. Januar 1879.
4.
Hier ist Bithai, dort ist Bitlial, ohne Bithai ist die
Welt nicht.
An diesem und jenem Ort, in allem bist du voll ent-
halten, sagt anbetend Nämä."
Das Metrum in diesen Dapadä ist verschieden. Das
erste Distichon wird folgenderv^eise skandirt:
6 + 4 + 6 + 4 I 6 + 4 + 4 = 341 ^,
6 + 4 + 6 + 4 I 6 + 4 + 4= 34 /-^^'^^'*-
Der Rahäu hat nur 32 Kala, nämlich:
6+4 + 4 + 2 I 6 + 4 + 4 + 2.
Das zweite und dritte Distichon wird skandirt:
6+4 + 6 + 4 i 6 + 4 + 4:= 34|_
6 + 4 + 4 + 2 I 6 + 4 + 4 = 301-^^^^^^*
Und das vierte:
6 + 4 + 4 + 2 I 6 + 4 + 4z=30)
6 + 4 + 4+2 i 6 + 4 + 4=30 r^^^-
Zu beachten ist, dass in ^Q^TS<^ C^- 3, 1) das i
kurz zu sprechen ist; f^Tfft^ und if^^ (V. 4, 2)
müssen bitäryö und rahyö {^ -) gelesen werden.
Das Gedicht ist eine feine Satire auf den äusserlichen
Gözendienst. Man kann Bithal nicht baden: denn es gibt
kein Wasser, das dazu rein genug wäre. Auch Blumen
und Kränze, womit sein Bild geschmückt wird, sind nicht
rein genug für ihn, da vorher schon die grosse schwarze
Biene darauf gesessen ist. Man kann ihm ebensowenig eine
reine Speise vorsezen, da auch die Milch schon durch das
Kalb verdorben ist. Aber Bithal bedarf auch all dieses
Dienstes nicht ; er erfüllt alles und darum kann ihm auch
Trumpp: Die ältesten Hindui- Gedichte. 35
niclits dargebracht werden. Dies ergibt sich als die logische
Folgerung und ist indirect angedeutet.
Im Einzelnen ist noch Folgendes zu bemerken:
Ad V. 1. ^^^5 contrahirt aus ^I^t^^? von
^SIPRT bringen (Sindhi ^TniJTO'). "^^f^^^^ ^^
(sprich : lakkha) , zwei und vierzig Läkh , also gerade die
Hälfte der Wesensformen ('^'m) , als deren Gesammt-
zahl vier und achtzig Läkh angegeben werden ; sonst werden
gewöhnlich nur neun Läkh Wasserthiere (^(i*5xj^) ange-
geben, die Nämdev hier wohl absichtlich auf zwei und vierzig
Läkh gesteigert hat.
Ueber Bithai ist schon die Rede gewesen. Molesworth
in seinem Maräthi Dictionary (sub T^JT^) führt eine von
den Eingebornen gemachte Ableitung des Wortes an (i. e.
f^H Kenntniss, IJ soll „Mangel'* bezeichnen und ^ soll
für ^Tm 11^1' nimmt" stehen, so dass der Sinn wäre:
„Annehmer der Unwissenden"), die nur als Spielerei gelten
kann. Das Wort scheint indessen nicht-ärischen Ursprungs
zu sein; wollte man an eine arische Etymologie denken, so
könnte man es von T"^n? (P- P- von T^'7 ) mit dem Demi-
nutivaffix ^ ableiten, was ,,der Immanente, der in (alles)
Eingehende" bedeuten könnte, nur wäre eine solche Bezeich-
nung für einen populären Localgott zu abstract. fcj^^
würde im Präkrit f^^^ oder "^t?^ lauten, wäre also der
C
äusseren Form nach ganz entsprechend.
^^f ist eine Form, die im ganzen Ädi Granth nur
beiNämdev sich findet. Es ist Deminutiv von ^X^^ »Bruder",
und ist aus m?]5n contrahirt. Auch cRJ^ „was" ( -= dem
3*
36 Sitzung der phüos.-phildl. Classe vom 4. Januar 1879.
späteren f^fi^JT) ^^^ Nämdev eigen ; es entspricht am nächsten
dem Maräthi Gf{7'^ (Sindhi, mit üebergang in die palatale
Aspirata, ^gfj)«
Ad Rahäu. 11^ ^R7^ getrennt, um des Metrums
willen = l^'i^J^f^^ ^R^ kommt sonst im Hindu! als
Adjectiv nicht vor, sondern nur in Zusammensezungen, die
aus dem Sanskrit direct herübergenommen sind. ^R^^^J^X?
in Prosa ,sad' gesprochen.
Ad V. 2. Xf^'l^ (von XTOprfT, parö-nä) ist höchst
auffallend, da wir hier das Femininum erwarten würden als
auf f|T^5T? d^s Feminiuum ist, bezogen. Ein Ausweg ist
jedoch möglich, dass "Cp^l^J^ ebenfalls auf ''^"^ zurückgeht
und dass nach "JlfJ^J eine Postposition zu suppliren ist,
so dass dann zu übersezen wäre : „Blumen werden gebracht
(und) zu Kränzen gewunden". Bei dem fast gänzlichen
Mangel der Casuszeichen im alten Hindu! ist es oft sehr
schwer, die richtige Beziehung eines Wortes zu bestimmen.
'<sf 14^ (später "^T^ ^^s) ist im Hindu! (und Hind!)
Femininum geworden, obschon es im Sanskrit masculinum
ist. ^cJX^, Formativ und zugleich Instrumentalis Plur.
von ^^\ (— Sansk. ^^^^^ mit üebergang von IJ in ^^
der im Hindu! sehr häufig ist), eine grosse schwarze Biene,
eine Hummel. Es findet sich im alten Hindu! sowohl die
Form Hcf(35 als auch H^^^, die auf die alte Pürb! Form
)-|c|<«^ hinweist, die aber im Adi Granth selbst nicht vor-
kommt.
Ad V. 3. ''(^IXj ein bekanntes Gericht, Reis in süsser
Milch gekocht, aber so, dass der Reis dabei ganz bleibt und
Trumpp: Die ältesten Hindui-Gedichte. 37
nicht die Körner aufgelöst werden, »t*^^ (= Sansk. »T'^RT)
eine einem Idol (^T^T.) dargebrachte Mahlzeit, gewöhnlich
aus Khir(== Sansk. '^tl) bestehend. f^t^KHIj verderben,
verunreinigen (vom Essen gesagt), indem ein Thier oder
Vogel es mit seinem Munde berührt, wodurch es unrein
wird. cj|^<^., Formativ und Instrum. Sing, von ^^ijj
Deminutiv von "^^Jj ein junges Buffalo Kalb (Sansk. "^I^,
über die Assimilation s. meine Sindhi Gramm. Introd.
p. XLIII).
Ad V. 4. Die Formen ||^ „hier", und ^^ „da, dort"
kommen nur bei Nämdev vor und ich habe sie nur an diesem
Orte im Ädi Granth gefunden ; sie scheinen also nur eine locale
Formation zu sein (zusammengesezt aus den Pronominal-
stämmen i und ü, und bhai, über dessen Ableitung mir
nichts bekannt ist). ^X^Ufl^flTTT^ ^in diesem und jenem
Ort", zusammengesezt aus ^X*T^T*1 (= WRTWT'R) ^^^
^cTK, (im Hindu! Adverb und Postposition, „in, innerhalb'*
= Sansk. ^»flT.)« ^^ i^a Hindu! finales a gewöhnlich
nicht gesprochen wird, so kann man wohl ^Efp^^ sagen
(= th^n-antari). IRJ'cir, dritte Pers. Sing. Praes. (=Bri!J'R5
von Jf + t^H )^ eigentlich: „er verbeugt sich" und dann:
„er sagt sich verbeugend", in welchem Sinne es gewöhnlich
im Hindu! gebraucht wird. "TX^ — TT^? Postposition „in",
mit verlängertem finalem i.
III.
^ ^^ ^ ^f^ ^^ ^wt I
38 Sitzung der philos.-2)Mlol. Classe vom 4. Januar I879,
WJ ^!^ ^TTfft ^^ ^iT^ TTTift [
ITR ^ ?TTf ^R^ f^ TTrfV II T]|T^
Tjirf^ TFR #-2rf?r ^hR I
TJ^ ^TR f^ ^^ ^ ifH^ ^
^IR xr^ ^HRT ^5^ fWT? II ?
fl^ ^ fl ^^ ^ VTHT I
qr^ ^ f^ f ft W5 ^5T^ II 8
III.
1.
„Mein Geist ist eine Elle, meine Zunge eine Scheere,
Messend und messend schneide ich die Schlinge Yama's ab.
R a h ä u.
Was soll ich thun (mit meiner) Kaste, was soll ich thun
(mit meiner) Bruderschaft?
Ich murmele den Namen Räm's Tag und Nacht.
2.
Farben färbe ich, Säume nähe ich.
(Aber) ohne den Namen Räm's lebe ich keine vier und
zwanzig Minuten.
3.
Ich gebe mich der Andacht hin , ich singe die Eigen-
schaften Hari's.
Während der acht Wachen denke ich über meinen Herrn nach.
4.
Die Nadel (ist) von Gold, von Silber der Faden.
Der Geist des Nämä ist auf Hari gerichtet."
Trum2)p: Die ältesten Hindui-Gedichte. 39
Das Gedicht bestellt aus kleinen üisticha, die in der
Anzahl der Mora von einander abweichen, wie dies bei Nämä
fast durchaus der Fall ist. Das erste Distichon enthält:
6 + 4+6 + 4 II 6 + 4 + 4 + 2 = 36 Kala.
Ebenso der RahSu und das vierte Distichon. Das zweite
Distichon aber enthält nur
6 + 4 + 4 + 2 II 6 + 4 + 4 + 2 = 32 Kala,
und das dritte:
6 + 4 + 4 + 2 II 6 + 4+6 + 2 = 34 Kala.
In der zweiten Strophe des Rahäu muss ^f kurz (kö)
gelesen werden, ebenso in der zweiten Strophe des zweiten
Distichons das i in ^<j^ (gharia).
Die hier vorkommende Bildersprache ist nicht ganz klar
und ich erkläre sie nur nach meinen Vermuthungen. Der
Geist (die Intelligenz = T(r() ist die Elle (l^T ~ Persisch v5") ;
er misst die Länge der Schlinge Yama's aus und findet,
dass sie an ihn schon hinanreicht. Die Zunge ist die Scheere,
welche die Schlinge abschneidet, dadurch, dass sie den Namen
RSm's hermurmelt : denn wer den Namen Rim's anruft,
über den hat Yama keine Macht mehr. Obschon gering
von Kaste und niedriger Lebensstellung kann doch jeder
emancipirt werden, der Tag und Nacht den Namen Räm's
nimmt. Dies exemplificirt er an sich selbst. Er ist ein
Katundrucker (?J|XfT) und näht als solcher auch die Säume
der zu färbenden Tuchstücke ^), aber nichts desto weniger ruft
er beständig Räm an und sein Geist ist bei der Arbeit in
1) Man hat um ähnlicher Ausdrücke willen Näma auch für einen
Schneider gehalten (so Molesworth), aher mit Unrecht : denn in Indien
sind diese beiden Gewerbe streng geschieden.
40 Sitzung der philos.-phüol. Classe vom 4. Januar 1879.
Hari versenkt. Auf diese Weise wird auch die geringe Be-
schäftigung veredelt, die Nadel wird zu Gold, der Faden
zu Silber.
In sprachlicher Hinsicht ist noch zu bemerken:
Ad V. 1. ^Tfft, s. f. Scheere (Sansk. ^^) , jezt
durch ^5ÄAj^' (ürdü) fast ganz verdrängt. 'J^'q;:^!, „messen",
aus TITXRT (Sansk. l^T'R^) verkürzt, des Metrums wegen.
Ad Rahäu. '^^, „was", die gewöhnliche Form im
alten Hindu!, die Namä neben cfij^ gebraucht. "ifTrft?
des Metrums wegen statt ^Tm ; die Postposition cfi^ ist
nach ITTcTT ausgelassen, sowie auch nach XflffT? ^^^ ^^^
grammatische Stellung dieser Wörter kann nur aus dem
Zusammenhang erschlossen werden. XfJffXj statt "CffflTj
und dieses wieder statt XfXfrf (assimilirt aus dem Sansk.
Xfl"^, eine Genossenschaft, Sippe. Man findet so häufig
^TlrT "mtlT neben einander gestellt. ^"Cf^X, murmelnd
hersagen oder nennen, mit Bezug auf die beständige halb-
laute Nennung des Namens Rams.
Ad V. 2. ipti^ ist der Formativ Plur. von ^Tf
(gedehnt statt IJ})^ wobei die den Accusativ bildende Post-
position cp"^ ausgelassen ist. Dieser Formativ Plur. findet
sich auch im Sindhi und im Braj, wo er die Regel bildet.
^3nff^ kann jedoch auch Sing, fem, sein mit der Bedeutung
,, Färbstoff", so dass man dann zu übersezen hätte: „Farb-
stoff färbe ich." Die leztere Auffassung ist sogar wahr-
scheinlicher mit Bezug auf das folgende ^t^T^j das eben-
falls als Sing. fem. (wie auch im PanJäbi siun) gebraucht
IVumjpp: Die ältesten Hindui-Gedichte. 41
ist, während es im Hindi (^Jcf^j masculinum ist. Xf^^
nacli der indischen Zeiteintheilung vierundzwanzig Minuten ;
im späteren Hindu! TT^T (g^^^P» Sansk. Tjf^cf5X) gesprochen.
Die ursprüngliche Form war ^K^^ aus der sich zuerst
XI^^5 und dann mit Abwerfung des finalen a, TI^ ge-
bildet hat. Die Form Xf^^^ findet sich nur noch bei
Dichtern.
Ad V. 3. ^[Z "^I^? <iie acht Wachen. In Indien
wird Tag und Nacht zusammen in 8 Wachen zu je drei
Stunden eingetheilt ; Xf^ = Sansk. If^. l^W^^ „Herr'S
eigentlich „Gemahl". Es ist das arabische ^f^oJ^ , das eigent-
lieh „Gegner" bedeutet, im Hindüstäni jedoch ^^^a^ ge-
sprochen wird und sonderbarerweise die Bedeutung von
„Gemahl" angenommen hat. Es ist dies das zweite Hin-
düstäni Wort (s. oben T\^ Elle), das uns bei Nämdev be-
gegnet, woraus man sieht, dass schon damals das Hindüstäni
oder ürdü in das Hindu! einzudringen begann.
Ad V, 4. ^^^5 m. Gold, Sansk. H^T^j Präk.
^r«!^. Im Hindu! wurde cf elidirt und a in i verflüchtigt
~ ^^^Tj und mit Aufhebung des doppelten n — ^^5^T«
Im gewöhnlichen Hindi lautet die Form ^«rfT (Sindhi ^«R,
Panjäbi wieder söinä). Das cerebrale n ist in all diesen
späteren Bildungen in das dentale übergegangen. ^^5 s. f.
Nadel, Sansk. ^^^, Präk. H^ (im Sindhi dagegen mit
verkürztem u = ^T§). "m^ m. Faden. Dieses ist ein
sogenanntes deshi Wort, das sich in allen neueren indischen
Sprachen (sansk. Ursprung) findet, dessen Ableitung aber
42 Sitzung der phüos.-phüol. Classe vom 4. Januar 1879.
rein unbekannt ist, da sich dafür keine Sanskrit noch
Präkrit Wurzel entdecken lässt. ^T^ (sau) „mit", Sansk. ^*(
(mit Uebergang von m in v = u) ; im Hindui ist es eine
selbstständige Postposition geworden.
IV.
^ f^ ^t f^f ^ 1[^ I
^ ^R ^ i^fW^ ^HRT I
TT'T THT^rT ^> ^^ II ?
lY.
1.
„Die Schlange legt (ihre) Haut ab, (aber ihr) Gift gibt sie
nicht auf.
Wie ein Reiher im Wasser, (so) macht er (seine) Meditation.
Ra h ä u.
Wozu wird Meditation gemacht und Murmeln (des Namens),
Wenn der eigene Geist nicht rein ist?
2.
(Wie) der Löwe, der weiss, (dass) der Mensch (seine) Speise (ist):
So explicirt der Betrüger Gott.
3.
Herr des Nämä, gib den Streit auf!
Trinke das Elixir Räm's, o Hinterlistiger!"
Trumpp: Die ältesten Hindui-Gedichte. 43
Das Metrum ist aucli in diesem Stücke ziemlicli ungleich.
Das erste Distichon enthält 2X 6 + 4 + 6 + 4= 40 Kali.
Der Rahäu hat:
6+4 + 6 + 2 II 6 + 4 + 4 + 2 = 34 Kali,
ebenso das dritte Distichon ; das zweite dagegen :
2X 6 + 44-4 + 2= 32 Kala.
Zu bemerken ist, dass im dritten Distichon ^^(Tfl
= svämi gelesen werden muss, und ^ kurz = le.
Das Gedicht ist an einen heuchlerischen Brähman ge-
richtet, den er hier mit r|T<H^ tl^l^ ?iO Herr des Nämä"
anredet. Schon aus der obigen traditionellen Lebensbeschrei-
bung des Nämä geht hervor, dass er mit den Tempel Vor-
stehern in Conflict gekommen ist. Der Reiher ( «PT = Sansk.
\ . . . . ^. .
^cjij wird sehr oft als Bild einer heuchlerischen Meditation ge-
braucht. Er steht anscheinend nachdenkend im Wasser, aber
nur um durch seine ruhige Stellung die Fische zu erhaschen.
Der Vergleich in dem zweiten Distichon scheint auf die
Geschichte des alten Tigers anzuspielen, die im Hitöpadesha
I, 2 erzählt ist. Er kann diese populären Fabeln wohl
gehört haben, obwohl er sonst nirgends eine Kenutniss von
Sanskrit Schriften zeigt. Er ermahnt den Brähman schliess-
lich, das Elixir Räm's zu trinken, d. h. den Namen Räms
anzurufen.
In sprachlicher Hinsicht sei noch bemerkt:
Ad V. 1. ^TTR, Schlange, Sansk. ^fj^ (Präk. ^TDCf,
und durch Auflösung des Doppelconsonanten und Dehnung
des vorangehenden Vocals ^TT^? welches die alte hindui
Form, ist im modernen Hindi, ^JX!, sap.). ^^H| (Hindi
^ij3»n chör-nä) ist das Causativ von ^^^^ ngehen lassen,
44 Sitzung der philos.-pMlöl. Classe vom 4. Januar 1879.
ablegen'', ^5«TT dagegen ist ein actives Yerb (Sindhi ^5"^) 5
das im späteren Hindui und im modernen Hindi nicht mehr
vorkommt. Hier ist das a in ^5RT gedehnt, des Metrums
und des Reimes willen. Das dem Irf^ correlative ff^ ist
hier ausgelassen. TTT^^^T o^^^r Tf^^ (= Sansk. TTTT^*?)
hat im Hindui (und den übrigen Dialecten) die Bedeutung
von „schmücken" ganz aufgegeben und die von „anordnen,
feststellen, in Gang bringen, ausüben" etc. angenommen.
Ad Rahäu. cßjlf ist eine Passivform (Praes.), die im
alten Hindui oft vorkommt ; sie stimmt ganz mit der Sindhi
Passivbildung überein (s. meine Sindhi Gramm, p. 260). Im
späteren Hindui findet sich dafür die Form cffg^^ und
mit verkürztem i : ^TT^? während das moderne Hindi diese
alte Präkritbildung des Passivs schon ganz verloren hat.
^T^ rT, wörtlich : „von wann an". "^T^ (Jab) ist aus Tf^
entstanden, indem Zf^ zuerst zu If^ verkürzt wurde, wie
^fT^ von ;fj'^ (s. oben). Dann wurde ^ elidirt und If^
wurde Ifof, indem, um den Hiatus zu vermeiden, der Halb-
vocal of eingeschoben wurde. Das «I verhärtete sich einer-
seits zu "^5 andererseits löste es sich in ^ auf, so dass
wir im Hindui beide Formen, Ifcf (Jab) und If^ (Jau)
fast gleichmässig im Gebrauche finden.
Ad V. 2. Die erste Strophe dieses Distichons hat eine
sehr mangelhafte grammatische Construction , so dass der
Sinn derselben nur durch Conjectur erschlossen werden kann.
Auffallend ist die Form "firR^, die ich bis jezt nur in
diesem Worte gefunden habe, i^^ = f^^ ist eine wohl
bekannte Hindui Bildung, indem i| in diesem Worte (andere
Trumpp: Die ältesten Hindui-Gedickte. 45
Beispiele sind mir bis jezt noch nicht bekannt geworden)
in Xf gb übergebt. Das ^ halte ich für das Deminutivaffix ^5
das in den entsprechenden Palatalen übergegangen ist, wofür
manche Beispiele vorliegen (z. B. das Genetivaffix ^X g^ht
in x| [, "^J, auch in die Media ^J über, wovon ich einige
Beispiele im Adi Granth notirt habe). "^^^J^ HI Pers.
Praes., von den Sansk. c^J^^XR verkürzt und assimilirt.
Ad V. 3. ^ff #; umgestellt statt ^ ^xff ; ^f^
ist der Imperativ zweite Pers. Sing, (von ^X^«?!)^ indem
der Imperativ hier auf i, wie im Sindhi, endigt. ^U'TTIj
s. m. ist eine Deminutivform ^ obschon eine Grundform
VIJTJX nicht mehr im Gebrauche ist. Das Wort gehört zu
dem Deshi Stock des Hindu!, von dem sich keine Wurzel
im Sanskrit und Präkrit aufzeigen lässt, ist aber in allen
Dialecten im Gebrauch (jezt ^^^ J^i^g^ä; gesprochen).
Mi l^H = Sansk. ^If^X'^'T (^^^ Auflösung von H in i),
das Elixir vitae der Alchemisten. <2E^^Tn? Adj. statt ^^^TTj
von dem Hindüstälni (Arab. Pers.) ü^(^ gebildet. Im Hin-
düstäm selbst findet sich Xc4> nicht, sondern i^^^ und
^^^4> ; aus dem lezten ist "CTRX gebildet, mit Verkürzung
von i zu 1 und Uebergang desselben in a. Dies ist das
dritte Hindüstäni Wort, das wir bei Nämdev gefunden haben.
V.
46 Sitzung der philos.-phüol. Classe vom 4. Januar 1879.
^ITf ^ XRHTf^ ^HT ?fl H^ ^T II ^
1.
„Wer den höclisten Bralim kenneu wird, der wird ihm gefallen,
Räm gedenkt (seiner) Andächtigen, (ihr) Herz wird er sorgen-
frei erhalten.
Rahä u.
Wie, Herz, wirst du hin überkommen über den Ocean der
Welt, das Wasser der Sinnenwelt?
Die falsche Mäyä sehend bist du irre gegangen, o Herz !
2.
Im Hause eines Katundruckers wurde (mir) Geburt gegeben ;
durch die Unterweisung des Guru, Bruder !
(Und) durch die Gunst der Frommen hat Nämä das Geheimniss
Hari's erlangt."
Das Metrum in diesen Disticha ist gleichmässig, indem
jedes 48 Kala enthält. Das erste Distichon hat 2 X 12 +12
i. e. 2 X 6 + 4 + 2), der Bahäu 15 + 11 | 13 + 9 (= 6 +
4 + 5 I 5 + 4 + 2 II 6 + 5 + 2 I 4 + 3 + 2), das zweite
Distichon 15 + 11 | 11 + 11 (= 6 + 5 + 4 j 6 + 3 + 2 jj
6 + 4 + 1 I 6 + 3 + 2). Dabei ist zu beachten, dass das
e an einzelnen Stellen (wie das finale e in Tlftl^^^, in
gU^ und ^j kurz gesprochen werden muss, ebenso das ö
Trumpp: Die ältesten Hindui- Gedichte. 47
in ^t in der ersten Strophe des Rahäu, wie aus der an-
gegebenen Scansion zu ersehen ist.
Das Gedicht enthält eine Anrede an das eigene Herz,
das über seiner Sorge, wie es wohl der individuellen Existenz
entrinnen möchte, getröstet wird. Räm wird für die sorgen,
die sich in ihn versenkt haben. Und zu diesen gehört auch
der Dichter selbst, da er, obgleich von niedriger Kaste, doch
durch die Unterweisung des Guru und den Umgang mit
den Frommen in das Geheimniss Hari's eingedrungen ist
und dadurch den Weg zur Erlösung gefunden hat.
Man wird sich nicht über diese wiederholte Klage wegen
der niedrigen Kaste wundern, wenn man bedenkt, welcher
Druck und welche Verachtung auf den geringen Kasten in
Indien gelastet hat und zum Theil noch lastet.
In sprachlicher Hinsicht ist zu bemerken:
Ad V. 1. "nTj Relativ Nom. Sing., weiter aus ^ (^f)
verkürzt ; sein Correlativ ist ^ ^ statt des gewöhnlichen ^^.
fT»T (statt des gewöhnlichen ffT^) ist der Formativ des
Singulars von ^f, hier den Dativ vertretend, statt ffTf»! «R^.
^^#W ^^^ ^T^r# ist III. Pers. Fut. Sing. ; an ^q#
ist noch ä angefügt, wohl nur des Metrums wegen, da
das ä in der Form selbst nicht begründet ist und auch
sonst nicht vorkommt; interessant ist, dass Nämä hier
neben dieser Futurbildung auch schon die andere, die
später allein zur Geltung gelangt ist, anführt, nämlich
rfXT^TT (II P^rs. Sing. Fut.), woraus man sieht, dass beide
Bildungen längere Zeit neben einander im Gebrauch gewesen
sind. Nach ^^fli^ ist qR^ zu suppliren und die Con-
struction dann eine unpersönliche (= Hindi 1[JTI vT H^lrf I
48 Sitzung der philos-pldloL Classe vom 4. Januar 1879.
cR^ "^rlT)? was in grammatischer Hinsiclit wichtig ist,
weil sie sich im älteren Hindu! höchst selten nachweisen lässt.
Ad Rahäu. f%% = Sansk. f%^E|II- "^^TT? Wasser,
(= Sansk. «fr^j ist höchst selten im Gebrauch.
Ad V. 2. "^jX ist Locativ , der im alten Hindui bei
Nominibus, die auf u (masc) auslauten, noch sehr häufig ist.
'?5n' (aus daialä zusammengezogen) Part. Perf. ,, gegeben''
(von H»TT) '-) <ii6 alte Form ist J^Tfl (und mit dem Deminutiv-
affix la = "^^ETOT)? die spätere f^^.
XITjRTf^l— "R^^) ist der Ablativ Sing., der im
alten Hindui häufig das Casus-Affix i (i) hat, und mit dem
Locativ nicht zu verwechseln ist. Diese Ablativendung findet
sich noch jezt im Panjabi (l) und im Sindhi, ist aber im
Hindi verschwunden.
^Tj Part. Perf. von ^»TTj abgekürzt aus T^^^H?
was in Prosa nicht zulässig ist.
Historische Classe.
Sitzung vom 4. Januar 1879.
Herr v. Hefner-Alteneck hielt einen Vortrag:
über die Porträtähnlichkeit in denAbbil-
dungen historischer Persönlichkeiten.
Sitzung vom 1. Februar 1879.
Herr Maurer trug vor:
„Die ärmenn des alt nor wegischen Rechtes."
Die ältere ^Emterverfassung Norwegens ist
insoweit eine ungemein einfache, als es nur sehr wenige
iEmter sind, welche uns für die ältere Zeit genannt werden.
Neben den lögmenn , welche wenigstens seit dem 12. Jahr-
hundert mit einiger massen deutlichen Umrissen gezeichnet
hervortreten, sind es nur die lendirmenn, die syslumenn
und die ärmenn, dann, was die Städte betrifft, deren
gjaldkeri, welche als weltliche Bezirksbeamte in Betracht
kommen. Aber zu einem klaren Einblick in die Zustände
des öffentlichen Dienstes zu gelangen ist trotz dieser schein-
baren Einfachheit dennoch sehr schwer. Die Rechtsquellen
sowohl als die Geschichtsquellen besprechen nirgends die
Stellung und die Zuständigkeit der einzelnen jEmter eigens
und eingehend ; sie setzen dieselbe vielmehr stets als bekannt
voraus, sodass sie uns immer nur einzelne, gelegentliche An-
deutungen an die Hand geben, aus welchen wir uns ein
Gesammtbild erst zusammenzusetzen haben. Die Zuständig-
keit der verschiedenen Beamten wird ferner nicht selten als
eine alternative bezeichnet, sodass je nach Umständen eine
und dieselbe Amtshandlung bald von dem einen, bald von
dem andern Beamten vorgenommen werden konnte, wobei
[1879. I. Philos.-philol..hist. Cl. 1.] 4
50 Sitzung der pMos-philöl. Classe vom 1. Februar 1879.
dann erst noch zu bestimmen bleibt, von welchen Voraus-
setzungen das Eingreifen des einen oder andern unter ihnen
bedingt erschien. Ueberdiess werden vielfach Bezeichnungen
von allgemeinerer Bedeutung in den Quellen gebraucht, be-
züglich deren dann erst festzustellen kommt, welche Classe von
Beamten in jedem einzelneu Falle unter denselben zu ver-'
stehen sei, und es kann sogar der Zweifel sich regen, ob die
Ausdrücke lendr ma5r, syslumaÖr, ärmaÖr nicht etwa selbst
allgemeinerer Art sind, und somit je nach Umständen für
Beamte sehr verschiedener Art verwendet werden können.
Ich will nun, nachdem ich bei anderer Gelegenheit bereits
die norwegischen lögmenn behandelt habe ^), für heute die
ärmenn oder Vögte zum Gegenstande meiner Betrach-
tung machen, in der Hoffnung, einer späteren Darstellung
der gesammten ^mterverfassung Altnorwegens damit den
Weg zu ebnen. Ich bemerke aber dabei, dass ich meine
Untersuchung auf die Zeit der Provincialrechte beschränken,
und dass ich bei derselben wesentlich die Rechtsquellen zu
Grunde legen werde, weil bezüglich der Geschichtsquellen
gutentheils zweifelhaft bleiben muss, wie weit deren Angaben
auch wirklich für diejenige Zeit richtig sind, von welcher
dieselben sprechen, oder wieweit solche etwa auf einem nn-
bewussten Zurücktragen der Zustände der Entstehungszeit
der einzelnen Quelle in eine ungleich ältere Vorzeit beruhen.
Auch versteht sich von selbst , dass das gewählte Thema
insoferne nicht ganz erschöpfend behandelt werden kann,
als die Erörterung der Stellung der lendirmenn sowohl als
der syslumenn, welche hier ausgeschlossen ist, seiner Be-
sprechung vielfach erst den erforderlichen Hintergrund geben
könnte. Nach dieser Seite hin gilt es eben für die gesammte
1) „Das Alter des Gesetzsprecheramtes in Norwegen", in der Fest-
gabe zum Doctor-Jubiläum des Hrn. Hofrathes und Professors Dr. Ludw.
A.ndts, S. 1-69 (1875).
Maurer: Die ärmenn des altnorwegischen Rechtes. 51
Untersuchung einen festen Ausgangspunkt zu gewinnen ; ist
dieser erst gesichert, so wird durch weitere Arbeiten leicht
auf der einmal gelegten Grundlage weitergebaut werden
können, während für den ersten Anlauf grössere Beschrän-
kung sich empfiehlt.
Das Wort ärmaSr, um zunächst von diesem aus-
zugehen, erweist sich als eine Zusammensetzung, deren erste
Hälfte nicht ganz sicher zu deuten ist. Man hat bezüglich
derselben eine zweifache Ableitung vorgeschlagen, indem
man entweder an ärr = minister, nuntius, oder aber an
är = annona anknüpfen, und somit ersteren Falls in dem är-
manne einen Dienstmann, letztern Falls dagegen einen Ge-
treideverwalter erkennen wollte. ^) Die letztere Deutung Hesse
sich ja mit der Beschaffenheit des Amtes, wie wir sie kennen
lernen werden, allenfalls wohl in Einklang bringen; sie scheint
mir indessen sprachlich nicht haltbar. „Ar" bezeichnet näm-
lich keineswegs das Getreide als solches, sondern zunächst
das Jahr, dann insbesondere das gute, fruchtbare Jahr, und
weiterhin auch die Fruchtbarkeit eines Jahres selbst, sammt
der durch sie bedingten Wohlhäbigkeit. Von hier aus kann
dann allerdings dem Worte auch die Bedeutung ,, Getreide"
zuwachsen, soferne eben der Segen eines Jahres sich vorzugs-
weise im reichlichen Wachsthume, und in der dadurch be-
dingten Billigkeit des Kornes zu äussern pflegt und in diesem
Sinne kann z. B. die Jömsvikinga saga sagen : ,,letu hlaSa
mörg skip af körne ok annarre gsezku, ok flytja svä är i
Danmörk" ^), wo der gelehrte Propst Arngrimr Jönsson über-
setzt : ,,maxima autem frumenti copia Thyrae reginae consilio
in Daniam qvotannis asportata est." ') Aber auch bei solchem
1) vgl. z. B. Mnnch, det norske Folks Historie, 1, 1, S. 573, Anm. 1 ;
R. K e y 8 e r , Norges Stats-og Retsforfatning 1 Middelalderen, S. 206 ; G u d*-
brandr Vigfüsson, s. v. ärmad'r.
2) cap. 3, S, 8 (FMS., XI).
3) cap. 3, S. 7 (ed. A. Gjessing).
4*
52 Sitzung der phüos.-phüol. Classe vom 1. Fehruaer 1879.
Gebrauche bezeichnet das Wort eben doch nicht das Ge-
treide als solches, sondern nur das Getreide in seinen Be-
ziehungen zur Fruchtbarkeit und Billigkeit des Jahres, so-
dass, „ärmaÖr" von hier aus höchstens der Titel eines Beamten
werden könnte, welchem wie den römischen sediles oder
praBfecti annonae eine cura annonae, d. h. Sorge für gehörige
Getreidezufahr und massige Kornpreise übertragen gewesen
wäre, nicht aber eines Beamten, welchem die Verwaltung
der Güter seines Herrn, und damit freilich auch seiner Korn-
speicher oblag. Um so weniger bedenklich erscheint dagegen
die ersfcere Ableituug. Den Ausdruck „ärr" geben unsere
sämmtlichen neueren Lexikographen übereinstimmend durch :
famulus, minister, mit der Nebenbedeutung : nuntius, legatus,
wider, und es kann keinem Zweifel unterliegen, dass er in
dieser Bedeutung sehr alt ist. Er gehört vorzugsweise nur
der poetischen Sprache an. In zwei Eddaliedern z. B. werden
,,ärar" als von Königen ausgesandte Boten erwähnt,^) und
im Ynglingatal wird derselbe Mann als „Asu ärr*' bezeichnet^
welcher im Prosatext „skösveinn Asu dröttningar" heisst.^)
In der Hervarar saga braucht eine Strophe des K. Humli
den Ausdruck für eines Königs Boten ; ^) eine Strophe des
torbjörn disarskald wendet die Worte „Yggs meS ärum''
auf die Äsen als OSins Diener an ; *) in der Vellekla Einar
skälaglam's werden Häkon jarl's Dienstleute als seine ärar be-
zeichnet,^) und in einem Liede des HallfreSr vandrae5askäld
heisst ein Diener K. Olaf Trjggvason's dessen ärr; ^) an einer
anderen Stelle bezeichnet derselbe Dichter die Dienstleute
1) Helgakv. Hundingsbana, I, 21; Oddrünargratr, 25.
2) Ynglinga s., cap. 53, S. 40.
3) cap. 14, S. 284 (ed. S. Bugge).
4) Skaldskaparm., cap. 4, S. 256.
5) Heimskr. Olafs s. Try ggvasonar, cap. 16, S. 1S6.
6) ebenda, cap. 120, S. 216.
Maurer: Die ärmenn des altnorwegischen Eechtes. 53
desselben Königs als aerir,^) und ebenso nennt, nach einer
Variante wenigstens, ein Lied Hallarstein's die Krieger K.
Sveins von Dänemark. ^j Sighvatr skäld bezeichnet einmal
des heil. Olafs Dienstleute als konungs ärar,^) und braucht
ein andermal serir in der Bedeutung von Krieger ; *) Einarr
Skülason braucht in seinem Geisli das Wort ärr wiederholt
im Sinne von Mann,*) und sehr häufig wird dasselbe in
dichterischen Umschreibungen in gleichem Sinne gebraucht,
wie z. B. morS-ärr von Sighvat skäld, ^) unviggs ärr, d. h.
des Schiffes Mann, von Einarr skälaglam,') hjälm-ärar bei
Arnorr jarlaskäld,^) fura fleygi-ärar, d. h. Pfeile entsendende
Männer, in einer Strophe des J)6rarinn svarti,^) und änlich
ärar flein {>eyrs, d. h. die Männer des Pfeilsturmes bei Einarr
Gilsson,^^) u. dgl. m. Auch die kirchliche Dichtung hat
sich das Wort in eigenthüml icher Weise angeeignet. In
der Olafsdräpa Tryggvasonar , welche die Bergsbök enthält
und dem HallfreSr vandraeSaskäld zuschreibt, welche jedoch
nach Gu8brand Vigfüsson „späteren Ursprungs und nicht
von Hallfre8'' ist,^^) wird der Ausdruck guSs ärr für den
Diener des christlichen Gottes gebraucht, gleichviel übrigens,
ob dabei an K. Olaf selbst, oder an einen seiner Kleriker
gedacht werden wollte, ^^) und in der Placidus dräpa, welche
1) FMS. III, cap. 256, S. 6.
2) ebenda, II, cap. 250, S. 312.
3) Heimskr. Magnus s. god'a, cap. 9, S. 521.
4) ebenda, Olafs s. ens helga, cap. 238, S. 490.
5) Str. 23 und 40 (ed. Cederschiöld).
6) Heimskr. Olafs s. ens helga, cap. 50, S. 255.
7) Jomsvikinga s., cap. 45, S. 144.
8) FMS. VI, cap. 78^ S. 318.
9) Eyrbyggja, cap. 22, S. 35.
10) Selkollu-Yisur, 17; in Arngri'ms GuäTmundar bps s.,
cap. 43, S. 86.
11) vgl. Pornsögur S. XIII.
12) Str. 9. (ed. Sveinbjörn Egilsson).
54 Sitzung der philos.-phüol. Classe vom 1. Februar 1879.
eher dem Schlüsse des 12. als dem Anfange des 13. Jahr-
hunderts angehören dürfte, wird einmal ärr engla styris
im Sinne von Knecht Gottes gebraucht, während freilich ein
andermal ausgeschickte Boten menschlicher Herren ebenfalls
als serir bezeichnet werden ^); umgekehrt braucht Abt Arn-
grimr in seiner GuSmundar drapa den Ausdruck „ärar fjända''
für die Boten des Teufels.^) Ungleich seltener nur wird das
Wort in prosaischen Werken gebraucht, und zwar in diesen,
soviel ich sehe, immer nur in dem durch die Kirche fest-
gestellten Sinne. Einerseits nämlich findet sich die Bezeich-
nung als serir und höfuSserir bereits in der alten islän-
dischen üebersetzung der Homilien P. Gregors des Grossen
für die Engel und Erzengel gebraucht,^) und die hier ge-
gebenen Auseinandersetzungen zeigen, dass diese eben nur
insoferne mit jenem Namen belegt werden wollten, als sie
als Boten Gottes verwendet wurden, sodass also nur das
griechische ayye^og durch das Wort übersetzt werden Avollte ;
andererseits aber ist bereits in den jüngeren Bearbeitungen
der Olafs saga Tryggvasonar von dem Oberteufel ,,me8 sin um
arum ok erendrekum" die Rede,*) und in der Magnüss saga
berfaetta, sowie einer ihr verwandten Quelle werden ,,fjändinn
ok hans ärar" genannt,^) und wenn zwar der erstere Gebrauch
des Wortes für eine ungleich frühere Zeit bezeugt ist, so
hat sich dasselbe dafür nur in dem letzteren Sinne in dem
jüngeren Sprachgebrauche Islands erbalten. Auf den von
den hervorragendsten Autoritäten angenommenen Zusammen-
1) Str. 25 und 35 (ed. Sveinbjörn Egilsson).
2) Str. 28, in den Biskupa sögur II, S. 193.
3) ;&orvaldur Bjarnarson, Leifar fornra kristinna frse^a fslenz-
kra, S. 60 — 64, auch in das Horailienbuch der Stockholmer Membrane
nr. 15 in 4. übergegangen, S. 40 und 88 (ed. Wisen).
4) PMS., II, cap. 196, S. 137; Flbk., I, cap. 304, S. 375.
5) FMS., VII, cap. 19, S. 37; Gunnlaugs Jons bps s., cap. 11»
S. 228.
Maurer: Die drmenn des altnorwecjischen Rechtes. 55
hang des Wortes mit dem gothischen äirus, womit Wulfila
ebenfalls ayyeXog übersetzt, altsäcbsisch eru, angelsächsisch
är und aerende , altnordisch erendi, u. s. w. weise ich nur
im Vorübergehen hin ; *) auch dieser Zusammenhang führt
auf die Grundbedeutung : Diener, Bote, zurück , indem er
zugleich das hohe Alter des Wortes in dieser seiner Grund-
bedeutung feststellt. Für die Zusammensetzung „ärmaÖr"
ergibt sich aber durch diese etymologische Erörterung ledig-
lich ein negatives Resultat, der Satz nämlich, dass das Wort
nur das Dienstverhältniss der betreffenden Person als solches
bezeichnet, ohne dessen besonderen Charakter irgendwie an-
zudeuten; höchstens könnte man allenfalls eine beiläufige
Hindeutung auf deren Verwendung zu Botendiensten in dem
Worte ausgesprochen finden, wenn man überhaupt auf diese,
nicht überall hervortretende, besondere Färbung des Aus-
druckes Werth legen zu sollen glaubt.
Mit diesem Ergebnisse stimmt aber die andere Thatsache
recht wohl überein, dass in den Quellen mehrfach auch an-
dere, ebenso wenig bestimmte Ausdrücke gebraucht werden,
theils um die ärmenn selbst zu bezeichnen, theils um,
über dieselben hinausgreifend, sie doch wenigstens neben
anderen Beamten mit zu umfassen. Auf diese soll hier noch
ein Blick geworfen werden, wobei jedoch vorzugsweise der
Sprachgebrauch der Rechtsquelleu ins Auge gefasst werden
soll, als von welchen man noch am Ersten einige Genauig-
keit des Ausdrucks erwarten darf.
In den G{>L. werden einmal „I>eir yfirsöknarmenn,
er {)ar eigu syslur baeSi af konüngs hendi ok biskups" ge-
nannt.^) Die gleichzeitige Beziehung des Ausdruckes auf
Beamte des Königs und des Bischofs zeigt, dass unter dem-
1) vgl. z.B. Jak. Grimm, Deutsche Grammatik, I, S. 458 (ed. 3) ;
Lor. Diefenbach, Vergleichendes Wörterbuch der gothischen Sprache,
I, S. 24—25; Grein, Sprachschatz, I, S. 34 u. 70, u. dgl. m.
2) GJL. § 30.
56 Sitzung der philos.'pMlol. Classe vom 1. Februar 1879.
selben entweder nur die ärmenn als die einzigen Beamten
zu verstellen sind, welche ganz gleichmässig im Dienste des
Königs und der Bischöfe vorkommen , oder dass das Wort
wenigstens dieselben mitumfassen muss, wenn es auch viel-
leicht zugleich auch noch ganz andere Beamte neben jenen
in sich begreift, also in ziemlich untechnischem Sinne stehen
mag. Die Vergleichung anderer Stelleu dürfte das Letztere
wahrscheinlicher machen. In denselben Gt)L. wird nämlich
einmal einem Vogte „yfirsökn i {)vi fylki" zugeschrieben,^)
ein andermal aber von einem ,,len8r maSr eSa ärma8r, sä
er ättüng hefir at yfirsökn", gesprochen,^) während in den
FrJ>L. einmal der Ausdruck: ,,ärma6r ok yfirsöknarmenn*'
gebraucht wird ; ^) es kann also mit dem Worte ebensowohl
der ärmaSr als solcher bezeichnet werden, wie der höhere
Beamte zugleich mit dem ärmanne, oder wieder der höhere
Beamte im Gegensatze zu diesem. In der That ist denn
auch der Gebrauch des Wortes in den isländischen Rechts-
quellen sowohl als in den Geschichtsquellen ein ganz ebenso
schwankender. Im älteren Christenrechte Islands wird als
yfirsökn einmal die Gewalt des Bischofs über seine Diöcese
bezeichnet,*) während in einem Erlasse, welchen Erzbischof
Eirikr im Jahre 1190 an die Insel richtete, umgekehrt
die weltlichen Häuptlinge im Gegensatze zu den Klerikern
als yfirsöknarmenn bezeichnet werden. ^) In geschicht-
lichen Werken aber wird einmal erzählt, wie K. Haraldr
härfagri dem Hrollaugr das Naumdoelafylki „at yfirsökn''
gab, als er ihn zu seinem Jarle machte,®) oder wie [>orfinnr
1) ebenda, § 271.
2) ebenda, § 301.
3) PrjL., V, § 13.
4) Kgsbk., §4, S. 18; Kristinrettr hinn gamli, cap. 13, S.60.
5) Diplom. Island., I, nr. 72 S. 291: H er l&t aftekit, at hinn
sami mad'r se yfirsoknarmaarr ok kenniraad"!, ok firir J)vf bjod'um ver
biskupum at vigja eigi pi menn er go^ovtf hafa.
6) Flbk, I, cap. 462, S. 572.
Maurer: Die ärmenn des altnorwegischen Bechtes. 57
in früher Jugend von seinem mütterlichen Grossvater, dem
Schottenkönige Maelkolm, ,,jarlsuafn ok Katanes til yfir-
soknar" erhielt^), dann v^ie Finur Arnason vom Dänenkönig
Sveinn ülfsson ,,jarld6m ok Hailand til yfirsöknar'' zugetheilt
bekam. ^) Etwas ^nliches mag auch gemeint sein , wenn
von den Eirikssöhnen berichtet wird , wie sie zuerst grosse
„veizlur" in Dänemark erhielten, und wie dann später
Häkon jarl dem Dänenkönige anräth, einem von ihnen, dem
Haraldr gräfeldr, „land ok len {)at sem {>eir höf8u fyrr her
i Danmörk,'' neuerdings anzutragen , worauf dann dieser
ihm sofort wirklich „veizlur svä sem f)eir brseSr höfSu fyrr
hafSar i Danmörk'* anbietet, während das Volk in Norwegen
von der in Dänemark herrschenden Fruchtbarkeit für sich
das Beste hofft, ,,ef Haraldr konüngr fengi {)ar len ok yfir-
sökn;*'^) die Gewalt eines Jarles, oder doch eine dieser an-
hebe muss wohl durch die gebrauchten Ausdrücke bezeichnet
werden. Anderwärts wird aber auch wieder berichtet, dass
K. Haraldr härfagri seinem Sohne GuSröSr ,,yfirsökn I>ar
sem kallat er Raumariki, at verja land fyrir vikingum Dönum
ok Gautum" verliehen habe, während Olafr GeirstaSaälfr
„hafSi yfirsökn ä Vestfold,*' welcher doch den Königstitel
führte ^) ; umgekehrt dagegen heisst es auch wider von einem
Manne Namens Björn, dass er „ärmenning ok syslu ä ofan-
ver8ri HeiSmörk" erhalten, und zugleich „yfirsökn i Eystri-
dali" gehabt habe,^) worunter doch nur die Gewalt eines
ärmanns oder eines änlichen Unterbeamteu verstanden werden
kann. In den Geschichtsquellen sowohl als in den Rechts-
1) ebenda, II, cap. 339, S. 404; Orkney inga s., S. 28.
2) Heimskr. Haralds s. hard'räd'a, cap. 55, S. 587.
8) Heimskr. Häkonar s. g6d*a, cap. 10, 5. 89, dann Olafs
s. Try ggvasonar, cap. 10, S. 132, und cap. 11, S. 133.
4) Flbk., I, cap. 464, S. 576; vgl. IL cap. 1, S. 3, cap. 5, S. 6'
n. dgl. m.
5) Heimskr. Olafs s. helga, cap. 173, S. 432.
58 Sitzung der pMlos.-philol. Classe vom 1. Februar 1879.
quellen bezeichnet demnach der Ausdruck yfirsökn lediglich
die Regierungsgewalt als solche, und kann derselbe somit
ganz ebensogut für die Gewalt eines Königs oder Jarles,
Landherrn, Bischofs oder Goden, als für die eines königlichen
oder bischöflichen Vogtes gebraucht werden. — In einem
änlich unbestimmten Sinne wird ferner auch wohl der Aus-
druck konüngsmenn gebraucht. Die G{>L eröffnen dem
Herrn eines unfreien, welcher wegen der Aussetzung seines
Kindes geprügelt werden soll, die Wahl, ob er diess selbst
besorgen lassen, oder ob er den Sklaven zum Vollzuge der
Strafe den konüngsmenn überliefern wolle ^) ; die Fr|>L
aber verwenden das Wort als gemeinsame Bezeichnung für
alle königlichen Beamten, sei es nun gegenüber den Be-
amten des Erzbisch ofes^) oder gegenüber den Bauern^). Hier
wie dort sind demnach die lendirmenn, syslumenn und är-
menn des Königs unter dem Ausdrucke ganz gleichmässig
inbegriffen ; anderwärts aber wird derselbe sogar noch in
viel weiterem Sinne gebraucht. Der Königsspiegel bezeichnet
z. B. als konüngsmenn die gesammte Hofdienerschaft des
Königs*), daneben aber auch die ,,er gaeta skulu landstjörnar
undir konüngi", also die königlichen Beamten^); in der
Eigla bezeichnet das Wort gelegentlich den königlichen
Gefolgsmann ^) , während andere Male dahingestellt bleiben
muss, ob dasselbe nicht noch über den Kreis der Gefolgs-
leute hinaus auch noch alle anderen Untergebenen des
Königs mit umfasse^); in der Schlacht bei StiklastaSir gilt
1) GlL. § 22.
2) FrjL. HI, § 24.
3) ebenda XIV, § 8.
4) Konüngssk., § 26, S. 58; § 27, S. 59.
5) ebenda, § 36, S. 77.
6) Eigla, cap. 5, S. 8.
7) ebenda, cap. 14, S. 26; cap. 44, S. 86.
Maurer: Die drmenn des dltnorwegischen Rechtes. 59
der Ruf: „fram , fram, kristmenn , krossmenn , konüugs-
menn" ^), so dass also hier der letztere Ausdruck die sämmt-
lichen unter des Königs Fahnen kämpfenden Krieger, und
keineswegs bloss dessen Dienstleute bezeichnen muss, u.
dgl. ra. — Widerum kommt der Ausdruck umboSsmaSr
in Betracht , welcher indessen zu verschiedenen Zeiten in
etwas verschiedener Weise gebraucht wird. In den Pro-
vincialrechten wird derselbe zunächst für Bevollmächtigte
von Privatleuten gebraucht, also z. B. für denjenigen, wel-
cher mit dem Empfang von Geld oder Geldeswerth für einen
Anderen beauftragt ist,^) oder für denjenigen, welchem ein
Grundeigenthümer seine Vertretung in Bezug auf alle dem
Grundeigenthume anklebenden Rechte und Pflichten über-
tragen hat; 3) auch wird die Vollmacht zur gerichtlichen
Vertretung eines Andern als umboS bezeichnet,*) und für
die Ertheilung einer Vollmacht das Zeitwort bjö8a um ver-
wendet.^) Dagegen wird nur einmal in der Einleitung, welche
K. Häkon gamli den Fr{>L. vorangestellt hat, von umbo8s-
menn konüngs in einer Weise gesprochen, welche zeigt,
dass darunter die syslumenn sowohl als die ärmenn des
Königs verstanden werden wollen ; ®) in dem Texte dieses
Rechtsbuches dagegen ist nur einmal von einem umbo8s-
manne die Rede, welchen der königliche Vogt für sich
selber bestellt, wenn er gleichzeitig zu einem örvar{)inge
und zu einem väpna{>inge sich einzufinden hätte,') und be-
1) Heiraskr. Olafs s. helga, cap. 216, S. 473, und cap. 238,
S. 489.
2) G5L , § 32; FrJL., V, § 9 u. 46.
3) FrI.L., II, § 23; XI, § 15; XIV, § 1-5; BjarkR. III, § 144.
4) Frl.L., X, § 29; BjarkR. III, § 160.
5) G5L., § 47, 277, 286, 287; FrJL. XI, § 7.
6) FrIL., Einleitung, § 12.
7) Fr>L., X, § 3.
60 Sitzung der philos.-philol. Classe vom 1. Februar 1879.
zeichnet der Ausdruck hier somit nur den Bevollmächtigten
eines ärmanns, ganz wie er sonst den Bevollmächtigten
irgend eines Privatmannes zu bezeichnen pflegt. In den
späteren Rechtsquellen stellt sich dagegen der Gebrauch
des Wortes etwas anders. In den Landslög z. B. kommen
zunächst auch wider umbo8smenn von Privatleuten oft genug
in Betracht, möge es sich nun dabei um einen Bevoll-
mächtigten zum Geldempfange, ^) oder zum Zahlen von
Geld, ^) oder zur Vertretung vor Gericht, ') oder zur Ver-
waltung von Grundeigenthum*) handeln, und auch der Aus-
druck umboS für die Privatvollmacht, ^) oder bjoSa um für
deren Ertheilung ^) wird hier wie in den älteren Quellen
gebraucht. Ebenso wird als umbo8sma8r auch in den
Landslög hin und wider der Bevollmächtigte bezeichnet,
welchen ein Beamter zur Vorname von Functionen aufstellt,
welche vorzunehmen er selber verhindert ist ; ^) daneben
aber wird nunmehr von umbo5smenn des Königs sehr häufig
gesprochen, und zwar in einer Weise, welche deutlich zeigt,
dass unter dieser Bezeichnung die ärmenn der älteren
Quellen, welche nunmehr nur noch ungleich seltener ge-
nannt werden, wenn nicht allein, so doch wenigstens mit
zu verstehen sind. Ohne mich auf die genauere Prüfung
dieses späteren Sprachgebrauches hier einlassen zu wollen,
bemerke ich nur, dass an mehreren Stellen der Landslög,
an welchen einzelne Hss. den ärmann nennen, andere dafür
1) I>ingfb. § 8; Mannh. § 29; Kaupab. § 2.
2) Kanpab. § 3 u. 20.
3) {>fngfb. § 9, wo indessen eher an eine volle Vermögensver-
waltung zu denken sein möchte, u. § 11; Landabrb. § 13.
4) Landabrb. § 15u. 17; Landsleigub. § 1, 19,26,47 u. 55.
5) Landabrb. § 17; Landsleigub. § 26; Kaupab. § 8.
6) Kaupab. § 8 u. 14.
7) t)ingfb. § 1, Mannh. § 8.
Maurer: Die drnienn des altnorwegisehen Bechtes. 61
den umboSsmann konüngs erwähnen/) während an ungleich
mehreren anderen jenes Gesetzbuch den umboSsmann nennt,
wo die seinen Bestimmuugen zu Grunde liegenden älteren
Quellen vom ärmanne gesprochen hatten. Im älteren isländi-
schen Rechte scheint das Wort nicht gebräuchlich gewesen
zu sein, und dessen isolirte Verwendung für eine Privat-
vollmacht in der StaSarholsbök^) aus norwegischem Einflüsse
erklärt werden zu müssen ; in den neueren Rechtsquellen
der Tnsel, von der JärnsiSa und dem Christenrechte B. Arnims
ab, findet es sich natürlich ganz ebenso gebraucht wie im
späteren norwegischen Rechte. In den Geschichtsquellen
aber wird bald die privatrechtliche Vollmacht als umboS
bezeichnet, 3) bald die vom Könige übertragene Gewalt über
gewisse Bezirke, wie sie etwa Landherrn anvertraut war,*) und
als umboSsmaSr mag darum bald der Bevollmächtigte einer
Parthei im Processe,^) bald der Bedienstete eines Klosters,^)
bald auch der königliche Beamte bezeichnet werden, dessen
Beruf es ist, Rechtssachen des letzteren zu verfolgen;^) nur
in diesem letzteren Sinne gehört der Ausdruck hieher, aber
zu dieser engeren technischen Verwendung scheint derselbe
auch nach den Geschichtsquellen erst in ziemlich später
Zeit gelangt zu sein. — Ungleich häufiger wird dagegen in
den älteren Rechtsquellen von erindrekar konüngs,
1) l>fngfb. § 2, S. 13, Anm. 16, u. S. 14, Anna. 5; Landslei gub.
§ 11, S. 111, Anm. 26.
2) Landabrb., cap. 63, S. 374; in Kgsbk., § 215, S. 130.
fehlen die entsprechenden Worte.
3) Eigia, cap. 79, S. 191 ; Svarfdsela, cap. 25, S. 184; Häk-
onar s. gamla, cap. 196, S. 458.
4) Eigla, cap. 5, S. 8; Heiraskr. Olafs s. helga, cap. 116
S. 341.
5) Häkonar s. gamla, cap. 6, S. 243.
6) FMS. III, cap. 283, S. 61.
7) ebenda, VI, cap. 19, S. 33.
62 Sitzung der philos.-philol. Ölasse vom 1. Februar 1879.
oder auch von erindrekar biskups gesprochen , also
von Boten des Königs oder des Bischofs, und dieser Aus-
druck scheint in der That schon frühzeitig eine gewisse
technische Geltung erlangt zu haben. Das Wort erendi
(erindi, örindi, eyrendi) wird in den Rechtsquellen selbst im
Sinne von Geschäft gebraucht, jedoch immer nur mit der
Modalitset, dass dabei eine auswärtige Besorgung, und somit
eine Bewegung von Ort zu Ort im Spiele ist ; in diesem
Sinne wird z. B. dem Richter ein vorübergehendes Verlassen
des Gerichtes während der Sitzung unter der Voraussetzung
gestattet, dass er ein nau8synja erindi, d. h. noth wendiges
Geschäft zu verrichten hat,*) oder demjenigen, welcher sich
unter verdächtigen Umständen von einem Gelage entfernen
will, ein „segja til erendis'S d. h. Angeben des Grundes
seiner Entfernung zugemuthet. ^) In den geschichtlichen
Quellen ist dieser Gebrauch des Wortes ein ungemein
häufiger, und selbst die Zusammensetzung nauSsynja erindi
lässt sich in ihnen in ganz änlichem Sinne wie dem soeben
angeführten nachweisen ; ^) erendreki aber bezeichnet von
hier aus denjenigen, welchem die Verrichtung auswärtiger
Geschäfte, das üeberbringen von Botschaften, u. dgl. obliegt.
Ich habe oben bereits erwähnt, dass zwischen den Wörtern
erendi und ärr ein etymologischer Zusammenhang zu be-
stehen scheint, und auch schon eine Stelle nachgewiesen,
an welcher von „ärar ok erindrekar" des Teufels gesprochen
wird ; ich darf dem nunmehr beifügen, dass nicht nur auch
anderwärts für die Boten des bösen Feindes die Bezeichnung
erindrekar nicht eben selten verwendet wird , sondern dass
auch auf dem Rechtsgebiete zwischen dem ärmaSr and dem
erindreki, sei es nuu des Königs oder des Bischofes der
1) 0{>L. § 37.
2) ebenda, § 157.
3) vgl. z. B. Kondngssk. § 63, S. 155.
Maurer: Die ärmenn des altnorwegischen Rechtes. 63
engste Zusammenhang besteht. In der ersteren Beziehung
weise ich darauf hin, dass in den Landslög des K. Magnus
lagaboetir einmal die Worte „me5 fjändanum ok hans erend-
rekom'^ gebraucht werden,^) und zwar an einer Stelle, an
welcher das revidirte Christenrecht des Gula{>inges desselben
Königs und dessen JärnsiÖa lesen „meS diöflum i helviti ok
hans englum;'' ^) ein ganz gleicher Gebrauch des Wortes
zeigt sich ferner in Quellen kirchlichen Ursprunges wie z. B.
der Barlaams ok Josaphats saga,^) während in ihnen anderer-
seits auch die Bezeichnung erindreki gu5s für hervorragende
Diener Gottes gebraucht wird.*) In der zweiten Bezieh-
ung dagegen ist das Verhalten der verschiedenen Rechts-
quellen ein verschiedenes, und scheint es sich zu verlohnen,
dieser Verschiedenheit nachzugehen. In den Landslög finde
ich die Bezeichnung erendreki überhaupt nicht als x^mts-
titel gebraucht, und in den Yr^h. nur an einer einzigen
Stelle, an welcher zweimal hinter einander der ,,ärraa5r e6a
erendreki konungs*' als im Namen des Königs vor Gericht
auftretend genannt wird,^) ohne dass sich mit Bestimmtheit
erkennen Hesse, ob beide Bezeichnungen unterschieden, oder
ob sie tautologisch gebraucht werden wollen. Ziemlich
häufig wird dagegen der erendreki in den G{>L. genannt,
und zwar in einer Weise, welche es nothwendig macht,
zwischen den verschiedenen Redactionen dieses Rechtsbuches
zu unterscheiden, und überdiess die späteren Bearbeitungen
seines Textes in dem revidirten Christenrechte für das Gula-
Mng , und in dem sogenannten Christenrechte K. Sverrirs
1) Kristindb., § 1, S. 23.
2) neuerer G{>KrR., § 1, S. 307; Järnsid-a, Kriatindb.,
§ 1, § 12.
3) cap. 58, S. 52; cap. 158, S. 157, mit Anm. 2.
4) Clemens s., cap. 5, S. 131 (Postola sögur, edd. Unger)/
Stjorn, cap. 274, S. 524.
5) Fr{)L, XIV, § 7.
64 Sitzung der philos.-jphüol. Classe vom 1. Februar 1879.
zur Vergleichung mit heranzuziehen. Nach einer Stelle,
welche ausschliesslich der Olaf'schen Recension des Rechts-
buches eigen ist, sind an den erendreki konüngs gewisse
Geldstrafen zu entrichten, welche wegen Nichterfüllung be-
stimmter Leistungen an den Bischof und dessen Beamten
fällig werden, ^) und eine ganz änliche Vorschrift kehrt noch
an einer weiteren Stelle wider, welche unbezeichnet ist,
und darum wohl beiden Redactionen gleicbmässig angehören
mag; ^) in das revidirte Cbristenrecht des GulaMuges sind
beide Stellen nicht übergegangen, wohl aber in das Christen-
recht K. Sverrirs, jedoch in dieses nur mit einer interes-
santen Veränderung. ^) An der zuerst erwähnten Stelle
nämlich wird in dieser Compilation ausnamslos der ärma5r
biskups anstatt des erendreki konüngs genannt ; an der
zweiten Stelle dagegen wird zunächst für die Worte : „I)ä
sekjask {)eir at 3. aurum hverr J)eirra vi8 erendreka kon-
üngs", ebenfalls gesetzt: „l>ä sekjaz {>eir aurum 3. viS är-
mann hvärr t)eirra biskupi,'' sodann aber freilich für die
Worte: „l)ä sekizt hann at aurum 12. vi8 erendreka kon-
üngs'* gelesen: ,,{>ä sekiz hann at aurum 12. vi5 ärmann
konüngs". Es hat demnach der Compilator nicht nur den
bischöflichen Beamten an die Stelle des königlichen gesetzt,
sondern auch die Bezeichnung ärmaSr für die Bezeichnung
erendreki eingestellt, und wenn derselbe zwar bei dieser
seiner Correctur keineswegs vollkommen consequent verfuhr,
so hat er sich doch in dieser Beziehung keiner grösseren
Inconsequenz schuldig gemacht, als welche er sich auch be-
1) G{>L., § 9; in Fragm. C. ist die Stelle defect, die fragliche
Bezeichnung aber doch einmal erhalten.
2) G{)L., § 83; in Fragm. C nicht erhalten.
3) Sverris KrR., § 8 u. 91; vgl. meine: Studien über das
sogenannte Christenrecht König Sverrirs, S. 67 u. 69—70, in der : Fest-
gabe zum Doctor-Jubilseum des Herrn Professors Dr. Leonhard von Spengel.
(1877.)
Maurer: Die ärmenn des ältnorwegischen Bechtes. 65
züglich so mancher anderer Umgestaltungen seiner Vorlagen
erlaubte. Weiterhin soll nach den Gf)L. dem erendreki kon-
üngs auch die Busse zufallen, welche Jemand durch wider-
rechtliche Verweigerung des kvöSuvitni, oder auch durch
den Verlust einer Streitsache am lög{>inge verwirkt, welche
an einem unteren Gericht verwettet worden war,^) sowie
auch die Busse, welche derjenige verwirkt, der widerrecht-
lich sich weigert die dömfesta vorzunemen ; *) der Inhalt
beider Stellen lässt dabei vermuthen , dass dieselben doch
wohl schon der älteren Redaction des Rechtsbuches ange-
hört haben mögen , wenn sich auch ein völlig sicherer Be-
weis für diese Vermuthung nicht erbringen lässt, da beide
in dem die reine ältere Redaction enthaltenden Fragmente C.*)
nicht überliefert sind, und überdiess, weil nicht kirchen-
rechtlichen Inhalts, auch nicht in die K. Sverrirs Namen
tragende Compilation aufgenommen wurden. Aber auch
von erendrekar biskups wird in den G^L. sehr häufig ge-
sprochen , *) während von ihnen in den Frf>L. schlechter-
dings nicht die Rede ist, und zwar wird von den 8. hieher
gehörigen Stellen eine ausdrücklich als der Olaf sehen Re-
daction angehörig, und in der Magnüs'schen durch einen
ganz anderen Text ersetzt bezeichnet, ^) während 3 andere
in Fragm. C. erhalten sind, also sicherlich ebenfalls bereits
jener- älteren Redaction angehörten;^) die 4 übrigen Stellen
dagegen werden zwar, ausdrücklich oder stillschweigend, auf
die beiden genannten Könige ganz gleichmässig zurückge-
führt , aber auch diese Bezeichnung kann eben doch nur
1) G|)L. § 266.
2) ebenda, § 268.
3) vgl. meine Abhandlung: über die Entstehungszeit der älteren
GulaJ>ingslög, S. 142.
4) GI>L., § 9, 11, 20, 22, 24, 28, 30, 33.
5) § 9, ebenda; in Fragm. C. nicht enthalten.
6) § 11, 20 u. 22, ebenda.
[1879. L Philos.-philol.-hi8t. GL 1.] 5
^ß Sitzung der philos.-philol. Classe vom 1. Februar 1879.
dahin verstanden werden, dass die betreffenden Bestimm-
ungen unverändert aus der älteren Redaction des Rechts-
buches in die neuere berübergenommen wurden. Dabei ist
beachtenswerth, dass an mehreren der hierher gehörigen
Stellen , und darunter an einer , welche ausdrücklich der
Olaf sehen Redaction zugewiesen wird, und an einer zweiten,
welche auch in einem Bruchstück einer selbstständigen Com-
pilation aus beiden Redactionen erhalten ist, *) die Bezeich-
nungen biskups arma6r und erendreki mit einander wechseln ;
beachtenswerth ferner, dass nicht nur an den Stellen, welche
aus unserem Rechtsbuche in die Revision des Christenrechtes
des Gulal>inges , welche K. Magnus lagaboetir veranstaltete,
übergegangen sind, stets der ärmaSr für den erendreki bisk-
ups eingestellt sich findet , ^) sondern dass das Gleiche der
Regel nach auch von dem Christenrechte K. Sverrir's zu
sagen ist,^) wogegen allerdings ausnamsweise an zwei Stellen
die Bezeichnung des bischöflichen Vogtes als erendreki aus
den Gl)L. in diese letztere Compilation berübergenommen
wurde.*) Aus allen diesen Thatsachen möchte man den
Schluss ziehen, dass nur die ältere Zeit die Bezeichnungen
ärmaSr und erendreki für die Vögte des Königs und des
Bischofs abwechselnd gebraucht habe , während die spätere
Zeit den letzteren Titel völlig habe fallen lassen; indessen
darf dabei doch nicht übersehen werden, dass auch schon
die B{»L und die E{>L. ausschliesslich von ärmenn sprechen,
1) § 9, 20, 22, 30, 33, ebenda; vgl. Fragm. C. zu § 9 und
Fragm. E. zu § 30.
2) vgl. neuerer G 5 Kr R. § 12 u. 31 mit G{>L. § 11 u. 24.
3) vgl. Sverris KrR. § 8, 12, 32, 77, 78, 90 mit G{)L. § 9,
11, 20, 22, 28 ; aus Gl)L. § 24 ist die hieher gehörige Stelle in Sverris
KrR. § 58 überhaupt nicht übergegangen.
4) vgl. Sverris KrR. § 80 u. 91, mit G{>L. § 31 u. 33. Ich
habe übrigens auf den Punkt bereits in meinen Studien zum Christen-
rechte K. Sverris, S. 67 aufmerksam gemacht.
Maurer: Die drmenn des altnorwegischen Hechtes. 67
und niemalen den Ausdruck erendreki als gleichbedeutend
gebrauchen.^) Man wird diesem Verhalten der beiden Rechts-
bücher gegenüber, welche doch zu den ältesten vorhandenen
zählen, kaum daran denken dürfen, jenen Wechsel im
Sprachgebrauche mit einer Veränderung im königlichen und
bischöflichen Dienste in Verbindung zu bringen, und allen-
falls die Vermuthung zu wagen, dass es in der älteren Zeit
dem Könige sowohl als den Bischöfen überlassen geblieben
sei, ihre Bevollmächtigten bleibend oder vorübergehend be-
liebig zu wählen, und dass sich später erst der Gebrauch
festgestellt habe, zu gericbtlichen und administrativen Func-
tionen gerade die ärmenn zu verwenden, während diese vor-
dem auf einen anderen Beruf, wie etwa die Verwaltung der
Güter ihres Herrn beschränkt gewesen wären. Dagegen
wird man sich daran erinnern dürfen, dass das Wort erend-
reki vermöge des etymologischen Zusammenhanges sowohl
als der Art seines Gebrauches mit ärr, ärmaSr vollkommen
identisch genommen werden kann ; ohne auf irgend eine be-
stimmte Art von Verrichtungen hinzudeuten , können beide
Ausdrücke ganz gleichmässig Jeden bezeichnen , der eines
Anderen Geschäfte verrichtet oder Botschaften überbringt,
und es ist demnach recht wohl denkbar, dass von Anfang
an beide Bezeichnungen als völlig gleichbedeutende gebraucht
worden wären, und erst hinterher der eine den anderen, in
verschiedenen Gegenden zu verschiedener Zeit, aus dem Ge-
brauche verdrängt hätte. Mag sein , dass die sich ein-
bürgernde Verwendung des Ausdruckes ärr für den Engel
5) Dass in B{>L. II, § 6 einmal von einem syslumad'r biskups die
Rede ist, halte ich für gänzlich bedeutungslos. Die Parallelstellen I,
§ 15 u. III, § 6 setzen dafür übereinstimmend ärmad'r, und auch in II,
§ 6 selbst wird bei einer zweiten Erwähnung des Bediensteten der letz-
tere Titel gebraucht, so dass der erstere nur auf einem Schreibverstosse
zu beruhen scheint.
5*
68 Sitzung der pJiilos.-phüöl. Classe vom 1. Februar 1879.
Gottes einerseits und für den Sendung des Teufels andrer-
seits den Gebrauch dieser Bezeichnung für königliche und
bischöfliche Diener unpassend erscheinen Hess , und dass
man von hier aus zunächst neben einander bald die Zu-
sammensetzung ärmaÖr, bald das synonyme erendreki sub-
stituirte, bis allmälig die erstere Bezeichnung im Gebrauche
die Oberhand erlangte.
Nach diesen einleitenden Bemerkungen mag nun zur
Erörterung der Stellung übergegangen werden, welche
den ärmenn im altuorwe gis c h e n Rechte an-
gewiesen war. In den geschichtlichen Quellen werden
solche schon sehr frühzeitig erwähnt, aber allerdings in
einer Weise, welche über die Beschaffenheit der ihnen über-
tragenen Verrichtungen keinen erschöpfenden Aufschluss
giebt. Schon zur Zeit des Königs Haraldr härfagri werden
uns ärmenn als Verwalter vom Könige eingezogener*) oder
sonst besessener Güter genannt, 2) und wird auch wohl be-
richtet, dass sie für des Königs Unterhalt während der Zeit
zu sorgen hatten, während deren er auf den von ihnen ver-
walteten Höfen seinen Aufenthalt nam. Damit mag es zu-
sammenhängen , dass auch auf Island einmal von dem är-
manne eines der ersten Einwanderer gesprochen werden
kann , ^) des Geirmundr heljarskinn nämlich , eines Klein-
königs aus HörÖaland oder Rogaland, welcher insoweit offen-
bar norwegische Zustände nach Island übertragen hatte;
auch in diesem Falle erscheint der ärmaSr als Verwalter
der Güter seines Herrn , wogegen an der einzigen weiteren
Stelle, an welcher auf Island ein ärmaÖr genannt wird,*)
1) Eyrbyggja, cap. 2, S. 4; Grettla, cap. 7, S. 10.
2) Eigla, cap. 19, S. 35.
3) Landnäraa, II, cap. 20, S. 124; in der Sturlünga, I»
cap. 2, S. 4 fehlt freilich die Bezeichnung.
4) Kristni s., cap. 2, S. 5.
• Maurer: Die ärmenn des altnorwegischen Hechtes. 69
das Wort einen Schutzgeist bezeichnet, also in einem abge-
leiteten Sinne gebraucht wird, der für unsere Zwecke ohne
Bedeutung ist. Wenig später, nämlich während der Re-
gierung des K. Häkon goSi, ist wider von ,, ärmenn konüngs''
die Rede, welche im Interesse des Königs die Güter eines
Mannes eingezogen hatten ; ^) von K. Olafs Trjggvason aber
wird erzählt, dass er unmittelbar vor seinem letzten Auszuge
nach dem Wendenlande ,,skipaSi mönnum um öll {»raenda-
lög 1 syslur ok ärmenningar/' ^) Wider um etwas später
wird uns ein ärmaSr des heil. Olafs, {>öraldi mit Namen,
genannt , welcher den Königshof zu Haugr im Veradale in
der Landschaft Drontheim bewirthschaftete; ^) der König
berief ihn einmal zu sich, um von ihm Nachrichten ein-
zuziehen über die Haltung des Christen thumes in seiner
Gegend, und der Mann leistete dem Rufe Folge, obwohl er
wusste, dass er dabei sein Leben auf das Spiel setzte. Ein
andermal versetzt der König den Inhaber einer ärmennmg
zu Ögvaldsnes nach einer weiter nördlich auf der Insel Polk-
rin gelegenen ; *) K. Olaf selbst spricht einmal von den
,.ärmenn, er bü vär varSveita ok veizlur skulu gera i möti
mer ok liSi minu/* ^) und unter eben diesem Könige begab
sich ein Vorfall, welcher die Stellung dieser Bediensteten
zu seiner Zeit in ein ganz besonders helles Licht zu setzen
1) Eigla, cap. 65, S. 153.
2) Heimskr. Olafs s. Tryggvasonar, cap 103, S. 204;
vgl. F M S. II, cap 233 u 237, S. 253 u. 275.
3) Heimskr. Olafs s. helga, cap. 115, S. 339-40.
4) Flbk., II, caj). 144, S. 193-
5) Heimskr. Olafs s. helga, cap. 122, S. 350; vgl. Olafss.
Tryggvasonar, cap. 272, S. 39, in den FMS. III. Auch der oben
S. 57 bereits genannte Björn hält dem Könige eine veizla, während
er andererseits auch als Kläger in Strafsachen am Dinge auftritt.
Heimskr. Olafs s. helga, cap. 173—4, S. 432—4.
70 Sitzung der phüos.-phüol. Classe vom 1. Februar 1879.
geeignet ist. Zu Ogvaldsnes auf der Insel Körrat in Roga-
land lag ein grosser Königshof, und über diesen war da-
mals (um 1022) {>örir selr als „ärmaSr konüngs'' gesetzt.^)
Der Mann war so geringer Herkunft, dass er sogar als
„|>ra3lborinn i allar settir" bezeichnet werden konnte,^) aber
tüchtig und in Geschäftssachen sehr brauchbar , ein guter
Redner, aber auch ehrgeizig und prachtliebend, streitsüchtig
und in seinen Worten wenig masshaltend. Da geschah es
einmal , dass der König wegen eines Misjahres die Ausfuhr
von Korn, Malz und Mehl aus der südlichen Reichshälfte
nach der nördlichen verboten hatte, und dass ein vornemer
junger Mann aus Hälogaland, Asbjörn SigurSarson, süd-
wärts fuhr, um trotz dieses Verbotes seinen Bedarf an Korn
einzukaufen. Von {>örir auf das erlassene Verbot aufmerk-
sam gemacht, und zum Umkehren aufgefordert, wendet der
junge Mann sich an den mächtigen Erlmg Skjälgsson, den
Bruder seiner Mutter , und dieser wagt zwar nicht ihm
selber Korn abzugeben, lässt ihm jedoch solches durch seine
Sklaven verkaufen, die, wie er sophistisch meint, nicht im
Rechtsverbande der freien Leute standen , und darum an
deren Landrecht nicht gebunden waren. Inzwischen hatte
aber förir in Voraussicht dessen, was geschehen würde,
Mannschaft aufgeboten, und als x4.sbjörn auf seiner Heim-
reise wider bei Ogvaldsnes anlegte, nam er ihm unter vielen
spöttischen Reden nicht nur sein Korn und Malz, sondern
auch ein gutes Segel ab , welches er auf seinem SchiiSfe
hatte. Erbittert über den erlittenen Schimpf und den Hohn,
welchen er vielfach darüber zu erdulden hatte, machte As-
björn sich im folgenden Jahre auf, um an |>örir Rache zu
nemen ; er erschlug ihn, während der Mann an des Königs
1) Heimskr. Olafs s. helga, cap. 123, S. 352.
2) ebenda, cap. 122, S. 351; vgl. die Worte: „fyrir kondngs
[)r8elum," ebenda, cap. 123, S. 354.
Maurer: Die ärmenn des altnorwegischen Rechtes. 71
Tafel aufwartete, welcher gerade zu Ögvaldsnes sein Oster-
fest feierte. Das war eine schwere Unthat, da nicht nur
ein Bediensteter des Königs getödtet, sondern auch der
Osterfrieden gebrochen, die Heiligkeit des königlichen Wohn-
hauses verletzt, und sogar des Königs eigene Person nicht
geachtet worden war ; auf der That ergriffen , sollte darum
Asbjörn sofort hingerichtet werden, und von irgendwelcher
Sühne wollte der schwer gekränkte Herrscher Nichts hören.
Indessen wussten gute Freunde doch durch mancherlei Aus-
flüchte einen Aufschub der Hinrichtung zu bewirken, und
die damit gewonnene Zeit wurde benützt, um den Erling
Skjälgsson von der Lage seines Neffen zu benachrichtigen ;
mit einem rasch gesammelten Heere zieht dieser eben noch
rechtzeitig heran, und zwingt den König mit Waffengewalt
zum Abschlüsse eines Vergleiches, durch welchen Asbjörn
sich verpflichtete, die ,,ärmenniug'^ {>örirs, und damit die
Verwaltung des Hofes zu Ögvaldsnes zu übernemen. Das
entsprach einem älteren Rechtssatze, vermöge dessen Jeder,
der einen Dienstmann des Königs erschlagen würde, auf
Verlangen des Königs den Dienst des Erschlagenen zu über-
nemen schuldig war; den vornemen Verwandten Asbjörns
aber schien es eine unerträgliche Schmach, dass dieser durch
die üebername des Dienstes ,,konüngs l>r8ell ok jafningi
hins versta manns {>öris sels^' werden sollte, und so Hess
Asbjörn den Vergleich unerfüllt, was ihm freilich hinter-
her sein Leben kostete.^) Auch noch von K. Magnus gö8i
wird erzählt , dass er „skipaSi alt i heröSum mönnum i
ärmennmgar ok syslur'' 2) und unter K. SigurS Jörsalafari
wird ein ärmaSr genannt als Verwalter eines Königshofes
in Jaederen;^) um die Mitte aber des 12. Jahrhunderts wird
1) Heimskr. Olafs s. helga, cap. 123-128, S. 351-62.
2) Heimskr. Magnuss s. g6d*a, cap. 3, S. 517.
3) ebenda, Sigurd'arß. Jorsalafara, cap. 31, S. 689.
72 Sitzung der philos.-philol. Classe vom 1. Februar 1879,
von einer „ärmennmg'^ aufKatanes in Schottland gesprochen,
welche die Jarle der Orkneys einem gewissen Gilla-Odran
anvertraut hatten.*) Beachtenswerther noch als dieses Vor-
kommen von ärmenn im Dienste dieser Jarle ist, dass
solche gelegentlich auch in Dänemark genannt werden, und
zwar einmal unter K. Sveinn Ulfsson, also um die Mitte
des 11. Jahrhunderts,^) dann aber nochmals unter K. Knut
dem Heiligen, also am Ende desselben Jahrhunderts; ^) beide
Male erscheinen dieselben über königliche Güter gesetzt,
und an der erster en Stelle wird einem solchen sogar der
Besitz eines len zugesprochen. Der dänischen Rechtssprache
ist das Wort fremd ; dagegen finden wir in den dänischen
Quellen den ,,konüngs bryti*' in ganz derselben Stellung,
welche in Norwegen dem armanne konüngs zugewiesen ist,*)
und es hat demnach augenscheinlich in den angeführten is-
ländischen Geschichtswerken der norwegische Amtstitel sich
an die Stelle des dänischen eingedrängt.
Das Bild, welches die Geschichtsquellen von der Stel-
lung der ärmenn geben, ist hiernach folgendes. Dieselben
sind vom Könige über bestimmte Höfe gesetzt, welche sie
in dessen Auftrag zu verwalten (varSveita) haben. Ohne
feste Residenz im Lande, nimmt der König abwechselnd
auf diesen Höfen seinen Aufenthalt, und die ärmenn sind
es, welche ihm und seinen Begleitern für diese Zeit die
Gastung zu besorgen (gera veizlur) haben; sie haben auch
wohl, um dieser Obliegenheit genügen zu können, den Ein-
kauf der nöthigen Vorräthe zu besorgen^) und andererseits
1) Orknejinga s-, S. 382; Flbk., II, cap. 439, S. 508.
2) P ms., VI, cap. 72, S. 299-801 (im Aud-unar {>. vestfird-ska).
3) Knytlfnga s., cap. 49, S. 261.
4) so aber auch Heimskringia, Olafs s. Tryggvasonar,
cap. 36, S. 151.
5) Eigla, cap. 19, S. 35.
Maurer: Die ärmenn des altnorwegischen Bechtes. 73
die Aufwartung bei Tisch zu übernemen , oder doch zu
überwachen. Insoweit erschienen sie also in der That als
Gutsverwalter ; aber doch sehen wir sie auch wider Güter
einziehen, welche der König als ihm heimgefallen betrach-
tete, ^) oder , wie Sell>örir that , ein vom Könige erlassenes
Ausfuhrverbot widerspenstigen Unterthanen gegenüber zu
gewaltsamer Ausführung bringen, so dass also jene erstere
Function das Bereich ihrer Competenz keineswegs erschöpfte.
Fraglich erscheint ferner, ob wirklich, wie Munch annimmt,^)
die ärmenn regelmässig unfreien Standes, Freigelassene, oder
doch höchstens aus den geringsten Kreisen hervorgegangen
gewesen seien. Allerdings bezeichnet Erlingr Skjälgsson den
SelJ)6rir als {»raelborinn i allar settir, und ein anderer Ver-
wandter Asbjörns die üebername der ärmennmg durch
diesen als eine Ernidrigung desselben zu einem konüngs
f>rgell ; aber doch ist sehr die Frage, ob derartige Aussprüche
irgendwie buchstäblich zu neraen sind. Geirmundr heljar-
skinn erklärt, lieber auswandern als „konüngs {)raelP' werden
zu wollen,') und als Grimr hersir die Erbschaft des Björn
Hrölfsson im Namen des Königs einziehen will , erklärt
Ondottr kräka, dieselbe lieber dem Sohne Björn's als den
„konüngs {)rselar" gönnen zu wollen;^) ebenso erklärt auch
Björn, des Ketill flatnefr Sohn, lieber das Land verlassen
zu wollen, als dass er sich von den „{)rselar Haralds kon-
üngs" todtschlagen liesse. *) In allen diesen und änlichen
Fällen wird Niemand daran denken , den Ausdruck auf
wirkliche Unfreiheit beziehen zu wollen ; er bezeichnet viel-
mehr im Munde vornemer, auf ihre volle Selbstherrlichkeit
1) Eigla, cap. 65, S. 153.
2) Det norske Folks Historie, I, 1, S. 573.
3) Grettla, cap. 3, S. 3.
4) eben da, cap. 6, S. 9.
5) Laxdaela, cap. 2, S. 4.
74 Sitzung der philos.-phüol. Classe vom 1. Februar 1879.
stolzer Männer die Bediensteten des Königs als solche, selbst
die vornemeren, wie etwa die hersar nicht ausgeschlossen,
und es liegt kein Grund vor, die obigen Aussprüche über
Self>örir ernster zu nemen. An einer Stelle, an welcher
der Geschichtschreiber selber spricht, wird dieser zwar als
,,ma8r aettsmärr'', d. h. als ein Mann geringer Herkunft,
aber ganz und gar nicht als unfrei bezeichnet, und so wird
man aus dem, was über ihn berichtet wird, nur eine Be-
stätigung der Angabe des Königsspiegels entnemen können,
dass oft Leute, die um ihres geringen Vermögens oder ihrer
geringen Herkunft willen in ihrer Heimath Nichts galten,
im Königsdienste zu Macht und Ansehen gelangten, ^) keines-
wegs aber darauf schliessen dürfen, dass die ärmenn über-
haupt regelmässig- geringen Standes, oder dass sie vollends
zumeist unfreier Geburt gewesen seien.
Ein ungleich lebendigeres Bild der von den ärmenn
eingenommenen Stellung als die Geschichtsquellen geben
uns die Rechtsquellen ; bezüglich ihrer empfiehlt es sich
aber, nicht nur die königlichen Vögte von den bischöflichen
getrennt zu behandeln, sondern auch zwischen der amtlichen
Competenz beider und ihrer sonstigen Stellung im Rechte
zu unterscheiden. Was zunächst die Obliegenheiten
der ärmenn konüngs betrifft, so werden in den Rechts-
büchern diejenigen am Ausführlichsten besprochen, welche
sich auf die Strafrechtspflege beziehen. Es sind aber zu-
nächst alle Strafgelder, welche dem Könige gegenüber ver-
wirkt werden, an sie zu entrichten, und sie haben denn
auch die Klagestellung zu besorgen, soweit solche auf ge-
richtlichem Wege einzutreiben sind. In den Fr|)L. wird
ganz allgemein die Regel ausgesprochen, dass, wo immer
Jemand eine Geldstrafe an den König verwirke (gerir til
vitis viS konüng), jeder ärmaSr seinen fylkismann einzu-
1) Konüngssk. § 26, S. 58—59.
Maurer: Die drmenn des altnorwegischen Bechtes. 75
klagen habe, *) und wenn K. Häkon gamli darüber zu klagen
hat, dass die Lässigkeit der Leute im Tragen des Ladungs-
stabes verhindere, dass die Rechtssachen der Leute gehörig
erledigt werden, und dass die ärmenn den Strafsachen ge-
hörig nachgehen,^) so weist auch diess auf dieselbe Ein-
richtung hin. Wiederum wird bestimmt, dass, wo immer
eine Ladung ausgeht , der ärmaSr am ersten Dinge seine
Untersuchung anstellen , und längstens bis zum dritten
Dinge seine Klage durchgeführt haben soll, und dass der
ärma8r andererseits auch für die gehörige Vertheilung der
Pflicht, den Ladungsstab zu tragen , unter die Bauern zu
sorgen hat.^) Eine Reihe einzelner Vorschriften, reiht sich
diesen allgemeineren Satzungen an, und wollen diese natür-
lich nur beispielsweise gemeint sein. Nach den Gf>L. hat
wegen eioer Schlägerei, welche während eines Trinkgelages
stattgefunden haben soll, entweder des Königs ärmaSr oder
der lendr maSr die Klage zu erheben ; *) der ärmaÖr stellt
ferner die Klage wegen widerrechtlicher Unterstützung eines
geächteten Mannes,^) er klagt auf die Busse, welche dem
Könige wegen Nichterfüllung der Heerespflicht gebührt
(leiSängrs viti) , ^) soAvie auf die Busse, welche wegen Ver-
weigerung des kyöSuvitni öder wegen Unterliegens im ver-
wetteten Gerichte , ') dann wegen verweigerter dömfesta zu
entrichten ist,^) endlich wird er auch bezüglich derjenigen
Bussen als bezugsberechtigt bezeichnet, welche der weltlichen
Gewalt wegen Nichterfüllung der Verpflichtungen gegen den
1) Fr).L., X. § 33.
2) ebenda, Einleitung, § 21.
8) ebenda, II, § 23.
4) GI)L. § 187.
5) ebenda, § 202.
6) ebenda, § 298.
7) ebenda, § 266.
8) ebenda, § 268.
76 Sitzung der philos.-philol. Classe vom 1. Februar 1879.
Bischof und dessen Vogt anfallen , ^) welche Bussen freilich
nach späterem Recht an den Bischof selbst übergegangen,
und darum auch von dessen Vogt erhoben worden zu sein
scheinen. *) An den 3 zuletzt angeführten Stellen wird
allerdings von dem erendreki, nicht von dem ärmaSr konüngs
gesprochen ; indessen kann nach den obigen Ausführungen
nicht wohl bezweifelt werden, dass beide Bezeichnungen als
vollkommen identische zu betrachten sind. In allen diesen
und änlichen Fällen, in welchen ein Bussbezug dem Vogte
des Königs zugewiesen wird, ist es selbstverständlich der
König selbst, in dessen Namen und auf dessen Rechnung
er den Betrag einzieht; es galt darum als eine strafbare
Verletzung des königlichen Rechtes (drepa niSr konüngs
retti), wenn bei einer Körperverletzung^) oder bei einem
Diebstale*) der Beschädigte sich insgeheim mit dem Schul-
digen abfand, und es erwächst in solchen Fällen dem Vogte
des Königs ein weiteres Klagerecht gegen beide Theile.
Wegen des ränbaugs ferner, welcher dem Könige bei dem
Verfahren mit krafa^) oder mit kvaSa^) anfallen kann, wenn
sich der Beklagte seinen civilrechtlichen und processualen
Verbindlichkeiten zu entziehen sucht, wird der ärmaSr kon-
üngs auch bei der gewaltsamen Execution (atför) beige-
zogen, und er verliert den Anspruch auf den ränbaug, wenn
er seine Mitwirkung bei dieser verweigert,^) was auch wohl
umgekehrt so ausgedrückt wird, dass derselbe durch seine
Mitwirkung bei der Zwangsvollstreckung den Anspruch auf
1) G{)L. § 9 u. 33.
2) Sverris KrR. § 8 u. 91; vgl. meine Studien über dieses
Christenrecht, S. 69-70.
3) Gl>L. § 214.
4) ebenda, § 256.
5) ebenda, § 35.
6) ebenda, § 37.
7) ebenda, § 35.
Maurer: Die ärmenn des altnorwegischen Rechtes. 77
den ränbaug erwerbe. ^) Handelt es sich um die ^Echtung
eines Mannes, so hat des Königs Vogt für die Liquidation
des Vermögens des Geächteten zu sorgen , indem er eine
fimtarstefna anberaumt , aii welcher dessen Gläubiger sich
zu melden, und ihr Guthaben in Empfang zu nemen haben,
ehe der Vogt im Namen des Königs zugreift , ^) wie ja für
alle Fälle die Regel gilt, dass des Königs Anspruch dem
der Privatleute weichen muss, wesshalb z. B. der Strafan-
spruch des Vogtes gegen eine skuldarkona erst zum Zuge
kommt, wenn zuvor deren Schuld getilgt ist, ') und bei
Körperverletzungen erst der Beschädigte mit allen seinen
Ansprüchen befriedigt werden muss, ehe der Vogt sein Ge-
wette beziehen darf.*) Selbstverständlich wird übrigens des
Königs Vogt auch mit Strafen bedroht für den Fall, dass
er bei der ihm obliegenden Zwangsvollstreckung nicht ord-
nungsmässig vorgeht. So wird zunächst der Fall vorge-
sehen, da er „tekr bü böanda upp ütalt eSa üdoemt," ^) d. h.
da er einem Bauern ohne vorgängigen Urtheilsspruch und
ohne gehörige Inventarisirung seine Habe wegnimmt, oder
da er „telr bü manns, eSa tekr upp i stö8um öSrum en i
|)eim J>rimr, er til {>ess ero talSir," ^) d. h. da er, nämlich
ohne vorgängigen urtheilsspruch, zur Wegname von Sachen
schreitet, ohne dass doch einer der drei Ausnamsfälle vor-
liegt, in welchen die Friedlosigkeit anticipirt werden durfte. '')
Für beide Fälle wird zunächst die Strafe bestimmt, welche
den schuldigen Vogt treffen soll; ausserdem wird aber auch
1) ebenda, § 77. Vgl. übrigens von Amira, Das altnorwegische
Vollstreckungsverfahren, zumal S. 256 — 62.
2) G{>L. § 162.
3) ebenda, § 71.
4) ebenda, § 189 u. 200.
5) ebenda, § 141—42.
6) ebenda, § 213.
7) vgl. über diese Fälle ebenda, S. 160.
78 Sitzung der philos.-philol, Classe vom 1. Februar 1879.
noch die weitere Regel aufgestellt , dass für den Fall , da
der Verbrecher in den Wald entkommt , und von dort aus
sich erbietet zu Urtheil und Recht zu stehen, demselben
sein Vermögen insoweit verbleiben solle, als es ,,ütalt ok
ütekif ist , wogegen der Vogt Alles soll behalten dürfen,
was er „talt ok tekit" hat, ehe jenes Erbieten zu Recht
erfolgte.^) Ganz änliche Bestimmungen kommen aber auch
im Rechte von Drontheim zu Tage. Will z. B. eine Weibs-
person den Vater ihres unehelichen Kindes nicht nennen,
und gilt in Folge dessen der Kindsvater als unfrei , so ist
es der ärmaSr, welcher nach den Fr{>L. die dem Könige ge^
bührende Geldstrafe eintreibt.^) Hat Jemand in einer Sache,
welche auf ütleg8 geht, einen Eid zu schwören sich ver-
pflichtet, so muss der ärma6r von dem Termine in Kennt-
niss gesetzt werden, an welchem der Eid abgeleistet werden
soll, und er hat für den Fall nicht gehörigen Abschwörens
desselben wegen des Eidfalles zu klagen, soferne der in
erster Linie hiezu berufene Processgeguer diess nicht inner-
halb der gesetzlich vorgeschriebenen Frist thut. ^) Kommt
eine Civilsache, nachdem die dreimalige kvaSa erfolglos ge-
blieben war, vor das Ding, und erfolgt auch darauf hin
noch keine Zahlung, so geht die Zwangsvollstreckung so-
fort, änlich wie nach den Gl>L., auf den doppelten Betrag
der Schuld, und zwar erhält von diesem Betrage zunächst
der Kläger seine Schuldsumme, sodann aber der Vogt eine
Zahlung von 9 aurar, während der etwaige Ueberschuss der
Bauerschaft zufällt.*) Von dem Gute eines geächteten
Mannes wird ferner in änlicher Weise zunächst der Betrag
der Busse zu Gunsten des Beschädigten weggenommen, so-
1) ebenda, § 189.
2) FrI>L. II, § 1.
3) ebenda, IV, § 8.
4) ebenda, X, § 17,
Maurer: Die ärmenn des altnorwegischen Hechtes^ 79
dann aber der üeberrest dem Vogte überantwortet, und
wenn der Schuldige sieb wider in den Frieden einkaufen
will, so bat er nicht nur dem beschädigten Privatmanne,
sondern auch dem Vogte sich zur Zahlung einer Busse zu
erbieten.^) Im Falle der Begehung eines Mordes hat der är-
raaÖr die Klage anzustellen , wenn der zunächst berufene
Privatmann sie nicht erhebt, und er hat diesem letzteren
nöthigenfalls eine Praeclusivfrist für die Klagestellung anzu-
beraumen ; doch hat des Königs Vogt ebensogut wie jeder
Privatkläger seine Klage durch ein heimiliskviSarvitni,
d. h. Verdachtszeugniss zu unterstützen, wenn er den An-
geklagten zu einem Reinigungseide treiben will.^) Ebenso
soll Niemand , weder des Königs Vogt noch ein anderer
Mann, gegen Jemanden den Vorwurf der Sodomie erheben,
es sei denn, dass derselbe durch ein Verdachtszeugniss unter-
stützt werde ; ^) dieselbe Vorschrift gilt ferner nach dem
Stadtrechte auch in Bezug auf die Beschuldigung wegen
Hochverraths, *) und nach den defecten Worten eines Mem-
branfragmentes , und der allerdings etwas umgestalteten
Fassung der JärnsiÖa, endlich auch den im Inhaltsverzeich-
nisse der Fr^L. erhaltenen Capitelüberschriften zu schliessen^)
ist auch diese Bestimmung aus diesem letzteren Rechtsbuche
geflossen , dessen Text an der hier massgebenden Stelle
defect ist. Auch nach den FrI>L. hat überdiess des Königs
Vogt für die Auseinandersetzung des Vermögens zu sorgen,
welches ein geächteter Mann besitzt.^) Er hat den sämmt-
1) ebenda, IV, § 22.
2) ebenda, IV, § 24.
3) ebenda, V, § 22; die hier defecte Stelle ist aus Fragm. II,
§ 21, und Jarnsfd*a, Mannh. § 24 zu ergänzen.
4) BjarkR. III, § 152.
5) Fragm. II, §22; Järns. Mannh., § 24; PrI>L. V, Inhalts-
verzeichniss, § 19—23 (§ 22—26).
6) Frl)L. V, § 13.
80 Sitzung der philos.'phüöl, Glasse vom 1. Februar 1879.
liehen Betheiligten eine firatarstefna anzuberaumen, an
welcher diese Auseinandersetzung zu erfolgen hat, und wenn
er diess versäumt, hat er sich am nächsten Dinge darüber
zu verantworten; zahlt er einem der Betheiligten den Be-
trag nicht voll aus , welchen dieser zu beanspruchen hat,
und bleibt auch eine förmliche Zahlungsanforderung erfolg-
los, so richtet sich sofort die Execution gegen ihn auf das
Doppelte, und zwar in der Art, dass der Kläger nur den
Betrag seiner Schuld erhält, der Ueberrest aber den Bauern
zufällt. Verkürzt der ärmaSr die Frau des Geächteten , so
gilt diess als bürän ; nimmt etwa der Erbe des Geächteten
dessen Land in Besitz , der Vogt aber Namens des Königs
dessen Fahrhabe , so sind beide Massen abzuschätzen , und
ist die auf dem Vermögen ruhende Alimentationslast nach
Verhältniss zu theilen, wogegen sie, wenn nur Land da ist,
dem Erben, und wenn nur Fahrhabe da ist, dem Könige
allein zufallt. — Insoweit als die bisher besprochenen Be-
stimmungen reichen, könnte allenfalls das pecuniäre Interesse
des Königs an der Strafrechtspflege als für das Eingreifen
seines Vogtes bestimmend gelten ; indessen lässt sich nicht
verkennen, dass dieser auch über das vermögensrechtliche
Gebiet hinaus auf die Rechtspflege einwirkt, und dass sich
überdiess auch noch auf ganz anderen Seiten der staatlichen
Thätigkeit als der strafrechtlichen eine Thätigkeit desselben
bemerklich macht. Den unfreien z. B., welcher sein Kind
aussetzt, soll sein Herr innerhalb einer fünftägigen Frist
prügeln lassen, oder aber den ,,konüngsmenn" zuführen; *)
was aber unter dieser Zuführung zu verstehen ist, erläutert
die andere Vorschrift, wonach ein ausländischer Sklave,
welcher stiehlt, von seinem Herrn binnen der gleichen Frist
geprügelt werden soll, widrigenfalls ihn des Königs Vogt
an sich nemen darf, welcher aber freilich dieses Recht auch
1) GI>L. § 22.
Maurer: Die ärmenn des altnorwegischen Rechtes. 81
wider einbüsst, wenn er ihn nicht seinerseits binnen einer
weitereu fünftägigen Frist durchprügeln lässt. *) Auf einem
etwas abweichenden Grundgedanken beruht die andere Regel,
dass des Königs Vogt einem Bauern, welcher bei der An-
gabe seiner Hausgenossen zum Behufe der Umlegung der
Kriegslast eine Person verschwiegen hat , dafür einen Un-
freien wegnemen, und unter mehreren Unfreien desselben
Herrn sogar den wegzunemenden frei wählen darf ; ^) immer-
hin lässt sich freilich dieser Satz sowohl als die beiden un-
mittelbar zuvor erwähnten allenfalls noch auf ein Ver-
mögensinteresse des Königs zurückführen, wiewohl der straf-
rechtliche Gesichtspunkt bei ihnen doch schon mehr in den
Vordergrund tritt. Wenn nun aber anderwärts gesagt wird,
die yfirsöknarmenn des Königs und des Bischofs, unter
welchen deren ärmenn doch jedenfalls mit inbegriffen zu
denken sind, sollen für die Entmannung desjenigen sorgen,
welcher sich der Bestialitaet schuldig gemacht hat, ^) oder
wenn der Verwandtschaft eines Erschlagenen anheimgegeben
wird, den auf der That ergriffeneu Todtschläger entweder
selber zu bewahren, oder dem Vogte des Königs, eventuell
dem Landherrn, zur Bewachung zu übergeben, welcher dann
auch nach gesprochenem Urtheile für dessen Vollzug zu
sorgen hat;^) wenn ferner eine ganz analoge Bestimmung
auch bezüglich des auf handhafter That ergriffenen Diebes
widerkehrt, ^) so ist dabei eben doch nur die Sicherung des
Strafvollzuges massgebend , nicht irgendwelcher pecuniaere
Vortheil des Königs. Ganz dieselbe Erscheinung kehrt
aber auch in den FrI)L. wider. Den Bettler z. B., welcher
sich widerrechtlich im Lande herumtreibt, mag der armaSr
1) ebenda, § 259.
2) ebenda, § 296.
3) ebenda, § 30.
4) eben*da, § 152.
5) ebenda, § 253.
[1878. I. Philos.-philol.-hist. Cl. 1.] 6
82 Sitzung der ]j}iüos.-philol. Classe vom 1. Februar 1879.
wie jeder andere Mann aufgreifen, zum Ding führen, und
wenn er hier nicht von seinen Verwandten mit einem Be-
trage von 3 Mark ausgelöst wird, als Schuldknecht behalten
und benutzen.^) Wird ferner ein Manu am Dinge ver-
wundet, und wird der Thäter von den Nacheilenden auf
der Flucht gefangen, so soll er gebunden dem Vogte über-
geben , und von diesem oder dem Landherrn solange ge-
fangen gehalten werden, bis sich zeigt, wie es mit dem
Verwundeten geht. Zur Hülfeleistung bei der Bewachung
des Gefangenen darf der Vogt freilich die Verwandtschaft
des Verwundeten, oder auch die Bauerschaft als solche mit
heranziehen; aber er hat auch, und zwar nöthigenfalls so-
gar mit seinem eigenen Leben, für den Gefangenen zu haften,
wogegen die Verwandten des Damnificaten, wenn sie wollen,
auch die Bewachung allein übernemen können, dann aber
auch selbst für ihn einzustehen haben. Ist der Vogt nicht
zu Hause , so mag man den Gefangenen auch seiner Frau
oder seinem Vorarbeiter (verkhüsbryti) übergeben, und
wenn dessen Uebername verweigert wird, ihn gebunden auf
des Vogtes Fletz setzen; wird ferner der Gefangene hinter-
her zum Ding geführt und hier verurtheilt, so muss der
Vogt, wenn er anders dessen ütlegSarfe nimmt, auch für
dessen Hinrichtung sorgen, es sei denn, dass der Erbe des
Verwundeten ihn begnadigt.^) Ebenso soll der auf hand-
hafter That ergriffene Dieb gefesselt und die gestolenen
Sachen auf den Rücken gebunden, innerhalb des fylki, in
welchem er gefangen wurde, dem Vogte zugeführt werden;
dieser hat ihn sodann bis zum Dinge gefangen zu halten,
und vom Dinge weg zum Strande zu führen , um ihn hier
durch einen von ihm besorgten Mann hinrichten zu lassen.
1) FrI)L., X, § 39; BjarkR. III, § 163; vgl. meine Äbhand-
nng über „die Schuldkuechtschaft nach altnordischem Rechte", S. 15 — 16.
2) FrtL., IV, § 10.
Maurer: Die ärmenn des dltnorwegischen Hechtes. 83
Derjenige, welcher den Dieb gefangen hat, haftet für diesen
nur bis zu dem Zeitpunkte, in welchem er denselben in des
Vogtes Fletz niedergesetzt hat; wer aber den Dieb frei
laufen lässt, büsst dafür dem Könige mit 15 Mark, der ar-
ma8r ebensogut wie jeder Andere.^) Entläuft endlich ein
Unfreier seinem Herrn, und wird dieser des Flüchtliuges
wider habhaft, so hat er denselben binnen einer fünftägigen
Frist zu bestrafen , und zwar durch Prügeln , wenn der
Sklave ein Inländer, durch Entmannung, wenn er ein Aus-
länder ist ; unterlässt er diess , so m.ag des Königs Vogt
den Sklaven innerhalb einer weiteren , ebenso langen Frist
seinerseits in derselben Weise bestrafen , und sodann als
Knecht benützen, bis ihn sein Herr auslöst; versäumt
freilich auch der Vogt seine Frist, so verbleibt der Sklave
endgültig seinem Herrn. ^) Von besonderem Interesse ist
aber noch eine Stelle, welche der Einleitung des Rechts-
buches angehört. ^) König Häkon bemerkt in derselben,
dass seiue syslumenn häufig , wenn geächtete Leute in
ihrem Bezirke ihr Unwesen treiben, zwar von den Bauern,
welche denselben Unterschlupf geben , die hiedurch ver-
wirkten Geldbussen eintreiben, jene Uebelthäter selbst aber
nicht verfolgen noch bestrafen , und er verordnet desshalb,
dass künftighin die „umboSsmenn konüngs" ganz in der-
selben Weise verpflichtet sein sollen, derartige Uebelthäter
mit Hülfe der Bauern zu verfolgen, wie diejenigen, welchen
bisher diese Verfolgung obgelegen habe ; er bedroht endlich
demgemäss für die Zukunft alle syslumenn und armenn,
welche dieser Verpflichtung nicht genügen würden, mit dem
Verluste ihrer Würde, und mit einer Geldstrafe, welche halb
1) Fr^L., XIV, § 12.
2) ebenda, X, § 40; der Defect am Schlüsse der Stelle ist leicht
zu ergänzen.
3) ebenda, Einleitung, § 12.
6*
84 Sitzung der phüos.-philol. Classe vom 1. Februar 1879.
dem Könige und halb den Bauern zufallen soll. Augen-
scheinlich war somit der bewaffnete Schutz des Landes gegen
gemeingefährliche Leute bis in den Anfang des 13. Jahr-
hunderts herein Aufgabe anderer Bediensteter als der ärmenn
und syslumenn gewesen, und war erst durch K. Häkon
gamli die gleiche Verpflichtung, wie sie vordem den lendir-
menn , oder auch den gestir obgelegen hatte , auch jenen
ersteren übertragen worden. Man möchte hieraus den Schluss
ziehen, dass die Corapetenz der Vögte in der That ursprüng-
lich auf die Wahrung der finanziellen Interessen des König-
thumes beschränkt gewesen sei, und sich erst allmälich von
hier aus auf Verrichtungen entschieden staatsrechtlichen
Charakters hinüber erstreckt habe ; für den gleichen Schluss
lässt sich aber auch der weitere Umstand verwerthen, dass
eine bereits angeführte Stelle^) die Verpflichtung des Vogtes
für die Hinrichtung eines Verbrechers zu sorgen davon ab-
hängig macht, ob derselbe dessen ütlegSarfe beziehe oder
nicht. — Aber auch auf ganz anderen Gebieten als dem
strafrechtlichen haben die Vögte des Königs öffentliche Ver-
richtungen als dessen Vertreter zu übernemen, bei welchen
das Eintreiben von Geldbussen wenigstens nicht den vor-
zugsweise massgebenden Gesichtspunkt bildet. - So spielen
dieselben eine hervorragende Rolle am lögl^inge. Nach den
G{)L. sollen sie sich ebensogut wie die lendirmenn am Gula-
t)inge einfinden ; neben den lendirmenn und Syslumenn haben
sie die „nefndirmenn" zu ernennen, welche dieses als Vertreter
der Bauerschaft zu besuchen berufen sind, und sie sollen
überdiess, wenn die Zahlpflichtigen es versäumen, diesen
Abgeordneten ihre Diäten zu entrichten , diess ihrerseits
thun, und dann hinterher von den Säumigen den doppelten
Betrag beitreiben. ^) Nicht anders steht die Sache aber auch
1) Fr{>L., IV. § 10.
2) GI>L., § 3.
Maurer: Die ärmenn des altnonoegischen Rechtes. 85
in Bezug auf das Frostu{)iug. Auch hier hat der ärmaSr
den zur Dingfahrt berufenen Männern ihr {>mgfararfe zu
verschaffen, und zwar entweder in der Art, dass er ihnen
seinerseits den Betrag vorschiesst, und dann hinterher von
den Zahlpflichtigen die verwirkte Basse eintreibt, oder so
dass er die Ernannten auf ihre eigenen Kosten zum Ding
kommen lässt, und dann ebenfalls die fällige Busse erhebt ;
im einen wie im anderen Falle erhält der klagende Vogt
die eine Hälfte der Busse, wogegen die andere Hälfte
ersterenfalls den lögmenn zu Händen der fylkismenn zufällt,
letzterenfalls dagegen dem Ernannten selbst. Verstattet der
Vogt seinerseits einem der Ernannten widerrechtlich das
Wegbleiben vom Ding, so wird zwar der Ausbleibende den-
noch bassfällig; aber klagsberechtigt sind solchenfalls die
das Ding besuchenden Bauern, nicht der ärmaSr, wie sonst.
Der Vogt ist aber auch seinerseits zum Dingbesuche ver-
pflichtet , und er wird den Bauern gegenüber bussfällig,
wenn er ohne ehehafte Noth dieser seiner Verpflichtung
nicht genügt.*) Die Vögte aus den sämmtlichen Volklanden
des Dingverbandes haben ferner am Frostujjinge gemeinsam
die vebönd oder Gerichtsschranken zu errichten, und die
lögrettumenn zu ernennen, welche innerhalb derselben Platz
zu nemen haben ; ^) sie haben überdiess auch die Ladung
zum Eyra{)inge zu erlassen, und von den hier ausbleibenden
Bauern die verwirkten Geldstrafen einzutreiben , welches
letztere Recht ihnen nur für den Fall entzogen sein soll,
da sie etwa ihrerseits die Ladung zu erlassen versäumt
haben würden.^) Nicht minder haben die ärmenn aber
auch hinsichtlich des Heerwesens in gewissem Umfange den
König zu vertreten. Wenn zwar in den Frl)L. gesagt wird,^)
1) Fr{>L. I, § 1.
2) ebenda, I, § 2.
3) ebenda, I, § 4.
4) ebenda, VII, § 8.
86 Sitzung der phüos.-philol. Classe vom 1. Februar 1879.
dass der Vogt sowohl als der Landherr am manntals{)inge zu
erscheinen habe, so erklärt sich diess nicht sowohl aus der
amtlichen Stellung beider, sondern daraus, dass dieses Rechts-
buch beide an der Heerlast theilnemen, und darum auch beide
ihren manntalseiS schwören und sich zur Vertheilung der Last
einschätzen lässt, wogegen freilich die Gt>L. die königlichen
Vögte für ihre Person von der gleichen Last frei geben ; ^)
aber wenn beide Rechtsbücher ganz gleichmässig dem Vogte
sofort die Klagestellung gegenüber denjenigen übertragen,
welche die leiSängrsgerS oder die leiSängrsferS widerrecht-
lich versäumen, so wird damit doch bereits auf dessen amt-
liche Stellung zurückgegriffen. Nach den G{)L. hat ferner
des Königs Vogt das väpnaMng anzusagen,^) und auch nach
den Fr{)L. ist er dieses ebensogut wie das örvar{)ing zu be-
suchen verpflichtet, da ja dieses Rechtsbuch sich veranlasst
sieht besondere Fürsorge für den Fall za treffen, da er zu
beiderlei Versammlungen an einem und demselben Tage sich
einzufinden hätte. ^) Nach den G{jL. hat ferner der ärma8r,
wenn sich die Mannschaft eines Schiffes zum Heeresauf-
gebote nicht vollständig stellt, für volle 5 hömlur, d. h.
Ruderer seinerseits zu sorgen, und ihm haben die Erschiene-
nen, wenn sie an Zahl zu schwach sind um ihr Schiff be-
mannen zu können, ihren Proviant zu Händen des Königs
zu übergeben;^) er hat sodann auch, wenn die Pflichtigen
die Ausrüstung ihres Schiffes nicht gehörig herstellen, das
Fehlende zu beschaffen, und sodann von den Schuldigen die
verwirkte Busse, und wiewohl diess nicht ausdrücklich ge-
sagt wird, doch wohl auch den Ersatz seiner Auslagen bei-
zutreiben. ^) Ganz änlich bestimmen denn auch die FrI>L.,
1) GI)L., § 298.
2) ebenda, § 309.
3) FrfL., X, § 3.
4) GI)L., § 301.
5) ebenda, § 308.
Maurer: Die ärmenn des altnorwegischen Bechtes. 87
dass gegen den Bauern, welcher gelegentlich eines SchifiF-
baues den ihm obliegenden Theil der Kosten nicht ent-
richtet, der Vogt mit der Bauerschaft gemeinsam vorgehen
solle; die Zwangsvollstreckung richtet sich auf den doppelten
Betrag der ausständigen Leistung , und erhält hievon der
Vogt seine Busse, während der Ueberrest den Bauern zu-
fällt , welche letzteren aber den ganzen Betrag erhalten,
wenn etwa der Vogt der Theilname an der Execution sich
entschlägt. ^) Handelt es sich dagegen um die Bemannung
eines Schiffes, so hat der Vogt an der Schiffbrücke auf
einem Kerbholze (skorarkefii) für jede einzelne, ideell
dienstpflichtige Person einen Einschnitt zu machen , für
welche die geschuldete Leistung gehörig erfolgt (augljöst
nef) ; ^) bleiben aber irgendwelche Leistungen aus , so hat
jeder Vogt innerhalb des Volklandes Speise und alles Nöthige
für 5 Ruderer auf das Schiff zu bringen, und darf er dann
die verwirkte Geldstrafe (leiSängrsviti) von den Betheiligten
eintreiben, wogegen dieses Recht wegfällt, wenn er nicht
in der vorgeschriebenen Weise sich verhalten hat.^) Wird
aber den Dienstpflichtigen unterwegs ihr Schiff unbrauch-
bar, so haben sie Speise und Sold, soweit beide noch nicht
verzehrt sind, an den Vogt des nächsten Bezirkes abzuliefern.*)
Nach den G[>L. hat ferner der Vogt, wenn ein feindlicher
Angriff in Aussicht steht, die Ladung zur Herstellung der
Wachtfeuer zu erlassen , ^) und wenn ein Privatmann ein
Kriegsschiff baut, ohne den von ihm damit verfolgten Zweck
bekannt zu geben, hat er sich darüber Aufklärung zu ver-
schaffen, wohin die Fahrt gerichtet werden will.^) Endlich
1) Fr{)L , Vir, § 2.
2) ebenda, VII, § 14; vgl. § 10.
3) ebenda, VII, § 14.
4) ebenda, VII, § 19.
5) G{)L., § 311.
6) ebenda, § 314.
88 Sitzung der phüos.-pMlol. Classe vom 1. Februar 1879.
erklärt sicli anch nur aus dieser den Vögten des Königs
eingeräumten Stellung von Staatsbeamten, dass hinsichtlich
ihrer ebensogut wie hinsichtlich der Landherrn die Möglich-
keit berücksichtigt werden musste, dass sie rechtswidriger
Weise ein Verbot der Waarenausfuhr aus einem Reichstheile
in den anderen betreiben könnten.^) — Endlich ist aber
auch noch zu erwähnen , dass die Vögte des Königs auch
diejenigen vermögensrechtlichen Interessen dieses ihres Herrn
zu vertreten haben, welche ganz ausserhalb der Strafrechts-
pflege sowohl als des öffentlichen Dienstes überhaupt liegen.
So hat der ärmaSr des Königs Recht an einem gefundenen
Strandwale zu wahren. Nach den Fr^L. soll der Finder
eines Walfisches, welcher Iy8ska3rr, d. h. vom Volke zu
verschneiden und zu theilen ist, sofort dem Vogte sowohl
als der Bauerschaft von seinem Funde Mittheilung machen,
damit sie sich innerhalb einer fünftägigen Frist einfinden;
kommt der Vogt nicht an Ort und Stelle, so muss der
Finder die Schulterblätter des Wales zum Ding bringen,
um sich darüber auszuweisen, dass er sich kein zu grosses
Thier angeeignet hat.^j In gleicher Weise hat aber auch
nach den G{>L. der Finder eines Walfisches, auf welchen
um seiner Grösse willen der König Anspruch hat, dessen
Vogt von seinem Funde Anzeige zu machen.^) Kommt
Jemand in den Verdacht, Almendeland ohne des Königs
Erlaubniss in Besitz genommen zu haben, so ist es der Vogt,
welcher die Sache verfolgt, und von dem Verhalten des
,,ärma8r eSa erendreki konüngs" gegenüber der Vertheidig-
ung des Beklagten hängt es ab, ob diesem letzteren ein
Reinigungseid auferlegt wird oder nicht.*) Auch sonst er-
1) Fr{)L., V, § 43.
2) ebenda, XIV, § 10; BjarkR., III, § 145.
3) GI>L., § 150.
4) FrI)L., XIV, § 7.
Maurer: Die ärmenn des aUnorwegischen Rechtes. 89
scheint der Vogt als der berufene Vertreter des königlichen
Grundbesitzes. Er hat die lögfesting vorzunemen , soweit
diese überhaupt zulässig ist, falls es sich um den Schutz
der Ländereien des Königs oder auch der Alm enden gegen
widerrechtliche Benützung handelt.*) Will ein Privatmann
Land, welches sich im Besitze des Königs befindet, als sein
Stammgut (öSal) einlösen, so hat er seine Ansprüche dem
Vogte des Königs gegenüber geltend zu machen , und um-
gekehrt hat dieser letztere des Königs Rechte zu vertreten,
wenn dieser einem Bauern gegenüber Stammgut einzulösen
hat, ganz wie wenn die Sache zwischen zwei Bauern abzu-
machen wäre. ^) Aus den Beziehungen , in welchen der
Vogt zum Grundbesitze des Königs steht, ist es ferner zu
erklären , wenn gesagt wird , dass derjenige , welcher von
ihm Land kaufe, an diesem zum Diebe werde, wofern nicht
der Kauf am Ding abgeschlossen werde ; ^) da nämlich so-
fort beigefügt wird, wenn Jemand seine veizlujörS verkaufe,
werde zwar er selber an ihr zum Diebe , aber nicht der
Käufer , so ist klar , dass dabei an den Fall, zu denken ist,
da der Vogt widerrechtlicher Weise dem Könige gehöriges
Land verkauft hat. Mehr mit diesen Beziehungen des Vogtes
zum Grundbesitze des Königs als mit dessen Beziehungen
zur Strafrechtspflege scheint es ferner auch zusammenzu-
hängen , wenn gesagt wird , dass die Klage wegen wider-
rechtlicher Benützung einer fremden veizlujörS zwar zu-
nächst ihrem Besitzer zustehe, jedoch so, dass er nur das
halbe landnäm für sich behalten dürfe, dass aber eventuell,
wenn der Besitzer nicht klagt, des Königs Vogt zur Klage
berufen sei, und zwar zur Klage auf den ganzen Betrag der
Busse ; *) augenscheinlich ist es nämlich das höhere Recht
1) ebenda, XV, § 5.
2) G{)L. § 271.
3) ebenda, § 264.
4) ebenda, § 101.
90 Sitzung der phüos.-pJiüol. Classe vom 1. Februar 1879.
des Königs an derartigem Lande, welches durch dessen Vogt
geltend gemacht wird. Insoweit erscheint also der ärmaSr
konüngs in den Rechtsquellen noch ganz in derselben Weise
als Verwalter der königlichen Güter, wie ihn uns die Ge-
schichtsquellen in dieser Eigenschaft gezeigt hatten , und
ebenso ist er es auch nach den Rechtsbücheru, der bei des
Königs Rundreisen im Lande für dessen Aufname und
Unterkunft zu sorgen hat; „gera i gegn" naunte man das,
und darauf bezieht es sich, wenn als ehehafte Noth, welche
das Aasbleiben des Vogtes am lögMnge entschuldigt, der
Fall bezeichnet wird , da der herumreisende König einem
solchen gebietet, „at gera i gegn ser i hinu naßsta fylki,"
d. h. für seine Aufname in dem nächsten Volklande zu
sorgen. ^) Mit dieser Obliegenheit der Vögte hängt anderer-
seits wider zusammen , dass der Aufruf zur Stellung der
Pferde, welche die Bauern für des Königs Dienst bei seinen
Rundreisen zu stellen haben, von ihnen zu erlassen ist
(reiSskjötaboS,^) und dass gesagt werden kann, sie haben dem
Könige seine Gebäude aufzuführen, nicht aber die Bauern,
soweit sich diese nicht etwa aus gutem Willen dazu herbei-
lassen.^) Dass endlich der ärmaÖr konüngs diejenigen
Leute zu verfolgen hat , welche widerrechtlich den Finnen-
handel betreiben, und dass ihm dabei die Befugniss einge-
räumt wird. Verdächtige vorkommen denfalls durchsuchen
zu lassen,*) stellt sich zwar nicht mehr unter den Gesichts-
punkt der Gutsverwaltung, aber doch unter den einer Für-
sorge für die pecuniasren Interessen des Königthumes, welche
1) ebenda, § 3. Vgl. bezüglich des Ausdruckes Berg, in den
Samlinger tu det norske Folks Sprog og Historie, I, S. 328 — 29, Antn,
4, und Fritzner, s. v. gegngerd*.
2) Fr{>L., Einleitung, § 19.
3) Fr{>L., XVI, § 1.
4) ebenda, XVI, § 2.
Maurer: Die ärmenn des altnonvegisclien Hechtes. 91
ja bei jeder Verletzung des königlichen Monopoles ernsthaft
im Spiele waren.
Bei der Erörterung der Obliegenheiten der königlichen
Vögte konnten wir uns nur auf zwei Rechtsbücher stützen,
auf die Gula{)mgslög nämlich und auf die Frostujjfngslög,
und es muss soniit zweifelhaft gelassen werden, ob in der
östlichen Reichshälfte und in den Städten, deren Competenz
ganz in derselben Weise geregelt war wie nach jenen beiden
Rechten. Bezüglich der Borgarl)ingslög und der EiSsifa-
l>ingslög lässt sich diese Frage aus dem einfachen Grunde
nicht beantworten , weil uns von beiden Rechtsbüchern im
Grunde nur die kirchenrechtlichen Abschnitte erhalten sind ;
in den vom Stadtrechte uns aufbewahrten üeberresten da-
gegen werden uns zwar ein paarmal Vögte des Königs er-
wähnt ^), aber immer nur an Stellen, welche aus dem Land-
rechte Drontheims entlehnt zu sein schienen, während zu-
gleich die Anname Manches für sich hat, dass die Geschäfte,
welche auf dem Lande vom ärmanne besorgt wurden, in den
grösseren Städten wenigstens zum Wirkungskreise des gjald-
keri oder Schultheissen gehört haben mögen. Ungleich
günstiger sind wir dagegen in Bezug auf die bischöf-
lichen Vögte gestellt, indem uns bezüglich ihrer nicht
nur die Christenrechte von Vikin und den Hochlanden
neben den G?)L. und den Fr{)L. zu Gebote stehen, sondern
auch aus dem Stadtrechte wenigstens einzelne Bestimmungen
erhalten sind, deren Selbstständigkeit jeden Verdacht einer
Entlehnung aus den Frf)L. ausschliesst. Ich will das den
verschiedenen Rechtsgebieten angehörige Material getrennt
behandeln, um die wesentliche Gleichartigkeit desselben um
so lebendiger hervortreten zu lassen. — Da tritt nun in
den Gula^ingslög sehr bestimmt die Verpflichtung der är-
menn biskups hervor, für die Einziehung der bischöflichen
1) BjarkR., III, § 145, 152 u. 163; siebe oben, S. 79, Anm. 4,
S. 82, Anm. 1, und S. 88, Anm. 2.
92 Sitzung der philos.-philol. Classe vom 1. Februar 1879.
Einkünfte zu sorgen, und zumal auch die zum Behufe ihrer
Eintreibung etwa erforderlichen gerichtlichen Schritte zu
thun. Die Olaf sehe Recension des Rechtsbnches , welche
den Zehnt noch nicht kennt, und den Bischof somit noch
auf seine ,,rei(5a", d. h. Kopfsteuer beschränkt zeigt, schreibt
vor, ^) dass der Bischof selbst oder dessen „erendreki" ge-
legentlich der Visitationsreisen des ersteren in jedem ein-
zelnen fjlki oder fjorSüngr ein Ding berufen soll, an
welchem die Zahlung jener Steuer zu erfolgen hat. Wird
hier die Zahlung von der Gesammtheit der Pflichtigen ver-
weigert, so soll der Bischof oder dessen Bevollmächtigter
eine rechtsförmliche Anforderung (krafa) sofort am Ding
erheben ; verweigern sie dagegen nur einzelne unter den
Pflichtigen, so soll des Bischofs ärmaÖr an diese dieselbe
Anforderung unter Beiziehung zweier Nachbarn, eventuell
zweier frei gewählter Zeugen, in ihrer Behausung richten,
und wenn dann nicht sofort die Bezahlung der Steuer
sammt der durch die bisherige Saumsal verwirkten Busse
erfolgt, geht sofort eine Klage wegen ran, d. h. widerrecht-
licher Yermögensentziehung , an das Ding. Diesen Bestim-
mungen wird sodann noch die allgemeine Regel beigefügt
„en biskup värr ok ärma8r hans, ok allir kennimenn skolo
sinar sakir allar svä scekja, sem nü hefi ek talt,** d. h. das
soeben für einen einzelnen Fall vorgezeichnete Verfahren
soll ganz allgemein in allen Fällen eingehalten werden, in
welchen der Bischof, dessen Vogt, oder ein Priester auf
Grund einer kirchenrechtlichen Vorschrift eine Forderung
geltend zu machen haben. Dieselbe Bestimmung wird ferner
mit denselben Worten am Schlüsse des Christenrechtes noch-
mals widerholt, ^) und zwar ist es die Verpflichtung der
Bauern, dem Bischöfe gelegentlich seiner Rundreisen Pferde
l)Gt.L., §9.
2) ebenda, § 33.
Maurer: Die ärmenn des altnorwegischen Hechtes. 93
zu stellen, welche zur nochmaligen Besprechung des gegen
widerspenstige Pflichtige einzuschlagenden Verfahrens den
Anlass bietet. Auch in diesem Falle wird aber wider die
Erhebung des Anspruches dem Bischof und seinem „erend-
reki*' anheimgegeben und dessen Durchführung dem är-
manne^' des Bischofs übertragen; in ganz derselben Weise
wird aber anderwärts dem Bischöfe und seinem erendreki
überlassen, die Herstellung einer Kirchhofmauer zu fordern/)
oder eine Klage wegen unerlaubten Essens von Fleisch an
Fasttagen zu erheben , ^) wogegen die Durchführung der
Klage widerum dem armanne des Bischofs zugewiesen wird,
welcher letztere indessen auch mit der Erhebung der Klage
wegen Essens von Pferdefleisch beauftragt erscheint, zum
deutlichen Beweise dafür, dass beide Benennungen lediglich
denselben Beamten bezeichnen. Weiterhin soll der Bischof
oder sein erendreki die Klage wegen Kindsaussetzung, oder
wegen Bestattung eines ungetauften Kindes in geweihter
Erde erheben, wogegen der ärma8r des Bischofs den Heiden
zu verfolgen hat, welcher nicht vorschriftsmässig die Taufe
zu suchen kommt. ^) Endlich soll der Bischof oder sein
erendreki auch die Klage wegen Blutschande erheben, gleich-
viel wie schwer das begangene Verbrechen sein möge ; *)
ebenso die Klage wegen Zauberei, Hexerei oder Wahr-
sagerei, ^) dann wegen Bestialitset,^) nur dass in dem zuletzt
genannten Falle die weitere Verfolgung der Sache wider
dem armanne des Bischofs, und die Sorge für den Straf-
vollzug selbst den yfirsoknarmenn des Königs und des
Bischofs gemeinschaftlich übertragen wird. Man wird hier-
1) Gf.L., § 11.
2) ebenda, § 20.
3) ebenda, § 22.
4) ebenda, § 24.
5) ebenda, § 28.
6) ebenda, § 30.
94 Sitzung der phüos.-phüol. Glasse vom 1. Februar 1879.
nach nicbt bezweifeln können, dass der ärmaSr des Bischofs
mit dessen erendreki identisch, und dass er unter den zu-
letzt genannten yfirsöknarmenn mit inbegriffen zu denken
sei , ja dass an ihn sogar ausschliesslich gedacht werden
müsse, soweit bischöfliche Beamte in Frage stehen. — Ganz
änlich stellt sich die Sache nach den JBorgar^ingslög und
Eiiisifalpmgslög ^ welche beiden Rechtsbücher ich um ihrer
engen Verwandtschaft willen hier in einer Darstellung zu-
sammenfasse. Auch nach diesen beiden Rechtsbüchern hat
der ärmaSr biskups vor Allem für die Erhebung des Zehnts,
und zwar des Hauptzehntes sowohl als des Ertragszehntes
zu sorgen. Nach den Bf)L. ist das in beiden Fällen ein-
zuhaltende Verfabren ein wesentlich verschiedenes, und dabei
so alterthümliches , dass es sich wohl verlohnt näher auf
dasselbe einzugehen.^) Wird der Hauptzehnt nicht bezahlt,
so hat der Vogt des Bischofes dem Säumigen zunächst eine
Frist von 4 (der dritte Text sagt irrthümlich von 3) Mo-
naten vorzugeben, um binnen derselben seine Pflicht zu er-
füllen, und trifft diesen letzteren eine Busse von 3 Mark,
wenn er solche Frist unbenutzt verstreichen lässt. Noch
zweimal muss sodann eine gleiche Frist, unter Androhung
des gleichen Rechtsnachtheiles, gewährt werden; ist aber
auch die dritte Frist unbenutzt geblieben, und ist der
Pflichtige somit in 9 Mark Busse verfällt worden, weil seine
Saumsal ein volles Jahr gewährt hat, so ist ihm noch eine
vierte Frist vorzugeben^ welche jedoch nur einen einzigen
Monat währt, und nach deren vergeblichem Ablauf der
Mann seinen Frieden und sein gesammtes Vermögen ver-
wirkt hat, Land wie Fahrhabe. Er soll in ein heidnisches
Land gehen, da er doch nicht Christ sein will ; von seiner
Habe aber erhält der Bischof den Betrag von 3 Mark,
während der Ueberrest an den König fällt. Wird dagegen
1) B{>L., I, § 11; II, § 22; III, § 17.
Maurer: Die drmenn des altnonvegischen Hechtes. 95
der Ertragszehnt nicht bezahlt, so soll der bischöfliche Vogt
dem Säumigen bei der Kirche eine 5 tägige Frist gewähren,
und wer innerhalb dieser Frist seiner Verpflichtung nicht
nachkommt, in eine Busse von 6 aurar verfallen; nach
Ablauf der ersten Frist wird ferner eine zweite, ebensolange
unter Androhung einer gleichen Busse vorgegeben, und in
dieser Weise solange fortgefahren, bis der eine oder der
andere Theil der Sache überdrüssig wird. Nun habe ich
anderwärts bereits darzuthun gesucht, ^) dass der Hauptzehnt
in Norwegen älteren Ursprunges sei als der zu Anfang des
12. Jahrhunderts eingeführte Ertragszehnt; bis in die älteste
christliche Zeit Norwegens muss demnach doch wohl das
alterthümliche Verfahren bei dessen Eintreibung, und somit
auch das Amt des bischöflichen Vogtes, hinaufreichen.
Anders als in Vikin ist das Verfahren bei der Eintreibung
des Zehntes in den Hochlanden geordnet; aber auch hier
ist es des Bischofs Vogt, welcher sie besorgt.^) Der Haupt-
zehnt wird in den E{)L. zwar gelegentlich erwähnt, ^) aber
ohne dass die Art seiner Einziehung besprochen würde;
bezüglich des Ackerzehntes dagegen wird bestimmt, dass
der Bauer, welcher ein ganzes Jahr lang denselben zu ent-
richten unterlässt, 3 Mark Busse an den Bischof verwirkt,
und ebenso das zweite und dritte Jahr, während des Bischofs
Vogt ihm nach Ablauf des dritten Jahres zur Entrichtung
von Zehnt und Busse noch eine 5 tägige Frist vorzugeben
hat, nach deren unbenutztem Verstreichen die Acht eintritt,
und zwar in der Art, dass von dem Vermögen des Geäch-
teten der Bischof seine Bussbeträge mit 9 Mark vorweg-
nimmt, wogegen der üeberrest zu gleichen Theilen an den
König , den Bischof und die Bauern fällt. Nach beiden
1) vgl. meine Abhandlung: „über den Hauptzehnt einiger nord-
germanischer Rechte," S. 226—261.
2) EI)L, I, § 32; II, § 28.
3) ebenda, I, § 48; II, § 37.
96 Sitzung der liliilos.-phüöl. Classe vom 1. Februar 1879.
Rechten hat ferner der bischöfliche Vogt gegen alle die-
jenigen die Klage zu stellen, welche kirchliche Gebote ver-
letzen. Die B^L. lassen ihn auf Busse klagen wegen un-
erlaubten Essens von Morticinien ^) , oder von verbotenen
Thieren, es sei denn dass Jemand durch die äusserste Noth
dazu gezwungen worden wäre, und die üebertretung hinter-
her gebeichtet hätte ; ^) sie lassen ihn aber auch gegen
Leute klagen, welche sich in verbotenen Verwandtschafts-
graden geheirathet haben, obwohl die Klage in diesem Falle
unter Umständen nicht auf eine Geldbusse geht.^) Kommt
nämlich das verwandtschaftliche Ehehinderniss erst nach
eingegangenem Verlöbnisse auf, so hat des Bischofs Vogt
lediglich gemeinsam mit dem Verlober durch 4 von Beiden
zu gleichen Hälften eruannte tölumenn, d. h. Zählleute,
die Verwandtschaftsgrade berechnen zu lassen , welche
zwischen den Verlobten in Mitte liegen , und wenn sich in
Folge dessen zu grosse Nähe der Verwandtschaft ergibt,
wird das Verlöbniss sofort aufgehoben , jedoch ohne dass
die Verlobten bussfällig würden, indem man annimmt, dass
der Verstoss von ihnen unwissentlich begangen worden sei.
Kannten dagegen die Eheleute das Ehehinderniss bei Ein-
gehung ihrer Ehe , so hat sie der bischöfliche Vogt aufzu-
fordern, binnen einer 4 monatlichen Frist ihre Ehe zu lösen,
und sie büssen mit 3 Mark, wenn sie dieser seiner Auf-
forderung nicht nachkommen; eine gleich lange Frist wird
ihnen sodann noch ein zweites und drittes Mal unter der-
selben Strafandrohung vorgegeben. Läuft aber auch noch
eine vierte ihnen vorgegebene gleich lange Frist unbenutzt
ab , so verwirken beide Ehegatten ihren Frieden und ihr
Vermögen, und sollen sie in ein heidnisches Land ziehen,
1) BPh, I, § 5; II, §2.
2) ebenda, I, § 5 ; II, § 2; III, § 3.
.3) ebenda, I, § 15; II, § 6; III, § 6.
Maurer: Die ärmenn des altnorivegischen Bechtes. 97
da sie denn doch keine Christen sein wollen. Der Vogt
des Bischofs verfolgt ferner auch diejenigen mit einer Klage,
die an gebotenen Feiertagen arbeiten , ^) und zwar auch
dann, wenn Unfreie die Schuldigen sind ; will letzterenfalls
der Herr seine Sklaven nicht durch Erlegen der gesetzlichen
Busse loskaufen , so sollen sie durch zwei Leute durchge-
prügelt werden , deren einen der Vogt und deren anderen
die Bauerschaft des Bezirkes zu stellen hat. Endlich wird
auch noch ganz allgemein die Regel ausgesprochen,^) dass
der Vogt des Bischofes in allen Strafsachen , in welchen er
nach geltendem Landrechte Namens des Bischofs eine Busse
zu beziehen hätte, durch den Ladungsstab ein Ding berufen,
und hier zunächst an die Dingleute die Frage stellen solle,
ob sie von dem ihm zu Ohren gekommenen Vergehen
Etwas gehört haben oder nicht. Bejaht mindestens der
vierte Theil der Anwesenden die Frage, so gilt die An-
schuldigung als heraSsfleytt, d. h. bezirkskundig, und der
Vogt mag daraufhin seine Klage anstellen, und den Be-
klagten zu einem Reinigungsbeweise treiben, welcher je
nach der Schwere der Anschuldigung mittelst eines selbdritt
oder selbsechst geschwornen Eides, oder mittelst der Eisen-
probe zu erbringen ist; will dagegen nur ein geringerer
Theil der Anwesenden von der Sache gehört haben, so rauss
der Vogt die Sache fallen lassen, es sei denn, dass er einen
Zeugenbeweis führen könnte, welchenfalls natürlich die ganze
Fragestellung an die Dingleute wegzufallen hat. Die E{>L.
hin wider um lassen den Bischof oder seinen ärmann gegen
freie sowohl als unfreie Weiber die Klage wegen Kinds-
mordes stellen,') obwohl für dieses als „heidnischer Mord"
bezeichnete Verbrechen die Acht in Aussicht gestellt ist.
1) ebenda, I, § 14; III, § 21.
2) ebenda, I, § 17; II, § 26; III, § 28.
3) El>L., I. § 3 u. 7; II, § 3.
[1879. I. Philos.-philol.-hist. Cl. 1.]
98 Sitzung der pUilos.-pliilol. Clause com 1. Februar 1879.
Sie lassen ferner des Bischofs Vogt die Klage wegen ver-
botwidrigen Arbeitens am Feiertage anstellen, gleichviel ob
der Schuldige frei oder unfrei sei ; ^) derselbe darf jedoch
seinen Beweis nur durch Zeugen führen, und den Beklagten
nicht zum Reinigungseide drängen. Will überdiess, wenn
ein Sklave der Schuldige ist, dessen Herr ihn nicht von
der Strafe loskaufen, so muss er dem Vogte ,, dessen Haut
anbieten'', d. h. ihm den Mann zum Vollzug der Prügel-
strafe stellen. Widerum hat der ärmaSr biskups, ganz wie
nach den B{)L. , die Klagestellung im Falle einer Heirath
in verbotenen Verwandtschaftsgraden , nur dass das Ver-
fahren etwas anders geregelt ist als dort.^) Zunächst hat
nämlich nur der Vogt einen tölumann zu ernennen, und
seine Berechnung der Verwandtschaft gilt, wenn sie nicht
durch einen Gegenbeweis widerlegt wird, welchen die Ehe-
leute durch 8 Zeugen zu führen haben, von denen je zwei
der väterlichen und der mütterlichen Verwandtschaft des
Mannes einerseits und der Frau andererseits angehören
müssen. Diese Beweisführung hat am Ding und innerhalb
dreier Monate von dem Zeitpunkte an zu erfolgen, in welchem
der Vogt seine erste Ladung hatte ergehen lassen ; wird
der Beweis nicht innerhalb dieser Frist geführt, so haben
sich die Eheleute sofort zu trennen, und wenn sie dies bei
deren Ablauf nicht gethan haben, mit 3 Mark zu büssen.
Weiterhin hat der Vogt dann noch eine zweite und dritte
gleich lange Frist vorzugeben, unter Androhung derselben
Busse, jedoch so, dass während dieser beiden Fristen keine
Gegenbeweisführung mehr zulässig ist; endlich hat der Vogt
noch eine letzte 5 tägige Frist zu gewähren, nach deren un-
benutztem Ablaufe die Eheleute ihren Frieden und ihr Ver-
mögen verlieren, und zwar nimmt vom letzteren der Bischof
1) ebenda, I, § 12; II, § 9.
2) ehcnda, T, § 80; II, § 26.
