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HARVARD UNIVERSITY.
LIBRARY
OF THE
MUSEUM OF COMPARATIVE ZOOLOGY.
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8ITZUNGS -BERICHTE
DER
GESELLSCHAFT
NATURFORSCHENDER FREUNDE
ZU
BERLIN.
JAHRGANG 1899.
BEELIN.
In Commission bei R. Friedländek und Sohn.
NW. Carl- Strasse 11.
1899.
SITZUNGS-BERICHTE
DER
GESELLSCHAFT
NATURFORSCHENDER FREUNDE
ZU
BERLIN
JAHRGANG i899.
BERLIN.
In Commission bei R. Friedländer und Sohn.
NW. Carl-Strasse 11.
1899.
Inhalts-Verzeichniss
aus dorn Jahre 1899.
Vorträge:
Brühl, L. Ueber Fremdkörper im Elfenbein, p. 74. [Nicht zum Ab-
druck gelangt.]
Dahl, Fr. Ueber Korallenriff-Theorien, p. 211.
Degener, P. Bau und Stellung der Mundgliedmaassen bei Hydro-
philus. (Vorläufige Mittheilung), p. 44.
Hartwig, W. Eine neue Candom aus der Provinz Brandenburg:
Gandona wdtneri W. Hartwig nov. sp., p. 50. — Eine neue
Candona aus der Provinz Brandenburg: Candona marchica, und
die wahre Candona pubescens (Koch), p. 183.
Hennings. Das Tömösvary'sche Organ bei Glomeris, p. 39.
Hilgendorf, Fr. Vorlage eines in einer geschlossenen Flasche Wein
anscheinend gekeimten Getreidekornes, p. 190.
Jaekel, 0. Ueber die Entstehung neuer Typen durch Hemmung ihrer
Ontogenie, p. 25. [Nicht zum Abdruck gelangt.]
Kopsch, Fr. Ueber den Bau der Milz von Mensch und Schimpanse,
p. 209. [Nicht zum Abdruck gelangt.]
von Martens, E. Ueber einige Landschnecken Mittel -Italiens (geo-
graph. Verbreitung), p. 190. — Ueber Paul und Fritz Sarasin,
die Land -Mollusken von Celebes, und über die darin enthaltene
Theorie der Formenketten, p. 200.
Matschie, P. Säugethiere aus den Sammlungen des Herrn Graf Zech
in Kratyi, Togo, p. 4. — Eine anscheinend neue Adenota vom
weissen Nil, p. 15. — Beiträge zur Kenntniss von Hypsiynathus
monstrosus Allen, p. 28. — Beschreibung eines anscheinend neuen
Klippschliefers, Procavia Kerstingi Mtsch., p. 59. — Vespertilio
venvstus Mtsch., eine neue Fledermaus aus Deutsch -Ost- Afrika,
p. 74. — Die Verbreitung der Hirsche, p. 130. — Einige Nach-
richten über die Säugethiere des Kenia- Gebietes und von Ka-
ragwe, p. 138. — Ueber geographische Formen von Hyaenen.
[Kommt im nächsten Jahrgang zum Abdruck.]
Nehring, A. Einige Varietäten des gemeinen Hamsters (Oricetus vul-
(juris Desm.), p. 1. — Ueber das Vordringen des Hamsters in
manchen Gegenden Deutschlands, sowie namentlich in Belgien,
p. 3. — Vorlage der Photographie einer unweit Bjelostock aus-
iv Inhalts - Verzeichnis* .
gegrabenen Riesenhirsch -Schaufel, p. 4. — Lemmings- Reste aus
einer portugiesischen Höhle, p. 55. — Ueber das Vorkommen
einer Varietät von Arvieula ratticeps Keys. u. Rlas. bei Branden-
burg a. d. H. und bei Anklam in Vorpommern, p. 57. — Ueber
das Vorkommen der nordischen Wühlratte [Arvieula ratticeps Keys.
u. Blas.) in Ostpreussen, p. 67. — Ueber einen Löwen- und einen
Biber-Rest aus der Provinz Brandenburg, sowie über craniologische
Unterschiede von Löwe und Tiger, p. 71. — Neue Funde dilu-
vialer Thierreste von Pössneck in Thüringen, p. 99. — Ueber
einen Ovibos- und einen S«Mjra--Schädel aus Westpreussen, p. 101.
— Eine Nesokia-Avt aus der Oase Merw und eine solche aus dem
Lande Moab, p. 107.
Neumann, 0. Drei neue afrikanische Säugethiere, p. 15. — Ueber
die Bartmeerkatzen, p. 22. — Die Gleichartigkeit von Bubalis
JacJcsoni Thom. und Acronotus lelwel Heugl. und ihre Färbung,
p. 76.
Philippi. Einige Fehlerquellen auf dem Gebiete der phylogenetischen
Erkenntniss, p. 87.
Potonie, H. Ueber das Vorkommen von Glossopteris in Deutsch- und
Portugiesisch-Ost- Afrika, p. 27. — Zur fossilen Flora Ost-Afrikas,
p. 96. — Ueber die morphologische Herkunft der pflanzlichen
Blattarten, p. 139.
SfHAUDiNN, F. Ueber den Generationswechsel der Coccidien und die
neuere Malariaforschung, p. 159.
Schulze, E. F. Vorlage eines Stückes von einem circa 4 cm dicken
Aal von Filaria quadrituberculata Leidy (mit Cysten), p. 104. —
Ueber Hyalonenta affine W. Marshall, p. 112.
Schwendener. Ueber ein von Herrn Hilgendorf vorgelegtes (siehe
p. 190), dem Anscheine nach in einer Flasche Wein gekeimtes
Getreidekorn, p. 199.
Virchoyv, H. Röntgen -Aufrahmen der Hand, 1. Mittheilung, p. 79.
— 2. Mittheilung, p. 90.
Weltner, W. Epidermiswucherungen eines Wales, hervorgerufen
durch Cirripedien (Coromtla) , p. 102. — Vorlage einiger photo-
graphischer Aufnahmen von Korallenriffen der Tonga- und Viti-
Inseln, p. 103.
Wittmack, L. Phyllomanie (lilattsucht) an einer Haferrispe, p. 31.
— Bastard zwischen Weizen 9 X Roggen J1, p. 59.
Titel der Schriften, über welche referirt wurde: pp. 35, 36,
64, 65, 85, 97, 104, 179, 194, 210, 211, 221.
Verzeichnisse der im Austausch und als Geschenk erhal-
tenen Schriften: pp. 36, 37, 38, 65, 85, 86, 98, 105, 106, 179,
180, 181, 195, 196, 197, 198, 210, 222.
Beschluss der ordentlichen Mitglieder über „Referir-
abende" und über Veröffentlichung des Titels der be-
sprochenen Schriften: p. 35.
JUN 1 1800
Nr. 1. 1899.
Sitzungs-Bericht
der
Gesellschaft naturforscheiider Freunde
zu Berliu
vom 17. Januar 1899.
Vorsitzender: Herr Wittmack.
Herr A. Nehring sprach über einige Varietäten des
gemeinen Hamsters (Cricetus vulgaris Desm.).
Im Zusammenhange mit meinen Studien über die Ver-
breitung der einzelnen Hamster-Arten habe ich Exem-
plare des gemeinen Hamsters aus verschiedenen Gegenden
Europas erhalten und bin zu der Ansicht gekommen, dass
man mehrere Varietäten desselben unterscheiden kann. Ich
möchte hier vorläufig zwei Varietäten vorlegen, nämlich
1) eine auf der Oberseite graue Varietät aus Belgien, und
2) eine auf der Oberseite fuchsige Varietät aus dem Ural-
Gebiete.
1) Cricetus vulgaris var. canescens, nov. var., aus
Belgien, vom linken Ufer der Maas. Während die Ober-
seite des Felles bei den mir vorliegenden deutschen
Hamstern aus den Provinzen Sachsen und Brandenburg,
welche ich als typisch betrachte, eine gelblich-braune, mit
vereinzelten schwarzen Grannen untermischte Färbung auf-
weist, zeigen zwei ausgestopfte Hamster aus der Gegend
von Fexhe-Slins in Belgien, die mir kürzlich durch Herrn
Prof. Edm. Leplae in Louvain zugegangen sind, auf
dem Rücken eine dunkel maus-graue Färbung. Die
Unterseite des Körpers erscheint nicht so tief schwarz, wie
bei der folgenden Varietät. Ausserdem sind die belgischen
Hamster bedeutend kleiner als gleichalterige Exemplare
1
2 Gesellschaft naturforschender Freunde, "Berlin.
aus der Provinz Sachsen; zugleich haben jene, soweit man
nach den beiden vorliegenden Exemplaren urtheilen kann,
relativ grosse Ohren.
Ich bemerke, dass diese Individuen von Fexhe-Slins
im September 1898 gefangen und noch nicht ausgewachsen
sind; aber ich habe sie mit gleichalterigen Exemplaren aus
der Provinz Sachsen verglichen und obige Unterschiede
festgestellt. Ausserdem schrieb mir Herr Prof. Leplae,
dem ich einen erwachsenen deutschen Hamster (von Wester-
egeln) in Spiritus übersandte, dass die grössten belgischen
Exemplare, welche er gesehen habe, bedeutend kleiner
seien, als dasjenige von Westeregeln.
2) Cricetus vulgaris var. rufescens, nov. var., aus
dem Ural-Gebiete. Der Rücken und besonders die seit-
lichen Partien der Oberseite (abgesehen von den hellen
Flecken) fuchsig roth, die Unterseite tief schwarz, gegen
die Färbung der Flanken sehr scharf abgesetzt, viel schärfer,
als bei den deutschen und den belgischen Hamstern. Ohren
anscheinend relativ klein, ihr Rand lebhaft weiss gesäumt.
Sonst mit Cric. vulgaris in der Zeichnung des Felles,
namentlich der hellen seitlichen Flecken, übereinstimmend,
doch die Beschaffenheit der Haare etwas wolliger (weniger
glatt). Diese Varietät wird repräsentirt durch einen Balg
(mit Schädel) von einem etwa mittelalten Exemplar, das
der einst bekannte Sammler Meves am 10. Juli 1872 bei
Tjubuk im Uralgebiete1) gesammelt hat. Der Balg ist
Eigenthum der mir unterstellten Sammlung. Die Total-
Länge des zugehörigen Schädels beträgt 45, die Basilarlänge
39 mm.2)
Mit dem von Brandt 1835 aufgestellten Cric. fuscatus,
dessen Heimath unbekannt ist, kann ich vorliegende Varietät
nicht identificiren. Verd. Brandts Beschreibung in Mem.
*) Die genauere Lage des Ortes Tjubuk habe ich bisher nicht fest-
stellen können.
2) Die Formverhältnisse des Schädels bieten einige Differenzen
gegenüber gleichalterigen Schädeln deutscher Hamster: es wird jedoch
rathsam sein, noch mehr Material aus dem Ural-Gebiete zu vergleichen,
ehe man jenen Differenzen besonderen Werth beilegt.
Sitzung vom 17. Januar 1S99. 3
Acad. St. Petersburg, 1835, I, p. 435, und Andh. Wagner,
Säugethiere, Suppl., 3. Abth., 1843. p. 452.
Im Uebrigen wird man durch weitere Untersuchungen
festzustellen haben, ob die oben unterschiedenen Farben-
varietäten constant und für die betreffenden Gegenden
charakteristisch sind.
Herr Nehring sprach ferner über das Vordringen des
Hamsters in manchen Gegenden Deutschlands, sowie
namentlich in Belgien.
Ich habe im Jahre 1894 mich bemüht, die Verbreitung
des Hamsters in Deutschland möglichst exact festzustellen
und in eine Uebersichtskarte einzutragen. x) Inzwischen hat
aber der Hamster in manchen Gegenden sein Verbreitungs-
gebiet erweitert ; so z. B. in der Gegend von Zwickau, von
Cossebaude (Sachsen), von Zernikow unweit Gl Owen an der
Berlin- Hamburger Bahn, ferner bei Fahrland, nordwestlich
von Potsdam, sowie bei Zerkow im Osten der Pro-
vinz Posen. Besonders auffallend aber ist sein Vor-
dringen in Belgien, worüber Herr Prof. Edm. Leplae kürz-
lich in einer besonderen Broschüre berichtet hat, und zwar
unter dem Titel: „Le Hamster en Hesbaye, ses moeurs,
sa destruction " , Louvain 1898.
Bis 1889 war der Hamster nur auf dem rechten
Maasufer in der Provinz Lüttich verbreitet, und zwar nicht
sehr zahlreich. 1889 wurden die ersten Hamster am linken
Maasufer bei dem Dorfe Haccourt festgestellt. Seitdem ist
dieser schädliche Nager stark nach Westen vorgedrungen,
bis in das Herz der Landschaft, welche Hesbaye genannt
wird. 2) Die oben besprochenen graurückigen Exemplare
stammen aus dieser Gegend; es scheint also in Belgien
sich eine besondere Varietät herausgebildet zu haben.
Möglicherweise sind aber auch die bei Aachen und Jülich
1) Archiv für Naturgesch., 1894, Bd. I, S. 15—32 und Tafel III.
2) Nachträglicher Zusatz: Genaueres habe ich in einem Aufsatze
mitgetheilt, welcher in der „Deutschen Landwirthschaftl. Presse", 1899,
Nr. 7, erschienen ist.
1*
4 Gesellschaft naturforseJiender Freunde, Berlin.
vorkommenden Hamster von derselben Beschaffenheit, was
noch näher untersucht werden müsste.
Herr Nehring legte die Photographie einer unweit
Bjelostock ausgegrabenen Riesenhirsch-Schaufel vor.
Die betr. Geweihhälfte, welche im Ganzen die Form
der Schaufel von Megaceros Ruffii Nhrg. zeigt, ist dadurch
merkwürdig, dass sie an dem eigentlichen Schaufeltheile
nur drei ausgebildete Sprossen, dagegen an dem unteren
Theile des Geweihs mehrere Nebensprossen aufweist, näm-
lich eine rudimentäre Eissprosse über der stark abwärts
gebogenen Augensprosse, eine nach vorn dreifach gegabelte
Mittelsprosse und neben der normalen Hintersprosse noch
eine zweite Hintersprosse. Es handelt sich wahrscheinlich
um ein „zurückgesetztes" Geweih eines alten Individuums.
Ich verdanke die Photographie der Güte Sr. Erlaucht
des Grafen und Herrn zu Pappenheim. Näheres soll
an einem andern Orte mitgetheilt werden, unter Beifügung
einer Abbildung. Gefunden wurde die fossile (abgeworfene)
Schaufel 1898 an der Basis eines Torfmoores, in der
obersten Schicht eines unter dem Torf liegenden Mergel-
lagers, bei Doilidy unweit Bjelostock im russischen Gou-
vernement Grodno.
Herr Matschie sprach über Säugethiere aus den
Sammlungen des Herrn Graf Zech in Kratyi, Togo.
Herr Graf Zech hat schon mehrmals dem Museum für
Naturkunde sehr werthvolle Säugethiere geschenkt, welche
von ihm im Togo-Lande gesammelt worden sind. Dieselben
gehören zu Arten, die z. Th. für Togo zwar noch nicht
nachgewiesen, aber schon irgend wo sonst an der Guinea-
küste gefunden worden sind, so dass ihr Auftreten in Togo
also nicht besonders überraschend wirkte. Ganz anders ver-
hält es sich aber mit der letzten Sendung des Herrn Graf
Zech. Sie enthält mehrere Arten, welche man in der Nähe
der Küste von West-Afrika bisher nicht vermuthet hatte.
Arrieantlüs abyssinicus Rüpp. ist in Westafrika als Dasymys
nüoücus (Geoffr.) zuerst von Herrn de Pousakgues im Jahre
Sitzung vom 17. Januar 1899. 5
1896 (Ann. Sc. Nat. Zool. III. p. 377—385) für Bangui, das
Ouadda-Land und das Kemo-Thal, im Gebiete des oberen
Ubangi nahe der Wasserscheide gegen die Zuflüsse des
Tschad-See's nachgewiesen worden und liegt jetzt aus dem
Togolande vor. Die Grenzen des Verbreitungsgebietes von
Gerbülus leucogaster (Ptrs.) sind durch die Auffindung dieser
Art am mittleren Volta wesentlich erweitert worden und
das Auftreten des Hasen in jenen Gegenden ist sehr be-
merkenswerth.
Schon E. de Pousargues hat eine Reihe von Steppen-
formen für das Gebiet des oberen Ubangi aufgezählt; nun-
mehr lernen wir auch solche Arten für Togo kennen. Es
wäre sehr interessant festzustellen, ob die zoogeographischen
Gebiete von West-Afrika (Gambia, West-Guinea, Mittel-Guinea,
der untere Niger, das Benue-Becken, Kamerun, Congo und
Loanda) jedes neben der längst bekannten, früher für West-
Afrika als charakteristisch angenommenen Fauna noch eine
aus Sudan-Elementen bestehende Steppen-Fauna aufweist,oder
ob diese Sudan-Fauna nur an den Grenzen der Gebiete noch
etwas nach Westen übergreift und weiter nach der Küste
zu in den dort vorhandenen Steppen nicht mehr nachzu-
weisen ist.
Um diese Frage zu lösen, wäre eine planmässige Durch-
forschung der zum Golf von Guinea abwässernden Grasland-
schaften dringend erwünscht.
Aus Togo besitzt das Museum für Naturkunde durch
Herrn Baumann bereits mehrere Schädel von Arten, die
wir als Steppenthiere auszusprechen gewohnt sind, so von
Hyacna und Hystrix. Ich habe mir bis jetzt noch kein Ur-
theil darüber bilden können, ob die Hyäne wirklich zu
II. crocuta gehört, und ob die Hystrix als II. senegalica oder
eine andere Abart anzusprechen ist.
Herr Graf Zech hat mit seiner Sammlung auch einige
Notizen über die bei den Eingeborenen beliebten Bezeich-
nungen für die hierher gesandten Arten sowie Mittheilungen
über Lebensweise u. s. w. nach Berlin gelangen lassen. Ich
habe dieselben hier benutzt und sie durch Anführungszeichen
und den Namen des Autors kenntlich gemacht. Ferner sind
6 Gesellschaft naturforschender Freunde, Berlin.
einige Angaben von den Etiquetten derjenigen Stücke bei-
gefügt, worden, welche der leider so früh verstorbene, um
die Kenntniss der Togo-Fauna ausserordentlich verdiente
Reisende 0. Baumann gesammelt hat.
Die von Herrn Graf Zech neuerdings eingesandten
Objekte sind folgende:
1. Colobus (Guereza) vellerosus Js. Geoffk.
ö" Kratyi, 20. IX. 1895.
Kopf und Rumpf: 43 cm; Schwanz mit Quaste: 57 cm;
Schwanzquaste: 6 cm. Baumann giebt als einheimischen
Namen für das Adeli-Land „kla" an.
2. CeropitJiecus (Rhinostictus) fantiensis Mtsch.
2 September 1895 zwischen Komfokokokrum und
Aposso.
9 20. IX. 1895 bei Kratyi.
Kopf und Rumpf: 41 cm; Schwanz: 56 cm.
3. Papio spec.
2 24. III. 1898 zwischen Kratyi und Bayamso in der
Nähe des Volta.
Nach den Mittheilungen des Sammlers wird der Pavian
in Agonie und Kratyi gegessen; „er heisst in
Anecho: käbli,
Anlo: kese,
Tshi: kontoronfi,
Kratyi: gedjäo,
Hausa: bika" [Graf Zech].
Nach Aufzeichnung des Herrn Conradt ist für dieses
Thier in Adeli der Name: „etemä".
Das vorliegende Exemplar kann ich nicht als P. oli-
vaceus Js. Geoffk. ansprechen. Die Togo-Paviane scheinen
sehr zu variiren. Ein ganz junges Thier aus unserer Samm-
lung ist schmutzig grau ; etwas ältere Individuen sind oliven-
grün mit stark röthlichem Schimmer. Je älter der Pavian
wird, desto grauer erscheint er und einige alte Männchen
besitzen eine fast rein graue Mähne. Das Stück, welches
Herr Graf Zech von Kratyi eingeschickt hat, unterscheidet
sich von allen unseren Exemplaren dadurch, dass die Ge-
sammtfärbung olivengrau ist mit nur geringer Beimischung
Sitzung vom 17. Januar 1890. 7
von schwarz; die Haare sind an der Basalhälfte in der
Nackengegend und auf dem Oberrücken ziemlich hellgrau
und auf der hinteren Körperhälfte dunkel braungrau. Die
Waugen haben eine weissgraue Färbung, auf dem Scheitel
sind die Spitzen der Haare rein schwarz, so dass der Ober-
kopf stark schwarz melirt erscheint.
Da mir leider kein Schädel zur Untersuchung vorliegt,
so vermag ich nicht zu entscheiden, ob ich es mit einem
Alters- oder Saisonkleide von P. olivaceus zu thun habe.
4. Erinaceus albivcntris Wagn.
8. 111. 1898 Kete-Kratyi.
„Dieselbe Igel-Art auch bei Lome an der Küste beob-
achtet. Benennung in
Tshi: apeee,
Kratyi: woalapupu.
Hausa: buchia,
Anecho: hromade,
Anlo: aholomade" [Graf Zech].
Hallux äusserlich nicht vorhanden; Vorderkopf und
Unterseite mit Borsten besetzt; Ohren nicht länger als die
Schnauze.
J. Anderson zählt (P. Z. S. 1895. p. 420) folgende
Namen als Synonyme von E. albiventris Wagn. auf: E. pru-
neri Wagn. von Kordofan und Senuar. E. heterodaetylus
Sund, von Senuar, E. diadcmatus (Wübtt.) Fitz, von Sennar
und Kordofan. E. adansoni Rochbr. vom unteren Senegal.
Im Berliner Museum befindet sich noch ein Schädel
dieser Art aus Klein-Popo in Togo, den Herr Dr. Doering
geschenkt hat. und drei Exemplare von Porto Seguro, ein
Geschenk des Herrn Kurz.
5. Phyllorhina caffra Sund.
9 29. HI. 1898 im Fetisch-Walde in der Nähe des
Volta-Flusses. „Benennung in
Anecho: aguti,
Anlo: aguti,
Tshi: apane,
Kratyi: yakarre,
Hausa: birbiro" [Graf Zech].
y Gesellschaft naturforschender Freunde, Berlin.
Unterarm: 48 mm; Metacarpus des dritten Fingers:
35,5 mm; Tibia: 19,5 mm; Fuss: 8 mm.
6. Sciurus punctatus Temm.
ö" juv. 25. IV. 1898 zwischen Kratyi und Bayamso,
d* 21. X. 1895 bei Kratyi,
11. IV. 1898 bei Kratyi.
Der subterminale Ring der Rückenhaare ist bei dem
o" aus dem October gelbbraun, bei dem jungen o* aus dem
April weissgrau. Baumann giebt für diese Art den Adeli-
Namen: „gadjidö" an.
7. Xerus erythropus Geoffr.
d* 5. III. 1898, Kratyi.
„Frisst gern Erdnüsse. Das Fleisch wird von den
Kratyi-, Anecho-. Anlo- und Tshi-Leuten gegessen. Be-
nennung in
Tshi: amoküa,
Kratyi: dyapäso,
Anecho: ado,
Anlo: ado,
Hausa: kulege" [Graf Zech].
E. de Pousargues schreibt (Ann. Sc. Nat. III, 1896,
p. 336): „On le rencontre avec un pelage sombre, Xerus
congicus (Temm.), le long des cötes de Guinee, depuis la
Gambie et Sierra Leone jusqu'au Benin, et avec des teintes
plus rousses, Xerus erythropus (J. Geoffr.) depnis le Niger
jusqu'a 1'embouchure du Congo." Das Berliner Museum
besitzt ein Exemplar von Tschintschoscho durch Dr. Falken-
stein, welches von Togo -Exemplaren nicht zu unter-
scheiden ist.
8. Cricetomys gambianus Waterh.
o" 23. II. 1898, Kratyi.
„Iris schwarz. Das Thier soll gern Palmkerne fressen.
Das Fleisch wird von den Anecho-Leuten bei Klein-Popo
gegessen, desgleichen von den Asante-Leuten. Benennung in
Tshi: okusi,
Kratyi: baiji,
Anecho: sato,
Anlo: alegeli,
Hausa: gaffia" [Graf Zech].
Sitzung vom 17. Januar 1899. 9
9. Gerbillus leucogaster (Ptrs),
c? 21. IV. 1898, Kratyi.
Der Schwanz ist auf der Oberseite schwarzbraun, auf
der Unterseite hellziinmetbraun. Ob diese Rennmaus in
Togo irgendwelche besondere Merkmale gegenüber den
Sambese-Exemplaren aufweist, kann ich vorläufig nicht ent-
scheiden, ebensowenig wie es mir bis jetzt möglich geworden
ist, durchgreifende Unterschiede zwischen G. vicinus Ptrs.
und G. leucogaster zu finden.
10. Mus erythroleucus Temm.
cT 23. III. 1898, Kratyi. In Häusern.
„Benennung in
Anecho: afi,
Anlo: afi,
Tshi: akma,
Kratyi; gedjane,
Kano — Hausa: leva,
Sokoto —Hausa: kusu" [Graf Zech].
11. Arvicanthis abyssinicus Rüpp.
9 24. III. 1898 Kratyi,
<? 8. IV. 1898 Kratyi.
„Benennung in
Anecho: befi,
Anle: böfi,
Tshi: ahakura,
Kratyi: geyape,
Hausa: kusu n'dasi.
Wird in Kpando, Agome, Anecho, Kratyi und in den
Ilausaländern von den Leuten gegessen" [Graf ZechJ.
Die beiden mir vorliegenden Exemplare stimmen in
der Gestalt und Färbung ziemlich gut zu den Stücken unserer
Sammlung, welche Schimpek in Keren gesammelt hat. Sie
sind gelbbraun und schwarz melirt, und die Färbung des
Rückens wirkt lebhaft gelbbraun. Wie ich seiner Zeit
(Säugethiere Deutsch-Ostafrikas p. 51) schon bemerkt habe,
sind die Exemplare aus Deutsch-Ostafrika sehr dunkel, die-
jenigen aus Ukundjo sind breiter gelbbraun gestrichelt, aber
noch erheblich fahler als die Togo-Exemplare. Pelomys
10 Gesellschaft naturforschender Freunde, Berlin.
rcichardi Noack, welche der Autor später (Zool. Jahrb. VII
1894 p. 571) zu Isomys abyssinicus als Synonym gestellt
hat, ist von den dunklen Tabora- Stücken nicht zu unter-
scheiden.
Herr E. de Pocsargues (Ann. Sc. Nat. III, 9 p. 380
bis 385) rechnet diese Art zu Dasymys Ptrs. Ich kann
mich seiner Ansicht nicht auschliessen. Bei Dasymys ist
die untere Spalte der Foramina infraorbitalia verhältniss-
mässig weit, die Foramiua incisiva sind vorn höchstens
doppelt so breit wie hinten, die Bullae auditoriae erscheinen
erheblich niedriger als die Foramina infraorbitalia und
kommen ungefähr der geringsten Breite des zwischen den
Orbita gelegenen Theiles der Stirn gleich und die Stirn ist
zwischen den stark vorspringenden Orbitalleisten wesentlich
ausgehöhlt.
Bei M. reichardi = M. abyssinicus ist die untere Spalte
des Foramen infraorbitale sehr schmal, die Foramina in-
cisiva sind vorn ungefähr dreimal so breit wie hinten, die
Bullae auditoriae erreichen dieselbe Höhe wie die Foramina
infraorbitalia, die Stirn zwischen den Orbita ist nicht concav
und die Orbitalleisteu springen nicht sehr vor.
Selbst wenn M. abyssinicus zu der von Peteks 1875
als Dasymys beschriebene Gattung gehörte, so müsste man
doch den Gattungsnamen „Arvicanthis Less." für diese Art
wälilen. Arvicanthis ist im Jahre 1842 von Lesson (Nouv.
Tabl. R. A. p. 147) für Lemmus niloticus Geoffr. aufge-
stellt worden, wTelche Herr E. de Pousargues mit M. abys-
sinicus Rüpp. vereinigt (1. c. p. 384).
Sehr verwandt ist übrigens M. variegatus Lcht. sowohl
mit M. abyssinicus Rüpp., als auch mit M. niloticus Geoffr.
Schon Wagner hat (Schreber's Säugeth. Suppl. III, 1843,
p. 4'23) darauf hingewiesen, dass die „linea dorsalis media
nigra", welche Lichtenstein für Mus variegatus angiebt,
einen systematischen Werth nicht hat. Je nachdem man
die Haare der Rückenmitte zusammenschiebt, erscheint oder
verschwindet diese Linie. M. variegatus und M. niloticus
haben gleiches Vaterland und sehen offenbar einander sehr
ähnlich; es ist deshalb nicht unwahrscheinlich, dass man
Sitzung vom 17. Januar 1899. \\
beide zusammenziehen muss. Ob M. dbyssinicus in jedem
Kleide von dieser Maus unterschieden werden kann, weiss
ich noch ebensowenig, wie ich mir zu entscheiden getraue,
ob nicht die Togo-Exemplare, die Stücke von Tabora und
aus Ukondjo je eine geographische Abart darstellen.
12. Lepus zechi Mtsch. spec. nov.
L. statura leporis aegyptii, auriculis vix cauda longiori-
bus; macula cervicis cinnamomeo-rufa; cauda supra nigro-
brunnea, cinnamomeo-rufo cincta. subtus alba; regione supra-
caudali dorso concolore, ex nigro-brunneo et luteo mixta.
minime grisescente. Long. corp. 38 cm; caudae: 9.5 cm:
auriculorum: 10 cm.
$ 22. IV 1898, Kratyi. 9 2. IV. 1898 inter Kratyi
et Bagyamso.
Von allen anderen aethiopischen Hasen ist die Togo-
form leicht zu unterscheiden, da der Schwanz nicht zwei-
farbig, schwarz und weiss ist, sondern nur auf der Mitte
der Oberseite schwarzbraun erscheint, während die Seiten
der Schwanzoberfiäche eine röthlich zimmetbraune Färbung
zeigen. Die Unterseite des Schwanzes ist, wie bei den
meisten anderen Arten, weiss. Die Ohren sind nur wenig
länger als der Schwanz. Der Nackenfleck ist tief zimmet-
roth, ungefähr so wie No. 16 auf Tafel IV des Ridgway-
schen Nomenclature of Colors und etwas mehr weinfarbig
und viel rother als No. 15. Ziemlich gut stimmt auch die
Farbe, welche auf Tafel 233 G. bei Schkeber Lepus ru-
finucha A. Sm. im Nacken zeigt. Der Nackenfleck zieht
sich auf den Halsseiten bis zur Schulter herunter und geht
allmählich gegen die Brust hin in eine fahlockerbraune
Färbung über. Das Ohr ist vorn kurz behaart, hinten und
innen fast nackt. Der Rand der Ohrspitze ist hinten schmal
dunkelbraun gesäumt, ein dunkler Fleck auf der Aussen-
seite der Ohrspitze neben der schwarzbraunen Randeinfassung
ist nicht angedeutet. Die Vorderseite des Ohres ist licht-
ockerbraun, mit schwarzbraun melirt, der Hinterrand des-
selben fahl braungrau gesäumt. Die Füsse sind hellocker-
braun, die Fusssohlen schmutzig braungrau. Der Rücken ist
bei dem 2 vom 2. April, welches 3 Embryonen enthielt, hell-
\2 Gesellschaft naturfor seilender Freunde, Berlin.
braun röthlich überflogen und stark mit schwarzbraun ge-
mischt, bei dem 9 vom 22. April fahlbraun und schwarz-
braun melirt. Die Haare sind an der Wurzel weissgrau,
dann folgt eine hellockerbraune Binde, eine schwarze und
eine hellbraune Binde und die Spitze ist schwarz.
Leider sind die Schädel nicht conservirt worden.
Herr Graf Zech giebt folgende Eingeborenen -Be-
nennungen an :
Anecho: asui,
Anlo: ofomiji,
Tshi: adanku,
Kratyi: lana,
Hausa: somo.
13. Cobus unctuosus Laur.
Kalabo im Adele-Lande. Herr Graf Zech hat ein
Gehörn nach Berlin geschickt; durch 0. Baumann besitzen
wir einen Schädel mit Gehörn aus der Gegend von Misa-
höhe im Togolande. Baumann giebt für diese Art den
Adele-Namen: „afia" an. Soweit man aus zwei von Bau-
mann erhaltenen Fellstücken schliessen darf, ist der Togo-
Wasserbock röthlichbraun, ist also röther als die Exemplare,
welche wir aus den zoologischen Gärten unter dem Namen
C. unetuosa kennen.
Das Museum für Naturkunde besitzt Schädel resp. Ge-
hörne von folgenden Fundorten: [Seh. bedeutet Schädel,
G. Gehörn, F. Fell, A. ausgestopfte Thiere.]
Transvaal, Grützner, 9 A. Oberer Bubu, 0. Neumann,
Lydenburg, Wilms, G. Hörn.
Boror, Peters, Seh. <J 9. Tsavo-Sumpf. Schillings, G.,
Rowuma, Lieder. G. cf, 9 juv. F.
Lindi, durch Rolle, G. Kikumbulin, Schillings, 9 F.
Mkata-Fluss, Stierling, Mto Simba, Ukamba, Schil-
9 juv. 9 ad. F. lings, cf juv. F.
Tanga, 0. Neumann, 9 juv. Athi-Ebene, Schillings, G.
Seh. F. Ndribo,Pokomoni,BoRCHERT,
Usambara,MARTiENSSEN,Sch. 3 Seh.
Mittlerer Rufu, Schillings, Schir, Binder, Seh.
5 G., 9 F.
Sitzung vom 17. Januar 1899. 13
Mombuttu. Schweinfurth, Tibati, Morgen, 2 G.
Seh. Zoologischer Garten, 9 juv.
Luwule, Böhm, G. Fell.
Adele, Togo, Baumann, Seh. Von unbestimmter Herkunft:
Kalabo, Adele, Graf Zech, G. 4 G.
Der Togo-Wasserbock variirt genau so sehr in der
Gehörnkrümmung wie Cobus ellipsiprymnus. Die Merkmale,
welche ich (Arch. Naturg. 1891 p. 355) für die Unter-
scheidung der einzelnen Abarten angegeben habe, treffen
zwar im allgemeinen zu; es giebt aber Gehörne, die sehr
abweichen. Wir haben z. B. von Lindi an der Küste von
Deutsch-Ostafrika ein Gehörn, welches ellipsiprymnus an-
gehört und sich in der äusseren Erscheinung ungemein an
das von unetuosa anschliesst; auch das durch Herrn Graf
Zech hierher gelangte Gehörn ist sehr merkwürdig. Es
unterscheidet sich von dem im Museum befindlichen auf
einem von 0. Baumann gesammelten Schädel sitzenden Ge-
hörn, welches die für unetuosa charakterische Gestalt hat,
dadurch, dass der grösste Stangenabstand nur 27,5 cm, der
Spitzenabstand 19 cm, der Basalabstand 5 cm beträgt bei
49—50 cm geradlinigem Abstand zwischen Spitze und Basal-
randung und 63—64,5 Hornlänge auf der Hinterseite des
Hornes der Biegung entlang gemessen. Die grösste Höhe
des Hornbogens über einer die Spitze mit dem Basalrande
verbindenden Linie ist 38 cm. Die Färbung des Gehörns
ist hellgraubraun. 23 Wülste zähle ich auf jedem Hörn.
14. Tragelaphus seriptus (Pall.) „Iris schwarz.
9 mit Embryo 20. III. 1898; 9 31. III. 1898 Kratyi.
Benennung in
Tshi: woansei,
Kratyi: woansane,
Hausa: mase.
Anlo: se,
Anecho: ese."
Beide Weibchen zeigen nur je einen weissen Horizon-
talstrich über die Körperseiten.
15. Potamoclioerus • penicillatus Schinz. 2 $ 9 pull-
20. IV. 1898 in der Savanne bei Kratyi gefangen.
Hinter dem Rüssel ein dunkelbrauner Fleck. Scheitel
14 Gesellschaft naturforschender Freunde, Berlin.
dunkel und chamoisbraun melirt, Rücken schwarz mit 5—6
zuweilen unterbrochenen chamoisfarbigen Längsstreifen.
Beine und Körperseiten heilockerbraun, letztere mehr
chamoisfarbig. Unter den hellen Haaren der Körperseiten
sitzen solche von schwarzer Färbung. Auf der Wirbellinie
erscheinen die Anfänge zu einer aus schwarzen und rein-
weissen Haaren gemischten Mähne.
16. Hausschaf. ,. cT in Hausa „oda" genannt. Diese
Rasse wird in der Gegend von Say am oberen Niger ge-
züchtet. Die Züchter sollen hellfarbige Leute, aber keine
Fulbe-Leute sein, welche von den Hausas „Adevana", von
den Fulbe „Bugarji" genannt werden." Herr Graf Zech hat
mir drei Photographien dieses Schafes nach dem Leben ge-
schickt. Es gehört zu der langbeinigen und langschwänzigen,
durch Nackenmähne, Brustwamme und starke Ramsnase
ausgezeichneten Rasse, deren Gehörn schraubig nach aussen
gedreht ist (Ovis longipes Fitz.). Mich erinnern diese Schafe,
von denen ich im Berliner Zoologischen Garten mehrere
gesehen habe, auffallend an Ovis trageh/phus. Das ein-
gesandte Fell ist röthlichbraun mit grauem Kopfe.
17. Hausschaf, c? kastrirt, in Hausa „ara-ara" ge-
nannt. „Diese Rasse wird in Dore von den Fulbe-Leuten
gezüchtet; sie ertragen keine Feuchtigkeit und gehen in
einem Klima, wie in Kratyi, welches noch relativ trocken
zu nennen ist, bald ein." Das vorliegende Stück hat ein
kleines Gehörn, gehört auch zu den langbeinigen Rassen.
Ich bemerke an diesem Thier eine Rückenmähne nicht.
Färbung hellgelblichgrau.
18. Hausziege, tf kastrirt. „Iris hellbraun. Diese
Ziege stammt von Ader; es werden deren in Sokoto viele
gehalten. Die Hausa-Leute benennen dieselbe „akuya ader".
Damit die Besitzer der ohne Aufsicht Tag und Nacht im
Freien und im Busch weidenden Ziege ihr Eigenthum
wieder erkennen können, werden an den Ohren Ausschnitte
angebracht." Die Färbung ist roth mit schwarzer Rücken-
linie, schwarzem Schwanzende und schwarzem Fussgelenk.
Behaarung glatt, Gestalt hochbeinig. Gehörn nach hinten,
aussen und unten gebogen.
19. Hauskatze von Kratyi.
Sitzung vom 17. Januar 1899. 15
Herr MATSCHiE beschrieb eine anscheinend neue
Adenota vom weissen Nil.
Im Darm städter Museum befindet sich eine sehr inter-
essante Antilope, welche Harnier zwischen 6 und 7° n. Br.
am Bahr el Gebel gesammelt hat. Sie ist. wie es scheint,
noch niemals genauer untersucht worden, Auf der dem
Fenster zugewendeten Seite ist die Zeichnung durch die
Einwirkung der Lichtstrahlen fast vollständig geschwunden.
Diese Antilope ist offenbar eine Adenota. Das Gehörn hat
18 Knoten; die beiden Stangen laufen ziemlich parallel
neben einander; von der Spitze zur Basis messe ich 35,4 cm
in gerader Linie.
Die Grundfarbe des Felles ist gelb. Die Augengegend,
ein Kreisfleck vor den Ohren, die Umrandung der Nüstern, die
Unterlippe, der Unterhals, die gesammte Unterseite und
Innenseite der Beine sind weiss, die Kopfseiten, der Körper,
eine breite Binde über die Brust, der Hinterrand des Ober-
armes und Oberschenkels sind gelb; ein ovaler Nasenfleck,
eine breite Binde von den Halsseiten neben der weissen
Brust über die Schultern bis zu den Hufen herab sind
schwarz, ebenso die Weichen und der Hinterfuss. Ueber
den Hufen zeigt sich ein weisser Ring. Die Fussgelenke
sind hell.
Ich glaube, dass diese Antilope noch nicht beschrieben
worden ist und nenne sie deshalb Adenota nigroscapulata
Mtsch. spec. im v.
Herr 0. Neumann sprach über drei neue afrikanische
Säugetniere.
1. Colobus matschiel spec. nov.
Als ich im Jahre 1896 „über die Verbreitung der
Stummel äffen in Ost-Afrika" einen Vortrag hielt, l) sagte
ich, dass die von mir auf meiner afrikanischen Reise im
April 1894 bei Kwa Kitoto (Kavirondo) an der Ugowe-Bay
des Victoria Nyansa erlegten Affen mit dem von Roche-
') Sitzungsberichte dieser Gesellschaft, 1896, No. 9, p. 154.
16 GesellscJtaft naturforschender Freunde, Berlin.
brune beschriebenen Colobus occidentalis1) identisch sei.
Ich kam zu dieser Meinung, so auffallend mir die grosse
geographische Verbreitung dieser Art auch erschien, da-
durch, dass die Hauptcharactere der RocHEBRUNE'schen Art,
der kürzere Seitenbehang und die pechschwarze — nicht
wie bei Colobus guereza graumelierte — Färbung des
Schwanzes bis zur Quaste, auch bei meiner Art vorhanden
waren. Von der westlichen Form befindet sich auch nur
ein verstümmeltes Fell auf dem hiesigen Museum, von
Morgen zwischen Benue und Sanaga im Hinterland von
Kamerun gesammelt.2) Dieses hat nun ein ganz ver-
stümmeltes Schwanzende, was ich bei der ersten Unter-
suchung des Stückes nicht bemerkt hatte. Da sah ich in
diesem Sommer in London ein lebendes Exemplar von
Yola am oberen Benue, welches eine viel stärkere Schwanz-
quaste wie meine Stücke hat, und hierin mit der Roche-
BRüNE'schen Abbildung und Beschreibung prächtig über-
einstimmt.
Meine oben genannte Art unterscheidet sich dadurch
von Colobus occidcntalis, dass bei ihr überhaupt keine eigent-
liche Schwanzquaste mehr vorhanden ist, die weissen Haare,
welche das letze Viertel des Schwanzes einnehmen, hin-
gegen nur wenig länger sind, als die schwarzen des übrigen
Schwanzes.
Maasse zweier alter Thiere.
T^.. , 0 , Schwanz bis zur Die Spitze über-
Korper ohne Schwanz ,XT- . , •- j u
1 VVirbelspitze. ragende Haare
C? 685 mm 570 mm 225 mm
$ 650 mm 540 mm 220 mm.
Leider habe ich die Schädel von Colobus matschiei nicht
mit denen des Colobus occidentalis vergleichen können. Auch
giebt Rochebrune weder Abbildung noch Beschreibung
des Schädels dieser Art. Hingegen zeigen sich bedeutende
Unterschiede im Vergleich mit Schädeln der zwei andern
nächstverwandten Arten, des Colobus guereza Rüpp. und des
') Rochebrune: Faune de la Senegambie Mammiferes Supple-
ment (Etüde monographique du groupe des Colobus), p. 140.
5) Matschie: Wiegmann's Arch. f. Nat.-G., 1891, p. 354.
Sitzung vom 17. Januar 1899. 17
Colobus caudatus Thos. Die Unterschiede zwischen den
Schädeln dieser zwei Arten beschreibt ausführlich Trüe. 1).
Das von mir verglichene Material bestand aus 9 Schä-
deln des Colobus matschici, 9 Schädeln des Colobus cau-
datus, durch Stabsarzt Wiedemann mich und gesammelt,
sowie 7 Schädeln des Colobus guereza, und zwar 4 des
hiesigen Museums und drei weiteren des Münchener Mu-
seums, die mir Professor Hertwig zum Vergleich freund-
lichst zur Verfügung stellte, wofür ich ihm hier meinen
aufrichtigsten Dank sage. Die Hauptkennzeichen des
Schädels von Colobus matschici sind nun: Bedeutend auf-
gewölbte Frontalien und sehr starke Schädelkristen derart,
dass an der Ansatzstelle der Kristen bei zwei alten </cT
vollständige Gruben entstehen, eine Erscheinung, von wel-
cher auch keine Spur selbst bei ganz alten männlichen Schä-
deln der beiden andern Arten zu finden. Ferner sind die
Nasalen bedeutend kürzer, und die Gegend des Fronto-
nasal-Suturs ist stark wulstig aufgetrieben. Diese drei
Kennzeichen zeigen sich schon an Schädeln ganz junger
Thiere mit Milchgebiss.
Länge der Nasalen an der Mittelnaht.
Colobus matschici (Kavirondo) . . 12*, 12*, 12, 11 mm
Colobus gucrcza (Abyssinien) . . . 15*, 14*, 13, 11 mm
Colobus caudatus (Kilima Ndscharo) 16*, 16*, 14, 13 mm.
* Sehr alte </(/•
Die Heimath von Colobus matschici ist Kavirondo.
Ferner dürfte der Colobus vom Ruwensori. von Unjoro. vom
Niamniam-Land, vom weissen Nil. von Kikuyu und dem
Leikipia-Plateau zu dieser Art gehören. Pousargues in
seiner grossen Arbeit über die Säugethiere des französischen
Congo2) erwähnt p. 145 mehrere Exemplare, die gleich-
falls keine Schwanzquaste haben. Doch erwähnt er nicht
den genauen Fundort dieser Exemplare. Dybowskl der eine
der Reisenden, dessen Sammlungen Pousargues unter-
>) Proc. ü. S. National Museum, Vol. XV. 1892, p. 447.
s) E. de Pousargues: „Etüde sur les mammiferes du Congo
fran^ais", Ann. des Sc. nat, 1896, 1897 (8. Serie 3, 4).
I **
18 Gesellschaft nafovrfors'chender Freunde, Bah'».
suchte, ist übrigens bis ins Tschadseegebiet gekommen,
und es wäre wohl möglich, dass das Verbreitungsgebiet
von Colobus matschiei sich bis dorthin erstreckt.
Im übrigen halte ich die Untersuchungen über die ver-
schiedenen geographischen Formen des Colobus guereza ab-
solut noch nicht für abgeschlossen; jedenfalls steht es
für mich fest, dass die Unterschiede sowohl im Schädel
wie im Fell in den einzelnen vertretenden Formen kon-
stant sind, und nicht etwa nach Alter oder Jahreszeit vari-
ieren, wie meine grossen Serien von Colobus caudatus und
Colobus matschiei beweisen.
Noch steht es aber nicht für mich fest, ob alle west-
afrikanischen Guerezas vom Benue. vom Ogowe und vom
Congo unter dem Namen Colobus occidentalis zu vereinen.
Ferner glaube ich gefunden zu haben, dass Exemplare des
Colobus guereza, von Heuglin in der Kulla West-Abyssiniens
gesammelt, einen viel kürzeren Seitenbehang haben, wie
solche, die Rüppel in den Hochländern von Tigre und
Godjam sammelte, möchte dieselben aber nicht specifisch
abtrennen, ehe ich nicht gleich grosse Serien von diesen
untersuchen kann, wie von den obengenannten Arten.
2. Cephaloloplius leucoprosopus spec. nov.
Im hiesigen zoologischen Garten lebt seit ein paar
Wochen eine Schopfantilope, die mit keiner bisher be-
schriebenen Art zu identifizieren. Das betreffende Thier,
ein ö", ist kleine]- als ein in demselben Käfig lebendes 9.
welches ich für Gephalolophus ocularis Ptrs. oder Cephalo-
lophus coronatus Gkay halte. Hierbei möchte ich einfügen,
dass die Art Cepltalolophus ocularis Ptrs., welche ich mit
altifrons Ptrs. und grimmia flavescens Lok. für identisch
halte, und welche Sclateu und Thomas in ihrem „Book
of Antilopes" J) zu Cepltalolophus grimmia gestellt haben,
welchem Beispiel auch Troüessart2) gefolgt ist, nichts mit
dieser Art zu thun hat, sondern der westafrikanischen
*) Sclater and Thomas: Book of Antilopes. Part IV. Sept
1895, p. 203.
2) Troüessart: Catalogus mammalium. Nova editio 1898, IV.
p. 919.
Sitzung vom 17. Januar 1S99. t'.t
Form Cephahloplius coronatius und der abyssinischen. Cepha-
lolophus äbyssinicus, sowohl in Färbung wie in Grösse viel
näher stehen, als dem echten Cephälolophus grimmia vom
Cap. Dieser nämlich ist ein Thier von der Grösse eines
schwachen Rehes, fast einfarbig graubraun mit gleichfarbiger
Unterseite. Die drei andern genannten Arten sind viel
kleiner, etwa von der Grösse einer halbjährigen Rehkitz,
mehr gelblich oder röthlich. besonders auf der Stirn, und
haben stets weisse Unterseite. Alle diese Arten gehören
übrigens zur Untergattung Sylvicapra Ogilby, bei welcher
die cTö* nach oben stehende, und nicht mit der Stirn in
einer Linie liegende Hörner haben, während die 9 2 in
der Regel gehörnlos sind.
Meine neue Antilope nun ist also kleiner wie Cephälo-
lophus coronutus und braun mit dunklerem Rücken. Bauch,
Innenseite der Beine und Kehle sind weiss. Die Bein-
färbung vom bis über die Sprunggelenke ist glänzend
schwarz. Au den Hinterbeinen reicht das schwarz nicht
ganz so hoch. Der Schwanz ist oben schwarz, unten weiss.
Das eigenthümlichste ist aber die Färbung des Kopfes. Der
Nasenrücken und eine dreieckige Stelle, die sich vom Auge
spitz nach der Schnauze zieht, sind glänzend schwarz, die
Stirn roth. die Aussenseite der Ohren bräunlich, ebenso
der Hinterkopf und die Gegend des Unterkiefers. Um das
Auge zieht sich eine breite weisse Linie, die sich scharf
gegen den schwarzen Nasenrücken und die schwarze Thränen-
drüsengegend abhebend, gegeu die Nase zu verläuft. Auch
ein Fleck am Ohransatz und die Innenseite des Ohres sind
weiss. Diese eigenthümliche Färbung bringt den Eindruck
hervor, als trüge das Thier eine Gypsmaske, aus welchem
Grunde ich den oben angeführten Namen vorschlage. Leider
ist die Heimath des Thieres unbekannt. *)
3. Lithocranius sclateri spec. nov.
Dieser neue Name gebürt einer Gazelle, die noch nicht
seit langer Zeit bekannt, deren Hörner aber in allen Ge-
J) Nachträglich höre ich, dass diese Antilope von S. Paolo de
Loanda gekommen ist. Ihre Heimath ist vielleicht das Innere von Angola.
20 Gesellschaft naturfvrschender Freunde, Bertin.
hörusammlungen seit den letzten Jahren häufig vertreten
sind, da sie von den Somalis in grosser Anzahl in Aden
auf die durchfahrenden Schiffe gebracht uud billig verkauft
werden.
Im Jahre 1878 legte Brookk in der Zoological. Society
einige Gazellenschädel vor, die Gerald Waller aus Zan-
zibar mitgebracht hatte !) Die Exemplare waren unter 3°
südl. Br. und 38° östl. L.. also in der Tsawo-Ebene, am
Fuss der Kyulu-Berge östlich des Kilima Ndscharo erlegt.
Da diese Gazelle noch jetzt dort häufig vorkommt, und die
Maasse und Proportionen des in den P. Z. S. abgebildeten
Schädels genau mit Schädeln, die C. G. Schillings in
derselben Gegend sammelte übereinstimmen, so sehe ich
keinen Grund, nachträglich, wie dies Sclater und Tho-
mas thun, 2) die Herkunft der Typen nach der Jubamündung
im Süd-Somali-Land zu verlegen. Brooke beschrieb das
Thier als Gasella ivalleri.
Sclater erhielt 1884 von Hagenbeck Felle und Ge-
hörne einer Gazelle aus dem Nord-Somali-Land.3) welche
er, wiewohl auch er, besonders iu der Form der Hörner,
Unterschiede fand, da aus Ost- Afrika kein weiteres Material
mehr gekommen war, zu Gasella ivalleri stellte. Später
wurde die Art von Kohl4) generiscli von Gasella abgetrennt
und zum Typus des Genus Litlioeranius erhoben.
Während nun in den letzten Jahren sehr viel Schädel
und Gehörne der Somaliform in die europäischen Samm-
lungen kamen, blieben die Stücke Wallers lange Zeit
die einzigen aus Ost-Afrika, bis vor einiger Zeit plötzlich
viel Material vom oberen Paugaui und von den Steppen
am Fuss des Kilima Ndscharo auf das Berliner Museum
kam. Dies ist besonders dem Jagdeifer des Herrn C. G.
Schillings zu danken, welcher eine ganze Anzahl Felle
und Gehörne, sowie zwrei ganze Schädel von dort mit-
>) P. Z. S. 1878, p. 929.
s) Sclater and Thomas: Book of Antelopes. Part. XII. October
1898, p. 230.
s) P. Z. S. 1884, p. 538, 539.
*) Ann. Mus. Wien 1886, I, p. 79.
Sitzung am 17. Januar 1899. 21
brachte. Auch von Baron REDEN~und Dr. Eggel *) befinden
sich Felle und Gehörne aus diesen Gegenden auf dem
Berliner Museum.
Sclater und Thomas publiziren nun in ihrem Anti-
lopenbuch2) eine Stelle aus „Big game Shooting", Vol. I,
worin F. H. Jackson, der sowohl das Thier des Somali-
Landes als das von Ost-Afrika beobachtete, schreibt, dass
die Ost-Afrikaner viel kleiner sind, als die Somalithiere.
Die Autoren legen dem aber anscheiuend keinen Werth bei,
und belassen beide Formen bei einer Spezies.
Die Vergleichung des vorzüglichen Schillings' sehen
Materials mit solchem von Menges aus dem Nord-Somali-
Land zeigt nun. dass die echte Lithocranius wallen von Ost-
Afrika stets röther ist, als das Thier von Somali-Land.
Ferner hat sie schwarze Kniebüschel, und das weiss der
Unterseite bildet an den Seiten des Schwanzes einen un-
deutlichen breiten Fleck. Die Somaliform hat braune Kuie-
büschel, und das weiss der Unterseite zieht sich seitlich
des Schwanzes als feine weisse Linie aufwärts.
Letztere zwei Kennzeichen fand, wie ich hier er-
wähnen will, Herr Matschie bei unsern gemeinsamen
Nachforschungen zuerst heraus. So minutiös diese Kenn-
zeichen nun auch sind, so scheinen sie doch bei jung und
alt konstant zu sein.
Auch im Schädel zeigen sich bemerkenswerthe Unter-
schiede.
Bei ungefähr gleicher Hornlänge ist der Schädel der
echten Lithocranius walleri kürzer und gedrungener als der
von Lithocranius sdateri, insbesondere sind die Nasalen
und der Zwischenkiefer viel kürzer. Den Unterschieden
in der Spitzenrichtung der Hörner möchte ich jedoch vor-
läufig noch keinen Werth beilegen.
Lithocranius sdateri bewohnt das nördliche Somali-Land.
Wie weit sie sich nach Süden verbreitet, ist mir nicht
bekannt.
*) Die Gehörne des letzteren Herren nur leihweise.
2) Op. cit. p. 236.
22 GeseUscluij t naturforschemler Freunde, Berlin.
Lithocranius wallen bewohnt Teita, Ukamba. die Steppen
am Fuss des Kilima Ndscharo, am oberen und mittleren
Pangani und verbreitet sich über den Pangani bis in das
Kibaya-Massai-Land und nach Ngaruka. zwischen dem Mau-
jara und dem Nguruman-Salz-See. Letztere beide Gegen-
den, an denen sie C. G. Schillings erlegte, haben als
Süd- und West-Grenze der Art zu gelten.
Maasse alter männlicher Schädel.
Lith. selateri Lith. walleri Lith. wallen
Berbera Mittlerer Pangani Kibaya-Massai-Land
(Menges coli.) (Schillings coli.) (Schillings coli.)
Obere Zahnreihe 56 mm 46 mm 51 mm
Zwischenkiefer . 66 mm 55 mm 57 mm
Nasalen ... 7-1 mm 49 mm 54 mm
Herr 0. Neumann sprach ferner über die Bartmeer-
katzen.
Sclater fasst in seiner Uebersicht aller bekannten
Meerkatzenarten1) eiöe kleine Gruppe sehr schön und auf-
fallend gezeichneter Meerkatzen unter dem Namen „Cerco-
pitheci barbati" zusammen.
Die erste derselben ist der allen Besuchern zoolo-
gischer Gärten bekannte Diana- Affe „Cercqpitheeus dianah.",
über dessen Freileben und genaues Vaterland jedoch ver-
hältnissmässig wenig bekannt ist.
Gray führt in seinem „Catalogue of Monkeys"2) ein
seiner Meinung nach sehr altes cf unter dem Namen
ignitus auf. Sclater bespricht die Merkmale, von denen
hauptsächlich drei guten Werth haben und stets konstant
sind. Nämlich der sehr kurze Kinnbart, der sieh dadurch
auszeichnet, dass die weisse Endspitze der Haare nicht
länger ist als die darüber stehenden schwarzen; ferner der
sehr breite Strich über den Oberschenkel, und die dunkel-
brauurothe Färbung der Innenseite der Schenkel und des
Bauches. Angeblich soll das Exemplar, auf welches hin
Sclater die Form iynitus zur Subspecies erhob, vom Congo
*) P. Z. S. 1893, p. 254.
2) Gray: Catalogue of Monkeys etc. 1870, p. 22.
Sitzung vom 17. Januar 1899. 23
gekommen sein. !) Poitsargues bezweifelt bei seiner Be-
sprechung der von Moskowitz in Kong gesammelten Affen 2)
diese Herkunft, und thut dieses nochmals in seiner Arbeit
über die Säugethiere des französischen Congo. 3)
Ich kann nun heute bestätigen, dass Pousargues'
Zweifel berechtigt sind. Die Heimath von Cercopithecus
ignitus, wie die Art, welche vollen Species - Werth hat
und leicht erkenntlich ist, zu bezeichnen ist, ist Liberia,
vermuthlich auch das südliche Sierra Leone.
Bei einem Besuche, den ich in diesem Sommer dem
Leydener Museum abstattete, fand ich von beiden Arten je
eine prächtige Serie. Die eine wurde von Pel an der
Goldküste gesammelt.1) 5) 6) Die andere „Cercopithecus
ignitus" wurde von Büttikoper und Sala in Liberia ge-
sammelt.7)8) Prächtig zeigen jimge und alte Individuen
beider Serien die Artkennzeichen. Auch das Berliner Mu-
seum besitzt 2 Exemplare von Cercopithecus ignitus Gray.
Das eine, ein prächtiges altes <? , hat hier im zoologischen
Garten gelebt, das andere ist ein verstümmeltes Fell eines
von Herrn Schäffer (Eisenach) in Cap Palmas (Liberia)
erlegten Thieres.
Einen bemerkenswerthen Unterschied zeigt übrigens
der Typus von Cercopithecus ignitus, den mir Mr. Sclater
liebenswürdigst zur Untersuchung geliehen, wofür ich ihm
hier bestens danke, von allen Liberiastücken, die ich unter-
suchen konnte. Bei ihm ist der breite Streif an der Aussen-
seite der Schenkel rein weiss, bei der Leydener Serie und
den zwei Berliner Stücken aus Liberia bräunlich gelb.
') P. Z. S. 1893 p. 255.
2) Ann. Sc. nat. 1896, 8. Serie 1, p. 2G6, 267.
3) Ann. Sc. nat. 1897, 8. Serie 4, p. 103.
4) Temminck: Esq. zool. sur la cöte de Guinee. Leyden
1853, p. 29.
5) Schlegel: Mus. d'bist, nat, Pays Bas VII, p. 92.
6) Jentinck: Mus. d bist, nat. Pays Bas XI (1.) 1892, p. 24,
Cercopithecus cliana Ex. a, b, c, d.
7) Jentinck: Notes Leyden Mus. X. 1898, p. 12.
8) Jentinck: Mus. d'bist. nat. Pays Bas| XI (1.) 1892, p. 24, Cer-
copithecus diana Ex. g, h, i.
24 Gesellschaft natwforsckender Freunde, Berlin.
Ich möchte hier noch erwähnen, dass es mir leider
bisher nicht gelungen ist, Diana-Affen mit authentischer Her-
kunft vom Gambia, vom Niger und von Kamerun zu unter-
suchen. Von letzterem Lande soll angeblich ein sehr junges
Exemplar, welches hier einige Zeit lang im zoologischen
Garten gelebt hat, stammen.
Noch weniger bekannt ist die dritte hierher gehörende
C 1crcoplthecus-kri.
Der Engländer Petherick, welcher in den sechziger
Jahren Consul in Chartum war, brachte von seinen Ent-
deckungsfahrten auf dem weissen Nil ein verstümmeltes
Affenfell ohne Kopf und Hände nach London, welches Gray
zu Ccrcoplthecus leucocampyx stellte. ') Schlegel erkannte,
dass das Stück nichts mit Gercopithecus leucampyx Fisch.
zu thun hätte und beschrieb es als Gercopithecus neglcctus. 2)
Dreses Fell blieb lange Zeit das einzige der Art. Da
brachte der französische Reisende Jacques de Brazza einen
Affen in mehreren Exemplaren vom französischen Congo,
den Milne Edwards als Gercopithecus brazme beschrieb.3)
Sclater giebt in seiner Uebersicht die beiden Arten noch
getrennt an verschiedenen Stellen an,4) welchem Vorgang
Trouessart folgt.5) Später giebt Sclater6) eine Abbil-
dung des Thieres, welche übrigens sehr mangelhaft ist, da
bei ihr gerade der charakteristische weisse Streif über die
Aussenseite der Hinterschenkel bis zum Kniegelenk fehlt,
und vergleicht beide Arten mit einander, kommt aber zu
dem Resultat, sie vorläufig noch getrennt zu belassen, weil
der Typus von Gercopithecus neglectus bräunlicher, und das
Band über die Schenkel gelblicher, bei Gercopithecus brazme
rein weiss sei, hauptsächlich aber wegen der anscheinend
grossen geographischen Trennung der beiden Fundorte, und
') Gray: Catalogue of Monkeys etc. 1870, p. 22.
