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Full text of "Sitzungsberichte der Gesellschaft Naturforschender Freunde zu Berlin"

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HARVARD     UNIVERSITY. 


LIBRARY 

OF   THE 
MUSEUM   OF  COMPARATIVE  ZOOLOGY. 

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8ITZUNGS -BERICHTE 


DER 


GESELLSCHAFT 
NATURFORSCHENDER  FREUNDE 


ZU 


BERLIN. 


JAHRGANG  1899. 


BEELIN. 

In  Commission  bei  R.  Friedländek  und  Sohn. 

NW.  Carl- Strasse  11. 

1899. 


SITZUNGS-BERICHTE 


DER 


GESELLSCHAFT 
NATURFORSCHENDER  FREUNDE 


ZU 


BERLIN 


JAHRGANG  i899. 


BERLIN. 

In  Commission  bei  R.  Friedländer  und  Sohn. 

NW.  Carl-Strasse  11. 

1899. 


Inhalts-Verzeichniss 

aus  dorn  Jahre   1899. 


Vorträge: 

Brühl,  L.  Ueber  Fremdkörper  im  Elfenbein,  p.  74.  [Nicht  zum  Ab- 
druck gelangt.] 

Dahl,  Fr.     Ueber  Korallenriff-Theorien,  p.  211. 

Degener,  P.  Bau  und  Stellung  der  Mundgliedmaassen  bei  Hydro- 
philus.     (Vorläufige  Mittheilung),  p.  44. 

Hartwig,  W.  Eine  neue  Candom  aus  der  Provinz  Brandenburg: 
Gandona  wdtneri  W.  Hartwig  nov.  sp.,  p.  50.  —  Eine  neue 
Candona  aus  der  Provinz  Brandenburg:  Candona  marchica,  und 
die  wahre  Candona  pubescens  (Koch),  p.  183. 

Hennings.     Das  Tömösvary'sche  Organ  bei  Glomeris,  p.  39. 

Hilgendorf,  Fr.  Vorlage  eines  in  einer  geschlossenen  Flasche  Wein 
anscheinend  gekeimten  Getreidekornes,  p.  190. 

Jaekel,  0.  Ueber  die  Entstehung  neuer  Typen  durch  Hemmung  ihrer 
Ontogenie,  p.  25.     [Nicht  zum  Abdruck  gelangt.] 

Kopsch,  Fr.  Ueber  den  Bau  der  Milz  von  Mensch  und  Schimpanse, 
p.  209.     [Nicht  zum  Abdruck  gelangt.] 

von  Martens,  E.  Ueber  einige  Landschnecken  Mittel -Italiens  (geo- 
graph.  Verbreitung),  p.  190.  —  Ueber  Paul  und  Fritz  Sarasin, 
die  Land -Mollusken  von  Celebes,  und  über  die  darin  enthaltene 
Theorie  der  Formenketten,  p.  200. 

Matschie,  P.  Säugethiere  aus  den  Sammlungen  des  Herrn  Graf  Zech 
in  Kratyi,  Togo,  p.  4.  —  Eine  anscheinend  neue  Adenota  vom 
weissen  Nil,  p.  15.  —  Beiträge  zur  Kenntniss  von  Hypsiynathus 
monstrosus  Allen,  p.  28.  —  Beschreibung  eines  anscheinend  neuen 
Klippschliefers,  Procavia  Kerstingi  Mtsch.,  p.  59.  —  Vespertilio 
venvstus  Mtsch.,  eine  neue  Fledermaus  aus  Deutsch -Ost- Afrika, 
p.  74.  —  Die  Verbreitung  der  Hirsche,  p.  130.  —  Einige  Nach- 
richten über  die  Säugethiere  des  Kenia- Gebietes  und  von  Ka- 
ragwe,  p.  138.  —  Ueber  geographische  Formen  von  Hyaenen. 
[Kommt  im  nächsten  Jahrgang  zum  Abdruck.] 

Nehring,  A.  Einige  Varietäten  des  gemeinen  Hamsters  (Oricetus  vul- 
(juris  Desm.),  p.  1.  —  Ueber  das  Vordringen  des  Hamsters  in 
manchen  Gegenden  Deutschlands,  sowie  namentlich  in  Belgien, 
p.  3.    —    Vorlage  der  Photographie   einer  unweit  Bjelostock  aus- 


iv  Inhalts  -  Verzeichnis* . 

gegrabenen  Riesenhirsch -Schaufel,  p.  4.  —  Lemmings-  Reste  aus 
einer  portugiesischen  Höhle,  p.  55.  —  Ueber  das  Vorkommen 
einer  Varietät  von  Arvieula  ratticeps  Keys.  u.  Rlas.  bei  Branden- 
burg a.  d.  H.  und  bei  Anklam  in  Vorpommern,  p.  57.  —  Ueber 
das  Vorkommen  der  nordischen  Wühlratte  [Arvieula  ratticeps  Keys. 
u.  Blas.)  in  Ostpreussen,  p.  67.  —  Ueber  einen  Löwen-  und  einen 
Biber-Rest  aus  der  Provinz  Brandenburg,  sowie  über  craniologische 
Unterschiede  von  Löwe  und  Tiger,  p.  71.  —  Neue  Funde  dilu- 
vialer Thierreste  von  Pössneck  in  Thüringen,  p.  99.  —  Ueber 
einen  Ovibos-  und  einen  S«Mjra--Schädel  aus  Westpreussen,  p.  101. 

—  Eine  Nesokia-Avt  aus  der  Oase  Merw  und  eine  solche  aus  dem 
Lande  Moab,  p.  107. 

Neumann,  0.     Drei  neue  afrikanische  Säugethiere,  p.  15.    —    Ueber 

die  Bartmeerkatzen,    p.  22.    —    Die   Gleichartigkeit    von    Bubalis 

JacJcsoni  Thom.    und  Acronotus  lelwel  Heugl.    und    ihre  Färbung, 

p.  76. 
Philippi.    Einige  Fehlerquellen  auf  dem  Gebiete  der  phylogenetischen 

Erkenntniss,  p.  87. 
Potonie,  H.    Ueber  das  Vorkommen  von  Glossopteris  in  Deutsch-  und 

Portugiesisch-Ost- Afrika,  p.  27.  —  Zur  fossilen  Flora  Ost-Afrikas, 

p.  96.    —    Ueber    die    morphologische  Herkunft    der   pflanzlichen 

Blattarten,  p.   139. 
SfHAUDiNN,  F.     Ueber  den  Generationswechsel  der  Coccidien  und  die 

neuere  Malariaforschung,  p.   159. 
Schulze,  E.  F.     Vorlage   eines  Stückes  von   einem  circa  4  cm  dicken 

Aal  von  Filaria  quadrituberculata  Leidy  (mit  Cysten),  p.  104.  — 

Ueber  Hyalonenta  affine  W.  Marshall,  p.  112. 
Schwendener.     Ueber  ein  von  Herrn  Hilgendorf  vorgelegtes  (siehe 

p.   190),    dem  Anscheine   nach   in    einer  Flasche  Wein    gekeimtes 

Getreidekorn,  p.   199. 
Virchoyv,  H.     Röntgen  -Aufrahmen  der  Hand,    1.  Mittheilung,  p.  79. 

—  2.  Mittheilung,  p.  90. 

Weltner,  W.  Epidermiswucherungen  eines  Wales,  hervorgerufen 
durch  Cirripedien  (Coromtla) ,  p.  102.  —  Vorlage  einiger  photo- 
graphischer Aufnahmen  von  Korallenriffen  der  Tonga-  und  Viti- 
Inseln,  p.   103. 

Wittmack,   L.     Phyllomanie  (lilattsucht)   an  einer  Haferrispe,    p.  31. 

—  Bastard  zwischen  Weizen    9   X  Roggen  J1,  p.  59. 

Titel  der  Schriften,  über  welche  referirt  wurde:  pp.  35,  36, 
64,  65,  85,  97,  104,   179,  194,  210,  211,  221. 

Verzeichnisse  der  im  Austausch  und  als  Geschenk  erhal- 
tenen Schriften:  pp.  36,  37,  38,  65,  85,  86,  98,  105,  106,  179, 
180,  181,  195,  196,  197,  198,  210,  222. 

Beschluss  der  ordentlichen  Mitglieder  über  „Referir- 
abende"  und  über  Veröffentlichung  des  Titels  der  be- 
sprochenen Schriften:  p.  35. 


JUN     1   1800 

Nr.  1.  1899. 

Sitzungs-Bericht 

der 

Gesellschaft  naturforscheiider  Freunde 

zu  Berliu 

vom   17.  Januar   1899. 


Vorsitzender:  Herr  Wittmack. 


Herr  A.  Nehring  sprach  über  einige  Varietäten  des 
gemeinen  Hamsters  (Cricetus  vulgaris  Desm.). 

Im  Zusammenhange  mit  meinen  Studien  über  die  Ver- 
breitung der  einzelnen  Hamster-Arten  habe  ich  Exem- 
plare des  gemeinen  Hamsters  aus  verschiedenen  Gegenden 
Europas  erhalten  und  bin  zu  der  Ansicht  gekommen,  dass 
man  mehrere  Varietäten  desselben  unterscheiden  kann.  Ich 
möchte    hier    vorläufig   zwei  Varietäten    vorlegen,    nämlich 

1)  eine  auf  der  Oberseite  graue  Varietät  aus  Belgien,  und 

2)  eine  auf  der  Oberseite  fuchsige  Varietät  aus  dem  Ural- 
Gebiete. 

1)  Cricetus  vulgaris  var.  canescens,  nov.  var.,  aus 
Belgien,  vom  linken  Ufer  der  Maas.  Während  die  Ober- 
seite des  Felles  bei  den  mir  vorliegenden  deutschen 
Hamstern  aus  den  Provinzen  Sachsen  und  Brandenburg, 
welche  ich  als  typisch  betrachte,  eine  gelblich-braune,  mit 
vereinzelten  schwarzen  Grannen  untermischte  Färbung  auf- 
weist, zeigen  zwei  ausgestopfte  Hamster  aus  der  Gegend 
von  Fexhe-Slins  in  Belgien,  die  mir  kürzlich  durch  Herrn 
Prof.  Edm.  Leplae  in  Louvain  zugegangen  sind,  auf 
dem  Rücken  eine  dunkel  maus-graue  Färbung.  Die 
Unterseite  des  Körpers  erscheint  nicht  so  tief  schwarz,  wie 
bei  der  folgenden  Varietät.  Ausserdem  sind  die  belgischen 
Hamster    bedeutend    kleiner    als    gleichalterige   Exemplare 

1 


2  Gesellschaft  naturforschender  Freunde,  "Berlin. 

aus  der  Provinz  Sachsen;  zugleich  haben  jene,  soweit  man 
nach  den  beiden  vorliegenden  Exemplaren  urtheilen  kann, 
relativ  grosse  Ohren. 

Ich  bemerke,  dass  diese  Individuen  von  Fexhe-Slins 
im  September  1898  gefangen  und  noch  nicht  ausgewachsen 
sind;  aber  ich  habe  sie  mit  gleichalterigen  Exemplaren  aus 
der  Provinz  Sachsen  verglichen  und  obige  Unterschiede 
festgestellt.  Ausserdem  schrieb  mir  Herr  Prof.  Leplae, 
dem  ich  einen  erwachsenen  deutschen  Hamster  (von  Wester- 
egeln) in  Spiritus  übersandte,  dass  die  grössten  belgischen 
Exemplare,  welche  er  gesehen  habe,  bedeutend  kleiner 
seien,  als  dasjenige  von  Westeregeln. 

2)  Cricetus  vulgaris  var.  rufescens,  nov.  var.,  aus 
dem  Ural-Gebiete.  Der  Rücken  und  besonders  die  seit- 
lichen Partien  der  Oberseite  (abgesehen  von  den  hellen 
Flecken)  fuchsig  roth,  die  Unterseite  tief  schwarz,  gegen 
die  Färbung  der  Flanken  sehr  scharf  abgesetzt,  viel  schärfer, 
als  bei  den  deutschen  und  den  belgischen  Hamstern.  Ohren 
anscheinend  relativ  klein,  ihr  Rand  lebhaft  weiss  gesäumt. 
Sonst  mit  Cric.  vulgaris  in  der  Zeichnung  des  Felles, 
namentlich  der  hellen  seitlichen  Flecken,  übereinstimmend, 
doch  die  Beschaffenheit  der  Haare  etwas  wolliger  (weniger 
glatt).  Diese  Varietät  wird  repräsentirt  durch  einen  Balg 
(mit  Schädel)  von  einem  etwa  mittelalten  Exemplar,  das 
der  einst  bekannte  Sammler  Meves  am  10.  Juli  1872  bei 
Tjubuk  im  Uralgebiete1)  gesammelt  hat.  Der  Balg  ist 
Eigenthum  der  mir  unterstellten  Sammlung.  Die  Total- 
Länge  des  zugehörigen  Schädels  beträgt  45,  die  Basilarlänge 
39  mm.2) 

Mit  dem  von  Brandt  1835  aufgestellten  Cric.  fuscatus, 
dessen  Heimath  unbekannt  ist,  kann  ich  vorliegende  Varietät 
nicht  identificiren.     Verd.  Brandts  Beschreibung  in  Mem. 


*)  Die  genauere  Lage  des  Ortes  Tjubuk  habe  ich  bisher  nicht  fest- 
stellen können. 

2)  Die  Formverhältnisse  des  Schädels  bieten  einige  Differenzen 
gegenüber  gleichalterigen  Schädeln  deutscher  Hamster:  es  wird  jedoch 
rathsam  sein,  noch  mehr  Material  aus  dem  Ural-Gebiete  zu  vergleichen, 
ehe  man  jenen  Differenzen  besonderen  Werth  beilegt. 


Sitzung  vom  17.  Januar  1S99.  3 

Acad.  St.  Petersburg,   1835,  I,  p.  435,  und  Andh.  Wagner, 
Säugethiere,  Suppl.,  3.  Abth.,  1843.  p.  452. 

Im  Uebrigen  wird  man  durch  weitere  Untersuchungen 
festzustellen  haben,  ob  die  oben  unterschiedenen  Farben- 
varietäten constant  und  für  die  betreffenden  Gegenden 
charakteristisch  sind. 

Herr  Nehring  sprach  ferner  über  das  Vordringen  des 
Hamsters  in  manchen  Gegenden  Deutschlands,  sowie 
namentlich  in  Belgien. 

Ich  habe  im  Jahre  1894  mich  bemüht,  die  Verbreitung 
des  Hamsters  in  Deutschland  möglichst  exact  festzustellen 
und  in  eine  Uebersichtskarte  einzutragen. x)  Inzwischen  hat 
aber  der  Hamster  in  manchen  Gegenden  sein  Verbreitungs- 
gebiet erweitert ;  so  z.  B.  in  der  Gegend  von  Zwickau,  von 
Cossebaude  (Sachsen),  von  Zernikow  unweit  Gl  Owen  an  der 
Berlin- Hamburger  Bahn,  ferner  bei  Fahrland,  nordwestlich 
von  Potsdam,  sowie  bei  Zerkow  im  Osten  der  Pro- 
vinz Posen.  Besonders  auffallend  aber  ist  sein  Vor- 
dringen in  Belgien,  worüber  Herr  Prof.  Edm.  Leplae  kürz- 
lich in  einer  besonderen  Broschüre  berichtet  hat,  und  zwar 
unter  dem  Titel:  „Le  Hamster  en  Hesbaye,  ses  moeurs, 
sa  destruction  " ,  Louvain  1898. 

Bis  1889  war  der  Hamster  nur  auf  dem  rechten 
Maasufer  in  der  Provinz  Lüttich  verbreitet,  und  zwar  nicht 
sehr  zahlreich.  1889  wurden  die  ersten  Hamster  am  linken 
Maasufer  bei  dem  Dorfe  Haccourt  festgestellt.  Seitdem  ist 
dieser  schädliche  Nager  stark  nach  Westen  vorgedrungen, 
bis  in  das  Herz  der  Landschaft,  welche  Hesbaye  genannt 
wird. 2)  Die  oben  besprochenen  graurückigen  Exemplare 
stammen  aus  dieser  Gegend;  es  scheint  also  in  Belgien 
sich  eine  besondere  Varietät  herausgebildet  zu  haben. 
Möglicherweise   sind   aber  auch  die  bei  Aachen  und  Jülich 


1)  Archiv  für  Naturgesch.,    1894,  Bd.  I,   S.  15—32  und  Tafel  III. 

2)  Nachträglicher  Zusatz:  Genaueres  habe  ich  in  einem  Aufsatze 
mitgetheilt,  welcher  in  der  „Deutschen  Landwirthschaftl.  Presse",  1899, 
Nr.  7,  erschienen  ist. 

1* 


4  Gesellschaft  naturforseJiender  Freunde,  Berlin. 

vorkommenden  Hamster  von  derselben  Beschaffenheit,  was 
noch  näher  untersucht  werden  müsste. 

Herr  Nehring  legte  die  Photographie  einer  unweit 
Bjelostock  ausgegrabenen  Riesenhirsch-Schaufel  vor. 

Die  betr.  Geweihhälfte,  welche  im  Ganzen  die  Form 
der  Schaufel  von  Megaceros  Ruffii  Nhrg.  zeigt,  ist  dadurch 
merkwürdig,  dass  sie  an  dem  eigentlichen  Schaufeltheile 
nur  drei  ausgebildete  Sprossen,  dagegen  an  dem  unteren 
Theile  des  Geweihs  mehrere  Nebensprossen  aufweist,  näm- 
lich eine  rudimentäre  Eissprosse  über  der  stark  abwärts 
gebogenen  Augensprosse,  eine  nach  vorn  dreifach  gegabelte 
Mittelsprosse  und  neben  der  normalen  Hintersprosse  noch 
eine  zweite  Hintersprosse.  Es  handelt  sich  wahrscheinlich 
um  ein  „zurückgesetztes"  Geweih  eines  alten  Individuums. 

Ich  verdanke  die  Photographie  der  Güte  Sr.  Erlaucht 
des  Grafen  und  Herrn  zu  Pappenheim.  Näheres  soll 
an  einem  andern  Orte  mitgetheilt  werden,  unter  Beifügung 
einer  Abbildung.  Gefunden  wurde  die  fossile  (abgeworfene) 
Schaufel  1898  an  der  Basis  eines  Torfmoores,  in  der 
obersten  Schicht  eines  unter  dem  Torf  liegenden  Mergel- 
lagers, bei  Doilidy  unweit  Bjelostock  im  russischen  Gou- 
vernement Grodno. 

Herr  Matschie  sprach  über  Säugethiere  aus  den 
Sammlungen  des  Herrn  Graf  Zech  in  Kratyi,  Togo. 

Herr  Graf  Zech  hat  schon  mehrmals  dem  Museum  für 
Naturkunde  sehr  werthvolle  Säugethiere  geschenkt,  welche 
von  ihm  im  Togo-Lande  gesammelt  worden  sind.  Dieselben 
gehören  zu  Arten,  die  z.  Th.  für  Togo  zwar  noch  nicht 
nachgewiesen,  aber  schon  irgend  wo  sonst  an  der  Guinea- 
küste gefunden  worden  sind,  so  dass  ihr  Auftreten  in  Togo 
also  nicht  besonders  überraschend  wirkte.  Ganz  anders  ver- 
hält es  sich  aber  mit  der  letzten  Sendung  des  Herrn  Graf 
Zech.  Sie  enthält  mehrere  Arten,  welche  man  in  der  Nähe 
der  Küste  von  West-Afrika  bisher  nicht  vermuthet  hatte. 
Arrieantlüs  abyssinicus  Rüpp.  ist  in  Westafrika  als  Dasymys 
nüoücus  (Geoffr.)  zuerst  von  Herrn  de  Pousakgues  im  Jahre 


Sitzung  vom  17.  Januar  1899.  5 

1896  (Ann.  Sc.  Nat.  Zool.  III.  p.  377—385)  für  Bangui,  das 
Ouadda-Land  und  das  Kemo-Thal,  im  Gebiete  des  oberen 
Ubangi  nahe  der  Wasserscheide  gegen  die  Zuflüsse  des 
Tschad-See's  nachgewiesen  worden  und  liegt  jetzt  aus  dem 
Togolande  vor.  Die  Grenzen  des  Verbreitungsgebietes  von 
Gerbülus  leucogaster  (Ptrs.)  sind  durch  die  Auffindung  dieser 
Art  am  mittleren  Volta  wesentlich  erweitert  worden  und 
das  Auftreten  des  Hasen  in  jenen  Gegenden  ist  sehr  be- 
merkenswerth. 

Schon  E.  de  Pousargues  hat  eine  Reihe  von  Steppen- 
formen für  das  Gebiet  des  oberen  Ubangi  aufgezählt;  nun- 
mehr lernen  wir  auch  solche  Arten  für  Togo  kennen.  Es 
wäre  sehr  interessant  festzustellen,  ob  die  zoogeographischen 
Gebiete  von  West-Afrika  (Gambia,  West-Guinea,  Mittel-Guinea, 
der  untere  Niger,  das  Benue-Becken,  Kamerun,  Congo  und 
Loanda)  jedes  neben  der  längst  bekannten,  früher  für  West- 
Afrika  als  charakteristisch  angenommenen  Fauna  noch  eine 
aus  Sudan-Elementen  bestehende  Steppen-Fauna  aufweist,oder 
ob  diese  Sudan-Fauna  nur  an  den  Grenzen  der  Gebiete  noch 
etwas  nach  Westen  übergreift  und  weiter  nach  der  Küste 
zu  in  den  dort  vorhandenen  Steppen  nicht  mehr  nachzu- 
weisen ist. 

Um  diese  Frage  zu  lösen,  wäre  eine  planmässige  Durch- 
forschung der  zum  Golf  von  Guinea  abwässernden  Grasland- 
schaften dringend  erwünscht. 

Aus  Togo  besitzt  das  Museum  für  Naturkunde  durch 
Herrn  Baumann  bereits  mehrere  Schädel  von  Arten,  die 
wir  als  Steppenthiere  auszusprechen  gewohnt  sind,  so  von 
Hyacna  und  Hystrix.  Ich  habe  mir  bis  jetzt  noch  kein  Ur- 
theil  darüber  bilden  können,  ob  die  Hyäne  wirklich  zu 
II.  crocuta  gehört,  und  ob  die  Hystrix  als  II.  senegalica  oder 
eine  andere  Abart  anzusprechen  ist. 

Herr  Graf  Zech  hat  mit  seiner  Sammlung  auch  einige 
Notizen  über  die  bei  den  Eingeborenen  beliebten  Bezeich- 
nungen für  die  hierher  gesandten  Arten  sowie  Mittheilungen 
über  Lebensweise  u.  s.  w.  nach  Berlin  gelangen  lassen.  Ich 
habe  dieselben  hier  benutzt  und  sie  durch  Anführungszeichen 
und  den  Namen  des  Autors  kenntlich  gemacht.    Ferner  sind 


6  Gesellschaft  naturforschender  Freunde,  Berlin. 

einige  Angaben  von  den  Etiquetten  derjenigen  Stücke  bei- 
gefügt, worden,  welche  der  leider  so  früh  verstorbene,  um 
die  Kenntniss  der  Togo-Fauna  ausserordentlich  verdiente 
Reisende  0.  Baumann  gesammelt  hat. 

Die  von  Herrn  Graf  Zech  neuerdings  eingesandten 
Objekte  sind  folgende: 

1.  Colobus  (Guereza)  vellerosus  Js.  Geoffk. 
ö"  Kratyi,  20.  IX.   1895. 

Kopf  und  Rumpf:  43  cm;  Schwanz  mit  Quaste:  57  cm; 
Schwanzquaste:  6  cm.  Baumann  giebt  als  einheimischen 
Namen  für  das  Adeli-Land  „kla"  an. 

2.  CeropitJiecus  (Rhinostictus)  fantiensis  Mtsch. 
2    September    1895     zwischen     Komfokokokrum    und 

Aposso. 

9   20.  IX.  1895  bei  Kratyi. 
Kopf  und  Rumpf:  41  cm;  Schwanz:  56  cm. 

3.  Papio  spec. 

2  24.  III.  1898  zwischen  Kratyi  und  Bayamso  in  der 
Nähe  des  Volta. 

Nach  den  Mittheilungen  des  Sammlers  wird  der  Pavian 
in  Agonie  und  Kratyi  gegessen;  „er  heisst  in 

Anecho:  käbli, 

Anlo:  kese, 

Tshi:  kontoronfi, 

Kratyi:  gedjäo, 

Hausa:  bika"  [Graf  Zech]. 
Nach  Aufzeichnung  des  Herrn  Conradt  ist  für  dieses 
Thier  in  Adeli  der  Name:  „etemä". 

Das  vorliegende  Exemplar  kann  ich  nicht  als  P.  oli- 
vaceus  Js.  Geoffk.  ansprechen.  Die  Togo-Paviane  scheinen 
sehr  zu  variiren.  Ein  ganz  junges  Thier  aus  unserer  Samm- 
lung ist  schmutzig  grau ;  etwas  ältere  Individuen  sind  oliven- 
grün mit  stark  röthlichem  Schimmer.  Je  älter  der  Pavian 
wird,  desto  grauer  erscheint  er  und  einige  alte  Männchen 
besitzen  eine  fast  rein  graue  Mähne.  Das  Stück,  welches 
Herr  Graf  Zech  von  Kratyi  eingeschickt  hat,  unterscheidet 
sich  von  allen  unseren  Exemplaren  dadurch,  dass  die  Ge- 
sammtfärbung  olivengrau  ist  mit  nur  geringer  Beimischung 


Sitzung  vom  17.  Januar  1890.  7 

von  schwarz;  die  Haare  sind  an  der  Basalhälfte  in  der 
Nackengegend  und  auf  dem  Oberrücken  ziemlich  hellgrau 
und  auf  der  hinteren  Körperhälfte  dunkel  braungrau.  Die 
Waugen  haben  eine  weissgraue  Färbung,  auf  dem  Scheitel 
sind  die  Spitzen  der  Haare  rein  schwarz,  so  dass  der  Ober- 
kopf stark  schwarz  melirt  erscheint. 

Da  mir  leider  kein  Schädel  zur  Untersuchung  vorliegt, 
so  vermag  ich  nicht  zu  entscheiden,  ob  ich  es  mit  einem 
Alters-   oder   Saisonkleide   von   P.  olivaceus  zu    thun   habe. 

4.  Erinaceus  albivcntris  Wagn. 
8.  111.   1898  Kete-Kratyi. 

„Dieselbe  Igel-Art  auch  bei  Lome  an  der  Küste  beob- 
achtet.    Benennung  in 
Tshi:  apeee, 
Kratyi:  woalapupu. 
Hausa:  buchia, 
Anecho:  hromade, 
Anlo:  aholomade"   [Graf  Zech]. 
Hallux    äusserlich    nicht  vorhanden;    Vorderkopf   und 
Unterseite  mit  Borsten  besetzt;  Ohren  nicht  länger  als  die 
Schnauze. 

J.  Anderson  zählt  (P.  Z.  S.  1895.  p.  420)  folgende 
Namen  als  Synonyme  von  E.  albiventris  Wagn.  auf:  E.  pru- 
neri  Wagn.  von  Kordofan  und  Senuar.  E.  heterodaetylus 
Sund,  von  Senuar,  E.  diadcmatus  (Wübtt.)  Fitz,  von  Sennar 
und  Kordofan.  E.  adansoni  Rochbr.  vom  unteren  Senegal. 
Im  Berliner  Museum  befindet  sich  noch  ein  Schädel 
dieser  Art  aus  Klein-Popo  in  Togo,  den  Herr  Dr.  Doering 
geschenkt  hat.  und  drei  Exemplare  von  Porto  Seguro,  ein 
Geschenk  des  Herrn  Kurz. 

5.  Phyllorhina  caffra  Sund. 

9   29.  HI.  1898  im  Fetisch-Walde    in   der  Nähe   des 
Volta-Flusses.     „Benennung  in 
Anecho:  aguti, 
Anlo:  aguti, 
Tshi:  apane, 
Kratyi:  yakarre, 
Hausa:  birbiro"  [Graf  Zech]. 


y  Gesellschaft  naturforschender  Freunde,  Berlin. 

Unterarm:  48  mm;  Metacarpus  des  dritten  Fingers: 
35,5  mm;  Tibia:  19,5  mm;  Fuss:  8  mm. 

6.  Sciurus  punctatus  Temm. 

ö"  juv.  25.  IV.  1898  zwischen   Kratyi   und  Bayamso, 
d*    21.    X.  1895  bei  Kratyi, 
11.  IV.  1898  bei  Kratyi. 
Der  subterminale  Ring  der  Rückenhaare  ist  bei  dem 
o"  aus  dem  October  gelbbraun,  bei  dem  jungen  o*  aus  dem 
April  weissgrau.     Baumann  giebt  für  diese  Art  den  Adeli- 
Namen:   „gadjidö"  an. 

7.  Xerus  erythropus  Geoffr. 
d*  5.  III.  1898,  Kratyi. 

„Frisst  gern  Erdnüsse.  Das  Fleisch  wird  von  den 
Kratyi-,  Anecho-.  Anlo-  und  Tshi-Leuten  gegessen.  Be- 
nennung in 

Tshi:  amoküa, 

Kratyi:  dyapäso, 

Anecho:  ado, 

Anlo:  ado, 

Hausa:  kulege"  [Graf  Zech]. 
E.  de  Pousargues  schreibt  (Ann.  Sc.  Nat.  III,  1896, 
p.  336):  „On  le  rencontre  avec  un  pelage  sombre,  Xerus 
congicus  (Temm.),  le  long  des  cötes  de  Guinee,  depuis  la 
Gambie  et  Sierra  Leone  jusqu'au  Benin,  et  avec  des  teintes 
plus  rousses,  Xerus  erythropus  (J.  Geoffr.)  depnis  le  Niger 
jusqu'a  1'embouchure  du  Congo."  Das  Berliner  Museum 
besitzt  ein  Exemplar  von  Tschintschoscho  durch  Dr.  Falken- 
stein, welches  von  Togo -Exemplaren  nicht  zu  unter- 
scheiden ist. 

8.  Cricetomys  gambianus  Waterh. 
o"  23.  II.  1898,  Kratyi. 

„Iris  schwarz.  Das  Thier  soll  gern  Palmkerne  fressen. 
Das  Fleisch  wird  von  den  Anecho-Leuten  bei  Klein-Popo 
gegessen,  desgleichen  von  den  Asante-Leuten.   Benennung  in 

Tshi:  okusi, 

Kratyi:  baiji, 

Anecho:  sato, 

Anlo:  alegeli, 

Hausa:  gaffia"  [Graf  Zech]. 


Sitzung  vom  17.  Januar  1899.  9 

9.  Gerbillus  leucogaster  (Ptrs), 
c?  21.  IV.  1898,  Kratyi. 

Der  Schwanz  ist  auf  der  Oberseite  schwarzbraun,  auf 
der  Unterseite  hellziinmetbraun.  Ob  diese  Rennmaus  in 
Togo  irgendwelche  besondere  Merkmale  gegenüber  den 
Sambese-Exemplaren  aufweist,  kann  ich  vorläufig  nicht  ent- 
scheiden, ebensowenig  wie  es  mir  bis  jetzt  möglich  geworden 
ist,  durchgreifende  Unterschiede  zwischen  G.  vicinus  Ptrs. 
und  G.  leucogaster  zu  finden. 

10.  Mus  erythroleucus  Temm. 

cT  23.  III.  1898,  Kratyi.     In  Häusern. 
„Benennung  in 

Anecho:  afi, 

Anlo:  afi, 

Tshi:  akma, 

Kratyi;  gedjane, 

Kano  —  Hausa:  leva, 

Sokoto  —Hausa:  kusu"  [Graf  Zech]. 

11.  Arvicanthis  abyssinicus  Rüpp. 
9   24.  III.  1898  Kratyi, 

<?    8.    IV.  1898  Kratyi. 
„Benennung  in 

Anecho:  befi, 
Anle:  böfi, 
Tshi:  ahakura, 
Kratyi:  geyape, 
Hausa:  kusu  n'dasi. 
Wird  in  Kpando,  Agome,  Anecho,  Kratyi  und  in    den 
Ilausaländern  von  den  Leuten  gegessen"   [Graf  ZechJ. 

Die  beiden  mir  vorliegenden  Exemplare  stimmen  in 
der  Gestalt  und  Färbung  ziemlich  gut  zu  den  Stücken  unserer 
Sammlung,  welche  Schimpek  in  Keren  gesammelt  hat.  Sie 
sind  gelbbraun  und  schwarz  melirt,  und  die  Färbung  des 
Rückens  wirkt  lebhaft  gelbbraun.  Wie  ich  seiner  Zeit 
(Säugethiere  Deutsch-Ostafrikas  p.  51)  schon  bemerkt  habe, 
sind  die  Exemplare  aus  Deutsch-Ostafrika  sehr  dunkel,  die- 
jenigen aus  Ukundjo  sind  breiter  gelbbraun  gestrichelt,  aber 
noch    erheblich    fahler    als  die  Togo-Exemplare.     Pelomys 


10  Gesellschaft  naturforschender  Freunde,  Berlin. 

rcichardi  Noack,  welche  der  Autor  später  (Zool.  Jahrb.  VII 
1894  p.  571)  zu  Isomys  abyssinicus  als  Synonym  gestellt 
hat,  ist  von  den  dunklen  Tabora- Stücken  nicht  zu  unter- 
scheiden. 

Herr  E.  de  Pocsargues  (Ann.  Sc.  Nat.  III,  9  p.  380 
bis  385)  rechnet  diese  Art  zu  Dasymys  Ptrs.  Ich  kann 
mich  seiner  Ansicht  nicht  auschliessen.  Bei  Dasymys  ist 
die  untere  Spalte  der  Foramina  infraorbitalia  verhältniss- 
mässig  weit,  die  Foramiua  incisiva  sind  vorn  höchstens 
doppelt  so  breit  wie  hinten,  die  Bullae  auditoriae  erscheinen 
erheblich  niedriger  als  die  Foramina  infraorbitalia  und 
kommen  ungefähr  der  geringsten  Breite  des  zwischen  den 
Orbita  gelegenen  Theiles  der  Stirn  gleich  und  die  Stirn  ist 
zwischen  den  stark  vorspringenden  Orbitalleisten  wesentlich 
ausgehöhlt. 

Bei  M.  reichardi  =  M.  abyssinicus  ist  die  untere  Spalte 
des  Foramen  infraorbitale  sehr  schmal,  die  Foramina  in- 
cisiva sind  vorn  ungefähr  dreimal  so  breit  wie  hinten,  die 
Bullae  auditoriae  erreichen  dieselbe  Höhe  wie  die  Foramina 
infraorbitalia,  die  Stirn  zwischen  den  Orbita  ist  nicht  concav 
und  die  Orbitalleisteu  springen  nicht  sehr  vor. 

Selbst  wenn  M.  abyssinicus  zu  der  von  Peteks  1875 
als  Dasymys  beschriebene  Gattung  gehörte,  so  müsste  man 
doch  den  Gattungsnamen  „Arvicanthis  Less."  für  diese  Art 
wälilen.  Arvicanthis  ist  im  Jahre  1842  von  Lesson  (Nouv. 
Tabl.  R.  A.  p.  147)  für  Lemmus  niloticus  Geoffr.  aufge- 
stellt worden,  wTelche  Herr  E.  de  Pousargues  mit  M.  abys- 
sinicus Rüpp.  vereinigt  (1.  c.  p.  384). 

Sehr  verwandt  ist  übrigens  M.  variegatus  Lcht.  sowohl 
mit  M.  abyssinicus  Rüpp.,  als  auch  mit  M.  niloticus  Geoffr. 
Schon  Wagner  hat  (Schreber's  Säugeth.  Suppl.  III,  1843, 
p.  4'23)  darauf  hingewiesen,  dass  die  „linea  dorsalis  media 
nigra",  welche  Lichtenstein  für  Mus  variegatus  angiebt, 
einen  systematischen  Werth  nicht  hat.  Je  nachdem  man 
die  Haare  der  Rückenmitte  zusammenschiebt,  erscheint  oder 
verschwindet  diese  Linie.  M.  variegatus  und  M.  niloticus 
haben  gleiches  Vaterland  und  sehen  offenbar  einander  sehr 
ähnlich;   es  ist  deshalb  nicht  unwahrscheinlich,   dass  man 


Sitzung  vom  17.  Januar  1899.  \\ 

beide  zusammenziehen  muss.  Ob  M.  dbyssinicus  in  jedem 
Kleide  von  dieser  Maus  unterschieden  werden  kann,  weiss 
ich  noch  ebensowenig,  wie  ich  mir  zu  entscheiden  getraue, 
ob  nicht  die  Togo-Exemplare,  die  Stücke  von  Tabora  und 
aus  Ukondjo  je  eine  geographische  Abart  darstellen. 

12.  Lepus  zechi  Mtsch.  spec.  nov. 

L.  statura  leporis  aegyptii,  auriculis  vix  cauda  longiori- 
bus;  macula  cervicis  cinnamomeo-rufa;  cauda  supra  nigro- 
brunnea,  cinnamomeo-rufo  cincta.  subtus  alba;  regione  supra- 
caudali  dorso  concolore,  ex  nigro-brunneo  et  luteo  mixta. 
minime  grisescente.  Long.  corp.  38  cm;  caudae:  9.5  cm: 
auriculorum:  10  cm. 

$  22.  IV  1898,  Kratyi.  9  2.  IV.  1898  inter  Kratyi 
et  Bagyamso. 

Von  allen  anderen  aethiopischen  Hasen  ist  die  Togo- 
form leicht  zu  unterscheiden,  da  der  Schwanz  nicht  zwei- 
farbig, schwarz  und  weiss  ist,  sondern  nur  auf  der  Mitte 
der  Oberseite  schwarzbraun  erscheint,  während  die  Seiten 
der  Schwanzoberfiäche  eine  röthlich  zimmetbraune  Färbung 
zeigen.  Die  Unterseite  des  Schwanzes  ist,  wie  bei  den 
meisten  anderen  Arten,  weiss.  Die  Ohren  sind  nur  wenig 
länger  als  der  Schwanz.  Der  Nackenfleck  ist  tief  zimmet- 
roth,  ungefähr  so  wie  No.  16  auf  Tafel  IV  des  Ridgway- 
schen  Nomenclature  of  Colors  und  etwas  mehr  weinfarbig 
und  viel  rother  als  No.  15.  Ziemlich  gut  stimmt  auch  die 
Farbe,  welche  auf  Tafel  233  G.  bei  Schkeber  Lepus  ru- 
finucha  A.  Sm.  im  Nacken  zeigt.  Der  Nackenfleck  zieht 
sich  auf  den  Halsseiten  bis  zur  Schulter  herunter  und  geht 
allmählich  gegen  die  Brust  hin  in  eine  fahlockerbraune 
Färbung  über.  Das  Ohr  ist  vorn  kurz  behaart,  hinten  und 
innen  fast  nackt.  Der  Rand  der  Ohrspitze  ist  hinten  schmal 
dunkelbraun  gesäumt,  ein  dunkler  Fleck  auf  der  Aussen- 
seite  der  Ohrspitze  neben  der  schwarzbraunen  Randeinfassung 
ist  nicht  angedeutet.  Die  Vorderseite  des  Ohres  ist  licht- 
ockerbraun, mit  schwarzbraun  melirt,  der  Hinterrand  des- 
selben fahl  braungrau  gesäumt.  Die  Füsse  sind  hellocker- 
braun, die  Fusssohlen  schmutzig  braungrau.  Der  Rücken  ist 
bei  dem  2  vom  2.  April,  welches  3  Embryonen  enthielt,  hell- 


\2  Gesellschaft  naturfor  seilender  Freunde,  Berlin. 

braun  röthlich  überflogen  und  stark  mit  schwarzbraun  ge- 
mischt, bei  dem  9  vom  22.  April  fahlbraun  und  schwarz- 
braun melirt.  Die  Haare  sind  an  der  Wurzel  weissgrau, 
dann  folgt  eine  hellockerbraune  Binde,  eine  schwarze  und 
eine  hellbraune  Binde  und  die  Spitze  ist  schwarz. 
Leider  sind  die  Schädel  nicht  conservirt  worden. 
Herr  Graf  Zech  giebt  folgende  Eingeborenen -Be- 
nennungen an : 

Anecho:  asui, 
Anlo:  ofomiji, 
Tshi:  adanku, 
Kratyi:  lana, 
Hausa:  somo. 
13.  Cobus  unctuosus  Laur. 

Kalabo  im  Adele-Lande.  Herr  Graf  Zech  hat  ein 
Gehörn  nach  Berlin  geschickt;  durch  0.  Baumann  besitzen 
wir  einen  Schädel  mit  Gehörn  aus  der  Gegend  von  Misa- 
höhe  im  Togolande.  Baumann  giebt  für  diese  Art  den 
Adele-Namen:  „afia"  an.  Soweit  man  aus  zwei  von  Bau- 
mann erhaltenen  Fellstücken  schliessen  darf,  ist  der  Togo- 
Wasserbock  röthlichbraun,  ist  also  röther  als  die  Exemplare, 
welche  wir  aus  den  zoologischen  Gärten  unter  dem  Namen 
C.  unetuosa  kennen. 

Das  Museum  für  Naturkunde  besitzt  Schädel  resp.  Ge- 
hörne   von    folgenden  Fundorten:    [Seh.   bedeutet  Schädel, 
G.  Gehörn,  F.  Fell,  A.  ausgestopfte  Thiere.] 
Transvaal,  Grützner,    9  A.      Oberer  Bubu,   0.  Neumann, 
Lydenburg,  Wilms,  G.  Hörn. 

Boror,  Peters,  Seh.  <J  9.        Tsavo-Sumpf.  Schillings,  G., 
Rowuma,  Lieder.  G.  cf,   9  juv.  F. 

Lindi,  durch  Rolle,  G.  Kikumbulin,  Schillings,  9  F. 

Mkata-Fluss,   Stierling,  Mto  Simba,  Ukamba,  Schil- 

9  juv.    9   ad.  F.  lings,   cf  juv.  F. 

Tanga,  0.  Neumann,   9  juv.     Athi-Ebene,  Schillings,  G. 
Seh.  F.  Ndribo,Pokomoni,BoRCHERT, 

Usambara,MARTiENSSEN,Sch.  3  Seh. 

Mittlerer  Rufu,   Schillings,      Schir,  Binder,  Seh. 
5  G.,   9  F. 


Sitzung  vom  17.  Januar  1899.  13 

Mombuttu.  Schweinfurth,        Tibati,  Morgen,  2  G. 

Seh.  Zoologischer  Garten,   9  juv. 

Luwule,  Böhm,  G.  Fell. 

Adele,  Togo,  Baumann,  Seh.      Von  unbestimmter  Herkunft: 
Kalabo,  Adele,  Graf  Zech,  G.  4  G. 

Der  Togo-Wasserbock  variirt  genau  so  sehr  in  der 
Gehörnkrümmung  wie  Cobus  ellipsiprymnus.  Die  Merkmale, 
welche  ich  (Arch.  Naturg.  1891  p.  355)  für  die  Unter- 
scheidung der  einzelnen  Abarten  angegeben  habe,  treffen 
zwar  im  allgemeinen  zu;  es  giebt  aber  Gehörne,  die  sehr 
abweichen.  Wir  haben  z.  B.  von  Lindi  an  der  Küste  von 
Deutsch-Ostafrika  ein  Gehörn,  welches  ellipsiprymnus  an- 
gehört und  sich  in  der  äusseren  Erscheinung  ungemein  an 
das  von  unetuosa  anschliesst;  auch  das  durch  Herrn  Graf 
Zech  hierher  gelangte  Gehörn  ist  sehr  merkwürdig.  Es 
unterscheidet  sich  von  dem  im  Museum  befindlichen  auf 
einem  von  0.  Baumann  gesammelten  Schädel  sitzenden  Ge- 
hörn, welches  die  für  unetuosa  charakterische  Gestalt  hat, 
dadurch,  dass  der  grösste  Stangenabstand  nur  27,5  cm,  der 
Spitzenabstand  19  cm,  der  Basalabstand  5  cm  beträgt  bei 
49—50  cm  geradlinigem  Abstand  zwischen  Spitze  und  Basal- 
randung  und  63—64,5  Hornlänge  auf  der  Hinterseite  des 
Hornes  der  Biegung  entlang  gemessen.  Die  grösste  Höhe 
des  Hornbogens  über  einer  die  Spitze  mit  dem  Basalrande 
verbindenden  Linie  ist  38  cm.  Die  Färbung  des  Gehörns 
ist  hellgraubraun.     23  Wülste  zähle  ich  auf  jedem  Hörn. 

14.  Tragelaphus  seriptus  (Pall.)  „Iris  schwarz. 
9  mit  Embryo  20.  III.  1898;  9  31.  III.  1898  Kratyi. 
Benennung  in 

Tshi:  woansei, 
Kratyi:  woansane, 
Hausa:  mase. 
Anlo:  se, 
Anecho:  ese." 
Beide  Weibchen  zeigen  nur  je  einen  weissen  Horizon- 
talstrich über  die  Körperseiten. 

15.  Potamoclioerus •  penicillatus  Schinz.  2  $  9  pull- 
20.  IV.  1898  in  der  Savanne  bei  Kratyi  gefangen. 

Hinter  dem  Rüssel  ein  dunkelbrauner  Fleck.   Scheitel 


14  Gesellschaft  naturforschender  Freunde,  Berlin. 

dunkel  und  chamoisbraun  melirt,  Rücken  schwarz  mit  5—6 
zuweilen  unterbrochenen  chamoisfarbigen  Längsstreifen. 
Beine  und  Körperseiten  heilockerbraun,  letztere  mehr 
chamoisfarbig.  Unter  den  hellen  Haaren  der  Körperseiten 
sitzen  solche  von  schwarzer  Färbung.  Auf  der  Wirbellinie 
erscheinen  die  Anfänge  zu  einer  aus  schwarzen  und  rein- 
weissen  Haaren  gemischten  Mähne. 

16.  Hausschaf.  ,. cT  in  Hausa  „oda"  genannt.  Diese 
Rasse  wird  in  der  Gegend  von  Say  am  oberen  Niger  ge- 
züchtet. Die  Züchter  sollen  hellfarbige  Leute,  aber  keine 
Fulbe-Leute  sein,  welche  von  den  Hausas  „Adevana",  von 
den  Fulbe  „Bugarji"  genannt  werden."  Herr  Graf  Zech  hat 
mir  drei  Photographien  dieses  Schafes  nach  dem  Leben  ge- 
schickt. Es  gehört  zu  der  langbeinigen  und  langschwänzigen, 
durch  Nackenmähne,  Brustwamme  und  starke  Ramsnase 
ausgezeichneten  Rasse,  deren  Gehörn  schraubig  nach  aussen 
gedreht  ist  (Ovis  longipes  Fitz.).  Mich  erinnern  diese  Schafe, 
von  denen  ich  im  Berliner  Zoologischen  Garten  mehrere 
gesehen  habe,  auffallend  an  Ovis  trageh/phus.  Das  ein- 
gesandte Fell  ist  röthlichbraun  mit  grauem  Kopfe. 

17.  Hausschaf,  c?  kastrirt,  in  Hausa  „ara-ara"  ge- 
nannt. „Diese  Rasse  wird  in  Dore  von  den  Fulbe-Leuten 
gezüchtet;  sie  ertragen  keine  Feuchtigkeit  und  gehen  in 
einem  Klima,  wie  in  Kratyi,  welches  noch  relativ  trocken 
zu  nennen  ist,  bald  ein."  Das  vorliegende  Stück  hat  ein 
kleines  Gehörn,  gehört  auch  zu  den  langbeinigen  Rassen. 
Ich  bemerke  an  diesem  Thier  eine  Rückenmähne  nicht. 
Färbung  hellgelblichgrau. 

18.  Hausziege,  tf  kastrirt.  „Iris  hellbraun.  Diese 
Ziege  stammt  von  Ader;  es  werden  deren  in  Sokoto  viele 
gehalten.  Die  Hausa-Leute  benennen  dieselbe  „akuya  ader". 
Damit  die  Besitzer  der  ohne  Aufsicht  Tag  und  Nacht  im 
Freien  und  im  Busch  weidenden  Ziege  ihr  Eigenthum 
wieder  erkennen  können,  werden  an  den  Ohren  Ausschnitte 
angebracht."  Die  Färbung  ist  roth  mit  schwarzer  Rücken- 
linie, schwarzem  Schwanzende  und  schwarzem  Fussgelenk. 
Behaarung  glatt,  Gestalt  hochbeinig.  Gehörn  nach  hinten, 
aussen  und  unten  gebogen. 

19.  Hauskatze  von  Kratyi. 


Sitzung   vom  17.  Januar  1899.  15 

Herr  MATSCHiE  beschrieb  eine  anscheinend  neue 
Adenota  vom  weissen  Nil. 

Im  Darm städter  Museum  befindet  sich  eine  sehr  inter- 
essante Antilope,  welche  Harnier  zwischen  6  und  7°  n.  Br. 
am  Bahr  el  Gebel  gesammelt  hat.  Sie  ist.  wie  es  scheint, 
noch  niemals  genauer  untersucht  worden,  Auf  der  dem 
Fenster  zugewendeten  Seite  ist  die  Zeichnung  durch  die 
Einwirkung  der  Lichtstrahlen  fast  vollständig  geschwunden. 
Diese  Antilope  ist  offenbar  eine  Adenota.  Das  Gehörn  hat 
18  Knoten;  die  beiden  Stangen  laufen  ziemlich  parallel 
neben  einander;  von  der  Spitze  zur  Basis  messe  ich  35,4  cm 
in  gerader  Linie. 

Die  Grundfarbe  des  Felles  ist  gelb.  Die  Augengegend, 
ein  Kreisfleck  vor  den  Ohren,  die  Umrandung  der  Nüstern,  die 
Unterlippe,  der  Unterhals,  die  gesammte  Unterseite  und 
Innenseite  der  Beine  sind  weiss,  die  Kopfseiten,  der  Körper, 
eine  breite  Binde  über  die  Brust,  der  Hinterrand  des  Ober- 
armes und  Oberschenkels  sind  gelb;  ein  ovaler  Nasenfleck, 
eine  breite  Binde  von  den  Halsseiten  neben  der  weissen 
Brust  über  die  Schultern  bis  zu  den  Hufen  herab  sind 
schwarz,  ebenso  die  Weichen  und  der  Hinterfuss.  Ueber 
den  Hufen  zeigt  sich  ein  weisser  Ring.  Die  Fussgelenke 
sind  hell. 

Ich  glaube,  dass  diese  Antilope  noch  nicht  beschrieben 
worden  ist  und  nenne  sie  deshalb  Adenota  nigroscapulata 
Mtsch.  spec.  im v. 

Herr  0.  Neumann  sprach  über  drei  neue  afrikanische 
Säugetniere. 

1.  Colobus  matschiel  spec.  nov. 
Als  ich  im  Jahre  1896  „über  die  Verbreitung  der 
Stummel  äffen  in  Ost-Afrika"  einen  Vortrag  hielt, l)  sagte 
ich,  dass  die  von  mir  auf  meiner  afrikanischen  Reise  im 
April  1894  bei  Kwa  Kitoto  (Kavirondo)  an  der  Ugowe-Bay 
des  Victoria  Nyansa  erlegten   Affen  mit  dem   von  Roche- 


')  Sitzungsberichte  dieser  Gesellschaft,  1896,  No.  9,  p.  154. 


16  GesellscJtaft  naturforschender  Freunde,  Berlin. 

brune  beschriebenen  Colobus  occidentalis1)  identisch  sei. 
Ich  kam  zu  dieser  Meinung,  so  auffallend  mir  die  grosse 
geographische  Verbreitung  dieser  Art  auch  erschien,  da- 
durch, dass  die  Hauptcharactere  der  RocHEBRUNE'schen  Art, 
der  kürzere  Seitenbehang  und  die  pechschwarze  —  nicht 
wie  bei  Colobus  guereza  graumelierte  —  Färbung  des 
Schwanzes  bis  zur  Quaste,  auch  bei  meiner  Art  vorhanden 
waren.  Von  der  westlichen  Form  befindet  sich  auch  nur 
ein  verstümmeltes  Fell  auf  dem  hiesigen  Museum,  von 
Morgen  zwischen  Benue  und  Sanaga  im  Hinterland  von 
Kamerun  gesammelt.2)  Dieses  hat  nun  ein  ganz  ver- 
stümmeltes Schwanzende,  was  ich  bei  der  ersten  Unter- 
suchung des  Stückes  nicht  bemerkt  hatte.  Da  sah  ich  in 
diesem  Sommer  in  London  ein  lebendes  Exemplar  von 
Yola  am  oberen  Benue,  welches  eine  viel  stärkere  Schwanz- 
quaste wie  meine  Stücke  hat,  und  hierin  mit  der  Roche- 
BRüNE'schen  Abbildung  und  Beschreibung  prächtig  über- 
einstimmt. 

Meine  oben  genannte  Art  unterscheidet  sich  dadurch 
von  Colobus  occidcntalis,  dass  bei  ihr  überhaupt  keine  eigent- 
liche Schwanzquaste  mehr  vorhanden  ist,  die  weissen  Haare, 
welche  das  letze  Viertel  des  Schwanzes  einnehmen,  hin- 
gegen nur  wenig  länger  sind,  als  die  schwarzen  des  übrigen 
Schwanzes. 

Maasse  zweier  alter  Thiere. 

T^..  ,        0  ,  Schwanz  bis  zur        Die  Spitze  über- 

Korper  ohne  Schwanz  ,XT-  .    ,     •-  j     u 

1  VVirbelspitze.  ragende  Haare 

C?  685  mm  570  mm  225  mm 

$  650  mm  540  mm  220  mm. 

Leider  habe  ich  die  Schädel  von  Colobus  matschiei  nicht 
mit  denen  des  Colobus  occidentalis  vergleichen  können.  Auch 
giebt  Rochebrune  weder  Abbildung  noch  Beschreibung 
des  Schädels  dieser  Art.  Hingegen  zeigen  sich  bedeutende 
Unterschiede  im  Vergleich  mit  Schädeln  der  zwei  andern 
nächstverwandten  Arten,  des  Colobus  guereza  Rüpp.  und  des 


')  Rochebrune:     Faune   de  la  Senegambie  Mammiferes   Supple- 
ment (Etüde  monographique  du  groupe  des  Colobus),  p.  140. 
5)  Matschie:  Wiegmann's  Arch.  f.  Nat.-G.,   1891,  p.  354. 


Sitzung  vom  17.  Januar  1899.  17 

Colobus  caudatus  Thos.  Die  Unterschiede  zwischen  den 
Schädeln  dieser  zwei  Arten  beschreibt  ausführlich  Trüe.  1). 
Das  von  mir  verglichene  Material  bestand  aus  9  Schä- 
deln des  Colobus  matschici,  9  Schädeln  des  Colobus  cau- 
datus, durch  Stabsarzt  Wiedemann  mich  und  gesammelt, 
sowie  7  Schädeln  des  Colobus  guereza,  und  zwar  4  des 
hiesigen  Museums  und  drei  weiteren  des  Münchener  Mu- 
seums, die  mir  Professor  Hertwig  zum  Vergleich  freund- 
lichst zur  Verfügung  stellte,  wofür  ich  ihm  hier  meinen 
aufrichtigsten  Dank  sage.  Die  Hauptkennzeichen  des 
Schädels  von  Colobus  matschici  sind  nun:  Bedeutend  auf- 
gewölbte Frontalien  und  sehr  starke  Schädelkristen  derart, 
dass  an  der  Ansatzstelle  der  Kristen  bei  zwei  alten  </cT 
vollständige  Gruben  entstehen,  eine  Erscheinung,  von  wel- 
cher auch  keine  Spur  selbst  bei  ganz  alten  männlichen  Schä- 
deln der  beiden  andern  Arten  zu  finden.  Ferner  sind  die 
Nasalen  bedeutend  kürzer,  und  die  Gegend  des  Fronto- 
nasal-Suturs  ist  stark  wulstig  aufgetrieben.  Diese  drei 
Kennzeichen  zeigen  sich  schon  an  Schädeln  ganz  junger 
Thiere  mit  Milchgebiss. 

Länge  der  Nasalen  an  der  Mittelnaht. 

Colobus  matschici  (Kavirondo)      .     .     12*,  12*,   12,  11  mm 

Colobus  gucrcza  (Abyssinien)  .     .     .     15*,  14*,   13,   11  mm 

Colobus  caudatus   (Kilima  Ndscharo)     16*,  16*,  14,  13  mm. 

*  Sehr  alte  </(/• 

Die  Heimath  von  Colobus  matschici  ist  Kavirondo. 
Ferner  dürfte  der  Colobus  vom  Ruwensori.  von  Unjoro.  vom 
Niamniam-Land,  vom  weissen  Nil.  von  Kikuyu  und  dem 
Leikipia-Plateau  zu  dieser  Art  gehören.  Pousargues  in 
seiner  grossen  Arbeit  über  die  Säugethiere  des  französischen 
Congo2)  erwähnt  p.  145  mehrere  Exemplare,  die  gleich- 
falls keine  Schwanzquaste  haben.  Doch  erwähnt  er  nicht 
den  genauen  Fundort  dieser  Exemplare.  Dybowskl  der  eine 
der   Reisenden,    dessen    Sammlungen    Pousargues    unter- 


>)  Proc.  ü.  S.  National  Museum,  Vol.  XV.     1892,  p.  447. 
s)   E.   de  Pousargues:    „Etüde    sur   les    mammiferes    du   Congo 
fran^ais",  Ann.  des  Sc.  nat,  1896,  1897  (8.  Serie  3,  4). 

I  ** 


18  Gesellschaft  nafovrfors'chender  Freunde,  Bah'». 

suchte,  ist  übrigens  bis  ins  Tschadseegebiet  gekommen, 
und  es  wäre  wohl  möglich,  dass  das  Verbreitungsgebiet 
von  Colobus  matschiei  sich  bis  dorthin  erstreckt. 

Im  übrigen  halte  ich  die  Untersuchungen  über  die  ver- 
schiedenen geographischen  Formen  des  Colobus  guereza  ab- 
solut noch  nicht  für  abgeschlossen;  jedenfalls  steht  es 
für  mich  fest,  dass  die  Unterschiede  sowohl  im  Schädel 
wie  im  Fell  in  den  einzelnen  vertretenden  Formen  kon- 
stant sind,  und  nicht  etwa  nach  Alter  oder  Jahreszeit  vari- 
ieren, wie  meine  grossen  Serien  von  Colobus  caudatus  und 
Colobus  matschiei  beweisen. 

Noch  steht  es  aber  nicht  für  mich  fest,  ob  alle  west- 
afrikanischen Guerezas  vom  Benue.  vom  Ogowe  und  vom 
Congo  unter  dem  Namen  Colobus  occidentalis  zu  vereinen. 
Ferner  glaube  ich  gefunden  zu  haben,  dass  Exemplare  des 
Colobus  guereza,  von  Heuglin  in  der  Kulla  West-Abyssiniens 
gesammelt,  einen  viel  kürzeren  Seitenbehang  haben,  wie 
solche,  die  Rüppel  in  den  Hochländern  von  Tigre  und 
Godjam  sammelte,  möchte  dieselben  aber  nicht  specifisch 
abtrennen,  ehe  ich  nicht  gleich  grosse  Serien  von  diesen 
untersuchen  kann,   wie  von  den  obengenannten  Arten. 

2.  Cephaloloplius  leucoprosopus  spec.  nov. 
Im  hiesigen  zoologischen  Garten  lebt  seit  ein  paar 
Wochen  eine  Schopfantilope,  die  mit  keiner  bisher  be- 
schriebenen Art  zu  identifizieren.  Das  betreffende  Thier, 
ein  ö",  ist  kleine]-  als  ein  in  demselben  Käfig  lebendes  9. 
welches  ich  für  Gephalolophus  ocularis  Ptrs.  oder  Cephalo- 
lophus  coronatus  Gkay  halte.  Hierbei  möchte  ich  einfügen, 
dass  die  Art  Cepltalolophus  ocularis  Ptrs.,  welche  ich  mit 
altifrons  Ptrs.  und  grimmia  flavescens  Lok.  für  identisch 
halte,  und  welche  Sclateu  und  Thomas  in  ihrem  „Book 
of  Antilopes" J)  zu  Cepltalolophus  grimmia  gestellt  haben, 
welchem  Beispiel  auch  Troüessart2)  gefolgt  ist,  nichts  mit 
dieser    Art    zu    thun   hat,    sondern    der    westafrikanischen 


*)  Sclater  and  Thomas:  Book  of  Antilopes.  Part  IV.  Sept 
1895,  p.  203. 

2)  Troüessart:  Catalogus  mammalium.  Nova  editio  1898,  IV. 
p.  919. 


Sitzung  vom  17.  Januar  1S99.  t'.t 

Form  Cephahloplius  coronatius  und  der  abyssinischen.  Cepha- 
lolophus  äbyssinicus,  sowohl  in  Färbung  wie  in  Grösse  viel 
näher  stehen,  als  dem  echten  Cephälolophus  grimmia  vom 
Cap.  Dieser  nämlich  ist  ein  Thier  von  der  Grösse  eines 
schwachen  Rehes,  fast  einfarbig  graubraun  mit  gleichfarbiger 
Unterseite.  Die  drei  andern  genannten  Arten  sind  viel 
kleiner,  etwa  von  der  Grösse  einer  halbjährigen  Rehkitz, 
mehr  gelblich  oder  röthlich.  besonders  auf  der  Stirn,  und 
haben  stets  weisse  Unterseite.  Alle  diese  Arten  gehören 
übrigens  zur  Untergattung  Sylvicapra  Ogilby,  bei  welcher 
die  cTö*  nach  oben  stehende,  und  nicht  mit  der  Stirn  in 
einer  Linie  liegende  Hörner  haben,  während  die  9  2  in 
der  Regel  gehörnlos  sind. 

Meine  neue  Antilope  nun  ist  also  kleiner  wie  Cephälo- 
lophus coronutus  und  braun  mit  dunklerem  Rücken.  Bauch, 
Innenseite  der  Beine  und  Kehle  sind  weiss.  Die  Bein- 
färbung vom  bis  über  die  Sprunggelenke  ist  glänzend 
schwarz.  Au  den  Hinterbeinen  reicht  das  schwarz  nicht 
ganz  so  hoch.  Der  Schwanz  ist  oben  schwarz,  unten  weiss. 
Das  eigenthümlichste  ist  aber  die  Färbung  des  Kopfes.  Der 
Nasenrücken  und  eine  dreieckige  Stelle,  die  sich  vom  Auge 
spitz  nach  der  Schnauze  zieht,  sind  glänzend  schwarz,  die 
Stirn  roth.  die  Aussenseite  der  Ohren  bräunlich,  ebenso 
der  Hinterkopf  und  die  Gegend  des  Unterkiefers.  Um  das 
Auge  zieht  sich  eine  breite  weisse  Linie,  die  sich  scharf 
gegen  den  schwarzen  Nasenrücken  und  die  schwarze  Thränen- 
drüsengegend  abhebend,  gegeu  die  Nase  zu  verläuft.  Auch 
ein  Fleck  am  Ohransatz  und  die  Innenseite  des  Ohres  sind 
weiss.  Diese  eigenthümliche  Färbung  bringt  den  Eindruck 
hervor,  als  trüge  das  Thier  eine  Gypsmaske,  aus  welchem 
Grunde  ich  den  oben  angeführten  Namen  vorschlage.  Leider 
ist  die  Heimath  des  Thieres  unbekannt. *) 

3.  Lithocranius  sclateri  spec.  nov. 
Dieser  neue  Name  gebürt  einer  Gazelle,  die  noch  nicht 
seit  langer  Zeit  bekannt,   deren  Hörner  aber  in  allen  Ge- 


J)  Nachträglich   höre   ich,    dass    diese  Antilope    von  S.  Paolo  de 
Loanda  gekommen  ist.  Ihre  Heimath  ist  vielleicht  das  Innere  von  Angola. 


20  Gesellschaft  naturfvrschender  Freunde,  Bertin. 

hörusammlungen  seit  den  letzten  Jahren  häufig  vertreten 
sind,  da  sie  von  den  Somalis  in  grosser  Anzahl  in  Aden 
auf  die  durchfahrenden  Schiffe  gebracht  uud  billig  verkauft 
werden. 

Im  Jahre  1878  legte  Brookk  in  der  Zoological.  Society 
einige  Gazellenschädel  vor,  die  Gerald  Waller  aus  Zan- 
zibar  mitgebracht  hatte  !)  Die  Exemplare  waren  unter  3° 
südl.  Br.  und  38°  östl.  L..  also  in  der  Tsawo-Ebene,  am 
Fuss  der  Kyulu-Berge  östlich  des  Kilima  Ndscharo  erlegt. 
Da  diese  Gazelle  noch  jetzt  dort  häufig  vorkommt,  und  die 
Maasse  und  Proportionen  des  in  den  P.  Z.  S.  abgebildeten 
Schädels  genau  mit  Schädeln,  die  C.  G.  Schillings  in 
derselben  Gegend  sammelte  übereinstimmen,  so  sehe  ich 
keinen  Grund,  nachträglich,  wie  dies  Sclater  und  Tho- 
mas thun, 2)  die  Herkunft  der  Typen  nach  der  Jubamündung 
im  Süd-Somali-Land  zu  verlegen.  Brooke  beschrieb  das 
Thier  als  Gasella  ivalleri. 

Sclater  erhielt  1884  von  Hagenbeck  Felle  und  Ge- 
hörne einer  Gazelle  aus  dem  Nord-Somali-Land.3)  welche 
er,  wiewohl  auch  er,  besonders  iu  der  Form  der  Hörner, 
Unterschiede  fand,  da  aus  Ost- Afrika  kein  weiteres  Material 
mehr  gekommen  war,  zu  Gasella  ivalleri  stellte.  Später 
wurde  die  Art  von  Kohl4)  generiscli  von  Gasella  abgetrennt 
und  zum  Typus  des  Genus  Litlioeranius  erhoben. 

Während  nun  in  den  letzten  Jahren  sehr  viel  Schädel 
und  Gehörne  der  Somaliform  in  die  europäischen  Samm- 
lungen kamen,  blieben  die  Stücke  Wallers  lange  Zeit 
die  einzigen  aus  Ost-Afrika,  bis  vor  einiger  Zeit  plötzlich 
viel  Material  vom  oberen  Paugaui  und  von  den  Steppen 
am  Fuss  des  Kilima  Ndscharo  auf  das  Berliner  Museum 
kam.  Dies  ist  besonders  dem  Jagdeifer  des  Herrn  C.  G. 
Schillings  zu  danken,  welcher  eine  ganze  Anzahl  Felle 
und  Gehörne,    sowie    zwrei    ganze   Schädel    von    dort    mit- 


>)  P.  Z.  S.  1878,  p.  929. 

s)  Sclater  and  Thomas:  Book  of  Antelopes.    Part.  XII.    October 
1898,  p.  230. 

s)  P.  Z.  S.  1884,  p.  538,  539. 

*)  Ann.  Mus.  Wien  1886,  I,  p.  79. 


Sitzung  am  17.  Januar  1899.  21 

brachte.  Auch  von  Baron  REDEN~und  Dr.  Eggel  *)  befinden 
sich  Felle  und  Gehörne  aus  diesen  Gegenden  auf  dem 
Berliner  Museum. 

Sclater  und  Thomas  publiziren  nun  in  ihrem  Anti- 
lopenbuch2) eine  Stelle  aus  „Big  game  Shooting",  Vol.  I, 
worin  F.  H.  Jackson,  der  sowohl  das  Thier  des  Somali- 
Landes  als  das  von  Ost-Afrika  beobachtete,  schreibt,  dass 
die  Ost-Afrikaner  viel  kleiner  sind,  als  die  Somalithiere. 
Die  Autoren  legen  dem  aber  anscheiuend  keinen  Werth  bei, 
und  belassen  beide  Formen  bei  einer  Spezies. 

Die  Vergleichung  des  vorzüglichen  Schillings' sehen 
Materials  mit  solchem  von  Menges  aus  dem  Nord-Somali- 
Land  zeigt  nun.  dass  die  echte  Lithocranius  wallen  von  Ost- 
Afrika  stets  röther  ist,  als  das  Thier  von  Somali-Land. 
Ferner  hat  sie  schwarze  Kniebüschel,  und  das  weiss  der 
Unterseite  bildet  an  den  Seiten  des  Schwanzes  einen  un- 
deutlichen breiten  Fleck.  Die  Somaliform  hat  braune  Kuie- 
büschel,  und  das  weiss  der  Unterseite  zieht  sich  seitlich 
des  Schwanzes  als  feine  weisse  Linie  aufwärts. 

Letztere  zwei  Kennzeichen  fand,  wie  ich  hier  er- 
wähnen will,  Herr  Matschie  bei  unsern  gemeinsamen 
Nachforschungen  zuerst  heraus.  So  minutiös  diese  Kenn- 
zeichen nun  auch  sind,  so  scheinen  sie  doch  bei  jung  und 
alt  konstant  zu  sein. 

Auch  im  Schädel  zeigen  sich  bemerkenswerthe  Unter- 
schiede. 

Bei  ungefähr  gleicher  Hornlänge  ist  der  Schädel  der 
echten  Lithocranius  walleri  kürzer  und  gedrungener  als  der 
von  Lithocranius  sdateri,  insbesondere  sind  die  Nasalen 
und  der  Zwischenkiefer  viel  kürzer.  Den  Unterschieden 
in  der  Spitzenrichtung  der  Hörner  möchte  ich  jedoch  vor- 
läufig noch  keinen  Werth  beilegen. 

Lithocranius  sdateri  bewohnt  das  nördliche  Somali-Land. 
Wie  weit  sie  sich  nach  Süden  verbreitet,  ist  mir  nicht 
bekannt. 


*)  Die  Gehörne  des  letzteren  Herren  nur  leihweise. 
2)  Op.  cit.  p.  236. 


22  GeseUscluij t  naturforschemler  Freunde,  Berlin. 

Lithocranius  wallen  bewohnt  Teita,  Ukamba.  die  Steppen 
am  Fuss  des  Kilima  Ndscharo,  am  oberen  und  mittleren 
Pangani  und  verbreitet  sich  über  den  Pangani  bis  in  das 
Kibaya-Massai-Land  und  nach  Ngaruka.  zwischen  dem  Mau- 
jara  und  dem  Nguruman-Salz-See.  Letztere  beide  Gegen- 
den, an  denen  sie  C.  G.  Schillings  erlegte,  haben  als 
Süd-  und  West-Grenze  der  Art  zu  gelten. 

Maasse  alter  männlicher  Schädel. 

Lith.  selateri         Lith.  walleri  Lith.  wallen 

Berbera         Mittlerer  Pangani  Kibaya-Massai-Land 
(Menges  coli.)     (Schillings  coli.)       (Schillings  coli.) 

Obere  Zahnreihe  56  mm  46  mm  51  mm 

Zwischenkiefer .   66  mm  55  mm  57  mm 

Nasalen    ...   7-1  mm  49  mm  54  mm 

Herr  0.  Neumann  sprach  ferner  über  die  Bartmeer- 
katzen. 

Sclater  fasst  in  seiner  Uebersicht  aller  bekannten 
Meerkatzenarten1)  eiöe  kleine  Gruppe  sehr  schön  und  auf- 
fallend gezeichneter  Meerkatzen  unter  dem  Namen  „Cerco- 
pitheci  barbati"  zusammen. 

Die  erste  derselben  ist  der  allen  Besuchern  zoolo- 
gischer Gärten  bekannte  Diana- Affe  „Cercqpitheeus  dianah.", 
über  dessen  Freileben  und  genaues  Vaterland  jedoch  ver- 
hältnissmässig  wenig  bekannt  ist. 

Gray  führt  in  seinem  „Catalogue  of  Monkeys"2)  ein 
seiner  Meinung  nach  sehr  altes  cf  unter  dem  Namen 
ignitus  auf.  Sclater  bespricht  die  Merkmale,  von  denen 
hauptsächlich  drei  guten  Werth  haben  und  stets  konstant 
sind.  Nämlich  der  sehr  kurze  Kinnbart,  der  sieh  dadurch 
auszeichnet,  dass  die  weisse  Endspitze  der  Haare  nicht 
länger  ist  als  die  darüber  stehenden  schwarzen;  ferner  der 
sehr  breite  Strich  über  den  Oberschenkel,  und  die  dunkel- 
brauurothe  Färbung  der  Innenseite  der  Schenkel  und  des 
Bauches.  Angeblich  soll  das  Exemplar,  auf  welches  hin 
Sclater  die  Form  iynitus  zur  Subspecies  erhob,  vom  Congo 


*)  P.  Z.  S.  1893,  p.  254. 

2)  Gray:  Catalogue  of  Monkeys  etc.  1870,  p.  22. 


Sitzung  vom  17.  Januar  1899.  23 

gekommen  sein. !)  Poitsargues  bezweifelt  bei  seiner  Be- 
sprechung der  von  Moskowitz  in  Kong  gesammelten  Affen 2) 
diese  Herkunft,  und  thut  dieses  nochmals  in  seiner  Arbeit 
über  die  Säugethiere  des  französischen  Congo. 3) 

Ich  kann  nun  heute  bestätigen,  dass  Pousargues' 
Zweifel  berechtigt  sind.  Die  Heimath  von  Cercopithecus 
ignitus,  wie  die  Art,  welche  vollen  Species  -  Werth  hat 
und  leicht  erkenntlich  ist,  zu  bezeichnen  ist,  ist  Liberia, 
vermuthlich  auch  das  südliche  Sierra  Leone. 

Bei  einem  Besuche,  den  ich  in  diesem  Sommer  dem 
Leydener  Museum  abstattete,  fand  ich  von  beiden  Arten  je 
eine  prächtige  Serie.  Die  eine  wurde  von  Pel  an  der 
Goldküste  gesammelt.1)  5)  6)  Die  andere  „Cercopithecus 
ignitus"  wurde  von  Büttikoper  und  Sala  in  Liberia  ge- 
sammelt.7)8) Prächtig  zeigen  jimge  und  alte  Individuen 
beider  Serien  die  Artkennzeichen.  Auch  das  Berliner  Mu- 
seum besitzt  2  Exemplare  von  Cercopithecus  ignitus  Gray. 
Das  eine,  ein  prächtiges  altes  <? ,  hat  hier  im  zoologischen 
Garten  gelebt,  das  andere  ist  ein  verstümmeltes  Fell  eines 
von  Herrn  Schäffer  (Eisenach)  in  Cap  Palmas  (Liberia) 
erlegten  Thieres. 

Einen  bemerkenswerthen  Unterschied  zeigt  übrigens 
der  Typus  von  Cercopithecus  ignitus,  den  mir  Mr.  Sclater 
liebenswürdigst  zur  Untersuchung  geliehen,  wofür  ich  ihm 
hier  bestens  danke,  von  allen  Liberiastücken,  die  ich  unter- 
suchen konnte.  Bei  ihm  ist  der  breite  Streif  an  der  Aussen- 
seite  der  Schenkel  rein  weiss,  bei  der  Leydener  Serie  und 
den  zwei  Berliner  Stücken  aus  Liberia  bräunlich  gelb. 


')  P.  Z.   S.  1893  p.  255. 

2)  Ann.  Sc.  nat.  1896,  8.  Serie   1,  p.  2G6,  267. 

3)  Ann.  Sc.  nat.  1897,  8.  Serie  4,  p.  103. 

4)  Temminck:     Esq.     zool.    sur    la    cöte    de    Guinee.      Leyden 
1853,  p.  29. 

5)  Schlegel:  Mus.  d'bist,  nat,  Pays  Bas  VII,  p.  92. 

6)  Jentinck:    Mus.    d  bist,    nat.    Pays    Bas   XI    (1.)    1892,    p.   24, 
Cercopithecus  cliana  Ex.  a,  b,  c,  d. 

7)  Jentinck:  Notes  Leyden  Mus.  X.  1898,  p.  12. 

8)  Jentinck:  Mus.  d'bist.  nat.  Pays  Bas|  XI  (1.)  1892,  p.  24,  Cer- 
copithecus diana  Ex.  g,  h,  i. 


24  Gesellschaft  natwforsckender  Freunde,  Berlin. 

Ich  möchte  hier  noch  erwähnen,  dass  es  mir  leider 
bisher  nicht  gelungen  ist,  Diana-Affen  mit  authentischer  Her- 
kunft vom  Gambia,  vom  Niger  und  von  Kamerun  zu  unter- 
suchen. Von  letzterem  Lande  soll  angeblich  ein  sehr  junges 
Exemplar,  welches  hier  einige  Zeit  lang  im  zoologischen 
Garten  gelebt  hat,  stammen. 

Noch  weniger  bekannt  ist  die  dritte  hierher  gehörende 
C  1crcoplthecus-kri. 

Der  Engländer  Petherick,  welcher  in  den  sechziger 
Jahren  Consul  in  Chartum  war,  brachte  von  seinen  Ent- 
deckungsfahrten auf  dem  weissen  Nil  ein  verstümmeltes 
Affenfell  ohne  Kopf  und  Hände  nach  London,  welches  Gray 
zu  Ccrcoplthecus  leucocampyx  stellte. ')  Schlegel  erkannte, 
dass  das  Stück  nichts  mit  Gercopithecus  leucampyx  Fisch. 
zu  thun  hätte  und  beschrieb  es  als  Gercopithecus  neglcctus. 2) 
Dreses  Fell  blieb  lange  Zeit  das  einzige  der  Art.  Da 
brachte  der  französische  Reisende  Jacques  de  Brazza  einen 
Affen  in  mehreren  Exemplaren  vom  französischen  Congo, 
den  Milne  Edwards   als  Gercopithecus  brazme  beschrieb.3) 

Sclater  giebt  in  seiner  Uebersicht  die  beiden  Arten  noch 
getrennt  an  verschiedenen  Stellen  an,4)  welchem  Vorgang 
Trouessart  folgt.5)  Später  giebt  Sclater6)  eine  Abbil- 
dung des  Thieres,  welche  übrigens  sehr  mangelhaft  ist,  da 
bei  ihr  gerade  der  charakteristische  weisse  Streif  über  die 
Aussenseite  der  Hinterschenkel  bis  zum  Kniegelenk  fehlt, 
und  vergleicht  beide  Arten  mit  einander,  kommt  aber  zu 
dem  Resultat,  sie  vorläufig  noch  getrennt  zu  belassen,  weil 
der  Typus  von  Gercopithecus  neglectus  bräunlicher,  und  das 
Band  über  die  Schenkel  gelblicher,  bei  Gercopithecus  brazme 
rein  weiss  sei,  hauptsächlich  aber  wegen  der  anscheinend 
grossen  geographischen  Trennung  der  beiden  Fundorte,  und 


')  Gray:  Catalogue  of  Monkeys  etc.     1870,  p.  22. 

2)  Schlegel:  Mus.  d'hist.  nat.  Pays  Bas  VII,  p.  70. 

3)  Milne  Edwards:  Revue  scientifique,  3.  Serie,  1886,  p.  15. 

4)  P.  Z.  S.   1893,  p.  253  u.  255. 

5)  Trouessart:    Catalogus    Mammalium    nova    editio    1897,    I, 
p.  21  u.  23. 

6)  P.  Z.  S.  1893,  p.  443,  PI.  XXXIII. 


Sitzung  vom  17.  Januar  1899.  25 

weil  man  des  mangelnden  Kopfes  am  Typus  von  Cerco- 
pithecus  neglectus  wegen  nicht  sehen  könne,  ob  diese  Art 
auch  die  schöne  orangerothe  Stirnbinde  besitzt,  welche  für 
Cercopithecus  hrazme  so  charakteristisch  ist. 