Maurer: Die drmenn des altnoricegischcn Hechtes. 99
seine 9 Mark vorweg, worauf der Ueberrest zwischen ihm,
dem Könige und den lögmenn (zu Händen der Bauern) zu
gleichen Theilen geht. Endlich hat des Bischofs Vogt auch
die Klage wegen Hexerei zu erheben ; *) doch darf er mit
dieser nur dann vorgehen, wenn die Sache heraSsfleytt oder
bygSfleytt ist, was hier ein Zeugniss von 3 Bauern darüber
voraussetzt, dass sie von derselben gehört haben. Er büsst
mit 3 Mark, wenn er ohne ein solches Zeugniss eine der-
artige Beschuldigung erhebt, und er kann überdiess, wie
es scheint, ohne solches den Angeschuldigten nicht zu einem
Reinigungsbeweise treiben. Nach einer Bestimmung, welche
sich zwei Texten der B{)L. angehängt findet , welche aber
freilich aus den FrpL, entlehnt zu sein scheint/^) hat der
Vogt des Bischofs auch an die Bauern die Weisung zu er-
lassen, diesem bei seinen Rundreisen die Pferde zu stellen,
und dabei die Zahl der Thiere anzugeben , die sie im ge-
gebenen Falle bereit zu halten haben. Nach den K^L. aber
hat der armaSr biskups den Leuten, welche auf neuge-
rodetem Lande innerhalb der Almende sitzen, und darum
regelmässig zum Dingbesuche nicht verpflichtet sind, in den
Ausnamsf allen, in welchen ihm ihr Erscheinen nöthig scheint,
eine besondere Vorladung zugehen zu lassen ; ^) nicht minder
hat er im Frühjahre ein Ding zu halten, um für die ge-
hörige Instandhaltung der Kirchhofmauer zu sorgen , und
wenn sich innerhalb derselben ein Loch zeigt, dem Bau-
pflichtigen eine 5 tägige Frist zur Wiederherstellung zu
geben, bei Vermeidung einer Busse von 6 aurar.*) Der är-
maSr kann dabei die gleiche Frist immer wieder von Neuem
1) E1)L., I, § 41; II, § 33.
2) B{)L, II, § 27, u. III, § 24; vgl. Fi^L., II, § 44.
3) EI)L., I, § 15.
4) ebenda, I, § 38, u. II, § 31: doch weicht der jüngere Text
in den Strafsätzen etwas ab.
7*
100 Sitzung der philos.-iMlol. Classe vom 1. Februar 1879.
vorgeben; jedoch erwachsen solchenfalls neue Bussen nur
dann, wenn er die verfallene eingeklagt hat noch ehe die
neue verfällt, wogegen die fortgesetzte Säumniss nur mit
einer einzigen Busse belegt wird, wenn er diese Klagestel-
lung unterlassen hat. So geht die Sache fort, bis ein
Drittel der Mauer eingefallen ist, wogegen die Busse auf
1 2 aurar steigt , wenn erst die Hälfte , und auf 3 Mark,
wenn erst zwei Drittel derselben eingefallen sind. — Nicht
anders ist die Stellung des bischöflichen Vogtes aber auch
nach den Frostu]?ingslög und dem ihnen eng verbundenen
älteren Stadtrechte geordnet. Dass in diesen Quellen für
denselben ebenso wie in den beiden zuletzt besprochenen
Rechtsbüchern immer nur die Bezeichnung ärmaSr biskups
oder erkibiskups gebraucht wird , ist bereits oben bemerkt
worden , und kommt nur noch beizufügen , dass in ihnen
zuweilen auch nur von einem ärmanne schlechthin gesprochen
wird, wobei dann aus dem Zusammenhange und aus der
Beschaffenheit des in Frage stehenden Dienstes erschlossen
werden muss , ob im gegebenen Falle an den Vogt des
Bischofs oder des Königs zu denken sei.^) Es hat aber der
ärmaSr biskups auch hier wider zunächst die Vertretung
seines Herrn in Klagesachen wegen Verletzung kirchenrecht-
licher Gebote, und zwar gleichviel, ob es sich dabei um
eine Geldbusse, oder um den Vollzug einer wahren Strafe
handelt. Nach dem Stadtrechte z. B. ist er es, der die
Klage wegen Kindsaussetzung gegen Weiber erhebt , bei
welcher eine Busse von 3 Mark an den Bischof auf dem
Spiele steht ; ^) an der betreffenden Stelle der FrI>L. wird
er allerdings nicht als Kläger erwähnt, ^) jedoch augen-
scheinlich nur aus Zufall, da auch hier die gleiche Busse
1) vgl z. B. Fr{>L., II, § 23 u. 29.
2) BjarkR., I, § 3.
3) Fr{)L., II, § 2.
Maurer: Die ärmenn des aUnorwegischen Hechtes. 101
an den Bischof eintritt, und überdiess ausdrücklich bestimmt
wird, dass der Unfreie, welcher ohne Verschulden seines
Herrn des gleichen Vergehens sich schuldig macht, von
diesem entweder mit 6 aurar losgekauft, oder zum Vollzuge
einer Leibesstrafe gestellt werden muss, wessfalls dann der
ärmaSr biskups für dessen Prügelung zu sorgen hat. Wird
ferner eine Ehe mit Verletzung der kirchlichen Eheverbote
eingegangen, so ist es am Vogte des Bischofs, in dessen
Namen ein Ding zu berufen, und hier die Klage zu er-
heben.^) Er hat am Dinge selbst für die Berechnung der
zwischen den Eheleuten bestehenden Verwandtschaft zu
sorgen, wogegen diese einen Gegenbeweis durch eine Anzahl
bauggildismenn und nefgildismenn zu führen berechtigt
sind ; sind derartige Verwandte nicht zu haben, treten an-
statt ihrer 12 der besten Bauern ein, welche der Bischof
oder dessen Vogt zu ernennen hat, von denen jedoch nur
zwei von dem Beweisführer ausgewählte wirklich auszusagen
haben. Wird ein Gegenbeweis nicht erbracht, so haben
sich die Eheleute sofort zu trennen; unterlassen sie diess,
so hat ihnen des Bischofs Vogt ein zweites Ding anzube-
raumen, an welchem sie auch noch ihren Gegenbeweis er-
bringen dürfen. Mislingt dieser, so verwirken sie eine
Busse von 3 Mark, oder bei entfernterer Verwandtschaft
eine entsprechend geringere, während sie am ersten Dinge
nur dann bussfällig werden, wenn sie sich wissentlich gegen
die Eheverbote vergangen hatten ; dann mag der Vogt noch
ein drittes Ding anberaumen, und wenn auch an diesem
kein Gegenbeweis geführt wird, verwirken die Eheleute
nochmals 3 Mark. Trennt sich der Mann aber auch jetzt
noch nicht von seiner Frau, so verwirkt er seinen Frieden
und sein Vermögen, und das letztere fällt an den Bischof,
während die Frau ihr Gut behält. Eine änliche Bestim-
1) Frl>L., III, § 1.
102 Sitzung der philos.-phüöl. Classe com 1. Februar 1879.
mung gilt ferner aucli für die schwersten Fälle der Blut-
schande, welche gleich von Vornherein mit der Acht be-
droht sind;^) jedoch muss der Vogt solchenfalls an dem
von ihm berufenen Dinge seine Klage durch ein heimilis-
kviÖarvitni unterstützen , und dem Beklagten , wenn dieser
nicht sofort die Ableistung eines Reinigungseides verspricht,
eine Monatsfrist gewähren, um binnen derselben das Land
zu verlassen. Auch die Klage wegen Meineids soll des
Bischofs Vogt erheben, und zwar ebenfalls durch ein Ver-
dachtszeugniss unterstützt, „nema mal se opinbert." d. h.
falls er nicht einen Zeugenbeweis zu führen vermag ; ^) ja
auch bei der Klage, welche der Priester oder der ärmaSr
wegen Arbeitens an Sonn- oder Feiertagen zu stellen hat,
muss eine Unterstützung durch ein heimiliskviSarvitni ein-
treten, wenn der Kläger nicht behaupten kann den Beklag-
ten in eigener Person auf der That ertappt zu haben. ^) Im
letzteren Falle wird also dem Kläger , offenbar in Anbe-
tracht seiner amtlichen Stellung , insoweit Rücksicht ge-
tragen, als seine blose Behauptung genügen soll um den
Beklagten zum Reinigungseide zu treiben; in den übrigen
Fällen aber wird das heimiliskviSarvitni in der Art erbracht,
dass ein Hauptschwörer, je nach der Schwere der Anschuldig-
ung von 2 oder von 4 Eidhelfern unterstützt, beschwört, dass
er von der Sache gehört, und dass das Gerücht mindestens
über 3 Höfe sich verbreitet habe, dass er jedoch nicht wisse,
ob dasselbe begründet oder unbegründet sei. Allerdings
bezeichnet die Stelle den ärmann nur als solchen, und könnte
demnach bezweifelt werden, ob damit ein Beamter des
Bischofs oder des Königs gemeint sei ; indessen dürfte doch
sowohl die Veranlassung der Klage als die Zusammenstel-
1) ebenda, III, § 3.
2) ebenda, II, § 46.
3) ebenda, K, § 29; BjarkR., III, § 61.
Maurer: Die drmenn des altnorwegischen Hechtes. 108
lung des ärmanns mit dem Priester für die erstere Ausleg-
ung sprecheu, und die Vergleichung einer Stelle des Stadt-
rechtes für diese vollends den Ausschlag geben, welche für
weitere Uebertretungen der Feiertagsordnung die Verfolg-
ungl ausdrücklich dem ärmanne biskups überträgt. ^) An
einer anderen Stelle dagegen, welche die Rechte und Pflichten
des ärmanns in Bezug auf die boSburS, d. h. das Tragen
des Ladungsstockes bespricht,^) dürfte vielmehr an den Be-
amten des Königs zu denken sein und wurde diese Stelle
darum auch bereits oben in anderem Zusammenhange be-
sprochen, üebrigens ist zu beachten, dass der bischöfliche
Vogt auch in solchen Fällen die Klage zu erheben und das
Ding zu berufen hat, in welchen diese nicht auf eine Geld-
busse, sondern auf die Acht geht, wie z. B. gegen den,
welcher volle 3 Monate lang im Bann bleibt, ohne sich von
ihm los zu machen , ^) und überhaupt gegen Jeden , der
,,gerir til ütlegSar i kristnum retti," *) d. h. der durch ein
Vergehen gegen kirchenrechtliche Vorschriften seinen Frieden
verwirkt ; in allen derartigen Fällen hat überdiess der är-
ma6r biskups auch jene fimtarstefna anzuberaumen , an
welcher die Liquidation des Vermögens des Geächteten er-
folgt, und ebenso hat er jeden gewaltsamen oder heimlichen
Versuch, diese zu hindern, ganz in derselben Weise gericht-
lich zu verfolgen , wie diess gegenüber solchen Leuten, die
wegen weltlicher Vergehen geächtet werden , der ärmaSr
konüngs zu thun hat. ^) Da hiernach des Bischofs Vogt
über das Bereich der gerichtlichen Vertretung hinaus auch
für die vom Gerichtsverfahren ganz getrennt gehaltene Ur-
theilsvollstreckung zu sorgen hatte, konnte es leicht vor-
1) BjarkR, I, § 6
2) Fr{)L.. II, § 23.
■\) ebenda, III. § 21,
4) ebenda, III, § 24.
5) ebenda, III, § 23.
104 Sitzung der philos.-phüol. Classe vom 1. Februar 1879.
kommen, wie dies gelegentlich des Verfahrens mit Sicher-
heitsbestellnng (tak) ausdrücklich besprochen wird , *) dass
ein anderer bischöflicher Vogt als derjenige , welcher die
Klage gestellt hatte, die weitere Verfolgung der Sache über-
nemen musste , wenn der Beklagte inzwischen etwa seinen
Wohnsitz verändert hatte. In einzelnen Beziehungen endlich
greift der Beruf des bischöflichen Vogtes sogar noch über
das gesammte Gebiet der Rechtsverfolgung hinaus. Zu be-
stimmten Zeiten haben die ansässigen Leute strengstens zu
fasten, und die hiedurch ersparte Speise den Armen zuzu-
wenden ; der ärmaSr biskups aber hat im Vereine mit einer An-
zahl von ihm ernannter Männer diese Speise unter die Armen
zu vertheilen , und dann freilich auch von denen , welche
sie nicht einliefern, oder der Ernennung zur Theilname an
ihrer Vertheilung nicht Folge leisten, die hiedurch ver-
wirkte Busse einzutreiben.^) Nur für den Fall, da der Vogt
am bestimmten Tage nicht zur Kirche kommt, geht die
Vertheilung wie die Klagestellung auf den Priester über,
uud überdiess wird der Vogt selbst bussfällig, wenn er
seine Gehülfen nicht ernennt. Ausserdem hat der ärmaÖr
biskups auch den Leuten durch den Ladungsstab und öffent-
lichen Verruf in der Kirche den Tag und Ort zu bestimmen,
an welchem sie die vorgeschriebene Wegearbeit verrichten
sollen, welbhe als kirchliche Pflicht an die Stelle der älteren
Freilassung von Sklaven getreten war, und er hat dann
auch von den Ausbleibenden die verwirkte Busse einzu-
treiben , obwohl diese nur zur Hälfte an den Bischof, zur
anderen Hälfte dagegen an die Bauern fällt. ^) — Um jedem
Missverständnisse vorzubeugen , bemerke ich schliesslich
noch, dass der im drontheimer Rechte mehrfach genannte
1) ebenda, III, § 20.
2) ebenda, II, § 32.
3) ebenda, III, § 19.
Maurer: Die ärmenn des dltnorivegischen Bechtes. 105
upphaldsmaSr kirkju mit des Bischofs Vogt Nichts
zu thun hat. Einmal wird davon gesprochen, dass „prestr
eÖa upphaldsmaSr kirkju'* einer Leiche widerrechtlich das
Begräbniss auf dem Kirchhofe verweigert ; ^) eine zweite,
etwas schwerer verständliche Bestimmung lautet folgender-
massen^) : ,,sä skal umboS hafa kirkju jarSa innan heraÖs ok
innan kirkjusöknar, er skilvsenstr er ok erkibiskup vill setja,
upphaldsmann kirkju, ef til er ; an landbüi hverr taki heim-
ild af presti hverjum eptir annan er til kemr , hvärt sem
sä er upphaldsmaSr kirkju eSa eigi, er umboÖ hefir." Man
wird wohl für ,, upphaldsmann kirkju'' lesen müssen ,, upp-
haldsmaSr kirkju", eine Correctur, welche um so leichter
ist, da im neueren Isländischen die Form ,,mann" für „maSr"
gar nicht selten gebraucht wird , ^) und ergibt sich sodann
folgender Sinn der Stelle. Die Vertretung des Grundbe-
sitzes der Kirche soll immer ein Mann haben, welcher inner-
halb des Gaues und der Kirchengemeinde gesessen ist, zu
welcher die Kirche gehört; der Erzbischof soll den Tüch-
tigsten mit der Function betrauen, aber der upphaldsmaSr
kirkju dieselbe übernemen, ohne dass es dazu einer Ernen-
nung bedürfte , wenn er zur Stelle , d. h. innerhalb des
Gaues und der Gemeinde gesessen ist. Doch sollen die
Hintersassen nicht von dem umboSsmaSr der Kirche, d, h.
von dem Vertreter ihres Grundbesitzes, sondern von dem
jeweiligen Pfarrer an derselben ihre Belehnung erhalten,
und zwar gleichviel, ob dieser Vertreter der upphaldsmaSr
der Kirche ist oder nicht. Da ist nun zunächst klar, dass
der upphaldsmaSr einerseits vom Pfarrer unterschieden wird
andererseits aber doch ganz wie dieser immer in einer be-
stimmten Beziehung zu einer bestimmten einzelnen Kirche
1) ebenda, II, § 16; BjarkR., III, § 58.
2) Fii)L., XIV, § 8.
3) Ich bemerke, dass in Fragm. V, S. 522, die hier massgeben-
den Worte ausgefallen sind.
106 Sitzung der pliUos.-pliUol. Classe vom 1. Februar 1879.
steht. Berücksichtigt man sodann . dass der Ausdruck :
„halda upp kirkju, kirkjugarS" technisch von dem Tragen
der Kirchenhaulast gebraucht wird , und dass eine für das
altnorwegische Kircheurecht sehr bedeutsame Quelle als
„upphaldsmann kirkju^' geradezu den Kirchenpatron be-
zeichnet,^) welchem die Kirchenhaulast ja obliegt, und er-
innert man sich überdiess, dass auch nach dem isländischen
Kirchenrechte der an der Kirche dienende Priester und mit
ihm „sä ma6r er kirkju varSveitir," den Leichen, welche zur
Kirche gebracht werden, ihr Grab anzuweisen hat,^) unter
welchem Manne doch auch wider nur der Besitzer der
Kirche verstanden werden kann, so wird man nicht umhin
können, unter dem upphaldsmaÖr kirkju auch an den oben
angeführten Stellen lediglich den Kirchenpatron zu ver-
stehen. In keinem Falle aber kann der upphaldsraaSr
kirkju mit dem ärmanne biskups irgend Etwas zu thun
haben.
Man sieht, die Obliegenheiten der ärmenn der Könige
und der Bischöfe sind wesentlich gleicher Art. Sie um-
fassen hier wie dort die Vertretung der vermögensrechtlichen
Interessen des Herrn, und ist es gewiss nur zufällig, wenn
bei den bischöflichen Vögten in unseren Quellen der Stell-
ung zum Grundbesitze ihres Herrn nicht gedacht wird ; sie
erstrecken sich aber vielfältig auch über das Bereich der
vermögensrechtlichen Interessen hinaus, und lassen insoweit
die Vögte geradezu in den öffentlichen Dienst hinübergreifen.
Bei den bischöflichen Vögten macht sich dieser letztere
Umstand allerdings weniger bemerkbar, da die kirchlichen
Geschäfte des Bischofs nach den feststehenden Grundsätzen
des Kirchenrechtes eine Vertretung durch Laien ausschlössen ;
bei den Vögten des Königs dagegen tritt derselbe um so
1) Anekdoton Sverreri, § 13—16.
2) Kgsbk, § 2, S. 8.
Maurer: Die drmenn des aUnorwegisclien Hechtes. 107
mehr hervor, weil die Griiüd anläge des norwegischen Straf-
rechtes einerseits, und die Begründung aller öffentlichen
Gewalt des Königs auf eine Reihe durch strafrechtliche Ge-
bote und Verbote . geschützter Berechtigungen desselben
andererseits dessen Vermögensinteressen mit dem gesammten
Staatsdienste auf das Engste verflochten zeigt. Insoweit
Aveiche ich denn auch von den Ansichten nicht ab, welche
von P. A. Munch^) und R. Keyser^) vertreten wurden, und
welche sich auch sonst in der älteren wie neueren Literatur
ausgesprochen zeigen; Bedenken erheben sich dagegen, so
wie man es versucht, die allgemeine Stellung dieser
Beamten sich klar zu machen, also ihr Verhältniss zur
Eintheilung des Landes und weiterhin zu den übrigen
Staatsbeamten, ihren Rang und ihre Einreihung in die
Stufenreihe der verschiedenen Volksklassen, endlich ihr Ver-
hältniss zu ihrem Dienstherrn und die Art ihrer Ablohnung
für ihre Dienstleistungen. Nach allen diesen Seiten hin
gewähren unsere Quellen nur ziemlich dürftige und theil-
weise sich widersprechende Aufschlüsse, und nach allen
diesen Seiten hin scheinen denn auch die bisher aufgestell-
ten Ansichten einer Revision zu bedürfen.
Das Amt des Vogtes wird aber als ärmenning be-
zeichnet, gleichviel, welchem Herrn er dient ;^) insbesondere
findet sich diese Bezeichnung oft genug gebraucht in Bezug
auf Vögte des Königs , *) dann des Bischofes oder Erz-
1) Det norske Folks Historie, I, 1, S. 572—73; II, S. 965-66 u.
988-89.
2) Norges Stats- og Retsforfatning i Middelalderen, S. 206—8, uncl
öfter.
8) Frl)L, IV, § 57.
4) z. B. Hei ms kr. Olafs s. Tryggvasonar, cap. 103, S. 204;
Olafs, s. helga, cap. 127, S. 361; Magnus s. god'a, cap. 3,
S. 517.
108 Sitzung der pMos.-pMol. Classe vom 1. Februar 1879.
bischofes, ^) allenfalls auch eines Jarles,^) und es lässt sich
nicht bezweifeln , dass dasselbe bei den Vögten des Königs
sowohl als der Bischöfe stets auf einen bestimmt begrenzten
Bezirk sich bezog. Bezüglich der bischöflichen armenn
zeigt eine oben bereits besprochene Stelle, dass man unter
Umständen zwischen dem Vogte, der eine Klage stellte
(biskups ärmaÖr er sökn hof) , und dem anderen , der an
dem Orte, an dem eine Klage wegen Nichtbeachtung einer
Sicherheitsbestellung für jene Klagssache zum Zuge kommt,
die Verwaltung hat (er fyrir sitr), zu unterscheiden hatte, ^)
dass also der Umzug einer Parthei aus einer Gegend in die
andere einen Wechsel in der Competenz dieser Vögte zur
Folge hatte. Dass also wenigstens am Schlüsse des 12.
und am Anfange des 13. Jahrhunderts die bischöflichen
Vögte bereits ihre bestimmten Sprengel hatten, auf welche
die territoriale Ausdehnung ihrer Competenz beschränkt
war, steht fest , wenn sich auch nicht erkennen lässt , ob
diese ihre Sprengel mit der sonstigen geistlichen oder welt-
lichen Bezirkseintheilung des Reiches in irgendwelchem Zu-
sammenhange standen. Nicht minder deutlich lässt sich
aber auch erkennen, dass den königlichen Vögten gleich-
falls je ihr besonderer Bezirk angewiesen war , auf welchen
sich deren Gewalt bezog. Ueber diesen Bezirk wird dem
Vogte ganz ebenso, wie dies bei dem Landherrn der Fall
ist, eine „sökn" zugeschrieben,^) oder auch eine „yflrsökn";^)
welcher Ausdehnung aber diese Bezirke waren, dürfte sich
ebenfalls wider nicht mit genügender Sicherheit feststellen
lassen. In den Gl>L. wird einmal von einer Zahlung ge-
1) Fr{)L., IV, § 59; Diplom, norveg., III, nr. 28, S. 2]
(1290).
2) Orkneyinga s., S. 382.
3) Fr{>L., III, § 20.
4) Fr{)L., XVI, § 2.
5) G|>L., § 271; 301.
Maurer: Die ärmenn des altnorivegischen Hechtes. 109
sprochen, welche ,,ärma6r koDÜngs eSa lendrinaSr, hverr i
sinni syslu" zu machen hat;^) an der entsprechenden Stelle
des sogenannten Christenrechtes K. Sverrir's lauten aber
die betreifenden Worte : ,,arraa8r konüngs e5a lendrraaÖr,
hverr i sinu fylki ok Syslu," ^) was den Schluss nahe legt,
dass unser Text der Gt)L. verderbt, und die sysla nur auf
den Landherrn, dagegen das fylki auf den ärmann zu be-
ziehen sein möge. Daraus , dass an einer anderen Stelle
von ,,yfirsöknarmenn er {)ar eigu syslur bseSi af konüngs
hendi ok biskups" gesprochen wird , ^) ist jedenfalls kein
bestimmter Schluss zu ziehen, obwohl auch in diesem Falle
zweifellos an den ärmann konüngs ebensowohl als an den
Landherrn zu denken ist; die Unbestimmtheit des Aus-
drucks sysla lässt nämlich, zumal da es galt einen Ausdruck
zu gebrauchen, der sich auf Beamte verschiedener Art zu-
gleich beziehen liess, recht wohl die Anname einer ganz
untechnischen Bedeutung zu. An einer weiteren Stelle ist
von „{>eim ärmanne, er i t)vi fylki ä yfirsökn", die Rede*)
und wider an einer anderen wird ein ärmaSr erwähnt, ,,sä
er ättüng hefir at yfirsökn;"^) aber beide Stellen lassen,
zumal in ihrem Zusammenhalte, der Deutung Raum, dass
damit weder das fylki noch der ättüngr als identisch mit
dem Bezirke des Vogtes bezeichnet, sondern nur angedeutet
werden wollte, dass jedes Volkland sowohl als jeder Gau
eines solchen seinen bestimmten Vogt über sich hatte.
Wenn ferner in den Frt)L. einmal gesagt wird : „{)ä skal sinn
fylkismann ärma8r scekja," ^) so scheint diess zwar aller-
dings darauf hinzudeuten , dass jeder Vogt der Regel nach
1) ebenda, § 2.
2) KR. Sverris, § 2.
3) Gl)L., § 30; änlich KrR. Sverris, § 80.
4) ebenda, § 271.
5) ebenda, § 301.
6) Frl)L., X, § 33.
110 Sitzung der pMlos.-philol. Classe com 1. Februar 1879.
zum Mindesten ein Volkland unter sich hatte ; aber aus
dem an einer anderen Stelle gebrauchten Ausdrucke: „ärmaSr
hverr i fylki," *) möchte man umgekehrt eher darauf schliessen.
dass der Vögte in jedem Volklande mehrere gewesen seien,
wenn man nicht etwa durch eine Conjectur sich zu helfen
vorzieht, indem man liest : „hverr i sinu fylki." Jedenfalls
konnte es aber vorkommen, dass es in einem Volklande
einmal keinen Vogt gab, da in den G|>L. für diesen Fall
das Eintreten des nächstwohnenden ärmanns aus einem
anderen Volklaude vorgesehen war,-) ganz wie die Fr|jL. in
Nothfällen den nächsten armann angehen lassen, gleichviel
welchem Bezirke die Leute angehören, welche ihn anzurufen
im Falle sind.^j Alles in Allem genommen wird es hiernach
am Gerathensteu sein anzunemen, dass die ärmenn des
Königs sowohl als des Bischofs zwar ihre bestimmten Be-
zirke hatten, dass aber diese Bezirke ihnen nur von Fall
zu Fall angewiesen wurden, nicht ein für allemal feststanden,
wenn auch vielleicht bei den Vögten des Königs im Allge-
meinen üblich sein mochte, für jedes Volkland einen solchen
anzusetzen. Das VerhäUniss aber der höniglichen Vögte zu
den übrigen Staatsbeamten^ also zumal zu den lendirmenn
und sy slumenu , lässt sich nicht wohl erörtern , ohne dass
vorgängig die dienstliche Stellung dieser letzteren festge-
stellt würde; ich behalte mir demnach die Besprechung
dieses Punktes für eine spätere Gelegenheit bevor, und be-
merke hier nur, dass in nicht wenigen Fällen die Ausübung
der Rechte und Pflichten, welche dem ärmanne des Königs
in Bezug auf den öffentlichen Dienst zukommen, gleichzeitig
auch dem Landherrn und allenfalls auch dem Syselmanne
zugewiesen wird , ohne dass sich doch jederzeit erkennen
1) ebenda, VIJ, § 14.
2) G!>L., § 271.
8) Frl)L., VII, § 19.
Maurer: Die drmenn den aUnorwegiscJicn Rechtes. 111
Hesse , ob dabei an eine gemeinsame Wirksamkeit dieser
verschiedenen Bediensteten zu denken sei, oder ob ihnen
eine concurrirende Competenz eingeräumt werden wolle,
oder ob dem Landherrn oder Syselmanne etwa eine über-
geordnete Stellung gegenüber dem Vogte zukomme, ver-
möge deren er dessen Amtsführung zu überwachen, und
nur dann selbst in diese einzugreifen hatte , da der Vogt
seinerseits seinen Verpflichtungen nicht genügte.
Was sodann die Bangstelhmg der Vögte betrifft, so
fehlt es nicht an Stellen , welche auf ein nicht geringes
Ausehen wenigstens der Vögte des Königs hindeuten , und
man kann, wie oben bereits bemerkt wurde, dem gegenüber
nicht ohne Weiteres auf jene anderen Fälle sich berufen,
in welchen diese von vornemen , auf ihre selbstherrliche
Stellung stolzen Männern als ,,konüngs {>ra3lar*' bezeichnet
werden. Darauf zwar will ich kein entscheidendes Gewicht
legen, dass in einer Bearbeitung der biblischen Geschichte
einmal vom Könige gesagt wird : „hann man skipa til är-
menn ok a8ra höfSmgja at heimta leiSängra ok lySskyldir ;" ^)
die betreffende Schrift ist nämlich aller Wahrscheinlichkeit
nach erst in der zweiten Hälfte des 13. Jahrhunderts ver-
fassi^, ^) so dass die hohe Stellung , welche sie den Vögten
des Königs einräumt, jedenfalls nur für eine sehr späte
Zeit durch sie erwiesen werden könnte, und ihre üebersetz-
ung der einschlägigen Worte der heiligen Schrift ist über-
diess eine so freie, dass aus der Vergleichung des Originales
keine nähere Aufklärung zu gewinnen ist. Auch darauf
lege ich nicht viel Werth, dass die Gl)L. dem Vogte des
Königs für seine eigene Person, für die seiner Frau, dann
für seinen Sklaven (nicht für seine übrigen Hausgenossen)
1) Stjorn, cap. 221, S. 441; vgl. I Sarauelis, 8, 12.
2) vgl. Gu^brand Vigfusson, in den Ny felagsrit, Bd. XXIH
(1863), S. 132—51.
112 Sitzung der iMlos.-pliilol. Classe vom 1. Februar 1879.
die Befreiung von der Heerlast angedeihen lassen ; ^) schon
der Umstand, dass dasselbe Rechtsbuch die gleiche Befrei-
ung den Landherrn nicht angedeihen lässt, zeigt deutlich,
dass jene Befreiung nicht auf den höheren Rang des Be-
freiten zurückgeführt werden darf, und diese Folgerung
wird dadurch bestätigt, dass die Frl>L., welche die Land-
herrn bereits seit des heiligen Olafs Zeiten der Heerlast
unterworfen wissen , ^) die ärmenn ganz ebensogut wie die
Landherrn zum Erscheinen am manntals{)inge und zur eid-
lichen Angabe ihrer Hausgenossen verpflichten.^) Die Aus-
dehnung der Befreiung auf des Vogtes Frau und auf seinen
Unfreien zeigt überdiess, dass das Privileg, welches die Gl)L.
ihm ver willigen, auch nicht einer Rücksicht auf seine Amts-
führung seine Entstehung verdanken kann, da diese ja doch
nur eine Exemption seiner eigenen Person, und auch diese
nur in Bezug auf den persönlichen Heerdienst , nicht in
Bezug auf die in der Heerlast begriffenen Vermögensleist-
ungen begründen könnte ; es wird wohl kaum etwas Anderes
übrig bleiben, als in der theilweisen Befreiung von der
Heerlast eine Vergünstigung zu sehen, durch welche der
vom Vogte geleistete Dienst ihm theilweise vergolten werden
wollte. Bedeutsamer scheint mir dagegen , dass der Vogt
ebensogut wie der Landherr seine veizla haben konnte,*)
und ganz besonders erheblich wollen mir zwei andere Vor-
schriften vorkommen , welche Garantieen gegen den Miss-
brauch des dem Vogte zukommenden Ansehens zu bieten
bestimmt sind. Nach den G{)L. darf der Vogt des Königs
ebensowenig als der Landherr in ein Privatgericht ernannt
werden, oder auch nur an den Ort, an welchem ein solches
1) GI)L., § 298.
2) FrI)L., VII, § 18.
3) ebenda, VII, § 8.
4) Gl>L., § 308.
Maurer: Die ärmenn des altnorwegischen Rechtes. 113
sitzt, so nahe herankommen, dass man seine Rede in dem-
selben vernemen kann ; ^) nach den Fr[>L. aber soll Nie-
mand, wenn gegen ihn eine Klage erhoben werden will,
sein Domicil ,,1 lends manns garÖ" oder „1 ärmanns garÖ''
verlegen dürfen.'^) Allerdings verbieten dem gegenüber die
Frl)L. nur dem Landherrn den Zutritt zum Privatgerichte, ^)
ganz wie sie nur ihn von dem Zutritte zur lögretta aus-
schliessen,^) während umgekehrt die G{>L. nur das Verlegen
des Domiciles nach dem Hofe des Landherrn untersagen,^)
ganz wie sie beim Streite über Stammgut nur die Ver-
weisung des Klägers an einen solchen dem Beklagten ver-
bieten ; ^) aber man wird dieses ungleiche Verhalten beider
Rechtsbücher doch wohl um so weniger wörtlich neraen
dürfen, als sich deren Bestimmungen kreuzen, vielmehr wird
wohl das eine von ihnen aus dem andern zu ergänzen, und
somit anzunemeu sein, dass sowohl das Verbot des Betretens
des Privatgerichtes, ^Is das Verbot der Verlegung des Do-
miciles nach beiden Rechten ebensowohl dem Vogte des
Königs als dem Landherrn gegenüber zu gelten hatte. Der
Grund beider Bestimmungen kann selbstverständlich nur in
dem Bestreben gesehen werden', der Unterdrückung des
einen Streittheiles durch einen übermächtigen Beschützer
des anderen entgegenzuwirken, also in demselben Beweg-
grunde, welcher auch der Vorschrift der G{>L. zu Grunde
liegt, dass ein Weib die Führung seiner Streitsache zwar
einem Vertreter übergehen dürfe, jedoch keinem Landherrn
noch sonst Jemanden, der ihrem Processgeguer an Macht
1) ebenda, § 37.
2) Frl>L., X, § 9.
3) ebenda, X, § 16.
4) ebenda, I, § 2.
5) GtL., § 46.
6) ebenda, § 267.
[1879.1 Philos.-philol.-hist. Cl. 1.]
114 Sitzung der phüos.-jyhüol. Classe vom 1. Februar 1879.
überlegen sei,^) oder der Vorschrift der Fr{)L., nach welcher
eine Jungfrau nur einem Standesgenossen ihres Vaters, eine
Wittwe nur einem Standesgenossen ihres verstorbenen
Mannes ihre Vertretung übertragen darf, ^) oder auch dem
noch weiter reichenden Satze dieses letzteren Rechtsbuches,
nach welchem überhaupt Niemand einem Anderen seine
Vertretung übertragen durfte, welcher nach Geburt oder
Ansehen (at bur5um ne at metorSi) höher stand als sein
Processgegner, mit einziger Ausname des Königs und des
Erzbisch ofes, ^) von welchen beiden Ausnamen die erstere
anderwärts noch speciell für den Fall näher geregelt wird,
da der König veranlasst ist. Jemanden wegen Landesverrathes
verfolgen lassen zu müssen. *) Man sieht , das Ansehen
(metorÖ), dessen der Vogt des Königs um seines Dienstes
willen genoss, war gross genug, um ihn mehrfach mit dem
Landherrn gleich behandeln zu lassen, mit dem er ja ohne-
hin in seinen amtlichen Geschäften sich vielfach berührte ;
aber doch werden beide stets scharf getrennt gehalten, und
lassen sich in Bezug auf die allgemeine Stellung beider sehr
charakteristische Unterschiede nachweisen. Während z. B.
der Sohn des Landherrn ,an dem höheren Rechte seines
Vaters innerhalb gewisser Schranken Antheil nam, auch
wenn er den Voraussetzungen jenes Standes persönlich keines-
wegs genügte , ^) so ist diess beim Sohne des Vogtes nicht
der Fall, vielmehr gilt von diesem, wie freilich auch vom
Sohne des Priesters und des Bischofs, des Jarles, Marschalls
(stallari) und Tischdieners (skutilsveinn), die entgegengesetzte
1) ebenda, § 47.
2) Fr{)L., X, § 86; XI, § 7.
3) ebenda, X, § 29.
4) ebenda, IV, § 4.
5) G{>L., § 37, 200 u. 206; BI>L., I, § 12; II, § 20; E{)L., I,
§ 48 u. 50; II, § 37 u 39.
Maurer: Die ärmenn des altnorwegischen Rechtes. 115
Hegel , dass er das Recht zu nemen hat , das ihm seiner
Geburt nach zukommt, solange er nicht die gleiche Würde
(nafn) mit seinem Vater erlangt J) Von jener Hinneigung
zur Erblichkeit, welche bei dem Stande der Landherrn so
entschieden hervortritt, ist demnach bei den Vögten Nichts zu
verspüren ; die angeführte Bestimmung muss aber wohl schon
älteren Rechtens gewesen sein , da sonst schwerlich des
Bischofs und des Priesters Sohn so unbedenklich in ihr er-
wähnt sein könnte. Ein weiterer Unterschied liegt ferner
darinn begründet, dass nach den G^L. Geldstrafen, welche
ein Landherr verwirkt, soweit solche überhaupt von der
öffentl ichen Gewalt bezogen werden , halb an den König
und halb an die Bauern fallen sollen, wogegen die vom
königlichen Vogte verwirkten ungetheilt den Bauern ge-
hören.^) Auch nach den Fr|>L. sollen die Bauern wenig-
stens in dem Falle, da der Vogt eine Busse dadurch ver-
wirkt, dass er einem von ihnen widerrechtlich Etwas ab-
genommen und dessen Zurückgabe verweigert hat, das Straf-
geld allein beziehen;^) nach der Einleitung freilich, welche
K. Häkon gamli dem Rechtsbuche vorsetzte, soll eine dem
armanne wegen Versäumung dienstlicher Pflichten ange-
drohte Busse vom Könige mit den Bauern gleich getheilt
werden , *) und nach einer Stelle des Rechtsbuches selbst
sollen lendirmenn, hüskarlar und ärmenn ganz gleichmässig,
wenn sie die gesetzwidrige Erlassung eines Ausfuhrverbotes
innerhalb des Reiches anstiften, das grosse Friedensgeld von
40 Mark an den König selbst verwirken, wobei nur dem
Vogte für den Fall seiner ünvermögenheit eine vom König
willkürlich zu bestimmende Strafe in Aussicht gestellt wird,
1) G5L., § 200.
2) ebenda, § 71, 152 (auch Fragm. C) und 253.
3) FrI»L., X, §33.
4) ebenda, Einleitung, § 12.
8*
116 Sitzung der phüos.'philol. Classe vom 1. Februar 1879.
während bezüglicli der Landherrn und der Gefolgsleute von
einer solchen nicht die Rede ist/) was doch wohl mit einem
durchschnittlich geringeren Vermögensbesitze jener ersteren
zusammenhängen wird. Wie man aber jenen Unterschied
in der Behandlung der Vögte und der Landherrn zu er-
klären habe, steht dahin. Man kann allenfalls die Ver-
muthung wagen, dass der Vogt als ein ausschliessliches
Organ seines königlichen Herrn gegolten habe, während
der Landherr eine ungleich selbstständigere Mittelstellung
zwischen dem Könige und der Bauerschaft eingenommen
habe,^) und dass darum für seine Vergehen wie für die des
Königs selbst^) nur an die Bauern ein Gewette bezahlt
worden sei; aber man muss dabei jedenfalls beachten, dass
dieser Gesichtspunkt nur in Bezug auf solche Vergehen
durchführbar war, welche unmittelbar das Recht der Bauer-
schaft oder einzelner Bauern verletzten, und dass somit
immerhin auch andere Vergehen vom Vogte begangen
werden konnten, welche, weil nur gegen den König ge-
richtet, auch nur diesem zu büssen waren, oder welche, als
mehr neutraler Art, auch bei ihm eine Theilung des Ge-
wettes zwischen König und Bauerschaft zuliessen, und man
wird überdiess nicht übersehen dürfen, worauf zumal Asche-
houg sehr richtig aufmerksam gemacht hat, dass mit der
Zeit auch bei den ärmenn der Charakter des einseitigen
Königsdienstes mehr zurücktrat, bis er endlich dem des
Staatsdienstes völlig wich. — Ganz besonders schwer ist
festzustellen, wie sich die Vögte des Königs sowohl als der
Bischöfe in Bezug auf Wergeid und Busse verhielten, in
1) Fr5L., V, § 43.
2) vgl. P. A. Munch, Om de saakaldte Lendirraenn i Norge, in
dessen Samlede Afhandlinger, I, S 90— 91; R. Keyser, ang. 0., S.
206 — 7; vorsichtiger Aschehoug, Norges offentlige Ret, I, S. 50.
3) PrtL., IV, § 53.
Maurer: Die ärmenn des altnorwegisehen Bechtes. 117
deren Betrag doch die Werthschätzung des einzelnen Mannes
sich ganz besonders scharf auszuprägen pflegte. Eine oben
bereits angeführte Stelle der G{)L.,^) welche bestimmt, dass
des Vogtes Sohn das Recht nemen soll, zu dem er geboren
ist, solange er nicht selbst die Würde seines Vaters erlangt
hat, scheint darauf hinzudeuten, dass der Vogt als solcher
eine höhere Busse bezog, als welche ihm seiner Geburt nach
zugekommen wäre, zumal da mit dem Sohne des Vogtes
der Sohn des Bischofs, Jarles, stallari und skutilsveinn zu-
sammengestellt wird, während wir wissen, dass der Bischof
und Jarl ihre eigene Busse zunächst nach dem Könige
namen, und dass der stallari die des Landherrn, der skutil-
sveinn die des höldr bezog. Wenn ferner eine andere Stelle
bei Besprechung der Bussen, welche dem Herrn wegen Ver-
letzung seiner Unfreien zukommen, den Satz aufstellt^): „at
ärmanns retti skal boeta, ef ma8r öfundar man konüngs, I)at
er fyrir büi hans vinnr," so wird man auch hierinn Nichts
zu finden haben , was dieser Anname im Wege stehen
könnte. Man pflegt allerdings die angeführten Worte dahin
zu verstehen, dass der auf einem Königshofe arbeitende
Unfreie derselben Busse geniessen solle wie der Vogt,^) und
man sieht demgemäss in ihnen eine Bestätigung der an-
geblichen Thatsache, dass die Vögte des Königs ursprüng-
lich zumeist unfreien Standes, oder doch nur wenig besser
gestellt gewesen seien als die Unfreien; indessen ist doch
noch eine ganz andere Auslegung derselben möglich , und
sogar vorzuziehen. Die Stelle bestimmt nämlich zunächst,
dass der „böndi'' für seine beste Sklavinn l^a aurar neme,
der „höldr" 3 aurar, und der Landherr 6, worauf die weitere
1) G))L, § 200.
2) ebenda, § 198.
3) vgl. z. B. Munch, Om Lendirmsend , S. 85, Anm. 1; Fr.
Brandt, Brudstykker af Forelaesninger over den norske Retshistorie,
S. 4.
118 Sitzung der philos.-phüol. Glasse vom 1. Februar 1879.
Bemerkuug folgt, dass der Herr für seinen Sklaven eine
gleich hohe Busse beziehe wie für seine Sklavinn ; wenn
nun an diese Sätze die oben angeführten Worte sich an-
schliessen, so liegt die Vermuthung doch nahe genug, dass
diese besagen sollen , die für Unfreie des Königs zu be-
zahlende Busse richte sich nicht nach dem Rechte des
Königs, sondern nach dem des Vogtes, der über den Königs-
hof gesetzt ist, auf welchem der Unfreie dient. Eine der-
artige Bestimmung hat ihren guten Grund , da die für den
besseren Sklaven des Königs zu entrichtende Busse , wenn
man ihr das Recht des Königs selbst zu Grunde gelegt
hätte, nach Analogie der ganz parallel laufenden Vorschriften»
über das landnara^) volle 3 Mark hätte betragen müssen,
also ebensoviel als die Busse des Stammgutsbesitzers, ^j was
denn doch für letzteren unerträglich gewesen wäre ; nur
bei dieser Deutung begreift sich überdiess, warum die Unter-
scheidung zweier Kategorien von Sklaven , welche beim
Bauern, höldr, Landherrn gemacht wird, bezüglich der Un-
freien des Königs unerwähnt bleibt. Sie versteht sich für
diese von selbst, wenn der „ärmanns rettr" den Busssatz
des Herrn selber bezeichnet, von welchem ab nach dem be-
reits bekannten Massstabe die für den besseren sowohl als
für den geringeren Unfreien zu gebende Busse sich be-
rechnet ; sie müsste dagegen besprochen werden , wenn der
ärmanns rettr seinerseits die für den Unfreien zu zahlende
Busse sein sollte, soferne ja ausserdem für alle und jede
Unfreie des Königs derselbe Busssatz vorgeschrieben wäre.
Hält man aber an der vorgeschlagenen Auslegung unserer
Stelle fest, so fällt jene vermeintliche Annäherung des Vogtes
an die Unfreien völlig weg, soferne die Stelle dann eben
über den Betrag der Busse jenes Ersteren gar Nichts sagt.
1) G{)L., § 91.
2) ebenda, § 200.
Maurer: Die drmemt des altnorivefjischeu Hechtes. 119
Die G[>L. enthalten aber weiterhin noch eine Vorschrift,
welche sieh auf die Tödtung des königlichen Vogtes be-
zieht. ^) Dieselbe verfügt, dass derjenige, welcher einen
Vogt des Königs tödtet, denselben mit 15 Mark vergelten
soll (gjalda aftr) , es sei denn, dass er ihn vor des Königs
Tisch erschlage, während er diesem aufwartet, oder am Ding,
Avährend er des Königs Rechtssachen vertritt, als in welchen
beiden Fällen den Todtschläger die Acht trifft; jene Zahl-
ung aber soll nach dem gewöhnlichen gesetzlichen Münz-
fusse geleistet werden. Dabei fällt zunächst auf, dass die
Tödtung des Vogtes den Thäter nur ausnamsweise der Acht
verfallen lässt, während doch der am gemeinfreien Manne
begangene Todtschlag dem Thäter sofort die Friedlosigkeit
zuzieht. ^) Indessen unterscheidet ja das altnorwegische
Recht bekanntlich zwischen zwei Classen von Friedens-
brüchen, nämlich zwischen den gewöhnlichen ütlegSarmäl
und den übötamäl, und wenn zwar bei beiden die Friedlosig-
keit die nächste Folge der That war, so konnte doch bei
den ersteren, zu denen der einfache Todtschlag gehörte,
diese Folge dadurch abgeschnitten werden, dass sich der
Thäter rechtzeitig und in gehöriger Weise zum Erlegen
des gesetzlichen Sühngeldes erbot, während bei den letz-
teren ein Abkaufen der Acht nicht zulässig war; wenn so-
mit an unserer Stelle gesagt wird, dass für die Tödtung
des Vogtes der Regel nach Busse genommen , und nur in
gewissen Ausnamsfällen die Acht vollstreckt werden solle,
so kann dies doch wohl auch dahin verstanden werden,
dass solche Tödtung nur unter bestimmten erschwerenden
Voraussetzungen den übötamäl, der Regel nach aber nur
den ütlegSarmäl zugezählt werden solle, wie diess ja auch
von der Tödtung anderer freier Personen galt. Auffällig
1) ebenda, § 170.
2) ebenda, § 152-3.
120 Sitzung der philos.-xyhilol. Classe vom 1. Februar 1879.
ist ferner, dass der Vogt nur mit 15 Mark vergolten werden
soll, während doch das Wergeid sogar des gemeinfreien
Bauern sich ungleich höher belief; indessen steht doch
keineswegs fest, dass jene 15 Mark als das Wergeid des
Vogtes zu betrachten sind. Nach einer anderen Stelle soll
man einen erschlagenen höldr mit 18 Mark ,,lögeyris'' ver-
gelten (gjalda) , ^) während doch schon die für ihn zu ent-
richtenden ,, baugar" nach einer anderen Angabe 19,^) und
nach einer dritten 1 2 V» Mark betragen sollen , ') welche
letzteren überdiess „12 alna eyris" sind, also sich auf
25. Mark lögeyris berechnen; da sich die Wergelder der
verschiedenen Volksclassen in derselben Weise abstufen wie
deren Bussen , *) würden sich die Beträge der baugar für
den gemeinfreien Bauern nur halb so hoch stellen , also
immerhin noch etwas niedriger als die für den Vogt zu
entrichtende Zahlung, wenn man die für diesen augesetzten
1 5 Mark auf die baugar beziehen will , wie diess die erste
der auf den höldr bezüglichen Stellen nahe legen könnte.
Aber noch ein ganz anderer und besserer Ausweg dürfte
offen stehen. Wir werden uns daran erinnern dürfen, dass
der norwegische König nicht nur für jeden getödteten
ünterthan ein „{)egngildi'* von 40 Mark, sondern überdiess
noch für jeden getödteten Gefolgsmann ,,hüskarlsgjöld" im
Betrage von einer Mark Goldes oder 8 Mark Silbers bezog, ^)
welche hinwiderum ziemlich genau 15 Mark lögeyris be-
trugen, und dass der Betrag von 15 Mark ebensowohl wie
der von 40 Mark sehr häufig als Friedensgeld an den König
zu entrichten kam; die Vermuthung liegt nahe, dass jene
für die Tödtung des Vogtes zu erlegenden 15 Mark über-
1) GI»L., § 180.
2) ebenda, § 218.
3) ebenda, § 243.
4) ebenda, § 180; 218.
5) Kondngssk., § 26, S. 58.
Maurer: Die ärmenn des ältnorwegischen Bechtes. 121
haupt nicht als eine Wergeidszahlung, sondern als eine den
hüskarlsgjöld entsprechende, unabhängig vom Wergeide an
den König zu entrichtende Leistung aufzufassen seien. ^)
Nach allem Dem würde sich also unser Ergebniss für die
Gl>L. dahin stellen , « dass der Vogt des Königs des Wer-
geides genoss, welches ihm seiner Geburt nach zukam, wo-
neben aber für seine Tödtung dem Könige ausser dem ge-
wöhnlichen {)egngildi noch 15 Mark zu erlegen waren; dass
er ferner von Aratswegen auch eine höhere Busse zu be-
ziehen hatte, deren Betrag sich jedoch nicht feststellen
lässt. Jülich stand die Sache aber auch nach den Fr{>L.^)
Nach ihnen steht die Acht darauf, wenn man einen Vogt
des Königs in der Kirche, am Ding oder bei einer fest-
lichen Zusammenkunft verwundet oder erschlägt, wogegen
man, wenn die That an irgend einem anderen Orte be-
gangen war, für dessen Tödtung 15 Mark und für dessen
Verwundung das halbe Recht eines höldr, also, da das Recht
dieses letzteren 3 Mark betrug, ') 1 2 aurar zu bezahlen hatte ;
derselbe Unterschied sollte übrigens auch für alle anderen
Leute gelten, indem sie alle in der Kirche, am Ding und
bei Festversammlungen gleich heilig sind , wogegen deren
anderswo erfolgte Verletzung nicht zur Acht führt. Damit
ist also zunächst die Vermuthung bestätigt, dass unter der
ütlegÖ in diesem Zusammenhange die durch kein Sühngeld
abzukaufende Acht verstanden werden wolle; weiterhin ist
aber auch die für die Tödtung des königliches Vogtes zu
1) Ganz analog bestimmt ÖGL., Drapab. 14, dass für den bryti
oder sonstigen Dienstmann der König, Herzog, Jarl, Bischof, Lagmann
oder Bauer eine bestimmte l)ukkabot beziehen solle, neben dem Wer-
geide, welches Jenen von Geburtswegen gebühre, und dass diese beim
Könige 40 Mark betragen solle, während sie bis auf Birghir jarl nur
12 Mark betragen hatte.
2) FrJ)L., IV, § 57—59.
3) ebenda, X, § 34.
122 Sitzung der philos.-iMlül. Classe vom 1. Februar 1879.
entriclitende Zahlung auf dieselbe Summe gesetzt wie in
den Gf>L., wobei sich von selbst versteht, dass auch hier
wider in dieser Summe nicht das Wergeid des Vogtes,
sondern eine neben diesem stehende Zahlung an den
König zu erkennen ist. Bedenken erregt aber der Betrag
der dem Vogte zugewiesenen Busse. Nachdem nämlich diese
Busse wie bemerkt auf die Hälfte der dem höldr zukommen-
den gesetzt worden war, wird weiter bestimmt, dass die
Busse bei den Vögten anderer Herrn mit Ausname des Erz-
bischofes gegenüber der Busse des königlichen Vogtes in
eben dem Verhältnisse fallen solle, in welchem das Recht
ihres Herrn gegenüber dem Rechte des Königs falle, zu-
gleich aber auch bemerkt, dass dem Vogte des Bischofes
das Recht zukomme, zu dem er geboren sei, und das er zur
Zeit seines Dienstantrittes gehabt habe. Da ist nun zu-
nächst die zu Gunsten des Erzbischofes und seines Vogtes
gemachte Ausname daraus zu erklären , dass dieser dem
Könige und dem königlichen Vogte gleich gehalten werden
wollte, was freilich mit der an einer anderen Stelle durch-
geführten Abstufung der Bussen nicht völlig stimmt,^) aber
vollkommen dem Geiste der Zeit entspricht, in welcher K.
Magnus Erlingsson und Erzbischof Eysteinn gemeinsam das
Recht von Drontheim revidirten. Weiterhin sprechen aber
mehrfache Stellen bezüglich der Abstufung der Bussen des
Königs, Jarls, Landherrn, hölds die Regel aus, dass die-
selben nach dem Massstabe von 3:2 zu fallen haben , ^)
oder führen doch diese Regel, wenn auch nicht immer ganz
folgerichtig , für einzelne Fälle durch , ^) so dass also der
Vogt des Bischofs oder Jarles 8, der des Landherrn 5V3,
1) Fr))L., XIII, § 15.
2) ebenda, IV, § 49; X, § 34-35; BjarkK., III, § 161—62.
3) ebenda, X, § 41 u. 46; XIII, § 15; der Massstab von 2 : 1
wird dagegen nur bei Friedensgeldern angewandt, IV, § 53.
Maurer: Die ärmenn des altnonvegischen Eechtes. 123
der der höldr 3^/9 aurar erhalten würde ii. s. w. Damit
ist jedoch unvereinbar, dass nach dem weiteren Verlaufe
unserer Stelle des Bischofs Vogt die Busse erhalteu soll, zu
der er geboren ist, so dass er also, wenn er ein höldr war,
3 Mark, wenn ein gemeiner Bauer, 2 Mark zu beziehen
gehabt hätte , also sogar im letzteren Falle noch einen
höheren Betrag als der dem Vogte des Königs oder Erz-
bischofes zugewiesene. Noch bedenklicher wird dieser Wider-
spruch , wenn man erwägt , dass K. Häkon gamli in seiner
Einleitung zu den Fr{)L. ganz allgemein ausspricht, jeder
ärmaSr solle das Recht nemen, das ihm nach seiner Geburt
zukomme , ^) so dass also hier auch von dem Vogte des
Königs gesagt ist, was dort nur von dem Vogte des Bischofs.
Durch die Anname eines Conflictes zwischen älterem und
neuerem Rechte wird man den Widerspruch nicht erklären
können; wohl aber dürfte es gelingen ihn durch den Nach-
weis zu beseitigen, dass die sich scheinbar widersprechenden
Sätze sich einfach ergänzen, und somit recht wohl neben
einander bestehen können. Möglicherweise handelt es sich
nämlich bei den Bestimmungen des § 57 über die besondere
Busse der ärmenn in änlicher Weise um eine weitere Zahl-
ung, welche ihnen neben der von Geburts wegen ihnen ge-
bührenden Busse um ihres Amtes willen zukommen sollte,
wie ja auch bei ihrer Tödtuug neben dem angeborenen
Wergeide und dem pegngildi noch ein weiterer Betrag von
15 Mark an ihren königlichen Herrn zu entrichten kam ;
K. Häkon hätte dann in seiner Einleitung eben nur die
angeborene Busse, unser § 57 aber umgekehrt nur die durch
das Amt bedingte Zubusse einseitig in's Auge gefasst, wäh-
rend die Vorschrift des § 59 über den Vogt des Bischofes
sich sehr einfach folgendermasseu erklären würde. Das
ganze Herrschaftsgebiet der FrostuI>ingslög gehörte zu der
1) ebenda, Einleitung, § 24.
124 Sitzung der phüos.-philol. Classe vom 1. Februar 1879.
dem Erzbischofe unmittelbar unterstehenden Diöcese NiSaros
und neben dem Erzbischofe konnten demnach in diesem
Gebiete nur fremde Bischöfe vorkommen, die aber allerdings
recht wohl im Drontheimischen Besitzungen und somit auch
eigene Vögte haben konnten; ein derartiger Vogt mochte
aber im Drontheimischen, also ausserhalb der DiÖcese seines
Herrn, nicht als öffentlicher Diener betrachtet, und darum
auf das Recht seiner Geburt beschränkt worden sein , ohne
dass ihm jene weitere Zubusse verwilligt worden wäre , die
sonst an das Amt geknüpft war. Ganz ohne Bedenken ist
allerdings auch dieser Deutungsversuch nicht; indessen lassen
sich doch noch zwei Umstände zu Gunsten desselben an-
führen. Einmal nämlich werden wie in den G|>L.^) so auch
in den Fr{)L. zwei Classen von Unfreien unterschieden, und
zwar zählen hier wie dort der bryti und [>jönn, dann von
den Sklavinnen die seta und die deigja , zu der höheren
Classe ; hier wie dort nimmt ferner der höldr für den Un-
freien der höheren Classe eine Busse von 3 aurar. Nun hat
bereits der alte Päll Vidalin die Bedeutung des Wortes
bryti richtig festgestellt. ^) Das Zeitwort brytja, eine Neben-
form von brjöta, bezeichnet das Zertheilen und Kleinmachen,
zumal auch von Fleisch, Fisch und anderen Lebensmitteln,
und als bryti wird hiernach derjenige Bedienstete bezeich-
net, welchem das Austheilen der Kost unter die Dienstboten
obliegt; auf Island wird von hier aus die „brj^tjan fyrir
10 menn" zu den Dienstleistungen gerechnet, für welche
eine besondere Lohntaxe besteht,*) und oft genug besprechen
die Geschichtswerke der Insel den bryti als einen ange-
1) GJ>L., § 198; vgl. auch § 71.
2) FrjL., XI, § 21.
3) Skyringar yfir fornyrd"! lögbokar Jeirrar, er Jonsbok kallast,
S. 98—99.
4) Kgsbk, § 78, S. 129; Kaupab., cap. 53, S, 466.
Maurer: Die drmenn des altnorwegischen Rechtes. 125
sehenen Hausbediensteten. In der Njäla z. B. wird ein
„bryti Njäls'* erwähnt,^) in einer anderen Sage aber von
einem gewissen I)örhallr erzählt, dass er bei Eirikr rauSi in
Grönland gedient habe als „veiÖimaSr hans um sumrum, en
bryti um vetrum;'^^) wider anderwärts wird ein J>6rarinn
bryti des {)orgils orrabeinsfostri genannt , welcher an einer
anderen Stelle derselben Quelle als „räSsmaSr hans" be-
zeichnet wird,^) und zumal auch auf dem bischöflichen Hofe
zu Hölar finden wir widerholt einen bryti genannt,*) allen-
falls neben der räSskona,^) unter Umständen aber auch von
dem räSsmaSr unterschieden/') also in der Stellung eines
Verwalters, oder auf grösseren Höfen allenfalls auch eines
Unterverwalters. Eine ganz entsprechende Stellung muss
der bryti auch in Norwegen gehabt haben, wo ihn noch
das gemeine Landrecht als den vornemsten unter den Haus-
dienern kennt, ^) und wo auch wohl einmal der „verkhüs-
bryti" als der nächste Untergebene des königlichen Vogtes
erwähnt wird ; ^) ja noch in Urkunden des 14. Jahrhunderts
wird hier von dem bryti des Königs , ^) geistlicher Stift-
ungen,^®) eines Priesters,^*) oder irgendwelcher Privat-
1) Njala, cap. 130, S. 201.
2) {>orfinns s. karlsefnis, cap. 7, S. 408.
3) Floamanna s., cap. 28, S. 144, u. cap. 24, S. 147 vgl. mit
cap. 20, S. 141.
4) Jons bps. s. Gunnlaugs, cap. 37, S.247; Guä'raundar bps.
s., cap. 44, S. 477.
5) Laurentius bps s., cap. 45, S. 848.
6) ebenda, cap. 38, S. 839.
7) Landslög, Laudsleigub., § 54.
8) Frl)L., IV, § 10.
9) Diplom, norveg. I, nr. 453, S. 338 (a. 1878); wohl auch
IT, nr. 193, S. 164 (1332).
10) ebenda, III, nr. 110, S. 107 (1317).
11) ebenda, IX, nr. 114, S. 131 (1338).
126 Sitzung der philos.-philol. Classe vom 1. Februar 1879.
personen^) gesprochen, während andererseits auch schon in
einem Eddaliede gesagt wird: ,,Beiti {)at maslti, brjti var
hann Atla.'' ^) Ans dem bryti heraus hat sich nun augen-
scheinlich der ärmaSr entwickelt, indem im Dienste grösserer
Herrn der letztere als Oberverwalter von dem ersteren als
Unter Verwalter sich abzweigte, während geringeren Herrn
nach wie vor ein einziger Verwalter genügte, und weist
hierauf sehr deutlich die Thatsache hin, dass in Dänemark
der konungs brytiae genau dieselbe Stellung einnam, welche
in Norwegen dem ärmanne konungs zukam, sodass isländisch-
norwegische Quellen, wie schon bemerkt,^) unbedenklich den
letzteren Titel auch für den entsprechenden dänischen Be-
amten verwenden konnten. Da wird nun bedeutsam, dass
die Busse, welche der höldr für die Verletzung seines bryti
nimmt (3 aurar), ziemlich genau mit derjenigen zusammen-
fällt, welche sich von der dem königlichen Vogte gebühren-
den Amtsbusse ab für den Vogt eines höldr berechnet
(3 ^/9 aurar) ; man wird nach dem in anderen Fällen einge-
haltenen Verfahren vermuthen dürfen , dass auch in diesem
Falle das Recht sich nicht genau an das Ergebniss der
Rechnung gehalten , vielmehr die Ziffer abgerundet haben
werde, und dass somit der freie ärmaSr genau denselben
Betrag neben seiner Geburtsbusse als Amtsbusse bezogen
habe, welche für den unfreien bryti der Herr seinerseits
zu beziehen gehabt hätte. Zweitens aber sehen wir zwischen
der amtlichen Stellung des ärmanns und seiner Stellung als
Privatmann auch noch in einer anderen Richtung ganz
scharf unterschieden. Es wird nämlich bestimmt , *) dass
derjenige, welcher sich gegen den König verfehlt, stets von
1) Pbenda, II, nr. 85, S. 74 (1307).
2) Atlamäl, 61.
3) siehe oben, S. 72.
4) Fr{)L., X, § 33.
Maurer: Die ärmenn des altnorwegischen Hechtes. 127
demjenigen ärmanne eingeklagt werden solle, in dessen
Amtsbezirk er gesessen ist, wogegen die Klage wegen einer
dem ärmanne selbst zugefügten Verletzung immer dem Ver-
letzten selbst zusteht, welchem Bezirke der Schuldige auch
angehören möge ; thut umgekehrt der ärmaSr seinerseits
Jemanden Unrecht, so soll die Klage gegen ihn ganz in
derselben Weise durchgeführt werden, wie sie gegen jeden
anderen Bauern durchzuführen wäre. Die strenge Scheidung
also der öffentlichen und der Privatperson im Vogte des
Königs ist dem Rechtsbuche geläufig und erleidet nach ihm
nur insoweit eine Einschränkung, als jedes Delict desselben
immer nur von ihm als Privatperson begangen sein soll;
da ist es denn doch nur folgerichtig, wenn dem Vogte
neben der Busse, die ihm von Geburtswegen zukommt, auch
noch eine weitere beigelegt wird , welche seiner amtlichen
Stellung Rechnung trägt.
lieber das VerJiältniss der drmenn zu ihrem Dienst-
Jierrn endlich gewähren uns die Quellen nur sehr geringe
Aufklärung. Nirgends wird dasselbe ausdrücklich besprochen ;
die Anhaltspunkte aber, welche uns zufällig geboten werden,
sind allzu dürftig, als dass sich auf sie ein völlig gesicher-
ter Schluss begründen Hesse. Es wurde bereits gelegent-
lich erwähnt, dass des Königs Vogt ebensogut wie der Land-
herr seine veizla haben konnte , ^) also den Gebrauch und
Genuss ihm verliehener königlicher Grundstücke oder Güter ;
dass ihm ferner, wenigstens im Bereiche des Gula{>inges,
eine bestimmt begrenzte Befreiung von der Heerlast zukam, ^)
welche ebenfalls unter den Gesichtspunkt einer Belohnung
für seine Dienstleistung gestellt werden kann. Ein ,,är-
manns garÖr", d. h. Vogthof wird überdiess gelegentlich
1) siebe oben, S. 112, Anm. 4.
2) siehe oben, S. 111—12.
128 Sitzung der phüos.-philol. Classe vom 1. Fehruar 1879.
erwähnt, ^ worunter doch wohl nur ein Königshof verstanden
werden kann , welcher dem Vogte des Königs als Amts-
wohnung eingeräumt war, und auch in den Geschichtsquellen
finden wir die königlichen Vögte regelmässig auf grösseren
Königshöfen sitzend ; welches Recht aber der Vogt an einem
solchen Hofe hatte, ist weder aus den geschichtlichen noch
aus den Rechtsquellen ersichtlich. Vielleicht lässt sich in-
dessen durch die Vergleichung des dänischen Rechtes zu
einigermassen gesicherten Ergebnissen gelangen. Nach diesem
spielt der konungs brjtjse oder aerchibiskops brytjae, wie
bemerkt , ganz dieselbe Rolle wie der ärmaÖr konungs und
der ärmaÖr erkibiskups im norwegischen Rechte; Andreas
Sunesen übersetzt die Bezeichnung durch ,,exactor vel vil-
licus regis vel episcopi," ^) also durch zwei Ausdrücke, von
denen der eine den Gutsverwalter, der andere den Eintreiber
von Geldern bezeichnet, und auch in den übrigen Quellen
tritt dieselbe Doppelstellung dieses Bediensteten klar und
bestimmt hervor. Nun hat H. M. Velschow, dessen ein-
schlägige Abhandlung noch immer das Beste ist, was man
über den Gegenstand besitzt , *) bereits nachgewiesen , dass
die Bezeichnung als bryti in Dänemark schon frühzeitig
1) Fr{>L. X, § 9.
2) vgl. z. B. Andr. Sunonis, 109, mit Skaane L., 162.
3) De villicis secundum antiquas leges patrias aliaque monumenta
historica (1827); erheblich umgearbeitet unter dem Titel: Om Bryderne,
en egen Classe af den danske Bondestand i Middelalderen, in der Histor-
isk Tidsskrift, I, S. 112-47 (1840). Von älteren Schriften sind etwa
noch Kofod Ancher's Erörterungen über die Bryder, und SchlegeTs
Bemerkungen zu denselben in des Ersteren Samlede Skrifter, II, S. 531
—49 (1808, resp. Lovhistorie, I, S. 514—21, 1769) anzuführen, von
neueren aber N. M Petersen, Bonde, Bryde og Adel, in den Annaler
for nordisk Oldkyndighed og Historie, 1847, S. 228—327 (hieher zumal
S. 262 — 73); Joh. Steenstrup, Studier over K. Valdemars Jordebog,
S. 68-79, und 373-77 (1873-74); Schlyter's Glossar zu Bd. IX
seines Corpus juris Sueo-Gotorum antiqui (1859).
Maurer: Die drmenn des altnonvegischen Rechtes. 129
auf freie Leute Anwendung fand, welche die Verwaltung
von Gütern anderer Freier in der Art Übernamen, dass das
beiderseitige bewegliche Vermögen gemeines Gut wurde, also
zwischen dem Grundbesitzer und dem bryti eine beschränkte
Gütergemeinschaft (brytjse fselugh) entstand ; dass ferner
von grösseren Grundherrn, welche zahlreiche zerstreute Höfe
besassen , auch vielfach einzelne Höfe einzelneu ßryden zu
änlichem Rechte übergeben wurden, wobei freilich das Zu-
sammenleben des Herrn mit dem Manne auf einem Hofe,
und auch die völlige Gemeinschaft aller Fahrhabe Beider
wegfiel, aber doch die auf dem Hofe befindliche Fabrhabe
des Herrn mit der des Mannes zusammengeworfen wurde,
während der Herr seinen Antheil an den Nutzungen ent-
weder in Gestalt einer Gastung, die er gelegentlich seiner
Rundreisen von Gut zu Gut einnam , oder in Gestalt von
Abgaben bezog , welche der Bryde an ihn zu entrichten
hatte; dass endlich den königlichen Beamten, welche des
Königs Einkünfte zu erheben und dessen sonstige Rechte
zu vertreten hatten , Königshöfe zu derartigem Rechte zu
Wohnung und Unterhalt angewiesen zu sein pflegten, wess-
halb denn auch diese Beamten des Königs als seine Brydeu
recht wohl bezeichnet werden mochten. Auch in Schweden
dürfte theilweise eine änliche Entwicklung vor sich ge-
gangen sein. In Westgötalagen, vielleicht auch in Ostgöta-
lagen, wird ein konongs brj^ti genannt , welcher ganz wie
der norwegische armaSr konüngs mit der Verwaltung des
Königsgutes auch die Vertretung des Königs in seinen
übrigen Rechten verbindet , und somit die Stellung ein-
nimmt , welche sonst der l8ensma{)er konongs einzunemen
pflegt; daneben aber werden auch Bryden des Jarles,
Bischofs, Lagmannes und des einzelneu Bauern erwähnt,
und die letzteren wenigstens treten auch in den übrigen
Provincialrechten auf, zum Theil , wie in Dänemark, mit
[l>^79.IPl.ilos.-i)lii1.-hist. Cl. 1.] 9
130 Sitzung der yliilos.-philol. Classe vom 1. Februar 1879.
ihren Bauern in Gütergemeinschaft stehend , ^) sodass sich
wohl annemen lässt, dass auch in den Norwegen nächstge-
legenen Theilen Schwedens die Stellung der konongs brytjar
in pecuniärer Beziehung änlich wie in Dänemark geordnet
war. Der Schluss auf eine änliche Ordnung der Verhält-
nisse der ärmenn konüngs in Norwegen selbst liegt hier-
nach nahe genug , und es fehlt auch nicht an einzelnen
Stützpunkten für denselben in den norAvegischen Quellen
selbst. Wenn z. B. eine oben schon besprochene Stelle der
Gt>L. ^) denjenigen als Dieb behandelt wissen will, der Land
vom ärmanne kauft, falls der Kauf nicht am Ding abge-
schlossen wurde, oder wenn eine andere^) für den Unfreien,
welcher auf einem Königshofe dient , die Busse nach dem
Rechte des ärmanns, nicht des Königs selbst bemessen wissen
will, so stimmt Beides vortrefflich zu der Anname, dass der
ärma8r konüngs zwar nicht der Eigen thümer des ihm zu-
gewiesenen Königshofes, aber doch in einer Stellung zu
diesem gewesen sei , die ihn als dessen Besitzer erscheinen
liess ; ja vielleicht lässt sich sogar der Umstand, dass mehr-
fach die vom königlichen Vogte zu entrichtende Busse un-
getheilt den Bauern, und nicht wie die vom Landherrn zu
entrichtende Busse halb diesen, h.ilb dem Könige zugewiesen
wird , *) darauf zurückführen , dass der Vogt an den dem
Könige zufallenden Geldstrafen selber wider einen Antheil
hatte, soweit nicht etwa für bestimmte einzelne Fälle aus-
drücklich ein Anderes vorgeschrieben war. Wie dem aber
auch sei, in dem Verhältniss des Vogtes zu dem Königs-
hofe, der ihm zugewiesen ist, werden wir nicht nur den
Ausgangspunkt erkennen müssen, von welchem aus dessen
1) vgl. Schlyter, Glossar.
2) G{)L., § 264.
/]) ebenda, § 198.
4) siehe oben, S. 115-16.
Maurer: Die ärmenn des altnonverfischen Rechtes. 131
gesaminte dienstliclie Stellung sich entwickelt hat, sondern
auch wenigstens eines der Momente zu suchen haben, welche
den charakteristischen Unterschied zwischen den Vögten
und den übrigen Beamten des Königs begründeten. Auch in
einer Zeit, in welcher die staatlichen Functionen des Vogtes
über die Verwaltung des Grundbesitzes der Krone bereits
entschieden die Oberhand gewonnen hatte, und in welcher
demzufolge diese den übrigen Beamten des Königs ziemlich
gleichartig an die Seite treten, auch gleich diesen aus den
besseren Ständen sich ergänzen und zu den ,,höfSingjar''
des Landes gezählt werden , ^) auch in dieser Zeit noch
sitzen die ärmenn auf Königshöfen, deren Verwaltung ihnen
übertragen ist, und deren Nutzungen sie beziehen , soweit
solche nicht durch die ,,veizlur'' aufgezehrt werden, welche
sie den Königen gelegentlich ihrer Rundreisen im Lande
zu halten haben. Was ursprünglich der Hauptinhalt der
Function der ärmenn gewesen war, die Verwaltung der
Königshöfe nämlich, ist aber für diese spätere Zeit wesent-
lich nur noch die Form, in welcher sich die Ablöhnung
dieser Classe von Staatsdienern Yollzieht, und es konnte
demnach fortan ganz wohl vorkommen, dass Beamte, welche
ganz denselben dienstlichen Wirkungskreis hatten, bald als
ärmenn zu bezeichnen waren , bald nicht , je nachdem sie
nämlich in der für jene ersteren charakteristischen Weise
das Entgeld für ihre Dienstleistungen bezogen , oder nicht.
Von hier aus erklärt sich denn auch , dass der Name der
ärmenn von der Mitte des 13. Jahrhunderts ab, ohne völlig
aus den Gesetzen oder Urkunden zu verschwinden, doch in
diesen ungleich seltener genannt wird, indem Bezeichnungen
allgemeinerer Art an dessen Stelle treten ; man wird nämlich
nicht, wie Munch gethan hat,^) annemen dürfen, dass da,
1) siehe oben, S. 111.
2) Det notske Folks Historie, IV, 1, S. IIG.
132 Sit.iun<i (Icr phUos.-pliilol. Classe vom 1. Februar 1879.
wo in den späteren Quellen ärmenn noch genannt werden,
„nur die Benennung aus der älteren Gesetzgebung beibe-
halten ist, während eigentlich die Syselmänner gemeint
sind," sondern vielmehr zu verrauthen haben , dass man
zwar der Regel nach Bezeichnungen vorzog, welche nur
auf den Dienst hinwiesen, und dafür die Art, wie dieser
gelohnt wurde, dahingestellt sein Hessen, aber doch ebenso-
gut die älteren , auf diesen letzteren Punkt hindeutenden
Ausdrücke da und dort gebrauchen oder stehen lassen
konnte , ohne befürchten zu müssen , dass damit irgend-
welche Missverständnisse hervorgerufen werden könnten.
Ich will zum Schlüsse auf diesen Punkt noch etwas näher
eingehen , ohne dabei indessen irgendwie vollständiges Ma-
terial bieten zu wollen, da derselbe ja über die dieser Unter-
suchung gezogene Zeitgrenze hinausliegt.
Von den beiden revidirten Christenrechten des K. Magn-
us lagaboetir hält das für Vikin bestimmte an zwei Stellen
die Bezeichnung biskups ärmaSr fest, welche beide dem
älteren Christenrechte dieser Landschaft entnommen sind;^)
an einer dritten Stelle dagegen, welche aus den Gulal>ings-
lög entlehnt ist, ^) liest man die Worte ,,byscup e5a hans
umboÖsmaSr'', wo in der Vorlage „biscop 3e8a hans sereud-
reke" steht, und so macht sich denn auch hier, wie dies
bereits oben von anderen späteren Quellen nachgewiesen
wurde , ^) eine Beseitigung des ausser üebung gekommenen
Ausdruckes erendreki bemerklich, wobei jedoch zu beachten
ist, dass an dessen Stelle nicht der Titel ärmaSr , sondern
umboSsmaSr gesetzt wird. In dem neueren Christenrechte
des Gulal)ings ferner wird der ärmaSr biskups an drei Stellen
erwähnt , von welchen zwei den älteren GI>L. entnommen
1) neuerer BtKrR., § 1 u. 27; vgl. B5L., 1, § 11 u. 17.
2) ebenda, § 22; vgl. GJ)L. § 24.
3) siehe oben, S. 63—66.
Maurer: Die drmenn des aUnonvegischen Hechtes. 133
siDd , ^) während die dritte frei nach den Frl)L. bearbeitet
ist ; dabei ist überdiess zn bemerken, dass einerseits an den
ersten beiden Stelleu der ärinaSr für den erendreki einge-
stellt, und an der dritten derselbe auch nicht aus der Vor-
lage entlehnt, sondern selbstständig aufgenommen ist, dass
aber andererseits an zwei der angeführten Stellen^) für är-
maSr die Variante umboSsmaÖr sich findet, welcher letztere
Umstand um so bedeutsamer ist, weil an einer weiteren,
dem jüngeren Christenrechte ganz eigenthümlichen Stelle»
der ,,konüngs umboSsmaSr eSa biskups'' ebenfalls als solcher
aufgeführt wird.^) Man scheut sich also nicht, die alte Be-
zeichnung ärmaör biskups nach wie vor zu gebrauchen,
während man doch dessen noch ältere Bezeichnung als
erendreki tilgen zu müssen glaubt; aber man braucht da-
neben auch die in diesem Sinne früher nicht vorkommende
Bezeichnung umboSsmaSr, und setzt sie, soweit man nicht
durch die Wortfassung der benützten Vorlagen sich be-
stimmen lässt, sogar mit Vorliebe. Auch eine, nicht datirte,
Verordnung des K. Magnus spricht von den ärmenn biskups,*)
•und in dessen gemeinem Landrechte ist von ,,armenn baeSi
konüngs ok biskups" die Rede ; ^) in dem Christenrechte
Erzbischofs Jons aber wird nicht nur an einer den Fr^L,
entlehnten Stelle ^) in einer Weise von dem ärmanne ge-
sprochen, welche zweifeln lässt, ob dabei an den Vogt des
Königs oder des Bischofs zu denken sei , sondern auch an
einer Reihe anderer, ebendaher genommenen Stellen geradezu
1) neuerer Gj)L. KrR., I, § 12, S. 312; § 24, S. 319; § 31,
S. 323, oder II, § 8, 20 u. 26; vgl. Gt>L, § 11 u. 24, u. FrtL., III,
§ 12. Vgl. auch oben S. m.
2) I, § 24, Anm. 23, u. II, § 26.
3) I, § 3, S. 308, und besser II, § 3.
4) Norges gamle Love, II, nr. 7, S. 486.
5) IJingfb., § 2, S. 14.
6) Jons KrR., § 21; vgl. PrJ»L., li, § 23; vgl. auch oben, S. 103.
134 Sitzung der philos.-philol. Clas-se com 1. Fehniar 187U.
der cirmaSr biskups genannt. ^) Dagegen wird an einer
anderen Stelle desselben Rechtsbuches, welche frei nach den
Fr^L. bearbeitet ist,'^) ständig der umboSsmaSr biskups ge-
nannt , wo diese ältere Quelle von dessen ärmanne ge-
sprochen hatte, und ist nur in einzelnen Hss. der ärmaSr
als Variante stehen geblieben; andere Male ist der umboSs-
maSr für den ärmann der Vorlage gesetzt, ohne dass letzterer
irgend eine Spur seines früheren Daseins hinterlassen hätte, ^)
•oder wird der umboÖsmaÖr an Stellen genannt, die frei
nach den Pr]3L. bearbeitet sind , und an welchen diese des
Bischofs Beamten überhaupt nicht erwähnen,*) oder die
allenfalls auch völlig neu sind.^) Bemerkenswerth aber ist,
dass an einer einzelnen Stelle des erzbischöfiichen Christen-
rechtes, welche nur eine entferntere Parallele in den Frt>L.
findet,^) einmal ,,biskup e8a hans pröfastr*' genannt wird, wo
man den umboSsmann des Bischofs neben diesem genannt
zu sehen erwarten sollte, und es mag wohl sein, dass gerade
diese Stelle zur Erklärung des schwankenden Sprachge-
brauches den Schlüssel an die Hand giebt. Wir wissen,
dass gerade im Verlaufe des 13. Jahrhunderts, und zumal
in dessen zweiter Hälfte, von der Kirche die kräftigsten
Anstrengungen gemacht wurden, um die gesammte Leitung
der geistlichen Angelegenheiten, oder was man unter diesen
1) Jons KrR., § 49; 53; 58 (Anm. 4); 59; 60; 61; 62; vgl.
FrjL., III, § 3; II, § 46; III, § 18; 19; 21; 23 u. 24.
2) Jons KrR., § 47 (zumal Anm. 7 u. 28); vgl. Fr tL., III, § 1.
3) Jons KrR., § 29; 39; vgl. FrJ)L. II, § 29; 32.
4) Jons KrR., § 4; § 33, Anm. 20; §41, Anm, 30; vgl. FrjL.,
II, § 1 u. 37; III, § 12.
5) Jons KrR., § 55. Von einer Stelle, §7, wo das kirkju umbod'
nur auf den Vertreter des Grundbesitzes einer Kirche geht, und von
einer anderen, § 51, in fin , wo der umbod'sma^r biskups dessen judex
delegatus ist, sehe ich hier ab.
6) Jons KrR., § 35; v^rl. FrjL, III. § 20.
Maurer: Die ärmenn des aUnonveg Ischen Hechtes. 135
Begriff einbezielien zu sollen glaubte, in die ausschliessliche
Hand des Klerus zu bringen, und dass im Zusammenhange
damit der Erzbischof sich unter Anderm auch bestrebte,
die Functionen , welche bisher Laien unter dem Titel der
ärmenn biskups ausgeübt hatten, in die Hand von Priestern
zu legen, für welche der Titel der profastar oder Pröbste
gebräuchlich wurde. *) Welfclicherseits widersetzte man sich
diesem Bestreben , zumal auch aus dem Grunde , weil zu
befürchten stand , dass die Geistlichkeit die Macht , welche
ihr der Beichtstuhl verlieh , misbrauchen möchte , um die
Bauern mit Processen wegen der Verletzung kirchlicher
Gebote um so härter zu bedrängen. Schon die grosse Ver-
ordnung des K, Eirikr Magnüsson vom Jahre 1280 ver-
bietet von hier aus in ihrem § 1 allen Geistlichen , welche
cura animarum haben , die Uebername der Function eines
Propstes,^) und wenig später schaffte, nach dem Zeugnisse
einer im Jahre 1291 ausgestellten Urkunde, Herr Bjarni
Erlmgsson Namens des Königs das Amt der Pröpste sogar
völlig ab ; ^) die erstere Bestimmung wurde , nachdem im
Jahre 1309 eine weitere Verordnung zum Schutze der
Bauern gegen die Bedrückungen der Pröpste ergangen
war,*) im Jahre 1313 noch speciell für Hälogaland wider-
holt eingeschärft,^) wogegen umgekehrt ein im Jahre 1334
zu NiSarös gehaltenes Provincialconcil widerum die üeber-
traguDg der „prepositura'' oder die Besorgung geistlicher
und den geistlichen verwandter Angelegenheiten durch Laien
untersagte.^) In die Wechsel vollen Zustände, welche von hier
1) vgl. R. Keys er, Den norske Kirkes Historie, I, S. 450; II,
S. 321-22.
2) Norges gamle Love, III, nr. 1, S. 5. '
8) Diplom. Rorveg., III, nr. 30, S. 30.
4) Norges gamle Love, III, nr. 26, S. 82-85.
5) ebenda, nr. 38, S. 107.
6) ebenda, nr. 9, S. 279.
136 Sitzung der philos.-ijhilol. Classc vom 1. Februar 1879.
aus erwuchsen, giebt eine Urkunde klaren Einblick, welche
im Jahre 1290 aufgenommen wurde, um das Herkommen
in Bezuof auf die Verkünduno^ des Julfriedens in NiSarös
festzustellen. ^) Vier Kleriker sagen übereinstimmend aus,
dass diese Verkündung stets durch Bedienstete des Erz-
bischofes, nicht des Königs besorgt worden sei, und nennen
dabei jene einzelnen Bediensteten, von denen sie wissen;
bald sind diess Leute, welche ,,heilagrar kirkju starf ok erki-
biskups 1 NiSaröse'" haben, als „erkibiskups umbo6smeun"
oder ..lensmenn'* bezeichnet werden, oder denen ..erkibisk-
ups ärmenuing" zugeschrieben wird, während sie sich durch
ihre Namen deutlich als Laien zu erkennen geben , bald
Priester, denen der Besitz des ..profastdcemi'' beigelegt wird.
Von hier aus erklärt sich, dass man, obwohl nicht nur im
14. , -) sondern auch noch im 15. Jahrhundert gelegentlich
biskups ärmenn mit diesem ihrem Titel genannt werden, ^)
doch lieber allgemeinere Ausdrücke brauchte, um die be-
treffenden Fuuctionäre der Kirche zu bezeichnen, weil sie
gleichgut für Pröpste geistlichen wie für Vögte weltlichen
Standes passteu : augenscheinlich will damit nur etwas un-
liebes erreicht werden wie mit dem , auch in anderen Be-
ziehungen sehr interessanten, Bestallungsbriefe, welchen
Bischof Häkon von Stavanger unterm 4. Juni 1417 einem
gewissen Amvid Arnvidsson ausstellte,^) und durch welchen
er diesem zugleich ..aarmanz starf" und ,,profvastadöme"
über die Ei5afjardar kirkjusökn in Hardanger übertrug,
nämlich volle Sicherheit dafür, dass der Bedienstete, mochte
1) Diplom, norveg., HI, ur. 28, 6, 26—28.
2) ebenda, I, nr. 314, J<. 248—9 (1348). Verordnung- vom 10.
Juni 1313 (Norges gamle Love, III, nr. 37, S. 106) und vom 12.
August 1313 (ebenda, nr. 38, S. 108).
3) ebenda, III, nr. 658, S. 475 (1422); IV, nr. 829, S. 605
(1426).
4) ohondfl, IV. nr. 803, S. 582.
Maurer: Die ärmenn des dltnorioegischen Rechtes. 137
er nun geistlichen oder weltlichen Standes sein, doch von
der geistlichen sowohl als weltlichen Behörde in seinen Be-
fugnissen nicht sollte angefochten werden können. — Etwas
anders steht die Sache auf weltlichem Gebiete. Auch die
ärmenn konüngs werden in den Gesetzbüchern K. Magnus
lagaboetir's noch wid erholt genannt. Einer Stelle des ge-
meinen Landrechtes, welche neben den lendirmenn und syslu-
menn auch den „ärmenn bseÖi konüngs ok biskups" die
Verpflichtung auferlegt, das lögt)ing zu besuchen, wurde
oben bereits gedacht ; ^) ausserdem werden die ärmenn alter-
nativ neben den lendirmenn und syslumenn angewiesen, die
Vertreter der einzelnen Landschaften am lögfinge recht-
zeitig zu ernennen,'^) und ist es wohl nur ein Zufall, wenn
in Bezug auf das Ei8sifa{>ing ihrer neben den letzteren
nicht gedacht wird ; ^) endlich wird der ärmaÖr konüngs
noch einmal als bei einer Executionshandlung mitwirkend
bezeichnet. *) Aber an den meisten dieser Stellen nennen
andere Hss. des Gesetzbuches anstatt des ärmannes den
umboSsmann konüngs, und an nicht wenigen anderen Stellen
nennt das Gesetzbuch den umboSsmann oder syslumann
u. dgl. , wo die benützte Quelle den ärmann genannt
hatte ; ^) an denjenigen Stellen vollends, welche dem Gesetz-
buche ausschliesslich eigen sind, oder wenigstens eine durch-
1) [JlDgfb., § 2, S. 14; vgl. oben S. 61.
2) ebenda, § 1 u. § 2, S. 13. •
3) ebenda, § 2, S. 12-13.
4) Landsleigub., § 11.
5) vgl. z. B. Landvarnarb., § 4 u. 18 mit G{>L. § 311 u.314;
Mannh., § 8 u. 23 vgl. mit Gl>L., § 152 u. Fr{>L., IV, § 10, dann
ebenda, V, § 22; Landsleigub., § 61 u. 64, vgl. mit Fr|)L., XIV,
§ 7 u. 10, an welcher letzteren Stelle freilich auch eine Hs. der Lands-
lög den armann fest hält; Kaupab., § 1 u. 3 mit GI>L., § 141 u. 35;
l»j6fab., § 2 u. 3 vgl. mit Fr^L., XIV, § 12 u. GfiL., § 253, dann
ebenda, § 256.
[1879. 1 Philos.-phil.-hist. Cl. 1.] 10
138 Sitzung der philos.-phüol. Glosse vom 1. Februar 1879.
greifend freie Behandlung der benützten Vorlagen zeigen,
werden immer nur Ausdrücke wie umbo5sma6r, soknari,
rettari u. dgl. gebraucht, soweit nicht etwa von lendirraenn
oder syslumenn die Rede ist. Auch in späteren Verord-
nungen wird nur noch ganz vereinzelt der ärmenn des
Königs gedacht , ^) während der Regel nach in ihnen nur
von lögmenn, lendirmenn und syslumenn, dann von um-
boSsmenn des Königs und seiner Beamten gesprochen wird ;
allerdings aber ist zu beachten, dass dafür seit dem Ende
des 13. Jahrhunderts vielfach lensmenn genannt werden,
einerseits als Unterbeamte des Syselmannes, und anderer-
seits als Beamte des Bischofs für die Erhebung seiner Ein-
künfte. Dass diese in der letzteren Beziehung ganz an
die Stelle der ärmenn biskups getreten sind, kann keinem
Zweifel unterliegen, und somit wohl die Frage aufgeworfen
werden, ob sie nicht auch in der ersteren Beziehung an
die ärmenn konüngs anzuknüpfen seien , so dass diese in
ihnen nur unter geändertem Namen fortbestünden? Der
Umstand , dass in Dänemark sowohl als in Schweden die
iEmter von den ärmenn konüngs ganz analog gestellten
Bediensteten nachweisbar als ,,l8en" bezeichnet wurden,^)
würde für eine solche Anname sprechen ; indessen setzt
eine Entscheidung der Frage einerseits eine einlässige Prüf-
ung der Stellung dieser späteren lensmenn, und zumal ihrer
Beziehungen zum Krongute und andererseits eine vorgängige
Untersuchung der Stellung der lendirmenn, und zumal der
syslumenn in der älteren wie späteren Zeit voraus, sodass
hier darauf verzichtet werden muss eine solche zu erstreben.
1) Verordnung vom 12. August 1313 (Norges gamle Love, III,
nr. 38, S. 108).
2) Schlyter, h. v.; J. Kinch, Orn den danske Adels Udspring
fra Thinglid, in den Aarböger for nordisk Oldkyndighed og Historie,
1875, S. 318—20.
Sitzung der philos.-phüol. Classe vOm 1. Februar 1879. 139
Herr Lauth macht vorläufige Mittheilungen über den
Apis-Cyclus.
Historische Classe.
Sitzung vom 1. Februar 1879.
Herr Rockin ger theilte eine Abhandlung mit:
„lieber die Werke zur bayerischen und
pfälzischen Geschichte von der Zeit
Aventin's bis zur Errichtung der
Akademie/'
Dieselbe wird in den ,, Abhandlungen'' veröffentlicht
werden.
Herr Graf von Hundt legte eine Bearbeitung des
Cartulars des Klosters Ebersberg vor, welche in den „Ab-
handlungen'' veröffentlicht werden wird.
Sitzungsberichte
der
königL bayer. Akademie der Wissenschaften,
Philosophisch-philologische Classe.
Sitzung vom 1. März 1879.
Herr W. v. Christ hielt einen Vortrag über:
Die Interpolationen bei Homer vom
metrischen und sprachlich en Gesichts-
punkt beleuchtet.
Schon F. A. Wolf hatte den Gedanken gefasst, dass
zur Lösung der Frage vom Ursprung der homerischen
Gedichte die Untersuchung der metrischen, sprachlichen und
stilistischen Eigenthümlichkeiten der einzelnen Partien der
Ilias und Odyssee von entscheidender Bedeutung seien.*)
Er selbst zwar hatte sich damit begnügt den Satz aufzu-
stellen ohne ihn zu Faden zu schlagen, aber diejenigen,
welche in die Bahnen des grossen Philologen eintraten,
gingen näher ins Detail ein und haben, wenn auch nicht
*) Siehe jetzt darüber Volkmann, Geschichte und Kritik der
Wolfschen Prolegoraena zu Homer S. 162.
[1879. I Philos.-phil.-hist. Gl. 2.] 11
142 Sitzung der phüos.-phüol. Classe vom 1. März 1S79.
zur Lösung der homerischen Frage, so doch zur besseren
Erkenntniss der metrischen Kunst und des sprachlichen Baues
der ältesten Poesie der Griechen Wesentliches beigetragen.
Es genügt an C. A. J. Hoff mann 's Quaestiones homericae,
B. Griseke 's Homerische Forschungen, W. Hartel's Ho-
merische Studien, an die zwei homerischen Wörterverzeich-
nisse von L. Friedländer und die vielen zerstreuten Auf-
sätze und Bemerkungen von G. Curtius und seiner Schule
zu erinnern. Aber HofFmann's, Giseke's und Friedländer's
Forschungen blieben auf enge Kreise beschränkt und die
anderen Gelehrten haben mehr Perspectiven eröffnet und
einzelne Winke für die Unterscheidung älteren und jüngeren
Sprachgutes gegeben als die Sache im Zusammenhang unter-
sucht. Und doch musste dem Einsichtsvollen schon aus
den Untersuchungen Hoffmanns klar werden, dass sich für
Alter und Ursprung einzelner Gesänge ein so sicheres Kri-
terium, wie man anfangs erhoffte, aus der Zergliederung der
Form der Verse nicht gewinnen lasse, dass also höchstens nur
eine vielseitigere Betrachtung Hoffnung auf ein lohnenderes
Resultat erwecken könne. Ich selbst war daher vor Jahren
von einem erweiterten Gesichtspunkt aus an die Untersuch-
ung der Sache herangetreten und hatte Uias und Odyssee
in Bezug auf bestimmte prosodische, rhythmische und
sprachliche Punkte wiederholt durchgearbeitet. Das gesam-
melte Material Hess ich jedoch wieder unverarbeitet liegen,
weil mich einerseits die Mühe des Sammeins ermüdete, an-
dererseits die Resultate nicht befriedigten. Zwar eröffneten
sich mir manche vielversprechende Aussichtspunkte, aber
die Bestätigung der aus dem Inhalt geschöpften Vermuth-
ungeu hatte sich mir doch nicht in dem Grad ergeben, den
ich von vornherein erwartet hatte. So legte ich also die
Arbeit vorerst zur Seite, um sie vielleicht später zur ge-
legeneren Zeit wieder aufzunehmen.
Da las ich im vorigen Jahr, als ich nach längerer
V. Christ: Die Interpolationen hei Homer, 143
Zeit wieder meine Vorlesungen über Homer an der hiesigen
Universität aufnahm, die frisch erschienenen Quaestiones
homericae von S. A. Nah er. Selten hat mich ein Buch
so angezogen und durch die Frische der Darstellung sowohl
wie die gesunde Methode der Forschung so sehr befriedigt
wie jene Quaestiones. Um so mehr stiess ich mich an dem
wegwerfenden Urtheil, das der grosse niederländische Ge-
lehrte über die Bedeutung der aus Metrum und Sprache
entnommenen Kriterien des Alters der einzelnen Partien
der Ilias fällte und in dem Ausspruch zusammenfasste : id
hodie opinor consentiunt omnes, sermonis nulla superesse
indicia, quibus utaris ad solvendam perplexam quaestionem
quam Wolfius primus movit (pag. 50). So weit waren
denn doch bei den früheren Untersuchungen meine Hoff-
nungen nicht herabgesunken, und ich entschloss mich da-
her dieselben wieder aufzugreifen, um zu sehen, ob sich
denn doch nicht zu einem etwas besseren Ergebniss die von mir
und andern gesammelten Materialien verwerthen liessen.
Ueberzeugt habe ich mich freilich bei der wieder aufge-
nommenen Untersuchung von Neuem, dass sich aus den
metrisch-sprachlichen Anzeichen allein so gut wie nichts
für den Ursprung der homerischen Gedichte schliessen lasse,
dass dieselben vielmehr nur die Bedeutung beanspruchen
können, Sätze, welche aus dem Inhalt und der Composition
der Ilias und Odyssee erkannt wurden, hintendrein auch
mit formalen Gründen zu unterstützen und zu bestätigen.
Es würde unter diesen Umständen wenig angemessen sein,
wenn ich jetzt schon mich in weitläufige Deductionen
über die Tragweite der verzeichneten Thatsachen einlassen
würde. Ich werde mich daher wesentlich darauf beschränken,
das für die homerische Frage wichtige Material metrischer,
rhythmischer, prosodischer und sprachlicher Beobachtungen
übersichtlich geordnet den Lesern vorzulegen und mit einigen
orientirenden Bemerkungen einzuleiten und abzuschliessen.
11*
144 Sitzung der pMos.-philol. Classe vom 1. März 1879.
L
Das Digamma.
Unter den metriscli-sprachlichen Anzeichen des Alters
einzelner Gesänge und Verse nimmt weitaus den ersten
Rang der äolisclie Buchstabe, das Digamma ein. Die Sprach-
vergleichung hat erwiesen, dass es mehrere Consonanten
waren, insbesondere s v j , welche ehedem im Anlaut einer
Reihe von Wörtern stunden, welche in der jüngeren Periode
mit einem Vokal anlauteten. Aber wiewohl wir bestimmt
wissen, dass cGTr]fj,L ehedem aiorr^ixi, eTtra ehedem oeftta,
ccfia ehedem Gaf^a lautete, so war doch das s jener
Wörter zu Homers Zeiten schon so gänzlich verklungen,
dass es weder einen Hiatus entschuldigen noch die Positions-
verlängerung einer vorausgehenden kurzen Silbe bewirken
konnte. Diese Kraft hatte, worin ich mit L. Meyer über-
einstimme, in der Zeit des epischen Heldengesanges nur noch
das Digamma^). Das Digamma ist aber nicht über Nacht
auf einmal aus der Sprache verschwunden, es hat erst all-
mählich von seinem Körper eingebüsst, ehe es gänzlich ab-
geworfen wurde, es hat sich, wie dieses immer bei schwin-
denden Lauten der Fall ist, bei den einen Wörtern länger
und zäher erhalten, bei andern früher verflüchtigt. Es
muss eine Zeit gegeben haben, wo man nur fol fldßev
folvog sprach, und eine andere, wo neben flö^ev folvog
die jüngeren Formen }!dfiev olvog in Aufnahme kamen, wie
über Homers Zeit hinaus vg neben ovg^ eißu) neben lelßo),
^) Von dieser Ueberzeugung ausgehend habe ich eKaatog und seiner
Sippe ein Digamma gegeben, zumal dasselbe bei diesem Worte leicht
etymologisch gerechtfertigt werden kann (s. L. Meyer in Kuhn*s
Zeitschr. XXII, 359 ff.); unsicherer ist die Sache bei /le^a/, da hier
die Etymologie eher auf ein anlautendes j zu führen scheint. Möglich
ist es überdiess, dass in formelhaften, aus älterer Zeit stammenden
Wendungen, wie norvia "Hgri, der Hiatus aus der ehemaligen Geltung
eines anderen Lautes als des Digammas entschuldigt werden darf.
V. Christ: Die Interpolationen hei Homer. 145
(xcy^Qog neben öfxmqog bestanden hat. Nun fallen, worüber
nur ein Blinder sich täuschen kann, die Gesänge der
Ilias und Odyssee in jene Zeit des allmählichen Verfalls
der labialen Spirans; liegt daher ein grösserer Zwischen-
raum zwischen der Dichtung der einzelnen Theile jener
Epen, sowie zwischen der Zeit, wo die Rhapsodien noch
für sich einzeln gesungen, und wo sie zu einem engge-
schlossenen grossen Ganzen zusammengefasst wurden, so
lässt sich von vornherein erwarten, dass die älteren und
jüngeren Partien sich durch den constanteren oder abge-
schwächteren Gebrauch des Digammas von einander unter-
schieden haben. Freilich liegt auf der anderen Seite auch
die Vermuthung nahe, dass in der jüngeren Zeit, wo das
Digamma bereits vollständig zu schwinden begann, die
Rhapsoden auch in den älteren Gesängen das Digamma
nicht mehr hören liessen und die durch den Ausfall des-
selben entstandenen Fehler des Verses durch allerlei Mittel
zu verdecken suchten. Aber wie die uns erhaltene, aller
Wahrscheinlichkeit nach aus der Redaction des Pisistratus
stammende Form der homerischen Gedichte beweist,^) gingen
die Aöden und Rhapsoden in der Fälschung und Ummode-
lang der alten Ueberlieferung nicht sehr weit; sie liessen
die meisten Hiaten, welche ehedem durch das Digamma
entschuldigt waren, unangetastet stehen und entfernten nur
3) Ich nehme also mit dem Alterthum und F. A. Wolf an, dass
die homerischen Gedichte lange Zeit mündlich fortgepflanzt wurden,
und muss mich nur wundern, wie in unserer Zeit selbst Männer, wie
Bergk und Volkmann, wieder an eine anfängliche schriftliche Abfassung
jener Gedichte denken konnten. Ob freilich die Gelehrten des Pisistra-
tus die ersten waren, welche die alten Lieder überhaupt niederschrieben,
ist eine andere Frage. Der Umstand dass vor dem Fronomen der 3ten
Person fol fsd-sv kein v icpeln. und ov nicht ovx geschrieben wurde, lässt
vermuthen, dass die erste Aufzeichnung in einer Zeit stattfand, wo bei
diesen Formen das Digamma noch gehört wurde.
146 Sitzung der iMlos.-philol. Classe vom 1. März 1879.
die wenigen, welche sich durch das v eg)Ely,vGtty,6v^ die
Einfügung eines überschüssigen re nach ycq und dem
Relativpronomen, oder andere leichte Mittel beseitigen Hessen.
Da diese Umgestaltungen zum grossen Theil leicht erkenn-
bar sind und sicher wieder entfernt werden können, so ist
geradezu der Rückschluss gerechtfertigt, dass wenn sich
kein Unterschied in dem Gebrauch des Digammas zwischen
Uias und Odyssee und zwischen den einzelnen Theilen jener
Epen zeigt, dann auch keine grosse Zeit zwischen den Anfängen
und dem Abschluss jener Dichtungen verflossen sein kann.
Von dieser Ueberzeugung also bin ich bei der Unter-
suchung über das homerische Digamma ausgegangen. Es
musste demnach zunächst, wie bereits Hoffmann in seinen
Quaestiones homericae ganz richtig erkannt hatte, darauf an-
kommen, zu ermitteln, ob es Gesänge gebe, wo das Digam-
ma noch nirgends, oder doch nur in einigen Wörtern mit
halbabgegriffenem Anlaut vernachlässigt worden sei, und ob
auf der anderen Seite sich Verse und Verspartien heraus-
finden lassen, in denen selbst Wörter, deren Digamma am
längten haftete, ganz in der Regel ohne anlautenden Con-
sonanten gebraucht vorkommen. Ob bei Fällen des ver-
nachlässigten Digammas es höher anzuschlagen sei, wenn
das Digamma mit dem vorausgehenden Consonanten nach
Art der Verbindung von muta c. liqu. keine Position macht,
als wenn vor einem ehemals mit einem Digamma anlau-
tenden Wort ein vorausgehender Vokal geradezu elidirt ist,
wage ich nicht mit Zuversicht zu entscheiden. Doch neige
ich mich zur Annahme hin, dass die Elision des voraus-
gehenden Vokals eine völligere Vernichtung der Kraft des
Digammas bedeute, und habe desshalb bei den wichtigeren
Wörtern die Fälle der Vernachlässigung des Digammas so
angeführt, dass jeder Leser ohne weiteres Nachschlagen so-
fort ersehen kann, in welcher Weise das Digamma ver-
nachlässigt sei.
V. Christ: Die Interpolationen hei Homer. 147
Verspricht dieses erste Verzeichniss zunächst Aufschluss
über die jüngsten Zusätze der Ilias und Odyssee zu bieten,
so weist das zweite Verzeichniss, welches die Stellen ent-
hält, an denen sich noch die stärkste Kraft des Digammas
zeigt, mehr auf die ältesten Theile der homerischen Dich-
tungen hin. Am stärksten offenbart sich aber die Kraft
des Digammas, wenn vor ihm eine kurze Silbe in der The-
sis lang gebraucht wird, wie in E 7
Toiov foi TtvQ dalev cltco ytqaTog Te ytal wintov.
Denn dass dieses die stärkste Kraft des Digammas ist,
ergiebt sich daraus, dass einerseits wohl öfters ein Hiatus,
nie aber die Verlängerung einer kurzen in der Thesis steh-
enden Silbe vor einem vokalisch anlautenden Worte sich
findet, und dass andererseits fast nur die Formen des Pro-
nomens der 3ten Person, die am längsten mit Digamma
gesprochen wurden, jene Kraft ausüben. Freilich ist dabei
in Anschlag 'zu bringen, dass viele Wörter mit anlautendem
Digamma, nämlich alle mit erster Kürze, wie fdva^ feytvqog
fSTtog ftöeiv, gar nie jene Kraft der Position auszuüben im
Stande waren.
Auch die anderen zahllosen Fälle, wo das Digamma
noch seine Kraft äussert, alle aufzuzählen, habe ich für
unnöthig gehalten, zumal es sehr vom Zufall abhängt, wie
oft in einem Gesang ein Hiatus vor einem ehemals mit
Digamma anlautenden Worte steht, so dass es bedenklich
scheint, aus der Zahl der Fälle weittragende Schlüsse zu
ziehen. Doch werde ich in den Schlussbemerkungen für
einzelne Partien, für die es von Bedeutung ist, auch noch
diesen Punkt nachholen.
, Bei Aufstellung der Verzeichnisse habe ich nur die-
jenigen Wörter berücksichtigt, deren Digamma ausser Zweifel
steht. Das Hereinziehen zweifelhafter Wörter würde nur
das Bild trüben und die Verhältnisse verschieben, die ohne-
hin schon durch Aufnahme der Wörter mit früh geschwäch'
148 Sitzung der pMlos.-phüol. Glasse vom 1. März 1879.
tem Digamma, wie exaGTog eiTtelv riövg ^'iXiov eqvoi^ etwas
ins Schwanken gekommen sind. Ich habe daher, indem ich
mich fast durchweg an die besonnenen Grundsätze hielt,
welche Leskien, de ratione quam I. Bekker in restitu-
endo digamma secutus est, aufgestellt hat, alle Wörter,
deren Digamma weder durch die Etymologie noch aus dem
Versbau erwiesen werden kann, wie eidov lös eog sQVOfxai
Irilii l'd-etQa hwoia ^Ao^, sowie diejenigen Wörter, die zu
Homers Zeiten ihr etymologisch feststehendes Digamma be-
reits verloren hatten, wie uöcöXov ^löof^evevg ccQVEiog eraiqog
Iqboj SQeelvü) elxo) Iöqoco 6q(xo) oxog w&eoj (ovog, in der Auf-
stellung des Verzeichnisses bei Seite gelassen.*)
Wichtiger noch schien es mir zu sein, diejenigen Stellen
auszusondern, in denen das ursprüngliche Digamma durch
spätere Interpolationen verschüttet worden ist. In dem Ver-
zeichnis habe ich jene Stellen, die leider noch immer unsere
Homerausgaben entstellen und durch die sinnlosen Partikeln
der Erklärung nur unnütze Schwierigkeiten bereiten, ganz
ausgelassen, bei der Anführung der einzelnen Wörter und
Stellen aber ihre Verbesserung durch den in Klammern zu-
gefügten Zusatz ''corr. i. e. corrige' kurz angedeutet. Ich
bin dabei mit grosser Zurückhaltung zu Werke gegangen,
indem ich nur jene Verse aussonderte, deren Verbesserung
entweder nothwendig schien oder sich durch Leichtigkeit
und Einfachheit empfahl. Ich hätte leicht weiter gehen
können und würde auch in einer Ausgabe des Homer etwas
mehr wagen, ^) aber ich hielt mich absichtlich in engeren
4) Schwach war auch das Digamma der reduplicirten Verbalfor-
men und vielleicht wurde dasselbe bei keinem Verbum mehr zu Homers
Zeit noch vom Volke gesprochen; weshalb ich <a;^w unberücksichtigt
Hess und mich bei den Perfecten fkfoQya pepoixa fefco^a fefe^yficct
auf eine blosse Andeutung der dem Digamma widerstrebenden Stellen
beschränkte.
5) Unerklärlich ist es mir, wie Köchly dazu kam in seinen Iliadis
V. Christ: Die Interpolationen hei Homer. 149
Schranken, da ich wohl sah, dass mit der Freiheit, die sich
Hoffmann, Bekker und neuerdings Wackernagel ^) nahm,
die ganze Beweisführung ins Schwanken zu kommen drohte."^)
Als Hilfsmitteln benützte ich neben dem Index von
Seher hauptsächlich die verdienstvolle Arbeit von Knös
de digamma homerico, in Upsala Universitäts Arsskrift v.
J. 1872 und 1873,*) nach der ich meine eigenen Zusam-
menstellungen berichtigte, nicht ohne auch auf kleine Irr-
thümer des sorgfältigen Gelehrten zu stossen. Citirt habe
ich nach der kritischen Ausgabe von La-Roche, da diese
am reinsten die üeberlieferung wieder gibt. Die überlieferte
carmina XVI das Digamma nicht zu setzen, da doch gerade für eine
solche Ausgabe es von Wichtigkeit war, gleich dem Blicke des Lesers
zu zeigen, wo die Interpolation sich durch weitgehende Vernachläs-
sigung des Digammas kund gibt.
6) Ich beziehe mich dabei auf Jak. Wackernagels sonst so
trefflichen Aufsatz, Die epische Zerdehnung, in Bezzenbergers Beiträgen
IV, 259—312, wo ohne Beachtung, ob ein Vers zu einem alten Liede gehört
oder junger Interpolation entsprungen ist, und ohne Gefühl für rhyth-
mischen Wohlklang alle Verstösse gegen das Digamma frisch wegemen-
dirt werden.
7) Auf Bekkers Verfahren speciell beziehen sich die beachtens-
werthen Bemerkungen Nabe r 's, Quaestiones homericae p. 79: accedit quod
quo quis est ingeniosior, eo facilius Aeolicam literam, ubi forte desideratur,
locis tantum non omnibus mutatione perquam exigua restituere poterit. Nunc
dicam quomodo facillima ratione apparere existimem, Aeolicam literam
nihil conferre ad solvendam quaestionem, quae est de Homericorum car-
minum origine. Imm. Bekkerus in altera Homeri editione digamma
ubique reduxit, sed reliquit locos CCLXX, quos probabili ratione emen-
dare se posse negavit : ex bis loci sunt in Odyssea viginti tantum plu-
res quam in Iliade. In nuUo libro reliquit locos plus quam duodecim,
nerape in Odysseae nono libro et undecimo. contra tres libri sunt, in
quibus bini loöi relicti sunt nondum correcti, nempe Iliadis tertius liber
et decimus et Odysseae liber duodevicesimus. Unicus denique liber est,
in quo unus tantum locus probabiliter emendari non potuit: liber is
*) Erst während des Drucks erhielt ich Kenntniss von dem bal-
digen Erscheinen eines dritten Theiles der Abhandlung.
150 Sitzung der pliüos.-pliilol. Classe vom 1. März 1879.
EiutheiluDg in 24 Bücher habe ich beibehalten; nur im
2ten Gesang habe ich durch B^ den Schiffskatalog vom
übrigen Gesang abgesondert. Vorangestellt sind die 2
Wörterfamilien, in denen das Digamma sich am längsten
erhalten hat und bei Homer die stärkste Kraft zeigt.
Verzeichniss der Wörter, deren Digamma vernach-
lässigt ist oder vernachlässigt zu sein scheint.
Das Pronomen der 3ten Person ov ol I' og.
u4. 609 Ttqbg ^v Ihyoq (hi"* spov B^) inl fov alii) —
B 665 ccTCEiXrjaav ydg ol (scr. yctQ ol aXloi) — £ 165 %7t7tovg
d^ olg ETccQoiGt (ö" fortasse delendum) — £ 338 TtsTtlovy
ov ol (o fOL Heyne) — Z 90 TtercXov, og ol (o foi Heyne) —
Z 101 ovös rig ol (ov zig B) — Z 289. o 105 eadv ol itenloi
(al.^) söav ol TtETtl.) — Z 474 o / ov (del. /) — *0
535 avqiov ^v dqeTriv — ^ 339 ov ydq ol %7inoi (al. ov-
di ol, al. ovdk ydg %7t7toi) — A 403. P 90. .S 5. T 343.
Ö> 53. 552. X 98. € 298. 355. 407. 464 fil^rg /r^og or ^e;/«-
Xritoqa ^vfxov (el^e jreov B.) — A 517 avrUa 6^ cov (ö"
del. JB.) — M 162 io^w^ev ts nal w (del. tb) — iV 561
og ol (corr. o foi) — H 162 evrvvaaav £ ami^v (ßvtvvaoa B)
est Iliadis duodecimus. I nunc et vide quomodo utare iis quae dixi. Re-
fragantur enim quam maxime duo antiquissimi Odysseae libri, contra
fid eliter servavit digamma ■n ngtoßslu -ngog ^J/iXXecc, quem librum
plerique postea additum esse opinantur: ne dicam de libro tertio et
duodecimo, qui iudice Lachmanno scatent interpolationibus.
8) Mit B. d i. Bekker bezeichne ich die Verbesserungen, welche
Bekker in den Text seiner Ausgabe v. J. 1858 aufgenommen hat, auch
wenn dieselben schon vor ihm von andern vorgeschlagen wurden. Eben-
so soll das corr. und del., womit ich eine Verbesserung unbedingt em-
pfehle, nicht ausdrücken, dass ich erst dieselbe vorschlage.
9) Mit al. bezeichne ich eine in den Handschriften vorliegende
oder durch die Scholien bezeugte Variante. Mit einem Stern * sind die
interpolirten Verse bezeichnet.
V. Christ: Die Interpolationen hei Homer. 151
— *0 397. V 198 eTtetta ytat w — - *iT 522 o d' ovo" ov
Ttaiöog — 11 736 onqioevTa tov ol (corr. oy.qioevd^^ ov foi)
— T 4 TVEQixeliiievov ov cpiXov vlov — T 384 TteigriS^rj S^
so avTOv (corr. de /ev^^) — Y 282 axog ol — V 748 deMcov
ov (corr. aed-lov oder asd'Xia; vgl. ^4) — ^ 865 fxiyrjQS
yccQ ol (de foi corr. yccg roye Herrn.) — ß 53 vefieaGrjS^eco-
ixev ol rjfxelq (corr. vef^eoar]S^elofxev i^i^elg) — ß 72 'q yag ol
alel (^ T€ fot B.)
«41 rjßriörj tb y,al ijg (al. om. re) — a 301. y 198.
308 og ol ip Aristarchus, conf. N 561) — <J 4 dfxvixovog
(p (dinvfj.ova Nauck) — e 234 öwyis fxev ol (fxev om. B).
— S 280 ti tig ol ev^afxevrj (r^e Tig sv^. B) — tj 196 ^qIv
ye xov rig (ye fort, del.) — f 360 etfax" avxdq ol ((pdi^
ardg poi B,) — X 273 6 (f ov — X 442 f^rjö* ol (fiij foi B,)
— V 430 yidqxpe y.ev ol (ol om. al. ^lev del. Herrn.) — o 93
avxv^ ag y (aq om. al.) — o 101 rA,avov o-d- oi (al. cytav
od-i ol) — G 110 xa/ € (Jßtxavowi'iro (al. ytal öer/,. al. x«^
iöeiK.) ~ ^ 41 ^tv iqg — g) 416 og o^ (corr. o) — i//
-^„3 ' ^/3 » 7 7-»\ .-.1« N 'J3/JC//5/J
166 aj^rtov rjg (avzia rjg B.) — ip 247 xat tot a^ r^v (aq
om. jB.) - w 56 eqxerat ov (eqxEX eov B.)^^)
eLOCug OLoa LOTte cOTwq,
A 548 xov y ilaexai (del. y) — Z 161. Y214: avöqsg Xoctoi
10) Zu dieser Stelle bemerkt Fäsi: ein einziges Beispiel des ver-
nachlässigten Digamma in l'o. Da aber die von uns empfohlene Form
fev auch sonst {S 427. O 165) vorkommt, so ist auf jene Bemerkung
ebenso wenig Gewicht zu legen, wie wenn derselbe Gelehrte zu 2" 418
unter den Eigenthümlichkeiten der Hoplopoiie die Form eUe {1 520)
aufführt, da hier einfach acpiv soixs statt acpiaiv dxe herzustellen
ist. Bei einem Jahrhunderte lang mündlich fortgepflanzten Text wollen
derartige Dinge nichts bedeuten.
11) Die Zusammenstellung ergibt, dass das Digamma bei od ol
e fester haftete, als bei dem Possessivpronomen og, wesshalb ich bei
letzterem den Emendationsversuchen ein kleineres Feld einräumte. Be-
stimmter weist Kös, de digamma homerico p. 211 f., nach, dass bei
ol 373 Stellen der Ulas 270 der Odyssee für, und nur 11 der Ilias 6
152 Sitzung der philos.-phüol. Classe vom 1. März 1879.
-- Z 367 ot; yaQ r oIcT (del. t) — 406 0(pQ' eiö^ (al.
ccpqa YSrj) — ^ 792. *0 403. JT 860. ß 332. / 216
^/g ö' olS" (d" del. Ä) — 32 oq)Q eld^g (al. og)^«
1%, con£ 406) — *2 185 oi;(J' olto — T 421 eJ vi;
TOI olda (z6 B.) — ß 4,0 xaia 6" iiomi (ß del. JB) —
€ 206 «'/ y^ ^ev elSelrjg (del. /«) — ^ 146 IbiXfi Ji a
Yd/iiev (a fort, del.) - ^ 348 = 32 — z 190, Q 78 ya^
T Ydf^ev (del. t') — ^ 124 to/ / IWa^ (al. om. /) — tv
236 ocpg' sUso) (al. 09^' iSew, conf. 406, 32) — 7t
246 2^«/« ö" eloeai {d' om. ß.) — ^ 573 Ivyg' e'xo)' olod-a
— 9 110 Tode y l'oTe (al. toös Xotb) — % 234 = 032
— w 506, rode y eiöeai (al. Toye eioeaiy^) — 1// 29 Ttilab
Xldeev Qöbl TtaXai Nauck.) — ip 211 zol y' "iaaGi (al.
om. /) —
ava^ avaoooj.
^ 288 Ttavreoöi d^ ävaGöeiv (corr. Ttäoiv de fctv.) —
-^ 444 llaooißfiEd^ avayixa (al. Ikaao^eG^a) — J5 672 Xa-
QOTVOto t' avamog (corr. Xaqojtov xejrav.) - if 162. ^288 tzqü)-
Tog (xev ava^^^) — / 73 TtoleeooL (f dvaoosig (corr. Tcokioiv
ÖS fav.) — 453 y^QOTsovreg ' ava^ (corr. KQoriovTe ' fdva^)
— O 639 EvQvaS-riog avayizog (al. EvQvad-rjog de&Xwv) —
der Odyssee gegen Digamma sind, hingegen bei og 45 für und 30
dagegen. L. Meyer zieht hieher auch die Partikel ag 'wie'.
12) Nicht erwähnt sind Wendungen wie egy' eiävlccs, da in den-
selben jetzt allgemein k'Qva fiöviag mit Recht geschrieben wird. Vom
Digamma von oUa bemerkt Bekker, Hom. Blätter I, 133: ol&a, das
mit seinen abgeleiteten Formen jj^sa elSrjacu eXaofjLaL in Ilias und Odys-
see zusammen gegen 280mal vorkommt und an allen diesen Stellen,
höchstens 15 ausgenommen, den Aeolischen Laut verlangt oder verträgt.
13) Die von Bekker gebilligte Conjectur Bentley's n^ioziaTcc
fccvai hier und yj' 288 wird namentlich dadurch hinfällig, dass an der
3ten Stelle 256
aTikcc nokv itQiorog Tqcocou eXey ccp^qoc xoQvatijy,
die offenbar nach den beiden andern gedichtet ist, nguiXMxci keine Stelle
haben kann.
V. Christ: Die Interpolationen hei Homer. 153
n 371. 507 ccQfxaT dvccKZWv (fort. ccQfxa favaKTOiv^ vgl.
Bekker, Hom. Bl. I, 163) — *Jr 523 ov txsq /hol ava^
— T 124 aeiKEg dvaaae^ev — Y 67 nooeiödwvog avayt-
rog — ^F 49 otqvvov ava^ (corr. otqvvs) — ^ 517 og qd
% dvaxTa (del. t) — £2 449. 452 TtoirjOav ava^n — y. 304
(5' Tivaoae (corr. ös ßdvaoae) — i 452 ^ ov y avaKTog
(del. /) — ^40 dvTiS-€ov ydq dvaKZog — ? 395 vooTi^ai]
ava^ — ^ 438 ^v^ov dvaxrog — ^189 %akz7tal Se x
dvdxTcov (del. r') — <p 56. 83 ro^ov dvaxTog^^) — w 30 rg
7t €Q dvaaaeg,^^)
aOTv und seine Composita.
r* 140 TTQOTSQOio %al aoTEog (corr. Ttqoteqov Kai faOT,)
— ^733 dixcpLoTavTO dv\ darv (corr. dficpeOTav) — 455 tovg
(xsv y lÄoxvvoiß (del. /) — ^274 f^o^ue?^, doxv (e^sre
B.) — i2 320 V7CSQ döTeog (al. dtd doteog) — y 260 Ixdg
ccGTeog (al. ^^Aqyeog).
dyvvfXL, döelv^ dXiovai^ dXig, dgaiog, dqvog.
xp 392 Se ol r^^e {ds del. JB.) — t 539 avxevag r]^e
(fort. av%ev' sa^e.) — T 173 d^dvaTog ^oi dSelv (^€ hleiv
Susp. Nauck.) — -ff 45 ^eoloiv Icprivöave (corr. sfrivöave).
P 54 olonolü) od^ dhg (o B.) — Q) 236. 344 avtdv
aXig eoav (al. l'oav dhg).
r 103 öLG6Te ö* dqv (del. ö^) — F 119 i/(J^ dqv^ (corr.
tde) — X 263 'kvY.OL re yial dqveg (del. re) — (5 85 'Iva
X dqveg (del. t') — c 226 eqlg)Ovg re y.al dqvag. **
€i(Jog fiaJo^uat.^^)
*r 224 dyaoodiied^ uöog — 559 Ttdvxa de % eYöe-
14) Gegen die Aenderung Bekkers to^cc spricht der Gebrauch des
Singular ro'^oy in den vorausgehenden wie in den nachfolgenden Versen.
15) Knös p. 54 zählt auch noch JI 464 auf mit der Bemerkung:
audacius vero JI 464 ^€y ävuxtog in ^e fdvaxxos mutavit, namque in
hoc verbo v icp. inhaesit, et id quidem non in homerica solum lingua
8ed, si figuram doricam ^g exceperis, in lingua graeca universa.
16) Das Digamma von feiSerai = videtur führte bei den Epikern
1 54 Sitzung der x>lnlos.-philol. Classe com 1. März 1879.
Tai (del. T) — H 472 y,ay,6g eiöerat — Y 224: iTCTtat d
elodf^evoQ {d" del. B.) — ^169 yaQ t elöog (del. t') —
^174 avT elöog (al. av) — *r 283 -üsqÖlov SLOaio — w
279 Teooaqag elöaXifxag.
fikwg eUekog txfiAog.
T 282 erceiT^ l'Aeh] — ^66 xa^ elytvla (corr. xaAa ßi-
nvla) — ß 383. *€337(^ ehvla (corr. de fiKvla) — ^207
axt^ eUeXov (UeXov gki^ Nauck). Ausserdem widerstreben
der Annahme eines Digamma von eoma B 233. F 286.
459. J 286. Y 371. 372. O 379. ^ 649. £ 60. ^ 146.
^ 511, von filaxw t 321. ^363. Vergleiche überdies eTv-
eoiy,e A 126. J 341 u. o. u. Vergl. Anm. 4.
€tXO(T^.
/ 379. X 349. TT 249 (Jexaxtg t^€ xat elxooay,ig (del. re)
— ^25 x^vadlo ytal eUoGi (corr. %^i;(7oi;) — « 34 x' €txo-
aiTfp (al. om. x') — tt 206. % 484. ^ 205. w 322 i^';i?;^oj'
UY.OG%(^ (corr. i^^^ov).
€tx<y.
// 509 \iri^ iUexe (corr. f«?^') — M 48 Tgi t* eUovGi
(del x^O — ^ 294. /M 117 VTteiloiiai,
eYko) dXelg elaat, eeX^at,
^294 d^aldoorj % eXüai,
eyiag exaeQyog eKr^ßolog.
ohne Digamma: A 438. Y 422. X 15. i^ 321 — leicht
emendirbar ^ 21. P 333.
auch zur Annahme eines falschen Digaramas von fiaato == ivit in «T/a
7i()o 6e el'aazo A 138. E 588. P 518. w 524. 5 8, xccTaeiffnro A 358,
inieiao^ac A 367. * 424. o 504, itiaccro O 415. 544. / 89. Ein ähn-
licher Irrthura scheint auch durch die Confundirung von i'Se und i6€
entstanden zu sein. Indess hat neuerdings Jak. Wackernagel in Bezzen-
bergers Beitr. IV 269 statt jener auch von Curtius gebilligten falschen Ana-
logie lieber eine homerische Form erjcccro vom Stamme yä angenom-
men; siehe dagegen oben Anm. 2.
V. Christ .* Die Interpolationen bei Homer. 155
Ohne Spuren eines Digammas : E 470. 792.
Z 72. / 180. K 215. 388. ud 11. 291. N 155. H 151.
189. 288. 500. 505. 514. 667. H 210. 275. P 252 T
302. 332. ^ 55. 107. 370. ß 1. 273. y 1- V 91.
^ 15. 259. 324. 392. i 60. 65. 127. 468. l 542. ? 128.
o 24. 377. 7t 313. ^ 70. r 463. 501. 592. x 57. w 188.
339. 417.
Leicht und sicher emendirbar B719.E 195. / 203. 383. ^
634. 747. X 302. Y 153. ß 1 ^ 258. d 440. ^u 130. a 428. t 46.
eldofxai.
E 4:81. ilJ e ra T slöevaL (del. t')
€%7t0f,iai, skftig.
*0 526 ^yßfiai eX7tc(xevoq (al. elTtOfiac evxof^evog) —
539 IVt (5' ein BIO (xai feht. Hofmann) — O 701 Tqco-
olv ö' ekrteTO (corr. TqwoI öe) — .5 194 avTog o y eXTtOfx
(del. /; — ß 491 ^rci t elTtexai fnat fslTt. B.) — /? 91.
V 380 i^ev Q €%7tei (del. q^) — t 419 /w rjXTrsTO — eoXTta
entbehrt des Digammas Y 186. <P 583. X 216. ^315.
w 313. Vergl. Anm. 4.
eXlaoofiai sXi^ eXUcoip,
B 61b ccfiq) ^EXiKfjv — N 204 oq)aiQrjödv hXiOöo^evrj
(0(faiQ7]da B.) — JS 401 yva{X7T/cag d^ eXmag — ¥^309
TSQi^aT €hoO€(X6v (corr. TSQf^a) — W 320 ^rollov eXioaexai
(fort. TtoXka) — ^ 846 ? (J« ^' eXiooofxht] (del. &*) — [i
355 ßoaxioxovd^'' elixeg — i; 24 avTog elloosTO.
f-'vvvfXL sifxa eö&rjg tad-og mvov,
r 57 Idivov eaoo (susp. l^vov Bekk.) — -B 383 STtei q Vo-
aavTo (del. q') — T 393 XeTvadv "oav (ob von irj/^i?) — t]
17) Bei ixccatos, dessen Digamma schon in den ältesten Gesängen
ins Schwinden gekommen war, bin ich in der Emendation widerstre-
bender Stellen nicht so weit gegangen wie L. Meyer in seinem Auf-
satz über die Etymologie von huaios in Kuhns Zeitsch. XXIl 359 ff.
156 Sitzung der phüos.-philol. Classe vom 1. März 1879.
259 B^Tcedov e%ixata — ^83 q)eQOv 6" soS^rjra — ^510
ovT sGd-rJTog — co 67 ev t" ead^rjri {t del. B) — w 467.
500 BTtsl Q^ eooavto (del. q), —
ETtog.
B 213 OQ Q Ijtea (del. q) — E 683 vlog STtog — H
108 xeuQOQ £7tog — *0 398 6' e'jtog iqvda (al. öe Ttqoorjvda)
— ö 484 &g iiLv ETtBGOi (al. äg f^vd^oiOi) — d 706. e 96.
L 363. 71 500. ^ 193. r 214 Srj fxiv STteoGi (jre B.) — i
258 =: (5 484 — A 146 ^ly/tJ^oj/ ro^ IVrog — l 561 '/j^' IWog
~ I 509 fiolqav e^cog — o 375 oiV Ikog — tc 469
TtQWTog €7tog (TTQCota jreTtog B.) — q 374 6* ETteatv — w
161 dlX^ ETteOLv.^^)
elTteiv.
•A 64 og X* «IVrot (corr. fBiTcrj) — ^ 106 2^o y.Qriyvov
eiTtag {rd KQi^yva B.) — A 230 ccvtIov Htcti (corr. avTid)
— *B 70 ixev sIttcüv — Z 281 s^elrjo' eiTtovxog (corr.
kd-elri) — H 68. 349. 369. 6. T 102. ?? 187. ^ 27. Q
469. (T 352. *cp 276 og)^' «IW — H 277 a^f^oj/, «Itt«
— H 300 w(^ eiTtTjGL — if 375 toö^ ei^e^evat (ro B.)
— / 688 taS" emefisv (rd B.) — ^791 ravT ilitotg {xd
B.) — M 317 cod* UTfiß {tog Hof mann) — P 260 ovvoixax
UTtoi {ovvo^a B,) — Y 250 x' eYTtrjod^a (del. z') — a 10
Jiog, elfte — «37 STrsl ttqo poi iiTtoiiEv — /? 331 ctvx
U7tBG%B (corr. av) — y 427 doXkheg s^Ttaze — (f 28 dX}^
im — 6 682 ri eircefÄSvaL (corr. evTtelv) — ? 275 w(f
18) Alle Stellen, wo durch Vertauschung der Formen insBaaiv
und eneaaiv, wie in E 30 iXov</ ineeaai (corr. k'kovaa psneaai) oder
durch Synizesis, wie in O 89 (piovi^ccca k'nscc nTSQosvzcc (corr. cpoiviq-
caacc psnea meg. geholfen werden kann, habe ich ganz ausser Spiel
gelassen. Im übrigen scheint das Digamma von penog und feinslv
frühzeitig so schwach geworden zu sein, dass ich in der Odyssee den
allerdings leichten Aenderungen Bekkers nicht beitreten möchte, zumal
selbst uns die Wiederkehr des Digammas in pe fineaai stört.
V. Christ: Die Interpolationen bei Homer. 157
eifcrjoi — ^279 dlXa {.loi ucp — / 297 TtavT emovTa —
^ 338 d^ eiTte — (jp 400 avz Hjxegtze (corr. av) — j< 350
tolöb y eLTTE (del. /) — xp 91 f^tv unoi (ßs B.) — z// 342
devTarov eine {öevTara B), conf TtaQeinelv ^ 555. Z, 62.
337. H 121. A 793. *0 404, aiteiTtelv T 75. a 91, öi-
elTce K 425. ^ 705. jx 16.
^ 395 t^f xat ^Qy^i^ (»}^ "^^ *^<?7t/^ ^) — ^ 751 Tiza-
Qiqoiov Igya — z/ 470 (5* e\)yov — Z 289 TcircXa jta^-
TtOLKiloi eQya [ftccfiTtoiyiLXa J. Wackeniagel) — / 128 a^iv-
fiovag eqya (al. duvf.iova) — 228 emjqaTOV eqya (£7i7]QaTa
fi^ya B.) — / 374 ovde f-iev tqyov (al. ovde tl) — ^ 703.
Q 313 r^Si Kat eqycov — IM 412 nXeovcov de tol eqyov (al.
öe TL) — P 279. l 550 Tveqi ö" eqya — X 450 t'(^cV
oVn^' eqya (al. oV^ £(0;/«, Hofmaan Xdto riva feqya) — ^
671 TToiTeoö' eqyoLOL (corr. naoiv fegy.) — i^ 354 voov
eqya (corr. vov fegya) — a 293 re %al eq^r^q — e 342.
360 toö^ eq'^ai — d- 490 ood* eq^av — -^80 TeXevrrioco ze
Kai eq^o) — l 474 juriGeai eqya — ^ 228 ejtiTtqTtexai eq-
yoig — ^ 344 evöeiJlov eqya — % 422 diöd^afiev eqyd-
^eod^ai.^^) — Vgl. eqqe^e neben eqe^e.
eoqya hat kein Digamma F 351. 399. X 347. x 318.
eqöco.
I 540. TtoXl^ eqöeoy.ev {noXl' eqqe^e B. conf. X 380) —
X 503 xzvTaTOv eqdoi — X 380 7t 6X1^ eqöeoxe (al. eqqe^e)
— L, 258 dö' eqdeiv — rj 202 wd^ eqöwf.iev.
19) Das Digamma von E(}yoi^ ist mir nicht stark genug, um in
^ 395 das nachdrucksvolle n^ xal efjyo) mit Bekkers nichtssagendem r,e
IL t(jy(o zu vertauschen, zumal der ähnliche Versausgang rfde xal SQycoy
A 703 und Q 313 selbst von Bekker nicht angefochten wurde. Noch
weniger wird man hei dem Versausgang (xi^aeuL sqyov 1 474 dem Di-
gamma zulieb fxr^Gifa durch Synizesis zweisylbig lesen dürfen.
[1879. I. Philos.-phil.-hist. Gl. 2.] 12
158 Sitzung der 'philos.-iMlol. Classe vom 1. März 1879.
■» /
egvco
^ 141. ^ 34. 7t 348 ^isXaivav eQvooofiev — J 467
yccQ Q^ sQiovTa (del. Q^) — z/ 492 txeQcod' SQvovra — P
635. 713 vEXQov sQvoaojuev — Y 311 i^uv sQiooeai — ^
21 Ssvq' SQVGag — £2 16 tqIs ^' eQvoag — ^577 Tta/^t-
TtQWTOv 8Qvooa{.tEv (Trdf^i/tQcoTa B) — i 11 . (.1 402 XevA eqv-
Gavteg — ir 481 aooov eqvGöaro — Vgl. aXad^ uqvöe
ß 389 und y,aTsiQVGev e 261. .9- 151. ? 332. r 289.
eaQ sövov e'AVQog SQGijeig tGrcEQog k'rog exrjg.
B 348 Icorov d^ tQGrievTa (del. &^) — ^ 111 de f-ioi €q-
GrjELg.
Tjövg riöog,
A 576. J 318. G 404 €(T^% EGGEXai rJcJog^o) _. j
131 o'y -^Jfi (o E.) — y r^X dknag ^öhg — ^ 64. f 210
S" riöeiav — r 80 vriy^exog TjöiGvog — t 510 IvGezaL i^öiog
— w 95 Tod* Tiöog.
Tjd^ea rjd^elog rjna r^vcoxp r^qa ri%7].
Z 511. 268 i^iBTcc r rj^ea (del. t) — ^ M tItite
fiOL i^dELT] — I 147 fiLv rid^Elov (f€ /rj^. scribere debebat
B.) — (T 92 rj€ f.nv riTca (fort, t] fj.iv).
Yöev. 2 ^)
A 203 vßqiv löwv — B 269 clxqeIov Idcov — *r 224
eidog löovzEg — r* 453 el rig Yöolto — z/ 232 GTtovdovxag
Xöoi — J 240 jLiE&LEvrag l'Soi — z/ 374 oc /uiv i'öovro
— z/ 508. H 21 sy,y.aTidcov — z/ 516 fiEd^iEvrag Xöolto —
M 333 Ei TLv YöoiTO — M 389 ^ q "iöe (del. q)
— n. 232 ElGavidwv — X 61 ETtidovxa — X 254 etil-
öcü/uEd^a — X 407 na7d^ eGiSovGa — X 450 etieg&ov
20) Die von Bekker hergestellte Lesart eadlrig earai frjSos gibt
einen schlechten Rhythmus, so dass ich in diesen zumal rhythmisch so
vollendeten Gesängen weit eher die Vernachlässigung des Digammas
ertrage.
21) Die Aehnlichkeit der Aoristforraen tde und l&e mit der Con-
junction iSf bewirkte, dass der Dichter auch vor dieser sich oft einen
Hiatus erlaubte; vgl. Anm. 16.
V. Christ: Die Interpolationen hei Homer. 159
Ydco (corr. eTteode) — ^ 485 Ttegidco/ued-ov — Q 307 sla-
avidcov — n 337 Tig l'dtj — ß 152 eg (f Idixriv — / 233.
e 220. C 311. ^ 466 ri^iaq IdeoS^ai — y 372 Ttccvrag Idov-
Tag — d 556 tov 6" Yöov — e 209 ^reg löeod^ai e 486 — e
486. CO 504 T^J^ ^^gV Mwj' — C 160 tolovtov ^lSov (corr. tolovöb)
— f] 234 u^iaT Idovoa — rj 322 oi (.ilv Yöovzo — t 143
7TQ0vg)aiveT Ideodai (corr. TtQOvcpaivs) — % 44 d^äooov Idw-
titeOa — X 522 yMlliGTov Yöov — )^ 155 TtQOGidcovTaL (al.
7tQolöcüvTai) — 1^ 215 x«i Ydcoi^iai — q 318 £Vi9-' l'cfov —
Q 327 amiyi löövx — o 375. 379 tw %£ f,L Yöoig (/.i del.
ß) — T 567. ^ 228 Tig YdiqTai — ^122 ndvTag Idovreg
— (jp 228 (.tri Tig ^tSrjrat — ip 94: eolöeOKev — w 101
eOLÖiö&ai — w 491 rtg Yöol — co 504 (.tev Idcov —
Leicht zu emendiren : *^ 82. 384. E 166. 453. M
389. B 294. X 450. (5 475. e 41. 114. C 314. jy 76. ^
410. 526. i 532. ^ 448.
"Ihog^^)
ohue Spur eines Digammas: E 204. Z 386. 493. H 345.
iV 349. -^ 270. O 81. 128. 156. ^ 67. ^ 578. C 238.
Leicht emendirbar: P 145. -9- 495. (> 104.
iQig^^) ^iQtg.
E 353 Trjj^ jMfV aQ ^iQig {aq del. Thierscb) — E 365
^«^ ^6 fOL 'iQig eßaivs (ße Cobet) — A 21 £xdTeQd^ I'qio-
öLV — ^jF 198 iO'/.ea 6* Iqig (fort, wxa öe).
Yov Ytvg Ixerj.
361 TE %al Izeai (del. re).
22) Das scheinbar verwandte Nomen '/Ao? hat kein Digamma A
166. cc 259. Auch von ^'IT^cog selbst ist etymologisch das Digamma
schwer zu begründen.
28) Das verwandte nomen proprium '^iQog entbehrt des Digammas
in <r 38. 56. 233. ; in »^ 38 o 'isivog re xal ""iQog und 233 ^eipov ye xal
^'Iqov ist das Digamma leicht herzustellen. Kühner ist die Verbesserung
J. Wackernagels (Wjf tig piqta frJQcc cpe^Mv in V. 56 statt des über-
lieferten fjLti rig iri "Iqm ^qk (pSQODv,
12*
160 Sitzung der pJiüos.-phüol. Classe vom 1. März 1879.
isfiai.
^501 ajLKpco (f leo&rjv — ß S21 sjrel vv 7t sq lezaL —
X 246 STiog Ujuevog — ^ 142 odvQOf.iaL U/uevog.^^)
ig i(pi^^) iviov.
B 720 eldoreg Jcpi — z/ 287 dvcoyeTOv Icpt (corr. dvco-
ysTs) — E 606 [Äsveaive^ev ig^i (corr. f,iEvsalveiv) — Z 478
^Iliov }q)i — ^261 Tolo d* £71 ^[cpiddi^iavTi (corr. tov ö'
£7tl) — M 367 ovQvvETOv }(pL (corr. orQvveTs) — P 739
ETCLßQefj.ei ^ig dv6fj.ow — - Ö> 356 Kalero ö* fg Ttora^dlo {d^
del. B.y^) — l 305 ^ex "[cfifiiösLav — l 284 Blivv-
iqup \q)i (al. MlvveUo) — A 597 y.qaxat lg (al. ugazaug).
iGog Yoyico lvSdXXof,iai.
E 467 ov T loov (del. t') — Z 101. O 411. 194. 357.
liEvog loocpaqiCELV (al. dvTKpEqitEiv^ conf. (Z> 488) — / 142
de (XLV loov (f£ P.)27) _ ^ 101 ß^ Q ^laov (del. q) —
*^ 705 y.ioi ^tOTjg — 209 ccv loof-ioQOv {av del J5.) —
^ 736. 823 dsd^Xia ö' loa (corr. dsd-Xa de f7oa^ coiif.