2) Schlegel: Mus. d'hist. nat. Pays Bas VII, p. 70.
3) Milne Edwards: Revue scientifique, 3. Serie, 1886, p. 15.
4) P. Z. S. 1893, p. 253 u. 255.
5) Trouessart: Catalogus Mammalium nova editio 1897, I,
p. 21 u. 23.
6) P. Z. S. 1893, p. 443, PI. XXXIII.
Sitzung vom 17. Januar 1899. 25
weil man des mangelnden Kopfes am Typus von Cerco-
pithecus neglectus wegen nicht sehen könne, ob diese Art
auch die schöne orangerothe Stirnbinde besitzt, welche für
Cercopithecus hrazme so charakteristisch ist.
Während meiner afrikanischen Reise erlegte ich nun
bei Kwa Kitoto (Kavirondo) an der Ugowe-Bay des Victoria-
Nyansa im März 1894 3 Exemplare dieses Affen, die die
orangerothe Stirnbinde prachtvoll zeigten, und die be-
weisen, dass die geringen. Färbungsverschiedenheiten, die
Sclater fand, nur individueller Natur sind. Das Fell
Petherick's wird wohl aus der Gegen der grossen Seeen ge-
kommen sein, und die geographische Verbreitung der Art
ist somit gar nicht so gross, besonders wenn man bedenkt,
dass Brazza's Exemplare keinen genauen Fundort haben,
und dass Dybowski den Affen erst am oberen Ubangi fand.
Poüsargües, der zuerst noch für die Selbstständigkeit von
Cercopithecus brazzae eintritt. l) kommt im Nachtrag seiner
Arbeit, L>) auf Grund meiner Funde in Kavirondo, die in
meinem Namen zuerst Matschie3) publizirte, zu der An-
nahme, dass beide Arten wahrscheinlich identisch sind,
woran nach meinen Untersuchungen nunmehr kein Zweifel
besteht. Authentische Fundorte für Cercopithecus neglectus
sind also der obere Ubangi und Kavirondo. ferner der Ru-
wenzori. denn der „other monkey with white marks on the
face, simulatiug eyebrows. moustache and imperial", welchen
Scott Elliot dort sah.1) kann sich nur auf diese Art
beziehen, besonders wenn man bedenkt, dass auch die zwei
andern von Scott Elliot und Stuhlmann dort gesammel-
ten und beobachteten Affen. Goldbus matschiei Neum. und
Cercopithecus stuhlmanni Mtsch., gleichfalls auch bei Kwa
Kitoto (Kavirondo) zusammen mit Cercopithecus neglectus
vorkommen.
Herr 0. JäEKEL sprach über die Enstehung neuer Ty-
pen durch Hemmung ihrer Ontogenie.
1) Ann. Sc. nat. 1896, 8. Serie 3, p. 216.
2) Ann. Sc. nat. 1897, 8. Serie 4, p. 102.
3) Sitzungsber. dieser Gesellschaft 1895, No. 1, p. 2, u. Natur-
-wissenschaftliche Wochenschrift 1894, p. 417.
*) P. Z. S. 1895, p. 341.
J. F. Starcke, Berlin W.
Nr. 2. 1899.
Sitzungs-Bericht
der
Gesellschaft naturforsehender Freunde
zu Berlin
vom 21. Februar 1899.
Vorsitzender: Herr Wittmack.
Herr H. Potonie sprach über das Vorkommen von
Glossopteris in Deutsch- und Portugiesisch-Ost-
Afrika.
Vor mehreren .Jahren legte mir der verstorbene Reisende
G. Lieder mit der Bitte um Bestimmung fossile Pflanzen-
reste aus Portugiesisch-Ost-Afrika vor. die zwei Tagereisen
von der südlichen deutschen Grenze vom rechten Ufer des
Ludyende an der Kohlenfundstelle „Makaa" (d. h. Kohle)
herstammten. Es waren gut erhaltene Wedel-Reste von
Glossopteris indica Brongn. pro varietas (incl. Gl communis
0. Feistmantel). Obwohl ich Herrn Lieder auf die
Wichtigkeit des Fundes aufmerksam gemacht habe, hat er
doch nichts über dieselben veröffentlicht. Herr Berg-
Assessor Borniiardt, den ich auf Grund der genannten
Reste vor seiner Reise nach Deutsch -Ost -Afrika aus-
drücklich auf Glossopteris und zur Sicherheit auch auf die
unter dem Namen Vertebraria Royle bekannten Rhizome von
Glossopteris aufmerksam gemacht habe, hat nun das Glück
gehabt, in Deutsch-Ost-Afrika Vertebrarien zu finden, so
dass nunmehr auch hier die Glossopteris-F &c\es constatirt ist.
Diese Vertebrarien stammen aus thonigen Schichten, die
mit Kohleflötzchen abwechseln, von den Kohlen-Aufschlüssen
am Südabfall des Kingalo- Berges, also von der Tafelland-
schaft südlich des unteren Ruhuhu. östlich des Nyassa.
2
28 Gesellschaft naturforschender Freunde, Berlin.
Sehen wir von den revisionsbedürftigen Angaben des
Vorkommens von Glossopteris in Europa ab, so wäre diese
Gattung nunmehr in den folgenden Ländern festgestellt
worden:
Capland. Transvaal, Portugiesisch-Ost-Afrika, Deutsch-
Ost-Afrika. Afghanistan, Vorder-Indien. Tonkin, Borneo,
Ost-Australien, Tasmanien, Neu-Seeland, Rio Grande do
Sul und Argentinien.
Wie man sieht, ist damit eine Brücke zwischen Trans-
vaal und Afghanistan geschlagen.
Ausführliches über den Gegenstand werde ich in dem
von Herrn Bornhardt zu veröffentlichenden Reisebericht
bringen.
Herr Matschie gab einige Beiträge zur Kenntniss
von Hypsignathus monstrosus Allen.
G. E. Dobson hat im Jahre 1881 über die sonderbare
Gestalt des Zungenbeins und Kehlkopfes bei den unter dem
Gattungsnamen Epomophorus bekannten Flughunden be-
richtet (Proc. Zool. Soc. London. 1881, p. 685 — 693. mit
6 Bildern). Ich bringe hier die Abbildung eines Präparates,
welches die ausserordentlich starke Entwicklung des Kehl-
kopfapparates bei einem alten cT von Hypsignathus mon-
strosus Allen zeigt. Das Brustbein und die Brustmuskulatur
sind weggenommen worden.
Dobson's vorzüglicher Beschreibung kann ich nur wenig
hinzufügen. Bei weiblichen Thieren von H. monstrosus
reicht der Kehlkopf nur wenig unter das Manubrium
sterni herab; bei den alten Männchen bedeckt er fast voll-
ständig die Lungen und erstreckt sich bis an das Zwerchfell.
Der Kehkopf ist hier ungefähr halb so lang wie die
Wirbelsäule.
Das Basihyale ist schmal und flach und aboral ge-
krümmt, die Thyrohyalia sind etwas länger als das Basi-
hyale, setzen sich in stumpfem Winkel nach unten und
hinten an das Basihyale an und sind spateiförmig gestaltet.
Die Ceratohyalia sind klein und mit den anderen Zungen-
beinknochen nur durch Ligament verbunden. Die Epihyalia
Sitzung vom 21. Februar 1899.
29
~~
" --- s
"7:
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'■ B " - S"
:
Hypsignaihus haldemani (Hallow.).
1. Unterzunge; 2. Vorderer Luftsack; 3. Kehldeckel; 4. Muskel:
5. Hinterer Luftsack; 6. Thyrohyale; 7. Basihyale; 8. Schildknorpel;
9. Ringknorpel; 10. Lunge; 11. Herz; 12. Zwerchfell; 13. Darm.
sind am freien Ende oval abgerundet und gegen die Cerato-
hyalia stilförmig flach ausgezogen.
Zwischen den beiden vorderen Luftsäcken kann ich
einen dritten unteren Sack nicht auffinden; dagegen lässt
30 Gesellschaft naturforschender Freunde, Berlin.
sich ein jederseits über der Achselgegend liegender dünn-
wandiger Sack von dem Schlünde aus aufblasen.
Dobsox hat schon hervorgehoben (1. c. p. 690), dass
bei E. comptus der Kehlkopf und das Zungenbein sehr
ähnlich aussehen wie bei E. franqueti, und dass E. macro-
cephalus, labiatus, gambianus und minor eine zweite Gruppe
bilden, soweit es die Gestalt der oben genannten Organe
betrifft. E. monstrosus zeigt ähnliche Verhältnisse, wie diese
letztere Gruppe, unterscheidet sich aber von ihr durch die
gestielten Epihyalia und von allen Epomophorus, welche
Dobsos erwähnt, durch das aboral gekrümmte Basihyale.
Bei dieser Gelegenheit möchte ich darauf aufmerksam
machen, dass Pteropus haldemani Halowkll (Proc. Acad.
Nat. Sc. Philadelphia 1846 III. No. 3, p. 52). wie aus der
ausführlichen Originalbeschreibung leicht zu ersehen ist, zur
Gattung Hypsignathus Allen gehört. Da ich keinerlei
Unterschiede zwischen Pt. haldemani und einem jungen Hyps.
monstrosus zu finden vermag, so ersetze ich den bisher üb-
lichen Namen dieses Flughundes durch den älteren, von
Halowkll gegebenen, und nenne das Thier nunmehr Hypsi-
gnathus haldemani (Halowkll).
Die echten Molaren von Hypsignathus haben, wie bei
allen Megachiroptera, eine Längsfurche auf der Zahnkrone; der
zweite untere Molar hat auf der Aussenkante drei Höcker,
welche nach hinten an Grösse abnehmen, auf der Innen-
kante befindet sich ein einziger, gewöhnlich auf der Krone
eingekerbter Höcker. Diese Zahnbildung erinnert sehr an
diejenige, welche ich von Microlestes Plikninger aus dem
Stuttgarter Museum kenne; eine Vergleichung von Hypsi-
gnaihus und Microlestes ist vielleicht vou einigem Interesse.
Zittkl's Beschreibung der als Microlestes bekannten Zähne
(Palaeozoologie IV. Mammalia, 1881, p. 79—80) passt vor-
züglich auf Hypsignathus: „Die länglich vierseitige Krone
der kleinen, zweiwurzeligen Molaren zeigt eine tiefe Längs-
furche, welche aussen und innen von einem erhabenen, ge-
zackten Rand begrenzt wird."
Sitzung vom 31. Februar 1899. 31
Herr L. Wittmack sprach über Phyliomanie (Blatt-
sucht) an einer Haferrispe.
Eine höchst merkwürdige, bisher, soweit bekannt, noch
nicht beschriebene Monstrosität einer Haferrispe sandte
Herr H. Kxake iu Pennigsehl bei Borstel, Kreis Nienburg
(Hannover) im December 1898 der Deutschen Landwirth-
schafts- Gesellschaft zur Ansicht ein. und diese ersuchte
mich um nähere Erläuterung der Sache.
Zunächst sei bemerkt, dass die Rispe nicht unter Avena
sativa, sondern unter Avena strigosa, dem Rauhhafer, 1897
gefunden wurde. Herr H. Knake hat dies Exemplar dem
Museum der landwirtschaftlichen Hochschule in Berlin zum
Geschenk gemacht, und möchte ich ihm auch an dieser
Stelle dafür meinen verbindlichsten Dank aussprechen. Ein
zweites Exemplar, das Herr Knake 1898 fand, befindet sich
noch in seinem Besitz.
Die Achse der Rispe hat nur eine Länge von etwa
9 cm, gerechnet vom Ansatz der untersten Aeste bis zum
Anfang des obersten Aehrchens. Der Durchmesser der
Rispe beträgt nur 5—6 cm. Alle Aeste sind einseitswendig,
die einzelnen Aehrchen ganz ausserordentlich ver-
längert, 4 — 6 cm lang, mit äusserst zahlreichen
Spelzen besetzt, einseitswendig sichelförmig abwärts
gebogen, von röthlich -gelber Farbe und schön seiden-
artigem Glanz. Das Ganze erinnert sehr an einen Feder-
busch.
Am untersten Knoten der Rispenachse entspringen
4 Aeste, von denen einer nur 1,5 cm lang und unverzweigt
ist, auch nur 1 Aehrchen trägt. Dieses Aehrchen ist herab-
gebogen und das einzige, welches am getrockneten Exem-
plar nach einer anderen Seite der Hauptachse schaut als
die übrigen.
Ein zweiter, nicht viel längerer Ast des untersten
Quirls geht der Hauptachse parallel, aber geschlängelt,
nach oben und ist einmal verzweigt, jeder Zweig trägt
1 Aehrchen.
Ein dritter Ast geht horizontal, etwas nach unten ge-
32 Gesellschaft vatur forschender Freunde, Berlin.
bogen, ab, ist im Ganzen ca. 4 cm lang und trägt an
kurzen Zweigen 3 Aehrchen.
Der vierte Ast ist der stärkste, er ist aufrecht, geht
dicht der Hauptachse anliegend über den nächsten, höher
stehenden Knoten hinweg , ist im Ganzen 6 cm lang und
trägt 2 Aehrchen.
Fast 2,5 cm über dem untersten steht der zweite
Knoten; an ihm entspringen 6 aufwärts gerichtete, kurze
Aeste. oder streng genommen nur 1, der aber sofort an
seiner Basis 5 Zwreige abgiebt. Jeder Ast trägt 1 —2 Aehr-
cheu (genau lässt sich das ohne Gefahr der Beschädigung
der interessanten Missbildung nicht ermitteln, ist auch gleich-
gültig). Beachtenswerth ist aber, dass hier noch mehr als
am untersten Quirl die Aehrchenstielchen die Tendenz habeu,
geschlängelt zu verlaufen. Der eine derselben windet sich
in lockerer Spirale um die Hauptachse der Rispe, und
zwar rechts, im Sinne der Botaniker, d.h. wie der Zeiger
der Uhr; ein anderer geht plötzlich in scharfem Bogen,
links gewunden, fast quer um die Hauptachse herum.
Der dritte Knoten steht wieder 2,5 cm über dem
zweiten; an ihm stehen zwei kurze, einährige Aeste und
ein lauger, zweiähriger Ast.
Der vierte Quirl, wiederum ca. 2,5 cm über dem
dritten, zeigt zwei y* bez. 1 cm lange Reste von Aesten;
das Uebrige ist abgebrochen.
Dann verlängert sich die Achse noch um 2.5 cm und
trägt an der Spitze ein anfangs symmetrisches, dann aber
auch sichelförmiges und plötzlich abwTärts gekrümmtes
Endährchen.
Was der ganzen Missbildung eine so auffällige, noch
nie gesehene Erscheinung giebt, sind die ein seits wendi-
gen, sichelförmig gekrümmten Aehrchen. die aus
lauter Spelzen bestehen, gar keine Staubgefässe und Frucht-
knoten haben. Es Hessen sich an einem ca. 5 cm langen
Aehrchen bis 38 Spelzen zählen, also ca. 19 Paar, und
ähnlich viele finden sich in allen übrigen 20 Aehrchen.
Dabei sind diese alle, wie gesagt, verlängert, 5 — 6 cm lang.
Ein normales Haferährchen ist nur ca. 2-272 cm lang
Sitzung vom 21. Februar 1899. 33
und hat an der Basis bekanntlich 2 grosse, unfruchtbare
Spelzen, die sog. Hüllspelzen, Klappen oder glumae, welche
alles Uebrige einschliessen. - - Im Innern findet man bei
normalen Aehrchen 1 — 3 Blüthchen, jedes hat 2 Spelzen
oder paleae, ferner 2 kleine Schüppchen. 3 Staubgefässe
und 1 Fruchtknoten mit 2 Narben.
Hier dagegen ist von allem diesen nicht die Rede.
Spelzen, Spelzen, nichts als Spelzen! Die beiden untersten
sind die gewöhnlichen Hüllspelzen, haben auch ganz die
normale Gestalt und normale Stellung, d. h. das Einander-
gegenübersteheu der gewöhnlichen beiden Hüllspelzen des
Hafers; die äussere ist aber oft 8-, die innere 7 -nervig.
Gewöhnlich ist bei normalem Hafer die äussere 7—9-, die
innere 8 — 11 -nervig; bei Avcna strigosa sind beide 7—9-
nervig.
Die folgenden Spelzen sind meistens nicht mehr ein-
ander gegenüberstehend, sondern alle nach einer Seite, aus-
wärts, gerichtet und wegen dieser einseitigen Entwickelung
ist offenbar die fortwachsende Achse zur sichelförmigen
Krümmung an der inneren Seite veranlasst worden. Die
beiden grannenartigen Spitzen der Deckspelzen von Avena
strigosa fehlen überall, ein Beweis mehr, dass es alles
Hüllspelzen sind.
Einseitswendige Blüthenstände kommen bei vielen
Gräsern vor, schwach ausgeprägt beim Knaulgras, stark
beim Kammgras, Borstengras. Panicum sanguinale (Bluthirse),
Üldoris etc. , am schönsten wohl bei der in Ostafrika und
Ostindien häufigen Eleusine Coracana, und mein verehrter
Freund Prof. Dr. Paul Magnus, der die vorliegende Miss-
bildung auch, wie alle meine botanischen Kollegen, für bis-
her unbekannt und höchst interessant hält, meinte, man
könne vielleicht auch in dieser Abnormität die Tendenz zu
einseitswendigen Blüthenständen finden, die bei Gräsern
ziemlich verbreitet ist. — Indess, wenn man sich die Sache
recht überlegt, ist die Einseitigkeit in unserem Falle noch
viel weiter vorgeschritten. Bei normalen einseitswendigen
Blüthenständen stehen wohl die Aeste und Aehrchen ein-
seitig, aber die Spelzen in den einzelnen Aehrchen sind
34 Gesellschaft naübrforschender Freunde, Berlin.
nicht einseits wendig, sondern stehen immer links, rechts,
links, rechts einander gegenüber (nach 72 Stellung); hier
dagegen stehen die Spelzen alle links, oder alle rechts;
also ganz einseitswendig.
Da die Spelzen der Gräser als die Scheiden von Laub-
blättern anzusehen sind, deren Spreite verkümmert oder
in eine Granne umgewandelt ist. so kann man die Sucht,
fortwährend Spelzen zu erzeugen, auch Blattsucht. Phyllo-
manie, d. h. fortgesetztes Anlegen derselben Blattart, nennen,
eine Bezeichnung, die Prof. Magnus eingeführt hat.
Warum aber bildeten sich so viele Spelzen in einem
Aehrchcn? Und warum alle einseitswendig? Auf diese
Frage lässt sich keine Auskunft geben. Milben od. dergl..
die etwa durch Benagen einen Reiz ausgeübt hätten, sind
nicht zu sehen, auch durchaus keine Frassstellen. Die
grosse Zahl der Spelzen kann man sich ebenso wenig er-
klären, wie die zahlreichen Blumenblätter in einer gefüllten
Nelke, die meist doch nur aus den 10 Staubblättern hervor-
hervorgegangen sind. Es ist eben in der Natur oft die
Tendenz, wenn sie einmal eine Schranke durchbrochen hat,
immer weiter in derselben Richtung fortzufahren.
Bei der Nelke kommt übrigens mitunter auch eine
derartige Phyllomanie (aber keine einseitswendige) vor. in-
dem statt der normalen 2 — 3 Paar Hüllschuppen an der
Basis des Kelches immerfort solche erzeugt werden, so
dass das Ganze die Gestalt einer Weizenähre erhält (Wheat-
ear Carnation der Engländer). Eiuen sehr schönen Fall
davon hat Prof. Magnus in der Gartenflora 1893, S. 269,
mit Abbildung; beschrieben.
Sitzung vom 21. Februar 1S00. 35
Verzeichniss
der an den Referierabenden besprochenen wissenschaftlichen
Arbeiten.
Vorbemerkung. Am 17. November 1896 fasste die
Versammlung der ordentlichen Mitglieder der Gesellschaft
naturforschender Freunde auf Antrag des Herrn Fr. E.Schulze
den Beschluss, vom Jahre 1897 ab an jedem zweiten
Dienstag im Monat einen Referierabend anzusetzen,
während der dritte Dienstag, wie bisher, für Original-Mit-
theilungen bestimmt bleiben solle. Man ging hierbei von
der Ansicht aus, dass es bei der überreichen Fülle der
Fachlitteratur dem Einzelnen nicht mehr möglich sei, alle
wichtigeren Arbeiten seines Specialfaches und der ver-
wandten Disciplinen durch Selbststudium ausreichend kennen
zu lernen, dass es daher erwünscht sein müsse, durch kurze,
aber die Kernpunkte treffende Referate auch über solche
Arbeiten unterrichtet zu werden, deren eigene Kenntniss-
nahme nicht möglich wTar. — Die Erfahrung hat gelehrt,
wie zweckmässig diese Einrichtung ist. Die Referierabende
haben sich eines regen Besuches zu erfreuen und die an
die Berichte sich knüpfenden Diskussionen legen den Beweis
dafür ab, dass das Interesse ein sehr lebhaftes ist.
In der Sitzung der ordentlichen Mitglieder vom
21. Februar 1899 ist auf Antrag des Herrn K. Möbius be-
schlossen, die Namen der Referenten und die Titel der von
ihnen besprochenen Schriften vom Januar d. J. ab in den
Sitzungsberichten aufzuführen.
Neue Arbeiten, über welche ein Referat gewünscht
wird, wolle man direkt an die Bibliothek der Gesellschaft
naturforschender Freunde, Berlin W., Französische Strasse 29,
einsenden.
Die Herren Referenten werden gebeten, den voll-
ständigen Titel der Schriften, über die sie berichtet haben,
der Redaktion mitzutheilen.
Referierabend am 10. Januar 1899.
Herr 0. Heinroth über Baer, Ueber Bau und Farbe der
Flügelschuppen bei Tagfaltern. Z. f. wiss. Zool. 1898.
Bd. 65, Heft I, p. 51—64.
36 Gesellschaft ?iaturfor seilender Freunde, Berlin.
Herr Fr. Kopsch über W. Walde y er, Das Becken. To-
pographisch-anatomisch mit besonderer Berücksichtigung
der Chirurgie und Gynaekologie dargestellt. Bonn 1899.
Verlag von Friedrich Cohen.
— , F. Hochstetter, Beiträge zur Entwickelungsgeschichte
des Gehirns. Bibliotheca medica. Abtheil. Ä. 26 Seiten.
4 Tafeln.
Referierabend am 14. Februar 1899.
Herr Rengel über Biedermann, Verdauung der Larve von
Tenebrio molitor.
Herr Möbius über Aurivillius. C. W. S., Vergleichende
thiergeographische Untersuchungen über die Plankton-
Fauna der Skageraks in den Jahren 1893 — 1897.
Kongl. Svensk. Vetensk. Akad. Handl. Bd. 30, No. 3.
Stockholm 1898.
Herr Kny über A. Nestler. Ueber die durch Wundreiz
bewirkten Bewegungserscheinungen des Zellkerns und
des Protoplasmas. Sitz. Ber. d. Akad. d. Wiss. in
Wien. Bd. 107, Abth. I.
Herr Römer über W. Kückenthal, Leitfaden für das
zoologische Praetikum. Jena, Gustav Fischer. Mit
172 Abbildungen im Text. Preis ungeb. 6 Mark. 1898.
283 pag.
Herr Kolkwitz über E. Zacharias, Ergebnisse der neueren
Untersuchungen über die Spermatozoiden. Botanische
Zeitung 1899. No. 1.
Im Austausch wurden erhalten:
Geol. Förening Stockholm, Bd. 20, Heft 6, 7; Bd. 21. No. 1.
Mem. Soc. Science natur. Cherbourg, T. XXX.
Bullet. Soc. Sei. Natur. Ouest France Nantes, T. 8, Trim. 1. 2.
Mittheil. Deutsch. Seefischereivereins, Bd. XIV, No. 11, 12.
Verhandl. botan. Verein Prov. Brandenburg, Jahrg. 40.
Ann. Rep. Curator Mus. Compar. Zool. 1897/98.
26. Jahresber. westfäl. Prov. -Verein 1897/98.
Sitzung am 21. Februar 1899. 37
Mem. y Revista Soc. Cientif. „Antonio Alzate", XI, No. 9—12.
Proc. Acad. Nat. Sei. Philadelphia 1898, Part II.
Transact. Ottawa Literary Scientif. Soc, No. 1.
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38 Gesellschaft natwforscfrender Freunde, Berlin.
Leopoldina, Heft XXXIV. No. 11. 12; Heft XXXV, No. 1.
Naturwissenschaftl. Wochenschrift, Bd. XIII, No. 47-52;
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Rendic. Accad. Sc. Fis. Mai, Ser. 3. Vol. IV. V.
Dep. of the Int. Bull. U. St Geolog Surv.. No. 88 u. 89.
Verh. Nat.-Med. Ver. Heidelberg. Neue Folge, Bd. VI, Heft 1.
Ann. K. K. Nat. Hofmus., Bd. XIII. No. 1.
Proc Transact. Nat. Hist, Soc. Glasgow, Vol. I, Part 1 -3;
Vol. II, Part 1—2; Vol. III, Part 1-3; Vol. IV.
Part 1—3; Vol. V. Part 1-2.
Anzeiger Akad. Wiss. Krakau 1898, October-December.
Bull. Un. Stat. Geolog. Survey. No. 149.
Journ. Micr. R. Soc. London 1898. Part 6.
Commissäo Geogr. e geol. Sao Paulo 1893—1897.
Report Secretary of Agriculture 1898.
Proc. Canad. Instit. Toronto, vol. 1. pari 6, No. 6.
Trans. Acad. Sei. St. Louis, vol. VII. No. 17—20; vol. VIII,
1-7.
Kansas. University Quarterly, vol. I, 1. 3, 4; II, 1—4;
III. 1-4; IV, 1-4; V, 1, 2; VI, 1-4; VII, 1, 2.
Bollet. Pubbl. Ital. 1898, 309-311; 1899, 315.
Annuaire Mus. Zool. Petersburg 1898, No. 1, 2.
Als Geschenke wurden dankbar entgegengenommen:
Coulteu, The origin of Gymnosperms and the Seed habit.
Arch. Instit. Botan, vol. I.
Gravis, Recherches anatoraiques et physiologiques sur le
Tradescantia virginka. Bruxelles 1898.
J F. Starcke, Berlin W
Nr. 3. 1899.
Sitzungs-Bericht
der
Gesellschaft natiirforschencler Freunde
zu Berlin
vom 21. März 1899.
Vorsitzender: Herr Wittmack.
Herr Hennings sprach über das Tömösvary'sche
Organ bei Glomeris.
Seit längerer Zeit mit dem Studium der Augen-Ent-
wicklung bei den Diplopoden, speziell bei Julus oder Glo-
meris beschäftigt, stiess ich bei der Untersuchung der letzteren
Gattung auf einen eigenthümlichen Sinnesapparat, welcher
öfters in der Litteratur unter dem Namen des Tömösvary-
schen Organs erwähnt wird, ohne bisher hinreichend be-
kannt zu sein. Im Jahre 1882 beschrieb nämlich Tömös-
vary, wie er meinte zum ersten Male, hufeisenförmig ge-
staltete Gruben auf dem Kopfe der Glomeris -Arten, die er
als Sinnesorgane von unbekannter Funktion deutete. Ab-
gesehen davon, dass seine Beschreibung höchst mangelhaft
und nicht einmal durch eine Zeichnung unterstützt ist, irrt
er sich darin, wenn er glaubt, er sei gewissermassen der
Entdecker dieses Organs: zunächst hat es bereits Leydig
im Jahre 1864, allerdings gleichfalls nur ganz kurz be-
schrieben und sogar abgebildet. Bei den damaligen un-
zureichenden technischen Hülfsmitteln ist es nicht ver-
wunderlich, dass seine Darstellung im Wesentlichen irrthüm-
lich ist. Ausserdem hat, ungefähr gleichzeitig mit Tömösvary,
Latzel dasselbe Organ beobachtet und nannte es Schläfen-
gruben (foveae laterales capitis). Mit diesem Namen wird
es meist von den Systematikern bezeichnet, während die
3*
40 Gesellschaft naturforschender Freunde, Berlin.
Anatomen (z. B. Saint Remy) den Ausdruck „Tömösvary-
sches Organ" vorziehen.
Ich habe mich nun eingehender mit diesem eigenthiim-
lichen Sinnesapparat beschäftigt und bin in der Lage, einige
Mittheilungen über den feineren Bau desselben zu machen;
die Resultate meiner Untersuchungen über seine Entwick-
lung und Funktion werde ich seinerzeit mittheilen.
Mir lagen folgende Vertreter der Glomeriden vor: von
sehenden Formen Glomeris marginata, europaea, pustulata und
pulchra, von blinden Typhloglomeris coeca Verhoefp. *)
Bei allen diesen Formen findet sich das Tömösvary-
sche Organ in derselben Weise ausgebildet: wenn Verhoeff
in der Diagnose seiner neuen Gattung Typhloglomeris die
Angabe macht,2) „die Schläfengruben ringsum von tiefer
Furche umgeben, also nicht hufeisenförmig", so beruht dies
auf einen Irrthum seinerseits: meine Schnittpräparate sowie
auch einfache Aufsichtsbilder zeigen deutlich, dass das
TöMösvARY'sche Organ bei dieser Form genau so gebaut
ist, wie bei allen anderen Glomeriden und zwar in folgen-
der Weise:
Auf dem Kopfe bemerkt man zwischen den Antennen
und den Augen, jedoch den letzteren näher als den ersteren,
jederseits eine hufeisenförmige Grube, deren Länge durch-
schnittlich 9/io mm, deren Breite 5/io mm beträgt. Die Ränder
der Grube fallen ganz allmälig ab, indem sie sich nur
J) Zu meinem grossen Erstaunen theilte mir Herr Dr. Verhoeff
vor einigen Tagen brieflich mit, dass er bei den von ihm neuerdings
aufgestellten „durch völlige Blindheit von allen bekannten Glomeriden
sich unterscheidenden" beiden Vertretern seiner neuen Gattung Ty-
pMoglomeris , nämlich sp. coeca und sp. fiumarana „Corneallinsen"
gefunden hätte. Die erstere Species konnte ich von dem Autor käuf-
lich erwerben und muss ich nach meinen an Schnitten geführten Unter-
suchungen trotz der z. T. mangelhaften Conservirung hervorheben,
dass dieselbe in der That völlig blind, also auch nicht im Besitz von
Linsen ist. Was die zweite Species anbetrifft, so konnte ich nur das
einzige Exemplar des kgl. Museums für Naturkunde zu Berlin besich-
tigen, doch fand ich nichts, was irgendwie als Augenrudiment zu
deuten gewesen wäre.
2) Arch. f. Naturgesch. 1898. Bd. 1, Heft 2.
Sitzung vom 21. März 1899.
41
Figur 1: Aufsichtsbild.
Figur 2: Querschnitt.
Erklärung der Figurenbezeichnung:
z Zapfen, k Sinneswulst, sc Sinneszellen.
wenig nach innen biegen und in eine dünnere, im Gegen-
satz zum tiefbraunen Chitin des übrigen Kopfes hellgelb
gefärbte Chitinhaut übergehen. Gestützt wird diese durch
stärkere Chitinbalken, welche von dem der Grube die huf-
42 Gesellschaft natu r forschen der Freunde, Berlin.
eisenförmige Gestalt gebenden Zapfen (Fig. 1 z) ausgehen.
Ungefähr in der Mitte ist diese, die Decke der Grube
bildende Chitinhaut der Länge nach gespalten, jedoch reicht
die Spaltung nicht bis an die Enden der Hufeisenschenkel,
sodass die auf diese Weise gebildeten Lamellen hier zu-
sammenhängen. Die Spalte selbst macht in der Aufsicht
den Eindruck einer feingezähnelten Linie, indem die Ränder
der beiden Lamellen mit kleinsten Zacken in einander
greifen. Auf Querschnitten ist jedoch ersichtlich, dass der
hier gebildete Verschluss der Grubendecke etwas com-
plicirter ist (s. u.). Im Innern der Grube bemerkt man,
unterhalb dieser Decke, einen Wulst, der gleichfalls huf-
eisenförmig gestaltet ist, jedoch nicht die ganze Grube,
sondern nur deren centralen Theil erfüllt (Fig. 1 k). Das
Chitin, welches dieses Wulst überzieht, ist härter als das
der Grubendecke und erscheint fein gekörnt.
Nach geeigneter Conservirung und unter Anwendung
von Mastix-Collodium gelang es mir, Querschnitte von
5 — 10 ]x Dicke anzufertigen; einen solchen stellt Figur 2
vor. Zunächst bemerkt man auf diesem den schon er-
wähnten, in die Grube von der Seite der Antennen her
vorspringenden Chitinzapfen (Fig 2 z); er ist rechts und
links in je zwei Spitzen ausgezogen, welche jederseits
einen Zahn des äusseren Grubenrandes angreifen. Auf
diese Weise wird statt des im Aufsichtsbild (Fig. 1) sehr
einfach als Zähnelung erscheinenden Verschlusses eine sehr
feste und trotzdem bewegliche Verbindung zwischen den
beiden Lamellen hergestellt. — Der gleichfalls in der Art
eines Hufeisens gebogene, fein gekörnte Wulst k der Fig. 1
lässt im Querschnitt folgendes erkennen: am weitesten nach
innen liegt ein Sinnesepithel aus sehr schmalen, lang-
gestreckten Zellen (Fig. 2 sc). Die Kerne derselben liegen
am proximalen Ende, während distal, dicht unterhalb der
chitinigen Oberfläche des Wulstes sich eine aus 2—3 Lagen
zusammengesetzte Schicht kleiner Körnchen im Zellplasma
findet. Entsprechend der Hufeisenform zeigt der Wulst im
Querschnitt zwei buckelartige Hervorwölbungen, welche
jederseits mit dem oben beschriebenen Zahnyerschluss cor-
Sitzung vom 21. März 1S99. 45
respondiren. — Der Wulst ist mithin wohl der eigentliche
sensorische Apparat des ganzen Organs: Zapfen und Zahn-
verschluss scheinen nur zu seinem Schutze vorhanden zu
sein. — Die Innervation des TöMösvARY'schen Organs ge-
schieht in folgender Weise: das länglichrunde Gehirn lässt
keinen eigentlichen lobus opticus erkennen; es schickt an
seinen beiden schmalen Enden jederseits zwei starke
Nervenstämme aus. von denen der eine, weiter vorn ge-
legene, der opticus ist, der andere, weiter nach hinten ver-
laufende, der sog. nervus Tömösväryi. Während der opticus
bald nach seinem Ursprung aus dem Gehirn sich in meh-
rere rami optici auflöst, von denen jeder zu einem der
acht Ocellen geht, verläuft der TöMösvARY'sche Nerv als
ein dicker Stamm bis zu dem von ihm innervirten Organ,
um erst in diesem selbst sich in eine grosse Zahl feinster
Aeste aufzulösen und ein dichtes Nervengeflecht zu bilden.
Eigenthümlicherweise sind beide Nervenstämme von ihrem
Ursprung an durch einen ziemlich starken Tracheenast von
einander getrennt, welcher an der vorderen, dem opticus
zugekehrten Seite des Tömösvary' sehen Nerven verläuft
und sich mit diesem zusammen innerhalb des Organs in
feinste Tracheenzweige theilt.
Diese Art der Innervation gilt natürlich nur für die
sehenden Formen: Typhloglomeris entbehrt, wie jeder An-
deutung von Augen, so auch jedes opticus-Rudiments! Trotz
der gerade für diesen Zweck äusserst mangelhaften Con-
servirung glaube ich doch für diese Gattung folgendes con-
statiren zu können: aus dem Gehirn entspringt jederseits
nur ein einziger starker Nervenstamm, eben der Tömösyary-
sche Nerv; er verläuft unverzweigt bis zu dem beschriebenen
Sinneswulst, um sich erst in diesem in feinste Fasern auf-
zulösen.
Was die Entwicklung des Tömösvary' sehen Organs an-
betrifft, so kann ich bis jetzt nur folgendes aussagen: bereits
auf einem Stadium, wo der Embryo eine Länge von 1,5
bis 2 mm erreicht hat und nur einen einzigen ocellus jeder-
seits besitzt, findet sich das Organ in genau derselben
Weise ausgebildet, wie bei den erwachsenen Thieren.
44 Gesellschaft nalurforschender Freunde, Berlin.
Funktionell scheint man es hier mit einem chemischen
Sinnesorgan zu thun zu haben, doch sind auch hierüber,
wie über die Entwicklungsgeschichte meine Untersuchungen
noch nicht abgeschlossen.
Herr P. DEEGENER machte eine vorläufige Mittheilung
über Bau und Stellung der Mundgliedmaassen bei
Hydrophilus.
Bei der folgenden kurzen Abhandlung über die Ent-
wickjung der Mundwerkzeuge von Hydrophilus möchte ich
mich auf die Mittheilung der von mir gefundenen Resultate
beschränken, soweit sie sich auf eine Nachprüfung der von
Fr. Meinert gemachten Angaben beziehen.
Herr Dr. Heymons war so freundlich, mich auf eine
im Jahre 1897 erschienene kleine Arbeit von Fr. Meinert
(Om Muudbygningen hos Insecterne, Saertryk af 0 versigt
over det Kgl. Danske Widenskabernes Selskabs Forhand-
linger 1897) aufmerksam zu machen, in welcher der ge-
nannte Forscher seine von der bisher allgemein gültigen
wesentlich abweichende Anschauung über den Bau und die
Reihenfolge der Mundgliedmaassen bei Coleopteren nieder-
gelegt hat. Seine Untersuchungen erstreckten sich zunächst
nur auf Larven und Imagines und er meint, die von Sa-
vigny aufgestellte Reihenfolge der Mundwerkzeuge, nämlich
1. die 2 Mandibeln, 2. die 2 Maxillen und 3. das Labiuin,
für die heteromorphen Insecten nicht als richtig anerkennen
zu dürfen, vielmehr die umgekehrte Reihenfolge annehmen
zu müssen. Für die homomorphen Insecten lässt er da-
gegen die alte Reihenfolge bestehen, uur stellt er die Maxillen
vor die Mandibeln. Als Criterium dafür, ob das Labium
an erster oder letzter Stelle in der Reihe der Mundglieder
steht, gilt ihm der Umstand, dass es — wie bei den hetero-
morphen Insecten - mit dem Pharynx verwachsen oder
— wie bei den homomorphen Insecten - - frei ist vom
Pharynx. Er legt nun ganz besonderes Gewicht darauf,
dass sich diese Verschiedenheit im Mundbau genau mit der
Eintheilung der Hexapoden nach vollkommener oder un-
vollkommener Verwandlung- deckt.
Sitzung am 21. März 1S99. 45
Da nun Meinert seine Befunde an Larven und Ima-
gines durch die embryologischen Untersuchungen von Ko-
walevski, Graber, Heider und Heymoxs keineswegs be-
stätigt fand, entschloss er sich zu eigenen Studien auf
diesem Gebiet und war gezwungen, sie an einem, wie er
selbst zugiebt. durchaus unzureichenden Material durchzu-
führen. Hauptobject seiner Forschungen war Hydrocharis
caraboides, von dem er nur 4 Cocons, also nur 4 verschiedene
Embryonalstadien besass, weil alle Eier eines Cocons nahe-
zu auf gleicher Entwicklungsstufe stehen. Das Resultat
dieser Untersuchungen lässt sich kurz dahin zusammen-
fassen: Das zuerst augelegte, aus der Verschmelzung der
zweiten Maxillen hervorgegangene Labium — Meinert's
primäres Labium — ist nicht identisch mit dem definitiven
Labium, für das Meinert die Bezeichnung secundäres La-
bium vorschlägt. Vielmehr wird das primäre Labium rück-
gebildet, während oralwärts von ihm am ersten postoralen
Metamer, dem Iutercalarsegment, das übrigens auf diesem
Stadium nicht mehr existirt. das secundäre Labium sich an-
legt. Da Meinert nicht im Stande wrar, an seinem un-
vollständigen Material die Entwicklung der Mund Werkzeuge
von Stufe zu Stufe genau zu verfolgen, und da auch die
Bilder, auf denen Reste des primären und die Anlage des
secundären Labiums gleichzeitig vorhanden waren, nicht
besonders klar gewesen sein mögen, greift Meinert dazu,
aus dem Vergleich des jungen mit dem älteren Labium
den Schluss zu ziehen, dass eine Identität beider Labien
sehr unwahrscheinlich, wenn nicht unmöglich sei; denn
während das primäre Labium deutlich hinter den Maxillen
liege, vollständig ungetheilt sei und zwischen den Labial-
tastern keinen mittleren Zapfen aufweise, habe das secun-
däre Labium seine Stellung unmittelbar hinter dem Munde
und vor den Maxillen und Mandibeln, sei deutlich zwei-
theilig und besitze einen mittleren unpaaren Zapfen.
Nachdem ich jetzt Meinert' a Ergebnisse in Kürze zur
Kenntniss gebracht habe, wende ich mich zur Darstellung
der Resultate meiner eigenen Untersuchungen, soweit sie
sich gegen jene richten. Ich möchte besonders hervorheben,
46 Gesellschaft naturforschender Freunde, Berlin.
dass mir ein durchaus lückenloses, reichliches und gut con-
servirtes Material von Hydrophans zur Verfügung stand,
auf Grund dessen ich jeden Fortschritt der Entwicklung
auf's Genaueste verfolgen konnte.
Uni zu prüfen, mit welchem Recht Meinert dem La-
bium die erste Stelle in der Reihe der Mundgliedmaassen
anweist, richtete ich in erster Linie meine Aufmerksamkeit
auf die Entwicklung der zweiten Maxillen und suchte die
Anlagen ihrer einzelnen Theile zugleich mit denen der
ersten Maxillen zu homologisiren. Es ist klar, dass mit
der Möglichkeit des Nachweises eines übereinstimmenden
Bauplans beider Gliedmaassenpaare Meinert' s Annahme
von dem unabhängigen Auftreten eines zweiten oder secun-
dären Labiums hinfällig wird. Dieser Nachweis ist mir
nun, wie ich glaube, mit aller wünschenswerthen Deutlich-
keit gelungen.
Betrachten wir einen jugendlichen Embryo, bei dem
die Anlagen der zweiten Maxillen noch getrennt sind
(Fig. 1 mx2), so machen sich hier schon geringe Verschieden-
heiten zwischen den beiden Gliedmaassenpaaren geltend,
die darauf hindeuten, dass die zweiten Maxillen ihre Func-
tion als Kiefern in phylogenetisch weit zurückliegender Zeit
eingebüsst haben müssen. Auf den ersten Blick freilich
erscheinen die zweiten Maxillen nur als eine wenig modi-
ficirte Wiederholung der ersten Maxillen. Bei genauerer
Prüfung stellt sich jedoch heraus, dass bei den zweiten
Maxillen Lobus externus und internus eine einheitliche,
nicht mehr gesonderte Anlage darstellen. Dementsprechend
fehlen dem fertigen Labium die Paraglossae. oder richtiger,
sie sind in der Glossa mitenthalten. Im Uebrigen ist je
doch die Homologie beider Maxillenpaare vollkommen, in-
dem der proximale Theil bei beiden als gemeinsame Anlage
von Cardo und Stipes gedeutet werden muss und auch die
Taster einander homolog sind.
So liegen die Verhältnisse im Wesentlichen noch, wenn
die zweiten Maxillen zur Formiruug des Labiums zusammen-
getreten sind. Dies Labium entspricht dem von Meinert
als primäres Labium bezeichneten verschmolzenen Glied-
Sitzung vom kl. März 1899.
47
maassenpaar (Fig. 2 lb). Finden wir in der distalwärts
stark verbreiterten Labialplatte die gemeinsame Anlage von
Fig. 3.
Cardo und Stipes wieder und ergiebt sich die Homologie
der Taster mit den Palp. inaxillares von selbst, so erscheint
es doch zunächst fraglich, ob wir hier das Verschmelzungs-
product der früher erwähnten gemeinsamen Anlage von Lobus
extern us und internus noch auffinden können, da es äusser-
lich nicht deutlich hervortritt. Ich glaube als dieses ohne
Bedenken die mittlere zwischen den Labialtastern gelegene
Partie am distalen Rande der Unterlippe in Anspruch nehmen
zu dürfen; denn nur au dieser Stelle konnten die beiden in
Rede stehenden Anlagen bei der Vereinigung der zweiten
Maxillen zusammenstossen, und ich habe aufs Genaueste
beobachtet, dass sie vor der Bildung des Labiums nicht
verschwinden, sondern sich in der Medianlinie aneinander-
legen und verschmelzen. Es ist nun äusserlich freilich keine
Spur mehr von ihnen sichtbar, und das konnte mit Rück-
sicht auf die Form der zweiten Maxillen vor ihrem Zu-
48 Gesellschaft naturforschender Freunde, Berlin.
sammentritt kaum anders erwartet werden. Denn wenn
sich die beiden stumpfen Höckerchen aneinanderlegten,
musste die distale Begrenzuugslinie eine schwache, anal-
wärts gerichtete Convexität aufweisen und so die distale
Grenzlinie des ganzen Labiums eine ununterbrochene werden.
Sie liefern aber zugleich diejenige Partie des Labiums, durch
welche die Taster au ihrer Basis getrennt sind. Wären sie
vor der Bildung der Unterlippe verschwunden, so müssten
die Taster mit ihren Basen sich unmittelbar berühren.
Ich bin bei der Darstellung dieser Verhältnisse ab-
sichtlich etwas mehr ins Einzelne gegangen, weil ich Meinert
gegenüber darauf Gewicht lege. Während nämlich das
Labium zugleich mit den übrigen Mundgliedmaassen jedoch
etwas schneller als diese ovalwärts rückt, nähert es sich
immer mehr der Gestalt des von Meinert so genannten
seeundären Labiums. Wir sehen, dass die gemeinsame und
sich äusserlich nicht mehr deutlich abhebende verschmolzene
Anlage der Lobi externi und iuterni durch die mediane Ver-
schmelzung keineswegs die Tendenz zu weiterem Wachs-
thum verloren hat. An der vorhin bezeichneten Partie
zwischen den Labialtastern beginnt nämlich eine anfangs
ganz geringe, später mächtigere Vorwölbung aufzutreten, die
sich in die Länge streckt und zu der Glossa wird, jenem
Zapfen, dessen Vorhandensein Meinert so sehr betont als
wichtiges Zeuguiss gegen die Identität beider Labien. Diese
Glossa stellt nun zwar bei unserem Object nicht, wie bei
vielen Orthopteren, das Verschmelzungsproduct der Intern-
loben dar, sondern ist, da eine Differenzierung in Lob. ex-
ternus und internus überhaupt nicht mehr eintritt, als Pro-
duet der Verwachsung beider gemeinsamer Lobenanlagen
aufzufassen. Gleichzeitig mit dem Auftreten der Glossa
beginnt das Labium in seiner Hauptmasse sich zu der Form
des „seeundären" Labiums zu gestalten. Es tritt eine zu-
erst nur schwach angedeutete, aber bald mit voller Klar-
heit hervortretende Quertheilung ein, die das Labium in
eine proximale Platte, das Submentum, und eine distale
Platte, das Mentum, zerlegt (Fig. 3 lb). Haben wir in dem
einheitlichen, ungegliederten Labium die Verschmelzungs-
Sitzung vom 21. März 1898. 49
masse der gemeinsamen Anlage von Cardo und Stipes durch
Vergleich mit den ersten Maxillen erkannt, so sehen wir
jetzt Cardo und Stipes sich differenzieren und finden ganz
wie bei den Orthopteren in dem Submentum die ver-
schmolzenen Cardines, in dem Mentum die verwachsenen
Stipites der ursprünglichen zweiten Maxillen wieder. Da-
mit entspricht das Labium der Coleopteren morphologisch
vollkommen dem der Orthopteren und ist nicht mit Meixert
als eine Neubildung aufzufassen, die nur den heteromorphen
Insecten zukommt.
Um nun Meinekt vollends zu widerlegen, habe ich
noch auf den Stellungswechsel des Labiums näher einzu-
gehen.
Nachdem die Mandibeln und Maxillen ihren definitiven
Platz neben der Mundöffnung erreicht haben, stehen die
Mandibeln etwas auswärts von und vor den Maxillen. Da
die Sternaltheile der Mundgliedmaassenmetamere hinter der
Mundöffnung dicht gedrängt liegen und nach vorn nicht
weiter vorrücken können, ist auch das Labium verhindert,
seine Stellung unmittelbar am Hinterrand des Mundes ein-
zunehmen. Nun wird es durch das Wachsthum nach vorn
gedrängt, die Sternite geben dem Druck nach und weichen
unter Bilduug einer Falte nach unten aus. Diese Falte
ist der Hypopharynx, dessen Abstammung von den Ster-
niten der Mundgliedmaassensegmente Heymons schon vor
Meinert's Publication 1895 nachgewiesen hat. Aus dieser
Entstehung des Hypopharynx geht ohne Weiteres hervor,
dass die Unterlippe nicht, wie Meinekt annimmt, mit dem
Pharynx verwachsen ist und direct in die Mundhöhle über-
geht; vielmehr setzt sich das Labium mit seinem proxi-
malen Rande in den Hypopharynx fort, der erst seinerseits
mit seiner proximalen Partie in die Mundhöhle übergeht.
Wir finden also, dass die von Savigny aufgestellte Reihen-
folge der Mundwerkzeuge beibehalten und Meinert's An-
gabe als irrthümlich zurückgewiesen werden muss.
50 Gesellschaft naturforschender Freunde, Berlin.
Herr W. HARTWIG sprach über eine neue Gandona
aus der Provinz Brandenburg: Candona weltneri
W. Hartwig, nov. sp.
Bei beiden Geschlechtern ist die Schale ziemlich stark,
weiss, glänzend und nur spärlich behaart; an den Enden,
besonders am Vorderende, ist die Behaarung am stärksten.
Der Grössenunterschied beider Geschlechter ist nur gering;
bezüglich der Schalenform jedoch variiren beide Geschlechter
nicht unbedeutend.
1. Das Männchen.
Die Schale (siehe Fig. 1): Die Grössenverhältnisse
der Schale sind, in Millimetern ausgedrückt, im Mittel:
Länge : Höhe : Breite = 1,25 : 0,73 : 0,63. In der Seiten-
ansicht ist dieselbe fast bohnenförmig. jedoch hinten be-
deutend höher als vorn; beide Enden sind nach unten
schief abgerundet. Die Rückenkante bildet vom Auge bis
zur höchsten Stelle des Rückens eine fast gerade Linie, nur
ist sie im vorderen Theile etwas gewölbt und vor dem
Auge kaum merklich eingebuchtet (concav). Die Bauchkante
ist stark eingebuchtet und zwar so, dass die tiefste Stelle
der Einbuchtung den Muskeleindrücken gegenüber liegt. Im
hinteren Drittel ist der Bauchrand deutlich bemerkbar aus-
gebuchtet (convex); diese Ausbuchtung liegt ungefähr der
höchsten Stelle des Rückenrandes gegenüber. Von denMuskel-
eindrücken stehen fünf dicht beisammen und bilden fast eine
Rosette, der sechste (grösste) steht von dieser Gruppe etwas
entfernt, dem Rücken genähert. Die vier Hodenschläuche
schimmern deutlich durch. In der Rückenansicht ist die
Schale eiförmig, vorn etwas zugespitzt, hinten mehr ab-
gerundet; die linke Hälfte überragt vorn und hinten die
rechte. Die grösste Breite liegt hinter der Mitte. Die
Schale des Männchens erscheint etwas schlanker als die
des Weibchens.
Die zweite Antenne ist sechsgliederig. Von den
beiden verschieden langen Spürorganen an dem distalen
Ende des vierten Gliedes überragt das längere noch mit
der Spitze seines Stieles etwas das Endglied der Antenne,
Sitzung vom 11. März 1898.
51
Fig. t.
während das kürzere nur mit dem häutigen, löffeiförmigen
Anhängsel über dieses sechste Glied hinausreicht.
Der Putzfuss (2. Beinpaar) ist sechsgliederig; jedoch
ist die Theilung des vierten Gliedes meist recht schwer zu
erkennen. Am deutlichsten war die Theiluug bei zwei
Stücken — nachdem ich mit Anilinblau gefärbt hatte —
wahrzunehmen, welche ich schon seit dem 4. Oktober 1894
in Spiritus aufbewahrt hatte. Beim dritten Männchen vom
4. Oktober 1894 war der eine Putzfuss durchaus nur fünf-
gliederig, der andere aber deutlich sechsgliederig. Im
ganzen zergliederte ich 15 Männchen. Von den drei langen
Hakenborsten des kurzen Endgliedes ist die einzelnstehende
(hintere) kaum merklich länger, dabei aber etwas dünner,
als die längere der beiden anderen (vorderen) übereinander-
stehenden Borsten; von diesen beiden erreicht die untere
(kürzere) die Hälfte der Länge der oberen. Das vierte
Glied des Putzfusses ist am Vorderrande (Ventralrand) mit
6 — 7 sehr kleinen Dörncheu ausgestattet; das dritte Glied
52
Geseltecluift natmrforschenäer Freunde, Berlin.
dagegen ist an demselben Rande nur mit 5—6 solcher
Dörnchen versehen.
Die Furcalglieder sind etwas gebogen und ver-
jüngen sich nach der Spitze zu bedeutend und zwar so,
dass die Basis der Glieder dreimal so breit ist wie die
Spitze derselben an der Stelle, wo die zweite Endklaue
inserirt ist. Die hintere Borste ist sehr lang; ihr Abstand
von der Spitze des Furcalgliedes beträgt den dritten Theil
der Länge des ganzen Gliedes: sie ist so lang, wie die
längste Endklaue und reichlich von der halben Länge der
Furcalglieder. Die vordere Borste ist sehr kurz und dünn.
Die Greiforgane (siehe Fig. 2):
Fig. 2.
Das Greiforgan der linken Seite (Fig. 2, links unten)
ist im grösseren Theile fast gerade; es verjüngt sich nach
der Spitze zu ziemlich schnell; der Spitzentheil desselben
ist ungefähr in Form eines Kreissegmentes gebogen und
läuft in ein hyalines Gebilde aus, welches mit einem mem-
branösen Endbörstehen versehen ist. An der Basis dieses
Sitzung vom 21. März 1899. 53
Greifhakens ist der Kücken desselben stark höckerartig
aufgetrieben ; gegenüber, an der ventralen Kante des Basal-
theiles, befindet sich eine seichte Einbuchtung. Kurz vor
Beginn der inneren Spitzencurvatur stehen zwei lange
Borsten, von denen die eine schräg über und vor der an-
deren eingefügt ist.
Das Greiforgan der rechten Seite (Fig. 2, rechts oben)
ist an der Spitze mehr hakenförmig gebogen als das der
linken zweiten Maxille. Sein Stiel ist von der Basis bis
zur Einfügungsstelle der beiden Borsten gerade und fast
von gleicher Stärke. Die beiden langen Borsten an der
inneren Curvatur der Spitze sind gleichfalls hinter- und
übereinander inserirt. Die Spitze dieses Greifhakens läuft
ebenfalls in ein membranöses, mit einem Endbörstchen ver-
sehenes Gebilde aus.
2. Das Weibchen.
Die Schale: Ihre Grössenverhältnisse sind, in Milli-
metern ausgedrückt, im Mittel : Länge : Höhe : Breite =
1.20 : 0,70 : 0,64. In der Seitenansicht erscheint die
Schale weniger deutlich bohnenförmig als die des Männchens.
Der Rückenrand, vom Auge bis zum höchsten Punkte hinten,
ist mehr gewölbt als beim Männchen; die höchste Stelle
des Hinterrückens ist weniger vorspringend und mehr ab-
gerundet als beim Männchen. Der Bauchrand ist kaum
merklich eingebuchtet. Der Eierstock schimmert deutlich
durch. Die Muskeleindrücke sind denen des Männchens
sehr ähnlich. In der Rückenansicht ist die Schale des
Weibchens ebenfalls eiförmig, fast wie die des Männchens;
die linke Hälfte überragt auch bei dem weiblichen Ge-
schlechte vorn und hinten die rechte; die grösste Breite
der Schale liegt auch hier hinter der Mitte. Im ganzen
erscheint jedoch die Schale des Weibchens etwas gedrungener
als die des Männchens, was ja auch aus den oben mitge-
theilten Grössenverhältnissen hervorgeht.
Die zweite Antenne ist fünfgliederig. Am Endgliede
derselben stehen zwei starke Klauen von verschiedener
Grösse. Die Riechborste am dritten Gliede der Antenne
54 Gesellschaft naturforschender Freunde, Berlin.
ist nur klein ; ihre Länge beträgt etwa die Hälfte der Breite
dieses Gliedes an der Insertionsstelle der Riechborste.
Der Putzfuss ist ebenfalls sechsgliederig und fast
genau so gestaltet wie der des Männchens; jedoch sind die
beim letzteren erwähnten Dörnchen am Rande des vierten
und dritten Gliedes hier am zweiten Beine des Weibchens
scheinbar etwas deutlicher zu bemerken. Bei einem Weib.-
chen konnte ich, trotzdem ich gefärbt hatte, nur an einem
Putzfusse eine Theilung des vierten Gliedes - - also Sechs-
gliederigkeit — feststellen; das andere zweite Bein war
durchaus fünfgliederig. In Zukunft wird auf solche Un-
gleichheiten mehr zu achten sein, da sie in phylogenetischer
Beziehung nicht ohne Bedeutung sein dürften.
Die Furcalglieder sind mehr gekrümmt als die des
Männchens; ihre Verjüngung nach der Spitze zu ist noch
auffallender als bei dem letzteren, da sie beim Weibchen
an der Basis viermal so breit sind als an der Spitze. Die
Borste am hinteren Rande der Furcalglieder ist länger als
die grössere (vordere) Endklaue und von der halben Länge
des Furcalgliedes ; ihre Entfernung von der Spitze des
Furcalgliedes beträgt den dritten Theil der Gesammtlänge
desselben. Die vordere, feine Endborste ist nur den dritten
Theil so lang wie die grössere Endklaue. Beide Endklauen
sind an der inneren Curvatur sehr fein bedornt. — Ich zer-
gliederte etwa 15 Weibchen.
Leichte Erkennungsmerkmale: Die Form der
Schale des Männchens und die seiner Greiforgane.
Es ist die vorstehend beschriebene Art wohl eine der
Ca^ona-Formen, welche bisher unter dem Namen Candona
Candida (0. F. Müller) gegangen sind. Von Cypris Can-
dida 0. F. Müller (1785) vermag ich jedoch leider —
nach Text und Abbildung — weiter nichts zu sagen, als
dass dem berühmten Autor irgend eine Candona vorgelegen
hat; wahrscheinlich aber stecken darin verschiedene Arten
der Candida-Gruppe. 0. F. Müller's Bezeichnung scheint
mir. nach unserer heutigen Kenntniss der Gattung Candona,
nur noch den Werth eines Sammelnamens zu besitzen. In
Brady and Normans Candona Candida (1868 und 1889)
Sitzung vom 2t März 1S99. 55
stecken nach meiner Ansicht höchstwahrscheinlich 5 bis
6 Arten; man sehe sich nur die Abbildungen davon in den
Y\ erken dieser beiden Autoren an !
Gandona weltneri habe ich diese neue Species benannt
nach dem von mir hochverehrten Herrn Dr. W. Weltner,
Kustos am hiesigen Königl. Museum für Naturkunde, dem
vorzüglichen Kenner ostafrikanischer uud auch heimischer
Cladoceren.
Candona weltneri gehört zu den häufigen Erscheinungen
der Provinz Brandenburg. Ich sammelte sie u. a. aus dem
Scharmützelsee bei Fürstenwalde (28. August 1898), aus
dem Grunewaldsee (Oktober 1898). sowie bei Treptow
(Oktober 1898) und bei Johaunisthal aus Wiesengräben
(Oktober, November und Dezember 1898). Die Stücke aus
dem Scharmützelsee waren meist Larven;1) doch befanden
sich darunter auch drei geschlechtsreife Männchen.
Ob Candona weltneri das ganze Jahr hindurch in ge-
schlechtsreifen Stücken vorkommt oder nur eine Herbstform
ist, kann ich heute noch nicht beurtheilen, da ich sie früher
wahrscheinlich mit Candona Candida Vavra verwechselte.
So fand ich z. B. jetzt bei genauerer Prüfung mehrere
Stücke von Candona weltneri in einem Glase mit Candona
Candida vor, dessen Inhalt schon am 4. Oktober 1894 von
mir bei Johannisthai gesammelt worden war.
Herr A. Nehring sprach über Lemmings-Reste aus
einer portugiesischen Höhle.
Es handelt sich um die von Dr. Gadow gefundenen
Lemmings- Skelette resp. -Reste, welche Bakrett-Hamilton
1896 in den Proceedings der Zoological Society of London,
p. 304 — 306, schon besprochen hat. Diese Lemmings-Reste,
unter denen sich vier wohlerhaltene Schädel befinden, ge-
hören dem Zoologischen Museum der Universität Cambridge
und sind mir auf meine Bitte in liberalster Weise von Dr.
') Daraus könnte man ja schliessen, dass die Species gerade in
hre Geschlechtsperiode trat; doch möchte ich diesen Schluss nach
dem einen Befunde noch nicht thun.