Während  meiner  afrikanischen  Reise  erlegte  ich  nun 
bei  Kwa  Kitoto  (Kavirondo)  an  der  Ugowe-Bay  des  Victoria- 
Nyansa  im  März  1894  3  Exemplare  dieses  Affen,  die  die 
orangerothe  Stirnbinde  prachtvoll  zeigten,  und  die  be- 
weisen, dass  die  geringen. Färbungsverschiedenheiten,  die 
Sclater  fand,  nur  individueller  Natur  sind.  Das  Fell 
Petherick's  wird  wohl  aus  der  Gegen  der  grossen  Seeen  ge- 
kommen sein,  und  die  geographische  Verbreitung  der  Art 
ist  somit  gar  nicht  so  gross,  besonders  wenn  man  bedenkt, 
dass  Brazza's  Exemplare  keinen  genauen  Fundort  haben, 
und  dass  Dybowski  den  Affen  erst  am  oberen  Ubangi  fand. 
Poüsargües,  der  zuerst  noch  für  die  Selbstständigkeit  von 
Cercopithecus  brazzae  eintritt. l)  kommt  im  Nachtrag  seiner 
Arbeit, L>)  auf  Grund  meiner  Funde  in  Kavirondo,  die  in 
meinem  Namen  zuerst  Matschie3)  publizirte,  zu  der  An- 
nahme, dass  beide  Arten  wahrscheinlich  identisch  sind, 
woran  nach  meinen  Untersuchungen  nunmehr  kein  Zweifel 
besteht.  Authentische  Fundorte  für  Cercopithecus  neglectus 
sind  also  der  obere  Ubangi  und  Kavirondo.  ferner  der  Ru- 
wenzori.  denn  der  „other  monkey  with  white  marks  on  the 
face,  simulatiug  eyebrows.  moustache  and  imperial",  welchen 
Scott  Elliot  dort  sah.1)  kann  sich  nur  auf  diese  Art 
beziehen,  besonders  wenn  man  bedenkt,  dass  auch  die  zwei 
andern  von  Scott  Elliot  und  Stuhlmann  dort  gesammel- 
ten und  beobachteten  Affen.  Goldbus  matschiei  Neum.  und 
Cercopithecus  stuhlmanni  Mtsch.,  gleichfalls  auch  bei  Kwa 
Kitoto  (Kavirondo)  zusammen  mit  Cercopithecus  neglectus 
vorkommen. 

Herr  0.  JäEKEL  sprach  über  die  Enstehung  neuer  Ty- 
pen durch  Hemmung  ihrer  Ontogenie. 


1)  Ann.  Sc.  nat.   1896,  8.  Serie  3,  p.  216. 

2)  Ann.  Sc.  nat.   1897,  8.  Serie  4,  p.  102. 

3)  Sitzungsber.   dieser  Gesellschaft  1895,    No.  1,  p.  2,    u.  Natur- 
-wissenschaftliche  Wochenschrift  1894,  p.  417. 

*)  P.  Z.  S.  1895,  p.  341. 


J.  F.  Starcke,  Berlin   W. 


Nr.  2.  1899. 

Sitzungs-Bericht 

der 

Gesellschaft  naturforsehender  Freunde 

zu  Berlin 
vom  21.   Februar   1899. 


Vorsitzender:  Herr  Wittmack. 


Herr  H.  Potonie  sprach  über  das  Vorkommen  von 
Glossopteris  in  Deutsch-  und  Portugiesisch-Ost- 
Afrika. 

Vor  mehreren  .Jahren  legte  mir  der  verstorbene  Reisende 
G.  Lieder  mit  der  Bitte  um  Bestimmung  fossile  Pflanzen- 
reste aus  Portugiesisch-Ost-Afrika  vor.  die  zwei  Tagereisen 
von  der  südlichen  deutschen  Grenze  vom  rechten  Ufer  des 
Ludyende  an  der  Kohlenfundstelle  „Makaa"  (d.  h.  Kohle) 
herstammten.  Es  waren  gut  erhaltene  Wedel-Reste  von 
Glossopteris  indica  Brongn.  pro  varietas  (incl.  Gl  communis 
0.  Feistmantel).  Obwohl  ich  Herrn  Lieder  auf  die 
Wichtigkeit  des  Fundes  aufmerksam  gemacht  habe,  hat  er 
doch  nichts  über  dieselben  veröffentlicht.  Herr  Berg- 
Assessor  Borniiardt,  den  ich  auf  Grund  der  genannten 
Reste  vor  seiner  Reise  nach  Deutsch -Ost -Afrika  aus- 
drücklich auf  Glossopteris  und  zur  Sicherheit  auch  auf  die 
unter  dem  Namen  Vertebraria  Royle  bekannten  Rhizome  von 
Glossopteris  aufmerksam  gemacht  habe,  hat  nun  das  Glück 
gehabt,  in  Deutsch-Ost-Afrika  Vertebrarien  zu  finden,  so 
dass  nunmehr  auch  hier  die  Glossopteris-F &c\es  constatirt  ist. 
Diese  Vertebrarien  stammen  aus  thonigen  Schichten,  die 
mit  Kohleflötzchen  abwechseln,  von  den  Kohlen-Aufschlüssen 
am  Südabfall  des  Kingalo- Berges,  also  von  der  Tafelland- 
schaft südlich  des  unteren  Ruhuhu.  östlich  des  Nyassa. 

2 


28  Gesellschaft  naturforschender  Freunde,   Berlin. 

Sehen  wir  von  den  revisionsbedürftigen  Angaben  des 
Vorkommens  von  Glossopteris  in  Europa  ab,  so  wäre  diese 
Gattung  nunmehr  in  den  folgenden  Ländern  festgestellt 
worden: 

Capland.  Transvaal,  Portugiesisch-Ost-Afrika,  Deutsch- 
Ost-Afrika.  Afghanistan,  Vorder-Indien.  Tonkin,  Borneo, 
Ost-Australien,  Tasmanien,  Neu-Seeland,  Rio  Grande  do 
Sul  und  Argentinien. 

Wie  man  sieht,  ist  damit  eine  Brücke  zwischen  Trans- 
vaal und  Afghanistan  geschlagen. 

Ausführliches  über  den  Gegenstand  werde  ich  in  dem 
von  Herrn  Bornhardt  zu  veröffentlichenden  Reisebericht 
bringen. 

Herr  Matschie  gab  einige  Beiträge  zur  Kenntniss 
von  Hypsignathus  monstrosus  Allen. 

G.  E.  Dobson  hat  im  Jahre  1881  über  die  sonderbare 
Gestalt  des  Zungenbeins  und  Kehlkopfes  bei  den  unter  dem 
Gattungsnamen  Epomophorus  bekannten  Flughunden  be- 
richtet (Proc.  Zool.  Soc.  London.  1881,  p.  685  —  693.  mit 
6  Bildern).  Ich  bringe  hier  die  Abbildung  eines  Präparates, 
welches  die  ausserordentlich  starke  Entwicklung  des  Kehl- 
kopfapparates bei  einem  alten  cT  von  Hypsignathus  mon- 
strosus Allen  zeigt.  Das  Brustbein  und  die  Brustmuskulatur 
sind  weggenommen  worden. 

Dobson's  vorzüglicher  Beschreibung  kann  ich  nur  wenig 
hinzufügen.  Bei  weiblichen  Thieren  von  H.  monstrosus 
reicht  der  Kehlkopf  nur  wenig  unter  das  Manubrium 
sterni  herab;  bei  den  alten  Männchen  bedeckt  er  fast  voll- 
ständig die  Lungen  und  erstreckt  sich  bis  an  das  Zwerchfell. 
Der  Kehkopf  ist  hier  ungefähr  halb  so  lang  wie  die 
Wirbelsäule. 

Das  Basihyale  ist  schmal  und  flach  und  aboral  ge- 
krümmt, die  Thyrohyalia  sind  etwas  länger  als  das  Basi- 
hyale, setzen  sich  in  stumpfem  Winkel  nach  unten  und 
hinten  an  das  Basihyale  an  und  sind  spateiförmig  gestaltet. 
Die  Ceratohyalia  sind  klein  und  mit  den  anderen  Zungen- 
beinknochen nur  durch  Ligament  verbunden.    Die  Epihyalia 


Sitzung  vom  21.  Februar  1899. 


29 


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"7: 

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: 


Hypsignaihus  haldemani  (Hallow.). 

1.  Unterzunge;  2.  Vorderer  Luftsack;  3.  Kehldeckel;  4.  Muskel: 

5.  Hinterer  Luftsack;    6.  Thyrohyale;    7.  Basihyale;   8.  Schildknorpel; 

9.  Ringknorpel;   10.  Lunge;   11.  Herz;   12.  Zwerchfell;  13.  Darm. 

sind  am  freien  Ende  oval  abgerundet  und  gegen  die  Cerato- 
hyalia  stilförmig  flach  ausgezogen. 

Zwischen    den   beiden  vorderen  Luftsäcken    kann  ich 
einen  dritten   unteren  Sack  nicht  auffinden;    dagegen  lässt 


30  Gesellschaft  naturforschender  Freunde,  Berlin. 

sich  ein  jederseits  über  der  Achselgegend  liegender  dünn- 
wandiger Sack  von  dem  Schlünde  aus  aufblasen. 

Dobsox  hat  schon  hervorgehoben  (1.  c.  p.  690),  dass 
bei  E.  comptus  der  Kehlkopf  und  das  Zungenbein  sehr 
ähnlich  aussehen  wie  bei  E.  franqueti,  und  dass  E.  macro- 
cephalus,  labiatus,  gambianus  und  minor  eine  zweite  Gruppe 
bilden,  soweit  es  die  Gestalt  der  oben  genannten  Organe 
betrifft.  E.  monstrosus  zeigt  ähnliche  Verhältnisse,  wie  diese 
letztere  Gruppe,  unterscheidet  sich  aber  von  ihr  durch  die 
gestielten  Epihyalia  und  von  allen  Epomophorus,  welche 
Dobsos    erwähnt,   durch  das  aboral  gekrümmte  Basihyale. 

Bei  dieser  Gelegenheit  möchte  ich  darauf  aufmerksam 
machen,  dass  Pteropus  haldemani  Halowkll  (Proc.  Acad. 
Nat.  Sc.  Philadelphia  1846  III.  No.  3,  p.  52).  wie  aus  der 
ausführlichen  Originalbeschreibung  leicht  zu  ersehen  ist,  zur 
Gattung  Hypsignathus  Allen  gehört.  Da  ich  keinerlei 
Unterschiede  zwischen  Pt.  haldemani  und  einem  jungen  Hyps. 
monstrosus  zu  finden  vermag,  so  ersetze  ich  den  bisher  üb- 
lichen Namen  dieses  Flughundes  durch  den  älteren,  von 
Halowkll  gegebenen,  und  nenne  das  Thier  nunmehr  Hypsi- 
gnathus  haldemani  (Halowkll). 

Die  echten  Molaren  von  Hypsignathus  haben,  wie  bei 
allen  Megachiroptera,  eine  Längsfurche  auf  der  Zahnkrone;  der 
zweite  untere  Molar  hat  auf  der  Aussenkante  drei  Höcker, 
welche  nach  hinten  an  Grösse  abnehmen,  auf  der  Innen- 
kante befindet  sich  ein  einziger,  gewöhnlich  auf  der  Krone 
eingekerbter  Höcker.  Diese  Zahnbildung  erinnert  sehr  an 
diejenige,  welche  ich  von  Microlestes  Plikninger  aus  dem 
Stuttgarter  Museum  kenne;  eine  Vergleichung  von  Hypsi- 
gnaihus  und  Microlestes  ist  vielleicht  vou  einigem  Interesse. 
Zittkl's  Beschreibung  der  als  Microlestes  bekannten  Zähne 
(Palaeozoologie  IV.  Mammalia,  1881,  p.  79—80)  passt  vor- 
züglich auf  Hypsignathus:  „Die  länglich  vierseitige  Krone 
der  kleinen,  zweiwurzeligen  Molaren  zeigt  eine  tiefe  Längs- 
furche,  welche  aussen  und  innen  von  einem  erhabenen,  ge- 
zackten Rand  begrenzt  wird." 


Sitzung  vom  31.  Februar  1899.  31 

Herr  L.  Wittmack  sprach  über  Phyliomanie  (Blatt- 
sucht) an  einer  Haferrispe. 

Eine  höchst  merkwürdige,  bisher,  soweit  bekannt,  noch 
nicht  beschriebene  Monstrosität  einer  Haferrispe  sandte 
Herr  H.  Kxake  iu  Pennigsehl  bei  Borstel,  Kreis  Nienburg 
(Hannover)  im  December  1898  der  Deutschen  Landwirth- 
schafts- Gesellschaft  zur  Ansicht  ein.  und  diese  ersuchte 
mich  um  nähere  Erläuterung  der  Sache. 

Zunächst  sei  bemerkt,  dass  die  Rispe  nicht  unter  Avena 
sativa,  sondern  unter  Avena  strigosa,  dem  Rauhhafer,  1897 
gefunden  wurde.  Herr  H.  Knake  hat  dies  Exemplar  dem 
Museum  der  landwirtschaftlichen  Hochschule  in  Berlin  zum 
Geschenk  gemacht,  und  möchte  ich  ihm  auch  an  dieser 
Stelle  dafür  meinen  verbindlichsten  Dank  aussprechen.  Ein 
zweites  Exemplar,  das  Herr  Knake  1898  fand,  befindet  sich 
noch  in  seinem  Besitz. 

Die  Achse  der  Rispe  hat  nur  eine  Länge  von  etwa 
9  cm,  gerechnet  vom  Ansatz  der  untersten  Aeste  bis  zum 
Anfang  des  obersten  Aehrchens.  Der  Durchmesser  der 
Rispe  beträgt  nur  5—6  cm.  Alle  Aeste  sind  einseitswendig, 
die  einzelnen  Aehrchen  ganz  ausserordentlich  ver- 
längert, 4  —  6  cm  lang,  mit  äusserst  zahlreichen 
Spelzen  besetzt,  einseitswendig  sichelförmig  abwärts 
gebogen,  von  röthlich -gelber  Farbe  und  schön  seiden- 
artigem Glanz.  Das  Ganze  erinnert  sehr  an  einen  Feder- 
busch. 

Am  untersten  Knoten  der  Rispenachse  entspringen 
4  Aeste,  von  denen  einer  nur  1,5  cm  lang  und  unverzweigt 
ist,  auch  nur  1  Aehrchen  trägt.  Dieses  Aehrchen  ist  herab- 
gebogen und  das  einzige,  welches  am  getrockneten  Exem- 
plar nach  einer  anderen  Seite  der  Hauptachse  schaut  als 
die  übrigen. 

Ein  zweiter,  nicht  viel  längerer  Ast  des  untersten 
Quirls  geht  der  Hauptachse  parallel,  aber  geschlängelt, 
nach  oben  und  ist  einmal  verzweigt,  jeder  Zweig  trägt 
1  Aehrchen. 

Ein  dritter  Ast  geht  horizontal,   etwas  nach  unten  ge- 


32  Gesellschaft  vatur forschender  Freunde,  Berlin. 

bogen,  ab,  ist  im  Ganzen  ca.  4  cm  lang  und  trägt  an 
kurzen  Zweigen  3  Aehrchen. 

Der  vierte  Ast  ist  der  stärkste,  er  ist  aufrecht,  geht 
dicht  der  Hauptachse  anliegend  über  den  nächsten,  höher 
stehenden  Knoten  hinweg ,  ist  im  Ganzen  6  cm  lang  und 
trägt  2  Aehrchen. 

Fast  2,5  cm  über  dem  untersten  steht  der  zweite 
Knoten;  an  ihm  entspringen  6  aufwärts  gerichtete,  kurze 
Aeste.  oder  streng  genommen  nur  1,  der  aber  sofort  an 
seiner  Basis  5  Zwreige  abgiebt.  Jeder  Ast  trägt  1  —2  Aehr- 
cheu  (genau  lässt  sich  das  ohne  Gefahr  der  Beschädigung 
der  interessanten  Missbildung  nicht  ermitteln,  ist  auch  gleich- 
gültig). Beachtenswerth  ist  aber,  dass  hier  noch  mehr  als 
am  untersten  Quirl  die  Aehrchenstielchen  die  Tendenz  habeu, 
geschlängelt  zu  verlaufen.  Der  eine  derselben  windet  sich 
in  lockerer  Spirale  um  die  Hauptachse  der  Rispe,  und 
zwar  rechts,  im  Sinne  der  Botaniker,  d.h.  wie  der  Zeiger 
der  Uhr;  ein  anderer  geht  plötzlich  in  scharfem  Bogen, 
links  gewunden,  fast  quer  um  die  Hauptachse  herum. 

Der  dritte  Knoten  steht  wieder  2,5  cm  über  dem 
zweiten;  an  ihm  stehen  zwei  kurze,  einährige  Aeste  und 
ein  lauger,  zweiähriger  Ast. 

Der  vierte  Quirl,  wiederum  ca.  2,5  cm  über  dem 
dritten,  zeigt  zwei  y*  bez.  1  cm  lange  Reste  von  Aesten; 
das  Uebrige  ist  abgebrochen. 

Dann  verlängert  sich  die  Achse  noch  um  2.5  cm  und 
trägt  an  der  Spitze  ein  anfangs  symmetrisches,  dann  aber 
auch  sichelförmiges  und  plötzlich  abwTärts  gekrümmtes 
Endährchen. 

Was  der  ganzen  Missbildung  eine  so  auffällige,  noch 
nie  gesehene  Erscheinung  giebt,  sind  die  ein seits wendi- 
gen, sichelförmig  gekrümmten  Aehrchen.  die  aus 
lauter  Spelzen  bestehen,  gar  keine  Staubgefässe  und  Frucht- 
knoten haben.  Es  Hessen  sich  an  einem  ca.  5  cm  langen 
Aehrchen  bis  38  Spelzen  zählen,  also  ca.  19  Paar,  und 
ähnlich  viele  finden  sich  in  allen  übrigen  20  Aehrchen. 
Dabei  sind  diese  alle,  wie  gesagt,  verlängert,  5  —  6  cm  lang. 

Ein  normales  Haferährchen  ist  nur  ca.  2-272  cm  lang 


Sitzung  vom  21.  Februar  1899.  33 

und  hat  an  der  Basis  bekanntlich  2  grosse,  unfruchtbare 
Spelzen,  die  sog.  Hüllspelzen,  Klappen  oder  glumae,  welche 
alles  Uebrige  einschliessen.  -  -  Im  Innern  findet  man  bei 
normalen  Aehrchen  1  —  3  Blüthchen,  jedes  hat  2  Spelzen 
oder  paleae,  ferner  2  kleine  Schüppchen.  3  Staubgefässe 
und  1  Fruchtknoten  mit  2  Narben. 

Hier  dagegen  ist  von  allem  diesen  nicht  die  Rede. 
Spelzen,  Spelzen,  nichts  als  Spelzen!  Die  beiden  untersten 
sind  die  gewöhnlichen  Hüllspelzen,  haben  auch  ganz  die 
normale  Gestalt  und  normale  Stellung,  d.  h.  das  Einander- 
gegenübersteheu  der  gewöhnlichen  beiden  Hüllspelzen  des 
Hafers;  die  äussere  ist  aber  oft  8-,  die  innere  7 -nervig. 
Gewöhnlich  ist  bei  normalem  Hafer  die  äussere  7—9-,  die 
innere  8 — 11 -nervig;  bei  Avcna  strigosa  sind  beide  7—9- 
nervig. 

Die  folgenden  Spelzen  sind  meistens  nicht  mehr  ein- 
ander gegenüberstehend,  sondern  alle  nach  einer  Seite,  aus- 
wärts, gerichtet  und  wegen  dieser  einseitigen  Entwickelung 
ist  offenbar  die  fortwachsende  Achse  zur  sichelförmigen 
Krümmung  an  der  inneren  Seite  veranlasst  worden.  Die 
beiden  grannenartigen  Spitzen  der  Deckspelzen  von  Avena 
strigosa  fehlen  überall,  ein  Beweis  mehr,  dass  es  alles 
Hüllspelzen  sind. 

Einseitswendige  Blüthenstände  kommen  bei  vielen 
Gräsern  vor,  schwach  ausgeprägt  beim  Knaulgras,  stark 
beim  Kammgras,  Borstengras.  Panicum  sanguinale  (Bluthirse), 
Üldoris  etc. ,  am  schönsten  wohl  bei  der  in  Ostafrika  und 
Ostindien  häufigen  Eleusine  Coracana,  und  mein  verehrter 
Freund  Prof.  Dr.  Paul  Magnus,  der  die  vorliegende  Miss- 
bildung auch,  wie  alle  meine  botanischen  Kollegen,  für  bis- 
her unbekannt  und  höchst  interessant  hält,  meinte,  man 
könne  vielleicht  auch  in  dieser  Abnormität  die  Tendenz  zu 
einseitswendigen  Blüthenständen  finden,  die  bei  Gräsern 
ziemlich  verbreitet  ist.  —  Indess,  wenn  man  sich  die  Sache 
recht  überlegt,  ist  die  Einseitigkeit  in  unserem  Falle  noch 
viel  weiter  vorgeschritten.  Bei  normalen  einseitswendigen 
Blüthenständen  stehen  wohl  die  Aeste  und  Aehrchen  ein- 
seitig,  aber  die  Spelzen  in  den  einzelnen   Aehrchen  sind 


34  Gesellschaft  naübrforschender  Freunde,  Berlin. 

nicht  einseits wendig,  sondern  stehen  immer  links,  rechts, 
links,  rechts  einander  gegenüber  (nach  72  Stellung);  hier 
dagegen  stehen  die  Spelzen  alle  links,  oder  alle  rechts; 
also  ganz  einseitswendig. 

Da  die  Spelzen  der  Gräser  als  die  Scheiden  von  Laub- 
blättern anzusehen  sind,  deren  Spreite  verkümmert  oder 
in  eine  Granne  umgewandelt  ist.  so  kann  man  die  Sucht, 
fortwährend  Spelzen  zu  erzeugen,  auch  Blattsucht.  Phyllo- 
manie,  d.  h.  fortgesetztes  Anlegen  derselben  Blattart,  nennen, 
eine  Bezeichnung,  die  Prof.  Magnus  eingeführt  hat. 

Warum  aber  bildeten  sich  so  viele  Spelzen  in  einem 
Aehrchcn?  Und  warum  alle  einseitswendig?  Auf  diese 
Frage  lässt  sich  keine  Auskunft  geben.  Milben  od.  dergl.. 
die  etwa  durch  Benagen  einen  Reiz  ausgeübt  hätten,  sind 
nicht  zu  sehen,  auch  durchaus  keine  Frassstellen.  Die 
grosse  Zahl  der  Spelzen  kann  man  sich  ebenso  wenig  er- 
klären, wie  die  zahlreichen  Blumenblätter  in  einer  gefüllten 
Nelke,  die  meist  doch  nur  aus  den  10  Staubblättern  hervor- 
hervorgegangen sind.  Es  ist  eben  in  der  Natur  oft  die 
Tendenz,  wenn  sie  einmal  eine  Schranke  durchbrochen  hat, 
immer  weiter  in  derselben  Richtung  fortzufahren. 

Bei  der  Nelke  kommt  übrigens  mitunter  auch  eine 
derartige  Phyllomanie  (aber  keine  einseitswendige)  vor.  in- 
dem statt  der  normalen  2 — 3  Paar  Hüllschuppen  an  der 
Basis  des  Kelches  immerfort  solche  erzeugt  werden,  so 
dass  das  Ganze  die  Gestalt  einer  Weizenähre  erhält  (Wheat- 
ear  Carnation  der  Engländer).  Eiuen  sehr  schönen  Fall 
davon  hat  Prof.  Magnus  in  der  Gartenflora  1893,  S.  269, 
mit  Abbildung;  beschrieben. 


Sitzung   vom  21.  Februar  1S00.  35 

Verzeichniss 
der  an  den  Referierabenden  besprochenen  wissenschaftlichen 

Arbeiten. 

Vorbemerkung.  Am  17.  November  1896  fasste  die 
Versammlung  der  ordentlichen  Mitglieder  der  Gesellschaft 
naturforschender  Freunde  auf  Antrag  des  Herrn  Fr.  E.Schulze 
den  Beschluss,  vom  Jahre  1897  ab  an  jedem  zweiten 
Dienstag  im  Monat  einen  Referierabend  anzusetzen, 
während  der  dritte  Dienstag,  wie  bisher,  für  Original-Mit- 
theilungen bestimmt  bleiben  solle.  Man  ging  hierbei  von 
der  Ansicht  aus,  dass  es  bei  der  überreichen  Fülle  der 
Fachlitteratur  dem  Einzelnen  nicht  mehr  möglich  sei,  alle 
wichtigeren  Arbeiten  seines  Specialfaches  und  der  ver- 
wandten Disciplinen  durch  Selbststudium  ausreichend  kennen 
zu  lernen,  dass  es  daher  erwünscht  sein  müsse,  durch  kurze, 
aber  die  Kernpunkte  treffende  Referate  auch  über  solche 
Arbeiten  unterrichtet  zu  werden,  deren  eigene  Kenntniss- 
nahme  nicht  möglich  wTar.  —  Die  Erfahrung  hat  gelehrt, 
wie  zweckmässig  diese  Einrichtung  ist.  Die  Referierabende 
haben  sich  eines  regen  Besuches  zu  erfreuen  und  die  an 
die  Berichte  sich  knüpfenden  Diskussionen  legen  den  Beweis 
dafür  ab,  dass  das  Interesse  ein  sehr  lebhaftes  ist. 

In  der  Sitzung  der  ordentlichen  Mitglieder  vom 
21.  Februar  1899  ist  auf  Antrag  des  Herrn  K.  Möbius  be- 
schlossen, die  Namen  der  Referenten  und  die  Titel  der  von 
ihnen  besprochenen  Schriften  vom  Januar  d.  J.  ab  in  den 
Sitzungsberichten  aufzuführen. 

Neue  Arbeiten,  über  welche  ein  Referat  gewünscht 
wird,  wolle  man  direkt  an  die  Bibliothek  der  Gesellschaft 
naturforschender  Freunde,  Berlin  W.,  Französische  Strasse 29, 
einsenden. 

Die  Herren  Referenten  werden  gebeten,  den  voll- 
ständigen Titel  der  Schriften,  über  die  sie  berichtet  haben, 
der  Redaktion  mitzutheilen. 

Referierabend  am  10.  Januar  1899. 
Herr  0.  Heinroth    über   Baer,   Ueber  Bau  und  Farbe  der 
Flügelschuppen  bei  Tagfaltern.    Z.  f.  wiss.  Zool.  1898. 
Bd.  65,  Heft  I,  p.  51—64. 


36  Gesellschaft  ?iaturfor  seilender  Freunde,  Berlin. 

Herr  Fr.  Kopsch  über  W.  Walde y er,  Das  Becken.  To- 
pographisch-anatomisch mit  besonderer  Berücksichtigung 
der  Chirurgie  und  Gynaekologie  dargestellt.  Bonn  1899. 
Verlag  von  Friedrich  Cohen. 

— ,  F.  Hochstetter,  Beiträge  zur  Entwickelungsgeschichte 
des  Gehirns.  Bibliotheca  medica.  Abtheil.  Ä.  26  Seiten. 
4  Tafeln. 

Referierabend  am  14.  Februar  1899. 

Herr  Rengel  über  Biedermann,  Verdauung  der  Larve  von 
Tenebrio  molitor. 

Herr  Möbius  über  Aurivillius.  C.  W.  S.,  Vergleichende 
thiergeographische  Untersuchungen  über  die  Plankton- 
Fauna  der  Skageraks  in  den  Jahren  1893  —  1897. 
Kongl.  Svensk.  Vetensk.  Akad.  Handl.  Bd.  30,  No.  3. 
Stockholm  1898. 

Herr  Kny  über  A.  Nestler.  Ueber  die  durch  Wundreiz 
bewirkten  Bewegungserscheinungen  des  Zellkerns  und 
des  Protoplasmas.  Sitz.  Ber.  d.  Akad.  d.  Wiss.  in 
Wien.     Bd.   107,  Abth.  I. 

Herr  Römer  über  W.  Kückenthal,  Leitfaden  für  das 
zoologische  Praetikum.  Jena,  Gustav  Fischer.  Mit 
172  Abbildungen  im  Text.  Preis  ungeb.  6  Mark.  1898. 
283  pag. 

Herr  Kolkwitz  über  E.  Zacharias,  Ergebnisse  der  neueren 
Untersuchungen  über  die  Spermatozoiden.  Botanische 
Zeitung  1899.     No.  1. 


Im  Austausch  wurden  erhalten: 

Geol.  Förening  Stockholm,  Bd.  20,  Heft  6,  7;  Bd.  21.  No.  1. 

Mem.  Soc.  Science  natur.  Cherbourg,  T.  XXX. 

Bullet.  Soc.  Sei.  Natur.  Ouest  France  Nantes,  T.  8,  Trim.  1.  2. 

Mittheil.  Deutsch.  Seefischereivereins,  Bd.  XIV,  No.  11,  12. 

Verhandl.   botan.  Verein  Prov.  Brandenburg,  Jahrg.  40. 

Ann.  Rep.  Curator  Mus.  Compar.  Zool.   1897/98. 

26.  Jahresber.  westfäl.  Prov. -Verein  1897/98. 


Sitzung  am  21.  Februar  1899.  37 

Mem.  y  Revista  Soc.  Cientif.  „Antonio  Alzate",  XI,  No.  9—12. 
Proc.  Acad.  Nat.  Sei.  Philadelphia  1898,  Part  II. 
Transact.  Ottawa  Literary  Scientif.  Soc,  No.   1. 
Bullet.  Soc.  Imperial  Natural.  Moscou  1898,  No.   1. 
Tijdschr.  nederland.  dierkundig.  Vereeuig..  (2)  VI,  No.  1. 
Berl.  Entom.  Zeitschr.,  Bd.  43.  Heft  1,  2. 
Korrespondenzblatt  Naturf.  Verein  Riga,  XL. 
Comunicaciones  del  Mus.  Nac.  Buenos-Aires,  T.  I.  No.  2. 
University  of  Toronto  Studies  1898,  No.  1. 
Anal.  Mus.  Nac.  de  Montevideo,  T.  III,  Fase.  X. 
Trans.  Wagner  Free  Instit.,  vol.  III,  part.  IV. 
Mineral  Resources  1898,  No.  4. 
Rec.  Geol.  Survey  New  S.  Wales,  vol.  VI.  p.  I. 
Mem.  Geolog.  Survey  N.  S.  Wales  Palaeontogy,  No.  6. 
Monographs  Unit.  Stat.  Geolog.  Suvrey,  vol.  XXX. 
Bolet.  mens,  observat.  meteorol.  central.,  Aug.  Sept.   1898. 
Mem.  Comite  Geolog.,  vol.  XVI.  No.  1. 
Trans.  Zool.  Soc.  London,  vol.  XIV,  part  7.  8;  XV,  part.  1. 
Transact.  Cambridge  Philos,  Society,  vol.  XVII,  part.  II. 
Stavanger  Museum  Aarsberetning  for  1897. 
Account  Crustacea  Norway,  vol.  II,  part.  XI,  XII. 
Journ.As.Soc.Bengal,  vol.XLII,  Partll,  Titel  u.  Index  f.  1897. 
„       „      „         „  „  „       No.  1,  2.   1898. 

„      „         „  „         Part  III,  No.  1,  1898. 

Meddel.  Soc,  Faun.  Flor.  Fenn.,  Heft  23,  Helsingsfors  1898. 
Act.  Soc.  Faun.  Flor.  Fenn.,  vol.  XII  u.  XIII. 
Christiania  Vid.  Selsk.  Förh.  for  1898,  No.  1—5.    Christia- 

nia  1898. 
Mittheil.  Nat.  Mus.  Hamburg,  XV.  Jahrg.,  1898. 
Atti  Soc.  Ligust.,  Vol.  IX,  No.  3  u.  4,  Anno  IX,  Genova  1899. 
Atti  Soc.  Toscana  Sc.  Nat..  Vol.  XVI,  Pisa  1898. 
Atti  Soc.  Nat.  Modena,  Ser.  III.  Vol.  XV,  Anno  XXX,  Fase. 

I  u.  II.  Modena  1898. 
„       „        „  „  „        Vol.    XVI,      Anno    XXXI, 

Fase.  I  u.  II,  Modena  1898. 
Proc.  Amer.  Ac.  Arts  a.  Sei.,  Vol. XXXIV,  No.  1,  August  1898. 
Sitzungsber.  kgl.  Ak.  Wissenschft..  XL-LIV,  Oct.-Dec.  1898, 
Berlin  1898. 


38  Gesellschaft  natwforscfrender  Freunde,  Berlin. 

Leopoldina,  Heft  XXXIV.  No.  11.  12;  Heft  XXXV,  No.  1. 
Naturwissenschaftl.  Wochenschrift,   Bd.  XIII,   No.  47-52; 

Bd.  XIV.  No.  2.  3,  4.  5,  7.  8. 
Rendic.  Accad.  Sc.  Fis.  Mai,  Ser.  3.  Vol.  IV.  V. 
Dep.  of  the  Int.  Bull.  U.  St    Geolog    Surv..   No.  88  u.  89. 
Verh.  Nat.-Med.  Ver.  Heidelberg.  Neue  Folge,  Bd.  VI,  Heft  1. 
Ann.  K.  K.  Nat.  Hofmus.,  Bd.  XIII.  No.   1. 
Proc    Transact.  Nat.  Hist,  Soc.  Glasgow,  Vol.  I,  Part  1  -3; 
Vol.  II,    Part  1—2;    Vol.  III,    Part  1-3;    Vol.  IV. 
Part  1—3;    Vol.  V.  Part  1-2. 
Anzeiger  Akad.  Wiss.  Krakau  1898,  October-December. 
Bull.  Un.  Stat.  Geolog.  Survey.  No.  149. 
Journ.  Micr.  R.  Soc.  London  1898.  Part  6. 
Commissäo  Geogr.  e  geol.  Sao  Paulo  1893—1897. 
Report  Secretary  of  Agriculture  1898. 
Proc.  Canad.  Instit.  Toronto,  vol.  1.  pari  6,  No.  6. 
Trans.  Acad.  Sei.  St.  Louis,  vol.  VII.  No.  17—20;  vol.  VIII, 

1-7. 
Kansas.     University  Quarterly,    vol.  I,   1.  3,  4;    II,   1—4; 

III.  1-4;  IV,  1-4;  V,  1,  2;  VI,  1-4;  VII,  1,  2. 
Bollet.  Pubbl.  Ital.  1898,  309-311;  1899,  315. 
Annuaire  Mus.  Zool.  Petersburg  1898,  No.  1,  2. 

Als  Geschenke  wurden  dankbar  entgegengenommen: 
Coulteu,  The  origin  of  Gymnosperms  and  the  Seed  habit. 

Arch.  Instit.  Botan,  vol.  I. 
Gravis,    Recherches  anatoraiques  et  physiologiques  sur  le 

Tradescantia  virginka.     Bruxelles  1898. 


J    F.  Starcke,  Berlin  W 


Nr.  3.  1899. 

Sitzungs-Bericht 

der 

Gesellschaft  natiirforschencler  Freunde 

zu  Berlin 
vom  21.  März  1899. 


Vorsitzender:  Herr  Wittmack. 


Herr  Hennings  sprach  über  das  Tömösvary'sche 
Organ  bei  Glomeris. 

Seit  längerer  Zeit  mit  dem  Studium  der  Augen-Ent- 
wicklung bei  den  Diplopoden,  speziell  bei  Julus  oder  Glo- 
meris beschäftigt,  stiess  ich  bei  der  Untersuchung  der  letzteren 
Gattung  auf  einen  eigenthümlichen  Sinnesapparat,  welcher 
öfters  in  der  Litteratur  unter  dem  Namen  des  Tömösvary- 
schen  Organs  erwähnt  wird,  ohne  bisher  hinreichend  be- 
kannt zu  sein.  Im  Jahre  1882  beschrieb  nämlich  Tömös- 
vary,  wie  er  meinte  zum  ersten  Male,  hufeisenförmig  ge- 
staltete Gruben  auf  dem  Kopfe  der  Glomeris  -Arten,  die  er 
als  Sinnesorgane  von  unbekannter  Funktion  deutete.  Ab- 
gesehen davon,  dass  seine  Beschreibung  höchst  mangelhaft 
und  nicht  einmal  durch  eine  Zeichnung  unterstützt  ist,  irrt 
er  sich  darin,  wenn  er  glaubt,  er  sei  gewissermassen  der 
Entdecker  dieses  Organs:  zunächst  hat  es  bereits  Leydig 
im  Jahre  1864,  allerdings  gleichfalls  nur  ganz  kurz  be- 
schrieben und  sogar  abgebildet.  Bei  den  damaligen  un- 
zureichenden technischen  Hülfsmitteln  ist  es  nicht  ver- 
wunderlich, dass  seine  Darstellung  im  Wesentlichen  irrthüm- 
lich  ist.  Ausserdem  hat,  ungefähr  gleichzeitig  mit  Tömösvary, 
Latzel  dasselbe  Organ  beobachtet  und  nannte  es  Schläfen- 
gruben (foveae  laterales  capitis).  Mit  diesem  Namen  wird 
es  meist  von  den  Systematikern   bezeichnet,    während  die 

3* 


40  Gesellschaft  naturforschender  Freunde,  Berlin. 

Anatomen  (z.  B.  Saint  Remy)  den  Ausdruck  „Tömösvary- 
sches  Organ"  vorziehen. 

Ich  habe  mich  nun  eingehender  mit  diesem  eigenthiim- 
lichen  Sinnesapparat  beschäftigt  und  bin  in  der  Lage,  einige 
Mittheilungen  über  den  feineren  Bau  desselben  zu  machen; 
die  Resultate  meiner  Untersuchungen  über  seine  Entwick- 
lung und  Funktion  werde  ich  seinerzeit  mittheilen. 

Mir  lagen  folgende  Vertreter  der  Glomeriden  vor:  von 
sehenden  Formen  Glomeris  marginata,  europaea,  pustulata  und 
pulchra,  von  blinden  Typhloglomeris  coeca  Verhoefp.  *) 

Bei  allen  diesen  Formen  findet  sich  das  Tömösvary- 
sche  Organ  in  derselben  Weise  ausgebildet:  wenn  Verhoeff 
in  der  Diagnose  seiner  neuen  Gattung  Typhloglomeris  die 
Angabe  macht,2)  „die  Schläfengruben  ringsum  von  tiefer 
Furche  umgeben,  also  nicht  hufeisenförmig",  so  beruht  dies 
auf  einen  Irrthum  seinerseits:  meine  Schnittpräparate  sowie 
auch  einfache  Aufsichtsbilder  zeigen  deutlich,  dass  das 
TöMösvARY'sche  Organ  bei  dieser  Form  genau  so  gebaut 
ist,  wie  bei  allen  anderen  Glomeriden  und  zwar  in  folgen- 
der Weise: 

Auf  dem  Kopfe  bemerkt  man  zwischen  den  Antennen 
und  den  Augen,  jedoch  den  letzteren  näher  als  den  ersteren, 
jederseits  eine  hufeisenförmige  Grube,  deren  Länge  durch- 
schnittlich 9/io  mm,  deren  Breite  5/io  mm  beträgt.  Die  Ränder 
der  Grube    fallen    ganz    allmälig    ab,    indem  sie  sich  nur 


J)  Zu  meinem  grossen  Erstaunen  theilte  mir  Herr  Dr.  Verhoeff 
vor  einigen  Tagen  brieflich  mit,  dass  er  bei  den  von  ihm  neuerdings 
aufgestellten  „durch  völlige  Blindheit  von  allen  bekannten  Glomeriden 
sich  unterscheidenden"  beiden  Vertretern  seiner  neuen  Gattung  Ty- 
pMoglomeris ,  nämlich  sp.  coeca  und  sp.  fiumarana  „Corneallinsen" 
gefunden  hätte.  Die  erstere  Species  konnte  ich  von  dem  Autor  käuf- 
lich erwerben  und  muss  ich  nach  meinen  an  Schnitten  geführten  Unter- 
suchungen trotz  der  z.  T.  mangelhaften  Conservirung  hervorheben, 
dass  dieselbe  in  der  That  völlig  blind,  also  auch  nicht  im  Besitz  von 
Linsen  ist.  Was  die  zweite  Species  anbetrifft,  so  konnte  ich  nur  das 
einzige  Exemplar  des  kgl.  Museums  für  Naturkunde  zu  Berlin  besich- 
tigen, doch  fand  ich  nichts,  was  irgendwie  als  Augenrudiment  zu 
deuten  gewesen  wäre. 

2)  Arch.  f.  Naturgesch.  1898.     Bd.  1,  Heft  2. 


Sitzung  vom  21.  März  1899. 


41 


Figur  1:  Aufsichtsbild. 


Figur  2:  Querschnitt. 

Erklärung  der  Figurenbezeichnung: 
z  Zapfen,  k  Sinneswulst,  sc  Sinneszellen. 

wenig  nach  innen  biegen  und  in  eine  dünnere,  im  Gegen- 
satz zum  tiefbraunen  Chitin  des  übrigen  Kopfes  hellgelb 
gefärbte  Chitinhaut  übergehen.  Gestützt  wird  diese  durch 
stärkere  Chitinbalken,  welche  von  dem  der  Grube  die  huf- 


42  Gesellschaft  natu  r forschen  der  Freunde,  Berlin. 

eisenförmige  Gestalt  gebenden  Zapfen  (Fig.  1  z)  ausgehen. 
Ungefähr  in  der  Mitte  ist  diese,  die  Decke  der  Grube 
bildende  Chitinhaut  der  Länge  nach  gespalten,  jedoch  reicht 
die  Spaltung  nicht  bis  an  die  Enden  der  Hufeisenschenkel, 
sodass  die  auf  diese  Weise  gebildeten  Lamellen  hier  zu- 
sammenhängen. Die  Spalte  selbst  macht  in  der  Aufsicht 
den  Eindruck  einer  feingezähnelten  Linie,  indem  die  Ränder 
der  beiden  Lamellen  mit  kleinsten  Zacken  in  einander 
greifen.  Auf  Querschnitten  ist  jedoch  ersichtlich,  dass  der 
hier  gebildete  Verschluss  der  Grubendecke  etwas  com- 
plicirter  ist  (s.  u.).  Im  Innern  der  Grube  bemerkt  man, 
unterhalb  dieser  Decke,  einen  Wulst,  der  gleichfalls  huf- 
eisenförmig gestaltet  ist,  jedoch  nicht  die  ganze  Grube, 
sondern  nur  deren  centralen  Theil  erfüllt  (Fig.  1  k).  Das 
Chitin,  welches  dieses  Wulst  überzieht,  ist  härter  als  das 
der  Grubendecke  und  erscheint  fein  gekörnt. 

Nach  geeigneter  Conservirung  und  unter  Anwendung 
von  Mastix-Collodium  gelang  es  mir,  Querschnitte  von 
5  — 10  ]x  Dicke  anzufertigen;  einen  solchen  stellt  Figur  2 
vor.  Zunächst  bemerkt  man  auf  diesem  den  schon  er- 
wähnten, in  die  Grube  von  der  Seite  der  Antennen  her 
vorspringenden  Chitinzapfen  (Fig  2  z);  er  ist  rechts  und 
links  in  je  zwei  Spitzen  ausgezogen,  welche  jederseits 
einen  Zahn  des  äusseren  Grubenrandes  angreifen.  Auf 
diese  Weise  wird  statt  des  im  Aufsichtsbild  (Fig.  1)  sehr 
einfach  als  Zähnelung  erscheinenden  Verschlusses  eine  sehr 
feste  und  trotzdem  bewegliche  Verbindung  zwischen  den 
beiden  Lamellen  hergestellt.  —  Der  gleichfalls  in  der  Art 
eines  Hufeisens  gebogene,  fein  gekörnte  Wulst  k  der  Fig.  1 
lässt  im  Querschnitt  folgendes  erkennen:  am  weitesten  nach 
innen  liegt  ein  Sinnesepithel  aus  sehr  schmalen,  lang- 
gestreckten Zellen  (Fig.  2  sc).  Die  Kerne  derselben  liegen 
am  proximalen  Ende,  während  distal,  dicht  unterhalb  der 
chitinigen  Oberfläche  des  Wulstes  sich  eine  aus  2—3  Lagen 
zusammengesetzte  Schicht  kleiner  Körnchen  im  Zellplasma 
findet.  Entsprechend  der  Hufeisenform  zeigt  der  Wulst  im 
Querschnitt  zwei  buckelartige  Hervorwölbungen,  welche 
jederseits  mit  dem  oben  beschriebenen  Zahnyerschluss  cor- 


Sitzung  vom  21.  März  1S99.  45 

respondiren.  —  Der  Wulst  ist  mithin  wohl  der  eigentliche 
sensorische  Apparat  des  ganzen  Organs:  Zapfen  und  Zahn- 
verschluss  scheinen  nur  zu  seinem  Schutze  vorhanden  zu 
sein.  —  Die  Innervation  des  TöMösvARY'schen  Organs  ge- 
schieht in  folgender  Weise:  das  länglichrunde  Gehirn  lässt 
keinen  eigentlichen  lobus  opticus  erkennen;  es  schickt  an 
seinen  beiden  schmalen  Enden  jederseits  zwei  starke 
Nervenstämme  aus.  von  denen  der  eine,  weiter  vorn  ge- 
legene, der  opticus  ist,  der  andere,  weiter  nach  hinten  ver- 
laufende, der  sog.  nervus  Tömösväryi.  Während  der  opticus 
bald  nach  seinem  Ursprung  aus  dem  Gehirn  sich  in  meh- 
rere rami  optici  auflöst,  von  denen  jeder  zu  einem  der 
acht  Ocellen  geht,  verläuft  der  TöMösvARY'sche  Nerv  als 
ein  dicker  Stamm  bis  zu  dem  von  ihm  innervirten  Organ, 
um  erst  in  diesem  selbst  sich  in  eine  grosse  Zahl  feinster 
Aeste  aufzulösen  und  ein  dichtes  Nervengeflecht  zu  bilden. 
Eigenthümlicherweise  sind  beide  Nervenstämme  von  ihrem 
Ursprung  an  durch  einen  ziemlich  starken  Tracheenast  von 
einander  getrennt,  welcher  an  der  vorderen,  dem  opticus 
zugekehrten  Seite  des  Tömösvary' sehen  Nerven  verläuft 
und  sich  mit  diesem  zusammen  innerhalb  des  Organs  in 
feinste  Tracheenzweige  theilt. 

Diese  Art  der  Innervation  gilt  natürlich  nur  für  die 
sehenden  Formen:  Typhloglomeris  entbehrt,  wie  jeder  An- 
deutung von  Augen,  so  auch  jedes  opticus-Rudiments!  Trotz 
der  gerade  für  diesen  Zweck  äusserst  mangelhaften  Con- 
servirung  glaube  ich  doch  für  diese  Gattung  folgendes  con- 
statiren  zu  können:  aus  dem  Gehirn  entspringt  jederseits 
nur  ein  einziger  starker  Nervenstamm,  eben  der  Tömösyary- 
sche  Nerv;  er  verläuft  unverzweigt  bis  zu  dem  beschriebenen 
Sinneswulst,  um  sich  erst  in  diesem  in  feinste  Fasern  auf- 
zulösen. 

Was  die  Entwicklung  des  Tömösvary' sehen  Organs  an- 
betrifft, so  kann  ich  bis  jetzt  nur  folgendes  aussagen:  bereits 
auf  einem  Stadium,  wo  der  Embryo  eine  Länge  von  1,5 
bis  2  mm  erreicht  hat  und  nur  einen  einzigen  ocellus  jeder- 
seits besitzt,  findet  sich  das  Organ  in  genau  derselben 
Weise  ausgebildet,  wie  bei  den  erwachsenen  Thieren. 


44  Gesellschaft  nalurforschender  Freunde,  Berlin. 

Funktionell  scheint  man  es  hier  mit  einem  chemischen 
Sinnesorgan  zu  thun  zu  haben,  doch  sind  auch  hierüber, 
wie  über  die  Entwicklungsgeschichte  meine  Untersuchungen 
noch  nicht  abgeschlossen. 

Herr  P.  DEEGENER  machte  eine  vorläufige  Mittheilung 
über  Bau  und  Stellung  der  Mundgliedmaassen  bei 
Hydrophilus. 

Bei  der  folgenden  kurzen  Abhandlung  über  die  Ent- 
wickjung der  Mundwerkzeuge  von  Hydrophilus  möchte  ich 
mich  auf  die  Mittheilung  der  von  mir  gefundenen  Resultate 
beschränken,  soweit  sie  sich  auf  eine  Nachprüfung  der  von 
Fr.  Meinert  gemachten  Angaben  beziehen. 

Herr  Dr.  Heymons  war  so  freundlich,  mich  auf  eine 
im  Jahre  1897  erschienene  kleine  Arbeit  von  Fr.  Meinert 
(Om  Muudbygningen  hos  Insecterne,  Saertryk  af  0 versigt 
over  det  Kgl.  Danske  Widenskabernes  Selskabs  Forhand- 
linger  1897)  aufmerksam  zu  machen,  in  welcher  der  ge- 
nannte Forscher  seine  von  der  bisher  allgemein  gültigen 
wesentlich  abweichende  Anschauung  über  den  Bau  und  die 
Reihenfolge  der  Mundgliedmaassen  bei  Coleopteren  nieder- 
gelegt hat.  Seine  Untersuchungen  erstreckten  sich  zunächst 
nur  auf  Larven  und  Imagines  und  er  meint,  die  von  Sa- 
vigny  aufgestellte  Reihenfolge  der  Mundwerkzeuge,  nämlich 
1.  die  2  Mandibeln,  2.  die  2  Maxillen  und  3.  das  Labiuin, 
für  die  heteromorphen  Insecten  nicht  als  richtig  anerkennen 
zu  dürfen,  vielmehr  die  umgekehrte  Reihenfolge  annehmen 
zu  müssen.  Für  die  homomorphen  Insecten  lässt  er  da- 
gegen die  alte  Reihenfolge  bestehen,  uur  stellt  er  die  Maxillen 
vor  die  Mandibeln.  Als  Criterium  dafür,  ob  das  Labium 
an  erster  oder  letzter  Stelle  in  der  Reihe  der  Mundglieder 
steht,  gilt  ihm  der  Umstand,  dass  es  —  wie  bei  den  hetero- 
morphen Insecten  -  mit  dem  Pharynx  verwachsen  oder 
—  wie  bei  den  homomorphen  Insecten  -  -  frei  ist  vom 
Pharynx.  Er  legt  nun  ganz  besonderes  Gewicht  darauf, 
dass  sich  diese  Verschiedenheit  im  Mundbau  genau  mit  der 
Eintheilung  der  Hexapoden  nach  vollkommener  oder  un- 
vollkommener Verwandlung-  deckt. 


Sitzung  am  21.  März  1S99.  45 

Da  nun  Meinert  seine  Befunde  an  Larven  und  Ima- 
gines  durch  die  embryologischen  Untersuchungen  von  Ko- 
walevski,  Graber,  Heider  und  Heymoxs  keineswegs  be- 
stätigt fand,  entschloss  er  sich  zu  eigenen  Studien  auf 
diesem  Gebiet  und  war  gezwungen,  sie  an  einem,  wie  er 
selbst  zugiebt.  durchaus  unzureichenden  Material  durchzu- 
führen. Hauptobject  seiner  Forschungen  war  Hydrocharis 
caraboides,  von  dem  er  nur  4  Cocons,  also  nur  4  verschiedene 
Embryonalstadien  besass,  weil  alle  Eier  eines  Cocons  nahe- 
zu auf  gleicher  Entwicklungsstufe  stehen.  Das  Resultat 
dieser  Untersuchungen  lässt  sich  kurz  dahin  zusammen- 
fassen: Das  zuerst  augelegte,  aus  der  Verschmelzung  der 
zweiten  Maxillen  hervorgegangene  Labium  —  Meinert's 
primäres  Labium  —  ist  nicht  identisch  mit  dem  definitiven 
Labium,  für  das  Meinert  die  Bezeichnung  secundäres  La- 
bium vorschlägt.  Vielmehr  wird  das  primäre  Labium  rück- 
gebildet, während  oralwärts  von  ihm  am  ersten  postoralen 
Metamer,  dem  Iutercalarsegment,  das  übrigens  auf  diesem 
Stadium  nicht  mehr  existirt.  das  secundäre  Labium  sich  an- 
legt. Da  Meinert  nicht  im  Stande  wrar,  an  seinem  un- 
vollständigen Material  die  Entwicklung  der  Mund  Werkzeuge 
von  Stufe  zu  Stufe  genau  zu  verfolgen,  und  da  auch  die 
Bilder,  auf  denen  Reste  des  primären  und  die  Anlage  des 
secundären  Labiums  gleichzeitig  vorhanden  waren,  nicht 
besonders  klar  gewesen  sein  mögen,  greift  Meinert  dazu, 
aus  dem  Vergleich  des  jungen  mit  dem  älteren  Labium 
den  Schluss  zu  ziehen,  dass  eine  Identität  beider  Labien 
sehr  unwahrscheinlich,  wenn  nicht  unmöglich  sei;  denn 
während  das  primäre  Labium  deutlich  hinter  den  Maxillen 
liege,  vollständig  ungetheilt  sei  und  zwischen  den  Labial- 
tastern keinen  mittleren  Zapfen  aufweise,  habe  das  secun- 
däre Labium  seine  Stellung  unmittelbar  hinter  dem  Munde 
und  vor  den  Maxillen  und  Mandibeln,  sei  deutlich  zwei- 
theilig und  besitze  einen  mittleren  unpaaren  Zapfen. 

Nachdem  ich  jetzt  Meinert' a  Ergebnisse  in  Kürze  zur 
Kenntniss  gebracht  habe,  wende  ich  mich  zur  Darstellung 
der  Resultate  meiner  eigenen  Untersuchungen,  soweit  sie 
sich  gegen  jene  richten.    Ich  möchte  besonders  hervorheben, 


46  Gesellschaft  naturforschender  Freunde,  Berlin. 

dass  mir  ein  durchaus  lückenloses,  reichliches  und  gut  con- 
servirtes  Material  von  Hydrophans  zur  Verfügung  stand, 
auf  Grund  dessen  ich  jeden  Fortschritt  der  Entwicklung 
auf's  Genaueste  verfolgen  konnte. 

Uni  zu  prüfen,  mit  welchem  Recht  Meinert  dem  La- 
bium  die  erste  Stelle  in  der  Reihe  der  Mundgliedmaassen 
anweist,  richtete  ich  in  erster  Linie  meine  Aufmerksamkeit 
auf  die  Entwicklung  der  zweiten  Maxillen  und  suchte  die 
Anlagen  ihrer  einzelnen  Theile  zugleich  mit  denen  der 
ersten  Maxillen  zu  homologisiren.  Es  ist  klar,  dass  mit 
der  Möglichkeit  des  Nachweises  eines  übereinstimmenden 
Bauplans  beider  Gliedmaassenpaare  Meinert' s  Annahme 
von  dem  unabhängigen  Auftreten  eines  zweiten  oder  secun- 
dären  Labiums  hinfällig  wird.  Dieser  Nachweis  ist  mir 
nun,  wie  ich  glaube,  mit  aller  wünschenswerthen  Deutlich- 
keit gelungen. 

Betrachten  wir  einen  jugendlichen  Embryo,  bei  dem 
die  Anlagen  der  zweiten  Maxillen  noch  getrennt  sind 
(Fig.  1  mx2),  so  machen  sich  hier  schon  geringe  Verschieden- 
heiten zwischen  den  beiden  Gliedmaassenpaaren  geltend, 
die  darauf  hindeuten,  dass  die  zweiten  Maxillen  ihre  Func- 
tion als  Kiefern  in  phylogenetisch  weit  zurückliegender  Zeit 
eingebüsst  haben  müssen.  Auf  den  ersten  Blick  freilich 
erscheinen  die  zweiten  Maxillen  nur  als  eine  wenig  modi- 
ficirte  Wiederholung  der  ersten  Maxillen.  Bei  genauerer 
Prüfung  stellt  sich  jedoch  heraus,  dass  bei  den  zweiten 
Maxillen  Lobus  externus  und  internus  eine  einheitliche, 
nicht  mehr  gesonderte  Anlage  darstellen.  Dementsprechend 
fehlen  dem  fertigen  Labium  die  Paraglossae.  oder  richtiger, 
sie  sind  in  der  Glossa  mitenthalten.  Im  Uebrigen  ist  je 
doch  die  Homologie  beider  Maxillenpaare  vollkommen,  in- 
dem der  proximale  Theil  bei  beiden  als  gemeinsame  Anlage 
von  Cardo  und  Stipes  gedeutet  werden  muss  und  auch  die 
Taster  einander  homolog  sind. 

So  liegen  die  Verhältnisse  im  Wesentlichen  noch,  wenn 
die  zweiten  Maxillen  zur  Formiruug  des  Labiums  zusammen- 
getreten sind.  Dies  Labium  entspricht  dem  von  Meinert 
als   primäres   Labium    bezeichneten    verschmolzenen   Glied- 


Sitzung  vom  kl.  März  1899. 


47 


maassenpaar  (Fig.  2  lb).     Finden    wir   in    der   distalwärts 
stark  verbreiterten  Labialplatte  die  gemeinsame  Anlage  von 


Fig.  3. 


Cardo  und  Stipes  wieder  und  ergiebt  sich  die  Homologie 
der  Taster  mit  den  Palp.  inaxillares  von  selbst,  so  erscheint 
es  doch  zunächst  fraglich,  ob  wir  hier  das  Verschmelzungs- 
product  der  früher  erwähnten  gemeinsamen  Anlage  von  Lobus 
extern us  und  internus  noch  auffinden  können,  da  es  äusser- 
lich  nicht  deutlich  hervortritt.  Ich  glaube  als  dieses  ohne 
Bedenken  die  mittlere  zwischen  den  Labialtastern  gelegene 
Partie  am  distalen  Rande  der  Unterlippe  in  Anspruch  nehmen 
zu  dürfen;  denn  nur  au  dieser  Stelle  konnten  die  beiden  in 
Rede  stehenden  Anlagen  bei  der  Vereinigung  der  zweiten 
Maxillen  zusammenstossen,  und  ich  habe  aufs  Genaueste 
beobachtet,  dass  sie  vor  der  Bildung  des  Labiums  nicht 
verschwinden,  sondern  sich  in  der  Medianlinie  aneinander- 
legen  und  verschmelzen.  Es  ist  nun  äusserlich  freilich  keine 
Spur  mehr  von  ihnen  sichtbar,  und  das  konnte  mit  Rück- 
sicht   auf  die  Form  der  zweiten  Maxillen  vor  ihrem  Zu- 


48  Gesellschaft  naturforschender  Freunde,  Berlin. 

sammentritt  kaum  anders  erwartet  werden.  Denn  wenn 
sich  die  beiden  stumpfen  Höckerchen  aneinanderlegten, 
musste  die  distale  Begrenzuugslinie  eine  schwache,  anal- 
wärts  gerichtete  Convexität  aufweisen  und  so  die  distale 
Grenzlinie  des  ganzen  Labiums  eine  ununterbrochene  werden. 
Sie  liefern  aber  zugleich  diejenige  Partie  des  Labiums,  durch 
welche  die  Taster  au  ihrer  Basis  getrennt  sind.  Wären  sie 
vor  der  Bildung  der  Unterlippe  verschwunden,  so  müssten 
die  Taster  mit  ihren  Basen  sich  unmittelbar  berühren. 

Ich  bin  bei  der  Darstellung  dieser  Verhältnisse  ab- 
sichtlich etwas  mehr  ins  Einzelne  gegangen,  weil  ich  Meinert 
gegenüber  darauf  Gewicht  lege.  Während  nämlich  das 
Labium  zugleich  mit  den  übrigen  Mundgliedmaassen  jedoch 
etwas  schneller  als  diese  ovalwärts  rückt,  nähert  es  sich 
immer  mehr  der  Gestalt  des  von  Meinert  so  genannten 
seeundären  Labiums.  Wir  sehen,  dass  die  gemeinsame  und 
sich  äusserlich  nicht  mehr  deutlich  abhebende  verschmolzene 
Anlage  der  Lobi  externi  und  iuterni  durch  die  mediane  Ver- 
schmelzung keineswegs  die  Tendenz  zu  weiterem  Wachs- 
thum  verloren  hat.  An  der  vorhin  bezeichneten  Partie 
zwischen  den  Labialtastern  beginnt  nämlich  eine  anfangs 
ganz  geringe,  später  mächtigere  Vorwölbung  aufzutreten,  die 
sich  in  die  Länge  streckt  und  zu  der  Glossa  wird,  jenem 
Zapfen,  dessen  Vorhandensein  Meinert  so  sehr  betont  als 
wichtiges  Zeuguiss  gegen  die  Identität  beider  Labien.  Diese 
Glossa  stellt  nun  zwar  bei  unserem  Object  nicht,  wie  bei 
vielen  Orthopteren,  das  Verschmelzungsproduct  der  Intern- 
loben dar,  sondern  ist,  da  eine  Differenzierung  in  Lob.  ex- 
ternus  und  internus  überhaupt  nicht  mehr  eintritt,  als  Pro- 
duet  der  Verwachsung  beider  gemeinsamer  Lobenanlagen 
aufzufassen.  Gleichzeitig  mit  dem  Auftreten  der  Glossa 
beginnt  das  Labium  in  seiner  Hauptmasse  sich  zu  der  Form 
des  „seeundären"  Labiums  zu  gestalten.  Es  tritt  eine  zu- 
erst nur  schwach  angedeutete,  aber  bald  mit  voller  Klar- 
heit hervortretende  Quertheilung  ein,  die  das  Labium  in 
eine  proximale  Platte,  das  Submentum,  und  eine  distale 
Platte,  das  Mentum,  zerlegt  (Fig.  3  lb).  Haben  wir  in  dem 
einheitlichen,    ungegliederten  Labium   die   Verschmelzungs- 


Sitzung  vom  21.  März  1898.  49 

masse  der  gemeinsamen  Anlage  von  Cardo  und  Stipes  durch 
Vergleich  mit  den  ersten  Maxillen  erkannt,  so  sehen  wir 
jetzt  Cardo  und  Stipes  sich  differenzieren  und  finden  ganz 
wie  bei  den  Orthopteren  in  dem  Submentum  die  ver- 
schmolzenen Cardines,  in  dem  Mentum  die  verwachsenen 
Stipites  der  ursprünglichen  zweiten  Maxillen  wieder.  Da- 
mit entspricht  das  Labium  der  Coleopteren  morphologisch 
vollkommen  dem  der  Orthopteren  und  ist  nicht  mit  Meixert 
als  eine  Neubildung  aufzufassen,  die  nur  den  heteromorphen 
Insecten  zukommt. 

Um  nun  Meinekt  vollends  zu  widerlegen,  habe  ich 
noch  auf  den  Stellungswechsel  des  Labiums  näher  einzu- 
gehen. 

Nachdem  die  Mandibeln  und  Maxillen  ihren  definitiven 
Platz  neben  der  Mundöffnung  erreicht  haben,  stehen  die 
Mandibeln  etwas  auswärts  von  und  vor  den  Maxillen.  Da 
die  Sternaltheile  der  Mundgliedmaassenmetamere  hinter  der 
Mundöffnung  dicht  gedrängt  liegen  und  nach  vorn  nicht 
weiter  vorrücken  können,  ist  auch  das  Labium  verhindert, 
seine  Stellung  unmittelbar  am  Hinterrand  des  Mundes  ein- 
zunehmen. Nun  wird  es  durch  das  Wachsthum  nach  vorn 
gedrängt,  die  Sternite  geben  dem  Druck  nach  und  weichen 
unter  Bilduug  einer  Falte  nach  unten  aus.  Diese  Falte 
ist  der  Hypopharynx,  dessen  Abstammung  von  den  Ster- 
niten  der  Mundgliedmaassensegmente  Heymons  schon  vor 
Meinert's  Publication  1895  nachgewiesen  hat.  Aus  dieser 
Entstehung  des  Hypopharynx  geht  ohne  Weiteres  hervor, 
dass  die  Unterlippe  nicht,  wie  Meinekt  annimmt,  mit  dem 
Pharynx  verwachsen  ist  und  direct  in  die  Mundhöhle  über- 
geht; vielmehr  setzt  sich  das  Labium  mit  seinem  proxi- 
malen Rande  in  den  Hypopharynx  fort,  der  erst  seinerseits 
mit  seiner  proximalen  Partie  in  die  Mundhöhle  übergeht. 
Wir  finden  also,  dass  die  von  Savigny  aufgestellte  Reihen- 
folge der  Mundwerkzeuge  beibehalten  und  Meinert's  An- 
gabe als  irrthümlich  zurückgewiesen  werden  muss. 


50  Gesellschaft  naturforschender  Freunde,  Berlin. 

Herr  W.  HARTWIG  sprach  über  eine  neue  Gandona 
aus  der  Provinz  Brandenburg:  Candona  weltneri 
W.  Hartwig,  nov.  sp. 

Bei  beiden  Geschlechtern  ist  die  Schale  ziemlich  stark, 
weiss,  glänzend  und  nur  spärlich  behaart;  an  den  Enden, 
besonders  am  Vorderende,  ist  die  Behaarung  am  stärksten. 
Der  Grössenunterschied  beider  Geschlechter  ist  nur  gering; 
bezüglich  der  Schalenform  jedoch  variiren  beide  Geschlechter 
nicht  unbedeutend. 

1.  Das  Männchen. 

Die  Schale  (siehe  Fig.  1):  Die  Grössenverhältnisse 
der  Schale  sind,  in  Millimetern  ausgedrückt,  im  Mittel: 
Länge  :  Höhe  :  Breite  =  1,25  :  0,73  :  0,63.  In  der  Seiten- 
ansicht ist  dieselbe  fast  bohnenförmig.  jedoch  hinten  be- 
deutend höher  als  vorn;  beide  Enden  sind  nach  unten 
schief  abgerundet.  Die  Rückenkante  bildet  vom  Auge  bis 
zur  höchsten  Stelle  des  Rückens  eine  fast  gerade  Linie,  nur 
ist  sie  im  vorderen  Theile  etwas  gewölbt  und  vor  dem 
Auge  kaum  merklich  eingebuchtet  (concav).  Die  Bauchkante 
ist  stark  eingebuchtet  und  zwar  so,  dass  die  tiefste  Stelle 
der  Einbuchtung  den  Muskeleindrücken  gegenüber  liegt.  Im 
hinteren  Drittel  ist  der  Bauchrand  deutlich  bemerkbar  aus- 
gebuchtet (convex);  diese  Ausbuchtung  liegt  ungefähr  der 
höchsten  Stelle  des  Rückenrandes  gegenüber.  Von  denMuskel- 
eindrücken  stehen  fünf  dicht  beisammen  und  bilden  fast  eine 
Rosette,  der  sechste  (grösste)  steht  von  dieser  Gruppe  etwas 
entfernt,  dem  Rücken  genähert.  Die  vier  Hodenschläuche 
schimmern  deutlich  durch.  In  der  Rückenansicht  ist  die 
Schale  eiförmig,  vorn  etwas  zugespitzt,  hinten  mehr  ab- 
gerundet; die  linke  Hälfte  überragt  vorn  und  hinten  die 
rechte.  Die  grösste  Breite  liegt  hinter  der  Mitte.  Die 
Schale  des  Männchens  erscheint  etwas  schlanker  als  die 
des  Weibchens. 

Die  zweite  Antenne  ist  sechsgliederig.  Von  den 
beiden  verschieden  langen  Spürorganen  an  dem  distalen 
Ende  des  vierten  Gliedes  überragt  das  längere  noch  mit 
der  Spitze  seines  Stieles  etwas  das  Endglied  der  Antenne, 


Sitzung  vom  11.  März  1898. 


51 


Fig.   t. 

während  das  kürzere  nur  mit  dem  häutigen,   löffeiförmigen 
Anhängsel  über  dieses  sechste  Glied  hinausreicht. 

Der  Putzfuss  (2.  Beinpaar)  ist  sechsgliederig;  jedoch 
ist  die  Theilung  des  vierten  Gliedes  meist  recht  schwer  zu 
erkennen.  Am  deutlichsten  war  die  Theiluug  bei  zwei 
Stücken  —  nachdem  ich  mit  Anilinblau  gefärbt  hatte  — 
wahrzunehmen,  welche  ich  schon  seit  dem  4.  Oktober  1894 
in  Spiritus  aufbewahrt  hatte.  Beim  dritten  Männchen  vom 
4.  Oktober  1894  war  der  eine  Putzfuss  durchaus  nur  fünf- 
gliederig,  der  andere  aber  deutlich  sechsgliederig.  Im 
ganzen  zergliederte  ich  15  Männchen.  Von  den  drei  langen 
Hakenborsten  des  kurzen  Endgliedes  ist  die  einzelnstehende 
(hintere)  kaum  merklich  länger,  dabei  aber  etwas  dünner, 
als  die  längere  der  beiden  anderen  (vorderen)  übereinander- 
stehenden  Borsten;  von  diesen  beiden  erreicht  die  untere 
(kürzere)  die  Hälfte  der  Länge  der  oberen.  Das  vierte 
Glied  des  Putzfusses  ist  am  Vorderrande  (Ventralrand)  mit 
6 — 7  sehr  kleinen  Dörncheu  ausgestattet;  das  dritte  Glied 


52 


Geseltecluift  natmrforschenäer  Freunde,  Berlin. 


dagegen  ist  an  demselben  Rande  nur  mit  5—6  solcher 
Dörnchen  versehen. 

Die  Furcalglieder  sind  etwas  gebogen  und  ver- 
jüngen sich  nach  der  Spitze  zu  bedeutend  und  zwar  so, 
dass  die  Basis  der  Glieder  dreimal  so  breit  ist  wie  die 
Spitze  derselben  an  der  Stelle,  wo  die  zweite  Endklaue 
inserirt  ist.  Die  hintere  Borste  ist  sehr  lang;  ihr  Abstand 
von  der  Spitze  des  Furcalgliedes  beträgt  den  dritten  Theil 
der  Länge  des  ganzen  Gliedes:  sie  ist  so  lang,  wie  die 
längste  Endklaue  und  reichlich  von  der  halben  Länge  der 
Furcalglieder.    Die  vordere  Borste  ist  sehr  kurz  und  dünn. 

Die  Greiforgane  (siehe  Fig.  2): 


Fig.  2. 

Das  Greiforgan  der  linken  Seite  (Fig.  2,  links  unten) 
ist  im  grösseren  Theile  fast  gerade;  es  verjüngt  sich  nach 
der  Spitze  zu  ziemlich  schnell;  der  Spitzentheil  desselben 
ist  ungefähr  in  Form  eines  Kreissegmentes  gebogen  und 
läuft  in  ein  hyalines  Gebilde  aus,  welches  mit  einem  mem- 
branösen  Endbörstehen  versehen  ist.     An  der  Basis  dieses 


Sitzung  vom  21.  März  1899.  53 

Greifhakens  ist  der  Kücken  desselben  stark  höckerartig 
aufgetrieben ;  gegenüber,  an  der  ventralen  Kante  des  Basal- 
theiles, befindet  sich  eine  seichte  Einbuchtung.  Kurz  vor 
Beginn  der  inneren  Spitzencurvatur  stehen  zwei  lange 
Borsten,  von  denen  die  eine  schräg  über  und  vor  der  an- 
deren eingefügt  ist. 

Das  Greiforgan  der  rechten  Seite  (Fig.  2,  rechts  oben) 
ist  an  der  Spitze  mehr  hakenförmig  gebogen  als  das  der 
linken  zweiten  Maxille.  Sein  Stiel  ist  von  der  Basis  bis 
zur  Einfügungsstelle  der  beiden  Borsten  gerade  und  fast 
von  gleicher  Stärke.  Die  beiden  langen  Borsten  an  der 
inneren  Curvatur  der  Spitze  sind  gleichfalls  hinter-  und 
übereinander  inserirt.  Die  Spitze  dieses  Greifhakens  läuft 
ebenfalls  in  ein  membranöses,  mit  einem  Endbörstchen  ver- 
sehenes Gebilde  aus. 

2.  Das  Weibchen. 

Die  Schale:  Ihre  Grössenverhältnisse  sind,  in  Milli- 
metern ausgedrückt,  im  Mittel  :  Länge  :  Höhe  :  Breite  = 
1.20  :  0,70  :  0,64.  In  der  Seitenansicht  erscheint  die 
Schale  weniger  deutlich  bohnenförmig  als  die  des  Männchens. 
Der  Rückenrand,  vom  Auge  bis  zum  höchsten  Punkte  hinten, 
ist  mehr  gewölbt  als  beim  Männchen;  die  höchste  Stelle 
des  Hinterrückens  ist  weniger  vorspringend  und  mehr  ab- 
gerundet als  beim  Männchen.  Der  Bauchrand  ist  kaum 
merklich  eingebuchtet.  Der  Eierstock  schimmert  deutlich 
durch.  Die  Muskeleindrücke  sind  denen  des  Männchens 
sehr  ähnlich.  In  der  Rückenansicht  ist  die  Schale  des 
Weibchens  ebenfalls  eiförmig,  fast  wie  die  des  Männchens; 
die  linke  Hälfte  überragt  auch  bei  dem  weiblichen  Ge- 
schlechte vorn  und  hinten  die  rechte;  die  grösste  Breite 
der  Schale  liegt  auch  hier  hinter  der  Mitte.  Im  ganzen 
erscheint  jedoch  die  Schale  des  Weibchens  etwas  gedrungener 
als  die  des  Männchens,  was  ja  auch  aus  den  oben  mitge- 
theilten  Grössenverhältnissen  hervorgeht. 

Die  zweite  Antenne  ist  fünfgliederig.  Am  Endgliede 
derselben  stehen  zwei  starke  Klauen  von  verschiedener 
Grösse.     Die   Riechborste   am   dritten  Gliede   der  Antenne 


54  Gesellschaft  naturforschender  Freunde,  Berlin. 

ist  nur  klein ;  ihre  Länge  beträgt  etwa  die  Hälfte  der  Breite 
dieses  Gliedes  an  der  Insertionsstelle  der  Riechborste. 

Der  Putzfuss  ist  ebenfalls  sechsgliederig  und  fast 
genau  so  gestaltet  wie  der  des  Männchens;  jedoch  sind  die 
beim  letzteren  erwähnten  Dörnchen  am  Rande  des  vierten 
und  dritten  Gliedes  hier  am  zweiten  Beine  des  Weibchens 
scheinbar  etwas  deutlicher  zu  bemerken.  Bei  einem  Weib.- 
chen  konnte  ich,  trotzdem  ich  gefärbt  hatte,  nur  an  einem 
Putzfusse  eine  Theilung  des  vierten  Gliedes  -  -  also  Sechs- 
gliederigkeit  —  feststellen;  das  andere  zweite  Bein  war 
durchaus  fünfgliederig.  In  Zukunft  wird  auf  solche  Un- 
gleichheiten mehr  zu  achten  sein,  da  sie  in  phylogenetischer 
Beziehung   nicht  ohne  Bedeutung  sein  dürften. 

Die  Furcalglieder  sind  mehr  gekrümmt  als  die  des 
Männchens;  ihre  Verjüngung  nach  der  Spitze  zu  ist  noch 
auffallender  als  bei  dem  letzteren,  da  sie  beim  Weibchen 
an  der  Basis  viermal  so  breit  sind  als  an  der  Spitze.  Die 
Borste  am  hinteren  Rande  der  Furcalglieder  ist  länger  als 
die  grössere  (vordere)  Endklaue  und  von  der  halben  Länge 
des  Furcalgliedes ;  ihre  Entfernung  von  der  Spitze  des 
Furcalgliedes  beträgt  den  dritten  Theil  der  Gesammtlänge 
desselben.  Die  vordere,  feine  Endborste  ist  nur  den  dritten 
Theil  so  lang  wie  die  grössere  Endklaue.  Beide  Endklauen 
sind  an  der  inneren  Curvatur  sehr  fein  bedornt.  —  Ich  zer- 
gliederte etwa  15  Weibchen. 

Leichte  Erkennungsmerkmale:  Die  Form  der 
Schale  des  Männchens  und  die  seiner  Greiforgane. 

Es  ist  die  vorstehend  beschriebene  Art  wohl  eine  der 
Ca^ona-Formen,  welche  bisher  unter  dem  Namen  Candona 
Candida  (0.  F.  Müller)  gegangen  sind.  Von  Cypris  Can- 
dida 0.  F.  Müller  (1785)  vermag  ich  jedoch  leider  — 
nach  Text  und  Abbildung  —  weiter  nichts  zu  sagen,  als 
dass  dem  berühmten  Autor  irgend  eine  Candona  vorgelegen 
hat;  wahrscheinlich  aber  stecken  darin  verschiedene  Arten 
der  Candida-Gruppe.  0.  F.  Müller's  Bezeichnung  scheint 
mir.  nach  unserer  heutigen  Kenntniss  der  Gattung  Candona, 
nur  noch  den  Werth  eines  Sammelnamens  zu  besitzen.  In 
Brady    and  Normans   Candona    Candida    (1868   und  1889) 


Sitzung  vom  2t  März  1S99.  55 

stecken  nach  meiner  Ansicht  höchstwahrscheinlich  5  bis 
6  Arten;  man  sehe  sich  nur  die  Abbildungen  davon  in  den 
Y\  erken  dieser  beiden  Autoren  an ! 

Gandona  weltneri  habe  ich  diese  neue  Species  benannt 
nach  dem  von  mir  hochverehrten  Herrn  Dr.  W.  Weltner, 
Kustos  am  hiesigen  Königl.  Museum  für  Naturkunde,  dem 
vorzüglichen  Kenner  ostafrikanischer  uud  auch  heimischer 
Cladoceren. 

Candona  weltneri  gehört  zu  den  häufigen  Erscheinungen 
der  Provinz  Brandenburg.  Ich  sammelte  sie  u.  a.  aus  dem 
Scharmützelsee  bei  Fürstenwalde  (28.  August  1898),  aus 
dem  Grunewaldsee  (Oktober  1898).  sowie  bei  Treptow 
(Oktober  1898)  und  bei  Johaunisthal  aus  Wiesengräben 
(Oktober,  November  und  Dezember  1898).  Die  Stücke  aus 
dem  Scharmützelsee  waren  meist  Larven;1)  doch  befanden 
sich  darunter  auch  drei  geschlechtsreife  Männchen. 

Ob  Candona  weltneri  das  ganze  Jahr  hindurch  in  ge- 
schlechtsreifen  Stücken  vorkommt  oder  nur  eine  Herbstform 
ist,  kann  ich  heute  noch  nicht  beurtheilen,  da  ich  sie  früher 
wahrscheinlich  mit  Candona  Candida  Vavra  verwechselte. 
So  fand  ich  z.  B.  jetzt  bei  genauerer  Prüfung  mehrere 
Stücke  von  Candona  weltneri  in  einem  Glase  mit  Candona 
Candida  vor,  dessen  Inhalt  schon  am  4.  Oktober  1894  von 
mir  bei  Johannisthai  gesammelt  worden  war. 

Herr  A.  Nehring  sprach  über  Lemmings-Reste  aus 
einer  portugiesischen  Höhle. 

Es  handelt  sich  um  die  von  Dr.  Gadow  gefundenen 
Lemmings- Skelette  resp.  -Reste,  welche  Bakrett-Hamilton 
1896  in  den  Proceedings  der  Zoological  Society  of  London, 
p.  304 — 306,  schon  besprochen  hat.  Diese  Lemmings-Reste, 
unter  denen  sich  vier  wohlerhaltene  Schädel  befinden,  ge- 
hören dem  Zoologischen  Museum  der  Universität  Cambridge 
und  sind  mir  auf  meine  Bitte  in  liberalster  Weise  von  Dr. 


')  Daraus  könnte  man  ja  schliessen,  dass  die  Species  gerade  in 
hre  Geschlechtsperiode  trat;  doch  möchte  ich  diesen  Schluss  nach 
dem  einen  Befunde  noch  nicht  thun. 