^ 748)
/5 203 TtOT' ha — i 42. 549 = ^ 705 — ^ 484
ETLOfÄEv loa — (J 373 7J?uKEg loocpoQOL ('tjliyiS B).
24) Auch das reduplicirte m/co sowie icc/ij hat ein anlautendes
Digamma, wenn das i kurz ist; hingegen keines, wenn das t lang ist,
wie in fisycc <5' laxe, inlcc/oy, fxsydX' m/f, in welchen Formen m/oz/
aus altera efifa^ov contrahirt ist. Die Sache ist klar gestellt von
Kös p. 60, leider ignorirt von Nauck in seiner Ausgabe des Homer.
25) Unberücksichtigt habe ich die Adjektiva Xcfiog und icpS-ifiog
gelassen, da deren Etymologie zweifelhaft ist; vgl. Göbel, Lexilogus
S 333 flf.
26) Das Asyndeton xaUjo Vg nora/noTo würde entsprechender sein,
wenn die Anaphora auch V. 353 hergestellt würde durch die Verbesser-
ung von tiLQovr ey/iXveg in ^aiovr ey/elveg.
27) Ich nehme hier und an ähnlichen Stellen, wie ^n j""^ sn^aci,
Anstand, Bekkers Aenderung beizutreten, da zwei Digamma hinterein-
ander schon in Homers Zeiten den "^aures delicatulae' der Griechen miss-
fallen zu haben scheinen. Vgl. Anm. 18.
V. Christ : Die Interpolationen bei Homer. 161
oi-/,og o'iKaöe olnio) olxsvg oIkIov.
^ 19 £v d^ öiKad' lyieo&ai^^) (xal jtolx. B.) — 5 750
öuaxei/^iEQOv olnla {dva%ei(Äeqa B.) — H 364. 391 et oYko-
d-ev — Q 572 S" oUoio —
ß 52 iih sg oIkov {sg om. B) — ß 154 di(i t' olma
(del. t) — ö 596 ovöe xe (x ölkov (del. xe) — 7] 326
d7r7]vvoav öiKaö^ — t 530 TtToXutoQd-tov oYxad^ — )c 35
aqyvQOv olx«(5' — v 42 d/.tvfÄOva d' oTxoi — v 127. 305
coTcaoav oTnaö^ — v \2h avr^ olxovde (corr. av) — /tt 135
ccTtqrAioe — ^ 223 ot'J' oiKCücpeXlr] — ^318 ig omov —
21 ßovXeTat oli/iov — o 436 ccTtijfxovd i^i öty,aö* (al. om.
^*) — ^70 VTTodi^Ofxat ol'xo) — 7t 303 iurjre rig olnrjwv
— TT 463 elqvaTai ol'ycaö^ {siQvvTai Nauck) — ^84 r^yor
eg oixov — q 533 rd /,iev t' olxr^eg (del. t) — a 419
naTayieiof-iev d'iyiad' — v 232 eXavoerat oXv-aö^ — (p 211.
% 35 VTcorqoTtov olxad' — ip S. co 208 IV ^9-« poi olaog —
oivog olvoxoog oYvoica olvi'Qofiai.
*H 467 7taqaaTaöav olvov — "^H 472 evd^ev ccq' oivi-
'C,ov'TO — / 224 d" Oivoio — -2" 545 iieXnjdiog ol'vov — a
110 oc (äsv ccq' olvov (al. om. dq) — ß 379 ejteLzd fOi
olvov — y 40. ^ 77 h d* oivov E%eve — y 46. 51 ridiog
olvov — i 454 cpqevag oi'vco (al. q)Q€va) — X 61 d&eog)a-
Tog oivog — o 334 xat Kgetcov rjd' olvov — o 507 yiqucjv
re xal olvov (del. Tfi) — G 396 o 6" dq olvo^oov (deJ.
dq) — (7 418 dX)^ dysz' olvoxoog (al. dye) — t 122 cpqs-
vag öLvcü (corr. cpqeva ' vgl. t 454.) — v 260 ev ^' olvov
{/-al La Roche) — q) 142 dOsv re neq olvo%oeveL (del.
Te) ~ q) 26'6 = o 418.^9) u. 3o)
28) Das überlieferte €v ist im Hinblick auf das später bei der
Heimkehr wirklich erlittene Unheil zu passend, als dass man dafür das
verblasste xcei eintauschen möchte; ausserdem scheint auch das Di-
garama in dem Adverbium otxaSs früher als in dem Nomen olxog seine
Kraft eingebusst zu haben.
29) Ausnahmen bei den Eigennamen wollen nicht viel bedeuten,
da diese weniger unter der Herrschaft der Analogie stehen; daher be-
162 Sitzimg der philos.-philoJ. Classe vom 1. März 1879.
dfriv dfsog Sßetvog djrsiXog Sßeldcü.
Das Digamma vernachlässigt in 133. O 626; vgl.
ß 285. e 281.
lieber sieht der Stellen mit vernachlässigtem
Digamma.
^ 19. 106. 141. 203. 294. 395. 555. 576. 609. [64. 230.
288. 548.]
B^ *70. 269. 438. [*82. 213. 384.]
B^ 572. 575. 720. 750. 751. [665. 672. 719]
r 57. 173. *224. 351. 453. [103. 119. 140. 173.]
J 131. 232. 240. 374. 470. 492. 508. 516. [287. 467.504.]
E 165. 204. 337. 338. 353. 365. 470. 683. 792. [166. 195
467. 481. 606.]
Z 72. 101. 151. 386. 478. 493. [90. 101. 281. 289. 367.
474. 511.]
H 21. 68. 108. 117. 162. 277. 300. 345. 349. 364. 369.
375. 391. *467. *472. [45.]
6. 133. 406. 420. 512. *535. [398. 406. 453. 526. 559.]
1 142. 180. 224. 228. 688. [73. 203. 374. 383. 379. 540.]
K 215. 388. 425. 503.
^ 11. 27. 137. 291. 318. 403. 517. 703. *705. 706. 791.
792. [25. 101. 261. 339. 634. 733. 747.]
M 317. 333. [48. 162. 347. 389. 412.]
N 155. 204. 349. [561.]
S 151. 162. 472. [294. 348. 383.]
gnüge ich mich hier in den Anmerkungen anzuführen, dass Olvevg B
641, Oiv6{jiuog E 706 und OiyeiSrjg E 813, K 497 kein Digamma hat.
30) Auch bei ovla^og und oigov sind alle Stellen, und bei oip
*die Stimme' alle Stellen mit Ausnahme von A 137. Y 98. e 61 der An-
nahme eines anlautenden Digammas günstig; doch ist es nach den Ai.s-
einandeisetzungen von L. Meyer in Kuhn's Ztsch. XXIII, 49 ff. na-
mentlich bei den ersten beiden Wörtern zweifelhaft, ob sie je mit einem
Digamma gesprochen wurden.
V. Christ: Die Interpolationen hei Homer. 163
189. 288. *397. *398. *403. 500. 505. 514. 539. 626.
639. 667. [32. 209. 268. 453. 455. 701.]
n. 210. 232. 275. 371. 507. *522. *523. 860. [735.]
F 54. 90. 252. 260. 279. 635. 713. 739. [145.]
2 5. *185. 270. 274. 294. 401. 545. [194.]
T 4. 75. 98. 102. 124. 282. 302. 332. 393. 421. [384.]
Y 67. 186. 214. 224. 250. 282. 311. 343. 422. [153. 250.]
53. 81. 128. 156. 356. 399. 552. 583. [236. 344. 357.
361. 411. 450.]
X 15. 61. 98. 216. 254. 347. 407. [263. 349. 380. 450.]
'F 21. 55. 94. 107. 198. 288. 320. 370. 392. 434. 485.
585. [49. ^Q. 302. 517. 671. 736. 748. 823. 846. 865.]
^ 1. 16. 67. 72. 273. 307. 337. 449. 452. 491. 572. 777.
[1. 53. 320. 354.]
a 10. 37. 91. 293. [4L 110. 301.]
ß 40. 52. 91. 152. 203. 285. 311. 332. 379. [91. 154.
258. 331. 383.]
r 7. 40. 46. 51. 216. 233. 372. 427. [260. 304.]
ö 4. 28. 556. 577. 706. [85. 475. 484. 596. 682.]
fi 61. 96. 100. 209. 220. 234. 281. 298 ~ 355 = 407 =
464. 392 — 360. 486. [34. 41. 114. 206. 337.]
^ 77. 83. 258. 275. 280. 311. [160. 314.]
ri 91. 187. 196. 202. 234. 258. 321. 322. 326. [76.]
^ 15. 27. 34. 64. 259. 315. 324. 392. 466. 490. 578. [146.
169. 174. 410. 495. 526.]
i 42. 60. 65. 77. 127. 143. 210. 226. 258. 279. 363. 419.
468. 549. [258. 348. 360. 452. 454. 530. 532.]
z 35. 44. 500. [190.]
1 61. 80. 146. 207. 273. 297. 305. 442. 478. 484. 522.
542. 550. 561. [124. 284. 597.]
^i 16. 117. 135. 355. 402. [130.]
V 42. 80. 121. 125. 198. 215. 305. 380. [155. 380. 460.]
? 40. 128. 147. 223. 228. 238. 318. 344. 395. 438. 509.
510.
164 Sitzung der philos.-pMlol. Classe vom 1. März 1879.
21. 24. 66. 105. 334. 375. 377. [93. 101. 436. 507.]
7t 70. 193. 246. 303. 313. 338. 348. 463. 469. [206. 236,
249.]
Q 70. 84. 313. 318. 327. 352. 374. 469. 573. [78. 104.
189. 448. 533]
ö- 92. 352. 373. 375. 379. 404. 419. [110.396.418. 428.]
r 214. *283. 463. 481. 501. 510. 539. 567. 592. [46. 122. 484.]
V 24. 232. 260.
q) 4. 56. 83. 122. 211. 228. *276. [110. 142. 205. 263.
400.]
X 35. 57. 318. 350. 422. [234. 350.]
ip 8. 29. 91. 94. 116. 247. 342. [6. 271.]
CO 30. 95. 101. 161. 188. *208. 279. 313. 339. 417. 491.
504. [56. 67. 322. 467. 500. 506.J
Verzeichniss der Verse, in denen eine kurze
Sylbe in der Thesis vor nachfolgendem
Digamma verlängerte^)
^ 548 (?).
E 7. 353 (?). 467 (?). 695.
Z 157. 194. 367 (?).
190.
1 131. 392. 377.
K 129.
^ *543. 763 ifr^g Bekk. z'^g codd.) 792.
31) Diese starke Kraft, hat fast nur das Digamma des Personal-
pronomens der 3tcn Person, und von den Formen desselben fast nur
der Dativ ol. Ausserdem findet sich in der Thesis eine kurze Silbe
verlängert, zum Theil nur auf Grund einer die Bedeutung des Digam-
mas herstellenden Conjectur, in roV pEiaercci [A 548, zw y' codd.), oV
f^iffoi^ (E 467, oV t' laoi^ codd.), "Extoq f^fidog {P 142), yccQ peiSos (^
169, yccQ T^ el6og codd. vielleicht richtig) poLuov poivoxo^vvteg {y
472, y(). evoivoxofvvTBg, vgl. cc\\Qi),ohyc(^f:oL6'' (Z 867, /«(> r' codd.),
ro^op foi&cc {^ 215, vgl. X 190, q 78) oloy fsqoi^eig (i2 419, yQ. isQ-
V. Christ: Die Interpolationen hei Homer. 165
M 103.
B 166. 348 (?). 521.*
183. 403.
n 460. 735 (?).
P 142 (?). 324. 699.
O 547. *570.
X 438.
W 493.
n 419 (?).
a 110 (?). 239,
ß 52(?) 249.
j^ 472.
^ 292. 559.
£ 16. 41. 113. 143. 234 (?)
? 194.
^ 79. 169 (?). 215. 302.
t 530 (?).
>c 190 (?). 434.
? 96 369.
^ 78 (?). 145.
arjsis), 2.(OToy feQayjfrza {S 348, yQ. i' ega^frza), rl fXLu frixa a 92,
ri€ fxiy ^aa codd. vielleicht richtig) naxQog fj,ey polxov {ß 52, fJ^eu es
olxov codd.), nxoKinoQd-ov f^oixaö^ {i 530, wo andere Hdsch. nzolinoQ-
d-ioy haben, was wegen i 504 vorzuziehen). Vielleicht ist überdiess in
anderen Worten jene ursprüngliche Kraft des Digammas im Laufe der
Zeit verdunkelt worden durch das e prostheticura von Eeix.oai ssX&ojq
i'eSj/a haog eF.Q<jrj eeinov isiaafxevog, von welchen Formen die letzt-
genannte ietadfjLevog nirgends (vgl. B 22. 795. r 389. fl 720. P 826.
585. y 82. ^ 24) bei Homer vom Metrum gefordert wird, wie schon
Bekker, Hom. ßl. I, 156 bemerkt hat. Doch will ich damit jene er-
weiterten Formen nicht aus den homerischen Texten entfernen, da
sie an viilen Stellen durch das Metrum vollständig gesichert sind.
Noch weitere Belegstellen für jene stärkste Kraft des Digammas lassen
sich, wie Leskien p. 47 f. andeutet, durch Herstellung der Formen
pov statt iov, fiQyey statt ESQyev, eV statt Evi, iiQog statt rcQozl
gewinnen.
166 Sitzung der phüos.-pliilol. Classe vom 1. März 1879.
7t 463 (?).
G 92 (?).
T 226. 244.
(p 54.
xp 101. 169.
Wie ich schon in der Einleitung aussprach, ist es
nicht meine Absicht, jetzt schon das zusammengestellte
Material nach allen Seiten zu verwerthen. Ich beschränke
mich vielmehr hier darauf in ein paar Hauptsätzen dasjenige
zusammenzufassen, was sich aus der Durchmusterung der
Stellen mit Sicherheit ergibt:
1) Schon in den ältesten homerischen Gesängen hatte
das Digamma seine volle Kraft verloren, so dass selbst in
dem ersten Gesaug und in der ersten Hälfte des eilften Ge-
sanges der Ilias sich das Digamma nicht blos von exaoTog^
sondern selbst auch vom Possessivpronomen og insofern ver-
nachlässigt findet ^^), dass dasselbe nicht mehr durchweg
Positionskraft hatte.
2) Nur die jüngeren Interpolationen kleineren Umfaugs
sind in einer Zeit gedichtet, in der das Digamma seine
Kraft fast schon ganz verloren hatte, so dass dasselbe nur
noch in formelhaften aus älterer Zeit stammenden Phrasen und
Wortverbindungen bewahrt worden zu sein scheint. Die be-
treffenden Stellen sind in den Verzeichnissen mit Sternchen
bezeichnet, von besonderem Interesse sind die, wo in kurzen
Zwischenräumen öfters das Digamma vernachlässigt ist, wie
32) Ich habe hiermit angedeutet, dass ich J und A^ für die Ge-
sänge halte, welche der Dichter der Ilias zuerst gedichtet habe. Da-
mit ist nicht gesagt, dass uns in der Ilias nicht Episoden und kleinere
Lieder erhalten sein können, welche in eine noch ältere Zeit zurück-
reichen. Aber die kleinen Lieder des alten Heldengesanges sind in die
grösseren Gesänge des Epos in solcher Ueberarbeitung aufgenommen wor-
den, dass sie höchstens nur noch in einzelnen formelhaften Wendungen
Anzeichen einer früheren Sprachperiode erhalten haben,
V. Christ: Die Interpolationen bei Homer. 167
390—405, 466—81, 509—31, vielleicht auch & 248—
386.33)
3) Zwischen Ilias und Odyssee zeigt sich kein bemerkens-
werther Unterschied in dem Gebrauch des Digammas ; nament-
lich hat dasselbe seine Kraft eine kurze in der Thesis steh-
ende Silbe durch das Gewicht der Position zu verlängern
auch in der Odyssee noch häufig bewahrt.
4) Auch in den jüngeren, jedenfalls in späterer Zeit
wenn selbst auch noch von demselben Sänger gedichteten Rhap-
sodien ist das Digamnla noch in Kraft. Zum Beweise dessen
will ich auf einige dieser jüngeren Partien noch näher ein-
gehen. Unter den Kennern steht es fest, und Naber hat
dafür neuerdings in seinen Quaestiones homericae die durch-
schlagendsten Beweise erbracht, dass der achte Gesang (0)
zu den jüngsten Partien der Ilias gehört, dem höchstens
die Aeneasepisode 1^75 — 352 und die Erzählung von der
Aussöhnung des Achilleus und Agamemnon T 140 — 351 an
Alter noch nachstehen. Nichst desto weniger ist in dem-
selben das Digamma, wie das Verzeichniss lehrt, nicht viel
mehr und auch nicht viel stärker vernachlässigt als in
anderen Gesängen und übt das Digamma seine Position be-
wirkende und Hiatus beseitigende Kraft bei fo7 fe /og in
VV. 48. 122. 129. 216. 236. 284. 301. 310. 314. 322. 327.
328. 329. 338. 362. 371. 406. 422. 430. 446, bei /aQveg
V. 131, fsaQcvrioi V. 307, peldsTaL VV. 228. 559, /eiTivla
33) Diese Stelle hält auch Kammer, Einheit der Odyssee S. 453,
für eine jüngere Interpolation, vielleicht mit Recht. Im übrigen bin
ich in der Annahme solcher jüngeren Interpolationen nicht weit über
Bekker hinausgegangen, in dessen Bonner Ausgabe die meisten mit *
bezeichneten Verse unter dem Texte stehen. Verschweigen will ich
aber nicht, dass auch Verse uns überliefert sind, welche Bekker mit
Recht als interpolirte ausgemerzt hat und die nichts destoweniger Spu-
ren eines Digamma haben, wie A 543, ^ 570
Zsvg yccQ foi vs^AsaccS-^, ot (tfXELPovi (poDxl fxccxoiro.
efXfÄevai' avtcicQ foi Kgoyi<fr]g Zevg xvSog ond^Si,
168 Sitzung der phüos.-phüol. Classe vom 1. März 1879.
V. 305, fixaoTOQ VV. 233. 347. 562, jrexojv V. 81, firtog
VV. 8. 373. 459, fiQyov VV. 9. 130. 356. 463, /eQQWv V. 239,
ßeUaGco V. 34:0, plÖEv VV. 76. 105. 278. 350. 376. 397. 453,
ßlero VV. 301. 310, flhov VV. 131. 295. 499. 551. 561,
jrlQigYY, 399. 409. 425, /««/w V. 321 folxog VV. 284. 513,
folvog VV. 232, 506. 546, wobei die Stellen, in welchen statt des
V ecpeXx, das Digamma hergestellt werden kann, gar nicht
einmal mit gezählt sind. Ebenso zählen bekanntlich in der
Odyssee die Episoden , in denen der Seher Theoklymenos
eine Rolle zpielt, o 221—86, 508—49, Q 52—166, v 345
— 94 zu den jüngeren Partien des Epos; aber auch in ihnen
ist das Digamraa nicht besonders häufig vernachlässigt, und
hat seine Kraft bewahrt in o 222. 230. 236. 239. 251. 273.
285. 525. 530. 536. 546, Q 55. 58. 60. 69. 73. 78. 106.
141. 142. 144. 161. 163, v 358. 362. 378, ja selbst noch
in der Weise, dass es zweimal ^78 und 145 einer kurzen
in der Thesis stehenden Silbe Positionslänge verlieh.
5) Gleichwohl verdient es Beachtung, dass in einzelnen
Gesängen das Digamma ungewöhnlich häufig und selbst
in Wortformen mit zäh erhaltenem consonantischen Anlaut
vernachlässigt ist. Manchmal mag hier der Zufall sein Spiel
getrieben haben, aber für nicht zufällig, sondern für ein
Zeichen späteren Ursprungs halte ich es, dass in der klei-
neren Nekyia lo 1 — 204 nicht bloss das Digamma oft abge-
worfen ist, sondern sich auch die unentschuldigten und
die durch das Digamma zu entschuldigenden Hiaten so
ziemlich die Wage halten, und dass so oft in Hektors Ab-
schied IL Z selbst das Pronomen der dritten Person sein
Digamma eingebüsst hat. Auch die grosse Anzahl von
Verstössen gegen das Digamma in der Nekyia (Od. X)
dürfte mit der Sonderstellung dieses Buches und mit seinem
jüngeren Ursprung in Zusammenhang stehen.
Im Uebrigen mochte die treuere Erhaltung wie die
häufigere Vernachlässigung des Digaramas vielfach blos von
v. Christ: Die Inter_polationen hei Homer. 169
der individuellen Neigung des einzelnen Dichters abhängen.
Niemand wird sich z. B. vermessen dürfen dem Dichter
von K und M — iV, weil in diesen Gesängen das Digamma
sehr selten vernachlässigt ist, ein höheres Alter als dem
von ^ oder von F — E beilegen zu wollen.
6) Interessant ist es auch zu beobachten, wie bei Nach-
ahmungen von Stellen öfters das ursprünglich bewahrte
Digamma später ausser Acht gelassen wurde, Ich mache
insbesondere auf folgende Verse aufmerksam;
cog ecpaT\ avraQ^LäQrjq d^aXegcü TveTclriyETO f.iriQco (0 113).
Sij qa TOT o)/ncü^ev [re] /.al fco jCEjr'kYjyeTO f.irjQCü (M 162).
wf^cü^iv t' ccq^ STteiTa %al co 7te7tX7JyeT0 i^iyjqw (*0 397).
cog r) TtOQCfVQij] vecftXrj nv%aöaöa fi avTiqv
dt Ost' ^dfyaicdv fid-vog, eyeiqe de cpcoTa feKaorov (P 551 f.)
röe de foi ytavd ■d-v/.iöv dglarr] cpalveTO ßovXrj •
eX&ef.(£v elg lörjv iv evivvaoav e avTrjv (H 161 f.).
avTi^ ö^ aip eg tvovtov eövosTo xvjualvovTa
ald^virj Fefiy.vla (e 352 f.)
ald^vlr] ö^ ehvTa tiot^ dveövoeTO Xlfxvijg (*€ 337).
(og ecpaT\ otö^ ccTtldrjoe 7toöi]V€f^og toKea Vlgig (^ 195)
vXt] TS oevaiTO y^arii^ievai' coKea ö' Iqig (W 198)
aXlog (5' av feiTteGxe vecov vTceQ)]voQ£OVTcov *
Tig foW ei yie xat avTog Icov y.diXi]g eitt vrjog (ß 331 f.).
eyßaiQOVö'' dvd örifxov e7tion:6fxevoi d^eov o/^iq^fj'
Tig 6^ olö' EL y,e TtoTe acpu ßlag dTtOTiöeTai eXOcov (y 215 f.)
avTaQ 6 Tie^og eiuv ig YlXiov elXrjXovd^eLv {^L 230).
ü)g XiiTOv, avTaq Ttetog eg ^iXtov elXrjlov^a (E 204).
Auf ähnliche Weise scheint der Dichter von Hektor
170 Sitzung der philos.-jjihüöl. Classe voyn 1. März 1879.
Abschied und von der Aeneasepisode den Versausgang avS^eg
Yoaoi (Z 151, r 214) nach der Analogie von eqya floaGi,
d^eol de 'BS Ttavxa ploaoi^ andere /ued^ievrag Yöoi (J 374) nach
fxs&L€vra flöoi (1\1 268), i^f-iag löiod-ai nach &avfj.a fLÖiadai,
avra piöiad-ai^ elg coTta fiöeod^ai, aXXo fiöeod^at gewagt zu
haben. Auch der häufige Versanfang ocpQ^' slö^ (O 406
t 348. 234) scheint auf die alte Variante og)Q^ släfjg statt
oq)Qa fiSrjg 32 und tt 236 zurückgeführt werden zu
können.
IT.
Rhythmische Eigenthümlichkeiten.
Von feinerer Natur uud desshalb weniger leicht fassbar
sind die Eigenthümlichkeiten im rhythmischen Bau einzelner
Verse. Ich muss hier zur Klarstellung der Sache etwas
weiter ausholen. Luc. Müller thut vsich in seinem Buche
de re metrica poetarum latinorum etwas zu gut darauf
nachgewiesen zu haben, wie ungleich vollendeter und kunst-
gerechter der rhythmische Bau der Hexameter Ovids und
seiner lateinischen Nachahmer als der der griechischen Dichter
sei. Das ist richtig und unrichtig zugleich; die Verse Ovids,
einzeln für sich betrachtet, haben einen melodischeren Klang
und einen graziöseren Gang als die homerischen, aber die
Hexameter Homers, in der Gesammtheit eines Gesanges ge-
lesen, stehen auch an rhythmischem Wohlklang weit über
den gekünstelten Versen des ingeniösesten römischen Dichters.
Das hat seinen Grund darin, dass Ovid mit feinem Urtheil
die melodischste Mischung der Ftisse und Wortschlüsse
herausgefunden und diese dann als allgemeine Regel fest-
gehalten hat, Homer hingegen mannigfachere Formen, da-
runter auch minder weich fliessende im bunten Wechsel
gebraucht und so nicht blos durch die angenehme Abwech-
selung den Eindruck des eintönigen Einerlei vermeidet,
sondern auch die Gegensätze und Schattirungen des Ge-
V. Christ: Die Interpolationen hei Homer. 171
dankens ungleich ausdrucksvoller in der rhythmisclien Form
sich widerspiegeln lässt. ^*j Worin besteht nun jener grössere
Reichthura rhythmischer Formen bei Homer?
Spondeische Verse mit einem Spondeus im fünften und
sechsten Fuss gehören bei Ovid und den lateinischen Ver-
sificatoren zu den Seltenheiten und Ausnahmen. Homer
vermied sie so wenig, dass auf je 18 — 19 Hexameter in
Ilias und Odyssee ein OTi%og orcovÖELatcov kommt. ^^) In
Bezug auf das Zahlenverhältniss besteht kein erheblicher
Unterschied zwischen Ilias und Odyssee, und auch der Unter-
schied zwischen den einzelnen Gesängen, wie ihn Lud wich
de vers. spond. p. 9 squ. übersichtlich gibt, ist nicht so be-
deutend, dass er nicht auf den Zufall zurückgeführt werden
könnte. Höchstens kann es auffallen, dass in B^ YX sich
ein besonders starker Procentsatz spondeischer Verse findet
(in B^ V», in Y Vi4, in X ^jiz aller Verse). Denn theil-
weise zwar erklärt sich jene grössere Zahl aus dem Ge-
brauch der Eigennamen ^Ivaiao liyxioao '^HQaKlelr] ^Icpi-
xleir]^ aber danebeu kommen doch iu jenen Gesängen auch
viele spondeische Verse ohne Ausgang auf einen Eigen-
namen vor, die um so mehr eine gewisse Nachlässigkeit des
Dichters bezeugen , als sie selten höheren rhythmischen
34) Zutreffend sagt hierüber Giseke, Homerische Forschungen
S. 124: Es ist eine interessante Erscheinung in der Geschichte des
lateinischen Verses, wie derselbe mehr und mehr dem fallenden Rhyth-
mus entsagend, den steigenden in der Mitte des Verses fast ausschliess-
lich anwendet Man kann daher wohl sagen, dass die Römer das
Gesetz von der Einheit und Mannigfaltigkeit durch die Abwechslung
von Steigen und Fallen beim einzelnen Hexameter genau befolgten ; wo
aber viele solcher Hexameter stichisch verbunden sind, leidet das Ganze
an Eintönigkeit, weil alle Verse denselben Bau haben und die häufige
Wiederkehr desselben Eindrucks ermüdet.
35) Siehe darüber Arth. Lud wich, de hexametris poetaruia
graecorum spondiacis. Halis MDCCCLXVI.
172 Sitzung der xihüos.-^hüdl. Classe vom 1. März 1879.
Zwecken dienen. Denn die Kunst des Gesanges in den
besten Partien der Ilias zeigt sich besonders darin, dass
spondeische Verse hauptsäcblich zum Abscliluss eines Ab-
schnittes oder zur rythmischen Ausmalung des Schweren,
Wundervollen, Thatkräftigen dienen, wie in
£^ d/tlrjg yairjg vvov dvÖQWv alyjirjTacov (F 49)
wg ]!dov '^'HcpaiöTOv did öcoi^iaTa Ttoiftvtovza (^ 600)
iv d'aXXoLGi &E0LOiv eqig Tteoe ßeßQLd^vla (O 385).
Yergl. Ludwich p. 163. -
Aber trotzdem dass Homer Versausgänge auf 2 Spon-
deen im allgemeinen nicht scheut, müssen doch diejenigen
spondeischen Verse bemäkelt werden, welche einen Einschnitt
nach dem 5. Fusse haben, wie
aXXa TE xat rwv alev dg)aiQeiTai Xtg TteTQtj (fi 64),
denn diese haben einen wirklich schleppenden Gang, der
durch kein Bestreben nach Mannigfaltigkeit der rhythmischen
Formen entschuldigt werden kann. Auch des Guten zu viel
ist gethan, wenn den 2 schliessenden Spondeen, zumal
solchen ohne Worteinschnitt nach der Hebung des 5. Fusses
noch weitere spondeische Füsse vorausgehen , da derartige
Verse nur durch besondere Zwecke der Tonmalerei ent-
schuldigt werden können.
Bezüglich des 1. und 4. Fusses hat Im. Bekker,
Homerische Blätter I, 138 — 47, erwiesen, dass Homer im
1. Fuss den Spondeus, im 4-, wenn mit ihm ein Wort
schliesst, den Daktylus bevorzugt hat. Doch ist diese Vor-
liebe nicht bis zu dem Grade ausgebildet, dass ich aus der-
selben ein Erkennungs- oder Unterscheidungszeichen jüngerer
und älterer Dichtung zu machen wüsste. Als auffällige
Eigenthümlichkeit hingegen ist zu bemerken, dass sich einige
Mal im 1. Fuss nach Art der äolischen Verse statt eines
Spondeus ein Trochäus findet. An 8 Stelleu (£"358. </> 368.
X 91. n 755. V 438. Q 198. g 109. co 299) hat die kurze
V. Christ: Die Interpolationen hei Homer. 173
Silbe an der folgenden Liquida, an mehreren, wie tc/; f-itv
feiGaf.isvog B 22 u. o. am folgenden Digamma noch einige
Stütze, aber auch dieser entbehrt der Vers ^493
^iav ^löojLispev T£ Ka'/,o7g sttsI ovde ptov/.Ev
für den nur unwahrscheinliche Verbesserungsvorschläge (^lav
f Nauck, ^lag J. Wackernagel) vorgebracht worden sind.
Noch auffälliger wäre ein Trochäus im 4. Fuss, aber
mit Recht wird in Fällen, wo der 4. Fuss auf ein in ig
endigendes Nomen endet, wie
TTJ ö'hrl fiEv ToQyco ßXoovQi07tig eOTeg)dvcüTO (^ 36)
Bewahrung der ursprünglichen Länge der Endung ange-
nommen, in dem Versausgang '^ßoco/ti vtouvia "Horj^ ßocvjci
in ßocüTTig emendirt, und in Versen, wie z/ 146, E 487
TÖLoi TOL^ Msvelai, f,uavd^7jv aLj^iari f.irjQol
(iri Ttcog cog aiplöi Xlvov falovzE 7iavayQ0v
lieber die ungewöhnliche sprachliche Form gebilligt.
Wie in den Versen der letzten Art ein Rest alter-
thümlicher Prosodik oder Rhythmik zu erkennen ist, so auch
in den Fällen, wo im Versanfaug ein Tribrachys statt eines
Daktylus steht oder die erste Silbe des Verses gegen die
Regel gelängt ist, nämlich in did {.lev doTciöog A 435. r'357.
J 135. II 251, cplU yiaOiyvrjXE J 155. £359. O 308, to^t^ev
B 440. M 328. O 438. w 482, xd n^qi O 352, t6 foi vno
X 307, ^^To ^ dywv Q, 1. Jedem fällt in die Augen, dass
dieser alterthümliche Versbau fast ausschliesslich auf die
Ilias beschränkt ist und nur durch formelhafte Wieder-
holung alter Versanfänge in jüngere Partien der Ilias und in
die Odyssee gekommen ist. Das letztere gilt wohl auch von
dem ungewöhnlichen Versanfang ercEiö}] , der aus X. 379
--r. 'F 2 in die Odyssee, 6 13, il 452, cp 15, co 482 gekom-
men zu sein scheint. Ob die Versanfänge daittov A. 497,
dudy] Q 519, lavO-^ Z 59, Booii^g ^F 195 zu I 6 in dieselbe
Kategorie gehören oder aus der zweifelhaften Natur der
[1879. I. Philos.-phil.-hist. Cl. 2.] ^^
174 Sitzimg der phüos.-philol. Classe vorn 1. März 1879.
ersten Silbe der betreffenden Wörter zu erklären seien,
lasse ich dahingestellt sein.
Von ganz besonderer Bedeutung aber für den rhyth-
mischen Klang war die Behandlung des zweiten Fusses.
Verse mit einem Spondeus im 2. Fnss ohne Einschnitt inner-
halb und mit Einschnitt am Schlüsse des Fusses, wie
ai^TccQ syvco fr^oiv svl (pQsol (pcovrjoev xe^
zwv fxev ^OdvOGEvg rjQ%e zlii fxrJTtv aTaXavroQj
6q)Qa ^ev i^'wc; r^ xal ae^szo ieqov rj^aq,
evd-^ ex TtovTOv ßdg iosiöeog rjTteiQOvöe^
finden sich bei den beiden grössten Verskünstlern des Alter-
thums, Ovid und Nonnos gar nicht und in der lateinischen
Literatur überhaupt nur äusserst selten ^^); Homer und die
griechischen Dichter, welche seinem Vorbilde folgten, waren
nicht so spröde^*), bei Homer allein finden sich von der-
artigen Versen an 630 und zwar etwas mehr in der Odyssee
als in der Ilias. Anstössig zwar bleiben uns immer jene
Verse, von denen Giseke, Hom. Forsch. S. 138 mit Recht
bemerkt: *^Nach dem Daktylus lähmt der Spondeus den Gang-
SS) Vergl. Froh de im Philologus XL, 535. Selbst von Versen,
wie
et graviora rependit iniquis pensa quasillis
bemerkt mit Kecht Birt, ad historiam hexametri latini symbola p. 11:
huiusmodi hexameter odiosus spernitur a nobilioribus, nisi singulare
quid sono depicturis.
34) Die Sache ist neuerdings mit ausserordenthchem Fleisse und
nur allzu umständlicher Breite untersucht worden von Isidor Hil-
berg, Das Princip der Silbeiiwägung und die daraus entspringenden
Gesetze der Endsilben in der griech. Poesie. Derselbe macht aus seinen
einschlägigen Beobachtungen, indem er das Wesen der Sache statt in
den rhythmischen Cäsuren in der prosodischen Behandlung der End-
silben sucht, drei Gesetze, welche man bei ihm S. 20 fi'., 97 ff., 129
ff. nachsehen möge. Uebersehen ist dabei, dass in vielen der ange-
führten Beispiele die neueren Herausgeber, insbesondere Bekker, La-
Roche, Nauck, den Anstoss durch die getrennte Schreibung ov nu),
insl 6iq mit gutem Recht gemildert oder vielmehr beseitigt haben.
v. Christ: Die Interpolationen hei Homer. l75
des Verses und bringt eine augenblickliclie Stockung im
Vortrag hervor, welche keinen angenehmen Eindruck macht."
Bestimmter lässt sich der Grund des Anstosses dahin de-
finiren , dass erstens Worteinschnitt unmittelbar vor dem
Schlüsse einer Reihe immer störend wirkt, mehr allerdings vor
dem Hauptschluss am Ende des Verses, aber doch auch vor
dem Nebenschluss am Ende des 1. Kolon, und dass zweitens
der Vers an Energie verliert, wenn die Weichheit der
trochäischen Cäsur nicht durch eine Nebencäsur im 2. Fuss
parallelisirt wird Auch finden sich in den ältesten , auch
technisch vollendetsten Gesäugen der Ilias , in der Mrjvig
A 1 — 347 und in der ^^Qioceia ^^yafÄSjLivovog A 1 — 595
nur sehr wenige Verse der Art und nur solche von ge-
ringerem Anstoss, nämlich .^333, A 84. 97. 117. 166. 393.
Doch sind die Verse unserer Kategorie nicht vornehmlich
auf die jüngsten Partien der Ilias und Odyssee beschränkt,
sie finden sich auch in auffällig grosser Anzahl in einigen
älteren Partien. Während z. B. der Fluss der Verse in "^.Exro^og
xat l^vÖQOfxaxrjQ biiiXia, ÜQeoßela und ^Log anarrj, Z / u. H,
ausgezeichnet ist und nur selten durch den Spondeus im
2. Fuss ins Stocken kommt, hat die IlaTQOxlsia, TL und P,
sehr viele Verse, deren Rhythmus uns anstössig erscheint,
dem Dichter jener herrlichen Gesänge aber zum Charakter
des Liedes, zum Ausdruck der wuchtigen Kraft gepasst zu
haben scheint. Ich glaube nämlich , dass die Sänger des
alten Epos Verse wie
Ttaaiv OQLvd-r] dvfxog^ eklvi^&sv öi cpaXayyeg,
dXXd zar' avTOvg alsv OQa yial (pQctteTO ^v^xc^j
Zev ndxeq, omig Oslo ^ecov dXocuTSQog aXXog,
folgendermassen modulirten
und werde in dieser meiner Meinung dadurch bestärkt, dass
es meistens stark betonte Wörter, wie avTog ovTig Ttdvzeg
13*
176 Sitzung der ;philos.-x)hil6l. Classe vom 1. März 1879.
Toiog rjör] Oiyfi sind, welclie im 2. Fuss jener Vense ihren
Platz haben. 3 5)
Wie sich dieses aber auch verhalten mag, jedenfalls
macht es einen Unterschied, ob der Dichter eines Gesanges
Verse der bezeichneten Art vermied oder liebte, und von
Bedeutung ist es nach diesem Gesichtspunkte einzelne Ge-
sänge mit einander zu vergleichen. ^^) Dabei ist aber zu
bemerken, dass es erhebliche Varietäten innerhalb jener
Klasse von Versen mit stockendem Rhythmus gibt. Am
meisten Anstoss erregen diejenigen , in welchen die beiden
ersten Füsse durch zwei spondeische Wörter ausgefüllt
sind, am wenigsten jene, in denen ein daktylischer Fuss
vorangeht und dem Spondeus des 2. Fusses ein einsil-
biges, eng mit dem vorausgehenden verbundenes Wörtchen
nachfolgt. Auch macht das Satzgefüge einen Unterschied,
35) Den Gegensatz zu diesen Hexametern bilden die £^«ja«rpo4
n€Qio6ixoi, von denen der Scholiast des Hephästion p. 167 ed. Westph.
bemerkt : neQLoSixdy di ean t6 s/oy eva 6äxxv'koy xai eva anopStiov, olop
— — yj \j —
Beide Arten von Hexametern haben eine dipodische Gliederung,
auf die ich den Ausspruch des Aristoxenus bei Marius Victorinus II 2
beziehe: dactjlicus hexameter aut in sex partes dividitur per raonopo-
diam, aut in tres per dipodiam et fit trimetrus, aut in duas
per cola duo.
36) Von Interesse ist es einmal die junge Theoklymenosepisode
der Odyssee o 251—86, 508-49, q 52—166, v 845—94, zusammen
273 Verse, mit dem Ausgangspunkt der Ilias, der M^vig A 1—347, so-
dann den 2ten Gesang der Ilias B 1 — 483 mit dem letzten i2 1—804
zu vergleichen. Die Mrjyig hat nur 1 wenig anstössigen Vers A 333,
die Theoklymenesepisode 3 (o 536. 542, q 163) schwer und 8 (o 228.
281. 284. 518, q 64. 68. 90. 100) leicht anstössige, B nur 1 schwer
{B 198) und 1 (B 433) leicht anstössigen, Si 12 leicht (i2 59. 103. 306.
370. 376. 411(?). 412. 511. 578. 605. 613. 675) und 4 (i2 375. 486.
498. 500) schwer anstössige Verse.
V. Christ: Die Interpolationen bei Homer. 177
iadem ein Spondeus im 2. Fuss fast jeden Anstoss verliert,
wenn mit. dem den Vers einleitenden Daktylus ein Satz
schliesst, so dass nun der Spondeus des 2. Fusses gewisser-
massen die Stelle eines ersten Spondeus einnimmt, mit dem,
wie wir sahen , Homer so gern den Rhythmus des Verses
einleitet. In folgender Zusammenstellung gebe ich die Stufen-
leiter, in der sich der Anstoss steigert:
(xioyeTO' (xr^TQoq yccQ TtvKLvrjv WTii^eT' ecperfÄrjv [2 216)
tag XiTcov^ avTccQ Tte^og eg "iXiov eiXriXovd^a (E 204)
ocpqa f.iev rja)g rv Kai de^eto leqov rji^iaq (^ 84)
TÖLOi de ^Lvd^cov TjqxB d-ed yXavxcoTCLg Idtdiqvr] (E 420)
£x Q daai-ilvd^ov ßrj difxag dd^avdxoiOiv o^olog (y 468)
avroöiöaxrog (5' et^/, d-eog de (,wl ev q)Qeolv ol'iuag (% 347)
eod^i' €xr]Xog^ ^elve, %adri(-ievog tj miiS-' dXXrj {o 478)
Tqcücüv alel ydq foi evl (pqeol -^v/xog ezolf^a (K 232)
ovo' eQQr]^ev yakKOv, dveyvdfA^q)&rj de foi al^f^rj [F 348)
Tcov /,iev TtolXwv -O-ovQog ZdtQ}]g vtto yovvax' eXvaev (ü 498)
'^TtelXrjOev fxv^ov, o öri reTeXeo^evog eoriv (A 388)
LOGTteq KvkXojxP eQ^\ ore j:ol jueooavXov Xkovto (x 435)
i^f^ieig S^ eli-iev roloi oo av oed^ev avTiaoai^ev (H 231)
Hiezu kommen noch die verwandten Verse mit vier
oder fünf einsilbigen Wörtchen im Versanfang, wie
Tial (ÄBv örj Jtov Tig j-ieXXei ßgotog dvögl TsXeaoai (2 362),
in denen neben , dem stockenden Rhythmus die eintönige
Häufung der gleichen Wortform stört. Nicht in einem
Schema endlich lassen sich die Unterschiede ausdrücken, die
in den Beziehungen zwischen Sinn und Rhythmus beruhen.
Denn fast möchte man sagen , dass der Dichter absichtlich
die Spondeen gehäuft habe in
ipvxriv yiiKXrjOKcov IIaTqo/.Xr^og öeiXoto (W 221)
f.ivrJGaL Tcarqog odlo d^eolg eTtiebAeV lixiXXev (ß 486).
So vortrefflich malt der Rhythmus die Wehmuth des
Schmerzes und die Eindringlichkeit der Ermahnung.
Auch in 388 und J 315
178 Sitzung der pMlos.-pMloL Classe vom 1. März 1879.
o\ d'^äfto vrjwv vipi (.leXaivacov e/rißarTeg^
alXa OB yrjqag teIqsl bf^ioiLOv, cog oq)eXev oe
setzte der Dichter wohl absichtlich ein spondeisches Wort
in den 2. Fuss, um theils das Kämpfen von dem Verdecke
der Schiffe herab durch den fallenden Rhythmus, theils die
drückende Last des Alters durch den retardirten Gang des
Verses auszudrücken.
Die grösste Mannigfaltigkeit aber erlangte der homerische
Versbau gegenüber den .eintönigen Weisen des Nonnos und
der unbedingten Vorliebe der Lateiner für die männlichen
Verseinschnitte durch die reiche Gliederung des Verses.
Homerische Verse lassen im bunten Wechsel die weiche
trochäische Cäsur mit der kräftigen Penthemimeres und
Hephthemimeres wechseln und verschmähen auch nicht die
melodische Verbindung eines vierfüssigen Vordergliedes mit
einem zweifüssigeu Epodus. Ja die ganze Lehre von der
Zweitheilung des Verses durch eine in die Mitte oder in die
Nähe der Mitte fallende Cäsur hat für Homer keine absolute
Geltung; er hat auch dreitheilige Verse, wie die eben ])e-
handelten und wie
Ttqood'e liwVf OTtid^ev de ÖQayicov, f.doöYj de yJinaiQa^
ferner Verse ohne jeden merklichen Einschnitt, wie
avTiK ertEiS^^ vito Jtooolv eör^oaxo -KaXa TteöiXa,
endlich Verse, in denen der Haupteinschiaitt ganz gegen
Anfang des Verses zu liegt, wie
evöetg^ ^ir^eog vis öaicpQovog iTtTtoSaf^oio,
cog cpato, töIol de &via.6v evl GTrj&eGOiv OQivev. ^^)
37) Diese charatteristische Eigenschaft der homerischen Poesie
kann man nicht leicht mehr verkennen als Lehrs, de Aristarchi stu-
diis homericis p. 409 gethan hat, indem er selbst in Versen, wie
eine nur durch Wortschluss nicht unterstützte Cäsur am Ende des 3ten
Fusses annimmt. Eine leere Phrase ist es, wenn Lehrs zur Stütze
seiner sonderbaren Theorie hinzufügt: Mie im Hinaufgehen und Zurück-
V. Christ: Die Interpolationen hei Homer. 179
Auf Homer hat selbst der Satz des Varro bei Gellius XVIII, 15
„in longis versibus, qui hexametri vocantur, . . . animad-
verterunt metrici primos duos pedes , item extremos duos
habere singulos posse integras partes orationis, medios haud
umquam posse, sed constare eos semper ex verbis aut di-
visis aut mixtis atque confusis" nicht volle Anwendung.
Denn in 185 Versen der Ilias und 71 der Odyssee hat nach
Bekker, Hom. Bl. I, 143 der 3. Fuss keine Cäsur. Aber
ganz und gar anstössig sind diejenigen Verse, in denen der
Mangel einer Cäsur im 3. Fuss nicht einmal durch eine
Nebencäsur im 2. Fuss unterstützt wird, oder in denen die
Interpunktion am Schlüsse des 3. Fusses zur Zerfällung des
Verses in zwei gleiche dreifüssige Theile hindrängt. Fehler-
hafte Verse dieser Art habe ich in dem Verzeichnisse zu-
sammengestellt. Am wenigsten stört der Maugel der Cäsur
im 3. Fuss, wenn der 2. Fuss einen starken Einschnitt nach
der Hebung hat, wie
CO NeoroQ Ni^lrjiaörj 7toXvi.irjxav "Odvaaev,
auffälliger hingegen ist er, wenn ihm im 2. Fuss nur eine
schwache trochäische Cäsur zur Seite steht, wie
^'Hqyj (5' T^Se Iloöeiöawv xal TlalXdg l^d^rjvrj.
Zu bemerken ist dabei, dass diese letzte Art von Versen
sich weit häufiger in der Ilias (A 400, B 249, J 328, E 263.
323, 346. 348, / 78. 518, ^ 432, N 563, S 47. 390,
P 132. 267. 270. 369, O 283, X 115, ^ 261. 316. 362)
als in der Odyssee (^ 223, v 319, % 284) findet.
schleifen mit der Stimme beruhende Modulation wird bei Versen an-
gewendet, um die rhythmischen Glieder als ein Ganzes erkennbar zu
machen, selbst — denn man ist auf idealem (?) Gebiete der Kunst —
wider den Sinnverhalt und wider die Gliederung, welche man bei pro-
saischem Lesen anwenden würde/
180 Sitzung der philos-iMlol. Classe vom 1. März 1879.
Ver zeichniss der Klassen fehlerhafter Verv^e.
a) Verse mit zwei schliessenclen Spondeen und Wort-
schluss nach dem 5ten Fuss:"^)
ovde f.i8v ovo 6 Tgcoag dyrjvoQag eiao' '^'Extwq {K 299)
oiv(i) IlQaf^iveuo, sjtl ö' aiyeiov '/.vrj tvqov (^ 639)
38) Nicht aufgenommen habe ich in das Verzeichniss alle Stellen,
wo durch Herstellung der zerdehnten oder nicht contrahirten Form der
rhythmische Anstoss (a. b. c. d ) beseitigt werden kann, wie
og ^' Ev (al. ft?) €l6o)g Kr]()' olo^v enl ytjog sßaivs {N 665)
xcä poL TivXQog ('\u ianiffS-nj xo'^hjp sv (al. €^) elöcog [M 350)
Siehe indess Lud wich, de hexametris poetarum graecorum spondiac.
p. 36.
XtJTe'i (al. j^^rfi) toiovS' ccyöfjog duvt/dv Sov^uoi' rjuaQ (Z 463)
fia TlavS-oav (al. TIuvS-ov) vtov ivl ngo/xä^oiat Sa^utjycd (0 552.
P 23. 59)
TOP' 6e ßaQv (jzfyd^^üjp Tigotjscprjg HatQox'keeg (al. TlatQoxXBig) tn-
TIEV {II 20)
ovx dXsyü), cog Sc [xs yw-rj ßdlot ^ nd'fg (al. nalg) ucpQeov {A 389)
xaC Q ■^yoy tiqotI darv ccflnriofzeg aoop (al. acav) ilvat {H 310)
c<vTc(g Oqri'iHrUg riy 'Jxäuccg xai fleiQoog (al. Jlsiotog) i]oiog {B 844)
cii TS (T dzi^ud^ovat xal ccc yyfkiihg (al. vrfkiZETg) irhiLv {ji 317j
Hingegen rechnete ich zu den zweifelhaften, durch Klammern be-
zeichneten Fälle, wo der Anstoss nur durch eine ungewöhnliche Diärese
wie cd6n'i, 'Hoa, lSqocc beseitigt werden kann.
Auch diejenigen Verse bezeichnete ich als zweifelhaft, wo durch
eine andere Form leichtfliessende Rhythmen hergestellt werden können,
wie
aGTv6s vvv ikvai, fj,^ fxiiiv8U,Bu (al. fxiLii'eiv) 'H(o (^Zav {I 255)
olog SKEivov (al. xelvov) d-vfxog vuegcpiccldg xal KTtrji-i^g (O 94)
ebenso 2 262. ß 171. o 212. a 239.
Gar keine Rücksicht habe ich auf Verbesserungen durch Herstel-
lung der unerwiesenen Genetivendung oo genommen, wie
oV t' du Srifxov (al. ^rj^oo) z' aPÖQU fiöoi ßooiofzd z scfEvQOi
[B 198)
■^sv dvrivccod^ai, xa2.€TZt] (5' £/£ drjfxov (al. di^fioo) (prifjitg {'i 239)
Ebenso wollte ich lieber die Form ohne Digamma lassen, als
durch einen rhythmisch schlechten Vers den homerischen Gedichten
eine Makel anthun. Ich legte daher dem Verzeichniss die überlieferte.
V. Christ: Die Interpolationen hei Homer. 181
b) Verse mit zwei spond eischen Wortformen im Vers-
anfang, ohne Sinneinschuitt nach dem ersten Fuss^^)
iü(77ceQ KvKlcoip £(0§' 0T£ fOL (.leooavXov cxovTO (x 435)
juvrjaat TtavQog oolo -dwlg e/tLeUeX' l4%iXk£v {Q. 486)
c) Verse mit zwei Spondeen im Anfang, gebildet aus
4 einsilbigen, oder 2 einsilbigen und 1 zweisilbigen Worte ,
oder 1 einsilbigen und 1 dreisilbigen Worte, oder 1 vier-
silbigen Worte:
Ttqlv iih yaq oe ^wov etIo^iev loa d^Eoloiv {X 484)
xat (.lEv öi] 710V Tig (.ieXXel ßqordg dvöql TEXiooai (^ 362)
d) Verse mit 4 schliessenden Spondeen :
TCO d' Ev MeGorjVfj ^viLißXTjvrjv aXXy\Xoiiv (cp 15)
d^aqöEi ^lyiaqiov kovqi] zrjX£y,Xeiro7o (r 546).
e) Verse mit 3 schliessenden Spondeen ohne Einschnitt
im 5. Fuss, wie
ßrj ÖE '/«t' OvXvf.i7toiO KaQTjvcüv al^aoa (B 167)
xal Q (XTtOfxoQ^aTO xeqgI TCaqeiag cpcüvr^OEv ze {g 200)^^)
nicht die von übermässigen Digaramaliebhabern empfohlene Lesart zu
Grunde in Versen, wie
Tj/Liicoy SirfffTcei iföog, dnei vt(ptAriyfQtta Zevg [A 318)
xccQ7i:c<XifX(og ini y^cc ^orju iQicpovg re xcci ccQvccg {t 236j
ccvxciQ enriv &rj xuvrci jilevtria'fig rs xccl SQ^rjg (a 293)
(T/etXis, iLTiT STi fxel^ou ivl (p(j£(Tc fxi]aeai SQyov [1 474)
39) Die Stellen, wo die spondeische Wertform in zwei Silben ge-
trennt geschrieben werden kann, wie ov nmg, ov nco, ov reg eX tisq^
S)] TOI, ov roi, inü örj habe ich zu den zweifelhaften gestellt und in
Klammern eingeschlossen; vgl. oben S. 174. Dort habe ich auch schon
angedeutet, dass der Anstoss gemildert wird, wenn mit dem Iten Spon-
deus ein Satz schliesst; Verse dieser Art, welche ich nicht in das Ver-
zeichniss aufnahm, sind: r 420. J 270. E 340. Z 271. H 406. I 238.
N 784. A 23. 474. O 155. 457. 613. 652. P 244. 444. <P 215. 357. X
489. ^ 144. 578 — y 314. ^ 42. 45. 317. 355. ^ 217. 266. 381. 434.
X 563. fx 230. 71 153. 402. (> 606. r 226. 383. v 35. xp 217.
40) Unter den mit d und e bezeichneten Versen sind diejenigen
nicht aufgezählt, wo durch Zerdehnung des Vokals geholfen werden
182 Sitzung der philos.-phüol. Classe vom 1. März 1879.
f) Verse ohne Worteiuscbiiitt im 2ten und 3ten Fuss,
oder mit Interpunktion am Schlüsse des 3ten Fusses:
aX yiiv (j' ovTog vix'^gt] x()siggcov re yevr^tai [ö 83)
o\ (5' tbq ovv ^elvovg l'dov, cc&qool rjXd^ov ccTtavreg (y 34)
g) Verse mit ungewöhnlichen Freiheiten im Iten Fuss
s. S. 173) wie
TtoXXct XiOG0f.Uvi] xQVGaiJi7cvy,aQ ^tsev l^TtTtovg (E 358)
did fusv aGitidog rikd^s q)aeivrjg 0(ÄßQL(Ä0v tyxog (yt 435)
Uebersicht der fehlerhaften Verse.
^ 11 d (var. lect.) 226 e. 339 d. 388 c. 562 b.
B 167 e. 190 e. 198 b. 440 g.
-B2 585 c. 658 e. 666 e. 719 e. 804 b. 813 e. 846 e. 870 c.
r 49 e. 229 b. 250 f. 340 e. 348 c. 357 g. [53 b.]
J li e. 129 c. 135 g. 155 g. 181 c. 289 b. 329 f. 402 e.
417 e. 437 c. 500 e.
E 24 c. 157 e. 358 g. 359 g. 393 e. 412 e. 577 e. 638 e.
786 e.
Z 232 e. 333 e.
H 19 e. 189 c. 123 f. 231 b. 235 e. 251 g. 259 c.
54 e. 155 e. 214 e. 231 e. 433 b. [348 f.]
/5 g. 134 f. 137 = 279 d. 150 -- 292 e. 155 = 297 e.
547 c. [39 b. 240 a. 612 b. 645 e]
K 11 c. 299 a. [129 b. 238 a. 359 e. 572 b. 574 a]
A 1 e. 130 d. 423 e. 435 g. 497 g. 639 a. 680 e. 690 e.
715 e. 739 d. [725 a]
M 43 e. 47 e. 128 e. 131 e. 257 e. 328 g. [151b]
N 66 b. 152 e. 428 d. 494 c. 512 e. 699 e. 715 f. [114 b.
659 b. 808 b]
B 199 d. *320 d. 321 e. *520 b.
kann, wie ndig {B 819. M 98. P 491), Ka6fieC(6viüp [W 680), Urike'i'
ioi^of (P 214. 2- 226. T 75). eV (r 194. w 271).
V. Christ: Die Interpolationen bei Homer. 183
25 d. 403 c. 615 e. 640 e. 710 f. [18 f. 94 b. 457 b.
509 b.]
n *530 b. 636 e. 647 d. 731 b. 756 e.
P 44 c. 207 e. 420 e. 463 c. 532 e. 570 c. 582 f. 586 e.
632 d. 633 b. 670 d. 726 e. 740 e. 745 e.
-^ 3 e. *41 d. 167 e. 189 d. 351 c. *362 c. *363 c. 404 d.
573 e. 588 e. [255 a. 262 b.]
T 98 e. 210 e. 222 c. 344 e. [403 e]
Y 17 e. 89 c. 145 d. 339 c. 401 e.
Ö> 169 e. 252 e. 294 c. 308 g. 352 g. 368 g. 438 g.
[275 b]
X 44 e. 91 g. 148 e. 187 e. 296 b. 307 g. 317 c. 379 g.
^ 2 g. 65 d. 75 c. 94 e. 105 d. 195 g. 221 d. 341 c.
493 g. 553 e. 666 e. 707 e. 753 e. 804 e, 813 e. 831 e.
^ 121 e. 375 c. 486 b. 498 c. 500 c. 666 e. 705 e. 755 g.
a 102 e.
ß 180 e. 191 b. 325 e. 356 b. [126 b. 171 c. 274 b.]
y 34 f. 407 e.
S 13 g. 86 c. 236 b. 247 b. 604 a
€ 1 e. 32 d. 36 e. 56 c.
C 8 e. [329 b.]
rj 32 c. 106 e. 120 f. 122 e. 247 d.
^ 35 e. 48 e. 100 e. 126 e. 159 c. 215 c. 248 b.
258 c. 377 c. 452 g. [540 c]
L 167 b. 304 e. 322 b. 510 e. 521 d. [151 =i 304
= 436 a. 411 b. 457 b.]
K 12 G 435 b.
l 266 e. 290 e. 296 e. 302 c. 484 c. 500 e. 518 c.
*582 f. *593 f. 601 e.
lu, 20 c. 52. e. 64 a. 186 c. 211 c. 227 e. 249 c.
348 e. [7 a. 61 b. 230 b.]
V 116 c. [143 b] 438 g.
S 53 c. 239 a. 246 e. 459 e. 513 c. 517 b.
184 Sitzung der phüos.-phüol. Classe vom 1. März 1879.
240 d. 304. e 316 c. 330 c. 334 d. 339 b. 536 c.
542 c. [212 b.]
7t *81 b. 247 e. *286 f. 313 e. 339 e. 396 e. [368 a.
423 e.]
Q 163 c. 198 g, 208 a. 345 c. 448 e. 519 g.
o 32 e. 80 c. 83 f. 109 g. 112 c. 200 e. 261 c. 239 c.
[239 c]
z- 2 e. 5 f. 52 e. 117 c. 175 b. 215 e. 235 c. 280 e.
309 c. 346 c. 357 e. 359 c. 546 d. [342 a]
V 46 c. 138 e. 236 c. 380 e.
(p 15 d. 15 g. 45 c. 47 c 75 f. 95 c. 113 :=■ 124 ~
149 d. 123 c. 147 e. 188 c. 279 c. 342 b. 272 b.
381 e. 418 e.
% 59 g. 175 = 192 d. 177 c. 239 e. 400 f. 450 e.
476 e.
xp 100 =-. 168 c. 120 b. 339 e. [240 b]
CO 90 a (var. lect.). 155 f. 221 e. 240 e. 299 g. 482 g.
488 e.
Dass die in den beiden Verzeichnissen und in der
vorausgeschickten Einleitung niedergelegten Thatsachen
Schlüsse über Interpolationen und verschiedene Verfasser
von llias und Odyssee und einzelnen Theilen jener Gedichte
nahe legen , wird nicht leicht jemand verkennen wollen ;
am wenigsten werden das diejenigen Gelehrten thun, welche
in unserer Zeit aus ungleich kleineren Verschiedenheiten
des Verses die Echtheit oder ünechtheit und den früheren
oder späteren Ursprung der unter dem Namen des Properz,
Tibull, Ovid, Vergil auf uns gekommenen Gedichte mit
subtilstem Scharfsinn und zum Theil mit durchschlagendem
Erfolge zu ermitteln versucht haben. Und doch ist zur
Vorsicht zu mahnen und vor unpassender Vergleich ung zu
warnen. Anders wollen Kunstdichter betrachtet werden,
welche auf dem Boden einer entwickelten Verstechnik
stunden und dieselbe mit raffinirter Kunst weiterzubilden
V. Christ: Die hiterpolationen hei Homer. 185
versuchten, und anders Volkssänger, welche den voll und
breit fliessenden Strom der Poesie noch nicht in kleine
und kleinliche Grenzen eingedämmt hatten und den Rhyth-
mus des Verses durch den Reichthum des Gesanges und
der Modulation zu ergänzen und auszugleichen im Stande
waren. Athenaeus XIV p. 632 hat zwar die Bedeutung des
musikalischen Vortrags übertrieben , wenn er mit ihm (ßid
t6 i.iE^ieXo7tOL7j'/,evaL) die Fehler homerischer Verse, die jetzt
zum grossen Theil durch Zurückführung der älteren Formen,
wie r^oq xrjog statt ecog xewg^ entfernt sind, entschuldigen
und rechtfertigen wollte; aber richtig bleibt es, dass der
Gesang und die Citherbegleitung eine grössere Mannigfaltig-
keit der rhythmischen Formen nicht blos entschuldigte,
sondern geradezu verlangte. Ausserdem hüte man sich,
auf diesem Gebiet der feineren Kunst allzu viel den blossen
Zahlen zu vertrauen; es müssen die Stellen einzeln ange-
sehen und es muss der Rhythmus jedesmal im Zusammen-
hang mit dem Satzgefüge und dem Inhalt der Verse geprüft
werden. Die Verse
^4TQ£iSr]g' rw 6^ avx Ik dLq)QOv yovvaUo-d-rjv (^ 130)
vaiijUEvai tioXIoIgl favaooovv LdQyeioiOi (o 240)
fallen in eine Kategorie ; ja der letztere Vers scheint sogar
dem Schema nach weniger Anstoss erregen zu dürfen, weil
der Daktylus des 3. Fusses die Reihe der sich wieder-
holenden Spondeen unterbricht. Und doch wie gross ist
der Unterschied? wie geben die Spondeen in der '^ya^i^-
vovog aoiGTela das flehentliche Bitten der armen Jünglinge
trefflich wieder, und wie anstössig, weil nichtssagend, ist
der spondeische Ausgang in dem Vers der Theoklymenos-
episode? Oder um ein anderes Beispiel herauszugreifen,
Verse wie
ex de ytal avzot ßalvov eTtl Qi]yf^uvL daXaoorjg
sind nichts Ungewöhnliches selbst in den besten Gesängen
der Ilias und Odyssee; aber nur ein Stümper, wie der Dichter
186 Sitzung der fihilos.-philol. Classe vom 1. März 1879.
der interpolirten Episode A 430 — 92, konnte 3 Verse der
Art hintereinander setzen :
fx Ö8 Tial avroi ßalvov STtl Qrjyf.iivL daXQOorjg,
ix 6' exaTOjLißrjv ßrJGav eKi]ß6Xtü ^^/tolliovi,
8K Se XQVorjlg rtjog ßrj jvovtotcoqolo.
Aber wenn man nun auch alle diese Nebenumstände
heranzieht, ja gerade wenn man dieses thut, so ergeben sich
doch sicher drei Dinge : erstens dass ein grosser Unterschied
besteht zwischen der rhythmischen Technik der Ilias und
Odyssee, zweitens dass diejenigen Gesänge der Ilias, welche
nach den Anzeichen des Inhalts und theil weise auch des Di-
gammas zu den jüngeren gehören, wie Hektors Abschied
und Zeus Täuschung, rhythmisch vollendet sind wie wenige,
drittens dass die grössten Freiheiten, nicht Missklänge, im
Versbau den älteren Partien der Ilias eigen sind und nur
durch Wiederholung des gleichen Verses oder gleichen Vers-
anfangs und Versausgaugs auch in die jüngeren Gesänge
sich eingeschlichen haben. Weiter ins einzelne gehende
Schlussfolgerungen ziehe ich hier nicht und verweise schliess-
lich nur noch auf die detaillirteren Ausführungen von
Giseke, Homerische Forschungen, und Lehrs, Die so-
genannte Cäsura Hephthemimeres (jetzt in der 2. Aufl. de
Aristarchi studiis hom. p. 394 — 419), ohne mich mit der
dort geübten Methode und den dort gewonnenen Resul-
taten durchweg einverstanden zu erklären.
III.
Prosodische und sprachliche Eigenthümlich-
k e i t e n.
Ich komme schliesslich zu dem umfangreichsten und
meist versprechenden Kapitel der prosodischen und sprach-
lichen Eigenthümlichkeiten, das ich aber nicht zu erschöpfen
im Sinne habe, von dem ich vielmehr nur einzelne wenige
Punkte herausgreifen will. Meistversprechend nannte ich
dieses Kapitel für diejenigen, welche den Glauben an den
V. Christ: Die Interpolationen bei Homer. 187
eiueu Homer abgeworfen haben und nun die verschiedenen
Dichter und die verschiedenen Zeitalter der homerischen
Poesie zu unterscheiden sich bemühen. Denn in der Sprache
prägt sich doch zumeist die Individualität des Dichters und
Schriftstellers aus, und wenn es Wölfflin und seinen
Schülern gelingt aus genauer Beobachtung der sprachlichen
Individualität die schwierigsten Controversen der lateinischen
Literaturgeschichte zu lösen, sollte es da nicht auch blos
eines geschärfteren Blickes und einer fleissigeren Zusammen-
stellung bedürfen, um in das Dunkel der homerischen Frage
Licht zu bringen? Die Hoffnung, dass dieses in der That,
wenn einmal der Boden der Frage mehr geebnet ist , den
vereinten Bemühungen der Forscher gelingen werde, habe
ich noch nicht aufgegeben. Doch wird es gut sein sich
darüber klar zu werden, dass bei den Gesängen des Homer
die Sache nicht so einfach liegt als bei den Schriften Cäsars,
Senecas, Sallusts u. a. Einmal sind die Gesänge der Ilias
und Odyssee durch eine Jahrhunderte lang dauernde münd-
liche Tradition hindurchgegangen, ehe sie durch die Schrift
bestimmt fixirt wurden ; in dieser Zeit sind gewiss viele Un-
ebenheiten ausgeglichen worden , in dieser Zeit sind auch
gewiss nicht alle Partien, die beliebteren und die seltener
verlangten, gleich behandelt, sondern die einen treuer con-
servirt, die andern der jüngeren Sprechweise mehr angepasst
worden. Zu dieser Unsicherheit der mündlichen Ueberliefer-
ung kam dann noch die nivellirende Thätigkeit der alexan-
drinischen Grammatiker, der gewiss manche alte Ueberlieferung
zum Opfer fiel ; vergl. z. B. I 212 und dazu Friedländer, Jahrb.
f. Ph. Suppl. III, 780. Wenn daher v 78 ccveQQiTtTOuv, ^ 539
w(XiXevv^ H 116 v)y,eov.^ ^ 69 xQid^wVj F 213 xecpalicov über-
liefert ist , so ist es äusserst bedenklich darin die Sprache
des Dichters wieder zu erkennen und aus der Verschieden-
heit der Zusammenziehung Schlüsse auf die verschiedene
Zeit der Abfassung jener Gesänge zu ziehen. Nur wo das
188 Sitzung der jyliUos.-^liüöl. Classe vom 1. März 1879.
Metrum die überlieferte Form schützt und als allein zulässig
erweist, stehen wir auf einem einigermassen gesicherten
Boden. Ausserdem fällt der epische Gesang Homers in eine
Zeit , wo der einzelne Dichter sich noch nicht zu einer
scharf heraustretenden Persönlichkeit herauszubilden liebte,
wo die Person des Einzelnen vielmehr noch hinter die alle
bewegenden Ideen und die von allen geredete Sprache zurück-
zutreten pflegte. Denn wenn auch die nebelhaften Vor-
stellungen von der Volksepik und dem dichtenden Gesammt-
geist mit Recht von Kammer in dem Eingang seines
Buches über die Einheit der Od3^ssee abgefertigt wurden,
so bleibt doch zur Wahrheit bestehen, dass m den homeri-
schen Dichtungen nicht bloss die Sagen des Volkes wider-
hallen , sondern auch eine Sprache geredet wird , die im
grossen Ganzen Gemeingut der Sänger und Dichter jener
Zeit gewesen ist.
Aber wenn auch die Unters achungen des individuellen
Sprachgebrauchs bei Homer besonderen Schwierigkeiten
begegnen, so darf man doch noch nicht so leicht an der
Lösbarkeit der Aufgabe, zu der hier nur ein kleiner Beitrag-
gegeben werden soll, verzweifeln. Drei Gesichtspunkte sind
es, von denen man dabei ausgehen muss.
Erstens gilt es auf ungewöhnliche Formen und Wörter*^)
41) Die "Jyia^ IsyofÄtrcc habe ich im Nachfolgenden nicht berück-
sichtigt, nicht als ob sie nicht zur Sache gehörten, sondern weil ich
in dieser Beziehung mich auf Friedländer, Zwei homerische Wörter-
verzeichnisse, im 3ten Supplementbande der Jahrb. für class. Philol.
beziehen konnte; siehe insbesondere S. 764, wo das Zahlenverhältniss
der einzelnen Gesänge, und S. 780, wo die Häufung der «Traf lsy6fj,iva
in I 206 ff. hervorgehoben wird. Aus der trefflichen, ebenso durch
Feinheit wie Vorsicht des Urtheils ausgezeichneten Abhandlung hebe
ich nur folgende bemerkenswerthe Einzelheiten hervor: ai/6()an66fa<ft nur
H475, oidep6(To)()a nur O 178, cTo^« nur K 324 u. l 344, 6si für x(^V i 337,
vgl. t6r]<T£ 2" 100, wofür Düntzer eSevsi' vermuthet, -nfJ-iOsiov statt
i^(j(o(uy M 23j, (l'qcc zzz ayogä 2" 530, ^oQcpri nur d 170 u. A 367, rivixa statt
V. Christ: Die Interpolationen hei Homer. 189
zu achten, welche nur in einem Gesang oder nur an inter-
polirten Stellen vorkommen. Häufen sich derartige sin-
gulare Wörter, Wortformen, Constructionen in einem Gesang,
so liegt die Vermuthung nahe, dass derselbe von einem
anderen Dichter als die übrigen herrühre. Die am Schluss
beigefügte Uebersicht weist den Gesängen Q I K m der Tlias,
und 0) in der Odyssee eine solche Ausnahmsstellung deut-
lich zu. Neben den singulären Wörtern und Wortformen
ist der exceptionelle Gebrauch einer Silbe als Länge oder
Kürze eine Rolle zu spielen berufen. Nur thut gerade
hier äusserste Vorsicht noth, da öfters in demselben Gesang
und offenbar von demselben Dichter die Prosodie eines
Wortes gewechselt ist, wie, um aus der reichen Fülle nur
einige prägnante Fälle herauszugreifen, nebeneinander steht
vdaTog 300 u. vöari 258 mit langem und kurzen v^
dvLatovOL ö 598 u. dvia^ei ö 460 mit langem und kurzen i,
olog N 275 u. 449, vlog 214 u. 238, ^ 3 u. 262 mit
vokalischem und halbvokalischen ^, ferner ßr^Trjv '^ 685
neben ßdzr^v ^ 710, o^oooe !B 271 u. oi-ioöe ^280. Auch
muss man bei unserer Untersuchung alle diejenigen Stellen
in Abzug bringen, wo die ungewöhnliche, ja falsche Pro-
sodie durch die Zwangslage des Dichters auf andere Weise
das Wort nicht in den daktylischen Vers zu bringen ent-
schuldigt wird, wie bei ellvcpdto) W 492, otvwqlvco E 5.
Zweitens muss darauf gesehen werden, ob nicht von meh-
oTtnozs / 198, xliaiov lo 208, l^e im transitiven Sinn *ß 53 u. i2 553,
dicceiasTcci in transitivem Sinn *ö 535. Wichtig- ist. auch die von
Friedländer a. a. 0. angestellte Untersuchung über die Unterschiede
des Wortgebrauchs in Ilias und Odyssee, womit man den hübschen
Nachweis Düntzer's Hom. Abhandl. S. 323 f., dass die Doloneia im
Wortgebrauch vieles Aehnliche mit der Odyssee habe, zusammenstellen
möge. Weniger wurde bisher noch beachtet die Vorliebe des Dichters
eines Gesanges für ein bestimmtes Wort oder eine bestimmte Redefigur,
wie in jff 3 Mal navcc/caoi, in i2 3 Mal evQsirj TQoiri, in der Achilleis
3 Mal (Y 371. X 127. W 641) die Figur der Anadiplosis steht.
[1879. I. Phil..phil..hist. Gl. 2.] 14
190 Sitzung der jjhUos.-phüol. Classe vom 1. März 1879.
rereu bei Homer vorkommenden Formen diejenige, welche
nacli dem Gesetz der Sprachentwicklung als die jüngere
angesehen werden muss, auf bestimmte Stellen und Ge-
sänge beschränkt ist. Von grösster Bedeutung sind in
dieser Beziehung die Contractionen, da die Zusammenziehung
zweier Silben einerseits sich erst allmählich vollzog und
durch die Mittelstufe der sporadisch eintretenden Synizese
durchging, andererseits zuerst in gewissen Wortformen und
an gewissen Versstellen zum Durchbruch kam. So wurde
bei den Griechen wie den Lateinern (s. meine Metrik § 38)
eine ungewöhnliche Synizese am ehesten im letzten Versfuss
geduldet, weil sie hier durch die Sitte eines längeren An-
haltens der vorletzten Länge (— ^ — = ' ) entschuldigt
wurde. Es ist daher ein Zeichen der fortgeschrittenen
Neigung zur Contraction, wenn y,r]Mo), was sonst nur im
letzten Fuss zweisilbig gebraucht wird, in 217 xa/ vv x'
eveTtqr^oev ttvqv urikeco vr^ag eloag auch im 4. Fuss con-
trahirt ist. Während ferner bei einigen Endungen die
Contraction so vollständig durchgedrungen ist, dass der
geeinigte Diphthong vor einem Vokal in der Thesis kurz
gebraucht wird, wie in yhev cuö' E 897, aXX^ hcev, ocpqa
N 381, neid-Ev j eyco B 235, ^dyxei dfwvevo A 484, yrid^Ci
evl Ä 140, övOKXea "'Aq^yog B 115, rev^eai^ ejtei t 314,
nwXeai, eTtsl ö 811, xqvoko ava ayirjTtTQqt ^15, xqvoeoi
eovTeg t 230, oe xQ^w s/xsio A 606, ist bei den Neutris
auf og die Contraction von eog in ^vg sehr selten und bei
den Nominibus auf ?yg die Synizese von £« und ^ag auf
den letzten Fuss und auf längere, auf mehrere Kürzen
endigende Wörter beschränkt, wie in
b}g sxccQ^] MeveXaog AXe^avÖQOv d^eoeiöea {F 27)
xaXot 7tQWT07cayelg vsoTevxfeg, a(.i(pl de TC&itXoi (E 194).
Endlich wurden einige Wörter im homerischen Zeitalter
überhaupt noch nicht contrahirt, und findet sich die zu-
V. Christ: Die Interpolationen hei Homer. 191
samraengezogene Form nur vereinzelt an jüngeren, später
eingelegten Stellen wie rjhog statt r^elioq in der Heiteren
Episode von dem Liebesabenteuer des Ares und der Aphro-
dite ^271.
Drittens muss man den vereinzelten ünformen nach-
spüren, die nach einer falschen Analogie gebildet oder zur
Bezeichnung eines unrichtigen Verhältnisses verwendet
worden sind. Denn derartige Auswüchse pflegen sich erst
einzustellen, wenn eine Form in der lebendigen Sprache
auszusterben begonnen hat, oder wenn das Bewusstsein der
ursprünglichen Bildung und Bedeutung erloschen ist. Dahin
gehört unter anderen der falsche Gebrauch des Dual und
der Casusendung g)«, sowie die sprachwidrige Bildung von
TBÖlo. Ich habe auf den nachfolgenden Blättern nur einiges
wenige der Art zusammengestellt, der eindringenden Forsch-
ung bietet sich in allen diesen Punkten noch ein weites
Gebiet der Thätigkeit.*^) Indess ist doch auch hier zu
bemerken, dass es falsche und junge Bildungen gibt, die
42) Manchmal ist die falsche Form in der Ueberlieferung ver-
dunkelt und muss erst durch Vermuthung hergestellt werden, so in der
viel besprochenen (s. Classen, Betrachtungen über den hom. Sprach-
gebrauch S. 144) Stelle der Odyssee q 555
i^tve TiätSQ, xa'ksei as neQiipQCiiv JlrjveTioneia,
fJ'tjti]Q TsXeficc/oio' fxsraXkrjaccl xi fs Svfj,6g
u[A.(fl noaei xiXfzac, xccl xi]6ecc rtsg ntnadviri.
Denn an der Stelle stört nicht blos die unerhörte, durch die Ana-
logie von A' 187 nur schwach entschuldigte Verbindung des Accusatives fs
mit dem Dativ nenad^vlri, welche Makel der Dichter obendrein so leicht
durch die Schreibung nfnaS^vlav hätte fern halten können, sondern
mehr noch die Verkehrtheit des Sinnes. Nicht die Leiden der Pene-
lope nämlich kommen in Frage, sondern die des Odysseus, von dem
Penelope etwas zu hören wünscht, wenn es auch nichts gutes sei. Ich
zweifle daher nicht an der Verderbtheit der Stelle, möchte aber lieber
die Form nfnaS-wicc oder nenccd-opta nach der Analogie von xfxlti-
yovTfg M 125, JI 430, P 756. 759 (vgl. Am eis, de aeolismo homerico
p. 53) herstellen als mit Buttmann xul xyjöe ansQ mnccSoiri schreiben.
14*
192 Sitzung der pliüos.-philol. Classe vom 1. März 1879.
sich in allen Partien des Homer und auch schon in den
ältesten finden. Dahin rechne ich z. B. die Infinitive auf
sf-iev.^ die ursprünglich nur vor Vokalen, e^ev' statt ef-ievaL^
ihre Stelle hatten, die Dative yßQEOOt y.vveGGi Ttodeooi^
die aus den Wörtern mit thematischem g wie STreG-Gi,
T£LX£G-GL, TEY.eG-GL in die Declination aller Nomina der
3. Declination eingedrungen zu sein scheinen, ebenso die
nach Analogie der Futura auf ggco gebildeten Aoriste auf
(Xa«, die Genetive rf-ielcov i}xeuov Gcpslcov statt rj^ewv ^ alt
asmäsäm, v/liecov^ alt yusmäsäm, Gcpecov^ alt sväsam, wenn
nicht hier geradezu die Form mit rjcov lierzustellen ist, den
Imperativ oqgsv (z/ 264) neben oqgo (z/ 204 u. o.) u. a.
Ich gebe nun im Folgenden ein Verzeichniss solcher
prosodischer und sprachlicher Ausnahmen, das indess, ich
wiederhole es, keinen Anspruch auf Vollständigkeit macht
und mehr nur ein Versuch auf diesem Weg der Forschung
sein soll.
Prosodische Seltenheiten.
^elavei H 64, -/.vSavEL S 73 mit mittlerer Kürze;
ebenso hat die mittlere Silbe kurz oidavei I 554. 646.
{.irivLEv mit mittlerer Länge in der Arsis B 769.
'i(.iag mit langer erster Silbe in Arsis und Thesis Q
544. K 475, vielleicht auch, um den Hiatus zu beseitigen,
in 'F 363 u. % 186 ; in allen anderen Stellen ist das t
kurz oder kann doch so gut als Kürze wie als Länge be-
zeichnet werden.
TticpavG'Aw mit erster Länge in Arsis und Thesis in
der Doloneia, K 478. 502, und der Hoplopoiie, 2 500.
cXaog mit gedehnter Mittelsilbe in ^ 583 in der Arsis.
l\u7taiov mit verkürztem Diphthong nach Analogie von
olog in v 379.
f.iE{.iacog n 164: an einer von Köchly mit gutem Grund
V. Christ: Die Interpolationen hei Homer. 193
ausgeschiedenen Stelle, und i^iej^mozeg J5 818 mit langem a
in der Arsis.
Kqoviovog mit langer 2teu und kurzer 3ten Silbe in
B 247. l 620.
OQvig mit kurzer Schlusssilbe M 218. ß 219, an bei-
den Stellen mit einfachen Mitteln von den neueren He-
rausgebern beseitigt.
Yfxevai mit langem i in der Arsis Y 365.
Ttecpv'/.aoi ?^ 114 und leloyxaöu X 304 mit kurzem a.
töTaoav statt £Orf]Gav mit mittlerer Kürze Bl 56. ^
346. / 182, ebenso VTteqßaoav M 469; siehe indess S. 201.
iayr] mit langem a in der Arsis yi 559.
alovze mit langem a in der Thesis £ 483.
oq)ig mit langer erster Silbe in der Arsis des letzten
Fusses M 208, ebenso Zeq)VQirj rj 119 im Versanfang.
öiSovac Si 425 und 'Qevyvvf.iev TL 145 mit mittlerer
Länge in der Arsis.
Kurze vokalisch auslautende Schlusssilbe vor einem
Dauerlaut in der Arsis ohne entschuldigenden Umstand ge-
längt: d 08 To^ov 478, Ti'/.ßTo IloXvgjeldea o 249, ^Oge-
oxao Tioig a 40; siehe Hartel, Homerische Studien P 74.
Positionsvernachlässigung von muta cum liquida per-
horrescirte der Dichter der Doloneia nach Hartel, Hom.
Stud. 12 82^3)
Besonders harte Synizesen finden sich in
xev^eai^ eTtel ov rolöi orj/navzoQeg ela^ evl poinM (r 314)
OVY, byxvrj ov TiQuOLq toi avev yiOf.iidrig Aaxa '/.r^itov
{to 247J
43) Wenn jedoch Hartel a: 252
einsilbige Messung von nXkmv annimmt, so kann ich dem nicht bei-
stimmen, da wir bereits oben bei dem Digarama Note 20 gesehen haben,
dass es gerathener ist, dem Dichter eine prosodische Un gewöhnlichkeit
als einen rhythmischen Fehler zuzuschreiben.
194 Sitzung der philos.-phüol. Classe vom 1. März 1879.
Toiog 1«^*) ev TtoMixcß' eqyov öe f^ot ov cpllov eOKev
(^ 220)
via fiev fxoL xarea^e TloaeiSdcov evoclx^cov {i 283)*^)
Q6a (xiv yccQ q)evyeoxev vjt ek Tqcocov OQVjuaydov (P 461)
qea ÖLelevoeodai -aliGiag %ai vr^ag ]Ayß.iCjv (N 144. Y
263)^6)
Seltene Contractionen.
Gen. sing, der Neutra auf og:
igeßevg Q 368. l 37, d^agoevg P 573 (fort, dqd-
oeog)^ d^eQSvg rj 118, yevevg o 533, d^d[.ißevg co
394.
Gen. sing, der Nomina auf evg:
'Oövaevg CO 398.*')
Gen. u. acc. der Adjectiva auf r^g mit vorausgehendem
Consonant ausserhalb des letzten Fusses:
eveqytog 11 HS — vxpeqecpla d 757 — alvo-
TCad^r^ (T 201 — döiveag X 110.
44) Nauck wirft, um die Synizese und Kürzung von ea zu be-
seitigen, die Präposition iv aus ; vielleicht ist vielmehr nach der Theo-
rie von Grulich, Quaestiones de quodam hiatus genere, Aphäresis des
£ von Ev anzunehmen.
45) Aus den Scholien ersieht man, dass schon die alten Gramma-
tiker an dem Rhythmus dieses Verses Anstoss genommen hahen. Be-
achtenswerth ist der Verhesserungsvorschlag vri' ufn^v des neuesten
^Herausgebers Nauck.
46) Die anstössige Synizese von qeu im 1. Fuss, welche im Vers-
ausgang nichts Anstössiges hat, liesse sich an diesen beiden Stellen durch
die Variante qeia <5' ilevGEad-ai beseitigen; vergleiche auch S, 182 g.
47) Auch in N 424
^IdofXEi'Evg (5' ov IriyE [xspog fisycc, hro <5' atsl
schrieben, wie uns die Scholien belehren, einige "ISofjievevg ; ohne Grün 3,
wie auch La-Roche in seiner Ausgabe der Ilias anerkennt, nachdem
er noch in den Anmerkungen zur Odyssee o 583 den contrahiiten Ge-
netiv gebilligt hatte.
V. Christ: Die Interpolationen hei Homer. 195
Gen. plur. der 1. Decl. auf cov oder einsilbig gesproch-
enes €cov bei anderen Wörtern als solchen, in denen der
Endung ein Vokal oder eine lange die seltene Contraction
entschuldigende Länge vorausgeht:
rwv statt Tcccov K 253. (x 64, d^vQecov cp 47,
dyoQecov / 441, od^ovkov r] 107.
Adjeetiva auf ovg u. rjg aus oeig oder rjeig:
Tif-i^g / 605, TLf.i^vra -2" 475, XcoTOvvra ikZ 283.
Vereinzelte Formen:
%r]X£(lt im 4ten Fuss 217 — oreoiOL 491 —
Ttoliog -B 811 (var. lect.) (P 567 — riqiMog oder
ri^oog S 303, vgl. ^'^w H 453 u. ^ 483 —
rivwyea l 44. x 263. Q 55 — ized^rjneag d^v^t^
(o 90 (al. d^TjTjaao d-v^xi^).
riotv statt £i;(T£ T 202, coGi statt IwcTi a> 491.
Ideiv X 143. /r 144.*«) —Ttielv Q 189. ^ 70. >t 386.
(yg?ag statt oq)eag E 567 rjfiag statt iqi^eag 7t 372.
^'Atog statt »^fZiOg nur ^271, J'oi;g statt J'oog nur x 240.
Dual mit der Bedeutung des Plural.
£487: '
xvvr] (5' £öTrj7,ag, draQ ovd^ aXXoiGi KsXevetg
Xadloiv fxeveixev xal d^wi^evai vjQeoouv'
f^Tj Ttcog tog dxplGi Xivov dXövxE rcavayqov
dvÖQaoi dvofxevieoot eXcog Kai Kvqjxa yevrjGd^e.
Der schon von den alten Grammatikern gemachte Ver-
such, die Pluralbedeutung des Dual durch die Erklärung
"^vfxelg y.al al ywaiKsg^ wegzudeuteln, will mir ebensowenig
einleuchten wie die von neueren Herausgebern aufgestellte
48) Vielleicht ist ausserdem, um die Kraft des Digammas herzu-
stellen, LÖeiy statt ISiay zu schreiben 458, 6 475, e 41. 114, ^ 314,
rj 76, S- 410, i 581.
196 Sitzung der ii1iilos.-]philöl. Classe vom 1. März 1879.
Erklärung '^ov %al aXkoi! Da aber aucli die Länge des a
von aXovre^ das sonst Homer kurz gebraucht, auffällig i.st,
so bat Bentley die Umstellung }dvov TtavayqoiO akovx^ vor-
geschlagen ; doch wer hätte dieses, wenn es alte Les- oder
Sangart gewesen wäre, in Xivov aXovre Tcavayqov ändern
sollen ? Mehr Beachtung verdient es, dass die Stelle in der
Sarpedon-Episode vorkommt, welche Köchlj und Gieseke
als spätere Nachdichtung aus der alten JLOfÄtjöeia ausge-
schieden haben.
e 74:
al fj.8v L^xaicov xrJQeg etvI xd-ovl JtovXvßoreiQr]
e^sad'rjv, Tqcocov di nqog ovqavov evQvv dsqd^ev.
Die Annahme einiger alten Grammatiker, dass e^iod-rjv
oder vielmehr h'Qiod^ev der Plural des Aorist sei, führt von
dem Regen in die Traufe, da ein Aorist eKiod-rjv von e'Qofxai
nirgends vorkömmt. Mehr Hilfe scheint die schon von Ari-
stonikos angemerkte Athetese der beiden Verse zu ver-
schaffen ; aber welcher Rhapsode oder Grammatiker oder
Abschreiber sollte dieselben zugefügt haben ?
186. 191:
Sccvd-E TS xal av IIoSayQs Kai ^YS-cov ytdfxjte re öle,
vvv jj,oi rrjv 'aoi^lStjv ccTtorlvsTOv, rjv /^aXa jcoXXr^v %. t. X,
dX}! 8(p0(xaQTUT0v Kai OTtevöezoVf og)Qa Xdßco/^ev
Der Dual lässt sich zur Noth durch Bezug auf die
zwei Paare des Viergespanns erklären ; aber die Bemerkung
La Roche's "^der Dual dient als Beweis, dass Hektor nur
ein Zweigespann hatte und dass mit Aristarch V. 185 ge-
tilgt werden muss', möchte ich nicht unterschreiben. Ich
frage auch hier, wie soll der Vers später in den Text ge-
kommen sein ?
e 405:
ovSs Kev ig öeKarovg jieQiTeXXofxevovg eviavxovg
eXy.e' aTtaX&riOeod^ov, a kev fxcxQTtrriöi -aeqavvog.
Der Dual lässt sich erklären, wenn man aTtaXd^rjOsod^ov
V. Christ : Die Interpolationen bei Homer. 197
in medialem Sinne nimmt und Here und Athene Subjekt
sein lässt. Sollte dieses die Grammatik absolut verbieten
und ccftald^iqGead-ov nur in intransitivem Sinne gebraucht
sein können, so kann auch so noch der Dual zur Noth er-
klärt v^^erden, wenn man jede der beiden Göttinnen nur
einmal verwundet werden lässt.
/ 182 — 185. 192. 196 f.:
TCO ÖS ßccTTjv TtaQO. diva TtoXvcpXoioßoLO ■&aXaoorjg
TtoXkä (xaV evxofxevco yatrjoxqf svvoGiyalw
Qrjidlcog TtSTtid^elv fieyaXag cpqevaq ^laxlöao'
MvQjLiLÖovwv d'eTti re y,Xiolag ytal vr^ag ixioS^rjv —
TW ÖS ßccTTjv TtQOTeQw, iJ^fTro 6s ölog ^Oövoaevg —
TCO v.al öeizw/xavog TtQooecprj itodag w'/.vg Idy^iXksvg'
XaiQSTOv • ri (piXot avÖQsg IxaveTOv ' iq tl jxaXa yQECo.
Zu dem ersten Vers setzte Aristarch eine Diple, welche
Aristonikos mit den Worten erklärt : otl enl 'Oövooscog Kai
^lavTog To SviKOv: y.eywQLOTai yaq 6 OoIvl^ justcc tt^v Ns-
OTOQog ivToXrjv, ovtol ds [ästo. TavTa. Die neueren Heraus-
geber wiederholen jenen Winkel zug der Erklärung, nicht
ohne selbst ihren Zweifel an der Richtigkeit der Deutung
kundzugeben. Einen kühneren Weg hat Bergk, Grundriss
d. griech. Litteratur S. 595 f, beschritten, indem er in
dem Dual einen Rest der alten Form der ITgsaßeia erblickt,
in der noch kein Phönix vorkam und Aias und Odysseus
allein die Gesandtschaft ausmachten. Aber die Tlqsößsia
gehört sonder Zweifel zu den jüngsten Gesängen, und dass
in einem solchen noch eine so bedeutende Umdichtung sollte
stattgefunden haben, hat sehr wenig Wahrscheinlichkeit.
T 205 :
vfxeig J' sg ßqcoTvv otqvvstov tj t' av eycoye
Unter vfieig werden am besten alle Fürsten mit Ausnahme
des Achilleus selbst verstanden ; wenig bedeutet also die Aus-
flucht des Scholiasten: TTQog ^Oövaoea Kai ^4ya[xefivova. Die
Aenderung OTQvveTs^ welche La Roche vorschlägt, schafft einen
198 Sitzung der philos.-philol. Classe vom 1. März 1879.
unleidliclien Hiatus. Wohl aber verdient beachtet zu wer-
den, dass gerade dieser Theil des 19. Gesanges die offen-
barsten Beziehungen zu dem 9. Gesänge aufweist.
Erklären lässt sich mit den Herausgebern der Dual
in J 407
Tf^eig (sc. JiOixr^öriq y,al 2d-ivelog) xal Qrißrjg edog et-
Xo^ABV €7tTartvloiO
TtavQoreQOv Xaov ayaybvd^ vtco %uyog aqeiov.
In ^"567
^?y vv TOi Ol) yQaLö(xo)OLv oaot d-eoi eld* ev ^O'kvi.iTap
aOGov lovd'\ OTE Y.kv TOi äaTtrovg XEigag ecpelco.
ist lovd-^ zweifelsohne zu lovza^ nicht zu lovte zu ergänzen.
Anomale Pronominalformen.
reolo gen. sing, des Pronomens der 2. Person statt
G£0 oder go7o in 37 und 468 in einer verdächtigen
Stelle:
(jug f.ü] Tcavreg olcoviaL odvoaa^evoio reolo.
Der Genetiv teoIo gehört zum pron. possessivum reog und
ist vom Dichter jenes Gesangs, der sich durch die Ana-
logie von 8y,eio und 8(.ioio verführen liess, für das Pron.
personale gebraucht worden.
vwiv u. ocpcoiv nom. dual, der 1. u. 2. Person statt
vcoL u. ocpcüi in *iT 99, ip 52 :
fXTjTs Tig l^QyelcjüVf vwiv d'' eKÖv/xsp oXed-qov.
aXk"* 87tev^ ocpqa Gq)Cüiv sv(pQcoovvr]g STtLßrjrov.
An letzter Stelle vermuthet La Roche acpm^ was unbedingt,
wie auch der neueste Herausgeber Nauck gethan hat, zu
billigen ist.
oov u. erjg pron. relat. statt ov und rig in B 325,
a 70*^) und tl 208, gebildet nach der falschen Analogie
49) Thiersch Griech. Gramm. § 148, 2. schlägt in B 325 u. « 70
oxpifxov oxpiTileoxov oov xlsog ov not' oXeticci,
uvviBiov Jlo'kvcprifioi' oov XQatos saxs ^iyioxof,
V. Christ: Die Interpolationen hei Homer. 199
von sfov und efo7, in welchen Formen das e prostheticon
durcli das Digamma entschuldigt ist und die Analogie von
sfeUooi^ efeSva für sich hat.
Toioöeoi u. TolodeoöL statt rolode in K 462, ß 47.
165, X 268, V 258, (p 93.
sxeTvog statt der einfachen, von Aristarch zu 94 für
jonisch erklärten Form ytelvog nach der Analogie von if^e
neben ^we und unter Anschluss an exel in der Odyssee ß
183, y 103. 113, ö 819, ? 163. 352, o 330, tt 151, g 147.
239, r 822, co 288. 312. 437, und als Variante neben Kel-
vog in ß 171, (5 731, ? 70. 122. 491, o 212, ^ 110. In
der Ilias steht exeXvog fest in / 63, ^^ 653 und findet sich
als beachtenswerthe Variante in 94, 2 262, während in
/ 646 OTtTtoze y,elvov, 2 188 tevxea y,elvoL statt brCTtox'
eyislvov u. revxe SKelvoi geschrieben werden kann. Denn
für Bekkers Ausspruch, Hom. Blatt. T, 154 f., dass ohne
Zweifel hier die volle Form sytelvog zu schreiben ist, ver-
misse ich die Begründung.
Anomale Verbalformen.
Sidwaco nach der Analogie von dida^o) und Ttecpidq-
öOf.iai in v 358 u. co 314.
hiri statt Xoi in dem jungen Theil des 19. Gesangs der
Ilias T 209.
iji^^ statt v^ev u. r^v (ursp. ^(7£, rjoev äsat) in % 283,
die Herstellung des Genetivs oo vor; aber diese bekanntlich von Ahrens
empfohlene Genetivform ist doch sehr zweifelhaft, da an allen hierher
gehörigen Stellen {lliov 66. X %, avBxpCov O 554, dyQiov X 318-
I<pitov B 518, 'Aax.lriniov B 781, AtoXov x 36. 60) die ungewöhnliche
Quantität an der Schwierigkeit die bezüglichen Worte anders in den
Vers zu bringen, und zum Theil auch an der zweifelhaften Natur des
Vokals i und der Sonderstellung der Eigennamen eine Entschuldigung
hat. Ausserdem wird unser oov geschützt durch die Analogie von etjs.
200 Sitzung der iMlos.-plülol. Classe vom 1. März 1879.
tp 316, CO 343, also an einer interpolirten Stelle, und in
zwei jungen Nachdichtungen.^^)
eoig u. £01 statt eirjg u. eu] I 284. 142.
(j.iav&rjv statt fxiavdev in J 146:
TÖloi TOi MeveXae fdidvdrjv aljuazL f,ir]QOL^^)
etj] statt %, ursprünglich earj in H 340 :
ev ö^ avzolGL Ttvlag ^OLii^oo(.iev ev aqaqviag,
ocpQa Öl' avracov iTtzcrjXaolr] odog uiq.
Aehnlich in / 245. Lässt man an diesen beiden Stellen
die von den Handschriften überlieferte Optativform iir]
stehen, so liegt ein anomaler syntaktischer Gebrauch des
Optativ vor.
-Exov Endung der 3. Pers. Dual der secundären For-
50) Auch die Form cV, welche sich vor der Hauptcäsur in ü
851, X 410, y 180, o 861, r 580, x 25, w 104 und an anderen weni-
ger Entschuldigung bietenden Stellen, B 687, i2 630, <5 248, o 861,
findet, erregt Anstoss, lässt sich aber durch die aus der griechischen
Sprache nicht wegzudisputirende , auch von Leskien, de graecae
linguae metathesi suppletoria, in Curtius Studien IV, 140 anerkannte
metathesis quantitatis aus ^tv erklären, nach Analogie von ßaaiXrjog
ßcKOileeos, Tio^Ecog noltjog, ^AxQiiöao 'AtQ€i6(ü), Andere Gründe, auf
die ich bei einer anderen Gelegenheit zu sprechen kommen werde, ver-
bieten jedenfalls jenes i'tju mit Curtius als Anzeichen der späteren Ab-
fassung der Bücher B u. i2 anzusehen, wenn auch nicht mit Harte 1, Ho-
merische Studien P 73 an eine ursprüngliche Länge des Vokals der
Endung zu denken ist. Bemerkenswerth ist überdiess, dass der Dichter
von Z 19 lieber ein aTia'^ IsyoiMsvov '^vcprivioxog gebrauchen als mit
jenen jüngeren Dichtern der Odyssee r^riv rjvioxog schreiben wollte.
51) Die Erklärung der alten Grammatiker, dass fxidvSriv Dual
sei und für f^iavS^i^rriv stehe, wird heutzutags wohl nirgends auf Billig-
ung stossen. Ebensowenig möchte ich mit Curtius, das Verbum d. gr.
Spr. II 822 fxidvd^iv schreiben und annehmen, dass das Wort die alte
Positionslänge der Ausgangssilbe auch in der Thesis bewahrt habe.
Wohl aber kann die Länge von ^xiapd-rip aus f^iavS-eoavt ursprünglich
sein, und verweise ich auf die handschriftliche Lesart eyfujv =r eyvuxsav
in Find. Pyth. IX 79.
V. Christ: Die Interpolationen hei Homer. 201
men in hevxsTov N 346, Slio-hstov K 364, lacpvOGsrov 2
582, wozu die nicht gesicherten Formen d^coQrjOOEö^ov N
301, n 218, ^cheod-ov ^ 506 kommen. ^2)
yeXojcov ' u. yelwovreg (al. yelcocovreg) statt yelowv und
yelocovTeg in t; 347. 390, (T 111, ÖQcooiixi statt ÖQOOifii in
317. Die falsch zerdehnten oder die den üebergang von
den uncontrahirten zu den contrahirten Formen durch fal-
sche Assimilation^^) vermittelnden Formen sind gebildet nach
der Analogie von rßcoovra {I 446, ß 604) ^ß(x>oiixL {H
157, ^ 669, ^ 629) iSqwovreg [0 543, ^ 119, JS" 372)
vTCvcoovreg {£2 344), in welchen Wörtern aber die Verläng-
erung des durch die Unmöglichkeit dieselben anders in
den Vers zu bringen entschuldigt ist.^*)
lj.ayßOVf.Levov statt i.ia%e6y.evov oder (.laxsiOfievov in l 403,
0) 113.
k'ozaoav für gW^^aaj/ iW 56, y 182 (in ß 525, ^ 346,
-^ 435, o 307 var. lect.); schreibt man mit Thiersch über-
52) G. Curtius, das Verbum der gr. Spr. 1 76 macht dazu die
gute Bemerkung : 'Erwägen wir, dass jene drei Verse sich in Theilen der
Ilias finden, die sicherlich nicht zu den ältesten gehören, in der Dolo-
neia, im Schild des Achill, und in einer Stelle, die Bekker nicht ohne
Grund als Einschiebsel betrachtet, so wird man sich dahin neigen, die
Anomalie als eine Verirrung des Sprachgefühls bei diesen späteren
Rhapsoden zu erklären.'
53) Ueber diese doppelte Auffassung der bezüglichen Formeln
siehe jetzt J. Wackernagel, die epische Zerdehnung in Bezzenber-
gers Beitr. IV, 259-312.
54) Mangold, de diectasi homerica, in Curtius Studien VI, 161
will die Formen aus der Analogie von nlcoiü, ^(oto und aus der Ein-
wirkung des Substantivs iSQwg entschuldigen. Jedenfalls bleibt die Ir-
regularität der Bildung, die nur eine verschiedene Entschuldigung zu-
lässt. Die metrische Entschuldigung wird auch durch die Formen ^^-
ipäcoy {1 583), rcecydü) (r 25, 2" 162, /I 758), dvafxaifxdsi {Y 490) em-
pfohlen, für die Mangold selbst S. 171 keine andere Erklärung anzu-
geben weiss.
202 Sitzung der philos.-phüol. Classe vom 1. März 1879.
all %ataoav^ dann liegt ein falscher Gebraucli des Imper-
fekts vor.
GTtelo statt 07t £0 K 285, nach Analogie der Verba auf
£w, ursprünglich eouo. Weniger anstössig sind daher die
Contrahirten Formen aldeio S2 503, c 269 und igeio A 617.
Anomale Nominalformen.
€^ sQeßevOifLv / 572, vielleicht blos falsche Ueberliefer-
ung für 8§ eqeßeocpiv^ was Bekker und Nauck in den Text
aufgenommen haben.
VTto xQazeocfL K 156, Bildung nach der falschen Ana-
logie von öTi]d^EO(pL, OQeacpij ox^ocpt.^^)
vsfxeGoec oder vmeooi statt vei^ieoei Z 335, nach der
sonst nicht auf die Nomina übertragenen Analogie der Ao-
riste vs/xeGoa^ Safxaaoa, oy.ooöa etc.
(xavTTjog statt {.lavTLog % 493, nach der Analogie von
7t6},r^og mit falscher üebertragung der Beugung des Femi-
ninums auf das Masculinum.
/taqdavLOL jB 819 und JaQSavlwveg H 414 u. 154
während das Volk in der älteren Sprache JoQÖavot heisst
und nicht nach einem später erst fingirten Stammheros
Dardanos (Y 219) benannt ist.
Anomale Syntax.
gpt, welche Endung im Altgriechischen zur Bezeichnung
des Instrumentalis, Ablatives und Locatives diente und als
Ablativ- und Locativsuffix den Verbindungen 1^ svvrjcpL^
y,aT' OQsacpi^ ärco vevQ^q)i^ naqa vavqjt und vielleicht auch
der Wendung dia oryd^eocpt und ETti de^Loq)iv zu Grunde
liegt, steht in Folge wachsenden Miss Verständnisses für den
55) Keine falsche Bildung erkenne ich in ia/aQo^cp e 59, da der
Form ein Masculinum eaxcxQog zu Grunde zu liegen scheint; in iV 42
hat Nauck mit ßecht die Variante nccgavioS-t statt 7ia(>' avtocpt ==
TtttQ« vccvai in den Text aufgenommen.
V. Christ: Die Interpolationen hei Homer. 203
Genetiv in fx 45 Ttolvg (5' a^ug)' ooreocpLV d^lg dvÖQcov nv-
d^OfÄSvcov^^) und 295 ^qIv %axa 'iXiocpiv xlvra Teixea
Xaov MXöaL.
"lliov alrtv eloiev 71 ; Aristarch schrieb, um das an-
stÖssige Neutrum zu entfernen, ""iXiov eKTveQöcooiv.
BTtiaavTai wote veeod-ai (sTtioavTat aTtovteod^ai schlägt
Lehrs, de Arist.^ p. 157 vor) / 42, Trjlly.og elf.il, ojors . . .
md^sodai Q 23, vgl. *y 246 u. Nägelsbach- Autenrieth zu
-^ 133.
yrjü-r^oei Tcqocpav^vTe Q 378 und ^xd-evo yaq qa Tqco-
gIv Sa(xva(.ievovg N 353 an einer von Bekker unter den
Text gesetzten Stelle, zu der La Roche bemerkt : *^ein Par-
ticipialsatz im Accusativ nach einem Verbum des Affects
findet sich ausser hier im Homer nur noch & 378; häu-
figer bei Späteren.' Vergleiche auch evyofiai IXnoixEvog an
einer interpolirten Stelle in 526.
og pron. refl. ist für die Ite u. 2te Person gebraucht
56) Delbrück, Ablativ Localis Instrumentalis S. 70, behauptet,
dass eine andere Auffassung der Bedeutung von oarsocpiv durch n 145
(pd-ivvdec 6' ccficp oateocpiv xQ^s empfohlen werde. Aber die Stelle
// 45 kann ungezwungen nur erklärt werden : rings um die Sirenen
war ein Haufen von Knochen modernder Menschen.' Eher könnte man
vermuthen, dass die zweite Stelle n 145 den Dichter von ^ 45 zu einer
falschen Wendung verleitet habe; aber ich ziehe es vor anzunehmen,
dass schon die ältesten Dichter der epischen Gesänge dem Suffix cpi
Genetivbedeutung zugeschrieben und auch in 6ax()v6<pi nXrja^ey [P 696,
tp 397), Scc)CQv6<pi xEQoayxo {s 152), zirvoxofxevog xs(p«Xrj(piu (A 350),
x&(pccX^(piy inei Xaßey {JI 762), vavcpiv dfivvofxevoi {N 700, S. La Roche
z. St.) an einen Genetiv gedacht haben.
Noch bestimmter lässt sich von der Endung &ey, die anfangs zur
Bezeichnung der Richtung woher diente, sagen, dass sie schon in den
Zeiten der ältesten homerischen Gesänge die Bedeutung eines Genetivs
angenommen habe, wenn auch nur in einigen Pronominalbildungen,
wie aiS-fp (f' eyu) ovx. dXeyi^io (J 180), ovde aedey "kfldd-ovro (J 127),
ifxE^iv fXiixuriixEvog {9- 431), aid^iP ivddS' iovzog {v 232).
204 Sitzung der philos.-pliilöl. Classe vom 1. März 1879.
S 249, i 28, V 320^^), ausserdem als Variante überliefert
^ 393, K 398, ^ 142, O 138, T 342, ß 310. 550.
ode ohne deiktische Kraft *0 541 und w 426.
Verzeichniss der Stellen mit grammatischen
und prosodischen Anständen.
^ 583.
ß^ *53. 325.
ß^ 525. 769. 811. 818. 819.
J 27. 146.
E 483. 487. 567.
Z 335.
H 64. 340. 414. 453. *475.
*37. 154. 178. 189. 217. 368. 379. 405. 453. *468.
541. *535. 544. [471.]
1 42. 63. 142. 245. 284. 337. 441. 554. 572. 605. 646.
K 156. 187. 253. 364. 475. 478. 502.
ui 36. 559. 653.
M *23. 26. 56. 208. 283. 469. [218.]
N 144. 346. 353.
S 73. 247. 249.
71. 94. 478. 491. [49.]
n *99. 145. 208. 743. *754.
P 461. 573 (?)
^ 100. 262. 346. 475. 500. 582. [357.]
T 205. 209.
Y 263. 365.
O 295. 567.
57) Brugmann, Ein Problem der Homerischen Textkritik, hat
in Uebereinstimmung mit Miklosich nachgewiesen, dass dieser Ge-
brauch des Reflexivpronomens uralt und mehreren Gliedern des ari-
schen Sprachstammes gemeinsam ist ; man wird daher sich hüten müs-
sen in demselben ein sicheres Anzeichen des jüngeren Ursprungs der
betreffenden Stellen und Gesänge zu finden.
V. Christ: Die Interpolationen hei Homer. 205
A" 236.
W 363. 493.
a 1. 154. 425. 553. [219.]
a 40. 70.
ß 47. 165. 183.
y 103. 113. 131. 182. *246.
d 167, 819.
? 303.
r] 107. 114. 118. 119.
^ 70. 170. 271. 435. 483.
i 28. 44. 283.
z 36. 60. 240. 263. 268. 386. 493.
X 37. 110. 143. 304. 367.403.620.
iu 45. 64.
V 258. 320. 358.
g 163. 222. 252.
o 249. 317. 330. 533.
7i: 144. 151. 372.
Q 23. 55. 555.
o 111. 147. 201. 239. 307.
r ♦283. 314. 322.
V 347. 379. 390.
g) 47. 93.
X 186.
ip 52. 316.
(o 90. 113. 208. 247. 288. 299. 312. 314. 343. 394. 398.
426. 432. 437. 491.
[1879. I. Phil.-phil. Cl. 2.] 15
Herr Wilh. Meyer hielt einen Vortrag über:
Zwei antike El fen beio tafeln der k. Staats-
bibliothek.
Derselbe ist als ,, Festgabe zur fünfzigjährigen Jubel-
feier des Deutschen archäologischen Instituts in Rom*' und
zugleich in den ,, Abhandlungen der Akademie'* veröffent-
worden.
Historische Classe.
Herr Würdinger trug vor:
Aufzeiclinungen Georg Schwartzerdt's
über den Bauernkrieg um Brettbeim
1525.
Georg Scbwartzerdt, der Bruder Pbilipp Melancbtbons,
1546 Scbultbeiss, 1548 cburpfälziscber Keller zu Bretten
erwäbnt in der Vorrede zu seiner dem Pfalzgrafen Cbristopb
bei Rbein gewidmeten Beschreibung der Belagerung der
Stadt Bretten 1504, eines besonderen Tractätleins , das
er über den Bauernkrieg ,,in welchem unter allen anliegen-
den Städten und Flecken seine Vaterstadt allein sieb nicht
an dem allgemeinen Aufstand betheiligt habe, sondern dem
Kurfürsten treu und gehorsam verblieben sei'' verfasst habe, ^)
Diese Darstellung, wie auch eine mit besonderer Rücksicht
auf die Bretten, die Pfalz und deren Fürsten in den Jahren
1536 — 1561 berührenden Ereignisse abgefasste Reimchronik, ^)
enthält der von mir im Jahre 1859 für die Hof> und Staats-
bibliothek in Lindau erworbene cod. germ. 5060. Seinem
Inhalte nach schliesst er sich an die beiden von dem näm-
lichen Verfasser herrührenden Manuscripte über die Be-
lagerung Brettens 1504 zu Pommersfelden und Karlsruhe
an, und wie jene den geschichtlichen Erinnerungen aus der
1) Mone Quellen zur badischen Landesgeschichte II. Seite 2.
2) Neuburger Collectaneenblatt , Jahrgang 42, raitgetheilt von
J. Würdinger.
15*
208 Sitzung der histor. Classe mm 1. März 1879.
frühesten Jugend, ist dieser denen des Jünglings- und
Maunesalters geweiht. An vielen der beschriebenen Ereig-
nisse nahm der Verfasser als selbsthandelnd oder als Augen-
zeuge Antheil.
So reich in letzterer Zeit auch die Quellen für die Ge-
schichte des Bauernkrieges flössen, so ist mir doch keine
bekannt, die für die inneren Zustände einer pfälzischen
Stadt, die Art ihrer Besetzung, den Geist und die Be-
schaffenheit der Truppen characteristischer ist, als die Arbeit
Schwartzerdts , dem als im städtischen Dienste stehenden
Beamten und treuen Sohne seines Pfälzerlandes gewiss die
getreueste Darstellung der Ereignisse zugetraut werden
kann. Ich erlaube mir Ihnen aus den Aufzeichnungen
einige die Stadt Bretten behandelnde Begebenheiten mitzu-
theilen.
Nachdem Schwartzerdt in der Einleitung als Veran-
lassung des Unglückes , das der Bauernaufruhr über seine
Heimath gebracht, die gottlose Ueberschätzung der Menschen
bezeichnet, und männiglich vor ungehorsamen, aufrühreri-
schen Secten , Conspirationen und Bündnissen , aus denen
niemals etwas Gutes entstanden, und wenn auch Ein Stück
gebessert, doch dafür hundert andere verschlechtert würden,
gewarnt und seine Landsleute aufgefordert hat in Geduld
und Gehorsam sich der Gnade Gottes und der weltlichen
Obrigkeit zu unterwerfen, beginnt er die Beschreibung der
1514 in Würtemberg zum Ausbruche gekommenen Bauern-
aufstände, die unter dem Namen des armen Conrad bekannt
sind. Als Ursache derselben giebt er an: Weil Herzog
Ulrich von Würtemberg ein ümgeld auf Fleisch und Wein
legt', das Gewicht und Maass kleiner machen Hess, und
das alles nur dem gemeinen Mann, besonders dem auf den
Dörfern zur Last fiel, sei das Land vom Herzoge abgefallen,
und nur Stuttgart und Tübingen diesem treu geblieben.
Nach einer eingehenden Erzählung der zuletzt auch in
Würdinger : Aufzeichnungen Georg Schwartzerdfs etc. 209
Tübingen ausgebrochenen Bewegung nennt der Verfasser
als Grund seines Zurückgreifens auf diese Ereignisse ,,weil
er sie selbst gesehen, und der arme Conrad der Unter- und
Vorfahrer des leidigen Bürgerkriegs gewesen sei."
Zum eigentlichen Bauernkriege übergehend meint
Schwartzerdt , „der Hegauer Haufe habe die Absicht ge-
habt, sich nicht länger mehr von der Obrigkeit bedrücken
zu lassen , sondern von Frohn , Zins und Gilten ledig und
frei, wie der Schweitzer zu werden. Aus dem kleinen An-
fang sei aber bald grosse Empörung entstanden, und als
viele tausend Bauern auch anderwärts zu den Waffen ge-
griffen, habe der aus seinem Land vertriebene Herzog Ulrich
gemeint, mit deren Hilfe Würtemberg wieder zu gewinnen,
was ihm aber misslaug.'* Nun führten die Bauern den Krieg
auf eigene Faust und um Leipheim und Günzburg sammel-
ten sich grosse Haufen. Dem schwäbischen Bund, der sie
zur Ruhe bringen wollte, sei es Anfangs mit Werbung von
Landsknechten schwer ergangen , denn diese erklärten ,,sie
wollten nicht gegen ihre Vettern und Freunde ziehen, auch
gegen die Bauern nichts feindliches unternehmen, denn sie
wären selbst Bauern.'' Die Niederlagen bei Leipheim und
Baltringen schreckten die Aufrührer von ihrem Unternehmen
nicht ab, immer weiter griff die Flamme des Aufstandes
um sich, und als sie nun auch in der Markgrafschaft Baden
emporloderte, war Schwartzerdt's Heimat von ihr ringsum
umgeben* — Die Kunde, in Bretten seien unter pfälzischem
Geleite zwei und dreissig reich beladene Güterwagen ein-
getroffen, die zur Frankfurter Messe wollten, reizte die Hab-
sucht des Maulbronner Haufens, der die nördlich der Stadt
gelegenen Ortschaften bereits eingenommen, und im Kloster
Maulbronn ,,gar viel gut Bücher in der Librey zerrissen
hatte". Zu Bretten traf ein Schreiben des Bauernhauptmanns
ein ,, wessen Sinnes man in der Stadt wäre, der Haufen
wolle zu uns kommen , und wo wir ihn nicht einliessen,
210 Sitzung der histor. Classe vom 1. März 1879.
wolle er alles erwürgen, was über sieben Jahr alt sei." So
standen die Bürger zwischen zwei Gefahren, denn kurz
zuvor hatte ihnen auch Kurfürst Ludwig zugeschrieben, er
mache die Stadt mit Leib und Gut für die Sicherheit der
Wagenladungen verantwortlich.
Als nun auch von den Brurainischen, Kraichgauischen
und Stuttgarter Bauernhaufen Drohbriefe einliefen, begehrte
Bretten von dem Kurfürsten Hilfe und Mannschaft zur Ver-
theidigung ihrer Mauern, doch dieser konnte nicht helfen,
da seine Raisigen anderswo beschäftigt waren, auf die Miliz-
fahuen aber kein Verlass war ,,denn in der Pfalz und den
anstossenden Fürstenthümern war das Volk fast alles auf-
rürig, also, dass sie nicht zu gebrauchen waren." Wie denn
nicht leicht ein üebel allein kommt, so ging es auch hier,
zu dem Mangel an geübtem Kriegsvolke kam auch der an
einem Führer, dem das Vertrauen der zur Verfügung stehen-
den einheimischen Streitkräfte entgegen gekommen wäre,
denn die Stelle des Vogtes war unbesetzt und ein raisiger
Knecht aus Speyer, Adam Scheuble, der kurz vorher hieher-
gekommen, mit den Verhältnissen und Bürgern nicht be-
kannt war, vereinte in seiner Person die Aemter des Vogtes,
Amtmannes, Schultheissen und Kellers, ausser ihm war der
einzige Stein von Kallenfels , der Hauptmann der 10 be-
rittenen Geleitsleute, Kriegsmann von Beruf. Vor allem
galt es nun möglichst viele Mannschaft aufzubringen, um
die wehrpflichtigen Bürger zu unterstützen. Der Rath berief
alle in der Stadt anwesenden waffenfähigen Personen ,, geist-
lich und welthch, fremd wie heimisch" auf den Marktplatz,
und der Amtmann bot die Wehrpflichtigen der zunächst der
Stadt liegenden Gemeinde Kinklingen mit Harnisch und
Wehr zum Zuzüge auf. Erst nachdem letztere erklärt
hatten, sie wollten nicht mit den aufrührerischen Bauern
ziehen, sondern in ihres Herrn getreuer Pflicht und Hul-
digung bleiben, wurden sie von der Bürgerschaft, die sie
Würdinger: Aufzeichnungen Georg SchioartzercWs etc. 211
mit aufgerecktem Fähülein am Thore erwartet hatte, in die
Stadt geleitet, wo sie mit den übrigen Aufgebotenen in
einer Gemeinde den Eid des Gehorsams leisteten. Nun ging
es an die Vertheilung der Wehrkräfte, die wichtigsten
Posten an der Letzi, den Mauern und Thoren wies man
den Bürgern und Priestern zu, auf die Thürme stellte man
die besten Schützen, die Vertheidigung der in eine Wagen-
burg zusammengestellten Güterwagen, sowie der vor deren
Aufstellung liegenden Mauerstrecke übergab man den
fremden Fuhrleuten und der Geleitsmannschaft, wer nicht
einen besonderen Posten erhielt, und zu dieser Gattung ge-
hörten die Dienstknechte , grossen Schüler etc. , hatte auf
das mit der Glocke gegebene Allarmzeichen auf dem Markt-
platze zu erscheinen, um von dort durch die Viertelshaupt-
leute auf die ihnen zugewiesenen Objecte geführt zu
werden. Die Weiber erhielten Befehl heisses Wasses bereit
zu halten, und dasselbe im Falle eines Angriffes auf die
Mauern zu tragen. Zur Nachtszeit schob man auf die zur
Stadt führenden Wege Wachtposten vor, und band die
Schäferhunde im Freien an die Pflöcke, um auch deren
Wachsamkeit auszunützen. Von der Bauerschaft kamen
täglich Briefe mit den härtesten Drohungen, die im Volke
bekannt wurden, und Kleinmuth und Misstrauen unter der
nicht im Rathe vertretenen Gemeinde erregten. Um üblen
Folgen vorzubeugen berief man zwölf Männer aus dieser in
das Gericht. Die nun folgenden, durch die Sachlage noth-
wendig gewordenen Rathsdecrete : die Thore müssen auch
bei Tage geschlossen bleiben, das Vieh darf nicht mehr auf
die Weide getrieben werden , und jeder Verkehr mit den
auswärts wohnenden Nachbarn hat zu unterbleiben", riefen
eine grosse Missstimmung unter dem bäuerischen Theile
der Besatzung hervor, und bereits konnte man die Frage
hören, was sie davon hätten, dass sie hier die Reichen be-
schützen müssten, während ihre eigenen Kinder und Weiber
212 Sitzung der histor. Classe vom 1. März 1879.
zu Hause darben, oder die Beschwerde : Es wäre doch billig,
dass auch jetzt, wie es in der pfalzgräfischen Fehde (1504) ge-
schehen, freie Küche gewährt würde. — Rath und Amtmann
gingen auf letzteres Ansinnen ein, und aus den öffentlichen,
theilweise auch den Vorräthen der Bürger wurde Getreide
und Mehl zum Brodbacken an die Bedürftigen abgegeben.
Schon acht Tage später traten die Unzufriedenen mit neuen
Forderungen auf ,,und es war nit gar ohn gewesen , man
hätt auch Leut in der Stadt gefunden, doch wenig, die
gern zu den Bauern geholfen hätten.'' In der Rathssitzung
am 25. April liefen Klagen über schlechte Verpflegung ein,
die Reichen hätten Kisten und Kasten voll, während die
Armen hungern müssten. Als nun der reichste Bürger der
Stadt, der Kronenwirth Melchior Hechel, ein Priester Johann
Krust und einige andere Rathsglieder vier Ohm Wein zur
Vertheilung zur Verfügung stellten, entstand unter den
zum Bezüge berechtigten ein Streit über die Art, wie das
Geschenk verwendet werden solle, die Einen meinten, man
solle die Gabe allmälig an die Familien abgeben, die Andern, f
und das war die Mehrzahl , der W ein solle auf einmal au
dem Rathhau^ ausgeschenkt werden, ,,man wolle einmal lustig
sein, Gott würde für weiteres schon sorgen." Diese Mein-
ung drang durch, und noch am nämlichen Tage fand das
Trinkgelage statt. Während der grösste Theil der Ver-
theidiger der Stadt dem Feste beiwohnte, erhielt der Amt-
mann Nachricht, dass der Hauptmann Johann Eisenhut mit
dem Gochzeimer Haufen zur Nachtzeit Brettheim überfallen
wolle, die Wagen mit den Leitern und anderem Sturmzeug
seien hiezu bereits gerüstet. Scheuble rief den Rath zu-
sammen und eröffnete ihm, er wolle die Gemeinde mit der
Rathsglocke versammeln und sie von der ihr drohenden
Gefahr in Kenntniss setzen. Die Gerichtsherrn dagegen
meinten, er möge das unterlassen, es sei bereits Abend und
die Mehrzahl der Gemeinde bezecht, sie wollten selbst die
Würdinger : Aufzeichnungen Georg Schwartzerdfs etc. 213
Nachtwache auf den wichtigsten Punkten beziehen , viel-
leicht werde es doch nicht zum Aergsten kommen. Der
Amtmann blieb bei seinem Entschlüsse, denn er habe der
Gemeinde versprochen, sie von allem Wichtigen in Kennt-
niss zu setzen, ausserdem wolle er wissen, was sie zu thun
gedenke, und sich nicht dem Schicksal der in Weinsberg
gemordeten Ritter aussetzen. Es wurde also geläutet und
die Gemeinde versammelte sich lärmend auf dem Markt-
platze. Die Frage des Armbrosters Wendel „wie es denn
in der Stadt mit Pulver und Blei aussehe,'^ wurde die
Veranlassung zu einem durcheinander Schreien der Be-
trunkenen, „so dass keiner wissen möcht, was der ander
redt oder meint." Als von mehreren Seiten der Vorschlag
gemacht wurde , man möge auf die Bauern , wenn sie an-
rücken, nicht schiessen, sondern mit ihnen Unterhandlungen
pflegen, erklärte der Amtmann , er wolle noch bevor das
geschehe die Stadt verlassen. Der Haufe rief: ,,Sie müssten
in der Stadt bleiben, also auch der Beamte, man solle die
Thorschlüssel verwahren , dass er nicht entfliehen könne."
Bedrängt von der erregten Menge musste der Amtmann
sich in ein Haus flüchten. Schon wollten die Verfolger
auch dahin nachdringen, da gelang es dem auf der Treppe
stehenden ßathsherrn Melchior Hechel sie durch eine An-
sprache, in der er sie auf die Polgen des Abfalls, auf die
alte Treue der Brettner gegen den Pfalzgrafen , auf Lohn
im Falle der bewahrten Pflicht, auf Strafe in dem des
Verrathes aufmerksam machte , zugleich auch das Ver-
sprechen mit seinem ganzen Vermögen sie zu unterstützen
gab, von Gewaltthaten abzuhalten. Von diesen Worten ernüch-
tert, verliessen viele den Platz und eilten auf die ihnen an-
gewiesenen Posten, andere hingegen, wenn auch nur wenige,
drangen in das Steinhaus, und machten dem Amtmann und
dem Hauptmann Stein von Kallenfels die bittersten Vor-
würfe, dass man sie jetzt in der Noth verlassen wolle, doch
214 Sitzung der histor. Glasse vom 1. März 1879.
würde man ihre Abreise zu verhindern wissen. Sie zu
beruhigen liess der Amtmann die ThorschlQssel für diese
Nacht dem Bürgermeister Nicolaus Stüber übergeben. Eine
Zeitlang dauerte die Unruhe in den Strassen noch fort, als
aber die Rädelsführer sahen , dass einer ihrer Anhänger
nach dem andern sich abschlich und sie bei ihrem Vorhaben
auf keine Unterstützung rechnen konnten, suchten auch sie
ihre Wohnungen auf. Ihr Erwachen war ein trauriges,
man eilte zum Amtmann und zum Hauptmann und bat sie
um Verzeihung , ,,aber in summa es war geschehen , und
nach einem Jahr, als der Krieg aus war, wurden etliche
hart gestraft." Der Angriff der Bauern auf die Stadt war
zum Glück nicht ausgeführt worden. Die Besorgniss der
Bürger vor den Folgen ihrer Widersetzlichkeit wurde noch
dadurch gemehrt, dass wenige Tage nach dem Tumult der
Geleitshauptmann mit seinen Reitern die Stadt verliess, und
an ihrer Stelle ein Fähnlein Knechte unter dem Haupt-
mann Peter von Schifferstadt und dem Geleite des Ritters
Wolf Ulrich von Flehingen auf Befehl des Kurfürsten in
Bretten einrückte. Schon am nächsten Tage erschien ein
Ausschuss der Knechte vor dem Rath und begehrte „da sie
zur Besatzung bestellt seien, und Leib und Leben gleich
den Bürgern wagen müssten, so wollten sie auch bei den
ßerathungen vertreten sein, auch dürfe ohne ihren Beirath
kein Briefwechsel oder sonstige Unterhandlung mit dem
Feinde gepflogen werdön." Rath und Amtmann entschlossen
sich nur schwer zu diesem Zugeständnisse , doch erlaubte
man endlich zwölf Vertretern des Fähnleins den Sitzungen
beizuwohnen , und die Tag- und Nachtwachen wurden von
Bürgern und Knechten bezogen. Das zwischen den Bürgern
und Knechten bestehende Einvernehmen hätte aber bald
Schaden gelitten, als die Knechte erfuhren , dass in ihrer
Heimath um Deidesheim und Neustadt herum die Bauern
aufgestanden seien und in Klöstern and Kirchen reiche
Würdinger: Aufzeichnungen Georg ScMvartzerdfs etc. 215
Beute gemaclit hätten „da kam ein -Unwillen unter die
Knechte, wären lieber bei dem Haufen, als in der Stadt
gewesen, dcrch gelang es sie zum Dableiben zu vermögen.'^
Kurze Zeit nach diesem Vorgange drohte der Stadt eine
neue Gefahr und zwar diessmal durch den Verrath eines
ihrer eigenen Bediensteten, des Einspännigen Wendel Arnold,
der mit dem Hauptmann des Maulbronner Haufens Jäkle
von Beckingen den Plan verabredete, Brettheim den Bauern
in die Hände zu liefern, wogegen dem Verräther einer der
Wagen mit den Kaufmannsgütern, sowie eine Behausung
in der Stadt als Lohn versprochen wurden. Durch ein
paar während dieser Abrede in Maulbronu gartende Lands-
knechte wurde der Plan , von dem wohl auch in Bretten
einige Mitwisser vorhanden waren, dem Rathe entdeckt, der
den Wendel mit einer Meldung über diesen Vorgang nach
Heidelberg schickte, wo ihn der Kurfürst in das Gefängniss
werfen und nach einem Jahre enthaupten liess.
Der Kurfürst, welcher fürchtete, er könne auch die
letzte ausser Heidelberg ihm noch treu gebliebene Stadt
verlieren, beauftragte den Ritter Wolf Ulrich von Flehingen
mit 24 Raisigen ein weiteres Fähnlein niederländischer
Knechte nach Bretten zu führen. Als die Bauern diess
durch ihre Kundschaften erfuhren, legten sie sich mit 3000
Mann bei Unter eichtersheim " in den Hinterhalt und ver-
sperrten den Truppen den Weg, sie wurden aber von den
pfälzischen Reitern entdeckt, und der Hauptmann liess sie
durch einen Reiter benachrichtigen , ,,Er habe nicht die
Absicht, gegen sie etwas zu unternehmen, sondern einen
anderen Auftrag seines Herrn auszuführen." Flehingen
selbst machte seinem Fähnlein den Vorschlag, wenn man
sie nicht weiter ziehen lasse , die Bauern anzugreifen und
den Vormarsch zu erzwingen, die Landsknechte weigerten
sich aber diess zu thun, „denn sie hätten keinen Auftrag
sich mit Jemand auf dem Weg zu schlagen, sondern nur
216 Sitzung der histor. Classe vom 1. März 1879,
den, in Brettheim die Besatzung zu bilden. Unter solchen
Umständen musste der Ritter froh sein von den Bauern,
die nur mit ihm selbst unterhandeln wollten und ihn hiezn
vom Pferde zu steigen zwangen , das Zugeständniss zu er-
halten, dass sie seinem Rückmarsche nach Heidelberg kein
Hinderniss in den Weg legen würden.
Der Abmarsch des Maulbronner Bauernhaufens gegen
Stuttgart, und dessen Niederlage bei Sindelfingen durch den
Truchsess von Waldburg machten eine Verstärkung der
Besatzung von Brettheim überflüssig, und als sich nun der
Kriegsschauplatz weiter von dem Städtchen entfernte, wurde
auch das bisher in der Stadt liegende Fähnlein zum Heere
des Kurfürsten berufen. Die Knechte, welche einen Ueber-
fall der Bauern auf ihrem Marsche nach Heidelberg be-
fürchteten, begehrten, dass eine Anzahl Bürger sie auf dem
Marsche begleiten und sie gegen die Bauern schützen solle,
doch gelang es dem Hauptmann Stumpf von Germersheira
sie von dieser Forderung abzubringen.
Von weitereu seine Vaterstadt unmittelbar berührenden
Kriegsereignissen macht Schwartzerdt, der nun den Verlauf
des Kampfes in Franken und am Rhein, mit besonderer
Rücksicht auf den Antheil, den der pfälzische Kurfürst au
ihm nahm, beschreibt, keine Erwähnung, und erzählt zuletzt
nur noch das Strafgericht, das nach der Eroberung von
Weissenburg über die Theilnehmer an dem obenbeschriebeneu
Aufstande in Bretten erging. „Nicht wegen eines Versuches
die Bauern einzulassen, sondern wegen der frechen Reden
gegen den Amtmann und den Geleitshauptmann seien viele
verhaftet worden, doch habe man die meisten als unschuldig
entlassen, von den Schuldigen vier in die Backen gebrannt,
etlichen die Finger etwas gekürzt, ausserdem mussten grosse
Strafgelder erlegt werden. So habe endlich auch diese
schreckliche Zeit, in der in wenigen Monaten über 100,000
Menschen das Leben verloren, ein Bruder dem andern und
Würdinger: Aufzeichnungen Georg Schwartzerdt^s etc. 217
den nächsten Freunden das Vertrauen entzogen , geendet,
und es sei wohl zu ersehen, wohin es komme, wenn das
Geschöpf weder dem Schöpfer, noch der von ihm einge-
setzten Obrigkeit gehorchen wolle. Wegen diesem Aufruhr
hätten die Teutschen zum Schaden auch noch den Spott
empfangen, anstatt keine Steuern mehr zu zahlen, müsse
man jetzt das Doppelte leisten."
Der prosaischen Beschreibung der Begebenheiten fügt
der Verfasser zum Schlüsse eine poetische Epistel an den
Leser an, in der er die beiden Kriegsereignisse, in denen
Brettheim durch seine Treue die Huld des Kurfürsten er-
rungen, kurz zusammenfasst, den Aufruhr und seine Folgen
beklagt, dagegen den Gehorsam gegen den höchsten wie
niedersten Beamten empfielt, und mit den Worten schliesst
Das wollent allzeit wohl bedenken
Jörg Schwartzerdt thut diess seim Vaterland schenken.
Yerzeichniss der eingelaufenen Büchergeschenke.
Von der Gesellschaft für bildende Kunst und vaterländische
Älterthümer in Emden:
Die heidnischen Älterthümer Ostfrieslands, von Dr. med. Tergast.
1879. 8^.
Von der deutschen morgenländischen Gesellschaft in Leipzig;
a) Indische Studien hsg. von Albr. Weber. Bd. 15. 1878. 8^.
b) Zeitschrift. Bd. 33. 1879. 8^
c) Abhandlungen für Kunde des Morgenlandes. Bd. VII.
1879. 8^
Von der fürstlich JäblonowsMschen Gesellschaß in Leipzig :
Preisschriften XXI. Pöhlmann , die Wirthschaftspolitik der
Florentiner Renaissance. 1878. 4*^.
Vom Verein für Hamhurgische Geschichte in Hamburg:
Mittheilungen. Jahrg. II. 1878 — 79. 8^
Vom Harzverein für Geschichte und AlterthumsJcunde in
Wernigerode :
a) Geschichtsquellen der Provinz Sachsen. Bd. VII. ür-
kundenbuch der Stadt Halberstadt. Th. I. Halle 1878. 8®.
b) Zeitschrift. Jahrg. XI. 1878. 1878. 8^
Vom Historischen Verein in Ingolstadt:
Sammel-Blatt. Heft IV. 1879. 8^
Einsendungen von Druckschriften. , 219
Vom Historischen Verein für OherfranJcen in Bayreuth:
a) Archiv für Geschichte und Alterthumskunde Oberfrankens.
Bd. 14. 1878. 8^
b) Theodorich Morung, der Vorbote der Reformation in Franken,
von Lorenz Kraussold. Th. II. 1878. 8".
Vom Historisehen Verein für das Grossher zog thum Hessen in
Darmstadt :
Die vormaligen geistlichen Stifte im Grossherzogthum Hessen
von G. J. Wilh. Wagner. Bd. II mit 15 Taff. Abbild.
1878. 8^
Von der k. Akademie der Wissenschaften in Berlin:
a) Politische Correspondenz Friedrichs des Grossen. Bd. I.
1879. 8^
b) Monatsbericht. 1879. 8^
Von der Historisch-statistischen Section der mährisch- schlesischen
Ackerbau- Gesellschaft in Brunn :
Schriften. Bd. 23. (Beiträge zur Geschichte der böhmischen
Länder von Chr. d'Ellvert. Bd. 4.) 1878. 8^
Vom kgl. Instituut voor de taal- , land- en volkenkunde van
Nederlandsch Indie im Haag:
a) Bijdragen tot de taal- , land- en Völkerkunde van Neder-
landsch Indie. 4*^'' volgreeks. Deel II, Stuck 2. s'Graven-
hage 1878. 8^
b) Abiäsä, een Javaansch Tooneelstuk (Wajang) , door H. C.
Humme. s'Gravenhage 1878. 8^.
c) Javaansche Vertellingen, voor de uitgave bewerkt door W.
Palmer van den Broek. s'Gravenhage 1878. 8^.
Von der B. Accademia dei Lincei in Bom:
Atti. Anno 276. Ser. III. Transunti. Vol. III. Decembre 1878.
1879. 4^
Von der Genootschap van Künsten en Wetenschappen in
Batavia :
a) Het Bataviaasch Genootschap van Künsten en Wetenschappen
gedurende de eerste Eeuw van zijn bestaan 1778 — 1878.
Gedeukboek. 1878. fol.
220 Einsendungen von Druckschriften.
b) Tydschrift voor Indische Taal-, land- en Volkenkunde.
Deel XXV. 1878. 8^
c) Notulen. Deel XVI. 1878. 1878. 8^
Von der Äsiatic Society of Bengal in CalcuUa:
a) Journal. Vol. 46 n. 215
„ 47 „ 216-221. 1877-78. 8^.
b) Proceedings. 1878. Jan.— Aug. 1877 — 78. 8^
c) Bibliotheca [ndica. Nr. 314. 358. 359. 387. 391.
396 — 408. 1875— -75. 4^ und 8^
d) List of Periodicals and Publications received in the Li-
brary of the Asiatic Society of Bengal. 1878. 8^.
Von der Moyal Society of New South Wales in Sydney:
Report of the Council of Education of New South Wales
for 1877. 1878. 8^
Von der Societe des Sciences in Lille:
Mömoires. 4" Sörie. Tom. 5. Paris 1878. 8®.
Von der Äcademie Boyale des sciences in Brüssel:
a) Annuaire. 1879. 45* ann^e. 1879. 8".
b) Bulletin, tom. 47. 1879. 8.
Von der B. Äccademia delle seiende in Turin:
Atti. Vol. XIV. 1878. 8«.
Vom Ministero della publica istruzione in Born:
Cataloghi dei codici orientali di alcune biblioteche d'Italia.
Fase. I. Firenze 1878. 8".
Vom Verein für meJclenhurgische Geschichte in Schwerin:
Jahrbücher und Jahresbericht. Jahrg. 43. 1878. 8^.
Von der k. k. Akademie der Wissenschaften in Krakau:
Literarische Mittheilungen und bibliographische Berichte. Jan.
bis März 1879- 4".
Einsendungen von Druckschriften. 221
Von der k. Akademie der Wissenschaften in Copenhagen:
Oversigt over det kgl. Danske Videnskabernes Selskabs For-
handlinger. 1879. Nr. 1. 1878 — 79. 8^
Von Ästor Lihrary in New- York.
Annual Report for the Year 1878. 1879. 8^
Von der Societe des arts et des sciences in Batavia:
Versiag der viering van het honderdjarig bestaan. 1878. 4^.
Von der R. Asiatic Society in London:
The Journal. N. Ser. Vol. XI. 1879. 8^.
Von der Societe d'histoire de la Suisse romande in Lausanne:
a) Memoires et Documents. Tom. 34 Livr. 2. 1879. 8*^.
b) La rose de la cathedrale de Lausanne par I. R. Rahn,
trad. de Tallemand par Will. Gart. 1879. 4".
Von der Bedaction des Äthenaion in Athen :
Lä^rjvaiov. Tom. V i:evxog o\ 1879. 8^
Vom Württemhergischen Alterthumsverein in Stuttgart:
Die Cisterzienser- Abtei Maulbronn bearb. v. E. Paulus. Bd. II.
Heft 3. 1879. M.
Vom Verein für die Geschichte Leipzigs in Leipzig:
Schriften. 2. Sammlung. 1878. 8^.
Von der k. Gesellschaft der Wissenschaften in Göttingen:
Abhandlungen. Bd. 23 vom J. 1878. 4^.
Vom Verein für mecklenburgische Geschichte und Alterthumskunde
in Schwerin :
Mecklenburgisches ürkundenbuch. Bd. XL Orts- und Personen-
Register zu Bd. V-X. 1878. 4^.
Von der Gesellschaft für Salzhurger Landeskunde in Salzburg:
Mittheilungen. 18. Vereinsjahr 1878. 1878. 8°.
[1879. L Philos. phil. bist. Ol. 2.1 16
222 JEinsendungen von Druckschriften.
Vom historischen Verein in Augsburg :
Zeitschrift. Jahrg. 5. 1878. 8^
Vom Verein für Geschichte und Älterthumskunde Westfalens in
Münster:
Zeitschrift für vaterländische Geschichte und Älterthumskunde.
Bd. 35 und 36. 1877 — 78. 8^
Vom historischen Verein in Begenshurg : ^
Verhandlungen. Bd. 33.' Stadtamhof 1878. 8^
Von der historischen und antiquarischen Gesellschaft in Basel:
Finanzverhältnisse der Stadt Basel im XIV. und XV. Jahr-
hundert von Gust. Schönberg. Tübingen 1879. 8^.
Vom Je. statistisch-topographischen Bureau in Stuttgart:
a) Beschreibung des Oberamts Tuttlingen. 1879. 8^.
b) Württembergische Jahrbücher für Statistik und Landes-
kunde. Jahrgang 1878. 1879. 8".
c) Vierteljahrsheft für Württembergische Geschichte und
Älterthumskunde. 1878- 1878. 4^
Von der Oberlausitzischen Gesellschaft der Wissenschaften in
Görlitz :
Neues Lausitzisches Magazin. Bd. 55. 1878. 8^.