56 Gesellschift naturforschender Freunde, Berlin.
Harmer. dem Curator jener Sammlung, zur Untersuchung
übersandt worden. Ich erlaube mir, diese merkwürdigen
Fundobjekte hier vorzulegen. Sie sehen garnicht fossil aus,
sondern erscheinen so frisch, wie frischpräparirte Skelet-
theile recenter Lemminge. In der Form und Grösse der
Schädel1), sowie iu der Bildung der Schmelzfalten der
Backenzähne stimmen diese portugiesischen Lemminge mit
dem echten norwegischen Lemming überein, während sie
von Myodes öbensis und noch mehr von Myodes scJristicohr
deutlich abweichen. Die einzigen Unterschiede, welche ich
beim Vergleich meines reichen Materials gegenüber dem
echten Lemmus nonvegicus feststellen konnte, bestehen in
der meist breiteren Form des Processus coronoideus und in
einer durchweg grösseren Breite der Backenzähne. Nach
letzterem Merkmale möchte ich diese portugiesische Lem-
mings-Rasse als „Myodes lemmus var. crassidens" be-
zeichnen.
Ob die vorliegenden Lemmings-Reste trotz ihres recenten
Aussehens der Diluvialzeit entstammen, wie Dr. Gädow an-
zunehmen geneigt ist, oder ob sie von einer Lemmings-
Rasse herrühren, welche noch heute unbekannterweise2) auf
den portugiesischen Gebirgen unweit Santarem lebend vor-
kommt, lasse ich vorläufig dahin gestellt. Eine ausführliche
Besprechung derselben unter Beifügung von Abbildungen
und Messungen soll an einem andern Orte gegeben werden.
Ich will hier nur bemerken, dass ich fossile Lemmings-
Reste nicht nur bei Wolfenbüttel, wie Barrett-Hamilton
a. a. 0. angiebt, sondern an ca. 40 Fundorten Mitteleuropas
nachgewiesen habe. Die von mir oder Anderen bis 1890
1) Die „Basilaiiänge" der portugiesischen Lemmingsschädel beträgt
26,2—27,2, ihre Totallänge 29—80, ihre Jochbogenbreite 19— 20 mm.
2) In einer 1896 in den „Annaes de Sciencias Naturaes" er-
schienenen faunistischen Arbeit: „Catalogo dos Mammiferos de
Portugal" werden Lemminge nicht erwähnt, ebenso wenig bei
Mariano de la Paz Graells, Fauna Mastodologica Iberica,
Madrid 1897. Diese beiden wichtigen Publikationen wurden, wie ich
hier dankend erwähne, mir von Herrn Custos P. Matsciiie zugänglich
gemacht.
Sitzung vom 21. März 1899. 57
festgestellten betr. Fundorte sind in meinem Buche über
„Tundren und Steppen u. Berlin 1890, S. 147 ff., aufgeführt
und besprochen worden.
Herr A. Nehring sprach ferner über das Vorkommen
einer Varietät von Arvieola ratticeps Keys. u. Blas.
bei Brandenburg a. d. H. und bei Anklam in Vor-
pommern.
Im Jahre 1892 habe ich bereits auf das Vorkommen
von Arvieola (Microtus) ratticeps Keys. u. Blas, bei Branden-
burg a. d. Havel aufmerksam gemacht. Siehe „Naturwiss.
Wochenschrift", 1892. Bd. VII, No. 35, S. 354 f. Damals
lagen mir ein vollständiges Skelet und ein isolirter Schädel
vor. welche ich durch Herrn Dr. med. R. Stimmixg in
Brandenburg erhalten hatte. Im März 1893 erhielt ich
durch denselben Herrn ein frisch gefangenes, männliches
Exemplar, welches ich in Spiritus aufbewahrt habe. Vor
einigen Tagen, als ich mich in Halle a. S. befand, erfuhr
ich von dem bekannten Naturalienhändler W. Schlüter jun.,
dass derselbe vor ca. 15 Jahren mehrfach frische Exemplare
der genannten Art aus der Umgegend von Anklam durch
den inzwischen verstorbenen Förster Meyer erhalten habe.
Glücklicherweise war noch eines dieser Exemplare (ge-
fangen am 20. Februar 1884 bei Anklam) im ausgestopften
Zustande vorräthig; ich erwarb dasselbe und lege es hier
vor, nachdem ich den Unterkiefer zur Prüfung des Gebisses
herauspräparirt habe.
Alle diese Exemplare stimmen in den wesentlichen
Merkmalen mit Arvieola ratticeps Keys. u. Blas, überein;
insbesondere zeigt der so charakteristische erste Molar
des Unterkiefers genau die Form der Schmelzschlingen,
welche Blasiüs in seiner Naturgeschichte der Säugethiere
Deutschlands. Braunschweig 1857, S. 366, Fig. 199, ab-
gebildet hat.1) Auch die Färbung des Haarkleides, sowie
l) Vergl. auch meine Abbildungen in Giebel's Zeitschr. f. d. ges.
Naturwiss., 1875, Bd. 45, Taf. I, Fig. 6, und in den Denkschi-, d.
Schweiz. Naturf. Gesellsch., Bd. 35, 1896, 2. Abhandl., Taf. I, Fig. 15,
58 Gesellschaft vatxrforschender freunde, Berlin.
die Grösse der Ohren harmoniren mit der Blasius' sehen
Beschreibung.
Dagegen finde ich den Schädel schmaler, zierlicher,
das Interparietale in sagittaler Richtung kürzer, die Backen-
zahnreihen schwächer und von geringerer Länge als bei
typischen Exemplaren von Arv. rattieeps. Das stärkste,
mir vorliegende Exemplar von Brandenburg (das oben er-
wähnte, in Spiritus aufbewahrte Männchen vom März 1893)
zeigt eine Totallänge von 155 mm, wovon auf den Schwanz
45 mm kommen. Der zugehörige, offenbar ausgewachsene
Schädel hat eine Totalläuge von 27, eine Basilarlänge
von 24,3. eine Jochbogenbreite von nur 14. eine Länge der
Backenzahnreihe von nur 6,2 mm; die Gehirnkapsel ist auf-
fallend schmal.
Wegen der genannten Abweichungen unterscheide ich
die vorliegende Wühlmaus als besondere Varietät des Arv.
(Microhis) rattieeps und bezeichne sie als var. Stimmingi, zu
Ehren des Dr. R. Stimming. der die Brandenburger Exemplare
gefangen uud mir zugänglich gemacht hat. Nach Angabe
desselben kommen diese Mäuse in unmittelbarer Nähe der
Stadt Brandenburg vor. z. B. in dem STiMMiNG'schen Garten;
sie sollen gut schwimmen und zuweilen sogar tauchen.
Herr R. Stimming hatte sie schon nach ihrer ganzen
Lebensweise als etwas Besonderes angesehen, ohne aber
ihre nahe Verwandtschaft mit Arv. rattieeps erkannt zu haben.
Im Jahre 1880 hat A. Jentink nachgewiesen, dass in
den dreissiger Jahren unseres Jahrhunderts Arv. rattieeps
in Holland lebend vorgekommen ist, und zwTar bei Lisse,
zwischen Leiden und Haarlem. *) Das Naturhistorische
Reichsmuseum zu Leiden besitzt 4 Exemplare von dort.
Herr Dr. Jentink war so freundlich, mir damals den
Schädel eines dieser Exemplare zur Ansicht zugehen zu
lassen, so dass ich mich durch eigene Anschauung von seiner
Zugehörigkeit zu Arv. rattieeps überzeugen konnte.
Nach einer von A. v. Pelzeln herrührenden Notiz,
welche sich in dem 1897 erschienenen Werke von Aug.
') Tijdschrift van de Nederl. Dierk Vereen ., Bd. V, p. 105 ff.
Sitzung vom 21. März 1899. 59
Mojsisovics über „das Thierleben der österr.-ungar. Tief-
ebenen", S. 174, findet, soll Arv. ratticeps auch bei Fischa-
mend in Nieder-Oesterreich constatirt worden sein. Nähere
Angaben fehlen.
Im fossilen Zustande ist Arv. ratticeps in zahl-
reichen diluvialen Ablagerungen Mitteleuropas
festgestellt worden. l) so z. B. von mir selbst bei Thiede
unweit Braunschweig, in mehreren oberfränkischen Höhlen,
am Schweizersbild bei Schaffhausen etc. etc. Diese Art
hat offenbar während der Diluvialzeit eine weite Ver-
breitung in Mitteleuropa gehabt; man darf sie dort, wo sie
iu unseren Breiten noch zuweilen beobachtet wird, als so-
genanntes „Relict" aus der Glacialperiode betrachten.
Herr L. WiTTMACK sprach über den von Dr. Wilhelm
Rimpau in Schlanstedt bereits 1888 erzogenen Bastard
zwischen Weizen 9 X Roggen c^.
Er empfiehlt, ähnlich wie bei Orchideen, Bastarde
zwischen zwei verschiedenen Gattungen mit einem aus den
Namen dieser Gattungen combinirten Namen zu bezeichnen
und nennt, da die beiden Hauptformen jetzt constant sind,
und als Arten aufgefasst werden können,
1) die ursprüngliche Form: Triticosecale Bimpaui.
Aehre roth. brüchig, unbegrannt, Korn gross, roth, glasig.
2) die später sich dann zeigende Form: Triticosecale
Schlanstedtensis. Aehre und Korn ebenso, aber Aehre
begrannt.
Herr Matschie gab die Beschreibung eines an-
scheinend neuen Klippschliefers, Procavia Kerstingi
Mtsch.
Herr Dr. Kersting hat soeben einige Säugethiere aus
dem östlichen Togoland. Deutsch-West-Afrika, an das Mu-
seum für Naturkunde zu Berlin geschickt, unter denen unter
J) Vergl. meine Angaben in d. Zeitschr. d. Deutsch. Geolog.
Gesellsch., 1880, S. 471. 473. 481. 482. 485. 486. 491. 494. 496. 499. 501.
Siehe auch Brandt-Woldrich, Diluviale europ.-asiat. Säugethierfauna,
St. Petersburg 1887, S. 74, und M. Schlosser, Correspondenzblatt d.
Deutsch. Anthrop. Gesellsch., 1899, No. 2, S. 11.
(50 Gesellschaft naturforschender Freunde, Berlin.
anderen mehrere Klippschliefer sich befinden. Die be-
treffenden Exemplare stammen von Tshyati, 50 km süd-
östlich von Pessi, ungefähr auf 7° 50' in der Nähe der
Grenze zwischen Togo und Dahome. „Dort ist, wie Herr
Dr. Kersting mittheilt, das flache Savannenland der Mono-
Ebene mit merkwürdig glatten, bis 200 m hohen Gneis-
kuppen zerstreut besetzt. Auf den glatten Wänden und
zwischen den krönenden Trümmerblöcken leben zahlreiche
Klippschliefer. Sie werden bei Tshyati eines Fetisch wegen
geschont und sind wohl in Folge dessen sehr zahm. Sie
sitzen in Heerden sich sonnend auf den Felsen. Wo die
Klippschliefer nicht dem Fetisch gehören, jagt und isst mau
sie. Das Fleisch schmeckt etwa wie Kalbfleisch. Auf den
Felsen bei Aledjo kadara, ungefähr 9° 20' in der Nähe der
Dahome-Grenze, sollen sie auch vorkommen. Sie heissen
in der Tui-Sprache. „Bu-dusie". Im Magen fanden sich
Blätter und Gras bei beiden Exemplaren, über welche Mit-
theilungen vorliegen."
Namentlich durch die Forschungen des Herrn Graf
Zech ist der Nachweis erbracht worden, dass die Fauna
von Togo, wenigstens soweit es die Säugethiere betrifft,
ein merkwürdiges Gemisch zeigt von solchen Formen, die
bisher für West -Afrika als charakteristisch galten, und
solchen, welche am meisten an Sudan-Formen erinnern.
Nachdem wir einen Hasen von Togo kennen gelernt haben,
ist es wahrscheinlich geworden, dass auch noch andere
Savannen-Formen dort werden gefunden werden.
Heute liegen mir drei Bälge und zwei Schädel des
Togo-Klippschliefers vor, welche anscheinend zu einer noch
unbeschriebenen Art gehören.
Thomas hat (Proc. Zool. Sog. 1892, p. 50—76) die
Gattung Procavia überhaupt nicht in Untergattungen getrennt,
weil er der Ansicht ist, dass zwischen Procavia, Heterohyrax
und Dendrohyrax Uebergänge nachgewiesen worden sind.
Ich kann mich nicht über diese Frage äussern, weil ich
noch nicht genügendes Material genauer zu untersuchen
Gelegenheit hatte. Ich möchte aber darauf aufmerksam
Sitzung vom 21 März 1S99. 61
machen, dass für die in Baumkronen lebenden Dendrohyrax,
welche ich kenne, folgende Merkmale gelten:
Die Haare im Rückenfleck sind ungefähr so lang wie
die nackte Sohle des Vorderfusses ; jederseits in der Leisten-
gegend befindet sich eine einzige Zitze. Die Cristae parie-
tales bleiben weit von einander getrennt. Die Processus
postorbitales des Frontale und Parietale sind ungefähr gleich
lang; der Processus zygomaticus des Schläfenbeins greift
griffeiförmig auf die Aussenseite des Jochbogens über und
ist an seinem hinteren Theile nicht viel dünner als am
Vorderrande.
Hiernach gehören die Togo-Exemplare sicher nicht zu
Dendrohyrax; denn die Haare im Rückenfleck sind kürzer
als die nackte Sohle des Vorderfusses; jederseits sind drei
Zitzen vorhanden, je eine in der Achselgegend und je zwei
in der Leistengegend. Die Cristae parietales nähern sich
bei dem alten cf bis zur Berührung, der Processus post-
orbitalis des Parietale ist viel länger als derjenige des
Frontale; der Processus zygomaticus des Temporale ist in
seinem hinteren Theile von aussen nur als ganz schmaler
Knochen zu erkennen und greift nur an seinem vorderen
Ende erheblicher auf die Aussenseite des Jochbogens über.
Bei allen drei vorliegenden Stücken ist der Rückeufleck
hell und die Haare dieses Fleckes haben keine dunklen
Spitzen; hierdurch unterscheiden sich die Togo-Klippschliefer
sofort von Pr. capensis, shoana und johnstoni. Der Rücken-
fleck ist nur wenig länger als breit und nicht schmal und
länglich; wir haben also die Togo-Stücke mit Pr. syriaca,
pattida, burtoni und abessynica zu vergleichen.
Die Procavia mit schmalem, langem Rückenfleck scheinen
sich auch dadurch von den Procavia mit breitem Rückenfleck
zu unterscheiden, dass bei ihnen der erste Molar höchstens
6,7 mm breit ist. dass der Processus alveolaris des Ober-
kiefers hinter dem letzten Molaren sehr schmal ist, unge-
fähr so breit wie die Hälfte des Nasale am Frontalrande
gemessen, und dass die Reihe der Molaren im Oberkiefer
höchstens 34 mm lang ist.
Die Togo-Stücke unterscheiden sich von syriaca und
62 Gesellschaft natu/rf (»'sehender Freunde, Berlin.
pattida dadurch, dass die mittleren Haare im Rückenflecke
nicht einfarbig sind, sondern einen dunklen Wurzeltheil
haben, von hurtoni und abessynica dadurch, dass diese Haare
keine schwarzen Spitzen besitzen.
Von allen diesen vier Procavia unterscheidet sie, abge-
sehen von der beträchtlicheren Grösse des Körpers und
Schädels, die schwarze Färbung der Aussenseite der Ohren.
Als Diagnose der neuen Art, welche ich dem Ent-
decker, Herrn Dr. Kersting, widme, möge gelten:
Procavia, macula dorsali ochracea. auribus
extus nigerrimis.
Dieser Klippschliefer ist sehr gross (Länge von der
Nasenspitze bis zum After bis 570 mm). Von den drei
Exemplaren, welche ich bis jetzt kenne, sind zwei einander
ähnlich, das dritte aber sehr abweichend gefärbt. Zwei
davon, ein 0* und ein 2. sind am 23. August erlegt worden.
Beide zeigen eine olivenbraune Färbung, die stark mit
dunkelbraun überflogen ist und an den Brustseiten lebhafter
braun erscheint. Der Rückenfieck ist ockergelb und nicht
viel länger als breit. Alle Haare in ihm sind an der
Wurzel schwarzbraun, die in der Mitte des Fleckes befind-
lichen tragen keine dunklen Spitzen. Das Haar ist nicht
länger als dasjenige von Pr. brucei aus der Regenzeit.
Wahrscheinlich sind beide Stücke im Haarwechsel begriffen ;
wenigstens ist das Haar an den Brustseiten viel länger,
weicher und brauner, und die Färbung ist auch viel mehr
mit schwarz melirt als auf dem Halse und Hinterkörper.
Kinn und Unterseite sind fahl orange. Die Aussenseite der
Ohren ist glänzend schwarz, die Innenseite gelbbraun be-
haart. Die Hinteraugengegend ist schwarzbraun, der Ober-
kopf ist dunkelbraun, hellbraun bestäubt.
Das dritte, im September erlegte Exemplar, ein 9 mit
2 Embryonen im Uterus, hat glänzend kastanienbraune
Wangen, einen fahlbraunen grossen Fleck an den Halsseiten,
eine fahlbraune Unterseite und einen fahlbraunen Rücken-
fleck, dessen Haare hinter dem dunklen Wurzeltheil satter
gelbbraun sind und an der Spitze die fahlbraune Färbung
zeigen. Die allgemeine Körperfärbung ist olivengraubraun,
Sitzung vom 21. Mars 1899. 63
schwarzbraun gesprenkelt, an den Brustseiten etwas braun
überflogen. Das Haarkleid ist starrer und kürzer als bei
den Exemplaren aus dem August.
Der Schädel des rf . eines alten, ausgewachsenen
Thieres im Stadium VIII (cf. Thomas, P. Z. S. 1892, p. 53)
ist ungefähr so gross wie der eines erwachsenen <? von
Pr. shoana. Die Cristae parietales berühren sich an der
Mitte des Vorderrandes des nicht mit den Parietalia ver-
wachsenen Interparietale und gehen dann auf dem Inter-
parietale wieder auseinander, um sich an der Sutura larnb-
doidea zu verlieren. Bei dem 2 treten diese Cristae nicht
so scharf hervor und berühren die Aussenseiten des Inter-
parietale. Das £ befindet sich im Stadium VII, der letzte
Molar ist so hoch wie der vorletzte, aber noch nicht ab-
gekaut.
Das Diastema ist sehr lang bei beiden Schädeln. Die
Zähne sind kräftig und breit, die Zahnreihe länger als bei
den meisten anderen Procavia-Avteii. aber ziemlich kurz im
Verhältniss zur ganzen Länge des sehr gestreckten Schädels.
Maasse: tf Ganze Länge von der Nase zum After:
530 mm; Hinterfuss: 63 mm; bei dem $ aus dem August
sind die betreffenden Maasse: 455 und 53 m; bei dem $
aus dem September: 570 und 61 mm.
Am Schädel sind folgende Maasse genommen worden:
Basallänge; tf 96,5: £ 88,8 mm; grösste Breite: 58 resp.
54,5 mm; Länge der Nasalia, an der Sutura nasalis ge-
messen: 24,5; 23,6 mm; ihre Breite an der Sutura nasofron-
talis: 23,7; 21 mm; geringste Entfernung der beiden Suturae
naso-intermaxillares von einander: 12; 12 mm; grösste Ent-
fernung derselben an der hinteren Spitze des Intermaxillare
14,6; 13,8 mm. Grösste Breite der Frontalia: 39,2; 35,1 mm
geringste Breite der Schädelkapsel hinter der Sutura coro
nalis: 25,2; 25,5 mm; Interparietale: Länge: 10.4; 8,7 mm
Breite: 8,1; 7,5 mm; Länge des Palatum: 53; 49,9 mm
Diastema im Oberkiefer: 15; 14 mm; im Unterkiefer: 5
8,9 mm; Länge der oberen Molarenreihe: 38,5; 38,5 mm;
der unteren Molarenreihe: 38,4; 39 mm; Höhe des Unter-
kiefers: 49,2; 44,6 mm; Breite des ersten oberen Molaren:
(34 Gesellschaft naturforschender Freunde, Berlin.
7,7; 7 mm; Länge des ersten unteren Praemolaren: 2,7;
2,5 mm; Höhe des vorletzten oberen Molaren in uuabge-
kautem Zustande gemessen vom äusseren Alveolarrande bis
zur höchsten Spitze: 6,7 mm.
Procavia herstingi ist der einzige Klippschliefer, welcher
schwarze Ohren und einen hellen Rückenstrich hat.
Ich möchte bei dieser Gelegenheit darauf aufmerksam
machen, dass meiner Ansicht nach Pr. ruficeps H. E. in
die Pr. brucei-Gru^Q gehört, weil ihr Rückenstrich lang
und schmal ist und auch die sonstigen, oben von mir er-
wähnten Merkmale zutreffen. Thomas vereinigt (1. c. p. 64)
Hyrax burtoni Gray mit II. ruficeps H. E. Bei dem Original-
Exemplar von H. ruficeps ist der erste obere Molar 6,3 mm
breit, während Thomas für seinen H. ruficeps 7—7,7 mm
angiebt. Ich glaube wohl, dass Pr. burtoni und Pr. ruficeps
zwei verschiedene Arten darstellen.
Ferner halte ich Pr. syriaca jayakari Thos., wenigstens
soweit es unser Exemplar von Melhan betrifft, ebenfalls
für einen Angehörigen der Pr. brucei- Gruppe, weil der
Schädel die von mir oben für diese Gruppe angegebenen
Merkmale zeigt.
Referierabend am 14. März 1899.
Herr Heymons über 2 Arbeiten von B erlese: Fenomeni
che accopagnano la fecondazione in taluni insetti. Me-
moria I und Memoria II zu: Rivista della Patologia
Vegetale Anno VI resp. Anno VII. Firenze 1898.
Herr F. E. Schulze über R. Hertwig: Aus den Abhand-
lungen der Kgl. Bayer. Akademie 1898: Kerntheilung,
Richtungskörperbildung, Befruchtung von Actinosphaerium
Eichhornia.
— , Hae ekel: Kunstformen der Natur. 1. Lieferung. 1899.
Herr F. Römer über P. A dl off. Zur Entwicklungsgeschichte
des Nagethiergebisses. Jenaische Zeitschrift für Natur-
wissenschaft, Band 32. 1898, p. 397—410, mit 5 Tafeln
und 4 Abbildungen im Text.
Sitzung vom 21. März 1890. 65
Herr Kolkwitz über 0. Warburg: Einige Bemerkungen über
die Litoral-Pantropisten. Annales du Jardin Botanique
de Biiitenzorg 1898.
Im Austausch wurden erhalten:
Anz. Ak. Wiss. Krakau. 1899.
Verh. Deutsch. Phys. Ges. Jahrg. 1, No. 1.
Verh. Deutsch. Wissenschaft. Ver. Santiago de Chile.
III. Heft 5, 1897.
Mitt. Deutsch. Seefisch. Ver. XV. No. 3. März 1899.
Jahresber. kgl. böhm. Ges. Wiss. für 1898. Prag 1899.
Sitzungsber. kgl. böhm. Ges. Wiss. 1898. Prag 1899.
Schrift. Naturf. Ges. Danzig. N. F. IX. 3 u. 4.
Schrift. Phys.-Oekon. Ges. Königsberg i. Pr. Jahrg. 38. 1897.
Leopoldina. Heft XXXV, No. 2. Februar 1899.
Naturwissenschaftl. Wochenschrift, Bd. XIV, No. 9 — 12.
Journ. Roy. Microsc. Soc. 1898, P. 1.
Journ. Elisha Mitchell Sei. Soc. XV. P. 1. 1898.
Bull. Soc. Zool. France. T. XXIII. Paris 1898.
Bergens Mus. Aarb. for 1898. Bergen 1899.
Geol. Foren. Förh. Bd. 21, H. 2, No. 191. Stockholm 1899.
Vitensk. Meddel. nat. Foren. Kjobenhaon for 1898. Kjo-
benhaon 1898.
Bolet. Mensual Observ. Meteor. Centr. Mexico. 1898. No. 10.
Bollet. Pubbl. Ital. 1899, No. 316 u. 317.
Bollett Mus. Zool. Anat. comp. Univ. Torino. XIII.
No. 320—334.
Soc. Hist.-Natur. Croat. Glaon. Naravosl. Drust. God. VI.
1-5 (1891); VI. 6 (1894); VII. 1—6 (1892); VIII.
1—6 (1895—96) u. IX. 1 — 6 (1896).
J. F. Starcke, Berlin W.
Nr. 4 1899.
Sitzungs-Bericht
der
Gesellschaft naturforschender Freunde
zu Berlin
vom 18. April 1899.
Vorsitzender: Herr A. Neiiring.
Herr A. Nehring sprach über das Vorkommen der
nordischen Wühlratte (Aruicolu ratticeps Keys. u.
Blas.) in Ostpreussen.
Seit der vorigen Sitzung, in welcher ich über das Vor-
kommen von Arv. ratticeps K. u. Bl. bei Brandenburg und
Anklam gesprochen habe, ist mir durch Herrn Prof. Dr.
G. Rörig, hier, ein reichhaltiges Material dieser Species
aus Ostpreussen zugegangen; und zwar besteht dasselbe in
Schädeln, Unterkiefern und Extremitätenknochen, welche
aus frischen Eulen-Gewöllen gewonnen sind. Letztere wurden
durch Herrn Möschler, Präparator des Herrn Prof. Rörig,
am Fusse einer grossen Fichte in grosser Zahl (ca. 560 Ge-
rolle) bei einander gefunden. Diese Fichte steht in einem
kleinen (ca. 90 Morgen grossen) Walde bei Maraunenhof,
Vz Stunde von Königsberg i. Ostpr. , und zwar findet
sie sich in einem schmalen Ausläufer jenes Waldes, so dass
nach zwei Seiten das offene Terrain sehr nahe liegt. Auf
der erwähnten Fichte hatte eine Eule (Strix aluco oder
Strix otus) ihren Ruheplatz; von ihr rührt der am Fusse
des Baumes gefundene Gewöllhaufen her.
Bei der genaueren Untersuchung dieser Gewölle konnte
Rörig die Ueberreste von 1665 Arvicolen, 16 Exemplaren
der Gattung Mus und 10 kleinen Vögeln feststellen. Unter
den Arvicolen befanden sich 59 Exemplare von Arvicola
ratticeps, 5 von Arv. agrestis; die übrigen gehörten zu
4
68
Gesellsclutft naturforschender Freunde, Berlin.
Arv. arvdlis. Ich lege hier im Einverständniss mit dem
genannten Forscher einen Theil des betr. Materials vor,
nämlich 2 noch unversehrte Gewölle, einen wohlerhal-
tenen Schädel von Arv. ratticeps nebst den beiden zuge-
hörigen Unterkieferhälften und einer Anzahl zugehöriger
Beinknochen, den lädirten Schädel nebst beiden Unterkiefer-
hälften eines anderen Exemplars, sowie 34 rechte Unter-
kieferhälften, alle von der genannten Species.
Die Bestimmung der Unterkiefer ist auf Grund des m 1
verhältnissmässig leicht auszuführen. Der vorderste Backen-
zahn des Unterkiefers von Arv. ratticeps zeigt nämlich eine
sehr charakteristische Bildung der „ Schmelzschlingen " oder
Fig. t. Die Kauflächen der Backenzahnreihen von
Arvicola ratticeps K. u. Bl.
u = Untere, rechte Backenzahnreihe. 6/i na*- Gr.
o = Obere „ „ „ „ „
„Schmelzprismen". An seinem Aussenrande sind nur drei
ausgeprägte Kanten vorhanden1), während an seinem Innen-
rande fünf ausgeprägte Kanten hervortreten. (Siehe unsere
Abbildung.) Hierdurch und durch den Umstand, dass die
') BlasiüS, Naturgesch. Säugeth. Deutschi., S. 365, zählt zwar
vier Aussenkanten, indem er wahrscheinlich eine bei alten Individuen
zuweilen sich schwach markirende vierte (vorderste) Aussenkante
mitrechnet; aber eine solche Zählung kann nur Verwirrung hervorrufen,
indem sie das Charakteristische im Bau des m 1 inf. verschwinden lässt.
Lilljerorg zählt (so wie ich) nur drei Aussenkanten am m 1 inf.
von A. ratticeps. Siehe „Sveriges och Norges Ryggradsdjur", I, S. 303.
Sitzung am IS. April 1S99. 69
vorderste Schmelzschlinge mit der nächsten innern (medialen)
Schmelzschlinge zu einer eigentümlichen, hakenförmigen
Schleife verbunden ist, bekommt dieser Zahn ein charak-
teristisches Aussehen, das nur bei dem nahe verwandten
Arv. oeconomus Pall. und bei Arv. gregalis Pall. in ähn-
licher Form wiederkehrt.
Charakteristisch ist auch der 3. obere Backenzahn,
der complicirter gebaut ist, als bei den nächstverwandten
Arten. Er zeigt aussen und innen je 4 Kanten, von denen
die letzte äussere allerdings oft nur schwach angedeutet
erscheint. Siehe Fig. 1, o.
Uebrigens scheint auch die nach hinten verschmälerte
Form der Foramina incisiva für Arv. ratticeps charakteristisch
zu sein.
Was die Grösse der ostpreussischen Exemplare anbe-
trifft, so zeigt die Mehrzahl der vorliegenden Unterkiefer
nur geringe Dimensionen. Die kleinsten Unterkiefer, welche
wohl von jüngeren Individuen herrühren, haben eine Con-
dylarlänge1) von 13, die grössten von 16,5 mm; andere
messen 14, 14,5, 15, 15,5, 15,8, 16,4 mm. Die Unter-
kiefer der Brandenburger Exemplare zeigen eine Condylar-
länge von 15,3 — 16 mm, der des Exemplars von Anklam
eine solche von 15,3 mm, während ich bei typischen Exem-
plaren aus dem Norden (Ost-Finnmarken und Nordrussland)
16,5 — 18,5 mm gemessen habe. Ich glaube, die ostpreussi-
schen Exemplare vorläufig nach dem vorliegenden Materiale
wegen der durchschnittlich geringen Dimensionen zu der von
mir unterschiedenen „var. Stimmingi" rechnen zu sollen.
Allerdings ist der besterhaltene Oberschädel von Maraunen-
hof etwas robuster, als der von mir im vorigen Sitzungs-
bericht, S. 58, besprochene männliche Schädel von Branden-
burg; aber er bleibt, obgleich er unter 59 Individuen
das stärkste repräsentirt, doch hinter einigen in meiner
Privatsammlung befindlichen nordischen Exemplaren deut-
lich zurück. Ich gebe hier die Hauptdimensionen jenes
l) Unter „Condylarlänge" verstehe ich die gerade Entfernung vom
Hinterrand der Nagezahnalveole bis zum Hinterrand des Condylus.
4*
70
Gesellschaft naturforschender Freunde, Berlin.
Exemplars, zusammengestellt mit denen des männlichen
Schädels von Brandenburg und eiues nordrussischen Schädels :
Die Dimensionen sind in
Millimetern angegeben.
Arvicola ratticeps K. u. Bl.
1.
Ost-
preussen
2. 3.
Nord- cfad. var. Stimmingi.
russland | Brandenburg
Grösste Länge des Schädels
Basilarlänge „ „
Jochbogcnbreite „ „
Länge der oberen Backen-
zahnreihe
Länge der unteren Backen-
zahnreihe
Condylarlänge d. Unterkiefers
27,5
25
15,5
6,3
6,1
16,5
30,5
27,5
17,2
6,9
6,5
18,5
27
24,3
14
6,2
6,1
16
Herr Prof. Hörig hat bereits Anordnungen getroffen,
um lebende Exemplare des Arv. ratticeps bei Maraunenhof
zu fangen; vorläufig ist schon die Thatsache interessant
genug, dass 59 Exemplare dieser Art aus dort gesammelten
Eulen-Gewöllen constatirt sind.
Inzwischen habe ich von Herrn Dr. med. K. Stimmung
noch zwei Spiritus-Exemplare der „var. Stimmingi'1 von
Brandenburg a. d. H. und zugleich einige interessante
Notizen über die Lebensweise dieser Maus erhalten.
Letztere lauten: „Diese Varietät lebt bei Brandenburg a. H.
auf zwei Havel-Inseln, gräbt unter der Wiesendecke ihre
Gänge, kommt bereits am Spätnachmittag ins Freie, frisst
allerlei Wurzeln und frisches Grün. Der beste Köder sind
frische Cichorienwurzeln. Sie wirft im Verlaufe ihrer Gänge
kleine Hügel (ca. 20 cm Durchmesser haltend) auf, schwimmt
vorzüglich und taucht, besonders wenn sie verfolgt wird,
ganz ausgezeichnet. Ihre Anzahl auf beiden Inseln ist eine
beschränkte; denn ich habe in den letzten 5 Jahren nur
8 Stück erbeutet."
Hiernach ähnelt die STiMMiNG'sche Varietät der nor-
dischen Wühlratte in ihrer Lebensweise der Wasserratte
(Arvicola amphibius), mit der ja Arv. ratticeps von Blasius
in einer Gruppe (Paludicola) zusammengestellt ist. Ver-
muthlich trägt sie auch Wintervorräthe zusammen, wie es
die mit Arv. ratticeps nahe verwandte „ökonomische Wühl-
Sitzung vom 18. April 1899. 71
maus" (Arv. oeconomus Pall.) und Arv. amphibius bekannt-
lich thun.
Herr A. Nehring sprach ferner über einen Löwen-
und einen Biber-Rest aus der Provinz Brandenburg,
sowie über craniologische Unterschiede von Löwe
und Tiger.
Vor einigen Tagen wurden mir von der Direction des
Märkischen Provinzial-Museimis hierselbst zwei Fossilreste
zur Bestimmung übersandt. nämlich der Gehirnschädel eines
grossen Raubtbiers und das Kreuzbein eines kleineren
Thiers. Ersteres Stück ist diluvialeu. letzteres alluvialen
Alters. Jenes erwies sich bei meiner Untersuchung als zu
Felis spelaea Goldf. (= Leo spelaeus Filh.^, dieses als zu
Castor fiber L. gehörig.
Besonders interessant und für die Provinz Brandenburg
als grosse Seltenheit erscheint die Schädelkapsel des
diluvialen Löwen; sie stammt aus einer der zahlreichen
Ziegeleien, welche zwischen Königs -Wusterhausen und
Storkow gelegen sind, und ist dem Märkischen Museum
nach einer gefälligen Angabe der Direction zusammen
mit einigen anderen, ebenfalls dort ausgegrabenen Resten
(Schädel eines Bhinoceros tichorhinus , Backenzahn eines
Elephas primigenius, Hornzapfen eines Bos) zugegangen.
Sie gehört einem alten, starken Individuum an, wie die
kräftige Crista sagittalis und die sehr ausgeprägte Form
der Stirnpartie beweisen.
Bei der Bestimmung dieses Stücks erhob sich die
Frage, ob man es hier mit einem Löwen oder einem Tiger
zu thun hat, und ich habe im Zusammenhange hiermit die
craniologischen Unterschiede von Löwe und Tiger1), welche
schon häufig in der Litteratur über „Felis spelaea" discutirt
worden sind2), einer erneuten Prüfung unterzogen. Das Ma-
*) Auf die etwaigen Verschiedenheiten der einzelnen Löwen- und
Tiger-Rassen gehe ich nicht ein; hier handelt es sich nur um
die craniologischen Differenzen zwischen Leo einerseits und Tigris
andererseits.
2) Vergl. z. B. Pawkins and Sanford, British Pleistocene Mam-
72 Gesellschaft natwforschender Freunde, Berlin.
terial, welches ich vergleichen konnte, besteht aus 5 Löwen-
und 8 Tigerschädein der zoologischen Abtheilung des hiesigen
Museums für Naturkunde, aus 5 Löwen- und 8 Tigerschädeln
der mir unterstellten Sammlung und aus 4 Schädeln der
Felis spelaea Goldf. aus der Gailenreuther Höhle in der
palaeontologischen Abtheilung des hiesigen Museums für
Naturkunde. a)
Die Resultate meiner Vergleichungen sind in Kurzem
folgende: Der Schädel des erwachsenen Löwen ist in der
Stirnpartie niedriger, flacher und breiter als der des er-
wachsenen Tigers, bei welchem die Stirn deutlich gewölbt
ist; dazu kommt, dass beim alten Löwen die Mitte der
Stirnbeine deutlich vertieft erscheint. Die Nasenbeine
des Löwen sind kürzer und nach vorn breiter als bei Tigern
gleichen Alters und Geschlechts. Die Frontalfortsätze
der Oberkieferknochen reichen beim Löwen normaler
Weise über das hintere Ende der Nasenbeine hinaus und
zeigen eine flache, allmählich ansteigende Oberfläche; beim
Tiger pflegen die Frontalfortsätze der Oberkieferknochen
nicht bis zum Hinterende der Nasenbeine zu reichen, ihre
Oberfläche ist concav und steigt steiler nach der Stirn hin-
auf, auch zeigen sie eine abweichende Form der Grenznaht.
Die Foramina palatina des Löwen sind grösser und liegen
weiter zurück, als beim Tiger; ausserdem setzen sie sich
bei jenem nach vorn in 2 breiten, deutlich markirten Furchen
fort, wovon beim Tiger kaum eine Andeutung zu sehen ist.
Das Gaumenkeilbeinloch (Foramen spheno-palatinum)
des Löwen ist grösser und steht zu den benachbarten Nähten
in etwas anderer Beziehung, als beim Tiger2). Das Fo-
malia, Part I u. II, London 1866 u. 1868. Diese Autoren betonen
den leoninen Charakter der Felis spelaea. Siehe auch Bourguignat,
Felidae fossiles, Paris 1879, S. 8 ff. Vergl. ferner Giebel, Säuge-
thiere, S. 869, welcher sehr entschieden für die Uebereinstimmung der
Felis spelaea mit dem Tiger sich ausspricht.
l) Diese fossilen Schädel des Museums für Naturkunde wurden
mir von Herrn Prof. Dr. Jaekel, die vorerwähnten recenten Schädel
desselben Museums durch Herrn Custos P. Matschie freundlichst zu-
1 ich gemacht.
*) Obige Differenz hat sich an meinem Material als besonders
charakteristisch bewährt.
Sitzung vom 18. April 1899. 73
ramen stylo-mastoideum liegt beim Löwen regelmässig so,
dass man in seine Oeffnung bei der Basalansicht des
Schädels direct hineinsehen kann; beim Tiger liegt die
Oeffnung jenes Foramen gewöhnlich mehr seitlich an der
Bulla. Der Meatus auditorius externus scheint beim Löwen
meistens etwTas grösser resp. offener zu sein, als beim Tiger.
Nach allen diesen Kennzeichen sind die in der palaeon-
tologischen Sammlung des hiesigen Museums für Naturkunde
vorhandenen 4 Gailenreuther Schädel , von denen der eine
als völlig intakt bezeichnet werden kann1), als unzweifel-
hafte Löwenschädel anzusprechen. Ebenso muss ich die
vorliegende Gehirnkapsel einer grossen Felis aus dem
märkischen Diluvium nach der Stirnbildung und nach der
Bildung des Meatus auditorius externus, sowie auch einiger
Foramina des Sphenoids als zu Leo, nicht zu Tigris ge-
hörig betrachten.
Auf die einschlägige Litteratur über Felis spelaea Goldf.
einzugehen, ist hier nicht der Ort; ich will nur hervorheben,
dass auch J. Fr. Brandt einst die im hiesigen Museum für
Naturkunde vorhandenen Gailenreuther Schädel mit Ent-
schiedenheit für Löwenschädel (nicht Tigerschädel) erklärt
hat, ohne dieses im Einzelnen näher zu begründen. Da
von Zeit zu Zeit immer wieder die Ansicht auftaucht, dass
„Felis spelaeaLL ein Tiger, kein Löwe gewesen sei, so scheint
es mir augezeigt, dieses für die oben besprochenen, von
mir untersuchten Objecte zurückzuweisen. Andere, weniger
vollständig erhaltene Objecte lassen kein sicheres Urtheil
zu; doch ist es sehr wahrscheinlich, dass auch die sonsti-
gen in Deutschland gefundeuen Reste, z. B. die von mir bei
Thiede unweit Braunschweig und bei Westeregeln unweit
Magdeburg, sowie aus Westpreussen nachgewiesenen Reste2),
') Dieser Schädel dürfte wohl einer der besterhaltenen Schädel
des Leo spelaeus sein, welche überhaupt existiren; er ist für die oben
erörterte Frage besonders wichtig, da an ihm alle Charaktere klar und
sicher zu erkennen sind.
2) Siehe „Tundren und Steppen", S. 169, 193, 233. Verh. d.
Berl. Ges. f. Anthrop., J893, S. 407 ff. mit 2 Abbild. Bericht des
Westpreuss. Prov.-Museums, 1895, S. 16.
74 Gesellschaft natwrforschender Freunde, Berlin.
oder der durch Schröder beschriebene Metacarpus von
Oderberg -Bralitz1), dem fossilen Löwen angehören. Da-
gegen mögen manche in Ost-Europa gefundenen Felis -Heste
einem Tiger zuzuschreiben seien. Die meisten einschlägigen
Untersuchungen sind bisher mit viel zu knappem und mangel-
haftem Vergleichsmaterial veranstaltet worden; nur ein reich-
haltiges, zuverlässiges Material giebt brauchbare Resultate.
Ueber das oben erwähnte Biber-Kreuzbein bemerke
ich. dass "dasselbe aus einem Moore in der Nähe des Zie-
low- Grabens westlich von Mittenwalde stammt. Es hat
einem erwachsenen, aber nicht sehr starken Individuum
augehört.
Herr L. Brühl, der über Fremdkörper im Elfenbein
sprach, wird seinen Vortrag im nächsten Heft veröffentlichen.
Herr MATSCWE sprach über Vespertilio venustus
Mtsch., eine neue Fledermaus aus Deutsch-Ost-Afrika
Der Naturalienhändler Herr W. Schlüter in Halle a./S.
hat dem Berliner Museum für Naturkunde eine Fledermaus
angeboten, welehe ich mit keiner bekannten Art zu ver-
einigen vermag.
Sie gehört zu derjenigen Gruppe von Vespertilio, bei
welcher die Flughäute schwarz und orange gezeichnet sind,
ähnlich wie bei Kerivoula picta. Man kann diese Fleder-
mäuse auf den ersten Blick von Kerivoula picta daran unter-
scheiden, dass der freie Rand der Flughaut zwischen der
Fusswurzel und der Spitze des fünften Fingers nicht breit
orange gesäumt ist, wie bei dieser Kerivoula, sondern dass
die schwarze Färbung dort bis an den Rand der Flughaut
heranreicht. Im Gebiss sind sehr erhebliche Unterschiede
vorhanden. Bei Kerivoula sind die ersten beiden Prae-
molaren nicht viel kleiner als der dritte, bei den bunt-
flügeligen Vespertilio ist der erste Praemolar noch nicht halb
so gross wie der dritte, und der zweite Praemolar ist
ausserordentlich klein.
') Siehe Jahrb. d. Kgl. Preuss. Geol. Landesanstalt, 1897, S. 20f,
Sitzung vom 18. April 1899. 75
Beschrieben sind bis jetzt folgende, zu dieser Gruppe
gehörige Formen: F. andersoni Troüessart = dobsoni An-
derson von Purneah in Nord-Bengalen, V. pallidiis Blyth
von Chaibasa in Süd-Bengalen, V. auratus Dobs. von Dar-
jeeling, F. formosus Hodgs. von Central -Nepal, F. rufo-
2Jictus Waterh. von den Philippinen , V. rufoniger Tomes
vom Jantsekiang-Gebiet.
Blanford (The Fauna of British India, Mamm. 1891.
S. 335—336) vereinigt alle diese Species unter V. formosus,
Troüessart (Cat. Mamm. Nov. Ed., I, 1897, S. 128-129)
lässt neben F. formosus noch F. andersoni gelten.
Die Maasse bewegen sich für die unter F. formosus von
Troüessart zusammengestellten Formen in folgenden Grenzen:
Unterarm: -15,5 — 49,8 mm; Daumen: 9.52—10,56 mm;
Fuss: 11.6 — 12,7 mm.
Bei F. andersoni sind die betreffenden Maasse: 54,61;
12,7; 15,2 mm.
An dem mir vorliegenden Stücke maass ich: Unter-
arm: 56,5; Daumen mit Nagel: ca. 10 mm; Fuss mit den
Krallen: ca. 11 mm. Das Object ist trocken präparirt;
daher sind die Messungen etwas ungenau.
Der Fuss ist bei den bekannten Formen dieser Gruppe
entweder so gross oder grösser, bei dem hier zu unter-
suchenden Stücke viel kleiner als ein Viertel der Unterarm-
länge; der Daumen ist bei den ersteren grösser als der
fünfte Theil der Unterarmlänge, bei dem letzteren kleiner
als dieses Maass.
Am Gebiss bemerke ich folgende Unterschiede: Der
zweite obere Praemolar steht dicht neben dem dritten Prae-
molaren und der letztere hat am Vorderrand des Cingulum
keinen Höcker. Der vorletzte obere Molar ist breiter als
ein Drittel der Länge der Molarenreihe; die Entfernung der
Foramina infraorbitalia von einander ist ebenso gross wie
die Länge der Zahnreihe.
In der Färbung zeichnet sich das Exemplar dadurch
aus, dass die Arme und Finger, die Schwanzfiughaut und
das Propatagium auf der Oberseite schwarz gesprenkelt
76 Gesellschaft naturfoi ■sehender Freunde, Berlin,
sind. Mit V. andersoni stimmt es darin überein, dass die
schwarz gefärbten Theile des Flügels hell punktirt sind.
Die Rückenbaare sind am Grunde schwarzbraun, in der
Mitte weiss und haben lange nussbraune Spitzen. Der
Rücken erscheint weisslich, stark nussbraun überflogen, an
den Seiten rein nussbraun. Die Unterseite des Körpers
ist weiss; über die Brust zieht sich von den Achseln her
ein hufeisenförmiges, nicht sehr deutliches, nussfarbenes
Band. Die hellen Theile des Flügels sind orangefarbig,
die duuklen Theile schwarz.
Herr Schlüter schreibt mir, dass er diese Fledermaus
zusammen mit Vesp. nanus Ptrs. von Kinole in den
Ukami-Bergen, Deutsch-Ost-Afrika, erhalten hat.
Ich gebe noch einige Messungen: Kopf und Körper:
ca. 61 mm; Schwanz: ca. 51 mm; Kopf: ca. 21 mm; Ohr:
ca. 13 mm; ferner am Schädel: Basallänge: 16,8 mm; obere
Molarenreihe: 6,2 mm; Entfernung der Infraorbital-Foramina
von einander: 6,2 mm; Breite des vorletzten oberen Molaren:
2,6 mm.
Herr 0. Neumann sprach über die Gleichartigkeit
von Bubalis Jachsoni Thom. und Acronotus IcJwel
Heugl. und ihre Färbung.
Thomas beschrieb 1892 l) eine Kuhantilope, dieFREDERic
F. Jackson in den Ländern zwischen Naiwascha-See und
Victoria-Nyansa gesammelt hatte, unter dem Namen Bubalis
Jachsoni.
In seiner Beschreibung meint er, dass dieses die von
Petheric, Heuglin und BoHNDORFals Bubaliscaama ange-
sprochenem Antilope sei. Er hat hierin Recht und auch
die von Junker2) und Schweinfurth 3) unter diesem Na-
men erwähnten Antilopen gehören zu dieser Art.
Nun hat aber Heuglin die Hartebeests der oberen Nil-
gebiete mit zwei verschiedenen Namen belegt und unter
>) Ann. Mag. N. H., IX, S. 386.
2) Junker, Reisen in Afrika, I, S. 364; III, S. 190.
3) Schweinfurth, Im Herzen von Afrika, I, S. 212, 465, 469;
II, S. 276, 418, 483.
Sitzung vom 18. April 1896. 77
diesen abgebildet. In seinen ersten Arbeiten1)2) nennt er die
Antilope vom Bar el Djebel, Kir und Djur Antilope resp.
Boselaphus caama und bildet in dem Werk „Antilopen und
Büffel Nord-Afrika's". Tafel I. No. 3 a und 3 b, ein Gehörn
von vom und halbseitwärts ab, dessen Spitzen deutlich
nach aussen divergiren.
In einem späteren Werk3) trennt Heuglin die Harte-
beests der oberen Nilgebiete, lässt der östlichen Form vom
Kir und Sobat den Namen Acronotus caama und giebt der
westlichen Form vom Djur und Kosange den Namen Acro-
notus lelwel.
Acronotus lelwel wurde verschiedentlich bezogen, unter
anderm von Matschie 4) auf das westafrikanische Hartebeest,
welches aber eine andere, gut unterscheidbare Art, Bubalis
major, ist.
Eine Vergleichung der verschiedenen Abbildungen
Heuglin' s zeigt nun, dass das Gehörn seiner lelwel sehr
gut mit dem früher von ihm als von caama abgebildeten
übereinstimmt, da bei beiden die Spitzen nach aussen hin
divergiren, während bei der späteren Abbildung von caama
(östliche Form) die Spitzen nach hinten parallel verlaufen
oder sich sogar nach der Mitte nähern, ebenso wie dies
auch Schweinfukth 5) abbildet.
Die von mir in Uganda, Kavirondo und auf der Angata
anyuk (zwischen Kavirondo und dem Mauwald gelegen) er-
legten Hartebeests haben sämmtlich Gehörne, deren Spitzen
auseinandergehen und gut mit der Abbildung des Acronotus
lelwel übereinstimmen.
Es war mir leider nicht möglich, von Heuglin ge-
sammelte Gehörne zum Vergleich zu erhalten, da sich weder
auf dem Museum zu Stuttgart noch auf dem zu Wien solche
befmdan. W ohl aber besitzt das Berliner Museum ein durch
') Heuglin, Antilopen und Büffel Nordost -Afrikas in „Leo-
poldina", 1863.
2) Heuglin, Reise in das Gebiet des weissen Nil, 1869, S. 320.
3) Heuglin, Reisen in Nordost-Afrika, 1877, II, S. 123, 124.
4) Matschie, Archiv für Naturgeschichte, 1891, S. 355.
B) Schweinfurtii, Im Herzen von Afrika, I, S. 212,
78 Gesellschaft naturforschender Freunde, Berlin.
Schweinfüeth am Djur gesammeltes Gehörn, imd das
Wiener Museum war so freundlich — wofür ich hier Herrn
Prof. Brauer und Herrn Dr. v. Lorenz meinen besten
Dank sage — mir vier Stück aus einer grossen Anzahl
Bubalis- Gehörne zur Verfügung zu stellen, welche von
Junkers Schwester dem Wiener Museum zum Geschenk
gemacht wurden. Wenn auch ohne Fundortsbezeichnung,
so dürfte doch sicher sein, dass dieses die Gehörne sind,
welche Junker in Makaraka1), also in der Gegend des
Djur, erstand.
Sowohl nun das Schweinfurth' sehe Gehörn wie die
JiNKER'schen haben die Hörnenden parallel oder sogar
nach innen gehend, doch theilt mir Dr. v. Lorenz mit,
dass sich unter den übrigen JuNKER'schen Gehörnen auch
solche befinden, die mehr oder weniger nach aussen
divergiren.
Aus alledem scheint mir hervorzugehen, dass sicher
Bubalis Jacksoni Thom. mit der Heuglin' sehen Art identisch
und demnach fortan Bubalis lelivel (Heugl.) zu nennen
sein wird.
Ich möchte aber auch vorläufig der Form mit parallelen
oder nach innen gehenden Spitzen keinen neuen Namen
geben, sondern lieber noch annehmen, dass hier nur in-
dividuelle Variationen vorliegen, besonders da über die
Färbung der Thiere vom Djur einerseits, vom Sobat andrer-
seits noch nichts genaues bekannt ist. Nur Schweinfurth
giebt gelegentlich der Erwähnung eines bei Seriba Ghattas
(Djurgebiet) erlegten Stückes folgende kurze Beschreibung2):
„Im Sommer, der Regenzeit, ist seine Färbung ein helles,
gleichmässiges Ledergelb mit weisslicher Bauchseite, in den
regenlosen Wintermonaten dagegen variirt dieselbe in Reh-
graue."
Dagegen bin ich heute in der Lage, eine genaue An-
gabe der Färbung eines südlichen Stückes zu geben, welche,
wie dieses wohl nach allem Vorhergesagten zu erwarten,
!) Junker, Reisen in Afrika, I, S. 364.
■) Schweinfurth, Im Herzen von Afrika, I, S. 213.
Sitzung vom 18. April 1890. 79
ziemlich gut mit der Beschreibimg Schweinfurt* s überein-
stimmt.
Von den 8 von mir in Uganda, Ravirondo und Angata
anyuk erlegten Stücken gelang es mir, zwei Felle gut con-
servirt nach Berlin zu bringen, von denen das eine, am
17. November 1894 auf der Angata anyuk erlegt, im hiesigen
Museum für Naturkunde ausgestopft wurde.
Die Färbung dieses Stückes gut zu beschreiben, ist
einigermaassen durch den Umstand erschwert, dass sich das
betreifende Exemplar gerade im Haarwachsel befindet und
deshalb etwas scheckig aussieht.
Die Allgemeinfärbung ist röthlich-gelbbraun, nach unten
zu heller. Der Bauch ist röthlich -weiss, die Oberschenkel
hellgelbbraun, die Vorderseite der Beine dunkler. Auch der
Kopf ist dunkler, die Stirn dunkelrothbraun, die Schwanz-
quaste schwarz, der Rand der Unterlippe schwarzbraun.
Bubalis lehcel gehört also in die Gruppe der einfarbigen
Kuhantilopen, während die ihr im Gehörn nächstverwandte
Bubalis caama vom Cap und Südwest-Afrika schwarze Ober-
schenkel hat.
Herr Hans Virchow sprach über Röntgen-Aufnahmen
der Hand.
Die vorgelegten drei Aufnahmen, welche ich der Güte
des Herrn Stabsarztes Lambehtz an der Kaiser Wilhelms-
Akademie verdanke, zeigen die gleiche Hand in natürlicher
Haltung, ulnarer Abduction und radialer Abduction.
Röntgen-Aufnahmen der Hand hat Jeder bis zum Ueber-
druss gesehen; aber vielleicht hat Niemand bisher eine er-
schöpfende Analyse von einer einzigen derartigen Figur ge-
geben, und es ist wohl auch z. Z. Niemand dazu im Stande.
Die Gründe liegen z. Th. darin, dass wir über die Stellungen
und Bewegungen der einzelnen Handknochen bisher nicht
vollkommen genau unterrichtet sind, z. Th. in Eigentüm-
lichkeiten der Methode.
Diese Eigentümlichkeiten oder, wenn wir unsere ge-
wöhnliche Art, Gegenstände zu sehen, zur Grundlage nehmen.
„Fehler" bestehen darin, dass erstens das Bild umgedreht
80 Gesellscluij t naturforschender Freunde, Berlin.
ist — die vorliegende Hand, obwohl eine rechte, erscheint
als linke; dass zweitens die der Röhre und damit dem
Beschauer zugewendete Seite in der Regel weit undeutlicher
kommt als die der Platte zugewendete — , an der vor-
liegenden Hand, deren dorsale Seite dem Beschauer zuge-
wendet war, muss dementsprechend in erster Linie die volare
Seite in Betracht gezogen werden; dass drittens die von
der Platte entfernteren Knochentheile stärker vergrössert
und, wenn sie seitlich lagen, verschoben sind. Die hier-
durch bedingten Entstellungen sind so beträchtlich, dass
z. B. Aufnahmen des Kniees für manche Fragen geradezu
werthlos sind; und auch Bilder der Hand, obwohl diese
wegen ihrer geringeren Dicke ein verhältnissmässig günstiges
Object ist, dürfen nur mit Vorsicht und unter Controle
anderer Methoden für bestimmte Schlussfolgerungen ver-
werthet werden.
Um das specielle Problem, um welches es sich handelt,
abzugrenzen, müssen von den „Handbewegungen" im popu-
lären Sinne die folgenden ausgeschieden werden. Erstens
die Bewegung des Metacarpale I gegen das Multangulum
majus; zweitens die des Metacarpale V und IV. Das Meta-
carpale V lässt sich nämlich in ziemlich ausgiebiger Weise
gegen das Hamatum activ bewegen (vergl. Poirier, Traite
d'anatomie humaine, Arthrologie) , und auch das Metacar-
pale IV nimmt an dieser Bewegung theil; nur das Meta-
carpale III und II sind so fest mit dem Carpus verbunden,
dass man sie practisch als unbeweglich ansehen darf.
Drittens haben wir die Drehung der Hand um die Längs-
achse auf die pro- und supinatorische Bewegung innerhalb
des Vorderarms zurückzuführen. Eine gleichsinnige Be-
wegung kommt auch innerhalb der Handwurzel vor (Poirier).
Dieselbe tritt sogar bei den seitlichen Bewegungen der Hand
in ganz gesetzmässiger Weise auf, indem bei radialer
Abduction eine supinatorische und bei ulnarer Ab-
duetion eine pronatorische Drehung sich einstellt. Sucht
man diese Bewegungen zu unterdrücken, etwa indem man
die Hand auf einem Tisch gleitend gegen den ulnaren und
radialen Rand bewogt, so stellen sich compensirend die ent-
Sitzung vom 18. April 1899. 81
gegengesetzten Bewegungen im Arme ein, bei radialer Ab-
duction der Hand Pronation, bei ulnarer Abduction Supi-
nation, zum Beweise, dass die erwähnten Bewegungen
zwangsmässige sind. Es bleiben als Handgelenkbewegungen
übrig einerseits volare und dorsale Flexion, andererseits
ulnare uud radiale Abduction, von denen sich die letzteren
für Röntgen -Aufnahmen eignen. Das Problem ist, in
welchem Maasse jedes der beiden Handgelenke (Artic.
radiocarpea und intercarpea) an den Bewegungen betheiligt
ist, und ob für diese Bewegungen die gleichen Achsen
in Anspruch genommen werden, wie für volare und dorsale
Flexion, oder andere Achsen, d. h. ob die beiden Gelenke
je eine feste Achse besitzen (Henke, Langer -Toldt)
oder die Lage der Achsen je nach der Bewegung ver-
schieden anzunehmen ist, wofür schon Zuckerkandl auf
Grund von Röntgenbildern eingetreten ist (Anatom. Anz.,
XII. Band, S. 120).
Für die Beurtheilung dieser Fragen bieten nun die
Röntgen-Aufnahmen einiges, aber nicht alles; vielmehr muss
man aus den angedeuteten Gründen sich bei der Ver-
werthung derselben der grössten Vorsicht befieissigen.
Speciell möchte ich hier von Neuem, wie schon an anderer
Stelle (Verhandl. der Berlin, anthropol. Gesellschaft, 1898,
S. 131), nachdrücklich davor warnen, aus den im Röntgen-
bilde sichtbaren Spalten Schlüsse auf die wirkliche Weite
der Spalten zu machen.
Was ich hervorheben möchte, ist das Folgende:
1) Die Knochen der distalen Reihe sind unter ein-
ander sowie mit dem zweiten und dritten Metacarpale so
fest verbunden, dass sie practisch bei den Bewegungen eine
Einheit bilden. Allerdings ist die gegenseitige Stellung
des Multangulum majus und minus nicht ganz zuverlässig
zu erkennen, weil diese beiden Knochen in den Bildern
sich grösstenteils decken.
2) Die Knochen der proximalen Carpalreihe sind
unter einander nicht unbeweglich verbunden, vielmehr
vergleitet bei radialer Abduction das Triquetrum am Lu-
natum distalwärts, und das Naviculare entfernt sich vom
82 Gesellschaft natu rfor seilender Freunde, Berlin.
Lunatum bei ulnarer Flexion radialwärts. Die durch die
erste Carpalreihe gebildete Pfanne ist daher nicht un-
veränderlich, und es ist hier an die Bemerkung von
Poirier zu erinnern, dass die Bewegungen innerhalb des
Carpus sehr beschränkte sein würden, wenn die beiden
Carpalreihen zwei feste Einheiten darstellten, wie man ge-
wöhnlich anzunehmen pflegt. Dieser Umstand spricht gegen
die Vorstellung fester Achsen.
3) Das Lunatum, welches bei Mittelhaltung halb auf
dem Radius und halb auf der Bandscheibe steht (wie ich
schon vor Jahren auf Grund von Gefrierpräparaten wusste,
ehe es Röntgenbilder gab), ist bei radialer Abduction nur
wenig ulnarwärts, dagegen bei ulnarer Abduction stark
radialwärts verschoben.
4) Bei ulnarer Abduction stösst ein Knochen der
proximalen Reihe (Triquetrum) an den Meta carpus; bei
radialer Abduction ein Knochen der distalen Reihe (Mul-
tangulum majus) an den Radius.
5) Um den Gesammteffect der ulnaren und der
radialen Abduction festzustellen, habe ich die Abstände
von zwei Punktpaaren gemessen, am ulnaren Rande Pro-
cessus styloides ulnae bis zu der Kante zwischen den beiden
seitlichen Facetten an der Basis metacarp. V, am radialen
Rande Processus styloides radii bis zu der radialen Ecke
an der Basis metacarp. IL Der erste Abstand, in Mittel-
stellung 29 mm, verkleinerte sich bei ulnarer Abduction
auf 10 mm, und vergrösserte sich bei radialer Abduction
auf 44 mm; der zweite Abstand, in Mittelstellung 36 mm,
vergrösserte sich bei ulnarer Abduction auf 44 mm und
verkleinerte sich bei radialer Abduction auf 22,5 mm. Die
Differenz zwischen den beiden Eudstellungen war also am
ulnaren Rande 34, am radialen 21,5, der Ausschlag also
am ulnaren Rande weit bedeutender. Ich möchte übrigens
nicht unterlassen zu bemerken, dass die Fähigkeit, die
Hand nach der ulnaren und radialen Seite zu abduciren,
bei verschiedenen Individuen nicht unerheblich differirt.