56  Gesellschift  naturforschender  Freunde,  Berlin. 

Harmer.  dem  Curator  jener  Sammlung,  zur  Untersuchung 
übersandt  worden.  Ich  erlaube  mir,  diese  merkwürdigen 
Fundobjekte  hier  vorzulegen.  Sie  sehen  garnicht  fossil  aus, 
sondern  erscheinen  so  frisch,  wie  frischpräparirte  Skelet- 
theile recenter  Lemminge.  In  der  Form  und  Grösse  der 
Schädel1),  sowie  iu  der  Bildung  der  Schmelzfalten  der 
Backenzähne  stimmen  diese  portugiesischen  Lemminge  mit 
dem  echten  norwegischen  Lemming  überein,  während  sie 
von  Myodes  öbensis  und  noch  mehr  von  Myodes  scJristicohr 
deutlich  abweichen.  Die  einzigen  Unterschiede,  welche  ich 
beim  Vergleich  meines  reichen  Materials  gegenüber  dem 
echten  Lemmus  nonvegicus  feststellen  konnte,  bestehen  in 
der  meist  breiteren  Form  des  Processus  coronoideus  und  in 
einer  durchweg  grösseren  Breite  der  Backenzähne.  Nach 
letzterem  Merkmale  möchte  ich  diese  portugiesische  Lem- 
mings-Rasse  als  „Myodes  lemmus  var.  crassidens"  be- 
zeichnen. 

Ob  die  vorliegenden  Lemmings-Reste  trotz  ihres  recenten 
Aussehens  der  Diluvialzeit  entstammen,  wie  Dr.  Gädow  an- 
zunehmen geneigt  ist,  oder  ob  sie  von  einer  Lemmings- 
Rasse  herrühren,  welche  noch  heute  unbekannterweise2)  auf 
den  portugiesischen  Gebirgen  unweit  Santarem  lebend  vor- 
kommt, lasse  ich  vorläufig  dahin  gestellt.  Eine  ausführliche 
Besprechung  derselben  unter  Beifügung  von  Abbildungen 
und  Messungen  soll  an  einem  andern  Orte  gegeben  werden. 
Ich  will  hier  nur  bemerken,  dass  ich  fossile  Lemmings- 
Reste  nicht  nur  bei  Wolfenbüttel,  wie  Barrett-Hamilton 
a.  a.  0.  angiebt,  sondern  an  ca.  40  Fundorten  Mitteleuropas 
nachgewiesen  habe.     Die   von   mir  oder  Anderen  bis  1890 


1)  Die  „Basilaiiänge"  der  portugiesischen  Lemmingsschädel  beträgt 
26,2—27,2,   ihre  Totallänge  29—80,   ihre  Jochbogenbreite  19— 20  mm. 

2)  In  einer  1896  in  den  „Annaes  de  Sciencias  Naturaes"  er- 
schienenen faunistischen  Arbeit:  „Catalogo  dos  Mammiferos  de 
Portugal"  werden  Lemminge  nicht  erwähnt,  ebenso  wenig  bei 
Mariano  de  la  Paz  Graells,  Fauna  Mastodologica  Iberica, 
Madrid  1897.  Diese  beiden  wichtigen  Publikationen  wurden,  wie  ich 
hier  dankend  erwähne,  mir  von  Herrn  Custos  P.  Matsciiie  zugänglich 
gemacht. 


Sitzung  vom  21.  März  1899.  57 

festgestellten  betr.  Fundorte  sind  in  meinem  Buche  über 
„Tundren  und  Steppen u.  Berlin  1890,  S.  147  ff.,  aufgeführt 
und  besprochen  worden. 

Herr  A.  Nehring  sprach  ferner  über  das  Vorkommen 
einer  Varietät  von  Arvieola  ratticeps  Keys.  u.  Blas. 
bei  Brandenburg  a.  d.  H.  und  bei  Anklam  in  Vor- 
pommern. 

Im  Jahre  1892  habe  ich  bereits  auf  das  Vorkommen 
von  Arvieola  (Microtus)  ratticeps  Keys.  u.  Blas,  bei  Branden- 
burg a.  d.  Havel  aufmerksam  gemacht.  Siehe  „Naturwiss. 
Wochenschrift",  1892.  Bd.  VII,  No.  35,  S.  354  f.  Damals 
lagen  mir  ein  vollständiges  Skelet  und  ein  isolirter  Schädel 
vor.  welche  ich  durch  Herrn  Dr.  med.  R.  Stimmixg  in 
Brandenburg  erhalten  hatte.  Im  März  1893  erhielt  ich 
durch  denselben  Herrn  ein  frisch  gefangenes,  männliches 
Exemplar,  welches  ich  in  Spiritus  aufbewahrt  habe.  Vor 
einigen  Tagen,  als  ich  mich  in  Halle  a.  S.  befand,  erfuhr 
ich  von  dem  bekannten  Naturalienhändler  W.  Schlüter  jun., 
dass  derselbe  vor  ca.  15  Jahren  mehrfach  frische  Exemplare 
der  genannten  Art  aus  der  Umgegend  von  Anklam  durch 
den  inzwischen  verstorbenen  Förster  Meyer  erhalten  habe. 
Glücklicherweise  war  noch  eines  dieser  Exemplare  (ge- 
fangen am  20.  Februar  1884  bei  Anklam)  im  ausgestopften 
Zustande  vorräthig;  ich  erwarb  dasselbe  und  lege  es  hier 
vor,  nachdem  ich  den  Unterkiefer  zur  Prüfung  des  Gebisses 
herauspräparirt  habe. 

Alle  diese  Exemplare  stimmen  in  den  wesentlichen 
Merkmalen  mit  Arvieola  ratticeps  Keys.  u.  Blas,  überein; 
insbesondere  zeigt  der  so  charakteristische  erste  Molar 
des  Unterkiefers  genau  die  Form  der  Schmelzschlingen, 
welche  Blasiüs  in  seiner  Naturgeschichte  der  Säugethiere 
Deutschlands.  Braunschweig  1857,  S.  366,  Fig.  199,  ab- 
gebildet hat.1)     Auch   die  Färbung  des  Haarkleides,   sowie 


l)  Vergl.  auch  meine  Abbildungen  in  Giebel's  Zeitschr.  f.  d.  ges. 
Naturwiss.,  1875,  Bd.  45,  Taf.  I,  Fig.  6,  und  in  den  Denkschi-,  d. 
Schweiz.  Naturf.  Gesellsch.,  Bd.  35,  1896,  2.  Abhandl.,  Taf.  I,  Fig.  15, 


58  Gesellschaft  vatxrforschender  freunde,  Berlin. 

die  Grösse   der  Ohren  harmoniren   mit  der  Blasius' sehen 
Beschreibung. 

Dagegen  finde  ich  den  Schädel  schmaler,  zierlicher, 
das  Interparietale  in  sagittaler  Richtung  kürzer,  die  Backen- 
zahnreihen schwächer  und  von  geringerer  Länge  als  bei 
typischen  Exemplaren  von  Arv.  rattieeps.  Das  stärkste, 
mir  vorliegende  Exemplar  von  Brandenburg  (das  oben  er- 
wähnte, in  Spiritus  aufbewahrte  Männchen  vom  März  1893) 
zeigt  eine  Totallänge  von  155  mm,  wovon  auf  den  Schwanz 
45  mm  kommen.  Der  zugehörige,  offenbar  ausgewachsene 
Schädel  hat  eine  Totalläuge  von  27,  eine  Basilarlänge 
von  24,3.  eine  Jochbogenbreite  von  nur  14.  eine  Länge  der 
Backenzahnreihe  von  nur  6,2  mm;  die  Gehirnkapsel  ist  auf- 
fallend schmal. 

Wegen  der  genannten  Abweichungen  unterscheide  ich 
die  vorliegende  Wühlmaus  als  besondere  Varietät  des  Arv. 
(Microhis)  rattieeps  und  bezeichne  sie  als  var.  Stimmingi,  zu 
Ehren  des  Dr.  R.  Stimming.  der  die  Brandenburger  Exemplare 
gefangen  uud  mir  zugänglich  gemacht  hat.  Nach  Angabe 
desselben  kommen  diese  Mäuse  in  unmittelbarer  Nähe  der 
Stadt  Brandenburg  vor.  z.  B.  in  dem  STiMMiNG'schen  Garten; 
sie  sollen  gut  schwimmen  und  zuweilen  sogar  tauchen. 
Herr  R.  Stimming  hatte  sie  schon  nach  ihrer  ganzen 
Lebensweise  als  etwas  Besonderes  angesehen,  ohne  aber 
ihre  nahe  Verwandtschaft  mit  Arv.  rattieeps  erkannt  zu  haben. 

Im  Jahre  1880  hat  A.  Jentink  nachgewiesen,  dass  in 
den  dreissiger  Jahren  unseres  Jahrhunderts  Arv.  rattieeps 
in  Holland  lebend  vorgekommen  ist,  und  zwTar  bei  Lisse, 
zwischen  Leiden  und  Haarlem. *)  Das  Naturhistorische 
Reichsmuseum  zu  Leiden  besitzt  4  Exemplare  von  dort. 
Herr  Dr.  Jentink  war  so  freundlich,  mir  damals  den 
Schädel  eines  dieser  Exemplare  zur  Ansicht  zugehen  zu 
lassen,  so  dass  ich  mich  durch  eigene  Anschauung  von  seiner 
Zugehörigkeit  zu  Arv.  rattieeps  überzeugen  konnte. 

Nach  einer  von  A.  v.  Pelzeln  herrührenden  Notiz, 
welche  sich  in  dem   1897    erschienenen  Werke  von  Aug. 


')  Tijdschrift  van  de  Nederl.  Dierk    Vereen .,  Bd.  V,  p.  105  ff. 


Sitzung  vom  21.  März  1899.  59 

Mojsisovics  über  „das  Thierleben  der  österr.-ungar.  Tief- 
ebenen", S.  174,  findet,  soll  Arv.  ratticeps  auch  bei  Fischa- 
mend  in  Nieder-Oesterreich  constatirt  worden  sein.  Nähere 
Angaben  fehlen. 

Im  fossilen  Zustande  ist  Arv.  ratticeps  in  zahl- 
reichen diluvialen  Ablagerungen  Mitteleuropas 
festgestellt  worden. l)  so  z.  B.  von  mir  selbst  bei  Thiede 
unweit  Braunschweig,  in  mehreren  oberfränkischen  Höhlen, 
am  Schweizersbild  bei  Schaffhausen  etc.  etc.  Diese  Art 
hat  offenbar  während  der  Diluvialzeit  eine  weite  Ver- 
breitung in  Mitteleuropa  gehabt;  man  darf  sie  dort,  wo  sie 
iu  unseren  Breiten  noch  zuweilen  beobachtet  wird,  als  so- 
genanntes „Relict"  aus  der  Glacialperiode  betrachten. 

Herr  L.  WiTTMACK  sprach  über  den  von  Dr.  Wilhelm 
Rimpau  in  Schlanstedt  bereits  1888  erzogenen  Bastard 
zwischen  Weizen  9   X  Roggen  c^. 

Er  empfiehlt,  ähnlich  wie  bei  Orchideen,  Bastarde 
zwischen  zwei  verschiedenen  Gattungen  mit  einem  aus  den 
Namen  dieser  Gattungen  combinirten  Namen  zu  bezeichnen 
und  nennt,  da  die  beiden  Hauptformen  jetzt  constant  sind, 
und  als  Arten  aufgefasst  werden  können, 

1)  die  ursprüngliche  Form:  Triticosecale  Bimpaui. 
Aehre  roth.   brüchig,   unbegrannt,   Korn  gross,   roth,  glasig. 

2)  die  später  sich  dann  zeigende  Form:  Triticosecale 
Schlanstedtensis.  Aehre  und  Korn  ebenso,  aber  Aehre 
begrannt. 

Herr  Matschie  gab  die  Beschreibung  eines  an- 
scheinend  neuen  Klippschliefers,  Procavia  Kerstingi 
Mtsch. 

Herr  Dr.  Kersting  hat  soeben  einige  Säugethiere  aus 
dem  östlichen  Togoland.  Deutsch-West-Afrika,  an  das  Mu- 
seum für  Naturkunde  zu  Berlin  geschickt,  unter  denen  unter 


J)  Vergl.  meine  Angaben  in  d.  Zeitschr.  d.  Deutsch.  Geolog. 
Gesellsch.,  1880,  S.  471.  473.  481.  482.  485.  486.  491.  494.  496.  499.  501. 
Siehe  auch  Brandt-Woldrich,  Diluviale  europ.-asiat.  Säugethierfauna, 
St.  Petersburg  1887,  S.  74,  und  M.  Schlosser,  Correspondenzblatt  d. 
Deutsch.  Anthrop.  Gesellsch.,  1899,  No.  2,  S.  11. 


(50  Gesellschaft  naturforschender  Freunde,  Berlin. 

anderen  mehrere  Klippschliefer  sich  befinden.  Die  be- 
treffenden Exemplare  stammen  von  Tshyati,  50  km  süd- 
östlich von  Pessi,  ungefähr  auf  7°  50'  in  der  Nähe  der 
Grenze  zwischen  Togo  und  Dahome.  „Dort  ist,  wie  Herr 
Dr.  Kersting  mittheilt,  das  flache  Savannenland  der  Mono- 
Ebene  mit  merkwürdig  glatten,  bis  200  m  hohen  Gneis- 
kuppen zerstreut  besetzt.  Auf  den  glatten  Wänden  und 
zwischen  den  krönenden  Trümmerblöcken  leben  zahlreiche 
Klippschliefer.  Sie  werden  bei  Tshyati  eines  Fetisch  wegen 
geschont  und  sind  wohl  in  Folge  dessen  sehr  zahm.  Sie 
sitzen  in  Heerden  sich  sonnend  auf  den  Felsen.  Wo  die 
Klippschliefer  nicht  dem  Fetisch  gehören,  jagt  und  isst  mau 
sie.  Das  Fleisch  schmeckt  etwa  wie  Kalbfleisch.  Auf  den 
Felsen  bei  Aledjo  kadara,  ungefähr  9°  20'  in  der  Nähe  der 
Dahome-Grenze,  sollen  sie  auch  vorkommen.  Sie  heissen 
in  der  Tui-Sprache.  „Bu-dusie".  Im  Magen  fanden  sich 
Blätter  und  Gras  bei  beiden  Exemplaren,  über  welche  Mit- 
theilungen vorliegen." 

Namentlich  durch  die  Forschungen  des  Herrn  Graf 
Zech  ist  der  Nachweis  erbracht  worden,  dass  die  Fauna 
von  Togo,  wenigstens  soweit  es  die  Säugethiere  betrifft, 
ein  merkwürdiges  Gemisch  zeigt  von  solchen  Formen,  die 
bisher  für  West -Afrika  als  charakteristisch  galten,  und 
solchen,  welche  am  meisten  an  Sudan-Formen  erinnern. 
Nachdem  wir  einen  Hasen  von  Togo  kennen  gelernt  haben, 
ist  es  wahrscheinlich  geworden,  dass  auch  noch  andere 
Savannen-Formen  dort  werden  gefunden  werden. 

Heute  liegen  mir  drei  Bälge  und  zwei  Schädel  des 
Togo-Klippschliefers  vor,  welche  anscheinend  zu  einer  noch 
unbeschriebenen  Art  gehören. 

Thomas  hat  (Proc.  Zool.  Sog.  1892,  p.  50—76)  die 
Gattung  Procavia  überhaupt  nicht  in  Untergattungen  getrennt, 
weil  er  der  Ansicht  ist,  dass  zwischen  Procavia,  Heterohyrax 
und  Dendrohyrax  Uebergänge  nachgewiesen  worden  sind. 
Ich  kann  mich  nicht  über  diese  Frage  äussern,  weil  ich 
noch  nicht  genügendes  Material  genauer  zu  untersuchen 
Gelegenheit    hatte.     Ich    möchte    aber    darauf  aufmerksam 


Sitzung  vom  21  März  1S99.  61 

machen,  dass  für  die  in  Baumkronen  lebenden  Dendrohyrax, 
welche  ich  kenne,  folgende  Merkmale  gelten: 

Die  Haare  im  Rückenfleck  sind  ungefähr  so  lang  wie 
die  nackte  Sohle  des  Vorderfusses ;  jederseits  in  der  Leisten- 
gegend befindet  sich  eine  einzige  Zitze.  Die  Cristae  parie- 
tales bleiben  weit  von  einander  getrennt.  Die  Processus 
postorbitales  des  Frontale  und  Parietale  sind  ungefähr  gleich 
lang;  der  Processus  zygomaticus  des  Schläfenbeins  greift 
griffeiförmig  auf  die  Aussenseite  des  Jochbogens  über  und 
ist  an  seinem  hinteren  Theile  nicht  viel  dünner  als  am 
Vorderrande. 

Hiernach  gehören  die  Togo-Exemplare  sicher  nicht  zu 
Dendrohyrax;  denn  die  Haare  im  Rückenfleck  sind  kürzer 
als  die  nackte  Sohle  des  Vorderfusses;  jederseits  sind  drei 
Zitzen  vorhanden,  je  eine  in  der  Achselgegend  und  je  zwei 
in  der  Leistengegend.  Die  Cristae  parietales  nähern  sich 
bei  dem  alten  cf  bis  zur  Berührung,  der  Processus  post- 
orbitalis  des  Parietale  ist  viel  länger  als  derjenige  des 
Frontale;  der  Processus  zygomaticus  des  Temporale  ist  in 
seinem  hinteren  Theile  von  aussen  nur  als  ganz  schmaler 
Knochen  zu  erkennen  und  greift  nur  an  seinem  vorderen 
Ende  erheblicher  auf  die  Aussenseite  des  Jochbogens  über. 

Bei  allen  drei  vorliegenden  Stücken  ist  der  Rückeufleck 
hell  und  die  Haare  dieses  Fleckes  haben  keine  dunklen 
Spitzen;  hierdurch  unterscheiden  sich  die  Togo-Klippschliefer 
sofort  von  Pr.  capensis,  shoana  und  johnstoni.  Der  Rücken- 
fleck ist  nur  wenig  länger  als  breit  und  nicht  schmal  und 
länglich;  wir  haben  also  die  Togo-Stücke  mit  Pr.  syriaca, 
pattida,  burtoni  und  abessynica  zu  vergleichen. 

Die  Procavia  mit  schmalem,  langem  Rückenfleck  scheinen 
sich  auch  dadurch  von  den  Procavia  mit  breitem  Rückenfleck 
zu  unterscheiden,  dass  bei  ihnen  der  erste  Molar  höchstens 
6,7  mm  breit  ist.  dass  der  Processus  alveolaris  des  Ober- 
kiefers hinter  dem  letzten  Molaren  sehr  schmal  ist,  unge- 
fähr so  breit  wie  die  Hälfte  des  Nasale  am  Frontalrande 
gemessen,  und  dass  die  Reihe  der  Molaren  im  Oberkiefer 
höchstens  34  mm  lang  ist. 

Die  Togo-Stücke    unterscheiden    sich   von  syriaca  und 


62  Gesellschaft  natu/rf (»'sehender  Freunde,  Berlin. 

pattida  dadurch,  dass  die  mittleren  Haare  im  Rückenflecke 
nicht  einfarbig  sind,  sondern  einen  dunklen  Wurzeltheil 
haben,  von  hurtoni  und  abessynica  dadurch,  dass  diese  Haare 
keine  schwarzen  Spitzen  besitzen. 

Von  allen  diesen  vier  Procavia  unterscheidet  sie,  abge- 
sehen von  der  beträchtlicheren  Grösse  des  Körpers  und 
Schädels,  die  schwarze  Färbung  der  Aussenseite  der  Ohren. 

Als  Diagnose  der  neuen  Art,  welche  ich  dem  Ent- 
decker, Herrn  Dr.  Kersting,  widme,  möge  gelten: 

Procavia,    macula    dorsali   ochracea.    auribus 
extus  nigerrimis. 

Dieser  Klippschliefer  ist  sehr  gross  (Länge  von  der 
Nasenspitze  bis  zum  After  bis  570  mm).  Von  den  drei 
Exemplaren,  welche  ich  bis  jetzt  kenne,  sind  zwei  einander 
ähnlich,  das  dritte  aber  sehr  abweichend  gefärbt.  Zwei 
davon,  ein  0*  und  ein  2.  sind  am  23.  August  erlegt  worden. 
Beide  zeigen  eine  olivenbraune  Färbung,  die  stark  mit 
dunkelbraun  überflogen  ist  und  an  den  Brustseiten  lebhafter 
braun  erscheint.  Der  Rückenfieck  ist  ockergelb  und  nicht 
viel  länger  als  breit.  Alle  Haare  in  ihm  sind  an  der 
Wurzel  schwarzbraun,  die  in  der  Mitte  des  Fleckes  befind- 
lichen tragen  keine  dunklen  Spitzen.  Das  Haar  ist  nicht 
länger  als  dasjenige  von  Pr.  brucei  aus  der  Regenzeit. 
Wahrscheinlich  sind  beide  Stücke  im  Haarwechsel  begriffen ; 
wenigstens  ist  das  Haar  an  den  Brustseiten  viel  länger, 
weicher  und  brauner,  und  die  Färbung  ist  auch  viel  mehr 
mit  schwarz  melirt  als  auf  dem  Halse  und  Hinterkörper. 
Kinn  und  Unterseite  sind  fahl  orange.  Die  Aussenseite  der 
Ohren  ist  glänzend  schwarz,  die  Innenseite  gelbbraun  be- 
haart. Die  Hinteraugengegend  ist  schwarzbraun,  der  Ober- 
kopf ist  dunkelbraun,  hellbraun  bestäubt. 

Das  dritte,  im  September  erlegte  Exemplar,  ein  9  mit 
2  Embryonen  im  Uterus,  hat  glänzend  kastanienbraune 
Wangen,  einen  fahlbraunen  grossen  Fleck  an  den  Halsseiten, 
eine  fahlbraune  Unterseite  und  einen  fahlbraunen  Rücken- 
fleck, dessen  Haare  hinter  dem  dunklen  Wurzeltheil  satter 
gelbbraun  sind  und  an  der  Spitze  die  fahlbraune  Färbung 
zeigen.    Die  allgemeine  Körperfärbung  ist  olivengraubraun, 


Sitzung  vom  21.  Mars  1899.  63 

schwarzbraun  gesprenkelt,  an  den  Brustseiten  etwas  braun 
überflogen.  Das  Haarkleid  ist  starrer  und  kürzer  als  bei 
den  Exemplaren  aus  dem  August. 

Der  Schädel  des  rf .  eines  alten,  ausgewachsenen 
Thieres  im  Stadium  VIII  (cf.  Thomas,  P.  Z.  S.  1892,  p.  53) 
ist  ungefähr  so  gross  wie  der  eines  erwachsenen  <?  von 
Pr.  shoana.  Die  Cristae  parietales  berühren  sich  an  der 
Mitte  des  Vorderrandes  des  nicht  mit  den  Parietalia  ver- 
wachsenen Interparietale  und  gehen  dann  auf  dem  Inter- 
parietale wieder  auseinander,  um  sich  an  der  Sutura  larnb- 
doidea  zu  verlieren.  Bei  dem  2  treten  diese  Cristae  nicht 
so  scharf  hervor  und  berühren  die  Aussenseiten  des  Inter- 
parietale. Das  £  befindet  sich  im  Stadium  VII,  der  letzte 
Molar  ist  so  hoch  wie  der  vorletzte,  aber  noch  nicht  ab- 
gekaut. 

Das  Diastema  ist  sehr  lang  bei  beiden  Schädeln.  Die 
Zähne  sind  kräftig  und  breit,  die  Zahnreihe  länger  als  bei 
den  meisten  anderen  Procavia-Avteii.  aber  ziemlich  kurz  im 
Verhältniss  zur  ganzen  Länge  des  sehr  gestreckten  Schädels. 

Maasse:  tf  Ganze  Länge  von  der  Nase  zum  After: 
530  mm;  Hinterfuss:  63  mm;  bei  dem  $  aus  dem  August 
sind  die  betreffenden  Maasse:  455  und  53  m;  bei  dem  $ 
aus  dem  September:  570  und  61  mm. 

Am  Schädel  sind  folgende  Maasse  genommen  worden: 
Basallänge;  tf  96,5:    £  88,8  mm;  grösste  Breite:  58  resp. 
54,5  mm;    Länge   der  Nasalia,    an  der   Sutura  nasalis  ge- 
messen: 24,5;  23,6  mm;  ihre  Breite  an  der  Sutura  nasofron- 
talis:  23,7;  21  mm;  geringste  Entfernung  der  beiden  Suturae 
naso-intermaxillares  von  einander:  12;  12  mm;  grösste  Ent- 
fernung derselben  an  der  hinteren  Spitze  des  Intermaxillare 
14,6;  13,8  mm.  Grösste  Breite  der  Frontalia:  39,2;  35,1  mm 
geringste  Breite  der  Schädelkapsel  hinter  der  Sutura  coro 
nalis:  25,2;  25,5  mm;  Interparietale:  Länge:  10.4;  8,7  mm 
Breite:   8,1;  7,5  mm;    Länge  des  Palatum:    53;  49,9  mm 
Diastema  im  Oberkiefer:   15;   14  mm;    im  Unterkiefer:   5 
8,9  mm;  Länge   der  oberen  Molarenreihe:  38,5;  38,5  mm; 
der  unteren  Molarenreihe:  38,4;  39  mm;   Höhe   des  Unter- 
kiefers: 49,2;  44,6  mm;  Breite  des  ersten  oberen  Molaren: 


(34  Gesellschaft  naturforschender  Freunde,  Berlin. 

7,7;  7  mm;  Länge  des  ersten  unteren  Praemolaren:  2,7; 
2,5  mm;  Höhe  des  vorletzten  oberen  Molaren  in  uuabge- 
kautem  Zustande  gemessen  vom  äusseren  Alveolarrande  bis 
zur  höchsten  Spitze:  6,7  mm. 

Procavia  herstingi  ist  der  einzige  Klippschliefer,  welcher 
schwarze  Ohren  und  einen  hellen  Rückenstrich  hat. 

Ich  möchte  bei  dieser  Gelegenheit  darauf  aufmerksam 
machen,  dass  meiner  Ansicht  nach  Pr.  ruficeps  H.  E.  in 
die  Pr.  brucei-Gru^Q  gehört,  weil  ihr  Rückenstrich  lang 
und  schmal  ist  und  auch  die  sonstigen,  oben  von  mir  er- 
wähnten Merkmale  zutreffen.  Thomas  vereinigt  (1.  c.  p.  64) 
Hyrax  burtoni  Gray  mit  II.  ruficeps  H.  E.  Bei  dem  Original- 
Exemplar  von  H.  ruficeps  ist  der  erste  obere  Molar  6,3  mm 
breit,  während  Thomas  für  seinen  H.  ruficeps  7—7,7  mm 
angiebt.  Ich  glaube  wohl,  dass  Pr.  burtoni  und  Pr.  ruficeps 
zwei  verschiedene  Arten  darstellen. 

Ferner  halte  ich  Pr.  syriaca  jayakari  Thos.,  wenigstens 
soweit  es  unser  Exemplar  von  Melhan  betrifft,  ebenfalls 
für  einen  Angehörigen  der  Pr.  brucei- Gruppe,  weil  der 
Schädel  die  von  mir  oben  für  diese  Gruppe  angegebenen 
Merkmale  zeigt. 


Referierabend  am  14.  März  1899. 

Herr  Heymons  über  2  Arbeiten  von  B erlese:  Fenomeni 
che  accopagnano  la  fecondazione  in  taluni  insetti.  Me- 
moria I  und  Memoria  II  zu:  Rivista  della  Patologia 
Vegetale  Anno  VI  resp.  Anno  VII.     Firenze  1898. 

Herr  F.  E.  Schulze  über  R.  Hertwig:  Aus  den  Abhand- 
lungen der  Kgl.  Bayer.  Akademie  1898:  Kerntheilung, 
Richtungskörperbildung,  Befruchtung  von  Actinosphaerium 
Eichhornia. 

— ,    Hae ekel:  Kunstformen  der  Natur.    1.  Lieferung.    1899. 

Herr  F.  Römer  über  P.  A  dl  off.  Zur  Entwicklungsgeschichte 
des  Nagethiergebisses.  Jenaische  Zeitschrift  für  Natur- 
wissenschaft, Band  32.  1898,  p.  397—410,  mit  5  Tafeln 
und  4  Abbildungen  im  Text. 


Sitzung   vom  21.  März  1890.  65 

Herr  Kolkwitz  über  0.  Warburg:  Einige  Bemerkungen  über 
die  Litoral-Pantropisten.  Annales  du  Jardin  Botanique 
de  Biiitenzorg  1898. 


Im  Austausch  wurden  erhalten: 

Anz.  Ak.  Wiss.  Krakau.     1899. 

Verh.  Deutsch.  Phys.  Ges.     Jahrg.  1,  No.   1. 

Verh.    Deutsch.    Wissenschaft.    Ver.    Santiago    de    Chile. 

III.  Heft  5,  1897. 
Mitt.  Deutsch.  Seefisch.  Ver.    XV.    No.  3.    März  1899. 
Jahresber.  kgl.  böhm.  Ges.  Wiss.  für  1898.    Prag  1899. 
Sitzungsber.  kgl.  böhm.  Ges.  Wiss.  1898.    Prag  1899. 
Schrift.  Naturf.  Ges.  Danzig.    N.  F.    IX.    3  u.  4. 
Schrift.  Phys.-Oekon.  Ges.  Königsberg  i.  Pr.  Jahrg.  38.  1897. 
Leopoldina.  Heft  XXXV,  No.  2.    Februar  1899. 
Naturwissenschaftl.  Wochenschrift,  Bd.  XIV,  No.  9  —  12. 
Journ.  Roy.  Microsc.  Soc.    1898,  P.  1. 
Journ.  Elisha  Mitchell  Sei.  Soc.    XV.    P.  1.    1898. 
Bull.  Soc.  Zool.  France.    T.  XXIII.    Paris  1898. 
Bergens  Mus.  Aarb.  for  1898.    Bergen  1899. 
Geol.  Foren.  Förh.  Bd.  21,  H.  2,  No.  191.  Stockholm  1899. 
Vitensk.   Meddel.   nat.  Foren.    Kjobenhaon  for  1898.    Kjo- 

benhaon  1898. 
Bolet.  Mensual  Observ.  Meteor.  Centr.  Mexico.  1898.  No.  10. 
Bollet.  Pubbl.  Ital.   1899,  No.  316  u.  317. 
Bollett    Mus.     Zool.    Anat.     comp.    Univ.    Torino.     XIII. 

No.  320—334. 
Soc.  Hist.-Natur.  Croat.  Glaon.  Naravosl.  Drust.    God.  VI. 

1-5  (1891);    VI.  6  (1894);    VII.  1—6  (1892);    VIII. 

1—6  (1895—96)  u.  IX.  1  —  6  (1896). 


J.  F.  Starcke,  Berlin  W. 


Nr.  4  1899. 

Sitzungs-Bericht 

der 

Gesellschaft  naturforschender  Freunde 

zu  Berlin 
vom   18.   April   1899. 


Vorsitzender:  Herr  A.  Neiiring. 


Herr  A.  Nehring  sprach  über  das  Vorkommen  der 
nordischen  Wühlratte  (Aruicolu  ratticeps  Keys.  u. 
Blas.)  in  Ostpreussen. 

Seit  der  vorigen  Sitzung,  in  welcher  ich  über  das  Vor- 
kommen von  Arv.  ratticeps  K.  u.  Bl.  bei  Brandenburg  und 
Anklam  gesprochen  habe,  ist  mir  durch  Herrn  Prof.  Dr. 
G.  Rörig,  hier,  ein  reichhaltiges  Material  dieser  Species 
aus  Ostpreussen  zugegangen;  und  zwar  besteht  dasselbe  in 
Schädeln,  Unterkiefern  und  Extremitätenknochen,  welche 
aus  frischen  Eulen-Gewöllen  gewonnen  sind.  Letztere  wurden 
durch  Herrn  Möschler,  Präparator  des  Herrn  Prof.  Rörig, 
am  Fusse  einer  grossen  Fichte  in  grosser  Zahl  (ca.  560  Ge- 
rolle) bei  einander  gefunden.  Diese  Fichte  steht  in  einem 
kleinen  (ca.  90  Morgen  grossen)  Walde  bei  Maraunenhof, 
Vz  Stunde  von  Königsberg  i.  Ostpr. ,  und  zwar  findet 
sie  sich  in  einem  schmalen  Ausläufer  jenes  Waldes,  so  dass 
nach  zwei  Seiten  das  offene  Terrain  sehr  nahe  liegt.  Auf 
der  erwähnten  Fichte  hatte  eine  Eule  (Strix  aluco  oder 
Strix  otus)  ihren  Ruheplatz;  von  ihr  rührt  der  am  Fusse 
des  Baumes  gefundene  Gewöllhaufen  her. 

Bei  der  genaueren  Untersuchung  dieser  Gewölle  konnte 
Rörig  die  Ueberreste  von  1665  Arvicolen,  16  Exemplaren 
der  Gattung  Mus  und  10  kleinen  Vögeln  feststellen.  Unter 
den  Arvicolen  befanden  sich  59  Exemplare  von  Arvicola 
ratticeps,    5   von   Arv.  agrestis;    die    übrigen    gehörten  zu 

4 


68 


Gesellsclutft  naturforschender  Freunde,  Berlin. 


Arv.  arvdlis.  Ich  lege  hier  im  Einverständniss  mit  dem 
genannten  Forscher  einen  Theil  des  betr.  Materials  vor, 
nämlich  2  noch  unversehrte  Gewölle,  einen  wohlerhal- 
tenen Schädel  von  Arv.  ratticeps  nebst  den  beiden  zuge- 
hörigen Unterkieferhälften  und  einer  Anzahl  zugehöriger 
Beinknochen,  den  lädirten  Schädel  nebst  beiden  Unterkiefer- 
hälften eines  anderen  Exemplars,  sowie  34  rechte  Unter- 
kieferhälften, alle  von  der  genannten  Species. 

Die  Bestimmung  der  Unterkiefer  ist  auf  Grund  des  m  1 
verhältnissmässig  leicht  auszuführen.  Der  vorderste  Backen- 
zahn des  Unterkiefers  von  Arv.  ratticeps  zeigt  nämlich  eine 
sehr  charakteristische  Bildung  der  „  Schmelzschlingen "  oder 


Fig.  t.     Die  Kauflächen  der  Backenzahnreihen  von 

Arvicola  ratticeps  K.  u.  Bl. 
u  =  Untere,  rechte  Backenzahnreihe.     6/i  na*-  Gr. 
o  =  Obere        „  „  „      „       „ 

„Schmelzprismen".  An  seinem  Aussenrande  sind  nur  drei 
ausgeprägte  Kanten  vorhanden1),  während  an  seinem  Innen- 
rande fünf  ausgeprägte  Kanten  hervortreten.  (Siehe  unsere 
Abbildung.)    Hierdurch  und  durch  den  Umstand,   dass  die 


')  BlasiüS,  Naturgesch.  Säugeth.  Deutschi.,  S.  365,  zählt  zwar 
vier  Aussenkanten,  indem  er  wahrscheinlich  eine  bei  alten  Individuen 
zuweilen  sich  schwach  markirende  vierte  (vorderste)  Aussenkante 
mitrechnet;  aber  eine  solche  Zählung  kann  nur  Verwirrung  hervorrufen, 
indem  sie  das  Charakteristische  im  Bau  des  m  1  inf.  verschwinden  lässt. 
Lilljerorg  zählt  (so  wie  ich)  nur  drei  Aussenkanten  am  m  1  inf. 
von  A.  ratticeps.    Siehe  „Sveriges  och  Norges  Ryggradsdjur",  I,  S.  303. 


Sitzung  am  IS.  April  1S99.  69 

vorderste  Schmelzschlinge  mit  der  nächsten  innern  (medialen) 
Schmelzschlinge  zu  einer  eigentümlichen,  hakenförmigen 
Schleife  verbunden  ist,  bekommt  dieser  Zahn  ein  charak- 
teristisches Aussehen,  das  nur  bei  dem  nahe  verwandten 
Arv.  oeconomus  Pall.  und  bei  Arv.  gregalis  Pall.  in  ähn- 
licher Form  wiederkehrt. 

Charakteristisch  ist  auch  der  3.  obere  Backenzahn, 
der  complicirter  gebaut  ist,  als  bei  den  nächstverwandten 
Arten.  Er  zeigt  aussen  und  innen  je  4  Kanten,  von  denen 
die  letzte  äussere  allerdings  oft  nur  schwach  angedeutet 
erscheint.     Siehe  Fig.  1,  o. 

Uebrigens  scheint  auch  die  nach  hinten  verschmälerte 
Form  der  Foramina  incisiva  für  Arv.  ratticeps  charakteristisch 
zu  sein. 

Was  die  Grösse  der  ostpreussischen  Exemplare  anbe- 
trifft, so  zeigt  die  Mehrzahl  der  vorliegenden  Unterkiefer 
nur  geringe  Dimensionen.  Die  kleinsten  Unterkiefer,  welche 
wohl  von  jüngeren  Individuen  herrühren,  haben  eine  Con- 
dylarlänge1)  von  13,  die  grössten  von  16,5  mm;  andere 
messen  14,  14,5,  15,  15,5,  15,8,  16,4  mm.  Die  Unter- 
kiefer der  Brandenburger  Exemplare  zeigen  eine  Condylar- 
länge  von  15,3  — 16  mm,  der  des  Exemplars  von  Anklam 
eine  solche  von  15,3  mm,  während  ich  bei  typischen  Exem- 
plaren aus  dem  Norden  (Ost-Finnmarken  und  Nordrussland) 
16,5 — 18,5  mm  gemessen  habe.  Ich  glaube,  die  ostpreussi- 
schen Exemplare  vorläufig  nach  dem  vorliegenden  Materiale 
wegen  der  durchschnittlich  geringen  Dimensionen  zu  der  von 
mir  unterschiedenen  „var.  Stimmingi"  rechnen  zu  sollen. 
Allerdings  ist  der  besterhaltene  Oberschädel  von  Maraunen- 
hof  etwas  robuster,  als  der  von  mir  im  vorigen  Sitzungs- 
bericht, S.  58,  besprochene  männliche  Schädel  von  Branden- 
burg; aber  er  bleibt,  obgleich  er  unter  59  Individuen 
das  stärkste  repräsentirt,  doch  hinter  einigen  in  meiner 
Privatsammlung  befindlichen  nordischen  Exemplaren  deut- 
lich   zurück.     Ich  gebe   hier   die    Hauptdimensionen   jenes 


l)  Unter  „Condylarlänge"  verstehe  ich  die  gerade  Entfernung  vom 
Hinterrand  der  Nagezahnalveole  bis  zum  Hinterrand  des  Condylus. 

4* 


70 


Gesellschaft  naturforschender  Freunde,  Berlin. 


Exemplars,    zusammengestellt   mit    denen    des  männlichen 
Schädels  von  Brandenburg  und  eiues  nordrussischen  Schädels : 


Die  Dimensionen  sind  in 
Millimetern  angegeben. 


Arvicola  ratticeps  K.  u.  Bl. 


1. 
Ost- 

preussen 


2.  3. 

Nord-      cfad.  var.  Stimmingi. 
russland  |        Brandenburg 


Grösste  Länge  des  Schädels 
Basilarlänge         „  „ 

Jochbogcnbreite  „  „ 

Länge    der   oberen   Backen- 

zahnreihe 

Länge   der  unteren  Backen- 
zahnreihe      

Condylarlänge  d.  Unterkiefers 


27,5 

25 

15,5 

6,3 

6,1 
16,5 


30,5 
27,5 
17,2 

6,9 

6,5 
18,5 


27 

24,3 
14 

6,2 

6,1 
16 


Herr  Prof.  Hörig  hat  bereits  Anordnungen  getroffen, 
um  lebende  Exemplare  des  Arv.  ratticeps  bei  Maraunenhof 
zu  fangen;  vorläufig  ist  schon  die  Thatsache  interessant 
genug,  dass  59  Exemplare  dieser  Art  aus  dort  gesammelten 
Eulen-Gewöllen  constatirt  sind. 

Inzwischen  habe  ich  von  Herrn  Dr.  med.  K.  Stimmung 
noch  zwei  Spiritus-Exemplare  der  „var.  Stimmingi'1  von 
Brandenburg  a.  d.  H.  und  zugleich  einige  interessante 
Notizen  über  die  Lebensweise  dieser  Maus  erhalten. 
Letztere  lauten:  „Diese  Varietät  lebt  bei  Brandenburg  a.  H. 
auf  zwei  Havel-Inseln,  gräbt  unter  der  Wiesendecke  ihre 
Gänge,  kommt  bereits  am  Spätnachmittag  ins  Freie,  frisst 
allerlei  Wurzeln  und  frisches  Grün.  Der  beste  Köder  sind 
frische  Cichorienwurzeln.  Sie  wirft  im  Verlaufe  ihrer  Gänge 
kleine  Hügel  (ca.  20  cm  Durchmesser  haltend)  auf,  schwimmt 
vorzüglich  und  taucht,  besonders  wenn  sie  verfolgt  wird, 
ganz  ausgezeichnet.  Ihre  Anzahl  auf  beiden  Inseln  ist  eine 
beschränkte;  denn  ich  habe  in  den  letzten  5  Jahren  nur 
8  Stück  erbeutet." 

Hiernach  ähnelt  die  STiMMiNG'sche  Varietät  der  nor- 
dischen Wühlratte  in  ihrer  Lebensweise  der  Wasserratte 
(Arvicola  amphibius),  mit  der  ja  Arv.  ratticeps  von  Blasius 
in  einer  Gruppe  (Paludicola)  zusammengestellt  ist.  Ver- 
muthlich  trägt  sie  auch  Wintervorräthe  zusammen,  wie  es 
die  mit  Arv.  ratticeps  nahe  verwandte  „ökonomische  Wühl- 


Sitzung  vom  18.  April  1899.  71 

maus"  (Arv.  oeconomus  Pall.)  und  Arv.  amphibius  bekannt- 
lich thun. 

Herr  A.  Nehring  sprach  ferner  über  einen  Löwen- 
und  einen  Biber-Rest  aus  der  Provinz  Brandenburg, 
sowie  über  craniologische  Unterschiede  von  Löwe 
und  Tiger. 

Vor  einigen  Tagen  wurden  mir  von  der  Direction  des 
Märkischen  Provinzial-Museimis  hierselbst  zwei  Fossilreste 
zur  Bestimmung  übersandt.  nämlich  der  Gehirnschädel  eines 
grossen  Raubtbiers  und  das  Kreuzbein  eines  kleineren 
Thiers.  Ersteres  Stück  ist  diluvialeu.  letzteres  alluvialen 
Alters.  Jenes  erwies  sich  bei  meiner  Untersuchung  als  zu 
Felis  spelaea  Goldf.  (=  Leo  spelaeus  Filh.^,  dieses  als  zu 
Castor  fiber  L.  gehörig. 

Besonders  interessant  und  für  die  Provinz  Brandenburg 
als  grosse  Seltenheit  erscheint  die  Schädelkapsel  des 
diluvialen  Löwen;  sie  stammt  aus  einer  der  zahlreichen 
Ziegeleien,  welche  zwischen  Königs -Wusterhausen  und 
Storkow  gelegen  sind,  und  ist  dem  Märkischen  Museum 
nach  einer  gefälligen  Angabe  der  Direction  zusammen 
mit  einigen  anderen,  ebenfalls  dort  ausgegrabenen  Resten 
(Schädel  eines  Bhinoceros  tichorhinus ,  Backenzahn  eines 
Elephas  primigenius,  Hornzapfen  eines  Bos)  zugegangen. 
Sie  gehört  einem  alten,  starken  Individuum  an,  wie  die 
kräftige  Crista  sagittalis  und  die  sehr  ausgeprägte  Form 
der  Stirnpartie  beweisen. 

Bei  der  Bestimmung  dieses  Stücks  erhob  sich  die 
Frage,  ob  man  es  hier  mit  einem  Löwen  oder  einem  Tiger 
zu  thun  hat,  und  ich  habe  im  Zusammenhange  hiermit  die 
craniologischen  Unterschiede  von  Löwe  und  Tiger1),  welche 
schon  häufig  in  der  Litteratur  über  „Felis  spelaea"  discutirt 
worden  sind2),  einer  erneuten  Prüfung  unterzogen.    Das  Ma- 


*)  Auf  die  etwaigen  Verschiedenheiten  der  einzelnen  Löwen-  und 
Tiger-Rassen  gehe  ich  nicht  ein;  hier  handelt  es  sich  nur  um 
die  craniologischen  Differenzen  zwischen  Leo  einerseits  und  Tigris 
andererseits. 

2)  Vergl.  z.  B.  Pawkins  and  Sanford,  British  Pleistocene  Mam- 


72  Gesellschaft  natwforschender  Freunde,  Berlin. 

terial,  welches  ich  vergleichen  konnte,  besteht  aus  5  Löwen- 
und  8  Tigerschädein  der  zoologischen  Abtheilung  des  hiesigen 
Museums  für  Naturkunde,  aus  5  Löwen-  und  8  Tigerschädeln 
der  mir  unterstellten  Sammlung  und  aus  4  Schädeln  der 
Felis  spelaea  Goldf.  aus  der  Gailenreuther  Höhle  in  der 
palaeontologischen  Abtheilung  des  hiesigen  Museums  für 
Naturkunde. a) 

Die  Resultate  meiner  Vergleichungen  sind  in  Kurzem 
folgende:  Der  Schädel  des  erwachsenen  Löwen  ist  in  der 
Stirnpartie  niedriger,  flacher  und  breiter  als  der  des  er- 
wachsenen Tigers,  bei  welchem  die  Stirn  deutlich  gewölbt 
ist;  dazu  kommt,  dass  beim  alten  Löwen  die  Mitte  der 
Stirnbeine  deutlich  vertieft  erscheint.  Die  Nasenbeine 
des  Löwen  sind  kürzer  und  nach  vorn  breiter  als  bei  Tigern 
gleichen  Alters  und  Geschlechts.  Die  Frontalfortsätze 
der  Oberkieferknochen  reichen  beim  Löwen  normaler 
Weise  über  das  hintere  Ende  der  Nasenbeine  hinaus  und 
zeigen  eine  flache,  allmählich  ansteigende  Oberfläche;  beim 
Tiger  pflegen  die  Frontalfortsätze  der  Oberkieferknochen 
nicht  bis  zum  Hinterende  der  Nasenbeine  zu  reichen,  ihre 
Oberfläche  ist  concav  und  steigt  steiler  nach  der  Stirn  hin- 
auf, auch  zeigen  sie  eine  abweichende  Form  der  Grenznaht. 
Die  Foramina  palatina  des  Löwen  sind  grösser  und  liegen 
weiter  zurück,  als  beim  Tiger;  ausserdem  setzen  sie  sich 
bei  jenem  nach  vorn  in  2  breiten,  deutlich  markirten  Furchen 
fort,  wovon  beim  Tiger  kaum  eine  Andeutung  zu  sehen  ist. 
Das  Gaumenkeilbeinloch  (Foramen  spheno-palatinum) 
des  Löwen  ist  grösser  und  steht  zu  den  benachbarten  Nähten 
in  etwas  anderer  Beziehung,    als  beim  Tiger2).     Das  Fo- 


malia,  Part  I  u.  II,  London  1866  u.  1868.  Diese  Autoren  betonen 
den  leoninen  Charakter  der  Felis  spelaea.  Siehe  auch  Bourguignat, 
Felidae  fossiles,  Paris  1879,  S.  8  ff.  Vergl.  ferner  Giebel,  Säuge- 
thiere,  S.  869,  welcher  sehr  entschieden  für  die  Uebereinstimmung  der 
Felis  spelaea  mit  dem  Tiger  sich  ausspricht. 

l)  Diese  fossilen  Schädel  des  Museums  für  Naturkunde  wurden 
mir  von  Herrn  Prof.  Dr.  Jaekel,  die  vorerwähnten  recenten  Schädel 
desselben  Museums  durch  Herrn  Custos  P.  Matschie  freundlichst  zu- 

1  ich  gemacht. 

*)  Obige  Differenz  hat  sich  an  meinem  Material  als  besonders 
charakteristisch  bewährt. 


Sitzung  vom  18.  April  1899.  73 

ramen  stylo-mastoideum  liegt  beim  Löwen  regelmässig  so, 
dass  man  in  seine  Oeffnung  bei  der  Basalansicht  des 
Schädels  direct  hineinsehen  kann;  beim  Tiger  liegt  die 
Oeffnung  jenes  Foramen  gewöhnlich  mehr  seitlich  an  der 
Bulla.  Der  Meatus  auditorius  externus  scheint  beim  Löwen 
meistens  etwTas  grösser  resp.  offener  zu  sein,  als  beim  Tiger. 

Nach  allen  diesen  Kennzeichen  sind  die  in  der  palaeon- 
tologischen  Sammlung  des  hiesigen  Museums  für  Naturkunde 
vorhandenen  4  Gailenreuther  Schädel ,  von  denen  der  eine 
als  völlig  intakt  bezeichnet  werden  kann1),  als  unzweifel- 
hafte Löwenschädel  anzusprechen.  Ebenso  muss  ich  die 
vorliegende  Gehirnkapsel  einer  grossen  Felis  aus  dem 
märkischen  Diluvium  nach  der  Stirnbildung  und  nach  der 
Bildung  des  Meatus  auditorius  externus,  sowie  auch  einiger 
Foramina  des  Sphenoids  als  zu  Leo,  nicht  zu  Tigris  ge- 
hörig betrachten. 

Auf  die  einschlägige  Litteratur  über  Felis  spelaea  Goldf. 
einzugehen,  ist  hier  nicht  der  Ort;  ich  will  nur  hervorheben, 
dass  auch  J.  Fr.  Brandt  einst  die  im  hiesigen  Museum  für 
Naturkunde  vorhandenen  Gailenreuther  Schädel  mit  Ent- 
schiedenheit für  Löwenschädel  (nicht  Tigerschädel)  erklärt 
hat,  ohne  dieses  im  Einzelnen  näher  zu  begründen.  Da 
von  Zeit  zu  Zeit  immer  wieder  die  Ansicht  auftaucht,  dass 
„Felis  spelaeaLL  ein  Tiger,  kein  Löwe  gewesen  sei,  so  scheint 
es  mir  augezeigt,  dieses  für  die  oben  besprochenen,  von 
mir  untersuchten  Objecte  zurückzuweisen.  Andere,  weniger 
vollständig  erhaltene  Objecte  lassen  kein  sicheres  Urtheil 
zu;  doch  ist  es  sehr  wahrscheinlich,  dass  auch  die  sonsti- 
gen in  Deutschland  gefundeuen  Reste,  z.  B.  die  von  mir  bei 
Thiede  unweit  Braunschweig  und  bei  Westeregeln  unweit 
Magdeburg,  sowie  aus  Westpreussen  nachgewiesenen  Reste2), 


')  Dieser  Schädel  dürfte  wohl  einer  der  besterhaltenen  Schädel 
des  Leo  spelaeus  sein,  welche  überhaupt  existiren;  er  ist  für  die  oben 
erörterte  Frage  besonders  wichtig,  da  an  ihm  alle  Charaktere  klar  und 
sicher  zu  erkennen  sind. 

2)  Siehe  „Tundren  und  Steppen",  S.  169,  193,  233.  Verh.  d. 
Berl.  Ges.  f.  Anthrop.,  J893,  S.  407  ff.  mit  2  Abbild.  Bericht  des 
Westpreuss.  Prov.-Museums,  1895,  S.  16. 


74  Gesellschaft  natwrforschender  Freunde,  Berlin. 

oder  der  durch  Schröder  beschriebene  Metacarpus  von 
Oderberg -Bralitz1),  dem  fossilen  Löwen  angehören.  Da- 
gegen mögen  manche  in  Ost-Europa  gefundenen  Felis -Heste 
einem  Tiger  zuzuschreiben  seien.  Die  meisten  einschlägigen 
Untersuchungen  sind  bisher  mit  viel  zu  knappem  und  mangel- 
haftem Vergleichsmaterial  veranstaltet  worden;  nur  ein  reich- 
haltiges, zuverlässiges  Material  giebt  brauchbare  Resultate. 
Ueber  das  oben  erwähnte  Biber-Kreuzbein  bemerke 
ich.  dass  "dasselbe  aus  einem  Moore  in  der  Nähe  des  Zie- 
low- Grabens  westlich  von  Mittenwalde  stammt.  Es  hat 
einem  erwachsenen,  aber  nicht  sehr  starken  Individuum 
augehört. 

Herr  L.  Brühl,  der  über  Fremdkörper  im  Elfenbein 
sprach,  wird  seinen  Vortrag  im  nächsten  Heft  veröffentlichen. 

Herr  MATSCWE  sprach  über  Vespertilio  venustus 
Mtsch.,  eine  neue  Fledermaus  aus  Deutsch-Ost-Afrika 

Der  Naturalienhändler  Herr  W.  Schlüter  in  Halle  a./S. 
hat  dem  Berliner  Museum  für  Naturkunde  eine  Fledermaus 
angeboten,  welehe  ich  mit  keiner  bekannten  Art  zu  ver- 
einigen vermag. 

Sie  gehört  zu  derjenigen  Gruppe  von  Vespertilio,  bei 
welcher  die  Flughäute  schwarz  und  orange  gezeichnet  sind, 
ähnlich  wie  bei  Kerivoula  picta.  Man  kann  diese  Fleder- 
mäuse auf  den  ersten  Blick  von  Kerivoula  picta  daran  unter- 
scheiden, dass  der  freie  Rand  der  Flughaut  zwischen  der 
Fusswurzel  und  der  Spitze  des  fünften  Fingers  nicht  breit 
orange  gesäumt  ist,  wie  bei  dieser  Kerivoula,  sondern  dass 
die  schwarze  Färbung  dort  bis  an  den  Rand  der  Flughaut 
heranreicht.  Im  Gebiss  sind  sehr  erhebliche  Unterschiede 
vorhanden.  Bei  Kerivoula  sind  die  ersten  beiden  Prae- 
molaren  nicht  viel  kleiner  als  der  dritte,  bei  den  bunt- 
flügeligen  Vespertilio  ist  der  erste  Praemolar  noch  nicht  halb 
so  gross  wie  der  dritte,  und  der  zweite  Praemolar  ist 
ausserordentlich  klein. 


')  Siehe  Jahrb.  d.  Kgl.  Preuss.  Geol.  Landesanstalt,  1897,  S.  20f, 


Sitzung  vom  18.  April  1899.  75 

Beschrieben  sind  bis  jetzt  folgende,  zu  dieser  Gruppe 
gehörige  Formen:  F.  andersoni  Troüessart  =  dobsoni  An- 
derson von  Purneah  in  Nord-Bengalen,  V.  pallidiis  Blyth 
von  Chaibasa  in  Süd-Bengalen,  V.  auratus  Dobs.  von  Dar- 
jeeling,  F.  formosus  Hodgs.  von  Central -Nepal,  F.  rufo- 
2Jictus  Waterh.  von  den  Philippinen ,  V.  rufoniger  Tomes 
vom  Jantsekiang-Gebiet. 

Blanford  (The  Fauna  of  British  India,  Mamm.  1891. 
S.  335—336)  vereinigt  alle  diese  Species  unter  V.  formosus, 
Troüessart  (Cat.  Mamm.  Nov.  Ed.,  I,  1897,  S.  128-129) 
lässt  neben   F.  formosus  noch   F.  andersoni  gelten. 

Die  Maasse  bewegen  sich  für  die  unter  F.  formosus  von 
Troüessart  zusammengestellten  Formen  in  folgenden  Grenzen: 
Unterarm:  -15,5  —  49,8  mm;  Daumen:  9.52—10,56  mm; 
Fuss:  11.6  —  12,7  mm. 

Bei  F.  andersoni  sind  die  betreffenden  Maasse:  54,61; 
12,7;  15,2  mm. 

An  dem  mir  vorliegenden  Stücke  maass  ich:  Unter- 
arm: 56,5;  Daumen  mit  Nagel:  ca.  10  mm;  Fuss  mit  den 
Krallen:  ca.  11  mm.  Das  Object  ist  trocken  präparirt; 
daher  sind  die  Messungen  etwas  ungenau. 

Der  Fuss  ist  bei  den  bekannten  Formen  dieser  Gruppe 
entweder  so  gross  oder  grösser,  bei  dem  hier  zu  unter- 
suchenden Stücke  viel  kleiner  als  ein  Viertel  der  Unterarm- 
länge; der  Daumen  ist  bei  den  ersteren  grösser  als  der 
fünfte  Theil  der  Unterarmlänge,  bei  dem  letzteren  kleiner 
als  dieses  Maass. 

Am  Gebiss  bemerke  ich  folgende  Unterschiede:  Der 
zweite  obere  Praemolar  steht  dicht  neben  dem  dritten  Prae- 
molaren  und  der  letztere  hat  am  Vorderrand  des  Cingulum 
keinen  Höcker.  Der  vorletzte  obere  Molar  ist  breiter  als 
ein  Drittel  der  Länge  der  Molarenreihe;  die  Entfernung  der 
Foramina  infraorbitalia  von  einander  ist  ebenso  gross  wie 
die  Länge  der  Zahnreihe. 

In  der  Färbung  zeichnet  sich  das  Exemplar  dadurch 
aus,  dass  die  Arme  und  Finger,  die  Schwanzfiughaut  und 
das  Propatagium    auf   der    Oberseite    schwarz    gesprenkelt 


76  Gesellschaft  naturfoi ■sehender  Freunde,  Berlin, 

sind.  Mit  V.  andersoni  stimmt  es  darin  überein,  dass  die 
schwarz  gefärbten  Theile  des  Flügels  hell  punktirt  sind. 

Die  Rückenbaare  sind  am  Grunde  schwarzbraun,  in  der 
Mitte  weiss  und  haben  lange  nussbraune  Spitzen.  Der 
Rücken  erscheint  weisslich,  stark  nussbraun  überflogen,  an 
den  Seiten  rein  nussbraun.  Die  Unterseite  des  Körpers 
ist  weiss;  über  die  Brust  zieht  sich  von  den  Achseln  her 
ein  hufeisenförmiges,  nicht  sehr  deutliches,  nussfarbenes 
Band.  Die  hellen  Theile  des  Flügels  sind  orangefarbig, 
die  duuklen  Theile  schwarz. 

Herr  Schlüter  schreibt  mir,  dass  er  diese  Fledermaus 
zusammen  mit  Vesp.  nanus  Ptrs.  von  Kinole  in  den 
Ukami-Bergen,  Deutsch-Ost-Afrika,  erhalten  hat. 

Ich  gebe  noch  einige  Messungen:  Kopf  und  Körper: 
ca.  61  mm;  Schwanz:  ca.  51  mm;  Kopf:  ca.  21  mm;  Ohr: 
ca.  13  mm;  ferner  am  Schädel:  Basallänge:  16,8  mm;  obere 
Molarenreihe:  6,2  mm;  Entfernung  der  Infraorbital-Foramina 
von  einander:  6,2  mm;  Breite  des  vorletzten  oberen  Molaren: 
2,6  mm. 

Herr  0.  Neumann  sprach  über  die  Gleichartigkeit 
von  Bubalis  Jachsoni  Thom.  und  Acronotus  IcJwel 
Heugl.  und  ihre  Färbung. 

Thomas  beschrieb  1892 l)  eine  Kuhantilope,  dieFREDERic 
F.  Jackson  in  den  Ländern  zwischen  Naiwascha-See  und 
Victoria-Nyansa  gesammelt  hatte,  unter  dem  Namen  Bubalis 
Jachsoni. 

In  seiner  Beschreibung  meint  er,  dass  dieses  die  von 
Petheric,  Heuglin  und  BoHNDORFals  Bubaliscaama  ange- 
sprochenem Antilope  sei.  Er  hat  hierin  Recht  und  auch 
die  von  Junker2)  und  Schweinfurth 3)  unter  diesem  Na- 
men erwähnten  Antilopen  gehören  zu  dieser  Art. 

Nun  hat  aber  Heuglin  die  Hartebeests  der  oberen  Nil- 
gebiete   mit    zwei    verschiedenen  Namen  belegt  und  unter 


>)  Ann.  Mag.  N.  H.,  IX,   S.  386. 

2)  Junker,  Reisen  in  Afrika,  I,  S.  364;  III,  S.  190. 

3)  Schweinfurth,  Im  Herzen  von  Afrika,  I,  S.  212,  465,  469; 
II,  S.  276,  418,  483. 


Sitzung  vom  18.  April  1896.  77 

diesen  abgebildet.  In  seinen  ersten  Arbeiten1)2)  nennt  er  die 
Antilope  vom  Bar  el  Djebel,  Kir  und  Djur  Antilope  resp. 
Boselaphus  caama  und  bildet  in  dem  Werk  „Antilopen  und 
Büffel  Nord-Afrika's".  Tafel  I.  No.  3  a  und  3  b,  ein  Gehörn 
von  vom  und  halbseitwärts  ab,  dessen  Spitzen  deutlich 
nach  aussen  divergiren. 

In  einem  späteren  Werk3)  trennt  Heuglin  die  Harte- 
beests  der  oberen  Nilgebiete,  lässt  der  östlichen  Form  vom 
Kir  und  Sobat  den  Namen  Acronotus  caama  und  giebt  der 
westlichen  Form  vom  Djur  und  Kosange  den  Namen  Acro- 
notus lelwel. 

Acronotus  lelwel  wurde  verschiedentlich  bezogen,  unter 
anderm  von  Matschie  4)  auf  das  westafrikanische  Hartebeest, 
welches  aber  eine  andere,  gut  unterscheidbare  Art,  Bubalis 
major,  ist. 

Eine  Vergleichung  der  verschiedenen  Abbildungen 
Heuglin' s  zeigt  nun,  dass  das  Gehörn  seiner  lelwel  sehr 
gut  mit  dem  früher  von  ihm  als  von  caama  abgebildeten 
übereinstimmt,  da  bei  beiden  die  Spitzen  nach  aussen  hin 
divergiren,  während  bei  der  späteren  Abbildung  von  caama 
(östliche  Form)  die  Spitzen  nach  hinten  parallel  verlaufen 
oder  sich  sogar  nach  der  Mitte  nähern,  ebenso  wie  dies 
auch  Schweinfukth 5)  abbildet. 

Die  von  mir  in  Uganda,  Kavirondo  und  auf  der  Angata 
anyuk  (zwischen  Kavirondo  und  dem  Mauwald  gelegen)  er- 
legten Hartebeests  haben  sämmtlich  Gehörne,  deren  Spitzen 
auseinandergehen  und  gut  mit  der  Abbildung  des  Acronotus 
lelwel  übereinstimmen. 

Es  war  mir  leider  nicht  möglich,  von  Heuglin  ge- 
sammelte Gehörne  zum  Vergleich  zu  erhalten,  da  sich  weder 
auf  dem  Museum  zu  Stuttgart  noch  auf  dem  zu  Wien  solche 
befmdan.    W  ohl  aber  besitzt  das  Berliner  Museum  ein  durch 


')  Heuglin,    Antilopen    und    Büffel    Nordost -Afrikas    in    „Leo- 
poldina", 1863. 

2)  Heuglin,  Reise  in  das  Gebiet  des  weissen  Nil,   1869,   S.  320. 

3)  Heuglin,  Reisen  in  Nordost-Afrika,  1877,  II,  S.  123,  124. 

4)  Matschie,  Archiv  für  Naturgeschichte,  1891,  S.  355. 
B)  Schweinfurtii,  Im  Herzen  von  Afrika,  I,  S.  212, 


78  Gesellschaft  naturforschender  Freunde,  Berlin. 

Schweinfüeth  am  Djur  gesammeltes  Gehörn,  imd  das 
Wiener  Museum  war  so  freundlich  —  wofür  ich  hier  Herrn 
Prof.  Brauer  und  Herrn  Dr.  v.  Lorenz  meinen  besten 
Dank  sage  —  mir  vier  Stück  aus  einer  grossen  Anzahl 
Bubalis- Gehörne  zur  Verfügung  zu  stellen,  welche  von 
Junkers  Schwester  dem  Wiener  Museum  zum  Geschenk 
gemacht  wurden.  Wenn  auch  ohne  Fundortsbezeichnung, 
so  dürfte  doch  sicher  sein,  dass  dieses  die  Gehörne  sind, 
welche  Junker  in  Makaraka1),  also  in  der  Gegend  des 
Djur,  erstand. 

Sowohl  nun  das  Schweinfurth' sehe  Gehörn  wie  die 
JiNKER'schen  haben  die  Hörnenden  parallel  oder  sogar 
nach  innen  gehend,  doch  theilt  mir  Dr.  v.  Lorenz  mit, 
dass  sich  unter  den  übrigen  JuNKER'schen  Gehörnen  auch 
solche  befinden,  die  mehr  oder  weniger  nach  aussen 
divergiren. 

Aus  alledem  scheint  mir  hervorzugehen,  dass  sicher 
Bubalis  Jacksoni  Thom.  mit  der  Heuglin' sehen  Art  identisch 
und  demnach  fortan  Bubalis  lelivel  (Heugl.)  zu  nennen 
sein  wird. 

Ich  möchte  aber  auch  vorläufig  der  Form  mit  parallelen 
oder  nach  innen  gehenden  Spitzen  keinen  neuen  Namen 
geben,  sondern  lieber  noch  annehmen,  dass  hier  nur  in- 
dividuelle Variationen  vorliegen,  besonders  da  über  die 
Färbung  der  Thiere  vom  Djur  einerseits,  vom  Sobat  andrer- 
seits noch  nichts  genaues  bekannt  ist.  Nur  Schweinfurth 
giebt  gelegentlich  der  Erwähnung  eines  bei  Seriba  Ghattas 
(Djurgebiet)  erlegten  Stückes  folgende  kurze  Beschreibung2): 
„Im  Sommer,  der  Regenzeit,  ist  seine  Färbung  ein  helles, 
gleichmässiges  Ledergelb  mit  weisslicher  Bauchseite,  in  den 
regenlosen  Wintermonaten  dagegen  variirt  dieselbe  in  Reh- 
graue." 

Dagegen  bin  ich  heute  in  der  Lage,  eine  genaue  An- 
gabe der  Färbung  eines  südlichen  Stückes  zu  geben,  welche, 
wie  dieses  wohl  nach  allem  Vorhergesagten  zu  erwarten, 


!)  Junker,  Reisen  in  Afrika,  I,  S.  364. 

■)  Schweinfurth,  Im  Herzen  von  Afrika,  I,  S.  213. 


Sitzung  vom   18.  April  1890.  79 

ziemlich  gut  mit  der  Beschreibimg  Schweinfurt*  s  überein- 
stimmt. 

Von  den  8  von  mir  in  Uganda,  Ravirondo  und  Angata 
anyuk  erlegten  Stücken  gelang  es  mir,  zwei  Felle  gut  con- 
servirt  nach  Berlin  zu  bringen,  von  denen  das  eine,  am 
17.  November  1894  auf  der  Angata  anyuk  erlegt,  im  hiesigen 
Museum  für  Naturkunde  ausgestopft  wurde. 

Die  Färbung  dieses  Stückes  gut  zu  beschreiben,  ist 
einigermaassen  durch  den  Umstand  erschwert,  dass  sich  das 
betreifende  Exemplar  gerade  im  Haarwachsel  befindet  und 
deshalb  etwas  scheckig  aussieht. 

Die  Allgemeinfärbung  ist  röthlich-gelbbraun,  nach  unten 
zu  heller.  Der  Bauch  ist  röthlich -weiss,  die  Oberschenkel 
hellgelbbraun,  die  Vorderseite  der  Beine  dunkler.  Auch  der 
Kopf  ist  dunkler,  die  Stirn  dunkelrothbraun,  die  Schwanz- 
quaste schwarz,  der  Rand  der  Unterlippe  schwarzbraun. 

Bubalis  lehcel  gehört  also  in  die  Gruppe  der  einfarbigen 
Kuhantilopen,  während  die  ihr  im  Gehörn  nächstverwandte 
Bubalis  caama  vom  Cap  und  Südwest-Afrika  schwarze  Ober- 
schenkel hat. 

Herr  Hans  Virchow  sprach  über  Röntgen-Aufnahmen 
der  Hand. 

Die  vorgelegten  drei  Aufnahmen,  welche  ich  der  Güte 
des  Herrn  Stabsarztes  Lambehtz  an  der  Kaiser  Wilhelms- 
Akademie  verdanke,  zeigen  die  gleiche  Hand  in  natürlicher 
Haltung,  ulnarer  Abduction  und  radialer  Abduction. 

Röntgen-Aufnahmen  der  Hand  hat  Jeder  bis  zum  Ueber- 
druss  gesehen;  aber  vielleicht  hat  Niemand  bisher  eine  er- 
schöpfende Analyse  von  einer  einzigen  derartigen  Figur  ge- 
geben, und  es  ist  wohl  auch  z.  Z.  Niemand  dazu  im  Stande. 
Die  Gründe  liegen  z.  Th.  darin,  dass  wir  über  die  Stellungen 
und  Bewegungen  der  einzelnen  Handknochen  bisher  nicht 
vollkommen  genau  unterrichtet  sind,  z.  Th.  in  Eigentüm- 
lichkeiten der  Methode. 

Diese  Eigentümlichkeiten  oder,  wenn  wir  unsere  ge- 
wöhnliche Art,  Gegenstände  zu  sehen,  zur  Grundlage  nehmen. 
„Fehler"   bestehen  darin,  dass  erstens  das  Bild  umgedreht 


80  Gesellscluij t  naturforschender  Freunde,  Berlin. 

ist  —  die  vorliegende  Hand,  obwohl  eine  rechte,  erscheint 
als  linke;  dass  zweitens  die  der  Röhre  und  damit  dem 
Beschauer  zugewendete  Seite  in  der  Regel  weit  undeutlicher 
kommt  als  die  der  Platte  zugewendete  — ,  an  der  vor- 
liegenden Hand,  deren  dorsale  Seite  dem  Beschauer  zuge- 
wendet war,  muss  dementsprechend  in  erster  Linie  die  volare 
Seite  in  Betracht  gezogen  werden;  dass  drittens  die  von 
der  Platte  entfernteren  Knochentheile  stärker  vergrössert 
und,  wenn  sie  seitlich  lagen,  verschoben  sind.  Die  hier- 
durch bedingten  Entstellungen  sind  so  beträchtlich,  dass 
z.  B.  Aufnahmen  des  Kniees  für  manche  Fragen  geradezu 
werthlos  sind;  und  auch  Bilder  der  Hand,  obwohl  diese 
wegen  ihrer  geringeren  Dicke  ein  verhältnissmässig  günstiges 
Object  ist,  dürfen  nur  mit  Vorsicht  und  unter  Controle 
anderer  Methoden  für  bestimmte  Schlussfolgerungen  ver- 
werthet  werden. 

Um  das  specielle  Problem,  um  welches  es  sich  handelt, 
abzugrenzen,  müssen  von  den  „Handbewegungen"  im  popu- 
lären Sinne  die  folgenden  ausgeschieden  werden.  Erstens 
die  Bewegung  des  Metacarpale  I  gegen  das  Multangulum 
majus;  zweitens  die  des  Metacarpale  V  und  IV.  Das  Meta- 
carpale V  lässt  sich  nämlich  in  ziemlich  ausgiebiger  Weise 
gegen  das  Hamatum  activ  bewegen  (vergl.  Poirier,  Traite 
d'anatomie  humaine,  Arthrologie) ,  und  auch  das  Metacar- 
pale IV  nimmt  an  dieser  Bewegung  theil;  nur  das  Meta- 
carpale III  und  II  sind  so  fest  mit  dem  Carpus  verbunden, 
dass  man  sie  practisch  als  unbeweglich  ansehen  darf. 
Drittens  haben  wir  die  Drehung  der  Hand  um  die  Längs- 
achse auf  die  pro-  und  supinatorische  Bewegung  innerhalb 
des  Vorderarms  zurückzuführen.  Eine  gleichsinnige  Be- 
wegung kommt  auch  innerhalb  der  Handwurzel  vor  (Poirier). 
Dieselbe  tritt  sogar  bei  den  seitlichen  Bewegungen  der  Hand 
in  ganz  gesetzmässiger  Weise  auf,  indem  bei  radialer 
Abduction  eine  supinatorische  und  bei  ulnarer  Ab- 
duetion  eine  pronatorische  Drehung  sich  einstellt.  Sucht 
man  diese  Bewegungen  zu  unterdrücken,  etwa  indem  man 
die  Hand  auf  einem  Tisch  gleitend  gegen  den  ulnaren  und 
radialen  Rand  bewogt,  so  stellen  sich  compensirend  die  ent- 


Sitzung  vom  18.  April  1899.  81 

gegengesetzten  Bewegungen  im  Arme  ein,  bei  radialer  Ab- 
duction  der  Hand  Pronation,  bei  ulnarer  Abduction  Supi- 
nation,  zum  Beweise,  dass  die  erwähnten  Bewegungen 
zwangsmässige  sind.  Es  bleiben  als  Handgelenkbewegungen 
übrig  einerseits  volare  und  dorsale  Flexion,  andererseits 
ulnare  uud  radiale  Abduction,  von  denen  sich  die  letzteren 
für  Röntgen -Aufnahmen  eignen.  Das  Problem  ist,  in 
welchem  Maasse  jedes  der  beiden  Handgelenke  (Artic. 
radiocarpea  und  intercarpea)  an  den  Bewegungen  betheiligt 
ist,  und  ob  für  diese  Bewegungen  die  gleichen  Achsen 
in  Anspruch  genommen  werden,  wie  für  volare  und  dorsale 
Flexion,  oder  andere  Achsen,  d.  h.  ob  die  beiden  Gelenke 
je  eine  feste  Achse  besitzen  (Henke,  Langer -Toldt) 
oder  die  Lage  der  Achsen  je  nach  der  Bewegung  ver- 
schieden anzunehmen  ist,  wofür  schon  Zuckerkandl  auf 
Grund  von  Röntgenbildern  eingetreten  ist  (Anatom.  Anz., 
XII.  Band,  S.  120). 

Für  die  Beurtheilung  dieser  Fragen  bieten  nun  die 
Röntgen-Aufnahmen  einiges,  aber  nicht  alles;  vielmehr  muss 
man  aus  den  angedeuteten  Gründen  sich  bei  der  Ver- 
werthung  derselben  der  grössten  Vorsicht  befieissigen. 
Speciell  möchte  ich  hier  von  Neuem,  wie  schon  an  anderer 
Stelle  (Verhandl.  der  Berlin,  anthropol.  Gesellschaft,  1898, 
S.  131),  nachdrücklich  davor  warnen,  aus  den  im  Röntgen- 
bilde sichtbaren  Spalten  Schlüsse  auf  die  wirkliche  Weite 
der  Spalten  zu  machen. 

Was  ich  hervorheben  möchte,  ist  das  Folgende: 

1)  Die  Knochen  der  distalen  Reihe  sind  unter  ein- 
ander sowie  mit  dem  zweiten  und  dritten  Metacarpale  so 
fest  verbunden,  dass  sie  practisch  bei  den  Bewegungen  eine 
Einheit  bilden.  Allerdings  ist  die  gegenseitige  Stellung 
des  Multangulum  majus  und  minus  nicht  ganz  zuverlässig 
zu  erkennen,  weil  diese  beiden  Knochen  in  den  Bildern 
sich  grösstenteils  decken. 

2)  Die  Knochen  der  proximalen  Carpalreihe  sind 
unter  einander  nicht  unbeweglich  verbunden,  vielmehr 
vergleitet  bei  radialer  Abduction  das  Triquetrum  am  Lu- 
natum distalwärts,   und   das  Naviculare  entfernt  sich  vom 


82  Gesellschaft  natu  rfor  seilender  Freunde,  Berlin. 

Lunatum  bei  ulnarer  Flexion  radialwärts.  Die  durch  die 
erste  Carpalreihe  gebildete  Pfanne  ist  daher  nicht  un- 
veränderlich, und  es  ist  hier  an  die  Bemerkung  von 
Poirier  zu  erinnern,  dass  die  Bewegungen  innerhalb  des 
Carpus  sehr  beschränkte  sein  würden,  wenn  die  beiden 
Carpalreihen  zwei  feste  Einheiten  darstellten,  wie  man  ge- 
wöhnlich anzunehmen  pflegt.  Dieser  Umstand  spricht  gegen 
die  Vorstellung  fester  Achsen. 

3)  Das  Lunatum,  welches  bei  Mittelhaltung  halb  auf 
dem  Radius  und  halb  auf  der  Bandscheibe  steht  (wie  ich 
schon  vor  Jahren  auf  Grund  von  Gefrierpräparaten  wusste, 
ehe  es  Röntgenbilder  gab),  ist  bei  radialer  Abduction  nur 
wenig  ulnarwärts,  dagegen  bei  ulnarer  Abduction  stark 
radialwärts  verschoben. 

4)  Bei  ulnarer  Abduction  stösst  ein  Knochen  der 
proximalen  Reihe  (Triquetrum)  an  den  Meta carpus;  bei 
radialer  Abduction  ein  Knochen  der  distalen  Reihe  (Mul- 
tangulum  majus)  an  den  Radius. 

5)  Um  den  Gesammteffect  der  ulnaren  und  der 
radialen  Abduction  festzustellen,  habe  ich  die  Abstände 
von  zwei  Punktpaaren  gemessen,  am  ulnaren  Rande  Pro- 
cessus styloides  ulnae  bis  zu  der  Kante  zwischen  den  beiden 
seitlichen  Facetten  an  der  Basis  metacarp.  V,  am  radialen 
Rande  Processus  styloides  radii  bis  zu  der  radialen  Ecke 
an  der  Basis  metacarp.  IL  Der  erste  Abstand,  in  Mittel- 
stellung 29  mm,  verkleinerte  sich  bei  ulnarer  Abduction 
auf  10  mm,  und  vergrösserte  sich  bei  radialer  Abduction 
auf  44  mm;  der  zweite  Abstand,  in  Mittelstellung  36  mm, 
vergrösserte  sich  bei  ulnarer  Abduction  auf  44  mm  und 
verkleinerte  sich  bei  radialer  Abduction  auf  22,5  mm.  Die 
Differenz  zwischen  den  beiden  Eudstellungen  war  also  am 
ulnaren  Rande  34,  am  radialen  21,5,  der  Ausschlag  also 
am  ulnaren  Rande  weit  bedeutender.  Ich  möchte  übrigens 
nicht  unterlassen  zu  bemerken,  dass  die  Fähigkeit,  die 
Hand  nach  der  ulnaren  und  radialen  Seite  zu  abduciren, 
bei  verschiedenen  Individuen  nicht  unerheblich  differirt. 