Vom Geschichtsverein in Hanau: •
Die Grabmäler und Särge der in Hanau bestatteten gräfl. und
fürstl. Personen aus den Häusern Hanau und Hessen, von
Reinh. Suchier. 1879. 4".
Vom Germanischen Museum in Nürnberg:
Anzeiger für Kunde der deutschen Vorzeit. Jahrg. 1878.
Nr. 1 — 12. 4'^
Vom historischen Filial- Verein in Neuburg a. B.
Collectaneen-Blatt. 42. Jahrg. 1878. 1878- 8".
Einsendungen von Druclvschriften. 223
Von der Je. Akademie der Wissenschaften in Amsterdam:
a) Jaarbock 1877. 8^
b) Francesci Pavesi idyllia aliaque poemata. 1878. 8".
Von der Historisch Genootschap in Utrecht:
a) Bydragen en Mededeelingen. Deel II. 1879. 8*^
b) Wet van het Historisch Genootschap. 1878. 8*^.
Von der Universite catholi^ue in Louvain (Loewen):
a) Annuaire 1878. 8^
b) Ecrits apolog^tiques et latinite de Tertullien par H. Thiri-
fays. 1878. 8^
Von der Societe des etudes historiques in Paris:
L'Investigateur. 45' annöe. Jan. — Fevrier 1879. 1879. 8^
Von der südslavischen Akademie der Wissenschaften in Agram :
a) Rad. Bd. 45. 1878. 8^
b) Starine. Bd. 10. 1878. 8^.
Vom Herrn Franz Ludwig Baumann in Donaueschingen:
Quellen zur Geschichte des Bauernkrieges. Stuttgart 1878. 8^.
Vom Herrn Georg Friedrich Unger in Würzbiirg :
a) Die römischen Quellen des Livius in der IV. und V. De-
cade (Philologus. 3. Suppl. Bd. 2. Abth.) Göttingen
1878. 8«.
b) Polybios und Diodoros über den Söldnerkrieg. (Aus dem
Ehein. Museum, N. Folge Bd. 34).
c) Die Jahresabstände bei Polybios 11, 18 — 23. (Aus „Hermes*')
Bd. 14. 8^.
Vom Herrn Matthias Lexer in Würzburg:
Mittelhochdeutsches Handwörterbuch. Lief. 18. (Schluss). Leipzig,
1878. 8".
16*
224 Einsendungen von Druckschriften.
Vom Herrn Johann Wendrinsky in Graz:
a) Die Grafen Raabs. Wien 1879. 8^.
b) Die Herren von Schwarzenburg-Nöstach. Wien 1878- 8^.
Vom Herrn Leopold Belisle in Paris:
Notice sur un manuscrit de Lyon renfermant une ancienne
Version latine inödite des trois livres du Pentateuque.
1879. fol.
Vom Herrn Gr. Nicolaides in Athen:
L'Iliade et sa Topographie. 1879. 8^
Vom Herrn Carl Frantl in München:
Aristotelis Physica. Recensuit Carolus Prantl. Lipsiae 1879. 8^.
Vom Herrn G. M. Thomas in München:
a) Pacta inter Venetos et Robertum Constantinopolitanum
imperatorem , selegit G. M. Thomas. Venedig 1878. 8^.
b) Atti relativi ad una patente di Papa demente VI. Venedig
1879. 8^
Vom Herrn Konrad Maurer in München:
üdsigt over de Nordgermaniske Retskilders Historie. II. Halv-
del. Kristiania 1878. 8^
Vom Herrn Alfred Beumont in Burtscheid hei Aachen:
Un' ambasciata Veneziana in Ungheria 1500—1503; Firenze
1879. 8^
Vom Herrn Leopold von BecJch-Widmansteter in Graz: ■
Wandgemälde an der Domkirche zu Graz. 1879. 8^.
Vom Herrn Heinrich Keil in Halle:
Quaestionum grammaticarum p. VI. (Index lectionum 1879)
1879. 4".
Einsendungen von Druckschriften. 225
Vom Herrn Ä. Billmann in Berlin:
Ueber die Anfänge des Axumitischen Reiches. 1879. 4^.
Vom Herrn I. de Witt in Paris:
a) Catalogue de la Collection d'antiquites de feu M. Charles
Paravey. 1879. 8^
b) Notice sur Jos. Roulez. Bruxelles 1879. 8*^.
Vom Herrn Giovanni Gozzadini in Bologna:
Di un antico sepolcro a Ceretolo nel Bolognese. Modena 1879. 8
Vom Herrn Jules Oppert in Paris:
Le peuple et la langue des M^des. 1879. 8^
Sitzungsberichte
der
königl. bayer. Akademie der Wissenschaften.
Historische Classe.
Sitzung vom 1. März 1879.
Herr Heigel trug vor:
,,Kurprinz Joseph Ferdinand von Bayern
und die spanische Erbfolge."
Manchem Besucher der Schleissheimer Gallerie wird
ein Pastellbild des bayrischen Hofmalers Vivien aufgefallen
sein, das in Lebensgrösse einen etwa sechsjährigen Knaben
darstellt, der die reiche Gallatracht des Siecle Louis XIV.
mit Allonge und Stockdegen trägt und mit der Rechten
auf eine im Hintergrund sichtbare Armada buntbewimpelter
Galleonen hinweist. Ihm zur Seite steht ein grosser Globus,
auf welchem sich die Umrisse von Westeuropa und Amerika
erkennen lassen. In den anmutigen Zügen des Knaben ist
ein ernstes Sinnen ausgesprochen.
Joseph Ferdinand, Prinz von Asturien, Kurprinz von
Bayern, geboren zu Wien am 28. Oktober 1692, gestorben
zu Brüssel am 6. Februar 1699.
Seine Geschichte möchte ich Ihnen näher rücken, —
die Geschichte eines Kindes, und doch voll Ernst und
Schicksal !
Er schien dazu bestimmt, der Erbe jenes Reiches zu
werden , in dem die Sonne nicht unterging , eine epoche-
machende Rolle in der Weltgeschichte zu spielen, — doch
diese Anläufe und Erwartungen zerflossen fast überall
[1879. 1. Philos.-philol.-hist. Cl. 3.] 17
228 Sitzung der histor. Classe vom 1. März 1879.
Nacht wie ein Traum, und ein kleiner Sarg in der Gudula-
kirche zu Brüssel umschloss die sterblichen Reste des Trägers
so stolzer Hoffnungen. —
Wenn schon früher der Rangstreit um die erste Stel-
lung im europäischen Staatenverein die beiden mächtigsten
Rivalen, Frankreich und Oesterreich, nicht zu aufrichtigem
Frieden gelangen liess, so wurde ihr Wechsel verhältniss
noch gespannter und feindseliger , seit die Kinderlosigkeit
des letzten spanischen Königs aus Habsburgischem Stamm
Aussicht auf dieses reiche Erbe eröffnete. Behauptete ja
doch jeder der beiden Nebenbahler die nächste Anwartschaft
auf diesen Länderzuwachs zu haben.
In Frankreich leitete Ludwig XIV. mit sicherer Hand
den von Richelieu aufgebauten Einheitsstaat. In gleichem
Masse, wie das französische Nationalgefühl durch die Erfolge
grosser Kriegshelden und Staatsmänner sich gehoben hatte,
wuchs auch das Verlangen des ruhmliebenden Monarchen,
die Grenzen seines Reiches zu erweitern, denn nur durch
gesteigerten Besitz konnte der europäische Supremat er-
rungen und behauptet werden. Desshalb richtete er von
Anbeginn sein Augenmerk auf den Gewinn Spaniens. Als
Sohn einer spanischen Prinzessin und Gemahl der ältesten
Tochter Philipps IV., der ältesten Schwester des Erblassers,
konnte er wohl solche Hoffnung fassen. Zwar hatten Mutter
und Gemahlin beim üebertritt auf französischen Boden auf
die Erbfolge in der Heimat Verzicht geleistet, doch die
französischen Kronjuristen behaupteten einstimmig, dieser
Verzicht könne die Rechte der Nachkommen, zunächst des
Dauphin, an welchen der König seine eigenen Ansprüche
abtrat, nicht beeiuträchtigen oder aufheben. Dagegen war
Kaiser Leopold nicht bloss das Oberhaupt des deutschen
Stammes der Habsburger, der sich nach dem Erlöschen der
spanischen Linie als natürlichen Erben betrachten konnte,
sondern überdies auch Gemahl der jüngeren Tochter Phi-
Heigel: Kurprinz Josef Ferdinand von Bayern. 229
lipps IV., Margarita, die vom Vater ausdrücklich und mit Zu-
stimmung der Cortes für erbfähig erklärt worden war. Wenn
auch gegen Erbansprüche des nächsten männlichen Sprossen des
habsburgischen Hauses einzuwenden war, dass nach spani-
schem Recht ein Vorzug männlicher vor weiblichen Linien
überhaupt nicht begründet sei ^) , so wäre doch das Erb-
folgerecht des Kaisers in Folge der Vermählung mit Mar-
garita unangreifbar gewesen. Aus Rücksicht auf die Eifer-
sucht der Seemächte entsagte er aber seinen eigenen An-
sprüchen zu Gunsten seines Sohnes Karl und gegen diesen
war nun allerdings der Einwand zu erheben , dass er
nicht aus jener Ehe mit der spanischen Prinzessin, sondern aus
der Ehe des Kaisers mit Eleonore von Pfalz-Neuburg stammte.
Der feindliche Zusammenstoss der beiden um Besitz
und Macht in Gegenwart und Zukunft hadernden Mächte
war nur noch eine Frage der Zeit. Die Fürsten des deut-
schen Reichs gruppirten sich um die beiden Häuser, je nach-
dem sie Aussicht auf Dank und Gewinn dahin oder dorthin
lockte. In Bayern war ein ehrgeiziger, thatendurstiger
junger Fürst zur Regierung gelangt, der, in die Fussstapfen
seines Grossvaters tretend, vor Allem die Wehrkraft seines
Landes zu erhöhen trachtete, um den politischen Werth seines
Staates zu steigern. Dadurch erreichte er auch, dass sowohl
Oesterreich als Frankreich aufs Eifrigste sich bemühten, ihn
durch Vortheile und Verheissungen für sich zu gewinnen. Nach
einigem Schwanken wurde er der Bundesgenosse des Kaisers,
der ihm die Hand seiner einzigen Tochter aus erster Ehe,
Maria Antonia, zusagte. Nach glücklicher Abwehr des ge-
fährlichen Angriffes der Türken auf die österreichischen
Lande, wobei der Bräutigam nach Johann Sobiesky's Wort
die schönste Palme sich erfocht, wurde im Frühjahr 1685
1) Mignet, Negociations relatives ä la succession d'Espagne, I;
Documents inedits sur Thistoire de France, Serie l, 1.
17*
230 Sitzung der histor. Classe vom 1. März 1879.
zu Wien die Vermählung gefeiert. Um aber nicht durch
diese Verbindung die Rechte der Kaiserin Margarita und
ihrer Tochter an das bayerische Haus übergehen zu lassen,
wurde in den Ehekontrakt vom 12. April 1685 ^) ein feier-
licher Verzicht der Braut nicht bloss auf die österreichischen,
sondern für den Fall kinderlosen Absterbens Karl's IL auch
auf die spanischen Erblande aufgenommen. Allen Erbfolge-
rechten , ,,es seye ex testamento ab intestato oder ex con-
suetudine regnorura et ditionum'', entsagt sie zu Gunsten
des Kaisers und seiner Nachkommen, so lange eheliche männ-
liche Leibeserben vorhanden ; ausgenommen sollen sein die
spanischen Niederlande, die ihr, ihrem Gemahl und ihren
Nachkommen zufallen sollen. „Da schon jetzt zu Tage
liegt, vs^elche Praetensiones der König von Frankreich un-
geachtet der Renuntiation seiner verstorbenen Frau Ge-
mahlin erheben v^erde," verpflichtet sich der Kaiser in einem
geheimen Artikel ^) , dafür zu sorgen , dass dem Kur-
fürsten im Fall eines Bruches mit der Krone Frankreich
aus spanischen Mitteln jährlich 400,000 Gulden und 20,000
Mann zur Verfügung gestellt v^^ürden. Auch soll sich der
Kaiser, damit der Kurfürst in ruhigen Besitz der Nieder-
lande um so leichter gelange , alle Mühe geben , dass ihm
diese schon zu Lebzeiten des Königs von Spanien ,,und
zv7ar nit administratorio seu alieno, sondern proprio nomine
et jure proprietario" eingeräumt v^ürden. Endlich soll das
ganze Heiratsgut der Kaiserin Margarita im Betrag von
500,000 Scudos, sov^^ie das künftighin nach Ableben der
verv^ittweten Königin von Spanien anfallende Erbe der
Braut zu eigen gehören.
2) Bayrisches Reichsarchiv. Fürstensachen, II. Spec. Lit. C,
Nr. 704, Max Emanuels Vermählung mit Maria Antonia, Kaiser Leo-
polds I. Tochter, betr. 1685.
3} Ebenda. Haus- und Familiensachen, Fasz. 121. Articuli Se-
creti, wie solche neben der Heuratsnotl verglichen worden, 1685.
Heigel: Kurprinz Josef Ferdinand von Bayern. 231
Wenn sich nun auch Max Emanuel dieser mit allen
erdenklichen Clausein ausgestatteten Renuntiation anschloss,
so eröffneten sich doch für ihn durch die Heirat mit der recht-
mässigen Erbin Spaniens glänzende Aussichten, die keines-
wegs auf die Niederlande beschränkt waren. Die Rechts-
frage konnte ja bei einer Erbfolge, deren Gewinn oder Ver-
lust auf die internationalen Machtverhältnisse von ganz
Europa gewaltigsten Einfluss haben musste , immer nur in
zweiter Reihe von Bedeutung sein , so viel lag jetzt schon
klar zu Tage, und jetzt schon konnte man einer Combiuation
günstigen Erfolg versprechen, wonach zur Beruhigung Euro-
pa's der Löwenantheil nicht einem der beiden mächtigsten Be-
werber, sondern einem schwächeren Dritten zugewendet würde.
Desshalb trachtete Max Emanuel, wenn er auch der
eifrige Bandesgenosse des Erzhauses blieb, vor Allem nach
einer unmittelbaren Annäherung an die Krone Spanien,
denn nur durch Gunst und Vermittlung König Karl's konnte
er hoffen, eine Mittelstellung zwischen dem habsburgischen
und dem bourbonischen Prätendenten einzunehmen.
Da die spanische Regierung mit Auszahlung der nun-
mehr seiner Gemahlin zugetheilten Mitgift der Kaiserin
Margarita noch in Rückstand war, bot sich erwünschte Ge-
legenheit, im Mai 1686 einen bayrischen Geschäftsträger,
Herrn von Lancier, zur Vertretung jener Forderungen und
der bayrischen Interessen überhaupt an den Madrider Hof
abzuordnen. Lancier wurde durch eine Instruktion, die
vom einflussreichsten Vertrauten des Kurfürsten, dem Hof-
kammerpräsidenten Corbinian Prielmayr von Priel, ehedem
Erzieher Max Emanuels, ausgearbeitet war, angewiesen, sich
im Allgemeinen in allen Fragen an den kaiserlichen Bot-
schafter, Grafen von Mansfeld, anzuschliessen, „jedoch dass
Alles mit gebirender Circumspection geschehe". Er soll
namentlich die Königin-Mutter für sich zu gewinnen suchen
und die Höflinge und Minister der Verehrung und Freund-
232 Sitzung der Jiistor. Classe vom 1. März 1879.
Schaft seines Gebieters ver sichern *). Schon im Oktober des
nämlichen Jahres kann denn auch Lancier berichten, dass
einer der vornehmsten Räthe geäussert habe, nächst dem
Könige gelte der Kurfürst von Bayern dem spanischen
Volk als der Erste , und dass viele einflussreichen Männer
ihm betheuerten, sie sähen Seine Kurfürstliche Hoheit für
einen wahren spanischen Infanten an. Die überraschend
glücklichen Waffenerfolge Max Emanuels im Türkenkrieg
wurden in Madrid durch Beleuchtungen und Freudenfeste
gefeiert, und als der Sieger von Belgrad im August 1687
verwundet wurde, ordnete der Erzbischof von Toledo in
Spanien öffentliche Gebete an.
Eifersucht ob der grossen Vortheile, welche das Kaiser-
haus in Ungarn erstritten hatte, bewog 1688 Ludwig XIY.
zum Angriff auf das deutsche Reich. Da sich auch Spanien
dem Bunde gegen den Friedensstörer anschloss und der be-
drängte Kaiser, der thatkräftigen Hilfe des bayrischen Kur-
fürsten mehr denn je bedürftig, schleunigste Erfüllung der
früher gemachten Verheissungen zusicherte, konnte auch
diese Kriegsgefahr die Aussichten des Hauses Bayern nur
begünstigen.
Da schien plötzlich allen Hoffnungen und Intriguen
ein jähes Ende gesetzt zu sein durch die zweite Vermählung
Karl's IL mit Maria Anna von Pfalz-Neuburg, die am 22. Mai
1690 in Madrid ihren Einzug hielt. Als jedoch auch diese
Ehe kinderlos blieb, begann sofort wieder das alte Kampf-
spiel der Diplomaten, wofür der Madrider Hof während
des nächsten Decenniums recht eigentlich als klassische Scene
gelten kann. Maria Anna war die Muhme des Kurfürsten
von Bayern ; man hätte also annehmen können , dass sie
als Stütze und Vertheidigerin der Wittelsbachischen Hausinter-
4) Bayrisches Staatsarchiv. K. schw. 293/18. Negociation des
J, B. de Lancier ju Spanien, 1686—1691,
Heigel: Kurprinz Josef Ferdinand von Bayern. 233
essen auftreten werde. So glaubte denn auch St. Simon,
das später von König Karl zu Gunsten Bayerns entworfene
Testament sei hauptsächlich dem Einfluss seiner Gemahlin
zuzuschreiben ''), allein seine Behauptung lässt sich auf Grund
der Familienkorrespondenzen und diplomatischen Berichte als
durchaus falsch erkennen. Maria Anna und Max Emanuel
wechselten zwar hie und da mit einander Briefe, aber ihr
Inhalt beschränkt sich nur auf förmliche Glückswünsche
und auf Empfehlungen von Kavalieren und Damen zu Or-
densauszeichnungen und Präbenden ^). Einmal hebt zwar
Maria Anna hervor, wie es ihres herzliebsten seligen Vaters
Lieblingsplan gewesen sei, zwischen allen Fürsten des Wit-
telsbachischen Hauses einen engen Bund zu gemeinsamer
Förderung der Hauptpolitik zu begründen ^), allein aus den
Briefen Maria Anna's an ihren Bruder, den Kurfürsten Jo-
hann Wilhelm, erhellt, dass sich in Wahrheit die pfalzische
und die bayrische Linie des Wittelsbachischen Hauses noch
gerade so schroff feindselig gegenüber standen wie im dreissig-
jährigen Krieg. Der Pfälzer Kurfürst gab sich selbst der
Hoffnung hin, als Bruder der Königin von der spanischen
Krone allerlei Vortheile eingeräumt zu erhalten. Nament-
lich bewarb er sich um die Statthalterschaft in den Nieder-
landen und seine Schwester versicherte ihm, sie werde ,,zum
Trotz der bayrischen Creaturen" bald diese Gunst vom Kö-
nige erwirken. Der Bruder müsse nur Geduld haben. „Dass
mein König in allen Sachen sich so langsamb resolviret,
ist nicht allein meine, sondern jedermanns grösste und ewige
5) ß. A. Haus- und Familiensachen, Fasz. 121. Abschrift einer
kaiserlichen Erklärung vom 5. Mai 1689.
6) Memoires complets et authentiques du duc de St. Simon II,
p. 266.
7) St. A. K. schw. 294/15. Schreiben an die regierende Königii
Tön Spanien.
8) Ebenda. Brief Maria Anna's v. 14. März 1692.
234 Sitzung der histor. Classe vom 1. März 1879.
Klage, und verdrisst mich disses wohl unsinnig *)." Die
von den Geschwister ten geführte Correspondenz , die im
Münchner Staatsarchiv verwahrt ist, umfasst mehrere hun-
dert Briefe. Man würde sich aber mit der Annahme täu-
schen, dass sie eine hervorragende Quelle für die Geschichte
jenes Erbschaftsstreites sei, der alle europäischen Höfe in Athem
hielt. Die Königin beschäftigt sich zwar mit politischen
Fragen , allein sie sieht darin mehr ein Spielzeug als eine
ernste Aufgabe, sie hebt zwar hie und da an, ihrem „eng-
lischen Bruder und Schatz Hanseln'^ politische Eröffnungen
zu machen, aber rasch springt sie wieder ab zu harmlosem
Geplauder und zu Klagen über die Schattenseiten des Ma-
drider Hofs. Namentlich eine Frau von Berlepsch ^^), die
mit ihr aus Düsseldorf nach Spanien übergesiedelt war, übte
grossen Einfluss auf Königin und König, so dass sie den
nach Madrid kommenden Fremden als der eigentliche Mittel-
punkt des Hofes erschien. Allerdings zog ihr diese
Machtstellung auch viele Neider und Feinde zu. Die Kö-
nigin hatte einmal, als die Berlepsch und ihre nächsten
Freunde als Hexen und Zauberer angeklagt und in Haft
genommen wurden, grosse Mühe, ihre Getreuen in Freiheit
zu setzen, und im Jahr 1694 verlangte der königliche Rath
von Kastilien vom Könige energisch die Ausweisung der
Berlepsch, da durch ihre Rathschläge die Wohlfahrt des
9) St. A. K. bl. 46/14. Correspondenz Churf. Dicht, zu Pfalz mit
S. M. dem König und der Königin von Spanien, 1679—1699.
10) Gertrud Maria Josefa, geborne Wolff von Guttenberg, Wittwe
des Wilhelm Ludwig von Berlepsch, kam nach dem Tode des Gatten
(1679) nach Düsseldorf und erlangte die Freundschaft der pfälzischen
Prinzessin Maria Anna, die sie bei ihrer Vermählung mit Karl II. nach
Madrid mitnahm. Nach dem Tode Karls II. kaufte sie von dem Herzog
Croy die reichsfreie Herrschaft Millendonk im Kreis Gladbach und wurde
1705 in den Reichsgrafenstand und 1706 zur gefürsteten Aebtissin des
von ihr in der Neustadt Prag gegründeten weltlichen Damenstifts er-
hoben (Kneschke, deutsches Adelslexikon, I, S. 354).
Heigel: Kurprinz Josef Ferdinand von Bayern. 235
Landes gefährdet sei ^^). Durch Geist und Klugheit wusste
sie aber immer wieder die Verfolgung ihrer Feinde zu ver-
eiteln und mit starker Hand die Zügel zu erfassen. Wie
ihre Königin, begünstigte sie das Interesse des Kaisers,
dessen dritte Gemahlin Eleonore eine Schwester Maria Anna's
war, und Frau von Berlepsch übermittelte häufig durch den
Kurfürsten von der Pfalz dem Wiener Kabinet wichtige
Nachrichten.
Dagegen war die Königin- Mutter eine ebenso aufrich-
tige als eifrige Gönnerin des Kurfürsten. Sie erhält stets
die erste Nachricht von seinen Waffenthaten und erwidert
diese Aufmerksamkeit durch reiche Geschenke ^^). Um auf
sie noch drastischer einwirken zu können, verheirathete
sich Lancier mit einer ihrer Kammerfrauen, die sich rühmen
konnte, dass ihr keiner von den vielfach verschlungenen
Fäden der Madrider Hofintriguen unbekannt sei. Diese
Frau Christina von Lancier schrieb nun abwechselnd mit
ihrem Gatten zahlreiche Berichte an Prielmayr. Sie bieten
— soweit sich die grauenhaften Schriftzüge enträthseln
lassen — ein drolliges Kauderwelsch in Spanisch und Deutsch.
Mit hohem Selbstbewusstsein spricht sie von ihrem Einfluss
auf die Königin, verspottet die Umtriebe der Diplomaten
in überaus derben Ausdrücken und schont gelegentlich auch
ihres eigenen Gatten nicht : „Er hat kein Schneid und Curasch,
ein Jammer von einem Mannsbild!" Sie weiss die delikatesten
Episoden aus dem Privatleben des Königspaares mitzutheilen
und immer neue Rathschläge zu geben, wie durch Schmei-
chelworte und Geschenke die Königin - Mutter und andere
einflussreiche Persönlichkeiten zu gewinnen wären.
Da die Empfehlung des Kaisers auf sich warten Hess
oder erfolglos blieb, wandte sich der Kurfürst im Juli 1691
11) St. A. K. schw. 292/6. Paumgarten's Bericht vom 23. Dezem-
ber 1694.
12) St. A. Schreiben an die verwittibte Königin von Spanien.
236 Sitzung der histor. Classe vom 1. März 1879.
an die alte Königin mit der Bitte, ihm zur Statthalterscliaft
in den Niederlanden zu verhelfen, und durch ihre Fürsprache
erreichte er wirklich dieses erste Ziel seiner Wünsche. Ein
Dekret vom 12. Dezember 1691 ernannte ihn zum Lieutenant
Gouverneur et Capitaine generale des Pays-bas^^) mit
Machtbefugnissen, die in Wahrheit den königlichen gleich
kamen. Freilich waren grosse Zuschüsse aus Bayern er-
forderlich, um während des Krieges mit Frankreich diese
Stellung behaupten zu können, und Maria Anna suchte
ihren Bruder, der seine eigenen Hoffnungen vereitelt sah,
damit zu trösten, dass der Kurfürst von Bayern mit so
geringen Subsidiengeldern sich nicht lange halten könne
und der kostspieligen Ehre bald überdrüssig sein werde ^*).
Um den Dank des Kurfürsten für den Beweis könig-
licher Gunst nach Madrid zu überbringen, wurde ein ausser-
ordentlicher Gesandter, Baron Paumgarten, im Jänner 1692
abgeordnet. Seine Instruktion weist ihn an, namentlich
für regelmässige und ausreichende Geldsendungen für die
Regierung in Brüssel Sorge zu tragen ; einige geheime
Artikel geben ihm aber noch besondere Verhaltungsmass-
regeln^^). Er hat „die regierende Königin in generalibus
zu complimentiren , die verwittibte aber, als welche zur
Sachen das meiste cooperirt, in specialibus." Vor dem
König .soll er die Verdienste des Kurfürsten um das Habs-
burgische Haus hervorheben und darauf hinweisen, in
welchem Missverhältniss dazu der bisher zu Theil gewordene
Lohn stehe, und doch habe der Kurfürst für Oesterreich nicht
bloss Blut und Leben aufs Spiel gesetzt, sondern auch schon aus
eigenen Mitteln Millionen geopfert. Daneben soll der Ge-
13) R. A Haus- und Familiensachen , Fasz 122. Originalperga-
menturkunde mit anhangendem Majestätssiegel.
14) St. A. K. Bl. 46/14. Schreiben Maria Anna's vom 5. März 1692.
15) St. A. K. schw. 292/6. Pauragarten'sche Relationen aus
Madrid.
Heigel: Kurprinz Josef Ferdinand von Bayern. 237
sandte zu erforschen suchen, was die übrigen fremden Di-
plomaten am Hofe Karls II. im Schilde führen, und ihre
Schritte geeignet überwachen.
Mehr als durch diese diplomatischen Künste wurde aber
das bayrische Interesse durch ein Ereigniss gefördert , das
die Aufmerksamkeit von ganz Europa auf das Kurhaus
lenkte.
Die Kurfürstin Maria Antonia fühlte sich in München
nicht heimisch und wollte ebenso wenig ihrem Gatten nach
Brüssel folgen, kehrte daher bald zu einem längeren Besuch
ihrer Eltern in die Kaiserburg nach Wien zurück.
Hier erblickte am 28. Oktober 1692 „früh Morgens —
berichtet das Diarium der kurfürstlichen Kanzlei*^), — als
sich der Himmel schön und voller Stern noch zeigte," ihr
Sohn das Licht der Welt, der bei der am nämlichen Tage
vollzogenen Taufe die Namen Josef Ferdinand erhielt. Die
kaiserlichen Majestäten vertraten Pathenstelle. Aus dem
Zimmer, wo der Neugeborne in der Wiege lag, schrieb der
Grossvater an den Kurfürsten die erfreuliche Kunde: „Der
Prinz lasset sich woll wackher hören und ist frisch und
stark, Gott seye vor Alles gedanckt*^)". Kouriere über-
brachten Depeschen an alle befreundeten Höfe, alle Welt
wünschte dem Vater Glück und nicht bloss in München
und Brüssel, sondern auch in Rom und Madrid wurde die
Geburt des Prinzen mit Te Deum gefeiert. Der Leibarzt
des Kindes, Dr. Walther, der Obristkämmerer Graf von Wahl
und die als Aia aufgestellte Gräfin la Perouse schrieben fast
täglich an den Kurfürsten Berichte über das Befinden des
Prinzen. Das königliche Hausarchiv verwahrt viele Hunderte
solcher Bulletins. Schlaf und Appetit, Lachen und Weinen
16) K. Hausarchiv. Nr. 688. Correspondenzen über die Geburt
des Prinzen Josef 1692.
17) Ebenda. Schreiben Kaiser Leopolds v. 28. Oktober 1692.
238 Sitzung der histor. Classe vom 1. März 1879.
des Kindes wurden von seiner Umgebung sorglich überwacht,
wussten doch Alle, welch kostbares Leben ihnen anver-
traut sei.
Ein bitterer Tropfen in den Freudenkelch war der am
24. Dezember 1692 erfolgte Tod der Kurfürstin Maria
Antonia. Als ihr am 12. Dezember abgefasstes Testament
eröffnet wurde, zeigte sich , dass die in den letzten Jahren
eingetretene Entfremdung der Ehegatten auch durch die
Geburt des Sohnes nicht ausgeglichen war. Nicht bloss ent-
hielt das Testament eine feierliche Wiederholung des früheren
Verzichts auf Oesterreich und Spanien, auch auf Kinder und
Nachkommen der Erblasserin ausgedehnt, sondern sogar
eine förmliche Ausschliessung ihres Gemahls von Allem und
Jedem, was sie ihr eigen nennen konnte. Als einziger Erbe
war nämlich ihr Sohn, der Kurprinz, eingesetzt, nach seinem
Tode ohne legitime Nachkommen sollte Alles an den Kaiser
und seine Erben übergehen ^^).
18) St. A. K. schw. 293/12 Bayern's Ansprüche auf Spanien und
die Niederlande. Testament der Kurfürstin Maria Antonia, vom 12. De-
zember 1692.
„. . . . So vill meine zeitliche Gietter betrifft, erindere ich mich,
wasmassen ich bey meiner Vermahlung mit vorwissen und einverstehen
meines Herrn Gemahls Liebden nach genuegsamber information mit
wohlbedachtem Ehat aus eigenen freyen wühlen allen successionsrecht
der Spänischen Monarchiae und aller darvon ab- und dependierenden
Königreichen und Landten , Giettern , Recht und Gerechtigkheiten zu
Wasser und Landt beweglich und unbeweglich (nichts darvon, als die
Niderlandten allein ausgenohmen) so mir (aufm fahl, welchen der aller-
höchste verhietten wolle, Ihre Majestät der König in Spanien ohne ehe-
liche Leibserben mit todt abgehen solte) competiren mochten, in favor
und zum besten Ihrer Majestät meines Herrn Vatters Römischen Keysers
und dessen manlichen Descendenz unwiderrueffiichen renuncieret und
mich verziehen, solche renunciation auch mit leiblichen aydt theur be-
stättiget habe, und wie mein beständtiger wühl ist, dass dieselbe in
allen puncten ihre Crafft haben und behalten sollen, Also widerholle
ich zum yberfluss solche renunciation in allen und ieden clausuln und
puncten vor mich, meine Erben und Nachkhomen,^ nicht
Heigel: Kurprinz Josef Ferdinand von Bayern. 239
Wie bitter der Gatte diese Demüthigung empfand, lässt
der Protest ersehen, den er gegen das Testament vor Kaiser
und Reich shofgericht erhob. Er argwöhnte, dass man sich
in Wien unerlaubter Mittel bedient habe, um die Kurfürstin
während ihrer Krankheit und in seiner Abwesenheit zu
solchen Verfügungen zu bewegen. In einer ausführlichen
, .Rechtlichen Demonstration'* bezeichnet er das Testament
als ungiltig, schon desshalb, weil es gegen eine Bestimmung
des Ehekontraktes offen Verstösse, dass für den Fall des
Ablebens der Braut ,,die Kinder, da deren, wie wür von
der göttlichen Güete wünschen, aine vorhanden, sambt der
ganzen müetterlichen Verlassenschaft in Unseren Churfürsten
Maximilian Emanuel Gewalt und Händen verbleiben.'' Da
ein Erbe vorhanden, folgert die Deduction , so müsse trotz
des Testaments das ganze Vermögen, vor Allem auch der
Anspruch auf das Heiratsgut der Grossmutter Kaiserin
Margarita an den Kurfürsten und seinen Sohn übergehen.
Der Prozess spann sich endlos fort und war noch nicht ausge-
glichen, als es bei Beginn des Erbfolgekriegs zwischen dem Kur-
anderst , als wan alles hierinnen von Wort zu Wortt inserieret were
und würdtet Gott den oder diejenige stralFen, so darwider etwas handien
oder vornehmen werden.
Demnegst instituir ich in meine yhrige Haab und Guett meinen
itzt gebohrnen liebsten Churprinzen zu meinem Erben und wan ich
durch die Gnad Gottes noch ein oder mehrer Künder erzaigen und be-
khommen sollte, so verlange und will ich, dass selbige mit letzt ge-
dachtem meinem Churprinzen in gleiche thaill mir succediren und erben
sollen. Wan aber wider verhoffen ich keine Leibserben nachlassen oder
selbige ohne eheliche Leibserben mit todt abgehen solten, so ist mein
wühl, dass alles, was ich nachlassen werde, au ff meines Herrn
Vatters Kayserl. Majestät und nach dero todt auff dero
nachlassendte Leibserben fahlen solle.*' ....
19) Ebenda. Rechtliche Demonstration über die Invaliditet der
von Ihro Durchlaucht Churfürstin in Bayrn Maria Antonia , gebohrner
Königl. Prinzessin in Ungarn und Behamb, Ertzherzogin in Oesterreich
underm 12. Dezember anno 1692 hinderlassenen letztwilligen disposition.
240 Sitzung der histor. Classe vom 1. März 1879.
fürsten und dem Erzhaus zu offenem Bruche kam. Man wird
kaum irre gehen, wenn man annimmt, dass das Testament der
Kurfürstin und die vom kaiserlichen Hofe beliebte Aus-
legung den ersten Anstoss zur verhängnissvollen Wandlung
der Politik Max Emanuels gaben, der in den Verwandten
in der Wiener Hofburg nur noch laue Freunde und ge-
fährliche Gegner seiner Interessen erblickte. Schon jetzt
seiner Abneigung offen Ausdruck zu geben , hielt er zwar
nicht für angemessen ; nach wie vor focht er an der Spitze
kaiserlicher Truppen gegen Frankreich , suchte sich aber
immer enger an Spanien anzuschliessen und Hess in Madrid
erklären, er betrachte es als höchste Ehre, Spaniens Soldat
zu sein.
In den Niederlanden konnte er schon jetzt vermöge
seiner Stellung als Kurfürst des deutschen Reiches und als
naher Verwandter des königlichen Hauses wie ein Souverän
auftreten und schalten.
Max Emanuel besass viele Eigenschaften, die einen
Fürsten zur Grösse emporheben können. Er war kein
Feldherr, aber ein kriegstüchtiger General und der tapferste
Soldat ; wenn auch im Kriege gegen Frankreich nicht
so glänzende Erfolge glückten , sahen die Zeitgenossen
doch noch mit Bewunderung auf den Sieger von Wien
und Belgrad. Er war vergnügungssüchtig , aber nicht in
solchem Maasse, dass er nicht für alle Zweige der Re-
gierung ein lebhaftes Interesse gezeigt hätte. Er war
verschwenderisch, doch war er es vor Allem in der Be-
lohnung fremder Dienste. Er besass, so kann man kurz den
Heerführer, wie den Staatsmann charakterisiren, fast zu viel
Eifer, aber zu wenig Ernst. Sogar Graf von Merode , der
aus den Diensten Max Emanuels später in kaiserliche über-
trat und in seinen Memoiren Politik und Regierungsthätig-
keit seines früheren Herrn der bittersten Kritik unterzieht,
giebt zu, er sei in den ersten Jahren seines Aufenthalts
Heigel: Kurprinz Josef Ferdinand von Bayern. 241
zu BrüSvSel ein musterhafter Regent gewesen 2^), und der
belgische Historiker Coremans fasst sein Urtheil über die
Periode vor dem Tode des Kurprinzen in die Worte zu-
sammen : Sie war glücklich für Maximilian wie für das
Land ^^). Unter früheren Statthaltern war es nicht selten
vorgekommen, dass Beamte und Soldaten Monate lang ver-
geblich auf Sold warteten, weil die Silberflotte aus Spanien
ausblieb, — jetzt flössen, Dank der Verwendung der alten Kö-
nigin, die Geldsendungen pünktlich und reichlich. Handel und
Industrie hoben sich trotz des Krieges, nicht ohne persön-
liches Verdienst des Fürsten, der Prunk und Luxus liebte
und durch sein Beispiel auch den Adel zu erhöhtem Auf-
wand nöthigte, dessen Ueberflüssigkeit der Gewinn ziehende
Bürger mit wohlwollendem Lächeln zu übersehen pflegt.
Zwar fehlte es auch schon jetzt nicht an Conflicten zwischen
dem Statthalter und den auf altererbte Privilegien stolzen
Niederländern, aber nach dem Zeugniss Merode's blieb trotz
aller Opposition und Gewaltmassregeln die Popularität des
Fürsten unerschüttert. Wenn vor seinem Palast der Mai-
baum aufgepflanzt wurde und in festlichem Aufzug der
Brüsseler neben den Helden der niederländischen Vorzeit
auch Otto von Witteisbach, Kaiser Ludwig, der Ritter
Schweppermann und andere hervorragende Bayern von
Kavalieren und Bürgern dargestellt wurden , mochte wohl
der Fürst freudige Zuversicht schöpfen, dass der Gewinn
der Niederlande eine vollendete Thatsache und gleichsam
die erste Stufe zu noch glänzenderen Thronen erklommen sei.
Denn darüber konnte kein Zweifel bestehen, dass dem
Sohne der Enkelin Philipp's IV. das Recht zur Thronfolge
in Spanien näher gerückt war als jedem aaderen Bewerber.
20) Memoires du feldmarechal comte de Merode-Westerloo, I, p. 73.
21) Coremans, Miscellanees de Tepoque de Maxirailien-Emmanuel,
p. 200.
242 Sitzung der histor. Classe vom 1. März 1879.
Dem Verzichte der Mutter im Namen ihrer Nachkommen
stand die staatsrechtliche Praxis gegenüber, wonach solche
Entsagung in der Regel nicht als bindend für die Nach-
kommen angesehen wurde. Vor Allem aber konnte gegen
den Verzicht auf das ältere Testament Philipps IV., dem
für Spanien jedenfalls der Vorrang vor späteren Urkunden
zustand, die Berufung ergriffen werden. In diesem Testament
vom 14. September 1665, worin die Erbfälle bei kinder-
losem Ableben seines Sohnes Karl vorgesehen sind, ist das
Erbfolgerecht seiner Tochter Margarita und ihr er Nach-
kommenschaft vorbehalten. Dieses Dokument hatte
schon 1686, als der kaierliche Hof durch den Botschafter
Grafen Mansfeld an den Madrider Hof das Ansuchen stellen
liess, den Verzicht der Erzherzogin Maria Antonia zu Gunsten
22) St. A. K. schw. 293/12. Kurbayr. Ansprüche an das König-
reich Spanien und die span. Niederlande, 16G5— 1692.
Extrait aus Philipps IV. Testament v. 14. Sept. 1665.
„Wann, so Gott nit zuelassen wolle, der Prinz, wie gemelt ist,
solte abgehen, ohne dass Er hinderliesse Khinder oder descendenten,
mannl. oder weibl. Geschlechts, auss ehelicher Geburth, oder da Gott
mir verleihen solte , mehrer Khinder manlichen Geschlechts auss Ehe-
licher geburth diser oder weiterer Ehe stürben, ohne dass sye ein Sohn
oder eheliche Descendenten hinderliessen , wie gesagt bleibt, instituire
Ich in deren Abgang für meine Universal Erbin in allen ermelten mei-
nen Khönigreichen, Statibus und Herrschaften die Infantin Donna Mar-
garita:, mein Tochter von der Khönigin Donna Maria Anna, meiner
werthisten und geliebtesten Gemahlin, und deren Söhn und Töchter
und die Descendenz manlichen und weiblichen Geschlechts auss ehelicher
Geburth erworben, so Ihro Gott verleihen würdt, und in Ermanglung
ihrer und derselben rueffe ich die dritte Tochter und die Ihrigen, und
eben in der Ordnung rueffe ich die weittere Töchter aus ehelicher Ge-
burth erzogen, so Gott mir geben möchte, und die posthumas aus dieser
oder andrer Ehe , so ich eingehen solte, und die Descendenz ehelicher
Geburth von jeder auss ihnen , so succediren solte , nach Ordnung der
Primogenitur mit vorziehung dess Eltern vor dem Jüngern und dess
männlichen vor dem weiblichen Geschlecht von eben selbiger Lini
und grad."
Heicjel: Kurprinz Josef Ferdinand von Bayern. 243
der Söhne des Kaisers zu bestätigen, den König von Spanien
zu abschlägiger Antwort bewogen. Damals hatte der General-
inquisitor das Gutachten abgegeben, dass nicht die Söhne
des Kaisers, sondern die Söhne, welche etwa die genannte
Erzherzogin, die einzige Tochter der Kaiserin Margarita, ihrem
Gatten schenken würde, als die rechte Linie anzusehen seien, der
die Immediatsuccession zustehe. Verzichtsurkunden der Prin-
zessinen liege im Allgemeinen die Absicht zu Grunde, zu ver-
hüten, dass das Heimatland der Prinzessin nicht von der Dy-
nastie, in welche sie eintrete, als Provinz einverleibt werde;
diese Befürchtung sei im vorliegenden Fall grundlos, da even-
tuell der Herzog von Bayern zum König von Spanien erhoben
werde, nicht ein König von Spanien zum Herzog von Bayern.
Jedenfalls habe die Verzichtsurkunde vom 12. April 16S5
für Spanien keine Rechtskraft, wenn nicht die darin ent-
haltene Neuerung die Zustimmung der Granden und des
ganzen Reiches erlange ^^). Darauf hatte König Karl auf
23) St. A., K. scliw. 293/12. Kurbayr. Ansprüche an das König-
reich Spanien und die span. Niederlande, 1665—1692.
Copie (einer Uebcrsetzung) des Voti , welche Ihro Excellenz der
Herr Inquisitor Generalis als Geheimer Rath gegeben hat über die
Proposition, welche der Graf von Mansfeldt, Ambassadeur aus Teutsch-
land, an den König unsern gnedigsten Herrn anno 1686 in Namen Ihrer
Kayserl. Majestät gethan hat, dass S. Maj. approbiere die Capitulationen
der Frauen Erzhertzogin, welche Sye contrahirt hat mit dem Churfür-
sten in Bayrn, anbetreffent die ßenuntiation, dass Sie in denenselben zu
favor des Kaysers Söhnen cedire das Jus, welches Sie hat zu der Suc-
cession diser Spänischen Königreichen.
„ Ich vermainte, dass das wahre motivura der ersagten
Proposition seye, dass des Kaysers Söhne immediate der Frauen Erz-
herzogin in diesen Königreichen succediren können und also durch dises
Mitl den Vorzug wollen mit ausschliessung ihrer der Erzherzogin und
ihrer descendenten. Die Vorbildung , welche dergleichen pactum suc
cessorium kan erwecket haben, ist diejenige zwischen dem Haus Oester-
rcich und dem Königreich Böhmen, weillen sie nach underscliiedlichen
Turbulenzien den effect der union und das erbliche Recht beyder Herr-
schaften erlanget hat.
[1879. I. Philos.-philol.-hist. Gl. 3.] 18
244 Sitzung der liistor. Classe vom 1. März 1879.
die Vorstellung des kaiserlichen Gesandten abschlägigen Be-
scheid gegeben, und demgemäss konnte in Spanien, dessen
In Fortschreitung zu discuriren über die Unmöglichkeit und in-
convenienz, welche gleich bey eingang diser referirten proposition sein
werdten, so findet man gleich für unmöglich, das man derogiren wolle
die Ordnung und Weis der succession diser Königreich , welche durch
ihren sehr alten gebrauch erkläret und durch die Gesetz und Statuten
des Königs Don Alfonsi restabilirt worden ist , dahero das gemaine
Recht invariabl verbleibet, wie es ist practicirt und bis auf dise Stundt
observirt worden, als da regirte der König Don Pelagius, von welcher
Zeit schon 1000 Jahr verflossen seindt, in welcher Zeit die Succession
erblich ist stabilirt und confirmirt worden.
Der Eenuntiation der Frauen Erzherzogin wirdt totaliter resistirt,
dann obschon man kunte zuelassen in dem negsten Successore die Ee-
nuntiation der possession des erlangten Recht zu der Hofnung der Suc-
cession dieser Königreichen, so weren doch des Kaysers Söhne nit im-
mediate die negsten, weillen sich die Frau Erzherzogin schon verheü-
rathet befindet, sondern die Söhne, welche Gott der allmächtige seiner
Dchit. geben wurdte, weillen dise die rechte Lini were, der das erlangte
recht mit der immediaten succession zugehörete, dan es wurdte uner-
träglich und absurd sein, die rechte Linie wegen der Transversal Linie
auszueschliessen.
Nit weniger kann giltig sein zu der Renuntiation der Frauen Erz-
herzogin das Exempl der Renuntiation deren Frauen Königin in Frank-
reich Donna Anna und der Donna Maria Teresia von Oesterreich, in
welchen entzwischen kommen ist das wahre und rechte motivum des
gemainen Nutzens, das ist die conservation der independenten Monarchie
in Spanien und die hochen werth ihres genzlichen und principal Do-
minii , welches sich in eine contingenz sezen kundte, wann die Cron
Franckreich successiren solte.
Weillen dann dise renuntiationes zu hegsten favor disor König-
reichen geraichen , so hetten dieselbe keine andere solennitet vonnöten,
als den bekanten nutzen, so diser persuadiert, sondern auch die raison
selbst (wenn man auch von der succession zu disen Königreichen schon
gänzlich praescindire) streitet in der Ungleichheit des status particu-
laris, wann von seiner union ein praeiudicium herfürkomen kan, so wider
die Conservation des Decori und der Fundatoren Meinung und Gedächt-
nuss ist, aber in der Renuntiation der Frauen Erzherzogin weichet dise
Heigel: Kurprinz Josef Ferdinand von Bayern. 245
Cortes wohl dieses Testament, niclit aber irgend eine Ver-
ziclitsurkunde bestätigt hatten, der Kurprinz wohl als recht-
mässiger Erbe angesehen werden. In diesem Sinne sprach
sich auch eine vermuthlich im Auftrage des Kurfürsten
verfasste juristisch-politische Flugschrift aus, die wie Lancier
berichtet, in Spanien wohlgefällig aufgenommen wurde ^*).
Auch die Seemächte, die noch im Allianztraktat von 1689
dem Kaiser den ersten Anspruch auf die spanische Erbfolge
zuerkannt hatten , durften nach der Geburt des bayrischen
Kurprinzen wieder freies Bestimmungsrecht beanspruchen,
und bald konnte der bayrische Botschafter in London nach
Brüssel berichten, dass Wilhelm von Oranien die Erbbe-
fähigung des Prinzen in wohlwollende Erwägung gezogen
habe^^). In den Briefen, die zwischen dem Kurfürsten und
raison totaliter, weillen die Hertzog in Bayrn König in Spanien sein
wurdten und nit die König in Spanien Hertzog in Bayrn.
Und casu dass auch die Frau Erzherzogin renuntiiren kunte auf
ihren immediaten Successorn die Hoffnung der Succession zu diser Mon-
archie, so wirdt doch keiner bis auf heutigen dato gesagt, geschriben
oder gedencket haben, dass sie fueg und manier habe, neue Form zu
machen, neue gesatz zu sezen zu der Succession in Corrigirung, limi-
tirung oder amplificirung der vorgeschribnen Ordnung und weis der
fundamental Gesatzen in Spanien. Nit weniger dass der König unser
gnedigster Herr könne besagte renuntiation für giltig erkennen oder
mit seiner approbation dieselbe confirmiren, dan es wurdte vonnethen
sein der consens der Grandes und des ganzen Eeichs zu einer solchen
Neuerung, welche ist zu verändern die Ordnung der succession des Kö-
nigreichs, welches weder dem Kayser weder seinem Ambassador eine
überflüssige circumstanz geduncken kan, weillen in dem pact der Suc-
cession des Haus Oesterreich und Königreich Böhmen das requisitum
nit alleinig ervolget, sondern auch von dem Kayser approbirt worden.
24) St. A. Churbayr. Rechtsgegründete Ansprüche an das König-
reich Spanien und die spanischen Niederlande 1693 — 1701. „Brevis et
succincta repraesentatio jurium Serenissimi Josephi, Electoralis principis
Bavariae, in Hispaniarum regna, ditiones et principatus".
25) Ebenda.
18*
246 Sitzung der histor. Classe vom 1. März 1879.
seiner treuesten Gönnerin, der Königin-Mutter, gewechselt
wurden, wird bereits die Erbfrage offen ventilirt, und auf
eine dabin bezügbcbe Bitte des Kurfürsten erwidert Maria
zustimmend (27. Mai 1693): ,,Sye werden wol nit zweiflen
können, wie mir das Kind im Herzen ligen tbut, das als
einziges Pfand von mein Weibel seelig gebliben ist, Gott
wolle Ihn zu seiner grossen Ehr erbalten und zu unserm
Trostes).''
Unter diesen Umständen schien es dem Vater rätblicb,
die Uebersiedlung seines Sohnes in die Residenzstadt München
anzuordnen. Auch nach dem Tode der Mutter war der
Prinz in der Kaiserburg zu Wien geblieben, war aber
von einem kleineu bayrischen Hofstaat umgeben. Die Aia,
Gräfin la Perouse, berichtete über sein Befinden regelmässig
nicht bloss nach Brüssel, sondern auch an die Königin
Maria. Auch die bayrische Landschaft wollte einen Beweis
loyaler Sorglichkeit geben, indem sie, als an Stelle des
Leibmedikus Dr. Walther, der dem Kurfürsten „nit aller-
dings anständig'' erschien, ein junger Arzt, Dr. Vacchiery,
kommen sollte, eine dringliche Vorstellung an den Kurfürsten
richtete , es möge das Leben des Kurprinzen nicht einem
„zwar woll qualificirten, jedoch ganz jungen von studiis
nit gar unlengst herkommnen, in praxi noch nit so viel ge-
ibten und erfahrnen Medico" anvertraut werden. Sie rietb,
,,ein lang practicirent , vortreffliches Subjectum,'' wie zu
München oder zu Ingolstadt leicht zu finden wäre, zu
wählen. Der Kurfürst forderte auch die medicinische Fa-
cultät zu Ingolstadt auf, einen passenden Leibmedicus aus-
zusuchen ; als diese jedoch erklärte, sie wisse Niemand vor-
26) St. A. K. scliw. 293/14. Spanien: Bayr. Correspondenz
1691-1696.
Heigel: Kurprinz Josef Ferdinand von Bayern. 247
zuschlagen, der zugleich ,,iii studio theorico und auch in
praxi perficirt/' blieb Dr. Vacchiery auf seinem Posten ^^).
27) R. A Fürstensachen, Nr. 714.
Da die Correspondenz in mehr als einer Beziehung cultiirgcschicht-
lich merkwürdig, sei der Wortlaut der drei Hauptprodukte raitgethcilt.
I.
Schreihens-Abschrüfft an Ihr Churfürstl. Durchl. in Bayrn von dero
Landschafft abgesandt, wegen BestöUung eines Leib Medici für
Ihre Dicht, den Ghur Prinzen, den 10. Febr. 1698.
Durchleuchtigster Churfürst !
Gleichwie man auf die Conservation unsers durch die Gnade Gottes
erhaltnen durchleichtigsten gnädigsten Churprinzen billich die allersorg-
feltigste gedancken zu machen, und weilln sonderbar hierzue die gött-
liche Gnad und Benediction vonnöthen , Eur Churfstl. Dicht, gar lob-
würdigist verordnet, dass selbige mitist anstellung allgemein inbrünstiger
Gebett in dero Landten von Sr. Allmacht mechte erlanget werden.
Also belieben Eur Churfürstl. Dicht, auch von selbsten sehr hochver-
nünfiftig zu ermessen, was daran gelegen, dass höchstgedacht Sr. Chur-
prinzl. Dicht, ein verständig gelehrt, experimentirt, vortrefflich und von
langer Praxi woU erfahrner Medicus zugegeben werde.
Nun so müessen wir zwar vernemmen, wasgestalten Eur Churfürstl.
Dicht, eben in consideration dessen, dass der Sr. Dicht, dermahlen zue-
geordnete Leib Medicus Dr. Walther nit allerdings anständig , sich
gnädigst resolvirt, deroselben ainen andern, nemblichen den Dr. Vachier
zu substituiren. In erwegung aber selbiger (wollen zwar nit zwaiflen)
ein woU qualificierter, jedoch ganz junger, von studiis nit gar unlengst
herkommner, in praxi noch nit so vil geibt und erfahrner Medicus, und
dahero zu befahen ist, er mechte bey disem ihrae anverthrauten Dienst
die behörige satisfaction nit vill besser als der iezige zu laisten ver-
mögen, und Ihre Durchleicht unser gnedigster Churprinz in seinen ganz
zahrten kindlichen Jahren in grosse Gefahr der Gsundheit umb so leich-
ter gesezt werden, weillen die Kinder Cur mehr als andere eine sondere
dexteritet, erfahrenheit und iudicium erfordern, damit (weilen ein Kindt
sein Anligen und Kranckheit einem Medico zu clagen und zu eröffnen
nit waiss) solche gleich wol von ihme recht erkhendt und judiciret, mit-
hin die Medicin nit histeron proteron appliciret , die Natur verdörbt
oder der Patient woU gar umb sein costbares Leben gebracht werde
welches ja nimmermehr zu veranthworthen were, wan ein so frischge-
sundter, mit allen gueten anzaigungen seines auffkommen und erwaxens
248 Sitzimg der histor. Classe vom 1. März 1879.
Am 21. März 1693 theilte der Kurfürst der Landschaft
mit, dass er gedenke, den Kurprinzen nach München kommen
begabter Prinz (woran der ganzen Christenheit, heyl. Römischen Reich,
nnserm gesambten lieben Vatterlandt, forderist aber auch Eur Churfürstl.
Durchlebt, und dem durchleüchtigsten Churhaus so unaussprechlich vill
gelegen) durch nit genuegsamb beywohnente Erfahrenheit eines solchen
Medici (Gott woU gn ediglich darvor sein) solte verabsaurabt und ver-
kürzet werden , So gleich wolln sonderbar der Zeit umb so gefährlicher
zu sein scheint, weillen seine Durchleichtigkeit die ungelegenheiten und
gefährliche zuestandt, welche bey yberkomung der zänn villfältig sich
eraignen, nocii nit yberstanden, mithin disen sowol, als andern allerlay
accidentien unterworfifen sein , Als ist uns alhier insgesambt auf gne-
digsten bevelch Euer Churfürstl. Dcht. versambleten gethreu devotisten
Landtständten nit möglich, aus angebohrn unseren deroselben zuetragen-
ten devotion, threu und naigung zu underlassen, es Eur Churfstl. Dcht.
mit gebürent dieffester Submission anmit gehorsambist zu erinern, und
dise durch die uns zu geniegen bekandte vätterliche Lieb und Naigung,
mit welcher Eur Churfürstl. Dicht, dero geliebtistin Sohn , unsern gne-
digsten Churprinzen zuegethan, auffs allereiffrigist zu erbitten, Sye ge-
ruehen hierinfahls einigen uncosten nicht zu erspahrn und sonderlich in
der iezig, zu dessen auff bringung und education gefährlichisten Zeiten
auf ein lang practicierent vortreffliches Subjectum (dergleichen hoffent-
lich in Eur Churf. Landen alhier sowol , als zu Ingolstatt noch woll zu
finden oder da hierinn niemandt geföhlig) wo ee auch immer zu be-
kommen sein mechte, gnedigist zu reflectiren und unmassgebigist hie-
ryber sowol von dero alhier subsistirent, als zu Ingolstatt auf dero Uni-
versität befindenten collegio medicorum ein woll fundirtes consiliura
und Vorschlag bey ihren abgelegten Aydtspflichten und schwären ver-
antworttung sowohl gegen Gott als Eur Churfürstl. Dcht (als in einer
so hochwichtig, die Gesundtheit eines solchen Prinzen betreffenten sach)
zu erfordern , volgents nach gestaltsambe desselben , mit bestöUung ain
oder mehrer herren medicorum mehr höchstgedacht Sr. Durchl. dero
Gesundtheit halber dergestalten zu verwahren und zu versorgen , das
man ihres aufkommens halber von Sr. göttlichen Güette umb so mehr
gesicherte hoffnung zu machen habe. Eur Churfürstl. Dicht, nemen
uns aber nit ungnedigst, dass wür uns understehen, in dieser sach die-
selbe zu behelligen. Die Liebe, devotion und auffrichtigiste Treu,
womit wür unser gnedigsten Landtsherrschafft aus natürlichen An-
trieb und schuldigkheit beygeflichtet, gibt uns hierzue anlass, bey Eur
Heigel: Kurprinz Josef Ferdinand von Bayern. 249
zu lassen. Aucli dem Kaiser zeigte er diesen Entschluss
an. Leopold erwiderte, er lasse zwar seinen geliebten Enkel
Churfstl. Dcht. aber hoffentlich ein gnedigstes gehör und aestime,
bitten dabey die unerraessene göttl. Providenz, selbe wolle in deter-
minier- und resolvierung dieses wichtigisten negotiii seinen gnaden-
reichen beystandt erthaillen. Zu Churfstl. Hulden gnedigster Protection
und Gnaden uns dabey wie alzeit diemüttig und unterthenig und ge-
horsanibist empfelchent.
München den 10. Februar 1693.
(Nach Prüssl, den 11. Febr. 1693 uff die Post geben worden.)
II.
Schreibens - Abschrifft von Chur Beyrn an dero Landtschaft abge-
gangen.
Max Emanuel, Churfürst etc. etc.
Liebe Gethreue, Wir haben wolgelifert erhalten, was Ihr underm
10. diss wegen des Medici Vacchier , den Wir anstatt des Doctor Wal-
ters nacher Wienn zu schicken und daselbst bei unserem Churprinzen
aufzustellen resolvirt gewesen, gehorsamist erindern wollen.
Wie nun hieraus Eur uns beständig zuetragende devotion und
zugleich die fir die conservation unsers von Gott verlichnen Churprinzens
habende Sorgfalt genuegsamb zu verspihren, also nemben wir ein solches
gar woll an und auf, thun uns auch gegen Euch desshalb in Gnaden
bedancken und lassen Euch im ybrigen zu Eurer nachricht unverhalten,
dass wir eben darumben auf den Doctor Vacchier gefahlen, weill er
noch ein junger und lediger, dabey aber ein solcher Man, der in me-
dicina sein gutes fundament und zumahln auch eine zimbliche praxin,
und was uns an ihme gefallen, noch darzu eine guette manier und con-
duite hat, dergstalt, dass wir geglaubt, er wurde derentwegen besser,
denn ein Andrer bei unserm Churprinzen stehen, dessen natur er von
iugent auf kennen lernete , und ihme natürlicher weis vill jähr dienen
könde; zudeme, so hätte er auf den unverhofften fahl, das dem Chur-
prinzen, so der liebe Gott nit wolle, einige accidens zuestehen solte,
sowohl zu Wienn, als mit der Zeit auch zu Minchen die leib- und andere
Medicos an der handt, deren Rat und beistandt er sich alzeit bedienen
könnde, wie dann ohne das bei fürstlichen kein Medicus allein die gfahr
auf sich nimbt oder wenigist nit auf sich nemben solle, und desswegen
haltet man auch ordinari mehr , dan einen leib Medicum. Wie allem
250 Sitzung der histor. Classe vom 1. März 1879.
ungern ziehen , könne sicli aber freilich nicht verhehlen,
dass dem getreuen Bayerlande dieser Trost wohl zu gönnen,
cleme aber seye, so haben wir auf Eur einrathen unsren zu Minchen hindei -
lassenen Geheimen Rhäten zuegcschriben , dass Sie sowol die daselbst
anwesende Leib-, als theils Hoff- u. Statt- Medicos , wie nit weniger
die Medicinische facultaet zu Ingolstatt, ieden mit seiner particular
meinung förderlich vernemben und uns alsdann ein solches neben ihrem
Guettachten ybersenden sollen, und so auch Ihr Uns yber ein und an-
ders subiectum einen Vorschlag zu thun wisset, wollen wir denselben
von Euch erwartten und seind Euch gewogen etc.
Antuerpen den 19. Febr. 1693.
III.
Durchleuchtigster Churfürst, Gnedigster Heri'!
Aus dem von Eur. Churfstl. Durchl. uns sub dato 3. currentis
zuegefertigtem und den 9. ciusdem präsentirten gnedigstem Befelch
haben wür gehorsambist verstanden , wasmassen dieselbe zu dero von
Gott verliehenem Churprinzen einen aigenen Medicum aufzustellen des
gnedigsten Vorhabens seyen , vorhero aber auch von uns ein zuever-
lessiges Guettachten haben wollen , was etwann hierzue für ein Sub-
iectum am tauglichsten, welches höchbesagt dero Churprinzen für einen
beständigen Medicum zuezugeben sein möchte, also wür deme fürderlich
nachkommen und die notturfft in dero hochloblichen Gehaimben Rath
underthenigst berichten sollen.
Nun erstatten Eur Churfstl. Durchl wür für uns zu unserer
Facultet dissfalls sezende gnedigste verthrauen underthenigsten Dank.
Gleichwie wür aber allein von denenjenigen subiectis, welche Zeit unsers
gnedigst verliehenen Professur Ambts auf alhiesiger Universitet das
Studium Medicum verrichtet und zwar nur auch, sovil eines jeden pro-
fectum in studio Theorico betrifft, nit aber auch, wie sich nachgehendts
einer raehrers als der andere in Praxi (so zu dergleichen Condition
das vornembste requisitum ist) perficirt haben möge , wissenschafft
haben können, ansonsten uns aber auch unbekandt ist, wer etwann aus
anderen in dero Landen sich befindenden Subiectis, welche eintweders
gar nit alhie, oder doch nit zu unserer Professur Zeit gestudieret haben,
in einer rechtschaffenen experienz denen anderen praevalieren möchte.
Also wissen wür auch dissfalls keinen determinate vorzuschlagen, son-
dern winschen in underthenigster gehorsamb, dass dero durchleüch-
Heigel: Kurprinz Josef Ferdinand von Bayern. 251
da es ja ohnehin seinen Laudesfürsten entbehre (15. April
1693). Gar ungehalten war darüber die Frau Aia mit
ihren Damen und Mägden , sie prophezeiten Unheil und
Verderben, und der Hofmarschall Baron Weichs hatte Mühe,
sie zu beruhigen. „Ich habe des Weibergeschwätzes die
Ohren so voll , dass ich gehörlos werden raöcht", klagt er
dem Kurfürsten ^^).
Für die Reise des Kindes wurde in Brüssel ein eigenes
Memoriale ausgearbeitet, das genaue Vorschriften für Alles
und Jedes enthielt und auch die geringfügigsten Zwischen-
fälle in Rücksicht zog^»). Am 2. Mai 1693 brach die
tigister Churprinz mit einem solchem Leib Medice versehen werde,
welcher Eur Churfstl. Dicht, zu langwühriger Conservation dero durch-
leüchtigisten Churprinzens mit des ganzen Vatterlandts erfreülichisteni
Trost abzihlende gnedigste intention vermittels Göttlicher assistenz mit
schuldigister und vollkomnister Satisfaction zu adimplirn capabl sein
möchte, ingestalten wür nicht zweiflen , Eur Churfürstl. Dicht, werden
schon Selbsten solch gnedigste Information haben, was für Medici in
dero Landen ihnen einen sonderbahren rhuemb und renomee durch be-
ständige, guette, starcke und schon lange Zeit geübte Praxin erworben
haben* oder welche Eur Churfürstl, Dchlt. von anderwärtigen Orthen
her ihrer bezaigten experienz halber specialiter praediciert worden seindt,
so dero selben wür, weilen uns ein mehrers von andern an handt zu
geben nicht wissendt ist, noch auch sich auf uns ein raehrers zu thuen
nicht gezimmet , gehorsambist berichten , anbey auch zu beharrlicher
Churfürstl. Hulden und gnaden uns underthenigst empfehlen sollen.
Ingolstatt den 19. Martij anno 1693. Eur Churfürstl. Dchlcht.
underthenigst gehorsambste
Dechandt, Doctorn und Professorn der Medicini-
scheu Facultet dero üniversitet alda.
28) H. Ä. Nr. 689. Geburt etc. des Churprinzen Josef Perdi.
nand betr.
29) R. A. Fürstensachen Nr. 714.
Memorial
was bei abführung des Churprinzens von Wien bis nach München in
einem und andern zu beobachten.
1. Kan mit Ihre Kays Maj. gnädigsten approbation und guet-
252 Sitzung der histor. Classe vom 1. März 1879.
kleine Karawane aus Wien auf, nachdem der Prinz vorher
in der Paulaunerkirche unter feierlichen Ceremonien dem
befinden der aufbruch von Wien gegen ende des Aprils oder anfangs
des Mayen, nachdeme sich die Witterung darzue anlasst, geschehen.
2. Weils auf dem Wasser umb selbige Zeit noch frisch und kalt
und an sich selbst seicht ist, so dem Churprinzen an seiner Gesundt-
heit schädlich fallen dörifte, so finden Ihre Churf. Dicht, ihres theils
besser und sicherer zu sein, dass die rais yber Landt angestelt werde
3) Welches, sovil den Churprinzen betrifft, auf dreyerley weis ge-
schehen kan. Erstlich in einer woU verschlossenen Gutschen, darzue
das also genannte Cöllnische Wägel dienen könd;, oder in einer Maul-
thier Senfften, oder endlich in einer andern deinen Senfften, so durch
die Sesseltrager abgewexleter zu tragen wäre.
Weillen man bey dem Wägl, so guet selbiges auch gehenckt sein
mag, des stossen, woll auch des umbfahlens selbsten in denen schlimmen
Wegen nit versichert , so incliniren Ihr Churf. Durchl. mehrers uf die
Maulthier Sänfften, worin sich gleichwoll zwei Frauen mit einander,
oder, wenn keine dergleichen für zwei , sondern nur eine Persohn vor-
handten , eine Frau nach der andern umbgewexleter sitzen und den
Churprinzen in einem Pötl auf dem Schoss halten köndte. Neben der
Senfften köndte man starcke Knecht hergehen lassen, welche dieselbe,
da etwa ungefähr ein Maulthier zu straucheln oder gar zu fallen kom-
men solte, zuhalten. Wenn nun auch Ihre Kayserl. Majestät darmit
einstimmen, weren Sye umb die Maulthier , wie auch Sänfften, wenigist
bis an die Bayerisch Grenizen zu ersuchen, wo man* alsdann von Mün-
chen aus ein andere entgegenschicken köndte. Solte man aber ein
anders für bösser befindten, mögen Ihr Churfürstl. Dicht, auch Ires
orths wol zuelassen , wie Sye dann an die Grenz die Sesseltrager und
Maulthier schicken werden, sich ein- oder der andern bedienen zu
können.
4) Für den mitkommendten Hoffstaab wirdt muetmasslich der
Kayserl. Hof das Fuehrwerch bis an die Grenz bestöUn, selbigen auch
defraciren las^n, so mit gueter manier zu penetriren, fahls aber solches
nit zu verhoffen , wie dan derentwegen kein Instanz zu machen wäre,
das nöthige Fuehrwerch auf Ir Churfürstl. Dicht. Unkosten von Wien
bis auf Riedt zu bestöllen , wo man alsdann das Hoffgeförth fündten
würdt. Es ist aber zu solchem endte zwischen dem Baron von Weichss
und dem Stallmais terambt zu München, wie auch dem höchern Ministerio
Heigel: Kurprinz Josef Ferdinand von Bayern. 253
hl. Franz von Paula ,, aufgeopfert," d. h. der besouderen
Fürsorge des Heiligen empfohlen worden war. Bis Hitzing
fleissig zu correspondiren , damit man in den Anstalten desto sicherer
darauf antragen köndte.
5. Wann under der Raiss §chlimes nass und feichtes Wötter ein-
fallen un4t die Frau neben dem Leibmedico besorgen solten, dass dem
Churprinzen dardurch einige ungelegenheit zustehen mechte , kan man
in einer Statt oder Closter, wo es auch ist, ein oder mer tag wol stil-
ligen, so sich auch auf den Fahl verstehet, da dem Churprinzen, so
Gott verbiet, einiges anders accidens auf der Raiss zuestehen solte. Im
übrigen wirdt
6. die Frau Obrist Hoffmaisterin , wie auch der Leibmedicus son-
ders zweifeis von selbsten darauf bedacht sein, dass Sie ein deine Ap-
podeck und darin dieienige sachen mit auf die Raiss nemmen , so für
der Künder zuestandt gehörig.
7. Für die Mittag und nacht Läger wirdet in denen Kayserl. Erb
lendern der Kayserl. Hoff selbsten, im Fahl er die defracirung yber sich
nimbt, sorg tragen. Es kann aber gleichwohln von dem churfürstl.
Hoffstaab ain Cammer Portier oder Cammerknecht in der zeit im
voraus geschickt werden, der auf die quartier, absonderlich wo der
Churprinz sein solle, acht habe.
8. Weill auch muetmasslich der Zuelauff von Leith gross sein
wird, die den Churprinzen , wo Er durchraist , zu sehen verlangen wer-
den , so stellen Ir Churfürstl. Dicht, in dero Obrist Hoffmaisterin wie
auch des Baron von Weichs discretion, was Sye hierunder ze thun oder
ze lassen am besten erachten, absonderlich, wo sich geistliche oder ander
Persohn von condition und bekandtschaft , bey denen kein verdacht,
anmelden und den Churprinzen zu sehen verlangen wurden. Es ist
aber in allwegen darauff zu gedencken, dass für die quartier und
Zimmer, wo der Churprinz von Zeit zu Zeit sein wirdt, Wachten be-
stelt werdten, die denselben tag und nacht bewachten.
9. So wirdet auch die recompensirung der Kayserl. Bedienten, so
mit der Churfürstin hochseelig wie auch dem Churprinzen bishero be-
mihet gewesen und noch weitters bemihet sein werden , zu beeder der
Obrist Hoffmaisterin, wie auch des Baron von Weichs discretion anheimb-
gestelt , so weit von denen zu München hinterlassenen Räthen , dann
des Baron von Weichs neuest hiehero geschickte Designation recom-
pensandorum zu examiniren ybergeben wordten, nichts specialiter aus-
werffen.
254 Sitzung der histor. Glassc vom 1. März 1879.
gaben alle Damen des Hofes das Geleit, einige vom Kaiser
beauftragte Cavaliere bis an die Landesgrenze. Ueberall
10. Wie sonst graelt, so wird man zu Ried das HofFgefehrt samlt
der Leibguardin fünden , die den Churprinzen seither nacher München
bringen helfFen sollen und yberlassen Ihr Churfürstl. Dicht, der lobl.
Landtschaft Discretion undt Willkür frey gestelt, ob und wen Sye
von lobl. Landtschaft wegen abordtnen wollen, die den Churprinzen bis
nacher München beglaitten.
Von Hoff aus sollen mit dem Obristhoffmaister GrafFen Paul Pug-
gern 4 Cammer- und 2 Trucksessen bis Riedt deputiert werden, welche
denselben zu corteggiren.
11. Zu Alten Ötting soll man vor der heyligen Capell , wans än-
derst des Churprinzens gemächlichkeit leidet, abstehen und denselben
under einem gesungnen Te Deum dem allmechtigen Gott und der seelig-
sten Muetter Gottes neben praesentirung des Silbernen Opfers, so durch
den Residenz Guarda Roba Sailler angefrimbt worden, aulFopfern und
alsdann erst in sein quartier tragen lassen.
12. Was bei seiner ankonfft zu München mit der einglaittung,
dem absteigen bey unser lieben Frauen Stift- und Pfarrkürchen, Singung
eines Te Deum laudamus, lösung des grossen Geschütz, lUuminirung der
Statt und in anderweegen geschehen solle, ist bereits vorhin verordtnet,
und darin weitter nichts zu endern, dann dass man den Churprinzen,
wann er gegen der Statt kombt, in den schönen, neuen Wagen von
Paris, darin sich die Obristhoffmaisterin Gräfin von Perouse mit ihme
Churprinzen allein hineinzusötzen und sonst niemand anderer, einheilen.
Item , dass man von unser lieben Frauen Thurn , wie auch durch die
Miliz und Burgerschaft auf dem Marckt und in den Gassen zu der
Zeit, wo der Churprinz zu und von der Kürchen getragen würdt , auch
weill er in der Kürchen selbsten ist, nit schiessen lasse, damit er nit
geschröckt werde, sonder man kann von unser lieben Frauen Thurn
aus eint weders durch's Gleit oder sonsten auiF die Wäll hinaus wegen
lösung des groben Gschützs und dem te Deum ein gwisses Signal geben
Wann der Churprinz nacher Hoff in seine Zimmer yberbracht sein
würdt , kann man das Salve Schiessen auf dem Markt woll zuelassen,
doch aber in denen Gassen nit, absonderlich in denen der Residenz am
negsten gelegnen zwei Schwäbinger Gassen.
13. So kann auch nach des Churprinzen Ankonft zu München
auff die drei volgente tag nach einander die Trauer abgelegt und Galla
Heigel: Kurprinz Josef Ferdinand von Bayern. 255
wurden dem Sprössling des Kaiserhauses hohe Ehren er-
wiesen. In Ried fanden sich am 7. Mai zum Empfang auf
bayrischem Boden — nach Ausweis der Fourierzettel —
nicht weniger als 261 Mitglieder des kurfürstlichen Hofstaats
und der Landschaft mit zahlreichem Dienertross ein. Um
jeder uachtheiligen Einwirkung auf die Gesundheit des
Kindes vorzubeugen, wurden nur sehr kurze Tagreisen zu-
rückgelegt. In Altötting wurde der Prinz nochmals während
eines feierlichen Hochamts vor der Wallfahrtskapelle auf-
geopfert. Am 23. Mai langte der Zug, dem sich unterwegs
noch viele Edelleute und Prälaten zu Ross und Wagen an-
geschlossen hatten, vor den Mauern Münchens an, wo von
Stadtrath und Bürgerschaft ein festlicher Empfang bereitet
gehalten, auch dem Volck ire Freudenbezeigung zuegelassen werden,
doch dass solches mit Bescheidenhait ohne Tumult ahsonderlich auch
ohne Schiessen gescheche.
14, Wegen Zuerichtung der Kündtszimmer ist ebenraässig schon
bevelch ergangen undt wirdet bey heuntiger Post an Ihr Churfürstl.
Durchl. zu Colin geschrieben, dass im fahl es nit bereits vorhin ge-
schehen, Sie darin platz machen und Ihr dagegen aintweders der Ma-
dame la Daufine oder die Zimmer uf der Rundstuben auswölen
mögten.
15. Betreffent bemelte Kündszimmer, so kann man, wie es vor
diesem gewesen, die 3 erste von der fordern grossen Stiegen hinein für
den Ckurprinzen lassen und in das dritte aintweders das Pött richten,
die hintere alsdan gegen den deinen Gängl und Contrafait Saal könde
die Frau Obristhoffmaisterin neben denen Cammerfrauen und Cammer-
dienern behalten. Sobalt der Churprinz zu München angelanget sein
würdt, ist der junge Graf von Muckenthall, welcher ohne das in Nieder-
landen die heurige Campague zu machen verlangt, mit solcher Zeitung
uf der Post hieher nacher Brüssel abzuferttigen und ihme einzubindten,
dass er wol raitte.
Lässtiich so sich einig anderer zuefahl eraignen solte, von deme
hierin nichts gemelt ist , wird man dariber dasjenige zu beobachten
wissen, was man am räthlichisten und hosten zu sein erachten kann.
Actum Brüssel den 20. Merzen
Anno 1693.
256 Sitzung der liistor. Classe vom 1. März 1879.
ward. Zum Andenken an die glückliche Ankunft des Thron-
erben Hess der Stadtrath eine Münze mit dem Bildniss des
Prinzen und der stolzen Umschrift: Ex parvo mundo Deo
auspice spes maxima mundi ! schlagen und sandte eine Dank-
und Glückwunsch adresse nach Brüssel.
Schon damals aber oder doch bald darauf trug sich
der Kurfürst mit dem Gedanken, seinen Sohn nach Madrid
zu schicken und am Hofe seiner Gönnerin , der Königin-
Mutter, aufziehen zu lassen. Die Anregung scheint von ihr
selbst ausgegangen zu sein, wenigstens schreibt die Gemahlin
des Königs, Maria Anna, am 13.Mail694an ihren Bruder: ,,Ich
verhoffe anbey, es (dieLütticher Bischofswahl) werde Ew. Lieb-
den die Augen geöffnet haben, umb zu erkennen, wie sehr Sie der
gute Wahn, den Sie allezeit von der verwittibten Königin
gehabt, betrogen, und was Ew. Liebden und unser gantzes
Hauss, ja das gantze Hauss Oesterreich selbsten, das Rö-
mische Reich und diese Monarchie gutes von ihr zu ge-
warten haben, dann sie hat zu werk gericht, dass der Chur-
fürst in Beyern das Governo vom Niederlandt bekommen,
sie hat sich angemaasst, das stift Lüttig dem Churfürsten
von Cöln in die Handt zu spihlen , und sich gar vill be-
mühet, wiewohln aber umbsonsten, meinen König dahin zu
empenniren, .... wollen Ew. Liebden auch mehr wissen:
sie trachtet auch nach dem Princen von Beyrn und trachtet
darnach, wie sie ihn herein bekommen möchte, zu was
Ende, ist ja leicht begreiffen^^) !" Genauere Nachricht über
das Projekt erhalten wir durch ein Memoire, dessen Abschrift
ohne Datum und Unterschrift im geheimen bayrischen Staats-
archiv verwahrt ist^^). Vermuthlich rührt es aus der Feder
30) St. A. K. bl. 46/14.
31) St. A.
Snccession d'Espagne pour le Prince Electoral de Baviere.
Personne ne peut disconvenir, que Son Altesse Electorale se trouve
presentement dans la plus vaste carriere du monde , et tout cela ä
Heigel: Kurprinz Josef Ferdinand von Bayern. 257
Prielmayr's her und ist jedenfalls vor dem Jahr 1695 ge-
schrieben , da der erst anzuordnenden Absendung Bertier's
l'egard de Monseigneur son tils, dont les raisons pour la succesion d'Es-
pagne ä mon avis sont incontestables, ä raoins comrae il est ä croire,
que ces pretensions ne se veuillent decider par le droit des canons,
plutot que par une voye amiable, qui seroit pourtant la plus douce et
Celle, qui feroit le moins repandre de Sang chretien, il est donc que-
stion, si pour prevenir ces inconveniens , 11 ne seroit pas bon de tra-
vailler ä cette heure a faire aller ce fils de Son Altesse Electorale
en Espagne.
Les raisons, pour qu'il convienne de le faire, pourroient etre:
1. Que cela se pouvant obtenirj, le premier et le pas plus difficile
pour se mettre insensiblement dans la possession de ses pretensions
naissantes se seroit fait et le chemin affranchi.
2. Le Roi naturellement le devroit considerer comme son fils et
pour les apparences de toutes les qualites amiables dans ce jeune Prince
il se formeroit envers lui une aflfection toute particuliere et par lä
3. on couperoit Pesperance ä tout autre concourant , du cote des
quels on ne manquera pas de remuer ciel et terre pour la memo fin
considerant l'avantage, qu' aura celui, qui sera a la main et deja
produit.
4. A quoi serviroit dans les conjonctures presentes la Reine Mere
en meryeille, auroit soin de son education, et pour ainsi dire de sa vie,
car Elle ne le laisseroit point entre d'autres mains plus douteuses que
les siennes, Elle veilleroit ä ses interets en tout et par tout, et tout ce
qui seroit ä la Reine ou pour la Reine seroit deja par avance pour notre
jeune Prince et seroit toujours quelque chose,
5. qu' au contraire la Reine etant morte, tout cela se dissipe de
soi meme.
6. Le prince ayant une fois gagne a fond l'inclination du Roi
empechera par sa seule presence, que Ton ne songe plus ä faire ou in-
duire le Roi ä faire un testament, ce qui nous.pourroit causer beaucoup
d'embarras d'un autre cote; ainsi il pourroit arriver, que peut etre le
Roi feroit une disposition solemnelle plutot en faveur du Prince que
de tout autre, et par lä notre droit seroit fortifie de nouveau.
7. Le Prince etant en Espagne depuis son enfance s'accoutumeroit
mieux ä Tair, a la maniere ou genie du peuple de vivre dans ce pai's
et ä mesure de son age indubitablement se rendroit plus agreable aux
258- Sitzung der histor. Classe vom 1. März 1879.
nach Madrid Erwähnung geschieht. Es verbreitet sich ausführ-
lich über die Frage, ob es räthlich sei, den Kurprinzen nach
grands et au peuple, qui le regarderoit et racclameroit par tout comme
son Souverain futur et presoniptif.
8. Etant en age il se fera personeilement des amis et il se for-
mera de soi-meme pour lui un parti considerable.
9. On pourroit aussi ä la fin dire , qu' il sera noarri et cleve en
Espagne aux depens du ßoi.
Les raisons pour faire le contraire sont :
1. Qu' 11 iraporte a Son Altesse electorale comme chef d'une si
grande Maison devant tout chose au moude de conserver sa succession.
2. Particulierement ce fils unique de feu Madame TElectrice, sur la
vie duquel roule toute cette grande raachine, car celui-ci venant ä man-
quer, il ne faudroit songer qu'uniquement ä la Baviere tout le reste
des pretensions et esperances etant expirer en meme tems.
3. De le transporter dans un bas age sur la mer est une chose
pleine de risque et trop dure pour la tendre complexion des enfans et
en particulier d'un Prince si bien ne sur un dement tant indiscret;
de le faire passer par terre et par la France , a quoi on ne pourroit
songer qu'en tems de paix, ce seroit toujours se mettre en compromis
et s' abandonner a la merci d'an competiteur , qui ne manque pas dans
son Royaume de gens capables a tout faire , raeme sans des ordres ex-
presses du Roi pour vü qu'ils sachent de rencontrer par lä traitrement
l'approbation de leur Souverain.
4. Et que peut-on savoir, ce qui lui pourroit arriver en Espagne,
lä ou Ton ne souffriroit apparenment aucune personne independante et
de confiance,qui voudroit veiller sur le Prince immediatement, son manger,
son boire et sur les personnes, qui le pourroient approcher, la Reine-
mere ne le pourroit ou ne le voudroit peut-etre pas assister continuel-
lement; et qui S9ait, combien qu' Elle pourra encore vivre?
5. L'education de l'Espagne , ä ce que j'entens, n'est pas des
meilleurs, et il faudroit inspirer au Prince Electoral bien d'autres sen-
timens, que ne sont ä present ceux de la cour de Madrit; ce Prince
' raeme, quand il sera en Espagne et quand il parviendroit, a quoi sa
naissance et ses droits le portent, sera enveloppe de guerre et oblige
de se soutenir dans les commencemens par l'epee, et prout Serenissimi
Patris erit quaerere, Serenissimus filius debebit pacta tueri, quando-
quidem hoc non minor est virtus, et erunt bella horrenda, si l'on en
vient jusque lä, qu'on veuille embrasser toute la machine.
Heigel: Kurprinz Josef Ferdinand von Bayern. 259
Spanien zu senden, und da auch die Einzelheiten für das Ver-
ständniss der Zeitlage und für die Auffassung der ganzen Erb-
6. Son Altesse Electorale, qui n'a pas encore eu le plaisir de voir
seulement son aimable fils par la loi de la nature, ne se voudra pas
Sans la derniere necessite priver de la satisfaction d'avoir ä soi ou au
moins ä sa disposition son fils unique et pour ainsi dire son tresor le
plus solide dans l'univers.
7. Et le plus long temps qu'EUe l'aura aupres d'EUe, Elle pourra
toujours cultiver son bon naturel et faire prendre tels sentimens qu'
Elle jugera ä propos et de sa propre convenience , particulierement ä
Tegard du Gouvernement d'Espagne, si jamais il en devoit toucher une
partie ä Monseigneur le Prince, lequel se devroit estimer aussi heureux
d'etre electeur de Baviere et absolu, que d'etre souverain sur une partie
des Royaumes d'Espagne sur le pie, qu'il se trouve presentement.
8. Si Monseigneur le Prince ne connoit pas encore son Papa, et
je voudrois, qu'il fut eleve dans ce respect et veneration envers lui, que
le cas se donnant qu'il faudroit necessairement se separer, Son Sere-
nissirae Pere fut toujours le maitre de ses volontes et que les maximes
d'aucune autre nation, ni artifice des malintentionnes ne fussent pas ca-
pables de Ten detourner, ce qui autrement donneroit des chagrins ter-
ribles ä un Pere d'un si haut rang apres avoir sacrifie un fils aine et
presentement encore unique au bien d'une autre nation.
9. Et tandis qu'il n'y a pas un autre de ce mariage, comme nous
voulons esperer et prier Dieu, que cela arrive bientöt, la Baviere source
et üatrimoine des ducs de Baviere plaindroit bien son sort, si jamais
eile venoit a savoir, que non seulement son Seigneur legitime n'a pas
de la disposition de demeurer selon l'exemple de ses ancetres dans le
centre de ses etats, qui lui sont hereditaires , soumis au dernier point
et assez commodes pour en tirer jusqu'ä present tant de millions pour
la guerre et meme a cette heure pour la subsistence de son Prince dans
un autre pais, ce quela plus grande partie de la Baviere envisage comme
une espece de mepris, peu d'iuclination envers ses sujets, leur ruine et
une raalheureuse destinee ; mais par dessus cela si eile avoit connoissance,
que l'on travaille ä lui oter le Prince electoral, qui faisoit son unique
consolation et dont eile est actuellement en possession, pour le faire
passer dans un paus si eloigne sous des vaines esperances, lesquelles
memes, quand elles se devroient verifier, ne seroient, que pour abimer
saus resource la Baviere et en ce que quand le Prince seroit Roi d'Es-
pagne, il ne laisseroit pas pour cela d'etre Electeur de Baviere a moins
[1879. I. Philos.-philol. bist. Cl. 3.] 19
260 Sitzung der liistor. Classe vom 1. März 1879.
frage durcli einen wohl eingeweihten Politiker von Interesse
sind, lohnt es sich , näher darauf einzugehen.
d'une abdication solemnelle dans un age assez raisonable , ce que peut-
etre les Espagnols ne voudroient pas faire, sous la doraination desquels
la Baviere devroit etre bon gre mal gre, sans voir peut-etre jamais son
maitre, dans l'absence duquel ils pourroient peut-etre etre traittes des
ministres, comme les Pais bas s'ont ete des gouverneurs antecedens, ce
qui ne considerant bien la Baviere, il n'y en auroit peut-etre pas dix
en tous les etats, qui depuis le premier jusqu'au dernier ne maudiroit
ces intrigues avec l'Espagne et feroit des prieres, que la Monarchie aille
plutot en dessus dessous.
10. La plus forte et la derniere raison, je pose, que travaillant
poiir que le Prince y aille, Ton se decouvre avant le tems et fait con-
noitre ses vues, par consequent on allarme ses concurrens, qui ne man-
queront pas aussi d'avoir des amis en Espagne, qui pourroient pene-
trer la chose et faire evenler la mine : merae il faut craindre de se rendre
par lä en quelque fapon desagreable au Roi, qui ne desespere pas encore
d'avoir Im meme de la succession et par consequent n'entend pas vo-
lontiers toucher cette corde, qui le mettroit en mechante reputation
aupres de la Reine regnante, qu'il aime beaucoup, et laquelle est peut-
etre obligee de dissimuler de lui de certaines choses, dont d'autres fem-
mes ne se voudroient pas contenter, que S9ais-je moi, ne doutant pas
que le Roi ne soit oblige par une bienseance de communiquer un point
si essentiel et qui la touche en quelque fa9on Elle meme, auparavant ä
la Reine, qui le feroit d'abord s9avoir ä ses adherents.
(Nß. La renonciation oblige Son Altesse Electorale en conscience
qu'Elle en personne n'y peut pas contrevenir, et moi je ne puis pas me
resoudre ä ce principe peu chretien de Seneque : Si fides frangenda,
regni causa violanda est, quel principe pourroit probablement justement
irriter le bon Dieu et nous attirer son courroux, car ä notre machine
Ton peut dire: nisi Dominus aedificaverit domum hanc, que sans Bene-
diction, frustra laborant.)
Je conclus donc qu'il ne faut pas chercher ni travailler presen-
tement et rebus sie stantibus de faire passer le Prince Electoral, fils
unique, en Espagne, mais*) bien empecher toujours, qu'aucun autre de
la meme qualite n'y arrive non plus, et de ce premier point je saute
*) Hierher gehört wahrscheinlich die Randbemerkung: de gagner
la Reine , faire tres delicatement sonder de loin le Roi , par la voye
secrete, dont je ne S9ais pas le credit, ni la force et sur tout
Heigel: Kurprinz Josef Ferdinand von Bayern. 261
Für den Verfasser, dessen Scharf blick und Freimutli
sich in günstigstem Licht zeigen, steht fest, dass die An-
par la permission de Son Altesse Electorale d'abord au quatrieme par
le rapport qu'il y a, c'est ä dire, ce qu'il faudroit faire, si de inouve-
ment propre ü etoit deraande du Roi d'Espagne.
Premierement je ne crois pas que cela se fasse tandis que la Reine
regnante aura comrae cela le dessus pour deux raisons, dont la pre-
miere est celle, que j'ai allegue et sur la quelle comme etant une chose
couverte du lit, aucun ministre par crainte d'offenser la Reine n'oseroit
s'avancer et aller trop avant. Le second motif est que la Reine sera
interieurement toujours plus portee pour un fils de sa soeur, dont sur
ce chapitre la Elle sera assez instruite ou piquee de Jalousie ä l'egard
de la diminution d'autorite, o per un altro verso, qu'Elle au moins eile
empechera, que si son neveu n'est pas appelle en Espagne, au moins un
autre ne le soit pas non plus, et c'est justement la raison, pour laquelle
je croirois, qu'il ne seroit pas inutile, de tacher de se mettre bien avec
la Reine regnante par voye de complaisances , de presens ou autrement
autant qu'il seroit possible , pour l'adoucir et la rendre au moins in-
differente envers le Prince Electoral, qui n'est pas son neveu, mais tou-
jours de sa propre raaison, dont Elle se peut promettre en tout cas une
parfaite reconnoissance , et il ne seroit pas mauvais, si on lui pouvoit
faire insinuer de loin ces reflexions par une personne confidente , dont
il faut tacher d'en gagner une ä quel prix que ce soit; mais si non
obstant tout cela le Roi appelloit le Prince Electoral, le jeu seroit tout
autre, §t il auroit deja pris ses mesures, et ce seroit en effet le de-
clarer heritier de ses couronnes, et alors je trouve, que toutes les con-
siderations ci dessus cesseroient, car pour se mettre en quasi possession
de tant de Royaumes on peut ä la fin hazarder quelque chose, et il
faut en des entreprises de cette nature quelquefois pour ainsi dire,
jouer de son reste. J'ai bonne opinion, que le Prince Electoral sera ac-
compagne ae bonheur pareil ä son Altesse Electorale, dont on ne peut
pas assez admirer le sort dans tout ce qui depend purement de la for-
tune et de ses evenemens, et Ton a raison de tacher de ne point eloigner
cette benediction du Ciel.
Dans le cas susdit le Roi lui-meme auroit soin de raonseigneur
le Prince comme de son fils , tous les Grands avec le peuple univers
l'adoreroient comme leur Roi futur, il faudroit laisser crier la Baviere
bien que ne voudrois pas pourtant que jamais Ton sceut la, que j'ai
ete de ce sentiment. II seroit necessaire alors, que pour ne point la
19*
262 Sitzung der histor. Glasse vom 1. März 1879.
Sprüche des Kurprinzen auf die Erbfolge unanfechtbar;
nichts desto weniger aber sei es, damit nicht doch das
desesperer, Son Altesse Electorale allat pour le moins une fois Pannee
en personne lä, quand ce ne seroit que pour les apparences, dont dans
ce monde Ton se repaist beaucoup,
D'abord que par la grace de Dieu nous aurons un autre Prince,
Taffaire n'aura plus' tant de difficulte puisqu'au moins il y aura un
Prince du Sang dans le pais, qui aura sa cour et pourra faire la figure
d'un regent dans les formes, mais entre tems il me semble que Ton
pourroit payer de quelque petite satisfaction , si Ton faisoit faire le
Gerate de Wartenberg, suppose que d'ailleurs il revienne ä Son Altesse
Electorale Prince de l'Empire , ou a la fin point Prince , mais ce qui
offenseroit le Comte Pugger, qui seroit oblige de quitter pour cela, et
le mettoit ä la tete du conseil d'etat comme LandshoiFmeister pro In-
terim avec Obligation, qu'il devroit toujours devenir Obristhoffmeister
ou de Madame l'Electrice , ou d'un Prince Electoral et par ce moyen il
feroit ä son tems une entree, si Son Altesse Electorale vouloit ä Mr.
le Chevalier etc. etc. au dit comte de Wartenberg, il faudroit bientot
pourvoir d'une femme et le faire marier, pour en avoir des enfans , qui
pourroient prendre, s'il est permis, de dire ainsi en depot les Eveches
dans ou au voisinage de la Baviere; mais pourtant cecy je prens la
liberte et je me sens pousse ä cela par mon serment de fidelite, qu'il
faut ä Son Altesse Electorale dans son ministere plus de gens d'ex-
perience et de probite, car le seul chancellier venant ä manquer, comme
il est toujours malade, ou malingre venant a manquer, je ne vois pas
en Baviere aucun, par qui on pourroit remplacer dignement ce poste et
il n'y a point de tems ä perdre, et il convient, que plus d'un soient
informes des affaires et des vues de Son Altesse Electorale.
Pour la conclusion de notre article, si a l'instance du Roi le
Prince Electoral alloit en Espagne, les competiteurs ne pourroient rien
dire, et personne se plaindre, que Son Altesse Electorale fait quelque
chose coutre la bonne fois; meme que l'on le considere comme Ton
veut, car le tout provient du Roi, qui ä cet egard n'est pas lie d'aucun
traite.
Pour donc venir ä la seconde, qui ä moi fait la troisieme question.
A moins que Son Altesse Electorale ne veuille satisfaire son plaisir
particulier de se divertir et voir aupres de Soi son fils; lequel veritable-
raent ä cette heure se trouve dans les annees de rejouir tout le monde.
Heigel: Kurprinz Josef Ferdinand von Bayern. 263
Recht der Kanonen allein entscheide , vonnöthen , für
einen friedlichen Ausgleich jetzt schon Sorge zn tragen.
surpassant en cela son age, je ne vois point aucune necessite ni raison
presente de le faire venir ici, car il ne donneroit que de la Jalousie aux
concurrents par les acclamations du peuple, que ne s'en tiendra pas
dans ce pais-ci, dont peut-etre l'Espagne pourroit prendre de Tombrage
ä Texemple de Philippe Second, qui n'epargna pas son fils unique, etant
destitue de toute aatre succession par rintroduetion, que Don^Carlos fit
dans ce pai's-ci.
Outre que Ton entendra des plaintes de la Ba viere ä la douzaine
Sans neccessite, les depenses seront aussi sans comparaison plus grandes
et il lui faudroit former une cour particuliere , sans faire mention que
ce petit Seigneur il faut epargner, puisqu'il se porte si bien en Baviere,
ce qui peut-etre ne seroit pas de meme ici, et ne le point exposer ä de
grands voyages, autant qu'une affaire importante ne le demande, et plus
long tems, qu'il peut rester en Baviere, d'autant plus se fortifiera-t-il
pour resister ä Tavenir aux choses, qui peuvent survenir.
A la question, s'il faut negocier pour la perpetuite du gouverne-
ment, je suis de l'opinion, que pour le present c'est celle, qui empörte
le plus, et est la plus essentielle, et comme eile est deja sur le tapis,
resolution prise d'envoyer Mr. Bertier pour cela en Espagne, et la
chose, bien qu'il n en ait point encore fait d'ouverture dans les formes
connues de plusieurs par consequent plus secrete, il s'offre ä considerer,
si aupres l'avertissement donne par la voye secrete, qu'on pourroit gäter
par cette commission la grande affaire de la succession, ou peut-etre
avoir un refus, ou au moins une reponse pas favorable, il faut mieux
surseoir ou desister de cette negociation, ou d'insister ä une resolution,
meme quand eile devroit etre negative, le monde est si changeant et
les accidens si frequents, qu'on ne peut presque conter sur rien ä moins
que Ton ne l'ait en ses mains , jusque la que meme ce dont on possede,
il faut bien s'assurer de l'autre cote, chi troppo abbraccia, nulla stringe.
De s'imaginer , que jamais le Prince Electoral puisse embrasser la suc-
cession entiere d'Espagne, c'est a mon avis et comme j'ai deduit ailleurs,
une pensee, dont on ne se doit pas flatter, car quand meme le Prince
Electoral sera en Espagne reconnu pour successeur du Roi, des Grands
et des peuples, les deux autres concurents, qui seront le fils de l'Em-
pereur et le fils ou petit fils du Roi de France, ne laisseront pas pour
cela de pousser leur droit et de faire la guerre contre l'Espagne, le fils
de l'Empereur le beau premier contre la Baviere, et alors l'Espagne avec
264 Sitzung der histor. Classe vom 1. März 1878.
Wenn man nun frage, ob für diesen Zweck eine Reise des
Prinzen nach Spanien und ein dauernder Aufenthalt in
toutes ses declarations ne sera pas süffisante apres la mort du Roi, de
maintenir le Prince Electoral, qui aura assez ä faire, quand il pourra
I)revenir le Turpius ejicitiir, quam non admittitur hospes. Je regarde
donc cette succession, quand on la voudroit maintenir entiere, teile Puis-
sance , qu'elle soit comme une chose, qui est surjette ä mille incon-
veniens et risques de se noyer et perdre soi-raeme et interire mole sua,
et je ne puis pas voir, que ni l'Empereur ni le Koi de France songe
a Tavoir entierement, mais d'en arracher le plus ou le moins.
A plus forte raison nie semble-t-il , que Son Altesse Electorale
devroit mesurer ses forces, ses amis et tout ce qu'il peut faire pour
ses interets, ä quoi tout cela peut aller: naturellement les Pais bas
sont les plus faciles, car l'Empereur en cas de succession ne les peut
pas disputer. L'Angleterre et la Hollande se sont obligees par un
traite de vouloir maintenir cette pretension ä la maison de Baviere,
outre que leur interet particulier les portera ä s'opposer ä la France,
qui les disputera. Le Royaume de Naples et de Sicile dependent aussi
en quelque fa9on de la collation du Pape, lequel s'il vouloit le donner
en fief a la maison Electorale, ferait, qu'aucun de droit pourroit dis-
puter par apres cette pretension , toutes les autres sont sujettes ä de
grandissimes contradictions et de sanglantes guerres, lesquelles la maison
de Baviere ne pourra pas soutenir ; mais pour s'affermir les deux Pre-
miers. Elle doit faire' tout et les considerer comme son patrimoine
futur, et comme eile se trouve deja actuellement dans la possession du
premier, eile doit s'en assurer autant qu'elle peut, particulierement dans
cette conjoncture et tandisque Son Altesse Electorale est necessaire ici
meme ä l'Espagne, oü la paix etant une fois faite on ne menagera
plus tant Son Altesse Electorale; mais quelque grand n'auroit peut-etre
point de scrupule d'eloigner Son Altesse Electorale ou ouvertement ou
par des chagrins continuels, dont on ne laisseroit pas de le changer
continuellement et avec cela toutes les depenses faites jusqu' ä cette
heure seroient autant que jettees dans l'eau et Son Altesse Electorale
se trouveroit reculee plus que jamais. Elle auroit aussi ayant le gouverne-
ment ä perpetuite plus de liberte de passer de tems en tems en Ba-
viere. Elle seroit plus consideree ici du pais et de ses voisins, on pour-
roit prendre ses mesures mieux avec ses trouppes. Elle obtiendroit plus
d'authorite sur le pie du Cardinal Infant. Enfin on verroit le fond de
cette machine, sans quoi j'en ai mauvais presentiment.
Heigel: Kurprinz Josef Ferdinand von Bayern. . 265
Madrid förderlich seien, so könne Manches dafür angeführt
werden. Der erste und schwierigste Schritt, den recht-
mässigen Erben an den Ort seiner Bestimmung zu bringen,
wäre damit gethan, den anderen Bewerbern ein Vorsprung
abgewonnen. Schon die Anwesenheit des Prinzen in Madrid
werde verhindern , dass der König testamentarische Ver-
fügungen zu Gunsten eines Andern treffe. Von Seite der
verwittweten Königin werde sicher Alles geschehen, um
aufs Beste für seine Gesundheit und Erziehung zu sorgen
und ihm die Gunst des Königs zuzuwenden. Von frühester
Kindheit an in Spanien erzogen, werde er sich leicht an
Spaniens Klima, Lebensweise und Volksgeist gewöhnen und
ebenso das Volk damit vertraut werden, in ihm den Thron-
folger und künftigen Souverän zu erblicken.
Dessen ungeachtet aber seien noch schwerer wiegende
Gründe gegen die Reise anzuführen. Ein Wagniss bleibe
es immerhin, fremden Händen den einzigen Sohn und Erben
anzuvertrauen , der , ganz abgesehen von den grossen Er-
wartungen, die sich sonst an sein Leben knüpfen mögen,
die einzige Hoffnung und Stütze des Stammlandes Bayern.
Gefahrvoll sei eine Seefahrt, nicht minder gefährlich der
Landweg, denn die Reise durch Frankreich, die natürlich
überhaupt erst nach Beendigung des Krieges unternommen
werden könnte, sei auch dann noch ernsten Bedenken unter-
worfen; man sei ja immer genötigt, auf den guten Willen
eines Mitbewerbers zu bauen, der zur Erfüllung eines ge-
heimen Wunsches leicht gefügige Werkzeuge finden würde.
In Spanien selbst aber seien Leben und Wohlfahrt des
Knaben kaum gesicherter, denn wie lang werde die Königin-
Mutter noch leben, auf welche allein volles Vertrauen zu
Mais il faut aussi etablir en meme tems ses apointemens et etu-
dier en meme tems la maniere, comment il faudra faire porter cela ä
la cour de Madrit, car Mr. de Schonerkery meme, quand il seroit remis,
n'aura pas l'entree comme auparavant.
266 ' Sitzung der histor. Classe vom 1. März 1879.
setzen? Werde sich denn überhaupt der Kurfürst, der sein
liebenswürdiges Kind noch gar nicht gesehen, dazu ent-
schliessen können, seinen kostbarsten Schatz so ganz aus
den Händen zu geben? Darauf verzichten, seine Erziehung
zu leiten? — wahrlich, keine leichte Aufgabe, wenn man
bedenke, dass sich der Prinz vielleicht damit begnügen
müsse, Kurfürst von Bayern zu sein, vielleicht zum Gebieter
vieler Königreiche ausersehen sei ! Rücksicht verdiene wohl
auch Bayern, das ohnehin zu beklagen habe, dass sein Fürst
nicht mehr gleich den Ahnen im alten Stammlande seinen
Wohnsitz habe , das schon so viele Millionen für die im
dynastischen Interesse geführten Kriege geopfert habe.
Wenn man ihm nun auch den Erben des Thrones entrisse,
würden die treuen Unterthanen solche Missachtung bitter
empfinden und sich dem Wunsche hingeben, es möchte
lieber die ganze spanische Monarchie in Trümmer gehen.
Endlich und vor Allem : es sei nicht wohlgethan , jetzt
schon mit offenen Karten zu spielen, dies heisse nur die
Gegner vorzeitig anstacheln, ebenfalls in Spanien Anhang
zu suchen.
Bei nüchterner Erwägung dieser Gründe und Gegen-
grüude könne man die üebersiedelung des Prinzen nicht
befürworten. Viele Bedenken würden freilich schwinden,
wenn der König von Spanien selbst den Prinzen in's Land
riefe. Dies sei aber unwahrscheinlich, da ja die regierende
Königin ihren Neffen begünstige. Um zu verhüten, dass
sie wenigstens nicht gegen den Kurprinzen feindselig operire,
müsse man sie zu überzeugen suchen, dass sie von ihrem
eigenem Hause der treuesten Dankbarkeit versichert sein
dürfe. Wenn sich dennoch das Unwahrscheinliche ereignen
und der König selbst den Prinzen berufen sollte, dann aller-
dings werde sich die Einladung kaum ablehnen lassen. Sie
bedeute ja fast so viel als eine förmliche Erbeinsetzung, und
wenn es sich um so hohen Gewinn handle, dürfe man auch
Heigel: Kurprinz Josef Ferdinand von Bayern. 267
hohes Spiel wagen. Hoffentlicli werde den Prinzen ebenso
das Glück begünstigen wie den Vater, der sieb bisher in
Allem, was die Gunst des Schicksals verleihen konnte, stets
wahrhaft bewundernswerther Erfolge zu erfreuen hatte.
Ohne unmittelbare Aufforderung des Königs aber ver-
biete sich die projectirte Reise in jeder Beziehung, und
ebenso unzweckmässig wäre es , den Kurprinzen in den
Niederlanden erziehen zu lassen , dies würde den Spaniern
nur zum Anstoss gereichen, Don Carlos sei hiefür ein
trauriges Beispiel.
Zunächst möge man also Bertier nach Madrid schicken,
der dort, wie es bisher geschah, heimlich das bayrische
Interesse vertrete und fördere.
Eines vor Allem sei zu beachten. „Sich einzubilden,
dass der Kurprinz jemals ganz Spanien als Erbe erlangen
könne, ist nach meiner Ansicht, wie ich schon anderwärts
darlegte, ein Gedanke, den man sich nie vorspiegeln soll.
Denn wenn sogar der Kurprinz in Spanien von König,
Adel und Volk als Thronfolger anerkannt sein wird, werden
desshalb die beiden anderen Bewerber, der Sohn der Kaisers
und der Sohn oder Enkel des Königs von Frankreich,
nimmermehr ihre Ansprüche aufgeben, sondern an Spanien
den Krieg erklären und vor Allen wird zuerst der Sohn
des Kaisers Bayern mit Krieg überziehen. Sodann wird
Spanien nicht im Stande sein, nach dem Tode des Königs
den Kurprinzen zu schützen , und dieser wird genug
zu thun haben, um dem : Turpius ejicitur , quam non ad-
mittitur hospes vorzubeugen. Ich betrachte also die Erb-
folge, wenn man sie in ihrem ganzen Umfang behaupten
wollte, als ein Danaergeschenk, das tausend Schwierigkeiten
und tausendfache Gefahr birgt, sich selbst zu schaden
und zu verderben , interire mole sua ! Ich kann auch
nicht sehen, dass der Kaiser oder der König von Frankreich
davon träumte, das Ganze zu erjagen, sie wollen nur ein
268 Sitzung der histor. Classe vom 1. Mars 1879.
grösseres oder kleineres Stück erbeuten. Mir scheint weit
vernünftiger und zweckentsprechender, wenn Kurfürstliche
Durchlaucht ihre Kräfte und ihre Freunde abwägen und
überhaupt Alles, was man für diesen Gewinn thun und
wie weit man darin gehen kann. Naturgemäss werden die
Niederlande am leichtesten zu behaupten sein, denn wenn
es sich um die Erbfolge handelt, kann der Kaiser ihren
ijesitz nicht streitig machen und England und Holland
sind durch einen Traktat ^^) verpflichtet, diesen Anspruch
des Hauses Bayern zu unterstützen, abgesehen davon, dass
ihr eigenes Interesse sie bewegen wird, sich Frankreich zu
widersetzen, das den Besitz streitig machen wird. Das
Königreich Neapel und Sicilien hängt ebenso von einer
Art Uebertragung des Papstes ab; wenn er sich dazu ver-
stehen wird, kann wohl Niemand diesen Anspruch in Frage
stellen. Alle anderen dagegen sind dem heftigsten Wieder-
spruch ausgesetzt und werden blutige Kriege nach sich
ziehen, welche das Haus Bayern nicht aushalten kann."
Kurz, man möge bedenken, dass man Alles verlieren kann,
wenn man Alles gewinnen will!
Das Verhalten des Kurfürsten bezeugt, dass er sich
dieser Warnung nicht verschloss. Er stand von allen Auf-
sehen erregenden Schritten ab und begnügte sich damit, für
seine Ansprüche in Madrid und an den übrigen einfluss-
reichen Höfen den Boden ebnen zu lassen.
Als er den Gedanken fasste, sich wieder zu vermählen,
unterliess er nicht, dem König von Spanien und seiner
Mutter seine Pläne vorzulegen. Königin Maria schrieb
ihm, sie rathe aus mancherlei Ursachen, nicht die junge
32) Durch den Traktat, der gelegentlich des Beitritts des
Kurfürsten von Baj'ern zur Allianz zwischen dem Kaiser und den Ge-
neralstaaten vom 12. Mai 1689 abgeschlossen wurde und welchem Gross-
brittanien am 12. April 1691 beitrat (Zeitschrift für Bayern, Jahrgang
1816, 4. Bd., S. 255 u. 258).
Heigel: Kurprinz Josef Ferdinand von Bayern. 269
Prinzessin von Hannover, sondern die königliche Prinzessin
von Polen zu wählen, worauf Max Emanuel erwiderte, auch
er finde, dass Therese Kunigunde aus Altersrücksichten und
ihrer fürtrefflichen Qualitäten wegen zur Gattin besser
passe ^^) (4. Februar 1694). Bald darauf wurde denn auch
diese Ehe geschlossen. Aus den Briefen der beiden Gatten,
die Höfler in jüngster Zeit theilweise veröffentlichte^*), lässt
sich ersehen, dass die neue Ehe trotz der vielen Stürme,
welche #ie mit sich brachte, auf das Seelenleben des
Gatten von grossem Einfluss war , und dass Therese
Kunigunde trotz mancher Conflicte auf viele Entschlüsse
ihres Gemahls massgebend einwirkte. Die schon vorher
eingetretene Entfremdung zwischen ihm und dem kaiser-
lichen Hof steigerte sich jetzt mehr und mehr. Die
Mutter der Kurfürstin war eine Französin. Vor der
Abreise ihrer Tochter zog sie den Reisemarschall, Bischof
Zalusky , wie dieser selbst in einem Memoire erzählt , bei
Seite und ermahnte ihn aufs Eindringlichste, er möge Alles
aufwenden, um ihren Schwiegersohn, den Kurfürsten, zu
Frieden und Freundschaft mit dem französischen Hofe zu
bewegen. Ja, Johann Sobiesky, der Befreier Wien's, der
über Undank vom Hause Oest erreich klagen zu dürfen
glaubte, war ebenso bemüht, den Schwiegersohn und Kampf-
genossen der bisher eingeschlagenen Politik abwendig und
gegen Oesterreich misstrauisch zu machen. In einem Me-
moriale, das Bischof Zalusky zu übergeben hatte, war aus-
geführt, dass der Kurfürst nur von Frankreich, nie aber
von Oesterreich Freundschaftsdienste und Unterstützung er-
warten dürfe, und dringend zum Abschluss einer geheimen
33) St. \. Spanien: Bayrische Correspondenz , 1691—1696. K.
schw. 293/14.
34) Höfler, Abhandlungen zur Geschichte Oesterreichs unter den
Kaisern Leopold L, Josef I. und Karl VI. 2. Theil. Habsburg und Wit-
telsbach. Archiv für österreichische Geschichte, 44. Bd., S. 279.
270 Sitzung der Jiistor. Classe vom 1. März 1879.
Allianz mit Prankreich gerathen^^). Auch der Hof von
Versailles selbst suchte Annäherung an den Fürsten , der
ja mit den Bourbons ebenso verschwägert war, wie mit
dem Hause Habsburg. Es fiel auf, dass zur Hochzeitsfeier
in Brüssel auch vom Dauphin Glückwünsche und Geschenke
einliefen, obwohl französische Truppen als Feinde in den
Niederlanden standen ^^). Schon ein Jahr früher hatte sich
ein geheimer Agent, Marquis von Sassenage, der später in
überaus weitläufig geschriebenen Memoiren seine diploma-
tischen und militärischen Dienste in hellstes Licht zu rücken
suchte, im Auftrage des Königs in Brüssel eingefunden.
Um kein Aufsehen zu erregen, gab er sich für einen ita-
lienischen Grafen Niego aus, der von Turin käme. In
heimlicher Zusammenkunft mit dem Kurfürsten machte er
das Anerbieten, Frankreich werde, wenn der Kurfürst den
König von England zur Annahme billiger Friedensvor-
schläge bewege, dem Vermittler eine Million Livres aus-
zahlen und den Besitz der Niederlande garantiren. Der
Kurfürst erwiderte jedoch, es würde ihm zwar grosses
Vergnügen bereiten, dem Könige von Frankreich einen
Dienst zu leisten, unter den gegenwärtigen Verhält-
nissen könne er sich aber auf eine bestimmte Zusicherung
nicht einlassen^^). Und als sich 1695 Sassenage wieder
mit geheimen Aufträgen einfand , Hess Max Emanuel , der
namentlich bei dem König von Spanien Anstoss zu ver-
35) K. Hof- und Staatsbibliothek in München, Cod. gerra. 1808. Ge-
heime Geschichte der Unterhandlungen über die Heirat des Kurfürsten
Max Emanuel mit der polnischen Prinzessin Kunegunde, aus dem "Werke :
Andreae Chrysostomi in Zaluckie, Varmiensis episcopi etc., Epistolarum
historico-familiarium tom. I, p. U, p. 1381.
36) Ebenda. Cod. germ. 2832. (Naumann,) Manuskript einer Bio-
graphie des Kurfürsten Max Emanuel von Bayern, Fol. 60. Einen
Quellenbeleg für die hier erzählte Thatsache konnte ich nicht auffinden.
37) La guerre d'Espagne, de Baviere et de Flandre, ou Memoires
du Marquis de ***, p. 144.
Heigel: Kurprinz Josef Ferdinand von Bayern. 271
meiden wünschte , den Kavalier bedeuten , er möge seine
diplomatischen Visiten einstellend^).
Im nächsten Jahre starb Johann Sobiesky. Seine Wittwe
drang nun in den Schwiegersohn, er möge sich um die
polnische Königskrone bewerben. Wenn sich dieser eifrig
bemüht hätte, wäre es ihm vermuthlich gelungen, vor dem
sächsischen Bewerber den Vorrang zu behaupten. Seine
Briefe zeigen aber, dass ihm eine Wahlkrone überhaupt
und die polnische Krone im Besondern nicht als lockendes
Ziel erschien, — konnte er sich ja doch mit der Hoffnung
schmeicheln, es werde ihm bald eine bessere Frucht reif in
der Schoss fallen.
Die öffentliche Meinung in Spanien war , wie sogar
der kaiserliche Gesandte offen zugesteht, vor allen anderen
Prätendenten dem Kurprinzen von Bayern günstig ^^). Da-
gegen widerstrebten seiner Bevorzugung zur Zeit noch die
regierende Königin und ihr Anhang, sowie die beiden ein-
flussreichsten Minister, der Kardinal Manuel Portocarrero
und der Amirante von Kastilien. Maria Anna hatte sogar
durchgesetzt, dass der Minister Graf von Oropesa, der als
das Haupt der bayrischen Partei galt, den Hof verlassen
musste. Als jedoch König Karl erkrankte, wurde er auf
Verwendung der Königin-Mutter zurückberufen, und gemein-
sam mit ihr suchte er nun die Bemühungen des Kardinals
für Berufung des Erzherzogs Karl zu vereiteln. Da die
sich wiederholenden Ohnmachtsanfälle des Königs ernste Be-
sorgnisse erregten , lud die Königin -Mutter den Kardinal
und die Grafen von Oropesa und Aguilar in ihre Gemächer.
Mit Eifer und Wärme legte sie dar, welche Gründe sie be-
stimmten, für Bayern Partei zu ergreifen : die Gerechtigkeit
38) Naumann, a. a. 0., Fol. 61.
39) Memoires et Negociations secretes de Ferdinand Bonaventure
comte de Harrach, ambassadeur plenipotentiaire de Sa Majeste Imperiale
ä la cour de Madrid, publiees par Msr. de la Torre, tom. I, p. 31.
272 Sitzung der lüstor. Classe vom 1. März 1879.
und das Interesse Spaniens forderten es in gleicliem Masse.
Sie wies darauf hin, wie unheilvoll die Verbindung mit
dem Kaiserthum unter Karl V. für Spanien gewesen sei;
gerade der Spanier ertrage am schwersten, von einem
Herrscher regiert zu werden , der Spanien gleichsam nur
als Nebenland betrachte» Dagegen werde der bayrische
Prinz in Wahrheit ein König Spaniens sein, da er noch so
jung sei, dass er, in Madrid erzogen, sich leicht in die
Landessitte eingewöhnen werde. Und um zu verhüten, dass
etwa doch die Landsleute des künftigen Gebieters einen
schädlichen oder doch den Spaniern unbequemen Einfluss
gewinnen möchten , könne man ja von vornherein die Be-
dingung festsetzen , dass der Prinz keine Deutschen in's
Land mitbringen dürfe. Der Kardinal, der aus Mienen und
Gesten der Königin entnehmen konnte, dass ihre Worte
eigentlich nur an ihn gerichtet seien und seine Bekehrung
bezweckten, hörte schweigend zu. Als die Königin ihre
Rede beendet hatte, sagte er: „Spanien ist ein zerrüttetes,
schwächliches Reich und desshalb ist der beste Erbe der-
jenige, der es selbst vertheidigen kann. Die Ernennung
des Bayern bedeutet für Spanien den Krieg. In Frankreich
ist der Verzicht der Mutter des Kurprinzen nicht unbe-
kannt und darauf fussend wird man auch den Verzicht der
Maria Theresia nicht als Hinderniss betrachten. Ich weiss
zwar wohl, welcher Unterschied besteht: der Verzicht der
Königin von Frankreich ist durch die Zustimmung der
Cortes spanisches Gesetz geworden, derjenige der Kaiserin
Margarita kann nur als Familiengesetz gelten, — aber ein
solcher Unterschied kann wohl vor einem Tribunal den
Ausschlag geben , ein mächtiger Fürst jedoch wird sich
durch derartige Casuistik nicht abhalten lassen, gegen die
Erhöhung des Nebenbuhlers Protest zu erheben und ihm
durch Waffengewalt Nachdruck zu verleihen". Dass Spanien
im Fall der Erledigung des Thrones des gefährlichsten An-
Heigel: Kurprinz Josef Ferdinand von Bayern. 27 H
grijffes von Seite Frankreichs gewärtig sein müsse, konnte
aucli Königin Maria nicht bestreiten. Sie beschwor aber
mit Thränen in den Augen den Kardinal, er möge gegen
das Interesse ihres Neffen nicht feindselig auftreten, und
ihre Bitten und die glückliche Besserung der Gesundheits-
verhäitnisse des Königs hatten wenigstens zur Folge, dass die
Berufung des Erzherzogs Karl nach Spanien unterblieb*^).
Da starb die Königin-Mutter unerwartet nach kurzem
Leiden am 15. Mai 1696. Ihr Tod rief — so berichtet
wenigstens Lancier — so grosse Betrübniss hervor, „dass
es schien, als ob die Mutter von gantz Spanien in generali
und eines jeden in particulari gestorben wäre**)". Paum-
garten weiss sogar von Wunderepisoden zu erzählen, welche
die Verstorbene in den Ruf der Heiligkeit brachten*^). Für
den Kurfürsten und seinen Sohn war es ein harter Schlag.
Ihre Sache hatte aber in Spanien schon so feste Wurzel
gefasst, dass auch jetzt noch nach dem Zeugniss des franzö-
sischen Diplomaten Marquis von Torcy, der ebenfalls in
Josef Ferdinand den rechtmässigen Erben erblickt, die Mehr-
heit der Minister sein Interesse begünstigte*^). Torcy gibt
sogar an, der König habe damals schon auf den Rath seiner
Mutter ein Testament zu Gunsten des Prinzen errichtet.
Diese Annahme ist aber zweifellos irrig, denn weder wird
die wichtige Thatsache in den Briefen der Gönnerin des
Kurfürsten erwähnt, noch findet sich in den Berichten der
bayerischen Diplomaten irgend eine Andeutung. Im Gegen-
theil, man gab sich gerade in der Zeit, da die Königin
Maria starb, am Madrider Hofe vertrauensvoller denn je der
40) Ibid. p. 33.
41). St. A. Spanien: Bayrische Correspondenz , 1696--1698. K.
schw. 294/17.
42) St. A. Paumgarten's Negociationen , 1693—1697. K. achw.
292/7.
43) (Colbcrt marquis de) Torcy, ]\Icmoircs, I, p. 15.
274 Sitzung der histor. Classe vom 1. März 1879.
Hoffnung hin, dass die Ehe des Königs nicht lange mehr
kinderlos bleiben werde. Ein ohne Zweifel in bayrischem
Sold stehender Berichterstatter, der sich P. Wilhelm unter-
zeichnet, spricht in einem an Prielmayr gerichteten Schreiben
vom 19. Juli 1694 den in seinem Munde sonderbar klingen-
den Wunsch aus : ,,Gott geh seinen göttlichen Seegen, dass
die Königin Spanien bald mit einem so lang verlangten
Erben erfreuen möge^^)''.
Als sich jedoch auch diesmal die Hoffnung nicht ver-
wirklichte, begann das Intriguenspiel in Madrid, das Fordern
und Feilschen an den übrigen Höfen von Neuem. Die Be-
richte aller Zeitgenossen stimmen darin überein, dass in
der spanischen Hauptstadt so ziemlich Alles bestechlich war,
in Fürstenpalästen wie in Mansardenstübchen. Am 11. Ok-
tober 1696 schreibt P. Wilhelm: ,,Ew. Exellenz haben von
Madrid gar ein kleine Wissenschaft, man kann es so schwarz
nit mahlen, es ist in sich selbst noch schwärzer, — wehe
demjenigen, der ehrlich zu leben verlanget oder thut, was
einem ehrlichen Mann zuestehet^^)".
Um die Rechte des habsburgischen Hauses durch einen
gewandten Anwalt vertheidigt zu wissen, ordnete Kaiser
Leopold den älteren Grafen Harrach, seinen ersten Minister
und Kronbeamten, als Botschafter an den spanischen Hof ab.
Die Wahl dieses Mannes hatte ihre guten Gründe.
Harrach war schon früher kaiserlicher Gesandter in Madrid
gewesen und hatte im Auftrag König Karl's die Verhand-
lungen geleitet, die zur Vermählung mit der pfälzischen
Prinzessin Maria Anna führten. Zur Belohnung für diese
Dienste war er mit dem Fürstenthum Fondy im Königreich
Neapel belehnt und mit der Würde eines spanischen Gran-
den bekleidet worden. Er konnte mithin auf die Gunst des
44) St. A. Paumgarten's Negociationen, 1693—97. K. schw. 292/7.
45) Ebenda.
Heigel: Kurprinz Josef Ferdinand von Bayern. 275
Königs und den Schutz der Königin rechnen, aber er konnte
bald in Madrid erkennen, dass seine Gönnerin zwar noch
immer grossen Einfluss auf ihren Gatten ausübte, in Stadt
und Land aber unbeliebt , ja verhasst war , weil sie den
Deutschen aus ihrer Umgebung zu den wichtigsten und
einträglichsten Stellen verhalf und dadurch den National-
stolz der Spanier aufs Empfindlichste verletzte. Insbesondere
Kardinal Portocarrero war ihr erbitterter Gegner geworden
und befreundete sich, da die Königin das österreichische
Interesse vertrat, mehr und mehr mit den Plänen der
bayrischen Partei*^).
Der beste Bundesgenosse des kaiserlichen Gesandten
war die Furcht vor Frankreich, da eben damals der Krieg für
Spanien eine bedrohliche Wendung nahm. Gedrängt durch
seine Gemahlin, gab der König das Versprechen, er wolle
den Erzherzog Karl zu seinem Nachfolger ernennen, wenn
ihm der Kaiser Hilfstruppen zur Vertheidigung Cataloniens
überlassen würde. Nach rascher Erfüllung dieser Beding-
ung wäre wohl aller Wahrscheinlichkeit nach die Erbfolge
zu Gunsten des Erzhauses geregelt worden, doch das öster-
reichische Kabinet zögerte mit der Ausführung, sei es dass es
an gutem Willen, sei es dass es wirklich, wie man erklären
Hess, an Geld zur Bestreitung des Truppentransports fehlte *^).
Damit war die günstigste Gelegenheit , zum er-
wünschten Ziel zu kommen, für das Erzhaus verstrichen und
für neue Combinationen Raum geschaffen. Als der König im
Spätherbst 1696 von gefährlicher Krankheit befallen wurde,
tauchte plötzlich das Gerücht auf, er habe ein Testament
in die Hände des Kardinals von Toledo gelegt, das den
bayrischen Prinzen zum Erben einsetze. Vorsichtig schreibt
46) Meraoires et Negociations etc. du comte de Harrach, I, p. 55.
47) Torcy, Memoires, I, p. 16.
[1879. I. Philos.-phüol. bist. Cl. 3.) 20
276 Sitzung der histor. Classe vom 1. März 1879.
Paumgarten, er habe über ein Testament des Königs etwas
vernommen, was er nicbt der Feder anvertrauen könne,
den Chiffre habe er aber schon an seinen Amtsnachfolger
abgegeben^®). Die beiden bisher am spanischen Hofe thä-
thigen bayrischen Gesandten waren nämlich abberufen und
an ihre Stelle Herr von Bertier abgeordnet worden. Um-
sonst berief sich Lancier auf seine und seiner Frau Ver-
dienste und stellte vor, wie er nur im Interesse des bayri-
schen Hauses eine Kammerdienerin geheirathet habe ; es
wurde ihm bedeutet, er möge über die in Madrid einkassirten
Summen und über seine Ausgaben Rechnung stellen und
sich nach Brüssel zurück verfügen. Es zeigte sich, dass er
von den aus königlichen Kassen ausbezahlten Heiratsgut-
renten in den drei letzten Jahren 64,757 deutsche Gulden
wieder verausgabt hatte. Der Kurfürst fand, dass dies
„ziemlich starke Depenses** seien, aber Lancier stellte vor,
dass sie auf lauter Pensionen und Remunerationen für Agenten
und Sekretäre und auch höhere Beamte erwachsen seien,
und konnte sogar Quittungen dieser Herren in Vorlage
bringen ^^).
Genaueres über jene angeblich zu Gunsten des Kur-
prinzen getroffene Verfügung erfahren wir aus der Corres-
pondenz der Gräfin Berlepsch mit dem Kurfürsten Johann
Wilhelm. Am 26. September 1696 deutet sie nur an, sie
könnte über ein Testament des Königs interessante Mitthei-
lungen machen, getraue sich aber nicht, da so oft Briefe
aufgebrochen würden. Am 10. Oktober berichtet sie jedoch
ausführlich über die aufregenden Scenen, welche der Ruf:
Der König stirbt! im Palast hervorrief. Sechs Stunden
lang war der König ohne Bewusstsein, während auch die
48) St. A. K. schw. 294/17. Bericht Paumgarten*s vom 25. Oc-
tober 1696.
49) St. A. Negociation J. B. de Lancier in Spanien 1686—91. K.
schw. 293/8.
Heigel: Kurprinz Josef Ferdinand von Bayern. 277
Königin an heftigstem Fieber litt. In den Gemächern
drängten sich die Minister und Räthe, vor dem Schloss
eine Volksmenge, die unaufhörlich Verwünschungen gegen
die Königin und ihren Anhang ausstiess und diese Feinde
Spaniens zu steinigen drohte, falls der König, der ohne
Zweifel vergiftet sei, sterben sollte. Dreimal in dieser
Nacht trat der Kronrath zusammen und endlich wurde zu
Gunsten des Kurprinzen entschieden ; auf die Vorstellungen
des Kardinals soll auch der kranke König diesen Be-
schluss gebilligt und eine Erklärung in diesem Sinn ab-
gegeben haben. Es wäre, meint die Gräfin Berlepsch,
eigentlich nur eine im Interesse Frankreichs ausgeheckte Finte,
denn die angeblich bayrisch gesinnten Minister bezweckten
bloss, während der Minderjährigkeit des Prinzen selbst die
Regierung zu führen, ihre Beutel zu spicken und immer
mehr Franzosen nach Madrid zu bringen, so dass endlich
der bayrische Prinz ebenso wenig zur Herrschaft gelangen
könne, wie der Erzherzog Karl^^).
Auch die Gräfin Berlepsch weiss also nur gerüchtweise
von einem Testament des Königs. Die Berichte des neuen
bayrischen Botschafters Bertier aus der nächsten Zeit sind
nur lückenhaft erhalten; die uns vorliegenden bieten
keine Nachricht über ein für oder gegen den Kurprinzen
gerichtetes Abkommen ^^). Dagegen behauptet allerdings
ein andrer Berichterstatter, dessen Unterschrift nicht de-
chiffrirt ist, in einem an Prielmayr gerichteten Schreiben
vom 18. Juli 1697 mit Bestimmtheit zu wissen , dass ein
Testament des Königs vorliege, das sich in Uebereinstimmung
mit den letztwilligen Verfügungen Philipps IV. zu Gunsten
des einzigen Sohnes der Erbtochter Maria Antonie aus-
50) St. A. Correspondenz Johann Wihelms von der Pfalz mit
Gräfin Berlepsch, 1696—99. K. bl. 59/14.
61) St. A. Spanien, bajrr. Correspondenz. K. schw. 294/17.
20*
278 Sitzung der histor. Classe vom 1. März 1879.
spreche ^'0. Beweis dafür sei die eifersüchtige Haltung
Frankreichs und des Kaisers. Der König von Spanien, so
glaubt er, würde trotz des Widerstrebens der Königin noch
offener für den von ihm ausersehenen Erben eintreten, wenn
ihn nicht Furcht vor Frankreich abhielte. Desshalb sei
durchaus nötig, die Seemächte für die bayrische Sache zu
interessiren , damit genügender Schutz gegen Frankreich
geboten sei.
Es ist aber wohl kaum anzunehmen, dass diesen Ge-
rüchten eine Thatsache zu Grunde lag, dass bereits in
aller Form Rechtens ein Testament zu Gunsten Bayerns
errichtet war. Die Gerüchte werden wahrscheinlich darauf
zurückzuführen sein, dass die am Hofe massgebende Ström-
ung den Aussichten des Kurprinzen nicht zuwiderlief, denn
die Vorgänge in Madrid während der Friedensverhand-
lungen lassen erkennen, dass die Erbfrage damals noch in
der Schwebe war. Auch die Königin erwähnt in ihren
Briefen an den Bruder Nichts von einem Testament, ja sie
trägt sich auch in diesem Jahre mit der Hoffnung, dem
Lande einen Thronerben zu schenken ^^).
Die Friedensverhandlungen wurden, wie Harrach mit-
theilt, von der bayrischen Partei mit Genugthuung begrüsst,
die österreichische dagegen fürchtete , dass nach dem Frie-
densschluss französischer Einfluss in Madrid die Oberhand
gewinnen werde.
Im September 1697 wurde wirklich zu Ryswick der Tractat
unterzeichnet, der dem Kriege zwischen Frankreich und
seinen verbündeten Gegnern ein Ende setzte. Die Lage
Europa's war jedoch dadurch keineswegs geklärt. Niemand
verhehlte sich, dass diese Urkunde nicht einen dauernden
52) Ebenda.
53) St. A. K. bl. 46/14.
Heigel: Kurprinz Josef Ferdinand von Bayern. 279
Abschluss der drangvollen Kriege , sondern nur einen
Waffenstillstand bedeute, während dessen die erschöpf-
ten Mächte neue Kraft zu neuem Kampf sammeln
wollten''*). Der Umstand, dass jedes Unwohlsein des
Königs von Spanien sofort die europäischen Höfe in Auf-
regung versetzte , Hess auch deutlich erkennen , woher die
nächste Gefahr für Europa ausgehen werde, und die Ka-
binete bereiteten sich vor, gegenüber einer plötzlich ein-
brechenden Katastrophe festere Stellung zu nehmen.
Wenn wir dem Zeugniss des im Ganzen gut unter-
richteten Marquis von Torcy Glauben schenken dürften,
hätte sich auch Kurfürst Max Emanuel schon unmittelbar
nach Frieden sschluss für Zusammengehen mit dem bisherigen
Gegner, mit Frankreich, entschlossen. Torcy berichtet näm-
lich, der Kurfürst habe König Ludwig um Aufschluss über
seine Stellung zur spanischen Erbfrage und um Unter-
stützung der bayrischen Ansprüche gebeten. Ludwig habe
darauf eine ausweichende Antwort ertheilt : es sei, da durch
den Krieg so lange Zeit jede Verbindung zwischen Frank-
reich und Spanien gelöst war, zuerst geboten, sich wieder
über den Stand der Dinge in jenem Reich und über die
Kräfte der x\nhänger, auf welche Bayern zählen dürfe, zu
unterrichten^^).
Torcy's Angabe darf jedoch keines Falls so aufgefasst
werden, als sei bereits in der Politik des Kurfürsten eine ent-
schiedene Schwenkung eingetreten.
Wenn auch Max Emanuel seit dem Tode der Kur-
fürstin und der Testamentseröffnung nicht mehr in ver-
trautem Verhältniss zum kaiserlichen Hause stand und
immer deutlicher hervortrat, dass sich in der spanischen
54) Histoire de la Republique des Provinces - Unies de Pais-Bais
depuis son etablissement jusques ä la mort de Guillaurae III, tom. IV,
p. 570.
55) Torcy, Memoires, I, p. 19.
280 Sitzung der histor. Classe vom 1. März 1879.
Successionsfrage bayrisclie und österreichische Interessen
feindselig kreuzten , so hatte doch der Kurfürst , so
lange der Krieg dauerte , — denn er war vor Allem
Soldat, — den lockenden Anträgen des Versailler Ka-
binets nicht Gehör geschenkt. Als Herzog Amadeo von
Savoyen ihm im Juli 1696 anzeigte, dass sich Frankreich
zu überaus günstigen Bedingungen verstehen wolle, falls
ein Separatfriede zu Stande käme, beschwor der Kurfürst
den Bundesgenossen , der Liga treu zu bleiben und den
Kaiser in seiner Bedrängniss nicht zu verlassen ^^). Zur
nämlichen Zeit leistete er auch dem Könige von Grossbrit-
tannien einen dankenswerthen Dienst, da er von einem Kom-
plott, das missvergnügte Lords geschmiedet hatten, um die
Zurückberufung Jakob's IL durchzusetzen, Kunde erhielt
und dem Kabinet von St. James übermittelte ^'^). Erst
als in Ryswick die Unterhandlungen begannen, scheint der
Kurfürst nähere Fühlung mit Versailles gesucht zu haben ;
wenigstens wusste, was allgemein überraschte, der bayrische
Gesandte in Madrid über den Verlauf des Friedenswerkes
besser Bescheid als die spanischen und österreichischen Staats-
männer^^). Als der Friede geschlossen war, trat Frank-
reich auf's Neue mit Vorschlägen und Anerbietungen, die
für den Kurfürsten ungemein viel Lockendes hatten, hervor.
Vermuthlich blieb es dem kaiserlichen Hofe nicht verborgen,
wesshalb auch von dieser Seite versucht wurde , den ent-
fremdeten Bundesgenossen wieder an sich zu fesseln.
Wir werden hierüber unterrichtet durch ein merk-
würdiges Aktenstück, ein Gutachten eines bayrischen Staats-
mannes, das im Auftrag des Kurfürsten verfasst ist und
Wege und Ziele bayrischer Politik in der spanischen Erb-
56) Actes et Memoires des Negociations de la Paix de Ryswick,
I, p. 181.
57) Naumann a. a. 0., Fol. 70.
58) Harrach, Memoires, I, p. 78.
Heigel: Kurprinz Josef Ferdinand von Bayern. '281
frage nach den durch den Ryswicker Friedensschluss ver-
änderten Gesichtspunljten erläutert^ ^). Der Verfasser ist
nicht genannt, aber schon der umstand, dass wiederholt
auf die im kurfürstlichen Archiv befindlichen Dokumente
Bezug genommen wird, lässt auf Prielmayer schliessen, dem
die Obhut über das geheime Archiv anvertraut war^^). Auch
durch Inhalt und Ton des Schriftstücks wird diese Annahme
bestätigt ; es ist zwar in barbarischem Deutsch abgefasst,
aber von warmem Patriotismus dictirt, was in dieser Zeit
der Auflösung und des Verfalls des deutschen Reichs als
erquickende Ueberraschung anmuthet.
Als Forderung des kaiserlichen Hofes wird bezeichnet :
Erneuung des Bündnisses , als Lohn : Unterstützung der
Bewerbung des Kurfürsten um den Besitz der spanischen
Niederlande. Obwohl nun, meint Prielmayr, der Wiener
59) Gutachten eines bairischen Staatsmannes über Baierns Politik
hinsichtlich des erwarteten spanischen Thronwechsels c. 1698, — aus
Heckenstaller's Frisingensia im Besitz des Metropolitankapitels zu
München mitgetheilt von J. Zahn im Notizenblatt zum Archiv für
Kunde Österreich. Geschichtsquellen, Ihgg. 1858, S. 436. — Da sich im
Memorandum die Stelle findet: „bei jetzigen Reichsfriedenszeiten ",
so kann es nicht vor dem 20. September 1697 , dem Tage der Unter-
zeichnung der Ryswicker Akte, abgefasst sein, und da einmal darin ge-
sagt ist , dass der Kaiser zur Zeit noch mit dem Türkenkrieg stark
impegniret sei, so muss es vor dem 26. Jäner 1699, dem Tage des
Friedensschlusses zu Carlovicz, geschrieben sein. Wenn ferner darin er-
wähnt wird, dass die vom Kurfürsten vor fünf Jahren mit dem Kaiser
geschlossene Allianz „in disem Monat Jäner" endet, so kann schon der
oben citirten Aeusserung halber nicht an den am 12. April 1691 er-
folgten Beitritt des Kurfürsten zur österreichisch-englisch-holländischen
Allianz gedacht werden ; vermuthlich ist ein später abgeschlossener Sub-
sidienvertrag gemeint. In Berücksichtigung dieser Gründe und der
Vorgänge in Europa und insbesondere am Madrider Hofe empfiehlt
sich die Annahme, dass das Memorandum im Jäner 1698 abgefasst sei.
60) Kreisarchiv München. Bayrische Hofkammerrechnung vom
J. 1698.
282 Sitzung der histor. Glasse vom 1. März 1879.
Hof sich nicht gerade zu grossmüthigem Anerbieten aufge-
schwungen habe, da ja das nämliche Versprechen schon bei
der Heirat des Kurfürsten mit Leopolds Tochter unter der
Bedingung des Verzichts auf die übrigen Theile der spanischen
Erbschaft gegeben wurde, so habe ein Bündniss mit Oester-
reich doch viele Freunde in Bayern und vor Allem falle
zu seinen Gunsten der Rath des Ahnherrn, Maximilians I,
der in seinem Testament die Nachfolger zu engstem An-
schluss an Oesterreich mahne, in die Wagschale. Der
Werth der kaiserlichen Verheissung sei aber gar problema-
tisch. Die spanische Krone werde nie freiwillig in eine
Zersplitterung spanischen Gebiets einwilligen und nach dem
Tode König Karls werde P"'rankreich gerade den Besitz der
Niederlande am eifrigsten anfechten.