6) Der interessanteste Punkt dieser Aufnahmen liegt
wohl in den Veränderungen, welche das Bild des Nävi-
Sitzung vom 18. April 1899. 83
ciliare erfährt, und welche darauf hinweisen, dass unter den
Veränderungen in der Stellung desselben auch Drehungen
eine Rolle spielen. Der längste Durchmesser dieses Knochens,
welcher in proximo-distaler Richtung, jedoch schief, liegt, in
Mittelstellung 23 mm, sinkt bei radialer Abduction auf 20 mm
und steigt bei ulnarer Abduction auf 26 mm. Zugleich be-
merkt man, dass die beiden radialen Ecken des Knochens,
welche dem Ende der proximalen Gelenkfläche und der
radialen Seite der Tuberositas entsprechen, sich bei ulnarer
Abduction von einander entfernen, während sie sich bei
radialer Abduction bis zur Berührung nahe kommen. Was
mit dem Knochen geschieht, wird jedoch erst vollkommen
verständlich, wenn man ein richtig aufgestelltes Handskelett
von der radialen Seite her betrachtet. Das Naviculare liegt
nämlich in der Weise schief, dass sein distales Ende volar-
wärts abgewichen ist. Die dorsale Seite des Knochens
bildet daher mit der dorsalen Seite des Multangulum majus
und minus einen ziemlich scharfen Winkel, welcher die
Veranlassung zu der dorsalen Rinne ist, auf welche ich in
der oben citirten Mittheilung hingewiesen habe. Bei der
radialen Abduction nun weicht das distale Ende des
Knochens noch stärker nach vorn, der längste Durch-
messer nimmt mehr eine dorso-volare Richtung an;
bei ulnarer Abduction dagegen findet die entgegengesetzte
Bewegung statt, und der längste Durchmesser des Knochens
geht mehr in eine proximo-distale Richtung über.
Das Naviculare führt also ausser den seitlichen Ver-
schiebungen auch noch Bewegungen um eine Querachse
aus. An welcher Stelle des Knochens jedoch diese Quer-
achse liegt, lässt sich aus Röntgenbildern nicht entnehmen.
— Das Lunatum scheint an diesen drehenden Bewegungen
in gleichem Sinne Antheil zu nehmen, doch lässt sich der
Grad derselben an den vorliegenden Aufnahmen nicht mit
Sicherheit bestimmen.
7) Wesentlich anders sind die Erscheinungen am
ulnaren Rande, wo das Triquetrum eine ausgiebige
Gleitbewegung gegen das Hamatum ausführt; während es
bei ulnarer Abduction, wie schon gesagt, an das Meta-
g4 Gesellschaft naturforstfiaidcr Freunde, Berlin.
carpale V anzustossen scheint, verschiebt es sich bei ra-
dialer Abduction soweit proximalwärts, dass es sogar mit
dem Capitatum in Contact tritt. Die Stellung dieses
Knochens in Mittellage lässt darauf schliessen, dass es
gar keine Berührung mit dem Discus hat.
8) Endlich zeigen noch hinsichtlich des Pisiforme
die vorliegenden Aufnahmen, dass es sowohl in seiner Lage
zum Triquetrum als auch in seinem Abstand von dem Haken
nicht ganz constant ist. Am Triquetrum verschiebt es sich
bei ulnarer Abduction proximalwärts, bei radialer distal-
wärts. Der Abstand vom Haken, welcher in Mittelstellung
9.5 mm beträgt, steigt bei radialer Abduction auf 12 mm
und sinkt bei ulnarer auf 7.5 mm.
Schlussbemerkung. — Ich gebe die vorstehenden An-
gaben, obwohl ich weiss, dass in den geschilderten Be-
wegungen individuelle Verschiedenheiten vorkommen,
und trotz der Gefahr von Täuschungen, welche iu dem
Wesen der Eöntgen-Aufnahmen liegt. Wenn ich dabei so-
gar Zahlenwerthe vorlege, so rechtfertigt sich dies daraus,
dass ohne solche die Angaben etwas ganz Unbestimmtes
haben, und daraus, dass es sich nicht um absolute, sondern
um relative Werthe handelt, welche die Differenzen
zwischen den drei geschilderten Haltungen der Hand kenn-
zeichnen. Und nun muss, nachdem die „Fehler" der Me-
thode ausdrücklich zugestanden sind, auf der anderen Seite
doch auch die ausserordentliche Förderung unserer Kennt-
nisse durch die Röntgenbilder betont werden. Wir würden,
wenn wir derartig ausgedehnte Verschiebungen am Bänder-
präparat fänden, s. z. s. gar nicht den Muth haben,
an ihrer Realität zu glauben. Ich möchte auf die Garpal-
knochen übertragen, was Poirier von den Metacarpalien
gesagt hat, dass nämlich die Bewegungen am Lebenden
weit bedeutender sind, als man am Leichenpräparat
glauben würde. Die Röntgenbilder unterstützen uns sehr
wesentlich in der Erlangung eines objeetiven That-
bestandes und helfen uns, das richtige Verhältniss
zwischen Beobachtung und Speculation herzustellen.
Während früher in Gelenkfragen die Speculation sich in
Sitzung vom 18. April 1899. 85
den Vordergrund drängte und die Deduction auf mecha-
nischer Grundlage sich überall vorlaut in die Beobachtung
einmischte, hat man allmählich auch hier zu würdigen ge-
lernt, dass es zunächst darauf ankommt, einen objectiven
Thatbestand zu gewinnen und diesen zum Gegenstande
der Analyse zu machen. Röntgenbilder allein sind frei-
lich nicht im Stande, die Aufgaben der Gelenklehre zu
lösen, aber sie bringen uns dem Ziele näher, wenn sie in
geeigneterWeise mit anderen Methoden der Unter-
suchung combinirt werden.
Referierabend am II. April 1899.
Herr 0. Thilo (als Gast) liefert ein Autoreferat über die
Luftsäcke der Kugelfische. (Eine Arbeit, welche dem-
nächst im zool. Anz. erscheinen wird.)
Herr L. J. Brühl über Th. Morgan: A Confirmation of
Spallanzani's Discovery of an Earthworm Regenerating
a Tail in place of a Head. Anat. Anzeiger. Band XV.
21. 1899, p. 407.
Im Austausch wurden erhalten:
Verh. Nat. Ver. Hamburg. 1888. III. Folge VI. Hamburg
1898.
Nat. Ver. Prov. Posen. Zeitschr. Bot. Abt. V. Jahrg.
3. Heft 1899.
Leopoldina, Heft XXXV, No. 3. Halle a. S. 1899.
Natur und Haus. Jahrg. VII. Heft 13. Berlin 1899.
Naturwissenschaftl. Wochenschrift, Bd. XIV, No. 13 — 16.
Berlin 1899.
Geol. Foren. Förh. Bd. 21, H. 3. Stockholm 1899.
Overs. Vidensk.-Selsk. M^der i 1898. Christiania 1899.
Collett. R. On a Second. Collection of Birds from Tongoa.
— Christiania Vidensk.-Selsk. Forh. 1898. No. 6.
Christiania 1898.
Soc. Hist. Natur. Toulouse. XXXII. 1898. Toulouse 1899.
gß GesellscJuift naturforschender Freunde, Berlin.
Rendic. Accad. Sei. Fis. Matern. Anno XXXVIII. Fase. 2
e 3. Napoli 1899.
Indice Alfabet. Opere. 1898. p. 49—80.
Bollet. Pubbl. Ital. 1899, Num. 318 e. 319.
Proc. Zool. Soc. London. 1898. Part IV. London 1899.
Proc. Cambridge Phil. Soc, Vol. X. P. I. Cambridge 1899.
Böckh u. Gesell. Angabe der Lagerstätten von Edelmetallen,
Erzen, Eisensteinen der Länder der Ungarisch.
Krone. 1898. (2 Karten.)
Anz. Ak. Wiss. Krakau. 1899. No. 2.
Mem. de l'Acad. Imp. Sei. St. Petersbourg. Serie VIII.
Tome VI. No. 11 et Tome VII No. 1. St. Peters-
bourg 1898.
Anuual. Rep. Smith. Inst. July 1896. Washington 1898.
Kansas Univ. Quarterly. Vol. VII. No. 4. October 1898.
Bull. Mus. Comp. Zool. Harv. Coli. Vol. XXXII. No. 9.
Cambridge. U. S. A. 1899.
Wieonsin Geol. Nat. Hist. Surv. Bull. No. 1. Econ. Ser.
No. 1. a. Bull. No. 2. Sei. Ser. No. 1. 1898.
Proc. Am. Acad. Arts a. Sei. Vol. XXXIV. No. 2-5.
Nov.— Dec. 1898.
Rev. Mus. Paul. Vol. III. S. Paulo. 1898.
Bolet. Mensual Observ. Meteor. Centr. Mexico. Novembre
1898. Mexico. 1898.
Ost-Asien. No. 13. Jahrg. II. April 1899. Berlin 1899.
Als Geschenk wurde dankbar entgegengenommen:
Collett. R. On a Second Collection of Birds from Tongoa.
Christiania. (Seqarat aus: Christiania Vidensk.-Selsk.
Forh. 1898. No. 6. Christiania 1898.)
J. F. Starcke, Berlin W.
Nr. 5. 1899.
Sitzungs-Bericht
der
Gesellschaft naturforschender Freunde
zu Berlin
vom 16. Mai 1899
Vorsitzender i. V. : Herr F. E. Schulze.
Herr Philippi sprach über einige Fehlerquellen auf
dem Gebiete der phylogenetischen Erkenntniss.
Das biogenetische Grundgesetz, welches besagt, dass
das Individuum im Laufe seiner ontogenetischen Entwicklung
die Phylogenese des gesatnmten Stammes von der Urzelle
an wiederholt, ist ein Pfeiler unserer Wissenschaft, an dem
heute wohl kein ernster Forscher zu rütteln wagt. Nimmt
man dieses biogenetische Grundgesetz als Voraussetzung an,
so darf man erwarten, dass die phylogenetischen Resultate,
die die Embryologie liefert, sich mit denen im Allgemeinen
decken, welche der Palaeontologie zu entnehmen sind. Dies
ist jedoch öfters durchaus nicht der Fall.
Man hat vielfach der Palaeontologie allein die Haupt-
schuld daran zugewiesen, hat die Lückenhaftigkeit des pa-
laeontologischen Materials betont, welche die Sicherheit der
phylogenetischen Schlüsse beeinträchtigen müsse u. A. m.
Sicher liegt darin viel wahres. Allein auch die Embryologie
besitzt ihre Fehlerquellen und die Schlüsse, die aus der
Ontogenie auf die Phylogenie gezogen werden, bedürfen
dringend der Controlle durch die Palaeontologie. In der
Entwicklung des Individuums sind zweierlei Erscheinungen
scharf von einander zu trennen, die palingenetischen und
cänogenetischen, wie sie Häckel genannt hat. Palingenetisch
ist alles das, was in dem unendlich langen Laufe der
38 Gesellschaft natur/'urschender Freunde, Berlin.
Stammesgeschichte erworben und vererbt wurde; die palin-
genetischen Erscheinungen stellen also eine, allerdings oft
verstümmelte und verkürzte Phylogenese dar. Cänogenetisch
ist dagegen, was ad hoc, für das Bedürfniss des Embryos
oder der Larve erworben wurde, was unter Umständen für
das erwachsene Thier völlig zwecklos ist. Cänogenetisch
ist auch, wie Gegenbauk geistvoll ausführt, die Abkürzung
der Phylogenese, wie sie in fast allen Ontogenien zu beob-
achten ist.
Es liegt auf der Hand, dass eine scharfe Grenze zwischen
palingenetischen und cänogenetischen Factoren nicht existiren
kann, denn auch die letzteren sind doch schliesslich in den
weitaus meisten Fällen vererbt, wenn auch nicht so lange
wie die ersteren. Es dürfte daher eine Trennung der palin-
genetischen und cänogenetischen Erscheinungen in der Onto-
genie in vielen Fällen auf grosse Schwierigkeiten stossen;
da aber für die Phylogenese nur die palingenetischen Fac-
toren in Frage kommen, so gelangt man notwendiger Weise
zu falschen Schlüssen, wenn es nicht gelingt, diese von den
cänogenetischen zu trennen.
Die Fehlerquelle, die sich für phylogenetische Specu-
lationen aus der Lückenhaftigkeit des palaeontologisch über-
lieferten Materiales ergiebt, wird vielfach sehr überschätzt.
Nach meinem Dafürhalten sind die grössten Irrthümer,
welchen Palaeontologen auf dem Gebiete der Phylogenie
anheimgefallen sind, durch Convergenzerscheinungen ver-
ursacht worden. Als Convergenz kann man ganz allgemein
die Aehnlichkeit bezeichnen, die in verschiedenen Stämmen.
Ordnungen, Gattungen oder Arten durch Anpassung an gleiche,
äussere Verhältnisse, gleiche Lebensweise etc. hervorgerufen
wird. Durch diese Anpassung werden Ichthyosaurus und
Delphin fischähnlich, erhalten die luftbewohnenden Reptilien,
Vögel und Säugethiere gewisse gemeinschaftliche Züge,
werden Blindschleichen und Schlangen einander ähnlich,
zeigen die Beutelthiere je nach ihrer Lebensweise bald ein
Carnivoren-, bald ein Herbivoren-Gebiss. Wo solche Con-
vergenzerscheinungen zwischen verschiedenen Stämmen
oder Ordnungen, wie etwa zwischen Säugethieren und Rep-
Sitzung vom IG. Mai 1899. 89
tilien bestehen, ist es nicht schwer auf ihre Spur zu kommen
und sind phylogenetische Irrthümer, bei einigermaassen
nüchterner Betrachtungsweise, wohl ausgeschlossen. Sehr
viel schwieriger liegt der Fall, wenn Convergenz inner-
halb derselben Ordnung oder Familie auftritt, was natur-
gemäss noch häufiger vorkommt, als der erste Fall. Frech
hat das durch Convergenz verursachte, fast gesetzmässige
Wiederkehren bestimmter Formen in verschiedenen Gruppen
speciell bei der Zweischalerfamilie der Aviculiden beobachtet
und dafür den Ausdruck „Isodimorphismus0 aus der Kristallo-
graphie entlehnt. „Ein derartiges Wiederkehren derselben
Formen in verschiedenen systematischen Gruppen kommt
häutiger vor und ist wohl dadurch zu erklären, dass die
gleichen physikalischen Verhältnisse auch den gleichen Ein-
fluss auf die äussere Gestalt ausüben." Beispiele für diese
Erscheinung sind zahlreich; so tritt z. B. die MyMlus-Form
auch bei Myalina, Myoconcha und Mysidioptera auf, die mit
den Mytiliden nicht verwandt sind; möglicher Weise ist
auch Drcisscnsia nur eine durch Convergenz Mytilus ähnlich
gewordene Form, aber kein echter Mytilide.
Einen besonderen und oft schwer zu constatirenden Fall
von Convergenz beschreibt Koken unter der Bezeichnung:
„Iterative Artbildung". Es ist dabei anzunehmen, dass der
Hauptstamm persistirt und von Zeit zu Zeit Seitenzweige
aussendet, welche einander zwar sehr ähnlich sind, aber in
keinerlei directer Verbindung untereinander stehen. Schöne
Beispiele für iterative Artbildung bieten u. A. auch die Pec-
tiniden; der 7o?a-Typus, mit vertiefter Unterschale und flacher
Oberschale, tritt einmal im Lias, das zweite Mal in der
Kreide uud das dritte Mal im Tertiär auf. Zwischen Lias
und Kreide und Kreide bis Oligocän klaffen riesige Lücken,
aus denen uns von Vola keine Spur bekannt geworden ist.
Die drei Vola- Typen sind trotz der Uebereinstimmung in
einem Merkmal nicht miteinander direct verwandt, sondern
entstehen getrennt voneinander aus dem persistierenden Stamm
der normalen Pectiniden.
Diese letzte Art von Convergenz ist naturgemäss noch
90 Gesellschaft natur forschend er Freunde, Berlin.
schwerer als andere festzustellen, weil die einander ähnlich
werdenden Formen, da demselben Hauptstamme entsprungen,
von vornherein schon viele gemeinschaftlichen Eigenschaften
besessen haben.
Nur die sorgfältigste Durcharbeitung grosser Materialien
kann davor schützen. Convergenzerscheinungen für wirkliche
phylogenetische Beziehungen anzusehen und auf diesem Wege
eine unsagbare Verwirrung in die Stammesgeschichte hinein-
zutragen.
Herr Hans Virchow sprach über Röntgen-Aufnahnien
der Hand (2. Mittheilung).
Anschliessend an meinen April-Vortrag komme ich auf
die Röntgen-Aufnahmen der Hand zurück, indem ich erstens
analysirende Zeichnungen der drei damals vorgelegten
Flächenbilder und zweitens Randbilder der gleichen Hand
vorlege, welche ich wieder der Liebenswürdigkeit des Herrn
Stabsarztes Lambertz verdanke.
Ich bespreche zunächst die analytischen Zeich-
nungen, welche die Fläch enbil der bei Mittel haltung.
ulnarer und radialer Abduction, wiedergeben. Sie sind in
der Weise gewonnen, dass ich nach einem von mir seit
Jahren viel angewendeten Verfahren auf Salzpapiercopien
zeichnete, die Photographien auswusch und die Contureu
sorgfältig noch einmal durchging. Das letztere geschah im
vorliegenden Falle unter Controle von „Gefrierskeleten" der
Hand (Vergi. Verhandl. d. Berl. anthropol. Gesellsch.,
Sitzung vom 13. Mai 1899). Die Knochen wurden dann,
um die Uebersichtlichkeit zu erhöhen, mit verschiedeneu
Farben getuscht. Bei dieser genauen Durcharbeitung und
Controle haben sich noch zwei wichtige Punkte aufgeklärt,
welche mir das letzte Mal nicht recht deutlich waren:
Erstens ist an dem x-Bilde der ulnar abducirten Hand das
Triquetrum an seiner distal ulnaren Ecke in partieller
Deckung mit dem Hamatum; dies erklärt sich aus der
dorsal-flexorischen Bewegung, welche bei dieser Haltung
der genannte Knochen ausführt. Die «deiche Flexions-
Sitzung vom 16. Mai 1899. 91
bewegung war in meinem vorigen Vortrage vom Naviculare
schon hervorgehoben und dort auch bemerkt, dass das
Lunatum sich daran zu betheiligen scheine. Das letztere
ist mir nunmehr auch deutlicher geworden. Am Lunatum
erscheint nämlich im x-Bilde ausser dem dunklen viereckigen
proximalen Abschnitt, welcher dem Körper und dem dor-
salen Hörn entspricht, ein blasse]- abgerundeter distaler Ab-
schnitt; dieser wird durch das volare Hörn bedingt, und
aus dem Umstände, dass er sich bei ulnarer Abduction ver-
längert, kann man auf die Drehung des Knochens im
flexorischen Sinne schliessen. Zweitens befindet sich, gleich-
falls bei ulnarer Abduction. das Multangulum minus in
sehr ausgedehnter Deckung mit dem Multangulum majus
und in partieller mit dem Capitatum. Dies erklärt sich
aus der bei ulnarer Abduction eintretenden pronatorischen
Bewegung innerhalb der distalen Carpalreihe, durch welche
der Abstand der radial-distalen Ecke des Multangulum majus
vom Rande des Hakens um 3,5 mm gegenüber der Haltung
in Mittellage verkleinert wird.
Wir finden hiermit also die beiden Mitbewegungen
ausgesprochen, welche bei reiner Abduction zwrangsmässig
eintreten: fiexorische Bewegung im proximalen Gelenk und
rotatorische Bewegung in der distalen Reihe, von denen ich
versucht habe die letztere auf Grund von Gefrierskeleten
bestimmter zu charakterisiren (Vortrag in der anthropol.
Gesellschaft).
Die seitliche Verschiebung selber, bez. Drehung um
dorsovolare Achsen, vollzieht sich in beiden Gelenken,
jedoch nicht gleichmässig. Soweit sich aus den vorliegenden
x-Bildern ersehen lässt, ist am proximalen Gelenk die
Verschiebung- des Lunatum aus Mittellage bei der radialen
Abduction fast Null, bei der ulnaren Abduction 8 mm; da-
gegen am distalen Gelenk die Verschiebung des Capitatum
bei der ulnaren Abduction nur 3 mm, bei der radialen Ab-
duction 7 mm.
Bei dem genauen Nachzeichnen der Knochen trat mir
noch immer eindringlicher entgegen, wie sehr man sich vor-
sehen muss, die Weite der Spalten an x-Bildern für den
92 Gesellschaft naturfwschender Freunde, Berlin.
Ausdruck der wirklichen, theils durch Knorpel, theils durch
Lücken bedingten Abstände zu halten. Ich will damit nicht
sagen, dass nicht eine Anzahl von Spalten die wirkliche
Weite wiedergiebt. aber dies ist mit Sicherheit immer nur
dann zu entscheiden, wenn man das geeignete anatomische
Präparat daneben hat. In anderen Fällen fehlen die Spalten
auf den Bildern gänzlich, wo sie in Wirklichkeit vorhanden
sind. So findet sich z. B. an den vorliegenden Bildern bei
Mittelhaltung und bei radialer Abduction das Capitatum und
Ilamatum nicht nur in Contact, sondern sogar in theilweiser
Deckung, während an dem dritten Bilde zwischen beiden
ein offener Spalt erscheint; aber dies erklärt sich nicht
etwa so, dass das eine Mal ein Spalt da ist, das andere
Mal nicht, sondern so, dass das eine Mal die beiden Knochen
so stehen, dass der Spalt senkrecht zur Platte gerichtet ist,
das andere Mal so, dass der Spalt eine schiefe Lage hat.
Ich gehe nun zu den Seitenbildern über.
Au den Flächenbildern war meine Aufmerksamkeit be-
sonders durch die fl ex oris che Drehung des Nävi ciliare
erregt worden, welche sich dort nur als Verlängerung und
Verkürzung des Knochenbildes bemerkbar machen konnte;
und so entstand naturgemäss der Wunsch, diese Stellungs-
änderung an seitlichen Aufnahmen zu demonstriren und
womöglich die Lage der Achse für diese Bewegung festzu-
stellen. Zu diesem Zwecke wurde die Hand vom ulnaren
Rande her durchstrahlt, um von der radialen Seite der-
selben scharfe Bilder zu erhalten.
Bei seitlichen Aufnahmen der Handwurzel sind nun
aber so schwierig zu deutende Bilder zu erwarten, dass
man sich geradezu durch eine vorausgehende Ueberlegung
auf ihre Analyse vorbereiten muss. Dies that ich. indem
ich die geschilderten Flächenbilder benutzte und von einem
Punkte, welcher den strahlenden Punkt der Röhre ver-
treten sollte, Linien tangential an die Knochen legte, deren
gegenseitige Lage festgestellt werden sollte. Ich machte in
dieser Weise zwei Constructionen, bei deren einer der senk-
recht zur Platte gehende Strahl („Achsenstrahl") die Spitzen
beider Processus styloidei tangirte („ Griffelf ortsatz - Orien-
Sitzung vom 10. Mai 1899. 93
tirung"), bei deren anderer der Achsenstrahl die Mitten der
Basen des V. und II. Metaearpale traf („Mittelhand-Orien-
tirüng"). Als Abstand war dabei 30 cm von der Mitte der
Handwurzel gewählt.
Es hätte keinen Zweck, hier ohne die Figuren das Er-
gebuiss dieser Constructionen eingehend zu schildern. Es
sei nur erwähnt, dass bei Gritfeifortsatz - Orientirung das
distale Eude des Hamatum während der radialen Abduction
auf die II. Phalanx des Daumens projicirt wird, dass bei
Mittelhand-Orientirüng derProcessus styloideusulnae während
der radialen Abduction 40 mm oberhalb des Proc. styl, radii
auf die laterale Seite des Radius projicirt wird; und dass
bei ulnarwärts abducirter Hand das eine Mal (Griffelfortsatz-
Orientirung) das distale Ende des Hamatum, das andere
Mal (Mittelhand-Orientirüng) die Spitze des Proc. styl, ulnae
auf die Articulatio carpo-metac. I fällt. Bei derartig ver-
zerrten Bildern, welche sich überdies bei einem gering-
fügigen Wechsel in der Stellung der Röhre erheblich ändern,
würde es eine schlecht angebrachte Mühe sein, aus den
Aufnahmen die geuaue Lage der Knochen ablesen zu wollen,
selbst wenn alle Knochengrenzen klar und scharf wären,
was an meinen Bildern keineswegs eintraf. Vielmehr wird
man von vornherein nur darauf ausgehen können, über
einige Punkte Aufklärung zu suchen, namentlich über das
gegenseitige Verhältniss solcher Knochenpartien, welche
in den gleichen proximo-distalen Ebenen liegen.
Nach dieser Vorbereitung ging ich an die Betrachtung
der x- Aufnahmen heran, und fand dieselben allerdings in
einem Maasse schwierig zu deuten, dass selbst ein anatomisch
geschulter Beobachter damit geraume Zeit zu thun hat.
Glücklicherweise war der Punkt, auf welchen es in erster
Linie ankam, nämlich die Stellung des Naviculare, bei
allen drei Haltungen mit vollkommener Sicherheit festzu-
stellen. Eine deutliche Anschauung liess sich nur mit Hülfe
analytischer Zeichnungen unter Anwendung verschiedener
Farben herstellen; und bei der Deutung fand ich durch die
Gefrierskelete wesentliche Unterstützung.
Ich schildere nun die einzelnen Knochen, soweit sie
94 Gesellschaft naturforschender Freunde, Berlin.
erkennbar waren und für den Zusammenhang in Betracht
kommen, der Reihe nach, wobei immer im Auge zu behalten
ist, dass die radiale Seite der Platte zugewendet war.
1. Der Processus styloi'des radii erscheint unter
sehr verschiedener Gestalt, der wechselnden Neigung gegen
die Platte entsprechend; bei ulnarer Abdnction ist er kurz
und stumpf und reicht nur wenig in das Naviculare hinein,
bei radialer Abduction dagegen ist er lang und spitz und
dringt bis in den Kopf des Capitatum vor.
2. Die Ulna endigt bei ulnarer Abduction in geringer.
bei radialer Abduction in weiter Entferung oberhalb des
Processus styloi'des radii. Wichtiger ist. dass sie bei ulnarer
Abduction vorn, bei radialer hinten den Radius überragt;
dies ist eine Folge der in meinem vorigen Vortrage er-
wähnten „ compensirenden" Pronation und Supi-
nation.
3. Um die Lage des Naviculare zu bestimmen, ver-
band ich zwei Punkte des Knochens, das untere Ende der
Tuberositas und eine bestimmte Stelle der proximalen Ge-
lenkfläche, durch eine Linie („Kahnbein -Durchmesser"),
welche den längsten Durchmesser des Knochens wiedergab.
Um einen noch genaueren Ausdruck zu linden, wurde eine
zweite Linie, diesmal von der Spitze des Processus styloi'des
radii zur Mitte der Basis des Metacarp. II gezogen und der
Winkel bestimmt, den beide Linien mit einander bildeten.
Dieser Winkel betrug bei radialer Abduction 90°, bei
ulnarer Abduction 45" und bei Mittelhaltung genau das
Mittel von beiden, 67,5". Die Eleganz dieser Zahlen ist
natürlich nur eine zufällige, denn es würde nur einer etwas
veränderten Stellung der Röhre oder eines geringen Plus
oder Minus von Abduction bedürfen, um das Ergebniss zu
ändern. Aber wenn auch diese Winkelbestimmung keinen
absuluten Werth hat, so ist doch das erwartete Resultat
erreicht, nämlich zu zeigen, doch bei ulnarer Abduction eine
dorsalflexorische und bei radialer Abduction eine volar-
flexorische Mitbewegung des Naviculare stattfindet.
Diese Bewegung lässt sich übrigens an der lebenden
Hand mit vollkommener Schärfe seilen: bringt man die
Sitzung vom 10. Mai 1S99. 95
Hand abwechselnd in radiale und ulnare Abduction. so sieht
man bei ersterer dis Tuberositas des Kahnbeines sich nach
der volaren Seite vordrängen, bei ulnarer Abduction zurück-
weichen.
4. Am Lunatum lässt sich die gleiche flexorische Be-
wegung constatiren; allerdings war an den vorliegenden
Bildern die dorsale Kante des Knochens nicht deutlich er-
kennbar, wohl aber die volare, was für die Feststellung
der Lageändernng genügt; speciell tritt bei ulnarer Ab-
duction diese Kante vor den Hals des Capitatum bis dicht
an den volaren Wulst, welcher zur Befestigung der vo-
laren Kahnbein-Bänder dient.
5. Vom Triquetrum ist nichts zu bemerken.
6. Von den Multangula ist zwar einiges festzustellen,
jedoch nicht soviel, um ein sicheres Urtheil über die Lage
dieser Knochen zu gewinnen; speciell lässt sich bei keiner
der drei Ansichten die Grenze des Multangulum majus und
minus auffinden.
Die Bilder des radialen Randes haben, wie aus dem
Mitgetheilten hervorgeht, gezeigt, was von ihnen erwartet
wurde, nämlich die flexorische Bewegung der proxi-
malen Carpalreihe.
Stellt man zusammen, was man an Randbildern und
Flächenbildern und an der lebenden Hand erkennen kann,
so ergiebt sich, dass die Bewegung, welche wir als reine
Seitenbewegung der Hand bezeichnen, verbunden ist
sowohl mit flexorischen wie mit rotatorischen Mitbe-
wegungen. Man könnte glauben, dass es sich herbei um
Nebeneffecte handelt, welche durch die Zugrichtung der
Muskeln hervorgerufen werden, unter deren Herrschaft die
seitlichen Bewegungen stehen. Indessen die Gefrierskelete
belehren uns, dass dies nicht der Fall ist, denn sie lassen
genau die gleichen Mitbewegungen «-kennen und beweisen
dadurch, dass es sich um mechanische Verhältnisse im
Skelet handelt. Diese Erfahrung enthält die Aufforderung
zu einem sehr eingehenden Studium der Gelenke. Da aber,
wie ich an anderer Stelle ausgeführt habe, der Contact der
Knochenflächen bei gewissen Stellungen theil weise aufge-
Q6 Gesellschaft natur forschender Freunde, Berlin.
geben wird, so ist es nicht wahrscheinlich, dass wir
aus der Form der Knochen allein den Mechanismus
der Gelenkbewegungen erklären können. Wir werden sicher
auch den Bändern einen wichtigen Einfluss zuzuschreiben
haben und werden uns dazu entschliessen müssen, die
Bänder genauer als in der bisher meist üblichen schema-
tischen Weise zu schildern.
Herr H. Potonie sprach zur fossilen Flora Ost-
Afrikas. In Vervollständigung der p. 27/28 des vor-
liegenden Bandes gemachten Angabe über das Vorkommen
von Glossopteris in Deutsch- und Portugiesisch -Ost- Afrika
das Folgende.
Es lassen sich jetzt in Portugiesisch und Deutsch-Ost-
Afrika 3 pflanzenpalaeontologische Horizonte unterscheiden,
von denen der älteste der südlichst gelegene ist und dem
oberen productiven Carbon angehört. Es ist das der von
Zeiller beschriebene Pflanzenfund bei Tete am Zambesi
mit einer Florula von etwa 1 Dutzend Arten, die sämmt-
lich aus dem oberen productiven Carbon Europas bekannt
sind. Der darauf folgende Horizont gehört der Glossopteris-
Facies an und ist nördlich von dem erstgenannten ent-
wickelt, nämlich am Ludyende und in dem Revier des
nördlichen Nyassa. Wiederum nördlich von diesem in den
Verbreitungsgebieten der Formation am Rufiyi, Ruvu und
Tanga-Muoa — die ich zusammennehme, da sie nach An-
gabe des Herrn Berg -Assessor Bornhardt petrographisch
übereinstimmen ein 3. Horizont, der wegen des Vor-
kommens von Volhüopsis Pot. (vergl. über diese neue Gattung
mein Lehrbuch der Pflanzenpalaeontologie, 4. (Schluss-)
Lieferung, Berlin 1899. oder meine in dem Buch des
Herrn Bornitardt „Zur Oberflächengestaltung und Geo-
logie Deutsch-Ost-Afrifras", Berlin 1899, erscheinende ein-
gehende Abhandlung „Fossile Pflanzen aus Deutsch- und
Portugiesisch-Ost-Afrika") bei Tanga als der jüngste anzu-
nehmen ist. Südlich des Zambesi tritt dann in Transvaal
wiederum Glossopteris- Facies auf (vergl. II. Potonie in
Schmeisser: Ueber das Vorkommen und Gewinnung der
Sitzung vom 16. Mai 1899.
97
nutzbaren Mineralien in der Südafrikanischen Republik,
Berlin 1894, p. 67, Anmerkung).
Uebersichtlich würden wir also haben:
Süden Norden
Transvaal:
Glossopte-
ris-F&cies
= Permo-
Trias.
Tete am Zambesi:
Oberes
p r o d u c t i v e s
Carbon.
Norden von Portu-
giesisch- und Süden
von Deutsch-Ost-
Afrika:
Glossopteris-
Facies = Permo-
Trias.
Nord-Osten
von Deutsch-
Ost- Afrika:
Rhät- Jura.
Glossopteris
Browniana
ScMzonewa?
Pecopteris arbores-
cens
Pecopteris unita u. a.
Callvpt&ridium pteri-
diuin
Älethopteris Grandini
Sphenophyllum oblon-
(jifolium
SphenophyUum majus
Annülaria stellata
Calamitcs cruciatus
Cordaites barassi-
folius
Glossopteris indiea
(incl. Vertebraria)
Schizoneuira?
Voltziopsis
(Sprosse von
Brachy-
phyllum-
Typus und
Voltzieen-
Zapfen-
Schuppen).
Referierabend am 9. Mai 1899.
Herr R. Heymons über Janet: Etudes sur les Fourniies,
les Guepes et les Abeilles. Note 17. Paris 1898.
Herr R. Koikwitz über Georg Klebs: Ueber den Gene-
rationswechsel der Thallophyten. Biol. Centralblatt.
Bd. XIX. No. 7. 1899.
Herr L. Kny über Seh aar: Ueber den Bau des Thallus
von Rafflesia Rochussenii. Sitzungsber. Wiener Akad.
Wiss.; Bd. 107. 1898.
Herr K. Möbius über G. W. und E. G. P eck harn: On the
instinets and habits of solitary wasps. Wisconsin
geolog. and nat. survey; Bullet. 2. 1899.
Herr L J. Brühl über Max Schottelius: Ueber die Be-
deutung der Därmbakterien für die Ernährung. Arch.
für Hyg.. 34. 3. 1899.
98 Gesellschaft naturforschender Freunde, Berlin.
Im Austausch wurden erhalten:
Berl. Entom. Zeitschrift. Bd. 43. Heft 3 u. 4. (1898.)
Berlin 1899.
Mitth. Zool. Stat. Neapel. Bd. 13. Heft 4. Berlin 1899.
Naturwissenschaftl. Wochenschrift, Bd. XIV, No. 17—20.
Berlin 1899.
Mittheil, deutsch. Seefischerei - Ver. Bd. XV. No. 4.
April 1899.
Verh. naturh. Ver. preuss. Rheinl., Westf. u. Reg.-Bez. Osna-
brück. Jahrg. 55; 1 u. 2. Hälfte; Bonn 1898.
Sitzungsber. uiederrhein. Ges. Natur- u. Heilkunde. 1. u.
2. Hälfte. Bonn 1898.
Abhandl. naturwissenschaftl. Ver. Bremen. Bd. XVI. Heft 1.
Bremen 1898.
75. Jahres-Ber. Schles. Ges. vaterl. Cultur. Breslau 1898.
Schrift, phys.-ökon. Ges. Königsberg i. Pr. 39. Jahrg.
1898. Königsberg i. Pr. 1898.
Leopoldina, Heft XXXV, No. 4. Halle a. S. 1899.
Vierteljahrsschr. naturf. Ges. Zürich. 43. Jahrg. 1898.
Heft 4. Zürich 1899.
Annalen k. k. naturh. Hofmus. Bd. XIII. No. 2 — 3.
Wien 1898.
Jahrbuch naturhist. Landes-Mus. Kärnten. Heft 25.
Naturhist. Landes-Mus. Kärnten. Diagramme magnet.
meteorol. Beob. Klagenfurt. 1898. Dec. 1897 bis
Nov. 1898.
Jahresber. Kgl. Ung. geol. Anst. für 1897. Budapest 1899.
Publ. Kgl. Ung. geol. Anst. Lagerstätten von Edelmetallen.
Erzen, Eisensteinen, Mineralkohlen, Steinsalz u. a.
nutzbr. Mineralien. Budapest 1898.
Anz. Ak. Wiss. Krakau. 1899. März. Krakau 1899.
Bull. Soc. Imp. Naturalistes Moscou. 1898. No. 2 — 3.
Moscou 1898.
Atti Soc. Ligust. Vol. X, Anno X; N. 1. Genova 1899.
Journ. Royal Microsc. Soc. 1899. Part. 2. London.
Mem. Proc. Manchester Literary & Phil. Soc. 1898 — 99.
Vol. 43. Part. 1. Manchester.
J. F. Btwcke, Berlin W.
Nr. 6. 1899.
Sitzungs-Bericht
der
Gesellschaft naturforschender Freunde
zu Berlin
vom 20. Juni 1899.
Vorsitzender: Herr A. Nehring.
Herr A. Nehring sprach über neue Funde diluvialer
Thierreste von Pössneck in Thüringen.
Nachdem ich bereits 1889 im Neuen Jahrbuche für
Mineralogie etc., Bd. I, S. 205 — 214, eine Mittheilung über
„diluviale Wirbelthiere von Pössneck in Thüringen" ver-
öffentlicht habe, bin ich heute in der Lage, über neue Funde
aus der Umgegend derselben Stadt berichten zu können.
Die betreffenden Objecte sind kürzlich von Herrn Hermann
Quantz, Lehrer der Naturwissenschaften an der Realschule
zu Pössneck, gesammelt und mir in mehreren Sendungen
zugesandt worden. Dieselben stammen fast sämmtlich (mit
Ausnahme von zwei Stücken) aus einem Gypsbruche, welcher
westlich von Pössneck zwischen den Dörfern Oepitz und
Krölpa gelegen ist und den Herren Conta und Böhme ge-
hört; die 1889 von mir besprochenen Sachen stammten da-
gegen vom Abhänge der südlich von Pössneck gelegenen,
felsigen Anhöhe, der sog. Altenburg. Die in dem Conta -
sehen Gypsbruche vorhandenen diluvialen Massen zeigen
oach der durch eine Skizze verdeutlichten, brieflichen Be-
schreibung des Herrn Quantz eine ziemlich unregelmässige
Art der Lagerung, auf die ich hier aber nicht näher eingehe.
Ich begnüge mich damit, vorläufig eine kurze Aufzählung der
von mir untersuchten und bestimmten Wirbelthier-Reste zu
liefern, indem ich mir eine genauere Beschreibung für später
vorbehalte.
6
100 GeseUscfaift naturforschmder Freunde, Berlin.
Die von Herrn Quantz übersandten Wirbelthier-
Reste aus dem CoNTA'schen Gypsbruche gehören zu
folgenden Arten:
1. Hyaenaspelaea (1 Humerus, lCalcaneus, 1 Phalanx).
2. Rhinoceros tichorhinus (1 unterer Backenzahn,
zu einer Unterkieferhälfte gehörig, welche Herr Quantz
besitzt, und 1 wohlerhaltener Epistropheus).
3. Bison europaeus $ (8 Wirbel, Phalanx I, II
und III, sowie 1 Astragalus von einem erwachsenen, 1 Unter-
kieferpartie mit den Milchbackenzähnen von einem sehr
jungen Individuum).
4. Cervus tarandus (2 Stirnbeine mit aufsitzenden,
sicher bestimmbaren Geweihtheilen).
5. Cervus maral foss. (1 rechter Oberkiefer mit allen
6 Backenzähnen und 1 Halswirbel).
6. Sus scrofa ferus (1 juvenile Unterkieferhälfte
nebst zahlreichen Beinknochen und Wirbeln desselben
Individuums).
7. Spermophilus rufescens (1 Oberkieferpartie mit
den Alveolen der ausgefallenen 5 Backenzähne).
8. Alactaga saliens foss. (mittlerer Theil einer Unter-
kieferhälfte mit den Alveolen der ausgefallenen 3 Backen-
zähne und dem wohlerhaltenen Proc. coronoideus, ferner
1 unterer Nagezahn).
drei noch nicht hinreichend sicher
bestimmte Arten, vertreten dureh
Unterkiefer, Oberschädeltheile und
Beinknochen.
12. Mus sp., nahe verwandt mit Mus sylvaticus (ein
lädirter Oberschädel, mehrere Unterkieferhälften).
13. Eliomys sp., und zwar entweder E. nitela oder
E. dryas (2 Unterkieferhälften mit den leeren Alveolen der
ausgefallenen 4 Backenzähne).
14. Sorex sp. (Oberkiefer etc.).
15. Grocidura sp. (1 Unterkiefer).
16. Avium complures species parvae (schwer be-
stimmbare, kleine Vogelreste).
9.
A
rvicc
la
sp.
10.
)7
sp.
11.
!)
sp.
Sitzung Vom 20. Juni 1899. 101
17. Eine Schlangen-Species (Oberkieferstück, zahl-
reiche Wirbel).
18. Eine Kröteu-Species (mehrere Beinknochen).
Die oben aufgezählten Objecte zeigen meistens eine
hellgelbe oder weissliche Farbe1), im Gegensatz zu den
Fossilresten, welche ich in den diluvialen Ablagerungen der
Gypsbrüche von Thiede bei Braunschweig und von Wester-
egeln unweit Magdeburg gefunden habe; letztere Fossilreste
sehen durchweg schwarz, schwarzmarmorirt oder braun aus.
Ich bemerke noch, dass Herr Quantz die Güte gehabt
hat, der mir unterstellten zoologischen Sammlung der Kgl.
Landwirthschaftl. Hochschule einen wesentlichen Theil
der oben aufgeführten Objecte zu schenken. Ausserdem
erwähne ich, dass zwei Schädel von Hyaena spelaea und ein
Oberschädel von Rhinoceros tichorhinus aus dem Comta-
schen Gypsbrüche vor einigen Monaten in den Besitz der
Königl. Geologischen Landesanstalt hierselbst ge-
kommen sind.
Herr A. Nehring sprach ferner über einen Ovibos-
und einen Sa«>a-Schädel aus Westpreussen.
Diese höchst interessanten Fossilien sind kürzlich in
den Besitz des Westpreussischen Provinzial-Museums zu
Danzig gekommen und von der Direktion desselben mir zur
genaueren Beschreibung übersandt. Der Ovibos- Schädel
stammt aus einer Kiesablagerung bei Schönau im Kreise
Seh wetz, der #a^a-Schädel aus einer sandig-lehmigen Schicht
einer Ziegelei-Grube der Umgegend von Kulm. Beide Ob-
jecte sollen demnächst in einer palaeontologischen Zeitschrift
unter Beifügung von Abbildungen genauer beschrieben
werden.
') Ob diese Fossilien alle genau das gleiche geologische Alter
haben, d. h. genau dem gleichen Abschnitte der Diluvial- oder Pleistocän-
Periode entstammen, muss ich dahingestellt sein lassen, da ich die
Fundverhältnisse nicht aus eigener Anschauung kenne.
102 Gesellschaft naturforschender Freunde, Berlin.
Herr W. Weltner demonstrirte Epidermiswucherungen
eines Wales, hervorgerufen durch Cirripedien (Co-
•vonula).
Die zoologische Sammlung des Museums für Natur-
kunde besitzt mehrere grosse mit Goronula diadema (L.) be-
setzte Hautstücke von Megaptera boops (0. Fabr.) $ . die
bei Vardö im Juli 1890 durch Prof. Matthiessex gesammelt
waren. Die einzelnen Goronula sind bis ß mm tief in die
Haut des Wales eingesenkt, sie durchdringen oft die Epi-
dermis in ihrer ganzen Dicke, aber nicht die dünne Cutis.
Jede Goronula besteht aus sechs äusserst fest mit einander
verbundenen Schalentheilen , deren jeder drei wie eine
Sensenklinge geformte Kammern besitzt. In diese Hohl-
räume wuchert die Epidermis des Wales hinein, nachdem
sich die junge Coromda-Lavxe auf den Wal festgesetzt und
ihre Schale gebildet hat, cf. Bronn-Gerstaecker, Crustacea,
Bd. 5. p. 560. Dagegen bleiben die sechs zwischen den
Schalentheilen liegenden grossen Hohlräume frei, welche
von den Ovarien und Coeca der Coronida eingenommen
werden. Legt man ein Stück Walhaut mit Coronula in
schwache Salzsäure, so erhält man einen guten Abdruck
der achtzehn sichelförmigen Kammern des Cirripedien, wie
das an dem in dieser Weise hergestellten Präparat zur
Anschauung gebracht war. An Querschnitten durch diese
Abgüsse der Kammern kann mau sich überzeugen, dass nur
die Epidermis an dieser Wucherung theilgenommen hat.
Eine Abbildung eines Längsschnittes durch ein Stück Wal-
haut mit diesen Epidermiswucherungen findet sich in
Darwins Balanidenmonographie , PL 15, m Fig. 4, uud im
Bronn-Gerstaecker, 1. c, Taf. 3a.
Der Vortragende zeigte ferner Hautstücke desselben
Wales mit den für diese Art charakteristischen Hautknollen
vor, aus deren Mitte man bei mehreren ein oder zwei Haare
hervorragen sieht. Eschricht (1849, p. 159) hat deshalb
diese warzenförmigen Beulen Haarhöcker genannt (s. auch
Kükenthal, vergl. anat. u. entwickel. Unters, an Walthieren.
Jena 1889, p. 14). Eschricht giebt p. 147 das Nähere
über die Stellung dieser Höcker bei den Buckelwalen an.
Zu pap. 102.
CO s
tri Ci
3 c~
n:
Zu pag. 102.
/ "*> I
*4S3M^
Oben 2 Coronula diadema auf einem Stück Haut von JMegaptera
hoops. Die kleinere der beiden Coronula ist an der Spitze abgerieben,
so dass die Enden der Hohlräume der Schale zu Tage treten.
Vergröss. Vi-
Unten ein anderes Hautstück desselben Wales, auf dem 2 Coro-
nula diadema sassen, nach Behandlung mit Salzsäure. Die Schalen
der Coronula sind aufgelöst und die Epidermiswucherungen der Wal-
haut, welche sich in die 18 Hohlräume der Coronula erstrecken, als
grosse, sichelförmige Hörner stehen geblieben. Vergröss. l/\.
Sitzung vom 20. Juni 1899. 103
Die von ihm gesehenen Hautknollen hatten etwa einen Zoll
im Durchmesser (also etwa 2]/2 cm), während die mir vor-
liegenden Beulen grösser sind (bis zu 8 cm basalen Durch-
messer bei einer Höhe von 4 cm). Vielfach sitzen auf diesen
Knollen kleine Coronida. Meine zuerst gehegte Vermuthung,
dass diese Beulen in sich abgestorbenene Coronula be-
herbergten, erwies sich als irrig. Eine Abbildung des
Durchschnittes einer solchen Haarknolle und eine bildliche
Darstellung der oben besprochenen epidermoidalen Wuche-
rungen werde ich der nächsten Nummer dieses Blattes
beigeben.
Derselbe zeigte einige photographische Aufnahmen
von Korallenriffen der Tonga- und Viti-Inseln vor,
die Herr Dr. Benedict Friedländer auf seiner Reise nach
Polynesien 1897—98 angefertigt hatte.
Die einzelnen Bilder waren bei verschiedenem Stande
der Ebbe aufgenommen und zeigten ein abgestorbenes
Riff bei Levuka auf Ovalau (Viti), ferner ein bei massiger
Ebbe photographii'tes Saumriff bei Namena (Viti); an
diesem Bilde liess sich leicht erkennen, wie die ver-
zweigten Stöcke der Gattungen Stylophora oder Madrcpora
am höchsten gewachsen sind und daher bei der Ebbe zu-
erst aus dem Wasser gerathen. Ein anderes grosses Bild
stellte ein Saumriff der Ostseite der Insel Lifuka (Haapai-
gruppe der Tongainseln) bei tiefster Ebbe (Springebbe)
dar und gab eine vorzügliche Anschauung vom Bau eines
Saum- oder Küstenriffes: man sieht das zum grossen Theil
vom Wasser entblösste Riff, welches hier der Hauptsache
nach aus rasen- und buschförmigen Madrepora- Arten besteht,
welche hier am höchsten wachsen, dazwischen grosse
Flächen Wasser von geringerer und grösserer Tiefe, welche
den Brunnen von Klunzinger entsprechen. Beim Begehen
eines solchen Riffes schreitet man daher beständig von
einem Madreporen- Busch zum anderen und es ist bei der
Gebrechlichkeit gerade dieser Formen nicht ganz leicht,
einen ruhigen Stützpunkt für photographische Aufnahmen
zu finden. Nach dem Meere zu steigt das Riff etwas an,
(04 Gesellschaft naturforschender Freunde, Berlin.
dicht vor dem Abfall des Riffes in die Tiefe zeigt sich
ein deutlicher Wall, der dadurch zu Stande kommt, dass
die Korallen in der Brandungszone am besten gedeihen.
Hier an dieser Riffkante und dicht vor derselben (vom
Lande aus gesehen) liegen grosse, zum Theil abgeriebene
Korallenblöcke, welche von der Wucht der Braudung auf
das Riff geworfen werden.
Die übrigen Bilder betrafen stereoskopische Aufnahmen
desselben Riffes an der Ostseite der Insel oder dem Liku
der Eingeborenen. Es ist dies die Seite, wo der frische
Wind weht, wo die Braudung bis nahe an den Strand geht
und wo entferntere Barriere -Riffe nicht vorhanden sind.
Chamisso übersetzt dieses Liku in seiner Idylle aus dem
Tonganischen mit den Worten „äusserer Strand". Eine
gleichfalls für die Betrachtung mit dem Stereoskop herge-
stellte Photographie gab die Brandung am Riff bei Houma
(Toga Tapu, in den Atlanten Tongatabu geschrieben) wieder,
besonders interessant waren hier die Spritzlöcher und die
Beckenbildung an der Kante des Riffes.
Für die Ueberlassung der Bilder und deren Erläute-
rungen spreche ich Herrn Dr. Fmedländer meinen besten
Dank aus.
Herr F. E. Schulze legte ein Stück von einem circa
4 cm dicken Aal vor, welcher bei Koepenick gefangen und
durch einen Trichinenschauer ins zoologische Institut ge-
bracht war. Die Rumpfmuskulatur des Thieres war reich
durchsetzt von 4—6 mm breiten, flachen Cysten, in welchen
sich je ein aufgerollter Nematode befand. Diese durch ihre
rosenrothe Färbung auffallenden Parasiten, welche für junge
Aalegehalten wordeu waren, hatten sich bei der Untersuchung
als in verschiedenen Entwickelungsstadien befindliche Exem-
plare von Filaria quadrituberculata Leidy herausgestellt.
Referierabend am 13. Juni 1899.
Herr F. E. Schulze: Ueber seine eigene Arbeit „Amerikanische
Hexactinelliden". 2 Bände; ein Band Text und ein
Atlas in folio; bei Gustav Fischer in Jena.
Sitzung cum 20, Juni 1899. 105
Im Austausch wurden erhalten:
Zool. Acclim. Soc. Victoria. — Ann. Rep. 35.
Journ. Asiat. Soc. Bengal. Vol. LXVII. Part. II. No. 1
u. 2. 1898. Calcutta 1898.
Journ. Asiat. Soc. Bengal. Vol. LXVII. Part. III. No. 2.
1898. Calcutta 1898.
Proc. Amer. Acad. Arts a. Sciences. Vol. XXXIV. No. 6
bis 14. Dec. 1898 bis Febr. 1899.
Proc. Canad. Inst. New Series. No. 7. Vol. 2. Part. 1.
Toronto 1899.
Proc. California Acad. Sei. 3. Ser. Zoology. Vol.I. No.6— 10.
Mein. Rev. Soc. Cientif. „Antonio Alzate". Tomo XII.
(1898—99). No. 1, 2. 3. Mexico 1898.
Bolet. Mens. Observ. Meteorol. Centr. Mexiko. — Mes de
Diciembre 1898. Mexico 1899.
Sitzungsber. kgl. Ak. Wiss. Berlin 1899. I -XXII.
Abhandl. kgl. Ak. Wiss. Berlin 1898.
Veröffentl. kgl. preuss. Geodät. Inst. L. Haasemann. Be-
stimmung der Intensität der Schwerkraft. Berlin 1899.
Mittheil, deutsch. Seefischerei- Ver. Bd. XV. No. 5 u. 6.
Mai u. Juni. Berlin 1899.
Naturwissenschaftl. Wochenschrift, Bd. XIV, No. 21—23, 25.
Leopoldina. Heft XXXV, No. 5. Halle a. S. Mai 1899.
Sitzungsber. physik. -med. Soc. Erlangen. Heft 30. 1898.
Erlangen 1899.
Vierteljahrschr. Naturf. Ges. Zürich. Jahrg. 1899. Heft 1 u. 2.
XVI. Bericht meteorol. Comm. naturf. Ver. Brunn. Brunn 1898.
Verh. naturf. Ver. Brunn. Bd. XXXVI. 1897. Brunn 1898.
Proc. Royal Phys. Soc. Session 1897—98. Edinburgh 1899.
Mem. Proc. Manchester Literary & Phil. Soc. 1898 — 99.
Vol. 43. Part. II— III. Manchester 1899.
Bull. Soc. Sei. Nat. Tome 8. 3 et 4. 1898. Nantes.
Ann. Soc. d'Agr. Sei. et Industr. Lyon. Serie VII, Tome V,
1897. Lyon, Paris 1898.
Verh. Russ.-Kais. Miner. Ges. St. Petersburg. Serie II.
Bd. 36, Liefer. I, 1899.
Ann. Mus. zool. de l'Acad. Imp. Sei. St. Petersbourg 1898.
No. 3—4.
106 Gesellschaft naturforschender Freunde, Berlin.
Bull. Soc. Imp. Natural istes Moscou. Armee 1898. No. 4.
Moscou 1899.
Anzeig. Akad. Wiss. Krakau, 1899, April. Krakau 1899.
Sitzungsber. Naturf.-Ges. Jurgeff (Dorpat). Bd. XII, Heft 1,
1898. Jurgeff (Dorpat) 1899.
Naturforscher- Ver. Riga. G. Schweder IL Die Bodentempera-
turen bei Riga. Riga 1899.
Botanisk Tidsskr. Bd. 22, Heft 2. Kjobenhavn 1899.
Geol. För. Stockholm Förh. Bd. 21, H. 4. Stockholm 1899.
Bergens Mus. Hjort, Nordgaard, Gran, Report on Norw.
Marine Investigat. 1895—97. Bergen 1899.
Bollet.Pubbl.Ital. 1899, Num. 321— 323. Firenze-Milanol899.
Bellet. Mus. Zool. Anatom, comp. Torino. Vol. XIV.
No. 335-353.
Atti Soc. Toscana Sei. Nat. Vol. XI. Adunanza del di
20 nov. 98; 19 marz., 7 magg.. 29 genn. 99.
Rendic. Accad. Sei. Fis. Matern. Ser. 3, Vol. V. Anno 38.
Fase. 4. Aprile 1899. Napoli 1899.
Atti Reale Aecad. Sei. Fis. Matern. Ser.II. Vol. IX. Napoli 1899.
United States Geol. Survey. Eighteenth Annual Rep. 1896—97.
PartV. Washington 1897. Part V(continued). Washington
1897. Part IL Washington 1898.
Proceed. Unit. States Nation. Mus. Vol. XVIII. 1895.
Washington 1896. — Vol. XX. Washington 1898.
Annual Rep. Smithson. Inst. Rep. U. S. Mus. Washington 1898.
Annual Rep. Smithson. Inst. Washington 1898.
Yearbook U. S. Dep. Agric. 1898. Washington 1899.
Bullet. Unit. Stat. Nat. Mus. No. 47. Part, II a. III.
Washington 1898.
Proceed. Acad. Nat. Sei. Philadelphia 1898. Part III;
Sept.— Dec. Philadelphia 1899.
Bull. Illinois State Labor. Nat. Hist. Urbana (Illinois).
Vol. IV. Article I— XV. 1892—97. Springfleld 1898.
Vol. V. Article I— VIII. Urbana (111.) 1897—99.
Sixteenth Annual Rep. Publ. Mus. Milwaukee. Sept. 1897
bis August 1898. Milwaukee Octob. 1898.
J. F. SUicke, Btriiu \V.
Nr. 7. 1899.
Sitzungs-Bericht
der
Gesellschaft naturforschender Freunde
zu Berlin
vom 18. Juli 1
Vorsitzender: Herr Kny.
Herr A. Nehring sprach über eine Nesokia-Art aus
der Oase Merw und .eine solche aus dem Lande Moab.
Die Ratten der Gattimg Nesohia sind äusserlich den
Ratten der Gattung Mus ziemlich ähnlich, weichen aber im
Bau des Gebisses und des Schädels, sowie auch in der
Lebensweise recht bedeutend von den letzteren ab. Im
Gebiss ist charakteristisch die relativ grosse Breite der
Nagezähne und die Zusammensetzung der Backenzähne aus
parallelen Querlamellen, indem m 1 sup. und m 1 inf. aus
je drei, die anderen Molaren (m 2 und m 3 sup. et inf.) aus
je zwei Querlamellen bestehen. Der Schädel ist relativ
breiter als bei Mus, und an dem sehr kräftig entwickelten
Unterkiefer tritt in der Nähe des Gelenkfortsatzes (Proc.
condyl.) ein auffallend starker, kolbiger Fortsatz aus der
äusseren Kieferwand hervor, ähnlich wie bei den Arten der
Gattungen Spalax, Alactaga und Dipits. Dieser Fortsatz
enthält die Pulpa des Nagezahns.
Das Haupt Verbreitungsgebiet der Gattung Nesohia findet
sich in Südost -Asien, doch erstrecken sich ihre Vorposten
bis zum Lob-Noor, bis Turkestan, Transkaspien, Persien.
Arabien und Palästina. Aus letzterem Lande, und zwar
aus der Gegend von Safje, südöstlich vom Todten Meere,
habe ich 1897 in No. 547 des „Zoolog. Anzeigers" eine
neue Art unter dem Namen Nesohia Bacheri beschrie-
108
Gesellschaft natwrforschender Freunde, Berlin.
bell '). Inzwischen habe ich zehn Exemplare der Gattung
Nesokia aus dem nördlich von Safje am Ostufer des Todten
Meeres gelegenen Lande Moab und ein Exemplar der-
selben Gattung aus der Oase Merw (Transkaspien) für die
mir unterstellte Sammlung, in Alcohol conservirt, erhalten
und erlaube ich mir, hier einige .Mittheilungen darüber zu
machen.
1. Nesokia Huttoni, var. Satunini, v. nov., von Merw.
Dieses Exemplar wurde im Juni 1897 durch K. Satunin
(aus Tiflis) gesammelt. Es ist ein ausgewachsenes Weibchen
mittleren Alters, mit 8 schwach entwickelten Mammae
(1 pectoral, 4 inguinal), auffallend klein, mit etwas schief ab-
gewetzten Nagezähnen, von Satunin als „NesoMa Huttoni?"1
bezeichnet. Ich habe den Schädel herauspräparirt und gebe
hier eine Abbildung desselben, zusammengestellt mit einer
solchen des Schädels einer Nesokia Bachcri Nhrg.
Fig. 1. Nesokia Huttoni, var. Fig. 2. Nesokia Bacheri Nhrg.
Satwnini, var. nov., , ad.vonMerw. 9 ad. von Safje.
Schädel in nat. Gr., von oben gesehen. Schädel in nat. Gr., von oben gesehen.
Gezeichnet von Dr. G. Enderi.ein. Gezeichnet von Dr. P. Schiemenz.
M Vergleiche meine Berichtigung über den Fundort in No. 556 des
„Zoolog. Anzeigers", Jahrg. 1898. Safje ist eine Stadt, im Südosten
des Todten Meeres, nichl ein Hügelzug, wie ich zunächst auf Grund
irrthüralicher Mittheilungen angegeben hatte.
Sitzung vom 18. Juli ISO!). 109
Aus der Beschaffenheit der Backenzähne, der stark
entwickelten, verticalen Crista der Hinterhauptschuppe und
der fast völligen Verwachsung der Sutura spheno-basilaris
ergiebt sich, dass das Exemplar von Merw ein mittleres
Lebensalter erreicht hat und als ausgewachsen betrachtet
werden darf. Trotzdem zeigt dasselbe eine zwerghafte
Grösse, es ist noch kleiner als N Böügeri Walter. Von
N. Iluttoni weicht es in der Form des Proc. coronoideus
und in der Lage des oben erwähnten kolbigen Fortsatzes
ab. Der Proc. coronoideus ist auffallend klein und niedrig,
wie ich ihn noch bei keiner Nesohia gefunden habe. Der
genannte kolbige Fortsatz der Nagezahnalveole liegt etwas
mehr nach vorn, als bei N Huttoni, doch nicht so weit vor-
wärts, wie bei N. Böttyeri. Von letzterer Art weicht vorliegen-
des Exemplar auch noch ab durch eine andere (dreieckige)
Form des Foramen magnum occip.1). sowie durch die nicht
gespaltene Form des hinteren äusseren Tuberkels der Sohle
des Vorderfusses. Ferner sind die Nasenbeine vorn quer
abgestutzt, und das Foram. mandibulare ist schlitzförmig
gestaltet, nicht rundlich wie bei N Böttgeri; das Inter-
parietale bildet ein niedriges, gleichschenkliges Dreieck.