6)  Der  interessanteste  Punkt  dieser  Aufnahmen  liegt 
wohl   in   den  Veränderungen,   welche   das  Bild  des  Nävi- 


Sitzung  vom  18.  April  1899.  83 

ciliare  erfährt,  und  welche  darauf  hinweisen,  dass  unter  den 
Veränderungen  in  der  Stellung  desselben  auch  Drehungen 
eine  Rolle  spielen.  Der  längste  Durchmesser  dieses  Knochens, 
welcher  in  proximo-distaler  Richtung,  jedoch  schief,  liegt,  in 
Mittelstellung  23  mm,  sinkt  bei  radialer  Abduction  auf  20  mm 
und  steigt  bei  ulnarer  Abduction  auf  26  mm.  Zugleich  be- 
merkt man,  dass  die  beiden  radialen  Ecken  des  Knochens, 
welche  dem  Ende  der  proximalen  Gelenkfläche  und  der 
radialen  Seite  der  Tuberositas  entsprechen,  sich  bei  ulnarer 
Abduction  von  einander  entfernen,  während  sie  sich  bei 
radialer  Abduction  bis  zur  Berührung  nahe  kommen.  Was 
mit  dem  Knochen  geschieht,  wird  jedoch  erst  vollkommen 
verständlich,  wenn  man  ein  richtig  aufgestelltes  Handskelett 
von  der  radialen  Seite  her  betrachtet.  Das  Naviculare  liegt 
nämlich  in  der  Weise  schief,  dass  sein  distales  Ende  volar- 
wärts  abgewichen  ist.  Die  dorsale  Seite  des  Knochens 
bildet  daher  mit  der  dorsalen  Seite  des  Multangulum  majus 
und  minus  einen  ziemlich  scharfen  Winkel,  welcher  die 
Veranlassung  zu  der  dorsalen  Rinne  ist,  auf  welche  ich  in 
der  oben  citirten  Mittheilung  hingewiesen  habe.  Bei  der 
radialen  Abduction  nun  weicht  das  distale  Ende  des 
Knochens  noch  stärker  nach  vorn,  der  längste  Durch- 
messer nimmt  mehr  eine  dorso-volare  Richtung  an; 
bei  ulnarer  Abduction  dagegen  findet  die  entgegengesetzte 
Bewegung  statt,  und  der  längste  Durchmesser  des  Knochens 
geht  mehr  in  eine  proximo-distale  Richtung  über. 
Das  Naviculare  führt  also  ausser  den  seitlichen  Ver- 
schiebungen auch  noch  Bewegungen  um  eine  Querachse 
aus.  An  welcher  Stelle  des  Knochens  jedoch  diese  Quer- 
achse liegt,  lässt  sich  aus  Röntgenbildern  nicht  entnehmen. 
—  Das  Lunatum  scheint  an  diesen  drehenden  Bewegungen 
in  gleichem  Sinne  Antheil  zu  nehmen,  doch  lässt  sich  der 
Grad  derselben  an  den  vorliegenden  Aufnahmen  nicht  mit 
Sicherheit  bestimmen. 

7)  Wesentlich  anders  sind  die  Erscheinungen  am 
ulnaren  Rande,  wo  das  Triquetrum  eine  ausgiebige 
Gleitbewegung  gegen  das  Hamatum  ausführt;  während  es 
bei   ulnarer   Abduction,    wie   schon  gesagt,    an   das   Meta- 


g4  Gesellschaft  naturforstfiaidcr  Freunde,  Berlin. 

carpale  V  anzustossen  scheint,  verschiebt  es  sich  bei  ra- 
dialer Abduction  soweit  proximalwärts,  dass  es  sogar  mit 
dem  Capitatum  in  Contact  tritt.  Die  Stellung  dieses 
Knochens  in  Mittellage  lässt  darauf  schliessen,  dass  es 
gar  keine  Berührung  mit  dem  Discus  hat. 

8)  Endlich  zeigen  noch  hinsichtlich  des  Pisiforme 
die  vorliegenden  Aufnahmen,  dass  es  sowohl  in  seiner  Lage 
zum  Triquetrum  als  auch  in  seinem  Abstand  von  dem  Haken 
nicht  ganz  constant  ist.  Am  Triquetrum  verschiebt  es  sich 
bei  ulnarer  Abduction  proximalwärts,  bei  radialer  distal- 
wärts.  Der  Abstand  vom  Haken,  welcher  in  Mittelstellung 
9.5  mm  beträgt,  steigt  bei  radialer  Abduction  auf  12  mm 
und  sinkt  bei  ulnarer  auf  7.5  mm. 

Schlussbemerkung.  —  Ich  gebe  die  vorstehenden  An- 
gaben, obwohl  ich  weiss,  dass  in  den  geschilderten  Be- 
wegungen individuelle  Verschiedenheiten  vorkommen, 
und  trotz  der  Gefahr  von  Täuschungen,  welche  iu  dem 
Wesen  der  Eöntgen-Aufnahmen  liegt.  Wenn  ich  dabei  so- 
gar Zahlenwerthe  vorlege,  so  rechtfertigt  sich  dies  daraus, 
dass  ohne  solche  die  Angaben  etwas  ganz  Unbestimmtes 
haben,  und  daraus,  dass  es  sich  nicht  um  absolute,  sondern 
um  relative  Werthe  handelt,  welche  die  Differenzen 
zwischen  den  drei  geschilderten  Haltungen  der  Hand  kenn- 
zeichnen. Und  nun  muss,  nachdem  die  „Fehler"  der  Me- 
thode ausdrücklich  zugestanden  sind,  auf  der  anderen  Seite 
doch  auch  die  ausserordentliche  Förderung  unserer  Kennt- 
nisse durch  die  Röntgenbilder  betont  werden.  Wir  würden, 
wenn  wir  derartig  ausgedehnte  Verschiebungen  am  Bänder- 
präparat fänden,  s.  z.  s.  gar  nicht  den  Muth  haben, 
an  ihrer  Realität  zu  glauben.  Ich  möchte  auf  die  Garpal- 
knochen übertragen,  was  Poirier  von  den  Metacarpalien 
gesagt  hat,  dass  nämlich  die  Bewegungen  am  Lebenden 
weit  bedeutender  sind,  als  man  am  Leichenpräparat 
glauben  würde.  Die  Röntgenbilder  unterstützen  uns  sehr 
wesentlich  in  der  Erlangung  eines  objeetiven  That- 
bestandes  und  helfen  uns,  das  richtige  Verhältniss 
zwischen  Beobachtung  und  Speculation  herzustellen. 
Während    früher    in   Gelenkfragen  die  Speculation  sich  in 


Sitzung  vom  18.  April  1899.  85 

den  Vordergrund  drängte  und  die  Deduction  auf  mecha- 
nischer Grundlage  sich  überall  vorlaut  in  die  Beobachtung 
einmischte,  hat  man  allmählich  auch  hier  zu  würdigen  ge- 
lernt, dass  es  zunächst  darauf  ankommt,  einen  objectiven 
Thatbestand  zu  gewinnen  und  diesen  zum  Gegenstande 
der  Analyse  zu  machen.  Röntgenbilder  allein  sind  frei- 
lich nicht  im  Stande,  die  Aufgaben  der  Gelenklehre  zu 
lösen,  aber  sie  bringen  uns  dem  Ziele  näher,  wenn  sie  in 
geeigneterWeise  mit  anderen  Methoden  der  Unter- 
suchung combinirt  werden. 


Referierabend  am  II.  April  1899. 

Herr  0.  Thilo  (als  Gast)  liefert  ein  Autoreferat  über  die 
Luftsäcke  der  Kugelfische.  (Eine  Arbeit,  welche  dem- 
nächst im  zool.  Anz.  erscheinen  wird.) 

Herr  L.  J.  Brühl  über  Th.  Morgan:  A  Confirmation  of 
Spallanzani's  Discovery  of  an  Earthworm  Regenerating 
a  Tail  in  place  of  a  Head.  Anat.  Anzeiger.  Band  XV. 
21.  1899,  p.  407. 


Im  Austausch  wurden  erhalten: 

Verh.  Nat.  Ver.  Hamburg.    1888.   III.  Folge  VI.   Hamburg 

1898. 
Nat.    Ver.    Prov.    Posen.     Zeitschr.    Bot.    Abt.     V.   Jahrg. 

3.  Heft  1899. 
Leopoldina,  Heft  XXXV,  No.  3.    Halle  a.  S.   1899. 
Natur  und  Haus.     Jahrg.  VII.    Heft  13.    Berlin  1899. 
Naturwissenschaftl.  Wochenschrift,   Bd.   XIV,  No.    13  —  16. 

Berlin  1899. 
Geol.  Foren.  Förh.  Bd.  21,  H.  3.  Stockholm  1899. 
Overs.  Vidensk.-Selsk.    M^der  i  1898.    Christiania  1899. 
Collett.  R.  On  a  Second.  Collection  of  Birds  from  Tongoa. 

—  Christiania  Vidensk.-Selsk.    Forh.    1898.      No.  6. 

Christiania  1898. 
Soc.  Hist.  Natur.  Toulouse.    XXXII.   1898.   Toulouse  1899. 


gß  GesellscJuift  naturforschender  Freunde,  Berlin. 

Rendic.  Accad.  Sei.  Fis.  Matern.    Anno  XXXVIII.    Fase.  2 

e  3.    Napoli  1899. 
Indice  Alfabet.  Opere.    1898.    p.  49—80. 
Bollet.  Pubbl.  Ital.   1899,  Num.  318  e.  319. 
Proc.  Zool.  Soc.  London.    1898.     Part  IV.     London  1899. 
Proc.  Cambridge  Phil.  Soc,  Vol.  X.   P.  I.  Cambridge  1899. 
Böckh  u.  Gesell.  Angabe  der  Lagerstätten  von  Edelmetallen, 

Erzen,  Eisensteinen der  Länder  der  Ungarisch. 

Krone.    1898.    (2  Karten.) 
Anz.  Ak.  Wiss.  Krakau.     1899.     No.  2. 
Mem.   de  l'Acad.   Imp.   Sei.    St.   Petersbourg.     Serie  VIII. 

Tome  VI.    No.   11   et  Tome  VII   No.  1.     St.  Peters- 

bourg  1898. 
Anuual.  Rep.  Smith.  Inst.     July  1896.     Washington  1898. 
Kansas  Univ.  Quarterly.    Vol.  VII.    No.  4.    October  1898. 
Bull.  Mus.  Comp.  Zool.    Harv.  Coli.    Vol.  XXXII.    No.  9. 

Cambridge.    U.  S.  A.  1899. 
Wieonsin  Geol.  Nat.  Hist.  Surv.    Bull.  No.  1.     Econ.  Ser. 

No.  1.  a.  Bull.  No.  2.    Sei.  Ser.  No.  1.    1898. 
Proc.   Am.   Acad.   Arts  a.   Sei.     Vol.   XXXIV.     No.   2-5. 

Nov.— Dec.  1898. 
Rev.  Mus.  Paul.     Vol.  III.     S.  Paulo.    1898. 
Bolet.  Mensual  Observ.  Meteor.  Centr.  Mexico.     Novembre 

1898.    Mexico.    1898. 
Ost-Asien.     No.   13.    Jahrg.  II.    April  1899.    Berlin  1899. 

Als  Geschenk  wurde  dankbar  entgegengenommen: 
Collett.  R.     On  a  Second  Collection  of  Birds  from  Tongoa. 
Christiania.     (Seqarat  aus:   Christiania  Vidensk.-Selsk. 
Forh.  1898.     No.  6.     Christiania  1898.) 


J.  F.  Starcke,  Berlin  W. 


Nr.  5.  1899. 

Sitzungs-Bericht 
der 

Gesellschaft  naturforschender  Freunde 

zu  Berlin 
vom  16.  Mai  1899 

Vorsitzender  i.  V. :  Herr  F.  E.  Schulze. 


Herr  Philippi  sprach  über  einige  Fehlerquellen  auf 
dem  Gebiete  der  phylogenetischen  Erkenntniss. 

Das  biogenetische  Grundgesetz,  welches  besagt,  dass 
das  Individuum  im  Laufe  seiner  ontogenetischen  Entwicklung 
die  Phylogenese  des  gesatnmten  Stammes  von  der  Urzelle 
an  wiederholt,  ist  ein  Pfeiler  unserer  Wissenschaft,  an  dem 
heute  wohl  kein  ernster  Forscher  zu  rütteln  wagt.  Nimmt 
man  dieses  biogenetische  Grundgesetz  als  Voraussetzung  an, 
so  darf  man  erwarten,  dass  die  phylogenetischen  Resultate, 
die  die  Embryologie  liefert,  sich  mit  denen  im  Allgemeinen 
decken,  welche  der  Palaeontologie  zu  entnehmen  sind.  Dies 
ist  jedoch  öfters  durchaus  nicht  der  Fall. 

Man  hat  vielfach  der  Palaeontologie  allein  die  Haupt- 
schuld daran  zugewiesen,  hat  die  Lückenhaftigkeit  des  pa- 
laeontologischen  Materials  betont,  welche  die  Sicherheit  der 
phylogenetischen  Schlüsse  beeinträchtigen  müsse  u.  A.  m. 
Sicher  liegt  darin  viel  wahres.  Allein  auch  die  Embryologie 
besitzt  ihre  Fehlerquellen  und  die  Schlüsse,  die  aus  der 
Ontogenie  auf  die  Phylogenie  gezogen  werden,  bedürfen 
dringend  der  Controlle  durch  die  Palaeontologie.  In  der 
Entwicklung  des  Individuums  sind  zweierlei  Erscheinungen 
scharf  von  einander  zu  trennen,  die  palingenetischen  und 
cänogenetischen,  wie  sie  Häckel  genannt  hat.  Palingenetisch 
ist    alles    das,    was    in    dem    unendlich  langen   Laufe  der 


38  Gesellschaft  natur/'urschender  Freunde,  Berlin. 

Stammesgeschichte  erworben  und  vererbt  wurde;  die  palin- 
genetischen  Erscheinungen  stellen  also  eine,  allerdings  oft 
verstümmelte  und  verkürzte  Phylogenese  dar.  Cänogenetisch 
ist  dagegen,  was  ad  hoc,  für  das  Bedürfniss  des  Embryos 
oder  der  Larve  erworben  wurde,  was  unter  Umständen  für 
das  erwachsene  Thier  völlig  zwecklos  ist.  Cänogenetisch 
ist  auch,  wie  Gegenbauk  geistvoll  ausführt,  die  Abkürzung 
der  Phylogenese,  wie  sie  in  fast  allen  Ontogenien  zu  beob- 
achten ist. 

Es  liegt  auf  der  Hand,  dass  eine  scharfe  Grenze  zwischen 
palingenetischen  und  cänogenetischen  Factoren  nicht  existiren 
kann,  denn  auch  die  letzteren  sind  doch  schliesslich  in  den 
weitaus  meisten  Fällen  vererbt,  wenn  auch  nicht  so  lange 
wie  die  ersteren.  Es  dürfte  daher  eine  Trennung  der  palin- 
genetischen und  cänogenetischen  Erscheinungen  in  der  Onto- 
genie  in  vielen  Fällen  auf  grosse  Schwierigkeiten  stossen; 
da  aber  für  die  Phylogenese  nur  die  palingenetischen  Fac- 
toren in  Frage  kommen,  so  gelangt  man  notwendiger  Weise 
zu  falschen  Schlüssen,  wenn  es  nicht  gelingt,  diese  von  den 
cänogenetischen  zu  trennen. 

Die  Fehlerquelle,  die  sich  für  phylogenetische  Specu- 
lationen  aus  der  Lückenhaftigkeit  des  palaeontologisch  über- 
lieferten Materiales  ergiebt,  wird  vielfach  sehr  überschätzt. 
Nach  meinem  Dafürhalten  sind  die  grössten  Irrthümer, 
welchen  Palaeontologen  auf  dem  Gebiete  der  Phylogenie 
anheimgefallen  sind,  durch  Convergenzerscheinungen  ver- 
ursacht worden.  Als  Convergenz  kann  man  ganz  allgemein 
die  Aehnlichkeit  bezeichnen,  die  in  verschiedenen  Stämmen. 
Ordnungen,  Gattungen  oder  Arten  durch  Anpassung  an  gleiche, 
äussere  Verhältnisse,  gleiche  Lebensweise  etc.  hervorgerufen 
wird.  Durch  diese  Anpassung  werden  Ichthyosaurus  und 
Delphin  fischähnlich,  erhalten  die  luftbewohnenden  Reptilien, 
Vögel  und  Säugethiere  gewisse  gemeinschaftliche  Züge, 
werden  Blindschleichen  und  Schlangen  einander  ähnlich, 
zeigen  die  Beutelthiere  je  nach  ihrer  Lebensweise  bald  ein 
Carnivoren-,  bald  ein  Herbivoren-Gebiss.  Wo  solche  Con- 
vergenzerscheinungen zwischen  verschiedenen  Stämmen 
oder  Ordnungen,  wie  etwa  zwischen  Säugethieren  und  Rep- 


Sitzung  vom  IG.  Mai  1899.  89 

tilien  bestehen,  ist  es  nicht  schwer  auf  ihre  Spur  zu  kommen 
und  sind  phylogenetische  Irrthümer,  bei  einigermaassen 
nüchterner  Betrachtungsweise,  wohl  ausgeschlossen.  Sehr 
viel  schwieriger  liegt  der  Fall,  wenn  Convergenz  inner- 
halb derselben  Ordnung  oder  Familie  auftritt,  was  natur- 
gemäss  noch  häufiger  vorkommt,  als  der  erste  Fall.  Frech 
hat  das  durch  Convergenz  verursachte,  fast  gesetzmässige 
Wiederkehren  bestimmter  Formen  in  verschiedenen  Gruppen 
speciell  bei  der  Zweischalerfamilie  der  Aviculiden  beobachtet 
und  dafür  den  Ausdruck  „Isodimorphismus0  aus  der  Kristallo- 
graphie entlehnt.  „Ein  derartiges  Wiederkehren  derselben 
Formen  in  verschiedenen  systematischen  Gruppen  kommt 
häutiger  vor  und  ist  wohl  dadurch  zu  erklären,  dass  die 
gleichen  physikalischen  Verhältnisse  auch  den  gleichen  Ein- 
fluss  auf  die  äussere  Gestalt  ausüben."  Beispiele  für  diese 
Erscheinung  sind  zahlreich;  so  tritt  z.  B.  die  MyMlus-Form 
auch  bei  Myalina,  Myoconcha  und  Mysidioptera  auf,  die  mit 
den  Mytiliden  nicht  verwandt  sind;  möglicher  Weise  ist 
auch  Drcisscnsia  nur  eine  durch  Convergenz  Mytilus  ähnlich 
gewordene  Form,  aber  kein  echter  Mytilide. 

Einen  besonderen  und  oft  schwer  zu  constatirenden  Fall 
von  Convergenz  beschreibt  Koken  unter  der  Bezeichnung: 
„Iterative  Artbildung".  Es  ist  dabei  anzunehmen,  dass  der 
Hauptstamm  persistirt  und  von  Zeit  zu  Zeit  Seitenzweige 
aussendet,  welche  einander  zwar  sehr  ähnlich  sind,  aber  in 
keinerlei  directer  Verbindung  untereinander  stehen.  Schöne 
Beispiele  für  iterative  Artbildung  bieten  u.  A.  auch  die  Pec- 
tiniden;  der  7o?a-Typus,  mit  vertiefter  Unterschale  und  flacher 
Oberschale,  tritt  einmal  im  Lias,  das  zweite  Mal  in  der 
Kreide  uud  das  dritte  Mal  im  Tertiär  auf.  Zwischen  Lias 
und  Kreide  und  Kreide  bis  Oligocän  klaffen  riesige  Lücken, 
aus  denen  uns  von  Vola  keine  Spur  bekannt  geworden  ist. 
Die  drei  Vola- Typen  sind  trotz  der  Uebereinstimmung  in 
einem  Merkmal  nicht  miteinander  direct  verwandt,  sondern 
entstehen  getrennt  voneinander  aus  dem  persistierenden  Stamm 
der  normalen  Pectiniden. 

Diese  letzte  Art  von  Convergenz  ist  naturgemäss  noch 


90  Gesellschaft  natur forschend  er  Freunde,  Berlin. 

schwerer  als  andere  festzustellen,  weil  die  einander  ähnlich 
werdenden  Formen,  da  demselben  Hauptstamme  entsprungen, 
von  vornherein  schon  viele  gemeinschaftlichen  Eigenschaften 
besessen  haben. 

Nur  die  sorgfältigste  Durcharbeitung  grosser  Materialien 
kann  davor  schützen.  Convergenzerscheinungen  für  wirkliche 
phylogenetische  Beziehungen  anzusehen  und  auf  diesem  Wege 
eine  unsagbare  Verwirrung  in  die  Stammesgeschichte  hinein- 
zutragen. 

Herr  Hans  Virchow  sprach  über  Röntgen-Aufnahnien 
der  Hand  (2.  Mittheilung). 

Anschliessend  an  meinen  April-Vortrag  komme  ich  auf 
die  Röntgen-Aufnahmen  der  Hand  zurück,  indem  ich  erstens 
analysirende  Zeichnungen  der  drei  damals  vorgelegten 
Flächenbilder  und  zweitens  Randbilder  der  gleichen  Hand 
vorlege,  welche  ich  wieder  der  Liebenswürdigkeit  des  Herrn 
Stabsarztes  Lambertz  verdanke. 

Ich  bespreche  zunächst  die  analytischen  Zeich- 
nungen, welche  die  Fläch enbil der  bei  Mittel haltung. 
ulnarer  und  radialer  Abduction,  wiedergeben.  Sie  sind  in 
der  Weise  gewonnen,  dass  ich  nach  einem  von  mir  seit 
Jahren  viel  angewendeten  Verfahren  auf  Salzpapiercopien 
zeichnete,  die  Photographien  auswusch  und  die  Contureu 
sorgfältig  noch  einmal  durchging.  Das  letztere  geschah  im 
vorliegenden  Falle  unter  Controle  von  „Gefrierskeleten"  der 
Hand  (Vergi.  Verhandl.  d.  Berl.  anthropol.  Gesellsch., 
Sitzung  vom  13.  Mai  1899).  Die  Knochen  wurden  dann, 
um  die  Uebersichtlichkeit  zu  erhöhen,  mit  verschiedeneu 
Farben  getuscht.  Bei  dieser  genauen  Durcharbeitung  und 
Controle  haben  sich  noch  zwei  wichtige  Punkte  aufgeklärt, 
welche  mir  das  letzte  Mal  nicht  recht  deutlich  waren: 
Erstens  ist  an  dem  x-Bilde  der  ulnar  abducirten  Hand  das 
Triquetrum  an  seiner  distal  ulnaren  Ecke  in  partieller 
Deckung  mit  dem  Hamatum;  dies  erklärt  sich  aus  der 
dorsal-flexorischen  Bewegung,  welche  bei  dieser  Haltung 
der    genannte    Knochen    ausführt.      Die    «deiche    Flexions- 


Sitzung  vom  16.  Mai  1899.  91 

bewegung  war  in  meinem  vorigen  Vortrage  vom  Naviculare 
schon  hervorgehoben  und  dort  auch  bemerkt,  dass  das 
Lunatum  sich  daran  zu  betheiligen  scheine.  Das  letztere 
ist  mir  nunmehr  auch  deutlicher  geworden.  Am  Lunatum 
erscheint  nämlich  im  x-Bilde  ausser  dem  dunklen  viereckigen 
proximalen  Abschnitt,  welcher  dem  Körper  und  dem  dor- 
salen Hörn  entspricht,  ein  blasse]-  abgerundeter  distaler  Ab- 
schnitt; dieser  wird  durch  das  volare  Hörn  bedingt,  und 
aus  dem  Umstände,  dass  er  sich  bei  ulnarer  Abduction  ver- 
längert, kann  man  auf  die  Drehung  des  Knochens  im 
flexorischen  Sinne  schliessen.  Zweitens  befindet  sich,  gleich- 
falls bei  ulnarer  Abduction.  das  Multangulum  minus  in 
sehr  ausgedehnter  Deckung  mit  dem  Multangulum  majus 
und  in  partieller  mit  dem  Capitatum.  Dies  erklärt  sich 
aus  der  bei  ulnarer  Abduction  eintretenden  pronatorischen 
Bewegung  innerhalb  der  distalen  Carpalreihe,  durch  welche 
der  Abstand  der  radial-distalen  Ecke  des  Multangulum  majus 
vom  Rande  des  Hakens  um  3,5  mm  gegenüber  der  Haltung 
in  Mittellage  verkleinert  wird. 

Wir  finden  hiermit  also  die  beiden  Mitbewegungen 
ausgesprochen,  welche  bei  reiner  Abduction  zwrangsmässig 
eintreten:  fiexorische  Bewegung  im  proximalen  Gelenk  und 
rotatorische  Bewegung  in  der  distalen  Reihe,  von  denen  ich 
versucht  habe  die  letztere  auf  Grund  von  Gefrierskeleten 
bestimmter  zu  charakterisiren  (Vortrag  in  der  anthropol. 
Gesellschaft). 

Die  seitliche  Verschiebung  selber,  bez.  Drehung  um 
dorsovolare  Achsen,  vollzieht  sich  in  beiden  Gelenken, 
jedoch  nicht  gleichmässig.  Soweit  sich  aus  den  vorliegenden 
x-Bildern  ersehen  lässt,  ist  am  proximalen  Gelenk  die 
Verschiebung-  des  Lunatum  aus  Mittellage  bei  der  radialen 
Abduction  fast  Null,  bei  der  ulnaren  Abduction  8  mm;  da- 
gegen am  distalen  Gelenk  die  Verschiebung  des  Capitatum 
bei  der  ulnaren  Abduction  nur  3  mm,  bei  der  radialen  Ab- 
duction 7  mm. 

Bei  dem  genauen  Nachzeichnen  der  Knochen  trat  mir 
noch  immer  eindringlicher  entgegen,  wie  sehr  man  sich  vor- 
sehen muss,  die  Weite  der  Spalten  an  x-Bildern  für  den 


92  Gesellschaft  naturfwschender  Freunde,  Berlin. 

Ausdruck  der  wirklichen,  theils  durch  Knorpel,  theils  durch 
Lücken  bedingten  Abstände  zu  halten.  Ich  will  damit  nicht 
sagen,  dass  nicht  eine  Anzahl  von  Spalten  die  wirkliche 
Weite  wiedergiebt.  aber  dies  ist  mit  Sicherheit  immer  nur 
dann  zu  entscheiden,  wenn  man  das  geeignete  anatomische 
Präparat  daneben  hat.  In  anderen  Fällen  fehlen  die  Spalten 
auf  den  Bildern  gänzlich,  wo  sie  in  Wirklichkeit  vorhanden 
sind.  So  findet  sich  z.  B.  an  den  vorliegenden  Bildern  bei 
Mittelhaltung  und  bei  radialer  Abduction  das  Capitatum  und 
Ilamatum  nicht  nur  in  Contact,  sondern  sogar  in  theilweiser 
Deckung,  während  an  dem  dritten  Bilde  zwischen  beiden 
ein  offener  Spalt  erscheint;  aber  dies  erklärt  sich  nicht 
etwa  so,  dass  das  eine  Mal  ein  Spalt  da  ist,  das  andere 
Mal  nicht,  sondern  so,  dass  das  eine  Mal  die  beiden  Knochen 
so  stehen,  dass  der  Spalt  senkrecht  zur  Platte  gerichtet  ist, 
das  andere  Mal  so,   dass  der  Spalt  eine  schiefe  Lage  hat. 

Ich  gehe  nun  zu  den  Seitenbildern  über. 

Au  den  Flächenbildern  war  meine  Aufmerksamkeit  be- 
sonders durch  die  fl  ex  oris  che  Drehung  des  Nävi  ciliare 
erregt  worden,  welche  sich  dort  nur  als  Verlängerung  und 
Verkürzung  des  Knochenbildes  bemerkbar  machen  konnte; 
und  so  entstand  naturgemäss  der  Wunsch,  diese  Stellungs- 
änderung an  seitlichen  Aufnahmen  zu  demonstriren  und 
womöglich  die  Lage  der  Achse  für  diese  Bewegung  festzu- 
stellen. Zu  diesem  Zwecke  wurde  die  Hand  vom  ulnaren 
Rande  her  durchstrahlt,  um  von  der  radialen  Seite  der- 
selben scharfe  Bilder  zu  erhalten. 

Bei  seitlichen  Aufnahmen  der  Handwurzel  sind  nun 
aber  so  schwierig  zu  deutende  Bilder  zu  erwarten,  dass 
man  sich  geradezu  durch  eine  vorausgehende  Ueberlegung 
auf  ihre  Analyse  vorbereiten  muss.  Dies  that  ich.  indem 
ich  die  geschilderten  Flächenbilder  benutzte  und  von  einem 
Punkte,  welcher  den  strahlenden  Punkt  der  Röhre  ver- 
treten sollte,  Linien  tangential  an  die  Knochen  legte,  deren 
gegenseitige  Lage  festgestellt  werden  sollte.  Ich  machte  in 
dieser  Weise  zwei  Constructionen,  bei  deren  einer  der  senk- 
recht zur  Platte  gehende  Strahl  („Achsenstrahl")  die  Spitzen 
beider  Processus   styloidei    tangirte   („ Griffelf ortsatz - Orien- 


Sitzung  vom  10.  Mai  1899.  93 

tirung"),  bei  deren  anderer  der  Achsenstrahl  die  Mitten  der 
Basen  des  V.  und  II.  Metaearpale  traf  („Mittelhand-Orien- 
tirüng"). Als  Abstand  war  dabei  30  cm  von  der  Mitte  der 
Handwurzel  gewählt. 

Es  hätte  keinen  Zweck,  hier  ohne  die  Figuren  das  Er- 
gebuiss  dieser  Constructionen  eingehend  zu  schildern.  Es 
sei  nur  erwähnt,  dass  bei  Gritfeifortsatz  -  Orientirung  das 
distale  Eude  des  Hamatum  während  der  radialen  Abduction 
auf  die  II.  Phalanx  des  Daumens  projicirt  wird,  dass  bei 
Mittelhand-Orientirüng  derProcessus  styloideusulnae  während 
der  radialen  Abduction  40  mm  oberhalb  des  Proc.  styl,  radii 
auf  die  laterale  Seite  des  Radius  projicirt  wird;  und  dass 
bei  ulnarwärts  abducirter  Hand  das  eine  Mal  (Griffelfortsatz- 
Orientirung)  das  distale  Ende  des  Hamatum,  das  andere 
Mal  (Mittelhand-Orientirüng)  die  Spitze  des  Proc.  styl,  ulnae 
auf  die  Articulatio  carpo-metac.  I  fällt.  Bei  derartig  ver- 
zerrten Bildern,  welche  sich  überdies  bei  einem  gering- 
fügigen Wechsel  in  der  Stellung  der  Röhre  erheblich  ändern, 
würde  es  eine  schlecht  angebrachte  Mühe  sein,  aus  den 
Aufnahmen  die  geuaue  Lage  der  Knochen  ablesen  zu  wollen, 
selbst  wenn  alle  Knochengrenzen  klar  und  scharf  wären, 
was  an  meinen  Bildern  keineswegs  eintraf.  Vielmehr  wird 
man  von  vornherein  nur  darauf  ausgehen  können,  über 
einige  Punkte  Aufklärung  zu  suchen,  namentlich  über  das 
gegenseitige  Verhältniss  solcher  Knochenpartien,  welche 
in  den  gleichen  proximo-distalen  Ebenen  liegen. 

Nach  dieser  Vorbereitung  ging  ich  an  die  Betrachtung 
der  x- Aufnahmen  heran,  und  fand  dieselben  allerdings  in 
einem  Maasse  schwierig  zu  deuten,  dass  selbst  ein  anatomisch 
geschulter  Beobachter  damit  geraume  Zeit  zu  thun  hat. 
Glücklicherweise  war  der  Punkt,  auf  welchen  es  in  erster 
Linie  ankam,  nämlich  die  Stellung  des  Naviculare,  bei 
allen  drei  Haltungen  mit  vollkommener  Sicherheit  festzu- 
stellen. Eine  deutliche  Anschauung  liess  sich  nur  mit  Hülfe 
analytischer  Zeichnungen  unter  Anwendung  verschiedener 
Farben  herstellen;  und  bei  der  Deutung  fand  ich  durch  die 
Gefrierskelete  wesentliche  Unterstützung. 

Ich   schildere   nun   die   einzelnen  Knochen,   soweit  sie 


94  Gesellschaft  naturforschender  Freunde,  Berlin. 

erkennbar  waren  und  für  den  Zusammenhang  in  Betracht 
kommen,  der  Reihe  nach,  wobei  immer  im  Auge  zu  behalten 
ist,  dass  die  radiale  Seite  der  Platte  zugewendet  war. 

1.  Der  Processus  styloi'des  radii  erscheint  unter 
sehr  verschiedener  Gestalt,  der  wechselnden  Neigung  gegen 
die  Platte  entsprechend;  bei  ulnarer  Abdnction  ist  er  kurz 
und  stumpf  und  reicht  nur  wenig  in  das  Naviculare  hinein, 
bei  radialer  Abduction  dagegen  ist  er  lang  und  spitz  und 
dringt  bis  in  den  Kopf  des  Capitatum  vor. 

2.  Die  Ulna  endigt  bei  ulnarer  Abduction  in  geringer. 
bei  radialer  Abduction  in  weiter  Entferung  oberhalb  des 
Processus  styloi'des  radii.  Wichtiger  ist.  dass  sie  bei  ulnarer 
Abduction  vorn,  bei  radialer  hinten  den  Radius  überragt; 
dies  ist  eine  Folge  der  in  meinem  vorigen  Vortrage  er- 
wähnten „  compensirenden"  Pronation  und  Supi- 
nation. 

3.  Um  die  Lage  des  Naviculare  zu  bestimmen,  ver- 
band ich  zwei  Punkte  des  Knochens,  das  untere  Ende  der 
Tuberositas  und  eine  bestimmte  Stelle  der  proximalen  Ge- 
lenkfläche, durch  eine  Linie  („Kahnbein -Durchmesser"), 
welche  den  längsten  Durchmesser  des  Knochens  wiedergab. 
Um  einen  noch  genaueren  Ausdruck  zu  linden,  wurde  eine 
zweite  Linie,  diesmal  von  der  Spitze  des  Processus  styloi'des 
radii  zur  Mitte  der  Basis  des  Metacarp.  II  gezogen  und  der 
Winkel  bestimmt,  den  beide  Linien  mit  einander  bildeten. 
Dieser  Winkel  betrug  bei  radialer  Abduction  90°,  bei 
ulnarer  Abduction  45"  und  bei  Mittelhaltung  genau  das 
Mittel  von  beiden,  67,5".  Die  Eleganz  dieser  Zahlen  ist 
natürlich  nur  eine  zufällige,  denn  es  würde  nur  einer  etwas 
veränderten  Stellung  der  Röhre  oder  eines  geringen  Plus 
oder  Minus  von  Abduction  bedürfen,  um  das  Ergebniss  zu 
ändern.  Aber  wenn  auch  diese  Winkelbestimmung  keinen 
absuluten  Werth  hat,  so  ist  doch  das  erwartete  Resultat 
erreicht,  nämlich  zu  zeigen,  doch  bei  ulnarer  Abduction  eine 
dorsalflexorische  und  bei  radialer  Abduction  eine  volar- 
flexorische  Mitbewegung  des  Naviculare  stattfindet. 

Diese  Bewegung  lässt  sich  übrigens  an  der  lebenden 
Hand    mit    vollkommener   Schärfe    seilen:    bringt  man   die 


Sitzung  vom  10.  Mai  1S99.  95 

Hand  abwechselnd  in  radiale  und  ulnare  Abduction.  so  sieht 
man  bei  ersterer  dis  Tuberositas  des  Kahnbeines  sich  nach 
der  volaren  Seite  vordrängen,  bei  ulnarer  Abduction  zurück- 
weichen. 

4.  Am  Lunatum  lässt  sich  die  gleiche  flexorische  Be- 
wegung constatiren;  allerdings  war  an  den  vorliegenden 
Bildern  die  dorsale  Kante  des  Knochens  nicht  deutlich  er- 
kennbar, wohl  aber  die  volare,  was  für  die  Feststellung 
der  Lageändernng  genügt;  speciell  tritt  bei  ulnarer  Ab- 
duction diese  Kante  vor  den  Hals  des  Capitatum  bis  dicht 
an  den  volaren  Wulst,  welcher  zur  Befestigung  der  vo- 
laren Kahnbein-Bänder  dient. 

5.  Vom  Triquetrum  ist  nichts  zu  bemerken. 

6.  Von  den  Multangula  ist  zwar  einiges  festzustellen, 
jedoch  nicht  soviel,  um  ein  sicheres  Urtheil  über  die  Lage 
dieser  Knochen  zu  gewinnen;  speciell  lässt  sich  bei  keiner 
der  drei  Ansichten  die  Grenze  des  Multangulum  majus  und 
minus  auffinden. 

Die  Bilder  des  radialen  Randes  haben,  wie  aus  dem 
Mitgetheilten  hervorgeht,  gezeigt,  was  von  ihnen  erwartet 
wurde,  nämlich  die  flexorische  Bewegung  der  proxi- 
malen Carpalreihe. 

Stellt  man  zusammen,  was  man  an  Randbildern  und 
Flächenbildern  und  an  der  lebenden  Hand  erkennen  kann, 
so  ergiebt  sich,  dass  die  Bewegung,  welche  wir  als  reine 
Seitenbewegung  der  Hand  bezeichnen,  verbunden  ist 
sowohl  mit  flexorischen  wie  mit  rotatorischen  Mitbe- 
wegungen. Man  könnte  glauben,  dass  es  sich  herbei  um 
Nebeneffecte  handelt,  welche  durch  die  Zugrichtung  der 
Muskeln  hervorgerufen  werden,  unter  deren  Herrschaft  die 
seitlichen  Bewegungen  stehen.  Indessen  die  Gefrierskelete 
belehren  uns,  dass  dies  nicht  der  Fall  ist,  denn  sie  lassen 
genau  die  gleichen  Mitbewegungen  «-kennen  und  beweisen 
dadurch,  dass  es  sich  um  mechanische  Verhältnisse  im 
Skelet  handelt.  Diese  Erfahrung  enthält  die  Aufforderung 
zu  einem  sehr  eingehenden  Studium  der  Gelenke.  Da  aber, 
wie  ich  an  anderer  Stelle  ausgeführt  habe,  der  Contact  der 
Knochenflächen    bei  gewissen   Stellungen  theil weise   aufge- 


Q6  Gesellschaft  natur forschender  Freunde,  Berlin. 

geben  wird,  so  ist  es  nicht  wahrscheinlich,  dass  wir 
aus   der  Form  der  Knochen  allein  den  Mechanismus 

der  Gelenkbewegungen  erklären  können.  Wir  werden  sicher 
auch  den  Bändern  einen  wichtigen  Einfluss  zuzuschreiben 
haben  und  werden  uns  dazu  entschliessen  müssen,  die 
Bänder  genauer  als  in  der  bisher  meist  üblichen  schema- 
tischen Weise  zu  schildern. 

Herr  H.  Potonie  sprach  zur  fossilen  Flora  Ost- 
Afrikas.  In  Vervollständigung  der  p.  27/28  des  vor- 
liegenden Bandes  gemachten  Angabe  über  das  Vorkommen 
von  Glossopteris  in  Deutsch-  und  Portugiesisch -Ost- Afrika 
das  Folgende. 

Es  lassen  sich  jetzt  in  Portugiesisch  und  Deutsch-Ost- 
Afrika  3  pflanzenpalaeontologische  Horizonte  unterscheiden, 
von  denen  der  älteste  der  südlichst  gelegene  ist  und  dem 
oberen  productiven  Carbon  angehört.  Es  ist  das  der  von 
Zeiller  beschriebene  Pflanzenfund  bei  Tete  am  Zambesi 
mit  einer  Florula  von  etwa  1  Dutzend  Arten,  die  sämmt- 
lich  aus  dem  oberen  productiven  Carbon  Europas  bekannt 
sind.  Der  darauf  folgende  Horizont  gehört  der  Glossopteris- 
Facies  an  und  ist  nördlich  von  dem  erstgenannten  ent- 
wickelt, nämlich  am  Ludyende  und  in  dem  Revier  des 
nördlichen  Nyassa.  Wiederum  nördlich  von  diesem  in  den 
Verbreitungsgebieten  der  Formation  am  Rufiyi,  Ruvu  und 
Tanga-Muoa  —  die  ich  zusammennehme,  da  sie  nach  An- 
gabe des  Herrn  Berg -Assessor  Bornhardt  petrographisch 
übereinstimmen  ein  3.  Horizont,  der  wegen  des  Vor- 
kommens von  Volhüopsis  Pot.  (vergl.  über  diese  neue  Gattung 
mein  Lehrbuch  der  Pflanzenpalaeontologie,  4.  (Schluss-) 
Lieferung,  Berlin  1899.  oder  meine  in  dem  Buch  des 
Herrn  Bornitardt  „Zur  Oberflächengestaltung  und  Geo- 
logie Deutsch-Ost-Afrifras",  Berlin  1899,  erscheinende  ein- 
gehende Abhandlung  „Fossile  Pflanzen  aus  Deutsch-  und 
Portugiesisch-Ost-Afrika")  bei  Tanga  als  der  jüngste  anzu- 
nehmen ist.  Südlich  des  Zambesi  tritt  dann  in  Transvaal 
wiederum  Glossopteris- Facies  auf  (vergl.  II.  Potonie  in 
Schmeisser:   Ueber    das   Vorkommen    und   Gewinnung  der 


Sitzung  vom  16.  Mai  1899. 


97 


nutzbaren    Mineralien    in    der    Südafrikanischen    Republik, 
Berlin  1894,  p.  67,  Anmerkung). 

Uebersichtlich  würden  wir  also  haben: 
Süden  Norden 


Transvaal: 
Glossopte- 
ris-F&cies 

=  Permo- 
Trias. 


Tete  am  Zambesi: 

Oberes 

p  r  o  d  u  c  t  i  v  e  s 

Carbon. 


Norden  von  Portu- 
giesisch- und  Süden 
von  Deutsch-Ost- 
Afrika: 
Glossopteris- 
Facies  =  Permo- 
Trias. 


Nord-Osten 
von  Deutsch- 
Ost- Afrika: 
Rhät- Jura. 


Glossopteris 

Browniana 

ScMzonewa? 


Pecopteris  arbores- 
cens 

Pecopteris  unita  u.  a. 
Callvpt&ridium   pteri- 

diuin 
Älethopteris  Grandini 
Sphenophyllum  oblon- 

(jifolium 

SphenophyUum  majus 

Annülaria  stellata 

Calamitcs  cruciatus 

Cordaites  barassi- 

folius 


Glossopteris  indiea 

(incl.    Vertebraria) 

Schizoneuira? 


Voltziopsis 

(Sprosse  von 

Brachy- 

phyllum- 

Typus  und 

Voltzieen- 
Zapfen- 

Schuppen). 


Referierabend  am  9.  Mai  1899. 

Herr  R.  Heymons  über  Janet:  Etudes  sur  les  Fourniies, 
les  Guepes  et  les  Abeilles.     Note  17.     Paris  1898. 

Herr  R.  Koikwitz  über  Georg  Klebs:  Ueber  den  Gene- 
rationswechsel der  Thallophyten.  Biol.  Centralblatt. 
Bd.  XIX.     No.  7.     1899. 

Herr  L.  Kny  über  Seh  aar:  Ueber  den  Bau  des  Thallus 
von  Rafflesia  Rochussenii.  Sitzungsber.  Wiener  Akad. 
Wiss.;  Bd.  107.  1898. 

Herr  K.  Möbius  über  G.  W.  und  E.  G.  P  eck  harn:  On  the 
instinets  and  habits  of  solitary  wasps.  Wisconsin 
geolog.  and  nat.  survey;  Bullet.  2.   1899. 

Herr  L  J.  Brühl  über  Max  Schottelius:  Ueber  die  Be- 
deutung der  Därmbakterien  für  die  Ernährung.  Arch. 
für  Hyg..  34.  3.   1899. 


98  Gesellschaft  naturforschender  Freunde,  Berlin. 

Im  Austausch  wurden  erhalten: 

Berl.   Entom.   Zeitschrift.     Bd.   43.     Heft  3  u.  4.     (1898.) 

Berlin  1899. 
Mitth.  Zool.  Stat.  Neapel.     Bd.   13.    Heft  4.    Berlin  1899. 
Naturwissenschaftl.   Wochenschrift,   Bd.   XIV,   No.    17—20. 

Berlin  1899. 
Mittheil,    deutsch.    Seefischerei  -  Ver.      Bd.    XV.      No.    4. 

April  1899. 
Verh.  naturh.  Ver.  preuss.  Rheinl.,  Westf.  u.  Reg.-Bez.  Osna- 
brück.    Jahrg.  55;  1  u.  2.  Hälfte;  Bonn  1898. 
Sitzungsber.   uiederrhein.   Ges.  Natur-  u.  Heilkunde.     1.  u. 

2.  Hälfte.     Bonn  1898. 
Abhandl.  naturwissenschaftl.  Ver.  Bremen.   Bd.  XVI.  Heft  1. 

Bremen  1898. 
75.  Jahres-Ber.  Schles.  Ges.  vaterl.  Cultur.     Breslau  1898. 
Schrift,    phys.-ökon.    Ges.    Königsberg    i.    Pr.     39.   Jahrg. 

1898.     Königsberg  i.  Pr.   1898. 
Leopoldina,  Heft  XXXV,  No.  4.    Halle  a.  S.   1899. 
Vierteljahrsschr.    naturf.    Ges.    Zürich.     43.   Jahrg.     1898. 

Heft  4.     Zürich  1899. 
Annalen    k.    k.    naturh.    Hofmus.     Bd.    XIII.     No.   2  —  3. 

Wien  1898. 
Jahrbuch  naturhist.  Landes-Mus.  Kärnten.     Heft  25. 
Naturhist.     Landes-Mus.     Kärnten.      Diagramme    magnet. 

meteorol.    Beob.     Klagenfurt.     1898.     Dec.    1897    bis 

Nov.   1898. 
Jahresber.  Kgl.  Ung.  geol.  Anst.  für  1897.    Budapest  1899. 
Publ.  Kgl.  Ung.  geol.  Anst.    Lagerstätten  von  Edelmetallen. 

Erzen,    Eisensteinen,    Mineralkohlen,    Steinsalz    u.   a. 

nutzbr.  Mineralien.     Budapest  1898. 
Anz.  Ak.  Wiss.  Krakau.     1899.     März.     Krakau  1899. 
Bull.   Soc.   Imp.   Naturalistes  Moscou.     1898.     No.   2  —  3. 

Moscou  1898. 
Atti  Soc.  Ligust.     Vol.  X,  Anno  X;  N.  1.     Genova  1899. 
Journ.  Royal  Microsc.  Soc.     1899.     Part.  2.     London. 
Mem.    Proc.  Manchester  Literary  &  Phil.  Soc.     1898  —  99. 

Vol.  43.     Part.   1.     Manchester. 


J.  F.  Btwcke,  Berlin  W. 


Nr.  6.  1899. 

Sitzungs-Bericht 

der 

Gesellschaft  naturforschender  Freunde 

zu  Berlin 
vom  20.  Juni  1899. 


Vorsitzender:  Herr  A.  Nehring. 


Herr  A.  Nehring  sprach  über  neue  Funde  diluvialer 
Thierreste  von  Pössneck  in  Thüringen. 

Nachdem  ich  bereits  1889  im  Neuen  Jahrbuche  für 
Mineralogie  etc.,  Bd.  I,  S.  205 — 214,  eine  Mittheilung  über 
„diluviale  Wirbelthiere  von  Pössneck  in  Thüringen"  ver- 
öffentlicht habe,  bin  ich  heute  in  der  Lage,  über  neue  Funde 
aus  der  Umgegend  derselben  Stadt  berichten  zu  können. 
Die  betreffenden  Objecte  sind  kürzlich  von  Herrn  Hermann 
Quantz,  Lehrer  der  Naturwissenschaften  an  der  Realschule 
zu  Pössneck,  gesammelt  und  mir  in  mehreren  Sendungen 
zugesandt  worden.  Dieselben  stammen  fast  sämmtlich  (mit 
Ausnahme  von  zwei  Stücken)  aus  einem  Gypsbruche,  welcher 
westlich  von  Pössneck  zwischen  den  Dörfern  Oepitz  und 
Krölpa  gelegen  ist  und  den  Herren  Conta  und  Böhme  ge- 
hört; die  1889  von  mir  besprochenen  Sachen  stammten  da- 
gegen vom  Abhänge  der  südlich  von  Pössneck  gelegenen, 
felsigen  Anhöhe,  der  sog.  Altenburg.  Die  in  dem  Conta - 
sehen  Gypsbruche  vorhandenen  diluvialen  Massen  zeigen 
oach  der  durch  eine  Skizze  verdeutlichten,  brieflichen  Be- 
schreibung des  Herrn  Quantz  eine  ziemlich  unregelmässige 
Art  der  Lagerung,  auf  die  ich  hier  aber  nicht  näher  eingehe. 
Ich  begnüge  mich  damit,  vorläufig  eine  kurze  Aufzählung  der 
von  mir  untersuchten  und  bestimmten  Wirbelthier-Reste  zu 
liefern,  indem  ich  mir  eine  genauere  Beschreibung  für  später 

vorbehalte. 

6 


100  GeseUscfaift  naturforschmder  Freunde,  Berlin. 

Die  von  Herrn  Quantz  übersandten  Wirbelthier- 
Reste  aus  dem  CoNTA'schen  Gypsbruche  gehören  zu 
folgenden  Arten: 

1.  Hyaenaspelaea  (1  Humerus,  lCalcaneus,  1  Phalanx). 

2.  Rhinoceros  tichorhinus  (1  unterer  Backenzahn, 
zu  einer  Unterkieferhälfte  gehörig,  welche  Herr  Quantz 
besitzt,  und  1  wohlerhaltener  Epistropheus). 

3.  Bison  europaeus  $  (8  Wirbel,  Phalanx  I,  II 
und  III,  sowie  1  Astragalus  von  einem  erwachsenen,  1  Unter- 
kieferpartie mit  den  Milchbackenzähnen  von  einem  sehr 
jungen  Individuum). 

4.  Cervus  tarandus  (2  Stirnbeine  mit  aufsitzenden, 
sicher  bestimmbaren  Geweihtheilen). 

5.  Cervus  maral  foss.  (1  rechter  Oberkiefer  mit  allen 
6  Backenzähnen  und  1  Halswirbel). 

6.  Sus  scrofa  ferus  (1  juvenile  Unterkieferhälfte 
nebst  zahlreichen  Beinknochen  und  Wirbeln  desselben 
Individuums). 

7.  Spermophilus  rufescens  (1  Oberkieferpartie  mit 
den  Alveolen  der  ausgefallenen  5  Backenzähne). 

8.  Alactaga  saliens  foss.  (mittlerer  Theil  einer  Unter- 
kieferhälfte mit  den  Alveolen  der  ausgefallenen  3  Backen- 
zähne und  dem  wohlerhaltenen  Proc.  coronoideus,  ferner 
1  unterer  Nagezahn). 

drei  noch  nicht  hinreichend    sicher 

bestimmte    Arten,    vertreten    dureh 

Unterkiefer,   Oberschädeltheile    und 

Beinknochen. 

12.  Mus  sp.,  nahe  verwandt  mit  Mus  sylvaticus  (ein 
lädirter  Oberschädel,  mehrere  Unterkieferhälften). 

13.  Eliomys  sp.,  und  zwar  entweder  E.  nitela  oder 
E.  dryas  (2  Unterkieferhälften  mit  den  leeren  Alveolen  der 
ausgefallenen  4  Backenzähne). 

14.  Sorex  sp.  (Oberkiefer  etc.). 

15.  Grocidura  sp.  (1  Unterkiefer). 

16.  Avium  complures  species  parvae  (schwer  be- 
stimmbare, kleine  Vogelreste). 


9. 

A 

rvicc 

la 

sp. 

10. 

)7 

sp. 

11. 

!) 

sp. 

Sitzung  Vom  20.  Juni  1899.  101 

17.  Eine  Schlangen-Species  (Oberkieferstück,  zahl- 
reiche Wirbel). 

18.  Eine  Kröteu-Species  (mehrere  Beinknochen). 
Die    oben    aufgezählten  Objecte    zeigen   meistens  eine 

hellgelbe  oder  weissliche  Farbe1),  im  Gegensatz  zu  den 
Fossilresten,  welche  ich  in  den  diluvialen  Ablagerungen  der 
Gypsbrüche  von  Thiede  bei  Braunschweig  und  von  Wester- 
egeln unweit  Magdeburg  gefunden  habe;  letztere  Fossilreste 
sehen  durchweg  schwarz,  schwarzmarmorirt  oder  braun  aus. 
Ich  bemerke  noch,  dass  Herr  Quantz  die  Güte  gehabt 
hat,  der  mir  unterstellten  zoologischen  Sammlung  der  Kgl. 
Landwirthschaftl.  Hochschule  einen  wesentlichen  Theil 
der  oben  aufgeführten  Objecte  zu  schenken.  Ausserdem 
erwähne  ich,  dass  zwei  Schädel  von  Hyaena  spelaea  und  ein 
Oberschädel  von  Rhinoceros  tichorhinus  aus  dem  Comta- 
schen  Gypsbrüche  vor  einigen  Monaten  in  den  Besitz  der 
Königl.  Geologischen  Landesanstalt  hierselbst  ge- 
kommen sind. 

Herr  A.  Nehring  sprach  ferner  über  einen  Ovibos- 
und  einen  Sa«>a-Schädel  aus  Westpreussen. 

Diese  höchst  interessanten  Fossilien  sind  kürzlich  in 
den  Besitz  des  Westpreussischen  Provinzial-Museums  zu 
Danzig  gekommen  und  von  der  Direktion  desselben  mir  zur 
genaueren  Beschreibung  übersandt.  Der  Ovibos-  Schädel 
stammt  aus  einer  Kiesablagerung  bei  Schönau  im  Kreise 
Seh  wetz,  der  #a^a-Schädel  aus  einer  sandig-lehmigen  Schicht 
einer  Ziegelei-Grube  der  Umgegend  von  Kulm.  Beide  Ob- 
jecte sollen  demnächst  in  einer  palaeontologischen  Zeitschrift 
unter  Beifügung  von  Abbildungen  genauer  beschrieben 
werden. 


')  Ob  diese  Fossilien  alle  genau  das  gleiche  geologische  Alter 
haben,  d.  h.  genau  dem  gleichen  Abschnitte  der  Diluvial-  oder  Pleistocän- 
Periode  entstammen,  muss  ich  dahingestellt  sein  lassen,  da  ich  die 
Fundverhältnisse  nicht  aus  eigener  Anschauung  kenne. 


102  Gesellschaft  naturforschender  Freunde,  Berlin. 

Herr  W. Weltner  demonstrirte  Epidermiswucherungen 
eines  Wales,  hervorgerufen  durch  Cirripedien  (Co- 
•vonula). 

Die  zoologische  Sammlung  des  Museums  für  Natur- 
kunde besitzt  mehrere  grosse  mit  Goronula  diadema  (L.)  be- 
setzte Hautstücke  von  Megaptera  boops  (0.  Fabr.)  $ .  die 
bei  Vardö  im  Juli  1890  durch  Prof.  Matthiessex  gesammelt 
waren.  Die  einzelnen  Goronula  sind  bis  ß  mm  tief  in  die 
Haut  des  Wales  eingesenkt,  sie  durchdringen  oft  die  Epi- 
dermis in  ihrer  ganzen  Dicke,  aber  nicht  die  dünne  Cutis. 
Jede  Goronula  besteht  aus  sechs  äusserst  fest  mit  einander 
verbundenen  Schalentheilen ,  deren  jeder  drei  wie  eine 
Sensenklinge  geformte  Kammern  besitzt.  In  diese  Hohl- 
räume wuchert  die  Epidermis  des  Wales  hinein,  nachdem 
sich  die  junge  Coromda-Lavxe  auf  den  Wal  festgesetzt  und 
ihre  Schale  gebildet  hat,  cf.  Bronn-Gerstaecker,  Crustacea, 
Bd.  5.  p.  560.  Dagegen  bleiben  die  sechs  zwischen  den 
Schalentheilen  liegenden  grossen  Hohlräume  frei,  welche 
von  den  Ovarien  und  Coeca  der  Coronida  eingenommen 
werden.  Legt  man  ein  Stück  Walhaut  mit  Coronula  in 
schwache  Salzsäure,  so  erhält  man  einen  guten  Abdruck 
der  achtzehn  sichelförmigen  Kammern  des  Cirripedien,  wie 
das  an  dem  in  dieser  Weise  hergestellten  Präparat  zur 
Anschauung  gebracht  war.  An  Querschnitten  durch  diese 
Abgüsse  der  Kammern  kann  mau  sich  überzeugen,  dass  nur 
die  Epidermis  an  dieser  Wucherung  theilgenommen  hat. 
Eine  Abbildung  eines  Längsschnittes  durch  ein  Stück  Wal- 
haut mit  diesen  Epidermiswucherungen  findet  sich  in 
Darwins  Balanidenmonographie ,  PL  15, m  Fig.  4,  uud  im 
Bronn-Gerstaecker,  1.  c,  Taf.  3a. 

Der  Vortragende  zeigte  ferner  Hautstücke  desselben 
Wales  mit  den  für  diese  Art  charakteristischen  Hautknollen 
vor,  aus  deren  Mitte  man  bei  mehreren  ein  oder  zwei  Haare 
hervorragen  sieht.  Eschricht  (1849,  p.  159)  hat  deshalb 
diese  warzenförmigen  Beulen  Haarhöcker  genannt  (s.  auch 
Kükenthal,  vergl.  anat.  u.  entwickel.  Unters,  an  Walthieren. 
Jena  1889,  p.  14).  Eschricht  giebt  p.  147  das  Nähere 
über  die  Stellung  dieser  Höcker   bei  den  Buckelwalen  an. 


Zu  pap.  102. 


CO     s 
tri    Ci 


3     c~ 


n: 


Zu  pag.  102. 


/   "*>  I 


*4S3M^ 


Oben  2  Coronula  diadema  auf  einem  Stück  Haut  von  JMegaptera 
hoops.  Die  kleinere  der  beiden  Coronula  ist  an  der  Spitze  abgerieben, 
so  dass  die  Enden  der  Hohlräume  der  Schale  zu  Tage  treten. 
Vergröss.  Vi- 

Unten  ein  anderes  Hautstück  desselben  Wales,  auf  dem  2  Coro- 
nula diadema  sassen,  nach  Behandlung  mit  Salzsäure.  Die  Schalen 
der  Coronula  sind  aufgelöst  und  die  Epidermiswucherungen  der  Wal- 
haut, welche  sich  in  die  18  Hohlräume  der  Coronula  erstrecken,  als 
grosse,  sichelförmige  Hörner  stehen  geblieben.     Vergröss.  l/\. 


Sitzung  vom  20.  Juni  1899.  103 

Die  von  ihm  gesehenen  Hautknollen  hatten  etwa  einen  Zoll 
im  Durchmesser  (also  etwa  2]/2  cm),  während  die  mir  vor- 
liegenden Beulen  grösser  sind  (bis  zu  8  cm  basalen  Durch- 
messer bei  einer  Höhe  von  4  cm).  Vielfach  sitzen  auf  diesen 
Knollen  kleine  Coronida.  Meine  zuerst  gehegte  Vermuthung, 
dass  diese  Beulen  in  sich  abgestorbenene  Coronula  be- 
herbergten, erwies  sich  als  irrig.  Eine  Abbildung  des 
Durchschnittes  einer  solchen  Haarknolle  und  eine  bildliche 
Darstellung  der  oben  besprochenen  epidermoidalen  Wuche- 
rungen werde  ich  der  nächsten  Nummer  dieses  Blattes 
beigeben. 

Derselbe  zeigte  einige  photographische  Aufnahmen 
von  Korallenriffen  der  Tonga-  und  Viti-Inseln  vor, 
die  Herr  Dr.  Benedict  Friedländer  auf  seiner  Reise  nach 
Polynesien  1897—98  angefertigt  hatte. 

Die  einzelnen  Bilder  waren  bei  verschiedenem  Stande 
der  Ebbe  aufgenommen  und  zeigten  ein  abgestorbenes 
Riff  bei  Levuka  auf  Ovalau  (Viti),  ferner  ein  bei  massiger 
Ebbe  photographii'tes  Saumriff  bei  Namena  (Viti);  an 
diesem  Bilde  liess  sich  leicht  erkennen,  wie  die  ver- 
zweigten Stöcke  der  Gattungen  Stylophora  oder  Madrcpora 
am  höchsten  gewachsen  sind  und  daher  bei  der  Ebbe  zu- 
erst aus  dem  Wasser  gerathen.  Ein  anderes  grosses  Bild 
stellte  ein  Saumriff  der  Ostseite  der  Insel  Lifuka  (Haapai- 
gruppe  der  Tongainseln)  bei  tiefster  Ebbe  (Springebbe) 
dar  und  gab  eine  vorzügliche  Anschauung  vom  Bau  eines 
Saum-  oder  Küstenriffes:  man  sieht  das  zum  grossen  Theil 
vom  Wasser  entblösste  Riff,  welches  hier  der  Hauptsache 
nach  aus  rasen-  und  buschförmigen  Madrepora- Arten  besteht, 
welche  hier  am  höchsten  wachsen,  dazwischen  grosse 
Flächen  Wasser  von  geringerer  und  grösserer  Tiefe,  welche 
den  Brunnen  von  Klunzinger  entsprechen.  Beim  Begehen 
eines  solchen  Riffes  schreitet  man  daher  beständig  von 
einem  Madreporen- Busch  zum  anderen  und  es  ist  bei  der 
Gebrechlichkeit  gerade  dieser  Formen  nicht  ganz  leicht, 
einen  ruhigen  Stützpunkt  für  photographische  Aufnahmen 
zu  finden.     Nach   dem  Meere  zu  steigt  das  Riff  etwas  an, 


(04  Gesellschaft  naturforschender  Freunde,  Berlin. 

dicht  vor  dem  Abfall  des  Riffes  in  die  Tiefe  zeigt  sich 
ein  deutlicher  Wall,  der  dadurch  zu  Stande  kommt,  dass 
die  Korallen  in  der  Brandungszone  am  besten  gedeihen. 
Hier  an  dieser  Riffkante  und  dicht  vor  derselben  (vom 
Lande  aus  gesehen)  liegen  grosse,  zum  Theil  abgeriebene 
Korallenblöcke,  welche  von  der  Wucht  der  Braudung  auf 
das  Riff  geworfen  werden. 

Die  übrigen  Bilder  betrafen  stereoskopische  Aufnahmen 
desselben  Riffes  an  der  Ostseite  der  Insel  oder  dem  Liku 
der  Eingeborenen.  Es  ist  dies  die  Seite,  wo  der  frische 
Wind  weht,  wo  die  Braudung  bis  nahe  an  den  Strand  geht 
und  wo  entferntere  Barriere -Riffe  nicht  vorhanden  sind. 
Chamisso  übersetzt  dieses  Liku  in  seiner  Idylle  aus  dem 
Tonganischen  mit  den  Worten  „äusserer  Strand".  Eine 
gleichfalls  für  die  Betrachtung  mit  dem  Stereoskop  herge- 
stellte Photographie  gab  die  Brandung  am  Riff  bei  Houma 
(Toga  Tapu,  in  den  Atlanten  Tongatabu  geschrieben)  wieder, 
besonders  interessant  waren  hier  die  Spritzlöcher  und  die 
Beckenbildung  an  der  Kante  des  Riffes. 

Für  die  Ueberlassung  der  Bilder  und  deren  Erläute- 
rungen spreche  ich  Herrn  Dr.  Fmedländer  meinen  besten 
Dank  aus. 

Herr  F.  E.  Schulze  legte  ein  Stück  von  einem  circa 
4  cm  dicken  Aal  vor,  welcher  bei  Koepenick  gefangen  und 
durch  einen  Trichinenschauer  ins  zoologische  Institut  ge- 
bracht war.  Die  Rumpfmuskulatur  des  Thieres  war  reich 
durchsetzt  von  4—6  mm  breiten,  flachen  Cysten,  in  welchen 
sich  je  ein  aufgerollter  Nematode  befand.  Diese  durch  ihre 
rosenrothe  Färbung  auffallenden  Parasiten,  welche  für  junge 
Aalegehalten  wordeu  waren,  hatten  sich  bei  der  Untersuchung 
als  in  verschiedenen  Entwickelungsstadien  befindliche  Exem- 
plare von  Filaria  quadrituberculata  Leidy  herausgestellt. 

Referierabend  am  13.  Juni  1899. 
Herr  F.  E.  Schulze:  Ueber  seine  eigene  Arbeit  „Amerikanische 
Hexactinelliden".     2  Bände;    ein  Band  Text    und  ein 
Atlas  in  folio;  bei  Gustav  Fischer  in  Jena. 


Sitzung  cum  20,  Juni  1899.  105 

Im  Austausch  wurden  erhalten: 

Zool.  Acclim.  Soc.  Victoria.  —  Ann.  Rep.  35. 

Journ.  Asiat.  Soc.  Bengal.     Vol.  LXVII.     Part.  II.     No.  1 

u.  2.     1898.     Calcutta  1898. 
Journ.  Asiat.  Soc.  Bengal.    Vol.  LXVII.    Part.  III.    No.  2. 

1898.     Calcutta  1898. 
Proc.  Amer.  Acad.  Arts  a.  Sciences.    Vol.  XXXIV.    No.  6 

bis  14.  Dec.  1898  bis  Febr.  1899. 
Proc.  Canad.  Inst.     New  Series.    No.  7.    Vol.  2.    Part.  1. 

Toronto  1899. 
Proc.  California  Acad.  Sei.  3.  Ser.  Zoology.  Vol.I.  No.6— 10. 
Mein.    Rev.    Soc.    Cientif.    „Antonio    Alzate".     Tomo  XII. 

(1898—99).     No.  1,  2.  3.     Mexico  1898. 
Bolet.  Mens.  Observ.  Meteorol.  Centr.  Mexiko.  —  Mes  de 

Diciembre  1898.     Mexico   1899. 
Sitzungsber.  kgl.  Ak.  Wiss.     Berlin  1899.     I  -XXII. 
Abhandl.  kgl.  Ak.  Wiss.     Berlin  1898. 
Veröffentl.   kgl.   preuss.   Geodät.   Inst.   L.  Haasemann.     Be- 
stimmung der  Intensität  der  Schwerkraft.    Berlin  1899. 
Mittheil,   deutsch.  Seefischerei- Ver.     Bd.  XV.     No.  5  u.  6. 

Mai  u.  Juni.     Berlin  1899. 
Naturwissenschaftl.  Wochenschrift,  Bd.  XIV,  No.  21—23,  25. 
Leopoldina.  Heft  XXXV,  No.  5.     Halle  a.  S.  Mai  1899. 
Sitzungsber.   physik. -med.   Soc.   Erlangen.     Heft  30.    1898. 

Erlangen  1899. 
Vierteljahrschr.  Naturf.  Ges.  Zürich.  Jahrg.  1899.  Heft  1  u.  2. 
XVI.  Bericht  meteorol.  Comm.  naturf.  Ver.  Brunn.  Brunn  1898. 
Verh.  naturf.  Ver.  Brunn.  Bd.  XXXVI.  1897.  Brunn  1898. 
Proc.  Royal  Phys.  Soc.  Session  1897—98.  Edinburgh  1899. 
Mem.   Proc.  Manchester  Literary  &  Phil.  Soc.     1898  —  99. 

Vol.  43.     Part.  II— III.     Manchester  1899. 
Bull.  Soc.  Sei.  Nat.    Tome  8.    3  et  4.    1898.    Nantes. 
Ann.  Soc.  d'Agr.  Sei.  et  Industr.  Lyon.  Serie  VII,  Tome  V, 

1897.     Lyon,  Paris  1898. 
Verh.  Russ.-Kais.    Miner.   Ges.    St.  Petersburg.     Serie  II. 

Bd.  36,  Liefer.  I,  1899. 
Ann.  Mus.  zool.  de  l'Acad.  Imp.  Sei.  St.  Petersbourg  1898. 

No.  3—4. 


106  Gesellschaft  naturforschender  Freunde,  Berlin. 

Bull.  Soc.  Imp.  Natural istes  Moscou.    Armee  1898.    No.  4. 

Moscou  1899. 
Anzeig.  Akad.  Wiss.  Krakau,    1899,  April.     Krakau  1899. 
Sitzungsber.  Naturf.-Ges.  Jurgeff  (Dorpat).  Bd.  XII,  Heft  1, 

1898.     Jurgeff  (Dorpat)  1899. 
Naturforscher- Ver.  Riga.  G.  Schweder  IL  Die  Bodentempera- 
turen bei  Riga.     Riga  1899. 
Botanisk  Tidsskr.     Bd.  22,  Heft  2.     Kjobenhavn  1899. 
Geol.  För.  Stockholm  Förh.  Bd.  21,  H.  4.    Stockholm  1899. 
Bergens  Mus.  Hjort,   Nordgaard,   Gran,   Report  on  Norw. 

Marine  Investigat.    1895—97.     Bergen  1899. 
Bollet.Pubbl.Ital.  1899,  Num.  321— 323.  Firenze-Milanol899. 
Bellet.    Mus.    Zool.    Anatom,    comp.    Torino.      Vol.    XIV. 

No.  335-353. 
Atti  Soc.   Toscana  Sei.  Nat.     Vol.   XI.     Adunanza   del  di 

20  nov.  98;   19  marz.,  7  magg..  29  genn.  99. 
Rendic.  Accad.  Sei.  Fis.  Matern.    Ser.  3,  Vol.  V.    Anno  38. 

Fase.  4.    Aprile  1899.     Napoli  1899. 
Atti  Reale  Aecad.  Sei.  Fis.  Matern.  Ser.II.  Vol.  IX.  Napoli  1899. 
United  States  Geol.  Survey.  Eighteenth  Annual  Rep.  1896—97. 

PartV.  Washington  1897.  Part  V(continued).  Washington 

1897.     Part  IL    Washington  1898. 
Proceed.    Unit.    States    Nation.    Mus.     Vol.  XVIII.     1895. 

Washington  1896.   —  Vol.  XX.    Washington  1898. 
Annual  Rep.  Smithson.  Inst.  Rep.  U.  S.  Mus.  Washington  1898. 
Annual  Rep.  Smithson.  Inst.     Washington  1898. 
Yearbook  U.  S.  Dep.  Agric.   1898.     Washington  1899. 
Bullet.    Unit.    Stat.    Nat.    Mus.     No.  47.     Part,   II  a.   III. 

Washington  1898. 
Proceed.    Acad.    Nat.    Sei.    Philadelphia    1898.     Part    III; 

Sept.— Dec.     Philadelphia  1899. 
Bull.    Illinois    State    Labor.    Nat.    Hist.    Urbana  (Illinois). 

Vol.  IV.    Article  I— XV.    1892—97.    Springfleld  1898. 

Vol.  V.     Article  I— VIII.     Urbana  (111.)  1897—99. 
Sixteenth  Annual  Rep.  Publ.  Mus.  Milwaukee.    Sept.  1897 

bis  August  1898.     Milwaukee  Octob.  1898. 


J.  F.  SUicke,  Btriiu   \V. 


Nr.  7.  1899. 

Sitzungs-Bericht 

der 

Gesellschaft  naturforschender  Freunde 

zu  Berlin 
vom   18.  Juli   1 


Vorsitzender:  Herr  Kny. 


Herr  A.  Nehring  sprach  über  eine  Nesokia-Art  aus 
der  Oase  Merw  und  .eine  solche  aus  dem  Lande  Moab. 

Die  Ratten  der  Gattimg  Nesohia  sind  äusserlich  den 
Ratten  der  Gattung  Mus  ziemlich  ähnlich,  weichen  aber  im 
Bau  des  Gebisses  und  des  Schädels,  sowie  auch  in  der 
Lebensweise  recht  bedeutend  von  den  letzteren  ab.  Im 
Gebiss  ist  charakteristisch  die  relativ  grosse  Breite  der 
Nagezähne  und  die  Zusammensetzung  der  Backenzähne  aus 
parallelen  Querlamellen,  indem  m  1  sup.  und  m  1  inf.  aus 
je  drei,  die  anderen  Molaren  (m  2  und  m  3  sup.  et  inf.)  aus 
je  zwei  Querlamellen  bestehen.  Der  Schädel  ist  relativ 
breiter  als  bei  Mus,  und  an  dem  sehr  kräftig  entwickelten 
Unterkiefer  tritt  in  der  Nähe  des  Gelenkfortsatzes  (Proc. 
condyl.)  ein  auffallend  starker,  kolbiger  Fortsatz  aus  der 
äusseren  Kieferwand  hervor,  ähnlich  wie  bei  den  Arten  der 
Gattungen  Spalax,  Alactaga  und  Dipits.  Dieser  Fortsatz 
enthält  die  Pulpa  des  Nagezahns. 

Das  Haupt  Verbreitungsgebiet  der  Gattung  Nesohia  findet 
sich  in  Südost -Asien,  doch  erstrecken  sich  ihre  Vorposten 
bis  zum  Lob-Noor,  bis  Turkestan,  Transkaspien,  Persien. 
Arabien  und  Palästina.  Aus  letzterem  Lande,  und  zwar 
aus  der  Gegend  von  Safje,  südöstlich  vom  Todten  Meere, 
habe  ich  1897  in  No.  547  des  „Zoolog.  Anzeigers"  eine 
neue    Art    unter    dem    Namen    Nesohia   Bacheri    beschrie- 


108 


Gesellschaft  natwrforschender  Freunde,  Berlin. 


bell ').  Inzwischen  habe  ich  zehn  Exemplare  der  Gattung 
Nesokia  aus  dem  nördlich  von  Safje  am  Ostufer  des  Todten 
Meeres  gelegenen  Lande  Moab  und  ein  Exemplar  der- 
selben Gattung  aus  der  Oase  Merw  (Transkaspien)  für  die 
mir  unterstellte  Sammlung,  in  Alcohol  conservirt,  erhalten 
und  erlaube  ich  mir,  hier  einige  .Mittheilungen  darüber  zu 
machen. 

1.  Nesokia  Huttoni,  var. Satunini,  v.  nov.,  von  Merw. 
Dieses  Exemplar  wurde  im  Juni  1897  durch  K.  Satunin 
(aus  Tiflis)  gesammelt.  Es  ist  ein  ausgewachsenes  Weibchen 
mittleren  Alters,  mit  8  schwach  entwickelten  Mammae 
(1  pectoral,  4  inguinal),  auffallend  klein,  mit  etwas  schief  ab- 
gewetzten Nagezähnen,  von  Satunin  als  „NesoMa  Huttoni?"1 
bezeichnet.  Ich  habe  den  Schädel  herauspräparirt  und  gebe 
hier  eine  Abbildung  desselben,  zusammengestellt  mit  einer 
solchen  des  Schädels  einer  Nesokia  Bachcri  Nhrg. 


Fig.  1.    Nesokia  Huttoni,  var.  Fig.  2.     Nesokia  Bacheri  Nhrg. 

Satwnini,  var.  nov.,   ,  ad.vonMerw.  9   ad.  von  Safje. 

Schädel  in  nat.  Gr.,  von  oben  gesehen.  Schädel  in  nat.  Gr.,  von  oben  gesehen. 

Gezeichnet  von  Dr.  G.  Enderi.ein.  Gezeichnet  von  Dr.  P.  Schiemenz. 


M  Vergleiche  meine  Berichtigung  über  den  Fundort  in  No.  556  des 
„Zoolog.  Anzeigers",  Jahrg.  1898.  Safje  ist  eine  Stadt,  im  Südosten 
des  Todten  Meeres,  nichl  ein  Hügelzug,  wie  ich  zunächst  auf  Grund 
irrthüralicher  Mittheilungen  angegeben  hatte. 


Sitzung  vom  18.  Juli  ISO!).  109 

Aus  der  Beschaffenheit  der  Backenzähne,  der  stark 
entwickelten,  verticalen  Crista  der  Hinterhauptschuppe  und 

der  fast  völligen  Verwachsung  der  Sutura  spheno-basilaris 
ergiebt  sich,  dass  das  Exemplar  von  Merw  ein  mittleres 
Lebensalter  erreicht  hat  und  als  ausgewachsen  betrachtet 
werden  darf.  Trotzdem  zeigt  dasselbe  eine  zwerghafte 
Grösse,  es  ist  noch  kleiner  als  N  Böügeri  Walter.  Von 
N.  Iluttoni  weicht  es  in  der  Form  des  Proc.  coronoideus 
und  in  der  Lage  des  oben  erwähnten  kolbigen  Fortsatzes 
ab.  Der  Proc.  coronoideus  ist  auffallend  klein  und  niedrig, 
wie  ich  ihn  noch  bei  keiner  Nesohia  gefunden  habe.  Der 
genannte  kolbige  Fortsatz  der  Nagezahnalveole  liegt  etwas 
mehr  nach  vorn,  als  bei  N  Huttoni,  doch  nicht  so  weit  vor- 
wärts, wie  bei  N.  Böttyeri.  Von  letzterer  Art  weicht  vorliegen- 
des Exemplar  auch  noch  ab  durch  eine  andere  (dreieckige) 
Form  des  Foramen  magnum  occip.1).  sowie  durch  die  nicht 
gespaltene  Form  des  hinteren  äusseren  Tuberkels  der  Sohle 
des  Vorderfusses.  Ferner  sind  die  Nasenbeine  vorn  quer 
abgestutzt,  und  das  Foram.  mandibulare  ist  schlitzförmig 
gestaltet,  nicht  rundlich  wie  bei  N  Böttgeri;  das  Inter- 
parietale bildet  ein  niedriges,  gleichschenkliges  Dreieck. 
Die  Kauflächen  der  oberen  Backenzahnreihen  sind  auffallend 
nach  aussen  gerichtet. 

In  der  Färbung  des  Haarkleides  ähnelt  die  Nesohia  von 
Merw  der  von  Blanfokd  (Eastern  Persia,  II,  Taf.  VI)  ab- 
gebildeten N  Iluttoni,  scheint  aber  am  Rücken  etwas  blasser 
und  am  Bauche  mehr  weisslich  zu  sein.  -—  Auf  Grund  der 
oben  erwähnten  Abweichungen  trenne  ich  die  Nesohia  aus 
der  Oase  Merw  als  „var.  Satunini"  von  der  geographisch 
und  morphologisch  nahestehenden  N.  Iluttoni  ab. 

Dimensionen:  Kopf  und  Rumpf  bis  zur  Schwanz- 
wurzel 153,  Schwanzlänge  1022),  Ohrlänge  13.  Ohrbreite  11, 


2)  Vergl.  Radde  und  Walter,  Die  Säugethiere  Transkaspiens, 
in  den  „Zoolog.  Jahrb.",  Bd.  IV,  1889,  S.  1038  und  Taf.  28. 

2)  Ich  bemerke  noch,  dass  der  Schwanz  fast  nackt  erscheint;  nur 
mit  der  Lupe  erkennt  man  feine,  vereinzelte  Härchen,  ähnlich  wie  es 
Walter  für  N.  Böttgeri  angiebt.  Bei  letzterer  Art  beträgt  aber  die 
Schwanzlänge  nur  4G  mm. 

7* 


HO        Gesellschaft  naturforschender  Freunde,  Berlin. 

Länge  der  Hand  ca.  20,  des  Hinterfusses  33  inm.  Die  Füsse 
sind  relativ  schmal  und  zierlich,  im  Gegensatz  zu  den  meist 
sehr  plumpen  Füssen  der  N.  Bacheri. 

Schädel:  Basilarlänge  33.5,  Totallänge  incl.  der  Con- 
dyli  oeeip.  38,3,  Jochbogenbreite  24.  „Condylarlänge"  des 
Unterkiefers  25,  Länge  der  oberen  Backenzahnreihe  an  den 
Alveolen  8  mm,  quere  Breite  der  beiden  oberen  Nagezähne 
nahe  der  Schneide  4  mm. 

Ein  von  Walter  (a.  a.  0.,  S.  1035)  erwähntes,  relativ 
starkes  i\re5o/^'a-Männchen x),  welches  am  20.  April  1887  im 
Murgab-Thale,  ca.  4  Kilometer  unterhalb  Tachtabasar,  also 
ziemlich  weit  oberhalb  von  Merw  erbeutet  wurde,  wird  von 
Walter  nebst  5  Exemplaren  aus  Askhabad  zu  Nesokia 
Huttom  gerechnet.  Der  Schädel  des  erstgenannten  Exem- 
plars aus  dem  Murgab-Thale  scheint  nicht  untersucht  worden 
zu  sein;  es  wäre  interessant,  festzustellen,  ob  dasselbe  mit 
der  „var.  Satunini"  im  Schädelbau  übereinstimmt.  Da  die 
Oase  Merw  vom  Murgab  durchflössen  wird  und  daher  mit 
der  Gegend  von  Tachtabasar  direct  zusammenhängt,  so  ist 
dieses  trotz  des  Grössenunterschiedes  der  beiden  Individuen 
nicht  unwahrscheinlich.  Die  in  Askhabad  von  Radde  und 
Walter  gesammelten  Exemplare  mögen  zu  der  eigentlichen 
N.  Huttoni  gehören. 