Frankreich dagegen biete freilich dem Kurfürsten für
ein Bündniss zu gemeinsamer Abwehr der Gegner Frank-
reichs und Bayerns glänzenden Lohn. Nicht bloss wolle
der König auf alle Ansprüche auf Neapel und Sicilien zu
Gunsten des Kurfürsten entsagen, sondern auch im geeig-
neten Augenblick seinem Bundesgenossen zum Besitz der
Kaiserkrone, sowie aller zwischen Donau und Inn gelegenen
Lande verhelfen. Die prunkende Verheissung habe aber
eine gefährliche, ja sogar schimpfliche Kehrseite. „Frank-
reich", so warnt der. treue Rathgeber den Kurfürsten, „hat
allezeit die Absicht gehegt, die Kaiserkrone vel directe vel
indirecte an sich zu bringen , und will höchstens , wie die
Geschichte beweist, einen Schattenkaiser machen, der von
Frankreichs Gnade abhängt' ^ Die Vergrösser ung Bayerns
durch deutsches Gebiet wäre zwar ein dankenswerther Ge-
winn , aber gegen die Wegnahme von Pfalz - Neuburg,
Passau u. s. w. spreche als gewichtiger Grund : quod de
jure non licet. Ueberhaupt sei zu besorgen, dass durch
ein Bündniss Bayerns mit Frankreich ,,das Juramentum
Electorale und die Conscienz neben dem publice et privato
Heigel: Kurprinz Josef Ferdinand von Bayern. 283
sehr leiden möchten'^ Die angebotenen Subsidiengelder
könne der Kurfürst nicht annehmen , da er den Wunsch
trage, des Reichs Generalissimus zu werden, denn ,,wer
wollte sich einem Generalissimo vertrauen, welcher mit
Frankreich alliiret were und Französisches Geld nehmen
thete?" Der Erwerb von Neapel und Sicilien endlich sei
hundert zur Zeit bekannten und unbekannten Hindernissen
ausgesetzt.
Demnach sei ganz und gar verwerflich, sich mit Frank-
reich enger einzulassen , aber ebenso wenig räthlich , für
den kaiserlichen Hof Geld und Truppen zu opfern. Der
Kurfürst möge hier und dort auf's Höflichste antworten, aber
„auf alle Emergentien und Conjuncturen vigilant sein und
in via regia et media verbleiben. Allianzen könne er, wenn
die Noth es heische, noch immmer eingehen, „wie es Gott
und die Reichspflicht zulasset, allermassen ein schönes
Exempel von dem Anherrn Max I. Electore vorhanden,
indem er sich in der mit Frankreich anno 1631 gemachten
Allianz mit der Generalclausl verwahrt hat: excepto tarnen
expresse juramento electorali imperatori et imperio praestito."
Eine ruhige neutrale Haltung sei Bayern angemessen, „iti-
massen eine Dame von beeden Corrivalen so lang geehrt
wird, als lang sye keinem verbündten ; sobald S3^e aber sich
mit einem obligiert, mindert sich bey diesem gleich die
estime, bey dem andern aber waxet der mepris und der
Hass neben der Begierd, sich zu rechen". Eins vor Allem
sei nötig: Sparsames Haushalten mit den eigenen Mitteln,
„denn das Geld ist der nervus belli und wenn man sich
auf fremde Hilf verlassen muss , so verificirt sich das poli-
tische Dictum : Propriis cadet pedibus , qui alienis nititur".
Auch diesmal schenkte der Kurfürst den Vorstellungen des
klugen Ratgebers Gehör und ging auf keine neuen Bündniss-
verträge ein.
Nach Abschluss des Ryswicker Friedens versuchten die
284 Sitzung der histor. Classe vom 1. März 1879.
Königin von Spanien und ihre Partei gegen den Kurfürsten
einen Hauptschlag auszuführen, indem sie Alles aufboten,
um den König zu bewegen, dem „fremden" Fürsten die
Statthalterschaft in den Niederlanden zu entziehen. Es
lag dabei die Absicht zu Grunde, die erledigte Würde ent-
weder dem Kurfürsten von der Pfalz oder dem jüngeren
Bruder der Königin, Prinz Karl, zuzuwenden. „Es kommt
die Sach hierinfals", schrieb Johann Wilhelm an die Gräfin
Berlepsch, „haubtsächlich auf der Königin Majestät an,
welche bey dieser Occasion ihre authoritaet mehrers als in
keiner andern erhöhen und stabiliren könne, und zweifle
ich hier inf als so wenig an Ihrer Königlichen Majestät
aygner löblicher Intention und innerlichen Antrieb , als
der Frau Gräfin nachtrucklicher Erinnerung und Coopera-
tion^^)" Es gelang aber nicht, den König umzustimmen,
der ebenso sehr die persönlichen Verdienste des Kurfürsten
von Bayern als sein gutes Einvernehmen mit den See-
mächten in Rücksicht zog. Auch hatte Max Eraanuel mehrere
bayrische Regimenter in die niederländischen Festungen auf-
genommen. Als auf Anstiften der Königin insgeheim ein
königlicher Befehl erging, dass pfälzische Truppen die von
den Franzosen geräumte Festung Luxemburg besetzen sollten,
glückte es dem Statthalter, der eine an Quiros gerichtete
Depesche auffing, auch diesen Streich rechtzeitig zu pariren,
indem er Luxemburg rasch durch seine eigenen Truppen
besetzen Hess ^2).
Ein Ereigniss von glücklichster Bedeutung für die
bayrische Partei in Madrid war die Entzweiung des Kardinals
Portocarrero mit der Königin. Der kaiserliche Gesandte
sah sich genötigt, an seinen Hof zu berichten, dass sich die
Aussichten für den Kurprinzen immer günstiger gestalteten.
61) St. A. K. bl. 59/14.
62) Harrach, Memoires, I, p. 179.
Heigel: Kurprinz Josef Ferdinand von Bayern. 285
Der Kardinal wies wiederholt darauf hin, dass die Erbfrage
nicht nach den für das kaiserliche Haus geltenden Familien-
verträgen, sondern nach spanischem Recht geregelt werden
müsse, und sogar der Amirante von Kastilien, der am Eif-
rigsten die Erhebung des Erzherzogs Karl verfocht, ver-
hehlte nicht, dass die Mehrheit des spanischen Volkes lieber
den bayrischen Kurprinzen zum Erben eingesetzt sähe ^^).
Dazu bewog namentlich die Abneigung gegen die Leute
der Königin , die für das österreichische Interesse wirkten,
und die Furcht, dass die Verbindung mit Oesterreich den
gefährlichsten Nachbar Spaniens von Neuem auf den Kampf-
platz rufen werde.
Auch König Karl theilte diese Besorgniss. Im April
1698 schrieb er an Kaiser Leopold, er sei bereit, den Erz-
herzog zu seinem Nachfolger zu ernennen, und wolle hiezu
nur den geeignetsten Zeitpunkt abwarten, für alle Fälle sei
aber nötig, dass der Kaiser zur Vertheidigung Spaniens so-
fort genügende Streitkräfte zur Verfügung stelle. Graf
Harrach mahnte zu schleuniger Erfüllung dieses Wunsches,
— dessenungeachtet war das kaiserliche Kabinet auch
diesmal säumig, denn es trug Bedenken, schon jetzt Frank-
reich gegenüber die Karten aufzudecken. Inzwischen wurde
das Verhältniss zwischen Königin und Kardinal immer feind-
seliger. Vergebens suchte der apostolische Nuntius, Mon-
signore Archinto, die Königin zu nachgiebigerem Verhalten
gegen den Kardinal zu bewegen; sie erwiderte auf alle
Mahnungen und Warnungen, sie wolle nun und nimmer-
mehr dem Hochmut des Verhassten neue Nahrung geben.
Ein beleidigendes Wort, das sie an den Kardinal in Gegen-
wart des Hofes richtete, brachte diesen ganz ausser Fassung.
Er schwor, nimmer einen Fuss über die Schwelle ihrer
Gemächer zu setzen und ihre Pläne immer und überall
63) Ibid., I, p. 179 etc., p. 227 etc.
286 Sitzung der histor. Glasse vom 1. März 1879.
zu vereiteln. Naturgemäss näherte sich, da die Königin
zur Zeit noch mit dem kaiserlichen Hof vertraute Bezieh-
ungen unterhielt, der Kardinal der bayrischen Partei, und
als Graf Harrach endlich Depeschen von Wien empfing,
welche die Zusicherung enthielten, der Kaiser werde 10,000
Mann nach Spanien schicken, und frohen Mutes die tröst-
liche Botschaft dem Kardinal überbringen wollte, wurde er
nicht vorgelassen und musste einsehen , dass der vormals
treueste und eifrigste Gönner der österreichischen Bewerbung
abgefallen und ein gefährlicher Gegner geworden sei ^*).
Es hatte aber den Anschein , als ob aus diesem
Umschwung der Lage nicht so fast Bayern , als vielmehr
Frankreich Vortheil ziehen würde.
Im Dezember 1697 war auch ein französischer Bot-
schafter, Marquis d'Harcourt, in Madrid angekommen. Wenn
sich auch der Hof gar keine Mühe gab, seine Antipathie
gegen Frankreich zu verbergen, konnte der Gesandte doch
bald berichten , dass eine zahlreiche Partei in Spanien un-
mittelbaren Anschluss an Frankreich oder doch Erhebung
eines französischen Prinzen auf den spanischen Thron
wünsche, denn nur eine solche Wendung verbürge ausrei-
chenden Schutz für das der Ruhe bedürftige Land und er-
mögliche Vertreibung der verhassten Deutschen. D'Har-
court wusste recht gut, wie man in Madrid am leichtesten
politische Propaganda mache; er Hess mit vollen Händen
den Granden allerlei ,,Convenienzen" und dem Volk reiche
Geldspenden zu Theil werden. Dadurch erreichte er, dass
er, während sich der König noch immer weigerte, ihn zu em-
pfangen, überall, wo er sich zeigte, mit Hochrufen der Menge
auf Frankreich begrüsst wurde. Endlich wurde ihm Audienz
bewilligt. Sie fand in einem nur von zwei Kerzen schwach
erhellten Gemach Statt, was natürlich im Gesandten den
64) Ibid., II, p. 100 etc.
Heigel: Kurprinz Josef Ferdinand von Bayern. 287
Argwohn wach rief, das üble Aussehen des Königs habe
zu solcher Vorsichtsmassregel bewogen. D'Harcourt hatte
ein grossmütiges Anerbieten seines Königs zu überbringen. Da
sich die Spanier in Nordafrika gegen die Mauren nur mit
Mühe behaupteten, wollte sich Ludwig, falls es dem könig-
lichen Bruder in Madrid erwünscht wäre, dem Kampf gegen
die Ungläubigen anschliessen. König Karl, durch die be-
denkliche Lage seiner Truppen beunruhigt, war auch nicht
abgeneigt, die dargebotene Hilfe anzunehmen, aber die Kö-
nigin wusste ihn zur Ablehnung zu bewegen.
Diese Weigerung, sagt Torcy, liess König Ludwig er-
kennen, dass es ihm wohl kaum gelingen werde, das ganze
Erbe für den Dauphin zu erwerben, so dass er sich mehr
und mehr mit dem Gedanken einer Theilung Spaniens be-
freundete. In London und im Haag wurden dahin zielende
Unterhandlungen angeknüpft und fanden günstige Auf-
nahme ^^). Wilhelm von Oranien war zwar persönlich ge-
neigter, dem Erzherzog Karl zur Erbschaft zn verhelfen;
das britische Interesse aber schien zu fordern, dass er die
Theilung der spanischsn Monarchie begünstige. Namentlich
der Graf von Portland war ein energischer Anwalt der
bayrischen Sache und stellte dem Könige vor, wie ein so
erheblicher Machtzuwachs für Oesterreich ebenso gefähr-
lich sei als eine Vergrösserung Frankreichs ; nur die Er-
hebung des Kurprinzen verbärge die Kühe Europa's, denn
wenn dieser einst den spanischen Thron besteige, werde er ein
natürlicher Bundesgenosse der Seemächte und gleich ihnen
ein Feind aller Feinde des europäischen Gleichgewichts sein.
Da nun gerade Portland als Gesandter nach Versailles ge-
schickt wurde, war es nicht zweifelhaft, in welchem Sinne
er dort bezüglich der spanischen Erbangelegenheit wirken
werde ^^).
65) Torcy, Memoires, I, p. 34.
66) Harrach, Memoires, II, p. 51.
288 Sitzung der histor. Classe vom 1. März 1879.
Wie die brennende Frage damals in Deutschland auf-
gefasst wurde, zeigt eine Abhandlung in einer periodischen
Zeitschrift , die unter dem Titel „Aufgefangene Briefe" in
Köln herausgegeben wurde ^^). Die „Curiose Staatsfrage,
wer in dem grossen Monarchischen Königreich Spanien der
rechtmässige Successor seyn soll?'' wird in Form eines
Concursprozesses erläutert. In termino liquidationis stellen
sich ein: der Papst wegen des Königreichs Neapel und
Sicilien, Kaiser Leopold als nächster Blutsverwandter des
Königs von Spanien, der Dauphin von Frankreich im Namen
seines Vaters, der Kurprinz von Bayern im Namen seiner
Mutter, der König von Portugal als nächster Nachbar, die
Königin von Spanien, die selbst regieren will, und die
Stände der spanischen Reiche, die sich selbst ein Oberhaupt
wählen wollen. Nun werden die Ansprüche und Rechte
der einzelnen Gläubiger abgewogen. Dem Kurprinzen wird
zwar zugestanden, dass er ein näheres Recht als Frankreich
habe, allein für Oesterreich spreche der Brauch, dass in Erb-
reichen die Succession erst dann auf die Kunkel oder Weibs-
personen und ihre Erben falle, wenn aus dem Mannsstamm
des Hauses Keiner mehr übrig sei , was doch in Ansehen
des Habsburgischen Hauses nicht zu sagen wäre. Darauf er-
widert der Anwalt Bayerns, in Patrimonialreichen , wie
Spanien, könne nur auf die Nähe der Blutsverwandtschaft
mit dem letzten Könige gesehen werden, mag nun der
Nächste sein jung oder alt, Weib oder Mann. Ja, wird er
unterbrochen , aber Spanien ist kein Patrimonialreich, son-
dern ex libero populi consensu erblich worden, es müsse
daher der Volkswille gehört und geachtet werden. Darauf
schweigen alle Bewerber, und der Autor besorgt desshalb,
den besten Ausschlag werde doch nur das Kanonen-
67) Aufgefangene Briefe, I. Paquet. Wahrenberg 1699. (Köln bei
Peter Marteau).
Heigel: Kurprinz Josef Ferdinand von Bayern. 289
recht geben, ,,wie Seneca tragicus spricht: Jus est in armis,
opprimit leges timor, und wie auch Tacitus urtheilt: Illud
in summa fortuna aequius, quod validius est".
Im Frühjahr 1698 Hess der Kurfürst seinen Sohn Josef
Ferdinand nach den Niederlanden kommen, sei es dass eine
Einladung nach Spanien in Aussicht gestellt war, sei es,
dass der Kurfürst nur für alle möglichen Fälle gerüstet sein
wollte. ,,Aus vüll wichtigen und grossen Ursachen", schreibt
er am 4. April an die Obersthofmeisterin Gräfin la Perouse,
sehe er sich veranlasst, ohne Zeitverlust seinen Sohn zu sich
in die Niederlande zu rufen ^*).
68) R. A. Fürstensachen, II, Spec, Lit. C, Nr. 714:
Abschrift eigenhändigen Schreibens von Ihro Churf. Dicht, an die
Frau Obrist Hofmaisterin Ihro Durchl. des Churprinzen de dato
Brüssel den 4. April 1698.
Madame,
Es seindt vüll wichtige und grosse Ursachen , die mich bewogen,
ohne einige Zeit Verlierung meinen liebsten Sohn den Churprinzen
herunter in dise Landten kommen zu lassen. Zu disem komet auch
das grosse Verlangen, selben einstens zu sehen. Und weillen ich vor
dises Jahr kein Hoffnung mehr habe , dise consolation durch eine rais
in's Vatterland zu haben , also bin ich entschlossen , selben in namen
Gottes dise grosse Rais undernemmen zu lassen , schicke also desswegen
aigents meinen Hofmarschall, den Grafen v. Sanfre, auf München, welchen
ich von allen meinen Intentionen, die Rais betreffent, instruiret. Beziehe
mich also auf selben , welchem die Frau Gräfin allen Glauben, gleich-
wie mir Selbsten beyzumessen, absonderlich wan er Ihnen die Versicher-
ung meiner erkantnus vor dero treye Dienst ablegen würdt, welche ich
selbst bald raündtlich zu widerhollen hoife und in der Tath verspüren
lassen werde. Sye sorge sich nur nichts auf dise Rais, Gott würdt uns
weiter beystehen , und Sye wirdt in allem hier alle Vergniegung und
agreement haben. Der Graf Sanfre würdt, wie ich schon gesagt, alles
erleitern könen. Bey disem allem schmerzt mich das grosse leidwesen,
so das gantze Landt haben würdt, den Churprincen abraisen zu soeben,
und dise reflection gehet mir so tief zu Herzen, als es möglich: aber
69 kan einmahl nicht mehr änderst sein , und wan alle getreye Land-
ständt und Underthanen das wahre Interesse des Churprincen verstundten
290 Sitzung der histor. Classe vom 1. März 1879.
Josef Ferdinand stand jetzt im sechsten Lebensjahr, ein
körperlich und geistig wohl entwickelter Knabe. „Er war
schön wie ein Engel", rühmt von ihm Marquis Maffei ^%
und dass er ein Knabe von Kopf und Herz, beweist ein
von ihm schon 1697 eigenhändig geschriebenes Briefchen,
worin er den Vater bittet, einen in Strafe gezogenen Gar-
disten zu begnadigen '^^). Im Jäner 1698 hatte ihn ein
heftiges Fieber befallen, so dass man für sein Leben fürch-
tete. Er war aber wieder völlig hergestellt, so dass der Arzt
gegen die Reise kein Bedenken erhob ^^).
Am 5. April zeigte der Kurfürst seinen Entschluss der
Landschaft an. Er hatte ihn mit schwerem Herzen gefasst.
„Bey disem allen'', schreibt er an die Gräfin Perusa, „schmerzt
mich das grosse leidwesen, so das gantze Landt haben würdt,
den Churprincen abraisen zu sechen , und dise reflection
gehet mir so tief zu Herzen, als es möglich: aber es kan
einmahl nicht mehr änderst sein , und wan alle getreye
Landtständt und ünderthanen das wahre Interesse des Chur-
princen verstundten und wussten , solten sye ihne selbst
herunder wünschen. Diss ist, was ich dem Papier anver-
trauen kann." Die Landschaft erwiderte, es falle dem
ganzen Lande schmerzlich, auch diesen letzten Schatz zu
und wussten, solten sye Ihne selbst herunder wünschen. Diss ist, was
ich dem Papier anvertrauen kann. Sye verlieren doch keine Zeit,
alle tag sein portion, und brechen zum wenigisten den 24. diss monaths
in Gottes namen auf. Schicke underdessen meinem lieben Churprincen
tausent seegen auf die Rais und werdte beten lassen, dass ich die so
lang ersehnte Consolation mit all completer Vergniegung haben könne
und die Frau Gräfin selbst zu versichern, wie ich von Herzen bin,
der Frau Gräfin ,
ganz guetwillig und ergebenster
Max Emanuel, Churfürst.
69) Memoires du marquis de MafFei, I, p. 77.
70) Westenrieder, Beiträge, I, S. 144.
71) H. A. Nr. 602.
Heigel: Kurprinz Josef Ferdinand von Bayern. 291
verlieren , man müsse sich aber „der obhabent wichtigisten
und pressanten Ursacb halben" in den Willen des Fürsten
ergeben. Als Graf Sanfre , der zum Begleiter des Prinzen
auserseben war, nach Brüssel meldete, der Knabe sei frisch
und gesund und trage herzliches Verlangen, seinen Vater zu
sehen, und stehe täglich schon in frühester Morgenstunde auf,
in der Hoffnung, es werde die Reise angetreten werden, gab
der Kurfürst Weisung zur Abreise. Auch dem Kaiser Hess
er durch seinen Residenten in Wien , Mörmann , melden,
dass seine väterliche Sehnsucht ihn zwinge, das Kind zu
sich bringen zu lassen. Leopold erwidert, er könne diess
wohl begreifen. „Ich will immer Gott bitten, dass Er mich
mit Ew. Liebden an diesem Sohne, darvon man mir nit
genuegsamb schreiben kan, wie schön, herzig und manier-
lich Er seye, vill guetes erleben lassen möge. Ich werde
wol alzeit vleissig seiner eingedenk sein und ihne in meiner
gross vätterlichen gnad erhalten" ^^). Die Reise ging über
Nördlingen, Wertheim und Mainz nach Bonn, wo Kurfürst
Josef Clemens den Neffen einige Tage bewirtete. Am 24. Mai
war Brüssel erreicht.
Wenn auch Nichts dazu berechtigt, die Aufrichtigkeit
der Glückswünsche , die Kaiser Leopold seinem Enkel auf
den Weg gab, in Zweifel zu ziehen, so hatte doch die plötz-
liche Abberufung des Prinzen in Wien, wie der bayrische
Gesandte Mörmann berichtet , grosses Aufsehen erregt.
Daraus lässt sich vielleicht erklären, dass der kaiserliche
Gesandte in Madrid plötzlich eine so entschiedene Sprache
führte, dass der König dadurch peinlich berührt war.
Im Mai 1698 wurde das spanische Hoflager nach Toledo
verlegt. Den fremden Gesandten wurde bedeutet , es sei
unnötig, dass sie dahin übersiedelten, da der König nur
Erholung suche und sich allen diplomatischen Geschäften
72) Ebenda. Schreiben Kaiser Leopohls vom 23. April 1698.
[1879. I. Philos.-philol. bist. Cl. :j.] 21
292 Sitzung der Jiistor. Classe vom 1. März 1879.
fern zu halten gedenke. Dessenungeachtet bestand Harrach
darauf, den Hof nicht zu verlassen, und wandte sich dess-
halb an die Königin und die Gräfin Berlepsch, musste aber
die Erfahrung macheu, dass beide auffällig kühl gegen den
Vertreter des Kaisers geworden. Zugleich wurde ihm
Kunde zugetragen , dass Marquis d'Harcourt und seine
ebenso schöne, wie kluge Gemahlin gern gesehene Gäste
in den Gemächern der Königin seien , die noch vor
Kurzem so stolz jede Annäherung des Franzosen abgewehrt
hatte. Der Jesuitenpater Cienfungos soll nach Torcy's
Mittheilung ein freundschaftliches Verhältniss angebahnt haben
und die Königin wurde mit der Frau Marquise rasch ver-
traut ^^). Die Thatsache wird bestätigt durch Aeusserungen
in den zwischen der Königin und ihrem Bruder gewech-
selten Briefen. Johann Wilhelm bittet wiederholt die Schwester,
sie möge sich bei d'Harcourt verwenden, dass die im Vollzug
des Ryswicker Traktats aufgeworfene Grenzfrage auf eine
für Kurpfalz günstige Weise geregelt und namentlich das
ganze Amt Germersheim ihm überlassen werde . und die
Königin kann bald gute Nachrichten über das willfährige
Entgegenkommen des Franzosen mittheilen ''*).
So wurde die Stellung des Vertreters der deutschen
Linie des Hauses Habsburg immer schwieriger und unhalt-
barer, d'Harcourt dagegen immer populärer. „Die Zuneig-
ung und Verehrung des Volks für d'Harcourt", berichtet
Harrach am 5. Juni 1698 an den Wiener Hof, ,, übersteigt
Alles, was sich darüber schreiben Hesse. Es ist für mich
eine empfindliche Demütigung, zumal ich mir sagen muss,
dass die Deutschen vom Gefolge der Königin nicht frei von
Schuld sind, da sie durch unleidliche Ausschreitungen den
Hass des Volks auf sich geladen haben'' ^•^).
73) Torcy, 1. c, p. 62.
74) H. A. Nr. 692.
75) Harracb, Memoires, II, p. 178.
Heigel: Kuiyrinz Josef Ferdinand von Bayern. 293
Das Ziel all dieser Anstrengungen und Intriguen schien
jedoch gerade damals in weite Ferne gerückt zu werden. Der
König fand in Toledo wirklich , was er suchte : Erholung.
Er fing wieder an , auf die Jagd zu reiten , ging viel spa-
zieren, ja er redete sogar zu höchlichem Verwundern aller
Welt Leute auf der Strasse an und unterhielt sich eifrig
und leutselig. Er schien völlig hergestellt zu sein, so dass
die Aerzte einwilligten, dass das Hoflager nach Madrid zu-
rückverlegt werde. Auch hier war Jedermann erstaunt und
erfreut üher das vortreffliche x4.ussehen des Königs und der
Stadtrath beschloss aus Anlass der Genesung des Monarchen
ein solennes Freudenfest zu veranstalten. Da erkrankte
plötzlich der König gerade in der Nacht vor dem 24. Juni,
für welchen das ^grosse Stiergefecht angesetzt war, gefähr-
licher denn je, so dass der Hof und die ganze Stadt in grösste
Aufregung geriethen. Von allen Gesandten wurden Kuriere
mit der allarmirenden Botschaft an die Höfe Europa's ab-
geschickt. Zwar erholte sich der König in den nächsten
Tagen wieder , aber es war jetzt allen Kabineten klar ge-
worden, wie nötig es sei, endlich mit der spanischen Frage
in's Reine zu kommen, und die betheiligten Mächte gaben
aufrichtiger und bestimmter ihre Wünsche und Befürcht-
ungen zu erkennen.
In Madrid war jetzt das Parteiverhältniss folgender-
massen gestaltet. Die Anhänger des bayrischen Kurprinzen
hatten im Ministerrath die Oberhand. D'Harcourt dagegen er-
freute sich in den Volkskreiseu grosser Beliebtheit. Der junge
Harrach endlich — der Vater kehrte im Juli 1698 nach
Wien zurück — konnte fast nur noch auf das Wohlwollen
des Königs sich stützen, während die Freundschaftsver-
sicherungen der Königin täglich verdächtiger klangen. Zwar
zeigte ihm der Beichtvater der Königin , P. Gabriel , eine
Stelle in einem für den König bestimmten Brief von ihrer
Hand , dass sie nichts sehnlicher wünsche als die Berufung
21*
294 Sitzung der histor. Classe vom 1. März 1879.
des Erzherzogs Karl ; da sich aber der Pater weigerte, den
Gesandten das ganze Billet lesen zu lassen, argwöhnte dieser
wohl kaum mit Unrecht, dass der übrige Inhalt mit jener
Phrase nicht in Uebereinstimmung stehe '^^).
Am 15. September 1698 hielt d'Harcourt, der jetzt
erst officiell als Botschafter der Krone Frankreich auftrat,
feierlichen Einzug in die Hauptstadt Spaniens. Sein Ge-
folge trug dabei die reichste Pracht zur Schau und die neu-
gierige Menge wurde freigebig bewirthet und beschenkt.
Der Empfang im Schloss war so festlich, dass man glauben
konnte, der Franzose ziehe als Fürst in seine Residenz ein,
und dem österreichischen Gesandten entging nicht, dass die
Königin vor Vergnügen, ihren Schützling so festlich be-
grüsst zu sehen, ein über das andere Mal erröthete und,
um ihr Frohlocken zu verbergen , das Taschentuch vor's
Gesicht hielt. D'Harcourt war, wie Harrach sagt, so
recht der Hahn im Korbe, als zwei Ereignisse einen neuen
Umschwung der Hof- und Volksgunst in Madrid bewirkten.
Kardinal Portocarrero war kein Freund der französi-
schen Pläne und legte desshalb, gerade in dem Augenblick,
da das Zünglein der Waage sich zu ihren Gunsten neigte,
dem Könige ein Schriftstück vor, das eindringlicher als alle
bisher erschienenen die Rechte des bayrischen Kurprinzen
vertheidigte. Portocarrero hatte den berühmtesten Rechts-
gelehrten von Bologna, Leonardo Pepoli, aufgefordert, ein
Rechtsgutachten über die spanische Erbfolge abzugeben; im
Spätherbst 1698 konnte der „Discorso sopra la successione
de la Monarchia de Spagna" dem Könige unterbreitet
werden. Der österreichische Gesandte, der in Besitz einer
Abschrift gelangte und sie in den später zu seiner Recht-
fertigung herausgegebenen Memoiren veröffentlichte, sagt
darüber: „Ich weiss nicht, ob dieses Gutachten dem grossen
76) Ibid., II, p. 206.
Heigel: Kurprinz Josef Ferdinand von Bayern. 295
Ruf entspricht, den der Verfasser in ganz Italien geuiesst ;
Thatsaclie aber ist, dass dieses Schriftstück den König von
Spanien und die Mehrheit seiner Minister bewog, den Kur-
prinzen von Bayern zum legitimen Universalerben der ganzen
Monarchie zu ernennen" ^^).
Pepoli's Memorandum geht ebenso ausführlich auf die
politischen Opportunitätsgründe , wie auf die eigentliche
Rechtsfrage ein. Diese sei erledigt durch das Testament
König Philipps IV., das in den bestimmtesten Ausdrücken
die Nachkommen der Infantin Margarita zu Erben einsetze ;
überdies spreche für diese Auffassung auch das in Spanien
geltende Gewohnheitsrecht, wonach den Nachkommen der
Infantinen, wenn sie dem Erblasser um einen Grad näher
verwandt seien, als Nachkommen von Prinzen, der Vorzug ein-
geräumt zu werden pflege. Bei so gewichtigen Erbfragen
handle es sich aber nicht bloss um das positive Recht der
Prätendenten , sondern auch um ihre politische Stellung.
Auch hier sei jeder Zweifel ausgeschlossen: der schwächste
Prätendent sei allen anderen vorzuziehen. Sowohl Oester-
reichs als Frankreichs Prinzen würden vermuthlich Spaniens
Interessen denjenigen der Hauptländer nachsetzen, dagegen
würde nicht Bayern von Spanien, sondern Spanien von
Bayern Besitz ergreifen. Die Niederlande könne Max Ema-
nuel leicht behaupten und auch die Vertheidigung Mailands
biete wegen der Nachbarschaft Bayerns keine grosse Schwierig-
keit. Allerdings drohe aber für Spanien selbst die Gefahr
einer französischen Invasion. Desshalb sei vor Allem ge-
boten , die Zustimmung Ludwigs XIV. zur Erbeinsetzung
Joseph Ferdinands zu erlangen. Lieber möge man ihm
freiwillig die Niederlande einräumen, um den ruhigen Besitz
aller übrigen Reiche zu behaupten. Nur auf solche Weise
77) Ibid., II. pag. 295.
296 Sitzimg der histor. Classe vom 1. März 1879.
könne überhaupt der Friede in Europa aufrecht erhalten
werden, jede andre Entscheidung bringe Krieg und Gefahr.
Fast gleichzeitig mit Pepoli's Abhandlung wurde ein
zweites Dokument in Spanien bekannt: der Haager Traktat
vom 11. Oktober 1698.
Während sich am Madrider Hofe durch d'Harcourt's
Geschick und Glück eine Wandlung vollzog, die im nächsten
Jahre entscheidende Bedeutung gewann, waren im Haag die
Unterhandlungen zwischen Frankreich und den Seemächten
fortgeführt worden. Ihr Ergebniss war ein am 11. Oktober
abgeschlossener Traktat , der für den Fall kinderlosen Ab-
sterbens des letzten Habsburgers in Spanien im Voraus eine
Theilung seines Reiches festsetzte. Der grösste Theil der
Erbschaft, Spanien, die Niederlande und beide Indien, sollte
demgemäss an den Kurprinzen von Bayern und im Fall seines
Ablebens an seinen Vater, den Kurfürsten, fallen, der Dauphin
Neapel und Sicilien, Erzherzog Karl Mailand erhalten.
Falls einer der Prätendenten gegen diese Abrede sich auf-
lehnen würde, sollten die pactirenden Mächte mit allen zu
Gebote stehenden Streitkräften zu Wasser und zu Land für
die Ausführung des im Interesse der öffentlichen Ruhe
Europa's geschlossenen Vertrags einstehen ^^).
Zu Lebzeiten König Karls sollte der Traktat geheim ge-
halten werden. Einige Wochen später aber wusste man
schon in Madrid, auf welche Weise die drei Mächte Vorseh-
ung spielen wollten. Der französische Diplomat Torcy ver-
sichert, das Geheimniss sei durch holländische Diplomaten
verrathen worden ''^) , aber es lässt sich nicht wohl be-
greifen, welches Motiv sie dazu veranlasst haben könnte, wäh-
rend sich eher vermuten lässt, dass man sich auf französi-
16) Lamberty, Memoires pour servir ä l'histoire du XVIII. siecle,
I, p. 13.
79) Torcy, 1. c, p. 75.
Heigel: Kurprinz Josef Ferdinand von Bayern. 297
scher Seite vom Bekanntwerden des neuen Bündnisses Vor-
tlieile verspracli. Diese Vermutung findet Bestätigung durch
die Angaben des offenbar wohl unterrichteten österreichi-
schen Botschafters. Er erzählt über den Vorgang Folgendes.
Der Kardinal, durch Pepoli's Gutachten in seiner An-
sicht bestätigt, dass die Erhebung des Kurprinzen dem Recht
und dem Interesse Spaniens am Besten entspreche , suchte
den französischen Gesandten über seine Anschauung bezüg-
lich dieser Combination auszuforschen. D'Harcourt er-
klärte sofort , sein König werde gern bereit sein , auf
eigene Ansprüche zu Gunsten des Kurprinzen zu verzichten,
unter der Bedingung, dass das Haus Habsburg für ewige
Zeiten von der Thronfolge in Spanien ausgeschlossen und
dem Dauphin eine kleine Entschädigung zugestanden werde.
Diese Forderung hielt jedoch der Kardinal, der die Einheit
des spanischen Reichs erhalten wissen wollte, für unange-
messen. Er äusserte daher nur kurz, die Gesundheit des
Königs habe sich. Gottlob ! so gebessert, dass man derartige
Fragen noch nicht ernstlich zu erwägen brauche. Durch
solche Halsstarrigkeit gereizt, beschloss d'Harcourt , dem
Kardinal begreiflich zu machen, dass Frankreich in bestem
Einvernehmen mit den Seemächten stehe und nötigen Falles
auch den Widerstand der spanischen Regierung gegen eine
Abtretung der Niederlande leicht brechen werde. Er schickte
den Grafen von Monterrey, der ein ergebener Diener Frank-
reichs war, mit einer Abschrift des Theilungsvertrags zum
Kardinal. Monterrey fragte den Leiter der spanischen Po-
litik, ob ihm bekannt wäre, was im Haag in der jüngsten
Zeit verhandelt worden sei. Portocarrero bejahte. Er sei
durch Quiros von Allen unterrichtet. Ob ihm denn auch
der dort abgeschlossene Vertrag bekannt sei? warf Mon-
terrey ein und zog die Abschrift aus der Tasche. Ein
Freund in Brüssel, erklärte er, habe sie ihm übersendet.
Kaum hatte der Kardinal das Schriftstück in Händen, rief
298 Sitzung der histor. Classe vom 1. März 1879.
er im Ton ungeheuchelten Erstaunens und Unwillens: „Die
Undankbaren ! die Verräther !'' Und nun zählte er alle Dienste
auf, die Spanien dem Oranier zur Befestigung seines Thrones
geleistet habe, wie es desshalb mit Frankreich die gefähr-
lichsten Kriege geführt habe, wie es in Allem den Wün-
schen Wilhelms entgegengekommen sei ! ,,Aber wir werden
die Pläne und Hoffnungen der Undankbaren durchkreuzen !"
Damit nun nicht etwa der Kardinal gerade durch die über-
raschende Enthüllung auf die Seite Oesterreichs gedrängt
werde, hob Monterrey hervor, wie sträflich die Gleichgiltigkeit
des Wiener Kabinets, das ohne Zweifel auch im Augenblick
der Gefahr Spanien im Stiche lassen würde, und erörterte
nochmals alle gegen die Ernennung des Erzherzogs sprechenden
Gründe. Aber auch der Kurfürst von Bayern verdiene
keine Belohnung und Berücksichtigung. Unzweifelhaft sei
er mit den Seemächten und Frankreich im Einverständniss
und habe sich durch sein Schweigen undankbar gegen den
Kardinal bewiesen. Falls dies aber nicht der Fall sei, so
sei noch weniger räthlich , den Kurprinzen als Universal-
erben aufzustellen, denn Bayern sei ja nur ein schwaches
Rohr, es könne Spanien nur in Krieg verwickeln, aber nicht
beschützen. Nur der innigste Anschluss an Frankreich könne
Spanien retten. Monterrey's Beredsamkeit erzielte aber
nicht den gewünschten Erfolg, sondern gerade das Gegen-
theil. ,,Mag sein," erwiderte der Kardinal, ,,dass das Ein-
gehen auf die französischen Pläne den grössten Vortheil
brächte, — Ehre bringt es sicher nicht! Der Kurprinz ist
der nächste Erbe, es wäre ein schreiendes Unrecht, ihn zu
übergehen ! Ich kann nicht glauben , dass die Seemächte
ihn ohne Unterstützung lassen werden! Wenn aber auch
alle Mächte ihn verlassen uud verfolgen sollten, so wird
doch jeder Spanier für ihn Gut und Blut opfern, und Gott
wird ihn nicht verlassen, denn mit ihm ist das Recht!"
Da Graf Monterrey einsah, dass gegen die Ueberzeugung
Heigel: Kurprinz Josef Ferdinand von Bayern. 299
des Kardinals niclit anzukämpfen sei , versicherte er , er
theile durchaus so erleuchtete Ansichten, und empfahl sich ^^).
Vom Tage dieser Unterredung an wirkte Portocarrero
auf's Eifrigste für möglichst rasche Ernennung des Kur-
prinzen zum Thronfolger in Spanien. Der König selbst
vernahm den Vorschlag nur mit Missbehagen. Er habe sich
schon früher einmal für den Erzherzog erklärt und könne
daher nicht ohne Weiteres einem Anderen den Vorzug geben ;
die Sache dürfe nicht voreilig betrieben werden, er wolle
sich erst genau überzeugen, was seiner Ehre und dem Nutzen
des Landes am Besten entspreche. ^^)
Portocarrero fuhr jedoch unermüdlich fort, den König
zu bestürmen : wenn er auf Recht und Gewissen achten wolle,
könne er sich nur für den Kurprinzen entscheiden. Auch
im Ministerrath und unter den Hofherren und Offizieren
zählte jetzt dieses politische Programm die zahlreichsten
Anhänger. Der spanische Nationalstolz war durch die Ein-
mischung der Fremden verletzt, in allen Kreisen das Verlangen
erwacht, die gefährdete Einheit und Selbständigkeit des
Reiches zu erhalten. Um auch den König dafür zu gewinnen,
legte der Kardinal neuerdings Gutachten der ersten Juristen
von Salamanka und Alcala vor, die mit Pepoli's Memoran-
dum übereinstimmten. Endlich willigte König Karl ein
und errichtete ein Testament (28. November 1698), das den
Prinzen Joseph Ferdinand zum Universalerben und Thron-
folger der ganzen spanischen Monarchie einsetzte. Während
der Minderjährigkeit des Prinzen sollten die Königin und die
von ihr ernannten Minister die Regierung führen, der Kur-
fürst von Bayern soll auf Lebenszeit Statthalter der Nieder-
80) Memoires et Negociationa secretes et diverses cours de TEurope
contenant ce qui s'y. est passe depuis le preraier traite de parta^e de la
Succession d'Espagne jusqu'ä la communication du second traite , par
Mr. de la Torre (1721), I, p. 24.
81) Ibid., I, p. 35.
300 Sitzung der Idstor, Classe vom 1. März 1879,
lande bleiben. In einer geheimen Sitzung des Kronraths gab
sodann der König kund, dass er für den Fall kinderlosen
Ablebens Vorsicbtsmassregeln getroffen und einen Nachfolger
gewählt habe. ,,Hier ist mein Testament. Es wird euch
nach meinem Tode kund geben, welchen Fürsten ich zum
Erben meiner Krone ausersehen habe. Bis dahin bleibe das
Geheimniss gewahrt, damit nicht die Wahl schon zu meinen
Lebzeiten Unruhen hervorrufe. Ich hoffe auf die Barmher-
zigkeit Gottes, dass sie meine Tage verlängere, bis ich Alles
im Reich so geordnet haben werde, dass man die Rache
andrer Prätendenten nicht zu scheuen braucht. Ich rufe Gott
zum Zeugen an, dass ich bei dieser Wahl nur der Stimme
meines Gewissens und der Gerechtigkeit Gehör schenkte.
Auf euren Patriotismus und auf eure Treue baue ich fest,
damit die Sicherheit des Landes auf's Beste geschützt werde!''
Er befahl dann allen Anwesenden, das Testament zu unter-
zeichnen, und übergab es dem Generalstaatssekretär zur
Aufbewahrung. ^ ^)
Obwohl demnach der Inhalt des Testaments nicht offi-
ciell bekannt gegeben war, wusste doch der ganze Hof, dass
die Wahl des Königs auf den bayerischen Prinzen gefallen
sei , und rasch waren alle Höfe Europa's vom wichtigen
Ereigniss unterrichtet.
Es war ein conservativer Erbvertrag, wodurch einem
Verwandten, dessen Erbfähigkeit keinem Zweifel unterworfen
war und dem ein Erbrecht ohnehin schon zustand, die
gesammte Erbschaft zugesichert war. Dadurch schien ein
definitives Verhältniss geschaffen zu sein, dessen Rechtskraft
nach strengsten juristischen Begriffen in keiner Weise an-
gefochten werden konnte.
Dessenungeachtet gedachte der Kurfürst, als ihm die
langersehnte, hocherfreuliche Kunde überbracht wurde, jener
82) Ibid., I, p. 56 etc.
Heigel: Kurprinz Josef Ferdinand von Bayern. 301
Malmiirig seines vertrauten Rathgebers: Man kann Alles
verlieren, wenn man Alles gewinnen will ! Da gerade der
französische Gesandte für England, Graf Tallard, in Brüssel
anwesend war, vertraute ihm der Kurfürst das Geheimniss
an. Er möge seinem König die Nachricht überbringen, zu-
gleich aber auch die Versicherung, der Kurfürst werde Alles
thun und geschehen lassen, um den Bestimmungen des
Theilungstraktats Vollzug zu sichern. ^^)
Auch von andrer Seite erhielt Ludwig rasch Kenntniss
von dem Schachzug, wodurch die spanische Regierung den
Haager Vertrag paralysiren wollte. D'Harcourt hatte den
Secretär des Kardinals, Uracca, bestochen und erhielt auf
diesem Wege Kenntniss vom Inhalt des Testaments. Er liess
die Neuigkeit sofort durch Herrn von Igulville nach Versailles
melden. Der Herzog von St. Simon äussert sein Erstannen
darüber, dass der König weder Aufregung noch Unzufriedenheit
gezeigt habe. Die Erklärung des Kurfürsten erklärt freilich
diese Ruhe.^*)
Dennoch konnte sie, wenn auch der gute Wille des
Kurfürsten nicht in Zweifel gezogen wurde, nicht als genü-
gende Bürgschaft angesehen werden. Da der Prinz minder-
jährig war, stand es allerdings dem Vater zu, in seinem Namen
zu verfügen, allein nach erreichter Volljährigkeit konnte der
Sohn alle vom Vater eingegangenen Verpflichtungen für
nichtig erklären. Ueberdies stand energischer Widerstand
der spanischen Granden, namentlich des Kardinals gegen
jedes Abweichen von der letztwilligen Verfügung des Königs
in Aussicht. Desshalb wurde d'Harcourt angewiesen, gegen
die willkürliche Regelung der Successionsfrage Protest zu
erheben. Am 19. Jäner 1699 überreichte der Gesandte
ein ,, scharf gewürztes" Memoriale. Es war darin insbeson-
83) Maximilien-Eramanuel, le Gouverneur des Pays-Bas Espagnols
Revue Nationale de Belgique, 13. tom., p. 140.
84) Memoires du duc de St. Simon, II, p. 266.
302 Sitzung der histor. Classe vom 1. März 1879.
dere die Delicatesse des Kabinets von Versailles betont, das
bisher immer verschmäht habe, sich in die Erbfrage voreilig
einzumischen, so lange Gott dem König von Spanien Leben
und Gesundheit erhalte. Diese Uneigennützigkeit habe aber
schlimmen Lohn gefunden. Der allerchristlichste König gebe
sich der sicheren Hoffnung hin, dass die aufgetauchten Ge-
rüchte nicht auf wahren Thatsachen beruhten und Spanien
Alles thun werde, um neuer Verwirrung vorzubeugen und
den gefährdeten Frieden zu erhalten. ^^).
Die Bekanntmachung der Note führte im Kronrath zu
einer stürmischen Scene. Der Amirante von Kastilien rief
aus, diese Sklaverei, welche die Furcht vor Frankreichs Kriegs-
politik dem Lande aufbürde, sei nicht mehr zu ertragen,
man müsse gegen die Anmassung Frankreichs, sich in die
inneren Angelegenheiten Spaniens einzumischen, energischen
Protest erheben. Seine Klage fand allgemeine Zustimmung.
Als jedoch der Redner die günstige Gelegenheit, für seine
Partei Anhänger zu gewinnen , ausnützen wollte und die
Forderung stellte, der Erzherzog müsse nach Spanien berufen
und die ganze Macht Oesterreichs zu seinem Schutz auf-
geboten werden, machte der Widerstand des Kardinals diesen
Anschlag zu nichte. Auf seinen Antrag wurde ein Ant-
wortschreiben aufgesetzt, das nur in allgemeinen Ausdrücken
die Forderung Frankreichs zurückwies und die Versicherung
gab, die spanische Regierung werde stets gebührende Rück-
sicht auf die Ruhe Europa's nehmen. Obwohl d'Harcourt
durch den Grafen Monterrey die Schrecken einer französi-
schen Invasion mit grellen Farben schildern Hess, unterzeich-
nete doch der König den Entwurf des Antwortschreibens.
König Karl war zwar, wenn auch das von Weiss ^^) und andern
85) Theatrum Europaeum, tom. 15, p. 657.
86) Weiss, L'Espagne depuis le regne de Philippe seconde jusqu'a
ravenement des Bourbons, II, p. 55.
Heigel: Kurprinz Josef Ferdinand von Bayern. 303
Historikern entworfene Charakterbild nur eine Karrikatur
genannt werden kann, sonst schwach und unselbständig, aber
das aggressive Vorgehen der Mächte, die schon zu seinen Leb-
zeiten den Königsmantel zertheilen wollten, rief in ihm
eine ungewöhnliche Energie wach. Am 3. Februar wurde
dem Marquis d'Harcourt durch den Staatssekretär die könig-
liche Antwort überreicht und zugleich liess der König die
französische Note und seine Erwiderung dem Volk bekannt
geben. ^^)
Auch der junge Harrach, dem das Testament ebenfalls
nicht lange verborgen geblieben war, wandte sich an den
Kardinal mit einer Beschwerde wegen Verletzung der Rechte
seines Gebieters. Zugleich wies er darauf hin, dass vor Frank-
reichs Rache nur Oesterreich retten könne und dass es nur
eines Wortes bedürfe, um rascheste Hilfe zu erlangen. Da-
rauf bemerkte der Kardinal nur höhnisch, warum jetzt plötz-
lich das Wiener Kabinet so aufmerksam und hilfsbereit sei,
während es doch früher gegen alle Vorstellungen und Bitten
kühl ablehnend sich verhielt ?
An der Königin fand weder der österreichische,
noch der französische Gesandte einen Anwalt. Da sie durch
das Testament für die Dauer der Minderjährigkeit des Thron-
folgers zur Regentin eingesetzt war, zog sie ihr eigenes In-
teresse auf die Seite der Nationalpartei.
Noch wurde zwar von offizieller Veröffentlichung des
Testaments Umgang genommen, allein der König gab durch
eine andere, jeden Zweifel beseitigende Demonstration seinen
Willen kund : er rief den Kurprinzen nach Spanien.
Es war der wichtigste Augenblick in der Geschichte des
Wittelsbachischen Hauses.
Zwar stand zu erwarten, dass die beiden anderen Prä-
tendenten den Erbvertrag niemals in vollem Umfang an-
erkennen, sondern Theile der Erbschaft beanspruchen und
87) Theatrum Europaeum, 1. c.
304 Sitzung der histor. Classe vom 1. März 1879.
wohl auch behaupten würden, aber es war der feste Entschluss
Wilhelms von Oranien , dass dem designirten Prinzen
von Asturien unter allen Umständen die Herrschaft über
den Haupttheil der spanischen Monarchie erhalten bleibe.
Ludwig XIV. erklärte sich um den Preis der Abtretung
Neapels bereit, das Erbrecht des Kurprinzen anzuerkennen.
Zurückhaltender zeigte sich der Kaiser, aber auch er wies in
späteren Erklärungen entrüstet den Vorwurf zurück, als
habe er dem eigenen Enkel als Feind entgegentreten wollen,
und man darf annehmen, dass um der Erhaltung des Friedens
willen die Abfindung des Erzherzogs durch einen Theil der
Erbschaft acceptirt worden w^äre. Ausserdem war Bayern
der Unterstützung Brandenburgs sicher. Max Emanuel war
schon 1696 mit Friedrich übereingekommen, dass sich beide
Staaten zur Behauptung der Erbansprüche auf Spanien und
auf Jülich-Berg und zur Umwandlung in Königreiche gegen-
seitig behilflich sein sollten. ^^)
Das letzte Jahr des siebenzehnten Jahrhunderts schien
die glorreichste Erhöhung des Wittelsbachischen Geschlechts
bringen zu wollen. „Auf Josef Ferdinand," so schreibt der
Gesandte Oesterreichs, ,, setzte ganz Europa seine Hoffnung,
er schien alle Besorgnisse zu verscheuchen und die allgemeine
Ruhe zu verbürgen, gleichsam von Gott selbst dazu aus-
erkoren.*' ^^)
Da machte ein unvorhergesehenes Ereigniss alle Pläne
und Hoffnungen zusammenstürzen wie ein Kartenhaus.
In den letzten Tagen des Monats Jäner 1699 erkrankte
der Kurprinz. Ueber Art und Behandlung der Krankheit
liegen nur dürftige Nachrichten vor. In einem Brief an
den König von Dänemark bezeichnet sie der Vater als
88) Droysen , Geschichte der preussischen Politik , IV, 1 . Abth.,
S. 173.
89) Memoires et Negociations etc., I, p. 99.
Heigel: Kurprinz Josef Ferdinand von Bayern. 305
„Magenweh, darzu gar oft angehaltenes Erbrechen der Natur
und endlich die Convulsiones gestossen ;" auch in dem offi-
ciellen Schreiben, wodurch dem Hofe von Versailles der Tod
des Prinzen angezeigt wurde, heis&t es: ,,une fievre suivie
des convulsions violentes.^^) Ein 1705 veröffentlichtes
„Churbayerisches Manifest," dessen Bedeutung noch näher
zu untersuchen sein wird, spricht von einer ,, leichten Krank-
heit, welche ihm zuvor, ehe er zu der Spanischen Succes-
sion gewidmet, zu verschiedenen mahlen ohn eintzige Gefahr
angestossen," ^^) In der Münchner ordentlichen wöchent-
lichen Postzeitung ^^) und damit übereinstimmend im Thea-
trum Europaeum ^^) wird die Krankheitsgeschichte folgender-
massen dargestellt. Anfänglich habe man geglaubt, der Knabe
werde die Kinderpocken bekommen; erst allmälig, als sich
die gewöhnlichen Erscheinungen dieser Krankheit nicht ein-
stellten, sei man von dieser Ansicht abgewichen. Die
Ansichten der Aerzte über die einzuschlagende Behandlungs-
weise gingen auseinander. Während die Einen glaubten,
man müsse der Natur mit gelinden Brechmitteln zu Hilfe
kommen, hielt der kurfüstliche Leibmedicus Louis Fernandez ^*)
derartige Mittel bei der schwächlichen Constitution des Kindes
für gefährlich und erachtete für's Beste, der Natur ihren
90) H. A. Nr. 693. Correspondenzakt über das Ableben des Chur-
prinzen Joseph Ferdinand 1699.
91) Se. Churfürstl. Durchlaucht von Bayern Manifest sammt dessen
Beantwortung (Prankfurt 1706; in Abschriften schon im Jahr 1705 ver-
breitet).
92) Ordentliche Wöchentliche Postzeitungen, Jahrgang 1699, 14.
u. 21. Februar.
93) Theatrum Europaeum, 15. tom., p. 548.
94) In der Hofkammerrechnung vom Jahr 1699 (Kreisarchiv Mün-
chen) werden als kurfürstliche Leib- und Hofmedeci aufgeführt: Ea.y-
mundt Maria Pistrini , kurfürstl. Rath und Protomedicus , Ascanius
Maria Triva, Rath und Leibmedicus, Carl Ferdinand Vacchierj, Paul
Weller und Louis Fernandez, Leibmedici.
306 Sitzung der histor. Classe vom 1. März 1879.
Lauf zu lassen. Demgemäss sali man von Arzneien gänzlich
ab. Der Knabe wurde jedoch von Tag zu Tag schwächer
und am 5. Februar durch häufig sich wiederholende Krampf-
und Ohnmachtsanfälle so -kraftlos, dass er die Sprache verlor.
Am folgenden Tage um ^2 2 Uhr Morgens verschied er in
Gegenwart seines Vaters und des spanischen Gesandten,
Marquis von ßedmar.
Graf Merode-Westerloo, der damals am Hofe zu Brüssel
lebte, 1705 aber, weil er seine militärischen Dienste nicht
nach Gebühr belohnt glaubte, nach Wien übersiedelte und
sich in der kaiserlichen Armee zum Feldmarschall aufschwang,
erzählt in seinen Memoiren Einiges über die letzten Augen-
blicke des Kindes. ^^)
„Am Tage vor seinem Tode besuchte ich den Prinzen,
um mich nach seinem Befinden zu erkundigen, als gerade
auch der Kurfürst im Krankenzimmer war. Auf seinen
Wink trat ich an das Bett. Er hatte Spielzeug mitgebracht
und der Knabe strengte sich ersichtlich an, um den Glauben
zu erwecken, als sei er nicht gar so krank, um dadurch
den Vater zu trösten. Dem stürzten aber die Thränen aus
den Augen, er musste das Gemach verlassen, bat mich jedoch
zu bleiben und mit dem Prinzen zu spielen. Ich that nach
seinem Geheiss. Weil ich aber sah, wie furchtbar das Kind litt,
Hess ich davon ab und entfernte mich ; nur der jüdische Arzt,
Don Louis, blieb im Zimmer, mit dem Rücken gegen den
Kamin gewendet, — seitdem man mir sagte, dass er es war,
der dem Leben des Knaben durch Gift ein Ende setzte, sehe
ich ihn noch immer vor mir stehen.''
Der Tod des Lieblings, auf dessen Haupt so glänzende
Hoffnungen ruhten, erschütterte den Vater aufs Tiefste. In
wahnsinnigem Schmerz zerriss er seine Kleider und stöhnte
und wehklagte, bis ihm eine Ohnmacht die Sinne umnachtete.
95) Merode-Westerloo, Meinoires, I., p. 163.
Heigel: Kurprinz Josef Ferdinand von Bayern. 307
Als er wieder zum Bewusstsein kam, überredete man ihn,
die Trauerstätte zu verlassen und sich auf ein Schloss in
der Umgebung Brüssels zurückzuziehen.
Am 9. Februar Nachts wurde die Leiche durch den
Park nach der Kirche St. Gudula gebracht und in der Gruft
unter der Sakramentskapelle neben den Särgen der Infantin
Isabella und des Erzherzogs Albrecht beigesetzt ^^). Tags darauf
fand die Todtenmesse statt, vom Erzbischof von Brüssel selbst
celebrirt. Alle in Brüssel anwesenden Gesandten, der kur-
fürstliche Hof und eine grosse Volksmenge wohnten der
Feier bei.
Graf Merode erzählt , er könne sich erinnern , dass
Einige aus dem Volk bei dieser Gelegenheit ganz laut riefen :
,,Wat Geluck, wat Geluck voor ons landeken!'' (Was für
ein Glück für unser Land !) Dagegen wurde aber auch die
verhängnissvolle Bedeutung des Todesfalles von Vielen richtig
gewürdigt. Das Theatrum Europaeum begleitet die Todes-
nachricht mit der Bemerkung ; „Er starb zu vieler Verstän-
digen grossen Bekümmernissen, welche dergestalt nichts als
einen traurigen Erfolg von vielen Unruhen bei künftigem
Todesfall des Königs von Spanien vorhersehen." ^'^) Und
96) H. A. Nr. 693. Copia, wass auf die zünnene Sarch dess ver-
storbenen durchl. Churprinzens Josephi geschriben, so zu Brüssel in der
grossen St. Gudulae Stüftskürchen vor dem Altar des wunderthetigen hey-
ligen Sacraments in einer Gruft beigesetzt worden, den 9. Februar 1699.
Hoc in sarcophago quiescit corpus serenissimi Josephi Ferdinandi
Leopoldi etc., Principis Electoralis Bavariae, Filii primogeniti serenissi-
morum principum Maximiliani Emraanuelis utriusque Bavariae ducis ac
electoris, Gubernatoris Belgii, et Mariae Antoniae natae Regiae prin-
cipissae Hungariae, Archiducissae Austriae, conjugis ejus, qui natus est
Viennae Austriae 28. Octbr. Anno 1692, raortuus autem Bruxellis, Me-
tropolis Brabantiae, die Veneris, 6. Febr. infra primam et secundam
matutinam Anno Christi 1699, aetatis suae annorum 6. mensium 3 et
dierum 3.
97) Theatrum Europaeum, 1. c.
[1879. I. Philos.-philol. bist. Cl. 3.1 22
308 Sitzung der histor. Classe vom 1. März 1879.
Prielmayer schreibt (10. März 1699) an Wämpl: „Der Trauer-
fall trifft ganz Europa, das in dem Prinzen einen mediatorem
angesehen. ^^)
Unter den gegebenen Verhältnissen könnte nur Wunder
nehmen, wenn die Meinung, der Prinz sei nicht eines na-
lichen Todes gestorben, nicht aufgetaucht wäre.
Wie aus der mitgetheilten Aeusserung Merode's erhellt,
glaubte man in Brüssel, der Kurprinz sei vergiftet worden,
und schob die That auf den jüdischen Arzt Louis Fernandez.
Der Argwohn wurde verstärkt durch das Bekanntwerden
eines Sectionsberichtes , wonach alle Theile des Körpers
völlig gesund befunden wurden, nur der Magen voll zähen
Schleimes. Bald zischelte man sich an den europäischen
Höfen die Neuigkeit in's Ohr, man kenne nicht bloss den
Thäter, sondern auch den Urheber der That. Torcy äussert
zurückhaltend, über die Ursache des unerwarteten Todes-
falles seien mancherlei Gerüchte gegangen und der Kurfürst
selbst habe geglaubt, dass die letzte Krankheit nicht von
98) H. A. Nr. 693. Vgl. Anm. 121. — In der Wochenschrift
„Historische Eemarques der neuesten Sachen in Europa" (Hamhurg)
wurde folgendes Epitaph veröffentlicht:
En princeps,
Emanuel princeps electoralis
hie jaceo
inter vires
puer,
Cujus nuper Vagitus
per Orbem vagabatur,
nomine Magnus
omine Major.
Bona Austriaca prosapiä
Maximus
per orbem me tulit
Fortuna,
Per Regna Regumque Aulas
Heigel: Kurprinz Josef Ferdinand von Bayern. 309
ungefähr an seinen Sohn herantrat. ^^) St. Simon dagegen
giebt dem Verdacht wie einer erwiesenen Thatsache Aus-
druck. Nachdem er erzählt, wie gefasst der König von
Frankreich die Nachricht von der Uebertragung der spani-
schen Erbschaft an den bayerischen Prinzen aufgenommen
habe, fährt er fort: „Auch der Kaiser verlor darüber
kein Wort. Er gab die stolze Hoffnung auf diese ungeheure
Erbschaft und auf Wiedervereinigung aller habsburgischen
Lande keineswegs auf: er brauchte ja nur seine gewöhnlichen
Hilfsmittel zu Rath zu ziehen. Es war noch nicht lange
her, dass er sich ihrer bedient hatte, um sich der Königin
von Spanien, der Tochter des Herzogs von Orleans, zu ent-
ledigen, die keine Kinder hatte, aber nach seinem Bedünken
zu viel Einfluss auf ihren königlichen Gemahl übte. Nun
starb ganz unerwartet in den ersten Tagen des Februar der
Kurprinz von Bayern, aber kein Mensch zweifelte, dass da-
bei das Wiener Cabinet die Hand im Spiele habe".^^^) Auch
Lamberty erwähnt in seinen ungefähr zwanzig Jahre später
erschienenen Memoiren, es habe nicht an Leuten gefehlt,
die das Haus Oesterreich der Urheberschaft bezichtigten,
aber auch nicht an Verständigeren, die den Kaiser einer so
Fama,
per Aethera
Fatum,
ad aeternitatem
Mors,
Jaceo
Inter coronandos sine controversia coronatus
Inter aemulos aemulis carens,
Antequam orbe Eiector coelo Electus
ab Imperio ad Empyraeum
erepto
applaudit orbis et me orbus
Pater.
99) Torey, 1. c, I, p. 82.
100) St. Simon, 1. c, U, p. 266.
22^
310 Sitzung der histor. Classe vom 1. März 1879.
schwarzen That nicht für fähig hielten und eher an einen
andren Hof, der näher an Brüssel war, zu denken geneigt
waren. *^ ^)
Wichtiger als solcher Klatsch wäre die Thatsache, dass
der Vater des Erbprinzen selbst an die Schuld des Wiener
Cabinets geglaubt habe. Der vagen Aeusserung Torcy's
lässt sich zwar keine Wichtigkeit beimessen, allein man
glaubte einen sicheren Beweis in dem bald nach Ausbruch
des spanischen Erbfolgekriegs in Abschriften veröffentlichten
und 1706 in Druck erschienenen ,,Churbay er ischen Manifest''
zu finden. Darin heisst es : ,,Der Stern, welcher allen den-
jenigen, so sich der Grösse des Hauses Oesterreich wider-
setzen, unglücklich ist, der Stern, welcher seiter vierzig
Jahren so viel- Gutes in Ungarn und Spanien gewürket, riss
diesen jungen Prinzen hin. Und er ward durch eine leichte
Krankheit, welche ihn zuvor, ehe er zu der Spanischen Suc-
cesion gewidmet, zu verschiedenen Mahlen ohn einzige Ge-
fahr angestossen, unter die Erde gebracht.'' Die in diesen
Worten enthaltene Anspielung ist allerdings in Zusammen-
hang mit den sonst erwähnten Gerüchten nicht zu verkennen.
Noch offener und sicherer tritt jedoch die schwere Anschul-
digung in einem Schriftstück auf, das ebenfalls gewisser-
massen officiellen Charakter trägt. In einer Denkschrift,
die den Titel trägt : Crisis politico-christiana de statu mo-
derni saeculi 1700,"^^^) suchte der Lehrer des Kurprinzen,
101) Lamberty, 1. c, I, p. 20.
102) Nach einer Abschrift aus Hoheneichers Collectanea boica durch
J, Zahn veröffentlicht im Notizenblatt, Beilage zum Archiv für Kunde
österreichischer Geschichtsquellen, Jahrgang 1859, S. 177 ff. Als Ver-
fasser nennt sich hier im Vorwort J. Wilhelm. In einer von A. F.
V. Oefele gefertigten Abschrift, die mir mein College Edmund Freiherr
von Oefele gütigst zur Verfügung stellte, wird als Verfasser der Jesuit
Franz Lang in München bezeichnet, jedoch besitzen wir noch eine dritte
Handschrift, welche, wie später nachgewiesen werden soll, als Autograph
Heigel : Kurprinz Josef Ferdinand von Bayern. 311
nachmals Kurfürsten und Kaiser Karl Albert, Geheimrath
Ignaz Franz von Wilhelm, im Jahr 1707, als der Erbfolge-
krieg bereits für Bayern die unglücklichste Wendung ge-
nommen hatte , die von Bayern eingeschlagene Politik,
insbesondere Max Emanuels Parteinahme gegen Oesterreich
vor seinem Zögling zu erklären und zu rechtfertigen. Das
Memoire ist von bitterstem Hass gegen Oesterreich dictirt
und verliert sich desshalb in viele alberne Behauptungen.
So ist zum Beispiel der Verfasser überzeugt, die Uebertragung
der Statthalterschaft in den Niederlanden sei österreichischen
Ränken zuzuschreiben , indem der Wiener Hof dabei nur
die Absicht gehegt habe, das Bayerland zu ruiniren. Auch
heftigster religiöser Fanatismus gibt sich kund. Als un-
verzeihliches Verbrechen wird gebrandmarkt, dass sich Oester-
reich gegen Frankreich und Bayern mit protestantischen
Mächten, England und Holland, verbündet habe. „Man
rechnet zwar den Galliern noch schwereren Irrthum als
Schuld an, da von ihnen nicht bloss Ketzer, sondern sogar
die Türken in's Bündniss gezogen und zum Verderben
christlicher Völker aufgewiegelt wurden. Was ist aber für
ein Unterschied, ob der Schafstall von Wölfen oder von
Hunden verwüstet wird?" In dem zum Druck gelangten Exem-
plar dieser Schrift findet sich nun folgende Stelle: „Bei
dem Tode des Prinzen empfanden Alle Schmerz und Trauer,
nur die Oesterreicher frohlockten. Ueber den Sturm, der
plötzlich diese erhabene Blume knickte, mag die Welt ur-
theilen, wie sie will: Der Himmel wird das Urtheil fällen.
Indessen mögen Sachverständige die Erschei-
J. Wilhelm's anzusehen ist, der auch eine ganze Reihe ähnlicher Streit-
und Gelegenheitschriften veröffentlichte , u. A. die in der oben bezeich-
neten Denkschrift erwähnte Abhandlung : Vindiciae arboris genealogicae
Augustae gentis Carolino-Boicae. Die Angabe Zahn's , J. Wilhelm sei
später Abt von Mattighofen geworden, beruht auf einer Verwechslung
mit dem Bruder Egon Josef von Wilhelm.
312 Sitzung der histor. Classe vom 1. März 1879.
nung erklären, dass das silberne Becken, worauf
die ausgeschnittene Leber desTodten zu liegen
kam, bläulich anlief!"
Wenn ein Mann von Kang und Ansehen — er wurde
zwei Jahre nach Abfassung dieser Schrift vom Kaiser in
den Reichsadelsstand erhoben ! ^^^) — solche Sprache führte, so
kann nicht Wunder nehmen, dass fast in allen Geschichts-
werken des vorigen Jahrhunderts das „Successionspulver", das
den armen Prinzen Josef Ferdinand hin wegraffte, eine Rolle
spielt. Vergebens wies Voltaire darauf hin, dass eben nur
ein schwacher Indicienbeweis, der Umstand, dass dem Hause
Oesterreich der beste Nutzen aus dem Tode des Prinzen er-
wuchs, für eine Schuld Oesterreich s spreche. ^°*) Auch von
vielen neueren Historikern, nicht etwa bloss von Vehse^^^)
undHormayr,*^^) sondern auch vonLipowsky,^^^) Gfrörer,^^^)
Bormans,^®^), Coremans ^^^) und Anderen wird die Beschul-
digung mehr oder weniger bestimmt aufrecht erhalten, ohne
dass ihre Auffassung durch neues Beweismaterial begründet
wäre.
Da wird ^ohl nur einer dringenden Forderung der Ge-
103) ß. A. Adelsselekt. Kaiserl. Urkunde über die Erhebung der
drei Gebrüder von Wilhelm in des römischen Reichs Adelstand d. d.
Wien 23. Dezember 1709.
104) Voltaire, Le siecle de Louis XIV, p. 816.
105) Vehse, Geschichte der deutscheu Höfe, 23. Band, S. 231.
106) (Hormayr), Anemonen aus dem Leben eines alten Pilgers-
mannes, 2. Bd., S. 256, und 4. Bd., S. 274.
107) Lipowsky, Des Churfürsten v. Bayern, Maximilian Emanuel,
Statthalterschaft in den spanischen Niederlanden, S. 17.
108) Gfrörer, Geschichte des achtzehnten Jahrhunderts, 1. Bd.,
S. 195.
109) Bormans, Maximilien - Emmanuel de Baviere, comte de
Naraur, p. 10.
110) Coremans, Miscellanees de l'epoque de Maximilien-Emmanuel,
p. 200.
Heigel: Kurprinz Josef Ferdinand von Bayern. 313
rechtigkeit Genüge geleistet, wenn man endlich einmal die
Glaubwürdigkeit der vorliegenden Zeugnisse prüft und den
Thatbestand festzustellen versucht.
Wie häufig sich derartige Vergiftungsgerüchte selbst
in unseren Tagen an den Tod hochstehender Persönlichkeiten
knüpfen, ist bekannt. Noch beliebterer Stoff waren sie bei der
in Hofkreisen herrschenden Medisance und der Leichtgläubig-
keit und Gedankenlosigkeit der Menge im vorigen Jahrhun-
dert. Sobald in fürstlichen Familien Krankheit und Tod
einkehrten, konnte man das Wort ,,Gift" in allen Tonarten
hören. Als die Schwester Max Emanuels, die Gemahlin des
Dauphin von Frankreich, starb, bezichtigte der Volksmund
den eigenen Gatten des schwersten Verbrechens , und als
sich bald darauf der Kurfürst gegen Frankreich mit Oester-
reich verbündete, gab dies dem Argwohn neue Nahrung. *^^)
Ebenso wurden, als im August 1696 die Königin von
Spanien gleichzeitig mit ihrer Leibzwergin erkrankte, sofort,
wie Graf Paumgarten an den Münchner Hof berichtet,
„über eine Aalpastete unterschiedliche Discours geführt."**^)
Wie musste nun erst ein so tragisches Ende eines Kindes,
dem kurz zuvor das grösste Erbe der Welt zugesprochen
war, die Phantasie der Zeitgenossen erhitzen !
Fassen wir die einzelnen Zeugnisse in's Auge.
Die Glaubwürdigkeit eines Zeugen beruht auf seiner
Fähigkeit und Bereitwilligkeit, die Wahrheit zu sagen.
Von St. Simon kann sicher nur das Gegentheil behauptet
werden. Seine Memoiren geben im Allgemeinen ein leben-
diges und anschauliches Bild vom Hof- und Staatswesen
jener Epoche, im Einzelnen aber sind seine Angaben überaus
unzuverlässig, ja kaum irgend ein andrer Schriftsteller des
vorigen Jahrhunderts hat so leichtgläubig wie er den seich-
testen Klatsch nachgeplaudert.
111) Naumann, a. a. 0., Fol. 45.
112) St. A. K. schw. 292/7. Paumgartens Bericht vom 16. Aug. 1696.
314
Sitzung der histor. Classe vom 1. Mars 1879.
Ebenso wenig ist Wilhelm ein zuverlässiger Gewährs-
mann. Auch er kann die Vorgänge in Brüssel nur vom
Hörensagen kennen und seine gehässige Parteinahme gegen
Oesterreieh mahnt zu erhöhter Vorsicht. Die scheinbar
gravirende Notiz über den Sectionsbefund findet sich übrigens
gerade in dem von Wilhelm selbst geschriebenen Exemplar
nicht ^*^); es bleibt demnach zweifelhaft, ob der in andren
Abschriften befindliche Zusatz später von Wilhelm eingefügt
wurde oder ob nicht vielmehr an willkürliche Interpolation
zu denken sei.
Mag übrigens die Mittheilung von wem immer her-
stammen, — einen Beweis bietet sie in keinem Fall. Das
Anlaufen des Silberbeckens nach Aufnahme der Leber rührt
nach dem Urtheil von Sachverständigen einfach von Schwefel-
wasserstoff her und ist auf eingetretene Fäulniss der Leber
113) Die Handschrift (Cod. bav. 583 der Münchner H. u. St. ßi-
bhothek) ist Autograph des Verfassers, wie ein Vergleich mit den zahl-
reichen im Ädelsselect des Münchener Reichsarchivs vorhandenen Briefen
mit Sicherheit erkennen lässt. Sie stammt aus dem Kloster Fölling,
das sie, wie auf dem Einsatzblatt geschrieben ist, „ex dono excellen-
tissimi domini iignatii Francisci Xaverii de Wilhelm 1739" empfing.
Ihr Text weicht vielfach von der von Zahn benützten Abschrift aus der
Heckenstaller'schen Sammlung im Münchner Domkapitel' sehen Archiv
ab. Die relevanten Stellen lauten:
I. bei Zahn (Notizenblatt etc. a.
a. 0., S. 196) :
Commovere graviter Maximi-
lianum poterat hie renisus Caesaris ;
cum ille non immerito persuadere
sibi posset, hunc favorem a Domo
austriaca suis raeritis, haud gra-
vate concedendum, ut sie illa ex
alieno solveret , quod deberet e
propriis. Sed avertit serius quem
in agrum iecerit beneficia, unde
Spinae pro spicis crescerent et .bona
II. im Autograph (pag. 55) :
Commovere graviter Maximi-
lianum poterat , imo debebat hie
renisus Caesaris, cum ille non im-
merito persuadere sibi vel iustum
putabat , hunc favorem a Domo
Austriaca suis in eam meritis haud
gravate concedendum, ut sie illa
ex alieno saltem solveret, quod de-
bebat ex propriis. Sed advertit
(Correctur statt advenit) sero ni-
Heigel: Kn>rprinz Josef Ferdinand von Bayern.
315
zurückzuführen.^**) Auch die andren Sectionsnachrichten,
wonach im Magen zäher Schleim gefunden worden wäre,
während die übrigen Körpertheile gesund waren , schliessen
eine einfach auf heftige Magenentzündung lautende Diagnose
keineswegs aus.
merita cederent in raateriam odii.
Cum ita luctarentur inter se spes
et Vota mortalium, mors indixit
Silentium. Haec florentissimum
Principem Josephum, Maximiliani
unicum delicium, e terris abstulit,
Omnibus dolentibus, solis plauden-
tibus Austriis, ne inviti cogerentur
pati, aemulae domus surculum suis
pomariis implantari, cuius insitioni
contra tot potentum vota et con-
sensum efficaciter repugnare se non
posse praeviderant. De intemp-
testivo Serenissimi huius
flosculi fato iudicet orbis,
quod volet: caelum dicet
sententiam. Interim periti
rerum enuntient, quod illud
Signum fuerit, dum argentea
pelvis, inquademortuiPrin-
cipis exsectum hepar iacuit,
caeruleo livore deformata
comparuit. In hoc vulnere sensit
divinam raanum maestissimus par-
ens, sie forte meritus ob sua. Quis
enim in altissima illa tabula non
aliquid debitorum scripsit. Sed
medetur Numen, dum ferit.
114) Ich verdanke die Erklärung der Vorkommnisse während der
Krankheit und nach dem Tode des Prinzen von medicinischem Stand-
punkt meinem Freunde Herrn Dr. Stecher, dem ich auch an dieser
Stelle herzlichsten Dank ausspreche.
mis, quem in agrum jecerit bene-
ficia, unde spinae pro spicis cres-
cerent, et bona merita in materiam
odii. Cum ita luctarentur inter se
spes et vota partium, mors indixit
Silentium. Haec florentissimum
Principem Josephum, Maximiliani
unicum delicium, e terris abstulit,
summo omnium , tenui , si tamen
uUo, Austriorum dolore, quibus una
cura erat, ne inviti cogerentur pati,
aemulae domus surculum suis po-
mariis implantari, cuius insitioni
contra tot potentum vota et con-
sensum efficaciter repugnare se non
posse praeviderant. De intemp-
testivo Serenissimi huius
flosculi fato iudicet orbis,
quod volet, ego sileo, Coe-
lum dicat sententiam. Sensit
in hoc vulnere divinam manum
maestissimus pater, sie forte meri-
tus ob sua. Quis enim in altissima
illa tabula non aliquid debitorum
scripsit?
316 Sitzung der histor. Classe vom 1. März 1879.
Von dieser Krankheit war der Prinz schon ein Jahr
vor seinem Tode befallen worden und hierüber besitzen wir
einen ins kleinste Detail eingehenden Bericht des behan-
delnden Arztes, Dr. Vacchiery.**^) Damals traten die näm-
lichen Krankheitserscheinungen zu Tage, wie vor dem Tode
des Prinzen. Auch damals dachte Vacchiery zuerst an
Kinderp ocken. Als sich nach vier Tagen keine Pocken
zeigten, wurde die Diagnose auf anomales continuirliches
Fieber gestellt, das in ein einfaches, über den andren Tag
sich einstellendes entartet sei. Heftiges Erbrechen trat auf,
Neigung zu Obstipation war vorhanden, Schlaflosigkeit stei-
gerte das Uebel. Einen Tag lang schwebte der Knabe in
äusserster Gefahr ; als sich endlich doch die Macht des
Fiebers brach, schrieb die Aia, Gräfin la Perouse, an den
Kurfürsten, sie könne die Rettung nur als ein Wunder be-
trachten, das der hl. Benno in Folge ihrer frommen Gelübde
gewirkt habe. Man würde jene Krankheit heute als fieber-
hafte Magenentzündung bezeichnen. Die Aehnlichkeit der
bei der späteren Krankheit auftretenden Symptome legt die
Vermutung nahe, dass eine Wiederholung des damals
glücklich überwundenen Leidens den Tod des Prinzen nach
sich zog, und jene Nachricht des churbayerischen Manifests,
dass eine Krankheit, welche den Knaben schon früher
wiederholt ohne ernste Gefahr befallen habe, diesmal ihn
hin wegraffte , bekräftigt unsre Annahme. Krämpfe kamen
allerdings nur bei der späteren Erkrankung vor; sie lassen
sich jedoch aus überhand nehmender Schwäche des ohnehin
zart gebauten Kindes als Terminalsymptome des sich ent-
wickelnden Gehirnödems ungezwungen erklären.
Wenn endlich Hormayr und Andere darauf hinweisen,
115) H. A. Nr. 692. Schreiben wegen des Churprinzen Josef Fer-
dinand Gesundheit, 1698,
Heigel: Kurprinz Josef Ferdinand von Bayern. 317
dass Max Emanuel selbst die Spur eines Verbrechens in
Wien gesucht und dieser üeberzeugung sogar in öffentlichen
Schriften Ausdruck gegeben habe , so ist dies nur ein ver-
werflicher Versuch, eine unerwiesene Thatsache durch eine
ebenso unerwiesene Behauptung zu begründen.
Das Churbayrische Manifest — denn nur darauf kann
man sich überhaupt beziehen — ist keineswegs als unmit-
telbarer Meinungsausdruck des Kurfürsten anzusehen, wenn
er auch als sprechende Person eingeführt ist. Es floss aus
der Feder des französischen Abbe Beaux, der in französi-
schem Interesse während des spanischen Erbfolgekrieges
mehrere politische Flugschriften veröffentlichte ^^^). Wenn
man Inhalt und Ton des Manifests prüft , wird man die
üeberzeugung schöpfen, dass es damit weniger auf eine
Rechtfertigung der Politik des Kurfürsten abgesehen war,
als vielmehr darauf, ihn dem österreichischen Hofe noch
mehr zu entfremden und Anlehnung an Frankreich als ein-
ziges Rettungsmittel anzuempfehlen.
So wurde auch die Schrift im österreichischen Lager
aufgefasst und durch eine ,, Antwort auf das Manifest, so
unter dem Namen Sr. churfürstl. Durchlaucht von Bayern
herauskommen,** ^^^) abgefertigt. Mit Recht wird darin
gegenüber der hämischen Anspielung auf den ,, Stern Oester-
reichs*' betont, dass der Kurprinz nicht bloss dem Erzhaus,
sondern auch dem Haase Bourbon, das ja ebenfalls sein
Erbrecht nicht aufgeben wollte, gelegen starb. Und wenn
weiter die Frage aufgeworfen wird, ob denn irgend etwas
dazu berechtige, den Kaiser eines so furchtbaren, gegen den
eigenen Enkel gerichteten Schrittes zu zeihen, so muss sie
unbedenklich und unbedingt verneint werden.
116) Naumann, a. a. 0., Fol. 206.
117) Gedruckt zu Frankfurt 1706.
318 Sitzung der histor. Classe vom 1. März 1879.
In Kaiser Leopolds Charakter ist auch nicht ein Schatten
von Tücke und Hinterlist aufzufinden. Obwohl er in seinen
Briefen an den Eidam Max Emanuel im Allgemeinen wort-
karg und förmlich erscheint, hat er doch stets ein zärt-
liches Wort für seinen Enkel, das einzige Kind seiner Lieb-
lingstochter *^^). Geradezu frevelhaft ist es, ohne zwingende
Gründe auf ihn eine Schuld zu wälzen, vor welcher der
Verworfenste zurückschaudern müsste!
Dass Max Emanuel keineswegs, wie man aus dem Manifest
folgern wollte, für sein Unglück die Verwandten in Wien
verantwortlich machte, beweist am Deutlichsten sein Be-
nehmen gegen den kaiserlichen Hof nach der verhängniss-
vollen Katastrophe.
Unmittelbar nach dem Ableben des Prinzen schrieb er
die Trauerkunde an den Kaiser. Sie rief, wie der bayrische
Gesandte in Wien, Mörmann, berichtet, tiefste Bestürzung
hervor; von allen Seiten erhielt der Gesandte Versicher-
ungen der Theilnahme. Der Kaiser selbst schrieb an den
Eidam Worte des Beileids und des Trostes, die aus dem
Munde eines Mannes, der die Etiquette nie und nirgend ver-
gass, überraschend herzlich klingen ^^^).
Der Hofsitte gemäss wurde im April 1699 die Todes-
anzeige auch durch einen ausserordentlichen Gesandten,
Graf Törring, dem Wiener Hof überbracht. Seine Instruktion
ist gleichlautend mit derjenigen für die an andre Höfe ab-
geordneten Cavaliere. Ueber die Aufnahme in Wien be-
richtet er nur das Günstigste. Der Kaiser versicherte wieder-
118) St. A. K. schw. 11/22. Correspondenz etc. Max Emanuels
mit Kaiser Leopold, 1690—1700.
119) H. A. Nr. 692. Eigenhändiges Schreiben Kaiser Leopolds
vom 17. Februar 1699.
Heigel: Kurprinz Josef Ferdinand von Bayern. 319
holt, wie schmerzlich ihn der Tod seines Enkels berührt
habe, zumal dieser unter seinen Augen in der Hofburg auf-
gewachsen sei. „Welches alles", schreibt Törring, ,,so viel
ich meines wenigen Orts penetriren können, Ihro Majestät
mit Herz und Mund ausgesprochen haben." Die Kaiserin
betheuerte, auch sie habe den Prinzen geliebt wie ihr eigenes
Kind. König Josef erkundigte sich eingehend nach dem
Befinden und der Lebensweise des Kurfürsten und äusserte,
auf der Jagd und im Concert erinnere er sich oft mit
Freuden seines ritterlichen Schwagers. Nur Erzherzog Karl
zeigte feindselige Miene. Trotz des Abmahnens seiner Fa-
milie weigerte er sich, den Gesandten eines Churfürsten von
Bayern anders als mit bedecktem Haupt zu empfangen.
T^ach längerem Hin und Wider verzichtete Törring auf die
Audienz. In einem kurzen, aber herzlichen Schreiben sprach
darauf Max Emanuel dem Kaiser seinen Dank für das gütige
Condolenzschreiben und die ehrenvolle Aufnahme seines Ge-
sandten aus ^^^).
•Auch nicht durch diese Correspondenz also erhalten die
Behauptung St. Simons und der Klatsch der Tagespresse
irgend welche Grundlage.
Ergebniss der gewissenhaftesten Kritik
des Thatbestandes ist demnach die Unerfind-
lichkeit jedes Schuldelements, der Ausschluss
auch jedes Zweifels an der nüchternen Wahr-
heit, dass der Kurprinz eines natürlichen Todes
verblichen ist.
Freilich für den Vater ward das einfache Ereigniss ein
furchtbares Verhängniss.
Vom Verlust des Lieblings tief gebeugt, wollte Max
120) Ebenda.
320 Sitzung der histor. Classe vom 1. März 1879.
Emanuel anfänglicli auf die Niederlande, auf jeden Zuwachs
an Macht und Gebiet verzichten. Diese Resignation konnte
naturgemäss nicht von Dauer sein ; sie musste sogar im
Interesse Bayerns , das nun einmal in den Streit um das
spanische Erbe hineingezogen war, ungeeignet erscheinen.
Prielmayr, ein guter bayrischer Patriot und nüchterner Po-
litiker, beurtheilte in einem Briefe an einen Münchner Freund
die Lage: „Nun hat der allgewaltige Gott aus seinen ohn-
erforschlichen Urtheilen den Z wer chstr eich darin gemacht
und sehen wir allhier einander darüber an , ohn wissend,
wozu wir uns determiniren sollen. Zahlte uns die Krön
Spanien unsere in die Niederland gesteckten Millionen,
wollten wir alsdann wohl wieder den Rückweg in Bayern
finden'' ^^^). Es galt zu retten, was zu retten war. Das»
spanische Erbe in seiner Gesammtheit war verloren, denn
nur der Sohn der Maria Antonia, nicht der Kurfürst, nicht
die Söhne aus zweiter Ehe hatten darauf Anspruch. Um
wenigstens einen Theil zu behaupten, musste Max Emanuel
Anschluss an eine der zwei Mächte suchen, die nach der
ledigen Krone griffen, und der natürliche Bundesgenosse
war ohne Zweifel der Kaiser, der dem Eidam in den Ehe-
pacten von 1685 bestimmt und ausdrücklich den Besitz der
spanischen Niederlande zugesichert hatte.
Allein Max Emanuels Politik, bisher fest und sicher,
wird nach dem Tode seines Sohnes unstät und schwankend,
er will den alten Verbündeten nicht verlieren, aber auch
im andren Lager sich Freundschaft und Dank erwerben.
Da der Wiener Hof in seiner Zurückhaltung verharrt, fasst
die französische Diplomatie von Tag zu Tag festeren Fuss
in Brüssel.
121) Ebenda. Abschrift ohne Adresse, d. d. Brüssel 10. März
1699. Die Ueberschrift „Kanzler und Patron" lässt darauf schliesaen,
dass der Brief an Freiherrn von Wämpl gerichtet war.
Heigel: Kurprinz Josef Ferdinand von Bayern. 321
Der Meister der Intrigue, Harcourt, ist währenddem in
Madrid unermüdlich thätig und es gelingt ihm, dass der
Enkel seines Königs, Philipp von Anjou, auf den spanischen
Thron berufen wird. Der Zweikampf zwischen den Häusern
Habsburg und Bourbon ist unausbleiblich, die europäischen
Staaten müssen sich über ihre Stellung dazu entscheiden.
Da in der zwölften Stunde bricht der Kurfürst von
Bayern mit seiner Vergangenheit als Fürst und Feldherr,
tritt offen auf Seite Frankreichs und zieht auf sich aus der
dunklen Wolke, die seit dem Tode seines Kindes, seit der
Vernichtung stolzester Hoffnungen über dem bayrischen
Hause lastete, den Blitz : das Unglück von Donauwörth und
Höchstädt!
Verzeichniss der eingelaufenen Büchergeschenke.
Vom k. sächsischen Älferthumsverein in Dresden:
Mittheilungen. Heft 29. 1879. 8^.
Vom Historischen Verein in München:
a) Oberbayerisches Archiv. Bd. 37. 1878. 8^.
b) 39. und 40. Jahresbericht f. d. J. 1876 und 1877.
1878-79. 8^
Vom Verein für Geschichte der Stadt Nürnberg in Nürnberg:
Mittheilungen. 1879. 8<^.
Von der Tc. Universität in Tübingen:
a) Universitätsschriften v. J. 1878. 1878- 4^.
b) XXV. Zuwachsverzeichniss der k. Univ. -Bibliothek in Tü-
bingen. 1877—78. 1878. 4.
Von der südslavischen Akademie der Wissenschaften in Agram:
a) Rad. Vol. 46. 1879. 8^.
b) Monumenta spectantia historiam Slavorum meridionalium.
Vol. IX. 1878. 8^.
Einsendungen von Drucksehriften. 323
Von der Universität in TJpsala:
Arsskrift. Jahrg. 1877 und Festkrifter 1877. 1878. 8°.
Von der Je. k. Akademie der Wissenschaften in Krakaic:
a) ßozprawy. Philol. Ol. Tom. 6. Histor. Ol. Tom. 9. 1878. 8^.
b) Archivum literatur. 1878. 8^.
c) Monumenta Poloniae historica. Lwöw 1878. 8^.
d) Acta historica res gestas Poloniae illustrantia. 1878. 8^.
e) Zakrzewski, Po ucieczce Henryka. 1878. 8".
f) Starodawne prawa Polskiego pomniki. Tom. 5. 1878. 4^.
Von der Boyal Society of Edinburgh:
a) Transactions. Vol. 28. Part. IL 1877 — 78. 1878. 4^.
b) Proceedings. Session 1877 — 78. 1878. 8^.
Von der archäologischen Gesellschaft in Agram:
Viestnik. Godina. 1879. 8^.
Vom Herrn Franz Hoffmann in Würzburg:
Philosophische Schriften. Bd. VI. Erlangen 1879. 8^.
Vom Herrn Cesare Foucard in Modena:
La scrittura in Italia sino a Carlomagno. 1878. Fol.
[1879. I. Philos.-philol.-hist. Gl. 3.] 23
Oeffentliche Sitzung der k. Akademie der Wissen-
schaften
zur Feier des 12 0. Stiftungstages
am 28 März 1878.
Der Präsident Herr v. Döllinger hielt eine Rede
über das verstorbene auswärtige Mitglied Garcin de Tassy.
Hierauf verkündete der Herr Präsident folgendes :
Die Akademie der Wissenschaften stellt zur Bewerbung
um den von Herrn Christakis Zographos in Constantinopel
gestifteten Preis auf Vorschlag der philosophisch - philolo-
gischen Classe folgende zwei Aufgaben:
1) in Wiederholung des i. J. 1877 gegebenen Thema's :
„Eingehende Untersuchung über den Umfang , den
Inhalt und den Zweck der auf Veranstaltung des
Kaisers Constantinos VII. Porphyrogennetos ge-
machten Sammlungen von Excerpten aus den Werken
älterer griechischer Schriftsteller;"
2) als neue Aufgabe : „Eine auf Grund neuer kritischer
Hülfsmittel veranstaltete Bearbeitung der Chrono-
graphie des Theophanes nebst Untersuchungen über
die Quellen und Portsetzungen dieses Werkes."
Der unerstreckliche Einsendungs-Termin der Bearbeit-
ungen, welche nur entweder in deutscher oder in lateinischer
oder in griechischer Sprache geschrieben sein dürfen und
[1879. I. Philos -phil.-hist. Cl. 4] 24
326 Oeff entliehe Sitzung vom 28. März 1879.
an Stelle des Namens des Verfassers ein Motto tragen
müssen, welches an der Aussenseite eines mitfolgenden den
Namen des Verfassers enthaltenden verschlossenen Couverts
wiederkehrt, ist der 31. Dezember 1880.
Der Preis beträgt für das erste Thema wie bei der
früheren Feststellung 1500 Mark, für das zweite Thema aber
2000 Mark. Bei beiden ist die eine Hälfte des Preises
sofort nach der Zuer kennung , die andere Hälfte erst dann
zahlbar, wenn der Verfasser für die Druck- Veröffentlichung
seiner Arbeit genügende Sicherheit geboten hat.
V. Prantl: Nelcröloc) auf Williams Mac Guckin de Slane. 327
Der Classensecretär Herr v. Prantl spracli (in kürzerem
Auszuge) :
Die philosophisch - philologische Classe verlor im ab-
gelaufenen Jahre durch den Tod ausser Garcin de Tassy
auch den Arabologen
Williams Mac Guctin de Slane,
welcher seit 1854 unserer Akademie als auswärtiges Mit-
glied angehörte. Derselbe war zu Belfast in Irland am
12. Aug. 1801 geboren, kam aber in früher Jugend nach
Paris, wo ihn bereits 1826 das Institut de France als Mit-
glied aufnahm. Vom Sept. 1846 bis zum März 1872 be-
kleidete er die Stelle eines Interprete de l'armee d'Afrique
in Algier , • wo er auch die Societe historique Algerien ne
gründen half. Im J. 1862 wurde er Mitglied der Academie
des Inscriptions , und seit 1872 wirkte er als Lehrer des
Arabischen an der Ecole speciale des langues orientales.
Er starb in Paris am 7. Aug. 1878. Seine schriftsteller-
ischen Leistungen erstreckten sich auf die poetische , die
historische und die geographische Literatur der Araber.
In ersterer Richtung verdankt man ihm eine verdienstvolle
Ausgabe des Diwan des Amrolkais , welche er mit Ueber-
setzung und Erläuterungen begleitete (Amrolkais, Le Divan,
precede de la vie de ce poete par l'auteur du Kihab el-
aghani , accompagne d'une traduction et de notes. Paris.
1837. 4); daran schlössen sich im Journal asiatique eine
schätzenswerthe Bearbeitung der Fragmente älterer Dichter
(Choix des poesies le plus remarquables des anciens Arabs.
1838) und eine geistvolle Abhandlung über gewisse Eigen-
thümlichkeiten der arabischen Dichtersprache (Sur le sens
figure de certains mots qui se rencontrent dans les poesies
24*
328 Oeff entliehe Sitzung vom 28. März 1879.
arabes. 1839). Die Aufhellung der arabisctien Gescliichte
förderte er durch die Text - Ausgabe des Ibn Khallikau,
welcher häufig der arabische Plutarch genannt wird (Ibn
Khallikan, Vies des hommes illustres de Tlslamisme. Paris.
1838. Eine englische üebersetzung desselben ebend. 1842),
wozu im Journal asiatique die Arbeiten über En Noweiri
kamen (En Noweiri , Histoire de la province d'Afrique.
1841 f. und Lettre ä Mr. Hase. 1844). Sodann folgte das
umfangreiche Unternehmen einer Ausgabe der Geschichte der
Berbern des Ibn Khaldoun (Histoire des Berberes et des dynas-
ties musulmanes de l'Afrique septentrionale. 2 Bdde. Algier.
1847 — 51. 4. Eine französische Üebersetzung desselben in
4 Bänden ebend. 1852—56. 8); die Autobiographie dieses
arabischen Historikers hatte Slane schon früher (1844) ver-
öffentlicht. Seine Leistungen in der Geographie begannen
mit der Ausgabe des Abulfeda, welche er gemeinschaftlich
mit Reinaud bearbeitete (Paris 1840. 4), dann folgten im
Jouru. asiat. : Ibn Hankai, Description de l'Afrique (1842)
und Ibn Batouta , Voyage dans le Soudan (1843), später
Abu-Obeid El-Bekri, Description de l'Afrique septentrionale.
Algier. 1857. 8. Ausserdem schrieb Slane Mehreres im
Journal de Tlnstruction publique (1845 f.) über die Bi-
bliotheken zu Algier, Malta und Constantinopel. Fachkundige
rühmen an seinen sämmtlichen Arbeiten eine seltene Gründ-
lichkeit der Sprach-Kenntniss, ein scharfes und besonnenes
Urtheil und eine allseitige Berücksichtigung der cult urge-
schichtlichen Verhältnisse der Araber , so dass ihm eine
reiche und befrachtende Anregung und Belehrung zu ver-
danken sei.
V. Giesebrecht: Nekrolog auf Karl August o. Muffat. 329
Der Classensecretär Herr v. Giesebrecht sprach:
Die historische Classe hat im verflossenen Jahre durch
den Tod ihres langjährigen und sehr thätigen Mitglieds,
des k. Reichsarchivsraths
Karl August von Muffat
einen schweren Verlust erlitten.
Muffat erblickte am 29. October 1804 zu Sulzbach,
wo sein Vater damals die Stelle eines churfürstlichen
Schlossverwalters bekleidete , das Licht der Welt. Nach
einem unregelmässigen, durch äussere Verhältnisse mehrfach
unterbrochenen Studiengange zu Dillingen und München,
bewarb er sich im Jahre 1825 um eine Stellung als Prac-
tikant in der hiesigen Hof- und Staatsbibliothek. Seine
schon hervortretende Neigung zu literarischen Arbeiten
liess ihn eine solche Stellung besonders wünschen und
durch sehr ausgebreitete Sprachkenntnisse, welche er sich
meist als Autodidact angeeignet hatte, schien er dazu vorzugs-
weise befähigt. Die gewünschte Stelle fiel ihm zu und ist
dann von ihm sieben Jahre versehen worden. Erst während
dieser Zeit erwarb er sich ein Absolutorialzeugniss bei dem
Gymnasium zu Landshut (1827) und trieb regelmässige
Studien an der hiesigen Universität. Mehr und mehr
steigerte sich sein Interesse für die historischen Disciplinen.
Er bearbeitete eine von der philosophischen Facultät ge-
stellte geschichtliche Preisaufgabe und seine Arbeit wurde
330 Oe ff entliehe Sitzung vom 28. März 1879.
1832 mit dem Accessit ausgezeichnet. Noch in demselben
Jahre wurde er als Kanzlist am k. allgemeinen Reichsarchiv
angestellt, rückte 1853 zum Reichsarchivsecretär , endlich
1859 zum Reichsarchivrath auf. Nachdem, er über vierzig
Jahre die erspriesslichsten Dienste dem Archive geleistet
hatte, bat er 1877 wegen seines Alters und seiner ge-
schwächten Gesundheit um die Versetzung in den Ruhe-
stand. Sie wurde ihm unter der huldvollsten Anerkennung
seiner Leistungen gewährt und ihm zugleich als besonderer
Beweis königlicher Gunst der Verdienstorden der bayerischen
Krone ^) verliehen. Er gedachte sich uun ganz den geliebten
Studien zu widmen und mehrere begonnene Arbeiten in
Müsse zu vollenden. Leider war ihm nur noch eine sehr
kurze Lebenszeit zugemessen.
So einförmig der Lebensgang Muffats war , bot er
doch den wissenschaftlichen Bestrebungen desselben eine
grössere Förderung , als auf irgend einem andern Wege zu
erreichen gewesen wäre. Der Archivbeamte arbeitet dem
Gelehrten unablässig und unmittelbar in die Haud.
Es war in der patriotischen Natur Muffats , wie in seiner
Stellung begründet , dass seine Studien sich bald ganz auf
die bayerische Geschichte concentrirteu , und gerade hier
bot ihm das Reichsarchiv das reichhaltigste , fast uner-
schöpfliche Material. Als dann auch das Archiv der Stadt
München seiner Obhut anvertraut wurde, erschloss sich ihm
hier für die Geschichte unserer Stadt , die ihm früh eine
zweite Heimath geworden war und deren Entwickelung
aufzuhellen ihm als eine seiner schönsten Lebensaufgaben
erschien, eine nicht minder ergiebige Fundgrube. Kaum
hat irgend ein Andrer den massenhaften Stoff, welcher für
die ältere Geschichte Baverns in Urkunden und Hand-
1) Das Ritterkreuz erster Classe des Verdienstordens vom heiligen
Michael war ihm bereits 1867 ertheilt worden.
V. Giesehrecht : Nekrolog auf Karl August v. Muffat. 331
Schriften noch vorhanden ist , genauer durchforscht , eine
gleiche Detailkenntniss von demselben gewonnen.
Allerdings war es Muffats Absicht , auf dem reichen
Boden, der sich ihm darbot, selbst zu säen und zu ernten,
aber er erkannte doch bald , dass hier viele Arbeitskräfte
nöthig seien , wenn die volle Ausbeute erreicht werden
sollte. Deshalb beschloss er mit andern Freunden der
vaterländischen Geschichte im Jahre 1837 den historischen
Verein von Oberbayern zu gründen ^) und nahm dann an
den Arbeiten desselben lebhaften Antheil. Auch auswärtige
historische Vereine unterstützte er mit werthvollen Beiträgen
und empfing dafür den Dank durch Ehrendiplome.
Unsrer Akademie, der ja die Pflege der bayerischen
Geschichte besonders obliegt, konnte ein so hervorragender
Kenner derselben nicht lange fehlen. Im Jahre 1852 trat
Muffat als ausserordentliches Mitglied ein und ging 1861 in
die Zahl der ordentlichen Mitglieder über. Auch als 1858
durch den hochseligen König Maximilian II. die historische
Commission gegründet und unsrer Akademie angeschlossen
wurde, fasste man sogleich MufPat's Mitwirkung in das Auge.
Bei dem ersten Zusammentritt der Commission 1859 erschien
er als ausserordentliches Mitglied, wurde aber schon 1863
zum ordentlichen Mitglied ernannt. In solchen Ernennungen
sah er nicht allein eine äussere Ehre , sondern noch mehr
einen Sporn zu erhöhter Thätigkeit, und die Acten unserer
Akademie weisen nach, wie er unablässig für die Zwecke
derselben gearbeitet hat.
Die literarische Wirksamkeit Muffats zieht sich fast un-
unterbrochen durch einen Zeitraum von nahezu fünfzig
Jahren hin. Allerdings lässt sich ein grosses, in Forschung
2) Nach der Gedächtnissrede, welche E. v, Destouches am 1- Ok-
tober 1878 in diesem Vereine hielt, schied von den zwanzig Begründern
desselben mit Muffat der Letzte aus dem Leben. (Sammler, Beilage
zur Augsburger Abendzeitung, 1874, Nr. 115).
332 Oeff entliehe Sitzung vom 28. März 1879.
und Darstellung abgeschlossenes Werk, mit welchem sein
Name für immer verbunden wäre, nicht nennen Die Ge-
schichte der alten bayerischen Grafschaften und Grafenge-
schlechter, mit welcher er lange beschäftigt war und für
welche er sehr umfängliche Sammlungen gemacht hatte, ist
kaum über die Vorarbeiten hinausgekommen. Eine ängstliche
Sorgfalt im Detail und ein peinliches Misstrauen in seine
Kräfte hinderten ihn an der Vollendung umfassender Werke.
Er bedurfte bei seiner schüchternen Natur eines äusseren
Änstosses durch genügende Verhältnisse oder persönliche
Beziehungen, um selbst bei weniger umfänglichen Arbeiten
zum Abschluss zu kommen. Dennoch ist die Zahl seiner
Schriften eine sehr grosse ^), und in ihrer Gesammtheit be-
zeichnen sie einen unverkennbaren Fortschritt in der Kennt-
niss der älteren Geschichte Bayerns.
Obwohl alle literarischen Arbeiten Muffats in inniger
Verbindung stehen und einem und demselben Zwecke dienen,
das Studium der vaterländischen Geschichte zu fördern,
lassen sie sich doch in drei Classen theilen.
Die erste Classe umfasst für das grössere Publicum be-
stimmte Aufsätze und Artikel , die in verschiedenen Zeit-
schriften und Taschenbüchern gedruckt wurden. Auch die
zahlreichen Beiträge, welche er für die „Bavaria" lieferte,
sind hierhin zu rechnen, wie seine Festschriften uud Fest-
reden. Diese Arbeiten wurden durch momentane Bedürfnisse
hervorgerufen , gewannen aber durch die ungewöhnliche
Sachkenntniss, welche dem Verfasser zu Gebote stand, eine
mehr als ephemere Bedeutung , bisweilen einen grösseren
Werth, als er selbst in der Folge ihnen beilegen mochte.
Die zweite Classe trägt einen durchaus gelehrten Cha-
3) Ein von Muffat selbst angelegtes Verzeichniss seiner Schriften
findet sich im Almanach unserer Akademie für 1875; doch ist es nicht
vollständig. So fehlen unter Anderem die Beiträge für die Bavaria.
V. Giesebrecht: Nekrolog auf Karl August v. Muffat. 333
racter und enthält Untersucliungen über schwierige, nur
mühsam aufzuklärende Partien der bayrischen Geschichte.
Sie sind alle zunächst zu Vorträgen in der historischen
Classe bestimmt gewesen und sämmtlich in den Denkschriften
und Sitzungsberichten unserer Akademie gedruckt worden.
Sie zeichnen sich durch ihre feste, urkundliche Grundlage,
durch eingehende, vielleicht öfters zu scrupulöse Kritik aus
und werden , selbst wenn die fortschreitende Forschung die
Resultate modificiren sollte , doch nicht in Vergessenheit
gerathen. Irre ich nicht, so waren es diese Arbeiten, welche
Muffat mit besonderer Vorliebe ausführte und in denen
seine eigenthüraliche Begabung am deutlichsten hervortritt.
Die letzte Classe bilden Publicationen von Quellenma-
terial. Hierhin gehören die Beiträge, welche er zu den auf
Befehl König Maximilians IT. herausgegebenen Quellen zur
bayrischen und deutschen Geschichte lieferte , dann zwei
von ihm herausgegebene Bände der Monumenta Boica, end-
lich die neue Bearbeitung von Jörg Kazmairs Denkschrift
über die Unruhen zu München in den Jahren 1397 — 1403.
Er hatte diese neue Bearbeitung des früher schon von
Schmeller herausgegebenen Werks für den fünfzehnten,
Bayern gewidmeten Band der grossen Sammlung deutscher
Städtechroniken übernommen und wusste ihr durch eine
ausführliche Einleitung, wie durch zahlreiche Erläuterungen
einen besonderen Werth zu verleihen, den er noch durch
eine Reihe interessanter Beilagen zu erhöhen beabsichtigte.
Der Tod überraschte ihn bei der Arbeit, aber sie ist den-
noch, wie sie in der Hauptsache vollendet vorliegt, die
wichtigste Publication, welche wir für die Münchner Stadt-
geschichte des Mittelalters neuerdings erhalten haben.
Als die Stadt München im Jahre 1858 ihr sieben-
hundertjähriges Jubiläum feierlich beging, wurde Muffat be-
rufen in der grossen Versammlung auf dem Rathhause am
28. September die Festrede zu halten. Keiner war nach
334 OeffentUche Sitzung vom 38. März 1879.
seinen Studien für diesen ehrenvollen Auftrag geeigneter,
und er entledigte sich desselben in der würdigsten Weise.
Uebersichtlich stellte er die Entwickelung Münchens bis zum
Anfange des fünfzehnten Jahrhunderts dar. Es war der
Tag, an welchem der sich so gern in seine Archive und
sein Studierzimmer zurückziehende Mann am meisten öffent-
lich hervorgetreten ist Gerade zwanzig Jahre später an
demselben Tage lag er auf dem Sterbebette und hauchte
den letzten Athem aus. Abends war sein Name in Aller
Munde. Denn so wenig er sich herandrängte und nach
Anerkennung bei der Menge trachtete , wusste man doch
allgemein, dass ein Gelehrter abgeschieden sei, der Bayern
und München zur Zierde gereichte und dessen Bestrebungen
um so mehr Antheil verdienten, als sie vom reinsten Patrio-
tismus getragen waren.
Muffats Name wird unter uns, die wir in ihm einen
kenntnissreichen , eifrigen und wohlwollenden Collegen be-
sassen, nicht vergessen werden, aber auch über unser Leben
hinaus wird seiner in der Wissenschaft gedacht werden, als
eines Gelehrten , der die Geschichte Bayerns und Münchens
wesentlich gefördert hat.
Die Gesammt- Ä.kademie beschloss, folgeüde Publication
ergehen zu lassen :
Die k. bayr. Akademie der Wissenschaften, welcher
vom Curatorium der Savigny - Stiftung zu Berlin die Ver-
fügung über zwei Jahres-Renten genannter Stiftung über-
tragen ist, stellt zur Preisbewerbung folgende Aufgabe:
„Die Formeln des Edictum perpetuum (Hadrianum)
,,in ihrem Wortlaute und ihrem Zusammenhange.
,,In der bekannten Arbeit Rudorff's De juris dic-
„tione edictum hat sich die Restitution des prätorischen
„Edictes zum ersten Male dem formularen Bestand-
„theile desselben zugewendet. In dieser Richtung
,,soll dieselbe nunmehr, — und zwar mehr als es
„bisher geschehen ist aus den Edicts - Commentaren
,, selbst heraus und unter Kritik der bisherigen Re-
,,stitutionen — , gefördert und zum möglichsten Ab-
„Schlüsse gebracht werden."
Die Preisbewerbung, von welcher nur die ordentlichen
einheimischen Mitglieder der k. bayr. Akademie ausge-
schlossen sind , ist an keine Nationalität gebunden ; doch
dürfen die Bearbeitungen der Preisaufgabe nur entweder
in lateinischer oder deutscher oder englischer oder fran-
zösischer oder italienischer Sprache verfasst sein.
Der unerstreckliche Termin der Einsendung der Be-
arbeitungen, welche an die k. bayr. Akademie d. Wissensch.
336
zu adressiren sind und an Stelle des Namens des Verfassers
ein Motto tragen müssen, welches an der Ä.ussenseite eines
mitfolgenden den Namen des Verfassers enthaltenden ver-
schlossenen Couverts wiederkehrt, ist der 28. März 1882-
Der Preis beträgt 6900 Ji\ derselbe wird erst dann
ausbezahlt, wenn die Veröffentlichung der Preisschrift durch
den Druck bewirkt ist.
Sitzungsberichte
der
königl. bayer. Akademie der Wissenschaften.
Sitzung vom 3. Mai 1879.
Historische Classe.
Herr v. D ruf fei trug vor:
, »Bemerkungen über Aventin's Schriften:
Türkenwarnung und Römisches Kriegs-
regiment/'"
Die Schriften Aventin's über die Türken und über das
Römische Kriegswesen enthalten zwar wenige historische
Nachrichten von Bedeutung, verdienen indessen sicherlich
die Aufnahme in die im Werke befindliche neue Ausgabe, weil
durch dieselben nicht bloss der Schriftsteller selbst, sondern auch
die damaligen Zustände uns näher gerückt und klarer be-
leuchtet werden. Franz Muncker hat in einer eben er-
schienenen Arbeit ') sich eingehender mit ihnen beschäftigt,
in der Absicht eine „philologisch strenge, wissenschaftlich
brauchbare Ausgabe'' vorzubereiten, welche uns bisher fehlte,
da der von Heinrich Müller im Jahre 1563 veranstaltete
Druck der Schrift über die Türken ebensowenig genügte, als
Wiedemanns Text des Römischen Kriegsregiments. Er er-
örtert 1) die in Betracht kommenden Fragen nach der Ab-
1) lieber zwei kleinere deutsche Schriften Aventin's von Franz
Muncker, München Th. Ackermann 1879.
338 Sitzung der Jiistor. Classe vom 3. Mai 1879.
fassungszeit, nach d^n verschied eneii Redaktionen, gibt ans
ausserdem 2) den Inhalt der Schriften ziemlich ausführlich
wieder und vergleicht schliesslich 3) Aventins und Luthers
Schriften über die Türken. Die Inhaltsübersicht wird dem-
jenigen sehr willkommen sein, welchem der vollständige
Text nicht zugänglich ist, sie ist im Ganzen übersichtlich
und erschöpfend. Die Gegenüberstellung Luthers und
Aventins sucht Aehnlichkeit und ünähnlichkeit in Auf-
fassung, Sprache, Styl der beiden Autoren darzulegen. Da3
Vorhandensein der unter 2) und 3) genannten Abschnitte
wird durch die Vorrede erklärt, indem Muncker sagt : ,,Vom
literarhistorischen Standpunkte aus fasste ich vornehmlich
meine Aufgabe auf", und ferner : ,,es war unvermeidlich,
dass ich mich scheinbar von den behandelten kleinen Schriften
hinweg zur Betrachtung gewisser Hauptzüge in Aventin's
menschlich - sittlichem Charakter .... wandte".
Von dieser Seite der Muncker'schen Schrift sehe ich aber hier
ab, und wende mich zu seinen Untersuchungen über die
Handschriften und die Abfassung , da wohl in einzelnen
Punkten andere Ansichten vielleicht Geltung beanspruchen
können.
Muncker bekämpft anfänglich die Meinung Wiedemann's
welcher 1532 als Abfassungsjahr der Abhandlung vom
Römischen Kriegswesen bezeichnet hatte. Wiedemann hatte
sich auf eine 1711 von dem Leipziger Bibliothekar Götz
gehaltene Rede berufen, worin 3 Schriften Aventin's auf-
gezählt werden : ,,libellus de origine urbis Ratisbonae , de
veterum Romanorum disciplina militari atque expeditionibus
Christianorum Saracenicis, et de causis Turcicae potentiae."
Götz fährt dann fort: „Prior horum a. 1532 die 11. Aprilis
in coraitiis Reginoburgicis Carolo V. ... et ... . Ferdi-
nando praesentibus, posteriores duo a. 1529 ab ipso confecti
indicantur.'' Jedermann wird zugeben, dass Wiedemaun's
Ansicht aus dieser klaren und deutlichen Stelle keine Be-
V. Druff el: Bemericungen über Äventin's Schriften. 339
stätigung erhält, , aber gewiss nicht minder ist diese Stelle von
Mancker missverstanden worden, wenn er fortfahrt: „Freilich,
wo Aventin das selbst sagt, habe ich weder in dem
Leipziger Codex , noch in den übrigen Handschriften, noch
sonst irgendwo linden können". Bezieht man die Worte
„ab ipso" zu „confecti' nud nicht zu „indicantur", so ist die
Schwierigkeit gelöst. Muncker versucht hierauf Wiedemann's
Ansicht, deren Stütze sich als morsch erwiesen, eine neue
Vermuthung gegenüber zu stellen. Er meint in der Schrift
selbst hiefür Anhaltspunkte gefunden zu haben. Aventin
schreibt : „Es haben auch die Teuschen , wol trefflich und
unverzagt leut, noch ein manir, die nit vast zu loben ist
an inn ; in ainem sumer dirffen s j ain ganz kinigreich ge-
wingen, und faren gar aus Teuschland yber mör oder sunst
in ain land, und was sy gewingen, dirffen sy es, wen sy
wider abziehen, wider verlyren in ainem monat ; das thut der
Tyrk nit : er nimbt sich umb ain land oder flecken an, der
an in greinz, und im im wege ligt und der im zuwider ist
und widerdriess anthuet; mit dem pekriegt er sich so lang
und vil , pis er den gewingt und erobert ; den pehelt und
pesetzt er ; nachmals fert er mit der zeit weitter und ge-
wingt uns mit diser weys imerzue ain land, ain fleck nach
dem andern ab , so lang und vil , bis er uns all iu sack
scheubt. Dess haben wir guete erfarung mit unserm schaden
an dem ganzen Krichischen kayserthomb Constantinopel, an
Croatien, Dalmatien, Windischen mark, Albonei und andren
anstosenden landen, nemlich Krichischen Weyssenburg, Rodis,
am land Syrien, an dem gantzen Ungerland, die er all in
maus gedechnus , und syder absterbens kayser Maximilians
hochlöblicher gedechtnus zeiten, hat der Christenheit abge-
drungen." Diese Stelle, meint M., könne nicht vor der
Einnahme Ungarn's nach der Schlacht von Mohacz, und
nicht während oder nach der Belagerung von Wien ge-
schrieben sein; Aventin habe sich nämlich gewiss „nie die
340 Sitzung der histor. Classe vom 3. Mai 1879.
Gelegenheit entgehen lassen, der Fortschritte der Türken
bis vor die Hauptstadt des deutschen Reichs (sie!)
warnend zu gedenken/'
Wien war allerdings wichtig genug, seine Belagerung
machte hinlänglich Aufsehen, und es wird schwerlich Wider-
spruch finden, wenn man die Ansicht aufstellt, dass dieses
Ereigniss sich in einer gleichzeitig abgefassten Schrift hätte
widerspiegeln müssen. Dagegen kann man nicht zustimmen,
wenn in der Stelle, wo von den Fortschritten der Türken
die Rede ist, der Hinweis auf eine bestimmte Zeit, auf die
Lage nach der Schlacht bei Mohacz gesucht und gefunden
werden soll. Die Ansicht, als ob hier die Summe der da-
maligen Türkischen Eroberungen aufgezählt sei, ist durchaus
irrig ; man kann sich darüber , wie aus den gewöhnlichen
Handbüchern, so insbesondere aus dem Manifeste Ferdinand's
vom 28. August 1529 unterrichten ^), welches gewiss, noch
mehr als es Aventin zuzutrauen ist, die Erfolge der Türken
im grellsten Lichte zu malen beabsichtigte. Die obige
Stelle Aventin's macht auf Genauigkeit keinen Anspruch,
sie besagt nur, dass die Türken keine Feldzüge in weite
Ferne nach Art der Kreuzzüge unternehmen, — wobei
freilich von den Corsarenfahrten im Mittelmeer abgesehen
ist — bei der Aujfführung der einzelnen Länder sind die
vollständig eroberten Gebiete von den ernstlich bedrohten
nicht scharf getrennt, und ebensowenig die Chronologie be-
rücksichtigt. Wollte man aber eine Folgerung an deren
Aufzählung knüpfen, so könnte man eher an die Zeit nach
dem Feldzuge von 1532 denken, wo einestheils Steiermark
zum ersten Male mehr als streifende Horden zu kosten be-
kommen hatte, und anderntheils die an das Alterthum an-
1) Bucholtz, Geschichte Ferdinand's I. Bd. III, 263 gibt einen
ausführlichen Auszug, der vollständige Text bei Reusner Epistolae
Turcicae Buch VIII. S. 147.
V. Druff el: BemerTciingen über Aventin\s Schriften. 341
knüpfenden, breiten Betrachtungen Aventin's über militärische
Organisationen natiirgemässer ihren Platz finden würden,
als während des Kriegslärms, welcher ihn so sehr aufgeregt
hatte. Dass in diesem Falle die Belagerung Wiens durch
die Türken aber in seiner ganzen Ausführung über die
stätigen und planmässigen Fortschritte der Türken mit
Stillschweigen übergangen worden wäre, kann nicht be-
fremden, da der Hinweis auf jenen Kriegszug von 1529
eher geeignet gewesen wäre, Aventin's Beweisführung zu
stören. Völlig aus der Luft gegriffen ist es, wenn M. wegen
des „verhäl tnissmässig milden Tadels'' über die
Laster des geistlichen Standes die Abfassung der Zeit vor
Aventin's Verhaftung, also vor Okt. 1528, zuschreiben will.
Für eine Schrift über das Komische Kriegswesen ist wahr-
haftig nicht auffallend wenig von Pfaffen und Klöstern die
Rede , vielmehr will Aventin deren Besitz zu seinen mili-
tärischen Einrichtungen anwenden, und das war ein Punkt,
welcher den hohen Prälaten gewiss noch empfindlicher war,
als die allgemeinen Klagen über ihr schlechtes Leben, die
aus dem Munde fast jedes schriftstellernden Zeitgenossen
an ihr Ohr tönten.
Der Aufsatz über das Römische Kriegsregiment ist in
manchen Handschriften mit der Schrift über die Türken zu-
sammen geschweisst. Muncker hat richtig erkannt, dass
dies nicht das ursprüngliche Verhältniss ist, er bemüht sich,
beide von einander zu sondern. Betrachten wir nun auch
die Schrift über die Türken etwas näher. Die verschiedenen
Handschriften hat Muncker mit grosser Genauigkeit unter-
sucht und ist zu dem Ergebniss gelangt, dass dieselben in
3 Gruppen eingetheilt werden können. Während aber in
der von ihm angenommenen zweiten und dritten Gruppe
nur je Eine Handschrift erscheint , wozu bei der zweiten
dann noch der erste Druck kommt, zeigen sich innerhalb der
ersten Gruppe, welcher er sechs Handschriften zuweist, auch
[1879. 1. Philos.-philol.-hist. Cl. 4.] 25
342 Sitzung der histm\ Classe vom 3. Mai 1879.
noch erhebliche Unterschiede. Zwei Handschriften, A u. B
enthalten gar nicht den letzten Theil des Werkes, bestehen
ans 4 Kapiteln, während 3 andere Manuscripte C, D, E
deren 5 enthalten, in einem, F, sich endlich nur das in den
erstgenannten fehlende fünfte Kapitel findet und verbunden
ist mit der Schrift über das Römische Kriegsregiment,
welche, nebst jenem fünften Kapitel, auch in C, D, E auf-
tritt; hier ist sie aber der vollständigen Türken warnung ein-
gefügt und zwar so, dass die Eintheilung der Türkenwarnung
in 4 Theile beibehalten ist, worauf dann das Kriegsregiment
und endlich die als fünftes Kapitel bezeichnete wieder den
Türken gewidmete Ausführung folgt.
Muncker schreibt: .„Das Verhältniss der Handschriften
erscheint um so verwickelter, da wir es bei allen diesen
Manuscripten nur mit Copien, nirgends aber mit dem von
Aventin selbst herrührenden Original zu thun haben." Hätte
man allerdings das Original, so würden uns die andern
Handschriften gewiss eben so wenig kümmern, als ihre Ver-
wicklungen, wenn nicht vielleicht Jemand die Gelegenheit
ergriffe, um an einem neuen Beispiele die alte Wahrheit
anschaulich zu machen, dass Copisten und Setzer selten
einen Text verbessern. Muncker erörtert drei verschiedene
Fälle, die bei diesem Stande der handschriftlichen Ueber-
lieferung möglich seien. Entweder wir haben drei mit
einander nicht zusammenhängende Schriften vor
uns, oder die drei bilden ein Ganzes, oder endlich : die (drei)
Schriften sind nur zwei Schriften. Die beiden ersten An-
sichten bekämpft er und schliesst sich der dritten an. Ich
muss gestehen, dass die ganze Beweisführung mich nicht
überzeugt hat. Was soll es bedeuten, wenn Muncker sagt:
„aus Aventin's Leben ist nicht die geringste Notiz über-
liefert, welche die Annahme unterstützte, dass dieser Ab-
schnitt (der von den Regenten und Feldzügen der Türken
und Sarracenen) von den andern Schriften selbstständig zu
v. Druff el: Bemerkungen über Äventin's Schriften. 343
sondern sei''. Wenn je , so ist in diesem Falle die An-
wendung des argumentum ex silentio misslich. Haben wir
denn überhaupt über Äventin's Leben irgend eingehende
Nachrichten? Und wird man mit Muncker urtheilen, ob es
glaublich oder nicht glaublich sei, dass Aventin auch nur
einen solchen kürzeren Aufsatz ohne ein einleitendes Wort
begonnen hätte? Soll es schwieriger sein, eine Erklärung
zu finden , warum Aventin in ein trockenes Fürstenver-
zeichniss einige im Ton leidenschaftliche Sätze eingefügt
hat, als, im andern Falle, zu erklären, warum jenes trockene
Verzeichniss der ganzen Türkenschrift einverleibt wurde ?
Auf S. 32 muss Muncker auch darauf verzichten, diese
letztere Annahme zu erklären. Und ist es ein Beweis
dafür, dass wir zwei Kapitel derselben Schrift vor uns
haben , wenn eine Stelle in der 4. Woche der Belagerung
Wiens, eine andere in der 5. Woche geschrieben wurde?
Darf diese letztere Stelle, in der die handschriftliche Ueber-
lieferung unzuverlässig ist , überhaupt verwendet werden ?
Und Wiedemann könnte sich mit Recht darüber be-
schweren, dass Muncker ihm ohne Grund die thörichte An-
sicht , Aventin habe zwei Schriften denselben Schluss
angehängt , beimessen wolle , um dieselbe dann gleich
nachher als >,absurd und eines grossen Autors unwürdig"
zu bekämpfen ^).
Auf diesem Wege gelangt man schwerlich zu einem
befriedigenden Ergebniss. Es wird sich mehr empfehlen,
zu untersuchen, was man den Aeusserungen Äventin's über
die Entstehung seiner Schrift entnehmen kann.
Auch Muncker hat die wichtigste Stelle , in der Ein-
1) S. 28. Muncker sagt, Wiedemann scheine sich zu dieser An-
sicht hinzuneigen. In der angezogenen Anmerkung steht einfach : ,,Das
noch Folgende ,,von dem herkumen der Saracenen" ist mit dem in
Äventin's Werke „Beschreibung der Ursach des Türken-Kriegs" S. 47-56
gleichlautend".
25*
344 Sitzung der histor. Classe vom 3. Mai 1879.
leitiiüg, hervorgehoben. Auf Aufforderung, — es bleibe einst-
weilen anentschieden, von wem — „übersah'' danach Aventin
und liess abschreiben , was er schon früher abgefasst , und
etlichen gewaltigen Geistlichen und Weltlichen, ohne gute
Aufnahme zu finden, zugeschickt hatte, und zwar geschah
dies zur Zeit, als der Türkische Kaiser stark vor Wien und
in Oestreich lag ,,und uns das wasser ins maul wil gehen".
Muncker sagt einmal S. 7, die abschliessende Arbeit falle
in die ersten Wochen des Oktober, dann, nachdem er die
verschiedenen, ihm für die Abfassungszeit wichtig erschei-
nenden Stellen angeführt hat, die Schrift sei um die Mitte
des Oktobers zum Abschluss gebracht. Beide Ausdrücke
sind unbestimmt, und docli ist es wichtig, hier der Sache
auf den Grund zu gehen; auf S. 29 sagt er, das 5. Capitel
sei eine Woche später, als das 4. abgefasst worden, wo-
durch jedenfalls die beiden obigen Angaben beseitigt werden,
denn zur Zeit, wo Kapitel 4 geschrieben wurde, waren be-
reits 4 Wochen seit dem 18. Sept. vergangen^).
1) lieber Aventin's Zeitrechnung hinsichtlich der Türkenbelagerung
schreibt Muncker S. 7: „Ära 25. Okt. 1529 erfuhr Aventin, wie sein
Tagebuch zeigt, den Abzug der Osmanen von Wien; die Belagerung der
Kaiserstadt datirte er vom 18. Sept., von der Zeit, da die ersten Streif-
schaaren sich vor ihren Wällen gezeigt hatten." Diese Behauptungen
sind indessen nicht so über jeden Zweifel erhaben, wie man denken
sollte. Denn in Wirklichkeit unterscheidet das Tagebuch von dem Er-
scheinen der Türken vor Wien am 18. Sept. sehr deutlich den Beginn
der Belagerung, indem es zu Sept. 26 notirt: Obsedit Turca Viennam;
diese Notiz kehrt dann später noch zweimal wieder; und wenn man ihre
Bedeutung gewiss nicht überschätzen darf, da sie an den letzteren Stellen
nur die Bedeutung einer einleitenden Phrase hat: „Türkenbelagerung be-
treifend" etc. , ergibt sich immerhin , dass die Datirung des Beginns der
Belagerung nicht unanfechtbar feststeht. Dasselbe ist hinsichtlich ihres
Endes der Fall. Muncker hätte beachten sollen, dass zu Oct. 19 und
20 eingetragen ist: ex campo noctu recedit Turca, und es dann erst
zum 25. heisst: fugit Turca, cessit. Am 29. Okt. kamen schon Lands-
V. Driiffel : Benierkimgen über Äventin's Schriften. 345
Da wir auch hier nur in Widersprüche gerathen,
empfiehlt es sich, nach weiteren Anhaltspunkten zu suchen.
Aus der Vorrede ist nun zu ersehen, dass die Veran-
knechte, die in Wien gelegen, in Regensburg an. Und da sollte die
Nachricht von Wiens Befreiung ihnen nur 3 Tage zuvorgekommen sein?
Wer will somit auf Aventin's Notiz eine bestimmte Ansicht gründen ?
Wenn man die Unzuverlässigkeit der uns allein überlieferten Fassung
des Tagebuchs berücksichtigt, muss man hierin bedenklich werden, zumal
grade die zu Anfang des September gemachten und mit den Ziffern 17
und 18 versehenen Eintragungen ausserhalb der ordentlichen Zeitfolge
stehen. Zieht man die von Oefele im 15. Bande der Deutschen
Chroniken mit so grosser Sorgfalt herausgegebene Regensburger Chronik
heran, so werden unsere Bedenken nur verstärkt. Hier ist erzählt,
dass 27 Fähnlein durch Regensburg gekommen seien, darunter am
16. Sept. 7 Fähnlein. ,,Wie diese Knecht gein Wien hin(ein)chomen,
hat niemant mer hinein gemugt, den auf den 26. Sept. ist der Türk
für Wien gerückt und aufs sterköst belagert." Jedenfalls war am
20. Sept. die Belagerung noch in ziemlich weiter Aussicht, wie man
aus dem Schreiben der Feldhauptmannschaft aus Wien von diesem
Tage sieht. Vgl. Bucholtz III, 619 und die von 0. Waltz in den
„Forschungen" Bd. VI, 650 veröffentlichten Briefe. An einer andern
Stelle der Chronik heisst es dann: ,,Der Turk ist am 21. Septembris
fürzogen und gelegen pis auf den 20. Oct." Den Rückzug der Türken
scheint man nach der Chronik zu Regensburg allerdings sehr spät
erfahren zu haben; sie notirt zu Okt. 22 die Abreise des Bischofs
Johann „auch zu hilf wider den Türken** und bemerkt dann: „was
der Türk schon weg von Wien, man wistz aber hie noch nit".
Diese Nachricht wird man indessen nur, wenn sie sich anderweitig be-
stätigt, annehmen dürfen, die Sache ist sehr auffallend, da König Fer-
dinand am 19. Oktober zu Linz bereits auf einen früheren Brief ver-
weist, welchen er mit der Meldung von dem Abzüge des Türken, d. h.
Soliman's selbst, am 15. Okt., seinem Bruder geschrieben hatte. Gevay
Urkunden und Aktenstücke S. 49. Darf man annehmen, dass Ferdinand
absichtlich die Nachricht geheim gehalten hat ? Freilich ist zu berück-
sichtigen, dass eben nur der Sultan selbst an diesem Tage abzog, Ibrahim
Pascha noch Okt. 17 ex castris pro Vienne datirt, Reusner S. 154.
Kilian Leib, bei DöUinger Beiträge II, S. 529 gibt die Nacht vom
14/15. oder 15/16. an.
Alle diese Nachrichten geben uns zwar nicht die Möglichkeit, ein
346 Sitzung der liistor. Classe vom 3. Mai 1879.
lassung zu der Fertigstellung des Werkes von Aussen kam ;
Aventin sagt: „Diewail aber E. W. (Euer Weisheit) micli
gebetten, ich soll in diesem jamer, — so itzo der Türkiscb
kaiser so stark vor Wien und in Osterraich ligt, und uns
das Wasser ins maul wil gelm — aucb ain klaine anzaigung
thun, was gestalt doch dem Turcken abzuprechen were, hab
ich eurem solchem begeren genug wollen thun.'^ In dem
Drucke Müller's ist ausserdem eine Adresse wiedergegeben,
freilich auch nicht ganz vollständig. Es heisst dort: ,,Den
erbaren achtbaren und wolweiseu herrn N. N. der statt
Regensburg, meinen gebietenden günstigen herrn entbiet
ich Johannes Aventinus Gottes segen, heil und freundlichen
gruss/' Es ist nicht anzunehmen, dass Müller diese Anrede
willkürlich erfunden haben sollte, da er ausdrücklich be-
merkt, dass die oben ausgelassenen Namen auch in seiner
Vorlage gefehlt hätten. Mit Recht hat daher Muncker
diese Ueberschrift als echt bei seiner Erörterung berück-
sichtigt. Wenn er aber gegen die bisher geltende Auf-
fassung, welche unter den Adressaten Bürgermeister und
Rath der Stadt Regensburg verstand, polemisirt, wenn er
geradezu sagt : „Wie man dazu kam, den Bürgermeisterund Rath
der Stadt Regensburg hierin zu finden, begreife ich nicht", so
hat er übersehen, dass die in dem Drucke gebrauchten
Worte ,, gebietend günstig" eben die übliche Anrede an die
Bürgermeister einer Stadt sind , und dass die von Aventin
angewandten Worte : E. W. ebenfalls nur Männern in
solcher Stellung zukommen können. Den Bürgermeistern
und dem engern Rathe gegenüber ist es am Platz, wenn
bestimmtes Urtheil zu fällen, ob Aventin je von einer fünfwöchentlichen
Belagerung habe >sprechen können, oder nicht, sie machen es aber doch
unwahrscheinlich. Der Ausdruck „in die fünfte woche" ist nicht un-
angemessen ; er kann auch noch zu späterer Zeit gebraucht worden sein.
0. Druffel: BemerJcmigen über Aventin's Schriften. 347
Aventin erwähnt , dass sie ihn aufgefordert hätten „eine
kleine anzaigung zu thun , was gestalt doch dem Türeken
abzuprechen were"; bei Privatpersonen, zumal gegenüber
dem Hausgenossen Erasmus Prims, von dem M. sagt, dass er
ebenso gut hiermit gemeint sein könnte, würde dieses
einen gespreizten Eindruck machen. Und endlich wäre es
unnatürlich, wenn Aventin in einer Anrede an eine Privat-
person sich bedankt hätte für die ,,von E. W. ^) und der-
selbigen freuntschaft" erzeigten Wohlthaten. Gewiss
würde er dann die Freundschaft, d. h. die Verwandten des
Angesprochenen, nicht in dieser Weise in die zweite Linie
geschoben haben, während dies ganz natürlich ist, sobald
er sich an den Magistrat der Stadt wendet.
Für die Beurtheilung der Schrift ist es genügend, wenn
man dieses Resultat gewonnen , und als richtig anerkannt
hat. Die Personen, an welche Aventin sich wandte, fest-
zustellen , hat nur ein untergeordnetes Interesse ; immerhin
aber mag auf den Namen Johann Hiltners, des Freundes
Aventin's wenigstens hingewiesen werden.
Wenn es feststeht, dass Aventin's Schrift eine Gelegen-
heitschrift ist, die während der Wiener Belagerung auf Ver-
langen des Regensburger Magistrats abgefasst wurde, so ge-
winnen wir damit zugleich einen Ausgangspunkt für die
Beurtheilung der Frage, welche Gestalt dieselbe damals ge-
habt haben möge.
Muncker spricht darüber S. 31, und sucht auszuführen,
1) Obgleich es vielleicht denjenigen, welche mit der geschichtlichen
Literatur des 16. Jahrhunderts einigerraassen vertraut sind , über-
flüssig erscheinen könnte , will ich doch auf einige Beispiele hinweisen,
die sich gerade auf Regensburg beziehen. Johann Funk, Pfarrer zu
Wörth widmet 1545 seine Chronologia „amplissimo senatorum ordini
liberae imperii civitatis Ratisbonae, dominis prudentissimis" ; hier haben
wir die Uebersetzung der „Weisheit". Die Anrede „E. W." findet sich
z. B. stets in den Briefen des Balthasar Hubraair und des Dr. Hiltner.
348 Sitzung der histor. Glasse vom 3. Mai 1879.
dass die abgedruckte Fassung in 5 Kapiteln bereits dem
Jahre 1529 angehören; ,,den Gedanken an eine fernere Um-
arbeitung weist er S. 32 ,, energisch" ab: „es ist unmög-
lich, dass der historische Abschnitt erst nach diesem Jahre
eingefügt worden sei'^ Er bespricht bei dieser Gelegenheit
gar nicht den Umstand, dass er selbst auf S. 6 einen über
den Türkenfeldzug des Jahres 1532 handelnden Abschnitt,
im Gegensatze zu Wiedemann , für Aventin mit Recht in
Anspruch genommen hat ^).
Die einzige Stelle, welche er prüft, ist diejenige, welche
den Feldzug Soliman's vom Jahre 1529 behandelt. Weil
es hier heisst: ,,Izo ist er diz jar, als man zalt 1529 jar
widerkumen, . . . und ligt vor Wien in Oesterreich nun in
die fünf wochen'' behauptet er die Abfassung im Oktober
1529, obschon, wie er selbst hervorhebt, nur Eine Hand-
schrift und der Druck ^) diese Lesart haben , die andern
Handschriften aber die Belagerung als vergangen behandeln.
Muncker bekämpft nun freilich diese letztere Darstellung,
er versichert, ,,die Klage über das Treiben der Ketzermeister
sei ohne Zweifel unter dem Einfluss gegenwärtiger
Bedrängniss geschrieben* ^ Muncker sagt nicht, ob er den
Einfluss der durch die Ketzermeister oder der durch die
Türken veranlassten Bedrängniss meint. Und was soll es
1) Muncker äussert sich nicht darüber , wie er den nach den
Worten: „Aber Gott straft uns also" mit welchen der Druck S. 41b
schliesst, in F noch folgenden Absatz: „Und man gibt auch den Ungern
die schult, das man nit fort und dem Türeken nach ist etc." angesehen
wissen will. Ich halte denselben für Aventinisch, und ebenso auch den
Absatz, wo von der Zögerung des Kriegsvolks in Regensburg die Eede
ist: „sie lagen zu Regenspurg wol bis in die drit wochen , ehe sie die
hüpschen federbüsch auf die hüet, die guldin kregen auf die hembder
all machten".
2) Das ist unrichtig, im Druck steht und ebenso noch in andern
Handschriften: „nun in die fünfte wochen".
V. Driiffel: Bemerkungen über Aventin's Schriften. 349
heissen, wenn er sagt, ,,die Klage verliere fast alle Be-
deutung, klinge gar nicht mehr aventinisch (!) wenn man
sie in die Vergangenheit übersetzt''? Ich muss gestehen,
dass ich es vergeblich versucht habe, dieses feine Verständniss
für die Aventinische AusdruckvS weise mir anzueignen, und
möchte nur fragen , ob denn nach Muncker's Ansicht der
Passus, welcher den weiteren Verlauf des Krieges behandelt,
nicht Aventinisch klinge, wo von der Rettung Wiens, von
dem Pfalzgrafen Philipp und von der darauf durch König
Ferdinand's Truppen unternommenen Belagerung Ofen's die
Rede ist. Freilich steht dies nicht in der für Muncker
massgebenden Handschrift G, aber er wird zugeben müssen,
dass der sich auch hier findende Satz : „Ist auf dismal gegen
dem Türeken vor Wien auch nichts ausgerichtet worden
etc.'' jedenfalls das PJnde der Belagerung als bekannt vor-
aussetzt. Und warum sollte Aventin nicht, später auf die
Belagerung Wiens zurückblickend, haben ausrufen können:
,,Wo war damals der Papst, wo waren damals die Ketzer-
meister" ? Mir kommt das sogar naturgemässer vor, als wenn
er während der Türkenn oth einen solchen Ausruf gethan hätte.
Dass er dann aber bei der Geisselung der Männer die gegen
die Türken Hasen , gegen die unschuldigen Bücher Löwen
sind, das Präsens gebraucht, ist doch nicht verwunderlich,
da es sich eben hier nicht um einen zeitweiligen Vorgang,
sondern um dauernde Verhältnisse, über die er seinen Un-
willen äussert, handelt ^).
Muncker hat sich zum Theil wohl gerade dadurch, dass
ihm an dieser Stelle die Fassung von G als die sachge-
mässeste erschien, zu der Ansicht bestimmen lassen, dass G,
eine Handschrift, die er hinsichtlich der vorhergehenden
1) Die Stelle: „Also geth es auch, Got geh das wol gerath" wage
ich nicht zu verwerthen. Sollte nicht, statt auch, „annoch" zu lesen
sein? Dann wäre die spätere Abfassung sicher gestellt.
350 Sitzung der histor. Classe vom 3. Mai 1879.
Kapitel gering schätzt, das fünfte Kapitel in der ursprüng-
lichsten Gastalt enthalte. Denn was er sonst anführt,
eigenthümliche Dialektformen und alterthüraliche Ausdrücke,
kann doch nicht ausschlaggebend sein; warum soll nicht
der zeitgenössische Abschreiber diese eben so gut gebraucht
haben können? Wenn er sagt, dass in G das Werk ,,in
seiner vollständigen Gestalt erhalten ist, in fünf Theile ge-
sondert , innig und wesentlich verknüpft mit dem
Kapitel über die saracenisch - osmanische Geschichte", so
muss er selbst eine bedenkliche Concession machen: Der
Schlusssatz fehlt. Diesen kann er nicht der Hs. G, er muss
ihn der Hs. C entnehmen. Nachdem er sich in Ausführ-
ungen ergangen hat, wie der fromme Autor kaum seine
Arbeit mit dem halben Fluch: „wil man der lehr Christi
unsers herrn nit volgen, so volg man dem teafeP* aus der
Hand gelegt haben werde, wie der Schluss : „aber Got straft
uns also" nicht befriedige , wie das Buch einen breiteren
Abschluss fordere — wahrscheinlich, weil Aventin, wie er
S. 29 sagt, immer nach künstlerischen Grundsätzen verfuhr
— bezeichnet er, im Anschluss, wie er meint, an Hs. C und
D, als conclusio Aventini die beiden Sätze : Solchs hab ich
aufs kürzt wellen anzaigen, damit man doch sehe und spur,
das der feind durch unser kriegsregiment nur störcker wird,
und wir nur schwecher an land und leuten werden ; das
werden wir teglich mit unserm grossen schaden und ver-
derben innen. Gott der almechtig gebe und verleuch sein
göttliche genad und hilf allen christlichen menschen, so zu
diesem ytzigen zug verordnt werden, daz sy mit starkem
glauben und fraydiger band dem feind begegnen und obsygen
kynden. Amen". Der zweite Satz kann aber nicht von Aventin
geschrieben sein, der eben selbst schon das Ende des Feld-
zugs von 1532, des Kaisers Abreise nach Italien erzählt
hatte. Man wird am liebsten annehmen, dass derselbe mit
Beziehung auf den Feldzug des Jahres 1542 geschrieben
V. Druff el: Bemerkungen über Aventin^s Schriften. 351
wurde , an welchen sich so grosse Hoffnungen knüpften ^).