Die Kauflächen der oberen Backenzahnreihen sind auffallend
nach aussen gerichtet.
In der Färbung des Haarkleides ähnelt die Nesohia von
Merw der von Blanfokd (Eastern Persia, II, Taf. VI) ab-
gebildeten N Iluttoni, scheint aber am Rücken etwas blasser
und am Bauche mehr weisslich zu sein. -— Auf Grund der
oben erwähnten Abweichungen trenne ich die Nesohia aus
der Oase Merw als „var. Satunini" von der geographisch
und morphologisch nahestehenden N. Iluttoni ab.
Dimensionen: Kopf und Rumpf bis zur Schwanz-
wurzel 153, Schwanzlänge 1022), Ohrlänge 13. Ohrbreite 11,
2) Vergl. Radde und Walter, Die Säugethiere Transkaspiens,
in den „Zoolog. Jahrb.", Bd. IV, 1889, S. 1038 und Taf. 28.
2) Ich bemerke noch, dass der Schwanz fast nackt erscheint; nur
mit der Lupe erkennt man feine, vereinzelte Härchen, ähnlich wie es
Walter für N. Böttgeri angiebt. Bei letzterer Art beträgt aber die
Schwanzlänge nur 4G mm.
7*
HO Gesellschaft naturforschender Freunde, Berlin.
Länge der Hand ca. 20, des Hinterfusses 33 inm. Die Füsse
sind relativ schmal und zierlich, im Gegensatz zu den meist
sehr plumpen Füssen der N. Bacheri.
Schädel: Basilarlänge 33.5, Totallänge incl. der Con-
dyli oeeip. 38,3, Jochbogenbreite 24. „Condylarlänge" des
Unterkiefers 25, Länge der oberen Backenzahnreihe an den
Alveolen 8 mm, quere Breite der beiden oberen Nagezähne
nahe der Schneide 4 mm.
Ein von Walter (a. a. 0., S. 1035) erwähntes, relativ
starkes i\re5o/^'a-Männchen x), welches am 20. April 1887 im
Murgab-Thale, ca. 4 Kilometer unterhalb Tachtabasar, also
ziemlich weit oberhalb von Merw erbeutet wurde, wird von
Walter nebst 5 Exemplaren aus Askhabad zu Nesokia
Huttom gerechnet. Der Schädel des erstgenannten Exem-
plars aus dem Murgab-Thale scheint nicht untersucht worden
zu sein; es wäre interessant, festzustellen, ob dasselbe mit
der „var. Satunini" im Schädelbau übereinstimmt. Da die
Oase Merw vom Murgab durchflössen wird und daher mit
der Gegend von Tachtabasar direct zusammenhängt, so ist
dieses trotz des Grössenunterschiedes der beiden Individuen
nicht unwahrscheinlich. Die in Askhabad von Radde und
Walter gesammelten Exemplare mögen zu der eigentlichen
N. Huttoni gehören.
2. Nesokia Bacheri Nhrg., zehn Exemplare aus
dem Lande Moab, 7 erwachsene und 3 jüngere. Diese
stimmen mit denjenigen Exemplaren, welche ich 1897 im
„Zoolog. Anzeiger", No. 547, S. 503—505, besprochen habe,
im Allgemeinen überein; doch lassen einige derselben den
von mir beschriebenen weissen Brustfleck vermissen, und
ausserdem erscheinen die meisten der Moabitischen Exem-
plare ein wenig kurz- oder breitköpfiger, als die von Safje.
Offenbar handelt es sich um die gleiche Species, aber der
weisse Brustfleck darf nun nicht mehr als sicheres speci-
iisches Merkmal der Nesokia Bacheri betrachtet werden.
Immerhin fehlt er nur bei 4 von den vorliegenden 10 Exein-
l) Körperläuge (d. h. Kopf und Rumpf ohne Schwanz) 180,
^rliwanzlänge 120 mm.
Sitzung Vom 18. Juli 1800. Hl
plaren; bei dreien ist er relativ klein. Die Hauptfärbung des
Haarkleides erscheint bei N Bacheri im Alcohol fast schwarz,
sowohl am Rücken, als auch am Bauche, sehr abweichend von
der oben besprochenen NesoJcia von Merw, welche auch im
Alcohol ihre oben röthliche, unten weissliche Haarfarbe gut
erkennen lässt. Ueber das Aussehen der N Bacheri im
trockenen Zustande siehe „Zoolog. Anzeiger", a. a. 0.,
S. 503 f.
Schädeldimensionen eines mittelalten Weibchens aus
dem Lande Moab, dessen Backenzähne noch wenig abge-
nutzt sind: Basilarläuge 41,5, Totallänge (incl. Condylen) 47,
Jochbogenbreite 31, Länge der Foramina incisiva 5,5,
Länge der oberen Backenzahnreihe an den Alveolen 10,
Breite der oberen Nagezähne nahe der Schneide 5,3 mm.
Ueber die Wurzelbildung der Backenzähne von
N. Bacheri bemerke ich noch Folgendes: in 1 sup. hat sechs
Wurzeln, und zwar eine starke Vorderwurzel, drei Mittel-
wurzeln, von denen die beiden äusseren sehr zierlich sind,
und zwei Hintervvurzeln, von denen die äussere eine ge-
wisse Theilung in zwei Aeste erkennen lässt. m 2 sup. hat
vier Wurzeln: zwei Vorder- und zwei Hinterwurzeln; m 3 sup.
hat drei Wurzeln: zwei Vorder- und eine Hinterwurzel.
Im Unterkiefer zeigt m 1 fünf Wurzeln, nämlich eine starke
Vorderwurzel, eine starke, breite Hinterwurzel und drei
zierliche Mittelwurzeln, von denen die mittelste die kleinste
ist. m 2 inf. hat drei Wurzeln: zwei Vorder- und eine
breite Hinterwurzel; m 3 inf. ebenso, doch die beiden
Vorderwurzeln nicht völlig getrennt. Man darf annehmen,
dass alle NesoJcia- Arten die gleiche Wurzelbildung der
Molaren zeigen werden.
Diese Wurzelbildung, namentlich die grosse Zahl der
Wurzeln an m 1 sup. und m 1 inf., steht in einem deutlichen
Contrast zu der sehr einfachen Bildung der Zahnkronen.
Vermuthlich haben die fossilen Vorfahren der heutigen
NesoJcia- Arten vielhöckerige Molaren gehabt, an denen
jedem Kronenhöcker ein Wurzelast entsprach, ungefähr
so. wie wir es noch heute bei Mus äecumamis und Ver-
wandten finden.
\\2 Gesellschaft naturforscfiender Freunde, Berlin.
Herr Franz ElLHARD SCHULZE sprach über Hyalonema
affine W. Marshall.
Als Max Schültze im Jahre 18G0 seine bekannten
Untersuchungen über einige aus Japan stammenden Hya-
lonemen des Leidener Museums veröffentlichte, x) erwähnte
er bei der Aufzählung und kurzen Charakteristik der ihm
zu Gebote stehenden Exemplare neben mehreren zweifellos
zu Hyalonema sieboldi Gray gehörigen, mehr oder minder
gut erhaltenen Stücken auch (1. c. p. 9) als Exemplar No. 6
seiner Abtheilung A einen „kleinen, unregelmässig konischen
Schwamm von 2 Zoll 4 Linien Länge und sehr dichtem
Gefüge, ohne die scharf umschriebenen runden Löcher der
Oberfläche, wie die grösseren Exemplare [H. sieboldi Gray]
sie besitzen. Vielleicht ist der Schwamm auf der Ober-
fläche etwas abgerieben, jedenfalls aber am unteren Ende
verletzt. Hier ragt der Kieselfadenstrang mit sehr feinen
Nadeln frei hervor. Länge der letzteren 1 Fuss 4 Zoll,
Dicke 17s— 2 Linien."
An demselben Materiale des Leidener Museums hat
später W. Marshall seine „Untersuchungen an Hexacti-
nelliden"2) angestellt. Er sagt 1. c, p. 224: „Für die
Untersuchung von Sieboldii lag das ganze Material des
Leidener Reichsmuseums vor, also so ziemlich dasselbe, das
Schültze benutzt hat; affine ist eine als neu aufgestellte
Art in einem Exemplare untersucht, und zwar ist dies das-
jenige, das Schültze unter der Abtheilung A als Exem-
plar b3) seines Materiales anführt", und ferner 1. c. p. 234:
„Hyalonema affine ist, wenn nicht, wie ich glaube, eine eigene
Art, so doch eine ganz besonders wohlcharakterisirte Va-
rietät von Sieboldii. Der 47 cm lange Schopf ist nur 8 mm
breit, wrährend der Schwammkörper 9 cm lang ist; andere
Exemplare [H sieboldi] haben bei ungefähr gleich langem
1) M. Schültze, Die Hyaloneuien. 4. 1860.
2) Zeitschr. f. wissensch. Zool. , Bd. XXV, Supplement Is7.">,
p. 142—243.
3) Leider liegt hier ein Druckfehler vor, da M. SCHDLTZE unter
seiner Abtheilung A 7 Exemplare unter den Ziffern .1 — 7 aufgeführt
hat. Es soll wohl 6 heissen.
Sitzung tiovi t8. Mi 1899. H;{
Axenstrange, der aber immer breiter ist, viel ansehnlicheren
Sehwammkörper; so misst derselbe bei dem von Schdltze
auf Taf. I abgebildeten Exemplare 13 cm. während der
Wurzelschopf 48 cm lang und 1,5 cm breit ist. Grösseres
Gewicht möchte ich aber darauf legen, dass bei affine das
Dermalskelet. das zwar abgestossen ist. aber nicht in dem
Grade, wie Schultze es beschreibt, sehr eigentümliche
Verhältnisse aufweist. Vom unteren Theile des Schwamm-
körpers, von der Stelle, wo der Axenstrang eintritt, ent-
springen nämlich 0,5 mm breite zahlreiche Längszüge, die
sich vielfach theilen und mit benachbarten anastomosiren,
wobei sie successive schmäler werden. Diese Längszüge,
die ich bei keinem anderen Exemplare von Hyalonema ge-
sehen habe, obgleich ich eine nicht unbeträchtliche Zahl in
verschiedenen Graden der Erhaltung vor mir hatte, setzen
sich aus einaxigen. aber beträchtlich langen (8 cm), elasti-
schen Nadeln zusammen. Sie kreuzen sich häufig, und liegt
an der Kreuzungsstelle mit ziemlicher Regelmässigkeit eine
Kreuzuadel von Dimensionen, wie weder ich noch Schultze
sie bei Hyalonema Sieboldü je gefunden haben; ihre Axen-
länge beträgt reichlich 3 mm. Die sich kreuzenden Bündel
folgen der Richtung der Axen. Zwischen diesen Zügen
ist ein weiteres Dermalskelet ausgespannt, das sich von
dem der anderen Exemplare [H. sieboldi] nicht unterscheidet,
ebenso verhalten sich die, allerdings sparsamer vorhandenen
Einströmungsöffnungen , sowie das übrige Gewebe des
Schwammes makro- wie mikroskopisch ganz wie bei Sie-
boldü. jedoch scheint es mir, als ob die abweichenden
Grössenverhältnisse und besonders die eigenthümliche Be-
schaffenheit des Dermalskelets die Aufstellung einer neuen,
wenn auch mit Sieboldü sehr nahe verwandten Art voll-
kommen rechtfertigten." Vielleicht könnte auch noch das
von M. Schultze in seiner oben genannten Arbeit p. 9
und 10 als Exemplar 7 aufgeführte Hyalonema hier in
Betracht kommen, da es möglicherweise ebenfalls zu der
von Marshall H. affine genannten Form gehört. Max
Schultze selbst hatte es, 1. c, p. 9 — 10, folgendermaassen
charakterisirt: ..Exemplar 7 (in meiuem Besitze). Schwamm
111 Gesellschaft nnturf "or sehender Freunde, Berlin.
2 Zoll 2 Linien lang. 10 Linien breit, langestreckt eiförmig,
von (lichtem Gefiige. Die natürliche Oberfläche ist nur zum
Theil erhalten und hier zeigen die Kieselnadeln wieder recht
deutlich die Neigung, sich in rechtwinklig gekreuzte Stränge
zu ordnen. Zwischen ihnen sind nur erst Andeutungen der
späteren regelmässig runden Oeffnungen zu sehen. Der
Kieselfadenstrang erhebt sich auf eine Länge von 1 Fuss
aus dem oberen [soll heissen unteren] Ende des Schwammes,
ist 2 Linien dick und mit einem dem oberen [unteren]
Schwammende sich dicht anschliessenden Polypenüberzuge
versehen, welcher zunächt auf P/s Zoll Länge, dann nach
2 Zoll Unterbrechung wieder auf l1/-? Zoll erhalten ist.
Der Schwamm zeigt innen einige grössere Lakunen. Der
Kieselfadenstrang ist hier zum Theil freigelegt und sieht
man seine allmähliche Verjüngung und seiu letztes aus dem
unten [oben] verletzten Schwämme hervorragendes feinnade-
ligesEnde." Meine Vermuthung, dass dieses letztere Exemplar
ebenfalls nicht zu It. sieboldi, sondern zu //. affine Marshall
gehört, stützt sich besonders auf die von M. Sciiultze in
der Fig. 4 der Taf. IV seines Buches abgebildete Nadel,
ein stacheliges Oxyhexactin mit stark gekrümmten
Strahlen, welches sich, wie sich später zeigen wird, zwar
sehr reichlich in II. affine, aber gar nicht in 77. sieboldi
vorfindet. Für die Darstellung der einzelnen Nadeln dürfte
aber von M. Schultze gerade das in seinen eigenen Be-
sitz übergegangene und zu seinen nachträglichen Detail-
studien benutzte Exemplar vorwiegend verwandt sein.
Als ich später bei der Durcharbeitung des reichen
Hexactinelliden-Materiales der Challenger-Expedition mehrere
in der Sagami-Bai gedredgte und in Spiritus conservirte
japanische Hyalonemen vorfand, musste natürlich die nahe-
liegende Möglichkeit erwogen werden, ob nicht diese unter
sich ziemlich ähnlichen, aber von dem allbekannten Ihja-
hnema sieboldi ganz beträchtlich verschiedenen Hyalemen
sümmtlich oder theilweise zu Makshall's II. affine ge-
hören könnten.
Ich musste jedoch damals1) von einer Identificirung der
') Challenger-Report, Hexactinellidct, p. 217.
Sitzung vom 18. Mi 1899. 1 15
Species einstweilen absehen, da mir das von Max Schultze
und das von Marshall untersuchte Leidener Original-
Exemplar nicht zugänglich war, und nach den damals vor-
liegenden Beschreibungen allein eine specifische Ueberein-
stimmung sich nicht mit hinlänglicher Sicherheit erschliessen
liess, ja sogar (wie ich auch bereits an dem genannten Orte
ausgeführt habe) unwahrscheinlich genannt werden musste.
Denn einerseits fand sich die von Marshall als für II. affine
besonders charakteristisch hervorgehobenen Eigentümlich-
keit des Dermalskeletes. nämlich die sich vielfach theilenden
und spitzwinklig anastomosirenden. im Ganzen längsgerich-
teten Nadelzüge (von 0,5 mm und darunter Breite), bei den
mir vorliegenden japanischen Hyalonemen nicht immer aus-
geprägt, vielmehr meistens ein Hautbalkennetz mit qua-
dratischen oder doch rechtwinkligen Maschen (wie es von
mir auch auf meiner Tafel XXXVII des Challenger-Report
in Figur 3 abgebildet ist), andererseits vermisste ich in
Maushall' s Charakteristik gerade eine Anzahl von Charak-
teren, welche mir an meinem Materiale besonders auffällig
erscheinen, z. B. die Abwesenheit einer terminalen Sieb-
membran und besonders das reichliche Vorkommen von
intermediären, oxyhexactinen Parenchymalia mit stark ge-
bogenen stacheligen Strahlen, und von etwas kleineren
parenchymalen Oxyhexactinen, deren kräftige gerade Strahlen
mit distal gerichteten, kurzen Seitenstacheln besetzt sind.
Aus diesen Gründen konnte ich mich damals nicht
entschliessen, die mir vorliegenden japanischen Hyalonemen
zu der Species II. affine Marschall zu stellen, sondern zog
es vor, sie mit einem neuen Speciesnamen als Hyalonema
apertum F. E Sch. zu bezeichnen.
Den nämlichen Artnamen Hyalonema apertum wandte
ich l) sodann auch auf ein im Meerbusen von Bengalen bei
den Andamanen gefundenes Hyalonema an. welches mit den
japanischen H. apertum- Stücken der Challenger -Expedition
grosse Uebereinstimmung zeigte und hauptsächlich nur durch
l) Hexactinelliden des indischen Oceanes, I, in den Anhand], der
Königl. preussischen Akad. der Wissensch., 1894, p. 39.
1 1 Ci GeseUscIiaft naturforschender Freunde, Berlin.
ein kräftiger entwickeltes, quadratisches Hautgitternetz von
jenem abwich. Da sich dieser äusserlich allerdings ziemlich auf-
fällige Umstand jedoch leicht auf die hier nur etwas kräftiger
ausgebildeten, makroskleren, peDtactinenJS^po^fermafoazuriick-
führen liess, so schien er mir nicht von solcher Bedeutung
zu sein, um darauf allein einen Artunterschied zu begründen,
da erfahrungsgemäss gerade bei den makroskleren Hexacti-
nelliden-Nadeln die Stärke der Ausbildung bei verschiedenen
Individuen derselben Species oft erheblich variirt.
Mit diesem letzteren, bei den Andamanen in einem
Exemplare gefundenen, indischen Hyalonema stimmten
übrigens andererseits wieder eine Anzahl kleinerer Hyalo-
nema desselben Fundortes bis auf massige Grössendifferenzen
einer microscleren Nadelform, nämlich der dermalen Pinule,
so auffällig und wesentlich überein. dass mir schon da-
mals ihre Zugehörigkeit zur Species Hyalonema qpertum sehr
wohl möglich erschien, und ich ihnen nur deshalb einen
besonderen Namen. Hyalonema maehrcnthali F. E. Seil., gab,
weil ich die ausgesprochene Grössendifferenz mikro sklerer
Nadelformen für ein specifisches Merkmal hielt und annahm,
dass die dermalen Pinule schwerlich bei jungen Exemplaren
länger sein könnten als bei älteren derselben Art, eine
Annahme, welche ich jetzt nicht mehr als zwingend an-
erkennen kann.
Unter diesen Umständen beschloss ich eine möglichst
gründliche Revision des gesammten, mir jetzt noch zu-
gängigen älteren Materiales hierher gehöriger Hyalonemen
vorzunehmen, wobei es natürlich von besonderer Wichtigkeit
sein musste, auch jenes Original-Exemplar des Leidener Mu-
seums vergleichen zu können, welches einst von W. Marshall
untersucht und als Hyalonema affine benannt war. Ich wandte
mich deshalb an den Director des Leidener Reichsmuseum.
Herrn Dr. Jextixk. welcher die Güte hatte, mir auf ineine
Bitte jenes werthvolle Original leihweise zu überlassen und
dessen Untersuchung zu gestatten. Ausserdem konnte ich
durch die Bereitwilligkeit meines hiesigen Kollegen, des
Herrn Geh. Rath Moebius, mehrere theils im Spiritus auf-
Sitzung vom 18. Juli 189!). 117
bewahrte, tlieils trockene Stücke der ganzen Reihe ver-
gleichend studiren, welche in der zoologischen Sammlung
des hiesigen Museums für Naturkunde aufbewahrt werden
und sämmtlich aus Japan stammen, wo sie vor Jahren von
Herrn Prof. Hilgendorf gesammelt sind. Endlich stand
mir noch von dem Challenger-Materiale, welches ich selbst
früher bearbeitet hatte, ein vollständiges Exemplar ähnlich
dem auf Taf. XXXVII in Fig. 1 des Challenger-Report abge-
bildeten Stücke, ferner einige Bruchstücke von Formen wie
sie ebendort in den Figuren 2 und 3 abgebildet sind, und
eine Anzahl mikroskopischer Präparate zu Gebote.
Bei der vergleichenden Betrachtung dieses ganzen Ma-
teriales gehe ich aus von dem trockenen Hyalonema, welches
unter der Bezeichnung Hyalonema affine Marshall im
Leidener Reichsmuseum aufbewahrt wird, und mir jetzt zur
Untersuchung anvertraut ist. Die Frage, ob dies das näm-
liche Stück ist, welches W. Marshall selbst bei der Auf-
stellung seines Speciesbegriffes benutzt hat, glaube ich nach
Berücksichtigung der von diesem Forscher 1. c. angegebenen
Maasse und sonstiger Beschreibung bejahen zu dürfen, ob-
wohl die von Marshall auf 47 cm angegebene Länge des
Nadelschopfes nur unter der Voraussetzung zutrifft, dass
auch der vom Schwammkörper umhüllte Theil desselben
mitgerechnet wird.
Der (wahrscheinlich während des Trocknens) etwas
seitlich zusammengedrückte, 9 cm lange Schwammkörper
zeigt im Gauzen die Gestalt einer Glocke mit schwach aus-
gebogenem Rande. Seine Breite beträgt unten, dicht ober-
halb des flachkelchförmigen Ursprunges etwa 3 cm, nimmt
dann bis zum 4 cm breiten Mitteltheile allmählich zu und
erreicht an dem leicht ausgebogenen, etwas zugeschärften
Rande nahezu 5 cm.
Aus der Mitte der (offenbar beim Trocknen) stark seit-
lich zusammengedrückten und etwas verklebten Kelchöffnung
ragt als oberstes Ende des Wurzelnadelschopfes ein stark
lädirter Centralkonus etwas über die Höhe des Kelchrandes
vor. Unterhalb des Centralkonus gehen von dem derben
Axenstrange einige (wahrscheinlich 4) platte longitudinale
Hg Gesellschaft naturforschender Freunde, Berlin.
Radiärscheidewände ab, welche, mit distaler Verbreiterung
an die Kelchwand sich ansetzend, die Gastralhöhle in vier
weite, oben offene Fächer theilen. in welche dann die ab-
führenden Kanäle des Schwammkörpers mit rundlichen
Oeffnuugen einmünden.
Eine Siebplatte, wie sie sich bei Hyaloncma skboldi und
manchen anderen Hyaloncma- Arten über die Kelchöffnung
quer ausspannt, fehlt hier vollständig.
Von der Palythoa-Kruste, welche den spiralig gedrehten
Basaluadelschopf ursprünglich in einer Ausdehnung von
ca. 19 cm umschlossen hatte, ist jetzt nur noch das oberste
und das unterste Endstück in der Länge von wenigen
Centimetern erhalten.
An der etwas abgeriebenen äusseren Seitenoberfläche
des Schwammkörpers lassen sich die von Marshall als
besonders charakteristisch hervorgehobenen, sich vielfach
theilenden und spitzwinklig anastomosirenden. im Ganzen
längsgerichteten derben Nadel-Balkenzüge leicht wahrnehmen
und sind auch an der hier in natürlicher Grösse autotypisch
reproducirten Photographie des Originales zu erkennen.
Ein diesen derben Nadelsträngen aussen aufliegendes
und zwischen denselben sich ausspannendes zarteres Balken-
netz der Dermalmembran, welches ebenfalls schon von
Marshall beachtet wurde, tritt an allen geschützteren und
deshalb weniger abgeriebenen Stellen der Haut deutlich
hervor. Es bildet ziemlich gleich grosse, ca. 1 — 1,5 min
breite Maschen von viereckiger, häufig sogar annähernd
quadratischer Gestalt und ist durch den dichten Besatz mit
spitzen Dermalpinulen ausgezeichnet.
Die das Stützgerüst des ganzen Körperparenchymes
ausmachenden Principalia bestehen zum grössten Theile aus
1,5 — 2 mm langen, schlanken, geraden oder schwach ge-
bogenen, glatten Oxydiactinen mit einer dem Axenkanal-
kreuze entsprechenden mehr oder minder deutlich erkenn-
baren, schwachen, centralen Anschwellung. Ihre Dicke
variirt zwischen 4 und 20 \l. Zuweilen finden sich in der
Mitte auch 2 oder 4 scharf abgesetzte rundliche Buckel,
welche sich durch das zugehörige Axenkaualkreuz als Reste
Sitzung vom 18. Mi 1899.
119
Hyalonema affine japonicum,
'nach einer Photographie des Originales.
J9Q Gesellschaft naturforschender Freunde, Berlin.
atroph irter Querstrahlen erweisen. Zwischen diesen sich
vorwiegend der Länge nach zu anastomosirenden Strängen
verschiedener (circa 40 ;jl) Dicke aneinanderlagernden
schlanken Amphioxen treten hier und da, besonders aber
unter der äusseren Haut vereinzelt paratangential in ver-
schiedener Richtung gelagerte, schwach gebogene, glatte
Amphioxe von 2,5 — 3 rnra Länge und einem Dickendurch-
messer von 60 \i. und darüber auf. welche einigermaassen
an die gebogenen Nadeln von Ilyalonema toxeres Wyv. Thom-
son erinnern. Im Innern des Schwammkörpers finden sich
ausserdem kräftige, glatte Oxyhexactine mit Strahlen von
1,5—2 mm Länge und 100 — 150 ;x grösster Dicke
Die Richtung der anastomosirenden Stütznadelstränge
ist in der äusseren Kelch wand und in der Nähe des cen-
tralen Haupt-Axenstrauges, wie schon Marshall hervorhob,
vorwiegend longitudinal, dagegen in den die Gastralhöhle
des Kelches theilenden radiären Septen vorwiegend radial.
Als Stützen des ebenfalls von schlanken Amphioxen ge-
bildeten annähernd quadratischen Balkennetzes der Dermal-
membran finden sich in den Netzknoten glatte pentactine
Hypodermalia, deren 100 — 400 ta lange, gleichmässig zu-
gespitzte Radialstrahlen selten über 20 p. stark sind. Ganz
ähnlich sind die pentactinen Hypogastralia. Von den inter-
mediären Parenchymalia kommen wegen ihrer grossen syste-
matischen Wichtigkeit vor allem die zahlreich vorhandenen.
50 — 70 ;j. grossen, mikroskleren Oxyhexactine in Betracht,
deren schlanke Strahlen deutlich hakenförmig gebogen und
mit massig starken Stacheln besetzt sind. Die in der Regel
quer abstehenden Stacheln nehmen nach dem gekrümmten
distalen Strahlenende an Höhe allmählich ab. Daneben
kommen (hier und da sogar ziemlich reichlich) stärkere,
aber nur ca. 40 ja grosse Oxyhexactine vor, deren durchaus
gerade kräftige Strahlen mit distad gerichteten konischen
Stacheln besetzt sind. Ob diese derben kleinen Oxyhex-
actine mit geraden Strahlen wirklich echte Parenchymalia
darstellen oder als Oanalaria kleiner Kanäle aufzufassen
sind, konnte an diesem getrockneten Stücke nicht mit
Sicherheit entschieden werden.
Sitzung vom 18. Juli 1899. 121
Die hier im Ganzen nicht häufigen Macramphidiske
variiren erheblich in Grösse und Form. Während einige
eine Länge von 250 jjl und darüber erreichen und ihre halb-
kugelig gewölbten, mit breiten, schaufeiförmigen Zähnen
versehenen Schirme bis zu 100 jjl breit werden, sind die
meisten nur 120 — 180 \l lang und besitzen viel tiefer ge-
wölbte Schirme von nur 50—60 ja Breite, deren schmale
Zähne zugespitzt sind. Der kräftige Verbindungsstab
zeigt in jedem Falle rundliche Buckel in verschiedener
Zahl, von welchen einige (meistens 4 oder 8) in der Mitte
einen Kranz bilden, die übrigen dagegen unregelmässig
zerstreut stehen. Mi er amp Iridis ke kommen in der ge-
wöhnlichen Form und Grösse (16—20 ,a) in der Dermal-
und Gastralmembran. sowie in der Haut der grösseren
Kanäle reichlich vor. Daneben treten auch hier und dort,
wenngleich im Ganzen nur recht selten, etwas grössere,
den Mesamphidisken zuzurechnende Nadeln von 24 — 40 jj.
Länge auf, welche mit mehr oder minder tief-glockenförmigen
Schirmen versehen sind. Die schmalen, stabfönnigen Zähne
dieser Schirme stehen mit ihren Enden nahezu parallel der
Nadelaxe. Sehr auffällig ist es, dass diese Mesamphidiske
in manchen Partien des Schwammkörpers ganz vermisst
werden.
Die pentactinen Dermalpinule, deren Länge durch-
schnittlich 120 (u beträgt, aber zwischen 100 und 200 jjl
schwankt, haben einen schlanken, in ein spitzes Distalende
ganz allmählich auslaufenden Radialstrahl, dessen schräge
emporstehenden oder schwach aufwärts gebogenen Seiten-
stacheln nur etwa 10 jx laug sind und nach oben zu ganz
allmählich kürzer werden.
Die vier kräftigen basalen Tangentialstrahlen enden mit
konischer Zuspitzung und zeigen kleine, distad gerichtete,
stumpfe Stacheln.
Ganz ähnlich, nur im Allgemeinen etwas kürzer er-
scheinen die Gastralpinule und die mit abnehmender Weite
der Kanäle immer schmächtiger und kürzer werdenden
kanalaren Pinule. bei welchen letzteren indessen die vier
Basalstrahlen an Länue zunehmen.
122 Gesellschaft naturforschender Freunde, Berlin.
Die etwa 200 ja langen, schlanken, diactinen Margi-
nal ia besitzen an ihrem bis zum spitzen Distalende ganz
gleiehmässig verschmälerten, frei vorstehenden, langen Distal-
strahlen zahlreiche, dicht anliegende, kurze Stacheln, während
der kürzere, innere Strahl nur kleine, spitze Erhebungen
aufweist. An dem centralen Knotenpunkte finden sich als
letzte Andeutung der vier atrophirten Querstrahlen vier im
Kreuz gestellte, halbkugelige Buckel mit je einer kleinen
Distalspitze.
Die mit kurzen, kräftigen, konischen Stacheln besetzten
Acanthophoren der basalen Körperhaut bestehen vor-
wiegend aus Stauractinen mit geraden, bald gleich langen,
bald verschieden langen, stumpf endigenden Strahlen.
Die bis zu xfe mm dicken, langen Basalnadeln, welche
in weiten Spiraltouren zum Wurzelschopfe zusammengedreht
sind, zeigen an der Oberfläche ihres freien Theiles in der
Regel die bekannten, in halbkreisförmigen oder unregel-
mässig spiraligen Linien entspringenden, platten, aber spitz
endigenden und dem Nadelkörper ziemlich dicht anliegenden
Stacheln. Manche Wurzelschopfnadeln erscheinen auch ganz
glatt. Anker waren nicht aufzufinden.
Für die Unterscheidung der einzelnen Hyalonema-Sipecies
haben sich nach meinen bisherigen Erfahrungen als besonders
wichtig ausser der Körperform die mikroskleren intermediären
Parenchymalia, die Amphidisken und die autodermalen Pinule
herausgestellt. Es ist demnach für die Charakteristik
von Hyahnema affine Marshall auf folgende Punkte der
obigen Beschreibung besonders Gewicht zu legen. 1) Die
zahlreich vorhandenen intermediären, mikroskleren Parenchy-
malia bestehen aus gleiehmässig vertheilten, 50 — 70 ;a. grossen
Oxyhexactinen mit massig starken, hakenförmig mehr oder
minder stark gebogenen, allmählich spitz auslaufenden Strah-
len, welche deutlich entwickelte, quer abstehende Stacheln
tragen. 2) Von Macramphidisken kommen vereinzelt grössere,
ca. 240 jx lange Exemplare mit 20 jjl und darüber dickem,
halbkugelige Höcker tragendem Axenstabe vor, deren halb-
kugelig gewölbte, ca. 100 4u breite Schirme acht schaufei-
Sitzung vom 18. Juli 1S99. 123
förmige, am freien Ende abgerundete Zähne tragen und ausser-
dem ziemlich häufig etwas kleinere, 140 — 170,u lange, mit ähn-
lichem, aber dünnerem Axenstabe, deren etwas tiefere, mehr
glockenförmig gewölbte Endschirme nur eine Breite von 40 bis
60;ji haben. 3) Neben den in allen Grenzhäuten zahlreich vor-
handenen, 14— 20ja langen Micramphidisken gewöhnlicher Art
mit halbkugeligen Endschirmen kommen hie und da spärlich
oder ganz vereinzelt etwas grössere, bis 36 jj. und darüber
lange Formen vor, deren glockenförmige, über lj% der
Gesammtlänge ausmachende Schirme gerade, parallele Zahn-
enden aufweisen und daher auch vielleicht noch besonders
als Mesainphidisken unterschieden werden können, obwohl sie
sich ziemlich coutinuirlich an die typischen Micramphidisken
anschliessen. 4) Die schlanken, durchschnittlich 120 \i. langen
Dermalpinule haben vier kräftige, am Ende konisch zugespitzte
Basalstrahlen mit distacl gerichteten kleinen Stacheln, wäh-
rend der unten kräftige, nach oben zu allmählich spitz aus-
laufende freie Distalstrahl schräge emporgebogene Seiten-
strahlen von höchstens 10 ;jl Länge aufweist, welche von der
Mitte des Strahles bis zu dessen spitzen Ende allmählich an
Höhe abnehmen. Dazu kommt 5) das von Marshall als be-
sonders charakteristisch hervorgehobene subdermale Maschen- ,
werk von spitzwinklig sich theilenden und reichlich anastomo-
sirenden, longitudinalen Nadelsträngen, und 6) die ebenfalls
unter der Haut gelegenen 2,5— 3.0mm langen, dicken, schwach
gebogenen Oxydiactine.
Um nun die Frage mit Sicherheit beantworten zu können,
ob mit dem so gewonnenen Speciesbegriffe Ilijalonema affine
Marshall jene japanischen Hyalonemen, welche von der
Challenger- Expedition in der Sagami -Bai gesammelt und
von mir im Challenger-Report unter dem Namen Hyahnema
qpertum F. E. Sch. ausführlich beschrieben sind, hinlänglich
übereinstimmen, um in die nämliche Species aufgenommen
werden zu können, habe ich zunächst alles sorgfältig noch
einmal untersucht, was mir noch von dem Chall enget* -Ma-
teriale zur Disposition stand, sodann aber auch das in der
zoologischen Sammlung des hiesigen Museums für Natur-
kunde befindliche, einst von Hilgendorf (ebenfalls in der
1 24 Gesellschaft natiurforschender Freunde in Baiin.
Sagami -Bai) gesammelte Material von drei trockenen und
fünf Spiritusexemplaren wiederholt durchgearbeitet, welche
Stücke früher von mir selbst als Hyalonema apertum F. E. Sch.
bestimmt waren.
Da mir seinerzeit gestattet worden war, aus dem
reichlichen Vorrathe der Challenger-Collection von jenen
japanischen Hyalonemen ein Stück zurückzubehalten, so
begann ich meine Revision zunächst mit diesem, jetzt der
Lehrsammlung des Berliner zoologischen Institutes einver-
leibten Exemplare, welches dem im Challenger- Report,
PL XXXVII, Fig. 1, dargestellten gleicht und durch die
schräge Kelchöffnung, sowie eine verhältnissmässig zarte
Ilautschicht gegenüber den meisten anderen Stücken auffällt.
Auch hier lässt sich das an dem trockenen Hya-
lonema affine- Originale Marshall's so deutliche Netz von
derben, longitudinalen , spitzwinklig verbundenen, sub-
dermalen Nadelzügen erkennen, wenn es auch im Allge-
meinen von dem kleinen und mehr quadratische Maschen
formirenden, zarteren Balkennetze der eigentlichen Dermal-
membran etwas verdeckt wird. Hinsichtlich der Nadeln
kommen keine irgend erheblichen Abweichungen von dem
Leidener Hyalonema affine Marshall's vor, mit einziger
Ausnahme des Umstandes, dass es mir trotz eifrigen Suchens
an Schnitten und. Macerationspräparaten nicht gelang, hier
neben den beiden Macramphidisken- Sorten und den zahl-
losen Micramphidisken gewöhnlicher Form und Grösse auch
noch jene vergrösserten oder zu Mesamphidisken entwickelten
Verwandten der Micramphidiske aufzufinden, welche dort,
wenn auch nur vereinzelt oder in einzelnen Regionen des
Schwammparenchymes, zu sehen waren.
Einige noch mit der äusseren Hautschicht bekleideten
Bruchstücke verschiedener anderer Exemplare des Challenger
Materiales Hessen die quadratische Netzbildung der hier
bedeutend kräftigeren pentactinen Hypodermalia und ihres
Belages von Autodermalpinulen ungefähr ebenso deutlich
erkennen, wie sie auf dem in Fig. 2 der Taf. XXXVII des
Challenger -Reportes zu sehen ist. Die von diesen Bruch-
stücken hergestellten Schnitte und Macerationspräparate so-
Sitzung com 18. Juli 189S. 125
wie eine grosse Zahl noch von meiner ersten Untersuchung
dieser Hyalonemen aufbewahrter mikroskopischer Präparate
lehrten, dass auch hier überall die Spiculation im Wesent-
lichen die nämliche ist bis auf die grösseren pentactinen Hypo-
dermalia. In Betreff der hier besonders eifrig gesuchten
Mesamphidisken ergab sich Folgendes. Bei einigen Stücken
und in manchen Schnittpräparaten konnten sie, wenn auch
stets nur spärlich und in ganz ungleichmässiger Verkeilung,
meistens m der Nähe kleiner Kanäle nachgewiesen werden,
in anderen traten sie nur ganz vereinzelt auf, und in wieder
anderen, sonst in nichts abweichenden Stücken fehlten
sie ganz.
Das nämliche Ergebniss hatte die wiederholt vorge-
nommene Untersuchung der von Hilgendorf in der Sa-
gami-Bai gesammelten Exemplare der zoologischen Samm-
lung des Berliner Museums für Naturkunde. Wäh-
rend sich in einigen dieser fast sämmtlich regelmässig
kelchförmigen Stücke, wie z. B. in den mit No. 533 und 536
bezeichneten Exemplaren, auf Wanddurchschnitten meistens
ziemlich kräftige, seltener schwächere, pentactine Hypo-
dermalia zeigten, und in der Umgebung einzelner enger
Kanäle neben zahlreichen Micramphidisken auch die mehr-
fach erwähnten fraglichen Mesamphidisken in einer Grösse
bis zu 50 \l und darüber vorfanden, konnte ich bei anderen,
sonst wesentlich übereinstimmenden Exemplaren kein der-
artiges Mesamphidisk auffinden. Die pentactinen Hypo-
dermalia erschienen bald zu einem deutlichen Hautgitter
von quadratischem Typus geordnet, bald waren sie weniger
regelmässig gelagert und Hessen dann deutlicher die longi-
tudinalen. subdermalen Nadelzüge durchschimmern.
Nach diesen Erfahrungen kann ich wieder die Schwan-
kungen in der Grösse und Anordnung der pentactinen Hypo-
dermalia, noch den Umstand, ob in einzelnen Theilen des
Schwammkörpers neben den typischen Micramphidisken
auch noch sporadisch oder mehrfach etwas grössere,
den Mesamphidisken zuzurechnende Amphidiske vorkommen
oder fehlen, eine solche Bedeutung beilegen, um danach
allein verschiedene Arten zu unterscheiden, und zwar um
126 Gesellschaft natwrforschender Freunde, Berlin.
so weniger, als mit diesen Differenzen keineswegs ent-
sprechende Unterschiede anderer Art Hand in Hand gehen.
Ich sehe mich daher jetzt genöthigt. alle von mir bisher
als Hyalonema apertum bezeichneten Stücke der Challenger-
Expedition und der Berliner Sammlung zu der von W. Marshall
mit dem Leidener Exemplare begründeten Species Hyalonema
affine Marsh, zu stellen.
Ferner habe ich alles, was mir noch an Notizen und
Präparaten von jenem oben, pag. 116, erwähnten und in
meinem Aufsatze über „Hexactinelliden des indischen Oceans"
als Hyalonema apertum F. E. Sch. beschriebenen1) Stücke
zu Gebote stand, sorgfältig verglichen und bin zu dem Er-
gebnisse gelangt, dass auch dieses mit in den Formenkreis
von Hyalonema affine Marsh, zu ziehen ist. Dafür spricht vor
Allem die weitgehende Uebereinstimmung in der ganzen
Spiculation, speciell aller intermediären parenchymalen Micro -
sclere, der schmächtige Oxyhexactine von ca. 60 jjl mit haken-
förmig (allerdings oft nur schwach) gekrümmten, quere
Stacheln tragenden Strahlen, sowie der mit viel derberen
Strahlen versehene kürzere Oxyhexactine mit distad gerichteten
Stacheln. Neben den in der äusseren Haut ziemlich häufig zu
findendenMacramphidisken, deren kleinere, 100 — 140jx lange,
ziemlich häufig sind und den entsprechenden Formen des
typischen H. affine gleichen, kommen hier in allen Grenz-
häuten zahllose Micramphidiske gewöhnlicher Art von
13—20 \l und an einzelnen Stellen spärlich auch jene
Amphidiske von 20—40 ]x Länge mit parallelen, geraden
Zahnenden der plattenförmigen Schirme, wie ich sie bei
dem Originale und manchen, aber nicht bei allen japanischen
Exemplaren des Hyalonema affine gefunden und als Mes-
amphidiske bezeichnet hatte. Die dermalen Pentactinpinule
sind durchschnittlich 120—150 ,u lang und gleichen durch-
aus denjenigen des Leidener Originales.
Die Gesammtform des Körpers stimmt, wie die Ab-
bildung in meinen „Hexactinelliden des indischen Oceans",
Taf. VIII, Fig. 1, zeigt, zwar im Allgemeinen mit derjenigen
!l Abhandl. der König]. Prcuss. Akad., 1894, pag. 39.
Sitzung vom IS. Juli 189!). 127
mancher japanischen Stücke von Hyalonema affine überein.
zeigt aber einen etwas stärker nach aussen umgeschlagenen
Randtheil als jene. An der äusseren Hautfläche markirt
sich hier sehr deutlich das quadratische Netz der Hypo-
dermalpentactine, welche stärker und grösser sind als bei
irgend einem der japanischen Exemplare. Trotzdem kann
dieser Umstand nicht hinreichen zur Aufstellung einer be-
sonderen Species. da es sich ja nur um Grössendifferenzen
von makroskleren Nadeln handelt, welche bei den Hexacti-
nelliden bekanntlich nicht nur mit zunehmendem Alter
wachsen, sondern auch häufig weitgehende individuelle
Variationen aufweisen, wie dies wohl am besten die
Längen- und Dicken -Unterschiede der Basalnadeln ver-
schiedener Individuen derselben Art beweisen.
Endlich sehe ich mich auch genöthigt, die von mir im
Jahre 1894 als besondere Species unter der Bezeichnung
Hyalonema mährenthali neben //. apertum aufgeführten zwölf
kleinen indischen Hyalonemen als junge Individuen von
Hyalonema affine Marshall anzusprechen. Schon in meiner
ersten Beschreibung dieser vom Investigator in 457 und
485 in Tiefe bei den Andamanen gefundeneu Serie von
20 — 25 mm langen, birnförmigen Schwämmen mit ver-
schieden langem, dünnem Schöpfe habe ich auch die grosse
Aehnlichkeitmit dem grossen, voraussichtlich ausgewachsenen
Hyalonema desselben Fundortes sowohl im Bau wie be-
sonders in der Spiculation hingewiesen und die Möglichkeit
erwogen, ob diese kleineren und offenbar jugendlichen Stücke
nicht etwa Jugendformen von jenem darstellen könnten (1. c,
p. 41-43). Wenn es nun mir damals gerathen erschien, für diese
jungen Hyalonemen trotz ihrer grossen Aehnlichkeit mit dem
älteren ausgewachsenen einstweilen noch einen besonderen
Namen anzuwenden, so wurde ich hierzu hauptsächlich durch
den Umstand bewogen, dass bei ihnen die pentactineu
Dermalpinule länger (über 200 jj.) sind als bei dem grossen
Stücke, dass ferner die grösseren Macramphidiske (von
220 jj. und darüber) sich zahlreich in der Haut finden,
während sie bei dem alten, freilich etwas lädirten Exem-
plare dort vermisst wurden, dass ferner die intermediären oxy-
128 Gesellschaft natwforschender Freunde, ~Berlin.
hexaetinen Parenchymalia mit gebogenen Stachelstrahlen
nicht so häufig vorkommen wie dort, und dass endlich neben
den typischen Micramphidisken von ca. 20 ja Länge ziem-
lich häufig kleine Mesatnphidiske von 30 — 50 jj. Länge zu
finden sind.
Nachdem sich aber jetzt durch meine Untersuchung des
Leidener Original-Exemplares von Hyalonema affine Marsh.
und der zahlreichen Stücke der nämlichen Species. welche
ich ehemals als Hyalonema apertum F. E. Sch. bezeichnet
hatte, gezeigt hat, dass weder die Länge der schmalen,
spitz auslaufenden Dermalpinule, noch die Häutigkeit der
grösseren Macramphidiske in der Dermalmembran, noch die
Menge der parenchymalen Oxyhexactine mit gekrümmten
Stachelstrahlen bei Hyalonema affine beständig ist. sondern
ebenso wie die Grösse und Stärke der hypodermalen Pent-
actine und die davon abhängige Deutlichkeit der quadrati-
schen Maschenbildung des Hautbalkennetzes erheblich variirt,
so muss ich annehmen, dass auch die erwähnten Abweichun-
gen dieser jungen indischen Hyalonemen von dem Leidener
Original-Exemplar des Hyalonema affine theils auf die anders-
artigen localen Bedingungen, theils auf den noch jugend-
lichen Entwickelungszustand zu beziehen sind und eine
Alltrennung derselben als besondere Species nicht recht-
fertigen. Während ich die starke Entwicklung der zum qua-
dratischen Hautnetze sich zusammenlegenden pentactinen
Hypodermalia auf die localen Verhältnisse schiebe, möchte
ich die Länge der besonders schlanken Dermalpinule und die
geringe Zahl der mit gebogenen Stachelstrahlen versehenen
parenchymalen Oxyhexactine auf den Jugendzustand der
Stücke beziehen.
Demnach betrachte ich die im Jahre 1894 von mir als
Hyalonema mährenthali F. E. Sch. bezeichneten kleinen Hya-
lonemen aus der Nähe der Andamanen jetzt als jugendliche
indische Localformen von Hyalonema äff nie Makshall.
Wenn nun auch auf diese Weise eine Anzahl Formen,
welche früher in drei besonderen Arten gruppirt erschienen,
jetzt zu einer einzigen Species vereinigt werden, weil sie
Sitzung vom iS. Juli 1S99. 129
trotz erheblicher Variabilität mancher Nadeln doch sämrnt-
lich durch viele deutlich ausgeprägte, gemeinsame Charak-
tere verbunden sind und sich durch dieselben von allen
übrigen bekannten Hyalonema- Arten unterscheiden, so lässt
sich doch nicht verkennen, dass den aus dem indischen
Gebiete stammenden Exemplaren dieser erweiterten Species
gewisse, wenn auch systematisch minderwerthige Eigen-
thümlichkeiten gemeinsam sind, welche sie leicht von
den ebenfalls unter sich wieder durch besondere Eigen-
schaften verbundenen japanischen unterscheiden lassen.
Zu solchen, die indischen von den japanischen Exemplaren
trennenden Merkmalen, welche zwar nicht die Bedeutung
von Artcharakteren besitzen, aber doch einen gewissen
Gegensatz zwischen beiden Gruppen bedingen, rechne ich
zunächst jene Umbiegung des den Marginalsaum tragenden
Kelchrandes nach aussen, welche bei dem erwachsenen
indischen Hyalonema affine sich deutlich bemerkbar macht
(cf. Taf. VIII, Fig. 1 meiner Hexactinelliden des indischen
Oceanes in den Abhandl. der Königl. Preuss. Akad., 1894)
und auch schon bei den älteren der indischen Jugendformen
sich vorbereitet (1. c. . Taf. VIII. Fig. 11), jedoch in dem
Maasse keinem der japanischen ausgebildeten Stücke zu-
kommt. Ferner zähle ich dazu die bei allen indischen Exem-
plaren deutlich ausgeprägte, bei den japanischen dagegen
nur schwach entwickelte quadratische Hautnetzbildung,
welche, wie schon oben, pag. 127, erwähnt ist, auf der
mehr oder minder kräftigen Entwickelung der Hypodermal-
pentactine beruht. Auf Grund dieser mehr graduellen als
principiellen Gegensätze, welche zum Theil nur durch einen
einfachen Wachsthumsunterschied gewisser makrosklerer
Nadeln bedingt sind, scheint mir eine Sonderung der
indischen Stücke von den japanischen als Unterarten der-
selben Species angezeigt, und ich bezeichne dementsprechend
die japanische Form als Hyalonema affine japonicum,,
die indische dagegen wegen des so stark hervortretenden
quadratischen Hautuetzes als Hyalonema affine reti-
cnlatum.
130 Gesellschaft natiofmscJiender Freunde, Berlin.
Herr Matschie sprach über die Verbreitung der
Hirsche.
In Lydekker's grundlegendem Werk: „The Deer of
all Lands" ist leider die zusammenfassende Darstellung der
Verbreitung der Hirsche nicht soweit ausgeführt, dass man
ohne weiteres sich ein Bild machen kann von dem, was
wir über die zoogeographischen Verhältnisse der Cerviden
wissen. Vielleicht dürften deshalb die nachstehenden Be-
merkungen nicht unwillkommen sein.
In Afrika südlich von der Sahara, auf Madagaskar und
den in der Nähe gelegenen Inseln leben ebensowenig Hirsche
wie in Australien, auf Neu-Guinea und in Polynesien. Man
kennt aus diesen Gebieten auch keinerlei fossile Reste
von ihnen.
Dagegen sind Hirsche fast aus allen übrigen Theilen der
Erde, abgesehen von den Wüsten und den höheren Lagen
der Hochgebirge, sowie von denjenigen Gegenden, in wel-
chen sie durch den Menschen ausgerottet sind, bekannt
geworden.
Ich schliesse von meiner Betrachtung alle fossilen Cer-
vidae aus, weil ich sie nicht selbst habe untersuchen können.
In den Vereinigten Staaten, mit Ausnahme des Colum-
bia-Gebietes und der Nordgrenze gegen Canada. ferner in
Mexiko, im grösseren Theile des abflusslosen Mittel-Asiens,
auf den Molukken und auf den Philippinen trifft man nirgend-
wo mehr als eine Form der Hirsche in demselben Gebiet.
In der neuen Welt ist es der Virginierhirsch im Osten,
der Grossohrhirsch im Westen mit ihren Abarten und in
Mittel- Asien der Edelhirsch in verschiedenen geographischen
Formen. Im südöstlichen Asien kann man vier verschiedene
Gruppen nachweisen: den Rusahirsch (Busa H. Sm.) in drei
Formen auf Java und den Molukken; auf Basilan, Min-
danao, Cebu und Luzon je einen Philippinenhirsch
(Ussa Heude); auf Samar resp. Leyte, sowie auf Masbate
je einen gefleckten kleinen Hirsch (Melanaxis Heude)
und auf den Calamianen und auf Bavean zwischen Sumatra
und Java je einen Schweinshirsch (Hyelaphus Sund.).
Auf Java lebt neben dem Rusahirsch (Busa H. Sm.)
Sitmng vom 18. Mi 1899. 131
ein Zwerghirsch (Gcrvulus Blainv.), auf Sumatra und
Borueo tritt für den Rusahirsch ein Mähnenhirsch
(Cervus L.) ein. neben welchen wieder ein Muntjak vor-
kommt. In Hinterindien wird das Bild erheblich mannig-
faltiger. Ausser dem Zwerghirsch und Mähnen-
hirsch erscheint ein Schweinshirsch (Hyelaphus Sund.)
und ein Moorhirsch (Bucervus Hodgs.) in jedem Gebiet.
Ueberschreitet man die chinesischen Grenzen, so tritt an
die Stelle des Schweinshirsches ein Sikahirsch (Pseudaxis
Grat) und zu den eben genannten noch ein Schopfhirsch
(Elaphodus A. M.-E.). Im Yautse-Becken finden wir einen
Mähnen-, einen Sika-. einen Zwerg- und einen Schopf-
hirsch und daneben das W ass eTieh(Hi/drelaphus Swinhoe).
Aus dem Hoangho - Gebiet ist mit Sicherheit nur ein
Sikahirsch nachgewiesen, vielleicht lebt dort auch der
von Mocpin beschriebene Zwerghirsch, wahrscheinlich
auch ein grösserer Hirsch, über dessen Aussehen man je-
doch noch nichts weiss. In den nördlich von Peking ge-
legenen Gegenden wird die Zusammensetzung der Hirsch-
arten erheblich anders. Nur ein Sikahirsch weist noch
darauf hin, dass wir uns in China befinden. Neben diesem
tritt als neue eigenthümliche Form der Miluhirsch (Ela-
phurus A. M.-E.) auf, und zwei andere, hier zum ersten Male
erscheinende Gruppen tragen palaearktischen Charakter:
der Edelhirsch (Elaplms H. Sm.) und das Reh (Capreolus
H. Sm). Auch in das Amur-Gebiet greift der Sikahirsch
noch hinein, während der Miluhirsch dort nicht mehr
zu leben scheint. Der Edelhirsch und das Reh sind dort
in je einer geographischen Abart vertreten.
Gehen wir an der sibirischen Südgrenze durch die
westliche Gobi nach Westen, so finden wir vom Altai nach
Süden im Aral-See-Becken wieder einen Edelhirsch und
ein Reh. Im übrigen Central-Asien scheinen nur die Ab-
arten des Edelhirsches zu leben, wie oben schon erwähnt
wurde. Auch von den Quellen des Indus ist nur eine
Form des Edelhirsches bekannt; allerdings berühren das
Indus-Gebiet, wie es scheint, auch ein Axis-, ein Mäh neu -
und ein Moorhirsch, welche im gesammten Vorder-Indien
132 Gesellschaft naturforschender Freunde, Berlin.
leben. Der Schweinshirsch greift von Hinter -Indien
her in die Gangesländer über, so dass hier Axis- und
Schweinshirsch im gleichen Flusssystem augetroffen
werden.
Im grössten Theil von Europa und in den Uferländern
des Schwarzen und Caspischen Meeres finden wir die uns
aus dem Aral- Becken und dem Amur -Gebiet bekannten
Formen, den Edelhirsch und das Reh, wieder und an
die Stelle der chinesischen Sikahirsche treten die Formen
des Damhirsches.
Soweit die Flüsse zum nördlichen Eismeer sich er-
giessen, lebt von den südlichen Gruppen nur der Edel-
hirsch und auch dieser geht nicht sehr weit nach Norden,
wie es scheint. Zu ihm gesellen sich hier zwei neue
Gruppen, das Renthier (Rangifer H. Sm.) und der Elch
(Alces Jakdin).
Diese drei findet man auch im arktischen Amerika,
nach Süden bis zu den grossen Seen resp. dem Südrande
des Lorenzstrom-Beckens. Der Edelhirsch, hier als Wapiti
bekannt, lebte früher auf der Ostseite bis zu den Alleghanies
herunter, im Westen findet er sich noch bis Idaho und
Dakota. Im Lorenzstrom -Gebiete am oberen Missouri, in
Dakota, Oregon und Nebraska mischen sich die Verbreitungs-
gebiete dieser drei Formen mit denjenigen der Virginier-
hirsche. In den Quellgebieten der Zuflüsse des Columbia-
River kommen fünf verschiedene grosse Hirsche im gleichen
Gebiet vor, allerdings wohl zu verschiedenen Jahreszeiten,
nämlich Elch, Renthier, Wapiti und je eine Abart des
Grossohrhirsches und virginischen Hirsches.
An der Westküste von Nord-Amerika ist die Heimath der
Grossohrhirsche (Eucervtis Gray), im Columbia-Gebiete
stossen sie mit den Virginierhirschen zusammen, welche
das übrige gemässigte Nord-Amerika beherrschen, und neben
denen erst in Guatemala eine zweite Form der Hirsche
auftritt, der Spiesshirsch (Mamma Raf.)
Im Norden von Süd -Amerika, also in den Gebieten
des Magdalenen- Stromes und des Orinoko, haben wir das-
selbe Bild wie in Mittel - Amerika , nur tritt zu dem Vir-
Sitzumj vom 18. Juli 1899. 133
ginierhir sch und dem rothen Spiesshirsch noch ein grauer
Spiesshirsch, der Pfriem enhir sch (Doryceros Fitz.).
Im Amazonas -Becken findet man neben deu beiden
Spiesshir sehen vielleicht schon den Sumpfhirsch (Blasto-
ceros Gray); sicher tritt er in Süd-Brasilien auf und theilt
sich dort das Gebiet mit dem Pampashirsch (Ozotoceros
Amegh.). Im La -Plata- Gebiete ist dieselbe Zusammen-
setzung vorhanden. Von Süd-Ecuador bis Bolivia herab lebt
ein kleiner Virginierhirsch und ein Pfriemenhirsch;
daneben aber treten zwei neue Formen auf, der And en-
hir sch (Xenelaphus Gray) und der Puduhirsch (Pudua
Gray). Diese letzten beiden sind allein in Chile vertreten,
der Pudu nach Süden ungefähr bis Chiloe, der Andenhirsch
in seiner südlichen Abart bis zur Südspitze von Süd-Amerika.
An der Westseite ist eine Abart des Pampashirsches bis
zum Rio Negro herunter verbreitet.
Auf der beifolgenden Tabelle habe ich versucht die
Verbreitung der Hirsche übersichtlich darzustellen. Ich
bin dabei von dem Grundsatze ausgegangen, dass es zu
empfehlen ist, Species, welche einmal beschrieben sind, so
lange anzuerkennen, bis der Beweis dafür erbracht worden
ist, dass sie nicht aufrecht erhalten werden können. Darum
habe ich manche Form aufrecht erhalten, die Lydekker
nicht annimmt, und zwar deshalb, weil ich vorläufig noch
davon überzeugt bin, dass die von den betreffenden Autoren
hervorgehobenen Unterschiede genügen, um die Form stets
wiederzuerkennen.
Bei der Benennung der zoogeographischen Subregionen
habe ich häufig die Namen von Flüssen, Oceanen und Seen
der Kürze halber für die Gebiete gesetzt, welche zu den-
selben abwassern.
Unter Süd-Brasilien verstehe ich die nicht zum Parana
abwässernden Gegenden von Süd-Brasilien.
Wo in der Tabelle kein Name aufgeführt wird, weist
dieses darauf hin, dass aus dem betreffenden Gebiet kein
weiterer Hirsch mir bekannt ist.
134
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138 Gesellschaft naturforschender Freunde, Berlin.
Herr Matschie gab einige Nachrichten über die
Säugethiere des Kenia-Gebietes und von Karagwe.
Herr Dr. Kolb hat vor kurzer Zeit mehrere Säuge-
thiere nach Berlin geschickt, welche von ihm am Kenia
gesammelt worden sind. Unter diesen erregen wohl das
grösste Interesse zwei Felle von Guereza- Affen und zwar
deshalb, weil sie offenbar zu Golobus cauäatus gehören. Das
Verbreitungsgebiet dieses bisher nur vom Kilima Ndjaro
und vom Maeru-Berg mit Sicherheit nachgewiesenen Affen
wird durch die vorliegenden Exemplare wesentlich erweitert
und meine Behauptung (Deutschland und seine Kolonien.
Zoologie, Berlin 1897, Dietr. Reimer, p. 7), dass dieser
Affe bisher nur „zufälligerweise erst von der äussersten
Ostgrenze seines Gebietes bekannt" war, bestätigt. Herr
0. Neumann ist (Sitzber. Ges. naturf. Fr., 1895, p. 154,
und 1. c. , 1899, p. 17) der Ansicht, dass in Kikuvu und
Leikipia Golobus matschiei vorkommt.
Auch aus einem anderen Theile von Ost-Afrika liegen
bemerkenswerthe Nachrichten vor: Herr Dr. Eggel. dem
wir schon wiederholt werthvolle Mittheilungen über die
Thierwelt von Deutsch -Ost -Afrika verdanken, ist als Arzt
einer Expedition von Bukoba am Victoria Nyansa nach
Kanionza am Knie des Karagwe gezogen und hat von dort
sehr bemerkenswerthe Notizen über die Säugethier- Fauna
geschickt.
Er schreibt: „Auf meinem Heraufmarsch konnten wir
wegen der grossen Karawane nur wenig Wild sehen und
erlegen; von kleinen Säugern war nirgendwo etwas zu be-
kommen. Das erste, was wirklich interessant war, schien
mir die Erlegung von drei Böcken der Cervicapra arundinum
in der Bara- Steppe, Ussukuma, zu sein. Dieselbe Art
habe ich auch hier geschossen bei Kanionza. Dort sah ich
auch Gasella thomsoni mehrfach, in Mindo wurde ein Weib-
chen dieser Art von meinem Begleiter erlegt. Den Embryo
des damals im 3. bis 4. Monat tragenden Thieres bewahrte
ich auf. Eine Tragehphus- Art ohne Längsbinden am Rumpf
lebt auf Maissome im Victoria Nyansa und in Karagwe.