2.  Nesokia  Bacheri  Nhrg.,  zehn  Exemplare  aus 
dem  Lande  Moab,  7  erwachsene  und  3  jüngere.  Diese 
stimmen  mit  denjenigen  Exemplaren,  welche  ich  1897  im 
„Zoolog.  Anzeiger",  No.  547,  S.  503—505,  besprochen  habe, 
im  Allgemeinen  überein;  doch  lassen  einige  derselben  den 
von  mir  beschriebenen  weissen  Brustfleck  vermissen,  und 
ausserdem  erscheinen  die  meisten  der  Moabitischen  Exem- 
plare ein  wenig  kurz-  oder  breitköpfiger,  als  die  von  Safje. 
Offenbar  handelt  es  sich  um  die  gleiche  Species,  aber  der 
weisse  Brustfleck  darf  nun  nicht  mehr  als  sicheres  speci- 
iisches  Merkmal  der  Nesokia  Bacheri  betrachtet  werden. 
Immerhin  fehlt  er  nur  bei  4  von  den  vorliegenden  10  Exein- 


l)    Körperläuge    (d.   h.    Kopf   und    Rumpf   ohne    Schwanz)    180, 

^rliwanzlänge    120  mm. 


Sitzung  Vom  18.  Juli  1800.  Hl 

plaren;  bei  dreien  ist  er  relativ  klein.  Die  Hauptfärbung  des 
Haarkleides  erscheint  bei  N  Bacheri  im  Alcohol  fast  schwarz, 
sowohl  am  Rücken,  als  auch  am  Bauche,  sehr  abweichend  von 
der  oben  besprochenen  NesoJcia  von  Merw,  welche  auch  im 
Alcohol  ihre  oben  röthliche,  unten  weissliche  Haarfarbe  gut 
erkennen  lässt.  Ueber  das  Aussehen  der  N  Bacheri  im 
trockenen  Zustande  siehe  „Zoolog.  Anzeiger",  a.  a.  0., 
S.  503  f. 

Schädeldimensionen  eines  mittelalten  Weibchens  aus 
dem  Lande  Moab,  dessen  Backenzähne  noch  wenig  abge- 
nutzt sind:  Basilarläuge  41,5,  Totallänge  (incl.  Condylen)  47, 
Jochbogenbreite  31,  Länge  der  Foramina  incisiva  5,5, 
Länge  der  oberen  Backenzahnreihe  an  den  Alveolen  10, 
Breite  der  oberen  Nagezähne  nahe   der  Schneide  5,3  mm. 

Ueber  die  Wurzelbildung  der  Backenzähne  von 
N.  Bacheri  bemerke  ich  noch  Folgendes:  in  1  sup.  hat  sechs 
Wurzeln,  und  zwar  eine  starke  Vorderwurzel,  drei  Mittel- 
wurzeln, von  denen  die  beiden  äusseren  sehr  zierlich  sind, 
und  zwei  Hintervvurzeln,  von  denen  die  äussere  eine  ge- 
wisse Theilung  in  zwei  Aeste  erkennen  lässt.  m  2  sup.  hat 
vier  Wurzeln:  zwei  Vorder-  und  zwei  Hinterwurzeln;  m  3  sup. 
hat  drei  Wurzeln:  zwei  Vorder-  und  eine  Hinterwurzel. 
Im  Unterkiefer  zeigt  m  1  fünf  Wurzeln,  nämlich  eine  starke 
Vorderwurzel,  eine  starke,  breite  Hinterwurzel  und  drei 
zierliche  Mittelwurzeln,  von  denen  die  mittelste  die  kleinste 
ist.  m  2  inf.  hat  drei  Wurzeln:  zwei  Vorder-  und  eine 
breite  Hinterwurzel;  m  3  inf.  ebenso,  doch  die  beiden 
Vorderwurzeln  nicht  völlig  getrennt.  Man  darf  annehmen, 
dass  alle  NesoJcia- Arten  die  gleiche  Wurzelbildung  der 
Molaren  zeigen  werden. 

Diese  Wurzelbildung,  namentlich  die  grosse  Zahl  der 
Wurzeln  an  m  1  sup.  und  m  1  inf.,  steht  in  einem  deutlichen 
Contrast  zu  der  sehr  einfachen  Bildung  der  Zahnkronen. 
Vermuthlich  haben  die  fossilen  Vorfahren  der  heutigen 
NesoJcia- Arten  vielhöckerige  Molaren  gehabt,  an  denen 
jedem  Kronenhöcker  ein  Wurzelast  entsprach,  ungefähr 
so.  wie  wir  es  noch  heute  bei  Mus  äecumamis  und  Ver- 
wandten finden. 


\\2  Gesellschaft  naturforscfiender  Freunde,  Berlin. 

Herr  Franz  ElLHARD  SCHULZE  sprach  über  Hyalonema 
affine  W.  Marshall. 

Als  Max  Schültze  im  Jahre  18G0  seine  bekannten 
Untersuchungen  über  einige  aus  Japan  stammenden  Hya- 
lonemen  des  Leidener  Museums  veröffentlichte, x)  erwähnte 
er  bei  der  Aufzählung  und  kurzen  Charakteristik  der  ihm 
zu  Gebote  stehenden  Exemplare  neben  mehreren  zweifellos 
zu  Hyalonema  sieboldi  Gray  gehörigen,  mehr  oder  minder 
gut  erhaltenen  Stücken  auch  (1.  c.  p.  9)  als  Exemplar  No.  6 
seiner  Abtheilung  A  einen  „kleinen,  unregelmässig  konischen 
Schwamm  von  2  Zoll  4  Linien  Länge  und  sehr  dichtem 
Gefüge,  ohne  die  scharf  umschriebenen  runden  Löcher  der 
Oberfläche,  wie  die  grösseren  Exemplare  [H.  sieboldi  Gray] 
sie  besitzen.  Vielleicht  ist  der  Schwamm  auf  der  Ober- 
fläche etwas  abgerieben,  jedenfalls  aber  am  unteren  Ende 
verletzt.  Hier  ragt  der  Kieselfadenstrang  mit  sehr  feinen 
Nadeln  frei  hervor.  Länge  der  letzteren  1  Fuss  4  Zoll, 
Dicke  17s— 2  Linien." 

An  demselben  Materiale  des  Leidener  Museums  hat 
später  W.  Marshall  seine  „Untersuchungen  an  Hexacti- 
nelliden"2)  angestellt.  Er  sagt  1.  c,  p.  224:  „Für  die 
Untersuchung  von  Sieboldii  lag  das  ganze  Material  des 
Leidener  Reichsmuseums  vor,  also  so  ziemlich  dasselbe,  das 
Schültze  benutzt  hat;  affine  ist  eine  als  neu  aufgestellte 
Art  in  einem  Exemplare  untersucht,  und  zwar  ist  dies  das- 
jenige, das  Schültze  unter  der  Abtheilung  A  als  Exem- 
plar b3)  seines  Materiales  anführt",  und  ferner  1.  c.  p.  234: 
„Hyalonema  affine  ist,  wenn  nicht,  wie  ich  glaube,  eine  eigene 
Art,  so  doch  eine  ganz  besonders  wohlcharakterisirte  Va- 
rietät von  Sieboldii.  Der  47  cm  lange  Schopf  ist  nur  8  mm 
breit,  wrährend  der  Schwammkörper  9  cm  lang  ist;  andere 
Exemplare  [H  sieboldi]  haben   bei  ungefähr  gleich   langem 


1)  M.  Schültze,  Die  Hyaloneuien.    4.    1860. 

2)  Zeitschr.  f.  wissensch.  Zool. ,  Bd.  XXV,  Supplement  Is7.">, 
p.   142—243. 

3)  Leider  liegt  hier  ein  Druckfehler  vor,  da  M.  SCHDLTZE  unter 
seiner  Abtheilung  A  7  Exemplare  unter  den  Ziffern  .1 — 7  aufgeführt 
hat.     Es  soll  wohl  6  heissen. 


Sitzung  tiovi  t8.  Mi  1899.  H;{ 

Axenstrange,  der  aber  immer  breiter  ist,  viel  ansehnlicheren 
Sehwammkörper;  so  misst  derselbe  bei  dem  von  Schdltze 
auf  Taf.  I  abgebildeten  Exemplare  13  cm.  während  der 
Wurzelschopf  48  cm  lang  und  1,5  cm  breit  ist.  Grösseres 
Gewicht  möchte  ich  aber  darauf  legen,  dass  bei  affine  das 
Dermalskelet.  das  zwar  abgestossen  ist.  aber  nicht  in  dem 
Grade,  wie  Schultze  es  beschreibt,  sehr  eigentümliche 
Verhältnisse  aufweist.  Vom  unteren  Theile  des  Schwamm- 
körpers, von  der  Stelle,  wo  der  Axenstrang  eintritt,  ent- 
springen nämlich  0,5  mm  breite  zahlreiche  Längszüge,  die 
sich  vielfach  theilen  und  mit  benachbarten  anastomosiren, 
wobei  sie  successive  schmäler  werden.  Diese  Längszüge, 
die  ich  bei  keinem  anderen  Exemplare  von  Hyalonema  ge- 
sehen habe,  obgleich  ich  eine  nicht  unbeträchtliche  Zahl  in 
verschiedenen  Graden  der  Erhaltung  vor  mir  hatte,  setzen 
sich  aus  einaxigen.  aber  beträchtlich  langen  (8  cm),  elasti- 
schen Nadeln  zusammen.  Sie  kreuzen  sich  häufig,  und  liegt 
an  der  Kreuzungsstelle  mit  ziemlicher  Regelmässigkeit  eine 
Kreuzuadel  von  Dimensionen,  wie  weder  ich  noch  Schultze 
sie  bei  Hyalonema  Sieboldü  je  gefunden  haben;  ihre  Axen- 
länge  beträgt  reichlich  3  mm.  Die  sich  kreuzenden  Bündel 
folgen  der  Richtung  der  Axen.  Zwischen  diesen  Zügen 
ist  ein  weiteres  Dermalskelet  ausgespannt,  das  sich  von 
dem  der  anderen  Exemplare  [H.  sieboldi]  nicht  unterscheidet, 
ebenso  verhalten  sich  die,  allerdings  sparsamer  vorhandenen 
Einströmungsöffnungen ,  sowie  das  übrige  Gewebe  des 
Schwammes  makro-  wie  mikroskopisch  ganz  wie  bei  Sie- 
boldü. jedoch  scheint  es  mir,  als  ob  die  abweichenden 
Grössenverhältnisse  und  besonders  die  eigenthümliche  Be- 
schaffenheit des  Dermalskelets  die  Aufstellung  einer  neuen, 
wenn  auch  mit  Sieboldü  sehr  nahe  verwandten  Art  voll- 
kommen rechtfertigten."  Vielleicht  könnte  auch  noch  das 
von  M.  Schultze  in  seiner  oben  genannten  Arbeit  p.  9 
und  10  als  Exemplar  7  aufgeführte  Hyalonema  hier  in 
Betracht  kommen,  da  es  möglicherweise  ebenfalls  zu  der 
von  Marshall  H.  affine  genannten  Form  gehört.  Max 
Schultze  selbst  hatte  es,  1.  c,  p.  9  —  10,  folgendermaassen 
charakterisirt:  ..Exemplar  7  (in  meiuem  Besitze).    Schwamm 


111  Gesellschaft  nnturf "or sehender  Freunde,  Berlin. 

2  Zoll  2  Linien  lang.  10  Linien  breit,  langestreckt  eiförmig, 
von  (lichtem  Gefiige.  Die  natürliche  Oberfläche  ist  nur  zum 
Theil  erhalten  und  hier  zeigen  die  Kieselnadeln  wieder  recht 
deutlich  die  Neigung,  sich  in  rechtwinklig  gekreuzte  Stränge 
zu  ordnen.  Zwischen  ihnen  sind  nur  erst  Andeutungen  der 
späteren  regelmässig  runden  Oeffnungen  zu  sehen.  Der 
Kieselfadenstrang  erhebt  sich  auf  eine  Länge  von  1  Fuss 
aus  dem  oberen  [soll  heissen  unteren]  Ende  des  Schwammes, 
ist  2  Linien  dick  und  mit  einem  dem  oberen  [unteren] 
Schwammende  sich  dicht  anschliessenden  Polypenüberzuge 
versehen,  welcher  zunächt  auf  P/s  Zoll  Länge,  dann  nach 
2  Zoll  Unterbrechung  wieder  auf  l1/-?  Zoll  erhalten  ist. 
Der  Schwamm  zeigt  innen  einige  grössere  Lakunen.  Der 
Kieselfadenstrang  ist  hier  zum  Theil  freigelegt  und  sieht 
man  seine  allmähliche  Verjüngung  und  seiu  letztes  aus  dem 
unten  [oben]  verletzten  Schwämme  hervorragendes  feinnade- 
ligesEnde."  Meine  Vermuthung,  dass  dieses  letztere  Exemplar 
ebenfalls  nicht  zu  It.  sieboldi,  sondern  zu  //.  affine  Marshall 
gehört,  stützt  sich  besonders  auf  die  von  M.  Sciiultze  in 
der  Fig.  4  der  Taf.  IV  seines  Buches  abgebildete  Nadel, 
ein  stacheliges  Oxyhexactin  mit  stark  gekrümmten 
Strahlen,  welches  sich,  wie  sich  später  zeigen  wird,  zwar 
sehr  reichlich  in  II.  affine,  aber  gar  nicht  in  77.  sieboldi 
vorfindet.  Für  die  Darstellung  der  einzelnen  Nadeln  dürfte 
aber  von  M.  Schultze  gerade  das  in  seinen  eigenen  Be- 
sitz übergegangene  und  zu  seinen  nachträglichen  Detail- 
studien  benutzte  Exemplar  vorwiegend  verwandt  sein. 

Als  ich  später  bei  der  Durcharbeitung  des  reichen 
Hexactinelliden-Materiales  der  Challenger-Expedition  mehrere 
in  der  Sagami-Bai  gedredgte  und  in  Spiritus  conservirte 
japanische  Hyalonemen  vorfand,  musste  natürlich  die  nahe- 
liegende Möglichkeit  erwogen  werden,  ob  nicht  diese  unter 
sich  ziemlich  ähnlichen,  aber  von  dem  allbekannten  Ihja- 
hnema  sieboldi  ganz  beträchtlich  verschiedenen  Hyalemen 
sümmtlich  oder  theilweise  zu  Makshall's  II.  affine  ge- 
hören könnten. 

Ich  musste  jedoch  damals1)  von  einer  Identificirung  der 

')  Challenger-Report,  Hexactinellidct,  p.  217. 


Sitzung  vom  18.  Mi  1899.  1 15 

Species  einstweilen  absehen,  da  mir  das  von  Max  Schultze 
und  das  von  Marshall  untersuchte  Leidener  Original- 
Exemplar  nicht  zugänglich  war,  und  nach  den  damals  vor- 
liegenden Beschreibungen  allein  eine  specifische  Ueberein- 
stimmung  sich  nicht  mit  hinlänglicher  Sicherheit  erschliessen 
liess,  ja  sogar  (wie  ich  auch  bereits  an  dem  genannten  Orte 
ausgeführt  habe)  unwahrscheinlich  genannt  werden  musste. 
Denn  einerseits  fand  sich  die  von  Marshall  als  für  II.  affine 
besonders  charakteristisch  hervorgehobenen  Eigentümlich- 
keit des  Dermalskeletes.  nämlich  die  sich  vielfach  theilenden 
und  spitzwinklig  anastomosirenden.  im  Ganzen  längsgerich- 
teten Nadelzüge  (von  0,5  mm  und  darunter  Breite),  bei  den 
mir  vorliegenden  japanischen  Hyalonemen  nicht  immer  aus- 
geprägt, vielmehr  meistens  ein  Hautbalkennetz  mit  qua- 
dratischen oder  doch  rechtwinkligen  Maschen  (wie  es  von 
mir  auch  auf  meiner  Tafel  XXXVII  des  Challenger-Report 
in  Figur  3  abgebildet  ist),  andererseits  vermisste  ich  in 
Maushall' s  Charakteristik  gerade  eine  Anzahl  von  Charak- 
teren, welche  mir  an  meinem  Materiale  besonders  auffällig 
erscheinen,  z.  B.  die  Abwesenheit  einer  terminalen  Sieb- 
membran und  besonders  das  reichliche  Vorkommen  von 
intermediären,  oxyhexactinen  Parenchymalia  mit  stark  ge- 
bogenen stacheligen  Strahlen,  und  von  etwas  kleineren 
parenchymalen  Oxyhexactinen,  deren  kräftige  gerade  Strahlen 
mit  distal  gerichteten,   kurzen   Seitenstacheln  besetzt  sind. 

Aus  diesen  Gründen  konnte  ich  mich  damals  nicht 
entschliessen,  die  mir  vorliegenden  japanischen  Hyalonemen 
zu  der  Species  II.  affine  Marschall  zu  stellen,  sondern  zog 
es  vor,  sie  mit  einem  neuen  Speciesnamen  als  Hyalonema 
apertum  F.  E  Sch.  zu  bezeichnen. 

Den  nämlichen  Artnamen  Hyalonema  apertum  wandte 
ich l)  sodann  auch  auf  ein  im  Meerbusen  von  Bengalen  bei 
den  Andamanen  gefundenes  Hyalonema  an.  welches  mit  den 
japanischen  H.  apertum- Stücken  der  Challenger -Expedition 
grosse  Uebereinstimmung  zeigte  und  hauptsächlich  nur  durch 


l)  Hexactinelliden  des  indischen  Oceanes,  I,  in  den  Anhand],  der 
Königl.  preussischen  Akad.  der  Wissensch.,  1894,  p.  39. 


1  1  Ci  GeseUscIiaft  naturforschender  Freunde,  Berlin. 

ein  kräftiger  entwickeltes,  quadratisches  Hautgitternetz  von 
jenem  abwich.  Da  sich  dieser  äusserlich  allerdings  ziemlich  auf- 
fällige Umstand  jedoch  leicht  auf  die  hier  nur  etwas  kräftiger 
ausgebildeten,  makroskleren,  peDtactinenJS^po^fermafoazuriick- 
führen  liess,  so  schien  er  mir  nicht  von  solcher  Bedeutung 
zu  sein,  um  darauf  allein  einen  Artunterschied  zu  begründen, 
da  erfahrungsgemäss  gerade  bei  den  makroskleren  Hexacti- 
nelliden-Nadeln  die  Stärke  der  Ausbildung  bei  verschiedenen 
Individuen  derselben  Species  oft  erheblich  variirt. 

Mit  diesem  letzteren,  bei  den  Andamanen  in  einem 
Exemplare  gefundenen,  indischen  Hyalonema  stimmten 
übrigens  andererseits  wieder  eine  Anzahl  kleinerer  Hyalo- 
nema desselben  Fundortes  bis  auf  massige  Grössendifferenzen 
einer  microscleren  Nadelform,  nämlich  der  dermalen  Pinule, 
so  auffällig  und  wesentlich  überein.  dass  mir  schon  da- 
mals ihre  Zugehörigkeit  zur  Species  Hyalonema  qpertum  sehr 
wohl  möglich  erschien,  und  ich  ihnen  nur  deshalb  einen 
besonderen  Namen.  Hyalonema  maehrcnthali  F.  E.  Seil.,  gab, 
weil  ich  die  ausgesprochene  Grössendifferenz  mikro sklerer 
Nadelformen  für  ein  specifisches  Merkmal  hielt  und  annahm, 
dass  die  dermalen  Pinule  schwerlich  bei  jungen  Exemplaren 
länger  sein  könnten  als  bei  älteren  derselben  Art,  eine 
Annahme,  welche  ich  jetzt  nicht  mehr  als  zwingend  an- 
erkennen kann. 


Unter  diesen  Umständen  beschloss  ich  eine  möglichst 
gründliche  Revision  des  gesammten,  mir  jetzt  noch  zu- 
gängigen älteren  Materiales  hierher  gehöriger  Hyalonemen 
vorzunehmen,  wobei  es  natürlich  von  besonderer  Wichtigkeit 
sein  musste,  auch  jenes  Original-Exemplar  des  Leidener  Mu- 
seums vergleichen  zu  können,  welches  einst  von  W. Marshall 
untersucht  und  als  Hyalonema  affine  benannt  war.  Ich  wandte 
mich  deshalb  an  den  Director  des  Leidener  Reichsmuseum. 
Herrn  Dr.  Jextixk.  welcher  die  Güte  hatte,  mir  auf  ineine 
Bitte  jenes  werthvolle  Original  leihweise  zu  überlassen  und 
dessen  Untersuchung  zu  gestatten.  Ausserdem  konnte  ich 
durch  die  Bereitwilligkeit  meines  hiesigen  Kollegen,  des 
Herrn  Geh.  Rath  Moebius,  mehrere  theils  im  Spiritus  auf- 


Sitzung  vom  18.  Juli  189!).  117 

bewahrte,  tlieils  trockene  Stücke  der  ganzen  Reihe  ver- 
gleichend studiren,  welche  in  der  zoologischen  Sammlung 
des  hiesigen  Museums  für  Naturkunde  aufbewahrt  werden 
und  sämmtlich  aus  Japan  stammen,  wo  sie  vor  Jahren  von 
Herrn  Prof.  Hilgendorf  gesammelt  sind.  Endlich  stand 
mir  noch  von  dem  Challenger-Materiale,  welches  ich  selbst 
früher  bearbeitet  hatte,  ein  vollständiges  Exemplar  ähnlich 
dem  auf  Taf.  XXXVII  in  Fig.  1  des  Challenger-Report  abge- 
bildeten Stücke,  ferner  einige  Bruchstücke  von  Formen  wie 
sie  ebendort  in  den  Figuren  2  und  3  abgebildet  sind,  und 
eine  Anzahl  mikroskopischer  Präparate  zu  Gebote. 

Bei  der  vergleichenden  Betrachtung  dieses  ganzen  Ma- 
teriales  gehe  ich  aus  von  dem  trockenen  Hyalonema,  welches 
unter  der  Bezeichnung  Hyalonema  affine  Marshall  im 
Leidener  Reichsmuseum  aufbewahrt  wird,  und  mir  jetzt  zur 
Untersuchung  anvertraut  ist.  Die  Frage,  ob  dies  das  näm- 
liche Stück  ist,  welches  W.  Marshall  selbst  bei  der  Auf- 
stellung seines  Speciesbegriffes  benutzt  hat,  glaube  ich  nach 
Berücksichtigung  der  von  diesem  Forscher  1.  c.  angegebenen 
Maasse  und  sonstiger  Beschreibung  bejahen  zu  dürfen,  ob- 
wohl die  von  Marshall  auf  47  cm  angegebene  Länge  des 
Nadelschopfes  nur  unter  der  Voraussetzung  zutrifft,  dass 
auch  der  vom  Schwammkörper  umhüllte  Theil  desselben 
mitgerechnet  wird. 

Der  (wahrscheinlich  während  des  Trocknens)  etwas 
seitlich  zusammengedrückte,  9  cm  lange  Schwammkörper 
zeigt  im  Gauzen  die  Gestalt  einer  Glocke  mit  schwach  aus- 
gebogenem Rande.  Seine  Breite  beträgt  unten,  dicht  ober- 
halb des  flachkelchförmigen  Ursprunges  etwa  3  cm,  nimmt 
dann  bis  zum  4  cm  breiten  Mitteltheile  allmählich  zu  und 
erreicht  an  dem  leicht  ausgebogenen,  etwas  zugeschärften 
Rande  nahezu  5  cm. 

Aus  der  Mitte  der  (offenbar  beim  Trocknen)  stark  seit- 
lich zusammengedrückten  und  etwas  verklebten  Kelchöffnung 
ragt  als  oberstes  Ende  des  Wurzelnadelschopfes  ein  stark 
lädirter  Centralkonus  etwas  über  die  Höhe  des  Kelchrandes 
vor.  Unterhalb  des  Centralkonus  gehen  von  dem  derben 
Axenstrange   einige   (wahrscheinlich  4)  platte  longitudinale 


Hg  Gesellschaft  naturforschender  Freunde,  Berlin. 

Radiärscheidewände  ab,  welche,  mit  distaler  Verbreiterung 

an  die  Kelchwand  sich  ansetzend,  die  Gastralhöhle  in  vier 
weite,  oben  offene  Fächer  theilen.  in  welche  dann  die  ab- 
führenden Kanäle  des  Schwammkörpers  mit  rundlichen 
Oeffnuugen  einmünden. 

Eine  Siebplatte,  wie  sie  sich  bei  Hyaloncma  skboldi  und 
manchen  anderen  Hyaloncma- Arten  über  die  Kelchöffnung 
quer  ausspannt,  fehlt  hier  vollständig. 

Von  der  Palythoa-Kruste,  welche  den  spiralig  gedrehten 
Basaluadelschopf  ursprünglich  in  einer  Ausdehnung  von 
ca.  19  cm  umschlossen  hatte,  ist  jetzt  nur  noch  das  oberste 
und  das  unterste  Endstück  in  der  Länge  von  wenigen 
Centimetern  erhalten. 

An  der  etwas  abgeriebenen  äusseren  Seitenoberfläche 
des  Schwammkörpers  lassen  sich  die  von  Marshall  als 
besonders  charakteristisch  hervorgehobenen,  sich  vielfach 
theilenden  und  spitzwinklig  anastomosirenden.  im  Ganzen 
längsgerichteten  derben  Nadel-Balkenzüge  leicht  wahrnehmen 
und  sind  auch  an  der  hier  in  natürlicher  Grösse  autotypisch 
reproducirten  Photographie  des  Originales  zu  erkennen. 

Ein  diesen  derben  Nadelsträngen  aussen  aufliegendes 
und  zwischen  denselben  sich  ausspannendes  zarteres  Balken- 
netz der  Dermalmembran,  welches  ebenfalls  schon  von 
Marshall  beachtet  wurde,  tritt  an  allen  geschützteren  und 
deshalb  weniger  abgeriebenen  Stellen  der  Haut  deutlich 
hervor.  Es  bildet  ziemlich  gleich  grosse,  ca.  1  —  1,5  min 
breite  Maschen  von  viereckiger,  häufig  sogar  annähernd 
quadratischer  Gestalt  und  ist  durch  den  dichten  Besatz  mit 
spitzen  Dermalpinulen  ausgezeichnet. 

Die  das  Stützgerüst  des  ganzen  Körperparenchymes 
ausmachenden  Principalia  bestehen  zum  grössten  Theile  aus 
1,5 — 2  mm  langen,  schlanken,  geraden  oder  schwach  ge- 
bogenen, glatten  Oxydiactinen  mit  einer  dem  Axenkanal- 
kreuze  entsprechenden  mehr  oder  minder  deutlich  erkenn- 
baren, schwachen,  centralen  Anschwellung.  Ihre  Dicke 
variirt  zwischen  4  und  20  \l.  Zuweilen  finden  sich  in  der 
Mitte  auch  2  oder  4  scharf  abgesetzte  rundliche  Buckel, 
welche  sich  durch  das  zugehörige  Axenkaualkreuz  als  Reste 


Sitzung  vom  18.  Mi  1899. 


119 


Hyalonema  affine  japonicum, 
'nach  einer  Photographie  des  Originales. 


J9Q  Gesellschaft  naturforschender  Freunde,  Berlin. 

atroph irter  Querstrahlen  erweisen.  Zwischen  diesen  sich 
vorwiegend  der  Länge  nach  zu  anastomosirenden  Strängen 
verschiedener  (circa  40  ;jl)  Dicke  aneinanderlagernden 
schlanken  Amphioxen  treten  hier  und  da,  besonders  aber 
unter  der  äusseren  Haut  vereinzelt  paratangential  in  ver- 
schiedener Richtung  gelagerte,  schwach  gebogene,  glatte 
Amphioxe  von  2,5 — 3  rnra  Länge  und  einem  Dickendurch- 
messer von  60  \i.  und  darüber  auf.  welche  einigermaassen 
an  die  gebogenen  Nadeln  von  Ilyalonema  toxeres  Wyv.  Thom- 
son erinnern.  Im  Innern  des  Schwammkörpers  finden  sich 
ausserdem  kräftige,  glatte  Oxyhexactine  mit  Strahlen  von 
1,5—2  mm  Länge  und  100 — 150  ;x  grösster  Dicke 

Die  Richtung  der  anastomosirenden  Stütznadelstränge 
ist  in  der  äusseren  Kelch  wand  und  in  der  Nähe  des  cen- 
tralen Haupt-Axenstrauges,  wie  schon  Marshall  hervorhob, 
vorwiegend  longitudinal,  dagegen  in  den  die  Gastralhöhle 
des  Kelches  theilenden  radiären  Septen  vorwiegend  radial. 
Als  Stützen  des  ebenfalls  von  schlanken  Amphioxen  ge- 
bildeten annähernd  quadratischen  Balkennetzes  der  Dermal- 
membran finden  sich  in  den  Netzknoten  glatte  pentactine 
Hypodermalia,  deren  100  —  400  ta  lange,  gleichmässig  zu- 
gespitzte Radialstrahlen  selten  über  20  p.  stark  sind.  Ganz 
ähnlich  sind  die  pentactinen  Hypogastralia.  Von  den  inter- 
mediären Parenchymalia  kommen  wegen  ihrer  grossen  syste- 
matischen Wichtigkeit  vor  allem  die  zahlreich  vorhandenen. 
50 — 70  ;j.  grossen,  mikroskleren  Oxyhexactine  in  Betracht, 
deren  schlanke  Strahlen  deutlich  hakenförmig  gebogen  und 
mit  massig  starken  Stacheln  besetzt  sind.  Die  in  der  Regel 
quer  abstehenden  Stacheln  nehmen  nach  dem  gekrümmten 
distalen  Strahlenende  an  Höhe  allmählich  ab.  Daneben 
kommen  (hier  und  da  sogar  ziemlich  reichlich)  stärkere, 
aber  nur  ca.  40  ja  grosse  Oxyhexactine  vor,  deren  durchaus 
gerade  kräftige  Strahlen  mit  distad  gerichteten  konischen 
Stacheln  besetzt  sind.  Ob  diese  derben  kleinen  Oxyhex- 
actine mit  geraden  Strahlen  wirklich  echte  Parenchymalia 
darstellen  oder  als  Oanalaria  kleiner  Kanäle  aufzufassen 
sind,  konnte  an  diesem  getrockneten  Stücke  nicht  mit 
Sicherheit  entschieden  werden. 


Sitzung   vom  18.  Juli  1899.  121 

Die  hier  im  Ganzen  nicht  häufigen  Macramphidiske 
variiren  erheblich  in  Grösse  und  Form.  Während  einige 
eine  Länge  von  250  jjl  und  darüber  erreichen  und  ihre  halb- 
kugelig gewölbten,  mit  breiten,  schaufeiförmigen  Zähnen 
versehenen  Schirme  bis  zu  100  jjl  breit  werden,  sind  die 
meisten  nur  120 — 180  \l  lang  und  besitzen  viel  tiefer  ge- 
wölbte Schirme  von  nur  50—60  ja  Breite,  deren  schmale 
Zähne  zugespitzt  sind.  Der  kräftige  Verbindungsstab 
zeigt  in  jedem  Falle  rundliche  Buckel  in  verschiedener 
Zahl,  von  welchen  einige  (meistens  4  oder  8)  in  der  Mitte 
einen  Kranz  bilden,  die  übrigen  dagegen  unregelmässig 
zerstreut  stehen.  Mi  er  amp  Iridis  ke  kommen  in  der  ge- 
wöhnlichen Form  und  Grösse  (16—20  ,a)  in  der  Dermal- 
und  Gastralmembran.  sowie  in  der  Haut  der  grösseren 
Kanäle  reichlich  vor.  Daneben  treten  auch  hier  und  dort, 
wenngleich  im  Ganzen  nur  recht  selten,  etwas  grössere, 
den  Mesamphidisken  zuzurechnende  Nadeln  von  24 — 40  jj. 
Länge  auf,  welche  mit  mehr  oder  minder  tief-glockenförmigen 
Schirmen  versehen  sind.  Die  schmalen,  stabfönnigen  Zähne 
dieser  Schirme  stehen  mit  ihren  Enden  nahezu  parallel  der 
Nadelaxe.  Sehr  auffällig  ist  es,  dass  diese  Mesamphidiske 
in  manchen  Partien  des  Schwammkörpers  ganz  vermisst 
werden. 

Die  pentactinen  Dermalpinule,  deren  Länge  durch- 
schnittlich 120  (u  beträgt,  aber  zwischen  100  und  200  jjl 
schwankt,  haben  einen  schlanken,  in  ein  spitzes  Distalende 
ganz  allmählich  auslaufenden  Radialstrahl,  dessen  schräge 
emporstehenden  oder  schwach  aufwärts  gebogenen  Seiten- 
stacheln nur  etwa  10  jx  laug  sind  und  nach  oben  zu  ganz 
allmählich  kürzer  werden. 

Die  vier  kräftigen  basalen  Tangentialstrahlen  enden  mit 
konischer  Zuspitzung  und  zeigen  kleine,  distad  gerichtete, 
stumpfe  Stacheln. 

Ganz  ähnlich,  nur  im  Allgemeinen  etwas  kürzer  er- 
scheinen die  Gastralpinule  und  die  mit  abnehmender  Weite 
der  Kanäle  immer  schmächtiger  und  kürzer  werdenden 
kanalaren  Pinule.  bei  welchen  letzteren  indessen  die  vier 
Basalstrahlen  an  Länue  zunehmen. 


122  Gesellschaft  naturforschender  Freunde,  Berlin. 

Die  etwa  200  ja  langen,  schlanken,  diactinen  Margi- 
nal ia  besitzen  an  ihrem  bis  zum  spitzen  Distalende  ganz 
gleiehmässig  verschmälerten,  frei  vorstehenden,  langen  Distal- 
strahlen  zahlreiche,  dicht  anliegende,  kurze  Stacheln,  während 
der  kürzere,  innere  Strahl  nur  kleine,  spitze  Erhebungen 
aufweist.  An  dem  centralen  Knotenpunkte  finden  sich  als 
letzte  Andeutung  der  vier  atrophirten  Querstrahlen  vier  im 
Kreuz  gestellte,  halbkugelige  Buckel  mit  je  einer  kleinen 
Distalspitze. 

Die  mit  kurzen,  kräftigen,  konischen  Stacheln  besetzten 
Acanthophoren  der  basalen  Körperhaut  bestehen  vor- 
wiegend aus  Stauractinen  mit  geraden,  bald  gleich  langen, 
bald  verschieden  langen,  stumpf  endigenden  Strahlen. 

Die  bis  zu  xfe mm  dicken,  langen  Basalnadeln,  welche 
in  weiten  Spiraltouren  zum  Wurzelschopfe  zusammengedreht 
sind,  zeigen  an  der  Oberfläche  ihres  freien  Theiles  in  der 
Regel  die  bekannten,  in  halbkreisförmigen  oder  unregel- 
mässig spiraligen  Linien  entspringenden,  platten,  aber  spitz 
endigenden  und  dem  Nadelkörper  ziemlich  dicht  anliegenden 
Stacheln.  Manche  Wurzelschopfnadeln  erscheinen  auch  ganz 
glatt.     Anker  waren  nicht  aufzufinden. 


Für  die  Unterscheidung  der  einzelnen  Hyalonema-Sipecies 
haben  sich  nach  meinen  bisherigen  Erfahrungen  als  besonders 
wichtig  ausser  der  Körperform  die  mikroskleren  intermediären 
Parenchymalia,  die  Amphidisken  und  die  autodermalen  Pinule 
herausgestellt.  Es  ist  demnach  für  die  Charakteristik 
von  Hyahnema  affine  Marshall  auf  folgende  Punkte  der 
obigen  Beschreibung  besonders  Gewicht  zu  legen.  1)  Die 
zahlreich  vorhandenen  intermediären,  mikroskleren  Parenchy- 
malia bestehen  aus  gleiehmässig  vertheilten,  50 — 70  ;a.  grossen 
Oxyhexactinen  mit  massig  starken,  hakenförmig  mehr  oder 
minder  stark  gebogenen,  allmählich  spitz  auslaufenden  Strah- 
len, welche  deutlich  entwickelte,  quer  abstehende  Stacheln 
tragen.  2)  Von  Macramphidisken  kommen  vereinzelt  grössere, 
ca.  240  jx  lange  Exemplare  mit  20  jjl  und  darüber  dickem, 
halbkugelige  Höcker  tragendem  Axenstabe  vor,  deren  halb- 
kugelig gewölbte,   ca.   100  4u  breite  Schirme   acht  schaufei- 


Sitzung  vom  18.  Juli  1S99.  123 

förmige,  am  freien  Ende  abgerundete  Zähne  tragen  und  ausser- 
dem ziemlich  häufig  etwas  kleinere,  140 — 170,u  lange,  mit  ähn- 
lichem, aber  dünnerem  Axenstabe,  deren  etwas  tiefere,  mehr 
glockenförmig  gewölbte  Endschirme  nur  eine  Breite  von  40  bis 
60;ji  haben.  3)  Neben  den  in  allen  Grenzhäuten  zahlreich  vor- 
handenen, 14— 20ja  langen  Micramphidisken  gewöhnlicher  Art 
mit  halbkugeligen  Endschirmen  kommen  hie  und  da  spärlich 
oder  ganz  vereinzelt  etwas  grössere,  bis  36  jj.  und  darüber 
lange  Formen  vor,  deren  glockenförmige,  über  lj%  der 
Gesammtlänge  ausmachende  Schirme  gerade,  parallele  Zahn- 
enden aufweisen  und  daher  auch  vielleicht  noch  besonders 
als  Mesainphidisken  unterschieden  werden  können,  obwohl  sie 
sich  ziemlich  coutinuirlich  an  die  typischen  Micramphidisken 
anschliessen.  4)  Die  schlanken,  durchschnittlich  120  \i.  langen 
Dermalpinule  haben  vier  kräftige,  am  Ende  konisch  zugespitzte 
Basalstrahlen  mit  distacl  gerichteten  kleinen  Stacheln,  wäh- 
rend der  unten  kräftige,  nach  oben  zu  allmählich  spitz  aus- 
laufende freie  Distalstrahl  schräge  emporgebogene  Seiten- 
strahlen von  höchstens  10  ;jl  Länge  aufweist,  welche  von  der 
Mitte  des  Strahles  bis  zu  dessen  spitzen  Ende  allmählich  an 
Höhe  abnehmen.  Dazu  kommt  5)  das  von  Marshall  als  be- 
sonders charakteristisch  hervorgehobene  subdermale  Maschen- , 
werk  von  spitzwinklig  sich  theilenden  und  reichlich  anastomo- 
sirenden,  longitudinalen  Nadelsträngen,  und  6)  die  ebenfalls 
unter  der  Haut  gelegenen  2,5— 3.0mm  langen,  dicken,  schwach 
gebogenen  Oxydiactine. 

Um  nun  die  Frage  mit  Sicherheit  beantworten  zu  können, 
ob  mit  dem  so  gewonnenen  Speciesbegriffe  Ilijalonema  affine 
Marshall  jene  japanischen  Hyalonemen,  welche  von  der 
Challenger- Expedition  in  der  Sagami -Bai  gesammelt  und 
von  mir  im  Challenger-Report  unter  dem  Namen  Hyahnema 
qpertum  F.  E.  Sch.  ausführlich  beschrieben  sind,  hinlänglich 
übereinstimmen,  um  in  die  nämliche  Species  aufgenommen 
werden  zu  können,  habe  ich  zunächst  alles  sorgfältig  noch 
einmal  untersucht,  was  mir  noch  von  dem  Chall  enget* -Ma- 
teriale  zur  Disposition  stand,  sodann  aber  auch  das  in  der 
zoologischen  Sammlung  des  hiesigen  Museums  für  Natur- 
kunde befindliche,   einst  von  Hilgendorf  (ebenfalls  in  der 


1  24  Gesellschaft  natiurforschender  Freunde  in  Baiin. 

Sagami -Bai)  gesammelte  Material  von  drei  trockenen  und 
fünf  Spiritusexemplaren  wiederholt  durchgearbeitet,  welche 
Stücke  früher  von  mir  selbst  als  Hyalonema  apertum  F.  E.  Sch. 
bestimmt  waren. 

Da  mir  seinerzeit  gestattet  worden  war,  aus  dem 
reichlichen  Vorrathe  der  Challenger-Collection  von  jenen 
japanischen  Hyalonemen  ein  Stück  zurückzubehalten,  so 
begann  ich  meine  Revision  zunächst  mit  diesem,  jetzt  der 
Lehrsammlung  des  Berliner  zoologischen  Institutes  einver- 
leibten Exemplare,  welches  dem  im  Challenger- Report, 
PL  XXXVII,  Fig.  1,  dargestellten  gleicht  und  durch  die 
schräge  Kelchöffnung,  sowie  eine  verhältnissmässig  zarte 
Ilautschicht  gegenüber  den  meisten  anderen  Stücken  auffällt. 

Auch  hier  lässt  sich  das  an  dem  trockenen  Hya- 
lonema affine- Originale  Marshall's  so  deutliche  Netz  von 
derben,  longitudinalen ,  spitzwinklig  verbundenen,  sub- 
dermalen Nadelzügen  erkennen,  wenn  es  auch  im  Allge- 
meinen von  dem  kleinen  und  mehr  quadratische  Maschen 
formirenden,  zarteren  Balkennetze  der  eigentlichen  Dermal- 
membran etwas  verdeckt  wird.  Hinsichtlich  der  Nadeln 
kommen  keine  irgend  erheblichen  Abweichungen  von  dem 
Leidener  Hyalonema  affine  Marshall's  vor,  mit  einziger 
Ausnahme  des  Umstandes,  dass  es  mir  trotz  eifrigen  Suchens 
an  Schnitten  und.  Macerationspräparaten  nicht  gelang,  hier 
neben  den  beiden  Macramphidisken- Sorten  und  den  zahl- 
losen Micramphidisken  gewöhnlicher  Form  und  Grösse  auch 
noch  jene  vergrösserten  oder  zu  Mesamphidisken  entwickelten 
Verwandten  der  Micramphidiske  aufzufinden,  welche  dort, 
wenn  auch  nur  vereinzelt  oder  in  einzelnen  Regionen  des 
Schwammparenchymes,  zu  sehen  waren. 

Einige  noch  mit  der  äusseren  Hautschicht  bekleideten 
Bruchstücke  verschiedener  anderer  Exemplare  des  Challenger 
Materiales  Hessen  die  quadratische  Netzbildung  der  hier 
bedeutend  kräftigeren  pentactinen  Hypodermalia  und  ihres 
Belages  von  Autodermalpinulen  ungefähr  ebenso  deutlich 
erkennen,  wie  sie  auf  dem  in  Fig.  2  der  Taf.  XXXVII  des 
Challenger -Reportes  zu  sehen  ist.  Die  von  diesen  Bruch- 
stücken hergestellten  Schnitte  und  Macerationspräparate  so- 


Sitzung  com  18.  Juli  189S.  125 

wie  eine  grosse  Zahl  noch  von  meiner  ersten  Untersuchung 
dieser  Hyalonemen  aufbewahrter  mikroskopischer  Präparate 
lehrten,  dass  auch  hier  überall  die  Spiculation  im  Wesent- 
lichen die  nämliche  ist  bis  auf  die  grösseren  pentactinen  Hypo- 
dermalia.  In  Betreff  der  hier  besonders  eifrig  gesuchten 
Mesamphidisken  ergab  sich  Folgendes.  Bei  einigen  Stücken 
und  in  manchen  Schnittpräparaten  konnten  sie,  wenn  auch 
stets  nur  spärlich  und  in  ganz  ungleichmässiger  Verkeilung, 
meistens  m  der  Nähe  kleiner  Kanäle  nachgewiesen  werden, 
in  anderen  traten  sie  nur  ganz  vereinzelt  auf,  und  in  wieder 
anderen,  sonst  in  nichts  abweichenden  Stücken  fehlten 
sie  ganz. 

Das  nämliche  Ergebniss  hatte  die  wiederholt  vorge- 
nommene Untersuchung  der  von  Hilgendorf  in  der  Sa- 
gami-Bai gesammelten  Exemplare  der  zoologischen  Samm- 
lung des  Berliner  Museums  für  Naturkunde.  Wäh- 
rend sich  in  einigen  dieser  fast  sämmtlich  regelmässig 
kelchförmigen  Stücke,  wie  z.  B.  in  den  mit  No.  533  und  536 
bezeichneten  Exemplaren,  auf  Wanddurchschnitten  meistens 
ziemlich  kräftige,  seltener  schwächere,  pentactine  Hypo- 
dermalia  zeigten,  und  in  der  Umgebung  einzelner  enger 
Kanäle  neben  zahlreichen  Micramphidisken  auch  die  mehr- 
fach erwähnten  fraglichen  Mesamphidisken  in  einer  Grösse 
bis  zu  50  \l  und  darüber  vorfanden,  konnte  ich  bei  anderen, 
sonst  wesentlich  übereinstimmenden  Exemplaren  kein  der- 
artiges Mesamphidisk  auffinden.  Die  pentactinen  Hypo- 
dermalia  erschienen  bald  zu  einem  deutlichen  Hautgitter 
von  quadratischem  Typus  geordnet,  bald  waren  sie  weniger 
regelmässig  gelagert  und  Hessen  dann  deutlicher  die  longi- 
tudinalen.  subdermalen  Nadelzüge  durchschimmern. 

Nach  diesen  Erfahrungen  kann  ich  wieder  die  Schwan- 
kungen in  der  Grösse  und  Anordnung  der  pentactinen  Hypo- 
dermalia,  noch  den  Umstand,  ob  in  einzelnen  Theilen  des 
Schwammkörpers  neben  den  typischen  Micramphidisken 
auch  noch  sporadisch  oder  mehrfach  etwas  grössere, 
den  Mesamphidisken  zuzurechnende  Amphidiske  vorkommen 
oder  fehlen,  eine  solche  Bedeutung  beilegen,  um  danach 
allein   verschiedene  Arten   zu  unterscheiden,   und  zwar  um 


126  Gesellschaft  natwrforschender  Freunde,  Berlin. 

so  weniger,  als  mit  diesen  Differenzen  keineswegs  ent- 
sprechende Unterschiede  anderer  Art  Hand  in  Hand  gehen. 

Ich  sehe  mich  daher  jetzt  genöthigt.  alle  von  mir  bisher 
als  Hyalonema  apertum  bezeichneten  Stücke  der  Challenger- 
Expedition  und  der  Berliner  Sammlung  zu  der  von  W.  Marshall 
mit  dem  Leidener  Exemplare  begründeten  Species  Hyalonema 
affine  Marsh,  zu  stellen. 

Ferner  habe  ich  alles,  was  mir  noch  an  Notizen  und 
Präparaten  von  jenem  oben,  pag.  116,  erwähnten  und  in 
meinem  Aufsatze  über  „Hexactinelliden  des  indischen  Oceans" 
als  Hyalonema  apertum  F.  E.  Sch.  beschriebenen1)  Stücke 
zu  Gebote  stand,  sorgfältig  verglichen  und  bin  zu  dem  Er- 
gebnisse gelangt,  dass  auch  dieses  mit  in  den  Formenkreis 
von  Hyalonema  affine  Marsh,  zu  ziehen  ist.  Dafür  spricht  vor 
Allem  die  weitgehende  Uebereinstimmung  in  der  ganzen 
Spiculation,  speciell  aller  intermediären  parenchymalen  Micro  - 
sclere,  der  schmächtige  Oxyhexactine  von  ca.  60  jjl  mit  haken- 
förmig (allerdings  oft  nur  schwach)  gekrümmten,  quere 
Stacheln  tragenden  Strahlen,  sowie  der  mit  viel  derberen 
Strahlen  versehene  kürzere  Oxyhexactine  mit  distad  gerichteten 
Stacheln.  Neben  den  in  der  äusseren  Haut  ziemlich  häufig  zu 
findendenMacramphidisken,  deren  kleinere,  100 — 140jx  lange, 
ziemlich  häufig  sind  und  den  entsprechenden  Formen  des 
typischen  H.  affine  gleichen,  kommen  hier  in  allen  Grenz- 
häuten zahllose  Micramphidiske  gewöhnlicher  Art  von 
13—20  \l  und  an  einzelnen  Stellen  spärlich  auch  jene 
Amphidiske  von  20—40  ]x  Länge  mit  parallelen,  geraden 
Zahnenden  der  plattenförmigen  Schirme,  wie  ich  sie  bei 
dem  Originale  und  manchen,  aber  nicht  bei  allen  japanischen 
Exemplaren  des  Hyalonema  affine  gefunden  und  als  Mes- 
amphidiske  bezeichnet  hatte.  Die  dermalen  Pentactinpinule 
sind  durchschnittlich  120—150  ,u  lang  und  gleichen  durch- 
aus denjenigen  des  Leidener  Originales. 

Die  Gesammtform  des  Körpers  stimmt,  wie  die  Ab- 
bildung in  meinen  „Hexactinelliden  des  indischen  Oceans", 
Taf.  VIII,  Fig.  1,  zeigt,  zwar  im  Allgemeinen  mit  derjenigen 


!l  Abhandl.  der  König].  Prcuss.  Akad.,  1894,  pag.  39. 


Sitzung  vom  IS.  Juli  189!).  127 

mancher  japanischen  Stücke  von  Hyalonema  affine  überein. 
zeigt  aber  einen  etwas  stärker  nach  aussen  umgeschlagenen 
Randtheil  als  jene.  An  der  äusseren  Hautfläche  markirt 
sich  hier  sehr  deutlich  das  quadratische  Netz  der  Hypo- 
dermalpentactine,  welche  stärker  und  grösser  sind  als  bei 
irgend  einem  der  japanischen  Exemplare.  Trotzdem  kann 
dieser  Umstand  nicht  hinreichen  zur  Aufstellung  einer  be- 
sonderen Species.  da  es  sich  ja  nur  um  Grössendifferenzen 
von  makroskleren  Nadeln  handelt,  welche  bei  den  Hexacti- 
nelliden  bekanntlich  nicht  nur  mit  zunehmendem  Alter 
wachsen,  sondern  auch  häufig  weitgehende  individuelle 
Variationen  aufweisen,  wie  dies  wohl  am  besten  die 
Längen-  und  Dicken -Unterschiede  der  Basalnadeln  ver- 
schiedener Individuen  derselben  Art  beweisen. 

Endlich  sehe  ich  mich  auch  genöthigt,  die  von  mir  im 
Jahre  1894  als  besondere  Species  unter  der  Bezeichnung 
Hyalonema  mährenthali  neben  //.  apertum  aufgeführten  zwölf 
kleinen  indischen  Hyalonemen  als  junge  Individuen  von 
Hyalonema  affine  Marshall  anzusprechen.  Schon  in  meiner 
ersten  Beschreibung  dieser  vom  Investigator  in  457  und 
485  in  Tiefe  bei  den  Andamanen  gefundeneu  Serie  von 
20  —  25  mm  langen,  birnförmigen  Schwämmen  mit  ver- 
schieden langem,  dünnem  Schöpfe  habe  ich  auch  die  grosse 
Aehnlichkeitmit  dem  grossen,  voraussichtlich  ausgewachsenen 
Hyalonema  desselben  Fundortes  sowohl  im  Bau  wie  be- 
sonders in  der  Spiculation  hingewiesen  und  die  Möglichkeit 
erwogen,  ob  diese  kleineren  und  offenbar  jugendlichen  Stücke 
nicht  etwa  Jugendformen  von  jenem  darstellen  könnten  (1.  c, 
p.  41-43).  Wenn  es  nun  mir  damals  gerathen  erschien,  für  diese 
jungen  Hyalonemen  trotz  ihrer  grossen  Aehnlichkeit  mit  dem 
älteren  ausgewachsenen  einstweilen  noch  einen  besonderen 
Namen  anzuwenden,  so  wurde  ich  hierzu  hauptsächlich  durch 
den  Umstand  bewogen,  dass  bei  ihnen  die  pentactineu 
Dermalpinule  länger  (über  200  jj.)  sind  als  bei  dem  grossen 
Stücke,  dass  ferner  die  grösseren  Macramphidiske  (von 
220  jj.  und  darüber)  sich  zahlreich  in  der  Haut  finden, 
während  sie  bei  dem  alten,  freilich  etwas  lädirten  Exem- 
plare dort  vermisst  wurden,  dass  ferner  die  intermediären  oxy- 


128  Gesellschaft  natwforschender  Freunde,  ~Berlin. 

hexaetinen  Parenchymalia  mit  gebogenen  Stachelstrahlen 
nicht  so  häufig  vorkommen  wie  dort,  und  dass  endlich  neben 
den  typischen  Micramphidisken  von  ca.  20  ja  Länge  ziem- 
lich häufig  kleine  Mesatnphidiske  von  30 — 50  jj.  Länge  zu 
finden  sind. 

Nachdem  sich  aber  jetzt  durch  meine  Untersuchung  des 
Leidener  Original-Exemplares  von  Hyalonema  affine  Marsh. 
und  der  zahlreichen  Stücke  der  nämlichen  Species.  welche 
ich  ehemals  als  Hyalonema  apertum  F.  E.  Sch.  bezeichnet 
hatte,  gezeigt  hat,  dass  weder  die  Länge  der  schmalen, 
spitz  auslaufenden  Dermalpinule,  noch  die  Häutigkeit  der 
grösseren  Macramphidiske  in  der  Dermalmembran,  noch  die 
Menge  der  parenchymalen  Oxyhexactine  mit  gekrümmten 
Stachelstrahlen  bei  Hyalonema  affine  beständig  ist.  sondern 
ebenso  wie  die  Grösse  und  Stärke  der  hypodermalen  Pent- 
actine  und  die  davon  abhängige  Deutlichkeit  der  quadrati- 
schen Maschenbildung  des  Hautbalkennetzes  erheblich  variirt, 
so  muss  ich  annehmen,  dass  auch  die  erwähnten  Abweichun- 
gen dieser  jungen  indischen  Hyalonemen  von  dem  Leidener 
Original-Exemplar  des  Hyalonema  affine  theils  auf  die  anders- 
artigen  localen  Bedingungen,  theils  auf  den  noch  jugend- 
lichen Entwickelungszustand  zu  beziehen  sind  und  eine 
Alltrennung  derselben  als  besondere  Species  nicht  recht- 
fertigen. Während  ich  die  starke  Entwicklung  der  zum  qua- 
dratischen Hautnetze  sich  zusammenlegenden  pentactinen 
Hypodermalia  auf  die  localen  Verhältnisse  schiebe,  möchte 
ich  die  Länge  der  besonders  schlanken  Dermalpinule  und  die 
geringe  Zahl  der  mit  gebogenen  Stachelstrahlen  versehenen 
parenchymalen  Oxyhexactine  auf  den  Jugendzustand  der 
Stücke  beziehen. 

Demnach  betrachte  ich  die  im  Jahre  1894  von  mir  als 
Hyalonema  mährenthali  F.  E.  Sch.  bezeichneten  kleinen  Hya- 
lonemen aus  der  Nähe  der  Andamanen  jetzt  als  jugendliche 
indische  Localformen  von  Hyalonema  äff  nie  Makshall. 


Wenn  nun  auch  auf  diese  Weise  eine  Anzahl  Formen, 
welche  früher  in  drei  besonderen  Arten  gruppirt  erschienen, 
jetzt  zu   einer  einzigen  Species  vereinigt  werden,   weil  sie 


Sitzung  vom  iS.  Juli  1S99.  129 

trotz  erheblicher  Variabilität  mancher  Nadeln  doch  sämrnt- 
lich  durch  viele  deutlich  ausgeprägte,  gemeinsame  Charak- 
tere verbunden  sind  und  sich  durch  dieselben  von  allen 
übrigen  bekannten  Hyalonema- Arten  unterscheiden,  so  lässt 
sich  doch  nicht  verkennen,  dass  den  aus  dem  indischen 
Gebiete  stammenden  Exemplaren  dieser  erweiterten  Species 
gewisse,  wenn  auch  systematisch  minderwerthige  Eigen- 
thümlichkeiten  gemeinsam  sind,  welche  sie  leicht  von 
den  ebenfalls  unter  sich  wieder  durch  besondere  Eigen- 
schaften verbundenen  japanischen  unterscheiden  lassen. 
Zu  solchen,  die  indischen  von  den  japanischen  Exemplaren 
trennenden  Merkmalen,  welche  zwar  nicht  die  Bedeutung 
von  Artcharakteren  besitzen,  aber  doch  einen  gewissen 
Gegensatz  zwischen  beiden  Gruppen  bedingen,  rechne  ich 
zunächst  jene  Umbiegung  des  den  Marginalsaum  tragenden 
Kelchrandes  nach  aussen,  welche  bei  dem  erwachsenen 
indischen  Hyalonema  affine  sich  deutlich  bemerkbar  macht 
(cf.  Taf.  VIII,  Fig.  1  meiner  Hexactinelliden  des  indischen 
Oceanes  in  den  Abhandl.  der  Königl.  Preuss.  Akad.,  1894) 
und  auch  schon  bei  den  älteren  der  indischen  Jugendformen 
sich  vorbereitet  (1.  c. .  Taf.  VIII.  Fig.  11),  jedoch  in  dem 
Maasse  keinem  der  japanischen  ausgebildeten  Stücke  zu- 
kommt. Ferner  zähle  ich  dazu  die  bei  allen  indischen  Exem- 
plaren deutlich  ausgeprägte,  bei  den  japanischen  dagegen 
nur  schwach  entwickelte  quadratische  Hautnetzbildung, 
welche,  wie  schon  oben,  pag.  127,  erwähnt  ist,  auf  der 
mehr  oder  minder  kräftigen  Entwickelung  der  Hypodermal- 
pentactine  beruht.  Auf  Grund  dieser  mehr  graduellen  als 
principiellen  Gegensätze,  welche  zum  Theil  nur  durch  einen 
einfachen  Wachsthumsunterschied  gewisser  makrosklerer 
Nadeln  bedingt  sind,  scheint  mir  eine  Sonderung  der 
indischen  Stücke  von  den  japanischen  als  Unterarten  der- 
selben Species  angezeigt,  und  ich  bezeichne  dementsprechend 
die  japanische  Form  als  Hyalonema  affine  japonicum,, 
die  indische  dagegen  wegen  des  so  stark  hervortretenden 
quadratischen  Hautuetzes  als  Hyalonema  affine  reti- 
cnlatum. 


130  Gesellschaft  natiofmscJiender  Freunde,  Berlin. 

Herr  Matschie  sprach  über  die  Verbreitung  der 
Hirsche. 

In  Lydekker's  grundlegendem  Werk:  „The  Deer  of 
all  Lands"  ist  leider  die  zusammenfassende  Darstellung  der 
Verbreitung  der  Hirsche  nicht  soweit  ausgeführt,  dass  man 
ohne  weiteres  sich  ein  Bild  machen  kann  von  dem,  was 
wir  über  die  zoogeographischen  Verhältnisse  der  Cerviden 
wissen.  Vielleicht  dürften  deshalb  die  nachstehenden  Be- 
merkungen nicht  unwillkommen  sein. 

In  Afrika  südlich  von  der  Sahara,  auf  Madagaskar  und 
den  in  der  Nähe  gelegenen  Inseln  leben  ebensowenig  Hirsche 
wie  in  Australien,  auf  Neu-Guinea  und  in  Polynesien.  Man 
kennt  aus  diesen  Gebieten  auch  keinerlei  fossile  Reste 
von  ihnen. 

Dagegen  sind  Hirsche  fast  aus  allen  übrigen  Theilen  der 
Erde,  abgesehen  von  den  Wüsten  und  den  höheren  Lagen 
der  Hochgebirge,  sowie  von  denjenigen  Gegenden,  in  wel- 
chen sie  durch  den  Menschen  ausgerottet  sind,  bekannt 
geworden. 

Ich  schliesse  von  meiner  Betrachtung  alle  fossilen  Cer- 
vidae  aus,  weil  ich  sie  nicht  selbst  habe  untersuchen  können. 

In  den  Vereinigten  Staaten,  mit  Ausnahme  des  Colum- 
bia-Gebietes und  der  Nordgrenze  gegen  Canada.  ferner  in 
Mexiko,  im  grösseren  Theile  des  abflusslosen  Mittel-Asiens, 
auf  den  Molukken  und  auf  den  Philippinen  trifft  man  nirgend- 
wo mehr  als  eine  Form  der  Hirsche  in  demselben  Gebiet. 
In  der  neuen  Welt  ist  es  der  Virginierhirsch  im  Osten, 
der  Grossohrhirsch  im  Westen  mit  ihren  Abarten  und  in 
Mittel- Asien  der  Edelhirsch  in  verschiedenen  geographischen 
Formen.  Im  südöstlichen  Asien  kann  man  vier  verschiedene 
Gruppen  nachweisen:  den  Rusahirsch  (Busa  H.  Sm.)  in  drei 
Formen  auf  Java  und  den  Molukken;  auf  Basilan,  Min- 
danao,  Cebu  und  Luzon  je  einen  Philippinenhirsch 
(Ussa  Heude);  auf  Samar  resp.  Leyte,  sowie  auf  Masbate 
je  einen  gefleckten  kleinen  Hirsch  (Melanaxis  Heude) 
und  auf  den  Calamianen  und  auf  Bavean  zwischen  Sumatra 
und  Java  je  einen  Schweinshirsch  (Hyelaphus  Sund.). 

Auf  Java  lebt  neben  dem  Rusahirsch  (Busa  H.  Sm.) 


Sitmng  vom  18.  Mi  1899.  131 

ein  Zwerghirsch  (Gcrvulus  Blainv.),  auf  Sumatra  und 
Borueo  tritt  für  den  Rusahirsch  ein  Mähnenhirsch 
(Cervus  L.)  ein.  neben  welchen  wieder  ein  Muntjak  vor- 
kommt. In  Hinterindien  wird  das  Bild  erheblich  mannig- 
faltiger. Ausser  dem  Zwerghirsch  und  Mähnen- 
hirsch erscheint  ein  Schweinshirsch  (Hyelaphus  Sund.) 
und  ein  Moorhirsch  (Bucervus  Hodgs.)  in  jedem  Gebiet. 
Ueberschreitet  man  die  chinesischen  Grenzen,  so  tritt  an 
die  Stelle  des  Schweinshirsches  ein  Sikahirsch  (Pseudaxis 
Grat)  und  zu  den  eben  genannten  noch  ein  Schopfhirsch 
(Elaphodus  A.  M.-E.).  Im  Yautse-Becken  finden  wir  einen 
Mähnen-,  einen  Sika-.  einen  Zwerg-  und  einen  Schopf- 
hirsch und  daneben  das  W  ass  eTieh(Hi/drelaphus  Swinhoe). 

Aus  dem  Hoangho  -  Gebiet  ist  mit  Sicherheit  nur  ein 
Sikahirsch  nachgewiesen,  vielleicht  lebt  dort  auch  der 
von  Mocpin  beschriebene  Zwerghirsch,  wahrscheinlich 
auch  ein  grösserer  Hirsch,  über  dessen  Aussehen  man  je- 
doch noch  nichts  weiss.  In  den  nördlich  von  Peking  ge- 
legenen Gegenden  wird  die  Zusammensetzung  der  Hirsch- 
arten erheblich  anders.  Nur  ein  Sikahirsch  weist  noch 
darauf  hin,  dass  wir  uns  in  China  befinden.  Neben  diesem 
tritt  als  neue  eigenthümliche  Form  der  Miluhirsch  (Ela- 
phurus  A.  M.-E.)  auf,  und  zwei  andere,  hier  zum  ersten  Male 
erscheinende  Gruppen  tragen  palaearktischen  Charakter: 
der  Edelhirsch  (Elaplms  H.  Sm.)  und  das  Reh  (Capreolus 
H.  Sm).  Auch  in  das  Amur-Gebiet  greift  der  Sikahirsch 
noch  hinein,  während  der  Miluhirsch  dort  nicht  mehr 
zu  leben  scheint.  Der  Edelhirsch  und  das  Reh  sind  dort 
in  je  einer  geographischen  Abart  vertreten. 

Gehen  wir  an  der  sibirischen  Südgrenze  durch  die 
westliche  Gobi  nach  Westen,  so  finden  wir  vom  Altai  nach 
Süden  im  Aral-See-Becken  wieder  einen  Edelhirsch  und 
ein  Reh.  Im  übrigen  Central-Asien  scheinen  nur  die  Ab- 
arten des  Edelhirsches  zu  leben,  wie  oben  schon  erwähnt 
wurde.  Auch  von  den  Quellen  des  Indus  ist  nur  eine 
Form  des  Edelhirsches  bekannt;  allerdings  berühren  das 
Indus-Gebiet,  wie  es  scheint,  auch  ein  Axis-,  ein  Mäh  neu - 
und  ein  Moorhirsch,  welche  im  gesammten  Vorder-Indien 


132  Gesellschaft  naturforschender  Freunde,  Berlin. 

leben.  Der  Schweinshirsch  greift  von  Hinter -Indien 
her  in  die  Gangesländer  über,  so  dass  hier  Axis-  und 
Schweinshirsch  im  gleichen  Flusssystem  augetroffen 
werden. 

Im  grössten  Theil  von  Europa  und  in  den  Uferländern 
des  Schwarzen  und  Caspischen  Meeres  finden  wir  die  uns 
aus  dem  Aral- Becken  und  dem  Amur -Gebiet  bekannten 
Formen,  den  Edelhirsch  und  das  Reh,  wieder  und  an 
die  Stelle  der  chinesischen  Sikahirsche  treten  die  Formen 
des  Damhirsches. 

Soweit  die  Flüsse  zum  nördlichen  Eismeer  sich  er- 
giessen,  lebt  von  den  südlichen  Gruppen  nur  der  Edel- 
hirsch und  auch  dieser  geht  nicht  sehr  weit  nach  Norden, 
wie  es  scheint.  Zu  ihm  gesellen  sich  hier  zwei  neue 
Gruppen,  das  Renthier  (Rangifer  H.  Sm.)  und  der  Elch 
(Alces  Jakdin). 

Diese  drei  findet  man  auch  im  arktischen  Amerika, 
nach  Süden  bis  zu  den  grossen  Seen  resp.  dem  Südrande 
des  Lorenzstrom-Beckens.  Der  Edelhirsch,  hier  als  Wapiti 
bekannt,  lebte  früher  auf  der  Ostseite  bis  zu  den  Alleghanies 
herunter,  im  Westen  findet  er  sich  noch  bis  Idaho  und 
Dakota.  Im  Lorenzstrom -Gebiete  am  oberen  Missouri,  in 
Dakota,  Oregon  und  Nebraska  mischen  sich  die  Verbreitungs- 
gebiete dieser  drei  Formen  mit  denjenigen  der  Virginier- 
hirsche.  In  den  Quellgebieten  der  Zuflüsse  des  Columbia- 
River  kommen  fünf  verschiedene  grosse  Hirsche  im  gleichen 
Gebiet  vor,  allerdings  wohl  zu  verschiedenen  Jahreszeiten, 
nämlich  Elch,  Renthier,  Wapiti  und  je  eine  Abart  des 
Grossohrhirsches  und  virginischen  Hirsches. 

An  der  Westküste  von  Nord-Amerika  ist  die  Heimath  der 
Grossohrhirsche  (Eucervtis  Gray),  im  Columbia-Gebiete 
stossen  sie  mit  den  Virginierhirschen  zusammen,  welche 
das  übrige  gemässigte  Nord-Amerika  beherrschen,  und  neben 
denen  erst  in  Guatemala  eine  zweite  Form  der  Hirsche 
auftritt,  der  Spiesshirsch  (Mamma  Raf.) 

Im  Norden  von  Süd -Amerika,  also  in  den  Gebieten 
des  Magdalenen- Stromes  und  des  Orinoko,  haben  wir  das- 
selbe Bild   wie  in  Mittel  -  Amerika ,   nur  tritt  zu  dem  Vir- 


Sitzumj  vom  18.  Juli  1899.  133 

ginierhir sch  und  dem  rothen  Spiesshirsch  noch  ein  grauer 
Spiesshirsch,  der  Pfriem enhir sch  (Doryceros  Fitz.). 

Im  Amazonas -Becken  findet  man  neben  deu  beiden 
Spiesshir sehen  vielleicht  schon  den  Sumpfhirsch  (Blasto- 
ceros  Gray);  sicher  tritt  er  in  Süd-Brasilien  auf  und  theilt 
sich  dort  das  Gebiet  mit  dem  Pampashirsch  (Ozotoceros 
Amegh.).  Im  La -Plata- Gebiete  ist  dieselbe  Zusammen- 
setzung vorhanden.  Von  Süd-Ecuador  bis  Bolivia  herab  lebt 
ein  kleiner  Virginierhirsch  und  ein  Pfriemenhirsch; 
daneben  aber  treten  zwei  neue  Formen  auf,  der  And  en- 
hir sch  (Xenelaphus  Gray)  und  der  Puduhirsch  (Pudua 
Gray).  Diese  letzten  beiden  sind  allein  in  Chile  vertreten, 
der  Pudu  nach  Süden  ungefähr  bis  Chiloe,  der  Andenhirsch 
in  seiner  südlichen  Abart  bis  zur  Südspitze  von  Süd-Amerika. 
An  der  Westseite  ist  eine  Abart  des  Pampashirsches  bis 
zum  Rio  Negro  herunter  verbreitet. 

Auf  der  beifolgenden  Tabelle  habe  ich  versucht  die 
Verbreitung  der  Hirsche  übersichtlich  darzustellen.  Ich 
bin  dabei  von  dem  Grundsatze  ausgegangen,  dass  es  zu 
empfehlen  ist,  Species,  welche  einmal  beschrieben  sind,  so 
lange  anzuerkennen,  bis  der  Beweis  dafür  erbracht  worden 
ist,  dass  sie  nicht  aufrecht  erhalten  werden  können.  Darum 
habe  ich  manche  Form  aufrecht  erhalten,  die  Lydekker 
nicht  annimmt,  und  zwar  deshalb,  weil  ich  vorläufig  noch 
davon  überzeugt  bin,  dass  die  von  den  betreffenden  Autoren 
hervorgehobenen  Unterschiede  genügen,  um  die  Form  stets 
wiederzuerkennen. 

Bei  der  Benennung  der  zoogeographischen  Subregionen 
habe  ich  häufig  die  Namen  von  Flüssen,  Oceanen  und  Seen 
der  Kürze  halber  für  die  Gebiete  gesetzt,  welche  zu  den- 
selben abwassern. 

Unter  Süd-Brasilien  verstehe  ich  die  nicht  zum  Parana 
abwässernden  Gegenden  von  Süd-Brasilien. 

Wo  in  der  Tabelle  kein  Name  aufgeführt  wird,  weist 
dieses  darauf  hin,  dass  aus  dem  betreffenden  Gebiet  kein 
weiterer  Hirsch  mir  bekannt  ist. 


134 


Gesellschaft  mturforsckender  Fretmde,  Berlin. 


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136  Gesellschaft  naturforschender  Freunde,  Berlin. 


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Sitzung  vom  IS.  Juli  1899. 


137 


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138  Gesellschaft  naturforschender  Freunde,  Berlin. 

Herr  Matschie  gab  einige  Nachrichten  über  die 
Säugethiere  des  Kenia-Gebietes  und  von  Karagwe. 

Herr  Dr.  Kolb  hat  vor  kurzer  Zeit  mehrere  Säuge- 
thiere nach  Berlin  geschickt,  welche  von  ihm  am  Kenia 
gesammelt  worden  sind.  Unter  diesen  erregen  wohl  das 
grösste  Interesse  zwei  Felle  von  Guereza- Affen  und  zwar 
deshalb,  weil  sie  offenbar  zu  Golobus  cauäatus  gehören.  Das 
Verbreitungsgebiet  dieses  bisher  nur  vom  Kilima  Ndjaro 
und  vom  Maeru-Berg  mit  Sicherheit  nachgewiesenen  Affen 
wird  durch  die  vorliegenden  Exemplare  wesentlich  erweitert 
und  meine  Behauptung  (Deutschland  und  seine  Kolonien. 
Zoologie,  Berlin  1897,  Dietr.  Reimer,  p.  7),  dass  dieser 
Affe  bisher  nur  „zufälligerweise  erst  von  der  äussersten 
Ostgrenze  seines  Gebietes  bekannt"  war,  bestätigt.  Herr 
0.  Neumann  ist  (Sitzber.  Ges.  naturf.  Fr.,  1895,  p.  154, 
und  1.  c. ,  1899,  p.  17)  der  Ansicht,  dass  in  Kikuvu  und 
Leikipia  Golobus  matschiei  vorkommt. 

Auch  aus  einem  anderen  Theile  von  Ost-Afrika  liegen 
bemerkenswerthe  Nachrichten  vor:  Herr  Dr.  Eggel.  dem 
wir  schon  wiederholt  werthvolle  Mittheilungen  über  die 
Thierwelt  von  Deutsch -Ost -Afrika  verdanken,  ist  als  Arzt 
einer  Expedition  von  Bukoba  am  Victoria  Nyansa  nach 
Kanionza  am  Knie  des  Karagwe  gezogen  und  hat  von  dort 
sehr  bemerkenswerthe  Notizen  über  die  Säugethier- Fauna 
geschickt. 

Er  schreibt:  „Auf  meinem  Heraufmarsch  konnten  wir 
wegen  der  grossen  Karawane  nur  wenig  Wild  sehen  und 
erlegen;  von  kleinen  Säugern  war  nirgendwo  etwas  zu  be- 
kommen. Das  erste,  was  wirklich  interessant  war,  schien 
mir  die  Erlegung  von  drei  Böcken  der  Cervicapra  arundinum 
in  der  Bara- Steppe,  Ussukuma,  zu  sein.  Dieselbe  Art 
habe  ich  auch  hier  geschossen  bei  Kanionza.  Dort  sah  ich 
auch  Gasella  thomsoni  mehrfach,  in  Mindo  wurde  ein  Weib- 
chen dieser  Art  von  meinem  Begleiter  erlegt.  Den  Embryo 
des  damals  im  3.  bis  4.  Monat  tragenden  Thieres  bewahrte 
ich  auf.  Eine  Tragehphus- Art  ohne  Längsbinden  am  Rumpf 
lebt  auf  Maissome  im  Victoria  Nyansa  und  in  Karagwe. 
Ich  halte  sie  für  den  Buschbock.     Ein  Affe,   welcher  Cer- 


Sitzung  vom  18.  Juli  1899.  139 

copithecus  albigularis  ähnlich  ist,  wurde  an  der  Kagera- 
Mündung  in  Deutsch -Buddu  erlegt,  wo  auch  Cercopithccus 
schmidti  zum  Schuss  kam.  Der  Löwe  scheint  in  Karagwe 
nicht  vorzukommen,  dagegen  sicher  in  Mpororo.  wo  ich  vor 
drei  Tagen  selbst  eine  frische,  starke  Spur  im  feuchten 
Boden  unverkennbar  ausgeprägt  sah.  Dagegen  giebt  es 
Felis  leqpardus  und  F.  caligata  anscheinend  überall  hier. 
Equus  böhmi  ist  in  Mpororo  sehr  häufig;  Rhinoceros  und, 
Giraffa  fehlen  in  Ruhanda  und  Mpororo.  Buffelus  caffer 
ist  wieder  häufig  in  Karagwe.  Herr  Oberleutnant  Richter 
schoss  einen  an  und  sah  2  Heerden  von  ca.  50  und  30  Stück. 
Ich  sah  ganz  frische  Losung.  Buhalis  fehlt  in  Karagwe 
und  Mpororo,  dafür  ist  das  häufigste  Wild  Damaliscus  jimela, 
von  dem  ich  ca.  30  Stück  erlegt  habe.  Die  Schilderung 
in  den  Säugethieren  von  Deutsch-Ost-Afrika  (p.  111  —  112) 
ist  richtig;  nur  haben  wir  hier  beobachtet,  dass  sie  auf 
einen  guten  Schuss  stark  zeichnen  und  sehr  hart  sind. 
Man  muss  oft  5— ß  und  noch  mehr  Schuss  anbringen,  ehe 
sie  fallen.  Bei  Kaniouza  habe  ich  Scopophorus  hastatus  ge- 
schossen; es  war  nicht  etwa  Sc.  montanus.  Von  Wasser- 
böcken kommt  hier  nur  Cobus  defassa  vor.  von  Pferde- 
antilopen Hippotragus  balier  i.  Der  Hippotragus,  von  dem 
ich  im  October  zwei  Männchen  und  neulich  ein  Weibcheu 
geschossen  habe  (Maasse:  tf  200.  cauda  85  cm.  Hornlänge 
GO  cm;  2  195:80.  Hornlänge  53  cm)  ist  in  beiden  Ge- 
schlechtern gleichgefärbt. " 

Herr  H.  POTOMIE  sprach  über  die  morphologische 
Herkunft  der  pflanzlichen  Blattarten. 

Der  ausführliche  Vortrag  erscheint  als  Gedenkblatt  zu 
Goethe's  150.  Geburtstage  in  der  „Naturwissenschaftlichen 
Wochenschrift1'  und  als  Sonderheft  bei  Feud.  Dümmleb's 
Verlagsbuchhandlung  in  Berlin.  Der  in  den  Sitzungsber. 
d.  Ges.  naturf.  Freunde  1897,  p.  183  ff.,  behandelte  Gegen- 
stand bezog  sich  auf  die  morphologische  Herkunft  des 
Blattes  überhaupt,  der  heutige  Gegenstand  auf  diejenige  der 
Blattarten,  Studien,  in  deren  Richtung  als  einer  der  Vor- 
läufer Goethe  zu  nennen  ist. 

i** 


140  Gesellschaft  natxrforschendcr  Freunde,  Berlin. 

Ein  Goethe  konnte  als  Naturforscher  bei  der  Be- 
trachtung der  Einzelheiten  nicht  stehen  bleiben;  ein  lexiko- 
graphisches  Wissen  ist  wohl  als  einziges  Mittel  zum  Zweck 
einer  Erkenntniss  der  Zusammenhänge  im  Weltganzen  zu 
verlangen,  vermag  aber  nur  denjenigen  für  sich  allein  zu 
befriedigen,  dem  die  Natur  den  nicht  zu  verlöschenden 
Drang  versagt  hat,  das  „Wesentliche'"  zu  suchen:  „den 
ruhenden  Pol  in  der  Erscheinungen  Flucht". 

Diese  Eigenart  eines  echten  Forschers  bekundet  sich 
ganz  besonders  in  Goethe's  morphologischen  Studien. 
Der  Terminus  „Morphologie"  stammt  von  ihm.  In  seiner 
Sammelschrift  von  1817  „Zur  Morphologie",  die  auch 
seinen  „Versuch,  die  Metamorphose  der  Pflanzen  zu  er- 
klären" von  1790  in  Wiederabdruck  enthält,  sagt  er:  „Es 
hat  sich  ...  in  dem  wissenschaftlichen  Menschen  zu  allen 
Zeiten  ein  Trieb  hervorgethan ,  die  lebendigen  Bildungen 
als  solche  zu  erkennen,  ihre  äusseren,  sichtbaren,  greulichen 
Theile  im  Zusammenhang  zu  erfassen,  sie  als  Andeutungen 
des  Innern  aufzunehmen  und  so  das  Ganze  in  der  An- 
schauung gewissermaassen  zu  beherrschen.  —  Man  findet 
daher  in  dem  Gange  der  Kunst,  des  Wissens  und  der 
Wissenschaft  mehrere  Versuche,  eine  Lehre  zu  gründen 
und  auszubilden,  welche  wir  die  Morphologie  nennen 
möchten."  Um    noch    besser    zu    zeigen,    was    Goethe 

unter  Morphologie  verstand,  citire  ich  auch  die  ferneren 
Sätze:  „Betrachten  wir  aber  alle  Gestalten,  besonders  die 
organischen,  so  finden  wir,  dass  nirgends  ein  Bestehendes, 
nirgends  ein  Ruhendes,  ein  Abgeschlossenes  vorkommt, 
sondern  dass  vielmehr  Alles  in  einer  steten  Bewegung 
schwanke.  Daher  unsere  Sprache  das  Wort  Bildung  so- 
wohl von  dem  Hervorgebrachten  als  von  dem  Hervor- 
gebrachtwerdenden  gehörig  genug  zu  brauchen  pflegt.  — 
Wollen  wür  also  eine  Morphologie  einleiten,  so  dürfen  wir 
nicht  von  Gestalt  sprechen,  sondern,  wenn  wir  das  Wort 
brauchen,  uns  allenfalls  dabei  nur  die  Idee,  den  Begriff 
oder  ein  in  der  Erfahrung  nur  für  den  Augenblick  Festge- 
haltenes denken." 