Und diese Vermuthung findet Bestätigung durch die Hs. C,
wo jener erste Absatz, ,,Solchs — innen", an dessen Seite
die Notiz Conclusio Aventini steht, durch einen ziemlichen
Zwischenraum von dem folgenden Satz getrennt ist, sowie
durch die Hs. F, in welcher der Satz: „Got der almechtig *)
etc/^ von jenem erstereu völlig getrennt erscheint, und der
ganzen, mit der Bemerkung Additio alterius angekündigten
Ausführung über das Jahr 1541 folgt, während der andere:
,,Solchs hab ich etc." derselben vorhergeht.
Im Gegensatze zu Muncker müssen wir somit erstlich
manche Stücke des fünften Kapitels einer späteren Zeit zu-
schreiben, und ferner die Stelle, aus welcher er die Abfassung
im Oktober 1529 folgern zu müssen glaubte, preisgeben.
Es fragt sich noch, ob andere innere oder äussere Anhalts-
punkte uns ein Urtheil über die Gestalt ermöglichen, welche
eine zur Zeit der Wiener Belagerung an den ßegensburger
Magistrat gerichtete Schrift gehabt haben mag. Da fällt zuerst
in's Gewicht, dass zwei Handschriften, die besten nach Muncker,
das fünfte Kapitel gar nicht enthalten und in ihnen auch das
Vorwort nur von 4 Kapiteln spricht. Erwägt man nun
ferner, dass das fünfte Kapitel mit seinen historischen Com-
pilationen zu dem Vorhergehenden doch sehr wenig passt
und sich in einer Gelegenheitsschrift seltsam ausgenommen
hätte, so glaube ich, werden wir dieses fünfte Kapitel als
einen späteren Zusatz, und zwar als einen sehr lose mit der
Türkenwamung zusammenhängenden Zusatz bezeichnen
1) Unbegreiflich ist^ dass Muncker, der diesen Satz Aventin vin-
dicirt, sich nicht der Hs. F bedient hat, deren Passung wenigstens
nicht in direktem Gegensatze zu dem vorhergehenden steht, indem hier
Gottes Segen für die „so etwan in künftiger zeit zu ainem zug wider
den erbfeind der Christenheit verordnet werden" in Anspruch genommen
wird. Man sieht aus dieser Stelle, wie gern ein Abschreiber den Text
der augenblicklichen Zeitlage anpasste.
352 Sitzung der histor. Classe vom 3. Mai 1879.
müssen. Ich möclite glauben, man dürfte dasselbe eher für
eine Skizze zu einer beabsichtigten ausführlicheren Arbeit,
als für einen Bestandtheil der Türkenwarnung halten; bei
dem geringen Werthe, der demselben zukommt, da es zum
grossen Theil nur oberflächliche Zusammenstellungen über
die Türkische Geschichte enthält, verlohnt es sich aber nicht
der Mühe, dasselbe genauer zu untersuchen.
Wenn somit Muncker sagt : „Die Handschriften der ersten
Gruppe bieten uns die ursprüngliche Gestalt des Werkes in
4 Theilen, aber nur im grossen und ganzen. Im einzelnen
ist ihr Text durchaus der von 15 2 9" so ist dies zuzu-
geben, wenn man unter dem Text von 1529 eben nichts
anderes versteht , als jene Gestalt in 4 Theilen , ablehnen
dagegen möchte ich die Vermuthung, dass Aventin auf den
Wunsch von Freunden , die durch den Anfang (der sara-
cenischen Geschichte) nach der Fortsetzung lüstern ge-
macht wurden, 1529 die volle arabisch-türkische Geschichte
hinzugefügt habe.
Nur indem Muncker sich mit der Vorstellung durch-
drungen hatte, das ganze Werk in fünf Kapiteln müsse im
Oktober 1529 aus einem Gusse entstanden sein, ist es zu
erklären, dass er S. 30 auf einen Augenblick sogar den Ge-
danken fassen konnte, der Schlusssatz der Hs. A u. B könne
von einem Schreiber, der lange mit dem Copiren aven-
tinischer Werke beschäftigt gewesen sei , sich in die Rede-
weise des Verfassers eingelebt und sich dieselbe bis zu einem
gewissen Grade angeeignet habe, „fabricirt" sein, eine Vor-
stellung die er doch glücklicherweise selbst gleich nachher
als durchaus unwahrscheinlich fallen lässt, um dann, an-
knüpfend an das, was Aventin selbst sagt, anzudeuten, dass
jener Schlusssatz einer früheren Redaktion des Werkes an-
gehört habe.
Muncker bespricht die Frage nach der Ausarbeitung
einer früheren Fassung auf S. 8 und S. 31. Er sagt:
V. Druff el: Bemerkungen üher Aventin's Schriften. 353
„Spuren dieser Umarbeitung finden sich noch; einzelne
Handschriften lassen den Tod des Königs Ludwig von Ungarn
(1526) vor zwei, vor anderthalb Jahren, oder gar „ditz jars
do ich das schrib" geschehen sein. Muncker scheint dem-
nach anzunehmen , dass an diesen Stellen noch der Text
der früheren Redaktion zu Tage trete , er geht indessen
nicht näher auf die Sache ein und unterlässt es, die vor-
handenen Abweichungen der Handschriften unter einander zu
erklären. Soll der erste Entwurf vielleicht so laugsam ent-
standen sein, dass ein Stück 1526, ein anderes anderthalb,
ein drittes zwei Jahre später niedergeschrieben wurde?
Man wird die einzelnen Stellen prüfen müssen. Da
bemerken wir vor Allem, dass die Vorrede, welche in den
meisten , darunter den besten Hs. mit den Worten einge-
leitet wird : „Ich hab imr lang zeit, und nemlich von ander-
halben jar her, sieder kunig Ludwig in Ungarn erschlagen
ist worden , schriftlich Teutsch und Lateinisch ^) Ursachen
der schweren leuf und gewisse zaichen uusers künftigen
Verderbens angezaiget, etlichen gewaltigen gaistlichen und
weltlichen zugeschickt'^ jedenfalls erst im Jahre 1529, eben
zur damaligen Einführung seiner Schrift bei den weisen
Herren von Regensburg, geschrieben sein kann. Da scheint
mir keine Wahl zu bleiben : entweder muss man ein Miss-
verstehen einer Ziffer durch den Abschreiber annehmen,
oder den Satz weniger streng und dahin verstehen, dass
Aventin sagen will : Anderthalb Jahre sind vergangen, seit
ich mich mit diesen Fragen zu beschäftigen begann, welche
durch den Tod des Königs heraufbeschworen worden. Diese
letztere Möglichkeit hat gewiss wenig Wahrscheinlichkeit
für sich, zumal es an einer andern von Muncker S. 8 an-
1) Vielleicht sind aus dem Ausdruck ,, Teutsch und Lateinisch",
der also noch andere Schriften, als unsere Türken Warnung umfasat, die
autfälligen Zeitangaben zu erklären.
354 Sitzung der histor. Classe vom 3. Mai 1879.
gezogenen Stelle auch in jenen besten Handschriften heisst :
„Ich hab jetzo drey jar solche schrift etlichen gewaltigen
zugeschickt, hat sich niemant in die sach, dem Turcken zu
weren, geschickt". A.n einer andern Stelle sagen die Hand-
schriften (A und) B: ,,so ist neulich, vor zweien jar, ehe
ich das schrib'* König Ludwig erschlagen worden, während
hier nach den andern allen gleichzeitige Abfassung zu kon-
statiren wäre, indem sie sagen: „So ist itzo dis jar, so ich
das schrib". Ich möchte das erstere für ursprünglicher,
das letztere für die Correctur eines Abschreibers halten,
der, das Wort „schrib'^ für Präsens haltend, einen Ver-
besserungsversuch machen zu müssen glaubte. Indessen ist
zu bemerken, dass, wie wir bereits oben gesehen haben und
wie die Verschiedenheiten der Handschriften auch wieder
an dieser Stelle zeigen, nirgends leichter als bei solchen
Zeitangaben , zumal wenn sie vielleicht ursprünglich in
Ziffern geschrieben waren, die Abschreiber Veränderungen
anbrachten, so dass auf dieselben wenig Verlass ist.
Muncker führt einen andern inneren Grund an, der,
wenn er sich als stichhaltig erweist, für die unserer Schrift
vor 1529 gewidmete Thätigkeit Aventins nur einen äusserst
beschränkten Raum liesse ; er sagt S. 31: „es ist nicht
glaublich, dass der leidenschaftliche Charakter, den das
Buch jetzt aufweist, ihm schon 1526 eigen, dass namentlich
die heftigen Angriffe auf den Klerus schon damals darin
enthalten waren'^ Und S. 43 spricht er die Ansicht aus,
die Form der Vorwürfe gegen den Klerus , der Ton , in
welchem er rede, könne bei dem aufmerksamen Leser
keinen Zweifel darüber zulassen, dass dies nicht der ge-
wöhnliche Unwille der Zeit über das sittenlose Treiben der
Pfaffen sei, sondern dass hier ein bestimmter persönlicher
Groll des Autors gegen den geistlichen Stand vorliege.
Den Anlass zu diesem „persönlichen GrolP' sucht und
findet er dann in Aventin's Verhaftung im Jahre 1528.
V. Druff el: Bemerlcungen über Äventin's Schriften. 355
Ich gehöre zu jenen Lesern, welche diese Beziehungen
aus der Aventinischen Schrift nicht herauszufühlen ver-
stehen. Ich glaube, dass ein Blick auf andere gleichzeitige
Schriften Aventin überzeugt haben wird, dass er mit seinen
scharfen Redewendungen gegen die Klerisei keineswegs
allein stehe. Schon Döllinger hat in seiner Festrede auf
den Weihbischof Berthold Priestinger von Chiemsee hin-
gewiesen, dessen zu Landshut Lö24 gedruckte, einige Jahre
vorher verfasste Schrift ,,Onus ecclesiae" Aventin gewiss
nichts nachgibt ^). Hier finden wir Rom als den Sitz des
Thieres, als die meretrix magna bezeichnet : ,,heu, sicut olim
in Romano imperio, sie hodie in Romana curia est, vorago
divitiarum turpissima, crevit avaritia, periit lex a sacerdote
ac visio de propheta et consilium a senioribus, claves ecclesiae
sunt in abusu et Servitute simoniae ac ambitionis ; vitia
enim ferme curialium celari negarique vix possunt: Roma
quasi gurges flagitiorum." Berthold wendet sich gegen alle
die Laster des geistlichen Standes, welche Aventin geisselt,
gegen die Wollust und Verschwendung , gegen die Gleich-
gültigkeit für das Seelenheil der ihnen anvertrauten Heerden,
und er thut dies, indem er anfangend vom Papste, alle die
Cardinäle , Bischöfe , Prälaten bis herab zu dem armen ge-
wöhnlichen Klerus durchnimmt und erklärt , alles was der
Herr einst von den Pharisäern gesagt habe, gelte jetzt von
den Mendicanteuorden. Man wird sogar die Frage auf-
werfen können , ob nicht diese Schrift Aventin vorgelegen
hat. Und ähnlich wie Berthold von Chiemsee äussert sich
1) Es ist zu bedauern, dass Janssen, welcher sonst so eifrig darauf
ausgeht, die Culturverhältnisse der damalig-en Zeit an der Hand eines
reichen Quellenapparats uns näher zu rücken , diese Schrift nicht für
seine Geschichte des Deutschen Volkes verwerthet hat; er hätte daraus
lehrreiche Züge für die Schihlerung der kirchlichen Zustände entnehmen
können. Sollte er sie eben sowenig wie unsern Aventin gekannt haben?
356 Sitzung der histor. Classe vom 3. Mai 1879.
Johann Virdung , der von Aventin citirte Hasfurt, ver-
kündet Unheil den Prälaten in seiner ,,Pronostication":
„Dieweil das laster der simonei des geitz und aller wollust
hat besessen die prelaten der kirchen, ist zu besorgen, sie
werden trincken den kelch des jamers und der bitterkalt,
auch wirt unter innen erwachsen ain zwittracht im glauben,
dovon zu besorgen ist , es werden kumen die ungläubigen
und die tempel berauben und zerstören , sprechend : wir
wollen sie verderben von dem volk und irer erbschaft und
wir wollen ainnemen die kleynat und heiltum des herrn.
Dieses unglück wirt khomen über die prälaten von wegen
Mercurii und Jovis, die solchs anzaigen, über den glauben
und die geistlichen. Jedoch solt ir nit meinen, das der
christlich glaub ganz zerstört werd, dan der herr lesst das
schifflin Petri wol wackeln, ader nit untergeen gar."
Ausser den oben angeführten allgemeinen und unbe-
wiesenen Behauptungen hinsichtlich der „Form'' und des
„Tones'' der Aventinischen Schrift, hat Muncker auf einige
Stellen hingewiesen , in welchen er bestimmte Beziehungen
auf die Gefangennahme Aventin's zu finden glaubte. Er
hat aber hier, wenn ich nicht irre, keine glücklichere Hand
gehabt. Er hebt S. 47 den Satz hervor : „Ich hab den
heillosen leuten mein leben lang kein laid thon , noch
haben sie mich in ir achtbuech geschrieben, mir zuentboten,
sie wellen mich gen Rom citiren, haben sorg , ich bschreib
ir büberei und brings an den tag, geudnen sich solches,
trauen den leuten, sagen, sie wellen lieber an die Luterischen
ziechen, dan an den Tarcken ; Got hat wol von inen gsagt :
ir hend seind vol menschen pluets." Hier ist, nach Muncker,
„mit deutlichen Worten auf den unseligen Anlass seiner
Feindschaft mit dem Klerus hingewiesen."
Muncker selbst aber führt dann in einer Anmerkung
eine mit der obigen bezüglich des Citirens fiach Rom, des
Einschreibens in das Achtbuch übereinstimmende Stelle der
V. Druff el: Bemerkungen über Aventin's Schriften. 357
Chronik an, wo ausserdem gesagt ist, die Predigermönche
hätten Angst „ich solt die büberei beschreiben, die sie vor
siebzehn jaren zu Bern in Schweiz begangen haben''. Hier
haben wir einen bestimmten Zeittermin , das Ereigniss
worauf angespielt ist, gehört dem Jahre 1507/8 an. Will
man nun etwa folgern, dass Aventin diese Stelle in der
Chronik nicht 1525 geschrieben habe? Gewiss nicht. Also
ist auch die Stelle in der Türkenwarnung nicht für Muncker's
5lv\reck zu verwerthen. Ebenso wenig beweisen die andern
Stellen, wenn Aventin z. B. sagt: „können nit mehr, dann
dass einen antragen und verliegen : er sei Luterisch, kann
sich einer nit bass rechen an einem, dem er neidig ist, wie
sie selbst bekennen, ich mehr dann einmal öffentlich
von inen gehört haV. Ist es möglich, insbesondere
in der Berufung auf das Gehörte eine Andeutung auf
Selbsterlebtes zu finden? Will man Beziehungen auf-
stöbern, liegt es da nicht näher, an Bernhard Tichtl von
Tutzing zu denken , der in dieser Weise in das Gefängniss
kam, ohne dass freilich seiner Laufbahn als herzoglicher
Beamter hierdurch Eintrag geschehen wäre. Ebensowenig
kann die Stelle über das blosse Kochen von Fleisch an der
Vigil eines Festes auf Aventin's Verhaftung am 7. Okt.
Bezug haben. Grade in dieser Zeit des Jahres ist jetzt und
war ebenso im 16. Jahrhundert eine solche üeber tretung
nicht möglich, weil keine Vigilien zu Festen in diese Zeit
fallen. Was will man also in jenen Auslassungen Anderes
finden, als den Ausdruck allgemeinen Missbehagens über das
kirchliche Polizeiregiment ?
Hätte sich der Nachweis erbringen lassen, dass die
scharfe Polemik gegen die Geistlichkeit die vorherige Haft
Aventin's im Oktober 1528 zur Voraussetzung haben müsse,
so würde die Beurtheilung derselben naturgemäss anders
ausfallen, als wenn man annehmen könnte, dass Aventin
ohne derartige persönliche Motive sich ähnlich ausgedrückt
[1879. I. Philos.-philol.-hist. Gl. 4.] 26
358 Sitzung der histor. Classe vom 3. Mai 1879.
hätte. Das Gewicht seiner Kritik wird um so grösser sein,
je freier er dabei von dem Gefühle der Rachsucht und Ge-
hässigkeit gewesen ist , und ebenso wird ihr Schätzungs-
werth steigen oder fallen, je nachdem Aventin sich so gegen-
über einer dem Klerus ohnehin wenig freundlichen Reichs-
stadt ^), oder in einer Zuschrift an geistliche und weltliche
Würdenträger d. h. wohl an die Bairischen Herzoge und
an deren Bruder Ernst, den Administrator von Passau aus-
gesprochen hat. *
•Beinahe noch wichtiger aber, als für seine Beurtheilung
des Klerus, wäre eine genaue Kenntniss der Abfassungszeit
wegen der vorkommenden Aeusserungen über die weltliche
Obrigkeit, und zwar vor allem über die Herzoge von Baiern
und seinen Gönner Leonhard von Eck. Zwar nennt er hier
so wenig einen Namen , als er die Missstände im Klerus
durch bestimmte Beispiele belegt. Hier ist höchstens auf
die Betrügerei der Jungfer Ursel , welche auch Luther auf
seiner Romreise besucht hatte ^), deutlicher hingewiesen, und
möglicherweise wussten die Zeitgenossen auch, wer gemeint
war, wenn Aventin von einem Eheweib erzählte, das in
einem Bisthum gewaltiglich regiere, und welches ein nicht
so gar hoher Pfaff dem Ehemann vorenthalte. Viel klarer
aber und gar nicht misszuverstehen war es , wenn er
schreibt : „So waiss man auch wol fürsten im reich — aus
antruschlen der finanzer — die haimlich mit dem Franzosen,
babst, Weida in ungern wider den itzigen kaiser und sein
bruder, den kunig von Beham und Ungarn haimlich bund-
nus gemacht haben ; wie dieselbing seinem bruder, kunig in
1) Die Regensburger Chronik sagt grade von der Zeit der
Wiener Belagerung: Der pöfl trieb vil pöser spitziger wort: wirt Wien
verloren, so sehen sy dy pfaffen für.
2) Muncker erwähnt S. 21 „die dunkle Anspielung auf die heilige
Jungfrau in Augsburg, die lang nichts gessen hat". Das Dunkel wird
erhellt, wenn man einen Blick auf Köstlin I, 304 wirft.
-y. Druff el: Bemerlmngen über Äventin's Sdiriften. 359
ßeham, übel geredet haben, waiss mer dau ainer oder zwen.'^
Das bezog sich auf Niemanden sonst, als auf die Bairischen
Herzoge , deren geheime Praktiken, wie ihr Kanzler Leon-
hard von Eck klagte und wie aus den vom König Ferdi-
nand bei den Herzogen selbst erhobenen Beschwerden noch
deutlicher hervorgeht, nicht mit einem so dichten Schleier
umhüllt blieben, wie sie wohl gewünscht hätten ^). Herzog
Wilhelm ermunterte den päpstlichen Datar Ghiberto zum
Ausharren, als Frundsberg 1527 gegen den Papst zu Felde
lag. indem er ihm Nachrichten über die augeblich bedrängte
Lage des kaiserlichen Heeres übermittelte , ihm von seinen
Verhandlungen mit Johann Zapolya Keuntniss gab, und ihm
versicherte, dass in Böhmen wie in Ungarn die Angelegen-
heiten Ferdinand's schlecht ständen. Aehnlich schrieb Eck
an den Französischen Gesandten Grangis in der Schweiz.
Was er hierbei für ein Ziel verfolgte, hat er selbst in einem
Briefe an seine Herren ausgesprochen: ,,die ganz warheit
ist : sollte der pabst und Venediger den sieg erlangen , so
ist nit allein der kaiser aus Italia, sonder auch der erz-
herzog durch ganz geringe praktika aus Teutschen landen
verjagt'' und weiter: „ist sach , das die kaiserischen ge-
schlagen werden, wollen wir den erzherzogen von der cron
(Böhmen) auch dringen, dar vor soll ihme nichts, dann Gott
allein sein". Die Bairischen Herzoge bezeichnen Zapolya,
nicht Ferdinand von Oestreich als König von Ungarn, Eck
meint von diesem : „wiewol er durch etlich wenig personen,
so nach der schlacht zu Ungern zu ihme geflohen sein, auch
zu konig zu Ungern erwält, so ist doch wenig hoffuung,
dass er etwas daran erlangen werde".
So viel leuchtet ein, diese Aeusserung Aventin's steht
in völligem Gegensatze zu der Politik seiner fürstlichen
1) Die Böhmischen Landtagsverhandliiiif^cn und Landtagshosehlüsse
herausgeo^eben von dem Bidimischen Landesarchiv Bd. I, 192 f^.
26*
360 Sitzung der histor. Classe vom 3. Mai 1879.
Herrn und seines Gönners Leonhard von Eck. Sie wurde
noch verschärft, indem sie in einer Schrift an die Bürger-
meister von Regensburg gemacht wurde , zumal er dann
noch eine Bemerkung über die Politik der Fürsten gegen-
über den Reichsstädten fallen lässt, die gleichfalls den damaligen
Herzogen wenig erwünscht sein musste : i,Die alten fürsten,
als herzog Ludwig und herzog Albrecht aus Bairn haben's
mit den reichsstetten gehalten, sein durch dieselbing bei
land und leuten fein gehandhabt worden , jtzo obgenant
geltnarren hetzen die fürsten wider die stett , nemen ge]t
von den stolzen ungelerten geitigen pfaffen. Also geht es
auch, (vgl. S. 349) niemant räth zur ainigkait".
Bei dem jetzigen Stande der handschriftlichen üeber-
lieferung wäre es ein gewagtes Unternehmen, wenn man den
Versuch machen wollte , den früheren Text aus dem uns
vorliegenden vom October 1529 herauszuschälen. Nur eine
einzige Stelle wüsste ich zu bezeichnen, die wenigstens etwas
älter sein muss, im Uebrigen ist die Üeberarbeitung so be-
deutend gewesen, dass die ursprüngliche Form verwischt
ist. Es ist dies sehr zu bedauern, da wir dadurch genöthigt
sind, auf eine bestimmte Beurtheilung seiner scharfen Aeusser-
ungen über Baiern s Politik zu verzichten. Es sind zwei
Möglichkeiten : Entweder er schrieb in dieser Weise nur
1529 an den Regensburger Rath; dann wird man sagen
müssen, dass er das frühere Verhältniss zu den Bairischen
Herzogen nicht bloss für gelockert, sondern für völlig ge-
löst gehalten hat und sich ihnen völlig fremd geworden
fühlte. Hat er aber schon früher und in einer Eingabe
vielleicht an die Herzoge selbst, in der Weise, wie er es
später thut, den Reichsgedanken betont und die eigennützige
Politik Leonhard's von Eck verurtheilt, so wird man seinen
1) Mit Rücksicht auf die Vorgänge der Jahre 1475 u. 1485 wird man
hierunter Albrecht den Weisen und Ludwig den Reichen zu verstehen haben.
Aventin's Auffassung von der guten alten Zeit ist entschieden zu günstig.
V. Druff el: Bemerkungen über Acentin^s ScJiriften. 361
Freimuth zwar hoch anschlagen müssen, sich aber anderer-
seits schwerlich darüber wundern können, wenn er sich da-
durch Unlust und Ungunst zuzog. Ja es ist nicht un-
möglich, dass die Rücksicht auf Aventin's politische Haltung
mit in Betracht kam bei seiner Verhaftung, deren eigent-
lichen Grund wir noch durchaus nicht klar zu erkennen
vermögen.
Muncker hat auch den Lebenslauf Aventin's in Kürze
geschildert , aber theils sind ihm die besten Quellen ent-
gangen, theils benutzt er dieselben unrichtig. Aus Prantl's
archivalischen Notizen in der Geschichte der L. M. Univer-
sität wäre zu ersehen gewesen , dass die ganze Erzählung
von der gemeinsam mit Leonhard v. Eck unternom-
menen Visitation der Ingolstädter Universität im Jahre
1512 aus der Luft gegriffen ist.^) Nicht Eck, sondern
der Franciskaner Schatzger und der Domherr Ilsung von
Freising waren zu Aventin's Genossen bestimmt. Die Visi-
1) Muncker schreibt S. 56: Aventin's Verhältniss zu dem Kanzler
des bayrischen Herzogthums scheint im Dezember 1512 begründet zu
sein, als die beiden Männer im Auftrage des Herzogs zugleich mit Dr.
Sebastian Ilsung und Augustin Köllner als Commissäre ad inquirendum
an die Universität Ingolstadt giengen." Was die fragliche Reise
angeht, so citirt Muncker dafür Aventin's Tagebuch und Wiede-
niann S. 17. In ersterem stehen nur die Worte: Ingolstadium missus
cum doctore Ulsing (Ilsung); obschon bereits Dittmar S. 135 darauf
hingewiesen hatte, dass Mederer, auf welchen sich Wiedemann ge-
stützt, die Reise der oben Genannten in den Mai 1515 setzt, wiederholt
Muncker vertrauensselig Wiedemann's Nachricht. Prantl hat Bd. II,
S. 150 aus dem Universitätsarchiv den an Ilsung, Schatzger und Aventin
gerichteten Befehl des Herzogs Wilhelm vom 5. Dezember 1512 wört-
lich abgedruckt, und auf Grund der Universitätsakten ausgeführt, dass
eine zweimalige Abordnung einer Commission nach Ingolstadt erfolgte ;
an der zweiten, von welcher auch Mederer berichtet hatte, nahm Leon-
hard von Eck Theil; Prantl I, 110 u. 128.
362 Sitzung der Justor. Classe vom 3. Mai 1879,
tatioii , an der Eck betheiligt war , ist 3 Jahre jÜDger.
Ebenso unhaltbar ist alles, was er über die Veranlassung
der Verhaftung beibringt. Wir haben darüber keine andere
Nachricht , als die von Döllinger hervorgehobene , dass
nämlich Aventin selbst sagt, sie sei des Evangeliums wegen
erfolgt. Falsch ist es, wenn M. sagt: ,, Er war kühn genug,
öffentlich als Pfleger und Anhänger der neuen Secte her-
vorzutreten*' und dies durch den einer viel späteren Zeit
angehörigen Briefwechsel mit Melanchthon zu beweisen
meint, oder indem er, gestützt auf die Worte des Tagebuchs :
„Regensbnrg. d-eoloyl'^w^^ — was doch nichts anderes heisst,
als: ich treibe Theologie — ihn an einer theologischen Dis-
putation zu Regensburg Theil nehmen lässt, und dann hin-
zufügt: ,,er mag schon hier freiere, von der Römischen Lehre
abweichende Ansichten ausgesprochen haben". Gegen eine
derartige Behandlung der Quellen muss auf das entschie-
denste protestirt werden. Es dürfte auch unzulässig sein,
die dunkeln Worte des Tagebuchs: „Confratres Ratisbonae
concordiam fecerunt inter quospiam mystas" umzuformen
in den Satz: „Am 3. August 1528 war er mit seinen
Freunden bemüht, die Eintracht zwischen den „Predigern
der Reformation wieder herzustellen". Woher weiss
Muncker , dass es damals Prediger der Reformation in Re-
gensburg gab? Nach (Gemeiner) Geschichte der Kirchen-
reformation in Regensburg S. 43 und 56 sollte mau an-
nehmen, es hätte deren noch gar nicht gegeben. Auch für
die Behauptung: „Er scheute sich nicht, das Fastengebot
des Bairischen Religionsedikts von 1524 leichtsinnig zu
übertreten" ist der Nachweis nicht dadurch erbracht, dass
Aventin theoretisch über die Schärfe, mit der man das
Gebot handhabe, den Stab bricht ^).
1) Mit der Anmerkung 4 auf S. 45 möge Wiederaann's Schrift:
Luther und der Mariencultus , Wien 1865 , Separatabdruck aus der
österr. Vierteljahrsch. f. kath. Theologie IV Jahrg., verglichen werden.
V. Draffel: Benierlciinfjeu über Äüentm's Schriften. 363
Zum Schlüsse möchte ich einige Textesstellen besprechen,
wo Muncker , in allzu gewissenhaftem Anschlüsse an die
Handschrift, welche er für die beste hält, die noth-
wendigen Emendationen unterlassen zu haben scheint. Er
erwägt gewissenhaft, ob man : „die laus, den mönch'\ oder :
,,die laus der mönch'^ lesen müsse; es ist bereits von anderer
Seite darauf hingewiesen worden , dass Aventin über die-
jenigen spottet, welche die lausden mönch, monachos pelli-
culosos als Heilige verehrt wissen wollen. Auf S. 40 macht
ihm folgende Stelle des Drucks Schwierigkeit : ,,Die Lateiner
nennen solch trieger heredipetas, captatores testamentorum
und vultures; ist auf Teutsch erbrauber und geschefftjäger";
er weist in einer Note besonders darauf hin, dass einige
Handschriften, wie er mit Recht sagt, kaum richtig anstatt
des letzten Wortes : ,,gescheft giriger'' bieten ; mit Rück-
sicht auf das vorhergehende vultures wäre hier die Con-
jektur : „geyer'^ geboten ; zum üeberfluss steht auch so deut-
lich in der Hs. C. Es ist irrig, wenn er die wiederholte
Vorbemerkung dieser Hs. ,,Caute legend us est iste libellus"
dem Copisten zuweist ; es ist eine Glosse von anderer Hand.
In der Stelle S. 21 : „Ich ken ain eheweib, hat ein eheman,
helt ims ainer, nit so gar ein hocher pfaff, mit gewalt vor
zeit'' ist die Lesart der sonst schlechteren Handschriften
„helt ims ainer vor lange zeit" nicht, wie Muncker meint,
besser. Es ist zu lesen: „holt ims ainer vor zeit", wie denn
in der Hs. B auch geschrieben ist. In der üebersetzung
des Satzes: ,,posita causa ponitur efifectus, alsbald die ursach
vorhanden, volgt von nöten hernach, das des es ain Ursachen
ist", empfiehlt sich keineswegs die Fortlassung des Artikels
„ain". Endlich ist die Aehnlichkeit der Buchstaben c und t
in den Handschriften hie und da Veranlassung zu Irr-
thümer geworden, es ist z. B. nicht zu lesen: „nach Rom
ciciren", sondern ,,citiren"; die S. 47 als unrichtig be-
zeichnete Lesart der Hs. A ,,trawen" besagt dasselbe, wie
364 Sitzung der histor. Glasse vom 3. Mai 1879.
die von Muncker angenommene Lesung ,,trowen*'. Gewiss
würde es sicli überhaupt empfehlen, wenn die in der Muncker'-
schen Schrift befolgte Methode, des Anschlusses an die
Orthographie der Handschrift, der Beibehaltung der Willkür
in der Grossschreibung der Anfangsbuchstaben sowie
in der Häufung der Konsonanten, den von J. Grimm
und Wackernagel für die Reichstagsakten empfohlenen
Grundsätzen Platz machte; es würde einen seltsamen Ein-
druck machen, wenn man der Hs. gemäss das Wort „lang",
wenn es den Cardinal Mathäus Lang von Salzburg bedeutet,
klein, dagegen das Adjektiv gross geschrieben sähe.
Man wird wohl die Hoffnung hegen dürfen , dass in
dieser Beziehung die Ausgabe selbst nicht nach den Grundsätzen
verfahren wird, welche in dieser vorbereitenden Schrift be-
obachtet werden.
Herr Kockinger trug vor :
„Zu Aventins Arbeiten in deutscher Sprache
im geheimen Hausarchiv e."
Hat unsere Körperschaft gleich in der ersten öffent-
lichen Versammlung nach ihrer Erneuung am 28. September
1807 durch den Mund des Hofrathes Dr. Breyer dem „Vater
der baierischen Geschichte'' ihre Verehrung gezollt, und
haben bei weiteren Gelegenheiten am 13. August 1825 und
1. Juli 1854 die Akademiker v. Delling und Krabinger des-
selben rühmend gedacht ; ist sie auch jüngst bei der glänzenden
Feier seines 400 jährigen Geburtstages, welche seine dankbare
Vaterstadt am 4. Juli 1877 veranstaltet, hinter den zahl-
reichen Genossenschaften nicht zurückgeblieben, welche sich
durch besondere Vertretungen daran betheiligt; hat weiter
unser verehrter Präsident in seiner Rede an der Vorfeier
des königlichen Namens- und Geburtsfestes am 25. Juli
jenes Jahres „Aventin und seine Zeit'' mit bekannter Meister-
schaft au uns vorübergeführt; konnte sie ihm endlich als
Monumentum aere perennius wohl ein grossartigeres setzen,
als eine den Anforderungen der Wissenschaft entsprechende
Ausgabe seiner selbständigen Schriften, insbesondere seiner
unerreichten Riesenwerke, der baierischen Annalen und ihrer
deutschen Bearbeitung in der baierischen Chronik?
366 Sitzung der histor. Classe vom 3. Mal 1879.
Bereits am Schlüsse der berührten Rede ist ihre Her-
stellung als eine Ehrenschuld für Baieru erklärt worden.
Es gereicht mir zur Befriedigung — knüpfte sogleich Ignaz
V. Döllinger daran — melden zu können, dass die Akademie
der Wissenschaften Berathungen darüber gepflogen, und
ein vorbereitendes Comite sich dazu gebildet hat.
Wie bekannt, ist die Herausgabe der bedeutenderen
Werke des Johann Turmair, der lateinischen wie der deut-
schen, bewährten Händen anvertraut.
Es versteht sich wohl von selbst, dass hiebei das Comite
sich von Anfang an auch angelegen sein Hess, alle Wege
zur Erlangung von allenfalls noch da und dort verborgenem
Stoffe für sein Unternehmen einzuschlagen. Ueber den
Erfolg wird seinerzeit die Ausgabe selbst Rechenschaft geben.
Als vorläufiger besonderer Beitrag hiezu möge nachstehende
Untersuchung über zwei Foliobände in der Hand-
schriftenabtheilung der Bibliothek des ge-
heimen Hausarchives angesehen werden, ein Beitrag
der insoferne nicht ohne Werth sein wird, als er einmal
unsern Blick in das Innerste der stillen Werkstätte Aventins
namentlich für seine in der Muttersprache abgefassten
Schriften um ein gutes Stück erweitert, und sodann von
einer bisher nicht bekannten selbständigen Arbeit desselben
zur baierischen und pfälzischen Geschichte Kunde bringt.
In dem Umstände, dass der Lagerort dieser beiden
Bände, wie bemerkt, die Bibliothek des geheimen Haus-
archives ist, mag denn auch die Entschuldigung liegen,
dass die erste Mittheilung hierüber nicht von einem zünf-
tigen Geschichtsforscher ausgeht, sondern dass sie vor der
Hand von demjenigen, welcher zunächst zum Wächter dieser
Reste baierischer Vorzeit bestellt ist, in die gelehrte Welt
eingeführt werden. Fällt doch ab und zu neben den son-
stigen nicht immer besonders geistigen Berufsarbeiten eines
Archivars auch die Beschäftigung mit mehr oder minder
Bockinyer: Zu Aventins deutschen Arbeiten. 367
wissenschaftlichen Fragen unter seine Obliegenheiten! Und
was mag einem Archivare, dem über der Anhänglichkeit
an das deutsche Gesammtvaterland die Liebe zur engeren
Heimat nicht abhanden gekommen , erwünschter sein als
die Durchforschung der alten Denkmäler der Geschichte
eben seines Heimatlandes? So bleibt wenigstens mir aus
der Zeit meiner Thätigkeit im allgemeinen Reichsarchive
die Auffindung des Jahrhunderte hindurch verschollen ge-
wesenen älteren oberbaierischen Landrechtes des Kaisers
Ludwig immerhin eine angenehme Erinnerung. Nachdem
mir die Obhut der Bestände des geheimen Haus- und Staats-
archives anvertraut worden, fiel wohl nicht unter meine
letzten Pflichten auch die Rücksichtnahme auf eine irgend-
wie brauchbare Verzeichnung von da verwahrten älteren
Arbeiten zur baierischen wie pfälzischen Fürsten- und Staats-
geschichte. Ich habe hierüber in zwei Vorträgen in unserer
Classe im vorigen Juni und im Februar dieses Jahres ge-
handelt. In ihnen ist auch der beiden Folianten gedacht,
welche hier näherer Besprechung unterzogen werden sollen.
I.
Zunächst kommt jener umfangreiche Sammelband
des geheimen Hausarchives in Betracht, welcher
gleich im ersten jener Vorträge angeführt worden.
Er besteht aus grösseren und kleineren Lagen
von Bogen in Folio nicht desselben Formates wie auch
nicht von Papier mit durchgängig dem gleichen Zeichen.
Ob er je eigentlich gebunden gewesen, oder ob nur die
einzelnen Lagen, welche selbst nicht mehr ganz und gar
vollständig vorhanden, lediglich am Rücken durch starke
Bindfadenstränge, welche noch erübrigen, vereinigt gewesen,
ist nicht mit Sicherheit zu behaupten. Jedenfalls muss er
seinem ganzen Erscheinen nach schon lange seinen Einband
368 Sitzung der liistor. Classe vom 3. Mai 1879.
eingebüsst haben, wie denn auch der Anfang des Ganzen
selbst gleich mangelt.
Soviel im geheimen Hausarchive bekannt, stammt er
aus dem Besitze jenes Zw^eiges der pfälzischen Linie des
Hauses Witteisbach welcher seinerzeit zu V e 1 d e n z hauste.
üeber seinen Inhalt bedarf es hier nicht vieler Worte,
da er am bemerkten Orte — vgl. die Abhandlungen
unserer Classe XIV. Abth. III S. 39 bis 50 — in Kürze
in der Weise verzeichnet ist, dass die Gegenstände welche
nicht unmittelbar die baierische wie pfälzische Geschichte
berühren nur mehr im allgemeinen angegeben sind, während
das was in diese selbst näher einschlägt an den betreffenden
dort bezeichneten Stellen besonders behandelt ist.
Er zerfällt hiernach gewissermassen in zwei Theile.
Die erste etwas stärkere Hälfte besteht aus einer
grossen Menge von Auszügen und aus sonstigen
Vorarbeiten zu Aventins Schriften in deut-
scherSprache, namentlich zur baierischen Chronik wie
zu dem von ihm beabsichtigten und mit unverkennbarer
Liebe gepflegten Zeitbuche von ganz Deutschland, und fällt
hienach in die Z waneigerj ahre und vor die Mitte
der Dreissigerjahre des 16- Jahrhunderts. Die
zweite kleinere Hälfte bilden zwei Arbeiten des Wolfgang
Kraus von Gunzenhausen zur brandenburgischen und säch-
sichen Geschichte aus den Jahren 1554 und 1555, welche
hier nicht in Betracht kommen.
Wie viel auch von Aventins rastlosem Schaffen zu
Grunde gegangen, es erübrigt immer noch genug, um ihn
in seiner weitverzweigten Thätigkeit beobachten zu können.
Ein Blick in die vier auf der hiesigen Hof- und Staatsbiblio-
thek noch vorhandenen als seineRapsodien oderAdver-
sarien^) bezeichneten Foliobände, die Codd. latt. -201- 204,
1) Vgl. Dr. Theodor Wiedemann, Johann Turmair, genannt
Aventinus, Geschichtschreiber des baierischen Volkes Ö. 345—364.
Rockinger: Zu Aventins deutschen Arbeiten. %ß9
zeigt ihn uns auf der ausgedehnten Forschung in den Bi-
bliotheken und Archiven des ßaierlandes wie in der Ver-
arbeitung des an allen Ecken und Enden gesammelten
Stoffes.
Betrachtet man sich nur den auf seiner Vorderdecke
mit der alten Zahl V bezeichneten Cod. lat. 202, aus welch
verschiedenen Jahren und von wie weit entlegenen Orten
vereinigt er Auszüge, Abschriften, sonstige Aufzeichnungen ?
So finden sich beispielsweise aus dem Jahre 1511 die Ab-
schriften und Aufzeichnungen welche er zu München von
Urkunden aus Niederaltach nach beglaubigten Copieu machte,
die ihm der bekannte baierische Archivar Augustin Kölner
daselbst mittheilte auf dem Quaterne der Folien 52 — 56,
nebst der Abschrift des Notariatsinstrumentes über die Be-
rufung eines allgemeinen Concils auf den 1. September jenes
Jahres nach Pisa auf dem bemerkten Quaterne von Fol.
56 — 59', oder die Auszüge und Abschriften aus der
Chronik des Georg Hauer von Nieder altach von Fol. 96 bis
107, und unmittelbar darnach die Aufzeichnungen aus
der berühmten tegernseer Handschrift der alten deut-
schen Volksrechte, und anderes zum Theile wieder aus dem
Jahre 1511 selbst^) von Fol. 107 — 114', sämmtlich eben-
falls zu München gefertigt, woselbst er ja in diesem Jahre
2) So beispielsweise gleich am Schlüsse von Aufzeichnungen de Fran-
corura origine fabulosa und über fränkische und französische Herrscher
von Fol. 112' — 114' bei König Ludwig von Frankreich: Ludouicus is
anno 1511, quo hecMonachij scripsimus in — ursprünglich stand Arce —
Regia veterj, cum diuo Maximiliano bellum contra Venetos concordi
animo nunc in quartum usque annum gessit. Nee dura finis: jmo illo
anno concilium indixere Cesar et rex Pisas — vgl. oben Fol. 56 bis 59'
— contra Julium pontificem maximum, qui relicto federe et amicitia
Cesaris et Ludouici regis Francie ad Venetos non sine detrimento rei-
publice Christiane turpiter defecit. Quid futurum sit, Dens seit. Ger-
manie principes, ignauia torpentes, derehnquunt Cesarem : Ipse a Francis,
olim acerrimis hostibus suis, mirabile dictu, fideliter defenditur!
370 Sitzung der Imtor. Clasne vom 3. Mai 1879.
mit seineu fürstlichen Zöglingen Ludwig und Ernst so zu
sagen ununterbrochen^) weilte; aus dem Jahre 1514 Ab-
schriften von Römersteinen auf Fol. 40, und Aufzeich-
nungen der verschiedensten Art aus dem Kloster Andechs
von Fol. 120 — 132; aus dem Jahre 1515 Bemerkungen
über Ereignisse in demselben von Fol. 71 — 72'. Diesen
Gegenständen reiht sich aus nicht besonders bemerkten
Jahren die Ausbeute an, welche ihm in den mannigfaltigsten
Winkeln seines Heimatlandes ward, wie etwa Auszüge aus
dem Reichsstifte Obermünster zu Regensburg auf Fol. 94,
aus dem Kloster Raitenbuch von Fol. 43 — 44, aus der
regensburger Bibliothek von Fol. 81 — 92, aus der dortigen
Stadtschreiberei auf Fol. 39, aus dem Kloster Rohr auf
Fol. 21, aus Schäftlarn auf Fol. 107, aus Weiarn die zum
Theile im höchsten Grade interessanten Niederschriften
„ausz der Grafen von Falckenstain alten buecheren'^ die er
dort getroffen sammt Zusammenstellungen deutscher Eigen-
namen von Personen wie Orten daraus von Fol. 60 — 65',
aus Weltenburg von Fol. 94' — 95'. Dazu kommt weiter
eine theilweise ausgearbeitete und theilweise nur mehr als
Entwurf erscheinende als ,,Origo vera*) Francorum, Reges
Francorum qui in Germania ac Gallia imperarunt vsque
ad Pipinum patrem Caroli magni'' bezeichnete Abhandlung
Aventins von Fol. 143—158, den beiden jungen Mark-
grafen Wilhelm und Friedrich von Brandenburg-Ansbach
gewidmet •''), als sie ihren Studien auf der Universität
Ingolstadt oblagen. Neben so und so vielem anderen stösst
man endlich auf den Entwurf eines „Prologus in vltimum
3) Illo anno — bemerkt er in seinem Haus- und Handkalender, in den
Verhandlungen des historischen Vereines für den Regenkreis III S. 26 —
Monachii fui cum duce Lutovico et Arionisto.
4) Vgl. hiezu die vorhin in Note 2 bemerkte Aufzeichnung de
Francorum origine fabulosa auf Fol. 112'.
6) Vgl. Wiedemann a a. 0. S. 358/359.
BocJcinger: Zu Aventms deutschen Ärheiten. 371
et septimum librum aimalium Boiornm Joaiinis Aueutiiii''
auf Fol. 40 und 40' wie 44' , und rasch hingeworfene
11 Zeilen des Anfanges einer gedrängten Inhaltsanzeige
in deutscher Sprache über das „erst Piiech" entweder der
baierischen Annalen oder ihrer deutschen Bearbeitung in
der baierischen Chronik, vielleicht auch der erste Entwurf
des Anfanges der im Jahre 1522 im Drucke erschienenen
Schrift „Bayrischer Chronicon, im Latein nun verfertigt,
vnd in syben Puecher getailt, ein kurtzer auszug" auf
Fol. 164'.
Nicht in solch buntem Wechsel, aber doch wenigstens
auch als ein grösserer oder klein ererdergleichen
Mischmasch tritt uns zum Theile der Sammelband des
geheimen Hausarchives wovon die Rede ist entgegen.
So enthält beispielsweise eine Lage von drei Bogeu,
, deren innerster leer ist, zunächst einen Rest von geogra-
phisch-geschichtlichen Aufzeichnungen hauptsächlich über
Spanien und Portugal bis zur Absendung des Portugiesen
— wie er da heisst Jakob Camum — Diego Cäo und des
Martin Behaim von Nürnberg zu den bekannten Entdeckungs-
reisen im Jahre 1483 und bis zur Eroberung von Granada
im Jahre 1490 ; die Abstammung Christi von dem gemein-
samen Vater Adam bis zu Joseph, dem Gemahle der Ge-
bärerin Gottes ; nach dem leeren Mittelbogen einen Rest
von Bemerkungen über die römischen Kaiser von Philipp,
dem 28. derselben, bis auf Constantin den Grossen, den
43. und letzten von ihnen, zugleich den ersten griechischen
Kaiser; dann deren Reihenfolge bis auf Karl den Grossen;
endlich von diesem an die Namen seiner Nachfolger bis auf
Maximilian. Ein anderes Mal ist der noch leer gewesene
Raum , des zweiten Quaternes des in den oben S. 368 be-
- rührten Abhandlungen unserer Classe S. 47/48 unter Lit. o
aufgeführten Stammes des Casteronus von Ninive' oder der
Geschichte der Vorzeit der Sachsen bis auf den zum
372 Sitzung der histor. Classe vom 3. Mai 1879.
Christenthume getriebenen Wittekind zu Aufzeiclinungen
über eine vermuthlich ungarische Gesandtschaftsreise von
Ofen nacb Constantinopel und zurück im Jabre 1495 be-
nützt , welcbe aber nicht eine streng fortlaufende Reihen-
folge einhalten, sondern sich deutlich als gelegentlich hin-
geworfene Auszüge kennzeichnen.
Abgesehen von dergleichen Gegenständen tritt aber bei
näherer Besichtigung ein Unterschied zwischen den Rapso-
dien oder Adversarien und unserem Sammelbande insbe-
sondere nach zwei Seiten entgegen. Einmal haben wir es
hier nicht wie dort der Hauptsache nach mit den bun-
testen auf den verschiedenen Kreuz- und Querzügen natur-
geniäss zufällig zu einander gerathenen umfassenderen oder
gedrängteren Auszügen aus Handschriften, Abschriften von
diesen und jenen Urkunden oder sonstigen geschichtlichen
Denkmälern der Vergangenheit, Aufzeichnungen jeder Gat-
tung zu thun, sondern es zeigen im grossen Ganzen die
einzelnen Stücke mehr oder minder eine gewisse Art Zu-
sammenhang, sie machen den Eindruck von so zu sagen
bereits berechneten Zusammenstellungen bestimmter ge-
schichtlicher Gruppen, welche als Grundlage zur seinerzeitigen
Vornahme einer je nach Bedürfniss so oder so zu treffenden
Ausscheidung für die besonderen Zeiträume dienen sollten:
mit einem Worte, es sind schon mehrfach geord-
nete und gegliederte Vorarbeiten, welche vor-
zugsweise für die in der Muttersprache abgefasste bai-
erische Chronik bestimmt waren, wie für jenes Werk
an welchem Aventin nach zahlreichen Andeutungen mit
ununterbrochener Neigung hieng, für seine Germania
illustrata, wenn wir so sagen wollen. Hieraus erklärt sich
denn auch mit Leichtigkeit der zweite Unterschied gegenüber
den Bänden der Rapsodien. Während diese mitten unter
die gewaltige Masse lateinischen Stoffes da und dort deut-
sche Stücke früherer und späterer Zeit mischen, bietet unsere
BocTcinger: Zu Äventins deutschen Arbeiten. 373
Handschrift ohne Ausnahme lediglich Arbeiten in
deutscher Sprache der Zeit Äventins.
Das hindert im übrigen keineswegs, einen gewissen
Zusammenhang mit den Advers arien dennoch nicht
zu verkennen. Es ist nicht meine Aufgabe, dieses weiter
zu verfolgen. Aber wenigstens auf einen Gegenstand mag
doch hier hingewiesen sein. In dem oben S. 369 erwähnten
Cod. lat. 202 der Hof- und Staatsbibliothek findet sich auf
einer Lage von drei Bogen oder von Fol. 26 — 31 je in
zwei Spalten geschrieben eine kurze lateinische Darstellung
der Geschichte des Reiches der Bulgaren, dann eine längere
der Reiche Spanien und Britannien. Namentlich zu der
von Spanien, welche von Fol. 26 Sp. 2 bis Fol. 28 Sp. 2
bis über die Thronbesteigung des Königs Johann HI im
Jahre 1454 reicht, hat Aventin eine Menge von Randbe-
merkungen gefügt, und gewissermassen als Fortsetzung oben
auf die leere Rückseite des Fol. 28 bemerkt : Ferdinandus,
Elisabeth, Philippus Burgundus, und schliesslich noch:
Imp[erator] Carolus V. Wie in den erwähnten Abhand-
lungen unserer Classe S. 44 unter Lit. e angeführt ist, ent-
hält der Sammelband des geheimen Hausarchives auf einer
Lage von zwei Bogen, deren erstes Blatt ausgeschnitten ist,
eine Schrift „von dem vrsprung der konig vnd konigreich
zu Hispanien" in der Weise, dass die ersten zwei Blätter
auch in zwei Spalten geschrieben sind, vielleicht sogar von
der gleichen Hand wie das eben namhaft gemachte lateinische
Stück. Die Vergleichung beider lässt keinem Zweifel dar-
über Raum, dass das letztere zwar nicht sonderlich ausge-
zeichnet aber desto mehr so zu sagen wortwörtlich in un-
serem Sammelbande lediglich ,, durch doctorn Frantzen Praun
zu München getewtschtf ist, wie es am Schlüsse dortselbst
heisst.
Muss ich weiteres der Art denjenigen überlassen welchen
die Beschäftigung mit Johann Turmair näher liegt, so haben
[1879. I. Philos.-philol.-hist. Gl. 4.] 27
374 Sitzung der Jiistor. Classe vom 3. Mai 1879. '
wir es, wie bereits angedeutet worden, bei den Gegenständen
unserer Handschrift mit deutschen Vorarbeiten zu
seiner baierischen Chronik wie zu seinem Zeit-
buche von ganz Deutschland zu thun. Darüber hier
noch einige Worte, namentlich insoferne sieb hiebei der
Gang der Arbeit sogar bis in Einzelheiten ver-
folgen lässt.
Das letzte Stück bildet eine grosse Menge von Auf-
zeichnungen über die Geschichte von Reichen aus dem 4
bis 6 Weltalter u. s. w. Ich habe a. a. 0. S. 49 unter
Lit. p bemerkt, dass die einzelnen Absätze von Seite zu
Seite mit Tinte durchstrichen sind, wodurch schon von selbst
der Gedanke nahe gelegt ist, dass Aventin ihrer nicht ferner
bedurfte, sondern dass sie irgendwo andere Verwerthung
gefunden haben. Das ist denn auch wirklich der Fall, und
zwar nicht blos für eines der in unserem Sammelbande ent-
haltenen Stücke, sondern sogar für mehrere, nämlich die
am berührten Orte unter Lit. b, c, g aufgezählten.
Gleich auf dem jetzigen ersten Blatte der durchstrichenen
Lage ist „der Anfang des Reichs Lidia" bis zu dessen
neuntem Könige Croesus behaudelt. Dieses Ganze findet
sich so zu sagen wortwörtlich auch vorne in b.
An Lydien schliesst sich am ersten Orte die „ling der
konig Assiriorum'' von Sardanapal bis Assaradon. Dieser
Absatz ist oben in Lit. b in die Gesammtreihe der assyr-
ischen Herrscher unter den Ziffern 23 — 28 einschliesslich
eingefügt.
In ähnlicher Weise findet sich der durchstrichene Ab-
satz von dem Visigothenkönige „Sysebutus" vorne in Lit. c
in theilweiser Umarbeitung unter ,,Sissebertus" noch theil-
weise wörtlich wieder.
Unter der Ueberschrift „Reges Anglie" wird am ersten
Orte König Adeiphus und sein Nachfolger Eamundus, später
unter der nämlichen Ueberschrift Eduardus und Etbgarius
Bochinger: Zu Äventins deutschen Arbeiten. 375
behandelt. Alle vier, unmittelbar an einander gereiht, be-
gegnen uns in dem in vollständiger Reinschrift vorhandenen
Sexterne der Lit. g.
In ihm stossen wir weiter vor diesen Königen von
England unter denen von Sicilien gleichfalls auf Vereinigung
von sonst getrennten Abschnitten von Kaisers Friedrichs IL
ausserehlichem Sohne Manfred angefangen bis auf Karl IL
mit noch einem Schlussabsatze über seinen Sohn Robert.
Es Hesse sich in solcher Vergleichung noch lange fort-
fahren. Doch däucht mich, diese Beispiele dürften genügen.
Es wird hienach wohl keinem Zweifel mehr unterliegen,
dass diese und jene Lagen allmälig je nach Bedürfniss neuer
Umstellung und Wiederbearbeitung unterworfen worden sind.
So mancher Stoff ist auch hier und dort noch gesam-
melt, der seinerzeit entweder keine Verwendung mehr ge-
funden , oder der eine solche an Stellen gefunden hat die
uns verloren oder wenigstens zur Zeit unbekannt sind. So
begegnen beispielsweise in Lit. c unter den 28 wälschen
Königen bis zum Tarquinius dem Ho chf artigen die beiden
ersten in folgender Fassung:
Janus , der erst konig welscher lannde. der pauwt
ein templ. der ward nach im Janiclum genandt. vnd
er ward dar nach für einen grossen got gehaltten, vnd
wirt mit zweyen angesichten gebildet, vnd sein feirtag
in dem anfang des iars begangen, dar umb das er ein ennd
des vergangen vnd ein anfang des kunfftigen iars was.
daher ist der erst monat von im Januarius genendt.
sunst nent man in auch den zwystringen.
Saturnus, der vatter Jouis, ein konig der von Cretta,
der sonn Ary, des sonns Ninie, des sons Niny, des
sonns Bely, des sonns Nembroths, fieng an zw regiern
zw der zeit Ysaac. vnd ward dar nach durch Jouem,
seinen son, von dem konigreich ausgetrieben, als nun
Janus sach, das Saturnus bürgerlich oder fridlich leben
27*
376 Sitzung der Jiistor. Classe vom 3. Mai 1879.
vnd weingartten pflannczen vnd leren wolt, da nam er
in guetlich vff, vnd teület daz reich mit im. vnd Sa-
turniis gebar da selbst Bycum, der nach im regieret,
etlich nenen in Stercucium nach dem mist : dan von
im als einem allererfarnsten agkerman ward erfanden,
das mit dem mist des vichs die egker gedungkt soltten
werden, dar vmb machten sie in nach seinem tod ein
got des agkers vnd ganczer glügksälligkeit. von den
Römern ward die bildnus Saturni entworffen eins trau-
rigen angesichts, alt mit grawem har, in seiner lingken
hand ein sichel, vnd in der rechten ein flamschiessen-
der tragk.
Es ist mir nicht bekannt, dass hievon in dieser Aus-
führlichkeit anderswo Gebrauch gemacht worden wäre,
während allerdings von verschiedenen der in unserer Hand-
schrift enthaltenen Gegenstände sich nicht blos mehr oder
weniger entfernte Anklänge in der baierischen Chronik
finden, sondern sich mitunter geradezu wörtliche Ueberein-
stimmung zeigt.
Wissenschaftliche Bedeutung haben sie natürlich nicht
zu beanspruchen, während sie immerhin für die genauere
Kenntniss der Entstehung der Arbeiten Aventins , nament-
lich gerade seiner in deutscher Sprache abge-
fassten Schriften, und eine begründete Beurtheilung
derselben einmal von nicht zu unterschätzendem Werthe
sind, und auf der anderen Seite unseren Einblick dahin
gegen bisher in beträchtlichem Grade erweitern.
Hauptsächlich in dieser Rücksicht sei denn auch hier
darauf aufmerksam gemacht, beziehungsweise zu näherer
Beachtung durch sachkundige Hand die Anregung gegeben !
Es bedarf übrigens hiebei kaum einer besonderen Be-
tonung, dass mit der weitaus überwiegenden Mehrzahl dieser
Stoffsammlung oder wie man sonst die bemerkten Vorar-
beiten bezeichnen will einiges andere, wie beispielsweise die
BocJcinger: Zu Äventins deutschen Arbeiten. 377
in den Abhandlungen unserer Classe S. 45/46 unter Lit. i
aufgeführte Geschichte der Kurhäuser Brandenburg und
Pfalz, des ersteren bis zu Kaiser Karls lY Sohn Sieg-
mund, des letzteren nur mehr bis auf Ludwig den Kelheimer,
nicht auf die ganz gleiche Stufe zu setzen ist, sondern dass
ihr im Gegenhalte zu jenen eine selbständigere Bedeutung
zukommt.
II.
Dem gegenüber bietet uns eine andere Handschrift der
Bibliothek des geheimen Hausarchives ein in sich zu-
sammenhängendes grösseres selbständiges Werk
gleichfalls in deutscher Sprache.
Sie besteht, in einen festen gelben Lederumschlag ge-
bunden , aus 169 von der gleichen Hand je am
oberen rechten Rande der Vorderseite gezählten
Blättern^) in Folio, welchen noch eine Reihe t hei Is
unbeschriebener theils nicht mehr gezählter
6) Diese Zählung stimmt anscheinend nicht mit den Zahlen, die
theilweise noch in der Mitte des unteren Randes der Vorderseite der
Blätter erhalten sind.
Diese beziehen sich nämlich je auf die erste Hälfte der Blätter
eines Sexternes, dessen zweite Hafte dann — wie zum Tbeile auch in
dem vorhin behandelten Sammelbande der Fall ist, beispielsweise bei
den a. a. 0. S. 41/42 unter c erwähnten vier Lagen — nicht besonders
gezählt ist, so dass Sextern 1 := 1 bis 6, Sextern 2 -— 7 bis 12,
Sextern 3 = 13 bis 18 u. s. f.
Man möchte nun glauben, wenn man diese Zahlen verdoppelt,
raüsste sich die obige Foliirung ergeben. Das ist aber aus dem Grunde
nicht der Fall, weil diese Zählung erst mit dem vierten Blatte beginnt,
nämlich ohne Einrechnung der leeren Blätter des ersten Sexternes von
dem wirklichen Texte an, von der auf dem vierten Blatte befindlichen
Vorrede. Es weist daher diese Blattzählung gegenüber der Verdopplung
der berührten Bogenzahlen der Lagen immer eine Minderheit von 3
auf, indem Lage 1 bis Fol. 9 reicht, Lage 2 von Fol. 10—21, Lage
3 von Fol. 22—33 u. s. w.
378 Sitzung der histor. Classe vom 3. Mai 1879.
folgt, das erstere offenbar für den Behuf von allenfallsigen
weiteren Zasätzen. Das Papier der sämmtlichen 17 Lagen
von je 6 Bogen hat durchaus das gleiche Zeichen, nämlich
ein in einer Einfassung stehendes ausgebauchtes Metallge-
fäss ohne Henkel auf vier beziehungsweise sechs Füssen mit
Deckel. Auf der Vorderseite des Lederumschlages ist von
der Hand welche das Werk selbst geschrieben bemerkt:
Das Register aller pfalczgrauenn bey Rein vnnd her-
czogen in Beim, auch was vonn andernn geschlechten
ausz jn erwachsenn sind. Darunter steht von der neueren
Hand eines Bibliothekars oder Archivars der Pfalz, wo-
her der Codex in das geheime Hausarchiv gelangt ist,
wohl des bekannten Johann August Bachmann : Genealogie
des Comtes Pal. depuis Tannee 903.
Zum Theile ist aus der berührten deutschen üeber-
schrift, welche auf dem ersten Blatte der Handschrift selbst
,, Register aller Pfaltzgrauen bey Rhein etc. auch was von
andern geschlechten daraus erwachsen" lautet, schon auf
den Inhalt zu schliessen. Doch ist er hiemit nicht voll-
ständig erschöpft. Betrachten wir ihn desshalb genauer.
An die Spitze des Werkes ist eine besondere Vorrede
gestellt, welcher sich neben der kurzen Inhaltsanzeige
eine Gebrauchsanweisung für das Ganze an-
schliesst.
Man schreibt vil — beginnt die Vorrede — von dem
grossen Alexander, wa sein historyen mit geschrifften war-
lich, als wol zu glauben ist, verfast sind, wie er der gannczen
weit ein her gewest sey vnd die ganncz in seiner gehorsam
gehabt habe, musz man in disser gleichnus erkennen.
Ptholomeus hat auch mit hochem fleis vnnd onne
zweiffei mit grosser mue vnd arbeit, dar vff nit kleiner
vnkost gangen ist, beschriben die gannczen weit, geordnet
in ein mappha der dreyer theil Asia Europha vnd Aprikan ;
BocTcinger: Zu Äventins deutschen Arbeiten. 379
auch zu ydem theil besunder vnd samentlich klärlich an-
geczögt alle keiserthum konigreich furstenthum herschafften
lanüd vnd gepiette, mit allen wassern fliesend stennd vnd
steigend , wie alle innseln oder eillanndt dar in ligennd,
auch alle bekantte vnd vnbekanten gebirge mit allen greniczen
vnd geiegenheit eines yden lanndes, wie das die taffelu seines
theilbuchs klerlich anczögen, vnd wie er sollichs als mit
grossem ernnst durch die menige seiner diener auch ausz
furderung seines königlichen gewalts disse ding alle ver-
samelt vnd zu samen bracht hat, dar in lannger zeit kein
mangel noch abbruch bey vnns Teuczschen fanden ist. ob
es des vnuerstannds der lernung oder anderer vnerfarenheit
schuld, ist mir nit muglich zu bedengken. aber souil ist
mir Wissens, nach dem die grosmechtigen konig zw Hispania
zu Portugall vnd andern enden mit irer merschiffung nun
ob funffzig iaren gefaren sind, das sie mer lannds insseln
vnd ander bewouung — gepaut vnd vngepawt — fanden
haben, dan die teil Europpa oder Apricham an grösz vnnd
weit irs theils vermugen: von den allen noch kein gelerter
im Ptholomeus nichcz finden kann, wie wol man im vmb
seines hochen fleis willen das zu gibt seiner grossen erfaren-
heit halb, als ob er das ganncze ertrich zu wasser vnd
lannde in seiner beschreibung beschlossen habe.
Also mag ich auch sagen von des grossen Allexanders
regamendt, das man im zu gibt vmb seiner vnmenschlichen
grossen streit vnd menschlichen blutvergiessens willen , das
er in so kurzen iaren volbracht, sol gewest sein ein her
der ganczen weit, wann man aber die historyen recht an-
sieht, möcht einer fragen mit welcher gehorsam im die
Römer vnderworffen gewest wern? auch ganncz Germaniam
Gallyam Frangken Hispanny Belgis Taczia vnd Hibernnya,
ob das zw den selben zeitten nit auch leut gewest synd ?
wan die scithischen fursten im allein streits genug geben
betten, wan sich die Romer mit all irm streit geczeug sich
380 Sitzung der histor. Classe vom 3. Mai 1879.
an das wild vngeczempt volgk nit richten dorfft. ausz disser
vrsach: bey in was nichcz dan streich zu gewinen, sye be-
hielten weder schlosz noch stet, wa sie mit irem her czugen,
da was leib vnd gut bey einander, das haben sie viel zeit
vnd iar getriben, vnd haben vil konig fursten vnnd her-
fuerer vnder in gehabt, als Gothy Swaben Frangken Belgis
Daczy Hispanny vnd ander vil. das haben sye in ganncz
Europpa so lanng angetriben, bis die fridlichen vmb irer
wildenheit willen haben muessen bauwen vnd sich vor in
befestigen , da mit sye furbas hin mögen sicher vor in
bleiben, wann sie so freissam waren das niemen bey in sich
frids oder gleiczs getrösten torst. das haben sie im reich
vnd andern enden so lanng getriben, bis die lannd erbawt
vnd beseczt wurden, auch durch die keisser zu einem gutten
regament vnd schyrm des reichs bracht wurden, da fieng
das thieranisch volgk erst an, sich vmb gutte regamendt
vnd herschafft schlos leut vnd lannd vnder sich zu bringen,
wa einem yden bedaucht das er mit gewalt eindringen-
möcht etc. vnder welchen auch die konig der Frangken ob
fünfhundert iaren vor Cristi geburt iren königlichen standt
namen vnd tittel mit sollichem vmbschwaiffenden her erhalten
vnd herbracht haben bis vff* die zeit vnd regierung des
keissers Vallens , bey dem sie sich in grosser menig mit
weib vnd kind erhüben vnd mit herskrafft zugen durch
Vngern Merchern vnd Bechen bis für den Wald an das ge-
birg das man disser zeit das Bamberger gebirg nämpt. da
rutten sye etlich zeit bis sie die lanndts art ein wenig be-
ridten vnd erkuudten, dar in sie dann vil suesser vnd
gutter grosser fischwasser funden , als den Men , die Bege-
nicz vnd Regenicz, auch die Altmul, Wernicz, die Tauber
vnd Jagst, mit andern mer, die in alle zu irem lust vnd
nucz dienstlich waren, funden auch kein besundere her-
schafft der eund, die in zu wider sein mocht ; wann Schwaben
vnd Beyrn ir besundere grenicz gehabt betten, das sie nit
BocMnger: Zu Äventins deutschen Arbeiten. 381
an facht, so begertten die konig zu Duringen auch nit vber
den Wald zu greniczen , wan er zu der zeit wol acht oder
zechen meil breit was, dar vmb sie an dem ennd sicher
waren : wan konig Werslaw von Merchern het des andern
konig Tagobrechts swester, dar vmb er seinen swecher
herczogen Gennebald vmb freundschafft wiln mit seim volgk
liesz durch Merchern vnd Bechen pasiern , vnd weist in
selb die bemeltten wiltnussen vnd gegent die nit gebawt
vnnd vnbeherscht was, da mit er seinen schwecher vnd
Schwager zu einem freuntlichen nachbauren haben möcht.
also kamen die Prangken wonen an die ennd so dis zeit
Frangken genandt ist.
Wirft man auch nur einen oberflächlichen Blick in
beliebige Blätter der Handschrift, so fällt alsbald auf, dass
sich am Rande bei den einzelnen Absätzen Zahlen finden,
welche theilweise fortlaufen, theilweise sich wiederholen,
theilweise sogar wieder rückwärts greifen. Man erkennt
ohne Schwierigkeit, dass diese Zahlen sich auf das Abstam-
mungsverhältniss beziehen, so dass der Sohn um eine Ein-
heit mehr erhält als der Vater, den Brüdern je die gleichen
Zahlen beigesetzt sind. Um indessen von vornherein den
Leser hierüber wie über anderes nicht im unklaren zu
lassen, hat der Verfasser mit der kurz en Inhaltsan-
zeige des Ganzen gleich die betreffeude Unterweis-
ung verknüpft.
Da mit aber — heisst es nämlich dort — die hart
verstendigen vnd misglaubenden in dissem stamen vnd
blutlingen sich so vil bas erkennen mögen , wie die edlen
fursten der pfalczgraffen bey Rein, herczogen zu Öster-
reich, vnd fursten in Beyrn iren rechten vrsprung vnd
herkomen genomen haben der swertseitten halb von den
altten edlen konigen der Frangken von eim vatter vff den
anderen bis vff heutigen tag, vnd sind nie abgestorben,
aber wol gefallen vnd wider gestigen, mitt namen tittel
382 Sitzung der histor. Classe vom 3. Mai 1879.
vnnd Wappen sich bis vff disse zeit offt geendert, auch was
grosser königlicher vnd ander fursten geschlecht neben vnd
von in erwachssen sind , wirt euch der buchstab klerlich
anczogen etc.
Erstlich werden ir finden die genielten konig der
Frangken ob 400 iarn vor Cristy gehurt her rueren von
eim vatter vff den andern, einen yden mit seinem gemachel
vnd ir beider kinder. vnd volgen wol 330 iar nach Cristy
geburdt, bis sie herczogen zu Frangken wurden, ausz welchen
herczogen dar nach konig zu Franngkreich erwuchssen.
Von des selben ersten konigen Pharamundus geschlecht
sind nachmals erwachssen die graffen zu Habspurg. ausz
den selben graffen sind geborn die herczogen zu Degk, die
herczogen zu Meran , die marggraffen zu Istereich , marg-
graffen zu Burgaw vnd Rumsperg. nachmals sind von den
graffen zu Habsperg auch herkomen die edlen fursten zu
Ostereich , so dis zeit römisch keisser, grosmechtigst konig
in Hispania vnd herczogen zu Burgundy sind etc.
Nach dem aber das alt gescblecht der konig zu Franngk-
reich erlasch vnd nit mer leuchtet, so erwuchs neben
dem ein ander geschlecht Carolly des grossen, der vor-
elttern auch von den ersten konigen der Frangken als
herczogen zu nidern oder ocidieutallischen Frangken geboren
vnd herkomen sind : von welchem Carolly des grossen konig
zu Franngkreich geschlecht disse edlen fursten alle pfalcz-
graöen bey Rein vnd herczogen in Beyrn, auch herczogen
zu Swaben, herczogen zw Lotringen vnnd Frangken, marg'
graffen zu Ostereich, zw Frangken , vff dem Norigkaw vnd
zu Vochburg, auch die burggraffen zu Nuremberg, lannd-
graffen zum Leuchtenberg vnd graffen zu Orttenberg, die
alle von den loblichen fursten der rechten altten Frangken
herkomen vnnd erwachssen sind, wie ir die alle nach der
lenng mit irer iarczal zyffer die aussen für geseczt vnd
andern anczogen klärlich finden werden etc. wan disse
BocJcinger: Zu Aventins deutschen Arbeiten. 383
fursten künden ir altherkomen von iren elttern so selczen
nit anczögen.
Man findt noch vil fursten im reich, sollten sie ir be-
weissung so lang von iren eitern thun, es möcht ein der
nit vil historien gelessen het.vil selczamer dungken , wann
die lenng der zeit solcher sachen vil verendert.
Dar vrab mergkend mit fleis vff die ausser zjffer. die
zögt euch ein vatter nach dem andern, vnd wa zwo zyffern
gleich nach einander stend, das sind geswistert etc.
Fasst man das nunmehr folgende Werk selbst ins
Auge, so gliedert sich sein Inhalt im einzelnen in nach-
stehender Weise.
Es beginnt mit den Königen der alten Franken von
Antenor, der im Jahre 440 v. Chr. starb, bis Cloigyo, in
dessen zehntem Regierungsjahre Christus geboren wurde,
und — mit Einschluss der Besetzung der später Brandenburg
genannten Mark unter König Reichemir durch seinen zweit-
gebornen Sohn Summo — weiter bis zu Walthers Tod im
Jahre 316 n. Chr. Ihnen folgen die Herzoge von Franken
von des eben berührten Walthers Sohn Dagobrecht bis zum
Tode des Hetanus im Jahre 749, und die fränkischen Könige
wie die von Arelat wieder von Dagobrecht im Jahre 316
n. Chr. — mit Einschluss der Herzoge von Brabant —
bis auf Karl den Grossen u. s. f.
Für Baiern kommen hauptsächlich in Betracht von
Fol. 26' an die Grafen zu Sempt und Andechs wie zu
Sempt und Ebersberg, von Fol. 28 an die Grafen zu An-
dechs und Herzoge zu Meran'^) bis zu ihrem Aussterben
mit Otto im Jahre 1248, von Fol. 40 — 42 die Grafen von
Lechsmund und Graisbach.
Auf Fol. 56 folgen die Grafen von (Sc heiern
und) Abensberg mit ihren gewaltigen Verz weig-
7) Vgl. auch Fol. 43'-45.
384 Sitzung der Mstor. Classe vom 3. Mai 1879.
ungen. Babbo nämlich — heisst es auf Fol. 57 — seins
namens der ander, ein sonne des ersten graff Babbo von
Scheirn, der macht ausz dissem graiFen Babbo seinem sonne
einen graffen zw Abensperg, zw Abinberg, zw Auenberg,
zw Rottenegk , zw Räczenhoffen , zu Riettenburg vnnd
Rorre. er het zwen elicher gemachel. die erwürben im
acht dochtern vnnd zwenundreissig sonne, der namen
etlich hernach volgen : als sännet Heinrich, sännet
Lobrygo, Eberhart, Fredenberch, Weczel. sind alle vnuer-
heirat verschiden. aber nachuolgund graffen haben alle
lebendig sonn verlassen: Ottocar marggraff vff der Steyr-
margk, Friderich graffe zw Orttenberg, Warm und graff zu
Hall, Ernst graff zu Castel, Syghart graff zu Scherding,
Helmbrecht graff zw Mosperg, Erb graff zw Burgkhaussen,
Berchtold graff zu Vochburg, Aswein graff zu Winberg
vnd Bogen , Wolffram graff zu Abinberg, Ruprecht land-
graffe zw Steffling , Batho graff zw Falgkstein , Dietmar
graff zu Dornberg, Duringhart her zu Affegking, Hartwig
her zu Werd, vnnd ander sonn zwölfte der namen ich nit
habe. Die Nachkommenschaft all dieser vom Markgrafen
Ottokar auf der Steiermark an wird nun einzeln behandelt,
woraus hier beispielsweise nur auf die Grafen von Hall und
Wasserburg bis zu ihrem Aussterben mit Konrad im Jahre
1247, die Grafen von Kastei und Sulzbach bis zu ihrem
Abgange mit Gebhart im Jahre 1185, die Grafen von
Schärding Neuburg Formbach Wels Lambach und Putten,
die Grafen von Moosburg, die Grafen von Burghausen hin-
gedeutet sein mag, bis Fol. 87', woran sich sodann die
Grafen von Abensberg selbst von Babos Sohn Eberhart
bis zum Aussterben des Geschlechtes mit Nicolaus im Jahre
1485 auf Fol. 91 reihen.
Nun wird der Faden wieder bei den Grafen von
Scheiern — mit Einschiebung derer von Dachau und
Valley — und Witt elsbach von Otto an aufgenommen,
EocJcinger: Zu Aventins deutschen Arbeiten. 385
dem Sohne des vorhin genannten älteren Grafen Babo von
Scheiern und Bruder des jüngeren Grafen Babo von Abens-
berg, bis zu dem Kaisermörder Otto, der „von eim hern zu
Callentein" im Jahre 1209 erstochen wurde.
Jetzt beginnt das wittelsb a chische Herrscher-
haus in Baiern und in der Pfalz,
Zunächst von Fol. 94'— 96' von Otto's Einsetzung in
das Herzogthum Baiern im Jahre 1180 bis zum Abgange
der Linie von Niederbaiern im Jahre 1340: vnd heben mit
dem letsten pfalczgrafif Otten an die herczogen zu Beyrn,
die mit irem beyrnschen fürstlichen tittel gefeirt haben von
herczog Ebharten von Beyrn her bis in den neundeu gradt
vff dissen Otten , der zechend seins namens, der wider
herczog in Beyrn ward, vnd sein sonn Ludwig ward her-
nach auch pfalczgraffe bey Rein.
Daran reihen sich von Fol. 96' 101 „die pfalczgrafPen
bey Rein vnd herczogen in Beyrn mit herczog Ludwigen,
des Rotten pfalczgraff Otten sonne vnd des elttern herczog
Heinrichs bruder von nidern Beyrn" bis zum Untergange
von Ludwigs des Strengen Sohn Ludwig auf dem Turniere
zu Nürnberg im Jahre 1289 und dem Tode Ludwigs des
Strengen selbst im Jahre 1294.
Hie wirt — heisst es sodann auf Fol. 101' — still
stenn vnd ruwen die ling der pfalczgraffen bey Rein vnd
churfursten, vnd wirt hernachuolgen die ling der herczogen
in Beyrn : vnd anfachen mit keisser Ludwigen als eltsten
bruder. Sie reicht bis Fol. 136 beziehungsweise 137 in
folgender Abtheilung.
Zunächst kommt von Fol. 101'— 102' Ludwig der
Baier an die Reihe, und von seinen Söhnen Ludwig der
Römer und Otto bis zum Verkaufe der Mark Brandenburg
und dem Tode des letzteren im Jahre 1376.
Dann hebt an das fürstlich regamendt der pfalczgraffen
bey Rein herczogen in Beyrn so sye mit muetterlichem erbe
386 Sitzung der histor. Classe vom 3. Mai 1879.
in Hennegaw Hollanndt Sellandt vnd Frieslanndt ererbt
haben mit irer fraw muetter der keisserin: vnd vacht mit
herczog Wilhelmen, irem sonn, an. Diese sehr ausführliche
Geschichtserzählung reicht bis Fol. 120: dar nach als man
schreib nach Cristy vnsers lieben hern geburt 1436 jare vff
saunet Dionisius abendt schied fraw Jacoba ausz disser weit,
vnd verlies kein kind. sye ligt im Hag in der hoff capein.
als sye het neunezechen iar mit grosser mue vnd arbeit ir
vätterlich erb besessen , . da fiellen die lannd Hennegaw
Hollanndt Sellanndt vnnd Frieslanndt an dye fursten zu
Beyrn. aber niemen was von der fursten wegen im lanndt.
da must herczog Phillips von Burgondyen die lannd ein-
niemen, da mit die land nit onne herschafft stuenden.
Nunmehr ,, heben wider an die rechten herczogen in
Beyrn mit keisser Ludwigs eltter sonne, ausz dem sein hör
vnd vatter einen marggraffen zu Brandenburg vnnd zu
Lausacz, auch einen churfursten machet.
Vorerst wird auf Pol. 120' und 121 Ludwig der
Brandenburger uud sein Sohn Meinhart — oder wie er
hier heisst: Reinhart — bis 1363 behandelt.
Dann folgt von Fol. 121- 125 die Ingolstädter Linie
von Kaiser Ludwigs Sohn Stephan bis zu ihrem Aussterben
im Jahre 1447.
Jetzt „heben an dye fursten von Beyrn zu Lannczhut,
vnd fachen an mit herczog Fridrichen von Beyrn, des elttern
herczog Steffans sonne zu München" von Fol. 125' — 129'
bis zum Tode Georgs des Reichen im Jahre 1503 mit der
Anknüpfung an seine Tochter Elisabeth, die ihrem Gemahle
Ruprecht von der Pfalz drei Söhne schenkte, den jung ver-
schiedenen Georg, dann ,,Otheinrich vnd Philips, so disser
zeit mit einander regieren."
Endlich bilden von Fol. 130—137 den Schluss „die
fursten von Beyrn zu München als der eltste stam: vnd
vacht an mit herczog Hannssen , der des eitern herczog
Bochinger: Zu Äventins deutschen Arbeiten. 387
Steffans eltster sonne was zu München'* bis auf Albrechts V.
oder des Weisen Söhne Wilhelm Ludwig und Ernst.
Nunmehr trifft von Fol. 137'— 161 die Darstellung
wieder die Pfalz : vnd volgen hernach dye pfalczgrauen bey
Rein vnd churfursten : vnd vachen an mit pfalczgraff Ru-
dolffen, der keisser Ludwigs bruder was, vnd herczog Lud-
wigs sonne der zu Swäbischenwerd sein standt hielt , bis
zu den vorhin bereits erwähnten Söhnen Ruprechts, nämlich
Ottheinrich und Philipp.
Bei dem ersteren heisst es: ist mit wenig iarnn seins
altters zum heilligen lannd geczogen. hat auch keisser Cha-
rolly dem funfften seins namens lanng in Hispanien nach
greist, vnd hat in seinen iungen iarn vil gewanndert vnd
besechen. regiert dis zeit neben vnd mit seim bruder herczog
Phillipsen, vnd ist dis mall anno 1523 mit zweyhundert
pferden zu seinem öchen pfalczgraff Ludwigen an Rhein
geritten, got verleich in alles glügk, das sie fridlich vnnd
gesund wider zu hausz komen.
Die ganze Arbeit ist theil weise mit längeren Er-
zählungen und eigenthümlichen Meldungen aus-
geschmückt. So beispielsweise unter Herzog Leopold VII
von Oesterreich Fol. 51—54' über das neue Wappen, näm-
lich kein anderes ,,wan einen rotten robinfarben schilt vnd
in der mit ein weisse zwerchstrasz, das in ander weis ein
balgk genandt wirdt" und die bekannte Bestrafung des
frevelhaften Benehmens des Königs Richard Löwenherz von
England; unter Herzog Ludwig dem Kelheimer Fol. 97 — 99
über die geharnischte Zeugschaft seines Eheversprechens
an „fraw Ludomiila, ein tochter konig Vratislaus zu Bechen
vnd ein nach gelassene witteb graff Albrechts von Bogen''
wie über seine eigenthümliche Ermordung; unter Ludwig
dem Strengen Fol. 99'— 100 über die Veranlassung zur
Niedermetzlung seiner ersten Gemahlin Maria von Brabant;
unter Kaiser Ludwig dem Baier Fol. 102 über seine Ver-
388 Sitzung der histor. Classe vom 3. Mai 1879.
giftung durch seine Eükelin Johauna von Oester reich ^) ;
unter Herzog Ludwig im Barte Fol. 122—123 über den
arg verunglückten Bürgertanz im alten Schlosse zu Ingolstadt;
unter Heinrich dem Reichen Fol. 126 und 127 über den
Anfang der Sammlung seines Schatzes zu Burghausen u. s. w.
Am Schlüsse des Bandes folgen nach einer Reihe leer
gelassener Blätter, welche — wie auch schon früher —
offenbar dazu bestimmt gewesen , Nachträge einzufügen,
von derselben Hand, nur enger geschrieben, von Fol. 166
bis 169' „keiser Arnolffs^) vnelichen sonne" aus
seiner „vertrautten liebhaberin genandt Ellentraudt, ge-
bornnen fürstin von Meronne" , nämlich Herzog Konrad
von Lothringen mit seiner Nachkommenschaft und Graf
„Radtold'' zu Andechs.
Es unterliegt, nachdem wir so einen Einblick in den
Hauptinhalt gewonnen haben , nunmehr auch keiner be-
sonderen Schwierigkeit, die Zeit der Abfassung unseres
Werkes zu bestimmen. Sie ist im allgemeinen dadurch für
den Schluss d^ ersten Viertels des 16. Jahrhunderts ge-
kennzeichnet, dass Andeutungen über die baierischen Fürsten-
brüder Wilhelm, Ludwig, den passauischen Bistumsadmini-
strator Ernst, die beiden letzten bekanntlich Aventins Zög-
linge, auf diese Zeit ^^J hinweisen; und nicht minder Be-
8) Dissen keisser Ludwig vergab seins sonns tochter fraw Johanna
von Beyrn vnd Hollandt, die ein geraacbel was herczog Friderichs von
Oestereich, der gern romischer konig gewest wer wider keisser Ludwigen.
Disser tod ward hoch beklagt im reich, vnd geschach im jar des
heils als man schreib nach Christi vnsers lieben hern geburdt 1347 jare.
Vnd ligt zu München in vnser lieben frawn kirch.
9) Er verschied im jar des heils als man schreib 899 jare, vnd
ligt zu Regenspurg zu sanaot Heimeran. etlich haltten , er lig zu
Altenötting.
10) Es ist von'Fol. 134—136 hierüber folgendes zu lesen:
Fol. 134. Ernst, seins namens der ander, pfalczgraue bey Rein,
herczoge in obern vnd nidern Beyrnn, ein sonne des fünfften herczogen
Bockinger: Zu Äventins deutschen Arbeiten. 389
merknngen über die pfälzischen Glieder des Hauses Wittels-
bach. So von den Karfürsten über Philipp's des Auf-
richtigen — oder des Gütigen, wie er hier heisst —
Söhne Ludwig ^^) und Friedrich*^), wie ihres Bruders Rup-
Albrechts. der ward verordnet, geistlich zu werden, dar vmb ist er
dis zeitt administrator des stiffts zu Passau, vnd als für ein jungen
fürsten woigelert, eins erbern Verstands -vnd eins fürstlichen wessens,
der vff seim ersten reichstag so er besucht hat sein fürstlich erlich
gemuet anczögt vnd gesagt vor andern: so wir ie got ein gefaln
thun wöltten, soltten wir am ersten an vnns anfachen vnd vnnser
sträfflich wessen thun vnd lassen verkern zu einem vnsträiflichen stannd :
so möcht sich niemen mit vnns verantwurtten oder ergern. so wir aber
selb in der swercz ligen vnnd ruossig sind, wie konden wir dan ander
weis waschen, das ist bey dem gemain man von im vnd noch eim
geistlichen fursten erschollen vnd in sie gebildt das sollichs in lannger
zeit bey in nit erleschen wird, dar vmb die warheit von got wil
gehört vnd furbracht sein, ob es wol die grossen verdrugkt haben
woltten, so kan doch got durch die sein die warheit vnnd das wort
gots verkünden lassen, es sey den zeittlichen regierern hie vff erden lieb
oder leid, sye seyen hochs oder nidern Standes.
Fol. 134': Ludwig, seins namens der neund, pfalzgraffe bey Rein,
herczoge in nidern vnnd obern Beyrn, ein sonne des funfften herczog
Albrechts, der helt dis zeit sein fürstlichen stadt zu Landshut. vnd sind
beid brueder , herczog Wilhelm vnd Ludwig , disser zeit freuntlich
brueder;, die sich mit rechter bruederlicher lieb vnd freundschafft gegen
ein ander haltten als freuntlich lieb brueder, vnd ist seim brueder zu
ern vnd rechter bruederlicher lieb vnd freuntschafft disser zeit noch
ledig, nach dem sich sein brueder herczog Wilhelm verellicht hat.
Nach dem leeren Räume der zweiten Hälfte von Fol. 134' und dem
vollständig leer gelassenen Blatte 135 stossen wir auf nachstehende
sechs Zeilen des Fol. 136 : Wilhelm, seins namens der vierd, pfalzgraue
bey Rein, herczoge in obern vnnd nidern ßeyrn , ein sonne des weissen
vnd funfften herczog Albrechts, sein gemachel was fraw Eua, ein tochter
marggraff Phillipssen von Baden, da mit er teglichs erben von got
wartten ist.
11) Fol. 153: Der eltst sonne Ludwig ist disser zeit churfurst.
Bei seinem Bruder Wolfgang ist auf Fol. 153' bemerkt: ist disser
zeit noch ledig, vnd enthelt sich dys zeit bey seinem freuntlichen
lieben hern vnd bruedern pfalczgraff Ludwigen dem churfursten.
12) Friderich — heisst es über ihn auf Fol. 155' bis 156 — seins
[1879. I. Phüos.-philol.-histor. Cl. 4.] 28
390 Sitzung der histor. Classe vom 3. Mai 1879.
recht ^^) Söline, nämlich Ott-Heinrich^*) und Philipp ^^);
von der Linie Zweibrücken - Veldenz bis zu des Herzogs
namens der sechst, pfalczgraue bey Rein, herczoge in ßeyrn, ein sonne
pfalczgraue Phillipssen des churfursten, hat von iugent vff swerlich
gedient bey keisser Maximillion Vud dissem keisser Carolly dem fünfften.
vnd als sein brueder herczog Ruprecht vnnd sein gemachel fraw Ellisa-
beth von disser weit schiden, ward er von der gemeltten fraw Ellisa-
bethen , seiner niechten vnd swägerin , zu einem furmunder irer sonne
verordnet, das er auch annam vnd getrewlich verwas bis sye beid mündig
wurden, er macht frid, vnd stalt in alle sach zu gut. dar nach zoch er
mit dem keisser in Welschlannd, vnd lag bey im den venedischen krieg
ausz. dar nach dient er dem keisser in Niderlanndt mit dem konig von
Englanndt wider den konig zu Franngkreich, halff Derwana vnd Doringk
gewinen, nach dem macht er in zu einem stadthaltern konig Phillipsen,
sonne disses keisser Carolly, vnnd seins bruedern Verdynando in all
Niderlannd. vnd als keisser Maximillyon von disser weit schyed, zoch
er mit swerem vnkosten in Hispanien vff konig Carolly eruordern, der
in wider in Teuczschland schigket zu der wall eins romischen konigs.
vnd als er zu romischen konig verordnet vnd erweit ward, raidt er mit
ernstlichen fleisz zu seinem hernn dem newerwelten römischen konig,
in aller sachen zu berichten , vnd blib bey im zu seiner krönung , vnd
nachmals vff dem reichstage zu Worms, vff welchem tage vnder anderm
verordnet ward, nach dem die romisch keisserlich maiestat sich teucz"
scher lannde etlich zeit enthalten wurd ausz vrsachen seiner grossen
reich vnd herschungen in Hyspanien, die er muest einniemen vnd in
ein besser regamendt bringen, so wer im besten bedacht, das er wölt
sein brueder Verdinando im heilligen romischen reich lassen mit allem
keisserlichen gewalt, wie das einem obersten stadthalter keisser lieber
maiestat vnnd des heilligen romischen reichs soUichs geburet, vnd im
da neben von allen stennden ein obersts regamendt verordnet, das alle
churfursten fursten vnd stennde des reichs geordnet vud verwilligt
haben: das herczog Friderich von ßeyrnn des heilligen reichs stadt-
halter im reichs regamendt sein solt, vnd neben im syczen ein chur-
furst, ein geistlicher vnd ein weltlicher fürst, die zu allen cottemern
abwechssein soltten, vnd verer vom reich so vil perschonn zu dissen
vier fursten verordnen von allen stenden im reich, das ir alzeit bis an
xxij sein sol vngefärlich. also ist der loblich fürst noch alzeit gehorsam
crschinen, vnd noch anno 1523.
13) Fol. 157' : den nara sein öchem herczog Görg von Beyrn zu
im, vnd macht zu Freissing ein cuadiutt ausz ihm. das besasz er nit
BocMnger: Zu Äventins deutschen Arbeiten. 391
Alexander*^) Sohn Ludwig^'); von der Linie Simmern-
Sponheim bis zu des Herzogs Johann 11^^) drei Söhnen
Friedrich Georg und Reichard wie seinen Töchtern Katha-
rina Johanna Ottilia Brigitta und Elisabeth. Genauer lässt
sich die Vollendung des Werkes in das Jahr 1523 setzen,
lanng. er nam in wider da von, vnd gab im sein tochter fraw Ellisabeth
zu einem ellichen gemachel, vermeindt auch ein erben seins fursten-
thums ausz im zu machen, aber das schnöd regamendt fürstlicher ern
verfurt in: dan er wolt in zu eim erbe machen so er seins gucz nit
mer gewalt het, vnd meindt man solt in nach seim thod als im leben
furchten, es was aber mit im erloschen , da mit der loblich frum fürst
herczog Ruprecht betrogen ward vnd iemerlich vfF ein eysz gefueret,
dar vmb der edl fürst vnd sein gemachel ir iung leben mit grosser
muewe vnd arbeit dar vnder verliern muesten , wie wol sye iunger
sonne zwen verliessen, als Ottheinrich vnd Phillyps, so dis zeit regiern.
14) Was über ihn auf Pol. 159' bemerkt ist, findet sich schon
oben S. 387 raitgetheilt.
15) Fol. 158': ist disser zeit noch ledig, vnd helt sein stand zu
Newburg vff der Thunaw , regiert neben vnnd mit seim brueder das
fiirstenthura, ein adlicher iunger fürst.
16) Fol. 147: ein sonne des swarczen herczog Ludwigs, nach dem
sein bruder — nämlich Kaspar — in bewarung angenomen ward , als ob
er hauptkrangk sein solt, so ging er in das fürstlich regamendt seins
vätterlichen erbes, vnd vermechelt im fraw Margreth, ein tochter graue
Kraiften von Hochenloye. die erwarb irem hern zwo töchtern vnd drey
sonne. Görg vnnd Ruprecht sind thumhern zu Cöln Mei^cz vnnd Stras-
burg, der drit sonne Ludwig, der ist noch ledig.
Diese letzten Worte „der ist noch ledig" sind später durchstrichen
worden, und ist dafür angefügt: hat disser zeit des altten landgrauen
Wilhelms tochter von Hessen.
17) Vgl. Note 16. Fol. 147': hat dis zeit das fürstlich regamendt.
sein gemachel ist fraw. Hier schliesst die ursprüngliche Aufzeichnung.
Später ist noch beigesetzt worden: ein tochter des elttern landgrauen
Wilhelms von Hessen.
18) Fol. 144: sein gemachel was fraw Beatrix, ein tochter marg-
graffe Christoffels vonn Badenn. die erwarb irem hern etlich sonne vnd
töchtern, mit namen : Friderich, Görg , vnd Reichart ; auch Katterina,
Johanna, Otilg, Brigitta, vnd Ellisabeth.
28*
392 Sitzung der histor. Classe vom 3. Mui 1879.
indem ja dieses Jahr einigemale geradezu iu einer Weise
angeführt ist, dass kein Zweifel hiegegen obwaltet. So
bei Ott-Heinrich^^) wie beim Pfalzgrafen Friedrich ^^). Es
stimmt hiezu auch weiter, dass von den Kindern des vor-
hin erwähnten Herzogs Johann H von Simmern-Sponheim^^)
die letzten drei nicht mehr erwähnt sind , von welchen das
erste, Maria, am 29. April 1524 geboren wurde. Weiter
heisst es bei des Herzogs Alexander von Zweibrücken-
Veldenz Sohn Ludwig auf Fol. 147 , dass er noch unver-
heiratet sei. Gerade dieser Satz ist sodann durchstrichen,
und dafür mit anderer Tinte die Bemerkung angeknüpft:
hat disser zeit des altten landgrauen Wilhelms tochter von
Hessen. Derselbe Zusatz findet sich auch auf der folgenden
Seite uochmal, wie in Note 1 7 bemerkt worden. Es bezieht
sich das auf die am 10. September 1525 erfolgte Ver-
mählung mit Elisabeth, der Tochter des Landgrafen Wilhelm
des älteren von Hessen. Man wird daher kaum irren, wenn
man annimmt, das Werk wurde im Jahre 1523 im
Ganzen abgeschlossen, war aber noch auf Ergänz-
ungen berechnet, indem bei den letzten der baierischen
wie pfälzischen Fürsten immer leere Zwischenräume zu
Nachträgen gelassen sind, wie solche dann auch in den be-
rührten Fällen wirklich noch im Jahre 1525 eingefügt
worden sind.
Stellt man nun die Frage nach dem Verfasser, so
kann der Zeit nach x4.v entin es sein. Auch der Inhalt
des Werkes, vde er vorhin näher angegeben worden, wider-
spricht dem in keiner Weise. Im Gegentheile ergibt sogar
eine Vergleichung mit der von ihm im Jahre 1522 im Ver-
lage von Peippus in Nürnberg in Folio herausgegebenen
19) Vgl. oben S. 387.
20) Vgl. vorhin Note 12 am Schlüsse.
21) Vgl. oben die Note 18.
Bockinger: Zu Aventins deutschen Arbeiten. 393
Druckschrift „Bayrischer Chronicon, im Latein nun
verfertigt, vnd in syben Puecher getailt, ein kurtzer
auszug" in beträchtlichen Stücken die auffallendste Zu-
sammenstimmung.
üeber diese Druckschrift, die fortan der Kürze wegen
als der deutsche Annalenauszug bezeichnet sein soll, er-
möglicht ein eigenthümlicher Zufall jetzt ein ürtheil, für
welches man vor noch nicht zwei Jahrzehnten mit grosser
Mühe um Anhaltspunkte hätte suchen müssen . Es ist na-
türlich, dass eine Vervielfältigung dieser Arbeit Aventins,
nachdem sie im Drucke erschienen und um den Ladenpreis
von 15 kr. allgemein zu beziehen war, auf handschrift-
lichem Wege nicht mehr erfolgte. Von dem Manuscripte
Aventins selbst aber hatte man auch keine Kunde. Als im
Jahre 1859 oder 1860 eine Reihe von handschriftlichen
Dingen aus dem ehemaligen Jesuitencolleg hier an die
Antiquariatshandlung von Clemens Steyrer veräussert wurde,
erkannte man darunter auch in einem Bande von 46 Blättern
im grössten Folio formate einen Rest aus Aventins Werk-
stätte, und die Hof- und Staatsbibliothek erwarb denselben
am 12. Jänner 1860. Er ist nunmehr daselbst als Cod.
lat. 281^^) eingereiht, und begleitete die Münchner Fest-
genossen zur Aventinfeier vom 4. Juli 1877 nach Abens-
berg, um dort unter den geschichtlichen Erinnerungen
im Rathhaussaale mit anderen Handschriften Aventins
während des Festes ^^) zu prangen. Er enthält neben
22) Im Catalogus codicura latinorum I heisst es hiebet S. 53 :
Codex hie pretiosus diu delituerat, et demum nostra aetate ex apotheca
ecclesiae s. Michaelis Monacensis, quae collegii Jesuitarum fuerat, pro-
tractus anno 1860 rederaptione facta in bibliothecam relatus est.
23) Vgl. des Beneficiaten Dollinger zu Riedenburg artiges ,, Ge-
denkbüchlein" hieran, aus den -Verhandlungen des historischen Vereines
für Niederbaiern Band XX Heft 1 und 2 besonders abgedruckt S. 23
und 24.
394 Sitzung der liistor. Classe vom 3. Mai 1879.
anderem das üruckmanuscript des in Rede stehenden deut-
schen Auszuges der Annalen, und ist auch gerade nach
dieser Seite hin von ganz besonderem Werthe.
Es ist bekannt, dass Aventin abgesehen von seinen
sonstigen Veröffentlichungen zuweilen auch Lebenszeichen
von den grösseren Schriften gab welche in der Bearbeitung
begriffen waren. Es sei hier nur an den kurzen Plan
erinnert, nach welchem er seine baierischen Annalen zu be-
arbeiten gedachte, den er wahrscheinlich im Jahre 1519
auf vier Blättern in Quart ^*) erscheinen liess. Oder an den
vorhin berührten deutschen Auszug^^) aus denselben. Oder
an den Entwurf seines nicht zur Vollkraft des Lebens ge-
diehenen Lieblingskindes, des Zeitbuches von ganz Deutsch-
land, welchen er schon früher Freunden und Bekannten
mittheilte, im Jahre 1532 aber seinem zu Regensburg bei
Johann Kohl erschienenen Abacus^^) als „Capita rerum
quibus illustrabitur Germania ab Aventino, modo contingat
benignus mecoenas'^ beidrucken liess, während sich eine
Fassung in deutscher Sprache in der Ausgabe des Brusch^^)
vom ersten Buche dieses auf zwei Theile in zehn Büchern
berechneten Werkes, und ein davon abweichendes Original
im Cod. germ. 1584 oder Cimel. IV 7c. der Hof- und
Staatsbibliothek^^) findet.
Verweilen wir einen Augenblick bei der zweiten dieser
24) Wiedemann a. a. 0. S. 233 und 234 unter IV.
25) Ebendort S. 242—246 unter VII.
26j Ebendort S. 247—250 unter VIII.
27) Ebendort S. 250—256 unter IX.
28) Bei Wiedemann a. a. 0. S. 251—254 mit unterschiedlichen
Fehlern abgedruckt. So ist der sonderbare erste „Ertzmarter" der
Deutschen am Anfange des fünften Absatzes in „Ertzuater'^ zu ver-
bessern. Am Schlüsse des drittletzten Absatzes ist anstatt „Türken
einfal, der Tattn in dy cron Poln" u. s. w. zu lesen: Türken, einfal
der Tattern in dy cron Poln u. s. w.
Bockinger: Zu Aventins deutschen Arbeiten. 395
Anzeigen, der über die baierischen Anu aleu.
sie zwei Vorläufer haben sollte, einen aus dem zweiten
Buche und einen über die ersten drei Bücher derselben,
erfahren wir aus dem vorhin bemerkten Cod. lat. 281. Be-
kannt ist aus einer Anrede Aventins an den Kanzler Leou-
hard von Eck, welche in die Arbeiten der zu Ingolstadt
im Jahre 1516 gestifteten Sodalitas literaria aufgenommen
ist, dass er unter anderem auch „Provinciarum Imperii Ro-
mani cum insignioribus urbibus descriptiones" herauszu-
geben gedachte. Die Entwürfe hiezu finden sich in jener
Handschrift von Fol. 7'— 12, und das Werk selbst be-
zeichnet Aventin daselbst an der Spitze der Rückseite des
Pol. 8 folgendermassen : Romani imperij descriptio atque
regiones et provinciae, harumque vrbes insigniores, ex libro
secundo anualium Boiorum Joannis Aventinj ; item vetustates
romanae, quae in ßoiaria aduc extant, ab eodem inveutae,
ex eodem libro. Ohne Zweifel sollte dafür auch die Samm-
lung der durchaus in grossen Majuskelbuchstaben begon-
nenen Sammlung von Denkmälern aus der Römerzeit be-
nutzt werden, für welche von Anfang an der Codex eigentlich
bestimmt gewesen, dessen ersten Theil die ,, Vetustates ro-
manae a Joanne Aventino inventae in Vindelico'', den
zweiten die „Vetustates romanae a Joanne Aventino inventae
in Norico" bildeten, wie die beiden gleichfalls in stattlichen
Majuskelbuchstaben gefertigten Titelblätter lauten. Mögen
die Fehler, welche der Abschreiber in diesen Darstellungen
sich zu Schulden kommen Hess, deren vollständige Ver-
besserung unserem Aventin die weitere Durchführung ver-
leidet haben kann , diese unterbrochen oder überhaupt ver-
hindert haben, oder mögen andere Gründe hiefür massgebend
geworden sein, die zweite Hälfte unseres Bandes ist fortan
anderen Dingen gewidmet, und zwar hauptsächlich dem
oben schon angedeuteten zweiten Vorläufer des deutschen
Auszuges der baierischen Annalen, beziehungsweise diesem
396 Sitzung der Jiistor. Classe vom 3. Mai 1879.
selbst. So wie er uns im Drucke des Jahres 1522 vorliegt,
welcher freilich gegenüber dem Manuscripte mannigfache
Aenderungen erleiden musste , gibt er das Inhaltsverzeich-
niss über die siehen Bücher jener Annalen. Besieht man
sich aber des Verfassers Entwurf, so sind darin zwei Theile
zu unterscheiden. Der Auszug über die ersten drei Bücher
ist mit schwarzer Tinte und sorgfältiger gefertigt als der
Rest, welcher blassere Tinte und rascheres Hinschreiben
zeigt. Auf die blassere. Tinte und die nicht so sorgfältige
Schrift stossen wir auch bei den Abänderungen welche
seinerzeit an dem Auszuge aus den ersten drei Büchern
vorgenommen worden sind. Aber wir brauchen uns bei
diesen Wahrnehmungen nicht zu verhalten, der Text selbst
überhebt uns jeden Zweifels darüber dass die erste Ver-
öffentlichung schon nach der Vollendung des dritten Buches
der Annalen beabsichtigt gewesen. Der Eingang lautet
nämlich hier: Vermerckt was in den dreien puechern, so
nun jm latein verfertigt syn, der chronicken vnnd geschichten
des hochloblichen kunigreichs vnnd furstenthumbs Bairn
vnnd der selbigen kunigen vnnd hertzogen begriffen, vnnd
ausz bewärten alten geschichten brieffen historienschreibern,
auch in alten newerfunden geschrifften angezaigt wirdet,
durch Auentinum u. s. w. Am Schlüsse dieses Absatzes
heisst es: vnnd auff nachvolgenndt capitel gemacht vnnd
gestelt ist. In dem Eingange sind sodann mit blassgelber
Tinte die Worte ,, puechern, so nun jm latein verfertigt
syn" durchstrichen, und ist dazu die ganze Fassung „den dreien
puechern, so nun jm latein verfertigt syn" mit etwas dunk-
lerer Tinte zum Zeichen der Tilgung unterstrichen, ist so-
dann über das Wort „dreien" später das Wort „sibeu"
gesetzt und wieder durchstrichen, und durch ein Verweis-
ungszeichen nach dem Worte ,, geschichten" auf Einsetzung
der späteren Randbemerkung „so nun im latein verfertigt
ist" mit Durchstreichung des „ist" hingedeutet. So ergab
Mockirnjer : Zu Äventins deutschen Arbeiten. 397
sich denn schliesslich die Fassung des Druckes: Vermerckt
was in der Chroniken vnnd geschichten so nun in latein
verfertigt des hochlöblichen Kunigreichs vnnd Furstenthumbs
Bayrn vnd derselbigen Konigen vnnd Hertzogen begriffen,
vnnd ausz bewerten alten geschichten brieffen hystorien-
schreibern, auch in alten newerfunden geschrifften angezaigt
wirdet, durch mich Johannsen Auentinum u. s. w. Am
Schlüsse des Absatzes hat sodann der Verfasser zwischen
die Worte „nachvolgenndt capitel" später noch eingeschaltet:
siben puecher vnnd. Somit ist auch hier der Text ,,viid
auff nachuolgendt syben buecher vnd capitel gemacht vnnd
gestelt ist" des Druckes hergestellt, bei welchem wir nun-
mehr — nachdem wir seine einstmals beabsichtigten Vor-
läufer kennen gelernt haben - stehen bleiben wollen.
Ich war weit entfernt zu übertreiben, als ich am
4. Juli 1877 vor Äventins Standbild in Abensberg sprach:
Beladen mit einer Quellenausbeute, wie sie vor ihm noch
Niemand zusammengebracht, kehrte er in das heimische
Haus zurück. Da ging es nun mit demselben Eifer wie
er gesammelt an die Verarbeitung des überreichen Stoffes ^^).
Ein Blick itt die Rapsodien wie in den vorhin behandelten
Band mit Arbeiten für seine deutschen Hauptwerke liefert
den Beweis hiefür. Auf jedem Blatte der Annalen wie der
Chronik überzeugen wir uns darüber. Und selbst abgesehen
davon würde allein schon die kleine Schrift von der jetzt
die Rede ist die Wahrheit jener Behauptung bestätigen.
Neben der kurzen Inhaltsanzeige der ein-
zelnen Abschnitte der siebenBücher der baier-
ischen Annalen wird uns da ein gewaltiger genealog-
ischer Stoff der baierischen und pfälzischen
Geschichte von den uralten Frankenkönigen an bis in
die Zeit Äventins in bewusster Sichtung in der Gestalt von
29) Vgl. DolliDger a. a. 0. S. 88.
398 Sitzung der liistor. Glasse vom 3. Mai 1879.
Stammtafeln entweder ohne oder nur mit kurzen geschicht-
liehen Angaben vor Augen geführt. Theilweise der Zweck
eines blossen Auszuges, theilweise aber auch schon die
Rücksichtnahme auf das Raumverhältniss beim Drucke,
welcher die Glieder der einzelnen Geschlechter in besonderen
durch gerade wag- oder senkrechte Striche verbundenen
Kreisen mit einem Doppelringe aussen darstellt, verlangte
eine gewisse Zurückhaltung des begleitenden
geschichtlichen Textes, ohne welchen freilich die
Stammbäume denn doch mehr oder weniger nur ein höchst
dürres Gerippe bleiben. Gerade diesen begleitenden
geschichtlichen Text finden wir jetzt in der
Handschrift des geheimen Hausar chi ves. Sie
umhüllt nun jenes magere Gerippe mit Fleisch, und theilt
ihm Blut mit, und bringt es so zum Leben.
Ich will, nachdem oben S. 383 — 388 ihr Inhalt im Allge-
meinen bereits behandelt worden, hierüber nicht viel Worte
verlieren, sondern zur Bequemlichkeit der Beurtheilung dieses
Sachverhaltes im Anhange von S. 404 an gegenüber
derDarstellungderDruckausgabe des Auszuges
der baierischen Annalen^^) auf der linken Seite den
Text von je einem Geschlechte aus dem vierten
bis sechsten Buche und von dreien aus dem
siebenten auf der rechten Seite in der Schreibweise des
Originales mittheilen.
Es eröffnen demnach „die altväter kaiser Karls des
grossen" den Reigen mit dem Markgrafen Utel zu Antdorf
bis eben auf Karl den Grossen, in der berührten Hand-
schrift von Fol. 17'— 22'.
Aus dem fünften Buche wähle ich die Grafen an der
Semt, wie es in der üeberschrift des Annalenauszuges heisst :
30) Zur Kennzeichnung der Veränderungen an dem ursprünglichen
Texte des Cod. lat. 821 ist eine Auswahl der vorzüglicheren in den
Noten angefügt worden.
Rockinger: Zu Aventins deutschen Arbeiten. 399
die Grauen von der Semta von Ebersperg seind geporn
ausz dem geschlecht Herrn Carlmans Konigen in Bairn
vnd Welschen lannden. In der Handschrift von Fol. 26'
bis Fol. 27'.
Aus dem sechsten Buche mögen ,,die alten Margrauen
ausz der Steyermarcf ihre Stelle finden, in der Handschrift
von Fol. 57' — 58'.
Aus dem siebenten Buche endlich reihen sich zunächst
„die grafen von Sulzpach Castel Amerthal, vogt Nydern-
munster zu Rengsburg" an , in der Handschrift von Fol.
63' — 65; sodann „die Landtgrauen von Stephling vnnd
Stau ff am Reng, grauen zu Rietenburg Calmyntz Lengueld,
Burgrauen zu Regenspurg, herren zw Ror, in der Hand-
schrift von Fol. 76 — 77; während „die Herren von Abeus-
perg vnd Ramdeck, auch Altmanstain, nach absterben der
grauen von Abensperg vnd Roteneck, ligen zw Ror im
closter'' schliessen, in der Handschrift von Fol. 88 --91.
Ich meine , es unterliegt nach allem was vorgebracht
worden keinem Zweifel, dass man es in der Handschrift des
geheimen Hausarchives mit einem Werke Aventins zu
thun hat.
Gliedern wir es in die Kette seiner übrigen Schriften
ein, so steht es im innigsten Zusammenhange mit
dem im Jahre 1522 im Drucke veröffentlichten
deutschen Auszuge seiner lateinisch geschrie-
benen baierischen Annalen , und ist zum grossen
Theile der erläuternde und geschichtliche Text
zu der Menge von Geschlecht s tafeln in jenem
naturgemäss höchst gedrängten Inhaltsverzeichnisse des ersten
grossen Werkes unseres Meisters.
Aber man würde das Ganze doch za sehr unterschätzen,
wollte man darin nichts weiter als lediglich die lebendige
Ausfüllung des Stammbaumgerippes jenes Auszuges oder
lediglich eine deutsche Zusammenstellung von Genealogien
400 Sitzung der histor. Glasse vom 3. Mai 1879.
aas den baierischen Annalen erblicken. Es nimmt eine
höhere Stufe ein . Es kann den baierischen Annalen
und ihrem Auszuge gegenüber den unbestreitbaren
Anspruch auf ganz besondere Selbständigkeit
erheben. Deu ersteren gegenüber , indem es die dort je
nach Gestalt der Sache in den einzelnen Büchern meist in
einer gewissen Kürze behandelten Fürstenhäuser und her-
vorragenden Geschlechter als grösseres fortlaufendes Ganze
behandelt. Dem gedruckten Auszuge gegenüber, indem es
nicht allein Genealogien aufzählt die dort nicht zu finden
sind, wie etwa die der uralten Frankenkönige von Antenor
au, oder die der Herzoge von Franken, sondern anstatt
der blossen Namen wie Jahrzahlen und anstatt der nur
hier und dort angebrachten geschichtlichen Andeutungen
durchgehends einen zusammenhängenden Text bringt und
theilweise in seinem Verlaufe sich zu wirklicher Geschichts-
erzählung gestaltet.
Hatte ja Aventin zuerst in seiner Zeit den Gedanken
richtig erfasst, auf der Grundlage der Urkunden und an der
Hand sonstiger geschichtlicher Zeugnisse wie Denkmäler der
Abstammung der in Frage kommenden alten Geschlechter
nachzuofehen , und ist so auch der Vater der baierischen
Genealogie geworden ! Das Werk um welches es sich handelt
ist hienach das erste baierische Stammen buch, der
würdige um mehr als ein halbes Jahrhundert ältere Vor-
läufer von dem des bekannten Dr. Wiguleus Hundt, wie
von dessen baierisch-pfälzischer Genealogie. Was es alles
umfasst, ergibt sich aus dem Inhalte, wie er oben S. 383
bis 388 mitgetheilt worden.
Es stellt sich hienach als ausschliesslich bai-
erisch -pfälzisches genealogisches Geschichts-
werk heraus. Beginnt es auch mit den alten Franken-
köniffen um fünfthalbhundert Jahre vor Christi Geburt, so
hängt dieses mit den Abstammungsverhältnissen zusammen
Mockinger: Zu Aventins deutschen Arbeiten. 401
wie man sich selbe damals einbildete. Ist der Anknüpfungs-
punkt für Baiern erreicht, so irrt der Verfasser nicht weiter
von Baiern und seinen glänzenden Geschlechtern mehr ab,
sondern verfolgt dieselben ohne Abschweifen in die
Geschichte des Alterthums u. s. f. welches sich in den
baierischen Annalen oft so ausserordentlich breit macht und
natürlich auch in deren Auszug wenigstens andeutungsweise
genugsam zu erkennen ist, weiter sodann auch in der
baierischen Chronik wiederkehrt.
Durch diese Anlage als baierisch-pfälzisches genealog-
isches Geschichtswerk ist auch die Behandlung des
Ganzen bedingt. So verworren beim ersten Blicke na-
mentlich in der ersten Hälfte sich die Sache ausnimmt, wo
eine ganz ausserordentliche Menge einzelner Geschlechter
zur Sprache kommt, es schwindet alsbald dieser Eindruck,
sowie man sich die Abstammungsverhältnisse klar vor
Angen hält. Thut man das, so löst sich der anscheinend
grosse Durcheinander einer Menge jener Geschlechter in
vollständig geregelte Ordnung. Man vergleiche beispiels-
weise nur, wie einfach sich nach dem was oben S. 382 be-
merkt worden die zahlreichen dort aufgeführten Familien
sichten, wenn man auf den alten Grafen Babo zurückgeht,
üebersichtlicher gestaltet sich natürlich die Sache von dem
Augenblicke an da nach Abfertigung jener baierischen Ge-
schlechter das wittelsbachische Haus in Baiern und der
Pfalz zur Behandlung gelangt, wobei übrigens — wie sich
wohl von selbst versteht — die gebührende Rücksicht auf
die einzelnen aus den leider so vielfachen Tbeilungen her-
vorgegangenen Linien genommen ist, wovon gleichfalls oben
S. 385—387 schon die Rede gewesen.
Vielleicht dürfen wir zum Schlüsse auch noch einen
Blick auf die Sprache werfen. Der vielerwähnte deutsche
Auszug aus den baierischen Annalen ist, wie es in der
Natur der Sache liegt, nur äusserst gedrängt gehalten.
402 Sitzung der histor. Classe vom 3. Mai 1879.
Unser Werk ist die erste grössere Arbeit welche
Johann Turmair in der Muttersprache abge-
fasst, indem sie in das Jahr 1523 fällt, also vor die
deutsche Bearbeitung der Annalen zur baierischen Chronik,
welche erst im Jahre 1526 begonnen wurde. Mit ihr kann
sie sich allerdings, wie wohl von selbst einleuchtet, schon
ihrem zum überwiegend grossen Theile trockenen und dürren
Gegenstande nach nicht messen. Immerhin aber ist schon
da und dort bei den Erzählungen welche gelegentlich ein-
gemischt sind, wie von der Ermordung Ludwigs des Kel-
heimers^^) und anderem worauf früher S. 387—388 bereits
31) In den Annalen — in der Ausgabe des Hieronymus Ziegler,
Ingolstadt 1554, S. 666 — heisst es hierüber: Ludouicus regulus Boi-
orum Kelhaimij, dum post caenam in ponte deambulat, a Stichio Mori-
one, quem per ludum incessebat, cultello laetali uulnere sauciatur, mox-
que in conspectu omnium aulicorum exanimatus corruit, sextodecimo
calendas octobris, anno ab orbe uindicato millesimo ducentesimo tri-
cesimo primo. Extat Kelhaimij edicula stipesque sacratus huiusce rei
monumentum. Sunt qui tradant, fraude Hainrici Caesaris caesum esse
a quodam ignoto, qui quasi cultu nuncij Augustalis literas exhibuerit,
legentemque easdem de inprouiso confoderit. Aliam quoque fabulam
uulgo narrari audio, eundem scilicet ob illatum stuprum uxori alienae
a duobus feris pueris, quos maritus uiolatae coniugis, auidus uindictae,
solitos pecudes et quicquid digito monstrasset laniare educarit, dila-
ceratum indicante doraino esse. Quod neque uerisimiJe est, neque
uerum arbitror.
Gerade in Bezug auf diese Erzählung lesen wir jetzt in der Hand-
schrift des geheimen Hausarchives Fol. 98'— 99 nachstehendes:
Nun het disser herczog Ludwig ein kauffman bey im zu Kelheim,
dem er gar vil vertraudt. er schigkt im auch all sein sach gen hoff,
was er bedorfft, das bracht er im zu.
Aber er het ein weih, ader sein tochter, die der fürst buldt. des
ward der kauffman gewar, darab er ein gros misfallen het. er wüst es
aber onn grossen schaden oder besorgnus seins leibs nit zu wenden, dar
vmb het er ein gros bedengken dar vff, wie er im zu komen möcht.
In mitler zeit kam er in Welschlannd. da fand er zwen knaben
feil, das w^ren zwen zwilling, vnd künden nit reden, die kaufft er, vnd
fuert die mit im heim, legt sye in ein gewölb, das niemen zu in kond
Mockinger: Zu Aventins deutschen Arbeiten. 403
angespielt worden, der Anlauf zu gefälligerer Darstellung
nicht zu verkennen, welche denn auch alsbald in der Chronik
in längst anerkannter Meisterschaft entgegentritt.
So sei also dieses nunmehr in die Welt tretende Kind
unseres Abensbergers aus vollem Herzen begrüsst und fort-
an der Würdigung der Fachmänner empfohlen !
dann er allein, vnd als sie anfiengen zu wachssen, von 15 oder 16 jaren,
gab er in raesser hin ein, auch jung hund vnd dar nach jung kaczen,
das sie die würgen sollten, als sie dan thetten.
Vnd da er sein zeit ersach, lies er heimlich die Jüngling wol-
kleiden , als ob sie jung edleut wem , vnd fürt die mit im hin zum
spital genandt zum heilligen Geist, da gewonlich alle vest der fürst
sein broedig vnd ampt hört, also kam er vff den tag auch reitten. vnd
wie er abstund, vnd man das pferd von ihm zoch, so het der kaufFman
die jungen vor im stan, vnd ir yedem vff sein achsel ein band gelegt,
da mit er sye weissen möcht. vnd als der fürst her dridt , so weist der
kauffman mit beiden fingern vff den fursten. da wüsten die jungen
irn bescheid, vnd giengen dem fursten vnder äugen, da meindt er, es
wern jung edelleudt vnd woltten in ansprechen, also het ein jeder
zwey stargke messer in den ermein stegken. die zugen sie, vnd stachen
beid nach dem fursten. der ein faldt gar , der ander traff in bey den
nieren ein mit eim messer, das er sterben raust im jar des heils anno
1231. vnd ligt zu Scheirn.
404
Sitzung der histor. Glasse vom 3. Mai 1879.
(Beilage zu S. 398/399 und Note 30.;
Utel,
marchgraif zu Antorif.']
511.
Haugprecht,
raarggraff.
540.
Amprecht. Asprecht.
562.
Pluthild sein hauszfraw, ein dochter künig Lauthers^) in Pranckreich,
Arnold,^)
margraff.
620.
s. Arnolph,
bischof zu Metz.'^)
640.
1) Im Cod. lat. 821 der Hof- u. Staats-
bibliothek ist noch beigesetzt: vnnd im
niderland.
Am Rande steht sodann noch : Diser
Vtl der erst ist <in sun hertzog Diethen
des ersten vnd bruder hertzog Diethen
des andern, ein grosser krieger.
2) Ebendort; kynig Luthers des ersten.
3) Ebendort ist mit anderer Tinte
eingeschoben; Radgis. Am Rande ist
hiezu bemerkt: abt von Spanhaym.
4) Ebendort steht noch: Doda sein
hausfraw.
RocTiinger: Zu Äventins deutschen Schriften. 405
(Beilage zu S. 398/399 und Note 30.)
16. Vttel, marggraffe zw Antdorff, des heilligen romischen reichs fürst,
ein sonne marggraff Nicaners , ward nach abgang seins vattern das
marggraffthura Antorf regiern 16 iar. sein gemachel was fraw Geffa,
ein tochter konig Edelbrechts von Englanndt. die erwarb irem hern
ein sonne Haugprecht genandt. er nam sein abschid von disser weit
als man schreib nach Cristy vnnsers lieben hern geburdt 511 iare.
17. Haugprecht, marggraflfe des heilligen reichs zw Antdorff, ein sonne
marggraff Vttels, regiert nach seim vatter 29 iare. sein gemachel
was fraw Harigka , ein tochter herczog Arnolds von Burgonigen.
die erwarb irera hern ein sonne: ward Amprecht oder Ansprecht
genandt. er verschied nach Cristy vnssers lieben hern geburdt als
man schreib 540 iare.
18. Amprecht, auch genandt Asprecht, marggraffe zw Antdorff, ein
sonne marggraffe Haugprechts. der ward nach abgang seins vattern
des heilligen romischen reichs marggraffe zw Antdorff, vnd regiert
22 iare. sein gemachel was fraw Pluthild, ein tochter konig Lo-
tharius von Frangkreich. die erwarb irem hern ein son Arnoldt.
er nam sein abschid von disser weit als man schreib nach Cristy
vnssers lieben hern geburdt 562 iare.
19. Arnold, des heilligen romischen reichs marggraffe zw Antdorff, ein
sonne marggraff Amprechts, ward nach abgang seins vattern marg-
graffe zu Antdorff, vnd regiert 58 iar. sein gemachel was fraw
Clothild, ein tochter konig Dietterichs von Burgonigen. die erwarb
irem hern ein sonne Arnolffus. disser marggraff Arnold ergab sich
gott zu zeit der gnaden als man schreib 620 iar.
20. .Sännet Arnolffus, des heilligen romischen reichs marggraffe zw
Antdorff, ein sonne marggraff Arnolds, enpfieng nach abgang seins
vattern das regament des marggraffthums Antorff. das regiert er
20 iar. sein gemachel was sanct Oda. die erwarb irem hern drey
sonne: Clodolphus ward nach seim vatter bischoff zw Mecz, sanct
Walthissus, vnd Angis. vnd als sanct Oda verschied , ward ir ge-
machel ein seiliger bischoff zw Mecz. er verschied anno 640 iar.
[1879. I. Philos.-philol.-hist. Cl. 4.] 29
406
Sitzung der Imst. Classe vom 3. Mai 1879.
Ansegisel.^)
Greimold Sant Begga Angis, Liutolff Waldgisz.^l
h [erzog] in Gertrud 688 hertzog in bischoff zu Trier.
Brabandt 664 Brabant.
658 Begga sein gema[l].
685^)
Pippis oder Pipan.
Sein hauszfraw Plutthrud.*)
Erbmarschalck, hoflfmaister, landgraff, pfaltzgraff in Franckreich, hat
nach Christi gepurt im jar 694 Ratoboden hertzogen in Friesen vber-
wunden, zu Vtreicht ein pistomb gestifft in sein vest, s. Bilbrord ein-
gesetzt, ist gestorben 714. sein hauszfraw Pluthtrudt ausz Bairn.^)
1) Ebendort : Ansegisilus, Er ist aber
da erst nachträglich eingesetzt.
2) Ebendort: er 685, sy 698. Vgl. hie-
zu die links stehenden aus dem Stamm-
baume von Brabant.
3) Ebendort steht darunter; Angeiz.
4) Ebendort: Plutthrud ausz Bairn.
5) Ebendort fehlt hier dieser Schluss-
satz. Vgl. oben und Note \.
Rochinger: Zu Äventins deutschen Sciiriften. 407
disser ober Cledolfifus wirt von etlichen Leutolffus genandt. er ward
auch bischoff zw Trierre.
21. Angis, des heilligen römischen reichs marggrafife zu Antorff, ein
sonne sännet Arnolffus, ward nach abgang seins vattern das marg-
grafftum Antdorif 45 iar regieren, sein gemachel was die sellig
Begga, ein tochter des andern herczog Pippins von Brabanndt. mit
der ward er auch herczog in Brabanndt vnd conigstauel der kronn
zw Prangkreich. sein gemachel erwarb irem hern ein sonne, Pypin
genandt. er ward got befolchen im iar des heils als man schreib
nach Cristy vnssers erlössers geburdt 685 iare. vnd sein gemachel
lebt nach im 13 iar. als ir aber ir gemachel abgieng, kam sie zu
irer swester sännet Gertrautten. die was ein sellige abbathissin zu
Nyffelle, welches goczhaus sye von irem eygen pattrimonium het
erstlich gestift vnd gefundiert vff 60 iungfrawen. da verczart die
lobwirdig furstin ir zeit in einem geistlichen wessen, die erfordert
got zu seinen götlichen gnaden im iar des heils als man schreib
nach Cristy vnssers erlössers geburdt 698 iare.
22. Pippin oder Pipan , genandt der grosz von Harstal , dar vmb das
er sein fürstlichen hoff mit täglichem stadt bey dem selben pallast
hielt, der noch ligt vff der Masse zwischen Leutich vnd Mastriecht,
ein sonne herczogen Angisus, ward nach seim vatter herczoge zu
Lotrigk vnd Brabandt, des heilligen romischen reichs marggraff zu
Antdorff, ward auch der krön zw Prangkreich oberster radt, konig-
stauel vnd swertrager in Prangkreich, hoffraeister marschalgk vnd
landgraff, pfalczgraffe zw Trier, sein gemachel was fraw Pluthrudt,
ein tochter konig Thassillio von Beyrn. aber etlich seczen, disse
fraw Plegktrudt oder Pluthtrudt sey ein tochter gewessen herczog
Radipotten von Frieslandt, welchen er als man schreib 694 vber-
wunden hat, vnd ausz seiner befestigung zu Eutricht ein bistom
gestifft vnd sännet Willibrod für den ersten bischoff da ein geseczt.
sein gemachel fraw Pluthtrudt erwarb irem hern ein tochter, sännet
Notburga. sye erwarb im auch funff sonne : Grimoldus, erbmarschalgk
in Prangkreich; Theodobaldus ; sännet Siluinus ein confersz; Pipin
ward von herczog Ottocarn von Beyrn vnd Burgonigen in seiner
iugend mit eim schachbredt geschlagen , das er starb ; vnd Trugo,
herczog zu Campania. disser Pipan verschied als man schreib 714
iar. noch hat er gehabt ein tochter Bega, vnd ein sonne genandt
Theodobaldus. er hat auch neben seinem gemachel ein liebhaberin,
genandt Alphey, die seines gemacheis nache freundin was, welche
im auch ein sonne [erwarb, der] Carollmarcel oder Carelmart ge-
nandt ward, der aller seiner brueder fürst vnd her ward.
29*
408
Sitzung der hist. Classc vom 3. Mai 1879.
Drogo, Carl Greimold,
hertzog in Campania.^) Mart.') erbraarschalck in
708. 741. Fran[ckreichJ.
Hertzog in Franckreich. seinn gemahel 714.
Schweinhildt ausz Bairn.
1) Ebendort: Marti. Es ist erst nach-
i-äglich beigesetzt.
2) Ebendort : Seh rapania.
Rockinger: Zu Aventins deutschen Schriften. 409
28. Theodobaldus, ein sonne des grossen herczogen Pipinus. aus dem
macht sein vatter einen herczogen zw Burgonien. ich find aber kein
weitter gedächtnus von im, ob er ledig bliben oder ellich worden sey.
23. Drogo, ein sonne des grossen herczogen Pipins. ausz dem macht sein
vatter ein herczogen zw Campania. vnd find von im auch kein weitter ge-
dächtnus, wann das es seczt das er von disser weit gescheyden sey
als man schreib nach Cristy vnssers lieben hern geburdt 708 iare.
23. Griraoldus, herczoge in Brabanndt, ward nach abgang seins vattern
pfalczgraffe zw Trierre vnd erbmarschalgk der krön zw Franngkreich.
sein gemachel was ein gräfi'in von Thalossa. die erwarb irem hern
ein sonne Diethpold: ward nach abgang seins vattern auch mar-
schalgk in Frangkreich. disser Grimoldus schied von disser weit als
man schreib 714 iar.
23. Carolomart, auch Carlmart oder CaroUymarcel genandt, ein sonne
herczog Pipin des grossen, ward nach abgang seins vattern herczoge
in Frangkreich, auch des konigs oberster radt vnd swertrager von
dem pallast, sein gemachel was fraw Sweinhilt, ein tochter her-
czogen Vttollys von Beyrn, vnd wirt von etlichen Sunahildis genandt.
die erwarb irem hern zwo töchtern: fraw Landtrada ward abbathissin
zw Bilssen, fraw Hyldraud oder Blithilda genandt ward herczogen
Vttel von Beyrn vermechelt, vnd ligt zw Osterhoffen begraben, sye
erwarb irem hern auch sechs sonne : als Remigius , erczbischoff zw
Roann; Groszgund, bischoff zw Mecz; Carloman, herczoge zw Au«
strassia, ward ein raunch, vnd verschied als man schreib 751 iare
der vierd sonne. Bernhart, herczog zu ob der Scheldt; Griffe, dem
gaben seine brueder zwölff graschafften, noch war er vnbenuegig, er
was ein vnnucz man, dar vmb ward er von seinen eygen diennern
erschlagen; der sechst sonne ward Pipin der kurcz genandt. disser
Carlmart was so eins fürstlichen vnd manlichen gemuecz, das er
gancz Hispania mit seiner profincz zu dem kristlichen glauben
bracht, seine rädt vermeinten vff ein zeit, er solt sich des reichs
selbs anniemen vnnd konig zw Frangkreich werden, da gab er in
die antwurt : ist es mir nit erlicher das ich hab vber ein konig vnd
sein reich zw gebietten, wan das ich selb konig wer? also regiert
er 27 iare, vnd schied ausz dissem iamertal als man schreib nach
Cristy vnsers lieben hern geburdt 741 iare.
410 Sitzung der liistor. Glasse vom 3. Mai 1879.
Kunig" in Franck[reich].*)
Landsrat Hyldraud, Carlman, Pipis. Groszgund, Greyff, Diethpolt,
hertzogin raunich. Berthasein pischoff herczog^) marschalck
in Baiein, 751. gemahel. zu Metz. 752, in Franck-
hertzog 768. reich
Vtlsgema- 1
hei, ligt i
zw Oster-
hofen.')
Carlman,
kunig.
771.
Carl der gros,
erst teutsch romischer kayser.*)
1) Ebendort ist diese Titulatur mit
Pipin unmittelbar verbunden : Pipis ky-
nig in Franckreich.
2) Von ,,hertzog Vtls" an fehlt eben-
dort.
3) Durch ebendort beigefügte Zahlen
wird die Reihenfolge so bezeichnet :
Landsrath, Groszgund, Hyldraud, Pipis,
Greyff.
4) So schliesst im Drucke — im Cod.
lat. mon. 821 heisst es: Karl der gros
vnnd erster teutscher romischer kaisar —
die Tafel der „altväter kaiser Karls
des grossen."
Die nächste, nämlich die seiner Nach-
kommen, beginnt : Kaiser Karl der grosz.
ligt zu Ach. vorscheiden 814.
Rockinger: Zu Acentuis deutschen Schriften. 411
24. Pipin, geiiandt der kurcz, ein sonne CaroUymarcel. der ward nach
abgang seins vattern des königlichen sals zu Frangkreich oberster
radt vnd swerttrager, pfalczgraff in Frangkreich, herczog zu Lotrigk
vnd Brabanndt, des heilligen romischen reichs marggraffe zw Ant-
dorff. sein gemachel was fraw Berchta, ein gebornne konigine zw
Kerlingen vnd Aquitanien. die erwarb irem hern ein tochter Sym-
porina: ward herczogin zu Lotringen vnd Halpi. sye erwarb irem
hern auch drey sonne : als Carollymanny, ausz dem macht sein vatter
ein konig zu Aquitania, das vbergab er, vnnd ward ein ordensman;
der ander sonne Pipin vergieng iung mit eim schachbredt; der drit
sonne ward Carolly — der grosz — genandt. disser Pipin kam in
regament im iar des heils als man schreib nach Cristy vnsers lieben
hern geburt 741 iar, vnd regiert seine furstenthum vnd Frangkreich
27 iar. er ward von babst Adrianno mit gemeiner wal vnd furbith
der Franczossen zu einem konig in Frangkreich verordnet vnnd
krondt. vnd als er konig ward, gab er sännet Burgkharten als
erstem bischoff zu Wirczburg etlich gelegenheit des lands zu Frangken,
als es der stifft noch zum teil hat : aber das recht land zu Frangken,
das von Basel bis gen Cöln reicht den Reinstrom hin ab vnd wider
her auff nach der Lönn, die gancz Wetterau, vnd die Höw mit
Buchen, den Steigerwald , den obern Men , vnd das Gebirg mit der
Jagst vnd dem Ottenwald im vorbehaltten , als sich solichs noch
findt in der teillung der teuczschen vnd beirischen konig vnd irer
fursten, die mit irem vätterlichen erb vff bemeltte lannd vnd fur-
stenthum verwissen worden sind, wie sollichs der stam vnd die recht
blutling klärlich anczoget. disser konig Pipin, genandt der kurcz,
befalch sich got vnd schied ausz disser weit als man schreib nach
Cristy vnsers erlossers geburt 768 iare.
25. Caiolly, genandt der grosz, romischer keisser vnd konig zw Frangk-
reich, ein sonne des kurczen konig Pipanns, ward nach abgang seins
vattern konig zw Franngkreich. das regiert er 30 iar mit grossem
nucz. nachmals nara babst Leo der drit das römisch reich von den
Kriechen vrab ires bössen regamencz willen , vnd gab das dissem
konig Carolly, kronndt in auch zw eim romischen keisser. dar nach
regiert er das romisch reich mit der krön zw Franngkreich auch 14
iar. er het vier ellicher gemachel. die erst was fraw Hiltgart, ein
gebornne herczogin zw Swaben. die erwarb irem hern vier sonne:
Ludwig romischer keisser; Lothary ward ein munch ; Carolly vnd
Pypan. sye erwarb im auch ein tochter, fraw Bolixena oder Belix-
enda: ward graffen Amalius von Aluern vermechelt. disse fraw
Hiltgart ligt zw Mencz in sännet Albanns kirch begraben, sein an-
RocJcinger: Zu Äventins deutschen Arbeiten. 413
der gemachel was fraw Himeltraudt , ein gebornne konigiue von
Ferssia die erwarb bey irem hern ein sonne Dietterich vnnd ein
tochter fraw Adeltraut, sein dritter gemachel was fraw Garssulla,
eins herezogen tochter von Saclissen. die erwarb irem hern drey
sonne, Lothary, Haugo, vnd Trugo, die alle ordensleut wurden, sein
vierder gemachel was fraw Vastrada oder Sustrada, eins kouigs
tochter von Sicillia. die erwarb irem hern zwo töchtern, fraw
Geissulla vnd fraw Berchta: wurden beid closterfrawen. disser keisser
Carolly macht ganncz Hispania kristen, vnd fuert ein 30 ierigen
krieg mit den Sachsen vmb des kristlichen glaubens willen, zw
letst bracht er iren konig Wittikindt da hin das er sich toffen lieg,
vnd ward ein selliger krist vor seim ennd. da ward das gancz
lannd zu Sachsen cristen. disser loblich keisser Carolly nam sein
ennd hie in dissem iamerthal in seinem 72 iare seins altters am
ersten tag february, vnd ligt zw Ach, im iar des heils als man
schreib nach Cristy vnsers lieben hern geburdt 815 iare.
414
Sitzung der histor. Classe vom 3. 3Iai 1879.
Sighart.
Gotina sein gemahl.
Disen grauen nendt kayszer Arnulph seinen^) nechsten gepornen
freund in dem brieff dar in er ime Pergon gibt, datum des selbenn
briefifs am ersten tag des monats jeuer zu liegenspurg nach Christi
gepurt 888, in dem erten jar des reichs Arnulphi.
Ist erschlagen worden von den Vngern nach Christi gepurt 907.
ligt mit seiner hauszfrawen zw Freysing.
Rathold.
Engelraud'^) sein gmael.
939.
Hauptman in Kernten hertzog Arnulph^) ausz Bairn. ligt zw Saltzburg
in s. Amands^) kirchen.
Willepyrg Graf Eberhard Graff Adlper der 1
der erst. Liukart sein gemahl.
971. 1013.
Gestorben 972. ligt zu Freising, er vnd sein
geschwistergeit haben zw Ebersperg sand
Sebastian ein kirchen gepaut: ist geweicht
worden im 970 jare.
Ulrich 1019. Adlper der ander.
Richard aus Kernten sein gemahl 1013. Alberat sein gemahl.
Die zween brüder haben gestifft
Kiebach 1011.
Huldsal.
1) Ebendort: seinen lieben.
2j Ebendort: Engelmvnd.
3) Ebendort: Arnulphs.
4) Ebendort: in sand Amandi.
Eockinger : Zu Äventins deutschen Arbeiten. 415
29. Syghart grafF zu Sempt vnd Aiidechs, ein sonne konig Lothario
vom Reinstrom vnd Ostrasya. sein gemachel was fraw Erntiaudt,
graff Chunradfs tochter von Amergaw. die erwarb irem hern ein
sonne, ward Ratold genandt. sie ligt zu Freissing anno 906.
30. Ratold graiFe zu Sempt vnd Andechs, ein sonne graff Sygharczs.
den macht herczog Arnulph ausz Bayrn hauptman in Kernnten.
sein gemachel was fraw Engelmünd. die erwarb irem hern zwo
tochtern : fraw Weilburg, vnd fraw Hatha, sännet Chimrads mutter.
sy erwarb irem hern auch vier sonne, graff Eberhart verschied
anno 971. der ander sonne, graff Rodt, marggraff zu Ostercich vnd
graffe zw Andechs. der drit sonne Friderich, von dem alle her-
czogen zu Meron, marggraffen zu Ystereich vnd graffen zu Andechs
vnd graffen zu Thierolle erwachsen sind, der vierd sonne ward
Adelber genandt. disser graff Rathold schied von disser weit nach
Cristy vnssers lieben hern geburdt 939 iar, vnd ligt zu Salzburg in
sännet Amands kirchen.
31. Adelber graffe zw Sempt, ein sonne graff Ratholds. sein gemachel
was fraw Leutgart. die erwarb irem hern drey sonne: Huldsal vnd
Adelber, des gemachel was Alberat. die zwen brueder haben Kiebach
gestifft anno 1011. der drit sonne Virich. disser eltter graff Adel-
ber vnd seine geswistert haben ein kirchen zu Ebersperg gepaut in
er sännet Sebastionus. ist geweicht worden anno 970. er verschied
anno 972, vnd lygt zw Freissing.
32. Virich graff zw Sempt, ein sonne des ersten graff Adelbers. sein
gemachel was fraw Richarda. ein herczogin ausz Kerntten. die er-
warb irem hern fiinff tochtern. fraw Willepirg, fraw Hadmuet, fraw
Liukart, fraw Reichyperg abbathissin, vnd fraw Gerburg, erste ab-
bathissin zw Geissenuelt. sye erwarb irem hern auch zwen sonne,
als Eberhardt vnd Adelber. disse fraw Richarda schied von disser
weit als man schreib nach Cristy vnssers lieben hern geburdt 1013
iar. vnd ir gemachel graff Virich verschied nach ir als man schreib
1019 iare.
416
Sitzung der histor. Classe vom 3. Mai 1879.
Willepirg.
Weichperg
abtissin.
Hadmuet
Gerbirg,
1 abtissin zu
Geisenuelt.
Liukart.
Eberhard der ander
Adlhait aus Saxen.
Hat^) gestifft
Geisenvelt
1030.
Adelper der 3.
sein gemahel
Richlind von
Amber-
gQ'ff. Sind^)
beide in
einem iar gestorben
als man zalt 1045,
one leibs erben, vnd
mit jnen abgestorben
der nam vnd stam der
grauen von Ebers-
perg. jr ist gewest
Jps, Pösenpoig in
Österreich, Pfeffen-
hausen, Lanquat an
der Laber. alles ge-
zogen ausz den alten
brieuen [zue] Ebers-
perg vnd Benedict-
beurn.
1) Ebendort ist dieser Satz auf sämmtliche Geschwister bezogen : Die haben
gestifft Geisenvelt nach Christi gepurt 1037. MXXX.