Ich halte sie für den Buschbock. Ein Affe, welcher Cer-
Sitzung vom 18. Juli 1899. 139
copithecus albigularis ähnlich ist, wurde an der Kagera-
Mündung in Deutsch -Buddu erlegt, wo auch Cercopithccus
schmidti zum Schuss kam. Der Löwe scheint in Karagwe
nicht vorzukommen, dagegen sicher in Mpororo. wo ich vor
drei Tagen selbst eine frische, starke Spur im feuchten
Boden unverkennbar ausgeprägt sah. Dagegen giebt es
Felis leqpardus und F. caligata anscheinend überall hier.
Equus böhmi ist in Mpororo sehr häufig; Rhinoceros und,
Giraffa fehlen in Ruhanda und Mpororo. Buffelus caffer
ist wieder häufig in Karagwe. Herr Oberleutnant Richter
schoss einen an und sah 2 Heerden von ca. 50 und 30 Stück.
Ich sah ganz frische Losung. Buhalis fehlt in Karagwe
und Mpororo, dafür ist das häufigste Wild Damaliscus jimela,
von dem ich ca. 30 Stück erlegt habe. Die Schilderung
in den Säugethieren von Deutsch-Ost-Afrika (p. 111 — 112)
ist richtig; nur haben wir hier beobachtet, dass sie auf
einen guten Schuss stark zeichnen und sehr hart sind.
Man muss oft 5— ß und noch mehr Schuss anbringen, ehe
sie fallen. Bei Kaniouza habe ich Scopophorus hastatus ge-
schossen; es war nicht etwa Sc. montanus. Von Wasser-
böcken kommt hier nur Cobus defassa vor. von Pferde-
antilopen Hippotragus balier i. Der Hippotragus, von dem
ich im October zwei Männchen und neulich ein Weibcheu
geschossen habe (Maasse: tf 200. cauda 85 cm. Hornlänge
GO cm; 2 195:80. Hornlänge 53 cm) ist in beiden Ge-
schlechtern gleichgefärbt. "
Herr H. POTOMIE sprach über die morphologische
Herkunft der pflanzlichen Blattarten.
Der ausführliche Vortrag erscheint als Gedenkblatt zu
Goethe's 150. Geburtstage in der „Naturwissenschaftlichen
Wochenschrift1' und als Sonderheft bei Feud. Dümmleb's
Verlagsbuchhandlung in Berlin. Der in den Sitzungsber.
d. Ges. naturf. Freunde 1897, p. 183 ff., behandelte Gegen-
stand bezog sich auf die morphologische Herkunft des
Blattes überhaupt, der heutige Gegenstand auf diejenige der
Blattarten, Studien, in deren Richtung als einer der Vor-
läufer Goethe zu nennen ist.
i**
140 Gesellschaft natxrforschendcr Freunde, Berlin.
Ein Goethe konnte als Naturforscher bei der Be-
trachtung der Einzelheiten nicht stehen bleiben; ein lexiko-
graphisches Wissen ist wohl als einziges Mittel zum Zweck
einer Erkenntniss der Zusammenhänge im Weltganzen zu
verlangen, vermag aber nur denjenigen für sich allein zu
befriedigen, dem die Natur den nicht zu verlöschenden
Drang versagt hat, das „Wesentliche'" zu suchen: „den
ruhenden Pol in der Erscheinungen Flucht".
Diese Eigenart eines echten Forschers bekundet sich
ganz besonders in Goethe's morphologischen Studien.
Der Terminus „Morphologie" stammt von ihm. In seiner
Sammelschrift von 1817 „Zur Morphologie", die auch
seinen „Versuch, die Metamorphose der Pflanzen zu er-
klären" von 1790 in Wiederabdruck enthält, sagt er: „Es
hat sich ... in dem wissenschaftlichen Menschen zu allen
Zeiten ein Trieb hervorgethan , die lebendigen Bildungen
als solche zu erkennen, ihre äusseren, sichtbaren, greulichen
Theile im Zusammenhang zu erfassen, sie als Andeutungen
des Innern aufzunehmen und so das Ganze in der An-
schauung gewissermaassen zu beherrschen. — Man findet
daher in dem Gange der Kunst, des Wissens und der
Wissenschaft mehrere Versuche, eine Lehre zu gründen
und auszubilden, welche wir die Morphologie nennen
möchten." Um noch besser zu zeigen, was Goethe
unter Morphologie verstand, citire ich auch die ferneren
Sätze: „Betrachten wir aber alle Gestalten, besonders die
organischen, so finden wir, dass nirgends ein Bestehendes,
nirgends ein Ruhendes, ein Abgeschlossenes vorkommt,
sondern dass vielmehr Alles in einer steten Bewegung
schwanke. Daher unsere Sprache das Wort Bildung so-
wohl von dem Hervorgebrachten als von dem Hervor-
gebrachtwerdenden gehörig genug zu brauchen pflegt. —
Wollen wür also eine Morphologie einleiten, so dürfen wir
nicht von Gestalt sprechen, sondern, wenn wir das Wort
brauchen, uns allenfalls dabei nur die Idee, den Begriff
oder ein in der Erfahrung nur für den Augenblick Festge-
haltenes denken."
Der geuauen Uebersetzung unseres Terminus gemäss
Stimmig von: 18. Juli 1899. 141
wird nun heut zu Tage unter Morphologie ganz allgemein
auch einfach die Betrachtung der Gestaltung^ Verhältnisse,
der Formen der jeweilig berücksichtigten Objecte verstanden,
gleichgültig ob diese der Natur oder menschlicher Thätig-
keit entstammen; so hat man sich denn gewöhnt, auch von
der Morphologie der Kryslalle u. s. w. zu reden. Es
handelt sich also hier um die blosse Einzel-Beschreibung
der Formen der Einzelobjecte, und eine Hervorkehrung
„morphologischer" Beziehungen bedeutet hier weiter nichts
als eine Bezugnahme auf formale Aehnlichkeiten. Um ein
besonderes Beispiel aus der Botanik zu erwähnen noch die
folgende Bemerkung.
Wenn de Baky von der „Morphologie" eines Pilzes
spricht, so meint er damit ausschliesslich die auf den
Bau bezüglichen Verhältnisse desselben; spricht je-
doch ein Botaniker aus der Schule Alexander Braun' s
von der „morphologischen Natur" eines bestimmten Or-
ganes. so will er, wie Goethe, die von ihm an die Be-
trachtung der Gestaltungen angeknüpften theoretischen
Erörterungen besonderer Art als das Wesentliche seiner
Untersuchung betrachtet wissen. Man versteht also
unter Morphologie zweierlei. Beschränken wir den
Sinn der Morphologie (wenigstens in den biologischen
Disciplinen) wieder auf die ursprüngliche Fassung des Be-
griffes, also auf die theoretische Seite, so wäre der leider
immer mehr in den Hintergrund gedrängte Terminus Or-
ganographie zur Bezeichnung der Disciplin die sich nur
und ausschliesslich mit der Beschreibung des mit den
Sinnen Constatirbaren an den einzelnen Organen, der
formalen Bestandteile der Lebewesen beschäftigt, am
Platze. Ein Buchtitel wie „Organographie vegetale" (ich
denke dabei an das Werk Aug. Pyr. de Candolle's von
1827) ist klar und bringt keinerlei Zweifel bezüglich des
Inhaltes. Es ist bedauerlich, dass heute die Unterscheidung
in Organographie und Morphologie nicht mehr genügend
festgehalten wird; noch Aug. de Saint-Hilaire (1840)
sagt zur Auseinanderhaltung beider treffend von der Morpho-
{ [•> Gesellschaft naturforsclmuler Freunde, Berlin.
Logie: sie sei l'organographie expliqüee par les transformations
auxquelles sont soumises les parties des vegetaux.
Was nun den theoretischen Inhalt der Morphologie,
das Problem derselben betrifft, so ist diesbezüglich bei
Goethe, der mehr einem Almungsgefühl folgte, ohne sich zu
voller Klarheit durchzuringen, bei unserer auf naturwissen-
schaftlichem Gebiet mit Recht allem Metaphysischen abgeneig-
ten Forschung nichts unsere Zeit Befriedigendes zu erfahren.
Er hat seine Ansichten in der schon citirten Abhandlung
über die Metamorphose der Pflanzen niedergelegt, welche
sich mit den Blättern der Pflanzen beschäftigt, und zwar
in der Richtung, die ja keineswegs von ihm ganz neu ein-
geleitet wurde, sondern sich schon u. a. bei Linne vorbe-
reitet findet; man denke z. B. nur an seine Worte:
„Principium florum et foliorum idem est." Es sei hier als
Vorgänger Goethe' s noch besonders an Caspar Friedr.
Wolff (1759) und Peter Forskal erinnert.
Der citirte Linke' sehe Satz kann gewissermassen als
Motto der ganzen „Metamorphosenlehre" gelten, da die
letztere von dem in demselben ausgesprochenen Gedanken
ausgeht. Auch schon vor Linne kommt die so nahe
liegende Zusammenfassung der Anhangsorgane des Stengels
als „Blätter" mehr oder minder weitgehend und deutlich zum
Ausdruck wie im 16. Jahrhundert bei Andrea Cesalpini,
der die Blumenkrone schlechtweg als „foliimr bezeichnete.
Immer sind es die Blätter der Pflanzen, die zunächst
als Objecte der morphologischen Forschung vorgenommen
werden, und es ist ja bei der ausserordentlichen Augen-
fälligkeit und Wichtigkeit derselben ohne weiteres ver-
ständlich, dass eine wissenschaftliche Beschäftigung mit der
Pflanzenwelt gerade diese Organe stets in eine ganz her-
vorragende Betrachtung gerückt hat. So lange die organo-
graphische , dann die morphologische Richtung dominirte,
war es die Mannigfaltigkeit in der Entwickelung, Aus-
bildungsweise und des Auftretens, welche zu erschöpfen
gesucht wurde; die Physiologie hat dann die vielen
Functionen, welche das Blatt haben kann, klargelegt. Für
uns fragt es sich heute im Speciellen nach dem an
Sitzung vom 18. Juli 1890. 143
Goethe's Namen geknüpften Resultat seiner und seiner
Vorgänger Forschungen über die Blätter, soweit dasselbe
wissenschaftlich von Werth ist. Lässt man alle Ausflüsse
metaphysischer Speculationen weg. so bleibt freilich nichts
weiter übrig, als die Begründung der Zweckmässigkeit, die
als Laubblätter, Kelch-, Kronenblätter, Staubgefässe u. s. w.
bezeichneten Anhangsorgane der Stengeltheile alle als
„Blätter" begrifflich zusammenzufassen, da sie hierzu
genügend Gemeinsamkeiten aufweisen, wie ihre Stellung,
ihre unter Umständen gegenseitige Ersetzbarkeit, das Vor-
kommen von Blättern, die zum Theil laubblattartig.
zum Theil kronenblattartig ausgebildet sein können, die
von Caspar Fmedrich Wolff zuerst nachgewiesene Ueber-
einstimmung ihrer Entstehung u. s. w. Die weitere wichtige
Frage, woher denn nun diese Gemeinsamkeiten kommen,
wie diese sich erklären, ist damals zwar nicht beantwortet
worden . aber Goethe hatte in seinem gesunden Denken
und Fühlen, wie u. a, aus den Eingangs erwähnten Sätzen
hervorgeht, keineswegs die Meinung nur eine terminologische
That zu vollbringen, sondern er sah ein Problem, dessen
exact-naturwissenschaftliche Lösung ihm freilich die Zeit,
in der er forschte, schwer machen musste. das er aber für
sich in seiner Weise löste durch die sich ihm aufdrängende
Anschauung, dass die Blätter der „Idee" nach gleich
seien. Er sagt, und dieser Satz ist der Leitsatz seiner
biologischen Studien: „Dass nun das. was der Idee
nach gleich ist, in der Erfahrung entweder als gleich oder
als ähnlich, ja sogar als völlig ungleich und unähnlich er-
scheinen kann, darin besteht eigentlich das bewegliche
Leben der Natur." Klarer konnte Goethe seine Anhänger-
schaft an Plato's Ideenlehre nicht aussprechen. Erst die
Descendenztheorie. die den Biologen nunmehr in Fleisch
und Blut übergegangen ist, vermochte eine den Naturforscher
befriedigende Lösung zu bringen. Der Begriff Blatt gewann
in Folge dieser Theorie tieferen Gehalt durch die nunmehr
nothwendige Annahme, dass die Eigenthümlichkeiten, welche
so heterogene Bildungen, wie Keim-. Laub-, Kronen-,
Fruchtblätter u. s. w. miteinander verbinden, sich einfach
144 Gesellschuft naturforsckender Freunde, Berlin.
aus der gemeinsamen Abstammung her erklären. Die
Descendenztheorie umschliesst ja die Annahme, dass ganz
allgemein complicirtere Verhältnisse sich aus einfacheren
heraus im Laufe der Generationen entwickelt haben und
so ist in unserem Specialfall die Folgerung nothwendig:
die ausserordentliche Mannigfaltigkeit, welche
heute die Blätter in ihrer Gestaltung und Function
aufweisen, ist allmählich aufgetreten durch Ar-
beitstheilung und Uebernahme neuer Functionen
ursprünglich übereinstimmender Organe. Form und
Function gehören ja untrennbar zusammen, so dass eine
Aenderung der letzteren mit einer Aenderung der ersteren
und umgekehrt unmittelbar verknüpft ist.
GoETHE'n hat die Einsicht, dass die Organismen in
descendenztheoretischem Sinne zusammenhängen, nicht ganz
gefehlt; wenigstens hat er vorübergehend diese Ansicht
ausgesprochen. So sagt er:
„Bei gewohnten Pflanzen, so wie bei anderen längst
bekannten Gegenständen denken wir zuletzt gar nichts;
und was ist Beschauen ohne Denken? Hier in dieser neu
mir entgegentretenden Mannigfaltigkeit wird jener Gedanke
immer lebendiger, dass man sich alle Pflanzengestalten
vielleicht aus einer entwickeln könne. Hierdurch würde es
allein möglich werden, Geschlechter und Arten wahrhaft
zu bestimmen, welches, wie mich dünkt, bisher sehr will-
kürlich geschieht. Auf diesem Punkte bin ich in meiner
botanischen Philosophie stecken geblieben, und ich sehe
noch nicht, wie ich mich entwirren will. Die Tiefe und
Breite dieses Geschäfts scheint mir völlig gleich." — Und
an einer anderen Stelle: „Das Wechselvolle der Pflanzen-
gestalten hat in mir mehr und mehr die Vorstellung er-
weckt, die uns umgebenden Pflanzenformen seien nicht ur-
sprünglich determinirt und festgestellt, ihnen sei vielmehr
bei einer eigensinnigen generischen und specifischen Hart-
näckigkeit eine glückliche Mobilität und Biegsamkeit ver-
liehen, um in so viele Bedingungen, die über den Erdkreis
auf sie einwirken, sich zu fügen, hiernach bilden und
umbilden zu können. Hier kommen die Verschiedenheiten
Sitzung vom IS. Juli 1890. 145
des Bodens in Betracht; reichlich genährt durch Feuchte
der Thäler, verkümmert durch Trockne der Höhen, geschützt
vor Frost und Hitze in jedem Maasse. oder beiden unaus-
weiehbar blossgestellt , kann das Geschlecht sich zur Art,
die Art zur Varietät, diese wieder durch andere Bedingungen
ins Unendliche sich verändern ... die allerentferntesten
jedoch haben eine ausgesprochene Verwandtschaft, sie lassen
sich ohne Zwang unter einander vergleichen."
Der vollen Tragweite der Annahme der Descendenz
für die Probleme der Morphologie waren er und seine
Zeit sich aber noch nicht bewusst. Trotzdem mussten die
Thatsachen doch schon ihm und überhaupt denjenigen, die
sich mit dem Gegenstande beschäftigten, Redewendungen
und Worte aufdrängen, die durchaus im Sinne der Descen-
denztheorie liegen; aber da diese noch keinen Einfluss auf
die Forschungen übte, sie aber vorläufig allein die Er-
scheinungen zu erklären vermag, mussten die Resultate der
Morphologen einen immerhin metaphysischen Sinn gewinnen.
Goethe's Ausdruck „Metamorphose", Wendungen wie die
Kronenblätter sind „umgewandelte" Staubblätter, die An-
hangsorgane der Stengel „sind nichts anderes, als mannig-
faltig zur Verschiedenheit ihrer Zwecke abgeänderte
Blätter", konnten damals nur bildlich verstanden werden,
da eine körperliche Umänderung, Umwandlung des einen
Organs in das andere, nicht beobachtet wird und der
phylogenetische Begriff der Umwandlung noch nicht vor-
handen war oder doch nicht berücksichtigt wurde. Dass
die in Rede stehenden Autoren vermeinen, mehr als nur
eine bildliche Ausdrucksweise zu gebrauchen, ist freilich
richtig: man vergleiche nur die Eingangs citirten Sätze
Goethe's. Es wirkt eben, wiederhole ich, hier noch die
Aufsuchung von „Ideen" im Sinne Plato's nach, womit
der Naturforscher nichts anfangen kann. Diese Auffassung
kommt auch in der fieissigen Arbeit Ale. Kiechhoff's
(1877) zum Durchbruch, ohne dass freilich dieser Autor
dabei eine Einwendung macht; denn so klar nun auch
durch die Descendenztheorie der Weg für die morphologische
(oder morphogenetische) Betrachtung des Blattes vorge-
1 46 GesellscJiaft natu/rf wachender Freunde, Berlin.
zeichnet ist, sind doch die Einflüsse der älteren Goethe-
r>K\ in sehen Morphologie noch mannigfach auch dort über-
mässig zu verspüren, wo durch die Annahme der Descendenz
eine vollkommene Verschiebung der „Erklärungen" und
,. Deutungen" eintreten müsste. Diese Thatsache ist es,
die Auseinandersetzungen wie die vorliegende rechtfertigt.
Wir gehen also aus von der nunmehr notwendigen
Annahme, dass die Uebereinstimmungen des Blattes, die
sie trotz ihrer grossen Mannigfaltigkeit bewahren, in ihrer
gemeinsamen morphogenetischen Herkunft aus ursprünglich
untereinander übereinstimmenden Stücken ihren Grund
finden, oder mit anderen Worten darin, dass die einzelnen
Blattarten im Laufe der Generationen aus einander durch
Umbildung. Anpassung an neue Functionen hervorgegangen
sind, sodass zurückgehend schliesslich die ersten echten
Blätter, das wären die als Urblätter zu bezeichnenden
Organe, untereinander noch keine functionellen und formellen
Verschiedenheiten aufgewiesen haben.
Die wichtigsten Functionen des Urblattes sind Assi-
milation und Fortpflanzung. Auch an heutigen Pflanzen-
Arten kommen diese beiden Functionen noch oft an einem
und demselben Blatt vereinigt vor, das dann bequem als
Assimilations-Sporophyll oder kurz Laub-Sporo-
phyll (Trophosporophyll) bezeichnet werden kann; so
ist es bei vielen Farn [Polypodium u. s. w.). Als zweites
Stadium sehen wir eine Arbeitstheilung dahingehend auf-
treten, dass ein und dasselbe Blatt zum Theil der Assi-
milation, zum andern Theil ausschliesslich der Fortpflanzung
dient (Osmunda u. s. w.). Drittens endlich ist die Trennung
in nur assimilirende Blätter, Laubblätter (Tropho-
phylle) und nur der Fortpflanzung dienende Blätter, Sporo-
phylle (wie z. B. bei Onoclea struthiopiheris) vollzogen. In
ebenso allmählichen Uebergängen sehen wir immer mehr
Blattarten entstehen, sodass wir schliesslich ausserdem
noch u. a. unterscheiden können: Keim-. Nieder-, Laub-.
Hoch-, Kelch-, Kronen-, Nectar-, Staub- und
Fruchtblätter.
Sitzung vom 18. Juli 1899. 147
Die grössere oder geringere Wichtigkeit fürs Leben
muss im Grossen und Ganzen innerhalb der Generations-
reihen die Reihenfolge im Auftreten der verschiedenen Blatt-
arten bedingt haben, abgesehen von Blättern wie z. B. ge-
wisse Nieder- und Hochblätter, die vielleicht eine besondere
Function nicht besitzen, und irgend wann, eventuell durch
Rudimentirung functionell wichtiger Blätter entstanden sein
können.
Wie man sich das für die Niederländer der Cycada-
ceen speciell vorzustellen hat, habe ich ausführlich darge-
legt. (Die Wechselzonenbildung der Sigillariaceen. Jahrb.
d. Kgl. preuss. geolog. Landesanstalt für 1893.) Ich gehe
nicht näher darauf ein, weil ich über diesen Gegenstand
bereits vor der Ges. naturforsch. Freunde (Sitzungs-Ber.
1893 p. 216—220) gesprochen habe.
Auch bei den eigentlichen Coniferen treten Niederblätter
im Verlaufe der geologischen Formationen erst verhältniss-
mässig spät auf. (Vergl. mein Lehrbuch der Pflanzenpalaeonto-
logie. Berlin 1899. S. 322-323 und S. 301-302.) Die ältesten
Coniferen wie die Araucarieen — und mit diesen sind
erstere wohl mindestens nahe verwandt — weisen noch
keine Scheidung in Knospen- Schuppen (Niederblätter) und
Laubblätter auf und auch die schuppenförmigen Laubblätter
der Coniferen treten erst lange nach den mehr minder
nadeiförmigen auf. Schon bei den ältestbekannten, sicheren
Coniferen kann man entsprechend den Verhältnissen, die
sich durch die Wechselzonen der Sigillarien kundthun,
Zonen kürzerer und längerer Blätter beobachten. Solche
Zonen von Lang- und Kurzblättern sind sogar ein Cha-
rakteristicum der meisten Arten der Gattung Voltsia. Wenn
das auch bei dieser Gattung besonders auffällig ist, so sind
doch die gegen Ende einer Vegetationsperiode gebildeten
Blätter vieler Pflanzen (so bei Lycopodiam, Isoetcs. Araacaria.
Cryptomeria u. s. w.) kleiner als die zu Anfang einer
solchen Periode entstandenen. Besonders augenfällig wie
bei Voltzia ist das zuweilen bei Araucaria excelsa. Die
hier zuweilen in die Erscheinung tretenden Kurzblätter ent-
stehen gegen Ende des Sommers, die Fortsetzung des
148 Gesellschaft iiaturforschcndcr Freunde, Berlin.
Sprosses mit Langblättern hingegen sind im darauffolgenden
Jahre, zu Beginn desselben gebildet. Diese Eigentümlich-
keit ist von dem Gärtner tixirt worden, so dass es ein
Merkmal einer besonderen Rasse der Norfolktanne geworden
ist, wie es ein solches von Voltzia zu sein scheint. Es sei
auch darauf hingewiesen, dass bei Araucaria excelsa und
ihrer nächsten Verwandten (auch bei Sequoia gigantea) die
zapfen tragenden Sprosse kurzblättriger sind als die sterilen
Sprosse. In Zusammenhang mit diesen Thatsachen ist es
bemerkenswert!!, dass gerade die ältesten sicheren Coniferen,
namentlich Wälchia und Voltzia, und die mit ihnen mehr
minder verwandten heutigen Araucarieen in ihrer Be-
blätterung noch keine Scheidung (Arbeitstheilung) in Laub-
und Niederblätter (Knospenschuppen) aufweisen. Die Kurz-
blätter von Voltzia und Araucaria sind daher wohl als eine
Uebergangsbildung zu den Knospenschuppen aufzufassen,
welche letzteren durch Fixirung und weitere Anpassung von
Kurzblättern im Laufe der Generationen entstanden sein
dürften.
In Vergleich zu diesem sich aus der Palaeontologie
ergebenden Resultat ist es gewiss von Interesse, dass z. B.
Firnis im ersten Jahre nur Nadel blätter, noch keine Nieder-
blätter besitzt.
Noch ein weiteres Beispiel:
Zu den zuletzt in die Erscheinung getretenen Blättern
gehören zweifellos die Nectarblätter wie sie z. B. so schön
bei Hclleborus vorhanden sind; sie zeigen denn auch noch
so viele Anklänge z. B. an die Blätter des Perianths (des
Kelches resp. der Krone) wie bei der genannten Gattung und
vielen anderen Ranunculaceen. und es drängt sich ihre morpho-
genetische Herkunft so stark und unwiderleglich auf, dass
sie ja von den Botanikern als besondere Blätter nicht an-
gesehen, sondern als „in Nectarien umgewandelte Kronen-
blätter" u. s. w. bezeichnet werden. Da die Urblätter offen-
bar Assimilations-Sporophylle (Trophosporophylle) waren,
so können natürlich mit genau demselben Rechte alle die
in unserer Reihe genannten Blätter von den Keim- bis
zu den Fruchtblättern „umgewandelte Trophosporophylle"
Sitzung vom 18. Juli 1S99. 149
heissen. Es erhellt hieraus ohne Weiteres, dass eine sach-
liche Begründung für die Uebergehung der Nectarblätter
nicht vorhanden ist. abgesehen etwa von der sehr unbrauch-
baren, dass sie der Neuzeit angehören oder deshalb
„morphologisch minderwerthig" seien, weil Nectarien auch
an anderen Organen, wie Fruchtknoten u. s. w. vorkämen.
Wohin man mit solchen Einwänden kommt, sieht man
leicht: dann können auch sämmtliche anderen Blattarten
und Organe überhaupt als „morphologisch geringwerthig"
charakterisirt werden, da z. B. auch von Stengelorganen
die Assimilation übernommen werden kann und somit auch
die Laubblätter nicht mitzurechnen wären.
Um das näher zu illustriren noch das Folgende:
Dass die Perianthblätter im Verlauf der phylogeneti-
schen Entwickelung eine spätere Erscheinung gegenüber
den Staub- und Fruchtblättern sein müssen, drückt sich
indirect schon in der Zusammenfassung der ersteren als
„unwesentliche" Blüthenblätter im Vergleich zu den „wesent-
lichen", den Staub- und Fruchtblättern, aus. Während sich
für die Nectarblätter die Frage nach ihrer morphologischen
Herkunft — wie angedeutet wurde — sehr leicht löst, ist
das entsprechende Problem u. a. für die Perianthblätter
noch vorhanden, d. h. die Aufgabe, ob die Perianthblätter
im Verlauf der Generationen aus „wesentlichen" Blüthen-
blätter hervorgegangen sind oder etwa aus der Reihe, die
mit den reinen Assimilationsblättern (Laubblättern) beginnt,
harrt noch ihrer eingehenderen Lösung. Sieht man das
gelegentliche Auftreten von Staubblättern an Stelle der
Blumenblätter, wie das ein Charakteristicum der var. apetala
von Capsella bursa pastoris ist, als Atavismus an, nun, so
ist damit die Annahme ausgesprochen, dass die Kronen-
blätter in morphogenetischer Plinsicht umgewandelte Staub-
blätter sein können. Uebrigens sagt schon Adalbert
von CHAMisso: „Die Betrachtung der Naturspiele, der Miss-
bildungen und Monstruositäten verbreitet viel Licht über
die Bedeutung der Organe, die sie betreffen. Wir werden
demnach bei den Kreuzblumen die Kronenblätter als um-
gewandelte Staubgefässe betrachten, und die Natur be-
1 50 Gesellschaft naturforschender Freunde, Berlin.
stätigt in der That diese Deutung an dem Täschelkraut
i Thlaspi Bursa pastoris L.). welches man oft ohne Blumen-
krone und mit zehn ausgebildeten Staubgefässen antrifft.
Diese Spielart lehrt uns. wie die Bildung der Kreuzblumen
von dem Gesetze abzuleiten sei. zu welchem sie zurück-
gekehrt ist", oder wie wir also heute uns ausdrücken, zu
welchem sie zurückgeschlagen ist. Die Bemerkung, dass es
sich in dem Auftreten von Staubblättern an Stelle von
Blumenblättern hier wahrscheinlich um eine Correlations-
Erscheinung handle, könnte als eventueller Einwand gegen
die Verwerthung des Falles in der vorgeführten Weise
nicht gelten, da Correlationen. die sich durch das aus-
nahmsweise Auftreten bestimmter Organe (bei uns Staub-
blätter) sich finden, doch eben auf die nahe morphogenetische
Verwandtschaft der sich gegenseitig vertretenden Organe
hinweisen. Uebrigens sprechen für die Entstehung der
Kronenblätter aus den Staubblättern noch manche andere
Facta, wie u. a. der allmähliche formale Uebergang der
Staubblätter in die Kronenblätter von Nymphaea alba. Die
umgekehrte morphogenetische Entwickehmg anzunehmen,
also die Entstehung der Staubblätter aus den Kronenblättern,
ist bei der hohen Wichtigkeit der ersteren gegenüber den
letzteren ausgeschlossen. Auch andere Autoren sind geneigt.
die morphogenetische Herkunft von Perianthblättern aus
Staubblättern anzunehmen, wie Celakowsky für die
Narcissen (auf Grund von Monstrositäten) die Perigonblätter
derselben für metamorphosirte Staubblätter hält.
Verharrt man hier bei derselben Art von Logik, wie
sie gegenüber den Nectarblättern allgemein zur Anwendung
kommt, so würden auch die Kronenblätter in Fällen wie
Üapsella ständig als „umgewandelte Staubblätter" bezeichnet
werden müssen. Man erwiedere nicht, dass die beiden
Fälle doch insofern verschieden seien, als die Richtigkeit
der morphogenetischen Deutung der Nectarblätter doch bei
Weitem besser gestützt sei als diejenige der Kronenblätter;
ein solcher Einwand ist nicht stichhaltig, denn die Unter-
scheidung von Organen gründet sich nicht auf den Stand
der jeweiligen Erkenntniss ihrer morphogenetischen Ver-
Sitzung vom 18. Juli 1899. 151
hältnisse. sondern doch eben nur auf die gestaltliche und
physiologische Unterscheidbarkeit derselben. Das ist
freilich äusserst trivial, und doch rnuss es bei der be-
trübenden Thatsache. dass so manche Morphologen mit der
Logik auf gespanntem Fusse stehen, gesagt werden. Ent-
weder: man unterscheidet das Unterschiedene, oder: alle
Organe sind nur unter einen einzigen Begriff zu fassen.
Für die einen in der einen Weise zu verfahren, für die
anderen jedoch anders, zeugt sicherlich nicht von Klarheit.
Es ist schon angedeutet worden, das wohl die Assi-
milations-Sporophylle (Trophosporophylle) zunächst in Assi-
milationsblätter (Laubblätter, Trophophylle) und reine
Sporophylle im Verlaufe der Generationen auseinander-
gegangen sein dürften. Welche von den später entstandenen
Blattarten dann aus den Trophophyllen und welche aus
den Sporophyllen hervorgegangen sind, birgt noch mannig-
fache Probleme. Die Keim-, Nieder- und Hochblätter dürften
aus den ersteren, die anderen in unserer Reihe genannten
Blätter aus den Sporophyllen sich gebildet haben. Das
folgende Schema S. 152 entfernt sich von den thatsächlichen
Möglichkeiten vielleicht nicht gar zu weit.
Es sind hier gemäss den gewählten Beispielen {Capsella
h. p. apetala, Nymphaea alba) die unwesentlichen Blüten-
blätter aus den Staubblättern hergeleitet worden; in anderen
Fällen mögen unwesentliche Blüthenblätter auch aus Frucht-
blättern entstanden sein, wieder in anderen aus Hoch-
blättern, wie die auch dorthin führenden Linien andeuten
sollen. Uebergangsbildungen zur Illustration des letzter-
wähnten Falles sind die farbigen Hochblätter wie bei
Melampyrum nemorosum, Cornus suecica, Astrantia u. s. w.
Es ist nach alledem klar, dass eine scharfe Trennung
der einzelnen Blattformationen nicht möglich ist, dass mit
anderen Worten die Ventilation der Frage, ob ein be-
stimmtes Blatt, das sowohl Eigentümlichkeiten einer Blatt-
formation a als auch von b besitzt, nur zu a oder b gehört,
ganz und gar der wissenschaftlichen Bedeutung entbehrt,
da es sich in solchem Falle nur um eine rein termino-
logische Frage handelt.
152
Gesellscli/ift naltirforsdiender Freunde, Berlin.
Sitzung vom 18. Juli 1899. 153
Es ist zweifellos, dass sich durch die ewigen Be-
tonungen der Unterschiede und die zu wenig berück-
sichtigten Uebereinstiinmungen der Blattformationen,
namentlich bei den Morphologen, die wesentlich der den
Sinn für das Unterscheidende weckenden systematischen
Botanik dienen, hier ein eingefleischtes Widerstreben er-
zeugt haben, direct verbindende Eigenthümlichkeiten als
gleichberechtigte Thatsachen, die sie nun einmal sind,
anzuerkennen.
Sind also auch noch viele Unklarheiten in dem Theil
der Morphologie vorhanden, der sich mit dem Blatt be-
schäftigt, so hat sich doch die Einsicht wenigstens von der
Berechtigung nach der gegenseitigen morphogenetischen
Herkunft der Blätter zu fragen, Bahn gebrochen, wenn auch
in der Richtung nur wenig geschieht und daraus sich er-
gebene Folgerungen noch keineswegs beachtet werden.
Aus der Annahme der Descendenzlehre folgt aber nun
des Weiteren die Notwendigkeit der Frage auch nach der
morphogenetischen Herkunft des Blattes selbst, d. h. der
Frage: wie und aus welchen ursprünglichen Organen
oder Organtheilen sind die Blätter im Laufe der
Phylogenesis der Pflanzen hervorgegangen?
Caspar Fkiedrich Wolff hatte die Stengel-Orgaue
und Blätter als unvereinbar gegensätzlich gedacht (Fig. 1),
also der Volks-Anschauung gehuldigt; aber er war zu dieser
Ueberzeugung durch exacte entwickelungsgeschichtliche That-
sachen gelangt, die ihm die Blätter seiner Untersuchungs-
Objecte als stricte Seiten-Organe erkennen liessen: hat er
doch bei Brassica bereits den Vegetationspunkt gesehen
und als solchen erkannt.
Goethe sieht im Gegensatz hierzu die Pflanze aus
lauter einheitlichen Stücken zusammengesetzt (Fig. 2). Ein
Spross besteht nach ihm im Prinzip aus Stengelstücken, die
oben je ein Blatt tragen: je ein Stengelstück und ein Blatt
gehören als eine Einheit zusammen. Auf dieser Ansicht
fussen Gaudichaud (1841) und Delpino (1880).
Eine zeitgemässe Ansicht habe ich u. a. in diesen
Sitzungs-Berichten 1. c. 1897 entwickelt, weshalb ich hier
154
Gesellschaft naturforschender Freunde, Berlin.
X
Fig. 1.
Schema des Aufbaues der höheren Pflanzen nach der Ansicht von
Caspar Friedrich Wolf, x = Axe, Stengel, y = die Blätter, von x
im Schema durch einen Zwischnuranm getrennt, um die angenommene
vollständige Heteroerenität von Stengel und Blattern anzudeuten.
Fig. 2.
Schema des morphologischen Aufbaues der höheren Pflanzen nach
Goethe, x — die einheitlichen Stücke, aus denen sich die Pflanze aufbaut.
Sitzung cum 18. Juli 1809.
155
nicht noch einmal näher darauf eingehen kann. Vergl.
Näheres hierüber in meiner Eingangs citirten ausführlicheren
Schrift von 1899 und das Heft über die Metamorphose
von 1898. Kurz und bündig wäre zu sagen (vergl. hierzu
Fig. 3 und 4):
Bei den Brauntangen, die den Vorfahren der höheren
Pflanzen, deren Herkunft aus dem Wasser anzunehmen ist,
am nächsten kommen dürften, haben wir den Aufbau aus
Gabel- Verzweigungen. Eine Gabelung (Dichotomie) kommt
zu Stande, wenn sich ein Vegetationspunkt in zwei neue
Vegetationspunkte sondert, welche beide zu je einem Zweige
auswachsen. Erreichen diese beiden gleiche Länge und
verzweigen sich in derselben Weise weiter, so entsteht eine
deutliche wiederholtgabelige Verzweigung; gabelt sich jedoch
immer nur der eine der beiden Zweige und zwar ab-
wechselnd immer einmal der rechte und dann der linke,
oder immer nur der auf derselben Seite gelegene Zweig,
oder endlich beliebig derjenige der einen und dann wieder
der der anderen Seite, so wird wiederum, namentlich bei
x'
X1
Fig. 3.
Schema des morphologischen Aufbaues einer Urcaulom- Pflanze nach
dem Verfasser, x1 und x* = Tochtergabeläste; x1 = der übergipfelnde,
zur Centrale werdende, x2 = der übergipfelte, zum Urblatt werdende
Gabelast. Bei * die Gabelungsstelle.
7f
156
Gesellschaft naturforschender Freunde, Berlin.
Fig. 4.
Schema des morphologischen Aufbaues einer höheren (Pericaulom-)
Pflanze nach dem Verfasser. Buchstaben und Zeichen wie in Fig. 3.
Geradestreckung des ganzen Systemes, eine einheitliehe
Hauptaxe vorgetäuscht, während doch Verzweigungen vor-
liegen, die man am besten als auf Gabelungen beruhende
Vielfuss-Verzweigungen (dichopodiale Sympodien) bezeichnen
wird. Die übergipfelten Gabelzweige entwickeln sich im
Laufe der Generation zu Blättern. Aus den übergipfelnden
Stücken wird die Centrale, der Ur-Stengel, aus den über-
gipfelten werden die Blätter. Die höheren Pflanzen com-
pliciren ihren Bau — um der Centrale die für das Luft-
leben nöthige Festigkeit zu geben — dadurch , dass die
Basaltheile der Blätter mit der Centrale streckenweise (zu
einem „Pericaulom") verwachsen.
Bei dem auf das Unterscheidende gerichteten Sinn der
Systematiker muss das Sträuben, einen morphologischen
Zusammenhang des Blattes mit den anderen „morpho-
logischen Einheiten" anzunehmen, noch intensiver sein als
die Annahme solcher Zusammenhänge zwischen den einzelnen
Blattarten; denn die extremen Blätter, diejenigen, die in
ihren morphologischen Eigenthümlichkeiten sich am weitesten
Sitzung vom IS. Juli 1899. 157
z. B. von den typischen Stengel- Organen entfernen, wie die
Blätter der Angiospermen, bieten jetzt nur wenige ver-
mittelnde Erscheinungen zu den Stengel-Organen. Das
kann aber durchaus nicht Wunder nehmen. Das VII. phylo-
genetische Nägeli's (1884) lautet: „Die durch Differenzirung
ungleich gewordenen Theile erfahren eine Reduction, indem
die Zwischenbildungen unterdrückt werden, und zuletzt
bloss die qualitativ ungleichen Functionen erhalten bleiben".
Die Begründung dieses Gesetzes ist 1. c. nachzusehen.
Trotzdem typische Blätter schon seit der Silurformation be-
kannt sind, sodass ihre extremen Besonderheiten sich be-
reits seit undenkbaren Zeiten festigen konnten, fehlen doch
bemerkenswerther Weise Erscheinungen nicht ganz, welche
ihre und der Ur-Steugelinternodien gemeinsame morpho-
genetische Herkunft erhellen helfen.
So wachsen Bildungen, die im Uebrigen Blattnatur
aufweisen, wie die „Wedel" der Filices und Cycadaceen
spitzenständig wie typische Stengelorgane, und andererseits
giebt es Stengel-Internodien, die wie die typischen Blätter
basal wachsen, wie die Internodien der Equisetaceen. Es
ist eben ganz begreiflich, selbstverständlich und zu fordern,
dass es Organe giebt wie die Cycadaceen- und Farn- Wedel,
die Uebergangsbildungen zwischen extrem-typischen Stengeln
und Blättern darstellen, die mit anderen Worten Merkmale
von beiden haben. Das Wort „Wedel" kann gut als
morphologischer Terminus speciell für solche Blätter benutzt
werden, die eine solche Hinneigung zu Stengelbildungen
aufweisen: für Mittelbildungen, die nicht extrem-typische
Blätter sind. Ein Streit, wie er einst über die „Blatt-
oder Stengel-Natur" der Filices-Wedel herrschte, ist durch-
aus müssig, denn das Streben, alle Organe mit Gewalt in
schroff geschiedene Kategorien zu bringen, die auf Grund
weniger Thatsachen geschaffen wrorden sind : durchaus nach
Gründen zu suchen, die die Zuweisung zu einer der
Kategorien rechtfertigen sollen, beruht auf der fälsch-
lichen Annahme von den Pflanzenkörper zusammensetzenden
absolut gegenüberstehenden Einheiten. Die Berück-
sichtigung aller Thatsachen bietet nicht nur keinerlei An-
7f*
158 Gesellschaft natwforsc?iender Freunde, Berlin.
halt für eine solche Annahme, sondern sehlägt ihr mit
Gewalt ins Gesicht. Auch das stets ins Feld geführte
„unbegrenzte" Längenwachsthum von Stengelorganen im
Vergleich zu dem „begrenzten" der Blätter ist zur Be-
gründung eines fundamentalen, prinzipiellen Unterschiedes
gänzlich werthlos, da die den Blättern homologen Ur-
Internodien sowohl als die Internodien der höheren Pflanzen
{= Ur-Internodien + Pericaulom-Bildungen) durchaus genau
ein ebenso begrenztes Wachsthum besitzen wie die Blätter,
was sich am augenfälligsten dann zeigt, wenn einmal (wie
die „Cladodien" von Euscus) gewisse Stengeltheile als
assimilirende Fachsprosse dieselbe Function übernehmen,
wie sie sonst den Laubblättern zukommt. Ferner wachsen
gewisse Organe, die aus anderen Gründen zu den Blättern
gerechnet werden, so Gleicheniaceen-Wedel, genau wie
Stengel-Systeme „unbegrenzt", ja sie können sich wie
kletternde Stengel verhalten, wofür die Lygodium -Wedel
ein bekanntes Beispiel bieten, die an die fadenförmigen,
dem dicken, kugelförmigen Hauptstamm entspringenden
Sprosssysteme von Testudinaria erinnern. Schlagend be-
legen den in Rede stehenden Zusammenhang von Phyllom
und Caulorn Thatsachen, wie die namentlich von Schumann
eingehender beschriebenen Staubgefässe , die durchaus an
Axen erinnern, jedoch von dem Autor als Blätter „gedeutet"
werden und überhaupt wissenschaftliche Kämpfe, die statt-
finden, um die Auffassung von Organen als Caulome oder
Phyllome zu begründen (vergl. z. B. die Streitschriften
über das Psilotaceen-„Sporophyll"), die nie zu Ende kommen
können, da es vom jeweilig den Gegenstand behandelnden
Autor abhängt, auf die zu den Blättern oder zu den Stengel -
organen neigenden Merkmale das Hauptgewicht zu legen. Es
ist ein schwerer Fehler, solche Objecte nicht als das zu
charakterisiren, als was sie sich durch die Untersuchung
ergeben, also als Zwischenbildungen. Nur wenn sich
begründen lässt, dass die Vorfahren an Stelle der strittigen
Organe extrem-typische Blätter oder Stengel besessen haben,
ist eine Entscheidung des Kampfes möglich; gewöhnlich
wird aber vergessen, dass keineswegs allein die beiden in
Sitzwng vom 18. Jnli 1S99. 15<)
den Kampf gezogenen Möglichkeiten in Frage kommen,
dass vielmehr auch ein dritter Fall in Erwägung zu ziehen
ist, nämlich der, dass die in Rede stehenden Zwischen-
bildungen seit ihrer Hervorbilduug aus Thallusstücken im
Verlaufe ihrer Vorfahrenreihe keineswegs bereits die ty-
pischen Eigenthümlichkeiten von Blatt und Stengel erreicht
zu haben brauchen.
Herr F. Schaudinn sprach über den Generations-
wechsel der Coccidien und die neuere Malaria-
forschung.
Von allen parasitären Protozoen haben die Ilaemospo-
ridien in neuester Zeit das grösste Interesse erregt, selbst
weit über die Kreise der Naturforscher hinaus. Der Grund
hierfür ist darin zu suchen, dass ein Vertreter dieser Gruppe
eine immense praktische Bedeutung besitzt, weil er der an-
erkannte Erreger einer der verbreitetsten Infektionskrank-
heiten des Menschen, des Malaria-Fiebers ist. Naturgemäss
concentrirte sich das Interesse zunächst auf diesen Parasiten
und hat daher das Plasmodium malariae1) die meisten Unter-
sucher gefunden. Nachdem die Entwicklung desselben im
menschlichen Blute genauer bekannt geworden war. richtete
sich das Hauptinteresse der Forscher auf die Frage, wie
der Parasit in das Blut gelangt und wo er ausserhalb des
Menschen lebt. In jüngster Zeit drängten sich nun die Unter-
suchungen über diese Frage und schien eine fieberhafte
Hast die Malariaforscher ergriffen zu haben, weil jeder
bei der Lösung der räthselhaften Lebensgeschichte dieser
Parasiten der erste sein wollte. Es sind daher in kurzer
Zeit fast gleichzeitig eine Anzahl von Mittheilungen er-
schienen, welche das Malariaproblem seiner Lösung zuge-
führt haben.
Sei es nun, dass die Malariaforschung zu hastig arbeitete
oder dass sie. weil in den Händen der Medianer befindlich,
nicht Gelegenheit hatte, die zoologische Forschung auf ver-
') Dies ist der älteste Name des Malariaerregers und daher nach
den zoologischen Nomenklatur-Regeln der allein giltige.
1 HO Gesellschaft naht) forschender Freunde, Berlin.
wandten Gebieten zu berücksichtigen, Thatsaehe ist jeden-
falls, dass dieselbe bisher in keiner Weise von den Unter-
suchungen und Resultaten bei nahe verwandten Organismen
Notiz genommen hat, obwohl z. B. die Coccidien-Forschung
das Ziel, dem die Malaria-Forschung soeben zueilt, schon
erreicht hatte, als letztere noch ganz im Dunkeln tappte.
Dies in Kürze nachzuweisen, ist der Zweck der folgenden
Zeilen, ich will versuchen darzuthun, dass die Coccidien-
forschung noch jetzt als Wegweiser und Vorbild der
Haemosporidienforschung dienen kann. Ein Vergleich der
beiden bisher zurückgelegten Forschungswege soll uns die
ausserordentliche Uebereinstimmung der bereits ermittelten
Thatsachen zeigen. Die Coccidienforschung mag hierbei als
die ältere vorangehen.1)
Seit der Entdeckung der Coccidien durch Vogel im
Jahre 1845 haben sich zahlreiche Forscher mit dem Studium
ihres Baues und ihrer Entwickelung beschäftigt. Am be-
kanntesten dürfte der in der Kaninchenleber vorkommende
Vertreter der Gattung Coccidhtm, die als Typus der Gruppe
dienen kann, das Cocc. oviforme sein. Diese bei dem Ilaus-
thier der wissenschaftlichen Medianer schmarotzenden Or-
ganismen, die gelegentlich auch beim Menschen gefunden
werden, hatten wegen ihrer deletären Eigenschaften (sie
können ganze Kaninchenzuchten, zerstören) schon frühe
die Aufmerksamkeit der Mediciner erregt und dieselben zu
Untersuchungen veranlasst.
Das Studium der pathologischen Veränderungen, welche
die Coccidien in den von ihnen befallenen Geweben her-
vorrufen, zeigte, dass eine gewisse Ärmlichkeit dieser
Bildungen mit den bösartigen Geschwülsten, wie Carcinom,
Sarkom etc. vorliege und zeitigte die Idee, dass auch hier
ähnliche Organismen als Erreger eine Rolle spielen könnten.
Infolge dieses Gedankengangs wuchs die litterarische
Produktion in diesem Gebiete immens. Zur Förderung
x) Die nachfolgenden Angaben über die Coccidien stellen einen
Auszug aus der Einleitung zu meiner ausführlichen Coccidienarbeit
dar, welche demnächst in den zoologischen Jahrbüchern erscheint.
Sitzung Vom 18. Juli 189Ö. \Q\
der exacteu Coccidienforschung hat zwar diese lebhafte
litterarische Thätigkeit wenig oder garnicht direkt beige-
tragen, wie überhaupt die Jagd nach den Geschwulsterregern
zu den traurigsten Kapiteln der Protozoenforschung gehört,
indessen hat sie doch das Verdienst, das Interesse an den
Coccidien. diesen unscheinbaren, winzigen Organismen wach-
gehalten zu haben, und mag wohl grade dieses unentwirr-
bare Chaos von falschen und unkritischen Beobachtungen in
neuerer Zeit einer bedeutenden Zahl von Forschern die
Veranlassung gegeben haben, durch exacte Untersuchungen
an echten Coccidien, diesem Forschungsgebiet eine ge-
sündere Basis zu geben. In medicinischen Kreisen schwand
das Interesse an diesen Protozoen, seitdem in überzeugender
Weise nachgewiesen war. dass in den bösartigen Ge-
schwülsten keine Protozoen vorhanden sind und dass die
als Coccidien gedeuteten Gebilde theils pathologisch ver-
änderte Gewebszellen, theils Zerfallsprodukte derselben dar-
stellen.
Ich kann hier nicht eine vollständige Uebersicht der
Coccidienlitteratur geben und verweise auf die ziemlich
erschöpfende Literaturzusammenstellung in der Coccidien-
Monographie von Labüe '). Nur auf die wichtigsten Fort-
schritte, welche die Erkenntniss des Zeugungskreises dieser
Protozoen gemacht hat. will ich in Kürze eingehen.
Als grundlegende Arbeit ist die Monographie von
Kloss2) über die Coccidien der Helix-Niere anzusehen.
Obwohl sie schon 1855 erschien, wurden doch bereits viele
Orgauisationseigenthümlichkeiten und auch ein grosser Theil
des Entwickelungscyclus auf Grund sorgfältiger Beob-
achtungen geschildert.
Einen wichtigen Beitrag lieferte Eimer3) durch die
Entdeckung seiner Gregarina fahiformis, bei welcher er zum
ersten Mal die endogene, directe Entwickelung von sichel-
förmigen Sporen ohne vorherige Encystirung schilderte.
r) In: Arch. Zool. exper. (3) Tom. 4, p. 517—654, 1897.
2) In: Abhdl Kenekenberg. naturf. Ges. 1, p. 189 — 213 1855.
3) lieber die ei- und kugelförmigen Psorospermien der Wirbel
thiere, Würzburg 1870.
•jP)2 Gesellschaft naturforschender Freunde, Berlin.
Die EiMER'sche Form wurde später von Aime Schneider
zur Gattung Eimcria erhoben, nachdem ihre Angehörigkeit
zur Gruppe der Coccidien erkannt war.
Alles was über die Coccidien des Kaninchens bis zum
Jahre 1879 bekannt geworden war, wurde, um viele eigene
Beobachtungen vermehrt, von Leuckart1) in seinem Para-
sitenwerk in klarer Weise zusammengestellt. Dieser Autor
führte auch den Namen ,.Coccidia" für diese Protozoen, die
man bisher meistens als Psorospermien bezeichnet hatte,
ein und schilderte zum ersten Male im Zusammenhang den
Entwickelungscyclus von Coccidium, wie er ihn sich vor-
stellte. Nach seiner Auffassung encystirt sich das ausge-
bildete, intracelluläre Coccidium am Ende seines vegetativen
Lebens und bildet innerhalb der Cyste, eine Anzahl von Dauer-
sporen, welche innerhalb ihrer festen Hülle, die Sichelkeime
entwickeln. In diesem Zustande wird die Cyste vom
Wirthsthier mit dem Koth entleert und dient dann zur Neu-
infection anderer Thiere, indem sie mit der Nahrung in den
Darmkanal gelangt. Hier platzen infolge der Einwirkung
der verdauenden Säfte die Sporenhüllen, die, Eigenbewegung
besitzenden Sichelkeime werden frei, dringen in die Epithel-
zellen ein und entwickeln sich hier zu den ausgebildeten
Coccidien. welche zum Ausgangspunkt des geschilderten
Zeugungskreises dienten.
Diese Vorstellung, die bald allgemeine Anerkennung
fand, vermochte nicht die Masseniufection zu erklären,
welche man beim Kaninchen oft findet. Denn, wenn man
auch annahm, dass selbst zahlreiche Cysten in den Darm-
kanal des inficirten Thieres gelangt wären, konnten diese
wie ein einfaches Rechenexempel lehrte, doch nicht genügen,
um das Vorhandensein von gradezu ungeheueren Mengen
von Coccidien im Darmepithel und in der Leber zu er-
klären.
Zur Lösung dieser Schwierigkeit brachte die ausge-
zeichnete Untersuchung der Kaninchen -Coccidien von
') Die Parasiten dos Menschen etc. 2. Aufl. I. Bd. 1. Abth.
Leipzig 1879—86.
Sitzung vom 18. Juli 1808. 163
R. Pfeiffer1), welche einen Wendepunkt und grossen Fort-
schritt der Coccidienforschung bezeichnet, eine neue Idee.
Dieser Forscher fand nämlich im Darmepithel des Ka-
ninchens eine Coccidie mit ganz ähnlicher Fortpflanzung
d. h. Zerfall in viele Sichelkeime ohne Sporenbildung, wie
sie Eimer2) bei der FÄmeria falciformis des Mäusedarms be-
schrieben hatte und kam nun auf den genialen Gedanken,
dass diese Form nur ein Entwicklungsstadium des bekannten
Coccidium perforans sei. Die Eimer ia-ährdiche Form sollte
durch endogene „Schwärmersporen-Cysten" die Verbreitung
der Parasiten im Wirthsthier, die sogen. Autoinfektion be-
wirken, während die bisher bekannte Coccidium-F orm durch
exogene „Dauersporen -Cysten" die Infektion anderer In-
dividuen vermittelte.
L. Pfeiffer3) dehnte diese Theorie des Dimorphiciums
in seinem Protozoen-Werk auf alle Coccidien aus und stellte
verschiedene schon als besondere Species beschriebene
Eimer ia-Formen zu den entprechenden Coccidien. welche aus
denselben Wirthsthieren bekannt waren.
Die Forscher, welche sich seither mit der Coccidien-
Eutwickelung beschäftigten, sind nun in zwei Lager ge-
theilt. Die einen hielten an dem LEUCKART'schen Ent-
wickelungsschema fest, fassten den Eimeria- und Coccidium-
Cyklus als zwei getrennte, geschlossene Zeugungskreise auf
und behandelten die beiden Formen als besondere Gattungen.
Der Hauptvertreter dieser Anschauung war Aime Schneider4),
der sie sogar zum Ausgangspunkt seines Coccidiensystems
machte, indem er in seiner Gruppe der Monosporeae die
Eimer ia-Formen allen andern Coccidien gegenüberstellte.
In neuester Zeit hat sich besonders Labbe5) dieser
Auffassung angeschlossen und in einer Reihe von Arbeiten
dieselbe durch neue Gründe zu stützen versucht; die That-
') Beiträge zur Protozoenforschung. I. Die Coccidienkrankheit
der Kaninchen. Berlin 1892.
*) 1. c.
3) Die Protozoen als Krankheitserreger, 2. Aufl., Jena 1891.
4) Bezüglich der zahlreichen Arbeiten Schneider s cf. Labbe, 1. c.
5) 1. c.
li;| Gesellschaft naturforschen -:1er Freunde, "Berlin.
sache der Autoinfection sucht dieser Forscher durch die An-
nahme der Vermehrung der Coccidien durch einfache Zwei-
theilung zu erklären, indessen ist der Nachweis dieses
Vorgangs bisher nicht erbracht worden; die angeblichen
Theilungsstadien sind auf multiple Infection derselben Epithel-
zelle zurückzuführen.
Der andere, grössere Theil der Coccidienforscher sehloss
sich der Pfeiffer' sehen Theorie des Dimorphismus an. so
Mingazzini, Podwissozky. Clarke und vor allem Schüberg.
In der sorgfältigen Untersuchung Schüberg's1) über
die Coccidien des Mäusedarms findet sich zum ersten Male
die Idee von einer geschlechtlichen Fortpflanzung der
Coccidien ausgesprochen. Schon vorher hatte Labbe2) bei
Tritonen ausser den gewöhnlichen Sichelkeimen der Eimeria-
Form (von Labbe hier Pfeifferia genannt) abweichende, sehr
kleine Sichelkeime, die er Mikrosporozoiten nannte, ent-
deckt. Auch Podwissozky3) hatte bei Coccidium oviforme
die Bildung sehr winziger Keime beobachtet. Schüberg
fand solche kleinen abweichenden Sporozoiten nun auch bei
der Eimcria falciformis, schilderte sie eingehend und machte
auf ihre speeifische Natur und die Möglichkeit einer Ge-
schlechtsfunction aufmerksam, indem er daran dachte, dass
diese Formen vielleicht eine Copulation vermitteln möchten.
Labbe4) sehloss sich in seiner Monographie der Auf-
fassung Schuber«/ s an, indessen nur für Pfeifferia, während
er bei Klossia die wahre Natur der Mikrosporozoiten voll-
ständig verkannte, indem er sie für pathologische Bildungen
ansah.
Der wirkliche Nachweis der geschlechtlichen Fort-
pflanzung der Coccidien wurde durch directe Beobachtung
der Befruchtung im Jahre 1897 durch Schaudinn5) und
Siedlecki für zwei Coccidien des Tausendfusses (Lithobius
>) Verh. Naturh. med. Verein, Heidelberg, N. F., Bd. V, Heft 4, 1895.
2) 1. c.
3) Bibl. med. Kassel. Abth. 1). 2, 1895.
*) 1. c.
■'') In: Verh. Deutche Zoolog. Gosollseh., 7. Jahresversammlung,
1897, p. 292—203.
Sitzung vom 18. Mi 1899. 165
forficatus), Addca ocata und Coccidium schneidert erbracht
und in dieser Arbeit zugleich bewiesen, dass die Eimeria-
Formen mit den Coccidium -Formen durch den Geschlechts-
act zu einem Zeugimgskreis verbunden sind, der sich durch
den Wechsel von geschlechtlicher und ungeschlechtlicher
Fortpflanzung als echter Generationswechsel documentirt.
Gleichzeitig und unabhängig kam Simond1) bei dem Ka-
mnchen-Coccidium durch exaete Fütterungsversuche zu einem
ähnlichen Resultat; indessen hatte dieser Autor die Copula-
tion nicht direct beobachtet und haben die von ihm als
Copulationsstadien gedeuteten Zustände nichts mit derselben
zu thun. Die Mikrosporozoiten befruchten nicht, wie er
annimmt, die anderen Sichelkeime, sondern die ausgebildeten
Coccidien.
Kurz nach dem Erscheinen unserer Publication kam
auch Leger2) bei den Coccidien des Lithobius, bei dem er
schon vor uns ein echtes viersporiges Coccidium entdeckt
hatte, zu dem Resultat, dass die Eimeria-Form. nur ein
Stadium der Coccidium -Form sei, ohne die geschlechtliche
Fortpflanzung zu kennen, auf Grund von Fütterungsversuchen.
Dies Resultat kann mit um so grösserem Recht als sicher
selten, nachdem es von drei verschiedenen Seiten unab-
hängig gefunden war.
Seither sind unsere Beobachtungen bereits von ver-
schiedenen Autoren (Siedlecki, Hagenmüller, Leger und
anderen) bei mehreren Gattungen der Coccidien bestätigt
worden, sodass man an der allgemeinen Verbreitung der
geschlechtlichen Fortpflanzung innerhalb der Coccidien-
Gruppe nicht mehr zweifeln kann. Da die Gattung
Coccidium als Typus dieser Protozoen gelten kann, will ich
ein Schema des gesammten Zeugungskreises für dieselbe
hier entwerfen, wie es Siedlecki' s und meine Untersuchungen
bei den Angehörigen der Gattung Coccidium. die im
Lithobius leben, ergeben haben3) (cf. Schema I).
1) In: Ann. Inst. Pasteur; Tom. 11, p. 545—581, 1897.
2) C. R. Ac. Sc. Paris, Tom. 125, p. 51—52 und p. 966—969, 1897.
3) Bezüglich der Einzelheiten und der Litteraturquellen verweise
ich auf meine ohen erwähnte ausführliche Arbeit in den zoolog. Jahr-
büchern.
Ißß Gesellschaft natwrfwschender Freunde in T>erlin.
Das jüngste Studiuni unserer Parasiten, welches die
Fähigkeit besitzt, durch Eindringen in eine Epithelzelle die
Infektion zu vermitteln ist ein sogenannter sichelförmiger
Keim (Fig. 1). Er ist frei beweglich und zwar vermag er
ausser Knickbewegungen auch in grader Linie wie eine
Gregarine fortzugleiten. Am Vorderende besitzt, er eine
feine hyaline Spitze, welche ihm das Einhohren in die
Wirthszellen erleichtert (Fig. 2). Dieser Keim wächst inner-
halb der Epithelzelle zu einer kugligen oder ovalen Zelle
heran, dem ausgebildeten Coccidium (Fig. 3) und zwar ge-
schieht dies auf Kosten der Wirthszelle, die hierbei all-
mählich zu Grunde geht. Am Ende ihres vegetativen Lebens
zerfällt die erwachsene Coccidie. nachdem sich ihr Kern
durch directe Kerntheilung vermehrt hat (Fig. 4), in eine
verschieden grosse Anzahl von Theilstücken (Fig. 5), die
eine ähnliche Gestalt annehmen, wie die ursprünglichen
Sichelkeime aus denen die Coccidie hervorgegangen ist,
aber in ihrem feineren Bau bestimmte Unterschiede auf-
weisen. Diese Fortptlanzungskörper dringen in andere
Epithelzelleu ein und können eine ähnliche Entwickelung
durchmachen, wie ihre Mutterzellen, sie dienen dann zur
Ausbreitung der Parasiten über den ganzen Darmkanal des
Wirthsthieres.