Der  geuauen   Uebersetzung  unseres   Terminus  gemäss 


Stimmig  von:  18.  Juli  1899.  141 

wird  nun  heut  zu  Tage  unter  Morphologie  ganz  allgemein 
auch  einfach  die  Betrachtung  der  Gestaltung^ Verhältnisse, 
der  Formen  der  jeweilig  berücksichtigten  Objecte  verstanden, 
gleichgültig  ob  diese  der  Natur  oder  menschlicher  Thätig- 
keit  entstammen;  so  hat  man  sich  denn  gewöhnt,  auch  von 
der  Morphologie  der  Kryslalle  u.  s.  w.  zu  reden.  Es 
handelt  sich  also  hier  um  die  blosse  Einzel-Beschreibung 
der  Formen  der  Einzelobjecte,  und  eine  Hervorkehrung 
„morphologischer"  Beziehungen  bedeutet  hier  weiter  nichts 
als  eine  Bezugnahme  auf  formale  Aehnlichkeiten.  Um  ein 
besonderes  Beispiel  aus  der  Botanik  zu  erwähnen  noch  die 
folgende  Bemerkung. 

Wenn  de  Baky  von  der  „Morphologie"  eines  Pilzes 
spricht,  so  meint  er  damit  ausschliesslich  die  auf  den 
Bau  bezüglichen  Verhältnisse  desselben;  spricht  je- 
doch ein  Botaniker  aus  der  Schule  Alexander  Braun' s 
von  der  „morphologischen  Natur"  eines  bestimmten  Or- 
ganes.  so  will  er,  wie  Goethe,  die  von  ihm  an  die  Be- 
trachtung der  Gestaltungen  angeknüpften  theoretischen 
Erörterungen  besonderer  Art  als  das  Wesentliche  seiner 
Untersuchung  betrachtet  wissen.  Man  versteht  also 
unter  Morphologie  zweierlei.  Beschränken  wir  den 
Sinn  der  Morphologie  (wenigstens  in  den  biologischen 
Disciplinen)  wieder  auf  die  ursprüngliche  Fassung  des  Be- 
griffes, also  auf  die  theoretische  Seite,  so  wäre  der  leider 
immer  mehr  in  den  Hintergrund  gedrängte  Terminus  Or- 
ganographie  zur  Bezeichnung  der  Disciplin  die  sich  nur 
und  ausschliesslich  mit  der  Beschreibung  des  mit  den 
Sinnen  Constatirbaren  an  den  einzelnen  Organen,  der 
formalen  Bestandteile  der  Lebewesen  beschäftigt,  am 
Platze.  Ein  Buchtitel  wie  „Organographie  vegetale"  (ich 
denke  dabei  an  das  Werk  Aug.  Pyr.  de  Candolle's  von 
1827)  ist  klar  und  bringt  keinerlei  Zweifel  bezüglich  des 
Inhaltes.  Es  ist  bedauerlich,  dass  heute  die  Unterscheidung 
in  Organographie  und  Morphologie  nicht  mehr  genügend 
festgehalten  wird;  noch  Aug.  de  Saint-Hilaire  (1840) 
sagt  zur  Auseinanderhaltung  beider  treffend  von  der  Morpho- 


{  [•>  Gesellschaft  naturforsclmuler  Freunde,  Berlin. 

Logie:  sie  sei  l'organographie  expliqüee  par  les  transformations 
auxquelles  sont  soumises  les  parties  des  vegetaux. 

Was  nun  den  theoretischen  Inhalt  der  Morphologie, 
das  Problem  derselben  betrifft,  so  ist  diesbezüglich  bei 
Goethe,  der  mehr  einem  Almungsgefühl  folgte,  ohne  sich  zu 
voller  Klarheit  durchzuringen,  bei  unserer  auf  naturwissen- 
schaftlichem Gebiet  mit  Recht  allem  Metaphysischen  abgeneig- 
ten Forschung  nichts  unsere  Zeit  Befriedigendes  zu  erfahren. 
Er  hat  seine  Ansichten  in  der  schon  citirten  Abhandlung 
über  die  Metamorphose  der  Pflanzen  niedergelegt,  welche 
sich  mit  den  Blättern  der  Pflanzen  beschäftigt,  und  zwar 
in  der  Richtung,  die  ja  keineswegs  von  ihm  ganz  neu  ein- 
geleitet wurde,  sondern  sich  schon  u.  a.  bei  Linne  vorbe- 
reitet findet;  man  denke  z.  B.  nur  an  seine  Worte: 
„Principium  florum  et  foliorum  idem  est."  Es  sei  hier  als 
Vorgänger  Goethe' s  noch  besonders  an  Caspar  Friedr. 
Wolff  (1759)  und  Peter  Forskal  erinnert. 

Der  citirte  Linke' sehe  Satz  kann  gewissermassen  als 
Motto  der  ganzen  „Metamorphosenlehre"  gelten,  da  die 
letztere  von  dem  in  demselben  ausgesprochenen  Gedanken 
ausgeht.  Auch  schon  vor  Linne  kommt  die  so  nahe 
liegende  Zusammenfassung  der  Anhangsorgane  des  Stengels 
als  „Blätter"  mehr  oder  minder  weitgehend  und  deutlich  zum 
Ausdruck  wie  im  16.  Jahrhundert  bei  Andrea  Cesalpini, 
der  die  Blumenkrone  schlechtweg  als  „foliimr  bezeichnete. 

Immer  sind  es  die  Blätter  der  Pflanzen,  die  zunächst 
als  Objecte  der  morphologischen  Forschung  vorgenommen 
werden,  und  es  ist  ja  bei  der  ausserordentlichen  Augen- 
fälligkeit und  Wichtigkeit  derselben  ohne  weiteres  ver- 
ständlich, dass  eine  wissenschaftliche  Beschäftigung  mit  der 
Pflanzenwelt  gerade  diese  Organe  stets  in  eine  ganz  her- 
vorragende Betrachtung  gerückt  hat.  So  lange  die  organo- 
graphische ,  dann  die  morphologische  Richtung  dominirte, 
war  es  die  Mannigfaltigkeit  in  der  Entwickelung,  Aus- 
bildungsweise  und  des  Auftretens,  welche  zu  erschöpfen 
gesucht  wurde;  die  Physiologie  hat  dann  die  vielen 
Functionen,  welche  das  Blatt  haben  kann,  klargelegt.  Für 
uns     fragt    es    sich    heute    im    Speciellen    nach    dem    an 


Sitzung  vom  18.  Juli  1890.  143 

Goethe's  Namen  geknüpften  Resultat  seiner  und  seiner 
Vorgänger  Forschungen  über  die  Blätter,  soweit  dasselbe 
wissenschaftlich  von  Werth  ist.  Lässt  man  alle  Ausflüsse 
metaphysischer  Speculationen  weg.  so  bleibt  freilich  nichts 
weiter  übrig,  als  die  Begründung  der  Zweckmässigkeit,  die 
als  Laubblätter,  Kelch-,  Kronenblätter,  Staubgefässe  u.  s.  w. 
bezeichneten  Anhangsorgane  der  Stengeltheile  alle  als 
„Blätter"  begrifflich  zusammenzufassen,  da  sie  hierzu 
genügend  Gemeinsamkeiten  aufweisen,  wie  ihre  Stellung, 
ihre  unter  Umständen  gegenseitige  Ersetzbarkeit,  das  Vor- 
kommen von  Blättern,  die  zum  Theil  laubblattartig. 
zum  Theil  kronenblattartig  ausgebildet  sein  können,  die 
von  Caspar  Fmedrich  Wolff  zuerst  nachgewiesene  Ueber- 
einstimmung  ihrer  Entstehung  u.  s.  w.  Die  weitere  wichtige 
Frage,  woher  denn  nun  diese  Gemeinsamkeiten  kommen, 
wie  diese  sich  erklären,  ist  damals  zwar  nicht  beantwortet 
worden .  aber  Goethe  hatte  in  seinem  gesunden  Denken 
und  Fühlen,  wie  u.  a,  aus  den  Eingangs  erwähnten  Sätzen 
hervorgeht,  keineswegs  die  Meinung  nur  eine  terminologische 
That  zu  vollbringen,  sondern  er  sah  ein  Problem,  dessen 
exact-naturwissenschaftliche  Lösung  ihm  freilich  die  Zeit, 
in  der  er  forschte,  schwer  machen  musste.  das  er  aber  für 
sich  in  seiner  Weise  löste  durch  die  sich  ihm  aufdrängende 
Anschauung,  dass  die  Blätter  der  „Idee"  nach  gleich 
seien.  Er  sagt,  und  dieser  Satz  ist  der  Leitsatz  seiner 
biologischen  Studien:  „Dass  nun  das.  was  der  Idee 
nach  gleich  ist,  in  der  Erfahrung  entweder  als  gleich  oder 
als  ähnlich,  ja  sogar  als  völlig  ungleich  und  unähnlich  er- 
scheinen kann,  darin  besteht  eigentlich  das  bewegliche 
Leben  der  Natur."  Klarer  konnte  Goethe  seine  Anhänger- 
schaft an  Plato's  Ideenlehre  nicht  aussprechen.  Erst  die 
Descendenztheorie.  die  den  Biologen  nunmehr  in  Fleisch 
und  Blut  übergegangen  ist,  vermochte  eine  den  Naturforscher 
befriedigende  Lösung  zu  bringen.  Der  Begriff  Blatt  gewann 
in  Folge  dieser  Theorie  tieferen  Gehalt  durch  die  nunmehr 
nothwendige  Annahme,  dass  die  Eigenthümlichkeiten,  welche 
so  heterogene  Bildungen,  wie  Keim-.  Laub-,  Kronen-, 
Fruchtblätter  u.  s.  w.   miteinander  verbinden,   sich  einfach 


144         Gesellschuft  naturforsckender  Freunde,  Berlin. 

aus  der  gemeinsamen  Abstammung  her  erklären.  Die 
Descendenztheorie  umschliesst  ja  die  Annahme,  dass  ganz 
allgemein  complicirtere  Verhältnisse  sich  aus  einfacheren 
heraus  im  Laufe  der  Generationen  entwickelt  haben  und 
so  ist  in  unserem  Specialfall  die  Folgerung  nothwendig: 
die  ausserordentliche  Mannigfaltigkeit,  welche 
heute  die  Blätter  in  ihrer  Gestaltung  und  Function 
aufweisen,  ist  allmählich  aufgetreten  durch  Ar- 
beitstheilung  und  Uebernahme  neuer  Functionen 
ursprünglich  übereinstimmender  Organe.  Form  und 
Function  gehören  ja  untrennbar  zusammen,  so  dass  eine 
Aenderung  der  letzteren  mit  einer  Aenderung  der  ersteren 
und  umgekehrt  unmittelbar  verknüpft  ist. 

GoETHE'n  hat  die  Einsicht,  dass  die  Organismen  in 
descendenztheoretischem  Sinne  zusammenhängen,  nicht  ganz 
gefehlt;  wenigstens  hat  er  vorübergehend  diese  Ansicht 
ausgesprochen.     So  sagt  er: 

„Bei  gewohnten  Pflanzen,  so  wie  bei  anderen  längst 
bekannten  Gegenständen  denken  wir  zuletzt  gar  nichts; 
und  was  ist  Beschauen  ohne  Denken?  Hier  in  dieser  neu 
mir  entgegentretenden  Mannigfaltigkeit  wird  jener  Gedanke 
immer  lebendiger,  dass  man  sich  alle  Pflanzengestalten 
vielleicht  aus  einer  entwickeln  könne.  Hierdurch  würde  es 
allein  möglich  werden,  Geschlechter  und  Arten  wahrhaft 
zu  bestimmen,  welches,  wie  mich  dünkt,  bisher  sehr  will- 
kürlich geschieht.  Auf  diesem  Punkte  bin  ich  in  meiner 
botanischen  Philosophie  stecken  geblieben,  und  ich  sehe 
noch  nicht,  wie  ich  mich  entwirren  will.  Die  Tiefe  und 
Breite  dieses  Geschäfts  scheint  mir  völlig  gleich."  —  Und 
an  einer  anderen  Stelle:  „Das  Wechselvolle  der  Pflanzen- 
gestalten hat  in  mir  mehr  und  mehr  die  Vorstellung  er- 
weckt, die  uns  umgebenden  Pflanzenformen  seien  nicht  ur- 
sprünglich determinirt  und  festgestellt,  ihnen  sei  vielmehr 
bei  einer  eigensinnigen  generischen  und  specifischen  Hart- 
näckigkeit eine  glückliche  Mobilität  und  Biegsamkeit  ver- 
liehen, um  in  so  viele  Bedingungen,  die  über  den  Erdkreis 
auf  sie  einwirken,  sich  zu  fügen,  hiernach  bilden  und 
umbilden  zu  können.     Hier  kommen  die  Verschiedenheiten 


Sitzung  vom  IS.  Juli  1890.  145 

des  Bodens  in  Betracht;  reichlich  genährt  durch  Feuchte 
der  Thäler,  verkümmert  durch  Trockne  der  Höhen,  geschützt 
vor  Frost  und  Hitze  in  jedem  Maasse.  oder  beiden  unaus- 
weiehbar  blossgestellt ,  kann  das  Geschlecht  sich  zur  Art, 
die  Art  zur  Varietät,  diese  wieder  durch  andere  Bedingungen 
ins  Unendliche  sich  verändern  ...  die  allerentferntesten 
jedoch  haben  eine  ausgesprochene  Verwandtschaft,  sie  lassen 
sich  ohne  Zwang  unter  einander  vergleichen." 

Der  vollen  Tragweite  der  Annahme  der  Descendenz 
für  die  Probleme  der  Morphologie  waren  er  und  seine 
Zeit  sich  aber  noch  nicht  bewusst.  Trotzdem  mussten  die 
Thatsachen  doch  schon  ihm  und  überhaupt  denjenigen,  die 
sich  mit  dem  Gegenstande  beschäftigten,  Redewendungen 
und  Worte  aufdrängen,  die  durchaus  im  Sinne  der  Descen- 
denztheorie  liegen;  aber  da  diese  noch  keinen  Einfluss  auf 
die  Forschungen  übte,  sie  aber  vorläufig  allein  die  Er- 
scheinungen zu  erklären  vermag,  mussten  die  Resultate  der 
Morphologen  einen  immerhin  metaphysischen  Sinn  gewinnen. 
Goethe's  Ausdruck  „Metamorphose",  Wendungen  wie  die 
Kronenblätter  sind  „umgewandelte"  Staubblätter,  die  An- 
hangsorgane der  Stengel  „sind  nichts  anderes,  als  mannig- 
faltig zur  Verschiedenheit  ihrer  Zwecke  abgeänderte 
Blätter",  konnten  damals  nur  bildlich  verstanden  werden, 
da  eine  körperliche  Umänderung,  Umwandlung  des  einen 
Organs  in  das  andere,  nicht  beobachtet  wird  und  der 
phylogenetische  Begriff  der  Umwandlung  noch  nicht  vor- 
handen war  oder  doch  nicht  berücksichtigt  wurde.  Dass 
die  in  Rede  stehenden  Autoren  vermeinen,  mehr  als  nur 
eine  bildliche  Ausdrucksweise  zu  gebrauchen,  ist  freilich 
richtig:  man  vergleiche  nur  die  Eingangs  citirten  Sätze 
Goethe's.  Es  wirkt  eben,  wiederhole  ich,  hier  noch  die 
Aufsuchung  von  „Ideen"  im  Sinne  Plato's  nach,  womit 
der  Naturforscher  nichts  anfangen  kann.  Diese  Auffassung 
kommt  auch  in  der  fieissigen  Arbeit  Ale.  Kiechhoff's 
(1877)  zum  Durchbruch,  ohne  dass  freilich  dieser  Autor 
dabei  eine  Einwendung  macht;  denn  so  klar  nun  auch 
durch  die  Descendenztheorie  der  Weg  für  die  morphologische 
(oder    morphogenetische)    Betrachtung    des    Blattes    vorge- 


1  46  GesellscJiaft  natu/rf wachender  Freunde,  Berlin. 

zeichnet  ist,  sind  doch  die  Einflüsse  der  älteren  Goethe- 
r>K\ in  sehen  Morphologie  noch  mannigfach  auch  dort  über- 
mässig zu  verspüren,  wo  durch  die  Annahme  der  Descendenz 
eine  vollkommene  Verschiebung  der  „Erklärungen"  und 
,. Deutungen"  eintreten  müsste.  Diese  Thatsache  ist  es, 
die   Auseinandersetzungen  wie  die  vorliegende  rechtfertigt. 

Wir  gehen  also  aus  von  der  nunmehr  notwendigen 
Annahme,  dass  die  Uebereinstimmungen  des  Blattes,  die 
sie  trotz  ihrer  grossen  Mannigfaltigkeit  bewahren,  in  ihrer 
gemeinsamen  morphogenetischen  Herkunft  aus  ursprünglich 
untereinander  übereinstimmenden  Stücken  ihren  Grund 
finden,  oder  mit  anderen  Worten  darin,  dass  die  einzelnen 
Blattarten  im  Laufe  der  Generationen  aus  einander  durch 
Umbildung.  Anpassung  an  neue  Functionen  hervorgegangen 
sind,  sodass  zurückgehend  schliesslich  die  ersten  echten 
Blätter,  das  wären  die  als  Urblätter  zu  bezeichnenden 
Organe,  untereinander  noch  keine  functionellen  und  formellen 
Verschiedenheiten  aufgewiesen  haben. 

Die  wichtigsten  Functionen  des  Urblattes  sind  Assi- 
milation und  Fortpflanzung.  Auch  an  heutigen  Pflanzen- 
Arten  kommen  diese  beiden  Functionen  noch  oft  an  einem 
und  demselben  Blatt  vereinigt  vor,  das  dann  bequem  als 
Assimilations-Sporophyll  oder  kurz  Laub-Sporo- 
phyll  (Trophosporophyll)  bezeichnet  werden  kann;  so 
ist  es  bei  vielen  Farn  [Polypodium  u.  s.  w.).  Als  zweites 
Stadium  sehen  wir  eine  Arbeitstheilung  dahingehend  auf- 
treten, dass  ein  und  dasselbe  Blatt  zum  Theil  der  Assi- 
milation, zum  andern  Theil  ausschliesslich  der  Fortpflanzung 
dient  (Osmunda  u.  s.  w.).  Drittens  endlich  ist  die  Trennung 
in  nur  assimilirende  Blätter,  Laubblätter  (Tropho- 
phylle)  und  nur  der  Fortpflanzung  dienende  Blätter,  Sporo- 
phylle  (wie  z.  B.  bei  Onoclea  struthiopiheris)  vollzogen.  In 
ebenso  allmählichen  Uebergängen  sehen  wir  immer  mehr 
Blattarten  entstehen,  sodass  wir  schliesslich  ausserdem 
noch  u.  a.  unterscheiden  können:  Keim-.  Nieder-,  Laub-. 
Hoch-,  Kelch-,  Kronen-,  Nectar-,  Staub-  und 
Fruchtblätter. 


Sitzung  vom  18.  Juli  1899.  147 

Die  grössere  oder  geringere  Wichtigkeit  fürs  Leben 
muss  im  Grossen  und  Ganzen  innerhalb  der  Generations- 
reihen die  Reihenfolge  im  Auftreten  der  verschiedenen  Blatt- 
arten bedingt  haben,  abgesehen  von  Blättern  wie  z.  B.  ge- 
wisse Nieder-  und  Hochblätter,  die  vielleicht  eine  besondere 
Function  nicht  besitzen,  und  irgend  wann,  eventuell  durch 
Rudimentirung  functionell  wichtiger  Blätter  entstanden  sein 
können. 

Wie  man  sich  das  für  die  Niederländer  der  Cycada- 
ceen  speciell  vorzustellen  hat,  habe  ich  ausführlich  darge- 
legt. (Die  Wechselzonenbildung  der  Sigillariaceen.  Jahrb. 
d.  Kgl.  preuss.  geolog.  Landesanstalt  für  1893.)  Ich  gehe 
nicht  näher  darauf  ein,  weil  ich  über  diesen  Gegenstand 
bereits  vor  der  Ges.  naturforsch.  Freunde  (Sitzungs-Ber. 
1893  p.  216—220)  gesprochen  habe. 

Auch  bei  den  eigentlichen  Coniferen  treten  Niederblätter 
im  Verlaufe  der  geologischen  Formationen  erst  verhältniss- 
mässig  spät  auf.  (Vergl.  mein  Lehrbuch  der  Pflanzenpalaeonto- 
logie.  Berlin  1899.  S.  322-323  und  S.  301-302.)  Die  ältesten 
Coniferen  wie  die  Araucarieen  —  und  mit  diesen  sind 
erstere  wohl  mindestens  nahe  verwandt  —  weisen  noch 
keine  Scheidung  in  Knospen- Schuppen  (Niederblätter)  und 
Laubblätter  auf  und  auch  die  schuppenförmigen  Laubblätter 
der  Coniferen  treten  erst  lange  nach  den  mehr  minder 
nadeiförmigen  auf.  Schon  bei  den  ältestbekannten,  sicheren 
Coniferen  kann  man  entsprechend  den  Verhältnissen,  die 
sich  durch  die  Wechselzonen  der  Sigillarien  kundthun, 
Zonen  kürzerer  und  längerer  Blätter  beobachten.  Solche 
Zonen  von  Lang-  und  Kurzblättern  sind  sogar  ein  Cha- 
rakteristicum  der  meisten  Arten  der  Gattung  Voltsia.  Wenn 
das  auch  bei  dieser  Gattung  besonders  auffällig  ist,  so  sind 
doch  die  gegen  Ende  einer  Vegetationsperiode  gebildeten 
Blätter  vieler  Pflanzen  (so  bei  Lycopodiam,  Isoetcs.  Araacaria. 
Cryptomeria  u.  s.  w.)  kleiner  als  die  zu  Anfang  einer 
solchen  Periode  entstandenen.  Besonders  augenfällig  wie 
bei  Voltzia  ist  das  zuweilen  bei  Araucaria  excelsa.  Die 
hier  zuweilen  in  die  Erscheinung  tretenden  Kurzblätter  ent- 
stehen   gegen    Ende    des    Sommers,    die    Fortsetzung    des 


148  Gesellschaft  iiaturforschcndcr  Freunde,  Berlin. 

Sprosses  mit  Langblättern  hingegen  sind  im  darauffolgenden 
Jahre,  zu  Beginn  desselben  gebildet.  Diese  Eigentümlich- 
keit ist  von  dem  Gärtner  tixirt  worden,  so  dass  es  ein 
Merkmal  einer  besonderen  Rasse  der  Norfolktanne  geworden 
ist,  wie  es  ein  solches  von  Voltzia  zu  sein  scheint.  Es  sei 
auch  darauf  hingewiesen,  dass  bei  Araucaria  excelsa  und 
ihrer  nächsten  Verwandten  (auch  bei  Sequoia  gigantea)  die 
zapfen  tragenden  Sprosse  kurzblättriger  sind  als  die  sterilen 
Sprosse.  In  Zusammenhang  mit  diesen  Thatsachen  ist  es 
bemerkenswert!!,  dass  gerade  die  ältesten  sicheren  Coniferen, 
namentlich  Wälchia  und  Voltzia,  und  die  mit  ihnen  mehr 
minder  verwandten  heutigen  Araucarieen  in  ihrer  Be- 
blätterung  noch  keine  Scheidung  (Arbeitstheilung)  in  Laub- 
und Niederblätter  (Knospenschuppen)  aufweisen.  Die  Kurz- 
blätter von  Voltzia  und  Araucaria  sind  daher  wohl  als  eine 
Uebergangsbildung  zu  den  Knospenschuppen  aufzufassen, 
welche  letzteren  durch  Fixirung  und  weitere  Anpassung  von 
Kurzblättern  im  Laufe  der  Generationen  entstanden  sein 
dürften. 

In  Vergleich  zu  diesem  sich  aus  der  Palaeontologie 
ergebenden  Resultat  ist  es  gewiss  von  Interesse,  dass  z.  B. 
Firnis  im  ersten  Jahre  nur  Nadel  blätter,  noch  keine  Nieder- 
blätter besitzt. 

Noch  ein  weiteres  Beispiel: 

Zu  den  zuletzt  in  die  Erscheinung  getretenen  Blättern 
gehören  zweifellos  die  Nectarblätter  wie  sie  z.  B.  so  schön 
bei  Hclleborus  vorhanden  sind;  sie  zeigen  denn  auch  noch 
so  viele  Anklänge  z.  B.  an  die  Blätter  des  Perianths  (des 
Kelches  resp.  der  Krone)  wie  bei  der  genannten  Gattung  und 
vielen  anderen  Ranunculaceen.  und  es  drängt  sich  ihre  morpho- 
genetische  Herkunft  so  stark  und  unwiderleglich  auf,  dass 
sie  ja  von  den  Botanikern  als  besondere  Blätter  nicht  an- 
gesehen, sondern  als  „in  Nectarien  umgewandelte  Kronen- 
blätter" u.  s.  w.  bezeichnet  werden.  Da  die  Urblätter  offen- 
bar Assimilations-Sporophylle  (Trophosporophylle)  waren, 
so  können  natürlich  mit  genau  demselben  Rechte  alle  die 
in  unserer  Reihe  genannten  Blätter  von  den  Keim-  bis 
zu  den  Fruchtblättern    „umgewandelte   Trophosporophylle" 


Sitzung  vom  18.  Juli  1S99.  149 

heissen.  Es  erhellt  hieraus  ohne  Weiteres,  dass  eine  sach- 
liche Begründung  für  die  Uebergehung  der  Nectarblätter 
nicht  vorhanden  ist.  abgesehen  etwa  von  der  sehr  unbrauch- 
baren, dass  sie  der  Neuzeit  angehören  oder  deshalb 
„morphologisch  minderwerthig"  seien,  weil  Nectarien  auch 
an  anderen  Organen,  wie  Fruchtknoten  u.  s.  w.  vorkämen. 
Wohin  man  mit  solchen  Einwänden  kommt,  sieht  man 
leicht:  dann  können  auch  sämmtliche  anderen  Blattarten 
und  Organe  überhaupt  als  „morphologisch  geringwerthig" 
charakterisirt  werden,  da  z.  B.  auch  von  Stengelorganen 
die  Assimilation  übernommen  werden  kann  und  somit  auch 
die  Laubblätter  nicht  mitzurechnen  wären. 

Um  das  näher  zu  illustriren  noch  das  Folgende: 
Dass  die  Perianthblätter  im  Verlauf  der  phylogeneti- 
schen Entwickelung  eine  spätere  Erscheinung  gegenüber 
den  Staub-  und  Fruchtblättern  sein  müssen,  drückt  sich 
indirect  schon  in  der  Zusammenfassung  der  ersteren  als 
„unwesentliche"  Blüthenblätter  im  Vergleich  zu  den  „wesent- 
lichen", den  Staub-  und  Fruchtblättern,  aus.  Während  sich 
für  die  Nectarblätter  die  Frage  nach  ihrer  morphologischen 
Herkunft  —  wie  angedeutet  wurde  —  sehr  leicht  löst,  ist 
das  entsprechende  Problem  u.  a.  für  die  Perianthblätter 
noch  vorhanden,  d.  h.  die  Aufgabe,  ob  die  Perianthblätter 
im  Verlauf  der  Generationen  aus  „wesentlichen"  Blüthen- 
blätter hervorgegangen  sind  oder  etwa  aus  der  Reihe,  die 
mit  den  reinen  Assimilationsblättern  (Laubblättern)  beginnt, 
harrt  noch  ihrer  eingehenderen  Lösung.  Sieht  man  das 
gelegentliche  Auftreten  von  Staubblättern  an  Stelle  der 
Blumenblätter,  wie  das  ein  Charakteristicum  der  var.  apetala 
von  Capsella  bursa  pastoris  ist,  als  Atavismus  an,  nun,  so 
ist  damit  die  Annahme  ausgesprochen,  dass  die  Kronen- 
blätter in  morphogenetischer  Plinsicht  umgewandelte  Staub- 
blätter sein  können.  Uebrigens  sagt  schon  Adalbert 
von  CHAMisso:  „Die  Betrachtung  der  Naturspiele,  der  Miss- 
bildungen und  Monstruositäten  verbreitet  viel  Licht  über 
die  Bedeutung  der  Organe,  die  sie  betreffen.  Wir  werden 
demnach  bei  den  Kreuzblumen  die  Kronenblätter  als  um- 
gewandelte   Staubgefässe    betrachten,    und    die    Natur    be- 


1 50  Gesellschaft  naturforschender  Freunde,  Berlin. 

stätigt  in  der  That  diese  Deutung  an  dem  Täschelkraut 
i  Thlaspi  Bursa  pastoris  L.).  welches  man  oft  ohne  Blumen- 
krone  und  mit  zehn  ausgebildeten  Staubgefässen  antrifft. 
Diese  Spielart  lehrt  uns.  wie  die  Bildung  der  Kreuzblumen 
von  dem  Gesetze  abzuleiten  sei.  zu  welchem  sie  zurück- 
gekehrt ist",  oder  wie  wir  also  heute  uns  ausdrücken,  zu 
welchem  sie  zurückgeschlagen  ist.  Die  Bemerkung,  dass  es 
sich  in  dem  Auftreten  von  Staubblättern  an  Stelle  von 
Blumenblättern  hier  wahrscheinlich  um  eine  Correlations- 
Erscheinung  handle,  könnte  als  eventueller  Einwand  gegen 
die  Verwerthung  des  Falles  in  der  vorgeführten  Weise 
nicht  gelten,  da  Correlationen.  die  sich  durch  das  aus- 
nahmsweise Auftreten  bestimmter  Organe  (bei  uns  Staub- 
blätter) sich  finden,  doch  eben  auf  die  nahe  morphogenetische 
Verwandtschaft  der  sich  gegenseitig  vertretenden  Organe 
hinweisen.  Uebrigens  sprechen  für  die  Entstehung  der 
Kronenblätter  aus  den  Staubblättern  noch  manche  andere 
Facta,  wie  u.  a.  der  allmähliche  formale  Uebergang  der 
Staubblätter  in  die  Kronenblätter  von  Nymphaea  alba.  Die 
umgekehrte  morphogenetische  Entwickehmg  anzunehmen, 
also  die  Entstehung  der  Staubblätter  aus  den  Kronenblättern, 
ist  bei  der  hohen  Wichtigkeit  der  ersteren  gegenüber  den 
letzteren  ausgeschlossen.  Auch  andere  Autoren  sind  geneigt. 
die  morphogenetische  Herkunft  von  Perianthblättern  aus 
Staubblättern  anzunehmen,  wie  Celakowsky  für  die 
Narcissen  (auf  Grund  von  Monstrositäten)  die  Perigonblätter 
derselben  für  metamorphosirte  Staubblätter  hält. 

Verharrt  man  hier  bei  derselben  Art  von  Logik,  wie 
sie  gegenüber  den  Nectarblättern  allgemein  zur  Anwendung 
kommt,  so  würden  auch  die  Kronenblätter  in  Fällen  wie 
Üapsella  ständig  als  „umgewandelte  Staubblätter"  bezeichnet 
werden  müssen.  Man  erwiedere  nicht,  dass  die  beiden 
Fälle  doch  insofern  verschieden  seien,  als  die  Richtigkeit 
der  morphogenetischen  Deutung  der  Nectarblätter  doch  bei 
Weitem  besser  gestützt  sei  als  diejenige  der  Kronenblätter; 
ein  solcher  Einwand  ist  nicht  stichhaltig,  denn  die  Unter- 
scheidung von  Organen  gründet  sich  nicht  auf  den  Stand 
der   jeweiligen  Erkenntniss    ihrer    morphogenetischen  Ver- 


Sitzung  vom  18.  Juli  1899.  151 

hältnisse.  sondern  doch  eben  nur  auf  die  gestaltliche  und 
physiologische  Unterscheidbarkeit  derselben.  Das  ist 
freilich  äusserst  trivial,  und  doch  rnuss  es  bei  der  be- 
trübenden Thatsache.  dass  so  manche  Morphologen  mit  der 
Logik  auf  gespanntem  Fusse  stehen,  gesagt  werden.  Ent- 
weder: man  unterscheidet  das  Unterschiedene,  oder:  alle 
Organe  sind  nur  unter  einen  einzigen  Begriff  zu  fassen. 
Für  die  einen  in  der  einen  Weise  zu  verfahren,  für  die 
anderen  jedoch  anders,  zeugt  sicherlich  nicht  von  Klarheit. 

Es  ist  schon  angedeutet  worden,  das  wohl  die  Assi- 
milations-Sporophylle  (Trophosporophylle)  zunächst  in  Assi- 
milationsblätter (Laubblätter,  Trophophylle)  und  reine 
Sporophylle  im  Verlaufe  der  Generationen  auseinander- 
gegangen sein  dürften.  Welche  von  den  später  entstandenen 
Blattarten  dann  aus  den  Trophophyllen  und  welche  aus 
den  Sporophyllen  hervorgegangen  sind,  birgt  noch  mannig- 
fache Probleme.  Die  Keim-,  Nieder-  und  Hochblätter  dürften 
aus  den  ersteren,  die  anderen  in  unserer  Reihe  genannten 
Blätter  aus  den  Sporophyllen  sich  gebildet  haben.  Das 
folgende  Schema  S.  152  entfernt  sich  von  den  thatsächlichen 
Möglichkeiten  vielleicht  nicht  gar  zu  weit. 

Es  sind  hier  gemäss  den  gewählten  Beispielen  {Capsella 
h.  p.  apetala,  Nymphaea  alba)  die  unwesentlichen  Blüten- 
blätter aus  den  Staubblättern  hergeleitet  worden;  in  anderen 
Fällen  mögen  unwesentliche  Blüthenblätter  auch  aus  Frucht- 
blättern entstanden  sein,  wieder  in  anderen  aus  Hoch- 
blättern, wie  die  auch  dorthin  führenden  Linien  andeuten 
sollen.  Uebergangsbildungen  zur  Illustration  des  letzter- 
wähnten Falles  sind  die  farbigen  Hochblätter  wie  bei 
Melampyrum  nemorosum,  Cornus  suecica,  Astrantia  u.  s.  w. 

Es  ist  nach  alledem  klar,  dass  eine  scharfe  Trennung 
der  einzelnen  Blattformationen  nicht  möglich  ist,  dass  mit 
anderen  Worten  die  Ventilation  der  Frage,  ob  ein  be- 
stimmtes Blatt,  das  sowohl  Eigentümlichkeiten  einer  Blatt- 
formation a  als  auch  von  b  besitzt,  nur  zu  a  oder  b  gehört, 
ganz  und  gar  der  wissenschaftlichen  Bedeutung  entbehrt, 
da  es  sich  in  solchem  Falle  nur  um  eine  rein  termino- 
logische Frage  handelt. 


152 


Gesellscli/ift  naltirforsdiender  Freunde,   Berlin. 


Sitzung  vom  18.  Juli  1899.  153 

Es  ist  zweifellos,  dass  sich  durch  die  ewigen  Be- 
tonungen der  Unterschiede  und  die  zu  wenig  berück- 
sichtigten Uebereinstiinmungen  der  Blattformationen, 
namentlich  bei  den  Morphologen,  die  wesentlich  der  den 
Sinn  für  das  Unterscheidende  weckenden  systematischen 
Botanik  dienen,  hier  ein  eingefleischtes  Widerstreben  er- 
zeugt haben,  direct  verbindende  Eigenthümlichkeiten  als 
gleichberechtigte  Thatsachen,  die  sie  nun  einmal  sind, 
anzuerkennen. 

Sind  also  auch  noch  viele  Unklarheiten  in  dem  Theil 
der  Morphologie  vorhanden,  der  sich  mit  dem  Blatt  be- 
schäftigt, so  hat  sich  doch  die  Einsicht  wenigstens  von  der 
Berechtigung  nach  der  gegenseitigen  morphogenetischen 
Herkunft  der  Blätter  zu  fragen,  Bahn  gebrochen,  wenn  auch 
in  der  Richtung  nur  wenig  geschieht  und  daraus  sich  er- 
gebene Folgerungen  noch  keineswegs  beachtet  werden. 

Aus  der  Annahme  der  Descendenzlehre  folgt  aber  nun 
des  Weiteren  die  Notwendigkeit  der  Frage  auch  nach  der 
morphogenetischen  Herkunft  des  Blattes  selbst,  d.  h.  der 
Frage:  wie  und  aus  welchen  ursprünglichen  Organen 
oder  Organtheilen  sind  die  Blätter  im  Laufe  der 
Phylogenesis  der  Pflanzen  hervorgegangen? 

Caspar  Fkiedrich  Wolff  hatte  die  Stengel-Orgaue 
und  Blätter  als  unvereinbar  gegensätzlich  gedacht  (Fig.  1), 
also  der  Volks-Anschauung  gehuldigt;  aber  er  war  zu  dieser 
Ueberzeugung  durch  exacte  entwickelungsgeschichtliche  That- 
sachen gelangt,  die  ihm  die  Blätter  seiner  Untersuchungs- 
Objecte  als  stricte  Seiten-Organe  erkennen  liessen:  hat  er 
doch  bei  Brassica  bereits  den  Vegetationspunkt  gesehen 
und  als  solchen  erkannt. 

Goethe  sieht  im  Gegensatz  hierzu  die  Pflanze  aus 
lauter  einheitlichen  Stücken  zusammengesetzt  (Fig.  2).  Ein 
Spross  besteht  nach  ihm  im  Prinzip  aus  Stengelstücken,  die 
oben  je  ein  Blatt  tragen:  je  ein  Stengelstück  und  ein  Blatt 
gehören  als  eine  Einheit  zusammen.  Auf  dieser  Ansicht 
fussen  Gaudichaud  (1841)  und  Delpino  (1880). 

Eine  zeitgemässe  Ansicht  habe  ich  u.  a.  in  diesen 
Sitzungs-Berichten  1.  c.  1897   entwickelt,   weshalb  ich  hier 


154 


Gesellschaft  naturforschender  Freunde,   Berlin. 


X 

Fig.  1. 

Schema    des   Aufbaues    der    höheren   Pflanzen    nach   der  Ansicht  von 

Caspar  Friedrich  Wolf,     x  =  Axe,  Stengel,  y  =  die  Blätter,  von  x 

im  Schema  durch  einen  Zwischnuranm  getrennt,  um  die  angenommene 

vollständige  Heteroerenität  von  Stengel  und  Blattern  anzudeuten. 


Fig.  2. 
Schema   des   morphologischen  Aufbaues    der   höheren  Pflanzen   nach 
Goethe,  x  —  die  einheitlichen  Stücke,  aus  denen  sich  die  Pflanze  aufbaut. 


Sitzung  cum  18.  Juli  1809. 


155 


nicht  noch  einmal  näher  darauf  eingehen  kann.  Vergl. 
Näheres  hierüber  in  meiner  Eingangs  citirten  ausführlicheren 
Schrift  von  1899  und  das  Heft  über  die  Metamorphose 
von  1898.  Kurz  und  bündig  wäre  zu  sagen  (vergl.  hierzu 
Fig.  3  und  4): 

Bei  den  Brauntangen,  die  den  Vorfahren  der  höheren 
Pflanzen,  deren  Herkunft  aus  dem  Wasser  anzunehmen  ist, 
am  nächsten  kommen  dürften,  haben  wir  den  Aufbau  aus 
Gabel- Verzweigungen.  Eine  Gabelung  (Dichotomie)  kommt 
zu  Stande,  wenn  sich  ein  Vegetationspunkt  in  zwei  neue 
Vegetationspunkte  sondert,  welche  beide  zu  je  einem  Zweige 
auswachsen.  Erreichen  diese  beiden  gleiche  Länge  und 
verzweigen  sich  in  derselben  Weise  weiter,  so  entsteht  eine 
deutliche  wiederholtgabelige  Verzweigung;  gabelt  sich  jedoch 
immer  nur  der  eine  der  beiden  Zweige  und  zwar  ab- 
wechselnd immer  einmal  der  rechte  und  dann  der  linke, 
oder  immer  nur  der  auf  derselben  Seite  gelegene  Zweig, 
oder  endlich  beliebig  derjenige  der  einen  und  dann  wieder 
der   der  anderen  Seite,   so   wird  wiederum,   namentlich  bei 


x' 


X1 


Fig.  3. 

Schema   des   morphologischen  Aufbaues   einer  Urcaulom- Pflanze  nach 

dem  Verfasser,    x1  und  x*  =  Tochtergabeläste;  x1  =  der  übergipfelnde, 

zur  Centrale  werdende,    x2  =  der  übergipfelte,  zum  Urblatt  werdende 

Gabelast.    Bei  *  die  Gabelungsstelle. 

7f 


156 


Gesellschaft  naturforschender  Freunde,  Berlin. 


Fig.  4. 
Schema   des    morphologischen   Aufbaues    einer    höheren   (Pericaulom-) 
Pflanze  nach  dem  Verfasser.     Buchstaben  und  Zeichen  wie  in  Fig.  3. 

Geradestreckung  des  ganzen  Systemes,  eine  einheitliehe 
Hauptaxe  vorgetäuscht,  während  doch  Verzweigungen  vor- 
liegen, die  man  am  besten  als  auf  Gabelungen  beruhende 
Vielfuss-Verzweigungen  (dichopodiale  Sympodien)  bezeichnen 
wird.  Die  übergipfelten  Gabelzweige  entwickeln  sich  im 
Laufe  der  Generation  zu  Blättern.  Aus  den  übergipfelnden 
Stücken  wird  die  Centrale,  der  Ur-Stengel,  aus  den  über- 
gipfelten werden  die  Blätter.  Die  höheren  Pflanzen  com- 
pliciren  ihren  Bau  —  um  der  Centrale  die  für  das  Luft- 
leben  nöthige  Festigkeit  zu  geben  —  dadurch ,  dass  die 
Basaltheile  der  Blätter  mit  der  Centrale  streckenweise  (zu 
einem  „Pericaulom")  verwachsen. 

Bei  dem  auf  das  Unterscheidende  gerichteten  Sinn  der 
Systematiker  muss  das  Sträuben,  einen  morphologischen 
Zusammenhang  des  Blattes  mit  den  anderen  „morpho- 
logischen Einheiten"  anzunehmen,  noch  intensiver  sein  als 
die  Annahme  solcher  Zusammenhänge  zwischen  den  einzelnen 
Blattarten;  denn  die  extremen  Blätter,  diejenigen,  die  in 
ihren  morphologischen  Eigenthümlichkeiten  sich  am  weitesten 


Sitzung  vom  IS.  Juli  1899.  157 

z.  B.  von  den  typischen  Stengel- Organen  entfernen,  wie  die 
Blätter  der  Angiospermen,  bieten  jetzt  nur  wenige  ver- 
mittelnde Erscheinungen  zu  den  Stengel-Organen.  Das 
kann  aber  durchaus  nicht  Wunder  nehmen.  Das  VII.  phylo- 
genetische Nägeli's  (1884)  lautet:  „Die  durch  Differenzirung 
ungleich  gewordenen  Theile  erfahren  eine  Reduction,  indem 
die  Zwischenbildungen  unterdrückt  werden,  und  zuletzt 
bloss  die  qualitativ  ungleichen  Functionen  erhalten  bleiben". 
Die  Begründung  dieses  Gesetzes  ist  1.  c.  nachzusehen. 
Trotzdem  typische  Blätter  schon  seit  der  Silurformation  be- 
kannt sind,  sodass  ihre  extremen  Besonderheiten  sich  be- 
reits seit  undenkbaren  Zeiten  festigen  konnten,  fehlen  doch 
bemerkenswerther  Weise  Erscheinungen  nicht  ganz,  welche 
ihre  und  der  Ur-Steugelinternodien  gemeinsame  morpho- 
genetische  Herkunft  erhellen  helfen. 

So  wachsen  Bildungen,  die  im  Uebrigen  Blattnatur 
aufweisen,  wie  die  „Wedel"  der  Filices  und  Cycadaceen 
spitzenständig  wie  typische  Stengelorgane,  und  andererseits 
giebt  es  Stengel-Internodien,  die  wie  die  typischen  Blätter 
basal  wachsen,  wie  die  Internodien  der  Equisetaceen.  Es 
ist  eben  ganz  begreiflich,  selbstverständlich  und  zu  fordern, 
dass  es  Organe  giebt  wie  die  Cycadaceen-  und  Farn- Wedel, 
die  Uebergangsbildungen  zwischen  extrem-typischen  Stengeln 
und  Blättern  darstellen,  die  mit  anderen  Worten  Merkmale 
von  beiden  haben.  Das  Wort  „Wedel"  kann  gut  als 
morphologischer  Terminus  speciell  für  solche  Blätter  benutzt 
werden,  die  eine  solche  Hinneigung  zu  Stengelbildungen 
aufweisen:  für  Mittelbildungen,  die  nicht  extrem-typische 
Blätter  sind.  Ein  Streit,  wie  er  einst  über  die  „Blatt- 
oder Stengel-Natur"  der  Filices-Wedel  herrschte,  ist  durch- 
aus müssig,  denn  das  Streben,  alle  Organe  mit  Gewalt  in 
schroff  geschiedene  Kategorien  zu  bringen,  die  auf  Grund 
weniger  Thatsachen  geschaffen  wrorden  sind :  durchaus  nach 
Gründen  zu  suchen,  die  die  Zuweisung  zu  einer  der 
Kategorien  rechtfertigen  sollen,  beruht  auf  der  fälsch- 
lichen Annahme  von  den  Pflanzenkörper  zusammensetzenden 
absolut  gegenüberstehenden  Einheiten.  Die  Berück- 
sichtigung aller  Thatsachen  bietet  nicht  nur  keinerlei  An- 

7f* 


158  Gesellschaft  natwforsc?iender  Freunde,  Berlin. 

halt  für  eine  solche  Annahme,  sondern  sehlägt  ihr  mit 
Gewalt  ins  Gesicht.  Auch  das  stets  ins  Feld  geführte 
„unbegrenzte"  Längenwachsthum  von  Stengelorganen  im 
Vergleich  zu  dem  „begrenzten"  der  Blätter  ist  zur  Be- 
gründung eines  fundamentalen,  prinzipiellen  Unterschiedes 
gänzlich  werthlos,  da  die  den  Blättern  homologen  Ur- 
Internodien  sowohl  als  die  Internodien  der  höheren  Pflanzen 
{=  Ur-Internodien  +  Pericaulom-Bildungen)  durchaus  genau 
ein  ebenso  begrenztes  Wachsthum  besitzen  wie  die  Blätter, 
was  sich  am  augenfälligsten  dann  zeigt,  wenn  einmal  (wie 
die  „Cladodien"  von  Euscus)  gewisse  Stengeltheile  als 
assimilirende  Fachsprosse  dieselbe  Function  übernehmen, 
wie  sie  sonst  den  Laubblättern  zukommt.  Ferner  wachsen 
gewisse  Organe,  die  aus  anderen  Gründen  zu  den  Blättern 
gerechnet  werden,  so  Gleicheniaceen-Wedel,  genau  wie 
Stengel-Systeme  „unbegrenzt",  ja  sie  können  sich  wie 
kletternde  Stengel  verhalten,  wofür  die  Lygodium -Wedel 
ein  bekanntes  Beispiel  bieten,  die  an  die  fadenförmigen, 
dem  dicken,  kugelförmigen  Hauptstamm  entspringenden 
Sprosssysteme  von  Testudinaria  erinnern.  Schlagend  be- 
legen den  in  Rede  stehenden  Zusammenhang  von  Phyllom 
und  Caulorn  Thatsachen,  wie  die  namentlich  von  Schumann 
eingehender  beschriebenen  Staubgefässe ,  die  durchaus  an 
Axen  erinnern,  jedoch  von  dem  Autor  als  Blätter  „gedeutet" 
werden  und  überhaupt  wissenschaftliche  Kämpfe,  die  statt- 
finden, um  die  Auffassung  von  Organen  als  Caulome  oder 
Phyllome  zu  begründen  (vergl.  z.  B.  die  Streitschriften 
über  das  Psilotaceen-„Sporophyll"),  die  nie  zu  Ende  kommen 
können,  da  es  vom  jeweilig  den  Gegenstand  behandelnden 
Autor  abhängt,  auf  die  zu  den  Blättern  oder  zu  den  Stengel - 
organen  neigenden  Merkmale  das  Hauptgewicht  zu  legen.  Es 
ist  ein  schwerer  Fehler,  solche  Objecte  nicht  als  das  zu 
charakterisiren,  als  was  sie  sich  durch  die  Untersuchung 
ergeben,  also  als  Zwischenbildungen.  Nur  wenn  sich 
begründen  lässt,  dass  die  Vorfahren  an  Stelle  der  strittigen 
Organe  extrem-typische  Blätter  oder  Stengel  besessen  haben, 
ist  eine  Entscheidung  des  Kampfes  möglich;  gewöhnlich 
wird   aber  vergessen,  dass  keineswegs  allein  die  beiden  in 


Sitzwng  vom  18.  Jnli  1S99.  15<) 

den  Kampf  gezogenen  Möglichkeiten  in  Frage  kommen, 
dass  vielmehr  auch  ein  dritter  Fall  in  Erwägung  zu  ziehen 
ist,  nämlich  der,  dass  die  in  Rede  stehenden  Zwischen- 
bildungen seit  ihrer  Hervorbilduug  aus  Thallusstücken  im 
Verlaufe  ihrer  Vorfahrenreihe  keineswegs  bereits  die  ty- 
pischen Eigenthümlichkeiten  von  Blatt  und  Stengel  erreicht 
zu  haben  brauchen. 

Herr  F.  Schaudinn  sprach  über  den  Generations- 
wechsel der  Coccidien  und  die  neuere  Malaria- 
forschung. 

Von  allen  parasitären  Protozoen  haben  die  Ilaemospo- 
ridien  in  neuester  Zeit  das  grösste  Interesse  erregt,  selbst 
weit  über  die  Kreise  der  Naturforscher  hinaus.  Der  Grund 
hierfür  ist  darin  zu  suchen,  dass  ein  Vertreter  dieser  Gruppe 
eine  immense  praktische  Bedeutung  besitzt,  weil  er  der  an- 
erkannte Erreger  einer  der  verbreitetsten  Infektionskrank- 
heiten des  Menschen,  des  Malaria-Fiebers  ist.  Naturgemäss 
concentrirte  sich  das  Interesse  zunächst  auf  diesen  Parasiten 
und  hat  daher  das  Plasmodium  malariae1)  die  meisten  Unter- 
sucher gefunden.  Nachdem  die  Entwicklung  desselben  im 
menschlichen  Blute  genauer  bekannt  geworden  war.  richtete 
sich  das  Hauptinteresse  der  Forscher  auf  die  Frage,  wie 
der  Parasit  in  das  Blut  gelangt  und  wo  er  ausserhalb  des 
Menschen  lebt.  In  jüngster  Zeit  drängten  sich  nun  die  Unter- 
suchungen über  diese  Frage  und  schien  eine  fieberhafte 
Hast  die  Malariaforscher  ergriffen  zu  haben,  weil  jeder 
bei  der  Lösung  der  räthselhaften  Lebensgeschichte  dieser 
Parasiten  der  erste  sein  wollte.  Es  sind  daher  in  kurzer 
Zeit  fast  gleichzeitig  eine  Anzahl  von  Mittheilungen  er- 
schienen, welche  das  Malariaproblem  seiner  Lösung  zuge- 
führt haben. 

Sei  es  nun,  dass  die  Malariaforschung  zu  hastig  arbeitete 
oder  dass  sie.  weil  in  den  Händen  der  Medianer  befindlich, 
nicht  Gelegenheit  hatte,  die  zoologische  Forschung  auf  ver- 


')  Dies  ist  der  älteste  Name  des  Malariaerregers  und  daher  nach 
den  zoologischen  Nomenklatur-Regeln  der  allein  giltige. 


1  HO  Gesellschaft  naht) forschender  Freunde,  Berlin. 

wandten  Gebieten  zu  berücksichtigen,  Thatsaehe  ist  jeden- 
falls, dass  dieselbe  bisher  in  keiner  Weise  von  den  Unter- 
suchungen und  Resultaten  bei  nahe  verwandten  Organismen 
Notiz  genommen  hat,  obwohl  z.  B.  die  Coccidien-Forschung 
das  Ziel,  dem  die  Malaria-Forschung  soeben  zueilt,  schon 
erreicht  hatte,  als  letztere  noch  ganz  im  Dunkeln  tappte. 
Dies  in  Kürze  nachzuweisen,  ist  der  Zweck  der  folgenden 
Zeilen,  ich  will  versuchen  darzuthun,  dass  die  Coccidien- 
forschung  noch  jetzt  als  Wegweiser  und  Vorbild  der 
Haemosporidienforschung  dienen  kann.  Ein  Vergleich  der 
beiden  bisher  zurückgelegten  Forschungswege  soll  uns  die 
ausserordentliche  Uebereinstimmung  der  bereits  ermittelten 
Thatsachen  zeigen.  Die  Coccidienforschung  mag  hierbei  als 
die  ältere  vorangehen.1) 

Seit  der  Entdeckung  der  Coccidien  durch  Vogel  im 
Jahre  1845  haben  sich  zahlreiche  Forscher  mit  dem  Studium 
ihres  Baues  und  ihrer  Entwickelung  beschäftigt.  Am  be- 
kanntesten dürfte  der  in  der  Kaninchenleber  vorkommende 
Vertreter  der  Gattung  Coccidhtm,  die  als  Typus  der  Gruppe 
dienen  kann,  das  Cocc.  oviforme  sein.  Diese  bei  dem  Ilaus- 
thier  der  wissenschaftlichen  Medianer  schmarotzenden  Or- 
ganismen, die  gelegentlich  auch  beim  Menschen  gefunden 
werden,  hatten  wegen  ihrer  deletären  Eigenschaften  (sie 
können  ganze  Kaninchenzuchten,  zerstören)  schon  frühe 
die  Aufmerksamkeit  der  Mediciner  erregt  und  dieselben  zu 
Untersuchungen  veranlasst. 

Das  Studium  der  pathologischen  Veränderungen,  welche 
die  Coccidien  in  den  von  ihnen  befallenen  Geweben  her- 
vorrufen, zeigte,  dass  eine  gewisse  Ärmlichkeit  dieser 
Bildungen  mit  den  bösartigen  Geschwülsten,  wie  Carcinom, 
Sarkom  etc.  vorliege  und  zeitigte  die  Idee,  dass  auch  hier 
ähnliche  Organismen  als  Erreger  eine  Rolle  spielen  könnten. 
Infolge  dieses  Gedankengangs  wuchs  die  litterarische 
Produktion    in    diesem    Gebiete    immens.      Zur    Förderung 


x)  Die  nachfolgenden  Angaben  über  die  Coccidien  stellen  einen 
Auszug  aus  der  Einleitung  zu  meiner  ausführlichen  Coccidienarbeit 
dar,  welche  demnächst  in  den  zoologischen  Jahrbüchern  erscheint. 


Sitzung  Vom  18.  Juli  189Ö.  \Q\ 

der  exacteu  Coccidienforschung  hat  zwar  diese  lebhafte 
litterarische  Thätigkeit  wenig  oder  garnicht  direkt  beige- 
tragen, wie  überhaupt  die  Jagd  nach  den  Geschwulsterregern 
zu  den  traurigsten  Kapiteln  der  Protozoenforschung  gehört, 
indessen  hat  sie  doch  das  Verdienst,  das  Interesse  an  den 
Coccidien.  diesen  unscheinbaren,  winzigen  Organismen  wach- 
gehalten zu  haben,  und  mag  wohl  grade  dieses  unentwirr- 
bare Chaos  von  falschen  und  unkritischen  Beobachtungen  in 
neuerer  Zeit  einer  bedeutenden  Zahl  von  Forschern  die 
Veranlassung  gegeben  haben,  durch  exacte  Untersuchungen 
an  echten  Coccidien,  diesem  Forschungsgebiet  eine  ge- 
sündere Basis  zu  geben.  In  medicinischen  Kreisen  schwand 
das  Interesse  an  diesen  Protozoen,  seitdem  in  überzeugender 
Weise  nachgewiesen  war.  dass  in  den  bösartigen  Ge- 
schwülsten keine  Protozoen  vorhanden  sind  und  dass  die 
als  Coccidien  gedeuteten  Gebilde  theils  pathologisch  ver- 
änderte Gewebszellen,  theils  Zerfallsprodukte  derselben  dar- 
stellen. 

Ich  kann  hier  nicht  eine  vollständige  Uebersicht  der 
Coccidienlitteratur  geben  und  verweise  auf  die  ziemlich 
erschöpfende  Literaturzusammenstellung  in  der  Coccidien- 
Monographie  von  Labüe  ').  Nur  auf  die  wichtigsten  Fort- 
schritte, welche  die  Erkenntniss  des  Zeugungskreises  dieser 
Protozoen  gemacht  hat.  will  ich  in  Kürze  eingehen. 

Als  grundlegende  Arbeit  ist  die  Monographie  von 
Kloss2)  über  die  Coccidien  der  Helix-Niere  anzusehen. 
Obwohl  sie  schon  1855  erschien,  wurden  doch  bereits  viele 
Orgauisationseigenthümlichkeiten  und  auch  ein  grosser  Theil 
des  Entwickelungscyclus  auf  Grund  sorgfältiger  Beob- 
achtungen geschildert. 

Einen  wichtigen  Beitrag  lieferte  Eimer3)  durch  die 
Entdeckung  seiner  Gregarina  fahiformis,  bei  welcher  er  zum 
ersten  Mal  die  endogene,  directe  Entwickelung  von  sichel- 
förmigen   Sporen    ohne    vorherige    Encystirung    schilderte. 


r)  In:  Arch.  Zool.  exper.  (3)  Tom.  4,  p.  517—654,  1897. 

2)  In:  Abhdl    Kenekenberg.  naturf.  Ges.   1,  p.  189 — 213  1855. 

3)  lieber    die   ei-    und  kugelförmigen   Psorospermien    der   Wirbel 
thiere,  Würzburg  1870. 


•jP)2  Gesellschaft  naturforschender  Freunde,  Berlin. 

Die  EiMER'sche  Form  wurde  später  von  Aime  Schneider 
zur  Gattung  Eimcria  erhoben,  nachdem  ihre  Angehörigkeit 
zur  Gruppe  der  Coccidien  erkannt  war. 

Alles  was  über  die  Coccidien  des  Kaninchens  bis  zum 
Jahre  1879  bekannt  geworden  war,  wurde,  um  viele  eigene 
Beobachtungen  vermehrt,  von  Leuckart1)  in  seinem  Para- 
sitenwerk  in  klarer  Weise  zusammengestellt.  Dieser  Autor 
führte  auch  den  Namen  ,.Coccidia"  für  diese  Protozoen,  die 
man  bisher  meistens  als  Psorospermien  bezeichnet  hatte, 
ein  und  schilderte  zum  ersten  Male  im  Zusammenhang  den 
Entwickelungscyclus  von  Coccidium,  wie  er  ihn  sich  vor- 
stellte. Nach  seiner  Auffassung  encystirt  sich  das  ausge- 
bildete, intracelluläre  Coccidium  am  Ende  seines  vegetativen 
Lebens  und  bildet  innerhalb  der  Cyste,  eine  Anzahl  von  Dauer- 
sporen, welche  innerhalb  ihrer  festen  Hülle,  die  Sichelkeime 
entwickeln.  In  diesem  Zustande  wird  die  Cyste  vom 
Wirthsthier  mit  dem  Koth  entleert  und  dient  dann  zur  Neu- 
infection  anderer  Thiere,  indem  sie  mit  der  Nahrung  in  den 
Darmkanal  gelangt.  Hier  platzen  infolge  der  Einwirkung 
der  verdauenden  Säfte  die  Sporenhüllen,  die,  Eigenbewegung 
besitzenden  Sichelkeime  werden  frei,  dringen  in  die  Epithel- 
zellen ein  und  entwickeln  sich  hier  zu  den  ausgebildeten 
Coccidien.  welche  zum  Ausgangspunkt  des  geschilderten 
Zeugungskreises  dienten. 

Diese  Vorstellung,  die  bald  allgemeine  Anerkennung 
fand,  vermochte  nicht  die  Masseniufection  zu  erklären, 
welche  man  beim  Kaninchen  oft  findet.  Denn,  wenn  man 
auch  annahm,  dass  selbst  zahlreiche  Cysten  in  den  Darm- 
kanal des  inficirten  Thieres  gelangt  wären,  konnten  diese 
wie  ein  einfaches  Rechenexempel  lehrte,  doch  nicht  genügen, 
um  das  Vorhandensein  von  gradezu  ungeheueren  Mengen 
von  Coccidien  im  Darmepithel  und  in  der  Leber  zu  er- 
klären. 

Zur  Lösung  dieser  Schwierigkeit  brachte  die  ausge- 
zeichnete    Untersuchung     der     Kaninchen -Coccidien     von 


')    Die    Parasiten    dos    Menschen    etc.    2.   Aufl.    I.   Bd.    1.    Abth. 
Leipzig  1879—86. 


Sitzung  vom  18.  Juli  1808.  163 

R.  Pfeiffer1),  welche  einen  Wendepunkt  und  grossen  Fort- 
schritt der  Coccidienforschung  bezeichnet,  eine  neue  Idee. 
Dieser  Forscher  fand  nämlich  im  Darmepithel  des  Ka- 
ninchens eine  Coccidie  mit  ganz  ähnlicher  Fortpflanzung 
d.  h.  Zerfall  in  viele  Sichelkeime  ohne  Sporenbildung,  wie 
sie  Eimer2)  bei  der  FÄmeria  falciformis  des  Mäusedarms  be- 
schrieben hatte  und  kam  nun  auf  den  genialen  Gedanken, 
dass  diese  Form  nur  ein  Entwicklungsstadium  des  bekannten 
Coccidium  perforans  sei.  Die  Eimer  ia-ährdiche  Form  sollte 
durch  endogene  „Schwärmersporen-Cysten"  die  Verbreitung 
der  Parasiten  im  Wirthsthier,  die  sogen.  Autoinfektion  be- 
wirken, während  die  bisher  bekannte  Coccidium-F orm  durch 
exogene  „Dauersporen -Cysten"  die  Infektion  anderer  In- 
dividuen vermittelte. 

L.  Pfeiffer3)  dehnte  diese  Theorie  des  Dimorphiciums 
in  seinem  Protozoen-Werk  auf  alle  Coccidien  aus  und  stellte 
verschiedene  schon  als  besondere  Species  beschriebene 
Eimer  ia-Formen  zu  den  entprechenden  Coccidien.  welche  aus 
denselben  Wirthsthieren  bekannt  waren. 

Die  Forscher,  welche  sich  seither  mit  der  Coccidien- 
Eutwickelung  beschäftigten,  sind  nun  in  zwei  Lager  ge- 
theilt.  Die  einen  hielten  an  dem  LEUCKART'schen  Ent- 
wickelungsschema  fest,  fassten  den  Eimeria-  und  Coccidium- 
Cyklus  als  zwei  getrennte,  geschlossene  Zeugungskreise  auf 
und  behandelten  die  beiden  Formen  als  besondere  Gattungen. 
Der  Hauptvertreter  dieser  Anschauung  war  Aime  Schneider4), 
der  sie  sogar  zum  Ausgangspunkt  seines  Coccidiensystems 
machte,  indem  er  in  seiner  Gruppe  der  Monosporeae  die 
Eimer  ia-Formen  allen  andern  Coccidien  gegenüberstellte. 

In  neuester  Zeit  hat  sich  besonders  Labbe5)  dieser 
Auffassung  angeschlossen  und  in  einer  Reihe  von  Arbeiten 
dieselbe  durch  neue  Gründe  zu  stützen  versucht;  die  That- 


')    Beiträge  zur   Protozoenforschung.     I.    Die    Coccidienkrankheit 
der  Kaninchen.     Berlin  1892. 
*)  1.  c. 

3)  Die  Protozoen  als  Krankheitserreger,  2.  Aufl.,  Jena  1891. 

4)  Bezüglich  der  zahlreichen  Arbeiten  Schneider  s  cf.  Labbe,  1.  c. 

5)  1.  c. 


li;|  Gesellschaft  naturforschen -:1er  Freunde,  "Berlin. 

sache  der  Autoinfection  sucht  dieser  Forscher  durch  die  An- 
nahme der  Vermehrung  der  Coccidien  durch  einfache  Zwei- 
theilung zu  erklären,  indessen  ist  der  Nachweis  dieses 
Vorgangs  bisher  nicht  erbracht  worden;  die  angeblichen 
Theilungsstadien  sind  auf  multiple  Infection  derselben  Epithel- 
zelle zurückzuführen. 

Der  andere,  grössere  Theil  der  Coccidienforscher  sehloss 
sich  der  Pfeiffer' sehen  Theorie  des  Dimorphismus  an.  so 
Mingazzini,  Podwissozky.  Clarke  und  vor  allem  Schüberg. 

In  der  sorgfältigen  Untersuchung  Schüberg's1)  über 
die  Coccidien  des  Mäusedarms  findet  sich  zum  ersten  Male 
die  Idee  von  einer  geschlechtlichen  Fortpflanzung  der 
Coccidien  ausgesprochen.  Schon  vorher  hatte  Labbe2)  bei 
Tritonen  ausser  den  gewöhnlichen  Sichelkeimen  der  Eimeria- 
Form  (von  Labbe  hier  Pfeifferia  genannt)  abweichende,  sehr 
kleine  Sichelkeime,  die  er  Mikrosporozoiten  nannte,  ent- 
deckt. Auch  Podwissozky3)  hatte  bei  Coccidium  oviforme 
die  Bildung  sehr  winziger  Keime  beobachtet.  Schüberg 
fand  solche  kleinen  abweichenden  Sporozoiten  nun  auch  bei 
der  Eimcria  falciformis,  schilderte  sie  eingehend  und  machte 
auf  ihre  speeifische  Natur  und  die  Möglichkeit  einer  Ge- 
schlechtsfunction  aufmerksam,  indem  er  daran  dachte,  dass 
diese  Formen  vielleicht  eine  Copulation  vermitteln  möchten. 

Labbe4)  sehloss  sich  in  seiner  Monographie  der  Auf- 
fassung Schuber«/ s  an,  indessen  nur  für  Pfeifferia,  während 
er  bei  Klossia  die  wahre  Natur  der  Mikrosporozoiten  voll- 
ständig verkannte,  indem  er  sie  für  pathologische  Bildungen 
ansah. 

Der  wirkliche  Nachweis  der  geschlechtlichen  Fort- 
pflanzung der  Coccidien  wurde  durch  directe  Beobachtung 
der  Befruchtung  im  Jahre  1897  durch  Schaudinn5)  und 
Siedlecki  für  zwei  Coccidien  des  Tausendfusses  (Lithobius 


>)  Verh.  Naturh.  med.  Verein,  Heidelberg,  N.  F.,  Bd.  V,  Heft  4,  1895. 

2)  1.  c. 

3)  Bibl.  med.  Kassel.     Abth.  1).  2,  1895. 
*)  1.  c. 

■'')  In:    Verh.    Deutche  Zoolog.  Gosollseh.,    7.  Jahresversammlung, 
1897,  p.  292—203. 


Sitzung  vom  18.  Mi  1899.  165 

forficatus),  Addca  ocata  und  Coccidium  schneidert  erbracht 
und  in  dieser  Arbeit  zugleich  bewiesen,  dass  die  Eimeria- 
Formen  mit  den  Coccidium -Formen  durch  den  Geschlechts- 
act  zu  einem  Zeugimgskreis  verbunden  sind,  der  sich  durch 
den  Wechsel  von  geschlechtlicher  und  ungeschlechtlicher 
Fortpflanzung  als  echter  Generationswechsel  documentirt. 
Gleichzeitig  und  unabhängig  kam  Simond1)  bei  dem  Ka- 
mnchen-Coccidium  durch  exaete  Fütterungsversuche  zu  einem 
ähnlichen  Resultat;  indessen  hatte  dieser  Autor  die  Copula- 
tion  nicht  direct  beobachtet  und  haben  die  von  ihm  als 
Copulationsstadien  gedeuteten  Zustände  nichts  mit  derselben 
zu  thun.  Die  Mikrosporozoiten  befruchten  nicht,  wie  er 
annimmt,  die  anderen  Sichelkeime,  sondern  die  ausgebildeten 
Coccidien. 

Kurz  nach  dem  Erscheinen  unserer  Publication  kam 
auch  Leger2)  bei  den  Coccidien  des  Lithobius,  bei  dem  er 
schon  vor  uns  ein  echtes  viersporiges  Coccidium  entdeckt 
hatte,  zu  dem  Resultat,  dass  die  Eimeria-Form.  nur  ein 
Stadium  der  Coccidium -Form  sei,  ohne  die  geschlechtliche 
Fortpflanzung  zu  kennen,  auf  Grund  von  Fütterungsversuchen. 
Dies  Resultat  kann  mit  um  so  grösserem  Recht  als  sicher 
selten,  nachdem  es  von  drei  verschiedenen  Seiten  unab- 
hängig  gefunden  war. 

Seither  sind  unsere  Beobachtungen  bereits  von  ver- 
schiedenen Autoren  (Siedlecki,  Hagenmüller,  Leger  und 
anderen)  bei  mehreren  Gattungen  der  Coccidien  bestätigt 
worden,  sodass  man  an  der  allgemeinen  Verbreitung  der 
geschlechtlichen  Fortpflanzung  innerhalb  der  Coccidien- 
Gruppe  nicht  mehr  zweifeln  kann.  Da  die  Gattung 
Coccidium  als  Typus  dieser  Protozoen  gelten  kann,  will  ich 
ein  Schema  des  gesammten  Zeugungskreises  für  dieselbe 
hier  entwerfen,  wie  es  Siedlecki' s  und  meine  Untersuchungen 
bei  den  Angehörigen  der  Gattung  Coccidium.  die  im 
Lithobius  leben,  ergeben  haben3)  (cf.  Schema  I). 

1)  In:  Ann.  Inst.  Pasteur;  Tom.  11,  p.  545—581,  1897. 

2)  C.  R.  Ac.  Sc.  Paris,  Tom.  125,  p.  51—52  und  p.  966—969,  1897. 

3)  Bezüglich  der  Einzelheiten  und  der  Litteraturquellen  verweise 
ich  auf  meine  ohen  erwähnte  ausführliche  Arbeit  in  den  zoolog.  Jahr- 
büchern. 


Ißß  Gesellschaft  natwrfwschender  Freunde  in  T>erlin. 

Das  jüngste  Studiuni  unserer  Parasiten,  welches  die 
Fähigkeit  besitzt,  durch  Eindringen  in  eine  Epithelzelle  die 
Infektion  zu  vermitteln  ist  ein  sogenannter  sichelförmiger 
Keim  (Fig.  1).  Er  ist  frei  beweglich  und  zwar  vermag  er 
ausser  Knickbewegungen  auch  in  grader  Linie  wie  eine 
Gregarine  fortzugleiten.  Am  Vorderende  besitzt,  er  eine 
feine  hyaline  Spitze,  welche  ihm  das  Einhohren  in  die 
Wirthszellen  erleichtert  (Fig.  2).  Dieser  Keim  wächst  inner- 
halb der  Epithelzelle  zu  einer  kugligen  oder  ovalen  Zelle 
heran,  dem  ausgebildeten  Coccidium  (Fig.  3)  und  zwar  ge- 
schieht dies  auf  Kosten  der  Wirthszelle,  die  hierbei  all- 
mählich zu  Grunde  geht.  Am  Ende  ihres  vegetativen  Lebens 
zerfällt  die  erwachsene  Coccidie.  nachdem  sich  ihr  Kern 
durch  directe  Kerntheilung  vermehrt  hat  (Fig.  4),  in  eine 
verschieden  grosse  Anzahl  von  Theilstücken  (Fig.  5),  die 
eine  ähnliche  Gestalt  annehmen,  wie  die  ursprünglichen 
Sichelkeime  aus  denen  die  Coccidie  hervorgegangen  ist, 
aber  in  ihrem  feineren  Bau  bestimmte  Unterschiede  auf- 
weisen. Diese  Fortptlanzungskörper  dringen  in  andere 
Epithelzelleu  ein  und  können  eine  ähnliche  Entwickelung 
durchmachen,  wie  ihre  Mutterzellen,  sie  dienen  dann  zur 
Ausbreitung  der  Parasiten  über  den  ganzen  Darmkanal  des 
Wirthsthieres. 

Ich  habe  diese  Art  der  ungeschlechtlichen  Fortpflanzung 
bei  der  die  Zelle  durch  einfache  Spaltung  in  zahlreiche 
Theilstücke  zerfällt,  mit  den  Namen  „Schizogonie"  be- 
zeichnet. Die  bisher  üblichen  Bezeichnungen,  wie  „directe 
oder  freie  Vermehrung"  —  Cycle  asporulee  endogene 
Sporulation  —  sind  zweideutig  oder  nicht  zutreffend.  Die 
bei  der  Schizogonie  entstehenden,  frei  beweglichen  Theil- 
stücke können  nach  dem  Vorschlage  Simokds  „Merozoiten" 
genannt  werden,  für  ihre  Mutterzellen  schlage  ich  „Schi- 
zonten"  vor.   — 

Ausser  dieser  ungeschlechtlichen  Fortpflanzung,  die  zur 
Vermehrung  der  Parasiten  im  Wirthsthier  dient  (Auto- 
infection),  findet  sich  noch  eine  andere  Art  der  Fort- 
pflanzung, die  Bildung  von  Dauersporen,  welche  die  Neu- 
infectiou    anderer    Wirthsindividueu    vermittelt.       Dieselbe 


Sitzung  vom  18.  Juli  1899.  167 

wird  bedingt  durch  einen  Geschlechtsact  und  kann  deshalb 
als  geschlechtliche  Fortpflanzung  der  ungeschlechtlichen 
Schizogonie  gegenübergestellt  werden.  Ich  will  sie  als 
„Sporogonie"  bezeichnen. 

Die  Merozoite  können  sich  nämlich  in  dreifacher  Weise 
entwickeln;  entweder  wachsen  sie  schnell  heran  ohne  be- 
deutende Quantitäten  von  Reservenahrung  in  sich  aufzu- 
speichern und  werden  dann  zu  Schizonten  (Fig.  5  über  2  in 
der  Pfeilrichtung),  oder  sie  wachsen  langsamer,  speichern 
aber  dabei  reichlich  dotterartige  Reservestoffe  in  ihrem 
Protoplasma  auf  (Fig.  6)  und  entwickeln  sich  durch  einen 
Reifungsprocess.  bei  welchem  ein  Theil  der  Kernsubstanz 
in  Gestalt  des  Karyosoms  ausgestossen  wird  (Fig.  6  a),  zu 
weiblichen  Gameten.  Ein  dritter  Theil  der  Merozoiten.  der 
keine  Reservestoffe  enthält,  bildet  sich  zu  den  Mutterzellen 
der  männlichen  Geschlechtselemente  aus  (Fig.  7).  welche 
durch  ihre  dichtere  Plasmastructur  leicht  von  den  Schizonten 
zu  unterscheiden  sind.  Nachdem  diese  Zellen  ihre  volle 
Grösse  erreicht  haben,  theilt  sich  ihr  Kern  auf  multiple 
Weise  in  viele  Theilstücke,  die  an  die  Oberfläche  der  Zelle 
rücken  und  sich  hier  mit  einer  geringen  Menge  von  Proto- 
plasma als  kleine  sichelartige  Körperchen  abschnüren,  indem 
sie  den  grössten  Theil  der  Mutterzelle  als  Restkörper  zurück- 
lassen (Fig.  7a).  Diese  Körper  entwickeln  zwei  Geissein, 
mit  deren  Hilfe  sie  sich  lebhaft  bewegen  können.  Es  sind 
die  männlichen  Geschlechtszellen  oder  Gameten,  welche  im 
Stande  sind,  die  weiblichen  aufzusuchen  und  zu  befruchten. 
Bei  ihrer  Bildung  findet  auch  eine  Reduction  der  Kern- 
substanz statt,  indem  das  Karyosom  ebenfalls  zu  Grunde 
geht.  Wegen  der  bedeutenden  Grössendifferenz  der  männ- 
lichen und  weiblichen  Geschlechtszellen  haben  wir  sie  als 
„Mikro-  und  Makrogameten"  unterschieden.  Die  Be- 
fruchtung (Fig.  8)  erfolgt  in  derselben  Weise,  wie  bei  den 
Eiern  der  Metazoen,  der  Makrogamet  bildet  einen  Empfäng- 
nisshügel, in  dessen  Kuppe  der  Mikrogamet  mit  seiner 
Spitze  eindringt,  worauf  sich  der  Vorsprung  zurückzieht  und 
eine  der  Mikropyle  vergleichbare,  trichterartige  Einsenkung 
gebildet  wird,  durch  welche  der  Mikrogamet  vollständig  in 


Ißg  Gesellschaft  naturforschender  Freunde,  Berlin, 

das  Innere  des  Makrogameten  eindringt;  schon  während 
dieser  Vorgänge  wird  auf  der  Oberfläche  des  Makrogameten 
eine  dicke  Membran  abgeschieden,  welche  es  verhindert, 
dass  mehr  als  ein  einziger  Mikrogamet  in  den  Makrogameten 
eindringt.  Innerhalb  dieser  Cystenhülle  verschmelzen  nun 
die  beiden  Kerne  der  Gameten  miteinander.  Die  Copula 
kann  man  als  Oocyste  bezeichnen  (Fig  9).  Häufig  wird 
schon  in  diesem  Zustande  die  Oocyste  mit  dem  Koth  aus 
dem  Darm  des  Wirths  entleert,  in  andern  Fällen  geschieht 
dies  erst,  nachdem  sich  die  Sporen  innerhalb  der  Cyste  ge- 
bildet haben. 

Der  Makrogamet  hat  erst  durch  die  Befruchtung  die 
Fähigkeit  der  Sporogonie  erlangt,  man  kann  daher  die  Co- 
pula als  Sporont  bezeichnen.  Der  aus  der  Verschmelzung 
des  Makro-  und  Mikrogametenkerns  entstandene  Sporonten- 
kern  theilt  sich  durch  eine  Art  primitiver  Mitose  in  zwei 
Tochterkerne,  deren  jeder  wieder  auf  dieselbe  Weise  in 
zwei  getheilt  wird.  Erst  nachdem  die  vier  Kerne  sich 
regelmässig  im  Protoplasma  vertheilt  haben,  zerfällt  auch 
das  letztere  in  vier  gleiche  Theilstücke,  deren  Centrum  von 
je  einem  Kern  eingenommen  wird.  Diese  vier  Zellen,  die 
den  Namen  „Sporoblasten"  führen  können,  entwickeln  sich 
unter  Abscheidung  einer  dicken,  undurchlässigen  Hülle  auf 
ihrer  Oberfläche  zu  den  Dauerstadien  oder  Sporocysten 
(Fig.  11),  welche  in  dem  entleerten  Koth  des  Wirthsthieres 
eintrocknen  können  und  gegen  äussere  Einflüsse  sehr  wider- 
standsfähig sind. 