2) Die nun folgende Fassung lautete ebendort: Haben gestifft das closter
Ebersperg, als kaisars Henrichs des dritten confirmation vnnd bestetbrieff anzaigt,
des datum stet am — ursprünglich: ersten tag des monats je — neven jarstag zue
Regnspurg 1040. Pfeffenhausen , Ips, Poysenpoyg haben sy dem closter geben, ist
verwechselt worden mit den fursten von Estereich 1180. Adalper vnnd Richlind sein
hauszfrow synd in ainem jar gestorben als man zalt 1045, an leibs erben, vnd mit
yn abgestorben der nom vnd stom der graffen von Ebersperg. alles gezogen u. s. w.
Bochinger: Zu Äventins deutschen Arbeiten. 417
33. Eberhart der ander, graffe zu Sempt vnd Ebersperg , ein sonne
graff Virichs, hatGeissenueldt gestiiFt, vnd sein swester Gerburg erste
abbathissin dar in gemacht, als man zalt 1030 iar. sein gemachel
was fraw Adelheit, ein gebornne herczogin ausz Sachssen. vnd
verliessen keinen leibserben. er schied ausz dissem zeitt als man
schreib nach Cristy vnssers lieben hern geburdt 1045 iare.
33. Adelber seins namens der dritt, ein sonne graff Virichs, sein ge-
machel was fraw Rauchlind von Amergaw. aber sie verliessen auch
keinen leibserben. ir ist gewessen Yps, Bössenboig in Osterreich,
Peffenhausen, Langkweid an der Laber. vnd sind beide in eim iar
verschiden als man schreib nach Cristy geburdt 1045 iare.
418
Sitzunn der Mstor. Classe vom 3. Mai 1879.
Odacker
der erst.
I
I
Odacker
der ander.
i
Ozio.
Odacker der dritt
gestorben 1122.
Sein hauszfraw Eis, s. Liupolden
Schwester.
Adalper Enswald
vnd eesen waltgraff.V
Liutpold 1129. .
Öein hauszfraw Sophia, hertzo«
Henrichs des achten in Bairn
dochter ^)
Odacker der uierd.
1164.
Hat geerbt Eckenprecht den letsten
von Picten, Neumburg, Formbach,
Schärding.^) gestorben zw Funff-
kircken in Vngern auff dem weg
[gein] Hierusalem. sein hauszfraw
Chungund, margraff Dietbolds von
Voburg dochter.
1) Ebendort steht im Ringe in drei Zeilen unter einander: Adalper Einswald
Geisenwald.
2) Ebendort ist noch bemerkt: Erbt Henrichen von Eppenstain.
3) Ebendort lautet dieser Satz: Erbe graff Eccenprechten von Neuburg vnd
Vornpach.
Rocldnper: Zu AvenUns deutschen Arbeiten. 419
35. Odagker, der eltste sonn des altten graff Babbo von Abensperg.
ausz dem macht keisser Chimradt der ander einen marggraifen vff
der Steirmargk, vnd gab im die Steirmargk dar zw. sein gemachel
verlies im ein sonne: ward auch Odagker genandt. er schied von
disser weit im iar des heils 1049 iare.
36. Odagker, seins namens der ander, marggrafife vff der Steirmargk,
ein sonne des ersten vnd elttern marggrauens Odagkers. dem erwarb
sein gemachl ein sonne Ozio. er raurapt seim sonne vatterliche erb-
schafft im iar des heils als man schreib nach Cristy vnssers lieben
hern geburdt 1072 iare.
37. Ozio, marggraffe vff der Steirmargk, ein sonne des andern marg-
graffen Odagkers. dem erwarb sein gemachel zwen sonne: Adelber
Enswald vnd eesen waltgratfe; der ander sonne ward auch Odagker
genandt. er schied von disser weit als man schreib nach Cristy
vnssers lieben hern geburdt 1098 iare.
o8. Odagker, der drit seins namens, marggraffe vff der Steirmargk,
ein sonne marggraffen Ozio. sein gemachel was fraw Ellisabeth, ein
swester des selligen marggraffe Leupolds von Östereich. die erwarb
irem hern ein sonne Liuthpold. er schied von dissem iamertal anno
1122.
39. Leuthpold marggraffe vff der Steyermargk, ein sonne des dritten
marggraffen Odagkers. sein gemachel was fraw Sophia, ein tochter
des achten herczog Heinrichs von Beyrn. die erwarb irem hern ein
sonne Odagker. er nam sein abschied von disser weit als man
schreib im iar des heils 1129 iare.
40. Odagker, seins namens dervierd, marggraffe vff der Steyermargk,
ein sonne marggraffen Leupolds. sein gemachel was frawKungand,
ein tochter marggraff Diethbolds von Vochburg. die erwarb irem
hern ein sonne Odagker. disser vierd marggraff Odagker erbt den
letsteu graffen Egkenprecht von Scherding, von Picten, Neunburg,
Vornbach, Welsz vnd Lambach anno 1158. er schied von dissem
iamertal im iar des heils als man schreib nach Christi vnsers er-
lössers geburdt 1164 iare.
420
Sitzung der histor. Classe vom 3. Mai 1879.
Odacker,
der 1 h [erzog] in Steyermarc.
1182.1)
/
Odacker,
der letst, h [erzog] in der Steyer-
marck. jst on erben abgestorben,
hat das land den fursten von Oster-
reich vber geben^) 1186. gestor-
ben 1192.^)
1) Ursprünglich stand: obiit 1181. aly 1182.
2) Ebendort steht noch : vnnd geschaift.
3) Anfänglich stand: obiit 1187. aly 1192.
Bochinger: Zu Äventins deutschen Arbeiten. 421
41. Odagker, der funift seins namens, marggraffe vif der Steyermargk,
ein sonne des vierden marggraffen Odagkers. keisser Friderich der
erst, genandt Barby Russy oder Rotbardt, der macht ausz dem marg-
graffthum zu Steyermargk ein herczogthum, vnd ausz dyssem marg-
graffen Odagkern den ersten herczogen in der Steyermargk. sein
gemachel verlies im ein sonne Odagkern. er schied von disser weit
als man schreib 1182 iare.
42. Odagker, seins namens der sechst vnnd letste, herczog in der
Steirmargk, ein sonne des funiften herczogen Odagkers, lebt nit lanng
nach seim vattern, vnnd het keinen leibserben. dar vmb vbergab
er das lannd den fursten zu Österreich, Leuthbolden vnd Heinrichen
gebruedern, herczogen zu Östereich vnd Beyrn, im iar des heils als
man schreib nach Christy vnsers lieben hern geburt 1186 iar. dar
nach im sechsten iare, als man schreib 1192 iar, schied der loblich
fürst auch von disser weit.
[1879. I. Philos.-philol-hist. Gl. 4.] 30
422
Sitzung der histor. Glasse vom 3. Mai 1879.
Ernst
zu Heubsch vnd Castelberg [vnd] Lauterach.
[Gebhard I.]
[Vgl. unten in 36 b.]
Herraan. Castl.
Haziga.
1030.
i
Fridrich.
[Beringer L]
[Vgl. unten in 37 b.]
Herman [zu]
Habsperg,
Gebbar[d] d[er] 1.
Sultzpach gepaut.
Irmgard gmal.
Oto 1100.
Oto h [erzog] zw
Amerthal. sein
döchter: Gertraud,
ein mutter Kichisse,
kayser Luthers des 2
gemahel; Sophia
gräuin zw Andechs;
Bertha, gemahel Ru-
dolphs von ßeinfeld;
Petrissa , gemahel
Otens von Schwein-
furt, ir sün: Eber-
hardt vnd Gebhart
bischoff zw Aichstat,
erweit 1075 , gestor-
ben 1099.
Bockinger : Zu Aventins deutschen Arbeiten. 423
35. Ernnst zu Heubsch zu Kastelberg vnd Lauterach, graffe zu Castel
vnnd im Amertal. dem verliesz sein gemachel zwenn sonne, Her-
man graffe zu Castel, vnnd Gebhart, er ward vogt des goczhaus zw
Nidernmunster. etlich seczen disen graff Ernsten für ein gast, als
ob er fremd inns lannd komen sey. aber die history zögt an, das er
von keisser Chünradten dem andern neben andern seinen brüedern
von im begnadt vnd mit dissen ersten dreyen herschafften obgemelt
belechent worden sey. nach mals sollen seine sonn der ein Castel
vnd der ander Sulczbach gepawt haben, er schied von disser weit
do man zalt nach Cristy vnssers lieben hern geburdt 1024 iare.
86. Herman, ein sonne graff Ernnsten. dem ward von vätterlichem
erbe die herschafften Castelberg vnnd Lautterach. der vieng an,
Castel das schlos zu bawen. vnd lebt nit lanng nach seim vatter.
sein gemachel fraw Hacziga erwarb irem hern ein sonne Friderich.
disser graff Herman befalch sich got im iar des heils 1030 iare.
37. Friderich graffe zw Castel, her zu Kastelberg, ein sonne graff
Hermans. der fieng Castel erstmals an zw bawen, vnd bawt das
von räuchern stain vff. sein gemachel verlies im ^wen sonne : Her-
man zw Habsperg, der ander son Otto, er verlies sein vätterlich
erb dis iamertals im iar des heils als man schreib 1064 iare.
38. Otto, herczog im Amertall vnd graff zw Castell, ein sonne graff
Friderichs. sein gemachel erwarb im vier töchtern: fraw Sophia
gräffin zw Andechs, fraw Berchta, graff ßüdolffs gemachel von Rein-
felden ; fraw Petrissa, ein gemachel marggraff Otten von Sweinfurdt.
disser herczog Ott enndt seyn leben im iar des heils als man schreib
1100 iare.
36. Gebart, ein sonne graff Ernnsten. dem ward von vätterlichem
erbe die herschafft Heubisch vnd die vogtey zu Nidernmunster mit
dem Amertall. er fieng Sulczbach an zu bawen: dar vmb nampt
30*
424 Sitzung der histor. Classe vom 3. Mai 1879.
Beringer der 1.
gestifft Poumburg, Bertol-
gaden.
Castel 1120. Adelheit von Wolfratz-
hauszen sein gmahel. sein Schwester: Vta,
h[erzog] Angelprechts in Kernten ge-
mahel, vnd Liuthgart gräuin zw Vohburg.
Gebhard der 2.
1156.
Mathild sein gemahel, Heinrichen des 8 herzogen in Bairn dochter.
sein Schwester : Gerdraut , römische kaiserin , Chunraden des 3 hausz-
frau ; vnd Bertha oder Jrena , kriechische kaiserin , hauszfraw kaiser
Manuelis , ligt zu Castel , dahin gefurt von Constantinopel nach tod
irs gmahls; Alhaid, kriechische despina.
Beringer der 2.
1165.
Sein Schwester Sophia, graf Rapotn von Abinberg, vnd Elsz, graf
Rapotn zu Artinberg hauszfraw. Alheit von Medling sein gmahl.
Gebhard der letst. Mathil grafin von Craiburg.
1185. ir gmal Engelprecht.
Bockinger: Zu Aventins deutschen Arbeiten. 425
man in den graifen von Sulczbach. sein gemachel fraw Irmgardt
erwarb irem hern zwo tochtern. fraw Vtha ward dem dritten her-
czog Angelbrecht von Kernntten vermechelt. fraw Leutgart ward
graffin zw Vochburg. sye erwarb irem hern auch ein sonne Beringer.
er schied von disser weit ab im zeit der gnaden als man schreib
1068 iare.
37. Beringer graffe zu Sulczbach vnd her im Amertal, ein sonne
graff Gebharts. sein gemachel was fraw Adelheit, ein gebornne
gräffine von Wolfferczhaussen. die erwarb irem hern drey tochtern :
fraw Gertraudt, des dritten keysser Chunradts gemachel; fraw Ber-
chta, von etlichen Irena genandt, ein gemachel keisser Amanuels
von Kriechen; die ward nach irm abgang von Constantynopel gen
Castel gefuerdt vnd da begraben; die drit tochter, fraw Adelheit,
die ward kriechische dispottin. sye erwarb irem hern auch ein
sonne, Gebhartt den andern, disser graff ßeringer nam sein abschid
von disser weit im iar des heils als man schreib nach Christi vns-
sers lieben hern geburdt 1120 iar.
38. Gebhart graffe zw Sulczbach, der ander seins namens, ein sonne
des nächsten graff Beringers. sein gemachel was fraw Mechthilda,
ein tochter des achten herczog Heinrichs von Beyrn. sein gemachel
erwarb irem hern zwo tochtern: fraw Sophyen, ein gemachel graff
Rapodten von Abinberg; die ander tochter, fraw EUisabeth, ward
ein gemachel graff Radpotten zu Arttenberg. sye erwarb irem hern
auch ein sonne, genandt Beringer. disser graff Gebhart ergab sich
got im iar des heils als man schreib nach Cristy vnssers lieben hern
geburdt 1156 iare.
39. Beringer, graffe zu Sulczbach, der ander seins namens, ein sonne
des andern graff Gebharczs. sein gemachel was fraw Adelheit, ein
gräffin von Medling. die erwarb irem hern ein tochter, fraw Mech-
tild: ward marggraff Engelbrecht von Istereich vnd Krayburg ver-
mechelt. sye erwarb irem hern auch ein sonne Gebhart, der was
der letst von dem geschlecht, verschied anno 1185, vnd sein vatter
vor im als man schreib 1165 iare.
426
Sitzung der histor. Classe vom 3. Mai 1879.
Ruprecht.
Billetraud sein gmael.
1050.
Ein sun Babonis von Abensperg vnnd bruder Aswein grauen von Pogen. ^)
Mang.
Irmgard sein gmal. \ haben
gestiflft
Ror bey
Albrecht ^Abensperg.
1133
Heinrich
gestorben zu Hierusalem
1101.
Richardt von Österreich sein ge-
mahel.
Oto.
hat gestifft Walder-
bach. Ligt zu Regens-
purg zw s. Heymeran
vor der kirchtur'-^)
1142.
Heinrich,
burgraf zu Regens-
purg.
1162.
Bertha, s. Liupolds
von Osterreich
dochter, sein gemahel.
ligt zw Regenspurg
zw den Schotten, jr
üdilheit
kunigin in
Vngern.
]) Im Cod. lat. mon. 821 fehlt von,,vnd 2) Ehendort fehlen die Worte: vor der
bruder" angefangen. kirchtur.
BocJcinger: Zu Aventins deutschen Arbeiten. 427
35. Ruprecht, lanndgraffe zu Steffling vnnd Stauff am Regenn, graffe
zu Rietenburg Calmuncz vnnd Lengfeld, burggraffe zw Regenspurg,
vnd her zu Rorr, der 13 sone graff Babbo von Abensperg. sein ge-
machel fraw Wiltraudt erwarb irem hern zwen sonne, Mang vnd
Heinrich, er schied von dissem iamerthal im iar des heils als man
schreib 1050 iare.
36. Mang, graff zu Rietenburg vnd her zu Rorr, ein sonne lanndgraff
Ruprechts von Steffling. des gemachel fraw Irmgardt erwarb irem
hern ein sonne Albrecht, der verschied im frid im iar des heils als
man schreib nach Cristy vnsers lieben hern geburdt 1133 iare.
disser graff Mang vnd sein son Albrecht haben des goczhausz Ror
gestifft vnd fundiert.
36. Heinrich der eltter, burggraffe zu Regenspurg, landgraffe zu Steff-
ling vnd Stauff am Regen, graffe zu Calmuncz vnd Lengfeld, ein
sonne landgraff Ruprechts, sein gemachel was fraw Reicharda, ein
tochter des andern marggraff Leupolds von Östereich. dye erwarb
irem hern ein sonn Otto, disser burggraff Heinrich verschied zu
Hierosalem im iar des heils als man schreib 1101 iare. sie erwarb
im auch ein tochter Adelheit.
37. Otto, burggraffe zu Regenspurg, landgraff zu Steffling vnd Stauff
am Regen, graffe zu Lenngueld vnd Calmuncz, ein sonne burggraffen
Heinrichs, dem verlies sein gemahel ein son Heinrich, disser land-
graff Otto hat Walderbach gestifft, vnd verschied im iar als man
zalt 1142 iare. ligt zu Regenspurg zu sännet Heimeran vor der
kirchen begraben vnderm baradeis.
38. Heinrich der ander, burggraffe zu Regenspurg, lanndgraff zu Stauff
am Regen, graffe zu Lengueld vnnd Riettenburg. sein gemachel
was fraw Berchta, ein tochter des seiligen marggraff Leupolds von
Östereich. die erwarb irem hern drey sonne, als Friderich, Hein-
rich, vnd Otto. [Otto] ward ein minch. sie verschieden aber iung.
wan irs vattern swester sonne graff Otto erbt sie. disse fraw Ber-
tha ligt zu Regenspurg zu den Schotten, vnd er verschied anno
1162.
428
Sitzung der histor. Classe vom 3. Mai 1879.
sun:
rieh,
Fridrich, Hen-
Otto munch. ^)
Oto
landgraf.
Adlheit, ein Schwester hertzog*
Otn in Bairn, sein gemahl. jr
sün: Oto, Henrich, Fridrich.'')
Abgestorben 1185.
1) Sie sind ebendort in den Stammbaum selbst eingezeichnet.
2) Desgleichen.
Bockinger: Zu Äventins deutschen Arbeiten. 429
37. Fraw Adelheit, gebornne burggraiFin zu Kegenspurg, landgräffin
zu Steffling vnd Stauif am Regen, die ein tochter war des elttern
burggraff Heinrichs, die vermechelt ir her vnnd vatter dem erstenn
konig Colman von Vngern. dem erwarb sie drey sonne: StefFan,
Bello, vnd Otto, den nam sie nach abgang irs hern mit irherauff,
vnd saczt den in ir vätterlich erbe, das sie von ires bruedern sonne
vnd seinen sonnen ererbet.
38. Otto, lanndgraffe zu Steffling, zu Stauff am Regen vnnd in Beyrn,
graffe zu Lengueld Calmüncz vnd Riettenburg, ein sonne konig Col-
mans von Vngern. sein gemachel was fraw Adelheit, ein tochter
des funfften herczog Otten von Beyrn. die erwarb irem hern drey
sonne : Otto landgraff in Beyrn vnd graffe zu Lenngfeld , Heinrich
lanndgraffe zu Steffling vnd graff zu Riettenburg, vnd Friderich
graffe zu Kalmüncz vnd landgraffe zo Stauff am Regen, sind all
abgestorben im iar des heils alsz man schreib nach Cristy vnsers
lieben hern geburdt 1185 iare.
430 Sitzung der Jiistor. Classe vom 3. Mai 1879.
Ulrich der erst.
Gertraud von Graispach sein gmahel.
1298.
Henrichs von Ramdeck sun, vnd grauen Meinhards vnd Gebhards
Ton Roteneck bruder sun, als zw Ror in den brieffen angezaigt wirdt.
Bernhard. Ulrich der ander.
Maria sein gemahel. Sophia sein gemahel.
1313.') 1308.^)
Johanns der 1. Margreth Ulrich der drit,
gestorben an aller seien tag Gebolfin zu genand der elter. ^)
1330. Degenberg. Eis*) von Gundelfing
sein gemahel
1369. ^)
Hat das spital zu Essing
12 armen leuten vnnd 6
chorhern mit einem dechandt
alda gestifft nach Christi ge-
purt 1367. der erst dechant
Wigant von Piburg. ^)
Albrecht. Virich der IV. Dietrich Johanns der ander. ')
lit Regenspurg ligt zu bischoff zu Agnes von Liechtenstain
neben s. Wolfgang *) Rodis. Rengspurg sein gemahel.
1366.^) 1375. 1383. 1397.
Hat gestifft das closter zu
1) Ebendort ist unter 1313 noch 1325 gesetzt.
2) Die Jahrzahl 1038 des Druckes ist blos Uebersehen.
3) Die Worte „genand der elter'* fehlen im Cod. lat. 821.
Bockinger: Zu Äventins deutschen Arbeiten. 43 1
41. Virich her zu Ahensperg, ein sonne hern Heinrichs vonn Randegk,
vnd graff Meinhards vnd Gebharcz von Rottenegk bruder sonne,
sein gemachel was fraw Gertrut, ein tochter graff Berchtolds von
Grayspach. die erwarb irem hern zwen sonne, als Bernhart vnd VI-
ricb. er schied ausz dissem iamertal nach Cristy vnsers lieben hern
geburdt als man schreib 1298 iare.
42. Bernhardt her zu Ranndegk, der ander seins namens, ein sonne
hern Virichs von Abensperg. sein gemachel, fraw Maria, die erwarb
kein erben bey im. er verschied im iar des heils als man schreib
1313 iare. da fiel die herschafft Randegk wider an die hern zu
Abensberg.
42. Virich, der ander seins namens, her zu Abensperg, ein sonne des
elttern hern Virichs, sein gemachel was fraw Sophia, die erwarb
irem hern ein tochter, fraw Margreth: ward fraw zum Degenberg,
sye erwarb im auch zwen sonne : Johanns verschied an aller sein tag
anno 1330 ; der ander sonne ward auch Virich nach seim vatter ge-
nandt. der alt her Virich entwich sein sonnen von irem vätterlichen
erbe im iar des heils als man schreib 1338 iare.
43. Virich her zu Abensperg, seins namens der drit, ein sonne des
andern hern Virichs, stifft das spital zu Essing vff 12 arraerleut vnd 6
corhern mit einem techandt: vnd was her Wigant von Byburg der
erst techand da anno 1367 iare. sein gemachel was fraw Ellisabeth,
ein frolein von Gundelffing. die erwarb irem hern vier sonne: Al-
brecht ligt zu Regenspurg neben sännet Heimeram anno 1366 ; der
ander son Virich ligt zu Rodis anno 1375 ; der drit son Diete-
rich ward bischoff zu Regenspurg , vnd verschied im iar des heils
1383 iare; der vierd sonne Johanns, disser her Virich ergab sich
got im iar der gnaden als man schreib nach Cristy geburdt 1369
44. Johanns, der ander seins namens, her zu Abensperg, ein sonne des
dritten hern Vlrichs sein gemachel was fraw Angnes von Liechten-
stein zu Muräw. die erwarb irem hern vier töchtern : fraw Elsz
graffyn zu Schawnburg, fraw Angnes landgräffin zum Leuchtenberg,
4) Ursprünglich stand : Sophia.
5) Ebendort: 1368 am 30 tag des augstmons.
6) Ebendort ist die Fassung : leutten gestifft vnnd vj korherren mit ainem dechandt.
der erst Wigand von Piburg 1367
7) Ebendort steht : der erst. Der obenaufgeführte Johann I ist nämlich erst später
zugesetzt worden.
8) Ebendort: Wolfgang grab.
9) Ebendort: 1396.
432
Sitzung der histor. Classe vom 3. Mai 1879.
Abensperg 1389. gestorben
im brachmond an s. Johans
abent, da damals derfrölich
antlas was ; sein gemahl am
samtztag am 3 tag nach
im/) auch sein geschwister-
geit: Wilhelm, Wernher,
Agnes zum heiigen perg,
Barbara zu Rosenberg,
Margret closterfraw zu
Pjlnhofen. ')
•ich der 5.
Georg.
Bernhard
1395.
1416
vnd
Wilhelm.«)
Jobst.
Agnes von Schaunburg sein
gemahel.
1428.
Gestorben im herbstmonat
am 11 tag. sein Schwester:
Elsz gräuin zu Schaunburg,
Agnes landgräfin zum Leuch-
tenberg, Margret Kuchlarin,
Vrsula Truchsassin zw Wal-
purg. *) ^
I
Dietrich Ulrich der 6. Sigmund Johanns der dritt.
1425. 1417. vnd Magdalena von Pettau, nach-
Degenhard. mals Eis von Torring sein
gmahl.
1476.
Ligt zu Abensperg im closter.
sein Schwester: Magdalena;
Ameley; Barbara von
Schwartzenburg oder Sensz-
haim; Margret, Albrecht
1) Ebendort: sein hauszfraw am saraz-
tag dar nach.
2) Sie sind ebendort in die Stammtafel
selbst eingezeichnet.
3) Ebendort fehlt: vnd Wilhelm.
4) Sie sind daselbst in den Stammbaum
selbst eingezeichnet.
Mockinger: Zu Äventins deutschen Arbeiten. 433
fraw Margreth Kuchleryn, vnd fraw Vrsulla Truchsässin zu Waltpurg.
sye erwarb irem hern auch vunif sonne : Virich der 5 verschied anno
1395, Görg der verschied anno 1416, Bernhart, Wilhelm, vnnd Jobst.
er stifft das frawenbrueder closter zu Abensperg anno 1389, vnd ist
verscheiden nach Cristy vnssers lieben hern geburdt 1397 iare.
Dis nachuolgund sind seine geswistert: nemlich Wilhelm vnd
Wernher; auch fraw Angnes gräffin zum Heilligenberg, fraw Bar-
bara fraw zu Rossenberg, die drit fraw Margreth closterfra zw Byln-
hoffen.
45. Jobst her zu Abensperg, ein sonne des andern hern Johanns-
sen. sein gemachel fraw Angnes gräffine zu Schaunburg. die erwarb
im _unff töchtern: die erst Magdalenna; Amley; vnd Barbara fraw
zu Swarczenberg; fraw Margreth, Albrecht Nothaffts gemachel; vnd
fraw Anna Marschälgkin zu Bappenheim. sye erwarb irem hern auch
funff sonne: Degenhard; Sygmund; vnd Virich verschied anno 1417;
der vierd sonne Dietterich verschied im jar des heils 1425 iare; der
funfft sonne her Johanns, disser her Jobst ergab sich got im iar
der gnaden als man schreib 1428 iar am 11 tag herbstmonczs.
46. Johanns, der drit seins namens, her zu Abensperg, ein sonne her
Jobsten. sein erster gemachel was fraw Madlenna von Pettau. die
ander was fraw Ellisabeth von Törring. die erwarb irem hern ein
tochter, fraw Clara: kam gen Essing, ward sundersiech, vnd ver-
schied anno 1441. sy erwarb im auch ein sonne Niclas.
disser her Johanns ward von got ausz dissem iamertal erfordert im
iar des heils als man schreib nach Cristy vnssers lieben hern geburdt
1476 iar.
434
Sitzung der histor. Classe vom 3. Mai 1879.
Clara
iunckfraw
ausmerckig zu
1441.
•')
Nothafftn gemahel ; Anna
Marschalckin zw Bappen-
heim. ^)
Niclas.
Martha von Werdenberg
sein gmal.
1485.
Erstochen^) vor Freising'*)
an dem leisten tag des
monats hornung. anmontag
in der andern fastwochen
begraben zu Abensperg im
closter.
1) Sie sind ebendort in den Stammbaum selbst eingezeichnet.
2) Ebendort : Clara, virgo leprosa Essing, und ohne Jahrzahl.
3) Ebendort: erschlagen.
4) Ebendort fehlt: vor Freising.
BocTcinger: Zu Äventins deutschen Arbeiten. 435
47. Niclas freyher zu Abensperg, ein sonne des dritten hern Johanns-
sen. des gemachl was fraw Martha, ein tochter graff Johansen von
Werdenberg, sie erlanngt aber kein erben bey im. er ward vor
Preyssing an dem letsten tag des monaczs hornung erstochen, vnd
am mantag in der andern vastwochen zu Abensperg im closter be-
graben anno 1485. da nam herczog Albrecht von Beyrn die her-
schafft Abensperg ein.
Philosophisch -philologische C lasse.
Sitzung vom 3. Mai 1879.
Herr Thomas hielt eiaen Vortrag:
,,Zur Quellenkunde des venetianischen Handels und
Verkehrs". Derselbe wird in den „Abhandlungen'' veröffent-
licht werden.
Herr Lauth hielt einen Vortrag:
,,üeber Siphtha und Amunmeses'S welcher gleich-
falls ebendaselbst zur Veröffentlichung kommen wird.
Sach-Eegister.
Abbildungen historischer Persönlichkeiten 48.
Amunmeses 435.
Apis-Cyclus 139.
Armenn des altnorwegischen Rechtes 49.
Aventin's „Türkenwamung" und „Römisches Kriegsregiment'* 337.
„ deutsche Schriften im geh. Hausarchive 365.
Bauernkrieg 207.
Bayerische Geschichte 139.
Ebersberg Kloster 139.
Elfenbeintafeln antike 206.
Hindui-Gedichte, die ältesten 1.
Homer, die Interpolationen bei 141.
Josef Ferdinand, Kurprinz von Bayern 227.
Norwegisches Recht, die Armenn 49.
Pfälzische Geschichte 139.
Porträtähnlichkeit historischer Persönlichkeiten 48.
Savigny-Stiftung 335.
Schwartzerdt's Aufzeichnungen über den Bauernkrieg 207.
Siphthas 435.
Spanische Erbfolge 227.
Yenetianischer Handel und Verkehr 435.
Zographos-Preis 325.
[1879. 1. Philos.-philol.-hist. Gl. 4.] 31
Namen -Register.
V. Christ 141.
V. Döllinger 325.
V. Druflfel 337.
V. Giesebrecht 329.
V. Hefner- Alteneck 48,
Heigel 227.
Hundt Graf von 139.
Lauth 139, 435.
Maurer 49.
Meyer 206.
Muffat /Nekrolog) 329.
V. Prantl 327.
Rockinger 139, 365.
Slane (Nekrolog) 327.
Thomas 435.
Trumpp 1.
Würdinger 207.
Sitzungsberichte
der
philosopliiscli-philologisclieii und
historischen Classe
der
k. b. Akademie der Wissenschaften
zu IVtünchen.
Jahrgang 1879,
Zweiter Band.
München.
Akademische Buchdruckerei von F. Straub.
1879.
In Commission bei G. Franz.
Uebersicht des Inhalts.
Die mit * bezeichneten Vorträge sind ohne Auszug.
Oeffenüiche Sitzung zur Vorfeier des Gebiirts- und Namens-
festes Seiner Majestät des Königs Ludtvig IL am 25. Juli 1879.
Seite
Neuwahlen • . . 106
Philosophisch -philologische Classe.
Sitzung vom 7. Juni 1879.
Brunn: Die griechischen Bukoliker und die bildende Kunst . 1
J 1 1 y : Das Dharmasütra des Vishnu und das Käthakagr ihyasütra 22
Sitzung vom 5. Juli 1879.
Kuhn: Ueber die ältesten arischen Bestandtheile des singhale-
sischen Wortschatzes (105) 399
*Lauth: Ueber das 11. Kambyses Jahr 105
Sitzung vom 8. November 1879.
Bursian: Eine neue Orgeonen-Inschrift aus dem Peiräeus . . 108
Uuger: Das Strategenjahr der Achäer 117
Lauth: Der Apiskreis 193
Sitzung vom 6. Decemher 1879.
Maurer: Ueber die Entstehung der altnordischen Götter- und
Heldensage 290
Trunipp: Ueber den arabischen Satzbau nach der Anschauung
der arabischen Grammatiker 309
IV
Historische Classe.
Sitzung vom. 7. Juni 1879.
Seite
Föringer: Ueber die für verschollen gehaltene Handschrift der
Annales Weihenstephanenses 83
*Stieve: Ueber die Verhandlungen über die Nachfolge Kaiser
Rudolfs II in den Jahren 1581-1602 97
Sitzung vom 5. Juli 1879.
*Riehl: Ueber den Einfluss der Troubadoure und Trouveres auf
die Ausbildung der musikalischen Melodik 105
*Preger: Beiträge zur Geschichte des deutschen Reiches von
1530—34 105
Sitzung vom 9. November 1879.
*P r e g e r : Beiträge zur Geschichte des deutschen Reiches von
1530—34 (Fortsetzung) 265
Sitzung vom 6. December 1879.
V. Giesebrecht: Neue Gedichte auf Friedrich 1 269
Einsendungen von Druckschriften 98 266
Sitzungsberichte
der
königl. bayer. Akademie der Wissenschaften.
Philosophisch-philologische Classe.
Sitzung vom 7. Juni 1879.
Herr Brunn legt vor:
Die griechischen Bukolik er und die bil-
dende Kunst.
Es ist wohl allgemein anerkannt , dass zwischen der
bukolischen Poesie und der bildenden Kunst der Griechen
gewisse Beziehuugen bestanden haben. Fragen wir jedoch,
ob die Kunst von der Poesie abhängig war oder umgekehrt
die Poesie von der Kunst, oder ob diese Beziehungen mehr
wechselseitiger Natur waren, so vermissen wir bis jetzt eine
bestimmte Antwort. Auch ohne besonderen Beweis wird
es einleuchten, dass das Verhältniss nicht wohl das gleiche
sein kaon , wie etwa zwischen der epischen und drama-
tischen Poesie und der bildenden Kunst. Epos und Drama
sind die Hauptquellen, aus denen die Kunst schöpfte, und
wenn umgekehrt die Poesie auch Rücksicht auf Kunst und
Kunstwerke nimmt, so geschieht dies, auch noch bei Euri-
pides, der in seiner Jugend selbst die Malerei ausgeübt
haben soll , doch verhältnissmässig selten und mehr des
äusseren Schmuckes wegen , als dass dadurch das Wesen
der Poesie selbst bedingt erschiene. Dagegen weist die bu-
kolische Poesie ihrer ganzen Natur nach durch das, was
[1879. 1. Philos.phüolog.-hist. Gl. Bd. II. 1.] 1
2 Sitzung der philos.-jphilol. Classe vom 7. Juni 1879.
wir als Kleinmalerei zu bezeichnen pflegen , auf eine Auf-
favssung bin, die sieb mit dem Wesen der bildenden Kunst
inniger berührt, und es ist wohl nicht als ein blosser Zu-
fall zu betrachten , dass der Wiedererwecker des Idylls in
der deutschen Literatur, Salomon Gessner, zugleich Dichter
und Künstler war.
Gehen wir jetzt auf die Untersuchung der einzelnen
Dichtungen ein, so werden wir dabei von den Epigrammen
auf Statuen und einige Weihgeschenke absehen dürfen,
welche Theokrit uns hinterlassen hat : sie beziehen sich auf
die dargestellten Personen oder auf die Weihung, nicht auf
das Kunstwerk als solches. Auch bei dem ländlichen Bilde
des Priapos (Ep. IV) kommt das Kunstwerk nicht in Be-
tracht, wenn sich hier auch die Schilderung der Umgebung
zu einem vollständigen Landschaftsbilde abrundet. Ebenso
wenig handelt es sich bei der Statue eines Eros, die einen
spröden Jüngling erschlägt, im XXIIL Idyll, um das Kunst-
werk. Wohl aber macht sich in den Adoniazusen bei der
Schilderung des Adonis auf seinem Lager und seiner ganzen
Umgebung das Künstlerische dieser Schaustellung schon
bedeutend und fast noch mehr, als in den dahin gehörigen
verwandten Kunstdarstellungen geltend, und die Archäologie
hat hier von der decorativen Verwendung des Raubes des
Ganymedes , sowie von der reichen Ausschmückung mit
spielenden Eroten Act zu nehmen.
Wichtiger ist die Beschreibung des reichen Schnitz-
werkes an einem hölzernen zweihenkeligen Trinkgefässe im
ersten Idyll (v. 27 ff.) , die schon vielfach Gegenstand
wissenschaftlicher Erörterungen geworden ist (vgl. besonders
Gaedechens: Programm zum 100. Jahrestage des Todes
Winckelmann's. Jena 1868). Leider ist nicht nur der Text
mannigfachen Bedenken unterworfen, sondern der Dichter
selbst scheint von dem Vorwurfe nicht freizusprechen, dass
seine Beschreibung besonders in der Verknüpfung der ein-
Brunn: Die griech. Bukoliker und die bildende Kunst. 3
zelnen Theile der nöthigen Präcision und Anschaulichkeit
entbehre. Nach Erwähnung der Pflanzenornamente am
oberen (und unteren?) Rande folgt die Schilderung von
drei bildlichen Darstellungen : evroad-ev streiten zwei ver-
liebte Männer wegen eines schönen Weibes, das sich für
keinen von beiden entscheidet; zolg di ^lera ist ein alter
Fischer gebildet , der seine Netze auf eine Felsklippe
schleppt , um sie auszuwerfen , mit aller Kraft trotz seines
Alters , so dass ihm am Nacken alle Sehnen stark an-
schwellen ; rvT-9-dv d' oggov ancod^ev sitzt in einem Wein-
berge als Hüter ein Knäblein, das aus Halmen ein Grillen-
häuschen flicht und nicht beachtet, wie einer Seits ein
Fuchs an den Trauben nascht , anderer Seits ein zweiter
der Frühstückstasche des Knaben nachstellt. Endlich
Tcavra ö'(Xf,i(pl öeTiaq ist Akanthus ausgebreitet. Wie diese
Darstellungen an dem Gefässe zu vertheilen seien, hat sich
bisher nicht mit Sicherheit bestimmen lassen. Trotz des
Ausdruckes ^^vxoodev , und obwohl in der allerdings nur
oberflächlichen Nachahmung bei Yergil Ecl. HI , 35 ff.
von Innenbildern die Rede ist , scheint es bedenklich an
der Innenseite eines noch dazu tiefen (ßad-v) Trinkgefässes
Reliefdarstellungen anzunehmen. An der Aussenseite aber,
die durch zwei Henkel (dfKpwsg) in zwei gleiche Felder
zerlegt ist, lassen sich nicht wohl drei Scenen vertheilen.
Der Annahme insbesondere, dass der ersten Scene die dritte
in Verbindung mit der zweiten gegenübergestanden habe,
widerspricht die strenge Gesetzmässigkeit , welche die
griechische Kunst in der Zusammenordnung von Seiten-
stücken stets gewahrt hat, und im vorliegenden Falle um
so mehr , als ja die von zwei Männern umworbene Frau
auf die ungesuchteste Weise in dem von zwei Füchsen um-
worbenen Knaben ihr Gegenbild findet , während der den
Fischen nachstellende Fischer zu diesen beiden Scenen etwa
in dem Verhältniss steht, wie auf guten gemalten Trink-
1*
4 Sitzung der philos.-pJiilol. Glasse vom 7. Juni 1879.
schalen das Innenbild zu den beiden Aussenbildern. Auch
ohne weitere Begründung wird hier in den drei Scenen
die poetisch -künstlerische Einheit der Grundidee anerkannt
werden müssen, und in dieser Einheit liegt für die archäo-
logische Betrachtung die beste Gewähr , dass der Dichter
bei seiner Schilderung ein wirkliches Kunstwerk vor Augen
hatte. Wenn sich nun freilich eine passende Vertheilung
dieser Scenen an dem hölzernen Gefässe nicht nachweisen
lässt, so bleibt zur Lösung dieser Schwierigkeit kaum ein
anderer Ausweg als die Vermuthung, dass der Dichter die
Bilder eben nicht an diesem Holzgefässe vorfand , sondern
sie von einem andern Kunstwerk entlehnte und die Be-
schreibung des Pflanzenschmuckes nach seiner eigenen
Phantasie hinzufügte , ohne sich von der Vertheilung des
Einzelnen eine hinlänglich klare Vorstellung zu machen. —
Wie dem auch sein möge , so bleibt davon die kunstge-
schichtliche Thatsache unberührt , dass der Dichter Dar-
stellungen von ausgesprochenstem Genrecharakter beschreibt,
dass also diese Gattung von Darstellungen in der Kunst
seiner Zeit schon hinlänglich entwickelt sein musste.
Ein zweites Kunstwerk beschreibt Moschos II, 37 ff-,
nemlich einen goldenen Korb von der Hand des Hephaestos
im Besitz der Europa. Dargestellt war Jo als Kuh durch
das Meer schwimmend und zwei Zuschauer am Ufer des-
selben , sodann Zeus am Nil die inachische Kuh liebkosend,
um sie wieder zum Weibe umzuschaffen ; endlich Hermes
und der vieläugige Argos, aus dessen Blut der Pfau mit
aufgerolltem Gefieder entsteht Auch hier, wie bei Theo-
krit, müssen wir darauf verzichten, den einzelnen Scenen
ihre bestimmte räumliche Stellung anzuweisen : nur die
dritte wird unter den Rand des Korbes versetzt. Die
beiden andern werden ganz unbestimmt durch h f^iv erjv
und £v ö'rjv eingeführt. Dass jedoch der Künstler etwas
Wirkliches vor Augen hatte , lehrt neben der Einfachheit
Brunn: Die griech. Bukoliker und die bildende Kunst. 5
in der Beschreibung des Einzelnen nicht nur die von den
gewöhnlichen Erzählungen des Mythus abweichende Reihen-
folge der Scenen, unter denen die Tödtung des Argos die
erste , nicht die dritte Stelle einnehmen müsste , sondern
ausserdem noch ein Nebenumstand: wie sollte der Dichter
auf die beiden nichtssagenden Zuschauer verfallen sein,
wenn ihm nicht der Anlass dazu im Bildwerke selbst gegeben
war ? Sie erklären sich als künstlerisches Gegengewicht zu
dem Zeus der zweiten Scene. Die Beschreibung des Moschos
verdient also in den Erörterungen über die Kunstdarstel-
lungen der Jo eine ernsthaftere Berücksichtigung , als ihr
bis jetzt zu Theil geworden ist, um so mehr als wir aus
ihr eine künstlerische Auffassung kennen lernen , welche
von der der erhaltenen Bildwerke mehrfach und wesentlich
abweicht.
Sehen wir von einem bei Theokrit V , 105 nur flüchtig
erwähnten Mischkrug des Praxiteles ab , so finden sich
ausser den behandelten keine weiteren ,, Beschreibungen"
von Kunstwerken bei d^ Bukolikern. Aus diesen allein
aber würde sich auf nähere Beziehungen dieser Dichter zur
Kunst kein sicherer Schluss ziehen lassen ; denn ähnliche
Einzelnbeschreibungen gehören seit dem homerischen Schilde
des Achill gewissermassen zum Apparat der im weiteren
Sinne epischen, erzählenden Dichtung. Dagegen muss sich
unsere Aufmerksamkeit auf eine Reihe kürzerer und längerer
Stellen lenken, die ihrem Wortlaute nach nicht mit Kunst-
werken übereinstimmen , aber uns an solche mehr oder
weniger bestimmt erinnern , indem uns in der Schilderung
das Grundmotiv , der Ideengehalt bekannter Kunstdarstel-
lungen in überraschender Weise entgegentritt.
Auf eine derartige Parallele zwischen Kunst und Poesie
hat bereits Visconti (PCI. I, zu Taf. 51) hingewiesen bei
Gelegenheit des Kentaurenpaares , welches uns besonders
durch die Repliken des Aristeas und Papias im capito-
6 Sitzung der lohilos.-jßTiildl. Classe vom 7. Juni 1879.
linisclieii Museum (Foggini IV , 32 und 33) bekannt ist.
Ein jugendlicher Kentaur jubelt über einen älteren, dem
Eros die Hände auf den Rücken gebunden hat , ohne zu
bedenken, dass auch ihm der Schalk bereits auf der Croupe
sitzt und mit gleichem Leide bedroht. Hier erinnert Vis-
conti an das Gedicht des Bion H (IV) : ein junger Vogel-
steller stellt vergeblich dem Eros nach und klagt nun
seine Noth dem alten Ackersmanne, der ihn im Vogelfang
unterrichtet hatte. Dieser aber schüttelt den Kopf und
warnt ihn: wenn du erst zum Manne gereift sein wirst,
dann wird Eros von selbst za dir kommen und sich dir
plötzlich auf das Haupt setzen.
Bei Theokrit III, 50 ff. tritt sich der Hirt Battos
einen Dorn in den Fuss und fordert den Korydon auf ihn
zu entfernen , was dieser gern thut. Die Scene ist kurz
und lebendig geschildert , aber als eine Episode , die durch
den Gang des Gedichtes wenigstens nicht nothwendig ge-
fordert wird. Dagegen erinnert sie lebhaft an das in mehr
als einer statuarischen Composition verwerthete und variirte
Motiv, dass ein Satyr sich einen Dorn in den Fuss ge-
treten hat und ein Pan mit komisch ernsthafter Sorgfalt
beschäftigt ist , ihn von demselben zu befreien (Clarac
297, 1741; vgl. 716, 1705; ähnlich im Antiquarium zu
München; 726, 1742 und in Pompei).
V, 37 ff. rühmt sich der alte Koraatas, den Lakon
als Knaben unterrichtet und dabei auch tüchtig durchge-
walkt zu haben ; Lakon rächt sich, indem er den Komatas
einen Krummbuckeligen (vßi) schimpft. Die Illustration
dazu findet sich auf einem bacchischen Sarkophage des
capitolinischen Museums, auf dem ein krummbuckeliger
Silen einen Satyrknaben durchwalkt (Foggini IV, 60).
Im X. Gedicht ist Battos in die Bombyka verliebt,
die neulich bei den Schnittern die Flöte blies. Milon
spottet über sie als über eine (xavTig y,ala(xaia, eine dürre
Brunn: Die griech. Bukoliker und die bildende Kunst. 7
Heuschrecke oder, wie Voss übersetzt: die zirpende Halmen-
prophetin. Battos aber siugt das Lob des schlanken
Mädchens {Tav gaöivccv Tcalda) ; er preist sie als anmuth-
reich , andere mögen sie die Syrerin nennen , hager und
sonnverbrannt, er nenne sie die honiggelbe, er rühmt ihre
Füsse, ihre Stimme, ihr ganzes Wesen:
Bojiißvxa xaQieoGay ^vqav naXeovrl tv icavteg
ia%vdv ahoKavOTOv, eyci de {.lovog (.leXiyrkto^ov ....
BofxßvKa xaqUoo^ , ol fxiv jtodeg uOTQccyalol fevg,
d (füjva de TQvxvog' tov (.idv tq67Cov ov% e'^co eiTtelv,
So sehr hier der Wortlaut der Schilderung im Ein-
zelnen abweichen mag , so werden wir uns von dem ge-
sammten Wesen der Bombyka kaum ein lebendigeres, an-
schaulicheres Bild machen können, als es uns die Statuette
der flöteblasenden Panin in der Villa Albani darbietet
(Clarac 727 , 1732). Selbst halb zur Ziege geworden
stehen ihr die klapperdürren Beine zu Gesicht , wie dem
munteren, auf Bergeshöhen keck herumspringenden Thiere,
und niemand wird dieser „zirpenden Halmenprophetin" das
Prädicat der anrauthreichen verweigern.
Wir halten hier vorläufig inne und fragen : wenn hier
eine Gemeinsamkeit der Ideen oder noch allgemeiner,
wenigstens des Ideenkreises nicht abzuleugnen ist , wer
entlehnte: der Künstler vom Dichter oder der Dichter vom
Künstler? lieber jeden einzelnen Fall Hesse sich vielleicht
streiten; aber allen ist eine Verschiedenheit gemeinsam-
der Dichter schildert die Wirklichkeit , Figuren aus dem
Leben; in den Kunstwerken finden wir Satyrn, Paue , eine
Panin , Kentauren. Nach der ganzen Entwickelung des
griechischen Geistes dürfen wir nicht anstehen anzunehmen,
dass die poetische oder künstlerische Gestaltung mytho-
logischer Wesen (so sehr sich diese hier von der noch
älteren religiöseu Auffassung entfernt haben mag) doch
immer noch der Schilderung rein realistischer Figuren
8 Sitzung der philos.-philol. Classe vom 7. Juni 1879.
vorangeht , dass also nicht der Künstler die realistischen
Gestalten der Bukoliker in mythologische umsetzte, sondern
dass der Dichter die Gestalten der Phantasie in solche der
Wirklichkeit , wenn auch immer mit einem hohen Maasse
von Freiheit und Selbständigkeit, übertrug.
Für diese Auffassung vermögen noch manche einzelne
Charakterzüge und Vergleich ungen in den Worten der
Dichter eine weitere Bestätigung zu gewähren. So sagt
Theokrit IV, 62 von einem geilen Alten:
ev y^lovd-qcojte cpiXo7g)a. to tol ysvog rj ^aTVQtoy.oig
eyyvd'ev i] Ile/veoai ytaxoxvdf,WLGLv eqiödeig'
oder I, 17 von Pan:
eoxi de TtLHQog,
Kai Ol del ÖQLf.ieia yo'kd itoxl qlvI yiad^rjTar
oder I, 86 von einem Kuhhirten:
ßwrag fjidv iXiyev ' vvv d^alno'kcü avöql £or/,ag ....
oiTtoXog OKX^eGOQ^ rag ^7i%aöag oca ßaTevvTaiy
TccKeTat og)0-aXfj.cog^ otl ov Tgayog avTog eyevxo.
üeberall treten uns hier beim Dichter gerade die-
jenigen Charakterzüge entgegen, welche die bildende Kunst
in der Darstellung des Pan hervorgehoben und betont
hatte. Wenn ferner bei Theokrit III, 8 der Geliebte der
Amaryllis auf seine Stumpfnasigkeit und seinen Bart hin-
weist, wenn XXVII, 3 die Hirtin den Daphnis 2arvQLGy.e
nennt , so wird dabei die Satyrwelt gewissermassen als
Prototyp für die Wirklichkeit vorausgesetzt. — Auch in
dem kurzen Beiworte aKolf^rjroi , welches Theokrit XIII,
44 den Nymphen, den Seival d-sal oyqoicoTaig giebt, tritt
uns ganz der unruhige , sehnsuchtsvolle und dadurch be-
ängstigende Charakter der Wasser dämonen entgegen , der
in der Kunst seit Skopas in so bestimmten typischen Zügen
ausgeprägt wurde.
Fassen wir diese einzelnen Beobachtungen zusammen,
so darf wohl als sicher betrachtet werden , dass für die
Brunn: Die griech. BukoUTzer und die bildende Kunst. 9
Poesieen der Bukoliker vielfältig die Anschauung von
Kunstwerken als Voraussetzung angenommen werden muss.
Jenes halbmythologische Genre der Pane, Satyrn, Kentauren
musste zur Zeit dieser Dichter schon in voller künstlerischer
Entwickelung vorhanden sein , wenn es auch in seinen
selbständigen Producten noch keineswegs erschöpft war,
sondern noch fortwährend bereichert werden mochte. Der
nächste Schritt war das Herabsteigen zur realistischen
Wirklichkeit, und hier bewegten sich vielleicht Poesie und
Kunst auf gleicher Linie. Das geschnitzte Gefäss bei
Theokrit gehört bereits dem rein realistischen Genre an,
und wenn wir z. B. die vaticanische Statue eines alten
Fischers (PCI. III, 32) mit dem vergleichen , was über den
Fischer auf diesem Gefässe , was aber auch sonst im XXI.
Idyll über das ärmliche Leben der Fischer gesagt wird, so
ist hier, was Poesie und was bildende Kunst darbietet, voll-
kommen congruent , während auch die Schilderung des
Geishirten Lykidas (VII , 13) an erhaltene Hirtenstatuen
wenigstens lebhaft erinnert. Ein Gedichtchen endlich wie
Epigr. III, in welchem der in einer Grotte schlafende
Daphnis angeredet wird , welchem Pan und Priap nach-
trachten, verliert gewiss nicht an Werth , wenn wir an-
nehmen, dass der Dichter seine Anregung etwa durch eine
Statue wie die bei Clarac 882 , 2247 C publicirte erhielt,
die wir uns sehr wohl in einer Grotte aufgestellt denken
können, in deren Nähe auch die Statuen eines Pan und
eines Priap ihren Platz haben mochten.
So viel von den eigentlich bukolischen Vorwürfen!
Wir finden aber bei diesen Dichtern auch eine Reihe von
mythologischen Sujets mehr oder minder eingehend be-
handelt, bei denen allerdings von Kunstdarstellungen direct
durchaus nicht die Rede ist. Blicken wir jedoch auf die
Auswahl der Gegenstände, so wird jedenfalls die Frage be-
10 Sitzung der pJiüos.-philol. Classe vom 7. Juni 1879.
rechtigt erscheinen, durch welche Gesichtspunkte der Dichter
zur Behandlung gerade dieser Stoffe veranlasst sein mochte.
Eine nicht blos episodische Erwähnung , sondern eine
selbständigere Behandlung haben folgende Mythen gefunden :
Polyphem und Galatea (Theokrit VI; XI); Hylas (XIII);
Helena's Hochzeit (XVIII) ; Polydeukes und Amykos,
Kastor und Lynkeus (XXII) ; Herakles, die Schlangen würgend
(XXIV); Herakles bei Augias, nebst dem Löwenkampfe und
der Hinweisung auf den Ätier (XXV, fragmentirt) ; Pentheus
(XXVI); Achilles und Deidamia (Bion VII, fragmentirt);
Europa (Moschos II) und des Herakles Kindermord (IV).
Die verschiedenen Gedichte auf Adonis möchten wegen
ihres wenigstens theilweise religiösen Hintergrundes nur
halb hierher zu rechnen sein.
Hier tritt uns nun sofort die auffällige Erscheinung
entgegen, dass die Beziehung zu der altberühmten Helden-
sage namentlich des troischen , thebanischen Kreises , zu
Theseus, den Amazonen-, Kentaurenkämpfen gänzlich fehlt.
Und selbst wo sich stoffliche Berührungspunkte finden, da
löst sich die ganze Behandlungsweise vom Epos , von der
aus dem Epos schöpfenden Tragödie , von der höheren,
pindarischeu Lyrik in bestimmtester Weise los.
Daneben aber stellt sich eben so bestimmt und deut-
lich erkennbar eine andere Erscheinung, nemlich dass diese
Mythen so gut wie ausnahmslos nicht nur überhaupt in
Kunstdarstellungen vorkommen , sondern in Kunstdarstel-
lungen, die theils ihrer Ausführung, theils wenigstens ihrer
Erfindung nach auf das dritte Jahrhundert vor Chr. G.,
also ungefähr auf die Zeit der bukolischen Poesie
zurückgeführt werden können , ja zum Theil nachweislich
gerade in dieser Zeit zuerst, namentlich auf dem Gebiete
der Malerei in Aufnahme kamen.
Bei dieser allgemeinen üebereinstimmung wird ein ge-
wisser Zusammenhang zwischen Poesie und Kunst nicht ab-
zuleugnen sein. Waren aber die Bukoliker die Quellen
Brunn: Die griech. BuTcoliker und die bildende Kunst* 11
für die Künstler? Manches spricht dagegen. Es luüsste
sich in diesem Falle eine weit grössere üebereinstimraung
im Einzelnen finden; die von den Künstlern gewählten
Momente müssten von den Dichtern weit strenger vorge-
bildet sein , während sich oft nur einzelne Berührungs-
punkte und zuweilen nur in Nebensachen finden. Wenn
ferner Theokrit z. B. den Faustkampf des Polydeukes und
Amykos schildert, so werden wir dadurch nicht im Be-
sonderen, sondern nur im Allgemeinen an Kunstdarstellungen
wie die der Kircher'schen Cista und eines einfacher be-
handelten Vasenbildes erinnert. Wir dürfen aber dabei
nicht vergessen , dass diese beiden Bildwerke künstlerisch
durchaus auf einer Linie stehen mit der grossen Phineus-
und der Talosvase; und wir dürfen oder müssen daraus
folgern, dass zur Zeit der Entstehung dieser Compositionen
sich in der Kunst eine allgemeinere Liebhaberei für den
Argonautenmythus geltend machte. Wurde aber dieser in
den genannten drei Hauptepisoden in einem durchaus ein-
heitlichen künstlerischen Geiste verarbeitet , so ergiebt sich
schon daraus, dass nicht ein einzelnes Gedicht des Theokrit
die Quelle für diese umfassendere künstlerische Thätigkeit
sein konnte.
Umgekehrt lässt sich Manches dafür geltend machen,
dass die Bukoliker Kunstwerke vor Augen hatten. Es ist
schon von anderen Seiten darauf hingewiesen worden (vgl.
Heibig Untersuch, über d. camp. Wandmalerei S. 225 ff.),
dass in der Europa des Moschos (II, 125) die Schilderung
der auf dem Stier sitzenden Heroine , wie sie mit der
einen Hand das Hörn des Stieres, mit der andern das wie
ein Segel aufgebauschte Gewand fasst, bestimmt auf Kunst-
darstellungen hinweist , und gern nehmen wir an , dass
auch die Ausmalung der Umgebung von Nereiden , Tri-
tonen, Meerthieren auf künstlerische Anschauungen zurück-
gehe. Hier könnte nur die Frage sein, ob dieser Einfluss
1^ Sitzung der pJiilos.-philol. Classe vom 7. Juni 1879.
niclit in einem noch weitereu Umfange, nemlicli für die
Grundlage des ganzen Gedichtes anzuerkennen sei. In den
Darstellungen der Jo auf dem Korbe der Europa, die ge-
wiss nicht als ein bedeutungsloser Schmuck, sondern als
eine sinnige Parallele zum Europamythus gewählt sind,
begegnen wir der Jo als Kuh zweimal , wie sie durch das
Meer schwimmt, und wie sie am Nil durch Zeus ihre
Menschengestalt wieder erhalten soll. Ebenso erscheint in
dem Gedicht Zeus zweimal in Stiergestalt , einmal wie er
der Europa in Mitten der Schaar ihrer Gespielinnen
schmeichelt, das andere Mal in einer ganz abgesonderten
Scene, wie er die Geliebte durch das Meer trägt. Die Jo-
Scenen als Parerga sind abgekürzt, auf die Hauptfiguren
beschränkt ; die Europa - Scenen künstlerisch reich und
glänzend erweitert durch den Mädchenchor einer, die Nerei-
den und Tritonen anderer Seits. Sollen wir noch weiter
gehen? Bietet nicht etwa für den Hermes, welcher, damit
Zeus die Jo wiedergewinne, den Argos tödtet, das Traum-
bild der Europa im Eingange des Gedichts ein Gegenbild:
wie sie selbst der Asia von der personificirten Europa mit
kräftigen Händen entrissen wird? Die Worte des Dichters
gewähren keinen materiellen Anhalt ; sachlich aber sind
die Parallelen mehr künstlerischer als dichterischer Art.
Einer genaueren Erwägung bedarf Theokrit's Gedicht
vom schlangenwürgenden Herakles (XXIV). So reizend
einzelne Theile der Schilderung sind, z. B. die Einleitung,
wie Alkmene ihre beiden Kinder in einem Schilde als
Wiege bettet , so leidet doch die Fügung der Theile zu
einem Ganzen an auffallenden Schwächen. Die Schlangen
erscheinen feuerstrahlend , das Zimmer ist hell erleuchtet,
Iphikles erwacht, schreit auf und strebt zu entfliehen, aber
Herakles packt die Ungeheuer und drückt sie fast todt.
Dann erst heisst es: Alkmene hörte das Schreien und
wachte zuerst auf. Vor Schrecken unfähig sich zu erheben.
Brunn: Die griech. Buköliker und die bildende Kunst. 13
weckt sie den Amphitryon, welcher aufspringt, das Schwert
von der Wand reisst — da ist wieder Dunkel in der Halle
und Amphitryon muss erst nach den Dienern rufen, damit
sie Leuchter herbeibringen. Sie ercheinen , aber nur um
vor Freude aufzujauchzen ; denn Herakles legt vergnügt
die todten Drachen dem Vater vor die Füsse. Ohne
weiteren Uebergang heisst es dann weiter , dass Alkmene
den erschrockenen Iphikles an die Brust, Amphitryon den
Herakles wieder ins Bett legt und selbst der Ruhe gedenkt.
Nachträglich , nachdem die Hähne dreimal gekräht , lässt
Alkmene den Teiresias herbeirufen und es erfolgt die
Weissagung über die Zukunft des Herakles und eine An-
weisung über die Verbrennung der Schlangen und die Ent-
sühnung des Hauses. Endlich schliesst sich daran noch
eine ausführliche Erzählung über die Erziehung des He-
rakles.
Wir dürfen hier wohl fragen, ob ein Dichter, der frei
aus sich heraus diese erste That des Herakles zu schildern
hat, dieselbe in ähnlicher Weise auseinanderlegen und nicht
vielmehr bestrebt sein würde, die Fäden der Handlung in-
einander zu verweben. Dagegen tritt das Ganze in ein
anderes Licht , sobald wir annehmen , dass das Gedicht
durch die Betrachtung eines Gemäldes veranlasst wurde
und der Dichter sich die Aufgabe stellte , dasselbe nicht
zu beschreiben , sondern in poetischer Schilderung za er-
läutern. Die Einleitung, wie die beiden Knaben zu Bett
gebracht werden, ist freie poetische Zuthat und als solche
tadellos. Mit dem Erscheinen der Schlangen ist aber der
Uebergang zum ,, schildernden" Theile gegeben. Im Bilde
richtet sich die Aufmerksamkeit zuerst auf die Gruppe der
Knaben, von denen Herakles seine Arbeit so gut wie voll-
bracht hat: nur einen Rest von Leben lässt der Dichter
den Schlangen, um sich die Möglichkeit einer Verknüpfung
mit einem späteren Momente zu erhalten. Dann erblicken
14 Sitzung der i)liüos.-philol. Classe vom 7. Juni 1879.
wir Alkmene und Araphitryon, deren Situation vom Dichter
im Einzelnen dargelegt wird; weiter im Hintergrunde die
Dienerschaft, fast nur als Zuschauer. Hiernach glaubt der
Dichter zunächst die Handlung zu Ende führen zu müssen,
nicht nur bis zur vollständigen Tödtung der Schlangen,
sondern recht idyllisch werden nun auch noch die Kinder
erst wieder zur Ruhe und in's Bett gebracht. Jetzt erst
lenkt sich die Aufmerksamkeit auf die Gestalt des Teiresias,
der ja in die vorhergehende Handlung nicht activ eingreift,
sondern als Beobachter, als Zeuge ihr gegenübersteht, nur
auf das Zukünftige bedacht. Indem die Gegenwart des
Sehers im Bilde nur durch eine künstlerische Prolepsis ge-
rechtfertigt ist , löst sie der Dichter auch zeitlich wieder
von der Handlung los, worauf sich dann der Rest wieder
als poetische Erzählung anschliesst, um zuletzt echt genre-
haft mit einer Hinweisung auf den gesunden Appetit des
Knaben zu endigen.
Es darf hier wohl auf die Erörterungen hingewiesen
werden , die auch über das Gedicht des Theokrit bei Ge-
legenheit der Discussionen über die philostratischen Ge-
mäldebeschreibungen und speciell über das Gemälde des
Herakles in den Windeln bei Philostr. iun. 5 gepflogen
worden sind (vgl. Jahrb. für Philol. 1871, S. 96). Durch
die Gestalt des Teiresias erhält das philostratische Bild erst
seine poetische Vertiefung, indem ebenso wie der Tod des
Archemoros durch die Weissagung des Amphiaraos , so
hier die Schlangenwürgung durch die Weissagung des
Teiresias über die Bedeutung einer genremässigen Episode
zu einer grossen Thatsache von vorbildlicher Bedeutung
erhoben wird. Eine solche Vertiefung der Auffassung aber
steht mit dem Wesen der Genrepoesie in einer Art von
innerem Widerspruch , und so erklärt sich , wie bei Theo-
krit das Mögliche geschieht , um die ihm unbequeme
tiefere Bedeutung der nun einmal in dem (übrigens nicht
Brunn: Die yriech. BukoUker und die bildende Kunst. 15
mit dem philostratischen übereinstimmenden) Bilde vor-
handenen Gestalt herabzudrücken. Zwar weist Teiresias
auch bei Theokrit auf die Zwölfkämpfe und auf die schliess-
liche Apotheose hin , aber ohne dass die Heldenthat des
Knaben auch nur als grundlegend für den Ruhmeslauf des
Helden hingestellt würde , und im Grunde erscheint dem
Dichter die Sorge für den nächsten Moment, die Anwei-
sung ^über die Verbrennung der Schlangen und die Zer-
streuung ihrer Asche wichtiger, als die Sorge für die grosse
Zukunft seines Helden.
Im XIII. Gedicht des Theokrit wird geschildert , wie
Hylas ausgeht , Wasser zu suchen und wie die Nymphen
den schönen Knaben zu sich hinabziehen. Ohne weiteren
Uebergang fährt der Dichter (v. 55) fort, dass Herakles
voll stürmischer Sorge ihn sucht und vergeblich ruft.
Vergleichen wir, wie Apollonius (Argon. I, 1187 ff.) den
ganzen Verlauf schildert. Herakles geht in den Wald, um
einen Baum für ein Ruder zu fällen. Unterdessen sucht
Hylas die Quelle; die Nymphe zieht ihn in den Strudel
hinab; nur einer der Genossen hört den Hülferuf des
Knaben , er geht der Stimme nach, begegnet dem zurück-
kehrenden Herakles u. s. w. Hier ist alles poetisch richtig
motivirt und die richtige Verknüpfung der Scene des Raubes
mit der folgenden des vergeblichen Suchens gefunden.
Warum vergisst Theokrit ein solches Mittelglied einzu-
fügen ? In bildlichen Darstellungen (z. B. Miliin gal. myth.
106, 420) sehen wir Hylas von den Nymphen angefallen
und zugleich in einiger Entfernung bereits Herakles,
welcher den geliebten Knaben sucht. Der Künstler musste
die zeitlich getrennten Momente aneinanderrücken , und
für den Beschauer genügte die räumliche Entfernung im
Bilde , um sie in seiner Phantasie auseinander zu halten.
Indem nun der Dichter sich von dem Eindrucke des Bildes
bestimmen lässt, vergisst er dem stummen Bilde Stimme
16 Sitzung der philo s.-phüol. Glasse vom 7. Juni 1870.
zu verleihen; er vergisst den Hülferuf des Knaben, welclier
direct oder indirect den Herakles erst in die Nabe des
Schauplatzes führt.
In anderer Weise verrätb sich der beschreibende
Dichter bei der Schilderung von der Zerreissung des Pen-
theus (XXVI). Die Mutter ergreift den Sohn beim Kopfe,
Ino setzt ihm den Fuss auf den Leib und reisst ihm die
eine Schulter aus :
y.al ^vTOvoag qv^-judg (ovrog.
al 6'aXXai xa TteQiood y,Qeavo/.i£OVTO yvvameg.
Würde ein Dichter, der aus freier Phantasie schildert,
gerade diese Worte wählen? Sie erklären sich, wenn der
Dichter sein Auge auf ein Bild gerichtet hat, in welchem
die Gestalt der Autonoe in Bewegung und Handlung das
künstlerische Gegenstück zu derjenigen der Ino bildet, in
welchem geradeso wie Ino die eine, so Autonoe die andere
Schulter auszureissen sich anstrengt. Andere Mänaden
mochten im Bilde als untergeordnete Nebenfiguren be-
handelt sein , und so werden sie auch vom Dichter mit
einer kurzen, nicht eben besonders poetischen Wendung ab-
gefertigt.
Wir werden uns nicht irre machen lassen, wenn wir
nicht in jedem einzelnen Gedichte die Dichter auf der Be-
nützung von Kunstwerken zu ertappen vermögen. Es
liegt ihnen ja durchaus fern, eigentliche Gemäldebeschrei-
bungen liefern zu wollen. Sie lassen sich nur durch die
Betrachtung von Kunstwerken zu eigenem Schaffen an-
regen, wobei das Vorbild hier mehr, dort weniger deutlich
durch das poetische Gewebe hindurchscheint, ja zuweilen
nur das allgemeine Motiv liefert. So wird bei Moschos
(IV) der Kindermord des Herakles, für dessen künstlerische
Behandlung ungefähr in der Zeit des Dichters uns eia
Vasenbild (Mon. dell'Inst. VIII, 10) einen Beleg bietet,
nur kurz beschrieben und vielmehr der Eindruck , die
Wirkung der unglückseligen That ^n den Wehklagen der
Brunn: Die griech. Bukoliker und die bildende Kunst. 17
Gattin und der Mutter eindringlich geschildert; wie ja
auch die Erzählung von Pentheus auf die Reflexion hinaus-
läuft: (.irjdelg rd &ewv ovooaizo. — Bei dem Faustkampfe
des Polydeukes und Amykos (Theokrit XXII) stimmt der
gewählte Moment nicht mit der .kircherschen Ciste und den
andern uns bekannten Darstellungen überein , und die
Wechselfälle des Kampfes musste natürlich der Dichter aus
eigener Phantasie schildern. Dagegen erinnert die Ein-
leitung, wie die Helden auf der Schiffsleiter aus dem Schiffe
steigen, sich einrichten , den Quell suchen , nicht allein an
die Scenerie der kircherschen Ciste , sondern die Verglei-
chung der Talos- und der grossen Phineusvase lelirt uns, wie
manche Züge der poetischen Schilderung gerade in der
bildenden Kunst zu einer fast typischen Anwendung ge-
langt waren. Auch einzelne Züge , wie dass die Gestalt
des Amykos geschildert wird 0(pvqii\XccTog olcc y,oXoGo6Q^
möchten auf künstlerische Anschauungen zurückzuführen
sein, wenn wir uns erinnern, dass z. B. auf der Talosvase
die Gestalt dieses Riesen vom Künstler w^irklich in der
Stylisirung eines ehernen Kolosses dargestellt ist. Beachten
wir endlich den gesammten Aufbau des Gedichtes : zwischen
der Einleitung und dem Schlüsse, in welchen beide Dios-
kuren gemeinsam gefeiert werden , stehen zwei ganz ge-
trennte, für sich selbständige Gedichte: die Besiegung des
Amykos, durch welche Polydeukes, die Besiegung des Lyn-
keus, durch welche Kastor verherrlicht wird, nur verbunden
durch die dürren Uebergänge : zuerst will ich Polydeukes,
jetzt will ich Kastor besingen. Wäre diese Gegenüberstel-
lung ursprünglich in der Phantasie des Dichters entstanden,
würde es da nicht fast selbstverständlich erscheinen, dass
die Parallelisirung der beiden Brüder auch innerhalb der
beiden Gedichte durch einzelne ' poetische Wendungen oder
Beziehungen weiter ausgesponnen worden wäre? Aber in
dem einen Gedicht tritt Kastor, in dem andern Polydeukes
[1879. 1. Pbilos.-pMlolog.-hist. CI. Bd. II. 1.] 2
18 Sitzung der philos.-philol. Classe vom 7. Juni 1879.
vollständig in den Hintergrund. Auch hier ergibt sich die
Erklärung wieder wie in früheren Fällen, nur dass dies-
mal der Dichter nicht ein , sondern zwei Gemälde vor
Augen gehabt zu haben scheint , die in enger Beziehung
zu einander , als poetisch - künstlerische Seitenstücke com-
ponirt sein mochten. Im Bilde konnte der Künstler es
der Phantasie des Beschauers überlassen, aus der Kenntniss
des Mythus und aus der stummen Sprache der Kunst sich
jene Wechselbeziehungen zu ergänzen, durch welche die ge-
trennte Darstellung sich zu einer höheren idealen Einheit
verschmolz. Der Dichter Hess die beiden Scenen unver-
mittelt neben einander stehen und glaubte der Einheitlich-
keit der Idee durch Einleitung und Schluss Genüge geleistet
zu haben. — Von dem Gedichte des Bion über Achilles
und Deidameia ist uns leider nur der Eingang erhalten ;
aber auch dieser wird uns besonders in der Charakteristik
des Achilles schon künstlerisch lebendig , sofern wir uns
nur die erhaltenen Gemälde und Mosaiken vergegenwärtigen,
die sich mit hinreichender Sicherheit nach ihrer Erfindung
auf die Diadochenzeit zurückführen lassen (Heibig Wand-
gem. N. 1042 ff.; arch. Zeit. 1858, T. 113). - Bei den
verschiedenen Dichtungen über Polyphem und Galatea
werden wir den Einfluss der Localsage nicht gering an-
schlagen dürfen. Dass aber dadurch Reminiscenzen an
Kunstwerke , wie z. B. den Eros , welcher dem Polyphem
einen Brief der Galatea überbringt, nicht ausgeschlossen
sind, hat schon Heibig (Unters S. 224) bemerkt, welcher
ausserdem auf einige ähnliche Beziehungen der Dichter zu
Kunstwerken in der Schilderung des Verhältnisses der
Aphrodite zu Adonis und der den Adonis pflegenden
Eroten hinweist.
Das Gesagte wird genügen , um die Ueberzeugung zu
begründen, dass nicht wenige unter den Gedichten der
Bukoliker durch die Anschauung wirklicher Kunstwerke
Brunn: Die griech. Bukoliker und die bildende Kunst. 19
veranlasst, andere durch dieselben wenigstens vielfach be-
einflusst worden sind. Dieses Resultat gestattet aber auch,
die Stellung der Dichter zur Kunst noch genauer zu be-
stimmen. Es ist schon hervorgehoben worden, dass unter
den von ihnen behandelten Mythen die altberühmten
epischen des troischen, thebanischen Kreises fehlen, welche
von der Kunst einer früheren Zeit mit Vorliebe und im
Sinne der epischen Poesie dargestellt worden waren. Ein
specifisches Interesse für Kunst und Kunstgeschichte , wie
wir es beim Kunstkenner voraussetzen, konnte also für
die späteren Dichter nicht das Bestimmende sein. Eben
so wenig ist eine religiöse Tendenz zu gewahren ; selbst in
den Adonisliedern erscheint sie mehr in zweiter Linie.
Wenn wir nun die behandelten Mythen gerade in Kunst-
darstellungen wiederfinden , die sich ungefähr auf die Zeit
der Dichter zurückführen lassen, so leuchtet ein , dass die
letzteren sich ihre Anregung bei Werken holten, die unter
ihren Augen , in ihrer Nähe entstanden , die den Reiz der
Neuheit hatten und das Tagesinteresse des Publikums
bildeten. Und zwar erstreckte sich das Interesse der
Dichter weniger auf die künstlerische Ausführung, als auf
den poetischen Inhalt und die Gestaltung dieses Inhalts
im Kunstwerke. Nun waren aber auch in der Kunst jene
früheren engeren Beziehungen zur epischen Mythenbehand-
lung bereits längst gelockert , und wenn wir dafür einen
starken Einüuss der dramatischen Poesie selbst noch im
Anfange der Diadochenperiode anerkennen müssen , so ge-
winnt doch auch hier eine Richtung immer mehr Boden,
die weniger den gesammten Gedankeninhalt einer Tragödie,
als eine einzelne Scene , ein Einzelnbild in's Auge fasst
und dieses , sei es , wie z. B. im schlangenwürgenden
Herakles , nach der psychologischen Seite zu entwickeln,
sei es, wie z. B. bei der kircherschen Ciste auf der breiten
Grundlage einer allgemeinen Situation , nemlich der Lan-
2*
20 Sitzung der xMlos.-philol. Classe vom 7. Juni 1879.
düng der Argonauten, künstleriscli auszumalen unternimmt.
Auf diesem Wege aber kommt die Kunst der Tendenz der
Dichter durchaus entgegen. Es kann hier die von Christ
(Verhandl. der 26. Philol. - Versammluug in Würzburg,
S. 49 ff.) vorgeschlagene Erklärung von eldvXkiov als
„kleine Weise" im Gegensatz zu den hohen Weisen (eidrj)
eine's Pindar recht v^ohl bestehen bleiben ; aber thatsächlich
hängt mit der formalen Behandlung solcher ElövXkLa
doch auch die Auffassung des Inhalts zusammen. Die Ab-
geschlossenheit, die noth v/endige Beschränkung des künst-
lerischen Bildes zeigte hier den Weg , wie sich auch in
der Poesie das ^^eldvXhov'' aus dem grossen Zusammen-
hange des Epos , des Drama loslösen Hess ; und die sinn-
liche Anschaulichkeit, mit welcher die Gestalten im Bilde
dem Dichter entgegentraten , forderte diesen auf , dem
stummen Bilde Sprache und Bewegung zu verleihen und
mit denselben Mitteln , wie bei der Schilderung der Natur
mit der Wirklichkeit , so hier mit der Kunst in Wetteifer
zu treten.
So entstanden jene eidvXlia , die wir im Gegensatz
zum Epos, zum Drama , ja selbst zur höheren Lyrik nicht
wohl anders denn als mythologische Genrebilder bezeichnen
können. Der itreislauf hatte sich vollendet : in einer
früheren Zeit hatte ein Polygnot den ethischen Gehalt der
von einem Aeschylos zu lebendiger Anschauung auf die
Bühne gebrachten Charaktere zu künstlerischen Gestal-
tungen gewissermassen verdichtet. Jetzt entlehnt die Poesie
das einheitliche Bild von der Kunst, um es in poetischer
Schilderung wieder in eine Reihe von Bildchen aufzulösen.
Es bleibt dadurch keineswegs ausgeschlossen, dass nun
auch die neue Gattung der Poesie wieder einen Einfluss
auf die Kunst ausübt, wie denn, um nur eins auzuführen,
die veränderte Naturanschauung , die Detail maierei in der
Naturschilderung der Dichter auf die wirkliche Malerei
Brunn: Die griech. BuTcoliker und die bildende Kunst. 21
zurückgewirkt haben mag. Hier kam es jedoch zunächst
darauf an zu zeigen, wie die Kunst, die so lange aus dem
Quell der Poesie ihre Nahrung gezogen hatte , nun auch
ihrerseits einmal zum Quell einer neuen Gattung der Poesie
wurde. Ist dies richtig, so wird wohl in gleicher Weise
die Philologie , die so lange Zeit der Archäologie das Ver-
ständniss der Poesie vermittelt hat , es sich gefallen lassen
dürfen, wenn die Archäologie einmal den Anspruch erhebt,
für das speciellere Verständniss wenigstens einer Dich-
tungsgattung neue Gesichtspunkte aufzustellen.
Herr Kuhn legte eine Abhandlung des Herrn Julius
Jolly vor:
,,Das Dharmasütra des Vishnu und das
Käthakagfihyasütra."
Während die Vishnusmnti oder das vaishnavam dhar-
ma9ästram, vishnusütram (Vi.) in seiner Bedeutung als eines
der wichtigsten und das umfangreichste unter den erhalte-
nen Dharmasütra längst gewürdigt ist, liegen üBer das
von Bühler entdeckte cäräyanija-käthakagrihyam (K.) bisher
nur seine kurzen Notizen darüber Kashmir Report (1877)
pp. 36 f., cf. Appendix pp. LHI— LV, vor. Hier hat aber
Bühler zugleich seine wichtige Vermutung über den Zu-
sammenhang dieses Werks mit Vi. wiederholt, dahin gehend,
dass auch das Vi. der Kätbakaschule des schwarzen Yajus an-
gehöre und seinen Grundbestandtheilen nach das Dharmasütra
dieser Schule darstelle. Die Richtigkeit dieser Annahme,
vermöge deren sich eines der hervorragendsten Gesetzbücher
nun mit Bestimmtheit der vedischen Litteratur einreiht, hat
sich mir bei einer eingehenden Vergleichung einerseits beider
Werke mit einander, und betreffs ihrer Mantra mit der
1) S. Stenzler, I. St. I, 240; Bühler, Dig. I, XXII; auch M. Müller
ASL. 139, Weber I. Lit.^ 296 Anm
2) Ind. Antiquary, V, 30 (1876); vgl. auch schon Z. d. d. m. G.
XXII, 321 (1868).
3) Durchgehends verglichen habe ich Manu (Calc. ed. mit Kuli ),
Yäjwavalkya, Apastaraba, Gautama und die Grihyasütra des A9valäyana,
Gobhila (so weit es gedruckt ist : bis IV, 4, 21), Päraskara, f änkhäyana.
Jolly: Das Dharmasittra des Vishnu etc. 23
Samhitä dieser Schule, dem Käthaka, andrerseits mit den
übrigen Gesetzbüchern und Grihyasütra vollkommen bestätigt.
Da Bühler sich über die Gründe, die ihn zu seiner An-
nahme veranlassten , nicht ausgesprochen hat , so vsrerden
die Hauptergebnisse meiner Vergleichungen, wie ich hoffe,
den Fachgenossen von Interesse sein. Sie werden , wenn
mir der Beweis von Dr. Bühler's und meiner These gelingt,
zugleich einen Beitrag zu der Frage nach dem Verhältniss
der Dharmasütra zu den Grihyasütra gleicher Schule bilden-
Endlich kommt ein sachliches Interesse namentlich den Ab-
schnitten über Manenopfer zu, als der ausführlichsten Dar-
stellung des (^räddharituals in diesem ganzen Literaturkreise.
Zur Benützung des K. hat mich die grosse Liberalität
des Bombay Government in Stand gesetzt , das mir auf meine
Bitte die beiden vollständigen unter den vier von Dr. Bühler
aus Kashmir mitgebrachten Hss, zur Durchsicht freundlichst
übersandte. Die eine (D), Devanägari, modernen Ansehens
und undatirt, Bühler's No. 11, vertritt mit No. 13 zusammen
die eine Classe, die eine hie und da erweiterte Version ent-
hält. Uebrigens ist D durchcorrigirt , theilweise mit einem
kä9mirapu(stakam) , das vielleicht — Bühler's 13 ist, und
bietet hie und da bessere Lesarten als die andere, mit der
sie im Ganzen übereintrifft, namentlich auch in der freilich
wohl secundären und oft unrichtigen Zählung der Sütra und
ihrer Trennung von dem in allen Hss. den Text begleitenden
Commentar des Devapäla (Dev.) Die zweite Hs (9), in
der eigenthümlichen (^äradäschrift geschrieben (s. darüber
Bühler 1. c. 31 f.). trägt das Datum (saptarshi) sa?wvat 47,
das wohl = 1772 ist, da nach Bühler keines der Qäradä-
Mss. auf Papier über zwei Jahrhunderte hinaufreicht. Diese
Hs., Bühler's No. 12, die mit No. 14, einem Bhürjams. zu-
sammen, die zweite, einen ursprünglicheren Text bietende
Classe bildet, liegt den nachstehend mitgetheilten Texten zu
Grunde, und wo ich im Texte davon abweiche, habe ich ea
24 Sitzung der pliüos.-philol. Classe vom 7. Juni 1879.
angegeben, aucli wo es sich nur um die Trennung der Sütra
von dem oft sehr kurzen Comm. handelt, ausser bei ganz
eclatanten Fehlern in letzterer Beziehung. In den fraglichen
Kapiteln reichen die beiden Hss. zur Herstellung eines im
Ganzen zuverlässigen Textes aus ; für eine Edition des
ganzen Sütra wären freilich noch mehr Hss. wünschenswerth.
Dev. 's alter Commentar ist besonders durch die meist am
Schluss eines Kapitels folgende Angabe und Interpretation
der Mantra werthvoll. In der Zählung der (56) Kapitel
habe ich mich der Kürze wegen au das kurze Inhaltsver-
zeichniss derselben von Märtanda Qästri (bei Bühler, l. c.
p. LIII) gehalten, obwohl dasselbe nicht durchweg genau
ist^) und auch Spuren einer anderweitigen Einteilung vor-
handen sind. — Für das Käthaka stand mir die Berliner,
bekanntlich die einzige vollständige Hs., zu Gebote.
Den Texten aus dem Vi. liegt eine vortreffliche Devan.
Hs. der Vaijayanti, des Commentars von Nandapandita zu
Grunde (V^). Sie wurde mir von dem Eigentümer,
Dr. Bühler geliehen, der mich auch durch eine Reihe werth-
voller Mittheilungen sehr gefördert hat. Näheres meiner
bevorstehenden Edition vorbehaltend , nach der ich auch
citire , bemerke ich über mein sonstiges Material nur so
viel, dass V^'^'^ die offenbar aus einem Archetypus oder von
einander abgeschriebenen Londoner Hss. der Vaijayanti bezeich-
net, dass V die von Fehlern und Auslassungen wimmelnde, aber
alte Londoner Hs. des Textes ist, die in einzelnen Fällen Les-
arten von selbständigem Werthe enthält, endlich dass C *' ^
die beiden Calcuttenses bedeutet, C^ die alte Bengaliaus-
gabe (Gildemeister, Bibl. §§ 453 ff.), von der C^ (in Jivänanda
Vidyäsägara's Dharmashästrasangraha, Calc. 1876) ein hie
1) So fehlt vor 41 ein pa$ukalpaprakaranara, 48. svastyayanäntarapra-
karanam sollte heissen ägrahäyaniprakaranarn, in 55 sind unter der Be-
zeichnung goyajwädipra'^ mehrere selbständige Abschnitte zusanimenge-
asst, 56. mantrabhäshyam bildet keinen besonderen Abschnitt u. dgl. m.
Jölly : Das Dharmasütra des Vishnu etc. 2 5
und da verschlechterter Abdruck ist. Zu den nachstehenden
Abschnitten gebe ich die Varianten, mitAusnahme der Schreib-
fehler, vollständig an, bei den in keiner Hs. gut überlieferten
Mantra in der Regel auch diese.
Freilich ist nun von dem so constituirten Texte des
Vi. zunächst ein Theil auszuscheiden, der eine Vergleichung
mit einem vedischen Werke überhaupt nicht zulässt. Na-
mentlich das erste und die drei letzten seiner 100 Kapitel,
die das Gesetzbuch an die Person des Vishriu anknüpfen
und schon mit ihrer schwülstigen und fast durchaus metri-
schen Darstellung „a strong contrast to the sober aphorisms
of the body of the work" bilden, sind „no doubt a later
addition" ^). Ein Stück von adhy. 1 ist wörtlich aus dem
Mhbh. (Hariv. 2226—2237) entlehnt.
Aber auch in dem Sütratheile lässt sich, abgesehen von
den Reminiscenzen an die Einleitung am Schluss mehrerer
Abschnitte (te kathito dhare dandavidhir mayä 5,176 ; cf. 19
extr., 22 extr., u. s. w.), die Hand des Vishnuiti sehen Bear-
beiters in verschiedenen auf den Cult des Vishnu bezüglichen
Zusätzen nicht verkennen, so in 49, in 68,2 (beim Vai^va-
deva, vgl. u.), in 90, in 65, wo ein Vishnuopfer auf eine
durch Mantra als alt gekennzeichnete Ceremonie gepropft
erscheint. Ferner sind von den meist am Schlüsse eines
Capitels auftretenden (J51oka gewiss viele secundär und z. B.
die Beschreibung der Höllenqualen in 44, 32 — 45 ziemlich
ähnlich mit der im Garudapuräna enthaltenen. Ausserdem
sei hier nur auf die Aufzählung der Wochentage in 78,
1 — 7 hingewiesen, die dort vor den nakshatra und tithi
eingeschoben sind, während die Parallelstellen in den anderen
Gesetzbüchern nur die beiden letzteren erwähuen. Nimmt
man an, dass auch dieser Zusatz von dem Vishnuitischen
Bearbeiter herrühre, so wäre als früheste Grenze seiner
1) Bühler, Dig. I, XXII.
26 Sitzung der pJiilos.-phüol. Glasse vom 7. Juni 1879.
Arbeit die Zeit nach der Uebertraguug der griechischen
Woche ^) gewonnen, für die sich das älteste datirbare Bei-
spiel bei Varähamihira (6 Jahrh.) findet. Andrerseits muss
das Vi. unter dem jetzigen Namen und im Wesentlichen
in der jetzigen Gestalt spätestens drei oder vier Jahrhunderte
nach Varähamihira schon vorgelegen haben, da es schon
im 11. Jahrh. in der Mitäksharä und im 12. bei Aparärka^),
von letzterem ausserordentlich häufig, als die Smriti des
„Vishnu'' oder ,,VHddhavishnu" citirt wird und diese Ci-
tate, aus allen Teilen des Gesetzes, sich grösstentheils wört-
lich im Vi. vorfinden^).
Der weitaus grössere restirende Teil , zumeist in Prosa,
ist unzweifelhaft echt und alt und stimmt nach Stil und
Inhalt theils mit den übrigen Dharmasütra, theils mit den
Dharma^ästra genau überein. Ebendesshalb ist auch der
Kreis der behandelten Gegenstände ein sehr viel weiterer
als im K., das sich ganz wie die übrigen Grihyasütra auf
die Darstellung der Sacramente (samskära) , der sonstigen
häuslichen Ceremonien u. dgl. beschränkt, man sehe das
schon erwähnte Inhalts verzeichniss K. Rep. p. LIII f. Die
Mehrzahl dieser Gegenstände findet sich auch im Vi. aus-
führlich behandelt oder wenigstens berührt, und offenbar
muss in einer etwa dabei hervortretenden üebereinstimmung
zwischen Vi. und K. ein eclatanter Beweis ihrer ursprüng-
lichen Zusammengehörigkeit zu einer Schule erblickt werden.
1) Vgl. Weber, I. St, II. 166 f., Jacobi, Z. d. d. m. G. XXIX
305 f.
2) Nach zwei ebenfalls von Bombay erhaltenen Hss. seines Com-
mentars zu Yäjfiavalkya. üeber die Regierungszeit des Königs Aparärka
oder Aparäditya s. Bühler K. R 41 f.
3) Vishnu als Name eines Gesetzgebers kommt auch bei Y. und
Parä9ara vor, aber nur in den wohl secundären Einleitungen, s. Stenzler
I. St. I, 232, und über das Vorkommen des Namens Vishnusütra den-
selben ibid. 246.
Jolly: Das Dharmasütra des Vishnu etc. 27
vorausgesetzt natürlich, dass diese lieber einstimmung über
den allgemeinen Parallelismus des Inhalts, den wir in der
ganzen Smritilitteratur finden, hinausgeht.
Es begegnet nun freilich, wenn man die dem K. mit
dem Vi. gemeinsamen Gegenstände nach der im ersteren
beobachteten Reihenfolge durchgeht, zunächst eine Reihe von
Kapiteln, in denen keineswegs eine nähere üebereinstimmung
zwischen beiden Werken zu bemerken ist, ja hie und da
entschieden einander widersprechende Bestimmungen ent-
gegentreten. So hat K. gleich in seinem ersten Abschnitt,
über die Pflichten des brahmacärin, den ich beispielweise
genauer analysiren will, mit Vi. n,ur solche Bestimmungen
gemein, die sich auch in einem oder mehreren der übrigen
Werke finden. Dass und wie der brahmacärin seinen Lehrer
in der Frühe begrüssen und welche sonstigen Respektsbe-
zeugungen er ihm erweisen soll , sein Verhalten gegenüber
der Familie und dem Guru seines Guru und eine Reihe
anderer Punkte werden im Vi. und ähnlich in den anderen
Gesetzbüchern, aber nicht im K. erörtert. Könnte dies auf
Rechnung der grösseren Ausführlichkeit des Vi. gesetzt
werden , so hat doch auch K. manche Regeln : dass der
Schüler das Lager oder den Wagen seines Lehrers nicht be-
steigen soll, dass er eine nackte Frau nicht ansehen, nicht
zu seinem Vergnügen reden oder baden oder sich schmücken,
kein von seinem Lehrer getragenes Kleid anziehen soll
u. a., die sich im Vi. nicht, wohl aber grösstentheils in
den anderen Gesetzbüchern finden. Ja mit dem Lehrer auf
dem gleichen Wagen zu fahren , wird Vi. 28,28 ausdrück-
lich gestattet. Und am wichtigsten ist, dass von den un-
gewöhnlichen Ausdrücken, deren sich hier K. mehrfach be-
dient. Vi. keine Spur aufweist. So wird im K. die Vor-
schrift, dass der Schüler das Vedastudium und seine übrigen
Obliegenheiten stets nur auf Geheiss des Lehrers angreifen
soll, mit der eigen thümlichen Wendung ausgedrückt : ästäm
28 Sitzung der philos.-philol. Classe vom 7 . Juni 1879.
apy adhyayauädikam. Dagegen sagt Yi. 28,6 ähütädhyay-
anara, und den nemlichen oder fast den nemlichen Ausdruck
gebrauchen auch Pär. II, 5, 29. Y. I, 27. Apast. I, 2, 5,
27. Gaut. 2, 29. Vasishtha 7, 7. Anders M. 2, 70, 73,
191. Noch singulärer ist samvastrayet s. v. a. samänam
vastram dhärayet (Dev.) und mushitä s. v. a. nagnä ; auch
die Ausdrücke sawhatake^a (nach Dev. — mundita^iras,
doch wird nachher noch besonders vorgeschrieben, dass der
Schüler munda sein soll) und märgaväsas (,,mit einem Ga-
zellenfell bekleidet") kommen so wenig im Vi. als bei den
anderen Autoren^) vor. (Vi. 27, 20 hat märga^ carmä^i).
Während die folgenden Abschnitte über Sie Anlegung des
Feuers durch den brahmacärin , das die Lehrzeit beschlies-
sende Bad und seine besonderen Observanzen vrata im Vi.
wie überhaupt in den Gesetzbüchern, von kurzen Andeu-
tungen abgesehen, keine Parallele finden, fällt der Inhalt
von 6 — 8, die Lehre von den Kricchra, die den übrigen
Grihyasütra fremd ist, mehr in das Bereich der Rechts-
litteratur. Allein K. und Vi. stimmen hier nur in einigen
überall vorkommenden Bussen wie kncchra -■ (präjäpatya)
und atikricchra, taptakricchra und säntapana überein, wäh-
rend das Cändräyana, die Wasser-, die Wurzelbusse und
eine Menge anderer Fastengelübde, die Vi. erwähnt, im K.,
umgekehrt die meisten Regeln des K. über das sonstige
Verhalten der Büssenden im Vi. fehlen und eine 21 tägige
Busse des K., wobei je drei Tage lang nur Reisbrühe und
fünf andere Dinge zu gemessen, drei Tage ganz zu fasten
ist, mit Vi.'s kricchrätikncchra 46, 13 nur eine entfernte
Aehnlichkeit hat. Die Schulzeit und der anadhyäya in 9 und
10 sind wieder Gegenstände, die auch die Gesetzbücher behan-
deln ; aber auch hier weicht K. wenn nicht in der Sache, doch
in den Ausdrücken stark von Vi. ab, stimmt dagegen mit
den übrigen Gnhyasütra genau überein. Die drei näch-
1) Betreffs des Mänavagrihya s. u. Nachtrag.
Jolly : Das Dharmasütra des Vishnu etc. 29
sten Abschnitte, über die Zulassung zur höheren Stufe des
Unterrichts, der Unterweisung in den Upanishad, und über
die päkayajna übergehend, wende ich mich sogleich zu den
sa»iskära in 14—31, und zwar zunächst zu dem viväha,
der hier wie in den anderen Grihya in all seinen Stadien
ausführlich geschildert wird. Besonders bemerkenswerth
ist hier das sonst nirgends vorkommende Ritual für die
beiden Ebeformen brähma und äsura. Letzteres, in dem
die feierliche Aushändigung des Preises für die Braut seitens
des Bräutigams an den Vater der Braut den Mittelpunkt
bildet, entspricht ganz dem Standpunkt der älteren Zeit,
welche sich über die Legitimität des Fraukaufs noch keine
Scrupel machte (vgl. Z. d. d. m. G. XXXI, 132 f.); im Vi.
gehört dagegen die Asuraehe wie bei den üieisten anderen
Gesetzgebern zu den unerlaubten Eheformen (s. Jolly, Ueb.
d. rechtl. Stell, etc., 16 ff.) Bei den übrigen sa?>iskära sind
nur die Namen und Termine vergleichbar, da Angaben über
das Ceremouiell im Vi. wie überhaupt in der Rechtslitteratur
fehlen. Betreifs der gewöhnlichen Namen stimmen zwar
beide Werke überein, indem nur das erste Sacrament im
K. garbhädhänam, dagegen im Vi. nisheka heisst und das
candradar9anam im letzteren fehlt (doch wäre es nach
Nand. in 27, 10 implicite enthalten). Aber das soshyan-
tisavanam, das im K. als besondere der Geburt unmittelbar
vorausgehende Ceremonie dem jätakarma vorangestellt
wird (vgl. Pär. I, 16, 1. Qäfikh. I, 23) fehlt im Vi. so gut
wie bei den Anderen ; es gibt für das pmjisavanam und das
simantonnayanam die gewöhnlichen Termine an , während
nach dem K. ersteres bhüyishthagateshu garbhamäseshu, d. h.
D e V. zufolge nach sieben Monaten , das simantonnayanam
dagegen schon im 3. Monat der Schwangerschaft stattfinden
soll; Vi. und alle übrigen Autoren verlegen die Einführung
des Kshatriya in das zehnte Jahr nach der Geburt, das
eilfte nach der Empfängniss, K. bestimmt das neunte Jahr
30 Sitzung der iMlos.-philol. Classe vom 7. Juni 1879.
nach der Geburt dafür. Die Abschnitte 32—43 handeln,
zunächst im Anschluss an das upanayanam, von verschiedenen
nur in den Grihyasütra vorkommenden Ceremonien. Der
Anfang von 43 stimmt ziemlich genau mit dem überein,
was Vi. 59, 1 — 6 über die täglichen Morgen- und Abend-
opfer, über die dar9apürnamäsau und über das ägrayanam
gesagt ist ; aber noch genauer trifft hier Vi. mit der be-
kannten Manustelle 4, 25, 26 (vgl. Weber, I. St. X, 324 f.)
sowie mit Y. 1, 124—126 zusammen.
Also bis hieher ergibt die Vergleichung ein negatives
Resultat. Ich lasse die Bedeutung desselben zunächst uner-
örtert und wende mich direct zu den folgenden Abschnitten
des K., die uns ein ganz anderes Bild, nemlich das einer
genauen , ja zum grössten Teil wörtlichen Uebereinstimm-
ung mit Vi. darbieten. Es sind dies, nur unterbrochen
durch einige der ä9vayuji und ein paar anderen dem Grihya-
ritual angehörenden Ceremonien gewidmete Abschnitte, die
Kapp. 44, 47, 49 — 54, die drei wichtige Materien : das täg-
liche Vai9vadevaopfer, den Vnshotsarga und die Manenopfer
zum Gegenstande haben. Ich lasse dieselben, soweit die
nähere üebereinstimmung mit Vi. reicht, in extenso mit
Gegenüberstellung des Textes von Vi. folgen und hebe die
wörtlich übereinstimmenden Stellen durch cursiven Druck
hervor. Aus dem sehr weitschweifigen Commentar des
Nand. und dem kürzeren des Dev. gebe ich nur das Un-
entbehrliche und hebe auch darin solche Stellen, in denen
sie mit einander oder mit dem Text des anderü Werks
näher übereinstimmen, durch den Druck hervor. Zur Er-
leichterung des Verständnisses füge ich bei I und in einigen
der Abschnitte sub III eine üebersetzung bei.
ttolly: Das Dharmasutra des Vishnu etc.
31
I. Das Vaigvadevaopfer.
K. 44. vai^vadevasya sid-
dhasya sarvato 'gryasya ju-
hotiWl
agnaye somdi/a mitrdya
varundye 'ndrdyendrdgni-
bhydm vigvedevehhyah prajd-
pataya anumatyai dhanvan-
taraye vdstoshpataya agnaye
svishtahrita iti |2|
1. annasya D in rag. nach agry-
asya. — JDev. sarvasraäd awi^ara
uddhritya.
2. svishtakritaye D. — Beo. ag-
nim jjarisamühya paryukshya pa-
ristirya havir abhighärya nä 'na-
blnghfitam havir asti'ti 9ruter etä
dväda9ä "hutir juhuyät |. . . catur-
thinirde^ät svähäkäräntät.
Vi. 67. athä 'gniw parisa-
mühya paryukshya paristirya
parishicya sarvatah päJcäd
agram uddhritya juhuyät |l|
väsudeväya sankarshanäya
pradyumnäyä 'niruddhäya pu-
rushäya satyäyä 'cyutäya vä-
sudeväya |2|
athä agnaye 1 somdya 2
miträya 3 varundya 4 in-
drdya 5 indrdgnibhydm 6
vigvebhyo devehhyah 7 prajdpa-
taye 8 anumatyai 9 dhanvan-
taraye 10 vdstoshpataye 11
agnaye svishtaJcrite ca 12 |3|
tato 'uDa^eshena balim upa-
haret |4|
1. Nand — paristirya' gneh
samantäd darbhän äsfirya [pari-
shicya parito darbhän abhito 'bhi-
shicya . . .| sarvata ity ahavishyasy-
ä'py abhyanujnänäya bhakshopa-
bhakshyäbhyäm iti vakshyamänät
(Sü. 4) I ... I agrara ashtäcatva-
ri^wgadgräsaparimitam annara |,..|
uddhritya päkapäträt päträutare
kfitvä |...|
2. väsudeväye 'tyädibhir mantrair
ashtäv annähulir juhuyät |...| Jca-
thagäkhänusärena vai9vade-
vam äha|
3. svishtikrite C'-^ Die Num-
mern fehlen in C^-'' v hier und in
7. 8. 14.
32
Sitzung der phüos.-philol Classe vom 7, Juni 1879,
tahshopataksMhhydm ity
abhitah pürvend 'gnim |3|
amhä ndma'sVti sapta |4|
grihädibliyo nandini suhJia-
ge sumahgali hhadrankariHi
sraJctishv ahhidaJcshina (m)
[grihebliyo hitä grihyä de-
vatä/i]|5|
3. Bev. juhoti'ty anushajyate |. . .|
yo nama/ifabdo 'tra sadäcäräd
gamyate |
4. JDev. pürvenä 'gnim ity anu-
shajyate I amhä nämasi tasyai te
namaÄ | dulä ndmasi tasyai te na-
ma/i I nitantri (1. nitatni) nämd'si
tasyai te namai^ | cupunilcä (cu-
pakinä D) nämä'si tasyai te na-
ma.h I abhrayanti nämä'si tasyai
te nama/i | meghayanti nämä'si
tasyai te nama/i | varshayanti nä-
mä'si tasyai te nama/i | (Kä^h. 40, 4 ;
cf. T. S. 4, 4, 5, 1, wo nitatnir f.
nitatni steht, nämä'si nur einmal
gesetzt und die Anordnung ver-
schieden ist),
5. grihebhyo - devatä/i gehört
sicher zum Comm., vielleicht auch
grihädibhyo, da die Hausgötter
noch einmal in 6 erwähnt werden,
an passenderer Stelle, cf. A9V. I,
2, 4. — Dev. . . . sraktishu koneshv
agner etä9 catasra ähutir juhuyät
I abhidakshinaw pradakshina//i ya-
thä bhavati pürvadakshinakonäd
ärabhya . . . tatra pracuraprayoga-
takshopatahshdbhijdm |5|
abhitah pürvend 'gneh |6|
amhd ndmasiti 1 dulä nä-
mä'sf ti 2 nitatni nämä'si'ti 3
cupunikä nämä'si'ti 4 sarvä-
säm |7|
nandini 1 suhhage 2 sumah-
gali 3 bhadrahharzti 4 sra-
Jctishv abhipradaJcshinam |8|
5, 6.bhakshopabhakshyäbhyäm |5|
abhitaÄ pürvenä'gnim |6| V*'* V
bhalishyopabhakshyäbhyäm abhitaÄ
pürvenä'gne/t | C'-^ — iVand bhak-
sham odanädiÄ | upabhakshya^/i 9a-
kädii^ I sarvata ity anuvrittau pu-
narvacanam | vai9vadevahome sid-
dhahavishyajwäpanäya | siddhasya
havishyasya jiihuyäd ity ä9valäya-
nlyat (A9V. I, 2, 1) 1
6- Nand, hutasyä 'gne/i pürvä-
dicaturdikshu | tatra manträn äha ]
7. avä nämä'si'ti 1 tvalä nämä'si'ti 2
nitanti nämä'si'ti 8 kshipranikä nä-
mä'si'ti 4 V^'V; ambä V*, sonst
ebenso ; avä . . . nitantri . . . , sonst
ebenso, nur ohne Nummern C**'^;
adho nämä'si . supratäkä nämä'si .
asratpati nämä'si (hierin scheint
abhrayanti zu stecken, cf. Dev. zu
K. 4) v. — Nand. ambe' tyädica-
tasribhir mantraiÄ pürvädicatasri-
nä>jt di9äwi baliwi dadyät | shashti-
nirde9ena di9ä/,H balisambandhäva-
gamäd devatätvam gamyate |
8. bhadrakäll'ti'v^V,* C^'^ svak-
thishv V'^'^ sva9rishv V^ (svakthishv
Jolly: Das Dharmasütra des Vishnu etc.
33
sthünäydm dJiruväydm gri-
yai hiranyakegyai vanaspa-
tibhyag ce 'ti gnh (y) ebliya
iti |6|
dharmddharmayor dväre \l\
mrityave co ^dadhdne |8|
varundya vishnava ity ulü-
hhale\^\
upari garane vaigravandya
rdjne hhütebhyag ce 'ti|lO|
indrdya nama indrapuru-
shebhyonama itipürvdrdhe\ 1 1 1
yamdya namo yamapuru-
shehhyo nama iti ddkshindr-
dhe Il2i
sthündydm dhruvdydm gri-
yai hiranyakegyai vanaspa-
tihhyag ca |9|
dharmddharmayor dvdre
mrityave ca|lO|
udadhdne varundya |ll|
vishnava ity ulühhale \12\
marudbliya iti drishadi|l3|
tipari garane vaigravandya
rdjne 1 bhütehhyag ca 2 |14|
indrdye'ndrapurushehhyag
ce 'ti pürvdrdhe\l6\
yamdya yamapurushehhya
iti dakshindrdhe |16|
dar9anam 9aranam (tatra — 9aranam
in den Hss. falsch als Sü. 6 be-
zeichnet) nandini tubhyam ityädi-
prayogena mantavyaw pradänär-
thatväd ähvänasya |
6. grihäbhya D. — Dev. . . . sthü-
näyäm adhikaranabhütäyäm . . .
dhruväyäwi sthälyäm . . . liiranya-
kegi lakshmih \ grihadevatänä??i ca
'mi homä/j. |
7. Dev. dharmäyanama/j | adhar-
mäya naraa-^ | iti grihadväramädhye
ähuti juhuyätj
9. Dev. varunäya namo vishnave
nama iti grihasyo'pari balidvayam
upaharet |
10. Dev. vai9ravanäya räjne na-
mo bhütebhyo nama iti j
11. pürve'rdhe D.
[1879. LPhilos.-philol.-hist. Cl.Bd
in mg.) svashthishv CS^ mukti v.
abhipradakshinära C^'^. — Nand.
nandini 'tyädicaturbhir mantraiÄ
svakthishv (1. sraktishv) ägneyädi-
koneshu prädakshinyena baliw da-
dyät]
9. vanaspatibhyaÄ. | C'^ vanaspa-
tibhyaj v. — Nand. dhruvä gri-
hädhärabhütä sthünä sakarnastam-
bhas tasyaw 9nya iti dväbhyäm |
liiranyakegiHi grivigeshanam |
10. Nand. dharmädidväbhyäm
gribadväre | dharmädharmayor mi-
litayor devatätvam agnishomiyavat|
11. udapäne C^'^ v. — Nand.
udadhäna?^ jala9älä tatra varuwäye
'ty ekena |
14. Nand. 9aranaw griham | tad-
upari a^^älikäyäw vai9rava9aye'ti
dväbhyäm |
II. 1.] 3
34
Sitzung der phüos.-phüol. Classe vom 7. Juni 1879.
varundya namo varunapu-
rushebhyo nama itipaQcare\ 1 3 1
somdya nama/j somapuru-
shebhyo (nama) ity uttarär-
dhe\\A:\
hrahmane namo hrahmapu-
rushehJiyo nama iti madhye] 1 5|
ürdhvam äJcägäya |16|
diväcarebhyo hhütehhya iti
sihandile |17|
naJctamcarebhya[\Y3i] bhü-
tebhya iti naJctam |18|
(^eshsim pitrihhyah pindäni
pradadhäti |19|
13, 14. iti — somapurushebhyo
om. 9-
15. madhye grihasyä 'gre vä | f
1 grihasyä 'gner vä | (als Comra.
bezeichnet) D.
16. Dev. äkä9äya nama ity ür-
dhva7?i balim upaharet |
17. Dev. 9ucibhübhäge divä ba-
lim upaharet |
18. Dev. sthandila ity anusha-
jyate | atra divä vai9vadeve kriya-
mäne balim upaharet | rätrau tu
naktawicarebhyo bhütebhya iti Tce-
cid vyäcakshate | prayogas tv idri-
9aÄ I divä'pi vai9vadevam kurvä-
jisih (1. kurvänä/i) kalpayitvä nak-
varunäya varunapurushe-
hhya iti pagcärdhe |17|
somdya somapurushehhya
ity uttardrdhe |18|
hrahmane hrahmapurushe-
bhya iti madhye \19\
ürdhvam dhägdya |20|
diväcarebhyo bhütebhya iti
sthandile |2l|
naktamcarebhya iti nalc-
tam |22|
tato dakshinägreshu dar-
bheshu pitre pitämahäya pra-
pitämahäya mätre pitäma-
hyai prapitämahyai svauäma-
goträbhyäw ca pindanirvapa-
riam kuryät |23|
pindäDam cä 'nulepanapush-
padhüpanaivedyädi dadyät|24|
15. ^purushebhya iti 0^>^ v. —
Nand. 9arana ity anuvartate | tasya
pürvasminn ardhe bbäge indräye'ti
dväbhyäm |
22. Nand. rätrau vai9vadeve
kriyamäne naktawicarebhya ity ekam
anena säyamprätar vai9vadevakar-
tavyato' ktä bhavati | atha säyamprä-
ta/t siddbasya havishyasya juhuyäd
ity ä9valäyaniyät (A9V, I, 2, 1) |
28. Nand. . . . pitr ikarmatväd
däkshinägratä darbhänäm.
24. Nand. shannäm api piträdi-
pindänä/w gandhädi catush^ayawi
dadyät | ädi9abdät tämbüladakshi-
nayor grahanam |
Jolly: Das Dharmasütra des Vishnu etc.
35
udakalagam upanidhdya
svastyayanam väcayati |20|
tamcarebhyo bhütebhyo 'pi sthä-
payanti rätrau ca tyäjayanti | rä-
trau tu vai9vadevo no'shitaÄ | . . .
20. Dev. 9ishyata iti 9eshai^ |pra-
darfitähutibalibhyo mucyamänaÄ [
idi.ni pin^ikf itya pitripitdmahapra-
pitämaliebhyomätripitämaMprapi-
tämaMbhyag ca dadäti {
21. Dev..., bodha? ca me 'ty
anuväkam väcayati 'ti svärthe nie
I ... I caurädiko vä 'tra Ykcih (cf.
Weber, I. St. XIII, 33 Anm. 2)
I ata eva purushasüktakanikradädi
vaktavyam ]
udakalagam upanidhdya
svastyayanam väcayet |25|
25. Nand. samlpe pitruddefena
jalapürnakala9aw nidhäya svastit-
va?M brühi'ti yam kaweid brähma-
nam väcayet | taw brähmanäya
dadyäd ity arthaÄ |
1) Nachdem er um das Feuer hingefegt, es ringsum
(mit Wasser) besprengt, (mit Grasbüseheln) umlegt und
(diese wieder mit Wasser) umsprengt hat, opfere er, wobei
von allen Speisen das Oberste (d. h. 48 Mundvoll^) aus dem
Kochtopf) herauszunehmen (und in einen anderen Topf zu
schütten ist). 2) Dem Väsudeva, dem Pflüger, dem Mäch-
tigen, dem Unwiderstehlichen, demPurusha, dem Wahrhaftigen,
dem Unerschütterlichen, dem Väsudeva (acht Spenden)^).
3) Sodann 1. dem Agni, 2. dem Soma, 3. dem Mitra, 4. dem
Varana, 5. dem Indra, 6. dem Indra und Agni zusammen,
1) Nach Nand., resp. ^ätätapa, dem er folgt. — 2) Alle diese Epitheta
sind bekannte Beinamen Vishnu's, mit Ausnahme des dritten und vierten,
die sonst auf Kämadeva und dessen Sohn, hier aber vielleicht auch auf Vishnu
gehen. Nicht blos der Vergleich mit K., sondern auch mit den anderen
Grihyasütra und den Dharmasütra lässt dieses Sütra deutlich als Inter-
polation des Vishnuitischen Bearbeiters erkennen. — Die mit den an-
deren Gfihya übereinstimmende Vorschrift Dev.'s, dass bei den Streu-
spenden (5 ff.) den Namen der anzurufenden Gottheiten das Wort namaÄ,
bei den ähuti (3) dagegen svähä beizufügen sei, gilt wohl auch hier. —
3*
36 Sitzung der philos-philol. Classe vom 7. Juni 1879.
7. den Allgöttern, 8. dem Prajäpati, 9. der Anumati, 10.
dem Dhanvantari, 11. dem Västoshpati, 12. Agni dem Opfer-
vollender (zwölf Spenden). 4) Hierauf bringe er mit dem
Rest der Speisen ein Streuopfer dar. 5) Dem Taksha und
Upataksha^). 6) Um das Feuer herum , von Osten ange-
fangen*). 7) Mit den Worten: „1. du heissest Ambä ; 2. du
heissest Dulä; 3. du heissest Nitatni; 4. du heissest Cupu-
nikä'' (ebenda) allen (Ish^akäs) 8) Mit den Worten: ,,1.
Nandini (Tochter), 2. o Subhagä (Schöne), 3. o Suma/j-
gali (Glückbringerin), 4. o Bhadrankari (Glückverheisserin)''^),
an den (vier) Ecken (des Feuers) nach rechts herum (den
vier Seiten des Hauses oder Himmelsgegenden, mit der öst-
lichen Ecke anfangend). 9j An der festen^) Säule der Qri
Hiranyakeci und den Bäumen. 10) Dem Dharma und Adhar-
ma sowie dem Mntyu an der Thüre^j. 11) In dem
Wasserbehälter dem Varu];ia'). 12) Mit den Worten: „dem
Vishiiu (Verneigungj" in dem Mörser^). 13) Mit den
3) Die überlieferte Lesart wäre mit Nand. zu übersetzen : ,,mit der
Speise und der Zukost" und auf den Ausdruck ,von allen Speisen* in 1
zuvückzubeziehen , was übel genug ist. Die Verbindung takshopata-
kshäbhyäm bietet auch Kau?. 74 (citirt im P. W.) — 4) Nand. trennt
in Folge seiner falschen Lesart von 5 diese Worte von 5 und verbindet
sie mit 7. das er, dnrch die Vierzahl der Mantra verführt, auf die vier
Himmelsgegenden bezieht wie 8. Wahrscheinlich standen hier ursprüng-
lich auch die drei übrigen in K., KätÄ. undT. S. aufgezählten Ishtakäs
(Weber, Nax. 301. 368) im Text, wovon v noch eine Spur bewahrt
hat s. 0. — 5) Für die Vulgata, wonach hier Bhadrakäli genannt wäre,
könnten zwar auch M. 3, 89. ^äiikh, II, 14, 14 angeführt werden, aber
dort erscheint sie in anderer Verbindung. — 6) d. h, ,mit Zapfen ver-
sehen* Nand.; es ist wohl die fänkh. III, 3, 3 als sthüräräja bezeich-
nete Hauptsäule in der Mitte des Hauses gemeint. Dagegen wäre dhruvä
nach Deo. der Kochtopf. — 7) Diese der üeberlieferung geraässe Ab-
theilung der drei Sütra 10 — 12 ist sicher die richtige, vgl. Gobh. I, 4,
9. Pär. II, 9, 3. gänkh. II, 14, 13. M. 3, 88. Apast. (Haradatta) II, 2,
3, 21. Gant. 5, 15. Im K. sind wohl die Worte marudbhya iti drishadi
(= Vi. 13) ausgefallen und ist dadurch die irrige Abtheilung der Sütra
Jolly: Das Dharmasütra des Vishnii etc. 37
Worten: „den Maruts" auf dem Mühlsteine. 14) Oben (in
der Dachkammer) ^) auf dem Hause mit den Worten : ,,1. dem
König Vai9ravana 2. und den Wesen (Elementen)'^ 15) Mit
den Worten : „dem Indra und Indra's Dienern im östlichen
Theile (des Hauses). 16) Mit den Worten : dem „Yama und
Yama's Dienern" im südlichen Theile. 17) Mit den
Worten : „dem Varuna und Varu^a's Dienern" im west-
lichen Theile. 18) Mit den Worten: „dem Soma und
Soma's Dienern'' im nördlichen Theile. 19) Mit den
Worten: „dem Brahman und Brahman's Dienern" in der
Mitte (des Hauses). 20) In die Luft hinauf dem Akä(;;a.
21) Mit den Worten: „Den bei Tage umherschweifenden
Gespenstern" auf dem Opferplatz (im Hofe). 22) Mit den
Worten: „Den bei Nacht umherschweifenden" Nachts (eben-
daselbst) ^j. 23) Hierauf bringe er auf Gräsern, deren
Spitzen nach Süden gerichtet sind, seinem Vater, seinem
Grossvater und seinem Urgrossvater, seiner Mutter, seiner
Grossmutter und seiner ürgrossmutter , mit Nennung ihres
Namens und Geschlechts, Mehlklösse dar. 24) Auf die
Mehlklösse lege er Salben , Blumen , Weihrauch , Opfer -
speisen u. dgl. ^^). 25) Nachdem er einen Krug mit Wasser
dazu gestellt hat, erbitte er sich (von einem Brahmanen)
den Segen ^^).
7—9 veranlasst worden. — 8) Vgl. P. W. s. y. atta, KuU. zu M. 3,
91. — 9) lieber dieses Sütra sind Nand. und Dev. verschiedener Mein-
ung, indem ersterer es auf das abendliche Vai9vadeva bezieht und darin
iraplicite die Vorschrift ausgedrückt findet, dass das Vaigvadeva Morgens
und Abends stattzufinden habe, wie nach Apv. (man füge hinzu
gänkh. II, 14, 3, auch M. 3,90. Apast. II, 2,4, 8. Gaut. 5, 17), während
dagegen Dev., von der Ansicht ausgehend, dass das VaiQ;vadeva Abends
nicht üblich und sogar verboten sei, die Streuspende an die Nachtge-
spenster auf das morgendliche Vai9vadeva verlegt wissen will. Doch
ist ja auch Bev. die gewiss richtige Auffassung Nand.'s als die »Erklärung
Einiger* nicht unbekannt. — 10) ,u. dgl.* d. h. Betel und Opfergaben
(Nand.). Dieses Sütra ist wohl auch ein späterer Zusatz, da weder in
38 Sitzung der pJiüos.-pMlos. Classe vom 7. Juni 1879.
Hierait endigt das Kapitel über Vai9vadeva in K.,
während in Vi. zwei Sütra über die Speisung von Hunden
u. s. w. und von Bettlern folgen, vgl. Pär. II, 9,12. ^änkh. II,
14, 18— 22. M. 3, 92,94. Y2, 103— 5. Apast. II, 2, 4, 10. Gaut.
5, 25 ; daran schliesst sich dann noch ein längerer Abschnitt
über die Aufnahme von Gästen, vgl. M. 3, 95 ff. Y 2, 107 ff.
Apast. II, 2, 4, 11 ff. 3, 6, 3 ff. Gaut. 5, 26 ff. Auch in
anderen Punkten ist Vi. 's Darstellung die vollständigere
(1. 7. 13. 23.), und vielleicht beruht die Erwähnung
der Hausgeister im K. 5 und 6 beide Male auf Interpolation.
Doch ist in formeller Beziehung auch K. hie und da aus-
führlicher, namentlich durch die wiederholte Beifügung von
namai^ bei den Anrufungen. Beide Darstellungen gehen
also auf eine gemeinsame Vorlage zurück, der beide sehr
nahe stehen, Vi. aber vermuthlich noch etwas näher als
das K.
II. Der Vrishotsarga ^).
Die Uebereinstimmung zwischen K. 47 und Vi. 86 be-
treffs dieser Materie hat insofern weniger Beweiskraft, als
sie sich zugleich auf die Behandlung des nemlichen Gegen-
stands bei Päraskara (III, 9) und (^änkhäyana (III, 11) er-
streckt. Bei der fast wörtlichen Uebereinstimmung der drei
Grihya kann hier der Text des K. ohne Uebersetzung mit-
K. noch sonstwo eine ähnliche Regel sich findet. — 11) So nach Nand., der
hinzusetzt, dass der Brahmane den Krug als Geschenk erhalten soll.
Zu svastyayanam vergleiche Stenzler's Anra. zu A^v. II, 3, 18. Dev.
nimmt das caus. väcayati im Sinne des simplex und citirt einen Anu-
väka aus dem Käth. (37, 10), den man selbst recitiren soll; doch lässt
er auch die Möglichkeit der causativen Fassung offen, in welchem Falle
das Purushasükta, das Kanikrada (VS. 13, 48) u. a. Lieder zu recitiren
wären.
1) üeber die ursprüngliche Bedeutung der „Freilassung oder Hin-
gabe des Stiers" vgl. Stenzler, Anm. zu Pär. III, 9, 1.
Jolly: Das Dharmasütra des Vishnu etc. 39
getheilt werden , man vergleiche Stenzler's und Oldenberg's
Uebersetzungen. Die mit Pär. oder (^ärikh. oder mit beiden
wörtlich übereinstimmenden Stellen hebe ich durch cursiven
Druck hervor.
K. 47. atha vrishotsargdh |1| härttikydm paurnamäsydm
revatydm vä "gvayujasya gaväm madhye susamiddham
agnim Jcritvä paushnaw carum ^rapayitva püshd gd anv
etu na iti paushmsya juhoti |2| iha radir iti hutvä |3|
ßvatvatsdydh payasvinydh putram ekarüpaw dvirüpam vä 2/0
vd yütham chddayed yüthe ca tejasvitama/^ sydt tarn dlam-
Jcritya catasro 'shtau vä vatsataryag tdg cd 'lamhrityai 'tarn
yuvdnam patim vo daddmy anena Jcridantig caratha priyena \
mä häsmahi prajayä mä tanübhir mä radhäma dvishate
soma räjann iti |4| tasya dakshine karrte pitä vatsänäm iti
japet |5| utsrijya präcim udicim vä di9am prakälayitvä saha
vatsataribhi/^ sarpishmad annam hrdhmandn hhojayet |6|
2. Dev gaväw madhye svagoshthe . . . pushä gä anvetu na (RS.
6, 54, 5. TS. 4, 1, 11, 2 etc.) iti paushnasyä 'vadänadvayam uddhritya
juhuyät. — 3. radir beide Hss., auch im Comm. und in einem früheren
Abschnitt (über grihaprave^a) nebst Comm., wo die Stelle in extenso
angeführt wird: iha radir iha ratir iha dhritir iha vidhritir iha sva-
dhfitir iha rantir iha ramatäm (ramati*^?) agne (agni 9, im Comm.
agnaye) vet svähävat |Comm. ... radi/i kridä. An eine dravidische
Orthographie ist in einer kaschmirischen Hs. kaum zu denken; vgl.
Wrzl. rat, rath. Im Vi. 86, 9. Pär. III, 9, 4 lautet freilich das Pratika
iha ratir, und ebenso fängt der ganze Mantra bei ^änkh. III, 11, 4
an , der indessen auch sonst abweicht (er ist = VS. 8, 51 und ähn-
lich mit TS. 7, 4, 17, 2. Käth. A9. 4, 6). — Dev. iha radir ityädyä
da9ä "hutir juhuyät | pradhänänantaram rudrän japitvä tato rudräbhidhänät
shad anuväkän japet |. — 4. Dev ekarüpaw dvirüpam vä... rohita-
rüpä/i pa^avo bhüyishthä iti 9rutatväd rohitarüpam . . . dvirüpatve 'pi
babhru?/i sapta ^uklai^ candrakai? citritam. — Dev. in dem mantra-
bhäshyam am Schluss des Kapitels a) zu etaw yuvänam in 4: he soma
räjan väyam prajayä puträdikayä mä häsmahi prajayä günyä mä bhüma
svasambandhinyä gosambandhinyä ca | tathä tanübhiÄ 9arlrair mä häs-
mahi dirghäyushaÄ syäme 'ty artha/i | b) zu pitä vatsänäm in 5: pitä
40 Sitzung der phüos.-philol. Classe vom 7. Juni 1879.
vätsänäm patir aghniyänäm atho pitä mahatäw gargaränäm [ (bis
bieher = Kätb. XIII, 9. TS. 3, 3, 9, 2) retodhäw tvä ya9odhäw
räyasposhäyo 'tsrije || Comm. he vrisha tvätn utsrije... aghniyänäm
anupahatänäm patir yata/i... tväw retodbäm vidhätära;« yafodhäwi ya9aso
dbätärawi vrishotsargasya ya9asa udayät |
Auch wo die Worte sich nicht decken, stimmt; das K.
mit Pär. und (^änkh. sachlich meistens überein, und es finden
nur folgende Differenzen statt. Ausser dem Mantra iha
radir in 3 hat auch die Trishtubh etam yuvänam in 4 in
den 2 letzten Päda einen anderen Wortlaut als bei Pär.
Qänkh. , die ihrerseits ziemlich genau zu TS. 3, 3, 9, 1.
AS. 9, 4, 24 stimmen; caratha im zweiten Päda statt
des richtigen carata (TS. AS. Pär.) findet sich nur bei
(^änkh. ; statt des Mantra pita vätsänäm in 5 erscheint bei
Pär. Qänkh. der Anuväka9esha mayobhür (VS. 18, 45 — 50.
RS. 10, 169). Ferner ist bei ihnen nur von vier^, nicht
von vier oder acht jungen Kühen die Rede, die Anrede an
den Stier erfolgt , ,, während er in der Mitte steht ^^ und es
wird nicht erwähnt, dass sie ihm ins rechte Ohr gesagt
wird, ebenso wenig nachher, dass Stier und Kühe nach
Osten oder Norden fortzutreiben sind, und statt einer ,,mit
Butter bereiteten'' schreiben sie bei der Bewirthung der
Brahmanen eine „von der Milch aller Kühe bereitete Speise"
vor. Auch geben sie die erforderlichen Eigenschaften des
Stiers ausführlicher an als das K., und Pär. nimmt in drei
Sütra besonderen Bezug auf das Rindopfer. Endlich bietet,
wenn man Dev. beizieht, sein Comm. zwar die ,, Sprüche an
Rudra" (zu 3) wie Pär. Qäiikh., schreibt aber 10 Spenden
vor, während es bei Pär. 6 sind, bei Qänkh. die Zahl un-
bestimmt bleibt, und fügt zu den Sprüchen an Rudra
6 Anuväka hinzu. So gering man diese Differenzen an-
schlagen mag, so ist doch nicht zu verkennen, dass die
Versionen des Pär. und Qänkh. einander näher stehen, als
eine von beiden der des K.
Jolly: Das Dharmasütra des Vishnu etc. 41
Gerade die beiden wichtigsten Eigenthüraliclikeiten des
K. nun, nemlich seine besondere Version des Mantra etam
yuvänam und der Mantra pitä vatsänäm finden sich in dein
Vrishotsarga des Vi. wieder (Vi. 86). Letzterer Mantra
wird von Nand. ausdrücklich als MthaMyo mantra/j be-
zeichnet, allerdings mit dem falschen Pratika pitä vatsa
citirt, im ersteren begegnet auch hier die unrichtige Lesart
dadämy anena und das ebenso unrichtige caratha, das frei-
lich auch ^äiikh. hat (ein paar andere Fehler nur in C^'^ v).
Ferner fehlt der Zusatz über den Stier, den die Herde
schützt, auch im Vi.; es heisst Vi. 86, 13 vrishabhasya
dakshiije karne pathet, wie im K. 6 tasya dakshiy.e karne . . .
japet, während dafür die Vorschrift, dass der Stier in der
Mitte stehen soll, auch hier wegfällt; der Stier sammt den
Kühen wird nach Nordosten fortgetrieben und zur Bewirthnng
der Brahmanen eine Speise mit Butter , nicht mit Milch
bereitet.
Auch die übrige Darstellung des K. ist in den 14 Sütra
und 6 Versen von Vi. 86 nahezu vollständig und wörtlich
enthalten. Insofern trifft daher Vi. auch mit den beiden
anderen Gnhya genau überein ; aber näher zu diesen als
zum K. stimmt es nur in Betreff der Weglassung der Clausel
ashtau vä (K. 4) und in Betreff des Wortes radir, wofür
es wie Pär. (^ärikh. ratir hat. Auch weicht Vi. betreffs aller
anderen Punkte , in denen es von dem K. differirt, z. B.
in Betreff der Farbe des Stiers, in Betreff der ähuti zu
Anfang der Cerimonie u. s. w., ebenso auch von den beiden
anderen Darstellungen ab. Im Ganzen macht seine Dar-
stellung den Eindruck einer Erweiterung der im K. entweder
unmittelbar oder doch fast unverändert vorliegenden ur-
sprünglicheren Version. So wird im Vi. zu Anfang der
ganzen Handlung eine Prüfung des Stiers vorgeschrieben.
Ferner soll ihn ein Schmied auf der rechten Hüfte mit einem
Diskus, auf der linken mit einem 9Üla („Dreispiess" Nand.)
42 Sitzung der philos-phüol. Classe vom 7. Juni 1879.
bezeichnen, und er soll hierauf unter Recitation von TS.
5, 6, 1 ff. und RS. 10, 9, 4—8 gewaschen werden. Bei
der Schmückung des Stiers sind die Rudra, ausserdem aber
auch das Purushasükta und die Küshmändiverse herzusagen.
Dann folgen vor und nach der Trishlxibh etaw yuvänam
fünf Qloka, die schon als solche sicher secundär sind und
auch inhaltlich mit dem K. abgesehen von der auch darin
vorkommenden Speisung der Brahmaneu nichts gemein
haben.
III. Die Manenopfer.
Unter dieser Rubrik sollen hier, wieder mit Beibehalt-
ung der Anordnung des K., nicht nur die verschiedenen
Arten des ^raddham , sondern auch die ashtakäs nebst Zu-
behör begriffen werden. Denn so wahrscheinlich der ur-
sprüngliche Zusammenhang dieser Feste, besonders der
Ekäshtakä, mit dem Jahreslaufe 9 ist, so hat sich doch im
K. eine Reminiscenz hieran ausser in den Sprüchen nicht
mehr enthalten, vielmehr werden wie bei M. etc. und in
der neueren Litteratur '^) die ashtakäs wie die 9räddhäni
ausschliesslich an die Manen und Götter gerichtet, und beide
Classen von Opfern sind innig mit einander verwebt: sar-
va9räddhänam ashtakänvitatvam , wie es K. 54, 1 heisst.
Freilich erscheinen dabei die (jräddhäni als eine Nebenform der
ashtakäs, w^ährend bei Manu etc. und auch in Vi. das Ver-
hältniss gerade umgekehrt ist. Indessen nähert sich Vi.
dem Standpunkt der GHhyasütra einigermassen durch die
verhältnissmässige Ausführlichkeit, mit der es von den
ashtakäs handelt.
1) Weber Nax. 337. 341 f. Oldenberg I. St. XV, 145 f.
2) Wilson, Journ. E. A. S. IX, 76. 86. 90 (1848).
Jölly: Das Dharmasütra des Vishnu etc. 43
1. Die drei Ashtakäs^).
K. 49. ashtakä prathamä gäkena dvitiyä mäwsena tritiyä
tailäpüpaii^ |l| tisro 'slitakä/* pitridaivatyä/i |2| ürdhvam
ägrahäyanyäs trayas tämisräs teshv ashtamishv ashtakäya-
jnä/t |3| äjyabhägänte ca pavitra9äkoda^?i caturavattena
hotavyam ashtakäyai svähe 'ti ntünäw patni(ti) sliad dve
dve stälipäkasya juhoti |4| devä gräväna iti sarvatra tfitiyä
[5| tata9 cai 'kaikatra tisras tisro bhavaiiti |6| iyaui eve 'ty
anuväkena pancabhiÄ pancabhir abhijuhuyät |7| ata ürdlivam
ätithyädikam |8|
1. nebst Corom. fehlt D. — 4. °9äkädyam D. — Dev. ritüuäm pa-
tni'tjädayaÄ shad rico 'nuväkageshabhütäi^ | täbhyo nishpishya (nish-
kramya D.) dve dve ricau pratyekaw sthälipäkasya juhuyäd äjyabhä-
gänte I . — 5. Dev. devä gräväna ityädikä yathä sarväsv ashtakäsu
bhavati tena tritiyä 'yam rig bhavati |. — 7. Dev. sthälipäkene 'shtvä
iyam eve 'tyädinä 'nuväkena juhuyät j ki»i sakalena sarvatre 'ty ata
äha I pancabhi/i pancabhir iti | iyam eve 'tyädinä pa*icabhii^ prathamä-
shtakäyära abhijuhuyät | panca vyushtir iti madhyaraäyära | ritasya
dhärae'ti tritiyäyära | abhifabda uparivacana/i | havishäm upari juhuyäd
ity arthaÄ |
1. Die erste Ashtakä (wird) mit Gemüse, die zweite mit
Fleisch, die dritte mit Oelkuchen (gefeiert). 2. Es sind drei
Ashtakäs, den Manen und den Göttern zu Ehren, (zu feiern).
3. Nach dem Agrahäyani- Vollmond die drei dunkeln Mo-
natshälften, je am achten Tage von diesen finden die
Ashtakäopfer statt. 4. Nach der Spende der (für Agni und
Soma bestimmten) Portion Opferschmalz ist in vier Portionen
Brühe von Pavitragemüse zu opfern. Mit den Worten:
„Der Ashtakä Svähä", und indem er von den sechs (Versen)
„Als Gattin der Jahreszeiten'' (Käth. 39, 10, 10 ff.) je zwei
hersagt, opfert er mit der Topfspeise. 5. Dabei ist bei
3) Vgl. A9V. n, 4. Gobh. III, 10. Par. III, 3. ^änkh. III, 12—14.
M. 4, 119. 150. Y. 1, 217. Apast. I, 3, 10, 2. Gaut. 8, 18; 16, 38.
Vasishtha 11 med. .
44 Sitzung der philos.-phüol. Classe vom 7. Juni 1879.
jeder (Ashtakä der Spruch) „Die Götter, die Mülilsteine"
(Taitt. Br. 3, 7, 9, 2) als dritter (herzusagen). 6. Es sind
also jedesmal drei (Sprüche). 7. Mit dem Anuväka „Sie
eben'' (Käth. 39, 10) soll er mit je fünf (Versen desselben zu
den Spenden) hinzu opfern. 8. Alsdann findet die ßewirth-
ung der Gäste und was dazu gehört statt.
Die in der Erklärung zu 7 nur mit Pratika angeführten
drei Pentaden pafica-ka (so heissen sie weiter unten auch
im K. selbst, 54, 3) theilt Dev. nachher in der Mantravyä-
khyä in extenso mit, and es ergibt sich daraus, dass die-
selben nur aus Käth. 39, 10 citirt sein können, womit seine
Lesarten fast durchweg aufs Genaueste übereinstimmen.
Dieses interessante, wenn auch nicht überraschende Resultat
bestätigt auch der Text des K. selbst, da das Citat in 4
nur auf die zehnte Trishtubh in Käth. 39, 10 passt, nicht
auf die auch sonst in den Lesarten und der Anordnung
abweichende Version der TS. 4, 3, 11, worin dieser Vers
den Schluss des ganzen Anuväka bildet, oder auf AS. 3,
10 oder 8, 9, wo er gar nicht vorkommt. Dagegen sind
die Citate bei Pär. und (^änkh. aus der TS. resp. AS.
genommen.
Hierin stimmt nun Vi , zu dem ich mich jetzt wende,
wieder so genau als möglich zu K., indem es 73, 8 heisst:
dgrahdyanyd ürdhvam JcrishnäshUiMsu ca kraraenai'va pra-
ih3im'dmdidhyamoiisimapancaJcaih (sc, agnim hutvä). Denn
dass mit den hier erwähnten drei paficaka die nemlichen
Käthakastellen wie im K. gemeint sind, ist von vornherein
klar und wird durch die nur ein falsches Pratika enthal-
tende ^) Erklärung Nanch's : krinushva päje 'ti (1. päja iti)
1) Auf Kä^h. 6, 11 kann dasselbe nicht gehen, da dieser Anuväka
nur 10, nicht 15 Rik enthält. Wahrscheinlich liegt eine Verwechslung
von Käth. 39, 10 mit RS. 4, 4, 1, vor, ein pa^lcada^arcawi süktam,
das auch als räkshoghnara bezeichnet werden kann; vgl. übrigens auch
TS. 1, 2, 14. VS. 13, 9. Dass der Irrthura NandJs in dem Pratika
Jolly: Das Dharmasütra des Vishnii etc. 45
räkshoghnaw pancada9arcaw süktaw JcäthaJce prasiddham
bestätigt. Wie die drei pancaka, so stimmen auch die An-
zahl der Ashtakäs, die Vi. vorschreibt, nebst den Terminen
dafür, und die Angabe der zu opfernden Gegenstände genau
mit den Bestimmungen des K. überein. üeber die An-
zahl und die Zeiten der Ashtakäs ist ausser den cursiv ge-
druckten Anfangsworten der eben citirten Stelle auch Vi.
76, 1 zu vergleichen, wo unter den regelmässigen Zeiten für
ein 9räddhara auch die drei Ashtakäs genannt werden: wie
Band, bemerkt, im Gegensatz zu der bei anderen Autoren
vorliegenden Vierzahl der Ashtakäs. In der That wird n. A.
bei A9V., Gobh., Pär. auch eine vierte Ashtakä erwähnt ^),
während M., Y., Äpast. über die Zahl der Ashtakäs gar
nichts aussagen. Was geopfert werden soll, sagt Vi. 74,
1 : ashtakäsu daivapürvaw gäJcamämsäpüpaih 9räddham.
Also ganz wie im K. 49, 1, während die übrigen Grihya
theils in den Ausdrücken , theils in der Sache selbst,
differiren ; auch die Puräi^a haben die umgekehrte Reihen-
folge : Kuchen, Fleisch , Gemüse , wie Pär. (Wilson 1. c.
76). Von den im K. 49, 4 — 6 vorgeschriebenen Ceremonien
zeigt sich allerdings im Vi. kaum eine Spur , während die
übrigen Grihya analoge Angaben , auch den Mantra ashta-
kä jai svähä, aufweisen ; ein Ueberrest hievon scheint die
Opferschmalzspende zu sein, worin nach Nand.'s Autoritäten
der Vi. 73, 5 vorgeschriebene Homa bestehen soll. Auch
ist im Vi. die ganze im K, 49 beschriebene, dort wie in
den anderen Grihya (vgl. besonders K. 49, 8 mit A9V. IT,
4, 16) in sich abgeschlossene Feier zu einem Einschiebsel ge-
wisser ^räddha herabgesunken, das nach. Nand.'s Aufklärungen
nach der püjä der vi9ve deväs und vor der Herbeirufung
steckt, zeigen auch die übrigen Grihya, in denen RS. 4, 4, 1 bei den
Ashtakäs nirgends citirt wird, dagegen constant der obige Anuväka.
1) Vgl. Weber, Nax. 337; Wilson 1. c. 76
46
Sitzung der philos.-philol. Classe vom 7. Juni 1879.
der Manen stattfinden soll. Allein auch im K. stehen
Ashtakäs und (^i'^ddha wie schon gesagt in weit innigerem
Verhältniss als in den anderen GHhya, und das Ritual, das
es in dem nunmehr mitzutheilenden c. 50 angibt, schliesst
sich offenbar zeitlich an das in 49 beschriebene unmittelbar
an. Wo später auf das Ashtakäritual zurückverwiesen wird,
ist damit sowohl 49 als 50 gemeint.
2. Das Qräddha im Allgemeinen^).
Diese üeberschrift darf K. 50 und Vi. 73 insofern
gegeben werden, als sie den Haupttheil des Qräddha- oder
nach der Terminologie des K. des Ashtakärituals enthalten,
zu dem das in K. 49 Angegebene nur als Vorbereitung, das
in den folgenden Abschnitten Mitgetheilte als Anhang oder
Specialität sich verhält. Aus Vi. 73 lasse ich 5 — 9 hier
weg, als theils schon sub 1) erwähnt, theils später sub 6)
zu erwähnen. Den Texten lasse ich eine Uebersetzung von
Vi, 's, als der hier wieder ausführlicheren Version folgen.
K. 50. havirarhdn upa-
vegya
Vi. 73. atha 9räddhepsui^
pürvedyur brähma^än äman-
trayet |l|
dvitiye'hni 9uklapakshasya
pürvähne knshnapakshasyä
'parährie viprdn susnätän svä-
cäntän yathäbhüyo vidyä-
kramena ku9ottareshv äsa-
neshü 'pavegayet |2|
2. Nand yathäbhüyo yathä-
vayobähulyam | pitrarthabrähmanäd
adhikavayasawi paitämahaw tasyä
1) Vgl. A9V. IV, 7. gänkh. IV, 1. M. 3, 125, 204-259. Y. 1,225-
248. Apast. II, 7, 17, 11-22. Gaut. 15.
Jölly: Das Dharmasütra des Vishnu etc.
47
pitrin ä vähayishyämi 'ty
uktvä apa yantv asurd iti
dvdhhyäm tilaih sarvato 'va-
kirya eta pitara ä gacchata
pitara ä me yantv antar dadhe
parvatair iti japitvä yäs ti-
shthanty amritä vag yan me
mate Hy ayugbhya?^ päd y am
dntyo 'daJcdni dhdrayet |l|
vaigvadeve dvau prdnmu-
Jchau pitrye trtn udahmu-
Jchdn |2|
[tQ.tahpitrin d vdhayishydmi
Hi hrdhmanebhyo 'nujndm
arthayate |3|
apa yantv asurd iti dvd-
1. iha japitvä Q. — Den....
LavirarhäÄ srofityuktä vedavidä-
dayaÄ patitädivarjä/t prakritakar-
mayogyäZi | Aus der manträrthavi-
vriti am Schluss des Ganzen : Der
zweite Spruch zu apa yantv asurä
ist ES. 10, 15, 1. eta pitara ä gaccha-
ta pitaraÄ bilden ein Pratika.