Ich habe diese Art der ungeschlechtlichen Fortpflanzung
bei der die Zelle durch einfache Spaltung in zahlreiche
Theilstücke zerfällt, mit den Namen „Schizogonie" be-
zeichnet. Die bisher üblichen Bezeichnungen, wie „directe
oder freie Vermehrung" — Cycle asporulee endogene
Sporulation — sind zweideutig oder nicht zutreffend. Die
bei der Schizogonie entstehenden, frei beweglichen Theil-
stücke können nach dem Vorschlage Simokds „Merozoiten"
genannt werden, für ihre Mutterzellen schlage ich „Schi-
zonten" vor. —
Ausser dieser ungeschlechtlichen Fortpflanzung, die zur
Vermehrung der Parasiten im Wirthsthier dient (Auto-
infection), findet sich noch eine andere Art der Fort-
pflanzung, die Bildung von Dauersporen, welche die Neu-
infectiou anderer Wirthsindividueu vermittelt. Dieselbe
Sitzung vom 18. Juli 1899. 167
wird bedingt durch einen Geschlechtsact und kann deshalb
als geschlechtliche Fortpflanzung der ungeschlechtlichen
Schizogonie gegenübergestellt werden. Ich will sie als
„Sporogonie" bezeichnen.
Die Merozoite können sich nämlich in dreifacher Weise
entwickeln; entweder wachsen sie schnell heran ohne be-
deutende Quantitäten von Reservenahrung in sich aufzu-
speichern und werden dann zu Schizonten (Fig. 5 über 2 in
der Pfeilrichtung), oder sie wachsen langsamer, speichern
aber dabei reichlich dotterartige Reservestoffe in ihrem
Protoplasma auf (Fig. 6) und entwickeln sich durch einen
Reifungsprocess. bei welchem ein Theil der Kernsubstanz
in Gestalt des Karyosoms ausgestossen wird (Fig. 6 a), zu
weiblichen Gameten. Ein dritter Theil der Merozoiten. der
keine Reservestoffe enthält, bildet sich zu den Mutterzellen
der männlichen Geschlechtselemente aus (Fig. 7). welche
durch ihre dichtere Plasmastructur leicht von den Schizonten
zu unterscheiden sind. Nachdem diese Zellen ihre volle
Grösse erreicht haben, theilt sich ihr Kern auf multiple
Weise in viele Theilstücke, die an die Oberfläche der Zelle
rücken und sich hier mit einer geringen Menge von Proto-
plasma als kleine sichelartige Körperchen abschnüren, indem
sie den grössten Theil der Mutterzelle als Restkörper zurück-
lassen (Fig. 7a). Diese Körper entwickeln zwei Geissein,
mit deren Hilfe sie sich lebhaft bewegen können. Es sind
die männlichen Geschlechtszellen oder Gameten, welche im
Stande sind, die weiblichen aufzusuchen und zu befruchten.
Bei ihrer Bildung findet auch eine Reduction der Kern-
substanz statt, indem das Karyosom ebenfalls zu Grunde
geht. Wegen der bedeutenden Grössendifferenz der männ-
lichen und weiblichen Geschlechtszellen haben wir sie als
„Mikro- und Makrogameten" unterschieden. Die Be-
fruchtung (Fig. 8) erfolgt in derselben Weise, wie bei den
Eiern der Metazoen, der Makrogamet bildet einen Empfäng-
nisshügel, in dessen Kuppe der Mikrogamet mit seiner
Spitze eindringt, worauf sich der Vorsprung zurückzieht und
eine der Mikropyle vergleichbare, trichterartige Einsenkung
gebildet wird, durch welche der Mikrogamet vollständig in
Ißg Gesellschaft naturforschender Freunde, Berlin,
das Innere des Makrogameten eindringt; schon während
dieser Vorgänge wird auf der Oberfläche des Makrogameten
eine dicke Membran abgeschieden, welche es verhindert,
dass mehr als ein einziger Mikrogamet in den Makrogameten
eindringt. Innerhalb dieser Cystenhülle verschmelzen nun
die beiden Kerne der Gameten miteinander. Die Copula
kann man als Oocyste bezeichnen (Fig 9). Häufig wird
schon in diesem Zustande die Oocyste mit dem Koth aus
dem Darm des Wirths entleert, in andern Fällen geschieht
dies erst, nachdem sich die Sporen innerhalb der Cyste ge-
bildet haben.
Der Makrogamet hat erst durch die Befruchtung die
Fähigkeit der Sporogonie erlangt, man kann daher die Co-
pula als Sporont bezeichnen. Der aus der Verschmelzung
des Makro- und Mikrogametenkerns entstandene Sporonten-
kern theilt sich durch eine Art primitiver Mitose in zwei
Tochterkerne, deren jeder wieder auf dieselbe Weise in
zwei getheilt wird. Erst nachdem die vier Kerne sich
regelmässig im Protoplasma vertheilt haben, zerfällt auch
das letztere in vier gleiche Theilstücke, deren Centrum von
je einem Kern eingenommen wird. Diese vier Zellen, die
den Namen „Sporoblasten" führen können, entwickeln sich
unter Abscheidung einer dicken, undurchlässigen Hülle auf
ihrer Oberfläche zu den Dauerstadien oder Sporocysten
(Fig. 11), welche in dem entleerten Koth des Wirthsthieres
eintrocknen können und gegen äussere Einflüsse sehr wider-
standsfähig sind.
Der Kern der Sporocysten theilt sich in ähnlicher
Weise wie der Sporontenkern in zwei, worauf der Inhalt
der Sporocyste unter Zurücklassung eines grossen Rest-
körpers in zwei sichelförmige Keime zerfällt (Fig. 11), die
wir im Gegensatz zu den Merozoiten als Sporozoiten be-
zeichnen können.
Wenn eine solche reife Cyste mit der Nahrung in den
Darmkanal des richtigen Wirthsthieres gelangt, so platzen
unter dem Einfluss des Darmsaftes die Sporenhüllen und
die Sporozoiten kriechen heraus. Sie bohren sich in die
Epithelzellen und machen die hier geschilderte Entwicklung
Sitzung com IS. Juli 1S99. ]QQ
durch. Hiermit ist der Zeugimgskreis des Coccidium ge-
schlossen; derselbe erweist sich durch den Wechsel
von ungeschlechtlicher und geschlechtlicher Fort-
pflanzung als echter Generationswechsel.
Auf einzelne Verschiedenheiten , welche sich in der
Gruppe der Coccidien finden und welche durch Anpassung
an bestimmte eigenartige Lebensbedingungen von einigen
Formen secundär erworben sind, kann ich hier nicht ein-
gehen (vergl. meine ausführliche Arbeit). Bezüglich der
Unterdrückung der ungeschlechtlichen Fortpflanzung bei
Benedenia verweise ich auf die Monographie dieser Form
von Siedlecki *) bezüglich Adelea auf die ausführliche Arbeit
desselben Autors2), welche die Resultate unserer gemein-
samen Untersuchung über diese höchst differenzirte Coccidie
enthält. —
Wenden wir uns nun zu den Haemosporidien. Diese
von den meisten Autoren ebenfalls zu den Sporozoen ge-
stellten Organismen sind Blutschmarotzer der Wirbelthiere.
Sie finden sich mit Ausnahme der Fische bei allen vier
übrigen Gruppen. Im Gegensatz zu den Coccidien zeichnen
sich manche Haemosporidien durch amöboide Beweglichkeit
im ausgebildeten Zustand aus. Ihr Sitz ist während ihres
vegetativen Lebens in den roten Blutkörpern, die sie
während ihres Wachsthums in ähnlicher Weise zerstören,
wie die Coccidien die Epithelzellen. — Die Entwickelung
der Malaria-Parasiten im Blute ist infolge zahlreicher
Untersuchungen der Mediciner als gut bekannt anzusehen.
Einen Abschluss dieser Forschungen, als deren Hauptver-
treter Laveran, Marciiiafava, Celli, Golgi, Grassi,
Mannaberg und andere anzusehen sind, hat in neuester
Zeit Ziemann gemacht, indem er auch die feineren Kern-
verhältnisse während des ganzen Lebens des Malaria-
parasiten im Blut des Menschen studirte und alles Bekannte
in seinem Buch „Ueber Malaria- und andere Blutparasiten"3)
zusammenfasste.
») In: Ann. Instit. Pästeur 1898 p. 799—836.
2) In: Ann. Instit. Pasteur 1899, Fevrier.
3) Jena 1899.
170 Gesellschaft naturforschender Freunde, Berlin.
Während der im Blute sich abspielende Theil der
Entwicklung der Haemosporidien. auch bei den übrigen
Wirthsthieren, den Vögeln, Reptilien und Amphibien nicht
schwierig zu ermitteln war (besonders Labbe s Verdienste
sind auf diesem Gebiet anzuerkennen, dieser Autor hat in
seiner ausführlichen Haemosporidien-Monographie die Grund-
lage zu einer künftigen Systematik dieser Organismen ge-
legt und ihre Organisation vergleichend studirt), blieb die
Art der Infection ganz unbekannt, bis in jüngster Zeit die
experimentelle Prüfung der Frage ganz überraschende Auf-
schlüsse über einen wichtigen zweiten Theil der Lebens-
geschichte der Haemosporidien gegeben hat; dieser zweite
Abschnitt der Entwickelung spielt sich im Körper eines
Insects ab und machen die Haemosporidien in dem kalt-
blütigen Wirth ein Stadium als Epithelzellschmarotzer
durch, welche Thatsache ihre phylogenetische Ableitung
von den typischen Epithelzellparasiten, den Coccidien sehr
nahe legt.
Dass die sog. „Mosquito-Malaria-Theorie", die von
vielen als etwas ganz Neues angesehen wird, schon vor
langer Zeit und in verschiedenen Welttheilen aufgestellt
worden ist, hat Nuttal1) in seinem ausführlichem Referat
aber die neuere Malariaforschung nachgewiesen. Schon die
Römer (Columella, Vakro, Vitkuv) deuten Beziehungen
zwischen den Insecten und der Malaria-Krankheit an, worauf
vor Nuttal schon Plehn2) aufmerksam gemacht hat.
Interessant ist auch die Angabe Kochs, dass die Neger in
Ostafrika die Malaria auf den Stich von Insecten zurück-
führen, ja sogar für die Krankheit und ihre Erreger, die
Mosquitos, nur ein Wort „Mbu" besitzen. Nuttal3) hat
auch alle Angaben über die wiederholte Neuentdeckung
dieser Theorie gesammelt und die Gründe, welche für oder
gegen dieselbe geltend gemacht worden sind, übersichtlich
zusammengestellt. Während also die Idee, dass die Mücken
1) Centralblatt für Bacter. u. Paras. K, vol. XXV 1899, Nr. 5—10
u. Nr. 24—25.
2) Aetiologische und klinische Malaria-Studien, Berlin 1890, p. 40.
3) 1. c.
Sitzung vom 18. Juli ist)'.). 171
die Uebertragimg der Malaria bewirken, alt ist, hat man
sich erst in neuester Zeit an die experimentelle Prüfung
ihrer Richtigkeit gemacht. Ich kann hier nicht ausführlich
auf die umfangreiche Malaria-Litteratur eingehen, dies ist
auch überflüssig, weil die Quellen kritisch und vollständig
bei Nuttal1) zu finden sind. Die Anregung zur Inangriff-
nahme des experimentellen Malaria- Studiums gab der
englische Parasitenforscher Maxson, der durch seine Unter-
suchung über die Rolle der Mosquitos als Zwischenwirth
bei der Uebertragimg der Filaria Bancrofü schon einen
ähnlichen Forschungsweg beschritten hatte. Maxson ver-
anlasste den englischen Militärarzt Ross in Indien mit
Mosquitos und Malariakranken zu experimentiren und gab
ihm die Anleitung hierzu. In der That ist es Ross als
erstem gelungen, etwas über die Entwicklung der Haemo-
sporidien [Proteosoma der Vögel. Plasmodium des Menschen)
im Körper der Mücken zu ermitteln. Ross liess Mücken
an malariakranken Vögeln (Proteosoma) und später auch
Menschen (Plasmodium) saugen und konnte feststellen, dass
die Parasiten in das Darmepithel der Mücke eindringen,
dann heranwachsen und in der Submucosa grosse Cysten
bilden, die Sporozoiten in die Leibeshöhle entleeren, dass
letztere dann in die Speicheldrüsen gelangen und von hier
beim Stich des Insects in das Blut des ersten Wirths über-
tragen werden Der experimentelle Nachweis, dass ge-
sunde Vögel nach dem Stich inficirter Mücken krank werden,
gelang ebenfalls.
Gleichzeitig wurde von dem Amerikaner Mc-Callum
an Halter iditim (Vogelblut) und Plasmodium eine andere
wichtige Entdeckung gemacht, die ebenso, wie bei den
Coccidien, erst den Schlüssel für das Verständniss des
Zeugungskreises der Haemosporidien ergab, nämlich die
Beobachtung der Copulation. Es ist von Interesse, dass
die Malariaforschung dieselben Irrthümer aufwies, wie früher
die Coccidienforschung. Man fasste alle Stadien, die augen-
*) Die Litteratur-Liste, auf die auch bezüglich der nachfolgenden
Angaben verwiesen sei, befindet sich 1. c. p. 343.
m
J72 GeseUscluift naturforschender Freunde, Berlin.
scheinlich nicht mit der sogenannten Sporulation der Haemo-
sporidien im Blut in Beziehung zu bringen waren, als De-
generationsformen, sterile Stadien, Abnormitäten auf, bis
erst Mc-Callüm nachwies, dass die Halbmonde, Sparen und
Geisseikörper die männlichen und weiblichen Fortpflanzungs-
stadien sind. Genau so bei den Coccidien, Schneider und
Labbe hielten auch die Makrogameten für Degenerations-
produkte.
Bedeutend vertieft und weiter ausgedehnt wurden
dann die yon Ross begonnenen Versuche von der italienischen
Schule, als deren Haupt Gkassi anzusehen ist. (Im Juli
1898 hat sich iu Italien eine Gesellschaft von Zoologen und
Medianem zur Erforschung der Malaria zusammengethan,
um durch Arbeitstheiluug weiter zu kommen, die Haupt-
mitglieder sind ausser Gkassi noch Bignami, Bastianelli,
Casagrandi, Celli, Dionisi u. a. ; ich glaube, dass diese
Methode Nachahmung verdient; bei uns in Deutschland
schliessen sich die Mediciner sehr von den Zoologen ab.
doch werden sie auf die Dauer nicht ohne die Erfahrungen
derselben auskommen können, das complicirte und zeit-
raubende Studium der freilebenden Protozoen z. B. ist eine
nothwendige Vorbedingung für das Verständniss der an das
parasitäre Leben angepassten Formen und das können die
Mediciner allein nicht bewältigen.)
Grassi und seiner Schule gelang auch die Inficirung
des Menschen durch den Stich einer künstlich inficirten
Mücke, besonders gebührt aber diesem Forscher das Ver-
dienst, festgestellt zu haben, dass nur bestimmte Mücken-
arten (die Angehörigen der Gattung Anophelcs) im Stande
sind, die Parasiten zn übertragen.
Wenn nun auch von allen diesen Forschern bisher nur
kurze, vorläufige Mitth'jilungen veröffentlicht worden sind1)
und noch keine ausführliche, mit kritisirbaren Abbildungen
versehene Arbeit vorliegt, und wenn auch noch manche
Fragen ganz offen sind (z. B. das Schicksal der Parasiten
während der Entwicklung der Mücken, ferner, ob alle
l) cf. Nuttal, 1. c, p. 343—345 und p. 910—911.
Sitzung vom 18. Juli 1S99. 173
Haeniosporidien einen solchen Wirthswechsel besitzen, z. B.
die der Amphibien und Reptilien, welche doch kaum von
Mücken übertragen werden dürften etc. etc.), so glaube ich
doch, dass die bisherigen Angaben schon genügen, um für
den Vergleich mit den Coccidien ein Schema des Zeuguugs-
kreises der Haeniosporidien aufzustellen.
Ich wähle als Beispiel für dasselbe die Gattung Pro-
tcosoma, deren Vertreter im Vogelblut leben, weil ich diese
Form selbst genauer untersucht habe, worüber ich andern
Orts ausführlich berichten werde. Auf Grund der Unter-
suchungen von Ross und Gkassi (und seiner Mitarbeiter)
und mit eigenen Ergänzungen, die sich hauptsächlich auf
die Bildung der Geschlechtszellen und die Copulation er-
strecken, ergiebt sich folgendes Schema des Zeugungskreises
von Protcosoma (cf. die Figur II):
Durch den Stich von Culex pipiens gelangen die Sichel-
keime, die ich in Uebereinstimmung mit den entsprechenden
Gebilden bei Coccidien, Sporozoiten nenne, in das Blut eines
Vogels; hier wandern diese schwach gekrümmten, kurzen
Körper (Fig. 1), ebenso wie die Sporozoiten der Coccidien.
umher1) und werden mit dem Blutstrom im Körper zerstreut;
sie vermitteln die Infectiou, indem sie in die rotheu Blut-
körperchen eindringen (Fig. 2). Hier wachsen sie auf Kosten
des Blutkörpers zu Schizouten heran, wobei sie reichlich
Pigment im Plasma ablagern (Fig. 3). Im rothen Blutkörper
wird der Kern an die Seite gedrängt und schliesslich bleibt
von ihm nur eine dünne, den Parasiten umgebende Hülle
mit dem Kern übrig. Nach beendetem Wachsthum theilt
sich der Kern des Schizonten wiederholt durch directe Kern-
theilung in verschieden zahlreiche Tochterkerne (nach eigenen
Untersuchungen spielt hierbei das Karyosom dieselbe Rolle
wie bei der Schizogonie der Coccidien, cf. meine demnächst
erscheinende ausführliche Arbeit über Coccidium in den
Zoolog. Jahrbüchern). Das Pigment sammelt sich im Centrum
oder an einer anderen Stelle des Plasmas zu einem Klumpen
') Leicht direct zu beobachten, wenn man den Thorax einer in-
ricirten Mücke im Vogelblut zerquetscht.
7 "H"*
] 74 GreseUschaß naturforschender Preunde, Berlin.
an (Fig. 4). und es zerfällt der ganze Körper des Parasiten
durch Schizogo-nie in eine verschieden grosse Zahl von
kleinen, einkernigen, amöboid beweglichen Keimen (Fig. 5),
nur wenig Plasma bleibt mit den Pigmentklumpen als Rest-
körper zurück. Die kleinen Fortpflanzungskörper, die ich,
ebenso wie bei den Coccidien, Merozoite nennen will, können
nun dieselbe Entwicklung wie die Sporozoite durchmachen,
d. h. in Blutkörper eindringen, zu amöboiden Schizonten
heranwachsen und sich wieder theilen. Auf diese Weise
können mehrere ungeschlechtliche Generationen aufeinander
folgen (Fig. 5 über 2 — 5). Die Schizogonie dient ebenso
wie bei den Coccidien zur Ausbreitung und Vermehrung der
Parasiten im Wirth (Autoinfection). Später treten erst die
Geschlechtsformen auf. Ebenso ist es bei den Coccidien.
auch dort folgen erst mehrere ungeschlechtliche Generationen.
— Bei den Infusorien, wo allmählich die Theilungsfähigkeit
abnimmt, bis durch die Conjugation wieder eine Auf-
frischung erfolgt, liegen ähnliche Verhältnisse vor. wie
schon Siedlecki und ich betont haben. — Bei den Haerao-
sporidien vermittelt die Copulation die Neuinfection anderer
Wirthe, ähnlich wie bei den Coccidien. und ist besonders
bei der Differenzirung der Geschlechtsindividuen die Ueber-
einstimmung frappant. — Ein Theil der Schizonten wächst
nämlich auch bei den Haemosporidien langsamer heran,
scheidet viel feinkörniges Pigment ab und zeigt ein dichteres,
stärker lichtbrechendes Plasma (Fig. 6), es sind die weib-
lichen Individuen, die wir bei den Coccidien Makro-
gameten1) genannt haben (Mc-Callum hat dieseu Charakter
sehr gut erkannt). Sie besitzen bei Proteosonia ebenso wie
bei Halteridlum bohnenförmige Gestalt und sind leicht von
den amöboiden, unregelmässig gestalteten Schizonten zu
unterscheiden (erleichtert wird diese Unterscheidung noch
durch das dichtere, granulirte Plasma und durch die reichere
Pigmeutanhäufung in den Makrogameten). Die männlichen
') Grassi benutzt bei den Haemosporidien auch diese von uns
bei den Sporozoen eingeführten Namen, ohne aber, ebenso wie alle
anderen Autoren, Riedeecris und meine Arbeit zu erwähnen.
Sitzung vom 18. Juli 1899. 175
Geschlechtszellen, die wir als Mikrogametocyten bezeichnet
haben (Fig. 7), zeigen ähnliche Gestalt wie die Makro-
gameten (bohnenförmig), besitzen aber ganz hyalines Plasma
und zeigen ein sehr grobkörniges Pigment (Fig 7). Sie
sind in ihrer Entwicklung immer etwas vor den Makro-
gameten voraus, wachsen also schneller. Die Kernver-
mehrung der Mikrogametocyten ist genau so wie bei den
Coccidien eine multiple, wie ich später andern Orts aus-
führlich nachweisen werde, auch die Bildung der Makro-
gameten und ihre Abschnürung von dem grossen Restkörper
erfolgt in derselben Weise (Fig. 7 a). Das Karyosom geht
bei der Kerntheilung ebenso zu Grunde, wie bei der Mikro-
gametenbildung der Coccidien. Geissein habe ich bisher
an den Mikrogameten der Haemosporidien nicht entdecken
können, sie bewegen sich wie bei Klossia durch schlängelnde
Bewegungen des Körpers. Sie bestehen grösstenteils aus
Kernsubstanz ; nur wenig Plasma wird bei ihrer Bildung
verbraucht. Die Makrogameten machen einen ganz ent-
sprechenden Reifungsprocess wie bei den Coccidien durch;
sie runden sich kugelig ab, wobei ein Theil der Kern-
substanz (das Karyosom) ausgestossen wird (Fig. 6 a). Die
Befruchtung ist identisch mit der bei den Coccidien ge-
schilderten (Fig. 8). Es wird auch hier ein Empfängniss-
hügel gebildet, durch den nur ein einziger Mikrogamet
eindringt.
Die weitere Entwicklung der Zygote erfolgt nun aber
in anderer Weise. Die Befruchtung wird nur selten im Blut
des warmblütigen Wirthes vollzogen, sondern meist erst im
Darm der Mücke, welche beim Saugen die Parasiten auf-
genommen hat. Offenbar gehört ein besonderer Reiz dazu,
um die Geschlechtsfunction auszulösen. Dieser Reiz scheint
in der Abkühlung zu bestehen, wofür auch die Thatsache
spricht, dass auf dem Objectträger stets nach einiger Zeit
alle Geschlechtsindividuen zur Copulation schreiten. Bei
den Coccidien wird die Zygote nach erfolgter Befruchtung
sofort zur Oocyste, und wird mit dem Darminhalt entleert.
Bei den Haemosporidien darf dies nicht geschehen, sondern
176 Gesellschaft naturforschender Freunde, Berlin.
die Copula muss im Zwischenwirth bleiben, damit die Art
wieder in den ersten Wirth gelangt.
Um diesen Zweck zu erreichen, entwickelt sich die Copula
zu einem langestreckten, beweglichen Körper, der imstande
ist, in das Darmepithel der Mücke sich einzubohren (Fig. 9) ;
hier kommt er in einer Epithelzelle zur Ruhe, wächst be-
deutend heran uud gelangt schliesslich aus der Epithelzelle
in die Submucosa. wo er unter der Muskelschicht als
buckelartige Hervorwölbung in die Leibeshühle hineinragt.
Er hat inzwischen eine Cystenhülle abgeschieden und
sich hiermit zur Oocyste entwickelt. Wahrend also bei
den Coccidien die Copula direct zur Oocyste wird, hat sich
bei den Haemosporidien ein bewegliches Zwischenstadium
(wohl in Anpassung an die andersartigen Lebensbedingungen)
ausgebildet, für welches ich den Namen „Ookinet" vor-
schlage 1).
In der Oocyste theilt sich das Plasma nach voraus-
gegangener Kernvermehrung in zahlreiche Sporoblasten
(Fig. 10). Bei den Coccidien scheiden die Sporoblasten
eine Hülle ab und entwickeln sich damit zu Sporocysten,
die dann erst durch Theilung ihres Inhalts die Sporozoiten
bilden. Bei Proteosoma fehlt die secundäre Cystenbildung.
die Sporoblasten theilen sich direct in Sporozoite (Fig. 11),
wobei in jedem Sporoblasten ein kleiner Restkörper zurück-
gelassen wird, Die Sporozoiten werden durch Platzen der
Oocystenhülle in die Leibeshöhle der Mücke entleert und
gelangen mit dem Lymphstrom auch in die Speicheldrüsen,
aus denen sie dann beim Stich der Mücke mit dem Speichel
in das Blut des ersten Wirths gelangen. Wir sind hiermit
zu dem Stadium, von dem wir ausgingen, angelangt, der
Zeugungskreis ist geschlossen, derselbe ist ebenso wie bei
den Coccidien ein echter Generationswechsel.
Die wenigen Differenzen, welche die Entwicklung der
Haemosporidien gegenüber den Coccidien aufweist (Ookineten-
Stadium. Fehlen der Sporocystenbildung) erklären sich durch
*) Den ich einer anregenden Discnssion mit Herrn Geheimrath
F. E. Schulze verdanke.
Sit:un<j com IS. Juli 1899.
177
-6a
178 Gesellschaft naturforschender Freunde, Berlin.
die Anpassung an den Wirthsweehsel und sind als seeundäre
zu bezeichnen. Jedenfalls glaube ich, dass der hier nur
in Kürze angedeutete Vergleich die nahe Verwandtschaft
der Coccidien und Haemosporidien plausibel gemacht hat.
Die Untersuchung der Haemosporidien der Amphibien
(Drepanidium) wird, wie ich vermuthe, diese Ansicht noch
bestärken; denn ich glaube, dass bei diesen Formen kein
Wirthsweehsel vorliegt. Für die Phylogenie der Haemo-
sporidien werden dieselben wichtige Aufklärung liefern.
Ich hoffe demnächst andern Orts ausführlich auf diese Frage
zurückzukommen.
FigurenerKlüruiig.
I. Schema des Zeugungskreises einer Coccidie (Typus Coccidium).
IL Schema des Zeugungskreises einer Haemosporidie (Typus Prott osomä).
In den beiden Zeugungskreisen bezeichnen die gleichen Nummern
homologe Stadien der Entwicklung. Die homologen Stadien empfehle
ich mit den gleichen Namen zu belegen und schlage folgende einheit-
liche Nomenclatur vor:
Fig. 1. Sporozoit.
Fig. 2. Sporozoit in die Wirthszelle eindringend.
Fig. 3. Herangewachsener Schizont.
Fig. 4. Kernvermehrung zur Schizogonie.
Fig. 5. Schizogonie und Loslösung der Merozoitc vom Restkörper.
Der Cyclus von '> über '_' kann in der Pfeilrichtung
wiederholt werden.
Fig. 6. Makrogamet vor, 6a nach der Reifung (Abrundung und
Ausstossung des Karyosoms).
Fig. 7. Mikrogametocyt, 7 a Mikrogametenbildung.
Fig. 8. Copulation.
Fig. 9. In Schema I Oocyste, in Schema II Ookinet.
Fig. 10. Sporoblastenbildung in der Oocyste.
Fig. 11. Sporozoitenbildung (bei I in den Sporocysten, bei II fehlt
die Sporocystenhülle, die Sporoblasten zerfallen direct in
die Sporozoiten).
Sitzung com itt. Juli, 1S00. 179
Referierabend am II. Juli 1899.
Herr Heymons über Pratt, H. S.: The Anatomy of the
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Melophagus ovinus. Zeitschr. wiss. Zool., Bd. 66, 1899.
Herr Kolkwitz über Schimper: Pflanzen -Geographie auf
physiologischer Grundlage. Jena 1898.
Herr Schaudinn über: Neuere Untersuchungen über Coccidien
und Malaria -Parasiten (zusammenfassende Uebersicht).
Im Austausch wurden erhalten:
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Proc. Trans. Nov. Scot. Inst. Sei. Vol. IX. Part. 4. Halifax 1898.
Bolet. Instit. Geol. Mexico. No. 11. Mexico 1898.
New South Wales. Dep. Mines Agric. Geol. Survey.
Mineral Resources No. 5. — J. A. Watt, Rep. on the
Wyalong Gold-Field. Sydney 1899.
Dep. Mines Agric. Mem. Geol. Surv. New South Wales.
Ethnolog. Ser. No. 1. — Campbell, Aboriginal Car-
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Dep. Mines Agric, Sidney. — Records Geol. Survey New
South Wales. Vol. VI, Part II, 1899, Sidney.
Annais South Afrie. Mus. Vol. I, Part 2. London 1899.
Journal Roy. Microsc. Soc. 1899. Part 3. London.
Proc. Zool. Soc. London. 1899. Part I.
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J. F. Stareke, Berlin W.
Nr. 8. 1899.
Sitz ungs-ße rieht
der
Gesellschaft naturforschender Freunde
zu Berlin
vom 17. Oktober 1899.
Vorsitzender: Herr von Martens.
Herr W. Hartwig sprach 1. über eine neue Candona
aus der Provinz Brandenburg: Candona marchica,
und 2. über die wahre Candona pubescens (Koch).
1. Candona marchica nov. spec.
Von dieser neuen Art erbeutete ich am 1. April 1899
und am 5. Mai 1899 je 8 und 6 r/ am Nordende des
Grunewaldsees. Das zugehörige 2 habe ich mit Sicher-
heit noch nicht feststellen können.
Die Schale ist von milchweisser Farbe, ziemlich
durchsichtig und stark behaart. Es verhalten sich
Länge : Höhe: Breite = 1,00:0,60:0,42 mm. In der Seiten-
ansicht erscheint dieselbe fast nierenförmig, hinten aber
bedeutend höher als vorn; die grösste Höhe liegt im letzten
Drittel. Der Rücken ist im mittleren Drittel fast gerade,
vor dem Auge etwas eingedrückt und hinter der höchsten
Stelle in gleichmässigem Bogen nach unten gehend. Der
Unterrand ist ziemlich stark eingebuchtet, mit der tiefsten
Stelle vor der Mitte; im letzten Drittel dagegen ist der-
selbe ausgebuchtet und hier mit deutlich wahrnehmbarem
hyalinen Saume versehen. In der Rückenansicht er-
scheint die Schale langeiförmig, mit der grössten Breite im
letzten Drittel; vorn ist dieselbe zugespitzt und fast kiel-
förmig ausgezogen, hinten dagegen abgerundet. Die linke
184 Gesellschaft naturfwschender Freunde, Berlin.
Hälfte überragt vorn und hinten die rechte ziemlich be-
deutend. Die Schale hat also viel Aehnlichkeit mit der
von Gandona rostrata Brady and Norman. Bei starker
Vergrösserung bemerkt man, dass dieselbe deutlich mosaik-
artig1) gefeldert ist.
Die 2. Antenne ist sechsgliederig. Von den beiden
ungleichlangen Spürorganen reicht das grössere mit seinem
membranösen Anhängsel bis etwa zur Mitte der Endklauen,
das kleinere hingegen ist um die Länge seines Anhängsels
kürzer als das grössere. Das letzte Glied der Antenne ist
etwa halb so breit wie das vorletzte; seine Breite verhält
sich zu seiner Länge wie 2:5.
Der Putzfuss ist sechsgliederig2). Die kleine, sehr
gekrümmte Hakenborste ist so lang wie das Endglied, die
grosse ist ungefähr neunmal so lang wie die kleine (genaues
Verhältniss = 28 : 3). Das 4. und 5. Glied des Putzfusses
sind fast von gleicher Länge.
Die Furcalglieder (Fig. 1, f) sind kurz, an der Basis
dick, verjüngen sich aber nach der Spitze zu sehr stark.
Die erste Endklaue ist verhältnissmässig sehr gross, fast
so lang wie das ganze Furcalglied. Die zweite Endklaue
dagegen ist auffallend klein, nicht ganz von der halben
Länge der ersten; das genaue Verhältniss ist im Mittel
= 14:31. Diese 2. Klaue ist beinahe gerade und fast
borstenförmig; sie verjüngt sich spitzenwärts hinter ihrem
basalen Drittel plötzlich und ist an ihrem Grunde nur den
dritten Theil so stark wie die erste. Beide Endlauen sind
an ihrer inneren Curvatur bedornt, was freilich bei der
zweiten, wegen ihrer Kleinheit, nicht leicht zu erkennen ist.
Die vordere Endborste ist ungemein winzig, so dass sie
schwer zu bemerken ist. Die hintere Borste ist nicht viel
!) Diese mosaikartige Felderung bemerkt man freilich nicht blos
bei Candonen, sondern auch noch an der Schale anderer Ostracoden.
2) Ich fasse, entgegen der Ansicht von Claus, die stärkere Basis
des Stammes des 2. Fusspaarcs als 1. Glied und den darauffolgenden
schwächeren Theil desselben als 2. Glied des sog. Putzfusses auf. es
entsteht dann, durch Theilung des vorletzten Gliedes, die Sechs-
gliederigkeit.
Sitzung vom 17. Oktober 1899.
185
Figur 1. Candona marchica W. Hartwig, nov. spec.
kürzer als die 2. Endklaue (genaues Verhältniss = 11 : 16);
sie steht etwa am apicalen Viertel des Hinterrandes. —
Unter den acht von mir zergliederten cf fand ich eines,
dessen linkes Furcalglied abnorm gebildet war. Es be-
fanden sich nämlich an diesem Gliede zwei grosse und
eine kleine Endklaue. Von den beiden grossen Endklauen
war die zweite die grössere, die dritte aber war von nor-
maler Grösse: sie entsprach vollkommen der zweiten End-
klaue des regelrecht gebildeten rechten Furcalgliedes. Den
drei Endklauen entsprechend war das linke Glied viel
stärker als das rechte.
Die Greiftaster haben die Form, wie sie Fig. 1, 1 und r,
zeigt; wobei zu bemerken ist, dass 1 den linken und r den
rechten Greiftaster darstellt.
Leichte Erkennungsmerkmale: Die Endbewehrung
der Furcalglieder und die Form der Greiftaster.
Da ich nur im April und Mai die Candona marchica
auffand — und zwar nur cf — so darf ich, nach meinen
Erfahrungen, annehmen, dass es eine Frühjahrsform ist.
Frühjahrformen nenne ich die Arten, welche während der
eigentlichen Frühlingsmonate in überwiegender "Anzahl
8*
186 Gesellschaft naturforschender Freunde, Berlin.
geschlechtsreif, ausser dieser Zeit aber nur vereinzelt
geschlechtsreif, meist jedoch nur als Larven oder garnicht
vorkommen; sie erreichen also ihr Optimum im Frühjahre.
Ich benannte diese Species nach der Mark Branden-
burg, obwohl ich sehr wohl weiss, dass dieselbe früher oder
später sicher noch an vielen Orten ausserhalb Brandenburgs,
wenn ihr nur die Lebensbedingungen gegeben sind, auf-
gefunden werden wird.
2. Candona pubescens (Koch).
Im Jahre 1837 beschrieb Koch — und bildete auch
die Schale kenntlich ab (Deutschi. Crustac, 11, 6) — eine
Candona, die seitdem, wie es mir scheint, nicht wieder auf-
gefunden worden ist. G. 0. Saks identificirte mit Koch's
Cypris pubescens 1890 eine Candona, deren Grössen Verhält-
nisse durchaus nicht den Koch' sehen Abbildungen ent-
sprechen. Vavka that 1891 (Ostr. Böhm., p. 43) dasselbe
mit einer Candona, die weder Koch's noch Sars' Candona
pubescens sein kann. 1894 beschrieb Croxeberg (Ostracoden-
fauna d. Umg. von Moskau, p. 6) eine Candona pubescens
und identificirte dieselbe mit G. 0. Sars' und Koch's Can-
dona pubescens; diese Candona pubescens Croxeheko's ist
aber ebenfalls weder Saus' noch Koch's Candona pubescens,
wie ich später zeigen werde.
Im April und Mai dieses Jahres (1899) fand ich nun
eine kleine Candona ziemlich häufig in den Seen des Grune-
waldes, die ich für die wahre (Jandona pubescens (Koch)
halte. Da mir die kurze lat. Diagnose, die G. 0. Sars von
seiner Candona pid>escens giebt (0 versigt 1890, p. 64). nicht
genügte, so wendete ich mich wegen diesbezüglichen Materials
an Herrn Professor Sars in Christiania, der mir auch so-
fort in liebenswürdigster Weise seine Candona pubescens —
und noch anderes werthvolles Candonen- Material - über-
mittelte. Herzlichen Dank spreche ich auch hier noch dem
bekannten nordischen Forscher dafür aus!
Ehe ich zur ausführlicheren Beschreibung meiner Can-
dona pubescens übergehe, führe ich einige Sätze aus Koch's
Besehreibung seiner Candona pubescens an. Er sagt u. a.
Sitzung vom 17. Oktober 1899, 187
wörtlich: „Stark und dicht borstig". „Gegen den Rücken zu
ungemein fein ausgestochen punktirt". . . . „dorso fornicato".
Ich beschreibe meine Candona pubescens wie folgt:
Die Schale ist ausser der mosaikartigen Felderuug
noch punktirt; diese punktartigen Grübchen werden gegen
den Rücken hin grösser und zahlreicher. Sie ist mit ungleich-
langen Haaren dicht besetzt: die längsten derselben er-
reichen etwa den sechsten Theil der Schalenlänge. Die
Grössenverhältnisse beim tf sind: Länge : Höhe : Breite
= 0,87 : 0,54 : 0.47. Die Schale des 9 ist 0,84 mm lang und
dementsprechend hoch und breit. (Misst man Koch's Ab-
bildungen, so findet man etwa: Länge : Höhe : Breite
— 84 : 50 : 44. also dasselbe Verhältniss wie bei meinen
Stücken). In der Seitenansicht erscheint die Schale
des cf meiner Stücke fast eiförmig (Fig. 2, s), unterseitlich
abgeplattet. Der Rücken ist gewölbt, hinten höher als vorn;
die grösste Höhe liegt im letzten Drittel. Der Unterrand
ist kaum eingebuchtet. In der Rückenansicht erscheint
die Schale kurz -eiförmig, vorn zugespitzt und hinten ab-
gerundet; die linke Schale überragt vorn und hinten die
rechte kaum merklich. Die grösste Breite liegt hinter der
Mitte (Koch's Abbildungen zeigen auch diesbezüglich fast
dasselbe). Die sechs Muskelabdrücke sind ungefähr
gleich gross und fast oval; der obere, um ein Geringes
grösser als die anderen, steht etwas entfernt von den fünf
übrigen.
Die Schale des 9 ist der des cf äusserst ähnlich, nur
ist bei ihr der hintere untere Schalenwinkel mehr zugespitzt
als beim d\
Die 2. Antenne ist auch beim Männchen fünf-
gliederig, und es fehlen daran die sogen. Spür-
organe1).
Der Putzfuss ist sechsgliederig. Die kleine Haken-
*) Man könnte daher, besonders wenn man sich an Vävra's Diagnose
der Gattung Ca ndona hält, Candona pubescens (Koch) zu einer neuen
Gattung erheben. Auch noch andere, von den typischen Candonen
abweichende Eigenthündichkeiten zeigt diese Art.
188
GesclUehttft natiirforschender Freunde, Berlin.
börste ist doppelt so laug wie das Endglied, die grosse ist
etwa dreimal so lang wie die kleine; die Terrninalborste
ist noch etwas länger als die grosse Hakenborste Das
genaue Verhältniss des Endgliedes : kleinen Hakenborste :
grossen Hakenborste : Terminalborste ist = 5 : 10 : 27 : 33.
Die Greiftaster sind von der Form, wie sie Figur 2
zeigt; wobei zu bemerken ist, dass 1 den linken und r den
rechten Taster darstellt.
^y.
/L
Figur 2. Gandona pubescens (Koch): 1837.
DieFurcalglieder sind lang und schlank, fast gerade.
Die Endklauen sind stark, im Verhältniss zu den Gliedern
nur kurz und an ihrer inneren Curvatur deutlich bedornt.
Die hintere Borste ist lang; sie verhält sich zur 2. End-
klaue = 12:17; sie ist etwa am apicalen Sechstel des
Hinterrandes des Furcalgliedes eingefügt. Die vordere End-
borste ist sehr klein. Die Länge der ersten Endklaue be-
trägt etwa die Hälfte von der Länge des Furcalgliedes
(19 : 40).
Leichte Erkennungsmerkmale: Die kurz-eiförmige
Gestalt der Schale in der Rückeuansicht im Vereine mit
Sitzung vom 17. Oktober 1899. 189
der Fünfgliederigkeit der zweiten Antenne beim männlichen
Geschlechte, sowie gänzliches Fehlen der sog. Spürorgane.
Anmerkung.
Was ich früher („Brandenburgia" 1896. p. 378) als
Candona pubescens (Koch) aus der Provinz Brandenburg auf-
führte, war stets Candona pubescens Ckoneberg. Die Candona
pubescens G. 0. Saks habe ich bis heute in der Mark noch
nicht aufgefuuden; ich idenlificirte sie aber mit Candona
pubescens Cboneberg und, Sars folgend, auch mit Koch s
Candona 2)id>esccns. Heute aber, nachdem ich G. 0. Saus'
Form untersuchen konnte und die wahre Candona pubescens
Koch aufgefunden habe, sehe ich. dass alle drei Candonen
sehr von einander verschieden und wirklich gute Species
sind. Die Verschiedenheit der drei Arten springt schon
beim Vergleichen der Grösse und Form der Schalen in die
Augen.
1. Ckoneberg's Form (aus dem Grunewaldsee1) ist gross:
cf: 1,16 mm lang, 0,71 hoch und 0,51 breit.
9: 1,07 „ „ , 0,65 „ „ 0,43 „ .
2. G. 0. Saks' Stücke (aus Christiania) sind gross:
J: 1.22 mm lang, 0,85 hoch und 0,50 breit.
9 : 1,03 „ „ , 0,65 „ „ 0,44 „ .
Bei Croneberg's Art ist der mittlere Theil des Rückens
gerade, bei Saks' Art hingegen gewölbt. Bezüglich der
inneren Theile will ich hier nur auf die verschiedene Form
der Greiftaster beider Arten hinweisen, da ich nächstens aus-
führlicher über diese beiden Candonen zu schreiben gedenke.
Da die Arten beider Autoren durchaus verschieden von
einander, beide aber nicht mit Koch's Cypris pubescens
identisch sind, so müssen sie neu benannt werden. Ich
schlage daher für G. 0. Sars' Candona pubescens
den Namen Candona Sarsi und für die Candona
pubescens Cronebekg's den Namen Candona Crone-
bergi vor.
l) Die Stücke aus dem Schwielowsee sind kleiner: rf 1,07 mm
und 9 0,98 mm lang.
190 Gesellschaft natuiforschencler Freunde, Berlin.
Herr Hilgendorf legt vor ein in einer geschlossenen
Flasche Wein gekeimtes Getreidekorn, das von der
Weinflrina J. P Trakbach Nachf. der Gesellschaft zugesandt
worden ist. Herr Schwendexer erklärt sich bereit, den
Fall zu untersuchen.
Herr von Martens sprach über einige Landschnecken
Mittel-Italiens in Betreff ihrer geographischen Verbreitung,
nach Beobachtungen, die er in den Monaten .April und Mai
dieses Jahres daselbst gemacht hat.
In dem oberen Flussgebiet des Tiber, dem umbrischen
Apennin, treten hauptsächlich zwei Arten der i/cfe-Gruppe
Iberus als Felsenschnecken auf. Helix strigata Ferussac. an
natürlichen Felsen wie an Mauern lebend, und II. carsulana,
aber an keinem einzelnen Orte fanden sich beide zusammen,
sondern erstere in einem Bogen von Narni über Terui und
Spoleto bis Perugia, letztere in der Sehue dieses Bogeus
in deu Ruinen des alten Carsulae bei S. Gemine. An
diesem Fundort war sie schon um 1821 von dem Reisenden
Menard de la Groye gefunden und an Ferussac mitge-
theilt worden, dieser hat sie gut abgebildet (hist. nat. Moll,
terr., pl. 41, hg. 1). aber ungeschickter Weise sie erst car-
söliana, nacher carseolana genannt (prodroine pag. 32. No. 67
und pag. 67). indem er den genannten Ort mit einem weit
südlicher in den Apenninen gelegenen, dem alten Carseoli.
jetzt Carsoli (an der Eisenbahn zwischen Tivoli und Avezzano),
verwechselte; es empfiehlt sich daher, den Artnamen nun
noch einmal zu carsulana umzueorrigiren. Der Vortragende
hat beide Orte besucht und bei Carsoli wohl ein altes, halb
verfallenes Schloss, das sehr zum Schneckensammeln ein-
lud, gefunden, aber keine Art aus der genannten Gruppe,
dagegen an den Ruinen von Carsulae in weit kürzerer Zeit
eine Anzahl dieser schönen Schnecke, theils an den Ruinen
selbst, theils an den Brombeer- Stauden, die sich davor
emporrankten. Weiter südlich, im Sabinergebirge, lebt eine
nahe verwandte Art, die der Vortragende 1856 bei Subiaco
fand und damals als carsolana bezeichnete (Malakozool.
Blätter. IV. 1858. p. 137. V. p. 129. abgebildet bei Kobelt,
Sitzung vom 17. Oktober 1899. 191
Fortsetzung von Rossmässler's Iconographie, Bd. V, 1877.
Taf. 123. Fig. 1174—1176) und jetzt wieder bei Tivoli an
der via delle cascatelle, immer an Kalkfelsen, und die des-
halb jetzt 77. tiburtina genannt werden dürfte. Noch süd-
licher, im neapolitanischen Apennin, treten wieder andere
nahe verwandte Arten auf. Helix signata Fer. (circumsignata
Malak. Blatt.. V, p. 132) von Piedimonte d'Alife am Matese
bis Itri nahe der Meeresküste zwischen Terracina und Gaeta
und //. surrentina A. Schmidt an der Küste von Capri und
dem Monte Sant' Angelo bis Calabrien sich hinziehend und
stellenweise der erst erwähnten strigata sehr ähnlich werdend.
An keinem Orte habe ich zwei der bis jetzt genannten Arten
zusammen gefunden. Noch weiter verbreitet, aber nicht in
das eigentliche Gebirge der Appenuinen eindringend, sondern
mehr der Küstenzone augehörend, ist Hdix muralis 0. F.
Müllek 1 778. mit Recht so benannt, da sie längs der West-
seite Italiens an den Mauern der Städte von Pisa und
Florenz über Rom bis Neapel und Sicilien verbreitet ist;
es ist schwer zu sagen, ob die gleichmässigeren klimatischen
Verhältnisse der Meeresküste diese weitere Verbreitung be-
dingen oder ob Verschleppung mittelst Baumaterials durch
menschlichen Verkehr im Spiel ist, wie Dr. Kobelt meint,
der Sicilieu für ihr ursprüngliches Vaterland hält. Mit
einer der verwandten, vorhin genannten Arten habe ich sie
nur einmal zusammen getroffen, nämlich auf Capri mit
//. surrentina. Aehnlich verhält es sich mit zwei Felsen-
und Mauer -Schnecken aus der Gattung Clausilia, die sich
oft mit den genannten Helix- Arten zusammenfinden und
untereinander auch systematisch nahe stehen: Clausilia leu-
costigma (Zikgl.) Rossm.. grauröthlich mit erhabenen weissen
Strichelchen unter der Naht, findet sich im Appennin Mittel-
Italiens weit verbreitet, von Perugia und Narni bis Subiaco
und Ascoli, scheint aber nirgends die Meeresküste zu er-
reichen und auch nicht weiter südlich nach Unter -Italien
zu gehen. Cl. papillaris Drap, (bidens Linne, non 0. F.
Müller. Drap.. Rossm.) dagegen , weisslich mit kastanien-
brauner, weisspunktirter Naht, ist an allen Küstenstrecken
Italiens verbreitet, sowohl an der Ost- als an der Westseite,
192 Gesellschaft naturforschender Freunde, Berlin.
und erstreckt sich mehr oder weniger landeinwärts, in
Venetien nur bis in die Gegend von Padua, in Toscana
aber bis Florenz. Aber über ganz Italien, wie schon an-
gegeben wurde, ist auch sie nicht verbreitet, sie fehlt in
Piemout, an den oberitalienischen Seen und im Gebiet der
Cl. leueostigma, dem mittleren Appenuin; nur einmal habe
ich beide Arten nebeneinander gefunden, bei Tivoli, also
gerade an der Grenze der Berge uud der Küstenebene,
und zwar hier an zwei Stellen, an den Mauern der Garten-
terrassen der Villa d'Este und an den Säulen des Tempels
der Sibylle. Cl. papillaris ist auch über die Grenzen
Italiens hinaus an den Mittelmeerküsten verbreitet, auch bei
ihr kann an Einschleppung durch den Menschen gedacht
werden und es zeigt sich bei diesen zwei Clausilien der-
selbe Unterschied zwischen weitverbreiteten Küstenarteu
und geographisch beschränkteren Gebirgsarten. wie bei den
vorher genannten Helix. Diese Helix der Iberus- Gruppe
und die genannten Clausilien gehören in Mittel-Italien als
charakteristische Felsen- beziehungsweise Mauerbewohner
standortlich enge zusammen, wie in Süd-Tirol und an den
oberitalienischen Seen Helix (Campylaea) cingulata und
Clausula itala, in den sog. Dolomiten Helix (C.) prcsli und
Clausula stentzi.
Ihnen gegenüber stehen eine Anzahl Landschnecken,
welche mehr am Boden oder auf niederen Pflanzen leben
und an den Küsten des Mittelmeeres weit über die Grenzen
Italiens hinaus verbreitet sind, wie z. B. Helix vermiculata,
aperta, pisana, variabilis, trochoides und pyramidata, Cochlicella
acuta und ventricosa, Rumina decollata; all' diese siud auch
im Küstenland Toscanas und in der Umgegend Roms vor-
handen, die meisten dringen auch mehr oder weniger ins
Binnenland ein, so fand ich z. B. Helix variabilis wie in der
Campagua, so auch an rasigen Abhängen bei Carsoli, H.
pyramidata, so häufig in der Campagna, noch bei Narni und
Carsulae u. s. w. Nur Helix pisana, H trochoides und in
gewissem Maasse auch Cochlicella acuta bleiben auf die
Küstenzone beschränkt und sind wohl noch um Rom, aber
schon nicht mehr bei Florenz und noch weniger im eigent-
Sitzung vom 17. Oktober 1899. 193
licheu Appenninengebirge vorhanden; dabei ist es sonderbar,
dass von Paaren systematisch sich sehr nahe stehender
Arten, wie II. pyramidata und trochoides, Cocldicella ventricosa
und acuta, je die eine weit ins Binnenland hineingeht, die
andere auf die Küstenzone beschränkt bleibt; auch H. pisana
und rariabilis, die zwar nicht anatomisch, aber doch im
Habitus und in der Lebensweise einander sehr gleichen und
oft miteinander vorkommen, zeigen denselben Gegensatz
betreffs Erstreckung ins Binnenland.
Eine weitere Kategorie der Landschnecken Mittel-
Italiens bilden die durch gauz Süd-Europa und einen Theil
von West -Europa verbreiteten, nicht gerade die Küsten-
gegenden besonders bevorzugenden Arten, die auch in der
Lombardei vorkommen und so nach allen Himmelsrichtungen
über die Grenzen Mittel-Italiens hinausgehen, theilweise die
häufigsten und am leichtesten zu findenden Arten, wie HeJix
aspersa, cartusiana, cinctella, Buliminus tridens, Cyclostoma ele-
gans u. A. Eine letzte, bescheidenere Kategorie, die aus Mittel-
Europa gerade noch in die Berggegenden des nördlichen
Appennins hereinreicbendeu, aber nicht weiter nach Süden
vordringenden Formen, wie Helix obvöluta und Clausilia
plicatula, bei deren Anblick mau sich nach Deutschland
zurückversetzt glaubt.
Da ich schon vor 43 Jahren. 1856, ein paar Wochen
in Rom. damals noch unter päpstlicher Herrschaft, zuge-
bracht hatte, so bot sich ein Vergleich der damaligen
Schneckenausbeute mit der diesmaligen von selbst dar:
damals war ich erstaunt, wieviel Arten von Landschnecken
(12) innerhalb des Mauerbezirks von Rom zu finden waren,
es lag der Boden südlich und östlich vom Forum noch
grossentheils öde, wo jetzt neue Strassen sind, und auch die
bewohnten Theile von Rom waren weniger rein gehalten.
Kehrichthaufen und Ablagerungsstätten menschlicher Bedürf-
nisse da und dort zu finden. Jetzt musste ich schon die
neuangelegten Spaziergänge auf dem Janiculus ausserhalb
der Mauern zu Hülfe nehmen, um auch nur annähernd die-
selbe Zahl der Arten aufzutreiben, aber in viel geringerer
Individueuzahl. Im Jahre 1856 waren in fast allen den
J94 Gesellschaft naturforschender Freunde, Berlin.
zahlreichen Brunnen diesseits und jenseits des Tiber zwei
kleine Süsswasserschnecken zu finden, Limnaea f'usca und
Bithynia rubens, jetzt suchte ich in allen vergeblich darnach
und musste wieder auf den Janiculus. um überhaupt eine
Süsswasserschnecke zu finden. Damals bot mir der Coelius
ungewöhnlich grosse Helix pisana in Menge, die grössten
meiner Sammlung, jetzt fand ich in Korn nur ein einziges,
todtes. mittelmässiges Stück. Wohl bietet das Forum und
der Palatin bei eifrigem Suchen noch einige der charakte-
ristischen Steinschnecken. Helix mural is, Clausula papillaris,
ferner die weitverbreiteten //. vermiculata, variabilis, profuga,
Cochlicella acuta, Rumina decottata und Gyclostoma elegans,
aber doch ziemlich sparsam. 1856 las ich Helix murdlis
noch von den Statuen des Nil- und Tibergottes vor dem
Senatoreupalast auf dem Capitol ab. 1899 sah ich auch nach
dem günstigsten Regen keine mehr daselbst auf dem jetzt
staatlich und städtisch gewordenen Boden, wohl aber noch
eine lebende im Hofe des Vatikans an der Innenseite der
Mauer, dicht bei dem Eingange zur Antikensammlung.
Referierabend am 10. Oktober 1899.
Herr Rawitz über Brandt, K.. Ueber den Stoffwechsel im
Meere. Rede beim Antritt des Rektorates der König! .
Christian-Albrechts Universität zu Kiel am 6. März 1 899.
Herr Kolkwitz über Belajeff: Ueber die Centrosomen in
den spermatogenen Zellen. Ber. deutsch. Bot. Ges.
1899, Bd. XVII, p. 199.
Herr von Martens: Bericht über einige oceanographische
Vorträge auf dem internationalen Geograph en-Kongress
zu Berlin 1899.
Herr L Kny über Guignard: Sur les antherozoides et la
double copulation sexuelle chez les vegetaux angio-
spermes. (1898.)
Sitzung vom 17. Oktober 1899. 195
Im Austausch wurden erhalten:
Jahreshefte Ver. vaterl. Naturk. Württemberg. Jahrg. 55.
Stuttgart 1899.
Wissenschaftl. Meeresuntersuch. Komm. wiss. Unters, deutsch.
Meere Kiel u. Biol. Anst. Helgoland. Neue Folge.
Band III, Abtheil. Helgol., Heft 1; Band IV, Abtheil.
Kiel. Kiel u. Leipzig 1899.
Ber. naturwiss. - mediz. Ver. Innsbruck. - - Jahrg. XXIV,
1897/98 und 1898/99. Innsbruck 1899.
Arch. Ver. Freunde Naturgesch. Mecklenburg. - 52. Jahr
(1898) Abtheil. II. 53. Jahr (1899) Abtheil. I.
Güstrow 1899.
Jahresber. naturw. Ver. Elberfeld. Heft IX. Elberfeld 1899.
Jahresber. Königl. Geodät. Inst, für die Zeit von April 1898
bis April 1899. Potsdam 1899.
Sitzungsber. kgl. preuss. Ak.Wiss. Berlin. XXIII— XXXVIII.
4. Mai bis 27. Juli 1899. Berlin 1899.
Leopoldina. Heft XXXV, No. 7 — 9. Juli — September.
Halle a. S. 1899.
Naturw. Wochenschrift. Band XIV, No. 30—42. Berlin 1899.
57. Jabres-Ber. Mus. Francisco-Carol. — Linz 1899.
Abh. Naturw. Ver. Bremen. Band XVI. Heft 2. Bremen 1899.
Sitzungsber. Naturf. Ges. Leipzig. Jahrg. 24 u. 25. 1897/98.
Leipzig 1899.
Verh. Naturhist.-med.Ver. Heidelberg. Neue Folge. Band VI,
Heft 2. Heidelberg 1899.
Verh. Mittheil. Siebenbürg. Ver. Naturwiss. Hermannstadt.
Band XLVIII. Jahrg. 1898. Hermannstadt 1899.
32. Ber. Oberhess. Ges. Natur- u. Heilkunde. Giessen
1897-1898—1899. (2 Exempl.)
Berliner Entomol. Zeitschr. — Entomol. Ver. Berlin. —
Band 44. (1899.) Berlin 1899.
Annal. K. K. Naturh. Hofmus. Wien 1898. Band XIII, No. 4.
Mittheil. Deutsch. Seefisch. -Ver. -- Band XV, No. 7 — 9.
Juli— September. Berlin 1899.
Verhandel. Koninkl. Akad. Wetensch. Amsterdam. — Sect. 1,
üeelVI. No.6u.7. Titelblatt u. Register. Amsterdam 1899.
196 Geseihehaft naturfwschender Freunde, Berlin.
— Sect. 2, Deel VI No. 3—8. Titelblatt u. Register.
Amsterdam 1898/99.
Versl. Gew. Vergad. Wis — eil Natimrk. Afdeel. van
28. Mei 98 tot 22. April 99. Deel VII. Amsterdam 1899.
Bull. Geol. Inst. Univers. Upsala. Vol. IV, Part 1, No. 7,
1898. Upsala 1899.
Christiania Vidensk. Selsk. Forh. 1899. No. 1. Christiania
1899. Knuth T. Stroem. Undersoegelser over norsk tjaere.
Saks. G. 0., An Account of the Crustaeea of Norway. Vol. II.
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Published by the Bergen Museum. Bergen 1899.
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Bull. Essex Inst. Vol. 28. No. 7-12. Salem 1896.
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Vol. 30. No. 1-12. Salem 1898.
Mem. Rev. Soc Cient. „Ant. Alzate". Tomo XII (1898—99),
Nums. 4. 5, ß. Mexico 1899.
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Mexico 1899.
Bol. Ac. Nac. Cienc. Cordoba. Tomo XVI, entrega la.
Buenos- Aires 1899.
Ann. Mus. Civ. Stör. Nat. Genova. Ser. 2a. Vol. XIX
(XXXIX). 1898-99.
Bollett. Pubbl. Ital. Num. 325—330. Luglio-Settembre.
Firenze-Milano 1899 und Titelblatt für 1898.
Indice degli Atti Amministrativi dei Comuni, delle Pro-
vincie etc. p. 129—14").
Atti Soc. Nat. Modena. — Ser. III, Vol. XVI, Anno XXXI,
Fase. III. — Modena 1899.
Rend. Accad. Sei. Fis. Matern. Ser. 3, Vol. V, XXXVIII.
Fase. 6—7. Giugno— Luglio. Napoli 1899.
Bull. Soc. Sei. Nat. de TOuest de la France. Tomme 9, 1.
Nantes 1899.
Bull. Acad. Imp. Sei. St. Petersbourg, Ser. V, Tome VIII,
No. 5. Mai 1898. — Tome IX, No. 1-5. Juni,
Sept., Oet., Nov.. i)ec. 1898. — Tome X, No. 1—4,
.Jan., Febr.. März, April 1899. St. Petersbourg.
198 Gesellschaft na tur forschender Freunde, Berlin.
Als Geschenke wurden dankbar entgegengenommen:
Opitz. Vergleich der Placentarbildung bei Meerschweinchen,
Kaninchen und Katze mit derjenigen beim Menschen.
(Separatabdr. aus Zeitsehr. Geburtsh. Gynäkol. Band
XL1. Heft 1.)
Otterbein, Die Erhaltung der inneren Erdwärme. (Separat-
abdr. aus der Germania vom 22. u. 23. Juli 1899.)
Möbius. Führer durch die zool. Schausamml. Mus. Naturk.
Berlin 1899.
Grünwedel, Dictionary of the Lepcha-Language. Berlin 1 898.
Zeitsehr. angew. Mikrosk. G. Mappmann. Band V, Heft 1.
Weimar 1899. (Probeheft.)
Illustr. Zeitsehr. Entomol. Band 4, No. 13. Neudamm 1899.
Recueil des trayaux du jardin Botanique de Tiflis. Livraison 3.
J. F. Starcke, Berlin W.
Nr. 9. 1899.
Sitz ungs-Be rieht
der
Gesellschaft naturforschender Freunde
zu Berlin
vom 21. November 1899.
Vorsitzender: Herr von Martens.
Herr SCHWENDENER berichtete über das von Herrn
Hilg endorf in der Sitzung am 17. Oktober d. J. (siehe
p. 190) vorgelegte, dem Anschein nach in einer Flasche
Wein gekeimte Getreidekorn.