Der  Kern  der  Sporocysten  theilt  sich  in  ähnlicher 
Weise  wie  der  Sporontenkern  in  zwei,  worauf  der  Inhalt 
der  Sporocyste  unter  Zurücklassung  eines  grossen  Rest- 
körpers in  zwei  sichelförmige  Keime  zerfällt  (Fig.  11),  die 
wir  im  Gegensatz  zu  den  Merozoiten  als  Sporozoiten  be- 
zeichnen können. 

Wenn  eine  solche  reife  Cyste  mit  der  Nahrung  in  den 
Darmkanal  des  richtigen  Wirthsthieres  gelangt,  so  platzen 
unter  dem  Einfluss  des  Darmsaftes  die  Sporenhüllen  und 
die  Sporozoiten  kriechen  heraus.  Sie  bohren  sich  in  die 
Epithelzellen  und  machen  die  hier  geschilderte  Entwicklung 


Sitzung  com  IS.  Juli  1S99.  ]QQ 

durch.  Hiermit  ist  der  Zeugimgskreis  des  Coccidium  ge- 
schlossen; derselbe  erweist  sich  durch  den  Wechsel 
von  ungeschlechtlicher  und  geschlechtlicher  Fort- 
pflanzung als  echter  Generationswechsel. 

Auf  einzelne  Verschiedenheiten ,  welche  sich  in  der 
Gruppe  der  Coccidien  finden  und  welche  durch  Anpassung 
an  bestimmte  eigenartige  Lebensbedingungen  von  einigen 
Formen  secundär  erworben  sind,  kann  ich  hier  nicht  ein- 
gehen (vergl.  meine  ausführliche  Arbeit).  Bezüglich  der 
Unterdrückung  der  ungeschlechtlichen  Fortpflanzung  bei 
Benedenia  verweise  ich  auf  die  Monographie  dieser  Form 
von  Siedlecki  *)  bezüglich  Adelea  auf  die  ausführliche  Arbeit 
desselben  Autors2),  welche  die  Resultate  unserer  gemein- 
samen Untersuchung  über  diese  höchst  differenzirte  Coccidie 
enthält.  — 

Wenden  wir  uns  nun  zu  den  Haemosporidien.  Diese 
von  den  meisten  Autoren  ebenfalls  zu  den  Sporozoen  ge- 
stellten Organismen  sind  Blutschmarotzer  der  Wirbelthiere. 
Sie  finden  sich  mit  Ausnahme  der  Fische  bei  allen  vier 
übrigen  Gruppen.  Im  Gegensatz  zu  den  Coccidien  zeichnen 
sich  manche  Haemosporidien  durch  amöboide  Beweglichkeit 
im  ausgebildeten  Zustand  aus.  Ihr  Sitz  ist  während  ihres 
vegetativen  Lebens  in  den  roten  Blutkörpern,  die  sie 
während  ihres  Wachsthums  in  ähnlicher  Weise  zerstören, 
wie  die  Coccidien  die  Epithelzellen.  —  Die  Entwickelung 
der  Malaria-Parasiten  im  Blute  ist  infolge  zahlreicher 
Untersuchungen  der  Mediciner  als  gut  bekannt  anzusehen. 
Einen  Abschluss  dieser  Forschungen,  als  deren  Hauptver- 
treter Laveran,  Marciiiafava,  Celli,  Golgi,  Grassi, 
Mannaberg  und  andere  anzusehen  sind,  hat  in  neuester 
Zeit  Ziemann  gemacht,  indem  er  auch  die  feineren  Kern- 
verhältnisse  während  des  ganzen  Lebens  des  Malaria- 
parasiten im  Blut  des  Menschen  studirte  und  alles  Bekannte 
in  seinem  Buch  „Ueber  Malaria-  und  andere  Blutparasiten"3) 
zusammenfasste. 


»)  In:  Ann.  Instit.  Pästeur  1898  p.  799—836. 

2)  In:  Ann.  Instit.  Pasteur  1899,  Fevrier. 

3)  Jena  1899. 


170  Gesellschaft  naturforschender  Freunde,  Berlin. 

Während  der  im  Blute  sich  abspielende  Theil  der 
Entwicklung  der  Haemosporidien.  auch  bei  den  übrigen 
Wirthsthieren,  den  Vögeln,  Reptilien  und  Amphibien  nicht 
schwierig  zu  ermitteln  war  (besonders  Labbe  s  Verdienste 
sind  auf  diesem  Gebiet  anzuerkennen,  dieser  Autor  hat  in 
seiner  ausführlichen  Haemosporidien-Monographie  die  Grund- 
lage zu  einer  künftigen  Systematik  dieser  Organismen  ge- 
legt und  ihre  Organisation  vergleichend  studirt),  blieb  die 
Art  der  Infection  ganz  unbekannt,  bis  in  jüngster  Zeit  die 
experimentelle  Prüfung  der  Frage  ganz  überraschende  Auf- 
schlüsse über  einen  wichtigen  zweiten  Theil  der  Lebens- 
geschichte der  Haemosporidien  gegeben  hat;  dieser  zweite 
Abschnitt  der  Entwickelung  spielt  sich  im  Körper  eines 
Insects  ab  und  machen  die  Haemosporidien  in  dem  kalt- 
blütigen Wirth  ein  Stadium  als  Epithelzellschmarotzer 
durch,  welche  Thatsache  ihre  phylogenetische  Ableitung 
von  den  typischen  Epithelzellparasiten,  den  Coccidien  sehr 
nahe  legt. 

Dass  die  sog.  „Mosquito-Malaria-Theorie",  die  von 
vielen  als  etwas  ganz  Neues  angesehen  wird,  schon  vor 
langer  Zeit  und  in  verschiedenen  Welttheilen  aufgestellt 
worden  ist,  hat  Nuttal1)  in  seinem  ausführlichem  Referat 
aber  die  neuere  Malariaforschung  nachgewiesen.  Schon  die 
Römer  (Columella,  Vakro,  Vitkuv)  deuten  Beziehungen 
zwischen  den  Insecten  und  der  Malaria-Krankheit  an,  worauf 
vor  Nuttal  schon  Plehn2)  aufmerksam  gemacht  hat. 
Interessant  ist  auch  die  Angabe  Kochs,  dass  die  Neger  in 
Ostafrika  die  Malaria  auf  den  Stich  von  Insecten  zurück- 
führen, ja  sogar  für  die  Krankheit  und  ihre  Erreger,  die 
Mosquitos,  nur  ein  Wort  „Mbu"  besitzen.  Nuttal3)  hat 
auch  alle  Angaben  über  die  wiederholte  Neuentdeckung 
dieser  Theorie  gesammelt  und  die  Gründe,  welche  für  oder 
gegen  dieselbe  geltend  gemacht  worden  sind,  übersichtlich 
zusammengestellt.    Während  also  die  Idee,  dass  die  Mücken 


1)  Centralblatt  für  Bacter.  u.  Paras.  K,  vol.  XXV  1899,  Nr.  5—10 
u.  Nr.  24—25. 

2)  Aetiologische  und  klinische  Malaria-Studien,  Berlin  1890,  p.  40. 

3)  1.  c. 


Sitzung  vom  18.  Juli  ist)'.).  171 

die  Uebertragimg  der  Malaria  bewirken,  alt  ist,  hat  man 
sich  erst  in  neuester  Zeit  an  die  experimentelle  Prüfung 
ihrer  Richtigkeit  gemacht.  Ich  kann  hier  nicht  ausführlich 
auf  die  umfangreiche  Malaria-Litteratur  eingehen,  dies  ist 
auch  überflüssig,  weil  die  Quellen  kritisch  und  vollständig 
bei  Nuttal1)  zu  finden  sind.  Die  Anregung  zur  Inangriff- 
nahme des  experimentellen  Malaria- Studiums  gab  der 
englische  Parasitenforscher  Maxson,  der  durch  seine  Unter- 
suchung über  die  Rolle  der  Mosquitos  als  Zwischenwirth 
bei  der  Uebertragimg  der  Filaria  Bancrofü  schon  einen 
ähnlichen  Forschungsweg  beschritten  hatte.  Maxson  ver- 
anlasste den  englischen  Militärarzt  Ross  in  Indien  mit 
Mosquitos  und  Malariakranken  zu  experimentiren  und  gab 
ihm  die  Anleitung  hierzu.  In  der  That  ist  es  Ross  als 
erstem  gelungen,  etwas  über  die  Entwicklung  der  Haemo- 
sporidien  [Proteosoma  der  Vögel.  Plasmodium  des  Menschen) 
im  Körper  der  Mücken  zu  ermitteln.  Ross  liess  Mücken 
an  malariakranken  Vögeln  (Proteosoma)  und  später  auch 
Menschen  (Plasmodium)  saugen  und  konnte  feststellen,  dass 
die  Parasiten  in  das  Darmepithel  der  Mücke  eindringen, 
dann  heranwachsen  und  in  der  Submucosa  grosse  Cysten 
bilden,  die  Sporozoiten  in  die  Leibeshöhle  entleeren,  dass 
letztere  dann  in  die  Speicheldrüsen  gelangen  und  von  hier 
beim  Stich  des  Insects  in  das  Blut  des  ersten  Wirths  über- 
tragen werden  Der  experimentelle  Nachweis,  dass  ge- 
sunde Vögel  nach  dem  Stich  inficirter  Mücken  krank  werden, 
gelang  ebenfalls. 

Gleichzeitig  wurde  von  dem  Amerikaner  Mc-Callum 
an  Halter iditim  (Vogelblut)  und  Plasmodium  eine  andere 
wichtige  Entdeckung  gemacht,  die  ebenso,  wie  bei  den 
Coccidien,  erst  den  Schlüssel  für  das  Verständniss  des 
Zeugungskreises  der  Haemosporidien  ergab,  nämlich  die 
Beobachtung  der  Copulation.  Es  ist  von  Interesse,  dass 
die  Malariaforschung  dieselben  Irrthümer  aufwies,  wie  früher 
die  Coccidienforschung.    Man  fasste  alle  Stadien,  die  augen- 


*)  Die  Litteratur-Liste,  auf  die  auch  bezüglich  der  nachfolgenden 
Angaben  verwiesen  sei,  befindet  sich  1.  c.  p.  343. 

m 


J72  GeseUscluift  naturforschender  Freunde,  Berlin. 

scheinlich  nicht  mit  der  sogenannten  Sporulation  der  Haemo- 
sporidien  im  Blut  in  Beziehung  zu  bringen  waren,  als  De- 
generationsformen, sterile  Stadien,  Abnormitäten  auf,  bis 
erst  Mc-Callüm  nachwies,  dass  die  Halbmonde,  Sparen  und 
Geisseikörper  die  männlichen  und  weiblichen  Fortpflanzungs- 
stadien sind.  Genau  so  bei  den  Coccidien,  Schneider  und 
Labbe  hielten  auch  die  Makrogameten  für  Degenerations- 
produkte. 

Bedeutend  vertieft  und  weiter  ausgedehnt  wurden 
dann  die  yon  Ross  begonnenen  Versuche  von  der  italienischen 
Schule,  als  deren  Haupt  Gkassi  anzusehen  ist.  (Im  Juli 
1898  hat  sich  iu  Italien  eine  Gesellschaft  von  Zoologen  und 
Medianem  zur  Erforschung  der  Malaria  zusammengethan, 
um  durch  Arbeitstheiluug  weiter  zu  kommen,  die  Haupt- 
mitglieder sind  ausser  Gkassi  noch  Bignami,  Bastianelli, 
Casagrandi,  Celli,  Dionisi  u.  a. ;  ich  glaube,  dass  diese 
Methode  Nachahmung  verdient;  bei  uns  in  Deutschland 
schliessen  sich  die  Mediciner  sehr  von  den  Zoologen  ab. 
doch  werden  sie  auf  die  Dauer  nicht  ohne  die  Erfahrungen 
derselben  auskommen  können,  das  complicirte  und  zeit- 
raubende Studium  der  freilebenden  Protozoen  z.  B.  ist  eine 
nothwendige  Vorbedingung  für  das  Verständniss  der  an  das 
parasitäre  Leben  angepassten  Formen  und  das  können  die 
Mediciner  allein  nicht  bewältigen.) 

Grassi  und  seiner  Schule  gelang  auch  die  Inficirung 
des  Menschen  durch  den  Stich  einer  künstlich  inficirten 
Mücke,  besonders  gebührt  aber  diesem  Forscher  das  Ver- 
dienst, festgestellt  zu  haben,  dass  nur  bestimmte  Mücken- 
arten (die  Angehörigen  der  Gattung  Anophelcs)  im  Stande 
sind,  die  Parasiten  zn  übertragen. 

Wenn  nun  auch  von  allen  diesen  Forschern  bisher  nur 
kurze,  vorläufige  Mitth'jilungen  veröffentlicht  worden  sind1) 
und  noch  keine  ausführliche,  mit  kritisirbaren  Abbildungen 
versehene  Arbeit  vorliegt,  und  wenn  auch  noch  manche 
Fragen  ganz  offen  sind  (z.  B.  das  Schicksal  der  Parasiten 
während    der    Entwicklung    der    Mücken,    ferner,    ob    alle 


l)  cf.  Nuttal,  1.  c,  p.  343—345  und  p.  910—911. 


Sitzung  vom  18.  Juli  1S99.  173 

Haeniosporidien  einen  solchen  Wirthswechsel  besitzen,  z.  B. 
die  der  Amphibien  und  Reptilien,  welche  doch  kaum  von 
Mücken  übertragen  werden  dürften  etc.  etc.),  so  glaube  ich 
doch,  dass  die  bisherigen  Angaben  schon  genügen,  um  für 
den  Vergleich  mit  den  Coccidien  ein  Schema  des  Zeuguugs- 
kreises  der  Haeniosporidien  aufzustellen. 

Ich  wähle  als  Beispiel  für  dasselbe  die  Gattung  Pro- 
tcosoma, deren  Vertreter  im  Vogelblut  leben,  weil  ich  diese 
Form  selbst  genauer  untersucht  habe,  worüber  ich  andern 
Orts  ausführlich  berichten  werde.  Auf  Grund  der  Unter- 
suchungen von  Ross  und  Gkassi  (und  seiner  Mitarbeiter) 
und  mit  eigenen  Ergänzungen,  die  sich  hauptsächlich  auf 
die  Bildung  der  Geschlechtszellen  und  die  Copulation  er- 
strecken, ergiebt  sich  folgendes  Schema  des  Zeugungskreises 
von  Protcosoma  (cf.  die  Figur  II): 

Durch  den  Stich  von  Culex  pipiens  gelangen  die  Sichel- 
keime, die  ich  in  Uebereinstimmung  mit  den  entsprechenden 
Gebilden  bei  Coccidien,  Sporozoiten  nenne,  in  das  Blut  eines 
Vogels;  hier  wandern  diese  schwach  gekrümmten,  kurzen 
Körper  (Fig.  1),  ebenso  wie  die  Sporozoiten  der  Coccidien. 
umher1)  und  werden  mit  dem  Blutstrom  im  Körper  zerstreut; 
sie  vermitteln  die  Infectiou,  indem  sie  in  die  rotheu  Blut- 
körperchen eindringen  (Fig.  2).  Hier  wachsen  sie  auf  Kosten 
des  Blutkörpers  zu  Schizouten  heran,  wobei  sie  reichlich 
Pigment  im  Plasma  ablagern  (Fig.  3).  Im  rothen  Blutkörper 
wird  der  Kern  an  die  Seite  gedrängt  und  schliesslich  bleibt 
von  ihm  nur  eine  dünne,  den  Parasiten  umgebende  Hülle 
mit  dem  Kern  übrig.  Nach  beendetem  Wachsthum  theilt 
sich  der  Kern  des  Schizonten  wiederholt  durch  directe  Kern- 
theilung  in  verschieden  zahlreiche  Tochterkerne  (nach  eigenen 
Untersuchungen  spielt  hierbei  das  Karyosom  dieselbe  Rolle 
wie  bei  der  Schizogonie  der  Coccidien,  cf.  meine  demnächst 
erscheinende  ausführliche  Arbeit  über  Coccidium  in  den 
Zoolog.  Jahrbüchern).  Das  Pigment  sammelt  sich  im  Centrum 
oder  an  einer  anderen  Stelle  des  Plasmas  zu  einem  Klumpen 


')  Leicht  direct  zu  beobachten,   wenn  man  den  Thorax  einer  in- 
ricirten  Mücke  im  Vogelblut  zerquetscht. 

7  "H"* 


]  74  GreseUschaß  naturforschender  Preunde,  Berlin. 

an  (Fig.  4).  und  es  zerfällt  der  ganze  Körper  des  Parasiten 
durch  Schizogo-nie  in  eine  verschieden  grosse  Zahl  von 
kleinen,  einkernigen,  amöboid  beweglichen  Keimen  (Fig.  5), 
nur  wenig  Plasma  bleibt  mit  den  Pigmentklumpen  als  Rest- 
körper zurück.  Die  kleinen  Fortpflanzungskörper,  die  ich, 
ebenso  wie  bei  den  Coccidien,  Merozoite  nennen  will,  können 
nun  dieselbe  Entwicklung  wie  die  Sporozoite  durchmachen, 
d.  h.  in  Blutkörper  eindringen,  zu  amöboiden  Schizonten 
heranwachsen  und  sich  wieder  theilen.  Auf  diese  Weise 
können  mehrere  ungeschlechtliche  Generationen  aufeinander 
folgen  (Fig.  5  über  2  —  5).  Die  Schizogonie  dient  ebenso 
wie  bei  den  Coccidien  zur  Ausbreitung  und  Vermehrung  der 
Parasiten  im  Wirth  (Autoinfection).  Später  treten  erst  die 
Geschlechtsformen  auf.  Ebenso  ist  es  bei  den  Coccidien. 
auch  dort  folgen  erst  mehrere  ungeschlechtliche  Generationen. 
—  Bei  den  Infusorien,  wo  allmählich  die  Theilungsfähigkeit 
abnimmt,  bis  durch  die  Conjugation  wieder  eine  Auf- 
frischung erfolgt,  liegen  ähnliche  Verhältnisse  vor.  wie 
schon  Siedlecki  und  ich  betont  haben.  —  Bei  den  Haerao- 
sporidien  vermittelt  die  Copulation  die  Neuinfection  anderer 
Wirthe,  ähnlich  wie  bei  den  Coccidien.  und  ist  besonders 
bei  der  Differenzirung  der  Geschlechtsindividuen  die  Ueber- 
einstimmung  frappant.  —  Ein  Theil  der  Schizonten  wächst 
nämlich  auch  bei  den  Haemosporidien  langsamer  heran, 
scheidet  viel  feinkörniges  Pigment  ab  und  zeigt  ein  dichteres, 
stärker  lichtbrechendes  Plasma  (Fig.  6),  es  sind  die  weib- 
lichen Individuen,  die  wir  bei  den  Coccidien  Makro- 
gameten1) genannt  haben  (Mc-Callum  hat  dieseu  Charakter 
sehr  gut  erkannt).  Sie  besitzen  bei  Proteosonia  ebenso  wie 
bei  Halteridlum  bohnenförmige  Gestalt  und  sind  leicht  von 
den  amöboiden,  unregelmässig  gestalteten  Schizonten  zu 
unterscheiden  (erleichtert  wird  diese  Unterscheidung  noch 
durch  das  dichtere,  granulirte  Plasma  und  durch  die  reichere 
Pigmeutanhäufung  in  den  Makrogameten).     Die  männlichen 


')  Grassi  benutzt  bei  den  Haemosporidien  auch  diese  von  uns 
bei  den  Sporozoen  eingeführten  Namen,  ohne  aber,  ebenso  wie  alle 
anderen  Autoren,  Riedeecris   und  meine  Arbeit  zu  erwähnen. 


Sitzung  vom  18.  Juli  1899.  175 

Geschlechtszellen,  die  wir  als  Mikrogametocyten  bezeichnet 
haben  (Fig.  7),  zeigen  ähnliche  Gestalt  wie  die  Makro- 
gameten (bohnenförmig),  besitzen  aber  ganz  hyalines  Plasma 
und  zeigen  ein  sehr  grobkörniges  Pigment  (Fig  7).  Sie 
sind  in  ihrer  Entwicklung  immer  etwas  vor  den  Makro- 
gameten voraus,  wachsen  also  schneller.  Die  Kernver- 
mehrung der  Mikrogametocyten  ist  genau  so  wie  bei  den 
Coccidien  eine  multiple,  wie  ich  später  andern  Orts  aus- 
führlich nachweisen  werde,  auch  die  Bildung  der  Makro- 
gameten und  ihre  Abschnürung  von  dem  grossen  Restkörper 
erfolgt  in  derselben  Weise  (Fig.  7  a).  Das  Karyosom  geht 
bei  der  Kerntheilung  ebenso  zu  Grunde,  wie  bei  der  Mikro- 
gametenbildung  der  Coccidien.  Geissein  habe  ich  bisher 
an  den  Mikrogameten  der  Haemosporidien  nicht  entdecken 
können,  sie  bewegen  sich  wie  bei  Klossia  durch  schlängelnde 
Bewegungen  des  Körpers.  Sie  bestehen  grösstenteils  aus 
Kernsubstanz ;  nur  wenig  Plasma  wird  bei  ihrer  Bildung 
verbraucht.  Die  Makrogameten  machen  einen  ganz  ent- 
sprechenden Reifungsprocess  wie  bei  den  Coccidien  durch; 
sie  runden  sich  kugelig  ab,  wobei  ein  Theil  der  Kern- 
substanz (das  Karyosom)  ausgestossen  wird  (Fig.  6  a).  Die 
Befruchtung  ist  identisch  mit  der  bei  den  Coccidien  ge- 
schilderten (Fig.  8).  Es  wird  auch  hier  ein  Empfängniss- 
hügel gebildet,  durch  den  nur  ein  einziger  Mikrogamet 
eindringt. 

Die  weitere  Entwicklung  der  Zygote  erfolgt  nun  aber 
in  anderer  Weise.  Die  Befruchtung  wird  nur  selten  im  Blut 
des  warmblütigen  Wirthes  vollzogen,  sondern  meist  erst  im 
Darm  der  Mücke,  welche  beim  Saugen  die  Parasiten  auf- 
genommen hat.  Offenbar  gehört  ein  besonderer  Reiz  dazu, 
um  die  Geschlechtsfunction  auszulösen.  Dieser  Reiz  scheint 
in  der  Abkühlung  zu  bestehen,  wofür  auch  die  Thatsache 
spricht,  dass  auf  dem  Objectträger  stets  nach  einiger  Zeit 
alle  Geschlechtsindividuen  zur  Copulation  schreiten.  Bei 
den  Coccidien  wird  die  Zygote  nach  erfolgter  Befruchtung 
sofort  zur  Oocyste,  und  wird  mit  dem  Darminhalt  entleert. 
Bei  den  Haemosporidien  darf  dies  nicht  geschehen,  sondern 


176  Gesellschaft  naturforschender  Freunde,  Berlin. 

die  Copula  muss  im  Zwischenwirth  bleiben,   damit  die  Art 
wieder  in  den  ersten  Wirth  gelangt. 

Um  diesen  Zweck  zu  erreichen,  entwickelt  sich  die  Copula 
zu  einem  langestreckten,  beweglichen  Körper,  der  imstande 
ist,  in  das  Darmepithel  der  Mücke  sich  einzubohren  (Fig.  9) ; 
hier  kommt  er  in  einer  Epithelzelle  zur  Ruhe,  wächst  be- 
deutend heran  uud  gelangt  schliesslich  aus  der  Epithelzelle 
in  die  Submucosa.  wo  er  unter  der  Muskelschicht  als 
buckelartige  Hervorwölbung  in  die  Leibeshühle  hineinragt. 
Er  hat  inzwischen  eine  Cystenhülle  abgeschieden  und 
sich  hiermit  zur  Oocyste  entwickelt.  Wahrend  also  bei 
den  Coccidien  die  Copula  direct  zur  Oocyste  wird,  hat  sich 
bei  den  Haemosporidien  ein  bewegliches  Zwischenstadium 
(wohl  in  Anpassung  an  die  andersartigen  Lebensbedingungen) 
ausgebildet,  für  welches  ich  den  Namen  „Ookinet"  vor- 
schlage 1). 

In  der  Oocyste  theilt  sich  das  Plasma  nach  voraus- 
gegangener Kernvermehrung  in  zahlreiche  Sporoblasten 
(Fig.  10).  Bei  den  Coccidien  scheiden  die  Sporoblasten 
eine  Hülle  ab  und  entwickeln  sich  damit  zu  Sporocysten, 
die  dann  erst  durch  Theilung  ihres  Inhalts  die  Sporozoiten 
bilden.  Bei  Proteosoma  fehlt  die  secundäre  Cystenbildung. 
die  Sporoblasten  theilen  sich  direct  in  Sporozoite  (Fig.  11), 
wobei  in  jedem  Sporoblasten  ein  kleiner  Restkörper  zurück- 
gelassen wird,  Die  Sporozoiten  werden  durch  Platzen  der 
Oocystenhülle  in  die  Leibeshöhle  der  Mücke  entleert  und 
gelangen  mit  dem  Lymphstrom  auch  in  die  Speicheldrüsen, 
aus  denen  sie  dann  beim  Stich  der  Mücke  mit  dem  Speichel 
in  das  Blut  des  ersten  Wirths  gelangen.  Wir  sind  hiermit 
zu  dem  Stadium,  von  dem  wir  ausgingen,  angelangt,  der 
Zeugungskreis  ist  geschlossen,  derselbe  ist  ebenso  wie  bei 
den  Coccidien  ein  echter  Generationswechsel. 

Die  wenigen  Differenzen,  welche  die  Entwicklung  der 
Haemosporidien  gegenüber  den  Coccidien  aufweist  (Ookineten- 
Stadium.  Fehlen  der  Sporocystenbildung)  erklären  sich  durch 


*)    Den   ich  einer  anregenden  Discnssion  mit  Herrn  Geheimrath 
F.  E.  Schulze  verdanke. 


Sit:un<j  com  IS.  Juli  1899. 


177 


-6a 


178  Gesellschaft  naturforschender  Freunde,  Berlin. 

die  Anpassung  an  den  Wirthsweehsel  und  sind  als  seeundäre 
zu  bezeichnen.  Jedenfalls  glaube  ich,  dass  der  hier  nur 
in  Kürze  angedeutete  Vergleich  die  nahe  Verwandtschaft 
der  Coccidien  und  Haemosporidien  plausibel  gemacht  hat. 
Die  Untersuchung  der  Haemosporidien  der  Amphibien 
(Drepanidium)  wird,  wie  ich  vermuthe,  diese  Ansicht  noch 
bestärken;  denn  ich  glaube,  dass  bei  diesen  Formen  kein 
Wirthsweehsel  vorliegt.  Für  die  Phylogenie  der  Haemo- 
sporidien werden  dieselben  wichtige  Aufklärung  liefern. 
Ich  hoffe  demnächst  andern  Orts  ausführlich  auf  diese  Frage 
zurückzukommen. 


FigurenerKlüruiig. 

I.  Schema  des  Zeugungskreises  einer  Coccidie  (Typus  Coccidium). 
IL  Schema  des  Zeugungskreises  einer  Haemosporidie  (Typus  Prott  osomä). 

In  den  beiden  Zeugungskreisen  bezeichnen  die  gleichen  Nummern 
homologe  Stadien   der  Entwicklung.     Die  homologen  Stadien  empfehle 
ich  mit  den  gleichen  Namen  zu  belegen   und  schlage  folgende  einheit- 
liche Nomenclatur  vor: 
Fig.  1.     Sporozoit. 

Fig.  2.     Sporozoit  in  die  Wirthszelle  eindringend. 
Fig.  3.     Herangewachsener  Schizont. 
Fig.  4.     Kernvermehrung  zur  Schizogonie. 
Fig.  5.     Schizogonie  und  Loslösung  der  Merozoitc  vom  Restkörper. 

Der    Cyclus    von    '>    über    '_'    kann    in    der    Pfeilrichtung 

wiederholt  werden. 
Fig.  6.     Makrogamet   vor,   6a   nach  der  Reifung  (Abrundung  und 

Ausstossung  des  Karyosoms). 
Fig.  7.     Mikrogametocyt,  7  a  Mikrogametenbildung. 
Fig.  8.     Copulation. 

Fig.  9.     In  Schema  I  Oocyste,  in  Schema  II  Ookinet. 
Fig.  10.    Sporoblastenbildung  in  der  Oocyste. 
Fig.  11.    Sporozoitenbildung  (bei  I  in  den  Sporocysten,  bei  II  fehlt 

die  Sporocystenhülle,  die  Sporoblasten  zerfallen  direct  in 

die  Sporozoiten). 


Sitzung  com  itt.  Juli,  1S00.  179 

Referierabend  am  II.  Juli  1899. 
Herr  Heymons    über  Pratt,  H.  S.:    The  Anatomy  of  the 

Female  Genital  Tract  of  the  Pupipara  as  observed  in 

Melophagus  ovinus.    Zeitschr.  wiss.  Zool.,  Bd.  66,  1899. 
Herr  Kolkwitz    über  Schimper:    Pflanzen -Geographie   auf 

physiologischer  Grundlage.     Jena  1898. 
Herr  Schaudinn  über:  Neuere  Untersuchungen  über  Coccidien 

und  Malaria -Parasiten  (zusammenfassende  Uebersicht). 


Im  Austausch  wurden  erhalten: 

Kansas  Univ.  Quarterly.  Ser.A.  Vol.  VIII.  No.l.  Kansas  1899. 

Proc.  Trans.  Nov.  Scot.  Inst.  Sei.  Vol.  IX.  Part.  4.  Halifax  1898. 

Bolet.  Instit.  Geol.  Mexico.    No.  11.     Mexico  1898. 

New  South  Wales.  Dep.  Mines  Agric.  Geol.  Survey. 
Mineral  Resources  No.  5.  —  J.  A.  Watt,  Rep.  on  the 
Wyalong  Gold-Field.     Sydney  1899. 

Dep.  Mines  Agric.  Mem.  Geol.  Surv.  New  South  Wales. 
Ethnolog.  Ser.  No.  1.  —  Campbell,  Aboriginal  Car- 
vings  of  Port  Jackson  and  Broken  Bay.    Sydney  1 899. 

Dep.  Mines  Agric,  Sidney.  —  Records  Geol.  Survey  New 
South  Wales.     Vol.  VI,  Part  II,  1899,  Sidney. 

Annais  South  Afrie.  Mus.     Vol.  I,  Part  2.     London  1899. 

Journal  Roy.  Microsc.  Soc.     1899.     Part  3.     London. 

Proc.  Zool.  Soc.  London.  1899.     Part  I. 

Proc.  Cambridge  Philosoph.  Soc.  Vol.  X,  Part  IL  Cam- 
bridge 1899. 

Trans.  Cambridge  Philosoph.  Soc.  Vol.  XVII,  Part  III. 
Cambridge  1899. 

Communic.  Mus.  Nacion.  Buenos-Aires.   Tomo  I,  No.  3.  1899. 

An.  Mus.  Nacion.  Buenos-Aires.  (2.  ser.,  Tomo  III.) 
Tomo  VI.     1899. 

Verh.  Deutsch.  Wiss.  Ver.  Santiago  de  Chile.  Band  III, 
Heft  6  (Schlussheft).     Valparaiso  1898. 

Bol.  Mus.  Paraens.     Vol.  II,   No.  1—4.     Para  1897/98. 

Bibl.  Nacion. Centr.Firenze.Bollett.Pubbl.Ital.  No.324.  1899. 

Indic.  Bollett.  Pubbl.  Ital.     1898.     p.  113-128. 


IgO  Gesellschaft  nat ur forschender  Freunde,  Berlin. 

Rendic.    Accad.    Sei.    Fis.    Mat.     Ser.   3a,    Vol.  V.     Anno 

XXXVIII.     Napoli  1899. 
Ann.  Fac.  Sei.  Marseille.  Tome  IX,  Fase.  1—7.  Paris  1899. 
Bull.  Com.  Geol.  St.  Petersbourg.  XVII.  No.  6— 10.  1899. 

XVIII.     No.  1—2.     1899. 
Mein.  Com.  Geol.  St.  Petersbourg.    Vol.  VIII,  No.  4,  1898. 

Vol.  XII,  No.  3,  1899. 
Nouveaux  Mein.  Soc.  Imp.  Natural.  Moscou  1898.  Tome  XV, 

Livr.  7.  —  Tome  XVI,  Livr.  1. 
Anz.  Ak.  Wiss.  Krakau  1899,  Mai,  No.  5. 
Jahrb.  Ung.  Karpathen-Ver.     XXVI.  Jahrg.     Iglö  1899. 
Mittheil.  Naturf.  Ges.  Bern.    No.  1436—1450.    Bern  1898. 
Ver.  Naturk.  Kassel.   Abhandl.  u.  Ber.  XLIV.  Kassel  1899. 
Wiss.  Veröffentl.  Ver.  Erdkunde  Leipzig.    Band  III,  Heft  3. 

Leipzig  1899. 
Mitt.  Ver.  Erdkunde  Leipzig  1898.     Leipzig  1899. 
Societatum  Litterae.  Jahrg.  XII,  No.  5— 12.  Frankfurt  a.  0. 1898. 
Mitt.  Zool.  Samml.  Mus.  Naturk.  Berlin.     Band  I,   Heft  2 

u.  3.     Berlin  1899. 
Helios.  Abhandl.  Mitt.  Naturw.  Ver.  Frankfurt.  Berlin  1899. 
Naturw.  Wochenschrift.  Band  XIV,  No.  26— 29.  Berlin  1899. 
Leopoldina.     Heft  XXXV,  No.  6.     Halle  a.  S.   1899. 

Als  Geschenke  wurden  dankbar  entgegengenommen: 

E.  Arnold.  Das  Elektrotechnische  Institut  der  Grossherzogl. 

Technischen    Hochschule    zu    Karlsruhe.      Berlin    und 

München  1899. 
Albert  I.   de  Monaco.    Exploration   oceanographique  aux 

regions  polaires.     Paris  1899. 
— ,  La  premiere  campagne  scientifique    de    la   „Princesse- 

Alice  IIe". 

F.  Leport.   Faussete  de  l'idee  evolutioniste.     Lyon  1899. 
F.  Parkes  Weber,  An  apparent  thickening  of  subeutaneous 

veins.     Edinburgh  a.  London  1899. 
R.  A.  Philippi,  Los  fösiles  seeundaries  de  Chile.    Santiago 

de  Chile   1899. 
CiL  Janet,  Note  sur  la  produetion  des  sons  chez  les  fourmis 

et  sur  les  organes  qui  les  produisent.    Ann.  Soc.  Ent.  Fr. 

Paris  1893.     Extr. 


Sitzung  vom  18.  Juli  1899.  181 

Ch.  Janet,   Notice  sur   les  travaux  scientifiques  presentes 

par  Ch.  Janet  ä  l'academie  des  sciences.     1896 
— ,  Les  habitations  a  bon  marche  dans  les  villes  de  moyenne 

importance.      Comptes    Rend.    Congres    Habitat.    Bon 

Marche.     Bruxelles  1897.     Extr. 
— ,   Etutes    sur    les    fourrais,    les    guepes    et  les  abeilles. 

Note  16.     Lille  1897. 
— ,  Sur  un  cavite  du  tegument  servant,  chez  les  myrmicinae, 

ä  1" etaler,  au  contact  de  l'air,  un  produit  de  secretion. 

Comptes  rend.  hebdomad.  des  Seances  de  l'Acad.  des 

Sciences.     T.  126,  p.  1168.     Paris  1898.     Extr. 
— ,  Reaction  alcaline  des  chambres  et  galeries  des  nids  de 

fourmis.     Duree    de    la    vie    des    fourmies  decapitees. 

Ibid.    T.   127,  p.  130.     Paris  1898.     Extr. 
— ,   Etudes  sur  les    fourmis,    les    guepes    et    les  abeilles. 

Note  17  u.   18.     Paris  1898.     2  Vol. 
— ,   Sur    l'emploi    de    desinences   caracteristiques  dans  les 

denominatious  des  groups.    Mem.  Soc.  Acad.  de  TOise. 

Beauvais  1898.     Extr. 
II.  Schixz,   Die  morphologisch-biologische  Anlage  und  das 

System  des  botanischen  Gartens  in  Zürich.    Zürich  1899. 
Jahresber.    Ornithol.   Ver.    München    für    1897    und    1; 

München  1899. 


J.  F.  Stareke,  Berlin  W. 


Nr.  8.  1899. 

Sitz  ungs-ße  rieht 

der 

Gesellschaft  naturforschender  Freunde 

zu  Berlin 
vom   17.   Oktober  1899. 


Vorsitzender:  Herr  von  Martens. 


Herr  W.  Hartwig  sprach  1.  über  eine  neue  Candona 
aus  der  Provinz  Brandenburg:  Candona  marchica, 
und  2.  über  die  wahre  Candona  pubescens  (Koch). 

1.    Candona  marchica  nov.  spec. 

Von  dieser  neuen  Art  erbeutete  ich  am  1.  April  1899 
und  am  5.  Mai  1899  je  8  und  6  r/  am  Nordende  des 
Grunewaldsees.  Das  zugehörige  2  habe  ich  mit  Sicher- 
heit noch  nicht  feststellen  können. 

Die  Schale  ist  von  milchweisser  Farbe,  ziemlich 
durchsichtig  und  stark  behaart.  Es  verhalten  sich 
Länge  :  Höhe:  Breite  =  1,00:0,60:0,42  mm.  In  der  Seiten- 
ansicht erscheint  dieselbe  fast  nierenförmig,  hinten  aber 
bedeutend  höher  als  vorn;  die  grösste  Höhe  liegt  im  letzten 
Drittel.  Der  Rücken  ist  im  mittleren  Drittel  fast  gerade, 
vor  dem  Auge  etwas  eingedrückt  und  hinter  der  höchsten 
Stelle  in  gleichmässigem  Bogen  nach  unten  gehend.  Der 
Unterrand  ist  ziemlich  stark  eingebuchtet,  mit  der  tiefsten 
Stelle  vor  der  Mitte;  im  letzten  Drittel  dagegen  ist  der- 
selbe ausgebuchtet  und  hier  mit  deutlich  wahrnehmbarem 
hyalinen  Saume  versehen.  In  der  Rückenansicht  er- 
scheint die  Schale  langeiförmig,  mit  der  grössten  Breite  im 
letzten  Drittel;  vorn  ist  dieselbe  zugespitzt  und  fast  kiel- 
förmig  ausgezogen,   hinten  dagegen  abgerundet.     Die  linke 


184  Gesellschaft  naturfwschender  Freunde,  Berlin. 

Hälfte  überragt  vorn  und  hinten  die  rechte  ziemlich  be- 
deutend. Die  Schale  hat  also  viel  Aehnlichkeit  mit  der 
von  Gandona  rostrata  Brady  and  Norman.  Bei  starker 
Vergrösserung  bemerkt  man,  dass  dieselbe  deutlich  mosaik- 
artig1) gefeldert  ist. 

Die  2.  Antenne  ist  sechsgliederig.  Von  den  beiden 
ungleichlangen  Spürorganen  reicht  das  grössere  mit  seinem 
membranösen  Anhängsel  bis  etwa  zur  Mitte  der  Endklauen, 
das  kleinere  hingegen  ist  um  die  Länge  seines  Anhängsels 
kürzer  als  das  grössere.  Das  letzte  Glied  der  Antenne  ist 
etwa  halb  so  breit  wie  das  vorletzte;  seine  Breite  verhält 
sich  zu  seiner  Länge  wie  2:5. 

Der  Putzfuss  ist  sechsgliederig2).  Die  kleine,  sehr 
gekrümmte  Hakenborste  ist  so  lang  wie  das  Endglied,  die 
grosse  ist  ungefähr  neunmal  so  lang  wie  die  kleine  (genaues 
Verhältniss  =  28  :  3).  Das  4.  und  5.  Glied  des  Putzfusses 
sind  fast  von  gleicher  Länge. 

Die  Furcalglieder  (Fig.  1,  f)  sind  kurz,  an  der  Basis 
dick,  verjüngen  sich  aber  nach  der  Spitze  zu  sehr  stark. 
Die  erste  Endklaue  ist  verhältnissmässig  sehr  gross,  fast 
so  lang  wie  das  ganze  Furcalglied.  Die  zweite  Endklaue 
dagegen  ist  auffallend  klein,  nicht  ganz  von  der  halben 
Länge  der  ersten;  das  genaue  Verhältniss  ist  im  Mittel 
=  14:31.  Diese  2.  Klaue  ist  beinahe  gerade  und  fast 
borstenförmig;  sie  verjüngt  sich  spitzenwärts  hinter  ihrem 
basalen  Drittel  plötzlich  und  ist  an  ihrem  Grunde  nur  den 
dritten  Theil  so  stark  wie  die  erste.  Beide  Endlauen  sind 
an  ihrer  inneren  Curvatur  bedornt,  was  freilich  bei  der 
zweiten,  wegen  ihrer  Kleinheit,  nicht  leicht  zu  erkennen  ist. 
Die  vordere  Endborste  ist  ungemein  winzig,  so  dass  sie 
schwer  zu  bemerken  ist.     Die  hintere  Borste  ist  nicht  viel 


!)  Diese  mosaikartige  Felderung  bemerkt  man  freilich  nicht  blos 
bei  Candonen,   sondern  auch  noch  an  der  Schale  anderer  Ostracoden. 

2)  Ich  fasse,  entgegen  der  Ansicht  von  Claus,  die  stärkere  Basis 
des  Stammes  des  2.  Fusspaarcs  als  1.  Glied  und  den  darauffolgenden 
schwächeren  Theil  desselben  als  2.  Glied  des  sog.  Putzfusses  auf.  es 
entsteht  dann,  durch  Theilung  des  vorletzten  Gliedes,  die  Sechs- 
gliederigkeit. 


Sitzung  vom  17.  Oktober  1899. 


185 


Figur  1.     Candona  marchica  W.  Hartwig,  nov.  spec. 

kürzer  als  die  2.  Endklaue  (genaues  Verhältniss  =  11  :  16); 
sie  steht  etwa  am  apicalen  Viertel  des  Hinterrandes.  — 
Unter  den  acht  von  mir  zergliederten  cf  fand  ich  eines, 
dessen  linkes  Furcalglied  abnorm  gebildet  war.  Es  be- 
fanden sich  nämlich  an  diesem  Gliede  zwei  grosse  und 
eine  kleine  Endklaue.  Von  den  beiden  grossen  Endklauen 
war  die  zweite  die  grössere,  die  dritte  aber  war  von  nor- 
maler Grösse:  sie  entsprach  vollkommen  der  zweiten  End- 
klaue des  regelrecht  gebildeten  rechten  Furcalgliedes.  Den 
drei  Endklauen  entsprechend  war  das  linke  Glied  viel 
stärker  als  das  rechte. 

Die  Greiftaster  haben  die  Form,  wie  sie  Fig.  1, 1  und  r, 
zeigt;  wobei  zu  bemerken  ist,  dass  1  den  linken  und  r  den 
rechten  Greiftaster  darstellt. 

Leichte  Erkennungsmerkmale:  Die  Endbewehrung 
der  Furcalglieder  und  die  Form  der  Greiftaster. 

Da  ich  nur  im  April  und  Mai  die  Candona  marchica 
auffand  —  und  zwar  nur  cf  —  so  darf  ich,  nach  meinen 
Erfahrungen,  annehmen,  dass  es  eine  Frühjahrsform  ist. 
Frühjahrformen  nenne  ich  die  Arten,  welche  während  der 
eigentlichen  Frühlingsmonate  in  überwiegender  "Anzahl 

8* 


186  Gesellschaft  naturforschender  Freunde,  Berlin. 

geschlechtsreif,  ausser  dieser  Zeit  aber  nur  vereinzelt 
geschlechtsreif,  meist  jedoch  nur  als  Larven  oder  garnicht 
vorkommen;  sie  erreichen  also  ihr  Optimum  im  Frühjahre. 
Ich  benannte  diese  Species  nach  der  Mark  Branden- 
burg, obwohl  ich  sehr  wohl  weiss,  dass  dieselbe  früher  oder 
später  sicher  noch  an  vielen  Orten  ausserhalb  Brandenburgs, 
wenn  ihr  nur  die  Lebensbedingungen  gegeben  sind,  auf- 
gefunden werden  wird. 

2.    Candona  pubescens  (Koch). 

Im  Jahre  1837  beschrieb  Koch  —  und  bildete  auch 
die  Schale  kenntlich  ab  (Deutschi.  Crustac,  11,  6)  —  eine 
Candona,  die  seitdem,  wie  es  mir  scheint,  nicht  wieder  auf- 
gefunden worden  ist.  G.  0.  Saks  identificirte  mit  Koch's 
Cypris  pubescens  1890  eine  Candona,  deren  Grössen  Verhält- 
nisse durchaus  nicht  den  Koch' sehen  Abbildungen  ent- 
sprechen. Vavka  that  1891  (Ostr.  Böhm.,  p.  43)  dasselbe 
mit  einer  Candona,  die  weder  Koch's  noch  Sars'  Candona 
pubescens  sein  kann.  1894  beschrieb  Croxeberg  (Ostracoden- 
fauna  d.  Umg.  von  Moskau,  p.  6)  eine  Candona  pubescens 
und  identificirte  dieselbe  mit  G.  0.  Sars'  und  Koch's  Can- 
dona pubescens;  diese  Candona  pubescens  Croxeheko's  ist 
aber  ebenfalls  weder  Saus'  noch  Koch's  Candona  pubescens, 
wie  ich  später  zeigen  werde. 

Im  April  und  Mai  dieses  Jahres  (1899)  fand  ich  nun 
eine  kleine  Candona  ziemlich  häufig  in  den  Seen  des  Grune- 
waldes, die  ich  für  die  wahre  (Jandona  pubescens  (Koch) 
halte.  Da  mir  die  kurze  lat.  Diagnose,  die  G.  0.  Sars  von 
seiner  Candona  pid>escens  giebt  (0 versigt  1890,  p.  64).  nicht 
genügte,  so  wendete  ich  mich  wegen  diesbezüglichen  Materials 
an  Herrn  Professor  Sars  in  Christiania,  der  mir  auch  so- 
fort in  liebenswürdigster  Weise  seine  Candona  pubescens  — 
und  noch  anderes  werthvolles  Candonen- Material  -  über- 
mittelte. Herzlichen  Dank  spreche  ich  auch  hier  noch  dem 
bekannten  nordischen  Forscher  dafür  aus! 

Ehe  ich  zur  ausführlicheren  Beschreibung  meiner  Can- 
dona pubescens  übergehe,  führe  ich  einige  Sätze  aus  Koch's 
Besehreibung  seiner   Candona  pubescens  an.     Er  sagt  u.  a. 


Sitzung  vom  17.  Oktober  1899,  187 

wörtlich:  „Stark  und  dicht  borstig".  „Gegen  den  Rücken  zu 
ungemein  fein  ausgestochen  punktirt".  .  .  .  „dorso  fornicato". 

Ich  beschreibe  meine  Candona  pubescens  wie  folgt: 

Die  Schale  ist  ausser  der  mosaikartigen  Felderuug 
noch  punktirt;  diese  punktartigen  Grübchen  werden  gegen 
den  Rücken  hin  grösser  und  zahlreicher.  Sie  ist  mit  ungleich- 
langen Haaren  dicht  besetzt:  die  längsten  derselben  er- 
reichen etwa  den  sechsten  Theil  der  Schalenlänge.  Die 
Grössenverhältnisse  beim  tf  sind:  Länge  :  Höhe  :  Breite 
=  0,87  :  0,54  :  0.47.  Die  Schale  des  9  ist  0,84  mm  lang  und 
dementsprechend  hoch  und  breit.  (Misst  man  Koch's  Ab- 
bildungen, so  findet  man  etwa:  Länge  :  Höhe  :  Breite 
—  84  :  50  :  44.  also  dasselbe  Verhältniss  wie  bei  meinen 
Stücken).  In  der  Seitenansicht  erscheint  die  Schale 
des  cf  meiner  Stücke  fast  eiförmig  (Fig.  2,  s),  unterseitlich 
abgeplattet.  Der  Rücken  ist  gewölbt,  hinten  höher  als  vorn; 
die  grösste  Höhe  liegt  im  letzten  Drittel.  Der  Unterrand 
ist  kaum  eingebuchtet.  In  der  Rückenansicht  erscheint 
die  Schale  kurz -eiförmig,  vorn  zugespitzt  und  hinten  ab- 
gerundet; die  linke  Schale  überragt  vorn  und  hinten  die 
rechte  kaum  merklich.  Die  grösste  Breite  liegt  hinter  der 
Mitte  (Koch's  Abbildungen  zeigen  auch  diesbezüglich  fast 
dasselbe).  Die  sechs  Muskelabdrücke  sind  ungefähr 
gleich  gross  und  fast  oval;  der  obere,  um  ein  Geringes 
grösser  als  die  anderen,  steht  etwas  entfernt  von  den  fünf 
übrigen. 

Die  Schale  des  9  ist  der  des  cf  äusserst  ähnlich,  nur 
ist  bei  ihr  der  hintere  untere  Schalenwinkel  mehr  zugespitzt 
als  beim  d\ 

Die  2.  Antenne  ist  auch  beim  Männchen  fünf- 
gliederig,  und  es  fehlen  daran  die  sogen.  Spür- 
organe1). 

Der  Putzfuss  ist  sechsgliederig.     Die  kleine  Haken- 


*)  Man  könnte  daher,  besonders  wenn  man  sich  an  Vävra's  Diagnose 
der  Gattung  Ca ndona  hält,  Candona  pubescens  (Koch)  zu  einer  neuen 
Gattung  erheben.  Auch  noch  andere,  von  den  typischen  Candonen 
abweichende  Eigenthündichkeiten  zeigt  diese  Art. 


188 


GesclUehttft  natiirforschender  Freunde,  Berlin. 


börste  ist  doppelt  so  laug  wie  das  Endglied,  die  grosse  ist 
etwa  dreimal  so  lang  wie  die  kleine;  die  Terrninalborste 
ist  noch  etwas  länger  als  die  grosse  Hakenborste  Das 
genaue  Verhältniss  des  Endgliedes  :  kleinen  Hakenborste  : 
grossen  Hakenborste  :  Terminalborste  ist  =  5  :  10  :  27  :  33. 
Die  Greiftaster  sind  von  der  Form,  wie  sie  Figur  2 
zeigt;  wobei  zu  bemerken  ist,  dass  1  den  linken  und  r  den 
rechten  Taster  darstellt. 


^y. 


/L 


Figur  2.    Gandona  pubescens  (Koch):  1837. 

DieFurcalglieder  sind  lang  und  schlank,  fast  gerade. 
Die  Endklauen  sind  stark,  im  Verhältniss  zu  den  Gliedern 
nur  kurz  und  an  ihrer  inneren  Curvatur  deutlich  bedornt. 
Die  hintere  Borste  ist  lang;  sie  verhält  sich  zur  2.  End- 
klaue =  12:17;  sie  ist  etwa  am  apicalen  Sechstel  des 
Hinterrandes  des  Furcalgliedes  eingefügt.  Die  vordere  End- 
borste ist  sehr  klein.  Die  Länge  der  ersten  Endklaue  be- 
trägt etwa  die  Hälfte  von  der  Länge  des  Furcalgliedes 
(19  :  40). 

Leichte  Erkennungsmerkmale:  Die  kurz-eiförmige 
Gestalt  der  Schale    in   der  Rückeuansicht  im   Vereine   mit 


Sitzung  vom  17.  Oktober  1899.  189 

der  Fünfgliederigkeit  der  zweiten  Antenne  beim  männlichen 
Geschlechte,  sowie  gänzliches  Fehlen  der  sog.  Spürorgane. 

Anmerkung. 
Was  ich  früher  („Brandenburgia"  1896.  p.  378)  als 
Candona  pubescens  (Koch)  aus  der  Provinz  Brandenburg  auf- 
führte, war  stets  Candona  pubescens  Ckoneberg.  Die  Candona 
pubescens  G.  0.  Saks  habe  ich  bis  heute  in  der  Mark  noch 
nicht  aufgefuuden;  ich  idenlificirte  sie  aber  mit  Candona 
pubescens  Cboneberg  und,  Sars  folgend,  auch  mit  Koch  s 
Candona  2)id>esccns.  Heute  aber,  nachdem  ich  G.  0.  Saus' 
Form  untersuchen  konnte  und  die  wahre  Candona  pubescens 
Koch  aufgefunden  habe,  sehe  ich.  dass  alle  drei  Candonen 
sehr  von  einander  verschieden  und  wirklich  gute  Species 
sind.  Die  Verschiedenheit  der  drei  Arten  springt  schon 
beim  Vergleichen  der  Grösse  und  Form  der  Schalen  in  die 
Augen. 

1.  Ckoneberg's  Form  (aus  dem  Grunewaldsee1)  ist  gross: 

cf:   1,16  mm  lang,  0,71  hoch  und  0,51  breit. 
9:  1,07    „        „  ,  0,65      „       „     0,43      „   . 

2.  G.  0.  Saks'  Stücke  (aus  Christiania)  sind  gross: 

J:   1.22  mm  lang,  0,85  hoch  und  0,50  breit. 
9 :  1,03    „        „  ,  0,65      „       „     0,44      „   . 

Bei  Croneberg's  Art  ist  der  mittlere  Theil  des  Rückens 
gerade,  bei  Saks'  Art  hingegen  gewölbt.  Bezüglich  der 
inneren  Theile  will  ich  hier  nur  auf  die  verschiedene  Form 
der  Greiftaster  beider  Arten  hinweisen,  da  ich  nächstens  aus- 
führlicher über  diese  beiden  Candonen  zu  schreiben  gedenke. 

Da  die  Arten  beider  Autoren  durchaus  verschieden  von 
einander,  beide  aber  nicht  mit  Koch's  Cypris  pubescens 
identisch  sind,  so  müssen  sie  neu  benannt  werden.  Ich 
schlage  daher  für  G.  0.  Sars'  Candona  pubescens 
den  Namen  Candona  Sarsi  und  für  die  Candona 
pubescens  Cronebekg's  den  Namen  Candona  Crone- 
bergi  vor. 


l)  Die   Stücke    aus  dem   Schwielowsee    sind  kleiner:    rf  1,07  mm 
und   9   0,98  mm  lang. 


190  Gesellschaft  natuiforschencler  Freunde,  Berlin. 

Herr  Hilgendorf  legt  vor  ein  in  einer  geschlossenen 
Flasche  Wein  gekeimtes  Getreidekorn,  das  von  der 
Weinflrina  J.  P  Trakbach  Nachf.  der  Gesellschaft  zugesandt 
worden  ist.  Herr  Schwendexer  erklärt  sich  bereit,  den 
Fall  zu  untersuchen. 

Herr  von  Martens  sprach  über  einige  Landschnecken 
Mittel-Italiens  in  Betreff  ihrer  geographischen  Verbreitung, 
nach  Beobachtungen,  die  er  in  den  Monaten  .April  und  Mai 
dieses  Jahres  daselbst  gemacht  hat. 

In  dem  oberen  Flussgebiet  des  Tiber,  dem  umbrischen 
Apennin,  treten  hauptsächlich  zwei  Arten  der  i/cfe-Gruppe 
Iberus  als  Felsenschnecken  auf.  Helix  strigata  Ferussac.  an 
natürlichen  Felsen  wie  an  Mauern  lebend,  und  II.  carsulana, 
aber  an  keinem  einzelnen  Orte  fanden  sich  beide  zusammen, 
sondern  erstere  in  einem  Bogen  von  Narni  über  Terui  und 
Spoleto  bis  Perugia,  letztere  in  der  Sehue  dieses  Bogeus 
in  deu  Ruinen  des  alten  Carsulae  bei  S.  Gemine.  An 
diesem  Fundort  war  sie  schon  um  1821  von  dem  Reisenden 
Menard  de  la  Groye  gefunden  und  an  Ferussac  mitge- 
theilt  worden,  dieser  hat  sie  gut  abgebildet  (hist.  nat.  Moll, 
terr.,  pl.  41,  hg.  1).  aber  ungeschickter  Weise  sie  erst  car- 
söliana,  nacher  carseolana  genannt  (prodroine  pag.  32.  No.  67 
und  pag.  67).  indem  er  den  genannten  Ort  mit  einem  weit 
südlicher  in  den  Apenninen  gelegenen,  dem  alten  Carseoli. 
jetzt  Carsoli  (an  der  Eisenbahn  zwischen  Tivoli  und  Avezzano), 
verwechselte;  es  empfiehlt  sich  daher,  den  Artnamen  nun 
noch  einmal  zu  carsulana  umzueorrigiren.  Der  Vortragende 
hat  beide  Orte  besucht  und  bei  Carsoli  wohl  ein  altes,  halb 
verfallenes  Schloss,  das  sehr  zum  Schneckensammeln  ein- 
lud, gefunden,  aber  keine  Art  aus  der  genannten  Gruppe, 
dagegen  an  den  Ruinen  von  Carsulae  in  weit  kürzerer  Zeit 
eine  Anzahl  dieser  schönen  Schnecke,  theils  an  den  Ruinen 
selbst,  theils  an  den  Brombeer- Stauden,  die  sich  davor 
emporrankten.  Weiter  südlich,  im  Sabinergebirge,  lebt  eine 
nahe  verwandte  Art,  die  der  Vortragende  1856  bei  Subiaco 
fand  und  damals  als  carsolana  bezeichnete  (Malakozool. 
Blätter.  IV.  1858.  p.  137.  V.  p.  129.  abgebildet  bei  Kobelt, 


Sitzung  vom  17.  Oktober  1899.  191 

Fortsetzung  von  Rossmässler's  Iconographie,  Bd.  V,  1877. 
Taf.  123.  Fig.  1174—1176)  und  jetzt  wieder  bei  Tivoli  an 
der  via  delle  cascatelle,  immer  an  Kalkfelsen,  und  die  des- 
halb jetzt  77.  tiburtina  genannt  werden  dürfte.  Noch  süd- 
licher, im  neapolitanischen  Apennin,  treten  wieder  andere 
nahe  verwandte  Arten  auf.  Helix  signata  Fer.  (circumsignata 
Malak.  Blatt..  V,  p.  132)  von  Piedimonte  d'Alife  am  Matese 
bis  Itri  nahe  der  Meeresküste  zwischen  Terracina  und  Gaeta 
und  //.  surrentina  A.  Schmidt  an  der  Küste  von  Capri  und 
dem  Monte  Sant'  Angelo  bis  Calabrien  sich  hinziehend  und 
stellenweise  der  erst  erwähnten  strigata  sehr  ähnlich  werdend. 
An  keinem  Orte  habe  ich  zwei  der  bis  jetzt  genannten  Arten 
zusammen  gefunden.  Noch  weiter  verbreitet,  aber  nicht  in 
das  eigentliche  Gebirge  der  Appenuinen  eindringend,  sondern 
mehr  der  Küstenzone  augehörend,  ist  Hdix  muralis  0.  F. 
Müllek  1 778.  mit  Recht  so  benannt,  da  sie  längs  der  West- 
seite Italiens  an  den  Mauern  der  Städte  von  Pisa  und 
Florenz  über  Rom  bis  Neapel  und  Sicilien  verbreitet  ist; 
es  ist  schwer  zu  sagen,  ob  die  gleichmässigeren  klimatischen 
Verhältnisse  der  Meeresküste  diese  weitere  Verbreitung  be- 
dingen oder  ob  Verschleppung  mittelst  Baumaterials  durch 
menschlichen  Verkehr  im  Spiel  ist,  wie  Dr.  Kobelt  meint, 
der  Sicilieu  für  ihr  ursprüngliches  Vaterland  hält.  Mit 
einer  der  verwandten,  vorhin  genannten  Arten  habe  ich  sie 
nur  einmal  zusammen  getroffen,  nämlich  auf  Capri  mit 
//.  surrentina.  Aehnlich  verhält  es  sich  mit  zwei  Felsen- 
und  Mauer -Schnecken  aus  der  Gattung  Clausilia,  die  sich 
oft  mit  den  genannten  Helix- Arten  zusammenfinden  und 
untereinander  auch  systematisch  nahe  stehen:  Clausilia  leu- 
costigma  (Zikgl.)  Rossm..  grauröthlich  mit  erhabenen  weissen 
Strichelchen  unter  der  Naht,  findet  sich  im  Appennin  Mittel- 
Italiens  weit  verbreitet,  von  Perugia  und  Narni  bis  Subiaco 
und  Ascoli,  scheint  aber  nirgends  die  Meeresküste  zu  er- 
reichen und  auch  nicht  weiter  südlich  nach  Unter -Italien 
zu  gehen.  Cl.  papillaris  Drap,  (bidens  Linne,  non  0.  F. 
Müller.  Drap..  Rossm.)  dagegen ,  weisslich  mit  kastanien- 
brauner, weisspunktirter  Naht,  ist  an  allen  Küstenstrecken 
Italiens  verbreitet,  sowohl  an  der  Ost-  als  an  der  Westseite, 


192  Gesellschaft  naturforschender  Freunde,  Berlin. 

und  erstreckt  sich  mehr  oder  weniger  landeinwärts,  in 
Venetien  nur  bis  in  die  Gegend  von  Padua,  in  Toscana 
aber  bis  Florenz.  Aber  über  ganz  Italien,  wie  schon  an- 
gegeben wurde,  ist  auch  sie  nicht  verbreitet,  sie  fehlt  in 
Piemout,  an  den  oberitalienischen  Seen  und  im  Gebiet  der 
Cl.  leueostigma,  dem  mittleren  Appenuin;  nur  einmal  habe 
ich  beide  Arten  nebeneinander  gefunden,  bei  Tivoli,  also 
gerade  an  der  Grenze  der  Berge  uud  der  Küstenebene, 
und  zwar  hier  an  zwei  Stellen,  an  den  Mauern  der  Garten- 
terrassen der  Villa  d'Este  und  an  den  Säulen  des  Tempels 
der  Sibylle.  Cl.  papillaris  ist  auch  über  die  Grenzen 
Italiens  hinaus  an  den  Mittelmeerküsten  verbreitet,  auch  bei 
ihr  kann  an  Einschleppung  durch  den  Menschen  gedacht 
werden  und  es  zeigt  sich  bei  diesen  zwei  Clausilien  der- 
selbe Unterschied  zwischen  weitverbreiteten  Küstenarteu 
und  geographisch  beschränkteren  Gebirgsarten.  wie  bei  den 
vorher  genannten  Helix.  Diese  Helix  der  Iberus-  Gruppe 
und  die  genannten  Clausilien  gehören  in  Mittel-Italien  als 
charakteristische  Felsen-  beziehungsweise  Mauerbewohner 
standortlich  enge  zusammen,  wie  in  Süd-Tirol  und  an  den 
oberitalienischen  Seen  Helix  (Campylaea)  cingulata  und 
Clausula  itala,  in  den  sog.  Dolomiten  Helix  (C.)  prcsli  und 
Clausula  stentzi. 

Ihnen  gegenüber  stehen  eine  Anzahl  Landschnecken, 
welche  mehr  am  Boden  oder  auf  niederen  Pflanzen  leben 
und  an  den  Küsten  des  Mittelmeeres  weit  über  die  Grenzen 
Italiens  hinaus  verbreitet  sind,  wie  z.  B.  Helix  vermiculata, 
aperta,  pisana,  variabilis,  trochoides  und  pyramidata,  Cochlicella 
acuta  und  ventricosa,  Rumina  decollata;  all'  diese  siud  auch 
im  Küstenland  Toscanas  und  in  der  Umgegend  Roms  vor- 
handen, die  meisten  dringen  auch  mehr  oder  weniger  ins 
Binnenland  ein,  so  fand  ich  z.  B.  Helix  variabilis  wie  in  der 
Campagua,  so  auch  an  rasigen  Abhängen  bei  Carsoli,  H. 
pyramidata,  so  häufig  in  der  Campagna,  noch  bei  Narni  und 
Carsulae  u.  s.  w.  Nur  Helix  pisana,  H  trochoides  und  in 
gewissem  Maasse  auch  Cochlicella  acuta  bleiben  auf  die 
Küstenzone  beschränkt  und  sind  wohl  noch  um  Rom,  aber 
schon  nicht  mehr  bei  Florenz  und  noch  weniger  im  eigent- 


Sitzung  vom  17.  Oktober  1899.  193 

licheu  Appenninengebirge  vorhanden;  dabei  ist  es  sonderbar, 
dass  von  Paaren  systematisch  sich  sehr  nahe  stehender 
Arten,  wie  II.  pyramidata  und  trochoides,  Cocldicella  ventricosa 
und  acuta,  je  die  eine  weit  ins  Binnenland  hineingeht,  die 
andere  auf  die  Küstenzone  beschränkt  bleibt;  auch  H.  pisana 
und  rariabilis,  die  zwar  nicht  anatomisch,  aber  doch  im 
Habitus  und  in  der  Lebensweise  einander  sehr  gleichen  und 
oft  miteinander  vorkommen,  zeigen  denselben  Gegensatz 
betreffs  Erstreckung  ins  Binnenland. 

Eine  weitere  Kategorie  der  Landschnecken  Mittel- 
Italiens  bilden  die  durch  gauz  Süd-Europa  und  einen  Theil 
von  West -Europa  verbreiteten,  nicht  gerade  die  Küsten- 
gegenden besonders  bevorzugenden  Arten,  die  auch  in  der 
Lombardei  vorkommen  und  so  nach  allen  Himmelsrichtungen 
über  die  Grenzen  Mittel-Italiens  hinausgehen,  theilweise  die 
häufigsten  und  am  leichtesten  zu  findenden  Arten,  wie  HeJix 
aspersa,  cartusiana,  cinctella,  Buliminus  tridens,  Cyclostoma  ele- 
gans  u.  A.  Eine  letzte,  bescheidenere  Kategorie,  die  aus  Mittel- 
Europa  gerade  noch  in  die  Berggegenden  des  nördlichen 
Appennins  hereinreicbendeu,  aber  nicht  weiter  nach  Süden 
vordringenden  Formen,  wie  Helix  obvöluta  und  Clausilia 
plicatula,  bei  deren  Anblick  mau  sich  nach  Deutschland 
zurückversetzt  glaubt. 

Da  ich  schon  vor  43  Jahren.  1856,  ein  paar  Wochen 
in  Rom.  damals  noch  unter  päpstlicher  Herrschaft,  zuge- 
bracht hatte,  so  bot  sich  ein  Vergleich  der  damaligen 
Schneckenausbeute  mit  der  diesmaligen  von  selbst  dar: 
damals  war  ich  erstaunt,  wieviel  Arten  von  Landschnecken 
(12)  innerhalb  des  Mauerbezirks  von  Rom  zu  finden  waren, 
es  lag  der  Boden  südlich  und  östlich  vom  Forum  noch 
grossentheils  öde,  wo  jetzt  neue  Strassen  sind,  und  auch  die 
bewohnten  Theile  von  Rom  waren  weniger  rein  gehalten. 
Kehrichthaufen  und  Ablagerungsstätten  menschlicher  Bedürf- 
nisse da  und  dort  zu  finden.  Jetzt  musste  ich  schon  die 
neuangelegten  Spaziergänge  auf  dem  Janiculus  ausserhalb 
der  Mauern  zu  Hülfe  nehmen,  um  auch  nur  annähernd  die- 
selbe Zahl  der  Arten  aufzutreiben,  aber  in  viel  geringerer 
Individueuzahl.     Im  Jahre   1856    waren  in  fast  allen  den 


J94  Gesellschaft  naturforschender  Freunde,  Berlin. 

zahlreichen  Brunnen  diesseits  und  jenseits  des  Tiber  zwei 
kleine  Süsswasserschnecken  zu  finden,  Limnaea  f'usca  und 
Bithynia  rubens,  jetzt  suchte  ich  in  allen  vergeblich  darnach 
und  musste  wieder  auf  den  Janiculus.  um  überhaupt  eine 
Süsswasserschnecke  zu  finden.  Damals  bot  mir  der  Coelius 
ungewöhnlich  grosse  Helix  pisana  in  Menge,  die  grössten 
meiner  Sammlung,  jetzt  fand  ich  in  Korn  nur  ein  einziges, 
todtes.  mittelmässiges  Stück.  Wohl  bietet  das  Forum  und 
der  Palatin  bei  eifrigem  Suchen  noch  einige  der  charakte- 
ristischen Steinschnecken.  Helix  mural is,  Clausula  papillaris, 
ferner  die  weitverbreiteten  //.  vermiculata,  variabilis,  profuga, 
Cochlicella  acuta,  Rumina  decottata  und  Gyclostoma  elegans, 
aber  doch  ziemlich  sparsam.  1856  las  ich  Helix  murdlis 
noch  von  den  Statuen  des  Nil-  und  Tibergottes  vor  dem 
Senatoreupalast  auf  dem  Capitol  ab.  1899  sah  ich  auch  nach 
dem  günstigsten  Regen  keine  mehr  daselbst  auf  dem  jetzt 
staatlich  und  städtisch  gewordenen  Boden,  wohl  aber  noch 
eine  lebende  im  Hofe  des  Vatikans  an  der  Innenseite  der 
Mauer,  dicht  bei  dem  Eingange  zur  Antikensammlung. 


Referierabend  am  10.  Oktober  1899. 
Herr  Rawitz  über  Brandt,  K..  Ueber  den  Stoffwechsel  im 

Meere.    Rede  beim  Antritt  des  Rektorates  der  König! . 

Christian-Albrechts  Universität  zu  Kiel  am  6.  März  1 899. 
Herr  Kolkwitz  über  Belajeff:  Ueber  die  Centrosomen  in 

den    spermatogenen    Zellen.     Ber.    deutsch.   Bot.   Ges. 

1899,  Bd.  XVII,  p.  199. 
Herr  von   Martens:    Bericht    über    einige   oceanographische 

Vorträge  auf  dem  internationalen  Geograph en-Kongress 

zu  Berlin  1899. 
Herr  L  Kny  über  Guignard:   Sur  les  antherozoides  et  la 

double    copulation    sexuelle    chez  les   vegetaux  angio- 

spermes.     (1898.) 


Sitzung  vom  17.  Oktober  1899.  195 

Im  Austausch  wurden  erhalten: 

Jahreshefte  Ver.  vaterl.  Naturk.  Württemberg.     Jahrg.  55. 

Stuttgart  1899. 
Wissenschaftl.  Meeresuntersuch.  Komm.  wiss.  Unters,  deutsch. 

Meere    Kiel    u.   Biol.  Anst.   Helgoland.     Neue    Folge. 

Band  III,  Abtheil.  Helgol.,  Heft  1;  Band  IV,  Abtheil. 

Kiel.     Kiel  u.  Leipzig  1899. 
Ber.    naturwiss.  -  mediz.   Ver.    Innsbruck.  -  -   Jahrg.  XXIV, 

1897/98  und  1898/99.     Innsbruck  1899. 
Arch.  Ver.  Freunde  Naturgesch.  Mecklenburg.   -     52.  Jahr 

(1898)    Abtheil.   II.  53.   Jahr    (1899)    Abtheil.   I. 

Güstrow  1899. 
Jahresber.  naturw.  Ver.  Elberfeld.  Heft  IX.  Elberfeld  1899. 
Jahresber.  Königl.  Geodät.  Inst,  für  die  Zeit  von  April  1898 

bis  April  1899.     Potsdam  1899. 
Sitzungsber.  kgl.  preuss.  Ak.Wiss.  Berlin.  XXIII— XXXVIII. 

4.  Mai  bis  27.  Juli  1899.     Berlin  1899. 
Leopoldina.     Heft  XXXV,     No.  7  —  9.     Juli  — September. 

Halle  a.  S.   1899. 
Naturw.  Wochenschrift.  Band  XIV,  No.  30—42.  Berlin  1899. 
57.  Jabres-Ber.  Mus.  Francisco-Carol.  —  Linz  1899. 
Abh.  Naturw.  Ver.  Bremen.  Band  XVI.  Heft  2.  Bremen  1899. 
Sitzungsber.  Naturf.  Ges.  Leipzig.   Jahrg.  24  u.  25.   1897/98. 

Leipzig  1899. 
Verh.  Naturhist.-med.Ver.  Heidelberg.  Neue  Folge.  Band  VI, 

Heft  2.     Heidelberg  1899. 
Verh.   Mittheil.  Siebenbürg.  Ver.  Naturwiss.  Hermannstadt. 

Band  XLVIII.     Jahrg.   1898.     Hermannstadt  1899. 
32.   Ber.    Oberhess.    Ges.    Natur-    u.    Heilkunde.     Giessen 

1897-1898—1899.     (2  Exempl.) 
Berliner    Entomol.    Zeitschr.  —  Entomol.   Ver.   Berlin.  — 

Band  44.     (1899.)     Berlin   1899. 
Annal.  K.  K.  Naturh.  Hofmus.  Wien  1898.  Band  XIII,  No.  4. 
Mittheil.  Deutsch.   Seefisch. -Ver.  --  Band  XV,    No.  7  —  9. 

Juli— September.     Berlin  1899. 
Verhandel.  Koninkl.  Akad.  Wetensch.  Amsterdam.  —  Sect.  1, 

üeelVI.  No.6u.7.  Titelblatt  u.  Register.  Amsterdam  1899. 


196  Geseihehaft  naturfwschender  Freunde,  Berlin. 

—  Sect.  2,  Deel  VI  No.  3—8.     Titelblatt  u.  Register. 
Amsterdam   1898/99. 

Versl.    Gew.    Vergad.    Wis  —  eil    Natimrk.     Afdeel.    van 

28.  Mei  98  tot  22.  April  99.   Deel  VII.   Amsterdam  1899. 

Bull.  Geol.  Inst.  Univers.  Upsala.    Vol.  IV,  Part  1,  No.  7, 

1898.  Upsala  1899. 

Christiania  Vidensk.  Selsk.  Forh.   1899.    No.  1.  Christiania 

1899.  Knuth  T.  Stroem.  Undersoegelser  over  norsk  tjaere. 
Saks.  G.  0.,  An  Account  of  the  Crustaeea  of  Norway.  Vol.  II. 

Isopoda.  Part  XIII,  XIV.   Cryptoniscidae,  Appendix.  — 

Published  by  the  Bergen  Museum.     Bergen  1899. 
Mein.  Proc.  Manchester  Literary  a.  Philos.  Soc.   1898—99. 

Vol.  43,  Part  IV.     Manchester. 
Journal  Roy.  Microsc.  Soc.     1899.     Part  4.     London. 
A  List  of  the  Fellows  of  the  Zool.  Soc.  London.     1899. 
Proc.  Zool.  Soc.  London.  1899.  Part  II  a.  III.  March— June. 

London. 
Trans.  Zool.  Soc.  London.  Vol.  XV,  Part  2—3.  London  1899. 
New    South    Wales,    Dep.    Mines  Agricult.   Geol.    Survey. 

Mineral  Resources  No.  6.     Sydney  1899. 
Dep.  Mines  a.  Agricult.  Sidney.  Records  Geol.  Surv.  New 

South  Wales.     Vol.  VI,  Part  III,  Sidney  1899. 
Australien  Mus.   -     Rep.   of  Trnstees    for    the  year   1898. 

Sydney  1899. 
Eighteenth    Annual    Rep.    U.   S.    Geol.    Surv.    1896  —  97. 

Part  I.  Washington  1897.  —  Part  III.  Washington  1898. 

—  Part  IV.  Washington  1897. 

Nineteenth    Annual    Rep.     U.   S.    Geol.    Surv.    1897—98. 
Part  I,  Washington  1898.  —  Part  IV,  Washington  1899. 

—  Part  VI  and  VI  (continued),  Washington  1898. 
Missouri  Bot.  Gard.  —  Rep.   10.   1899.     St.  Louis  1899. 
Chicago    Ac.    Sei.    Bull.    No.   II.    Geol.    Nat.    Hist.    Surv. 

Chicago  1897. 
Chicago  Ac.  Sei.  Fortieth  Annual  Report  for  the  year  1897. 

Chicago  1898. 
Kansas  Univ.  Quart.  Ser.  A.  Vol.  VIII.  No.  2.  April  1899. 
Proc.  Boston  Soc.  Nat.  Hist.    Vol.  28,  No.  13-16.    Boston, 

Januar— April   1899. 


Sitzung  vom  17.  Oktober  1809.  197 

Mem.  Boston  Soc.  Nat.  Hist.    Vol.  5,  Numb.  4 — 5.    Boston, 

April   1899. 
Journ.  Elisha  Mitch.   Sei.  Soc.     Vol.  XIV,    part  2,    July- 

Dec.  1898.     Chapel  Hill. 
Proc.  Ac.  Nat.  Sei.  Philadelphia  1899.    Part  I,  Jan.— March. 
Bull.  Mus.  Comp.  Zool.  Harvard  Coli.    Vol.  XXXII.  No.  10. 

Vol.  XXXIII.  Vol.  XXXIV,  No.    15—20.  Vol.  XXXV, 

No.  1—2.    Cambridge.  Mass.  U.  S.  A.  1899. 
Annual  Rep.  Mus.  Comp.  Zool.  Harvard  Coli.     Cambridge 

U.  S.  A.   1899. 
Bull.  Essex  Inst.     Vol.  28.  No.  7-12.     Salem  1896. 

Vol.  29,  No.  7-12.     Salem  1897.      ■ 
Vol.  30.  No.  1-12.     Salem  1898. 
Mem.  Rev.  Soc  Cient.  „Ant.  Alzate".   Tomo  XII  (1898—99), 

Nums.  4.  5,  ß.     Mexico  1899. 
Bol.   Mens.   Observ.   Meteor.    Centr.    Mexico.     Abril   1899. 

Mexico  1899. 
Bol.    Ac.    Nac.    Cienc.   Cordoba.     Tomo  XVI,    entrega  la. 

Buenos- Aires  1899. 
Ann.    Mus.   Civ.   Stör.   Nat.    Genova.     Ser.  2a.    Vol.  XIX 

(XXXIX).  1898-99. 
Bollett.  Pubbl.  Ital.     Num.  325—330.    Luglio-Settembre. 

Firenze-Milano  1899  und  Titelblatt  für  1898. 
Indice    degli  Atti   Amministrativi    dei  Comuni,    delle   Pro- 

vincie  etc.     p.   129—14"). 
Atti  Soc.  Nat.  Modena.  —  Ser.  III,  Vol.  XVI,  Anno  XXXI, 

Fase.  III.   —  Modena  1899. 
Rend.  Accad.  Sei.   Fis.   Matern.    Ser.  3,  Vol.  V,  XXXVIII. 

Fase.  6—7.     Giugno— Luglio.     Napoli  1899. 
Bull.  Soc.  Sei.  Nat.  de  TOuest  de  la  France.  Tomme  9,  1. 

Nantes  1899. 
Bull.  Acad.  Imp.  Sei.  St.  Petersbourg,  Ser.  V,  Tome  VIII, 

No.    5.     Mai    1898.  —  Tome    IX,    No.    1-5.     Juni, 

Sept.,   Oet.,   Nov..   i)ec.   1898.   —  Tome  X,  No.  1—4, 
.Jan.,  Febr..  März,  April  1899.     St.  Petersbourg. 


198  Gesellschaft  na tur forschender  Freunde,  Berlin. 

Als  Geschenke  wurden  dankbar  entgegengenommen: 

Opitz.  Vergleich  der  Placentarbildung  bei  Meerschweinchen, 
Kaninchen  und  Katze  mit  derjenigen  beim  Menschen. 
(Separatabdr.  aus  Zeitsehr.  Geburtsh.  Gynäkol.  Band 
XL1.  Heft  1.) 

Otterbein,  Die  Erhaltung  der  inneren  Erdwärme.  (Separat- 
abdr. aus  der  Germania  vom  22.  u.  23.  Juli  1899.) 

Möbius.  Führer  durch  die  zool.  Schausamml.  Mus.  Naturk. 
Berlin  1899. 

Grünwedel,  Dictionary  of  the  Lepcha-Language.  Berlin  1 898. 