Es folgt ein Vers mit dem Pratika
sarväms tan agna wie Vi. 12.
Der Spruch antar dadhe parvatair
stimmt fast ganz mit einem Citat
bei fä-nkh. III, 13, 5 überein,
ebenso yäs tishthanti etc. und yan
me raätä etc.
2.Dey.ästIrya darbhdsaneshu...
3. Dev. pitrigrahanam prädh-
hänyättenä"dauvigvadeüimdmävä-
hanädi käryam \ tatra ä vähaye
'ti panktipävanair anujnätah\ pür-
va//i vaifvadevavishayam |
dvau daive
trtmg ca pitrye udanmu7chdn\S\
ekaikam ubhayatra ve 'ti
4| •
tato hrdhmandnujndtah pi-
trin dvdhayet |10|
apa yantv asurd iti dvd-
hhydm tilair yätudhänänäw
visarjanam kfitvä |ll|
eta pitarah sarväws tan
agna d me yantv etad va7»
pitara ity ävähanam kritvä
ku9atilami9rena gandhodake-
na yds tishthanty amrifd vdg
iti yan me mdte 'ti ca pddyam
nirvartya nivedyä Wghyarrt
'py adhyäpakam prapaitämaham
iti I Ein Citat bei Aparärka hat
vayaJikxdi.mQiidi..
Vor 10 Nand. atha TcdtJia-
Ä;i2/«9räddhaprayogam aha |
10. Nand. tato homänanta-
ram ... ä vähayishya ity anujnäpyä
^'vähaye Hi tair anujnätah pitfin
ävähayet | pitrigrahanäd devävä-
handdi ...
11. apayäntv asurä iti 9räddha-
vighnakartf in yätudhänän apasärya
tilair V*'^'^ C*'^ : hier liegt eine aus
dem Comm. eingedrungene Glosse
zu visarjanawi kritvä vor.
Sitzung der philos.-phüöl. Classe vom 7. Juni 1879.
hhydm yavais tildrtham kur-
vita |4|
tato yds tishthanWti pafi-
cabhi/i pddyam pädärtliam
udakaw brähmanasankhyä-
yäw prati pätram dnayet ke-
bhya/^ ayugbhya^^ brähraane-
bhya;^ |5|
äniya brähmanapätreshu
sinced dakshina??^ pädam iti
dYäbhyäm |6|
tata etäbhir eva pancabhir
figbhir uäakdny dnayet] \l\
ddityd rudrd vasava ity
etdn samikshyd 'gnau Jcara-
vdni Hy uktvd 'gniw paristi-
rya somäya pitrimate svadhä
namo 'gnaye kavyaväbanäya
svadhä nama ity agnau hutvd
ye mdmalcdh pitara et ad vali
4. Dev. . . . sarvato yavavikira-
nenä 'suYä,Ysik2i.<;äpasdram h'itvä
0mäsa9 carshanidhrita iti vigvdn
devän dvähayet |...| anantaram . . .
pitrin ävähayet |
5. Dev. ayugmarüpena ye tra-
ya/i sthitä/i pitrye . . . yugbhyäm
api vai9vadeväbbjäm arghyapäträ-
nayanam \ Der 4. und 5 Vers be-
ginnen mit yan me pitämahi und
yan nie prapitämahi, der ßest ist
wie bei yan me mätä {Dev. in der
mantr.). 4—7 ist offenbar erst
aus dem Comm. in den Text ein-
gedrungen; dakshina^/i pädam f.
wird in der mantr. nicht erklärt.
Tcritvd nivedya cä 'uulepanam
kfitvä ku9atilavastrapuslipä-
lankäradhüpadipair yathä9a-
ktyä viprän samabbyarcya
ghritaplutam annam dddyd
"dityd rudrd vasava iti vtJc-
shyd ^g7iau karavdni 'ty uk-
tvd tatra vipraii^ kurv ity
ukte äbutitrayam dadyät|l2|
ye mdmaJcdh pitara etad vah
pitaro 'yam yajna iti ca ha-
viranumantrariaw kritvä ya-
thopapanneshu pdtreshu vi-
geshäd rajatamayesliv anuam
namo vigvebhyo devebhya ity
annam ädau pränaiukbayor
nivedayet |13|
pitre pitämahäya prapitä-
mahäya ca nämagoträbhyäm
ndanmukheshu Il4|
12. etat pitaraÄ sarväms tan
agram ä se yantv V^''^'^'* eta pi-
tara/i sarväms tan 9ramäya santv
C'-''' etotpitaraÄ sarväws tan awksam
ä me yantu v. — amritä gär iti
V'.^'^* gäv iti C^" V. — vritachu-
tam annam V*'^'^ vritashtutam
annam C^''^ ghrita^ — ädäyä fehlt
V. — Nand. . . . somäya pitrimate
svadhä namo yaraäyä 'ngirase
svadhä namo ^gnaye Icavyaväha-
näya svadhä nama iti mantra-
trayenä "hutitrayam juhuyät \
13. yajwe C^''*v. — Nand
yathämiliteshu sauvar^eshu daive
räjateshu pitrye vä nama iti man-
Jolly: Das Dharmasutra des Vishmi etc.
49
pitaro \iam yajha iti tis-
fibhii^ kalpitännain abhimri-
^ati i8|
tata;^^ stoka»^ stokai?? pä-
treshti dadyät |9|
eshä va ürg ämäsu pakvam
iti ca kshira?^^ ghrita^)^ vä
"sicya |10|
amushmai svadhä namo
'mushmai svadhä nama iti
yathälingam anumantrya bho-
jayet |ll|
prä9nantu bhavauta ity
uktvä yan me prakämäd iti
hhuhjcmän samiksbyä' horä-
trair yad vah Jcravyät sva-
dbä//^ vabadbvam iti cai 'tä-
hhili 1121
8. I)ev. arghyadänänantaram
ädityä rudrä vasava ityädinä brä-
hmanän sama/« kritvä vikshate
I tato 'gnau karaväni Hi brähma-
nän Pf ishtvä kurv ity anujnäto . . .
somäya pitrimate svadhä namo
'gnaye Tcavyavähanäya svadhä na-
ma iti . . . ähutidvayam juhuyät |
(cf. AS. 18, 4, 71, 72 etc.)
10. eshä vah ürg iti ämäsv
apakvara iti ghv\ia,m raantralingät
19- — Dev. (fehlt 5) eshä va ürg
ity ämäsa pakvam (T S. 1, 6, 12, 2)
iti kshIra/M ghriia>>i vä vaikalpita^yi
visfishte 'nna äsiwcet |
ll.Dev.. .'pitrix)itämaliaprax)i-
tämahanämäni caturthyantäni pra-
tiyante sa^oirapravaräni kathäya
tad adatsu bräbmaneshu
yan me praJcämäd ahorätrair
yad vah hravyäd iti japet |ir)|
itibäsapuränadbarma9ästrä-
ni ce 'ti |16|
uccbisbtasannidhau dak-
sbinägreshu darbbesbu j^>>n-
thivi dar vir akshate Hy ekaw
pindam pitre nidadhyät |17|
antariksham darvir akshate
'ti dvitiyaw pitämahäya |18|
dyaiir darvir akshate 'ti
tritijSLm prapitämahaya |19|
ye 'tra pitarah pretä iti
väso deyam |20|
virän näh pitaro dhatta
ity aniiam |2l|
atra pitaro mädayadhvaw
trena vai9vadevikayor brähmanayo;^
prathamam nivedayet |
14. Nand. yady api . . . atrinä
gotrasambhandhänantara/M namo
'ktaw tathä 'pi fcai/ianusäritvän
raülasmfitavedäbhipräyo 'ya/M kra-
ma iti dhyeyam | tata9 cä 'muka-
9armane 'smatpitre 'mukagoträya
vasurüpäye 'dam annam svadhä na-
ma iti . . .
15. yan me prakämä . . . yad vä
kravyäd V^---'' C'-"'^ v ^prakämä...
va° V^
Nand. tan nivedi-
tam annam adatsu bräbmaneshu
devapitfibrähmaneshu ...
17, 18, 19. darvirakshitä
VVA3,4v darvi rakshitä C^'^
20. atra pitaraÄ 'V<''''' C^-'v.
50 Sitzung der phüos.-phüot. Classe vom 7. Juni 1879.
prithivt darrir iti nipara-
nam hurydt |13|
ye Hra pitarah pretd iti
väsämsi daäyät |14|
ürjam vahanf/tr itt/ apdh
parishici/a |15|
mä me hshesWie Hi satri-
nam abkyiihshya |16|
vishadam annam äüiya
ka^cit sampannmn bhor ity
(cf. Weber, I. St. XII [, 438) kä-
9yapaofoträya (Weber, I. St. X,
82) pancapravaräya devadattäya
svadhä nama ityädini |
13. Dev. jjrithivi darvir ityä-
dibJiis trihhis trin pinddn pitri-
pitdmaliaprapitdmahänäm dakshi-
nägradarbbeshu kalpayet \ püjayec
ca yathäcäram ] Die mantr. führt
die drei bei Vi. 17 — 19 mitge-
theilten Mantra an.
14. Dev. in der mantr. citirt
auch virdnndhpitaro dliatta—Y\.2\.
15. Dev. in der mantr.: man-
tr alingäc ca ghritamigrähhir ad-
hhvr abhishekah pindändm Icarta-
vydh I
yathäbhägam ä vrishay adhvam
iti darbhamüle karävaghar-
shanam |22|
ürjam vdhanür ity anena
sodaJcena pradakshinaw pii;i-
dänäm viJciranam Tcritvä ar-
ghapushpadhüpälepanäiiuädi-
bhakshyabhojyäni iiivedayet
|23|
ndakapätram madhughri-
tatilaii^ samyuktam ca |24|
bhuktavatsu brähma^eshu
tfiptim ägateshu mä me hshe-
sJithe Hy annam satrinam
abhyukshyä 'nnavikiram uc-
cchishtägratai^ kntvä triptd
hhavantah sampannam uktvä
— Nand. atre 'ti mantrena pindo-
pa?'i vastra?w dadyät |
22. ä vrishäyadhvam fehlt
V^2,3,*. Nand. atra pitara iti man»
trena pindädha/isthitadarbhamüle
karalepävagharshanawi kuryät \
23. vikaranam secanam . . . ca
nivedayet C^»^. — Nmid. . . soda-
kena pindageshena prädakshinyena
pindändm parito vikiranaw seca-
nam kritvä . . .
24. ^pätraw caC'^. — Nand.
jalapürnam karakawi raadhvädiyuk-
tam ca nivedayet | cakäräd anjanä-
bhyawjanädini |
Jolly: Das Dharmasiitra des Vislinu etc.
51
uktvä tripyanfu hhavanta ity
uktvä |17|
tata/i sampanua?)?. brahma-
nair iikta?» ^e.sham aiiiiaw
ca |18|
ye agnidagdhä ye jiva ity
anena claksliinägrastirnadar-
bhopari sarvasiddhe Ja?e 'nja-
liuä dakshhiämukhena präci-
nävite (sie) prahshipte saty
anantaraw tripyantu bhavan-
iah pitara ityäcli mantrashat-
ka?n pathet pitripitämaha-
prapitämahamätripi tämahi-
prapitämabitriptilingakam
|19|
triptänä?^ cdmayitvä yan
me rämah gakunir iti pra-
dakshinam Jcritvä pratyetyä
17. Dev. vishada>/i nirraalam
sodakaprabhritisakalam leyam ud-
dhfita?M pätre samädäya kafcit
sampaTiiiaw bhor iti vadet |
18. Am Schluss muss ein Wort
ausgefallen sein , das angab , was
mit dem übrigen ßeis zu machen
sei: cä'ßumatam? Vgl. M. 3, 253.
Y. 1, 240. Ä9V. IV, 7, 27. gänkh.
IV, 1, 12.
19. Der. ata eva mantralingän
niparanasvadhänamaskärapvabhri-
tishu mäträdinä?/^ nämoccäranam
ühitamantrakriyara khuh [ Bei der
Mutter etc. lautet der Mantra
tripyantu bhavatya/* etc. (raantr.)
iti prisbtvo 'dafimukhesbv
äcamanam ädau dattvä tatai^^
pränraiikbesbii dattvä tata<j
ca siiproksbitam iti gräddha-
degam samproJcshya darbba-
päni/^ sarvam kuryät |25|
tiitah pränmukbägrato yan
me rdma iti pradakshinam
Jcritvä pratyetyä ca yatbä-
^akti daksbinäbbii^ samabby-
arcyä 'bhi ramantu hhavanta
ity uhtvä tair ukto 'bbi ratäj^
sma iti deväg ca pitarag ce
'ty abhijapet |26|
aksbayyodakam ca näma-
güträbbyäm dattvä vi^ve de-
vah priyantäm iti pränmu-
25. ma me 9resbthe V^^ V
C''^ mä mai hyoshte v. — susu-
proksbitam C^'^. — Nand. . . mä
me 'ti mantrena 9räfldha9esbam
annam satrinam ku9asahita»i ja-
lenä 'bhyukshya tasyä 'nnasya
brähmanocchisbtägrato vikiranaw*
kritvä brähmanatripti>;i 9räddha-
sampatti?» ca prishtvä . . . supro-
kshitam iti mantrena 9väddhade9a»i
prokshet 1 ida»i ca sawa.m darbha-
päninä käryara |
26. yan me näma iti V^'"^»^'*
C^^v. — tata/^ suprokshitänan-
taram daivaviprägrato yan me
näme 'ti mantrena pradakshinam
4*
52
Sitzung der phÜos.-philol. Classe vom 7. Juni 1879.
'hJii ramantu hhavanta ityuk-
tvä deväg ca pitarag ce Hy
anuväka^esheno ^patishÜiate
m
[dcUäro nah pra vardliantäm
vedäh santatir eva ca \
graddhä ca no mä vy aga-
mad hahu deyam ca no ^stv
iti |21|
annam ca no hahu hhaved
atithimg ca labhemahi |
yäcitärag ca nah santu mä
ca ydcishma Jcamcana |22|
20. Dev.,.. devä^ ca pitarap
ce'tyädinä 'nuväkafeshena brähraa-
nänäm upasthäna?/i kuryäd dcikshi-
näm dattvä |
Hier folgt bei Dev. sogleich
die manträrthavivriti, die sonst
gewöhnlich den Schluss eines Ab-
schnittes bildet, und erst hierauf
wohl als Bestandtheil derselben die
beiden o. als 21 und 22 bezeich-
neten 9loka. In dem ersten haben
beide Hss. no 'stu, was ich nach
Vi. 28 und M. 3, 259. Y. 1, 245
geändert habe. Dann folgen in D
(fehlt in ^j die o. als 23 bezeich-
neten Worte, dann in beiden Hss.
atha visarjanam \ väje vdje etc.
Der Spruch, auf den alsdann seine
Erklärung folgt, ist vollständig
angeführt, gehört daher jedenfalls
zu der manträrthavivriti Dev.'s,
indem vielleicht im Text des K.
am Schluss ein das Pratika dieses
khebhyas tatai^ pränjalir idam
tanmanä/^ sumanä yäceta |27|
dätdro nah pra vardhanUim
vedäh santatir eva ca \
graddhä ca no mä vy a-
gamad hahu deyam ca no
'stv iti |28|
tathä 'stv iti hru juh |29|
annam ca no hahu hhaved
atithimg ca lahhemahi \
yäcitärag ca näh santu mä
ca yäcishma Jcamcana |30|
ävf itya pratyävf itya ca . . devä9
ce 'ti mantram tadabhimuliMbhüyn
japet j
27. Nand. yad dattam anno-
dakädi tad akshayyam astv iti
daive pitrye ca näraagoträbhyäm
udaka?/i dattvä vi9ve devä/j priyan-
täm iti daive co 'daka/w dattvä. . .
ä9isho yäceta | tä evä "ha |
27. veda/i C^-'^
Jolly: Das Dharmasütra den Vishnu etc.
53
evam astu] |23|
Spruchs enthaltendes Sütra aus-
gefallen ist. Auch im Voraus-
gehenden scheint eine Lücke .zu
sein.
ity etäbhyäm ä9is]ia/j pra-
tigrihya |3l|
väje väja iti tato brähma-
näni^ ca visarjayet |
püjayitvä yathänyäyam an-
uvrajyä 'bhivadya ca |32|
ol. Nand. ity uktäbhyäm...
uktä äfishas tathä 'stv iti prati-
vacanena pratigrihya viprän visar-
jayet I
32. Nand. ... ä simäntam
anuvrajya.. .
1. Wenn Einer ein (Jräddha zu feiern wünscht, so
soll er Tags zuvor die Brabmanen einladen. 2. Am näcli-
stcD Tage^ und zwar Vormittags, wenn er auf die lichte,
Nachmittags, wenn er auf die dunkle Monatshälfte fällt,
soll er die Brahmanen, nachdem sie in geziemender Weise
gebadet und den Mund ausgespült haben, nach ihrem Alter
geordnet (als Vertreter seines Vaters, Grossvaters und Ur-
grossvaters) , oder in der Reihenfolge ihrer grösseren oder
geringeren Kenntniss des Veda auf mit Ku^a bestreuten
Sitzen niedersitzen lassen. 3. Zwei nach Osten gekehrte
für das an die Götter, drei nach Norden gekehrte für das
an die Manen gerichtete Opfer. 4. Oder je einen für
beide 10. Hierauf soll er, nachdem er die Erlaubniss
der Brahmanen dazu erhalten, die Manen herbeirufen.
11. Nachdem er mit den zwei Mautra^): ,, Entweichen sollen
die Asura" durch ausgestreuten Sesam die Yätudhäna ver-
trieben; 12. Nachdem er (die Manen) mit den Sprüchen:
„Kommt, ihr Väter", ,,Alle diese, o Agni", ,, Herbeikommen
mögen meine (Väter)", Dies ist euer (Antheil) ihr Väter"
herbeigerufen, bereite er mit wohlriechendem Wasser, das mit
1) Wegen des Pratika des zweiten Spruchs und zu den folgenden
54 Sitzung der pliüos.-pliüdl. Classe vom 7. Juni 1879.
Ku9a und Sesam vermischt worden ist, mit den Sprüclien:
,,Die da stehen", ,, Unvergänglich ist der Laut" und „Was
meine Mutter (verbrach)" das Fusswasser, und reiche (melde)
es ihnen, mache das Ehren vvasser und reiche (melde) es ihnen,
bereite eine Salbe, beschenke die Brahmanen nach Vermögen
mit Ku9a, Sesam, Kleidern, Blumen, Schmuck, Weihrauch
und Jjampen, nehme in Schmalz schwimmenden Reis, sehe
sie an mit dem Spruche: „0 ihr Aditya, RudraundVasu"^),
spreche ,,Ich will im Feuer opfern", und auf die Antwort
der Brahmanen : ,, Opfere" bringe er (dem Soma, Yama und
Agni) drei Spenden dar ^). 13. Nachdem er mit den Sprüchen :
„Sie, die meine Väter sind", „Dies ist euer (Antheil), ihr
Väter" und „Dieses Opfer" die Spenden geweiht hat, giesseer
den Reis (so viel davon übrig ist) in Gefässe wie sie gerade
zur Hand sind, am besten aber in silberne (für die Vi9vedeväs
in goldene) und melde ihn zuerst den beiden nach Osten
gerichteten (zum Vai9vadeva9räddha eingeladenen Brahmanen).
14. Hierauf (indem er mit den Worten Svadhä und Namaj^)
seinem Vater , Grossvater und Ürgrossvater mit Nennuog
ihres Namens und Geschlechts*) (seine Verehrung bezeigt)
den nach Norden gerichteten (zum Manenopfer eingeladenen
Brahmanen). 15. Während die (sämmtlicheu) Brahmanen
den Reis essen, sage er die Sprüche her: „Was mir mit
Sprüchen s. o. zu K. 1. — 2) Dieses Pratika geht, wie Dev. zeigt,
nicht etwa auf RS. 3, 8, 8 oder auf RS. 7, 35, 14 etc. — 3) Die
Einladung richtet sich jedoch nach Nand. und JDev. zuerst an die
Götter, erst dann an die Väter, vgl. Y. 1, 229. Zu ersterer Ein-
ladung ist nach Dev. RS. 1, 3, 7 (Käth. 4, 7 etc.) zu sprechen. --
4) Auffallend ist, dass hier (ebenso Vi. 21, 3; 73, 27) bei der Anrufung
der Manen zuerst deren Name, erst dann das Geschlecht genannt wird,
eine Reihenfolge, die Nand. als etwas den Katba Eigenthümliches be-
zeichnet, während Dev. die umgekehrte Reihenfolge vorschreibt, ca soll
nach Nand. (wegen Vi. 75, 7) auf den mütterlichen Grossvater hin-
weisen; hat es hier wirklich eine prägnante Bedeutung, so geht es wohl
eher auf die Mutter, Grossmutter und Urgrossmutter, cf. K. 19. ^änkh.IV,
Jolly: Bas Dharmasütra des Vislinu etc. 55
Willen", „Mit Tagen und Nächten" ^) und „Was eucli
Agni'^ 16. Und die Itihäsa, Puräria und Dharma9ästra.
17. In der Nähe des (Gefässes, worin die) Ueberbleibsel
(sind), bringe er seinem Vater auf Gräsern, deren Spitzen
nach Süden gerichtet sind, mit dem Spruche: ,,Die Erde
ist (gleichsam) ein Löffel, unvergängliche (Sättigung)" einen
Mehlkloss dar. 18. Mit dem Spruche: „Die Luft ist (gleich-
sam) ein Löffel, unvergängliche (Sättigung)", einen zweiten
dem Grossvater. 19. Mit dem Spruche: „Der Himmel ist
(gleichsam) ein Löffel, unvergängliche (Sättigung)" einen
dritten dem Urgrossvater. 20. Mit dem Spruche: ,,Die
Väter, die da hinübergegangen sind" ist ein Kleid darauf
zu legen. 21. Mit dem Spruche: „Gebt uns Söhne, ihr
Väter" ^), Reis. 22. Mit dem Spruche: „Lasst's euch hier
schmecken, ibr Väter ^), geniesset jeder seinen Theil", wische
er an den Enden der Halme (das Fett) von seinen Händen
ab. 23. Mit dem Spruche „Kraft; verleihend (ihr Wasser)"^)
besprenge er mit dem nassen (Rest) die Klösse nach rechts
herum und reiche (den Brahmanen) den Argha, Blumen,
Räucherwerk, Salben, Reis u. a. Speisen und Süssig-
keiten. 24. Und einen Krug Wasser, das mit Honig, Schmalz
und Sesam vermischt worden ist und (dgl.) ^) 25. Wenn die
Brahmanen gegessen und Sättigung erlangt haben, besprenge
er mit dem Spruch : „Mögest du (Speise) mir nicht aus-
gehen" den (übrigen) Reis sammt dem Grase, streue den-
selben in die Nähe der (von den Brahmanen) übrig ge-
lassenen Speisen hin, frage: „Seid ihr gesättigt? Ist (das
1, 11. — 5) Dieser Vers (bei Dev. raantr.) hat grosse Aehnlichkeit mit
einem bei ^änkh. III, 13, 5 citirten, vgl. o. zu K. 1. — 6) Vgl. den Mantra
viram rae dhatta pitara/i aus dem ^änkh. (^r. bei Donner, pindapitfi-
yajwa 29. — 7) Käth. 9, 6. VS. 2, 31; auch citirt Gobh. IV, 3, 11.
Ä9V. gr. 7, 1. (Donner 1. c. 25). Käty. ^r. 4, 1, 13. - 8) VS. 2,
34; auch citirt Gobh. IV, 3, 26. Käty. gr. 4, 1, 19. — 9) ca geht hier
nach Nand. auf Salben etc.; dies ist dem Sütrastil ganz angemessen,
56 Sitzung der philoii.-phüol. Classe vom 7. Juni 1879.
Qräddha) vollendet?" gebe zuerst den nach Norden gerich-
teten (Brahmanen) Wasser zum Mundausspülen, dann gebe er es
den nach Osten gerichteten, und besprenge mit dem Spruche :'
„Wohl besprengt" die Stätte des (^iräddha. Alles dies thue
er mit Grashalmen in der Hand. 26. Hierauf umwandle er zu
den nach Osten gerichteten (Brahmanen) gekehrt sie von der
Linken zur Rechten mit dem Spruch : ,,Was mir eine Krähe" ^^)
und kehre wieder zurück, ehre sie nach Vermögen mit Ge-
schenken, mit den Worten : ,,Möget ihr Befriedigung finden"
und wenn sie geantwortet haben: ,,Wir sind befriedigt",
rede er sie mit dem Spruche : „Die Götter und die Väter"
an. 27. Nachdem er mit den Worten (,, Speise und Trank,
die ich gegeben, sei) unvergänglich"^^) (Allen) Wasser mit
Nennung ihres Namens und Geschlechts gegeben, erbitte er sich
nach Hersagung des Spruchs : ,, Mögen die Allgötter zufrieden
sein" ^^) von den nach Osten gerichteten (Brahmanen) mit
gefalteten Händen, freundlich und aufmerksam den fol-
genden (Segen): 28. ,, Mögen die Freigebigen in unserem
Geschlechte sich mehren, (das Studium der) Vedas und die
Nachkommenschaft: möge der Glaube nicht von uns weichen,
und mögen wir viel zu schenken haben". ^^) 29. Darauf
sollen sie erwidern: „So sei es". 30. „Mögen wir viele
Speise besitzen und Gäste empfangen; mögen Bettler zu
uns kommen und wir bei Niemand betteln gehen". 31.
Nachdem er mit diesen beiden Sprüchen (vermittelst der
Antwort der Brahmanen : ,,So sei es") den Segen empfangen,
32. Entlasse er die Brahmanen mit dem Spruche: „Bei
in dem ca oft prägnant gebraucht ist, besonders im Vi — 10) So nach
Dev. in der mantr. — 11) Vgl. gänkh. IV, 2, 5. Y. 1, 242. — 12) Nach
Nand. wäre dieser Spruch der Begleiter einer nochmaligen Ueber-
reichung von Wasser, aber nur an die Brahmanen des Allgötter-
opfers; cf. Y. 1,244 -- 13) M. 3, 259. Y. 2, 245. Auffallend und wohl
auf einer Versetzung beruhend ist die Stellung des nächsten Sütra
zwischen beiden ^loka. Im K. steht evam astu richtig am Ende. —
Jolly: Das Dharmasütra des Vishnu etc. 57
jeder Speise"^*), nachdem er sie geziemend geehrt, ihnen
das Geleite gegeben und sie begrüsst hat.
Von den übrigen Darstellungen des (Jlräddha, die meistens
sehr viel kürzer und alle viel ärmer an Mantra sind, kommt
diejenige des Yäjnavalkya den beiden hier mitgetheilten am
nächsten. Allein von den 21 bei Y. vorkommenden Mantra
(einschliesslich des mehrmals v^^iederholten svadhä) sind nur
die zwei letzten auch im Vi. und im K. anzutreffen, ausser-
dem das akshayyodakam und das Pratika vi^ve devä^ pri-
yantäm (Y. 1, 242. 244) im Vi. 27 und die zwei Pratika
pnthivi pätram und idam vishnur (Y. 1, 237, s. Taitt. Br.
1, 4, 3, 6) bei Dev.^ freilich nur in der mantr. (nach der
Erklärung zu ämäsu pakvam 10). Auch das Ceremoniell
bei Y. verglichen mit dem in unseren beiden Werken ent-
hält bald ein Mehr, bald ein Weniger, bald Abweichungen.
Dagegen sind die einzigen wesentlichen Punkte , in denen
im K. gegenüber Vi. ein Plus begegnet, folgende: Zu dem
Fusswasser und Wasser (= arghya Vi. 12) sind ausser den
drei auch im Vi. 12 genannten Mantra noch zwei andere
(s. Anm. zu K. 5), also im Ganzen fünf (pai^cabhi/^ K. 5,7)
zu sprechen, dann noch zwei weitere bei der Umgiessung
des Wassers, die freilich in der mantr. nicht vorkommen.
Auf den nach dem Feueropfer in andere Gefässe gegossenen
Reis ist mit zwei besonderen Mantra Milch oder Schmalz
zu giessen (K. 10). Zu den drei während des Essens der
Brahmanen zu sprechenden Mantra (Vi. 15) kommt hier
(K. 12) ein vierter, wofür Vi. 16 nur ganz allgemein Texte
aus den Epen u. s. w. erwähnt. Endlich werden im
K. 19 ein bei der hier genauer als in Vi. 25 beschriebenen
Besprengung des Bodens zu sprechender Mantra (vgl. dazu
RS. 10, 15, 14 etc.) und dazu sechs an die Eltern und
14) R. S. 1, 38. 8, Käth. 18, 14 etc.; auch citirt Y. 1, 246. Auch
Dev. mantr. erklärt: anne 'nne.
58 Sitzung der pJiüos.-philol. Classe vom 7. Juni 1879.
die Grosseltern und Urgrosseltern von der Seite des Vaters
zu richtende Mantra angeführt. Aus dem Commentar
kommt hiezu ausser den beiden obigen auch bei Y. vor-
liegenden der Mantra bei der Einladung an die Allgötter
(s. Anm. 3). Andrerseits finden wir im Vi. drei Spenden
statt der zwei im K. 8, daher auch einen Mantra mehr da-
zu (bei Nand.)^ ferner die drei, bei anderen Autoren, aber
nicht im K., wiederkehrenden Mantra in 22 und 27 nebst
den begleitenden Handlungen, und in 24 bei der ßesprengung
des Bodens ein anderer Mantra als im K. 19.
Dies sind die einzigen erheblichen , weil auf Pratika
von Rik oder Yajus bezüglichen Differenzen zwischen K.
und Vi. Dagegen sind, incl. der aus dem Commentar zu
entnehmenden, 28 solcher Pratika, meist von Trishtubh,
beiden gemeinsam, wozu noch die beiden 9loka des Segens
am Schlüsse kommen (beide übrigens auch bei Baudhäyana,
nach einem Citate in Aparärka's Commentar zu Y.). Auch
die kurzen Sprüche und Fragen: agnau karaväni, sampannam
u. dgl. stimmen grossentheils wörtlich bei beiden überein,
und das Ritual des K. ist abgesehen von den obigen un-
wesentlichen Punkten im Vi. theils der Sache, theils auch
den Worten nach vollständig enthalten Woher stammt
aber das Plus des Vi. 'sehen Rituals? Ist auch Einzelnes
davon in den anderen Grihya nachweisbar (vgl. z. B. Vi.
2 mit A^v. IV, 7, 2, Vi. 12 mit ibid. 17) so ist doch
nicht zu verkennen, dass das in den Dharma9ästra vor-
liegende Material die Haupt-, im Falle dass jene in den
anderen Grihya vorliegenden Elemente und der Spruch aus
dem Käth. in 22 schon in der gemeinsamen Quelle von K.
und Vi. standen, die einzige Grundlage für diese übrigens
nicht bedeutenden Erweiterungen gebildet hat. Vgl. nament-
lich Vi. 1, 4, 12 mit M. 3, 187, 125, 211, Vi. 13, 25,
26 mit Y 1, 236, 243, 242, (dazu aber auch (^änkh. IV,
2, 5) 244, Vi. 1 mit Apast. IT, 7, 17, 11 u. s. w.
Jollij: Das Bharmasütra des VisJmii etc. 59
3. Die Anvashtakäs^).
Bev. in dem Comm. zu dem Abschnitt über die Ash-
takäs (49) tbeilt das Ritual bei denselben in drei Theile
ein: stbälipäka (= K. 49), ävähanädi (= K. 50) und
anvashtakä. Ehe jedoch das K. zu den Anvashtakäs über-
geht , wird ein Abschnitt über die Modificationen einge-
schaltet, welche das gewöhnliche Qräddha dann erfährt,
wenn es von einem Sohn von zwei Eltern dargebracht wird,
indem es dann sowohl an die natürlichen als an die Adop-
tiveltern und - Ahnen zu richten ist ; Vi. hat nichts Ent-
sprechendes , aber auch die anderen Autoren nicht , abge-
sehen von den im Erbrecht begegnenden Erörterungen über
die Rechte und Pflichten des dvjämushyäyana.
Auch der folgende Abschnitt, K. 52, braucht hier nicht
wörtlich ijiitgetheilt zu werden, da er in den Ausdrücken von
Vi. 74 in der Regel abweicht und zum Verständniss des
Zusammenhangs nicht wie 49 uuentbehrlich ist. Indessen
stimmen K. 52 und Vi. 74, beide das Ritual der Anvashtakäs
enthaltend, sachlich in folgenden Hauptpunkten überein, was
um so wichtiger ist, da von den übrigen Gesetzgebern nur
Manu sie überhaupt erwähnt. Der Ritus der Anvashtakäs, die
am Tag nach den Ashtakäs stattzufinden haben , soll ein-
schliesslich der Mantra der nemliche sein wie bei den
Qräddha; nur hat nach Vi. (74, 1, cf. 73, 9) wie bei den
, Ashtakäs ein Feueropfer vorauszugehen , bei dem wie bei
den entsprechenden Ashtakäs je eines der drei pancaka
(s. 0.) herzusagen ist, während das K. (wenigstens nach Dev.'s
Erklärung, welche durch das Ritual der übrigen Grihya
bestätigt wird) diese Einleitung der Feier nicht kennt.
1) Vgl. A9V. II, 5. Gobh. IV. 2, 3. Par. III, 3, 10-12. fänkh,
III, 13, 13. M. 4, 150.
60 Sitzung der philos.-philol. Classe vom 7. Juni 1879.
Sodann sollen sechs Gruben gegraben werden^), jede vier
Angula breit, ebenso tief, ebenso weit von der nächsten
entfernt und eine Spanne lang (bei Vi. treten diese Masse
hier zwar nur im Comm. auf, 21, 4 aber auch im Texte
selbst). Dann sollen am Rande der Gruben ebenso viele
Feuer angezündet und in die Gruben Mehlklösse gelegt
werden, in die ersten drei für die drei männlichen, in die
zweiten drei für die drei weiblichen Ascendenten. Dann
sind die je drei Gruben mit verschiedenen Flüssigkeiten,
Milch u. s. w. zu füllen, betreffs deren Vi. und K. theil-
weise differiren ; die zu dieser Handlung gehörigen Sprüche
lauten im K. für die Männer etad bhavadbhyai^ und trip-
yantu bhavanta/^, für die Frauen etad bhavatibhyai^ und
tfipyantu bhavatyai^, während nach Vi. nach der Füllung
sämmtlicher Gruben der Spruch etad bhavadbhyo bhava-
tibhyo 'stu cä'kshayara zu sprechen ist. Im K. folgen hier-
auf noch Vorschriften über die Verwendung des G'eopferten
zur Speisung von Dienern, Brahmanen u. s. w. üeberhaupt
ist die Darstellung des K. durchgehends etwas ausführlicher
als diejenige des Vi. Nach JDev. sind bei der Legung der
Mehlklösse in die je drei Gruben für die männlichen und
weiblichen Vorfahren beide Male die drei Sprüche pnthivi
darvir etc. (K. 50, 13. Vi. 73, 17 — 19) zu sprechen wie o. ; zu
den vier vorhin angeführten Sprüchen ist je den beiden
ersten der Name des betreffenden männlichen resp. weib-
lichen Descendenten beizufügen, die beiden folgenden sind
uns schon aus 50, 19 bekannt und werden in der mantr.
zu 50 vollständig mitgetheilt. Sind die Mantra im Vi.
offenbar nur, und zwar in ungeschickter Weise, verkürzt
1) Nach der Hs. D wäre der ganze folgende Ritus nur facultativ:
shat karshür vä kuryät, vgl. karshüshv ehe A9V, II, 5, 6; aber in f
fehlt vä. — Nach Nand. wären auch für den mütterlichen Grossvater
u. s. w. noch drei Gruben, im Ganzen neun, zu machen; allein dieser
Auffassung widerspricht der ganze Zusammenhang.
Jolhj: Das Dharmasiitra des Vishnu etc.
61
und zusammengezogen, so folgt es dagegen betreffs der
Opferspeisen sowie betreffs der Lage der Feuer zu den
Gruben anderen Traditionen als das K., das seinerseits in
Betreff des den Frauen zu spendenden Surätranks und
einiger anderer untergeordneter Punkte, aber nur betreffs
dieser, uäber mit den anderen Grihya übereinstimmt.
4. Das Ekoddishta^).
K. 53. atba prathama^räd-
dhasyä 'shtakayä dbarmovyä-
khjhtah |l|
asbtakävikäräni hi sarva-
^räddhäni |2|
ehavan manträn ühet |3|
yasya gräddham dmnätam
|4|
8. Bev. ekoddishiatvdd atide-
^apräptasya mantragatasya pitri-
nämno baliuvacanäntasyai 'Jcava-
canam ühet \
4. Dev. gurupitämahamätula-
bhrätnprabhriteÄ. !...| (das Folg. in
D, von prätharayät an auch in Q
als Sü. bezeichnet) ekoddishte
prathama9räddhe paddhatir iyain |
präthamyät prathamapawcakena
sthälipäkasyä "jyabhägänte hutvä
"tithyädika?« {ritutithyä° Hss.)
Vi. 21. atbä '^aucavyapa-
game susnätai^ supraksbälita-
pänipäda/^ sväcäntas tv evam-
vidbän bräbmanän yatbä^a-
kty udanmukbän gandbamä-
lyavasträlankärädibhi/fc püji-
tän bhojayet |l|
eJcavan manträn ühed ekod-
dishte |2|
uccbisbtasannidhäv ekam
eva tannämagoträbbyäm pin-
daw nirvapet |3|
V. —
1. °päda äcäntas C^-^
Nand. . . . tatra samkhyävi9esha-
vidhänäya yathä9aktl 'ti |
2. ühetai' ^''-'v.
Nand.
prakfitau pärvane hahuvacanäri'
tä manträs te vikritäv eTcoddishte
ekavacandntatveno 'hyäh \ vacanam
upalakshanaw tena prakfiter apy
uhdih |. . .| yathä" 9valäyanänära
(Afv. 4,1, 11) arghyapätratiläväpe
tilo 'si somadevatya iti mantre ba-
huvacanäntapitrifabdasthäne eka-
Vgl. A9V. II, 5, 14; IV, 7. Pär. III, 10, 48-55. gänkh. IV,
2. M. 3, 247. Y. 1, 250, 251, 255.
62
Sitzung der pliüos.-philol. Classe vom 7. Juni 1879.
pe9ya/^ prätar ity aniya-
m^h |5|
fAsrah harshüh hiiryät |6|
tisrisJiv agnishu Icritvai
Icaiham pindam utsrijija pra-
thamdm annasya pürayed da-
dhimadhv iti dviUyäm ghri-
tamämsam iti tritiyäm |7|
[purvena] vapäkshirädipa-
risheko prakritivad etat te
tripyatu bhavän iti |8|
yathäyatham kritvä havirar-
ham upave9ya pitaiain ä vähayi-
sliyämi 'ty uktvä om ä vähaye 'ty
anujnäta apa yantv asurä iti tilän
vikiret | atrottaratra | Es folgen
nun sämratliohe anderen Mantra
resp. Pratika aus K. 50 (s. o.),
aber mit der Modification, dass
wie im Obigen alle pluralischen
Anreden etc. nebst den dazu ge-
hörigen Satzth eilen aus dem Plur,
in den Sing, versetzt sind. Nur
RS. 1, 3, 7 fehlt, und zum visar
bhuktavatsu brähmaneshu
dakshinayä 'bbipujiteshu pre-
taiiämagoträbbyä^n dattäksba-
yyodaka^ caturarigulapri-
tbvis tävadantaräs tävada-
dha7ikbätä vitastyayatäs ti-
sraJi harshüh huryät |4|
karsbüsamipe cä ^gnitra-
yam upasamädhäya paristir-
ya tatrai' kaikasrainn abu-
titraya?« julmydt |5|
somäya pitrimate svadbä
nama/i |6|
agnaye kavyaväbanäya sva-
dbä uama/i |7|
yamäyä 'ngirase svadbä
nama/^ |8|
stMnatraye ca prägvat pin-
danirvapanam Jmryät |9|
annadadh igliritamadhu"
mämsaih Jcarshütrayam püra-
yitvai Hat ta iti japet |10|
vacanäntapreta^abdasyo 'ha/i | evam
anye "pi 9äkhäbhedeno 'hyäj^ |
4. Nand pretanämagotre
uccäryo *patishthatäm ity akshay-
yodaka?«teshu dattvä 'bhirailfiyatäm
iti tan visrijya (cf. Y. 1, 251)
kartä tisraÄ. karshü-^ . . . kuryät |
9. Nand... prägvat ku9eshu
pretanämagotiäbhyäm ekaikam pin-
dawi dadyät |
10. Nand etat te tata ye
ca tväm aträ 'nv (Käth. 9, 6 etc.)
ity ä^valäyanädyukta?« (nicht im
Jölhj: Das Bliarmasütra des Vishnu etc.
63
evam mäsi - mäsi [prati-
mäsam eshaiVa kartavi/atd]
191
evam nifitähe pratimäsam
liurydt |ll|
janam werden andere Sprüche an- Grihyas.) mantram yathäyäkhaw
geführt: weil das Vai9vadevaopfer japet | atra tata9abdasthäne pre-
bei dieser Classe von (Jräddha weg- tafabdasyo 'ha/*
fallen soll {DevJ.
5. Dev. ashtakäyä/^ pa9upakshe
ca pe9yo 'vadänastbäne coditäs . . .
6. Dev karshüsankhyayä
'gnin api trin kuryät |
8. Das Muster (prakritij ist
die Beschreibung der Anvashtakäs,
wo die Besprengung der Gruben
mit Milch u. a Flüssigkeiten, und
mit Mantra fast ganz wie hier,
vorgeschrieben wird.
Eine Uebersetznng füge ich hier nicht bei, da alle
wesentlichen Elemente des Einzeltodtenopfers schon in den
Ashtakäs und Anvashtakäs und dem Qräddha enthalten
sind. An das Anvashtakäritual erinnern uns im K. auch
die in 5 übrigens nur facultativ ervrähnten Fleischstücke
pe9i; auf 49 und 50 weist Sütra 1—4 zurück, vgl. die
Anm. zu 4. Ganz ebenso verhält sich im Vi. das Ekoddishta
zu den anderen (^räddha: die erste Hälfte seines Rituals ist
ein einfacher Auszug aus 73 mit Weglassung der an die
vi9ve deväs gerichteten Ceremonien (daher auch udanmukhän
in 1 und prakriter apy uhsLh im Comm. zu 2), und über
die nöthige Modification der pluralischen Mantra drückt
sich das Vi. wörtlich ebenso aus wie das K. Auch die
Bemerkung Dev.'sj dass von den drei pancaka das erste zu
sprechen sei, gilt wohl ebenso für das Vi. Zwei im Vi.
neu hinzukommende Mantra sind die von Nand. zu 4 er-
wähnten: upatishthatäm und abhiramyatäm , allein sie sind
64
Sitzung der phüos.-philol. Classe vom 7. Juni 1879.
wohl nur fälschlicli aus Qänkh. IV, 2, 5-6. Y. 1, 251 hier
hereingetragen, indem sie dort die Stelle des akshayyam
beim gewöhnlichen Qräddha vertreten, während es hier aus-
drücklich heisst: da,itäkshau?jodahag. Nur auf einer An-
gabe Dev.'s beruht die Differenz, dass er von einem, das
Vi. von mehreren einzuladenden Brahmanen spricht. —
Kehrt nun dieses Verhalten des Ekoddishta zum gewöhn-
lichen (^räddha in der Hauptsache auch bei (^ärikh. M. Y.
und bei Pär.'s eke (IIT, 10, 52) wieder, so ist dagegen der
zweite mehr zu den Anvashtakäs stimmende Theil der Feier
unseren beiden Werken allein eigenthümlich , und dies ist
gerade derjenige Theil, in dem sie so genau übereinstimmen,
dass es darüber keiner weiteren Worte bedarf. Es ist
möglich, dass der erste Theil der Beschreibung im Vi, ur-
sprünglich noch genauer zum K. stimmte ; er konnte
ebenso kurz gehalten sein wie dort, wenn man annimmt,
dass auch bei ihm in einer früheren Redaktion das Ekoddi-
shta auf das Qräddha folgte wie bei den anderen Autoren.
Dann konnten auch die Angaben über Umfang und Tiefe
der Gruben (4) und über die Gottheiten, an welche die
ähuti zu richten sind (6 — 8) , wie im K. wegbleiben : sie
waren durch die Beschreibung des Qräddha und der An-
vashtakäs antecipirt.
5. Das Sapindikarana.
K. 53. evam sämvatsari-
Jcam |10| . . .
caturtham pindam utsfijya
traidhaw kritvä pindeshu ni-
dadhydt |14|
10. Dev. sawivatsarebhavawi
sämvatsarikara | sapindikaranam
apy evam ity atide9ärthaÄ J athavä
Vi. 21. samvatsaränte i^re-
täya tatpitre tatpitämahäya
tatprapitämahäya ca bräh-
manän devapürvän bhojayet
il2|
älia
Nand. vor 12 sapindikaranam
I
12. Nand..'. tatra pretädi-
Jolly: Das Bharmasütra des Vishnu etc.
65
sam srijatu tvd prithivi vä-
yur agniÄ prajäpati/^ sam sri-
jadhvam purvebhi/i pitnbhii^
saha samänä vah sam vo ma-
näwsi'^* |15|
sawvatsarebhavawt säwivatsarikam
iti vyutpattir jneyä ! Hierauf folgt
dvidhä hi smritir dn9yate |11| und
in 12, 13 eine hiedurch veranlasste
Digression.
15. Dev. sawisnjatv ity anena
sahäntena samänä va/i (vgl. RS.
10, 191, 4 etc.) sam vo manämsi'
(AS. 3, 8, 5) tyädinä ca trayena
pratipindam pratipätra)« cai 'kai-
katre 'ty artha/^ |...| samäni va
äkütäni . . .[ he pita/i tväw prithivi
sawsrijatu kaiZi pürvaii^ pitribhi/^
saha . . . eva?» väyur agnih prajä-
patir ity eka»i sambandhaniyam
I samsr ij adh vara iti vyaty ay ena bahu-
vacanam | tva)/i ca he pita/» saw-
erijasva yathäfruta?» vä he pitfi-
pitämahaprapitäraahä yüyam apy
anena saha samsrijadhvam |...|
evara udakäni pddyäny argliyäni
ca caturthe pätre nidhäya pinda-
vat pindacatushtayena brähmawa-
[1879. I Philos-philol. Cl. Bd. II. 1
aträ 'gnaukarariam äväha-
iiam pädyaw ca kuryät |13|
sam srijatu tvd prithivt sa-
mäni va iti ca pretapädya-
pätre pitripädyapätratraye yo-
jayet |14|
ucchishtasannidhau piijda-
catnshtayaw kuryät |15|
brähmaijäm^ ca sväcäntän
dattadakshii.iäm9 cä 'nuvra-
jya visarjayet |16|
tata/i pretapiijdaw pädya-
pätrodakavat pi^datraye nida-
dhyät |17|
bhya9 caturbhya9 catväro vai9va-
devike ca dväv ity evam shad
brähmanän pretasyai 'koddishtavi-
dhinä tatpiträdinäm ca trayänäwi
pärvanavidhinä bhojayet \
13. Nand. atra sapi^dikara-
näntärgataikoddishta agnaukarai^ä-
vähanapädyäni kuryät nai 'koddi-
shtatvenä 'tra tannivritti/i l
14. Nand. . . . pretapädyawt
pretapädyodakam pätrawi pretär-
ghyapätrodakam | . . . samäni vaäkü-
tir (RS. 10, 191, 4) iti ca sam-
yojayet |
17. Nand. . . . | tad ukta»^ kä^iha-
kagrihye | eaturtham pindam ut-
srijya traidham Tcritvä pindeshu
nidadhyät \ sam srijatu tvd prithivt
vdyur agnih prajdpatih sam sri-
jyadhvam purvehhih saha samänä/*
(Z. samdnd vah) sam vo mandmsi
Hy evam udalcam iti |
Der Rest dieses adhy. handelt
] 5
ec>
Sitzung der philos-phüol. Classe vom 7. Juni 1879.
karshütrayasannikarshe 'py
evam eva |l8i
catushtaye niparanam punai^ pa9- von den Zeiten für das Sapindi-
cäd äväbanädy upasthänäntam krit- kara^a; mit 22 cf. Y. 1, 253, 255,
vä 'nvashtakyädivat | Nach diesem 23 = Y. 1, 254.
Comm. zu schliessen ist im Text
evam uddkam ausgefallen, s. Nand'.s
Citat.
Aus gleichen Gründen wie beim Ekoddishta genügt es
auch hier den Texten nur einige Erläuterungen beizufügen.
Nach Vi. und Nand. besteht das Sapindikara:ria aus drei
Elementen: 1. einem (J'/räddha für die drei nächsten Ascen-
denten des Verstorbenen nach dem Ritus des gewöhnlichen
Qräddha, s. o. sub 2. 2. einem Ekoddishta für den Ver-
storbenen. Dabei fällt aber das Opfer an die vi9ve deväs
und die Einladung von zwei Brahmanen dazu etc. nicht
weg wie beim gewöhnlichen Ekoddishta. 3. Hierauf wird
das Fusswasser und Ehrenwasser des Verstorbenen mit
demjenigen der drei Ascendenten zusammengegossen unter
Recitation von zwei Mantra. Sodann werden vier Klösse
gemacht und die Brahmanen in der üblichen Weise ent-
lassen. Nun erst folgt die Ceremonie der Zusammenknetung
des Klosses für den Verstorbenen mit den drei anderen
Klössen; ebenso sollen auch die bei den Gruben des Ekod-
dishta niedergelegten Klösse mit diesen drei Klössen zu-
sammengeknetet werden (18). K., auch hier wieder viel
kürzer als Vi., erwähnt zwar ausdrücklich nur das Ekoddi-
shta (10 nach Dev.'s erster Erklärung), aber aus den Schluss-
worten des Comm.'s ist zu entnehmen, dass auch ein ge-
wöhnliches Qräddha stattfinden soll. Denn wenn Dev. den
Anvashtakäritus dazu als Muster anführt , so geht dies
offenbar nur auf den ersten Theil desselben, der mit dem
gewöhnlichen Qräddha identisch ist. Die dritte Ceremonie,
Jolly: Das Dharmasütra des Vishnu. 67
das eigentliche Sapi^ldikara^a selbst, ist mit dem des Vi.
identisch, nur dass ein Mantra mehr vorhanden ist (aus
der AS.) und die Wasser- und Klösseceremonie , deren
Reihenfolge zudem vertauscht ist, nicht durch die Ent-
lassung der Brahmanen von einander getrennt werden. In
beiden Punkten scheint die Version des K, die richtigere
und ältere zu sein; ebenso auch was die, wie der Comm.
näher zeigt, selbständige, von RS. X, 191, 4 abweichende
Gestalt des Mantra samänä resp. samäni etc. betrifft. Was
mit den Klössen des Ekoddishta geschehen soll, unterlässt
das K. wohl nur aus Lakonismus anzugeben.
6. Die übrigen Cräddha.
Im K. folgt am Schlüsse des Abschnitts über die
Ashtakäs etc. noch ein kurzes Kapitel über die sonstigen
Arten von Qräddha, die sich jedoch nur in der Anwendung
der drei pancaka von einander unterscheiden. Nemlich bei
dem am 5. (der dunkeln Monatshälfte) zur Erlangung eines
Sohns dargebrachten, den Nändimukha u. a. nicht in Fleisch
bestehenden Qräddha soll das erste, bei den mit einem
Thieropfer verbundenen das zweite und bei den am Neu-
mond , am 12. des Monats, dem Eintritt der Sonne in
ein neues Sternbild u. s. w. stattfindenden Qi'äddha das
dritte pancakam hergesagt werden. In der Hauptsache
ebenso, wenn auch mit anderen Worten, verfügt Vi. im
Beginn seiner Darstellung des (Jräddha (73, 5 — 7), dass bei
(^räddha, die aus ungekochten Vegetabilien bestehen, und
bei den kämya das erste, bei den pa9U9räddhäni das zweite
und bei den am Neumond (nach Nand. auch bei den am 12.)
stattfindenden das dritte pancakam (vor der Herbeirufung
der Manen) zu recitiren sei. — Im Vi. folgt auf die Dar-
stellung der Anvashtakäs in 74 noch eine ganze Reihe von
Kapiteln (75 — 85) über die Auswahl der anzurufenden
68 Sitzung der phüos.-pMlol. Classe vom 7. Juni 1879.
Manen , die Zeiten und Orte für ein Qräddha , die dadurch
bedingten Früchte desselben, die Wahl der Opferspeisen
und -Gaben u. s. w. Im K. findet sich hiezu nichts Ent-
sprechendes, wohl aber in den übrigen Gesetzbüchern, nur
dass sie hier fast durchaus an Ausführlichkeit hinter Vi.
weit zurückstehen. Gleich nach den Qräddha gelangt das
K. zur Phälgunifeier , dann zum goyajna ; die noch weiter
folgenden Vorschriften über adbhuta9änti , über ein Opfer
für junge Mädchen, und schliesslich über „Vermischtes"
(prakiri^am) machen ganz den Eindruck einer späteren
Zuthat.
Am Ende des K. und meiner Vergleichungen angelangt,
bleibt mir nun die Frage zu beantworten : Wie erklärt sich
der Widerspruch zwischen der fast wörtlichen Ueberein-
stimmung der beiden Werke in einigen Abschnitten und
ihrem entschiedenen Auseinandergehen in anderen? Die
Identität in den hier vollständig mitgetheilten Stücken geht
so weit, dass der Gedanke an eine direkte Entlehnung
wenigstens nicht a limine abgewiesen werden kann, und
zwar würde sich der grössere Verdacht in dieser Beziehung
doch auf das Vi. richten, als das zwar in seinen Haupt-
theilen wie erörtert höchst alterthümliche, aber ebendesshalb
im Ganzen weniger congruente, auch die Mautra in oft
sehr incorrecter Gestalt überliefernde Werk. Wäre das
K. der entlehnende Theil , so müsste die Entlehnung min-
destens über das 12. Jahrb. zurückgeschoben werden, in
welchem Aparärka nicht nur einerseits zahlreiche Stellen
über Qräddha aus dem Vi. , sondern auch andrerseits
eine solche aus Laugäkshi , nach der kashmirischen Tra-
dition (Bühler, K. R. 37) dem Verfasser des K., citirt,
die sich wirklich in unserem Texte des K. vorfindet. Aber
auch wenn man in eine frühere Epoche zurückginge, bliebe
es immer gleich auffallend, in einem durchaus congruenten
Jölly: Das Bharmasütra des Vishnu etc. 69
Werk, das höchst wahrscheinlich schon von Alters her wie
noch heutzutage die Grundlage für den äcära der kashmiri-
schen Brahmanen bildete, mitten heraus die für das tägliche
Leben wichtigsten Abschuitte aus einem fremden Werke
erborgt zu finden. Beim Vi. müsste man der schon in
der Mitäksharä vorliegenden Citate wegen (s. o.) über das
elfte Jahrhundert hinaufgehen, und müsste ausserdem an-
nehmen , dass zur Zeit der Entlehnung eine vollständigere,
umfassendere Redaktion des K. als die von Devapäla com-
mentirte existirt habe, da ja das Plus der im Vi. enthaltenen
Darstellung des Vai9vadeva, des gewöhnlichen Qräddha etc.
keineswegs in blossen Amplificationen besteht, sondern auch
zweifellos alte, schon seiner Vorlage angehörige Züge darin
sich finden. Allein selbst wenn man sie so verclausulirt,
stehen der Entlehnungshypothese noch entscheidende Er-
wägungen entgegen.
1. treten, während sonst grössere Interpolationen in
Sanskritwerken fast immer am Schluss beigefügt erscheinen,
die fraglichen Abschnitte im Vi. an verschiedenen Stellen
in der Mitte des Werks auf und könnten nicht fehlen,
ohne dass der Zusammenhang in der übelsten Weise gestört
würde. Dies gilt selbst von dem sonst in Gesetzbüchern
nicht vorkommenden Vrishotsarga, der aber hier einen vor-
trefflichen Abschluss des langen Theils über Qräddha bildet
und im vorausgehenden adhy. besonders angekündigt wird.
Die (^räddha selbst und das Vai9vadeva können von Anfang
an in keinem Gesetzbuch gefehlt haben.
2. Wollte man etwa das ganze Sütra von Haus aus
als eine blosse Compilation aus verschiedenen Werken ver-
schiedener Schulen betrachten, so müsste dabei doch die
Käthakaliteratur den Grundstock abgegeben haben. Dies
geht daraus hervor, dass aus dem Cäräyaniya- Käthaka
nicht nur, wie oben zu den betreffenden Stellen an-
gegeben , in den mitgetheilten adhy. mehrfach citirt wird,
70 Sitzung der phüos.-phüol. Classe vom 7. Juni 1879.
was ja in Stücken, die sicli auch in dem Cäräyariiya-Käthaka-
Gnhyasütra finden, nicht Wunder nehmen kann, dass viel-
mehr auch von den sonst im Vi. vorkommenden Mantra
ein erheblicher Theil aus der nemlichen Samhitä stammt.
Sieht man ab von der Aufzählung der (29) sühnenden
Mantra sarvavedapaviträni in 56, die eben als aus allen
Vedas genommen für die (J^äkhä des Vi. nichts beweisen
A
können (17 davon sind aus dem SV. und der Ar. Samh.,
die übrigen aus der RS. VS. TS. AS., dem Käth. etc.) so-
wie von dem Purushasükta, der Gäyatri u. ähnl. oft vor-
kommenden Sprüchen, endlich überhaupt von Wiederhol-
ungen , so werden im Vi. ausser den in obigen Texten
mitgeth eilten im Ganzen noch 19 Pratika angeführt (in 28,
48, 64, 65). Hievon ist einer blos im Käth. vorhanden
(Vi. 65, 2: aus Käth. 11, 7 ; auch von Nand. als käthakiyo
mantra/^ bezeichnet), sieben andere liegen zugleich in der
TS. etc. vor, und von drei weiteren versichert wenigstens
Nand. ^ dass sie den Katha angehörig, katha9äkhiya seien,
während ich sie nur in der AS., VS. und im Taitt. Br.
finden konnte. Die übrigen acht gehen auf meist sehr be-
kannte und oft citirte Stellen aus den übrigen Samhitäs
und aus dem Taitt. Br. und Taitt. Ar. Auch von den
Stellen, die ich nicht in der Berliner Hs. des Käth. ge-
funden habe, möchte ich nicht bestimmt behaupten , dass
sie nicht darin stehen, da zwar für einen grossen Theil
der Mantra aus dem Käth. Weber's Pratika zur TS. und
seine Parallelstellen aus dem Käth. unter dem Text eine
höchst dankenswerthe Hülfe beim Aufsuchen gewähren, für
die übrigen aber eine solche Hülfe nicht existirt, wesshalb
man bei einem so umfangreichen Werk (s. Weber, 1. St.
in, 453) leicht etwas übersehen kann. Es gilt diese Be-
merkung auch für die im Qräddha etc. vorkommenden Pra-
tika. üebrigens wären die obigen Citate nichts weniger
Jölly: Bas Dharmasütra des Vishnu etc. 71
als die einzigen, die sich in der Berliner Hs. des Käth.
nicht finden ; ebenso wie die Comraentare zu Kätyäyana etc.
(Weber 1. c.) enthält auch das K. ausser den obigen noch
eine Menge weiterer im Berliner Käth. nicht enthaltener
Pratika Es muss entweder noch eine andere Recension des
Käth. existirt haben , oder die Sache liegt ebenso wie bei
Päraskara etc., die ja auch manche in der Sawhitä fehlende
Mantra haben.
Kann es nach dem Gesagten keinem Zweifel unterliegen,
dass gerade der Grundstock der Vishnusmriti, wie dies
auch moderne Pandits annehmen (Bühler, K. R. 36 note)
mit der Käthakalitteratur aufs Engste verknüpft ist, so läge
es nun nahe, die Eingangs dargelegten sachlichen und formellen
Differenzen aus der Thätigkeit des Vishnuitischen oder eines
sonstigen Bearbeiters herzuleiten. Allein eine solche, etwas
radicale Lösung der Schwierigkeit ist nicht geboten undi
da sich die betreffenden Abschnitte doch nicht ohne Zwang
ausscheiden Hessen, misslich. Eine viel einfachere und voll-
kommen ausreichende Erklärung liegt in dem Umstände,
dass jene Abschnitte (ausser 83, 16 trisuparna u. dgl., 28, 51
= M. 2, 181) gar keine besonderen Mantra enthalten. Hieraus
erhellt, dass sie zu dem vorzugsweise theoretischen Theil des
Gesetzbuchs gehören, in diesem brauchten sich aber die be-
sonderen Ansichten der Schule nicht auszudrücken. Genug
wenn das zum täglichen Handgebrauch bestimmte grihyam
die der Schule eigenthümlichen Lehrmeinungen und nament-
lich die besonderen Mantra derselben enthielt ; das Dharma-
sütra konnte daneben, wenigstens in seinem allgemeinen
Theil, den allen Schulen gemeinsamen, gewiss aus uralter
Zeit überlieferten Rechtsbestimmungen treu bleiben^). Die
1) Auch einige der indischen Comraentatoren fassen das Verhält-
niss der Dharmafästra oder -Sütra zu den Grihyasütra so auf, dass die
ersteren mehr die gemeinsamen, die letzteren die den einzelnen Schulen
eigenthümlichen Regeln enthalten, cf. das Citat aus A^ärka bei Weber
1. Lit.2 296, die bei Kulluka öfter vorkommende Bemerkung, dass eine
72 Sitzung der iMlos-pliüol. Classe com 7. Juni 1879.
Dharmasütra können von Haus aus keine blossen Pari9ishta
zu den Qrauta- und Grihyasütra gewesen sein^). Nimmt
man nun an , dass diejenigen Dharmasütra , die nicht , wie
es bei Apastamba, Baudhäyana und Hiranyake^in der Fall
ist, noch jetzt einen Theil des Kalpasütra ihrer Schule
bilden, einen mehr selbständigen Charakter von Anfang an
gehabt haben, so erklärt sich daraus nicht nur einerseits,
wie man in der Käthakaschule dazu kam , wörtlich die
gleichen Vorschriften aus der Schultradition in die Dar-
stellungen der wichtigsten Materien im Grihya- und Dhar-
masütra aufzunehmen , sondern auch andrerseits , dass ein-
zelne Widersprüche zwischen beiden Sütra von Anfang an
bestehen konnten; wenn ich auch Differenzen wie die be-
treffs des Jahrs der Einführung für ein Produkt der Ortho-
doxie des Bearbeiters des Vi. halten möchte. Die sehr
weit gehende üebereinstimmung, die in dem grössten Theile
des Vi. mit den übrigen Gesetzbüchern herrscht, kann da-
gegen nach dem Gesagten nur zur Bestätigung seiner Echt-
heit und Integrität dienen , und die Annahme seiner ur-
sprünglichen Unabhängigkeit von dem Kalpasütra der Schule
erklärt am besten seine spätere vollständige Emancipation
von der Käthakalitteratur , durch die es einem Vishnuiten
möglich wurde, es seinem Gott und seiner Sekte anzueignen.
Dev. berichtet in der Einleitung zu seinem Commentar,
dass in den vorausgehenden 39 adhy. die vaitänikäni kar-
mä^i abgehandelt seien , und in der That finden sich im
K. mehrfache Verweisungen auf die das Qrautaritual be-
treffenden Theile^), von denen wenigstens eine (in 32^ ganz
von Manu vorgeschriebene Ceremonie svagfibyoktavidhinä zu vollziehen
sei und ähnliche Aeusseruugen NandJs.
1) Max Müller, A. S. L. 208.
2) Auf diese leider verlorenen adhy. gehen wohl auch die Citate
aus dem 'Käthaka' oder 'Kathasütra' oder den Büchern der 'Kathäs' in
den Commentaren zu Kätyäyana's frautasütra, die, so weit ich sie ver-
glichen habe (in adhy. 5 — 7 in Weber's Ausgabe) in K, nicht ent-
halten sind.
Jolhj: Bas Dharmasütra des Vishnu etc. 73
deutlich ist : sie geht nach Dev. auf den adhy. über dar^a-
pür^iamäsau. Dagegen sagt Dev. von dem Dharmasütra,
das freilich erst als 41. adhy. gefolgt sein könnte, keine
Silbe, und auch in dem Text selbst habe ich weder im K.
noch im Vi. eine Stelle gefunden , die als Verweisung auf
das andere Werk gedeutet werden könnte. Hierin zeigt
sich also, dass beide Werke von Anfang an jedenfalls nicht
so eng mit einander verbunden waren wie das (^rauta- und
Grihyasütra anderer Schulen und wie das Gnhya- und
Dharmasütra des Apastamba, die nach Bühler ebenfalls
gegenseitige Verweisungen enthalten. Für die Zeit der Um-
arbeitung im Vishijuitischen Sinne kommt noch eine Stelle
des Grammatikers Kätyäyana in Betracht , aus dessen Vär-
tika zu P. IV, 3, 120^) sich mit grosser Wahrscheinlichkeit
ergibt, dass damals noch ein Dharmasütra der Katha exi-
stirte. Denn das „Käthakam", von dem hier die Rede ist,
kann als Name eines Buches offenbar nicht das jetzt unter
diesem Namen vorhandene Werk sein , da es mit ,,dharma
oder ämnäya" der Katha synonym ist, also als Buch den-
selben enthält; vielmehr kann nur eine der beiden im Ma-
häbhäshya citirten Classen von Rechtswerken, Dharmasütra
und -9ästra (Weber, I. St. XIII, 458) gemeint sein 2).
Ueber das Lokal der Umarbeitung lässt sich kaum etwas
aussagen; sie kann in Kashmir stattgefunden haben oder
sonst im Nordwesten, wo ja die Katha augenscheinlich von
Anfang an ihren Sitz hatten, aber auch in irgend einer
anderen Gegend, wo das Werk einem speculativeu Vishijuiten
in die Hände fiel.
Dem noch unberührten Dharmasütra darf man als
1) Vgl. Max Müller, A. S. L. 126.
2) Die von Weber 1. c. angeführten Citate aus Rechtswerken
enthalten zu gewönliche, fast überall wiederkehrende Vorschriften, um
für unsere Frage relevant zu sein, obschon es Erwähnung verdient, dass
auch das Vi. analoge L^estimmungen bietet.
74 Sitzung der inhilos.-inli'dol. Classe vom 7. Juni 1879.
einem solchen und Angesichts der hervorragenden Stellung
der Schule der Katha zur Zeit der Abfassung des Mahäbhä-
shya (Weber a. a. 0. 437 ff., vgl. auch Schröder Z. d. -^d.
m. G. XXXIII, 203 f.) sicher ein hohes Alter zuschreiben,
wenn auch die Sprache in Folge der vielleicht wiederholten
Bearbeitungen keine Spuren besonderer Alterthümlichkeit
bewahrt hat. Jedenfalls muss es dem Gesetzbuch des Manu,
das ja die Tradition an die Spitze der Dharma9ästra stellt,
ausserordentlich nahe gestanden haben, weit näher als irgend
einem der anderen auf unsere Zeit gekommenen Rechts-
werke ^), und zwar findet sich nicht nur ein grosser Theil
der Qloka des Vi. bei Manu wörtlich wieder, sondern auch
der prosaische Theil stimmt mit Manu vielfach so genau
überein, dass er wörtlich in dem Sütrawerke gestanden
haben könnte, von dem unser Manu abgeleitet ist. Ich
werde hierauf in Bälde anderswo zurückkommen. An zwei
Stellen finden sich auch wie bei Vasishtha (Bühler, Dig. I,
XXIX) im Vi. Trishtubh, die Manu in Anushtubh ver-
wandelt hat (Vi. 29, 9, 10; 30, 47 = M. 2, 114, 115;
144). Daher steht Vi. begreiflich an solchen Stellen auch
inhaltlich in der Regel auf einer älteren Stufe als M. Der
Grasbüschel (veda: auch das Wort fällt aufj in M. 4, 36
ist an und für sich überflüssig, wird auch in der Parallel-
stelle Y. I, 133 nicht erwähnt; da nun Vi. an der wört-
lich zu M. 4, 36 stimmenden Stelle 71, 13 ö. ihn auch
nicht nennt, so ist er gewiss als ein dem Metrum zu lieb
gemachter Zusatz zu betrachten. M. 4, 1—204 und Vi. 71
entsprechen ungefähr dem Snätakadharma der Gnhyasütra
und des Apastamba (I, 11), Vi. 71 wird von Nand. auch
als solcher bezeichnet ; aber bei Manu ist eine Menge Unge-
höriges hereingezogen, das ich überhaupt, so weit es sich
1) Ein vollständiges Verzeichniss der Parallelstellen zu Vi. in
anderen Btcbtswerken wird meine Uebersetzung bringen.
Jolly: Das Dharmasütra des Vishnu etc. 75
nicht sonst im Vi. widerfindet, für secnndär halte. Auch
M. 2, 32, über den zweiten Theil der Eigennamen für die
vier Kasten, dürfte im Hinblick auf Vi. 27, 6 ff. als Zusatz
zu betrachten sein u. s. w. So einfach liegt die Sache
freilich weder hier noch sonstwo auf dem Gebiete der in-
dischen Rechtslitteratur , dass wir das eine Werk durchaus
als die Quelle des anderen betrachten dürften. In der Be-
handlung der Gottesurtheile und der schriftlichen Verträge
z. B. steht Vi. entschieden auf einer späteren Stufe als M.
Aber unter den erhaltenen Dharmasütra ist keines für die
Scheidung der älteren von den jüngeren Bestand theilen
unseres Manutextes so wichtig als das Vi. , das uns so das
augenscheinlich verlorene mänavaw dharmasütram wenigstens
theilweise ersetzt.
Nachtrag.
Durch eine gelegentliche Mittheilung von Hrn. Geh.-
Rath Dr. Böhtlingk in Jena auf die Möglichkeit einer
näheren Uebereinstimmung zwischen K. und dem Mänava-
grihyasütra(M.) aufmerksam gemacht und durch die Ge-
fälligkeit des Hrn. Dr. P. von Bradke in München, der mit
einer Bearbeitung des letzteren VS^erks beschäftigt ist, zur Be-
nützung der beiden Münchener Hss. desselben in Stand
gesetzt, ziehe ich auch das Verhältniss dieser beiden Grihya-
sütra zu einander nachträglich zu dieser Untersuchung
heran, für die es natürlich von grosser Wichtigkeit ist.
In der That zeigt sich eine nähere Verwandtschaft
beider Werke ganz deutlich schon in der Anordnung,
namentlich darin, dass beide die Abschnitte über den brah-
macärin und den snätaka voranstellen (M. 1 — 11), während
dieselben in den bisher gedruckten Grihyasütra erst auf
76 Sitzung der philos.-philoL Glasse vom 7. Juni 1879.
die Darstellung der Sacramente folgen. Dann erst folgt
der viväha (M. 7 — 13, K. 14 — 20), in den in beiden die
Ceremonie bei Aufnahme eines Gastes eingeschoben erscheint,
die sonst erst nach den sawskära (A.9V. Gobh. Qänkh.) oder
schon vor dem viväha kommt (Pär.). Es folgen die Sa-
cramente in der gewöhnlichen Reihenfolge und die Wahl
der Opferpriester (M. 14—23, K. 21—35). Dann erst ge-
langen beide Werke zur Anlegung des häuslichen Feuers
und den gewöhnlichen Feueropfern (M. II, 1—3, K. 36—37),
worüber sonst ganz im Anfang gehandelt Avird, auch folgen
in beiden pa^ukalpa und 9Ülagava, woran sich in M. ä9va-
yuji, ägrahäyai:!! , ashtakäs, phälguni schliessen (M. II, 4 —
10), während in K. diese Ceremonien durch mehrere andere
theilweise getrennt sind. Von den folgenden Abschnitten
finden sich noch das Opfer an Västoshpati, das Vai9vadeva,
die (^ravai;iäceremonie , die der kapotanilaya9änti (in beiden
Werken auf die vorige folgend: nach Dev.^ weil in jener
Jahreszeit die Tauben hervorkommen) und die putreshti
(M. II, 11, 12, 16 — 18) im K. wieder, aber an anderen
Stellen.
Hiezu kommt nun eine erhebliche Zahl von wörtlich
übereinstimmenden Stellen. Ich lasse diejenigen, welche
mir am meisten aufgefallen sind, folgen. Der Kürze wegen
ge])e ich die im K. vorliegenden Abweichungen von M. nur
durch den Druck und in den Anmerkungen, Differenzen in
der Reihenfolge der Sütra und unbedeutende Varianten gar
nicht an. Mein Text von M. beruht hauptsächlich auf Cod.
Haug 56, Text und Comm. des M.
M. I, 1. . upanajjanaprabhriti vratacärt syät ! märga-
väsäh I samhatahegah \ hhaiJcsMcärißavrittih \ sagalkadand-
dh I saptamiihjäm mekhaläm dhdrayet \ äcäryasyä 'pratihü-
Iah I sarvakärt \ yad enam upeyät tad asmai dadydt \ hahü-
näm yena saynyiiktdh \10\ nä ^sya gayi/äm äviget \ na sam-
vastrayet \ na ratham drohet \ nä 'nfitaw vadet | na mushi-
Jolly: Bas Dharmasütra des Vishnu etc. 7"?
tarn striyaw preJcsheta \ na vihärärthau jalpet \ na rucy-
artham Jcincana dhärayUa \ sarväni sämspargakäni strihhyo
varjayet j na madhumämse prdgmyät \ JcsMralavane ca |20|
na sndyät \ udaham vd 'py aveydt | yadi sndydd danda ivd
'psu plaveta \ präg astamaydn nishkramya samidhdv dhared
dharinyaii hrahmavarcasaMma iti grutih |24| . . .
Aus 2 . . . dvddoga catiirvimgatim shattrimgatam ashtd-
catvdrimgatani vd varsMni yo . . . brahmacaryam carati ma-
lajniir ahalah Jcrigah sndtvd sa sarvam vindate yat hinein
manase 'ccliati Hy etena dharmena sddhv adhUe \ chandasy
arthdn huddhvd sndsyan gdm Jcärayet | dcdryam arhayita
ya,h grotriyah \ anyo vedapdtht \ na tasya snänam \ äpo hi
shthe Hi tisro hiranyavarndh ^ucaya iti dve | sndtvd 'hate
väsasi paridhatte | • . . | hiranijam äbadhuite | chattrayn dhdr-
ayate \ daijdamälye |10| pratishthe stho devate dyäväpfithivi
md md saw täptara ity updnahau \ dvivastro 'ta ürdhvam
hhavati \ tasmdc chohhanam vdso hhartavyam iti grutih \
ämantrya gurüo guruvadhüwi^ ca svän grihän vrajet | pra-
tishiddham aparayd dvärä nishkramanam \ malavadvdsasd
saha sawvastranam | rajoväsinyd saha gayyä \ guror duruk-
tavacanam \ asthdne 9ayaua^i^ smayanam smaraijaw (v. 1.
saranam) sthänam yaiiam gäuam tasya ce 'kshanam |20| . . .
K. 1. — 8. sarvakäryäsvatantraÄ | ästäm apy adhyayanädikam | pur-
votthäyi jaghanya?a?nve9i | 12. sa?yivastrayeta. Nach 12: äcäryaparihitam
vastrawi na paridadhita | 16. vihärärtliaw (Coram. zu M. : artho hira^y-
ädiA). 17, dhärayet. 18. stribhya/^ saha. 19. a9Diyät. 20. "lavanavarjl.
22. upeyät. 23. pariplaveta. — Zu sa>.rtvastrayet 12 und mushitäm 15
vgl. 0.
K. 4.— 1. etenai 'va. Zwischen 2 und 3 mehrere Sütra. 3, 4.
arhayet | 9rotriyo 'nyo vedädhyäyi | Nach 5 mehrere Sütra. 6. tisribhii^
snäyäd dhiranyavarnä iti ca dväbhyäm . . . | 8. — 11. dyaus te prish^am
iti chattram dhärayate | imam agna iti hiranya^/i | pratishthe stho devate
mä mä himsish^ham iti värähyäv upänahau pratimuwcate | 14. vaigava-
dandadhäri nityawi chattradhäri apanthadäyi | adattaharanam pratishid-
dham etc. 17. sarabhäshä. 18. rajoväsasä. 20. saranam gäyanam nar-
tanam tasya. — Zu maiajnur in 1 vgl. Comm. maladigdhajänuÄ.
78 Sitzung der philos.-philöl. Classe vom. 7. Juni 1879.
Aus 4 . . . tasyä 'nadhyäyah \ na vidyotamdne na stana-
yatt 'ti (}Y\itih | dhalikadevatumulam vidyuddhanvolkdh | aty-
aJcshardh gabdäh \ dcärend ^nye \ ardhapancamän mäsdn
adhttyo Hsrijati pancdrdhashashtän vd \ ß . . .
7. afho 'panishadarhdh | brahmacdri sucaritt medhdvi
harmahrid dhanadah priyo vidydm vd vidyayd ^nvishyams
tdni tirthdni brahmanah \ bhdrydm vindeta | kriUiJcdsvdti-
pürvair iti varayet |4| ...
Zu 8 brähmadharma und 9aulkadharma (Ritual beim
Frankauf) vgl. K. 14, 15.
9. shad arghydrhd bhavanti | ritvig dcdryo vivdhyo rdjd
snätahdh priyag ce Hi \ . . . athai 'nam arhayanti \ Jcdmsye
camuse vd dadhi madhu cd "ntya varshiyasd 'pidhdyd ^^ca-
mantyaprathamaih pratipadyante \ virdjo doho 'si virdjo
doham agtya mayi pddydyai virdjo doha ity ekaikam dhri-
yamänam pratikshate | . . . vishtara dsmdyai 'Jcaikam trih
prdha | nai 'va bhor ity dha nama drsheye(?) Hi ca ^rutiÄ 1
spn9aty arghyam | pddyena pädau prakshdlya sdvitrena ma-
dhuparkam pratigrihya ... | ... madhu vdtd ritdyata iti
tisribhir angulyä pradakshinam ... |10| amritopastaranam
ast 'ty upastarati | caturo brdhmandn ndndgotrdn bhojayet |
. . . yady utsrijen mdtd rudrändm . . . i^* . . . |13| . . .
In den folgenden Kapiteln (10 — 20) habe ich an näheren
Uebereinstimmungen nur Vereinzeltes gefunden.
21. tritiyasya varshasya bhuyishthe gate cüddh kdrayet |
K. 10. Der anadhyäya hier etwas länger. 6. pancärdhashash^än
visfijate.
K. 11.— 2. anvicchaws. — 3, 4. In K. 14.
K. 19.— 4. kawse . . . äsicya varshlyasä 'pidhäya vishtaräbhyäw
parigrihya pädyaprathamaiÄ. 5. ähriyamänam anumnantrayate. 7. na
niärshe 'ti. 9. pädyäbfeiÄ prakshälayate | äpohishthiyäbhir arghyam
parigrihya sävitrena raädhuparko ... 1 10. prade9inyä pradakshinam.
11. äcamaty amritopastaranam asi |
K. 30—2. antardhäya ... 'ty enam kshurenä 'bhinidhäya . . .
Jolly: Das Dharmasütra des Vishnu etc. 79
. . . oshadhe träyasvai 'nam iti dakshinasmin Jcegänte darhham
antardadhäti svadhite mai 'nam himsi ''ti kshurenä' hhinida-
dhäti |2| . . .
22. saptame navame vo ^pdyanam \ . . . ho nämä'st Hy
aha I . . . asäv iti hastam grihnan uäma grih^äti pränmu-
khasya pratyanmukha ürdhvas tishthann äsinasya dakshinam
uttdnam daJcshinena \ savitä te hastam agrahtd asäv agnir
dcdryas tava | deva savitar esha te brahmacärt tvam (?) go-
pdya sa md mrita \ hasya brahmacdry asi prdnasya hrahma-
cdry asi 1 kas tvd kam upanayate kdya tvd pari dadami . . . |
yuvd suvdsd iti . . . | mama vrate te hridayam dadhdtu mama
cittam anu te cittam astu mama väcam ekavrato jushasva
hrihaspatis tvd niyunaktu mahyam iti . . . | daivl yd mdnusM
medhd sd md md "vigatdm iha . . . |10| ehy agmdnam d tishtha
agme 'va tvam sthiro hhava krinvantu vigve devd dyus te
garadah gatam iti dakshinena pddend^ gmdnam dsthdpayati\ 11.
II, 1. ... pratydyanti nalair vetasagdkhayd vd paddni
lopayanto mrityoh padam lopayanto yad aita draghiya dyuh
prataram dadhändh dpydyamdndh prajayd dhanena guddhdh
pütd hhavata yajhiyäsdh \ anadvdham plavam . . .
6. . . . dgvayujydm paiirnamäsyäw . . . uttarato grdmasya
. . . vedydkritim kritvd tasyäw catushkoiiavanaspatifaMa«/am
. .. sarvarasasarvaushadhis2LrYQirditiakm co 'pakalpya... tisrah
K. 31. — 1. saptame varshe brähmanasyo 'päyanam | navame räja-
nyasya | 2. ukte. 3. asäv a.\\a,m bho iti . . . 1 dakshinaw hastam dakshi-
nena hastena vivähoktavidhinä (dort wörtlich wie oben M.) grihipäti.
5. tarn gopäyasva dirghäyui^ sa raä mrita | 10. medhä mahyam ityädikäJ^
pancarcaÄ, obiger Vers im Comra. 11. padä.
K. 36. — 1. pratipam äyantu narair . . . lopayanto auch K, s. aber
RS. X, 18,2.
K./45. — 1. . . . 9äkhäbhiÄ parivärya . . . sarvarasair ghatän pü-
rayitvä dikshu nidadhyät sarvabljai9 ca . . . | ... tisro devatä yajeta.
2,3- varunam agnim a9vinäv a^vayujim ca | jayaprabbritibhir hutvä . . .
4. afvän yojayanti ... 5. paryänälawkärädinä pradakshinawi devaya-
janawi karmacitra / tvih pariyanti | 6. praharshä/i kurvanti | 7. gaur
väsaÄ kamso hiranyam [ca] dakshinä ...
8Ö Sitzung der philos.-pküol. Classe vom 7. Juni 1879.
pradhäiiac^et'a^a yajati uccaii^9ravasam varunam visli^um
iti I agvinäv agvayujau ca | . . , jaydn hutva | . . . | agvän
süäpayanti | gandhasragdämabhir alamkritya pradakshinam
devayajanam trih pariyanti \ praharsham Mrayanti . • . |
gaur anadväm9 ca dakshinä \l\
12. vaigvadevasya siddhasya säyamprätar hdlim haret \
... I agnaye nama/i somdya dhanvantaraye vigvehhyo devehhyah
prajdpataye 'gnaye svishtahrita ity agnyägäre | . . . | adbhya
ity udakumbhasaka9e | oshadbibhyo vanaspatibhya iti gr ihama-
dhyaraäyäwi sthünäyäm | grihyähhyo devatäbhya iti griha-
madhye | dharmäyä 'dharmäye ^ti dvdre mrityave \ dJcdgdye
Hy dJcdge | . . . vaigravandye ^ti bahih | . . . i indrdye ^ndra-
purushebhya iti purastdt \ yamdya yamapurushebhya iti da-
Jcshinatah |10| varundya varunapurushebhya iti pagcdt \ so-
mdya somapurushebhya ity uttaratah \ brahmane brahma-
purusJiebhya iti madJiye | • . . 1 divdcdribhyo bhütebhya iti
divd I naktamcdribhya bhütebhya iti naJctam | . . , | gesham
dakshinabhümau ninayet |16| ...
17. (=K. 44 a). ayüthihe (ayütike K) bhaydrte hapote
grihän pravishte tasyä 'gnaupadam drigyate ' di\\Ydi,n\ sahtushu
ghrite vä devdh Jcapota iti pratyricani japed juhuyäd vä |
Es folgt RS. X, 165 im Text, in K. im Comm.
18. (= K. 38). shad dJiutam pratipadi . . . putrahdmah
. . . I brdhmandgnih etc, = RS. X, 162, dann 2 andere
Ric, dann RS. X, 184, zuletzt RS. X, 18,1. In K. im Text
nur Pratika von RS. X, 162,1 , das üebrige im Comm. |
iti dväda9a garbhavedinya^^ ... (K. svishtakrite trayoda9im
ähutim juhoti). Dann die drei von Stenzler A9V. I, 14,3
sub 5 — 7 aus dem Samskärakaustubha und Prayogaratna
citirten Verse, in K. nur der sub 5 citirte.
Gegen derartige Uebereinstimmungen, auch in grösseren
Stücken, kann es nicht ins Gewicht fallen, dass in vielen
K. 44, den Text des Vai9vadeva, s. 0.
Jolly: Das Dharmasutra des Vishnu etc. 81
anderen Materien beide Werke völlig differiren (ägrahäjaijii,
ashtakäs und anvashtakäs ii, s. w.) und dass manche in dem
umfangreicheren K. ausführlich behandelte Gegenstände in
M. gar nicht oder viel kürzer besprochen werden (kr iccbräiji,
nakshatreshti, ^räddhäni u. a.) oder auch umgekehrt (caitri,
shashti, dui^svapna^änti u. a.). Die hie und da vorkommenden*
speciellen Uebereinstimmungen von M oder K. mit anderen
Grihjasütra beziehen sich in der Regel (eine wichtige Aus-
nahme bildet nur der Vrishotsarga, s o.) nur auf die Mantra,
und wo beide mit einem oder allen anderen zusammen-
treffen, stimmen sie doch unter sich viel genauer überein.
Man sieht auf den ersten Blick, dass die hier ausgehobenen
Parallelstellen (Anderes habe ich übergangen, Manches viel-
leicht auch übersehen, da mir die beiden Münchener Hss.
nur auf ganz kurze Zeit zu Gebot standen) weit das Mass
desjenigen überschreiten , das sonst den Grihyasütra als
überliefertes Material gemeinsam ist (vgl. Oldenberg, Ind.
St. XV, 9-11).
Kann hienach an dem Bestehen einer intimen Ver-
wandtschaft zwischen K. und M. nicht gezweifelt werden,
so gewinnt dadurch offenbar die obige Annahme in Betreff
des Verhältnisses von Vi. zu Manu eine vortreffliche Stütze.
Selbst wenn das mänavam grihyasütram nicht den nemlichen
Autornamen trüge wie das mänavam dharma^ästram, würde
sich die Gleichung ergeben :
Käth. Gri.: Man. Gn. = Käth. Dh. (Vi.): Man. Dh. (Manu),
d. h. es bestätigt sich der aus dem Inhalt gefolgerte Zu-
sammenhang zwischen Vi. und Manu durch den Zusammen-
hang der beiderseitigen Schulen. Umgekehrt erhält die bisher
nur aus dem Namen erschlossene Zusammengehörigkeit des
Mäuava-Maiträyaniya-Gnhyasütra mit Manu eine unerwartete
und nicht unnöthige Bestätigung. Denn inhaltlich und
sprachlich haben freilich beide Werke wenig mit einander
gemein. Unter der geringen Anzahl vergleichbarer Materien
[1879. I. Philos.-philol.-hist. Cl. Bd. II. l.] 6
82 Sitzung der philos.-phüol. Classe vom 7. Juni 1879.
habe ich weder bei den Terminen für die sawskära, noch
bei der Eheschliessung oder dem snätakadharma eine nähere
Uebereinstimmung getroffen. Auch in der Lehre vom brah-
macärin findet sich bei Manu von den eigenthümlichen Aus-
drücken des Man. Grih. keine Spur, nur wird der in Man.
Grih. I, 3 vorgeschriebene Bussspruch (aus dem Taitt. Ar.
I, 30) bei Bruch des Gelübdes der Keuschheit auch bei
M. 2,181 bei der gleichen Gelegenheit verordnet (freilich
auch Vi. 28, 51 und Gaut. 23, 20). In Betreff des Vai9-
vadeva gehen zwar beide Werke mehrfach auseinander, doch
stimmt hier Man. Grih. (und Käth. GHh.) zu Manu wenig-
stens genauer als irgend eines der anderen Grihyasütra,
nur Qänkh. steht auch nahe. Es ist immerhin wichtig, dass
somit eine Anzahl Mantra beiden Werken gemeinsam sind.
Das (Jräddha bietet keinen Stoff zur Vergleich un g , da es
im Grihyasütra fehlt: vielleicht gerade desshalb weil es bei
Manu d. i. in dem Dharmasütra so ausführlich behandelt ist.
Im Uebrigen hat ja unser Manutext nicht bloss die metrische,
sondern sicher noch eine Anzahl anderer Ueberarbeitungen
erfahren. Schliesslich sei hier noch darauf hingewiesen,
dass die obigen Ergebnisse zu der von Schröder Z d. d. m.
G. XXXIII, 181 ff. wahrscheinlich gemachten speciellen Ver-
wandtschaft der Maiträyani Samhitä mit dem Käthaka aufs
beste stimmen.
Berichtigungen: S. 22 Z. 8 v. o. 1. istl); Z. 13 1. Vi.2); Z. 19 1. Vergleich-
ung3). — S. 35 Z. 6 v. o. 20 1.19; Z. 11 v. o. 21 1. 20; Z. 13 v. o. (cf. und Z. 14
ist zu streichen ; Z. 8 v. u. „mit Ausnahme" bis Z. 6 v. u. „gehen" ist zu streichen,
s. P.W. s. V, pradyumna und B. s. v. aniruddha.
Herr F ö r i n g e r hielt einen Vortrag :
Ueber die für verschollen gehaltene
Handschrift der Annales Weihenste-
phanenses.
Das Brüderpaar Bernhard und Hieronymus
Pez fand sich auf seinem Inedita- Entdeckungszuge durch
Süddeutschland im J. 1717 in Weihenstephan ein. Es
wurden den strebsamen Ordensgenossen alle Schätze der
Klosterbibliothek bereitwilligst zur Einsichtnahme vorge-
legt. Nach 4 Jahren erschien der erste Band von Bern-
hard Pez's Thesaurus anecdotorum novissimus , in dessen
Dissertatio isagogica über die Ausbeute jenes Besuches
öffentlicher Bericht erstattet wurde. Nachdem hier eine
grosse Anzahl werthvoller und interessanter Handschriften
der Weihenstephaner Bibliothek anerkennungsvoll aufgeführt
worden , heisst es in diesem Berichte weiter: Sed haec
nihil sunt ad insignem illum codicem membr. in 4. in
quo Monasterii Weiheuvstephanensis A n n a 1 e s a primis
incunabulis usque ad medium seculum XIV. a coaevis pro-
ducti sunt. Huic operi Calendarium seculo minimum
decimo scriptum adglutinatum est Distinctum ab
illis Annalibus est Chronicon Weihenstephanense a Casparo
Frasio, erudito huius loci Abbate, compositum et usque ad
proximum seculum productum , dignissimum, quod anna-
6*
84 Sitzung der hist. Classe vom 7. Juni 1S79.
libus vetustioribus junctum typis exprimatur.
Und nach weiteren 4 Jahren (1725) erschienen im zweiten
Bande von Hieronymus Pez's Scriptores rerum austriacarum
col. 401 — 406 Auszüge aus jenen so emphatisch hervorge-
hobenen Annalen mit nachstehendem Titel und Vorwort:
Excerpta
ex vetustiori chronico coenobii
Weichenstephanensis, ord. S. Bened.
in Bavaria.
Nunc primum typis sumraissa ex cod. autographo ejus-
dem Monasterii.
Observatio praevia.
Haud equidem indignum erat Vetustius hocce
Chronicon Weichenstephanense , quod integrum nobis
ederetur. Sunt enim in eo praeter illa, quae carptim hie
dedimus, non pauca, quae tum praeclari elegantisque illius
Coenobii , a nobis anno MDCCXVII lustrati , tum Episco-
patus Frisingensis Historiam illustrare multum possunt.
Verum exscribere singula nee temporis angustiae , nee cor-
poris nostri valetudo , qua tum forte minus prospera ute-
bamur, permittebant . Itaque ea tantum inde veluti de-
florare visum est, quae res memorabiliores totoque Imperio
Romano gestas propius spectabant. Scribi vero coeptum
est laudatum Chronicon saeculo XII. , quod postmodum
Authores diversi ad saeculum usque XIV. produxerunt.
Welche Fülle neuen QuellenstofFs schien der Inhalt
dieses „Codex autographus'^ nach solcher Anpreisung des-
selben in sich zu schliessen! — Meichelbeck hatte übrigens
die fragliche Handschrift, ohne dass es Hieronymus Pez be-
kannt geworden, im ersten Bande seiner im J. 1724 er-
schienenen Historia Frisingensis für seine Zwecke voll-
kommen bereits ausgebeutet und auch sonst blieb sie, wie
sich später zeigen wird , nicht unbenutzt und unbeachtet.
In der Oefifentlichkeit erfahren wir das namentlich aus der
Föringer: Ueher die Annales Weihenstephanenses. 85
Praefatio zum IX. Bd. der Monumenta boica (1767), wo es
p. 344 nach Erwähaung der in Weihenstephan aufge-
fundenen und in diesem Bande veröffentlichten Urkunden
heisst: „Seposita sunt atque in alias curas servata ex-
cerpta ex Calendario vetustissimo , perpetua serie ab
anno 1030 ad annum usque 1350 ab autoribus coaevis
continuato." Die Existenz der von H. Pez der Literatur
bereits geschenkten Excerpta aus jenem alten Calender
scheint den Editoren der M. B. entgangen zu sein. Wer
sucht auch Weihenstephaner Annalen unter Scriptores
rerum austriacarum. Die ,,aliae curae'' unterblieben aber
wohl, nachdem man von jener Fublication Kunde erhalten
hatte. Nach weiteren 50 Jahren (1819) erbot sich der
fürstbischöflich freisingische Hofrath Hoheneicher , nach-
maliger Landrichter von Werdenfels, neben anderen Quellen-
werken zur deutschen Geschichte auch die Herausgabe „des
Chronicon Weihenstephanense" in den Monumentis Ger-
maniae zu übernehmen (Archiv der Gesellsch. f. ä. d. G.
Bd. L S. 350). Hoheneicher war aber bald darauf wahr-
scheinlich der erste, welcher den fraglichen Annalen- oder
Chronicon - Codex für verloren zu halten veranlasst war,
als er nämlich im J. 1827, nach München übersiedelt, zur
Beschreibung der bis dahin noCh nicht catalogisirten auf
bayerische Geschichte bezüglichen Handschriften be-
rufen ward und darunter wohl jüngere Chroniken von
Weihenstephan aus dem XV. und XVL Jahrhundert, nicht
aber jenes „Chronicon'' des XIL Jahrhunderts vorfand,
welchem H. Pez seine Excerpta entnahm.
Im J. 1853 erhielt Weihenstephan einen Historiographen
in der Person des Curat - Canonicatsprovisors Heinrich
G e u t n e r in Laufen , der als geborner Freisinger mit
warmer Heimatliebe und redlichstem Fleisse, von dem ver-
dienstvollen Dompropst M. v. Deutinger unterstützt, die
ihm zugänglichen archivalischen und literarischen Quellen
86 Sitzung der Jiist. Classe vom 7. Juni 1879.
zur Aufstellung eines möglichst erschöpfenden geschicht-
lichen Bildes des Klosters durchforschte und benützte.
Leider Hess er es bei dieser Benützung zumal bezüglich
der ältesten Geschichte au der nöthigen Kritik und an
autoptischer Untersuchung sämmtlicher von ihm auf-
gezählten Quellenschriften fehlen. So kam es denn, dass
er (Deutingers Beiträge zur Geschichte des Erzbisth. Mch.-
Freising Bd. VI Heft 2 S. 200) das in der k. Hof- und
Staatsbibliothek befindliche Chronicon Weihen stephanense
aus dem XV. Jahrhundert (Cod. bav. 15, in der Gesammt-
reihe der Cod. latini 21,558 Weihensteph. 58) für identisch
mit dem von Hieronymus Pez excerpirten Codex hielt,
während ihn auch nur ein Blick in erstere Handschrift
von der Irrthümlichkeit dieser seiner Meinung hätte über-
zeugen können. — Weech machte in seiner Inaugural-
Dissertation (Kaiser Ludwig der Bayer und König Johann
von Böhmen , Mch. 1860 S. 61) auf diesen Trrthum auf-
merksam, gewann aber bei Einsichtnahme von dem Pseudo-
codex die interessante ausführliche Notiz über die Verwüst-
ung des Klosters Weihenstephan durch die kaiserliche
Reiterei (1336) und vermuthet ganz richtig, dass diese
Stelle aus jener altern Weihenstephaner Chronik geschöpft
sei, welche Pez im Auszuge mitgetheilt habe. Doch die
von Weech weiter ausgesprochene Vermuthung, der Origi-
nalcodex sei wahrscheinlich ein Opfer der Plünderungen
zur Zeit der Säcularisation geworden, ist glücklicher Weise
unbegründet. Die fragliche Handschrift stand von 1803 bis
zum J. 1878 unversehrt bei ihren Heimatsgenossen, den
Handschriften aus Weihenstephan in der k. Hof- und
Staats- Bibliothek — ein warnendes Beispiel für Bibliothekare
und Editoren von Handschriften grösserer Bibliotheken,
für erstere: es nicht an festen Aufstellungssignaturen^ und
den nöthigen Realrückweisen in ihren Catalogen fehlen zu
lassen ; für letztere : die Aufstellungsbezeichnungen nicht zu
Förinyer: Ueher die Annales Weihenstephanenses. 87
ignoriren und wo diese fehlen, die betreffende Handschrift
nicht nach ihren Neben- sondern nach ihren Haupt - Be-
standtheilen zu benennen. Eine übersichtliche Darlegung
des Inhalts der fraglichen so viele Jahre unerkannt ge-
bliebenen Handschrift wird diese Warnung begründen
helfen. Die fragliche Handschrift (Cod. latin. 21557.
Weihensteph. 57) enthält 133 Pergamentblätter in 4to und
besteht aus zwei unter sich völlig heterogenen Hauptbe-
standtheilen : nämlich
1) aus einer kleinen nur die ersten 12 Blätter des
Codex einnehmenden Zusammenstellung kirchlicher
Vorschriften und einzelner Beschlüsse deutscher
Provinzialsynoden des 13. und 14. Jahrhunderts, und
2) aus astronomischen , chronologischen und naturhis-
torischen Schriften B e d a 's.
Die an der Spitze stehende canonische Sammlung ist
von einer Hand des ausgehenden 14. Jahrhunderts ge-
schrieben und führt folgende Aufschrift:
Incipiunt Constituciones excerpte de corpore decre-
talium et de Constitucionibus Herbipolensis, Wieunen-
sis, Synodalis conciliorum, reposite et supposite certis
tytulis annuo legende. In concilio synodali et in
conuentibus decanatuum per singulos archidiaconos
frequenter recitande.
Unter dem Würzburger Concil ist jenes vom
J. 1287, unter dem Wiener Concil jenes vom J. 1267
und unter dem ,,concilium synodale'' eine nicht näher be-
zeichnete Regensburger Synode des 14. Jahrhunderts
verstanden deren Beschlüsse den Schlusstheil der Sammlung
bilden; ^) es sind aber auch mehrere Canones aus dem
1) Dieselbe Sammlung ist auch in einer zweiten Handschrift der
k. Bibliothek vorhanden (C. lat, 14874 Ratisb. S. Em. 874), entbehrt
jedoch in dieser Aufzeichnung des im Weihenstephaner Exemplar ihr
beigegebenen, aus 17 Canones des erwähnten oder eines anderen
88 Sitzung der hist. Glasse vom 7. Juni 1879.
Salzburger Concil vom J. 1274 ausgehoben und einge-
reiht , ohne dass deren in der Ueberschrift gedacht wird.
Mit dem Kloster Weihenstephan hat diese Sammlung nicht
das Geringst^ zu schaiBPen. Sie gehört ausschliesslich der
Diöcese Regensburg an und ihre ursprüngliche Heimat
war ohne Zweifel der Decanatssitz von Mainburg, weil auf
der Rückseite des letzten (12.) Blattes die Namen von
vierzehn in diesem Decanatssprengel gelegenen Pfarreien
eingezeichnet sind.
Die im Codex folgenden Schriften Beda*s sind sämmt-
lich von einer Hand des 12. Jahrhunderts geschrieben und
beginnen f. 13 — 22 unter der Ueberschrift: „Tncipit
Martyrologium venerabilis Bedae presbyteri" mit dem
bei Migne, Cursus patrol. Tom. 20 (Opera Bedae T. T)
p. 759— 784 abgedruckten C m p u t u s vulgaris "qui dicitur
Ephemeris. Unsere Handschrift ist jedoch in ihren Ein-
trägen der Todes- oder Translationstage von Heiligen viel
reichhaltiger als dieser Druck; sie gehört nämlich einer
Recension des 10. Jahrhunderts an, indem sie z. B. beim
4. Juli (IUI NON. Julii) bereits den Tod.des hl. 91 rieh ein-
i
I
Re^ensburger Diöcesanconcils bestehenden Anhanges. Enhuber (con-
ciliorum Ratisbonensium brevis recensio p. 53) glaubt , dass wir an
diesen Constitutiones den vollen Text eines unter Bischof Conrad VI.
c. 1368 gehaltenen Regensburger Ooncils vor uns haben. Col. Sanftl
(in seinem Cataloge über die St. Emeramer Handschriften) schreibt das
fragliche Concil dem Bischöfe Nicolaus (1313 — 1340) zu, weil der in
dem St. Emeramer Exemplar genannte Cubicularius Herwicus der Auer
als zum Hofgesinde dieses Bischofs gehörig in den Jahren 1322 — 1330
beurknndet ist. Die Annahme Sanftls hat alle Wahrscheinlichkeit für
sich, möglich wäre es übrigens, dass auch der gleichnamige Sohn jenes
Hartwig Auers , der zwar zu den Jahren 1346 — 1350 als Pfleger und
Richter zu Stadtarahof erscheint, aber im J. 1346 von Bischof Friedrich
(1341—1368) „in besunder genad und scherm" genommen wurde (Ried,
Cod. dipl. Rat. p. 866) früher oder später die Stelle eines bischöflichen
Kämmerers bekleidet habe.
Föringer: lieber die Annales Weihenstephanenses. 89
reiht, der bekanntlich an diesem Tage im Jahre 973 er-
folgte. Sie stimmt darin mit dem im J. 1687 von
Matthias Friedr. Beck herausgegebenen Martyrologium
ecclesiae Germanicae pervetustum überein.
Die Blätter 23 — 26 a enthalten astronomische Tabellen
und kleine Einzeichnungen astronomischen Betreffs, darunter
f. 25. b die bekannte Kalender-Prophezeiung, was sich in
einem Jahre alles ereignet , je nachdem der erste Januar
auf einen der sieben Wochentage fällt , (M i g n e , Opp.
Bedae T. I. 951).
Dann folgen: (f. 26b) Beda's Tractat de tem-
porum ratione mit der üeberschrift : „Incipit computus
domini Bedae presbyteri" , jedoch nur die Capitel I — LXV
(Migne p. 293—519) umfassend, während die bei Migne
p. 520 — 578 das Chronicon sive de sex (octo) huius saeculi
aetatibus bildenden Capitel LXVI — LXXI fehlen;
f. 84a — 93b Beda's Werk „de natura rerum*'
(Migne p. 187—278), an welches sich f. 93 b — 99 a der
aus 22 Capiteln bestehende Tractat „de temporibus**
(Migne p. 277—292) und dann f. 99 b ~ 104a verschiedene
kleinere Schriftstücke astronomischen und chronologischen
Inhalts ( ratiuncula de regularibus mensium , de epactis
lunae, computus Graecorum etc. sich anschliesseu, darunter
auch f. 103 a eine historische Notiz über die Unglücksjahre in
Jerusalem unter dem Patriarchen Georgius (790 — 811?}; f.
104 b endlich beginnt Beda\s Ostertafel, welche in
anderen Handschriften einen Anhang zu Beda's Werk de
ratione temporum bildet und von Beda selbst bis zum
J. 1063 entworfen wurde ^j, in unsrer Handschrift aber vom
J. 1064 angefangen auf neuer Pergamentlage jedoch von
gleicher Hand bis zum J. 1412 auf der letzten Blattseite
des Codex f. 133 b fortgeführt ist. Jedem einzelnen Jahre
2) Wattenbach Deutschlands Geschichtsquellen im M.-A. 4 Ausg. S. 51.
90 Sitzung der hist. Classe vom 7. Juni 1879.
ist eine volle durchlaufende Zeile gewidmet , welche senk-
recht von 8 Columnen durchschnitten wird, in welchen die
neunzehnjährigen Mondcyklen nach den auf jedes einzelne
Jahr entfallenden Rubriken: Indictio, epactae, concurrentes,
cyclus lunaris , luna XIV , pascha , dies dominica , luna
ipsius diei berechnet und festgestellt sind. Der leere Raum
zwischen den einzelnen Jahreszeilen , sowie auch der leere
obere, untere und Seitenrand der Blätter wurde nun schon
von dem Schreiber des Codex und sodann von andern Con-
ventualen des Klosters vom 12. bis zum 16. Jahrhundert
zur Einzeichnung jedem Einzelnen derselben denkwürdig
scheinender Ereignisse benützt. Unter diesen verschiedenen
Einzeichnern war leider kein einziger von wirklich historio-
graphischem Sinne beseelt. Es fiel z B. keinem derselben
ein , auf den Eintrag der vollständigen Reihenfolge der
Päpste , der fränkischen , deutschen , bayerischen Landes-
regenten, oder der Bischöfe von Freising, ja nicht einmal
der Aebte des eigenen Klosters bedacht zu sein; schon der
erste Abt desselben ist nicht genannt; der ersten acht
Freisinger Bischöfe, also selbst des hl. Corbinian, den doch
die Legende mit Weihenstephan und seiner geheiligten
Quelle in so vielfache Beziehung bringt , geschieht mit
keiner Sylbe Erwähnung.
Wie es H. Pez möglich war, diese gewissermassen zu-
fälligen , kein einheitliches gemeinschaftliches Ziel ver-
folgenden Einzeichnungen ein Chronicon monasterii W.
zu nennen, ja sogar chronicon vetustius, also in gegen-
sätzlicher Beziehung zu den jüngeren Hauschroniken, die
sämmtlich aus selbstständigen Bänden bestehen, und von
einer nähern Bezeichnung der Handschrift, in welcher das-
selbe ihm vorgelegen habe, völlig Umgang zu nehmen, ist
schwer zu begreifen. Hätte er sich nur wenigstens wie
sein Bruder Bernhard a. a. 0. der Benennung Annales
oder Calendarium bedient, (obschon B. Fez diese beiden
Föringer: Ueber die Annales Weihenstephanenses. 91
für zwei unter sich verschiedene Dinge hielt), so wäre die
Handschrift wahrscheinlich schon längst , wenigstens seit
der von Schmeller verfasste Catalog über die lateinischen
Handschriften der k. Bibliothek existirt , aufgefunden und
erkannt worden. Denn Schmeller trug zwar den fraglichen
Codex in seinem Real-Repertorium unter dem Schlagworte
Weihenstephan gleich den übrigen auf die Geschichte
Weihenstephans bezüglichen Handschriften nicht vor, (bei
der vorläufig nur cursorischen Durchmusterung
des Inhalts fand er dazu keine Veranlassung) , aber bei
Aufzählung der Bestandtheile des Cod Weiheust. 57 im
sog. Nummern-Repertorium (Aufstelluugscatalog) führte er
zwar , der äussern Ueberschrift des Codex folgend , die
Ostertafel unter der Bezeichnung Calendarium auf, fügte
aber ausdrücklich hinzu ,,cum notis histor icis. '*
Diese notae bist, entpuppten sich denn alsbald als das für
verloren gehaltene Chronicon Weihenstephanense , als
im verflossenen Jahre die aus Weihenstephan stammenden
Codices bei der eingehenderen Beschreibung der lateinischen
Handschriften für den in Druck erscheinenden Catalog an
die Reihe kamen und der mit diesem Geschäft betraute Biblio-
thekbeamte, Herr Bibliotheksecretär Wilhelm Meyer eines
Tages dem eben anwesenden Herrn Ministerialrath Grafen
Hundt, der sich gerade damals mit der Drucklegung
seiner akademischen Abhandlung : ,, Bayerische Urkunden
aus dem XI. und XII. Jahrhundert*' befasste , den Cod.
Weih. 57 wegen der darin vorkommenden notae
historicae hinüber reichte. Graf Hundt gehörte zu den-
jenigen Gelehrten, welche schon seit Jahren nach dem so
lange vergebens gesuchten Chronicon W. fragten ; er er-
kannte in diesen Einzeichnungen sofort die Quelle der
Pezischen Excerpta; er benützte die Handschrift zunächst
für seine Zwecke , zeigte ihre Wiederauffindung den Ge-
Bchichtsfreunden an (S. 46 Anm. '6 genannter Abhandlung)
92 Sitzung der hist. Classe vom 7. Juni 1879.
und trat dieselbe dann in freundlichster Weise mir ab,
da ihm bekannt war, dass ich unter den zur Handbibliothek
der historischen Classe der k. Akademie der Wissenschaften
gehörenden Papieren „Excerpta ex Calendario Weihen-
steffanensi" aufgefunden, über welche ich der Classe Mit-
theilung zu machen vorhatte. Man sollte meinen, diese
in der Bibliothek der hist. Classe befindlichen Auszüge aus
dem fraglichen Codex seien diejenigen , deren die Editoren
der M. B. erwähnten. Das ist jedoch nicht der Fall; diese
letzteren umfassten , wie ich vorstehend mittheilte , die
Jahre 1030 — 1350, während die von mir aufgefundenen
Excerpta sich auf die Jahre 1020 — 1312 erstrecken. Es
zeigte sich nun , dass nach Hieronymus Pez , aber ohne
von seiner Publication etwas zu wissen , ausser den beiden
eben erwähnten Excerptoren noch zwei andere ungenannte
Forscher sich die Mühe gaben , jene aunalis tischen Auf-
zeichnungen des Cod. W. 57 auszüglich zu copiren.
Eine auf einzelnen Papierstreifen und Quartblättern ge-
schriebene derlei Copie bildete nämlich schon bei Ueber-
bringung des Codex in die k. Bibliothek eine Beilage des-
selben , und die in der Bibliothek des erzbischöflichen
Ordinariats dahier aufbewahrten und von Gentner a. a.
0. S. 3 Num. 14 unter den „Quellen'* zur Geschichte
des Klosters Weihenstephan aufgeführten, aber von ihm
nicht eingesehenen ,, kritischen Untersuchungen
über das ehemals zu Weihenstephan befindliche Calen-
d a r i u m vetustissimum'' sind nichts anderes, als gleichfalls
eine mit vielem Pleisse gefertigte Abschrift unserer An-
nalen mit einer kurzgefassten Beschreibung des ganzen
Codex und bezüglich der Schriften Beda's unter Ver-
gleichung seines Inhalts mit der Kölner Ausgabe der Werke
Beda's vom J. 1688.
Bei dem Vorhandensein solcher Vorarbeiten sollte man
glauben, die vollständige Veröffentlichung der sämmtlichen
Föringer: lieber die Annales Weihenstephanenses. 93
Einzeichnungen müsse eine leichte Mühe sein. Allein die
Dinte , mit welcher dieselben, namentlich jene des 12. und
13. Jahrhunderts geschrieben sind, muss bereits im vorigen
Jahrhundert so sehr verblasst und erloschen gewesen sein,
dass zu ihrer Lesbarmach nng chemische Reagentien ange-
wendet werden mussten, wodurch aber das Uebel nur ärger
gemacht wurde, so dass viele Stellen der Lese- und Ent-
zifferungsversuche aller bisherigen Excerptoren und Co-
pisten spotteten und einige derselben wohl für immer
loci desperati bleiben werden.
Die Zahl der von H. Pez bei Seite d. h. ungedruckt
gelassenen Einzeichnungen beträgt ungefähr 180; die von
ihm ausgehobenen sind aber entschieden die wichtigeren
der Gesammtzahl.
Die Chronologie der Angaben liegt häufig im
Argen , d. h. die Ereignisse sind nur zu oft unrichtigen
Jahren beigelegt. Einer der gröbsten Verstösse dieser Art
ist z. B. , dass die Krönung Pippins und die Zusendung
der Königsinsignien durch Papst Stephan (III. erw. März
752) zum Jahre 733/34 bezogen ist. An solchen Gebrechen
leiden übrigens alle auf ähnliche Weise entstandenen,
namentlich aber die aus Oster tafeln erwachsenen Annalen,
Die ausführliche Schilderung dieser Gebrechen und ihrer
Ursachen, welche Pertz im Vorwort zu M. G. Tom. I
dann im Archiv Bd. VL 258 und Wattenbach a. a.
0. S. 115 — 116 liefern, ist auf unsern Codex vollkommen
zutreffend.
Der verhältnissmässig werthvollste Bestandtheil dieser
Aufzeichnungen sind die local-geschichtlichen Nach-
richten über Weihenstephan selbst und über Freising.
Sie bieten uns zwar jetzt wenig Neues mehr, weil sie
bereits in die Jüngern Chroniken und namentlich in Meichel-
becks freisingische Geschichte übergegangen sind ; aber wir
haben nun die ersten und einzigen Quellen jener spätem
94 Sitzung der hist. Classe vom 7. Juni 1879.
Mittheilungen vor uns und in deren ursprünglichem Wort-
laut , wodurch wir in den Stand gesetzt sind , manche
Einzelheit jener spätem Mittheilungen zu ergänzen und
zu berichtigen. Stoff zu einer solchen Berichtigung ge-
währt z. B. die Notiz über den Veranlasser des ersten
Klosterbrandes im J. 1085, den Mönch Reginpert, der
die in seinem Bette vorherrschenden Ameisen (formicas)
verbrennen wollte und durch dieses freilich etwas ge-
fährliche Experiment seinen Strohsack, die Holz wand seiner
Zelle und das ganze Kloster in Flammen setzte und sich
sodann als Leiche von dem Verdachte der absichtlichen
Brandstiftung und des Selbstmords zu reinigen hatte, um
christlich begraben werden zu können, als er neun Tage
nach dem Brande auf dem Grunde der Mosach , in deren
Wellen er sein Heil suchte, aber den Tod fand , mit zu-
sammengekrümmten Händen den Rosenkranz an seine ver-
brannte Brust pressend aufgefunden worden war.
Dass damals das Ordalienwesen, namentlich die
Wasserprobe (Judicium aquae frigidae) trotz der
landesherrlichen Verbote , uoch allgemeiu im Schwünge
stand, bezeugen unsere Annalen zum Jahre 1091, in welchem
das letztgenannte „G ottesurtheil" an drei der Wetter-
macherkunst angeklagten Bauers weiberu des Dorfes Vötting,
das zur Hofmark des Klosters Weihenstephan gehörte, auf
die grausamste Weise zum Vollzuge kam und die Unglück-
lichen auf den Scheiterhaufen führte.
Dass uns die ehrenwerthen Haus - Annalisten des 12.
und 13. Jahrhunderts aus der ältesten Geschichte des
Berges Weihenstephan , von seinem angeblich früheren,
sprachlich unmöglichen Namen T e d m o n s und von
der Fabel einer Burg Pippins auf demselben ganz abge-
sehen , so gar nichts zu erzählen wissen , z. B. über die
Gräfin Fau st a, welche sich (nach F reib erger) nach dem
Tode ihres Gemahls in den Schutz des Herzogs (Grimo-
ald?) begab, der dann als Erbe ihres reichen Besitz-
Föringer: lieber die Ämiales Weihenstephanenses. 95
thums dieses selbst und namentlich auch die Burg
(cas*trum) , welche sie auf dem Berge Weihenstephan be-
sass, dem heiligen Corbinian schenkte, oder über den, auch
Pfalzgraf genannten Sendgrafen (missus) König Ludwigs
des Deutschen, Grafen Timo, der, im Liede verherrlicht,
auf der Weihenstephaner Höhe streng aber gerecht das
Richteramt übte, — das sei ihnen alles gerne zu gute ge-
halten ; schwerer aber ist es ihnen zu verzeihen , dass sie
für so viele der bedeutsamsten Ereignisse aus ihrer Zeit
und ihrer nächsten Umgebung die Feder anzusetzen
nicht der Mühe werth fanden. So ist z. B. zum Jahre 1159
der zwiespältigen Papstwahl gedacht, aber des schrecklichen
Brandes, der am Palmsonntag jenes Jahrs die Freisinger
Domkirche , die bischöfliche Residenz , das Gebäude der
Canoniker , die Kirche von St. Andreas und die ganze
Stadt Freising in Asche legte, — mit keiner Sylbe.
Dass dieser Brand wirklich im J. 1159 stattfand, das
verbürgen zwei der unverfänglichsten Gewährsmänner
Ragewin und Conradus Sacrista. Man möchte meinen, es
walte etwa hier nur eine Verwechslung der Jahre 1159
und 1215 ob. Denn zu letzterem Jahre haben unsere An-
nalen den (flüchtig geschriebenen) Eintrag: Hoc anno ci-
vitas tota combusta est frisinge tarn ecclesie quam domus;
allein hierunter ist offenbar nur der Stadtbrand zu ver-
stehen, der den Domberg unberührt liess und dessen auch
die geschichtlichen Aufzeichnungen anderer oberbayrischer
Klöster, z. B. Scheftlarn (M. G. 17, 338) Wessobrunn, (Leutner
IL 28 aber zum J. 1216,) Scheiern (M. G. 17, 632 zum
J. 1217) verzeichnen. Noch weniger ist an eine Verwechslung
mit dem dritten Freisinger Stadtbrande zu denken , dessen
unsere Annalen zum J. 1226 (auffallenderweise mit ganz
gleichen Worten wie des vom J. 1215) erwähnen. ^)
8) Der Verfasser des Chronicon Salisburgense (H. Pez, rer. Austr.
SS. I. 352) meinte mit der Angabe zum J. 1226: „Frisinga duabus
96 Sitzung der hist. Classe vom 7. Juni 1879.
Die von Hieronymus Pez vorgenommene ,, Defloration*'
unserer Annalen verdient, abgesehen von der unpassenden
Titelgebuiig , kein besonderes Editoren-Lob. Sie leidet an
mehreren Unrichtigkeiten, deren empfindlichste die ist, dass
er die Gründung des Klosters Weihenstephan dem Jahre
1019 beilegt, während die betreffende am obern Rande der
Blattseite 124 b angebrachte Notiz durch ein eigenes Ver-
vsreisungszeichen auf die richtige Jahrzahl 1021 bezogen ist.
Dass auch das an der Spitze der B e d a - Abtheilung
des Codex stehende Martyrologium geschichtliche Ein-
träge enthält, blieb sowohl von Hieronymus als auch von
Bernhard Pez völlig unbeachtet, und doch ist einer dieser
Einträge namentlich für die Altersbestimmung des
Codex von massgebender Wichtigkeit. Schon zwischen der
zweiten und dritten Zeile der Rückseite des ersten Blattes
(III. Non. Januar.) ist nämlich von der Hand, welche das
Martyrologium wie auch die Ostertafel geschrieben hat,
die in letzterer ausführlicher gefasste Notiz über das im
J. 1117 stattgefundene Erdbeben eingefügt , wodurch
also jede früher e Datirung des Codex ausgeschlossen wird.
Seinen anspruchlosen Aufzeichnungen wird nun dem-
nächst die Ehre zu Theil werden, in dem bereits uuter
der Presse befindlichen Supplementband zu den ersten
zwölf Bänden der Monumenta Germaniae veröffent-
licht zu werden.
vicibus exusta est, tarn civitas quam aedificia montis etEcclesiae"
wohl nur diese letzteren zwei Stadtbrände und verstaod unter aedi-
ficia montis kaum die Gebäude des Dombergs im engern Sinne, unter
welchen der Dom, die bischöfliche Residenz und das Domherrn-Haus zu
verstehen wären. Arnpeckh (Gesta epp. fris. in Deutinger's Beiträge
III. 506) schreibt die Schilderung des Brandes vom J. 1159 wörtlich
aus Conradus Sacrista ab , verwechselte aber (S. 518) den Stadtbrand
vom J. 1215 mit ersterem und führt den zweiten Stadtbrand vom
J. 1226 ebendaselbst als zur Regierungszeit des Biscliofs Otto II.
(t 1220) gehörig auf.
Historische Classe.
Sitzung' vom 7. Juni 1879.
Herr Stieve hielt einen Vortrag:
lieber die Ver hand langen über die Nachfolge
Kaiser Rudolfs H. in den Jahren 1581 — 1602.
Derselbe wird in den „Abhandlungen" veröffentlicht
werden.
[1879. I. Philos.-philol.-hist. Cl.Bd.II.l.]
Verzeichniss der eingelaufenen Btichergeschenke.
Vom westfälischen Provinzial- Verein für Wissenschaft und Kunst
in Münster :
7. Jahresbericht für 1878. 1879- 8^.
Von der h. Gesellschaft der Wissenschaften in Leipzig:
a) Berichte der philologisch-historischen Classe. 1875 — 1878-
1876 — 79. 8^
b) Abhandlungen der philologisch-historischen Classe. Bd. VII.
VIII. 1876-79. 4^.
Von der fürstlich Jahlonowshischen Gesellschaft in Leipzig :
Jahresbericht. 1877/78 u. 1878/79. 1878 — 79. 8«.
Vom Je. statistisch-topographischen Bureau in Stuttgart:
Württembergische Jahrbücher für Statistik. Jahrg. 1879-
Bd. I. IL 1879. 8^
Vom historischen Verein zu Würzhurg :
a) Archiv. Bd. XXV. 1879. 8*^.
b) L. Fries, Geschichte des Bauernkrieges. Lief. 3. 1878. 8^.
Von der k. preussischen Akademie der Wissenschaften in Berlin :
a) Politische Correspondenz Friedrichs des Grossen. Bd. IL
1879. 8^
b) Abhandlungen 1878. 1879. 4^
Einsendung e)i von Druckschriften. 99
Von der k. Hof- tmd Staats- Bibliothek in München:
Die musikalischen Handschriften der k. Hof- u. Staatsbibliothek
in München beschrieben von Jul. Jos. Maier. 1879. 8^-
Vom Schleswig-Holstein. -Museum vaterländ. Alterthümer in Kiel :
36. Bericht. 1879- 4^
Vom Harsverein für Geschichte und Älterthumskunde in
Wernigerode :
Zeitschrift. Jahrg. XII. 1879. 1879. 8^
Von der Universität in Lund :
a) Acta üniversitatis Lundensis. Tom. XII. — XIV. 1875 —
1878. 4^
b) Lunds Üniversitets-Biblioteks Accessions-Katalog. 1876 —
1878. 1877-79. 8^.
Von der allgemeinen geschichtsforschenden Gesellschaft der
Schtveiz in Bern :
Jahrbuch. Bd. 4. Zürich 1879. S^.
Von der k. Gesellschaft der Wissenschaften in Göttingen:
Abhandlungen. Bd. 24 vom J. 1879. 1879. 4^.
V(ym historischen Verein in Gras:
a) Mittheilungen. Heft 27. 1879.
b) Beiträge zur Kunde steiermärkischer Geschichtsquellen.
Jahrg. 16. 1879. 8^
Von der historisch- statistischen Section der mährisch- schlesischen
Ackerhaugesellschaft in Brunn :
Carl von Zierotin u. s. Zeit 1564—1615. Von Peter Ritter
von Chlumecky. II. Band. 1879. 8^
7*
100 Einsendungen von Druckschriften.
Von der grossher möglichen Bibliothek in Weimar:
Zuwachs in d. J. 1877 u. 1878. 1879. 8^
Vom historischen Verein der fünf Orte in Luzern :
Der Geschichtsfreund. Bd. 34- Einsiedeln 1879- 8^.
Von der Universität in Kiel:
Schriften aus d. J. 1878. 1879. 4^.
Von der Gesellschaft für Pommer'sche Geschichte in Stettin:
Baltische Studien. Jahrg. 29. 1879. 4^
Vom historischen Verein der Pfalz in Speier:
Mittheilungen. VII. VIII. 1878 — 79. 8^
Vom vogtländischen Älterthumsverein in Hohenlauben:
47.-49. Jahresbericht. Weida 1879. 8^
Vom historischen Verein zu Bamberg:
41. Bericht f. d. J. 1878. 1879. 8".
Vom Museum Francisco- Carolinum in Linz :
37. Bericht. 1879. 8.
Von der „Philomathie" in Neisse:
20. Bericht. 1877-1879. 1879. 8^
Vom Instituto archeologico in Born:
Piante iconografiche e prospettive di Roma anteriori al secolo
XVI. raccolte e dichiarate da Gio, Battista de Rossi.
1879 foL
Einsendungen von Druckschriften. 101
Von der Tipografm del E. Istituto Sordo-Miiti in Genova:
I casi della guerra per rindipendenza d' America per Giuseppe
Colucci. Vol. I parte 1. 2. Vol. II. 1879. 8^.
Von der Smithsonian Institution in Washington :
a) Smithsonian Miscellaneous Collections. Vol. Xtll. XIV. XV.
1878. 8^.
b) Annual Report for the year 1877. 1878. 8^.
Von der Gommission imperiale archeologique in St. Petersburg:
Compte rendu pour l'annee 1876. Avec un Atlas. 1879. fol.
Von der Societe imperiale archeologique nisse in St. Petersburg:
Concilium Constantiense. 1874 fol.
Von der h. böhmischen Gesellschaft der Wissenschaften in Prag ;
a) Abhandlungen. 1866 — 78- 4^'.
b) Sitzungsberichte. Jahrg. 1878. 1879. 8^
c) Jahresbericht für 1876/77 u. 1877/78. 8».
Von der südslavischen Akademie der Wissenschaften in Agram :
a) Rad (Arbeiten) Bd. 47 u. 48. 1879. 8^
b) Bogoslav Sulek, Jugoslavenski imenik bilja. 1879. 8^.
Vom Instituto di Corrispondenza archeologica in Rom :
a) Annali. Vol. 50. 1878. 8^
b) Bullettino per l'anno 1878. 1878. 8^.
c) Monumenti per Panno 1878. Vol. X. Tavola 49 — 60.
1878 fol.
d) Geschichte des deutschen archäologischen Instituts 1829 —
1879. Festschrift. Berlin 1879. 4".
e) Storia dell' Instituto archeologico germanicQ 1829—79.
1879. 8".
102 Einsendungen ron Druckschriften.
Von der Reale Beputazione sovra gli studi di storia imtria
in Turin:
Historiae patriae monumenta. Tom. XIV. Comitiorum pars I.
1879. fol.
Von der Societe des sclences de Finlande in Helsingfors :
a) Ofversigt af Finska Vetenskaps-Societetens Förhandlingar.
XIX. XX. 1878. 8^
Von der Akademie der Wissenschaften in Krahau:
a) Eocznik 1878. 1879. 8*^.
b) Rozprawy histor. Tom X. 1879. 8^
c) Sprawozdania komisyi histor. Zeszyt 3. 1879. 4^.
d) Katalog biblijoteki univers. Zeszyt 4. 1879. 8^.
e) Literarische Mittheilungen. Jan. — März 1879. 1879. 4^.
Von der Archäologischen Gesellschaft in Athen :
JjQayiTixd (Verhandlungen) 1877 — 78. 1879. 8^.
Von der Universität in Kopenhagen :
a) Kjobenhavns Universitets Retshistorie 1479—1879 af
H. Matzen. 2 voll. 1879. 8^
b) Aper9u sur l'organisation de l'universite de Copenhague.
1878. 8^.
Vom Institut National in Genf:
Memolres. Tom. XIV. 1878 — 79. 1879. 4^
Von der kaiserlichen Universität in Kasan:
Iswestija i utschenia sapiski. 1878. Heft 1 — 6. 1878. 8^.
Einsendungen von Druckschriften. 103
Vom Herrn C. Mehlis in DürMieim :
Materialien zur Vorgeschichte des Menschen im Östlichen Europa.
Bd. IL Jena 1879. 8«.
Vom Herrn Jos. Perles in München :
Kalonymos ben Kalonymos' Sendschreiben an Joseph Kaspi
herausg. von Jos. Perles. 1879. 8*.
Vom Herrn Karl von Weber in Dresden:
Archiv für die Sächsische Geschichte. Neue Folge. Bd. 0.
Leipzig 1879. 8.
Vom Herrn Älbrecht Weher in Berlin:
Indische Streifen.. Bd. III. Leipzig 1879. 8^
lieber die Magavyakti des Knshuadäsa Mi9ra. 1879. 8^.
Vom Herrn Heinr. Adalbert von Keller in Tübingen:
Altdeutsche Handschriften. No 4. 1879. 8^
Vom Herrn Wilhelm Pertsch in Gotha:
Die arabischen Handschriften der herzogl. Bibliothek in Gotha.
Bd. IL 1879. 8^
Vom Herrn JRäm Das Sen in Calcutta :
a) Aitihäsika Rahasya, or Essays on the History, Philosophy,
Arts and Sciences of ancient India. Part I — III. 1879. 8".
b) The Abhidhäna-Kintämani of Hemakandra. 8^.
Vom Herrn Julio Firmino Judice Bileer in Lissabon :
a) Supplemento ä collec9äo dos tratados , conven^oes , con-
tratos e actos publicos entre a coröa de Portugal e as
rnais potencias desde 1640. Tomo IX — XVI. und XVIII.
1871-78. 8^
104 Einsendungen von Druckschriften.
b) Memoria sobre o estabelecimento de Macau escripta pelo
Visconde de Santarem. 1879. 8^.
c) Documentos ineditos para subsidio ä historia ecclesiastica
de Portugal. 1875. 8^
d) Collec9äo dos negocios de Roma no reinado de el - Key
Dom Jose I 1755-1775. 1874 — 75. 8^.
Vom Herrn G. Schoehel in Paris:
Etüde comparative sur le Pantheisme egyptien et Indien.
1879. 8«.
Vom Herrn Alfred Beumont in Burtscheid :
La biblioteca Corvina. Firenze 1879. 8.
Vom Herrn L. Petit in Brüssel:
Escaut. Partie comprise entre la Pipe de Tabac et le Fort
de Perle, s. 1. 1 Blatt in fol.
Vom Herrn John Muir in Edinburgh:
Metrical Translations Crom Sanskrit Writers. London 1879. 8.
Sitzungsberichte
der
königl. bayer. Akademie der Wissenschaften.
Philosophisch-philologische Classe.
Sitzung vom 5. Juli 1879.
Herr Kuhn hielt einen Vortrag:
über die ältesten arischen Bestandt heile
des singalesis chen Wortschatzes.
Derselbe wird später gedruckt werden.
Herr Lauth machte vorläufige Mittheilungen
„über das 11. Kambyses Jahr."
Historische Classe.
Hei-r R i e h l hielt einen Vortrag :
„Ueber den Einfluss der Troubadoure
und Trouveres auf die Ausbildung der
musikalischen Melodik/'
Derselbe wird später veröffentlicht werden.
Herr Preger theilte den Anfang seiner Beiträge zur
Geschichte des deutschen Reiches von
1530 — 34 mit.
[1879. 1. Philos.-philol.. Cl. Bd. II. 2.]
Oeffentliche Sitzung
zur Vorfeier des Geburts- und Namensfestes
Seiner Majestät des Königs Ludwig II.
am 25. Juli 1879.
Wahlen.
Die in der allgemeinen Sitzung vom 25. Juni vorge-
nommene Wahl neuer Mitglieder erhielt die allerhöchste
Bestätigung, und zwar :
A. Als auswärtige Mitglieder:
Der philosophisch-philologischen Classe:
Herr Giuseppe Fiorelli, Generaldirector der Museen und
Ausgrabungen in Rom.
„ Dr. Ad albert Kuhn, Director des kölnischen
Gymnasiums in Berlin.
„ Dr. Theodor Nöldeke, Professor an der Universi-
tät Strassburg.
„ Dr. Eduard Wölfflin, Professor an der Universität
Erlangen.
„ Dr. Friedrich Zarncke, Professor an der Uni-
versität Leipzig.
Der historischen Classe:
Herr Graf Ercole Ricotti, Professor an der Universität
zu Turin.
Oeff entliche Sitzung vom 25. Juli 1879. 107
B. Als CO r resp ondir ende Mitglieder:
Der philosophisch -philologischen Classe:
Herr Domenico Comparetti, Professor am Institute
der höheren Studien in Florenz.
Der historischen Classe:
Herr Dr. Wilhelm He yd, Oberbibliothekar und Ober-
studienrath in Stuttgart.
„ Amedee Roget, Professor an der Universität zu
Genf.
8»
Sitzung vom. 8. November 1879.
PMlosophiscli-pliilologische Classe.
Herr Bursian hielt einen Vortrag über:
„Eine neue Orgeonen-Inschrift aus
dem Peiräeus/'
In der athenischen Zeitung Palingenesia vom 18. Sep-
tember (a. St.) 1879 hat Herr Alexandres Meletopulos
eine vor Kurzem im Peiräeus an einem nicht näher be-
kannten Platze gefundene Inschrift veröffentlicht, welche
auf einer 0,83 Meter hohen, 0,39 breiten, 0,8 dicken, im
Besitz eines Kaufmanns, des Herrn Nikolaos Hadschidimitrios
befindlichen Marmorstele eingegraben ist. Die von dem
Herausgeber in Minuskeln wiedergegebene Inschrift, deren
4 letzte Zeilen von einem Kranze umrahmt sind, lautet
folgendermassen :
Ldyad^et tv%u, etzI 2ajvUov aqxovxog, Movvl-
XiCüvog ccyoQa nvqlcjc, ^OvrjoiKQiTog Jlov.Xe-
ovg JJeiQaievg siTtev STreiöiij XaiQsag evvovg o)v
diaTeXel ev navxl y,aLQco xdlg OQyswoiVj xaTa-
5 OTad^elg öe xai yQa(X(.iaT£vg vn'' amwv ccTto
Qeo^evov aqxovTog ovdev IXkiXoiTttv (fiko-
ti^iag ovvav^cov ts SiaTeTiXexsv idlg oq-
yswGiv frjv övvoöov, jcecpQOvriy.ev de Kai deqa-
TTTjag Tov leqov TtXeovayitgy ovy, ciTtoki'kLJtTaL Si
Bursian: Neue Orgeonen- Inschrift aus dem Peiräeus. 109
10 ovo'' £v hcLdooev ovöe^xia, elgrivevytev öe /.at
ip}]g)lG}.iaTa htl tm av(xq)SQOVTi %va GivovaXcj-
OLV Ol Xiav cxKaiQOL daTvavai, scpQOVTiGsv ds tov y,al
Tovg drjfiovL'/,ovg [.lerexeiv xtov öedofAevcov V7c6
zwv OQyecovcov q)iXav^QCü7rcov, öiarezeXeKev de y,al
15 ocvlenovQycov iv Toig dyeQ(-io~ig -/.al xaig oxQWüe"
öLv xalg isQYjaig, 7iQ0evxQ7]OTi]KEV de xal dLag)0()Ov
nXeovdyiig dxoKOv ccTtodrjjnovvrog tov raf-ilov, STtay-
yiXXerai de ymI tov Xoinov y^qovov ovvg)QOVTL-
elv £ig o av avxov /taqaY,aXcüoiv o\ oQyecoveg' cva ol
20 eg)aixtXXov jj Tolg del cpiXoTif^iov/iiivoig eiöozeg
OTL yaqiTag d^iag yiOjULOvvzaL cov dv evEQyeTitjoaj-
OLV, dya&ei cvyßi öeöoydai lolg OQyecoGiv hiat'
veGai Xaiqeav //lovvglov Ldd-fjLOvea xal GtECpavcZ-
Gai avTov daXXov GTecpdvco dQeTrjg eveyiev vmI
25 svGeßt]ag sYg %e Tag d-edg yial tovg OQyecovag y,al
dvayoQeveiv tov GTecpavov TJj ^vglc^ tov lV[ovvi%i-
wvog oxav nal Tag iegelag, öovvat öe avTc^ yial Iko-
vog dvdd^eOLv ev TiT) vacp, dvayqdxpai de Toöe t6 iprig)i'
Gf-ia eig GTtlXrjv Xid^ivijv %al GTr^Gai ev Tel avXel
30 TOV leQov.
Ol OQyecoveg
XaiQeav
JiOVVGiOV
^d-f.iovea.
Offenbare Irrtliümer des ersten Herausgebers , welche
ich verbessert habe, sind Z. 2 o NrjGLKQiTog statt ^OvtjgUqi-
Tog; Z. 10 ovöev statt ovd^ ev ; Z. 26 t^ ovglcc statt t'^
d^vGia; orthographische Fehler des Steinmetzen, welche
durch die Aussprache veranlasst sind, die Schreibungen
d-eqajtriag für d^equiceiag Z. 8 f., leqiqaLg statt legelaig Z. 16,
evGeßriag statt evGeßelag Z. 25, hovog statt eiKOvog Z. 27 f.
(vgl. die Schreibung Ixdöag statt erAccdag in der Inschr.
110 Sitzung der philos.-pMlol. Classe vom 8. November 1879.
C. I. A. II, Add., n. 489 "^ Z. 4) ; vielleicht aucli (wenn nicht
auf Versehen des Abschreibers oder des Setzers beruhend)
OLvoraXwotv für GwoTaXwoiv Z. 11 f.
Der Stein enthält ein von einer Cultgenossenschaft
{oqyewvegy ovvoöog tcov oQyeojvwv) zu Ehren ihres Sekretärs
{yQa/xuaTBvg), Chaireas des Sohnes des Dionysios aus dem
Demos Athmonon, der sich mannigfache Verdienste um die
Genossenschaft erworben hatte , erlassenes Decret , wie uns
deren schon mehrere gerade aus dem Peiräeus bekannt
sind : vgl,. P. Foucart Des associations religieuses chez les
Grecs (Paris 1873) p. 85 ss. nebst den Inschriften ebds.
p. 189 SS.; C. I. A. II, n. 610 ff. Die Gottheit, zu deren
Cult die Genossenschaft zusammengetreten war, wird in
unserem Decret nicht genannt; eine Andeutung in dieser
Beziehung giebt aber die Formel in Z. 24 f., wonach Chae-
reas belobt und bekränzt werden soll ccQETrjg evey.ev Kai
Bvoeßelag eig ft Tag ^edg xal rovg OQyewvag, eine Formel,
die wir in einem ebenfalls aus dem Peiräeus stammenden
Ehrendecret der Orgeonen für die Priesterin Krateia (Fou-
cart p. 196, n. 8 = C. I. A. II n. 622) wiederfinden,
welche gleichfalls belobt und bekränzt wird evoeßelag
€V£Kev Trjg slg z ag x^edg y,al (pilozifilag irjg eig eavzovg
(Z. 21 f.; vgl. ebds. Z. 12 ff. von derselben Kai tov ev-
lavTov Kalwg Kai evoeßwg öisTeXeoev ^eqaTxetovöa zag
d^edg, und ebds. Z. 16 ff. ojicog dv ovv Kai ol oQyewveg
g)alvcovzat x^Q'^^ aTtodiSovzeg zdlg q)iXozifÄOVfj.6voig edg ze
zag ^edg Kai alg eavzovg).
Fragen wir nun, welche Göttinnen unter den S^eal zu
verstehen sind, so dürfte man geneigt sein nach dem ge-
wöhnlichen griechischen , insbesondere attischen Sprach-
gebrauche an Demeter und Kora zu denken. Allein unter
den zahlreichen Heiligtümern, deren Existenz im Peiräeus,
jenem Sammelpunkte von Fremden der verschiedensten
Bursian: Neue Orgeonen- Inschrift aus dem Peiräeus. 111
Nationalitäten, bezeugt ist^), finden wir keines der Demeter
und Kora; das in der Inschrift C. I. A. II, n. 573** (Addenda
p. 421) erwähnte QeOf^ocpoQiov ist, wie diese Inschrift
lehrt, nicht Eigenthum einer einzelnen Cultgenossenschaft,
sondern der Gemeinde, des Demos Peiräeus. Wir haben
also unter den d^eal andere Göttinnen zu verstehen. Die
Hauptgottheit , deren Verehrung der eigentliche Zweck der
peiräischen Cultgenossenschaft der OQyecoveg ist, ist, wie
verschiedene Inschriften bezeugen, die phrygische Götter-
mutter, die MyjTfjQ decov, von 'deren Heiligtum, dem Me-
troon, noch Ueberreste südwestlich vom Hafen Zea erhalten
sind (vgl. Hirschfeld über die Peiraieusstadt in den Berich-
ten d. k. Sachs. Ges. d. Wiss 1878, S. 10 nebst Anm. 36
S. 25 und Anm. 43 S. 27). Mit ihr erscheint, wie schon
Foucart (p. 99) nachgewiesen hat, mehrfach im Cult ver-
einigt die ^q)QodLT7j ^vQia oder Ovqavia; wir haben also
anter den d^eai unserer und der obenerwähnten analogen
Inschrift die Götter mutter und die syrische Aphrodite,
unter den in Z. 16 und 27 unserer Inschrift erwähnten
UQBLat die Priesterinnen dieser beiden Göttinnen , die in
einem gemeinsamen Hieron (Z. 9 und Z. 30) fungiren , zu
verstehen. Zu