Die mikroskopische Untersuchung der Keimpflanze er-
gab mit Sicherheit, dass dieselbe getödtet war. Der Plasma-
inhalt war von der Zellhaut vollständig abgelöst, ähnlich
wie bei einem Alcohol- Präparat. Die Entwicklung der
Keimpflanze hatte also wahrscheinlich in dem beim Spülen
zurückgebliebenen Wasser stattgefunden und wurde dann
durch das Einfüllen des Weines unterbrochen, indem der
Alcoholgehalt desselben das Absterben der Gewebe herbei-
führte.
Drei Getreidekörner, welche in die gefüllte Flasche
gebracht wurden, keimten nicht, während andere von der-
selben Sorte, welche zur Controlle in feuchte Erde gesteckt
wurden, sich normal entwickelten. Durch dieses Experiment
ist eine andere Deutung, als die oben gegebene ausge-
schlossen.
Die Pflanze hat zweifellos im zurückgebliebenen Spül-
wasser gekeimt und ist durch das Einfüllen des Weines
getödtet worden.
200 Gesellschaft naturforschender Freunde, Berlin.
Herr VON MäRTENS sprach über das neue Werk von
Paul u. Fritz Sarasin, die Land-Mollusken von Celebes,
und über die darin enthaltene Theorie der Forrnen-
ketten.
Dieses schöne und gründliche Werk empfiehlt sich
gleich auf den ersten Anblick durch die reiche Ausstattung
mit musterhaft ausgeführten Tafeln, welche sowohl Schalen
als Radulazähne darstellen. Durch ihre Reisen in bis da-
hin noch wenig bekannten Gegenden dieser grossen Insel
ist unsere Kenntniss der Thierwelt derselben wesentlich
vermehrt worden; zwar haben sich unter den Landschnecken
keine so unerwartet neuen Formen gefunden, wie Miratesta
unter den Süsswasserschnecken, aber doch ist die Anzahl
der von jener Insel bekannten Arten bedeutend vermehrt,
beinahe verdoppelt worden, von 116 auf 198; davon kommen
59 Arten auf die Landdeckelschnecken, 139 auf die Sty-
lommatophoren, ein für erstere günstiges Verhältniss. wie
es nur in den Tropengegenden, nirgends in der gemässigten
Zone, besteht und das nur von demjenigen auf den west-
indischen Inseln übertreffen wird. Die Gattungen kommen
meist auch auf den anderen grösseren Inseln oder Insel-
gruppen von Niederländisch-Indien und auf den Philippinen
vor, viele auch auf dem Festlande von Hinterindien. Von
den Arten ist die grosse Mehrzahl auf Celebes beschränkt,
einzelne ganz charakteristische Arten sind aber doch auch
identisch mit solchen auf den Philippinen, auf den Molukken,
auf Flores und Timor, nur mit Borneo hat Celebes keine
Art gemeinschaftlich, wenn man von einzelnen kleinen,
wahrscheinlich durch menschlichen Verkehr verbreiteten
absieht, wie Opeas gracile und Trochomovpha planorbis. Die
bekannte WALLACE'sche Grenzlinie zwischen einem orientali-
schen und einem australischen Reiche bestätigt sich also
hier wohl für Borneo, aber nicht für die Philippinen, mit
denen Nord-Celebes die charakteristische Gruppe Obba ge-
mein hat und zu denen ja auch von der Nordspitze von
Celebes eine Inselreihe hinüberführt. Der Unterschied
zwischen den Landschnecken von Nord- und von Süd-
Celebes. welcher sehr gross erschien, solange man über-
Sitzung vom Ul. November 1809. 201
haupt nur von den 2 Stationen Manado (mit Tondano) und
Makassar (mit Maros) Landschnecken kannte, 1867, ver-
wischt sich mehr und mehr, über je mehr Gegenden sich
unsere Kenntniss, ausdehnt, doch bleibt eine nähere Hin-
neigung zu den Philippinen für Nord-Celebes, zu Java und
Flores für Süd-Celebes bestehen.
Die Verfasser widmen ein eigenes Schlusskapitel der
Erscheinung, welche sie mit dem neuen Namen „Formen-
ketten" bezeichnen; es ist das die Thatsache. dass in
einem grösseren geographischen Bezirk eine Anzahl nächst
verwandte Formen lebt, deren Extreme man für eigene,
unter sich verschiedene Arten halten wTürde, wenn sie nicht
unter sich durch Mitteiglieder eng verbunden wären, und
zwar diese Thatsache von dem Standpunkt aus betrachtet,
dass diese Formen phylogenetisch und öfters auch geo-
graphisch eine gerade fortschreitende Reihe bilden. Da-
durch sollen sie sich von den Formenkreisen unterscheiden,
ein Ausdruck, den Ad. Schmidt, Böttger und Kobelt für
eine Zusammenfassung von Landschneckenformen gebrauchen,
die auch geographisch nicht allzuweit von einander entfernt
sind, aber gewissermaassen nach verschiedenen Seiten aus-
strahlen und in verschiedener Weise untereinander verknüpft
werden können. (Nach einer Mittheilung von Prof. Ascherson
wird der Ausdruck Formenkreis in demselben Sinne auch
von den Botanikern gebraucht.) Nichts anderes ist im Grunde
auch die grössere Anzahl von Lokalvarietäten, wie sie z. B.
der Vortragende in seiuer Bearbeitung der Landschuecken
der Preussischen ostasiatischen Expedition 1867 für mehrere
Arten aufgestellt hat, wie für Lejptopoma vitreum, Nanina
citrina, Helix zonaria u. a.. indem manche dieser Varietäten
von anderen Conchyliologen als eigene Arten betrachtet
worden sind oder jetzt betrachtet werden. Was nun das
Neue und für die Verfasser Wesentliche , die Einreihigkeit
der Variation, betrifft, so nennen sie dafür als grundlegendes
Beispiel die Nanina cincta auf der nördlichen, sich von West
nach Ost erstreckenden Halbinsel von Celebes: hier lebt
am östlichen Ende die kleine typische cincta, in der Mitte
fanden sie eine etwas grössere Mittelform und weiter im
9*
202 Gesellschu/f naturfoi'schender Freunde, Berlin.
Westen die grosse, auch in der Färbung abweichende Um-
Jbifera; die Verfasser nehmen nun an, dass dieser Theil in
geologisch nicht alter Zeit sich aus dem Meere erhoben und
zwar von Osten nach Westen fortschreitend; die kleine öst-
liche Form also die älteste sei und nach Westen fort-
schreitend sich zu grösseren Formen umgebildet habe. Es
kann ja so sein, aber so lange wir nicht durch Funde in
älteren Ablagerungen etwas Positives über die Ahnen dieser
Art wissen, bleibt es Vermuthuug; man könnte sich auch
denken, dass die mittlere Form die älteste sei und sich
nach Osten wandernd verkleinert, nach Westen vergrössert
habe, oder auch, dass sie zwar am Ostende entstanden,
aber hier zuerst, als sie noch tiefer, dem Meere näher war.
auch grösser gewesen und allmählich mit der Erhebung
ihres Standortes kleiner geworden sei. Als zweites Beispiel
führen die Verfasser Helix (Planispira) zodiacus im mittleren
Theil von Celebes an, deren Varietäten eine nordsüdliche
Reihe bilden; aber dieses Beispiel ist deshalb weniger ein-
leuchtend, als hier noch zwei andere, sehr nahe verwandte
Arten ins Spiel kommen, deren Fundorte nahe liegen,
aber sich nicht in die Reihe einfügen. Das sind die den
Verfassern bekannten Fälle thatsächlich geographischer
Einreihigkeit von in Einer Richtung variirenden Formen.
Einige andere Ketten bilden sie aus Formeu, die sich auch
theoretisch in Eine Reihe bringen lassen, deren Fundorte
sich aber nicht in eine geographische Reihe ordnen; sie
sagen, es sei „wahrscheinlich, dass secundäre Wanderungen
und Verschiebungen stattgefunden haben, wodurch die ur-
sprüngliche Vertheiluug der Formen über die Insel hin
Störungen erlitt" (S. 230). Hier kann man auch nur sagen,
es kann ja so gewesen sein, es kann aber auch anders her-
gegangen sein. z. B. Ausstrahlungen nach verschiedenen
Seiten, und je nachdem neue ähnliche äussere Einflüsse ein-
wirkten, bildeten sich auch analoge Formen aus. ohne direkt
historisch eine einfache Reihe zu bilden.
Die Verfasser fordern nun auf, weitere Formenketten
ausfindig zu machen und bemerken: „das grösste Lob einer
Mollusken-Sammlung sollte in Zukunft nicht das sein, mög-
^
Sitzung vom, 21. November 1S99.
203
liehst viele Arten zu enthalten, sondern möglichst viele
Uebergänge zwischen Arten, d. h. möglichst viele Formen-
ketten aufzuweisen". Es ist das ungefähr dasselbe, was
der Vortragende seit 40 Jahren im Berliner Museum an-
strebt, nämlich jede Art in möglichst viel unter sich ver-
schiedenen Stücken, womöglich mit bestimmter Fundorts-
angabe, vertreten zu habeu. und wer sich die Mühe und
Zeit dazu nehmen will, wird in dem Berliner Museum für
Naturkunde leicht eine ganze Reihe von Formenketten linden
können; freilich wird es mit der Einreihigkeit der Fundorte
meist Bedenken haben und die phylogenetische Einreihig-
keit schwer nachzuweisen sein. Schon ein Landsmanu der
beiden Sarasin, J. D. W. Hartmann, hat ziemlich lange
vor dem Aufkommen des Darwinismus in seinem „Erd-
und Süsswasser-Gasteropoden der Schweiz" 1840 — 44. S. 44,
eine solche Formenkette für eine der bekanntesten und
häufigsten Süsswasser- Schnecken Mittel -Europas, Limmea
stay nalis, aufgestellt und der Vortragende zeigt eine ent-
sprechende Reihe von Exemplaren aus dem hiesigen Mu-
seum vor (vergl. die Tafel):
Absolute
Verhältni
SS
Länge
in l
Breite
lillimet
CD
5 Länge der
Mündung
b4
3
N
.ti iE
- j
u
o
r3
M & *
laSI
~ - '-■ :r.
■s&fl
& . t;
E -'Z
a 5 '**
ö a a
Ä.g es
Fundort.
var. elegans
Le ach. (solida
Hartm.)
IIS
27
l:22/5
mV.
l:ll/i8
Mark
Brandenburg.
var. vulgaris
Hartm.
52
25
24
i:2Vi2
1 : 1 Ve
1 : l Vi«
Stuttgart.
var. turgida
Hartm.
51
28
27
l:lB/e
l:8/9
l:lVn
St. Gallen.
var. media
Hartm.
47
27
26
1:17«
i:4/a
l:lV»a
Starnberger
See
var. laeustris
Stud.
34
27
24
1 : 1 ,/4
1 : 7i2
lilVs
Neufchateler
See.
204 Gesellsehall imhir forschender Freunde, Berlin.
Es ist eine einfache Reihe steigender Einschachtelung.
die folgende Windung umfasst der Reihe nach immer einen
grösseren Theil der vorhergehenden, das Volumen der ein-
zelnen Windungen, für die letzte durch Breite und Mündungs-
länge ausgedrückt, variirt dabei wenig, desto mehr die ab-
solute Länge, weil diese durch die Einschachtelung einer
Windung in die andere direkt abnimmt, und eben damit
ändert sich das Verhältniss der annähernd gleich bleibenden
Mündungslänge zum übrigen Theil der Schalenlänge, die
oben durch die Einschachtelung verkürzt wird: bei den
zwei ersten Varietäten ist die Mündungslänge weniger, bei
den drei letzten mehr als die übrige Länge und zwar in
steigendem Verhältniss. Einigermaassen lässt sich hier
auch eine geographische Reihenfolge festhalten, wie die an-
gegebenen Fundorte zeigen: die langgestreckten, wenig ein-
geschachtelten Formen herrschen in der That in der Um-
gebung Berlins vor. vulgaris bei Stuttgart, turgida bei
St. Gallen und die beiden letzten Formen gehören den
grossen Seen am Fusse der Alpen an. Aber diese Reihen-
folge erleidet sehr viele Ausnahmen: aus Finnland hat
schon Norüenskjöld eine der media sehr nahe Form 1856
abgebildet, vom Plöner See in Holstein hat Geh. Rath
Schulze unserem Museum eine richtige media mitgebracht
und umgekehrt bildet Hartmann in Sturm's Fauna, Heft 8,
aus einem kleinen See in der Nähe von Zürich eine extrem
wenig eingeschachteltn Form ab; derartige Beispiele liessen
sich noch viele beibringen. Das ist nicht durch „sekundäre
Wanderungen" zu erklären und Hartmann dürfte wohl Recht
haben, der es mit der Lokalbeschaffenheit des Standortes in
Verbindung bringt: stärkere Einschachtelung ist Anpassung
an häufigen Wellenschlag, wie er in grossen Seen vorkommt,
und an steinigen Uferboden, durch sie erhält die Schale
mehr innere Stütze und bietet weniger Oberfläche den
von aussen kommenden mechanischen Gewalten dar: die
schlanken, wenig eingeschachtelten Formen leben in stillem
Wasser mit sandigem oder schlammigem Grund. Je nach-
dem diese oder jene Art von Gewässern vorherrscht, herrscht
auch diese oder jene Form der Limnaea stagnalis vor und
Sitzung vom 21. November 1899. 205
in derselben Provinz können verschiedene Formen vor-
kommen, je nach den verschiedenen Gewässern und so löst
sich die scheinbar geographische Differenz in eine physi-
kalische auf.
Eine sehr augenfällige einreihige Kette bilden ferner
z. B die Arten der ife&z-Gruppe Eurycratera Beck (Parthena
Albers) auf Haiti und Portorico, von der ganz gerundeten
H. unduhta Fee. durch die flachen dominicensis Per. und
die stumpfkantige angustata Fer. zur entschieden gekielten
obliterata Fer. und der scharf gekielten, oben ganz flachen
angulata Fer.. worauf der Vortragende in der zweiten Aus-
gabe von Albers' Heliceen S. 147, 148 aufmerksam gemacht
hat. Das ist nun eine Artenkette, was die Verfasser (S. 232)
ja nicht mit Formenkette verwechselt wissen wollen, aber
im Grunde ist es doch etwas Gleichwerthiges, nur in grösserer
Ausdehnung, die Arten sind nach der Entwicklungslehre
doch aus Varietäten entstanden und im vorliegenden Falle
sind schon einige Varietäten der genannten Arten bekannt,
welche es möglich erscheinen lassen, dass weitere Funde
an neuen Standorten die Artgrenzen in Frage stellen. Eine
geographische Einreihigkeit scheint bei diesen Arten auf
den ersten Anblick auch möglich, denn die letztgenannte
extreme Art gehört sicher Portorico an. die vorhergehenden
Haiti und nur von der vorletzten wurde früher auch
Portorico als Heimat angegeben, wo sie aber durch neuere
Reisende nicht gefunden wurde. Wenn wir aber die
speziellen Fundorte auf der Insel ansehen, welche Crosse,
Malacologie terr. et fluv., de l'ile de S. Domingue 1891, auf-
führt, so ergeben diese nicht eine der Gestaltsabstufung
entsprechende geographische Reihe, im Gegentheil, die der
Art von Portorico nächststehende Art von Haiti, obliterata,
ist gerade auf dem Portorico entferntesten Theil Haitis, bei
Jeremie und Port-au-prince, zu Hause. Es dürfte hier eher
eine Ausstrahlung nach verschiedenen Seiten hin stattge-
funden haben und an verschiedenen Endpunkten ähnliche
Gestalten entstanden sein, durch ähnliche Lebensverhältnisse
bedingt, nicht durch direkte Abstammung der angulata von
der obliterata oder umgekehrt.
206 Gesellschaft naturforschender Freunde, Berlin.
Von phylogenetischen Formenreihen wissen wir noch
wenig Positives, und gerade das bekannteste Beispiel, das
die Verfasser auch anführen. Planorbis multiformis in Stein-
heim, kehrt seine Spitze gegen die Annahme, dass die
Variation regelmässig in einer bestimmten Richtung fort-
schreite. Jeder, der die verschiedenen Formen dieser
merkwürdigen Schnecke nebeneinander vor sich hat. wird
sehr leicht eine einfache Reihe daraus bilden, von den
flachsten bis zu den höchsten konischen, oder auch von den
entschieden kantigen zu denen mit abgerundeter Peripherie.
Aber die Vertheilung in den aufeinander folgenden Ab-
lagerungsschichten an Ort und Stelle, wie sie unser Mitglied
Prof. Hilgendorf 1866 und 1879 untersucht und erläutert
hat. zeigt, dass keine jener nach der Gestalt gebildeten
Reihen die richtige phylogenetische ist; die extremen Formen
linden sich in der Mitte oder etwas über der Mitte der
Schichtenfolge und die obersten (jüngsten) Formen werden
wieder den untersten (ältesten) ähnlicher, selbstverständlich
ihnen nicht ganz gleich. Es könnte sich mit den extrem
konischen Formen des Phnorbis multiformis ähnlich ver-
halten, wie mit Valvata antiqua in verschiedenen Seen
Deutschlands neben der allgemein verbreiteten V. piscinalis,
d. h. Anpassung an bestimmte Einflüsse der Umgebung.
die in Steinheim im Lauf der Zeiten wieder verschwanden,
bei der lebenden Art eine Lokal varietät, die in entfernten
Gegenden in ähnlicher Weise sich zeigt, hervorriefen. Der
Vortragende sieht das Interessante des Planorbis multiformis
hauptsächlich darin, dass er uns warnt, wie trügerisch es
sein könne, nach der Abstufung der Gestalt gebildete Reihen
unbedenklich als phylogenetisch zu nehmen.
Die Verfasser gehen nun noch weiter, indem sie sich
fragen, was die Ursache der fortschreitenden Varietäten-
bildung sei, sie kommen dabei auf die Aerschiedenen Ein-
flüsse der Aussenwelt zu reden, wie Nahrungsmangel oder
Nahrungsmenge, Bodenbeschaffenheit, Meereshöhe u. s. w.,
finden aber, dass alle diese keine genügende Erklärung
geben. So erwähnen sie z. B. betreffs der Meereshöhe,
dass Helix arbustorum mit steigender Meereshöhe kleiner
Sitzung vom 21. November 1899. 207
werde. H. pomatia dagegen grösser und legen daher diesem
Einfluss keine wesentliche Wichtigkeit bei; die letztere That-
sache ist allerdings von einem zuverlässigen Beobachter,
Char rentier, 1837 für den Kanton Wallis angegeben, aber
sie übersehen dabei, dass H. pomatia überhaupt bei weitem
nicht so hoch in den Bergen aufsteigt als H. arbustorum.
die Wirkung auf die eine und auf die andere Art sich also
nicht direkt mit einander vergleichen lässt. indem die
Meereshöhe eben nicht direkt nach einer Richtung im Ver-
hältniss der Fusse oder Meter wirkt, sondern durch die mit
ihr zusammenhängenden Verhältnisse von Licht und Wärme,
Bodenbeschaffenheit und Vegetation, und daher bis zu einem
gewissen Maass fördernd, darüber hemmend wirken kann;
auch II. arbustorum ist in den niedrigeren Zonen der Alpen,
z. B. um Salzburg, ungewöhnlich gross, grösser als in der
norddeutschen Tiefebene.
Betreffs der geognostischeu Unterlage betonen sie mit
Recht, dass der Reichthum des Kalkbodens an Landschnecken
., nicht auf der Anwesenheit von Kalk beruhe, sondern auf
„dem Vorhandensein von zahllosen Höhlen und Spalten, in
welchen die Thiere gegen Trtckenheit Schutz und für die
Eier günstige Brutstätten finden" (S. 238). Eine solche
Anschauung hat der Vortragende beim Anblick der sorren-
tinischen Halbinsel und Capri's gegenüber von Ischia 1856
sich gebildet und später in Thüringen bei Friedrichsroda
im Vergleich des Felsen „Gottlob" mit dem „ungeheuren
Grund" wiederholt (Malakozoologische Blätter 1858 S. 142
und Jahrbücher d. malakol. Gesellschaft IV. 1877 S. 216)
und von ihm hat es H. Jordan, auf den die Verfasser sich
beziehen. Wenn auch ein günstiger Einfluss des grossem
Kalkgehalts im Boden und damit wohl auch in den Pflanzen,
von denen die Schnecken sich nähren, nicht ganz gering zu
achten ist, so sind die Verfasser doch ganz im Recht, hier
anzunehmen, dass der geognostische Unterschied der Boden-
beschaffenheit wesentlich nicht direkt, sondern durch damit
verbundene Nebenumstände auf das Leben der Schnecken
wirke. Und so ist es mit vielen andern Verhältnissen der
äussern Umgebung, die sich auf das Mannigfaltigste
208 Gesellscluift natwforschender Freunde, Berlin.
kombiniren und so in sehr verschiedener Weise einwirken
können. Es dürfte daher wohl Herrn Geh. Rath Möbius
beizustimmen sein, der sich dahin äusserte, dass die Ver-
fasser den Einfluss der äussern Umgebung, des Wohnortes,
doch wohl zu gering angeschlagen hätten. Dass auch in
Celebes von nahe verwandten Formen, die in höhern
Gegenden lebenden absolut kleiner sind, davon führen die-
selben mehrere Beispiele an. sie erklären es aber so, dass
die in höhern Gegenden lebenden die älteren schon seit
länger bestehenden Formen seien und die Formenbildimg
überhaupt von kleineren zu grösseren fortschreite.
Indem die Verfasser somit für die Formenketten keine
genügende Erklärung aus den äussern Umständen gewinnen
können, so sehen sie sich genöthigt. deren Entstehung „un-
bekannten, constitutionellen Ursachen zuzuschreiben". Hier-
bei beziehen sie sich aber auch noch auf Moritz Wagners
Migrationslehre und gelangen dadurch zu der Ansicht, dass
in den Individuen ein Trieb zur Weiterbildung in einer
bestimmten Richtung über die Eltern hinaus liege, so zu
sagen, zu einem Wachsthum der Art, analog dem Wachs-
thum des Individuums, dieses Trieb aber nur zu wirklicher
Bethätigung komme, wenn die Individuen auswandern, d. h.
nicht nur unter andere äussere Verhältnisse kommen, sondern
auch von der Mehrzahl ihrer Artgenossen sich örtlich trennen;
die Auswanderung giebt die Möglichkeit der Weiterbildung,
aber ihre Richtung hängt nicht von den neuen äusseren
Umständen ab, sondern ist schon vorher gegeben. Das
würde nun allerdings geographisch fortschreitende Formen-
und Artenketten einfach und vollständig1) erklären, aber
es ist doch eine ziemlich verwickelte, ad hoc construirte
Hypothese. Man sieht nicht ein, warum nicht auch an dem
ursprünglichen Standorte, ohne Auswanderung . der Trieb
zur Weiterbildung, zum „Wachsthum der Art" sich be-
x) Nur die oben erwähnte Erklärung durch „sekundäre Wande-
rungen" passt nicht recht dazu, denn das sollen doch wohl Weiter-
wanderungen ohne Aenderung der Form sein, da doch die Theorie für
jeden Fortschritt der Wanderung auch einen Fortschritt in der ge-
gebenen Richtung der Formbildung verlangt.
Sitzung vom 21 November 1899. 209
thätigt; denn wenn dieser Trieb in jedem Individuum steckt,
so ist deren Zusammensein kein Grund gegen die Ver-
änderung. Wenn auch die Ausdrücke Ziel und Zweck da-
bei vermieden sind, nur von „bestimmt gerichteter Ent-
wicklung" (nach Eimer. Orthogen ese von Haacke1) getauft)
die Rede ist, so ist es doch im Grunde nicht viel anders
als die von Bär und Alex. Braun angenommene „Ziel-
strebigkeit", wobei eben nur das denkende Subjekt fehlt,
das sich das Ziel gesetzt hätte. Ein teleologisches X wird
damit wieder in die genetische Erklärung eingeführt, das
daraus zu eliminiren versucht zu haben, der grosse Fort-
schritt des Darwinismus ist. Freilich sind die Meinungen,
ob der Versuch gelungen sei, hout zu Tage bei den besten
Forschern vielleicht noch mehr getheilt als vor etwa 20 Jahren,
wo der Darwinismus als endgültig letztes Wort der Wissen-
schaft galt. So ist eben auch der Fortschritt in unserer
Naturerkenntniss nicht ein „orthogenetischer", sondern ein
„oscillirender".
Es liegt in der Natur eines beurtheilenden Berichtes,
dass er bei dem, was weniger einleuchtet, länger verweilt,
denn hier muss eben die Meinungsverschiedenheit begründet
werden, während das. dem man zustimmt, keine weitere
Erörterung verlangt. Desshalb möchte ich hier am Schlüsse
noch ausdrücklich hervorheben, dass dieses schöne Werk,
die Frucht mehrerer mühevoller und nicht gefahrloser Reisen
in unbekannte Gegenden, nicht nur unsere Kenntniss über
die Thierwelt einer zoogeographisch so interessanten Insel
positiv sehr wesentlich erweitert, sondern auch neue An-
schauungen und Probleme bringt, welche zu weiterer Ver-
tiefung anregen.
Herr KOPSCH sprach über den Bau der Milz von
Mensch und Schimpanse.
') Herr v. Seidlitz bemerkt dazu, dass der Ausdruck Orthogenese
schon früher für etwas ganz Anderes eingeführt sei, für die ordentliche
geschlechtliche Fortpflanzung im Gegensatz zur Parthenogenese.
210 Gesellsclmft naturforschender Freunde, Berlin.
Referierabend am 14. November 1899.
Herr Hennings über: Bachmetjew, Ueber die Temperatur
der Insekten nach Beobachtungen in Bulgarien. Zeit-
schrift wiss. Zool. Bd. 66, Heft 4.
Herr H. Potonie: Vorlage einer neuen Wandtafel mit Land-
schaft aus der Steinkohlenzeit.
Herr K. Möbius über: Nordquist, Beitrag zur Kenntniss der
isolirten Formen der Ringelrobbe (Phoca foetida Fabr.)
Acta Societatis pro fauna et flora fennica. T. XV.
Helsingfors 1899.
Herr C. Rengel über: Biedermann u. Moritz. Ueber die
Funktion der sogenannten Leber der Mollusken. Archiv
für die ges. Physiologie. Bd. 75. 1899.
Im Austausch wurden erhalten:
Mittheil. Deutsch. Seefisch. -Ver. Band XV. Xo. 10.
Oktober 1899.
Xaturw. Wochenschrift. Band XIV. Xo. 43—47. Berlin 1899.
Wiss. Veröffentl. Ver. Erdkunde, Leipzig, Bd. IV. —
Ratzel. Fr. Beiträge zur Geographie des mittleren
Deutschland. Leipzig 1899.
11. Jahresber. Ver. Xaturwiss. Braunschweig für 1897/98
u. 1898/99. Braunschweig 1899.
Sitzungsber. Xiederrhein. Ges. Xatur- u. Heilkunde. Bonn
1899. 1. Hälfte
Verhandl. naturhist. Ver. preuss. Rheinlande, Westfalens
u. des Reg.- Bez. Osnabrück. Jahrg. 50. Hälfte 1.
Bonn 1899.
Ber. Senkenb. naturf. Ges. Frankfurt a. M. 1899.
Leopoldina. Heft XXXV, No. 10. Oktober 1899. Halle a. S.
Annuaire Mus. zool. Acad. Imp. Sei. St. Petersbourg 1899.
No. 1 u. 2.
Nouv. Mem. Soc. Imp. Nat. Moscou. Tome XVI. (Tome
XXI der ganzen Folge.) Livr. 2. Moscou 1899.
Anz. Akad. Wiss. Krakau. 1899. Juni — Juli.
Stavanger Mus. Aarsberetning for 1898. Stavanger 1899.
J. F. Starcke, lierlin \\ .
Nr. 10. 1899.
Sitzungs-Bericht
der
Gesellschaft naturforschender Freunde
zu Berlin
vom 19. Dezember 1899.
Vorsitzender: Herr von Martens.
Herr Friedr. Dahl sprach über Korallenriff-Theorien.
Wenn ich mir erlaube, hier vor Ihnen über die Bildung
der Korallenriffe und Koralleninseln zu sprechen, so habe
ich nicht die Absicht zu belehren, sondern den Wunsch, in
dieser schwierigen Frage durch einen Meinungsaustausch
belehrt zu werden.
Als ich vor drei bis vier Jahren nach dem Bismarck-
Archipel ging mit der Aufgabe, auszukundschaften, auf
welchen Gebieten sich dort günstig arbeiten lasse, glaubte
ich mich verpflichtet, mich auch etwas eingehender mit der
Korallenriff-Frage zu beschäftigen. Bis dahin kannte ich die
DARWix'sche und MuRRAY'sche Theorie über die Bildung
der Koralleninseln nur in ihren allgemeinsten Umrissen, nur
soweit, wie ich sie in den Vorlesungen über Zoologie kennen
gelernt hatte.
Zum weiteren Studium wurde mir das Buch von
11. Langenbeck, „Die Theorien über die Entstehung der
Koralleninseln und Korallenriffe" (Leipzig, 1890) empfohlen.
Ich muss gestehen, dass mich dieses Buch im höchsten
Grade befriedigt hat. Obgleich der Verfasser selbst kein
*) Nachträge sind von demselben Autor erschienen unter dem
Titel „Die neueren Forschungen über die Korallenriffe" in A. Wettner's
Geographischer Zeitschrift, Jahrg. 3 (1897), p. 514—529, 566—581 und
634—643, und in A.PETERMANN'sGeogr. Mittheilungen, 1898, p. 195—197.
10
212 Gesellschaft naturforschender Freunde, Berlin.
Korallenriff gesehen hatte, sind nicht nur alle in der Lite-
ratur vorliegenden Thatsachen sehr fleissig zusammengestellt,
sondern auch die aufgestellten Theorien von logischen Ge-
sichtspunkten aus scharf kritisch behandelt. Der Leser ge-
winnt die Ueberzeugung. dass die Verhältnisse keineswegs ein-
fach liegen, und dass völlig verschiedene Ursachen viel-
leicht vielfach sehr ähnliche Gebilde erzeugt haben können.
Was ich für möglich gehalten hatte, traf ein : Ich fand
im Bismarck- Archipel einige Thatsachen, die mir wichtig
genug zu sein schienen, um auf sie zu weiterer Untersuchung
hinzuweisen. Das allein war die Aufgabe, welche ich mir
stellte, als ich meinen kleinen Aufsatz „Zur Frage der
Bildung von Koralleninseln" in den Zoolog. Jahrbüchern
(Syst. v. 11, p. 141 — 150) veröffentlichte. Mein Aufsatz
wird nun von A. Agassiz in einer neueren Arbeit „The
Islands and Coral Reefs of Fiji" (in Bull. Mus. Comp. Zool.
Harward College, v. 33, p. 8), kurz erwähnt. Agassiz ist
der Ansicht, dass ich die früheren Autoren nicht richtig
verstehe, und dass die vorliegenden Thatsachen meine
Schlussfolgerungen nicht rechtfertigen. Eine Begründung
für diese Behauptungen finde ich bei Agassiz nicht, und
da eine erneute Ueberlegung bei mir zu keinem andern
Resultat geführt hat, wTende ich mich an Sie, die Sie zum
Theil auch Korallenriffe besucht und untersucht haben, mit
der Bitte, mir behülflich zu sein. Sollten Sie mir keine
Auskunft geben können, so würde ich Herrn Agassiz selbst
um nähere Auskunft ersuchen.
Da ich wohl nicht annehmen darf, dass Sie meine kleine
Arbeit gelesen haben, gestatten Sie mir, dass ich Ihnen in
ganz kurzen Zügen darlege, wie ich die früheren Autoren
verstanden habe.
Die ersten Autoren, welche sich über die Form der
Korallenriffe Gedanken machten (Forster, Chamisso),
wollten jene ausschliesslich und unmittelbar auf die Con-
tiguration des Meeresbodens zurückführen. Wenn der Rand
der Riffe oft sehr steil abfällt, so sollte es sich um unter-
seeische Berge und Hochplateaus handeln, und wenn die Riffe
und Inseln sehr oft Ringform besitzen, so glaubte man, dass
Sitzung vom 19. Dezember 1899. 213
die Korallen sich auf dem Rand unterseeischer Krater ange-
siedelt hätten. Bei dieser Erklärungsweise musste die grosse
Zahl gleich hoher unterseeischer Krater auffallen. Die neben
den Atollen sehr häufig auftretenden sogenannten Barrierriffe,
welche in einer gewissen Entfernung die Küsteu mancher
Festländer oder grösseren Inseln begleiten, fanden bei dieser
Auffassung überhaupt keine Erklärung.
Um diesem Mangel abzuhelfen, stellte Darwin eine
neue Theorie auf. Auch Darwin ging, wie seine Vorgänger
und Nachfolger, aus von der ursprünglichen Configuration
des Bodens und suchte zu zeigen, wie sich aus einem Strand-
riff durch Senkung ein Barrierriff oder ein Atoll entwickeln
könnte.
Hebungen und Senkungen hat man überall auf der
Erde nachweisen können. Lässt man diese auf ein Ko-
rallenriff einwirken, so kann man drei Möglichkeiten unter-
scheiden: 1) der Boden hebt sich. Dann wird das Korallen-
riff, das wir uns als Küstenriff denken wollen, sehr bald
die Oberfläche des Wassers erreicht haben. Es wird erst
bei Ebbe und dann dauernd auftauchen, die Polypen werden
absterben und das Riff wird den Küstensaum erweitern.
Derartige, aus Korallenkalk mit fast unversehrten recenten
Kurallenstöcken in ihrer ursprünglichen Lage versehene
Küstensäume sind weit verbreitet. Im Bismarck- Archipel
kenne ich sie z. B. bei Kabakaul. 2) Der Boden bleibt
stationär. Dann werden die Korallen bis zur Oberfläche
weiter wachsen und wahrscheinlich schliesslich in ihren
oberen Theilen absterben. 3) Der Boden senkt sich. In
diesem Falle können wir wieder zwei Möglichkeiten unter-
scheiden, a) Entweder die Senkung erfolgt schneller, als die
Korallenstöcke weiterwachsen können. Dann wird das Riff
immer tiefer sinken. Schliesslich werden die Lebens-
bedingungen ungünstiger werden, die Stöcke werden mehr
und mehr verkümmern, wie es Basset Smith für die bis
90 m tiefe Macclesfield Bank nachgewiesen hat, und end-
lich sterben sie gänzlich ab. Auch abgestorbene Riffe
kennt man. Sie werden aber meist erst entdeckt, wenn sie
durch Hebung wieder der Oberfläche näher gerückt sind.
10*
214 Gesellschaft natwforsckender. Frewtide, Berlin.
b) Erfolgt endlich die Senkung nur so langsam, wie die Ko-
rallenstöcke weiter wachsen, und das wäre die letzte Mög-
lichkeit, die neben anderen gelegentlich eintreten muss, so
wird dass Riff immer stärker werden und dabei doch immer
in günstiger Tiefe unter dem Meeresspiegel und lebens-
kräftig bleiben. In diesem letzteren Falle werden sich
nach Darwins Ansicht je nach der Configuration des Bodens
Barrierriffe oder Atolle bilden. Ist neben einem Festland
oder einer grösseren Insel mit niedrigem Ufersaum ein
Strandriff vorhanden, so wird der Ufersaum bald unter die
Meeresfläche hinabsinken. Dadurch ist Gelegenheit gegeben,
dass sich das Riff nach dem Lande hin verbreitern kann.
Derartige breite, überall kräftige Riffe aber kennt man nirgends.
Man hat also Grund anzunehmen, dass in dem genannten Falle
eine andere Riffart entsteht. — Da man nun sehr viele Riffe
kennt, die durch einen mehr oder weniger breiten Kanal
von der Küste getrennt sind, nimmt Darwin an, dass diese
an den Orten jener langsamen Senkung entstanden seien.
Man kann nämlich die Beobachtung machen, dass sich
innerhalb des Riffes keine zusammenhängende kräftige Riff-
masse bildet. Wohl findet man einzelne Korallenstöcke,
auch wohl kleine Gruppen von Korallen, diese sind aber
entweder sehr kümmerlich oder es sind zarte Arten, die
nur in Lagunen, im ruhigen Wasser leben. Ausnahmsweise
fand ich freilich sogar in einem fast völlig abgeschlossenen
Meerestheil ein Korallenriff. So kenne ich Riffe mitten im
Hafen von Mioko. in den innersten Theilen der Blanche-
Bucht etc. In solchen Fällen aber fand ich stets relativ-
kleine Stöcke, die so recht zum Verschicken geeignet waren,
so klein, wie ich sie auf dem Korallenriff bei Ralum selten
fand. Die Erklärung für das geringe Wachsthum im abge-
schlossenen Meerestheil ist leicht gegeben. Das Wasser inner-
halb des Riffes enthält immer viele Fremdkörper suspendirt,
die den Korallen offenbar nachtheilig sind. An Fluss- und
Bach -Mündungen ist das Riff deshalb immer breit unter-
brochen. Es kommt hinzu, dass die in pelagischen Orga-
nismen bestehende Nahrung weniger gut zu dem inneren
Theil des Riffes gelangen kann.
Sitzung vom 19. Dezemher 1S9H 2l5
Ein Atoll entsteht nach Darwin in genau derselben
Weise wie ein Barrierriff. Ist eine kleine niedrige Insel
vou einem Strandriff umgeben . so muss das letztere bei
langsamer Senkung zunächst zu einem Barrierriff und schliess-
lich zu einem Atoll werden.
Eine neue Theorie für die Bildung der Koralleninseln
wurde nach Darwin von Murray aufgestellt. Murray
glaubte seine Theorie an die Stelle der ÜARwiN'scheu setzen
zu müssen, d. h. er glaubte die DARwix'sehe Theorie ganz
verwerfen zu sollen. Er musste also Gründe gegen die-
selbe geltend machen. In diesen Gründen soll ich ihn nach
Agassiz missverstehen. So viel ich sehe, ist sein Haupt-
grund gegen jene Theorie das Nebeneinandervorkommeu
aller Riffformen auf einem engbegrenzten Gebiete mit jün-
geren Hebungen. Er beruft sich nämlich in dieser Be-
ziehung einfach auf Semper.
Damit Sie nun beurtheilen können, ob ich oder Agassiz
den Semper missverstanden hat. lege ich Ihnen die Worte
von Semper und Murray vor:
Reisebericht von Carl Semper. Briefliche Mittheilung
an A. Kölliker in: Z. f. w. Z.. v. 13 (1863). p. (558—570)
565—66.
„Darwin's Theorie von der Bildung der Korallenriffe
nimmt bekanntlich überall dort eine Senkung an. wo sich
Barrenriffe und Atolle befinden, eine Hebung dort, wo
Küstenriffe entstehen. Hier aber finden wir auf kleinem
Räume (denn die ganze Ausdehnung von Nord nach Süd
zwischen Ngaur und Kreiangel beträgt nur etwa 60 See-
meilen) sämmtliche Formen zusammen, und die Bildung der
innern Riffe des südlichen Theiles der Gruppe deutet auf
eine lange Epoche völliger Ruhe, oder sehr geringer Hebung
oder Senkung. Könnte nur eine Senkung die Bildung der
Atolle des Nordens erklären, so müsste entweder die Insel
Ngaur so gut von Riffen umgeben sein, wie alle übrigen,
oder stationär geblieben sein, Pelelew nur wenig, die nörd-
lichen Inseln sich bedeutend gesenkt haben. Aber dies
bliebe nur eine Annahme, die nicht besser und nicht
schlechter als jede andere wäre. Ist meine vorläufige Be-
2lf; GeseVscJm/t naturforschencler Freunde, Berit'».
Stimmung der in den gehobeneu Korallenriffen der südlichen
Inseln gefundenen Petrefacten richtig, so würde die Zeit
der Hebung derselben, welche wohl durch den letzten
trachy tischen Ausbruch bezeichnet sein mag, in eine sehr
junge geologische Epoche fallen. Gerade aber auf das
Nichtvorkommen solcher Hebungen in der jüngsten Epoche
legt Darwin bei der Begründung seiner Hypothese das
grösste Gewicht, und die definitive Bestimmung des geo-
logischen Alters jener gehobenen Koralleninseln könnte
einen wesentlichen Einwand gegen dieselbe abgeben. Aber
auch hiervon abgesehen, scheint mir das gemeinschaftliche
Auftreten der Riffe in den verschiedenen Gestalten, die
grosse, nur in geringer Tiefe unter dem Meere liegende
Fläche der südlicheren Insel von Pelelew bis Coröre. ja
selbst die Verschiedenheit der westlichen und östlichen
Riffe des Nordens, hinreichender Grund zur Annahme, dass
die Bildung der Riffe dieser Inselgruppe wenigstens von
keiner Senkung begleitet war."
On the Structure and Origin of Coral Reefs and Islands.
Bv John Murray in: Proc. R. Soc. Edinburgh, v. 1Ü.
1879-80. p. (505—518) 506.
„Professor Sempek during his examination of the coral
reefs in the Pelew group, experienced great difficulties in
applying Darwin' s theory. Similar difficulties presented
themselves to the author in those coral reef regious visited
duriug the cruise of the „Challenger"."
Der Sinn der Semper sehen Worte ist nach meiner
Auffassung kurz folgender: Die Palauinseln zeigen im
Norden Atolle und Barrieriffe, im Süden jüngeren, ge-
hobenen Korallenkalk und jüngeres vulkanisches Gestein.
Der Norden müsste sich nach der Darwin1 sehen Theorie ge-
senkt haben; der Süden hat sich offenbar gehoben und das
ist auf einem so engen Gebiet nicht wohl möglich.
Die MuRRAY'sche Theorie ist kurz folgende: Die
Kalkschalen abgestorbener pelagischer Thiere senken sicli
hinunter auf den Meeresgrund, wenn dieser nicht
allzu tief liegt. Das Meereswasser hat nämlich die
Fähigkeit, kohlensauren Kalk aufzulösen. Die Schalen
Sitzung vom 19. Dezember 1899. 217
müssen um so vollständiger gelöst werden, je tiefer sie
sinken. Erhöhungen des Meeresbodens müssen aus diesem
Grunde, wenn sie an einer geeigneten Tiefe liegen, uicht
nur absolut sondern auch relativ höher werden und sich
immer steiler gegen die Umgebung abheben. Die Er-
hebungen werden schliesslich so weit gewachsen sein, dass
sich Korallen ansiedeln können. Die Korallen wachsen
dann bis zur Oberfläche empor und sterben in den mittleren
Theileu wegen unzureichender Ernährung ab. Der todte
kohlensaure Kalk wird vom Meereswasser gelöst und von
den Wellen abgewaschen. Es entsteht also in der Mitte
eine Lagune, während die seitlichen Theile üppich weiter
wachsen. In ähnlicher Weise, wie das Atoll, entstehen
nach ihm die Barrierriffe durch Auflösen und Auswaschen
der inneren, dem Lande näheren Theile und durch An-
siedelung neuer Korallen auf Bruchstücken am äusseren
Abhänge.
In neuerer Zeit hat Agassiz noch eine weitere Theorie
aufgestellt, die sich eng au die Murray' sehe auschliesst
aber doch noch erheblich abweicht. Wenn ich Agassiz
richtig verstehe, so kann ich seine Theorie kurz folgender-
massen wiedergeben: Abgesehen von den durch die Configura-
tion des Meeresbodens unmittelbar gegebenen Riffformen, ent-
wickeln sich, wie Darwin annimmt. Atolle und Barrierriffe
an der Stelle flacher Inseln und flacher Küstenstriche, aber
nicht durch Senkung, sondern durch die Wirkung der Brandung.
Am äusseren Rande dieser Landmassen siedeln sich Korallen
und andere Thiere an und machen diesen Rand gegeu die
Brandung widerstandsfähiger. Die Theile die oberhalb der
Ebbelinie liegeu, werden zur Fluthzeit von der Brandung
weggewaschen und da sich auf den inneren Theilen wegen
der ungünstigen Lebensbedingungen keine Korallen ansiedeln
können, werden diese Theile immer tiefer ausgewaschen und
zur Lagune. Der äussere Rand dagegen bleibt dauernd
widerstandsfähig. Steile Abstürze, wie wir sie nebeu
Korallenriffen kennen, können nach Agassiz im Meere
ebensowenig auffallen, wie auf dem Lande und au korallen-
freien Küsten, Der Haupteinwand den mir Agassiz gegen
218 Gesellscliaft naturforschender "Freunde, Berlin.
die Darwin' sehe Theorie geltend zu machen scheint, ist
der von Rein zuerst aufgestellte; dass nämlich mächtige
Korallenkalkablagerungen, wie sie die Darwin' sehe Theorie
nothwendig voraussetzen muss, nicht bekannt seien. Agassiz
hat den Nachweis geführt, dass viele von jenen Korallen-
kalkablageruugen. die man früher für alte Riffe hielt
äolischen Ursprungs d. h. Dünenbildungen sind. Auf
Bermuda sehen wir noch heute derartige Koralleusauddünen
entstehen. Durch Regenwasser wird ein Theil des Kalks
gelöst und die ungelöste Masse durch die Lösung zu einem
festen Gestein verkittet.
Ich habe in meiner früheren kleinen Arbeit die
AGASSiz'sche Theorie nicht berücksichtigt, weil ich aus
seinen früheren Arbeiten entnehmen zu können meinte, dass
er seiner Theorie nur eine lokale Bedeutimg zuschreibe.
Aus seinen neueren Arbeiten aber scheint mir zweiffellos
hervorzugehen, dass er seiue Theorie unmittelbar an die
Stelle früherer Theorien setzen und überall angewandt
wissen will. Da muss denn allerdings auch der Versuch
gemacht werden, wieweit die von mir im Bismarck-Achipel
beobachteten Thatsachen mit ihr in Einklang zu bringen
sind, oder welche von den jetzt vorliegenden Theorien nach
den dortigen Verhältnissen als die wahrscheinlichere er-
scheinen muss. Gehen wir aus von den mächtigen Korallen-
kalkablagerungen. welche ich auf der Insel Uatom und
na in entlich an der Nordküste von Neu-Pommern am Fuss
der Baining-Berge beobachten konnte. AGASsiz hält der-
artige Ablagerungen für Dünenbilduugeu. Nun fand ich
aber auf Uatom 170 m hoch und an den Bainingbergeu etwa
300 m hoch deutliche Korallenstöcke. Der höchste Punkt,
den ich in den Bainingbergeu erreichte, war 570 m hoch. Dort
oben konnte ich allerdings keine Korallen auffinden. Ein
Stück von dem Kalk, das ich von dort mitbrachte, erklärte
mir Herr Prof. Jaekel als metamorphisirten Korallenkalk.
Ob die Korallenreste, die ich fand, Jungtertiär oder recent
sind, konnte ich nicht mit Sicherheit entscheiden. Es ist
das auch für die Frage vollkommen gleichgültig. Jedenfalls
können die Korallenstöcke nicht 170 und .">()0 m hoch hinauf-
Sitzung vom 19. Dezember 1899. 219
geweht sein. Es müssen sich also, wenn wir AGAssiz folgen,
erst Dünen gebildet haben, dann muss eine Senkung einge-
treten sein, die Korallen müssen sich angesiedelt haben
und schliesslich, nachdem eine dünne Kruste von Korallen
sich gebildet hatte, muss das Ganze sich wieder zu der-
selben Höhe gehoben haben. Nach der Darwin' scheu
Theorie würden wir mit einer Senkung und darauffolgenden
Hebung auskommen. Sie würde also die Thatsachen etwas
einfacher erklären.
Es kommt nun noch ein Punkt hinzu, der mir die
Dünentheorie für jenes Gebiet sehr unwahrscheinlich macht.
Der Bismarck-Archipel ist sehr regenreich und deshalb ist
der Boden überall bis hart ans Meer hinunter sehr dicht
bewachsen. Dünenbildungen würden dort heutzutage gerade-
zu als etwas Unerhörtes gelten können. Das kann ja frei-
lich früher anders gewesen sein. Immerhin aber müssten
wir eine weitere Annahme machen, während nach der
DARWiN'schen Theorie sich Alles unter den jetzt bestehen-
den Verhältnissen gebildet haben könnte.
Während die Korallenkalkablagerungen des Bismarck-
Archipels. so weit wir sie jetzt kennen, nicht mit Not-
wendigkeit auf die Richtigkeit der DARwix'schen Theorie
sehliessen lassen, wie ich dies Agassiz unumwunden zuge-
stehe, sondern jene Theorie nur wahrscheinlich machen,
ist es mit einer andern meiner Beobachtungen, die Agassiz
ganz ignorirt. anders. Und diese letztere Beobachtung
bildete gerade den Kernpunkt meiner Mittheilung.
An den Küsten vieler aus Korallenkalk aufgebauten
Inseln sieht man. dass das Ufer von der Brandung unter-
wühlt ist. Die Aushöhlung liegt normalerweise so hoch,
dass auch bei Hochwasser die zurückprallenden Wellen
nach oben einen weiten Spielraum haben. Nur an einer
Stelle auf der Insel Kerawara fand ich die obere
Kante der Aushöhlung unmittelbar über der Hochwasser-
linie. Und trotzdem fand ich das Gestein au dieser Kante
nicht fester als anderswo. Ich wusste und weiss mir diese
Thatsache nicht anders zu erklären, als dass sich hier der
Boden in allerjüngster Zeit gesenkt hat. Die Vermuthung
220 Gesellschaft naturforschender Freunde, Berlin.
wurde bei mir zur Gewissheit, als ich erfuhr, dass neben dem
benachbarten Theil der Insel Mioko eine Stelle jetzt von
den Wellen bespült wird, die noch vor 10 Jahren ein Haus
trug. Das feste Kalkgestein tritt auf der schräg nach
Westen sich abdachenden Insel Mioko fast unmittelbar zu
Tage und trägt die Häuser. Dass hier die oberen Schichten
von den Wellen weggespült sein könnten, wie Agassiz ver-
muthen möchte, ist völlig ausgeschlossen. Zum Wegnagen
des Gesteines fehlt die nöthige Brandung. Jene bricht
sich schon an dem vorgelagerten Barrierriff. Es handelt
sich also sicher um eine Senkung. Und durch diese Senkung
ist die Lagune innerhalb des Barrierriffes in den letzten
10 Jahren verbreitert worden. Wir haben hier also mit
andern Worten die Bildung eines Barrierriffes durch
Senkung unmittelbar vor Augen. Was nach Darwin
Theorie ist, sehen wir als Thatsache vor uns. Ich
glaube nicht, dass ein zweiter Punkt auf der Erde bekannt
ist. der einen so unmittelbaren Beweis dafür liefert, dass sich
in der von Darwin vermutheten Weise ein Barrierriff bilden
kann. Bemerkenswert ist noch, dass bei der kaum 7 km
von Kerawara entfernten, weiter östlich gelegenen Insel
Muarlin die durch die Brandung bewirkte Aushöhlung des
Gesteins von normaler Höhe, ja ich möchte fast annehmen,
etwas über normal hoch ist, so dass hier keine Senkung,
vielleicht gar in neuerer Zeit eine weitere Hebung vor sich
geht. In vollkommener Uebereinstimmung mit dieser An-
nahme besitzt die ganze üstseite der Neu-Lauenburg-Gruppe
nur Strandriffe, während nach Kerawara hin das Strandriff
allmählich in ein Barrierriff übergeht.
Ob sich alle Barrierriffe ebenso wie das bei Mioko
durch Senkung gebildet haben, das ist freilich eine ganz
andere Frage, deren Beantwortung ich heute ebensowenig
wie in meinem früheren Aufsatz mir anmasse. Nur soviel
steht fest. Im Bismarck-Archipel liegen manche Thatsachen
vor, welche sich nach der DARwiN'schen Theorie leicht
erklären lassen, der MuRRAv"scheu und Agassiz scheu
Theorie aber mehr oder weniger zu widersprechen scheinen.
Sitzung vom 19. Dezember 1S99. 221
An einem Meinungsaustausch betheiligten sich die
Herren K. MÖBIUS. E. v. MARTENS , WERTH und Fr. E.
Schulze. Die drei ersteren Herren erklärten, dass die-
jenigen Korallenkalkablagerungen, welche sie aus eigener
Anschauung kennen gelernt hätten, nach ihrer Ueberzeugung
sicherlich nicht als Dünenbildungen aufzufassen seien.
Alle Herren stimmten darin überein. dass die Bildungs-
ursachen wahrscheinlich recht verschieden sein möchten.
So könnte sich die Bildung eines Barrierriffes vielleicht
bald nach der DARwiN'schen, bald nach der MuRRAT'scheu.
bald nach der AGASSiz'schen Theorie, bald auch vielleicht
in einer noch anderen Weise erklären lassen. Herr Fr. E.
Schulze macht dann noch auf einen Aufsatz von R. v.
Lendenfeld über ,. Korallenriffe" im Globus, v. 56, p. 305
bis 310 (1889). aufmerksam, der vielfach übersehen sei und
doch manche eigenartige Anschauung enthalte.
Herr MATSCHIE, der über geographische Formen von
Hyänen sprach, wird seinen Vortrag im nächsten Heft
veröffentlichen.
Referierabend am 12. December 1899.
Herr Kuhlgatz über: L. Reh Untersuchungen an amerika-
nischen Obst-Schildläusen. Mittheil. Naturhist. Museum.
XVI. (2. Beiheft zum Jahrbuch der Hamburgischeu
Wissenschaftlichen Anstalten. XVI.) Hamburg 1899.
Herr von fidartens über: Kobelt. Vorderindien. Ber. Senken-
bergisch. Ges. 1899
Herr Rengel über: Brandes, Teratologische Cestoden.
Zeitschrift Naturwiss. Bd. 72, Heft 1, 1899.
Herr Koikwitz über: Beugt Lidforss. Ueber den Chemo-
tropismus der Pollenschläuche. Ber. deutsch, bot. Ges.
1899. Heft 7, p. 236.
Herr Brühl über: Dr. R. W. Shuefeldt (Washington).
Photographieen lebender Fische in den Aquarien der
United States Fish Commission (Epiuephebus uiveatus
& Pseudopriacanthus altus).
999 Gesellschaft naturforschender Freunde, Berlin.
Im Austausch wurden erhalten:
Mitteil. Geograph. Ges. Naturhist. Mus. Lübeck; 2. Reihe.
Heft 9 u. Heft 12 u. 13. Lübeck 1896.
Mittheil. Deutsch. Seefisch. -Ver. Band XV. No. 11.
November 1899.
Naturwissenschaft!. Wochenschrift. Band XIV. No. 48 — 51.
Berlin 1899.
Leopoldina. Heft XXXV. No. 11. Halle a. S. Novem-
ber 1899.
Abhandl. Naturhist. Gesellsch Nürnberg. Bd. XII. Nürn-
berg 1899.
Schriften Naturwiss. Ver Schleswig-Holstein. Bd. XI. lieft 2.
Kiel 1898.
Jahresber. Naturf. Ges. Graubiiudens. N. F. Bd. XLII.
Chur 1899.
Materialien zur Geologie Russlands. Pierausgegeben von
der Kaiser! Mineralog. Ges. Band XIX. St. Peters-
burg 1899.
Verhandl. Russ.-Kaiserl. Mineralog. Ges. zu St. Petersburg.
2. Serie. Bd. 36. Lieferung 2. St. Petersburg 1899.
Geol. Förening. Förh. Bd. 21. H. 5 u. 6. Stockholm 1899.
Botanisk Tidsskr. 22. Binds 3. Hefte. Kjoebenhavn 1899.
Borgens Mus. Aarb. 1899. H. 1. Bergen 1899.
Proc. Cambridge Philos. Soc. Vol. X. Part III. Cam-
bridge 1899.
Journal Roy. Microsc. Soc. 1899. October. Part 5. London.
Journ. Asiat. Soc. Bengal. New Series. Vol. LXVIII.
Part II, No. la. Part III, No. 1. 1899. Calcutta.
Bollett. Pubbl. Ital. Num. 331—335. 15. Oct.- 15. Dec.
Firenze-Milano 1899.
Atti Soc. Ligust. Sei. Nat. Geogr. Vol. X. Nr. 2. Anno X.
Genova 1899.
U. S. Geol. Surv. XXXI. J. E. Spukr, Geology of the
Aspen Mining District, Colorado. Washington 1898;
und Atlas zu J. E. Spukr' s Monographie.
ü. S. Geol. Surv. XXIX. B. K. Emerson, Geology of old
Hampshire County. Massachusetts. Washington 1898.
Sitzung vom 19. Dezember 1890. 223
U. S. Geol. Surv. XXXV. J. S. Newberry, The later
extinet floras of North America. Washington 1898.
Proc. U. S. Nat. Mus. Vol. XXI. Washington 1899.
Proc. Amer. Acad. Arts a. Sei. Vol. XXXIV, No. 21—23
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The Kansas Univers. Quart. Sei*. A. Science a Mathem.
Vol. VIII. No. 3. July 1899.
Trans. Acad. Sei. St. Louis. Vol. VIII, No. 9—12; 1898—99
ü. Vol. IX. No. 1-3, 5, 7; 1899.
Proc. Canad. Inst. New. Ser. No. 8. Vol. 11. Part 2.
Toronto, September 1899.
Bull. Mus. Comp. Zool. Harvard Coli. Vol. XXXIV,
Vol. XXXV, No. 3—6. Cambridge, Mass. IL S.A. 1899.
Cat. Dupl. Books a. Pamphlets of the Ac. Nat. Sei.
Philadelphia.
Trans Wagner Free Inst. Sei. Philadelphia. Vol. VI.
May 1899.
Proc. California Acad. Sei. Ser. 3. Zoology. Vol.I, No. 11 — 12.
San Francisco 1898—99.
Journ. Elisha Mitchell Sei. Soc. Year 16, Part. 1, Januar
-Juni. Chapel Hill 1899.
Trans. Wisconsin Acad. Vol. XII, Part 1, 1898. Ma-
dison 1898.
Comunic. Mus. Nac. Buenos Aires. Tomo I. No. 4. 1899.
Mem. Rev. Soc. Cientif. „Antonio Alzate". Tomo XII.
No. 7 — 10. Mexico 1899.
Annuaire Acad. Roy. Belgique. 1898. Annee 64 und 1899,
Annee 65. Bruxelles.
Bull. Acad. Roy. Belgique. Annee 67 und 68, Serie 3,
T. XXXIV-XXXVI. Bruxelles 1897—98.
Tables Generales Recueil des Bull. Acad. Roy. Belgique.
Serie 3. T. I— XXX (1881-1895). Bruxelles 1898.
Tijdschr. Nederl. Dierkund. Vereen. Serie 2, Deel VI.
Aflevering 2. Leiden 1899.
Nederl. Dierkuud. Vereen. Aanwinsten van de Bibliotheek.
1. Aug. 1897 — 31. Dec. 1898.
224 Gesellschaft naturforschender Freunde, Berlin,
Als Geschenke wurden dankbar entgegengenommen:
PoTONirä, H. Eine Landschaft der Steinkohlen-Zeit. Er-
läuterung zu der Wandtafel bearbeitet und heraus-
gegeben im Auftrage der Direction der Königl. Preuss.
geolog. Landesanstalt und Bergakademie zu Berlin.
Leipzig^ 1899.
Harle, M. E. Nouvelles pieces de dryopitheque et quelques
coquilles, de Saint-Gaudens (Haute-Garonne). Separat
aus: Bull. Soc. Geol. France, ser. 3. tome XXVII.
p. 304. 1899.
J. *'. Starcke, Berlin W.
Druckfehler- Verzeichniss.
S. 2, Z. 5 v. u. lies zugehörigen statt zugehörigen.
S. 5, Z. 11 v. u. lies anzusprechen statt auszusprechen.
S. 6, Z. 12 v. o. lies Cercopithecus statt Ceropithecus.
S. 10, Z. 16 v. u. lies beschriebenen statt beschriebene.
S. 17, Z. 5 v. o. lies und mich statt mich und.
S. 25, Z. 11 ' v. o. lies Gegend statt Gegen.
S. 36, Z. 14 v. u. lies Practicum statt Praeticum.
S. 37, Z. 15 v. o. lies Survey statt Suvrey.
S. 63, Z. 4 v. o. lies ausgewachsenen statt ausgewachsenen.
„ Z. 17 v. u. lies mm statt m.
S. 64, Z. 6 v. u. lies Eichhornü statt Eichhorn ia.
S. 65, Z. 9 v. u. lies Vidensk. statt Vitensk.
j q ' [ lies Kjobenhavn statt Kjobenhaon.
S. 74, Z. 4 v. o. lies sein statt seien.
„ Z. 16 v. u. lies welche statt welehe.
S. 77, Z. 1 v. u. lies befinden statt befindan.
S. 79, Z. 3 v. o. lies Kavirondo statt Ravirondo.
S. 84, Z. 17 v. o. lies in statt iu.
„ Z. 9 v. u. lies ihre statt ihrer.
S. 86, Z. 12 v. u. lies Wisconsin statt Wiconsin
„ Z. 2 v. u. lies Separat statt Seqarat.
S. 94, Z. 6 v. u. lies absoluten statt absoluten.
S. 95, Z. 2 v. o. lies die statt dis.
„ Z. 11 v. u. lies hierbei statt herbei.
S. 104. Z. 7 v. u lies worden statt wordeu.
S. 130, Z. 15 v. u. lies Mittel-Asien, statt Mittel-Asiens.
S. 154 (Erklärung zu Figur 1) lies Zwischenraum statt Zwischnu-
raum.
S. 166, Z. 13 v. u. lies dem statt den.
S. 204, Z. 13 v. u. lies eingeschachtelte statt eingeschachtelt!].
„ Z. 5 v. u. lies mechanischen statt mechanische!).
4
y
Date Due