Zeitsehr.  angew.  Mikrosk.  G.  Mappmann.  Band  V,  Heft  1. 
Weimar  1899.     (Probeheft.) 

Illustr.  Zeitsehr.  Entomol.    Band  4,  No.  13.    Neudamm  1899. 

Recueil  des  trayaux  du  jardin  Botanique  de  Tiflis.  Livraison  3. 


J.  F.  Starcke,  Berlin   W. 


Nr.  9.  1899. 

Sitz  ungs-Be  rieht 

der 

Gesellschaft  naturforschender  Freunde 

zu  Berlin 
vom  21.  November  1899. 


Vorsitzender:  Herr  von  Martens. 


Herr  SCHWENDENER  berichtete  über  das  von  Herrn 
Hilg endorf  in  der  Sitzung  am  17.  Oktober  d.  J.  (siehe 
p.  190)  vorgelegte,  dem  Anschein  nach  in  einer  Flasche 
Wein  gekeimte  Getreidekorn. 

Die  mikroskopische  Untersuchung  der  Keimpflanze  er- 
gab mit  Sicherheit,  dass  dieselbe  getödtet  war.  Der  Plasma- 
inhalt war  von  der  Zellhaut  vollständig  abgelöst,  ähnlich 
wie  bei  einem  Alcohol- Präparat.  Die  Entwicklung  der 
Keimpflanze  hatte  also  wahrscheinlich  in  dem  beim  Spülen 
zurückgebliebenen  Wasser  stattgefunden  und  wurde  dann 
durch  das  Einfüllen  des  Weines  unterbrochen,  indem  der 
Alcoholgehalt  desselben  das  Absterben  der  Gewebe  herbei- 
führte. 

Drei  Getreidekörner,  welche  in  die  gefüllte  Flasche 
gebracht  wurden,  keimten  nicht,  während  andere  von  der- 
selben Sorte,  welche  zur  Controlle  in  feuchte  Erde  gesteckt 
wurden,  sich  normal  entwickelten.  Durch  dieses  Experiment 
ist  eine  andere  Deutung,  als  die  oben  gegebene  ausge- 
schlossen. 

Die  Pflanze  hat  zweifellos  im  zurückgebliebenen  Spül- 
wasser gekeimt  und  ist  durch  das  Einfüllen  des  Weines 
getödtet  worden. 


200  Gesellschaft  naturforschender  Freunde,  Berlin. 

Herr  VON  MäRTENS  sprach  über  das  neue  Werk  von 
Paul  u.  Fritz  Sarasin,  die  Land-Mollusken  von  Celebes, 
und  über  die  darin  enthaltene  Theorie  der  Forrnen- 
ketten. 

Dieses  schöne  und  gründliche  Werk  empfiehlt  sich 
gleich  auf  den  ersten  Anblick  durch  die  reiche  Ausstattung 
mit  musterhaft  ausgeführten  Tafeln,  welche  sowohl  Schalen 
als  Radulazähne  darstellen.  Durch  ihre  Reisen  in  bis  da- 
hin noch  wenig  bekannten  Gegenden  dieser  grossen  Insel 
ist  unsere  Kenntniss  der  Thierwelt  derselben  wesentlich 
vermehrt  worden;  zwar  haben  sich  unter  den  Landschnecken 
keine  so  unerwartet  neuen  Formen  gefunden,  wie  Miratesta 
unter  den  Süsswasserschnecken,  aber  doch  ist  die  Anzahl 
der  von  jener  Insel  bekannten  Arten  bedeutend  vermehrt, 
beinahe  verdoppelt  worden,  von  116  auf  198;  davon  kommen 
59  Arten  auf  die  Landdeckelschnecken,  139  auf  die  Sty- 
lommatophoren,  ein  für  erstere  günstiges  Verhältniss.  wie 
es  nur  in  den  Tropengegenden,  nirgends  in  der  gemässigten 
Zone,  besteht  und  das  nur  von  demjenigen  auf  den  west- 
indischen Inseln  übertreffen  wird.  Die  Gattungen  kommen 
meist  auch  auf  den  anderen  grösseren  Inseln  oder  Insel- 
gruppen von  Niederländisch-Indien  und  auf  den  Philippinen 
vor,  viele  auch  auf  dem  Festlande  von  Hinterindien.  Von 
den  Arten  ist  die  grosse  Mehrzahl  auf  Celebes  beschränkt, 
einzelne  ganz  charakteristische  Arten  sind  aber  doch  auch 
identisch  mit  solchen  auf  den  Philippinen,  auf  den  Molukken, 
auf  Flores  und  Timor,  nur  mit  Borneo  hat  Celebes  keine 
Art  gemeinschaftlich,  wenn  man  von  einzelnen  kleinen, 
wahrscheinlich  durch  menschlichen  Verkehr  verbreiteten 
absieht,  wie  Opeas  gracile  und  Trochomovpha  planorbis.  Die 
bekannte  WALLACE'sche  Grenzlinie  zwischen  einem  orientali- 
schen und  einem  australischen  Reiche  bestätigt  sich  also 
hier  wohl  für  Borneo,  aber  nicht  für  die  Philippinen,  mit 
denen  Nord-Celebes  die  charakteristische  Gruppe  Obba  ge- 
mein hat  und  zu  denen  ja  auch  von  der  Nordspitze  von 
Celebes  eine  Inselreihe  hinüberführt.  Der  Unterschied 
zwischen  den  Landschnecken  von  Nord-  und  von  Süd- 
Celebes.   welcher  sehr  gross  erschien,   solange  man  über- 


Sitzung  vom  Ul.  November  1809.  201 

haupt  nur  von  den  2  Stationen  Manado  (mit  Tondano)  und 
Makassar  (mit  Maros)  Landschnecken  kannte,  1867,  ver- 
wischt sich  mehr  und  mehr,  über  je  mehr  Gegenden  sich 
unsere  Kenntniss,  ausdehnt,  doch  bleibt  eine  nähere  Hin- 
neigung zu  den  Philippinen  für  Nord-Celebes,  zu  Java  und 
Flores  für  Süd-Celebes  bestehen. 

Die  Verfasser  widmen  ein  eigenes  Schlusskapitel  der 
Erscheinung,  welche  sie  mit  dem  neuen  Namen  „Formen- 
ketten" bezeichnen;  es  ist  das  die  Thatsache.  dass  in 
einem  grösseren  geographischen  Bezirk  eine  Anzahl  nächst 
verwandte  Formen  lebt,  deren  Extreme  man  für  eigene, 
unter  sich  verschiedene  Arten  halten  wTürde,  wenn  sie  nicht 
unter  sich  durch  Mitteiglieder  eng  verbunden  wären,  und 
zwar  diese  Thatsache  von  dem  Standpunkt  aus  betrachtet, 
dass  diese  Formen  phylogenetisch  und  öfters  auch  geo- 
graphisch eine  gerade  fortschreitende  Reihe  bilden.  Da- 
durch sollen  sie  sich  von  den  Formenkreisen  unterscheiden, 
ein  Ausdruck,  den  Ad.  Schmidt,  Böttger  und  Kobelt  für 
eine  Zusammenfassung  von  Landschneckenformen  gebrauchen, 
die  auch  geographisch  nicht  allzuweit  von  einander  entfernt 
sind,  aber  gewissermaassen  nach  verschiedenen  Seiten  aus- 
strahlen und  in  verschiedener  Weise  untereinander  verknüpft 
werden  können.  (Nach  einer  Mittheilung  von  Prof.  Ascherson 
wird  der  Ausdruck  Formenkreis  in  demselben  Sinne  auch 
von  den  Botanikern  gebraucht.)  Nichts  anderes  ist  im  Grunde 
auch  die  grössere  Anzahl  von  Lokalvarietäten,  wie  sie  z.  B. 
der  Vortragende  in  seiuer  Bearbeitung  der  Landschuecken 
der  Preussischen  ostasiatischen  Expedition  1867  für  mehrere 
Arten  aufgestellt  hat,  wie  für  Lejptopoma  vitreum,  Nanina 
citrina,  Helix  zonaria  u.  a..  indem  manche  dieser  Varietäten 
von  anderen  Conchyliologen  als  eigene  Arten  betrachtet 
worden  sind  oder  jetzt  betrachtet  werden.  Was  nun  das 
Neue  und  für  die  Verfasser  Wesentliche ,  die  Einreihigkeit 
der  Variation,  betrifft,  so  nennen  sie  dafür  als  grundlegendes 
Beispiel  die  Nanina  cincta  auf  der  nördlichen,  sich  von  West 
nach  Ost  erstreckenden  Halbinsel  von  Celebes:  hier  lebt 
am  östlichen  Ende  die  kleine  typische  cincta,  in  der  Mitte 
fanden  sie  eine  etwas  grössere  Mittelform  und  weiter  im 

9* 


202  Gesellschu/f  naturfoi'schender  Freunde,  Berlin. 

Westen  die  grosse,  auch  in  der  Färbung  abweichende  Um- 
Jbifera;  die  Verfasser  nehmen  nun  an,  dass  dieser  Theil  in 
geologisch  nicht  alter  Zeit  sich  aus  dem  Meere  erhoben  und 
zwar  von  Osten  nach  Westen  fortschreitend;  die  kleine  öst- 
liche Form  also  die  älteste  sei  und  nach  Westen  fort- 
schreitend sich  zu  grösseren  Formen  umgebildet  habe.  Es 
kann  ja  so  sein,  aber  so  lange  wir  nicht  durch  Funde  in 
älteren  Ablagerungen  etwas  Positives  über  die  Ahnen  dieser 
Art  wissen,  bleibt  es  Vermuthuug;  man  könnte  sich  auch 
denken,  dass  die  mittlere  Form  die  älteste  sei  und  sich 
nach  Osten  wandernd  verkleinert,  nach  Westen  vergrössert 
habe,  oder  auch,  dass  sie  zwar  am  Ostende  entstanden, 
aber  hier  zuerst,  als  sie  noch  tiefer,  dem  Meere  näher  war. 
auch  grösser  gewesen  und  allmählich  mit  der  Erhebung 
ihres  Standortes  kleiner  geworden  sei.  Als  zweites  Beispiel 
führen  die  Verfasser  Helix  (Planispira)  zodiacus  im  mittleren 
Theil  von  Celebes  an,  deren  Varietäten  eine  nordsüdliche 
Reihe  bilden;  aber  dieses  Beispiel  ist  deshalb  weniger  ein- 
leuchtend, als  hier  noch  zwei  andere,  sehr  nahe  verwandte 
Arten  ins  Spiel  kommen,  deren  Fundorte  nahe  liegen, 
aber  sich  nicht  in  die  Reihe  einfügen.  Das  sind  die  den 
Verfassern  bekannten  Fälle  thatsächlich  geographischer 
Einreihigkeit  von  in  Einer  Richtung  variirenden  Formen. 
Einige  andere  Ketten  bilden  sie  aus  Formeu,  die  sich  auch 
theoretisch  in  Eine  Reihe  bringen  lassen,  deren  Fundorte 
sich  aber  nicht  in  eine  geographische  Reihe  ordnen;  sie 
sagen,  es  sei  „wahrscheinlich,  dass  secundäre  Wanderungen 
und  Verschiebungen  stattgefunden  haben,  wodurch  die  ur- 
sprüngliche Vertheiluug  der  Formen  über  die  Insel  hin 
Störungen  erlitt"  (S.  230).  Hier  kann  man  auch  nur  sagen, 
es  kann  ja  so  gewesen  sein,  es  kann  aber  auch  anders  her- 
gegangen sein.  z.  B.  Ausstrahlungen  nach  verschiedenen 
Seiten,  und  je  nachdem  neue  ähnliche  äussere  Einflüsse  ein- 
wirkten, bildeten  sich  auch  analoge  Formen  aus.  ohne  direkt 
historisch  eine  einfache  Reihe  zu  bilden. 

Die  Verfasser  fordern  nun  auf,  weitere  Formenketten 
ausfindig  zu  machen  und  bemerken:  „das  grösste  Lob  einer 
Mollusken-Sammlung  sollte  in  Zukunft  nicht  das  sein,  mög- 


^ 


Sitzung  vom,  21.  November  1S99. 


203 


liehst  viele  Arten  zu  enthalten,  sondern  möglichst  viele 
Uebergänge  zwischen  Arten,  d.  h.  möglichst  viele  Formen- 
ketten aufzuweisen".  Es  ist  das  ungefähr  dasselbe,  was 
der  Vortragende  seit  40  Jahren  im  Berliner  Museum  an- 
strebt, nämlich  jede  Art  in  möglichst  viel  unter  sich  ver- 
schiedenen Stücken,  womöglich  mit  bestimmter  Fundorts- 
angabe, vertreten  zu  habeu.  und  wer  sich  die  Mühe  und 
Zeit  dazu  nehmen  will,  wird  in  dem  Berliner  Museum  für 
Naturkunde  leicht  eine  ganze  Reihe  von  Formenketten  linden 
können;  freilich  wird  es  mit  der  Einreihigkeit  der  Fundorte 
meist  Bedenken  haben  und  die  phylogenetische  Einreihig- 
keit schwer  nachzuweisen  sein.  Schon  ein  Landsmanu  der 
beiden  Sarasin,  J.  D.  W.  Hartmann,  hat  ziemlich  lange 
vor  dem  Aufkommen  des  Darwinismus  in  seinem  „Erd- 
und  Süsswasser-Gasteropoden  der  Schweiz"  1840 — 44.  S.  44, 
eine  solche  Formenkette  für  eine  der  bekanntesten  und 
häufigsten  Süsswasser-  Schnecken  Mittel -Europas,  Limmea 
stay nalis,  aufgestellt  und  der  Vortragende  zeigt  eine  ent- 
sprechende Reihe  von  Exemplaren  aus  dem  hiesigen  Mu- 
seum vor  (vergl.  die  Tafel): 


Absolute 

Verhältni 

SS 

Länge 

in  l 

Breite 
lillimet 

CD 

5  Länge  der 
Mündung 

b4 

3 
N 

.ti    iE 

-  j 

u 

o 
r3 

M            &       * 

laSI 

~   -    '-■  :r. 

■s&fl 

&  .    t; 

E  -'Z 
a  5  '** 

ö  a  a 

Ä.g  es 

Fundort. 

var.  elegans 
Le  ach.  (solida 
Hartm.) 

IIS 

27 

l:22/5 

mV. 

l:ll/i8 

Mark 
Brandenburg. 

var.  vulgaris 

Hartm. 

52 

25 

24 

i:2Vi2 

1 : 1  Ve 

1 :  l  Vi« 

Stuttgart. 

var.  turgida 
Hartm. 

51 

28 

27 

l:lB/e 

l:8/9 

l:lVn 

St.  Gallen. 

var.  media 
Hartm. 

47 

27 

26 

1:17« 

i:4/a 

l:lV»a 

Starnberger 
See 

var.  laeustris 
Stud. 

34 

27 

24 

1 : 1  ,/4 

1 :  7i2 

lilVs 

Neufchateler 
See. 

204  Gesellsehall  imhir forschender  Freunde,  Berlin. 

Es  ist  eine  einfache  Reihe  steigender  Einschachtelung. 
die  folgende  Windung  umfasst  der  Reihe  nach  immer  einen 
grösseren  Theil  der  vorhergehenden,  das  Volumen  der  ein- 
zelnen Windungen,  für  die  letzte  durch  Breite  und  Mündungs- 
länge ausgedrückt,  variirt  dabei  wenig,  desto  mehr  die  ab- 
solute Länge,  weil  diese  durch  die  Einschachtelung  einer 
Windung  in  die  andere  direkt  abnimmt,  und  eben  damit 
ändert  sich  das  Verhältniss  der  annähernd  gleich  bleibenden 
Mündungslänge  zum  übrigen  Theil  der  Schalenlänge,  die 
oben  durch  die  Einschachtelung  verkürzt  wird:  bei  den 
zwei  ersten  Varietäten  ist  die  Mündungslänge  weniger,  bei 
den  drei  letzten  mehr  als  die  übrige  Länge  und  zwar  in 
steigendem  Verhältniss.  Einigermaassen  lässt  sich  hier 
auch  eine  geographische  Reihenfolge  festhalten,  wie  die  an- 
gegebenen Fundorte  zeigen:  die  langgestreckten,  wenig  ein- 
geschachtelten Formen  herrschen  in  der  That  in  der  Um- 
gebung Berlins  vor.  vulgaris  bei  Stuttgart,  turgida  bei 
St.  Gallen  und  die  beiden  letzten  Formen  gehören  den 
grossen  Seen  am  Fusse  der  Alpen  an.  Aber  diese  Reihen- 
folge erleidet  sehr  viele  Ausnahmen:  aus  Finnland  hat 
schon  Norüenskjöld  eine  der  media  sehr  nahe  Form  1856 
abgebildet,  vom  Plöner  See  in  Holstein  hat  Geh.  Rath 
Schulze  unserem  Museum  eine  richtige  media  mitgebracht 
und  umgekehrt  bildet  Hartmann  in  Sturm's  Fauna,  Heft  8, 
aus  einem  kleinen  See  in  der  Nähe  von  Zürich  eine  extrem 
wenig  eingeschachteltn  Form  ab;  derartige  Beispiele  liessen 
sich  noch  viele  beibringen.  Das  ist  nicht  durch  „sekundäre 
Wanderungen"  zu  erklären  und  Hartmann  dürfte  wohl  Recht 
haben,  der  es  mit  der  Lokalbeschaffenheit  des  Standortes  in 
Verbindung  bringt:  stärkere  Einschachtelung  ist  Anpassung 
an  häufigen  Wellenschlag,  wie  er  in  grossen  Seen  vorkommt, 
und  an  steinigen  Uferboden,  durch  sie  erhält  die  Schale 
mehr  innere  Stütze  und  bietet  weniger  Oberfläche  den 
von  aussen  kommenden  mechanischen  Gewalten  dar:  die 
schlanken,  wenig  eingeschachtelten  Formen  leben  in  stillem 
Wasser  mit  sandigem  oder  schlammigem  Grund.  Je  nach- 
dem diese  oder  jene  Art  von  Gewässern  vorherrscht,  herrscht 
auch   diese  oder  jene  Form  der  Limnaea  stagnalis  vor  und 


Sitzung  vom  21.  November  1899.  205 

in  derselben  Provinz  können  verschiedene  Formen  vor- 
kommen, je  nach  den  verschiedenen  Gewässern  und  so  löst 
sich  die  scheinbar  geographische  Differenz  in  eine  physi- 
kalische auf. 

Eine  sehr  augenfällige  einreihige  Kette  bilden  ferner 
z.  B  die  Arten  der  ife&z-Gruppe  Eurycratera  Beck  (Parthena 
Albers)  auf  Haiti  und  Portorico,  von  der  ganz  gerundeten 
H.  unduhta  Fee.  durch  die  flachen  dominicensis  Per.  und 
die  stumpfkantige  angustata  Fer.  zur  entschieden  gekielten 
obliterata  Fer.  und  der  scharf  gekielten,  oben  ganz  flachen 
angulata  Fer..  worauf  der  Vortragende  in  der  zweiten  Aus- 
gabe von  Albers'  Heliceen  S.  147,  148  aufmerksam  gemacht 
hat.  Das  ist  nun  eine  Artenkette,  was  die  Verfasser  (S.  232) 
ja  nicht  mit  Formenkette  verwechselt  wissen  wollen,  aber 
im  Grunde  ist  es  doch  etwas  Gleichwerthiges,  nur  in  grösserer 
Ausdehnung,  die  Arten  sind  nach  der  Entwicklungslehre 
doch  aus  Varietäten  entstanden  und  im  vorliegenden  Falle 
sind  schon  einige  Varietäten  der  genannten  Arten  bekannt, 
welche  es  möglich  erscheinen  lassen,  dass  weitere  Funde 
an  neuen  Standorten  die  Artgrenzen  in  Frage  stellen.  Eine 
geographische  Einreihigkeit  scheint  bei  diesen  Arten  auf 
den  ersten  Anblick  auch  möglich,  denn  die  letztgenannte 
extreme  Art  gehört  sicher  Portorico  an.  die  vorhergehenden 
Haiti  und  nur  von  der  vorletzten  wurde  früher  auch 
Portorico  als  Heimat  angegeben,  wo  sie  aber  durch  neuere 
Reisende  nicht  gefunden  wurde.  Wenn  wir  aber  die 
speziellen  Fundorte  auf  der  Insel  ansehen,  welche  Crosse, 
Malacologie  terr.  et  fluv.,  de  l'ile  de  S.  Domingue  1891,  auf- 
führt, so  ergeben  diese  nicht  eine  der  Gestaltsabstufung 
entsprechende  geographische  Reihe,  im  Gegentheil,  die  der 
Art  von  Portorico  nächststehende  Art  von  Haiti,  obliterata, 
ist  gerade  auf  dem  Portorico  entferntesten  Theil  Haitis,  bei 
Jeremie  und  Port-au-prince,  zu  Hause.  Es  dürfte  hier  eher 
eine  Ausstrahlung  nach  verschiedenen  Seiten  hin  stattge- 
funden haben  und  an  verschiedenen  Endpunkten  ähnliche 
Gestalten  entstanden  sein,  durch  ähnliche  Lebensverhältnisse 
bedingt,  nicht  durch  direkte  Abstammung  der  angulata  von 
der  obliterata  oder  umgekehrt. 


206  Gesellschaft  naturforschender  Freunde,  Berlin. 

Von  phylogenetischen  Formenreihen  wissen  wir  noch 
wenig  Positives,  und  gerade  das  bekannteste  Beispiel,  das 
die  Verfasser  auch  anführen.  Planorbis  multiformis  in  Stein- 
heim, kehrt  seine  Spitze  gegen  die  Annahme,  dass  die 
Variation  regelmässig  in  einer  bestimmten  Richtung  fort- 
schreite. Jeder,  der  die  verschiedenen  Formen  dieser 
merkwürdigen  Schnecke  nebeneinander  vor  sich  hat.  wird 
sehr  leicht  eine  einfache  Reihe  daraus  bilden,  von  den 
flachsten  bis  zu  den  höchsten  konischen,  oder  auch  von  den 
entschieden  kantigen  zu  denen  mit  abgerundeter  Peripherie. 
Aber  die  Vertheilung  in  den  aufeinander  folgenden  Ab- 
lagerungsschichten an  Ort  und  Stelle,  wie  sie  unser  Mitglied 
Prof.  Hilgendorf  1866  und  1879  untersucht  und  erläutert 
hat.  zeigt,  dass  keine  jener  nach  der  Gestalt  gebildeten 
Reihen  die  richtige  phylogenetische  ist;  die  extremen  Formen 
linden  sich  in  der  Mitte  oder  etwas  über  der  Mitte  der 
Schichtenfolge  und  die  obersten  (jüngsten)  Formen  werden 
wieder  den  untersten  (ältesten)  ähnlicher,  selbstverständlich 
ihnen  nicht  ganz  gleich.  Es  könnte  sich  mit  den  extrem 
konischen  Formen  des  Phnorbis  multiformis  ähnlich  ver- 
halten, wie  mit  Valvata  antiqua  in  verschiedenen  Seen 
Deutschlands  neben  der  allgemein  verbreiteten  V.  piscinalis, 
d.  h.  Anpassung  an  bestimmte  Einflüsse  der  Umgebung. 
die  in  Steinheim  im  Lauf  der  Zeiten  wieder  verschwanden, 
bei  der  lebenden  Art  eine  Lokal varietät,  die  in  entfernten 
Gegenden  in  ähnlicher  Weise  sich  zeigt,  hervorriefen.  Der 
Vortragende  sieht  das  Interessante  des  Planorbis  multiformis 
hauptsächlich  darin,  dass  er  uns  warnt,  wie  trügerisch  es 
sein  könne,  nach  der  Abstufung  der  Gestalt  gebildete  Reihen 
unbedenklich  als  phylogenetisch  zu  nehmen. 

Die  Verfasser  gehen  nun  noch  weiter,  indem  sie  sich 
fragen,  was  die  Ursache  der  fortschreitenden  Varietäten- 
bildung sei,  sie  kommen  dabei  auf  die  Aerschiedenen  Ein- 
flüsse der  Aussenwelt  zu  reden,  wie  Nahrungsmangel  oder 
Nahrungsmenge,  Bodenbeschaffenheit,  Meereshöhe  u.  s.  w., 
finden  aber,  dass  alle  diese  keine  genügende  Erklärung 
geben.  So  erwähnen  sie  z.  B.  betreffs  der  Meereshöhe, 
dass  Helix  arbustorum   mit  steigender  Meereshöhe   kleiner 


Sitzung  vom  21.  November  1899.  207 

werde.  H.  pomatia  dagegen  grösser  und  legen  daher  diesem 
Einfluss  keine  wesentliche  Wichtigkeit  bei;  die  letztere  That- 
sache  ist  allerdings  von  einem  zuverlässigen  Beobachter, 
Char  rentier,  1837  für  den  Kanton  Wallis  angegeben,  aber 
sie  übersehen  dabei,  dass  H.  pomatia  überhaupt  bei  weitem 
nicht  so  hoch  in  den  Bergen  aufsteigt  als  H.  arbustorum. 
die  Wirkung  auf  die  eine  und  auf  die  andere  Art  sich  also 
nicht  direkt  mit  einander  vergleichen  lässt.  indem  die 
Meereshöhe  eben  nicht  direkt  nach  einer  Richtung  im  Ver- 
hältniss  der  Fusse  oder  Meter  wirkt,  sondern  durch  die  mit 
ihr  zusammenhängenden  Verhältnisse  von  Licht  und  Wärme, 
Bodenbeschaffenheit  und  Vegetation,  und  daher  bis  zu  einem 
gewissen  Maass  fördernd,  darüber  hemmend  wirken  kann; 
auch  II.  arbustorum  ist  in  den  niedrigeren  Zonen  der  Alpen, 
z.  B.  um  Salzburg,  ungewöhnlich  gross,  grösser  als  in  der 
norddeutschen  Tiefebene. 

Betreffs  der  geognostischeu  Unterlage  betonen  sie  mit 
Recht,  dass  der  Reichthum  des  Kalkbodens  an  Landschnecken 
., nicht  auf  der  Anwesenheit  von  Kalk  beruhe,  sondern  auf 
„dem  Vorhandensein  von  zahllosen  Höhlen  und  Spalten,  in 
welchen  die  Thiere  gegen  Trtckenheit  Schutz  und  für  die 
Eier  günstige  Brutstätten  finden"  (S.  238).  Eine  solche 
Anschauung  hat  der  Vortragende  beim  Anblick  der  sorren- 
tinischen  Halbinsel  und  Capri's  gegenüber  von  Ischia  1856 
sich  gebildet  und  später  in  Thüringen  bei  Friedrichsroda 
im  Vergleich  des  Felsen  „Gottlob"  mit  dem  „ungeheuren 
Grund"  wiederholt  (Malakozoologische  Blätter  1858  S.  142 
und  Jahrbücher  d.  malakol.  Gesellschaft  IV.  1877  S.  216) 
und  von  ihm  hat  es  H.  Jordan,  auf  den  die  Verfasser  sich 
beziehen.  Wenn  auch  ein  günstiger  Einfluss  des  grossem 
Kalkgehalts  im  Boden  und  damit  wohl  auch  in  den  Pflanzen, 
von  denen  die  Schnecken  sich  nähren,  nicht  ganz  gering  zu 
achten  ist,  so  sind  die  Verfasser  doch  ganz  im  Recht,  hier 
anzunehmen,  dass  der  geognostische  Unterschied  der  Boden- 
beschaffenheit wesentlich  nicht  direkt,  sondern  durch  damit 
verbundene  Nebenumstände  auf  das  Leben  der  Schnecken 
wirke.  Und  so  ist  es  mit  vielen  andern  Verhältnissen  der 
äussern    Umgebung,     die     sich    auf    das    Mannigfaltigste 


208  Gesellscluift  natwforschender  Freunde,  Berlin. 

kombiniren  und  so  in  sehr  verschiedener  Weise  einwirken 
können.  Es  dürfte  daher  wohl  Herrn  Geh.  Rath  Möbius 
beizustimmen  sein,  der  sich  dahin  äusserte,  dass  die  Ver- 
fasser den  Einfluss  der  äussern  Umgebung,  des  Wohnortes, 
doch  wohl  zu  gering  angeschlagen  hätten.  Dass  auch  in 
Celebes  von  nahe  verwandten  Formen,  die  in  höhern 
Gegenden  lebenden  absolut  kleiner  sind,  davon  führen  die- 
selben mehrere  Beispiele  an.  sie  erklären  es  aber  so,  dass 
die  in  höhern  Gegenden  lebenden  die  älteren  schon  seit 
länger  bestehenden  Formen  seien  und  die  Formenbildimg 
überhaupt  von  kleineren  zu  grösseren  fortschreite. 

Indem  die  Verfasser  somit  für  die  Formenketten  keine 
genügende  Erklärung  aus  den  äussern  Umständen  gewinnen 
können,  so  sehen  sie  sich  genöthigt.  deren  Entstehung  „un- 
bekannten, constitutionellen  Ursachen  zuzuschreiben".  Hier- 
bei beziehen  sie  sich  aber  auch  noch  auf  Moritz  Wagners 
Migrationslehre  und  gelangen  dadurch  zu  der  Ansicht,  dass 
in  den  Individuen  ein  Trieb  zur  Weiterbildung  in  einer 
bestimmten  Richtung  über  die  Eltern  hinaus  liege,  so  zu 
sagen,  zu  einem  Wachsthum  der  Art,  analog  dem  Wachs- 
thum  des  Individuums,  dieses  Trieb  aber  nur  zu  wirklicher 
Bethätigung  komme,  wenn  die  Individuen  auswandern,  d.  h. 
nicht  nur  unter  andere  äussere  Verhältnisse  kommen,  sondern 
auch  von  der  Mehrzahl  ihrer  Artgenossen  sich  örtlich  trennen; 
die  Auswanderung  giebt  die  Möglichkeit  der  Weiterbildung, 
aber  ihre  Richtung  hängt  nicht  von  den  neuen  äusseren 
Umständen  ab,  sondern  ist  schon  vorher  gegeben.  Das 
würde  nun  allerdings  geographisch  fortschreitende  Formen- 
und  Artenketten  einfach  und  vollständig1)  erklären,  aber 
es  ist  doch  eine  ziemlich  verwickelte,  ad  hoc  construirte 
Hypothese.  Man  sieht  nicht  ein,  warum  nicht  auch  an  dem 
ursprünglichen  Standorte,  ohne  Auswanderung .  der  Trieb 
zur  Weiterbildung,    zum   „Wachsthum    der  Art"    sich    be- 


x)  Nur  die  oben  erwähnte  Erklärung  durch  „sekundäre  Wande- 
rungen" passt  nicht  recht  dazu,  denn  das  sollen  doch  wohl  Weiter- 
wanderungen ohne  Aenderung  der  Form  sein,  da  doch  die  Theorie  für 
jeden  Fortschritt  der  Wanderung  auch  einen  Fortschritt  in  der  ge- 
gebenen Richtung  der  Formbildung  verlangt. 


Sitzung  vom  21  November  1899.  209 

thätigt;  denn  wenn  dieser  Trieb  in  jedem  Individuum  steckt, 
so  ist  deren  Zusammensein  kein  Grund  gegen  die  Ver- 
änderung. Wenn  auch  die  Ausdrücke  Ziel  und  Zweck  da- 
bei vermieden  sind,  nur  von  „bestimmt  gerichteter  Ent- 
wicklung" (nach  Eimer.  Orthogen ese  von  Haacke1)  getauft) 
die  Rede  ist,  so  ist  es  doch  im  Grunde  nicht  viel  anders 
als  die  von  Bär  und  Alex.  Braun  angenommene  „Ziel- 
strebigkeit", wobei  eben  nur  das  denkende  Subjekt  fehlt, 
das  sich  das  Ziel  gesetzt  hätte.  Ein  teleologisches  X  wird 
damit  wieder  in  die  genetische  Erklärung  eingeführt,  das 
daraus  zu  eliminiren  versucht  zu  haben,  der  grosse  Fort- 
schritt des  Darwinismus  ist.  Freilich  sind  die  Meinungen, 
ob  der  Versuch  gelungen  sei,  hout  zu  Tage  bei  den  besten 
Forschern  vielleicht  noch  mehr  getheilt  als  vor  etwa  20  Jahren, 
wo  der  Darwinismus  als  endgültig  letztes  Wort  der  Wissen- 
schaft galt.  So  ist  eben  auch  der  Fortschritt  in  unserer 
Naturerkenntniss  nicht  ein  „orthogenetischer",  sondern  ein 
„oscillirender". 

Es  liegt  in  der  Natur  eines  beurtheilenden  Berichtes, 
dass  er  bei  dem,  was  weniger  einleuchtet,  länger  verweilt, 
denn  hier  muss  eben  die  Meinungsverschiedenheit  begründet 
werden,  während  das.  dem  man  zustimmt,  keine  weitere 
Erörterung  verlangt.  Desshalb  möchte  ich  hier  am  Schlüsse 
noch  ausdrücklich  hervorheben,  dass  dieses  schöne  Werk, 
die  Frucht  mehrerer  mühevoller  und  nicht  gefahrloser  Reisen 
in  unbekannte  Gegenden,  nicht  nur  unsere  Kenntniss  über 
die  Thierwelt  einer  zoogeographisch  so  interessanten  Insel 
positiv  sehr  wesentlich  erweitert,  sondern  auch  neue  An- 
schauungen und  Probleme  bringt,  welche  zu  weiterer  Ver- 
tiefung anregen. 

Herr  KOPSCH  sprach  über  den  Bau  der  Milz  von 
Mensch  und  Schimpanse. 


')  Herr  v.  Seidlitz  bemerkt  dazu,  dass  der  Ausdruck  Orthogenese 
schon  früher  für  etwas  ganz  Anderes  eingeführt  sei,  für  die  ordentliche 
geschlechtliche  Fortpflanzung  im  Gegensatz  zur  Parthenogenese. 


210  Gesellsclmft  naturforschender  Freunde,  Berlin. 

Referierabend  am  14.  November  1899. 

Herr  Hennings  über:  Bachmetjew,  Ueber  die  Temperatur 
der  Insekten  nach  Beobachtungen  in  Bulgarien.  Zeit- 
schrift wiss.  Zool.  Bd.  66,  Heft  4. 

Herr  H.  Potonie:  Vorlage  einer  neuen  Wandtafel  mit  Land- 
schaft aus  der  Steinkohlenzeit. 

Herr  K.  Möbius  über:  Nordquist,  Beitrag  zur  Kenntniss  der 
isolirten  Formen  der  Ringelrobbe  (Phoca  foetida  Fabr.) 
Acta  Societatis  pro  fauna  et  flora  fennica.  T.  XV. 
Helsingfors  1899. 

Herr  C.  Rengel  über:  Biedermann  u.  Moritz.  Ueber  die 
Funktion  der  sogenannten  Leber  der  Mollusken.  Archiv 
für  die  ges.  Physiologie.  Bd.  75.  1899. 


Im  Austausch  wurden  erhalten: 

Mittheil.    Deutsch.    Seefisch. -Ver.  Band   XV.    Xo.    10. 

Oktober  1899. 
Xaturw.  Wochenschrift.  Band  XIV.  Xo.  43—47.  Berlin  1899. 
Wiss.    Veröffentl.    Ver.    Erdkunde,    Leipzig,    Bd.   IV.    — 

Ratzel.   Fr.     Beiträge  zur  Geographie  des  mittleren 

Deutschland.     Leipzig  1899. 
11.  Jahresber.  Ver.   Xaturwiss.    Braunschweig  für   1897/98 

u.  1898/99.     Braunschweig  1899. 
Sitzungsber.  Xiederrhein.  Ges.  Xatur-  u.  Heilkunde.    Bonn 

1899.     1.  Hälfte 
Verhandl.    naturhist.   Ver.   preuss.   Rheinlande,    Westfalens 

u.    des    Reg.- Bez.    Osnabrück.     Jahrg.   50.     Hälfte    1. 

Bonn  1899. 
Ber.  Senkenb.  naturf.  Ges.  Frankfurt  a.  M.  1899. 
Leopoldina.  Heft  XXXV,  No.  10.  Oktober  1899.  Halle  a.  S. 
Annuaire  Mus.  zool.  Acad.  Imp.  Sei.    St.  Petersbourg  1899. 

No.  1  u.  2. 
Nouv.   Mem.  Soc.  Imp.  Nat.  Moscou.     Tome  XVI.     (Tome 

XXI  der  ganzen  Folge.)     Livr.  2.     Moscou  1899. 
Anz.  Akad.  Wiss.  Krakau.     1899.     Juni  — Juli. 
Stavanger  Mus.  Aarsberetning  for   1898.     Stavanger  1899. 


J.  F.  Starcke,  lierlin   \\ . 


Nr.  10.  1899. 

Sitzungs-Bericht 

der 

Gesellschaft  naturforschender  Freunde 

zu  Berlin 

vom  19.  Dezember  1899. 


Vorsitzender:  Herr  von  Martens. 


Herr  Friedr.  Dahl  sprach  über  Korallenriff-Theorien. 

Wenn  ich  mir  erlaube,  hier  vor  Ihnen  über  die  Bildung 
der  Korallenriffe  und  Koralleninseln  zu  sprechen,  so  habe 
ich  nicht  die  Absicht  zu  belehren,  sondern  den  Wunsch,  in 
dieser  schwierigen  Frage  durch  einen  Meinungsaustausch 
belehrt  zu  werden. 

Als  ich  vor  drei  bis  vier  Jahren  nach  dem  Bismarck- 
Archipel  ging  mit  der  Aufgabe,  auszukundschaften,  auf 
welchen  Gebieten  sich  dort  günstig  arbeiten  lasse,  glaubte 
ich  mich  verpflichtet,  mich  auch  etwas  eingehender  mit  der 
Korallenriff-Frage  zu  beschäftigen.  Bis  dahin  kannte  ich  die 
DARWix'sche  und  MuRRAY'sche  Theorie  über  die  Bildung 
der  Koralleninseln  nur  in  ihren  allgemeinsten  Umrissen,  nur 
soweit,  wie  ich  sie  in  den  Vorlesungen  über  Zoologie  kennen 
gelernt  hatte. 

Zum  weiteren  Studium  wurde  mir  das  Buch  von 
11.  Langenbeck,  „Die  Theorien  über  die  Entstehung  der 
Koralleninseln  und  Korallenriffe"  (Leipzig,  1890)  empfohlen. 

Ich  muss  gestehen,  dass  mich  dieses  Buch  im  höchsten 
Grade  befriedigt  hat.     Obgleich   der  Verfasser  selbst  kein 


*)  Nachträge  sind  von  demselben  Autor  erschienen  unter  dem 
Titel  „Die  neueren  Forschungen  über  die  Korallenriffe"  in  A.  Wettner's 
Geographischer  Zeitschrift,  Jahrg.  3  (1897),  p.  514—529,  566—581  und 
634—643,  und  in  A.PETERMANN'sGeogr.  Mittheilungen,  1898,  p.  195—197. 

10 


212  Gesellschaft  naturforschender  Freunde,  Berlin. 

Korallenriff  gesehen  hatte,  sind  nicht  nur  alle  in  der  Lite- 
ratur vorliegenden  Thatsachen  sehr  fleissig  zusammengestellt, 
sondern  auch  die  aufgestellten  Theorien  von  logischen  Ge- 
sichtspunkten aus  scharf  kritisch  behandelt.  Der  Leser  ge- 
winnt die  Ueberzeugung.  dass  die  Verhältnisse  keineswegs  ein- 
fach liegen,  und  dass  völlig  verschiedene  Ursachen  viel- 
leicht vielfach  sehr  ähnliche  Gebilde  erzeugt  haben  können. 

Was  ich  für  möglich  gehalten  hatte,  traf  ein :  Ich  fand 
im  Bismarck- Archipel  einige  Thatsachen,  die  mir  wichtig 
genug  zu  sein  schienen,  um  auf  sie  zu  weiterer  Untersuchung 
hinzuweisen.  Das  allein  war  die  Aufgabe,  welche  ich  mir 
stellte,  als  ich  meinen  kleinen  Aufsatz  „Zur  Frage  der 
Bildung  von  Koralleninseln"  in  den  Zoolog.  Jahrbüchern 
(Syst.  v.  11,  p.  141  —  150)  veröffentlichte.  Mein  Aufsatz 
wird  nun  von  A.  Agassiz  in  einer  neueren  Arbeit  „The 
Islands  and  Coral  Reefs  of  Fiji"  (in  Bull.  Mus.  Comp.  Zool. 
Harward  College,  v.  33,  p.  8),  kurz  erwähnt.  Agassiz  ist 
der  Ansicht,  dass  ich  die  früheren  Autoren  nicht  richtig 
verstehe,  und  dass  die  vorliegenden  Thatsachen  meine 
Schlussfolgerungen  nicht  rechtfertigen.  Eine  Begründung 
für  diese  Behauptungen  finde  ich  bei  Agassiz  nicht,  und 
da  eine  erneute  Ueberlegung  bei  mir  zu  keinem  andern 
Resultat  geführt  hat,  wTende  ich  mich  an  Sie,  die  Sie  zum 
Theil  auch  Korallenriffe  besucht  und  untersucht  haben,  mit 
der  Bitte,  mir  behülflich  zu  sein.  Sollten  Sie  mir  keine 
Auskunft  geben  können,  so  würde  ich  Herrn  Agassiz  selbst 
um  nähere  Auskunft  ersuchen. 

Da  ich  wohl  nicht  annehmen  darf,  dass  Sie  meine  kleine 
Arbeit  gelesen  haben,  gestatten  Sie  mir,  dass  ich  Ihnen  in 
ganz  kurzen  Zügen  darlege,  wie  ich  die  früheren  Autoren 
verstanden  habe. 

Die  ersten  Autoren,  welche  sich  über  die  Form  der 
Korallenriffe  Gedanken  machten  (Forster,  Chamisso), 
wollten  jene  ausschliesslich  und  unmittelbar  auf  die  Con- 
tiguration  des  Meeresbodens  zurückführen.  Wenn  der  Rand 
der  Riffe  oft  sehr  steil  abfällt,  so  sollte  es  sich  um  unter- 
seeische Berge  und  Hochplateaus  handeln,  und  wenn  die  Riffe 
und  Inseln  sehr  oft  Ringform  besitzen,  so  glaubte  man,  dass 


Sitzung  vom  19.  Dezember  1899.  213 

die  Korallen  sich  auf  dem  Rand  unterseeischer  Krater  ange- 
siedelt hätten.  Bei  dieser  Erklärungsweise  musste  die  grosse 
Zahl  gleich  hoher  unterseeischer  Krater  auffallen.  Die  neben 
den  Atollen  sehr  häufig  auftretenden  sogenannten  Barrierriffe, 
welche  in  einer  gewissen  Entfernung  die  Küsteu  mancher 
Festländer  oder  grösseren  Inseln  begleiten,  fanden  bei  dieser 
Auffassung  überhaupt  keine  Erklärung. 

Um  diesem  Mangel  abzuhelfen,  stellte  Darwin  eine 
neue  Theorie  auf.  Auch  Darwin  ging,  wie  seine  Vorgänger 
und  Nachfolger,  aus  von  der  ursprünglichen  Configuration 
des  Bodens  und  suchte  zu  zeigen,  wie  sich  aus  einem  Strand- 
riff durch  Senkung  ein  Barrierriff  oder  ein  Atoll  entwickeln 
könnte. 

Hebungen  und  Senkungen  hat  man  überall  auf  der 
Erde  nachweisen  können.  Lässt  man  diese  auf  ein  Ko- 
rallenriff einwirken,  so  kann  man  drei  Möglichkeiten  unter- 
scheiden: 1)  der  Boden  hebt  sich.  Dann  wird  das  Korallen- 
riff, das  wir  uns  als  Küstenriff  denken  wollen,  sehr  bald 
die  Oberfläche  des  Wassers  erreicht  haben.  Es  wird  erst 
bei  Ebbe  und  dann  dauernd  auftauchen,  die  Polypen  werden 
absterben  und  das  Riff  wird  den  Küstensaum  erweitern. 
Derartige,  aus  Korallenkalk  mit  fast  unversehrten  recenten 
Kurallenstöcken  in  ihrer  ursprünglichen  Lage  versehene 
Küstensäume  sind  weit  verbreitet.  Im  Bismarck- Archipel 
kenne  ich  sie  z.  B.  bei  Kabakaul.  2)  Der  Boden  bleibt 
stationär.  Dann  werden  die  Korallen  bis  zur  Oberfläche 
weiter  wachsen  und  wahrscheinlich  schliesslich  in  ihren 
oberen  Theilen  absterben.  3)  Der  Boden  senkt  sich.  In 
diesem  Falle  können  wir  wieder  zwei  Möglichkeiten  unter- 
scheiden, a)  Entweder  die  Senkung  erfolgt  schneller,  als  die 
Korallenstöcke  weiterwachsen  können.  Dann  wird  das  Riff 
immer  tiefer  sinken.  Schliesslich  werden  die  Lebens- 
bedingungen ungünstiger  werden,  die  Stöcke  werden  mehr 
und  mehr  verkümmern,  wie  es  Basset  Smith  für  die  bis 
90  m  tiefe  Macclesfield  Bank  nachgewiesen  hat,  und  end- 
lich sterben  sie  gänzlich  ab.  Auch  abgestorbene  Riffe 
kennt  man.  Sie  werden  aber  meist  erst  entdeckt,  wenn  sie 
durch  Hebung   wieder  der  Oberfläche  näher  gerückt  sind. 

10* 


214  Gesellschaft  natwforsckender.  Frewtide,  Berlin. 

b)  Erfolgt  endlich  die  Senkung  nur  so  langsam,  wie  die  Ko- 
rallenstöcke weiter  wachsen,  und  das  wäre  die  letzte  Mög- 
lichkeit, die  neben  anderen  gelegentlich  eintreten  muss,  so 
wird  dass  Riff  immer  stärker  werden  und  dabei  doch  immer 
in  günstiger  Tiefe  unter  dem  Meeresspiegel  und  lebens- 
kräftig bleiben.  In  diesem  letzteren  Falle  werden  sich 
nach  Darwins  Ansicht  je  nach  der  Configuration  des  Bodens 
Barrierriffe  oder  Atolle  bilden.  Ist  neben  einem  Festland 
oder  einer  grösseren  Insel  mit  niedrigem  Ufersaum  ein 
Strandriff  vorhanden,  so  wird  der  Ufersaum  bald  unter  die 
Meeresfläche  hinabsinken.  Dadurch  ist  Gelegenheit  gegeben, 
dass  sich  das  Riff  nach  dem  Lande  hin  verbreitern  kann. 
Derartige  breite,  überall  kräftige  Riffe  aber  kennt  man  nirgends. 
Man  hat  also  Grund  anzunehmen,  dass  in  dem  genannten  Falle 
eine  andere  Riffart  entsteht.  —  Da  man  nun  sehr  viele  Riffe 
kennt,  die  durch  einen  mehr  oder  weniger  breiten  Kanal 
von  der  Küste  getrennt  sind,  nimmt  Darwin  an,  dass  diese 
an  den  Orten  jener  langsamen  Senkung  entstanden  seien. 
Man  kann  nämlich  die  Beobachtung  machen,  dass  sich 
innerhalb  des  Riffes  keine  zusammenhängende  kräftige  Riff- 
masse bildet.  Wohl  findet  man  einzelne  Korallenstöcke, 
auch  wohl  kleine  Gruppen  von  Korallen,  diese  sind  aber 
entweder  sehr  kümmerlich  oder  es  sind  zarte  Arten,  die 
nur  in  Lagunen,  im  ruhigen  Wasser  leben.  Ausnahmsweise 
fand  ich  freilich  sogar  in  einem  fast  völlig  abgeschlossenen 
Meerestheil  ein  Korallenriff.  So  kenne  ich  Riffe  mitten  im 
Hafen  von  Mioko.  in  den  innersten  Theilen  der  Blanche- 
Bucht  etc.  In  solchen  Fällen  aber  fand  ich  stets  relativ- 
kleine  Stöcke,  die  so  recht  zum  Verschicken  geeignet  waren, 
so  klein,  wie  ich  sie  auf  dem  Korallenriff  bei  Ralum  selten 
fand.  Die  Erklärung  für  das  geringe  Wachsthum  im  abge- 
schlossenen Meerestheil  ist  leicht  gegeben.  Das  Wasser  inner- 
halb des  Riffes  enthält  immer  viele  Fremdkörper  suspendirt, 
die  den  Korallen  offenbar  nachtheilig  sind.  An  Fluss-  und 
Bach -Mündungen  ist  das  Riff  deshalb  immer  breit  unter- 
brochen. Es  kommt  hinzu,  dass  die  in  pelagischen  Orga- 
nismen bestehende  Nahrung  weniger  gut  zu  dem  inneren 
Theil  des  Riffes  gelangen  kann. 


Sitzung   vom  19.  Dezemher  1S9H  2l5 

Ein  Atoll  entsteht  nach  Darwin  in  genau  derselben 
Weise  wie  ein  Barrierriff.  Ist  eine  kleine  niedrige  Insel 
vou  einem  Strandriff  umgeben .  so  muss  das  letztere  bei 
langsamer  Senkung  zunächst  zu  einem  Barrierriff  und  schliess- 
lich zu  einem  Atoll  werden. 

Eine  neue  Theorie  für  die  Bildung  der  Koralleninseln 
wurde  nach  Darwin  von  Murray  aufgestellt.  Murray 
glaubte  seine  Theorie  an  die  Stelle  der  ÜARwiN'scheu  setzen 
zu  müssen,  d.  h.  er  glaubte  die  DARwix'sehe  Theorie  ganz 
verwerfen  zu  sollen.  Er  musste  also  Gründe  gegen  die- 
selbe geltend  machen.  In  diesen  Gründen  soll  ich  ihn  nach 
Agassiz  missverstehen.  So  viel  ich  sehe,  ist  sein  Haupt- 
grund gegen  jene  Theorie  das  Nebeneinandervorkommeu 
aller  Riffformen  auf  einem  engbegrenzten  Gebiete  mit  jün- 
geren Hebungen.  Er  beruft  sich  nämlich  in  dieser  Be- 
ziehung einfach  auf  Semper. 

Damit  Sie  nun  beurtheilen  können,  ob  ich  oder  Agassiz 
den  Semper  missverstanden  hat.  lege  ich  Ihnen  die  Worte 
von  Semper  und  Murray  vor: 

Reisebericht  von  Carl  Semper.  Briefliche  Mittheilung 
an  A.  Kölliker  in:  Z.  f.  w.  Z..  v.  13  (1863).  p.  (558—570) 
565—66. 

„Darwin's  Theorie  von  der  Bildung  der  Korallenriffe 
nimmt  bekanntlich  überall  dort  eine  Senkung  an.  wo  sich 
Barrenriffe  und  Atolle  befinden,  eine  Hebung  dort,  wo 
Küstenriffe  entstehen.  Hier  aber  finden  wir  auf  kleinem 
Räume  (denn  die  ganze  Ausdehnung  von  Nord  nach  Süd 
zwischen  Ngaur  und  Kreiangel  beträgt  nur  etwa  60  See- 
meilen) sämmtliche  Formen  zusammen,  und  die  Bildung  der 
innern  Riffe  des  südlichen  Theiles  der  Gruppe  deutet  auf 
eine  lange  Epoche  völliger  Ruhe,  oder  sehr  geringer  Hebung 
oder  Senkung.  Könnte  nur  eine  Senkung  die  Bildung  der 
Atolle  des  Nordens  erklären,  so  müsste  entweder  die  Insel 
Ngaur  so  gut  von  Riffen  umgeben  sein,  wie  alle  übrigen, 
oder  stationär  geblieben  sein,  Pelelew  nur  wenig,  die  nörd- 
lichen Inseln  sich  bedeutend  gesenkt  haben.  Aber  dies 
bliebe  nur  eine  Annahme,  die  nicht  besser  und  nicht 
schlechter  als  jede  andere  wäre.     Ist  meine  vorläufige  Be- 


2lf;  GeseVscJm/t  naturforschencler  Freunde,  Berit'». 

Stimmung  der  in  den  gehobeneu  Korallenriffen  der  südlichen 
Inseln  gefundenen  Petrefacten  richtig,  so  würde  die  Zeit 
der  Hebung  derselben,  welche  wohl  durch  den  letzten 
trachy  tischen  Ausbruch  bezeichnet  sein  mag,  in  eine  sehr 
junge  geologische  Epoche  fallen.  Gerade  aber  auf  das 
Nichtvorkommen  solcher  Hebungen  in  der  jüngsten  Epoche 
legt  Darwin  bei  der  Begründung  seiner  Hypothese  das 
grösste  Gewicht,  und  die  definitive  Bestimmung  des  geo- 
logischen Alters  jener  gehobenen  Koralleninseln  könnte 
einen  wesentlichen  Einwand  gegen  dieselbe  abgeben.  Aber 
auch  hiervon  abgesehen,  scheint  mir  das  gemeinschaftliche 
Auftreten  der  Riffe  in  den  verschiedenen  Gestalten,  die 
grosse,  nur  in  geringer  Tiefe  unter  dem  Meere  liegende 
Fläche  der  südlicheren  Insel  von  Pelelew  bis  Coröre.  ja 
selbst  die  Verschiedenheit  der  westlichen  und  östlichen 
Riffe  des  Nordens,  hinreichender  Grund  zur  Annahme,  dass 
die  Bildung  der  Riffe  dieser  Inselgruppe  wenigstens  von 
keiner  Senkung  begleitet  war." 

On  the  Structure  and  Origin  of  Coral  Reefs  and  Islands. 
Bv  John  Murray  in:  Proc.  R.  Soc.  Edinburgh,  v.  1Ü. 
1879-80.  p.  (505—518)  506. 

„Professor  Sempek  during  his  examination  of  the  coral 
reefs  in  the  Pelew  group,  experienced  great  difficulties  in 
applying  Darwin' s  theory.  Similar  difficulties  presented 
themselves  to  the  author  in  those  coral  reef  regious  visited 
duriug  the  cruise  of  the  „Challenger"." 

Der  Sinn  der  Semper  sehen  Worte  ist  nach  meiner 
Auffassung  kurz  folgender:  Die  Palauinseln  zeigen  im 
Norden  Atolle  und  Barrieriffe,  im  Süden  jüngeren,  ge- 
hobenen Korallenkalk  und  jüngeres  vulkanisches  Gestein. 
Der  Norden  müsste  sich  nach  der  Darwin1  sehen  Theorie  ge- 
senkt haben;  der  Süden  hat  sich  offenbar  gehoben  und  das 
ist  auf  einem  so  engen  Gebiet  nicht  wohl  möglich. 

Die  MuRRAY'sche  Theorie  ist  kurz  folgende:  Die 
Kalkschalen  abgestorbener  pelagischer  Thiere  senken  sicli 
hinunter  auf  den  Meeresgrund,  wenn  dieser  nicht 
allzu  tief  liegt.  Das  Meereswasser  hat  nämlich  die 
Fähigkeit,    kohlensauren    Kalk    aufzulösen.      Die    Schalen 


Sitzung  vom  19.  Dezember  1899.  217 

müssen  um  so  vollständiger  gelöst  werden,  je  tiefer  sie 
sinken.  Erhöhungen  des  Meeresbodens  müssen  aus  diesem 
Grunde,  wenn  sie  an  einer  geeigneten  Tiefe  liegen,  uicht 
nur  absolut  sondern  auch  relativ  höher  werden  und  sich 
immer  steiler  gegen  die  Umgebung  abheben.  Die  Er- 
hebungen werden  schliesslich  so  weit  gewachsen  sein,  dass 
sich  Korallen  ansiedeln  können.  Die  Korallen  wachsen 
dann  bis  zur  Oberfläche  empor  und  sterben  in  den  mittleren 
Theileu  wegen  unzureichender  Ernährung  ab.  Der  todte 
kohlensaure  Kalk  wird  vom  Meereswasser  gelöst  und  von 
den  Wellen  abgewaschen.  Es  entsteht  also  in  der  Mitte 
eine  Lagune,  während  die  seitlichen  Theile  üppich  weiter 
wachsen.  In  ähnlicher  Weise,  wie  das  Atoll,  entstehen 
nach  ihm  die  Barrierriffe  durch  Auflösen  und  Auswaschen 
der  inneren,  dem  Lande  näheren  Theile  und  durch  An- 
siedelung neuer  Korallen  auf  Bruchstücken  am  äusseren 
Abhänge. 

In  neuerer  Zeit  hat  Agassiz  noch  eine  weitere  Theorie 
aufgestellt,  die  sich  eng  au  die  Murray' sehe  auschliesst 
aber  doch  noch  erheblich  abweicht.  Wenn  ich  Agassiz 
richtig  verstehe,  so  kann  ich  seine  Theorie  kurz  folgender- 
massen  wiedergeben:  Abgesehen  von  den  durch  die  Configura- 
tion  des  Meeresbodens  unmittelbar  gegebenen  Riffformen,  ent- 
wickeln sich,  wie  Darwin  annimmt.  Atolle  und  Barrierriffe 
an  der  Stelle  flacher  Inseln  und  flacher  Küstenstriche,  aber 
nicht  durch  Senkung,  sondern  durch  die  Wirkung  der  Brandung. 
Am  äusseren  Rande  dieser  Landmassen  siedeln  sich  Korallen 
und  andere  Thiere  an  und  machen  diesen  Rand  gegeu  die 
Brandung  widerstandsfähiger.  Die  Theile  die  oberhalb  der 
Ebbelinie  liegeu,  werden  zur  Fluthzeit  von  der  Brandung 
weggewaschen  und  da  sich  auf  den  inneren  Theilen  wegen 
der  ungünstigen  Lebensbedingungen  keine  Korallen  ansiedeln 
können,  werden  diese  Theile  immer  tiefer  ausgewaschen  und 
zur  Lagune.  Der  äussere  Rand  dagegen  bleibt  dauernd 
widerstandsfähig.  Steile  Abstürze,  wie  wir  sie  nebeu 
Korallenriffen  kennen,  können  nach  Agassiz  im  Meere 
ebensowenig  auffallen,  wie  auf  dem  Lande  und  au  korallen- 
freien Küsten,     Der  Haupteinwand  den  mir  Agassiz  gegen 


218  Gesellscliaft  naturforschender  "Freunde,  Berlin. 

die  Darwin' sehe  Theorie  geltend  zu  machen  scheint,  ist 
der  von  Rein  zuerst  aufgestellte;  dass  nämlich  mächtige 
Korallenkalkablagerungen,  wie  sie  die  Darwin' sehe  Theorie 
nothwendig  voraussetzen  muss,  nicht  bekannt  seien.  Agassiz 
hat  den  Nachweis  geführt,  dass  viele  von  jenen  Korallen- 
kalkablageruugen.  die  man  früher  für  alte  Riffe  hielt 
äolischen  Ursprungs  d.  h.  Dünenbildungen  sind.  Auf 
Bermuda  sehen  wir  noch  heute  derartige  Koralleusauddünen 
entstehen.  Durch  Regenwasser  wird  ein  Theil  des  Kalks 
gelöst  und  die  ungelöste  Masse  durch  die  Lösung  zu  einem 
festen  Gestein  verkittet. 

Ich  habe  in  meiner  früheren  kleinen  Arbeit  die 
AGASSiz'sche  Theorie  nicht  berücksichtigt,  weil  ich  aus 
seinen  früheren  Arbeiten  entnehmen  zu  können  meinte,  dass 
er  seiner  Theorie  nur  eine  lokale  Bedeutimg  zuschreibe. 
Aus  seinen  neueren  Arbeiten  aber  scheint  mir  zweiffellos 
hervorzugehen,  dass  er  seiue  Theorie  unmittelbar  an  die 
Stelle  früherer  Theorien  setzen  und  überall  angewandt 
wissen  will.  Da  muss  denn  allerdings  auch  der  Versuch 
gemacht  werden,  wieweit  die  von  mir  im  Bismarck-Achipel 
beobachteten  Thatsachen  mit  ihr  in  Einklang  zu  bringen 
sind,  oder  welche  von  den  jetzt  vorliegenden  Theorien  nach 
den  dortigen  Verhältnissen  als  die  wahrscheinlichere  er- 
scheinen muss.  Gehen  wir  aus  von  den  mächtigen  Korallen- 
kalkablagerungen. welche  ich  auf  der  Insel  Uatom  und 
na in entlich  an  der  Nordküste  von  Neu-Pommern  am  Fuss 
der  Baining-Berge  beobachten  konnte.  AGASsiz  hält  der- 
artige Ablagerungen  für  Dünenbilduugeu.  Nun  fand  ich 
aber  auf  Uatom  170  m  hoch  und  an  den  Bainingbergeu  etwa 
300  m  hoch  deutliche  Korallenstöcke.  Der  höchste  Punkt, 
den  ich  in  den  Bainingbergeu  erreichte,  war  570  m  hoch.  Dort 
oben  konnte  ich  allerdings  keine  Korallen  auffinden.  Ein 
Stück  von  dem  Kalk,  das  ich  von  dort  mitbrachte,  erklärte 
mir  Herr  Prof.  Jaekel  als  metamorphisirten  Korallenkalk. 
Ob  die  Korallenreste,  die  ich  fand,  Jungtertiär  oder  recent 
sind,  konnte  ich  nicht  mit  Sicherheit  entscheiden.  Es  ist 
das  auch  für  die  Frage  vollkommen  gleichgültig.  Jedenfalls 
können  die  Korallenstöcke  nicht  170  und  .">()0  m  hoch  hinauf- 


Sitzung  vom  19.  Dezember  1899.  219 

geweht  sein.  Es  müssen  sich  also,  wenn  wir  AGAssiz  folgen, 
erst  Dünen  gebildet  haben,  dann  muss  eine  Senkung  einge- 
treten sein,  die  Korallen  müssen  sich  angesiedelt  haben 
und  schliesslich,  nachdem  eine  dünne  Kruste  von  Korallen 
sich  gebildet  hatte,  muss  das  Ganze  sich  wieder  zu  der- 
selben Höhe  gehoben  haben.  Nach  der  Darwin' scheu 
Theorie  würden  wir  mit  einer  Senkung  und  darauffolgenden 
Hebung  auskommen.  Sie  würde  also  die  Thatsachen  etwas 
einfacher  erklären. 

Es  kommt  nun  noch  ein  Punkt  hinzu,  der  mir  die 
Dünentheorie  für  jenes  Gebiet  sehr  unwahrscheinlich  macht. 
Der  Bismarck-Archipel  ist  sehr  regenreich  und  deshalb  ist 
der  Boden  überall  bis  hart  ans  Meer  hinunter  sehr  dicht 
bewachsen.  Dünenbildungen  würden  dort  heutzutage  gerade- 
zu als  etwas  Unerhörtes  gelten  können.  Das  kann  ja  frei- 
lich früher  anders  gewesen  sein.  Immerhin  aber  müssten 
wir  eine  weitere  Annahme  machen,  während  nach  der 
DARWiN'schen  Theorie  sich  Alles  unter  den  jetzt  bestehen- 
den Verhältnissen  gebildet  haben  könnte. 

Während  die  Korallenkalkablagerungen  des  Bismarck- 
Archipels.  so  weit  wir  sie  jetzt  kennen,  nicht  mit  Not- 
wendigkeit auf  die  Richtigkeit  der  DARwix'schen  Theorie 
sehliessen  lassen,  wie  ich  dies  Agassiz  unumwunden  zuge- 
stehe, sondern  jene  Theorie  nur  wahrscheinlich  machen, 
ist  es  mit  einer  andern  meiner  Beobachtungen,  die  Agassiz 
ganz  ignorirt.  anders.  Und  diese  letztere  Beobachtung 
bildete  gerade  den  Kernpunkt  meiner  Mittheilung. 

An  den  Küsten  vieler  aus  Korallenkalk  aufgebauten 
Inseln  sieht  man.  dass  das  Ufer  von  der  Brandung  unter- 
wühlt ist.  Die  Aushöhlung  liegt  normalerweise  so  hoch, 
dass  auch  bei  Hochwasser  die  zurückprallenden  Wellen 
nach  oben  einen  weiten  Spielraum  haben.  Nur  an  einer 
Stelle  auf  der  Insel  Kerawara  fand  ich  die  obere 
Kante  der  Aushöhlung  unmittelbar  über  der  Hochwasser- 
linie. Und  trotzdem  fand  ich  das  Gestein  au  dieser  Kante 
nicht  fester  als  anderswo.  Ich  wusste  und  weiss  mir  diese 
Thatsache  nicht  anders  zu  erklären,  als  dass  sich  hier  der 
Boden  in  allerjüngster  Zeit  gesenkt  hat.     Die  Vermuthung 


220  Gesellschaft  naturforschender  Freunde,  Berlin. 

wurde  bei  mir  zur  Gewissheit,  als  ich  erfuhr,  dass  neben  dem 
benachbarten  Theil  der  Insel  Mioko  eine  Stelle  jetzt  von 
den  Wellen  bespült  wird,  die  noch  vor  10  Jahren  ein  Haus 
trug.  Das  feste  Kalkgestein  tritt  auf  der  schräg  nach 
Westen  sich  abdachenden  Insel  Mioko  fast  unmittelbar  zu 
Tage  und  trägt  die  Häuser.  Dass  hier  die  oberen  Schichten 
von  den  Wellen  weggespült  sein  könnten,  wie  Agassiz  ver- 
muthen  möchte,  ist  völlig  ausgeschlossen.  Zum  Wegnagen 
des  Gesteines  fehlt  die  nöthige  Brandung.  Jene  bricht 
sich  schon  an  dem  vorgelagerten  Barrierriff.  Es  handelt 
sich  also  sicher  um  eine  Senkung.  Und  durch  diese  Senkung 
ist  die  Lagune  innerhalb  des  Barrierriffes  in  den  letzten 
10  Jahren  verbreitert  worden.  Wir  haben  hier  also  mit 
andern  Worten  die  Bildung  eines  Barrierriffes  durch 
Senkung  unmittelbar  vor  Augen.  Was  nach  Darwin 
Theorie  ist,  sehen  wir  als  Thatsache  vor  uns.  Ich 
glaube  nicht,  dass  ein  zweiter  Punkt  auf  der  Erde  bekannt 
ist.  der  einen  so  unmittelbaren  Beweis  dafür  liefert,  dass  sich 
in  der  von  Darwin  vermutheten  Weise  ein  Barrierriff  bilden 
kann.  Bemerkenswert  ist  noch,  dass  bei  der  kaum  7  km 
von  Kerawara  entfernten,  weiter  östlich  gelegenen  Insel 
Muarlin  die  durch  die  Brandung  bewirkte  Aushöhlung  des 
Gesteins  von  normaler  Höhe,  ja  ich  möchte  fast  annehmen, 
etwas  über  normal  hoch  ist,  so  dass  hier  keine  Senkung, 
vielleicht  gar  in  neuerer  Zeit  eine  weitere  Hebung  vor  sich 
geht.  In  vollkommener  Uebereinstimmung  mit  dieser  An- 
nahme besitzt  die  ganze  üstseite  der  Neu-Lauenburg-Gruppe 
nur  Strandriffe,  während  nach  Kerawara  hin  das  Strandriff 
allmählich  in  ein  Barrierriff  übergeht. 

Ob  sich  alle  Barrierriffe  ebenso  wie  das  bei  Mioko 
durch  Senkung  gebildet  haben,  das  ist  freilich  eine  ganz 
andere  Frage,  deren  Beantwortung  ich  heute  ebensowenig 
wie  in  meinem  früheren  Aufsatz  mir  anmasse.  Nur  soviel 
steht  fest.  Im  Bismarck-Archipel  liegen  manche  Thatsachen 
vor,  welche  sich  nach  der  DARwiN'schen  Theorie  leicht 
erklären  lassen,  der  MuRRAv"scheu  und  Agassiz  scheu 
Theorie  aber  mehr  oder  weniger  zu  widersprechen  scheinen. 


Sitzung  vom  19.  Dezember  1S99.  221 

An  einem  Meinungsaustausch  betheiligten  sich  die 
Herren  K.  MÖBIUS.  E.  v.  MARTENS ,  WERTH  und  Fr.  E. 
Schulze.  Die  drei  ersteren  Herren  erklärten,  dass  die- 
jenigen Korallenkalkablagerungen,  welche  sie  aus  eigener 
Anschauung  kennen  gelernt  hätten,  nach  ihrer  Ueberzeugung 
sicherlich  nicht  als  Dünenbildungen  aufzufassen  seien. 
Alle  Herren  stimmten  darin  überein.  dass  die  Bildungs- 
ursachen wahrscheinlich  recht  verschieden  sein  möchten. 
So  könnte  sich  die  Bildung  eines  Barrierriffes  vielleicht 
bald  nach  der  DARwiN'schen,  bald  nach  der  MuRRAT'scheu. 
bald  nach  der  AGASSiz'schen  Theorie,  bald  auch  vielleicht 
in  einer  noch  anderen  Weise  erklären  lassen.  Herr  Fr.  E. 
Schulze  macht  dann  noch  auf  einen  Aufsatz  von  R.  v. 
Lendenfeld  über  ,. Korallenriffe"  im  Globus,  v.  56,  p.  305 
bis  310  (1889).  aufmerksam,  der  vielfach  übersehen  sei  und 
doch  manche  eigenartige  Anschauung  enthalte. 

Herr  MATSCHIE,  der  über  geographische  Formen  von 
Hyänen  sprach,  wird  seinen  Vortrag  im  nächsten  Heft 
veröffentlichen. 


Referierabend  am  12.  December  1899. 

Herr  Kuhlgatz  über:  L.  Reh  Untersuchungen  an  amerika- 
nischen Obst-Schildläusen.  Mittheil.  Naturhist.  Museum. 
XVI.  (2.  Beiheft  zum  Jahrbuch  der  Hamburgischeu 
Wissenschaftlichen  Anstalten.    XVI.)     Hamburg   1899. 

Herr  von  fidartens  über:  Kobelt.  Vorderindien.  Ber.  Senken- 
bergisch.  Ges.   1899 

Herr  Rengel  über:  Brandes,  Teratologische  Cestoden. 
Zeitschrift  Naturwiss.  Bd.   72,  Heft  1,  1899. 

Herr  Koikwitz  über:  Beugt  Lidforss.  Ueber  den  Chemo- 
tropismus  der  Pollenschläuche.  Ber.  deutsch,  bot.  Ges. 
1899.     Heft  7,  p.  236. 

Herr  Brühl  über:  Dr.  R.  W.  Shuefeldt  (Washington). 
Photographieen  lebender  Fische  in  den  Aquarien  der 
United  States  Fish  Commission  (Epiuephebus  uiveatus 
&  Pseudopriacanthus  altus). 


999  Gesellschaft  naturforschender  Freunde,  Berlin. 

Im  Austausch  wurden  erhalten: 

Mitteil.  Geograph.  Ges.  Naturhist.  Mus.  Lübeck;  2.  Reihe. 
Heft  9  u.   Heft  12  u.   13.     Lübeck   1896. 

Mittheil.    Deutsch.    Seefisch. -Ver.  Band  XV.    No.   11. 

November  1899. 

Naturwissenschaft!.  Wochenschrift.  Band  XIV.  No.  48 — 51. 
Berlin  1899. 

Leopoldina.  Heft  XXXV.  No.  11.  Halle  a.  S.  Novem- 
ber 1899. 

Abhandl.  Naturhist.  Gesellsch  Nürnberg.  Bd.  XII.  Nürn- 
berg 1899. 

Schriften  Naturwiss.  Ver  Schleswig-Holstein.  Bd.  XI.  lieft  2. 
Kiel  1898. 

Jahresber.  Naturf.  Ges.  Graubiiudens.  N.  F.  Bd.  XLII. 
Chur  1899. 

Materialien  zur  Geologie  Russlands.  Pierausgegeben  von 
der  Kaiser!  Mineralog.  Ges.  Band  XIX.  St.  Peters- 
burg 1899. 

Verhandl.  Russ.-Kaiserl.  Mineralog.  Ges.  zu  St.  Petersburg. 
2.  Serie.     Bd.  36.    Lieferung  2.     St.  Petersburg  1899. 

Geol.  Förening.  Förh.    Bd.  21.  H.  5  u.  6.    Stockholm  1899. 

Botanisk  Tidsskr.    22.  Binds    3.  Hefte.    Kjoebenhavn  1899. 

Borgens  Mus.  Aarb.  1899.     H.   1.     Bergen  1899. 

Proc.  Cambridge  Philos.  Soc.  Vol.  X.  Part  III.  Cam- 
bridge 1899. 

Journal  Roy.  Microsc.  Soc.    1899.   October.  Part  5.   London. 

Journ.  Asiat.  Soc.  Bengal.  New  Series.  Vol.  LXVIII. 
Part  II,    No.  la.     Part  III,    No.  1.     1899.     Calcutta. 

Bollett.  Pubbl.  Ital.  Num.  331—335.  15.  Oct.-  15.  Dec. 
Firenze-Milano  1899. 

Atti  Soc.  Ligust.  Sei.  Nat.  Geogr.  Vol.  X.  Nr.  2.  Anno  X. 
Genova  1899. 

U.  S.  Geol.  Surv.  XXXI.  J.  E.  Spukr,  Geology  of  the 
Aspen  Mining  District,  Colorado.  Washington  1898; 
und  Atlas  zu  J.  E.  Spukr' s  Monographie. 

ü.  S.  Geol.  Surv.  XXIX.  B.  K.  Emerson,  Geology  of  old 
Hampshire  County.  Massachusetts.     Washington  1898. 


Sitzung  vom  19.  Dezember  1890.  223 

U.  S.   Geol.   Surv.    XXXV.     J.  S.  Newberry,    The    later 

extinet  floras  of  North  America.     Washington  1898. 
Proc.  U.  S.  Nat.  Mus.     Vol.  XXI.     Washington  1899. 
Proc.  Amer.  Acad.  Arts  a.  Sei.    Vol.  XXXIV,  No.  21—23 

u.  Vol.  XXXV,  No.  1—3.    Boston,  May— August  1899. 
The  Kansas  Univers.  Quart.     Sei*.  A.     Science  a  Mathem. 

Vol.  VIII.     No.  3.     July   1899. 
Trans.  Acad.  Sei.  St.  Louis.  Vol.  VIII,  No.  9—12;  1898—99 

ü.  Vol.  IX.  No.  1-3,  5,  7;  1899. 
Proc.  Canad.  Inst.     New.  Ser.     No.  8.     Vol.  11.     Part  2. 

Toronto,  September  1899. 
Bull.    Mus.    Comp.    Zool.    Harvard    Coli.     Vol.    XXXIV, 

Vol.  XXXV,  No.  3—6.    Cambridge,  Mass.  IL  S.A.  1899. 
Cat.    Dupl.    Books    a.    Pamphlets    of    the    Ac.    Nat.    Sei. 

Philadelphia. 
Trans    Wagner    Free   Inst.    Sei.    Philadelphia.      Vol.   VI. 

May  1899. 
Proc.  California  Acad.  Sei.  Ser.  3.  Zoology.  Vol.I,  No.  11  —  12. 

San  Francisco  1898—99. 
Journ.  Elisha  Mitchell  Sei.  Soc.    Year  16,  Part.  1,   Januar 

-Juni.     Chapel  Hill  1899. 
Trans.    Wisconsin    Acad.    Vol.   XII,    Part    1,    1898.    Ma- 

dison  1898. 
Comunic.  Mus.  Nac.  Buenos  Aires.    Tomo  I.    No.  4.    1899. 
Mem.    Rev.    Soc.    Cientif.    „Antonio  Alzate".      Tomo  XII. 

No.  7  —  10.     Mexico  1899. 
Annuaire  Acad.  Roy.  Belgique.   1898.  Annee  64  und  1899, 

Annee  65.     Bruxelles. 
Bull.    Acad.    Roy.   Belgique.     Annee  67  und  68,    Serie  3, 

T.  XXXIV-XXXVI.     Bruxelles  1897—98. 
Tables  Generales  Recueil  des  Bull.   Acad.  Roy.  Belgique. 

Serie  3.    T.  I— XXX  (1881-1895).     Bruxelles  1898. 
Tijdschr.    Nederl.    Dierkund.    Vereen.      Serie  2,    Deel  VI. 

Aflevering  2.     Leiden  1899. 
Nederl.  Dierkuud.  Vereen.  Aanwinsten  van  de  Bibliotheek. 

1.  Aug.  1897  —  31.  Dec.  1898. 


224  Gesellschaft  naturforschender  Freunde,  Berlin, 

Als  Geschenke  wurden  dankbar  entgegengenommen: 

PoTONirä,  H.  Eine  Landschaft  der  Steinkohlen-Zeit.  Er- 
läuterung zu  der  Wandtafel  bearbeitet  und  heraus- 
gegeben im  Auftrage  der  Direction  der  Königl.  Preuss. 
geolog.  Landesanstalt  und  Bergakademie  zu  Berlin. 
Leipzig^  1899. 

Harle,  M.  E.  Nouvelles  pieces  de  dryopitheque  et  quelques 
coquilles,  de  Saint-Gaudens  (Haute-Garonne).  Separat 
aus:  Bull.  Soc.  Geol.  France,  ser.  3.  tome  XXVII. 
p.  304.     1899. 


J.  *'.  Starcke,  Berlin   W. 


Druckfehler- Verzeichniss. 

S.  2,  Z.  5  v.  u.  lies  zugehörigen  statt  zugehörigen. 

S.  5,  Z.  11  v.  u.  lies  anzusprechen  statt  auszusprechen. 

S.  6,  Z.  12  v.  o.  lies  Cercopithecus  statt  Ceropithecus. 

S.  10,  Z.  16  v.  u.  lies  beschriebenen  statt  beschriebene. 

S.  17,  Z.  5  v.  o.  lies  und  mich  statt  mich  und. 

S.  25,  Z.  11 '  v.  o.  lies  Gegend  statt  Gegen. 

S.  36,  Z.  14  v.  u.  lies  Practicum  statt  Praeticum. 

S.  37,  Z.   15  v.  o.  lies  Survey  statt  Suvrey. 

S.  63,  Z.  4  v.  o.  lies  ausgewachsenen  statt  ausgewachsenen. 

„        Z.  17  v.  u.  lies  mm  statt  m. 
S.  64,  Z.  6  v.  u.  lies  Eichhornü  statt  Eichhorn  ia. 
S.  65,  Z.  9  v.  u.  lies  Vidensk.  statt  Vitensk. 

j    q     '        [  lies  Kjobenhavn  statt  Kjobenhaon. 

S.  74,  Z.  4  v.  o.  lies  sein  statt  seien. 

„        Z.  16  v.  u.  lies  welche  statt  welehe. 
S.  77,  Z.  1   v.  u.  lies  befinden  statt  befindan. 
S.  79,  Z.  3  v.  o.  lies  Kavirondo  statt  Ravirondo. 
S.  84,  Z.  17  v.  o.  lies  in  statt  iu. 

„        Z.  9  v.  u.  lies  ihre  statt  ihrer. 
S.  86,  Z.  12  v.  u.  lies  Wisconsin  statt  Wiconsin 

„        Z.  2  v.  u.  lies  Separat  statt  Seqarat. 
S.  94,  Z.  6  v.  u.  lies  absoluten  statt  absoluten. 
S.  95,  Z.  2  v.  o.  lies  die  statt  dis. 

„        Z.   11   v.  u.  lies  hierbei  statt  herbei. 
S.  104.  Z.  7  v.  u    lies  worden  statt  wordeu. 
S.  130,  Z.  15  v.  u.  lies  Mittel-Asien,  statt  Mittel-Asiens. 
S.  154  (Erklärung  zu  Figur  1)    lies  Zwischenraum  statt  Zwischnu- 

raum. 
S.  166,  Z.  13  v.  u.  lies  dem  statt  den. 
S.  204,  Z.   13  v.  u.  lies  eingeschachtelte  statt  eingeschachtelt!]. 

„         Z.  5  v.  u.  lies  mechanischen  statt  mechanische!). 

4 


y 


Date  Due